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Full text of "Beleuchtung der Vorurtheile wider die katholische Kirche"

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Belehrung 


der 
E—oruttßeile 


wider 


die katholiſche Kirche, 


/ 
Bon 


einem proteftantifchen Laien. 


® ovıd Kıtt 








Audiatur et altera pars. 





REEL — STIERSEERR STREITEN 








ſCuzern, 1835. 
Bey Gehrudern Mäber. 





EU EM t 





Iuvem der Verfaſſer ſich durch Rückſichten höherer 
Art gedrungen fühlt, über den vorliegenden Gegenſtand 
ſein Urtheil öffentlich auszuſprechen, macht er — mit 
der Denkungsart ſeiner proteſtantiſchen Brüder ſattſam 
bekannt — auf manch bitteres Urtheil ſich gefaßt, und 
erklärt daher in Kürze, zur Richtſchnur der berufenen 
ſowohl als der unberufenen we, die Abjicht welche 
diefer Schrift zum Grunde liegt. | | 

Weit entfernt von der Anmaßung etwas fehr wich? 
tiges oder vollftändiges geliefert zu haben, und nur 
wenig bewandert im den zu gründlicher Bearbeitung 
diefed Stoffd erforderlichen Wifjenfchaften, glaubt er 
dennoc feine durch vieljährige unbefangene Prüfung 
erworbenen Anfichten für erheblich. genug halten zu 


dürfen und zu follen, um fie auch andern Wißbegieri- 


PERS. ° AN 


gen mitzutheilen, Anregung zu eigenen eifrigen For: 
fhungen und zu ernſtem Gelbftvenfen der Lefer 
iſt e8 demnach hauptfächlih, was ver Werfaffer 
durch Verbreitung dieſer Bruchſtücke bezweckt; 
und die Erreichung ſolcher Abſicht wagt er um ſo eher 
zu hoffen, als unſer jetziges Zeitalter immer empfäng⸗ 
licher für dieſe Angelegenheit zu werden ſcheint. 

Wenn von tiefgelehrten ausgezeichneten Proteſtan⸗ 
ten ſchon in frühern Zeiten die Behauprung aufge 
ftellt ward, daß nur unmefentliche — allmählig einge 
ſchlichene — Mißbräuche vie Firchlihe Scheidewand 
bilden, und daß alle fireitigen Punfte leicht ausge: 
alichen werden könnten, (©. Melanchtons Brief an 
Franz den Erften , die Gegenrede von Hugo Grotius 
an Nivet, die Augfpurger Confefjion von 1530, und 
das fo ausführliche als gründliche Gutachten der Uni- 
verfität Helmftädt von Fabritius und Calixt) wen | 
follte dann nicht die Befeitigung dieſer Spaltung, bie 
Serftellung jener fegenvollen Einheit als höchſt wün— 
ſchenswerth erfeheinen! wer follte nüht freudig zu Erz 
reichung dieſes wohlthätigen Zweckes mitwirken, wenn 
er bedenft, daß die ehrmwürdigften Lehrer des Urchriz 


u, 


ftenthums die Spaltung als die ſchwerſte aller 
menfchlichen Pflichtverleßungen, die Einheit aber als 
das erfte aller evangelifchen Geſetze erflärten ! 

Der Berfafjer gedenkt indeffen bey feiner Arbeit fo 
zu Werfe zu gehen, daß er zuvorderſt Die Einheit 
und Mebereinftimmung der Slaubenslehre 
als unerläßlihe Hauptgrundlage aller chriftlihen Got: 
teöverehrung darftellen, und die unbedingte Verwerf⸗ 
lichfeit jeder Spaltung zeigen, dann die durch 
vorübergehende Härelten älterer Zeiten bewirkten kirch— 
lichen Störungen erwähnen, hauptfächlidy aber ‘die im 
fechözehnten Jahrhundert ausgebrochne Kir hentren: 
nung in ihrem Urfprung, Fortgang und Folgen näher 
zergliedern, und ſchließlich einige der erheblihern Ab— 
weihungspunfte zwiſchen den verfchledenen Confef- 
fionen, fowohl in Gegenftänden ver Firchlichen Disziplin 
ald befonders auch im Dogma von der Euchariftie, in 
ihr klares Licht ſetzen wird, 

Bey den vorhabenden Erörterungen wird er fic) 
einer deutlichen, allgemein verftändlichen Schreibart 
nad) Möglichkeit befleißen, und über einzelne — aus 
fremden Sprachen dennoch einfließende — Ausdrüce 


A. 1 PR 


am: Schluffe dieſer Schrift Die nöthigen Erlauterun- 
gen nachtragen. | 

Redlich und befcheiden genug, um für. jede angemef- 
fene Belehrung Danf gu wiffen, wird er hingegen über 
die Angriffe leidenfchaftliher Streitſucht — welche fo 
oft und gern zu läftern, aber fo felten und ungern zu 
prüfen pflegt — im Bewußtfeyn reiner Gefinnungen 
ſich ruhig hinwegſetzen. 

Den Vorwurf des Plagiats gänzlich von ſich 
abzulehnen kommt ihm gar nicht zu Sinne; er erklärt 
vielmehr ausdrücklich, daß. Die Werke mancher ältern 
und neuern Schriftſteller über dieſen Gegenſtand ihm 
bey ſeiner Arbeit zum Leitfaden dienten, und wohl 
auch — inſoweit derſelbe weſentlich dem Gebieth der 
Geſchichte angehört — dienen mußten. 

Die Anonymität kann keiner Entſchuldigung bedür⸗ 
fen, da der Name nichts zur Sache ſelbſt beytragt, 
und weder Werth noch Unwerth derſelben beſtimmt; 
waren doch auch die erſten Herolde unſrer hochgefeyer⸗ 
ten Reformation — wie jedem Freund der kirchenge⸗ 
ſchichtlichen Litteratur bekannt  feyn muß — der Ano⸗ 
nymität und Pfeudonymität nichts weniger als abhold 


— Vi — 


Was dann die Freymüthigkeit betrifft, ſo 
nimmt der Verfaſſer lediglich das große Vorrecht 
des Proteftantismus in Anſpruch, und ſtützt ſich 
dießfalld auf das  Anfehen ſowohl eines berühmten 
Kanzelredners und Kirchenvorſtehers als auch eines 
ausgezeichneten theologiſchen Schriftſtellers der reformir⸗ 
ten Schweiz. Erſterer erklart in öffentlicher «Rede, 
„daß alles Beſtreben der Reformatoren einzig ‚dahin 
gerichtet war, allen Chriſten ihre natürliche Freyheit 
zu denken und zu reden wiederherzuſtellen, und daß 
dieſelben nur menſchliche — dem Irrthum und Feb: 
ler unterworfene — Meinungen, keineswegs aber 
feſte Geſetze und Vorſchriften zu. geben je beabſichtig— 
ten, daher ſie auch nur als Elementarlehrer betrachtet 
ſeyn wollten, und ſich ſelbſt gar kein Bedenken machten 
ihre Lehre bisweilen aufzugeben und zurückzunehmen. / 
Letzterer behauptet, »daß der unſterbliche Zwingli bloß 
die Bahn gebrochen und der Welt ein nur. angefange 
ned Werk hinterlaffen habe, ‚welches immerfort umge 
ftaltet und 'vervollfommnet werden: foll, daher auch er 
und feine Mitarbeiter niemals: die Zürcheriſche Kirche 


eine reformirte ‚geheiffen haben, daß diefelbe vielmehr 


— Vi — 


eine forthin zu reformirende und ihrem Prinzip nad) 
perfeftible unvollfommene Kirche fey, und daß über: 
haupt in der Stabilität (Beftändigfeit, Stätigfeit) 
die wahre Pest, in der Mobilität (Wandelbarkeit, 
Beränderlichfeit) hingegen das eigentlihe Leben unf 
rer Kirche beftehe, 

Somit dürfte dann wohl auch die freymüthige For: 
{hung des Verfaffers in den Augen feiner Glaubens: 
genofjen als hinlänglich gerechtfertigt erfcheinen. 

Möge nun der proteftantijche Leer mit Unbefan: 
genheit diefe Schrift prüfen, etwelche Erweiterung 
feiner Kenntniffe daraus fchöpfen, und — von manchem 
frühern Borurtheil befreyt — feine bisher vielfach und 
arg mißfannten ‚ anderödenfenden Brüder ald Kinder 
Eines Vaterd, ald feine Altern Geſchwiſter achten und 
liebgewinnen lernen! Möge auch dieſes Scherflein 
etwad dazu beytragen, um und jenem erfehnten — von 
dem Welterlöfer felbft verheifienen, und daher unaus- 
bleiblichen — Zeitpunkt näher zu bringen, welcher ver 
beglückten Menfchheit ven hehren Anblid Einer Herde 
und Eined Hirten darbiethen wird ! | 

Philalethe®. 


Inhalts⸗Verzeichniß. 


Seite. 


Einheit der chriſtlichen Glaubenslehre, vom Stifter 
des Chriſtenthums felbft angeordnet, , 
Als Zweck der Offenbarung , , 
Beweisftellen der heil. Schrift,  . \ — 
Hohenprieſterliches Gebeth Jeſu bey Joh. XVII. 
Auch die Apoſtel verkündeten dieſe Einheit als chriſt— 
liches Grundgeſetz, 
Beweisſtellen hiefür aus dem N. %., - - 
Die Urchriſten waren dem Dogma der Glaubensein- 
heit innigft zugethan , ; 2 
Zeugniffe dev erften Kirchenväter, 
Shr Eifer gegen jede Spaltung, - , P 
Auch die proteftantifchen Eonfeffionen geftehben den 
Ben und die Nothwendigkeit der Glaubeng- a 
einheit, er \ > - 5 
Die helvetifche Eonfeffion ſelbſt anerkennt die Befchlüffe 
| der vier erften vefumenifchen Conzilien von 
Nizäa, onftantinopel, Epheſus und Calzedon, 
nebft dem Athanaſiſchen Glaubens bekenntniß, — 
Der göttliche Stifter des Chriſtenthums hat in ſeiner 
Liebe, Weisheit und Allmacht auch für die Mittel 
KR PRAIFURG und Behauptung diefer Einheit 5“ 
geforgt, ; ; ; . N 
Bervolllommmung der durch Ehriftum  geoffen- 
barten Religion ift nicht zuläßig noch gedenkbar 13. 
Ausfprüche Ehrifti über die Verpflichtung zu unde- 
‚dingter gläubiger Annahme feiner Lehre, . 1. 
Die Apoftel dringen ebenfalls darauf, . . 17. 


lv »|l| er 


+ 


22 


Seite. 


Richtiger Begriff von Freybeit und Fortfchritt im 
Shriftenthum ; Warnung gegen Mißbrauch, . 
Nähere Prüfung des von Chrifto angeordneten Mittels 

Bun ea und Behauptung der Glaubens 
einhei 
Berheiffung Chriſti nach Math. X. und xxviii., 
Uebertragung des Primats an Petrus, 
Zeugniſſe der Kirchenväter, 
Geſtändniſſe proteftantifcher" „Söeiftfieer —J 
Anſchuldigungen gegen die Römiſchen Papſte, 
Widerlegung aus proteſtantiſchen — — 
gezogen, 
—— günſtige uͤrtheile uͤber das Papſtthum, 
Auch andere Reformatoren, und große proteſtantiſche 
Gelehrte ſprechen ſich fuͤr die Zweckmäßigkeit und 
Nothwendigkeit des kirchlichen Primats aus, - 
Erörterung der Lehre von der Unfehlbarteit der 


Kirche 

Seftftelfung des richtigen Begriffs, 

Die Unfehlbarkeit beruht keineswegs auf der Perfon 
— 52 ſondern auf der Geſammtheit der 
irche 

Der Papſt, als Kirchenoberhaupt, iſt der ſichtbare 
Lenker der ganzen Glaubensanſtalt, 

Daß der Papſt, als Menſch, auch in Glaubens ſachen 
Ps Irrthum unterworfen ſey, erklärt Adrian VI. 
e 

Die Bifchöfe , als Nachfolger der Apoftel, find zur 
dtuslegung der Slaubensartifel befugt, und nur 
die allgemeine Zuftimmung derfelben drückt einer 
Entfcheidung das Siegel der Unfehlbarkeit auf, 

Befugniß eines vefumenifchen Eonziliums , i 

Die Authorität. eines folchen Conziliums wird felbft 
bon Boſſuet, Leibnitz, Bull, auch vom Luther 
ud der: helvet. Confeſſion in Schutz genom- 


Ausübung der päpftlichen Bewalt in den sehen Seiten 
des ‚Chriftenthbums, 

Ebenfo der Conzilien, 

Erſtes oekumeniſches Conzilium in Nizäa, 

Kaiſer Conſtantin. Verurtheilung des Arius, 


49, 


23. 


— 


24. 
26. 
27. 
30. 


— — 


32 


33. 


38. 


39. 
40. 


1818 


Seite. 
Zweytes in Conftantinopel , 44, 
Beftätigung des Glaubens : Ehmbels: von Rizäa; 
deſſen Fortbeſtand; Zeugniſſe der Kirchenväter, 45, 
Kirchliche Spaltung laßt fich auf feine Weife vecht- J 
fertigen, AD. 
Wer diefe herbeyführt, ſtrebt des Exlöfers enthieben | 
ſtem Willen. entgegen , { — 
Urſprung und Geſchichte der ‚Härefien y 47. 
Montanus, Neftoriusun.a., - Ikarus 
Geheündete Klagen über Fir chliche Mißbrauche, 49. 
Der Clerus ſelbſt drang auf Reformen, nicht aber 
auf Ummwälzung , 50, 
Urſprung des Schis ma zu Anfang des. XVL 
Sahıhunderts, ı 51. 
Benehmen der Urheber im Allgemeinen; "ihre Crurd— 
ſätze; ihr Unternehmungsplan, 52. 
Erforderniffe eines würdigen Reformators, 53. 
Benehmen Papft Xen des X,, 54 
—— der Reformation in Schottland und "Eng- = 
——— der Reformatoren des 
XVI. Zahrhunderts im Allgemeinen, . — 
Biographiſche Notizen über die Reformatoren 
Deutfhlands, 57. 
Martin Luther; nad) feinen eigenen Geftändniffen, 58. 
Urtheile feiner Schüler , Gehülfen und Zeitgenoffen „67. 
Heinrich VIII.; der Kirche in ran — 68. 
Oekolampads; Calvins 70. 
Cochläus; Erasmus ; 11. 
Florim. Rämunds, ,- 72. 
Luthers Gleichgültigkeit gegen. diefe Urtheile , 73. 
Seine fittlihen Grundfäße und Lehren, — 
Seine dogmatifchen. Kernfprüche , j N 76. 
Luthers urfprüngliche Beſtimmun —J 
Melanchton; aufs vortheifhfte gefchildert von. 
% —— d Peter Martyr ; feine Gelb I 
on Luther und Peter ar — eine e e ardnt 9. 
Urtheil Calvins u. a. m., ara f Nr; 81. 
Letzte Unterredung mit feiner Mutter, .. &4, 
Calvin; beurtheilt von Erasmus , von Grotius, 85. 
Bon Stancharus, Schlüffelberg, Heshufi u8, Eafteklio, 86. 


— XüU — 


Seite, 

Bon englifhen Theologen, s 3 rg, 
Gefchildert nach gerichtlichen Akten 5 i ; 89. 
Seine Läfterungsfucht , . 29094 91. 
Urtheile von Flor. Rämund und Maimburg, SAN, 
Sein Wanfelmuth i k 95. 
Seine urfprüngliche Heftimmung , 96. 
Zheodor Beza; beurtheilt_ von "Schlüffelberg, x 97. 
Heshufius, Launaͤus und FI. Rämund ; ’ 98. 
Peter Bermilius, genannt ae ; 99, 
' Martin Buzer, : | N 100. 


Ochin, gefehildert‘ von Bea, 


Sein Urtheil über die JE Yan und Bwinglianer , ‚1018. 
Gefchildert von Florim. Rämund, 102. 
. Soh. Hausfchein, — Setolampat ; gefehildert 
von demfelben , 


Bon Soh. Faber, ey l 103, 
Bon Pirkheimer und Erasmus , ; i 104. 
Bon Schlüffelberg und Luther, 105. 


', Under. Bodenftein, genannt Carolſtad, nach Me— 
lanchton und Luther, 106. 
Nach Buddäus und Florim. Rämund, 108. 


Ulrich Zwingli; deſſen Selbftgeftändniffe , % 110. 


Sein Wanfelmuthb und widerfprechende Lehren, 113. 
Die Zmwinglifche Lehre von der figürlichen Bedeutung 
der Einfekungsworte gründete fich die Fa 


Auslegung ee { 114. 
Sein Wahlfprud , 2 RE 
Zeugniſſe von Melanchton, Brentius , Rämund, 116. 
Bon Schlüffelberg , Schüß, Luther, — 118. 


Luthers Urtheil erſcheint um ſo glaubwürdiger, da 
die Zwingliſchen Biographen die höchſte Achtung 
ihres Helden für Luthers Charakter und Verdienſte 
beftätigen , 120. 

3winglis Ende ; Urtheile angefehener Beitgenofien * 
ſeinem Tod. en 

Defiderius Erasmus von Mbktervaihz Hi 
Pharos unter den Srrmwifchen , der Gigant unter 
den Pygmäen, 33. 

Schilderung feiner Verdienſie um Mit⸗ und Nachwelt, 134 

Entwicklung des Reformationswerkes; Urtheil Gried- ' 
richs IE, —— re Aka 


Seite. 


Abriß der Reformationsgefhihte®nglands, 157 
Woſtaſie Heinrihs VIIL Cranmer, - . 7 — 
Eduard VL; Rückkehr zum alten Glauben unter Maria, 159. 
Regierung Eliſabeths; Herftelung der Reformation, 161. 
Folgen der Reform ; Anzahl der Selten, IB 2 162. 
Verhältniß der Lutherifchen Lehre zur Zmwinglifchen 
beym Beginn der Kirchenreform in England, 163. 
Luthers Reformationswerfin Sachſen, 164. 
Abweichung feiner Doktrin von der Zwinglifchen im 
Punkt der Euchariftie, ; k ; 
Luthers Dogmaz Gründe; Erläuterung TE 
Perfönliche Vereinigung der Gottheit und Menfchheit 
Ehrifti ald Geheimnißlehre , ; ; — 
Förmliche Trennung der Lutheraner und Zwinglianer, 167. 
Berufung der Lutheraner auf Zeugniffe der Kicchen- 
väter, a \ ; : j — 
Zergliederung der Lutherſchen Geheimnißlehre, 169. 
Meinung von Leibnitz. Geheimniſſe ſind wohl über, 
aber nicht wider die Vernunft, N 170 
Unterfchied zwifchen dem Dpfer des alten ‚und deg 
neuen Bundes, zwifchen Ofterlamm und Abendmahl, 171. 
Hauptbeweis für den Lutherifchen Lehrbegriff , 172. 
Gefchhichtliche Umftände; anfängliche Gefinnungen Lu— 
thers ; fein Conflift mit 3wingli, . j 173. 
Glaubensabfallin der Schweiz, bewirkt durch 
3mwingli,. 0.0. N i te vi? 
Ungleiches Schickfal der neuen Lehre in diefem Land, — 
Shre erfte Einführung in Zürich, h j 180. 
Borftellungen anderer Kantone; der Päpfte, . 181. 
Verwirrung: Aufhebung der Neuerungen in Bern; 
Zürichs Starrfinn, ; - k 
Glaubens - Erörterung in Baden vor den Abgeordne— 
ten aller Eidgenöflifchen Kantone, . R 
Sufammenberufungs.= Scyreiben ; Klagen aller zwölf 
Mitftände über Zwinglis Verfahren , ; — 
In Baden erſcheinen Geſandte von Zürich, aber weder 
— noch andre Gelehrte und Prediger von 
—V 186. 
Fortgang der öffentlichen Diſputation; Anordnungen, 188, 
zus nr mittelbare eifrigfte Theilnahme durch Haus— 
ſchein, — 


® 


a 


— xXIV— 


Seite. 

umſtandlicher Hergang; N in ge | 
von Faber,  . 189. 
Bon Th. Murner, 192. 


Schluß der Difputation; Förmlichkeiten ; Abſtimmung, 195. 
Brief von Erasmus an die Tagſatzung in Betreff der 


neuen Glaubenslehre, 196. 
Entfcheid aller zwölf Stände; Verwerfung der neuen 
Lehre, 197. 


Nachtrag. Fabers gründliche Erläuterung der Ein- 
ſetzungsworte zum Abendmahl, der Zwingliſchen 
Doktrin entgegengeftellt und fiegreich ha per 198. 

Bern neigt fich fpäter zur Reform, ;“ 202. 

Klagen der Mitſtände über dieſe Abtrünnigkeit , — 

Perbreitung der Reform in der Schweiz; Wirren; 
Bürgerfriege, 203. 

Urtheile verfchiedener Reformatoren über die Solgen 
ihres eigenen Werkes 2 

Galvin ; Buzer ; Geifhäufer ; Melanchton ; Kopf, er 

Urtheil des Erasmus und Dupitius, ; 207. 

Luthers felbft , Ä “ g 209. 

Grotius; Schlüffelbergs u. a, m. ; } 211. 

Klagen und Geftändniffe der conf. orth. Tigur. eccl. 
ministr. und der Zürcherfchen Synode felbft über 
die nächften Wirkungen der Reformation . 212. 


» 


Neuerer proteſtantiſcher Schriftfteller, . ß 213. 
at er der eg Synoden und Col, / 
oquien 14. 


Siftorifche Veberfi ht der. durch "den Glaubensabfall 
bewirkten Ereigniſſe; in re Thomas 


Münzer 18 
Hugenoktenkriege i in Frankreich, | A 216. 
Aufruhr in Weftphalen durch Soh. Hokolt , ; — 
Zerſtörungswuth in England, 217. 


—— der Kicchengüter in Schweden und Meer 
nemar — 
Berwüftungen in Deutfchland , 
Verlegenheit der Schismatifer ; $ ihr Verſuch fh mi 
der griechifchen Kirche zu vereinigen, 218. 
Bekümmerniß und Reue Melanchtong , 2 
Vereinigungsplan von Molanus, Leibnitz und Boſſuet, 220. 
Prahlerey eines 3teinglifchen DGERNOEN: 2 Wider- 
legung, 221. 


r Seite. 


ehe des Päpſtlichen Stuhls beym Beginn der 
Kirchentrennung, 222. 
Dermalige Geftalt des Proteftantismus, 223. 
Willkührliche Schriftauslegung als Vorrecht des 
Proteftantismus, 225. 
Der Proteftantismus unterliegt einem endlofen Ver⸗ 
vollkommnungsprozeß, und entbehrt alſo ſchon 
deßwegen das Haupterforderniß der ———— 
- Rirde, — 
Unter feinen zahllofen S Sekten waltet Feine feſte Ver⸗ 
bindung 226 
Nähere Betcachtung der Früchte des Proteftantismug; 
authentifche Belege; Ausgeburten der Neologen, 228. 
Einfluß auf die Erziehung der. Jugend, N 235. 
Abneigung gegen den Gatholizismus iſt das einzige 
— unitatis zwiſchen den proteftantifchen 
arteyen, 
Sie kann nur auf verkehrten Begriffen beruhen, — 
Mangelhafter Lnterricht in den angefehenften brote⸗ 
ftantifchen Lehranſtalten, — 
Merkwürdiges Geſtändniß eines fehweizerifchen Theo- 
logen der neuften Zeit; 238 
Intoleranz der Proteftanten ; Leidenſchaftlichkeit ihrer 
Skribler, 239 
Berichtigung der Begriffe über Catholizismus , { — 
— und Widerlegung einiger Vorwürfe, 240. 
ehrungsfuchts unrichtige Borftellung davon, 243. 
Nothwehr der Catholiken 244. 
——— 9 Pflicht; Proſelytismus — 


Urtheil von Plank, 245. 
Beyſpiel proteſtantiſcher Sntoferanz Kl: Zeit , — 
Aphorismen über Religionswechſel, 247. 

- Meinungen angefehener Schriftfteller hierüber , —. 
Beyſpiele ausgezeichneter Bekehrungen, 250. 


Gefinnungen bon Leibnik , Montague und Grotius, 25. 
Prüfung einzelner Befchuldigungen wider den Gatho- 
lizismus, 256. 
Befcheäntung des Bibelunterrichts; ungrund 
dieſes Vorwurfs, gap 
Kluge — der kathol. Kirche; Mißgriffe der Pro⸗ 
teſtanten, 258. 
Läfterungen "der Neologen gegen den Bibelunterricht, 259. 


a — 


Seite. 


Faſtengeboth; Erläuterung; Pflicht der Selbft- 
verläugnung und Enthaltſamkeit, . 261. 
Faften wird felbft von der Helvet. Eonfeſſ. gutgeheiffen, — 
Als Hülfsmittel zur ſittlichen Vervollkommnung, 262. 
Es ift nicht Dogma , fondern — - Bor eift, — 
Geſchichtliche Begründung 3 — 
Beweisſtellen aus dem N. Teſtament, — 
Jeſu eigenes vorleuchtendes Beyſpiel, — 
Zweck der kirchlichen Anordnung; öfterliche Safengeit; 
wöchentlicher Fafttag, 263. 
Einwendung der Proteftanten ; Widerlegung BR 264. 
Reinigungsort, vulgo Fegefeuer, ; DEE, 
Ausfpruch und Borfchrift des Conzil. von Trient, — 
Irrwahn der Proteftanten , 266 
Zeugniſſe aus. den rufen Zahrhunderten des CEhri⸗ | 
ftentbums , . 267. 


Urtheil — 
Vernunftmaßigkeil und Wohlthätigkeit dieſer Lehre 268. 
Sürbitte für die Ubgeftorbenen, ; 270. 
Urtheil von Grotius, . — 
Verbindung der Gläubigen in der ſtreitenden Kirche 

mit ihren abgeſchiedenen Gliedern im Reinigungsort, — 
Fürbitte unter den Gläubigen auf Erde, 271 
Moralifcher Antrieb dazu, : — 
Ausſprüche der Helvetifchen Eonfeffion , L 272. 
Cölibat, oder Ehelofigfeit der Priefter, — 
Iſt nicht Dogma, nur Disziplinarſache, — 
Einführung im XL. Sahrhundert unter Gregor VIL 273. 
Gefchichtliche Notizen, * 
Ceremonien; Vorſchrift des Tridentiniſchen Con⸗ 

ziliums, 275. 
Sie ſind nicht Zweck, ſondern Mittel , } — 
Ihr richtiger Sinn und Bedeutung, { Ä — 
Unkenntniß von Seite der Proteſtanten, Bl lin 
Kirchlicher Unterricht über die Geremonien , L 276. 
Sie fünnen als Disziplinar » Gegenftand verändert, 

ja fogar aufgehoben werden, . "2m. 
Aber nicht durch bloße Laune und Willkühr & Einyeiner, — 
Beyſpiel Chriſti ſelbſt; Beweisſtellen des N. Teſt, — 
Beyſpiele und Zeugniſſe des chriſtlichen Alterthums ‚218. 
Mychologiſche Erklärung, 279. 
Mipbräuche werden von der Kirche ſelbſt verworfen, — 


— XxXVII — 


Seite 
Abſchaffung bey den Proteftanten: Folgen 279. 
Zweckmäßigkeit; kindliche Gottesverehruͤng x i 280. 
Die Privatandacht des Catholiken ift frey, } 281. 
Unedler Spott der Proteftanten, 3 282. 


Ausfpruch von Leibnitz, — 
Göthe nimmt dieſe Lehre. ganz befonders in Schuß, ic 
Beihtanfkalty ee der Selbſtprüfung ar * 


Urſprung und Zweck 3 tee 
Vernunftgründe für oe göttlichen urſprung⸗ al 
Geftändnig Heinrichs VII. , { +85 


Auch der große Leibnitz vertheidigt LyEdd al 
Ausſpruch der Helvetifchen Eonfeffion , — 
Urtheil Luthers und verfchiedener peoteftantifche 
Theologen Englands und Deutfchlands,  .. 286. 
Rouſſeau nimmt die Beichtanftalt fehr in Schutz Ans 
Beweisſtellen dafür aus der heil. Schrift, 
Zeugniſſe aus dem Urchriſtenthum ——— — 288. 
Deftentlihe Beicht , ‚289, 
Erforderniffe zur Guültigkeit der kath oliſchen Odrenbeicht 290. 
Ablaß; Feſtſtellung des richtigen Begriffs, 2— 
Begründung diefer Lehre im A: und. Rt Teftament, —* 
Zeugniſſe der Kirchenväter, 2.2 kn des Zridenks, 


Bonziliums ;" 293. 
Falſche Beſchuldigung: Widerlegung, N 
Bilderdienſt, —** 


Vorzeit. Sinnbilder der Gottheit ; * Bildnife als 
Erinnerungsmittel, 
Die Verehrung gilt immer nur ‚dem Urbild, * 
Zeugniſſe aus dem Alterthum; Vorſchrift des Mo⸗ 
ſaiſchen Geſetzes, 295 
Anbethung ift unterfagt; als Erinnerungszeichen. wur⸗ 
den Bilder immer in Ehren gehalten, Ä 
—— im apoſtoliſchen —— af 296. 
Kaiſer Conſtantin; Zeugniß mehrerer Kirchenväter, — 
Ausſpruch des zweyten Conziliums von Nizäa,WM. 
Klare Erläuterung durch die — Riecen- 
FRA 
Benehmen der eformatoren, RL 
Urtheile von Molanus, Boffuet und Montague , z - 300. 
/ Reliquien: Spuren” im grauen Alterthum, 301. 
Urfprung dev Lehre im Hopper Zeitalter, ; Fo 


—— 


5 

nn 3 

l ex 
; 


— XVII — 


Seite. 


Benehmen der erften Ehriften; Beugniffe: der —5 | 
däter, | 301. 
Richtige Borftellung der Tatholiken ao 
Luthers widerfprechende Lehrmeinung, - 304. 
Kreuzzeichen; Gebrauch im hriftlichen Alecihum — 
Uebereilung der Reformatoren, fi 305. 


Zeugniß von Auguftinus und andern Kirchenvätern, — 
Zeugniſſe der Griechiſchen und Orientaliſchen Firche, 306. 


Grundloſigkeit des Vorwurfs der Anbethung, 307, 


Berfchiedene Bedeutung des Ausdrucks Ynbethen — 

Unrecht der EEE in abfhaftung des Kreuz 
zeicheng , | 309. 

Verehrung der H eiligen und: An vufun g 
ihrer Fürbitte, 

Weinung der Kirche; Verbindun des Geiſterreichs, * 

Streitende und triumphirende Kirche, — 

Fürbitten der Gläubigen in der heiligen Schrift empfohlen. — F 


Vorſchrift des Tridentiniſchen Conziliums, 


Vernunftgründe für die Anrufung der Heiligen, ner), 

Berhältnif. der, Ehriftert als lieder Eines Leibs, : ' 313. 

Durch Anrufung der Heiligen — der Vermitt⸗ 
lung: fein. Abbruch — 


Auch die Proteſtanten glauben an Wirkung der ——— 


bitten, 
Ausſprüche der Kirchenväter , ; — 
Religiöſe —— er bey den Pe F 
teſtanten, 
Abſicht der Kirche, J re - 315, 
Ungrund peoteftantifcher Beſchuidigungen, „ya: 
Fernere Zeugniffe der — * des ae 


von Calzedon, 317. 
Benehmen der Kefortnatoren a, tartii 818. 
Luthers Urtheil über dieſe Lehre, 240 


Defolampad vertheidigt, Beza und Calvin verwerfen fie, 321. 
Ausfprüche verfchiedener proteftantifcher Eonfeflionen,  — 
Die Helvetifche Eonfeffion, auch Grotius: und Molası |. 
lanus find diefer Lehre günſtig, 32. 
Montagues Geſtändniß; Urtheil Dr. Pants ,. fi 323. 
Wie die Heiligen zur Kunde der Anrufung gelangen, 
iſt Glaubensgeheimniß , | 324 
Abweichende Meinungen der Reformatoren I 1a ee 
Tradition; Erläuterung ; Urfprung, : 32. 


— AN — 


Seite. 


Sie ift älter als die heil. Schrift; diefe regen 

fpäter und ftufenweife, | 326. 
Perhältniffe der Sradition zur heit. Schrift, a 32T. 
Shre’ ungertrennliche Berbindung und gleiches Anfehen, — 
Die Schrift: haben wir der Tradition zu verdanken, — 
Jene wird ducch diefe ergänzt und vervollkommnet, — 
Erläuterung diefes Satzes; geſchichtliche Erörterung, 328. 
Strenge Prüfung der Tradition ; Grundregel, 330. 
Eollifion der Kirchenväter und Reformatoren, . 331. 
Einwendung der Proteſtanten; Widerlegung, 332. 


Weſentliche Theile des hroteſtantiſchen Cultus gründen 


fich auf die Tradition, nicht auf die heilige Schrift, — 
Chronologifche Notizen über den Urfprung der Schrif⸗ 

ten des N. Teſt., 333. 
Den Kicchenvätern des chriſtlichen Alterthums diente | 

die Traditiom ald Commentar der heil. Schrift, 335. 
Beweiſe hiefür aus Polykarp, Ignaz, Baſil, Cle⸗ 

mens un d., Hirt 
Zuther und Calvin halten die Tradition für unentbehr- 

lich zur richtigen Schriftauslegung, 337. 
Ürtheil von Hugo Grotius , 338. 
Auch Semler, Grießbach,, Roſenmüller Paulus u. 

a. nehmen” fie in Schuß, 
Ausmittlung der vier Evangelien duch die Tradition, 340. 
Urteil mehrerer Zheologen der veformirten Kirche 


Englands, . 341. 
Ehromologifche Notizen über einige der berühmtern 
Conzilien, 342. 

4. Eu hariftie oder Abendmahllehre ünterſcheidung 

der verſchiedenen Confeſſionen, 343. 
Was unter der Benennung „ Liturgie — verſtanden 

wird, 344. 


— des Gatholiken wäre unvereinbar mit Gottes 

iebe 

Allgemeinheit diefer Lehre zeugt für ihre Wahrheit, 315. 

Beſtätigendes Urtheil des Erasmus, _. — 

Eine —— in der uralten Lehre hätte nicht. ohne 
großes Aufſehen Plab greifen fünnen, > — 

Die Geſchichte enthält aber; hiervon Feine Spur, 346. 


Paſchaſius, im IX. — ſchrieb uerſt über 


die rirlliche — hei in der Euchariftie, — 


— AN — 


Site. 
Dieß Dogma war vorher nie bezweifelt und angefoch— 
ten worden, - . 
Berengarius, erſter Gegner dieſer Lehre, im⸗ X. 
—— vhundert , 

Im Ucchriftenthum ward dag Mefopfer als Seheimmiß 
behandelt, 
Zeugniß von Tertullian und Auguftinus', 347. 

Auch die Liturgien des chriftlichen ee. ent⸗ 
halten hiefür die vollgültigſten Beweiſe, — 
Urtheil proteſtantiſcher Theologen über das Anſehen 
dev apoftolifchen Liturgien, . 
Disziplin der Geheimhaltung als allgemeines 
Gefeß während der vier erften Jahrhunderte , 349. 
Zeugniffe von Cyrill, Ambroſius, Origenes, * 
Beftatigendes Urtheil von Fleucy, j 350. 
Das Miyfterium der Euchariftie ward erſt den er- 
wachfenen Zäuflingen von dem Bifchof enthüllt, — 
FSälfchlich behaupten die Proteſtanten, daß diefe Ber: 
fchwiegenheits - Disziplin erſt vom IV. Sahrhundert 
herfiamme, 351 
Beweiſe hiefuͤr; Anſchuldigungen der Heiden wider 
die Chriſten, — 
Verfolgungen der erften Ehriften um dieſer Geheim—⸗ 
haltung willen, 352. 
Zeugniſſe aus Tazitus und Juſtin, 353. 
Mit dieſer — als geſchichtliche Thatſache außer allen 
Zweifel geſetzten — alten Kirchendisziplin ſteht 
die proteſtantiſche Lehre von der figürlihen 
Bedeutung im grellſten Widerſpruch, 354. 
Lehrbegriff der Reformirten, 355. 
Die figürliche Bedeutuug der Euchariſtie hätte jede 
Geheimhaltung ganz unnöthig und zwecklos gemacht, 356. 
Zeugniſſe der Kirchenväter aus den erſten vier Zabb⸗ | 
hunderten für die Lehre von der en 
Gegenwart 357. 
Ignatius, Juͤſtin, — — Origenes, Tertullian, 
Copeian, | Cheyfofiomus, Bernhard, 
Ephrem u. a. 358 
Urtheil Luthers über" die alterthümlichen Beweiſe für 
das Mepopfer , 363 
Leibnit über die Geheimnißlehre des Abendmahis J 
Ausſpruch von Horſt; gemüthliche Aeußerung Lavaters, 5. 


— AÄXI — 


Seite. 


Kiturgien des chriftlichen Alterthums als zweyter 
Hauptbeweis für das —— nen von: der 
Euchariftie,  : 366 

Apoftolifcher Urſpruͤng derfelben ' ; N 

Zeugniſſe der älteften Kirchenlehrer, . 367. 

DVerfchiedenheiten in den iturgien berühren. nur 
aufferwefentliche Theile derfelben , f 3 

Die bewundernswürdige Uebereinſtimmung derfelben 

_ in der Hauptfache zeugt für das apoftolifche Anfehen, — 

Hauptinbegriff aller Liturgien des V. Jahrhunderts, — 

Die morgenländifchen Liturgien wurden in Europa 
erft im XVII. er beſſer befannt;, H318. 

Schlüſſe, — 

Underhohlene Meinungen der Kirchenväter über bie 

Euchariftie, aus ihrem Unterricht der Neophyten 
geſchöpft, 373 

Nicht ein einziger von ihnen hat je in Bezug auf 
die Euchariftie eines bildlichen Vorftellungs - oder ° 
Erinnerungszeicheng erwähnt, 377. 

Die Gegner des Fatholifchen Dogmas von der Eucha⸗ 
riſtie berufen ſich nur auf jene dunkeln Stellen 
der Väter, hauptſächlich des Auguſtins, wo fie im 

Unterricht der Catechumenen durch die Dat we | 
haltungsdisziplin gehemmt waren, . 378. 

Die Unergründlichkeit dieſer Gfaubenslehre ift auch 
den Vätern keineswegs entgangen; ſie —* 
aber ihren feſten Glauben nicht, 

Anwendung , | 379. 

—— proteſtantiſcher Theologen Sonn, ‚Ken, 

orbe 

Berengar als erfter Gegner dieſes Dogima; ‚fein 
Widerruf, 381. 

Malmesburys Nachrichten über feinen Tod, a 

Merkmürdiger Ausſpruch des Erasmus, 382 

Einwendungen der Proteſtanten, — * —* Stel. 
len aus Auguftinus, . 11,384. 

Urtheil Luthers hierüber‘, | 385. 

Unmiffenheit des XVL Scpchuinerte über das ri 
liche Alterthum, — 

Beſtätigende Neuferung von Caſtellio —V "386. 

Beweife hiervon aus on ee ‚einiger ‚Re 
formatoren , 


— XXI — 


Seite. 


Vebergang zue Prüfung von der A — 
Stiftung, 389 
Die Berbeif — ung der Euchariſtie von Ehriſto 
ward uns einzig von Johannes aufbewahrt, wäh⸗ 
rend die — ein Sahr fpäter erfolgte — wirkliche 
Einfeßung nur von den übrigen drey Evangeliften 
aufgezeichnet wurde, — 
Durch das unmittelbar vorhergehende, "Wunder der 
Brotvermehrung macht der Exlöfer feine ‚Suhörer 
für die ihnen nun vorzutragende Lehre empfanglich, 
Nähere Zergliederung dieſes Vortrages, 2 
Ehriftus naht fich auf dem ftürmifchen Se den —— 
ängſtigten Jingern,. 390. 
Sein Unterricht am folgenden Tag vor der verſam⸗ n 
melten Judenmenge, — 
Er verpflichtet ſie zu unbedingtem Glauben an den. 
Gefandten Gottes, — 
Er ſtellt ſich ſelbſt ihnen dar als das wahre j vom 
Himmel gekommene, und ewiges Leben gewäh⸗ | 
rende Brot, — + 
Er verfpricht feinen Zuhörern in klaren Worten 
fein eigenes Fleiſch als himmliſche Speiſe, 
deren Genuß. ihnen ewiges Leben verbürge,, 1391. 
Dieſen Ausdruck finden feine Hörer anſtößig,— — 
Des nämlichen Unglaubens machen ſich auch die 
Proteſtanten fchuldig, ‚392 
Sefus fieht, daß die Juden ob dem ‚Begriff des 
wefentlichen wirklichen Genuffes ſich ärgern; den⸗ 
noch wirft er ihnen nur Unglauben, keineswegs 
aber Mißverſtand vor, _. 
Er wiederhohlt vielmehr zu verſchiedenen Malen, und 
in verſtärkten Ausdrücken das ſchon Gefagte über 
den wahr haften Genuß feines Fleiſches und Bluts, — 
Selbſt die Jünger nahmen Anſtoß an dieſer von. 
Chrifto immer mehr befräftigten "Behauptung ‚39. 
AR macht fie —— daß ihnen: dieſe Lehre 
nad feiner Himmelfahrt noch auffa lender 
und un beg reifliche rwerde vorkommen müſſen, 
Dieß kann nur dann der Fall ſeyn, wenn 
wahre weſentliche Gegenwart vorausgeſetzt wird, 
nicht aber bey einer bloß — en Bedeutung , 
des a i 396 


— XAHI — 


Seite. 


Viele Sünger verlaſſen Sefum ‚ weil die. unbegreife 
liche Lehre vom w irtlicen Genuß fie zurückftößt, 
während die figürliche Bedeutung En Faf- 
ſungskraft leicht befriedigt hätte, 398. 


Beharrliche Anhänglichkeit der Apoftel, 00. 
Summarifcher Be dieſes Umerrichts in 401. 
Stolbergs Urtheil hierüber‘, 403. 


Die Einſetzung des Rachtmahls ſelbſt, nach der 
Erzählung von Mathäus, Markus und Lukas, | 
Gefchichtliche, Einleitung‘; ; Genuß des Ofterlamms 5 
Fußwaſchung, 405. 
— bieſes Einfegungsakts mit ‚ber 
früheren Berheiffung, 
Sfeichförmigfeit der — — bey den” drey 
Evangeliſten und dem Apoſtel Paulus, % — 
Allgemeinheit dieſer Glaubenslehre big” zum: AL. ; 
‘ Bahrhundert, 407. 
Schisma zu Anfang des XVI. "Sahehunderts — 
Luther behält das Dogma der wirklichen Gegemwäßt: 
bey , und erklärt fi) nur ‚gegen ‚die Transſub⸗ 
ſtantiation, 9, — 
Seine. nachdruiefaine- Behauptung des buchftäblichen 
Sinnes der Einfekungsmworte, — 
Merkwürdige Zeugniſſe angeſehener Calviniſten und 
engliſcher Theologen zu Gunſten des katholiſchen 
Dogmas von der Subſtanzverwandlung, . 408 
Nur Zwingli beharrt auf dem figürlichen Sinn, und 
wird degwegen von Hausfchein werlaflen , 1. 
Controverfen zwiſchen Bodenſtein, Zwingli und 
Hausſchein/ — 
Prüfung der Zwingliſchen Beweisgründe für ‚die 
figürliche Bedeutung „on. 414 
Der wahre Grund des Widerfpruches gegen die Lehre 
von der Transſubſtantiation iſt wohl nicht von der 
heil. Schrift herzuleiten 
Sondern von den philofophifchen Schluffolgen, zu 
welchen die Annahme: jener Lehre — 425 
Erläuterung; Berichtigung, u Tal Her 
Geheimniß der göttlichen Almacht, 
3eugniß von Hilarius; der Confeffi on von Wittenberg, 426. 
Audy der Proteftant glaubt an J— —— 
niſſe und Wunder 427. 


— XXIV — 


Seite. 


Gottes Wege find nicht der, Menfchen Wege. Zeug— 
niffe aus Esdra und einigen Kirchenlehrern des 
Altertbums,, 428. 

Nachtrag. Ueber Entziehung des Kelchs in der 
chariſtie. Auch in. den erſten Jahrhunderten der. 
Kirche. ward die Communion oft nur: unter Einer 9 
Geſtalt des Brots empfangen, ge 

Beweisftellen des N. T., wo nur des Brothrechens ge⸗ 
dacht wird, pri 

Befugniß der Kirche zu ſoicher Anordnung, 430. 

Beifpiele aus der Kirchengefchichte des xl und Xu 
Sahrhunderts, | me 

Beranlaffung der. Entziehung des Kelchs, dl 

Befchluß des Conziliums won: Bafel, ? 431. 

Schluß .der Erörterung über die Euchariftie, ; — 

Summariſche Weberficht.des Ganzen. Refapitur 

lation. Leiftungen der Reformatoren, 433. 

Shre Beftreitung alter kirchlichen Authorität, : 435. 

Shre Anmaßung der willführlichen Scheiftausfegung, Aa) 

Veberficht ihrer Neuerungen, ı . | 

Kreuzzeichen. Bilderverehrung. Reliquien, dokn 436. 

Ancufung der Heiligen. Gebeth für die Berfiorbenen, 437; 

KReinigungsort. Ablaß. Bußwerke. Beicht. Euchariſtie, 438. 

Erklärung der Gründe ihres Benehmens, 441. 

Unwiffenheit ihres Zeitalters. Unbefanntheit der brien · 

taliſchen Liturgien, . — 

Einfluß der Buͤchdruckerkunſt auf die Verbreitung wiſ⸗ 

ſenſchaftlicher Bildung, — 

Gründliche Werke über Kirchengefchichte u. Alterchum, 42 

Vollſtändigkeit der kirchengeſchichtlichen Forſchungen, 443. 

Vorzüge des jekigen: Beitalters vor den frühern in 
wiſſenſchaftlicher Beziehung, 

Die Urheber der Kirchentrennung würden wohl: im; 
Befik der jetzt befannten Hülfsmittel eine ganz 

.. andere .Glaubenslehre aufgeſtellt haben — 

Befugniß und — zur BR on des Sven 

Ä nungswerkes, 

Beyſpiel von England , } 

Nachdruckſame Aufforderung eithes angefehenen refor · 
mirten Schriftſtellers, 

Erfolgloſigkeit der bisheri en Berfuche zur Herſtelumg 
der Einheit unter den nen Urſache hiervon 446, 


— XXV — 


Seite. . 


Urtheil von Hugo Grotius , Thorndyfe, und der Uni- 
verfität Helmftädt, -, ; 2 “ A 
Keine weltliche Obrigkeit würde wohl heutzutage das 
Recht Ficchlicher Reform in Anfpruch nehmen, 
und dadurch dem Machtgeboth des Erlöfers ſtracks 
zumiderhandeln 3 s i 448 
Die Spaltung fo und darf, nach erlangter Einficht 
und Heberzeugung ihrer Berwerflichkeit, nicht fort- 
beſtehen, ET, 449 
Sekiger Zuftand des Proteftantismus, gefchildert von 
einigen der angefehenften veformirten Theologen 
unferer Zeit, j } r h _ 
Das Vorrecht des Proteftantismus führt unausmweich- 
lich zur Verwirrung, zum Sndifferentismus, zum 
Unglauben, . ; i ; BUN MB, 
Die Bereinigung der chriftlichen Parteyen kann, weil 
von des Chriſtenthums göttlihem Stifter verheißen, 
— dee a Mein WE Kl 453 
iefer Bereinigung Vorſchub zu Teiften ift höchfte 
Pflicht des Ehriften, . y ; Ä 454. 
Beleuchtung der Borurtbeile, Berichtigung der Be— 
griffe ift das weſentlichſte Hülfsmittel dazu, — 
Anwendung. Schluß. Einheit im Glauben als 
ewig gültiges Machtgeboth des Erlöfers, als Grund- 
lage all feiner Lehre, als Bermächtniß feines letzten 
Unterrichts auf Erde, und als Hauptbeweis 
für die Göttlichkeit feiner Sendung, 45. 
Anhang. Erläuterung der in diefer Schrift vorkom— 
menden Wörter aus fremden Sprachen , 457 








Einheit der chriftlichen Glaubenslehre. 


Ubi unitas ibi perfectio. 
S. Bernh. 


Wo Einheit ift, da ift Vollkommenheit. 


Um die hohe Wichtigkeit und Unerläflichkeit diefes Grund- 
geſetzes recht anfchaulich zu machen, gehen wir auf die 
Stiftung des Chriftenthums zurück, und vernehmen fo» 
wohl die Willensmeinung des Gottmenfchen felbft, als 
auch die Ausfprüche und Zeugniffe feiner Apoftel und 
ihrer Nachfolger in den erften Sahrhunderten der Kirche. 
Wir werden dadurch volle Gewißheit erlangen, daß Jeſus 
Ehriftus der Menfchheit ein göttliches Gefek brachte, 
und daß feine heilige Abficht war, alle Bölferfchaften 
durch das Licht der Offenbarung in eine einzige Ber- 
brüderung zu vereinigen. Eine Aufgabe, unerreichbar zwar 
für jeden fterblichen Gefehgeber, aber würdig des von Gott 
gefandten ABelterlöfers ! 

Deutlich erkennen wir diefen Hauptzweck der Dffen- 
barung, nämlich die Berufung aller Bölfer der Erde und 
Bereinigung derfelben zu einem Körper und einer Lehre 
aus Sefu eigenften Berkfündigungen. S. Math. XXIV, 
44. und vorzüglich nach feiner Auferficehung, Math. XXVIII, 
IF Ach, 

Nirgends aber findet fich diefer Gedanfe fo herrlich 
entfaltet und durchgeführt, wie in jener traulichen Her— 
zensergießung, in jenem hohenprieſterlichen Gebeth Jeſu, 
welches uns der Jünger, „den er lieb hatte,“ als unver- 
gängliches Denkmahl feiner göttlichen Huld und Weisheit 
aufbewahrte. (Joh. XVII.) 


De 


Eben war er im Begriff, vom irdifchen Schauplatz 
feiner fegenvollen Wirkfamfeit abzutreten, als er noch 
feine Apofteljünger zum endlichen Abfchied um fich verſam— 
melte. In anfchaulichen Sinnbildern führt er ihnen ihr 
gegenfeitiges Verhältniß zu Gemüthe; er giebt ihnen durch 
die Fußwaſchung das eindringende Beifpiel der Demuth 
und Beſcheidenheit; ev ftiftet jenes ewig merfwürdige Ge- 
dächtnigmahl, beveitei fie auf die nahe Trennung vor, und 
verheißt ihnen als trofivolfen Beyftand und Erfaß den Geift 
der Wahrheit; er ermahnt fie durch die lehrreiche Gleich: 
nigrede vom Weinſtock zur ftandhaften Anhänglichkeit an 
feine Lehre; er erklärt die Schüler und Sünger nun 
zu feinen erwählten Freunden, fchärft ihnen gemein- 
fchaftliche Liebe als erſtes Pflichtgeboth ein, und beruhigt 
fie durch die feyerliche Zuficherung der Erhörung ihrer 
Gebethe. Dann richtet er Hände und Augen gen Himmel 
empor, und beginnt jenes ſalbungsvolle Gebeth, welches — 
wie einft im traulichen Kreiſe feiner geliebten und lieben- 
den Freunde — fo auch jet noch und immer die tieffte 
KRührung in jedem fühlenden Herzen hervorbringen muß. 
Dev Gottmenfch fpricht von feiner nahen Verklärung, und 
fchließt feinen leßten Unterricht hiernieden mit der feyer- 
lichen Aufforderung zur Einheit in Glauben und 
Kiebe. ; 

Heiliger Vater, fo fleht ev aus tiefbewegter Bruft zur 
Himmelshöhe empor, erhalte die du mir gegeben haft in 
deinem Nahmen, daß fie Eins feyen gleich wie wir 
Eins find. Auch für alle, die durch ihre Lehre an mich 
glauben werden, bitte ich, daß ſie alle Eins feyen, 
wie du in mir und ich in dir, daß auch fie in ung Eins 
feyen, Damit die Welt glaube, dag du 
mich gefendet habeft. Die von dir mir verliehene 
Herrlichkeit habe ich auch ihnen mitgetheilt, Daß fie Eins 
feyen wie wir Eins find, ich in ihnen und du in 
mir, auf daß — fo mwiederhohlt der Welterlöfer mit bedeu- 
tungsvollem Nachdruck — fie vollfommen Eins feyen, 


2 
— [9 } — 


und die Welt daraus erkenne, daß du mid 
gefendet habeft, und daß du fie liebeft, wie du mid 
fiebeft. Sa, ich will, gerechter Vater, daß auch fie bei 
mir feyen und meine Herrlichkeit fehen. 

Per kann diefe Abfchiedsrede Sefu leſen, ohne ihre 
hohe Bedeutung feinem Sinn und Herzen tief einzuprägen!? 
Der einzige Gegenftand feines hetzten Gebeths, und der 
Zweck feines Opfertods, war alfo: daß alle Menfchen 
durch Einheit im Glauben verbunden feyn follen. Diefe 
unzertrennlihe Einheit feiner Kinder ſollte die 
Welt von feiner göttlihben Gendung überzeu— 
gen, — der chriftlich einträchtige Bruderſinn follte die 
Ungläubigen gewinnen und die Ausbreitung des Glaubens 
befchleunigen. Dieß ift im V. 21 und 23 ganz klar aus» 
gefprochen. Gäbe es wohl einen eindringendern Des 
fehl für die Menfchheit, als diefen Wunfch — diefe in- 
nigfte Bitte — dieß heilige Bermächtniß des Erlö- 
fers! Und wann er vollends felbft erklärt, daß aller Er— 
folg, aller Ruhm feiner Sendung nur von diejem 
Geift der Einheit abhange, wer follte da noch Ohr und 
Herz feiner Stimme verfchliegen können?! 

Sn welche Wonne und Entzückung mußten wohl die 
Apoftel bei Anhörung dieſes Gebeths verfunfen feyn! welch 
tiefe Wirkung mußte ein folcher Ausdruck des Gefühls und 
der Wahrheit in ihnen hervorgebracht haben! Wie oft 
mögen fie an diefe legte Abfchiedsrede zurückgedacht, — dies 
felbe jeder neuen — durch ihren heiligen Eifer geftifteten — 
Kirche als Denkmahl der Göttlichkeit Sefu verfündigt — 
und wie oft diefe Abfchiedsworte ihren Gläubigen zur Wars 
nung vor jedem Swiefpalt eingefchärft haben! 

Daß diefes Gebeth Sefu auch wirklich das Loſungs— 
wort ihres evangelifchen Eifers war, daß fie die Glaubens» 
einheit als Hauptgrundfak des Chriſtenthums verkün— 
digten, erfehen wir aus zahlreichen Deweisftellen der heil. 
Schrift, vorzüglih Röm. XI, 4.5.46. XV, 6. XVI 
17, Cor. 1, 40. XIV, 33. AU, 12. 43. 2 Eor, XIH, 

4 * 


Se 


44. Eph. IL, 16— 22. IV, 1—6, 13-15. Phil. IT, 27. 
1 5 Aa Au Ps a 

Nächſt der heiligen Schrift entnehmen wir auch aus 
der VWeberlieferung der erften Sahrhunderte die un- 
läugbarften Beweife, daß die Lcchriften über das Dogma 
der Ölaubenseinheit die Tebhafteften, deutlichften Begriffe 
hatten, indem fie nicht nur aus den Schriften des Neuen 
Zeftaments dieſe Lehre fchöpften, fondern überdieß noch 
den unſchätzbaren Bortheil genoſſen, Diefelbe aus dem 
Mund der Appftel felbit fowohl als ihrer erften Gehülfen 
zu vernehmen, welchen die Nachwelt den fchönen Nahmen 
„apoftolifher Männer“ beylegte, und deren ehrmürdige 
Stimmen auch wir nun hören werden. 

Die ältefte Urkunde aus jener Zeit find wohl die Briefe 
des heil. Clemens, welche von den Vätern beynahe den: 
jenigen der Apoſtel gleichgeachtet werden ; er begleitete, 
wie Zitus und Zimotheus, den heil. Paulus auf feinen 
Reifen und gieng mit ihm nach Rom, wo er im Sahr 89 
dem heil. Petrus als Bifchof nachfolgte. Aus Veranlaſ— 
fung eines in Corinth, wie zur Zeit Pauli, fidy erhobenen 
Streits fchrieb er an die dortigen Gläubigen einen treffli- 
chen Brief, welcher in allen Kivchen des Drients lange 
Zeit hindurch zugleich mit den canonifchen Büchern vorge- 
fefen ward. Er beklagt darin die unter ihnen ausgebrochene 
„gottlofe und abfcheuliche* Spaltung, ermahnt fie zu ihrer 
vorigen Frömmigkeit zurüczufehren, und macht fein gan— 
zes Anfehn al3 apoftolifcher Oberhirt zu Herftellung 
der Einheit geltend. 

Ignatz, Schüler der Apoftel Petrus und Johannes, 
welcher den Erlöfer nach feiner Auferftehung felbft gefehen 
zu haben bezeugt (ego vero et post resurrectionem in carne 
eum vidi, fchveibt er epist. ad Smyrnzos $. II. p. m. 5.) 
und, nachdem er als dritter Bifchof von Antiochien diefer 
Kirche durch vierzig Sahre vorgeftanden war, zu Ron im 
Sahr 107 unter Trajan mit der Märtyrerkfrone gefchmückt 
ward, fehrieb mehrere Briefe an die Gemeinden von Smyrna, 


—— 


Epheſus u. a., welche als die. koſtbarſten Denkmahle des 
Glaubens und der Disciplin dev erſten Kirche betrachtet 
werden, und worin ev die Gläubigen vor jeder Spaltung 
als vor dem größten Unheil warnt, 

Polykarp (Bifchof von Smyrna, Schüler des heil. 
Sohannes, und Lehrer des Irenäus), melcher in einem 
Alter von 90 Sahren noch die Reife gen Rom unternom— 
men hatte, um fich mit dem Papft Anicet über ‚Gegen- 
ftände der Kicchenzucht zu befprechen, und dann im J. 166 
in feinem hundertften Lebensjahr zu Smyrna den Marter- 
tod litt, drückt in feinem Brief an die Philippiner feinen 
vollen Abfcheu gegen alle Geftierer aus, 

Suftin, welcher — nachdem er alle Sekten der Phi: 
lofophen ducchwandert und -dann zur Platoniſchen Schule 
ſich bekannt hatte — zum Chriſtenthum übergegangen war 
und im Jahr 467 zu Rom unter der Regierung des Kai— 
ſers Mark Aurel als Märtyrer ſtarb, verfaßte zu Gunſten 
der Chriſten zwey Schutzſchriften, deren eine er dem Kai— 
ſer Antonin dem Philoſophen und die andre dem römi— 
ſchen Senat überreichte, in welchen beyden er — ſowie in 
ſeinem Geſpräch mit dem Juden Trypho — die Kirche als 
eine Einzige unauflösbare Gemeinde darſtellt. 

Srenäus, geb. im J. 420, geft, als Märtyrer im 
—3 203, Schüler Polykarps, zuleist Bifchof in Lyon, fagt 
in — gründlichen Werk über die Häreſieen B. 4. 8.3 33; 
„Gott wird diejenigen, welche Spaltungen Herbeyführen, 
als grauſame Menfchen verurtheilen, die feine Liebe für 
ihn haben, nur ihren eignen Vortheil — nicht die Einheit 
der Kirche — beabjichtigen , den glorreichen Leib Sefu Chrifti 
auflöfen, zevreißen und foviel an ihnen liegt vernichten, 
von Friede zwar immer fprechen, aber Kries und Ent—⸗ 
zweyung ſtiften?“ u. few. - 

Dionys, Bifchof in Alerandrien im I. 252, ſchrieb 
an Novatus: Wenn e8 dich im Ernft fchmerzt, diefen Irr⸗ 
weg eingeſchlagen zu haben, ſo beweiſe es durch ſchnelle 
Rückkehr; lieber alle Leiden ertragen, als ſich von der 


Bi: ee 


Kirche Gottes trennen; wenn man durch Hinopferung fei- 
nes Lebens die Kirche vor Spaltungen rettet, fo ftirbt 
man als ruhmvoller Märtyrer für die ganze Kirche. 
Eyprian, der im I. 258 unter Balerians Regierung 
als Märtyrer geftorbnne große Bifchof von Sarthago, fchreibt 
in feinem trefflichen Werk über die Einheit: „Bilden fich 
denn die Schismatifer ein, daß Jeſus Ehriftus in ihren 
Berfammlungen fey? fie, die fich außer feiner Kirche ver- 
fammeln! Cie mögen wiffen, daß — menn fie auch mit 
Berluft ihres Lebens den Nahmen Sefu befennen — dennoch 
mit den Strömen ihres Bluts der Fleden des Schisma 
nicht vertilgt werden könnte.“ (Diefer Glaubensheld, von 
welchem im Berfolg noch oft die Rede feyn wird, war in 
Carthago von heidnifchen, fehr begüterten Eltern geboren, 
und von Faftius — einem Velteften der dortigen Gemeinde — 
zum Chriſtenthum befehrt, dann bald nachher felbft auch 
zum Welteften und hierauf zum Bifchof erwählt worden. 
Die Briefe, welche er während feiner unter Kaifer Dezius 
erlittenen Verfolgung an feine Gemeinde fchrieb, nebft an- 
dern verfichiedenen von ihm verfaßten Abhandlungen, find 
für die Geſchichte der chriftlichen Kirche von höchftem Werth.) 
Hilarius, Bifchof von Poitiers, geft. im J. 367, 
eifriger Bertheidiger des Chriſtenthums gegen die Arianer, 
fchrieb 12 Bücher de trinitate, das Buch de synodis u. a. m. 
und fpricht fich ebenfalls aufs Fräftigfte für die Einheit aus. 
Dptatus, Bischof zu Mileve in Numidien, fehr bes 
rühmt durch feine 7 Bücher über die Trennung der Do— 
natiften, beweist im 1 DB. 21 Kp., daß das. Lafter des 
Schisma weit fchlimmer fey als BÖrudermord und Abgöt— 
terey. Kain, fagt er, ward nicht mit dent Tod beftraft, 
und die Niniviten erhielten von Gott Zeit zur Buße. So— 
bald aber Cora, Dathan und Abiron anfiengen Spaltungen 
unterm Volk anzuzetteln, öffnete die Erde ihren Rachen 
und verfchlang fie nebft ihren Mitfchuldigen. (Vergl. auch 
Cyprian in feinem Bud) de unitate.) — 
Chriſoſto mus, geſt. im J. 407, ſagt: „Durch nichts 


—— 


wird Gottes Zorn fo ſehr gereizt, wie durch die Spaltun— 
gen in feiner Kirche, Hätten wir auch de3 Guten in zahls 
(ofer Menge getban, fo geht für uns dennoch alles Ver— 
dienft verloren, wenn wir die Gemeinfchaft der Kirche auf: 
gelöst und den Leib Sefu Ehrifti zerriffen haben.“ 
| Auguſtinus, geft. im I. 430 in feinem 76. Lebens⸗ 
jahr, ſchreibt: „Das grauſame Laſter, das vorzüglich wilde 
Verbrechen des Schisma übertrifft weit alle übrigen Laſter 
an Schändlichkeit. Jeder, der auf dieſer Welt einen Men— 
ſchen von der Kirche trennt, iſt dadurch überwieſen ein 
Mörder und ein Kind des Satans zu ſeyn. Wohl heilen 
die Donatiften jene, welche fie taufen, von der Wunde der 
Abgötterey, aber fie fchlagen ihnen dagegen eine noch fchmerz- 
lichere Wunde, jene des Schigma. Zu Zeiten mähte zwar 
der Here durch feine Genfe die Abgötterer; die Abtrünni- 
gen aber verfchlang. die Erde lebend in ihren Abgrund, 
Außer dem Schooß der Kirche, nachdem du die Bande der 
Liebe und Einigkeit zerriffen, haft du nichts als ewige 
Strafe zu erwarten, feldft dann noch, wann du für den 
Nahmen Sefu deinen Körper den Flammen überantwortet 
hätteft. * 

Mit welch glühender Kiebe ſprachen all dieſe Kirchen— 
väter von der Einheit! wie eifrig waren ſie bedacht, auch 
ihrer leiſeſten Verletzung entgegen zu arbeiten! und welch 
ſchreckliches Verbrechen war in ihren Augen das Schisma! 
Noch würden ſich viele Beyſpiele hierfür aus den Schrift— 
ſtellern der fünf erſten chriſtlichen Jahrhunderte, aus Ter— 
tullian — (dem Lehrer Cyprians) aus Origenes, Clemens 
von Alexandrien, Laktantius, Euſebius, Ambroſius u. a, 
anführen laſſen, ſowie aus den Entſcheidungen der Pro— 
vinzial= Eonzilien zu Elvir im J. 305, Arles 314, Sar— 
ragoſſa 381, Carthago 398, Turin 399, Toledo 400; fer: 
ner aus jenen der vier erften allgemeinen Conzilien von 
Nizäa im Jahr 325, Eonftantinopel 351, Ephefus 4341 
und von Calzedon im S. 451. — 

Wir fehen demnach die Einheit ald Hauptgrundlage 


ID a 


der chriftlichen Glaubenslehre in dem klar ausgefprochenen 
Willen des Stifters felbft — dem eindeingenden Unter- 
richt feiner Apoſtel — und den unverwerflichen Zeug- 
niffen ihrer heldenmüthigen Nachfolger, in den ehrmwür- 
digften Urkunden des Alterthums, feft begründet. Verneh— 
men wir nun auch noch einige befräftigende Ausfprüche 
neuerer Zeiten, felbfi proteftantifcher Confeffionen, 
welche den Werth und die Nothwendigkeit diefer 
Einheit ebenfall3 auf3 nachdruckſamſte behaupten. - 

So fagt . B. die Augsburger Eonfeffion Art. 7: 
„Wir lehren, daß die Eine heilige Kirche ewig beftehen 
wird. Zur wahren Einheit der Kirche gehört Anfchliefung 
an die Xehre des Evangeliums und an die Verwaltung der 
Saframente nach dem Ausfpruch des heil. Paulus: Ein 
Glaube, Eine Taufe, Ein Gott und Vater Aller,“ 

Gallifanifche Eonf. Art. 16. „Wir glauben, daß 
Ale die Einheit der Kirche bewahren follen; jeder, der 
davon abweicht, widerfteht der Ordnung Gottes. “ 

Schottifhe Conf. „Wir glauben beftändig, daß 
die Kirche nur Eine fey. Wir verwerfen volftäindig die 
Gottesläfterung derjenigen, melche behaupten, jeder Menſch 
fönne felig werden, wenn er nur nach Billigfeit und Ge— 
vechtigfeit lebe, er möge übrigens zu was immer für einer 
Religion fich befennen. “ 

Delgifche Eonf. „Wir glauben und befennen Eine 
einzige Fatholifche Kirche ; wer fich von diefer wahren Kirche 
trennt, empört fich offenbar gegen den Befehl Gottes, “ 

Böhmifhe Eonf. Art. 8 „Wir haben gehört, 
daß alle die Einheit der Kirche beobachten follen, daß nie- 
mand Sekten ftiften und Empörungen anzetteln foll,“ 

Helvetifhe Eonf. von 1566. Cap. 14. „Wir neh— 
men an, bewahren und glauben mit veinem Herzen, und 
befennen frey und heiter über die Menfchwerdung Chriſti 
die Sprüche, Symbole und Befenntniffe der vortrefflichen 
vier alten Haupt-Conzilien zu Nizäa, Conftantino- 
vel, Ephefus und Ealzedon, fammt dem Symbolo der 


PEN OR 


Bekenntniß des heil, Athanaſius, und aller and- 
ver, die mit dieſem gleiche Bekenntniſſe des wahren 
Glaubens gethan. Und alfo behalten wir aufrecht und 
ganz lauter den reinen, unverfälfchten, wahren, und ka— 
tbolifchen oder allgemeinen, uralten, heiligen, chrift 
lichen Glauben, und wiffen gründlich wohl, daß in den 
vorbenannten Symbolen nicht3 begriffen noch befannt ift, 
das dem Wort Gottes nicht allerdings gemäß, und 
genugfam fey den wahren Glauben zu erklären. “ 

Ebendafelbft Art. 12. „Ale, welche die Verſamm— 
[ungen der Gläubigen, wie fie feit den Zeiten der 
Apoftel von jeher gehalten wurden, verachten und ſich 
von ihnen trennen, find auch Verächter der wahren 
Religion, und folen von den Hirten und frommen Ge— 
richtsperfonen bemüßigt werden, in ihrer Trennung nicht 
hartnädig zu beharren.“ | | 

Cap. 417. „Die Kicch wird katholiſch, d. i. allgemein 
genannt, darum daß fy fich zu allen theilen der welt auch 
zu allen zeiten erſtrekt, und nit verfchloßen wirt in einiche 
ort oder zeiten. Die heilig Kirch ivret nit, diewyl 
fy befteht auf dem felfen chrifto und auf dem fundament 
der propheten und apoftel. Die Gemeinſame mit die- 
fer vechten waaren Kirch Ehrifti haltend wir fo hoch, 
daß wir lehrend, daß alle die fich von ihr abfondernd, 
vor Gott kein Leben habend, und darum lehrend wir 
daß, die leben und heyl werden wöllind, in der rechten 
Kirch Ehrifti blyben müßind,“ 

Cap. 18. „Sodann die großen allgemeinen Synodi oder 
Coneilia gehalten wurdend nach dem apoftolifchen By— 
fpiel, zu Heil und nit zum Berderben der Kirchen, habend 
wir ab inen fein mißfallen noch abfcheuchen. “ 

Diefe Stellen aus der helvetifchen Confeffion ftimmen 
gänzlich überein mit der fchon im Jahr 1545 durch den 
Druck befannt RER Confess. orthod. Tigur. Eccles. 
ministr. contra Lutherum,, wo e8 im Tr. 2. p. 51, 54 und 
55 heißt: 


— —— 


„Wir pflichten jenem Glauben und Bekenntniß 
bey, welche die heiligen Diener Gottes und der Kirche, 
und zwar zuerſt in Nizäa, nachher aber auch auf der 
Eynode zu Conftantinopel, nad dem Wort Gottes, 
gegen Arius und Macedonius, chriftlich und rechtaläubig 
ausgefprochen haben; und da das Symbol des Kirchen- 
vaths zu Nizäg in demjenigen von Eonftantinopel 
fich beftätigt findet, fo befennen wir und mit der 
fatholifchen Kirche aud) zu diefem mit Mund und 
Herzen. 

Auch diejenigen Symbole oder Slaubensartifel, welche 
in andern Synoden der Bläubigen verfaßt und angenoms 
men wurden und von jenen erften älteften herſtammen, 
zumal die Symbole und Befchlüffe der 5ten und 6ten 
Synode von Eonftantinopel — der Aften, Aten und 6ten 
von Zoledo — anerkennen wir ald ähtchriftlicy und 
vechtgläubig, indem wir auch nach Derfelben glau> 
ben und unterridten. 

Alle andern mit jenen älteren übereinftimmen- 
den und gleichförmigen Symbole, wenn fie auch nur von 
einzelnen Dienern der Kirche — nicht von allgemeinen 
Synoden — verfaßt und angenommen find, wie 3. B. da3 
Blaubensbefenntniß von Srenäus, Tertullian, Eyrill, 
Hieronymus und andern Kirchenvätern, welche der 
chriftlichen rechtgläubigen Lehre zugethan find, anerken— 
nen wir ebenfalls, und halten fie für ganz unver- 
werflih. Darum fo glauben und lehren mir in 
Zürich auf ſolche Weife, wie vor ung fchon Athana- 
fius und Damafus geglaubt und gelehrt haben. “ 

Hier darf nicht unbemerkt gelaffen werden, daß in den 
Synodal-Eiden einiger reformierter Städte der Schweiz 
(©. auch die Zürcherfche Predifantenordnung von 1532) 
die Sandidaten angeloben: „gemäß diefer Evangelifch 
Eidsgenöffifchen Eonfeffion zu lehren und zu predigen!!“ 
Sm Katechismus der von Zwingli reformierten Zür— 

cherfchen Kicche lautet dev IX. Artikel: ich glaube in eine 


Mi = 


heifige Fatholifche chriftliche Kirche. Diefer Artikel ftimmt 
demnach in Wort und Geift zmifchen der Fatholifchen und 
reformierten onfeffion vollkommen überein. Die Er- 
läuterung im Katechismus giebt vier Gründe für die 
Katholizität oder Allgemeinheit diefer von ihr geglaubten 
und anerfannten Kirche an: 1) weil fie von Anfang der 
Welt (?) bis an den jüngften Tag beftehe, 2) weil fie durch 
die ganze Welt (?) fich erftrecfe, 3) weil alle jetzigen und 
fünftigen Gläubigen derfelben angehören, und 4) weil alle 
Gläubigen nur immer Eine Lehre hatten und noch haben, 
nähmlich die von den Apofteln mündlich gepredigte 
und fhriftlich hinterlaßne. 

Selbſt Calvin, Institut. L. V erklärt: „ſich von der 
Kirche entfernen ift foviel al3 Jeſu abſchwören; man 
ſoll fich alfo. fehr vor folch einer verbrecherifchen Tren- 
nung hüthen. Es läßt fich keine graufamere Frevelthat 
denfen als: durch einen gottesläfterlichen Berrath das Bünd- 
niß aufzulöfen, welches der einige Gottesfohn mit den Men- 
fchen zu fehliegen fich würdigte. “ 

Auch Melanchton, Peter Martyr, Du Pleßis u. a. m., 
ſowie vor ihnen noch Joh. Huf, trugen die nähmliche Lehre 
vor. Belege aus proteftantifchen Schriftftelleen Englands, 
welche das Schisma als das größte Unglück für die Kirche 
erfläven, enthält die hist. eccl. de Collier, 223. &.899, 900. 

Sacob der I, als Dberhaupt der englifchen Kirche, 
und fein Theolog Safaubonus, fagen in ihrer Antwort 
an den Cardinal Du Perron: „daß alle jene fein Heil zu 
hoffen haben, welche ſich von der Eatholifchen Kirche ab- 
trennen, oder aus der Gemeinschaft diefer Kirche abtreten.* 
Vorzüglich merkwürdig find auc) die Neußerungen des ge— 
Iehrten Pearfon (geb. 1613, geſt. 1686) über diefen Ge- 
genftand in feinem großen Kommentar über das Symb. 
Apostel. , und Sam. Parfers, Bifchof von Orford, in 
religion and Loyalty 1684. 

Wir haben nun die ernften Stimmen der apoftolifchen 
Ueberlieferung, dev älteften Eonzilien und der ehrwürdigen 


> 


Kicchenväter vernommen; wir haben die Urtheile der auf: 
geklärteften Männer der proteftantifchen Kirche, der be— 
vühnteften Theologen, und aller in Deutjchland, Franf- 
veich, England und der Schweiz befannt gemachten Glau— 
bensbefenntniffe damit in auffallendem Einklang gefunden. 
Wohl mußte das Dogma der Einheit ftar£ und überzeu- 
gend feyn, da es felbft in den Schooß des Schisma ein 
drang — felbft von den Abtrünnigen erfannt und gefühlt 
— ward. Einheit in der Kirche und im Glauben ift und 
bleibt demnach unter allen evangelifchen Gefeken das vor- 
züglichfte, — Spaltung und Trennung unter allen menfch- 
lichen eigenmächtigen Pflichtverlekungen die vermwegenfte. 
Wenn nun von dem göttlichen Stifter des Chriften- 
thums die Einheit als Haupterfordernig und Grundlag 
feiner Slaubenslehre aufgeftellt, jede Spaltung aber ala 
MWiderftand und Empörung gegen feinen heiligen Willen 
‚ erklärt ward, fo geht fhon daraus auch die Gewißheit her- 
vor, daß ev uns irgend ein Mittel zur Erhaltung 
und Behauptung diefer Einheit müſſe verliehen haben. 
Hierfür bürgen ung Gottes Allmacht, Weisheit und Liebe — 
welche niemals täufchten noch täufchen Fonnten. — Un: 
möglich kann jeder Sterbliche durch das Licht einer un— 
mittelbaven Offenbarung einzeln erleuchtet — infpiriert — 
werden, fonft würden freylich nie die Bande der Einheit 
unter uns fich auflöfen.  Unmöglich Eonnte es auch die 
Abficht Jeſu feyn, daß feine Lehre von jedem Einzelnen 
nah. Gutdünfen ausgelegt werden möge. Berfihie- 
denheit im Glauben, Mannigfaltigfeit in der kirch— 
lichen Regierungsform war — wie. wir. bereit3 gefehen 
haben — dem Zweck feiner Sendung auf Erde ganz zu— 
wider. Es läßt fi) wohl fein andres Hülfsmittel denken 
als: das Anfehen einer oberften Authorität, welcher das 
Recht zuftehe zu entfcheiden, was geoffenbaret fey, 
und deren Ausfprüchen alle Menfchen ihr Urtheil unter— 
werfen müffen. Die heilige Schrift felbft giebt uns diefes 
von Sefu Chriſto eingefekte Mittel an; die Apoftel lehren 


es uns (Ephef. TV, 11—14.)5; ihre Schüler erklären es 
ung; die erſten Jahrhunderte des Chriſtenthums beftätigen 
daffelbe in den Akten der befondern und allgemeinen Conzilien. 
Ehe wir diefen Gegenftand näher zevgliedern, und dieß 
Mittel zum unverleglichen Fortbeſtand der Einheit in 
der Slaubenslehre gründlich prüfen, müffen wir uns vor- 
erft noch mit der Anficht vertraut machen, daß von einer 
Bervolllommnung der chriftlichen Religion feine Rede 
feyn könne noch dürfe. Sch erkläre mich deutlicher: Wir 
haben die chriftliche Religion als ein abgeſchloßnes 
Ganzes, als etwas Vollftändiges, als eine eigent- 
lich göttlihe Sache zu betrachten und zu behandeln. 
Stammt fie unmittelbar von Gott her, fo fann bei ihr 
fein Bervollfommnungsprozeß frattfinden; es darf 
ihr nichts gegeben noch genommen, fie kann nicht verän- 
dert noch verbeffert werden. Dieß ift nur das Loos menſch— 
licher Einrichtungen Der Menfch, Eurzfichtig in feinem 
Urtheil und befchränft in feinen Kenntniffen, findet immer 
zu ändern — zu verbeffern; dadurch rügt ev ſich felbft und 
befchuldigt fi) der Mangelhaftigfeit feiner Einfichten. Der 
berühmte Bine. von Lerin fagt trefflich in f. Commonit. 
C. 22. „Nicht genug kann man beflagen den Unfinn gemwiffer 
Menfchen, die Gottlofigfeit ihres verblendeten Gemüths 
und ihre Begierde nad) Irrthum, daß fie sicht zufrieden 
find mit jener von Alters her einmahl übergebnen und er— 
haltnen Slaubensvegel, fondern täglich auf Neues finnen, 
und immer Luft haben an der Religion zu ändern, hinzu— 
zufügen und mwegzunehmen, gerade al3 ob fie feine himm— 
lifche Lehre, fondern eine bloß irdiſche Einrichtung 
wäre, welche nicht anders kann vervollkommnet werden, 
als durch eine ſtete Berbefferung, die im Grund das 
Merkmahl eines fteten Tadels an fich trägt.“ Auf Gott 
leidet das, was wir beym PVerfektionieren ung zu denfen 
pflegen, nimmermehr Anwendung. Ev ift die Allwifjen- 
beit, die höchfte Weisheit; feinem Blick Liegt — menfch- 
lich gefprochen — von Ewigkeit her Alles offen dar; bey 
; | 


re 


ihm ift nur Gegenwart; bey ihm findet feine Veränderung 
— ja nicht einmahl ein Schatten von Wechſel ftatt. Er, 
das Ideal aller Vollkommenheit, erkennt Alles fchon von 
Ewigkeit her aufs vollfommenfte; nie kann er etwas zu 
ändern — zu beffern haben; dieß widerfpräche den ihm 
weſentlich zukommenden Eigenfchaften, feiner Allmacht, 
Weisheit, Unveränderlichkeit, feiner abfoluten Voll— 
fommenbeit, — fur; — dem Begriff, welchen die Ver— 
nunft fi) von Gott zu machen genöthigt if. Was alfo 
bei einer göttlichen Religion einmahl wahr ift, muß 
auch immer wahr gewefen feyn, und wahr bleiben. 
Wem fönnte je die Befugniß zuftehen, bei einer von 
Gott unmittelbar verliehenen Religion ivgend etwas zu 
ändern? Wer wird folchen Unfinn, folche Läfterung behaup- 
ten? Wer kann und. wird Gott die Kraft oder den 
Willen abfprechen, den Menfchen zu geben, was dag 
Bette ift?! Diefe Religion nun enthält theils Lehren, 
welche allerdings durch die Bernunft erkennbar 
find, welche fie aber durch ihre Authorität befräftigt 
und ins unzwendentigfte Licht ſtellt, — theils auch folche, 
welche der Bernunft nicht zugänglich find, ihr ein 
Geheimniß bleiben, von ihr auf Treu und Glauben 
müffen angenommen werden. In jenen erftern zu per 
fectionieren, wäre Unfinn; in leßtern es zu wollen, 
wäre nicht nur tollfühn und vermeffen, fondern auch un 
möglicy, eben weil e8 der Vernunft unzugängliche Lehren 
find, folglich ihr hierbey Fein andrer Wirkungskreis ange- 
wiefen ift, ald: fie auf gültiges Zeugniß anzunehmen. 
Hüthen wir uns in Öläubensfachen vor einem vormißigen 
Grübeln, und erkühnen wir ung nicht, etwas ergründen 
zu wollen, das fchon feiner Natur nah unergründlid 
ift. Dder wer vermag bei den Geheimnißlehren unferer 
heiligen Religion den innern Zuſammenhang derfelben zu 
begreifen? Mit Recht fagte der große Kirchenlehrer Auguftin: 
„un Gott zu ergründen, müßte man felbft Gott feyn.“ 
Das Forfchen muß einem demuthsvollen Glauben. weis 


— 66— 


chen. So wenig als des Leibes Aug in die Sonne zu 
blicken vermag, eben ſo wenig kann des Geiſtes Aug in 
die göttlichen Geheimniſſe eindringen, Betrachten 
wir unfere chriftliche Religion als pofitive göttliche 
Dffenbarung, ald von Gott gegeben, als göttliche That- 
fache, fo muß fih unfer Forfchen nothwendig darauf be 
fihränfen, die Zeugniffe und alle dazu gehörigen Um— 
ftände zu erwägen, um ung der hiftorifchen Gewiß— 
heit zu verfichern und des Heild wegen zu beruhigen. Als— 
dann aber tritt — der Natur der Sache gemäß — die un- 
erläßliche. Pflicht ein: das Gegebene nach dem Willen 
des göttlihen Gebers zu benugen, durch gläubige An— 

nahm und gewiffenbafte Befolgung unfer ewiges Heil 
zu wirken. Keineswegs follen wiv das geoffenbarte 
Wort des Herren vor den Richterftuhl der Bernunft 
ziehen wollen. Das Kind foll nicht über den Vater, nicht 
der Kehrling über den Meifter, der Schüler über den Leh— 
ver, das Gefchöpf über den Schöpfer die Prüfung fich an— 
maßen. Was der Allweife, Allgütige von Ewigfeit her 
zum Heil dev Menfchheit angeordnet bat, fol weder der 
Zandbauer und der Laie, noch felbft auch der Prediger 
und Gelehrte einer Kritik feiner prüfenden Vernunft 
unterwerfen wollen. Was Gott felbft durch Sefum 
Chriftum und die Apoftel und verliehen hat, laßt ung mit 
Anbethbung aufnehmen, mit gläubigem Bertrauen 
bewahren. Laßt ung die Ausſprüche der Kirche in Glau— 
bensfachen als göttliche Ausfprüche verehren, in der Ueber— 
zeugung, daß derfelben dabey ausdrücdlich von Sefu Ehrifto 
der Beyſtand des heiligen Geiftes verheißen ift. — 

Und wie entfchieden ſpricht fich der Gottmenſch felbft, 
der unmittelbar göttliche Urheber diefer Religion, wider das 
Derfectibilitätsfyftem aus! | 

Dei Matth. AXVIIL, 20. heißt er die Upoftel den Men— 
chen einfchärfen: „alles zu beobachten, zu befol- 
gen, was er fie gelehrt habe,“ nicht aber: zu prüfen, zu 
Ändern und zu beſſern. Die Lehre wird alfo bier ganz deut: 


a 


- Tich als etwas Geſchloßnes vorausgefekt und lediglich die 
Berfündung derfelben den Apofteln aufgetragen. Da 
ift von keinerley Recht, nur von allgemeiner VBerpflich- 
tung die Rede, nähmlich feine Lehre zu Halten — weldhes 
alfo die gläubige Annahm fchon vorausfegt. Daher er- 
klärt auch Jeſus ftets, daß in ihm die vollftändige Kennt- 
niß Gottes und feines heiligen Willen auf Erde erfchienen 
und Eundgemacht worden fey. Sch bin der Weg, die 
Wahrheit und das Leben, fagt er-bey Soh. XIV, 6. Sch 
bin in die Welt gefommen, um der Wahrheit Zeugniß zu 
geben, bei Joh. XVII, 37. Wer an mich glaubt, fin- 
det das ewige Leben; XI, 25. Ich bin das Licht der Welt, 
der Quell, welcher. allen Durft löfcht, das Brod des Le— 
bens, welches allen Hunger fättigt; VIIL, 12; IV, 44; 
VI, 35. Wer an mic) glaubt, glaubt nicht an mich, fondern 
anden, welcher mich gefendet hat; wer mic) fieht, fieht 
den, welcher mich gefendet hat; XIL, 44. Sch und der 
Pater find — * Niemand kommt zum Vater als nur 
durch mich; X, 30. XIV, 6. Sch habe vollendet 
das Werk, welches du mir aufgetcagen, mitgetheilt die 
Lehren, welche du 0 Dater! mir übergeben haft; XVIL, 
4 und 8. Weberall dringt Sefus, und zwar bei VBerluft 
der Seligfeit — (S. Marc. XVI, 16 —) auf gläu— 
bige unbedingte Annahm deffen, dem er Zeugniß gege- 
ben; überall mweift er hin auf die Gefchloffenheit, Un- 
pveränderlich£eit feiner Lehre und auf die Verpflichtung 
zu treuer Beharrung in derfelben. 

Wer will dann noch vervollfommmen, was fchon 
Chriſtus als vollkommen der Menfchheit vom Himmel brachte ! 
Wer will fih ihm gegenüber ftellen und fagen: ich bin 
der verbefferte Weg, die verbefferte Wahrheit — 
ich eine vichtigere Bahn zum ewigen Leben ent- 
deckt! Wer Jeſum als wahren Sohn Gottes, als Gott 
von Ewigkeit erkennt, wird vor ſolch frevelhafter Läfterung 
zurückbeben. — 

Vernehmen wir nun — die Zeugniſſe der Apoſtel 


a Gh 


hierüber. — Act. XX, 27. fagt Paulus in feiner berühme 
ten Abfchiedsrede an die Nelteften der Gemeine zu Ephefus, 
„daß er ihnen. nicht das mindefte vorenthalten, 
fondern fie mit der vollftändigen Heilsanftalt Gottes 
befannt gemacht habe.“ Gal. I, 6—12 tadelt er gar fehr, 
daß die Galater folchen Lehrern Gehör gegeben haben, 
welche das von ihm verfündigte Evangelium haben ver— 
- beffern wollen, und fügt die ernften Worte bey: „wenn 
felbt ein Engel vom Himmel eine andere Lehre euch 
vortrüge, als diejenige, welche ich euch beybrachte,, fo müſſe 
ihn Berwerfung treffen.“ Er giebt zugleich den Grund 
biefür an, weil nähmlich feine Lehre feine menfchliche 
Erfindung, fondern von Gott gegeben fey, folglich von 
feinem Recht die Rede feyn dürfe, fie nah Willführ 
und Eigendünfel zu behandeln, fondern Tediglich von der 


Pflicht, fie mit gläubiger Demuth anzunehmen und 


gewiffenhaft zu ben utzen. So lautet der Urtheilsfpruch 
des großen Weltapoftels über die objektive Perfeftibilität 
unfrer Religion, und im 9. 3. bekräftigt er für fi 
nochmahls, was er vorher im Nahmen all feiner 
Amtsgenoffen erklärt hatte; ja er machte fihon im 
Eingang zu diefer Rüge ausdrüdlich darauf aufmerkfam, 
dag er unmittelbar von Bott das Apoftelamt erhal- 
ten habe und daher fchlechterdingg niemand an feiner 
verfündigten Lehre eine Aenderung oder Verbeſſerung 
ſich erlauben dürfe. Col. I, 7 ermuntert er die Gläubi- 
gen: feftzubalten an dem ihnen, ertheilten Unterricht. 
4 Zim. VI, 20 und 2 Zim. I, 14 befchwört er feinem Zi- 
motheus, „den bey ihm hinterlegten, ihm anvertrauten 
Glauben in feiner Gemeine treu zu bewahren,“ und warnt 
ihn zugleicdy vor jeder Verbindung mit Afterweifen, um 
nicht — wie fo viele andre — vom Glauben abgelenkt zu - 
werden. 4 Cor. XVI, 413 fordert er die Gläubigen auf, 
nicht etwa zu prüfen und zu grübeln, fondern feftzu- 
ftehen im Glauben; und Hebr. XII, 9 ermahnt er 
feine Chriften, fich ia durch feine neue fremde Lehre irre 
) 2 


machen zu laffen; denn — fügt er hinzu — „Sefu Lehre 
unterliegt feiner Veränderung, ev war geftern und ift heut 
der nähmliche, und bleibt es in Emigfeit.“ 

‚Petrus in feinem 41 Br. I, 25 heißt die den Chriften 
verfündigte Lehre des Heren „ewig und unabänderlich; “ 
eben fo beftimmt drückt fih Johannes im 4 Br. II, 24 
aus. Ueberall fpricht die heil. Schrift vom Glauben nur 
im Gegenfaß von Selbftdenfen und Selbftforfchen. 
Die mit diefer Anficht im Widerfpruch fcheinende Stelle 
bey Joh. V, 39 bezieht fi) auf die Schriften des alten 
Bundes, und fpricht — genauer betrachtet — vielmehr 
für als wider das obige. Denn, abgefehen davon, daß 
jene Redensart eher im Indicativ al3 Imperativ zu ver: 
ftehen feyn mag, und auch von den angefchenften Gelehr- 
ten fo ausgelegt wird, enthielte fie felbft auch im letztern 
Fall gar fein allgemeines Beboth in den heiligen Schrif: 
ten zu forfchen, fondern fie bezöge ſich auf einen einzel- 
nen, deutlich angegebenen, Umftand. Jeſus fügt nähm— 
ih: eben diefe Schriften geben Zeugniß von mir, fie be- 
zeichnen mich ausdrüclich als euren wahren Meffiag, und 
doc) wollt ihr nicht zu mie fommen, doch mwolt ihre mir 
nicht glauben. Das Forfchen- in den Schriften des alten 
Bundes follte alfo die Suden zu Sefus hinleiten, um ihn 
als den wahren von den Propheten verfündigten Meffias 
zu erkennen, und feine Wunder follten den Glauben an 
ihn als den Sohn Gottes befeftigen., | 

Der in obigen Paulinifchen Stellen ausgefprochne 
Zweck der Lehre Sefu ftimmt auch zudem überein mit dem 
Hauptcharafter einer allaemeinen Religion, welche ein 
Gemeingut — nicht bloß der Gebildeten und Gelehrten 
— fondern aller Menfchen feyn fol. Der weit größte 
Theil der Menfchen kann, wegen Berufsgefchäften, Man— 
gel an Bildung u. f. w. fich nicht mit angeftvengten Stu- 
dien in fo erhabenen göttlichen Dingen befchäftigen; jeder 
aber kann fie bereitwillig anhören, gläubig — demüthig 
annehmen, und gewiffenhaft befolgen. Authorität in 


der ewigen Heilsangelegenheit ift alfo das tauglichfte Mit» 
tel, bei einer Religion, welche ein Gemeingut Aller ift, 
den. praftifchen Zweck für Alle zu erreichen. Ohnehin ift 
Authorität der menfchlichen Natur fehr zufagend; jeder 
Menſch folgt derfelden mehr oder weniger in jedem Ver— 
hältniß oft unmwilfürlich, ohne ſich deſſen deutlich bewußt 
zu feyn, und findet darin Beruhigung; um wie viel mehr 
muß eine verläßliche Authorität in göttlichen Dingen, welche 
das ewige Seelenheil betreffen, erwünfcht feyn, da die Be— 
fimmungen der menfchlichen Vernunft wegen ihrer Be— 
fchränftheit nur ſchwankend und unficher ſeyn können. Auch 
ift die Verbindung zwifchen unferm gegenwärtigen und zu— 
fünftigen Leben durch die Eatholifche Lehre in volle Har— 
monie gebracht. Den Grund zu dem Gebäude unfrer 
Beftimmung — nähmlich die Erfenntniß der Wahr- 
heit — hat Jeſus Ehriftus, welcher die Wahrheit felbft 
ift, gelegt, indem er diefelbe an feine Kirche zur Be— 
wahrung und Verkündung übergab, und ihr feinen im- 
merwährenden Beyftand verhieß. Dun fteht der 
Grund feft und ficherz; welches keineswegs der Fall wäre, 
wenn erſt der befchränfte, Eurzfichtige Menfch durch feinen 
Forfhungsgeift den Grund zum Gebäude feiner ewigen 
Beſtimmung noch legen müßte. Ob folch einer Aufgab 
würde wohl bei den Meiften ihre ganze Lebenszeit verftrei- 
chen; mitten im Forfchen und Prüfen £önnten fie vor den 
‚ Richterfiuhl der Emwigfeit gerufen werden, ehe fie noch mit 
fich felbft über die Wahrheit, als Richtfehnur ihrer fitt- 
lichen Ausbildung, einig geworden wären, 

Wenn nun, nach dem bisher Gefagten, von einer 
Vervollkommnung unfver chriftlichen Religion Feine Rede 
feyn darf und Fann, fo ergiebt fich hieraus noch ganz und 
gar nicht der Schluß, daß Freyheit und Fortſchritt 
im Chriſtenthum unzuläſſig ſeyen. Auch hierüber werde 
ich mich noch deutlicher erklären, und alsdann das vom 
Welterlöſer angeordnete Mittel zum Fortbeſtand der Glau-⸗ 
benseinheit näher beleuchten. 

2. 


Freyheit — von den Banden der Finfterniß, d. i. 
der Unwiſſenheit in göttlichen Dingen (nach 4 Petr. IL, 9. 
Sac. I, 25. I, 12. Goal. IV, 31. V, 43) Freyheit — 
von der Knnechtfchaft der Sünde (nach Röm. VL 18. VII, 
24) diefe Freyheit verdanken wir Chrifto allerdings. Vergl. 
Joh. VII, 32. Wo aber die heiligen Urkunden von Frey» 
heit fprechen, warnen fie zugleich auch vor ihrem Miß— 
brauch. ©. 1 Petr. I, 16., vorzüglich Gal. V, 13. 
Eph. IV, 414, Die chriftliche Freiheit — meit entfernt, 
zur Ungebundenheit und Willführ zu berechtigen, Tegt 
uns vielmehr einen Herren und Meifter — einen Dienft — 
ein Soch auf, aber zu unferm eignen Beften, wie folches 
dem befchränften Gefchöpf frommt und zufagt. Sn welch 
furchtbarer Verblendung ift der Menfch befangen, welcher 
feinen Herrn als fein ftolges Ich anerkennt, und feine in- 
dividuelle Vernunft als oberfte Gebietherin aufjuftellen fich 
erfühnt! Spricht nicht des Ehriftenthums göttlicher Stif- 
ter felbft zu feinen Anhängern von Joch, von Bürde? 
S. Math. AL 23-30 Befreyt von der Dienftbarfeit der 
Sünde, find wir Knechte der Gerechtigkeit geworden — 
Röm. VI, 18 — Knechte Ehrifti — 1 Cor. VII, 22, Die 
heilige Schrift felbft heißt ung „ale Vernunft gefangen 
nehmen unter den Gehorfam gegen Chriftum, “ nad) 
2 Cor. X, 5; eben hierdurch gelangt die Vernunft aus der 
Finfterniß zu Ehrifti wunderbarem Licht, nach 4 Petr. IL, 
9; und für diefen Gehorfam ift Ehriftus in feiner Vers 
herrlichung uns die Duelle ewiger Erlöfung, nad) Hebr. 
V,9 Wahrlih, Gehorfam gegen Gottes Gebothe ift 
feine Eflaverey; nur unbedingte Annahm des Evan- 
geliums, als eines göttlichen, pofitiven Geſchenks, 
ift unfere Pflicht, — und unfer Gewiffen ift daran gebun- 
den, mwenn nicht die Drohung bey Luc. XII, 47 an ung 
ſich erfüllen foll. 
Mit der Einheit, dem umverlekbaren Hauptcharaf- 
ter der Religion Jeſu, im ftärkften Widerfpruch fteht jenes 
von dem Proteftantismus in Anfpruch genommene Pri- 


ee 


vatrecht einer beliebigen willführlichen Auslegung 
und Würdigung der göttlichen Lehre, die Erhebung indi- 
vidueller Begriffe und Anfichten zum Geſetz der Wahrheit, 
die Bildung eigner Glaubensfäke. Sener spiritus privatus 
ftellt durch feine Handlungen den Grundſatz auf, daß der 
Zwed der Exrfcheinung Sefu auf Erde vielmehr gemwefen 
fey: Berfchiedenheit im Glauben und folglich Verſchie— 
denheit in der Regierungsform feiner Kirche zu ftiften. 
Daß die Ausübung jenes Privatrechts nur Streit, Widers 
fpruch und unbegränzte Seftenvermehrung erzeugen müffe, 
beurfunden Gefchichte und Erfahrung nur zu fehr. Diefer 
Geift, welcher eine von Gott gegebene Lehre vor feinen 
Richterftuhl zu ziehen fi) anmaßt, ift ein Geift des Eigen» 
dünfels, der Tollkühnheit, des Uebermuths; diefem aber 
widerfteht Gott, und Jeſus dankt feinem Vater, daß er 
feine Offenbarung denen, welche fich weife und Flug dün— 
fen, verborgen, Dagegen aber den Lingelehrten befannt ge- 
macht babe. ©. Matth. XI, 25. 1 Cor. I, 27. Auch 
Paulus tadelt fehr diefen Geiſt der Bermeffenheit, 4 Eor. 
1, 15— 29 und warnt nachdrudfam feinen Timotheus da» 
gegen im 2 Br. I, 44— 19. Eine für jeden, welcher 
bloß die Authorität feiner Bernunft will gelten laſſen, 
wohl zu beherzigende Verhaltungsregel giebt er in diefer 
Beziehung feinem Titus III, 40. Ueberall fpricht der große 
Weltapoftel nur von „Bewahrung des hinterlegten Foftbaren 
Guts“ — der göttlichen Lehre, nirgends aber von einer 
Befugniß daffelbe nach Gutdünfen zu behandeln; und jene 
Herolde der evangelifchen Freyheit, welche über die durch 
Ehriftum geoffenbarte göttliche Lehre zu richten fih er- 
dreiften, wird einft des ewigen Richters Ausfpruch treffen: 
ihr habt nicht mir, fondern nur euch felbft geglaubt, 
daher kann ich euch nicht als die Meinigen erfennen. 

Wer Chrifto nachfolgen will, muß fich felbft ver- 
läugnen. Dieß kann nicht von einer bloß moralifchen 
Selbfiverläugnung zu verftehen feyn. Bei einer Religion, 
welche geheimmißvolle, der menfchlichen Vernunft zum 


Re 


Theil unzugängliche Lehren enthält, giebt es ja auch eine 
intelleftuelle Geldftverläugnung, welche fich — fo ſchwer 
es ihr auch fallen mag — der Authorität unterwerfen und 
Lehren als wahr anerfennen fol, deren innerer Zufammens 
bang die menfchliche Faſſungskraft überfteigt. 

roch haben wir uns über Fortfchritt im Chriften- 
thum näher zu erklären, und berufen uns dabey auf Col. 
I, 9—12 und 2 Petr. III, 18, wo die Apoftel ihre Gläu- 
bigen ganz angelegentlih zum Wachsthum in der Er- 
fenntniß Gottes und feiner Gnade ermuntern. Es giebt 


alfo allerdings einen Fortfchritt der Religion in der Kirche ». 


Gottes, d. b, Fortfihritt in der Erkenntniß derfelben 
und beffern Anwendung aufs Leben, damit fie immer mehr 
Sache des Verftandes, des Herzens und des thätigen Le— 
bens werde; nur darf die Lehre felbft nicht darunter 
leiden, nicht verändert werden, da fie etwas von Gott ge— 
gebnes — folglich von menfchlicher Willkühr unabhängiges 

— if. Gott will die Menfchen nicht unthätig wiffen; fie 
follen feine Gaben anerkennen und fchäßen; er läßt bey 
feinen Gefchenfen immer den Menfchen etwas zu thun üb- 
vig, ohne jene felbft ihrer Willkühr preiszugeben. Dieß 
thut er in der geiftigen wie in der fi nnlichen Welt. Das 
Gedeihen der Feldfrüchte hängt von ihm ab; er iſts, der 
Sonnenſchein — Regen — Fruchtbarkeit verleiht; dehnoch 
ſoll und darf der Adkersmann nicht müßig ſeine Hände in 
den Schooß legen. Der Erzieher hängt zwar. von den 
Fähigkeiten feines Zöglings ab, welche er nicht zu ändern 
vermag; aber doch hat jener in- Betreff der Entwiclung 
und Richtung derfelben immer feinen angewiefenen Wir: 
kungskreis. Allerdings hat Gott uns ſeine Heilsanftalten 
geoffenbart, aber die Menfchen ſollen angeleitet werden, 
diefe Cehren in Anwendung zu bringen; Die Yeberzeugung 
von derfelben Yechtheit, Vortrefflichkeit und Nothwendig: 
feit foll immer fefter in ihnen wurzeln. Die Auswahl der 
zweckmäßigſten heilſamſten Mittel zu dieſem Behuf iſt 
großentheils den Menſchen ſelbſt anheimgeſtellt wobey 


* 


jedoch die Hauptſache nebft der wefentlichen von 
EHrifto angeordneten Form unverleßt bleiben muß, mwelche 
er auch für immer ficher geftellt hat, fo zwar, daß — nad) 
feiner Verheißung — „felbft die Pforten der Hölle nichts 
wider die feine Lehre bewahrende Kirche vermögen werden, 
und er bis zum End aller Zage bei ihr bleiben wird.“ In 
folchen auf die Religion gerichteten Bemühungen der Men— 
fchen ift Fortfchritt möglich und wünfchenswerth, in- 
dem diefelben in ihren eignen Arbeiten immer befjern 
dürfen und folen. Man muß alfo wohl unterfcheiden zwi— 
fhen allmähliher Entwidlung, Erweiterung derfelben 
Sache, und ihrer Bervollfommnung in objeftivem 
Sinne. Wenn an heiterm Winterabend fich anfänglich 
nur der eine und andre Stern zeigt, dann immer mehrere 
zum Borfchein fommen, und endlich das ganze fternbefäete 
Firmament unferm ftaunenden Auge fich darftellt, fo wa- 
ven doch auch die fpäter gefehenen Sterne fchon früher 
zugegen; die Pracht des Sternenhimmels bat fich allmäh- 
lich entwidelt, fie war aber — obfchon unferm Blick 
verborgen — dennoch ſchon eher vorhanden. | 
Schreiten wir nun zur nähern Beleuchtung jenes vom 
Gottmenfhen zur Erhaltung der Glaubensein> 


heit angeordneten. Mittels! Da belehrt uns die heil. D 


Schrift, daß der auferftandene Erlöſer, nachdem er die 
für feine Lehren nun empfänglicher gewordenen Sünger 
über Manches aufgeklärt und zu Apoſteln ausgerüftet hatte, 
furz vor feiner Himmelfahrt jene denkwürdigen , von Math. 
AXVIH, 18—20 uns aufbewahrten Abfchiedsmworte zu ihnen 
ſprach: „Mir ift alle Gewalt über Himmel und Erde ver> 
lieben. Gehet hin, unterrichtet alle Völker, taufet fie 
auf den Nahmen des Vaters, des Sohns und des heiligen 
Geiftes, und lehret fie alles halten, was ich euch befohlen 
habe; ich bin und bleibe mit euch bis an der Welt 
Ende.“ Dom heiligen Geift angetrieben eilen jeßt jene 
verachteten ungelehrten Fifcher und Zölfner, die Schüler - 
des Gefveuzigten, mit bloßem Wanderftab von Land zu 


— 


ae ae 


Land, um das Panier des Kreuzes aufzurichten und das 
allgemeine Sittenverderbniß zu befämpfen. Der herrlichfte 
Erfolg Erönt ihr Werk. Die Hauptftadt der Welt, der 
Sitz aller Lafter und Gräuel, wird zur Hauptftadt der 
Ehriftenheit, und Zaufende fammeln fi) zum Kampf un- 
ter der Fahne des Gefreuzigten. Immer freudiger erprobs 
ten die Sünger des göttlichen Meifters wirkffamen Beyftand. 
Allein nicht nur den Apofteln felbft, fondern auch all 
ihren rechtmäßigen Nach folgern mußte jene Verheißung 
gelten; denn unmöglich kann dem Welterlöfer die Abficht 
zugefchrieben werden, feine Kirche nur bey Xebzeiten 
der Apoftel zu befchüken, um fie nachher jedem Zufall 
preiszugeben. Den Nachfolgern der Apoftel alfo galt 
jene glänzende Verheißung: „gehet hin in alle Welt! pres 
digt! ich felbft bin und bleibe bey euch; der Geift der 
Wahrheit wird euch alle Wahrheit erkennen Ichren; wer 
euch hört, hört mich; wer aber euch verachtet, verachtet 
auch mich ſelbſt. Wahrlich, es wird Sodoma und Go— 
morrha am ag des Gerichts erträglicher ergehen als einer 
ſolchen Stadt, die eure Belehrungen verwirft. (Math. X, 
45.) Der Zröfter, der heilige Geift, welchen der Va— 
ter jenden wird in meinem Nahmen, wird euch alles Ich» 
ven und euch alles deffen erinnern, was ich euch gefagt 
habe, “ 

Zum Haupt diefes Lehrkörpers hatte Sefus den 
Petrum auserkohren. An des Jordans freundlichen Ge- 
finden war e8, mo der Gottmenfch, Heil und Segen vers 
breitend, dem Simon Bar Jona, deffen Nahmen er in 
einen ſymboliſchen, geheimnißvollen ummwandelte, die Ober- 
gewalt, den Vorrang des Anſehens uud der Macht 
(primatum honoris et jurisdictionis) übertrug. Die Beweife 
hiefür liefert uns fowohl die heilige Schrift felbft, als 
auch die ältefte apoftslifhe Zradition. 

Matthäus, Markus und Lukas, wenn fie die zwölf 
Jünger des Heven anführen, Math. X, 2—12; Marf. II, 
16—19; Zub, VI, 44—16 nennen Petrum immer an ber 


—— — 


Spike der übrigen, Bey Mathäus heißt es ausdrüdlich : 
zoWtog, Ziuwv 6 heyouevog Ilergog. Dieß fpricht um 
fo eher den Vorrang aus, da bey den andern nicht weiter 
beygeſetzt wird: der zweyte u. few. Die übrigen Apoſtel— 
nahmen werden bey den Evangeliften in verfchiedener Ord- 
nung angeführt, ohne Zweifel, weil fie im Rang einander 
gleich ftunden, folglich hieran nichts gelegen feyn konnte, 
während das Primat Petri von Chriftus felbft war 
angeordnet worden, und demnach auch beobachtet werden 
mußte. 

Ferner. ift bey der Stelle Math. XVI, 48—19 der 
wichtige Zufammenhang mit den zunachi vorhergehen⸗ 
den Verſen nicht außer Acht zu laſſen, indem ſich klar 
daraus ergiebt, daß Jeſus Chriſtus den Petrus auf die 
beſtimmteſte Weiſe vor den übrigen — auch zugegen 
geweſenen — Jüngern auszeichnete. Der Ausdruck im 
18. V. zay& de 001 Ayo — „aber ich hinwiederum fage 
auch dir“ ift Kiftemafern, und felbft Rofenmüllern, Zel- 
lern und andern proteftantifchen Eregeten mit Recht als 
fehr erheblich vorgefommen. Entweder hat der Erlöfer 
dem Petrus Etwas, oder er hat ihm Nichts zugefichert; 
im leßtern Fall ift der Beyſatz „du bift IZezooc (Fels), und 
auf Diefen Fels will ich meine Kirche bauen“ fehr müßig 
und unpaffend; im erftern Fall kann. die Stelle nicht an— 
ders angenommen und gedeutet werden, ald daß der Er- 
löfer Petrum und feine Nachfolger zu DOberhirten der Kirche 
eingefeßt babe. Jede andere Deutung Fönnte nur durch 
„eine eregefifche Folter ‚erzwungen werden. Wo hat Ehriftus 
je zu irgend einem andern Jünger fo gefprochen? Wohl 
haben fih Henhöfer, Bredfchneider und andre ihres 
Gelichters ganz gewaltige Mühe gegeben, diefer Elaren 
Stelle einen andern Sinn durch mancherley Klügeleyen 
unterzufchieben, allein fie wurden durch den gelehrten pro— 
teftantifchen- Michaeli felbft zurechtgewiefen. Merkwürdig 
genug gefteht auch der — den Katholiken übrigens gar 
nicht gewogene — Marheinefe in feiner Symbolik: 


we —— 


„Ehriftus vertraute dem Petrus ausdrüdlich eine höhere 
Gewalt ald den übrigen Süngern, und die Aufficht über 
die Kicche; er erhob ihn zum fichtbaren Dberhaupt 
derfelben mit aller dazu gehörigen Authorität, Gerichts» 
barfeit und Unterordnung der übrigen unter ihn,“ 

Auch nach der Himmelfahrt Ehrifti fehen wir Perrum 
fortwährend als Haupt des Apoftelvereins handeln. Dieß 
geht Elar aus Act. I, 43—145; H, 14; IL, 6 und 12; 
IV, 8; V,45; IX, 32; X, 5 u. folg. AV, 7—12 ber: 
vor, Immer führt er in den Berfammlungen der Sünger 
und erften Chriften das Wort, und legte die entitandenen 
Streitigkeiten bey. Vergl. Act. XV, 7. Diele Kranfe 
wandten fich an ihn vorzugsweife, um geheilt zu werden. 
In der That war auch Petrus der erfte, den Glauben an 
die Gottheit Ehrifti zu befennen, der erfte aus den Apofteln, 
welchem der auferftandene Heiland erfchien und der erfte 
Zeuge hiervon vor dem Volk, der erfte, wann die Zahl 
der Apoftel zu ergänzen war; dev erfte, welcher den Glau— 
ben durdy ein Wunderwerk bekräftigte; der erfte, welcher 
die Suden befebrte und fie aufzunehmen beveit war. | 

Aber auch die Ältefte Tradition liefert ung die 
unverwerflichiten Beweife für die Uebertragung der kirch— 
lichen DObergewalt an Petrum. Sene ehrwürdigen Väter, 
die Slaubenshelden, die Urchriſten — zum Theil felbft 
Schüler der Apoftel in den erftien Sahrhunderten des Chri— 
ſtenthums — jene im Dienft des Heren ergrauten Mäns 
ner, welchen der Nachklang des apoftolifchen Unterrichts 
noch in den Ohren ertönte, beftätigen folches. 

Ambrofius, einer der ausgezeichnetften lateinifchen 
Kirchenlehrer (deffen Aufrichtigkeit in Behandlung der hei- 
ligen Schriften und deffen gewiffenhafte Sorafalt in Aus 
weichung zweifelhafter Dogmen noch von Niemand in Abs 
rede geftellt wurden) erklärt Petrum als „Fürſt, Haupt, 
Mund des apoftolifchen Kolegiums.“ An einer andern 
Stelle fagt er: „in der römifchen Kirche ift immer der 
Borrang des apoftolifchen Stuhls gewefen; das Primat 


—— 


erhielt nicht Andreas, ſondern Petrus, welchen Chriſtus 
auserkoren hatte, um durch Einſetzung dieſes Haupts 
jede Veranlaſſung zu Uneinigkeit und Spaltung ab— 
zuwenden.“ 

Cyprian (welcher nach dem Urtheil des großen 
Erasmus alle übrigen Lehrer Afrikas — ja ſelbſt den 
Hieronymus — an Beredſamkeit übertraf) fragt: „wer den 
Stuhl Petri verläßt, auf welchen die Kirche gegründet iſt, 
darf derſelbe noch glauben der Kirche Jeſu Chriſti anzu⸗ 
gehören?“ 

Cyrillus von Jeruſalem nennt Petrum den „Höch— 
ſten und Fürſten der Apoſtel.“ Aehnlicher Ausdrücke be— 
dienen ſich Baſilius — (der chriſtliche Demoſthenes, wegen 
feiner ausgezeichneten Ueberlegenheit „der Große“ genannt —) 
Dptatus von Mileve, Eufebius, Drigenes, Auguftinus, 
Chriſoſtomus, Hieronymus u. a. m. 

Selbft angefehene proteftantifche Schriftfteller der. 
neuern Zeit haben fich zu diefer Anficht befannt. Der ges 
lehrte Engländer Pearfon fchreibt: daß von den Alten 
- niemand gejmweifelt habe, die römifche Kirche fey von Petrus 
gegründet worden und die Päpfte feyen Petri Nachfolger. 
Der fo aufrichtige als geiftvolle und gelehrte Grotius in 
f. Annotat. in nov. Test. ad Joh. XXI, 15 nennt Petrum 
„Prineipem Apostolorum.“ Sa der gegen das Papftthum 
fo ungemein feindfelig gefinnte Luther geftund in einem 
wider Sylvestre de Priere gefchriebnen Buch: „die ganze 
Melt befennt, daß die Dbergemwalt des Papſts aus 
jener Stelle bey Math, — 18 — 19 bewieſen werden 
kann.“ 

Allein nicht bloß mit vorzüglichem Anf eben, fondern 
auch mit eigentliche Macht und Gewalt ward Petrus, 
als Firchliches Oberhaupt von Chriſto ausgerüftet. Beweiſe 
hiefür liefert uns theild das Neue Teftament, theils das 
Zeugniß der erften chriftlichen Jahrhunderte. | 

Snhaltfchwer find ganz befonders die bey Math. XVI, 
49 deygefügten Worte: „ich will dir die Schlüffel des 


Himmelreichs geben; was du auf der Erde binden 
wirft, fol auch in den Himmeln gebunden feyn, — 
und was du löſen wirft auf Erde, fol auch gelöfet 
feyn in den Himmeln. * Die Wichtigkeit dieſer dem 
Petrus übergebnen Gewalt geht hauptfächlich aus der Ver— 
bindung des 48. und 49.3. mit den früheren 16, und 47. 
hervor; in welchen die Urfache und der Beweggrund 
fi) ausgefprochen finden. Noch deutlicher und beftimmter 
wird diefe Vollmacht in einer andern Stelle der heiligen 
Schrift anfchaulich gemacht. Der Sünger , welchen Jeſus 
lieb hatte, und dem wir die Ergänzungen zu den drey er» 
fien Evangelien verdanfen, hat fie ung aufbewahrt XXIL, 
45 —18. Nachdem nämlich Sefus durch feine Gotteskraft 
fiegreich Grab und Zod überwunden hatte und feinen Jün— 
gern bereits mehrmahls als Kebensfürft erfchienen war, 
zeigte er fi) auch eines Morgend mehreren derfelben — 
unter welchen Petrus fich befand. Zu Ddiefem fprad) er 
nun wiederholt: „Simon. Sohanna, Tiebft du mich mehr 
als diefe? weide meine Lämmer!“ Warum die dreymab- 
lige Aufforderung Ehrifti an Petrum, die Schafe, d. h. 
die an Sefum Gläubigen zu weiden — zu leiten und 
zu regieren? Warum redete Sefus ausſchließlich 
Petrum an, da doch auch andre Sünger noch zugegen 
waren? Die erften und gründlichften Schriftausleger, 
welche nicht nur hohe Wiffenfchaften und ausgebreitete 
Sprachkenntniß, fondern auch ein reiches Maaß des Geiftg 
Gottes befagen (wie 3. B. der heil. . Hieronymus — ber 
vornehmfie Theolog der Tateinifchen Kirche) fanden in die- 
fer Stelle den primatum jurisdietionis ganz klar und be, 
ſtimmt anggefpeochen. Srenäug, einer der Älteften Kir- 
chenväter, auch bey den Proteftanten felbft in großem An- 
fehn, fpricht von „mächtigem Vorrang der römifchen Kirche.“ 
Es übten demnach die Bifchöfe Roms fihon im zweyten 
Sahrhundert des ChriftenthHums einen großen Borrang aus, 
welchen einer vom andern — und folglich von Petrus — 
ererbt haben mußte. Optatus fpricht bündig und klar 


- — 9 — 


von der Schlüſſelgewalt des römiſchen Stuhls, heißt Petrum 
das Haupt aller Apoſtel und jede Widerſetzlichkeit gegen 
den Stuhl Petri eine gottesſchänderiſche Anmaßung. Noch 
mehrere Beweisftellen hierfür finden fich in Marheinefes, 
Doktors und Profeffors der Theologie, trefflich ausgear- 
beiteter Schrift: Zeugniß aus alfen chriftlichen Sahrhun- 
derten für die Gewalt der Kirche und ihres Oberhaupts; 
Frankfurt 1846. Auch der berühmte proteftantifche Theo— 
log Pfaff, de origine ecclesie, gefteht: „Wir können es 
nicht mißfennen, daß die älteften Väter alle vom Dafeyn 
eines oberften Bifchofs in der Kirche überzeugt waren.“ 
Und follte nicht aucy fchon die gefunde Vernunft 
hinreichen, um ung von dem göttlichen Urfprung des 
Primats in der Eatholifchen Kirche zu überzeugen! Alles, 
alles was bloß irdiſch und menfhlich if, unterliegt 
der Vergänglichkeit, dem Wechfel; blühende Reiche, 
mächtige Staaten, Thronen und Städte find in Wälder 
und Sümpfe umgeftaltet; die fogeheißnen Wunder der 
Welt find verfchwunden; nicht3 menfchliches hat hier- 
nieder bleibende Dauer. Wäre das Papftthum eine bloß 
menfhlihe Einrichtung, fo würde fie wahrlich Tängft 
ſchon daffelbe Schickfal erlitten haben. Hier findet feine 
volle Anwendung, was-einft Gamaliel im hohen Rath zu 
Serufalem — laut Act. V, 38 — ſprach: „ift dieß Wert 
don Menfchen, fo wird es fich felbft zerſtören; ift es aber 
von Gott, fo vermag niemand e3 zu vernichten.“ 
Während achtzehn Sahrhunderten haben nun Petri 
Tachfolger ununterbrochen den Primat über die ganze 
Kirche — auch in den bemwegteften Zeiten — ausgeübt, 
ohne daß felbft die Fühnften Angriffe ihrer Widerfächer ihr 
Anfehen ſchwächen Eonnten, und wahrlich, ältere ady- 
tungswürdige proteftantifche Gelehrte, ein Grotius, 
Pfaff, Molanus u. a. hatten von der päpftlichen Hierar— 
hie noch ganz andere, richtigere Begriffe, als unfere Neo— 
logen Zfchirner, Krug, Studer, der dreifte Schultheß u. a.m. 
Nur das wahre Göttliche bleibt, und bleibt fich gleich. 


Wunderbare, ehrwürdige, von dem Gottmenfchen felbft 
geftiftete und gegründete Nachfolge feiner fichtbaren Stell- 
vertreter! Throne und Reiche gehen unter, Völker ver- 
fchwinden, blühende Känder verwandeln fi) in öde Step— 
pen, Feinde verfchwören fich in Menge gegen diefe hehre 
Anftalt; dennoch befteht fie fort, rechtfertigt gerade da— 
durch ihren göttlihen Urfprung, und bemeist die 
Wahrheit jener Verheißung, „daß felbit die Pforten der 
Hölle fie nicht zu überwältigen vermögen. “ 

Wohl mag manchen Päpften, welche auf Petri Stuhl 
faßen, ein eben nicht erbaulicher Lebenswandel zur Laſt 
gefallen feyn. Allein der Apoftelchor blieb dennoch heilig . 
und ehrwürdig, ob fich gleich ein fchändlicher Verräther 
unter den Zwölfen befand; fo bleibt auch die merfwürdige 
Nachfolge von Petrus bis auf Gregor XVI dennoch heilig 
und unverlegt, wenn gleich einzelne aus ihnen durch ihr 
Privatleben — (niemahls durch die Lehre der Kirche, 
welche ‚fie immer fefthielten —) Anftoß gaben; — ja fie 
zeigt vielmehr eben durch ihren unentweihten Fortbeftand 
felbft in folchen Zeiten, wo der Nachen Petri vom Wo- 
genaufruhr verfchlungen zu werden drohte, daß bier nicht 
menfchliches, fondern göttliches Walten zum Grund 
liege. 

Richtig bemerkt der parteilofe Herder in f. Ideen 
zur Gefch. der Philof. der Menfchheit: „eine lange Reihe 
von Nahmen müßte hier fiehen, wenn auch nur die vor- 
züglichften würdigen und großen Päpfte genannt werden 
- follten; der Weichlinge find auf dem römifchen Stuhl weit 
weniger, als auf den Thronen weltlicher Regenten; und 
bey manchen derfelben find ihre Fehler nur deßwegen auf- 
falfender, weil fie Fehler der Päpſte find.“ 

DProtefiantifche Feinde der Päpfte mögen übrigens von 
ihren eignen berühmten Gefcyichtforfchern, einem Johann 
von Müller, Plank, Raumer u. a. lernen, den Päpften 
nach dem Geifte des jedesmaligen Zeitalters die gebührende 
Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen. | 


Sehr richtig bemerft ein neuerer angefehener Schrift: 
ſteller: „Nach vielen Läfterfchriften der Proteftanten follte 
man glauben, daß im Mittelalter das ganze Chriſtenvolk 
in der äußerſten Stupidität gelebt, daß tauſend Jahre 
hindurch der Papſt und die Cleriſey gar nichts andres zur 
Abſicht gehabt, ja ganz planmäßig darauf hingearbeitet 
haben, die Vernunft der Menfchen zu verfinftern, ihre 
Gewiffen zu unterjochen, und in diefer Dunfelheit ihre 
Beutel zu leeren. Männer, die vor ſechs- acht = zwölf: 
hundert Sahren in ganz andren Berhältniffen, Vtational - 
und Zeitbegriffen Tebten, beurtbeilen fie nach denjenigen, 
die unfer Zeitalter für die richtigeren hält; nad) diefen 
brechen fie den Stab über fie, und machen auf diefe Art 
die ehrwürdige Kirchengefchichte zu einer Narren- und 
Beutelfchneider-Ehronif. Alfällige Mißbräuche und Ueber- 
treibungen, die fich etwa vorfinden, fchreiben fie immer 
planmäßiger Bosheit zu, da fie fich doch meiftens won felbft 
geben, und in der Schwäche oder Leidenfchaft der Men: 
fchen ihren Urfprung haben. Wie könnte e8 je einem 
billigen Mann zu Sinn kommen, verdammende oder 
auch nur verächtliche Gefinnungen gegen eine Kirche zu 
hegen oder auszuſprechen, zu welcher fich die große Mehr- 
zahl der Ehriftenheit befennt, welcher ein Sadolet, Eraf: 
mus, Salefius, Pasfal, Fenelon und Millionen edler 
Menfchen von ganzem Herzen zugethban waren und nod) 
find,“ | | 

Wie oben fihon bemerkt, ftellte Fein Katholif je in 
Abrede, daß feineswegs Engel fondern Menfchen auf dem 
päpftlihen Stuhl faßen, ja daß einige unter ihnen den ° 
päpftlichen. Stuhl durch ihren Wandel verunziert haben. 
Was fol jedoch dieß beweifen ? ift e3 nicht der allerfchlech- 
tefte Schluß, den man vom Mißbrauch eines Amts 
auf das Amt felbft zu deffen Nachtheil macht? Es ift 
ia. ganz und gar nicht Fatholifche Glaubenslehre, daß 
alle Päpfte Heilige gewefen oder feyen, und daß dag Amt 
auch, feine Verwalter heilig mache. - Sollte aber Gott nicht 


GE 


auch duscch die Fehler der Päpſte feinen Zweck errei-» 
chen können? Und liegt nicht gerade in jenen temporären, 
aber folgelofen VBermwirrungen und Erfhütterungen 
der Fatholifchen Kirche zualeich der fchlagendfte Beweis 
für ihren unwandelbaren Fortbeftand? Iſt's nicht 
gefchichtlihe Wahrheit, daß die bei weitem größere Zahl 
der Päpfte Männer von tiefer Gelehrfanfeit, gründlicher 
Wiffenfchaft, großer Geiftesftärfe und ausgezeichnet moras 
liſchem Charakter waren, unter welchen auch viele durch 
Heiligkeit und Unfträflichkeit des Lebens den apoftolifchen 
Stuhl verherrlichten ?! 

Selbft der erfie Reformator Luther in feinem „Uns 
terricht auf etlich Artikel, die ihm von feinen Mißgönnern 
aufgelegt und zugemefjen werden, 41519“ kann fich des Aug» 
fpruch8 nicht enthalten: „dag die Kirche für allen andren 
geehrt fey, ift fein Zweifel, denn daſelbſt St. Peter und 
Paul, 46 Päpite und viel Hunderttaufend Martyrer ihr 
Blut vergojfen, die Hölle und Welt überwunden, daß man 
wohl begreifen mag, wie gar einen befondern Augenblic 
Gott auf diefe Kirche habe.“ Dann fährt er fort: „ob e8 
nun leider zu Rom alfo fteht, das wohl beffer taugt, fo 
ift doch diefe und Feine Urfach fo groß noch werden mag, 
dag man fich von derfelben Kirche reißen oder fcheiden fol. 
Sa, je übler es dort zugeht, je. mehr man zulaufen und 
anhangen foll, denn durch Abreißen oder Verachten es 
nicht beffer wird. Sa, um gar feinerley Sünd oder 
Uebel, die man gedenfen oder nennen mag, fol! man die 
Lieb trennen und die geiftlih Einigkeit theilen. 
Der Einigkeit follen wir Acht nehmen, und bei Leib nicht 
widerftreben päpftlichen Gebothen. Siebe, nun hoff’ ich 
es fey offenbar ; daß ich der römifchen Kirche nichts neh— 
men will, wie mich meine lieben Freund fchelten. Dem 
heiligen, vömifchen Stuhl fol man in allen Dingen folgen.“ 

Eben diefer Herold der evangelifchen Freyheit faat 
T. IV. Jen. ©. 320. a. noch im Sahr 4528 (folglich eilf 
Jahre nach der begonnenen Kirchhentrennung!) 


— 


„Wir bekennen, daß bey dem Pabſtthum viel chriſtliches 
Gut, ja alles chriſtliche Gut ſey, und auch daſelbſt herkom— 
men ſey an uns; wir bekennen, daß im Pabſtthum ſey 
die rechte heilige Schrift, rechte Tauf, rechtes Sakra— 
ment des Altars, rechte Schlüſſel zur Vergebung der Sün— 
den, rechtes Predigtamt, rechter Catechiſmus. Ich ſage, 
daß unter dem Pabſt die rechte Chriſtenheit iſt, ja der 
rechte Ausbund der Chriſtenheit und vieler frommer großer 
Heiligen.“ 

Und im T. VII. Jen. S. 169 b. 1538 (alſo ein und 
zwanzig volle Sahre nach Beginn feiner Refor- 
mation!) fagt ebenderfelbe: „Wahr iſt's, im Pabſtthum 
ift das wahre Wort Gottes, Apoftelamt, und daß wir die 
heilige Schrift, Taufe, Saframent und Predigtftuhl von 
ihnen genommen haben; was wüßten wir fonft Davon ? da» 
vum muß auch der Glaube, chriftliche Kicche und der hei: 
fige Geift bey ihnen feyn.“ Sm feiner Abhandlung über 
die Privatmefje gefteht er ganz unummwunden, „daß die 
Eatholifche Kirche die wahre Kirche, die Stüke und Säule 
der Wahrheit, der fehr heilige Det fey.“ „Wo man,“ fo 
fahrt er fort, „die wahren Reliquien der Heiligen findet, 
da war und ift noch ohne allen Zweifel auch jetzt die wahre 
heilige Kirche Sefu Ehrifti, da findet man alles, was der— 
felbe geftiftet. Sm diefer Kirche erhält Gott auf wunder- 
bare Art die Taufe, Nachlaffung der Sünden, das Altars- 
ſakrament, Amt und Drdination: der Kirchenhirten, die 
letzte, troſtvolle Hülfleiftung in der Sterbftunde“ u. f w. 

Auch Daille, der berühmte Prediger von Charenton, 
und Antonde Dominis von Spalatro in feinem 
Werf über die Kivchen-Republif 1616 halten der römifchen 
Kirche die größten Lobfprüche. Nicht weniger hatten die 
Doktoren der reformierten Kirche Englands immer die 
vortheilhaftefte Meinung von jener Mutterficche. Dieß 
fehen wir aus Maimburgs Gefchichte des Calviniſmus 2. Bd., 
aus den Schriften von Baro, Jooker, feines Vertheidi— 

| "19 


4 
— 84 — 


gers Lowel, Bunny, Potter, und hauptſächlich des berühm— 
ten Thorndyke in Epil. p. 446. 

Und wahrlich oft genug ſchon fanden proteftantifche 
Theologen ficy bewogen, die Zweckmäßigkeit und Noth- 
wendigfeit eines ähnlichen Primats anzuerkennen, und 
Klagen zu äußern, daß in ihrer Kirche nicht folch eine 
Anftalt vorhanden fey. So fchrieb 3. B. Capito, (Kirchen: 
lehrer in Straßburg und Hofprediger des Erzbifchofs zu 
Mainz, einer der gelehrteften Anhänger des Reformations- 
werfs): „ich erfenne das große Unrecht, welches wir der 
Kirche zufügten, daß wir fo voreilig und unbedachtfam das 
Anfehen des Papfts verworfen haben; das Volk ift nun 
ganz zügellos, und verachtet ale Authorität u. ſ. w.“ 
Sn gleichem Sinne äußert fi) der große englifche Theolog 
Eomwley. Auch Melanchton, diefer thätigfte Befördrer 
der Kirchentrennung und wohl der fcharffinnigfte, klügſte 
unter feinen Mitarbeitern, konnte fi) der nähmlichen 
Klagen nicht enthalten, und fand — laut f. resp. ad Bel. — 
„die Monarchie des Papfts ſehr zuträglich zu Beförde— 
rung der fo unerläßlichen Kirchen- Eintracht.“ Berfchiedne 
anfehnliche, proteftantifche Theologen des lektverfloß- 
nen Sahrhunderts hätten unter gewiſſen Einfchränfungen 
felbft ein fihtbares Oberhaupt der Kirche — wie ſchon 
Melanchton — gern Zugegeben; Grotius, Loke, Puffendorf 
Pfaff, Löffler u. a. hielten ein kirchliches Primat für fehr 
ziveckdienlich. Im feiner merkwürdigen Schrift: Wieder: 
herftellung des Ächten Proteftantismus, Hamburg 1827, 
erklärt Puſtkuchen: „Wenn es der Zweck Jeſu war, 
alt feine in der ganzen Welt zerftreuten Berehrer in Eine 
Gottesfamilie zu verfammeln, fo folgt daraus, daß 
diefe Gefelfihaft, infofern fie fihtbar ift, auch ein ficht- 
bares Oberhaupt haben müſſe; denn ein fichtbarer Kör- 
per (Staat) ohne ein fihtbareg Haupt, wäre nur ein 
halber, nicht ein ganzer Körper. Zu ihrem größten Nach— 
theil entbehrte die proteftantifche Kirche big jet diefer für 
jede äußere Gefellfchaft von Menſchen fo höchſt 


notbwendigen Bedingung. Daher jene vielen Spal- 
tungen und Streitigkeiten, welche gleich von ihrem er— 
ften Urfprung an in derfelben überhand nahmen, und ihr 
den nahen Untergang drohten.“ Auch J. Fr. Sacobi 
gefteht, „daß wenn fich jede gefellfchaftliche Verfaſſung — 
fomit auch die kirchliche — ihrer Natur nach zur Zentra⸗ 
lifierung dev Kräfte neige, es ſich von der Weisheit des 
Gottmenfchen nicht bezweifeln laffe, daß er bey Stiftung 
feiner Kirche darauf Bedacht genommen habe.“ 

So beurtbeilen angefehene proteftantifche Theo- 
logen — ja felbft der erſte Reformator Deutfchlande — 
den Werth und das Anfehen der Eatholifchen Mutterkirche 
und des damit vereinigten Papſtthums, mährend dieſe 
von fo vielen unfrer Zeitgenoffen fo fehr mißfannt — ja 
fo häufig verunglimpft werden. Und was foll dieß etwa 
zur Erbauung proteftantifcher Zuhörer beytragen, wenn 
fo oft von ihren Kanzeln und Kathedern in bitterm Zon 
wider das Papftthum losgezogen und gefafelt wird? waren 
nicht auch unfre eignen Voreltern während fünfzehn Jahr— 
hunderten ebenderfelben römiſchen Glaubenslehre zugethan? 

werden dann auch von EFatholifchen Predigern in gottes— 
dienftlichev Berfammlung die fo vielfachen Blößen unfrer 
Reformatoren aufgedeet ? wozu foll es dienen, und wie 
läßt e3 fih mit Anftand und Rechtlichkeit vereinbaren, 
wenn ein: proteftantifcher Redner vor proteftantifchen Zu— 
hörern wider Männer läftert und falbadert, die für ihn 
und für fie gar nicht vorhanden find, die übrigens in der 
Reihe anerkannter fouverainer Fürften fiehen, und deren 
Stellung — als Haupt einer auf dem ganzen weiten Er» 
denvund verbreiteten chriftlichen Kicche — auch dem Nicht: 
katholiken Ehrfurcht einflößen follte? — ?! 

Wir haben nun bisher gefehen, daß die Einheit der 
chriftlichen Slaubenslehre von ihrem göttlichen Urheber 
feldft als unverlegbare Grundbeftimmung angeordnet 
und eingefchärft wurde, — daß die Upoftel und ihre 
Nachfolger diefer Vorſchrift aufs gewiffenhaftefte an- 

7% 


o 


hiengen, — daß die Zweckmäßigkeit und Nothmwendig- 
feit diefer Einheit, und. fomit aud) die Verderb—— 
lichkeit jeder Spaltung, überall anerkannt wurde, — 
daß ferner das Chriftenthum als ein Gefchenf der Gott- 
heit, als geoffenbarte Lehre, als ein geſchloßnes 
vollfommnes Ganzes, feiner Berbefferung von Geite 
des menfchlichen befchränften VBerftandes unterliegen könne, 
— daß Freiheit und Fortfchritt in der Lehre des 
Chriſtenthums allerdings, jedoch nur der Wefenheit diefer 
Lehre unbefchadet, Plat greifen dürfen und follen, die 
Geheimnißlehren der Religion aber — ihrer Natur 
nach — unergründlich“bleiben müffen, folglich die 
unbedingt gläubige Annahm der geoffenbarten Lehre 
unfve heilige Pflicht fey, — daß ferner die göttliche Weis: 
heit und Liebe zugleich für das nothwendige Mittel 
zur Erhaltung und zum Fortbeftand der Slaubenss 
einheit Bedacht genommen habe, — und. daß endlich dieß 
Mittel, laut klarem Zeugniß der heiligen Schrift ſo— 
wohl als der älteften Lehrer und Kirchenväter, in 
der von Sefu Chriſto feldft feinen Apofteln — dem Haupt 
derfelben — und ihren Nachfolgern verliehenen Macht 
und Gemalt beftehe. 

Dieß führt ung nun zur nähern Erörterung der Lehre 
‚von der Unfehlbarfeit der Kirche und ihrer Ent- 
fheidungen, eines Ölaubensfakes, welcher von proteftan- 
tifchen Sdioten fo heftig angefeindet — fo höhniſch geläftert 
wird, dennoch aber mit der Bernunft— der heiligen 
Schrift, und der Idee der chriftlihen Kirche in vollem 
Einklang fteht. — Zuvorderſt müffen wir hier bemerken, daß - 
die Eigenfchaft der Infalibilität (Unfehlbarfeit) Feineswegs 
dem Papſt für feine einzelne Perfon zugefchrieben wird. 

Die Behauptung, daß der Katholif die Päpfte felbft 
für Untrügliche halte, welche niemals. irren fönnen, 
beruht auf Unverftand und Unmwahrheit. Von diefer Lehre 
weiß die Eatholifche Kirche nichts. Der Katholik ſchreibt 
felbft der ganzen Kirche — zu welcher als einem gei- 


ftigen Körper doch vorzüglich das Oberhaupt gehört — nur 
eine Untrüglichfeit inder Glaubens» und Sittenlehre 
bey, weil fie. nach Ehrifti Verheißung von feinem heiligen 
Geift dabey geleitet wird, keineswegs aber in Gef ch i cht 8⸗ 
ſachen, welche mit der Offenbar ung nicht nothwendig ver— 
bunden find. Selbſt die Geſammtkirche — das Ober— 
haupt mit eingefchloffen — fann feine neue Dogmen 
fchaffen, welche nicht in dev Schrift und Zradition, im 
apoftolifchen Altertbum ihren Grund hätten, weil fie Feine 
neuen Dffenbarungen erhält. Um fo weniger gilt 
diefes in den Augen des Katholifen von dem Oberhaupt 
allein, und felbft der gemeinfte Katholif würde den Kopf 
fchütteln, wenn man ihm fagte: er halte den Papft für 
befugt zu entfcheiden, was der Ehrift glauben müſſe, 
um ſelig zu werden, — was er ausfpreche, ſey wahr, — 
was ex gebiethe, fey vecht. Der Papſt als Privatmann 
kann in feinen Anordnungen, Einrichtungen und Befchlüffen 
irren, wie jeder andre fchwache Sterbliche, Der Papſt 
ohne die Kirche iſt Nichts, aber die Kirche ohne den 
Papft iſt ebenfalls Nichts; beyde ſind von einander un— 
zertrennlich; Haupt ohne Wörner ift wie Körper ohne Haupt, 
d. i. leblos. Die Fatholifche Kirche erkennt in der Perfon 
ihres DOberhaupts den fichtbaren Lenker und Auffeher 
der ganzen Gla ubensan ftalt, verbunden und vereinigt 
mit den übrigen Bischöfen, ohne welche Berbindung er 
nichts nach-eigner bloßer Willkuͤhr als Glaubenslehre vor⸗ 
ſchreiben kann. Er iſt das ſichtbare Oberhaupt der allge— 
meinen Kirche, von Chriſto eingeſetzt zu Erhaltung 
der Glaubenseinheit, zur Entſcheidung der Streitig— 
keiten, uͤber welche er nebſt den übrigen Biſchöfen 
erkennt. Da Chriſtus nicht ſelbſt mehr auf Erde wandelt, 
mußte ev für uns einen Stellvertreter anordnen, wel—⸗ 
cher für unverfälfchte Reinheit feiner Lehre Sorge trüge; 
dieß nun geſchieht durch den Nachfolger Petri auf dem 
römiſchen Stuhl in Mitte der übrigen Biſchöfe, welchen 
der Geiſt dev Wahrheit zugeſichert iſt. 


A 


Bernehmen mir hierüber noch einen ganz unverwerf— 
lichen Zeugen. ©. biogr. univers. T. I. p. 259. Papft 
Adrian VI fchrieb, bevor er den päpftlichen Stuhl be- 
ftiegen hatte, disp. in libr. TV magistri sentent., worin er 
fagt: „daß der Papft, für fich allein und ohne die Kirche, 
auch in Sachen welche den Glauben betreffen, irren könne.“ 
Diefe Schrift ließ er, nachdem er fchon Papſt geworden 
war, ohne die Stelle zu ändern, zum zweyten Mahl auflegen. 

Die Lehre der Kirche gehört ausfchlieglich den 
Nachfolgern der Apoftel: den Bifchöfen. Diefe 
fönnen zu der Offenbarung nichts hinzufügen, aud 
nichts davon wegnehmen; fie find nicht die Herren, nur 
Ausleger derfelben. Solch ein untrüglicher Ausleger 
und Richter. ift zur einftimmigen Annahm und Befolgung 
der in der heiligen Schrift enthaltnen Lehrſätze — bey der 
Unwiffenheit der einen und dem Stolz der andern — durch— 
aus unerläßlich. Diefer Dolfmetfch nun ift der lehrende 
Körper der Kirche. Seder Bifchof ift zu einem doftrinellen 
Yusfpruch in feinem Sprengel befugt, in wie viel höherm 
Grad alfo der Papft, und befondre oder allgemeine Sy— 
noden! Die allgemeine Zuffimmung der zer- 
fireuten Biſchöfe drücdt al diefen Entfcheidungen das 
Siegel der Unfehlbarkfeit auf. Der Gefammtheit 
der Bifchöfe, welchen in der Perfon ihrer Vorgänger, 
der Apoftel, jene glänzende Verheißung gegolten hatte: 
„gehet hin in alfe Welt, Iehret die Völker; wer euch höret, 
hört mich felbft; ich bin und bleibe bey euch; der Geift der 
Wahrheit wird euch alle Wahrheit erkennen lehren,“ — 
dieſer bifchöflichen Gefammtheit allein kann das Recht zu— 
ftehen, die heilige Schrift und die Weberlieferung 
— dag gefchriebne und das ungefchriebne Gotteswort — zu 
lehren und zu erklären. Nur fie hat dieg Recht immer 
ausgeübt; Feine andern Diener der Kirche — von mwelchem 
Rang, Würde und Gelehrfamfeit fie auch immer feyn moch— 
ten — batten je Anfpruch darauf gemacht; wohl wurden 
fie mitunter zu Rath gezogen und mochten da ihre Mei— 


nungen mit dem ganzen Gewicht ihrer Kenntniffe und Bes 
vedfamfeit vertheidigen, aber ſtets war ihre Pflicht: fich 
der Entfcheidung ehrfurchtsvoll zu unterwerfen, So will 
es Jeſus Ehriftus, welcher in feiner Kirche nicht Stolz 
und Starrfinn duldet, weder bey Reichen und Mächti- 
gen, noch bey Gelehrten. 

Die bifchöfliche Gefammtheit alfo hat zu entfcheiden: 
was geoffenbart fey oder nicht, d. h, was mit der 
heil, Schrift und Tradition übereinftimme oder mit ihnen 
in Widerfpruch ftehe, oder was in einer von beyden allein 
enthalten fey. Weiter erſtreckt fich ihre Gewalt nicht; fie 
kann immer nur den alten Glauben vortragen, nie einen 
neuen einführen; nie fann und darf an die Offenba— 
rung die Seile der VBerbefferung gelegt werden, da fie 
durch Sefum Ehriftum in ihrer vollendeten Bollkom- ; 
menbeit aus dem Himmel zu ung gelangte, und feine 
von ihm erleuchteten Schüler diefelbe treulich ihren Mach» 
foigern — fowohl mündlich al3 fehriftlich — überlieferten, 
Diefe den Apofteln und ihren Nachfolgern verheißne 
Gabe der Unfehlbarfeit betrifft übrigens feinen von 
ihnen perfönlich und einzeln — da der Gottmenfch feinem 
derfelben ewig beyftehen kann — fondern fie ift dem Ber- 
ein aller Nachfolger dev Apoftel gemeinfchaftlich 
zuerkannt; nur ihrer gemeinfchaftlichen Entfcheidung gebührt 
Unterwürfigieit. 

Drohen fchädliche Lehren Gefahr, fo hat das Ober— 
haupt aller Bifchöfe, vom Mittelpunkt der Einheit aus, 
zu wachen uud einzufchreiten. Ohne den Irrthum übers 
hand nehmen zu laffen, und abzuwarten bis die Bifchöfe 
in ein-Conzilium zufamntentreten fünnen , bat der Ober- 
hirt dem Uebel fogleich Schranken zu feßen und ihm vor 
der ganzen Welt Augen die immer unverfälfchte und un- 
unterbrochne Tradition des heil. Stuhls entgegen zu halten. 
Diefe Schukwehr gegen Srrlehren hat alfo die fa- 
tholifche Kirche ſowohl in der päpftlihen. Authorität 
als in jener der Partikylar « oder Provinzial-, um 


a 


hauptfächlich auch der allgemeinen oder vifumenifchen _ 
Eonzilien. Sobald alle Bifhöfe — den Papft an 
ihrer Spike — den Befchluß eines Biſchofs, oder Par: 
tifular-Conziliums, oder auch des Papfts, annehmen und 
gutheißen, fo wird er dadurch zum Befchluß der allge: 
meinen Kirche, und die allgemeine Uebereinftim- 
mung drücdt ihm das Siegel des unfehlbaren Glau— 
bensartifels auf. Ein Conzilium, wenn auch noch fo 
wenig zablveich, wird dann vifumenifch — und folglich) 
in feinee Lehre unfehlbar — wann feine Entfcheidungen 
allgemein angenommen werden. Dieß beftätigt auch 
Boffuet (ein Teuchtender Stern feines Sahrhunderts, 
welcher noch über die fommenden fernen Gefchlechter die 
Strahlen feines Lichts verbreiten wird, wann längft unfre 
aufgeblafnen Neologen vergeffen feyn werden) in feiner Ant- 
wort an Leibnig 4778. II. Bd. 22 Br. Die Beyftimmung 
des heil. Stuhls, oder vielmehr feine Beftätigung, verbun⸗ 
den mit der Einftimmung der allgemeinen Kieche, drückt 
einem Gonziliarbefchluß das letzte befräftigende Siegel auf, 
wodurch er als canonifch erflärt wird. Alles übrige, 
was man noch in Bezug auf den Papft fagen könnte, ift 
feine Glaͤubensſache, noch auch erforderlich; denn es 
ift fchon genug, daß die Kirche ein allgemein aner-= 
fanntes Mittel befikt, um folche Fragen zu entfcheiden, 
welche eine Spaltung unter den Öläubigen herbeyzufüh— 
ren geeignet wären. 

Auch angefehene proteftantifche Gelehrte und Schrift- 
ficller find über den Nuten und die Nothwendigkeit 
diefer Unftalt einverftanden. Der große Leibnik in einem 
Brief an die Herzogin von Braunfchweig vom 2 Suli 1694 
fagt: „nichts mag auf Erde ehrwürdiger feyn, als die Ent- 
ſcheidung eines wahrhaft allgemeinen Eonziliums,“ Einer 
der berühmteften Lehrer der reformirten Kirche Englands, 
Hull, Bifchof von St. David, erklärt fich in f. Verthei— 
digung des Glaubens von Nicäa, Vorr. N, 2. p 2 wie 
folgt: „Sn diefem Conzilium wurde einer der vorzüglich— 


ften Artikel der chriftlichen Religion — die Gottheit Chrifti 
— behandelt. Wenn man nun glauben möchte, daß die 
Hirten der Kicche fich in einem Grundartifel des Glaubens 
hätten irren und die Gläubigen berücken können, wie ließe 
fi da noch das Wort Sefu Chriſti in Schuß nehmen, 
welcher den Apofteln und ihren Nachfolgern feinen emwi- 
gen Beyftand zugefichert hat? Diefe Verheißung 
würde folglich nicht wahr feyn, weil die Apoſtel nicht fo 
Lange leben konnten, wären nicht unter der Perfon der 
Apoftel auch ihre Nachfolger verftanden. “ So er- 
Fannte dieſer gelehrte Theolog die Unfehlbarkeit des _ 
Conziliums von Nizäa, und ftükte feine Meinung auf den 
fefteften aller Grundpfeiler, auf die Berheißung Sefu 
Ehrifti, deffen Wort ewig beftehen wird. 

Auch Luther fah die Unmöglichkeit ein, die Glau— 
bengeinheit ohne eine oberfte Kirchengewalt aufrecht zu er» 
halten; er fchreibt (gegen Zwingli und Defolampad) „wenn 
die Welt noch länger beftehen fol, fo erkläre ich, daß bey 
den vielartigen Auslegungen, welche man ung über die 
heilige Schrift giebt, Fein andres Mittel übrig bleibt, um 
die Einheit des Glaubens zu erhalten, als: die Befchlüffe 
der Conzilien anzunehmen und uns unter den Schuß ihres 
Anſehens zu flüchten. « 

Die Confessio helvetica Cap. XI fpricht fich ebenfalls 
— tie wir. fchon oben angeführt haben — ganz klar und 
deutlich für die Annahm der vier alten Haupt-Conzilien — 
nähmlich von Nizäa, Conftantinopel, Ephefus und Calze— 
don, fowie des Symbols von Athanafius u. a, aus. 

Prüfen wir nun auch die Art, auf welche die Autho- 
rität des Papfts fomohl als der Conzilien in den erften 
Sahrhunderten des Ehriftenthbums ausgeübt wurde. 

Schon Paulus und Barnabas, laut Act. XV, wand: 
ten fich) bey eingetretenem Zwieſpalt fogleich an Petrum, 
als Chriſti Nachfolger, um durch ihn Recht. fprechen zu 
laſſen, ſowie durch Jakobum als Bifchof zu Serufalem 


Be 


und das Conzilium der Apoftel aus Eingebung des heil. 
Geiftes, Act. XV, 28. | 

Eine der älteften Urkunden aus jener Zeit find ferner 
die Briefe des heil. Clemens, deffen wir fchon oben er- 
mwähnten. Es hatte ſich nähmlich, wie zur Zeit Pauli, in 
Corinth ein heftiger Streit erhoben; ein Theil der Gläu— 
bigen lehnte fich gegen tadellofe eifrige Priefter auf, und 
wollte fie fogar abfegen. Fortunat verließ fogleich Corinth 
und eilte nach Rom, um diefe Gährung zu berichten. Eben 
war Clemens damahls Bifchof zu Rom. Alfo fchon beym 
erften Anfchein einer Trennung eilte der hochbetagte Ge- 
führte Pauli, der ehrwürdige Fortunat, nach Rom, und 
ſetzte fi) den Gefahren und Miihfeligkeiten einer weiten 
Reife aus, um das Anfehn und die Gewalt des Nachfol- 
gers Petri in Anfpruch zu nehmen. 

Sm erften Sahrhundert Tebte noch der größte Theil 
der Apoftelfchüler; auch noch im zweyten Sahrhundert 
gab e8 derer. viele, fowie andre, welche von ihnen unter— 
richtet waren. Die Lehrſtimme der Apoftel lebte bey jedem 
Gemüth noch in frifchem Andenken; ihre Kanzeln haben, 
— wie Tertullian fi) ausdrückt — gleichfam noch gefpro- 
chen. Alle Kirchen haben auch ſchon von den Zeiten ihrer 
erften Gründung an getrachtet, fich gegenfeitig zu verbin— 
den und zu unterftüßen, befonders zu Bekämpfung der Irr— 
lehren. Sp wurden fihon im zweyten Sahrhundert als 
Berfälfcher des Glaubens verurtheilt Saturnin, Baſilides, 
Balentinus, Carpocrates, Cerdon, Marcion, Als die 
Berfolgungen fich legten, und die Kirchen unter fanften 
menfchlichen Kaifern freyer athmeten, traten ſchon Conzi— 
lien zufammen. Eufebius, der erfte Kirchengefchicht- 
fchreiber , unter Conftantin dem Großen (welcher ihm auch 
die Benukung der Reichsarchive zum Behuf feines Werks 
geftattete) hist. ecel. L. 2. C. 25 fagt: daß fich fogleich beym 
Ausbruch einer Irrlehre alle Bifchöfe vereinigen, um 
den erften glimmenden Funken noch in feiner Entfiehung 
auszulöfchen. Go ward im 3. 255 Novpatian verdammt, 


— — 


ſo im J. 262 Paul, der tiranniſche, ſtolze, ſchwelgeriſche 
Biſchof von Samoſata. Alſo ſchon in den erften Jahr» 
hunderten entfchieden die Biſchöfe über alle Ficchlichen 
Gontroverfen, und die Gläubigen huldigten ihrem Aus— 
fpruch; der älteften Kirche Gebrauch und Hebung beweist 
alfo, daß die Lehre der Infallibilität ſchon damahls allge 
mein angenommen war. Auch Me aus jenem Zeitalter auf 
uns gefommenen Urkunden der Kirchenväter beftätigen diefe 
Wahrheit. S. die Briefe des heil. Sanaz an die Phila- 
delpher, Smyrner, Trallier, Magneer und Ephefer; Cy— 
prian von Carthago im 33. Br. Irenäus über die 
Häreſien L. IV. C. 43 u. 45. und Tertullian (deſſen 
im S. 192 verfaßte Apologie in Rücficht auf Bortrag und 
Snhalt eines der merfwürdigften Denkmähler des chrift- 
lichen Alterthums bleibt). 

Mit der Thronbefteigung Kaifer Conftantin deg 
Großen traten günftigere Berhältniffe ein; diefer befannte 
ſich im J. 324 felbft zum Chriftentbum, und mit ihm ge» 
langte auch die Religion auf den Thron. 

Unter feiner Regierung "fand? — im 9. 325 — da3 
erfte Conzilium zu Nizäa in Bithynien ftatt, wo 
318 Patriarchen, Metropoliten und Bifchöfe aus Aſien, 
Afrika und Europa beyfammen waren, nebft einer großen 
Zahl von Doktoren in ihrem Gefolg; an ihrer Spike be: 
fand fich als Stellvertreter de3 Kivchenoberhaupts Syl— 
vefter, der berühmte Bifchof von Cordua, Hofius. Con— 
ftantin erfchien babey in vollem Glanz feiner Eaiferlichen 
Majeftät. Die nähern Umſtände diefes folgereichen Ereig- 
niffes erzählen uns Eufebius, Sozomenes, Theodorotus, 
Nicephorus. S. auch Maimburg Gefchichte des Arianis- 
mus Av Bd. Mit befonnener Ruhe und Klugheit gieng 
die ganze Handlung von Statten; in der VBerfammlung be- 
fanden fich noch viele, unter der Verfolgung von Maren- 
tus, Galerius und Lieinius verftümmelte Befenner des 
Glaubens anweſend, mit Narben der Wunden bedect, 
welche Konftantin ehrfucchtsvoll Eüßte. Den Befchluß der 


u 4 


Verurtheilung des Arius empfieng der Kaifer mit tieffter 
Verehrung als einen Ausfpruch des Himmels. Ex erließ 
zwey Umlauffchreiben, das eine an alle Kirchen überhaupt 
und das andre an jene von Alerandrien, wo die Irrlehre 
entfprungen war; ex erklärt Darin: „alles was in den 
Conzilien der Bifchöfe entfchieden wird, fol man als 
Willen Gottes betrachten; damit die Spaltung been» 
digt werde, verfammelte ich durch Gottes Fügung in Nizäa 
eine fo große Anzahl Bischöfe, Die Entfcheidung diefer 
300 Bifchöfe ift nichts andres, als der Ausfpruch des ewi— 
gen Sohns Gottes. Der heil. Geift hat den Willen Got: - 
tes durch diefe großen Männer geoffenbart, melche von 
ihm erleuchtet waren.“ ©. Fleury hist. ecel. T.I. p.159, 

Sm 3. 384 fand das zweyte vifumenifche Eonzilium 
in Sonftantinopel unter Gratianus ſtatt, wo Mazedo— 
nius und Eudorius, — im 3. 434 dag dritte zu Ephe— 
ſus unter Theodoſius (welchem auch der heil. Eyrillus bey= 
wohnte), mo Neftoriug, — und im 3. 454 dag vierte 
zu Calzedon unter Martinno, wo Eutyches verdammt 
wurde. Ä 

Sobald man im Berfolg dieſe Conziliarbefchlüffe vers 
fchiedenartig auszulegen begann, vereinigten fich zu ihrer 
Berfechtung die aufgeklärteften Xehrer. Weberhaupt haben 
alle Nationen fi) den Ausfprüchen des erften General— 
Gonziliums von Nizägg unterworfen. Das von der gan- 
zen Kirche fihbon angenommene Symbolum von Nizäa 
ward auf der zweyten oifumenifchen Kirchenverfammlung 
zu Conftantinopel zum zweytenmahl feyerlich kundge— 
macht, und erhielt dort noch mehrere durch die Irrlehren 
des Mazedonius veranlafte Zuſätze. So ward dann diefe, 
urfprünglich in Nizäa feftgefete, Glaubensformul, feit 
dem fechsten Sahrhundert in allen Kirchen Griechen: 
lands auf Befehl des Patriarchen von Conftantinopel, 
Timotheus, öffentlich gebethet, auf Befchluß des Conzilium 
zu Toledo vom J. 589 in allen Kirchen Spaniens nad 
der Form der ovientalifchen Kirchen gefungen, zu Ende des 


a — 


achten Sahrhunderts auch in allen Kirchen Galliens und 
Deutfchlands, endlich auf Anordnung Benedicts VII 
um das Sabre 1014 in allen Kirchen Staliens eingeführt. 
Selbſt zur Zeit der Reformation ward dieß Slaubensfym: 
bol beybehalten, und wird noch heutzutag beynahe 
in allen proteftantifihen Gemeinden als gültig be- 
trachtet; ein Umftand, welchen freylich unfre anmaßenden 
3eloten und Splitterrichter ganz zu überfehen pflegen. 

Mit eben fo unbegränzter Verehrung fpricht von den 
Vätern in Nizäa auch Athanafiug, welcher feinen Pas 
triarchen Alerander dahin begleitete und durch feine Ge— 
lehrfamfeit fowohl als Redekunſt fo großes Auffehen erregte, 
dann Eyrillus von Alerandrien, Hilarius, Bafilius 
und Hieronymus. Gregor der Große (— wegen fei- 
ner ausgezeichneten Schriftkenntniß „der Theolog “ genannt, 
des Bafilius Pylades und Schulgenoffe —) erklärt : „daß er 
die Befchlüffe der vier erften General: Eonzilien fo 
annehme und in Ehren halte, wie die vier Bücher des 
heiligen Evangeliums.“ Auguftinus, diefer ‚große 
Kirchenlehrer, defjen in wahrhaft Elaffiichem Geift mit der 
Würde eines alten Römers gefchriebnes Werk de civitate 
dei (planlos zwar. auf den erften Anblick, aber ungemein 
reichhaltig an gefchichtlichen Nachrichten aus dem Alter: 
thum und an fcharffinniger Auflöfung. verwicelter Streit: 
fragen) felbft von neueren aufgeflärten proteftanti- 
ſchen Schriftftelleen als ein Meiſterwerk geündlicher 
Gelehrfamfeit und Beredfamfeit gefchätt wird, diefer er— 
leuchtete Kivchenvater nennt das Conzilium von Nizäa 
„das allgemeine Welt-Conzilium, deſſen Entfcheidun- 
‚gen mit den Gebothen des Himmels gleiches Anfehen 
haben.“ Ambrofiug, nad der Mitte des vierten Jahr— 
bunderts durch die allgemeine Volksſtimme zum Exrzbis— 
tyum in Mayland berufen, deſſen gegen die Zivanney 
Kaifer Sheodofius des Großen und des jungen VBalentiniang 
bewiefnen Heldenmuth die Gefchichte nicht genug erheben 
fan, jagt: „ich nehme den Befchlug von Nizäag an, und 


a — 


weder Schmach noch Tod werden je mich davon trennen 
können.“ 

So urtheilten jene frommen und weiſen Männer über 
das heilige, unverletzbare Anſehen der auf Erhaltung der 
Kirchen-Einheit abzweckenden Conziliar-Beſchlüſſe. 

Welch unſelige Verblendung bedurfte es demnach, um 
dieſer Einheit ſich feindlich gegenüber zu ſtellen, und 
ein kirchliches Schisma beharrlich zu unternehmen, welches 
— wie ſchon Cyprian und Auguſtin behaupten — ſelbſt 
durch keine in den Schooß der Mutterkirche eingedrungne 
Verderbniſſe jegerechtfertigt werden kann! Duldete 
nicht Moſes Millionen ſeines Volks, welche wider Gott 
murrten? duldete nicht Aaron eine Menge Juden, welche 
ſich einen Götzen zur Anbethung aufſtellten, — David den 
Saul, — Iſaias ſo viele der gröbſten Verbrecher? Duldete 
nicht der Gottmenſch ſelbſt einen Judas? — Das Recht 
der Trennung behielt allein Jeſus Chriſtus, welcher 
nie fich trügen fann, auf die Zeit der großen Ernte — 
des letzten Gerihts — fi) vor, bis wohin Spreu mit 
Waizen — Stroh mit Korn beyfammen bleiben ſoll! 

Einer der berühmteften, englifchen Gottesgelehrten, 
South, Serm. Vol. V, London 41717 bemerft richtig: 
„das Berderbniß in der Kirche bat bey weitem nicht 
jenen zerftörenden Einfluß, welchen hingegen Spaltungen 
und Trennungen heben. Wohl kann man einen Hals 
heilen, wenn er in Eiterung übergegangen, — nicht aber 
wenn er abgefihnitten if. Bey Zrennungen wird der 
geiftige und der gefellfchaftliche Körper zugleich aufgelöst.“ 

Sa, hört 08, meine proteftantifhen Brüder! wer 
Spaltung berbeyführt, fpricht dadurch die Abficht aus, 
den für die Göttlichkeit der Sendung Jeſu we— 
fentlihften Beweis zu zerftören, den er noch im Au— 
genblick feines Abfchieds von dev Erde aufs tieffte 
einzuprägen innigft bemübt war. Wer Spaltung her— 
beyführt, ftemmt fich des Welterlöfers entfhiedenftem 
Willen, al feinen Planen feindfelig entgegen; mit 


— 


tollkühner Empörung ruft er: die Menſchen ſollen unter 
einander nicht Eins ſeyn, damit die Welt erkenne, daß 
Sefus Chriſtus niht vom Vater gefendet ſey! — 
Sähe doch der Schismatifer hinab in den Abgrund der 
Berftörung , welchen eine Kirchenfpaltung öffnet, wahrlich) 
er würde zurückbeben! Geblendet von menfchlichen Leiden- 
fchaften, hingeriffen von Streitſucht — Parteygeift und 
falfhem Ehrgeiz, der mit eifernem Arm den DBethör- 
ten bey feiner vorgefaften Meinung fefthält, irrege— 
leitet durch die Fläglichften Zäufchungen, fieht dev Elende 
nicht ein, daß feine Waffen gegen den Gottmenſchen 
felbft — gegen die ihm fo theure Heilsanftalt — gegen 
feinen innigften Herzenswunſch — gegen das heiligfte 
feiner Sefeke gerichtet find. 

Die Gefchichte lehrt ung indeffen, daß die Kirche ſchon 
in den älteften Zeiten folche Anfechtungen oft zu beftehen 
hatte, diefelben jedoch mittelft der von dem Stifter des 
ChriftenthHums angeordneten DObergewalt immer glorreich 
befiegte. 

Die Erfcheinung folher Widerfächer war von Chrifto 
felbft, auch von Petro und Paulo, geweiffagt worden. 
S. 2 Petr. U, 4. und II, 3. 4 Joh. IV, 4 — ©. 
4 Kor. XL, 48 uf. w. Auch Lukas in der Einleitung 
zu feinem Evangelium erwähnt folcher, die bereit3 zu der 
Apoftel Zeiten auftraten. Johannes fchrieb fein Evange- 
lium wider Ebion, Cherint und andre Schismatifer zu 
Zrajans und Nervas Zeiten. Dieß bezeugt Irenäus, 
Schüler des Polykarp, welcher felbft ein Sünger Sohan- 
nis des Evangeliften war. Auch Eyrill von Alerandrien 
fhrieb hiervon, und nähere Meldung der Häretifer finden 
wir bey Auguftinus, Philafter, Epiphanius und Prima- 
fius, (einem Sünger des Auguftinus —), welche im 2. 


. dis 4 Sahrhundert der chriftlichen Kirche lebten. Der 


ehrfüchtige Montanus, von heidnifchen Eltern gebohren, 
ein ftolzer, fchwermüthiger Mann, welcher kurz "bevor er 
Unruhen in dev Kicche erregte unter die Gläubigen auf 


genommen ward, hatte unter Mark Aurel im 3. 431 die 
Kühnheit, fi für den von Sefu Chrifto verheißnen Trö— 
ſter — Paracletus — auszugeben. Durch) Strenge der 
Sitten und den Ehrfurcht gebiethenden Ton feiner Weif- 
fagungen wußte er zu täufchen und zu verführen. Nun vers 
fammelten fich die Bifchöfe Afiens zu wiederhohlten Malen 
in Hierapolis, erklärten — nad) langer und. fchonender 
Erörterung — feine Weiffagungen, ſowie diejenigen der 
Priscilla und Marimilla (welche fich beyde von ihren 
Männern getrennt hatten, um den Schwärmereyen dieſes 
Betrügers anzuhängen) für falfch, verdammten ihre Irr— 
lehren, und fchloßen fie von der Gemeinfchaft der Kirche 
aus. 

Sn jedem Sahrehundert war die Kirche — mehr oder 
weniger — von folchen Härefien heimgefucht worden. 
Sm erften finden wir nähmlich — wie fihon erwähnt — 
Ebion und Cerinth, im zweyten die Gnoftifer und Mavcio- 
niten; im dritten die Novatianer und Sampofatenfer; im 
vierten die Arianer, Donatiften, Euftatianer, Seleucianer 
u. a.; im fünften die Manichäer, Pelagianer, Neftorianer, 
Eutychianer; im fechsten die Safobiten. Von diefen läug— 
neten und beftvitten einige die Menfchwerdung Chrifti, 
andre die Dreyfaltigkeit, manche die göttliche Mutterfchaft 
der heil. Jungfrau und die Vereinigung des Worts mit 
der menfihlichen Natur; mehrere ftellten das Prädeftina- 
tions Syftem auf; einige verfochten die Polygamie; andre‘ 
beftritten den freyen Willen; viele unternahmen Aende— 
rungen im Saframent des Altars, manche verwarfen das 
Purgatorium, noch andre die letzte Dehlung. Zu Anfang 
des fiebenten Sahrhunderts fund Mahomet auf, deflen 
Koran ale Drdnung der chriftlichen Kirche verfpottete 
und der Sinnlichkeit huldigte. Im eilften Sahrhundert 
fiellte Berengar die figürliche Bedeutung auf, hat aber 
fpäterhin feine Irrlehre feldft wieder — mie wir im Ver— 
folg fehen werden — abgefchworen. Gegen Ende des zwölf- 
ten Sahrhunderts waren in Frankreich die Waldenfer, 


in der Mitte des vierzehnten Sahrhunderts in England 
die Wiclefiten, zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts 
in Böhmen die Huffiten aufgetreten; — all diefe Häres 
fien waren aber durch die oberfte Kivchengewalt befeitigt 
worden. Eine zu Anfang des fechszehnten Vhrhunderts 
herausgekommne Schrift. führt nicht mweniger als ſieben 
und fünfzig folher Sekten an, in deren Zußftapfen die 
nachherigen Reformatoren getreten waren. | 
Diefe Anfechtungen und Drangfale dienten indeffen 
nur dazu, das Anfehen der Kirche immer mehr zu 
befeftigen, und die Wahrheit jener göttlihen Ver—— 
heifungen bey Math. XXVIIL, 20. und Soh. XIV, 26. 
ins hellſte Licht zu feen; nie war die reine, wahre Lehre 
des Chriſtenthums untergegangen; in feinem Sahrhundert — 
fo finfter man ſich dafjelbe auch nur immer denken mag — 
erlofch das Licht der Wahrheit, und konnte nad) dem gans 
zen Plan der Gottheit nicht erlöfchen. Nie hat Rom 
fi) vor Häreſien gebückt, fo oft es auch von ihnen ge— 
drängt ward; morgenländifche Kaifer, Oft: und Well 
Gothen, Burgunder und Longobarden bequemten fich zum 
Arianismus; Rom aber blieb der Mutterfirche getreu. 
Ohne Naͤchſicht fchnitt es zulekt ſich ab von der griechi— 
fihen Kicche, ob diefe gleich fchon eine halbe Welt umfaste. 
Allerdings belehrt ung die frühere Kirchengefchichte, 
und niemand. hat je in Abrede geftellt, daß im Verlauf 
der. Zeit ſich hier und da etwelhe Mißbräuche in die 
erhabne Einfachheit der Religion des Gottgefandten einge» 
fchlichen hatten, Diefe famen auch würklich zu Anfang 
des XV. Sahrhunderts3 bey dem — unter.Kaifer Gig» 
mund — in Conftanz abgehaltnen Conzilium fchon zur 
Sprache, ohne daß jedoch Abhülfe erfolgte. Das Bedürf- 
niß theilweifer Reformen ward hierauf immer allgemeiner 
gefühlt. "Mit Recht klagte man tiber Mißbrauch dev päpft- 
lichen Gewalt, unbefugte Unmaßungen der römifchen Eurie, 
Herrfhfucht und Ueppigkeit der Bifchöfe, ZTrägheit und 
Ausgelaffenheit des niedern Elerus, vohe Unmiffenheit des 
4 | 


—— — 


gemeinen Volks, und hauptſächlich über den mit dem Ab— 
laß getriebnen höchſt ärgerlichen Unfug in Deutfchland. 
Die Beſeitigung verſchiedner Mißbräuche hinſichtlich der 
zerfallnen Kirchendis ziplin war ſehr dringlich gewor— 
den. Die Wrieſter hatten — wie auch Boſſuet klagt — 
von nichts als Ablaß, Wallfahrt und Allmoſen an die 
Klöfter gepredigt, und aus diefen Uebungen wefentliche 
Erforderniffe des Goitesdienfts gemacht, da fie dody 
nur Zufäße deffelben find. Ein parteylofer Echriftfieller 
jener Zeit fagt: „Diele Geiftliche befümmerten fi mehr 
um die Wolle, als um die Schafe, nicht um. die Herde, 
fondern um ihre Fett; weniger war es ihnen darum zu 
thun den Schafftall auszubeffern, und gegen Lift oder Ges 
walt der Wölfe fiherzuftellen; die meiften fuchten Gemäch— 
lichkeit und Wohlleben, und benußten die Einfalt ihres 
Völkleins, indem fie durch Verkauf von Ablaß und Faften- 
difpens mehr für ihren eignen Beutel, als für das Geelen- 
heil ihrer Angehörigen forgten.“ Nur kirchliche Miß— 
bräuche waren alſo wegzuräumen, welche jedoch nie als 
Glaubens- Norm aufgeftellt und betrachtet worden waren, 
wie auch von Schwarz in f. Handb. der chriftl. Relig. 
38 ©. 116 fehr richtig bemerkt wird. Durchaus unge- 
gründet ift aber das Borgeben der Schismatifer des XVL 
Sahrhunderts, daß die Geiftlihfeit gegen jede Reform 
ſich geftväubt habe. Das Gegentheil gebt aus den Bor: 
ftellungen des Cardinals Sulianus an Papſt Eugen TV., 
Gerfong an Alerander V. und vorzüglih aus den Schrif- 
ten des großen Erasmus, hervor. Nicht etwa nur Pri- 
vaten, fondern angefehene Theologen, Aebte, Fürften, Bi— 
fchöfe, ja Päpfte und Eonzilien begehrten Reformen des 
äußern Kirchenweſens, freylich aber feineswegs eine 
Ummälzung der ganzen uralten Kirche aus ihren ehr- 
würdigen Angeln. Schon hatten geachtete Männer Hand 
ang ernfte Werk gelegt. Nach dem Tod Sulian.des Zwey— 
ten -beftieg im J. 1513 Leo X. den päpftlichen Stuhl, 
welchem felbit proteftantifche Schriftfteller den Ruhm eines 


BERGE. 


fanftmüthigen, friedliebenden, nachfichtigen Mannes, und 
daben eines entfchiednen Gönners und Befördrers Achter 
Gelehrfamfeit nicht verfagen. Selbſt das muthige Frank: 
reich hatte fich unter diefem weltflugen Oberhirt mit dem 
heiligen Stuhl ausgefühnt. Dem berühmten Joh. Picus 
von Mirandola, welcher ihn im 3. 4517 zu Reformen 
in der Kiechendisziplin aufforderte, ward das bereitwilligſte 
Gehör zu Theil. Nicht weniger begriffen auch der Kar: 
dinal Math. Schinner in Sitten, und der Bifhof Hugo 
von Conſtanz die Nothwendigkeit flyer Reformen; lektver 
befonders hatte das unter dem Clerus eingeriffene Sitten— 
verderbnig höchlich misbilligt, fehien gleich Anfangs fchon 
der neuen Lehre zugethan, las gern die Bücher von Luther 
und Zmwingli, und forderte fogar diefe felbft zum Wider— 
ftand gegen die Ablaßkrämer auf, fand fich aber fchon 
1524 — (gleichwie Erasmus) — zur Ginnesänderung be> 
wogen, fobald er den unbezähmbaren Gtarrfinn 
und den frevelbaften Uebermuth der Veuerer- ein» 
fah. — 

Hier ftehen wir nun an der; Schwelle jenes verhäng— 
nißvollen Zeitpunkts der Reformation oder 


Glaubensaͤnderung, 


welche mit dem Jahr 1547 in Sachſen, dann zwei Jahre 
ſpäter in der Schweiz, und fünfzehn Jahre nachher auch 
in England zum Ausbruch kam. 

Gewiß hätte auch dieß Schisma — gleich jedem an— 
dern vorhergehenden — keine Fortſchritte gemacht, wenn 
feine Urheber pflichtmäßig ſich der kirchlichen Gewalt un— 
terzogen hätten; in letztertm Fall wären wohl die Miß— 
bräuche gehoben, allein die Fundamental-Glaubenslehren 
der Kirche aufrecht erhalten worden. Jene Urheber muß— 
ten demnach gleich bei erſter Entwicklung ihres Plans da— 
mit anfangen, ſich gegen die Authorität der Kirche 
in den Stand offnen Aufruhrs zn ſetzen; fie mußten 

* 


— & 


gewaltfam einen Damm durchbrechen, welcher — nach alf: 
gemeinen Bolfsbegriffen von Sefu Ehrifto felbft errichtet — 
einzig ihre Fortfchritte zu hemmen vermochte. Daher 
fonnten fie nicht ftark genug und oft genug den Völkern 
vorpredigen: alle Menfchen feyen dem Irrthum unter: 
worfen,;, — fein GSterblicher, noch ein Verein derfelben 
fönne fich die Eigenfchaft der Untrüglichfeit beylegen, in- 
dem diefe nur Gott felbft und feinem heiligen Wort 'zuge- 
fchrieben werden dürfe, — dieß letztre allein fey die Regel 
unfers Glaubens und fey deutlich genug, fo daß jedermann 
daffelbe verftehen und darüber urtheilen, auch fich felbft 
nach feinem Gewiſſen feine eigne Religion fchaffen könne, 
fur; der Wahlfpruch jener Reformationg: Stifter wart 
„Die gleichförmige einftimmige Lehre der Eonzilien 
fol dem Privatfinn, der willführlichen Ausle— 
gung, untergeordnet werden, “ 

Bon Leidenfchaften und Eigendünfel angefpornt, wag—⸗ 
ten fie ſich nun an einzelne Geheimnißlehren der hei— 
ligen Religion; fie zogen den Glauben vor den Richter- 
ftuhl ihrer trügerifchen Bernunft, und erfühnten fich 
in die unergründlichen Ziefen der Gottheit einzudringen. 
Bald verwicelten fie fich dann durch vermeßnes Klügeln 
in Spibfindigfeiten und Widerfprüche, und wurden durch 
Vebermuth, Rechthaberey und Starrfinn (welche ihnen 
felbft von — eifrigſten Applogeten, vergl. A. Rivet cont. 
Grotium T. 3. p. 1061., zum Vorwurf gemacht werden) 
zu immer neuen Sehltritten verleitet. Während fie die 
heilige Schrift als ausfchlieglihe Glaubensricht— 
fihnur erklärten, fonnten-fie dennoch unter fich felbft 
nicht einmahl einig werden, und wurden gerade durch die— 
fen vermeint „untrüglichen“ Wegweifer in die mannig— 
faltigften Labyrinthe verftricft. Indem fie die göttliche 
Einfekung der firhlichen Gewalt beftritten, und 
ihre Gerichtöbarkeit zu zerftören begannen, ſetzten fie an 
die Stelle der bifhöflihen Entfchheidungen und 
Conzilien, zwar dem Scheine nach), das Anfehen des 


göttlihen Worts, welches von allen Gläubigen ‚mit 
frommem Kinn verehrt wurde; da fie aber zugleich das 
Recht ihrer willführlihen Erflärung und Aus— 
legung in Anfpruch nahmen und fich zueigneten, fo durf— 
ten fie wohl beberzt von der Kirche an die Schrift 
appellieven, d. h. an den geduldigen, ftummen Buchfta- 
ben, der fich jedem Sinn fügt und jede Deutung ohne 
Widerftand gefallen laßt, — an das gefchriebene Wort 
Gottes, worin — wie der gelehrte Werenfels fagt — 
jeder feine Lehre . und auch jeder feine Lehre fin. 
den kann. 

Dieß folgenf: chwere Ereigniß nun in ſeinem Urſprung, 
Fortgang und Würkungen gründlich zu beleuchten, 
iſt der Zweck dieſer nächſten Bogen. 

Zu dem für ganze Völkerſchaften und Jahrhunderte 
ſo einflußreichen Geſchäft einer Kirchenreform eigneten 
ſich wohl überhaupt nicht einzelne Individuen, am 
wenigſten dann aber jener Mann, welchen wir nun bald 
näher werden kennen lernen, und der als Haupturheber 
der Glaubenstrennung da ſteht. Wer das größte Hei» 
figtbum der Menſchheit — die vom Welterlöfer nad) 
theofratifcher Fügung auf Erden geftiftete Religion — 
reinigen will, muß — als von Gott dazu berufen — nicht 
nur beftimmt mwiffen, was er will und was er ſoll, 
fondern»er muß auch — von heiligem Antrieb be> 
feelt — demüthig und befcheiden, nicht aber roh, 
heftig und leidenfchaftlich feyn. Gelbit Liebe gegen den 
Feind fol fih mit würdevollem Ernft bey ihm ver- 
einigen; er muß nicht in Widerfprüche fich vermwiceln, 
nicht duch Läfterung und Hader feine Sache unges 
ſtüm durchfegen wollen; er fol feft, planmäßig und befön- 
nen zu Werk gehen; fein ganzes Benehmen fol die 
Göttlichkeit feines erhabenen Berufs beurfunden und 
rechtfertigen. 

Leider aber darf man nur das Thun und Treiben der 
Reformatsren, ihre Anfichten, gegenfeitige Stellung und 


a 


Widerfprüche, kurz nur fie felbft vedend und handelnd mit 
gefhichhtliher Treue darftellen, um fonnenflar zu bes 
weifen, daß nicht fie zu Stüken der wanfenden, bedräng— 
ten Kirche und zur Reinigung der Glaubenslehre von 
Gott auserkoren feyn Eonnten. Bey dDamahligen relis 
giöfen und politifchen Berhbältniffen war ſich in der 
That nicht zu verwundern, daß die Reform fo fchnelle 
Sortfchritte machte und daß viele Fürften ihr fo geneigtes 
offnes Ohr lieben; man darf nur die Mittel betrachten, 
welche dabey in Anwendung gebracht wurden, um alsbald 
einzufehen, daß feineswegs die Kraftdes Evangeliums 
es war, was fo viele -bewog den alten Glauben zu vers 
offen und dem neuen ſich anzufchmiegen, (Wohl nicht 
mit Unrecht fagt einer der neueren proteftantifchen 
Schriftſteller: „Luther gab den Fürften reiche Klöfter 
und Abteyen, den Prieftern Weiber, und dem gemeinen 
Mann ungebundene, Freyheit; dieß that gar viel zur 
Sache. «) 

Gewiß wäre auch der fo friebfertige Leo X., und mit 
ihm die ganze Kirche, noch in manchem Punkt den Re» 
formatoren entgegengefommen, wenn diefe nicht gar zu 
tollkühn und ungeftim ihe Wefen fortgetrieben hätten. 
Man Iefe nur die Bulle diefes Papſts contra. errores 
Martini Lutheri et sequacium, XVII. Cal. Juli 1520, 
worin er mit mildem Ernft den Abtrünnigen in den 
Schooß der mütterlichen Kirche zurückruft. „O gütiger 
Gott! heißt e8 da unter anderm — mas haben wir nicht 
alles gethan, wie fehr haben wir nicht alle väterliche Liebe 
aufgebothen, um ihn von folch Eläglichen Irrthümern 
zurüczuführen.“ Sa, Leo bittet dann dringend „bey der 
Barmherzigkeit Gottes, und bey dem vergoßnen Blut Sefu 
Ehrifti aus tiefftem Herzensgrund, daß die Abgefallnen 
doch nicht ferner den Frieden der Kirche ftöven möchten. * 

Allein, wie weit jene neue Glaubenshelden davon ent- 
fernt waren mit Ubfchaffung Eirhliher Mißbräuche 
fich zu begnügen und Slaubens-Einheit herzuftellen, 


— — 
werden wir num bald ſehen. — Und wer waren denn jene 
Männer, welche es wagen durften die allgemeine Mutter: 
ficche der Neuerungen in den Hauptglaubensfäßen , der 
Serthümer in der Lehre, des Aberglaubens.in den 
Religionsübungen, der Abgötterey in dem. äußerlichen 
Gottesdienſt zu befchuldigen ? 

Ueber die  Schismatifer Deutfchlands und der 
Schweiz werden wir uns umftändlicher verbreiten, da 
uns genugfame Materialien dießfalls zu Gebothe ftehen. 

Sn Schottland fund Knox an der Spike, ein 
Mönchspriefter und fpäterhin feuriger Anhänger Calvins 
defien Lehren ev zuerit in fein Vaterland brachte, mo ex 
alles in Feuer und Flammen verfekte ; ferner Sraf Murray, 
dev natürliche aber fehr entartete Bruder der Marin Stuart, 
welcher aus feinem Klofter zu St. Undreas zur Regierung 
des Königreichs übertrat, und Buchanan (nad) dem Ur— 
theil eines angefehenen Gefchichtfchreibers „der wahnſin— 
nigfte Häretifer, der lügenhaftefte Schriftfteller, der auf- 
geblafenfte, fchamlofefte Menſch auf dem weiten Erdenrund), 
der undanfbare Berläumder der unglücklichen Maria Stuart, 
von welchem verfichert wird, daß er auf feinem Sterbe— 
bette alles widerrufen habe, was er zum Nachtheil der 
Ehre Mariens gefagt hatte. Dieß waren die Presbyte- 
tianer, Englands Reformatoren beftehen aus einer 
Kammer der Pairs — mit Ausnahm jedoch aller 
Bischöfe und mehrerer Lords — aus einer fchwachen Stim— 
menmehrheit: in dee Kammer der Gemeinen, der 
Königin Elifabeth und ihrem Staatsrath. 

Und mwelche Züge biethen fich in dem Charakter aller 
Reformationsurheber dar? Webergehen wir die perfön- 
lihben Beweggründe des Ehrgeizes und Eigen: 
nutzes, welche fie beherrfchten, — ihr fittlihes Be— 
tragen, welches doch in Wahrheit nichts weniger als 
apoftolifch war, — die Xergerniffe der Priefterehen, der 
Mönchsehen mit Nonnen, welche felbft. von einigen der 
gelaßneven Reformatoren verachtet und verlacht wurden; 


aber fragen dürfen und follen wir: welche Stellen beklei— 
beten dann jene Individuen in der geiftlichen Hierar- 
hie? hat Jeſus wohl fie gemeint, als er fprach: gehet 
— lehret alle Völker — id) bin bey euch bis an das End 
aller Tage, mer euch hört oder verachtet, der hört oder 
derachtet mich felbft —? find fie ed, denen Jeſus den hei- 
tigen Geift verhieß, um fie in alle Wahrheit zu leiten? 
Da diefer erhabne Ausſpruch des Gottmenfchen nur den 
Apofteln und ihren Nachfolgern gegolten hatte, — 
da die Apoftel, und nach ihnen die Bifchöfe, allein, von 
den älteften Zeiten her, nach der Anordnung Sefu 
Ehrifti die Kirche regiert und über jede Streitfrage ihr 
richterliches Urtheil gefällt hatten, fo war es leicht, dieſe 
Neuerer zum Schweigen zu bringen, indem man von allen 
Seiten ihnen entgegnen mußte: wer feyd ihr, die ihr 
euch das Recht anmaßt, über die Lehre zu entfchei- 
den, und zu beftimmen, daß diefer oder jener Glaubens— 
fas ein Serthbum fey, — daß dieſe oder jene Disziplin 
det Kirche zum GSittenverderbniß, — daß diefe oder jene 
gottesdienftliche Uebung zur Abgötterei führe, — 
oder die ihr wohl gar das Recht euch anmaßt, eine voll 
ftändige Spaltung in der Kirche durchzufegen ? Ihr feyd 
theils bloße Laien und einfache Gläubige, theils unter- 
geordnete Beiftliche. Bringt eure Befhwerden en, 
erklärt euch über euve Zweifel, eröffnet eure Meinun- 
gen über alle jene Materien, welche euch anſtößig vor— 
fommen, — bittet eure geiftlichen Vorgeſetzten, eure 
Richter — die Bifchöfe, oder dringt — wenn auch noch 
fo ungeftüm — in fie, diefe Gegenftände gründlich zu un 
terfuchen,, aber erwartet dann mit Ehrfurcht ihr Urtheil, 
und nehmt es mit Unterwürfigfeit an! denn fo lau— 
tet der Befehl Gottes; Gehorſam nur ift eure Pflicht 
und euer Antheil an den Angelegenheiten der Kirche. 
Etatt nun aber diefen von Sefu Chriſto felbft 
und den Kirchengefegen vorgezeichneten Weg einzufchlagen, 
betreten fie denjenigen des offnen Aufruhrs, fprechen 


alfer bifchöflihen Macht Hohn, und legen dagegen fich 
ſelbſt ein ſtolzes vorragendes Anfehen bey; fie ftürzen 
die von dem göttlichen Geſetzgeber eingeführte Ord— 
nung um, und ftiften an ihrer Stelle Anarchie; fie pre 
digen und fchaffen überall Spaltungen; fie reißen ges 
wiffermaßen den Leib des Welterlöfers in Stüden; und all 
diefe Verwirrungen belegen fie mit dem glänzenden Nah— 
men einer — Kirchenverbefferung! Man gebe die— 
fem Serfal was immer für einen Nahmen, dennoch bleibt 
es Elar wie die leuchtende Sonne, daß daffelbe immer mit 
dem Charakter der Empörung wird gebrandmarft blei— 
ben, und in dem unauslöfchlihen Flecken des Schisma 
das eben fo unvertilgbare Zeichen der Verwerflichkeit an 
fic) tragen wird. 

Doch, ‚Rvernehmen wir nun die nähere Schilderung 
ihrer Perfonen, wie ſolche theils von ihnen felbft, 
theil8 von ihren eignen Anhängern und Gehülfen 
entworfen wurde, und fodann ihre öffentlihen Ber» 
richtungen im gefchichtlichen Zufammenhang, — beydes 
aus den zuverläßigften Urkunden gefchöpft. 

Da wir bisher wohl größtentheils nur unbegränzte 
Lobeserhebungen ihrer DBefcheidenheit, Sanftmuth, 
Reinheit der Sitten, ihrer ruhigen feften Befonnenheit, 
der Eonfequenz ihrer Anfichten und Handlungen, ihrer 
Gewiffenhaftigfeit, ihrer hocherleuchteten Weisheit, ihres 
heiligen apoftolifchen Eifers, und fo viel andrer rühmlichfter 
Eigenfchaften vernommen haben, — von folchem Nimbus 
aber wenige Spuren ſich darbiethen werden‘, fo unterlaffe 
ich nicht die authentifche Quelle meiner Gewährsmänner 
überall genau anzugeben. Sch ftüße mich bey diefer Arbeit 
auf den Wahlfprucd jenes alten Hiftorifers: „ ebenfofehr 
begeht derjenige einen Fehler, welcher tadelnsmwerthe 
Sitten und Handlungen verhbeimlicht und nicht zu rü— 
gen wagt, wie derjenige, welcher der Tugend und Necht- 
fchaffenheit das verdiente Lob entzieht.“ 

Un der Spitze diefer neuen Glaubensherolde glänzt 


AR 
— 25 — 


der. hochgefeyerte Nahme Martin Luthers, eines Au— 
guſtinermönchs aus Wittenberg, geb. 4483, geſt. 1546. 
Er war nach dem Urtheil fo vieler proteſtantiſcher Schrift— 
fiellev unfrer Zeit „der große Mann,“ „der Mann Got» 
tes ‚“ „die Ehre des deutfchen Nahmens,“ der Mann, 
welcher „einen für unerfchütterlich gehaltenen Thron mit 
feiner Feder ftürzte (77), balb Europa eine andre Geftalt 
gab, auf alle folgenden Jahrhunderte fo mächtig würkte, 
und dabey — als ein ächter Weifer — auch der befchei= 
denfte Mann in der Schäkung feiner felbft, und gutmü— 
thig wie ein Kind.“ (S. 5. ©. Müllers Reliquien alter 
Zeiten, Sitten und Meinungen, u. a. m.) 

Leider ftehen aber folche Apotheofen in bedenklichem 
Widerfpruh mit dem Zeugniß der unbeftechbaren Ge— 
ſchichte. 

Man höre und — ſtaune! —! | 

Wie fchildert diefer große Slaubensheld ſich felbft? 
und wie fchildern ihn feine Mitreformatoren und aus: 
gezeichnete Zeitgenoffen? 

Den vorzüglihen Werth feine Selbfigeftändniffe 
darf felbft Fein Rabulift in Zweifel ziehen; wir werden fie 
inder ihm eigenthümlichen fh mudlo fen Sprache anführen, 

Sm allgemeinen legt er von fich felbft das Zeugnig ab 
(T. V. ad Gal, I, 44), daß er als Katholif noch fein 
Leben mit Faſten, Gebeth, ftrenger Enthaltfamfeit, Keufch- 
heit und Gehorfam zubradhte; ein ganz entgegengefeites 
Gemählde entwirft er aber. von fih als reformierten 
Menfchen in f. Serm. de matrim. p. 119. 

Ueber feinen Beruf zum apoftolifchen Lehramt 
mögen ung folgende Herzengergießungen binlängliche Aus» 
funft geben: „ich trage der ganzen Welt Haß und Feind- 
fhaft, dem Kaifer und Babft mit al ihrem Anhang, 
Wohlen, weil ich hbineingefommen bin, fo muß 
ich feben, und ſagen, es fey recht. Darnach fpricht 
mich dev Zeufel auch davumb an, und zwar hat er mich 
oft mit diefem Argument fat getödtet: du bift nicht 


se 


berufen!“ (S. Nachl. aus Dr. M. Luthers Schriften, 
Mainz 1827. ©. 9.) Ferner 

„Sch kann nicht glauben, was ich lehre, aber 
andre meinen id) fey aufs innigfte überzeugt. Wäre 
ich jünger, fo wollte ich gar nicht predigen, ich würde eine 
andre Befchäftigung wählen. Hätte ich gefehen, daß meine 
Unternehmung ſo ins Weite gehen würde, fo hätte ich 
gewiß das Maul gehalten! Wie viele Menfchen (feufze 
ich) haft du durch deine Lehre verführt! An allen diefen 
Unruhen bift du Schuld! der Gedanfe will mich gar nicht 
verlaffen, daß ich wünfchte, diefen Handel nie angefan- 
gen zu haben, Sn diefer- Beingftigung bin ich gar’ oft 
bis in die Höhle hinabgefunfen. Weil ich aber einmal den 
Handel angefangen habe, fo muß ich ihn nun wohl 
als eine gerechte Sache vertheydigen.“ (S. alte Abend» 
mahllehre, Zweybrücden 1827. S. 304.) 

Sn eben diefem Sinn und Geift hatte er dem Pfarrer 
in Rodhlik, Anton Mufa, melcher ihm mit DBetrübniß 
Elagte, daß er felbft nicht glauben fünne, was er ans 
dern predige, geantwortet: „Gott fey Lob und Danf, 
daß es andren Leuthen auch fo geht; ich meinte, mir wäre 
allein fo.“ 

Nach feiner eignen Ausfage hatte unfer Held auch mit 
dem leibhaftigen Zeufel felbft Unterredungen; zwar fuchte 
man fie als Berläumdung darzuftellen, aber fataler Weife 
findet man fie in T. VIE im Traktat de, sacerd. consecr. 
et miss. priv. Ao. 1534 befonders abgedruckt, und p. 228 
— 230 Wittend. Ausg. 1558 von Luther felbft umftänd- 
lich erzählt. Ueber feinen gar vielfachen Verkehr mit dem 
Zeufel (welchen er häufig auch Sunfer Satan heißt) ent- 
halten feine „Zifchreden“ Frankfurt 4593 mehrere erbau— 
liche Anekdoten, 3: B. „ich hab wohl erfahren, was er für 
für ein Gefell iſt; er hat mir oft fo hart zugefekt, daß 
ich nicht gewußt hab, ob ich tod oder. lebendig fey.“ &. 12. 

„Wenn wir vom Teufel angefochten werden, foll man fa- 
gen: Heiliger. Teufel, bitte für uns; haben wir doch nicht 


a 


wider euch gefiindiget, gnädiger Herr Teufel! Nihm den 
Stab in die Hand, und geb nach Rom zu deinem Diener, 
deffen Abgott du biſt.“ S. 225. „Der Teufel ift ung feind, 
fo ift er dazu Elug; wir, wiffen ‚nicht das fiebenhundertfte 
Theil, was er weit. Der Zeufel kann mir bey Nacht Ar— 
gumente bringen, die mich in Harnifch jagen; er hat mir 
folche Argumente gebracht, daß ich nicht mußte, ob ein 
Gott war oder nicht.“ ©. 168, „Heut, da ich erwachte, 
fam der Teufel und wollt mit mir disputieren, objiziert 
und warf mir für, ich wäre ein Sünder. Da ſprach ich: 
fag mir etwas neues, Teufel; das weiß ich vorhin wohl. _ 
Nun, haft du nicht genug daran, du Teufel! fo habe ich 
auch gefchmiffen und gepinfelt, daran wifche dein Maul, 
und beife dich wohl damit.“ ©. 217. „Darnach warf er 
mir vor: wo haft du die Klöfter in der Welt hingethan ? 
da antwortet ich: da fchlag Bley zu, du magft fehen, mo 
dein Gottesdienft bleibt. Ich halt, daß mid) der Teufel 
oft erweckt, da ich fonft wohl fchliefe, allein darum daß er 
mich veriere und Plage.“ ©. 219. „Er fommt oft und 
wirft mir vor: es fey groß Aergerniß und viel Böſes aus 
meiner Lehr entftanden. Da fett er mir oft hart zu, macht 
mir anaft und bange. Er ift vom Anbeginn nie fo grim- 
mig zornig gemwefen, als jekt am Ende dev Welt; ich fühle 
ihn fehr wohl. Heftig zornig ift er; das verftehe und fühle 
ich oft wohl; er fchläft viel näher bey mir denn meine 
Käthe, d. i. er-macht mie mehr Unruh, denn fie mir 
Sreude.“ ©. 222. „Wenn der Teufel des Nachts an mich 
fommt, mich zu plagen, fo gebe ich ihm diefe Antwort: 
Teufel, ich muß jetzt fchlafen! Wenn er nicht ablaffen will 
und hält mie meine Sünde für, fo fage ich: Lieber Teufel, 
ich habs Regifter gehört; aber ich habe noch eine Sünde 
gethan, die fteht nicht in deinem Regiſter, fchreib fie auch 
an; ich habe in die Hofen gefehmiffen, hänge fie an Hals, 
und mwifch das Maul dran. Zum dritten, wenn er num 
weiter anhalt und dringt hart, und klagt mich an, fo vers 
achte ich ihn und fpreche: Sancte Satana, ora pro me! 


—— 


Heiliger Teufel, bitte für mich, Er wirft mir eben gar 
oft vor: o wie einen großen Haufen Leuthe haft du mit 
deiner Lehre verführt!“ | 

Für feine Confequenz in den Meinungen und 
Anfichten, ſowie für feine Grundfäge felbft mögen 
folgende Stellen zeugen: 

Noch im Jahr 1528 (alfo eilf Sabre nad) Bes 
ginn feiner Reform) fchrieb er: „wir befennen, daß unterm 
Babſtthum viel chriftliches Gutes, ja alles chriftliche Gute 
fey, und dafelbft auch herkommen fey an uns, daß im 
Babſtthum fey die rechte heilige Schrift, vechte Tauf, 
rechtes Altarſakrament und Predigtamt, rechter Schlüffel 
zur Vergebung der Sünden, Ic, fage, daß unterm Babft- 
thum die wahre Ehriftenheit, ja der vechte Ausbund der 
Chriſten fey, und viele fromme große Heilige.“ Sa felbft 
noch im Sahr 1533 ſchrieb er: „In der fatholifchen 
Kirche, unter dem Pabft ift geblieben die heilige Zauf, der 
Tert des heiligen Evangeliums, die heilige Vergebung der 
Sünden, da3 heilige Sakrament des Altard. Wo folche 
Stücke noch geblieben find, da ift gewiß die Kirche und 
etliche Heilige blieben; denn es find alles die Drdnung 
und Früchte Chriſti. Darum iſt gewiß Ehriftus hier bey 
den Seinen gewefen mit feinem heiligen Geift und hat in 
ihnen den chriftlichen Glauben erhalten.“ Sn feiner größern 
Kirchenpoftill fchreibt er: „das ift wahr und unwiderfprech- 
ih, daß folche Gewalt und Macht von Gott der Kirche 
gegeben ift, daß, wen fieinden Bann thut, der ift wahr» 
haftig für Gott verbannet, d. i. in Gottes Zorn und Fluch, 
und aller Heiligen Gemeinfchaft beraubt, wie Chriftus 
fpriht: mas ihr bindet auf Erden, fol auch im Himmel 
gebunden feyn; item: mer die Kirch nicht hören will, den 
folft du halten für einen Heiden und Zöllner, Was fünnte 
aber einem Menfchen ſchröklicheres widerfahren, als wenn 
Gottes und aller Ereaturen Fluch und Bermaledeyung über 
ihn geht, und alles Heils und Troſts ewig muß beraubt 
feiner | J 


Leber die wefentlihe Gegenwart Ehrifti im hei— 
ligen Abendmahl fagt ee — Opp. Jen. T. V. p. 490: „dies 
fer Artikel ift von Anfang der chriftlichen Kicche bis auf 
diefe Stund einträchtiglich geglaubt und gehalten bey 
der griechifchen und lateinifchen Kirch. Welches Zeugniß 
der ganzen heiligen Kirche, wenn wir fonft nichts 
mehr hätten, foll uns fihon genug feyn bey diefem Ar- 
tifel zu bleiben, und darüber feinen Poltergeift zu hören 
und zu leiden. Denn e8 ift gefährlich und erfchred- 
Lich, etwas zu hören oder zu glauben wider das ein- 
trächtig Zeugniß, Glauben und Lehr der ganzen 
heiligen Kirch, fo von Anfang ber nun über fünf- 
zehn hundert Sahr in aller Welt einträchtiglich gehalten.“ 

Wie grell Eontraftieren dagegen folgende Ausfprüche 
und Grundfäße! | 

Sn T. V. Jen. 1557. p. 306. „Unfer Evangelium 
hat Gottlob viel großes Gutes gefchafft. Zuvor hat nie 
mand gewußt was Evangelium, was Chriftus, was Taufe, 
was Beicht, was Saframent, was Ölaube, mag Geift, 
was Fleifh, was DBaterunfer, was Zehn Gebothe, was 
bethen, was leiden, was tröften, was Ehe, was Eltern, 
was Kinder, was Herr, was Knecht, was Frau, was 
Magd, was Teufel, was Welt, was Engel, was Leben, 
was Tod, was Sünd, was Gott, was Biſchof, was Pfar— 
ver, was Kirch, was Chrift, was Kreuz fy. Summa, 
wir haben gar nichts gewußt, was ein Chrift wiſſen fol. 
Alles ift durch die Pabftefel verdunfelt und unterdrüdt. 
E3 find ja Efel, und große grobe ungelehrte Efel in chrift- 
lichen Sachen.“ (Welch jämmerlicher Galimatias!) 

An einer andern Stelle fpricht der befcheidene weiſe 
Mann in peophetifchem Geift: „Laßt uns unfer Evange- 
lium noch zwey Sahre treiben, fo folt du fehen wo Bapft, 
Biſchof, Pfaff, Sardinal, Münch, Nonne, Glocke, Thurm, 
Meß, Vigilien, Kutte, Kappen, Platten, Regel, Statu— 
ten und das ganze Geſchwärm und Gewürm bäbſtlichen 
Regiments bleibe.“ Und nicht weniger befcheiden äußert 


= Me = 


er fich in feinen Zifchreden S. 190. „Yon Gottes Gnaden 
bin ich jeß gelehrter denn alle Sophiften und Theologen.“ 

Ueber das Papſtthum enthält feine größre Kirchen— 
poſtill folgende erbauliche evangeliſche Lehrſätze: 

„Wenn jetz jemand flucht, daß Gott das Babſtum, 
Pfafferey, Möncherey und Nonnerey mit Stift und Klöſter 
ausrotte und vertilge, da ſoll alle Welt ſagen: Amen; 
darum daß Gottes Wort und Seegen durch ſolch Teufels— 
Geſpenſt verflucht, verdammt und verhindert wird in aller 
Welt. An folch giftigem böfen teuflifchen Ding kann man 
die Liebe nicht üben, weil fie toben und wüthen wider Got— 
tes Wort, Geift und Glauben. Summa, diefen Dingen 
fluchen ift ein Werk des heiligen Geiftes, das allein Gott 
dient, und ift ein Werk im erſten Geboth gebothen — außer 
und über der Liebe. Denn wo Gott fein gut Werf oder 
Liebe jemand erzeigt, ift man nimmer fchuldig zu lieben. 
Und wenn ic) könnt alle Welt felig machen auf einen Tag, 
und wäre nicht Gottes Wille, fol ichs doch nicht thun.“ 

„Der Babft ift des Teufels Statthalter, daß nie fein 
Menfch unter der Sonne alfo wider Gott und fein Wort 
getobt und gemüthet hatz er ift der Erzgräuel aller Gräuel.“ 

„Im Babftum ift viel größre Eünd gewefen am Feier: 
tag Sleifch .effen oder ein Pfaff ehlicy werden, al3 zwans» 
zig Ehbrüche oder zehen Morde. * 

„Der BYabft verflucht Chriſtum, fein Wort, und feine 
Saframente, * 

„ Babftum ift des Satans Rotte, vol öffentlicher Ab⸗ 
götterey, Lügen und Mord.“ 

„sn des Babſts Kirchen-Regiment ift nichts überblie— 
ben, das nicht zum Geiz hätte dienen müffen und für Geld 
feilgetragen wäre, Und fonderlicy der große Ratten-KRönig 
zu Rom, mit feinem Sudasbeutel, der iſt erſt der Geld- 
fchlund, fo aller Welt Güter an fich geriffen. Das ganze 
Zeufelsgefchmeiß des antichriftifchen Haufen zu Rom. 
Weh, und abermahl und ewig weh ihnen und allen, die 
es mit ihnen halten (alfo auch Kaifern, Königen, Fürſten, 


— 6 — 


Staaten, dem weit größten Theil der Chriftenheit!?) denn 
ed wire ihnen beſſer, Daß jie nie geboren wären, und da= 
für follten wünfchen und wollen, daß fie ihre Mutter im 
erften Bad erfäuft hätte (!) oder im Mutterleib blieben 
mären, weder daß einer von ihnen Pabft, Cardinal oder 
Pfaff ift worden; denn e3 find doch nicht3 anders als eitel 
verzweifelte, auserlefene, nicht Straßen- oder Gaffenräus 
ber, fondern öffentliche Landräuber; darum hüte fich jeder» 
mann vor ihnen als die da fchon lebendig in Abgrund der 
Höhen verdammt find.“ 

Die Kirche wird von ihm auf die finnlofefte, pöbel- 
haftefte Weife befchimpft. T. VII. Altenb. p. 452 heißt er 
fie „eine abtrünnige verlaufene Ehehur, Haushur, Schlüf- 
felhur.“ „Sa diefe ift die rechte Erzhure, und eigentlich 
eine Zeufelshure. Wenn gleich. dev Babft St. Peter wäre, 
fo wäre er doc) ein gottlofer Bub und Teufel, ja ein ver— 
zweifeltev Gottesböfewicht.“ Eben ſolcher Ausdrücfe bedient 
er fih in der Schrift contra Henr. reg. Angl. Wittenb. 
. 4522., welche überhaupt von den ekelhafteſten, finnlofeften 
Läfterungen gegen die Mutterfirche wimmelt.. So fagt er 
dafelbft unter anderm : „das Babftum ift des Satansfür- 
ften fluchwürdigfte Pet, welche je auf Erden war und feyn 
wird. So lang ich lebe, bleibe ich fein Feind, und habe 
ich meinen Tod in den Flammen gefunden, fo hat er aud) 
dann noch an mir einen doppelten Feind.“ (Daher Luthers 
Wahlfpruch: pestis eram vivens, moriens tua mors ero, 
Papa.) Und an einer andern Stelle dafelbft: „Hier fiehe 
ich und erwarte deinen Anhang, jene verruchte Rotte die 
ich auch nach meinem Tode noch verfolgen und drängen 
werde, auch wenn meine Afche in taufend Meere gewor— 
fen würde. Ich werde nicht ruhen, bis ich den eifernen 
Nacken und die eherne Stirn diefer Fluchwürdigen werde 
zertreten haben.“ Eben fo friedfertig und menfchenfreund: 
lich lautet auch folgendes Geftändnig: T. IX. Wittend. 
©. 465. „Sch kann nicht bethen, ich muß dabey flu= 
chen. Sol ich fagen: geheiligt werde dein Nahme, 


Be 


fo muß ich dabey ſagen: verflucht, verdammt, gefchändet müſſe 
werden der Papiſten Nahme; dein Reich komme! ver— 
flucht, verdammt, verſtört müſſe werden das Babſtum; 
dein Wille geſchehe! verflucht, verdammt, geſchändet 
müſſen werden alle Gedanken und Anſchläge der Babiſten. 
Wahrlich fo bethe ich alle Tage mündlich und mit dem 
Herzen, ohne Unterlaß. Dennoch behalte ich ein gut freund- 
lich friedlich und chriftlich Herz gegen jedermann!“ 
Welch toller Wahnfinn! 

An einer andern Stelle läßt fich der erleuchtete Glau— 
bensheld aljo vernehmen: „Der Babſt ift der Teufel; 
fönnt ich ihn umbringen, warum follt ichs nicht thun, 
auch mit Gefahr meines Lebens. Wenn der Babft das 
Evangelium überzeucht, foll auch jedermann zulaufen und 
todfchlagen den Babit und wer bey ihm iſt, Kaifer, König 
und Fürften (!!) und ihrer nit achten. - Regenten und 
Fürften, die dem römifchen Sodoma gehören, fol! man 
mit allen Waffen angreifen und in ihrem Blut die Hände 
wafchen.“ — Solch wahrhaft gräßliche Meinungen finden 
wir in Menge aufgezeichnet in Luthers „Zifchreden“ und 
in der, „Nachlefe aus Dr. M. Luthers Schriften. “ 

Sm T. IV, ©. 433 „über des Pabfts Lügen“ erklärt 
er ganz naiv : „ich fag mein Urtheil, daß ein folcher Bube, 
der mit folchen Eremplen die Gemwiffen mit falſchem Glau— 
ben verftrickt, würdig wäre, daß nicht allein - ſein Leib, 
fondern auch feine Seele von allen Teufeln in hundert 
taufend Stück zerrigen und zu Pulver würde.“ An einer 
andern Stelle ſagt er: „der römiſche Stuhl verkauft 
Schaamglieder und ftinfende todte Kaiben.“ Die römifch 
Fatholifche Kirche heißt er — (Op. Luth. de Ao. 1544 ) 
„von niemand anderm als dem Zeufel felbft aeftifter,“ und 
ihre Lehre eine „Zeufelslehre. “ 

Und folch wilde, vohe, von wahrer Hirnwuth jeugende 
Aeußerungen wären eines Religions- und Sitten» 

Berbefrers würdig, wären dem göttlichen Evanges 
tum der Liebe und des Friedens, dev edelften Men— 
ee 5 


— — 


fhen- und Feindesliebe angemeſſen? Solche Werk 
zeuge hätte die ewige himmliſche Weisheit zu Her— 
ſtellung der wankenden Heilsanſtalten auserkoren? —! 
Noch haben wir einige Beweiſe anzuführen, wie ſehr 
dieſer Pſeudoapoſtel über die wichtigſten Punkte mit ſich 
ſelbſt in bedenklichem Widerſpruch war, und nur aus 
ſtarrem Eigenſinn der allgemeinen Kirche Hohn ſprach. 
In Betreff der heiligen Schrift ſagt er: „der 
Babſt und ſeine Bapiſten verſtehen nichts in der Schrift. 
Wenn euch aber jemand von ihnen antaftet und ſpricht: 
man muß die Auslegungen der Bäter haben, Wie Schrift 
fey dunfel, fo folt ihr antworten: es fey nicht wahr, 
es ift auf Erden fein Elares Buch gefchrieben, denn 
die heilig Schrift; die ift gegen alle andren Bücher, wie 
die Eonne gegen das Licht.“ An einem andern Ort hin: 
gegen fchreibt er: „es fol fich niemand gedenfen, daß er 
habe die Schrift gefchmect, er habe denn hundert Sahr 
die Kirche mit den Propheten und Apofteln regiert; darum 
ift e8 ein groß Wunderwerf, Gottes Wort zu verftehen. 
Ein einzig Wort in der Schrift auszugründen und gar 
tief zu erholen ift unmöglich, Trutz gebothen allen Gelehr- 
ten und Theologen; denn e8 find des heiligen Geifts 
Worte, darum find fie allen Menfchen zu hoch, trutz 
St. Peter, Paul, Mofe C!) und allen Heiligen, daß fie 
ein einig Wort daraus gründlich verftehen.“ (Ganz 
mit diefer letzten Anficht übereinftimmende Stellen finden. 
fiy) in feinen „Zifchreden*, Sranffurt 1593 ©. 2 b. 3. 
Auch beftätigte er diefe Ueberzeugung von der Unergründs 
lichfeit des Gottesworts noch zwey Tage vor feinem 
Tod, im Febr. 1546 ganz ausdrüdlich!) i 
"Das Fegfeuer hatte er auf der erften, von Herzog 
Georg von Sachfen angeordneten Difputation mit Dr. 
Eccius ganz beftimmt zugegeben, und fchrieb auch hierüber: 
„vom SFegfeuer fol man feft glauben und idy weiß daß 
wahr ift, daß die armen Seelen unfägliche Pein leiden, 
und man ihnen helfen foll mit bethen, faften u. ſ. mw.“ 


— 


Dagegen ſagt er an einer andern Stelle: „das Fegfeuer 
mit all ſeinem Gepräng, Gottesdienſt und Gewerb, iſt für 
ein lauter Teufelgeſpenſt und Pfaffentrug zu achten.“ 

„Von der lieben Heiligen Fürbitt ſage ich und 
halte feſt mit der ganzen Chriſtenheit, daß man die lieben 
Heiligen ehren und anrufen ſoll.“ Dann aber wieder: 
„die Anrufung der Heiligen iſt aus dev Zahl dev antichriſt— 
lichen Mißbräuche einer, ftreitet wider den erſten Haupt» 

artikel, tilget die Erfenntnig Chrifti. “ 

„Wir können nit leugnen, daß die Meffe und zu 
Gottestifch gehen eine Ordnung fey, von Ehrifto eingefekt. “ 
Dann hingegen wieder: „die Meſſe im Babftum ift der 
größefte und fchröclichfte Gräuel, ein Menfchenfündlein, 
von Gott nicht gebothen. “ 

„Der Eheftand ift ein Saframent, und geiftliche 
Deutung Ehrifti und der Chriftenheit.“ Dann aber: „man 
darf auch fein Saframent aus Ehe und Priefterthum 
machen, daß die zwey Sakrament bleiben: Tauf und 
Abendmahl.“ 

Wie oft würde wohl dieſer hocherleuchtete 
Mann (von Cochläus ward er wegen feines Wankelmuths 
und feiner Unbeftändigeit auch Septiceps geheißen) feine 
Meinungen und Grundſätze noch geändert haben, 
wenn ihm ein längeres —— beſchieden 
geweſen wäre?! 

Vernehmen wir nun die Urtheile ſeiner Mitr efor⸗ 
matoren und andrer ausgezeichneter Zeitgenoſſen, 
wie uns ſolche von der parteyloſen Geſchichte aufbewahrt 
wurden. 

Heinrich vm. König von England fehrieb ihm 
(S. Florim. Räm. Fönigl. Raths im Parlament zu Bor- 
deaux Gefch. der Här. III 358). Ich verwundre mich 
immer mehr, daß du dich nicht, wohl wiffend wer du bift, - 
vor dir felbft ſchämſt, dag du es noch wagft deine Augen 
aufzufchlagen vor Gott und den Menfchen, da du doch fo 
unüberlegt und leichtfinnig warft, dich auf des Zeufels 

5 * 


Anftiften zu folch unfinnigen böfen Begierden anreizen zu 
laffen. Du, ein Drdensbruder des heil. Auguftin, warft 
der erfte, der eine Gottgeweihte Nonne mißbrauchte; ein 
Verbrechen, welches vormals fo fireng wäre gezüchtigt 
worden, daß man fie lebend begraben und. dich fo lang mit 
Ruthen gegeißelt hätte, bis du dein Leben: ausgearhmet 
hätteft. Dann haft du fie öffentlich zum Weib genommen, 
haft dir die Borwürfe und Verachtung deiner ganzen Na— 
tion zugezogen, und die Bott abgelegten Gelübde entehrt 
und befchimpft. Kann e3 endlich einen elendern Menfchen 
geben als du bift? Statt dich durch das Gefühl: der 
Schande und des Mißmuths über deine: blutfchändende 
She niedergebeugt zu empfinden, Elender! fo rühmft du 
dich ihrer noch, und ftatt um Vergebung deines fchand» 
vollen Verbrechens anzufuchen, was thuft du! du forderft 
durch Briefe und Bücher andre Pfeudo - Religiofen auf, 
das nämliche zu thun.“ 

Conrad Reif (der erdichtete Nahme von Zwingli, 
wie ſolches damals auch von Beza u. a. m. gar häufig 
geſchah, wovon bey Schlüſſelberg weitläufige Beyſpiele 
angeführt werden) über das: Abendmahl des Herrn B. 2. 
ſagt: „um die Anmaßung und den Stolz Luthers zu be» 
firafen, den er in al feinen Schriften deutlich an. den 
Tag legt, entzog ihm Gott feinen Geift, und überantwor— 
tete ihn dem Geift des Irrthums und der Lüge, der allen 
denen eigen feyn wird, die feinen Meinungen folgen, bis 
fie felbe verlaffen. * 

Die Kirche von Zürich gegen die Confeffion 
Luthers p. 61. drückt fi) fo aus: „Luther nennt ung 
eine abfcheuliche und verdammte Sekte; er hüthe ſich aber, 
daß er nicht ſich felbft fhon dadurch für einen Erzfeker 
erkläre, weil er ſich an die nicht anfchliefen will und kann, 
die Sefum Ehriftum befennen, : Wie fich doch diefer Mann 
auf eine unbegreifliche Art von feinen böfen Geiftern: hin» 
reißen laßt! wie doch feine Sprache ſchmutzig, und alle 
feine Worte vol des Zeufeld und der Hölle find. Er be 


hauptet,, dev Teufel wohne je und immer in dem Körper 
Zwinglis! Wie doc) diefe Verläumdungen aus einer ver» 
teufelten, überteufelten und durchteufelten Bruft hervor⸗ 
athbmen! Wie doch ihre Sprache nichts als eine Lügen- 
fprache ift, die fich nach des Teufels Gutdünfen in Bewe— 
gung ſetzt, eine von ihrem hölliſchen Gift durchaus gefchwän- 
gerte Sprache! Hat man je folches Gerede felbft aus dem 
Mund eines wüthenden Teufels gehört! Alle feine Bücher 
bat Luther aus Antrieb und: unter Diktatur des Teufels 
gefchrieben, mit dem er zu thun hatte, und der ihn durch 
befiegende Bemweisgründe im Kampf überwunden zu haben 
fcheint. “ 

Zwingli in feiner Antwort auf Luthers Eonfeffion 
fagt: „Seht ihr, welche Mühe der Zeufel felbft fich giebt, 
in den Befitz diefes Mannes zu fommen!“ 

Ebenderfelbe im 2 B. der Antwort ©. 454 ſagt 
ferner: „es ift gar feine feltene Erfcheinung, daß Luther 
auf einem Blatt etwas fagt, was er auf dem andern wi—⸗ 
derfpricht, und wenn man ihn oft von den Geinigen um— 
rungen fieht, fo folte man glauben, er fey von einem un» 
‘überwindlichen Haufen von Zeufeln befeffen. “ 

In der Vorrede zu obiger Antwort wirft Zwingli Qu» 
thern vor: „daß er fo oft fich feldft vergeffe, und etwas 
läugne, was er zuvor behauptet, oder behaupte, was er 
kurz zuvor geläugnet habe, und daß er fich in den wichtig» 
ften Materien nur auf die Bücher. berufe, welche er in 
den lebten vier oder fünf Jahren gefchrieben, und 
die Älteren nicht mehr wolle gelten laffen, mwodurdy er 
dann nicht nur diefe, fondern auch jene zugleich verdäch- 
tig mache, indem man annehmen dürfe,. daß er nach vier 
Jahren auch das, was er jetzt ſchreibe, — nicht mehr werde 
gelten laſſen.“ 

Eben diefer Zwingli, entrüſtet, daß Luther ſeine Ueber— 
ſetzung der heiligen Bücher nicht nach ſeiner Erwartung 
aufgenommen hatte, entſchädigt ſich nun ſeinerſeits, lärmt 
tobend gegen jene Ueberſetzung Luthers, und nennt ihn 


einen „Betrüger, der das heilige Wort bald fo bald wies 
der ‚anders umftalte, “ 

Hausfhein (Decolampad) Achweißt aus Baſel an 
Luther, den er vorher beynah vergöttert hatte, „Gott giebt 
uns zu erfennen, daß auch du wie ein Menfch fehlen und 
fallen magft. Aber al unfre Ermahnungen haft du in den 
Wind gefchlagen, und fie nicht allein als thöricht, fondern 
als gottesläfterlicdy verachtet. Des Befehls Ehrifti nicht zu 
vergefien, der. da verbiethet, Schmähwort um Schmäh— 
wort zu geben. : Sch möchte aber ungern als ein folcher 
geachtet werden, für. welchen du mic) „auspläfenieveft“, 
Got verzeych divs! du unglückhaftiger Träumer! es wird 
fich zeigen, ob du oder wir mehr Geifer in die Schrift 
einführen. Du vergleichft die Leuthe, die nicht alsbald 
mit dir einig find, mit dem fiebenföpfigen und einleibigen 
Thier in dev Offenbarung. Du haft das Feuer laffen über: 
hand. nehmen! du allein haft mit Schelt-, Schmach- und 
Drohworten viele in Unruh gehalten und fiehft mit lachen- 
dem Mund zu. KXieber! mwillft du lehren, fo laß deine 
Scheltwort in Wittenberg; fie befren deine Gache nicht; 
mir ift auch nicht im Wiſſen, mie du fie gegen Gott ver- 
antworten werdeft.“ (Darauf ermwiederte Luther: das find 
Doch gedultig ſaufte Leuth; der Teufel walt aber der. Ge— 
dult und Sanftmuth, die ung den Glauben umftürzt.) ı 

Calvin, welcher Luthern noch) zu Anfang der Res 
formation den zweyten Stifter des Chriſtenthums 
genannt hatte, fchreibt nachher — S. Schlüffelbergs Theo— 
logie Calvins, B. 2. ©. 126... „Wahrhaftig, Luther ift 
äußerft laſterhaft; wollte Gott, er hätte fi Mühe gegeben, 
die von allen Seiten in ihm kochende Unmäßigfeit zu: be— 
zähmen! wollte Gott, er hätte mehr daran gedacht feine 
Lafter fennen zu lernen. “ 

An einer andern Stelle befhuldigt Calvin die Lu— 
theraner der tollen Trunfenheit, eynifcher Gottlofigfeit und 
teuflifchen Uebermuths; er heißt fie Schwindelköpfe, Ra— 


buliften, Verrückte, wilde Thiere, Schamlofe, Aufrührer, 
— — u. ſ. w. 

(Im Verfolg gab Calvin auch gegen Luther eine Schrift 
heraus, welche er: Sieg der Wahrheit, oder Untergang 
des Sächſiſchen Pabſtthums betitelt.) 

Als Carloſtad ſich mit ſeiner Frau nach Orlamünd 
an der Saale zurückzog, wußte er ſich bey den Einwohnern 
ſo einzuſchmeicheln, daß ſie ſich herbeyließen, Luthern zu 
ſteinigen, welcher ihm dorthin nachfolgte, um ihn wegen 
ſeiner ſchlechten Meinungen in Betreff der Abendmahls« 
lehre auszufchelten. Luther felbft erzählt T. I. ©. 447. 
Jen. Germ. diefen Borfall in einem Brief an feine Schü» 
ler in Straßburg alfo: „ich mußte froh feyn, daß dieſe 
ChHriften mich nicht mit einem Koth- und Steinregen übers 
fchütteten; viele von ihnen verfolgten mich. und gaben mir 
diefen Segen: geh’ zu allen taufend Zeufeln!- geb und 
brich dir den Hals noch eh du von bier weg fommft. * 
(Worüber Luther höchlich erzürnt, immer heftiger wider 
Garloftad loszog, und fein Bud) contra scelestos et fana- 
ticos prophetas herausgab. ) 

Cochläus fällt über ihn folgendes Urtheil: „die Pro— 
pheten und Apoftel arbeiteten für den Ruhm Gottes, nicht 
aber für ihre eigne Ehre; fie waren nicht hartnädig noch 
übermüthig, einzig für das Heil der Sünder bedacht. Luther 
hingegen ift felbftfüchtig, frarrfinnig, ehrgeizig, und fchickt 
alsbald jeden der Höhle zu, dev nicht feiner Meinung aus 
genblicflich beypflichtet, Sn al feinen Zurechtweifungen 
gewahrt man gar viel harten Stolz, aber gar wenig freund- 
liche oder. väterliche Wohlmeinung. : Als Diener Chrifti 
foüte er nur das Werk des Herrn befördern und zu Her— 
zen faflen, feineswegs aber den zur Verfündung des gött— 
- Tihen Worts vom Herrn geweihten Mund zur Quelle der 
bitterften boshafteften Läfterungen , der ſchmuzigſten Zoten 
und Niederträchtigkeiten herabwürdigen.“* 

Eras mus, der gelehrteſte Mann jener Zeit, welchen 
man überall die Zierde Hollands, die Liebe und das Ent: 


zücken Großbrittanniens und faft aller Nationen nannte, 
fchreibt felbft an Luther: „Ale vechtfchaffnen Leuthe feuf- 
zen über die unglücliche Spaltung, mit welcher du die 
ganze Welt erfchütterft durch deinen ftolzen, unruhigen und 
unbändigen Geift.“ (Wirklich ward damals Luther wegen 
feiner ufurpierten Gewalt faft überall, und wohl nicht mit 
Unrecht, der zweyte Papft geheißen.) 

Eben diefer große Erasmus fehreibt in f. Brief an 
den Cardinal Sadolet — einen der vortrefflichften Männer 
feiner Zeit, von fehr Tiberalen Öefinnungen über die Reli» 
gion, dem Bucer und Melanchton befonders zugethban — 
im J. 1528: ‚Luther verliert nad) und nach die Kiebe feis 
ner Schüler, fo zwar, daß fie fihon anfangen, ihn für 
einen Häretifer zu halten und behaupten, daß er nun, des 
evangelifchen Kichts beraubt, den wahnwitzigen Verirrun— 
gen eines menfchlichen Geifts preisgegeben fey. “ 

Luther Tieferte eine Ueberſetzung der heil. Schrift in 
der Bolfsfprache, worin der gelehrte Emfer in Leipzig 
mehr als taufend Unrichtigfeiten entdeckte; andre Schrift: 
ftellev jener Zeit erwähnen einer noch beträchtlicheren Zahl 
grober Fehler. Zwingli unternahm fie zu prüfen, und er» 
klärte öffentlich: „fie verderbe das göttliche Wort.“ Dies 
fem Urtheil ftimmte auch Ducerus bey. (Soh. G. Müller 
in f. Denfw. aus der Gefch. der Reform. heißt fie hingegen 
„ein Meifterwerf, wodurch ſich Luther nicht bloß um die 
Religion, fondern auch um die Sprache feines Vaterlan— 
des unfterbliche Berdienfte erwarb. *) 

FSlorim. Rämundus heißt Ruthern „den Zodfeind 
aller Zucht und Ordnung, aller Enthaltfamfeit, aller gott» 
gefälligen Bußwerke;“ ev fügt bey: „einem ausgelaßnen 
Wandel und der Unfeufchheit war er fo fehr ergeben, daß 
er nicht nur mündlich, fondern auch in öffentlichen Schrif— 
ten zu erklären fich nicht entblödete: feine Natur fey nicht 
von Holz, fondern von Fleifch und Bein gebildet, er Fünne 
eben fo wenig das mweibliche Gefchlecht als den Wein ent- 
behren, und die Befriedigung der Fleifchestuft fey fiir ihn 


u 73 — 


ſo nothwendig wie jedes andern körperlichen Bedürfniſſes.“ 
(T. I. p. 32. und T. V., 149.) 

Doch um al folche Urtheile befiimmerte fich unfer 
Held ganz und gar nicht; er fagt vielmehr — ſ. Luthers 
Werke, Wittendb. T. VL ©. 344. — „Was liegt mir davan 
daß die Welt mich einen Teufel heißt, wenn ich weiß, daß 
Gott mich feinen Engel heißt; die Engel heißen mich ihren 
Gefellen, die Heiligen ihren Bruder, die Gläubigen ihren 
Bater, die elenden Sünder ihren Heiland, und Gott fpricht 
Sa! dazu, es fey alfo! auch die Engel fammt Creaturen.“ 

Bernehmen wir nody einige Proben feiner ehrbaren, 
geiftlichen und evangelifchen Befcheidenheit: 

Sn der größern Hauspoftil kommt wegen eines fchmwies 
rigen Spruchd der Schrift folgende Stelle vor :-ey du 
grober Hempel, bift du doch gröber als ein Stock; mwillft 
du did) den Spruch fo hart anfechten Taffen ?! die Schrift 
ift gar nicht dunkel und finfter; man fommt viel leichter 
durch die Bibel als durch den Auguftinum oder andre Leh— 
rer und Schreiber; ftatt der Schrift geben ung die Päbſt— 
lichen ihr Gift, Geifer und Dunkelheit ein, ftatt der heil« 
famen Lehre; das haben wir freffen müffen. Spey aus, 
wer da fpeyen fann!«“ Im Traktat von der babylonifchen 
Gefangenfchaft heißt er eine gegnerifche Schrift: „Geſtank 
eines übelriechenden Sch..£haufes, Koth, Wuft und Dr.“ 
und endet mit dem erbaulichen Spruch: „kämpf ich mit 
Dr—, Dr— bfcheißt auch mich.“ | 

In feiner Schrift gegen den König Heinrich VII 
von England nennt er ihn einen „Stocdnarren, Gaugler, 
groben plok, — einen lügenhaften giftigen Thomiften, der 
doc) wirdig wer daß man ihn mit der rutten auf den Arß 
ſtrich, — groben efel, feyßte Sam, verdammtes Nas, Un» 
geheur — verruchten Schurken, gekrönten efel, Tefterlichen 
tippel, unveinen geiftlichen dieb , Iugenbaftigen fünig, ver- 
worfnen Taugenichts, unfinnigen fchandbaren tollen Gott» 
dieb, mörder, geferbten efel, eingefleifchten Teufel“ u. few. 

Wahrlich man darf faum feinen eignen Augen noch 


ze 


trauen, . wenn ‚man in manchen Schriften des „großen “ 
Mannes bald auf jedem Blatt folch hivnlofen Läfterungen 
begegnet. $ | 

Wie er fein feyerliches eidliches -Gelübde der Keufch- 
heit brach und eine dem Kloſter entlaufene Nonne heira- 
thete, melche ebenfalls ewige Keufchheit geſchworen hatte, 
wiffen wir. bereits fchon; über diefen Schritt verwunderten 
fi) feine eifrigften Schüler und Freunde gar höchlich, be— 
fonders weil er ihn zu einer Zeit that, wo in ganz Deutſch— 
land Verwirrung herrfchte. Aber höchft auffallend ift es, 

daß Luther, welcher als Katholik — feinem eignen Geſtänd— 
niß zufolg — fein Leben in Strenge, mit Gebeth, Faften, 
Armuth und Gehorfam zubrachte, dem damahligen Land- 
grafen von Heffen erlaubte (wie es weltkundig ift), zu feis 
ner erften Gemahlin, ohne vorherige Ehetrennung, noch 
eine zweyte zu heirathen, — und als er in der Folge die 
Befanntwerdung der Sad) fürchtete — im Sahr 1540 ſchrieb: 
„ehe ich die Sach öffentlich wollte vertbeidigen, eher wollte 
ich leugnen, daß ic und Mielanchton die Antwort (Era 
laubniß) geftellt hätten.“ 

Sm Commentar zur Genes. 4525 billigte er die Biel- 
weiberey ganz ausdrücdlich, indem ſolche nirgends im 
evangelifchen Gefeß verbothen werde und fich um fo weni— 
ger dagegen einwenden laffe, da auch Abraham, David 
und andre große Männer davon Gebrauch gemacht haben. 

AS mit Luther einft von der Keuſchheit gefprochen 
ward, gab er. einen Rath, der wohl auch aus dem Mund 
eines Reformators des Chriſtenthums feltfam genug Elingt. 
(S. Zifhreden, Eisleben ©. 389.) „Narven feynds, die 
fidy mit bethen, faften und andren Kafteyungen wider Die 
böfe Luft wehren, dann diefen tentationibus und Anfech- 
tungen ift noch leicht abzuhelfen, wenn nur Sungfvauen 
und Weiber vorhanden find.“ Aehnliche Stellen finden 
fih in f. Tifchreden ©. 305 und — wo möglich noch är— 
gerlichere in f. Zraftat vom ehlichen Leben 4522. Wie 
veimte aber der fromme Bibelforfcher diefes mit Mare. 


— 1 — 


XIII, 33. Math. XXV, 13, 4 Pet. V, 8 4 Theſſ. II, 
43. Röm. VIIL43. 4 Cor, IX, 27. Gal. V, 16—23 
zufammen? Widerfprechen nicht folch anftögige Lehrmeis 
nungen den wefentlichften Gebothen des Ehriftenthums? 

Allein noch entfchiedener fprechen fich Luthers wahr— 
"haft eynifche Greundfäge über diefen Punkt in folgender 
Stelle feiner 'serm. de matrim. aus, welche ic um ihres 
alzuunzüctigen Gehalts willen nur im Urtert mittheile: 
„Quam non «est in meis viribus situm ut vir sim, tam non 
est mei Juris ut absque muliere sim. Rursus ut intua manu 
non est ut femina non sis, nee in te est. ut absque viro degas. 
Non enim libera est electio aut constlium, sed res est ne- 
cessaria ut marem femin®, feminam mari sociari oporteat. 
Præceptum Dei:  crescite et multiplieamini est preceptum 
divinum, puta opus quod non est nostrarum 'virium vel 
ut: impediatur vel ommittatur, sed täm est necessarium 
quam edere, bibere, purgare alvum, muenm emungere, 
dormire et vigilare. Est implantata natura, non secus ac 
membra ad eam rem pertinentia.“ Wir mwerden im Der: 
folg ſehen, mie emfig diefe Grundfäße beym gemeinen Volk 
verbreitet, und mit welcher Bereitiwilligfeit fie befolgt wur— 
den! Nee tantum viris ille auctor fuit ut uxori renuenti 
aneillam substituerent, verum etiam uxoribus suasit — id 
quod Georgius Saxonie Dux in epistola quadam ipsi re- 
probat — ut viris pensum non absolventibus famulos suc- 
centuriarent. Solche und mohl auch noch grimmigere Stellen 
finden fidy in Luth. Op. Wittenb. T. VL. p. 421 und in 
Cap. VII. Ep. ad Cor. 1523. 

Wir können uns hierbey der wiederhohlten Frage nicht 
enthalten: war folch ein Charakter — foich eine Ge’ 
müthsart — waren folche Lehren und Grundfäße 
geeignet, den göttlichen Beruf zur Umsgeftaltung und 
Reinigung der nom Himmel geoffenbarter Religion zu 
beurfunden?! — 

Noch bleiben einige dogmatifche Kernfprüche Luthers 
übrig, welche wir nicht unberührt laffen können. — 


„Wer glaubt, kann nicht verdammt werden, wenn 
er auch fhbon gern wollte; er mag Sünden thun fo 
oft und fo groß er will, wenn er nur nicht ungläu» 
big wird.“ T. II. de * bab. p. 271. 

„Wir fchliegen gemwaltiglich mit &t. Paulus, “ fagt 
ev T. V. Wittenb. p. 60. 89. 91., „daß der Glaube ohne 
alle Werfe rechtfertigt.“ Ferner: „Alſo fiehft du, wie 
veich ein Ehriftenmenfch oder Getaufter fey, der, wenn er 
auch will, feine Geligfeit nie verlieren fann durch 
die Sünden, fie mögen fo groß feyn als fie wollen, es ſey 
denn, daß er nicht glauben wolle.“ 

An einer andern Stelle — op. Wittenb. T. VII. p. 34 

— fagt er „daßdie Frommen, die Öutes thäten, um 
das Himmelreich zu erlangen, es nie erlangen, fondern 
vielmehr unter die Hottlofen gehören, und daß wir ung 
mehr vor den guten Werfen als vor den Sünden zu 
hüthen hätten.“ Daher erklärte auh Amsdorf, Luthers 
Freund, Schüler und Gehülfe, „daß die guten Werke nicht 
nöthig, fondern wohl gar ſchädlich zur Seligkeit feyen.“ 
- Adv. maj. Wittenb. 4552. 
Eben fo behauptet Luther — S. Nachlefe aus M. L. 
Schriften ©. 626, 629. — „der Glaube ohne alle Werfe 
würft Vergebung der Sünden. Die Katholifen lehren: der 
Glaube an Ehriftus macht zwar felig, aber man muß zu» 
gleich Halten die Gebothe Gottes, weil gefchrieben 
ſteht: willft du zum Leben eingehen, fo halte Gottes Ge— 
bothe. Das ift aber Chriſtum verläugnet, und den Glau— 
ben vertilgt, weil man den Gebothen Gottes und dem Ge» 
fe zueignet, was Chrifto allein zugehört.“ 

Ganz anders lehren freylich die großen Kirchenväter 
(von welchen doch fonft auch Luther bisweilen mit tiefiter 
Ehrfurcht fpricht) 3. B. Augustinus de fide et operibus. 
Und in manchen Stellen des N. 2. wird geradezu „ein mit 
guten Werfen verbundner Glaube“ gefordert, 3. B. 
Sac. II, 17; aber gerade deßwegen wird die Canonicität 
diefes Brief3 von Luther in Zweifel gezogen, . und devfelbe 


— 1 — 


von ihm eine ftroherne Epiftel genannt — Op. Jen. T. 1. 
p. 431. „denn fie doch Fein evangelifch art an ir hatz ich acht 
fie für feines apoftels fehrift. Jacobus narvet wenn er fagt 
die Früchte machen gerecht. Darum follen die widerfacher 
ſich mit ivem Jacobo hinmwegtrollen.“ | 

Un einem andern Ort heißt er das Buch Hiobs ein 
„Fabelbuch,“ und den Brief an die Hebrier eine „Schrift 
voll. Serthümer. “ 

So dachte, Lehrte, und handelte der von manchen neuen 
angefehenen proteftantifchen Schriftftellern al3 „Mann Got- 
tes“ — als die „Ehre des deutfchen Nahmens“ — als „ächter 
Weiſer * gepriefene, hochgefeyerte Urheber der Glaubens» 
Änderung. Wohl hatte ihn Plank inf. Geſch. der Ent— 
ftehung des prot. Lehrbegr. richtiger beurtheilt, wo er fagt: 
die Ausbildung unfers Lehrbegriffs war nicht das Werk ruhi— 
ger Prüfung oder eines befonnenen gelehrten Spefulationg- 
geifts, fondern dev Streitfucht, mehr durch gefränfte 
Eigenliebe —  beleidigten Stolz; und andre noch 
untheologifchere Motive, ald aber ducch veinen Wahr» 
heitseifer geleitet.“ Eben fo richtig behauptete Sartorius 
in f. Gefchichte ©. 42: „einen Plan mit umfaffendem Geift 
entworfen und mit Feftigfeit ausgeführt, hat Luther ganz 
- und gar. nicht gekannt.“ Und ein berühmter Proteftant, 
der Kanzler I. P. Ludwig erklärt ganz naiv: „die erfte 
Urfache der Reformation fey der Verdruß gewefen, den 
Luther ald Auguftinermönch gefchöpft habe, daß man die 
Ablaßbriefe den Auguftinern entzogen und den Dominifas 
nern anvertraut habe. Ohne dieß wäre ihm nie in den 
Sinn gefommen, das große Werk der Reformation gegen 
den Papft zu beginnen, “ 

+ Die gefchichtlichen Beweife für diefe Behauptungen 
werden fich ung im Verfolg noch darbiethen. 

Wir fihliefen diefen biographifchen Umriß mit der 
Demerkung, daß Luther in feiner frühen Jugend für Die 
Gerichtsftube beſtimmt war, daß er aber — als im 3. 1505 
auf einer Reife zu feinen Eltern ein Blitzſtrahl einen feiner 


Sreunde an feiner Seite erfchlug — den Entfchluß fafte, 
‚der Welt und ihren Gefchäften zu entfagen und in ein 
Klofter fich zurüczuziehen. Dafelbft verlegte er ſich emfig 
auf dad Studium der Theologie, gab darüber Vorlefungen, 
predigte mit Beyfall, und las befonders gern den heiligen 
Auguftin,. Allein die Schwierigkeit der Zeitumftände und 
der Mangel an gedrucdten Werfen geftatteten ihm Feine 
vollftändige Befanntfchaft mit dem Alterthbum. Dennoch) 
fieng er fchon mit dem 32; Sahr an, feine Meinungen 
fund zu geben, und ſprach bereits das Vorhaben aus 
„die Welt zu reformieren.“ 

Wenden wir uns nun zu Ruthers vertrauteftem Freund 
und Schüler: Philipp Melanchton, geb. zu Bretten 
in der Pfalz 1497. geft. 1560. 

Diefer merkwürdige, ausgezeichnete Mann ( Adoptiv- 
fohn Joh. Reuchlins, welcher feinen ‚Familiennahmen 
„ Schwarzerd“ in den griechifchen umänderte —) war 
fhon im vierzehnten Jahr Magifter, und dann als acht» 
zehnjähriger Süngling felbft vom großen Erasmus bes 
wundert morden, indem derfelbe in f. Borr. zum N. 8. 
41545 fchrieb: „Diefer Philipp berechtigt in Wahrheit 
ſchon als Süngling — oder vielmehr noch Knabe — zu 
den größten Erwartungen; wie ungemein bewandert ift er 
in allen Wiffenfihaften! welcher Scharffinn! welche Rein- 
heit der Sprache! welche Gedächtnißfraft! welche vortref- 
flihe Gemüthsart leuchtet aus ihm hervor. !“ Dann ward 
er fihon in feinem 24. Kebensjahr 4518. vom Churfürft 
Friedrich von Sachſen, aus Thüringen als Profeffor der 
griechifchen Sprache nach Wittenberg berufen, und ver— 
heivathete fi im 24. Sahr. (Im den geiftlichen Stand 
war er niemahls getreten). ° In Wittenberg fand er 
Luthern, mwelchen er bald Tiebgewann und feinen Vater 
nannte; auch war ex — nach dem eignen Geftändniß der 
Schüler Luthers — der einzige, welcher auf ihn Einfluß 
hatte, fo zwar, daß er, im Verfolg bey jenem heftigen 
Streit mit Erasmus über den freyen Willen — wo in 


—— 


der That Luther mit der Vernunft ſelbſt den Krieg be— 
gann — ihn dennoch zu bezähmen und zu belehren ver— 
mochte: Sich ſelbſt pflegte Luther (T. IH. p. 488) den 
Elias, feinen Liebling Melanchton aber den Jeremias zu 
nennen, und äußerte dabey oft: „Ber Melanchton verach- 
tet, muß feldft verächtlich feyn.“ Deſſen loci communes 
rerum theologicarum galten bey Luthern ungemein viel; 
er hielt fie den canonifchen Büchern gleich werth, ja er 
fprach fogar den Wunſch aus, daß alle andern Bücher möch» 
ten vernichtet werden und dieß allein nur übrig bleiben. 

Peter Martyr nennt ihn einen „unvergleichbaren 
Mann,“ und z0g ihn hinfichtlich wiffenfchaftlicher Bildung 
dem Luther nody vor. 

Allgemein wird feine Gemüthsart aufs vortheilhaftefte 
gefchildert, und feine Schriften als gemäßigt, vubig über» 
legt und durchdacht und friedfertig gelobt; auch ift bekannt, 
daß er immer aufs äußerſte bedacht war in Hinficht des 
fittlichen Wandels doch ja nicht die geringfte Blöße zu 
zeigen. Sein friedfertiger Sinn gieng fo weit, daß er 
auch gegen feine Gegner fich jeder Vertheidigung enthielt. 
Daher schreibt Erasmus (im erften Brief an Sul. Plug) 
„dag er auch bey den Katholiten in Anfehen geftanden, 
und fogar unter den Gegnern feiner ihm würklich aufſätzig 
geweſen ſey.“ 

Im Verfolg der Zeit ward er der Episkopal-Verfaſ— 
ſung um vieles geneigter, und behauptete auf dem Reichs— 
tag zu Augsburg 1530 gegen die Seinigen ftandhaft die 
‚Meinung, (welche auch Luther billigte — ja zuerft ange- 
rathen hatte) den Bifchöfen die frühere geiftliche Gerichts» 
barfeit zu überlaffen, wenn fie ihrerfeits die evangelifche 
Lehre nad Inhalt der Konfeffion zu predigen bewilligten. 
An Camerarium ſchrieb er: „o wie fehr wünfchte ich — 
die Wahrheit zu geftehen — die bifchöflihe Verwaltung 
herzuftellen, ohne um deßwillen den Mißbrauch ihrer Herr— 
{haft zu beftätigen! denn was für ein Schickfal wartet 
unfver Kicche, ſobald einmahl die geiftliche Zucht und Ord— 


Be 


nung zerftört feyn wird; gewiß wird die Tiranney uner- 
träglicher werden als je bisher.“ Und Luthern geftuhnd 
er: daß ihre Anhänger nur für fich jelbft, nicht für das 
Evangelium ftreiten, und „daß einige ihn nur darum lie- 
ben, weil fie durch ihn zu hohen Stellen und zu einer 
Freyheit gelangt feyen, welche dev Nachkommenſchaft fehr 
ſchädlich werden dürfte. * 

Nicht lange vorher rieth er dem Landgrafen Philipp 
hauptfächlich auf Herftellung der mwefentlichftien Glaubens» 
artifel und Verbeßrung des Lebens mittelft reiner Lehre 
bedacht zu feyn, unfchädliche Gebräuche aber ftehen zu 
laſſen, welches nicht nur nöthig, fondern der chriftlichen 
Liebe gemäß fey, indem diefe die Schwachen nicht ärgern 
wolle; Chriftenthbum beftehe in Gottesfuccht und Menfchen- 
liebe, und es fey zu wünfchen, daß die Prediger mehr 
hiervon auf der Kanzel veden möchten, jtatt ewig nur 
gegen den Papft zu läftern.* | 

Dom Reichstag in Augsburg aus — 1530 — fchrieb 
er an feinen Bruder Georg: „gerade was mein Herz am 
meiften angreift, muß ich erfahren. Armuth, Hunger, 
Berachtung und andre Uebel will ich gern erdulden, aber 
was mich ganz niederfchlägt, ift Zank und Streit; dazu 
bin ich völlig untauglich.“ 

Sn feinen Bifitationsartifeln 1527 fuchte er befonderg 
auch das „ewige Schimpfen der Pfarrer gegen den Papfı“ 
abzuftellen. „Wenn fie eine Stunde predigten — fagt er — 
fo waren drey Theile davon mit Schmähungen wider den 
Papſt und die Bifchöfe verlaufen.“ 

Melanchton war überaus ängſtlich und. vorfichtig. 
Camerarius fah ihn oft bittre Thränen weinen ;-mwilde 
Theologen, wie Dfiander und mehrere diefes Gelichters, 
klagten ihn häufig bey Luther der Zaghaftigkeit an, der» 
drehten feine Aeußerungen, und legten ihm fchon damahls 
‚alles falfh aus. 

An Joh. Bapt. Hencelium fchreibt Melanchton 
p. 397 „daß er oft, wenn ee die Elbe wachfen und fchäus 


ir 


men ſehe, mit Seufzen gedenfe, daß er feine Traurigkeit, 
die er in feinem Herzen nun in die dreißig Sahre gehabt 
wegen des Streits von der Abendmahllehre, nicht fünne 
genugjam erklären, wenn er fihon fo viel Thränen ber 
gieße, als Waller in der. Elbe Taufe.“ 

Sein Wanfelmuth und Pyrrhonismus waren Übrigen 
befannt genug; fo oft er von irgend einer Difputation mit 
den Katholifen fam, war er traurig und niedergefchlagen; 
oft fagte er dann: „diejenigen fcheinen ihm albern und 
wahnfinnig zu feun, weiche Ölaubensmeinungen vortragen. 
ohne fie im mindeften mit —n der alten Kirche be— 
legen zu können.“ 

Calvin — in epistolis — wirft ihm überall Klein 
muth vor (fowie auch Blauverus in f. Br. an Calvin vom 
S. 1558) und fohreibt ihm unter andern: „dieweil du diefe 
Lehre vom Abendmahl als eine Klippe flieht, damit du 
nicht etliche Leuthe erzürnft, machft du viele zweifelhaft, 
die von dir etwas Gewiffes erwarten, darauf fie fich ver: 
laffen und dabey mit gutem Gewiſſen verharren fünnen; 
denn es ſteht ung gar nicht wohl an, daß wir die Lehr 
nicht einmahl mit Dinte auffchreiben wollen, die doch fo 
viel heilige Leuth mit ihrem Blut zu bezeugen fich nicht 
gefcheut haben, wie ich die wohl ehe fchon gefagt babe,“ 
Und an einer andern Stelle feiner Briefe von 4551 und 
4553 an Melanchton fchreibt er: „Nun ung der Herr zum 
Streit auf die Bahn zieht, müfjen wir defto fleigiger ſeyn. 
E3 bat mit dir eine andre Gelegenheit als mit vielen, mie 
du weißt; es ift viel eine größere Schande, wenn ein 
Dberfter und Hauptmann fich fürchtet, als wenn ein ge» 
meiner Kriegsmann die Flucht ergreift. Alſo haft du 
mehr Klagen und Seufzen erregt mit deinem Nachge— 
ben, als hundert gemeine Leuthe durch ihren Abfall.“ 

. Manche Anhänger feines Bekenntniffes fällen ähnliche 
Urtheile über ihn. Im Colloq, Altenb. von 1568 heißt 
es p. 502, 503: „die Lutheraner erklärten in öffentlicher 
Synode, er habe über das Primat des: Papfis, über die 

& 


a en 


Rechtfertigung durch den bloßen Slauben, über das Abends 
mahl, über die Freyheit des Willens fo vielfältige abwech— 
felnde Meinungen geäußert, daß die Schwachen, durch 
folhen Wanfelmuth irregeführt, über all jene Fundamen- 
talfragen in beftäindigem Zweifel waren, und daß ein großer 
Theil abgehalten wurde, fich der Nugsburger Eonfeffion 
anzufchließen. Durch Das ftete Ummodeln feiner Schrif: 
ten habe er nur zu oft den Päpften Beranlaffung gegeben, 
diefe Iaunigte Berfchiedenheit zu verwerfen, und babe zus 
gleich die Gläubigen dahin gebracht, daß fie am Ende gar 
nicht mehr wußten, an welche diefer Meinungen fie fich 
‚ halten follten, um die ächte Lehre zu finden. Auch fagen 
fie ferner, daß fein berühmtes Werk loci eommunes rer. 
theol. weit füglicher joci communes genannt werden 
fönnte. “ | 

Schlüffelberg nimmt fogar feinen Anftand zu er— 
fläven: „daß Melanchton, von einem Beift der Verblen— 
dung und des Schwindels ergriffen, in der Folge von 
einem Irrthum in den andern fiürzte, und es am Ende 
fo weit brachte, daß er felbft im Zweifel ſtund, was er 
dann eigentlich glauben follte,“ Er fekt hinzu: „Melanch- 
ton hat fich gegen die göttliche Wahrheit aufgelehnt, ihm 
zur Schande, und zur unauslöfchlichen Befchimpfung feir 
nes Nahmens.“ 

Sn einem Brief an Fr. Myconius, Prediger in Gotha, 
fchreibt unfer ängftlicher Reformator: „es fcheint, daß die 
ihren Streit noch nicht genug verftehen, die fo leichtlich 
neue Lehr ausfprengen und auf ihren Wik mehr bauen, 
als auf die heil. Schrift; ich weiß, wie bald folche ſpitz— 
finnige Gedanken in der Anfechtung verſchwinden, befon- 
ders in diefer Sach, die der ganzen Kirch fo gräuliche 
Deränderung droht. Sch bleibe bei der Elaven Meinung 
der alten Kirch und der heil. Schrift, daß der Leib 
Chriſti im Abendmahl wirklich und wahrhaft zuge— 
gen ſey“ u. ſ. m. 

An Mart. Gerolitium fehrieb ev kurz und —— 


„ich will lieber fterben als der. Zwingliſchen Irrlehre bey- 
pflichten.“ 

Wie ſehr ihm die in der Kirche überhandgenommnen 
Zerwürfniſſe zu Herzen giengen, iſt auch aus ſeinen im 
J. 1535 an den König in Frankreich geſandten „Rathſchlä⸗ 
gen zu Beſeitigung der kirchlichen Streitigkeiten“ erſicht— 
lich, worin er unter anderm dem Papſt eine monarchiſche 
Gewalt und Anſehn zugeſteht, hauptſächlich zum Behuf 
allgemeiner Uebereinſtimmung in der REN unter 
den Ehriften. 

Wankelmuth und Zweifelſucht ſchienen ihn übrigens 
bis an fein Lebensend verfolgt zu haben. Daß. er die 
Augsburger Eonfeffion verfaßt und dabey Luthers erften 
zu Torgau gemachten Entwurf zum Grund gelegt habe, 
auch hierin von feinem Meifter — welcher in Coburg beim 
Kurfürften zurückblied — fehr thätig mit Rath und Er- 
munterung. unterftüßt ward, Liegt gefchichtlich am Tag. 
Nah Schlüffelbergs Behauptung wurde er im S. 1542 
Luthern abtrünnig und neigte fi) nach dem Collegium zu 
Worms auf die Salvinifhe Seite. Dieß verfichert auch 
P. Martyr in Dial. p. 107, Beza cont. Westph. und 
in ſ. Creophag. p. 80. &ben fo behauptet Thom. Nao— 
georgus in Ind.: „Melanchton hat nicht dürfen bey Leb— 
zeiten Lufhers öffentlich befennen, was er vom Abendmahl 
glaubte, wie aus deffen Comm. in ep. ad. Col. und feiner 
Antwort an den Kurfürften nad) Luthers Tod, klar her— 
vorgeht. Diefen Abfall Melanchtons von den Lutheranern 
zu den Calviniften beftätigen auch Pincierus in Antidoto, 
Lavater in hist. sac., Sof. Simler in vita Bulling. 
und hauptfächlicy) das Zeugniß des Mag. Io, Calvan- 
ders, Predigers in Braunfchweig. 
| Nach Luthers Tod gab er defien Werke — jedoch mit 
wefentlichen Abänderungen und ſehr verftümmelt — her— 
aus, worüber auf der Synode in Leipzig 4548 verhandelt 
und vielfeitige Klage geführt ward. Nun erlaubten. fid) 
feine Gegner, meiftens ehemahlige Schüler, die vogeften 

6* 


= m: 


Läfterungen wider ihn, wie z. DB. Flacius, Oſiander und 
Andrei; am heftigften tobten und wütheten Weftphal und 
Heshufius. (Keitrer ein wahrer Tollhäusler, welcher 
einft in einer Predigt den Nahmen des Teufels mehrere 
hundert Dahl nannte.) 

Aus den „gerechtfertigten Montauban 1662“ kennen 
_ wir die durch ganz Deutfchland und Europa erfchollene 
Antwort an feine ihn zjärtlichft Liebende Mutter auf die 
Frage: ob fie in der Eatholifchen Kirche bfeiben oder zu 
der neuen Religion übertreten fole? „In diefer — ent: 
gegnete er, — ift beifer zu leben, in jener aber ift bei» 
fer zu fterdben.“ Worauf dann auch die Mutter ihrem 
alten Glauben treu blieb. 
Diefen Vorfall berichtet Morus lib. 2. de Miss. Fr. 
Mont. in ver. def. mit etwas verfchiedenen Umftänden, wie 
folgt: An Melanchtons Sterbebette ſprach feine Mutter: 
„mein Sohn, du weißt daß ich dem alten Glauben zuges 
than war und durch dich verleitet wurde, demfelben zu ent« 
fagen und eine andre Religion als diejenige, welche meine 
Boreltern befannten, zu ergreifen. Nun befchmwöre ich dich 
beym lebendigen Gott, daß du mir fageft, welche Religion 
die befre fey, und dag du mir in diefer Sache doch ja 
nichts verhehleft. “ Hierauf fagte Melanchton mit lauter 
Stimme, daß alle Umftehenden ihm deutlich) vernehmen 
fonnten: die neue hat den meiften Schein, die alte 
‚aber. die meifte Sicherheit für ſich“ Cilla plausibilior , 
. hee securior.) 
Als er fterbend von ſeinen anweſenden Collegen gefragt 
ward: ob er noch einen Wunſch auf dem Herzen habe? 
antwortete er: „feinen, als die Einigkeit der Kirche!“ 
worauf er nach wenigen Gtunden in f. 63ften Lebensjahr 
entſchlief. 
Wenden wir uns nun zu einem andern Koryphäen 
der Reformation: Johann Calvin: (Cauvin), Pfarrer 
in Pont bey Nyon, geb. 1509, geft. 1568. 

Aus Frankreich fich flüchtend, um gerichtlichen Vers 


a — 


folgungen zu entgehen, verfügte er ſich nach Deutfchland, 
wo fein erſtes Gefchäft war diejenigen aufzufuchen, weldye 
damals alle Köpfe in Bewegung fekten und alle Gewiſſen 
erfchütterten. In Bafel wurde er durch Bucer, ehvorigen 
Dominifanermöndh, dem Erasmus vorgeftellt. Diefer 
hörte blog ruhig zu, ohne jedoch Durch die Meinungen der 
Neuerer fich hinveißen zu laffen; da er fich längere Zeit 
über Religionsgegenftäinde mit ihm unterredet hatte, ward 
er. über das, was er in der Seele diefes Menfchen las, 
fo fehr betroffen, daß er fich zu Bucer wandte, und — 
feinen Blick auf den jungen Calvin heftend — fagte: ich 
befürchte den Ausbruch eines fchlimmen Kampfs in der 
Kicche gegen die Kirche. 

Der unduldfame und rachgierige Geift diefes, nur 
allzuberühmt gewordnen Mannes drückt ſich am deutlich» 
ften in einem feiner Briefe an den Marquis de Poet aus: 
„mac, dir nicht das geringfte Bedenken, all jene eifrigen 
Schwärmer im ganzen Land auszurotten, melche die 
Völker gegen uns bearbeiten und unfre Aufführung mit 
fhwarzen Farben fchildern. Solche Ungeheuer müffen 
erftickt werden. mie es dem Spanier Michael Servet 
ergieng.“ Das Driginal diefes Brief wurde zu Monteli» 
mart in den Archiven des Marquis aufbewahrt, Man 
behauptet, Voltaire habe im Jahr 1772. eine authentifche 
Abfchrift davon begehrt und erhalten, und nachdem er ihn 
gelefen, habe er Verſe gegen Calvin als Re hin⸗ 
zugefügt. 

Auch Grotius in ſ. voto pro pace fagt und, daß 
Salvin und Beza all ihre Gegner im Punft der Dreieinige 
Eeitslehve durch Feuer oder Schwert vertilgt wiſſen 
wollten. _ Servets Schriften wurden auf Calvins Ans 
trieb nicht nur in Genf, fondern auch andermärts ver- 
brannt; auch behauptet Grotius. ganz ausdrücklich, daft 
Servet durch Calvins Anreikung zum Scheiterhaus 
fen fey veritetheift worden, — mas von Maimbourg hist. 
du Calv, und andren gleichzeitigen Schriftſtellern ebenfalls 


ee 


beftätigt wird. Daß die Anklage von Calvin ausgegan« 
gen war, hat diefer ſelbſt geftanden, und in einem Brief 
an Farel die Hoffnung ausgefprochen, daß die Zodesftrafe 
iiber Servet werde verhängt werden. (MWebrigens erklärt 
Grotius zugleich in gedachter Schrift, daß er in Gervet3 
Abhandlung feineswegs das gefunden habe, was ihm Kal: 
vin vorwarf.) | 

Die falfcher Meinungen Calvins über die Xehre von 
der Dreyeinigkeit reizten gegen ihn den Eifer eines Man— 
ned, der fonft feine Begriffe über die GSaframente und 
andre Punkte mit ihm theilte, (Siancharus de med. in 
Calv. inst. N. 4) ‚Welch ein Teufel, o Calvin! hat dich 
verleitet, dich mit Arius gegen den Sohn Gottes zu er— 
klären! du haft die Unklugheit, diefen Antichrift der Mittere 
KANN, diefen Grammatiſt Melanchton anzubethen.“ (Dafelbft 
0.3.) -„Hüthe dich, chriftlicher Lefer! und befonders ihe 
- Prediger des göttlichen IBort3! vor Calvins Büchern; fie 
. enthalten nichts als eine gottlofe Lehre, und die Got» 
tesläfterungen des Arius, gleichfam als wenn der dem 
Scheiterhaufen enttiegene Geift des Michael Servets voll- 
- ftändig in Calvin gefahren wäre, ® 

Eben diefer Schriftftelfer febt feinen Werfen den Ti— 
tel vor: über die Dreyeinigkeit, über Jeſus Chriftus un: 
- fern Mittler, — gegen Heinrich Bullinger, Joh. Calvin 
und gegen alle andre- Prediger von Zürich und Genf, lau— 
“ter „Störer der Kirche Gottes.“ 

Durch die Lehre: daß. Gott die Quelle aller 
Sünden fey, empörte Calvin alle übrigen Religions: 
parteyen wider ſich. Alle Lutheraner Deutfchlands verei« 
nigten ſich, um diefe Läfterung zu widerlegen. (corp, doctr, 
‚ ehr.) „Diefe Meinung, fagen fie, fol überall verab- 
fcheut und verflucht werden; fie ift eine ftoifche, für 
die Sitten zerftörende, eine abſcheuliche und gott eslä— 
ſterliche Sucht.“ 

Dieſe Calviniſche Irrlehre — ſagt Schlüffelb erg, 
- Salv, Theol; E&, 46 — raubt Bott bie Ehre, und it un: 


EEE 


ter allen Serthümern im ganzen menfchlichen. Gefchlecht 
der verwerflichfte. Nach diefer Ealvinifchen Theologie 
wäre Eott der ungerechtefte Tyrann, und Gott felbft 
wäre der Vater der Lüge — nicht mehr dev Teuſel.“ 
Der nähmliche Schriftſteller (Superintendent und Ge— 
neralinfpektor der Lutherifchen Kirchen in Deutfchland) 
nennt im befagten Werf, Frankfurt 4592, die Galviniften 
nie anders als „Ungläubige, Gottesläftrer, Keker, Wind» 
‚beutel, Leute voll des Beiftes dev Verblendung und des 
Schwindels, Leute ohne Schamgefühl, Prediger dev Vers 
wirrung, und Driginul-Conzepte des Teufels. * | 
Heshusius — ib. de præs. corp. Chr, 1560 in fine 
erklärt, nach genauer Entwidlung der Calvinifchen Lehre, 
„daß fie nicht nue Gott zum Teufel umftalte — welcher 
Gedanke allein Schon erfchreclich fey, -— "fondern daß fie 
die Berdienfte Jeſu Chrifti gänzlich zgernichte, das 
ber ihre Anhänger bis in den Abgrund dev Hölle verftoßen 
zu werden verdienen.“ ' 
(Hier dürfen wir — jur Beherzigung der Zwinglianer 
— nicht unbemerkt laffen, daß — nach dem Geftändnif eines 
dev neueren Biographen Zwingli's — der Ealvinifche 
Lehrbeariff von dem Swinglifchen mehr in den äuße— 
ren Formen als im Wefentlichen abweicht.) 
Castellio (Chatillon) in lib. de priedest. ad Calv. ers 
griff am erften die Feder wider Calvin, welcher ihn lange 
Zeit hindurch in feinem Haus beherbergt hatte, und defs 
fen täglicher Zifchgenog er war.“ Jener Gott — fagt er 
ihm — iſt ein falfcher Gott, der mit ſeiner Barmherzig— 
Zeit zögert und hingegen mit feinem Zorn vorſchnell iſt, 
dev den größten Theil der Menfchenkinder fchuf, um fie 
zu Grund zu richten, und der fie nicht nur zu ihrer 
Verdammung, fondern auch feldft fhon zur Grundurs 
fache ihrer Berdammung zum voraus beftimmt hat. Dies 
‚fer Gott hätte alfo fiyon von Ewigfeit her diefe Be— 
fchlüffe. gefaßt! Ex will, und er führt es auch würklich 
aus, daß man dag. nothwendige Bedürfniß zu fündi« 


a Bun 


gen in fih trage, daß folglich alle Diebſtähle, Tod— 
fchläge u. f. w. duch) feinen Antrieb ausgeführt werden. 
Denn auf diefe Art flößt er den Menfchen verkehrte und 
entehrende Neigungen ein; ev verhärtet ihre Gemüther 
nicht bloß aus eigner Zulaffung, fondern felbit mit Zwang 
und Gewalt, fo daß alfo der Gottloſe nicht fein eig=- 
nes Werk, fondern Gottes Werf vollführt, und daß 
- nicht mehr der Satan, fondern Calvins Gott der wahre 
Gott der Rüge fey. “ 

Dagegen fpart aud) Calvin feine Schmähungen gegen 
Ehatilton nicht, indem er ihm fagt: „Kein Menfch hat 
es je im Stolz, in der Zreulofigfeit und in der Unmenfch- 
lichkeit weiter gebracht al du. Wer es dir nicht gleich 
auf der Stelle anfiebt, daß du ein Betrüger, ein Narr, 
and ein fchamlofer Eynifer bift, der ift ein Menfch, der 
nun einmahl gar nichts verfteht.“ Am Schluß diefer Ant: 
wort ertheilt er ihm noch den wohlgemeinten Segen: „der 
Gott Satan verleih dir feine Ruhe. Amen. Genf 1558.“ 

Sn einer zu London 1558 von den angefehenften Got- 
tesgelehrten Englands herausgegebnen Schrift (a Survey 
of the pretendet holy discipline p. 44. by Bishop Bancrost) 
werden Galvin und Beza als unduldfame ftolze Leute ge- 
-fchildert, die in offenbarer Empörung ihre Kicche ftifteten, 
und fie mit weit gehäffigerer Graufamkeit regierten, als 
man fo oft vormahls den Päpften ſelbſt vorgeworfen 
babe.“ Die Berfaffer betheuren vor dem allmächtigen 
Gott: „unter allen Stellen der heiligen Schrift, welche 
Calvin oder feine Schüler zu Bunften der Kirche von 
- Genf oder England angeführt haben, finde man feine 
einzige, welche nicht ganz gegen den Sinn der Kirche, 
- aller Bäter, und der Apoſtel fey, fo zwar, daß wenn 
Auguſtin, Ambrofius, Hieronymus, Chrifoftomus u. a. 
ins Leben zurückkehrten und diefe Berftümmlung der 
heil. Schrift fühen, fie fih höchlich verwundern müßten, 
wie je. ein Mann mit ſolch zügellofer Keckheit auf 
Erde ericheinen fonnte, der es wagen durfte, much ohne 


den mindeften Anftrich von Wahrheit auf folche Art das 
göttlihe Wort zu mißbrauden, fid) felbft, feine 
Lefer und die ganze Welt zu bethören.“ Und nachdem fie 
feft erfläven: „daß aus diefer Genfer Quelle eine ver» 
giftete, empörende und fatilinifche Lehre fich nach Eng- 
land verbreitet habe,“ feten fie hinzu: „Glücklich, taufend- 
mahl glücklich wäre unfre Infel, ‚hätte nie ein Englän« 
der, nie ein Schotte jemahls einen Schritt nah Genf 
gethan, hätten diefe nie einen Genfer walttägelehr- 
ten fennen gelernt.“ 

Ueber die Analogie der Calviniſchen Glaubenslehren 
mit den meiſten der älteren Häreſien ſ. auch Aiveli 
Op. T. III, p. 2., woſelbſt die richtige Bemerkung gemacht 
wird: „hätte Calvin einen firengern Lebenswandel 
geführt, fo würde er zuverläffig in jenem ausfchweifen- 
den Zeitalter nicht foldy zahlreichen Anhang gefunden 
haben. AU feine Lehrvorträge zielten auf zügellofe 
- Freybeit, indem fie die finnlihen Begierden aller 
Schranfen entledigten. “ | 

Vergeblich haben Calvins Anhänger verfucht, ihn ge— 
gen ein ausnehmend großes Laſter und die darauf erfolgte 
Brandmarkung — deren Merkmahl er, wie man öffentlich 
behauptete, auf der Schulter trug — zu rechtfertigen. 
Die Kicche von Genf felbt hat die gerichtliche Unter- 
fuchung nicht in Abrede geftellt, welche Berthelier, als 
Abgeordneter von Genf, in Noyon hierüber eingeleitet 
hatte. Diefe Unterfuchung war von den vornehmften Per- 
fonen unterzeichnet und in der gewohnten gerichtlichen 
Form ausgefertigt worden. Aus derfelben nun ergiebt 
fih, dag Galvin eines Verbrechens befhuldigt war, auf 
welches gewöhnlich der Scheiterhaufen gefetst ift,, welch 
wohlverdiente Strafe jedoch auf Fürbitte feines Biſchofs 
in Brandmarfung gemildert ward. Hieron. Bolfec, 
welcher in feiner bist. de la vie de Calvin diefen Vorfall 
erzählt, ward auc von dem damahls noch lebenden 
Berthelier ganz und gar nicht widerſprochen. Auch 


ward überhaupt die Sache felbit damahls fo wenig in 
Zweiſel gefest, daß ein Schriftfteller, welcher von Calvins 
fchändlichen Leben fpricht, Edmund Campian (der im 
Sahr 4581 in London als Märtyrer feiner Ueberzeugung 
hingerichtet ward) als eine in ganz England befannte That- 
fache behauptet: „das Dberhaupt der Ealviniften fey ges 
brandmarft worden, und. habe die Flucht ergriffen. « 
Zhomas Stapleton, der ernſte und gelchrte Eng- 
länder, welcher in der Gegend von Noyon lebte, folglich 
nahe genug war, un von der Sache unterrichtet zu feyn, 
fpricht in f. promptuar. Cathol, III, p. 153 von diefer 
Begebenheit in ganz zuverfichtlichen Ausdrücden: „Noch 
heutzutag werden in dev Stadt Noyon in der Pikardie 
Alten und Ehroniien vorgezeigt, aus welchen erfichtlich ift, 
daß dieſer Joh. Calvin, der Sodomie überwiefen, aus 
defondrer Gnade des Bifchof3 und der Obrigkeit nur auf 
den Rücken gebvandmarkt worden und die Stadt verlaffen 
habe; auch fonnten die angefehenften Männer aus feiner 
Berwandtfchaft, . welche noch am Leben fich befinden, bis- 
ber nicht auswürfen, daß die Denfmahl jener Schande 
that, welche feiner ganzen Familie zum Schimpf gereicht, 
aus den bürgerlichen Protofollen von Noyon geftrichen 
. würde. * Diefe Nachricht ift wohl um fo unverdächtiger, 
da Stapleton in f. Antid. Ev. et Ap. Op. T. III in prefat. 
Calvins übrige vielfältige Berdienfte als Schriftfteller und 
Ueberfeker nachdruckſam in Schu nimmt. Auch die Lu— 
theraner in Deutfchland fprachen damahls hiervon als von 
einer ganz befannten Sache. So 3. Bd. Conr. Schlüf- 
felberg Calv. Theol. L.2. p. 72. „Bon Calvins ver- 
fchiedenen Schandthaten und fodomitifchen Lüften, um deven 
willen ev von feiner Regierung zur Brandmarkung war 
verurtheilt worden.“ Und da Theod. von Beza, Calvins 
Biograph, diefe Begebenbeit verfchweigt, fo fagen die 
deutſchen Proteftanten felbft, dag er hierüber fein Ver— 
trauen in Anfpruch nehmen dürfe, weil ihm notorifcher 
Weiſe die nähmlichen Fehler wie feinem Helden zur 


BL — 


Laſt gelegt werden. Wohl kann man übrigens, wie Beza 
und andre nach ihm, die Sache verheimlichen, allein 
die von einem Augenzeugen und mehreren Zeitges 
noffen zum Abfcheu der Mite und Nachwelt hinterlaßne 
Erzählung über den Tod diefes Mannes fonnte doch nicht 
zum Zeitvertreib erfonnen worden feyn: „Calvin endigte 
fein Leben in Verzweiflung, und ſtarb an der von Gott 


den Aufrührern und Verworfnen angedrohten gräßlichften 


und fchändlichtten Krankheit, welche ihn zu Tod. gemar- 
tert und aufgerieben hatte. Und diefes zwar Tann ich 
aufs gemilfenhaftefte bezeugen, indem ich mit eignen 
Augen fein fchredliche3 und klagliches Ende und Ver— 
derben ſelbſt angeſehen habe.“ 

Schlüſſelberg in Theol. Calv. deutſche Ueberſetzung, 
Frankfurt 1596. T. 2. ©. 122, 423 ſchreibt: „Gott bat 
auch in diefem Sahrhundert noch fein Gericht über Calvin 
ergehen laffen, indem er ihn noch vor der Stunde feines 
unfeligen Ableben mit der Ruthe feines Zorns heimfuchte 
und auf furchtbare Weife firafte. Gottes gewaltige Hand 
traf diefen GSeftierer fo jämmerlich, dag er an feiner Se— 
ligfeit verzweifelnd, unter Anrufung dev böfen Geifter, 
unter Flüchen, Verwünſchungen und Gottesläfterungen 
feine boshafte Seele auf das elendefte ausathmete; um 
feine Benitalien waren ftinfende Gefchwüre mit Würmern 
fo fehr verbreitet, daß Feiner der Unftehenden en Geruch 
ferner zu ertragen vermochte. “ Ä 

Sm Schimpfen und Läftern fehen wir diefen 
großen Reformator feinen Amtsgenoffen wo möglic 
noch überlegen. Geine Gegner hieß er — wie Boffuet 
fagt — „Narren, Böfewichte, Schelmen, wüthende Beftien, 
Hunde, Schweine, Eſel, Ochſen“ u. f. w, Grotius im 
v. pro p. fagt ung, Daß er den Caftellio einen Nichts: 
würdigen und Satan — den Caffander einen Henker, 
giftige Schlange, Böfewicht — den Balduin (großen 
Rechtsgelehrten, anfänglih Schüler Calvins, nachher fein 
heftigftee Gegner, geft. 4575) einen Schurken, fchamlofen 


Ag 


DBetrieger, und an einer andern Stelle: Zaugenichts, gar— 
ftigen Eynifer, Meineidigen, Ruchlofen, Teufelskind bief. 
Dem Lutheraner Weftpyal antwortete Calvin: „deine 
Schule ift nichts anderes als ein ftinfender Schweinftall; 
perftehft du mich, Hund! verftebft du mich, Wahnfinni- 
ger! verftehft du mich, großes dummes Vieh!“ Cochläus 
in f. Traktat wider die aufrührerifchen Schriften des Soh. 
Calvin, eines Flüchtlingg aus Frankreich, fagt: „Calvin 
war von eherner Stirn im. Lügen, bitter und beißend im 
Berläumden, heftig im Schimpfen, und übermütbig 
in der Gerinafhätung Andrer; den Ambr. Gatha- 
rinum, einen angefehenen, ehrwürdigen, greifen, ver— 
dienftvollen Mann, nannte er ein ftinfendes Aas und ein 
garftiges Leichenmahl — nur weil er ein Gegner Luthers 
war.“ Aehnliche Benfpiele hat uns Schlüffelberg Calv, 

Theol. 2 3. 4 Art. in Menge aufbewahrt. 

Wegen ſolch roher gräßlicher Läfterungen ward Ealoin 
felbft von M. Bucer ein rafender Brudermörder , ein 
ruchlofer toller Berläumder und Berfälfcher “ geheißen. 

Sp war diefes. großen Welt: und Kicchenlicht3 Sanfte» 
muth, Liebe, Mäßigung, Demuth und Würde befchaffen ! 
So ſprach aus ihm der Beift der göttlichen Weisheit und 

Milde! Dieß ift der Mann, in welchem einer der neuern 
proteftantifchen Schriftfteller (S. ©. Müller in f. Denkw. 
aus der Gefch. der Ref.) „einen der größten Denker, Theo— 
Iogen und Gtaatsmänner, den Solon des Genferfchen 
Freyftaats“ zu verchren, und an einer andern Stelle ihn 
„ven Lykurg der Republit Genf, eine wahre Römerfeele, 
in politifchen Gefchäften nicht minder groß als in kirchli— 
chen“ zu nennen fich nicht entblötzet. 

Noch dürfen wir die gründlichen und parteylofen Schil- 
derungen nicht übergehen, welche ung Florim. Rimun- 
dus, Maimbourg und andre glaubwürdige Hiftorifer 
von ihm entworfen haben. Erfirer T. VIL ps 437 vere 
fihert ung, daß er fchon von früher. Jugend an wegen 
fürperlichee Schwäche und Befchwerden des Unterleibs 


mäßig und enthaltfam Tebte, dag er von ernfter Gemüths— 
art, verfchloffen, tieffinnig und einfyldig im Umaang war. 
Die Iateinifche Sprache hatte er vollfommen in feiner Ges 
walt und wußte fich gar zierlich darın auszudrücken. Geine 
Screibfeligfeit fowohl im Briefwechfel als in gelehrten 
Arbeiten war. unbegrängt; eben fo unermüdet thätig zeigte 
er ſich als Prediger, und es ift befannt, daß er während 
23 Jahren in Genf täglich — ja des Sonntags’ oft zwey> 
mahl — die Kanzel beftieg, auch nebftbey noch wöchentlich 
drey Öffentliche Vorträge über Theologie bielt; bevedt war 
er übrigens feineswegs und daher auch als Prediger nicht 
beliebt, Weber die Fatholifche Kirche läfterte er aufs hef— 
tigfte und fpie Feuer und Flammen aus, indem er fie nur 
das fchamlofe, verworfene, buhlerifche, abgöttifche Baby» 
Ton hieß; auch dev Könige und Fürften verfchonte er nicht, 
nannte fie Efel, dummes Vieh, Narren, welchen man 
nicht nur feinen Gehorfam fchuldig fen, fondern ins Ge 
ficht fpuden fol, wenn fie wider Gott — (d. h. wider die 
Drafelfprüche der Genfer Geiftlichkeit) fich verbünden oder 
dagegen auflehnen.“ So fagt er auch — ap. Becan. T. 1. 
opuse 47. — „Was die Sefuiten anbelangt, die unſre größ- 
ten Gegner find, muß man fie entweder morden, oder — 
wenn dieß nicht wohl thunlich ift — fortiagen, oder fie 
doch wenigftens durch Lügen und Berläumdungen zu Grund 
vorn * 

Als Südländer war er Luthern an Scharfſinn ineit 
überlegen, und wagte fich an die tiefften Geheimniſſe 
der chriftlichen Religion, indem er fogar die Allmacht, 
Gerechtigkeit und Liebe Gottes zu befämpfen und zu 
widerlegen unternahm. Luthern fchalt er einen heimlichen 
Papiften, und glaubte, daß es beffer gethan wäre, einen 
neuen Grund der Kirche zu legen, als über den von. 
Luther fchon gelegten Grund fortzubauen; im Verfolg zer— 
ftörte dann Calvin alles Alte aus Ehrgeiz und vermef- 
nem Uebermuth, wie Luther aus Rachgierd und bos— 
bafter Feindſeligkeit. Daß Calvin fich ſelbſt für ein 


— 94 — 


Orakel hielt, ergiebt ſich aus ſ. Præfat. sup. Psal., wo 
er prahlt, daß er zum richtigen Verſtand der heiligen 
Schrift weit mehr beygetragen habe und ihm dießfalls 
mehr Ruhm gebühre, als allen Xehrern, die feit Be- 
ginn des Papſtthums gelebt haben, Im feinen öffent- 
lichen Borträgen gab er felbft fich immer für einen Pro- 
pheten aus; und — nad) dem Urtheil eines feiner gelehr» 
ten Beitgenoffen — nahm er feine fihriftlichen Arbeiten 
nur dann vor, wann fein Gemüth von Haß und Neid 
erfüllt war, fo daß man behaupten konnte, feine Bücher 
feyen — ftatt mit Dinte — mit Gift und Galle, wie 
einſt die Sefeke Drafo’s mit Blut ftatt Dinte gefchrieben. 
Auch Bolmar — Calvins Lehrer — in. feinen Brie- 
fen an Farel (der eigentliche Reformator Genf3 und Bor» 
gänger Calvins, nach dem Urtheil des Erasmus aber der . 
lügenhaftefte, boshaftefte und ftörrigfte Menfch), heißt un 
fern Helden einen „heftigen, undiegfamen und ftarrfinni- 
gen Feuerkopf.“ “ 

Was übrigens die Seftigkeit feiner Meinungen und 
Grundfäke betrifft, fo mwiffen wir aus Schlüffelberg, 
daß Calvin es in den verfchiedönen Colloquien und Synoden 
immer mit Luthers Partey gehalten hatte, erft nach deffen 
Tod aber zu. der Zmwinglifchen übergetreten war. Eine 
andre gefchichtliche Duelle enthält die nähere Angabe: daß 
er ſich ſchon im Jahr 4538 auf der Disputation in Bern 
für die Zwinglifche Lehre geäußert hatte, nachdem aber 
Zacharias, Doktor der Theologie, eigenhändige Briefe 
Calvins mit den gräßlichften Läfterungen über Zwingli vor- 
legte — fehr verhaßt ward und fih zu M. Bucer nad) 
Straßburg flüchtete, von wo er jedoch im S. 1541 :zurüd- 
berufen ward und dann noch 23 Sabre hindurch den Papft 
fpielte. | | 
Mach Luthers Tod bevedte er fih, daß nunmehr nie— 
mand weiter ald Gegner gegen ihn aufzutreten fich ge— 
trauen werde, und warf-fich Daher zum Haupt einer 


eignen Partey auf, in welcher Stellung er dann auch 
nicht die mindefte Widerfeßlichkeit vertrug. 

Einen merkwürdigen Beleg für den Wanfelmuth 
feiner Anfichten und Begriffe liefern uns feine eignen 
„Bereinigungs-Motelen,“ wo er fagt: „wir halten des Herrn 
Abendmahl für ein groß Wunderwerf, dad weit über 
die Natur und aller Menfchen TOR if.“ Und. 
über Eph, Cap. V. fchreibt er: die Leute plagen und mar- 
teen fich vergeblich, wenn fie wollen mit ihrem fleifchlichen 
Berftand begreifen, auf wad Map und Weife Ehri- 
ftus im heil. Nachtmahl gegenwärtig fey. Derhalb 
find dieß unzeitige Leute, die in dieſem Artikel nicht mehr 
wollen glauben, als fie mit ihrer Vernunft fünnen 
begreifen. Aber ich muß befennen, daß ich mich über 
dieß große Geheimniß nicht genugfam kann verwun- 
dern. Und ich ſchäme mich nicht folcher meiner Verwun— 
derung, mit dem heil. Apoftel Paulo meine Unwiffenheit 
— bekennen; denn dieß iſt ja viel beſſer, daß ich die 

Schwachheit meines Verſtands gering achte, dieweil 
es Paulus für ein groß Geheimniß hält. Und das 
lehrt uns die Bernunft, denn alles was über die 
Natur iſt, das ift auch Über unfern Verſtand.“ 

Maimbourg inf. hist. du Calvinisme Paris’ 4682 
hält es als redlicher, gewiffenhafter und parteylofer Hiſto— 
vifer für Prlicht, auch das Gute und Lobenswerthe, mag 
den von ihm gefchilderten Perfonen neben ihren großen 
Sehlern eigen war, nicht zu unterdrücden; demzufolg läßt 
er Ealvins ausgezeichnetem Scharffinn, feinen vaftlofen 
Arbeitsfleiß, feiner Uneigennüßigkeit, feiner veinen, zier— 
lichen, : gediegenen, nach den beften Klaffitern ausgebilde- 
ten Diftion in der Tateinifchen Sprache alle Gerechtig- 
feit widerfahren, erklärt aber auch zugleich, daß diefe we— 
nigen Vorzüge weit überwogen wurden durch feine, 
auch von feinen beften Freunden eingeftandene, heftige, 
mürriſche, zornige, ftveitfüchtige Gemüthsart, — fein wil- 
des, zurückſtoßendes Benehmen (weßhalb felbſt M. Bucer 


— 9% — 


in warnendem wohlmeinendem Ton ihm nicht verhehlte: daß 
er eher einem tollen Hund als einem Menſchen gleiche) 
durch ſeinen Hang zu Verunglimpfung, Rachſucht und 
boshafter Läſterung, und durch ſeine leidenſchaftliche Par— 
teylichkeit im Urtheil über Andre. Dieſe Eigenfchaften 
machten ihn dann auch ſeinen Freunden fo unerträglich, 
daß fie — freylich in ruchlofem Scherz; — fagten: fie woll- 
ten lieber mit dem — immer aufgewedten, heitern und 
vertragfamen — Beza in der Hölle, als mit dem fo an- 
maßenden, felbftfüchtigen, despotifchen, vechthaberifchen 
Calvin im Himmel wohnen. (©. auch Papyr Mass. vit. 
Calv., und Balduin in Calv.) Auch geſteht Maimbourg ,. 
„daß Calvin allerdings, als Urheber der Härefie in 
feinem Baterland und alles nahmenloſen, durch die 
Hugenottenfriege nach der Mitte des fechszehnten Sahr- 
hunderts entftandnen Unheils, damahls nur mit Ab⸗ 
ſcheu und Verwünſchung in ganz Frankreich ge 
nannt wurde.“ Zudem erfehen wir aus Calvins eignen 
Briefen vom I. 1554 an Wolph — in Senebier hist. litt. 
de Geneve — daß fein Zerftörungswerf ganz und gar nicht 
allgemein von feinen Zeitgenoffen belobt ward. So 
fchreibt er 3. B.: „Glaube mir, Server, Weftphal und 
andre ihres Bleichen haben mir weit weniger zu’ fchaffen 
gemacht, als meine häuslichen Feinde, derer Menge un— 
zählig und ihr Groll gegen mich unauslöſchlich if; 
dürfte ich wählen, fo würde ich mich lieber einmahl von 
den Papiften verbrennen, ala fo ohne End und 
3iel von meinen nächſten Nachbaren pr en 
laffen. * 

Schließlich bemerken wir nur noch, daß Calvin fich 
urfprünglich auf das Studium der ſchönen Wiffenfchaften, 
der Rechtsgelehrfamfeit und Sprachkunde verlegt hatte, 
dann aber fchon vor feinem dreifigften Sahr feine befann- 
ten institutiones rel. chr. herausgab, folglich noch eher zu 
dogmatifiven begann, als er fich mit dem Studium der 
Theologie ernftlich befaßt hatte. 


. Einen eifrigen Gehülfen fand Calvin in der Perfon 
feines nachherigen Biogvaphen Theodor von Beza, 
Prior zu Long-jumenu, und fehr befannt als Lateinifcher 
Dichter, geb. 1519. 7 

Vernehmen wir auch über diefen angefebenen Refor— 
mator das glaubwürdige Zeugniß proteftantifcher Zeitge— 
noſſen. 

Schlüſſelberg, Dottor der heil. Schrift und Pro> 
feffjor in Stralfund, deffen wir fchon mehrmahls erwähn— 
ten und welcher bey den Lutheranern fehr in Bunften ſteht, 
erklärt in f. Theol. Calv. L. 2. „Beza entwirft ung im’ 
feinen Schriften das lebendige Bild von jenen Unwiſſen— 
den und groben Menfchen, welche ihre Zuflucht zu Be— 
fchimpfungen nehmen, oder von jenen Publifanen, die 
auch am Ende nichts andres thun als Täftern. Auf eben 
diefe Art fchüttet dieſer fhändliche, von lauter Kunft- 
griffen und Gottlofigkeiten zufammengefekte Menfch, 
gleich einem eingerleifchten Teufel, feine fatyrifchen Got— 
tesläfterungen aus, “ 

Ebenderfelbe bezeugt: er habe 23 Sahre feines Lebens 
darauf verwendet, um 220 Schriften der Calviniſchen 
Sekte zu leſen, und unter. all diefen babe er auch nicht 
eine einzige gefunden, wo die Befchimpfungen und Got= 
tesläfteungen fo fehr aufeinander gehäuft waren als 
vorzüglich in denjenigen diefeg wilden Thiers; (mobey 
auch würflich jedem chriftlichen Xefer die Haut fehaudern 
muß.) Wer aber daran zweifeln wollte — fährt er. fort 
— der foll nur feine berühntten Dialogen gegen den Dok— 
tor Heshufius lefen. Man würde nie glauben, daß fie 
aus der Feder eines Menfchen geflofien feyen, wohl aber 
daß der Beelzebub felbft fie gefchrieben habe. Sch müßte 
mich fchämen, alle die gräßlichen Gottesläfteruns 
gen zu mwiederhohlen, womit diefer garftige und atheijtifche 
Menſch mit- einer efelhaften Mifchung von Bottlofig- 
feit und Narr heit den ehrwürdigſten Gegenftand beſu— 


7 
— 


delte. Wahrfcheinfich hat er feine Feder in eine höllis> 
fche Dinte eingetaucht. “ 

Der Lutheraner Heshufius, geft. 1605, ſchreibt 
von ihm: „Wen follte die unglaublihe Schamlofigfeit 
diefes Ungeheuers nicht in Erfiaunen fegen, deſſen un> 
flätiges und ſchändliches Leben durch feine mehr 
noch al3 eyniſche Epigrammen in ganz Frankreich bes 
fannt ift? nicht nur hat er die Jugend durch unerlaubte 
Liebfchaften, finnliche Ausfchweifungen und andre Schand— 
thaten auf Abwege geloct, fondern auch dergleichen Fre: 
vel felbft duch Schriften und Kieder in Umlauf gebracyt, 
ja ſich auch hierauf noch viel zu gut gethan. Und den— 
noch, wenn man ihn reden hört, würde man fagen, er 
fey ein beiliger Mann, ein zweyter Hiob, oder ein Eremit; 
ſo fehr weiß er überall feine Eingezogenbeit, Berufstreue, 
Sitteneinfalt und unfteäfliche Lebensart anzupreifen. “ 
(Dagegen heißt binwiederum. Beza diefen Gegner einen 
Aften, groben Efel, Hund, unverfchämten leichtfertigen 
Buben, unflätigen Läſterer u. f. mw.) 

Baza felbft gefteht, daß er während 45 Jahren, wo 
er andre den Weg der Gerechtigkeit wandeln lehrte, nicht 
nüchtern noch anſtändig und aufrichtig gelebt habe.“ 

&o bilden ſich — ſagt Grotius im v. p. pace — 
die Schüler gewöhnlich nach ihren Meiſtern; daher ſehen 
wir Calvins Anhänger vob und wild, Arnds und Mes 
lanchtons hingegen gutmüthig und gelaffen. 

Launäus fchreibt von ihm: „Nachdem Beza ſich mit 
allen Schandthaten befudelt und folche durch feine eignen 
Gedichte nocy dev Welt fundgemacht hatte, verführte er 
auch das Weib eines Nachbarn, und fuchte mit ihr fein 
Heil in der Flucht, betrog aber vorher noch die Bauern, 
indem ev feine Einkünfte fchon zum vorhinein in Empfang 
genommen hatte. Diefe Angelegenheit gab ung beim Col— 
loguium viel zu fchaffen, indem eine Wittwe mit ihren 
Kindern dorthin kam, um von DBeza eine ihr entfvemdete 


— 99 — 


Geldſumme zurückzufordern, worüber mir ſelbſt die Ver— 
handlung aufgetragen wurde.“ 

Florim. Rämundus VIII, 624 (welcher ihn per- 
‚fönlich ſehr wohl kannte, ihn oft predigen hörte und big- 
weilen ihn zu Pferd mit dem Schwert umgürtet den Prinz 
Ludwig von Bourbon Conde begleiten fah) entwirft von 
ihm folgende Schilderung: „Beza war bevedt, emfig, ent» 
fchloffen, in der griechifchen und latein iſchen Litteratur 
ſehr bewandert, (daher er auch, auf Calvins Betrieb, als 
Profeſſor der griechiſchen Sprache an der Akademie in 
Lauſanne — nachher als Profeſſor der Theologie — an— 
geſtellt ward) zur Dichtkunſt, ſey es in lateiniſcher ‚oder 
franzöſiſcher Sprache, gleichſam geboren. Seine Gedichte, 
1548 gedruckt, ſind aber meiſt ſchlüpfrigen unzüchtigen In— 
halts, indem er den Catull und Tibull ſelbſt noch hierin 
übertraf. Sein Sdol — Candida — (eigentlich Claudia, 
da3 von ihm entführte Weib eines Schufters in Paris) 
ift nur allzubefannt; überhaupt fand er großes Vergnügen 
am —— mit dem andern Geſchlecht.“ 

Sn einer, von ausgezeichneten Gelehrten Polens 1565 
herausgegebenen, Schrift wird von Beza behauptet, „daß 
er jein ganzes Leben in liederlichen Schlupfwinfeln und 
Garküchen mit Dirnen zubrachte.“ Er wird zugleich als 
ein „in allen Schändlichfeiten geübtes a Unges 
heuer “ Dargeftellt. | 

Bon feiner Gottesläfterung liefert auch feine Creo- 
phagia einen Beweis, indem er dafelbft das Abendmahl 
des Herrn fogar coenum (Koth, Moraft) ftntt coenam 
Domini nennt; welche Läfterung ihm aber auch im Colleq. 
Poss. 1564 nachdruckſam vorgeworfen wurde. 

Peter Bermilius, ein entlaufner Carthäuſer aus 
Florenz, der fich felbft aus Eitelkeit den Namen Martyr 
beylegte, war — nad) Florim. Räm. Zeugniß — ein un» 
gemein jchlauer und fcharffinniger Mann, in jedem Fach 
dev Wiffenfchaften all feinen Amtsgenoffen — den einzigen 
Calvin ausgenommen — überlegen; er erregte fchon in ' 


- 
d 


— 10 — 


feinent zwanzigften Jahr als Prediger in den berühniteften 
Städten Staliend großes Auffehen, wodurch er dann zu 
Stolz und Uebermuth verleitet ward. In der Mitte des 
fechszehnten Sahrhunderts, nad) dem Tod Heinrichs VILL, 
. war er mit Ochin nach England gereift, wo ev hauptfäch- 
lich das Reformationswerk unter des jungen Eduard fur» 
zer Regierung betreiben half, dann aber nach Halland und 
fpäter nach der Schweiz zurücdfehrte, wo er im I. 4562 
ftarb. 

M. — Dominikaner Mönch, von an 
gebürtig, Sohn eines Juden, mar ftarfer Philolog und 
überaus bemwandert in dem Sutherfchen fowohl als Zwing⸗ 
liſchen Lehrſyſtem. Anfänglich dem erſtern zugethan, be— 
kannte er ſich im Verfolg zu letzterm, welches er auch 
beim Colloquium in Marburg vertheidigte — wie wir aus 
feinem „Arbogaſt“ ſehen. Vergeblich hatte er aus allen 
Kräften ſich bemüht die Fehde zwiſchen Luther, Melanch— 
ton und Zwingli zu vermitteln, deren Controverſen er als 
Logomachiam (ſpitzfindige Wortklauberei) betrachtete. Nach 
Zwinglis Tod erwarteten deſſen Anhänger feinen Abfall, 
da er an Bullinger und Leo Judä fchrieb, daß die Luther— 
fche Meinung ihm beſſer einleuchte. Den Streit wegen 
der Ubendmahllehve wollte er nie berührt willen, da fol 
cher ibm zu Eiklich fehien, während Bullinger ( Comment. 
sup. Math.) immer darauf antrug, und wünfchte dag man 
über diefen Punkt (der würflichen "Gegenwart des Leibs 
Chriſti im Altarſakrament) jeden frei glauben laſſe was 
ihn gut dünfe, Später gieng ex, aud Furcht vom Kaifer 
aufgehoben zu werden, nach England — wo er mit Ochin 
und Bermilius fein Unwefen trieb, und nad) drei Sahren 
— 45541 in feinem 614. Nebensjahr farb. 

Och in, General der Kapuziner, war berühmt ſowohl 
durch die Strenge ſeiner Lebensart, als durch ſein ausge— 
zeichnetes Rednertalent; in letztrer Hinſicht genoß er ſol— 
chen Ruf, daß er allgemein für den beſten Prediger von 
‚ganz Italien gehalten ward, und durch Haltung und An— 


— 401 — 


ftand, wie durch Wohllaut der Stimme und eine bemun- 
dernswürdige Beredſamkeit alle Zuhörer bezauberte, auch 
um fo mehr Eindruck machen mußte, da fein Wandel mit 
der Lehre übereinftimmte. Bald verließ er dann Italien, 
trat aus feinem Orden, und begab fich in Gefellfchaft des 
Deter Martye nad) der Schweiz, wo er mit der Zwing— 
liſchen Sekte fih näher verband.  . | ur 

Beza ſchrieb von ihm an Didutius: „Ochin wurde 
ein unzlchtiger Böfewicht, ein Befchüker der Arianer, ein 
Spötter Jeſu Ehrifti und feiner Kirche. * (Welch letztres 
auch Melanchton beftätigt.) Freylich hat Ochin von den 
Genfern und Zürchern auch nicht viel beffer gefprochen; 
denn in feinem Dialog gegen die Sekten der ivdifchen Göt— 
tev äußert er fi ohne Rückhalt; „diefe Leute wollen, daß 
man alles, was fie in ihrem Hirn ausbrüten, für Slau- 
bensartifel halten fol, und jeder der ſich ihnen nicht an— 
ſchließt, fol ein Keter feyn. Was ihnen des Nachts im 
Zraum einfällt, das fehreiben fie auf, es wird gedruckt, 
und für ein Drafel gehalten, Davan ift gar nicht zu den: 
fen, daß diefe Leute jemahls fich eines Beſſern bedächren. 
Es fällt ihnen fo wenig bey, der Kirche unterwürfig zu 
feyn, daß vielmehr nad) ihrer Meinung die Kirche ihnen 
gehorfam feyn fol. ind diefe Leute nicht Päpfte? find 
fie nicht Götter der Erde? tyrannifieren fie nicht die Ger 
wiſſen aller Menfchen?“ 

Calvins Grundfak: die heilige Schrift ſey klar und 
deutlich genug, um feines Dollmetfchers zu bedürfen, ver- 
leitete auch feinen Liebling Ochin zum vollftändigen Arias 
nismus. „Die heilige Schrift — fo ſchloß er — ift in 
ſich ſelbſt ganz heiter und klar, vorzüglich in Dingen, 
welche zum Seelenheil — 8 ſind; wenn nun 
das Dogma von der Dreyeinigkeit nicht ausdrücklich darin 
enthalten iſt, ſo kann auch niemand verpflichtet ſeyn daran 
zu glauben; denn nur dasjenige find wir zu glauben 
ſchuldig, was deutlich in der heiligen Schrift ausgefpro- 
chen if.“ Schade nur, daß diefer Pfeud » Apoftel an 


— 102 — 


einer andern Stelle diejenigen als hirnlofe verrückte 
Narren erklärt, welche die heilige Schrift zu verftehen fich ein« 
bilden! (Sehr richtig bemerkte fhon Tertullian: wenn 
die Schrift Feiner falfhen Auslegung unterworfen 
feyn Fönnte, fo wäre ja nicht einmahl die Härefie mög» 
ich. Und Auguſtinus botte wohl eben fo wenig Un- 
recht, indem er behauptete: mas ich beim Lefen der heil. 
Schrift verftehe, ift Nichts in Vergleichung mit dem⸗ 
jenigen, was mir unverſtändlich iſt!) 

Uebrigens berichtet uns Beza ſelbſt, daß Ochin — 
als er vernahm, daß Carl Cardinal von Lothringen durch 
Baſel nach Rom zurückreiſe — ſich zu ihm begab, ihm zu 
Füßen warf und um ſeine Vermittlung beim heil. Stuhle 
flehte, indem er ſich anheiſchig machte, mehr als hundert 
verdammliche Irrthümer der Sektirer — welche er durch 
vieljährigen Umgang mit ihnen kennen gelernt — aufzu— 
decken. Als ihn dieſer Prälat abwies, verfügte er ſich 
nach Deutſchland, und von da nach Polen, wo er ſein 
Buch de polygamia ſchrieb, und den Grundſatz der Viel— 
weiberey, aufs Alte Teſtament geſtützt, in Crakau auf öf— 
fentlichen Kanzeln verfocht, auch überall die Arianiſche 
Lehre predigte, daß nirgends aus der heil. Schrift die 
Gottheit des Erlöſers und des heil. Geiſts erweislich ſey. 
Von ähnlichen Gottesläſterungen wimmelt ſein, 1594 wie— 
der aufgelegter, Katechismus. 

Florim. Räm. III. 354. ſagt von unſerm Helden: 
„ſo lang er im Gehorſam der Kirche geblieben war, leuch— 
tete er ſeinem Orden gleich dem glänzendſten Geſtirn vor, 
ward dann aber von Calvin verführt und gerieth in dichte 
Finſterniß. So verbreitet die Lampe, während ſie brennt, 
eine angenehme Helle um ſich her, ſobald ſie aber ausge— 
löſcht wird, entſteigt ihr der garſtigſte Geruch.“ Calvin 
ſelbſt ſchrieb noch den Polen, daß Ochin zuletzt als der 
ſchändlichſte Heuchler zum Vorſchein gekommen ſey. 

S0. Oecolampad (eigentlich Hausſchein), Brigit— 
tenordens-⸗Mönch von St. Lorenz bey Augsburg, war anfäng» 


— 408 — 


lich der Lutheriſchen Sekte zugethan, im Verfolg dann 
einer der eifrigſten Zwinglianer, und Prediger zu St. 
Martin in Baſel, — (wegen feiner abenteuerlichen Naſe 
auch —— Naso genannt. ) 

ach Slorim. p. 175 erzählen die Lutheraner in der 
Apologie ihres Abendmahls, daß Hausfchein, welcher ſonſt 
dem Zwingliſchen Lehrbegriff über die Euchariftie fehr zu— 
gethan war, im 3. 1529 bey einer ‘Unterredung mit dem 
Landgraf zu Heffen fagte: „Wollte Gott, daß mir die rechte 

Hand abgehauen wäre, da ich erftlich anfeng vom Nacht— 
mahl des Herrn wider Dr. Luther etwas zu fehreiben, “ 
Als diefe Aeuferung Luthern durch einen Ohrenzeugen, 
Det. Plateanus, hinterbracht wurde, fihien fi) der Haß 
des großen Patrincchen ‚gegen Hausfchein ein wenig zu 
mildern. 

Sm Colloquio zu — ſagte Hausſchein zu Ph. 
Melanchton als damahligem Antagoniſten: „es wäre 
möglich, daß in den Worten: das iſt mein Leib, eine 
figürliche Bedeutung läge, wie in jenen Redensarten: der 
Fels ift Ehriftus, — ich bin der Weinftof, — der Same 
ift das Wort. 

Sm 3.8. ep. ad Zwinglium fchreibt er: fo viel fich 
aus den Schriften der Alten muthmaßen laſſe, ſeyen 
iene Einfeßungsworte des Abendmahls finnbildfich, zu ver— 
fiehen. Zugleich bittet ev Gott, daß er ihnen beyden die 
Augen öffnen möchte, um die wahre Bedeutung zu 
erkennen, damit fie nicht zum Unglück fo vieler Menfchen 
im Spots fich verftricken. “ 

50. Faber inf. hrifilichen Beweifung, Tübingen 1526, 
fchreibt: „Hausſchein und Zwingli find od der Mutter GSot- 
te3 und den Heiligen uneinig geworden. Wie aber das ? 
Hausſchein haltet frey aus der heiligen Schrift die Für- 
bitt der Heiligen und fchiltet die fo es nicht halten, * 
chem ap ganz widerfpricht. “ | 

Im nähmlichen Buch zum 2. Cap. beweist Faber, daß . 
Hausſchein im Klofter Altonig Münfter im Bayerland über 


— 14 — 


das Altarfalrament eine Abhandlung gefchrichben und in 
Baſel habe drucen laffen, worin er die Teibliche Ges 
genwart Ehrifti im Abendmahl noch. feft behauptet 
hatte, und die vielen Wunderzeichen zur Zeit Zulians in 
Schutz nahm. 

Mit welchem Ernſt und Anſtand unſer ——— die 
Controverſen mit Luther über das Abendmahl führte, er— 
ſieht man aus einem ſeiner Briefe an letztern, worin er 
ſich beklagt, daß derſelbe das Abendmahl der Zwinglianer 
eine „Geſellenzech“ und „Baurengelage“ hieß, und dann 
verfichert, daß bey ihnen das Brod feineswegs nur fo ge- 
mein wie „Morchen, Rübenfchnig und Pfifferling“ geachtet 
werde, 

In der Läſter ungsſucht wetteiferte er mit all ſei— 
nen Amtsgenoſſen. Hiervon finden wir in ſ. Briefwechſel 
mit dem trefflichen berühmten Pirkheimer — welchen er 
früher als feinen Gönner und Wohlthäter verehrt hatte 
— vom J. 1526 Elägliche und würflich Schauer erregende 
Benfpiele, Er wird von Pirkheimer in deffen nothge- 
drungner Rechtfertigung als Syfophant, Berfälfcher der 
göttlihen Schrift, fhamlofer Lügner, Rabulift und Ber- 
läumder entlarvt, und dieſe Befchuldigung durch fattfame 
Delege außer Zweifel gefekt. 

Seine Befcheidenheit und apoftolifhe Demuth 
geht auch fihon daraus hervor, daß er fich felbft oft mit 
Nathan — ja fogar mit chliſtus, verglich. Von den 
Kirchenvätern galten einzig bey ihm Auguſtinus, Origenes 
und Chryſoſtomus, aber auch dieſe nur in einzelnen ab— 
gerißnen Stellen, welche in ſeinen Kram zu dienen 
ſchienen. 

Erasmus — der gelehrte und berühmte Kämpfer 
gegen die in der römiſchen Kirche eingerifnen Miß— 
bräuche, aber Löchft unmwillig über die ärgerlichen Mönchs— 
eben mit Nonnen, fowie über die perfönlichen Motive des 
Ehrgeizes und Eigennuges bey den meiften Reformatoren 
— fchreibt; „Oekolampad heirathet fo eben ein ziemlich 


— 1 — 


hübfches Mädchen, ohne Zweifel um fein Fleiſch dadurch 
zu freugigen! Mag man immerhin fagen das Lutherthum 
fey eine tragifche Sache; ich bin vielmehr. überzeugt, daß 
es eine Fomifche fen, — denn die Entwicklung des Stücks 
ift immer eine -Heiratb, wie in der Comödie.“ 

Der nähmliche Erasmus macht ihm in einem Brief 
vom S. 4525 bittre Borwürfe, daß er in der. VBorrede zu 
einer Drucdfihrift ihn unfern großen Erasmus geheißen 
habe, um durch das Anfehen feines Nahmens dem Refors 
mationswerk eher Eingang zu verfchaffen, worin er je 
doch eine Befchimpfung erfannte, — weit entfernt auf 
feine Gunftbezeugung oder Lobeserhebung den geringſten 
Werth zu ſetzen. 

Sn Luthers Tiſchreden ©. 278 finden wie fol⸗ 
genden wichtigen Borfall aufgezeichnet: „Defolampad bethete 
in feiner Kammer , al3 er 4527 nach Bern auf die Difpu> 
tation. 309, und fagte: Herr Gott, ift diefe meine 
Sache recht und wahr, fo woleft du fie vertheidigen; 
ift fie aber niht die Wahrheit, fo fürdre fie nicht. 
Und gleichwohl des andern Tags fagt er für beftändig und 
halsftarriglich, und proteftiert öffentlich: feine Sache fey 
recht und wahr, — woran er doch zuvor im Gebeth 
gezweifelt hatte. Dich hatte Doktor Cellarius in Haus» 
fcheins Kammer zu Bern felbft gehört, und ward duch 
fol zweifelhaftes Gebeth auch mwürflih zum Abfall 
bewogen, wie Cellarius felbft mehrern Freunden erzählte. “ 

Auch verfihert Schlüffelberg, daß Hausfchein noch 
kurz vor feinem Ende, von Zweifeln geängftigt und gequält, 
ausrief: nun ftehe ich im Begriff, vor Sefu Ehrifti Rich» 
terftubl zu treten, um Rechenfchaft abzulegen, ob ich einen 
„wahrhaftigen und beftändigen“ oder aber einen „falfchen 
und erdichteten“ Glauben befannt und gelehrt habe. 

Nach der hist. de coena Aug. äußerte ach Luther, als 
er die Nachricht feines Todes erhielt: „ach .elender, uns 


glücklicher Defolanpad! du warft der eigene Prophet deines | 


Unglüds, ala du Gottes Rache über dich anriefft im Fall 


— 106 — 


du eine falfche Lehre vortrügeft. Gott wolle dir vergeben, 
wenn du anders dich in einem Zuftand befindeft, dag Gott 
div vergeben kann.“ 

Sn der Cathedralkirche zu Baſel liegen die Bewohner 
der Stadt folgende Inſchrift auf fein Grabmahl feßen: 
Sohann Dekolampadius, Theolog, erfter Stifter der evan- 
gelifchen Lehre diefer Stadt, und wahrer Bifchof dieſes 
Zempels. 4532. | 

Zutber hingegen verfaßte ihm (de missa priv.) nach- 
ſtehende Srabfchrift: „Der Teufel, in deffen Dienft Defo- 
lampad ftund, erwürgte ihn des Nachts in feinem Bette. 
Bon diefem guten Lehrmeifter lernte er, daß die heilige 
Schrift voll Widerfprüce ſey! — Geht, wie weit e8 
der Teufel mit den gelehrten Leuten bringt !* — 

Ueber feinen Tod waren indeffen gar mannigfaltige 
Gerüchte im Umlauf. Während ihn der fromme Patriarch 
Luther fchnurftrafs dem Schwarzen überantwortet, be— 
hauptet Beza, daß er an der Peft gefiorben, Capito, 
daß ihn eine langwierige, fchwere Krankheit weggerafft habe; 
einige fagen, daß ev in den leisten Zügen fich äußerte: 
bald bald werde ihn die Hölle verfchlingen; Lindanus 
meldet, daß er in Verzweiflung geftorben fey; noch andre 
feiner damahligen Zeitgenoffen wollen wiffen, daß er —* 
Hand an fein Leben gelegt habe. — 

Andre. Carlofradius (eigentlich Bodenftein) war 
früher Acchidiafon in Wittenberg. Sein eifriger Gehülfe 
Melanchton entwirft von ihm folgendes Bild, in einem 
Brief an Myfonius: „arloftad ift ein wilder, mürrifcher 
Menih, ein Mann ohne Geift, ohne Kenntnifje, ohne 
Vernunft, der — weit entfernt auch nur das gevingfte 
Merkmahl des göttlichen Geiftes an fich zu tragen — felbft 
auch nie erkannt oder gethan hat gegen männiglich was 
einem Menfchen zufteht; ja man hat allenthalben augen 
fcheinliche Anzeigen von feiner Gottlofigfeit gehabt. Nur 
Neid und Haß verurfachte ihn zum Streit gegen Luther; 
dabey fihreyt er immer wie die unfinnigen, vollen Leute 


A — 


beym Trunk, die nur ihre Luft am gröbſten Fabelwerk 
haben. Er if ein verfchlagner Saft, hat einen heftigen 
unruhigen Kopf.“ 

Auch Luther urtheilt nichts weniger. als günftig von 
diefem Mann. Sn feinen Tifchreden fchreibt er: „Boden- 
ftein hat all feine Händel aus Ehrgeiz angefangen, denn 
er fi) bedünfen ließ, e3 mwäre fein gelehrter Mann auf 
Erde ald nur er; und was ich fchrieb oder im Drud ließ 
. ausgehen, davon fchrieb er auch Bücher, aber dody immer 
mit einer Schminfe, denn er wolt’3 allein feyn. In 
Leipzig auf der Difputation legte er Schand ftatt Ehre 
ein; er ift ein armer, unfeliger Difputator, bat einen 
wüften, ftörrigen Kopf, ift ſtolz und aufgeblafen. “ 

Carloſtad war in den Sahren 4524 und 4522 — wäh— 
vend Luther auf der Wartburg ſich befand — entfchiedner 
Gönner und Freund der neuen Propheten in Sachſen, 
welche bald in Fanatiker ausarteten und den fchrecklichen 
Baurenkrieg verurfachten. Er befand ſich nebſt NIE. 
Stord (dem Urheber der wiedertäuferiſchen Seckte, zu 
deren Stiftung er fich duch unmittelbar göttliche In— 
fpiration berufen erklärte), Münzer u. a. an der. Spike 
der tollen Bilderftücmer und Braufeföpfe. Nun ward ihm 
Luther abgeneigt, indem er ihm mit Recht vorwarf, „daß 
er. den Pöbel toll und thöricht mache, und an Aufruhr 
gewinne: * 

Im Traktat wider die himmliſchen Propheten ſchreibt 
Luther: „Carlſtadt iſt von uns abgefallen, dazu unſer 
ärgſter Feind worden. Er und feine rottiſchen, ſtürmiſchen, 
fchwärmerifchen, ja mörderifchen Geifter ſetzen das unterfte 
zu oberft, und bringen alles in Verwirrung; doch will ex 
angefehen feyn für den allerhöchften Geift, der den heiligen 
Geift mit Federn und allem gefreffen habe. ‚Ein Eruzifir 
oder Heiligenbild ift nirgend in der Schrift ver- 
bothen zu-haben, wie diefer Bilderftürmer. behauptet und 
lügt; das müffen fie mir laffen, auch nach dem aller- 
fivengfien Geſetz, fofern ichs nicht anbethe, fondern nur 


a Mu Sa 


zum Gedächtnif habe; denn Gedenkbilder und Zeugene 
bilder find Löbli und ehrlich. Haue, hau, reif, beiß, 
ſchmeiß, brich, ftoß, tritt, wirf, ſchlag die Bilder ins 
Maul, fpey dem Eruzifie ins Angefiht!! So machens 
die Carloſtader.“ | 

An einer andern Stelle fagt Quther: „Carlſtad fann 
den Teufel am Marrenfeil führen; er giebt ein Dr— auf 
alle Ermahnungen. Uns heißt er Ehriftushenfer, Mörder 
u. dergl. mehr; er aber tödtet. die Seele auf einer: Geite 
und der Papſt auf der andern, — beyde brechen, wie die 
GSeelenmörder, chriftliche Freiheit. “ / 

Sn Fabers chriſtlicher Beweiſung findet fih bey 
Art. 3 folgende Stelle: „wider Earloftad fchreibt Luther: 
man follt ihn über eine fühle Klinge laffen fpringen, und 
wenn den Garloftadium‘ Gott nicht fichtbarlich Plage, fo 
wol er auch nicht glauben, daß ein Gott fey. Sn einem 
Monath darnach hat der abtrünnige Mönch, der Luther, 
mit einer ausgelaufenen Nonne Hochzeit gemacht, und da 
find die heiligen Männer Luther und Carloftad wieder ver: 
föhnt worden; diefe Sach ward durch die Weiber, denen 
viel daran gelegen, wieder gefäjlichtet und find alfo nun 
die alten Gefellen wie zuvor.“ 

Nah Buddäus war Carloftad aus Rubmfucht und 
Ehrgeiz Urheber des Saframentftreit3; aus feinen in Bafel 
4524 gedruckten Büchern fchöpften Zwingli und die Zür- 
cherprediger ihre, Serlehre von der figürlichen Bedeutung 
ter Einfeßungsmworte zum Abendmahl; ihnen folgte dann 
auch Defolampad, wobey aber diefer auf das Wort oowa 
(Leib), Zwingli auf das Wort Egi (if), und Garloftad 
auf zero (diefes) das ganze Gewicht legten; (daher die 
Zehrmeinung des Letztern auch Tooutismus genannt wurde). 
Welch fchwache Bürgfchaft für die vorgebli göttliche 
Infpivation diefer Glaubenshelden liegt nicht in diefer Ab- 
weichung ihrer Anfichten über dag Hauptdogma der chrifts 
lichen Religion! ! 

Da Dekolampad und Zwingli die figürliche Auslegung 


— 4109 — 


Earloftads gebilligt, auch die Wiedertäufer folche ange 
nommen hatten, und Zürich — auf Carloftads Antrieb — 
die Bilder zerftörte, fo erreichte auch Luthers Abneigung 
gegen fie alle den höchften Grad. 

Wie fehr übrigens Zwingli feldft und fein ganzer Ans 
bang dem Larloftadifchen Lehr-Syſtem zugethan waren, 
erfeben wir aus Lavat. hist. sac. p. 0. Zwingl. cor. s 
subsid. de euch. p. 81, wo letztrer hefennt, „daß er gut 
Carlftadifch fey, obſchon derfelbe wegen Heftigfeit des 
Streits etwas aus der Bahn von der rechten Meinung 
abgewichen fey. “ 

Dabey verdient noch ald Beweis von dem Selbft- 
- widerfpruch dieſer Kraftgenies angeführt zu werden: daf 
3wingli in lib. de v. et f. rel. p. 253 — 257 diefe Mei» 
nung Carloftads einen „erdichteten Glauben“ nennt, und 
denjelben als „gottlos, unfräftig, grob und thöricht“ ver— 
dammt, — während auch Carloftad 1525 an Luther fchrieb: 
er habe nur um der Uebung willen (exereiti gratia) vom 
heil. Nachtmahl difputiert, und nicht daß er der Meinung 
fey oder alfo glaube, oder in jeiner Meinung balsftarrig 
wolle verbleiben. 

Flor. Räm. IL, 190 heißt den Gartoftad einen Hiß- 
fopf, einen ‚augehldfgen‘ unruhigen, aufwieglerifchen 
Menfchen, der aus angeborner Streitfucht fich ſelbſt nicht 
im Frieden laffe, wenn er an Andren fich nicht veiben 
fünne. 

Als Luther ihm gar fo auffäßig ward, und (durch * 
Fürſt Joh. Friedr. den jüngern) bewurtte, daß er aus 
allen Städten und Gebiethen der ſächſiſchen Herzoge ver— 
‚trieben wurde, hatte er ſich nach Zürich begeben, wo 
Zwingli ihm eine Anftelung verſchaffte; fpäter kam er 
nochmahls in die Gegend von Wittenberg, wo er in dürf- 
tigen Umftäinden als „Bruder — und Nachbar Andres“ 
fein Leben friftete. Im Berfolg ward er dann nad) Bafel 
berufen, wo er auch ftarb. 

Dodenftein war der erfte Prieſter gewefen, welcher zur 


— 10 — 


ehlichen Verbindung gefchritten war; er feyerte diefelbe 
mit einem nicht zu befchreibenden Subel und Beyfall aller 
abtrünnigen Priefter. In der eigens für ihn verfaßten 
modernen Meſſe giengen feine fchmwärmerifchen Anhänger 
fo weit, daß fie diefen Menfchen, der doch — wie wir oben 
fahen — auffallende Zeichen der Gottlofigfeit an fich trug, 
ſchon bey Leben felig fprachen. 

Seinen Tod betreffend fagen uns die Lutheraner felbtt 
— hist. conf. August. p. 41. — ,„E3 ift gar nicht zu 
läugnen, daß Earloftad vom Zeufel erwürgt wurde; auch 
die Salviniften können die nicht in Abrede ftellen, da fo 
viele Zeugen e3 befräftigen, fo viele glaubwürdige Ber» 
faffer es fchriftlich. behaupten, ja felbft die, Briefe der 
Paſtoren in Bafel folches beftätigen. “ 

In einer von Thomas Murner, Dr. der Theologie, 
berausgegebnen Beleuchtung der in Baden und Bern von 
den Eidgenoffen in den Jahren 1526 und 1528 abgehaltnen 
Colloquien wird angeführt: daß „wie früher Berengarius, 
ſo auch Laroloftad widerrufen hat.“ (Dieß bezeugt eben- 
fal3 der treffliche Pirfheimer). Auch fein Sohn Sohann 
entfagte der Härefie des Vaters, kehrte in den Schooß 
der Fatholifchen Mutterfirche zurück, und befand ſich in 
Zrient zur Zeit des dortigen Conziliums. 

So endete der Mann, welcher zuerft den gefürchteten 
Rutber zu befriegen gewagt und das höchfte Geheimniß der 
chriftlichen Religion zu zerftören unternommen hatte, aller 
tiechlichen Ordnuna feindfelig gegenüber fund, die Bilder 
mit ftürmifcher Wuth vernichtete, und die Bande des 
priefterlichen Gölibats auflöste, bis auch er zuletzt — nach 
ftietem Kampf mit fich felbft und feinen Satelliten — durd) 
die Erfenntniß feiner Verirrungen fich überwältigt und zu 
ſpäter Reue verurtheilt jah. 

Eine nicht minder wichtige, Rolle im Reformationd- 
gefchäft fpielte auch der bekannte Schweizer Ulrich 
3wingli, geb. 1484. geft. 1531., Pfarrer in Glarus, 
dann in Maria Einfiedeln, und fpäter in Zürich, von 


= MM — 


welchem wir hier ebenfalls noch einen — aus den zuver— 
läſſigſten Gefchichtsurfunden gefchöpften — biographifchen 
Umriß liefern. Wir ftellen hierbey feine eignen Geftänds 
niffe fowohl als die Zeugniffe feiner Mitveformatoren und 
andrer gelehrten Zeitgenoffen zufammen, um dadurch zu 
gründlichev Würdigung feines perfönlichen Werths zu 
gelangen. 

Bon fich felbft fagt diefer Herold des neuen Glaus 
bens (in Parsen. ad Helv. T. I. p. 145) „ich fann es 
nicht verhehlen, welch ein unbändiges Feuer in mir brennt 
und mich immerwährend zur Unenthaltfamfeit hinreißt, 
da es wahr ift, daß feine Wirkungen mir fhon fo oft 
die entehrendeften Vorwürfe der Kirche zugezogen 
haben.“ 

Auch die lateiniſche Bittſchrift (opp. Zwingl. I, 1.), 
welche Zwingli nebſt andren Freunden dem Biſchof von 
Conſtanz einreichte, enthält folgendes prunkloſe Selbſtge— 
ſtändniß. „Wie erfuhren es bisdahin nur zu ſehr, daß 
uns die Gabe der Enthaltfamkeit nicht gegeben worden fen. 
Wir brannten vom. Feuer der Wolluft fo heftig, und 
o der Schande, daß wir viel ehrlofes verübt haben, 
da’ wir fonft wegen feinem Xafter bey unferer ‚Herde in 
übelm Ruf stehen. “ 

Bon der evangelifhen Methode diefes großen 
Kirchenlichts beym Unterricht feiner Schüler Liefert 
uns (bey Tſchudy Mse. T. V.) fein.Brief an einen berni— 
ſchen Prediger, Kolb, ein erbauliches Beyfpiel. Er fihreibt 
ihm: „Heil und Gegen von Gott unferm Herrn. Lieber 
Sranz! Ganz allgemad) im Handel, nicht zu ftreng; wirf 
dem Bären (Berner) zuerft nur eine faure unter etliche 
füge Bienen bin, darnach zwey, dann drey und wann er 
anfangt in fich zu freſſen, ſo wirf ihm mehr und mehr vor, 
ſaure und füge durcheinander. Zuletzt fchütt den Sack 
ganz aus, mild, hart, ſüß, ſaur und rauh, fo frißt er 
alle auf, und vermeint fich nicht mehr davon jagen und 
vertreiben zu laffen. Geben Zürich, Montag nach Georgi 


— m» — 


1527. Euer Diener in Chriſto, Huldreih Zmingli.e 
(Ganz andre Anleitungen ertbeilte freylich Paulus feinem 
Zimotheus und Titus für die Verbreitung der Religion’ 
Sefu. ©&.41 Tim. 1,5. 2 Tim. II, 1— 10.IV, 2—5:«.). 

Aus der von Zwingli verfaßten Schrift: Ein freund» 
ich Bitt und Ermahnung etlicher Priefter der Eidgenoffen- 
ſchaft u. f. mw. datiert vom 43. Juli 4522 entnehmen wir 
folgende unverhohlene Herzensergießung an feine Obrigkeit: 
„Euer Ehrfam Weisheit hat bisher gefehen das unehr— 
bar fchändlich Leben, das wir leider bisher geführt 
haben (mir wollen allein von uns gevedt haben) mit 
Frauen, womit wir mäniglich übel verärgert und ver— 
böfert haben. Wir begehren aber. dabey das, fintemal wir 
leider erfahren haben, daß wir nicht behalten mögen das 
veinlich Leben, darum, daß es uns Gott nicht gegeben hat, 
daß aucd ung nicht verfchlagen werde die Ehe. Die 
Brunft nad Paulus 1 Cor. VII, 9 befennen wir leider 
an ung zu feyn, da wir find von ihrentwegen in Schaden 
fommen. Angefeben die große Schand, die wir bis— 
ber unverfchämt über uns haben laffen gehen, angeſehen 
die große Aergerniß allen Menſchen damit gegeben, 
angefehen unfre verwundeten Confzienzen, mit denen mir 
täglich die göttliche Verwaltung des Gottsworts und der 
Saframente verhandelt und doc, allweg nie Ruh gehabt; 
gönnet uns, daß wir von diefer Schand der Unfeufchheit 
erlöst auch ehrlich bey euch leben mögen. So wir nun 
leider genug find inne worden, daß wir aus Blödigfeit oft 
gefallen find. Wir hätten wahrlich unfre Schand nicht 
alfo entdeckt, als nur in Hoffnung gnädiger Wilfahrung 
100 Dan: Dee 

Diefem fo treuherzigen Geftäindniß nach, darf es wohl 
nicht fehr befremden, wann (mie 3. G. Müller in f. Res 
liquien IV, 177 ſelbſt zugiebt) „gegen Zwingli ausgeſtreut 
ward: er erlaube die Ehe zu brechen, er felbft habe im 
Jahr 1523 vier unehliche Kinder erzeugt, gebe des Nachts 
zum Spiel, und mit den Buben in die Franenhäufer u, f. w. 


— — 


S. auch Zwinglis Entſchuldigung etlicher zugelegter Ar— 
tikel, July 4523. 
Daß unſer Glaubensheld es mit der Feſtigkeit und 
Conſequenz ſeiner Grundſätze eben auch nicht genauer 
nahm als feine Mitapoſtel, ſehen wir aus opp. Zwing. I, 
37. I, 89, lib. de del. eib. Kivchhofer p- 86 Zügen der 
Ref. Gefh. der Schweiz u. ſ. w. So ſagt er am einen 
Ort: „Die Kirchenväter gelten nichts,“ an einem an— 
dern Drt: „Die Väter muß man. hören.“ » Ferner: 
„Faſten ift unnüg und verbothen,“ dann wieder: „Faften 
ift heilfam und gebothen.“ Bald: „Die Taufe tilgt die 
Erbfünde nicht, denn es giebt gar feine Erbfünde,“ bald 
wieder: „Die Laufe tilgt die Erbfünde. * Ferner: „man 
bat fih den Slauben betreffend an die weltliche Ob- 
rigkeit zu wenden, “ und wieder: „man bat deshalb nicht 
nach ihr zu fragen.“ Das eine Mahl: „Dev Papf if 
der Antichrift,“ und bald hingegen wieder: „Der Dapft 
ift in der Kirche Gottes der Erſte; er ift der Statthalter 
Ehrifti.“ - In feinem Brief an Math. Alberum fchreibt 
er: „Des Herren Ehrifi Wort im heiligen Abendmahl: 
— nehmet, ejfet, das ift mein Leib — find hell und Elar, 
und ift leichter, daß Himmel und Erde vergehen, als daß 
auch nur ein Pünftlein von diefen Worten vergehe. “ 
Sn den actis disputationis in: Baden 4526 . wird 
Zwingli ebenfalls des Widerfpruchs mit fich felbft befchul« 
digt und aktenmäßig überwieſen. Es heißt darin: „Ziwingli 
behauptet, daß es allerdings der Kirche zuftehe über 
Angelegenheiten: der beiligen Schrift in Unterfuchungen 
einzutreten, Befchlüffe zu faffen, und Urtheilfprüce 
zu fällen, weil fonft jedermann von einem Tag zum an— 
dern wieder neue Meinungen aufftellen, und Gegenftände, 
die ſchon einmahl ordnungsmäßig entfchieden waren, 
nochmahls beftreiten und auf folhe Weife immer neue 
Berwirrung fiiften würde. Faber führt ſechs Beweis— 
ftellen an, in welchen Zwingli das Recht der Kirche aner— 
tennt: über die heiligen Schriften Zweiſel zu löfen, Be— 
\ 8 


— 144 — 


lehrung und Zurechtiveifung zu ertheilen, auch förmliche 
Urtheile ergeben zu laffen, — ja wo er nicht nur der 
Kirche felbft dieß Recht zugefteht, fondern auch den ge— 
fammten Ehrifigläubigen folche Befugnig einräumt; wie er 
dann würklich in Zürich zweyhundert weltlichen Bürgern 
und Handwerkern feine Glaubens: Angelegenheit zum 
Entſcheid vorteug. Dagegen beruft fidy Faber auf eilf 
andre Beweisftellen, und führt Zwinglis eigne Worte an, 
worin er offen und beftimmt alle und jede Prüfung 
und Urtheil non Öottesgelehrten, Kirchenverſammlungen, 
Päpſten, Univerfitäten, ja der Kirche felbft, fchlechterdings 
ablehnt, und dieß Recht gänzlich verwirft.* 

Daß übrigens Zwingli feine Lchre von der figürlichen 
Hedeutung der Einfekungsworte zum Abendmahl feines- 
wegs felbft erdacht, fondern von Carloftad entlehnt 
hatte, — (mie. wir fchon unter der Rubrik diefes letztern 
zeigten, und auch von Melanchton verfichert wird) — 
beftätigt Zwingli ſelbſt in f. subsidio , wo er fagt: „er 
habe viele Sahre lang des Earlftads Meinung vom 
Abweſen des Leibs Chrifti im Abendmahl vertheidigt, er 
habe aber feine Meinung nicht Teichtlich wollen unter die 
Gemeinefprengen, damit er nicht die Perlen vor die 
Säue würfe, eherer mit Selehrten und chriftlichen Leuten 
oft davon gefprochen hätte, damit diefe Sache — welche 
höher fey als jemand zu gedenfen vermöge — 
wann fie dermaleins ans Kicht käme, viel Patronen und 
Bertheidiger haben möchte.“ (Dieſen Hinterhalt des 
Swinglis verdammt Biftorinus im Ep. p. 14 und fast: 
wer nicht aufrichtig von Religion und göttlichen Sachen 
denen, fo den Herrn lieb haben, antwortet, der ift ein 
Berräther der Wahrheit). | 

Sn Ep. von des Heren Nachtmahl an Math. Alberum. 
4525. Ar 6 fihreibt Zwingl: „ich fürchte, daß viel Leuthe 
in dem Streit des Nachtmahls irren, fofehrne nicht ich 
mehr irre als fie alle, und fo mich die Eigenfchaft, die 
Meinung der ganzen Schrift, ja die Öottfeligfeit ſelbſt nicht 


— 15 — 


betrüget, fo haben wir weit vom Mahl gefchoffen.“ Zu— 
vor hatte der nähmliche Zwingli in feiner dem König 
von Frankreich zugefandten Schrift ſich auf Gottes Rich» 
terftuhl berufen, und aufs höchite betheuert, „daß er kei— 
nen Zweifel an der Richtigkeit feiner Meinung in dem 
Saframentfireit trage.“ 

Sn obiger Ep. ad Alb. a. fagt er: obfchon die 
Meinung, die wir anzeigen wollen, uns beſſer gefällt, den- 
noch fo fließen wir nichts, fondern wir bringen 
unſre Meinung herfür, damit auch andre fo zu glauben 
gelehrt werden, wann es Gott gefällt, aber von dem Geift, 
der uns alles lehrt.“ Ebendafelbft befennt er, daß er 
vielleicht nicht fo viel verftehe als Carloſtad, (obwohl er 
defien Meinung — Toutismus — gänzlich verwirft). 

Roh im Jahr 15241 gab Zwingli im Druck eine 
Schrift heraus: Rath eines Mannes, der von Herzen für 
die Würde des römischen Pabftes und den Ruheftand der 
hriftlichen Religion beforgt if. Darin fagt er unter an— 
dem: „Einem Chriften geziemt es, dem Statthalter 
Chrifti von Herzen zugethan zu feyn. In Erneuerung 
der Gefeke und Eitten fol man nichts ungemeffen unter- 
nehmen, Edle Gemüther wollen belehrt, nicht gezwun— 
gen ſeyn; nur Efel laſſen fi zwingen. (?) Theologen 
geziemt es vor allen, mit Sanftmuth zu lehren, und 
nichts mit Schmähung oder als Parteyſache zu be- 
handeln.“ 

In libr. de euch. gefteht Zwingli felbft, daß, „nach 
dem er Carloſtads Schriften gelefen, er der Lutherfchen 
Meinung entfagt habe und zu der Carloftadifchen überges 
treten ſey;“ fpäterhin, als er dann beyde zu übertreffen 
beglaubt war, fäumte er nicht, fein eignes Lehrgsbäude 
aufzurichten. 

Don Zwinglis — muhamedaniſ chem Wahl⸗ 
ſpruch Evangelium sitit sanguinem (das Evangelium dür— 
ſtet nach Blut), welcher auch in vielen von 1560 — 1570 

Br 


= 44 —& 


herausgefommmen Schriften ftark gerügt ward, werden 
wir noch im Verfolg zu fprechen Gelegenheit finden. 

In der zarten, gemüthlicyen Schreibart metteifert 
unfer Held rühmlich mit feinem Borbild Luther. So 
lefen wir oft in ſ. Antwort auf deffen Bekenntniß: „fie 
fhmeden nach dem Knoblauch und Böllen (Zwiebeln) in 
Eaypten,“ d. h. fie find dem Papftthum gewogen. Eben- 
dafelbft: „Das gehörte wohl auf den Zurzach- Markt, da 
‚gilt: befh—— 8 wer mag.“ Eben fo falbungsvoller Auge 
drücke bedient ſich Conrad Schmid — Zwinglis vertraus 
tefter Amtsbruder — in feiner Predigt während der 
Difputation in Dern 1528: „Die Wiedertäufer find 
Sleichsner ; die fo ohne Sünd leben, wie die Hünde ohne 
Flöh im Auguft; fie möchten die Lügen verdrehen, wie die 
Kaken ihren Koth; fie find fo füuberlich gewafchen von 
Sünden in ihrem Gänsbad , wie eine Bäcerfau, die fich 
in einer Miftpfüge gewälzt hat“ nf. w. (Und von dies 
fem würdigen Kumpan bezeuat ein moderner Biograph 
Zwinglis, daß er ein „gar gefchiefter, in der ganzen Bür— 
gerfchaft beliebter frefflicher und gelehrter Herr“ war, — 
daß er „mit Zwingli eigentlich Ein Herz und Eine Seele “ 
Zeitlebens blieb, — daß er „fein verftändig, Litterarifch 
gebildet, ausnehmend bevedt, ja die Urbanität und Hu— 
manität felbft“ war!). 

Vernehmen wir nun ferner noch die UÜrtheile und 
3eugniffe feiner proteftantifchen Zeitgenoffen, wie 
folche von der unbeftechbaren Geſchichte ung aufbewahrt 
wurden. 

Melanchton (nah Flor. Ram.) fihrieb: ich will 
mich nicht weigern, mit Defolampad in eine Unterredung 
in Marburg mich einzulaffen, denn mit Zwingli zu fpre- 
chen ift fo viel als verlorene Zeit Das Unternehmen ıft 
nicht allezeit leicht , denn ihre Meinung ift mehreren ange— 
nehm, welche die Geheimniffe Gottes :mit.der Hand 
ar — möchten, ſich übrigens aber doch am N 
ihres Vorwitzes faiten laͤſſen. 


— 417 — 


Ebenderſelbe ſchrieb an Görliz in Brauſchweig, 
„er wolle viel lieber tauſendmahl ſterben, als Zwinglis 
Irrlehre beypflichten, daß Chriſti Leib nur könne an Einem 
Ort auf Ein Dahl ſeyn.“ 

Sn feinem Buch an Dr. Fr. Mykonius ſagt derſelbe 
ferner: „ich kann keine genugſame Urſach finden, warum 
ih von Unſrer Meinung, daß der natürliche und weſent— 
liche Leib Ehrifti im heil. Nachtmahl dargerveicht werde, 
weichen fol; wohl mag Zwinglis Meinung müßigen und 
fürwitzigen Leuten beffer gefallen, da fie mit dev bloßen 
Bernunft eher übereinftimmt und mit vielen Schein» 
gründen bemäntelt wird; aber was wird in der Anfech— 
tung gefiheben, wenn das erwachte Gewiffen fragt, aus 
welchen Gründen man von der alten, allgemeinen 
Kehre der wahren Kirche Gottes abgemwichen fey, fo 
werden die Worte Chrifti „das ift mein Leib— ein Done 
nerfeil feyn, und das erfchrocdne Gewiffen mit feinen 
Scheinaründen beftehen fünnen, da es nicht bey den 
Worten Gottes bat bleiben, fondern die Bernunft 
höher achten wollen. * 

Brentius (in recog. proph. et apost. % fine), wel» 
cher von dem berühmten Semwel „der ernfte und gelehrte 
Greis“ genannt. wurde, erklärt, daß Zwinglis Lehrſätze 
teuflifch, voll Sottlofigkeit — Verderbniß und Berläunts 
dungen feyen, daß feine Irrlehre über die Euchariftie noch 
mehrere andre Irrlehren in ihrem Gefolg habe, welche 
noch gottesläfterlicher ſeyen; er behauptet die Zwin— 
glianer würden es dahin bringen (in Bulling. Coronide 
4544), daß in der Kirche Gottes die alten Neftoriani- 
fhen Keßereyen wieder erwachen werden, daß nach und 
nach einer unfrer Slaubenspunfte nach dem andern ver— 
fhwinden, und durch den Aberglauben der Heiden, Zul 
mudiften und Mahbomedaner werde verdrängt werden. 

Flor. -Remund fagt: Zmwingli war ein Mann von 
heftiger, braufender Gemüthsart und von zügelofer 


— 18 — 


Lüfternheit, fo zwar, daß er, nach feinem eignen Geftänd- 
niß, wegen feiner geilen Sinnesluft das Cölibat unmög« 
lich ertragen fonnte. Damahls begann eben in Gachfen 
und den benachbarten Ländern die Lutherifche Lehre über- 
band zu nehmen, welche Zwingli anfänglich nur unter fei- 
nen Colfegen, bald hernach aber öffentlich mit allem Nach» 
drud in Schuß nahm. Auch Zwingli eiferte zuerfi — 
wie drei Sahre vor ihm Luther — nur gegen den Ab» 
laß, und trat in befondres Einverftändniß mit dem Bil- 
derftücmer arloftad, indem er gemeinfchaftlich mit dem- 
felben die fhleunigfte Wegfchaffung der Bilder mit Unge- 
ftim betrieb. 

Daß Zwinglis Lehre im X. Urt. der Augsburger 
Eonfeffion und der Formula concordie von 1536, ſo— 
wie auch von der proteftantifchen Verſammlung in 
Schmalkalden im 3.1537 und dem Eolloquio in Worms 
41544 ausdrüdlih verdammt wurde, kann von feinem 
Befchichtsfundigen beftritten werden. 

Der mehrmahls angeführte Schlüffelberg, pro- 
teftantifcher Gottesgelehrter und Profeffor in Stralfund, 
ſchreibt: „Dem Zwingli hat 1525 den 13. Apr. der Teu— 
fel den Galvinifhen Schwarm im Schlaf eingeblafen, wie 
dann auch Zwingli in feinem Buch von der wahren und 
falfhen Religion in Erzählung der Einfekungsworte toll 
kühner Weife ftatt dem Wort est das Wort significat 
feßt. Sch habe durch Gottes Gnad in 23 Jahren über die 
200 Iateinifche und deutfche Schriften der Calviniſten und 
Zwinglianer durch und durch fleißig gelefen, und erkläre 
die Wahrheit in Sefu Ehrifto, daß ich nichts Gewiſſes 
und Gründliches in allen ihren Büchern habe finden 
fönnen, worin ic) Beruhigung erlangt hätte, fondern fah, 
daß fie vol Gottesläfterung, Schmähmort, Lügen, 
Afterreden und Irrthum find.“ 

(Hier darf nicht unbemerkt gelaffen werden, daß von 
allen Zwinglifhen Schriften fein „Buch von der wahren 
und falſchen Religion“, nach J. G. Müllers felbfteige- 


— ME 


nem Geftändniß, die einzige war, welcher eine ‚genaue 
Ausarbeitung zu Theil wurde!) 

Der fo gelaßne und friedfertige Melanchton fchrieb 
an Luther: „Zwingl fandte feine Confeſſion gedruckt hieher. 
Du wirft mit Einem Wort fagen: der Dann fey verrückt, 
Ueber die Erbfünde und den Gebrauch der Sakramente er— 
neuert er die alten Irrthbümer. Pomeranus, des Her: 
3098 von Sachfen Kanzler, bewies dem Bucer, daß Zwingls 
Lehrmeinung von der Lutherifchen ſo weit entfernt fey, 
wie die Erde vom Himmel, fo zwar, dag nun die Augs— 
burger Eonfeffion die Helvetifche — dieſe wiederum jene, 
— die Katholifen aber alle beyde ald ivrig und häretiſch 
vermwerfen. * 

Ebenderfelbe fihreibt von Zwingli und feinen Hel- 
fershelfern: „fie veranftalten Conzilien, wann und wo es 
ihnen gelüftet; fie maßen fich größres,  unerträglicheres 
und unerlaubteres Anfehn, Macht und Gewalt an, alg 
fein römifcher Papſt fih je gu Sinn fommen ließ. Was 
Swing! einmahl meint und lehrt, das follen alle andern 
fett glauben mie ein Heiligthum; wer ihm mwiderfpricht 
oder nicht unbedingten Glauben fiyentt, wird als Keger 
erklärt. Was diefen Leuten bey Nacht im Traum vor— 
fommt, fchreiben fie auf, laſſen es druden, und wollen all 
ihre Reden und Schriften als Drateifprüg: angefehen 
wiſſen.“ 

Florim. Rämundus ſah mit eignen Augen ein 
Exemplar des neuen Teſtaments, von Zwingli ins Deutſche 
überſetzt, Zürich 4525 in 8. bey Chriſtoph Froſchauer ge— 
druckt, worin die Einſetzungsworte hoc est corpus meum 
fo willkührlich als gewaltthärig überſetzt werden 
„dieß bedeutet meinen Leib,“ 

Sch ütz heißt Zwingli und feine Anhänger „Leibs- 
und Seclenmörder, Friedensftörer und Yufwiegler.“ 

Indeſſen haben ai wohl bauptfächlich das Urtheil des 
Patriarchen Luther über feinen rüftigen Mitkämpfer noch 
ind Auge zu faſſen. Daſſelbe erfcheint um fo unverdäch— 


— 120 — 


tiger und glaubwürdiger, wenn wir erwägen, wie ent» 
fhieden günftig felbfi die neueren Biographen Zwing— 
is über die beydfeitigen Berhältniffe diefer Zwillingshelden 
urtheilen.  Swingli hatte nähmlich — ihrer Behauptung 
zufolg — für Luthern tiefe Hochachtung, hieß ihn 
einen fehr tapfern Etreiter Ehrifti, und erkannte 
in ihm einen foldy fleißigen Bibelforfcher, wie feit 
taufend Sahren feiner erfchienen war; beyde lehrten 
und fihrieben in Einem Geift; fie predigten nach der 
Apoftel Lehre Sefum den Gekreuzigten; fie nahmen die 
heilige Schrift als einzige Grundlage des geläuterten Chri— 
ſtenthums an; Zwingli evhob aber Luthern und die Würs 
fung feines Werks weit über fich felbftz Luther war 
ein von der Vorſehung auserwähltes Werkzeug zu 
Befüimpfung des Aberglaubens, Aufdeckung des Prie- 
fterbetrugs und zu Wiederherftellung des ächten evanges 
lifchen Ehriftenthbums. Er fchrieb zum Gegen der 
Kirche, zum Unterricht für Gebildete und zur Beleh- 
rung des Volks. Die gefegneten Würkungen feines 
Lehr» und Apoftelamts (1!) werden nie aufhören. Die 
fichtbar über ihn waltende Hand der Vorſehung fegnete 
fpürbar fein Werk. Mit Heldenmuth und in höherer 
Begeifterung vertheidigte er das Anfehen der heiligen 
Eihriften. Luthers Bemühungen in Deutfchland zweckten 
einzig dahin ab, die Kivchenlehre von alen falfchen Zus 
fäßen zu veinigem Dffen und freymüthig bezeugte 
Zwingli feine Achtung für Luthers Geift und Muth, ja 
er wagte es fogar, dem Gtellvertreter des päpftlichen Les 
gaten in der Echweiz Borftellungen gegen die Bekannt» 
machung de3 über Luther ausgefprochnen Banns zu ma- 
chen und im Druck herauszugeben, Der fo große und 
fregdenfende Luther timmte in den meiften wefent- 
lihen Punkten der Reformation mit Zmwingli überein, 
welcher auch feinen Anhängern hinmwiederum die Schriften 
Luthers felbit zum Lefen empfahl. Luther verbefferte 
den chriſtlichen Gottesdienft, brachte beym Lehrſtand 


a 


beilfame Beränderungen hervor, und mendete die aus 
den Schriften gereinigte Religion zum Beſten aller 
Stände an. Luthers Andenken wird gefchäkt feyn und 
bleiben, -fo lang Chriftenglauben und Ehriftenfinn herrfcht 
und Chriftusfiebe athbmet. Mit dem verdienftvollen 
Luther harmonierte Zwingli brüderlich in den meiften 
Religienspunften. In’ allen Jahrhunderten — fagte Zwingli 
— hat noch feiner das Papſtthum fo mannlich angegriffen 
und gerüttelt wie Luther. Im Kern des Chriftenthunms 
ftimmten beyde Slaubenshelden überein“ u. f. mw. 

Sn ſolch apodiktifchem entfchiednem Ton laffen jich die 
Swinglifhen Biographen (ein Schuler, Salom., Heß und 
Eonf. Jȟber Luthern vernehmen. Aber audy fhon in der 
— Anno 1545 erfchienenen — Confess. orthod. Ecel. Tig. 
minist. heißt Luther „der ausgezeichnet große, durch Als 
ter, Einfiht und Erfahrung ehrwürdige, in hohem An» 
fehn fiebende Mann, welchen wir als vortrefflichen 
Diener Gottes anerkennen, und gern eingeftehen, daß 
Gott durch ihn als fein geheiligtes Werkzeug viele und 
herrliche Würfungen auf dem ganzen weiten Erdenrund 
hervorgebracht habe, auch ihm feinen Ruhm ganz und gar 
nicht mißgönnen, fondern vielmehr demfelben alle ver— 
diente Ehre ermweifen, und ihn — hoch⸗ 


ſchätzen.“ 
Und nun — wie urtheilt dieſer, von älteren und neueren 
Zwinglianern fo höcjgepriefene — folglich in ihren 


Augen unbedingt glaubwürdige — Luther von uns 
ferm „Mann nach) dem Herzen Gottes?“ 

Man höre, und ftaune!! — 

Bey Gelegenheit einer Antwort, die er dem Landgra⸗ 
fen gab, ſagt er: „wozu kann dieſe Untercedung mit Swing! 
nüßen, wenn beyde Parteyen fchon mit vorgefaßten Mei: 
nungen auftreten, und: den Entfchluß mitbringen, in gar 
nichts nachzugeben. Ic weiß es gewiß, daß fie im 
Irrthum find; fie find fchlaue Teufel; auf diefe Art 
müſſen die Sachen nur fchlimmer werden.“ 


— 422 — 


An Chriſtoph Froſchauer, Buchdrucker in Zürich, 
ſchrieb er im J. 41543 (S. Schlüſſelberg L. 2. Theol. Calv.) 
„Ich will von ſolchen Leuten keine Bücher leſen, weil ich 
ſehe, daß ſie außer der Kirche Gottes, und nicht 
allein verdammt ſind, ſondern auch noch mehrere andre 
elende Menſchen mit ſich in die Hölle ziehen; ſo lang 
ich lebe, werde ich ſie durch mein Gebeth und durch 
meine Schriften bekriegen. Die Gemeinde Chriſti 
kann mit den Zwinglianern feine Gemeinſchaft haben.“ 

Luther hieit (nach Florim. Räm. p. 190) Carloftads 
Meinung tiber die Eucharikie für albern, jene des Zwingli 
aber für betrügerifch und boshaft; denn diefer gebe 
den Ehriften ftatt des wahren Leibs Sefu Ehrifti — der 
doch weder von Zeichen noch Geſtalt ſprach — nur Wind 
und Rauch. 

Nach Florim. Räm. H, 36. fagte er: Zevingfi ift 
geftorben und ift verdammt, denn er wollte gleich einem 
Died und Uufwiegler durch die Gemalt der Waf> 
fen auch andre zur Annahm feiner Xehre zwingen, und: 
hat dadurch viele TZaufende in Elend und Sammer geſtürzt.“ 

An den Theologen Sac, Brentius fchrieb er: „ich al- 
ter, -abgelebter, halbtodter Mann gehe nun meiner Ruhe 
‚entgegen. Aus deinen Briefen erfehe ich, daß die Schwei- 
zer mich verwünfchen und verfluchen. Hierüber habe ich 
mich nur zu freuen. Willft du wiſſen, in welchem Punft 
ich armer elender Menfch mich doh noch wahrhaft 
glüdlih zu fhäken habe? wohl dem der es nicht hält 
mit den Saframentöfchwärmern, der nicht wandelt auf 
dem Weg ber Zwinglianer, und der nicht fit auf der 
Lehrkanzel der Zürcher! * 

An einer andern Stelle falt er über Zwingli und 
Oekolampad folgendes Urtheil: „Die Zwinglianer ſind 
Ketzer und Berführer, deren Meiſter und Geift iſt 
der Teufel. Zwinglianer find Chrifti Feind. Bor Zwingli 
ſoll jedermann ſich hüthen und feine Bücher meiden, wie 
der Zeufel Gift. Sch Luther befenne, daß ich Swinglium 


413 — 


halte für einen Unchriften, denn er lehrt und hält 
fein Stück des criftlihen Glaubens. Die Zwinglianer 
find unfinnige Gottesläftrer, VBerdammte, für die 
man nicht bethen fol. Sch will mit ihnen nicht in die 
mindefte Berührung mich einlaffen, fo lang fie nicht be= 
fennen und geftehen, daß das Brod der Euchariftie der 
wahre und natürliche Leib unfers Herrn fey. Ich befümmre 
mich eben fo wenig darum, von den phantaftifchen 
Zwinglianern, als von den Türken, dem Papft oder von 
allen Teufeln gelobt oder getadelt zu werden. Sch — der 
ich fchon an der Schwelle der Ewigfeit ſtehe — mill 
diefen Ruhm und diefe Genugthuung vor den Richter- 
ftuhl meines geliebten Heren und Erlöſers Jeſu Ehrifti 
mitbringen, daß ich nähmlicy die Fanatifer und Sa— 
framentsfeinde Carloftad, Zwingli, Defolampad nebft 
ihren Schülern in Zürich und überall anderwärts von Grund 
meines Herzens verdammt und gemieden habe, nad) dem 
göttlichen Geboth bey Tit. III. und 2 Ep. Joh. Wir vers 
dammen auch täglich in unfern Predigten ihre Keßereyen 
voU Gottesläfterung ud Trug; ic müßte mich felbft 
in den Abgrund der Höle fammt ihnen verdammen, wenn 
ichs mit ihnen follt halten oder mit ihnen Gemeinfchaft 
haben. “ 

Sn Luthers brevi de S. Sacram. confess. heißt er 
Zwingli und Defolampad „halsftarrige ruchloſe Keker, 
Saframentsfhänder“, und brandmarft fie als die „lafter- 
hafteften, verworfenften Menfchen auf dem Erdboden.“ 

Die conf. orthod. Ecel. Tig. min: gefteht felbft: „Lu— 
ther verwünfcht und verwirft alle und jede Gemeinfchaft 
mit uns, und will unfre Bücher, Briefe, Befuche u. f. w. 
feines Blicks noch Gehörs würdigen; er betrachtet und 
behandelt uns gänzlich als geächtete und verworfene 
Leute.“ Er befchuldigt ung, daß wir auch nicht einem ein» 
zigen chriftlichen Glaubensartifel in Wahrheit zugethan 
feyen und daß wir über das allerheiligfte Saframent des 
Leibs und Bluts Ehrifti einen falfchen, gottesläfter- 


ne DER 


fichen, verderblichen, der heil. Schrift und der alten 
chriſtlichen Kirchenlebre ganz mwiderfpremenden 
Glauben befennen, aufdringen und vertheidigen.“ 

In verſchiedenen Drudfchriften Luthers merden die 
Zwinglianer häufig „Diener des Satans, Heuchler, 
Yufrührer“ genannt; er erflärt dabey: „fich lieber hun— 
dertmahl zerreißen oder vom Feuer verzehren zu laffen, 
als der Zwinglifchen Irrlehre beyzuftimmen, “ welche 
er überall nur als ein „teuflifches Gift“ verabfcheut. 

Un einer andern Stelle fagt Zuther: „vom heiligen 
Geiſt erhielten die Zwinglianer eine ernfte Warnung, da 
fie nähmlich fchon bey Erklärung der Einfekungsworte: 
das ift mein Leib, nach fieben verfchiednen Geiftern fich 
abfönderten, und feiner mit dem andern einig werden fonnte.“ 

Und wieder: „der arge Teufel treibt diefe verruchte 
heillofe Sekte jet und auf immer; fie haben ein einge 
teufeltes, überteufeltes und a läfterliches Herz 
und Lügenmaul.“ 

(Boffuet madt hierbey die nur allzurichtige Bemer— 
kung: Luther habe ſich ein eignes Geſchäft daraus gemacht 
den Zwinglianern von außen und von innen, von oben 
und von unten, vorwärts und rückwärts den Teufel an- 
zuhängen; er habe ganz eigene Redensarten erdacht, um 
fie gleichfam ganz zu verteufeln, und er mwiederhohle 
dieß gebäffige Wort fo oft, daß einen wahrhaft der Schauer 
ergreifen müffe.) 

Auch Luthers Tifchreden, 1532 Fol. liefern uns meh 
rere triftige und fchlagende Stellen. So heißt es dort: 

P. 40. „Das ift auch das End aller Ketzer, daß. 
fie zuleßt zum Schwert greifen und Mörder werden, 
mie zu fehen an Münzer, Zwingli u, a.  Zuerft fangen fie 
ihr Thun an mit einem Schein der Gottfeligfeit, für- 
ben und ſchmücken ihre Lehren mit der Schvift, dadurch 
fie großen Schaden thun und viele Xeute verführen, 
bis fie zulekt, wenn man ihre Lügen offenbart und ftraft, 
zum Schwert bringen.“ 


— — 


P. 51. „Oekolampad, Zwingli, Carloſtad u. a. mr. 
meffen und urtbeilen alles nah ihrer Vernunft und 
Weisheit, werden alfo zu Schanden. Ich aber danke 
unſerm Here Gott, daß ich weiß und glaube, Gott fünne 
mehr denn ich; ja er kann höheres machen als ich zu 


begreifen vermag.“ 


P. 92. „Der höchfte Artikel unfers chriftlichen Glau— 
beng ift Chriſtus; den hat Defolampad, Zwingli und noch 
andre Keer und Rottengeifter nicht gehabt noch verftanden.“ 

P. 178. „BZwingli und Defolampad haben des vechten 
Wegs verfehlt; denn alle Theologen, die mit Vernunft 
und Spefulieren in göttlichen Sachen umgehen und davon 
urtheilen, find des Teufels.“ 

P. 419. „Zwingli ward von Hoffart und Ehrgeik 
— den fchändlichften Giften der Kirche — verführt, that 
nur was ihm gefiel, mie fein Dolmetfcher über die Pro- 
pheten anzeigt, die ftedt voll Vermeſſenheit und Ueber 
muth. Darum fihrieb er auch: ihr frommen Fürften, 
wollt verzeihen, daß ich euch euren Zitel nicht gebe; die 
Senfter find eben auch durchleuchtig.“ 

P. 192. „Wie bin ich doch den Leuten feind, die fo 
viel Sprachen auf dev Kanzel einführen, wie Zwingli; der 
redet griechifch, bebräifch und Lateinifch auf dem Predigt: 
ftuhl zu Marburg. © 

P. 279. „Zwingli ift ein feöhlicher höflicher Colla« 
tionsmann gewefen, darnach aber doch fo gar verdüftert 
und traurig worden; in der Erft war er cin feiner, auf 
richtiger, heitrer Menſch, aber nach dem Fall ward er ſo 
vermeſſen, daß er gar durfte ſagen und ſchreiben: es habe 
kein Menfch in der Welt geglaubt, dag der Leib und Blut 
Chriſti würflich im Sakrament fey. Dieß hat er reden 
dürfen ganz wider aller Menfchen Erfenntniß und 
Wiffenfchaftz darum ift er jämmerlich umfommen.“ 

P. 287. „AS Zwingli und fein Anhang mit den 
todten fteinernen Bildern friegten, da gewannen fie; als | 
aber die lebendigen Bilder kamen, nähmlich die Schwei- 


— 416 — 


zer und Eidsgenoffen auf des Papſts Seite, da wurden 
fie derb gefchlagen. Alſo gefchah es auch) Münzern mit 
feiner Rotte. Zwingli hat das Schwert gezüdt, darum 
bat er feinen Lohn empfangen, nach dem Sprud: wer 
das Schwert ergreift, fommt durch das Schwert um.“ 

Sn einer andern Schrift erklärt Luther: „wer zuver- 
läffig weiß, daß fein Pfarrer oder Geelforger der Zwing- 
liſchen Sefte zugethan ift, foll ihn meiden, und eher fein 
ganzes Leben hindurch des Nachtmahlsgenuffes fich enthals 
ten, al folches von ihm empfangen, ja eher den Zod er- 
dulden und den äußerſten Gefahren fich unterziehen. Sene 
Schwärmer, Erzteufel und doppelzüngigen Heuchler follen 
von Amt und Kanzel entfernt und aus dem Landesgebieth 
jelbft verftoßen werden. “ | 

ie ſehr Luther und Zwingli gegenfeitig ihre Bibel 
überfegungen tadelten, ift nur allzubefannt, Luther fandte 
dem. Zürccherfchen Barhdrsidten das ihm von diefem gefchenfte 
Eremplar fogleich zurück, mit der Aeußerung: „daſſelbe 
verdiene lediglich durch die Flammen vertilgt zu werden, 
indem es nichts als die fchamlofeften Berfälfchungen 
des Gottesworts enthalte, * 

(Die Wahrheit ift, daß jede der beyden Geften die 
Veberfekung nach ihrem Sinn vornahm, und fowohl Geift 
als Wort der heil. Schrift in manchen Stellen nur ih— 
ven eignen Meinungen anpaften. Defolampad. (de 
verbo dom.) zählte fchon 67 Weberfehungen. Luther fo» 
wohl als Zwingli wollten jeder für feine Kirche nur die 
eigene Ueberfegung dulden. Nachher geftatteten die Zür— 
cher den Gebrauch jeder beliebigen Weberfekung. In der 
Leipziger Synode 1528 befahlen aber die Lutheraner, da 
alle andren Berfionen außer derjenigen des „Mannes 
Gottes Martin Luther“ verfälfcht und verdorben feyen, 
nur diefe leßtre in dev Kirche zu lefen und zu gebvauchen.) 

In feinen „Zifchreden“ vom 3. 1532 ſchreibt Luther: 
„Nun ift Zwingli jämmerlicy umgefommen; hätten feine 
Irrthümer die Oberhand gewonnen, fo wären wir nebjt 


— 


unſrer Kirche zu Grund gegangen. Aber dev 55. Pſalm 
Sagt: die Blutgierigen und Falſchen werden ihre 
Tage nicht auf die Hälfte bringen.“ 

Auch in Briefen, welche Luther nach Zwinglis und 
Oekolampads Tod an den Markgrafen von Brandenburg 
und die Stadt Frankfurt ſchrieb, beſchimpfte er jene bey— 
den: Männer nochmahls aufs heftigſte. Sa ſogar in dem 
kurz vor feinem Tod abgelegten Bekenntniß erilärt 
Luther noch: „ich verdamme auch die Phantaften 
und Feinde des Saframents, Zwingli, Oekolampad 
und ihre Jünger in Zürih. Im Irrthum vertieft find 
fie, und in ihren Sünden zu Grund gegangen. Ich 
müßte mich felbft verdammen, wenn ich mit ihnen 
ſollte Gemeinfchaft haben; dus töue und dazu ſchweige der 
Teufel und feine Mutter — nicht ich. “ 

Sp urtheilte Luther über Zwingli und deffen Lehr— 
meinung! Wohl mag die Vermuthung nicht fehr gewagt 
feyn, daß jene Zwinglifchen Biographen mit ihren unbe— 
gränzten Lobfprüchen über die Beiftesverwandtfchaft beyder 
Koryphäen mweniger freygebig gemwefen wären, wenn fie 
porher mit obigen unverwerflichen Bemweisftellen fich bekannt 
zu machen die Mühe genommen hätten. — 

Getveu feinem fihon erwähnten menfchenfreundlichen 
Wahlſpruch: „das Evangelium dürftet nach Blut“ hekte 
dann Zwingli auch eifrigft die Zürcher zum Kampf gegen 
ihre eidsgenöffifchen (der ‚alten Mutterficche getreu 
gebliebenen) Mitbrüder auf, und zog felbit als Strei— 
tev gegen fie mir Schwert und Speer — diefer unprie- 
fterlichen Rüftung — in die Schlacht, wo bald auch feine 
legte Stunde fchlug. — 

Noch Eurz vorher hatte er in Zürich eine Predigt ge- 
halten, und dem Druck übergeben, welche uns Zfehudi 
aufbewahrte, und worin folgende von feinem tiefen Scharf- 
blick zeugende Stelle vorkommt: „brechet auf! brechet auf! 
die fünf Drte (Kantone) find in euerm Gewalt. Wann 
ich die Seinde mit dev Wahrheit des Gottesworts anreden 


— 13 — 


werde: wen fuchet ihr, Gottlofe! dann mwerden fie vor 
Schredfen und Furcht nicht antworten fünnen, fondern 
ale zurüdfallen und entfliehen, wie die Juden am 
Delberg ob dem Wort Ehrifti. Ihr werdet fehen, daß 
das Gefhük, das fie auf euch gerichtet, fich umteh- 
ven, fie felbft treffen und fie umbringen wird; ihre 
Spieße, Hellbarten und Gewehre werden nicht euch, wohl 
aber fie felbft verlegen u. ſ. w.“ 

D der gebrechlichen eiteln Stütze feines Heldenmuths! 
Welch plumper Aberglaube, wenn er hierin feine würk- 
liche Ueberzeugung ausiprach; welch niedrige ſchändliche 
Heucheley aber, wenn er gefliffentlich feine Kampfges 
nofien irreführtel — 

Sedenfalls bat der prophetifche Kriegsmann fich jäm- 
merlich getäufcht, und ganz anders war es im Plan der 
ewigen Weisheit befchloffen. — 

Und was ſagt uns die — —5——— ——— Geſchichte 
von den nächſten Folgen ſeines Todes? 

Seine eignen Verehrer und Anhänger ſollen 
uns antworten! — 

Einer der oberwähnten Panegyriſten ſagt: „die Geg— 
ner frohlockten über feinen Tod, erhoben ihr Haupt 
ſtolzer, fhimpften und läfterten über den Gefallnen 
und feinen Anhang.“ 

Ein andrer fchreibt: „lange noch war in Zürich eine 
Dartey der neuen Lehre abgeneigt geblieben; dann be— 
gehrten die Altgläubigen, daß ihnen eine eigene Kirche 
zur Haltung der Meffe eingeräumt werde; nachher 
ließ der Rath auf allen Zünften jeden einzeln fragen, ob 
er zum Abendmahl oder zur Meß geben wolle, und auf 
Einer Zunft waren ſechs VBorgefegte diefer letztern 
Meinung zugetban. Nach Zwinglis Tod durfte ein Bür— 
ger — obgleich die Mefje im Kanton ſchon abgefchafft war 
— Katholik — nur durfte er zu keinen Aemtern ge— 
wählt werden. ‘ 

Späterhin theilten ſich — mie Bullinger — — 


— 429 — 


die Zwinglianet in nicht weniger ald aht Sekten: die 
Scopiften, Energiften, Metamorphiften u. f. w. ©. Räm. 
3,244, a 

' Gualter, Zwinglis Schwiegerfohn und zweyter 
Nachfolger, doch wohl der unverdächtigfte Gewährsmann, 
giebt in feiner Apolog. pro Huldr. Zw. im Jahr 1545, 
alfo vierzehn Jahre nach Zwinglis Tod, folgende be- 
merfensiwerthe — von den neueren Lobrednern Zwinglis 
uns forgfältig vorenthaltene — Auffhlüffe: 

Es giebt viele Leute, welche ihn einen Feind des 
Glaubens, einen Widerfächer der Religion, einen 
Störer der chriftlichen Eintracht, Berderber der 
Kirche, Sklaven des Satans, Berfälfcher der 
Schrift „= Seelenmörder ;, Gottesläftrer und Ketzer 
heißen.“ Ä j gi eh / 

„Unter denjenigen, welche fich zum Chriftenthum bes 

fennen, unter den Dienern des göttlihen Worts, 
ja unter den angefehenften berühmteften Theolo— 
gen ift dermahl die Liebe fo fehr erlofchen, daß fie nicht 
nur über Zwinglis Untergang frohloden, fondern auch 
Bergnügen daran finden, den Todten zu läſtern; fie 
behaupten, daß wenn auch feine Xehre in einigen Stüden 
vichtig war, er doch. in vielen andern geirrt habe, und 
daher erklären fie ihn für unwürdig, daß feiner Lehre 
oder feinen Schriften in dev Kirche irgend etwel— 
ches Anfehn eingeräumt werde. * 
Mehrere Proteftanten machen ſich gar fein Gewiſſen 
daraus zu behaupten, Zwingli fey in feinen Sünden ge- 
ftorben, und fchicken ihn auf diefe Urt geraden Wegs in 
die Hölle.“ — 

„Man legt ihm zur Laſt, daß er ungeffüm-, verwe— 
gen und fhwärmerifch in allen ‚Dingen verfuhr, 
aller Bernunft und religiöfe Sinn zuwider alte 
und jede Bilder vafch aus den Tempeln werfen ließ, Die 
Erinnrungszeihen an die Heiligen und an Chriftus 
felbft verimreinigte,: den ehrmwürdigen Gebrauch der Sa— 

9 


— 4150 — 


framente entheiligte, das Geheimnig des Abendmahls 
gottesläfterlich entweihte, und — damit noch nicht 
zufrieden — auch gewaltfam die Waffen und das von 
Chriftus ſelbſt verbothne Schwert ergriff, um feine 
Meinung durchzufeken und Andersdenkende zu unter- 
jochen. * 

„Der zwifchen den heivetifchen Bundesgenoffen 
ausgebrochne Krieg zerftörte ihre einheimifche Rube, 
brachte vielen großen unfträflihben Männern den 
unzeitigen Tod, und ftürzte den Zürcherſchen Staat 
in Sammer und Elend, Man befchuldigt Zwingli als 
Urheber der heillofen Fehde, und als gemaltfa- 
men Etörer des Öffentlichen Friedens, inden er 
aus Uebermuth und Blutdurft die Zürcher zu der 
vorher noch beyfpiellofen, ſchwarzen Unthat ges 
gen ihre Bundsgenoffen verleitete, diefelben nähmlich 
durch Entziehung aller Xebensmittel und durch Hungers- 
noth unter das ihnen verhafte Soch des neuen 
Glaubens zu zwingen. (S. 55b) Man behauptet laut, 
er habe durch einen Eläglichen Tod feine Ruchlofig- 
feit, Gottesläfterung und Graufamfeit gebüßt, 
und fpricht von ihm als von einem Elenden und Ber- 
worfnen, meldher zur Strafe folh großer Ber- 
gehungen mitten in feinen Vebelthaten zu Grund ge— 
gangen fey.“. 

AU diefe Urtheile erfcheinen noch um fo glaubwürdi- 
ger, wann felbft neuere Lobredner des fchmweizerifchen 
Reformators nicht umbin können zu geftehen, daß ihr Held 
während des ganzen Verlaufs feiner amtlichen Würkſam— 
feit nights weniger als allgemein bey feinen Mitbürgern 
in Gunſten ftund, fondern vielmehr eine „unzähliche Menge 
Widerfächer“ hatte, — daß er immer feindfeligen Verfol— 
. gungen ausgefeßt und deßwegen „faft täglich in Lebensge- 
fahr“ war, — auf den Zagfakungen „oftmahls fchwerer 
Vergehen befchuldigt“ und mit ernften Strafen fich bedroht 
ſah, — zuleit aber aus Unmilfen über die ihm mwiderfahr- 


— 414 — 


nen Kränkungen ſowohl als über den bedenklichen „Kalt— 
finn und Wankelmuth feiner eignen Regierung“ zu ver— 
fehiednen Mahlen vom öffentlichen Lehramt abzutreten ent— 
ſchloſſen war; 2° + i 

So, meine proteftantifchen Brüder! war Lehre und 
Wandel jener hochgefeyerten Reformationsapoftel in der 
Würklichk eit befchaffen. Alle hier angeführten Zeug— 
niffe beruhen auf unumftößlichen und unverjährs 
baren Urkunden. Was frommen doch alle noch fo Pas 
thetifchen Huldigungen und Zobhudeleien, all jene — aus— 
geſchmückten Romanen ähnliche — Biographien, wenn fie 
mit der nadten gefhichtlichen Wahrheit im Widers 
fpruch ſtehen, und daher — früher oder fpäter — die Keicht: 
gläubigen einer Täufchung entfagen lernen, in welcher fie 
nur durch Vorurtheile der Erziehung und Gewohn—⸗ 
heit feftgehalten würden?! — 

Nach diefer gedrängten Schilderung der vorjüglichften 
neuen Glaubenshelden wird wohl mancher Lefer nur mit 
banger Beforgniß der Entwicklung diefes Drama entges 
genſehen. 

Auch hier mußte allerdings die Frucht dem Baum 
entſprechen; den Diſteln konnten feine Roſen entſprießen. 

Wenn unſre frühere Behauptung richtig iſt, daß nur 
Demuth und Friedfertigkeit, Reinheit der Sitten, klares 
Selbſtbewußtſeyn, feſte ruhige Beſonnenheit, Erleuchtung 
des Geiſtes und Verſtands geeignet ſeyn können, den apoſto— 
liſchen Beruf zur Umgeſtaltung oder Reinigung der 
— während fünfzehn Zahrhunderten fortbeſtandnen — chrift: 
lichen Glaubenslehre zu beurkunden, ſo müſſen wir frey— 
lich zum voraus ſchon dem Gedanken entſagen, daß 
ſolche Männer von Gott auserkoren waren, ſeiner wan— 
kenden einſtürzenden Kirche zum Pfeiler zu dienen. In— 
deſſen wird in manchem proteſtantiſchen Lande ſchon der 
zarten Jugend eine ehrfurchtsvolle Scheu vor dem bloßen 
Nahmen der Reformationsſtifter eingeimpft; ſie darf ſolche 

9 * 


— 152 — 


nur als Wefen höherer Art, als menfchliche Ideale vorn 
heiligem Nimbus umfivahlt ſich vorftellen. Auch ward in 
den vielen, aus Anlaß der jüngften Sefularfever zu Tage 
geförderten Druckſchriften überall der forafältigfte Bedacht 
genommen, Alles zu verheimlichen, was auf jene hochge— 
prieſnen Männer den geringften Schatten werfen konnte; 
unbedingt wurden die alten einfeitigen Lobfprüche nachges 
bethet, ohne fich dabey um das Zeugniß der Geſchichte 
weiter zu befümmern, während die nähmlıchen Leute — 
als Sprecher ihres proteftantifchen Subildums — den ka— 
tholifchen Eultus zu verdächtigen und aufs derbſte durchzus 
becheln feine Mühe fparten. Hauptfächlich ſcheint ſich 
diefe ungezähmte Läſterungsſucht als köſtliches Erbe 
gut bey den fchweizerfchen Proteftanten erhalten zu 
haben. Der Toleranz — ihrem fo beliebten Aushängfchild. 
— zum Truß, beftreben ficy dort noch in den neueften Zei: 
ten theologifche Schöngeifter-, Libelliſten und Wiklinge jes 
der Art in die Wette mit Zeitungsfchreibern und felbft 
Kalendermachern, den alten Glauben ihrer eidgenöffi- 
fhen Brüder nicht nur zu verunglimpfen, fondern aufs 
vöbelbaftefte zu begeifern und zu verwünfcden. 
Unter ſolchen Umftänden müffen dann freylich denjenigen 
Lefern, welche nie Gelegenheit oder Xuft hatten den ges 
ſchichtlichen Quellen jelbft nachzufpüren und fich Tes 
diglich an jene Vergötterungen fefthielten, manche unfrer 
Mitteilungen als höchft paradog vorkommen. Allein es 
ift hier um gründliche unbefangne Erörterung, um 
Wahrheit — und zwar vollfiändige Wahrheit, nicht 
um Blendwerk zu thun; und derjenige Schriftfteller er— 
wirbt fi) in der That ein geringes Berdienit, welcher ent— 
weder aus Bequemlichkeit nur dag jurare in verba 
magistri als Richtfchnur befolgt, oder aus blöder Aengſt— 

lich keit den Schleyer alterthümlicher — zu fe 
ten — nicht getraut. 2 


— 15 — 


Wir fchreiten nun zue Betrachtung des Reformationg: 
werks, d. h. der Glaubenstrennung felbit, und were 
den "auch hierbey getreu, ohne Rüchalt, nur die zuverläfe 
figften Gefchichtsurfunden zu Rath ziehen. 

Vorher aber fünnen wir ung die Erhohlung nicht 
verfagen, unfre Lefer mit einem Mann näher bekannt zu 
machen, welcher in jenem verhängnißvollen Zeitpunft bey 
allen geiftlichen und weltlichen Machthabern in höchftem 
Anfehn fund, auch von den Reformatoren felbft als vä— 
terlicher Gönner geachtet und gepriefen ward, — deſſen 
Nahme als freundlich mildes mwohlthätiges Seftien am 
wiffenfchaftlihen Horizont des fechszehnten Sahrhundertg 
leuchtete, und noch von fpäter Nachwelt mit dankbarer 
Bewunderung und Ehrfurcht wird genannt werden, — 
deſſen entfchiedne Geiftesüberlegenheit felbft von den ans 
maßendſten Neologen unfers Zeitalters nicht in Abrede 
geftellt wird ; — ich fpreche von dem wahrhaft großen Des 
fiderius Erasmus von Rotterdam (geb. 4467, geft. 
1536), auf deſſen Urtheil als dasjenige eines wichtigen 
Gewährsmanns mir ung oft im Verfolg zu berufen uns 
zur böchften Genugthuung rechnen, und daher eine furze 
Schilderung feiner ausgezeichneten Verdienſte hier bengu⸗ 
fügen nicht unterlaſſen können. 

Vernehmen wir nun zuvorderſt die Zeugniſſe der Re— 
formatoren und einiger angeſehener proteſtantiſcher 
Schriftſteller über dieſen merkwürdigen Mann. 

Es war im J. 1544, als Erasmus zum erſten Mahl 
nach Baſel kam, wo ſich um ihn, als Vater der Auf— 
klärung, alle Freunde des Lichts und der Wiſſenſchaf— 
ten verſammelt hatten. Im Frühjahr 1515 reiſte Zwingli 
ſelbſt dahin, um den ſo allgemein geliebten Mann 
kennen zu lernen, und bezeugte ihm nach ſeiner Rückkehr 
die herzlichſte Verehrung. „Indem ich an dich ſchreiben 
will — ſo lauten ſeine Ausdrücke — macht mich der Glanz 
deiner alles übertreffenden Gelehrſamkeit ſcheu, 
und doch ermuthigt mich wieder deine liebenswürdige Freund— 


— 414 — 


fichfeit, die du mir erzeigteft, als ich nach Bafel hineilte, 
um dich perfönlich Fennen zu fernen, und die ausgezeich- 
nete Güte, die es nicht verfchmähte, fich auch an dem noch. 
unmündigen und unerfahrnen Freund der Wiffenfchaften 
zu erweifen. Sch — ja ich fah deine Geiftesfraft im Ge- 
leite der. gefälligften Sitte und Lebensart, welche die Scheu 
mäßige, und fie prägte fich mir fo tief ein, daß als ich 
deine Briefe Ins, mir war als ob ich dich reden hörte, 
und deine kleine ſchwachliche, und doch ſo angenehme, durch 
die feinſte Sitte verſchönerte Geſtalt vor mir ſähe. Denn 
— ohne Schmeichelei geſprochen — du biſt noch meine 
letzte Unterhaltung, ehe ich einſchlafe. Es reut mich ſo 
wenig, zu dir gereiſet zu ſeyn, daß ich mir einbilde ſchon 
einen Nahmen zu beſitzen, und auf nichts ſo ſtolz bin, als 
Erasmus, den um die Wiſſenſchaften und die heili⸗— 
gen Schriften verdienteften Gelehrten, den von 
Liebe gegen Gott und Menfhen begeifterten 
Mann, der, was für die Wiffenfchaft gethan wird, fi fich 
felbft gethan“ glaubt, gefehen zu haben, — ihn, für den 
alle bethen follten, daß ihn Gott erhalte, damit die 
durch ihn aus Barbavey und Sophifterei hergeftellten 
heiligen Wiffenfchaften fich vervollfommnen, und 
nicht in ihrem Auffeimen fchon wieder ihres Baters 
beraubt werden, verwaifet und unerzogen bleiben. Sch 
habe dir, dem Menfhenbeglüder, längſt gefchenft, 

was Aefchines dem Gofrates (mich felbft) u. f. w.* 

Erasmus ermuntert hinwiederum Zmwinglin nod in 
fpäteren riefen von 1522 und 1523 auf alle Weife zur 
Bolksbildung und Erleuchtung, zu freymüthiger Predigt 
des Evangeliums, — nur nit zur Trennung von 
der römiſchen Mutterkirche. 

Ein neuerer Biograph Zwinglis geſteht ſelbſt; „wer 
vermag zu berechnen, was Erasmus auf Zwingli — wel 
cher alf feine Schriften, fobald fie erfchienen, fich an— 
fchaffte — durch feine Briefe und Schriften gewürft hat, 
durch fein Handbuch des chriftlichen Kämpfers, durch feine 


— 135 — 


Anmerkungen zum Neuen Zeftament, durch feine Dars 
ftellung des wahren reineren Chriſtenthums in feinen theo— 
logifhen Schriften, fowie dann auch durch die Schilde» 
rungen der Unmwiffenheit und Berfunfenheit des geiftlichen 
Standes, den Spott über die Scholaftit und das Mönchs— 
leben, duucch fein Lob der Narrheit, u. ſ. w.!“ 

Melanckhton in feinem Brief an Erasmus aus Leips 
zig vom San. 4519 beißt ihn den Bater der Gelchr- 
famfeit und Humanität, äußert für feine Werke — 
hauptfächlich die Commentarien und Paraphrafen — die 
höchſte Bewunderung, und huldigt ibm als feinem 
väterlichen Gönner; er bittet ihn um Verzeihbung, wenn 
er je eines ungünftigen Urtheils über ihn fich fchuldig ge 
macht habe, und fügt bey, daß auch M. Luther ihn außer: 
ordentlich verehre und auf feinen DBeyfall den größten 
Werth fete. 

Defolampad in feinen Briefen an Erasmus hält 
fi für unwürdig, ibm auch nur die Riemen von den 
Schuhen zu löfen, und äußert feine Ehrfurcht gegen ihn 
in den ftärfftien Ausdrücken. 

Sn Briefen an Erasmus von 1519 heißt ihn Quther 
die Zierde und Hoffnung Deutfchlands, bezeugt ihm 
die innigfte Verehrung und Bewunderung feiner weit über: 
legnen Kenntniffe und Erfahrungen, indem er ihn feiner 
unbegränzten Anhänglichkeit verfichert, Erasmus beklagt 
hingegen in feiner Antwort fi ch bitterlich, daß man ihn 
hin und wieder als Mitarbeiter an Luthers Lucubrationen 
verdächtigt habe, während er ihn doch ganz und gar nicht 
fenne und von feinen Schriften nichts gelefen habe; er 
tadelt die-fo heftige und allgemeine Berläumdung3s 
‚ Sucht, und fpricht die Ueberzeugung aus, daß duch Be— 
fonnenheit und Mäßigung mehr erzweckt würde, als 
duch Ungeftüm  „Dienlicher wäre es — fagt er — 
jene zurechtzumeifen, welche das päpftliche Anfehn mif- 
brauchen, als die Päpfte felbft zu läftern, den Schul— 
unterricht zu verbeſſern ftatt zu verfchmähen, über 


tief eingemwurzelte Begriffe gründliche Erörterungen 
anzuftellen ftatt mit Tieblofer Härte darüber abzufpre- 
chen, fich forgfältigft vor yerwegnen übermüthigen Aus: 
fällen und vor gewaltfamer Aufreikung des rohen 
Haufens zu hüthen“ u. f. w. 

(Vebrigens geht aus allen Briefen des Erasmus an 
den Erzbifchof Albrecht von Mainz und andre feiner anges . 
fehenen Gönner und Freunde die Gewißheit hervor, daß 
er Luthern weder von Perſon kannte, noch von ſeinen 
Schriften geleſen hatte, — zu welch letzterm auch feine 
eifrigſten wiffenfchaftlichen Studien wahrlich feine, Muße 
übrig gelaſſen hätten.) = 

Oekolampad hieß ihn in der Vorrede zu einer feiner 
Schriften „unfern großen Erasmus“ und that fih auf 
feine Zueignung gar viel zu gut, welch ungeziemende An- 
maßung jedoch von Erasmus in arten Ausdrüden zu⸗ 
rückgewieſen ward. 

Amerbach, Froben und Episcopus (Biſchof) 
in Baſel, feine vertrauteften — obgleich der Zwing— 
lifchen Eonfeffion zugethanen — Freunde, von welchen er 
den erfien zum Erben feines bedeutenden Vermögens und 
die beyden andern zu Vollſtreckern ſeines letzten Willens 
ernannt hatte, ſetzten ihm das Epitaph als „dem in allen 
Berichungen wahrhaft großen Mann, deffen un- 
vergleichbare Gelehrfamfeit in jedem dach der Wif—⸗ 
ſenſchaften — mit eben ſo hoher Klugheit verbunden — 
die Nachwelt bewundern und preiſen wird, — welcher 
durch die Erzeugniſſe ſeines Geiſtes ſich nferviinh 
Ruhm erwarb, und in der dankbaren Erinnerung 
alter gebildeten Bölfer fortleben wird.“ 

Waͤhrlich ſolche Lobfprüche ertheilte Bafel nicht ein- 
mahl feinen eignen KReformationg- Helden, jenen großen 
Geiftern Hausfchein und Bodenftein. — Ein berühmter 
proteftantifcher Schriftfteller der neueften Zeit fpen- 
det ebenfalls dem Erasmus ungemeines Lob. „Er war 
— ſo fchreibt er — weit aus der merfwürdigfte Mann 


— 497 — J— 


unter allen denen, welche zur Mäßigung und zur Wahl 
einer glücklichen Mittelſtraße riethen, — eine Zierde 
ſeines Jahrhunderts, — der wahre Wiederher— 
ſteller des guten Geſchmacks — ja man darf wohl 
ſagen des Chriſtenthums, welches wenige Schriftſteller 
fo rein und fo durchaus praktiſch wie er erkannt und dar— 
geſtellt haben. Intriguen verſtund er nicht, floh ſogar die 
Höfe, ſchwang ſich zu ſolch hohem Anſehen empor, 
daß ſelbſt Könige um ſeine Freundſchaft buhlten und 
Dedikationen ſeiner Bücher ſuchten. Unabhängigkeit gieng 
ihm über alles, und da Carl V. und Heinrich VIII. ihn 
an ihre Höfe einluden, lebte er lieber von Bücher-Eorrefe 
- turen; auch die Einladungen an den Römifchen und Bra- 
bantifhen Hof lehnte er unter verfchiednen Vorwänden 
ad. Er war geehrt und gefürchtet von beyden Parteyen 
wegen feiner unbeftreitbaren Beiftes Ueberlegenheit. 
Gleich anfangs, als noch alles frohlocdte, fah er das 
Uebel voraus, welches die Reformation herbeyführen 
würde, mie feine Briefe an Chr. v. Stadion, Bifchof in 
Augsburg u. a. m. beweifen. Seine ausgezeichneten 
Berdienfte um Religion und Wiffenfihaften konnten auch 
die erflärteften Feinde ihm nicht abfprechen, Unläugbar 
hat er auf vielfache Weife und? am mächtigften unter 
all feinen Zeitgenoffen die Reformation vorbereitet, 
durch Beförderung gelehrter Aufklärung mittelft feis 
nes allberühmten Nahmens, durch Verbreitung des 
Geſchmacks an der Litteratur und Erfchaffung der 
Kritik, durch feine eignen in niedlicher, Leichter Sprache, 
— dem veinften ungezwungnen Latein — verfaßten Schrif- 
ten, durch freffliche Räthe und geoßmüthige Unter- 
ſtühung hoffnungsvoller, ſtudierender Jünglinge, durch ſo 
viele Werke über Religion und Theologie, in welchen nach 
allgemeinem Urtheil das Sheiftenthum reiner als feit 
vielen Jahrhunderten dargeftellt wurde, Ueber dem Stu- 
dium der heiligen Schriften — fagte er — habe ich bey mir 
feft befchloffen zu fterben; im ihnen nur finde ich Freud 


— — 


und Ruhe; zu keiner Partey ſchwöre ich; mit ungebeug— 
tem Muth, durdy Ruhm und Schmac, will ich nach mei» 
nen beften Kräften auf das von Chriftus vorgefekte Ziel 
arbeiten. Sn vollem Exnft ſtrebte er feine Zeitgenoffen von 
der theologifhen Scholaftit und Sophiſtik zu den 
reinen Quellen dev göttlichen Weisheit hinzuführen. 
Schon feine erfte religiöfe Schrift enchir. mil. chr. 4502 
zeugte, daß er fehr fihüchtern und fucchtfam war, etwas 
in der h. Schrift nicht ganz flar Gegründetes zu 
behaupten, daß er aber auch) feineswegs geftattete aus dem 
dort klar Ausgefprochnen einen den herrfchenden 
Meinungen gemäßern Sinn durch eregetifche Spitz- 
findigfeiten herauszuklügeln; fie enthielt die erfte reine 
von Scholaftif gefäuberte Moral in den neueren Zeiten. 
Dann fchrieb er über die wichtigften Theile der theoreti- 
ſchen und praftifchen Religionswiffenfchaft die vortreff= 
lihften Werke — Flaffifche Schriften, wie folche in Abficht 
auf Inhalt und geiftreichen Bortrag frühere und fole 
gende Sahrhunderte wenig aufzumeifen haben; er gab auf 
Antrieb Papft Leo X. — jenes großen Mäzens, für defs 
fen perfönlichen Charakter ganz Europa Ehrfurdyt hatte — 
die erfte fritifche Ausgabe des neuen Teſtaments 
heraus, welche lang die einzige blieb, half der Kennt 
niß des Wortverſtands durch feine Paraphraſen nach, 
(„bier lebe ich in meinem Element,“ pflegte er von 
diefen zu fagen) und machte den Anfang zur Kritik der 
Patriſtik mittelft feiner Ausgaben der Werke des Hies 
ronymus, Ambrofius, Hilarius und mancher andrer Kir— 
chenväter, wobey er auf die Bearbeitung des erften mehr 
Mühe verwendet zu haben fich fihmeichelte als der Ver— 
faffer des Werks felbft. Grimmigen unverföhnlichen Haß 
der Schultheologen und Mönche 309 er durch feine 
Satyren auf fih. Sm J. 1508 erfchien die erſte Aus— 
gabe von Moriæ Encomium (Lob der Thorheit) und 4518 
die Colloquia, worin priefterliche Unmwiffenheit, Aber— 
glaube, -Scheinheiligfeit und leerer Ceremonien— 


— 139) — 


dienft mit dev feinften Laune aufgedect wurden. Die 
Theologen tobten; manche fehienen ganz in Wuth gerathen 
zu feyn. Und würklich hatte Erasmus ſchonungslos die 
unter der Beiftlichkeit eingerißnen Unordnungen angegriffen ; 
die Aftermönche (Pseudomonachos) heißt er Bauchdiener, 
Sforpionen u. f. w., befchuldigt fie des Ehrgeizes, 
der Bosheit und roher Unmwiffenheit; er fagt, daß 
fie den Fleifchgenuß für Sünde — aber die fchwärzefte 
Läfterung ihrer Brüder für Tugend halten, und daß 
der dümmſte unter ihnen die meifte Achtung genieße. Da - 
er, ohne fich für die neue Lehre zu erklären, den» 
noch fo äußerſt beißend gegen Anftalten der herrfchenden 
Kicche fchreiben durfte, fo ift fich wohl nicht zu verwun— 
dern, daß diefe Gegner ihn einen „Erzketzer — Öottesläfte- 
rer — DBorläufer des Antichrift3“ nannten. Indeſſen wur: 
den feine Colloquia faft in alle lebenden Sprachen über: 
fegt, und ein Buchhändler, Eolinetus in Paris, fol im 
Sahr 1527 — da er das Gerücht von einem nahen Ders 
both derfelben in Umlauf feste — in wenigen Monaten 
bey 24,000 Eremplaven an Mann gebracht haben. Ein 
Beweis des großen Einfluffes, welchen Erasmus auf feine 
Beitgenoffen ausübte! 

Als Luther manchen geheimen Wunfch des Erasmus 
für Ubfchaffung der Mißbräuche mit folhem Muth 
ausfprach, billigte Ietrer zwar die anfängliche inter» 
nehmung, ermahnte aber jenen zu mehrerer Vorſicht 
und Mäßigung, und rügte feine heftige ungeftüme Art als 
dem Beift des Chriftenthums, der evangelifchen 
Borfhrift — nad) 2. Tim, 2 und Lit. 1 — ſchnur— 
ſtracks zuwider, Gein Grundfaß war und blieb ftets: 
man müffe nur aufflärven, fo werde die Finfternif von 
felbft verfhmwinden, — das Lefen und richtiger 
Berftand der heiligen Schrift fey hinreichend, um 
die Irrthümer um Sufähe der Scholaftifer und des 
herrfchfüchtigen Clerus in’s Licht zu ſetzen, und das 
Volk würde ſodann von der ſeitherigen Religion nichts als 


En 


die wefentlichen Lehren des Chriſtenthums beybehal- 
ten. Als er aber das alte Gebäude fo tolffühn zertrüm« 
mern fah, erfchrad er; dieß hatte er nicht gewollt, fon- 
dern nur allmähliche Reformen beabfichtigt; num zit— 
terte er für Quther, und auch für die gute Sache felbft. 
Er war überzeugt, daß Luther ducch feine Verwegen— 
heit. dem Chriſtenthum mehr fchade als nütze; nach fei- 
ner Meinung war e3 zuträglicher, entweder ganz zu 
temporifiven, oder — ohne alle Polemif — nur die evan— 
gelifche Lehre vorzutragen. Wohl hatte er durch Reden 
und Schriften, durch Scherz und Ernft, würffamer 
als fein andrer die Reformation angebahnt, aber ſol— 
hen Sturm hatte er fich nie gedacht. So ward er Lu— 
thern immer abgeneigter, Mach dem Reichstag zu Worms 
4521 entfernte er fich immer entfchiedner von deffen Par— 
tey, und erklärte ich dann im folgenden Jahr — von 
Adrian VI. aufgefordert — mit voller Ueberzeugung als 
Anhänger des Papſts und Gegner Luthers. Bald 
nachher fchrieb er feine Diatribe gegen ihn de libero ar- 
bitrio mit möglichfter Schonung, worauf aber diefer fo 
giftig, boshaft und ſpöttiſch wie ſichs Faum denfen 
laßt — und zwar in deutſcher Sprache antwortete, um 
Das gemeine Volk gegen ihn aufzubeken, bey welchem 
Erasmus — in diefer Sprache ungeübt — ſich nicht ver— 
theidigen fonntes : Daß Luther jede vorgefaßte Mei— 
nung mit unbiegfamem Starrſinn verfechte und gegen 
alle Andersdenkenden nur Feuer und Flammen fpeye, (wie 
feine Anhänger noch heutzutage thun), daß er, durch das 
Glück feiner Unternehmung und die Gunft des Volks 
übermüthig geworden, auch die gründlich ften befigemein- 
ten Ermahnungen in den Wind fchlage, — dieß ward nicht 
ohne Grund von Erasmus getadelt, welcher nun fofort 
von dem wilden Kampfplak fich zurüdzog, und mit 
ungetheilter Kraft und Luft den Wiſſ enſchaften ſich 
widmete. 
Bon fuiedtiehender Gemüthsart, ſo das er eher 


— 141 — 


— mie er oft fagte — ein Landgut verlieren als erftreis 
tem möchte, fehrieb er ſchon 1524 die querela paeis, worin 
er zeigt, wie felbft vernunftlofe Thiere friedlicher bey: 
fanımenteben als die Menfchen, — dann die Streitig— 
feiten der Fürften, fowie der Mönche und Gelehr- 
ten, auch einzelner Menfchen gegen einander und ſo— 
gar gegen fich felbft fchildert, — hierauf den Gedanfen 
fhön ausführt, daß Ehriftus ein Friedensfürft fey und 
daß die Baförderung der Eintracht jedem Befenner 
des EhriftentHums als heiligfte Prlicht vobliege, Er 
fuchte nun nicht3 ferner als Ruhe für fein Alter, und are 
beitete bloß darauf hin, von beyden Parteyen unab» 
hängig zu bleiben, um nicht in das Getümmel hineinge- 
viffen zu werden. Die Sprache des Uebermuths in 
Religionsgegenftänden wies er zurück, und vettete bey jeder 
Gelegenheit die Ehre und das Anfehn der Wiffenfchafs 
ten, fowohl gegen rohe Mönche als gegen tolle Auf- 
wiegler aus allen Kräften. Mit Nachdruck tadelte er 
zwar an den geiftlichen Machthabern den Mangel an Ents 
fchlofferheit zur Abhülfe, die falfıhen Mittel zu Dämpfung 
der Unruhen, und die Begünftigung möndhifcher Unwiſſen— 
heit, hielt fich aber dennoch am liebiten zu dieſer Seite, 
wo er doch wenigftens fefte Ordnung in der Kirchen» 
verfaffung und Macht der Einheit in der Verwaltung 
erblickte. Zief beleidigt von vielen eifrigen Rutheranern, 
die ihn fchredlich (wie z. B. Farel, Bucer, Epphendorf 
und der lockre — auch dem Melanchton fehr verhaßte — 
aus dem Elſaß weggewiefene — und zu den Zmwinglianern 
geflüchtete Hutten) verunglimpften, beftürzt über die 
gräßlichen Folgen der neuen Lehre, weldhe er im 
mörderifhen Baurenfrieg fah, und felbft von feinem 
lieben Baſel durch ſtürmiſche Auftritte weggeſcheucht, brach 
er oft in bittre Klagen über die Lutheraner aus, welchen 
er Religionsſchwärmerey und Verachtung der 
Wiffenfhaften vorwarf. Er behauptete, daß fie bald 
das Heidenthum herbenführen werden, daß fie nicht nur 


— 13 — 


das gute Kraut mit dem Unkraut zerftören, fondern viel« 
mehr jenes ausreißen und diefes ſtehen laſſen, 
daß fie die canonifchen Gebethe verwerfen und Lieber 
gar nicht bethen, daß fie nach Abfekung der Bifchöfe 
nun auch gegen weltliche Obrigfeit fich empören, daß 
fie den Sudaismus zwar abgefchafft, aber dei Epi— 
furigmus an feine Stelle gefekt haben u. f. wm. Unter 
folhen Umftänden ift ſich freylich nicht fehr zu verwuns 
dern, daß der friedfertige, fich felbft gleich gebliebne 
Mann in dem frühzeitigen Tod Zminglis und Defolampads 
eine wohltbätige Fügung der weifen Borfehung 
erkannte. | 

Seinem vertrauten Freund Pirfheimer fehrieb er: 
„ic will nicht unterſuchen, mie weit bey andren dag 
Anfehn der Kirche Gewicht hatz bey mir hat es ein 
folches, daß ich felbft die Meinungen des Arius und Per 
lagius annehmen könnte, wenn die Kirche fie gebilligt 
hätte. Freymüthig geftund er ihm, daß er nichts Gründ— 
liches hätte, worauf er fußen könnte, wenn er feinen 
Glauben ändern müßte, und daß er daher lieber beym 
alten verbleibe, obihm gleich einiges darin anftößig 
vorfomme. Zu diefer Zeit hieß er die Proteftanten nur 
noch „ Seftierer. “ Dennoch pflegte er feinem derfelben 
bloß um feiner abweichenden Meinung willen die Freund— 
fchaft zu entziehen, wenn nur jeder „das was er that 
mit ehrlichem Herzen that.“ Drey feiner beften Freunde, 
Amerbach, Frobenius und Episfop in Bafel, entfchiedne 
Anhänger Zwinglis, blieben feinem Herzen immer die 
nächften, und waren auch bey feinem KHinfchied zugegen. 
Aber unwandelbar war fiets — und die erklärte er 
auch freymüthig den hartnädigfien Gegnern der neuen 
Lehre — feine Abneigung gegen den Mönchsgeift, gegen 
den Seftengeift in jeder Geftaft, und gegen alle Feinde 
der Wiffenfchaften. Sn den erften Zeiten der Refor— 
mation hatte der weife Mann bisweilen Rathſchläge er» 
theilt, wie fie zu leiten, wie und wo zu veformieren 


wäre, — aber umfonft. Im einem folchen fagte er? von 
beyden Seiten werde die Schnur fo gefpannt, daß fie 

brechen müſſe; ftatt Bilder wegzufchaffen, folle man 
lieber ihre abergläubifche Berehrung befeitigen; ftatt Prie— 
fter zu verjagen, fie Tieber gelehrt und fromm machen 
und nur nach ftrenger Prüfung wählen; ftatt den Got» 
tesdienft über den Haufen zu werfen, lieber die anftößi- 
gen Geſänge und Ceremonien weglaffen; ftatt die Meffe 
zu verwünfchen, um der geizigen und ausfchweifenden Prie- 
fier willen, Lieber diefe Miethlinge entfernen und weniger 
Meffen halten laffen;z den Ablaßglauben fol man denen 
überloffen, welche Vertrauen darauf feßen; wer nicht an 
die Kraft der Seelenmeffen für die Abgeflorbnen 
glaube, möge fein Geld auf die lebenden Nothdürftigen 
verwenden; wer die Fürbitte der Heiligen für ung 
nicht glaube, fol zu Gott- bethen — die Heiligen durch 
Nachahmung verehren, und die Andersdenfenden dulden; 
wer die Ohrenbeicht nicht für ein von Chrifto einge 
ſetztes Sakrament halte, möge fie wenigſtens als eine von 
den Bätern eingeführte, durch fo viele Jahrhunderte fort- 
beftandene Einrichtung fo lange beybehalten, bis die Kirche 
anders darüber befchliefe; vom Fegfeuer möge jeder 
halten was ev wolle, da e3 nicht der Mühe lohne die chrift- 
liche Eintracht darüber zu ftören; über den freyen Wil- 
len folen die Sorboniften ftreiten, die Laien aber mit 
Einfalt und Feftigfeit handeln; die guten Werfe mögen 
im merhinvor Gott rechtfertigen oder nicht, fo foll uns die 
Gewißheit leiten, daß auch der Glaube nichts helfe ohne 
gute Werfe; die Taufe mögen Eltern gleich nach der Ge— 
burt oder in fpätern Sahren vornehmen, wenn fie nur in- 
zwifchen ihre Kinder tugendhaft und chriftlich erziehen; der 
Streit über das Abendmahl möge verfchober werden, 
bis eine allgemeine Synode darüber abfpreche oder eine 
göttliche Dffenbarung ung etwas fichres darüber lehre; 
über die Anbethung der Hoftie fol nicht geftritten 
werden, da fie ja nicht dem Brot gelte, fondern weil man 


u 4 


fie für Ehriftum halte, welcher nach feiner — überall 
gegenwärtig ſey u. ſ. w. 

Sm Sahr 4525 erklärte er dem Magiftrat in. Baſel, 
welcher ſeinen Rathſchlag über das Lutherſche Geſchäft ver— 
langte: er möge hierüber Fein Urtheil fällen, da es ihm an 
Gelehrfamfeit, fowie an Kenntniß der Landesfprache und 
Lofalverhältniffe fehle, und er als Fremder für unſchicklich 
halte, fich in Angelegenheiten des Staats zu mifchen, wo- 
durch er fih nur Meid und Verfolgung zuziehen würde, 
— auch habe er feither Päpften und Kaifern ähnliche Be— 
gehren abgefchlagen, — Feine Partey fey ruhig genug, und 
mit Borfchlägen zur Mäßigung würde er beyde nur belei- 
digen. Dann ertheilte er ihm angemefne Winfe und Be— 
fehrungen. Dicht lang nachher fchrieb er feinem Bilibald 
(Pirkheimer) daß er durch feine verweigerte. Einmifchung 
in dieß tolle Gefchäft alle Hitköpfe gegen fich aufgebracht 
babe. Er fühlte immer mehr, daß feine Stimme der 
Mäpigung nicht fiark genug fey, um vernommen Zu wer- 
den; darum wollte er — verſchiedner Einladungen unge- 
achtet — den Reichstag in Augsburg 1530 nicht befuchen, 
und vieth blos fchriftlich — durch den Cardinal Campegius — 
den Seckten etwelhe Duldung zu geftatten, da fie dann 
wohl wegen ihrem eignen Zwieſpalt von felbft bald ihren 
Einfluß verlieren würden, Endlich gab er jedoch — wegen 
überhandgenommner Erbitterung beyder Theile — alle 
Hoffnung zum Frieden gänzlich auf, nachdem auch feine 
ſchöne Schrift de amabili ecelesie concordia — durch 
welche er die Gemüther zu dem bevorftehenden Conzilium 
vorzubereiten fuchte — feine der beyden Parteyen befvie- 
digt hatte. 

Wie Erasmus, fo dachten damahls auch noch andre 
vedlihe Männer, welche die in der, Kirche eingerißnen 
Mißbräuche zwar beflagten, e3 aber fin allzugefährlich 
hieften, um dieſer willen die firhliche Einheit aufs 
Spiel zu fegen, da fie die neue Partey bey allem - 
unverkennbarem Guten doch immer nur al3 eine Sefte 


— 415 — 


betrachten konnten, die fich im Verfolg wohl von felbft 
wieder mit der Mutterkirche vereinigen werde. Diefen 
Männern Eonnte es nicht entgehen, wie gar menfchlich und 
leidenfchaftlich viele der neuen Lehrer ihr Reforma— 
tionswer£ betrieben; auch wurden fie duch die Gräuel 
der Bürgerfriege nicht wenig abgefchredt, und ftunden 
als ächte Freunde der Religion in der richtigen — von Lut— 
ber felbft nie widerfprocdhnen — Weberzeugung: daß man 
auch in der fatbolifchen Kirche ein erleuchteter 
Chriſt nah dem Sinn Ehrifti feyn könne. Zu diefen 
Männern gehörte der wackre Pirkheimer, Faiferlicher 
Rath in Nürnberg, — ein edler, mweifer, angefehener 
Mann, Wimpheling in Heidelberg, Ferus (Wild) in 
Mainz, Spengler in Nürnberg, Caffander, Sadolet, 
Thomas Morus und andre folch chriftliche Eklektiker, 
derer Berdienft um ihre Kirche, wenn auch verborgen, 
doch nicht minder groß war, da fie durch ihre ftillen fried» 
lichen Bemühungen richtigere Degriffe in Umlauf 
festen. (3u einer Zeit, wo weit mehr Gtreitfchriften 
von den Keformatoren und ihren Gehülfen gegen fich ſelbſt 
als gegen die Katholifen zu Tag gefördert wurden). 

Noch einige ehrenvolle Zeugniffe gelehrter Zeitgenoffen 
beyder Eonfeffionen kann ich mich nicht enthalten bier anzu. 
führen, um die Borliebe zu rechtfertigen, mit welcher ich 
mic) in der Einleitung zu diefer Skizze über den perfün= 
lichen Werth de3 gefeyerten Mannes und über die Voll 
gültigfeit feines Urtheils ausgefprochen habe. | 

Der Herausgeber feiner Briefe, London 1642 Fol. 
fagt: „Der Held Erasmus ift nicht nur über alles Lob 
fondern audy über den Neid weit erhaben, eben fo be 
rühmt als Bater der Wiffenfhaften und Mufter 
der Beredfamfeit wie als Feind und Befämpfer 
roher Unmiffenheit, hochverdient durch feine Beför— 
derung des Studiums der alten Kirchenvdäter, er 
ift die Zierde feines batavifchen DVaterlands, ja unfers 
eignen Brittanniens und faft aller andrer Völker 

10 


— 4146 — 


Stolz und Kleinod, deffen gleichen an Liebenswürdig— 
feit die Welt feinen fab, noch jemahls fehen wird, 
In diefen feinen Briefen fcbeint er nicht weniger ſich felbft 
übertroffen zu haben, als er durdy feine übrigen Schrif- 
ten weit über alle Sterbliche emporragt. Das Bild 
jenes fturmbewegten Sahrhunderts ftellt er fo klar und 
getreu vor die Augen, daß man in der That zu einer 
richtigern und geündlichern Kenntniß der damahligen 
öffentlichen ſowohl als befondren Berhältniffe dadurch 
gelangen kann, als durch. irgend welche Urkunden der Ge = 
ſchichtſchreiber.“ 

Ein andrer angeſehener Schriftſteller jener Zeit ent- 
wirft von ihm folgende Schilderung: „Sein Arbeitsfleiß 
war beyfpiellos, ev hüthete fich aufs gewiffenhaftefte 
irgend jemandem durch feine Schriften weh zu thun, 
und enthielt ſich in denfelben foxafältig jedes unanſtän— 
digen, leichtfertigem oder beleidigenden Ausdrucks; 
nichts fcheute er mehr als Uneinigfeit und Zerwürfniß; er 
war der entfchiedenfte Feind aller. Heucheley — Ber- 
läumdung — Ehrgeiz — Habfuht — Mifgunf — 
Rachgierd — und Weichlichfeit; er lebte überaus 
mäßig, wie es feine förperlichen Umftände erforderten; er 
blieb unverehlicht und fröhnte nie finnliher Ruf; 
leicht ward er zwar zum Zorn gereizt, aber eben fo fchnell 
verfühnte er fich wieder; die hriftlihe Eintradht 
lag ibm über alles am Herzen; nie ward er von dem 
Glauben der alten Mutterfirhe abtrünnig, und 
hätte eher auf feine Weberzeugung zum Theil verzichtet, 
als die Einigfeit geftört; ob er gleich von Sugend auf 
mit dem Hofleben der Großen vertraut war, verabfcheute 
er doch daffelbe in fpäteren Jahren; der Vermehrung feiner 
Glüfsumftände entfagte er aug eignem Willen; Schmeiche- 
ley war ihm höchlich zumider; das Recht von feiner Meis 
nung abzumweichen und ihn zuvechtzumeifen räumte er jedem 
gerne ein; nicht Leicht ließ er ſich in feinem günftigen 


— Mi — 


Urtheil über Andre wankend machen, und blieb in der 
Sreundfchaft unerfhütterlid.“ 

Der berühmte — auch. bey den Proteftanten in. 
hohem Anfehen ftehende — Cardinal Sadolet heißt ihn 
„den Wiederherfteller der heil. Schriften, “ rühmt 
feine Selaffenheit in der Belehrung Andrer, hul- 
digt feinen ausgezeichneten Geiftes, Borzügen, und 
verfichert ihn feiner unbegränzten Liebe. Ä 

Auch in Rom, wohin er fi) aus Hetrurien rg 
ward er allgemein aufs ehrenvollfte fowohl von den Littera— 
toren al$ auch von vielen Cardinälen, vorzüglich dem Car— 
dinal Johann von Medizid — nachherigem Leo X., auf: 
genommen, und ſchlug die ihm angetvragne hohe Würde 
eines Vönitentiars beharrlich aus. Leo, welcher ihn un» 
gemein fchäkte und in Briefwechfel mit ihm fiund, em— 
pfahl ihn dem König von England Heinrich dem VII, 
mit der Berfihrung, daß er vor feiner Erhebung auf den 
päpftlichen Stuhl ihn wegen ſeiner Gelebrfamfeit ſo— 
wohl als trefflihen Charakters durch vertrauten Um— 
gang überaus liebgewonnen habe, und fich daher aus eig- 
nem Antrieb nachdrudfamft für ihn verwende. 

Thomas Morus fchreibt ihm: „Du, welchem 
Dapft, Könige, Bifchöfe, ja alle in der ganzen Chriften- 
welt zerſtreuten Menfchen mit hberzliher Verehrung 
und Bewunderung zugethan find.“ 

Der grundredliche Bilibald Pirkheimer fchreibt ihm: 
„Wer ift glücdlicher als du, der du nicht durch äußere 
Glüdsgüter div Ruhm erwarbfi, fondern duch Tugend 
und Wiffenfchaft fo fehr alle Andren überſtraählſt, 
daß du noch bey Xebzeiten den Unfterblichen beyges 
zählt wirft.“ | 

Auch Sardinal Campegius ertheilt feiner Gelehr- 
famfeit das bündigfte Lob, und legt die höchfte Achtung 
gegen ihn an den Bag. 

Bon Clemens VI. war er aufs angelegenfte nach 
Rom, vom Kaiſer nach Brabant und von Franz L nad) 

40 * 


= 


Paris eingeladen worden, aber feine Körperbefchwerden 
waren fo anhaltend und heftig, daß er fich Lieber zu einer 
baldigen Reife nach der Emigfeit bereit halten wollte. 

Zur Befeftigung der Religion und Sittlichfeit — 
fagt ein Gefchichtfchreiber jener Zeit — erfchien Erasmus, 
defien Geiftesgröße und mwilfenfchaftliche Bildung auch künf— 
tigen Jahrhunderten noch vorleuchten wird, in dem nähm-» 
lichen Deutfchland, und in dem nähmlichen Beit- 
punft, wo der unfelige Luther die 3erftörung derfel« 
den E bewürfen drohte. 

Rhenanus, einer der Biographen des Erasmus: 
(Zwinglis vertrauter Freund), rühmt befonders feine Frey» 
gebigfeit und großmüthige Unterftüßung hoff- 
nungspoller unbegüterter Sünglinge, welche er 
bis an fein Xebensend fortfeste und noch durch die 
legte Willensmeinung diefen edelmuttigen Sinn 
beſiegelte. 

Noch ein andrer — Schriftſteller jener 
Zeit heißt ihn „den ſanften, redlichen und grundgelehrten 
Mann, welcher alle Theologen ſeines Zeitalters an geſundem 
Sinn, gebildetem Geſchmack und edler Freymüthigkeit weit 
übertraf. “ 

Man Eann fich daher wahrlich eines mitleidigen Lächelns 
nicht enthalten, wann einer der neueften Zwinglifchen Bio» 
graphen diefen unvergleichbaren Mann zu befriteln und zu 
verunglimpfen fich unterfängt, und. dabey als einen wich» 
tigen Umftand anführt, daß Zmwingli über ihn als einen 
„Doppelzüngigen“ den Kopf gefchüttelt habe, und daß viele 
der „Defferen feiner Zeit“ — zu welchen diefer Duns frey: 
lich auch) einen Ulrih von Hutten rechnet — ihm um fei- 
ner Zurücdhaltung, d. h. Mäßigung willen ihre Gunſt 
(risum teneatis amici!) entzogen. 

Was nın feine fchriftitellerifhe Würffamfeit 
betrifft, fo gränzt folche in der Ehat ans Wunderbare und 
Sabelhafte. Der Mann, welcher. den größten Theil feines 
Lebens hindurch mit vielfachen und hartnädigen Körper=. 


zo 


feiden (Augenſchwäche, Magenkrämpfen, Webelkeiten, 
Steinbefhwerden und Podagra) zu kämpfen hatte, — der 
Mann, welcher mit allen ausgezeichneten Zeitge— 
noffen in ununterbrochnem Briefwechſel und 
Geiftesverfehr ſtund, förderte die Werfe der meiften 
— griechifchen und Tateinifhen — Kirchenväter zu 
Tage; Hilarius, Arnobius, Cyprian, Athanafius, Am— 
broſius, Auguſtinus, Irenäus, Origenes, Chryſoſtomus 
und Bafılius wurden von ihm aufs gründlich fte bear» 
beitet; befondre Vorliebe befeelte ihn für Hieronymus, 

deffen Werke er viermahl hevausgab; er hielt ihn für den 
. Erften unter den Vätern der lateinifchen Kirche, melcher 
an Beredſamkeit felbft den Licero noch übertraf. Aber nicht 
weniger machte er fich auch um die Elaffifche Littera— 
tur verdient durch feine allgemein gefchäkte Heraus— 
gabe griehifcher und lateinifcher Autoren (— mweld) 
beyder Sprachen er gleich mächtig war —), eines 
Plutacch, Senefa, Zenophon, Demofthbenes, Ptolomäus, 
Arifioteles, Euripedes, Lucian, — eines Livius, Quin— 
tifian, Cicero, Curtius, Ovid, Plautus, Suetonius, Pli- 
nius, Terenz, Cato u. f. w. Dann fchrieb er wieder die 
- Adagia, vitas Cesarum, Epigrammata, Colloquia, Apoph- 
tegmata. Sein Enchiridion mil. chr. (Handbuch des chrift- 
lichen Streiters), allgemein „das goldne Büchlein“ genannt, 

ward auch ind Spanifche, Franzöfifche und Deutfche über» 
feßt und fand ungetheilten Beyfall, Sein Morie 
encomium (Lob der Thorheit) inner weniger Monathe 
fiebenmahl aufgelegt, ward von den Gelehrten aller 
Länder — von Bischöfen, Erzbifchöfen, Eardinälen, Kö- 
nigen, ja von Papft Leo X. felbft, der ſolches vom erften 
bis zum legten Blatt durchlas, mit befonderm Wohlge- 
fallen aufgenommen, — ſowie nicht weniger die, auch ing 
Spanifche überfettte, Querela pacis. Eine Menge andrer 
höchſt lehrreicher Schriften laffe ich unberührt ; allen 
lag friedfertige verſöhnende Gefinnung zum Grund; 
viele wurden auch von Wolf Köpflin (Capito) Leo Judä, 


— 0 


Emfer, Heidegger u. a. ins Deutfche überfekt. Manche 
waren wegen ihres freymüthigen derben Snhalts von der 
Sorbone und firengen Orthodoxen verurtheilt worden. 
(Daher das oft erneuerte Gerücht, daß feine Schriften und 
Bild in Rom, Frankreich und Brabant u. f. w. feyen ver- 
brannt worden!) Den höchſten Ruhm erwarb er ſich 
durch die, von ihm zuerft unternommene, Fritifche 
Ausgabe des Neuen Teftaments, welche bald nad)- 
einander mehreremahl aufgelegt, von vielen römifchen 
Theologen zwar ungünftig aufgenommen — von Leo felbft 
aber gelobt ward, — ein Elaffifches, auch noch von den 
neueften und angefehbenften proteftantifchen Ge 
lehrten Hochgepriefenes Werk, auf welches der Ber: 
faffer nach feinem eignen Geftändniß ungemein viele Sorg— 
falt und Anftrengung verwendet hatte. Und dieß alles 
leiftete er keineswegs aus Eitelkeit und Ruhmfucht, ſon— 
dern immer nur auf ausdrüdlichfte dDringendfte Auf- 
forderung großer Männer feines Zeitalters, welche feine 
entfchiedne GBeiftesüberlegenheit gern anerkann— 
ten, und ihn allein für geeignet und tauglich hielten, dem 
durch Srrlehren und Verwirrung tief erfihütterten Deutfch- 
land zur Stüße zu dienen. Schon damahls war — mie 
in den nachherigen Zeiten — das Urtheil allgemein, daß 
niemand feinen Werfen die Bewunderung verfagen 
könne, als wer fie entweder gar nicht gelefen habe 
oder in den Wiffenfchaften mit gänzficher Blindheit 
gefchlagen fey. Dieß Urtheil findet auch volle Anwendung 
auf feine Epist. Lib. XXXI, eine Sammlung zahlreicher 
— (beynahe 1500) aber dennoch meiftens gediegner in- 
haltfhwerer ausgenrbeiteter Briefe in griechifcher 
und lateiniſcher Sprache an und von den ausgezeich- 

netftien Männern feines Zeitalters beyder Eonfeffionen, 
worunter die Päpſte Leo X, Adrian VI, Clemens VII 
und Paul IT — Kaifer Earl V— die Könige Sram I 
von Frankreich — Ferdinand von Ungarn — Gigmund 
von Polen und Heinrich VIII von England, die Königinnen 


— 151 — 


| Gatberins: von England, Maria von Ungarn und Margretha 
von Navarra, — die. Herzoge Friedrich und Georg von 
Sachſen und Ernft von Bayern, — dann viele Fürften, 
Cardinäle, Exzbifchöfe, Univerfitäten und Magiftraten, 
fowie auch die Reformatoren Luther, Bucer, Melanch— 
ton, Gapito, Bwingli, Defolampad), Pirkheimer u.a. 
Größtentheils betreffen dieſe Briefe die ernfte Kirchenfpal- 
tung, und find unvergängliche Denkmähler feiner tiefen 
Gelehrfamfeit in allen Zweigen der Wiffenfchaften, 
feiner befonnenen, gemäßigten, ruhigen Denfensart, 
der reinften Religiofität, unbefangner parteylofer 
Prüfung, gründliher Menfchenfenntniß, rich— 
tigen Scharfblids, und eines würdevollen, über 
ale niedrigen Leidenfchaften weit erhabnen Charakters; 
zugleich find fie eine Eöftliche Fundgrube der. mwichtigften 
Urkunden, deren forgfältige Prüfung zur genauen Kennt» 
niß jener fo folgenfchweren Zeit ganz unerläßlich if. 

So glich dieß große wohlthätig fruchtbare Genie einem 
Licht unter den Irrwiſchen ud Schattenbildern; 
feine — bisher unerreichte und wohl audy unüber— 
treffbare — Wiürkfamfeit war eine erwärmende Gluth, 
nicht ein verzgehvendes Feuer; und wie der Gigant über 
die Pygmäen emportagt, fo verdunfelt diefer hehre, 
großartige Charakter all jene afterweifen Phantaften, 
weiche durch ihre Selbftfuht und Prahlerey fih 
eben fo läherlich.als ducch ihre Widerfprüce, Un: 
geveimtheiten, — —— und Stuvrilitäten 
verächtlich gemacht hatten ! — 

och fügen wir zum Schluß einige Stellen aus ſeinen 
Schriften bey, welche theils über feine Gemüths- und Sin— 
nesart im Allgemeinen, theils Über. feine Anfichten von 
denn Reformationswerk gründlichen Auffchluß geben. 

„So ift nun einmahl — fchreibt er an Frobenius 
— meine Gemüthsart befchaffen; denen, welche ich von 
Herzen Lieb habe, kann ich nichts verfagen .... . Don 
mandhem ehbemahls vertrauten Freund muß ich jetzt 


— 1592 — 


Unbilden erdulden. So unterliegt alles Menfchliche der 
Veränderung! Was könnte man in unferm Zeitalter ſchrei— 
ben, ohne diefem oder jenem zu nahe zu treten? Smmer- 
hin aber habe ich aufs forgfältigfte mich befliffen Bitter- 
feiten zu vermeiden und zu entfernen.“ 

In feinem traulichen Brief an Servatius fommt 
folgende Stelle vor: „Mie firebte ich nad Glücksgü— 
tern; ebenfowenig hat jemahls Ruhmſucht mid) ange- 
fochten; Unmäßigfeit und Trunkenheit habe ich immer ver» 
abfcheut; nie fröhnte ich der Woluft.“ Dann tadelt er 
die während feines frühern Klofterlebens bemerkte Ausge- 
laffenheit jeder Art. „Viele der Unfrigen, fährt er fort, 
fuchen den Gottesdienft und Frömmigfeit nur in der dußern 
Lebensart und im Ceremonienwefen. Was meinen eig» 
nen Wandel betrifft, fo ward ich von den Achtbarſten ge- 
achtet und fund in Anfehen bey den Angeſehenſten; ich 
dürfte wohl auch mehr noch) zu meinem Bortheil fagen, 
ohne mich einer Webertreibung fihuldig zu machen. Kein 
Land ift, auch Spanien, England, Schottland und Ita— 
hien nicht ausgenommen, wohin ich nicht gaftfreundlich 
eingeladen werde, und ob mir auch gleich nicht jeder- 
mann zugethan it — was wohl faum wünfchenswerth 
wäre — fo find mir doch diejenigen gut, derer Urtheil 
Das größte Gewicht hat. Alle und jede Cardinäle in 
Rom empfiengen und behandelten mich mit zuvorfommen- 
der brüderlicher Zuneigung, — vorzüglich der Cardinal 
von Bonn, Gt. Georg, Grymann, und der dermahlige 
Papft; ebenfo die Bifchöfe, Archidiakone und Gelehrten. 
Solche Auszeichnung erwies man nicht meinen äußeren 
Glücksgütern — die id) weder befiße noch wünſche; — 
ic) gelangte auch nicht dazu durch Ehrgeiz — welchen ich 
niemahls fannte; nur den Wiffenfchaften verdanfe 
ich fie, welche dort in höchften Ehren gehalten, von den 
Unfrigen fo gering gefchägt werden. In England ift fein 
Bifchof, weldyer nicht feinen Tifch, feine Wohnung, feine 
Sefellfchaft mir antrüge, Der König felbft fchrieb mir 


— 155 — 


während meines Aufenthalts in Stalien eigenhändig in den 
fehmeichelhafteften Ausdrüden; auch jet fpricht er von 
mir aufs ehrenvollfte und Liebreichfte; fo oft ich ihn grüße, 
umarmt er mich gar holdfelig und blickt mich fo freund: 
lich an, daß ich aus feinem ganzen Benehmen auf wahre 
aufrichtige Zuneigung ſchließen darf. Die Königin bat 
mich fogar zu ihrem Lehrer gewählt. Jedermann weiß, 
daß es mir leicht wäre mittelft eines mehrmonathlichen 
Aufenthalt3 am Hof die einträglichften geiftlichen Aemter 
zu erlangen, allein ich ziehe diefe meine Muße und meine 
wiffenfchaftlichen Arbeiten al andren nody fo glän— 
zenden Ausfichten vor. Der Erzbifchof Wilhelm Waram 
von Santerbury, Primas von ganz England und Reichs 
fanzler,, ein gelehrter und rechtfchaffner Mann, liebt mich 
wie einen Vater oder Bruder. Die beyden hierländifchen 
Univerfitäten wünfchen mich zu behalten; an der einen 
lehrte ich die griechifche Sprache und Auslegung der hei— 
ligen Schrift, — und zwar wie immer unentgeldlich. Colet, 
Dekan bey St. Paul, welcher wegen feiner Gelehrfamfeit 
und Tugend überall die höchfte Achtung genießt, hat mich 
fo fehr Tiebgewonnen, daß er meinen Umgang jedem’ an— 
dern vorzieht. Mein unwandelbarer Borfak ift: dem Stu- 
dium der heiligen Schrift bis an mein Lebensend 
obzuliegen; dieß fol mein liebftes, mein einziges Ge 
fchäft feyn und bleiben! In diefem vermag id) — nad) 
dem UÜrtheil großer Männer — mehr zu leiften als Andre; 
im Mönchsleben hätte ich wenig Nutzen geftiftet. Von 
allen angefehenen einfichtsvollen Männern, mit welchen ich 
Umgang pflog, fand ich in Frankreich, Stalien und hier 
in England feinen, welcher mir gerathen hätte zum Klo— 
fterleben zurückzukehren.“ 

An Papft Adrian VI. fchrieb er: „Du dringft in 
mich, forderft mic) auf und befchwörft mich beynahe, Mit» 
tel.vorzufchlagen und meine Meinung auszufprechen,, wie 
der überhandnehmenden Unordnung abzubelfen fey. Hierzu 
mögen aber meine Einfichten wohl nicht hinreichen; zudem 


— 454 — 


werden jene auf das Urtheil von Erasmus wenig Gewicht 
legen, welche ſich um das Anſehn ſo vieler Akademien, 
Fürſten und des Papſts ſelbſt ganz und gar nicht beküm— 
mern. Bon mir, welchen die Xutheraner in fo viel hun— 
dert Briefen. als das erſte Geſtirn Deutfchlands — den 
größten Helden — den Fürften der Wiffenfchaften — die 
Sonne: der Gelehrten — den Beſchützer, Herfteller und 
Erretter allev nüßlicyen Kenntniffe — als einen Wann 
ohne feines Gleichen priefen und feyerten, ſchweigen ſie 
nun gänzlich, oder erlauben fich gegen mich wohl gar die 
boshafteften Schmähungen. “ 

Sn einem Brief an Ph. Melanchton vom S. 1524 
verfichert er: „nach Anfehn und KReichthümern- verlangt 
mich fo wenig mia ein lendenlahmes Pferd nach fchwerer 
Bürde; des Ruhms bin ich längſt überfatt, wenn anders 
der Ruhm noch etwelchen Werth haben folte.e 

An Lud. Berus, Sheolog bey St. Peter in Bafel, 
fchrieb er 1529: „Bor - Spaltung und Geften hatte ich 
immer Abfiheu; ic) babe mich feiner Partey jemahls 
beygefellt, fo fehbr auch die Umftände mich dazu verleiten 
mochten; auch bewarb ich mich nie um Anhänger, fon» 
dern wann fich dergleichen darbothen, fo überwies ich fie 
der. Schule Ehrifti.“ 

» Dem berühmten Garbingf Morus fchrieb er ſchon 
4518. „Aufs forgfältigfte hüthete ich mich immer und 
überall in meinen Schriften und Reden vor allem, mas 
der zarten Sugend auf irgend eine Weife zum Anftoß ges 
reichen, - was dev Andacht und frommen Uebungen Scha- 
den bringen, was Zwiefpalt und Aufruhr begünftigen, und 
was den guten Ruf meiner Mitmenfchen verdächtigen fonnte. 
Mein ganzes DBeftreben war immer dahin gerichtet, nütz— 
lichen Studien Borfchub zu leiſten und die chriftliche Re— 
ligion aus allen Kräften zu befördern. Dafür weiß mir 
jedermann Dank, wenige Theologen und Mönche aus- 
genommen, welche weder beffer noch gefchickter zu werden 
verlangen. Bey der Gnade und Barmberzigkeit Chrifti 


— 455 — 


gelobe ich, all meine Verſtandeskräfte, allen Einfluß mei— 
ner Ueberzeugung einzig für den Ruhm Chrifti, für die 
fatholifche Kirche und für den Nuken der heiligen Schrife 
ten zu verwenden. “ 
Sn feinem vertrauten Brief an Goclenius fchreibt 
: „ich fürchte einen blutigen Ausgang; hätte ich die 
Bosheit und Arglift der Deutfchen gekannt, fo wäre 
ich eher zu den Mahomedanern ald zu ihnen gewan— 
dert. Auch Luthern ift nicht wohl zu Muth, da er fieht, 
daß das Volk nicht evangelifch, fondern fatanifch wird, 
und daß allen Wiffenfchaften der Untergang droht.“ 
An einem andern Drt fagt er: „Sch wünfchte mit 
jedermann in Frieden zu leben. Zu Feinden babe ich 
nur ensweder Dummföpfe und fchamlofe Poffenreißer, oder 
‚ruhmfüchtige, verläumderifche, von toller Mifgunft ange» 
triebne Leute, Bauchfklaven und Sinfterlinge, welchen mehr 
an der Welt als an Ehrifto gelegen ift.“ Scherzhaft er» 
zählt er dann in einer andern Stelle, daß in Conftanz ein 
gemwiffer Doktor war, welcher in * Zimmer dası Bild 
des Erasmus aufgehängt hatte, nur um folches, ſo oft 
ev bey ihm vworübergieng, anzufpuden, und den Leuten, 
welche nach der Urfache feines Grolls fich erfundigten, zur 
Antwort gab: daß er diefem Mann die Schuld alles Un— 
glücks und Elends, welches jene Zeit betraf, zufchreibe. 
Mit eben fo viel Sleichmuth ertrug er die Schalfheit jener 
Gegner, welche feinen — in den höchften Beziehungen beft- 
verdienten — Nahmen Erasmus (liebenswürdig) bald in 
Erasinus — bald in Errasmus oder Arasmus verftümmel: 
ten, um durch diefe fchale Ironie ihn verächtlich zu machen. 
In vielen feiner Briefe erklärt er, mit feinem Luthe- 
raner je in ein Bündniß getreten zu feyn, da ihm diefer 
tolle Aufruhr immer mißfallen habe, und er weder im 
Leben noch im Tod fi) Ungehborfam gegen die Kirche 
und Abfall vom alten Chriftenglauben werde zu 
Schulden fommen laffen. Dann fügt er bey: „ich aner- 
fenne Feine Partey als die chriftliche, wenn man-diefe 
IN 


— 156 — 


fo nennen darf; dennoch ward ich von einigen Carmeliten 
und Dominifanern in öffentlichen Predigten aufs wüthendfte 
— oft fogar nahmentlich — befchimpft und geläftert. Wollte 
Gott, ich wäre fo frey von allen Fehlern als ich unfchul- 
dig an diefem Gefchäft bin, dann würde ich auch ohne 
Beichte ruhig frerben. Anfänglich waren fehr viele und 
angefehene Männer Luthern gewogen, fo lang nur von 
Abfhafung der Mißbräuche — nicht aber von offenba- 
rer Empörung und Zertriüimmrung — die Rede war; 
faum hatte ich einige wenige Seiten feiner Schriften durch- 
bfättert, fo Ffonnte ich alsbald mid, überzeugen, daß Ddiefe 
Angelegenheit ein fchlimmes End nehmen werde, und mir 
ift wahrlich ale Zwietracht fo verhaßt, daß felbft ein 
Streit um die Wahrheit felbft mir mißfiele. Sch war der 
erfte, welcher jenen Mann in Briefen erinnerte, doch ja 
die Sache des Evangeliums auch mit evangelifcher 
Sanftmuth und Mäßigung zu behandeln. Gar vft 
ward ich gewarnt, meine Mißbilligung diefer Sache doch 
wenigftens nicht öffentlich auszufprechen, um nicht Zungen 
und Federn fo vieler Männer von Gewicht gegen mich auf- 
zureißen; ich wußte auch gar zu wohl, mie fehr viele der 
Unfrigen, aus Haß gegen die Wiffenfchaften, mid 
aufs hartnäckigſte verfolgen würden; es konnte mir nicht 
entgehen, daß es für mich dienlicher wäre, . an die andre 
Partey mich anzufchliegen. Allein ich war, bin und bleibe 
unmwandelbar entfchloffen, mich eher in Stüdfe zer- 
reißen zu laffen ald Uneinigfeit — befonders in Glau- 
bensfachen — zu begünftigen,“ 

So ſprach, ſchrieb und handelte jener wahr- 
haft große Mann, deffen reine Gefinnungen — 
mafellofen Wandel und gemeinnüßiges Leben 
feldft feine Widerfäher nie zu beftreiten wagten, 
auf deffen Urtheil in Sachen des Reformationsmwerfs, 
wir daher im Verfolg ung getroft werden berufen und 
daffelbe mit Zuverficht demjenigen der neuen — 
bensapoſtel entgegenſtellen dürfen! | 


— 157 — 


Doch wir kehren nun zum Hauptgegenftand zurüd; 
und nachdem wir die Wurzeln des Baums unterfucht 
hatten, laßt uns auch diefen felbft und feine Früchte 
näher prüfen. 

Den verfönlichen Eigenfchaften der Reformatos 
ten werden wir auch die Unternehmung felbft in ihrer 
Entwidlung und in ihren Folgen ganz entfprechend 
finden; und am Schluffe dürfte fi) dann die Frage leicht 
beantworten lajfen: ob wir nicht Alle auch jetzt noch vor 
ein und demfelben Altar fnien und Gott auf die nähm— 
lihe Weife anbethen würden, wenn nicht niedrige Lei— 
denfchaften, Herrfchbegierde, Ueppigkeit, Rach— 
und Habſucht ſich in die Reformationsangelegenheit ges 
mifcht hätten? und ob der — fo proteftantifchgefinnte — 
Friedrich II. nicht Recht hatte, als er die Reformation in 
Deutfchland ein Werk der Selbſtſucht und des Ei— 
gennußes — in England der finnlihen Luſt — und 
in Sranfreich ein Werk der Neuerungsfucht nannte? 

Zuerft erwähnen wir der Reformationsgefchichte Eng» 
lands in einem kurzen, aber getveuen Umriß, dann be» 
trachten wir die Entwicklung des Lutheranismus in Sach— 
fen, und hierauf verbreiten wir uns etwas umftändlicher 
über die Begründung der Zwingliſchen Lehre in der 
Schweiz. Ä 

Sm Sahr 4509 heirathete Heinrich VII, kaum 
418 Jahre alt, feine Schwägerin Catharina von Arrago— 
nien — Wittwe feines ältern Bruders Arthur, aus mwel- 
cher Ehe nur Maria, geb. 1515, am Leben blieb. Die- 
fen König fchildern ung die Gefchichtfchreiber Englands 
als eben. fo fittenlo3 und ausgelaffen, wie hingegen feine 
Gemahlin als gemiffenhaft, fromm und eingezogen. Im 
Sahr 4521 erfihien an ihrem Hof die berüchtigte Anna 
von Bolleyn. Heinrich ftürzre nun feine Gemahlin von 
Zhron, nachdem Eranmer, Erzbifchof von Canterbury 
(ein lafterhafter, verfchmigter und fühner Dann — unter 
Maria nachher zum Scheiterhaufen verurtheilt) diefe Ehe 


— 4158 — 


aus eigner Anmaßung Firchlich aufgelöst hatte. Dann 
vermählte fi) Heinrich mit Anna. Das päpftliche Eons 
fiftorium unter Clemens VII erklärte im Jahr 4533 die 
erfte Ehe Heinrich mit Catharina als gültig, und bes 
drohte ihn im Fall des Ungehorſams mit dem Kirchen- 
bann. Dieß beftinimte den König, fich und feine Staa» 
ten vom päpftlichen Stuhl loszureißen, welchen er vor— 
her fo eifrig gegen Luther verfochten hatte, daß Leo X. 
ihm den Zitel „Befchüger des Glaubens “ beylegte. Sm 
Nov. 1534 erklärte das Parlament die kirchliche Gerichts— 
barkeit ald Recht der Krone, und den König ald „Ober⸗ 
haupt der Englifchen Kirche.“ Diefer forderte nun die 
Zuftimmung der Bifchöfe und der gefammten Geiftlichkeit 
mittelft vorgefchriebnen Eides, indem er die Widerfpenfti» 
gen mit der Todesſtrafe bedrohte. Ale unterwarfen 
fi), mit Ausnahme des Bifchofs von Rocheftier, Fifcher, 
welcher die heldenmüthige Behauptung feiner Glaubens— 
grundfäße auf dem Blutgerüſt büßte. Gleiches Schickſal 
hatte der berühmte Kanzler Thomas Morus, ein von 
Erasmus wegen feiner ausgezeichneten Geiftes- und Here» 
zensvorzüge ungemein hochgefchäßter und geliebter Mann, 
Willkühr und Gemwaltthat waren nun an der Tages» 
ordnung. Mit äußerfter Strenge diefe Spaltung zwifchen 
feinem Reich und dem päpftlihen Stuhl zu befeftigen 
bedacht, eiferte indeffen dev König nicht weniger gegen 
die Härefie, und ließ eben fo Faltblütig die Katholiken 
morden, als er binwiederum die Schüler Luthers und 
Calvins — welche ihre Lehre zu verbreiten fuchten — zu 
den Flammen des Scheiterhaufens verurtheilte. Bald 
nachher mußte dann freylich die Spaltung auch den 
Irrlehren feldft Thür und Thor öffnen, | 
Ein neuerer Schriftfieller fchildert diefe Periode —* 
Engliſchen Geſchichte mit folgenden wenigen, aber ſcharfen 
Zügen: „ABS der Papſt feine Einwilligung zur 
Scheidung Heinrich VIIL von feiner Gemahlin Catharina 
verweigerte, mward der in Anna Bolleyn (mit deren. 


— 159 — 


Mutter fowohl als Schwefter der König früher — wie es ge— 
fchichtlich erhoben ift, und Pol in feiner Schrift de unione 
ecelesiastica beftätigt — ehebrecherifchen Umgang gepflogen 
hatte) fündhaft verliebte Tyrann wüthend, und beſchloß 
aus Zorn und Rachbegierde den Sturz der päpftlichen 
Suprematie in England. Thierifche Luft, Sleichsnerey 
und Treulofigfeit war e8, was die Reformation in England 
zur Reife brachte. Diefe Anna (von einigen proteftan- 
tifchen Schriftftelern „der große, weibliche Reformator “ 
genannt!) lebte zu allgemeiner YUergernig im Ehebruch 
mit vier Herren des füniglichen Hofftaats, und in Blut- 
fand mit ihrem Bruder dem Herzog von. Rochfort, 
welche fämmtlih als fhuldig befunden — drey Tage 
nad) der Königin Anna — ebenfalls hingerichtet wurden. 
Ehe aber Anna das Schaffot befteigen fonnte, mußte auf 
Heinrichs Befehl der Erzbifchof von Canterbury den König 
noch von ihr fcheiden, und erklären: die Ehe (welche er 
doch furz vorher als rechtmäßig und gültig ausgefprochen 
hatte) fey null und nichtig, und fey e3 auch ſtets gewefen. * 

Nach Berftoffung der Anna Bolleyn, und zwar fogleich 
am Tag nach ihrer, Enthauptung, nahm Heinrich die Jo— 
hanna Seimer, welche in ihrem Dienft geftanden war — 
zum Weib, nach deren Tod er die Anna, Schwefter des 
Herzogs Wilhelm heivathete, diefe dann wieder verftieß 
und hierauf Catharina Havard, Nichte des Herzogs 
von Morfolt zum fünften Weib nahm. Bald ward auch 
diefe — des Ehebruchs übermwiefen — hingerichtet, und 
Heinrich fchritt zur fechsten Ehe mit Catharina Par- 
ram, Wittwe Latimers, welche ihn überlebte. 

Im Jahr 1547 ftarb Heineich VIIL , nachdem er vor 
feinem Ableben wieder zur Eatholifchen Kirche zurück— 
gefehrt war, und die feinem minderjährigen Thronfolger 
verordneten fechszehn Vormünder für katholiſche Erzie— 
bung deſſelben in Pflichteid genommen hatte. Die Vor— 
mundſchaft ſeines Sohns Eduard VI. — (aus der Ehe 
mit Johanna Seimer) — und ſomit die Reichsverwal— 


— 160 — 


tung führte der Herzog von Sommerfet, Obeim des juns 
gen Konigs, welcher die von Heinrich verordneten Vor— 
münder verdrängte. Diefer hieng an Galvinifchen Grund- 
fäßen; der Erzbifchof Eranmer huldigte mit abgeworfner 
Maske al feinen Wünfchen, und ward fein vertrautefter 
Freund. Dem Herzog felbft war eg nur um die Kirchen— 
güter zu thun, von welcher Plünderung fich Viele großen. 
Bortheil verfprachen. Cranmer dachte hauptfächlich darauf, 
feine bis jeßt verborgen gehaltene Ehe nun in gefeh- 
licher Form erfcheinen zu laffen. Die Reformation ward 
bejchloffen! Der Herzog lieg Eduard als Reichsoberhaupt in 
geiftlichen und weltlichen Rechten proflamieren, Fündigte 
eine baldige Abfaffung von Slaubensartifeln an, und unter» 
fagte alle Predigten. Um das Werk der Reform -thätigft 
zu betreiben, wurden Peter Martyr, Ochin und Bucer — 
welche fich eben in Straßburg aufbielten — nach England 
berufen. Nun ward der Gottesdienft feiner ehrwürdigen 
aus dem grauften Altertum herftammenden Form beraubt, 
Ritual — Liturgie — Verehrung des Kreuzes aufgehoben, 
felbft der Glaube an die wefentliche Gegenwart im Altar— 
faframent umgeftürzt, und fo fahb England — von Erftau- 
nen ergriffen — fi) in einen proteftantifchen Staat ums 


geftaltet! 
Eduard ftarb 4553, und Marie feine ältere Schwe— 
fter folgte — nach einer zehntägigen Zwiſchenregierung 


der Königin Johanna — ihm auf dem Thron. Diefe war 
den von ihrer tugendhaften Mutter Latharina ererbten 
katholiſchen Grundfähen treu geblieben. Es gelang ihr, 
allmählich wieder ihr Volk dem päpftlihen Stuhl zu unter- 
werfen. Das Parlament felbft fuchte um die vom Gardi- 
nal Legaten Poole eingeleitete Verſöhnung an. Das alte 
Bindnig der Glaubens -Einheit ward hergeftellt; die 
alten Dogmen wurden nebft der Liturgie wieder ange- 
nommen. Ganz England, obfchon tief erfchüttert durch die 
Neuerungen der lekten Regierung, lebte neu wieder auf in 
der Rückkehr zue Mutterkirche. Auch jet noch würde 


— 114 — 


wohl England ihre angehören; allein Maria jtarb — nad) 
furzer Regierung — kinderlos. | 

Auf dem Thron folgte ihre 1557 Elifabeth, ihre 
natürliche Schwefter, zwar nicht nach dem Recht der Ge— 
burt, aber nach dem legten Willen des Königs Heinrich; 
denn fie war eine Tochter der Anna v. Bolleyn und ward 
gebohren: zur Zeit ald noch Catharina — die rechtmäßige 
Königin und Gemahlin Heinrich! — Iebte, im Suhr 1533. 
Mit fchüchternem Gemüth beftieg fie den Thron, in der 
Veberzeugung nicht gefeklich dazu berufen zu feyn, und war 
unfchlüßig die Reforntatidn herzuſtellen aus Furcht vor ge= 
fährlihen Gährungen. Endlich ließ fie fich dazu bewegen 
durch die Borftselungen ihrer Minifter, daß fie nie ein 
daurhaftes und aufrichtiges Einverftändnig mit dem römi— 
fhen Hof fidy verfprechen dürfe und von demfelben nie 
als rethtmäßige Königin anerkannt werden fönnte. 
Nun ward der Bruch mit dem päpftlichen Stuhl befchloffen, 
und das Parlament zu diefem Behuf verfammelt. In der 
Pairsfammer ward ein Gefek vorgefchlagen: alle früheren 
Befchlüffe der Königin Maria aufzuheben, Elifabeth als 
oberfte Regentin in allen geiftlichen und meltlichen Anges 
legenheiten — wie früher Heinrich und Eduard — anzu— 
erkennen, die gefammte Geiftlichkeit hiefür in Pflichteid zu 
nehmen u. f. w. Gtarf erhoben fich dagegen die in der 
Kammer anmwefenden — erftaunten und beftürzten — Bi— 
fchöfe; aber ohne fie einer Rückſicht zu würdigen, ward 
das Gefeß angenommen. Auch in der Kammer der Ge- 
meinen fiegte die Hofpartey. Das Shisma ward zum 
Reichsgefek erklärt; wer es mit Nom hielt, ward als Feind 
Gottes und der Krone Englands angefehen. Die meiften 
Bifchöfe wurden nun megen verweigertem Eid abgefekt, 
verjagt und durch folche Priefter erſetzt, welche den neuen 
Grundfäken zugethan waren. Parker ward zum Erzbifchof 
von Canterbury geweiht; 1562 waren alle bifchöflichen 
Stühle wieder defekt und eine laubenserflärung ward 
in 39 Artikeln verfaßt, vom Parlament und der Königin 

4 


— 


ſankzioniert. So ward zum zweiten Mahl die kirchliche 
Ordnung umgeſtürzt, die Glaubenstrennung feyerlich 
proklamiert, und das engliſche Volk durch Liſt und Gewalt 
von der ganzen Chriſtenfamilie losgeriſſen; — dieß alles 
auf den Machtfpruch jener ehrgeizigen Königin. Die recht— 
mäßigen Biſchöfe waren von abtrünnigen verdrängt, und 
Parker ſelbſt war von folchen geweiht worden, welchen bier» 
zu durchaus feine kirchliche Befugniß zuftund. Dennoch 
war es der kühnen Elifabeth nicht gelungen, die Bewohner 
auch nur einer einzigen Provinz oder Stadt zu Profelyten 
ihrer neuen Kirche zu gewinnen. Statt folchen wurden im 
Schooße diefer Reformation nur neue Sekten erzeugt, 
die fich fo weit ausdehnten — fo ſchnell und tief wurzelten, 
daß fie, gleich wucherndem Unfrant, nicht mehr auszurotten 
waren. So gediehen die Presbyterianer, Sndependenten, 
Duritaner, Quäker, Sozinianer, Anabaptiften, die mäh— 
rifchen Brüder, Yuttiften, Brüder des neuen Serufalem, 
und jene Unzahl von Methodiften. Daher fiehbt man in 
ganz Brittannien fo viele Altäre aufbauen und niederreißen, 
Kirchen, deren je eine die andere verfolgt, Tempel, die 
einander fremd find, — häusliche Berfammlungen, in wel— 
chen der Gottesdienft zur nähmlichen Stund mit ganz 
verfchiednen Kirchengebräuchen gefeyert, dag Evanges 
lium nah Gutdünfen ausgelegt, und die Religionslehre 
nach den widerfprechendften Meinungen erklärt wird. 
Seit der Epoche der von Efifabeth bewürften Ummwälzung 
ift die Religion in England zu einem Gewirr zahllofer 
Sekten herabgefunfen, die Liturgie in Verwirrung ge» 
rathen, und ein Chaos von Widerfprüchen in den Lehr— 
ſätzen entftanden, daß faum jemand mehr weiß, was er 
alauden oder denken foll, während der göttliche Sefekgeber 
und feine Nachfolger auf nichts fo fehr ald Einheit 
im Glauben drangen, und gegen nichts fo fehr wie gegen 
Spaltungen eiferten! — 

Daß übrigens in England die Zwinglifche Lehre 
der Lutherſchen vorgezogen wurde, rührt hauptfächlich 


daher, weil Luther wegen feinen Controverfen mit Hein— 
rich VIII. und dem Kanzler Morus verhaßt war, und 
weil man beym Beginn der Reformation unter Eduard VI. 
die Zwinglifche Abendmahllehre — als der päpftlichen Trans— 
fubftantiation gerade entgegengefekt — für die beque= 
mere und geeignetere hielt, um die Gränzfcheidung zmwifchen 
dem Papftthum und der Englifchen Kirche auf immer feft- 
zuftellen. Dazu fam noch, daß Ochin, Vermilius und 
Bucer durch ihre Difputationen der Zwinglifchen Lehre 
mehr Anfehn und Beyfall verfihaftten, da hingegen für 
die Zutherifche damahls Fein Herold in England fich 
befand. Zudem war der Kehrftreit zwifchen den Zuthera- 
nern und Reformierten damahl3 noch zu feinerley öffent» 
licher Kirchentrennung erwachſen, (mas erft nach Luthers 
Tod erfolgte) fo daß die Gründe und Gegengründe 
des Kehrftreits nicht Eonnten zur Wahl vorgelegt werden. 
Denn, wie man aus Burnet fieht, ward anfänglich die 
„Berwandlung“ und die „leiblihe Gegenwart“ in dem 
nähmlicyen — päpftlichen — Sinn genommen, folglich die 
päpitliche und [utherifche Xehre noch vermengt, und fomit 
nur der Unterfchied zwifchen der römifchen und englifchen, 
nicht aber auch zwifchen der lutherifchen und englifchen, 
feſtgeſetzt. Als dann nachher unter Elifabeth die Reform 
in England völlig zu Stand fam, ward — um alle Unter 
thanen durch Ein Slaubensbefenntniß zu vereinigen — die 
Lehre der Leiblishen Gegenwart nicht ausdrüdlich ver- 
worfen, fondern in jenen 39 Artikeln der Londner Synode 
von 1562 weggelaffen, und nur die Transfubftantiation, 
oder Eatholifche Xehre von dev Berwandlung, verworfen; 
im Artikel 28 hieß es daher nur: für diejenigen, welche es 
nach DBorfchrift würdig und gläubig genießen, ift das 
Brot, welches wir brechen, eine Berbindung des Leibs 
Ehrifti, und eben fo der gemeihte Kelch eine Verbindung 
und Gemeinfchaft des Bluts Ehrifti. i 

Dieß wenige mag genügen, um fi) von dem Urfprung 
und Fortgang der Kivchentrennung in England einen gründ- 

4" 


— 164 — 


lichen Begriff zu machen. Wer jedoch in die näheren Um— 
ftinde einzudringen mwünfcht, den verweifen wir auf die 
Werke eines Whittafer, Tyler, Stuart, nicht aber Hume 
oder Robertfon, — deren Irrthümer über verfchiedne Ab— 
fchnitte der Englifchen Gefchichte erwiefen find. 

Sn Sachfen begann Luther fein Werk um die Mitte 
des zweyten Dezenniums im fechszehnten Sahrhundert. 
Wir übergehen die, zum Theil Schon oben erwähnten, zum 
Theil fattfam befannten Umftände feiner polemifchen Lauf- 
bahn, und betrachten vielmehr die Abweichung feiner 
Slaubenslehre von der Zwinglifchen im wefentlichiten 
Punkt — näbmlich der Euchariftie. 

ach Lutherifchem Lehrbegriff ift der Leib Chrifti, 
feiner natürlichen und räumlichen Gegenwart nach, im 
Himmel — und feiner übernatürlichen Gegenwart 
nach — auf Erde, im Abendmahl. Die übernatürliche 
Gegenwart leitet Luther aus der perfönlihen VBerei- 
nigung der Menfchheit Ehrifti (folglich auch feines 
menfchlichen Leibs) mit feiner Gottheit her. Kraft diefer 
Vereinigung, und der an die menfchliche Natur mitge- 
theilten Allgegenwart der Gottheit fann der ganze 
ungetheilte Gottmenfc, folglich auch fein Leib und 
Blut, im Abendmahl gegenwärtig feyn. Und zwar beruht 
dieß Empfangen feines Leibs und Bluts auf des allmäch- 
tigen Erlöfers eigner beftimmter Berheißung, melde 
er dem geſegneten Brot und Wein im Abendmahl gab. 
Dieſe werden alfo, während des Genuffes, Darreichungss 
mittel des Damit vereinigten Reibs und Bluts Chriſti. 
Darunter wird um defwillen Feineswegs das natürliche 
Effen — durch Auflöfung, Zerftücelung und Berzehrung — 
verftanden. Wie die Gegenwart des Leibs Ehrifti im 
Abendmahl, eben fo gefchieht auch die Darreichung und 
Genießung deffelben, d. b. fo, wie es nad) der über- 
natürlichen Kraft eines allgegenwärtigen Leib — 
einer ausdrüdlichen göttlichen Verheißung zufolg — 
gefchehen fann. Das Wefen des Abendmahls hängt alfo 


— Ib, 


nicht von der Gemüthsverfaffung des Communikanten ab, 
wohl aber die Frucht des Abendmahls. Nur demjenigen 
wird die Frucht des Genuffes zu Theil, welcher glaubt. 
Daher dringt auch die Lutherifhe Kirche fo fehr auf die 
Nothwendigkeit des geiftigen Genuffes durch den Glauben. 
Die übernatürliche Gegenwart und Geniefung des Leibs 
Chriſti im Abendmahl beruht alfo nach Lutherifchen Bes 
griffen lediglich auf perfönlicher Bereinigung der Gott- 
heit Ehrifti mit feinee Menfchheit. Die Lehre „von 
diefer Vereinigung ift ein Geheimniß, auf welchem die 
Alfgegenwart feines Leibs beruht, — fo wie dann hin- 
wiederum auf diefev Allgegenwart, in Verbindung mit 
der ausdrücklichen Berheißung Ehrifti, das Dafeyn feines 
Leibs im Abendmahl begründet if. Ueber ſolche Ge— 
heimniffe unfrer Religion dürfen wir uns nicht verwun— 
dern, da die heilige Schrift ung viele derfelben ganz 
ausdrücklich felbft als folche bezeichnet, 4. B.: „daß in 
Bott drey Perfonen- feyen“ (mo die menfchliche Vernunft 

auch leichter nur Eine Perfon annehmen würde) ferner: * 
„daß Gott geoffenbaret fey im Fleiſch“ welche Wahrheit 
von Paulus felöft 4 Tim. II. ein ausgemacht großes Ge— 
heimniß genannt wird (mo. die menfchliche Faffungsfraft 
‚eher begriffe, daß der Menſch Jeſus Chriſtus ein bloßer 
von Gott begnadigter Menſch ſey), ferner: „die Berei⸗ 
tung des Leibs Chriſti aus Maria, der unbefleckten Jung— 
frau durch Ueberſchattung des beit. Beiftes,“ was dem 
Verſtand eben aud) parador genug vorkommt. So würde ' 
uns wohl auch beffer einleuchten, daß der Menfchenftaub 
im Grabe bleiben, als daß ex wieder. lebendig und mit 
feiner Geele vereinigt werden fol. (Und doc, glauben 
auch die Zwinglianer all diefe Moyfterien, wie der Luthera— 
ner und der Katholik!). Zur übernatürlichen Gegen- 
wart des Leibs und Bluts Chrifti im Abendmahl war 
immerhin nur ein einziges Wunder — ein für alle 
mahl — nöthig, nähmlich: die perfönliche Bereinigung 
der Menfchheit Chriſti mit feiner Gottheit. 


—" Ib — 


Die Lutherifche Kirche lehrt folglich feine wefent, 
lihe Berwandlung des Brots und Weins, fondern 
nur die faframentliche Bereinigung d. i. die Ber- 
bindung des fichtbaren Brots und Weins mit dem 
unfihtbarmwahrhaft gegenwärtigen Leib und Blut 
Chriſti, Eraft welcher Verbindung wir eines mit dem andern 
zugleich genießen. 

Sm Rutherifhen Katehifmus wird auf die Frage: 
„was ift nun das Saframent des Altars?, geantwortet: 
„e8 ift der wahre Leib und Blut unfers Heren Sefu 
Ehrifti in, mit und unter dem Brot und Wein, durch 
Chriſti Wort ung Ehriften befohlen zu effen und zu trinfen. “ 
Durch dieſe Redensart „in, mit und unter“ wollen die 
Zutheraner weder eine räumliche Einfchließung noch eine 
Dermengung des Wefens ausdrücen, jondern bloß eine 
faframentlihe Bereinigung, welche bemürft, daß 
wir mit dem Irdiſchen Sichtbaren zugleich etwas 
Himmlifches Unfihtbares empfangen; während nach 
dem katholiſchen Lehrbegriff die würfliche Gegenwart 
Ehrifti im Altarfaframent auf der Bermwandlung der 
Subftanz beruht. | 

Wenn einige Kirchenpäter die Wörter „Bild, Zei: 
hen, Borftelung“ (Agura, signum, symbolum, zUrog 
und avzizvzog) gebrauchten, fo nehmen fie folche in ganz 
anderm als Zmwinglifchem Berftand, fo daß fie durch das 
äußerliche Zeichen nicht etwas abmwefendes, fondern 
nur das unfichtbare bezeichnet wiffen wollten. Die 
dunfleren Stellen der Kirchenväter müffen durch ihre deuf- 
lichern erklärt werden. In den erften Zeiten walteten 
noch gar feine Zerwürfniffe oder ungleihe An— 
fihten unter ihnen ob, welche es ihnen nöthig gemacht 
hätten, ſich deutlicher auszufprechen; Daher auch in 
ihren Conzilien, Symbolen und Liturgien nur in allge» 
meinen Ausdrücen der Abendniahllehre erwähnt wird. 
Da an Ehrifti eignen Worten damahls noch niemand 
zmweifelte, fo fonnte auch ein befondrer Glaubens— 


— 4167 — 


artikel über die Verwandlung des Brots in den Leib 
Chriſti nicht ald nothwendig eriiheinen. 

An die Rutherifche Abendmahllehre fchloffen fich auch 
die Waldenfer, MWiclefiten und Huffiten an, indem fie 
öffentlich den Zwinglifchen Lehrbegriff bermarfen; 

Während Carolſtad, Defolampad und Zmingli am 
heftigften unter fihh über den Sinn der Einfeßkungs- 
worte ftritten, behauptete Luther unentmwegtdie würk— 
lihe Gegenwart des Leibs und Bluts Ehrifti im 
Abendmahl, indem er die Worte des evangelifchen Texts 
allzu flar und unzweideutig fand, als daß fie irgend 
eine andere Auslegung zuliefen. DBergeblich waren 
alle Ausgleichungsverfuche ; auch beym Colloquium in Mar— 
purg 4529 konnte feine Vereinigung ftattfinden, und eben 
fd wenig fpäterhin auf den Synoden zu Bafel und Eiſenach 
1536; dennoch erfolgte bey Luthers Lebzeiten Fein 
öffentliber Bruch. Mach feinem Tod begann der 
Streit aufs neue, wobei Galvin .fich befonders thälig 
bewies, und zulest erfolgte dann die förmliche Tren- 
nung. Don Geite der Lutheraner ward gegen d. 3. 1580 
die formula eoncordie, und von Geite der Zwinglianer 
theils 4566 die Helvetifche Eonfeffion, theils aber 
bauptfächlich 1619 die Synodal-Statuten von Dord— 
recht aufgeftellt, und dadurdy die Spaltung zwifchen 
diefen beyden proteſtantiſchen —— feſt⸗ 
gegründet. 

Zu Widerlegung der Zwingliſchen Lehrmeinung vom 
Abendmahl b:rufen ſich die Lutheraner vorzüglich auf 
geſchichtliche Urkunden aus den erften Sahrhunderten 
der Ehriftenheit , auf die Ausfprüche vieler dev Alteften 
Kirchenväter, welche ſämmtlich gegen den ſym— 
bolifiyen oder geiftigen Verſtand der Einfeßungsworte 
zeugen, befonders Eyprian in f. Rede vom Abendmahl des 
Herrn — Hilarius Lib, 8, de trinit. — Eyrill v, Alexan— 
drien in f. X. Buch über Joh. XII. u. f. w. Außer fo 
vielen und flaren Zeugniffen der älteften Väter wer: - 


— 16 — 


den auch mehrere aus dem VIII Sahrhundert angeführt. 
So 3. B. fihreibt Joh. Damaszenus, welcher zu An- 
fang deſſelben — folglich noch mehr als hundert Sabre 
vor dem durch die Transfubftantiation entftandnen öffent- 
lihen Saframentftreit — [ebte, in f. IV. 8. de ortho- 
doxa fide C. 14. „Brot und Mein ift feine Figur des 
Leibs und Bluts Chriſti, ſondern der göttliche Leib 
ſelbſt, indem Chriſtus ſpricht: das iſt mein Leib, nicht: 
eine Figur des Leibs, und eben fo: das iſt mein Blut, 
nicht: eine Figur des Bluts. Fragt ihre, wie das 
zugehe? fo wiſſen wir nichts anzugeben als: daß Gottes 
Wort wahr, kräftig und allmächtig — die Art und 
Weife aber unerforfälich if.“ Das Conzilium von 
Nicäa im S. 787 fpricht fich Elar dahin aus: daß fein 
Apoſtel noch Kirchenvater je im figürlichen Sinn davon 
gefprochen, fondern diefelben vielmehr immer behauptet 
haben, daß im heiligen Abendmahl der eigentliche und 
wahre Leib Ehrifti zugegen fey. . Selbft Auguftinus be- 
hauptet an mehreren Stellen ausdrudlich: „daß die un- 
würdigen Communifanten — denen man feine geiftige 
Geniefung zufprechen fönne — gleichwohl den wah- 
ren Leib und das wahre Blut Ehrifti genößen“; welchem 
Lehrfaß auch Enprianus, Baſilius, Ambrofius, Chrifo- 
ſtomus, Hieronimus, Leo, Deeumenius u. a. beipflichten, 
woraus dann flar hervorgeht, wie wenig die Zwinglifche 
Meinung unter. den Kirchenvätern und felbft bey Au— 
guſtinus Gründe für fich finde. Auch Suftinus Martyr in 
feiner erſten Schukfchrift an den Kaifer Antonius den 
Frommen fpricht fich deutlich in obigem Ginn aus. 
Amdrofius im IV. B. von den Sakramenten fagt C. V.: 
„Der Herr Sefus Ehriftus felbft bezeugt ung, daß wir 
feinen Leib und Blut empfangen; ifts wohl erlaubt, 
an feiner Treu und Wahrheit zu zweifeln? Eben fo 
urtheilen Gregor dv. Nazianz in f. andern Red vom Diter- 
feft, und Cyrill v. Alerandrien wider Neftorium. Auch 
Chriſoſtomus in der 27 Homil. über 4 Cor. AL fpricht 


— 40609 — 


aufs beftimmtefte von der nicht bloß geiftigen, 
fondern mündlichen Genießung des Abendmahls durch die 
Unmwürdigen (während diefen von der Zwingli— 
ſchen Lehre die Theilnahme am Leib und Blut Ehrifti 
ganz abgeſprochen wird). 


Aber auch fogar aus Haymon, Theophylacto, Algero, 
Bernhardo, dem Abt Rupert von Tui — mithin aus den 
finfterften Zeiten — werden von den Lutheranern 
Zeugniſſe beygebracht , welche für die würfliche Gegen- 
wart fprechen. Der fchlagendfte Beweis hiefür Tiegt wohl 
in dem Zeugniß der Heiden felbft, welche den Chriften 
der erften Kirche den eben fo boshaften als ungereim- 
ten Borwurf machten, daß fie in ihren Berfammlungen 
Menſchenfleiſch eſſen. 


Ueber den Punkt der Geheimniſſe ſtellen die Luthe— 
raner, wie wir ſchon oben bemerkten, den pyrrhoniſchen 
Zwinglianern die triftigſten Argumente entgegen. Sie 
ſagen nähmlich, das große gottſelige Geheimniß nach 
4 Zim. III. und fo viele andere mehr laſſen ſich nach der 
Philofophbie auch nicht erklären; Geheimniffe feyen 
wohl über, alein gun; und gar nicht wider die Ver— 
nunft (was felbft ein Leibnitz gegen Bayle behauptet) ; 
das Geheimniß unfrer eignen Natur — die Vereinigung 
des Leibs und der Seele — werde ja auch geglaubt , ob 
man gleich das Band diefer Vereinigung und die wech— 
felfeitigen Einflüffe nicht gründlich zu erforfchen ver- 
möge; alle Schwierigkeiten, welche man einer aus Got— 
tes Wort Elar erwiefenen Wahrheit entgegenfeken 
fönne , bemweifen lediglich: daß wir nicht alles wiſ— 
fen, u. f..w. 

Luther fagt in f. Tifchreden ©. 47: „Wir Narren 
. fönnen mit unfver Vernunft nicht begreifen, wiffen, noch 
berfiehen, wie es zugehe und woher es fomme, daf 
wir mit dem Mund reden — und woher die Worte fommen, 
und Daß eines einzigen Menfchen Stimme und Wort in fo 


a 


viele faufend Ohren erfihalle; defgleichen wie unfre Augen 
jehen, und wie das Brot, Speife und Trank im Magen 
verdaut und in Blut und Mift in uns verwandelt werde. 
Und wir wollen doch außer und über uns fteigen und 
fpefuliven von der hohen Majeftit Gottes, da wir doc) 
nicht einmahl wiſſen können, was bey und in uns täg- 
lich gefchieht; darum fol man in göttlichen und geiftlichen 
Sachen nur glauben und hören, was Gottes Wort 
fagt.“ Un einer andern Stelle in f. Tifchreden fagt er: 
„Groß ift der Leute Thorheit; wir arme Menfchen mwol- 
len über Gottes Wort urtheilen und richten, da mir 
ihm doch nur follten ſtraks gehorfam feyn; es ift alg 
ob die Kachel den Töpfer lehren wollte, wie er fie 
machen und zubereiten foll; alfo wollen wir auch ung 
über Gott erheben, und die Creatur will ihren 
Schöpfer meiftern.“ 

Auch der große Leibnitz ift für die Lutheraner ein 
wichtiger Gewährsmann. Im f. Theodizee Ed. Gottfd). 
S. 25 — 29 und in f. Abhandlung von der Uebereinftim- 
mung des Glaubens mit der Vernunft $. 18 — 21 fihlieft 
er, daß die Lehre von der wahrhaften und mwefentlichen 
Geniefung im Übendmahl feinen Widerfpruch enthalte, 
daraus, weil jich die eigentliche Natur und Eigenſchaf— 
ten eines Körpers überhaupt noch nicht beftimmen laffen, 
weil feldft nach dem ordentlichen Lauf der Natur 
ein Leib in viele entfernte Körper unmittelbar auf eins 
mahl mwürfen könne, folglih der göttlihen Allmacht 
fein Hinderniß gedenkbar fey, daß ein Körper vielen Kör— 
pern zugleich gegenwärtig feyn könne. Er vereinigt des 
großen Newton Meinung von den Eigenfchaften und Wür— 
ungen dev Körper mit den Lehren dev Augsburger Con— 
feffion, daß es nur auf Gott anfomme, folches zu be 
werfftelligen; und ob diefe Würfung auch über die Kräfte 
der Natur fen, fo könne man doch nicht fagen, daß fie 
über die Macht des Urhebers der Natur fey, welcher 
ja allerdings die der Natur gegebnen Geſetze auch eben 


— 11 — 


fo leicht wieder abzuſchaffen, aufzuheben oder zu aAndern 
vermöge. 

Die gefährlichſte Klippe für den Glauben bleibt 
immer der Mißbrauch der menfchlichen Vernunft, 
indem man alles wiffen —, den Urfachen und dem 
Wefen nah durhdringen—, nicht aber glauben 
(vergl. Hebr. XI., 1.), d. b. die göttlihen Zeugniffe 
von folchen die Gränzen der Bernunft überfteigen- 
den Geheimniffen nicht annehmen will. Der göttlichen 
Dffenbarung nicht eher trauen ald wann auch die 
Vernunft es eingefehen, oder darum befragt worden, 
ob Gott auch wohl Recht habe — heißt : fich felbft ver— 
göttern, wider Gottes Mageftätsrechte fich auflehnen. 
Die Bernunft foll vielmehr nah Pauli Bor» 
fhrift bey H. Cor. X unter den Gehorfam des 
Glaubens gefangen genommen werden. 

Noch ein Argument für den Lutherſchen Lehrbegriff 
vom Abendmahl wird aus der DBergleichung des Dfter- 
lamms im Alten Bund mit der Euckhariftie des 
Neuen Bunds hergeleitet. 

Bey bloß geiftiger Geniefung würden nähmlich die 
Gläubigen des neuen Bunds nit mehr — ja noch 
weniger — empfangen al3 jene des alten, fo daß die 
Einfeßung defjelben ganz überflüffig gemefen märe. 
Diefe bildliche Borftellung wäre der Natur des neuen 
Dundes zumider, indem fein Unterfchied fich zeigte 
zwischen Borbild — dem Dfterlamm — und Gegen 
bild — dem heil. Abendmahl; ja die äußerlichen Zeichen 
wären im alten Bund noch weit Elarer als im neuen, 
da das Dfterlamm den Leib und das Blut Ehrifti weit 
beffer hätte vorftellen können, als das Brot und der 
Wein. | 

Und wie fönnten wohl die Zwinglianer wider die 
Zutheraner beweifen, daß der Leib Sefu Chrifti feine 
andre Subftanz habe als der Leib der Menfchen? 
daß 250 (ift), welches in manchen Schriftftellen mit „be— 


deutet“ überfeßt werden Fann, auch in den Einferungs- 
worten fo Überfegt werden müffe, und daß ein mögli— 
cher Wortverftand auch allezeit ‚dev eigentlich richtige 
fey ? daß eine raümliche Einfchliefung die wefent- 
liche Eigenfchaft aller Leiber und felbft auch des Leibs 
Chrifti jey? das es beffer fey, bei der Communion fehen 
als glauben? und daß unfre Sinnen die untrügliche 
Richtſchnur aller Geheimniffe des Glaubens feyen? 
Den biblifch eregetifhen Hauptbeweis ihres Lehrbe— 
geiffs der fatramentlichen Bereinigung gründen 
indefjen die Lutheraner auf die Paulinifchen Stellen 1 Cor. 
AI, 24 und X., 16. — Paulus beruft ſich nähmlıd) 
Al., 23 auf Chrifti ausdrüdlichen Befehl, die Ein- 
feßungsworte nach feinem — des GStifters vollſtändi— 
gem Sinn vorzufvagen. Mathäus und Markus melden 
bloß: das it mein Leib; Lukas fügt bey: „der für euch 
gegeben wird, Paulus erklärt und ergänzt ed. Die 
drey Evangeliften hatten bloß den Zweck, die Lebensge— 
Ihichte und vornehmften Handlungen Sefu aufzuzeichnen; 
Paulus aber hatte in Bezug aufdiefe faframentliche Handlung 
den Auftrag vom Herrn erhalten: den vollftändigen 
Rehrbegriff vom heiligen Abendmahl feinen corinthifchen 
— ja allen chriftlichen Gemeinden in einer liturgifchen 
Borfchrift vorzulegen, und dieß zwar bey einer erhei- 
chenden Gelegenheit, da nähmlich ducch eingeriffene Mi f=- 
bräuche zu Corinth diefe Stiftung ganz war verunftaltet 
worden. Mithin Eönnen diefe von Paulo aufgezeichneten 
Einfekungsworte al3 dag vollftändigfte Glaubensbe— 
fenntniß der erften Kirche über diefen Artikel ange- 
fehen werden. Die im 24. V. vorkommenden Worte nun 
70 ooua zhwuevov halten die Lutheraner für eine ſakra— 
mentliche Propofition und für den Hauptbeweis ihrer Lehr— 
meinung, indem fonft Pauli Ausdruck unrichtig wäre, da 
Ehrifti Keib im Tod nicht gebrochen ward (vergl. Soh, 
XIX., 33); ein Ausdruck, weldyer aud) in der Metapher 
nicht den Tod Ehrifti bezeichnen fann, — denn wo grüne 


= 13 — 


det ſich je eine Gleichnifrede im Mund Jeſu auf einen 
unwabhren und in der Natur der Sache und des 
Vorfalls nicht liegenden Umftand? Wo heißt im neuen 
Teſt ament zAwwevor (gebrochen) fo viel als „getödtet“? Das 
Prädikat „gebrochen“ fann demnach feinem Subjekt „Leib“ 
unmöglich anders zufommen, als im Sinn der von der Luther— 
fchen Kicche angenommenen fatramentlichen Bereinigung des 
Leibs mit dem Brot. Unmöglich fonnte Paulus mit Wiffen 
und Willen Gelegenheit zu einem Mißverſtand geben. 
Was fehen wir den Heiland in jenem ernften Augenblid 
thun? das Brot brechen. Was hören wir ihn von die— 
fem gebrochenen Brot fagen? Dieß ift mein Leib, 
der für euch gebrochen wird. Ob die Jünger damahl3 
diefes volftändig begriffen hatten, Taffen wir füglich 
dahingeftellt. Jeſus duldete an ihnen viele unzulängliche 
Begriffe von feiner Perfon , — feinem Amt, — Hingang — 
und Reich; vieles, was fie noch nicht ganz faflen und er— 
tragen fonnten, verfchob er auf die fünftige Leitung des 
heil. Geiftes. (Joh. XVL, 13.) 

3u all obigem kommt bey den Lutheranern noch dag 
argumentum a tuto. In Blaubensfachen ift es immer 
fihhrer , fih an das Anfehen des Elaren Worts Got— 
tes al8 an die Einficht feiner eignen trügerifchen Ver— 
nunft zu halten. Immer wagt man doch zu viel, 
wenn man die Einfeßungsworte durch eine eigenmäch- 
tige Deutung ſchwächt, die — mer kanns läugnen? -- 
vielleicht doch des Stifters Gedanke nicht könnte ge- 
wefen feyn; dagegen aber wagt man nicht3, wenn man 
jene Worte in ihrem eignen natürlichen Berftand annimmt. 

Was dann übrigens die Einführung der Lutherfchen 
Doktrin und ihren damahligen Wettitreit mit der Zwing— 
lifchen betrifft, fo berufen wir ung auf die bereits fchon 
in den biographifchen Notizen ihrer Urheber mitgetheilten 
gefchichtlichen Umftände, und fügen hier nur noch weniges 
nachträglich bey. | 

Daß Luther anfänglich keineswegs eine würkliche 


— 


Trennung, wie ſolche nachher ſich geftaltete, beabſich— 
tigte, und nur im Verfolg durch gekränkten Ehr— 
geiz hierzu verleitet ward, unterliegt gar keinem Zweifel. 
Das mit dem Ablaß getriebne ärgerliche Unweſen war 
es, was ihn im J. 1517 auf den Schauplatz führte. Da⸗ 
mahl8 war er — mie er felbft bezeugt — „ein junger. 
Doktor, neulic aus der Eſſe gefommen, hikig und luftig 
in der heiligen Schrift.“ In feinen Zifchreden gefteht er 
ganz unverhohlen: „Wenn Cajetanus (Gardinal Thomas 
de Bio von Saeta, püpftlicher Nuntius und Legat bey 
Kaifer Marimiltan, einer der gelehrteften Theologen) mit 
beffver Befcheidenheit zu Augsburg am Reichstag im S. 
4518 mit mir umgegangen wäre, und wenn er mich ange> 
nommen hätte, da ich in aller Demuth zu ihm gieng und 
nieder auf die Knie fiel, dann auf die Erde fo lang ich 
war liegend, fo wäre es nimmermehr dahin gefommen ; 
denn zu derfelben Zeit ſah ich noch wenig Irrthümer des 
Papſts; hätte er ſtillgeſchwiegen, fo hätte ich Teichtlich 
auch gefchmwiegen.“ 

Damahls hatte fih Luther noch bereit erklärt, dem 
Urtheil des Papfts — welchen er alg Kirchenoberhaupt und 
Gottes Stellvertreter auf Erde anerfannte — fich zu 
unterziehen. Er fohrieb ihm 15418 (f. Ep. 64): „Hei— 
liger Vater! heiß mich kommen , heiß mich geben; mad) 
mit mir, was dir nur immer gefällt! heiß mich leben — 
heig mich fterben ! Deinen Willen werde ich immer nur 
als den Willen Sefu Chrifti anfehen.“ Und in einem ans 
dern Brief: „Bor Gott und allen Gefchöpfen betheure 
ich, daß ich nie gefonnen war noch bin, das Anfehn der 
römifchen Kirche und ihres Oberhirten zu untergraben. 
Sc bezeuge, daß ich diefe Kirche hoch Über alles fchäke, 
was im Himmel und auf Erde ift — Jeſum Chriftum 
einzig ausgenommen.“ (Luth. Op. I., 183.) 

Da Herzog Friedrich von Sachſen beym Papft aus« 
gewürkt hatte, daß Luther — ftatt nach Rom zu fommen 
— von dem Legaten Eajetan, wie oben bemerkt, abgehört 


— — 


werden möge, ſchrieb er dieſem Legaten: „ich geſtehe es 
und habe es ſchon anderwärts bekannt, daß ich mich des 
verwegenſten Leichtſinns ſchuldig gemacht und den 
Nahmen des oberſten Kirchenhaupts nicht mit der 
gebührenden Ehrfurcht behandelt habe; dieſe und andre 
Uebereilungen erkenne und bereue ich, bitte auch dieſer— 
wegen männiglich um Verzeihung; habe ich durch die 
Ablaßprediger, welche ihr Amt ſchändlich verwalteten, 
mich hinreißen laſſen, etwas zu ſprechen oder zu ſchrei— 
ben, welches übel ausgelegt werden könnte, ſo bedaure 
ich ſolches innigſt, indem ich zugleich betheure, daß es 
ganz und gar nie in meiner Abſicht gelegen war, den 
Stellvertreter Gottes auf Erden zu beleidigen.“ Im 
Derfolg diefer Verhandlungen begab ſich Luther zum Lega— 
ten, und las in Gegenwart des Motars und vier Faifer- 
licher Räthe folgenden Widerruf: „ih Martin Luther, 
YAuguftinerordeng- Bruder , erkläre und bezeuge, Daß ich 
der heiligen römiſchen Kirche in all meinen Reden und 
Handlungen aufrichtig und treu zugethan bin; und folte 
mir etwas entfallen feyn oder ich etwas dem Zumider- 
laufendes gefagt haben, fo wünfche und bitte ich, daß 
folches als nicht gefchehen betrachtet werden möge.“ 
Während diefer Unterhandlung ward das Colloquium 
in Leipzig zwifchen Luther, Carloftad und Ed gehalten, 
wo erfiver dem lektern geftund, daß er das Schisma der 
Huffiten fchon deßwegen durchaus nicht billigen fünne, 
weil fie nur aus eigner freyer Willführ von der Kirche 
fih getrennt und die Einigkeit in derfelden ge ftört 
— Sa nach dieſer heftigen Difputation ſchrieb Luther 
noch an Leo X.: „Man hat mich beſchuldigt, als hätte 
ich die Vermeſſenheit gehabt, ſogar deinen perſönlichen 
Charakter, heiligſter Vater! anzutaſten; allein ich kann 
und muß es betheuern, daß, fo oft ich Gelegenheit hatte, 
deinen Nahmen zu nennen, ich es ſtets mit dev größten 
Ehrerbiethbung gethan habe. (Dben hatte er dem Cardinal 
Cajetan das Gegenteil eingeftanden.) Der unbefleckte Ruf 


N 


— 4116 — 


deines Lebens ift in der That fo erhaben, und von der 
Gelehrten aller Welttheile ſo laut gepriefen, daß er jeder. 
Derunglimpfung Trutz biethen kann. Sch bin nicht fo 
unverftäindig, daß ich denjenigen tadeln ſollte, welchen die 
ganze Welt lobt.“ u. ſ. w. 

Indeſſen verzog ſich die Unterhandlung; der entrüſtete 
Eck gieng num ſelbſt nach Rom, und drang dort auf die 
ſtrengſten Maßregeln. Noch ſchrieb Luther an den Papft 
ernftlich, aber doch fehr demüthig, nennt zwar Rom ein 
Babel, aber den Papft einen Daniel in der Löwengrub. 

Bald darauf erfchien die Bulle des Papſts Leo vom 45. 
Suny 1520, und nun ward die Erbittrung allgemein. 
Nachdem Luther am 10. Dez. 1520 die erfte Bulle und 
die päpftlichen Decretalien öffentlich verbrannt hatte, er- 
folgte am 4. San. 1521 die Erfommunifationsbule. Nun 
fchalt er den Papft, welchen er kurz vorher einen Da— 
niel in der Löwengrube genannt hatte, einen Antichrift, 
Läfterte gleich einem Wahnfinnigen, und ergoß fidy in den 
heftigften Schmähungen. Sein Vebermutb Fannte feine 
Schranfen mehr, und er fchrieb jetzt felbft dem Herzog 
von Braunfchweig, daß fein Nahme überall hoch gefeyert 
werde, und niemand ſich ihm ferner zu mwiderfeken wage ; 
er hielt fih nun für ein untrügliches Orakel, und ward 
bald überall „der zweite Papft“ nicht mit Unrecht geheißen. 
Daß Übrigens hauptfächlich auch das Zufammentreffen der 
wichtigften politifchen Verwicklungen es war, was den 
Fortdeftand des Reformationswerks möglich machte und 
begünftigte, unterliegt feinem Zweifel. Nach dem Reichs» 
tag in Augsburg A518 war Luther — von allen ©eiten 
verlaffen — im Begriff, ſich in ein andres Land zu 
entfernen, als er am Abend feines Abfehiedsmahls mit 
feinen Freunden zu Wittenberg den kurfürftlichen Befehl 
erhielt, die Abreife zu unterlaffen, worauf dann bald durch 
die päpftliche Bulle der Krieg auf Leben und Tod begann. 
Als er im I. 1521 vom Papft verbannt und vom Kaifer 
geächtet ward, und Alennder — der Cardinal und päpftliche 


— 177 — 


Nuntius sin Blutbad der Deutſchen unter ſich ſelbſt erivars 
tete, wurde Carl nach Spanien gerufen; da entſtund der 
franzöſiſche Krieg, in welchen die meiſten Fürſten verfloch— 
ten wurden, und wo Franz ganz Italien in Schrecken 
ſetzte; bald ſtarb Leo X. — und mit erſtaunender Schnel— 
ligkeit verbreitete ſich der Lutheranismus in Deutſchland. 
Aehnliche Bewandtniß hatte es bey den Religionszwiſten 
in der Schweiz. Als ſich die fünf Stände mit Erzherzog 
Ferdinand von Dejtreich gegen Zürich verbündeten, mußte 
diefer fchleunig nacy Ungarn zieben, wo Sulintann das 
Ungarfche Heer geichlagen hatte und fhon Deutfchland 
bedrohte. Wenn der Proteftantismus am ſtärkſten von 
Seite des Kaifers in Gefahr war, fo ward dieſer jedes- 
mahl von den Zürfen, dem Papft oder den Franzofen 
gedrängt; und es läßt fich gar nicht bezweifeln, daß die 
Augsb. Eonfeffionsverwandten auch jene erfte Bewilligungs— 
freyheit vom Sahr 1532 nicht würden erhalten haben, wenn 
nicht eben damahls der Kaifer ihre Hülfe gegen die türs 
fifche Macht dringend bedurft hätte. 

‚Die Eonflifte zwifchen Luther und Zwingli 
— insbeſondre betreffend geben die Verhandlungen der 
im Okt. 4529 zu Marpurg abgehaltnen Diſputation, 
wo Luther und Melanchton gegen Zmingli und Oekolam—⸗ 
pad perfönlich.aufden Kampfplak getreten waren, merf- 
würdige Auffchlüffe. Es handelte fich dabey hauptfächlich 
um die Gegenwart Ehrifti im Abendmahl. Zwingli beftritt. 
diefen Satz, weil e8 ſich gar nicht annehmen laffe, daß 
durch das bloße Wort des Prieſters das Brot fih in 
EHrifti Leib verwandlen mürde, und Chriftus unmöglich 
überall zugegen feyn könne; er behauptete, daß Gott von 
den Menfthen nicht den Glauben an folche Dinge fordere, 
welche fie auf feine Weife mit ihrem Berftand zu begrei- 
fen vermögen. Luther entgegnete, daß auf Sottes Allmacht 
gar nicht von unfern befchränften, finnlichen Begriffen 
dürfe gefchloffen werden, daß dem Ehrift zur Pflicht ge 
macht fey, noch andre weit unbegreiflichere Gegens 

12 


— 18 — 


ſtände dennoch zu glauben — wie z. B. die Menſchwerdung 
Gottes — ſeinen Kreuzestod als Gott und Menſch zugleich 
u. ſ. mw. — daß jenes wundervolle Geheimniß nicht von 
der priefterlichen Würde, fondern von der Allmacht 
des göttlihen Worts abhange, — daß Gottes All— 
gegenmwart — welche doch von niemand bezweifelt werde — 
ein eben fo undurchdringliches Geheimniß fey, wie feine 
wefentliche Gegenwart im Abendmahl, und man hier der 
göttlichen Dffenbarung Glauben fchenfen müſſe, was 
auch immer die VBernuft dagegen fagen möge, u. f. m. 
Durd) Luthers Belehrung ward — mie die Akten deutlich 
ausfprechen — Zwingli zum Schweigen gebracht. Bey 
diefem Colloquio führten übrigens, nach dem Zeugniß da— 
mahliger Echriftfieller, Zweyt racht und Ehrgeiz den 
Vorſitz, und nichts ward entfchiedeu; allein Luther be— 
hauptete eine auffallende Ueberlegenheit, fo zwar, 
daß, — wie auch Brentius und Schlüffelberg erzählen — 
3wingli mit Thränen Luthern bath, ihn als Bruder ans 
zuerfennen und aufzunehmen, allein von lekterm mit dem 
Ausruf abgewiefen ward: verdammt fey eine folche Ein- 
tracht, die der Sache Gottes Schaden brächte; weg — 
weg von ung; euch treibt ein andrer Geift als uns! — 
Auf dieß Verhältniß nun that fich Luther fehr viel zu gut, 
während Zwingli hingegen fich nicht wenig durd) diefe Zu— 
rücftoßung befchimpft fand. Das Eolloquium ward dann 
aufgehoben, weil eben damahls eine vorher unbekannte 
Krankheit — der englifche Schweiß genannt — in Deutfch- 
land um fich griff. Der Streit ward auf fich felbft beru- 
hend gelafien, „bis der wahre, richtige Sinn der Ein- 
feßungsmworte des Erlöſers vom heiligen Geift geoffenbart 
werde.“ Dennoch erklärte Luther feft und mwiederhohlt, 
daß er die Zmwinglianer feineswegs als Brüder, fondern 
als Häretiker betrachte; und der gelaßne Melanchton 
fhrieb hierüber an Mart. Gerlach, „er babe die Zwinglifche 
Lehre im Colloquium zu Marpurg fattfam als eine folche 
- fennen gelernt, die gar nicht von Chriftus ihren 


A 


Urfprung babe, und fey num überzeugt worden, daß 
die Zwinglianer von ganz kindiſchen Begriffen usgehen⸗ 

Daß übrigens Luther den Ruhm der urſprünglichen 
Reformations = oder vielmehr Deformations-Stiftung mit 
Zwingli zu theilen ganz und gar nicht gefonnen war, ift 
befannt genug. Weber des Letztren dießfallſige Anmaßung 
höchlich erzürnt, fehrieb er feinen Freunden in Straßburg: 
er könne fich rühmen, Jeſum Chriftum am erften ges 
predigt zu haben, allein Zwingli wolle diefen Ruhm ihm 
fireitig machen. „Kann man wohl ſchweigen — fo fihließt 
er — während diefe Leute unfre Kirchen beunruhigen und 
unfer Anfehen untergraben? es giebt feinen Mittelweg; 
‚entweder müßen fie oder ich Diener des Satans feyn.“ 
Nachdem wir ung mit dem Lutherfchen Lehrbegriff 
über die Euchariftie — als mefentlichftem Abweichungs- 
punkt von dem Zmwinglifchen — befannt gemacht, und die 
von erfterm aufgeftellten Beweisgründe vernommen haben, 
betrachten wir nun die Entftehung, den Fortgang und die 
Folgen der Eirchlichen Reform in der Schweiz. 

Hier begann Zwingli — eın paar Sahre fpäter als 
Luther in Deutfchland — das Werk der Kirchentrennung. 

Die gegenfeitigen perfünlichen Berhältniffe diefer 
beyden Hauptreformatoren haben wir bereit3 aus ihren 
biographifchen Schattenriffen erfeben, und wiſſen auch, 
daß diefelben über den wichtigften Punkt der Slaubenslehre 
ſich durchaus nicht vereinigen konnten, fondern vielmehr 
immer leidenfchaftlicher anfeindeten und in gegenfeitiger 
Verketzerung zu überbiethen fuchten, — daß jedoch erft 
nach) ihrem Tod die förmliche Trennung beyder 
Gonfeffionen erfolgte, welche dann auch feitdem beharrlich 
fortbeftund. 

Sn den verfchiednen Bundesftaaten der Schweiz hatte 
die neue Lehre auch ein fehr ungleihes ‚Schidfal; 
großentheils mußte fie mit hartnäcdigen Hinderniffen käm— 
pfen, jo zwar, daß hin und wieder der Wanfelmuth in 
einzelnen abgefallnen ——— ſogar eine Rückkehr zu 

— 


MR 


der ehevorigen Lehre bemwürfte, Der Hauptantrieb 
gieng von Zürch aus, wo Zwingli 4519 als Prediger 
auftrat, dann einige oberfeitliche ſowohl als geiftliche Per» 
fonen für feine Anfichten zu gewinnen wußte, und aud) 
das Volk durch mehrere Drudfchriften auf die beabfichtigte 
Beränderung vorzubereiten befliffen war, 
Im Sahr 1523 legte Zwingli das Syftem feiner neuen 
Zehre der. Obrigfeit zum Entfcheid vor, welche dafjelbe 
guthieß und deffen Einführung befahl. Diefe foupräne 
oberfte Kandesbehörde — großer Rath genannt — beftund 
aus zweyhundert ehrbaren Bürgern und Handwerfern. 
(Man kann ſich leicht denfen, aus welch gefihieften: und 
bewanderten Theologen diefe Anzahl Schweizerbürger 
des XVI. Sahrhunderts zufammengefeßt war!) In folch 
ehrwürdiger Berfammlung neuer Kichenväter fand 
die volftändig gründliche Difputazion ‚Statt: über den 
Sinn der Einfeßungsmworte des heiligen Abendmahls. 
Der Reformator bewies, — und wohl ohne übergroße 
Anftrengung, — zur bandgreiflichfien Ueberzeugung jener 
ftarken Geifter, die figürliye Bedeutung der Ein 
feßungsmorte Chriſti, mit dev befannten Parabel: „der 
Acker ift die Welt, der Same ift das Wort.“ Somit 
war -fein Sak Elar bewiefen, indem jene nächtliche Ers 
fheinung, welche ihm eine paffendere Stelle aus Exod. 
XII., 44. (denn e8 ift Dhafe, oder Borübergang des Heren) 
einflüfterte, evt fpäterhin ihm zu heil ward. Dieß hoch» 
erleuchtete bürgerliche Conzilium zögerte nicht lang, 
die Defchlüffe anzunehmen , welche Zwingli gegen das alte 
Dogma der wefentlihen Gegenwart ausgefprochen 
hatte, und — die Reformation war — entfchieden ! ! 
(Lavater bemerft jedoch in f. hist. saer. F. 3: „daß 
ein Schreiber im Rath zu Zürich dem Irrthum Zwinglis 
wideritanden und ihn mit diefem Argument infonderheit 
verivt habe: daß er von den eigentlichen und hellen 
Worten des Sohns Gottes abweiche und feinen genuge 
famen Beweis führe; denn diefe Exempel: der Same 


— 11 — 


ift das Wort Gottes, — Chriftug ift die Thür, — Fels — 
Duelle u. f. mw. gehören nicht zue Sache, es feyen Öleidy- 
niffe,, die man durch das Wort „ift* erkläre. Xapater 
fügt ehrlicher Weife bei: dag Zwingli, von diefem Schrei— 
ber in die Enge getrieben, wider die bene Wahrheit 
nichts vorbringen fonnte.) 

Sp war der Urfprung der Glaubenstrennung in. der 
Schweiz befchaffen, wo zweyhundert unbefugte Laien 
gegen den Glauben aller früheren Sahrhunderte 
und gegen die ununterbrohne Lehre der Mutter 
firche mit einer Gleichgültigfeit entfchieden , als hätte es 
fich bloß um einen Civilftreit gehandelt, Mit welch gründ- 
licher Sorgfalt und feyerlihem Anftand diefe Conziliar— 
verhandlungen Statt fanden, geht auch fihon daraus hers 
vor, daß — laut amtlicher Urkunden — das Haupt der 
erleuchteten Berfammlung, der regierende Bürgermeifter 
Royſt, ſelbſt erklärte, „von diefen Sachen fo viel zu ver— 
‚ftehen, als ein Blinder von den Farben, und daher nicht 
wohl darüber fprechen zu können“ (in welchem Fall ohne 
Zweifel auch feine Mitrichter fich befinden mochten), und 
daß eben derfelbe Conſul jedesmahl bey Annäherung der 
Mittagszeit mit der ernften Ermahnung: „meine Herren 
find müde zu fiken; es wäre jet bald Zeit zum Morgens 
effen,“ den gelehrten Hader zu befchwichtigen pflegte, 

Andre Städte der Schweiz , welche fpäterhin die 
nähmlichen Grundfäße annahmen , haben diefelbe Methode 
befolgt, und find in ihren Entfcheidungen mit eben der 
Weisheit, gemwiffenhaften Sorafalt und canonifchen 
Ordnung zu Werk gegangen, wie Zürich. Iſt es ſich 
wohl fehr zu dermundern, wann felbft neue angefehene 
proteftantifche Gefchichtfchreiber diefe Demofratifche 
Manier über die wichtigften Religionsangelegenheiten — 
ja fogar über eine Kirchentrennung! — nach duns 
feln Impulſen abzufprechen , doch allerdings „be 
fremdend und beufpiellos“ finden —? —! 

Vergeblich hatte Leo X. durch feine, ſchon früher 


— 


erwähnte, Bulle vom 17. July 1520 die Abtrünnigen mit 
väterlichen Liebe in den Schooß der Kirche zurückgerufen ; 
vergeblich hatte Adrian VI wenige Sahre nachher (f. 
Schrökh chriftl. Kirchengefch. T. 1. ©. 318.) in feiner dem 
Nuntius Chevegetti für den Reichstag in Nürenberg er- 
theilten Inſtrukzion, mit feiner eignen Curie die 
Reform zu beginnen und die eingefchlichnen Mißbräu— 
he abzuſchaffen fi beffimmt verpflichtet; auch 
eine dringende Ermahnung des nach Adrians kurzer Res 
gierung auf den päpftlichen Stuhl erhobnen Clemens VI. 
blieb eben fo unbeachtet. — 

Bon mehreren, dem Slauben der Bäter treu geblie- 
benen, antonen.erfchienen Gefandte in Zürich, um den 
Neugläubigen die Folgen ihres raſchen Verfahrens 
und ihrer Abtrünnigfeit zu Gemüth zu führen, allein 
diefe liegen fich von ihrer Bahn nicht abwendig machen. 
Bern mwiederhohlte feine Vorftellungen durch zmeymahlige 
befondre Gefandtfchaften. Die bedenklichfte Verwirrung 
und Zwietracht hatte überall um fich gegriffen, fo zwar, 
daß bin und wieder die Reform abgefchafft, und der alte 
Bäterglaube nochmahls eingeführt, auch 3. B. in 
Bern durch ein Gefek alle Neuerung wieder aufge ho— 
ben ward. Aufs beweglichſte und Tiebreichite hatten die 
übrigen Gantone ihre Brüder in Zürich, befehworen, 
den alten, feit fünfzehn Sahrhunderten treu bewährten 
Glauben der Mutterficche nicht zu verſchmähen, wobey 
fie fich bereit und entfchloffen erklärten: „ſich mit ihnen 
über die Mittel zu beratbfchlagen, wie das Soch abge: 
fhüttelt werden könne, unter welches die Schweizer 
durch das Unrecht und bie groben Gemwaltthätigfeis 
ten — von Päpften — Cardinälen — Bifchöfen und Prä— 
Isten verübt, fo wie durch den Ärgerlichen Handel mit 
geiftlihben Nemtern, Betrügerey mit dem Ab— 
laß u. f. w. feyen gebracht worden.“ Allein die Stimme 
der Vernunft und Bruderliebe ward nicht gehört; der 
Damm mar eingebrochen, und unaufbaltfam wälzte der 


— 18 — 


tobende Strom feine wilden Sluthen fort! Im Jahr 1525 
fchüttelten dann die Geftierer auch die Bande Bürger: 
licher Ordnung von ſich; es fam zu tollen Aus 
brüchen; gegen die politifhen und moralifcyen 
Ausfhweifungen mußte die Obrigkeit mit Strenge 
einfchreiten, und viele jener Schwärmer, Wiedertänfer 
u. f. w. wurden theils verbannt, theils hingerichtet. 


Unter folch bedenklihen Umftänden ward von den 
fämmtlichen eidgenöffifchen Cantonen ein Colloquium 
oder Difputation auf den 16. May 1526 nach Baden 
im Aargau angeordnet, worüber wir nun — da dieſe 
Periode einen Hauptabfchnitt der Reformationsgefchichte 
der Schweiz bildet, und wir im Befik der wichtigften 
hierauf bezüglichen Urkunden uns befinden — eine zu: 
fammenhängende Veberficht in getreuer Ueberſetzung 
hier _mittheilen. 


Zupörderft wird des zwifchen Luther und Zwingli 
damahls beftandnen Berhältniffes in der Einleitungsfchrift 
folgendermaßen gedacht : „Unter den von allen Geiten her 
an fich gezognen Gehülfen erwarb ficy Luther einen fehr 
anhänglichen, mwillfährigen und eifrigen Schüler in der 
Schweiz , Nahmens Ulrich Zwingli, Prediger in Zürich, 
welcher zuerſt Luthern und deſſen verführerifcher Lehre 
gewaltigen. Beyfall zollte, und ihn durch feine Schrif: 
ten als einen unverdroßnen und würkſamen Diener und 
Ötreiter Gottes pries, welcher mit Außerftem Fleiß 
die heiligen Schriften erforfche, und das Wort 
Gottes fo getreu und emfig verkündige, mie vor ihm 
feit taufend Sähren Feiner gethban habe. Gleichwie 
nun Luther in Sachfen, fo hat nach ihm auch Zwingli 
in der Schweiz die alten heiligen Väter —, die fo 
viele Sahrhunderte hindurch glücklich beftandene Einheit 
im heiligen Geift —, das einmüthige Einverftändniß der 
chriftlihen Kirche —, und die Auslegung dev heiligen 
Bücher — , durch Predigten und Druckſchriften verächt— 


— 14 — 


lich zu maden, zu unterdrüden und zu ehe 
ten fich erfühnt.“ 

Dann werden Zwinglis Neuerungen aufgggäht: „er 
begann alle hriftlihen Anordnungen umzuftürgen, 
alle Saframente abzufchaffen und zu entweihen; er 
bob alle chriftlichen Vorſchriften auf, machte aus dem 
höchften göttlichen Amt des Meßopfers Sefu Ehrifti eine 
Abgötterey, hieß das hochwürdige Altarfafrtament — 
entgegen feinem Lehrmeifter Luther — „gemeine Bäder: 
brod,“ unterdrücte das Verdienſt der guten Werke, 
lehrte "Srenheit des Fleifches ftatt Freyheit des Geiftes, 
verleitete Sottgemweihte Klofterperfonen beyderley Geſchlechts 
zum Eidbruch, und ber aubte Klöfter und Kirchen ihres 
foftbaren Eigentbums. Ueber alles diefes noch errich- 
tete er eine neue abgefonderte Kirche, in welcher er 
verwaltet, nachläßt, bindet, löſet, befiehlt und verbiethet, 
gleich als ob ihm die Höch fie ‚geiftliche und weltliche 
Macht zuftünde, * 

Hierauf erklären die Eidgenoffen , daß. alfe ihre big- 
herigen noch fo dringlichen Borftelungen fruchtlos geblie- 
ben feyen, und daß Zwingli nicht nur feine Belehrung 
angenommen, fondern vielmehr öffentlich — auf Kanzeln 
und in Büchern — allem chriftlichen Anftand und brüder— 
licher Liebe zuwider — jede wohlgemeinte Erinnerung ver» 
lacht, ja fogar mit fhändliher Käfterung vergolten 
habe, — mie es freylicy nicht anders von einem Mann 
fey zu erwarten geweſen, der Jängft ſchon feinerley Aus— 
legung und Lehre lebender und verftorbner, gelehrter— 
berühmter — heiliger Männer, noc die Ausfprüche 
älterer oder neuerer Kicchenverfammlungen — fo- 
bald diefelben feinen eignen Lehrfäßen nicht günftig lau— 
teten, im mindeften zu achten gewohnt war,“ 

Sp urtheilten und Eflagten über Zmwingli 
und feine Lehre nicht etwa nur einzelne be 
fhränfte Köpfe, fondern die zwölf Mitftände 
der fchweizerfchen Eidgenoffenfhaft — und nicht 


— 15 — 


etwa aus voreiligem Eifer beym Beginn der 
Zwingliſchen Umwälzung, fondern bereits ſechs 
Jahre ſpäter, nachdem das Werk ſchon aus ſei— 
nen Früchten erfannt werden konnte. 

Die alten fchweizerfchen Glaubensbrüder erklären dann 
ferner in bündigfter Sprache: da Zwingli gleich feinem 
Zehrmeifter Luther gegen alle väterliche , freundliche und 
chriſtliche Ermahnungen in feinem hartnäckigen vers 
blendetem Sinn verharre, dabey aber dennoch fich immer 
rühme, nur nach den heiligen und biblifchen Schrif- 
ten — nach dem heitern und flaven Wort Gottes zu 
lehren , und durch folches Vorgeben dem Volk Vertrauen 
einflöße,, fo haben fie mit allem der Sache angemefnen 
Ernft und Eifer auf würffamere Mittel gedacht, um die 
Srregeführten zu belehren und auf die richtige Bahn zu— 
rüczuleiten, die Rechtgläubigen aber in ihrer redlichen 
Anhänglichkeit an den bisherigen feit fünfzehn Sahrhuns 
derten feftgehaltnen Glauben zu beftärken. 

„Mittlevweilen trug es fich zu (fo fahren fie fort), 
daß drey ausgezeichnet gelehrte und berühmte 
Theologen: Doktor Joh. v. EA, Vizekanzler der Unis 
verfität Ingolftadt in Bayern, Doktor Joh. Faber, des 
Herzogs von Deftreich Geheimer Rath , und Doktor Tho- 
mas Murner, der heil. Schrift auch beyder Rechten 
Doktor, Lektor und Prediger in Luzern, unaufgefordert, 
fich fehriftfich und mündlich antrugen, Zwinglis mannig« 
faltige Irrthümer, wodurch er das Wort Gottes ver- 
unftalte — willtuhclich entſtelle und verkehre, und 
den heiligen Geiſt durch menſchlichen Wahn verdränge, — 
aus brüderlicher chriſtlicher Liebe gegen ihre Glaubens— 
genoſſen, wann und wo es uns beliebe, in öffentlicher 
Diſputazion zu erörtern und mit Gottes Hülfe aufs voll— 
ftändigfte zu widerlegen. Aus folch freundchriftlichem An— 
frag fchöpften wir nicht wenig Troſt und Freude, indem 
wir ung dev zuverfichtlichen Hoffnung überließen , daß bey 
ſolch wohlgemeint gemeinſchaftlicher Unterredung und Be— 


— 486 — 


rathung die Gewißheit ausgemittelt werde, welcher von 
beyden Theilen die heilige Schrift gründlicher ver— 
ſtehe, und daß der irrende Theil ſeinen Wahn wider— 
rufen, und ſomit Gleichförmigkeit im Glauben her— 
geſtellt werde.“ 

Demzufolg ward dann von den Eidgenoſſen ſolch ein 
Colloquium auf den 16. May 4526 in die. Stadt Baden 
im Aargau angeordnet, und fie erliefen an ihre „gelieb- 
ten Mitverbündeten von Zürich“ die freundlichfte drin— 
gendfte Einladung ihre Bothfchaft zu diefer Tagſatzung zu 
fenden,, auch den Magifter Ulrich Zwingli und andre 
Prediger oder Gelehrte zur Beywohnung dieſer 
Difputation und chriftlichen Geſprächs anzubalten, 

Um das Gefchäft mit defio mehr Feyerlichkeit zu be> 
handeln, erfuchten fie die in ihren Gebiethen befindlichen 
Bifchöfe von Conftanz, Baſel, Wallis und Laufanne, wo 
möglich in Perfon oder doch durch vertraute Abgeordnete 
beyzuwohnen, auch drey oder vier vechtfchaffne fchriftbe- 
wanderte Männer mitzunehmen, An die drey oberwähn— 
ten Doktoren erliefen fie das Anfuchen, ihrem eignen 
Antrag Genüge zu leiften und bey Der angeordneten Diſpu— 
tation fich einzufinden. 

Würklich traten alle Botbfchafter zufammen,, und 
Samftags vor Pfingften erklärten in der Pfarrficche zu 
Baden obige drey Gelehrte öffentlich fich bereit: vor den 
Sefandten der zwölf Kantone und Sedermann den alten 
chriftlichen Olauben in Schuß zu nehmen und zu ver: 
fechten. 

Bon. Zürich erfchienen zwar die Gefandten der Res 
gierung, aber weder Zwingli felbft noch andre Pre: 
dDiger oder Gelehrte. Nun ward gemeinfchaftlich von 
allen zwölf Ständen nebft Zürich beratben: ob nicht diefe 
Männer, um derer willen doch hbauptfächlich das Col: 
loquium war veranftaltet worden, mittelft aller nur wünſch— 
baren und erdenklichen Siherheitsanftalten fünnten 
vermocht werden , fi) ebenfalls einzufinden. Allein die . 


— — 


Zürcher Geſandten lehnten alles ab und führten als Haupt— 
weigerungsgrund an: daß der Ort Baden Zwingli nicht ante 
ftändig, fondern verdächtig fen. 

Hierauf erklärten ale übrigen Gefandten: „damit 
unfre lieben Eidsgenoffen von Zürich und Zwingli nebft 
den andren Gelehrten auf Eeinerley Weife Bedenken tragen 
können, obfchon wir Eidgenoffen Eraft unfrer Bünde feine 
Eicherheit noch salvum eonductum benöthigen, fo haben wir 
dennoch und zum Veberfluß den fieben alten Orten, welchen 
die Herrfchaft über Baden zufteht, Auftrag ertheilt, die 
vollftändigften Sicherheitsurfunden auszufertigen, um 
jedermann allen Argwohn in unfre Redlichkeit, Ehrlichkeit 
und Aufrichtigfeit zu benehmen, und haben auch diefelben 
unfven lieben Eidgenoffen überfchieft, mit Erbiethen,, wenn 
fie in der Form irgend eine Abänderung mwünfchten, 
ihnen auf jede nur immer beliebige Weife in guten 
Treuen zu entfprechen. “ 

Diefe littere salvi eonductus (fichrer Geleitsbrief) fin: 
den fich in der „‚causa helvetica orthod. fidei, disp. Helvet. 
in Baden superiori, coram XII Cant. oratoribus ae nuntiis. 
Luzern 1528“ wörtlich abgedruckt, find aufs aller um tänd- 
lichfte bündigfte verfaßt, und von allen Gefandten 
der fieben regierenden Stände — aus ausdrücklicher Boll 
macht ihrer Obern — ausgefertigt. Es ergiebt fich 
aus diefem Aftenftück auch der Umftand, daß Zürich vor— 
ber oft ſchon — auf Tagfakungen fowohl als in Brie— 
fen — zu jeder Erörterung und Berathung fi) bereit- 
willig er£lärt hatte. 

„Allein alle Wünfche, Bitten, Ermahnungen 
fämmtlicher eidgenöffifcher Bothen und Gefandten waren 
vergeblich; junfre Eidgenoffen von Zürich verfchmäb- 
ten fie unter mancherley Ausflüchten, und ihre Ge- 
fandten kehrten nach) Haufe zurück.“ 

„Damit aber nicht ſolch ruhm- und ehrmwürdige Con— 
gregation gelehrter angefehener Männer fich fruchtlos be— 
müht hätte, und da von beyden Theilen hochachtbere 


— 18 — 


Gelehrte zugegen waren,“ fo wurde würklich zum Werf 
felbft gefchritten, und das Colloquium hatte feinen Fortgang. 
Am beit. Pfingftabend fand in der Kirche die erfte 
Berfammlung Statt, wobey von jeder Partey zwey 
Notarien ernannt und nebft vier Präfidenten in Pflicht: 
eid genommen wurden; alle zweddienlichen forsfältigften 
Anordnungen waren mit ftrenger Unparteylich£eit ges 
troffen worden. Ed und Murner machten ihre Schluß: 
fäge über die von Zwingli befteittnen, von ihnen aber zu 
verfechtenden Lehrpunkte öffentlich befannt, | 
Montags den 241. May fand in der Pfarrkirche zu 
Baden die erfte öffentliche Difputayion bey offnen Thü- 
ren in Beyſeyn aller eidgenöffifher Gefandten 
der AL Stände nebft St. Gallen und Müllhaufen, auch 
vieler auswärtigen und einheimifchen Zuhörer, Statt. 
Gegen Ed traten Decolampad, Magifter Smeli von 
Bafel, Ulrich Studer, Berchthold Haller von Bern, Hein— 
rich Line von Schaffhaufen, Joh. Heß von Appenzell, 
Dominik Zyli von Et. Gallen, Math. Kefler von Gais, 
Dened. Burgauer von St. Gallen u. a. m. auf. 
Gegenfeitig ward die Disfuffioen mit aller Freymü— 
thigfeit geführt, und felbft Zwingli nahm daran mit- 
telbar den thätigften Antheil, indem er den Hausfchein 
(Decolampad) mittelft täglicher Zufchriften unterftüßte, 
welche er ihm durch feinen Famulus Thomas Plater nad) 
Baden fandte. Unter den Oppugnanten zeichnete fich zwar 
Decolampad vorzüglich aus, allein Ef behauptete fort« 
während eine auffallende Ueberlegenheit. (Diefer Ef, 
eigentlich Job. Meyer, geb. zu Ef in Schwaben, ein in 
der Philofophie und Theologie ungemein bewanderter 
Mann, ward feiner Gelehrfamfeit wegen von Xuther felbft 
fehr gerühmt; auch Rämund heißt ihn einen angeſehe— 
nen ausgezeichneten Gelehrten, und in der Gefh. 
des Collog. zu Worms wird ihm das Lob eines in der 
Theologie und JZurisprudenz überaus bewander- 
ten Mannes ertheilt. Im einer öffentlichen Schrift über 


188 — 


die Verhandlungen in Baden bieß es von ihm: „ganz be 
fondern Ruhm erwarb ſich Doktor Ed, welcher mehrere 
- auf einander folgende Tage hindurch die glänzendften 
Beweife feiner geündlichen Belehrfamfeit gab; 
heilig und unvergeßlich ift und bleibt dag Andenken diefes 
Mannes, der immer in den vorderften Reihen das viel— 
föpfige Ungeheur der Härefie und ‘jene trußigen milden 
Soliathe muthvoll befämpfte und befiegte.“) 

Eine von Zwingli aufgeftellte Befchuldigung : „daß 
die Difputazion in Baden für dreißigtaufend Gulden er— 
Fauft und beftochen worden fey,“ ward von Faber als 
eine grelle Dreifte Küge erklärt; und da Letztrer mit 
Zwingli felbft wegen deffen Ausbleiben nicht in Erörterung 
eintreten Eonnte, fo übergab er fchriftlich den Geſandten 
der XII Cantone feine Abhandlung, indem er bitterlich 
Hagte, daß Zwingli dieß Colloquium felbft hervorgeru— 
fen und nun.feigev Weife fih entzogen babe. (Joh. 
Faber ftund wegen feiner Gelehrfamfeit in ausgezeichneten 
Gunften bey Adrian VL, dem Kaifer Maximilian und 
vielen Fürſten Deutfchlands , ward auch von Erasmus 
vorzüglich geichäkt.) ' 

Diefe Schrift Fabers erfchien bey Ulrich Morhart in 
Tübingen 4526 in Drud unter dem Zitel: Chriftenliche 
Beweifung über feh3 Artikel u. f. w. Er zergliedert 
darin aufs forafältigfte die Beftandtheile dev Zwinglifchen 
Lehre, und zeigt derfelben DBerwandtfchaft mit den von 
älteren Häretikern feit der Apoſtel Zeiten verbreiteten 
Irrlehren, wobey er beweist, daß felbft die Alogianer, 
Nicolaiten, Badianer, Arianer, Albonenfer und noch die 
neueren HYuffiten — deren aller Lehrſätze von den anges 
fehenften Kirchenverſammlungen waren verworfen worden — 
weniger verderblidhe umd firafbare Grundfäke als 
Zwingli verbreitet haben. 

Hauptfächlich beweist Faber die in der Zminglifchen 
Doktein vorkommenden Widerfprüche aus deffen felbft-. 
eignen Schriften, indem ex fiebenunddreisig Elare wörtliche 


— 190 — 


Stellen einzeln anführt, worin Zwingli die Gegenwart 
des wahren Leibs und Bluts Sefu in dem Altarfaframent 
behauptet und gelehrt hatte, dagegen mwieder andre 
acytundzwanzig Stellen, worin er den fchroffen Gegen- 
faß aufftelt. Solcher von Zwingli unter feinem Nahmen 
von 15241 — 1526 in Zürich durch den Druck herausgegeb- 
nen Schriften waren wohl gegen vierzig. Zur Entfchul- 
digung folcher Widerfprüche erklärt der weife Mann in 
feinem 1525 herausgegebnen Commentar de vera et falsa 
relig. B. 3. ©. 4119 ganz unverhohlen: wir" haben vor 
zwey Sahren fiebenundfechszig Artikel behauptet; an dem 
achtzehnten von dem Saframent des Altarg, da wir mehr 
nach dev Zeit gefchrieben haben ald nach der Sache; 
darum widerrufen wir hier diefe Ding, die wir dort 
gefagt Haben; mit dem Unterfchied,, daß diefe Ding, die 
wir gefchrieben haben, in dem zweyundvierzigften 
Jahr fräftiger find, als die wir gefchrieben haben in 
dem vierzigften u. f. mw. Siehe auch Subsid. s. coronis 
de eucharist. Zwinglio autore f. 2. b. Zugleich werden 
eine Menge Widerfprüche aufgedeckt und erwiefen 
zwifchen den Lehren von Decolampad, Zwingli, Carloftad u. a. 
Die Hauptmarime Zwinglis: „nicht zu halten und zu glaus 
ben, was nicht heiter und öffentlich in der Bibel 
ſtehe,“ wird vielfach Lügen geftraft, und bemwiefen, wie 
oft und ſtark dieffalls Zwingli ſich widerſprach. Nachdem 
Faber hiefür aus deffen eignen Büchern dreyunddreyßig folcher 
Beweisftellen angeführt, fchließt ev: „aus diefen Punften 
allen ergiebt fich , Daß der Zwingli fich doch gar zu fehr 
widerfpricht; wann es ibm gefällt, fo will er halten 
die Ding, fo nicht in der Bibel ftehen, — mann e3 ihm. 
aber nicht gefällt, fo will er allein das Schwert der 
Bibel und fonft fein ander Wehr oder Waffen in der 
Hand führen.“ . 
Ferner fchreibt Faber: im Buch von der wahren und 
falſchen Religion fagt Zmwingli: „jeder, welcher das Wort 
Gottes predigt, fol und muß vorerft felbft glauben, 


was er age damit ev nicht als ein Gleichsner erfun—⸗ 
den wird, denn die größte Sünde des: Menfchen ift Gleichſ— 
nerey. Nun hat aber Zwingli fünf Sahre nacheinander 
in Zürich gepredigt, daß unter der Geftalt von Brot 
und Wein das wahre Fleiſch und Blut Ehrifti fey, und 
bat e8 doc) nie geglaubt, wie er folches felbft in * 
Brief an den König von Frankreich geſteht.“ 

In einer andern Stelle: „Seht doch wie Zwingfi ein 
Däpftler ift! ung wirft er vor, daß wir von feinetivegen 
viel taufend Gulden ausgegeben haben „als ob er die Perle 
im Acer fey, für welche wir alle Dinge verkauft haben. 
Aber was thut er! fo lang ihm der Papft Penfion gegeben, 
hat er aus Petro gemacht einen Dberften dev zwölf 
Apoftel, und da er ihm nun nicht mehr wollte Geld ge— 
ben, will ev Petrum kaum noch als einen armen — ——— 
gelten laſſen.“ 

„In ſeinem Apologetiko nimmt Zwingli die vier Sei 
Conzilien der erften Kirche an, und in all feinen Büchern 
hält er weder eins noch Feind.“ 

„Item an die von Toggenburg fchreibt er: mie viele 
Schriften hab ich ausgehen laſſen, die mich alle würden 
Lügen ftrafen. “ 

Sn einem andern Abfchnitt führt Faber die unmäfigen 
Robeserhebungen an, womit Zwingli den Luther überfchüt- 
tete, während er zugleich 450 Punkte erwähnt und mit 
Belegen unterftüßt, worin ihre — Lehren einander 
entgegenſtehen. 

Dann entwickelt er auch die ——— worin 
die Zwingliſchen Lehrſätze ſich mit den Dogmen der älte— 
ſten Kirchenväter und ſo vieler Martyrer befinden, die 
durch unſträflichen Wandel, ſtandhaftes Bekenntniß, Glau— 
benseintracht und heldenmüthigen Tod ihre Treue beſiegelt 
haben; z. B. eines Dionyſius Areopagita — eines 
Clemens — Prochorus — Hermas — Ignatius — 
Polykarps — Irenäus und andrer mehr, 

Ferner zählt er fünfzehn General-Conzilien auf, 


=. 49 


derer einmüthigen Befihlüffen die neue Lehre 
Zwinglis mwiderftreitet. 

Murner, melcher nad) Faber als DBerfechter der 
alten Lehre auftrat, Elagte, daß er nebft fieben andren 
Doktoren feit mehreren Sahren durch die Kibelle der Neu» 
aläubigen aufs ärgſte verläumdet und des Gößendienfts fey bes 
fchuldigt worden , — welcher Läfterungen müde er die fivengfte 
Berantwortung felbft fehnlichft wünfche. Er gründet biere 
auf feine Schlußſätze bauptfählih auf juridifhe As 
fihten in via justitie bonorum et fame, und rügt das 
ftrafbare Verfahren der Neugläubigen, welche allen evan— 
gelifchen Borfchriften zuwider, via faeti zu Werk gegangen 
feyen. „Wenn wir Geiftliche, vuft ev aus, unrecht ge— 
handelt haben, warum fordern fie ung dann nicht vor 
Gericht? haben wir ung aber nicht verfehlt, warum 
rvauben fie ung ohne Rechtsfprud alle Güter, und 
beftrafen uns, ohne ung vorgeladen, angebört, noch Durch 
öffentliches Recht verurtheilt zu haben? — 

Indem er die Handlungen der Npoftaten aus rechthi— 
chem Standpunkt beleuchtet, frellt ev unter anderm fols 
gende Behauptungen auf, welche wir genau überfeßen: 
Unfre evangelifhen Räuber dürfen keineswegs auf den 
Scheingrund fich berufen, daß fie fromme Handlungen 
des Mitleidens ausüben und das geraudte Vermögen 
der Geiftlichen den Armen werden zufließen laffen; denn 
Gott verabfiheut jede Ungerechtigkeit. Auch dürfen folche 
Neuerungen nicht unter Vorwand etwelher Berbeß— 
rung, noch unter dem Decmantel des Glaubens 
verübt werden; denn würde ich auch. vom Ölauben abwei— 
hen, und wäre ich fogar ein Jude, fo dürft ihr aus 
dieſem Grund dennocdy nicht mein Eigenthum mir ent— 
reißen. Auch dürfen die Wohnungen und Berfammlungss 
örter felbft der Juden weder verbrannt, noch unter 
irgend einem Vorwand befchädigt werden; und wäre auch 
jemand fogar der gröften Verbrechen fehuldig, fo ift 
ja eben deßwegen die richterliche Gewalt und der 


— 13 — 


Schub der öffentlichen Sicherheit angeordnet, das 
mit feiner fich felbft Hülfe zu verfchaften fich unterfange. 
Höre, väuberifcher Zwingli! daß du unter feinerley res 
ligiofem Borwand uns zu Grund zu richten befugt 
bift. Du haft feinerley Recht unfre Gotteshäufer und 
Klöfter, wie es in Ittingen gefchah, zu berauben — zu 
verbrennen — und zu zerftören, fein Recht unfer 
Eigentbum zu verfaufen und zu verſteigern. 
Wären wir auch felbft großer Verbrechen fchuldig, 
fo dürfte dennoch nur die Macht und das Anfehen der 
Gefeke gegen uns in Anwendung gebracht, keineswegs 
aber eigenmächtig und gewalthätig gegen und verfah— 
ven werden. 

Ueber all diefe Schlußfäke follte zwifchen Murner und 
Zwingli die öffentliche Difputation in Baden ftattfinden; 
da aber Teßtrer nicht gerathen fand zu erfcheinen, fo über: 
gab jener feine Conkiufionen nebft Beleuchtung in Schrift 
verfaßt den Bothen der XII Eidgenöffifchen Eantone. Er 
zergliederte zugleich neuen Beweistitel jedes vechtmäßigen 
Befikes, und zeigte Dadurch die Ungültigkeit und Recht- 
lofigfeit der von den Apoftaten begangnen Entfrem- 
dungen des kirchlichen Eigenthbums. Hernach han- 
delt er in acht Artikeln von den Scheingründen und 
irvrigen Lehrſätzen, womit die neuen Häretiker ihre 
Unthaten ausfchmücen und befcbönigen. Auch rügt Mur- 
ner mit ernftem Nachdruck die duch die Aufwieglungen 
der GSeftenhäupter überall entftandnen Ummälzungen 
aller moralifhen und politifhen Ordnung, und 
die blutigen Bürgerfriege. Er zeigt ferner die Un- 
gereimtheit einer vorgeblihen Prüfung der Zwingli— 
chen KXehrfäge Durch eine, aus zweihundert Laien und 
in allen Wiffenfhaften gänzlich unbewan- 
derten Handmwerfern beftehende Regierung, während 
dod) gerade Zwingli felbft alle Authorität deg fompetenteften 
Gelehrten, Kirchenväter, Eonzilien u. f. mw. 
verwarf nur ſeine eigene Willkühr zum Ausleger der 

13 


u 


heiligen Schriften erhob, und feinem eignen Berftand 
die unbedingtefte Machtvollfommenheit anmafte, 
zuwider der Panlinifchen Lehre 4 Cor. XIV. und den 
Ausfiprüchen fo vieler Apoftel und Kirchenväter, welche 
alle den Entfcheid bey abweichenden Meinungen Einzelner 
nur der Kirche zuerfennen. (Wohl nicht mit Unvecht 
fchrieb daher im Sahr 4528 ein fchweizerifcher Gottes» 
gelehrter: alſo folten die von Zürich, durch St. Pauls 
Erempel bewegt, im Zweifel des Glaubens aucy zu der 
h öch ſten Obrigfeit in Ölaubensfahen fih ge 
fehrt haben, und nicht alfo ein Gefpräch halten vor Schnei— 
dern — Kartenmahlern — Weinrüfern um 
dergl. in den höchften Ölaubensgangelegenbheiten). 

Dann zeigt Murner die Strafbarfeit der Entwen- 
dung aller foftbaren Kirchengeräthe von Silber und 
Gold, unter dem Borwand, daß fie zum Götzendienſt 
mipbraucht worden feyen, und fügt bey: es liegt klar am 
Zuge, daß die evangelifchen Böfewichte uns fälfchlih der 
Abgötterey befchuldigen, fintemal wir die Bilder nur al 
Spiegel der Wahrheit betrachten und durch ihren Anblick 
uns zur Machahmung ihrer Tugenden ermuntern, in— 
dem folche Bilder dem Gedächtniß der Laien fich eher ein: 
prägen, während Schrift und Wort nur flüchtigern Ein- 
druck zurüclaffen. Allerdings wurden von den Xpofteln 
die heidnifhen Götzen, die Bilder falfher Göt— 
ter abgefchafft, welche auch die Ehriftenheit fiets verworfen 
bat; allein unſre Gedächnifbilder murden in den 
heiligen Schriften nirgends jemahls unterfagt. - Zwingli 
beflagt fich in feinem Brief an die fünf Schweizer Can— 
tone gar bitterlich über die Luzerner, daß fie fein 
Bild (Porträt) verbrannt haben, fich felbft aber klagt 
er nicht an, daß er die Bilder des gefreuzigten Erlö— 
fer8, feiner Heiligen und DBlutzeugen felbft durchs Feuer 
vertilgte, wobey er jedoch freylid; den goldnen und 
filbernen Gnade widerfahren ließ und fie gefangen 
in Bejig nahm. Go liegt diefen evangelifchen Räubern 


— 45 = 


weit mehr an der Befchimpfung und Schmacd ihrer eig: 
nen Perfonen, ald Gottes und feiner Heiligen. “ 

| Nach geendigter Difputation, welche achtzehn Tage 
hindurch gedauert hatte, wurden hinfichtlich der von den 
vier beeidigten Öffentlichen Notarien verfaßten Bücher die 
genaueſten Borfihtsmafßregeln getroffen, alle Exem— 
vlarien aufs ftrengfte durchgefehen und verglichen, auch 
derfelben Uebereinftfimmung von den Präfidenten und 
geſchwornen Schreibern befräftiget. 

Hierauf wurden von den Gefandten aller Eidgenöfft: 
ſchen Cantone, öffentlich und feyerlich, alle anwefende 
— auswärtige fowohl als einheimifche — Gelehrte und 
Schriftforfcher beyder Parteyen erfucht und angele- 
gentlichft gebethen (rogati serio et cum omni dili- 
gentia supplicati), „zum Lob des allmächtigen Gottes und 
des heiligen chriftlichen Glaubens, zu Nuk und Frommen 
des Seelenheils und der ehriftfichen Einigfeit“ fih zu er- 
klären, und das Geftändniß abzulegen: ob fie die Schluß: 
fäße des Dr. Sof. Eckius für chriftlich, mit den heiligen 
Schriften übereinſtimmend und in denfelben feft gegründet 
halten? oder ob’ fie feinen Gegner So. Decolampad 
nebft deffen Anhang für beffer und gründlicher unterrichtet 
erfennen ? 

Alsdann unterfehrieben fih „der Wahrheit allein und 
dem heiligen chriftlichen Slauben zur Steuer, und zur Be— 
ruhigung ihres Gewiſſens“ für Dr. Efius: vier und 
achtzig geiftliche und weltliche Gelehrte aus der Schweiz 
ſowohl al3 aus verfchiednen Gegenden Deutfchlands. Für 
Decolampad erklärten fih nur fchmweizerfche Theologen, 
und unter diefen manche nur in einzelnen der von ihm 
aufgeftelften fünf Lehrfäke, nämlich: von Bafel fünf Gelehrte 
in allen fünf Punften, von Schaffhaufen zwey bedingt und 
einer in fämmtlichen Punkten, von Appenzell zwey in allen 
Punkten, und einer in drey Punkten für Decolamipad, in 
zwey für Ed, von Glarus zwey bedingt, von Wefen und 
Echiunis diveh bedingt, von Bern vermweigerte Berthold 


43 * 


— 19% — 


Haller jede Erklärung, von Solothurn — Müllhauſen und 
St. Ballen fünf bedingt und drey unbedingt. Mehrere er— 
klärten auch, daß fie gegen die Bilder nichts einwenden, 
in der Meinung, daß fie nicht angebethet werden, dag man 
davon feinen Migbrauch in den Ceremonien mache und 
auch fein Vertrauen auf-fie ſetze. 

Erasmus von Rotterdam, welcher damahls in Bas 
fel. lebte, war auch erfucht worden, „da gelehrte Männer 
beyder Parteyen ihn gar hoch ſchätzen und verehren, 
auch Zwingli fich oft auf ibn als einen hochgelehrten 
wichtigen Gewährsmann berufen habe,“ der Difputation 
beyzumohnen, wozu er jedoch fih nicht herbeyließ, wohl 
‚aber durch) die Sefandtfchaft von Bafel einen verfchloßnen 
mit eigner Hand unterzeichneten lateinifchen Brief „an die 
gefammte Tagfakung“ einfandte, worin er ın den ftärf- 


fien Ausdrüden feine fefte Anhänglichkeit an den 


althriftlihen Glauben bezeugte, zur Einigfeit in 
demfelben dringend ermahnte, und ſich dann zugleich 
auch über anonyme von den Geftierern herausgegebene 
Libelle beklagte, in welchen ibm die Beyſtimmung zu den 
neuen Lehrſätzen zugefchrieben wird. Da diefer große und 
gelehrte Diann bey den Reformatoren felbft (als „vir 
vere doctus et consumatissimus, graeci ac latini sermonis 
peritissimus“) in hohem Anfeben ftund, fo gewinnt 
dadurch diefer Brief und die darin enthaltene Herzenger- 
gießung großes. Gewicht. Er äußert fih in Betreff der 
Euchariftie ganz unzweydeutig folgendermaßen: „ich bezeuge, 
und erkläre auch ausdrüdlich, vortreffliche Herren! daß 
id) mirs gefallen laſſe, für den Erfien aller Häretifer ge- 
halten zu werden, wenn in den vielen von mir gefchvieb> 
nen Werfen auch nur eine einzige Stelle kann aufge: 
funden werden, welche über die Abendmahllehre einen an— 
dern Sinn ausfpricht als denjenigen, welchen bisher die 
Eatholifbe-Kiche den heiligen Schriften gemäß 
anerkannt hat.“ Und weiter fagt ev: „Ich rufe Gott zum 
Zeugen an, der allein die Herzen dev Menfchen kennt, und 


u 


— 117 — 


verzichte auf feine Barmherzigkeit, wenn je in meinem Ge— 
müth eine Meinung waltete, welche demjenigen mwiderftrits 
ten hätte, was bisher die fatholifche Kirche fo ein- 
trächtig behauptet hat. Was andre für Offendbavungen 
mögen gehabt haben, mag ihre eigne Sorge feyn. Mich 
einmaͤhl konnten bisher feine Gründe bewegen, den Ges 
botben der Mutter kirche untreu zu werden. Und zwar 
leitet mich hierbey keineswegs menfchlihe Furcht, ſon— 
dern reine Gewiſſenhaftigkeit (eligis) und Furcht 
der göttlichen Ungnade. “ 

Als Ergebniß der DifsurattonsserkandTuhgen er⸗ 
klärten die XII Stände der Eidgenoffenfchaft durch das 
Drgan ihrer Abgeordneten, unter Vorſitz des Conſuls, 
Dni. Casp. de Mulinen, equitis aurati, einffimmig: 
„Nachdem Mag. Ulr. Zwingli, allen Bitten — Erwar— 
tungen — und feinem eignen wiederhohlten An- 
trag zuwider, nicht erfihienen, um die von ihm geftiftete 
neue Xehre zu verfechten und zu verantworten, — 
nachdem er und feine Anhänger jede Belehrung beharr- 
lich abgelehnt und teuß der gründlichſten Ueber— 
weifung dennoch bey ihren Meinungen verbleiben, — 
nachdem in Folge uralt chriftlichen Gebrauchs die Herftel- 
Yung der früher fchon verworfnen häretifchen Irrlehren der 
Wiklefiten und Huffiten — welche von Zwingli auf neue 
verfochten werden — mit der fchwerften Erfommunikation 
zu beftrafen ift, — nachdem die neue Lehre Durch öffent- 
liche Bulle Pabſt Leo des X. wie auch durch Beſchlüſſe 
der Parifer — Lütticher u. a. Univerfitäten, und durch 
Erklärung Kaifer Carl des V. verurtheilt und verworfen 
worden, — nachdem der alte mit dem Blut fo vieler 
taufend Martyrer befiegelte Glaube der Bäter big 
auf diefe letzten Jahre noch während fünfzehn Sahr- 
hunderten von der Schweiz in Uebereinfimmung mit 
der ganzen dDeutfchen Nation befannt und gefeyert 


worden; fo find wir die XII Cantone mit Sort entfchlojfen, 


dag heilige Evangelium nach allgemein hriftlihem 


— 198 — 

Berftand, nach dev Auslegung der erfeuchteten Kirchen» 
lehrer, und nad dem Beyfpiel der unfteäflihen Blut: 
zeugen, fernerbhin treu und unverleßt zu bewahren, 
und verbiethen zugleich jede eigenmächtige vermegene Neues 
rung, jede Läfterung Ebrifti und feiner göttlichen Mutter, 
indem mir alle kirchlichen Eäke und Gebräuche fer= 
ner beybehalten werden, wie fie von den frommen Kir— 
henvätern vorgefchrieben und von unſren Vorel— 
tern noch bis auf diefe Jüngften Zeiten find beobachtet 
worden u. f. mw, 

Da der Hauptftreitpunft bey diefer Difputation die 
Abendmahllehre betraf, in deren Verfechtung fih Dr. 
30. Faber ganz befonders auszeichnete, fo fann ich nicht 
umbin, einige feiner Evläuterungen hierüber nachträglich 
anzuführen: 

„Es wäre wahrlich eine feltfame und unſchickliche Rede 
bon Chriſto geweſen, daß er vor den Jüngern in ſolch 
ernftilichem Handel durch einen ungebräuchlichen 
tropum oder verblümten Ausdrud fie hätte in Miß— 
verftand führen wollen, als ob er fie abfihtlih in 
Irrung vermiceln wollte, befonders zu diefer Zeit, da ev 
von ihnen abſcheiden wollte, gewiß aller Ernſt vorhanden 
war; und wiewohl er eine fchöne, lange Predigt — fo 
Sohann dev Evangelift befchreibt — gethan, jedoch fo hat 
feine verborgne oder heimliche Rede ftatt haben mö— 
gen, wie er dann auch Feine heimliche Parabel braucht, 
fondern offentlich mit ihnen gehandelt, daß fie auch 
würklich fich Darob gefreut und zu ihm gefprochen haben : 
fiehe jetzt redeſt du auch gar öffentlich und braucht feine 
verborgne Red oder Sprüchmwort. Daraus wohl zu er: 
meffen, Daß  befonders in den Einfekungsmorten, 
woran der ganze Handel gelegen, ohne tropus — ohne 
fremde Allegorie fol und muß ‚verftanden werden. Ohne 
allen Zweifel würden die Jünger — wie vorher mehrmals — 
gefagt haben, was er duch folhe Red verfteben wolle, 
wie er dann auch von den Kaphernaiten in der Jünger 


— 419 — 


Beyfeyn gefragt ward, alg er fein Fleifch zu einer Speiſe 
fürhielt: wie fann diefer ung fein Sleifch zu efien geben, — 
und die Jünger auch gefagt hatten: das ift eine raube felt- 
fame Rede, wer mag fie verftehn. So nun auch der heil. 
Sohann Evangelift betrachtet wird vom dreyzehnten bis zum 
achzehnten Hauptſtück, findet man, daß Chriftus in allen 
heimlichen, göttlichen Dingen fih fo ganz Elar und 
deutlich ausgefprochen bat. Warum folt er dann hier 
etwas verhehlt oder verfchwiegen haben? Darum dann 
auch die heilige, hriftliche Kirch und alle die vor» 
nehmften Lehrer von den Zwölfbothen Zeiten her. diefen 
buchftäblihen Berftand der Worte angenommen; — 
man wollte dann der Echrift Gewalt anthun und fie wider 
ihren natürlichen Sinn biegen, wie der neuen Glau⸗ 
benmacher Art ift. Daher folgt, daß jeder chriftliche Ver— 
ftand mit ofinen Worten fagen muß, dev wahre Leib und 
Blut Chrifti feyen würflih im Abendmahl zugegen 
unter der Geftalt des Brots und Weins; denn es wäre 
ja ganz mwunderlich, daß in einer ſolch verftändlichen 
Rede folte eine Figur eingefchloffen feyn, welche doc) 
mit feinem einzigen: Wort von irgend einem der Sünger 
und Apoftel gemeldet wurde; wie dann auch der gelehrte 
heilige Paulus 4 Cor. XI, aus deffen Mund Ehriftus felbft 
geredet, mit faft gleihen Worten mit den Evyangeliften 
übereinffimmt. Die neuen Ölaubenmachyer dürfen fagen: 
weil Ehriftus leiblich gen Himmel gefahren, ſo könne 
er nicht im Abendmahl gegenwärtig feyn, fie wollen 
nicht glauben, fie legen dann Hände und Finger in des 
Herrn leibliche Wunden; fie binden ihn zur rechten feines 
Baters, daß er wie ein Gefangner fich nicht mehr bewe— 
gen oder verändern möge; fie. meffen ihn nach gemei- 
nen natürlihen Körpern, ja fie wollen ihm nicht 
mehr zugeben als ihren eignen Leibern; und doch fün- 
nen fie nicht läugnen, daß er von der Hölle fey aufer- 
ftanden — daß er den großen Stein vom Grab ge», 
wälzt, gen Himmel aufgefahbren und nach feiner 


— 200 — 


Auferftehung vierzig Tage auf Erden gewandelt; 
fie wiffen auch, daß der Herr gemehrt hat die fünf und 
fieben Brode, und fehen alle Tage, daß ein Körnlein in 
das Erdreich fällt und fich dreißig bis vierzigfach vermehrt, 
was ja alles doch auch unfrer Vernunft zu begreifen 
unmöglich if. Zudem hat Chriſtus nicht gefagt: fo oft 
ihr Brot effen werdet, fondern gar ausdrüdlich: diefes 
Brot ald zum Unterfchied von al anderm Brot; daher 
dann auch Paulus bezeugt: welcher effen wird Diefes 
Brot unwürdig, wird fchuldig am Leib und Blut des Herren. 
Wenn nun diefes Brot feinen Unterfchied hätte von an: 
derm gemein natürlihem Brot, fo würde fih auch nies 
mand an diefem Brot mehr als an jedem andern verlegen 
oder an des Herrn Leib fchuldig werden. Lukas beſchreibt 
auch im XXII, daß der Herr mit feinen Süngern ein 
Nachtmahl gehalten; diefes Nachtmahl hat er vor= und 
nachher Paſcha genannt; in demfelben ift ungebefelt Brot 
‚ gewefen; da hat er gefagt: ein folches Paſcha wolle er 

nicht mehr mit ihnen eſſen; es ift auch Weingewächs darin 
gewefen, da hat er gefagt: davon wolle er nicht mehr trin— 
fen; und auf folches alles und ale andre Speiſen bat er 
gegeben dieje Speis als fein Leib und Blut. Daraus 
fann man erfehen, daß diefe Speis eine ganz andre Mei— 
nung haben muß ald andre Speis und Trank, als Brot 
und Wein, die er zum Pafcha gebrauchte. Darum fagt 
auch Paulus: der Menfch fol fi bewähren und alfo von 
diefem Brot effen und dieſem Trank trinken, denn wer 
unmwürdig folches genießt, wird fich felbft das Urtheil efjen 
und trinken, weil er nicht unterfcheidet den Leib 
des Herrn. Die neue Lehre ift alfo wider die heil. 
Schrift, den gemeinen und rechten Berftand derfelben, 
‚wider die Meinung aller heiligen Lehrer und Mar— 
tyrer, und wider den Glauben und Braud) der hriftli- 
hen Kirche. Die Stelle bei Sohb. VI, 63. widerlegt 
nur die Meinung der Kapharnaiten, als ob fie müßten des 
Herrn Fleiſch ſt ückweis effen und mit den Zähnen zer: 


— U 


malmen, wie andre Fleifch und Speife, denn er fagt 
klar vorher: das Brot, welches ich jeßt geben werde, 
ift mein Fleiſch, das ich für das Leben der Welt geben 
werde. Warum follte audy Ehriftus nicht im Sakrament 
leiblich können zugegen feyn, er der ſich auch vor den 
Suden unfichtbar gemacht, von und zu ihnen bey verfchloß- 
nen Thüren aus= und eingegangen, — der zu Damast 
mit Paulo felber gefprochen und dennodh im Himmel 
geweſen, und aud) ohne Urfache gefagt hätte, wenn zwey 
. oder drey in meinem Nahmen beyfammen find, bin ich in 
ihrer Mitte. Chriftus hat befohlen, daß man ihm zu— 
rüfte das Paſcha und daß man zubereite alles, was die 
Herrlichkeit des Geſetzes erfordre, als ein gebratnes Lamm 
— ungehefeltes Brot und wilden Lattich. „ Da nun alles 
zubereitet war, hielt er die alte und neue Sakung einan« 
der entgegen; nachdem er das Lämmlein — weldyes 
die alte Sakung vorftellte — befeitigt, nahm der Herr 
Sefus und ſetzt feinen Süngern für: eine unverzehrliche 
Speife, die das wahre Leben ift, nähmlich das Brot, wel⸗ 
ches vom Himmel herabgeftiegen ift, und den Men— 
fchen emwiges Leben giebt. Irenäus, des heil. Sohannes 
Süngers- Sünger fchreibt ja ſchon im erften Sahrhundert 
der Kirche im 4. B. gegen die Häretifer alfo: der Herr 
an feinem legten Nachtmahl hat in feine Hand genommen 
das Brot, welches ein Gefhöpf war, und hatdaraus 
gemacht feinen Leib; darnad) bat er genommen den 
Wein, der auch eine Ereatur war, und hat daraus 
gemacht fein Blut. Dieß hat die Kirche von den Zwölf: 
bothen hergenommen, und in der ganzen Welt opfert fie 
es Gott. “ 

Soweit Fabers Erläuterungen der Einfehungsmorte 
zum Abendmahl des Herrn, welche er der neuen Zwing— 
lifchen Doftrin entgegenftellte und fiegreich gegen 
Decolampad und andre Anhänger derfelben vertheidigt 
hatte. Wahrlich, es bedurfte der ftarrfinnigen Vermeſſen— 
heit und Berblendung jener neuen Slaubensapoftel, und des 


— 202 — 


unbegrängten Uebermuths ihrer fpäteren Nachfolger, um 
folch einleuchtenden Gründen — folch vollwichtigem Zeug- 
niß Ginn und Herz zu verfchließen. ; 

Veber den Fortgang des Reformationswerfs in der 
Schweiz giebt die Gefchichte uns folgende Auffchlüffe: 

Im Lauf des Sahrs 4527 neigte fih auch Bern auf 
die Seite der Meuerer, und die übrigen Stände der 
Schweiz, welche der Difputation zu Baden im Man 1526 
beygewohnt hatten, Elagten bitterlich über diefe Abtrünnig> 
feit, wie aus der Appelntion und Berufung dev Gottes 
gelehrten EE — Faber. und Murner , Luzern 4527“ her— 
vorgeht, worin nochmahls das Unrecht der Schismatifer 
und all ihre begangnen Frevel aufgedeckt, ihre Sophifmen 
entfräftet und Die von ihnen aufgeftellten egrſare aufs 
bündigſte widerlegt wurden. 

Don Bern ward nun eine Diſputation auf Sonntag 
nach) der Befchneidung Chriſti 4528 ausgefchrieben. Dieſe 
Einladung erhielt Luzern erft am 6. Senner und antwor 
tete am nähmtlichen Tag (uff trium vegum MDXXVjjj) 
indem es über dieß Detragen fich böchlich befchmwerte, 
Murner fchreibt ihnen: „der Zwingli hat zwei Meilen 
Wegs nicht wollen gen Baden. fommen, und Wunderding 
für Entfchuldigung vorgefchüßt,, und ihr Eapito und Bucer 
feyt auch nicht gefommen»als die Suche vor den zwölf 
Ständen behandelt ward. Es ift nur Luft und Rauch 
womit ihr umgeht. She handelt eure Sachen fo, daß id) 
kaum fchnell und eilends mit großer Haft diefes zu fchreiben. 
noch Zeit hatte.“ 

Vergeblich drangen die treugebliebnen Rechtgläubigen 
in die Apoftaten um Unterfuchung vor den Gefammteidges 
noffen. „Wir ftellen unfer Leib, Ehr und But, und wol« 
few ihrem Berufen entfprechen mit der Hülf Gottes als 
fromme, ehrliche und chriftliche Doktoren vor allen Orten 
einer freyen, Löblichen Eidgenoffenfchaft, daß die neuen 
Prädifanten des ehrlofen , falfchen und erdichteten Glau— 
bens eine löbliche Herrſchaft vom dern, verführt umd 


— 209 — . 

mit Unwahrheit betrogen, mit Fälfchung der heis 
ligen , göttlichen Schriften und andren mehr Liften von 
der Straße der ewigen Seligfeit abgewendet haben.“ e 

Inzwiſchen febritt Zwingli auf der betretnen Bahn uns 
aufhaltfam fort; zugleich nahm aber auch die Verwir— 
vung immer mehr überhand. ES erfolgten nun jene 
"unfeligen Bürgerfriege, welche das Land zerfleifchten, 
fo viele taufend Familien in Elend und Sammer flürzten, 
und gleich unmittelbar nach der Glaubensänderung ihren 
Anfang genommen hatten, worüber die Gefchichte der Eid» 
genoſſen fo viele blutige Blätter ung aufbewahrt. Die als 
ten Urkunden und Ehronifen liefern, wie wir bereits.fahen, 
thbatfähliche Beweife, daß man nichts weniger als 
allgemein dem Werk der Kirchenreform und feinen tollen 
Urhebern felbft zugetban war. Die Zurüftungen zum Krieg 
gegen die altgläubigen Nachbarkantone fonnten in Zürich 
nur äußerſt mühfam betrieben werden, und beym Aus: 
zug nad) Kappel wurden ftatt der beabfichtigten 4000 Dunn 
mit größter Anftrengung kaum 700 zufammengebracht. 
Der oftermähnte Zwinglifche Biograph gefteht felbft, daß 
„alles ohne Drdnung und Plan — in großer Verwirrung 
geſchah,“ daß die verhofften Kampfgenoffen fih „auf dem 
- Hülfszug abfichtlich verfäumten und abfielen,“ als «3 
gerade am fchlimmften fund, daß dann aud) die Zürcher 
„an Ehre — an Gut und Bolf großen Schaden litten, “ 
und allgemeine „Berzagtheit*.fich ihrer ganzen Stadt bes 
mächtigte. Umfonft würde man auch zu läugnen verfuchen, 
dag Zürich fogar durch Abfchneidung. der Lebens: 
mittel feine älteften Miteidgenoffen zu befämpfen 
nicht verſchmähte. Mit Flammenzügen findet fi in den 
- Ehronifen jener Zeit die Klagefchrift jener zur Ver— 
zweiflung gebrachten Gebirgsvölfer (vom 6. Dft. 1531) 
eingegraben, worin fie erklären, „daß fienothgedrungen 
zu den Waffen greifen, nachdem die Zürcher ihnen fogav 
alle Zufuhr von Getreide und Xebensmitteln gehemmt haben, 
um nicht nur fie, fondern auch ihre Kinder im Mub- 


— 204 — 


terleib der Hungersmoth preiszugeben.“ (Der nähm— 
liche hochherzige Biograph ſieht freylich in Diefer Sperre 
einen Beweis, daß damahls in Zürich die gute Sache (!) 
die Oberhand: behielt. “ ) 

Die bedenflichfte —— griff auch in andren Ge— 
genden der Schweiz um ſich. Mit dem Joch der Kirche 
ſchüttelte hier und dort das Volk jedes Band, auch die 
nothwendigſten Geſetze, von ſich, um aller Pflicht gegen 
Obrigkeit und Vaterland ſich zu entledigen. Das 
Pantheon anab. et enthus. 4702 Fol. liefert die kläglichſten 
Belege, welch großes Unheil der Pöbel verbreitete, indem 
er jeden ordnungsmäßigen Religionsunterricht 
verfchmähte, jeden noch fo tollen Einfall als Offenbarung 
vom Himmel anfah, und durch feinerley Anfehn fich von 
den bedaurlichften Ausfchweifungen zurüchalten Tief. 

BonlUnterwürfigfeitund Gehorſamwar gar 
und ganz feine Rede mehr; der Freibeit folgte 
Zügellofigfeit und Anarchie.  Seder maßte fi 
das Recht an, die Kirche umzugeftalten und Dog: 
men nad) feiner Willkühr aufzuftellen. 

Streit und Verfolgung wurzelten tief im Schooß einer 
Kirche, in welcher nach den Grundfäßen ihrer Religion 
nur allgemeiner Friede, Bruderliebe, und Wohlwolen 
herrfchen folte. Das große verführerifche Benfpiel, wel— 
ches die Reformatoren den Freunden einer fchrankenlofen 
Freyheit gegeben hatten, konnte nicht fo leicht wieder in 
Dergeffenheit geratben, und gar viele, welche das Joch des 
römifchen Stuhls abgefchüttelt hatten, mweigerten ſich, ihr 
Gewiffen von Mönchen beherrfchen zu laffen, die das aus- 
ſchließliche Recht ſich anmaßten, die Schrift zu erklären, 
derer Auslegung doc) — nad, ihrer eignen Behauptung — 
Sedermann freyſtehen follte. Sene Aufwiegler fahen 
nicht.ein, daß e3 zwifchen unbedingter Freiheit und unbe— 
dingtem ‚Gehorfam feinen Mittelweg giebt, daß, -wer in 
einem Fall bey Religionsfragen dag menfchliche Anfehn 
verwirft, fi nicht leicht in andren Fällen von demfelben 


— 25 — 


unterjochen laſſen wird, und daß es feine gefährlichere 
und verhaßtere Einfchränfung der Mienfchenrechte giebt, 
als wenn man ſich unaufgefordert andren zum Mittelsmann 
zwifchen Gott und ihrem Gewiffen aufdringen will. Bon 
chriftliher Duldung hatten überhaupt die Reformatoren 
fo ganz und gar feinen Begriff, Daß fie vielmehr. in Die 
proteftantifche Kirche den Geift der Herrfihaft und Lieb— 
fofigfeit — den heftigſten VBerfolgungsgeift verpflanzten, 
welchen man felbft am rvömifchen Hof vergeblich gefucht 
hätte. Die Sahrbücher der Intoleranz fünnen fein ſcheuß— 
licheres Benfpiel von Religiongeifer und Grauſamkeit auf: 
weifen als die Hinrichtung Servets, welcher in einer Pro» 
teftantifchen Stadt von proteftantifchen Sirchenlehrern zum 
Scheiterhaufen vernrtheilt ward. Was Calvin zu voll— 
bringen fich nicht fiheute, das ward auch von: dem. fo 
fanften und duldfamen Melanchton — fowie von Bullinger 
— ohne Bedenken gutgehbeißen. (Jortins tract. Vol. I 
p. 431.) Dieß war die erfie Frucht einer Reformation, 
welche das Recht ter allgemeinfien Denf- und Glaubens 
freyheit zu behaupten, die Dienfchheit erleuchten und beſänf— 
tigen zu wollen fich vühmte. Wer fann läugnen, daß die 
von den Reformatoren etwa beabfichtigten Vortheile wieder 
weit überwogen wurden von der. furchtbaren Erbittrung, 
welche die Reformation nicht nur zwifchen Katholifen und 
Proteftanten, fondern hauptfächlicy und viel mehr nod) 
zwifchen den verfchiednen Parteyen der Proteftanten unters 
einander erwecte, und daß — genau betrachtet — Die 
menfchliche Vernunft nur einer andern Herrfchaft zu 
huldigen beftiimmt ward, da in. den proteftantifchen Län— 
dern die als unentbehrlich gefühlte Würde eines geiftli- 
hen Dberhaupts mit der. höchften weltlichen Madıt 
bereinigt wurde, und diefe letztre nun als gebiethender 
Schiedsrichter in Slaubensfachen anerkannt wird, 

Doch, wir enthalten uns des eignen Urtheils über die 
Käglichen, unmittelbaren Würfungen des Reformations— 
werks, und laſſen dagegen die vollgültigen Beugniffe 


— 206 — 


feiner Urheber felbft und andrer glaubwürbiger Zeitge— 
noffen ſprechen. 

So ſchreibt Calvin (Br. an Melanchton p. 145): 
„Es ift äußerſt wichtig zu verhüthen, daß die Fünftigen 
Sahrhunderte von den unter ung herrfchenden Spaltun- 
gen doch ja nichts erfahren; denn e8 ift über alle Vorſtel— 
fung lächerlich, daß feit dem Anfang einer Reformation, 
da wir nun mit der ganjen Welt gebrochen haben, wir 
unter uns felbit immer-uneinig find.“ 

Ebenderfetbe (in f. Br. p. 5): „Nun erft erkenne 
ich den ungemeinen Schaden, den wir der Kirche durch 
unfer voreiliges Urtheil und unfre unüberlegte Hef- 
tigfeit zugefügt haben; denn das an Freiheitfinn nun ge- 
wöhnte Volk hat alle Bande zerriffen, und begehrt nicht 
ferner unfre Beyhülfe, um Jeſum Chriftum zu fuchen, “ 

Sm libr. de scandalis, Genfer Ausgabe 4551, p. 90 
flagt er: „OD wie viele befennen zwar das Evangelium 
mit dem Mund, ſchänden aber daffelbe durch die gröb— 
fen Wusfchweifungen, duch den ruclofeften 
Kebenswandel; mit dem Mund nur ehren fie Gott, aber 
mit ihren Handlungen verläugnen fie ihn. Eine wahre 
Gottesläfterung ift eg, das Evangeliüm felbft als 
Deckmantel der VBerdrehen zu mißbrauchen. Die 
Paſtoren, ja die Paftoren, welche die Kanzel, den er: 
habnen Lehrſtuhl Ehrifti, befteigen, — die fich durch tadel- 
loſes Betragen vor allen übrigen Ehriften auszeichnen 
folen — fie felbft liefern jet gar oft die ärgerlichften 
Beyfpiele der Sittenverderbniß und aller Lafter. 
Daher find ihre Predigten ohne Einfluß und Anfehen, wie 
die Fabeln eines Poſſenreißers auf der Bühne. Und folche 
Prediger wollen fi) noch beflagen, daß das Volk fie 
‚geringichäße und fpottweife mit Fingern auf fie zeige; ich 
aber muß vielmehr noch über die Geduld des gemeinen 
Volks mich verwundern, daß nicht Weiber und Kinder 
Korb nnd Kehricht auf fie werfen. Eolche Prediger müſ— 


— 20 — 


fen dann freglich auch zu jedem Fehler Andrer durd) 
die Singer fehen, und ihnen noch gute Worte geben,“ 

Bucer machte daſſelbe Geftändnif, und fügte bey, 
„daß man.bey der Reformation feinen andern Zweck hatte, 
als eine Religion zu erfinden, in welcher man ganz nad 
feiner Neigung leben könne.“ Gleiche Klage äußert 
Geishäufer (Mykonius), Nachfolger Decolampads in 
Baſel. 

Der fanfte und unglückliche Melanchton, welcher 
durch die Hälfte ſeines Lebens ſeinen Uebertritt zur Sekte 
der Reformierten beweinte, ſchrieb im innigſten Ver— 
trauen an einen ſeiner Freunde, 2. B. 202. Br.: ich habe 
mehr Thränen geweint über das Unheil der Reformations—⸗ 
fpaltungen, als Waffer in der Elbe fliegt.“ 

Ebenderfelbe cons. Theol. p. 249 fagt: „durch nichts 
ward unfer Evangelium mehr in Miffredit gefekt, als 
ducch die in unfrer Mitte eingerifnen Epaltungen.“ 
„Sn der Berwirrung der die Köpfe durcchfreuzenden 
Ideen weiß man wohl, wem man ausweichen, aber 
nicht wem man folgen fol. * 

Wolf Köpflin, genannt Capito (Hofprediger und 
Vertrauter des Erzbifchofs Albrecht v. Maink, nachher 
berühmter proteftantifcher Xehrer in Straßburg, und Ge— 
fährte Bucers), fehried .an feinen Freund Wilh. Farel in 
Genf: „Das Anfehn der Prediger ift volftändig 
vernichtet; alles ift verloren; alles neigt fih zum Un— 
tergang. Wir haben feine Kirche mehr, felbft nicht 
eine einzige, wo man nur noch eine Spur von Diszi— 
plin fände.“ 

Erasmus de lib. arb. fagt: „Wie fann ich mich 
überzeugen, daß folhe Leute vom Geift Ehrifti ange: 
trieben werden, da ihre Sitten gar fo fehr von feiner 
Lehre abweichen? Früher machte das Evangelium aus 
Unbändigen Sanftmüthige, aus Raubfüchtigen Wohlthäz 
tige, aus Ungeftümen Friedfertige , aus Berläumdern 
Liebevolle; aber diefe Neuen werden wie Rafende, be 


— 208 — 


mächtigen fich durch Betrug fremder Güter, erregen überall 
Unruhen, und verläumden ihre eignen Gutthäter. “ 

Sn feinem GSendfchreiben an die Brüder in Nieder» 
deutfchland und Oſtfriesland fagt ebenderfelbe: „Sch fpreche 
nicht von bloßem Hörenfagen, fondern aus felbfteigner Er- 
fahrung; jene, welche ich ehmahls als redliche, unver» 
dorbne, treuherzige Leute fannte, find gav nicht mehr 
zu erfennen, fobald fie zur Sekte der fogenannten Evans 
gelifchen tibertreten; jet fprechen fie nur von Mädchen, 
werfen ihre frechen Blicke überall herum, verfäumen das 
Geber), find eigennügige, rachſüchtige, eitle Menfchen. 
Kurz, ich vede aus Ueberzeugung: aus diefen Leuten ift 
eine MNatterbrut geworden. Zeige mir nur einen Ein» 
jigen, der durch fein neues Evangelium ein befrer 
Menſch geworden fey; wohl aber zeige ich dir viele, die 
ſchlechter und liederlicher geworden find. “ 

An einer andern Stelle: „Diefe elenden Leute ver- 
mochten durch ihr Gebeth nicht einmahl einem hinfenden 
Pferd zu helfen; ihre Wunderthaten find: Feuer, Blut, 
Todſchlag, Mekeley; ihre Gott ift nicht der Gott des 
Friedens, fondern der Entzweyung.“ 

„Die Herolde diefes neuen Evangeliums frachten nur 
nach zwey Dingen, nah Geld — und Weibern; obfchon 
-fie in die mannigfaltigften Sekten fih zerfplittern, 
buldigen: fie doch alle gleichmäßig dem Bachus und der 
Venus, und haben dem Faften und der Keufchheit den 
Krieg erklärt. Ich fah einen abgefallnen Mönch, welcher 
drey Weiber zur Ehe nahm, und einen abtrünnigen Pries 
fier, welcher eine Ehefrau heirathete.“ * 

Duditius in den theol. Br. des Theod. Beza p. 13 
ruſt aus: „Sn welcher Lage befinden ſich doch die Unſri— 
gen! von jedem Wind der Lehre hHin=- und hergetrieben, 
wifjen fie allenfalls, was fie heut für eine Religiongmei- 
nung haben, aber nie, was fiemorgen glauben werden; 
fobald der eine Lehrer fich einem Glaubensartifel nähert, 
wird er gleich von einem andern als aottlos verfchrieen; 


— 209 — 


mehstruam habent fidem , — jeden Monath wechſeln fie 
ihren Glauben. “ E, 

Georg Mai. de confus. dogm. „Traurig ifts in 
Wahrheit, wenn man all unfre Spaltungen und Zerwürfe 
niſſe bebenft; das Volk weiß aus Verwirrung nicht 
mebr, wo es die Wahrheit finden foll, und ob Gott noch 
eine Kirche auf Erden hat.“ 

Und wie urtheilt der große — ſelbſt über die 
Würkungen ſeines Erlöſungswerks? 

„Wir erfabren jetzt, welch gar ein gräulicher Geiz 
die Herzen faft Aller befeffen "hat. Niemand erzeigt Milde 
den Armen, wie er billig ſollte; man erdenkt nur immer 
neue ge und Weife, um alle Ding und Waaren zu 
fteigern. Uber fieh die vorige Zeit an! da fehneit es zu 
mit aller Macht; da mar jedermann willig zum geben. 
Welch ein Wuft ift jeßt zu Leipzig; die ift doch gar in 
Geiz erfoffen. Summa: die Welt iſt des Teufels, und die 
Leute find eitel Teufel geworden.“ (Nachleſe aus Dr. Di; 
Luthers Schriften, ©. 208) | 

Aus Post. Cap. I. Dom: Adv. „Die Welt verfchlint 
mert fich täglich und wird immer fchlechter. Die Menfchen 
unfver Zeit find weit mehr zur Rahfucht geneigt, 
weit geiziger, gefühllofer , unbefcheidner,, und wider— 
fpenftiger, kurz weit fchlechter als zur Zeit des 
Pabſtthums.“ 

Aus Serm. Conv. germ. p. 55: Es ift eine eben 
fo- auffallende, als ärgerliche Erfcheinung, daß die Welt | 
täglih Schlechter wird, feit man die reine Lehre des 
Evangeliums durch das Licht der Aufklärung erleuchtet bat.“ 

Aus Post. £ Cor. XV.: . „Edelleute und Bauren 
thun fich jest darauf zu gut, daß man nichts weiter von 
ihnen fordre, als daß fie fih anpredigen laſſen. Biel 
lieber möchten fie aber ganz und gar mit dem Wort Gottes 
verfchont bleiben, und gäben für al unfre Predigten zur 
fammen nicht gern einen halben Heller; fie berückſichtigen 
gar Feine KRechenfchaft im fünftigen Leben; ihr Wandel 

Ä 44 ; 


— 210 — 


gleicht ihrem Glauben; jie find Schweine und bleiben e3; 
fie glauben wie Schweine, und fterben als wahre Schweine,“ 

An einer andern Stelle: „Die Leute zu unfrer jeßi- 
gen Zeit find gar vermeßne Unfläter, und viel geiziger als 
fie zuvor je warten; fie hälfen ungern einem Armen auch 
nur mit einem Heller.“ 

Aus f. Zifchreden ©. 86, 09, 83 u. f.w. „Ad 
die Welt taugt gar nichts —— ; ſie iſt des Teufels wie 
ſie geht und ſteht. Alle Welt iſt in den Sünden verſoffen; 
Bauer, Bürger und Edelleute geben nicht ein Kliplein um 
das Evangelium, ſondern ſchnarchen dagegen, verachten, 
ja verfolgen e3 fogar. Alſo ſehe ich mein Wunder in der 
Kirche, daß unter den Zuhörern einer da hinaus, der an- 
dre dort hinaus geht, und unter fo einem großen Haufen 
faum zehen oder zwölf find, die etwas aus der Predigt 
merfen wollen. Der meifte Theil läßt fi) dünfen, es 
fchmefe ihm der Wein oder Bier eben fo gut unter der 
Predigt, als zu andrer Zeit. Wenn ich jekt wollte reich 
werden, jo wollte ich nicht predigen, fondern ein Gaufler 
werden und durch die Lande ziehen; da wollt ich mehr 
Zuſeher und Geld haben, als jet Zuhörer. — Es ift in 
der Apofalypfe gekommen bis zum weißen Pferd; die Welt 


wird nicht lang mehr ftehen, ob Gott will nicht über hun- -⸗ 


dert Sahr.“ (1?) 

Aus 2. über Gal. U: „Ohne Zweifel wird der Teu— 
fel die Saframentieser und Schwärmer noch fo hart reis 
ten, daß fie unzählig viel Sekten und Rottereyen anrichten 
werden, und viel neue Ding und Werfe fich vornehmen. “ 

Aus 8. über 2 Petr. II: „Sett geht es fo zu: je 
länger man predigt, je böſer und verftockter wird die Welt; 
es hilft weder ermahnen, ftrafen, noch drohen. Es thut 
frommen Chriften und Predigern wohl herzlich web; fie - 
fünnen es aber fo wenig ändern, als Noah und Loth es 
zu ihrer Zeit fonnten. Es wird aber, beforge ich, noch 
wüft und gräulich zugehen, ebe der Tag der Erlöfung 
fommt, wo Chriftus die einigen erretten und die ver— 


— 211 — 


fluchte Welt in Abgrund der Hölle verdammen und ber» 
ftoffen wird.“ 

Der gelehrte Hugo Grotius ergießt ſich in bittre 
Klagen über die jämmerliche Wendung, welche das Refor— 
mationswerf genommen; er fihreibt in f. voto pro pace: 
„Anfänglich war die Rede nur davon, die Kirche von 
‚einigen eingefchlihnen Mifbräuchen zu reinigen; 
‚allein es blieb nicht bey diefem Vorhaben; bald entftunden 
in verfchiednen Rändern mancherley Parteyen, welche auch 
unter fich felbft uneinig waren und fich hinwieder in 
gar viele Eleinere Sekten zerfplitterten; und da der Boden 
fruchtbar ift, wo ein jeder fich alles erlaubt mwähnt 
was andre ſchon vor ihm verübten, fo fonnte die Bermwirs 
rung nur immer bedenflicher überhandnehmen; die vor— 
züglichften Urheber der Reformation handelten dabey mit 
ungeftümer Leidenfchaft und feineswegs nach Ders 
nunftgründen. “ 

Auh Schlüffelberg theolog. Calv. gefteht, „das 
nicht allein das fchändliche Epifurifche Wefen, fondern auch 
alle Srrthümer, Rotten und Sekten mit Gewalt, wie. eine 
allgemeine Sündfluth oder Seuche überhandnehmen.“ 

Ein anderer Schriftfteller jener Zeit fagt: „Dur 
die Menge der paradoren Säke find die Grundfeften unfrer 
Religion erfchüttert, die Grundartifel unfers Glaubens 
werden zweifelhaft, und dem Atheiſmus werden Thür und 
Thor geöffnet. Wollte man einen Tag in Schwelgerey 
und toller Ausſchweifung zubringen, fo bediente man fich 
der fprüchhmdrtlichen Redensart: hodie lutheranice vive- 
mus. (Heute ſoll's Äächt lutherifch zugehen!) 

Eben fo ſtarke Klagen führen noch viele andre Schrift- 
frellev der damahligen Zeit über die heftigften Aus— 
brüce aller Leidenfchaften, und die durch Luthers 
Lehre und Benfpiel bewirkte allgemeine Giitenver- 
derbniß. Weber die Ausgelaffenheit, Polygamie u. f. w. 


eines Knox, Buchanan und fo viel anderer neuer Kir- 


chenlichter ift in der Gefchichte nur Eine Stimme. Auch 
44* 


— 212 — 


die Keformationsgefchichte Polens 1562 enthält die bedauers | 
lichte Schilderung von den Schandthaten der dortigen 
Glaubenshelden. 


Die confess. orthod. Tigur. et ministr. 
4545 (folglih 14 Sabre nach Zwinglis Tod) von Rud. 
Gwalter — Zwinglis Schwiegerfohn — überfekt, enthält 
folgendes Geftändniß: „In diefen neuſten Zeiten herrſcht 


in der chriftlihen Welt großer Sammer und Elend. . Un— 


glück jeder Art, Bekümmerniſſe, Anfechtungen, Gefahren, 
Aufruhr und Krieg nebmen fo fehr überhand, dag Alles 
fich zum DBerderben zu neigen fiheint 5; Glaube und Got- 
tesfurcht, Liebe und Sanftmuth find aus den meiften Her- 
zen gewichen; die meiften Menfchen ‚pflegen das Wort 
Gottes und alle Ermahnung, Unterricht und Belehrung 
nicht nur zu verachten, fondern. auch feindfelig zu haffen, . 
und ſich heftig dagegen aufzulehnen.“ 

Sn den Verhandlungen der Zürcherſch en Synode 
von 1535 finden ſich über Zwinglis nächſte Amtsgenoſſen 
und Schüler auch keine erbaulichen Zeugniſſe; es heißt 
darin unter anderm: Leo Jude (mit Zwingli Ein Herz 
und Eine Geele, wie ein Biograph des lektern fagt) follte 
fleißiger predigen und nicht mit fremden Sachen fidh abs 
geben, — andre feyen ftreit- und fhmähfüchtig, — ſtudie— 
ven nicht fleißig, fiken inimer hinter den Weingläfern und 
wenig hinter den Büchern, — feyen nachläffig und halten 
ihre Eltern nicht in Ehren, noch andre feyen Trunken— 
bolde, ala Raufer, Lügner und Roßhändler berüchtigt 
4.4.0, | 

S. Dporin in Bafel fchrieb an Antpelander, Pfarrer 
in Bern. „Der Teufel bat ung mit dem neuen Papypft- 
thum beſch —; im alten Papfithbum-ift gegenwärtig 
mehr Freiheit, als in den evangelifchen Republifen.“ 

Arminius geſteht: „Allerdings haben unfre Boreltern 
das Heilige gewiffenhafter behandelt; auch jene, welche wir 
Päpſtler heißen, übertreffen ung weit in der Ehrerbietung 
gegen alles, was zum Glauben und 8 Kirche gehört; 


— 213 — 


unglaublich ift bei ung die Verwirrung in den Begriffen 
und dem Geftenwefen.“ 

| Auch neue proteftantifche Schriftſteller konnen 
ſich nicht enthalten, in obige Klagen einzuſtimmen. Ver— 
nehmen wir ihre Geftändniffe! 

„Luther hatte hinfichtlich de3 nach feinem Tode um 
fich greifenden Unweſens vichtig prognoftiziert. Gränzen— 
[98 war in der That das Berderben, welches nach feis 
nem und, der übrigen Reformatoren Ableben die Scholafti- 
fer in die Lehre des Ehriftenthums bradıten. Ein 
neues Papftthum des Scholaftizismus und der Prie⸗ 
ſtergewalt entſtund, nicht weniger drückend als das ab» 
geſchaffte, und bürgerliche Kriege faft durch ganz 
"Europa Mach Luthers Tod erhoben unter dem Theil 
feiner Anhänger, - welche das lauteſte Wort nahmen — 
befonders durch die Partey von Sac. Andrei, Doktor der 
Theologie und Kanzler der Akademie Tübingen, Berfaffer 
der formula concordie (damahls von Vielen auch fpott: 
weife „Wappen- oder Gefellenbuch“ genannt — Phariſäis— 
mus, Scholaftizismus, Herrſchſucht, Starrfinn und 
Berfolgungsmwuth ihr Haupt fo arg als faum je vor- 
ber empor. Auf die Zeit der Reformation erfolgte eine 
Zeit der Geiftesftlaveren, wie fie nie vorher denkbar 
war,“ 

„Der in der leisten Hälfte des fehseniten Jahrhun⸗ 
derts herrſchende Difputiergeift (Aoyoxaxie) — fein 
Streben ‚nach Wahrheit , fondern bloß Zank um Mei- 
nungen — ſchadete dem Anfehn der proteftantifchen Kirche 
ungemein, hemmte die veligiöfe Aufflärung, ftörte 
in ihrem Innern den Frieden, und vermwirrte die 
mwahrheitfuchenden Gemüther; er bewürkte eine meue 
Barbarey für das folgende Jahrhundert.“ 

„Luther ahndete die fchlimmften Folgen der Uneinig- 
feit mit Recht, denn unter fo vielen Seften gab es ein- 
zelne, welche ſich wieder in 34 verſchiedene Meinungen 
theilten, wie Bredembachius verſichert.“ 


= — 


„Ungeachtet der ſtrengſten Mafregeln der Zürcher— 
fhen Obrigkeit hat man dennoch lange Regifter von 
Berbrehen und Strafen zügellofer Prediger in 
diefem Ganton hauptſächlich im Lauf des XVI. Sahrhuns 
derts; und die Synode hatte lang zu thun, um nur 
den allergröbften Ausbrüchen des Lafters an ihnen 
zu wehren.“ Ä 

. Auch, dienten all jene faft zahlloſe Eoloquien nur 
zu Defeftigung der gegenfeitigen Feindfeligfeiten und 
Haders; die Berwirrung war Eläglich; der nähmliche 
große Geift ward an einem Dirt weggejagt, am an— 
bern hinberufen, 3. B. in Magdeburg der Superinten- 
dent Heshufius, in Regensburg und anderwärts. Die 
Synoden, Convente, Colloquien der Lutheraner und Zwing- 
lianer folgten fihb Schlag auf Schlag, aber der harte 
nädige Starrfinn der Sektenhäupter vereitelte jeden 
Zweck. Bon der erften Difputation in Leipzig 1519 , mo 
der Zunfe zur Flamme ward, bis 4590 zählt man nicht 
weniger als 45 folch ſchismatiſcher Kirchenverfammlungen ; 
darunter waren die wichtigfien: 4520 in Worms , wozu 
Luther berufen ward — mit welhem Edius im Nahmen 
des Kaifers Ddifputirte, dann, 4523 in Nürnberg, wo 
Zuther — 4525 in Halle, wo Defolampad — 1526 in 
Daden, wo die Zwinglianer verurtheilt wurden — 1529 
zu Marpurg in Heffen, wo der Landgraf im Streit zwi— 
fhen den Zutheranern und Zwinglianern Dehl ftatt Waffer 
ins Feuer goß und dag Uebel unheilbar machte, — im 
gleichen Sahr zu Schwabach und Schmalkalden, wo der 
Zandgraf den frühern Fehler ftatt zu verbeffern noch ver- 
fchlimmerte, — 1530 in Augsburg, wo die Spaltung 
zwifchen den Proteftanten fich entfchied, — 1531 in Franf- 
furt und Schmalkalden, wo fie beftätigt ward, — 1534 
in Conftanz, wo Bucer vergeblich zwifchen Luther und den 
Smwinglianern zu vermitteln fuchte, — 4536 in Witten- 
berg, wo Bucer den Zwinglianern abtrünnig ward,* 
2. f w, 


— 45 — 


Daß es übrigens beim Neformationswerk von Seite 
der abaefallnen Fürften hauptfählih auf die Kirchen— 
güter abgefehen war, zeigt uns die Gefchichte zur Ge— 
nüge. (Man fennt den alten Reim, welchen ein Mönch an 
die Mauer feiner Zelle fchried: | 


quas des sacras pietas construxit avorum 
has mala-posteritas destruxit more luporum.) 


Auch ift nicht zu zweifeln, daß zur Zeit der Reforma- 
tion mandye veiche Bauern — denen darneben an Reis 
nigfeit der Religion wenig gelegen feyn mochte — ders 
felben hauptſächlich wegen gehoffter  unentgeldlicher 
Aufhebung der Zehnten und Bodenzinfe günftig 
gewefen waren; der Bauernfrieg in Sachſen nahm 
auch) eigentlich Daher feinen Ursprung.“ 

Und wer Eönnte ohne Grauen und Entfeken all 
jene Drangfalen überdenken, welche als. unmittelbare Wür— 
£ungen der Ölaubenstrennung den greößern Theil von Europa 
heimfuchten ! | 


Zuther hatte fo viel und. fo ftarf von der Freyheit 
des menfchlihen Glaubens und Willens gepredigt 
und gefchrieben — hauptfächlich im Buch von der babylo— 

niſchen Gefangenfchaft — daß die Bauern in Deutfc)land, 
welche ihn nicht recht verftunden, nun auch ganz 
frey und unabhängig zu werden glaubten; fie verwei— 
gerten daher alle Steuern und Frohndienfte, den Klöftern 
die Zinfe und Zehnten u. f.w, In Thüringen entftund 
hierauf im J. 1525 durch Aufwieglung eines phantaftifchen 
Predigers aus Sachfen, Thomas Münzer (eines Schü: 
lers von Carolſtad), welcher fihh eben fo gut wie Lu— 
ther zum Reformator berufen glaubte, und auch würk— 
lich eine himmliſche Infpiration vorfchügte, jener 
unfelige „dauernfrieg,“ der zwar durch die vereinte 
Vebermacht der Fürften gedämpft, aber nur im Blut 
von fünfzigtaufend (— nach einigen Chroniken fogar einer 
gedoppelten Zahl —) verführter und verführender Bauern 


— 16 — 


abgelöfcht werden konnte, nad) deffen Beendigung dann die 
Fürften alle Klöfter fih zueigneten und folche größ— 
tentheils in Iandesherrliche Yenter und? Kammergüter 
vermwandelten. Ein Sahrzehend fpäter fand das fonderbare 
Schaufpiel in Weftphalen Statt, wo von den Wieder- 
täufern ein Schneidergefelle, Sob. Bofolt von Leiden, 
zum König gewählt ward, und es dem Bifshof zu Münfter 
nur vermittelft Unterftükung andrer Reichsftände und nach 
einer fechsjehnmonathlihen Belagerung der Stadt Mün— 
fter gelang, dieß Königreich zu zerftören. Die Ehronifen 
jener Zeit entwerfen uns von diefem Ereigniß ein höchſt 
Elägliches Bild, und während der Belagerung war die 
Hungersnoth fo groß, daß — (wie auch Corvinus beftätigt) 
fügar Kinder gefchlachtet wurden. (Diefer Schneider- 
König nannte fic) rex justitie in terra, und führte fünig- 
lichen Hofftaat; beym Nachtmahl diente er immer als 
Priefter zu; übrigens hatte er auch durdy ein Edikt die 
Polygamie eingeführt, und felbft das Beyſpiel dazu 
gegeben, indem er drey Weiber nahm und bald noch eilf 
andre hinzufügte — geftükt auf Luthers Expl. in Genesin 
4525 und auf das Vorbild Abrahams. Das Ende feiner 
Regierung war, daß er im Senner 4536 nebſt feinen 
Hauptgehülfen Knipperdolling und Krechting mit glühen— 
den Zangen gezwickt und zu Tode gemartert wurde, welche 
Dualen fie auch ganz heidenmüthig ertrugen.) 

Und mer vermag ohne Schauer an die, durch die 
Salvinifhe Hätefie in Frankreich entitandnen, Huges 
nottenfriege zurücdzudenfen, welche von 4560 — 1972 
fortwütheten, und nur duch das gräßliche Blutbad 
des 24. Aug. — Bartholomäustag — 1572 (wo im ganzen 
Umfang des franzöfifchen Reichs auf Befehl des Königs 
Heinrich von Navarra und feiner Mutter über fechgzige 
taufend Menfchen ermordet wurden —) einftweilen 
aufhörten, bis in einem fpätern Beitpunft die gänz— 
liche Ausrottung der Reformierten in Frankreich unter 
Ludwig XIV, Statt fand,. durch deſſen Dragonaden 


— 41 - 


felbft jene blutige Hochzeitfeyer noh in Schatten 
geftellt ward. 

Der Ereigniffe in England haben wir — früher 
gedacht; auch dort ſäumte Heinrich VIII. nicht, dem 
Dapft alle Rechte und Einkünfte zu entziehen, alle 
Stifte und Klöfter aufzuheben. Daß es ihm bey Plüns 
derung der Kirchengüter feines Reichs im minde: 
fien nicht um irgend etwelhe Reform der Kirche 
felbft zu thun war, ift aus Spielmanns Gefchichte des 
Kirchenraubs fattfam befannt. Mehrere taufend Kir— 
chen, Kapellen, Klöfter und andre der Andacht oder Men— 
fchenliebe gewidmete Häufer wurden vom König aus Zorn 
gegen den Clerus und aus unerfättlichem Geiz, wie von 
einem Feind geplündert und dann dem Erdboden gleich 
gemacht; 376 Eleinere, 645 größere Klöfter, 90 Collegien, 
410 Hofpitäler, 2374 größere und Eleinere Kapellen wur— 
den zerftört, AU diefe Stiftungen und Gebäude betrugen 
an Werth eine unfhäßbare Summe. („Das war 
des König Heinzen Evangelion, das er ſuchte,“ fagte 
fehr treffend Myfonius, ein Gehülfe der Keformatoren. ) 

Sn Schweden nahm Guftav Wafa 1527 den Biſchö— 

fen ihre großen Güter weg, und richtete den fchwedifchen 
Kirchenftaat nad) Lutherfchen Grundfäßen ein. 
—In Dänemark rächte fich Chriftian IL. an den Bi- 
fchöfen die ihn verfolgt hatten dadurch, daß er 1534 ihre 
Güter einzog und die Fatholifche Kirchenverfaffung ab— 
fchaffte. 

Ueberhaupt folgten in den meiften Rändern 
die Fürften nur allzugern der Neigung ihrer 
Unterthbanen, da ihnen die Reformation wegen 
der Befreyung von der biſchöflichen Gemalt 
und Einziehung der Kloſtergüter wichtige Vor— 
theile gewährte. 

In Deutſchland raffte nach ſiebenjähriger bitterſter 
Hungersnoth eine vorher unbekannte Krankheit, sudor 
anglieus (Engliſcher Schweiß) genannt — welche, nach 


— 


einem Brief des Th. Morus an Erasmus vom Auguſt 
1520 in England furchtbar gewüthet hatte — eine unglaub- 
liche Menfchenmenge weg; dann folgte die Peft, endlofe 
Religiongzwifte, und zuletzt noch jener ſchreckliche drei» 
Bigiährige Krieg von 4648 — 4648, wodurch ganze 
Länder — vorzüglich Würtemderg , Sachſen und Bram 
denburg — vermwüftet und entvölfert wurden. 

ach den von einigen damahligen Chroniken aufgeftell- 
ten Berechnungen waren nur von 4550 — 4580 in den 
Religionskriegen über 900,000 Menfchen hingerichtet wor— 
den, worunter fidy 39 Fürften, 448 Grafen, 135 Sreyherren, 
447,518 Edle und 700,060 Gemeine befanden. (Seit Une 
fang der Reformation Tieße fich alfo eine noch weit bes 
trächtlichere Zahl annehmen.) Hierzu fommen dann 
erft noch die Mekeleyen von 1620 in Beltlin, 1655 und 
1656 in Piemont, 1640 in Irland, ferner in England, 
den Niederlanden, Ungarn, Böhmen, Mähren, Schlefien 
u. f. w. 

Auch, fagt uns die unbeftechbare Gefchichte, daß die 
erften Nachfolger der Reformatoren, von der römifchen 
Kirche geächtet, vergeblich fich) an die griedhifche anzu— 
fihliegen gefucht hatten. Sukob Andrei — Schmidlein ges 
nannt — war 08, welcher zum Behuf diefer beabfichtigten 
Bereinigung im Sahr 4579 feine formula concordie nad) 
Eonftantinopel fandte, und — obfchon zurücgewiefen — 
ſich dennoch fpäterhin nochmahls bittlich dafür ohne Erfolg ° 
verwendet hatte. Der Patriarch ertheilte hierauf feine 
legte Antwort im J. 4581, worin er die neue Lehre als 
ein von allem göttlichen Anfehn entblößtes Menſchenwerk 
erklärt und mit den ernften Worten ſchließt: „Beläftigt 
und nicht ferner mit euren Zuſchriften; ihr geht mit den 
größten Kicchenlehrern ganz widerfprechend um; mit Wor— 
ten zwar ehret — mit den Werfen aber verachtet ihre fie.“ 

Sp waren jene „Kirchenfpäne“ befchaffen, von 
welchen die Confess. helvet. C. 17. p. 76 zu fagen ſich 
erdreiftet : „dann es gefallt alfo Gott, daß er durch 


— 219 — 


diefe Kicchenfpäne feines Nahmens Ehre fördern 
und fie zu Erleuhtung der Wahrheit gebrauchen 
will.“ 

Nothwendig hatten dann freylich die immer ſteigen— 
den Derwirrungen im Gefolge der Reformation ihren 
Urhebern die Augen öffnen müffen, wie wir oben bereits 
gefehen haben. Zu fpät erkannten e3 die unglücklich Ver— 
blendeten, daß, um das Gebäude dev Wahrheit nieder- 
zureißen, es nur der Betäubungen eines ungezügelten 
fihwärmerifchen Geiftes bedarf, welchen fich der große 
Haufe fo gerne hingiebt, daß e8 aber ungemein fchwer 
hält, dag Niedergeriffene wieder aufzubauen, die zer— 
rüttete Drdnung herzuftellen, und die vom Schwin- 
del religiöfer Unabhängigkeit ergriffenen Köpfe zum 
Gehorſam zurüczuführen. 

Niemand wünfchte wohl diefe Heritellung inniger als 
Melanhton. „Wollte Gott, fchried er an Xuther, ich 
fünnte die Gewalt der Bifchöfe Herftellen! ich fehe im 
Geift voraus, welch eine Kirche wir haben werden; wenn 
wir alle kirchliche Polizey zerftören, wenn wir feine 
Kirchenvorſteher mehr haben werden, die ung auf 
fihren Wegen führen, wenn wir alle alten ehrwürdigen 
Gebräuche abfchaffen, was wird und muß dann endlich 
aus unfrer Kirche werden!“ Und von diefer Ueberzeugung 
war nicht Melanchton allein durchdrungen, denn er äußert 
fi) in den nähmlichen Briefen, daß viele feiner neuen 
Glaubensgenoffen darin mit ihm übereinftimmen. Schon 
in der Augsb. Confess. fprah man von Gewalt der 
Kirche, von Einffimmung der alten Kirche, felbft der 
Fatholifhen Kirche, ja fogar vom Lehramt der 
römiſchen Kirche ziemlich deutlich. Einzelne Doktoren 
der Theologie von anerkannter Gelehrſamkeit ſchloſſen 
ſich ebenfalls den Grundfäen der firchlihen Authori- 
tät an. Der merfwürdigfte unter ihnen ift der berühmte 
Abt don Lokum, Molanus, Freund und Mitarbeiter 
Leibnizens im Plan der Bereinigung, welcher längere 


— 3» 


Zeit ziwifchen ihm und Boffues, dem großen Bifchof von 
Menur verhandelt, aber Leider nicht ausgeführt ward, 
Molanus fagt: „alle Ehriften find gleicher Meinung, daß 
die von einem Conzilium feftgefegte Auslegung der hei— 
ligen Schrift jeder Privarauslegung vorzuziehen fey.“ 
Daher erklärt auch die Augsburger Eonfefjion; daß em 
dfumenifches Conzilium das leute, und fchon in den 
älteften Zeiten benugte Mittel fey, um jede ficchliche 
Spaltung zu befeitigen, und fordert auch defjen Anwen» 
dung. Die Eynode non Dovdrecht und alle, übrigen, 
welche von beyden Seiten abgehalten wurden, beftätigen 
ebendafjelbe ; jene von Eharenton fpricht ſich deutlich aus, 
daß wenn e8 jedermann erlaubt wäre, fih an Privat» 
auslegungen der Schrift zu halten, es am End fo 
viele Religionen gäbe, als es Pfarreyen giebt. 
Molanus und Leibniz, diefe gelehrten Männer haben 
alfo der Kirche die gefegliche Gewalt zugeftanden; nach 
ihrer Weberzeugung und nach den Befchlüffen der Synode 
zu Charenton darf niemand die allgemein angenom» 
mene Auslegung der heiligen Schrift verwerfen, — ein 
ökumeniſches Conzilium (und dieß waren doch unläug> 
bar, nach der Meinung aller Parteyen, jene von Nizäa, 
Gonftantinopel, Ephefus und Calzedon) bat vor allen 
übrigen den Vorzug, und die Unfehlbarkeit ift dag Merk— 
mahl, das Attribut des größern Theils der Kirche, 
weil ihr der Beyftand des göttlichen Beiftes zugefagt 
iſt. Wahrlicy mehr Hatte die Fatholifche Kirche — felbft 
zur Zeit Luthers und Calvins — nie verlangt! Wie be- 
dauerlich ift Daher eine Spaltung, welche bloß daher 
entftund, weil nıan das Anfehn und die Gewalt der 
Kirche entfräftete und zerftörte, obfchon man ſpäter— 
bin ihre Heilfamfeit und Mothbmwendigfeit dennoc 
anzuerfennen fih nicht enthalten Tonnte. 

Wir haben oben die eignen Geftändniffe der Reforma— 
tions-Koryphäen felbft, ihrer eifrigften Anhäns 
ger und einiger ihrer angefehenften Zeitgenoffen 


14 ⸗ 


über die nächften Würfungen diefes großen Werks 
vernommen. Mögen auch die angeführten Zeugniffe ung 
von den fo einfeitigen-Xobrednern jener Blaubenshelden 
wohlbedächtlich verfchwiegen und vorenthalten wor» 
den feyn, fie beruhen nichts deito weniger auf unver. 
werflihen Urfunden! 

So ift es aefommen, und fo mufte es fommen, 
denn „die Reformation — (alfo fpricht jener prahleriſche 
Diograph des erlauchten Zwingli noch im Jahr 1819) — 
einmabl in Bewegung gefeßt, nimmt ihren unauf- 
baltbaren Lauf, deſſen Ende nicht abzufeben iſt; fie 
fann ihrer Ratıkr nach nie ftille fieben, und gebt immer 
ihren großen Bang; mer kann ihrem Tone wider 
ſtehen?!“ 

Und dieſer —— Gang,“ — worin befkund — 
wohin führte er?! 

Wir haben die ernfte laute Antwort der Geſchichte 
bereit5 vernommen, um welche jedoch jener Lobhudler ſich 
wenig befümmert zu haben fiheint; eben ſo mangelhaft iſt 
feine Kenntniß der eignen vaterländifchen Angelegen— 
heiten, Hat er jene unfeligen Zerwürfniſſe ver- 
geffen,, welche feine Landsleute beyder GEonfeffionen zer- 
fleifehten und nie ganz unter ihnen verfhwanden? 
Konnten ihm die unmittelbar auf die Reformation ges 
folgten ſchrecklichen endlofen Religiongfriege, in wel— 
chen eidgenöffifche Krieger bald auf hHeimathlichem Bo— 
den, bald in Frankreich wegen der Hugenotten einander 
feindfelig gegenüberfiunden, unbefannt feyn oder etwa 
gar ald geringfügig erfcheinen ? machte die vaterlän- 
difche Gefchichte der drey legten Jahrhunderte feinen Ein- 
deu auf ihn? Hat er die jammervolle Würfung 
jener Religionsfpaltung, das ruchlofe Schußbündniß aus 
dem Sinn gefchlagen, welches noch zu Anfang des hetzt⸗ 
verfloßnen Jahrhunderts von dev einen Religionsparten 
aus. Grol und KRachfucht gegen die andre, mit jenem 
Fürften auf Frankreichs Thron gefchloifen ward, deffen 


— 22 — 


unerfättliher Ehrgeiz und Treuloſigkeit der Schweiz 
den Untergang drohten, (die geheimen punifchen Arti— 
fel des Häglichen bochberüchtigten — fogenannten 
„Trükli—« — Bundes vom 9. May 1745 mit Ludwig XIV. 
find längſt Schon dev Deffentlichkeit anheimgefallen!) wenn 
nicht die alles leitende Börfehung bald nach dem Schluß 
jenes Bündniffes durch den Tod des Königs die Schweiz 
gerettet hätte! — 

Solche Bewandtniß hatte es in der Würklichkeit 
mit dem gepriefenen „großen Bang“ der Reformation 
in der Schweiz. — ! 

Das Benehmen des päpftlichen Stuhls bey der 
in Sachſen und der Schweiz überhandgenommenen 
Kirchentrennung haben wir bereits im frühern Abfchnitt 
dieſer Darftelung vernommen. Auf Leo X., welchem 
weder die Reformatoren, noch auch neuere proteftanti- 
ſche Schriftfteller das Lob eines aufgeflärten — 
friedliebenden — freyfinnigen Mannes und groß- 
hberzigen Beförderers der Wiffenfchaften ftreitig . 
machen, folgte Adrian VL von 1524 — 1523 ein Mann 
voll guten Willens, aber ohne ZThatkraft, welcher nur 
Schritt für Schritt gehen wollte und ob feinen Entwürfen 
bald ftarb. (Zwingli felbft hieß ihn einen „trefflichen“ Mann, 
von welchem fich die Kirche, im Hinblick auf feine frühe: 
ven Berdienfte, Heil verfprechen Eonnte.) Hierauf beftieg 
Clemens VII den päpftlichen Stuhl, deffen wir oben 
öfters gedachten; und nach ihn Paul II. von 1534 — 
4550. Diefer fekte eine Congregation von 4 Gardinälen 
und 5 Prälaten zur Prüfung der abzuftellenden 
Mipbräuche nieder, welche hierauf 1537 ein Öutachten 
einveichte; 1544 fchrieb er dag Conzilium nach Trient aus, 
wo fomohl päpftliche als Eaiferliche Geſandte erfchienen, 
aber nichts erzweckt ward; 1542 Iud der Legat auf dem 
Reichstag in Speyer abermahl nach Trient einz die Pros’ 
teftanten weigerten fich zu erfcheinen; dennoch ward es 
am 13. Dez. 1545 feyerlich eröffnet, aber fchon war die 


— 293 — 


Spaltung unheilbar geworden, Dieß Conzilium, welches 
nicht nur wegen der eingerifnen Härefie, fondern haupt» 
fächlih auch wegen der in Verfall gerathnen Kirchen— 
zucht zufammentrat, fprady in Sess. VI. Cap. von der 
Berbefrung, die Elare Abficht aus: „die zerfallne 
Disziplin berzuftellen, die verdorbnen Sit— 
ten unter dem Clerus und Chriftenvolf zu verbef- 
fern, auch zu diefem Behuf den Anfang bey denen zu 
machen, welche die Höheren Stellen in der Kirche bes 
fleiden.“* Und in der That ward auch redlih Hand an’ 
Werf gelegt; manche Migbräuche und üble Sitten wur: 
den forgfältigft befeitigt; dev Glaube der Bäter ward 
rein hergeftellt, und die Kirchenzucht wefentlich vers 
beffert. Sind auch jekt noch Mißbräuche bin und wie» 
der vorhanden, fo werden fie von dev Kirche nicht nur 
nicht gebilligt, fondern verabfcheut und immer mebr 
ausgerottet. Daher ein neuerer Schriftſteller mit 
Grund behauptet, daß wohl feine Spaltung oder doch ges 
wiß feine Haupttrennung von der Mutterficche te 
entftanden wäre, wenn diefe zu Anfang des XVI. Sahr- 
bunderts fo wäre  befchaffen gemwefen, wie fie e8 der— 
mahl if. 
4 * & * 

Und in welcher Geſtalt erſcheint dermahl der Prote— 
ftantismus? mo find jene gefegneten Früchte, welche wir 
ihm verdanken? was ift aus dev Augsburger und Helveti« 
fchen Eonfeffion — aus Melanchtons Apologie der erfiren 
— aus Luthers Catechismus — aus der formula concor- 
die — diefen vormahls fymbolifchen Büchern der prote= 
ftantifchen Kirche — geworden? „Slaubens- und Ge- 
wiffensfreiheit“ heißt nun das große Lofungswort. 
Unfer dermahliger Elerus hält es für Pflicht — wie feldft 
Schrökh nicht in Abrede ſtellt — den Glauben zu prüfen, 
zu läutern und zu ändern, fo oft eine neue Anficht 
dieß zu erfordern fcheint. Die aufgeklärten Schriftforfcher 
anfver Zeit gelangen zu den mannigfaltigften widerfpres 


. 


— 24 — 


chendſten Refultaten; dennoch berufen alle fih auf ihren 
hellen Berftand und Scharffinn, und jeder hält feinen 
Gegner für einen Obffuranten. Kehrten die Reformatoren 
auf den Schauplak ihrer irdifchen Würffamfeit zurück, fo 
müßten fie in Wahrheit nicht wenig erftaunen. über die 
jeßige Geftalt ihres Lehrgebäudes. 

Nach dem Geftändniß des großen Proteftantifchen 
Theologen Puſtkuchen bat das Chriftenthbum, wie folches 
von den Echriftftelleun und Gelehrten unfrer Zeit geltend 
gemacht wird, feine ürfprüngliche Reinheit ganz und gar 
berloren; ja er getraut fich zu behaupten, daß ein folches 
Chriſtenthum von jedem Sahrhundert als verfälfcht wäre 
zurückgeſtoßen und von den Keformatoren felbft ra 
worden: 

Aehnliche Klagen führt auch der gelehrte, freyfinnige 
Rofenmüller de christ. Theolög. orig. p. 65. 

Breszius in den Apol. 2. 3. Flagt über „unbe— 
gränzte Willführ in Erklärung der evangelifcdyen Ge- 
fhichte“ und über „die unfeligften Folgen des 
tiziſmus.“ 

Heß in den Geſchichten und Schriften der Apoſtel 
Jeſu führt ebendieſelbe Klage in den ſtärkſten Ausdrücken. 

Kleuker inf; neuen Prüf. der Beweisgr. 2.3. ©.216 
fagt: „man arbeitet aus allen Kräften davan, die hei« 
lige Schrift immer mehr in Mißfredit zu ſetzen.“ 

Sn einer gehaltvollen Schrift: über die Sränzlinien 
der Aufklävung, wird S. 31 gefagt: „in Abficht der Re— 
ligion und des Reichs Gottes haben wir ſchon völ— 
Lig den babylonifchen Thurmbau. Lediglich durch die Leh— 
ver kömmt die Religion in Berahtung Der Press 
diger reißt einen Stein aus der Mauer; gleich greifen 
nun auch die andren zu, und reißen alles rieder.“ 

Müller, in feinen vertrauten Briefen an Bieſter 1801; 
flagt: sferbft Theologen machen fihs zum Geſchäft, die 
Srundfäge des ächten Ehriftenthbums in einen reinen 


— 22 = 


Deifmus zu verfchwenmen; die Grundlehren des 
Chriſtenthums nennen fie theologifhe Vorurtheile.“ 

Der geb. Cab. Rath Brandes über den Einfluß des 
Zeitgeifts, führt — fowie der. Ob. Präf. Bulow in Mag- 
deburg — diefelben Klagen über Berfall und Mangel 
der Religiofität, und daß der Lehrbegriff der proteft. 
Kirche von fo vielen Beiftlihen verlaffen, umgangen, 
und untergraben werde. 

Joh. dv. Müller fchrieb kurz vor fl Tod 1809 den 
9. März an einen Freund: „bey uns Proteſtanten ſpricht 
ſich völliger Antichriſtianiſmus laut aus, Die Schrift 
ſollte unſer Glaubensgrund feyn; wie fie nun ausge— 
legt und gedeutet wird, mag ich gar nicht fagen. “ 

Ein andrer Schriftfteller. fagt: „mo der fchöne Grund» 
fat der Reformation angenommen wird, hört bey den 
Borftehern der Kirche alles Anfehn, bey den Gläu— 
bigen aller Gehorſam auf. Ale. abweichende Mei- 
nungen find gewißermafßen privilegiert. Jeder ift be- 
rechtigt, den Sinn der. heiligen Schrift nach feiner 
Willkühr auszulegen; er erfennt fein Gefeß des An— 
ſehns; jeder hat gleiches Recht zur Auswahl einer be— 
liebigen Lehrmeinung. Hierin beſteht ja eben das große 
Borrecht des Proteftantifmus!“ 

Wenn nun der Proteftantifmus als eigentliche Kirche 
gar nicht mehr exiſtiert — wie ſelbſt angeſehene proteſtan— 
tiſche Theologen zu behaupten kein Bedenken trugen — 
wenn er — einem endloſen Perfektibiliſmus als Spielball 
preisgegeben — einem Bruchſtück ohne Zuſammenhang und 
feſte Grundlage gleicht, wie kann er dem nach Gewißheit 
ſich ſehnenden Gemüth Vertrauen einflößen, — wie kann 
er ihm Friede und Beruhigung gewähren? Luther, der 
Hauptreformator, und feine Conſorten find, nach ihren 
eignen Geftändniffen, bey ihrer Unternehmung, von Lei- 
denfhaft hingeriffen, nach feinem fyftematifchen zu— 
fammenhangenden Plan verfahren. Nie beabfihtig- 
ten fie die Gründung einer Reformation, wie fie nach— 

— 


— 22 — 


her ſich entwickelte, oder einer Kirche, wie die heu— 
tige proteftantifche Dafteht; fie eiferten wohl gegen 
den fchändlichen Ablaßunfug und andre tadelnswerthe 
Mißbräuche, aber nie lag die eigentliche Trennung 
in ihrem Plan. Nur ihre Heftige Gemüthsart war 
es, was fie nachher verleitete die ganze Kirche — 
und befonders die Hierarchie derfelben — dreift anzu— 
greifen; und in der Folge vermechten fie dann felbft nicht 
mehr das wahre vom falfchen zu unterfcheiden, wie 
wir durch ihre eignen Erklärungen ung überzeugt haben. 

Die Proteftanten find nicht einig im Glauben, 
nicht in der Lehre, nicht in der Disziplin; fie können 
es aber auch ihren Prinzipien nach nicht feyn, und eg 
nie werden, fondern es müffen — mie die Erfahrung 
zeigte — nur immer größere Spaltungen entftehen. _ 
Nirgends waltet Berbindung und Zufammenhang 
unter ihren zahllofen Sekten; diefe haben — wie 
Swift fagt — nicht genug Religion, um einander zu 
lieben, aber immer genug, um einander zu haffen. 
Nothwendig muß dieß mweitläufige, verworrne Seften- 
wefen, das immer nur mehr überhbandnimmt und 
dem Hauptcharafter der chriftlichen Kirche fo fehr 
widerfpriht — da die Wahrheit nur Eine ift und 
ewig unveränderlich bleibt — den Proteftantifmus höchſt 
verdächtig machen; feine ‚außerovdentlihe Zerſplit— 
terung in zahllofe Sekten (man denfe nur an Holland 
— Nordamerika — England), die immer fteigende Unei- 
nigfeit und Streitfucht unter feinen Befennern kann 
nur die Ueberzeugung begründen, daß unmöglich Sefus 
Ehriftus eine folche Kirche habe ftiften Eönnen, die immer 
nach menfhliher Willkühr folte umgeftaltet und 
verbeffert werden, und daß folglich der Proteftantismus 
nicht aus Gott, fondern von den Menfchen herſtamme. — 

Die Kircye der Zutheraner, Calviniſten, Neformierten, 
Methodiften, Anglifaner, Sozinianer u. f. w. iſt, nach ihrem 
eignen Geftändniß, dem Irrthum unterworfen; folglich 


— MM - 


ift fie fchon deswegen nicht jeme Kirche, von welcher ber 
Weltheiland (Math. XVIL, 18. und XXVIII, 20.) fagte: 
daß die Pforten der Hölle fie nicht überwältigen werden, 
daß er bey ihr bleibe bis an der Welt Ende, und daß 
der Tröfter des Vaters bey ihr feyn, und der heilige 
Geift fie in ale Wahrheit leiten werde. Wenn fie ir 
ven kann, fo ift fie nicht — nach 4 Timm. III, 45 — die Kirche 
Gottes, : Säule und Grundfefte der Wahrheit, fo ift 
wohl vielmehr die Warnung Pauli — Eph. IV, 44. — 
auf fie anwendbar. Wenn fie irren fann, wo find dann 
iene von Sefus Chriftus felbft eingefebten Hirten 
und Lehrer, um ewig der Kirche vorzuftehben, fie zu res 
gieren und in ihr den Glauben feftzuftellen, damit 
fie nicht von jedem Wind der Lehre hin und her ges 
trieben werde? 

Möchten doch die Proteftanten einmahl beherzigen, 
was ſchon der große Kirchenvater Auguſtinus ſagte: 
„wenn wir vom Evangelium nur dasjenige glauben, was 
wir wollen, und das nicht glauben, was wie nicht 
glauben. wollen, fo glauben wir uns felbft, nicht aber 
dem Evangelium Wir glauben Menfchen, nicht 
Gott. 

Der Proteſtant glaubt ſchlechtweg, was ſeine Väter 
glaubten, dieſe glaubten hinwiederum, was ihre Ahnen 
lehrten, und ſo ſtufenweiſe zurück bis zum Zeitpunkt der 
Kirchentrennung; er hat alſo zur letzten Stütze die Autho⸗— 
rität feiner Reformatoren, welche jedoch nie un— 
trüglich war, und nach ihrem eignen Willen durch— 
aus nicht als untrüglid — —— RER follte 
und durfte 

Sa, es gefteht die neue in Zürich erfcheinende Kits 
henzeitung mit lobenswerther Unbefangenheit „daß es in 
der evangelifch reformierten Kirche auch ſolche Grundfäte 
und Lehren gebe, welche nicht mit der heiligen 
Schriftübereinffimmen. Eben fo unverhohlen wird 
ganz neuerlich noch auch im Schooß der höchſten Res 


15* 


— 23 — 


gierungsbehörde eines reformierten Schweizer Kantons bes 
hauptet und. zugegeben, daß die beftehenden Katechifmen, 
welche fonft als Grundlagen des reformierten Lehrſyſtems 
galten, ganz unbrauchbar geworden ſeyen, — daß es 
gegenwärtig feinen proteftantifhen Lehrbegriff 
mehr gebe — daß die- confessio helvetica alles Anfehn 
und alle verpflichtende Kraft verloren habe, — und daf 
viele Dogmen der reformierten Kicche von den einen 
Geiftlichen zwar noch anerkannt und gelehrt, von den 
andren aber als veraltet und untaugli verworfen 
werden, demzufolg bald jeder Geiftliche gewifjermaßen eine 
eigene Kirche repräfentiere. 

Sihreiten wir nun zu näherer Betrachtung einiger 
Srüchte des Pr oteftantifmus, deren ung die hochers 
leuchteten Neologen ſolch bedeutenden Borrath darbiethen, 
dag man beynahe etwelche chronologifche oder alphabetifche 
Drdnung zu befolgen fi) veranlaßt finden dürfte, | 

Während der Katholik unmandelbar der Religion 
Sefu Chriſti als eigentlich göttlich pofitiver Religion 
huldigt, die Bücher des U. und N. Zeftaments als heilige, 
unter Leitung des göttlichen Geiſts verfaßte Urkunden 
mit gläubiger Ehrfurcht annimmt, fienicht zerfplittert 
und zerftümmelt, fondern alle Beftandtheile derfelben ihrem 
ganzen Inhalt nach als unmittelbare — folglich feis 
nem weitern Vervollkommnungsprozeß von Seite menfch- 
licher Bernunft und Willkühr unterworfene — Gefchenfe 
der Gottheit anerkennt; wie denft, lehrt, und handelt 
dagegen der mit Erleuchtung und Aufklärung fich brü- 
ftiende Proteftant? 

Wir werden die Antwort nicht ohne tiefen Schauer 
vernehmen. 

Die allg. Bibl. der neuften deutfch. Litt. 4 BD. 
4784 hält das alte Teftament für Fabel und Zäu- 
fhung, fihreibt die Wunder Ehrifti frommem Betrug, 
und die Paulinifchen Thaten und Schriften rabbiniſchen 
Künfen zu. / 


Die allg. Bibl. der theof. Litt. von Schmid 
und Schwarz 1804 macht aus der göttlichen Gen- 
dung und Gefekgebung Mofis ein Werk des Betrugs 
und der Dummpbeit. 

Sn den Aphorifmen am Grab der Theologie 
4802 wird mit Berufung auf mehrere große prot. Theo— 
logen das Meue Leftament die Hemmfette der Auf— 
klärung genannt, die für unfer Zeitalter nicht paffend 
und ganz unnük fey. } 

Sn der theol. Monatfchr. von Auguſti 1804 
9. IX, wird gefagt, daß es beffer wäre, wenn wir gar 
feine fchriftlihe Nachrichten von Sefu hätten, daß 
man in den Urkunden des neuen Bunds die veine Lehre 
Sefu nicht fiber erhalten habe, daß die Apoftel felbft 
oft Sefum nicht verftanden haben, daß in diefen Ur— 
Eunden fihb Widerfprüche finden, und daß überhaupt 
eine gefchriebene Religionsverfaffung früh oder 
fpät fich felbft vernichten müſſe. | 

Sn den ausführl, Erflär. der ſämmtl. Meffian. 
MWeiffag. Darmftadt 4801 werden die Propheten de 
alten Bundes für „Saufler und Betrüger,“ und 
diejenigen, welche noch einigen Werth auf die Weiſ— 
fagungen des Neuen Bundes legen, für „Schmärmer und 
Verrückte“ erklärt. Und diefe Schrift wird in der allg. 
dv. Bibl: B. 69. S. 228 ald cine folhe anempfohlen, 
welche Ungemwißheit — Blindheit und Thorheit habe ver- 
fchwinden laffen, | 

Nach des Superintendenten Elaudiusliranfidhten. 
des Ehriftenthbums 1808 gehört zur Religion Sefu 
nichts von feiner Perfon und Gefchichte, nichts von 
allen, was er von fih ald dem Sohn Gottes, vom 
Reich Gottes, von den Schidfalen feiner Lehre 
und Kirche fagte. Im Evang. Mathäi findet ex viele 
fremde Zufäße und Berfälfchungen; Sohannes 
Evangelium und Briefe follen nicht von ihm, fondern 
irgend einem fremden Juden herrühren; (Iſt der Herr 


— 0 — 


Superintendent verrücdt?) fie enthalten viel tadelns— 
werthes und Widerfprüche; der Lehrbegriff in den- 
felben fey anoftifch. Paulus glaube noch an's Juden— 
thbum, und die Kehre von der Borfehbung und Uns 
ſterblichkeit fehle bey ihm; Petri und Safobi Briefe, 
und jener an die Hebräer feyen wie die Daulinifchen ; übers 
haupt aber biethen die Schriften des Neuen Zeftaments 
feinen zufammenbhängenden Xehrbegriff dar. 

Snden Erflärungen des Paulinifhen Gegen» 
fabes: Buchftabe und Geift, Sena 41799, heißt es: 
daß man gleich bey der Reformation die Urkunde des 
neuen Teſtaments ganz hätte abfchaffen follen, daß 
eine pofitive Religion noch zu den Borurtheilen 
der Apoftel gehört habe, daß das neue Teftament zur 
Schwärmereny führe, und daß man ohne daffelbe 
— auch wenn der Nahme Sefu ganz in VBergeffenheit 
käme — fich in der Religion genugfam behelfen fönne. 

Profeſſor Krug in feiner Zeitfehrift Hermes 1819 
&t. IV ertheilt den Mächtigen der Erde den Rath, ſich 
über. alle pofitive Religionen zur Höhe der ewigen 
Bernunftreligion zu erheben, und behauptet, daß alle 
wefentliden Slaubensartifel dem ächten Proteftantifmusg 
nichts weiter als VBerfuche zur Anregung der ewigen Ver— 
nunftsreligion feyen. 

Mach) Sänifch univerf, Ueberbl. der Entwickl. 
d. menſchl. Gefhl, Berlin 1801 find Stolz und Un» 
duldfamfeit die Würfungen des Glaubens an die 
Bibel; die Fünftliche Magie des Heiligthums aber fey ver- 
ſchwunden. | 

In Krummachers chriſtl. Volksſchule, Eßen 1823 
S. 229 behauptet ein Doktor der Theologie ganz unbefan- 
gen: der Apoftel Paulus habe fo gefchrieben, mie etwa 
heufzutag ein ungebildeter Korporal oder eine Dienft- 
magd, auch habe er durch feine unbefonnene Behaup— 
tungen die Laſter der erften Ehriften veranlaft. | 

Etermann in f, theol, Beytr. fagt, daß er auch 


— M — 


nicht eine einzige Prophezeyhung im alten Zeftament 
finden könne, welche fich deutlich. auf Chriſtum beziehe. 

Noch ftärker äußert fih hierüber Eichhorn in feinen 
bebr. Propheten 3. B. 1816 — 1819. 

Ein andrer Gelehrter erklärt fchlechtiveg Die meiften 
Propheten als Betrüger, welche auch die Urfache feyen 
warum e8 in der Welt feinen wahren Glauben gebe. 

Dr. Paulus in Heidelberg, welcher. alle Wunder 
wegzuraifonnieren verfteht, fagt in feinem Comment. 
3.38. ©. 810 Chriſtus ſey nicht würklich geftorben, 
fondern habe bloß in Ohnmacht gelegen, | 

Ein anderer behauptet, Chriſtus habe fich nach) feinem 
vorgeblichen od an einen Ort begeben, welcher nur 
feinen Süngern befannt geweſen fey. 

Der gelehbrte Wegfcheider erblidt in der von den 
Evangeliften fo klar dargeftellten Himmelfahrt Sefu 
Chriſti lediglich ein Mythos (Fabel). 

Am unverhohlenften äußert fich aber der Verfaſſer 
einer vor wenig Sahren in Helmftädt erfchienenen Schrift, 
vindicie sacr. N. T. seript., daß nähmlich Sefus ſich 
getäufcht habe und ein frommer Schwärmer gewefen 
fey, der. würklich übernatürliche Kräfte zu beſitzen felbft 
geglaubt habe. Ebendafelbft wird auch die Aufer— 
ſtehung Chriſti geläugnet und der größte Theil deffen, 
was von Sefu und den Apoſteln erzählt wird, unter die 
Mährchen gerechnet. (Dieſem Geſchreibſel liegt offenbar 
und handgreiflich der fo beliebte Wahlfpruch calumniare 
audacter, semper aliquid heret zum Grund. ) 

Wahrlich, wenn es im Proteftantenthum fo finfter 
und bedenklich ausfieht, twie kann daffelbe dann dem Katho- 
liziſmus noch Abfall vom Äächten reinen Chriftenthum 
borwerfen? Hatte der ernfie und gelehrte Brentius— 
(in recogn. pr..et ap.) fo gewaltig Unrecht, als ex be- 
hauptete: die Reformierten werden es dahin bringen, daß 
die Neftorianifchen Grundfäge wieder erwachen, daß 
einer unſrer Slaubensartifel nach dem andern verr 


— 232 — 


fhwinden, und durch den Unglauben der Heiden, Thals- 
mudiften und Muhamedaner werde verdrängt werden? 
Und täufchte fih Montagne fo gar fehr, ald er — in 
feinen EssaisL. 2 E. 12 — den Proteftantifmus als fihern 
Weg zum AUtheifmus bezeichnete? | 

Während der Katholif die Gottheit Chriſti laut 
und öffentlich mit Freud und Wonne als eine Lehre 
befennt, welche die Propheten vorher verkündigt — 
Sefus felbft durch feine Wunder und Weiffagungen 
beur£undet — durch feine eignen Geftändniffe von fich 
felbft beftätigt — und vor feinem Tod nohaufsfeyer=- 
lichfte bezeugt hatte, welche die Upoftel nicht nur ver— 
fündigten, fondern auch mit dem Martertod befräftigten, 
welche feitdem — ununterbrochen in der Mutterkirche 
geglaubt, befannt und vertheidigt worden, und welche Lehre 
von dem Katholiken alsder Angel des wahren Evangeliums 
— des göttlichen Ehriftenthums betrachtet wird, — läug= 
nen die Proteftanten die Gottheit Sefu, und halten 
deffen Lehre für eine rein menfchliche, welche dem Ri dh =» 
terftuhl ihrer befhräntten Bernunft fich unterwerfen 
fol! — 

Bernehmen wir einige ihrer angefehenften Worte 
führer! 

Allg. Litt. Zeit. 1811 Erg. bl. N. 41 heißt es in der 
Rezenf. der Emwaldfchen Charfr. Pred. dag Sejus nicht 
Bott, und daß feine Verehrung abgöttifch fey. 

In der Schrift an den König der dritten „über 
die Gottheit Ehrifti“ wird Ddiefe Lehre eine dogmatiſche 
Spikfindigfeit, eine zu fpefulative Lehre, leere 
Zöne, undverftandne Wörter, die feinen Befainmien- 
bang init praktiſchen Ke haben, geheißen. 

Berthold krit. Journal der neuſten theol. Litt. d. V 
St. III. ſetzt Jeſum in die Kathegorie des Herkules, Ro⸗ 
mulus, Alexander u. f. w. 

Nach Claudius Uranf. d. Ehriftenth. hätte fich Je— 
ſus für nicht mehr als einen bloßen Geſandten Gottes 


— BB —- 


ausgegeben, und niemahls göttliche Ehre verlangt. (Wie 
ftimmt dieß mit Joh. V, 23. und überhaupt mit dem gan 
zen N. 3. zufammen? Kann man dem Chriftenthum 
dreifter Hohn fprechen?) i 

Bredfchneider und Stäudlin beftreiten fogar die 
Aechtheit des Evangelium Sohannes; letztrer hält folches 
ganz zuverfichtlich für das Werk eines Philofophen aus 
der Alerandrinifchen Schule, und den Aoyog — verbum — 
fediglich für den Funken des göttlichen Geiftes, welcher in 
allen vernünftigen Wefen glimme. 

De Wette fiehbt in Sefu ein Werkzeug Gottes, der 
fihh aber in feinem Plan betrogen hatte. 

Und mie viele Zeugniffe ließen fich noch anführen aus 
der Jen. allg. Litt. Beit., aus den neologifchen Eregeten 
Eihhorn, Paulus, Hegel, Augufti, Efermann, aus den 
Repertor. für die Litt. in Leipzig, Wegfcheiders instit. 
theol. chr. dogm. u. f. mw. worin überall der nadte An- 
tichriftianifmug ganz ungefcheut verfündigt wird. 
Waͤhrlich auf ſolche Weife wird bald nur noch in der Fa= 
tholifchen Kirche das Bekenntniß Petri laut ausgefpros 
chen werden dürfen: Du bift Ehriftus, der Sohn des 
lebendigen Gottes! Und für die aufgeklärteren Prote— 
ftanten, — die fchwächern bleiben geborgen — (Math AL, 25.), 
fcheint Ehrifti eigner Ausfpruch „wer den Sohn nicht hat, 
der hat audy den Vater nicht“ bereits die Gültigkeit ver- 
Ioven zu haben. 

Auch andre Lehren des Chriftenthums, Dreyeinigfeit, 
Berföhnungstod, Taufe, felbft Auferftehung der Leiber und 
Ewigkeit der Strafen, — überhaupt alle Geheimniß— 
lehren, welche der Katholif dem Evangelium gemäß 
gläubig annimmt, werden vom eher gänzlid) ver— 
fchlungen. 

Claufen, Prof. der Theol. — daß alte 
Briefe des Ap. Paulus Erzeugniffe der älteften, chriftli- 
chen Zradition feyen; fein Wort im N. I. fey aus- 
drücklich mit Jeſu höchfter Authorithät befiegelt, und die 


— 24 — 


heil. Schrift ſey ſowohl dogmatiſch, als auch hiſtoriſch 
ſich ſelbſt widerſprechend; die Lehre von den Engeln 
ſey mehr heidniſch als chriſtlich; die Lehre von der 
Wiederkunft Chriſti zum Gericht ſey falſch und ganz 
von morgenländiſcher Phantaſie geſchmückt. Eine der 
troftreichften und wichtigſten Lehren des Chriſten— 
thums, jene der Verſöhnung durch Chriſti Leiden 
und Sterben, wird von ihm ganz wegdiſputiert, „da 
ſie Zorn und Rachgierd des höchſten Weſens vorausſetze 
und zur unfruchtbaren Bigoterie führe.“ Auf ähn— 
liche Weiſe urtheilt der hochgelehrte Profeſſor über andre 
Dogmen des Chriſtenthums, und verſchont felbft das 
Heiligſte niht. Solch erbauliche Grundſätze und Lehren 
werden den angehenden Gottesgelehrten in öffentlichen 
Schulen der proteſtantiſchen Kirche beygebracht. 

So wetteifern chriſtliche Religionslehrer des proteſtan⸗ 
tiſchen Deutſchlands, Prediger und Profeſſoren, ja Con— 
ſiſtorialräthe und Generalſuperintendenten, (in welch bar— 
bariſches Latein die Würde der Biſchöfe und Erzbiſchöfe 
von Luther umgemodelt ward) die Grundlehren des Chri— 
ſtenthums verächtlich zu machen und zu zerſtören. 

Einer hält den Glauben an die in der Bibel vorkom— 
menden Geheimniffe für eine durchaus gleichgültige 
Sache; ein andrer hält die Erfcheinung- des Engels, 
welcher der Maria ihre göttlihe Mutterſchaft ver: 
fündigte, für eine bloße Würfung der reizbaren weiblichen 
Einbildungsfraft Noch einer behauptet, daß Sefus 
nur Achtung, für fen Werk, keineswegs aber An— 
betbung feiner Perfon verlangt habe, und daß in 
diefer Hinficht die chriftliche Kicche der größten Ketzerey 
und der Anbethung dreyer Götter mit Recht befchuldigt 
werde, Canabich erklärt die Dreyeinigfeitslehre 
für grundlog,vernunftwidrigund daher auch ganz 
entbehrlich beym Religionsunterricht. So tollfühn 
wagtderKRationalifmus und AUntihriftianif-> 
mus fein. Haupt zu erheben! —! Der näbmliche 


= u — 


Herr Superintendent giebt fidy in feiner Kritik dev praft. 
chriſtl. Rel. Lehre auch als einen nicht ſehr ftrengen 
Moraliften zu erkennen, indem er einen gemäßigten finnlis 
chen Genuß der Liebe außer der Ehe für eben fo wenig 
der Sittlichfeit zuwider erklärt als in Der Ehe; und der 
eben fo laxe, menfchenfreundliche Henke in feinem Maga— 
zin behauptet fehlechtweg: -die Monogamie und das Ver— 
both unehlicher Bermifchung gehören zu den Weberbleibfeln 
des Mönchthums und beruhen auf blinden Glauben. 

Solch aufgeflärte Lehren der Vorſteher und HAupe 
ter einer fih evangelifch nennenden Kirche ift freylich 
dem Katholiken ein Gräuel, gehört aber allerdings zum 
unbeftreitbaren Vorrecht des fo hoc) gepriefenen Pr o- 
teftantismus! —! 

Solche auf Indifferentismus siefetide Grundfäke und 
Behauptungen werden von Männern aufgeftellt, welche in 
befonderm Ruf von Gelehrfamfeit ſtehen, kirchliche 
Aemter befleiden, und zu Lehrern fünftiger Seel: 
forger beftimmt find! Kann eine Lehre uns Troſt und 
Sicherheit gewähren, in welcher die trügerifche Ver— 
nunft als hböchfter Richter über Glauben und Of— 
fenbarung angenommen und dabey mit eherner Stirne 
behauptet wird: die heilige Schrift fey ein buntes Ge— 
mifch von Wahrheit und Irrthum, die Gefhichte 
Sefu fey duch Wunderfagen — Zuſätze und Did. 
tungen -entftellt, und die apoftolifhen Briefe 
feyen Früchte fpätrer Zeit!? — 

Aber nicht nur auf Hochfchulen, in theologifchen 
Hörfälen — nein, auch in den neuen Bildungsane 
ftalten, in den Öymnafien und fogenannten Päda— 
gogien waltet diefer Geift des Indifferentismus. Wie 
mancher aufblühende Knabe betritt mit reiner Seele, durch— 
drungen vom Glauben an die Religion, welche feine Eltern 
— feine erften Lehrer ihn kennen und lieben lehrten, jene 
Schulen; und wie bald nachher befritelt und belacht er, 
als afterweifer übermüthiger Süngling die Grundlehren 


— 26 — 


des Chriftenthums, und vühmt fih hellerer Einfichten, 
von vorurtheilfreien Illuminaten eingefogen! Die 
Religion ift ihm nun ein fchaler Volkswahn geworden, 
und fiehe — zerfnickt liegt die Blume der Unfchuld zu den 
Fügen der beftürzten getäufchten Eltern! — 

Servers Weltgefchichte für Kinder, Schloffers Welt» 
gefch., Beckers Gefch. für d. Sugend u. a. m. ziehen die 
Schöpfungsgefhichte und Wunder des U. und N. Tefta: 
ments gänzlich in Zweifel. Lebtrer heißt Sefum und Johan— 
nes Feuerföpfe, und fieht in den Evangelien viele offenbare 
Erdihtungen, bey der Erwecfungsgefchichte des Lazarus 
geheime Berabredungen u. f. w. 

So wird Jeſus Chriftus, der Sohn des lebendigen 
Gottes, der Welterlöfer, von proteftantifchen Sugendlehrern 
gefcjildert, und fein Wort de3 Lebens zu einem bloß 
menſchlichen Buch herabgewürdigt ! — 

So fpannen die neuen Bernunftlehrer — Rationaliften 
— die Bibel ganz eigentlich auf die Folter, um die 
albernften Ungereimtheiten aus ihr herauszugwängen. Wäahr— 
lich die Gefahr dieſer Freygeifterey, des häßlichſten 
Krebfes, dev je an der Gefundheit eines Staats nagen 
fann, laßt ſich nicht eindringend genug darſtellen! Noch in kei— 
nem Jahrhundert erreichte ſie einen ſolch furchtbaren Grad. 
Die frechſten ſpottvollſten Angriffe auf die göttliche Offen— 
barung, auf die Wunder und Perſon Chriſti und die hei— 
ligſten Lehren des Chriſtenthums werden gefliſſentlich überall— 
hin verbreitet, und nicht etwa bloß in gelehrten Sprachen, 
ſondern unter dem lockenden Titel von Unterrichts— 
büchern für den gemeinen Mann (eallide vulgata, temere 
credita, wie fchon Tacitus ſagte). Kann ein chriftlicher 
Staat gefährlichere und fchädlichere Bürger haben, ala 
diefe ſtarken Geifter , Rationaliften, NMaturaliften , Zatitu- 
dinarier u. f. w., welche die Offenbarung der Gottheit 
für Pfaffenbetrug, die Wunder Ehrifti für Gaufelfpiel 
und Blendwerk ausgeben, alle Grundwahrheiten der 
Religion befpotten, und fo dem Ehriften feinen höchften 


— — 


Troſt, ſeine beſte Stütze im Leben und Sterben — das 
Chriſtenthum — rauben!? 

Und in ſolcher Kirche ſollte der Geiſt der — ewig 
unwandelbaren — Wahrheit walten? Und ſolche Leute 
können nie müde werden, den Katholizismus zu verdäch— 
tigen, zu verunglimpfen, zu läftern! — 


* * 
* 


Bey aller Mannigfaltigfeit ihrer Anſichten ſtimmen 
indeſſen doch die meiften proteſtantiſchen Schriftſteller in 
Einem Punkt ganz wunderbar überein, nähmlich in der 
Abneigung und dem Groll gegen den Katholi— 
zismus; in die Wette trachten ſie ihre Verachtung gegen 
dieſen ihren unbeſiegten und unbeſiegbaren Gegner an den 
Tag zu legen; bier finden wir wohl den einzigen Ders 
einigungspunft zwifchen den proteftantifchen Parteyen. Eine 
nähere Beleuchtung diefes Gegenftands wird ihnen jedoch zu 
wenig Ehre und Ruhm gereichen. 

ur allzugewöhnlich wird die Eathofifche Kirche von 
den proteftantifhen Skriblern mit Lieblofer Härte, ja 
mit der leidenfchaftlichften Bitterfeit beurtheilt, ihr Cul— 
tus von ihnen entftelltz; ihre Dogmen und Disziplinar- 
gefeße werden von ihnen geläftert; es werden ihr die 
ungereimteften Lehrſätze angedichtet , welche fie felbft tief 
derabfcheut. Allein diefer feindfelige Hohn der meiften — 
auch gebildeten — Proteftanten, und ihre VBorurtheile gegen 
die Eatholifche Kirche können einzig daher entfpringen, weil 
fie folche in ganz falfchem Licht betrachten, und duch uns 
richtige — oft auch würklich verkehrte — Begriffe 
von ihren Lehren und Glaubensfäßen geleitet, das Unwe— 
fentlihe mit dem Wefentlichen vermifchen, und oft 
bey der äußeren Hülle ftehen bleiben , ohne tiefer in das 
Wefen felbit einzudringen, und ohne fich nur mit einer 
näheren gründlichen Prüfung bemühen zu wollen. 

Ja es giebt ſogar — kaum follte mans möglich glau— 
ben — in proteftantifchen Ländern, welche auf den Ruhm 


d 


— 238 — 


einer vor züglichen Bildung Anfpruch machen, theolo« 
gifche Zehranftalten, wo der Unterricht in der Kir 
chengefchichte überhaupt nicht nur nicht, begünftigt, 
fondern gefliffentlich vernachläffigt, ja wohl gar 
gänzlich hHintangefekt wird. 

Sp legte noch unlängft ein angefehener Schrift 
fteller und Theolog in Zürich — (dem verneint ſchwei— 
zerifchen Athen, der Wiege des Zwinglianismus —) das 
nachftehende „gewiffenhbafte“ öffentliche Geftändniß 
vor feiner eignen Regierung ab: „Wir wurden auf unferm 
Gymnafium fo ziemlich ‚vorbereitet für das Studium der 
Theologie ; nur eine Sprache fehlte ung: die Hebräifche; 
die wenigften aus ung Fonnten richtig leſen und fchreiben. 
Nah Unterriht in der Kichengefhichte fehn 
ten wir uns vergeblich; wir befamen von der 
Reformation gar nie etwas zu hören! Die Hel- 
vetifche Eonfeffion fennten wir nicht einmaphl 
dem Nahmen nad. Mehrere hatten nicht einmahl 
eine hebräifche Bibel, weil wir fie nicht brauchten. Wir hatten 
zwar Unterricht in der Paftoraliheologie; aber von 
Reinhard — dem berühmteften damahligen Prediger — 
ward fein Wort gefprochen, Ueber Expegeſe ward nur 
ein Privatkollegium gelefen. Glaubte ich nicht, der Wahr» 
heit in diefer wichtigen Stunde Zeugniß geben zu müfß 
fen, ich würde dieß bittre Gefühl gern unterdrüden,“ 
u.f. w. Und Solch ernfier Vorwurf fonnte nicht 
Zügen geftraft werden! — ! 

Sechs Sahre früher fchon ward am nähmlichen: „Xieb- 
lingsfiße dev Mufen“ in öffentlicher Synode von dem feh- 
lerhaften Zuftand der. theologifchen Studien gefprochen 
und die mannigfaltigen Gebrechen derfelben nachgemwiefen, 
ohne daß irgend jemand diefe Behauptungen zu widerlegen 
vermochte, noch Abhülfe vorzufchlagen fich getraute! —! 

Don chriftlicher Toleranz und Liebe machen. die 
Proteſtanten immer viel: Aufheben ; allein fobald e8 der 
Eatholifchen Kirche gilt, dann wird in die Wette gefchimpft, 


— 2) — 


geläſtert und verläumdet. Belege hiefür liefern jene vielen 
ihrer bey Anlaß der jüngſten Secularfeyer verbreiteten 
Pasquille, und neuerlich noch eines „Fuchſen religiös pole— 
miſcher oder vielmehr blasphemiſcher Federkampf,“ welch 
elendes Geſchreibſel ſowohl an giftigen Ausfällen als an 
hiſtoriſchen und dogmatiſchen Unrichtigkeiten auch die pöbel— 
hafteſten Läſterſchriften der neueren Zeit noch weit über— 
trifft. | 

Und dieß alles gefchieht, während auf Fatholifchen 
Kanzeln dag ganze Jahr hindurch wenig oder gar feine 
Notiz vom Proteftantismus noch Sudenthbum genommen 
wird, fondern vielmehr dev Prediger lediglich fih bemüht, 
feine Zuhörer über ihren Glauben zu belehren und denfel- 
ben ing praftifche Leben einzuführen. Wäre e8 daher 
nicht angemeffener und würdiger , daß auch unfre protes 
ftantifhen Prediger auf ihren Kanzeln die Katholiken 
in Rube liegen, und Gottes Wort nach ihrer Weife 
verkündigten, ohne den Zanfapfel immer wieder von 
neuem hinzumerfen und dadurch die Katholiken in den 
Fall der Nothwehr zu verfeken ?! — 

Nur wer den Katholizismus nicht gründlich in 
feinem innerftien Wefen und Zufammenhang, fondern bloß 
oberflächlich ind Auge faßt, kann und mag ihn viel: 
leicht haffen oder verachten. Die. firenge Abgeſchloſ— 
fenheit feines Xehrbegriffs , feine Begründung auf Aus 
thorität und gefchichtliche Weberlieferung , mit Verwer— 
fung aller Spekulation, können — wie ein neuerer 
Schriftfteller richtig bemerkt — leicht zu dem irrigen Arg— 
wohn verleiten, als wäre er ein Feind wahrer wiffenfchaft- 
licher Aufklärung, und als wolle ev feinen Authoritäts- 
glauben in jedes Gebiet) der Erfenntnig einführen. Das 
für die Gegner Fremdartige feiner Gebräuche und Sym— 
bolik ftoßt die nicht daran Gewöhnten zurück; die Hei- 
ligfeit und Ehrfurcht, in welcher diefelben fiehen, 
erregt den Wahn, fie feyen dem Katholif die Haupt: 
fahe, und feine Religion beruhe hauptfächlich auf einer 


— 20 — 


Etifette zwifchen Gott und ihm. Wer aber den Katho— 
lizismus in feinem innerften eigentlihen Wefen fennt, 
wird ihn nit haſſen, wird ihn nur hochſchätzen 
fönnen; nur darf man ihn freylicy nicht aus den Pam— 
flets und Schmäbhfchriften proteftantifcher Klopffechter ken— 
nen lernen wollen, — man muß nicht Bolfsglauben für 
wahren SKirchenglauben, d. h. ächten- Katholizismus halten. 
Es ift in der That höchſt befremdend, daß felbft prote- 
ftantifche Theologen fo ganz und gar unbewandert in 
der Eatholifchen Litteratur find, und meiftens die kirch— 
lichen Schhriftfieller der Katholifen gar nicht leſen! 
Wie bald würden fie fonft einfehen müffen, daß der 
vermeinte Köhlerglaube des Katholifen gar und 
ganz nichts Antibiblifches in fich begreife, fondern 
vlelmehr gerade in den heiligen Schriften feine vollftän- 
digſte Degründung finde, daß jede Lehre, jeder Ge 
braudy in der Eatbolifchen Kirche nicht nur einen tiefen 
heiligen Grund, fondern auch einflußreichen wohlthätigen 
3wed zur Belehrung — Beßrung und Veredlung des 
Herzens habe, daß jede Sylbe, dem Boden der Dffen- 
barung entfproffen, bier gepflanzt und mit heiliger 
Sorafalt gepflegt worden ſey, und daß daher der Kas 
tholik fich getroft auf die Worte feines göttlichen Lehrers 
berufen dürfe: „fo jemand meine Lehre befolgt „ der wird 
es felbft inne werden, ob fie aus Gott ift-“ 

Daß alle Vorwürfe und Befchuldigungen lediglich auf 
Unwiffenbeit oder auf Entftellung und fchamlofer 
Berläumdung beruhen, wird jede unbefangene 
Prüfung alsbald außer Zweifel feßen. So geben 5. B. 
die Proteftanten, wenn gleich Abkömmlinge der Katholiken, 

vor: der. Papſt fey der Srundftein der ganzen katholi— 
fhen Kirche, er fen unfehlbar und ihm ftehe die Ge- 
walt der Sündenvergebung nah freyer Willkühr zu; 
die Fatholifiche Kirche aber fennt feinen andern Grund und 
Edftein als Sefum Ehriftum, nach Eph. I, 22. U, 20 — 
22. Hebr. III, 4. und VII, A. Er ift ihr Haupt und 


— UM — 


Hoherpriefter. Der Papft ift nur fein von ihm felbit an- 
geordneter Stellvertreter, um vorzüglich die Einheit 
— den Haupteharafter der wahren chriftlichen Kirche — 
gegen Spaltungen und Irrlehren zu erhaͤlten. Der Papſt 
iſt — gleich jedem andern Sterblichen — dem Irrthum 
unterworfen; nur die Kirche kann — laut Math. XVI, 18. 
XXVII, 20. und Sob. XIV, 26. XVI, 13. u. f. m. 
nie irren und fich betrügen. Daß der Papft die Sünden 
nah Willführ und für Geld erlaffen könne, wird 
fchon jedes Eatholifche Schulkind als ſchändliche Lüge 
erklären. Man wirft ferner den Katholiken vor, daß fie 
eine Hoftie ftatt Gott anbethen, folglich Abgötterey 
treiben, während fie einzig und allein dem dreyeinigen Gott 
göttliche Ehre erweifen. Man befchuldigt fie, dag fie die 
Heiligen — befonders die Mutter des Erlöfers — wie 
Götter anbethen; und doch glaubt der Katholif nur, 
daß es gut und nüßlich — nicht aber daß es nothwendig — 
ſey, die Heiligen um ihre Fürbitte bey Gott anzufpre= 
chen, und fie als Sreunde Gottes zu ehren. Man wirft 
ihnen vor, daß ihr Gnttesdienft in leevem Wortgepräng 
und finnlofen Ceremonien beftehe, daß fie die Beicht- 
anftalt al3 einen Freybrief der Sündhaftigfeit betrachten 
u. ſ. w. Auch binfichtlich der Tradition thut man ihnen 
Unrecht, indem fie darunter keineswegs jene abgefchmad- 
ten Legenden und Mährchen verftehen, deren Glauben 
man ihnen aufbürdet; nie ward von ihnen das Wort 
Gottes unter die Tradition herabgeſetzt; daſſelbe ward 
vielmehr von der Fatholifchen Kirche als Hauptglau- 
bens- Prinzip jederzeit feyerlich erklärt, auf welches 
fie auch alle ihre Dogmen gründet; es ward von ihr 
eifrigft bis zur Stunde gegen alle Häreſien vertheidigt, 
und vein und unverfälfcht von ihr an Luther, Calvin 
u. a. übergeben. Auch der felbfteigne Bibelunter- 
‚richt wird, wie wir in der Folge deutlicher fehen werden, 
ganz und gar nicht — je länger je weniger — bintange= 
feßt. Daß der Katholif hölzerne und fieinerne Bilder 
16 


— 22 — 


und Reliquien von Heiligen verehre, anbethe, oder 
Vertrauen auf fie feße, ift nicht nur unwahr, fondern er 
wird vielmehr — in jedem Katechismus ſchon — belehrt, 
daß die Kirche folches. al3 verdammungsmwürdig erklärt. 
(Cone. Trid, Sess. XAV.) Der wahre Katholif ehrt die 
Bilder der Heiligen, und befonders unfers gefreuzigten 
Erlöfers, ald theure Denfmähler, wie wir etwa das 
Bild eines trauten Freunds und Lehrers — der nicht mehr 
auf Erden weilt — ehren, worin doch wahrlich Feine Un- 
vernunft oder Abgötterey liegt. 

So werden — wie mir weiter unten noch deutlicher 
zu zeigen gedenfen — ale Glaubenslehren und Ge— 
bräuche der £atholifchen Kirche entftellt und werläumdet, 
bald aus Unmiffenheit, wohl öfter aber noch aus feind- 
feliger Abfiht. Ep wenig wird das, von Goethe und 
Lavater ausgefprochene , ernfte Wort beberzigt: „verrucht 
ift, wer einen Eultus läftert und Abgötterey nennt, defjen 
Gegenftand Sefus Chriſtus ift.“ 

Und in der That, wer fann (äugnen, daß alle und 
jede Heilsanftalten —*Ñ proteſtantiſchen Confeſſionen 
ſich auch in der kaätholiſchen Kirche — und zwar ganz 
volftändig und in weit höherem Grade — vorfinden ? Feft 
und einig ftcht diefe nun ſchon feit achtzehn Jahrhunder— 
ten da, — immer zwar die Bielfheibe des Haffes — 
der Berläumdung — und wie oft fchon der bifteriten 
Berfolgung, aber dennoch fich immer gleich — auf un— 
erfchüttertem Selfen. Ihre Lehr und Glaubensſätze find 
keineswegs die Frucht fpäterer Sahrhunderte, nicht. menſch⸗ 
liche Erfindungen und Sakungen, — alle find göttli- 
hen Urfprungs. Fälfchlich ward von jenen argliftigen 
Aufwieglern das Segentheil behauptet, um. durch folche 
Derunglimpfung ihrem Werk mehr Eingang zu verfchaffen. 
Gegründet auf ihren Edftein Sefus Chriftus wird die 
römiſch Fatholifche Mutterficche nie aufhören — fo lang 
die Erde befteht,, gegen Imdifferentismus und Rationalis- 
mus immer herrlicher und glängender ihr Haupt empor— 


— AI 


zurichten, und dadurch zu beweifen, daß — nad) ihres 
Stifters unwandelbarem Machtgebotb — felbft die 
Pforten der Hölle fierniht zu Üübermwältigen 
vermögen. | 

Eine gründliche Zergliederung und Erörterung ein» 
zelner Befchuldigungen können wir übrigens um fo weni— 
ger uns verfagen, ald e8 allgemein angenommen 
und anerfannt ift, daß die römifchkatholifche die wahre 
hriftliche Kirche wäre, wenn man jene Abweichungs— 
punkte, welche fie von den afatholifchen Eonfeffionen uns 
terfcheiden,, befeitigen könnte. Auch die gegen den Katho— 
lizismus fonft noch ſo erbitterten Proteftanten müffen den- 
noch über deffen Einigkeit — Gefchloffenheit und 
Feftigfeit erſtaunen, und können gar nicht in Abrede 
ftellen, daß in demfelben feine. Heilsanjtalt vermißt werde; 
gebildete Proteftanten finden es höchft ungereimt, eine Res 
ligionsgeſellſchaft mit Verachtung zu behandeln, zu welcher 
fi) die große Mehrzahl: der. Ehriftenheit befennt — 
welcher ein Erasmus, Boſſuet, Fenelon und Millionen 
edler Menfchen von Herzen zugethan waren und noc, find, 
Unbefangene Proteftanten geftehen,, daß die Eatholifche 
Kiche Schon deßwegen eine gewiſſe Ehrfurcht einflöße, 
weil fie fich in ihrem altertbümlichen Anfehn — trug 
der härteften Berfolgungen und endlofer Angriffe von 
Außen und Snnen immer gleich geblieben und dadurch 
ihren unzgerftörbaren Bau beurkundet habe. Dieß be: 
ftätigt auch der berühmte Marheinefe, Doktor und Prof. 
der Theologie in Berlin, in fi ſyſtem. Entwickl. des Katholiz:, 
welches Werk fonft fo viele Berunglimpfungen des katho— 
lifchen Lehrgebäudes enthält. 

Ehe wir zur Erörterung jener Divergenzpunfte ſchrei— 
ten, fprechen wir noch ein Wort won: der, fo öft der 
fatholifchen Kirche aufgebürdeten, Bekehrungsſucht. 

Allerdings befiehlt diefe Kirche , Gott zu bitten , daß 
er alle Irrgläubige auf die Bahn der Wahrheit zurüc- 
führen möge, Wie kann es aber den Proteftanten unbe» 

46 * 


— 214 — 


kannt ſeyn, daß auch Die Apoftel fchon folch graufamer 
Handlung fih fehuldig machten? und fällt nicht etwa viel- 
mehr den Anhängern — bauptfächlich und nahmentlic) 
aber den — Urhebern der Reformation felbft ftatt Befehrungs- 
fucht weit eher noch ein Berfolgungsgeift der ſchlimm— 
ſten Art gegen Katholifen und gegen die katholiſche Kirche 
zur Laſt? Letztre an fich verfolat Feineswegd. Ohne Be— 
forgniß für die Feftigkeit ihres Glaubens huldigt fie freudig 
der allgemeinen Mtenfchenliebe. Mögen auch Einzelne big» 
weilen in ihrem Eifer die Gränzen dev Defonnenheit über— 
fchreiten,, fo Fann dieß nur beweifen, daß es auch in der 
fatholifchen Kirche fehlbare Mienfchen giebt. (Und macht 
etwa der Nationalismus weniger Anfprüche auf allein 
beglücende Lehre al3 der Katholizismus? Macht nicht 
folche — und in eben fo hohen Grad — auch das Suden- 
thum und der Muhamedanısmus?) Wenn aber Katholiken 
ungerechte Anfchuldigungen der Proteftanten mit Entrü— 
ftung zurücdweifen, wenn fie die Angriffe boshafter Ver-⸗ 
läumdung mit der Entlarvung des Proteftantismug oder - 
Rationalismus in feiner dürren nacten Gehaltlofigfeit er> 
wiedern, — wenn auch fie ohne Lift und Uebervedungs- 
fünfte auf dem Weg gründlicher überzeugender Belehrung 
folhe Mitchriften in ihre Gemeinfchaft aufnehmen, welche 
in derfelben vichtigere Begriffe in Betreff der Religion 
und des ewigen Geelenheils finden, als in ihrer bisherigen 
Confeffion, — nach welchem Sprachgebrauch — mit wel—⸗ 
chem Recht kann man dieß Befehrungsgefchäft Bekehrungs— 
fucht beißen ? Wer müßte nicht vielmehr nady Vernunft 
— Gemiffen und der heiligen Schrift fowohl das Recht 
als die Pflicht einer folchen Handlung anerkennen? 
Sandte nicht Sefus felbft feine Apoftel in die Welt mit 
dem ausdrüclichen Befehl recht viele Profelyten zu machen, 
und war es nicht fein Wille, daß alle Menfchen Profelys - 
ten feiner Religion werden möchten ? 
Der berühmte Doktor und Oberconſi ſtorialrath Plank 
in Göttingen, deſſen ausgezeichnete Verdienſte um die Ge— 


— 


ſchichte der Reformation allgemein anerkannt werden, ſagt 
ganz richtig: „Unſre proteſtantiſche Kirche mag zum vor— 
aus rechnen, daß fie viele ihrer Mitglieder verlieren wird. 
Wir müren den Katholiken die Befugniß, Andren ihren 
Glauben beyzubringen, allevdings  zugefteben, ſowie auch 
fie e8 uns nicht zum Vergehen anrechnen fünnen, wenn 
ihre Gläubigen fich. von uns überzeugen laffen.“ 

Mer dann übrigens die Sntoleranz der veformir= 
ten Kirche und ihre Anfprüche auf „alleinfeligma- 
chende“ Lehre in Abrede fielen möchte, den vermweifen 
wir auf die confessio helvetica, auf die formula consen- 
sus, und auf den Heidelberger Catechismus — (das in 
der angefehenen Republik Bern einzig anerkannte Religions— 
Lehrbuch.) Wir fügen hinzu, daß noch im Jahr 4787 die 
Regierung jenes fogenannten Freyſtaats jeden Angehörigen, 
welcher eine Eatholifche Weibsperfon beirathete, mit Ber- 
ftoßung aus dem Baterland und Einziehung fei- 
nes Bermögens zu befteafen drohte, — ja daß fchon 
zur Zeit dev Glaubensänderung die Oberländer (Untertha- 
nen jenes Freyſtaats) durch Zwang waren befehrt wor- 
den, indem man fie. ald Rebellen oder Keker duch Eifen 
und Feuer für den neuen Glauben gewann, und bey diefem 
Anlaß ihrer wichtigften Freyheiten bevaubte, Wir fügen 
ferner hinzu, daß nach einem Gefeß der Tandesväterlichen 
Regierung von Zürich vom J. 4755 jeder die reformierte 
Religion abſchwörende und zur Fatholifchen Religion über 
tretende, oder auch nur mit.einer Eatholifchen Weibsperfon 
fich verehlichende Angehörige fein Bürger - und Landrecht 
verwürkte und von allen damit verbundnen Freyheiten, 
Gerechtigkeiten u. f. mw. ausgeſchloſſen ward! — 

Manchen unſrer proteſtantiſchen Brüder mage vielleicht 
auch unbekannt ſeyn, daß die fir engen Sätze des Heidel- 
berger Katechismus und der Dordrechter Synode immer 
noch nicht aufgehoben und ungültig erklärt find, denen 
zufolg die Katholiken „den einzigen Heiland verläugnen 
und eine verruchte Abgötteren treiben follen,“ — daß in 


unſren fombolifchen Büchern noch nicht ausgeftrichen if, 
was die Smalkaldifchen Artikel enthalten, „dag der Papft- 
der wahre Antichrift fey , obgleich viele Proteftanten folche 
Albernheiten verwerfen und nach Sohannes glauben, daß 
nur derjenige der Antichrift fey , „welcher nicht bes 
fenne , daß Jeſus Chriſtus im Fleifch erfchienen fey.“ Gab 
es nicht im achtzehnten Sahrhundert noch Iutherifche Theo» 
Iogen, welche der Augsburger Eonfeffion eine der 
heiligen Schrift Ähnliche Authorität beylegten ? wird 
nicht in diefer fombolifchen Urkunde der Proteftanten die 
Snfallibilitätslehre — die Berdammung Andersden- 
fender ausgefprochen? Und wie können wir uns mit 
Toleranz brüften, wenn in proteftantifchen Ländern den 
Katholifen — ja fogar in Tutherifchen Ländern den Refor- 
mirten — Thurm und Glocke vermeigert wird, während 
in einem erzfatholifchen Land den Evangelifchen nicht nur 
Thurm und Glocke, fondern auch Schul und andre geift- 
liche Gebäude zugeftanden wurden! — 

Solche Bewandtniß hatte es noch in neueren 
Seiten. mit der Toleranz in proteftantifhen 
Staaten, welche fich ſelbſt fo gern zu den gebil- 
deteven rechnen! —! 

Noch bemerken wir, daß die Eatholifche Kirche für 
Ausrottung der Freletaen und Sekten ſchon längſt vor 
der Reformation zu bitten befahl, folglich keineswegs 
um der neu entftandnen Lehren von Luther, Calvin und 
Zwingli willen; fie benennt auch bey diefem Gebeth feine 
einzelne Eonfeffion, fondern hat nur die Spaltung — 
den Irrthum felbſt — im Auge. Wenn fie ſich für 
die wahre, von dem Gottmenfchen Sefu Chrifto geftiftete, 
Kirche Hält — und folglich jede andre nicht mit ihr über— 
einftimmende Lehre als irrig und vermwerflich erkennen 
muß; fo kann fie ja vernünftiger Weife nichts fehnlicher 
wünfchen, als daß. jene Xehre immer mehr verbreitet und 
allgemein angenommen werde, folglich die falfhen vom 
Heil abführenden Lehren von der Erde verfchwinden möchten, 


= — 


Mit dem feyerlichften Ernft bittet Jeſus Ehriftus in dem 
hobenpriefterlichen Gebeth kurz vor feinem Kreuzestod den 
Bater: daß alle, welche durch der Apoftel Lehre an 
ihn glauben werden, auch einig in diefem Tune feyn 
mögen. (Joh. XVII, 20 — 24 vergl. mit Eph. IV, 3— 6 
und 13 — 46, mo auf Einheit des Glaubens und * Er: 
fenntniß fo feäftig gedrungen wird.) Wer dächte aber 
wohl fo verkehrt, um jenes Gebeth der fatholifchen Kirche 
auf Perſonen ſtatt auf die Lehre zu beziehen? 

Mit Recht verdammt die Fatholifche Kirche den Srr- 
thum, nicht aber jeden Serenden ; fie hält ganz und gar 
nicht jeden Akatholiken für einen Häretifer, fon- 
dern nur denjenigen, welcher mit Hartnäcdigkeit in 
dem erfannten Irrthum beharrt. (Heereticus est, qui 
agnitum cum pertinacia errorem tueltur., 

Am Schluß diefes Abfchnitts3 über die Bekehrungsan— 
gelegenheit mögen nun füglicy auch einige Aphorifmen über 
Glaubenswechſel Plak finden. 

Ein geiftvolfer Schriftfteller fagt: „die meiften Men- 
ſchen find in Beziehung auf Confeffion das, wozu Geburt 
und Erziehung fie beftimmt haben. Saft auf ale paßt 
was Sophocles von Jocafta erzählte, Als diefe einft zum 
lyeiſchen Apoll bethete, ſprach fie in ihrer Hevzenseinfalt: 
fie fey deßwegen in feinen Tempel gefommen, weil ev der 
nächfte war. — Freylich ein für die Gottheit nicht fehr 
zartes Kompliment! Nicht viel anders ift es aber wohl, 
wenn man fchlechtmeg bey der Lehre und dem Glauben 
bleibt, in welchem man erzogen ward, bloß um fich die 
Mühe weiterer Nachforfchungen zu erfparen. Der Glaube, 
aufs bloße Fürwahrhalten befhränft, ift bey den meiften 
nur angelernt, und die mwenigften find im Stand hier- 
über Rechenfchaft zu geben. Der Lehrbegriff, welchem 
fie huldigen, war fchon von ihren Bätern feftgehalten 
worden; mehr bedarf es nicht, um das nähmliche zu 
thun; ihr Glaube ift ihr vätterliches Erbe; fie glauben 
ohme oft vecht zu wiffen was? und warum?“ 


— 248 — 


Ein andrer fällt folgendes Urtheil: „Die Religions- 
veränderung hat in dev unbefangnen moralifchen Schäkung 
immer eine Art von levis note macula an fi; und fo 
fehr diefes die Gemiffensfreyheit zu befchränfen fcheint, fo 
mag es doch in der Natur der Sache gegründet feyn. 
Zwar giebt es feinen legitimen anerbornen, unveräufs 
ferlichen Glauben; aber der erfte Glaube wird gleichfam 
mit der Muttermilch. eingefogen;- wir empfangen feinen 
Keim aus dem Mund der Eltern — der Sugendlehrer — 
der Perfonen unfrer erften Anhänglichfeit und Verehrung; 
er mwachft mit ung auf; er wird eine Gewohnheit, eine 
andre Natur. Einen Slauben erwählen bleibt immer 
ein höchft problematifcher Begriff, denn man fennt im voll- 
fien Einne des Worts einen Glauben nicht cher, als bis 
man ihn fchon würklich Hat; und es fann daher von einer 
Wahl faum cher die Rede feyn, als bis fie bereits fchon 
gefchehben und alfo innerlich unfrey gefchehen ift, 
weil nur die Erfenntniß moralifch frey d. bh. vernunft- 
mäßig wählen fan. Daher die Geneigtheit der Welt, bey 
einem Webertritt von einem anerzognen Glauben zu 
einem andern — erlernten, ftudierten — irgend einen 
unlautern Antrieb des Egoifmus vorauszufeken. Wo 
aber die Welt einmahl Egoiſmus vorausjekt, da ſetzt fie 
gern einen der begreiflichften, bandgreiflichiien der gröbften 
Art voraus: den Trieb nach äußerlichem, ivdifhem Vor— 
theil; fie nimmt das neue Glaubensbefenntnig für Heu— 
helen.“ — 

Angeſehene proteſtantiſche Theologen und Kanzel— 
redner Deutſchlands klagen über auffallende Hinneigung 
ihrer Religionsgenoſſen unſrer Zeit zur römiſch katholiſchen 
Kirche. Dieſe Blöße iſt um ſo merkwürdiger, da eigentlich 
gerade die Proteſtanten ſelbſt durch ihre zerftörende 
Behandlungsmweife des Evangeliums ſolche Rücktritte bey 
Männern von Einfiht und Liebe zur pofitiven  Ehriftus 
Religion veranlaffen und befördern. Die eifrigften 
Proſelytenmacher für die Fathol. Kirche find — ohne ihr 


BE — 


Wiſſen und ihren Willen — eben die proteftamtifchen, 
das Chriftenthbum fegenden, Philofophen und Theologen 
ſelbſt. Daher geftehbt auch der berühmte Hofprediger 
Stark: ich halte den Katholizifmug — voraus fo wie man 
jet die Mifbräuche in diefer Kirche abzuftellen ſich ange« 
legen feyn laßt — für unvergleichbar beffer, als die Lehren 
dev neuen Aufklärer und Zionswächter, welche unter uns 
Vroteftanten aufgetreten find, und pflichte hierin dem wür— 
digen Superintendent de Marees in Defau gänzlicy bey; 
denn zwifchen jenen, welche Chriftum befennen, verehren 
und anbethen, und den argliftigen Zernagern des Chriſten— 
thums — den Seinden Ehrifti — kann wohl unmöglich ein 
Bergleich angeftellt werden, welche von beyden den andren 
vorzuziehen wären. 

Uebrigens fcheinen jene proteftantifchen Zeloten, die 
fo eifrig wider ihre zurücktretenden Brüder losziehen, ver- 
geffen zu haben, daß ja fie felbft auch noch dem Schooß 
der allgemeinen Kicche angehörten, wenn nicht eben auch 
ihre Bäter des Religionswechfels ſich ſchuldig gemacht 
hätten. Als der berühmte Graf Stolberg zur katholi— 
fchen Religion übergetreten war, und ihm ein großer prof. 
Fürft (der König v. Preußen) bemerkte: „daß er denjeni- 
gen nicht hold fey, welche ihre Religion verlaffen, “ 
entgegnete ihm daher Stolberg fehr treffend: „ich ebenfo= 
wenig; denn wenn nicht unfre Boreltern fie vor drey— 
hundert Jahren verlaffen hätten, fo würde ich nicht 
genöthigt gemwefen feyn es jet zu thun.“  Ueberhaupt 
fpricht die Marime „daß ein Ehrenmann feinen. Glauben 
nicht wechfeln dürfe“ ihr felbft das Urtheil. Iſt fie richtig, 
fo müffen wir die Reformatoren des XVI. Sahrhun« 
derts alle aus der Kifte der Ehrenmänner ftreichen; und 
wollte man nicht vorausfeßen, daß diefe Marime nur auf 
chriftliche Eonfeffionen befchränft werde, fo wären felbft 
Shriftus und die Apoftel — als Abtriinnige des Mofais- 
mus — ebenfalls fchuldig. — Dahin führt diefe Marime. — 

Immer predigt der proteftantifche Elevus „Geiſt es— 


= BE > 


und Gewiffensfrenyheit“ als heiligftes Recht, und 
will doch Andren den Gebrauch diefes nähmlichen fo ge 
priefnen Rechts nicht geftatten. Welch ein Widerfpruch, 
wenn derfelbe diejenigen feiner Confeffion befchilt und tadelt, 
welche fich eben dDiefes Rechts zu bedienen in ihrem Ges 
wiffen fich gedrungen fühlen! Er macht ihnen die Thüre 
auf, Damit fie hinausgehen mögen, und wenn fie hinaus» 
geben, fo tadelt er fie ald Meineidige und Ungetreue; — 
ftatt zu beherzigen, was Chriftus bey Luc. XI, 17. weifs 
fagt. Die Eatholifche Mutterkirche hingegen tröſtet fich 
hinfichtlich ihrer Apoftaten mit 4 Joh. II.: fie find von 
uns abgewichen, — aber fie waren nicht von ung; denn 
— fie von ung geweſen wären, fo wären fie ja bey 

s geblieben; aber auf daß offenbar würde, daß fie 
nicht alle von uns find, 

Zur Beftätigung deffen, was wir oben wegen auffal- 
Iender Hinneigung unfers Zeitalter zur Glaubensänderung 
bemerften, fügen wir noch bey, daß (nach Roſe Buftand 
der prof. Relig. in Deutfchl. Leipzig 1826.) in den Jahren 
4813 und 1814 mehr al3 dreyhundert gebildete Männer 
proteftantifchev Confeſſion zur fatholifchen Kirche überge> 
treten find; auch in dem tableau geu. des princip. con-: 
versions, qui ont eü lieu parmi les prot. Paris 4827 
wird eine Menge ausgezeichneter Convertiten, Gelehrter 
und andrer Männer aus England, Holland, Rußland, 
Amerifa u. f. w. angeführt, angefehene Perfonen, welche 
in der proteftantifchen Kirche geboren und erzogen, ftet3 
nur von Irrthümern — abergläubifchen Gebräuchen und 
Abgötterey der vömifchen Kicche fafeln und Läftern hörten, 
durch befondre Umftände aber veranlaßt wurden die Lehren, 
Grundfäge und Cultus derfelben geündlicher zu prüfen, 
— dann allmählich nicht nur ihre Reinheitund Ueber— 
einffimmung mitdem Ölauben und den Reli— 
gionsübungen der urfprünglidhen Zeiten en 
fannten, ſondern allem Haß und Borurtheilen ent- 
fagten , und fich an alle ihre übrigen Kinder anfchloßen, 


= HM = 


um fie zu vertbeidigen, und gegen alle Läfterungen ber 
Bosheit und deslinverftands in Schuß zu nehmen. 

Unter die merfwürdigeren Beyfpiele von Bekehrungen 
fowohl der früheren als neueren Zeiten rechnen wir folgende: 

Aus dem XVI Sahrehundert. Bon Regenten: 
Sohann II. König dv. Schweden, Sohn de3 großen Guſtav 
Wafa; Heinrich II. von Bourbon, Prinz Hin Eonde; 
Philipp und Eduard, Markgrafen von Baden; Heinrich IV. 
König dv. Frankreich (nach den forgfältigften Berathungen 
der gelehrteften Theologen jener Zeit); Jakob Marfgraf 
von Baden, nebft deffen Leibarzt Piftorius und dem Hof» 
prediger Zehender (nad) vorheriger Difputatfion mit den 
angefehenften Zübinger Theologen); mehrere Fürften von 
Kichtenftein. Bon Gelehrten: Staphylus, Profeſſor 
in Breslau, Schüler Luthers und Melanchtons; der Arzt 
und Naturforfcher Dalechamp; Veit Amerbach; Balduin; 
Suftus Lipfius; Nihuſius; Hunnius; Ed. Campianz Res 
ginaldus; Du Moulin (Molinäus); Pithou; Soh. Eafau- 
bonus, Sohn Iſaaks; Cayet; de Sponde; Ferrier, 

Aus dem XVII Sahrhundert. Bon Regenten: 
König Carl II. von England; Ehriftine, die große unüber— 
froffne Königin dv. Schweden, Tochter des um Schweden 
fo hochverdienten Guftav Adolphs; der al3 großer Feldherr 
und trefflicher König berühmte Auguft IL von Polen; 
Ehriftion Auguft, Herzog von Sachſen Zeiß; der durch 
fein Sffentliches und Privatleben gleich ausgezeichnete, be— 
rühmte VBicomte de Turenne; Albert, Herzog von Sachfen 
Weißenfels und deffen Tochter Anna Chriſtine; mehrere 
Herzoge von Sachen — Hildburgbaufen — Saalfeld und 
Lauenburg; Ernft Landgraf von Heffen Rheinfels, diefer 
von Leibnik und Reimann hochgepriefene treffliche Staats» 
mann und Feldherr (nach vielen forgfältigen Conferenzen 
mit den größten Damahligen Theologen Galirt, Haberforn 
und andern ©. motiva convers. ad fid. cath. Colon. 1632) ; 
mehrere Landgrafen von Heſſen-Caſſel — Darmftadt 
and Homburg; Joh. Friedrich, Herzog von Hannover; die 


— 12 — 


Prinzeſſin Elif, Chriftine von Braunfchweig Wolfenbüttel, 
nachherige deutfche Kaiferin (in Folge Gutachtens der Pro- 
teftantifch Zheologifchen Fakultät in Helmftädt); der be- 
rühmte Walenftein, Herzog von Friedland; Graf Gottfr. 
Heinrich von Pappenheint mit einigen feiner Verwandten ; 
mehrere Pfafzgrafen von Neuburg und Zweybrücken, Fürs 
ſten von Go n, Herzoge von Baden Durladh und Wür— 
temberg, auch aus dem Haufe Schleswig Holſtein; viele 
KReichsgrafen u. f. wm. Bon Gelehrten: Wilhelm 
Romland, genannt Rolandus Palingenius; Ramſay; Peter 
Bayle; Dacierz; Homberg; Papin, vorher ein berühmter 
Prediger des Calviniſmus; Corvinus; die Brüder Walen- 
burg; Lucas Holfieinz deffen eben fo berühmter Neffe 
Lambek; Scheffler; Befold, Prof. der Rechte in Tübingen; 
die eben fo gelehrten als vechtfchaffnen Graf Chriſtoph v. 
KRanzau, Graf Erhard zu Wezhaufen, und Frenberr von 
Boineburg; die reformierten Prediger Barthol. Nigrinus, 
Gudenus, Paganinus, Prätorius; der große Theolog und 
Philolog, Hofprediger Pfeiffer in Königsberg, und defien 
Schwiegerfohn Helwig, — meiftens Männer von ausge: 
breiteter Gelehrfamfeit, unfträflibem Charakter und allge 
mein gutem Ruf — felbit nach ihrer eignen Feinde Zeug- 
niß, — deren Vebertritt daher zu ihrer Zeit überall großes 
Auffehen erregte. ' 

Aus dem XVII. Sahrhundert. Don Regenten: 
Sriedrich Auguft III, König von Polen, Eohn des unter 
obigen Gonvertiten erwähnten Königs Fr. Aug. II.; der 
mit Keibniz genau befveundete Herzog Anton Ulrich von 
Braunfchweig, als fehr ‚gelehrter Fürft geachtet, vorher 
ein überaus eifriger Proteftant (erſt nach mehrjähriger 
Prüfung und Berathung Übergetreten); Henriette Chrifiine, 
defien Zochter; Imhof, deffen Minifter, ein Mann von 
Beift und allgemein anerkannter KRechtfchaffenheit; der 
Feldmarfchall Carl Alerander, Prinz von Würtemberg; 
mehrere Herzoge von Holftein; Ehriftian Ulrich, Herzog 
von Würtemberg; mehrere Grafen von Leiningen, Erbady, 


— 2 — 


Schöndurg, Solms und Wurmbrand; Ernſt Freyherr von 
Metternich; der von: Gellert ſehr gefchätte und gelobte 
Held Gideon Ernft Freyherr von Loudon; Freyherr von 
Moltke, Hannoverfcher Minifter ; der öftr. Reg. Rath Fridr. 
Wilh. von Taube; der in hohem: Anfehn geftandne Reichs» 
hofrath von Schleinig; der Geheime und Gtaatsrath von 
Binder (des Fürften von Kaunik vechter Arm genannt.) ; 
dev Freyherr von Röder, — welche beyde, wie Mofer in 
feinem patr. Archiv bezeugt, ihr Bekenntniß mit unſträf— 
lihem Leben und Wandel zierten. Bon Gelehrten: 
Der Doktor der Philof. und Theol. Räſewitz, zugenannt 
Peßel; der Commerzienrath Joh. Juſtus Herwig ; der Prof. 
und Bibliothekar Küfter; der Prof. und Gefchichtfchreiber 
Hofrath Ekhart; der befannte Schriftiteler I. 9. ©. 
Sufti; der Freyhere Georg von Spangenberg, Bruder des 
ehrwürdigen Bifchofs der Brüdergemeine, deffen Leben in 
Mofers Arch, VIL, 195 — 243 gefchildert wird, und wel- 
cher ebenfall3 aus den veinften Beweggründen vom Pros 
teftantifmus zur Eatholifchen Kirche zurückkehrte; Die geift- 
volle und liebenswürdige Elif. Carol. Elementine, Tochter 
des Königl. Hofraths von Ammon, nachherige Reichsgräfin 
von Schwerin; der von Böthe hochgefeyerte Soh. Joachim 
Winfelmann u. a. m. 

Als bemerfenswerthe Beyfpiele der neuern Zeit mögen 
noch folgende gelten: Der Engländer Nathanael Thayer, 
welcher zu Rom im 3. 1783 — nachdem er vorher Pre— 
diger der Puritaner in Bofton war — zur fatholifchen 
Kirche zurückkehrte und feine Beweggründe öffentlich be— 
fannt machte, Elif. Pitt, eine Anverwandte des großen 
Minifters, welche im 3. 1787 im Salefianerklofter zu Ab» 
beville ihre Gelübde ablegte; (in einem nachherigen Briefe 
fchrieb fie: „ich befchwöre meine proteftantifchen Brüder, 
derer Geligkeit mir nahe am Herzen liegt, doch ja nicht 
leichtfinnig und ohne gründliche Unterfuchung jene Zweifel 
zu verwerfen, welche unausbleiblich in ihnen erwachen müf= 
fen, wenn fie vor Gott veiflich nachdenken über die Meu— 


— 2354 — 


heit ihres Blaubens und feine zahllofen Wechſel im 
Bergleich mit dem hohen Alter und der Einheit der 
fatholifchen Kirche; denn der wahre Glaube iſt einig.) 
Ferner: der gelehrte von Schlegel; Adam Müller in 
Berlin; Doft. und Prof. Schloßer nebft zwey Brüdern 
in Bonn; der.berühmte Schriftfieller und Dichter Frid. 
Leop. Graf zu Stolberg, Berfaffer der: Elaffifchen 
„Gefchichte der Religion Jeſu;“ Krebs aus Sachſen, 
jeßt Pfarrer im Elfaß; Prediger Volz in Carlsruhe; 
Prof. Freudenfeld in Bonn; Dr. und Prof. Durfs; 
Drof. Köhler; Freyherr von Edftein; Kön. Preuf. 
geh. Reg. Rath Befedorf in Berlin; Standel von 
Maink; Fleifcher von Frankfurt; der berühmte Theolog 
und Schriftfieler P. Sob. Em. Beith in Wien; der 
geiftvolle Prediger und Schriftfteller Er. Lud, Zach. Wer: 
ner, Derfaffer der „Söhne des Thals,“ der „Mutter 
der Makkabäer,“ des „24. Februar“ u. a. m. (Al nad) 
defien im I. 4814 erfolgtem Religionswechfel die Feftigkeit 
feines Entfchluffes bezweifelt ward, ſchrieb derfelbe einem 
vertrauten Freund: „dreifte Lügner haben von mir erzählt, 
daß ich wieder VProteftant geworden fey. Sch betheure dir 
aber vor dem Gott, der fich meiner erbarmt hat, daß, 
wenn er mir fein Önadenlicht je fo entzöge, daß ich auf: 
hörte, Katholik zu feyn, ich taufendmal eher zum Juden» 
thum oder zu den Braminen am Ganges, aber nie— nie 
— nie zu der fihalften, fchlechteften, widerfprechendften, nich» 
tigften Nichtigkeit des Proteftantismus ‚übergehen fünnte,) 
Hierzu fommt noch in: diefer neuften Zeit der angefehene 
preoteftantifche Prediger Laval zu Noirmont; Graf Briftol 
in London, früher sein heftiger Gegner der Eatholifchen 
Confeffion; und Dr. Frid. Herbſt. ©. deffen Schrift: 
die Kivche und ihre Gegner in den drey lekten Jahrhuns 
derten ; eine Fath. chriftl. Bekenntnißfchrift 1832 (der Ver— 
faffer, ein vühmlichft bekannter Schriftiteller fagt in f. 
Brief an Sengler (Kirch. Zeit. 1832. ©. 448) „der Schritt, 
den ich gethan habe, iſt das Kefultat meiner Studien 


— 25 — 


and Erfahrung. Nun will ich aber auch was ich bin 
ganz feyn, will Alles opfernd nur der Kitche Teben, die 
doch das einzige wahrhaft VPofitive im Leben ift.“ 
S. auch: der Katholif 1832. IX. Heft. Beyl. ©. LI) 

Hauptfächlich aber dürfen hier ein paar große Geis 
fter früherer Zeiten nicht unberührt gelaffen werden. 
Leibniz, von welchem im DBerfolg noch bisweilen die 
Rede feyn wird, der größte Philofoph feines Zeitalters, 
defien die Nachwelt mit Staunen und Ehrfurcht gedenft, 
deffen durchdringender Geift das ganze menfchliche Wiffen 
umfaßte, ein Mann wie oft ganze Sahrhunderte nicht her— 
vorbringen —, diefer bat fi), obwohl nicht äußerlich von 
der proteftantifchen Kicche getrennt, doch ganz rein 
römiſchkatholiſch ausgefprochen. Aus Ueberzeugung 
den Proteftantisnus verlaffend, huldigte ev ganz den Dog- 
men der, vömifchen Kirche. (Vergl. f. Syft. der Theol.) 
Der berühmte engl. Bifchof Montague dachte in allen 
Stücken nad) der Lehre der fatholifchen Kicche, in deren 
Schooß er  übergetreten wäre, wenn nicht fein 1641 ers 
folgter od ihn an der Ausführung dieſes Vorhabens 
gehindert hätte, Bier Jahre fpäter zernichtete ebenfalls 
dev Tod das nähmliche Vorhaben bey einem Mann, wel- 
cher durch feine Wilfenfchaft und durch fein Genie fich 
zu nocy weit höherm Ruhm emporgefchwungen hatte. 
Grotius nähmlich hatte bey feiner Abreife von Paris 
feinen gelehrten und würdigen Freund Bignon im Ber: 
trauen verfichert, daß er bey feiner Rückkunft aus Schwe— 
den, wo er. nur. feine Angelegenheiten beendigen wollte, 
fich ferner mit feiner andern als jener feines GSeelenheils 
befchäftigen und mit der fatholifchen Kicche vereimi- 
gen werde. Er Fam zurück; als er aber in Roſtock Ian- 
dete, ergriff ihn die Krankheit, welche ihm das Leben — 
der Kicche eine foftbare Eroberung — und der Welt ein 
ewig merfmürdiges Beyfpiel raubte. Diefe Umftände werden 
von Arnould, welcher fie aus Bignons Mund Fe ver⸗ 
nahm, aufs genaufte mRnrige, 


* 


* 


— 256 — 


Wir fchreiten nun zur umftändlichen Erörterung der 
verfchiednen gegen den Katholizismus, ſowohl in Betreff 
der Disziplin und gottesdienftlichen Hebungen als auch der 
eigentlichen Dogmen erhobnen DBefchuldigungen , welche 
zugleich die in dev Einleitung bevührten Divergenz> oder 


Abweihungs-Punfte 


unfver verfchiednen Confeffionen bilden, und fprechen zuerſt 
vom Verboth des 


Selbftunterrichts durch die Bibel, 


Was hievon die Proteftanten fafein, beruht auf leerem 
Fiebertraum. Vielmehr werden überall — zumahl in 
deutfchkatholifchen Ländern — die Bibeln eifrigft verbreitet. 
Der vaftlos thätige und freyfinnige Fatholifche Theolog 
von EB hat bis zum September 4824 nicht weniger als 
923,127 neue Zeftamente und 11,984 Bibeln in Umlauf 
gefeist. Damahls waren bei ihm, zum Behuf des Abdrucks 
der Bibeln in den verfchiednen Sprachen, zu Sulzbach 
ununterbrochen zwölf Preffen im Gang, welche auch bei 
dem lebten dortigen Brand gleichham durch ein Wunder 
erhalten wurden. Geine Ausgabe ift in vier verfchiednen 
Auflagen mit ftehender Schrift gedrucdt. Auf fehr rühm— 
liche Weife beftvebt er fih, in wifjenfchaftlicher Hinficht 
auf die fatholifchen ftudierenden Theologen mwohlthätig zu 
würfen und das biblifche Studium in den Grundfprachen 
zu fördern, durch Vertheilung hebräifcher — griechifcher — 
fyrifcher und Tateinifcher Bibeln, theils unentgeldlih — 
theils ın geringem Preife. 

Doktor Pindferton, Agent der brittifchen. Gefellfchaft, 
verficherte noch unlängft — im J. 1831 — „daß unter 
den Katholifen ein großes Verlangen nad) dem Wort 
Gottes bemerkbar fey, und daß er vom van Epifchen neuen 
Teſtament Beftellungen bis auf 9000 Exemplare erhalten 
babe, wobey ihm manche katholiſche Seiftliche hülfreiche 


— Bi 


Hand biethen.* Nach dem Sahresbericht der brittifchen 
Bibelgefellfchaft vom 3. 1832 wurden nicht weniger als 
38,787 Exemplare unter die römifihen Katholiken. ver 
breitet! — 

Und welche Menge von Bibeln ward nicht in Mutter⸗ 
ſprachen, mit biſchöflichen Approbationen, für Katholiken, 
auch ſchon vor der Reformation herausgegeben! Bon 
Herzen freut fich die Kicche, wann fromme Katholiken an 
den Worten des Lebens fich erquicfen und erbauen. Bapft 
Pius VI. beftätigt diefe Wahrheit, indem er fagt: „Du 
denfft fehr richtig, wenn du die Gläubigen zum Xefen dev 
göttlichen Schriften nachdrüdlich ermuntern zu müfjen 
glaubſt; denn diefe find die veichlichften Quellen, die allen 
offen ſtehen müfjfen, um daraus die Reinheit fowohl der 
Sitten als der Lehre zu fihöpfen.“ 

Zufolg des im Jahr 1549 zum erften Mahl vom Le- 
gaten Joh. della Caſa in Venedig publizierten, päpftlichen 
Index gehört die Bibel unter die (libros non promiscue 
legendos). nicht. ohne Unterfchied — nicht ganz unbe— 
dingt zu lefen geftatteten Bücher. Die reg. ind. IV. be- 
gründet diefe Befchränfung folgendermaßen: „da die Er- 
- fabrung lehrt, daß — weni das Leſen der heiligen Schrif- 
ten in der Bolisiprache überall ohne Unterfchied er- 
laubt würde — durch mienfchliche Unbedachtfamfeit oder 
Berwegenheit mehr Schaden als Nuken daraus ent- 
ſtünde.“ Und wäre etwa eine folche Beſorgniß ſo ganz 
aus der Luft gegriffen? 

Nie war von einem unbeſchränkten Bibelverboth für 
Laien in dev fatholifchen Kirche die Rede; nur hat diefelbe 
— als forafältige Mutter — jeden Mißbrauch abzumenden 
Bedacht genommen, damit nicht dieß Leſen ihren Kindern 
zu einer Duelle des. Derderbens ftatt des Heils werde. Da— 
her verordnete fie, daß die Gläubigen die heilige Schrift, 
das Brot des geiftigen Lebens, aus den Händen: ihrer vä— 
terlichen Geelforger erhalten, und mit dem Xefen zugleich 
auch das Hören des Worts Gottes — nach) Act. XVII, 11. 


47 


— 23 — 


— verbinden. Daß es die Proteſtanten mit Verbreitung 
der Bibel freylich weit weniger genau nehmen, und jede 
Beſchränkung als zweckwidrig und verwerflich betrachten, 
dürfte ihnen wohl auch nicht zu unbedingtem Ruhm gereis 
chen, Wir ftüken uns dießfalls auf: das gewichtige Zeug- 
niß eines. der angefchenften Theologen der reformierten 
Schweiz, welcher noch vor wenigen Sahren ernfte Klage 
darüber öffentlich führte, dag ftatt des bey den Katholiken 
gültigen (?) Bibelverboths ein ganz entgegengefegtes höchft 
fehlerhaftes Extrem ben den Reformierten überhandgenoms 
men, und aus der ungezäbmten Bibelverbreitung fich ein 
förmlicher neuer Nahrungszmweig gebildet: habe, daß 
man „das Heilige den Hunden und die Perle den Schwei— 
nen vorwerfe,“ daß man Bibeln in überreicher Menge 
(ihre Unzahl ftehe auf glänzenden Tafeln verzeichnet) unter 
das Allerleyvolk verfehwende, unbefümmert ob fie auch 
wohl geprüft und wohl verftanden werden u. ſ. w, 
Und wer will es tadeln, daß die Fatholifche Kirche das 
allgemeine Bibellefen ohne ER U he fhriftfuns 


diger Lehrer undienlich findet? wurd dann folches. nicht 


auch von den angefehenften, proteftantifchen Theologen — 


‚einem laufen u. a. m. — als gefährlich und verwerflich 


erklärt? Haben jene Splitterrichter, melche fonft immer 


fo gerne auf Schriftftellen fich berufen, die in Act. 
‚VIII, .30 — 34 enthaltene - überfehen, mo der den Pro— 


phet Sefajas Iefende Kämmerer dem Philippus auf die 
Stage: verftehft du auch was du Tiefeft? die treuherzige 
Antwort giebt: wie könnte ich dieß, wenn niemand mid) 
dabey anleitete! — 

Die katholiſche Kirche trachtet nur jene »bedaurlichen 
Verirrungen des Fanatis mus zu verhütben; fie nimmt 
Bedacht, daß fein unächtes Gotteswort in die Hände der 
gläubigen Menge fomme, daß diefe nicht durch vormikiges 
Grübeln — durch eigenmächtiges Klügeln und willführliches 
Deuteln fi) am Gotteswort verfündige, (nach 2 Vet. IIL, 16.) 
dag nicht die Ehriften felbft in Parteyen ſich theilen, und 


— 29 - 


nicht Spaltungen im Glauben entftehen, welche dem 
ausdrücklichen Machtfpruch Sefu und feiner Apoftel fo fehr 
zumiderlaufen. Dder bat dann nicht oft fihon in pro« 
teftantifchen Zändern der bloße Hang zum Bibellefen von 
Seite des ununterrichteten Volks ohne Beyhülfe Fundiger 
Lehrer die verderblichftien Spaltungen, ja felbft. die 
wildeften Ausbrüche des Fanatismus erzeugt? Wir 
denken, daß ſich klägliche Beyfpiele hiervon aus proteftan- 
tifhen Gegenden Deutfchlands und der Schweiz noch in 
den letzten Dezennien finden liegen! 

Wohl nicht umfonft drang übrigens Vaulus eben 
bauptfählih auf Anhörung des chriftlichen Unter- 
richts. (Röm. X, 144 — 47.) Ehriftus hat nun einmahl 
diefe Heilgordnung feftgefeßt, und demzufolg auch Feine 
Leſegeſellſchaften, ſondern ein beftändiges Lehr- und Pre— 
digtamt angeordnet. Wer erfühnt ſich ihn zu tadeln? 
(Hätte er die Menfchen unumgänglich zum Xefen vers 
pflichten wollen, fo würde er allerdings auch die Buch» 
druckerfunft haben zu Tag fördern müſſen.) Wo werden 
nun aber die. meiften und heftigften Klagen über Tempels 
fcheu erhoben? bey welcher Eonfeffion haben wir die Leute 
zu fuchen, welche auf Bildung vorzüglich Anfpruch mas 
chen, und dabey Jahrelang vom Öffentlichen Gottesdienft 
ſich entfernt halten? — ! 

Und wer kann überhaupt läugnen, daß vielmehr gerade 
die Proteſtanten es find, welche — bey aller fheinbaren 
Hochachtung für die Bibel — fie am ärgſten mißhandeln! 
ie viele proteftantifche Schriftfteller haben den Werth 
der heiligen Bücher, für religiöfe Erbauung und Belehrung 
herabzufegen, ihr Anfehn als Religionsquelle zu entkräften, 
und die ihnen erwiefene Verehrung als eine Bibliolatrie — 
Abgötterey — verächtlich zu machen geftrebt! Haben nicht 
große proteftantifche Theologen in vollem Ernſt darauf an— 
getragen, fie als Hinderniß der Aufklärung, als Hemm- 
fette der Vernunft, wo nicht ganz, doch größtentheils dem 
firchlichen und häuslichen Gebrauch — und befonders auch 


47, 


— 260 — 


dem Jugendunterricht zu entziehen? Hat etwa nur zum 
Scherz Herr I. R. Sintenis in ſ. theol. Briefen kurz 
und gut den Vorſchlag gemacht, das alte Teſtament ohne 
Gnade ganz aus dem Weg zu räumen, und von dem 
neuen nur einen Auszug aus den Briefen der Apoſtel 
und den Evangelien beyzubehalten? Behandlen nicht dieſe 
Ultrareformatoren die heilige Schrift als eine Art von 
Waarenlager, aus welchen jeder nach Belieben eine 
Auswahl trefien fünne, während andre ihres Gelichters 
fih zu Schriftauslegeen und eigenmächtigen Richtern 
aufwerfen, al3 hätte Gott fein Wort des emwigen Heils 
zum Spielball und Zanfapfel unter die Menfchen ges 
worfen und ihrer Willkühr preisgegeden, — und wäh: 
rend noch Andre, an der „Elaffifchen Stätte für die Kir- 
chengefchichte, und Mutterftätte "der Aufklärung für die 
Chriſtenheit,“ ſtarke Geifter, welche fidy allen Gottesge: 
lehrten der älteren und neuern Zeit weit überlegen fühlen, 
die Eirchlich eingeführten Katechismen ihrer eignen Confef> 
fion als „unevangelifch“ und „in der Zeit.der Finfter- 
niß und des Bruderzwiſts erzeugt,“ als „untauglich nach 
Form und Inhalt,“ als einen „Gräuel für die Mehrzahl 
der Gläubigen (?) wegen den darin enthaltnen Dogmen 
von der Frinität und von der Gottheit Ehrifti, für immer 
aus. ihrer * evangeliſch nennenden Kirche verbannt wiſſen 
wollen! — 


Wer kann unter ſolchen Umftänden noch beftreiten, 
daß gerade die dermahligen Wortführer des Proteftantis- 
mus es find, welche fich der auffallendften Geringſchätzung 
de3 Gottesworts fchuldig machen, es felten oder gar nicht 
anhören, und daß hingegen die. Katholifen nie aufhörten 
dafjelbe in all feinen Theilen mit der größten Ehrfurcht zu 
behandeln! — 


So verhält es fih in der Würklichkeit mit 


dem Verboth des GSelbftunterrihts durch die 
Bibel unter den Katholifen. Möchten doch die 


hämiſchen Läfterungen ihrer Gegner überdiefen 
Dunft endlich verftummen! 
3a wahrlich, der gebildete redliche Katholik erkennt 
und verehrt mit freudigem Dankgefühl die Bibel als das 
Buch der Bücher, an göttliher Hoheit und findlicher 
Einfalt mit feinem Erzeugniß menfchlichen Geiftes ver— 
gleihbar, — als hehren freundlichen Leitftern für alle Zeis 
ten und Geſchlechter, ald Inbegriff und Fülle der Weis— 
heit, indem fie das Schickſal eines Volks zum Symbol für 
alle übrigen aufftellt, feine Gefchichte an die Eniftehung 
des Weltalls Fnüpft, und durch eine Stufenfolge geiftiger 
und irdifcher Entwicklung bis in die Regionen der uner» 
meglichen Kuigkeit hinausführt. — 

* x 

* 
Nun laßt uns das hi: 
Saftengebocth 


der. Fatholifchen Kirche näher betrachten, und mir werden 
mit leichter Mühe ung überzeugen, daß auch diepfalls die 
feltfamften Borurtheile bey den Proteftanten obwalten, 

Schon die confessio helvetica ſpricht ſich hierüber 
ſehr gelind aus; im Cap. XIX. heißt es nähmlich: „Die 
kirch chriſti befilcht uns gar heftig das chriſtenlich Faſten; 
dann das faſten iſt anders nüt dann der abbruch und die 
mäßigkeit gottſeliger menſchen, item ein Züchtigung, Huth 
oder Verwahrung und kaſteyen unſers Fleiſches, damit wir 
uns vor Gott demüthigen und dem fleiſch ſein anreizung 
zum böſen entziehen, auf daß es deſto ringer und lieber 
dem geiſt gehorſame und willfahre.“ 

Und in der That gründet ſich dieß Faſtengeboth haupt- 
fächlich auf die Pflicht der Selbfiverläugnung als 
mwefentliche Bedingung der Nachfolge Ehrifti, nach Math. 
AVI, 24 Mare. VIII, 34 und Luc. IX, 23. Hierzu 
gehört alfo vor allem aus die Bekämpfung feiner finnlichen 
Neigungen und Lüfte. Dieß nennt die Schrift: Kreuz 


— 202 — 


tragen und Gal. V, 24. das Fleiſch mit ſeinen Leiden— 
ſchaften und Begierden kreuzigen. Offenbar hat dieß auf 
den Körper Bezug, deſſen Bezähmung mit der Selbſtver— 
läugnung in enger Verbindung ſteht, daher die Enthalt- 
famfeit in der Nahrung doch wohl eine ganz und 
gar nicht gleichgültige Sache bleibt. Um Effen und Nicht: 
effen, fowohl quantitativ als qualitativ, hat ficy wahrlich 
pon jeher die Sinnlichkeit des Menfchen nicht wenig be» 
fümmert. Sol aber der Sinnlichkeit wehe oder Abbruch 
gethan werden, fo muß man doch nothwendig mit etwas 
an jich Erlaubtem den Anfang machen, fonft wäre man 
auch jchwerlich je geneigt fih von Unerlaubtem zu 
enthalten. In diefem Gefchäft der GSelbftverläugnung 
folglich der fittlihen Bervolfommnung — kommt nun die 
Kirche, zu allen für das Heil ihrer Gläubigen erfprießlichen 
Anordnungen bevollmächtigt, ihnen zu Hülfe, und erleich- 
tert ihren Kampf. Daß das Faftengeboth der Sinnlich— 
feit nahe trete, und fomit feinem Zweck entfpreche, geht 
fchon aus dem Unwillen hervor, melchen die Welt hierüber 
fd laut werden laßt. Webrigens richtet fich diefe kirchliche 
Disziplinarvorfchrift hinfichtlich der Art dev Speifen aud) 
ganz nady der Berfchiedenheit der Länder; ein klarer Bes 
weis, daß es feineswegs um die Speifen felbft, fondern 
um einen Zügel der Sinnlichkeit, zu thun war und 
noch ift. Wer follte aber nicht einfehen, daß der Begriff 
eines Faſtengeboths weit älter als das Ehriftentbum, — 
ja fo alt als die Menfchheit felbft ift?! Schon den 
erften Menfchen war von Schovg felbft befohlen worden, 
fidy unter den ihnen zum Genuß überlapnen Speifen einer 
einzelnen zu enthalten, 

. Und follten die Proteſtanten — diefe emfigen Bibel: 
forfcher — nicht wiffen, daß ja gerade die heiligen Urkun— 
den an unzähligen Stellen das Faften als ein Gott wohl— 
gefälliges Werk den Menfchen ans Herz legen? Schon 
den Sfeaeliten befahl Gott felbft — bey Levit. XXIII, 27, 
— jährlich an dent großen Verföhnungstag den Leib zu 


— 2608 — 


kaſteyen. Und welchen Werth legte David auf das Faſten, 
um ſich vor Gott zu demüthigen! (2 Reg. XII, 46. 
Ps. 35,69, 109. In vielen andren Stellen 5. B. 2 Paral. 
XX,:3,,4 &dr: VOR: 21783u% TV, 8. Soel: T, 44 
II, 12. u. ſ. w. wird ebenfall3 auf Faften der höchfte 
Werth gefekt. Bey allen Völkern des Alterthums finden 
wir das Faften ſchon in Uebung; allgemein galt es alg 
Mittel zur Befänftigung der beleidigten Götter und zur 
Abwendung ihrer: Strafen. Bey Griechen und Römern 
fand fein hohes Feft, feine Befragung der Drafel, feine 
Einweihung in die Myſterien der Götter Statt, ohne daß 
fowohl Priefter als Volk fich durch Saften dazu vorbe⸗ 
reitet hätten. 

Noch wichtiger aber erſcheint vollends im Neuen 
Bund das Faften als weſentliches ——— moraliſcher 
Vervollkommnung. Bey Luc. II, 37. wivd eine hochbetagte 
Wittwe gelobt ihres Faftens dien Das Saften der Jo— 
hannes- Jünger ward von unferm Erlöfer nicht nur nicht 
mißbilligt, fondern er fagt vielmehr feinen eignen Süngern 
voraus Math. IX, 14 — 12. Mare I, 18 — 2%. 
Luc. V, 38 — 55. „daß auch fie faften würden, wenn der 
Bräutigam von ihnen werde weggenommen ſeyn;“ (welches 
dann auch allerdings geſchah, laut Aet. XII, 2 — 3. 
AIV, 23. 2 Cor. VI, 5. und XI, 27.) und der Erlöfer 
felbft gieng ja mit feinem —— Beyſpiele durch eine 
vierzigtägige Faſten voran. 

Welche Spitzfündigkeiten unfe er proteftantifchen Kriti⸗ 
kaſter wären je vermögend ſolch vollgültige Beweisſtellen 
zu entkpäften?! 

Dem verſtändigen Katholiken iſt der Sinn und die 
Meinung feiner Kirche vücfichtlich diefer Disziplin recht 
wohl bekannt; er weiß vecht gut, daß das Faften von der 
Kirche nicht um des Faftens an ſich, ſondern um der 
Buße willen gebothen wird. Und wie wäre es möglich, 
eine Anordnung für unchriſtlich und unbibliſch zu halten, 
zufolg welcher Einmahl wöchenthich — und zwar eben 


an jenem Tag, an welchem der Bräutigam hinweggenom— 
men ward — die Gläubigen an ihr Heildgefchäft ganz be- 
fonders erinnert werden? eine Anordnung, durch. welche 
in jedem Sahr vor Dftern eine eigene firengere Faſten — 
oder Bußezeit dem befondern Andenken an Ehrifti, Leiden 
und Opfertod vorzüglich gewiedmet bleibt, wo die Gläubigen 
— von geräuſchvollen Zerftveuungen entfernt — ſich fam- 
meln, in fich einfehren, mit fich Rechenfchaft halten, und 
für »jene Angelegenheit, welche einzig Noth thut, eifrigft 
Sorge tragen follen? 

Nur da, wo das Faften fich nicht als Befördrungs- 
mittel zur Tugend, fondern als Tugend felbft geltend 
machte, ward es von Gott als verwerflid erklärt. 
(Sef. LVIII, 4. 5. Math. VI, 16 — 18.) 

Und was andres als nur daB Geelenheil ihrer Gläu- 
bigen folte von jeher den Borftehern der Kirche dießfalls 
zur Nichtfehnun gedient haben? Wie könnten fie je aus 
Eigennuß oder andren zeitlichen Gründen einen Einfluß 
auf das Effen oder Nichteffen der Gläubigen fih angemaßt 
haben, wenn nicht höhere heilige Rückfichten fie dabey ge= 
leitet hätten? Die von der befannten Schriftftelle „mas 
von außen durch den Mund eingeht, verunveinigt den Men— 
ſchen nicht“ entlehnte Einwendung der Proteftanten ift 
ganz und gar unpaffend. Oder warn fam doch je der 
fatholifchen Kirche zu Sinn, irgend eine GSpeife als 
unrein zu erklären? (Solche Albernbeiten können nur 
hirnlofe Sdioten ihre andichten.) Wäre dem alſo, wie 
fönnte fie dann ebendiefelbe Speife an andren Tagen 
zum Genuß geffatten? Dein, fondern der Ungehor— 
fam gegen das Geboth der Kirche ift eg, was die Gläu- 
bigen verunreinigt. Und fo. wurden auch die erften Men» 
fchen nicht defmwegen, weil die Frucht durch den Mund in - 
fie eingieng, verunveinigt, fondern weil fie des Ungehor- 
fams fich durch den Genuß der verbothnen Frucht en 
gemacht hatten, 

Es it in Wahrheit eben bedenklich genug, und ein 


= > # 


arges unrühmliches Zeichen der Zeit, daß proteftantifche 
Ehriften ihre fatholifchen Brüder wegen einer Disziplin 
anfeinden, welche einzig und allein Bekämpfung der Ginn- 
lichkeit zum Zweck hat, Freylich, jeder — auch dev mora= 
lifche — Zügel ift dem Freyheitsfinn unfrer aufgeflär- 
ten proteftantifchen fogenannten Gottesgelehrten zu läſtig, 
daher auch unabläßig neue Verſuche ins Werk geſetzt wer— 
den, um denſelben immer ſchlaffer zu machen. Wer dieß 
zu * geneigt ſeyn möchte, den verweiſen wir 
auf die unter der Rubrik der neologiſchen Verirrungen an— 
geführten erbaulichen Beweisftellen, vorzüglich aus Can— 
nabichs Kritif der pr. chr. Religionsiehre ©. 185 und 
Henfes Mag. 2 Th. 1 und 5 St. 


* * 
* 


Eben fo ungegründet find die. VBorurtheile der prote- 
ftantifchen Zeloten binfichtlich des | 


Keinisungsorts, 


oder ſogeheißnen Fegfeuers. Vernehmen mir hierüber zu— 
vorderft die Meinung und Borfchrift der Kirche felbft; fie 
findet fich in Conc. Trid. Sess. XV ganz klar ausgefpro- 
chen: „da die fatholifche Kirche in Uebereinftimmung mit 
der heiligen Schrift und den alten Weberlieferungen der 
Bäter, in früheren Conzilien und zulest noch in der gegen 
wärtigen allgemeinen Synode gelehrt hat, daß ein Rei— 
nigungsort fey, und daß den darin aufbewahrten Seelen 
durch die Fürbitte der Gläubigen, hauptſächlich aber durch 
das Gott wohlgefällige Altarsopfer, Hülfe geleiſtet werden 
könne; ſo befiehlt der heil. Kirchenrath den Biſchöfen, 
Sorge zu tragen, daß eine unverfälſchte Lehre vom 
Reinigungsort — wie fie von den heiligen Vätern und 
Eonzilien übergeben ift — von den Angehörigen der! Kirche 
geglaubt, gehalten, gelehrt, und überall gepredigt werde. 


Schwerere und tieffinnigere Fragen darüber, die . 


weder zur Erbauung etwas biytragen, noch die wahre 


* 


— 206 — 


Frömmigkeir befördern, follen von dem Volksunterricht 
gänzlich ausgefchloffen werden. Deßgleichen ſollen fie alles 
Ungewiffe und was nur einen Scyein des Unwahren 
hat, nicht vortragen laſſen. Was aber bloß die Neugierde 
reizen oder den Uberglauben nähren fünnte, wie auch 
alles, was das Gepräg häßlicher Gewinnſucht an fich 
tragt, folen die Bifchöfe als Uergerniffe und Störungen 
der Gläubigen verbiethen.“ 

Es war und ift ganz und gar nicht Lehre der Kicche, 
daß dieſe Reinigung durch (materielles) Feuer geſchehe; 
ſie fpricht nur von einem Purgatorio, d. h. von einem 
Reinigungszuftand im andern Leben, wobey fie jedes 
nähern Urtheils fich enthält, und die Art diefer Reinigung 
lediglich dev Weisheit, Güte und Gerechtigkeit Gottes an— 
heimftellt (auch Grotius in v. p. pace fagt: auf welche 
Weife diefe Reinigung eigentlich vor ficy acht, haben wir 
nicht nöthig zu mwiffen); fie verfteht daher auch die, zwar 
gewöhnliche aber uneigentliche, Benennung „Fegfeuer* nur 
finnbildlich, weil die Schrift felbft das Feuer als ein Mittel, 
um von Schlafen oder —— zu reinigen (zu fegen) be— 
zeichnet. 

Hätten die ——— Aufklärlinge auch nur 
etwelchen Sinn für diejenige Achtung, welche jedem gro— 
ßen Kirchenverein an ſich ſchon gebührt — während ſie 
hingegen für ihre eignen Ausſprüche unbegränzte Huldigung 
fordern — ſo würden ſie der von den Vätern auf den 
Conzilien zu Florenz und Trient für das Purgatorium 
vorgetragnen Lehre wohl nicht ſolch grobſinnliche Vor— 
ſtellung unterſchieben, ſondern vielmehr — zu näherer un— 
befangener Prüfung angetrieben — bald einſehen lernen, 
daß ſchon das ganze hriftliche Alterthum, wie ſelbſt 
Leſſing geſteht, dieſer im reinern Sinne gedachten Lehre 
das Wort ſpreche, und daß nur den Schismatikern des 
XVI Sahrhundert3 der traurige Ruhm vorbehalten war, 
auch diefen Glauben der Väter in Zweifel zu ziehen und 
zu erſchüttern. 


— 207 — 


Und in der That finden wir fehon in der grauen Vor— 
‚zeit bey Egyptern und Juden ſowohl als bey griechifchen 
und römifchen Dichtern — freylich noch ungeläuterte — 
Begriffe, welche auf die Xehre vom Segfeuer führten, und 
im DBerfolg befanntlih von Plato zu einem Syftem 
geordnet wurden. Als dann der Welterlöfer diefe Lehre, 
den Glauben an ein Mittelort zwifchen Himmel und Hölle, 
bey feinen ifraelitifchen Zeitgenoffen feftgewurzelt fand, 
war ev meit entfernt, fie ald Irrthum zu erklären und 
gleich andren ihrer VBorurtheile zu bekämpfen. Clemens 
von Alerandrien und Drigenes , die Kivchenfchriftiteller 
des erften Zeitalters trugen die Xehre vom Fegfeuer ganz 
deutlich vor; Tertullian und Auguſtinus geben fich noch 
befondere Mühe, die Pfatonifchen Ideen durch biblifche 
Beweiſe zu verftäirken. Bey Dionyf. Areop. im zweyten 
Sahrhundert, dann bey Eyprian im dritten, bey Eyrill 
von Seruf. Ambrofius, Johann Ehrifoft. Eufebius u, a. m. 
ift von Ddiefer Lehre ganz ausdrüdlich die Rede, Selbſt 
die Säretifer des XIV. und XV. Sahrhunderts, Wiflef 
und Huß, fprechen einem Läuterungszuftand nach diefem 
Leben das Wort. Sa, der Hauptftifter der Reformation 
— Luther felbft — nahm diefen Slauben eifrigft in Schuß; 
in f. Unterricht 1519 heißt es: „vom Feafeuer fol man 
feft glauben, und ich weiß, daß es wahr ift, daß die armen 
Seelen unſägliche Pein leiden, und man ihnen zu helfen 
fchuldig ift mit beten — faften — Almofen und was man 
vermag; was aber Die Pein von einer Art fey, und ob 
fie allein zur Genugthuung oder auch zur Befferung diene, 
weiß ich nicht, und fag auch, daß niemand dieß genugfam 
weiß; dieß fol man lediglich Gott befehlen,*“ An einer 
andern Stelle fagt er: „ich rathe und empfehle jedermann, 
an einen Reinigungsort zu glauben, doch fol niemand 
dazu gezwungen werden.“ Ferner: „ich glaube ganz zuver— 
fichtlich, ja ich dürfte fogar fagen, ich weiß beftimmt, daß 
e3 einen Reinigungsort giebt, und getraue mir auch 
folches klar mit der Schrift zu beweifen.“ (S. Luth. de 


— 203 — 


purgatorio.) &o urtheilt über das von den proteftanti« 
jchen Dunfen fo ſehr belachte und befritelte Fegfeuer jener 
Mann, welchem felbft Zwingli das Lob ertheilt, daß feit 
taufend»Sahren vor ibm fein folch fleifiger Bibelfor- 
ſcher erfchienen war. Freilich hat ebenderfelbe hocherleuch- 
tete „Mann Gottes“ diefe Lehren an andren Stellen wieder 
als „Lügenwerk und Pfaffentvug“ verworfen. Seine An— 
bänger. werden daher die erftere frühere Meinung als 
Veberbleibfel aus feiner vorigen Kirche erklären, von wel— 
chen er nur allmählich fich loswinden fonnte. Durch ſolch 
triviale Ausplucht wird aber dem Patriarchen wenig Ehre 
erwiefen; denn wenn er mit fich felbft hierüber noch 
niht im Reinen war, noch feinen feften Standpunkt 
hatte, fo. war er wahrlich zu einem Reformator auc) ganz 
und gar nicht geeignet. Uebrigens entgegnen wir 
zudem nod) , daß er obige Behauptung auf der Difputazion 
in. Leipzig - resol. prop. 45 et 19 und in Assert. art. 
37 — aufftellte, zu welch leßtrer Zeit er fihon als Ab— 
frünniger der Kirche und Aufrührer behandelt ward, folg: 
lich nicht aus Unterwürfigfeit oder Furcht vor dem Papft 
anderſt fchrieb alg er * ſondern vielmehr bereits 
öffentlich die heftigſten Läſterungen wider den Papſt aus— 
ſtieß. | 2 

Und wie fonnten in der That die fogenannten Refor- 
matoren des XVI. Sahrhunderts eine Lehre fo blindlings 
vermwerfen, Die nicht nur im chriftlichen Alterthum fo 
unmiderfprechlich begründet, fondern auch überhaupt der 
Bernunft fo einleuchtend — dem Gefühl fo anfprechend — 
dem Herzen fo wohlthuend — dem Geiſt des Chriſtenthums 
ſo angemeſſen ift!? 

Muß nicht jeder Proteſtam als ausgemacht und un— 
beſtreitbar zugeben, daß in den Himmel nichts unvol— 
lendet gutes eingehen kann, zur Hölle hingegen nur 
das vollendet böſe (eine Geſinnung, welche gegen 
das gute wahrhaft feindſelig iſt und das böfe um des 
böfen wilfen liebt, eine ganz eigentlich teuflifche Gefinnung,) 


— 2109 — 


verurtheilt ift, — daß es aber ferner Menfchen giebt, und 
wohl gewiß fehr viele, deren moralifcher Zuftand in der 
Mitte fich hält, und welche auch häufig in diefem Zuftand 
aus der Welt fheiden, — und daß endlich zwifchen Zeit 
und Ewigkeit Zufammenhang berrfeht, welchem gemäß 
die Menfchen mit ebenderfelben —— a intreten, 
wie ſie hier ausgetreten ſind? — 

Gäbe es nun feinen Mittel —— — die katho— 
liſche Kirche eben jenen Reinigungsort nennt), ſo müßte 
ja nothwendig der Menſch entweder in ſeinem unvollen— 
det gebliebnen moraliſchen Zuſtand in den Himmel ein— 
gehen, deſſen er jedoch noch nicht würdig iſt, oder er 
wäre zur Hölle verurtheilt, die er doch bey weitem noch 
nicht verwirkt hat! Und wie ſollte der Gott der Liebe 
das zerknickte Rohr vollends brechen, ſtatt es wieder em— 
porzurichten, den glimmenden Docht vollends auslöſchen, 
ſtatt ihn wieder zur Flamme anzufachen? Wie ſollte er 
die noch aufkeimende Liebe, die verſpätete — vom Tod 
übereilte — Buße ohne Erbarmen zurückſtoßen, ſtatt ſie 
zu vervollkommnen und für den Himmel tauglicher zu 
machen? Unmöglich kann man dieſe Lehre von einem 
Mittelzuſtand verwerfen, ohne Gott einestheils Heiligkeit 
und Gerechtigkeit, andrentheils Güte und Erbarmen abzu— 
ſprechen; und es bedurfte wahrlich) jener heftigen bittern 
Seindfeligkeit gegen die katholiſche Kirche, welche die Re— 
formatoren aller Befonnenheit beraubte und fich auch auf 
ihre Nachfolger ungefchmälert forterbte, um ſolch ein Ber- 
werfungsfyftem aufzuftellen und zu verfechten. 

Wenn dem Proteftanten ein geliebter Gegenftand — 
Eltern, Kinder — durch den Tod entriffen werden, die 
zivar manche gute Eigenfchaften, aber auch manche Ge— 
brechen an fich trugen und in diefem Zuftand vom Tod 
übereilt wurden, follte er da nicht Beruhigung fuchen und 
finden in dem Gedanfen: ‘der Geliebte befindet ficy nun in 
der Emigfeit, in der Hand des gütigen und gerechten 
Gottes; Diefer wird feine Huld ihm nicht entziehen, er 


= 


wird dad Unvollkommne vollenden und für die ewige 
Seligfeit tauglich machen, ob wir gleich nicht wiſſen, auf 
welche Art und Weife dieß gefchehen werde. Solche und 
ähnliche Empfindungen, deuten fie aber nicht eben auf 
jenen Mittelzuftand bin, und drücen fie nicht aus, wie 
wünfchbar derfelbe ſowohl der Vernunft, * dem Gemüth 
des GSterblichen ſey? 

Daß aber auch die Fürbitte deg katholiſchen Chriſten 
für ſeine abgeſchiednen im Reinigungsort befindlichen Brü— 
der vernunftmäßig und mit dem Geiſt des Chriſtenthums über— 
einſtimmend ſey, wird ſich ebenfalls unſchwer darthun laſſen. 

Grotius, der bei den Proteftanten in verdienter 
Achtung ftehende, gelehrte und berühmte Mann, gründet 
auf dieſe Lehre vom Gebeth für die Abgeftorbnen erfteng 
die gefchichtliche Thatfache, daß ſchon feit der Zeit der 
Propheten und Esdra’3 diefer Gebrauch bey den Sfraeliten 
allgemein eingeführt war, zweitens darauf, daß der von 
Gott zu Ausrottung der eingerifnen Irrthümer in die 
Welt gefandte Erlöfer diefe beym Volk Überall vorgefundne 
Eitte nirgends gerügt babe, und endlich auf den wichtigen 
Umftand, daß nach dem Zeugniß von Zertullian die Ge- 
bethe für die Abgeftorbnen in allen Kirchen eingeführt 
waren und in allen Liturgien enthalten find, auch’ nicht 
ein einziger chriftlicheer Schriftfteler der. damaligen und 
fpäteren Zeit diefe Uebung je beftritten habe. Dieß Urtheil 
eines der. angefeheniten proteftantifchen Theologen werden 
wahrlich feine Trugſchlüſſe unfrer neueren Illuminaten je 
zu entfräften vermögen. 

Und geht nicht in der That fhon aus der menfchen- 
freundlichen und erquicenden Lehre von dev Gemein 
fhaftder Heiligen auch der wohlthätige Einfluß her— 
vor, welchen wir auf unfre abgefchiednen — dem Reinigungs» 
zuftand unterworfnen — Brüder ausüben fönnen und 
ſollen? Nicht als abgefhnittne Glieder des Leibes, 
deffen Haupt Ehriftus ift, haben wir diefe Seelen zu be— 
trachten, fondern als Glieder am Leibe, die aber noch — 


— 274 — 


um uns eines bibliſchen Ausdrucks zu bedienen — einer 
Läuterung wie das Gold durchs Feuer bedürfen, um 
der Theilnahme an der Seligkeit der triumphirenden Kirche 
Chriſti gewürdigt zu werden; ſie ſind alſo in der Gemein— 
ſchaft, und wenn ſich eine Gemeinſchaft der Glieder 
nicht ohne thätigen Einfluß denken läßt, wie könnte dann 
die Lehre befremden, daß wir durch Gebeth wohlthätig auf 
ſie einzuwürken vermögen? Finden wir es vernünftig, ſchon 
auf Erde — wo ebenfall3 ein Zuſtand der Läuterung und 
- Zauglichmachung zum Reich der Geligfeit ift — für ein— 
ander zu bitten und durch Gebeth einander zu Hülfe zu 
- fommen, in der ganz vernunftmäßigen Zuverficht, daß das 
Gebeth oder die Fürbitte aus Liebe dem Gott der 
Liebe wohlgefällig fey (1 Tim. TI, 1— 4. Jac. V, 46.), 
wie fönnte dieſe Fürbitte aufhören vernünftig zu feyn 
wenn fie auf die Glieder des Leibs Ehrifti im Reinigungs: 
zuftand ausgedehnt wird, da es doch diefelbe Gemeinfchaft 
— derfelbe Beweggrund ift! Sollten fie etwa zu entfernt 
für ung feyn? ift Gott dem wir fie empfehlen, nicht überall 
zugegen? 

Auch Tiegt doch wohl ſchon in der moraliſchen 
Natur des Menſchen ein Antrieb zur Fürbitte für die 
Abgeſchiednen. Welches fühlende Herz wünſcht nicht dem 
bedrängten Mitbruder zu helfen! Kann es auch nicht un— 
mittelbar zur Linderung beytragen, ſo wird es ſich doch gern 
an vermögende Menſchenfreunde — und wie viel lieber noch an 
Gott, den mächtigſten und gütigſten aller Menſchenfreunde — 
— daß er erbarmend helfe — rette — tröſte! Und gerade 
dieß thun ja eben die katholiſchen Ehriften, indem fie für die 
Verſtorbnen im Reinigungsort bethen. Mag immerhin wer 
hartherzig genug ift — diefe Handlung der reinften Bruder- 
liebe verwerfen; der Bott der Liebe, der nicht dag Ver— 
derben, fondern die Rettung des Sünders will, fann und 
wird fie nicht verſchmähen. 

oc, bemerken wir , daß die Confessio helvetica — 
diefe Haupturkunde der Zmwinglifchen Lehrmeinung — wohl 


— — 


den Glauben an Teufel und Hölle vorſchreibt, hinge— 
gen der frofivollen Lehre vom Reinigungsort keineswegs 
Raum giebt. Sm Cap. VIL begründet fie den Glauben 
an den Zeufel mit vielen Schriftfiellen; im Cap. XI 
behauptet fie „das Hinabfahren der Ungläubigen oder 
Gottlofen mit den Zeufeln in der Hölle Abgrund, um 
ewig da zu brennen; und im Sup. XXVI beftätigt 
fie: daß die Ungläubigen richtig auf ihre Abfterben in die 
Höhe verfenkt werden, mit dem Beyfatz: „daß ihnen durch 
feine Dienfte nocy Nachthun der Lebenden daraus möge 
geholfen werden.“ Während 1 Petr. III, 49. IV, 6. aus>- 
drüclich gefagt wird, daß „Chriſtus nach feinem Tod den - 
Geiſtern im Gefüngniß gepredigt habe,“ und daß auch „den 
Zodten das Evangelium „fey verkündet worden,“ — wäh- 
rend von den erfien Zeiten der Kirche an Chriſti Heim- 
fuchung dev. Geftorbnen geglaubt und daher auch) ing 
apoſtoliſche Symbol war aufgenommen worden (unter Hölle, 
hebr. Scheol, gr. Hades ward nach altem Sprachgebrauch: 
Unterwelt — Grab — Schattenreih — Aufenthaltsort der 
Abgeſtorbnen verftanden) — während fchon häufig davon 
in den alten Prophezeyungen, fowie bey den Kirchenvätern 
Ignaz, Suftin, Irenäus, Hieronymus, Joh. Ehrifofto- 
mus und fo vielen andern mehr die Rede war, — behaup— 
ten dagegen unfre afterweifen Reformatoren: durch die 
Hinabfteigung Ehrifti zur Hölle werde nur der Tod Chrifti 
verftanden, denn Ehriftus fey nicht wahrhaftig zur 
Hölle geftiegen. (S. Decolampad 1. LEp. p. 4; Bucer 
ad Math. 27; Bullinger Sup. Ep. Petri; Zwingli's Pred. 
in Bern gehalten 1528 und lib. ‚ep. 3. p. 1226.) 
* % ie. } 
Ueber das | 

| EPIET ERTL 


oder den unverehlichten Stand der Priefter, werden wir 
nur wenig zu erinnern finden, und bemerken zuborderft, 
daß es fich hierbey Feineswegs um ein ficchliches Dogma, 


iA 


fondern lediglich um eine Rinzielingr- Borfarift 
handelt: 

Erft im IV. Sahrhundert des Ehriftenthums ward es 
jiemlich allgemein Sitte, daß die Bifchöfe der ehlichen 
Verbindung entfagten, und Spuren von gefeklichen Bor» 
fchriften einzelner Bifchöfe finden fich fchon aus jenem 
3eitpunft vor; alfein noch bis ins XL: Jahrhundert fan= 
den die Ehverbote für Geiftlihe — ſo ſehr auch Päpſte 
und Bifchöfe diefelben mit ihrem ganzen Anſehen unters 
fügen mochten — dennoch im ganzen Abendland den hart» 
nädigften Widerfpruch, und nur durch 3wanggmittel gelang 
e3 dem unternehmenden Papft Gregor VII. (Hildebrand ) 
im Jahr 107%, und feinen Nachfolgern, das Cölibat — 
gegen den allgemeinen Willen der Bläubigen aller Nationen 
— einzuführen. UWeberall empörten fich die Geiftlichen gegen 
folchen Zwang. Noch auf dem Konzilium zu Trient dran— 
gen der Kuifer — der König von Frankreich — der Chur— 
fürſt don Bayern u. a. m. mit Nachdruck auf die Abfchaf- 
fung des kirchlichen Cölibats; allein die Politik des römis 
fchen Hofs, von Spanien unterftüßt, ſiegte. 

Nach Tone. Trid. Sess. XXIH. C. 47. dürfen übri— 
gens die ordines minores ſich vecheirathen, wenn fie ihrem 
Amt entfagen, ja ſogar — wenn e3 An unverheiratheten 
Subjekten mangeln follte — auch verheivathet im Amt blei— 
ben. Sn der griechifshen Kirche ift e8 erlaubt — der 
Zrullanifchen Eynode can. 13 zufolg — die Frau mit in 
den geiftlichen Stand binüberzuführen; — eine Praxis, 
welche die vömifche Kirche zwar nie ald rechtmäßig aner- 
fannt, aber doch zu dulden fich bewogen gefunden bat. 

Aus der heil. Schrift mwiffen wir, daß die meiften 
Apoftel vereblicht waren, und daß Sefus nie ihnen bes 
fahl, ihre Weiber zu verlaffen. Auch Petrus war, 
It. Marc; I, 50. — verheirathet. Paulum fonnten 
wohl nur die damahligen Drangfalen bewegen , den ehlofen 
Etand zu empfehlen, in Hinficht der Verfolgungen gegen 

48 


die erften Ehriften und der Uebel, welche nach ihrer Hin— 
richtung ihren Weibern und Kindern bevorftunden, 

Nach dem Fiber pontifiealis war eine Reihe von Päp— 
fien, Silverius, Gelaſius, Hoſius, Bonifacius, Felix, 
Agapytus, Theodorus u, a. m. Söhne von. Prieſtern und 
Biſchöfen. * 

Dem nähmlichen Paulus übrigens, welcher 4 Tim. 
IV, 4 — 3. das Eheverboth eine dämonifche Lehre heißt, 
war. es laut 4 Cor. VIL, 32 — 35. ſehr daran gelegen, 
daß die Diener der. Kirche — von jeder. häuslichen 
Sorge frey — fih ausſchließlich nur um das befümmern 
mas dem Herrn angehöre und ihm. wohlgefalle, indem 
derjenige, welcher ein Weib habe, nothwendig auch mit 
weiblichen Angelegenheiten fich befehäftigen müſſe. 

Mit Hinficht auf die Stelle Apoc. XIV, 4. ift dann 
noch zu bemerfen, daß laut Zeugniß von Juſtin und Ter— 
tullian die Zahl diefer freymwilligen Opfer von beyderley 
Befchlechtern fihon im zweyten Jahrhundert fehr groß 
war, welche von der Jugend an bis zu. ihrem Tod in voll 
fommner Enthaltung lebten, ehe noch feyerlihe Ange» 
lobungen üblich waren und ehe man von Klöftern noch 
etwas wußte, Doch pflegten in einigen Kirchen des zwey— 
ten Sahrhunderts ſchon Sungfrauen, in befondre Wohnun- 
gen gefchieden, ganz, abgefondert zu leben. Schon Ter— 
tullian nennt diefe Sungfrauen „Vermählte Ehrifti. “ 

Rückfichtlich der 


ECeremonien. 


werden wir, da diefer Punkt einen nicht unerheblichen Theil 
der gegen die Fatholifche Kirche erhobnen Befchuldigungen 
bildet, in umftändlichere Erörterung einzutreten haben, 
Welcher Zweck diefen gottesdienftlichen Ceremonien 
zum Grund liege, darüber mag uns die Kirche felbft 
den richtigften Auffchluß geben. | | 
Sm Sinne des Auguftinus de Iib. arb. L. 3. C. 40. 


— 25 — 


fagt fie in Coneil. Trid. Sess. 22.C. 5. „Da die Natur 
des Menfchen fo befchaffen ift, daß fie fich nicht leicht ohne 
äußere Hülfsmittel zur Betrachtung 'göttlicher Dinge 
erheben kann, fo hat die Kirche — als fromme Mutter — 
einige Gebräude angeordnet und Ceremonien einge 
führt, damit die Gemüther der Gläubigen durch diefe ſicht— 
baren Zeichen der Religion und Frömmigkeit zur Ber 
trachtung ſolch erhabner Gegenftände, als die göttlichen 
Geheimnifje find, angeregt werden.“ Auch der römiſche 
Gatechismus lehrt P. 2. CL Q. 10. Was durch das 
Saframent innerlic, bewürft wird, wird durch die Cere— 
monien deutlicher und gleichfam vor Augen gelegt, und 
daducch zugleich die Vorſtellung von der Heiligkeit diefer 
Gegenftände tiefer den Gemüthern dev Gläubigen eingeprägt; 
was aber die Gemürher derjenigen betrifft, welche diefe 
heiligen Gebräuche feben und forgfältig beobachten, fo wer— 
den fie zum Machdenfen über fo erhabne Dinge ermuntert, 
zugleich der Glaube und die Liebe in ihnen vege und lebens 
dig gemacht. “ | 

ach der Abficht der Kirche zielen alfo diefe gottes— 
dienftlichen ‚Gebräuche bloß dahin, den Geift des Ehriften 
zu dem Himmlifchen emporzubeben, ihm die erhabnen Leh— 
ven der Religion ftetS gegenwärtig zu halten, das Herz 
dafiir zu erwärmen, das Gemüth und Gefühl anzuregen, 
damit der veligiöfe Sinn ins thätige Xeben übergehe und 
Früchte ächter Gottesfuccht trage. Und folch geiftigen, 
chriftlichen Zweck follte der gefunde Menfchenverftand miß- 
biligen können? Die Kivche betrachtet diefe Ceremonien 
keineswegs als Gottesdienft an fi, ganz und gar 
nicht als Zweck, fondern blos ald Mittel zur Beför— 
derung dev Religiofität. Nur dev Unmwiffende, der ihre 
Bedeutung nicht Fennt, oder der Berläumder, der 
ſolche adfühtlich migfennt, können behaupten, daß fie 
feinen dem Zweck angemefnen Sinn haben. Nur der 
höchſte proteftantifche Aberwig fönnte wohl den Gedanken 
fich beyfallen laſſen, daß eine fo angefehene — über den 

48 * 


— — 


ganzen Erdkreis ſich erſtreckende Kirche ein heiliges Gau— 
kelſpiel erfunden hätte, um all ihre Bekenner zu äffen und 
mit ihrem ewigen Seelenheil ſolch leichtfertigen, grauſamen 
Scherz zu treiben! Mein, die katholiſche Kirche enthält 
nicht nur fein Dogma, melches nicht von dem Gtifter 
des Chriſtenthums felbft oder deſſen erften Verkündigern 
herrühre, fondern auch feine Disziplinar- Einrichtung, 
welcher .nicht Glaube, Hoffnung und Liebe — und fomit 
ächte Religiofität zum heiligen Grund läge. Um fich hier- 
von zu überzeugen, prüfe man aber diefe Lehren und Ges 
bräuche nicht etwa nach abgefchmackten Legenden oder nach 
Läfterfchriften pröteftantifcher Querköpfe, fondern nad) 
gründlichen Lehrbüchern wahrhaft Fatholifcher ächt aufges 
Härter Schriftiteler. (3: D. Eathol. Titurg. Lehr- und 
Erbauungsbuch von K. W. Weininger, Wien 1523; Bin- 
terims Denkwürd. der kath. Kirche, Mainz 4825; Andachts- 
übungen, Gebr. und Cerem. der fath. 8: Wien; rerum 
liturgie. libri 2. auct: J. Bona Col. Agr. w a. m.) 
Ueberdieß forgt auch die Kirche hinlänglich dafiir, daß die 
Bläubigen mit der Bedeutung und dem Zweck der Gere 
monien aufs genauefte befannt gemacht werden. Dieß ift 
ganz ausdrüdlid, den Bifchöfen und andren Seelſorgern 
von der Kirche aufgetragen, Cone: Trid. Sess XXIIC. 8. 
Sa die Kivche erflärt diefen Unterricht als einen wefent- 
lichen Beftandtheil des öffentlichen Gottesdienfts, ıbid, 
S. V. C. 2. und XAIV C. 4& Der römifche Gated)iss 
mus empfiehlt den Geelforgern die größte Sorgfalt, Fleiß 
und Eifer, damit die Gläubigen die Bedeutung der Eeres 
monien, mit welchen die einzelnen Sakramente verwaltet 
werden, deutlich faßen und erfennem, 

Es darf auch der wichtige Umſtand nieht überfehen 
merden, daß die Kirche folche von ihr angeordneten Ges 
bräuche und Ceremonien ganz und gar nicht für unver» 
letzlich und unabänderlich angefehen wiſſen will. Da 
fie nur zur äußern Kirchenzucht gehören, nur als 
Mittel zu betrachten find um dem Gottesdienſt in den Au— 


a 


gen der Menfchen mehr Majeftät und Würde zu ver 
fchaffen und ihre Ehrfurcht für die Miyfterien der Religion 
zu erhöhen, fo können fie demzufolg nad) Berfihiedenheit 
der Zeiten — Sitten — und Bedürfniffe der Völker eben- 
falls verfchieden feyn, verändert, felbft — wenn fie 
dem Zweck nicht mehr entfprechen würden — auch aufges 
hoben werden. Nur hat freylich die Kirche ein folches 
Kecht, eine folche Gewalt, nicht etwa — nach proteftans 
tifher Sitte — der Willkühr und den individuellen 
Gutbefinden jedes Kivchendienerd und zum Reformator fich 
berufen wähnenden Schwindelgeifts anheimgeftellt, um nicht 
in Gegenftänden, welche fich auf das ewige Geelenheil bc» 
‚ziehen und durch ihren alterthämlichen Urfprung nur. Zus 
frayen und Ehrfurcht erwecen, durch leichtfinnigen ER 
fel die Glaubenslehre ſelbſt zu gefährden, 

Und follte es den nn. Bibel: und Geſchichts 
forſchern unbekannt ſeyn, daß dieſe Anordnung der katho— 
liſchen Kirche hinſichtlich außrer Gebräuche und Ceremonien 
durch das Beyſpiel Chriſti ſelbſt und des chriſtlichen Alter: 
thums gevechtfertigt wird ? 

Ehriſtus felbft, dieſer tieffte Menfchenkenner, bers 
fchmähte keineswegs finnliche Handlungen, äußere Uebun— 
gen und Ceremonien, um durch fie auf dag Innere der 
Menfchen einzuwürken. Er heilte den Blinden, indem er 
auf die Erde ſpuckte, mit dem Speichel einen Teig bildete, 
und diefen auf des Blinden Aug ſtrich; ew legte feine Hk 
ger in die Ohren des Saubftummen, berührte mit Spei— 
chel feine Zunge, und blickte empor gen Himmel; er bethete 
und fniete dabey nieder; er hauchte feine Jünger an; er 
heilte die Kranken durch Auflegung feiner Hände. Aehn— 
liche Beyſpiele kommen in dem Evangelien häufig vor. 
Auch die Apoftel verrichteten das, was die fatholifche 
Kirche die heilige Fie mung nennt unter Gebeth und Auf 
legung der Hände; eben fo ertheilten fie die Priefter> 
weihe unter Faften, Bethen und Händeauflegung. ( Diefe 
Leremonie der Händenuflegung haben felbft auch Prote- 


me 2 


ftanten hin und wieder beybehalten, ſowie auch noch bis 
im J. 41769 in der proteftantifchen Schweiz das Unſer 
DBater auf den Kanzeln Eniend gebethet ward.) Wer nur 
immer in der Gefchichte des chriftlichen Alterthbums bewan- 
dert ift, oder fich nicht gefliffentlicdy unmwifjend ſtellt, dem 
Tann es nicht unbefannt feyn, daß überhaupt auch der in 
der Eatholifchen Kirche dermahl noch übliche Eultus aus 
dem fogenannt apoftolifchen Zeitalter herftammt. Juſtins 
erfte AUpologie, welche ungefähr 140 Sahre nach Ehriftus 
gefchrieben ward, Liefert hiefür den Elaven Beweis, und 
zeigt zugleich, daß ſowohl die Haupttheile dev heiligen 
Meffe, al3 auch die Gevemonien bey der Tauf handlung 
fchon größtentheilg zur Zeit diefes Märtyrers und Kirchen» 
vaters in Uebung waren. Ueberhaupt beruht der ganze 
firchliche Ritus in all feinen heilen auf der verläßlichften 
Tradition. Don den Taufceremonien handeln nächft Zu: 
ftin auch die fpätern: Zertullian, Cyrill, Gregor und Aus 
guſtin; von der Eonfirmation Clemens, Schüler des 
Petrus — Ignaz, Schüler des Johannes — Zertullian 
und Cyprian; die legte Oehlung findet ſich vorge» 
fchrieben Jak. V, 14. und überdieg noch in allen Kicchen- 
vätern; über das Ehrisma und das Kreuzzeichen han- 
deln fehr gründlich Dionvfius, Zertullian, Eyprian und 
Auguſtin; über den bifchöflichen Segen und die Weihe 
Dionyfius, Clemens, Anakletz über das Weihwaffer 
Glemens, Juſtinus Martyr, Bafılius, Ambrofius; über 
die Weihe der Altäre, Becher, Schüfeln u. f. w. 
Dionyſius, Ehryfoftomus, Auguftinus, Leo u. a. m. 
Freylich folte das Göttliche feines vom Irdiſchen 
erborgten Hülfsmittelsd bedürfen, aber die Menfchen — 
als Sinnenwefen — benöthigen Sinnliches, um ſich daran 
zum ileberfinnlichen emporzuheben; ihr Geift ift an eine 
finnlihe Natur gebunden... Und da die Religion nicht für 
reingeiftige Weſen fondern für folche beftimmt ift, die gei- 
ftiger und finnliher Natur — Geift und Leib zugleich 
find, da Gott dev Schöpfer von beyden tft, und ihm durch 


— I — 


die Religion die gebührende Huldigung dargebracht werden 
ſoll, warum ſollte dieß nicht von Seite des Geiſtes und 
Körpers, innerlich und äußerlich, geſchehen? Fühlt nicht 
der redliche Menſch ſich gedrungen, durch äußere Zeichen 
ſeine innere Neigung kundzugeben? iſt er nicht — als 
Glied einer religiösmoraliſchen Geſellſchaft — verpflichtet, 
durch gutes Beyſpiel dieſe äüßere Verehrung an den Tag 
zulegen? Der Menſch bedarf Erinnerungsmittel, um Vor⸗ 
ftellungen im Geift feftzubalten, vorzüglich bey überfinnlichen 
Keligionswahrheiten, Die in den vielen Zerftreuungen des 
Lebens fo leicht ihre Kraft verlieren, wenn fie nicht durch) 
äußere Zeichen dem Geift. oft vorgehalten und eingeprägt 
werden. Wie wohlthätig wird nicht durch angemefne mit 
dem öffentlichen Religionsbefenntniß im Einklang ftehende 
Kirchengebräuche auf das Volk eingewürft, welches fo 
mandyen guten Gedanken und frommen Vorſatz daran zu 
fnüpfen ſich veranlaßt findet! Wenn tibrigens bey den 
Andachtsübungen der Farholifchen Ehriften auch etwelche 
Mißbräuche unterlaufen follten, fo werden folche von 
ihrer eignen Geiftlichfeit höchlich mißbilligt, und manche 
derfelben. möchten wohl auch beym protefiantifshen Cultus 
ebenfalls anzutreffen feyn, wie z. B. das gedanfenlofe Here 
plappern der. chriftlichen rehöipengein von Geite der 
Geiftlichen fowohl, als der Laien u. f. w. Wenn die Pro: 
teftanten durch Abfchaffung der Geremonien den Gottesdienſt 
— um mich ihres Ausdrucks zu bedienen — vereinfacht 
und nur auf Unterricht und Gefang beſchränkt haben, fo 
fey uns dagegen auch die Frage erlaubt: ob der- veligiöfe 
Sinn dadurch gefördert worden? ob ihre Tempel jekt häu— 
figer. und eifriger befucht werden? ob die eigentliche Er— 
bauung, die Gottesfurcht dadurch gewonnen habe? Und 
in. der That, wem follten die kahlen, von allem Aeußern 
fo ganz entblößten, und den —— der Quäcker 
und Mennoniten ähnlichen, gottesdienſtlichen Einrichtungen 
gefallen können? welchen Proteftanten ſollte nicht ein feyer- 


licher Gottesdienft weit eher anſprechen? Sn dem gut pro— 


— 290 — 


teftantifchen Preußen, im Meflenburgifchen, KHannöverfchen, 
Lüneburgifchen u. f. w. wurden viele Feyrlichkeiten benbe- 
halten; Lichter werden bey Haltung des Abendmahls ange- 
zündet, die Einſetzungsworte und Collekten werden abgefun- 
gen, man fegnet Brot und Wein mit dem Zeichen des 
Kreuzes, — eben fo die Kinder bey der Taufe, — der 
Segen wird mit dem Kreuzzeichen ertheilt, auch find hin 
und wieder noch Chorhemder und Kaſels im Gebrauch. Und 
dieß alles gefchieht, ob man gleich vollfommen überzeugt 
ift, daß mit dem Anzünden der Lichter nicht der heilige 
Geift erfcheint und mit dent Auslöfchen wieder ſich entfernt, 
— daß ein Kreuzfchnite mit zwey Fingern durch die Luft 
dem Segenswunſch des Geiftlichen Feine größere Kraft giebt, 
— daß die befondren geiftlichen Kleidungen feine befondre 
Heiligkeit an fi) haben. Aber man berückfi chtigt, daß der 
Menſch ein ſinnliches Geſchöpf iſt, daß äußere und ſinnliche 
Dinge ihn rühren, Andacht und Ehrfurcht in ihm erwecken, 
und ſein Herz für die ihm zu verkündenden Wahrheiten 
empfänglicher machen; man ſieht gar zu wohl ein, daß die 
Zahl der Menſchen, welche allein durch Gründe nd Rä- 
fonnements als Philofophen geleitet werden, zu Flein iſt, 
um in irgend einigen Anfchlag zu kommen. Ganz anders 
als Luther dachte hingegen Zwingli, welchem jede Erin- 
nerung aus feinem Klofterleben widerlich war; daher findet 
man ın Staaten, welche der Helvetifchen Eonfeffion zuge» 
than find, affe üb jede Spur von feyerlihem Kirchen 
gepräng verſchwunden, und ſtatt deffen ein wildes, ver⸗ 
worrnes geiſt— und herzlofes (— wie ſich ſelbſt der der 
angefehenften ſchweizerſchen reformierten Theologen aus— 
drückte —) Gekreiſch jüdiſcher Pſalmen in Knittelreimen 
und erbärmlichen Melodien in Uebung. 

Wen ſollte aber die kindliche Gottesverehrung 
des ächtkatholiſchen Chriſten nicht rühren! Oder wie? iſt 
es nicht kindlich, die Hände dem Vater bittend entgegen— 
zuſtrecken, um eine Wohlthat von ihm zu erhalten? iſt es 
nicht kindlich, den Vater kniend um Berzeihung zu bitten, 


— 231 — 


Über deffen mit Undank vergoltne Liebe man Reue und 
Schmerz empfindet? ift e3 nicht Eindlich, bey gemwiffen bes 
fondren Veranlaßungen auf feftlihe Weife die Gefühle dank⸗ 
barfroher Anhänglichkeit und. Ehrfurcht zu äußern dem ges 
liebten liebenden Vater, Herrn, Wohlthäter?! Wie fünnte 
ein — nicht ganz herzlofer — Familienvater noch zweifeln, 
das finnliche äußere Gebräuche fich fehr gut mit findlicher 
innrer Achtung und Liebe vertragen? ja daß vielmehr 
gerade die Berbindung folch innrer und äußrer Huldigung 
fogar eigenthümliches Bedürfniß der Eindlichen Natur 
fey? Nur vergefe man nie, daß die Kirche weit von der 
Meinung entfernt ift, durch folch äußere Geremonien und 
Uebungen Gott gewiffermaßen für fich gewinnen, oder das 
ducch feine befondre Gunft erwerben zu wollen. Gold 
unwürdige alberne Vorſtellungen kann nur Bosheit oder 
Unverftand der Kirche andichten. 

Ganz aus der Luft gegriffen ift auch die Behauptung, 
daß dev Katholik nicht nach. eignem Herzenstrieb bethen 
dürfe, daß die Worte abgezählt werden u. deral. wie pro» 
teftantifche Läfterzungen vorgeben. Vielmehr ift die häus— 
fihe Andacht feiner eignen Neigung gänzlich freygeftelt. 
Selbſt im Gotteshaus mag er ſich meiftend nach feinem 
Herzen erbauen, nur will die Kirche, daß der Gegenftand, 
und die Art der Erbauung dem Glauben angemeſſen fen. 
Dafür wird geforgt durch Unterricht — gerade wie bey 
den Proteftanten — durdy zweckmäßige, von kirchlichen 
Dberhirten anerkannte Andachtsbücher, welche dem Unver- 
mögen des Volks zu Hülfe fommen, da wohl der größte 
Theil — der Katholifen oder Proteftanten — nicht aus 
dem Herzen zu bethen im Stand ift. Auch für jene, welche 
nicht aus einem Buch und vielleicht auch nicht aus dem 
DBorrath des Herzens bethen können, if der Gebraud) des 
Rofenkranzes eingeführt, deffen Beftandtheile nicht nur 
nichts anftögiges enthalten, fordern vielmehr die heilfame 
Erinnerung an die Geheimniffe unfrer Erlöfung und Be- 
jeligung in ſich ſchließen. Uebrigens wird dieß Gebeth nie 


—— 


manden bey Verluſt des Seelenheils vorgeſchrieben, und 
bildet ganz und gar keinen Glaubensartikel. Wird es auch 
bier und da mit ärgerlicher Gedankenloſigkeit hergeſchnalzt, 
fo wolle der proteftantifche Splitterrichter nicht vergeffen, 
daß. der größre Theil feiner Glaubensgenofen es nicht 
um ein Haar beſſer macht, — daß auch er an. Rituale 
und Pfalmgefänge aus dem XVI. Sahrhundert u. f. w. 
‚gebunden ift, — daß überhaupt Schimpf und Hohn. in 
Sachen des Glaubens immer nur den höchften Grad leiden- 
fhaftlicher-Berblendung und ein unedles Herz verrathen, 
— und daß e8 den Proteflanten am wenigften geziemt, 
übermüthig der gottesdienftlichen Gebräuche einer Confeffion 
zu fpotten, zu welcher fih.ihre eignen Voreltern von den 
erfien Zeiten des Chriftenthbums an, big noch vor wenigen 
Sahrhunderten befannten, und welcher auch jet noch der 
weit größte Theil der Ehriftenheit und der gebildeten Völ— 
fer. zugethamsift. i 

Ganz anders urtheilt der weiſe, große Leibniz. 
„Alles — ſagt er — verdient unſern Beyfall, was nur 
immer unſern Geiſt zur Betrachtung der göttlichen Größe 
und Liebe mächtig emporhebt, was in uns fromme, heilige 
Gefühle erregt, die unſern Geiſt von dieſem Erdenleben 
ablenken und ihn in höhere Regionen über Welt und Zeit 
hinaus zur Gottheit ſelbſt verſetzen, und was überhaupt 
unfre Andacht zu befördern. geeignet iſt.“ Von neueren 
proteftantifchen Gelehrten, welche die Ceremonien und Gas 
framente eifrigft in Schuß nehmen, führen wir als einen 
der anfehnlichften Gewährsmänner Göthe an, welcher im 
2. Ih. feiner&Dichtung und Wahrheit zugleich das tieffte 
Dedaurentüber die nackte, leere, von aller. Feyerlichkeit 
entblößte Geftalt des peoteftantifchen Eultus ausfpricht. 
Aus der Reformationsgefchichte wiffen wir übrigens, daß 
Luther und Melanchton nie die Ceremonien gänzlich 
aufheben wollten. — wie. e3 ihre nachherigen Schüler fic) 
fo-angelegen feyn liefen, — und daß Tektrev. diefelben. viel» 
mehr ausdrücklich beyzubehalten gewünſcht hatte. 


= 8 — 


Die Proteftanten befinden fich ferner in gewaltigem 
Irrthum, wann fie meinen, daß die Eatholifchen Gläubi— 
gen über die Verrichtungen ihrer Geiftlichen großentheils 
in Ungemwißheit gelaffen werden. Dadurch daß die Kirche 
beym Gottesdienft die Tateinifhe Sprache beybebielt, 
welche nicht mehr der Beränderlichfeit unterworfen 
ift, und den Gebrauch, der mannigfaltigen und unftäten 
Bolfsfprachen befeitigte, entgeht doch wahrlich der Er- 
bauung und dem GSeelenheil der Laien nicht das mindefte, 
indem ihnen durch den forgfältigften Unterricht die nöthige 
Kenntnig ertheilt wird, fo zwar daß fie in ihren Andachts— 
und Gebethbüchern, fowie in den Eatechifationen und Pre 
digten jede Bedeutung der Hiturgifchen Handlungen des 
Priefters finden und hören. Wer kann läugnen, daß ge— 
vade durch Beybehaltung jener Normalſprache die Einig- 
feit, die Allgemeinheit der Lehren der £atholifchen Religion 
— wodurch fie auch ihren heftigfien Widerfächern Achtung 
abgewinnt — mefentlich gefördert und ihrer Gefährdung 
aufs mwürkfamfte vorgebeugt werde? Hat nicht felbft die 
ariechifche und morgenländifche Kirche die uralte Sprache 
beybehalten, ob fie gleich dem gemeinen Volk eben fo un- 
verftändlich, als unfere fateinifche iſt und folglich eben fo 
fehr einer erflärenden Beyhülfe bedarf? Irriger Weife 
berufen fich die Proteftanten auf die Paulinifchen Stellen 
4 Cor. XIV. wo aber von Kußerordentlichen Geiftesgaben 
die Rede ift, und der Weltapoftel keineswegs das Reden in 
fremden Sprachen mißbilligt, fondern verlangt, daß man 
es den Gläubigen in ihrer Mutterfprache erkläre und ver- 
ftändlicy mache. Eben dieß will und verordnet auch die 
Kirche, defnahen ihr keinerley Widerfpruch mit der Ge- 
finnung des Apoftels zur Laſt gelegt werden kann— 


= * * 
* 


— 34 — 


Auch die von den Protefianten fo fehr beftrittene und 
verbächtigte 


Beichtanſt alt 


werden wir bey näherer Unterſuchung dennoch in der 
Vernunft, im Worte Gottes und in der Geſchichte 
der erſten chriſtlichen Jahrhunderte feſt begründet finden. — 
Und wer ſollte in der That den hohen Werth der 
Selbſtprüfung, der Selbſterkenntniß, bezweifeln 
können, weiche ſchon jener Weltweiſe des Heidniſchen Als 
terthums durch feinen vollgültigen Wahlſpruch yross 
osavrov zu verdientem Anſehn brachte! Oder wie kann 
der Menſch ſich vervollkommnen, wenn er nicht oft 
fich felbft prüft, gleichfam mit fich felbft zu Gericht geht? 
Um aber feine Eigenliebe und Selbfifucht zu befeitigen, 
ward. fchon in den früheften Zeiten die Nothwendigkeit ein» 
gefehen , zu folcher Prüfung einen durch Einficht und Zus 
gend ausgezeichneten Mann beyzuziehen, und diefem trau» 
lich das Herz aufzufchliegen, um duch ihn im der 
wichtigen Heilsangelegenheit Zroft und Zurechtweifung zu 
erlangen. Und wem fonnte man fich wohl zur Zeit des 
Urchriſtenthums in jeder Hinficht eher anvertrauen, als 
den Kirchenvorftehern, welche duch Bildung des Gei- 
fies und Reinheit dev Sitten vor all ihren Zeitgenoſſen 
ſich auszeichneten, und denen überdieß kraft ihres Amtes 
die Prüfung des Sündenbefenntniffes mit dev Gewalt zu 
löfen oder zu binden ganz ausdrüdlich vom Stifter 
des Chriftenthums felbft (Math. XVI. XVIH. Joh, XX.) 
war übertragen worden! Gewiß hätte auch fein bloß 
menſchliches Gefek je die Ehriften vermocht, alle Ders 
gehungen, weiche fie mit fo viel Klugheit und Lift vor 
ihren Mitmenfchen verbargen, ja ihre geheimiten fündhaften 
Gedanken, zu den Füßen eines Prieſters — der doch auch 
nur Menfch ift — zu entdecken, und auf diefe Weife alle 
Schambaftigfeit und Eigenliebe zu überwinden. 


— 15 — 


Diefer pfychologifhe Grund war es auch vorzüglich, 
weicher den König Heinrih VI. von England 
deftimmte, ſich ganz entfchieden zu Gunften der Beichtan— 
ftalt zu erfkiven. In feiner Schrift de septem saeramentis 
contra Lutherum fchreibt er: da ich fehe, daß aus der 
Heicht fo viel Gutes, und hinwiederum ganz und gar 
nichts Nachtheiliges hervorgegangen ift; da ich fehe, 
daß alles Volk fo viele Suhrhunderte hindurch feine Ver— 
gehungen den Priefrern entdecte, fo würde ich in der That 
— wenn auch die Schrift und die heiligen Bäter 
hierüber feinen Ausfpruch enthielten — dennoch nicht ane 
ders denfen oder glauben fünnen, als daß diefe Anftalt 
feinesmegs eine menfchliche Erfindung, fondern auf 
göttliche Anordnung gegründet und auch durch diefelbe 
erbaften worden fey. Gott felbft ift Stifter diefes Sakra— 
ments, und beſchützt folch heilbringende Anftalt mit feiner 
Huld und Gnade. Wahrlich Fein bloß menfchliches Unfehn 
vermöchte je die Völker zu bewegen, ihre geheimften Ver— 
gebungen — deren innres Bewußtſeyn ſchon mit Schreden 
fie erfüllte, und an deren Geheimhaltung ihnen fo viel 
gelegen feyn mußte — dennoch fremden Ohren zu entdechen 
und anzuvertrauen. | 

Auch der große Keibnik in f. Syst. Theol. nimmt 
die Beichtanftalt auf’3 eifrigfte in Schuß, und findet jie 
ganz der göttlichen Weisheit angemeffen. Wenn etwas, 
fagt er, in der chriftlichen Religion vortrefflich und lobeng« 
werth ift, fo ift eg diefes, was felbft Ehinefer und Sapas 
nefer bewundert haben; denn die Mothwendigfeit zu beich- 
ten fchreeft viele von der Sünde ab, vorzüglich die, welche 
noch nicht völlig verhärtet find, und gewährt den Gefalles 
nen großen Troſt, fo daß idy glaube, ein frommer, ernſt— 
hafter Eluger Beichtvater fey ein groges Werkzeug zum 
Heil der Seelen. 

Die confessio helvetica fpricht fih im C. XIV 
über die Beichte folgendermagen aus: So jemand mit 
einem Laſt der Sünden wäre beladen, oder mit verimorre« 


— 26 — 


nen Berfuchungen verriet, dem wollen wir nicht damider 
ſeyn, ſo er Bericht, Rath und Troſt ſuchte, befonders 
bey dem Diener der Kirche, oder ſonſt etwa bey einem 
Bruder, der im Wort Gottes wohl bewandert und unter- 
richtet. wäre. 

Wie fehr Luther für die Beicht eingenommen war, 
erfehen wir aus feinen Zifchreden S. 160, feiner Kicchen- 
poftil und feiner Sermon von der Heicht, wo er- fagt: 
um die Schäke der ganzen Welt gäbe ich die Beicht nicht 
bin, denn ich weiß, was. ich ihr für Stärke und Zroft zu 
verdanfen habe. Lieber wollte ich die Tyranney des Papſts 
wieder leiden, als in die. Abfchaffung der. Beicht willigen. 
Auch fol man. die Leute vor allen Dingen wohl lehren, 
dag man nicht einem Menfchen, fondern Gott und dem 
Herrn Ehrifto ‚beichte, item dag nicht ein Menfch, fondern 
Chriftus abfolvire durch. den. Mund des Dieners;. denn 
Ehriftus fagt: wer euch höret, hört mich, und wer mid) 
hört, hört den Vater. | 

‚Sn. gleihem Sinn äußerten ſich die, proteftantifchen 
Bifchöfe Sheldon, Blamford, Montague u. a., fo. wie 
auch ». neuere oeotegamiſcnt Schriftſteller, z. B. der be— 
kannte Dr. Winer in ſ. Darſtellung des Lehrbegr. der 
verſch. chriſtl. Kirchenparteyen, welchem zufolge ſelbſt re— 
formirte Theologen den Wunſch ausſprachen, daß die Pris 
vatbeichte (alſo die katholiſche Ohrenbeichte) als vorzügliches 
Mittel zu Belebung der Tugend in ihrer Kirche wieder 
eingeführt werden möchte, (Es iſt geſchichtlich erwieſen, 
daß im XVI. Sahrhundert nach Abſchaffung der Beicht 
in verſchiednen proteſtantiſchen Staaten das Sittenverderb— 
niß ungemein und in ſolchem Grad überhand genommen 
hatte, daß die Regierungen um Wiedereinführung der 
Beicht angegangen wurden.) 

Hauptſächlich vertheidigt auch der würdige Oberkon— 
ſiſtorialrath Plank in Göttingen in ſ. Worten des Frie— 
dens den Nutzen dev Beichtanſtalt mit den einleuchtendſten 
Gründen hinſichtlich ihrer Belehrung für das irrende — 


— 287 — 


ihrer Stärkung für das zweifelnde — und Beruhigung 
für das beängſtigte Gewiſſen. 

Selbſt Rouſſeau in f. Emil geſteht: wie viele Werke 
der Barmherzigkeit ſind nicht durch das Evangelium er— 
zeugt worden! Zu wie vielen Zurückſtellungen, zu wie 
vielen &Schadenvergütungen wurden nicht die Katholiken 
durch die Beicht gebracht! Wie find nicht bei Annäherung 
der Communionszeit Alle bereit, fich zu verföhnen! wie 
viele Almofen werden nicht bey diefer Gelegenheit ge- 
ſpendet! 

Allein die kräftigſten Beweiſe für die göttliche Ein— 
ſetzung der Beichtanſtalt biethet ung die heilige Schrift 
feldft dar. Die Proteftanten drängen immer fo fehr auf 
Have Ausfprüche des Evangeliums. Die Stelle bey Joh. 
AX, 23 könnte doch unmöglich noch deutlicher feyn, 
und immer hat fie das chriftliche Alterthum ganz einfac) 
verftanden, als klar und deutlich angenommen, fo wie dies 
jenige bey Math. XVII, 18. Eben war Ehriftus von den 
Todten auferftanden; die Jünger waren in engfter Trau— 
Fichkeit bey verfchlognen Thüren verfammelt; der ganze 
Hergang trägt das Gepräg des Außerordentlichen, des heh— 
ven Ernſtes. Sefus haucht die Sünger an, fpricht mit 
Kraft und Feyerlichkeit jene eindringenden Worte: „Friede 
fey mit euh! Wie der Bater mich gefendet hat, eben 
fo fende ih nun auch euch. Nehmt bin den heiligen 
Geiſt! Welchen ihr die Sünden vergebet — denen 
find fie vergeben, welchen ihr fie aber behaltet — 
denen bleiben fie behalten.“ Dieß ſprach Jeſus, nachdem 
er längft vorher ſchon ihnen erklärt hatte: was ihr 
auf Erde binden werdet, fol auch im Himmel ge 
bunden feyn, und was ihr auf Erde löſen werdet, foll 
auch im Himmel los feyn. Diefe ibnen vom Herrn 
verliehene befondre Gewalt der Sündenvergebung — welche 
fie ihn vorher felbft oft ausüben fahen — mußten: doch 
wohl die Sünger au) in Unwendung bringen, und 
diefelbe mußte — wie Predigtamt und Taufe — auch auf 


— 28 — 


ihre Nachfolger übergehen. Andre befväftigende Ber 
weisftellen finden wir Math. III, 6. Mare. IL, 5. Xet: 
AIX, 148, Sa. V, 46. 4Sob.l, 9— 10, Levit. V, 
5—6. Num. V,7. Prov. XXVIII, 43. Weber die Haupts 
ftelle bey Soh. XX, 19— 23. verdient Dr. Klees trefi 
liche Schrift: die Beicht, eine hiſtor. krit. Unterfuchung 
©. 39 nachgelefen zu werden. | 
Stehen wir nun auch das Zeugniß der Urchriften 
zu Rath, fo werden wir uns leicht überzeugen, daß die 
firchliche Beichtanftalt immer fefter geregelt ward, und 
dag in allen Sahrhunderten ihre ſegensvolle Würfungen 
auf die Sinnesänderung und Lebensverbefferung neben 
allen Mißbräuchen immer fichtbar blieben. Drigenes und 
Auguftinus, dieſe großen — auch bey den Proteftanten 
in Achtung ftehenden Kirchenväter, laſſen uns gar feinen 
Zweifel über die göttliche Einfekung diefes Bußſakra— 
ments mehr übrig. Erſterer zergliedert in der 2 Hom. 
auf den 37. Pf. diefen Gegenftand gründlich, und aus 
feiner Darftellung gebt zugleich der merkwürdige Umftand 
klar hervor, daß die allgemeine Beiht aus der Dh 
renbeicht entftanden fey, und keineswegs umgekehrt die 
leßtre aus der erftern (mie die Proteftanten behaupten). 
Durch das unverwerfliche Zeugniß diefes ehrwürdigen Kir— 
chenfchriftftelers wird die Meinung, daß die Beicht nur 
eine Eluge menfchlicye Anordnung fpäterer Sahrbunderte 
fey, und daß fie nur auf einzelne gröbere Lafter und Ber» 
brechen fich beichränft habe, fiegreich widerlegt. Auch in 
der 47. Homilie über Luc. fommt eine wichtige Stelle ala 
Beftätigung vor, daß wir unfre Sünden nicht nur Gott, 
fondern auch denen, die unfre Wunden und Sünden hei» 
len fünnen, offenbaren follen. Micht weniger klar fpricht 
fich hierüber Auguftinus aus: „wenn man fagt, ich beveue 
meine Einden im Geheimen vor Gott, e3 ift hinläng— 
lich, vor Gott zu befennen, ſo machen wir das Evans 
gelium, das Wort Gottes, gu nichte. Wenn dieß genügte, 
wozu wäre dann der Kirche Gottes dv Schlüffel« 


- > 


gewalt gegeben worden? Warum hätte Jeſus gefagt.: 
was ihr binden oder löſen werdet, fol auch im Himmelge 
bunden oder gelöst feyn ?“ Weber den 86. Pf. fagt der nähm⸗ 
liche Kiechenlehrer: „Erröthe nicht, vor einem Menfchen 
zu befennen, was du nicht errötheft vor vielen zu 
thunz beffer iſts vor einem Menfchen bier ein wenig 
Scham zu leiden, ald dort vor fo vielen Millionen vor 
Scham zu vergehen am Tag des Gerichts.“ 


Nehnliche Stellen finden wir bei Athanafius, Baſilius, 
Ambrofius und andern jener ausgezeichneten, wahrhaft 
aufgeflärten Männer ter chriftlichen Borwelt, welche 
Zeitgenoſſen dieſer Beichtanftalt waren, derer Zeugniffe 
daher entfcheidend und unverwerflich find. 


Daß übrigens in der Stelle bey 1 Soh. I, 9 eben die 
Beicht unter jenem Befenntnißverftanden werde, geht 
ſchon daraus klar hervor , weil nie ein andres Bekenntniß 
feit ihrer Einfeßung nach Chrifti Auferfichung geübt ward, 
Wohl Tefen wir ganz deutlich und unmißverfiehbar, daß 
Ehriftus die Löfungs- und Bindungsgewalt den Apofteln 
verliehen, nirgends aber daß er die Sündenvergebung mit 
einem bloß vor Gott abgelegten Bekenntniß verbun- 
den habe. Zur Zeit des Urchriſtenthums mußten 
ſchwere notorifche Sünden Öffentlich gebeichtet werden, 
um das gegebene Aergermiß gutzumachen, wobey der 
Büßende beym Eingang der Kirche mit abgefhornem Haupts 
haar in Trauerkleid gehült ftand. Immer gieng das von 
Ehrifto eingefekte Saframent der Beicht vorher; das 
von dev Kirche eingeführte öffentliche Befenntnif folgte 
manchmahl darauf, und war immer nur Folge des er— 
ſtern. Die eine — immer unerläßliche — ftille geheime 
Beicht entichied über die zweite öffentliche, welche nur 
Hülfsanftalt war. Die erfie — göttlichen Urſprungs 
— beftand von jeher und wird auch ewig fortbeftehen ; 
die zweyte — Eirchliche Einrichtung — erhielt fich nur 
wenige Jahrhunderte hindurch, und erlofch auf Unordnung 

S | 49° 


N en 


der nähmlichen Fanonifchen Authorität, durch welche fie 
war eingeführt worden. 

Daß es aber dem Katholik fo leicht gemacht fey, ſich 
von der Schuld zu reinigen und von zeitlicher und ewiger 
Strafe Toszufaufen, fann nur proteftantifche Bosheit 
oder Unwiffenheit behaupten. Um die priefterliche Los— 
fprechung zu erlangen, muß der katholiſche Ehrift nicht 
etwa nur fein Gemiffen fireng erforfchen, um das 
durch feinen moralifchen Zuftand aufs gründlichfte kennen 
zu lernen, — nicht nur tiefe innige Reue über feine 
Sehltritte und Vergehungen empfinden, durch welche er 
fih der Baterliebe Gottes unmwürdig machte, — fondern 
er muß auch den ernften feften Vorſatz faffen, jede Gele 
genheit zur Sünde zu meiden und zu fliehen, jeden 
feinem Nächften zugefügten Schaden wieder gutzumas 
ben und an der Beßrung feines Herzens redlich 
und unverdroffen zu arbeiten, — ev muß ferner aufrich- 
tigft und vollftändig alle Bergehungen, wie er fie bey 
gründlicher Gewiffensforfchung erfannt bat, mit Angabe 
aller mildernden oder erfchwerenden Umftände beichten, 
bey Strafe der Ungültigkeit feiner Beicht und der Ber» 
größrung feiner Sündenfchuld im Fall vorfeglicher Täu— 
ſchung, er muß endlich gemwifjenhaft die ihm vom Geelfor: 
ger zur Buße oder Genugthuung auferlegten Werke 
verrichten, welche vermög kirchlicher Vorſchrift (Con. 
Trid. Sess. XIV. c. 8.) zugleih firafender und hei— 
lender Natur find, indem fie theils Abbruch der Sinn» 
lichkeit , theils Beßrung des Herzens bezwecken. 

Dieß alles iſt doch wahrlich ſchwerer als — nach 
Art der Proteſtanten — lediglich ein allgemeines Bekennt—⸗ 
niß herzuſagen und eine Verſichrung der Sündenver— 
gebung anzuhören! Und bey ſolchen Forderungen der 
katholiſchen Kirche an ihre Gläubigen ſollten dieſe Gefahr 
laufen, in die Knechtſchaft der Sünde zu fallen oder einer 
äußern Werkheiligkeit fich fehuldig zu machen ? 

Mach proteftantifchem Lehrbegriff genügt die Neue 


- I + 


und Anklage vor Bott, um Vergebung der Sünden 
zu erlangen. Dadurch wird allerdings dem Sünder jede 
ängftliche Verlegenheit erfpart; er wird feiner eignen Dis» 
fretion überlaffen, und der Demüthigung enthoben, feinem 
Seelforger die geheimen Falten eines verdorbnen Herzens 
aufzudeden. Mac) diefer Anficht verlöre jedoch die Beicht 
allen Werth, fie wäre ganz zwecklos, und würde wohl auch 
gleich von ihrer Entftehung an ohne allen Erfolg geblieben 
feyn; Sefus Chriftus hätte ganz umfonft feinen Süngern 
die Befugniß zur Losſprechung ertheilt, da diefe wohl 
nie Gelegenheit zu Ausübung folcher Gewalt würden ges 
funden haben, und jedermann den bequemern Ausweg 
vorgezogen hätte, feine Sünden Gott ftatt einem Neben—⸗ 
menfchen zu beichten. Eben fo hätte der Heiland unrichtig 
gefprochen: was ihr auf Erde bindet, fol auch im Him—⸗ 
mel gebunden feyn, da die Sünder fi) um folche Bin» 
dungsgemwalt ihrer Lehrer ganz und gar nicht zu befüm- 
mern gehabt, fondern fchlechtweg durch ein bloßes zu Gott 
gefprochenes Wort fihb unmittelbar von ihm felbft 
die Erlaffung ihrer Sünden ausgewürft hätten. 

Allein ganz anders verfuhren die AUpoftel und ihre 
Nachfolger, und nie hatten in jenen fchönen Zeiten der 
Kirche die Sünder auf folch freye Wahl Anfpruch gemacht. 

Nein wahrlich, die Einführung dee — auch bey den 
Griechen und allen orientalifchen Chriften als göttliche 
Anftalt ausgeübten — Beichte fann nur darin gefucht wers 
den, daß in Kraft göttlichen Befehls feine Vergebung 
. der nach der Zaufe begangnen Sünden zu hoffen fey, als 
unter Beding eines den Dienern Gottes gemachten 
freywilligen Geftändniffes derfelben. Alle Ehriften von 
jeher — denn alle fündigten — müffen die Nothwendigkeit 
erkannt haben, entweder die Schande dem Heil, oder dag 
Heil der Schande vorzuziehen; und fehr richtig bemerkt 
daher Schwarz in ſ. Handb. der chr. Relig.: „die Beicht 
ift in der pofitiven Anftalt Sefu gegründet; ohnedem wäre 
fchwer zu begreifen, wie die fpezififche Beicht bei allen 

49* 


= 8 


Kirchen, die fi) fehon im vierten Sahrhundert von der 
römifchen getrennt haben, nicht bloß als ein Rath, 
fondern al3 ausdrüdliches Geboth Sefu angefehen ward. 

Wer kann läugnen, daß Millionen Chriften den Arno 
trieb zur Sinnesänderung, Troſt und Geelenruhe aus 
diefer Anftalt fchöpften, — dag Millionen an der Hand 
eines menfchenfreundlichen Führers auf die Bahn des Heils, 
von welcher fie durch Leichtfinn und Leidenſchaft fich ent» 
fernt hatten, wieder zurücfehrten! Bas die fräftigften 
öffentlichen Xehrvorträge nicht zumegebrachten, gelang 
oft der vertraulichen Zurechtweifung. Mißbräuche 
aber, welche mit diefer Heilsanftalt getrieben wurden und 
noch werden, fünnen nicht ihr felbft zum Vorwurf ges 
reichen, da von jeher felbft das Heiligfte durch dan ent» 
ſtellt und durch Mißbrauch entweiht ward. 


Auch in Betreff des 
Ablaffes 


walten unter den Proteftanten verfchiedene irrige Anfichten 
ob, deren Berichtigung eben nicht fchwer fallen wird. 

Nach der einzig zuläffigen Auslegung hat man unter 
Ablaß zu verftehen: die gänzliche oder theilweife Exrlafs 
fung der zeitlichen Strafen, welchen der buffertige 
Ehrift auch nach verziehbener Sündenfhuld noch 
unterworfen wäre, | 

Daß einft bereits für nachgelaffene Sünden noch bes 
fondre zeitliche Strafen und Züchtigungen —— waren, 
finden wir im Worte Gottes klar ausgeſprochen. 3a fchon 
unſre Stammeltern traf nach erlangter Vergebung ihrer 
Sünde doch noch eine zeitliche Strafe, — Gen. II. — 
die Iſraeliten in der Wüſte, ſelbſt Moſes und Aaron, - 
Num. XIV, Deut. XXXII. — und den Pfalmiften David 
— 2 Sam. XI — 


— 293 — 


Das ganze chriftliche Alterthum huldigte diefer Lehre, 
und immer hat die Kirche — geftüßt auf Ehrifti eignen 
Ausſpruch Math, XVII, 18. Soh. XX, 23 — die Ge— 
walt der Ablaßertheilung ausgeübt. ©. 1 Cor. V, 4-65. 
2 Eor. II, 40. Die Schriften der meiften griechifchen und 
lateinifchen Kirchenväter beftätigen die ununterbrochne An— 
wendung diefer Gewalt von den Zeiten der Apoftel an, 
und wir fehen aus Cyprian, Chryſoſt., Tertullian, Bar 
ſilius, Theodoret u. a. m., daß die obigen. Schriftfiellen 
bey Math. und Soh. nie in einem andern Sinn verjtan- 
den wurden. Auguſtinus fagt in ſ. 124. Abh. über den 
hei. Sohannes: „wenn auch der Menich nicht mehr zur 
ewigen Straf für feine Sünden beftimmt ift, fo werden 
dennoch zeitliche ihm auferlegt , theild um ihm dag 
Unglück zu zeigen, welches er ‚verdiente, theils um feine 
ftet3 zum Fall geneigte Natur zu beſſein, theils endlich 
um ihn in der ſo nöthigen Gedult zu üben.“ 

Die Verordnung des Trid. Conz. lautet fo; „Weil 
die Macht der Yblafertheilung von Chriftus der Kicche 
ift verliehen worden, und diefelbe ſchon in den älteſten 
Zeiten dieſe ihr von Gott gegebne Vollmacht ausübte; 
fo lehrt und verordnet das Conzilium: daß der dem chriſt— 
lichen Volk ſehr heilſame, und durch das Anſehn gehei> 
ligtev Kixchenräthe gutgeheißene Gebrauch der Abläſſe in 
der Kirche beybehalten werde.“ 

Daß in früheren Zeiten mancherley Mißbrauch und 
Unfug, zum Aerger aller ächten Katholiken, mit dem 
Ablaſſe getrieben ward, läugnet niemand und auch 
niemand; daß aber in der katholiſchen Kirche Abläſſe um 
Geld verkauft werden, iſt boshafte ſchamloſe Lüge 
und Verläumdung. Die Ablaßprediger — auch nur um 
Almoſen zu ſammeln — ſind vielmehr, eben zu Verhüthung 
alles FRE — , gänzlich befeitigt worden. 


* * 
* * 


— 294 — 
Auch über den 
Bilderdienſt 


werden wir manche tief eingewurzelte Vorurtheile aufzu- 
decfen und zu berichtigen finden. 

Schon die Gefchichte des grauen Altertbums be 
lehrt ung, daß die Völker der Vorzeit die Vorftellung 
eines höchſten Weſens nicht ohne Bild feftzuhalten 
vermochte, und daher in der Sonne — Sternen — Feuer 
u. f. w. die Sinnbilder der Gottheit verehrten. Da fie nicht 
begreifen fonnten, daß ein Einziges Wefen mit feiner Vor— 
fehung das ganze Weltall zu umfaffen im Stande fey, fo 
entftund bald jenes Heer von Gottheiten und ihren Bild» 
fäulen. - Nie war aber ein Volk fo roh und albern, um 
diefe von Menfchenhand geformten Gözenbilder für die 
eigentlichen Götter felbft zu halten, welche den Sterb» 
lichen ihre Gaben fpenden. Man kannte nur Einen Jupi— 
ter, obgleich feine Statuen bei Zaufenden vorhanden waren. 
Dver wo hat je ein Weifer des Alterthbums behauptet, 
daß feine Zeitgenoffen Stein — Holz oder Erz angebe- 
thet haben; für das Gegentheil fprechen Bemweife in Menge. . 
Die Heiden behandelten ohne Zweifel ihre Sözenbilder wie 
noch dermahl die Eatholifchen Chriften ihre Heiligenbilder, 
d. h. die Verehrung galt nie dem Bild, fondern dem- 
jenigen, welcher durch) das Bild vorgeftellt ward. (Schon 
Pythagoras fagte, er betrachte beim Eintritt in die Tem— 
pel die Abbildungen der Götter nie, ohne eine himmlifche 
Rührung in feinem Geift und Gemüth zu empfinden.) 

Den SZfraeliten war durch die Sinaifche Gefekestafel 
nur unterfägt, von fremden Göttern gefchnikte Bilder 
zu verfertigen, Sonne und Geſtirne (wie die Cananäer) 
Ochſen und andre Thiere (wie die Egyptier) oder Schlans 
gen und Fifche (wie die Philifter) anzubethen. Ganz 
klar und beffimmt beißt es im Levit. XXVI, 1. Sch bin 
der Herr, euer Bott. Ihr follt euch feine Götzen noch 


— 295 — 


gefchnitte Bilder machen, noch Säulen aufrichten, noch 
Steine mit Bilderfchrift in euerem Land feken, um fie 
anzubethben. Nur die zur Anbetbung beftimmten 
Bilder alfo, nur die Abfiht dev Anbethung mars, was 
Sehova verwarf und unterfagte. Wie oft finden mir in 
den Schriften des alten Bundes ſolcher Denfmähler, 
Altarfteine u. f. w. gedacht , welche der Erinnrung an 
merkwürdige Ereigniffe geweiht waren, z. B. Joſ. IV, XXI, 
XXIV. 4 Reg. VII, und nirgends die Yusdrüce der 
Sreude und Merehriing vor folchen Bildern, melche bloß 
das Andenken ehrwürdiger Perſonen in uns zu erneuern 
beftimmt find, verbothen. Auch in Exod. XXXIV, Levit. 
XIX und Deut. IV ift klar ausgefprochen, daß der Ge- 
feßgeber nur immer die von Stein oder Metall geformten 
zur Anbethung und DOpferdienft beftiimmten Götzen— 
bilder der Heiden verdammt. Nach Exöd. XXV 
befahl vielmehr Gott dem Moſes eine Arche des Bundes 
zu verfertigen und an beiden Enden derfelben die goldnen 
Bildniffe zweyer Cherubine aufzuftellen, Nach Num. XXI 
fprady der Herr zu Mofes: „mache eine Schlange von 
Erz und richte fie zum Zeichen auf; wer gebiffen worden 
ift, wird durch Anfchauen derfelben geheilt werden.“ _ Und 


. war Sofue mit den Alten Iſraels Abgötter, weil fie vor 


der Arche fich ehrfurchtsvoll niederwarfen? war David 
Abgötter, als er die Arche mit der in der heiligen Schrift 
gefchilderten feyerlichen Pracht zurücbrachte? (dann find 
ja wohl auch die englifchen Parlamentsglieder Abgötter, 
weil fie im VBorübergehen vor dem bloßen Thron den 
felben jedesmahl ehrfurchtsvoll begrüßen; dann find aud) 
die veformirten Chriften Englands Abgötter, weil fie in 
ihrem Gottesdienft bey Ausſprechung des Nahmens Sefu 
fih andächtig neigen! Oder ift es weniger abgöttifch, ſich 
vor dem Nahmen zu neigen, dejien Schall die Ohren 
traf, als vor dem Bild, dus in die Augen fällt?) 
Verfolgen mir die Spuren der Bilderverehrung im 
neuen Bund, fo finden wir fie fchon in den Zeiten des 


= Mn 


Urchriſtenthums gegründet. Unverwerfliche Beweisftellen 
enthält des berühmten Photius biblioth, Augufting Ueber— 
einftim. der Evang. Bafılius Lebensbefch. des Helladius, 
Ambrofius, Tertullian u. a. m. Athanafi us, von 
Alerandrien, fagt in f. Br. an Antioch. im 3.3 wir 
Shriften find weit entfernt, die Bilder als ed. 
zubethen; wir befchränfen ung auf den Ausdruck unfrer 
Liebe für dag Urbikd, deffen Geftalt unfren Augen vor— 
fchwebt; wir tragen daher auch gar fein Bedenken, fobald 
fih Die Züge des Bilds ausgelöfcht haben, das Holz, wor— 
auf fie eingegraben waren, als unnüß zu verbrennen, Das 
mascenus berfichert,, daß die Bildniffe von der Apoftel 
Zeiten ber und auf ihren Befehl feyen geehrt worden. 
Schon der. erfie Tempel, den die Kaifer Gott errich- 
ten Tieße:s, der Conftantinifhe Dom im 9, 320 unter 
dem Papſt Syivefter, ward mit dem Bildniß des Welt- 
erlöfers und feiner Apoftel aus gediegenem Silber, fünf 
Schuh hoch, jenes im Gewicht von 420, der letztern jedes 
von 90 Pfund ausgeziert. Baſilius, Gregor von Nyſſa und 
Gregor von Nazianz erwähnen ausdrücklich der in den 
Kirchen aufgeſtellten Gemählde. (Aus der heil. Geſchichte 
wiſſen wir, daß ſchon Lucas das Bild der Mutter Gottes 
gemahlt hatte.) Tertullian ſpricht, zu Ende des zweyten 
Jahrhunderts, ganz beſtimmt von Gemählden als allgemein 
angenommenem Gebrauch, und Eufebius im VII. B. feiner 
Kirch. Geſch. erzählt uns eine höchft merkwürdige ältere 
Degebenheit, woraus die volle Gewißheit hervorgeht, 
dag die Errichtung und Verehrung der Bilder fih 
unmittelbar vom apoftolifchen Zeitalter herſchreibt. 
Uebrigens feßte der Streit wegen der Bilder fchon 
das VII. Sahrhundert in ftarfe Gährung. Allein gleich 
beym erſten Ausbruch der Unruhen hatten fich die gelehr- 
teften Männer, — der Patriarch Germanus von Conſtan— 
. tinopel an ihrer Spike, — vereinigt, um die Kirche 
gegen die ihre angedichteten miderfinnigen Begriffe zu 
rechtfertigen. Das zweite Conzilium von Nizäa erörterte 


— 297 — 


den Streit aufs greündfichfte, und entfchied — „feft geftüßt 
auf die Lehren der heiligen Väter und auf die Tradition 
der fatholifchen vom Geift der ewigen Wahrheit geleiteten 
Kirche“ — einmüthig: daß die Bilder in den Tempeln 
aufgeftellt werden follen, damit die Gläubigen beym An— 
blick derfelben ihren Geift — ihre Sedanfen und ihre 
Wünſche zu den Urbildern emporfchwingen mögen. 

Das Conzilium von Trient lehrt ganz Elar in Sess. 
AXV, daß es verbotben fey, von den Bildern irgend 
eine Gnade zu begehren oder, auf fie irgend ein Ber- 
trauen zu feken, indem fie feine ihrien eigenthbüm- 
lihe Kraft haben, wegen welcher man fie verehren müffe, 
— daß fie feinen andern Zweck haben als das Andenken 
an jene Perfonen in ung zu erneuern, welche darauf vor— 
geftellt werden, — und daß, wenn wir unfre Knie vor 
denfelben biegen, Yiele Stellung eines Pittenden immer an 
das Urbild gerichtet fey, an Jeſum Ehriftum felbft, um 
ihn anzubethen, oder an die Heiligen, um fie au Ders 
ehren. 

3ur Zeit des Glaubensabfalls war es hauptſachlich 
Bodenſtein — vulgo Carloſtadius — welcher ſich wegen der 
Bilder ganz gewaltig ereiferte; der tollkühne Schüler ward 
aber von Luther — feinem Lehrer — ernft zuvechtgemwiefen, 
indem diefer ihm die bitterften. Vorwürfe machte, und die 
Bilderftürmer eines wüthenden blutgierigen Geifts befchul- 
digte, Calvin und Zwingli erfüllten dann die Welt aufs 
neue mit einem Läftergefchrey, das — als ihr Eöftliches 
Vermächtniß — felbft noch in unfren Zeiten forthallt. 
Legtrer fagt in einer zu Bern im Senner 1523 — am 
Tag nach. der Zerftörung der Altarbilder — gehaltnen, 
falbungsvollen Predigt; „da liegen die Altäre und Göken 
im Zempel; es muß der Koth und Wuft — dus Göken- 
narrenwerf — hinaus; jekt fiebt man, daß diefe Göken 
nichts heiliges an fich haben, fondern tetfchen und bochslen 
wie andres Holz und Stein. Hier Liegt einer, dem ift 
das Haupt ab, dem andern ein Arm; hätten fie Gewalt 


— Bu — 


gehabt, fo hätte niemand fie entwegen noch weniger ent⸗ 
baupten oder lähmen mögen.“ 


Luther und die Lutheraner laffen in ihren Kirchen die 
Bilder zu, da fie nirgends in den evangelifchen Schriften 
eine Beſtimmung hierüber fanden. Sn f. Werfen XVI, 
21 fagt Zuther: „Chriftus und feine Apoftel haben auch 
feine Kirchen zerbrochen noch Bilder zertrümmert, fondern 
die Herzen gewonnen mit Gottes Wort. Als Gedenk— 
und Zeugenbilder find die Eruzifire und Bilder der 
Heiligenbilder nicht nur zu dulden, fondern auch löblich 
und ehrlich.“ 


Und haben dann die Carloftad — die Zwingli — die 
Calvin etwa neue Bemweife gegen die Bilderverehrung aufs 
gefunden, welche den Bilderftürmern des VII. Sahrhun- 
derts entgangen waren? oder hat feitdem die Fatholifche 
Kivche in ihrer Lehre und Uebung die Gränzen überfchrit- 
ten? Wozu dieſe hirnlofen Läfterungen der Neformierten ? 
Welcher Beweggrund fann fie antreiben,, die Mutterfirche 
mit Verläumdungen zu überfihütten, welche fchon feit 
einem Sahrtaufend volftändig miderlegt und vernichtet 
waren? Der Katholif fol! nun einmal durchaus abgöt— 
tifch heißen! Und ſolchen Groll, folche Feindfeligkeit ver- 
übten fchon die Reformatoren, welche doch, im Schooß der 
Kirche unterrichtet, ganz wohl gewußt haben mußten, 
daß in ihr feine Abgötterey weder gelehrt noch geduldet 
wird, auch nie von ihren Borgefekten hierzu verleitet 
wurden, und mweder in den Kirchen noch Klöftern, zu wel: 
chen fie gehörten, je eine abgöttifche Verehrung den Bil- 
dern felbft erwiefen hatten. Woher fchöpften fie dann diefe 
Befchuldigung gegen die Kirche, als aus dem bittern leis 
denfchaftlichen Groll, der alles was er berührt, vergiftet, - 
und felbft die fchuldlofeften Löblichften Handlungen zu Ber: 
brechen ftempelt, um nur der Läſterungsſucht ungezügelten 
Lauf zu laſſen. 3 

Vebrigens ift auch wohl die Sitte, dag Andenfen 


— 299 — 


geliebter, verdienſtvoller Menfchen durch ihre Bildniffe 
zu erhalten, faft fo alt als die Bildnerey felbft. Die Werth⸗ 
achtung ſolcher Bilder liegt ſchon in der Natur der Sache. 
Wer möchte wohl heute noch ein Bild, welches zur 
Erinnrung an Ehre, Rechtſchaffenheit und ruhmvolle 
Thaten dient — ſey es ein Sokrates oder Seneka, Solon 
oder Cato, Franklin oder Tell — aus ſeinem Geſichtskreiſe 
verbannen? (und prangt nicht häufig an den Altären 
Lutheriſcher Kirchen das Bild ihres großen wohlbeleibten 
Stifters?) Daß alſo Chriſten, ſobald ihnen nur wieder 
freyer Athem zu Theil ward, ihre Verſammlungsorte mit 
den Bildniſſen Jeſu, ſeiner Apoſtel und heldenmüthiger 
Blutzeugen ſchmückten, um ihre Beyſpiele unvergeßlich zu 
machen, ſollte ihnen doch wohl eben fo wenig zum Vor⸗ 
wurf gereichen, ald man es danfbaren Kindern je 
berargen würde, wenn fie die Bildniffe geliebter Eltern 
am fihönften Pla ihrer Wohnungen aufftellen, um. fich 
des Guten, welches fie ihnen verdanken, immer zu erin- 
nern! Den GStiftern mächtiger Staaten, großen Gefeh- 
gebern, Fürften und Feldherren errichtete man Bildfäulen 
und Denfmähler, um ihr Andenken auf die Nachwelt fort- 
zupflanzen und ihren Berdienften zu buldigen; aber Reli» 
gionsfreunden will man es übel deuten, wenn fie durch 
gleiche Mittel das Andenken an die unvergleichbaren Ver— 
dienfte Sefu und feiner treuen Gehülfen feftzuhalten 
fuchen!! — | 

(Was die hin und wieder noch vorfommende Geſchmack— 
lofigfeit in fchlechtem Schnitzwerk — fihwerfälligen plum— 
‚pen Engelsgeftalten u. f. w. betrifft, fo wird folche ge— 
wiß niemand in Schuß nehmen ; auch würde wohl die 
alte Kirche dergleichen Unfug nicht zugelaffen haben. Der 
Kirchenrath von Trient, und die nachherigen befondren 
Synoden von Mayland — Cölln — Paris u. f. w. machen 
es den Bifchöfen zur Pflicht, jedes Bild aus den Kirchen 
zu entfernen, welches nicht auf eine Weife verfertigt ift, 
daß es der Würde des Driginals entfpricht, und welches 


— 50 — 


nicht bey den Gläubigen wahre Erbauung zu erwecken ges 
eignet wäre.) 

Wir ſchließen dieſen Abſchnitt mit einer paſſenden Be— 
weisſtelle aus Molanus, deſſen wir auch früher ſchon als 
eines angeſehenen Gewährsmannes erwähnten: „Es iſt 
allerdings gewiß, daß die Bilder keine eigene Kraft 
haben, und daß man folglich in keiner andern Abſicht vor 
ihnen bethen kann, als weil ſie ein ſichtbares Mittel ſind 
das Andenken an Jeſum Chriſtum und himmliſche Dinge 
in uns zu erwecken. Wenn man alſo Gott vor einem- 
Bild anrufen oder anbethen will, fo jet man fich in die 
nähmliche Gemüthsverfaffung, in mwelcher die Sfraeliten. 
vor der Schlange von Erz wären, welche fie mit Ehrfurcht 
anfahen, aber ihren Glauben ganz und gar nicht an die 
Schlange, fondern an Gott ſelbſt richteten.“ So ur» 
theilte und erklärte jich nicht etwa ein Eatholifcher Schrift- 
fteller, fondern der berühmte Molanus, das Drafel der 
Lutheraner im letzten Jahrhundert. 

Auch ein angefehener Gefchichtfchreiber der neuern 
Zeit beklagt fehr, daß durch die Verbannung der Gemählde 
aus den proteftantifchen Kirchen nicht nur der Kunft ein 
unermeßlicher Schaden zugefügt, fondern auch dem Volk 
eine Art des Unterrichts entzogen worden, die eben fo 
gut darauf berechnet war fein Gefühl anzuregen und feine 
Srömmigfeit zu nähren, als der mündliche Vortrag. 

Viele ausgezeichnete Doktoren der reformierten Eng- 
liſchen Kirche fchrieben ebenfalls zu Gunften der Bilder. 
Keiner ift, der fie nicht als Abbildungen geſchichtlicher 
Gegenftände guthieße; einige haben fie aber auch in reli- 
giöſer Beziehung gebilligt. Der gelehrte Montague nimmt 
fie aufs Eräftigfte in Schutz. Auch Boffuet fpricht feine 
volle Ueberzeugung dahin aus, daß man fich im Punkt der 
Bilderverehrung — mie in fo manch anderm — leicht ver: 
gleichen würde, wenn man nur die Mißbräuche befei- 
tigen wollte, welche die ächten Katholiken felbft auch ver» 
werfen. Er hätte entfchieden hinzufegen dürfen und follen: 


und welche auch das: Conzilium von Zrient Felbft verwirft 
und auszurotten beftehlt. — 


* * 
* 


Eine ähnliche Bewandtniß hat es mit den 
Relquien 


deren Verehrung wir nicht nur im apoftolifhen Zeif- 
alter feftbegründet finden, fondern auch die urfprünglichen 
Spuren derfelben im grauen Ulterthum fchon erbliden. 

So ift 3. DB. Plato de republica L. V. der Meis 

nung, daß die in den Schlachten gefallnen Zapfern als 

„gute Geifter“ verehrt und ihre Gräber „angebethet“ 
werden follen. Eufebius de pra&p. evang. L. XI. 
führt dieſe Stelle genau an, und fagt dabey: dieſe Ehre 
gebührt mit weit mehr Recht den in der Kiebe Gottes Ders 
ftorbnen, die eigentlich die tapfren Streiter der wahren 
Religion find. Von daher rührt wohl aud) der eingeführte 
Gebrauch, ihre Gräber zu befuchen, unfre Gebethe und 
Wünfche in Gegenwart ihrer Reliquien zu Bott abzufchiden 
und ihren Seelen unfre Ehrerbiethung zu zolfen, in der 
Ueberzeugung, Daß dieſe unfre Verehrung auch von der 
Vernunft felbft gebilligt werde. 

Manche-Benfpiele der erften Chriften in Serufalem, 
Rom, Antiohien, Smyrna, fowie die Schriften der 
Bäter Eufebius, Chiyfoftomus, Cyrill von Serufalem, 
Hieronymus, Ambrofius u. a. m. liefern uns genügende 
Deweife, daß Die Verehrung der Reliquien würklich von 
den apoftolifchen Zeiten fich herfchreibe. Mit welch heilis 
gem Eifer bemächtigten ſich die Chriften der Leiber des 
heil. Petrus und Paulus gleich nach ihrem Märtyrer: 
tod, um fie an einem befondern Pla der Catafomben bey- 
zufeßen, und fie von da in die erfte aller Kivchen der Welt 
zu übertragen, wohin die Mächtigften der Erde wallfahrteten, 
um ihre Knie vor dem Grab diefer Apoftelfürften zu beu» 


zu 


gen! Mit welch rührendem Eifer verlangten die Gläubigen 
von Antiochien die irdifche Hülle ihres im 3. 4107 ver- 
ſtorbnen großen Bifchof3 und Martyrers Sanatius aus 
Rom zurück, und trugen fie von Rom bis nach, Antiocdyien 
im Siegeszug von Stadt zu Stadt auf ihren Schultern, 
indem fie auf dem ganzen Weg Gott und feinen gefrönten 
Kämpfer mit Xobliedern verherrlichten. ©. die Rede des 
heil. Chryſoſtomus auf den bh. Ignaz; ferner Eufeb3 
Kirch. Gefch. 4. B. 15. E. über den Martyrer Polykarp; 
Eyrill in der 18. Catech. über die Auferfiehung, und 
ganz vorzüglich Gregor v. Nazianz in der 18. Rede tiber 
den heil. Eyprian. Wunder — duch die Reliquien be» 
würft — erzählen uns auch der heil. Ambroſius und Aus» 
guftinus mit hiftorifcher Umftändlichfeit. Ferner Hierony- 
mus gegen Bigil, E. 3. Ambrofius im 85. Br. über die 
h. Gervafius und Protafius; Gregor von Nyßa, Auguftis 
nus, Cyrill, Baſilius; hauptfächlich Chryfoftomus 32. Hom. 
über den Br. an die Römer, und Ambrofius in feiner 
93. Rede. 

Vergleichen wir das Benehmen der Proteftanten 
und Katholiken über diefen Gegenftand! Wie oft fefleln 
jene ihr Herz mit innigftem Zartgefühl an jede noch fo 
unbedeutende Kleinigkeit, duch welche fie an eine theure 
von ihnen gefchiedne Perfon erinnert werden; fie erbauen 
wohl auch mit Kunft und Aufwand prachtvolle Srabmähler, 
unter deren Marmor oft berühmte Zerftörer des menfch- 
lichen Gefchlechts modern! Der Katholif ermweift Be— 
wunderung, Dankbarkeit und Liebe jenen unfterblichen 
MWohlthätern und Helden des Chriftenthbums, derer Ver— 
dienſte zu fchildeen jede menfchliche Feder zu Schwach ift; 
er bewahrt ihre Ueberrefte, ehrt ihre Afche, wallt zu ihren 
Gräbern und ſchmückt fie; er küßt die Falten Reliquien ders 
jenigen, derer Fußtritte wir alle gewiß füßen würden, 
wenn fie noch hiernieden mweilten; beym Anblick der Reli— 
quien der Heiligen, in der Nähe ihrer fterblichen Hüllen, 
wird der Katholif von tieffter Ehrfurcht ergriffen; das An- 


— 305 — 


denken an all ihre Tugenden und Wohlthaten erwacht lebe 
haft in feinem Geiftl. Wie manches durch den Anblick fol- 
cher Reliquien angefeuerte Gebeth ward nicht an diefen 
Stätten erbört! Keineswegs durch eine in dDiefen Ge— 
beinen oder Aſchen verborgne, Übernatürliche Kraft 
oder göttliche Macht — (denn gerade diefe körper— 
lichen Ueberbleibfel überzeugen uns ja, daß die Heis 
ligen nur waren, was auch wir find); aber wir glaus 
ben und wiffen, daß es oft Gott gefallen hat, an feinen 

Dienern duch Wunder, die er an ihren Gräbern würfte, 
feine befondre Huld hervorleuchten zu laffen. ©. 4 Reg. 
XHI, 21. Mach Act. V, 15. wurden Kranfe durch den 
Schatten von Petrus geheilt, und nach Act. XIX, 12. 
wurden Kranfe, wenn man Schweißtücher und Schürzen 
— welche Petrus an feinem Leib getragen hatte — auf fie, 
legte, gefund und die unreinen Geifter fuhren von. ihnen 
aus. Eben fo unläugbar find die Wunder, derer Augenz 
zeuge die urfprüngliche Kirche fo. oft an den Grä— 
bern der Martyrer war, An folchen Stätten richtet der 
gläubige Katholik feine Dankfagungen und Bitten kei— 
neswegs an die vor Ihm liegenden Reliquien. Er dankt 
Bott für ihre Berherrlichung, erflebt fih von ihm 
die nähmlihen Erbarmungen, und ruft ihn um die 
gewünfchte Gnade an. Bon Gott geht demnad) die Ver— 
ehrung der Reliquien als von ihrer Duelle aus, und zu - 
Gott kehrt fie als zu ihrem letzten Ziel zurück. 

Dies find die Grundſätze des Fatholifchen Chriften; 
andre hatte er nie; wer ihm andre aufbürder, irrt ſich. 
Mögen ehmahls — vielleicht auch zur Zeit der Refor— 
mation -- irrige, abergläubifche Begriffe hierüber verbreitet 
gewefen feyn, — man fann fie nicht der Kirche aufbürden; 
(tadelnswerthe Ausnahmen können nur der roheften Un— 
wiffenheit zur Laft fallen, von feinem redlichen Unbefang- 
nen aber auf Rechnung der Gefammtheit geftellt werden.) 
die Kirche felbft beftreitet all diefe Srrthümer, und bes 
fiehlt fortwährend ihren Dienern fie ducch Verkündung der 


= — 


entgegengefeßten wahren Xehre zu berichtigen. Wer 
fann in Ddiefer etwas thörichtes, verbrecherifches finden; 
wer kann in der den Reliquien der Heiligen ermwiefenen 
Ehrerbietung und Huligung auch nur einen Schatten: 
von Abgötterey entderfen!? — 

Luthers Lehrmeinung ift auch in diefem Punkt, wie 
in den meiſten übrigen, ſich ſelbſt widerſprechend. Im 
vH. &%. ©. 277 Sen: Ausg. fchreyt er die Reliquien 
als Detrügereyen aus, die man tief unter die Erde 
begraben ſollte, .und verfichert uns in feiner pöbelhaften 
Sprache „er fee auf die Gebeine der Heiligen feinen 
größern Werth, ald auf diejenigen eines Gehängten.“ In 
nüchternen Augenblicken gefteht er hingegen. ein: „Daß 
Gott durch feine Heiligen bey ihren Gräbern in Gegen» 
wart ihrer Reliquien vor den Augen der ganzen Welt noch 
große Wunder thue.“ Ibid. Tom. I. und in feiner Ab- 
handlung über die ftille Meffe fagt er: „wo fich noch die 
wahren Reliquien der Heiligen finden, da war und 
ift noch unbezweifelt die heilige Kirche Sefu Ehriti; 
da find die Heiligen geblieben. “ | 


* 
* * 


Nun kommen wir zu einem wichtigen Stein des Un» 
ftoßes; wir meinen das 


Ktreusjseiden 


des Erlöfers. Und da wird der Beweis nicht fchwer fallen, 
daß die Reformation, indem fie das Kreuzzeichen verboth 
und das Kreuz von den Altiren, den öffentlichen Pläßen 
und Straßen verbannte, fich in offenbaren Wider- 
fpruch mit dem chriftlichen Alterthum fekte. In 
England haben die Reformierten das Kreuz einzig noch in 
Ertheilung der heiligen Taufe beybehalten; in Deutfchland 
ward es fogar auch aus diefem Sakrament, melches ung 
doch zu Ehriften Stempeln fol, verdrängt. Indem die Res 


— 305 — 


formatoren die Abficht vorfpiegelten, das ehrmwürdige goldine 
Zeitalter des Ehriftenthums ing Leben zurüczurufen, — 
indem fie vorgaben, ihr neues Gebäude bloß auf der 
Grundfefte des alten zu errichten, und nur den Roft 
wegzuräumen, welcher fich in den Zagen der Unmiffen- 
heit und Finfterniß angehäuft habe, — entfernten 
fie fich vielmehr durdy ihre Verwerfung des Kreuzes gänz» 
fih von den urfprünglidhen Sitten jenes hehren 
3eitalters des Chriſtenthums. — Wie oberflächlich, mie 
gering mußte dann ihre Kenntniß der chriftlichen Vorwelt 
ſeyn — | 

Wir werden jene dreifte Vorſpieglung Lügen Strafen 
durch unvermerfliche Zeugniffe der angefehenften Kirchen— 
väter, und berufen ung zu dieſem Ende auf Auguftinus, 
Hieronymus, Ambrofius und Zertullianus für die Iatei- 
nifche, — fodann auf. Ephrem, Chryfoftomus, Eyrill von 
Serufalem, Bafilius, Athanafius, Drigenes, Eufebiug 
u. a. m. für die griechiſche Kirche. 

Auguftinusfagt in f. Rede über die Heiligen: „Mit 
dem Kreuz fangt der Unterricht der Catechumenen an, und 
durch dajjelbe wird das Zaufwaffer geweiht; durch das 
Kreuz empfangen die Zäuflinge alle Gaben des heiligen 
Geiftes; durch dieß Zeichen werden die Kirchen und Altäre 
eingeweiht; kurz es ift fein einziges Saframent in 
der Kicche, welches nicht durch die geheimnißvolfe 
Kraft biefes Zeichens verliehen wird; fragt man einen 
Catechumenen: glaubft du an Ehriftum? fo bejaht er eg, 
indem ev fogleich feine Stirne mit dem Zeichen de3 heiligen 
Kreuzes bezeichnet.“ 


Hieronymus im Dr. an die Demetrias fchreibt: 
„bewaffne oft deine Stirne mit dem Zeichen des Kreuzes, 
damit der Zerftörer Egyptens Feine Gewalt über dich habe, “ 

Ambrofiusin f. 45. Rede fagt: „das Zeichen Chrifti 
ift auf unfrer Stirne; es ift in unfren Herzen; dort, 
um ihn immer zu befennen, bier, um ihn zu lieben, Un. 


20 


— 306 — 


fer Tagewerk follen wir immer mit dem Zeichen de3 Er- 
löfers beginnen. “ 

Sm gleichen Sinne zeugen die fehönen Verſe des Laf- 
tantius (der chriftliche Cicero genannt) über das Eruzi- 
firbild, und Zertullianus 2. B. 5. Dr. und über die 
Krone des Soldaten 3. C. 

Eben fo wenig müffen die Reformatoren in der griechi- 
ſchen und orientalifchen Kirche bewandert gemwefen feyn. 

Sohannes Bifchof von Conftantinopel, wegen feiner 
Beredfamkeit Chryfoftomus genannt, fagt in f. Beweis— 
führung gegen die Heiden: „Fürften und Unterthanen, 
Männer und Weiber, Junge und Alte, Alle bezeichnen 
fi) mit dem Kreuz auf dem erhabenften Theil des menfc- 
lichen Angefichts. Ueberall ift dag Kreuz gepflanzt und in 
Ehren gehalten, in den Häufern, auf öffentlichen Plägen, 
Straßen, Meeren, Schiffen, Bergen, Thälern, Kleidern, 
Betten, Warten, Gefäßen und Gemählden. Durch das 
Kreuz finden wir uns fchöner gefchmüdt, als mit Dia- 
demen und Gefchmeide.“ Sn gleihem Sinn eifert Ephrem. 

Cyrill fagt: „Beym Effen und Trinken, Ausgehen 
und Heimfehren, Schlafen und Erwachen bezeichnet ver - 
trauensvoll eure Stirne mit dem Kreuz des Erlöfers!“ 

Bafilius über den Märtyrertod des Gordius fagt: 
„Der Blutzeuge Sefu Chrifti waffnete fich hierauf mit dem 
furchtbaren Zeichen des Kreuzes, und fihritt dann mit 
unerfhrocdnem Heldenmuth — ohne nur im geringften die 
Gefichtsfarbe zu wechſeln — dem Tod. entgegen.“ Eben 
fo beftimmt äußeren fih für die Kraft des Kreuzzeichens 
Athanafius über die Menfchwerdung, Drigenes Hom. 
über den dr. an die Römer, Eufebiug evang. Beweis— 
führ. 6. B. letztes C. Suftinus 4118 Fr. Eyrill im 
6.3. gegen Sulian, und Drigenes gegen Eelfus im 2.8. 

In den FINE AND aller Kirchen des V. Jahrhun— 
derts ift auch nicht Eine, in welcher nicht Gebethsformeln 
und Gegnungen enthalten wären, die mit dem Zeichen des 
Kreuzes verbunden find. 


— 307 — 


Auch hätte den anmaßenden Reformatoren der gefchicht- 
fihe Umftand nicht unbekannt feyn follen, daß fchon auf 
der Bildfäule des erften chriſtlichen Kaifers in Rom, 
Gonftantin des Großen, dag Kreuz prangte, und daß dev 
höchfte Enthbufiasmus feine Heerfchaaren ergriff, wenn fie 
die vornehmfte Reichsfahne — das Labarum — mit dem 
Zeichen des Kreuzes und dem Monogramm des Nahmens 
Sefu Chriſti an ihrer Spike erblicten. 

Uebrigens ift die Berehrung des Kreuzes ja dep- 
wegen feineswegs irgendwo in Anbethung ausgeartet, 
fo wenig als bey den Bildern oder Reliquien — wie wir 
fchon oben ung überzeugt haben. | 

Diefe alberne abgeſchmackte Befchuldigung hatten eh— 
mahls felbft fchon die Heiden gegen die Fatholifchen Vor— 
eltern gerichtet. Gar treffend antwortete in diefer Hinficht 
der Geil. Athanafius dem Fürften Antiochus: „Wenn 
uns die Heiden der Anbethung des Holzes befchuldigen, 
fo fünnen wir vor ihren Augen die zwey Theile des Kreu— 
zes von einander ablöfen, beyde Theile auf die Erde wer— 
“fen und mit Füßen tretten, zum Beweis daß unfre Ver— 
ehrung fich nicht auf das Holz beziehe, fondern auf die 
Erinnerung des Gekreuzigten.“ 

Leontius Bifhof von Neapel im 4 und T. Xrt. 
des zweyten Conz. von Nizäa fagt: „Wenn ihr feht, daß 
Ehriften vor dem Kreuz betben, fo wifjet, daß fie Sefum 
den Gefreuzigten anbethen, Feineswegs aber das Holz. 
Sind die Hölzer, woraus das Kreuz befteht, getrennt, fo 
erweifen fie ihm nicht nur feine Ehrerbiethung, fondern 
werfen e3 auf die Erde oder ins Feuer.“ 

Wenn zumeilen in der Eatholifchen Kirche von An— 
bethbung des Kreuzes gefprochen wird, fo ift darüber 
mit den Bätern des zweyten Conziliums von Nizäa und 
mit allen unterrichteten und vedlichgefinnten Theologen zu 
antworten: Anbethen — Anbethung find allgemeine Aus- 
drücke, welche beziehungsweiſe auf den Gegenfiand 
in verfhiednem Ginn angenommen und verftanden 

20* 


— 


werden; beziehen ſie ſich auf eine der drey göttlichen Per— 
ſonen, ſo bedeuten ſie unſre vollſtändige Abhängigkeit, die 
unbeſchränkte Herrſchaft Gottes, und die Anbetbung 
im eigentlichen Sinn; (mögen jene proteſtantiſchen Kir— 
chenlichter, welche in den neuften theol. Annalen von 1830 die 
Dogmen von der Dreyeinigfeit — fowie von der Gottheit 
Ehrifti — als unevangeliſch und unapofiofifch erklären, im— 
merbin ſich hierüber ärgern!) beziehen fie ſich aber auf die 
Heiligen, ihre Bilder, auf das Cruzifix — Alter — Kreuz 
— auf Regenten — ihre Statuen — (auch die Kaifer 
und Könige unfrer jetzigen Chriſtenwelt heißen ja nicht fel- 
‚ten majestates sacratissime und ,„Angebethete“ im Curial 
Styl) fo bedeuten fie bloß eine relative bürgerliche oder 
religiöfe Ehrbezeigung. Auf wen fonft fann und foll 
man fi) über den Sinn eines Ausdrucfs berufen, als auf 
jene, welche ihn gebrauchen? wollen andre beſſer wiſſen, 
was jene damit fagen wollten, als fie felbtt? Wahchaftig 
— jagt der große, trefflihe Boſſuet — dieß ift erbärm- 
lich, und wenn man bedenft, daß durch foldy ſpitzfün— 
dige Ränfe fogar die Einigkeit gefährdet und geftört 
wird, fo ift es vollends abſcheulich. 

Luther in f. größern Hauspoftil fagt hierüber nach 
feiner mwiderfprechenden, fihtwanfenden Weife: „wo Miß— 
brauch und Irrthum gefchieht: in Anbethung der Bilder 
und Kreuze, fol man diefe zerſtören und wegthun, auch 
die Kirchen dafelbft niederreigen. Wiewohl ich die Bilder 
nicht aänzlich verwerfe, und fonderlich die Figur des ge— 
freuzigten Ehrifti. Denn wir haben deſſen eine Vorftellung 
im alten Zeftament von der ehernen Schlange durch Mofen 
in der Wüſte aufgerichtet, auf daß alle, fo von den feuri- 
gen Schlangen gebiffen waren, mo fie diefe eherne Schlange 
anfchauten, foltten dadurch gefund werden. Das follten 
wir auch mit dem Bild des gefreuzigten Chriftus thun.“ 
Auch das Alterthum beweist die verfchiedne Bedeu- 
tung diefes Worts. Genes. C. XVIIL heißt es: „Abs 
vabam neigte fi) bis zur Erde vor den drey Männern, 


— A — 


und bethete fie an.“ Gen. C. XXU: „Abraham erhob 
ſich, und bethete das Volk diefes Landes an.“ Gen. XLIX. 
„Die Kinder deines Vaters werden dich anbetben.“ So 
bethete auch David den Saul an, Ehufi den Jakob, Achi— 
maas den König, Arenna den David, Adonias den Sal» 
mon, die Kinder der Propheten den Elifäug, alle Diener 
des Ahasveros den Aman u. f. w. Die Chronifen und 
 Gefchichtfchreiber erzählen, daß Kaifer Carl der Große von 
Leo II. angebethet ward, nach der nähmlichen Weife, mie 
ehmahls die alten Kaifer angebethrt wurden. Im Hebräi- 
fchen und Griechifhen fommt immer ein und ebenderfelbe 
Ausdruck vor; allein die proteftantifchen Ausleger überfeßen 
es in armfeliger Schlaubeit bald mit „anbethen“, bald 
mit „verbeugen“, „niederfnien“, „Ehre erweifen“, — je 
nachdem es ihnen beffer dient. Die vulgata hat überall 
adorare (feyerliche Ehrerbisthung erzeigen, verehren), dr 
griechifche Tert hat roooxvverv, d.h. reverenter tractare, 
tiefe Ehrfurcht bezeigen. | 

Weit füglicher hätten die Proteftanten den Katholiken 
den Teichtfinnigen Mißbrauch des Kreuzes Chrifti 
borzumerfen gehabt, — die ärgerlihe Flüchtigkeit, 
mit welcher fie fich bezeichnen, — die ungebührliche Schnel» 
ligfeit und Zauheit, mit welcher fo viele Priester am 
- Altar bey der beifigften erhabenften Handlung ihres Amtes 
dieß Zeichen binfchleudern, — dus Zeichen, welches 
den kurzen Inbegriff unfers ganzen Glaubensbe— 
fenntniffes in fich ſchließt: die Dreyfaltigfeit der Per— 
fonen in einem einzigen Gott — die Menfchwerdung — 
die Leiden und Zod Jeſu — die Erlöfung des ganzen 
Menfchengefchlechts — ! 

Aber — dieß Glaubensbefenntniß verbiethen, — 
einen Gebrauch, welcher fo alt als die Kirche felbft 
it, abfhaffen, — Chriſten jenes ehrwürdige Zeichen 
unterfagen; wodurch das Chriſtenthum fundgege- 
ben wird, das Kreuszeichen, welches ung gegen Der: 
fuchungen ah Sefahren f Hirmt — den Kranfen bey 


— 50 — 


Annäherung des Todes wie den Märtyrer beym Anblick 
von Schwert und Scheiterhaufen ermuthigt, — das 
Cruzifix, die Abbildung des für ung fterbenden Heilands 
zum Feuer verurtheilen, — das Kreuz — das Gie- 
geszeichen — unfern größten Ruhm und Hoffnung — deffen 
einzig und allein Paulus fi rühmte — das Kreuz, 
durch welches die Welt erlöfet ward — das Kreuz, durch 
welches die Welt wird gerichtet werden, wenn es uns 
in der nach erlofchnem Sonnenlicht uns umgebenden 
grauenvollen Finfternig auf einmahl erfcheinen und meit 
herrlicher als die Sonne ftrahlen wird — dieß Kreuz nie- 
derreigen und in die Acht erflären, — welche Ver— 
blendung, welch tollfühne DVermeffenheit, welcher Wahn- 
fin! — 
* * 


Sn Betreff der 


Verehrung und Anrufung der Heiligen, 


welche uns nun zu betrachten folgt, fpricht fich der Fatho- 
liſche Katehismug ganz Far und einfach aus, „daß 
die Heiligen angerufen werden, nicht als ob fie aus 
eigner Macht helfen könnten, fondern weil fie — laut 
der Schrift — Freunde Gottes find, und weil aud) 
fie für die Menfchen zu Gott bitten.“ 

Kein vernünftiger Katholik hat je daran gedacht, die 
Heiligen anzubethen oder zu glauben, daß bey dem An— 
rufen der Ton zu den Ohren des Heiligen dringen müffe, 
um von ihm gehört zu werden. Solch plumpe alberne 
Porftelungen fommen gar niemanden zu Sinn. Auch 
fchreibt die Kirche gar nicht vor, daß man fie laut oder 
anders als im Herzen anrufen fol. Weber die Art und 
Weife, wie die GSeligen in die Kenntniß der gläubigen 
Anrufungen auf Erde gefeßt werden, hat die Kirche nichts 
entfchieden ; fie hat folche Bott anheimgeftellt — dem 
Herrn des Geifterreich3 im Himmel und auf Erde, 


- 


— 344 — 


Kennt man etiva das Geifterreich fo genau, daß man darin 
eine Berbindung — eine gemeinfchaftliche wechfel- 
feitige Einwirkung als unmöglicy oder abgefchmackt 


erflären dürfte? Nicht von den Heiligen hofft und er— 


wartet übrigens der katholiſche Gläubige die Erhörung 
feiner Anliegen, fondern allein von Gott durch Jeſum 
Chriftum. Sollten nicht. die Seligen im Himmel ihre 
Bitten mit dem Gebeth der gläubigen Kämpfer auf Erde 
vereinigen fönnen? Nach Luc. XV, 7 u. 10 haben Got— 
tes Engel im Himmel Freude über die Bekehrung eines 
Sünders auf Erde Alſo wiffen fie nicht nur um 
das Thun der fireitenden Kirche auf Erde, fondern neh— 
men auch Anthoil an ihrem Schidfal, Die Engel find 
aber auch nicht allwiffend, und müfen folglich von 
Gott auf eine uns unbefannte Weife in Kenntniß 
gefekt werden. Warum follte man dieß nicht auch auf 
die Heiligen anwenden dürfen? Ber in Betreff des 
moralifhen Gottesreichs Erde und Himmel nicht 
trennt — folglich eine Gemeinſchaft unter den Bürgern 
diefes Gottesveichs zugiebt -- kann e8 nur vernunft— 
mäßig finden, das die feligen Himmels bürger den ihnen 
gewiß angemegnen Wunſch begen, daß auch die in der 
fireitenden Kirche Gottes noch Wallenden diefer Selig» 
keit theilhaftig würden; diefe Wünfche nun löſen fich in 
Fürbitten auf, welhe — ald aus reinjier Liebe ges 
floffen — dem Gott der Liebe nur mwohlgefällig ſeyn 
können, um fo mehr, da das liebevolle Fürbitten für ein- 
ander den Bläubigen auf Erde fo nachdrücklich in der 
Schrift empfohlen und als eine Gott wohlgefällige 
Sache dargeftellt wird. (Hebr. XIII, Jac. V, 2 Cor. L, 
4 Zim. OH.) So lange die Heiligen auf Erde Iebten, 
waren fie möglicht für ihr eignes und ihrer Mitbrüder 
Heil beforgt. Diefe Gefinnung begleitete fie in die Ewig- 
keit und konnte dort in näherer Bereinigung mit 
Gott nur gefräftigt werden. Nach dem Drang ihrer 
Siebe müffen fie wünfchen, daß die gläubigen Kämpfer 


— 312 — 


hienieden zu ebenderfelben GSeligfeit gelangen. Dieß ift ja 
fhon Eräftige Fürbitte! Was ift von unſrer Seite 
billiger, ald daß wir folches freudig und dankbar aner- 
fennen, welche Empfindung dann wie unmwillführlich in ‘ 
traulihe Anrufung übergeht. Sm Gefühl unfeer 
Unmaͤcht und Unmwürdigfeit vereinigen mir unſre Bitten 
mit den Bitten derjenigen, welche — ehmald Menſchen 
wie wir auf diefem Kampfplas des Lebens — jebt ver— 
Elärte Freunde Gottes find. Daß wir dieß thun 
fönnen und dürfen, befriedigt den Drang unfrer Herzen; 
wir üben Dadurch zugleich eine Handlung der Demuth 
aus — der Anbethung — des Danks — des Glaubens — 
der Hoffnung und der Liebe, indem wir durch diefe Ver— 
ehrung und Anrufung unfern Entfchluß offenbaren, durd) 
Nachahmung -der tugendhaften Gefinnungen 
der Heiligen uns Gott ftet3 wohlgefälig zu machen, 
Wenn nun der gläubige Chrift auf folche Weife feinen 
Herzensdrang Genüge leiftet, wer kann e3 tadeln, oder 
gar abgöttifch finden? 

Pac) Cone. Trid. Sess. XXV. beftehlt die fatholifche 
Kiche allen Lehrern und Geelforgern, „die Gläubigen 
wegen der Anrufung der Heiligen fleißig zu unterrichten 
und zu belehren, daß die Heiligen, welche im Himmel 
mit Ehrifto herrfchen, ihr Gebeth für die Menfchen Gott 
darbringen, daß es folglich gut und nützlich fey, die— 
felsen anzurufen, um von Gott feine Wohlthaten durch 
feinen Sohn, unfern Herrn Jeſum Ehriftum, welcher 
allein unfer-Erlöfer und Heiland ift, zu erhalten.“ 

Und follte Gott weniger achten auf die Fürbitte dev 
abgefiorbnen Ehriften, welhe fchon auf diefer Erde 
durch ihre Frömmigkeit — Gtandhaftigkeit und Selbſt— 
verläugnung in inniger Gemeinfchaft mit Gott und 
ihrem Erlöſer ftunden — folglich nun im Reiche des Lichts 
reiner und trauter mit ihnen vereint find, als auf die 
Sürbitte febibarer Sünder? — Oder wäre e3 etwa 
geenunftmäßiger, zu denken, daß die Heiligen dort von 


— 35 — 


ihren Mitchriften — und zum Sheil Angehörigen — auf 
Erde niht3 wußten oder wohl gar nichts wiffen woll- 
ten, und ale thätige Liebe verläugneten ? daß Erde 
und Himmel’ — wo doch Ein Gott regiert — durch un» 
zugängliche Kluft gefhieden ſeyen? Gollten die Heili⸗ 
gen, welche auf Erde von allem Egoismus fo weit ents 
feent waren, fihb im Himmel — dem Baterland der 
Liebe — in ihrer eignen Seligfeit num ſelbſtſüchtig genügen 
wollen? 
Das, Ehriftenthum ſtellt die Gemeinfchaft der Ehriften 
unter dem faßlicyen Bild eines Leibes auf, deffen Haupt 
Chriſtus ift. Sollten dann die Gläubigen, wenn fie aus 
diefer Zeitlichkeit austreten und in das felige Senfeits auf> 
genommen werden, aufbörem, Glieder deffelben Leibes 
zu feyn? Iſts nicht daſſelbe Reich — daffeldbe Haupt — 
derfelbe Leib? 

Wenn die Apoftel — befonders Paulus — uns ver» 
ficheen, daß die wechfelfeitigen Fürbitten fchon auf 
Erde Gott wohlgefällig ſeyen; wenn die Apoſtel ſich felbft 
auch den Fürbitten der Gläubigen empfahlen, inden fie 
zu gleichem Liebeswerk fi) anbothen, — wie fünnten dann 
ſolch gegenfeitige Beweife dev Demuth und Liebe zwifchen 
den Gliedern Ehrifti im Himmel und denen auf Erde _ 
Bott minder wohlgefällig feyn?! Die feligen Geifter leben 
in jenem beſſern DBaterland mit Gott und ihrem Erlöfer, 
ja fie find ſogar — nach dem Elaren Ausfpruch der Schrift 
— zur Theilnahme an Chrifti Richteramt berufen (Math. 
AIX, 4 Eor. VI.) und wenn fie fchon während ihrer ir di— 
fchen Pilgerreife um das Wohl ihrer Brüder beforgt und 
mit Fürbitte eingedent waren, wie ſollten fie in ihrem 
jeßigen verflärten Zuftand weniger theilnehmend ſeyn? — 

Nicht felten hört man auch die Einmendung: es fey 
immer noch .ein Verbrechen, fih an die Heiligen zu 
wenden, weil man bey Niemand als dem einzigen Mittler 
und Heiland Sefus Chriftus Zuflucht fuchen foll. Wie 
tommt es aber, daß eben diefe Leute nicht auch dann der 


— MH — 


Vermittlung Ehrifti zu nahe zu treten glauben, wenn fie 
fihh einander gegenfeitig in ihre Gebethe empfehlen ?. 
Wir fagen ja doch, den einen wie den andern: „bethet für 
ung!“ und nichts weiter. Wenn nun unfre Bitte an die 
einen gerichtet unfchuldig ift, fo muß es auch jene an 
die andern feyn. Und wenn der Katholif durdy Ans 
rufung der Heiligen die Zahl feiner Vermittler vergrößert, 
fo fällt dag nähmliche auch dem Proteftant zur Laft. 
welcher die Fürbitte feiner lebenden Mitchriften in Anſpruch 
nimmt. Wenn lettere für ung. auf unfer Anfuchen bitten, 
fo werden fie dadurch eben fo gut unfre Bertreter — Fürs 
fpreher — Mittler, wie e8 die Heiligen des Himmels 
für den Katholif werden. Man ftoße fich daber nicht an 
diefen Nahmen, welche gar nicht zur Sache felbft thun. 
Streng genommen, haben alle Menfchen nur einen Ein- 
zigen Mittler, den Gottmenfchen. „Die Chriften, fagt 
der große Auguftinus, empfehlen fi) unter einander 
ihvem ‚gegenfeitigen Gebethe; der aber-für alle fürbittet,, 
ohne daß er felbft der Fürbitte ivgend eines Sterblichen 
bedürfte, ift der einzige — der wahre Mittler.“ Dennoch 
lehrt ung eben dieſer Kivchenvater die Anrufung der Hei- 
ligen. Eben fo der heil. Gregor v. Nazianz, der die Ber» 
mittlung nur unferm Erlöfer zufpricht; ferner Athanafius, 
Ehrifoftomus und Yafılius. Dieß ift die Sprache des ganzen 
hriftlichen Altertbums. Wären einzelne Eatholifche Lehrer 
je in blindem Eifer zu meit gegangen, und hätten den 
Heiligen eine — nur Ehrifto gebührende — Macht und 
Würkſamkeit beygelegt, fo werden folhe Berirrungen 
feineswegs gutgeheißen, und es wäre daher fo ungereimt 
als ungerecht, die Eatholifche Kirche ſelbſt für ein- 
jelne Lebertreibungen verantwortlich zu machen. 
Uebrigens erweifen ja auch die Preoteftanten eine veli- 
giöfe Berehrung gegen Abgefchiedne, die wahrlich 
weit entfernt find, unter die Heiligen gezählt zu werden. 
So hegen fie z.B. hohe Achtung für das nach ihrer Meis 
nung große Verdienft Luthers, fie fprechen mit Ehrfurcht 


WE 


von ihm, fie haben fein Bild in Kirchen und Wohnuns- 
gen aufgeftellt, fie feheuen ſich alfo nicht, ihre Achtung 
auch äußerlich an den Tag zu legen, — ja fie ftellen fein 
Thun und Laffen als Aufmunterung, als Bewegarund zur 
Treue, alfo zur Nachahmung auf. Iſt dieß nicht eine 
Berehrung Luthers! Auch nach deffen Tod gedenkt 
man feiner noch im Segen, und richtet Denkmähler ihm 
zu Ehren auf. Sft dieß nicht eine Verehrung Luthers 
des Abgefchiednen! Man dankt öffentlich Gott für den 
permeint großen Gegen, welchen er durch Zuthern der 
Menfchheit angedeihen ließ, fein Bild prangt in den Tem— 
peln, bey gottesdienftlichen VBerfammlungen, man begeht 
Sefttage zu feinem Andenken u. f. w. Heißen wir dieß 
nicht mit vollem Recht eine veligidfe Verehrung 
(adoratio) des abgefchiednen Luther! Wie kann und 
will man nun dem Katholif etwas zum Verbrechen ans 
rechnen, das der Proteftant felbft übt und für recht, edel 
und vernunftmäßig hält! Der Proteftant glaubt feine 
Abgötterey zu begehen durch die nähmliche Handlung, welche 
er dem Katholif als eine folche aufbürdet. 

Den wefentlichen Unterfchied, welchen die Eatholifche 
Kirche zwifchen Fürbitte der Heiligen und Bermitt- 
lung Ehrifti macht, beftimmt das Conc. Trid. in Sess. 
XXV. aufs Elarfte, ausnehmend ſchön, und ganz geeig- 
net felbft die fchwierigften Köpfe zu befriedigen; ehen fo 
die Fatholifchen Katechismen, liturgifchen Bücher und Litas 
neyen. Zu den Heiligen ruft der Eatholifche Chrift: 
„bittet für uns!“ zu den Perfonen der heiligen Dre 
faltigfeit: „erbarme dich unfer!“ „erhöre uns!“ „ver- 
ſchone uns!“ Eben fo im gewöhnlichen Gebeth des Con- 
fiteor. Den Brüdern im Himmel fagt man nicht 
mehr als den Brüdern auf Erde. Alle und jede 
‚Gebethe fchließen fich einzig und allein mit der die Gott— 
heit des Erlöfers laut ausfprechenden Formel: per 
Dominum nostrum Jesum Christum filum tuum, qui 
tecum vivit et regnat in unitate spiritus sancti etc. , woraus 


bervorgedt, daß ale Frucht — aller Erfolg der Ge— 
bethe einzig von der Fürfprache und den BBerdienften 
Sefu Ehrifti verhofft wird, — des einzigen Nahmens, 
der den Dienfchen unter dem Himmel zur Erlangung ihres 
Heil3 gegeben ward. (Ganz aus der Luft gegriffen ift vie 
alberne Sefchuldigung, daß die kath. Kirche Mariam und 
die tibrigen anerkannten Heiligen anbethe und fie gött- 
lich verebre. ©. Fepler Anf. v. Rel. u. Kirchenth. 
2%. ©. 219. Nur den dreyeinigen Gott bethet fie 
an; auf ihn allein beziehen fich alle ihre Gebethe.) 

Spezielle Bemweife aus der heiligen Schrift, 
wodurch diefe fo menfchenfreundliche Lehre hiftorifch als 
. geoffenbart begründet wird, enthält jedev Katechismus 
und jedes dogmatifche Lehrbuch der kath. Kirche. ©. theol. 
Beitfchrift von Dr. Frint. Jahrg. AI. 2. 9 1.3. und 
1.9.2.8. über die Verehrung der Heiligen bon Hier. 
3eidler. ee 

Wie ungerecht und ſchamlos iſt demnach der Vor 
wurf, daß der Katholil die Heiligen in Halbgötter ums 
ftalte und fich dadurch der Abgötterey fcehuldig mache, 
welche doch nur derjenige begeht, der die dem Schöpfer 
gebührende Ehre und Anbethung feinem Gefchöpf erweist. 
Die Lehre von der Fürbitte und Anrufung der Heiligen 
fhreibt fi) von der urfprünglichen Kirche, von jenen 
ehrwürdigen Sahrhunderten her, in deren Fußftapfen die 
Reformatoren zurückzutreten fich brüfteten. Dieß läßt fich 
durch eine Dienge Beweisitellen aus Irenäus, Eufebiug, 
Athanaſius, Ephrem, beyden Gregor, Chryfoftomus, Am— 
broſius, Auguftinus, Bafılius u.a. m. außer allen Zweifel 
feßen. Schon Drigenes fagte: „ich werde mich auf 
die Knie niederwerfen, und weil ich meiner Sünden wegen 
den Muth nicht habe, mein Gebeth Gott felbft vorzutra= 
gen, fo werde ich alle Heiligen zu meiner Hülfe rufen; 
„ihe Heiligen des Himmels! ich flehe zu euch mit veues 
vollen Seufzern und Thränen, beuget eure Knie vor dem 
Gott aller Erbarmung für mich elenden Sünder!“ 


— 317 — 

Auf dem Conzilium zu Calzedon, welches — wie wir 
ſchon oben ſahen — auch bey den Proteſtanten in vollem An» 
fehn fteht, riefen nach Vorlefung des Brief3 Flavians alle Bi— 
fchöfe einmüthig: „das ift die Wahrheit; wir behaupten 
alle daffelde; Flavian bleibe in ewigem Andenken! er lebt 
auch. nach feinem Tod noch fort. Märtyrer, bitte für 
ung!“ Weber all diefe mehr als fechshundert Bifchöfe 
nun wäre der Stab gebrochen, wenn die Protefianten hin« 
fichtlich der Anrufung der Heiligen Recht hätten. Das 
ganze Konzilium wäre aus Abgöttern befanden! Wer 
ſtoßt nicht ſolch abenteurlichen Gedanken mit Abfcheu von 
fih? Die Väter von Calzedon lebten zunächſt den er- 
ſten Zeiten; fie waren Erben der damahl noch ganz 
frifchen apoftofifhen Urlehre; fie hatten ihren Glaus 
ben, ihre Uebung auf die Lehre dev Kirche, auf Shatfachen 
und Schriften gegründet, die nicht bis auf ung gekommen 
find. Und nad) vierzehn Sahrhunderten —, wo ung die 
Urkunden mangeln, welche fie befaßen, wollte man 
behaupten, vom erften hriftlihen Zeitalter mehr 
als fie zu wiffen? man wollte ihre Lehre ald Verkehrt— 
heit und Abgötterey erklären? 

Auch die Teidenfchaftlichften unfrer proteftantifchen - 
Zeloten haben einen Auguftin, Hieronymus, Ambrofius, 
Bafılius, Chryſoſtomus und Athanafius unter die Heiligen 
gezählt. (Wir bemerfen bier benläufig zur Belehrung der- 
jenigen Proteftanten, welche fo leicht und fo gerne an die- 
fem Ausdruck Anftoß nehmen, daß in der Apoftelgefchichte 
und in den Paulinifihen Briefen gar oft auch die-Chriften 
überhaupt „Heilige“ genannt werden. Paulus hieß: die- 
jenigen „Heilige“, welche durch Ehrifti Blut im Glauben 
und dem Geift Gottes gereinigt wurden, Vergl. Ephef. V, 
26, 27.) Selbſt Calvin fekt Eyprian, Ambrofius, 

Auguſtinus, Gregor, Bernard u, a. m., die ihnen ähnlich 
find, unter die „Heiligen“. Das nähmliche Urtheil fallt 
auch Peter Martyr. Nun haben aber all diefe großen, 
duch Zalente — Zugenden und apoftolifche Arbeiten fo 


ausgezeichneten Männer die Heiligen angerufen, und 
die Gläubigen ihrer Zeit ebenfalls dazu aufgefordert. 
Wären fie Ubgöttrer, fo könnten fie feine Heilige feyn, 
und find fie Heilige, fo wären fie feine Abgöttrer. 

Die Proteftanten find demnach mit. ihren eignen 
Grundfägen in argem Widerfpruc; fie behaupten, daß 
fie fih ausfchlieglidy an die Slaubenslehre und gottesdienft- 
lichen Gebräuche der urſprünglichen Kirche halten und 
nur fpätere Einfchiebfel ausmerzen, — und doch bat une 
läugbar diefe urfprüngliche Kirche die Heiligen 
angerufen. Die Reformatoren fehten einen befondern Ruhm 
darein, Daß fie die vier erften allgemeinen Kirchen 
verfammlungen anerkennen, Calvin fagt fogar: „wir 
nehmen fehr gern die alten Synoden von Nicäa, Conftan- 
tinopel, Ephefus und Kalzedon und andre dergleichen an, 
die fich zur Ausrottung der Irrthümer verfammelt. hatten; 
wir verehren fie ald heilig. in allem, was auf Dogmen 
Bezug hat.“ Eben fo entfchieden drücken ſich die Confess. 
Tigur. ecel. ministr. vom Jahr. 1545 und die Helvet. 
Gonfefj. von 1566 im Cap, XI und XVIII hierüber aus; 
und es kann doch wohl — oder follte wenigftens — unfern 
protefiantifchen Brüdern nicht unbefannt feyn, daß die Be- 
fchlüffe jener vier alten Hauptfonzilien und das Glaubens» 
befenntniß des Athanafius (Bifchofs von Alerandrien, geft. 
im J. 373) noch bis zu dieſer Stunde, — wie fehr auc) 
unfre Neologen dagegen fchimpfen und toben mögen — bey- 
behalten, und daß jebt noch die nad) dem Athanafifchen Sym⸗ 
bol verfaßten Katechismen dem religiöfen Sugendunterricht 
zum Grund gelegt werden. Sa, Calvin nennt jene Beiten, 
in welche diefe vier Conzilien fielen: das goldene Zeit— 
alter des Chriftentbums. Im 4. DB. feiner inst. fagt 
er, „daß die Religion während der erften fünfhundert 
Sahre in der Reinheit der wahren Lehre geblüht habe“ 
Sm 4.3. 41. Cap. fagt er noch auffallender: „es unter- 
liegt feinem Zweifel und feinem Streit, daß von Jeſu big 
auf die Zeiten der heiligen Lehrer mit Einfchluß des 


— 319 — 


heil. Auguſtins (d. i. big gegen die Mitte des fünften 
-Sahrhunderts) ſich nichts in der Lehre verändert habe.“ 
Alfo gefteht der ultrarigorofe Genfer Doktor. felbft, daß 
fich) die Ancufung der Heiligen — als welche bey den Kir- 
chenvätern in Uebung war und nad) ihrem Beyfpiel immer 
noch in der Mutterfieche gebräuchlich ift — bis in die 
Zeiten der Apoftel hinauf erftrecde. Welch ein Wider- 
fpeuch! Bor der ganzen Welt ſich brüften, als befolge 
man einzig den Glauben und die gottesdienftlichen Ge- 
bräuche der urfprünglichen Kirche —, und doch einen 
Eheil eben diefes Glaubens und diefer Uebungen als 
Ueberrefte des Heidenthums verdammen; fich rühmen, 
als pflichte man den Entfcheidungen der vier erften allge 
meinen Conzilien ehrfucchtsvoll bey, — und doch die in 
Calzedon verfammelten 660 Bifchöfe als Abgöttrer brand» 
marfen; jenes Zeitalter ein goldneg nennen -—, und doc 
der Einführung der Abgötterey befchuldigen —, welch uner— 
klärbare Berfehrtheit, welch fcheußlicher Unfinn !! — 
Bernehmen wir jeßt noch die Urtheile ſowohl einzel- 
ner angefehbener Reformatoren und die Ausfprücde der 
verfchiednen proteftantifchen Eonfeffionen, als auch die Mei- 
nungen berühmter proteftantifcher Schriftfteller über diefe 
Lehre des Alterthbums. Luther felbft in fa Unterr. auf 
etlich Artikel 1549 erklärt fi) folgendermaßen: „von der 
lieben Heiligen Fürbitt fage ich und halte feft mit der 
ganzen Ehriftenheit, daß man fie ehren uud anrufen 
fol; denn wer mag Doch das widerfprechen, daß noch heu- 
tiges Tages fichtiglich bey der lieben Heiligen Körpern 
und Gräbern Gott durch den: Mabmen. feiner Heiligen 
Wunder thut; darüber aber find einige fo närrifch, daß 
fie meynen, die Heiligen haben eine Macht oder Ge— 
walt, folches zu thun, fo fie doch nur Fürbitter find 
und alles durch Gott allein gethban wird.“ ©. auch 
Jen. T. IH. F. 160. Ferner T. 2. der Kirchenpoftill, Wit> 
tenb. 4544 p. 118: „Gleich ald du zu deinem Nächſten 
fagft : bitte Gott für mich! alfo magft du auch zu den Lieben 


— 30 — 


Heiligen fagen: bittet für mich! du fündigft ganz und gar 
nicht, wenn du fie anrufſt.“ Ferner: „Maria will nicht eine 
Abgöttin ſeyn; fie felbft thut nichts; Gott thut alle Ding. 
Anrufen fol man fie, daß Bott nach ihrem Willen gebe 
und thue was wir bitten. Alſo auch alle andren Heiligen 
anzurufen find. Luth. T. JI. Jen. F. 489. Im 5. Cap. 
über die X Gebothe fagt er: „die Heiligen vermögen Alles, 
und durch fie wird euch Gott fo viel gewähren, als ihr 
von ihm zu empfangen glaubt.“ Sn f. Antw. an die Theo- 
logen. von Löwen: „ich habe nie geläugnet, daß wir durd) 
die DBerdienfte und Gebethe der Heiligen unterftügt wer» 
den, — wie mir elende Dienfchen boshafter Weife auf- 
bürden wollen.“ Ebenderfelbe „über die Geburt Marieng“ 
erhebt ihre Herrlichkeit und Glückfeligkeit ald Gottesgebäh- 
rerin in. den eifrigften Lobfprüchen. Sn f. Br. an Georg 
Spalatin fagt er: „meine Meinung ift nie dahin gegan» 
gen, daß die Anrufungen der Heiligen — felbft um zeit- 
liche Dinge — fehlerhaft feyen. Der Kranke fol auf fei- 
nem Öterbebett ohne AUnterlaß die fel. Sungfrau, die 
Engel, Apoftel und alle Heiligen anrufen, auf daß fie bey 
dem Heren für ihn fürfprechen.“ In ſ. Rede auf das Feft 
Soh. d. Täufers fagt er: „wollt ihr wiffen, was uns dann 
eigentlich die Heiligen nüßen? benüßet fie fo wie ihr euren 
Nächſten benüßet! Zu diefem fagt ihr: bitte Gott für 
mich !ieben fo fagt auch zu jenen: heil. Petrus bitte für mich ! 
Allein der nähmliche hocherleuchtete Mann läßt fich 
dagegen in f. größern Hauspoftill-7. Sonnt. nad) Trinitat. 
alfo vernehmen: „was mich betrifft, fo würde ich feinen 
Pfenning für alle Berdienfte Petri geben; was fünnten 
fie mir fruchten, da fie ja ihm felbft gar nichts gefruchtet 
haben?!“ Und über Sal. IV. fagt er: „Paulus nennt 
gefliffentlich, wie mir fcheint, die Mutter Gottes Weib, 
um Verachtung dadurch zu bezeigen. Sc) mag e3 gar nicht 
einmahl hören, daß man zu Maria: meine Hoffnung! mein 
Leben! fage.“ In der Abhandlung de servo arbitrio ent» 
blödet er fich nicht zu behaupten: „ale Heiligkeit Diefer 


— 321 — 


Reute beruhte darauf, daß fie. oft fafteten, fleißig betheten, 
auf hartem Lager fchliefen, in fchlechte Kleider gehüllt 
manche Unbequemlichfeit erduldeten; eine Heiligkeit, welche 
auch Hunde und Schweine täglich üben fünnen!“ Wird 
dem Charakter eines ſolch abenteurlichen Phantaften nicht 
genug Ehre erwiefen, wenn man ihn das „Chamäleon“ 
der Reformation heift?? — 

Hausſchein (Decolampad) in f. Rede von allen 
Heil. ſagt: „Die Verehrung Mariens iſt keineswegs Gö— 
zendienſt. Sie iſt die von Engeln und Erzengeln verehrte 
Schutzfrau des menſchlichen Geſchlechts, und Königin der 
Barmherzigkeiten, unſre mächtige Beſchützerin in allen 
unſren Angelegenheiten.“ In einer Anmerk. üb. die Hom. 
des heil. Chryſoſt. ſagt er: „Die Heiligen entbrennen 
ganz von Liebe im Himmel, und hören nicht auf für uns 
zu bitten. Was kanns dann ſchaden, wenn wir von ihnen 
begehren, daß ſie das thun, was nach unſrer Meinung 
Gott angenehm iſt! Daſſelbe thaten ja auch Chryſoſtomus 
und Gregor v. Nazianz in feiner Lobrede auf den heiligen 
Cyprian; daſſelbe thaten faft alle abend- und morgenlän- 
difchen Kicchen. * 

Beza hingegen hielt die. Anrufung der Heiligen für 
unnüß, thöricht, ja gottlos. 

Auch Calvin, im Widerfpruch mit ES obange⸗ 
führten Aeußerungen, heißt in f. Inst. L. IV. C. 21. die 
Anrufung der Heiligen einen „Gökendienft,“ und oftmahls 
ſchämt er fich nicht die Heiligen mit tieffter Verachtung zu 
behandlen, indem er fie nad) feiner pöbelhaften Weife „Schat- 
tenbilder, Phantome, verfaulte Leichname“ u. f. w. nennt. 

Bucerund Camerarius führen eine fehr gemäßigte 
Sprache, und fiheinen der Anrufung der Heiligen eher 
geneigt zu feyn. Die Mehrzahl der Calviniften aber vers 
feßt Die Ancufung der Heiligen in die Reihe der wefent- 
lichen Irrthümer. 

Die Yugfp. Confeffionentfcheidet: „man foll durch— 
aus den Gebrauch der Anrufung der Heiligen aus der 


24 


— 32 — 


Kirche verbannen und gänzlich abfchaffen.“ (Obſchon ihre 
Patriarch Luther, wie wir oben gefehen, diefen Gebrauch 
öfters gutgeheißen — ja fogar empfohlen hatte.) 

‚Die Apologie des Augfp. Slaubensbefennt- 
niffes fagt. „Wir geben zu, daß die Heiligen im Him— 
mel für die Kirche überhaupt bethen. “ 

Das Sähfifhe Glaubensbek. fagt: „es unter» 
liegt gar feinem Zweifel, daß die Heiligen für die Kirche 
bethen.“ | 

Das Wittenbergifche fagt: „fomwie die Engel für 
uns bitten, fo bitten auch die Heiligen im Himmel für die 
Kirche. “ 

Die confess. helvet. fpricht fih im 24. Cap. fo 
aus: „Mithinzu aber befennen wir, dag nicht ohne Nuken 
in den Predigen an feinem Ort und Zeit folle und möge 
die Gedächtniß der Tieben Heiligen gerühmt und dem Volk 
befohlen, und männiglichem ihre guten Beyfpiele vorgeftellt 
werden, daß man ihnen nachfolge. “ 

Grotius, nachdem er lange Zeit hindurch die Armi— 
nianer oder Remonftranten — welche die Anrufung der 
Heiligen, wo nicht als Abgötterey, doch als ganz unnüß 
verwerfen — durch feine Schriften und das Unfehen feines 
berühmten Nahmens in Holand aufrecht erhielt, verließ 
nach reifer Ueberlegung die Vorurtheile dieſer Gefte, 
widerlegte diefelbe, und fchloß dann mit diefen Worten: 
(S. votum pro pace, contra Riv. ad art. 20.) „Sc 
hoffe demnach, daß jeder unbefangne, vorurtheilfveye Leer 
einfehen werde, es fey vernünftiger zu glauben, daß die 
heil. Märtyrer von unſren Angelegenheiten Kunde haben, 
als ſich einzubilden, fie hätten Feine.“ 

Molanus nimmt die Anrufung der Heiligen aufs 
nachdruckſamſte in Schuß, vertheidigt fie mit den Flarften 
Gründen, und findet die Anfchliegung der Proteftanten über 
diefen Punkt an die altertbümliche Lehre der Katholiken 
ganz ungefährlich und zuläßig; S. Boffuet hinterl. Werfe 
I 3. ©. 


— — 


Das Glaubensbekenntniß der Engl. reform. Kirche 
nennt im 22. Art. die Anrufung der Heiligen eine ſüße, 
betrügliche Täuſchung, von der römiſchen Kirche ohne Be— 
gründung der heiligen Schrift — oder vielmehr im Gegen— 
fa mit dem göttlihen Wort — blindlings erfunden.“ 

Montague hingegen, einer der berühmteften engli» 
ſchen Theologen, — nachdem diefe Frage gründlicher als 
in der Epoche von 1562 war erörtert worden — gefteht : 
„Sc bin weit entfernt zu läugnen, daß die Heiligen durch 
ihre Gebethe und Fürfprachen unſre Mittler feyen, mie 
man zu fagen pflegt; fie verwenden fich bey Gott duch 
ihre Bitten, und treten für ung ind Mittel duch ihre 
Fürſprache.“ Sn einer befondern Abhandlung über diefen 
Gegenftand behauptet er, „daß die Heiligen ihre auf Erde 
zurückgelaßnen Eltern , Freunde und Bekannte dem Herrn 
in ihrem Gebethe empfehlen.“ Ex fagt: „dieß ift nun ohne 
allen Widerfpruch die allgemeine Stimme, der einmüthige 
Ausfprudy des ehrwürdigen und gelehrten Alterthums, 
fo weit ich es durch mein anhaltendes Studium zu ergrün— 
den vermochte, und ich finde nicht den geringften Grund, 
weßwegen wir über diefe Art von Fürbditte anders denfen 
follten. Die Bermittlung Sefu Ehrifti wird ja dadurch 
im geringften nicht befchimpft. Wären die Heiligen fo 
nahe bey mir, daß ich fie erreichen fünnte, ich würde ja 
mit offnen Armen ihnen entgegenfliegen, ihnen zu Fügen 
fallen, und fie dringend befchwören, für mich zu bitten. 
Sch finde darin weder an und für fih eine Ungereimtheit 
noch Widerfpruch mit der Analogie des Glaubens oder 
der heiligen Schrift; noch viel weniger halte ichs für 
Sünde zu fagen: Heiliger Schußengel bitte für mich !* 

Der proteftantifche Theolog Dr. Plan gefteht felbft: 
„der Grund, welchen ehmals unfre Theologie gegen die 
Eatholifche Xehre von Anrufung der Heiligen am fiärkften 
geltend machte, daB nähmlich dadurch der Kraft der — 
einzig gültigen — Fürſprach Ehrifti, welche alle weis 
teren Bermittlungen überflüffig mache, etwas entzogen 

21” 


— 324 — 


werde, beweist nichts ; denn es könnte ja auch daraus ge 
fhloffen werden, daß fein Menfch für den andern 
bitten dürfe, und doch waren es die Apoſtel felbft, welche 
ihren Gläubigen ſo oft die gegenfeitigen Fürbitten an’s 
Herz-legten.“ 


Mag uns dann übrigens immerhin die Einficht des 
Geheimniffes, wie die Heiligen von unfrer Anrufung 
Kunde erhalten, bis zur Ankunft in der jenfeitigen 
Welt — gleich fo vielen andren Ölaubensmpyfte- 
rien — vorbehalten bleiben! Auch Auguftinus fühlte die 
nähmliche Schwierigfeit, ohne ſich dennoch in feinem Feften 
Glauben dadurch irre machen zu laffen. Montague — 
und die Proteftanten überhaupt — haben nie bezmweifelt, 

daß die Engel von cllem was ung betrifft, genau unter- 

richtet feyen, und al unfve Wünfche vernehmen, obfchon 
jie gewiß nicht begriffen, auf welche Weife dieß ge- 
fhehe. Nun verfichert ung aber der Erlöfer felbft, daß 
die Heiligen den Engeln ähnlich feyen, und der heil. 
Sohannes fchildert fie ung in gleichen VBerrichtungen — 
Freude, fiegender Herrlichkeit, Einfichten und Erfenntniffen 
— mit den Engeln. Folglich ift fein Grund vorhanden, 
warum wir den Heiligen nur eine geringere Theilnahme 
an unfren Schickſalen zufchreiben ſollten. 


Kir vernahmen nun die klägliche Verſchiedenheit der 
Anſichten unſrer Reformatoren über die alterthümliche 
Lehre von der Anrufung der Heiligen, indem einige der— 
ſelben ſie als Thorheit — Gottloſigkeit — Abgötterey 

“betrachten, während andre nicht nur nichts dergleichen 
darin entdecken, fondern fie vielmehr als eine vortrefh 
liche Lehre Iobpreifen und empfehlen; einzelne der Re— 
formatoren fahen wir fogar auch mit fich felbft in grels 
lem Widerſpruch. — Und auf die Authorität folch wanfel- 
müthiger Leute fol dennoch der Proteftant feinen Glaus 
ben — fein Heil bauen, — er der jeden Authoritätse 
glauben als ſchimpflich und erniedrigend verwirft, und die 


m 


— 393 — 


Ausſprüche der ehrwürdigſten Conzilien als Ausgeburten 
des Irrwahns und Aberglaubens verſchmäht! — 


* — 
2 


Ueber die 
Tradition 


(Ueberliefrung, das ungefchriebne Gotteswort) werden wir, 
da diefer Gegenftand fo. vielfach beftritten und angefeindet 
wird, vorerſt den richtigen Begriff feftftellen, die gefchicht- 
fihe Begründung näher erörtern, und dann noch die an— 
gefehenften Zeugniffe äftrer und neuerer Zeiten beyfügen. 
Es giebt ein Gotteswort in der Schrift, und ein folches 
außer oder neben der Schrift. Bepydes ift ein und 
ebendaffelbe Botteswort; es fließt aus dem nähmlichen 
Urquell. Jeſus hieß die Apoftel feine Lehre allen Völ— 
fern verkünden und predigen; nirgends leſen wir, daß 
er ihnen gefagt hätte: gehet hin, ſchreibet allen Bölfern 
auf, was ich ihnen zu glauben und zu thun befehle! Durch 
die Sendung des heil. Geiftes erleuchtet, durchzogen. die 
Apoftel und Sünger ganz Judäa und predigten dag 
Wort Gottes; fie verwendeten ihre Zeit zum Handlen, 
nicht Werfe zu fchreidben; ihrem Unterricht lag nichts 
fchriftliches, Fein gemeinfchaftliches Tehrbucy oder formula 
eonsensus zum Grund, aber alle trugen dag nähmliche 
Evangelium tief in ihrer Seele. Mit begeifterten 
Zungen verfündigten fie e3 allen Bölfern, ohne Daffelbe 
fhriftlich vorzuzeigen. Diele Jahre verftrichen, ohne 
- daß man von ihnen ein gefchriebnes Wort gehabt 
hätte. Wäre die heilige Schrift zur einzigen Quelle 
des Glaubens für ale Fünftige Zeiten beftimmt gewe— 
fen, fo hätte die ewige Weisheit — zu Verhüthung aller 
Spaltungen andre Maßregeln getroffen und den Apo— 
fteln Die Aufzeichnung der Lehre ausdrücklich befohlen, 
auch, zugleich die nöthigen Erklärungen beygefügt, um 
der Schrift die größte Deutlichfeit und Vollſtändigkeit 


— 226 — 


zu geben. Hiervon findet ſich aber nichts vor. Die Apo— 
ſtel begannen ihr Werk mit dem mündlichen Unterricht; 
mehrere ſchrieben gar nichts, ſondern lehrten bloß münd— 
lich jene, welche fie zu ihren Nachfolgern auserſehen 
hatten. Was auch einzelne noch fchrieben, macht fein 
zuſammenhängendes Ganzes aus; jeder erzählt nach 
feiner eigenthümlichen Art, ohne Rückſicht zu nehmen, 


ob nicht auch fchon ein andrer ebendaffelbe erzählt habe, 


und ob es nicht in frheinbarem Widerfpruch damit ftehe; 
einer erzählt mehr, der andre weniger, obne planmäßige 
Drdnung; manches — mie z. B. die Briefe — ward nur 
gelegenbeitlich verfaßt und ift demnach nur a8 Bruch» 
ftück zu betrachten. Geht nicht fchon aus diefen Umſtän— 
den die Unwahrfcheinlichkeit hervor, daß das gefchriebne 
Gotteswort je zur einzigen Glaubensnorm beftimmt feyn 
fonnte! — 

Es unterliegt gar feinem Zweifel, daß die göftliche 
Dfienbarung anfänglich nur durch die Predigten der 
Apoftel und ihrer Schüler verbreitet, und dann in Folge 
ihres Lehramts nach und nach einzeln in den durch 
Gottes Geift eingegebnen Schriften befannt gemacht, 
folglich auf gedoppelte NWeife — mündlich und fchrift- 
lich, durch die Fradition und durch die Schrift — 
der Welt überliefert wurde. Von diefen zwey urfprüng- 
fichen und heiligen Denfmählern der chriftlisben Lehre ift 
die Tradition allerdings der Entftehung nach älter, 
und befiund lange Zeit hindurch ganz allein. Anfäng— 
lich prägte fie fih nur dem Herz und Gedächtniß ein; 
im Verfolg wurden dann einzelne Theile in den Schrif- 
ten der Väter und in den Acten der Conzilien aufge: 
zeichnet. Die heilige Schrift hingegen entftund erſt 
fiufenmweis, ward aber als daurendes göttliches — den 
Geift und die Herzen aller Gläubigen immer anfprechen- 
des — Denfmahl von den Apofteln oder ihren Schülern 
dem Papier anvertraut. Die Durchgründung und Erfor- 
fhung der Zradition erfordert mehr Mühe und An— 


oh we re dal Ze NT lt an ns al a a — 


er 





— 3217 — 


firenaung, weil ihre Zeugniffe unter einer großen Zahl 
vorhandner Urkunden zerftreut, und zum Theil auch mit 
Gegenftänden vermengt find, die nicht unmittelbar 
mit der Offenbarung verbunden find. Die heil. Schrift 
ift voll einer geiftigen himmlifchen Lehre, aber von einer 
oft unerreichbaren Erhabenheit, und kann — wie jedes ges 
fihriebne Geſetz — ohne Beyhülfe einev Erklärung 
und eines richtigen Urtheils nicht gleichförmig ver» 
ftanden und befolgt werden. Sie ift ohne allen Bergleich 
erfchöpfender , reicher , koſtbarer und vorzüglicher; Die 
Tradition hingegen hat die wefentliche Beftimmung, 
uns mit gewiffen — in der Schrift abgehenden — Punkten 
befannt zu machen, und fie auf folche Weife zu vervoll: 
fändigen. Daraus folgt nun zugleich, daß wenn eine 
Wahl zwifchen beyden nothwendig oder erlaubt wäre, man 
allerdings der Schrift den Borzug einräumen müßte, 
dag aber übrigens, nach den Gefeken der gefunden Ber» 
nunft — nad) der Lehre des Alterthums — und nad 
dem Befehl des Apoſtels Paulug — beyde mit einan- 
der, wie oben gefagt, in unzertrennlicher Verbin— 
dung ftchen; und da wir in dem einen folche Punfte fin: 
den, welche in dem andern abgeben, fo müffen wie beyde 
vergleichen, und beyde zu Rath ziehen, um aus beyden 
ein Ganzes zu bilden, und die Offenbarung in ihrem 
ganzen Umfang fennen zu lernen. Die Apoftel fom- 
men uns auf zwey pargllelen, gleichlaufenden Wegen ent— 
gegen, können folglich ſich nie durchkreuzen, ſondern bie— 
then ſich vielmehr wechſelſeitig die Hand und erleuchten 
einander die Bahn. Die Tradition und die Schrift 
haben auf unſre Ehrfurcht und Unterwürfigkeit in gleichem 
Maße Anſpruch, weil ebenderſelbe Geiſt die Zunge 
der Apoſtel wie ihre Feder leitete, und demnach jedes 
Wort, welches ſie ſprachen, eben ſo göttlichen HEIRERNG® 
ift wie jenes, welches fie niederfihrieben. 

Und wie fünnten wir die Yechtheit der heilige 
Schrift anderft als durch die Zradition beweifen ? 


— 328 — 


Müſſen wir nıcht, um zu wiſſen, daß dieſes oder jenes 
Buch von einem Apoſtel oder Evangeliften berfiamme, 
porerfi eben darthun, daß es als ein folches in den 
alten Kirchen ſey onerfanut und gelefen worden ? 

Wer könnte den Beweis führen, daß Alles, was 
Sefus den Apofteln übergeben, in der Schrift enthalten 
fey? Das Gegentheil läßt fih aus der Schrift felbft 
beweifen, bauptfächlich aus Briefen des von den Prote— 
ftanten hochgepriefenen Apoftel Paulus (1 Cor. XI, 2, 
2 Theſſ. I, 45. 2 Zim. I, 13. 41.Zim. VI, 20. 2 Zim, 
II, 2.), wo er fich deutlich ausfpricht: „ich lobe euch, daß 
ihr die „Ueberlieferungen“, zapadoosıg , beobachtet,“ Seyt 
ftandhaft und beharret bey den Borfchriften, die ihr von 
mir gelernt habet, „es fey durch mündliche oder fchriftliche 
Belehrung.“ Bewahre das dir Anvertraute! Bewahre die 
vortreffliche „Hinterlage“. Was du von mir durch Zeugen 
vernommen haft, das bringe freuen Männern bey, welche 
tüchtig find, auc, „Andre zu unterrichten“ u. f. w. Der 
Katholif nicht weniger als der Proteftant, verehrt Die 
heil. Schrift als das foftbarfte von Gott den Menfchen 
verliehene Gut; aber auch der Proteftant muß das nicht 
gefchrichne Gotteswort mit gleicher Ehrfurcht an- 
nehmen, da es von dem nähmlichen Geber herrührt, 
Der Kaͤthout, nicht weniger als der Proteſtant, glaubt 
an die heil. Schrift als regulam fidei; er erhielt fie rein 
und unverfälfcht, und verfocht ihre hehres Anfehn gegen 
die Härefien aller Sabrhunderte, fo daß die Reformation 
fie nur aus den Händen der Kirche nehmen durfte. Aber 
nicht die ganze chriftliche Dogmatik findet ev in den cano= 
nifchen Büchern des alten und neuen Zeftaments klar 
und deutlich enthalten, fondern ergänzt und ver— 
vollftändigt fie durch die apoftolifche Tradition. 

Petrus felbfi 2 Ep. III, 16. fagt: „daß die Schrift 
hin und wieder dunkel und unverftändfich ſey;“ alfo bedarf 
- fie doch wohl der Auslegung oder Erklärung. Die 
größten proteftantifchen Eregeten find aber immer der: 


— 39 — 


ſchiedner Meinung; kaum zwei können ſich bey der 
nähmlichen Anſicht beruhigen; dennoch wollen Alle Recht 
haben. So hat z. B. Dr. Thieß über die Stelle Gal. III, 
20. ſchon mehr als 150 und über die klare Parabel bey 
Luc. XVI über 90 verfchiedne Auslegungen gezählt; und 
wohl mögen feitdem noch einige Dutzend neue Erklärungen 
hinzugefommen feyn! Und doch wäre man nad dem 
Prinzip der Proteftanten befugt, an die heil. Schrift 
die gerechte Forderung allgemeiner höchſtmöglicher Deuts 
lich keit zu maden, wenn fie als einzige Ölaubensnorm 
in fich felbft abgefchloffen daftehen, und fein Lichtftrahl aus 
der Tradition in fie bineinfallen fol. Allein die fo felt« 
fame Berfchiedenheit in vielen wefentlichen Glaubens— 
punften bey den proteftantifchen Slaubensparteyen (die 
doch alle die heil. Schrift als Grundlage und Richt— 
fhnur annehmen) beweist unläugbar das Begentheil. 
Wenn e3 aber neben den deutlichen Schriftfiellen auch 
dunkle giebt — wie Petrus felbft verfichert — fo daß 
außer der Schrift ein Ausleger der Schrift nöthig 
wird, dev von dem Urheber der himmlifchen Wahrheit 
ſelbſt bevollmächtigt und befugt dazu ift, auf den man 
folglich fid) ganz verlaffen kann; wo ift dann dieß Licht, 
dieſer fchiedrichterliche Erflärer? etwa die individuelle 
Bernunft des Menfchen? woher hat fie die Vollmacht? 
woher leiftet fie Bürgfchaft? wie fann auf dem Gebieth 
der Gefhichte das Schiedrichteramt je der Vernunft 
zuftehen, ohne die fompetenten Zeugen abzuhören? Wie 
die Apoftel das was fie uns aufzeichneten, verftunden, 
und mas fie als Lehre Jeſu uns hinterlaffen haben, ift 
doch wohl eine Gefchichtsfrage, worüber jene die rich— 
tigfte Auskunft ertheilen können, welchen die Apoftel mittel- 
oder unmittelbar ihre Lehre übergeben hatten. Während 
der Proteftant hierüber in DBerlegenheit geräth, bin 
und her ſchwankt und nirgends feften Fuß fest, ift der 
Katholik durch feine Tradition und Kirche im 
Klaren, und befindet fid) im Hufen der Beruhigung. 


— 330 — 


Sf die Religion unmittelbare Offenbarung, 
und beruht fie folglich auf Geſchichte, fo können wir nur 
auf jenem Weg zu ihrer gründlichen Erkenntniß gelangen, 
welcher fchon in dev Genes. vorgezeichnet wird: „Frage 
deinen Bater, und er wird dirs verkünden, deine Borfah- 
ven, und fie werden dirs fagen.“ Die Verbreitung der 
wahren Religion begann laut der heil. Gefchichte mit der 
Zradition. Es verräth daher große Yefangenheit oder 
Unfunde, wenn man, um der Zradition ihr Anfehn zu 
r.uben, fie mit dem Begriff von Sagen — Mährchen — 
verwechfelt. Man unterfcheide wohl die apoftolifche 
Zradition von der allgemeinen, — letztre oft mit 
abgefehmadten unnatürlichen Legenden geſchmückt — die 
von dev Kirche fcharf getrennt werden. Nirgends kann 
fefdft die Profangefchichte zu ihren Behuf folch bes 
friedigende Zeugniffe, folch vollgültige Authorität 
aufweifen, wie der Katholif. bey feiner dogmatiſchen 
Meberlieferung. Micht etwa bloß mit dem Zeugniß 
eines einzelnen Kirchenvaters oder Echriftitellers bes 
gnügt fi) in Glaubensfachen die Kirche, fondern es war 
alfezeit ihr Srundfak, was Vince. Lerinus Comnionit, 
C. 3. 4 als Regel angiebt ; fie hebt nähmlich mit größter 
Sorgfalt heraus, was überall und allezeit und all- 
gemein geglaubt ward. Dieß iftd, was den Katholif 
bezeichnet, wie fhon der Nahme deutlich zu erkennen 
giebt. Allgemeinheit, Altertbum, Uebereinftims- 
mung be ft «lfo die Richtfihnur. Diefe fo vernunftmäßige 
faßliche Regel, welcher auch viele angefehene Proteftanten 
ihren Beyfall nicht verfagen fonnten, lag von jeher erweis— 
licher Maßen, allen Befchlüffen dev Kirchenverſammlungen 
zum Grund; uad von den Philoſophen aller Zeiten ward 
die Uebereinftimmung als ein gültiger Beweggrund 
der Annahm angefehen. Wenn dieß fchon menfchlicher 
Weiſe betrachtet, von ſolchem Gewicht ift, wie beruhigend 
muß e3 erft feyn, wenn man die göttliche Berheißung 
bey Math, XXVII, 20. ins Auge faßt, weldye die Bür g⸗ 


— 331 — 


fchaft ausfpricht, daß die Chriften ir Glaubensfachen 
nicht Fabeln ftatt Wahrheit erhalten. Diefe klare 
und einfache Stelle kann nicht von Chriſti perſönlicher 
Gegenwart und auch nicht bloß von den Individuen 
der Apoſtel zu verſtehen ſeyn. 

Immerhin iſt doch vorzüglich zu beachten, wie die 
erſten Verkünder des Evangeliums, welche zum Theil 
unmittelbare Schüler der Apoſtel waren, die ſchwierigen 
dunklen Stellen der heil. Schrift auslegten; denn was 
damahls wahr war, iſt und bleibt immer wahr. Oder 
follte man etwa heutzutag mehr Fähigkeit befiken als vor» 
mahl3, die Wahrheiten und Geheimnilfe des Evangeliums 
zu ergründen? Mußten nicht die Meinungen und Abfich- 
ten Sefu und feiner Sünger am richtigften von denjenigen 
aufgefaßt werden, welche in ihrer Nähe lebten? Oder blieb 
etwa die Wahrheit jenen ehrmwürdigen Bitern des apoſto— 
liſchen Zeitalters verborgen ? war ihre Entdefung nur 
Luthern, Calvin, Zwingli und andren ihres Gelichters 
vorbehalten? Herrſchte wohl gar die Finfterniß bis zu 
unfern Zeiten, wo die großen Wortführer des Slumina- 
tismus ungefiheat. die Cinheit des Lehrbegriffs als eine 
Gefährdung der Glaubens» und Gemwiffensfreiheit verwer— 
fen, in der Stabilirät die wahre Per und nur in der 
Mobilität — im fteten Wechfel der Slaubensanfichten das 
eigentliche Leben jeder chriftlichen Kirche erbliden?! — 
Hein wahrlich, wir werden weit befjev thun, bey eintres 
tenden Zweifeln über den richtigen Berftand einzelner dunk— 
ler Schriftftellen ung an die Ausfprüche de3 alten ein- 
müthigen — im Briechifchen und Hebräifihen wohl eben 
fo bewa.derten — Griftlichen Lehramts, als an die neuen, 
uneinigen, einander fo grell wibesfprechenden Eregeten 
und Logomachiften zu halten! Getroft laßt ung dem, was 
jene heiligen Männer des Urchriftentbums Iehrten, gläus 
biges, ehrfurchtsvolles Gehör fihenfen! Was überall, 
und immer, und von der ganzen chriftlichen Kirche 
geglaubt ward, mag uns wohl eher zur Richtfchnur unfers 


— 39 — 


Glaubens und zur vollen Beruhigung dienen, als die ſtets 
wechſelnden Meinungen unſrer neueren Dünfel» und 
Dunfelmänner! — 

Ganz fälfchlich hatten die Stifter der Reformation 
behauptet, daß man in den älteften Sahrhunderten feine 
andre Slaubensnorm gehabt habe als die heilige 
Schrift. Wir haben bereits gefehen, und werden ung 
im erfolg noch fefter überzeugen, daß die älteſte Kirche 
die Norm des Glaubens nach der Anordnung Ehrifti und 
feinev Apoſtel auf die Kehre der Biſchöfe gründete; 
auch ift es gefchichtlich erwiefen, daß ung mehrere 
Artikel bloß duch mündliche Tradition der Apoftel 
zugekommen find; weit entfernt, daß das Altertbum alle 
Dogmen als ausfchließglih in der heil, Schrift 
enthalten behauptet hätte. 

Eben fo unftatthaft war ihre Meinung: daß die in der 
b. Schrift nicht enthaltnen Glaubensfäke nur aber- 
gläubifche Anhängſel feyen, welche man der Einfachheit 
des Slaubens und Gottesdienft5 in fpäteren Zeiten der 
Unmiffenheit und Berdorbenheit hinzugefügt habe; denn es 
ift klar am Tage, daß all jene vermeint nachträglichen Zu— 
fäße ihren Urfprung ſchon aus den erften Zeiten her— 
leiten, 

Wer kann die Gültigkeit unfver Taufe aus der heil, 
Schrift alleın beweifen? Chriftug hatte nicht die Täuf— 
linge mit Waſſer über dag Haupt zu begiefen, fondern fie 
unterzutauchen (Bazzifewv) befohlen. Nun iſt aber dieſer 
Gebrauch fchon feit mehreren Sahrhunderten abgefommen, 
. und bey den Katbolifen wie bey den Proteitanten wird die 
Taufe ducch Begiegung vorgenommen, Demnach beruht 
auch die Taufe der Vroteftanten lediglich auf Tradition 
und Kirchengebrauch. | 

Die Proteftanten erkennen ferner die Sonntags- 
feyer ald eine heilſame Borfchrift, und doch erwähnt 
ihrer die heilige Schrift nirgends; wohl fpricht fie vom 
Sabbath, aber nirgends vom Sonntag. Mach der Tra— 


— 333 — 


dition aber ward von undenklichen Zeiten ber an der 


Stelle des Sabbaths der Sonntag arfeyert, um an 


ebendemfelben Tag die zwey größten Wunder der alten 
und der neuen Zeitrechnung — nähmlich das Erwachen 
des Weltalls aus Nicht, und das Erwachen Sefu 
aus dem Grabe — im Andenfen zu bewahren. 

So folgt hiermit auch der Proteftant in manchen 
Stücken der Tradition; und wenn er gleich die von Jeſu 
— (bey Soh. XIII) Elar vorgefchriebne Fußwaſchung, 
fo wie die Firmung — letzte Oehlung Gae. V, 14) 
u. f. w. außer Acht läßt, fo taufen doc) die proteftantifchen 
Lehrer die Kinder, fie copulieren die Ehleute, fie tragen 
Abendmahl zu den Kranken, fie halten öffentliche Beichte 
und feyern Sonns, Feſt- und Bußtage, — was fich alles 
lediglich auf die Tradition, feineswegs aber auf die 
heilige Schrift gründet. 

AlS Nachtrag zu der oben ausgefprochenen Behaup- 
fung des frübern Urfprungs der Tradition fügen 
wir noch einige gefchichtliche Umftände über die allmäh— 
liche Entftehung dev heil. Bücher bey. 

Am erften erfchien das Evangelium des Apofteld Mas 
th Aus, des Begleiters Sefu, welcher nach dem Zeugniß des h. 
Chrifoftomus 8 Sahre nach Chrifti Himmelfahrt, 30 J. 
vor der Zerftörung Serufalems, beym Antritt feiner evan— 
gelifhen Reife zu den Heiden, auf dringendes Anfu- 
chen der Suden, in ihrer hebräifchen Mutterfprahhe — 
vor den Augen der Feinde Ehrifti und Caiaphas — einen 
Entwurf der Gefchichte Sefu und feiner Offenbarung 
verfaßte. Niemand wird indeffen bezweifeln, daß die Re— 
haion Chriſti feldft beveit3 praktif eingeführt und 
im Bang war, ehe noch Mathäus fein Evangelium 
fhrieb. (Gewiß ward das „Unfer Vater“ gebethet, 
ehe 23 bey Math. VI. zu lefen war, und die Zaufformel 
war im Gebrauch, ehe Mathäus fie aufzeichnete, 
da Sefus fie feinen. Apofteln vorgefchrieben hatte.) 

on Marcus, dem Schüler und Gefährten des 


— 0 


Petrus, erzählt und Eufebius im 2,3. 414. C. auf das 
Zeugniß des Clemens von Alerandrien, daß ihn die Zus 
börer Petri in Rom gebethen hatten, die Lehre Ehrifti 
fchriftlich aufjufegen, mworauf Petrus von höherer Einge- 
bung begeiftert das Werk unterfuchte, durch fein Anfehn 
befräftigte und es in allen Kirchen zu Tefen befahl. Er 
fchrieb fein Evangelium in lateinifcher Sprache, 27 Jahre 
vor Serufalems Zerftörung. 


Zucas, Sehülfe und Gefährte von Paulus, entivickelt 
im Eingang feines in griechifcher Sprache verfaßten 
Evangeliums die Gründe felbft, welche ihn dazu bewogen; 
weil nähmlich damahls unter den Ehriften viele Schriften, 
al3 z. B. Evangelien von Philippus — Thomas — Petrus’ 
u.f. w. verbreitet wurden, und Paulus — um diefe zu bes 
feitigen — feine Schüler aufforderte, eine genaue Erzählung 
niederzufchreibent, worauf dann Lucas — nad) Berfichrung 
des heil. Hieronymus — diefe Arbeit unter den Augen 
feines Meifters in Achajen und Böotien im Jahr 58 —, 
dem zweyten Regierungsjahr Nero's, unternahm. 


Johannes, Begleiter von Sefus, fchrieb fein Evan 
gelium in griechiſcher Sprache erſt in feinem Greifen 
alter zu Ephefus (wo er der von Paulus geftifteten Kicche 
vorſtund, und durch längere Zeit die Mutter Sefu, welche 
dieſer ihm von der Höhe des Kreuzes empfahl, bey fih 
hatte) im Sahr 96 unter Kayfer Nerva, und hatte alfo 
die von Ehrifto geweiſſagte Zerſtörung Serufalems früher 
erlebt gehabt; fein Evangelium hatte hauptfächlich die 
Widerlegung der Härefien zu Corinth und der Elioniten 
zum Zweck. Sn fühnem Adlerflug fihwingt ex fich über 
alle Gränzen der Zeit hinauf, zeigt ung Sefum im Schooß 
der Gottheit, als Sohn Gottes, ald Gott felbft, und fteigt 
mit demfelben von diefer unerreichbaren Höhe feiner gött- 
lichen Größe herab auf die Erde, um uns feine Menfch- 
werdung, fein Leben und feinen Berufswandel unter den 
Sterblichen zu erzählen. ? 


Bu 


So verhielt ſichs mit den Evangelien; fie wurden, fo 
wie alle Schriften des Neuen Feftaments, durch 
befondre und Örtliche Umftände, aber durchaus nicht 
durch einen vocher überdachtenLehrplan veranlaft. 
Die Briefe enthalten Antworten auf Anfragen, oder 
Belchrungen an eigens. benannte Kirchen, zum Theil 
auch an einzelne Individuen. 

Bon den erften Kirchenlehrern waren einige in Aſia, 
etliche in Afrika, andre in Europa, und Feiner bey dem 
andern;. fie fchrieben über -beyde Zeftamente , der eine 
hebräifch, ein andrer griechiſch, und auch latein, aber in 
folcher Uebereinffimmung, die wohl nur-duch Ein— 
würkung des heil. Geiftes ftattfinden konnte; wie Egefippus 
ein gleiches von den LXX Dolmetfchern meldet, welche 
vom König Ptolomäus wegen des alten Teftament3 waren 
zufammen bevufen worden. 

Vernehmen mwir nun die Urtheile der ehrwürdigen 
Kirchenväter, um unſre Ueberzeugung zu beſtärken, daß 
das chriſtliche Alterthum überall ſich der Tradition be— 
diente, um das geſchriebne Gotteswort auszulegen 
und die Lehren des Irrglaubens zu berichtigen. 

Mit heiligem Ernſt und vol Ehrfurcht für den Glau— 
ben ihrer Väter viefen die Mitglieder des Conziliums 
in Nicäag aus: hec est fides patrum; ita credimus, 
und fogleich gab män das Glaubensfymbol, um zu zeigen, 
daß es nicht eine neue Meinung oder eigne Erfindung, 
fondern die wahrhaft apoftolifche Lehre fey. + 

Polyfarp (der im Sahr 166den Märtyrertod ftarb), 
Schüler des Apoſtels Sohannes, des Theologen — lehrte 
als Bifchof von Smyrna, wie JIrenäus berichtet, „was 
ibn die Apoftel lehrten, — was die Kirche lehrt, — 
was allein wahr ift. Ignaz, auch Schüler des heiligen 
Sohannes und Petrus, durchzog auf- feiner Reife nach 
Rom viele Städte dev Gläubigen — wie ung Eufeb. mel- 
det — und ermahnte fie, „fich feft an die Ueberliefe— 
rungen der Apoftel zu halten.“ | 


Baſilius fchreibt der Tradition wie der heiligen 
Schrift gleiche Kraft zur Beförderung der Gottfeligkeit 
zu, und füge bey: dieß ift eine Wahrheit, die feiner Täug- 
nen fann, der nur einige Kunde von der Verfaſſung der 
Kirche hat. Gebräuche verwerfen, weil fie nicht in der 
heil. Schrift erwähnt werden, hieße jo viel, als dem 
Evangelium ſelbſt Abbruch thun. 

Clemens von Alerandrien in f. Strom. bemerkt, „da 
e3 zwey Mittel für den Unterricht der Gläubigen gebe: 
das gefhriebne Wort Gottes und die ungefchriebne 
Lehre, oder Tradition; um die heil. Schrift würdevoll 
auszulegen, müſſe man Sefu Lehre nach frommer Ueber— 
liefrung der 'Apoftel erklären.“ Eben. diefer Clemens 
erzählt, daß einige von den unmittelbaren Nachfol— 
gern der Apoſtel, welche die Tradition der wahren Lehre 
aufbehielten, fo mie fie von den heil, Petrus, Sohannes, 
Paulus und Safob verkündet ward, bis zu der. Zeit gelebt 
haben, - in welcher er feine Stromata fihrieb, um den 
Samen des wahren Glaubens in den Herzen auszuftreuen 
und einzupflanzen. (Er fchrieb dieſes fein Werk in acht 
Büchern zu End des zweiten Sahrhunderts, und ſtarb im 
Jahr 217.) | 

Auguftinus fagt in fr epist. c. Manich. c. 5. non ( 
crederem evangelistis nisi anetoritas ecclesie ad id facien- 
dum. me eommoveret. Und an einer andern Stelle: „alles 
was man von jeher in dem Kirchen geglaubt und beob- 
achtet hat, wenn man deſſen urfprünglichen Anfang nicht 
ergründen kann, muß man als Einſetzung der Apoſtel 
betrachten. Die Glaubenslehren, welche die älteſten 
Väter in der Kieche vorfanden, bielten fie feftspwa3 fie 
gelernt hatten, Ichrten fie wieder; was die Väter 
empfiengen, gieng auf die Söhne über.“ In gleichem 
Sinn erklärten fi auch Chryfoftomus, Irenäus, Orige— 
nes, Epiphanius nf. w. Gregor der Grofe. behauptet 
fogar, daß den 4 erften dkum. Conzilien der nähm— 
Liche Elaube beygemeffen werde wie den 4 Evangeliften.“ 


— 3 — 


Tertullian fagt: „Wenn Zweifel über neue Fragen 
entftunden , wandte man fich zuerftran die apoftolifchen 
Kirchen; bei ihnen ehrte man noch mit heiliger Erinne— 
rung die Kanzeln der Apoftel, von welchen fie ihre Pre— 
digten verfündigten, auf welchen ihre Briefe gelefen wurden, 
die gleichfam den Ton ihrer Stimme und die Züge ihrer 
Geſichtsbildung vergegenwärtigten. Alles ward durch die 
Lehre und duch die Tradition der apoſtoliſchen 
Kirchen entfchieden.“ — Schlieflih vernehmen wir noch) 
die Ausſprüche gewichtvofer Proteftanten, und zivar 
der Reformatoren felbft fowohl als auch neuerer angefe- 
hener Theologen der deutfchen und anglifanifchen Kirche. 
Luther und Calvin fprachen der Zradition- frey- 
müthig dag Wort; ja fie rühmten fich felbft, daß fie der 
Unterweifung der erften Sahrhunderte folgen und die Lehre 
der alten Kirche wieder in ihrer  urfprünglichen Kraft 
und Reinheit herftellen; nebft dem Buchftaben der heil. 
Schrift betrachteten fie zugleich noch die Leberliefe- 
rung der erften Kirche bis zum 5ten Sahrhundert als 
Richtſchnur des Glaubens, Aus der Augfpurger 
Konfeffion 1540. Wittenb. erfehen wir, mie man fich 
zur Zeit der Reformation noch auf das Alterthum berief, 
den Glauben der. alten Kirche pries , und häufig Zeug- 
niffe aus den Kirchenvätern anführte. Luther 
felbft hält wegen dev verfchiedenen Schriftauslegun- 
gen für nöthig, zur Erbaltung der Einigkeit des: Glau— 
bens, die Defrete der Conzilien zur Hand zu nehmen, 
folglich an die Sradition fich zu halten. Sm Jahr 1518 
fihrieb er an den Kardinal Cajetan in Augfpurg, „daß 
die Meinungen einzelner Bäter und Lehrer ihn nicht hin— 
länglich befriedigen, ‚fondern er die Stimme der Braut 
zu hören wünfche, und die Kirche über die zweifelhaften 
Sätze ent ſcheiden möge, welcher er dann folgen werde,“ 
Auch Zwingli giebt zu, daß die Apoſtel mündlich 
lehrten, und daß ihre Briefe nicht fo fehe, den Zweck bat- 
ten die Bölker zu unterrichten, als fie elwehr in dem 


zu befräftigen, was fie mündlidy gehört hatten.“ 
Sa Beza und Calvin beriefen fich felbft gegen die aus 
ihrer Schule ausgetretenen Arianer auf die Tradition. 
Calvin in feiner Lehre über den 2. Brief an Tim. führt 
fie auf das ungefchriebene Wort zurüdz; “ dadurch ift 
nun der Stoß einiger Unfinniger gedemüthigt, die fich 
rühmen Feine Lehrer zu brauchen, weil fchon die Lefung 
der hl. Schrift hinlänglich ſey. Wer die Hülfe des un— 
aefhriebenen Wortes von fih ftoßt und fich bloß mit 
der ſtummen Schrift begnügt, der wird es bald füh- 
len , welch ein großes Lebel es fey, das von Gott und 
Sefu Ehriftio angeordnete Mittel des Lnterrichts 
zu verachten.“ Und daß in der protefiantifchen Kirche 
niemals Einheit berrfchen könne folang fie die Zradition 
verwirft,, bat fhon Caſaubonus eingeftanden, indem er 
p. 247 der epist. ‘pr. viror. fagt, daß Luther, Calvin 
und Zwingli fih nur eben deßwegen nie zu vereinigen 
vermochten, weil fie die Tradition verlaffen hatten. 

Auch Hugo Grotius ſtund in der vollen Ueberzeu— 
gung, daß ohne Tradition keine Gewißheit in der Lehre 
möglich ſey; in feinem gehaltvollen und unparteylichen 
voto pro pace ſagt er S. 137: „Ale mündlichen 
Lehren der Apoftel müffen mit ihren fhriftlihen glei» 
ches Anfehen haben; Vaulus felbft befiehlt ja, daß man 
allem geborchen müffe, was er lehre, es fey nun mit 
Worten oder aber in Briefen.“ 

Semler fihreibt : Nur Unmiffenheit in der Gefchichte 
kann chriftliche Religion mit Bibel verwechfeln, als ob es 
feine Chriften gegeben hätte, da es noch feine Bibel gab, 
und als ob diejenigen weniger gute Ehriften geweſen wä— 
ven, welche nur einen Theil der Evangelien und apoftoli- 
fchen Briefe fannten. Bor dem vierten Sahrhundert war 
von einem voltftändigen Neuen Teſtament Feine Rede, und 
doch gab e8 immer ächte Ehriftusfihüler. % 

Dr. und Prof. Clausen, Ammon, Rofenmüller, 
Griesbach und andere der angefehenften Theologen des 


- We = 


preoteftantifchen "Deutfchlands äußern übereinftiimmend die 
Anficht daß das Chriſtenthum urfprüngli mehr durch 
mündlichen Unterricht als durch Schriften ſey ver— 
breitet worden ‚daß die meiſten heiligen Bücher 
Früchte der älteſten chriftlichen Tradition feyen, daß 
mehrere Ausfprüche Sefu und der Apoftel in den Schriften 
der Kirchenväter noch in urfprünglidher Reinheit 
'gelefen werden, und daß die Lehre Jefu fey vorgetragen 
und entwickelt "worden lange bevor feine Schüler an 
eine fchr iftliche Aufzeichnung derfelben dachten. 

Selbſt der große Skeptiker Dr. Paulus in Heidel- 
berg fühlt fich zw der Behauptung gedrungen: (Sophr. 
3.2.9.1.) ‚Nur Tradition vermag 08 uns zu fagen 
was einſt gefchehen, alfo auch was einft gedacht und ge- 
glaubt worden ſey; nur durch die ueberlieferung förnen 
wir letzteres erlernen.“ 

Wie fehr Übrigens den Proteftanten an der Beſtrei⸗ 
Finn des katholiſchen Lehrbegriffs über diefen Punkt ge- 
legen ſeyn müffe, erfehen wir aus dem Geftändnig Sozins: 
„Xefe man die Schriften der Papiften gegen die Prote: 
ſtanken, und man wird deutlich wahrnehmen, daß, wenn 
man fich neben den heiligen Schriften auch an das 
Anſehen der Kirchhenväter halten muf, wir alle wie wir 
find — Lutheraner , Calviniften u. ſ. w. den Prozeß ver— 
tieren. ° Sn gleichem Sinne äußern fi auch ausgezeich⸗ 
nete theologiſche Schriftſteller der anglikaniſchen Kirche. 

Rofe, deſſen gründliche Erörterung des Zuſtandes der 
proteftantifchen Religion in Deutfchland auch in  unfre 
Sprache überfeßt ward, ſagt: „Um Licht und Wahrheit 
zu haben ‚ müffen wir vorerft zwar zur heiligen Schrift, 
datın aber — wenn Schwierigkeiten in der Auslegung 
ſich zeigen — zu den chriftlichen Schriftiielleen unfre Zu— 
flucht nehmen, welche zur Zeit der Entitehung des riftlt- 
chen Syſtems Tebten. “ 

Bil. Eobbet in feiner Gefchichte der proteftantifchen 
Reform in England fpricht fich hierüber ſehr bündig aus: 

22 * 


za > 


Bir, Anhängen der xeformirten Kirche — ſagt er — 
fuchen. und, finden ; in, dem. ‚Neuen, Teſtament das wahre 
und ächte, Wort Gottes, ‚die einzig. wichtige Anleitung zum 
Heil, unft er: ‚Seelen es muß daher für uns höchſt wichtig 


ſeyn zu wiſſen, auf- welche Weife, wir zu dieſen Wor- 


‚ten: des ewigen Lebens gelangt ſeyen und ‚welchen. Be⸗ 


‚weis; wir für, die Aechtheit, dieſes neuen Teſtaments 


‚befißen, . D wie ärgerlich für uns Proteſtanten, daß wir 
dieß hochheilige Buch, „vom , Papft „und, der katholiſchen 
Kirche empfangen baben,, . ‚welche, man uns als abgöttifch 
und, ‚verdammlich, fchildert Mies lang. nach Chrifti 
Zod- ward erſt das Evangelium einigermaſſen in ſeine 
jetzige ‚Form gebracht)... Su ‚wie, vielen. Kirchen verfchiede- 
‚ner Lander ward es gepr edigt, noch. ehe: es als Weg- 
weiſer der chriſtlichen Kirche anerkannt ward! Erſt nach 
vier Jahrhunderten mward das gefchriebne. Evangelium 
einer katholiſchen Kirchenver ſammlung und dem 

apfſt als ‚ihrem Oberhaupt vorgelegt. Wie, viele; Evan- 
‚gelien, gab es noch. — ‚außer, den. dermahl ‚gültigen — ‚von 
andern Apofteln und- ihren Jüngern, z. B— Evangelium 
S. Jacobi — Thom, — Basilidis — ‚Andrex — Nico- 
demi — Bartholomei. — Mareionis — Pauli Valen- 
tini — - Philippi — Barnabe — Jacobi majoris; und. noch 
eine Menge andere! All dieſe wurden lang. nach dem Tod 
ihrer Ver faſſer einem Conzilium Dev. En tholifchen 
Kır che, zum, Entscheid, für ‚oder ‚wider: ihre Aechtheit vor- 
gelegt; dieß Co onziſium erklärte ſich für diejenigen von 
Mathau⸗ ——— Lutas und Johannes. Es entſchie d— 
daß dieſe viex Evangelien , ſollen angenommen „und 
geglaubt „able. übrigen „aber „verworfen, werden. 
Ueberüieß ‚noch, hat auch die heutige reformirte Kirche 
Englands eine. Liturgie beibehalten ,, ‚welche gröſtentheils 
vom katholiſchen, Cultus herſtammt, ſowie auch das 
Prizäifche und  Athanafifche Slaubensbefenntnif „welche 
ebenfalls vom Papſt und Eonzilium angeordnet und einge— 
führt wurden. Und dieſen Papft heißen wir den, Anti— 


— 31 — 


Krim diefe Kirche heißen wir abgertire, "werde 
— welcher Wider euch | © BED % 
Molanus) Leibnihens gelehrter Mitarbeltet an Aa 
gegen) VBelemige an ‚ fagt in Boſſuets nachgel 
Werfen, „die Gemäßigten unter den Proteftanteht fimmen‘ 
doch ‚darin überein, daß wir nicht | nur die beit Stift 
ſelbſt/ fondern "alıch ihren wahrhaften vehtgldubigen 
Sinn in allen Fundamental - Punkten, der Tr adttion' 
zu verdanken haben, ‚ohne 'viefer andrer Dinge zu erh 
nen, von welchen Gafizt , Horneius und ‚Chemmiz ſchon 
fang geftunden‘, daß wir fie: bloß durch vie stadion 
erfahren können. Sobiel ift gewiß, daß alle Profefthhten," 
welche nebft dem aporofiihen Symbolum auch noch 
die fünferſten dekum eniſchen Conzilten und die’ 
Uebereinſtimmung der" erften Fünf Fahren inder fe) 
als theologiſchen Grundſatz annehmen, ‚wenig, ur ſache ſin⸗ 
den koͤnnen mit der katholiſchen Kirche in Stteit ae 
rathen (Boffuel bemerkt bei dieſer Stelle: der Ber= 
faſſer giebt zu, daß wir der Tradition nicht nur die heit! 
Sch wife ſelbtt, fondern auch die 'gefekliche natlleliche 
Au stegung derfelbert verdanken, und daß Rah 
gebe‘, welche iman "ohne Behuſe der Tradition. ‚nicht 
zu erkennen vermöge EIN 
Der gelehrte e— von St. —— 
fagt in feiner Sammlung der Kan der ur ſprungch 
Kirche: „Wir fahren Weit ſichrer, wenn mit KT RR 
was die allgemeine Kirche oder doch wenigfteng" der 
größre Theil'der Ehriften dachte, und wer wie ns der! 
jenigen Meinling anſchließen/ welche einſtimmig Ho 
den Ehriiten "aller" Sipehlnderte' angenommen ward Wohl 
giebt's mehrere Artikel, die man nicht in y der Heil! Satt 
beſtimmt ausgedruckt finder, die aber Wand Puech, "die 
allgemeine Beyftinimung aller ‚Chriften aus derſelben dein! 
folgert werden tönnen 58. die Anbethung dreyet unter?" 
ſchiedner Paonen de Heil, Dreifaltigkeit Bun; jede Dorn‘ 
ihnen Gott fen, daß es aber doch nur Einen Gott gebe, — 


36 


— 


daß Chriſtus Bott. und Menſch in Einer; Perſon ſey us f. m. 
Dieſe und ähnliche Punkte ſind in den, heil Schriften 
nicht wörtlich angemerkt, dennoch aber darauf gegründet, 
worüber, man. von jeher unter den ‚Chriften einverftanden. 
war... Ebenfo,. find die Taufe der neugebohrnen Kinder, 
die ehrechiethige Haltung des Sonntags, ‚die jährliche, 
Feyer der. ‚Geburt —. des. Leidens... — der Aufer ſtehung 
und Himmelfahrt des Erloͤfers, ſowie der Ausgießung des 
heil. Geiſtes u. ſ. w. nirgends in den heil, Schriften an⸗ 
geordnet, dennoch aber ſeit undenklicher Zeit in der Kirche 
ausgeübt worden; wie könnten ſie wohl ſo einffimmig R 
an. allen, Orten, zw allen Zeiten und. ‚bei ‚allen, Ehri- 
ften Eingang gefunden haben , wenn diefe , ‚Begriffe nicht 
urfprünglich in allen» Herzen ‚gewurzeit und, yon, ‚der nP%r 
ftolifchen Tradition hergerührt hätten. ‘ “ | 

Auch die gelehrten Theologen der reformierten ‚anglis 
kaniſchen Kirche: Thorndyke, Dodwel, S. Parker, Bull, 
Waterland 1.0. m, ‚gehören fänumtlich., zu den Anhängern 
und Bertheidigern der, Sradition.g u 9 ' 

Uebrigens wird dieſer Artikel in Affen kathouſch doge. 
matifchen Lehrbüchern (welche, freilich, „von, ‚unfern prote⸗ 
ftantifchen, Zeloten cher, ‚geläftert gis geleſen zu wer⸗ 
den pflegen) ganz ausführlich und gründlich „erörtert... 
Defondere Aufmerkſamkeit verdient, auch die Abhandlung 
von ‚Dr. Jarry in Stolbergs Geſchichte der Religion 
Seju, ‚VEIL., 442... J— ' 

Da: in; diefen Abfchnitt. hin. und mieder. vom) Eonzi- 
fi en oder. Kirchenverfammlungen. die, Rede war, „fo fügen „, 
wir noch; einige, kurze .chronologifche Notizen, hierüber bei. 

Die vier. älteſten und. wichtigſten waren won Nizäa, 
unter. dem; Papft; Sylpeſter und ‚Kaifer, ‚Sonftantin ‚dem, 
Großen, ‚im B. 25 ä beſtehend qus 318 Biſchöfen, Pa⸗ 
triacchen und, Metropoliten aus Afı a ‚Afrika, und Europa; 
von. Re ‚unten Damafus, zur Zeit Theo— 
dofius des Großen im, I ‚3814 beftghend; aus, 180: Biſchoͤfen 
u. a.. Ephefus unter Ebfefin „und dem jüngern Theo⸗ 


Pe 


dofius.im 3. 431, beftehend aus 200 Bischöfen u. as; 
Calzedon im I. 451, befiehend aus: 660 Bifchöfen war 
Auf dieſe folgte fodann das zweyte Eonftantinopolitanifche 
im J. 555 unter Papſt Vigilius und Juſtinian dem 
Großen, das dritte Eonft: im J. 682 unter Conſtantin, 
das zweite von Nizäa im J. 787, das vierte von Conſtant. 
im: 869. Die vier Lateranenfifchen fanden 1123, 1139, 
1179 und 1215 , die Lyoner 1245 und 1274, dasjenige zu: 
Dienne 1311, zu Eonftanz 1414) bis 1418, Baſel 1431, 
Slovenz 1439, Trient 1541 bis 1545 und 1563 Statt. 


Nun kommen wir. zu dem wichtigſten — 5*— der 


Eucariſtie oder Abendmahllehre, 


eine um ſtandche ſorgfältige Auseinander ſetzung 
um ſo unerläßlicher iſt, da ‚hierin die verſchiednen Glau⸗ 
bensbekenntniſſe gar weſentlich von einander abweichen. 
Der Lutheraner nähmlich glaubt, wie. wir bereits 
geſehen haben, die ſakramentaliſche Bereinigung 
des Leibs mit Dem; Brot, d.rh. die, Berbindung-des-ficht- 
baren Brots und Weins mit dem unſicht bar aber 
dennoch ⸗ wahr haft gegenwärtigen Leib und Blut; 
Chriſti, in Folge welcher, Verbindung das eine mit dem, 
andern zugbe ich genoſſen wird. Dex Calviniſi und Zwing⸗ 
lianer, oder Reformierte, glaubt eine bloß figurlichen. 
fi nnbildliche Bedeutung der Einfehungsworte Chriſti. Der; 
Katho hik endlich glaubt die weſentliche wir kliche Ge⸗ 
genwart Chriſti im Sakrament des Altars mittelſt 
Umwandlung der Subſtanz. (Transſubſtantiation. 
Während alſo dem Reformierten das heil: Meßopfer 
als die ungereimteſte gottesdienſtliche Handlung, als eine 
Verirrung des menſchlichen Verſtandes erſcheint, iſt es 
hingegen dem Katholiken der ehrwürdigſte erhabenſte Theil 
feines Gottesdienſts; und in der That iſt dieß Altars— 


2 


ſakrament des altgläubigen Fatholifchen Ehriften entweder 
wirklich dag von dem Gottmenfchen und Welterlöfer vor 
achtzehn Sahrhunderten zu unfernt Heil "auf Golgatha 
volbrachte Opfer, oder eg iſt ein leeres ‘gehaltlofes 
Traumbild , eine vermwerfliche Abgötterei. "Auf das Abend- 
mahl als den höchſten Gegenftand ‚feines Cultes richtet 
der katholiſche Chriſt all feine Gedanken "und Wünfche; 
es iſt die Nahrung feiner Frömmigkeit, fein: Troſt auf 
der Pilgerreiſe diefes Lebens, feine Stärkung im Unge- 
mach und am Rande des Grabed, die Bürgfchaft feiner 
eignen Auferfiehung , oder — wie der heil. Ignatius fich 
ausdrückt — „die Arznei der Unfieoblicnbeis und J Ge 
gengift des Todes.“ 

Die zu dieſer feierlichiten Handlung dienenden Borbe- 
veitungsgebethe ,; diejenigen , mwelche bey der Verwandlung 
des Brots und Weins, — nad) derfelben, — und beym 
Genuß des Abendmahls geſprochen werden, die am Schluſſe 
gewöhnlichen Dankgebethe, nebſt den — ** für dieſen 
Akt vorgeſchriebenen Gebräuchen und Ceremonien werden 
zuſammen inbegriffen unter der Benennung Liturgie, 
von welcher im Verfolg noch umſtändlicher die Rede ſeyn wird. 

Nun dringt ſich uns doch wohl” alfobalw die ernfte 
Frage auf: füllen "die Vorſtellungen und Begriffe’ des 
fatholifchen Chriften’ "won der würklichen Gegenwart des’ 
Erlöfers im Altarſakrament grundlos ſeyn? Sollen 
all jene frommen Urchriſten und Heiligen, welche in’ der 
Kirche gleich der Sonne am. Himmel glänzen, und fo 
viele erleuchtete Theologen⸗ des Alterthums bey all ihren 
Forſchungen nur im Irrthum verſunken geblieben ſeyn? 
Sol die ganze chriſtliche Kirche, welcher Jeſus Chriſtus 
den Beiſtand feines Geiſtes ſo klar verheißen, und welche 
denſelben auch ſo oft und deutlich erfahren hatte, bis zum 
ſechszehnten Jahrhundert (ja zum weit gröſten Theil bis 
auf dieſe Stunde) in ſolch gräßlichem Irrwahn geſchmachtet 
haben ? Wie reimte ſich dieß mit Gottes einiger unbe⸗ 
gränzter Vate vrliebe zuſammen ? Sollte nicht vielmehr 


— 5 — 


dieſer wichtigſte aller Glaubensſätze eben ſeiner Allge— 
meinheit wegen, da ihm die ganze Morgen = und Abend- 
ländiſche, ja die geſammte chriſtliche Kirche huldigte und 
diefen Glauben mit Blut befiegelte, — nothwendig sn. 
lichen Urfprungs und wahrhaft feyn ? j 
Diefe Betrachtung war es hauptfächlich, ‚welche auch 
auf Erasmus den tiefften Eindruck machte und ihn zur 
treuen Fefthaltung an’ der Glaubenslehre feiner Väter 
beiwog. Des Streits über die’ Euchariftie (ſchrieb er im 
April 1529 an ud. Berum) kaͤnn ich Fein End’ inbfehen:: 
allein nie fonnte man, nody wird man je mid) bereden 
Eönnen, daß Chriſtus, der doh die Wahrheit und 
die Liebe ſelbſt it, es hätte’ zulaſſen können daß die 
Kirche — feine geliebte Braut — fh lange Zeit hindurch, 
in ſo fcheußlichem Irrthum geblieben wäre ein Stück 
Mehlteig an feiner Statt anzuberh en. So uvtheilte' 
ein Mann, welcher von feinen gelehrteiten Beitgenoffen 
als dem damahligen Reformationswerk ganz und gar nicht 
abhold geſchildert wird, der nähmliche deſſen entſchiedner 
Geiſtesüberlegenheit ferbft unfer Zwingli und feine Gehül⸗ 
fen zu huldigen ſich zur Ehre vechneten /wie wir be: 
aus einem frühern Abfchnitt entnommen haben.‘ 
"Und wie kommt es "denn, daß die Gegner des Meß⸗ 
fire uns über den: Zeitpünte ſeines urſprun g8 
oder den Mahmen ſeines Ur hebers nicht die getingfte 
Auskunft zu evtheilen im Stande find Unläugbar hätte 
doch" die neue Einführung eines ſolch myſtiſchen Lehrbe⸗ 
griffs gewaltiges Aufſehen erregen und ſtarken Widerſpruch 
finden müſſen. Wann und auf welche Weife hätte 
man eine folch einfache Glaubensmeinung, ‚welche nad) 
der Behauptung der Calviniſten und Zwinglianer von den 
Apoſteln ſelbſt und all ihren Schülern wäre gelehrt wor: 
den, vertauſcht an eine fo gang entgegengeſetzte 
Glaubenslehre, durch welche die Welt auf einmahl in’ 
Abgötterei und Verwirrung ſich geſtürzt hätte ? Würden 
nicht gegen die Verfälſcher einer erſten urſprünglichen Li⸗— 


⸗ 


— —— 


turgie ſich mächtige Stimmen erhoben, würden nicht die 
Väter von Epheſus und Chalzedon, kraft ihres kirchlichen 
Anſehens, ſolch empörende Neuerung im Keime erſtickt 
haben? — Allein die Kirchengeſchichte ſchweigt hievon 
ganz und gar. Wohl ſchrieb Paſchaſius, Abt zu Corvey, 
im. Jahr 818 zwerft über die würkfiche Gegenwart des 
Leibs und Bluts Chrifti im Abendmahl, Wie, fönnte aber 
vernünftigen Nbeife hieraus gefolgert werden, daß dieß: 
Dogma erſt im beſagten Sahr fey eingeführt worden? 
Muß nicht vielmehr ‚nothwendig angenommen. werden, daß 
Paſchaſius über ein Dis zu dDamahliger Zeit. allgemein: ges 
glaubtes Dogma eben Deßwegen: gefchrieben habe, weil 
manch zu beſtreiten begon wen hatte ? » Denn wir finden 
vollgültige Zeugniffe für dieſe Lehre fihon ‚in den erſten 
Sahrhunderten, dev Chriftenheit, wie wir nun bald ‚uns: 
überzeugen, werden. | 

Als. „dann ſpäterhin Berengar im eilften Sabebups 
dert-fich wider das Mefopfer und die Lehre. ‚der wefent- 
lichen, Gegenwart. Chriſti im. Abendinahl auflehnte, ward, 
feine Irrlehre durch den "berühmten Erzbifchof von Can— 
terbucy,, Lanfraneus „den Kardinal Guitmundus und. den: 
Biſchof Alemannus von Breszia, ſowie durch die eins, 
ſtimmigen Befchlüffe mehrerer Conzilien beſeitigt. Aus 
geſchichtlichen Urkunden wiſſen wir, daß ſeine Lehre von 
allen, damahligen Morgen- und: Abendländiſchen Kirchen, 
als eine Neuer ung und Abweichung, von dem alten 
Glaubensſyſtem war erklärt, und übrigens von Berengar 
ſelbſt noch auf ſeinem Todbette unter bitteun Thränen 
bereut und widerrufen worden. ri 

Unfteeitig war in den erſten * Chris 
ftenthums das Meßopfer als Geheimniß ‚behandelt wor— 
den, indem die Chriſten dieſe Feyer vor den Heiden ver— 
DAB und. augleich. auch, ihpen eignen: hotecumenen 
weiſe hefur lefern uns Fertullian,: Drigenes,, j ‚Sprit don. 
Serufalem an as m. «Bei den Juden und Heiden ſtunden 


+ ME = 


die. Chriſten der apoſtoliſchen ſowohl als ‚auch, fpätrer 
Zeitalter in dem gräßlichen Verdacht, daß ſie in ihren 
geheimen, Verſammlungen Menſchenfleiſch und Menfchen- 
blut ‚genießen. , Hätten nun dieſe Urchriſten — nach der 
Meinung der Reformierten — nur Brot und; Wein zur 
Erinnerung an ihren Herrn und. Meifter, genoffen, wels 
chen Grund „könnten fie, gehabt. haben. ſolch „einfache, 
natürliche Handlung den Ungläubigen zu verheimlichen? 
Warum würden ſie eher die grauſamſten Mar ter er 
duldet als ihre, ſo unverfanglichen, Gebräuche den 
Peinrichtern entdeckt, und dadurch allen Oualen, und — 
folgungen ſich ‚entzogen. haben di ; | 
„Zertul Liam; zu ‚Ende des weyten "Sahrhunderts; 
nennt das Geheimhalten der Lehre von. der Euchatis, 
ſtie ein „allgemein, beftchendes, Geſetz. Der große Kirchen⸗ 
lehrer Auguſtinus und ſo viele andere Bäter des Alva, 
chriſtenthums bedienen ſich beym Unterrricht der 
Satehumenen | gefliſſ⸗ ent lich einer myſtiſchen Sprache, 
und geftehen feldft, daß es ihnen. wegen den Ungemweihten nicht, 
erlaubt fen den Schleier völlig zu lüften.„Sehr.beftimmt extlart 
ſich Auguſtinus in, der. 2, Abhandlung, über den heil. Jo— 
hannes „Funget ihr einen Catechumenen, ob, er das 
Fleiſch des Menfchenfohnes eſſe und ſein Blut trinke ſo 
verſteht er nicht, was ihr damit ſagen wollt. Die Cate⸗ 
chumenen haben von dem, was die Chriſten empfangen, 
noch keinen Begriff. Die Art, ‚mie, man das. Dan. 
Sefu genießt, iſt flir fie eine; noch verh üllte Sache.“ 
Einen zweyten Hauptbeweis für das Dogma der weſent⸗ 
lichen Gegenwart liefern uns die älteſten Kirchengebethe oder 
Liturgien. Dieſe waren anfänglich bei den religiöſen Zus, 
ſammenkünften der Chriſten nur, mündlich verrichtet wor⸗ 
den, und hatten + fich auch lange; Zeit hindurch bloß 
mittelſt mündlicher Tradition erhalten, wurden aber 
nach hergeſtelltem ‚Frieden der Kirche in Schrift verfaßt, 
und nie war ihr apoſtoliſcher Urſprung ‚von dp en 
in Zweifel gezogen worden... RE altıpinty: sk Hacharal ot 


# 


4 


Bernehmen wir hierüber die Stimmen einiger unſerer 
proteſtantiſchen Theologen! INERT 

Der gelehrte Pfaff ſchreibt? Unmöglich kann das 
große Anſehen der ſogenannten apoftofifchen Liturgien be⸗ 
ſtritten werden,‘ indem ſie ſchon in den älteften Zeiten‘ bey 
den angefehenften "Kirchen des Hrients im Gebrauch waren, 
daher ſich aus ihnen ka ind der Glaube der alten 
Kirche erkennen —— BR 

Hugo Grotius — doch oh ein Hg Gewehrs 
mann ſagt in ‚feinem oft angeführten voto pro pace' 
„Sn allen griechifchent, lateiniſchen, arabiſchen ſyriſchen und 
andern Liturgien finde ich die Geberheyu Gott: er wolle 
die dargebrachten Gaben durch feinen Geiſt heiligen und 
fie zum Leib’ und Blut feines’ S Sohnes‘ madyen. Sc habe‘ 
alfo Recht zu behaupten, daß man einen ſo alten und allge 
meinen Gebrauch, deſſen "Urfprung ſich von den ertten 
Zeiten herfchreibt, inch hätte abaͤndern ſollen. Die'Weber- 
einftimmüng alfer Liturgien aller an der in jenem 
Gebet‘, daß Gott durch ſeinen Geiſt die‘ dargebrachten 
Gaben Heilige, und“ fie! zum Leib und’ Blut Chriſti 
machen wolle, etztres außer allen’ Zweifel, daß ſolches 
Gebeth vonder’ urſprünglichen Andrdnung der Apoſtel 
hergeleitet werden müſſe“ Außer der ſchon angeführten 
Schrift: "die alte Abendmahllehre/ durch katholiſche und 
nichtkatholiſche Zeugniffe befeuchtet - — Zweibrücken 1827. 
liefeit auch Le Brün' explie! de la messe, Paris’ 4736. 7. 
TV.eine genaue Zuſammenſtellung diefer Liturgien’z alfe- 
fpvechen von einem Opfer und von’ eine Verwandlung. 
In der alten Liturgie der Koph oder Jakobiter heißt’ es 
aufs Elarfte und beftimmtefte:' Sende deinen heiligen Geiſt 
auf uns und dieſes Brot und dieſen Wein, damit er dieſe 
Gaben‘ ‚heilige‘ und konfekrire als allm achtiger ‚Gott, und 
aus dieſem Brot und dieſem Kelch der’ Leib und das Blut 
des neuen Buͤndes unſers Heren Gottes, Erföfers, und 
höchſten Königs Jeſu CHeifi ſeibi fa ffe.“ Andere eben 
fo fprechende Zeugniſſe werden wir weiter unten anführen.” 


4 


— 


Am. nun das katholiſche Dogma von der Euchariſtie zu- 
norderft auf ‚die. Disziplin der Verſchwiegenheit feſt 
zu begründen, prüfen „wir, theils die allgemeinen Be— 
weiſe — geſchöpft aus dem allen damaligen Kirchen ge— 
meinſchaftlichen Glauben, theils auch noch die beſondern 
Zeugniſſe einzelner Kirchenväter aus den erſten Jahrhun⸗ 
derten des Chriftenthums. 

, Bermöge. der damals allgemein aeherefrbten Kirchendis— 
ipun Disciplina areani) hielten die, Gläubigen eine ſtrenge 
Verſchwiegenheit über alle Sakramente, vorzüglich über 
jenes des Altars — für ihre heiligſte Pflicht. Nach Act. 
U. 42, 46, und, xXX. 7, waren die erſten Chriften täglich 
und eimikhig im Tempel, brachen das Brot da. und dort 
in. den-Häufern, und, genoffen ‚gemeinfchaftlich die Speife. 
Dieß Brotbrechen iſt dev erfte, geheimnißvolle Ausdruck 
über die Euchariſtie im chriſtlichen Aterthum der jedoch 
nur für die Ungläubigen unverſtändlich war. In den älte— 
ſten Jahrhunderten der Chriſtenheit wurden die Sakramente 
auch wirklich Geheimniſſe (Myſterien) genennt, und nur 
in geſchloſſenen Verſammlungen unter Eingeweihten 
gefeiert. Die Catechumenen durften nur ſolang den Ver— 
ſammlungen beywohnen, bis das Meßopfer begann; auch 
ward ſorgfältigſt bey den öffentlichen Auslegungen der hl. 
Schrift (Homilien) jede Erwähnung der Myſterien vermie— 
den. So fagt 3. 3. Cyrill Catech. 6. ganz ausdrücklich: 
„Wir führen in Gegenwart. der Catechumenen keine ver— 
ſtändliche Sprache über die Geheimniſſe; wir müſſen uns 
oft räthſelhafter Ausdrücke bedienen, damit — indem 
wir von den unterrichteten Gläubigen dennoch verſtan— 
den werden — wir bei den ununterrichteten keine 
Bedenklichkeit erwecken.“ . Ambroſius im Buch für die 
Neueingeweihten ſagt: „Wenn ich vor der. Taufe von 
den, heil. Sakramenten geſprochen hätte, ſo würde ich weni⸗ 
ger. mein Lehramt ausgelibt als vielmehr. die Geheimniſſe 
durch eine, Art von Verrath enthüllt haben.“ Sn gleichem 
Sinne äußert: fich der heil. Chryfoftomus. Auch in-den 


— 350 — 


Schriften anderer Väter — vorzüglich des Heil. Auguftinus, 
wie wir bereits fahen — finden wir in Bezig auf die Eu- | 
chariftie ähnliche Zurückhaltung und einzelne dunkle 
Steffen. Diefe Verſchwiegenheit beobachteten fie ſowohl in 
ihren Predigten als auch in ihren gegen die Juden und 
Heiden verfaßten Schriften. Beweiſe hiefür Liefert ung 
Eyrill ec. Zulian. Auch Origenes erklaͤrt ganz be— 
ffimmt : „mysteria chartis non’ committenda (unſere Ge— 
heimniffe dürfen dem Papier nicht” anvertraut werden). 
Dieß vorfichtige Stilfhweigen dauerte bis zum fünften 
Sahrhundert, wo noch Innozenz 1. in feiner Antwort an den 
Bifchof von Eugubien den geheimnißvollen Punkt von der 
Euchariftie nicht zu berühren ſich getraute, fondern ihm 
erklärte: „Von dem andern, worüber nicht zu fchreiben 
erlaubt iſt, können wir —— uns ki wenn du 
hier feyn wirft.“ 

Fleury ſchildert diefe alte Kirchendisziplin * und 
bündig alfo : „Man verheimlichte die Sakramente nicht 
bloß vor den Ungläubigen, fondern felbft auch vor den 
Catechumenen; die feierliche Verrichtung derſelben ge- 
ſchah nie in ihrer Gegenwart ; ja e8 war fogar verboten 
zu erzählen, was in der Verfammlung vorgieng, oder in 
ihrev Anmwefenheit von der Natur des Sakraments zu 
fpreben. Moch viel weniger aber außerte man ſich 
über dieſelben ſchriftlich.“ | 

Die Bifchöfe enthüllten die Lehre der Geheimnifje den 
Gatechumenen (welche um die Gnade der Taufe dringend 
bitten mußten, weil man nur diejenigen kaufte, welche es 
ausdrücdlich begehrten) erft nachdem fie‘ hinfänglich 
geprüft und zum Empfang derfelben geeignet waren er» 
funden worden. Dieß gefchah in der Ofter- und Pfinaft- 
nacht. Ehe fie in das geweihte Waſſer eingetaucht 
wurden, erklärte ihnen der Biſchof die Nothwendigkeit 
und Würkungen dieſes erſten aller Sakramente. Hierauf 
wurden ſie mit weißen Kleidern angethan und in die Ver— 
ſammlung der Gläubigen eingeführt. Der Biſchof beſtieg 


= 9 — 


die Kanzel, und enthülte vor den Neophyten die ihnen 
bisher verborgen gehaltnen Geheimniffe. Dann ward ihnen 
durch alle Tage der erſten Woche der Unterricht über die 
Einfekung, Natur und Würkung der Euchariftie, über 
die Gefinnungen lebendigen Glaubens, reiner Frömmigkeit 
und thätiger Liebe, die mit dem Empfang: diefes erhabnen 
Geheimniffes verbunden feyn müffen, ins Herz gefprochen. 
Diefer Gebrauch dauerte bis- zum fünften Jahrhundert 
in allen Kirchen fort, wie mehrere Urkunden aus jenen 
erften Zeiten uns beweifen. S. des heil. Eyrill von 
Serufalen 18 Catech., Gaudentius Erfl. des B. Erodus 
für die Neophiten, Chrnfofe. Hom. 25 über den 1. Br. 
an die Cor., Auguftinus 238 Nede auf den 5. Tag 
nach DOftern u. a. m. 

Die Behauptung unfter Calvinifien und Zminglianer 
daß diefes Disziplinargefeß erft im IV. Jahrhundert ent- 
ſtanden fey, findet ihre vollſtändige Widerlegung in dev 
Gefchichte der drei erſten Sahrhunderte , hauptfächlich in 
jenen von den Heiden wider die Chriften echobnen Ans 
fchuldigungen ‚ welche fi nur auf Unfunde deffen, was in 
den Berfammlungen der Chriften vorgieng, gründen fonne 
ten, fo zwar daß mit Ungeftüm die Zodesftrafe aller, 
welche den Chriftennahmen trugen, gefordert wurde , al 
verabfcheuungsmwürdiger Wefen, die nicht das Bageslicht 
zu fchauen verdienen. Die empörenden Befchuldigungen, 
daß fie bey der geheimen Feyer ihrer Myſterien fich die 
unmenfchlichiten Graufamfeiten und zügellofeften Ausfchwei- 
fungen erlaubten, Fleiſch und Blut unter fi) genie- 
fen u. f. w. reichen bis ins apoftolifche Zeitalter hinauf. 
Drigenes ce. Celsum erzählt uns, die Juden hätten 
gleich beym Entftehen des Ehriftenthums die Gage vers 
breitet, daß die Ehriften die Glieder eines geopferten klei— 
nen Kindes verzehren. E&:. auch Tertullian Apol. €. 7 
und Euſebius 4.3.7. €. 

Ferner rechnen wir hieher die Borwärfe , welche die 
Heiden den Chriften über die Gcheimhaltung machten. 


= we > 


Sn allen Schriften der Philofophen jenes Zeitalters wur— 
den die Ehriften angeklagt, daß fie immer im Finftern 
wandeln; und daraus Schloß man auf die Wahrheit 
jener Befchuldigungen, welche überall gegen fie ausgefto- 
fen wurden. - So äußerte ſich Cäzilius, einer der Welt- 
weisen zu Unfang des dritten Jahrhunderts: „Die Dun- 
kelheit, in welche fich die Religion dev Chriften einhült, 
beweist, daß wenigſtens ein Theil, der gegen ‚fie erhobnen 
Anklagen wahr fey. Warum verbergen fie fo gefliffent- 
lich ihre  gottesdienftlichen Webungen vor den Menfchen, 
da man fich. doch nicht: fcheuen: darf, das was ehrbar ift, 
bey hellem Licht zu thun.“ Un einer, andern Stelle fchil- 
dert er die Ehriften als ein „in Dunfel gehülltes 
unterivdifches Volk.“ Sm öffentlichen ſtumm (jagt er) 
hat e8 nur die Spradhe in verborgnen Winfeln; 
ich weiß. zwar. nicht‘, ob alle Muthmaßungen wahr: find, 
aber wenigftens Stimmen: fie mit ihrem nächtlichen. ver— 
fteeften Gottesdienft überein; fo. groß der auf fie gewor- 
fene Verdacht ift, fo. fcheint ihn doch. ‚fchon. die Dunkel— 
heit. ihrer  fchlechten Religion wo nicht. ganz Doch zum 
Theil zu beftätigen. “ 

Wie wir oben aus Drigenes erfahen, hatte ſchon der 
Epikuräifche Philofoph  Eelfus,. welcher zu Anfang des 
‚zweiten Sahrhundert3 unter, Adrian — dem. Nachfolger 
Zraians — lebte, auf dag Geheimnißvolle der chrift- 
lichen Myfterien gefchmäbt, und über die Verſchwiegen— 
heit der erſten Chriften die bitterften Anmerkungen ges 
macht. (Diefe Schmähfchrift des Celſus wider die Ehriften, 
— „Rede der Wahrheit“ betitelt — kennen wir nur aus 
dev Schönen Widerlegung des Drigenes, welcher alle davın 
enthaltenen Berläumdungen — namentlich auch diejenigen 
in Betreff der von den Ehriften beobachteten Derfäpeieaene 
heit der Euchariftie — aufdedte.) _ 

Noch rechnen wir hieber die Lorturen, ha man 
aus den. erften Ehriften die Kenntniß ihres Gottesdienftes 
zu. erpreſſen ſuchte, und die unerſchütterliche Beharrlichkeit, 


— 8363 — 


womit dieſe eher alle Marter und den Tod erdulden aß 
ihre Myfterien verrathen wollten." So fagt z.B. Plinmus 
der jüngere, Statthalter von Bithinien in ſeinem an Trajan 
im J. 105 wegen der Chriſten erſtatteten Bericht! >, Um 
die Wahrheit zu erforſchen, ließ ich zwey bee welche 
in den geheimen Berfanmlmgen gedient hatten, auf‘ die 
Folter legen, Eonnte aber nichts’ entdecken als gi irre⸗ 
geleiteten übertriebnen Aberglauben.“ 

Und aus einem Fragment des Ir enaus ei 8. 4m 
fennen wir die heldenmüthige Hingebung ' der 'gefolterten 
Blandine, fowie aus Euſe bius die Standhaftigkeit der 
ebenfalls gemarterten Biblis, wie wir bald näher ver- 
nehmen werden. Selbſt allgemeine öffentliche Unfälle wur- 
‚ den. auf Rechnung der Chriften als einer gottlofen verab— 
fheuenswerthen Menfchenklaffe geſchrieben. Man gebe fie 
den Thieren preis!“ (christianos ad bestias) ‚hörte man in 
den Ampbhithentern oft mwüthend rufen. Lang wurden fie: 
vom den Kaifern aufs graufamfte verfolgt, vom blutdürftis 
gen Nero an bis auf Diofletian und Lizinius. Der Brand- 
legung in Rom befchuldiget, mußten die’ meiften der dorti— 
gen Chriften eines elenden Todes’ ſterben. Tazitus bemerkt 
hierüber im XV, Buch feiner Annalen, wo er von’diefer 
Begebenheit fpricht: Nero wälzte die Schuld auf. Leute, 
welche damals ihrer Lafter wegen allgemein verhaßt waren 
und vom Volk „Chriften“ genanit wurden.’ Diefer Mame 
rührt von Ehriftus her, welchen Pontius Pilatus unter 
dem Kaifer Ziberius binrichten ließ. Man erg: ff zuerſt 
diejenigen, welche geſtändig waren, und auf die Aeußerungen 
derfelben ward eine große Menge, zwar nicht der Brand: 
legung übermwiefen, aber als Opfer des Pe KO 
Haffes hingerichtet. - 

Suftin Elagt in der zweiten Schutzſchrift ausdrück 
lich, daß man Sklaven, Kinder und Weiber auf die Folter 
foannte, um von ifnen das Geftändniß genoſſenen Men— 
fchenfleifches auszupreffen. Im dem, von Eufebius ung 
aufberwahrten Brief der Ehriften von - an’ jene von 


— Bi — 


Aſien (im J. 17T unter Man Aurel) kommt folgender 
fhauderhafte- Bericht vorn), Heidnifche bei Ehriften die- 
nende Sklaven, aus Zucht vor: den Qualen, welche fie 
die Ehriften dulden fahen,, und: durch die Soldaten aufge: 
het, Elagten fälichlich die Ehriften Thyeftifcher Gaftmähler, 
Hedypifcher Heirathen und alles defien an, fo man weder 
fagen noch denfen, ja nicht einmahl für möglich halten 
follte. Sobald fich Die Sage diefer Berläumdungen weiter 
verbreitete, Fannte die Erbitterung des Volkes gegen ung 
feine ‚Grenzen mehr, und felbft der letzte Funfe von 
Sreundfchaft ward nun: mit gräßlicher Wuth ausgelöfcht. 
Man ſah des Erlöſers Weißagung erfüllt, daß man Gott 
durch Ermordung feiner Schüler einen Dienft zu erweiſen 
glauben werde.“ » Bon Blandine melden fie: „Wir alle, und 
vorzüglich ihre Gebietherin „ fürchteten, daß fie, wegen der 
Schwäche, in welche ‚ihr Körper ſchon hingefunfen war, 
nicht den Muth Haben werde, Sefum zu befennen. Allein 
fie ermüdete sam Ende alle ihre Veiniger, welche einer 
nach dem andern : vom Morgen bis Abend fie mit den 
‚graufamften Martern quälten. Dieſe bekannten ſich 
überwunden, da fie Feine neue Dual mehr zu erfinnen 
wußten; fie konnten ‚nicht ‘begreifen,, daß fie noch Athen 
bohlte, da ihr ganzer Körper gefchunden und verrenft 
war. Das Bekenntniß des- chriftlihen Namens gab ihr 
ſtets neues, Leben; fie fand ‚Erhohlung und Beruhigung 
in. dem Auseuf: „ich bin eine Chriftin, und unter uns 
gefchieht nichts Böſes.“ . 

Hier fragen wir unfve  proteftantifchen Brüder : Ba- 
rum erklärten Blandine und Biblis nicht ganz unverhoh— 
len: wir ‚genießen ein wenig Brot und Wein zur Erin⸗ 
nerung und al figürlihe Borftellung unfers 
abwefenden Erlöfers, und als ein Zeichen unfrer Ver— 
bindung unter einander; das ift all unfer Gaftmahl ; ihr 
mögt euch felbft davon überzeugen ! Laßt man fich etwa fo 
leicht zu Bode martern, wenn man durch die einfachfte 
Erläuterung ihm entgehen und feinen Blutrichtern die 


e.- 
— MM - 
1 


Augen öffnen kann? Wäre es redlich, vernunftmäßig 
und chriſtlich von jenen Martyrern gehandelt geweſen, 
dasjenige. aufs hartnäckigſte zu verſchweigen, durch deſſen 
fo ganz unver fänglich es Geſtändniß fie nicht nur ſich 
ſelbſt, und viele andre hätten retten, ſondern zugleich 
auch — woran ihnen wohl weit am meiſten gelegen war — 
ihrem Glauben deſto allgemeinere Annahme verſchaffen 
können? 

Gewiß hätten jene erſten Ehriſten, wenn die Meinung 
der Reformierten im Punkt der Euchariftie gegründet 
wäre, die gegen fie verbreiteten Berläumdungen nicht 
mmer tiefere Wurzeln faffen laſſen, fondern diefeiben als— 
bald dadurch entkräftet, daß fie furchtlos erklärt, hätten 
was unter ihnen , vorgieng, daß fie die Heiden zu ihren 
Berfammlungen felbft eingeladen, und in ihrer Gegenwart 
das fo fchuldlofe Mahl genoſſen hätten.. Und: doch führte 
jene hochherzige Sklavin eine ganz andere Sprace; fein 
ähnliches Wort entfchlüpfte ihre unter allen Qualen 5 ihre 
muthige Antwort ward von den Chriften als weisheitsvoll 
geprieſen. Dieſer ftandhafte Heldenmuth der Marty 
rer und diefe Lobfprüche ihrer Mitchriften können nur 
in der Fatholifhen Glaubenslehbre einen Sinn 
erhalten ‚nach welcher das Geheimniß der Euchariftie nicht 
geoffenbart werden durfte. Während diefe Disziplin nach 
dem Grundfak unſrer veformirten Kirche ganz uner: 
Härbav, ohne Zweck und Urfache, ja aller Vernunft zus 
wider wäre, ftebt fie hingegen mit dem fatholifchen 
Lehrbegriff ganz im Einklang, fett ihn ſogar voraus, und 
erfcheint im Borausfekung diefes Glaubens als — 
mäßig, wohlthätig, ia ſelbſt als nothwendig in einem 
Zeitpunkt, wo ſich die Religion bey einem noch ganz un⸗ 
gläubigen Bold; ankündigte. Oder wo fände ſich in dem 
Sehrbegeiff der Reformirten das  geringfte ‚wovon 
man den Heiden. oder auch den Gatechumenen ein Ge- 
heimniß zu machen Grund gehabt hätte? Ihm zufolg 
vereinigt man fich. ja mit Sefu nl Geift und Glauben, 


— 5 — 


indem Wein und Brot lediglich als das ausgetheilt wird, 
was unſern Sinnen daran bemerkbar iſt. Dieſe gewöhn— 
lichen Nahrungsmittel haben in den Augen der Refor— 
mierten bei der Euchariſtie keinen andern Werth als daß 
fie von Chriſto zu figürlichen Darftellungen feines 
Leibs und Bluts waren ausgewählt worden. Wie hätte 
nun dieß im mindeften Anftoß erregen Eönnen ? Sfts ja 
doch allgemeine Sitte, feinen Freunden ein Andenken zu 
hinterlaffen,, wodurch fie an unſre Abwefenheit oder an 
unfern Tod erinnert werden! Der Erlöfer, welcher für 
alle Menfchen ftarb, Fonnte doch wohl Fein paffenderes 
Denkmahl feines Todes ftiften, als: eine für die game 
Welt gemeinfchaftlihe Speife. Darin Liegt aber ganz 
und gar nichts, wodurch auch nur ein Schatten von 
Aergerniß für irgend jemand hätte entftehen können, 
folglich nicht dag mindefte was eine Berhbeimlihung 
nöthig gemacht hätte. Ein ſolches Gedächtnifmahl würde 
die erfte Kirche bey offenen Thüren gefeyert, und von 
derfelben ohne Hehl — ohne Dunfel fprechen und fehrei- 
ben gefonnt haben ; ja fie hätte vielmehr die ſtärkſten Gründe 
gehabt fich deutlich und verſtändlich zu erklären, nachden 
fie der ruchlofeften Handlungen öffentlich war befchuldiat 
worden , und dieſe gehäßigen VBorurtheile bald von der 
gemeinen Menfchenflaffe auch auf die höhern Stände und 
felbft auch auf die Gelehrten jener Zeit übergegangen wa— 
ren. Wie leicht wäre es für die angefchuldigten Chriſten 
gewefen ſich zu rechtfertigen! Statt deſſen beruft fich 
Suftin (in feiner zweyten Schukfchrift vom J. 117.) 
einzig auf Gott, als Zeugen aller Handlungen und Ge- 
danken ; ev will nicht die Myfterien erklären, wodurdy aller 
Verdacht fogleich wäre aufgehoben und allen Berläumdun- 
gen ein Ziel geftecft worden. Würde — nach Bodenfteins 
und Zwinglis Meinung — der Euchariftie nur eine figür- 
liche Darftelung zum Grund Tiegen, was hätte Juſtin 
abhalten fünnen fich darüber ganz einfach zu erklären ? 
Auch Fertullian nimmt vielmehr dieſe geheimnißvolle 


— DU 


Berfchwiegenheit in Schuß, ftatt fie zu: Täugnen, und 
Detavius beweist (in Minut. Felix) ebenfalld die Grund- 
lofigfeit jener Anflagen, ohne dennoch das würfliche Ge⸗ 
heimniß aufzudecken. 

Prüfen wir jetzt noch über dieſen Gegenſtand die be— 
ſondern Zeugniſſe einzelner Kirchenväter aus den erſten 
Jahrhunderten des Chriſtenthums. 

Obſchon man, wie wir bereits geſehen in den 
erſten Zeiten — während der Berfolgungen — nur äußerſt 
behutfam von den Mofterien ſprach, fo hat doch die gött— 
fiche Weisheit und Liebe veranftaltet, daß auch in den 
drückendften Zeiten die heilige Stimme fich nicht unpegengt 
gelaflen hat. 

Sanatius, Schüler des hi. Petrus und fein Nad- 
folger auf dem bifchöflichen Stuhl zu Antiochia in Syrien, 
(welcher laut feiner eigenen Berficherung den auferflandnnen 
Sefum noch im SFleifche fab, und dann im 3.108 den 
Martyrertod litt) fagt bei Theodoret im 3. Geſpräch: 
„fie nehmen die Euchariftie und die Opfer nicht) an, ‚weil 
fie folche nicht für das Fleifch des Heiland erfennett 
das für unſre Sünden gelitten hat und durch des Vaters 
Gnade wieder erftanden ift.“ Auf feiner Reife nach Rom 
warnt er die Gläubigen in Smyrna vor Irrlehrern, wel- 
che läugneten, daß Sefus einen wahren mwürflichen Leib 
angenommen ‚ und fagt: „fie entfernen fi) von der Eu: 
chariſtie, weil fie nicht befennen,, daß folche das Fleifch 
unfers Erlöfers Jeſu Ehrifti fey, das nähmliche, wel- 
ches für unfre Sünden: gelitten und von Bott auferweckt 
ward; die diefer Gottesgabe widerfprechen,, fterben in ih— 
rem Widerfprud dahin, und diefe Leute ſollt ihr meiden.“ 

3eugniffe aus dem zweyten Sahrhundert haben wir 
zum heil oben fchon angedeutet: Das entfcheidendfte im 
ganzen  chriftlichen Altertbum aber bat uns Suftin auf- 
bewahrt. Bon den römifchen Kaifern, dem Volk, und den 
Juden wurden die Chriften unmenfchlich verfolgt, unter 
dem Vorwand, daß diefe in ihren gottesdienftlichen Ver: 


= = — 


fammlungen fogar Fleifh und Blut gefchlachteter Kinder 
nerzehren. Suftin übergab nun dem Kaifer Antoninus 
eine »Bitt = und Schußfchrift, worin er den Glauben und 
die gottesdienftlihen Handlungen ver Chriften bündig 
auseinanderfekte) Er gefteht dem Kaiſer (weit entfernt 
von bloßem Genuß eines Liebesmahls zum Andenken an 
ihren Herrn. und Meifter zu fprechen) ganz ausdrücklich, 
„dag fie wirklich das Fleifh und Blut des Menfch- 
gewordnen Jeſus in ihren gottesdienftlichen Verſammlun—⸗ 
gen genöſſen.“ Nach umftändlicher Darſtellung der gan— 
zen Verrichtung fügt er dann bey: „Dieſe Speiſe nennen 
wir die Euchariſtie, und niemand darf Theil daran neh— 
men, der nicht an die Wahrheit unfrer Lehre glaubt 
Denn wir empfangen es Feineswegs als gemeines Brot 
und gemeinen Trank, fondern fo wie Jeſus Chriftus 
durch das Wort Gottes Menfch geworden und Sleifch 
und Blut zu unſerm Heil angenommen , fo find wir un- 
errichtet, daß dieſe Weiſe durch das feine Worte ent⸗ 
haftende’ Gebeth wirklich das Fleifch und Bluſt eben 
diefes Menfchgemordnen Sefus if. Denn die Apoftel 
haben- in ihren Schriften, welche man Evangelien nennt, 
ung belehrt , daß Sefus Ehriftus ihnen befohlen habe das 
zu thum, was erithat,'mit den Worten : thut dieß zu 
meinem Andenken! Dieß iſt mein Leib und dieß ift mein 
Blut, indem er ihnen ‚Brot und Kelch datreichte. Wenn 
nun du, 0 Kaifer! diefes. vernunftmäßig findeft, ſo halte 
es in Sheet: hältft du es aber für thöricht,, fo veradhte 
es; nur werurtheile deßwegen nicht Menfehen zum Tode 
welche nichts Böfes verübt haben. Denn wir erklären dir: 
wenn du in diefer "Ungerechtigkeit verharreſt, fo wirft du 
dem Gericht Gottes nicht "entgehen. Wir unferfeits 
fagen nichts anders” als? der Wille Gottes geſchehe!“ 
So fprad) der ehrwürdige Suftin , welchem noch die apo- 
ftofifche Lehre in den Ohren Hang; und damahls konnte 
doch wohl noch Feine Verfälſchung des Chriftenthums 
Statt gefunden haben. Wäre das Abendmahl der ** 


— 9 — 


Ehriften das Gedächt nißmahl der ärtzigen Calviniſten 
und Zwinglianer geweſen, wie kurz und leicht wäre die 
Vertheidigung ausgefallen "I Sollten daher nicht unſre 
modernen Theologen - ehrfurchtsvoll! den Finger auf den 
Mund Tegen, wenn f Bun Zeugniſſe zu —* ei 
gelangen ?! — 

Ire näus, Bifchof zu yon ⸗ ii im 3. 202, fagert 

„Wir opfern Gott das gefegnete Brot und den gefegneten 
Kelch, und danken ihm, daß er diefe Gaben: von der Erde 
zu unfter Nahrung hervorbringen ließ; wir vufen darüber 
den heiligen Geift an, daß‘ er dieſes dargebrachte Brot 
zum Leib Ehrifi ind‘ den Trank zum Blut Chrifti 
mache, damit wer dieſe Gabe „genießt, — der 
Sünden und ewiges Leben erlange > 

Zeugniffe aus’ dem dritten‘ ahohundert — * and 
Drigenes —'geb. im S.’185, geft. 253 — in verfchied- 
nen, zum Theil fchon mgehüßtten ‚Stellen. Im achten 
Bud) gegen den gelehrten heidnifchen Celſus fagt er: 
„dann effen wir die geopferten Brote, welche. durch 
das Gebeth der gewiße Leib Ehrifti geworden fi find, 
welcher durch feine Heiligkeit die Kraft hat, jene zu 'hei- 
Ligen, die ihn mit frommem Vorſatz empfangen. 

Sn gleichem Sinne äußern ſich gertullian‘ in feiner 
Schrift vom Gebeth, und Clemens, aus der Platoni- 
ſchen Schule, der ums Jahr 220 zu Alexandrien ſtarb, 
in feinen Stromaten. Auch Cypriian, Biſchof zu Cars 
thago, in feinem Brief an Cäzilius, liefert uns einen ſehr 
überzeugenden Beweis, und Bricht far von der Anord⸗ 
nung des Herrn, Urhebers und Lehrers Ddiefes Opfers‘; 
er fchreibt genau alle Verrichtungen vor, und erwähnt 
zugleich, daß der zu Jeſu Chrifti Andenken geopferte 
Kelch müſſe mit Waffer gemifhten Wein enthal- 
ten. (Wie Tann nun der Proteftant den Fatholifchen 
Priefter einer Entheiligung des Kelchs buree Beymifchung 
des — Ben a 


WW > 


Noch mögen hier ‚einige Zeugniſſe der Väter aus dem 
IV. amd, Ve Jahrhundert ihre, Stelle finden; auf ſpätere 
nehmen ohnehin unſre Proteſtanten wenig Nückficht, "weil 
nach ihrer Meinung das päpſtliche Unweſen fchon im V. 
Jahrhundert einzuſchleichen begann. So ſchreibt 3. 8. 
Auguſtinus: „Wir empfangen mit gläubigem Mund 
und, Herzen den Mittler, zwiſchen Gott und Menfchen, 
welcher uns feineigen Fleiſch zu eſſen und ſein eigen 
Blut zu: trinken giebt. Der Leib des Herrn felbft geht 
in. des; Chriſten Mund eins‘ An einer andern Stelle: 
„Empfanget das im Brot, was am Kreuz hieng, 
* das im Kelch was, ausChriſti Wunden floß.“ 
Chuyfokomusiss, Mit) unfern Zungen haben wir 
des Herrn felbft eigenes SFleiſch gefoftet. “ An einer 
andern. Gtelle: „Laßt uns Gott im allen Dingen glau- 
ben, und ihm nicht widerſprechen, ob auch, was: gefagt 
iſt, unſrer Vernunft und unſern Sinnen wider— 
ſtweit et. Halten wir nur feſt an Chriſti eigenen Wor— 
ten, denn dieſe können nicht: trügen, unſre Sinne aber wer- 
dem leicht betrogen.“ Aehnliche Außerungen finden wir bey 
ibm noch. hin und wieder: „in. feinen Homilien. 
Bernhardus; Die Hoſtie, welche: du fehft, ift 
nicht Brot, fondern ‚Ehrifti Fleiſch, welches am 
Kreuz hieng für das Leben der Welt.“ | 
Ephrem — geſt. 378, deſſen Leben von dem Bru- 
der des großen Bafılins, dem: heil. Gregor: von Myſſa, 
befchrieben wurde — ſagt fehr „eindringend.« „Bedenket, 
mit welcher Furcht Diejenigen vor. dem Throne ſtehen, 
welche einem fterblichen Könige nahen. Wie viel 
mehr ziemt es uns vor dem himmliſchen König mit 
Furcht und Zittern und ehrerbiethigem Ernſt zu erſchei⸗— 
nen.“ Und: an: einer ‚andern Stelle: „Wer mit dem 
Auge des. Glaubens begabt iſt, der ſchaut Gott in reiner 
Klarheit, und igt mit voller Zuver ſicht den geheilig- 
ten Leib EChrifti, ohne ſich in neugierige Forſchungen 
tiber diefe göttliche heilige KXehre einzulaffen. Was fucht 


— 361 — 


ihe den Grumd deffen, was unergründlic ift ? Wenn 
ihe nur mißteauifch nachgrübelt, fo verdient ihr nicht 
mehr den Nahmen Gläubige, fondern Zweifler 
und Neugierig... So glaubet denn, und mit fefter 
Zuverficht empfanget den Leib und dag Blut unfers 
Herrn.“ Eben fo Elare beſtimmte ‚Zeugniffe liefern ung 
Ambrofius, Jakob, Biſchof von Nifibi, geft. 350. 
(Dieſer fagt ganz deutlich :  „Unfer Herr gab feinen Leib 
mit feinen: eignen Händen zur Speife, und fein Blut 
zum Trank, ehe er  gefreuziget wurde.“ ) Eyrill von 
Jeruſalem, geſt. 3836, am Schluß der Vorrede zu feinen 
Gatechefen, in welchen er mit der möglichften Verſtänd— 
lichkeit die Xehre der Kivche über die Saframente — vor— 
züglich über: jenes der Euchariftie — erklärt; ferner die 
Synode von Alerandrien vom J. 340 in der Schuß: 
fchrift des Athanafius; Eufebius, Bifchof von Emeffa 
get. 3795 Bafilius, Biſchof von: Cäſarea, geft. 378 
(„Was Gott gefprochen hat, daran fol man nicht zweifeln, 
noch Anftand nehmen, fondern ſich feft überzeugt halten, 
daß alles wahr und möglich ift, wenn aud) die Natur 
dagegen fpricht.: Darin liegt der Kampf des Glaubens“); 
Hilariusgeft 3675 das erfte vefumenifche Conzilium 
von Niz äa; die Kicchenverfammlungen von Laodizäa 
und: Carthago; Euſebius zugenannt Pamphilius, 
dev ſehr gelehrte Bifchof von Cäſarea in Paleſtina, geſt. 
340; Optatus, Biſchof zu Mileve in Afrika, geſt. 380; 
Gregor, Biſchof won Nyſſa, geft: 396, wegen: feines 
"hohen Alters; und feiner Gelehrfamfeit „der Vater der 
Bäter“ genannt; Epiphanius, Metropolit zu Sala: 
mine, einer: alten: vom heil Barnabas geftifteten Kirche, 
geft. 4035 Paulinus, der edle Bifchof von Mola, 
Zögling des Conſuls und Dichters Aufonius , geſt. 431 
(Berfaffer der LXebensgefchichte des heil. Ambrofius ).; 
Johann, Nachfolaer des hl. Cyrill auf dem bifchöflichen 
Stuhl zu Serufalem , geſt. 46; Maruthas, Metropolit 
zu Tagrit in Mefopotanien , Freund des hi. Ehryfoftomus; 


— 32 — 


Hier onyms Presbyter, geft. 4205 Ifidor von Pelu— 
ſium, einer der berühmteften Schüler des heil. Chryſoſto— 
mus , der zur Zeit der allgemeinen Kivchenverfammlung 
von Ephefus großes’ Auffehen machte, und mit Cyrill 
von Alexandrien in Briefmechiel ftund, gef. 440; Pro— 
klus , Schüler des, hl. Johann Chryſoſtomus, im 3. 436 
auf den bifchöflichen Stuhl von Eonftantinopel erhoben, 
geft: 4465 Petr us,. Erzbifchof von Ravenna feiner) Bes 
vedfamfeit wegen Chryſologus genannt , geft. 450, Eyrill, 
im J. 412 zum Patriardy von Alerandrien: erwählt, geft. 
444; Sheodoret, Bifchof von Eyrus, Schüler des hl. 
Chryſoſtomus, gef 470 und noch fo viele andere Kirchen 
vater mehr sin 
Cyrill von — in ſeiner 23. Catecheſe fühet 
die bey der Meſſe üblichen Titurgifchen Formen umftändlich 
an, und wir erfehen daraus ‚daß fchon damahls die nähm— 
lihen Gebethe wie noch heutzutage vom Priefter verrichtet 
wurden; er erwähnt ganz  ausdrücdlich, daß durch die 
Kraft‘ des Heiligen Geiftes das Brot zum Leib Chrifti 
und der Wein zum: Blut Chriſti verwandelt werde, 
Die von Eyrill ung aufbewahrte Liturgie des heil. Sacob 
ift ebendiefelbe,, welche auch heutzutag noch in der: katho— 
liſchen Kicche üblich iſt; wir finden darin genau das 
sursum corda — daS habemus ad dominum — das gratias 
agamus domino deo nostro — das dignum et Justum 
est — das sanctus — das pater noster —  feibft die 
Handwafchung des Priefters— die Conſekrationsgebethe — 
das Gebeth für. die’ Verftorbenen und die’ Anbethung im 
Augenblid der Communion. ' Somit wandelt der Fatholis 
fche Ehrift getroft und freudig in den Sußftapfen des 
urfprünglichen  apoftolifchen Chriſtenthums fort; er be— 
wahrt genau die nähmliche Ordnung, den nähmlichen Got— 
tesdienft , und befennt. die nähmlichen ‘Dogmen, welche 
einft die erfterund älteſte aller Kirchen: bekannte. 
All dieſe Zeugniſſe bemweifen ganz unmwiderfprechlich, daß 
das Neuteftamentliche Opfer. fchon zur Zeit des Urchris 


u a — 


ſtenthums, wenn auch einfach und ohne Gepräng, Statt 
fand. Erſt nachdem die Kirche allmählig von ihren Be— 
drängniſſen ſich erhohlte und als ein freyer religiös 
geiſtiger Staat angeſehen ward, kamen auch jene glänzen— 
den Ceremonien nach und nach hinzu, und immer deut— 
licher, geſchichtlicher und feyerlicher trat dann die Lehre 
vom Meßopfer hervor. ESo ward 3.3. das Sanctus 
im Jahr 124 durch Sixtus, Introitus im J. 2324 durch 
Cöleſtin, Patrem im IJ. 334 durch Martin nach dem 
Conzilium von Nizäa, die ftehende Anhörung des Evange- 
liums im J. 394 durch Anaftafius , Prefatio — Collect — 
Gradual und Traet. im J. 484 ducch Gelafius ;"Kyrie 
eleyson im 3.604 durdy Gregor, und Gloria in excelsis 
im J. 1404 durch Thelefphorus eingeführt; — alles zwar 
Gegenftände. welche nicht die Meffe felbft ausmachen.) 

Uebrigens fah auch Luther die Ueberzeugungskraft der 
hiftorifchen Beweiſe des Alterthums in Betreff des Meßopfers 
gar wohl ein, erklärte aber — um ſich aus folcher Verlegen- 
beit zu ziehen — es fey am richtigften Alles und wegzu— 
läugnen als zuzugeben, daß die Meffe ein Opfer fey. 
„Man hält allgemein (fagt er) die Meffe für ein Opfer; 
die Ausfprüche der Väter, fo viele Beyfpiele, die all- 
gemeine Hebung in der ganzen Welt bezeugen es. 
Es foll uns aber die Geſinnung und Webung aller Welt 
nicht irre machen.“ Welch. ein Schluß, würdig des hoch- 
erleuchteten Haupts und Stifters einer neuen Ölaubens- 
lehre 1 — 

Weit greündlicher urtheilte der fcharffinnige Philoſoph 
und Mathematiker Leibnitz, dieſer berühmte Vertheidi— 
ger der Uebereinſtimmung der Vernunft mit dem Offenba— 
rungsglauben, in f. Syſt. theolog., indem er ganz unum⸗ 
wunden erklärt: „Wir halten uns ſicherer an Chriſti 
eigene Worte, welcher das Brot ſeinen Jüngern 
darreichend, ſprach: dieß iſt mein Leib; und immer hat 
das fromme Alterthum in dieſem Satrament ein großes, 
die menſchliche Faſſungskraft weit überſteigendes Ge— 


heimnißranerfannt , was es doc, gewiß ganz und gar 
nicht wäre, wenn ftatt der Sache feldft nur das Zeichen 
oder Sinnbild dargebothen würde Und in der That 
nehmen alle Kirchen der ganzen Erde — die fogenannten 
Reformirten ausgenommen, und jene, welche durch ihre 
Neuerungen noch weiter gehen, welche nähmlich die Gott- 
heit Sefu völlig verwerfen — heutzutage noch die wefent- 
liche wirflihe Gegenwart Chrifti in der Euchariftie 
an.“ "Das angeführte Werk (auch vollftändig ins Deutfche 
überjeßt von Räß und Weiß, Mainz 1820) diefes großen 
Mannes, welchen wir doch wahrlich getroft unfern,, wenn 
auch noch: fo aufgeblafenen — Meologen an die Seite 
feßen dürfen, Liefert felbft für den proteftantifchen Skep— 
tifer ganz befriedigende Bemweisgründe, mie fie von einem 
Leibnitz wohl nicht anders zu erwarten ſtunden. An einen 
Freund in Leipzig fchrieb er (S. Vorrede zum. Systeme 
de la Theologie) , daß er in Betreff der Hauptfchwierig- 
feit in der katholiſchen Glaubenslehre, nähmlich der 
wirflihben Gegenwart Sefu im: Altarsfatrament, 
Beweiſe entdeckt habe, welche aus der Mathematik: und 
der Natur der Bewegungen hergenommen für ihn ganz 
befriedigend feyen. Wenn nun der tieffinnigfte Denfer 
feines Zeitalters , der wohl auch von feinem unſrer jetzi— 
gen Illuminaten in diefer Hinficht noch übertroffen ward, 
von der Sründlichkeit der Transfubftantiationslehre fich 
überzeugt erklärte , fo muß fie doch wenigſtens der menfch- 
lichen Vernunft nicht fo ganz zumider feyn, mwie man aus 
den Läſterungen unſrer reformirten Zeloten fchließen follte. 

Und bleibt ung denn nicht etwa die Faffungsfraft des 
menfchlichen Geiftes taufend Antworten über Erfcheinungen 
in der phyſiſchen Welt fihuldig, fobald wir aus dem 
Gebiethe der Erfahrung hevaustreten? Wie richtig fagte 
fhon der heil. Auguftinus: „ Entwidle mir auch nur 
die Dinge, welche bloß ir diſchen Urfprungs find, fo 
glaube ich dann erft dich fähig in die himmliſchen 
einzudringen und fie zu ergründen. “ Eben fo treffend 


— 365 — 


heißt e8 in der Suite des caract, de Theophr. „Si 
Y’ homme pouvoit comprendre ce qu’il voit, je lu 
pardonnerois de douter. de ce qu’il ne voit pas. 
Nous sommes t@emoins d’une infinite de merveilles 
que nous ne pouvons approfondir. L’origine du 
flux et reflux, la succession reguliere des jours et 
nuits , l’air excitant ses 'vents en notre faveur, le ciel 
faisant tomber ses pluies etc. ete. Qu’avons nous a re- 
' pondre ? Tout cela arrete le cours de nos reflexions. 
Incapables de connoitre ces choses, nous voulons son - 
der les jugements de dieu, nous lui demandons 
compte de sa conduite, nous rendons sa sagesse respon- 
sable de nos doutes.* Und glaubt übrigens nicht auch) 
der Lutheraner beym Abendmahl an ein Wunder, mel- 
ches der Zransfubftantiation gleihfommt, nähmlich 
die Bereinigung des Brots und Weins mit dem Leib 
und Blut-Chrifti ? Iſt denn das Wunder der Berwand- 
lung größer, unbegreiflicher als das der Bereinigung? 
ift e8 nicht ganz ungereimt, bey etwas. an fich felbft fchon 
Unbegreiflihem dann erft noch Grade des Glaub— 
lichen und Begreiflichen annehmen zu wollen! — 

Kurz und. bündig fagt der proteft. Geh. Rath Horft 
in feiner Siona: „Dieß ift mein Leib! Mehr ſprach 
Jeſus felbft nicht. Es iſt äußerſt wichtig und wohl zu 
beobachten; denn eben dadurch fteht diefe »heilige Hand: 
lung ganz eigenthiümlich als Myfterium und in’höherer 
Bedeutung da. A Myfterium wurde fie auch im gan- 
zen Uchriftenthum unläugbar aufgefaßt und gefeyert. 
Dieß ließe fih gar nicht erklären, wenn. dem finne= 
ſchweren Wort Jeſu nur bloß eine hiſtoriſch ſymboli— 
ſche Bedeutung wäre unterlegt worden. “ 

Noch können wir ung nicht enthalten eine  hieher 
paſſende Stelle aus Lavater (ES. Kaftnev über Katholi- 
zismus und, Nichtkath.) anzuführen. Diefer zwar vielfach 
bon. neidifchen Zeitgenoffen  angefeindete aber nie von 
ihnen übertroffne, gefühlvolle Humaniſt, deſſen Scharfblic 


— 366 — 


fhon zu Ende des verfloffenen Sahrhunderts auch die 
nun in. den ‚kirchlichen und religiöſen VBerhältniffen ein— 
tretenden ‚Erfchütterungen ſo entfchieden prognoftizivte, 
erwähnt der Anbethungsweife: des katholiſchen Chriften 
beym geheimnißvollen Mahl der Liebe mit dem gemüthli= 
chen Ausruf: | 


Warum wird, ald um dich zu loben, 
Den Tod der Liebe, Sefu Chrift, 
Die Hoftie emporgehoben? 
Weil fie nicht mehr, weil du fie bift! 
Dir. beugt die gläubige Gemeine 
Das Knie; dir macht , nur div die fleine 
Schon früh befehrte Schar der Jungen 
Das Kreuz, regt Lippen dir und Zungen, 
Schlägt dir mit Andacht und mit Luft 
Mit Eleiner Hand dreymal die Bruft u. f. w. 
x R 
| * 

Wir ſchreiten nun zu einer nähern Erörterung der 
urſprünglichen Verhältniſſe jener Liturgien oder Kir— 
chengebethe des chriſtlichen Alterthums. 

Daß die erſte Liturgie von den Apoſteln ſelbſt nach 
ihres Meiſters eigener Anleitung war eingerichtet und in 
ihren, bis zum Zeitpunkt ihrer Zerſtreuung, zu Jeruſa— 
lem gehaltnen Zuſammenkünften gefeyert worden, unter— 
liegt feinem Zweifel. Der heil. Jakob, welcher während 
29 Jahren dieſer Kirche vorſtund, ſetzte die Abendmahl- 
feyer in der nämlichen Form fort, welche er früher in 
Gemeinſchaft mit allen übrigen Apoſteln beobachtet hatte. 
Diefe verpflanzten. fie. dann im Verfolg auch in jene 
Weltgegenden, mwohin fie ſich begaben, und theilten fie 
den von ihnen eingemweihten Bifchöfen und Priefieen mit. 
Urkunden aus dem hohen Altertbum, deren wir noch 


befonders erwähnen * er uns hierüber volle 
Gemwißheit. Au 


— a 


Schon aus dem Schreiben von Plinius an Trajan, 
dann fehr umftändlich aus Juſtins erſter Schukfchrift 
fehen wir die Anwendung der Liturgie in allen Ländern, 
wo der Same des göttlichen Worts ausgeftveut ward ; 
auch Srenäus im B. gegen die Häretiker belehrt uns 
ganz klar, daß die Liturgie von Jeſus und den Apofteln 
berfiamme. Eyprian im. DB. über die Einheit, Fir mi— 
lian, Bifchof von Cäfarea, in f. Brief an Enprian, und 
Epiphanius über die Häreſien liefern entfcheidende 
Beweife, daß fihon im erften und zweyten Sahrhundert 
die Liturgie als apoftoliiche und göttliche Einrichtung 
angefehben ward, und daß e8 eine für die heiligen Myſte— 
rien feftgefekte Vorfchrift oder Canon gab, welche nur 
der Priefter allein kannte, und von welcher er 
nicht abweichen durfte Epiphanius, in Valäftina 
geboren, Bifchof von Galamine und Metropolit. von 
Eyvern , nennt vorzüglich den heil. Jakob, Bruder des 
Seren und erften Bifchof zu Serufalem, als denjenigen, 
mit welchem die zwölf Apoftel nebft Paulus und Barnabas 
die Verwaltung der Miyfterien eingerichtet und feſtgeſetzt 
haben. Der Berfaffer der apoftolifchen Conſtitutionen, 
der in der erften Hälfte des vierten Jahrhunderts fehrieb, 
erklärt im 8 DB. ganz beftimmt, daß die Liturgie vom 
heil. Jakob herrühre. Auch der große Bifchof von Hippon, 
Auguftinus, im 59. Br. an Paulinus beftätigt folches. 
Cöleſtin im GSendfchreiben an die  Bifchöfe Galliens 
fpriht von mpfteriöfen  priefterlihen Gebethen , welche 
durch die Apoftel der ganzen Welt als Norm mitge- 
theilt wurden , und von allen Kirchen ‚gleichförmig ver— 
richtet werden; er benennt fie ausführlich es find genau 
ebendiefelben, welche auch jekt noch überall am Charfrey- 
tag für die Ungläubigen, die Häretiker u. f. w. gebethet 
‚werden. Hätten urfprünglich die Apoftel eine Litur— 
gie fchriftlich aufgezeichnet, fo wäre fie auch ohne 
Zweifel in die canonifchen Bücher eingefchaltet und" als 
umabänderliches Gefek der allgemeinen Kirche erhalten 


Wi 


worden; allein, wie wir fchon oben bemerften, erlaubte 
die von den Apofteln felbfi angeordnete Verſchwie— 
genheitsdisziplin ihnen micht, weder die Liturgie 
noch die auf Verwaltung der übrigen Saframente- fich 
beziehenden Formeln ſchriftlich aufzufesen. Man ver: 
traute fie dem Gedächt niß der Priefter und Bifchöfe, 
bis zum fünften Sahrhundert, wo man erſt anfieng fie 
aufzuzeichnen. Ausdrücklich fagt Bafilius., daß 
fein Apoftel noch ihre Nachfolger die Liturgie fchriftlich 
aufgefekt haben. Eine folhe Verheimlichung, fo 
angemeffen fie auh dem Fatholifchen Lehrbegriff ift, 
müßte hingegen bey der Galvinifchen und Zwingliſchen 
Meinung nicht nur als völlig zwedlos, fondern als 
wahrhaft ungereimt und vernunftwidrig. erfcheinen. 
Uebrigens durfte dann diefe Vorficht füglicy zur Zeit des’ 
Conziliums von Ephefus, alfo in der erften Hälfte des 
fünften : Sahrhunderts, aufhören, weil damals die Ge- 
fahr vorüber war, und fchon die Kaifer ſich zum Chriften- 
thum befannten. Wenn alle Kircbenväter der vier 
erften Sahrhunderte die Liturgien einftimmig den Apo— 
freln zufchrieben, wie wollten denn wir im neunzehn— 
ten Sahrhundert ihnen diefen Urfprung ftreitig machen ? 
Können wir etwa gefchichtliche DBemweife anführen, 
welche den Kirchenvätern unbefannt gewefen wären? 
Sene  ehrmärdigen Zeugen des chriftlichen Alterthums 
berührten ja die Duelle aller: Einfekungen durch eine fehr 
geringe „Zahl von Zwiſchengliedern; und uns in fold 
fpäter Zeitfolge follte gelüften, durch Zweifel und Ein- 
würfe gegen ihre einftimmigen Zeugniffe  anzuftreben? 
(Zwiſchen Srenäus, Bifchof zu Lyon, der im S. 205 
ftarb, und. dem heil. Johannes war ein einziger Zmifchen- 
mann Photinug, der beym Tode des Apoſtels fünfzehn 
Sahre alt war, oder Polykarp, Biſchof in Smyrna, geſt. 
im J. 147, welcher — ſowie Ignatius Biſchof zu Antio— 
chien geſt. im J. 107 — des Apoſtels Johannes Schüler 
war.) Wohl möchte uns heutzutage daran gelegen 


— 469 — 


ſeyn, den Liturgien ihren apoſtoliſchen Urſprung abzu— 
ſprechen, weil wir durch dieſelben unſers Irrthums 
überwief en werden, allein damals Fonnte man keinerley 
Bortheil darin fuchen: ihnen diefen Urfprung zu beftveiten 
oder einen falfchen unterzufchieben, 

Wenn übrigens den Apofteln die Stiftung der — 
zugeſchrieben wird, ſo iſt dieß nur von dem Weſentlichen, 
von der Hauptfache zu verftehen; und begreiflicher Weife 
fonnte zur Zeit der Verfolgungen, in unterivdifchen Höh— 
len und Gefängniffen, der Gottesdienft nicht mit jenem 
Glanz und in folcher Ausdehnung. gefeyert werden, 
wie im DBerfolg - nach hergeftellten Ruhe in öffentlichen 
Kirchen und Gotteshäufern. „Die Abänderungen und Ver— 
fchiedenheiten ‚betrafen indeffen nur die, außerwefentlichen 
Theile der Liturgie, wie wir. fchon oben bemerkt „haben, 
und immerhin kann alles, was in den fämmtlichen 
Liturgien zur Zeit ihrer Erfcheinung — in der erften 
Hälfte des V. Sahrhunderts — gleichförmig enthalten 
‚war, nähmlich: die wefentliche Gegenwart durch Verwand— 
lung der Gubftanz, die Anbethung, dev Altar, das 
Dpfer, und das Gebeth für, die VBerftiorbenen, nur den 
Apofteln zugefchrieben werden.  Hiertiber ſind auch die 
Gelehrten längſt einverftanden. Nur das Anfehen des 
apoftolifchen, Urſprungs fonnte bewirken, daß alle Kirchen 
der Welt fih an die nähmlichen Dogmen  feft-anfchloffen 
und diefe Gleichförmigkeit mit ängſtlicher Sorafalt 
beybehielten. Diefe höchſt merkwürdige Webereinftim- 
mung ward durch kein Conzilium herbeygeführt, da die 
Schismatiker nie deffen Entfcheid‘ -fich unterzogen. hätten. 
Nur das für Alle gleich. heiligen Anfehen der apoftoli- 
fhen Einſetzung ‚vermochte „eine ſolche Gleichförmigkeit 
zuwegzubringen. Um ſich zu überzeugen, daß alle zu 
jenen Zeiten übliche Liturgien ‚vouftändig mit einander 
‚übereinftimmen, und daß in; denfelben der Glaube an das 
Opfer, die, Gegenwart, die Subſtanzverwandlung und die 
Anbethung klar und kräftig ANGORRÄCEN: ſen müſſen 


— 370 — 


% 


jene Liturgien forgfältigft aufammengeftellt werden. Diefe 
find hauptſächlich: diejenige aus dem U und 8. 3. der 
apoftolifhen Conſtitutionen (welche fälfchlich dem 
Papſt Clemens, Schüler und Nachfolger des Heil. Petrus 
zugefchrieben werden, deren Achter VBerfaffer jedoch nad) 
dem Urtheil der geprüfteften "Gefchichtsforfeher dem IV, 
Sahrhundert angehört.) die römiſche Liturgie, nach der 
vom Papft Gelafius im J. 492 — 496 unter dein Nah— 
men Sacramentarium verfaßten vohfländigen Sammlung 
alfer jener Gebethe, die zur Zeit der Apoftel in der Kirche 
zu Rom bey der Meſſe verrichtet wurden; dieſe war im 
3.595’ auf den Inſeln Brittanniens eingeführt und da⸗ 
feröft "bis zum XVL Sahehundert gefeyert worden, wie fie 
es zur Stunde noch in’ Frankreich, Deutfchland, Spülen 
und alfen Ländern der Welt iſt, mo fich Priefter des 
fateinifchen Ritus befinden; die gallikaniſche Liturgie 
nach des heil, Germanus von Paris Eurzgefaßter Ausle— 
gurig der Meffe; das gothifch - gallifanifche Meßbuch 
vom Ende des VII. Sahrhunderts; Liturgie des. heil. 
Sohannes oder von Serufalem; Liturgie von Con: 
ffantinopel, welche -von- allen Griechen des Abendlands, 
in Rom, Calabrien und Puglien , von allen Geovgianern, 
Bulgäten und Ruffen, von allen unter dem Patriarch 
von Alexandrien, Jeruſalem und Antiochien ſtehenden 
Chriſten allgemein befolgt ward; ferner die ſyriſche 
Liturgie des heil, Jacob, erften Bifchofs der Kirche von 
Jeruſalem; die Liturgie von Alexandrien; liturgia 
Marci quam perfecit Cyrillus; die Liturgie von 
Ae thiopien oder Abyſſinien; jene des heil. Marutbas, 
Bifchofs zu Tagrit in Mefopotamienz jene der chal däi— 
ſchen Reſtorianer, der Armenier u. ſ. mw. 

Sp z. B. heißt es in der Liturgie des heil. Jacobs 
von Serufalem: „Erbarme dich unfer, Gott, nad) deiner 
großen Barmherzigkeit, und fende über ung und über die 
hier vorliegenden Guben deinen. allbeiligen Geift, daß er 
komme und durch feine ‚herrliche Gegenwart dieſes Brot 


Bi 


heilige und 88 zum heiligen Leib deines Chriftus ma che, 
und diefen Kelch zu feinen köſtlichen Blut.“ Der Li— 
—* der heil. Markus haben wir ſchon oben erwähnt. 
In der Kiturgie von Conftantinopel heißt es: Segne, 
o Herr, das heilige Brot, mache in Wahrheit diefes 
Brot zu dem foftbaven "Leib deines Chriſtus. Gegne, 
o Herr, den heiligen Kelch, und was im diefem Kelch if, 
das koſtbare Blut deines Ehriftus, — verwandelt 
durch den heiligen Geift.“ | 
All dieſe verſchiedenen, auf unverwerflichen geſchicht⸗ 
lichen Urkunden beruhenden Liturgien verdienen ihrem 
—* Inhalt nach in dem kn Werk des P. 
Le Brun: explieation de la messe 4 Vol. in 8, Paris 
1726 gelefen zu werden. Die: Liturgien des Orients wur- 
den in Europa erft im XVII Sahehundert beffer befannt; 
wären fie es hundert Jahre früher geweſen, ſo hätten fie 
wohl der tollen Wuth jener Schismatiker gegen das apo- 
ftolifche Dogma. von der. Euchariftie  wirkfamen "Einhalt 
gethan; ift es doch thatfächlich erwiefen, daß gelehrte 
Männer im nicht geringer Zahl, "welche mit der Mutter: 
milch die Grundſätze des proteſtantiſchen Eultus ein- 
gefogen hatten , dennoch gerade durch ‘die Kenntniß dieſer 
Liturgien und ihrer fo merkwürdigen Uebereinſtimmung 
zur Rückkehr in den Schooß der Einheit und des 
urſprünglichen Glaubens" bewogen worden find. 
(Eine ſolche Uebereinſtimmung des Titnrgifchen Cultus 
wird freylich die Nachlommenfchaft nicht Gefahr laufen, 
in unferm Beitalter und in unſerm Lehrſyſtem zu finden, 
wo für jeden Beiftlichen ungebundene Freyheit in Ab— 
faffung kirchlicher Gebethe in Anfpruch genommen, und 
jede Einmifchung irgend eines weltlichen oder geiftlichen 
Unfehens — ald den Grundfäken der glorreichen Nefor- 
mation ' zumiderlaufend — ea wird ©. Theol. 
Annalen 1830.) 

Und in der That, welch feſte Bub icht ſpricht aus 
all dieſen Liturgien jener N deren - einige 


— MM — 


der Offenbarung felbft und ihren Wundern, andere den 
3eugen derfelben fo nahe waren! Welche Einftimmig- 
keit ihrer Grundfäke in. den entfernteften NWeltgegenden ! 
Welch unerfchütterlihe Heberzeugung von ihren Dog— 
men und derfelben »göthlihem Urfprung! Keine 
Berfolgung — weder Marter noch Tod — vermochte fie 
wanfend zu machen. Wie Fonnte dannzu Anfang des XVI. 
Sahehundert3 eine fogenannte Reformation mit dem Iofen: 
den prunfvollen Berfprechen auftreten: die! Welt zum 
urfprünglichen Ölauben der Väter zurückzufüh— 
ven, und dennoch gerade damit den Anfang machen , daß 
fie von? diefem Glauben: das Gröfte und Exhabenfte zer- 
trümmerte, was die er ſten Sahrehunderte des Chriften- 
thums glaubten und übten!! — 

Die erwieſene Uebereinſtimmung aller Chriſten 
der Welt im V. Jahrhundert, ohne daß auch nur irgend 
ein Widerſpruch ſich geäußert hätte, iſt und bleibt 
doch wohl ein untrügliches Merkmahl, wodurch wir an 
den Liturgien jener Zeit den ‚get euen Abdruck des — 
Aalen: Rh —* jeder dieſer ehrwürdigen alten 
Urkumden finden wir.» Altar und dargebrachtes unblutiges 
Dpfery in; jeder die. Anrufungsformel um Berwandlung 
der Subſtanz, ; welche theils Die  wefentliche Gegenwart 
vorausſetzt theils „die, Anbethung gebiethet. Die Priefter 
aller Welttheile verkündeten diefe Dogmen in feyerlichen 
Sebsthen, „im den orientaliſchen Kirchen mit beynahe mehr 
‚Kınft und Feuereifen noch ald in. der römiſchen. So 
war unläugbar deu Glaube der ganzen chriſtlichen Welt, 
and der allgemeine faſt täglich geübte Gottesdienſt in 
jenen goldnen Tagen des Chriſtenthums beſchaffen; beyde 
ſind mit ſo unverkennbaren Zügen in allen Liturgien des 
V. Jahrhunderts ſowie unſrer Zeit aufgezeichnet und aus— 
geſprochen, daß ihre verpflichtende Kraft und Gültigkeit 
auch heutzutage noch, unter feinem Vorwand in Abrede 
geſtellt werden kann. 


Das bisher Gefagte muß ung die Ueberzeugung und 
volle Gewißheit beygebracht haben , daß die alte Ver— 
fhwiegenheits=-Disziplin fih nur auf das Dogma 
der wefentlichen Gegenwart beziehen konnte, und 
daß die in allen Liturgien des V. Jahrhunderts vorkom— 
mende Verwandlung der Subſtanz — die Anbethung — 
das unblutige Opfer aus dem apoftolifchen Zeitalter 
herrühren. Sn Gemäfheit jener Disziplin wurden die 
Myſterien unterm Schleier dunkler, räthſelhafter 
Ausdrüce verhält, fobald fie der mindeften Gefahr von 
Entweihung ausgefeßt waren, "außerdem aber — mie 
> 3. beym Unterricht der Neugetauften — ward davon 
ganz unummunden und verftändlich ' gefprochen. 
Uns kann es doch wahrlidy — nach ſo langem Zwifchen- 
raum — nicht zuftehen , die Umſtände zur beſtimmen, unter 
welchen jene Gefahr vorhanden war; dieß Eonnten wohl 
nur die Väter ſelbſt beurtheilen. Zu Anfang des V. 
Sahrhundert3 wagte, wie wir‘ früher bemerkten, Inno— 
zentius J. es nicht, dem Bifchof Dezentius offen und deut- 
lich über die Mofterien zu fchreiben, während hingegen 
ein Chrift des zweiten Sahrhunderts — Zuſtin — dem 
heidnifchen Kaifer Antonin ſich entdecken und anvertrauen 
durfte. (Freylich fehildert ung die Gefchichte dieſen Für— 
ften als einen vortrefflichen Regenten und zweiten Sofrates ; 
auch mwiffen wir ‚ daß er. das Zutrauen Suftins nicht nur 
auf Feine Weife mißbraucht, fondern vielmehr zu Gunften 
der Ehriften verfihiedne Edikte erlaffen hatte, ) Um nun 
die Meinung der Väter über die Euchariftie richtig zu 
erkennen, mus man fie folglich in: jenen. ihrer Schriften 
aufjuchen;, wo ihnen derfelben Deutliche unverhohlene 
Darftellung vergönnt war, z.B. beym Unterricht der 
Neophyten. Ein einziger Aufſatz ſolch eines dogmatifchen 
Elementarunterrichts müßte über die urſprüngliche Glau— 


— 3714 — 


benslehre von der Euchariftie helles Licht verbreiten, Leider 
ift aber der größre Theil derfelben verloren gegangen ; 
dennoch blieben durch Gottes Weisheit und Güte einige 
diefer authentifchen  unverwerflichen Denkmähler aufbe- 
wahrt, nähmlich von den für die Neophyten verfaßten 
Ehriftenlehren oder Catecheſen. Dieſe fo merkwürdigen 
Borträge nun find es, welche ihrer Natur nach zwi— 
fchen Katholiken und Proteftanten entfcheiden müffen! 
Welcher Glaube damahls auch immer gelten mochte, fo 
mußte ev fih in dieſen Schriften nothwendig ganz 
unzweydeutig ausgefprochen finden. Die Neophyten 
mußten jedenfall unterrichtet werden: ob das, was fie 
genoßen, wirklicher Leib und Blut Eheifti oder nur 
bildliche Vorſtellungen davon ſeyen. Vernehmen 

wir alſo noch einige der älteſten Chriſtenlehren über dieſen 
hochwichtigen Punkt! 

Der ehrwürdige Cyrill, Patriarch von Jeruſalem, 
ſagt in der vierten; Eatech. über die Myſterien: „Da 
Ehriftus felbft , indem er vom Brot redet, deutlich‘ er— 
klärt, daß es feim Leib und vom Wein, daß er fein 
Blut fey, wer dürfte je dieſe Wahrheit bezweifeln ? 


Ehmahls verwandelte er zu Sana in Galiläa Waffer in 


Wein durch feine bloße Willensäußerung, und wir 
folten ihn nicht werth: halten auf fein Wort zu glauben, 
daß erden Wein in fein Blut verwandle ? Lnter der 
Geftalt des Brots giebt er uns feinem Leib, und 
unter der Geftalt des Weins giebt er uns fein Blut; 
daher beſchwöre ich euch, meine Brüder, betrachtet es 
fernerhin nicht mehr als gemeines Brot und gemeinen 
Wein, weil 8 nah feiner eigenen Verfihrung 
der Keib und das Blut Jeſu Chrifti ſelbſt if. Eure 
Seele erfreue fichralfo in dem Herrn durch die gemwiffe 
Weberzeugung, daß das, was: unfern Augen als 
Brot erfcheint und vondem Gefhmad als ſolches beur- 
theilt wird, nicht Brot, fondern der Leib Sefu 
Ehrifti ſelbſt ift, und daß was unfern Augen als 


Wein erfcheint, und von dem Gefhmad für ‚bloßen 
Wein gehalten wird, niht Wein, fondern das wahre 
Blut Sefu Chriſti ſelbſt iſt.“ Eben fo beffimmt 
und unmifverftehbar erklären ſich noch fo wiele 
andere. der angefehenften, auh von den Proteftan> 
ten geachteten Kirchenväter, z. Bd. ein Öregor von 
Nazianz in der 2, Nede an die Gläubigen und Neophyten 
über dag Oſterfeſt; Gregor v. Nyſſa im 37. Cap. feiner 
großen katech. Rede, wo er klar ausfpricht: daß der Herr 
durch die Kraft der heiligen Segnung die Natur fichtba- 
ver Geftalten in feinen felbfteignen Leib ver: 
wandle, und wo er zugleich durch greündlichfte Auseinan— 
derfeßung Diejenigen gemiffermaffen zum vorhinein 


widerlegt, welche. einft der Welt die Irrlehre verfündigen 


folten , daß man in der Euchariftie den Leib des Gott- 
menfchen nur im Glauben, nicht in der Wirklichkeit 
genieße, Micht weniger merkwürdig ift die Rede des heil. 
Ambrofins, des großen Bifchof3 von Mayland , geft. 
im 3. 397. de mysterüs GC. 9, wo er die Zransfubftan- 
tiationslehre mit der volftändigften Klarheit zergliedert. 
„Wenn auf Gottes Wort, fagt er, die Welt aus Nichts 
erfchaffen ward, follte dann nicht . ebendaffelde Wort 
auch die Natur ſchon erfchaffner Dinge zu verwan- 
deln vermögen? Und geſchah nicht auch die Menfch- 
werdung. Jeſu, feine Geburt im jungfräulichen Schooß 
Mariens, außer den gewöhnlichen Gefeken der Natur ? 
Der Genuß. des wahren wirklichen Leibs und 
Bluts Chrifti ift ein Geheimniß, welches ihr ſorg— 
fältigft innert euch felbft bewahren follt, um euch ja der 
Gefahr nicht auszufeken es denen mitzutheilen , die deſſen 


nicht würdig find, oder durch unbedachtſame Rede das 


myfteriöfe deffelben den Ungläubigen zu offenbaren.“ 
Gaudentius, im Jahr 386 zum Bifchef von Brescia 
ernannt, in -feiner Erklärung des Buchs Erodus an die 
Neophyten, äußert fich in eben fo klaren Ausdrücken, 
"und fügt bey: „Ebenderſelbe Here und allmäcdtige 


> 


= MM — 


Schöpfer aller Dinge, der aus Erde Brot hervor- 
bringt, ift e8 auch , derwieder dieß Brot in feinen 
Leib ummwandelt, weil er die Kraft Yyat es zu thun, 
und weil er es verfprochen hat; eben derfelbe, der 
vormals Waffer in Wein verwandelte, verwandelt 
auch den Wein in fein eigenes Blut.“ 
Sind folche Flare Ausfprüche nicht geeignet, auch den 
hartnädigften Sfeptifer zu belehren und zu übermweifen ? 
 Ehryfoftomus, Patriarch zu Eonftantinopel, in der 
47 Hom. über Soh. und 67 Hom. an das Volk von An: 
tiochien; Auguſtinus in der 8 Pred. an die getauften 
Erwacfenen ; Fulgentius in feiner Rede an die Neuge 
tauften auf das Oſterfeſt; Eyrill von Merandrien; Eu- 
febius in der 5. Homilie auf Oſtern u.a. m. verdienen in 
der That umftändlich gelefen zu werden. Man kann in 
diefen Stellen jene alterthümliche Einfachheit nicht 
verfennen melche den Leſer anzieht, und dem Glauben durch 
die Griündlichfeit der Lehre eine mächtige Stüße Teiht. 
Diefe heil. Väter berufen fich bey all ihren den Neuge— 
tauften ertheilten Belehrungen auf die Tradition der 
Kirchen, und nach ihren Zeugniffen feyerten die Apoftel 
auf Befehl ihres Meifterd ununterbrochen und überall die 
Kiturgie; von der wirflihen Gegenwart und der 
Zransfubftantiation fprechen alle in den deutlich— 
ſten Ausdrüden, und al ihre gebrauchten Redensarten 
ſtimmen mir der katholiſchen Lehre aufs vollftändigfte überein. 
Können die Proteftanten die Weberzeugungsfraft fo Icher 
Beweiſe noch länger zu beftreiten fortfahren? Würden 
die heil. Vater ihre Neophyten nad) Calvins und Zwinglis 
Grundſätzen unterrichtet haben, wie hätten fie je den Grund- 
faß aufftellen Eönnen, daß das was vor der Conſekration 
natürliches Brot ift, mirflich nach derfelben der 
wahre Leib Sefu Chriſti werde? Nun bezeugt aber 
Gregor von Niffea in feiner Rede über die Taufe Jeſu 
in den beftimmteften Ausdrüden: „Das Brot ift nur im 
Anfang Brot, fobald es aber durch das geheimnißvolle 


— 


Gebeth Eonfefrivt ift, nennt. man es und ift es der Leib 
Sefu Chriſti. Ebendaffelbe allmächtige Wort Gottes 
vermag die Dinge. zu verwandeln wie zu erfchaffen.“ 
Auch der heil. Ambroſius äußert fich in gleichem Sinne. 
Und wie leicht wäre e3, noch eine Menge ähnlicher Aus- 
fprüche der angefehenften Kirchenväter zu Beftätigung des 
fatholifchen Lehrfakes von der Euchariftie anzuführen ! 
Hätte man damald geglaubt und gelehrt was unfere De- 
formatoren als den alten Väterglauben vorfpiegelten, 
daß nähmlich Brot und Wein nur finnliche Bilder und 
Erinnerungszeihen an den, Erlöfer feyen, woher 
fommts denn daß auch nicht ein Einziger von all jenen 
feommen Kirchenvätern jemahls eine ähnliche Behauptung 
bey folchben Gelegenheiten vorbrachte, wo fie die Lehre 
von der Euchariftie ohne Rückhalt und deutlich auslegen 
und erklären durften oder vielmehr mußten, nähmlid : 
beym Unterricht der Neugaetauften vor ihrem Zu— 
tritt zum Abendmahl? Nirgends berührten fie bildliche 
Borftellungs = und Erinnerungszeichen eines abweſenden 
Begenftandes auch nur mit einem Wort! BBielmehr 
\ erinnern fie zu Unterffüßung ihrer Lehre von der 
wefentlichen wirklichen Gegenwart, ihre Neophy— 
ten an die Wunder der Weltfchöpfung aus Nichts — 
der Geburt Ehrifti aus dem jungfräulichen Schooße Mariens 
— der Hochzeit zu Cana — der Brotvermehrung u. f. w. ! 
Wäre es nicht der höchfte Grad von Albernheit gemwefen, 
Himmel und Erde in Bewegung zu ſetzen, und die erha- 
benftten Wunder der Allmacht anzuführen, um den 
Neophyten zu: beweifen, daß (faft darf es nicht ausgefprochen 
werden) — der Gottmenfd die Gewalt hatte: Brot 
und Wein in Zeichen und Sinn bilder feines Leibes 
und Bluts zu verwandeln. —, was ja doch ſelbſt der ohn- 
mäctigfte unter den, Menfchen: jeden Augenblick zu thun 
vermag? "Und vertrügen ſich wohl.die Begriffe der Pro- 
tefianten ‚von. der Euchariftie. mit dem, mas der heil, 
Chryſoſtomus in der Hom. über die Seraphinen fagt; 


— — 


„Nähert euch dem heiligen Tiſche mit dem feſten Slauben 
daß da der König aller erfchaffenen Dinge zugegen fey ; 
denn erift wahrhaft gegenwärtig. Ihr die ihre nur 
Staub und Afche feyd, ihr empfangt den wirklichen 
Leib und das wirflihe Blut, Sefu Ehrifti. Ihr ges 
nießt jenen als Speife der in des Himmels Höhe von den 
Engem angebethet wird. Somit unterwiefen die Väter 
auch ihre Gläubigen und Neophyten, fich der Euchariſtie 
nur mit den Gefühlen einev eigentlihen Anbethung zu 
nähern; ja fie‘ fchrieben ihnen fogar eine dieſen innerlichen 
Gefühlen entfprechende dufere Haltung beym Zutritte 
zum heiligen Fifch vor, wiewiv aus Cyrill von Serufalem 
in der 4. Cathech, Ambroſius im 3. B. über den heil, 
Beift, Auguftinus über den 98 Pr, Honorius über 
den 48 Pf. und BRENNEN in der Homilie über 1. 
Cor. fehen. 

Nenn die Vertheidiger ter figürlichen Lehre fich 
hinfichtlich der Euchariftie auf das Anſehen der Väter 
berufen, und Bemweisftellen aus denfelben anführen, fo find 
Teßtere nur immer aus folchen ihren Schriften gezogen, 
in welchen fie dunkler, rätbfelhafter Ausdrücke fich zu bes 
dienen genöthigt waren, und (ducch länger als vier Jahr— 
hunderte, während der Disziplin der Geheimhaltung) ihre 
Ausdrücke genau nac den Umftänden bemeffen mußten, 
niemald aber aus folchen, wo die Väter Elar und un- 
ummwunden über die euchariftifchen Geheimniffe ſich aus⸗ 
geſprochen hatten. 

Was dann übrigens noch die Unbegreiflichkeit 
dieſer Dogmen betrifft, ſo liegt darin ganz und gar kein 
gültiger Einwurf gegen dieſelben. Oder, wären wir etwa 
berechtiget, eine durcdy die That erwiefene Wahrheit def- 
wegen zu läugnen, weil ihre Theorie in Dunkel gehült ift? 
Dürfen wir ein in der Religion gründlich feſtgeſetztes Dogma 
aus dem Grund veriwerfen, weil wir daffelbe nicht begrei— 
fett, da wir doch keinen Anftand nehmen noch nehmen 
können, in der Natur taufend Wirkungen anzuerkennen, 


— 379 — 


von denen wir ung auc, nicht eine einzige zu erklären ver— 
mögen!  Weberlaffen wie es Gott, dasjenige was er uns 
zu offenbaren gut fand, durch folche Mittel zu bewerkſtelli— 
gen, die nur Er allein kennt; und geben wir uns nicht 
die vergebliche Mühe zu —— ob dieſe ſeine 
Mittel und Wege mit den Grundſätzen unſrer Bernunft 
im Einklang fiehen oder‘ nicht! Denn fo weit die Himmel 
über die Erde erhaben find, eben fo weit find feine Wege 
. über unſre Wege und feine Gedanken über unfre Gedanfen 
erhaben. 

Auch Luther ſchrieb noch im S. 1537 an die Kirche 
in Zürich: Auf welche Urt und Weife Leib und Blut 
Ehrifti uns im Abendmahl davgereicht werde, ftellen wir 
Lediglich der göttlichen Allmacht anheim Wir halten 
uns einfach und gläubig am feine eigenften Worte: dieß 
ift mein Leib, dieg ift mein Blut.“ 

Exinnetnwit uns alfo vielmehr dev Lehreund des Glau- 
bens der Apoſtel und der erſten Ehriften, fowiejener 
Berfhwiegenheitsdisziplin ‚welche diefe geheimniß— 
vollen Dogmen in den Herzen der: Gläubigen verfchloffen 
hielt, und welche fo alt wie das Chriſtenthum ſelbſt ift! 
Erinnern wir ung jener Riturgien des V. Jahrhunderts, 
in welchen diefe Glaubensfehre mit Fräftiger Sprache aus— 
gedrückt if, und deren tibereinftimmende Gleichförmigfeit 
ihren apoftolifhen Wrfprung fo unwiderſprechlich 
beurfundet! Erinnern wir uns, daß die Väter den nähm— 
lichen Glauben in der gröften Deutlichkeit entwidel- 
ten, fo oft fie unummunden — in Gegenwart der Gläubigen 
allein — reden Eonnten, oder den Neophyten vor Em— 
pfang des Abendmahls den Unterricht ertheilten! Setzen 
wir unfer volles gläubiges Vertrauen auf den Stifter 
diefes Geheimniffes! Jene Mifchung von Licht 
und Dunkelheit, welche wir im Reiche der Natur fowie 
int Gebiethe der. Religion antreffen, fol unſerm Glau—⸗ 
ben zum Prüfftein dienen; mit dem Leben wird zugleich 
auch diefe Mifchung enden; was uns hier noch verpprren 


und bedenklich, vorkommt, wird jenfeits durch feine 
Einfachheit uns in Erftaunen feßen ! Die höchite Ver— 
mefjenheit wäre es wohl, unſre ſchwache Einficht dem 
göttlichen Wort desienigen, der das Weltall erfchuf 
und beherrjcht , entgegenftellen, und auf unfern fo fehr 
beſchränkten Berftand mehr Vertrauen feen zu wollen 
als auf feine Allmacht felbft und feine unbegrängte 
Weisheit. — | 

Sn diefem Sinne haben ſich auch mehrere erleuchtete 
Lehrer der proteftantifchen Kirche ausgefprochen. 
Der berühmte anglifanifche Bifchof Coſin — geft. im J. 
1672 — fagt in ferner Gefch. der Transfubft. : „Wir 
befennen mit. den heil. Vätern, daß wir die Art und 
IB eife der Gegenwart Ehrifti im Altarsfaframent weder 
mit Gedanken begreifen noch mit Worten ausfprechen 
fönnen , das beißt, daß fie durch: den menfchlichen Ver— 
fand nicht ducchforfcht,  fondern durch den Glauben 
als wahr. angenommen werden fol. So feltfam es uns 
auch vorkommen mag, daß das Fleifch Sefu Ehrifti aus 
einer fo großen Entfernung big zu uns gelangen und 
felbft unfre Speife werden könne, fo dürfen wir doch 
niemals vergeffen , daß die Macht des heiligen Geiftes 
fich weit über die Gränzlinien unſrer Einficht erhebe, 
und daß es allzuthöricht wäre feine Unermeßlichkeit nach 
unferm ſchwachen Berftand ergründen zu wollen, Der 
Glaube erfaffe alfo das, was unſer Verſtand nicht 
begreift!“ — | | 

Der. nicht minder gelehrte und ‚berühmte Dr. Ken, 
Bifchof der reformierten Kirche zu Bath, fagt in feiner 
AU. 1685 angenommenen Erklärung: „OD Gottmenfd ! 
wie fannft du, uns dein Fleifch zur Speiſe und dein 
Dlut zum Trank geben? Wie ift dein Fleifch eine 
wahrhafte Speife? Wie fannft du ‚der du im Him— 
mel wohnſt, auf unſren Altären gegenwärtig feyn? 
Bey - diefem Gedanken  geräth mein: Berftand in Verwir— 
zung, und dennoc glaube ich all; diefes mit feſter 


a 


freudiger Zuver ſicht, weil du, der du die Wahrheit 
ſelbſt bit, es uns .gefagt haft. Sch baue mein ganzes 
Vertrauen auf deine Liebe zu und, und werde nie zwei- 
fein, daß deine All macht auch dein Wort wird in Er- 
füllung zu. ſetzen wiffen,, wenn miv auch die Art und 
Weiſe noch fo unbegreiflich vorkommen mag.“ Eben 
fo beftimmt drückt ſich über diefen Punkt dev Englifche 
Prof. und Theolog Forbefius aus: , Die Meinung der- 
jenigen Proteftanten fcheint die ficherfte und gerechtefte zu 
feyn, welche dafür halten, jo fe it glauben, daß der Leib 
unddas Blut EChrifti swahrhaftig, wirklich und 
wefentlich im heil. Abendmahl zugegen ſey und empfan- 
gen. werde, aber auf eine Weiſe, die dem menfchlichen 
Berftand unbegreifliay ift und nicht erklärt werden 
kann, fondern Gott allein: befannt und im der Schrift 
nicht geoffenbart iſt.“ | | 
* * 

Nachdem wir oben die Zeugniſſe der Kirchenväter aus 
den fünf erſten Sabrhunderten über das urchriftliche 
Dogma der wefentlichen Gegenwart angeführt haben, fo 
wäre es überflüffig auch die Kette derfelben bis in Die 
Mitte, des AL Jahrhunderts zu verfolgen, wo dieſer 
Eatholifche Glaubensſatz, wie wir fchon früher  bemerften, 
zum erftenmal von Berengar, Archidiakon zu Angers, 
angegriffen ward. Die Stimme der ganzen chriftlichen 
Welt erhob fich alsbald wider ihn. Im kurzen Zeitraum 
von 1055 bis 1079: traten acht Kirchenverfammlungen, 
unter Leo IX. — Bieter IL — Niclaus IL — Alexan— 
der II, — und Gregor VH., zufammen, um den fo ge: 
fährlichen als: bis damals unerhörten Irrwahn auszu— 
rotten. Mach vielen Ausflüchten und langem Starrfinn 
widerrief Berengar feine Srrlehre noch kurz vor feinem 
am 6. Senner: 1088 in feinem 90. Lebensjahr erfolgten 
od. Geine letzte Aeußerung hat: ung der ausgezeichnete 


3 


Hiſtoriker Wilhelm don Sommerſet, "Bibliothekar von 
Malmesbury in feiner Anglia sacra P. III mitgetbeitt, 
wo er fchreibt : „An, feinem Todestag — dem Feſt der 
Erfcheinung des Herrn — erinnerte‘ er ſich alfer jener, 
die er in feiner Sugend und in der erften Hike feiner 
Streitſucht irre geführt hatte. Er rief im Gefühl der 
tiefften Schwermuth aus: Sefus Chriſtus, mein "Gott 
und mein Herr, wird heut am Tag feiner Erfcheinung 
auch mir erfcheinen, und ich hoffe er werde mich meiner 
Reue wegen don feiner Herrlichkeit nicht ausfchliegen, 
obſchon mich ‚zugleich die Furcht ergreift, die Unbuffertig- 
feit: der von meiner Srrlehre angeſteckten Unglücklichen 
fönnte mir das Verdammungsurtheil zuziehen. Was mid) 
betrifft, ſo glaube ich aus eigner Ueberze ugung, ge— 
ſtützt auf das Anſehen der alten Kirche, und auf fo 
viele neue Wunder, die wir in unfren Tagen erfahren 
haben, daß unmittelbar auf die Gegnung des Priefters 
diefe Miyfterien der wahre Leib und das wahre Blut 
des Welterlöfers werden “ 

Sener große Mann, welcher auch von den Proteſtan⸗ 
ten als der Pharus ſeines Jahrhunderts verehrt wird, 
Erasmus „deſſen wir ſchon öfter gedachten, pflichtet in 
der Vorrede zur Abhandlung über die Euchariftie von 
Alger, dem Dogma der wefentlichen Gegenwart, unter 
Anführung der bündig ften Gründe gänzlich bey, und 
erklärt am Echlufe den  Wunfch, daß jene, welche 
Berengatn in feinem Irrthum folgten‘, bw auch in 
feiner Reue folgen möchten. 

Ebenderfelbe Erasmus in feinem Brief vom Jahr 
1526 an Pellifan fett feine Gründe für das alterthüm- 
liche Dogma der Euchariftie ganz umſtändlich aus einan— 
der, und fügt die ernften Worte bey: „Für einen 
Chriſten wäre es ein Verbrechen, fi) dem Anfeben 
dev Kichenverfammlungen und der ſeit fo vielen 
Sahrehunderten beftehenden Webereinftimmung -aller 
Kirchen und Nationen nicht anzufchliegen. Ich leſe in 


der heil. Schrift die iſt mein Leib, der für euch 
wird hingegeben — diefes ift mein Blut, melches fir 
euch wird vergoſſen werden. Führe mir auch nur eine 
einzige Stelle an , worin geleſen würde: dieß iſt nicht 
mein Leib, nur das Vorbild meines Leibs, nicht mein 
Blut, nur das Zeichen meines Bluts! Vergebens 
beiniiiheft du Dich jenen Beweis zu finden, daß man dem 
Zeichen der Sache den Namen der Sache je gegeben 
babe. Wie fönnte ich dann nach‘ ſo vielfältigen Entfchei- 
dungen der Kicche mich. noch zu fagen erkühnen: die 
Euchariftie fey nicht3 andresals Brot. Sch habe 
bisher , gemeinfchaftlich nit allen Chriften,, in dev Eu- 
hariftie den näh mlichen Jeſus angebethet, der für 
mich am Kreuze ſtarb; und Feine bloß menfchlichen Beweg- 
gründe werden je mich dahin bringen’ die allgemein überein⸗ 
ſtimmende Meinung der gefammten Chriftenheit aufzugeben. 
Und wern Andre die Ueberzeugung haben follten , daß in 
der Euchariftie nichts anders ad Brot md Wein 
enthalten fey, ſo erkläre. ich meines Orts, daß ich mich 
lieber in Stücken zerreißen und zergliedern laſſen, als 
ſolcher Meinung anhängen, und daß ich lieber alle 
Qualen erdulden als aus der Welt gehen wollte, belaſtet 
mit einem ſo großen Verbrechen gegen das ng 
meines Gemwiffens. “ 

Und wahrlich, wollte auch der gelehrteſte Theolog heut- 
zutag jene Mofterien erklären, ev fönnte unmöglich fich 
beftimmter, kräftiger und nachdriicklicher ausfprechen, als 
die Älteften Kirchenväter es gethan haben; ja es 
bliebe ihm nichts übrig, als die Ausdrücke jener großen 
‚Männer zu wiederhohlen. Jeder dem es ernftlich darum 
zu thun ift, den Ölauben der erften Sahrhunderte 
über die Euchariftie aus den Vätern gründlich Fennen zu 
lernen, wird ihn in ihren Zeugniffen genau und deut- 
lich ſo finden wie ihn die Fatholifche Kirche auch jet 
noch bekennt und immer befennen wird. Wohl haben fo 
manche prot. Gelehrte. allem Scharfſinn aufgebothen, um 


a 


die Deutlichfeit und Kraft jener Zeugniffe zu ſchwä— 
hen; fie haben die Schriften der Väter durchſpäht um 
Widerfprüche herauszufinden, und ihre flaren entfchei- 
denden Aeußerungen durch Anführung anderer Stellen 
zu beftreiten, in welchen fie fi manchmahl geheimnißvoll 
und väthfelhaft ausjudeüden genöthiget waren. 
Borzüglich fchärften fie gegen Auguftinus ihre Waffen. 
Wie konnte e8 aber. ihnen entgehen, daß diefer fromme 
Mann in einem einzigen Wort fowohl feine perfönliche 
Lehre als jene der allgemeinen Kirche verbürgt, da er ung 
fagt: „Niemand ift von diefem Fleiſch ohne es vorher 
angebethet zır haben, und nicht nur fündigen wir nicht 
durch die Anbethbung, fondern wir fündigen gerade 
durch Nichtanbethung defjelben. “+ In Eritifchen 
Gelegenheiten (worin diefer mehr als alle übrigen 
Bäter mit Heiden  umgebne Redner häufig fich befand ) 
derftund er die Moyfterien zu verfchleiern, ohne fie 
zu vernichten. Dder- follte es jenen fpikfindigen Pole— 
mikern unbekannt geweſen ſein, daß Auguſtin täglich zu 
Hippon jene rührenden und erhebenden Gebethe wieder— 
hohlte, in welchen das Opfer, die» Anbethung und die 
weſentliche Gegenwart durch Verwandlung der Subſtanz 
deutlich ausgeſprochen werden, daß er all dieſe ſo wichti— 
gen Wahrheiten oft verhüllen mußte, und fie auch 
wirklich, aber mit einer dem Dogma ſelbſt unfhäd- 
lichen Zartbeit, verhüllte? Begreifen fie denn nicht, 
daß dieſe fo ängftliche DBerfchwiegenheit durchaus zwecklos 
geweſen wäre, wenn Auguſtin die Meinung der Reformir- 
ten. angenommen hätte, — weil in ſolchem Fall gar 
nichts zu ver hüllen war? Uebrigens findet man 
in den Schriften Augufting , wie in jenen andver Bäter, 
feine Etelle welche, dunkler wäre. als es eben die 
Umftände erheifchten, feine die man nicht Leicht 
mit dev Lehre der Liturgien und der, Kivche in genaue 
Uebereinfimmung bringen könnte. Und wem follte 
es. nicht einleuchten, daß einzelne dunfle Stellen, wenn 


= 35 — 


auch ein heterodorer Sinn dabey zum Grund zu 
liegen fehiene, die Beweiskraft jener Menge klarer 
deutlicher: Zeugniffe der älteften Kirchenväter auf feine 
Weiſe zu fchwächen vermöchten ?! 

Selbſt Luther fchrieb hierüber noch kurz vor feinem 
Id: „Die Läugner der: Gegenwart in der Euchariftie 
halten den hl. Auguftin für ihre Schutzwehr, weil er fich 
öfters der Ausdrücde „Saframent, Myfterium , unficht- 
bares Zeichen“ bedient. Mach meinem Uetheil‘ ift der 
heil. Auguftin der vorzüglichfte Lehrer, den die Kirche 
feit den Zeiten der Apoftel aufzumeifen bat; allein jene 
Leute haben diefen ehrwürdigen und heiligen Lehrer fo 
handlich entftellt und verftümmelt, daß er von 
ihnen als Bürge einer giftigen und gottestäfterifchen 
Ketzerey aufgeführt wird. Ich werde fo lang ich es 
vermag, und fo lang Gott mir das Leben feiftet, mit 
allen Kräften dagegen freiten, und —— ben man 
diefem Lehrer Unrecht thut. — 

Vergleichen wir nun mit den bereits ſo umſtandlich 
entwickelten wahren Geſinnungen der erſten Kirche über 
das Dogma der Euchariſtie diejenigen, welche ihr von den 
Herolden der neuen Glaubenslehre angedichtet oder 
aufgebürdet wurden, fo geht daraus die handgreifliche 
Gewißheit hervor , daß diefe Pfeudoapoftel — ſtatt ung zur 
dem urfprünglichen Glauben der Bäter zurüdzuführen — 
uns vielmehr nur weiter davon entfernten. 

Sndeffen dürfen wir ung nicht verbergen, daß man zu 
jener Zeit nur fehr mangelhafte Kenntniß vom chriftlichen 
Alterthum hatte: Die Studium war kaum in feiner 
Kindheit; man fieng erft nach) und nach an, die Schrif— 
ten der Väter und die Akten der Conzilien zu unterfuchen, 
Die Reformation war nicht fo glücdlich, ſich dießfalls 
jener großen Vortheile erfreuen zu Fönnen, melche wir 
heutzutage genießen ; fie wirkte in Mitte jener Finfter- 
niffe, mit welchen das X VI Sahrhundert bedecdt war, 
und welche kaum noch im Anfang J darauf folgenden 

10) 


N 


Si we 


verfchwanden.  Diefe allgemeine Unwiſſenheit, welche da= 
mals. im Studium des chriftlichen Alterthums herrſchte/, 
wird auch von Gebaftian Laftellio (Chatillon) , einem der 
gelehrteften Litteratorven unter den Reformirten jener. Zeit, 
ganz freymüthig eingeftanden. . Sn der Vorrede zur Bibel, 
Baſel 1573 Fol. fchreibt ev: „Wenn wir die Wahrheit 
veden wollen, fo müffen wir allerdings. geftehen, daß 
unfer Sahrhundert noch in den Dichteften Finfterniffen 
der Unwiffenheit begraben ift ; unftreitige Beweiſe da— 
von liefern unfre wichtigen, hartnädigen und verderblichen 
Streitigfeiten, die fo. häufigen , aber ſtets fruchtho— 
fen Eonferenzen zu Berichtigung unfrer Widerfprüche, 
und. die, ungeheure Menge von Büchern, die täglich) erfchei- 
nen undderenfeinsmitdemandern übereinfiimmt.“ 

Und in. der That wird dieſe Unwiſſenheit insbeſondre 
in Bezug auf, das Dogma von der Euchariftie auch be— 
ftätigt durch die VBerfchiedenbeit..in der. Lehre. der 
Reformation über diefen Glaubensfak,, indem die Hälfte 
der Proteftanten die. wefentliche Gegenwart, die 
gefammte Reformation aber die Berwandlung der 
Subftanz für Meinungen. halten, welche den erften 
Sahbrhunderten unbefannt gewefen feyn folten, 
während es heutzutag aufs klarſte am. Zag liegt, 
daß die Chriften jenes glücklichen Zeitalters eben die ſes 
Dogma aufs gewiffenhaftefte in ihren Herzen ver— 
ſchloßen, fobald fie unter Nichteingeweihten fi 
befanden, dafjelbe aber mit. ehrfurchts voller An- 
betbung Öffentlich befannten, ſo oft ſie die Litur- 
gie mit einander feyerten, und daß fie Ddaffelbe ihren 
Neophyten mit aller Klarheit und in den Eraftvoll- 
fen Ausdrücden erklärten und lehrten. 

Leicht Tiefen fich noch Beyſpiele der gelehrteren Refor- 
matoren anführen, welche bloß aus Mangel hinrei— 
hender Kenntniffe des Alterthums in die gröb— 
fen Srrtbümer verfallen find. Wir berufen uns. hier 
nur auf ‚den Streit zwifchen Melanchton und Oeko— 


——— 


lampad, nach der aktenmäßigen Darſtellung des Prof. 
Abr. Ruchat in feiner Gefh. der Ref. in der Schweiz, 
woben wir auch den merkwürdigen Umftand herausheben, 
daß Defolampad, obfhon er. fih fo viele Mühe gab, 
den Melanchton, Bucer, Bullinger und andıre Gelehrte 
von der Uebereinfinmung feiner; Lehre mit derjenigen 
der heil. Bäter zu überzeugen, doch mit fich. felbit 
nie einig werden Fonnte- Denn er fchrieb san Zwingli, 
in einem von Rämund angeführten Briefe: So viel ich 
aus den Schriften der Väter vermuthen fann , müffen 
die. Worte „Diefes iſt mein Leib * bildlich verftanden 
werden. Mein Bruder, bitte Gott, daß er dir und aud) 
mir die»Augen Öffnen möge, im Sal ich auf dem un > 
vehten Weg märe, damit‘ wir nicht in Irrthum 
verfallen, und fo viele andre in Gefahr ſetzen ſich mit 
uns zu rxenNoch bedenklichere Beyſpiele von 
Oekolampads Wankelmuth finden wir in Schlüßelbergs 
caly. Theol. 2. B. Auffallende Beweiſe aber, daß, wenn 
man auch im zweyten und dritten Dezennium des XVI. 
Jahrhunderts in der Schweiz ſehr vieles von den Kir— 
chenvätern ſprach, man fie doch ſehr wenig kannte, 
liefert Räm. Florim im VI. B. Und daß es ſich auf dem 
übrigen Continent und in England auch nicht beſſer ver— 
hielt, ſehen wir aus Jewels Geſch. der engliſchen Kirche, 
London 1685. 

Freylich mußten dann * neuen, von der Refbeinntion 
in folhem Zeitpunkt der Univiffenheit mit Haft und gleich» 
fam im Sturm. eingeführten, durdy den Unterricht öffent: 
licher Lehrer befräftigten , Diicch blindes Bertrauen ihrer 
Anhänger auf Zreue und Glauben angenommenen, von 
Vätern auf Kinder fortgepflanzten,, und durch geſetzmäßi— 
ges Anfehen beftärkten Lehrmeinungen nach und nach den 
Schein und die Macht der Wahrheit gewinnen, und 
fomit auch die Gemüther in eine gefährliche Ruhe und 
Sorglofigfeit einwiegen. Bald wollte man nicht 
weiter mehr forfhen, und gen die vorgefaßten, 


= WW = 


in der Erziehung und Gewohnheit tief gemurzelten 
Meinungen: durchaus nichts mehr hören. Statt: die 
unumftößlichen Beweife für die göttlihe Offenbarung 
diefer oder jener Glaubenslehre einer Prüfung oder 


. Aufmerkfamfeit zu würdigen , „vertraute man Lieber blind» 


Yings dem Serwahn des 'neuen Lehrers. Und fönnte es 
wohl ein undankbareres Geſchäft geben, als Menfchen 
zurechtweiſen zu wollen, die zum vorhinein jeder Be— 
lehrung hartnäckig ihre Ohren verſchließen!? Der ange— 
ſehene prot. Theolog J. U. Turretin inf. nubes testium, 
Genf 1719, erkühnte ſich ſogar den Satz auszuſprechen: 
vel sola transsubstantiatio romanx écclesie fundamentum 
diruit (dert Lehrſatz von Verwandlung der Subſtanz zer: 
nichtet allein fihon die Grundlage der römifchen Kirche). 
Dieß Urtheil — vom Katheder geſprochen — ift für 
Schüler ein Drafelfpruch,, der mit. unbedingter Ehrfurcht 
angenommen wird. Wohl hätte man zweyhundert Sahre 


. früher den großen Genfer Profeffor zum Theil entfchuldi: 


gen können. Aber zu jener Zeit, als er Theologie lehrte, 
war es doch gewiß unverzeihlich , nicht einmal gewußt zu 
haben, daß die gröſten Männer des chriftlichen Alter- 
thums dieß Dogma lehrten, und die urjprüngliche Kirche 
demfelben huldigte, — nicht gewußt zu haben, daß felbft 
Luther Tange Zeit hindurch die Transfubftantiation zuge— 
Yaffen, und auch Fauftus Socinus in f. Brief an Radez 
von 1636 fihrieb : „Wenn man ficdy. in Diefer Lehre an 
die Väter halten muß, fo ziehen wir ganz offenbar den 
Kürzern ‚“— nicht gewußt zu haben, daß auch das Be: 
fenntnig von Wittenberg vom J. 1536 unbedenklich er- 
Härte: wir halten die AlImach t Gottes für fo unbefchränft, 
daß er in der Euchariftie die. Subftanz; des Brots 
und des Weins verfchwinden machen und vdiefelben in 
feinen Leib und in fein Blut verwandeln könne.“ 





z Geradit 


Nachdem wir nun die vehte von der Sana 
(oder der mwefentlichen Gegenwart Chrifti im Abendmahl 
vermittelt Verwandlung der Subftany von Brot 
und Wein in feinen Leib und Blut) in der, während der 
erſten Sahrhunderte des Chriftenthums als allgemeines 
Brundgefek eingeführten, Disziplin der- Geheim- 
haltung ſowohl als auch in den authentiſchen Litur⸗ 
gien der erften Kirchen ganz klar und feſt begründet 
gefunden , und diefe beyden Hauptbeweife jener Glaubens: 
lehre mit unvermwerflichen Zeugniffen der ‚angefehenften 
Gewährsmänner aus den Zeiten des Wrchriftenthums 
unterftüßt haben, fehreiten wir zu forgfältiger Kuala 
der urfprünglichen 


Stiftung der Euchariſtie 


nach Anleitung der hejligen Geſchichtſchreiber, indem wir 
zuerſt von der 


Verheiſſung 


oder Zuſicherung derſelben durch den Welterlöſer, welche 
uns einzig Johannes erzählt, und fodann von ihrer — 
ein Sahr nachher wirklich erfolgten — eigentlihen Ein- 
feßung fprechen, welch Teßtere nur die übrigen drey 
Evangeliften aufgezeichnet haben. 

Wir zergliedern demnach zuvorderft das fechste Haupt- 
ftück jenes Berfaffers, „welcher von allen diefen Dingen 
zeuget, und. welchen der Herr Tieb hatte,“ in feinem 
ganzen Sufammenbang. 

Zuerſt erzählt uns derſelbe die wunderbare Sättigung 
der fünftaufend Männer , welche dem Erlöfer in die Wüſte 
nachgefolgt waren. 3.1 — 14. 

Seſus entzog fich ihnen, weil fie aus Ehrfurcht für 
ſeine Wunderthaten ihn zum König ausrufen wollten; er 
begab ſich allein auf den Berg. V. 15. 


Di 


Abends wandelte er auf dem See, und nahte fich. dem 
Schiffe, worin, feine wegen eines heftigen Sturms geängftig- 
ten Sünger fich ‚befanden. B. 16 — 3. 

Am folgenden. Tag fuchte ihn das fo — von 
‚ihm geſättigte Volk in Kaphernaum auf. B. 24. 

Nun beginnt die. höchſt merkwürdige, gehaltvolle Un— 
terredung Jeſu mit dieſer Judenmenge; er tadelt ihre 
gierige Sorge für. die vergängliche und dagegen: ihre 
Gleichgültigkeit für die ewige Nahrung; er fordert von 
ihnen. „Glauben an den von Gott - Gefandten“ 
als das einzige Mittel, um dev ewigen unvergänglichen 
Speife theilhaftig zu werden. Er macht ihnen Vorwürfe, 
daß ſie — der vielen vor ihren Augen verrichteten Wun— 
derthaten ungeachtet — dennoch nicht zum Glauben 
an ihn fich zu erheben vermögen. DB. 25 — 30. 

Das Manna, von welchem ihr forecht , — fügt er — 
und das eure Väter in der Wüſte gegeffen haben , ift 
nicht das wahre Himmelsbrot. Sch bin vom Himmel 
gekommen euch zu erlöfen. Sch allein bin das vom 
Himmel gefommene Brot. 3. 32 — 35. 

Bey diefen Worten konnten die Suden nicht länger 
ihren Unmwillen zurücdhalten; fie fprachen zu einander: 
wie kann ev. — deffen Vater und Mutter wir ja fennen — 
uns fagen , er fey vom Himmel gefommen ? V 42. 

Sefus , ohne ihnen das Geheimniß feinev Menfchwer- 
dung zu enthüllen, führt fie nochmals auf feine gött- 
lihe Sendung zurück, und dringt — ftärfer noch als 
zuvor — auf ihre Pflicht, feinem Wort und Zeugniß 
vollen Glauben zu fchenfen. B. 43 — AT. | 

Waͤhrlich, wahrlich, ich fage euch, «wer: an mid) 
alaubt, der hat das ewige Leben. DB. 47: 

In diefer ‚Einleitung macht  fidy der Erlöfer nur zum 
Theil und ftufenmweife verftändlich; er wiederhohlt aber 
Öfters dem Volk, daß es feine Pflicht fey an ihn, 
feine Wunder, feine Gottheit zu glauben Mit 


= — 


folcher Vorbereitung konnte er wohl nur feine Zuhörer 
für den Vortrag einer ganz befonders wichtigen und 
fhwer begreiflihen Lehre empfänglich zu machen 
fuchen , da er fich fonft ohne dergleichen Umſchweife ſogleich 
deutlich würde erklärt haben. | 

Wirklich fteht er auch im Begriff, ihnen ein Wunder 
zu verfündigen, wodurch ihr Berftand — mehr als durch 
irgend eines der bisherigen — in Erftaunen gerathen 
mußte. Die gerade am Tag zuvor Statt gefundene, fo 
wunderbare Brotvermehrung, wovon fie alle Zeugen 
waren , war in der That die paffendfte Einleitung zu der 
nun folgenden Abendmahllehre. (Chryſoſtomus bemerft 
hierbei: Sefus bewirkte das Wunder der Brotvermehrung 
unmittelbar vorher, damit die Juden gegen das, 
was er in der Folge ihnen borzutragen gedachte , nicht 
ungläubig feyn möchten. ) 

Nachdem er feine Anfprüche auf ihr glä ade Ber: 
trauen ihnen vecht anfchaulich gemacht hatte, eröffnet 
er ihnen nun ganz Elar das bisher verhüllte Geheimniß, 
fo daß der Sinn der wefentlihen Gegenwart un- 
möglich deutlicher ausgefprochen werden konnte, B. 48 — 
51. „Sch felbft bin das vom Himmel gefommene 
lebendige Brot; wer von diefem ift, wird ewig leben; 
das Brot, welches ich euch geben werde, i ſt mein Sleifch, 
welches ich für das Leben der Welt hingeben werde.“ 

Werden wohldieSuden diefem fo Elarausgefprochnen 
Wort des göttlihen Wunderthäters Glauben beymeffen ? 

Mein ; fie dachten fi) nur einen Genuß des gemeinen 
Fleifches, „Wie Eann diefer da (00700) uns fein Fleifch _ 
zu effen geben?" 3.52. (Go fchlicht als treffend be- 
merkt hierüber der eben erwähnte Kirchenvater: Warum 
habt ihr nicht auch nach dem Wunder der fünf Brote 
gefragt , wis dDiefe DBermehrung möglich war?) 

Sie begriffen alfo doch fo viel wenigftens recht 
gut, daß von einem wirklichen Genuß die Rede war. 


— BR — 


richt forgfältig genug können wir in der That alfe 
einzelnen Umftände diefes Hergangs zergliedern und -be- 
herzigen. Wir ftehen hier bey der Urfprungsperiode 
aller Spaltungen. Hier. zuerft hat fich der Skeptizismus 
und die Auflehnung des Privaturtheils gegen: die 
Glaubensauthorität kundgegeben. Sn dieſer Aeuße— 
rung der Juden von Kapharnaum gegen den Weltheiland 
erblicken wir den Keim aller ſpätern Häreſie. 
Hier zuerſt proteſtierte der Rationalismus gegen die 
großen Geheimniſſe der chriſtlichen Kirche. Wir werden 
jedoch bald. hören, welch ernſte Zur echtweiſung Chriſtus 
dieſem vermeſſenen Zweifelgeiſt entgegenſetzte. 

Und benehmen ſich nicht unſre Calviniſten und Zwin— 
lianer genau. wie jene Kapharnaiten? Erwiedern nicht 
auch fie, wenn von. dem. Geheimniß der Euchariftie gefpro- 
chen wird, gleich jenen Suden des Eyangeliums höhniſch: 
wie Eönnte er. uns fein Fleiſch als Speife. darrei- 
chen? , Mag. man. audy noch ſo nachdruckſam Chrifti 
eigene Berfiherung ihnen zu Gemüthe führen: daß 
er als das, lebendige Brot vom Himmel: gefom- 
men fey, — daß fein. uns darreichendes Brot eben— 
daffelbe fey, welches er für das Leben der Welt dahin 
gab , — daß Gott von uns Glauben an feinen Geſand— 
ten fordve, — daß diefer Glaube uns auch ewiges 
Leben zumegebringe; ‚alles. umfonft; mit beharrlichem 
Unglauben entgegnen fie: wie Eönnte Ehriftus uns fein 
Sleifch zu effen geben ? ROTE NORD F— 

Freylich mag dieſer wirkliche weſentliche Genuß des 
Leibs Chriſti im Abendmahl unſre beſchränkte Faſſungs— 
kraft überſteigen, allein es wäre ja doc) ganz vernunft— 
widrig, an Chriſti eignem Wort, an ſeiner eignen 
fo klaren Zu ſicherung ſich noch einigem Zweifel zu 
überlaſſen. Und in dem ganzen Vortrag des Erlöſers 
iſt nun einmahl nirgends auch nur die leiſeſte An— 
deutung von einer ſymboliſchen figürlichen Vorſtellung 
enthalten. 


Denken wir ung einen proteftantifchen Mifjionär, 
welcher diefe nämliche Xehre einem ungläubigen Volk 
vortrüge , und diefes würde fie von einem wirklichen 
wefentlichen Genuß verftehen, würde folch eine Vorſtellung 
anftößig finden, und dem Lehrer einwenden: wie fol 
dieß zugehen ? wie fann euer Gott uns fein eigenes 
Fleifch zur Speife geben? Müßte und würde er 
nicht feinen Zuhörern aldbald erwiedern : ihr habt den 
Sinn meiner Rede unrichtig aufgefaßt, — es if 
num eine figürliche Speife gemeint, — dad Brot iſt 
nur ein Sinnbild des Leibs Ehrifti, — nur ein von 
ihm felbft geweihtes Zeichen, zum Troſt für ſeine AB 
wefenheit , als Denkmahl feiner Kiebe! — 

Doch mie ganz anders benimmt ſich Sefus ! Der 
wichtige, für alle Zukunft: entfcheidende - Augenblick ift 
vorhanden, wo die. Frage zwifchen Vernunft umd 
Glauben, zwifchen Seldftprüfung und Authorität feyer- 
lich gelöst werden fol. Weit entfernt, die Zweifel: 
fucht der Hörer zu beachten, den Eindruck feiner. er- 
fhütternden Rede zu mildern, oder eine unrichtige 
Auffaffung feiner vorgetragenen Lehre ihnen vorzumer- 
fen , — weit entfernt, ihnen Brot und Wein als Zeichen 
oder Symbole feines LXeibs und Bluts, und den Genuß 
derfelben als einen bloßen Akt ihres Glaubens darzuftel- 
len , würdigt er ihre Einwürfe und ihr Murren feiner 
andern Antwort, als daß er feine: frühere Erklärung in 
gefteigerten Ausdrüden wiederhohlt, und mit bes 
deutungsvollem Nachdrucd ihnen erklärt: Wahrlich, 
wahrlich, wenn ihr das Fleifch des Menfchenfohng nicht 
effen und ‚fein Blut nicht trinken werdet, fo habt ihr 
auch das Leben nicht in euch, V. 53. Nur wer mein 
Fleiſch ift und mein Blut trinkt, wird ewig. leben, 
3.54. Denn mein Fleifch dient in Wahrheit zu einer 
Speife, und mein Blut in Wahrheit zu einem Trank, 
3.55. er mein Fleiſch ift und mein Blut teintt, 
bleibt aufs innigſte mit mir verbunden, 3. 56. Wer 


= WM 


diefes vom Himmel gefommene Brot ift, wird in Ewig—⸗ 
keit leben, V. 58. 

Weit entfevnt alfo, von einem figürlichen Genuß, 
von einer idenlifchen Speiſe zu reden, erklärt Sefus viel 
mehr in den beftimmteften, ungweydeutigften Worten, 
welche die Sprache nur immer darbiethen Tonnte , — aufs 
bündigfte und entfchiedenfte, — daß fein Fleifch eine 
wirflihe, wahrkafte, eigentliche Speife fey. Nicht 
nur widerfpricht er der von den Juden geäuferten Vor— 
ftelung eines wirklichen Genuffes im  alfergeringften 
nicht , fondern er beftätigt diefe vielmehr‘, und’ befräftigt 
fie in den. ftärkften Ausdrücken, gleichfam ducch - eine 
Betheurung. 

Wie leicht wäre es dem Erlöfer geweſen, jene mürri- 
fhen Zuhörer zu befchwichtigen und ihre Zweifel zu löſen! 
Und warum ſollte er dieß nicht gethan haben? Er, der 
jeden Mißverftand feiner Jünger immer aufflärte, (vergl. 
Math. XVI, 11. XV, 16.) der fo eben durch Pie wun- 
derbare © Sättigung diefe große Sudenfchar aufs neue an 
fichh gefeffelt hatte, follte fie um eines bloßen Mifver- 
ftändniffes willen gegen ſich aufgebracht und erbittert 
laffen , — ja er»follte ſogar abfichtlich durch gefchraubte, 
räthfelhafte Redensarten feine eigenen Jünger ivregeleitet 
haben ? Nein, wahrlich ganz und gar nicht dar in 
fehlten die Juden, daß fie Sefum unrichtig verftunden, 
fondern lediglich darin, daß fie feinen — obfhon richtig 
berftandenen — Morten dennoch nicht glauben 
wollten; fie mußten von feiner andern Art das Fleiſch zu 
eſſen, als daffelbe — roh oder zugerichtet — mit den 
Zähnen zu zermalmen, während er ihnen doch wiederhohlt 
vom Genuß feines Sleifches unter der Geftalt des Brots 
ſprach, und während er durch die Ankündigung feiner 
Himmelfahrt ihnen doch deutlich genug zu erkennen 
gab, daß er keineswegs auf eine fichtbare Art fein 
Fleiſch als Speiſe darzureichen gemeint few; 

Unglaube war es alfo, was jene jüdifchen Proteſtan⸗ 


ten fichh zu Schulden kommen Tiefen. Doch, brechen wir 
nicht den Stab über die Berblendeten ! Noch Fannten fie 
ja weder die Auferftehung und Himmelfahrt des Welter- 
löſers, noch die von ihm verheiffene Sendung des heil. 
Geiftes, noch al jene ſpätern wundervollen Ereigniffe. 
Wir peoteftantifche Ehriften hingegen befennen die Gott- 
heit Sefu, wir glauben al jene erhabenen göttlichen 
Wunder, und — dennoch verfagen wir feinen eigen- 
fen Worten und feiner nachdruckſamſten Verſiche— 
rung unſern Glauben — Gleich jenen Suden des 
Evangeliums fahren auch wir noch immer fort, mit 
ungläubigem Hohn auszurufen: wie könnte Ehriftus 
uns fein Fleifch zu effen geben ? 

Um feine Erzählung gleichfam glatbtwüchtgee zu ma- 
chen, fügt Sohannes noch bey, daß diefe Unterredung in 
der Synagdg zu Kapharnaum vor einer großen Suden- 
fchar war gehalten worden , 3. 59. 

oc waren die Zuhörer Sefu durch feine Erläuterun- 
gen nicht überzeugt geworden. ‚Auch viele feiner Sünger 
beharrten noch in ihrem Unglauben; fie fanden dieſe 
Lehre gar zu feltfam und unbegreiflich, V. 60. 

Shre Zweifelfucht,, ihr Unmuth entgiengen Sefu nicht; 
er fprihtnun, V. 61 und 62, jene inhaltfchweren Worte: 
„She ärgert euch jetzt fhon ob meiner Rede, daß 
ich — während ich noch auf Erde vor euern Augen 
ſtehe — euch mein Fleifch zur Speife geben werde; wie 
viel unglaublicher muß euch erfi dann der wirkliche 
Genuß meines Zleifches vorkommen, wenn ich vor euern 
Augen entſchwunden feyn werde, wenn ihr mic) werdet 
gefehen haben gen Himmel fleigen , — an jenen Ort 
zurückkehren, woher ich gekommen war?“ 

Chriſtus ſpricht es alſo hier klar aus, daß feine 
Lehre vom Abendmahl na ch feiner Himmelfahrt ſchwie⸗ 
viger zu verſtehen ſey als vor derfelben. Schon in 
diefer Hinfiht Eonnte alfo unmöglich jene Lehre ge— 
mieint feyn, welche die Reformirten ihm unterfchieben ; 


— 306 — 


denn ein geiſtiger figürlicher Genuß wäre ja nach 
feinee Himmelfahrt nicht nur nicht ſchwerer zu begreifen 
gewefen ald vor derſelben, fondern es mußte vielmehr 
nachher den Süngern leichter feyn, nachdem das 
majeftätifche Schaufpiel der Himmelfahrt ihnen: den auf: 
fallendften Beweis für feine Gottheit gegeben hatte, an 
ihn zu glauben, und mit dem Genuß des Denfmahls 
feiner: Liebe auch die dankbarfte Erinnerung an ihn zu 
verbinden. Nur nach. dem Fatholifchen Xehrbegriff des 
wirklichen Genuffes Eonnte und mußte der Glaube 
an dieß Geheimniß durch die Himmelfahrt — die 
Entfernung feiner Perſon, die Abmwefenheit feines ficht- 
baren natürlichen Leibs — erfihwert werden. 

Wenn daher unfre proteftantifchen Theologen eben auf 
die Himmelfahrt Chrifti ihren Hauptbeweis für‘ die 
Unmöglichkeit feiner- wirklichen Gegenwart im Abend: 
mahl ftüßen, fo überfehen fie in ihrer Teidenfchaftlichen 
Berblendung ganz, daß ja nach des Erlöfers eigenem 
Elarem Ausfpruch eben gerade durch feine Himmel: 
fahrt dieß Geheimniß des wirklichen Genuffes aller— 
dings in einen noch tiefern ‚Schleier der Unbegreiflichkeit 
gehüft werden durfte und follte. — Der von den 
Proteftanten angenommene bloß figürliche Sinn der 
Rede Jeſu ift ia doch wahrlich an fich felbft ſchon fo 
einfach und faßlich, daß theils die Sünger fich nie im 
mindeften dagegen hätten firäuben können, theils aber 
Sefus felbft auch ‚Feines folch mächtigen Bemweifes, wie 
die Himmelfahrt es war, bedurft hätte, um die Wahr- 
heit feines göttlihen Urfprungs und fomit auch ‘die 
Glaubwürdigkeit feiner Rede ihnen anſchau— 
licher zu machen. Demnach) kann unmöglich die figür- 
liche Bedeutung der wahre Sinn ‚jener Worte ſeyn, 
fondern- dev einzig mögliche bleidt derjenige feiner 
wirklichen wefentlihen Gegenwart im Abendmahl. 

Nun folgt B. 63 , aus welchem die Calviniften und 
Zwinglianer fchlechtiweg den Schluß ziehen, daß die ganze 


= MW = 


vorhergangene Rede Sefu lediglich auf einen geiſti— 
gen figürlichen Sinn deute: „der Geift nur macht 
lebendig , das Fleifch hilft zu nichts; die Lehren, welche 
ich euch vortrage , find Geift und Leben. * 

Wenn nun aber die von Sefu vorher gefprochnen 
Worte — ſowohl vinzeln als in ihrem ganzen Zufammen- 
bange — unläugbar die wefentlihe Gegenwart be- 
urkunden , wie wir bereit hinlänglicdy bewiefen haben, 
wie könnte dann diefer Schluffak gerade das Gegen- 
theil davon, nähmlich den figürlichen Sinn bezeich- 
nen ? wie könnte es des Erlöfers Abſicht gemwefen feyn, 
in der nähmlihen Rede — ebendemfelben ernften 
und hochwichtigen Gegenftand — und mit den gleichen 
Worten dennoch zwey fo ganz verfchiedene,, ja vielmehr 
ganz entgegengefekte, Deutungen zu unterlegen, 
und duch den Schlußfas feine ganze frühere Rede 
zu entkeäften und umzuftoßgen? Es dringt fidy uns 
aber noch ein zweyter entfcheidender Beweisgrund 
auf. Wenn Sefus am Schluß feiner Rede umgelenft 
und erklärt hätte, daß feine Yusdrücke, welche jenen Suden 
fowohl “als auch den Schülern fo anftöfig vorgefommen 
waren‘, nur in figürlihem Sinne zu -verftehen feyen, 
fo würden ſich diefe Zuhörer ja um fo Teichter und inni- 
ger wieder an ibn angefchloffen haben. ‚Allein 
fiatt deſſen Tefen wir im Gegentheil, -B. 66: „Bon 
diefer Zeit an traten viele feiner Singer - von ihm 
zurück, und verließen ihn gänzlid.“ Wer muß 
nicht in diefem Abfall der Sünger einen unwiderleg— 
baren neuen Beweis finden, daß fie in jenen Schluf- 
worten nicht nur Feineswegs die Erklärung eines figür- 
lihen Sinnes, fondern vielmehr eben gerade die Be- 
ffätigung der in feinem ganzen Vortrag io Elar 
ausgefprochenen Lehre vom wirklichen Genuß e year 
hatten V— nm 

Betrachten wir daher die eigentliche Bed eutang 
jener Schlußworte näher und gründlich. 


——— 


Wie oft wird nicht in den heiligen Schriften unter 
Fleiſch die. körperliche Sinnlichkeit — die fleiſchliche 
Denkungsart, unter Geift aber die Gnade: Gottes — 
die Eingebung des heiligen + Geiftes verſtanden! Vergl. 
Röm. VIEL, 1, Gal. V. 19. 22. Bey Math. XVI. 
ſpricht der Heiland zu Petrus: Selig biſt du Simon, 
denn Fleiſch und-Blut,haben dir dieß nicht geoffenbaret, 
was du eben geſagt haſt, ſondern mein himmliſcher Bater; 
Die-ganz einfache, natürliche, mit der ganzen Rede 
Sefu übereinffimmende Bedeutung jenes Schluffakes 
ift demnach feine andere als : die euch vorgetragene Lehre 
von. dem wefentlichen mwir£lichen Genuß meines Flei— 
ſches ald einer Speiſe kann nur durch den  belebenden 
Geiſt, durch die Gnade und Erleuchtung Gottes ver— 
ſtanden und geglaubt werden, nicht aber durch fleiſchliche, 
ſinnliche Denkungsart, welche hierzu gar nicht 
behülflich iſt. (Chryſoſtomus erläutert dieſe Stelle kurz 
und bündig: die Worte ſind Geiſt und Leben d. h. ſind 
göttlich und geiſtig, haben nichts ſinnliches an ſich, 
und bangen nicht von den gewöhnlichen Naturgeſetzen ab.) 
Deswegen fügt auch Jeſus ‚gleich unmittelbar — V. 64, 
65 — hinzu: „aber einige aus euch ‚glauben nicht, 
darum habe ich euch gejagt, daß niemand an mich glauben 
könne, wenn es ihm nicht von meinem Vater gege- 
ben wird (genau was. er oben zu Petrus gefprochen 
hatte). Das heißt doch wohl. nichts anders als: nur die 
Hülfe und befondre Gnade des Baters im Himmel 
vermag den Glauben an meine Lehre vom wirklichen 
Genuß im. Abendmahl zuwegzubringen. 

Wenn Sefus den Jüngeren — im 64 V. — Unglau- 
ben vorwirft, fo Tann. ja dieß nur allein auf die 
wirkliche Gegenwart ſich beziehen, welches ihnen fo ganz 
und gar nicht einleuchten wollte; der Begriff eines figür— 
lichen Senuffes hingegen wäre alu faßlich und ein— 
fach geweſen als daß ihr Glaube san denfelben auch nur 
einen Augenblick hätte wanfen Fönnen Und zudem 


- u 


hätte nach den Grundfäken unſrer reformirten Theologen 
diefer, Unglaube feine Bormwürfe nach ſich ziehen kön— 
nen, weil die Jünger ja allerdings mit Recht die wefent- 
liche Gegenwart verworfen hätten. 

Wenn es dann — 2. 66 heißt ‚ daß „von dieſer Zeit 
an. wiele Schüler  fih von Sefu  zurüczogen (und 
nicht mehr mit ihm giengen,, “ wie fönnte man dieſe 
bedauerliche Trennung zwifchen einem folcdyen Lehrer 
und feinen Jüngern durch ein bloßes Mißverftändniß 
erklären wollen? Würde Jeſus, der ihr Innerſtes durch— 
ſchaute es haben unterlaſſen können, die liebenden und 
geliebten Jünger über eine redneriſche Figur oder ver— 
blümte Redensart aufzu klären, vom deren richtigem 
Verſtand nichts geringeres als ihr ewiges Seelenheil ab— 
hieng? Würde er nicht vielmehr alsbald ſie belehrt, 
und ſich dadurch aufs neue ihrer Anhänglichkeit verſichert 
haben? Wahrlich, wie man auch immer den Grund 
dieſer Trennung ſich zu erklären verſuchen mag; nie wird 
man einen andern als eben nur die Unbegreiflichkeit 
des Geheimniſſes zu erforſchen im Stande ſeyn. 
Vergeblich berief er ſich auf feine himmliſche Sen- 
dung, — feine Gottheit, — feine Wunder; nichts 
fonnte ihre Abneigung gegen die Sdee des wirklichen 
Genuſſes befiegen, da fie denfelben nur nach dem 
Fleiſcch — das heißt: nach ihren Eörperlichen Sinnen 
und einer. befehränkften befangenen Vernunft — auslegten. 

( Sind übrigens nicht auch wir heute noch Zeugen des 
nähmlichen Abfalls? Ebendiefelbe Abneigung gegen 
den Glauben des nämlihen Geheimmiffes entfrem- 
dete zur Zeit der Reformation — und auch jet noch 
immer — fd viele Kinder dem Schooße der Mutterficche. 
In diefem Contraſt zwifchen wirfliher Gegenwart 
und figürlicher Bedeutung erbliden wir die vollftän- 
dige Gefchichte des auch jet noch zwifchen den Befennern 
der fatholifchen und der proteftantifchen Lehre obmwaltenden 
Widerfpruchs. ) 


- ww. 


Nun wendet ſich Jeſus zu allen zwölf ſtaunenden und 
fchweigenden Apofteln mit der herzergreifenden Stage: 
Wollt auch) ihr von mir fcheiden ? 8.67. LEE 

Petrus antwortet in Aller Namen Herr, zu 
mem follten wir gehen? Du haſt Worte desiewigen 
Lebens, und'gläubig erkennen wir "dich als ben Sohn 
des lebendigen Gottes. “ | 

Wohl mögen auch fie nicht weniger Pr ‚jenes Ab. 
teünnigen auf wefentlihen wirklichen’ Genuß geſchloſ— 
fen , aber — in ihrem Urtheil mehr vom Geift als vom 
Fleifch geleitet — dem Herrn ſelbſt die Art und Weiſe 
der Erfüllung feines Wortes gläubig anheimgeftellt 
haben ; fie glaubten daher, was fie auch nicht be— 
griffen, da fie in ihm den Sohn des lebendigen Gottes 
erkannten und nur Worte der Wahrheit und des 
ewigen Lebens aus feinem Mund zu "vernehnten gewiß 
waren. Für den fo leicht begreiflichen figürlichen 
Sinn: feiner Worte hätten fie doch wahrlich ihren Glau— 
ben auf: feinen fo mächtigen Beweggrund zu ſtützen 
bedurft. Was lag ihnen aber näher als der Ges 
danke: in ſolch einer Seele Tiegt Fein Betrug , ſolch 
einem Munde entfteigt Feine Lüge; zwar begreifen 
wir nicht, wie er ung fein Fleifch als Speife zu geben 
Willens ift, allen da er’s nun felbft fo Elar und 
wiederhohlt. werfichert, ja gewiſſermaſſen betheuert, 
(wahrlich, wahrlich ich: fage euch!) fo muf es wohl 
auch: gefchehen Eönnen, und er muß wohl auch Mittel 
dazu befiken , Die wir nicht Fennen Der heilige 
Mann und Wohlthäter, deffen Unterricht: und fo eben 
neuerdings vollbrachtes Wunder uns mit Ehrfurcht für 
ihn erfülen, Eann mit unferm'gläubigen Bertrauen 
nicht fein Spiel treiben wollen; er ift von Gott gefandt, 
ift Gott felbft in Dienfchengeftalt, vermag alfo, was: 
er: will; feinem Wort dürfen. und follen wir unbe: 
dingten Glauben fchenfen. - 


— 10 — 


Biehen wir nun ſchließlich alles Gefagte im einige 
wenige Aphorismen zufammen. er 

Jeſus „beginnt feine Rede damit, daf er die — durch 
das am Tag zuvor verrichtete Wunder- + der Brotvermeh- 
rung ihm anbänglich gewordenen —- Zuhörer an jene 
mächtigen B eweggründen erinnert, welche ihnen die 
gläubige Annahme feiner. Worte zur Pflicht ma- 
ben. - Durch dieſe Einleitung ſollten ſie aufmerkſam 
icht werden, daß er ihnen etwas vorzutragen im Be⸗ 
ſiehe, das an un für ſich ſchwer Ju glauben fey. 

ge ftellt er ſich ihnen als das” belebende Brot 
dar, und erflärt: daß das Brot, welches er ihnen zu 
effen geben werde, fein eigenes Fleifch fey, — das 
nämlich e, welches er für das Heil der Welt aufopfern 
werden ‚Die Zuden verftehen dieß im natürlichen Sinn b 
welchen. fie. verwerfen, weil ihnen der wirkliche wahr- 
hafte Genuß feines Fleifches unmöglich ſcheint. 

Wäre dieſe ihre» Vorſtellung des wirklichen Genuſſes 
irrig geweſen, ſo würde dev Erlöſer ihnen den Irrthum 
ſogleich benommen und berichtiget haben. Weit ent— 
fernt aber dieß zu thun, wiederhohlt er. vielmehr feine 
erfte Behauptung, und zwar ſechs Male nad) einan— 
der — mit immer ſtärkern Ausdrüden — ja mit einer 
Art von Betheurung. Er hatte folglich die wirkliche 
Gegenwart feines Leibs beym »Abendmahl im Auge, 
und wollte daß man an diefe glaube. 

Einige feiner Schüler erfchraden hierüber und fanden 
diefe Lehre Hart — ſchwerbegreiflich; fie mußten alfo ganz 
richtig den Sinn der wirflidhen Gegenwart — 
der allerdings für die menfchliche Faſſungskraft un- 
verffändlich iſt — nicht aber den bloß figürlichen 
Sinn — der ja fo ganz leicht unfern Bernunftbegriffen 
ſich anpaßt — verftanden haben. — Statt nun die Ausdrücke 
zu mildern ‚welche fogar fihon den Abfall einiger feiner 
Jünger verurfachten , erklärt Sefus vielmehr , daß, wenn 
fie jetzt ſchon od dieſer Lehre a ihnen diefelbe 





— 42 — 


nach feiner Himmelfahrt noch weit unbegreiflicher 
vorkommen müſſe. Nun wird aber die figürliche 
Gegenwart nach der Himmelfahrt viel lei chter — die 
wirkliche Gegenwart aber viel ſchwerer zu ‚glauben, 
folglich war e8 nicht jene erſtere, fondern dieſe letztere 
Lehre, welche der Erlöſer verkündigte. 

Jeſus wirft den Jüngern keineswegs je vor, daß ſie 
den Sinn ſeiner Rede nicht. verſtunden, fondern daß 
fie ihn nicht glaubten; amd diefer ihr Unglaube konnte 
ſich nur auf die weſentliche Gegenwart beziehen „da 
für den «Glauben ‚an einen figürlichen Genuß fi ſich ia 
nicht -einmahl ivgemd etwelche Schwierigkeit auch nur 
gedenken ließe. e 

Sefus erklärt, niemand könne in, Hinficht diefeg 
wirklichen Genuffes. an feine Worte glauben, es fen 
denn, daß er hierzu die Gnade, von feinem himmliſchen 
Vater erhalten habe. Um aber, an einen figürlichen 
Genuß zu glauben, bedarf es weder einer befondern Er— 
leuchtung noch überhaupt ivgend einer An vengung, 
folglich Eann er auch nicht von ſolch einem figürli- 
hen Genuß gefprochen: haben. 

Die Apoitel blieben: dem Heren treu; fie, gründe» 
ten ihren Glauben auf die Veberzeugung von feiner Gott- 
heit und Allmacht, während. die Schüler Tieber von 
ihm fi trennen als ihm glauben wolten. Nun 
hätten aber letztere gewiß ihren Lehrer nicht: verlaffen 
wegen Verweigerung ihres Ölaubens an etwas, das ja 
fo leicht zu. begreifen und zu glauben war, wenn 
e8 fich (wie die Reformatoren behaupteten) nur um die 
figürliche Gegenwart gehandelt hätte; und erfiere 
würden doch wahrlich um fie zu glauben nicht auf die 
höch ſte Beweggründe feinev Gottheit und Allmacht 
fidy zu berufen nöthig gehabt haben ; alfo Fönnen weder 
die treu gebliebenen Apoftelnody die abteünnigen Schü- 
ler) diefen Genuß: in »figürlichem: Ginn verftanden 
haben, und die wirkliche wahrhafte Gegenwart ift 


— 403 


fomit der einzig richtige Sinn, d welchen dag ent- 
gegengefekte Be „oe — fowoht. "der Apoftel als der 
Schüler — ug! gleich rklär werden an. 

> ag dieſen Abfe n 







| ng einer 




















xv dich. 
; rn ** der 
welche im | de weſentli 






ee en — Jeſu Chriſti 
ihr abweichen, mögen be- 












herzigen , unſers — MR en da 
Anſtoß m | 

defmeg “harte 

nigen fein eigenes Fle d..fei ot 

teinfen follten. Sie We in ihrem 
natürlichen Si 1; ärge: und fpradjen : das 
ift eine_ harte Rede, we I! Mie wäre es 
nun mögli u gla ben N, | Heiland — Er der 


die Liebe nelbil — "feine Jünger hätte geben laffen, 
wenn er die ihnen fo anſtößige Worte, nicht im natür- 
lichen, fondern im bildlichen Sinn, gemeint hätte? 
daß er einen Stein ‚. an welchen: fie ſo hart fließen, nicht 
folte mit einigen erläuternden Worten gehoben 
haben, — und noch dazu ‚einen ‚folchen Stein des An- 
ftoßes , welchen er felbft ihnen in den Weg gelegt 
hatte ? Statt: deffen laßt er fie gehen — weggehen von 
ihm die geliebten Sünger. — Gehen wir doch nicht mit 
ihnen! o nicht weg von ihm! Bleiben wir bey ihm, wie 
die zwölf Upoftel bey ihm blieben! Sprechen wie mit 
demjenigen, auf welchen. ex feine Kicche gründete, ſpre⸗ 
chen wir mit ſeiner heiligen Kirche ſelbſt: Herr, 
zu wem ſollten wir gehen? ? Du baſt Worte des enisen 
Lebens “ J | 


* ee — u 
der Olten 












welche — | bar | 
hatte, — die Dadurch E t * 

Zwiſte, — der nf ſem A * 
Erklärung behanı se für Abfall 
feiner Jünger, im Gege fab mit der treuen Anhänglichkeit 
der Apoſtel, einen tiefen Eindruck hervorgebracht haben. 
Gewiß fejmerzte es die Apoſtel, jene abtrünnigen Jünger 
‚nicht mehr an ihrer Seite zu erbliden , und daher mögen 
fie wohl oft an die fo merkwü ürdige Urfache ihrer Entfer- 
nung zurücfgedacht haben. Auch der Erlöſer felbft, welchem 
feiner ihrer geheimften Gedanken verborgen blieb, kam 
ohne Zweifel: bisweilen auf jene Unterredung zurück, und 
legte ihnen ermunternde Lehren ans Herz, um ihr gläu- 
biges Vertrauen zu ftärfen. Freylich melden die Evange- 
liften nichts hievon, allein wir wiffen, daß fie nur einen 
Theil der Handlungen und Reden Sefu aufzeichneten , und 


Sohannes feldft fchloß ja fein Evangelium mit der Erflä- 


rung, daß — wenn er Alles hätte auffchreiben wollen — 
felbft die ganze Welt die damit angefüllten Bücher nicht 
zu faffen vermocht hätte. 


— 
——— ee 
a De a re Tue 







* von dem Gewachs des Wi Hftocts 
bis das Reiche Gottes kommt.“ Dann —— er 
ſich, um feinen, St ngevn und Freunden durch die Fuf 
az das eindrii eb der Demuth un 
mi Liebe zu BAR Hierauf —— noch 









Augenbtic ift vorhandn , welcher: ‚feine J Veoh if füns in 
Erfüllung bringen fol. 

Drey Evangeliften erzählen uns nun in wenigen 
kla ren Worten, Math. NXVL, WS W., Mare. 
XIV. 22 4 und Que XXI. ‚19 — 2. die Stif- 
tung des geheimnißvolten booheiligen Map: 
der Liebe —" ! 
Aber warum erwähnt nicht auch der gunger „den 
Jeſus lieb hatte“ dieſes ſo wichtigen Ereigniffes? . Er, 
der weit f päter als die. drey andern Evangeli n, wie 
wir fchon oben bemerkt haben, nämlich: in fä Grei 
ſenalter zu Ephefus unter Kaiſer Nerva ir 3.96 ſchrieb, 
ließ manches unberührt, was —— vor ihm 
geſchrieben, beſonders was ſie alle dre y erzählt 
hatten!» Wohl mochte es auch" de r en kihe Geift in diefem 
Fall ſo lenkt haben, damit wir deſto weniger zweifeln, 
daß jene von Johannes allein aufgezeichnete Rede, 
welche Jeſus ein Jahr vorher über diefes — damals 








— 406 — 


noch nicht geftifteter— Saframent "gehalten hatte, nicht 
von einem bloß geiftigen Genuß ‚des Sleifches und Bluts 
Chriſti handle, fondern vom wirklichen Genuß derfel- 
ben im Abendmahl. (So ift. übrigens auch Johannes der 
einzige, welcher uns die Berwandlung des Waſſers 
in Wein beym Hochzeitmahl zu Cana erzählt, — 

Dieſe Verwandlung, ſowie die wunderbaren Spei- 
ſungen des Volks durch die Brotverm ehrung, muß⸗ 
ten — in Verbindung mit jener Rede Jeſu — die Apoftel 
zum a a — —— vos = J en 





* ehttich der Bad: felbſt Se J A der Worte— 
in foldy vollfommenem Einklang, daß es gar nicht zu 
verkennen war, jene Berfündung fey nun "eben. ih 
Erfüllung übergegangen. Ohne die Teifefte Aeußerung 
von Zweifel oder Mißtrauen, mit Ehrfurcht und Anbe— 
thung empfangen die Apoſtel aus der Hand des Erlöſers 
dieß Flei ſch als wahrhafte Speiſe, und dieß Blut 
als wahrhaften Trank. 

Laffen wir bier ja nicht unbeachtet die Hebereinftim- 
mung aller" einzelnen Ausdrücke dort bey Johannes über 
die ein Sahr früher von Sefus den Süngern gegebene 
Berheiſſung ‚und hier bey den drey übrigen Evange— 
liften in den fürmlihen Einfekungsworten felbft, 
wodurch die Gewißheit beftärkt wird, daß beydes ein und. 
daffelbe Geheimniß, eine und dieſelbe Wahrheit ſey. 

Merkwürdig iſt ferner, daß die drey Evangeliſten, 
welche die nämliche Thatſach erzählen, und doch zu 
weit von einander ‚entfernt waren, als daß ein“ beſon⸗ 
deres Einverſtändniß zwiſchen ihnen gedenkbar wäre ,„— 
fowie auh dev Apoftel Paulus, — mit  genaufter 
Gleihförmigklit die Worter anführen ; „dieß ift 
mein Leib, dieß ift mein Blut.“ (Sa, nach dem Aus— 
druck des Hriginals wäre ganz eigentlich zu lefen (Proleg. 
Bibl. polygl,): „dieß ift mein Leib, mein eigener 


u 


Leib, welcher für euch gegeben ift; dieſes ift mein Blut, 
mein eigenes Blut.“ Daher heißt es in „der ſyri— 
ſchen Weberfekung, welche dem heil, Markus zugefehrieben 
wird: „dieß ift meim eigener Leib felbft,“ und in 
det Liturgie der Griechen: „das ung Dargereichte ift der 
eigene Leib Set, fein eigenes Blut,“ Ä 

Sn diefen wenigen klaren Einfekungsmworten fanden 
übrigens alle Apoftel den wirklichen Sinn der wefent- 
lihen Gegenwart und der Sransfubftantiation, und 
nach den Apofteln alle fpätern Sahrhunderte bis auf 
Berengar, deſſen Irrlehre, wie wir oben» fahen, die 
Kirche nur auf kurze Zeit beunruhiget hatte. 

"Dem XVI. Sahrhundert war der traurige Ruhm vorbe- 
halten, mit Fühnerem Starrfinn gegen die heilige Wahrheit 
dieſer Glaubenslehre fich zu empören. Und doch wagte es 
felbft das Oberhaupt der Reformation, Luther, nur zum 
Theil, ſich zu folch gewaltigem Schritt‘ zu enitfehtieen. 
Bon der Einfachheit und Kraft der Einſetzungsworte zu 
fehr ergriffen, vertheidigte er fogar das Dogma der 
wirklichen Gegenwartan fi, und erklärte fich 
bloß’ gegen die allgemein angenommene: Art und Weife 
derfelben, mie wir ſchon früher gezeigt Haben. Sm 
einem Brief an den Senat von Speyer geſteht er ganz 
unbefangen: „Ih will und kann nicht läugnen, daß 
wenn Carloſtad oder ein anderer mich vor f ünf Jahren 
hätte bereden können, daß im Sakrament der Euchariſtie 
lediglich Brot und Wein vorhanden ſey, ich ihm nicht 
wenig Dank dafür gewußt „hätte; denn damals gab mir 
diefer Gegenftand fehr viel zu Taf ent, indem es 
mir nicht entgehen konnte, daß ich. dem Papftthum 
einen gemaltigen Streich dadurch" verſetzen würde. Al— 
lein die Worte des evangelifſchen Textes 
find allzu klar, beſtimmt und deutlich, als daß 
ſie eine andere Aubleguns geſtatten könnten.“ 

BZwinglis erklärt in f. Antw. an Pellikan : 
R Allerdings, wenn das Wort ift im feiner eigentlichen 


= u. 


ee angenommen. wird, fo haben die Papiften 
Recht und man muß glauben, daß das Brot Chrifti 
* — In feiner Abhandl. über das Abendm. ſagt 

——— man das Wort ift nicht im- figürlich en 
Sin nimmt, ſo iſt e3 unmöglich daß nicht das Wefen 
des Brots in jenes des Leibs Jeſu Chriſti verwandelt 
werden ſollte, und folglich das, "was vorher Brot war, 
nun nicht mehr Brot fey. “ ‚Sn einem Schreiben an 
Luther fpricht ex fich eben fo beffimmt aus, und im nähm- 
lichen Brief hatte er ihm früher erklärt: „Wenn du 
hartnädig darauf beharreſt, Feine figüirliche Borftel- 
lung anzunehmen, ſo folgt daraus, daß die Papiften mit 
allem, Recht behaupten, daß das Brot in den Leib 
Ehrifti verwandelt. werde.“ Allein Luther ließ fich 
nicht wanfend machen ; und nie hat „er wohl feine Geiftes- 
ftärfe und die mit feinem. braufenden heftigen Charakter 
verbundene Kraft, der Beredtfamfeit in hellerm Licht ge- 
zeigt 7 als damals da er den buch ftäblihen Sinmder 
Einſetzungsworte in Schutz nahm. Er konnte ſich der 
eigenen Lobrede hierüber nicht enthalten, und ſchrieb — 
Ap. Hosp. Ep. Luth. ad an. 1534: „Die Papiften 
felbft müffen .e8 mir zur Ehre eingeſtehen, daß: ich viel 
beffer noch als fie die Lehre des amnAblihen Sin: 
nes verfochten babe. “ 

Aber felbft auch Calviniften erklären fich eben fo 
deutlich für die. weſentliche Gegenwart. Sn dem von 
Bezaumd Farel, (dem heftigften und ungeftümften unter 
den Reformatoren,. welcher. — nach der "eigenen DBerfiche- 
rung neuerer probeft. Gefchichtfcehreiber der Schweiz — 
überall Verwirrung) und Aufruhr ftiftete) Namens der 
reformirten Kirchen Frankreichs .den in Worms verfam- 
melten Ständen der Augſpurger  Confeffion übergebenen 
Glaubensbefenntniß heißt es? daß man in dem Abendmahl 
nicht nur die Wohlthaten Jeſu Chriſti, ſondern ſelbſt 
feine Wefenheit und fein eigenes. Fleifch empfange, 
daß uns darin der Leib des göttlichen Sohnes nicht 


— 409 — 


bloß als bildliche Darftellung oder als fymbolifche 
⸗ Bedeutung — gleichſam als ein bloßes Erinnerungs- 
zeichen an den abweſenden Gottmenſchen — dargereicht 
werde, ſondern daß er wahrhaft und gewiß mit dieſen 
Syinbolen feldft gegenwärtig fey.“ Dann heißt «8 
Kir „Wenn die Art der Darreichung dieſes 


+ J—— akramentaliſch heißen, ſo 
verſtehen wir 


nter nicht eine bloß figürliche, 

ſondern da ott unter den Geſtalten ſichtbarer 
Dinge unln © ymbolen dasjenige wirklich giebt 
d —————— was uns unter denſelben bezeichnet 
wird. ir a alfo, daß wir die Lehre der wefent- 
dcde genwart des wahr en Leibs und Bluts Chrifti 
imAbendmahl ganz umd gar Nicht verwerfen, und daß, 
suenn es allenfalls noch auf was immer für einen 
sit ankommen ſollte, derſelbe nur die Art und 

nt —** es uns — wird, — 













ie a ‚ Saab 1. und 


gerichtete ) proteſtanti ſche Siſchof NEL. Ridley in 
London * egen die —** ken Re Fir ie unter einander 
ei —— in dei, B tament r RS 










ward, gen imme ‚ur, wm und zur Rechten Gottes des 
Batera fitst. Nur über die Art, wie diefer Leib darin 
gegenwärtig ift, find wir nicht it einander einig.“ 
-Bilfon, Biſchof zu Wincheſter, ſagt: „Gott ver⸗ 
hüthe, daß je uns beyfalle zu laus nen, daß das 
Fleiſch und Blut Jeſu wahrhaft. ‚gegenwärtig fey ,. und 
am Tiſch des Herrn wahrhaft von den Gläubigen 





— 410 — 


empfangen werde.  Diefe Lehre verkünden wir ande 
und tröften ung felbft durch fie.“ "Eben fo beftimmt 
fprechen fich hierüber aus: der Bifhof Undrems in 
feinem Btief nm Bellarmin, Forbes, Taylor, 
Eofinu. a. | 
Der 10. Art. dev Augfp. Eonfeff. von 1530, wie 
er dem Reichstag vorgelegt wurde, t in feiner erften 
Tertierung wörtlich: „Von dem Abend Su wird gelehrt, 





daß der wahre Leib und das wahr efu Ehrifti 
unter der Gefatt des Brots und Wei —— 
gegenwärtig ſind, daß ſie in demſelben ausgetheilt 
und empfangen werden. Die entgegengeſ ar Lehre 
wird Daher verdammt.“ 

Der mit dem Geift des Proteftantismus ſo En der: 
traute Grotius äußert fi) in feinem voto pro pace p. 
51.: „ES ift unläugbar, daß ſowohl nach. | JR eg 
der Väter als auch nach der Meinung eines großen 
Theils dev Proteftanten uns im —— n Hr den Zei 















fern Sinnen unzugängl 
Molanus, der oe at vo tt 
Vorſchlag einer Ei -einigung zwifchen dei Rathoti 
Proteftanten der A Aug! \ Conferf ‚folgende ken ige Aeußerung 
von ſich „Sch bin der Meinung daß ; ſchts dem Glau- 
ben widerfprehendes in Her Behe wtung enthalten J 
ſey, es gehe durch die Einſetzungsworte in dem Abend⸗ 
mahl, oder in der Eonfecgapfon‘ eine gewiſſe geheimniß— 
volle Veränderung vor, durch welche der in den 
Schriften der Väter ſo vie tig gebrauchte Ausdruck 
„das Brot ift der Leib Ehrifti“ ſich auf eine uner; 
forfhlihe Weife erwahret. Man muß alfo die. 
Katholiken erfuchen, daß fie ohne fich " in eine "weitere 
Unterfüchung einzulaffen, auf welche Weiſe Diefe 
Veränderung des Brots und Weins in der Euchariftie 
vor fich gehe, fich begnügen darin übereinzuftimmen: (und 
dieß würden fie gewiß fich gefalfen laſſen) daß dieſe Weife 









— 41 — 


unbegreiflich und unerklärbar ſey, jedoch die 
geheimnißvolle und bewundernswürdige Verwandlung 
des Brots in den Leib Chriſti hervorbringe; und —* 











Sefu Chrifti und der Wein fi 4 
Ausdrücke ehe mals ſo allgeme 
den Vätern des Vrchriftenthums 1 
fich nicht ihrer bedient hätte.“ “ 3 

In einer, andern Stelle fagt derſe 
Ich behaupte, daß der Leib Jeſu Chriſti 


* — * unter 
1 "Einen gab, ‚ dev 


Himmel if ‚ und an dem Kreuze war, nur d e J 
dem Altar auf eine andere Weiſe vorhanden ſeh 
Am Kreuz war er auf eine natürliche und blutige Weiſe, 
im Himmel iſt er auf eine ſichtbare glorreiche Weiſe, 
auf dem ar hingegen. auf eine unfichtbare unblutige 
und u MWeife, aber. es ift doch imn merhin ‚der 
nämliche Leib. Sch erkenne alfo mit den Birch der 
beyden Kirchen des Morgen und Abendlandes die in der 
Euchar riſtie vor ſich —* Berwandlung, welche 
man mit den Worten transmütatio, transelementatio und 
transsubstantiatio ausdrückt, wodurch "an jedeutet wird, 
daß — er *8 Extöfers ausgefprochen find, 

irklich durch die Kraft der Vereinigung mit 
ichtbaren ve dasjenige: auf dem. Altar 
befinde, was vo her nicht darauf war, namlich die 
Perfon Zefu Chriſti.“ 

So ſprach ein berühmter, gründlich gelehrter, der 
proteſtantifchen Confeſſion anhängender Theolog, der ge— 
wiß keineswegs geſonnen war, im Punkt der Euchariſtie 
im geringſten ſeiner Partey zu nahe treten zu laſſen. 

Noch können wir uns nicht enthalten, einige Zeugniſſe 
angeſehener Theologen der reformirt anglikaniſchen Kirche 








= Mr 


hier anzuführen. So ſagt 3. B. der Bifchof Forbes: 
„Es liegt zu. viele Verwegenheit und zu viele Gefahr in 
dev von mehrern Proteſtanten aufgeſtellten Behauptung, 
Gott e Macht nicht, das Brot in den Leib 
eh | eiwandeln. Darüber ift freylich die ganze 
da' nicht gefchehen fühne, was einen 
ſich zieht. Da aber niemand im 
it einer jeden Sache genau und 














ide for ud veriwichelt oder 
Mm, wer er immer ſey, eine auf- 
it, Gottes Allmacht Gränzen ſetzen 

e daher ganz der Meinung der Witten⸗ 


* —— genug * das Brot und den 
Wein im den Leib um das Blut Sefu Ehrifti zu 
verwan dehn. 
| horndyke, der berühmte Canonikus von Weſt⸗ 
—JJ f diefe Verwandlung an, und ‚ daß die 
andtheile gewöhnlichen # Tot3 ui eins 
vahı den "Das 
Blut, = Chrifti, weicher ‚geheiftnißtoll da 7 ver! 
wärtignift wie in einem Sakrament ‚ und zwa durch 
die Kraft dere onfeftation” und han > durch 
den Glauben, deffen, dere ——— 
Lerklartda die Verwan 2 Ing dui 
die Conſekration der inn 8 dtheile her 
bracht werde, und" ſtützt feine Beh 
Hemweisftelen aus: dem heil. Eyrill won "Se 
aus der Liturgie des heil Bafılius , — nd Aml 
© Darfer, Biſchof zu Orford j Be: Es ift 
einleuchtend für jedermann, felbft für nie 7 welche, in 
der Theologie noch fo oberflächlich bewandert feyn mögen, 
daß die alten Bäter von einem Jahrhundert zum an— 
dern mit den deutlichften, Fräftigften Ausdrücken 
die Lehre der wefentlihen wirflihen Gegenwart 



















— 413 — 


behauptet haben. Die Lateiner nennen fie conversio, 
transmutatio , transfiguratio , transformatio,, transelemen- 
tatio und endlich transsubstantiatio (gr. weraorory&woro ). 
Mit all diefen verfchiedenen Ausdrücken wollen fie nicht 
mehr und nicht weniger andeuten, als eine wefentliche 
und wirfliche Gegenwart in der —— ee 
Berwandlung der Subftanz.“ 

(Wir bemerken hier beyläufig , daß das Wort trans- 
substantiatio in der heil. Schrift nicht enthalten ift, daß 
aber die Kirche folches auf ‚den Eonzilien zu Rom 1079 
unter Gregor VII. und zu Lateran 1215 unter Snnocent II. 
wählte, um ihre Xehre der Verwandlung der Wefenheit 
des Brots und Weins in den Leib und das Blut ar 
fürzer auszufprechen. ) 

So fand das Dogma der wefentlichen Sehenwane inf. 
reihe VBertheidiger unter den Lutheranern und Balviniften 
ſowohl als auch unter den englifcy veformirten Theologen. 

Nur Zwingli war auf der bloß figürfihen Be- 
deutung der Einfekungsmworte, und zwar mit folchem 
Starrfinn beharrt, daß er — (in der Zueignungsfehrift 
feines Subs. de euchar. ) diejenigen ſchlechtweg der Blind» 
heit , verkehrten Sinnes, und der Albernbeit befchuldigte, 
welche an die wahrhafte Gegenwart Ehrifti in-der Eucha- 
riftie glaubten; wobey er fogar die kecke Behauptung auf- 
zuftellen fich nicht entblödete , daß die Apoftel fo wenig als 
die Ehriften der erften Jahrhunderte die Einſetzungsworte 
je im buchftäblichen Sinne verftanden "haben. Sndeffen 
wird ung die Unhaltbarkeit feiner Drafelfprüche bey näherer 
Zergliederung bald einleuchten; und fo viel Aufhebens er 
arsch anfänglich mit feiner. Erfindung machte, daß das 
Wörtchen Ege — „ift“ — fo viel heife als: „bedeutet,“ 
fo ſah doch auch felbft fein treuer und gelehrtrr Freund Haus: 
fchein (Defolampad) bald ein, daß er nur die bloße Möglich: 
feit einer folchen Bedeutung bemwiefen habe, daß aber in 
feiner einzigen Schriftftelle „ift“ ftatt „bedeutet“ 
vorkomme, als wo ein offenbarer, unzweifelhafter Tropus fey. 


— a“ 


Diefer Zwift hatte dann auch zur Folge, daß Hausfchein 
den. Zwingli gänzlich verließ, und die Figur nicht mehr 
im Wort ıft, fondern im Wort ooua — „Leib“ — 
fuchte, welche Meinung dann auch bald mehr Benfall 
fand als jene erftere. Ebenfalls trennte fich auch Boden- 
ftein von Zwingli, indem ev die Figur im Wort zöro — 
„dieß“ — entdeckte (daher feine Lehrmeinung Toutismus 
genannt wurde.). 

Wir werden nun bald einfehen, daß die verfchiedenen 
Schriftftellen Des N. und U. Zeftaments , worauf Zwingli 
feine Meinung gründete, bey genauer Prüfung ihre Be— 
weisfraft gänzlich verlieren. 

Wenn der. Erlöfer bei Soh. X. und XV, fagte: „Sch 
bin die Thüre, ich bin der Weinftod,“ ſo waren feine 
Zuhörer vorher ſchon auf dieſe Gleichniffe vorbereitet, 
und er ftellte fich ihnen auch Feineswegs als Zeichen 
oder Sinnbild vor, fondern er legte fich folche Eigen- 
fhaften bey, wovon Thüre und Weinftod ſchwache, — 
aber fehr faßlihe Bilder waren. Zudem ift wohl zu 
bemerken, daß er felbft zugleich den Sinn folder Meta: 
phern inkikteikar nachher erläuterte. 3. bey Joh. X.: 

„wer durd) mich eingeht, wird felig werden,“ und Soh. 
XV.: „jede Rebe an mir, die nicht Frucht bringt, wird 
dev. Weingärtner mwegfchneiden; ihr könnet aber. nicht 
Früchte bringen , wenn ihre nicht an mie ald dem Wein- 


ftock bleibt. “ & auch bey Math. XUL: „Der Same 


ift das Wort Gottes; der Afer ift die Welt;“ wo Jeſus 
ebenfalls. die Bedeutung der Parabel entwickelt. (ALS 
Chriſtus fagte : ich bin der Weinftod, die Thüre u. f. w., 
erzählte er ein Gleihniß, ‚und hielt nicht den Weinftod, 
die Thüre m. f. w inder Hand — mie das Brot, ald 
er fagte dieß ift mein Leib; er feste Fein Sakrament 
ein; er fonfefrirte nicht.) 

Eine ganz andere Bewandtniß hat e3 mit Gegenfkänden 
welche durch Sprachgebrauch fihon als Zeichen aner- 
Eannt find; da mag folch eine Nedensart wohl zuläßig 


— 45 — . 


fern. 3. B. dieß Bild ift der, Reformator Zwingli; diefer 
Fleck auf der Landkarte -ift die Schweiz u. ſ. w. Nie 
ward aber das Brot fihon vor Einfekung des Abend- 
mahls: al3 Zeichen oder Sinnbild irgend einer Sache, 
fondern allgemein. nur ald eigene, für ſich befte- 
hbende Sache betrachtet und anerkannt. Auch darf nicht 
unbeachtet gelaffen werden, daß der Menfchenfohn immer 
nach dem allgemeinen Spradgebrauch fich richtete, 
um nie feine Schüler zu Irrthümern zu verleiten, fie, 
zu denen er gefagt hatte: es naht die Zeit, wo ich mit 
euch offenbar und nicht fermer in Öleichniffen 
reden werde, — fie, denen. er nun eben bey Einfekung 
des Abendmahls feinen legten wichtigften Unterricht 
zu ertheilen,, und das am Vorabend feines Todes für fie 
eingefeßte Teftament zu eröffnen im Begriff ftund. 

Sndefien genügte dennody, — wer follte es glauben! — 
jene feichte Auslegung des Reformators, um das gelehrige 
Rathskollegium — deffen Haupt, laut öffentlich : abgeleg. 
tem felbfteigenem Geſtändniß von folden Sachen 
fo viel ald ein Blinder von den Farben verſtund — zu 
beftimmen, „im Namen: der ganzen SKicche“ (totius 
ecclesie nomine ) das heilige Miefopfer von Stunde an 
abzufchaffen!! Mit: folch gemwiffenbafter Befonnenheit 
und fanonifher Ordnung verfuhr in diefer höchften 
Heilsangelegenheit ein bürgerliches Conzilium des ſechs— 
zehnten Sahrhunderts't! — 

Auch mit jener Beweisftelle aus Exod. XI., „es ift 
Phafe, das if: dev Vorübergang des Herren, “ worauf 
Swingli gar fo übergroßes Gewicht legte, hat es ebendie- 
felbe unerbauliche Befchaffenheit, 

Nachdem er fchon fünf volle Sahre hindurch ver- 
geblich allen haltbaren Beweifen nachgeforfcht hatte, 
um die mwefentliche Gegenwart zu entkräften, fol ihm 
endlich diefe Beweisftelle im Traum geoffenbaret worden 
feyn. Er fügt felbft noch bey, daß er nicht ganz genau 
angeben fünne, ob der Geift, welcher ihm dieß Beyſpiel 


— 46 — 


eingeraunt habe, weiß oder ſchwarz geweſen fey. (Wie 
fommt e8 — möchte man hier fragen — daß dem emfigen 
Bibelforfiher die Stellen aus Genes. XL, 1%: „die 
drey Reben find drey Tage ;“ ibid. XLL, 236: „die 
fieben Aehren find. die fieben Jahre. “ Dan. VO., 17.: 
„diefe vier großen Thiere find vier Reiche“ "X a. Mm. 
unbekannt blieben ?) 

Doch wir dürfen über diefen poßierlichen Geifterfpuf 
die eigene Erzählung des Träumers unſern Leſern nicht 
vorenthalten. 

Er fehreibt in feinem Subs. de — „Wie nun 
der dreyzehnte Tag April fi) nahte, , Cich rede die Wahr: 
heit alfo, daß, wenn ichs gleich gefchweigen wollte , doch 
mein Gemiffen mich zwingt ſolches ausjufagen , welches 
der Herr alfo mitgetheilt hat, wiewohl ich. mich hie- 
durch felbfi im Spott und Verachtung feke) 
fiehe da hat mir geträumt, daß ich. abermal mit obge— 
dachtem Schreiber wieder und mit großem Verdruß 
zanfte und ganz ftumm werden mußte, und ihm 
nicht3 antworten fonnte Und da ich mich im 
Traum alfo bey. der Nacht ängftigte, da däuchte mich 
es ftinde ungefähr bey mir ein Mann‘, dev mich erinnerte 
(0b derfelbige ſchwarz oder weiß gewefen ſey, weiß ich 
nicht ) und fprach : antworte keklich, wie am 2. B. Mof. 
XI. gefchrieben fieht : est phase domini , es iftder Durch— 
gang des Herrn. Da ich dieß Geficht geſehen und erwacht, 
bin ich mit Freuden aus dem Bett gefprungen, habe nach— 
gefucht, und ſolches bald vor der ganzen Kirche nach 
meinem Vermögen öffentlich gepredigt. Als nun die 
Predigt wohl angenommen worden, hat ſie allen, ſo die 
geiſtlichen Sachen gern haben verſtehen wollen, und duch 
die Gleichnif etwas verhindert und aufgehal- 
ten worden, (!T) alle Finſterniß aus dem Weg ger 
räumt, undift die drey Tag über — Grünen Donnerflag — 
Stillen Freytag und Dftertag ſolch ein herrliches und 
hohes Dfterfeft gehalten als ich zuvor nie gefehen hab, 


— 47 — 


und ift die Zahl derer ſo nach dem Knoblauch und Egyp- 
tifchen Zöpfen zurücfahen (Papiften) geringer geweſen 
als ich felbft gemeint hätte, “ F 

(Wir finden und hier zu der gefchichtlichen Benierfimg 
veranlaßt , daß unter dem gedachten Schreiber, welcher 
an den beyden Tagen vorher in öffentlither Disputation 
unfern großen Wundermann nicht wenig in die Enge 
trieb, der zweyte Staatsfchreiber. Joachim von Grüt 
gemeint ift, deffen zwar in Hottingers Geſch. der Eidg. 
zue Zeit der Kirchentr. nur kurz, und in wornehm 
verächtlichem Ton erwähnt wird, welcher aber in andern 
Urkunden als der-,, fcharffinnigfte und zugleich gemäßigtfte“, 
auch als der „tüchtigfte und furchtbarfte “Gegner Zwinglis 
gefchildert ward, und eine Schrift im Druk hevausgab : 
„hriftenlich  Anzeygung Soachims von Grüt, daß im 
Saframent des Altars warlich fey Fleifch und Blut 
Ehrifti, wider den fchedlichen verfuerifchen irtumb Ulrich 
Zwinglins zu Zürich,“ welche in der Oi qengeſchucnen 
Litteratur höchft felten geworden ift.) 

Wir werden indefjen ohne große Mühe — daß 
auch dieſes in einem Traumbild ausgeheckte Vehſpiel 
ganz und gar nichts figürliches darſtelle. 

Der Herr befiehlt nähmlich Exod. XII.: „Shr folt 
eure Lenden umgürten, und Schuhe an euern Füffen 
. haben , und die Stäbe in euern Händen halten , und. efjen 
das Lamm eilends, denn es ift Phafe d. i. der Vorüber— 
gang des Herrn; und ich will in derfelben Nacht durch 
Egypten gehen, und alle Erfigeburt fehlagen in Egypten- 
land.“ Das Lamm ift alfo bier offenbar feineswegs 3 ei- 
hen des Vorübergangs, fondern alle Worte deuten ganz 
Hav auf den wirflihen DVBorübergang des Herrn. 
„Haltet euch bereit Egypten zu verlaffen, zieht Reiſeklei— 
der an, verjäumt Feine Zeit das Lamm fehnell zur effen, 
denn der Herr geht vorüber.“ Dieſer Einn ergiebt fich 
ganz deutlich aus dem Zufammenhang, ſowie aus dem 
Beyfak : „und ich will in ae durch Egypten . 


— 4 — 

gehen.“ Der Grund wird alfo den Sfraeliten klar und 
beftimmf  ausgefprochen, warum ihnen ‚befohlen ward 
fich zum Abzug bereit zu halten , und fchnell das Lamm 
zu eſſen. Der Vorübergang des Herrn ward ihnen 
gewiffermafien als Signal: ihres Aufbruches verkündet. 
Zudem darf nicht überſehen werden, daß Mofes, indem 
er vom Lamm ſpricht, dafjelbe: nicht den ;, Borübergang “ 
nocy „das » Zeichen des Vorübergangs“ , fondern das 
„Schlachtopfer des VBorüberganas * nennt.‘ B. 27. Zur 
Erinnerung an diefe Begebenheit. folk: jährlich. das Oſter— 
lamm geopfert werden; und wenn die Kinder fragen : was 
dieß bedeute, ſo ſoll man ihnen fagen: „es iſt das 
Schlahtopfer vom VBorübergang des Heren , da er 
vor den Käufern dev Kinder Sfraels in Egypten vorüber- 
gieng, während er die Egyptier fchlug und hingegen 
unfre Häufer verfchonte,“ 

roch einen andern: —2 für die figürliche 
Bedeutung der Einſetzungsworte leiten die Zwinglianer 
von jenem Zuſatz bey Lues XXIL her: Zdieß thut zu 
meinem Andenken ©; indem: nach ihrem Urtheil das 
Wort „Andenken *ſich nur auf abweſende Gegenſtände 
beziehen würde, und. daher Chriftus das Abendmahl, wenn 
er wirklich darin gegenwärtig wäre, nicht als bloßes 
Andenken feiner Perfon angeordnet haben könnte. 

Darauf: antworten wir 7 Kein einzigen Kirchen— 
vater noch fonftiger kirchlich er Schriftfteller fand 
je in dieſen Worten denjenigen Sinn, welchen jeßt die 
Anhänger der Calviniſchen und Iwinglifchen Lehrmeinung 
hineinlegen; und ebenſo gewiß iſt es, ‚daß. auch. felbft 
die, welche zwerft die «Lehre: einer bloß figürlichen 
Gegenwart aufſtellten, »diefelbe: "ganz  umd gar nicht aus 
diefen (nur bey Lukas vordemmenden· Zuſatzworten 
herleiteten. ; 

Es ift geſchichtlich erwieſen, daß ——8 lange genug 
aus der heiligen Schrift eine figürliche Gegenwart 
herauszuklügeln ſtrebte, ohne ſie je in dieſen Worten 


= MW = 


wahrzunehmen, fo oft fie ibm doch mußten. unter die 
Augen gefommen feyn. Erſt in dem Brief eines Hollän- 
ders fand er diefe „Eoftbare Perle“, wie er fich ausdrückte ; 
auch glaubte der überglücliche Mann fie mit mehr Erfolg 
vertheidigen zu können, als jenes berüchtigfe Traumbild. 
Doch wie fehr täufchte er fih auch hierin! Um diefe 
Lehre zu begründen, mußte man eine Verbindung 
diefer Stelle mit. den voranftehenden Einf ekungs- 
worten erkünſteln, und dieſen Zuſatz als eine Erläu- 
terung oder Erklärung jener Einſetzungsworte anfehen. 
Wäre aber diefe vermeinte Verbindung wirklich im Terte 
ſelbſt, — und nicht vielmehr in einem gefaßten Borur- 
theil, — gegründet, wie hätte fie fo lange ganz unbe- 
kannt bleiben können? Wie hätte fie während vielen 
Sahrhunderten allen Ehriften, und felbft auch ven 
Häretikern, — denen doc, am meiften an ihrer Entdeckung 
liegen mußie, — entgehen können! ſie ward ja doch erſt nach 
ſchon ang enommener Lehre aufgefunden, und man 
gerieth ja keineswegs von der angeblich nothwendigen 
Berbindung beyder Stellen auf die Idee der figür— 
lichen Bedeutung, ſondern gerade umgekehrt von der 
bereits ſchon feftgeftellfen Lehre des figürlichen 
Einnes erft auf jene neue wilfführliche Behaupfung ! — 

Ein jiveyter Umftand widerlegt ebenfalls die Anficht 
einer nothwendigen Berbindung ymwifchen den Ein- 
fehungsworten feldft, und dem bey Lukas enthaltenen 
Zufak. Wären nähmlich die Zufaßworte: „dieß thut 
zu meinem Undenfen “ nofbwendig , um die Einfeßungs- 
worte „Ddieß ift mein Leib, der für euch bingegeben wird“ 
zu, er klären und u berſteben, und würden leßtere 
Worte in Folge diefer Erklärung ftatt der wirklichen 
Gegenwart nur die figürliche andenten; fo hätte der 
göttliche Erföfer den fcherzhaften Gebrauch vieler Men: 
fchen nachgeahmt, welche durch pomphafte Einlei- 
tung etwas fehr wichtiges außerordentliches zu 
erzählen ankündigen, und dann 2% nur etwas "aan 


— 90 — 


geringfügiges alltägliches vortragen. Wire es aber 
nicht wahre Gottesläfterung zu behaupten, daß der Er- 
löfer in diefer fo hochwicht igen Sache, ‚bei feinem 
Abfhiedsunterricht fi) fo benommen hätte? Nicht 
nur. wäre eine folche Art der Unterredung fchon überhaupt 
mit dem Geifte des Enangeliums im Widerfpruch, 
fondern, fie würde auch ganz befonders noch im ernften 
Augenblic des legten Abendmahls, bey der 
Dergegenmwärtigung des nahen Leidens und Kreuzestudes 
höchſt unpaffend geweſen ſeyn; überdieg noch mwiderftrebte 
fie auch. der ganzen Sinnes- und Gemüthsart des 
—Gottmenſchen, von welchem wir nirgends Iefen , daß 
er. je einen Scherz ſich erlaubt, oder daß man je ein 
Lächeln auf feinen Lippen erblickt hätte. | 

od) kommt ein anderer - erheblicher Widerlegungs- 
grund hinzu: Wenn die Einfekungsmworte für fich allein 
betrachtet die wefentlihe Gegenwart ausfprechen, 
und erft durch die Zuſatzworte den figürlihen 
Sinn erlangen, fo müßten ja nothwendig diefe Tektern 
die Erflärung der vorhergehenden feyn , fo zwar daß 
nicht die einen ohne die andern fünnten fiehen bleiben; 
denn würden letztere Zuſatzworte weggelaffen, fo müßte 
man die Bedeutung der wefentlihen Gegenwart 
annehmen, welche aber Chriftus - (nach obiger Vorausfe- 
kung der veformirten Glaubenslehre) durch die Zufah- 
worte „dieß thut zu meinem Andenken“ ganz förmlich 
ausschließen wollte. Es wäre alfo, in diefer Voraus— 
fesung, dem Zweck und Willen. des Erlöfers in diefem 
allerwichtigften. Punkt ſtraks zuwider gehandelt, und 
höchſt vermeffen, die erftern Worte (welche die 
wefentliche Gegenwart unläugbar ausfprechen ) ohne 
die letzt er (wodurch die wefentliche Gegenwart wieder 
aufgehoben , und in die figürliche umgewandelt wird.) 
vorzubringen. Und doch haben — was wohl beachtet 
werden muß — Mathäus und Markus, welche die 
erften und — während mehrerer Sahre die einzigen — 


— 41 — 


Evangeliften waren, diefe Tektern Worte ganz mit 
Stillfhweigen. übergangen. Bon fämmtlichen 
Evangeliften hat einzig Lukas fie uns aufgezeichnet! ! 
Sene andern müffen fie alfo nicht für nothmendig ge- 
halten, nicht ad Erklärungsworte der vorherge- 
henden betrachtet, auc ganz und gar nicht jene mwefentli- 
he Verbindung darin gefunden haben, welche nun ein 
Theil der Reformirten darin zu finden ſich einbildete. 

Endlich kommt noch ein vierter Widerlegungsgrund 
hinzu. Aller Logik zuwider ift nähmlich die Bchauptung : 
daß das Andenfen nothwendig eine Abweſenheit 
vorausſetze, und Jeſus folglich nicht hätte befehlen können, 
dag man fich feinee erinnere, wenn er im Abendmahl 
wirklich zugegen wäre. Mag auch fehr oft die Erin- 
nerung auf abwefende Dinge Bezug haben , fo ift fie 
doch nicht eigentlich Segenfak der Abweſenheit, fon- 
dern der DBergeffenheit. Wie viele Dinge giebt es 
num nicht, die zwar gegenwärtig find, doch aber leicht 
vergeffen werden, weil ihre Gegenwart nicht fühlbar 
ift und nicht in die Augen fit. So ift auch Gott — 
Seele — Schußengel u. f. w. den Sinnen unfühlbar, nur 
unterm Glauben gegenwärtig, und werden gar zu F in 
Vergeſſenheit geſtellt. 

Die wahre vichtige Bedeutung jener Zuſatzworte iſt 
doch wohl unfchwer zu begreifen ; fie ſtehen in Eeiner wefent- 
lichen Berbindung mit den vorhergehenden Einfeßungs- 
worten ; — (eine Verbindung, von welcher weder Mathäus 
und Markus noch irgend ein Bifchof oder Kirchenlehrer 
bis auf die Zeit der hocherleuchteten Reformations - Apoftel 
je etwas mußte — ) feine Stelle hängt von der andern 
ab; jede hat für ſich ihre eigene Bedeutung. "Die 
erfte fpricht allerdings die wirkliche Gegenwart aus; 
und durch die zweyte wird ung die Geiftesverfaffung 
eingefchärft, mit welcher wir Chrifti Leib empfangen und 
genießen ſollen. Wir folen nähmlich, nach den Worten 
Pauli 1. Cor. XL bey diefem Genuß uns erinnern, 


— m — 


„daß der Grlöfer für uns gelitten und fich für uns ge- 
opfert, habe.“ Wir follen. dabey von der Erinnerung 
an fein Leiden und feinen Tod vollkommen durchdrungen feyn. 

Zudem fönnen wir, wenn fchon das Andenken noch 
feinesivegs eine A bw efenbeit nothwendig , vorausfekt, 
dennoch auch ſagen, daß dev Gegenftand unſers Anden- 
fens, nähmlich der Tod Sefu, in. der — nicht 
——— ſey. 

Es hat demnach mit den von Zwingli zum Behuf feines 
figüelic Jen} Syſtems angeführten Beweisſtellen eine ſehr 
wenig erbauliche Bewandtniß. 

Uebrigens dringt ſich uns in Bezug auf den richtigen 
Verſtand der Abendmahllehre noch eine. weſentliche Be— 
trachtung auf. Unmöglich konnte es nämlich Jeſu ver— 
borgen ſeyn, daß ſeine Apoſtel keineswegs die Lehre von 
der figürlicchen Gegenwart predigen, ſondern daß alle 
Chriften den Sinn dev wirklichen Gegenwart anneh— 
meit, — daß aber in fpätern Jahrhunderten. fih Viele 
gegen. diefe Lehre empören werden. Obſchon der Al: 
wiffende: alles Unheil. folcher Spaltung vorherfah, legte 
er dennoch in den Mund und die- Feder der von ihm 
begeifterten. heiligen Schriftfieller überall und immer 
nur das Wort „mein Leib,“ nirgends aber „das Bild 
meines Leib.“ Wäre nicht dieß Benehmen des Erlöfers 
in einer ſo hoch wichtigen Angelegenheit ganz unbegreif- 
lich,, und mit feiner Güte — Weisheit — Gerechtigkeit 
und Liebe gegen die von. ihm ſelbſt geftiftete Kirche ganz 
unvereinbar ? Zu welchen Irrwegen hätte er feLbft uns 
verleitet, wenn die Worte „wahrhafte Speife, wahrhafter 
Trank, Leib — Blut Jeſu Ehrifti“ , welche wir. in feinem 
Evangelium überall klar und deutlich lefen, in ganz 
entgegengefektem Sinne zu . verftehen wären, und 
nur. „Figur — Zeichen — Sinnbild * bedeuten  jollten, 
welche Worte gar nirgends in. den. heiligen Schriften 
zum. Borfchein kommen! — 

Und welche Ausflucht Eönnte auch im der That den 






— 25 — 


Anhängern Calvins und Zwinglis noch übrig bleiben, wenn 
ihnen von Katholifen und felbft Lutheranern vorgeftellt 
wird, daß nach dem Hauptgrundſatz ihrer großen 
Lehrneiſte⸗ nur das jenige geglaubt werden durfte, was 
klar und deutlich in den heiligen Schriften ent-' 
halten war! Oder vermögen ſie dann etwa auch nur 
eine einzige Stelle in den geſammten heiligen 
Büchern aufjufinden, die für eine -figürliche Bedeutung 
irgend etweldhen Grund oder. Beweis lieferte , worin 
das Wort „Zeichen, Figur * oder ein Ähnliches in Ver— 
bindung mit. der Euchariftie ‚wäre ‚gebraucht worden ? 
Der Apoftel Paulus mwiederhohlt, "unter ausdrücklicher 
Berufung auf einen hierüber. unmittelbar vom Herrn 
erhaltenen Auftrag — 1. Eor. KL, — genau die näm— 
lichen Worte, deren fhon 3 han e3 in der. Rede 
Chriſti vonder VBerheiffung, diefes Geheimnißmahls 
fich bedient hatte. - Ueberall und immer ift nur vom Leib 
und Blut Chrifti ad wahrhafter Speife und wahr: 
hbaftem Trank die Rede. So machen fich dann die 
neuen Reformationg = Apoftel der Dergeffenheit oder des 
Widerfpruchs mit fich felbft ſchuldig, wenn fie mit 
unbiegfamem Sinne darauf beftehen., die von der heiligen 
Schrift fo oft und Elax ausgefprocjene Lehre der wirf- 
lichen Gegenwart des Leibs und Bluts Chriſti im Abend- 
mahl dennoch zu verwerfen, und dafür die Lehre 
eines bloßen Zeichens und einer bildlichen Borftel- 
lung, — auf welche doch nirgends in den heiligen 
Schriften hingedeutet wird, — ſo ganz eigenmächtig 
und willkührlich aufzuftellen. ! — — 

Doch , wer auch nur einigermaßen in der kirchlichen 
Revolutionsgefchichte des XVI. Sahrhunderts bewandert ift, 
dem kann auch dag unbegränzte Snfallibilitätsgefühl,, — 
die Anmaßung — und die ftarre Eigenmacht in der 
Schriftauslegung nicht unbekannt feyn, womit jene neuen 
Glaubensherolde ihre - Eurzfichtigen Zeitgenoffen zu über- 
liften und zu unterjochen beflifien waren. Wir führen 


— 4114 — 


hier nur Zwingli als Benfpiel an. Am Schluß der oben 
erwähnten Difputation erklärte er kurz weg: „Das 
Urtheil ift fchon gegeben; der Geift Gottes urtheilt; wenn 
meine Obrigkeit etwas erkennen und urtheilen würde, das 
wider das Urtheil Gottes (d. h. wider meine eigene Mei— 
nung ) wäre, ſo wollte ih dawider predigen und 
handeln: ich gebe ihr das Urtheil nicht in ihre Hand; 
fie fol auch über das- Wort Gottes ganz nicht urtheilen, 
nicht nur vallein fie — ja auch alle Welt nicht!“ 
Und in feiner Antwort an den bifchöflichen Vikar läßt 
fi dev ‚große Glaubensheld alfo vernehmen: „Ich ver- 
fteh’ die Schrift: nicht anders als wie fie ſich felbft 
durch den Geiſt Gottes (d. h. meinen eigenen Verſtand) 
auslegt, und bedarf Feines menfchlichen Urtheils. Wir 
wiffen , das Gefek Gottes ift geiftlich,, und will nicht von 
fleifchlicher menfchlicher Bernunft ausgelegt feyn. Da- 
vum willich feinen Menfchen zu einem Richter 
über die Schrift Haben noch zulaffen.“ (fondern 
bloß meine eigene Willkühr) Wo hat je ein Fatholifches 
Kirchenhaupt auf dem Stuhl Petri fich ſolch vermefiene 
Sprache zu Schulden kommen laffen ? — ! — 

Bey dem allem find wir dennoch eher zu der Muthma- 
fung geneigt, daß keineswegs der Tert der heiligen 
Schrift ed war, was die Gegner der wefentlichen Ge- 
genwart und. der Zransfubftantiation bewog diefe Dogmen 
zu ‚beftreiten. Denn gerade dieſer Text mußte fie viel- 
mehr zur Annahme derfelben beftimmen , und unmöglic) 
fonnten fie die figürliche Bedeutung aus der Schrift 
herausffügeln, ohne fie recht eigentlih mit Gewalt zu 
drehen und zu verftimmeln. Um ihrer vermeinten Me— 
tapher etwelche Grundlage zu verfchaffen, mußten fie die 
gefammte ‚heilige Schrift durchfpähen , bis fie mit Auf- 
wand al ihres Scharffinnes nur einzelne fcheinbare 
Benfpiele ausfindig machen konnten, welche dann. bey 
näherer Prüfung auf den vorliegenden Fall ganz und gar 
nicht paßten, und die bündige Energie der. Einfes 


— 125 — 


kungsmworte nicht im mindeften zu ſchwächen ver— 
mochten, { 

Weit eher mag wohl — genau unterfucht — die Wi- 
derfeglichkeit der Reformirten nur auf den philofophi- 
fhen Schluffolgen beruhen, zu welchen die Annahme 
jenes buchftäblichen  ZTertes nothwendig führt, und 
welche ihrer Vernunft als Echrecfbilder. erfcheinen. Daß 
nähmlich ebenderfelbe Leib zu ebenderfelben Zeit an mehr 
vern Orten zugleich gegenwärtig feyn könne, — daß das— 
jenige, was der äußern Geftalt nah Brot ud Wein. 
iſt, dennoch in feiner Wefenheit etwas ganz anderes 
feyn könne, — wie follte diefes möglich feyn ?! — 

Und allerdings fließen diefe — unfre Faſſungskraft 
weit überfteigenden — Folgerungen ganz unvdermeidlicd) 
aus dem buchftäblichen Sinne der Einfekungsworte. Aber 
die Frage ift und bleibt immerhin nur: hat nicht der 
Gottmenfh verheiffen, uns fein eigenes Fleifch, 
welches er für das Heil. der Welt am Kreuzesſtamm 
aufopfern werde , als eine wahrhafte Speife zu geben? 
bat er nicht im Augenblik der Erfüllung diefer 
Berheiffung eben fo Elar und deutlich gefprochen : 
nehmet hin, effet, dieß ift mein Leib? war und ift er 
nicht mächtig genug das, was er fprach, und weit 
mehr noch als wir begreifen können, zu verwirklichen ? 
fonnte der Erlöfer — er, der die Wahrheit felbft 
ift — je fähig feyn, uns durch doppelfinnige Aus- 
drücke irre zu leiten ? würde er nicht den über feine harte 
Rede betroffenen , geliebten Süngern weit eher mit einem 
einzigen Wort die figürliche Bedeutung . zugegeben haben, 
wenn nicht dev buchftäbliche Sinn wirflich in feiner 
Abficht gelegen wäre? Und würde nicht die Güte und Ge- 
vechtigkeit des: Gottmenfchen ihm diefe Belehrung feiner 
Sünger — faft möchten wir fagen — zur Pflicht gemacht 
haben, um dadurch allen unfeligen Spaltungen für 
die Zeitfolge zuvorzufommen ? . Warum  follten wir doc) 
nicht eher in uns felbft als in ihn Mißtrauen feken! 


— 46 — 


Warumfollten wir feine Wovtenicht ſo einfach glauben 
als einfach er fie gefprochen hatte, ftatt ung im uner— 
gründliche Schwierigkeiten zu vertiefen! Nie follen 
wir — fagt treffend der heil. Hilarius — den Wirkun— 
gen der göttlihen Macht nach bloß menfchlichen 
Begriffen die Bahn vorzugeichnem uns vermeſſen. Die 
wahre Weisheit de3 Menfchen befteht darın, der Macht 
und Kraft Gottes nicht Gränzen ſetzen zu wollen. 
Allerdings wäre es TShorheit und Gottlofigkeit, jenes von 
der wefentlichen Gegenwart Jeſu Ehrifti im Abendmahl 
zu behaupten, wenn er es uns nicht felbft geoffen- 
bavet hätte.“ „Weg mit allen Argumenten , fagt 
der heil Ambrofius, wo vom Glauben die Rede ift ! 
Was forfcheft du in dem was unerforfchlich iſt; dadurch 
beweifeft dir nur deine Neugierde, nicht deinen Glau- 
ben.“ Ehryfoftomms erklärt den Verſuch, göttliche 
Dinge nach dev Bernunft beurtheilen zu wollen ‚als 
eigentliche Gottes läſterung, weil menfchliches Urtheil 
nicht gemein habe mit . den Geheimniffen Gottes; und 
Cyrill von Alerandrien erklärt, daß in Glaubensfachen 
jede Neugierde aufhören müffe. Aber micht nur dieſe 
großen Kirchen » Authoritäten find es, welche der Ausübung 
des Privaturtheils folche Schranken ſetzen; auch zwey der 
angefehenften Philofophen, Bacon und Bayle, haben 
diefelbe katholiſche Anſicht einmüthig RE und 
vertheidigt: 

Der Erlöfer kündigt wo nun einmal feinen Wil len 
und feine Abficyt mit den einfachften verſtändlich— 
fren Worten an, deren nur immer die Sprache ſich 
bedienen kann. Das einzige, was unſre Faſſungskraft 
überfteigt und erfchüttert , und was wir auch hienieden 
nie klar begreifen werden, find die aus jenen Kraftworten 
herfließenden Folgerungen, die Art und Weife wie 
diefe wirkliche Gegenwart zu Stande gebracht wird, — 
die geheime unfichtbare Triebfeder, welche dieſe Ber: 
wandlung: der. Wefenheit bewirkt. 


v 


— MM — 


‚Sollen wir aber nicht — (wie das Bekenntniß von 
Wittenberg 1536 ſelbſt ſich ausdrüdt) die All macht 
Gottes für fo unbeſchränkt halten, daß. er in der Eucha- 
riftie die Subſtanz des Brots und Weins zu tilgen und 
folche in feinen Leib und fein Blut zu verwandeln ver- 
möge?! Sind wir-je berechtigt, Dingen deren Wahr- 
heit fich nicht läugnen Täßt, unfern Glauben nur dep- 
wegen zu verſagen, weil fie uns auf Dunfelheiten 
führen, die wir nicht zu durchſchauen im Stande find? 
(vergl. Hebr. XL, 1) Warum wollen wir den Grund von 
Dingenerforfchen ‚die unergründlich find, und Wahr: 
heiten durchſpähen, die unducchdringlich find ? Wollen wir in 
tollem Wahnfinn die Gränzen überfchreiten oder ge— 
waltfam ducchbrechen,, die eine Höhere Hand uns aufge— 
ſteckt hat? Wir vermweifen bier ganz befonders noch auf 
die im Abfchnitt über den Lutheranismus angeführten 
Stellen aus Leibnitzens Theodizee , und deffen Abhandl. 
von der Lebereinft. des Glaubens mit der Vernunft, fowie 
ferner auf die Stellen aus Auguflinus, und den 
Caract. de Theophr. am Schluß der Erörterung über 
die. Disziplin der Geheimhaltung. 

Und glaubt denn nicht auch der Proteftant an fo 
manch andere geheimmißvolle Lehren des ‚Chriftenthums, 
welche ebenfalls nicht wider aber eben fo fehr über die 
Bernunft find ? glaubt nicht auch er an eine dreyfache 
Derfon der. Gottheit — an das große Geheimniß (1. Tim. 
III., 16.) dee Offenbarung Gottes im Fleifche — an die 
Auferfiehung des Menfchenftaubs aus dem Grabe — an 
die Ankunft Ehrifti zum Gericht mit feinem wahren Leib 
wie ev aufgefahren (laut Confess. helvet. C. 11.) — m 
die Bereitung des Leibs Chrifti aus der unbeflecten Ma— 
via durch VUeberfchattung des heil. Geiftes — an die Gott- 
beit und Menfchheit Cheifti in Einer Perſon — an feine 
mannigfaltigen Wunderthaten, Auferfiehung, Himmelfahrt, 
Erfcheinungen in Galiläa bey verfchloffenen Thüren u. f. w.? 
Ja, glauben wir nicht alle das Geheimniß der Natur — 


— 428 — 


die Vereinigung des Leibs und der Seele, — obſchon wir 
das Band derſelben und ihre wechſelſeitigen Einwirkungen 
nicht zu ergründen vermögen ? Haben, wir ja doch auch 
von Gott felbft feinen erfchöpfenden Begriff, da nur 
eine unendliche Faſſungskraft den Unendlichen zu erfaſſen 
vermöchte! — 

Ziefe Beherzigung verdient in diefer Hinficht das ganz 
hieher paffende IV. Cap. des IV. B. Esdrä, welcher durd) 
den Engel Uriel vor vermeffenem Grübeln nad) den 
Rathfchlüffen der ewigen Weisheit gewarnt wird, indem 
er fich erfühnte den Weg des Allerhöchften begreifen 
zu wollen. Um ihn zu befchämen, legt Uriel ihm drey 
Gleichnißfragen vor: „Kannſt du das Feuer wägen? 
den Wind mefjen ? den geftrigen Tag zurückrufen?“ Dann 
fügt er die ernften Worte bey: „Nicht über die Tiefe 
des Meeres, nicht über die Höhe des Firmaments, noch 
über den Umfang des Paradiefes frage ih dich, — als 
wohin du nicht gefommen bift;z aber fo habe ich dich ja 
bloß vom Feuer — vom Wind — und vom Tag gefragt, 
ohne welche du nicht ſeyn kannſt und durch welche du 
gegangen bift, und dennoch vermagft du mir nicht zu 
antworten. Du Fannft deine eigenen Dinge, und die 
immer mit und bey dir find, nicht erkennen, und doc) 
unterfteht fich dein Verftand, Die Wege des Höchſten 
ergründen zu wollen! “ 

Sn eben diefem Sinne warnen ung auc, verfchiedene 
erleuchtete Lehrer des Alterthbums, daß wir feine Be— 
weisgründe fordern, wo vom Ölauben die Rede ift, 
das wir wohl die Menfchwerdung des Gottesfohnes wifjen, 
aber nicht dem Geheimniß nachgrübeln dürfen, daß 
wir alles, was die heil. Schrift ung offenbart, mit 
Unterwürfigkeit annehmen folen, ohne dem nachzu— 
forſchen, worüber fie fhweigt, daß wir göttliche 
Dinge nicht nah menfhlihem Maaßſtab beurtheilen, 
noch fie den Gefeken und Bedürfniffen dev Natur 


— 49 — 


unterwerfen, fondern als Gläubige ung aufwärts zu 
. den Höhen des Glaubens fehmwingen follen. 


& 


* 
* * 


Noch bleibt ung ein wichtiger Punkt in Betreff der 
Euchariftie zu erörtern übrig, welcher dem Katholizismus 
häufig zum Vorwurf gemacht wird, nähmlich: die Ent- 
ziehbung des Kelches, — oder : der Genuß des Abend- 
mahls unter dev Einen Geftalt des Brots. 

Auch diefem Vorwurf liegt nur Unfenntniß des 
chriſt lichen Altertbums zum Grund; denn wir finden 
fchon in den erften Sahrhunderten der Kirche (bey Eyprian, 
Hieronymus , Tertullian u. a. m.) die verläßlichften Zeug- 
niffe,, daß man in gewiſſen Umftänden und Verhältniſſen 
die heil. Kommunien nur unter Einer Geftalt — nähmlich 
des Brots — empfieng. Dem heil. Ambrofius felbft ward 
auf feinem Sterbebett noch das Abendmahl unter der 
bloßen Brotsgeftaft von dem Bifchof von Bercelli — 
Honoratus — gereicht, wie ung Paulinus, in feiner, dem 
heil. Auguftinus zugeeigneten, Lebensbeſchreibung des heil. 
Ambroſius erzählt. | 

Auch ift e8 bekannt, daß die Griechen zu gemiffen 
Zeiten das heil, Altarsſakrament bloß unter Einer Geftalt 
fpenden. 

Das Neue Teftament enthält. übrigens PS Be⸗ 
weisſtellen, daß durch Entziehung des Kelchs nichts weſent— 
liches vorenthalten; und daß unter der Geſtalt des Brots 
die Gegenwart des Sottmenfchen vollftändig undwahr- 
Haft geglaubt wird. Bey Joh. VL, 50. 51. 58. werden 
von Sefus felbft den Gläubigen, die ihn im Altarsſakra— 
ment bloß unter Einer Geftalt empfangen, ebendiefelben 
Bortheile zugefichert,, wie unter beyden Geftalten; 1. Cor. 
XI. , 27. ift von Brot oder Wein die Rede, und Xct.IL, 
42. 46. — XXVO., 35; Luk. XXIV., 30. 35. , ſowie 


= WW = 


in mehrern andern Stellen wird nur des dr otbrech ens 
gedacht. 

(Könnte man hier nicht vielmehr den oe 
chen Critifaftern mit allem Grund und Recht den Vor— 
wurf machen, daß fie die in der heil. Schrift fo Elar 
gegründete Firmung, lekte Dehblung u. f. w., vergl. 
Net. VII. , 15. 18. Marc. VI, 13., Sac. V., 14. 15 
ohne allen Erfak und Vergütung fchlechtweg verwarfen ?) 

Befugt war wohl allerdings die Kirche — keines— 
wegs aber einzelne oder wenige Privatperfonen — 
zu diefer Anordnung dev Kommunion unter Einer Geftalt, 
fowie fie e8 früher war zur Verlegung des Sabbaths auf 
den Sonntag — zur Abftellung des Eintauchens bey der 
Taufe — zur Zaufe der Kinder — zur Anordnung der 
Feyer der Geburt und des Leidens Ehrifti u. f. w. (veral. 
die Friedens - und Bereinigungs = Borfchläge zwifchen 
Boſſuet, Leibnitz und Molanıs) Schon Act. XV., 28. 
erklären die Apoftel: daß es dem heiligen Geift 
und ihnen gefalle, befondere Anordnungen zu 
treffen. Much zeigt Paulus 1. Cor. XL, deutlich an, daß 
forthin bey dem Sakrament der Eucyariftie viele Dinge 
geordnet werden follen, die nicht aufgefchrieben feyeit. 

Sodann wiffen wir mit Beftimmtheit aus der Kirchen: 
gefchichte, daß zu Ende des AH. und hauptfächlich im XIII. 
Sahrhundert den Ehriften häufig nur der heilige Leib 
gereicht ward. Beranlaffung waren die damals üblichen 
Kreuzzüge nach Paläftina.. Da für fo viele Kreugfahrer 
auf foldy weiter Reife nicht immer genug Wein aufju- 
bringen war, um alten den heil. Kelch ‚geben zu können, 
und auf den Schiffen die Austheilung, des Weins großer 
Gefahr des Verſchüttens unterlag, fo fleng man an, fich 
mit dem heil. Leib allein zu begnügen, und bald öflanzte 
dann diefer Gebrauch fih von den Kreuzfahrern auch auf. 
das Volk im Allgemeinen fort. Zeuge hiervon if Thomas 
de Aquino , der gefehrte Heilige, (get. 1274) 3. 3.80 Sr. 
Diefer und andere damalige Kirchenlehrer fchten alte 


Gründe hervor, um die Kommunion. unter Einer Geftalt 
zu rechtfertigen , welche dann auch fehon bald nach U. 1300 
in der abendländifchen Kirche allgemein eingeführt ward. 
Das Conzilium zu Baſel im I. 1431 erklärte dann in 
Sess. XIH.  , daß die Kommunion unter beyden Geſtalten 
nicht — ſey. 

Was übrigens auch noch die Miſchung des Weins mit 
Waſſer im Abendmahl betrifft, ſo gründet ſich dieſelbe 
ganz klar auf Juſtin Mart. Apol. J., 127; Irenäus B. 
IV., e. 57; auf Cyprian, Auguftin,  Hieronymiid u.a, 
©. auch Bellarm. de sac. euchar. L. IV. , ec. 19.0 


Re | 

Wir können diefe gedrängte Darftellung der urchriftli- 
chen Kehre von der Euchariftie nicht fchließen , ohne die 
Urtheile einiger neuerer Schriftfteller über den beharrlichen 
Skeptizismus der Proteftanten in Betreff diefes Lehrſatzes 
noc) anzuführen. | 

„Ob es gleich — fagt einer derfelden — in unfern 
Zeiten Modephilofophie geworden ift, alles in Zweifel zu 
ziehen oder zu läugnen, was man nicht begreift, fo 
wird doch dieſer Unglaube jeden Augenblick des Lebens. 
befchäimt, indem wir ja auch die Kräfte der Natur 
ducchaus nicht begreifen können, fondern nur Er- 
fiheinungen wahrnehmen. Erfahrt nun. jene Phi- 
fofophie fo oft diefe Beſchämung bey Dingen, welche im 
Kreife alltäglihber Wahrnehmungen liegen‘, wie 
Darf fie dann außer diefem Kreiſe fo keck zu entſchei— 
den fich anmaßen? entfcheiden , — ohne auch nur Einen 
Grund dagegen anführen zu können, den fie ' gefunden 
hätte?! — Der bloße Zweifel beweist doch wahrlich 
noch feinen Scharffinn, wenn ex nicht auf vernü RT. 
tigen Urfachen beruht. Sich hinreiffen laffen vom 
Geiſt der Zeit beweist Feine Stärke des Geiſtes; — 
noch iſt man deßwegen freymüthig, weil man den 


— 42 — 


Wortführern und Tongebern des Zeitalters mechaniſch 
nachſpricht, was man ſelbſt weder geprüft hat noch 
prüfen Fonnte. * 

Ein anderer fehreibt: „Weit gefehlt, daß die Ent- 
deefungen durch Wiffenfchaft und Philofophie das Ge- 
heimniß der Natur und ihres Urhebers offenbaren; 
ed wird vielmehr defto dichter verhüllt. Der Magnetis- 
mus ift ein Beweis davon. Welh unläugbare Wun— 
der! Und doch fol alles natürlich zugehen!? Was 
heiffen denn diefe Philofophen „natürlich“? Wer ann 
nun noch fo vermeflen feyn, propbetifche Bifionen, Ah— 
nungen u. f. mw. mwegzuläugnen ? Manches, was hiervon 
erzählt wird , mag auf Irrthum und Aberglauben beruhen. 
Aber die Möglichkeit zu beftreiten, und Alles was 
unfer äußerer und vorzüglich unfer innerer Ginn an 
unerklärbaren Phänomenen darbiethet, eben deßwe— 
gen zu ver wer fen, weil ihre Möglichkeit unerflärbar 
it, das ift- eine höchſt ftrafbare Vermeſſenheit der Ver— 
nunft, die gar nicht geeignet ift Unbegreifliches zu 
begreifen. “ | | 

‚Hier fchliefen unfre Erörterungen über die geheimnif- 
volle göttliche Anftalt der Euchariftie. Einft werden mir 
im Licht erkennen, was wir hiernieden nur dunkel fahen ! 
Des Welterlöfers eigenfte Worte feyen und 
bleiben unfer Leitſtern! AU diefe fcheinbaren Wi- 
derfprüche, welche ung hier; verwirren, werden in dem 
Augenblicke fchwinden , wo wir die Gegenftände in himm— 
licher Klarheit fchauen. Erwarten wir. fehnfuchtsvoll 
diefen hehren Augenblid! Bald wird er kommen, — 
bald für ung Alle; denn auch der Längfte Lebensraum 
ift immer nur ein kur zer Traum! — | 





Wir find bereits zum Ziele unſrer Arbeit vorgerückt, und 
verweilen jetzt noch in Kürze bey einer gedrängten 


_— win 


Weberfid: 


der zurückgelegten Bahn, indem wir und die, Frage gewiſ— 
jenhaft beantworten :, Welches find nun eigentlich die 
Verdienſte der von vielen unſrer proteſtantiſchen Glau⸗ 
bensbrüder ſo hoch —— Kirchentrennung des 
ſechszehnten Jahrhundert? 

Wie der Baum, ſo die u ht; 
Erndte. ae Zu 

Das Werk: ſelbſt entſprach aan, den Eigenfchaften 
feiner Urheber, worüber wir at 3 den zuberläßig- 
ſten — obfchon bisher uns guöftent eils vorenthaltenen — 
Quellen gründliche Belehrung ſchöpften. 

Um ſich von der. ganzen Per ſonlichkeit dieſer Männer 
einen richtigen Begriff zu b en, „darf man nur ihre 
f elbfeigen en, ‚Schilderungen ind Zeugniſſe — wodurch 
ſie wechſelſeitig ihre Namen der nſierbůchteit überliefer— 
ten — zum Grund legen. Die heit, mit welcher fie 
ihe Thun und Treiben der Welt. enthülften , giebt fie uns 
als feindfelige unwürdige Diener „den, Kirche zu erkennen, 
fen es num daß fie in jenen Schilderungen ſich volle 
Gerechtigkeit widerfahren liefen ‚. dder. fich _gegenfeitig 
verläumdeten. Mag ins auch immerhin ihr Charakter 
bisher in noch ſo gün igem Licht dargeſtellt worden ſeyn, 
mögen wir ſie auch. isher fit We fen höherer Art, 
für fromme eeleuchtete. Glaubenshelden und tugend- 








* wie die Saat ſo die 
















haft Borbilde: er gehalten und uns mit Stolz ihre 
Säle: genannt haben; — zerfloffen ift nun diefer 
rahlengl —9* — die Tauſchung iſt verſchwunden, unſre 
oh ing gehoben ; fie felbft haben durch ihre eigenen 
unumwundenen Geſtändniſſe — welchen wir folglich unſern 
Glauben nicht verſagen können — uns über den bisheri— 


gen Seetpum die Augen geöffnet! 

In jenen Urhebern der Glaubenstrennung fahen wir 
theils Mönche und Priefter von untergeprdnetem Rang, 
theils einfache Gläubige und Laien —— demnach auf 


— — 


die unbefugtefte Reife das Richteramt und die höchfte 
Gewalt in den wichtiaften Glaubens-Angelegen— 
heiten ſich anmaßten, und in den Zuſtand eüenen Auf: 
ruhrs gegen eine Authoritat zu treten wagten, deren 
Geſetzmäßigkeit ſchon ſeit den erſten Zeiten des Chriſten⸗ 
thums ununterbrochen bey jeder eingeriſſenen 
war anerkannt worden. r 

Auch fuchten. wir vergeblich bey jenen Männern, — 7 — 
die vom Erlöſer als göttlich vollkommen geoffen— 
barte Religion — dieß Be Heiligthum dev Menſchheit — 
von Mißbrauchen zu ‚zu veinigen fich. berufen, wähnten 1 die 
zu einer folchen. Unternehmung durchaus, unerläßlichen 
Eigenfchaften: ruhige, klare, feſte Befonnenheit, 
Sanftmuth, Reinheit der Eitten , Demuth und Befchei- 
denheit, geiviffenhafte | : Renfchenliebe , Duldſamkeit, apo⸗ 
ſouſche Erleuchtung, feyerlichen Ernſt, gediegene Kennt- 
niß des chriſtlichen Alterthums; ſtatt deſſen fanden wir 
nur: Wankelmuth und widerſpredende, ſtets 
wechſelnde Meinungen, heftigeleidenfchaftliche 
Gemüthsart, "unbegränzten. Ehrgeiz , „anftößiges 
unfittliches Betragen den feindfeligften Verfol— 
gungsgeiſt, Serlbftfu t, Rabuliftevey, tie 
roheften Ausbrüche von Uneinigfeit, Hader und 
Schmähfuht, Oberflähliggfeit und —— 
keit in biſſenſchafichen Kenntnif et. En k 

Wohl mag dieſe Siiilperung ‚jener & oryphä 










Glaubensbrüder hart küngen, “aber fie — der 
zugegründet. Nicht nur haben wir durch u u wei 
Zeugniſſe ihrer Zeitgenoſſen die prunkvollen Hull Digu 1 
neuerer Schriftfteller neutralifirt und ausgeglichen, fon- 
dern fogar duch ihre ungefchminften Gelb geftändniffe 
und die Stimmen ihrer eigenen Anhänger und Nachfolger 
diefe Lobhudeleyen gänzlich widerlegt und entkräftet. Wen 
aber gelüften ſollte, ihre heftige rohe Gemüthsart und | 
ungezähmte Läſterungsſucht auf Rechnung ihres 3eital: 


— Mb — 


ters ſtatt ihrer Perſönlichkeit zu fchreiben,, den würden 
wir ducch Hinweiſung auf: den gelaſſenen Melanchten,. den 
fanftmüthigen friedlichen Erasmus, den verſöhnlichen 
Pirkheimer u. a. m. Lügen ſtrafen. Uebrigens ſtehen wir 
auch, bereit, jeder Zweifelſucht mit, verftärkten Beweis⸗ 
gründen. und rückſichtsloſer Wahrheitsliebe entgegenzutre⸗ 
ten, oder ernſterm Angriffe nach Gebühr: u a 
nen Waffen die Stirne zu biethen. 

Und welche Früchte feimten dann —— — Saat 

Anfänglich beftritten die Schismatiker nu Mißbräuche 
und vermeinte Neuerungen in der Kirche, indem fie 
die Hexftellung der urfprünglichen Glaubensreinheit, 
mie folche in den erften Jahrhunderten, — dem von ihnen 
feldft ſo geheiſſenen „goldenen Zeitalter, — des Ehri- 
ſtenthums geherrfcht hatte, vorſchützten. Zugleich ver- 
warfen fie alle Authorität der Kirche, ja fie legten ihr 
vielmehr alle verderblichen Mißbräuche oder Zuſätze zur Laſt. 

Als einzige Ölaubenswegel. galt ihnen die hei— 
lige Schrift, indem fiewähnten, daß auch die urfprüng- 
liche Kirche fi) ausfchlieglic an fie gehalten "habe, 
und daß alle nicht in der Schrift "enthaltenen  Glaubens- 
lehren lediglich in fpätern Zeiten feyen eingefchaltet worden. 
Während fie aber. die heilige Schrift als allgemein 
verftändliche Regel, als suntrüglihen Wegmweifer 
erklärten , Eonnten ſie doch unter fich feldft je länger 
je weniger einig werden ‚und verwickelten fich nur Auer 
mehr in Zabyrinthe und Widerfprüche., - 

Der Tradition ſchienen fie wohl bisweilen Recht 
angedeihen zu laſſen, bald aber machten fie ihr daffelbe 
wieder ftreitig ; und doch huldigte ſchon das ganze chriftliche 
Alterthbum dem überlieferten wieden gefhriebenen 
Wahrheiten als einer geonppelten ainter lage der, Of 
fendbarung. 

Die Auslegung der —— — ‚nahmen 
fie als Vorrecht ihrer: trügerifchen Bernunft: in An— 
fpruch ; als hätte nicht das ganze chrigtiche Alterthum 


diefem Prinzip aller Streitfucht und Verwirrung - den 
Ausfpruch der allgemeinen Kivche entgegengeſtellt, wel⸗ 
chem jede eigenmächtige® Privatın einung fich unter 
werfen mußte, und immerbunterworfen hatte. 

Sie zerfidrten alle Bande der Einheit, ja die Tren⸗ 
nung erſchien ihnen ſogar als Pflicht; und doch lehrte 
uns Chriſtus ſelbſt und ſeine Apoſtel, ſowie das einſtimmige 
Zeugniß der älteſten Kirchenväter, daß Einheit das erſte 
aller evangelifchen Geſetze, dev Hauptzweck aller göttlichen 
Offenbarung, —S paltung hingegen das unverzeihlichſte 
aller Verbrechen fy. 

Statt ung in den Schooß der urfprünglichen Kirche — 
ihrer lockenden prahlerifchen Berheiffung gemäß — zu: 
rückzuführen, die Glaubensreinheit jenes goldenen apofto- 
liſchen Zalalters herzuſtellen, und fo ihr neues Ge— 
bäude auf der Grundfefte des alten zu errichten, haben fie 
vielmehr manche der mwefentlichften Lehrſätze abge- 
fhafft, welche ſchon in der. grauen Vorzeit des Urchri- 
ſtenthums mit Ehrfurcht und gläubigem Vertrauen waren 
feſtgehalten worden. | 

Das Kreuz des Erlöfers verbannten fie von den 
Altären und dem häuslichen Herde, und unterfagten den 
Ehriften jede Bezeichnung mit demfelben; als hätte nicht 
das chriſtliche Alterthum dieß ehrmwürdige Siegeszeichen 
bey jeder Handlung des öffentlichen und häuslichen Got: 
tesdienftes in freudige vertrauensvolle Anwendung ge- 
bracht, — ald wäre nicht dieß Kreuz überall als Inbegriff 
des ganzen Glaubensbefenntniffes, als fchönfte Zierde und 
höchſter Ruhm, als wirtfamnſes Schutzmittel in At: 
fechtungen , Drangfalen ,' ‚ja ſelbſt im Martertod verehrt 
und heilig gehalten worden, als hätte nicht dieß Kreuz, 
durch welches. die Welt erlöfet ward und durch welches 
fie auch wird gerichtet werden, fchon auf der Krone des. 
erften chriftlichen  Kaifers, ' und am Kriegspanier (dem 
Zabarum ) der römilchen Heerfcharen geprangt. - 

Sie fpotteten der Bilder verehrung als eine 


= 


Greueld der Abgötterey, als seines Weberbleibfels des 
Heidentbums ; und doch ift ung nun die hiftorifche Ge— 
wißheit zu Theil geworden, daß fehon die Urchriſten fie 
als Erinnerungsmittel am die unfterblichen Berdienfte der 
Apoftel und Blutzeugen in hohen Ehren hielten, daß diefe 
Verehrung immer’ nur den durch. das Bild vorgeftellten 
Perſonen galt und die Nachahmung ihrer Tugenden be— 
zweckte, daß weder Chriften noch Heiden je fo ganz un- 
wiffend "waren, um dem Bild felbft irgend welche, eigen- 
thümliche Kraft zuzuſchreiben, daß. diefe vernunftmäßige 
Sitte ſchon im apoftolifchen ‚Zeitalter , ja ſogar im 
grauften Altertum gegründet war, — wie auch. jekt 
noch immer das Andenken geliebter verdienftvoller Ge— 
ſtorbener durch ihre: ungen: auf. vie; Bautoaken 
Nachkommen fortgepflanzt wird. 

Auch die Fromme Ehrerbiethung: gegen die Religkiieh 
ward von ihnen als plumper ‚Aberglaube, als finnlofe 
Abgötterey geläftert; fie vergaßen alſo, oder wußten nicht 
daß ſchon die Gläubigen des Urchriſtenthums den tedifchen 
Veberreften der Blutzeugen des Evangeliums Altäre errich- 
teten, und mit tiefer Ehrfurcht ihr Andenfen feyerten, 
ohne je. ihren Gebeinen felbft oder ihrer Afche — diefen 
fiherften Beweiſen ihrer bloß menfiylichen Gebrechlichkeit: — 
irgent eine Wunderkraft beyzumeffen. 

Die trauliche Anrufung der Heiligen verhöhn- 
temfie als heidnifchen. Gößendienft; und doch haben; wir 
gefehen , daß der verftändige Fatholifche Chrift, — von 
der ihm -angedichteten Borftellungsart weit entfernt, — 
die Erhörung feiner Anliegen nur Gott, dem Herrn 
des Geifterreichs im Himmel: und auf Erde, gläubig an— 
heimftellt, — daß die Heiligen ſchon von den gröſten 
Männern jenes goldenen Zeitalters um ihre hülfreiche 
Fürbitte angerufen" wurden, — daß fromme Fürbitten 
den Öläubigen hiernieden von den Apoſteln ſelbſt 
als eine Gott : wohlgefällige Handlung aufs dringendfte 
waren empfohlen worden, — und daß den Seligen im 


— 438 — 


Himmel die Theilnahme an den Schieffalen der "treuen 
Streiter auf Erde von den heiligen ee felbft zuge⸗ 
ſprocen wird... 

Das Gebeth für die: rn ward von 
ibneh als nuklos, und die Lehre vom Reinigungsort 
als Hirngefpinftt — als eine grobfinnliche Exrdichtung ver— 
worfen; und doch haben wir durd) gefchichtliche Beweiſe 
volle Gewißheit erlangt ‚daß die Liturgien aller chriftli- 
chen Kicchen des Alterthums die eifrigften Gebethe für die 
Adgefchiedenen enthielten, deren Urfprung bis zum apofto- 
liſchen Unterricht hinaufreicht, — daß fehon "die älteften 
Kitchenlehrer eines  Mittelzuftandes zwifchen Zeit und 
Emigfeit erwähnen, wo die abgefchiedenen Seelen von 
ihren Unvollkommenheiten noch gereinigt werden können, 
einer Anftalt , welche Gottes Heiligkeit und Gerech— 
tigkeit eben fo fehr wie feiner Güte und Erbarmung 
als angemeſſen erſcheint; wir haben uns "überzeugt, daß 
aus jener menfchenfrenndlichen Lehre von Gemeinfchaft 
der Heiligen ſich auf einen wohlthätigen Einfluß der 
Glieder Eines Leibs — deffen Haupt Chriftus ift — mit 
Zuverſicht fchließen laffe, und daß fomit die Reformatoren, 
durch Abſchaffung des Gebeths Für die Verftgrbenen F 
der Anrufung der Heiligen, beyde Welten trennten, 
welchen "doch Ein Gott waltet, wodurch dann das * 
fromme Einverſtändniß zwiſchen der triumphirenden Kir— 
he im Himmel und der ſtreitenden Kirche anf Eon? 
fieblos-aufgehoben" ward. 4 
Aufs heftigſte löfterten fie den Ablaß, indem fie von 
den Mißbräuchen auf die Sache felbft fchloffen , und feinen 
Urſprung bloß niedriger Gemwinnfucht zufchrieben ‚ wäbrend 
wir doch diefe Lehre in der heiligen Schrift felbft und in 
dem Unterricht der älteſten Kirchenväter feft gegründet, 
auch fchon in den erſten Sahrhunderten des Menthuns 
ununterbrochen in Anwendung gebracht fanden. 

-Die Bußwerke verwarfen fie, als entbehrlich gewor— 
den durch des Welterlöſers allumfaſſende Genugthuung; 


— 49 — 


und doch belehrt uns die Geſchichte, daß die reumüthigen 
Sünder ſchon in den älteſten Zeiten des Chriſtenthums zu 
den ſtrengſten Bußübungen, und dadurch zur Genugthuung 
für ihre begangenen Fehltritte verpflichtet wurden. 
Die Beicht ward von ihnen als, fchale Erfindung der 
päpftlichen Hierarchie, ald Popanz zur Beängftigung der 
Gewiffen , abgefchaftt ; und doch wiffen wir, daß. fchon die 
älteften Kirchenlehrer auf der genaueften Sündenbeicht 
an den Prieiter als nothmwendigem Erforderniß beftun- 
den, um von Gott Vergebung zu erlangen, — und doch 
fanden wir die Beichtanftalt in der Ver nunft — dem 
Wort Gottes — und in den Gebräuchen der erften 
hriflihenSahrhunderte tief gegründet; wir über- 
jeugten uns von ihren manigfaltigen fegenreichen Wir— 
tungen, und ſahen, wie ſehr ihre übereilte Abfchaffung 
fhon bald nach. der Kivchentrennung auch vom vielen ge- 
mäßigten Reformatoren, beklagt und beveut wurde, ja daß 
felbft Sreygeifter „der . neuern Zeit, — wie Voltaire und 
Rouſſeau, — ihr Fräftigft. das ort fprachen. ou" 

Sn Betreff der Vbendmahllehre fpalteten ſich die 
Häreſiarchen ſelbſt wieder in abweichende Meinungen, ſo 
zwar daß Luther die we ſentliche Gegenwart beybe— 
hielt, Calvin und Zwingli hingegen auf der figürlichen 
Bedeutung beharrten, folglich die Subſtanzverwandlung, 
Altar, Opfer und Anbethung gänzlich verwarfen; und 
doch, wird durch die gewiſſenhafteſte Prüfung aller kirchli— 
chen Urkunden des chriſtlichen Alterthums ganz außer 
Zweifel geſetzt, daß die wahrhafte weſentliche Ge— 
genwart Chriſti im Altarsſakrament mittelſt 
Verwandlung der Subftanz theils beym Unterricht 
der, Täuflinge im Urchriſtenthum, theils in allen Liturgien 
des Morgen- und Abendlandes ganz klar und unzwey— 
deutig war ausgeſprochen und gelehrt worden, — und daß 
auch jener, Verſchwiegenheits⸗ oder Geheimhaltungs-Dis⸗ 
ziplin, welche in den erſten vier Jahrhunderten ſtreng 


—- ae 


beobachtet ward, durchaus nur das Myſterium der wirk- 
lichen Gegenwart zum ‚Grunde, liegen konnte. 

Es bedurfte daher wahrlich des höchſten Grades von 
Starrſinn oder Verblendung, um die Behauptung zu 
wagen, daß jenes Geheimniß, welches von dem. chriſtlichen 
Alterthum mit dem dichteſten Schleyer bedeckt ward, — 
deſſen bloße Ankündigung ſchon die Jünger des Erlbſers 
fo tief erſchütterte, ein Geheimniß vor welchen fchon die 
Zweifler der erften S ahrhunderte des Chriſtenthums zu- 
rückbebten, — welches die. Heiden in dunkler Ahndung 
feiner eigentlichen Beſchaffenheit als eine grauſame Mord- 
mahlzeit fich vorſtellten, — und welches die Wechriften mit 
Gefahr und Aufopferung, ihres Lebens heilig in fich ver- 
fchloffen, — jene feyerliche geheimnißvolle Handlung, 
deren unwürdige Begehung von dem großen Weltapoftel 
mit ſchrecklichen Strafen: bedroht , ia deren: frevelhafte 
Ausübung mit zeitlichen Unfällen. und dem Tode beftraft 
ward, (1. Cor." XL ,.30.) daß — fagen wir — diefer 
echabene Gegenftand der ftrengftien Geheim- 
haltung, der tiefften Ehrfurcht, des Erftau- 
tens und Schredens, der Anbethung und höch— 
fen Bemwunder ung, nichts mehr und nichts 
weniger als ein figürlicher und finnbildlicher 
Genuß gemeinen Brots und Weins zur Erin- 
nerung an dentabwefenden Erlöferfey. 

Wer übrigens mit der Geſchichte der frühern Häreſien 
auch nur einigermaffen bekannt it, kann in den Ausgebur- 
ten des Lutheranismus , de Calvinismus und Zwinglia⸗ 
nismus nur eine Parodie, jener alten Irrlehren der Dofe- 
ten, Maveioniten, Novatianer, Valentinianer und anderer 
Seften erblicken, deren Syſteme auch Sahrhunderte hindurch 
von dev fpefulativen Menfchenvernunft mit einer Hart— 
näckigkeit, welche felbft von der Dordrechter Synode nicht 
übertroffen ward, vertheidigt "und. ‚angegriffen wurden. 
Oder wer ift in der Gefchichte des. Urchriſtenthums be- 
wandert, umd muß. nicht fehon in dem Unholden Simon 












Magus — jenem berüchtigten Haupt der Gnofifer — 
auch den großen Stammvater der alviniften, und in 
den‘ Skeptikern von Capharnaum — wo zuerſt der Pro— 
teſtantismus ſeine Kräfte gegen die lebendigen Worte des 
Weltheilandes verſucht hatte — die würdigen —— 
unſrer Hausſchein, Buzer und Zwingli erkennen? — 

Die Reformation hat folglich nicht nur die —— 
des urchriſtlichen Glaubens keineswegs hergeſtellt, ſon⸗ 
dern vielmehr ſich von demſelben weiter entfernt, umd 
im allen von ihr angetafteten Punkten ſich — ‚üleich den 
Härefien früherer Zeitalter — mit dem chriſtlichen Alter⸗ 
thum in ſchroffen Widerſpruch geſetzt. 

Dieſe Wahrheit haben einige der gelehrteſten Männer 
der Reformation ſelbſt gefühlt, und Middleton (der be- 
rühmte Bibliothekar in: Cambridge, und Doktor der Theo: 
logie) fand alle von der Reformation derworfenen 
Aetikel fo Elar  fhon in dem goldenen Zeitalter des 
Chriftenthums vorhanden, daß ihm — zu Behauptung 
feines Syftems — fein: anderes; Auskunftsmittel übrig 
blieb , als geradezu alle Urkunden der Väter zu zernichten, 
und ihre authentifchen — ſchlectwet unberückſichtiget 
zu laſſen. | 

Aber wie füllen wir dann das Verfahren jener Schis⸗ 
matiker uns erklären? worin haben wir die Duelle 
ihrer Mißgriffe und Irrthümer zu ſuchen? — 

Außer den perſönlichen Motiven der Selbfifucht 
und des Ehrgeizes — worüber ihre eigenen Schilderungen 
ung jeden Zweifel benehmen — doch wohl hauptfächlich 
auch in dem Zuftand von Unwiffenheit, worin: man 
damals noch. allgemein in Hinficht auf dag kirchliche A 
terthum befangen war. Da ſich die Erfindung der Bud) 
drucherkfunft erft von der Mitte: des. XV. Sahrhunderts 
herfchreibt, fo war begreiflichee Weife beym Beginn der 
Religionsfpaltung der: größere "Theil der Liturgien und 
Werfe der Kirchenväter noch nicht zu Tage gefördert. 
Vereinzelte Bücherſammlungen enthielten nur hin und 


— 


wieder unvollftändige und unleferliche Handfchriften. "Die 
fo lehrreichen und werthvollen morgenländiſchen Liturgien 
wurden erſt im XVII. SIahrhundert bekannt, Daher es 
den Reformatoren unmöglich war, ſich gründliche Kennt- 
niſſe über das chriſtliche Alterthum zu verſchaffen. Wohl 
haben ſie mit verdienſtlichem Eifer das damals ſehr ver- 
nachläßigte Studium der griechiſchen und hebräiſchen 
Sprache betrieben, und viele Ueberſetzungen des N. und 
A Teſtaments zum Druck befördert, (über deren gegen- 
feitige Beurtheilung wir freylich nichts erbauliches zu 
melden im Fall gewefen find) “allein es iſt auch eben fo 
gefchichtlich erwieſen, daß Calvin, Luther, — ‚welche 
beyde ſich vorher ders, Rechtskunde gewiedmet hatten, — 
und Zwingli ſchon in ihrem dreißigſten Altersjahr die 
erſten Streitſchriften herausgaben, und wegen jenes 
Phantoms von Urproteſtantismus ſich herumbalgten, bevor 
ſie noch mit der Theologie ſelbt ſich grgoduqh vertraut 
gemacht hatten. 

Im Verfolg wurdert dann —* —J nach die Schrif⸗ 
ten der Väter und Übrigen: lir chengeſchichtlichen Urkunden 
durch den Druck bekannt. Der rühmlichſte Wetteifer 
beſeelte die Lehrer der verſchiedenen Confeſſionen in Be— 
nutzung derſelben. Gehaltvolle Werke über Alterthum 
und, Kirchengeſchichte wurden zu Tage: gefördert... Gelehrte 
Männer fchrieben , tbeils um den apofolifchen Ur- 
fprung der angefochtenen Glaubensſätze gu wechtferti- 
gen, theild “hinwieder sum ihn zu beſtreiten; wobey 
jedoch die unbeftechbare  Gefchichte: laut bezeugt, daß von 
letzterer Klaſſe der Schriftſteller ſehr viele. — und zwar 
vorzüglich unter “denstieffinnigen  Englifchen Theologen . 
die Uebereinftimmung der beftrittenen Dogmen mit 
jenem der ‚urfprünglichen: — angeht ſich nicht 
enthalten konnten. 

Unter jenen Gelehrten ‚zeichneten fi * ganz. vorzüglich 
aus der ungemein beredte und geiſtvolle Du Perron, 
Erzbifchof von Send, — der fromme und kräftige 


5 


Pascal, — Petau,“ S. Mor in, — Le Brun, — 
und Euſ. Rena udot, ‚welche, ſich um das Studium und 
die Verbreitung. der Liturgie — beſonders der. Movgen- 
Ländifchen — verdient machten ; ferner die (bon Lanjuinais 
trefflich geſchilderten) Ant. Arnauld und Pet. Nicole, 
die gemeinſchaftlichen Verfaſſer des großen und berühmten 
Werkes de la perpetuite de la foĩ de Veglise sur 
1 — die ſorgfältigſten Sammler "aller Erzeug⸗ 
niſſe der lichengeſchicheihen Polemik‘, ‚ jener — Vermitt- 
— zwiſchen Boileau und Perrault — von Ludwig XIV. 
t Recht „der große. Arnauld“ genannt, dieſer „ein. 
geiindficher, Dialektiker und ‚Moraltheolog ,. Deffen . essais 
de morale felbft Voltaire. unubertreffbar fand; und dann 
hauptſachlich noch der mit den Quellen der ‚Reformationg- 
gefchichte fo innigft vertraute, auch von ‚unfern Prote⸗ 
ſtanten mit Recht hochgeprieſene, unvergleichbare Bo ffuet, 
deffen (zum Behuf der Bekehrung des großen Vicomte 
de: Turenne verfaßte) exposition de la foi beynahe im alle 
europäifchen Sprachen überfegt ward. Unter den: Calvini- 
ften zeichneten ſich Dalläus, Aubertin, Cla ude ula 
durch ihre patriſtiſchen Forſchungen aus. Italien hatte 
ſeinen Bellarmin, den berühmten Cardinal Erzbiſchof 
von Capua, Verfaſſer des: werthvollen opus ;tontroversia- 
rum 5: das katholiſche Deutfchland feine Gebrüder A: md 
P. Walembur ch, das proteſtantiſche einen Chemnitz, 
Calixt, Fabritius. Im England glänzten die Fox: 
bes — Biſchof zu Edinburg, Pearſon — Biſchof zu 
Cheſter, Beveridge — Biſchof zu Aſaph, der geiſtvolle 
gründlich gelehrte Thorn dyke — Canonikus in Weft- 
minſter u. a. m., deren vertrauteſte Bekanntſchaft mit 
allen Zweigen der alterthümlichen Litteratur auch von 
unſern — wenn gleich noch ſo dreiſten — Neologen⸗ dens 
noc, nicht in Abrede geftellt werden: Fann. | 
Nur ſolch eifrige Forfchungen waren vermögend, über 
alle gefchichtliche Thatfachen die vollſtändigſte Gewißheit 
auszumitteln. Michts bleibt weiter zu entdecken oder 


= 


zu erforfchen mehr übrig. Um ein beftimmtes Urtheil für 
ſich ſelbſt feſtzuſtellen, bedarf es nur geringer Anſtren gu u N g, 
wohl aber deſto größerer Unbefangenheit — | 


Als die ‚Reformation eine Herſtellung der — 
chen Glaubensreinheit vorſpiegelte, war ſie ſ elbſt von 
Dun kelheit umgeben; auf der einmal betretenen Bahn 
mit kühnem Starrſinn fortſchreitend, und von der gera— 
den Richtung abgewichen, mußte ſie nothwendig immer 
eh in; Rrugfolüfe und, ‚Stvthümer ſich verwickeln. 


Ihre, heftige, Jügelloſe Slreitſucht hatte atgekings 
Schärfung des Berftandes und Belebung. der. theologife 
Studien zur Folge; allein gerade die durch dieſes it 
verbreiteten Strahlen mußten zugleich. auch) ihr eigenes 
Unrecht ‚beleuchten, hıskr 


Nun dringt fich aber; ‚die. — — nf welche 
Prlicht liegt denjenigen ob, welche der gründlichſten 
Kernntniffe im Gebieth der Gefchichte ſich zu erfreuen 
haben «d.h. jedem, der nicht ab ſicht lich Aug und 
Ohr! jeder i Belehrung verfchließt.) Darf und fol ein 
Zeitalter, welchem. alle Duellen der Kenntniffe offen 
zu Gebothe ſtehen, blindlings dem Gängelband desienigen 
folgen‘, welchem fie noch verborgen geblieben: waren ? 
dürfen und. follen wir denjenigen mit unbedingtem Ver— 
trauen sung: hingeben , «welche einzig. die heilige 
Schrift — nah ihrem Privatfinn: ausgelegt — als 
Slaubensregel ‚anerkennen , da doch  ebendiefelbe Schrift 
ung ganz ausdrücdlich auch den Glauben an das ungefchrie- 
bene überlieferte Gotteswort zur Pflicht macht? — 
denjenigen , welche die: alterthümlidhe Lehre im Be— 
zug auf Ablaß, Beicht, Faften, Kreuzzeichen, Heiligen- 
verehrung u. ſ. w. ald Hirngeſpinſte verwerfen, da 
doch all diefe Punkte von dem apoftolifchen Unterricht 
herſtammen, amd mit den urſprünglichen Uebungen 


- da = 


der Mutter kirche, wie mit. dem göttlichen Wort, 
übereinftimmen ? — denjenigen endlich, welches zum: Ab- 
fall won der Sransfubftantiationslehre nur durch falfche 
willführlihe Wortauslegung, ſowie durch Un- 
fenntniß der Liturgien, der apoftolifchen Einrich- 
tungen und der Ultertpumsgefhichte waren ver⸗ 
leitet worden ?:— ? 


| Ueberlaffen‘ wir ung doc) Hecke Dei fo natürlichen, 
vernunftmäßigen, zuverſi chtlichen Vorausſetzung, daß jene 
Verblendeten, wenn fie alle Urkunden und Hülfsmittel 
dor Augen gehabt hätten, welche uns zu Theil geworden 
find, — und wozu ihre Verirrungen felbft auch den Anz. 
Yaß gaben, — ein ganz anderes Lehrſyſtem würden auf- 
geftellt haben, infofern wirklich ihren Haudlungen vedliche 
Abfiht, — nicht aber Selbſtſucht und Leidenſchaft — 
zum Grunde lag. 


Nach den ſelbſteigenen Begriffen der Reformatoren 
ſteht jeder Kirche das Recht, oder vielmehr die Pflicht zu, 
ſich ſelbſt zu reformiren; ja ſie ſoll ſogar — ihrem 
Prinzip nach, und Zwinglis klarem Ausſpruch gemäß — 
immerfort reformirt und vervollkommnet werden; folglich 
iſt ſie auch verpflichtet eine frühere Reform zu verwerfen, 
deren Unzuläßigkeit ſie einſehen gelernt hat. (Was hundert 
Jahre Unrecht war — ſagen unſere Parömien — wird 
niemals, auch nicht eine Stunde, Recht.) Dieſe Gewalt 
übte — wie wir an ſeinem Ort zeigten — die Engliſche 
Kirche unter der Regierung Mariens durch einen kanoni⸗— 
fchen Akt aus, deſſen Rechtskraft zu zerſtören die ſpäter⸗ 
hin gemaltfam —5 BAHR auf feine Reife 
befugt waren. . 

„Möchten doch. die Reſoemnien in dieſem an 
dert. dev Erfahrung, des Lichts und. der gelehrten 
Kenntnifſe ſich dahin einverſtehen, die Artikel, welche 
man in einem weit weniger. ‚aufgeflärten Beitalter 
aufftellte , ‚neuerdings: zu erörtern und zu ſichten, fü 


— — 


getraue ich mir Oyu behaupten, daß ſie — in Folge der 
Fortſchritte, welche wir in allen Zweigen der Wiſſen— 
fchaften vorzüglich) in der Theologie, gemacht haben — 
über all dieſe Gegenſtände heutzutage ganz anders 
denken würden, als eh e mals ihre blinden und | unmiffen- 
den Borfahren dachten; befonders wenn fie Vorur— 
theilen entfagen wollten, an denen weit mehr 
die Gewohnheit und Erziehung „als. die eigene 
Heberzeugung Antheilhat.“. Dieß war die Sprache, 
nicht etwa. eines Idioten: und Finſterlings, ſondern eines 
ausgezeichneten „Theologen. der veformirten 
Englifchen: Kirche zu. Anfang des verfloſſenen Jahrhun⸗ 
derts. (Dodwell über. die letzte Spaltung in England, 
London 1704.) > 

Und follte wohl jetzt weniger als da mals die Rüd- 
fehr zur Einheit, deren Verlurſt fchon bald, nad) dem 
Ausbruch. der Kirchentvennung von einem Erasmus, 
Melanchton, — ja felbft von Calvin und Luther, —9 tief 
beflagt wurde, als wünfchenswerth erfcheinen? ' 

Alle biöherigen Berfuche der proteftantifchen Confeſſio— 
nen zu einer Vereinigung unter fich dienten nur dazu, 
das dringendfte Bedürfniß der Einheit und die Ver— 
pflichtung zu Herftelung derfelben an den Zag zu 
legen. Das Ziel ward jedocy immer verfehlt, und mußte 
verfehlt werden, weil der einzig fichere Weg dazu 
nicht war eingefchlagen worden. 

Diefen Weg haben fchon in früheren Zeiten die ange- 
fehenften proteftantifchen Gottesgelehrten ſelbſt vorge⸗ 
zeichnet , — Männer, welchen gewiß niemand den Ruhm 
vehlicee Gefinnung und "hoher" wiffenf&haftli- 
her Erleuchtung ftreitig machen wird. Wir nennen 
hier vor allen andern Hugo Grotius und TShorndyfe. 
Jener erklärt mit edelmüthiger Offenheit in feiner legten 
Antwort an River die — des päpftlichen 
Primats zur Erhaltung der Einheit: „Ich bin gänzlich 
überzeugt , und fo viele andere mit mir, daß die Prote- 


Pe 


ftanten nie unter fich einig werden können, es fey dann daß 
fie zugfeich mit denjenigen fich verbinden , welche dem rö— 
mifchen Stuhl anbangen, ohne welchen Feine gemeinfchaft- 
liche Leitung in der Kirche je ſich hoffen läßt. Unter die 
Urfachen der ‚Spaltung kann man den Fanonifchen Primat 
des römifchen Bifchofs nicht rechnen, wie Melanchton 
feldft gefteht ‚ welcher fogar diefen Primat als ein wefent- 
liches Erforderniß zur: Erhaltung der Einheit ‚betrachtete. 
Dadurch würde die Kirche Feineswegs in einen: Zuftand 
von Unterjochung gefet, fondern es würde nur. die’ alte 
und ehrmwürdige Hrdnung der göttlichen Einheitsanftalt 
wieder hergeftellt werden. 

Der berühmte, in der Patriſtik ungemein bewanderte 
Thorndyke, das Orakel ſeiner gelehrten Zeitgenoſſen, ſagt: 
„Sobald man in der reformirten Kirche eingeſtehen muß, 
daß man in dev römiſchen Kirche felig werden kann, 
und von jeher felig werden fonnte, fo ergiebt fich hie- 
raus auch ganz unmwiderfprechlich,, daß fich Feine Kirche 
von der römifchen trennen konnte und könne, ohne ſich 
ſchon dadurch allein vor Gott als hismatifch dar- 
zuftelfen. “ 

Bon ganz befonderm Gewicht aber muß für unfte 
proteitantifchen Brüder das von den berühmten Helm- 
ftädter Theologen an den Braunfchweiger. Hof abge- 
gebene — (in mehrere Sprachen überſetzte) Gutachten 
feyn , worin ganz beftiimmt und unummunden erklärt wird, 
daß alle Grundlehren der Religion auch in der römif Mr 
Eatholifchen Kirche beftehen, fo daß man auch in ihr 
den rechten Glauben haben ,. chriftlich leben und felig 
fterben könne.“ Eben fo fchrieb Fabritius, Profeffor in 
Helmftidt — Schüler des berühmten Lalirt — eine Ab- 
handlung „von dem geringen Unterfchied zwiſchen der 
proteftantifchen und der römiſch Eatholifchen Religion, “ 
worin er beweist, daß die den Katholiken beygemefjenen 
Irrthümer entweder bey ihren beften Theologen fih gar 


—— 


nicht vorfinden, oder doch auf bloße Wortſtreitig— 
feiten hinauslaufen. 

Und wie deutlich, klar und beſtimmt ſich mehrere der 
ſcharfſinnigſten Anhänger und Beförderer der Reformation, 
ein Capito, Melanchton ‚ja felbft Luther, (in feinen 
Briefen gegen Zwingli und Hausfchein) dann fpäterhin 
ein Lode — Puffendorf — Molanus — Leibnitz — 
Serufalem, und andere Kichter unfrer  proteftantifchen 
Kirche hierüber ausgefprochen haben, wäre unnöthig hier 
zu wiederhohlen. 

Seit jenem Zeitpunkt, als die) Kirchentrennung mit 
folder Haft und Leidenfhaftlihen Erbitterung 
durchgefetst ward, hat ruhige Befonnenheit wieder 
geöftentheils ihr Recht behauptet... Gewiß würde heutzutag 
feiner unfver Regenten — weder in monatchifchen noch 
vepublifanifchen Staaten — zu behaupten ſich getrauen, 
daß der Stifter der. Religion ihm die Verwaltung feiner 
Kirche, die Aufbewahrung und Erhaltung feiner Lehre 
übertragen , ihm das Recht des Entfcheides über Gegen- 
ftände des Glaubens — über Härefien u. f. w. oder fonft 
irgend eine geiftlihe Macht anvertraut habe, Die 
Gränzlinien der weltlichen und geiftlihen Gewalt find fo 
beftimmt gezogen, daß ferner an keine Vermifchung zu 
denken ift. Fürften und Minifter, wie Senatoren und 
Magiftrate, wiffen gar zu wohl, daß nicht zur weltli- 
hen Obrigkeit das Machtwort - des Gottmenſchen gefpro- 
chen ward: „Gebet hin und lehret alle Völker ! ich bin 
bey euch bis ans Ende der, Zage; wer euch hört, der 
‚hört mich, wer euch verachtet, der. verachtet auch mich; 
wie mein Vater mich fandte, ebenjo fende ich auch. euch. 
Weidet meine Schafe!“ Und doch handelten ee 
Regierungen zu Anfang des XVI. Jahrhundert 
Willensmeinung des Erlöſers ſtracks zuwider. M 
fühner Verwegenheit bemächtigten fie ſich einer Gewalt, 
weiche durch des Exlöfers heiliges Geboth nur den Apo— 
ſteln und ihren Nachfolaern war zuerkannt worden. 






a Mi 


Was fi) demnach mittelft diefer gewaltſamen Rechtsver- 
letzung zutrug, iſt nichtig — wie in feinem Urfprung 
fo auch in jeder Folgezeit. Die fpringt jedem Unbe— 
fangenen in die Augen. Sol und darf dann diefe ver: 
hängnißvolle Spaltung fortbeftehen,, welche nach dem 
Ausſpruch unfrer eigenen aufgeflärteften proteftantifchen 
Glaubensgenoſſen nie hätte entſtehen follen , nad) ihren 
Veberzeugungen und Wünfchen bald aufhören folte, 
und nach ihrer Meinung leicht gehoben werden EFönnte ? 
Und welches ift dann übrigens der jebige wirkliche 
Zuftand des Proteftantismus ? trägt er nicht den Keim 
feiner frühern oder fpätern Auflöfung im eigenen Schoofe ? 
in jener verderblichen Willkühr der Wahl und Geftaltung 
jeder beliebigen Religion und Gottesverehrung? (einem 
Vorrecht, welches unſre reformirte Kicche felbit feinem 
Laien verweigern kann, nachdem fie folches fich zuerft 
zugeeignet hat) in jener Unzahl der noch immer fo üppig 
fortwuchernden Sekten? in jener fchranfenlofen, unbe- 
dingten Glaubensfreyheit, welche nicht nur jeden 
feften,, auf irgend eine Authorität gegründeten Lehrbegriff 
als unevangelifch und unproteftantifch verwirft, und einzig 
dem Grundfak der individuellen DBernunftsanficht und 
fteter Perfektibilität huldigt, fondern felbft diejenigen als 
Ehriften ehrt, welche zu gar Feiner äußern Kirche 
fich befennen; während doch ihre großen Wortführer — 
mit einer wahrhaft widerfinnigen Inkonſequenz — jeder 
freyen Bewegung. des Geiftes im Gebiethe des Staats- 
lebensund der bürgerlichen Rechtsverbhältniffe 
den ftarrften Authoritätsglauben entgegenfeken ! —! 
Eigene Geftändniffe angefebener Theologen: und 
Schriftftelee unfrer Confeffion  fprechen ganz unver— 
hohlen aus: „man habe den Fall des Proteftantismus 
mit Zuverficht zu erwarten, da derſelbe als kirchlicher 
Körper garnicht mehr exiftiere 5; — das ganze Gebäude 
der evangelifchen pofitiven Religion. fey eigentlich ſchon 
zertrümmert; — der chriftliche a unter ung werde 


— 50 — 


bald in Sfeptizismus ſich auflöfen; — Beränderlichkeit 
fey das wirkliche Element unfer8 Glaubens; — der Ul— 
traproteftantismus unſrer Zeit gleiche einem fchmwindfüch- 
tigen, ausgedorrten, halbtodten Körper; — die Kern - und 
Gehaltlofigkeit unfers Lehrſyſtems, die Sublimirung alles 
materiellen Glaubens in wefens - und lebensloſe rationelle 
Begriffe, das unruhige Vordringen des Berftandes auf 
dem Gebiethe des Glaubens, die Verkennung und Ver— 
läugnung des urkatholifchen Prinzips müffen jeden redli- 
chen Denker immer mehr zurücfchreden. “ 

Einer der vorzüglichfien neuern GSchriftftelleer und 
Kanzelvedner der veformirten Schweiz fühlt fich zu 
ähnlichen Hergensergieffungen gedrungen. „An der Stelle 
des abgefchafften Glaubens- und Gewiffenszwan- 
ges — ſo klagt dieſer vollwichtige Gewährsmann — 
herrſcht nun eine Lehr freyheit, welche jeder für fich 
behauptet, aber feiner dem andern geftatten will. Statt 
der Eonzilienbefchlüffe erhob fich die vermeinte 
Rechtgläubigkeit zum flogen Diktator, der mwillführlich 
dem Glauben Gefeke vorfchrieb. Statt Klöfterlingen 
treiben in andächtelndem Müßiggang Legionen von Conventif- 
fern ihr Unwefen. Stattpäpftlicher Subildenfeyert man 
Reformationsfefte mit hämiſchenSeitenblicken und farkaftifchen 
Seitenhieben aufdie vermeinten oder wirklichen Gebrechen der 
gegenüberftehenden Kirche. Statt des tridertinifchen 
Eatehismus giebt man der harmlofen Kinderwelt ein Lehr⸗ 
buch in die Hand, welches fie mit der fpott- und ſtreit— 
luſtigen Diſputirkunſt vertraut macht, einen — freylich 
nicht eingeführten, fondern everbten, dem Blutfeld des 
Religionshaffes entfproffenen — Gatechismus , welcher die 
findlichen Lippen vermaledeyen lehrt, was andern chriftli- 
chen Landes- Gemeinde - und oft Hausgenoffen heilig ift. 
Statt Kirhengepräng und erhebender Muſik hört 
man ein wildes, verworrenes, geiſt- und herzlofes Ge- 
freifch jüdiſcher Pfalmen in KRnüttelverfen und erbärmli— 
chen Melodien , oder ein mechanifches Abfingen  eintöniger 


— 51 — 


Kieder. Statt der in fremder Sprache herabgelefenen 
Gebethe vernimmt man fiete Wiederhohlung des Ge— 
bethformularg, welche die Aufmerkſamkeit des Hörers 
erfchlafft, die Andacht des Sprechers ertödtet, und fomit 
die Firchliche Anbethung Gottes in’ einen , Geift und Herz 
einfchläfernden,, das Vernunftwefen entehrenden Mechanis- 
mus ummwandelt. Statt der Simonie fehen wir. hier 
und da auf Kiechftuhl und Taufe, Einfegnung und Be- 
geäbniß eine Pränumeration mit klingender Münze einges 
führt, und eine auf Nepotismus gegründete Pfründbe— 
ſetzung, welche einem Schauſpielhaus nicht unähnlich iſt. 
Statt Proſelytenmacherey erheben ſich geiſtliche 
Werbdepots für Heuchler und Heiligenſchein. Die Kezer- 
rieherey ward verdrängt durch die Papiftenriecheren, 
welche felbft des wunderfchönen Gebieths der Poeſie 
und der reinen Myſtik nicht verfchont, und auf. einen 
Lavater, Schiller, Göthe den. Stein der Berdammung 
zu werfen fich nicht entblödet., Statt des planmäßigen 
Sreibens und Strebens der gegenüberftehenden Zeloten 
verlieven fich die unfrigen in dogmatifche Spikfindig- 
feiten, eitle Spekulationen und Eleinlihe Glaubens- 
fehden; es erhebt fich das Irrlicht falſcher Aufklä— 
zung, welche von Berachtung des Göttlichen und Heili- 
gen ausgeht, und Recht und Wahrheit zu zernichten 
fivrebt ; überall brüftet fich der unverftändige Glaubenseifer 
und vechthbaberifhe Parteygeiſt; überall erblicden 
wir Heuchelfchein und Dünfel, Zweifelfucht und Un- 
glauben, fo manche Berirrung des religiöfen Gefühls 
und des denkenden Geiftes, fo manchen tollfühnen Flug 
der Schwärmerey in Welten voll vafenden Unſinns, fo 
manche abgefihmackte Ausgeburt des taufendfach. fich. ge- 
ftaltenden Seftengeiftes, und fo manchen fchredlichen 
Greuel des frechen Atheismus, u. ſ. w.“ 

Doc), abgefehen von all biefen Ehißierunaet. unfrer 
eigenen Gottesgelehrten, wer kann läugnen, daß von der 
verhängnißvollen Zeit an, ua Dip £ ichliche Einheit 


— 412 — 


durch Spaltung und Parteygeift zerftört ward, eine große 
Zahl jener Zeitgenoffen und ihrer Nachkömmlinge, der 
bedenklichiten Verwirrung und Unfchlüffigkfeit über die 
Wahl ihres Glaubensbefenntniffes preisgegeben, den fin- 
ftern Mächten des Sndifferentismug und des vollen: 
deten Unglaubens, — des uferlofen Meeres tücifchen 
Wogen — zur Beute vd? — ! 

Welch ein Damm ließe fich folch fteigendem — fchon 
von den erften Reformatoren vorausgefehenen und beflag: 
ten — Uebel entgegenfeken ? Kann dem weitern Verfall 
anders vorgebeugt werden, als durch Anfchließung an 
jenen einzig vorhandenen Mittelpunft, welcher von 
dem Erlöfer felbft in der heilfamen Abficht gegründet 
ward, um für alle Zeitfolge, und von einem Weltende 
zum andern Harmonie und Einheit zu erhalten ? 

Wer kann den wahren Sachverhalt jener Kir- 
chentrennung unbefangen überblicken, ohne einzugeftehen, 
daß durch fie feine wohlthätige Wirkungen , fondern bloß 
eingebildete Bortheile neben wirklichen Nachtheilen, 
und hingegen wefentliche Aenderungen in der ge— 
offenbarten Ölaubenslehre hervorgebracht, in politifcher 
Hinficht aber die Völker in gränzenlofe Verwirrung 
geftürzt wurden? Wer noch zweifeln möchte, daß jene 
lange biutige Reihe von Greueln wirklich der: Reformation 
zur Laſt falle, der betrachte jene Nationen, welche ihr 
den Eingang verwehrten; hier herrfchte Friede und Ruhe, 
dort ward alles mit Schwerdt und Feuer verheert. Und 
da überall die Reformation fi) des Angriffs. fchuldig 
machte, muß ihr nicht von der Gerechtigkeit felbft, — nebft 
dem durch ihre Anhänger verübten Unheil — auch 
jenes noch zugerechnet werden, welches ihre von ihr 
herausgeforderten Gegner begiengen, und ohne Ddiefe 
ihre Herausforderung nie würden begangen haben ? — ! 

Mit den bloß zeitlihen KRüdfichten vereinigen ſich 
noch die veligiöfen Beweggründe, um in allen Unbe- 
fangenen jene Vorliebe für das Reformationswerk zu 


— 43 — 


tilgen, von welcher fie bisher — wohl meift nur inftinkt- 
mäßig, aus Borurtheilen der Erziehung und Ge: 
wohnheit, aus Unfenntniß des wahren Sachver— 
halts — eingenommen waren. 

Liefer Schauer ergreift den redlihen Wahrheits- 
forfcher, wenn er die Zerfiörung fo vieler ehrmürdiger 
Anftalten der apoftolifchen Borzeit betrachtet, und 
in ihren Trümmern nichts erblickt als dag — nad) dem 
Eingeftändniß aller Religionsparteyen — mit der Heili- 
gung unverträglihe Schisma, dann die Euchariftie 
' zu einem frevelhaften Spiel der Einbildungsfraft 
herabgewürdigt, und den Gottmenfch aus feinem Sakra— 
ment verdrängt, alle andern urchriſtlichen Reli- 
gionsübungen aber theils verftümmelt theild weg- 
gefhafft! Sol er, — da feine andere Wahl bleibt —, 
der Spaltung, oder fol er dem Heile entfagen ? 

Möchte man doch endlich aufhören, eine Vereini— 
gung ald gleichgültig zu betrachten, nach welcher 
längſt fehon gewiß fo viele der beften Köpfe und Herzen 
fich fehnten! Möchte man auch zu der Ueberzeugung ge- 
langen, daß politifche Einheit nur in Verbindung mit 
der religidfen jedem Staat ein unübermwindliches Boll— 
werk gewährt! — — Sie wird fhlagen — diefe von des 
Ehriftenthums göttlichem Stifter verheiffene, und daher 
unausbleiblihe VBereinigungsfiunde, wann wir über 
das Labyrinth irdifher Genüffe ung mit ernften Be— 
trachtungen in das Gebieth der Zukunft erheben , das 
Dauerhafte dem Bergänglichen, — endlofes Glück der 
flüchtigen Freude eines Eurzen Dafeyns, — das Heil der 
unfterblihen Seele dem Taumel finnlicher Behaglichkeit 
vorziehen werden; fie wird fchlagen dieſe hehre Stunde, 
warn allgemein des’ Erlöfers Worte beherziget werden : 
»was nützte dem Menfchen der Gewinn der ganzen 
Welt, wenn er fie mit dem Berlurft feiner Seele 
erfanfen müßte!“ 

Zwar Tann allgemeine Vereinigung wohl nur all- 


— 454 — 


mählig zur Reife gedeihen; langſam ift der Gang und die 
Entwicklung bey ganzen VBölferfchaften, weil ihr Da— 
feyn Länger dauert; Sahrhunderte find für fe, :w was Jahre 
für den Einzelnen find. Diefen Einzelnen aber ift meift 
nur ein kurzes Fummerfchweres Dafeyn unterm Monde be— 
fihert. Darum, wen die Wahrheit in all ihrer 
Stärke Kopf und Sinn durchglüht, der verfchließe auch 
fein Herz ihrer Stimme nicht ! Ohne Selbftverläug- 
nung erringen wir fein emwiges Heil, welches doch 
wahrlich aller der Opfer werth ift, die es von ung fordert. 
Zwar bangen Völker wie Einzelne behaglich an allen den 
Begriffen, die fie von Jugend auf fich aneigneten.' 
So verhält fich8 auch mit den Vorurtheilen,, welche man 
bisher ihnen gegen die Fatholifchen Chriften einzuflößen fo 
emſig bemüht war. Solche Begriffe zu berichtigen ‚ folche 
Vorurtheile zu beleuchten und auszurotten, mag wohl 
eine ſchwierige Aufgabe feyn. Darf und foll aber fort- 
hin Zwieſpalt und Verderben der Menfchheit finfteres 
2003 feyn ? darf und fol Verwirrung und Seftenwefen 
nur immer mehr überhandnehmen ? Hat nicht der Welter— 
löfer zu unbedingt feinen Machtbefehl ausgefprochen, 
als daß man ohne offene Empi rung fü fi) der Folge- 
leiftung entziehen könnte?! 

Man hüthe fich ‚doch, den proteftantifchen Völkern 
fernerhin die Wahrheit vorzuenthalten, man entftelle 
nicht ferner den Glauben der Mutterficche duch grund- 
loſe boshafte Einflüfterungen,, fo werden feine wohlthä- 
tigen Lehren in den Gemüthern Eingang finden, "und die 
Borurtheile werden weichen. Wie viele duch Wiffen- 
fchaften gebildete, — zum Sheil auch durch Gelehrfan- 
feit ausgezeichnete Proteftanten der Altern und neuern 
Zeit. haben fchon, fobald fie nur einmal Gelegenheit 
fanden, fih mit dem wahren Sachverhalt bekannt zu 
machen, ihre frühern Anfichten geändert, und dem — 
vorher mißfannten Glauben der Urpäter wieder 
gehuldigt ! Hierzu mögen und follen in unfrer Zeit 


nn — 


gerade jene tollen Ausfhmeifungen der Neologen, 
Illuminaten, Naturaliften, Rationaliften, Indifferentiften, 
Latitudinarier, Fataliften, — und wie das Heer der, aller 
göttlichen Dffenbarung Hohn fprechenden, Freygeiſter weiter 
heiſſen mag — hauptſächlich beytragen. Gerade aus dem 
Uebermaß des Uebels wird und muß auch das Heil— 
mittel. hervorgehen ! Rechtliche Menfchen werden — 
durch folche Tollkühnheiten aufgeſchreckt, und zum Mad 
denken gebracht — Troſt und Beruhigung da ſuchen, wo 
fie allein zu finden find, — nicht im Studium einer 
bloß menfchlichen  unzufammenhängenden Wiffenfchaft, 
welche — uneinig mit fich, felbft und endlofer Polemif 
preisgegeben — nur in ſtetem Weſchſel ‚des Perfeftibi- 
lismus ihr Gedeihen ſucht, und jede feſte Grundlage 
verſchmäht, — ſondern im gläubigen Feſthalten an jener 
abgeſchloſſenen altertbümlichen Lehre, deren heilſame 
Kraft ſeit ihrer himmliſchen Offenbarung durch den 
Gottgeſandten ſich achtzehn Jahrhunderte hindurch nie 
verläugnete, an welcher auch forthin wie bisher alle 
feindfeligen Angriffe des Irrwahns und Unglaubens, 
gleich den tobenden Wogen am unentwegten Meeresfelfen, 
ohnmächtig zerfchellen werden. 

Möge folhe Erleuchtung die Oberhand gewinnen, 
und dadurch jener ruchlofen Sekte Einhalt gethan werden, 
deren ſchwarzer Bund wider den Gottmenfchen und feine 
geheiligten Altäre unfer tändelndes Zeitalter immer mehr 
umflammert! Dann wird auch jener Zeitpunkt nicht 
mehr ferne ſeyn, wo die Völker der ganzen Chriften- 
welt am Fuße des Kreuzes fi) in Slaube — Liebe und 
Hoffnung vereinigen, und fo des MWelterlöfers un- 
wandelbarem, ewig gültigen Machtgeboth Folge leiften, 
welches ung jener Sünger,, „den er Lieb hatte,“ als 
heiliges Vermächtniß des göttlichen Lehrers auf- 
bewahrte : 

„ Kinderchen , Tiebet einander, wie ich euch Tiebte; 
daranmwird man euchalsdie Meinigen erfennen. 


— 46 — 


Bleibet in mir, fo bleibe, auch ih in euch. Wie das 
Rebſchoß Feine Frucht trägt, fondern verdorrt, wenn eg 
nicht am Weinftock bleibt , fo auch ihre, wenn ihr nicht 
in mir bleibt, An meiner Statt wird der Geift der Wahr: 
heit, vom Bater gefendet, als Zröfter euch beyſtehen, 
und in meiner Lehre euch beftärken. Sa, Vater! — (fo 
fchloß der Gottmenfch feinen legten Unterricht hiernieden ) 
dein mir aufgetragenes Werk habe ich nun vollendet, und 
deinen Namen den Menfchen, welche du mir anvertrauteft, 
geoffenbaret; fie erfennen, daß meine Lehre von dir kommt 
und daß du mich gefendet haft. Verleih , Heiliger Vater! 
daß diefe meine Schüler, und alle welche durch ihren 
Unterricht an mich glauben werden, Eins feyen wie du, 
o Vater! in mir undih in dir, damit die Welt 
gläubig deiner Dffenbarung vertraue. Deine 
Herrlichkeit habe ich ihnen mitgetheilt, damit fie Eins 
feyen, wie wir Eins find, ich in ihnen umd du in mir, 
auf daß fie vollfommen Eins fiyen! In diefer 
Einigkeit werden alle Völker das Pfand 
deiner Liebe und meiner he Sendung 
erfennen.“ 





Erläuterung 
der aus fremden Sprachen eingefloffenen 
Wörter. 





A bderiten, eihiih, Bewohner einer Stadt in Thrazien, welche 
im Ruf der Dummheit fiunden. 

Abfolution, Iateinifch, Befreyung; Losfprechung. 

Yllegorie gr. , verbliimte Rede; Gleichnißrede. 

Alternative lat., Wechfel; Wahl; Klemmfall. 

Anabaptift gr., Wiedertäufer. 2 N 

Anachoret gr., aus der Gefellfchaft zurückgetreten; Einfledler. 

Analog gr., gleichformig ; ähnlich, entfprechend., 

Anarchie gr., Unvrönung; Geſetzloſigkeit; Zerrüttung. 

Anathem gr., Kirchenbänn. 

Anonym gr., ungenannt. 

Aphorismen gr.kurze Ausſprüche; Lehrſätze. 

Apofalypfe gr., Enthüllung; Offenbarung. \ 

Apodiftifch gr., augenfcheinlich überführend ; abfprechend. 

Apologie gr., Veran wortun Vertheidigung; Entſchuldigung. 

Apoſtat gr., Abgefallener; Abtrünniger. 

Apotheoſe gr., Vergoͤtterung. 

Approbation lat., Gutheiſſung, Genehmigung. 

Ar Al : mus, Srrlehre des Arins, welcher die Dreyfaltigkeit 
äugnete. 

Atheismus gr., Gottesverläugnung; Gottesverachtung. 

Attribut lat., Eigenſchaft; Kennzeichen. 

Authentiſch gr., uͤnverwerflich; rechtsbeſtändig; urſchriftlich. 

Bigoterie engliſch, Andächteley; Scheinheiligkeit. 

Biograp H ie ge. , Lebensbefchreibung. 

Canontfh gr. , Firchengefeklich. 

Eatehumenen gr. , die im Ehriftenthum unterrichtet werden. 


— 458 — 


Chamäleon. gr., eine Art Eidechſen, die nach Verſchiedenheit 
der Umſtände, ihre Farbe wechſelt. j * " ü 
—— ologifch gr., nach der Zeitrechnung geordnet, — dazu 
gehörig. 

Elerus gr., geiftlichee Stand ; Geiftlichkeit. 

Eolibat lat., Ehelofigkeit ; unverheiratheter Stand. 

Eollifion lat., Anſtoß; Reibung. | i 

Eollogium lat., Geſpräch; Unterredung. 

Eommentar lat., Auslegung ; Erklärung; Grundriß zu einer 
Geſchichte. 

Compilation lat., Entwendung; Zuſammentragung. 

Confeſſion lat., Bekenntniß; Geſtändniß. 

Conkluſionen lat., Schlußfolgen; Vernunftſchlüſſe. 

Congregation Tat, Verſammlung. 

Confefration lat., Einſegnung; Einweihung. 

Conſequenz lat., Folge; Schluß; Folgerichtigkeit. 

Continent lat., das feſte Land. 

Controverſen lat., Streitigkeiten. 

Convertit lat., Bekehrter. | 

Conzilium lat., Verbindung ; Vereinigung ; Bufammenfunft. 

Coryphäe gr., der an der Spike fleht ; Haupt; Anführer. 

Critizismus gr., Stand der: Kunſtrichter, der Splitterrichter. 

- &ritifafter gr., boswilliger .Beurtheiler. 3 Kme 

Eultus Hat. , Verehrung 5 Gottesdienft: 

Cyniker gr., eigentlich: hündiſch; der philofophifchen Sekte ans 
gehörig , die alles Natürliche öffentlich ohne Scham ausübte. 

Deismus gr., Ölaube an Gott, ohne Außern Dienft. 

Dezennium lat, Zeitraum von zehn Jahren. >» 7 

Dialog gr., Geſpräch; — J 

Diametral ge, mitten durchſchneidend; gerade entgegengefekt: 

Diatribe gr., _gelehrte Abhandlung, in Rede oder Schrift: 

Diözeſe gr., Kirchengebieth ; Kirchenfprengel, 

Disfuffion lat., Zergliederung ; Unterfuchung. ©, 

Differtation lat, gründliche Unterredung. — Erörterung. 

Disziplin lat., Bucht; Unterweifung ; Einrichtung. i 

Divergenz - lat, das Auseinanderläufen. 

Dogma ge, Lehrfag 5; Befchluß ; Verordnung. 

Doftrin lat., Wiffenfchaft ; Lehrmeinung. | 

Efleftifer ge, die von. dem übrigen Sekten nur: das Beſte 
‚wählen und annehmen. wi TEE Eh 

Egoismus Tat. , übertriebene Eigenliebe; Seldftfuht. 

Enthufiaft ge. , von’ heftiger Leidenſchaft ergriffen ; begeiſtert; 
fhwärmerifch. | IM; u. , | 

Enumeration lat., Herzählung. 

Epikuräer ge, ke des Epifurs ; Leute, die das Ver— 
gnügen für das höchfte Gut Halten. / 

Epitaph gr., Grabſchrift. | 

Etifette fr, äußeres Gepräng ; Formenwefen. 


— 459 — 


Euchariſtie gr., Danffagung ; das heilige Abendmahl. 

Evangelium gr. , frohe, angenehme Botichaft. | 

Eregefe gr, Erklärung ; sand; Anleitung. 

Erfommunifation lat., Ausfchließung ; Verſtoſſung; Kir⸗ 

chenbann. u TER | 

Samulus Tat. , Diener; Aufwärter. 001 

Fatalismus lat., die Irrlehre, welche Alles dem Blinden 
Zufall — ewiger Notäwendigfeit — einem unvermeidlichen 
Verhängniß zufchreibt. a | 

Fisfus Tat. , obrigfeitlicher, landesherrlicher Schaf. 

Genitalien Tat. , ©eburtsglieder. 

Gigant ge. , Erdenfohn ; ungeheurer Rieſe. | 

Onofifch gr., von einer Sekte des zweyten Jahrhunderts — 
den Gnoftiferen — herrührend, welche Leute von eingebildeter 
höherer Einficht waren. | 

Gymnaſium ge., Offentlihe Schule ; Unterrichtsort. 

Häreſiarch gr. , Urheber, Stifter einer Sekte, . J 

Häretifer gr., eigl. einer beſondern Lehre oder Schule zuge— 
than ; fig. Seftirer, Ketzer. | | 

Hermeneutif gr., Deutungs = Erflärungs = Auslegungskunft. 

Hierarchie gr., Kirchenregierung ; geiftliche Herefchaft. 

Homilie gr., geiftliche Rede, Geſpräch, Unterhaltung. 

Hyperbolifch ge. , übermäßig ; ubertrieben. 72% 

Humanität lat. , Leutfeligfeit ; Weltbildung. 

Ideal gr., was nur in der Einbildung befteht. 

Idiot gr., einfältigz ungelehrt; Nichtkenner. 

Idol gr., Bild; Götzenbild. e 

FJdolatrie gr. , Abgotterey; Götzendienſt. 

Ignorant lat., unwiſſend; unfundig. 

Ill uminatismus lat., Lehre von der Erleuchtung, Aufklärung. 

Im { ; ich lat. , anffallend; Aufſehen erregend; Achtung ges 
iethend. . 5 Ra 

Impuls lat., Anreizung ; Antrieb. | 

Indifferentismus lat., ©leihgultigfeits = Lauheits Lehre, 

Individuell lat., einzeln ; ungetheilt. 

Infalibilitär Tat., Untrüglichkeit; Unfehlbarkeit. 

Inſpirirt lat. , begeiftert ; von Eingebung getrieben. | 

Intellektuel lat., zum Verſtand — Verſtändniß gehorig. 

Jronie gr. , verfiellte Unmiffenheit , Spott= Hohnrede. 

Iſolirt Iat., allein ſtehend; abgefondert. 

Katheder gr., Sitz; Seſſel; Lehrſtuhl. 

Kraß lat., dicht; plump; roh; J———— | 

zaie gr., zum. Volk gehörig; Weltlicher ; Ungeweihter 

Zatitudinarier Tat, die fih in Lehre und Gitten nicht 
einfchränfen Laffen. 

zegenden lat., Schriften ; Erzählungen. 

Liturgie gr. , Kiechengebethe und Gebräuche. 

Logomachiſt gr. , Wortflauber; Sylbenſtecher. 


ze Me 


zufubrationen Hat. Nachtarbeiten. 

Mäzen lat., eigener Name; fig. Befchliger, Gönner der Gelehrten 
und der MWiffenfchaften 

Manuffript lat., Handfchrift. 

Materialien Iat., Vorrat) ; Stoff. 

Metapher gr. , verblümte Rede; uneigentliche Redart. 

Mobilität lat., Beweglichkeit; Weränderlichkeit. 

Modern Tat. , nach neuer Art und Gefchmad. 

Monogamie gr. , Einweiberei. 

Monogramm gr. , Buchitabe,, der mehrere im ſich faßt; wer: 
zogener Name ; eigentl. aus bloßen Linien beftehend. 

Myfterien ge., Geheimniffe ; verborgene Sachen. 

Muyſtiſch gr. , dunkel; geheim. 

Naturalismus lat., Lehre derjenigen, welche die Natur zum 

Gott machen, und die Offenbarung läugnen. | 

Neolog ge., neuer Lehre zugethan. 

Neophyt gr., Mubekehrter; angehender Chrift. 

Nimbus lat., Wolfe; Umhullung; Heiligenfchein; Strahlenfranz. 

No . enflatur dHat., Namen Werzeichnif 5; - Herfagung der 

amen. 

Norm lat., Richtſchnur; Vorſchrift. 

Notizen lat., Anzeigen; Nachrichten. 

Notoriſch lat., bekannt; offenkundig. 

Objektiv lat. „ vorliegend; gegenüberſtehend. 

Dbdffurant lat. , Finfterling ; das dunfle — verborgene liebend. 

Dedipus, Konig in-Theben , der das Räthſel der Sphinz löste ; 
er heirathete unwiſſend feine Mutter, mit welcher er. mehrere 
Kinder zeugte. ; 

Defumenifh gr., ollgemein; über die beivohnte Erde ſich 
erſtreckend. 

Oppugnant lat., Angreifer; Gegner; Feind. 

Orthodox gr., gr rn 5; der die ande Meinung hat. 

Pädagogium gr., Kinder = Erziehungsanftalt. | 

Pamflet engl., Schmähfchrift; Flugfcheift. 

Danegyrifi g- » Kobreöne. 

Dapit lat. , Anhänger des Papfithums. 

Parabel gr., Gleichniß; Wergleihung. | 

— gr. , ſeltſam; auffallend; dem gemeinen Wahn zumwider- 
aufend. 

Paraklet gr., Beyſtand; Tröfter ; Lehrer. — 

Paraphraſen gr., Umfchreibung ; umſtändliche Erklärung. 

Pathetifch gr. , gerührt; bewegt ; Teidenfchaftlich. 

Patriftif lat., Studium der Kirchenväter. 

Perfektibilität lat., DVervolllommnungs = Fähigkeit. 

Periode gr. , Zeitumlauf ; Abfchnitt. 

Phänomen gr. , Erfcheinung. 

Phantaft gr., Schwärmer ; Örillenfänger. 

Philolog gr. , Liebhaber der Gelehrfamkeit ; Litteraturfreund. 


a MR 


lagiat lat., geehrter Diebftahl. i 
Dale mif gr, Skreitiepre — in wiſſenſchaftlichem Sinn. 
Polygamie gr., Wielweiberey. 
Popanz, Schredbild. N | 
Prädeftination Iat., Onadenwahl; umabänderliche Vorher— 
beftimmung. 
Prädikat Iat., Eigenfchaft, * * 
Presbyterianer Ir. eigl. die Aelteſten; Proteſtanten in 
England, welche die Biſchöfe nicht anerkennen. 
Primat lat., Vorrang; erſte Stelle. 
Problematiſch gr., eigl. vorgelegt, aufgegeben; ungewiß, 
räthſelhaft. 
Profan gr., unheilig; ungeweiht; gemein. _ 
Prognoſtiziren gr., vorher einſehen; vorher beſtimmen. 
Prophetifch gr. , weiſſagend; vorher verkündigend. 
Profelyt gr., Uebergegangener, Ankömmling; RNeubekehrter. 
Proteſtanten lat., fo heißen gemeinſchaftlich ſowohl die Luthe— 
raner als Reformirten, weil die Fürſten dieſer beyden Confeſſio— 
nen gegen eine ihnen nachtheilige Verfügung des Reichstages 
in Speyer vom 3. 1529 proteſtirt hatten. 
Provoziren lat., hervorrufen ; herausfordern. 
Pſeudonym gr. , einen falfhen, erdichteten Namen führend. - 
Pſychologie gr.,, Seelenlehre, 
Punifch lat., Phöniziſch; figure. falſch, treulos. 
Purgatorium lat., Reinigungsort , figürl. Fegefeuer. 
Publikan Tat. , Pächter ; Zöllner. 
Pygmäe gr. , eine Fauft lang ; Zwerg. 
Pylades gr. , Freund des Oreſtes; figürl. zärtlicher Freund. 
Pyrhonismus gr. , Zroeifelfucht. 
Q * * ativ lat., was ſich auf die Beſchaffenheit einer Sache 
ezieht. 9 
Quantitativ lat., was ſich auf die Größe oder Menge einer 
Sache bezieht. | | 
Rabulift lat., ränkevoller Sachwalter; Bungendrefcher. 
Rationalismus lat., Lehre derjenigen, welche die Vernunft 
über die Offenbarung ſetzen. 
Reformation lat., Umgeftaltung ; Umwandlung. 
Reliquien Tat. , Weberbleibfel. 
Revolution lat., Ummwälzung. 
Ritus Tat. Hergebrachte Hebung ; Firchlicher Gebrauch. 
Shisma gr., Spaltung; Trennung ; Uneinigfeit. 
Sholaftif En lat., figuel. ſpitzfindig; wortflauberifch ; fchul- 
fuchſeriſch. 
Skeptiker gr., Zweifler; bedachtſam. 
Sfizze franzöſ., Entwurf; Abriß; Grundlinien. 
Skribler lat., ſchlechter Schreiber; Schmierer. 
Skurrilität lat, übertriebener Scherz; Poſſenreiſſerey. 


— 42 — 


Sophismen gr. , unrichtige, betrugliche Schlüſſe; Scheingründe; 
Spitzfindigkeit. 

Spezialität lat., Einzelnheit. 

Stabilität „lat., Stillſtand; Unbeweglichkeit. 

Stoiſch, figürl. ſtandhaft; ſtreng; ernſt. 

Subſtanz lat., Weſen; für ſich beſtehendes Ding. 

Summariſch lat., kurzgefaßt; Inbegriff der Hauptpunkte. 

Superiorität lat., Vorzug; Ueberlegenheit. 

Suprematie lat., oberſte Gewalt; Sberherrſchaft. 

Sykophant gr., Verräther; Angeber; Ränkeſchmied. 

Symbol gre, Kennzeichen; Sinnbild; Wahrzeichen. 

Synagoge gr., Kirchengemeinde, bey den Juden. 

Synaxis ger, Verſammlung, bey den alten Chriſten. 

.. Synode gr., Bufammenfunft , befond: Firchliche. 

Temporär lat. , vorübergehend , nur eine Zeit lang dauernd. 

—Temporiſiren lat., zögern; auffchieben ; beffere Gelegenheit 

abwarten. 

Theokratie ge. , Gottesregierung. 

Thefen gr. , Süße; Lehrfähe. 

Thyeſtes gr. , Sohn des Pelops , welcher die Gemahlin feines 
Bruders Atreus befchlief, ſowie feine Tochter, Pelopia, mit 
welcher er den MeftHus erzeugte, der den Atreus todtete. 

Toleranz Tat. , Duldung ; Duldfamkeit. | 

Tradi — ion lat., Ueberlieferung; mündlich fortgepflanzter Uns 
terricht. 

Zransfubftantiation lat., Verwandlung der Weſenheit. 

Trivial lat. , gemein; gewöhnlich; niedrig; platt. 

Tropus gr, Bild; Seihnih ; verbliimte Rede, 

Viſion lat., Erfcheinung ; Traumgeſicht. 

Urbanität lat., einnehmendes gefälliges Weſen. 

Uſurpiren lat., widerrechtlich gebrauchen — ſich anmaſſen. 

Zelot gre, Eiferer; Neider. 


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