u
Belehrung
der
E—oruttßeile
wider
die katholiſche Kirche,
/
Bon
einem proteftantifchen Laien.
® ovıd Kıtt
Audiatur et altera pars.
REEL — STIERSEERR STREITEN
ſCuzern, 1835.
Bey Gehrudern Mäber.
EU EM t
Iuvem der Verfaſſer ſich durch Rückſichten höherer
Art gedrungen fühlt, über den vorliegenden Gegenſtand
ſein Urtheil öffentlich auszuſprechen, macht er — mit
der Denkungsart ſeiner proteſtantiſchen Brüder ſattſam
bekannt — auf manch bitteres Urtheil ſich gefaßt, und
erklärt daher in Kürze, zur Richtſchnur der berufenen
ſowohl als der unberufenen we, die Abjicht welche
diefer Schrift zum Grunde liegt. | |
Weit entfernt von der Anmaßung etwas fehr wich?
tiges oder vollftändiges geliefert zu haben, und nur
wenig bewandert im den zu gründlicher Bearbeitung
diefed Stoffd erforderlichen Wifjenfchaften, glaubt er
dennoc feine durch vieljährige unbefangene Prüfung
erworbenen Anfichten für erheblich. genug halten zu
dürfen und zu follen, um fie auch andern Wißbegieri-
PERS. ° AN
gen mitzutheilen, Anregung zu eigenen eifrigen For:
fhungen und zu ernſtem Gelbftvenfen der Lefer
iſt e8 demnach hauptfächlih, was ver Werfaffer
durch Verbreitung dieſer Bruchſtücke bezweckt;
und die Erreichung ſolcher Abſicht wagt er um ſo eher
zu hoffen, als unſer jetziges Zeitalter immer empfäng⸗
licher für dieſe Angelegenheit zu werden ſcheint.
Wenn von tiefgelehrten ausgezeichneten Proteſtan⸗
ten ſchon in frühern Zeiten die Behauprung aufge
ftellt ward, daß nur unmefentliche — allmählig einge
ſchlichene — Mißbräuche vie Firchlihe Scheidewand
bilden, und daß alle fireitigen Punfte leicht ausge:
alichen werden könnten, (©. Melanchtons Brief an
Franz den Erften , die Gegenrede von Hugo Grotius
an Nivet, die Augfpurger Confefjion von 1530, und
das fo ausführliche als gründliche Gutachten der Uni-
verfität Helmftädt von Fabritius und Calixt) wen |
follte dann nicht die Befeitigung dieſer Spaltung, bie
Serftellung jener fegenvollen Einheit als höchſt wün—
ſchenswerth erfeheinen! wer follte nüht freudig zu Erz
reichung dieſes wohlthätigen Zweckes mitwirken, wenn
er bedenft, daß die ehrmwürdigften Lehrer des Urchriz
u,
ftenthums die Spaltung als die ſchwerſte aller
menfchlichen Pflichtverleßungen, die Einheit aber als
das erfte aller evangelifchen Geſetze erflärten !
Der Berfafjer gedenkt indeffen bey feiner Arbeit fo
zu Werfe zu gehen, daß er zuvorderſt Die Einheit
und Mebereinftimmung der Slaubenslehre
als unerläßlihe Hauptgrundlage aller chriftlihen Got:
teöverehrung darftellen, und die unbedingte Verwerf⸗
lichfeit jeder Spaltung zeigen, dann die durch
vorübergehende Härelten älterer Zeiten bewirkten kirch—
lichen Störungen erwähnen, hauptfächlidy aber ‘die im
fechözehnten Jahrhundert ausgebrochne Kir hentren:
nung in ihrem Urfprung, Fortgang und Folgen näher
zergliedern, und ſchließlich einige der erheblihern Ab—
weihungspunfte zwiſchen den verfchledenen Confef-
fionen, fowohl in Gegenftänden ver Firchlichen Disziplin
ald befonders auch im Dogma von der Euchariftie, in
ihr klares Licht ſetzen wird,
Bey den vorhabenden Erörterungen wird er fic)
einer deutlichen, allgemein verftändlichen Schreibart
nad) Möglichkeit befleißen, und über einzelne — aus
fremden Sprachen dennoch einfließende — Ausdrüce
A. 1 PR
am: Schluffe dieſer Schrift Die nöthigen Erlauterun-
gen nachtragen. |
Redlich und befcheiden genug, um für. jede angemef-
fene Belehrung Danf gu wiffen, wird er hingegen über
die Angriffe leidenfchaftliher Streitſucht — welche fo
oft und gern zu läftern, aber fo felten und ungern zu
prüfen pflegt — im Bewußtfeyn reiner Gefinnungen
ſich ruhig hinwegſetzen.
Den Vorwurf des Plagiats gänzlich von ſich
abzulehnen kommt ihm gar nicht zu Sinne; er erklärt
vielmehr ausdrücklich, daß. Die Werke mancher ältern
und neuern Schriftſteller über dieſen Gegenſtand ihm
bey ſeiner Arbeit zum Leitfaden dienten, und wohl
auch — inſoweit derſelbe weſentlich dem Gebieth der
Geſchichte angehört — dienen mußten.
Die Anonymität kann keiner Entſchuldigung bedür⸗
fen, da der Name nichts zur Sache ſelbſt beytragt,
und weder Werth noch Unwerth derſelben beſtimmt;
waren doch auch die erſten Herolde unſrer hochgefeyer⸗
ten Reformation — wie jedem Freund der kirchenge⸗
ſchichtlichen Litteratur bekannt feyn muß — der Ano⸗
nymität und Pfeudonymität nichts weniger als abhold
— Vi —
Was dann die Freymüthigkeit betrifft, ſo
nimmt der Verfaſſer lediglich das große Vorrecht
des Proteftantismus in Anſpruch, und ſtützt ſich
dießfalld auf das Anfehen ſowohl eines berühmten
Kanzelredners und Kirchenvorſtehers als auch eines
ausgezeichneten theologiſchen Schriftſtellers der reformir⸗
ten Schweiz. Erſterer erklart in öffentlicher «Rede,
„daß alles Beſtreben der Reformatoren einzig ‚dahin
gerichtet war, allen Chriſten ihre natürliche Freyheit
zu denken und zu reden wiederherzuſtellen, und daß
dieſelben nur menſchliche — dem Irrthum und Feb:
ler unterworfene — Meinungen, keineswegs aber
feſte Geſetze und Vorſchriften zu. geben je beabſichtig—
ten, daher ſie auch nur als Elementarlehrer betrachtet
ſeyn wollten, und ſich ſelbſt gar kein Bedenken machten
ihre Lehre bisweilen aufzugeben und zurückzunehmen. /
Letzterer behauptet, »daß der unſterbliche Zwingli bloß
die Bahn gebrochen und der Welt ein nur. angefange
ned Werk hinterlaffen habe, ‚welches immerfort umge
ftaltet und 'vervollfommnet werden: foll, daher auch er
und feine Mitarbeiter niemals: die Zürcheriſche Kirche
eine reformirte ‚geheiffen haben, daß diefelbe vielmehr
— Vi —
eine forthin zu reformirende und ihrem Prinzip nad)
perfeftible unvollfommene Kirche fey, und daß über:
haupt in der Stabilität (Beftändigfeit, Stätigfeit)
die wahre Pest, in der Mobilität (Wandelbarkeit,
Beränderlichfeit) hingegen das eigentlihe Leben unf
rer Kirche beftehe,
Somit dürfte dann wohl auch die freymüthige For:
{hung des Verfaffers in den Augen feiner Glaubens:
genofjen als hinlänglich gerechtfertigt erfcheinen.
Möge nun der proteftantijche Leer mit Unbefan:
genheit diefe Schrift prüfen, etwelche Erweiterung
feiner Kenntniffe daraus fchöpfen, und — von manchem
frühern Borurtheil befreyt — feine bisher vielfach und
arg mißfannten ‚ anderödenfenden Brüder ald Kinder
Eines Vaterd, ald feine Altern Geſchwiſter achten und
liebgewinnen lernen! Möge auch dieſes Scherflein
etwad dazu beytragen, um und jenem erfehnten — von
dem Welterlöfer felbft verheifienen, und daher unaus-
bleiblichen — Zeitpunkt näher zu bringen, welcher ver
beglückten Menfchheit ven hehren Anblid Einer Herde
und Eined Hirten darbiethen wird ! |
Philalethe®.
Inhalts⸗Verzeichniß.
Seite.
Einheit der chriſtlichen Glaubenslehre, vom Stifter
des Chriſtenthums felbft angeordnet, ,
Als Zweck der Offenbarung , ,
Beweisftellen der heil. Schrift, . \ —
Hohenprieſterliches Gebeth Jeſu bey Joh. XVII.
Auch die Apoſtel verkündeten dieſe Einheit als chriſt—
liches Grundgeſetz,
Beweisſtellen hiefür aus dem N. %., - -
Die Urchriſten waren dem Dogma der Glaubensein-
heit innigft zugethan , ; 2
Zeugniffe dev erften Kirchenväter,
Shr Eifer gegen jede Spaltung, - , P
Auch die proteftantifchen Eonfeffionen geftehben den
Ben und die Nothwendigkeit der Glaubeng- a
einheit, er \ > - 5
Die helvetifche Eonfeffion ſelbſt anerkennt die Befchlüffe
| der vier erften vefumenifchen Conzilien von
Nizäa, onftantinopel, Epheſus und Calzedon,
nebft dem Athanaſiſchen Glaubens bekenntniß, —
Der göttliche Stifter des Chriſtenthums hat in ſeiner
Liebe, Weisheit und Allmacht auch für die Mittel
KR PRAIFURG und Behauptung diefer Einheit 5“
geforgt, ; ; ; . N
Bervolllommmung der durch Ehriftum geoffen-
barten Religion ift nicht zuläßig noch gedenkbar 13.
Ausfprüche Ehrifti über die Verpflichtung zu unde-
‚dingter gläubiger Annahme feiner Lehre, . 1.
Die Apoftel dringen ebenfalls darauf, . . 17.
lv »|l| er
+
22
Seite.
Richtiger Begriff von Freybeit und Fortfchritt im
Shriftenthum ; Warnung gegen Mißbrauch, .
Nähere Prüfung des von Chrifto angeordneten Mittels
Bun ea und Behauptung der Glaubens
einhei
Berheiffung Chriſti nach Math. X. und xxviii.,
Uebertragung des Primats an Petrus,
Zeugniſſe der Kirchenväter,
Geſtändniſſe proteftantifcher" „Söeiftfieer —J
Anſchuldigungen gegen die Römiſchen Papſte,
Widerlegung aus proteſtantiſchen — —
gezogen,
—— günſtige uͤrtheile uͤber das Papſtthum,
Auch andere Reformatoren, und große proteſtantiſche
Gelehrte ſprechen ſich fuͤr die Zweckmäßigkeit und
Nothwendigkeit des kirchlichen Primats aus, -
Erörterung der Lehre von der Unfehlbarteit der
Kirche
Seftftelfung des richtigen Begriffs,
Die Unfehlbarkeit beruht keineswegs auf der Perfon
— 52 ſondern auf der Geſammtheit der
irche
Der Papſt, als Kirchenoberhaupt, iſt der ſichtbare
Lenker der ganzen Glaubensanſtalt,
Daß der Papſt, als Menſch, auch in Glaubens ſachen
Ps Irrthum unterworfen ſey, erklärt Adrian VI.
e
Die Bifchöfe , als Nachfolger der Apoftel, find zur
dtuslegung der Slaubensartifel befugt, und nur
die allgemeine Zuftimmung derfelben drückt einer
Entfcheidung das Siegel der Unfehlbarkeit auf,
Befugniß eines vefumenifchen Eonziliums , i
Die Authorität. eines folchen Conziliums wird felbft
bon Boſſuet, Leibnitz, Bull, auch vom Luther
ud der: helvet. Confeſſion in Schutz genom-
Ausübung der päpftlichen Bewalt in den sehen Seiten
des ‚Chriftenthbums,
Ebenfo der Conzilien,
Erſtes oekumeniſches Conzilium in Nizäa,
Kaiſer Conſtantin. Verurtheilung des Arius,
49,
23.
—
24.
26.
27.
30.
— —
32
33.
38.
39.
40.
1818
Seite.
Zweytes in Conftantinopel , 44,
Beftätigung des Glaubens : Ehmbels: von Rizäa;
deſſen Fortbeſtand; Zeugniſſe der Kirchenväter, 45,
Kirchliche Spaltung laßt fich auf feine Weife vecht- J
fertigen, AD.
Wer diefe herbeyführt, ſtrebt des Exlöfers enthieben |
ſtem Willen. entgegen , { —
Urſprung und Geſchichte der ‚Härefien y 47.
Montanus, Neftoriusun.a., - Ikarus
Geheündete Klagen über Fir chliche Mißbrauche, 49.
Der Clerus ſelbſt drang auf Reformen, nicht aber
auf Ummwälzung , 50,
Urſprung des Schis ma zu Anfang des. XVL
Sahıhunderts, ı 51.
Benehmen der Urheber im Allgemeinen; "ihre Crurd—
ſätze; ihr Unternehmungsplan, 52.
Erforderniffe eines würdigen Reformators, 53.
Benehmen Papft Xen des X,, 54
—— der Reformation in Schottland und "Eng- =
——— der Reformatoren des
XVI. Zahrhunderts im Allgemeinen, . —
Biographiſche Notizen über die Reformatoren
Deutfhlands, 57.
Martin Luther; nad) feinen eigenen Geftändniffen, 58.
Urtheile feiner Schüler , Gehülfen und Zeitgenoffen „67.
Heinrich VIII.; der Kirche in ran — 68.
Oekolampads; Calvins 70.
Cochläus; Erasmus ; 11.
Florim. Rämunds, ,- 72.
Luthers Gleichgültigkeit gegen. diefe Urtheile , 73.
Seine fittlihen Grundfäße und Lehren, —
Seine dogmatifchen. Kernfprüche , j N 76.
Luthers urfprüngliche Beſtimmun —J
Melanchton; aufs vortheifhfte gefchildert von.
% —— d Peter Martyr ; feine Gelb I
on Luther und Peter ar — eine e e ardnt 9.
Urtheil Calvins u. a. m., ara f Nr; 81.
Letzte Unterredung mit feiner Mutter, .. &4,
Calvin; beurtheilt von Erasmus , von Grotius, 85.
Bon Stancharus, Schlüffelberg, Heshufi u8, Eafteklio, 86.
— XüU —
Seite,
Bon englifhen Theologen, s 3 rg,
Gefchildert nach gerichtlichen Akten 5 i ; 89.
Seine Läfterungsfucht , . 29094 91.
Urtheile von Flor. Rämund und Maimburg, SAN,
Sein Wanfelmuth i k 95.
Seine urfprüngliche Heftimmung , 96.
Zheodor Beza; beurtheilt_ von "Schlüffelberg, x 97.
Heshufius, Launaͤus und FI. Rämund ; ’ 98.
Peter Bermilius, genannt ae ; 99,
' Martin Buzer, : | N 100.
Ochin, gefehildert‘ von Bea,
Sein Urtheil über die JE Yan und Bwinglianer , ‚1018.
Gefchildert von Florim. Rämund, 102.
. Soh. Hausfchein, — Setolampat ; gefehildert
von demfelben ,
Bon Soh. Faber, ey l 103,
Bon Pirkheimer und Erasmus , ; i 104.
Bon Schlüffelberg und Luther, 105.
', Under. Bodenftein, genannt Carolſtad, nach Me—
lanchton und Luther, 106.
Nach Buddäus und Florim. Rämund, 108.
Ulrich Zwingli; deſſen Selbftgeftändniffe , % 110.
Sein Wanfelmuthb und widerfprechende Lehren, 113.
Die Zmwinglifche Lehre von der figürlichen Bedeutung
der Einfekungsworte gründete fich die Fa
Auslegung ee { 114.
Sein Wahlfprud , 2 RE
Zeugniſſe von Melanchton, Brentius , Rämund, 116.
Bon Schlüffelberg , Schüß, Luther, — 118.
Luthers Urtheil erſcheint um ſo glaubwürdiger, da
die Zwingliſchen Biographen die höchſte Achtung
ihres Helden für Luthers Charakter und Verdienſte
beftätigen , 120.
3winglis Ende ; Urtheile angefehener Beitgenofien *
ſeinem Tod. en
Defiderius Erasmus von Mbktervaihz Hi
Pharos unter den Srrmwifchen , der Gigant unter
den Pygmäen, 33.
Schilderung feiner Verdienſie um Mit⸗ und Nachwelt, 134
Entwicklung des Reformationswerkes; Urtheil Gried- '
richs IE, —— re Aka
Seite.
Abriß der Reformationsgefhihte®nglands, 157
Woſtaſie Heinrihs VIIL Cranmer, - . 7 —
Eduard VL; Rückkehr zum alten Glauben unter Maria, 159.
Regierung Eliſabeths; Herftelung der Reformation, 161.
Folgen der Reform ; Anzahl der Selten, IB 2 162.
Verhältniß der Lutherifchen Lehre zur Zmwinglifchen
beym Beginn der Kirchenreform in England, 163.
Luthers Reformationswerfin Sachſen, 164.
Abweichung feiner Doktrin von der Zwinglifchen im
Punkt der Euchariftie, ; k ;
Luthers Dogmaz Gründe; Erläuterung TE
Perfönliche Vereinigung der Gottheit und Menfchheit
Ehrifti ald Geheimnißlehre , ; ; —
Förmliche Trennung der Lutheraner und Zwinglianer, 167.
Berufung der Lutheraner auf Zeugniffe der Kicchen-
väter, a \ ; : j —
Zergliederung der Lutherſchen Geheimnißlehre, 169.
Meinung von Leibnitz. Geheimniſſe ſind wohl über,
aber nicht wider die Vernunft, N 170
Unterfchied zwifchen dem Dpfer des alten ‚und deg
neuen Bundes, zwifchen Ofterlamm und Abendmahl, 171.
Hauptbeweis für den Lutherifchen Lehrbegriff , 172.
Gefchhichtliche Umftände; anfängliche Gefinnungen Lu—
thers ; fein Conflift mit 3wingli, . j 173.
Glaubensabfallin der Schweiz, bewirkt durch
3mwingli,. 0.0. N i te vi?
Ungleiches Schickfal der neuen Lehre in diefem Land, —
Shre erfte Einführung in Zürich, h j 180.
Borftellungen anderer Kantone; der Päpfte, . 181.
Verwirrung: Aufhebung der Neuerungen in Bern;
Zürichs Starrfinn, ; - k
Glaubens - Erörterung in Baden vor den Abgeordne—
ten aller Eidgenöflifchen Kantone, . R
Sufammenberufungs.= Scyreiben ; Klagen aller zwölf
Mitftände über Zwinglis Verfahren , ; —
In Baden erſcheinen Geſandte von Zürich, aber weder
— noch andre Gelehrte und Prediger von
—V 186.
Fortgang der öffentlichen Diſputation; Anordnungen, 188,
zus nr mittelbare eifrigfte Theilnahme durch Haus—
ſchein, —
®
a
— xXIV—
Seite.
umſtandlicher Hergang; N in ge |
von Faber, . 189.
Bon Th. Murner, 192.
Schluß der Difputation; Förmlichkeiten ; Abſtimmung, 195.
Brief von Erasmus an die Tagſatzung in Betreff der
neuen Glaubenslehre, 196.
Entfcheid aller zwölf Stände; Verwerfung der neuen
Lehre, 197.
Nachtrag. Fabers gründliche Erläuterung der Ein-
ſetzungsworte zum Abendmahl, der Zwingliſchen
Doktrin entgegengeftellt und fiegreich ha per 198.
Bern neigt fich fpäter zur Reform, ;“ 202.
Klagen der Mitſtände über dieſe Abtrünnigkeit , —
Perbreitung der Reform in der Schweiz; Wirren;
Bürgerfriege, 203.
Urtheile verfchiedener Reformatoren über die Solgen
ihres eigenen Werkes 2
Galvin ; Buzer ; Geifhäufer ; Melanchton ; Kopf, er
Urtheil des Erasmus und Dupitius, ; 207.
Luthers felbft , Ä “ g 209.
Grotius; Schlüffelbergs u. a, m. ; } 211.
Klagen und Geftändniffe der conf. orth. Tigur. eccl.
ministr. und der Zürcherfchen Synode felbft über
die nächften Wirkungen der Reformation . 212.
»
Neuerer proteſtantiſcher Schriftfteller, . ß 213.
at er der eg Synoden und Col, /
oquien 14.
Siftorifche Veberfi ht der. durch "den Glaubensabfall
bewirkten Ereigniſſe; in re Thomas
Münzer 18
Hugenoktenkriege i in Frankreich, | A 216.
Aufruhr in Weftphalen durch Soh. Hokolt , ; —
Zerſtörungswuth in England, 217.
—— der Kicchengüter in Schweden und Meer
nemar —
Berwüftungen in Deutfchland ,
Verlegenheit der Schismatifer ; $ ihr Verſuch fh mi
der griechifchen Kirche zu vereinigen, 218.
Bekümmerniß und Reue Melanchtong , 2
Vereinigungsplan von Molanus, Leibnitz und Boſſuet, 220.
Prahlerey eines 3teinglifchen DGERNOEN: 2 Wider-
legung, 221.
r Seite.
ehe des Päpſtlichen Stuhls beym Beginn der
Kirchentrennung, 222.
Dermalige Geftalt des Proteftantismus, 223.
Willkührliche Schriftauslegung als Vorrecht des
Proteftantismus, 225.
Der Proteftantismus unterliegt einem endlofen Ver⸗
vollkommnungsprozeß, und entbehrt alſo ſchon
deßwegen das Haupterforderniß der ————
- Rirde, —
Unter feinen zahllofen S Sekten waltet Feine feſte Ver⸗
bindung 226
Nähere Betcachtung der Früchte des Proteftantismug;
authentifche Belege; Ausgeburten der Neologen, 228.
Einfluß auf die Erziehung der. Jugend, N 235.
Abneigung gegen den Gatholizismus iſt das einzige
— unitatis zwiſchen den proteftantifchen
arteyen,
Sie kann nur auf verkehrten Begriffen beruhen, —
Mangelhafter Lnterricht in den angefehenften brote⸗
ftantifchen Lehranſtalten, —
Merkwürdiges Geſtändniß eines fehweizerifchen Theo-
logen der neuften Zeit; 238
Intoleranz der Proteftanten ; Leidenſchaftlichkeit ihrer
Skribler, 239
Berichtigung der Begriffe über Catholizismus , { —
— und Widerlegung einiger Vorwürfe, 240.
ehrungsfuchts unrichtige Borftellung davon, 243.
Nothwehr der Catholiken 244.
——— 9 Pflicht; Proſelytismus —
Urtheil von Plank, 245.
Beyſpiel proteſtantiſcher Sntoferanz Kl: Zeit , —
Aphorismen über Religionswechſel, 247.
- Meinungen angefehener Schriftfteller hierüber , —.
Beyſpiele ausgezeichneter Bekehrungen, 250.
Gefinnungen bon Leibnik , Montague und Grotius, 25.
Prüfung einzelner Befchuldigungen wider den Gatho-
lizismus, 256.
Befcheäntung des Bibelunterrichts; ungrund
dieſes Vorwurfs, gap
Kluge — der kathol. Kirche; Mißgriffe der Pro⸗
teſtanten, 258.
Läfterungen "der Neologen gegen den Bibelunterricht, 259.
a —
Seite.
Faſtengeboth; Erläuterung; Pflicht der Selbft-
verläugnung und Enthaltſamkeit, . 261.
Faften wird felbft von der Helvet. Eonfeſſ. gutgeheiffen, —
Als Hülfsmittel zur ſittlichen Vervollkommnung, 262.
Es ift nicht Dogma , fondern — - Bor eift, —
Geſchichtliche Begründung 3 —
Beweisſtellen aus dem N. Teſtament, —
Jeſu eigenes vorleuchtendes Beyſpiel, —
Zweck der kirchlichen Anordnung; öfterliche Safengeit;
wöchentlicher Fafttag, 263.
Einwendung der Proteftanten ; Widerlegung BR 264.
Reinigungsort, vulgo Fegefeuer, ; DEE,
Ausfpruch und Borfchrift des Conzil. von Trient, —
Irrwahn der Proteftanten , 266
Zeugniſſe aus. den rufen Zahrhunderten des CEhri⸗ |
ftentbums , . 267.
Urtheil —
Vernunftmaßigkeil und Wohlthätigkeit dieſer Lehre 268.
Sürbitte für die Ubgeftorbenen, ; 270.
Urtheil von Grotius, . —
Verbindung der Gläubigen in der ſtreitenden Kirche
mit ihren abgeſchiedenen Gliedern im Reinigungsort, —
Fürbitte unter den Gläubigen auf Erde, 271
Moralifcher Antrieb dazu, : —
Ausſprüche der Helvetifchen Eonfeffion , L 272.
Cölibat, oder Ehelofigfeit der Priefter, —
Iſt nicht Dogma, nur Disziplinarſache, —
Einführung im XL. Sahrhundert unter Gregor VIL 273.
Gefchichtliche Notizen, *
Ceremonien; Vorſchrift des Tridentiniſchen Con⸗
ziliums, 275.
Sie ſind nicht Zweck, ſondern Mittel , } —
Ihr richtiger Sinn und Bedeutung, { Ä —
Unkenntniß von Seite der Proteſtanten, Bl lin
Kirchlicher Unterricht über die Geremonien , L 276.
Sie fünnen als Disziplinar » Gegenftand verändert,
ja fogar aufgehoben werden, . "2m.
Aber nicht durch bloße Laune und Willkühr & Einyeiner, —
Beyſpiel Chriſti ſelbſt; Beweisſtellen des N. Teſt, —
Beyſpiele und Zeugniſſe des chriſtlichen Alterthums ‚218.
Mychologiſche Erklärung, 279.
Mipbräuche werden von der Kirche ſelbſt verworfen, —
— XxXVII —
Seite
Abſchaffung bey den Proteftanten: Folgen 279.
Zweckmäßigkeit; kindliche Gottesverehruͤng x i 280.
Die Privatandacht des Catholiken ift frey, } 281.
Unedler Spott der Proteftanten, 3 282.
Ausfpruch von Leibnitz, —
Göthe nimmt dieſe Lehre. ganz befonders in Schuß, ic
Beihtanfkalty ee der Selbſtprüfung ar *
Urſprung und Zweck 3 tee
Vernunftgründe für oe göttlichen urſprung⸗ al
Geftändnig Heinrichs VII. , { +85
Auch der große Leibnitz vertheidigt LyEdd al
Ausſpruch der Helvetifchen Eonfeffion , —
Urtheil Luthers und verfchiedener peoteftantifche
Theologen Englands und Deutfchlands, .. 286.
Rouſſeau nimmt die Beichtanftalt fehr in Schutz Ans
Beweisſtellen dafür aus der heil. Schrift,
Zeugniſſe aus dem Urchriſtenthum ——— — 288.
Deftentlihe Beicht , ‚289,
Erforderniffe zur Guültigkeit der kath oliſchen Odrenbeicht 290.
Ablaß; Feſtſtellung des richtigen Begriffs, 2—
Begründung diefer Lehre im A: und. Rt Teftament, —*
Zeugniſſe der Kirchenväter, 2.2 kn des Zridenks,
Bonziliums ;" 293.
Falſche Beſchuldigung: Widerlegung, N
Bilderdienſt, —**
Vorzeit. Sinnbilder der Gottheit ; * Bildnife als
Erinnerungsmittel,
Die Verehrung gilt immer nur ‚dem Urbild, *
Zeugniſſe aus dem Alterthum; Vorſchrift des Mo⸗
ſaiſchen Geſetzes, 295
Anbethung ift unterfagt; als Erinnerungszeichen. wur⸗
den Bilder immer in Ehren gehalten, Ä
—— im apoſtoliſchen —— af 296.
Kaiſer Conſtantin; Zeugniß mehrerer Kirchenväter, —
Ausſpruch des zweyten Conziliums von Nizäa,WM.
Klare Erläuterung durch die — Riecen-
FRA
Benehmen der eformatoren, RL
Urtheile von Molanus, Boffuet und Montague , z - 300.
/ Reliquien: Spuren” im grauen Alterthum, 301.
Urfprung dev Lehre im Hopper Zeitalter, ; Fo
——
5
nn 3
l ex
;
— XVII —
Seite.
Benehmen der erften Ehriften; Beugniffe: der —5 |
däter, | 301.
Richtige Borftellung der Tatholiken ao
Luthers widerfprechende Lehrmeinung, - 304.
Kreuzzeichen; Gebrauch im hriftlichen Alecihum —
Uebereilung der Reformatoren, fi 305.
Zeugniß von Auguftinus und andern Kirchenvätern, —
Zeugniſſe der Griechiſchen und Orientaliſchen Firche, 306.
Grundloſigkeit des Vorwurfs der Anbethung, 307,
Berfchiedene Bedeutung des Ausdrucks Ynbethen —
Unrecht der EEE in abfhaftung des Kreuz
zeicheng , | 309.
Verehrung der H eiligen und: An vufun g
ihrer Fürbitte,
Weinung der Kirche; Verbindun des Geiſterreichs, *
Streitende und triumphirende Kirche, —
Fürbitten der Gläubigen in der heiligen Schrift empfohlen. — F
Vorſchrift des Tridentiniſchen Conziliums,
Vernunftgründe für die Anrufung der Heiligen, ner),
Berhältnif. der, Ehriftert als lieder Eines Leibs, : ' 313.
Durch Anrufung der Heiligen — der Vermitt⸗
lung: fein. Abbruch —
Auch die Proteſtanten glauben an Wirkung der ———
bitten,
Ausſprüche der Kirchenväter , ; —
Religiöſe —— er bey den Pe F
teſtanten,
Abſicht der Kirche, J re - 315,
Ungrund peoteftantifcher Beſchuidigungen, „ya:
Fernere Zeugniffe der — * des ae
von Calzedon, 317.
Benehmen der Kefortnatoren a, tartii 818.
Luthers Urtheil über dieſe Lehre, 240
Defolampad vertheidigt, Beza und Calvin verwerfen fie, 321.
Ausfprüche verfchiedener proteftantifcher Eonfeflionen, —
Die Helvetifche Eonfeffion, auch Grotius: und Molası |.
lanus find diefer Lehre günſtig, 32.
Montagues Geſtändniß; Urtheil Dr. Pants ,. fi 323.
Wie die Heiligen zur Kunde der Anrufung gelangen,
iſt Glaubensgeheimniß , | 324
Abweichende Meinungen der Reformatoren I 1a ee
Tradition; Erläuterung ; Urfprung, : 32.
— AN —
Seite.
Sie ift älter als die heil. Schrift; diefe regen
fpäter und ftufenweife, | 326.
Perhältniffe der Sradition zur heit. Schrift, a 32T.
Shre’ ungertrennliche Berbindung und gleiches Anfehen, —
Die Schrift: haben wir der Tradition zu verdanken, —
Jene wird ducch diefe ergänzt und vervollkommnet, —
Erläuterung diefes Satzes; geſchichtliche Erörterung, 328.
Strenge Prüfung der Tradition ; Grundregel, 330.
Eollifion der Kirchenväter und Reformatoren, . 331.
Einwendung der Proteſtanten; Widerlegung, 332.
Weſentliche Theile des hroteſtantiſchen Cultus gründen
fich auf die Tradition, nicht auf die heilige Schrift, —
Chronologifche Notizen über den Urfprung der Schrif⸗
ten des N. Teſt., 333.
Den Kicchenvätern des chriſtlichen Alterthums diente |
die Traditiom ald Commentar der heil. Schrift, 335.
Beweiſe hiefür aus Polykarp, Ignaz, Baſil, Cle⸗
mens un d., Hirt
Zuther und Calvin halten die Tradition für unentbehr-
lich zur richtigen Schriftauslegung, 337.
Ürtheil von Hugo Grotius , 338.
Auch Semler, Grießbach,, Roſenmüller Paulus u.
a. nehmen” fie in Schuß,
Ausmittlung der vier Evangelien duch die Tradition, 340.
Urteil mehrerer Zheologen der veformirten Kirche
Englands, . 341.
Ehromologifche Notizen über einige der berühmtern
Conzilien, 342.
4. Eu hariftie oder Abendmahllehre ünterſcheidung
der verſchiedenen Confeſſionen, 343.
Was unter der Benennung „ Liturgie — verſtanden
wird, 344.
— des Gatholiken wäre unvereinbar mit Gottes
iebe
Allgemeinheit diefer Lehre zeugt für ihre Wahrheit, 315.
Beſtätigendes Urtheil des Erasmus, _. —
Eine —— in der uralten Lehre hätte nicht. ohne
großes Aufſehen Plab greifen fünnen, > —
Die Geſchichte enthält aber; hiervon Feine Spur, 346.
Paſchaſius, im IX. — ſchrieb uerſt über
die rirlliche — hei in der Euchariftie, —
— AN —
Site.
Dieß Dogma war vorher nie bezweifelt und angefoch—
ten worden, - .
Berengarius, erſter Gegner dieſer Lehre, im⸗ X.
—— vhundert ,
Im Ucchriftenthum ward dag Mefopfer als Seheimmiß
behandelt,
Zeugniß von Tertullian und Auguftinus', 347.
Auch die Liturgien des chriftlichen ee. ent⸗
halten hiefür die vollgültigſten Beweiſe, —
Urtheil proteſtantiſcher Theologen über das Anſehen
dev apoftolifchen Liturgien, .
Disziplin der Geheimhaltung als allgemeines
Gefeß während der vier erften Jahrhunderte , 349.
Zeugniffe von Cyrill, Ambroſius, Origenes, *
Beftatigendes Urtheil von Fleucy, j 350.
Das Miyfterium der Euchariftie ward erſt den er-
wachfenen Zäuflingen von dem Bifchof enthüllt, —
FSälfchlich behaupten die Proteſtanten, daß diefe Ber:
fchwiegenheits - Disziplin erſt vom IV. Sahrhundert
herfiamme, 351
Beweiſe hiefuͤr; Anſchuldigungen der Heiden wider
die Chriſten, —
Verfolgungen der erften Ehriften um dieſer Geheim—⸗
haltung willen, 352.
Zeugniſſe aus Tazitus und Juſtin, 353.
Mit dieſer — als geſchichtliche Thatſache außer allen
Zweifel geſetzten — alten Kirchendisziplin ſteht
die proteſtantiſche Lehre von der figürlihen
Bedeutung im grellſten Widerſpruch, 354.
Lehrbegriff der Reformirten, 355.
Die figürliche Bedeutuug der Euchariſtie hätte jede
Geheimhaltung ganz unnöthig und zwecklos gemacht, 356.
Zeugniſſe der Kirchenväter aus den erſten vier Zabb⸗ |
hunderten für die Lehre von der en
Gegenwart 357.
Ignatius, Juͤſtin, — — Origenes, Tertullian,
Copeian, | Cheyfofiomus, Bernhard,
Ephrem u. a. 358
Urtheil Luthers über" die alterthümlichen Beweiſe für
das Mepopfer , 363
Leibnit über die Geheimnißlehre des Abendmahis J
Ausſpruch von Horſt; gemüthliche Aeußerung Lavaters, 5.
— AÄXI —
Seite.
Kiturgien des chriftlichen Alterthums als zweyter
Hauptbeweis für das —— nen von: der
Euchariftie, : 366
Apoftolifcher Urſpruͤng derfelben ' ; N
Zeugniſſe der älteften Kirchenlehrer, . 367.
DVerfchiedenheiten in den iturgien berühren. nur
aufferwefentliche Theile derfelben , f 3
Die bewundernswürdige Uebereinſtimmung derfelben
_ in der Hauptfache zeugt für das apoftolifche Anfehen, —
Hauptinbegriff aller Liturgien des V. Jahrhunderts, —
Die morgenländifchen Liturgien wurden in Europa
erft im XVII. er beſſer befannt;, H318.
Schlüſſe, —
Underhohlene Meinungen der Kirchenväter über bie
Euchariftie, aus ihrem Unterricht der Neophyten
geſchöpft, 373
Nicht ein einziger von ihnen hat je in Bezug auf
die Euchariftie eines bildlichen Vorftellungs - oder °
Erinnerungszeicheng erwähnt, 377.
Die Gegner des Fatholifchen Dogmas von der Eucha⸗
riſtie berufen ſich nur auf jene dunkeln Stellen
der Väter, hauptſächlich des Auguſtins, wo fie im
Unterricht der Catechumenen durch die Dat we |
haltungsdisziplin gehemmt waren, . 378.
Die Unergründlichkeit dieſer Gfaubenslehre ift auch
den Vätern keineswegs entgangen; ſie —*
aber ihren feſten Glauben nicht,
Anwendung , | 379.
—— proteſtantiſcher Theologen Sonn, ‚Ken,
orbe
Berengar als erfter Gegner dieſes Dogima; ‚fein
Widerruf, 381.
Malmesburys Nachrichten über feinen Tod, a
Merkmürdiger Ausſpruch des Erasmus, 382
Einwendungen der Proteſtanten, — * —* Stel.
len aus Auguftinus, . 11,384.
Urtheil Luthers hierüber‘, | 385.
Unmiffenheit des XVL Scpchuinerte über das ri
liche Alterthum, —
Beſtätigende Neuferung von Caſtellio —V "386.
Beweife hiervon aus on ee ‚einiger ‚Re
formatoren ,
— XXI —
Seite.
Vebergang zue Prüfung von der A —
Stiftung, 389
Die Berbeif — ung der Euchariſtie von Ehriſto
ward uns einzig von Johannes aufbewahrt, wäh⸗
rend die — ein Sahr fpäter erfolgte — wirkliche
Einfeßung nur von den übrigen drey Evangeliften
aufgezeichnet wurde, —
Durch das unmittelbar vorhergehende, "Wunder der
Brotvermehrung macht der Exlöfer feine ‚Suhörer
für die ihnen nun vorzutragende Lehre empfanglich,
Nähere Zergliederung dieſes Vortrages, 2
Ehriftus naht fich auf dem ftürmifchen Se den ——
ängſtigten Jingern,. 390.
Sein Unterricht am folgenden Tag vor der verſam⸗ n
melten Judenmenge, —
Er verpflichtet ſie zu unbedingtem Glauben an den.
Gefandten Gottes, —
Er ſtellt ſich ſelbſt ihnen dar als das wahre j vom
Himmel gekommene, und ewiges Leben gewäh⸗ |
rende Brot, — +
Er verfpricht feinen Zuhörern in klaren Worten
fein eigenes Fleiſch als himmliſche Speiſe,
deren Genuß. ihnen ewiges Leben verbürge,, 1391.
Dieſen Ausdruck finden feine Hörer anſtößig,— —
Des nämlichen Unglaubens machen ſich auch die
Proteſtanten fchuldig, ‚392
Sefus fieht, daß die Juden ob dem ‚Begriff des
wefentlichen wirklichen Genuffes ſich ärgern; den⸗
noch wirft er ihnen nur Unglauben, keineswegs
aber Mißverſtand vor, _.
Er wiederhohlt vielmehr zu verſchiedenen Malen, und
in verſtärkten Ausdrücken das ſchon Gefagte über
den wahr haften Genuß feines Fleiſches und Bluts, —
Selbſt die Jünger nahmen Anſtoß an dieſer von.
Chrifto immer mehr befräftigten "Behauptung ‚39.
AR macht fie —— daß ihnen: dieſe Lehre
nad feiner Himmelfahrt noch auffa lender
und un beg reifliche rwerde vorkommen müſſen,
Dieß kann nur dann der Fall ſeyn, wenn
wahre weſentliche Gegenwart vorausgeſetzt wird,
nicht aber bey einer bloß — en Bedeutung ,
des a i 396
— XAHI —
Seite.
Viele Sünger verlaſſen Sefum ‚ weil die. unbegreife
liche Lehre vom w irtlicen Genuß fie zurückftößt,
während die figürliche Bedeutung En Faf-
ſungskraft leicht befriedigt hätte, 398.
Beharrliche Anhänglichkeit der Apoftel, 00.
Summarifcher Be dieſes Umerrichts in 401.
Stolbergs Urtheil hierüber‘, 403.
Die Einſetzung des Rachtmahls ſelbſt, nach der
Erzählung von Mathäus, Markus und Lukas, |
Gefchichtliche, Einleitung‘; ; Genuß des Ofterlamms 5
Fußwaſchung, 405.
— bieſes Einfegungsakts mit ‚ber
früheren Berheiffung,
Sfeichförmigfeit der — — bey den” drey
Evangeliſten und dem Apoſtel Paulus, % —
Allgemeinheit dieſer Glaubenslehre big” zum: AL. ;
‘ Bahrhundert, 407.
Schisma zu Anfang des XVI. "Sahehunderts —
Luther behält das Dogma der wirklichen Gegemwäßt:
bey , und erklärt fi) nur ‚gegen ‚die Transſub⸗
ſtantiation, 9, —
Seine. nachdruiefaine- Behauptung des buchftäblichen
Sinnes der Einfekungsmworte, —
Merkwürdige Zeugniſſe angeſehener Calviniſten und
engliſcher Theologen zu Gunſten des katholiſchen
Dogmas von der Subſtanzverwandlung, . 408
Nur Zwingli beharrt auf dem figürlichen Sinn, und
wird degwegen von Hausfchein werlaflen , 1.
Controverfen zwiſchen Bodenſtein, Zwingli und
Hausſchein/ —
Prüfung der Zwingliſchen Beweisgründe für ‚die
figürliche Bedeutung „on. 414
Der wahre Grund des Widerfpruches gegen die Lehre
von der Transſubſtantiation iſt wohl nicht von der
heil. Schrift herzuleiten
Sondern von den philofophifchen Schluffolgen, zu
welchen die Annahme: jener Lehre — 425
Erläuterung; Berichtigung, u Tal Her
Geheimniß der göttlichen Almacht,
3eugniß von Hilarius; der Confeffi on von Wittenberg, 426.
Audy der Proteftant glaubt an J— ——
niſſe und Wunder 427.
— XXIV —
Seite.
Gottes Wege find nicht der, Menfchen Wege. Zeug—
niffe aus Esdra und einigen Kirchenlehrern des
Altertbums,, 428.
Nachtrag. Ueber Entziehung des Kelchs in der
chariſtie. Auch in. den erſten Jahrhunderten der.
Kirche. ward die Communion oft nur: unter Einer 9
Geſtalt des Brots empfangen, ge
Beweisftellen des N. T., wo nur des Brothrechens ge⸗
dacht wird, pri
Befugniß der Kirche zu ſoicher Anordnung, 430.
Beifpiele aus der Kirchengefchichte des xl und Xu
Sahrhunderts, | me
Beranlaffung der. Entziehung des Kelchs, dl
Befchluß des Conziliums won: Bafel, ? 431.
Schluß .der Erörterung über die Euchariftie, ; —
Summariſche Weberficht.des Ganzen. Refapitur
lation. Leiftungen der Reformatoren, 433.
Shre Beftreitung alter kirchlichen Authorität, : 435.
Shre Anmaßung der willführlichen Scheiftausfegung, Aa)
Veberficht ihrer Neuerungen, ı . |
Kreuzzeichen. Bilderverehrung. Reliquien, dokn 436.
Ancufung der Heiligen. Gebeth für die Berfiorbenen, 437;
KReinigungsort. Ablaß. Bußwerke. Beicht. Euchariſtie, 438.
Erklärung der Gründe ihres Benehmens, 441.
Unwiffenheit ihres Zeitalters. Unbefanntheit der brien ·
taliſchen Liturgien, . —
Einfluß der Buͤchdruckerkunſt auf die Verbreitung wiſ⸗
ſenſchaftlicher Bildung, —
Gründliche Werke über Kirchengefchichte u. Alterchum, 42
Vollſtändigkeit der kirchengeſchichtlichen Forſchungen, 443.
Vorzüge des jekigen: Beitalters vor den frühern in
wiſſenſchaftlicher Beziehung,
Die Urheber der Kirchentrennung würden wohl: im;
Befik der jetzt befannten Hülfsmittel eine ganz
.. andere .Glaubenslehre aufgeſtellt haben —
Befugniß und — zur BR on des Sven
Ä nungswerkes,
Beyſpiel von England , }
Nachdruckſame Aufforderung eithes angefehenen refor ·
mirten Schriftſtellers,
Erfolgloſigkeit der bisheri en Berfuche zur Herſtelumg
der Einheit unter den nen Urſache hiervon 446,
— XXV —
Seite. .
Urtheil von Hugo Grotius , Thorndyfe, und der Uni-
verfität Helmftädt, -, ; 2 “ A
Keine weltliche Obrigkeit würde wohl heutzutage das
Recht Ficchlicher Reform in Anfpruch nehmen,
und dadurch dem Machtgeboth des Erlöfers ſtracks
zumiderhandeln 3 s i 448
Die Spaltung fo und darf, nach erlangter Einficht
und Heberzeugung ihrer Berwerflichkeit, nicht fort-
beſtehen, ET, 449
Sekiger Zuftand des Proteftantismus, gefchildert von
einigen der angefehenften veformirten Theologen
unferer Zeit, j } r h _
Das Vorrecht des Proteftantismus führt unausmweich-
lich zur Verwirrung, zum Sndifferentismus, zum
Unglauben, . ; i ; BUN MB,
Die Bereinigung der chriftlichen Parteyen kann, weil
von des Chriſtenthums göttlihem Stifter verheißen,
— dee a Mein WE Kl 453
iefer Bereinigung Vorſchub zu Teiften ift höchfte
Pflicht des Ehriften, . y ; Ä 454.
Beleuchtung der Borurtbeile, Berichtigung der Be—
griffe ift das weſentlichſte Hülfsmittel dazu, —
Anwendung. Schluß. Einheit im Glauben als
ewig gültiges Machtgeboth des Erlöfers, als Grund-
lage all feiner Lehre, als Bermächtniß feines letzten
Unterrichts auf Erde, und als Hauptbeweis
für die Göttlichkeit feiner Sendung, 45.
Anhang. Erläuterung der in diefer Schrift vorkom—
menden Wörter aus fremden Sprachen , 457
Einheit der chriftlichen Glaubenslehre.
Ubi unitas ibi perfectio.
S. Bernh.
Wo Einheit ift, da ift Vollkommenheit.
Um die hohe Wichtigkeit und Unerläflichkeit diefes Grund-
geſetzes recht anfchaulich zu machen, gehen wir auf die
Stiftung des Chriftenthums zurück, und vernehmen fo»
wohl die Willensmeinung des Gottmenfchen felbft, als
auch die Ausfprüche und Zeugniffe feiner Apoftel und
ihrer Nachfolger in den erften Sahrhunderten der Kirche.
Wir werden dadurch volle Gewißheit erlangen, daß Jeſus
Ehriftus der Menfchheit ein göttliches Gefek brachte,
und daß feine heilige Abficht war, alle Bölferfchaften
durch das Licht der Offenbarung in eine einzige Ber-
brüderung zu vereinigen. Eine Aufgabe, unerreichbar zwar
für jeden fterblichen Gefehgeber, aber würdig des von Gott
gefandten ABelterlöfers !
Deutlich erkennen wir diefen Hauptzweck der Dffen-
barung, nämlich die Berufung aller Bölfer der Erde und
Bereinigung derfelben zu einem Körper und einer Lehre
aus Sefu eigenften Berkfündigungen. S. Math. XXIV,
44. und vorzüglich nach feiner Auferficehung, Math. XXVIII,
IF Ach,
Nirgends aber findet fich diefer Gedanfe fo herrlich
entfaltet und durchgeführt, wie in jener traulichen Her—
zensergießung, in jenem hohenprieſterlichen Gebeth Jeſu,
welches uns der Jünger, „den er lieb hatte,“ als unver-
gängliches Denkmahl feiner göttlichen Huld und Weisheit
aufbewahrte. (Joh. XVII.)
De
Eben war er im Begriff, vom irdifchen Schauplatz
feiner fegenvollen Wirkfamfeit abzutreten, als er noch
feine Apofteljünger zum endlichen Abfchied um fich verſam—
melte. In anfchaulichen Sinnbildern führt er ihnen ihr
gegenfeitiges Verhältniß zu Gemüthe; er giebt ihnen durch
die Fußwaſchung das eindringende Beifpiel der Demuth
und Beſcheidenheit; ev ftiftet jenes ewig merfwürdige Ge-
dächtnigmahl, beveitei fie auf die nahe Trennung vor, und
verheißt ihnen als trofivolfen Beyftand und Erfaß den Geift
der Wahrheit; er ermahnt fie durch die lehrreiche Gleich:
nigrede vom Weinſtock zur ftandhaften Anhänglichkeit an
feine Lehre; er erklärt die Schüler und Sünger nun
zu feinen erwählten Freunden, fchärft ihnen gemein-
fchaftliche Liebe als erſtes Pflichtgeboth ein, und beruhigt
fie durch die feyerliche Zuficherung der Erhörung ihrer
Gebethe. Dann richtet er Hände und Augen gen Himmel
empor, und beginnt jenes ſalbungsvolle Gebeth, welches —
wie einft im traulichen Kreiſe feiner geliebten und lieben-
den Freunde — fo auch jet noch und immer die tieffte
KRührung in jedem fühlenden Herzen hervorbringen muß.
Dev Gottmenfch fpricht von feiner nahen Verklärung, und
fchließt feinen leßten Unterricht hiernieden mit der feyer-
lichen Aufforderung zur Einheit in Glauben und
Kiebe. ;
Heiliger Vater, fo fleht ev aus tiefbewegter Bruft zur
Himmelshöhe empor, erhalte die du mir gegeben haft in
deinem Nahmen, daß fie Eins feyen gleich wie wir
Eins find. Auch für alle, die durch ihre Lehre an mich
glauben werden, bitte ich, daß ſie alle Eins feyen,
wie du in mir und ich in dir, daß auch fie in ung Eins
feyen, Damit die Welt glaube, dag du
mich gefendet habeft. Die von dir mir verliehene
Herrlichkeit habe ich auch ihnen mitgetheilt, Daß fie Eins
feyen wie wir Eins find, ich in ihnen und du in
mir, auf daß — fo mwiederhohlt der Welterlöfer mit bedeu-
tungsvollem Nachdruck — fie vollfommen Eins feyen,
2
— [9 } —
und die Welt daraus erkenne, daß du mid
gefendet habeft, und daß du fie liebeft, wie du mid
fiebeft. Sa, ich will, gerechter Vater, daß auch fie bei
mir feyen und meine Herrlichkeit fehen.
Per kann diefe Abfchiedsrede Sefu leſen, ohne ihre
hohe Bedeutung feinem Sinn und Herzen tief einzuprägen!?
Der einzige Gegenftand feines hetzten Gebeths, und der
Zweck feines Opfertods, war alfo: daß alle Menfchen
durch Einheit im Glauben verbunden feyn follen. Diefe
unzertrennlihe Einheit feiner Kinder ſollte die
Welt von feiner göttlihben Gendung überzeu—
gen, — der chriftlich einträchtige Bruderſinn follte die
Ungläubigen gewinnen und die Ausbreitung des Glaubens
befchleunigen. Dieß ift im V. 21 und 23 ganz klar aus»
gefprochen. Gäbe es wohl einen eindringendern Des
fehl für die Menfchheit, als diefen Wunfch — diefe in-
nigfte Bitte — dieß heilige Bermächtniß des Erlö-
fers! Und wann er vollends felbft erklärt, daß aller Er—
folg, aller Ruhm feiner Sendung nur von diejem
Geift der Einheit abhange, wer follte da noch Ohr und
Herz feiner Stimme verfchliegen können?!
Sn welche Wonne und Entzückung mußten wohl die
Apoftel bei Anhörung dieſes Gebeths verfunfen feyn! welch
tiefe Wirkung mußte ein folcher Ausdruck des Gefühls und
der Wahrheit in ihnen hervorgebracht haben! Wie oft
mögen fie an diefe legte Abfchiedsrede zurückgedacht, — dies
felbe jeder neuen — durch ihren heiligen Eifer geftifteten —
Kirche als Denkmahl der Göttlichkeit Sefu verfündigt —
und wie oft diefe Abfchiedsworte ihren Gläubigen zur Wars
nung vor jedem Swiefpalt eingefchärft haben!
Daß diefes Gebeth Sefu auch wirklich das Loſungs—
wort ihres evangelifchen Eifers war, daß fie die Glaubens»
einheit als Hauptgrundfak des Chriſtenthums verkün—
digten, erfehen wir aus zahlreichen Deweisftellen der heil.
Schrift, vorzüglih Röm. XI, 4.5.46. XV, 6. XVI
17, Cor. 1, 40. XIV, 33. AU, 12. 43. 2 Eor, XIH,
4 *
Se
44. Eph. IL, 16— 22. IV, 1—6, 13-15. Phil. IT, 27.
1 5 Aa Au Ps a
Nächſt der heiligen Schrift entnehmen wir auch aus
der VWeberlieferung der erften Sahrhunderte die un-
läugbarften Beweife, daß die Lcchriften über das Dogma
der Ölaubenseinheit die Tebhafteften, deutlichften Begriffe
hatten, indem fie nicht nur aus den Schriften des Neuen
Zeftaments dieſe Lehre fchöpften, fondern überdieß noch
den unſchätzbaren Bortheil genoſſen, Diefelbe aus dem
Mund der Appftel felbit fowohl als ihrer erften Gehülfen
zu vernehmen, welchen die Nachwelt den fchönen Nahmen
„apoftolifher Männer“ beylegte, und deren ehrmürdige
Stimmen auch wir nun hören werden.
Die ältefte Urkunde aus jener Zeit find wohl die Briefe
des heil. Clemens, welche von den Vätern beynahe den:
jenigen der Apoſtel gleichgeachtet werden ; er begleitete,
wie Zitus und Zimotheus, den heil. Paulus auf feinen
Reifen und gieng mit ihm nach Rom, wo er im Sahr 89
dem heil. Petrus als Bifchof nachfolgte. Aus Veranlaſ—
fung eines in Corinth, wie zur Zeit Pauli, fidy erhobenen
Streits fchrieb er an die dortigen Gläubigen einen treffli-
chen Brief, welcher in allen Kivchen des Drients lange
Zeit hindurch zugleich mit den canonifchen Büchern vorge-
fefen ward. Er beklagt darin die unter ihnen ausgebrochene
„gottlofe und abfcheuliche* Spaltung, ermahnt fie zu ihrer
vorigen Frömmigkeit zurüczufehren, und macht fein gan—
zes Anfehn al3 apoftolifcher Oberhirt zu Herftellung
der Einheit geltend.
Ignatz, Schüler der Apoftel Petrus und Johannes,
welcher den Erlöfer nach feiner Auferftehung felbft gefehen
zu haben bezeugt (ego vero et post resurrectionem in carne
eum vidi, fchveibt er epist. ad Smyrnzos $. II. p. m. 5.)
und, nachdem er als dritter Bifchof von Antiochien diefer
Kirche durch vierzig Sahre vorgeftanden war, zu Ron im
Sahr 107 unter Trajan mit der Märtyrerkfrone gefchmückt
ward, fehrieb mehrere Briefe an die Gemeinden von Smyrna,
——
Epheſus u. a., welche als die. koſtbarſten Denkmahle des
Glaubens und der Disciplin dev erſten Kirche betrachtet
werden, und worin ev die Gläubigen vor jeder Spaltung
als vor dem größten Unheil warnt,
Polykarp (Bifchof von Smyrna, Schüler des heil.
Sohannes, und Lehrer des Irenäus), melcher in einem
Alter von 90 Sahren noch die Reife gen Rom unternom—
men hatte, um fich mit dem Papft Anicet über ‚Gegen-
ftände der Kicchenzucht zu befprechen, und dann im J. 166
in feinem hundertften Lebensjahr zu Smyrna den Marter-
tod litt, drückt in feinem Brief an die Philippiner feinen
vollen Abfcheu gegen alle Geftierer aus,
Suftin, welcher — nachdem er alle Sekten der Phi:
lofophen ducchwandert und -dann zur Platoniſchen Schule
ſich bekannt hatte — zum Chriſtenthum übergegangen war
und im Jahr 467 zu Rom unter der Regierung des Kai—
ſers Mark Aurel als Märtyrer ſtarb, verfaßte zu Gunſten
der Chriſten zwey Schutzſchriften, deren eine er dem Kai—
ſer Antonin dem Philoſophen und die andre dem römi—
ſchen Senat überreichte, in welchen beyden er — ſowie in
ſeinem Geſpräch mit dem Juden Trypho — die Kirche als
eine Einzige unauflösbare Gemeinde darſtellt.
Srenäus, geb. im J. 420, geft, als Märtyrer im
—3 203, Schüler Polykarps, zuleist Bifchof in Lyon, fagt
in — gründlichen Werk über die Häreſieen B. 4. 8.3 33;
„Gott wird diejenigen, welche Spaltungen Herbeyführen,
als grauſame Menfchen verurtheilen, die feine Liebe für
ihn haben, nur ihren eignen Vortheil — nicht die Einheit
der Kirche — beabjichtigen , den glorreichen Leib Sefu Chrifti
auflöfen, zevreißen und foviel an ihnen liegt vernichten,
von Friede zwar immer fprechen, aber Kries und Ent—⸗
zweyung ſtiften?“ u. few. -
Dionys, Bifchof in Alerandrien im I. 252, ſchrieb
an Novatus: Wenn e8 dich im Ernft fchmerzt, diefen Irr⸗
weg eingeſchlagen zu haben, ſo beweiſe es durch ſchnelle
Rückkehr; lieber alle Leiden ertragen, als ſich von der
Bi: ee
Kirche Gottes trennen; wenn man durch Hinopferung fei-
nes Lebens die Kirche vor Spaltungen rettet, fo ftirbt
man als ruhmvoller Märtyrer für die ganze Kirche.
Eyprian, der im I. 258 unter Balerians Regierung
als Märtyrer geftorbnne große Bifchof von Sarthago, fchreibt
in feinem trefflichen Werk über die Einheit: „Bilden fich
denn die Schismatifer ein, daß Jeſus Ehriftus in ihren
Berfammlungen fey? fie, die fich außer feiner Kirche ver-
fammeln! Cie mögen wiffen, daß — menn fie auch mit
Berluft ihres Lebens den Nahmen Sefu befennen — dennoch
mit den Strömen ihres Bluts der Fleden des Schisma
nicht vertilgt werden könnte.“ (Diefer Glaubensheld, von
welchem im Berfolg noch oft die Rede feyn wird, war in
Carthago von heidnifchen, fehr begüterten Eltern geboren,
und von Faftius — einem Velteften der dortigen Gemeinde —
zum Chriſtenthum befehrt, dann bald nachher felbft auch
zum Welteften und hierauf zum Bifchof erwählt worden.
Die Briefe, welche er während feiner unter Kaifer Dezius
erlittenen Verfolgung an feine Gemeinde fchrieb, nebft an-
dern verfichiedenen von ihm verfaßten Abhandlungen, find
für die Geſchichte der chriftlichen Kirche von höchftem Werth.)
Hilarius, Bifchof von Poitiers, geft. im J. 367,
eifriger Bertheidiger des Chriſtenthums gegen die Arianer,
fchrieb 12 Bücher de trinitate, das Buch de synodis u. a. m.
und fpricht fich ebenfalls aufs Fräftigfte für die Einheit aus.
Dptatus, Bischof zu Mileve in Numidien, fehr bes
rühmt durch feine 7 Bücher über die Trennung der Do—
natiften, beweist im 1 DB. 21 Kp., daß das. Lafter des
Schisma weit fchlimmer fey als BÖrudermord und Abgöt—
terey. Kain, fagt er, ward nicht mit dent Tod beftraft,
und die Niniviten erhielten von Gott Zeit zur Buße. So—
bald aber Cora, Dathan und Abiron anfiengen Spaltungen
unterm Volk anzuzetteln, öffnete die Erde ihren Rachen
und verfchlang fie nebft ihren Mitfchuldigen. (Vergl. auch
Cyprian in feinem Bud) de unitate.) —
Chriſoſto mus, geſt. im J. 407, ſagt: „Durch nichts
——
wird Gottes Zorn fo ſehr gereizt, wie durch die Spaltun—
gen in feiner Kirche, Hätten wir auch de3 Guten in zahls
(ofer Menge getban, fo geht für uns dennoch alles Ver—
dienft verloren, wenn wir die Gemeinfchaft der Kirche auf:
gelöst und den Leib Sefu Ehrifti zerriffen haben.“
| Auguſtinus, geft. im I. 430 in feinem 76. Lebens⸗
jahr, ſchreibt: „Das grauſame Laſter, das vorzüglich wilde
Verbrechen des Schisma übertrifft weit alle übrigen Laſter
an Schändlichkeit. Jeder, der auf dieſer Welt einen Men—
ſchen von der Kirche trennt, iſt dadurch überwieſen ein
Mörder und ein Kind des Satans zu ſeyn. Wohl heilen
die Donatiften jene, welche fie taufen, von der Wunde der
Abgötterey, aber fie fchlagen ihnen dagegen eine noch fchmerz-
lichere Wunde, jene des Schigma. Zu Zeiten mähte zwar
der Here durch feine Genfe die Abgötterer; die Abtrünni-
gen aber verfchlang. die Erde lebend in ihren Abgrund,
Außer dem Schooß der Kirche, nachdem du die Bande der
Liebe und Einigkeit zerriffen, haft du nichts als ewige
Strafe zu erwarten, feldft dann noch, wann du für den
Nahmen Sefu deinen Körper den Flammen überantwortet
hätteft. *
Mit welch glühender Kiebe ſprachen all dieſe Kirchen—
väter von der Einheit! wie eifrig waren ſie bedacht, auch
ihrer leiſeſten Verletzung entgegen zu arbeiten! und welch
ſchreckliches Verbrechen war in ihren Augen das Schisma!
Noch würden ſich viele Beyſpiele hierfür aus den Schrift—
ſtellern der fünf erſten chriſtlichen Jahrhunderte, aus Ter—
tullian — (dem Lehrer Cyprians) aus Origenes, Clemens
von Alexandrien, Laktantius, Euſebius, Ambroſius u. a,
anführen laſſen, ſowie aus den Entſcheidungen der Pro—
vinzial= Eonzilien zu Elvir im J. 305, Arles 314, Sar—
ragoſſa 381, Carthago 398, Turin 399, Toledo 400; fer:
ner aus jenen der vier erften allgemeinen Conzilien von
Nizäa im Jahr 325, Eonftantinopel 351, Ephefus 4341
und von Calzedon im S. 451. —
Wir fehen demnach die Einheit ald Hauptgrundlage
ID a
der chriftlichen Glaubenslehre in dem klar ausgefprochenen
Willen des Stifters felbft — dem eindeingenden Unter-
richt feiner Apoſtel — und den unverwerflichen Zeug-
niffen ihrer heldenmüthigen Nachfolger, in den ehrmwür-
digften Urkunden des Alterthums, feft begründet. Verneh—
men wir nun auch noch einige befräftigende Ausfprüche
neuerer Zeiten, felbfi proteftantifcher Confeffionen,
welche den Werth und die Nothwendigkeit diefer
Einheit ebenfall3 auf3 nachdruckſamſte behaupten. -
So fagt . B. die Augsburger Eonfeffion Art. 7:
„Wir lehren, daß die Eine heilige Kirche ewig beftehen
wird. Zur wahren Einheit der Kirche gehört Anfchliefung
an die Xehre des Evangeliums und an die Verwaltung der
Saframente nach dem Ausfpruch des heil. Paulus: Ein
Glaube, Eine Taufe, Ein Gott und Vater Aller,“
Gallifanifche Eonf. Art. 16. „Wir glauben, daß
Ale die Einheit der Kirche bewahren follen; jeder, der
davon abweicht, widerfteht der Ordnung Gottes. “
Schottifhe Conf. „Wir glauben beftändig, daß
die Kirche nur Eine fey. Wir verwerfen volftäindig die
Gottesläfterung derjenigen, melche behaupten, jeder Menſch
fönne felig werden, wenn er nur nach Billigfeit und Ge—
vechtigfeit lebe, er möge übrigens zu was immer für einer
Religion fich befennen. “
Delgifche Eonf. „Wir glauben und befennen Eine
einzige Fatholifche Kirche ; wer fich von diefer wahren Kirche
trennt, empört fich offenbar gegen den Befehl Gottes, “
Böhmifhe Eonf. Art. 8 „Wir haben gehört,
daß alle die Einheit der Kirche beobachten follen, daß nie-
mand Sekten ftiften und Empörungen anzetteln foll,“
Helvetifhe Eonf. von 1566. Cap. 14. „Wir neh—
men an, bewahren und glauben mit veinem Herzen, und
befennen frey und heiter über die Menfchwerdung Chriſti
die Sprüche, Symbole und Befenntniffe der vortrefflichen
vier alten Haupt-Conzilien zu Nizäa, Conftantino-
vel, Ephefus und Ealzedon, fammt dem Symbolo der
PEN OR
Bekenntniß des heil, Athanaſius, und aller and-
ver, die mit dieſem gleiche Bekenntniſſe des wahren
Glaubens gethan. Und alfo behalten wir aufrecht und
ganz lauter den reinen, unverfälfchten, wahren, und ka—
tbolifchen oder allgemeinen, uralten, heiligen, chrift
lichen Glauben, und wiffen gründlich wohl, daß in den
vorbenannten Symbolen nicht3 begriffen noch befannt ift,
das dem Wort Gottes nicht allerdings gemäß, und
genugfam fey den wahren Glauben zu erklären. “
Ebendafelbft Art. 12. „Ale, welche die Verſamm—
[ungen der Gläubigen, wie fie feit den Zeiten der
Apoftel von jeher gehalten wurden, verachten und ſich
von ihnen trennen, find auch Verächter der wahren
Religion, und folen von den Hirten und frommen Ge—
richtsperfonen bemüßigt werden, in ihrer Trennung nicht
hartnädig zu beharren.“ | |
Cap. 417. „Die Kicch wird katholiſch, d. i. allgemein
genannt, darum daß fy fich zu allen theilen der welt auch
zu allen zeiten erſtrekt, und nit verfchloßen wirt in einiche
ort oder zeiten. Die heilig Kirch ivret nit, diewyl
fy befteht auf dem felfen chrifto und auf dem fundament
der propheten und apoftel. Die Gemeinſame mit die-
fer vechten waaren Kirch Ehrifti haltend wir fo hoch,
daß wir lehrend, daß alle die fich von ihr abfondernd,
vor Gott kein Leben habend, und darum lehrend wir
daß, die leben und heyl werden wöllind, in der rechten
Kirch Ehrifti blyben müßind,“
Cap. 18. „Sodann die großen allgemeinen Synodi oder
Coneilia gehalten wurdend nach dem apoftolifchen By—
fpiel, zu Heil und nit zum Berderben der Kirchen, habend
wir ab inen fein mißfallen noch abfcheuchen. “
Diefe Stellen aus der helvetifchen Confeffion ftimmen
gänzlich überein mit der fchon im Jahr 1545 durch den
Druck befannt RER Confess. orthod. Tigur. Eccles.
ministr. contra Lutherum,, wo e8 im Tr. 2. p. 51, 54 und
55 heißt:
— ——
„Wir pflichten jenem Glauben und Bekenntniß
bey, welche die heiligen Diener Gottes und der Kirche,
und zwar zuerſt in Nizäa, nachher aber auch auf der
Eynode zu Conftantinopel, nad dem Wort Gottes,
gegen Arius und Macedonius, chriftlich und rechtaläubig
ausgefprochen haben; und da das Symbol des Kirchen-
vaths zu Nizäg in demjenigen von Eonftantinopel
fich beftätigt findet, fo befennen wir und mit der
fatholifchen Kirche aud) zu diefem mit Mund und
Herzen.
Auch diejenigen Symbole oder Slaubensartifel, welche
in andern Synoden der Bläubigen verfaßt und angenoms
men wurden und von jenen erften älteften herſtammen,
zumal die Symbole und Befchlüffe der 5ten und 6ten
Synode von Eonftantinopel — der Aften, Aten und 6ten
von Zoledo — anerkennen wir ald ähtchriftlicy und
vechtgläubig, indem wir auch nach Derfelben glau>
ben und unterridten.
Alle andern mit jenen älteren übereinftimmen-
den und gleichförmigen Symbole, wenn fie auch nur von
einzelnen Dienern der Kirche — nicht von allgemeinen
Synoden — verfaßt und angenommen find, wie 3. B. da3
Blaubensbefenntniß von Srenäus, Tertullian, Eyrill,
Hieronymus und andern Kirchenvätern, welche der
chriftlichen rechtgläubigen Lehre zugethan find, anerken—
nen wir ebenfalls, und halten fie für ganz unver-
werflih. Darum fo glauben und lehren mir in
Zürich auf ſolche Weife, wie vor ung fchon Athana-
fius und Damafus geglaubt und gelehrt haben. “
Hier darf nicht unbemerkt gelaffen werden, daß in den
Synodal-Eiden einiger reformierter Städte der Schweiz
(©. auch die Zürcherfche Predifantenordnung von 1532)
die Sandidaten angeloben: „gemäß diefer Evangelifch
Eidsgenöffifchen Eonfeffion zu lehren und zu predigen!!“
Sm Katechismus der von Zwingli reformierten Zür—
cherfchen Kicche lautet dev IX. Artikel: ich glaube in eine
Mi =
heifige Fatholifche chriftliche Kirche. Diefer Artikel ftimmt
demnach in Wort und Geift zmifchen der Fatholifchen und
reformierten onfeffion vollkommen überein. Die Er-
läuterung im Katechismus giebt vier Gründe für die
Katholizität oder Allgemeinheit diefer von ihr geglaubten
und anerfannten Kirche an: 1) weil fie von Anfang der
Welt (?) bis an den jüngften Tag beftehe, 2) weil fie durch
die ganze Welt (?) fich erftrecfe, 3) weil alle jetzigen und
fünftigen Gläubigen derfelben angehören, und 4) weil alle
Gläubigen nur immer Eine Lehre hatten und noch haben,
nähmlich die von den Apofteln mündlich gepredigte
und fhriftlich hinterlaßne.
Selbſt Calvin, Institut. L. V erklärt: „ſich von der
Kirche entfernen ift foviel al3 Jeſu abſchwören; man
ſoll fich alfo. fehr vor folch einer verbrecherifchen Tren-
nung hüthen. Es läßt fich keine graufamere Frevelthat
denfen als: durch einen gottesläfterlichen Berrath das Bünd-
niß aufzulöfen, welches der einige Gottesfohn mit den Men-
fchen zu fehliegen fich würdigte. “
Auch Melanchton, Peter Martyr, Du Pleßis u. a. m.,
ſowie vor ihnen noch Joh. Huf, trugen die nähmliche Lehre
vor. Belege aus proteftantifchen Schriftftelleen Englands,
welche das Schisma als das größte Unglück für die Kirche
erfläven, enthält die hist. eccl. de Collier, 223. &.899, 900.
Sacob der I, als Dberhaupt der englifchen Kirche,
und fein Theolog Safaubonus, fagen in ihrer Antwort
an den Cardinal Du Perron: „daß alle jene fein Heil zu
hoffen haben, welche ſich von der Eatholifchen Kirche ab-
trennen, oder aus der Gemeinschaft diefer Kirche abtreten.*
Vorzüglich merkwürdig find auc) die Neußerungen des ge—
Iehrten Pearfon (geb. 1613, geſt. 1686) über diefen Ge-
genftand in feinem großen Kommentar über das Symb.
Apostel. , und Sam. Parfers, Bifchof von Orford, in
religion and Loyalty 1684.
Wir haben nun die ernften Stimmen der apoftolifchen
Ueberlieferung, dev älteften Eonzilien und der ehrwürdigen
>
Kicchenväter vernommen; wir haben die Urtheile der auf:
geklärteften Männer der proteftantifchen Kirche, der be—
vühnteften Theologen, und aller in Deutjchland, Franf-
veich, England und der Schweiz befannt gemachten Glau—
bensbefenntniffe damit in auffallendem Einklang gefunden.
Wohl mußte das Dogma der Einheit ftar£ und überzeu-
gend feyn, da es felbft in den Schooß des Schisma ein
drang — felbft von den Abtrünnigen erfannt und gefühlt
— ward. Einheit in der Kirche und im Glauben ift und
bleibt demnach unter allen evangelifchen Gefeken das vor-
züglichfte, — Spaltung und Trennung unter allen menfch-
lichen eigenmächtigen Pflichtverlekungen die vermwegenfte.
Wenn nun von dem göttlichen Stifter des Chriften-
thums die Einheit als Haupterfordernig und Grundlag
feiner Slaubenslehre aufgeftellt, jede Spaltung aber ala
MWiderftand und Empörung gegen feinen heiligen Willen
‚ erklärt ward, fo geht fhon daraus auch die Gewißheit her-
vor, daß ev uns irgend ein Mittel zur Erhaltung
und Behauptung diefer Einheit müſſe verliehen haben.
Hierfür bürgen ung Gottes Allmacht, Weisheit und Liebe —
welche niemals täufchten noch täufchen Fonnten. — Un:
möglich kann jeder Sterbliche durch das Licht einer un—
mittelbaven Offenbarung einzeln erleuchtet — infpiriert —
werden, fonft würden freylich nie die Bande der Einheit
unter uns fich auflöfen. Unmöglich Eonnte es auch die
Abficht Jeſu feyn, daß feine Lehre von jedem Einzelnen
nah. Gutdünfen ausgelegt werden möge. Berfihie-
denheit im Glauben, Mannigfaltigfeit in der kirch—
lichen Regierungsform war — wie. wir. bereit3 gefehen
haben — dem Zweck feiner Sendung auf Erde ganz zu—
wider. Es läßt fi) wohl fein andres Hülfsmittel denken
als: das Anfehen einer oberften Authorität, welcher das
Recht zuftehe zu entfcheiden, was geoffenbaret fey,
und deren Ausfprüchen alle Menfchen ihr Urtheil unter—
werfen müffen. Die heilige Schrift felbft giebt uns diefes
von Sefu Chriſto eingefekte Mittel an; die Apoftel lehren
es uns (Ephef. TV, 11—14.)5; ihre Schüler erklären es
ung; die erſten Jahrhunderte des Chriſtenthums beftätigen
daffelbe in den Akten der befondern und allgemeinen Conzilien.
Ehe wir diefen Gegenftand näher zevgliedern, und dieß
Mittel zum unverleglichen Fortbeſtand der Einheit in
der Slaubenslehre gründlich prüfen, müffen wir uns vor-
erft noch mit der Anficht vertraut machen, daß von einer
Bervolllommnung der chriftlichen Religion feine Rede
feyn könne noch dürfe. Sch erkläre mich deutlicher: Wir
haben die chriftliche Religion als ein abgeſchloßnes
Ganzes, als etwas Vollftändiges, als eine eigent-
lich göttlihe Sache zu betrachten und zu behandeln.
Stammt fie unmittelbar von Gott her, fo fann bei ihr
fein Bervollfommnungsprozeß frattfinden; es darf
ihr nichts gegeben noch genommen, fie kann nicht verän-
dert noch verbeffert werden. Dieß ift nur das Loos menſch—
licher Einrichtungen Der Menfch, Eurzfichtig in feinem
Urtheil und befchränft in feinen Kenntniffen, findet immer
zu ändern — zu verbeffern; dadurch rügt ev ſich felbft und
befchuldigt fi) der Mangelhaftigfeit feiner Einfichten. Der
berühmte Bine. von Lerin fagt trefflich in f. Commonit.
C. 22. „Nicht genug kann man beflagen den Unfinn gemwiffer
Menfchen, die Gottlofigfeit ihres verblendeten Gemüths
und ihre Begierde nad) Irrthum, daß fie sicht zufrieden
find mit jener von Alters her einmahl übergebnen und er—
haltnen Slaubensvegel, fondern täglich auf Neues finnen,
und immer Luft haben an der Religion zu ändern, hinzu—
zufügen und mwegzunehmen, gerade al3 ob fie feine himm—
lifche Lehre, fondern eine bloß irdiſche Einrichtung
wäre, welche nicht anders kann vervollkommnet werden,
als durch eine ſtete Berbefferung, die im Grund das
Merkmahl eines fteten Tadels an fich trägt.“ Auf Gott
leidet das, was wir beym PVerfektionieren ung zu denfen
pflegen, nimmermehr Anwendung. Ev ift die Allwifjen-
beit, die höchfte Weisheit; feinem Blick Liegt — menfch-
lich gefprochen — von Ewigkeit her Alles offen dar; bey
; |
re
ihm ift nur Gegenwart; bey ihm findet feine Veränderung
— ja nicht einmahl ein Schatten von Wechſel ftatt. Er,
das Ideal aller Vollkommenheit, erkennt Alles fchon von
Ewigkeit her aufs vollfommenfte; nie kann er etwas zu
ändern — zu beffern haben; dieß widerfpräche den ihm
weſentlich zukommenden Eigenfchaften, feiner Allmacht,
Weisheit, Unveränderlichkeit, feiner abfoluten Voll—
fommenbeit, — fur; — dem Begriff, welchen die Ver—
nunft fi) von Gott zu machen genöthigt if. Was alfo
bei einer göttlichen Religion einmahl wahr ift, muß
auch immer wahr gewefen feyn, und wahr bleiben.
Wem fönnte je die Befugniß zuftehen, bei einer von
Gott unmittelbar verliehenen Religion ivgend etwas zu
ändern? Wer wird folchen Unfinn, folche Läfterung behaup-
ten? Wer kann und. wird Gott die Kraft oder den
Willen abfprechen, den Menfchen zu geben, was dag
Bette ift?! Diefe Religion nun enthält theils Lehren,
welche allerdings durch die Bernunft erkennbar
find, welche fie aber durch ihre Authorität befräftigt
und ins unzwendentigfte Licht ſtellt, — theils auch folche,
welche der Bernunft nicht zugänglich find, ihr ein
Geheimniß bleiben, von ihr auf Treu und Glauben
müffen angenommen werden. In jenen erftern zu per
fectionieren, wäre Unfinn; in leßtern es zu wollen,
wäre nicht nur tollfühn und vermeffen, fondern auch un
möglicy, eben weil e8 der Vernunft unzugängliche Lehren
find, folglich ihr hierbey Fein andrer Wirkungskreis ange-
wiefen ift, ald: fie auf gültiges Zeugniß anzunehmen.
Hüthen wir uns in Öläubensfachen vor einem vormißigen
Grübeln, und erkühnen wir ung nicht, etwas ergründen
zu wollen, das fchon feiner Natur nah unergründlid
ift. Dder wer vermag bei den Geheimnißlehren unferer
heiligen Religion den innern Zuſammenhang derfelben zu
begreifen? Mit Recht fagte der große Kirchenlehrer Auguftin:
„un Gott zu ergründen, müßte man felbft Gott feyn.“
Das Forfchen muß einem demuthsvollen Glauben. weis
— 66—
chen. So wenig als des Leibes Aug in die Sonne zu
blicken vermag, eben ſo wenig kann des Geiſtes Aug in
die göttlichen Geheimniſſe eindringen, Betrachten
wir unfere chriftliche Religion als pofitive göttliche
Dffenbarung, ald von Gott gegeben, als göttliche That-
fache, fo muß fih unfer Forfchen nothwendig darauf be
fihränfen, die Zeugniffe und alle dazu gehörigen Um—
ftände zu erwägen, um ung der hiftorifchen Gewiß—
heit zu verfichern und des Heild wegen zu beruhigen. Als—
dann aber tritt — der Natur der Sache gemäß — die un-
erläßliche. Pflicht ein: das Gegebene nach dem Willen
des göttlihen Gebers zu benugen, durch gläubige An—
nahm und gewiffenbafte Befolgung unfer ewiges Heil
zu wirken. Keineswegs follen wiv das geoffenbarte
Wort des Herren vor den Richterftuhl der Bernunft
ziehen wollen. Das Kind foll nicht über den Vater, nicht
der Kehrling über den Meifter, der Schüler über den Leh—
ver, das Gefchöpf über den Schöpfer die Prüfung fich an—
maßen. Was der Allweife, Allgütige von Ewigfeit her
zum Heil dev Menfchheit angeordnet bat, fol weder der
Zandbauer und der Laie, noch felbft auch der Prediger
und Gelehrte einer Kritik feiner prüfenden Vernunft
unterwerfen wollen. Was Gott felbft durch Sefum
Chriftum und die Apoftel und verliehen hat, laßt ung mit
Anbethbung aufnehmen, mit gläubigem Bertrauen
bewahren. Laßt ung die Ausſprüche der Kirche in Glau—
bensfachen als göttliche Ausfprüche verehren, in der Ueber—
zeugung, daß derfelben dabey ausdrücdlich von Sefu Ehrifto
der Beyſtand des heiligen Geiftes verheißen ift. —
Und wie entfchieden ſpricht fich der Gottmenſch felbft,
der unmittelbar göttliche Urheber diefer Religion, wider das
Derfectibilitätsfyftem aus! |
Dei Matth. AXVIIL, 20. heißt er die Upoftel den Men—
chen einfchärfen: „alles zu beobachten, zu befol-
gen, was er fie gelehrt habe,“ nicht aber: zu prüfen, zu
Ändern und zu beſſern. Die Lehre wird alfo bier ganz deut:
a
- Tich als etwas Geſchloßnes vorausgefekt und lediglich die
Berfündung derfelben den Apofteln aufgetragen. Da
ift von keinerley Recht, nur von allgemeiner VBerpflich-
tung die Rede, nähmlich feine Lehre zu Halten — weldhes
alfo die gläubige Annahm fchon vorausfegt. Daher er-
klärt auch Jeſus ftets, daß in ihm die vollftändige Kennt-
niß Gottes und feines heiligen Willen auf Erde erfchienen
und Eundgemacht worden fey. Sch bin der Weg, die
Wahrheit und das Leben, fagt er-bey Soh. XIV, 6. Sch
bin in die Welt gefommen, um der Wahrheit Zeugniß zu
geben, bei Joh. XVII, 37. Wer an mich glaubt, fin-
det das ewige Leben; XI, 25. Ich bin das Licht der Welt,
der Quell, welcher. allen Durft löfcht, das Brod des Le—
bens, welches allen Hunger fättigt; VIIL, 12; IV, 44;
VI, 35. Wer an mic) glaubt, glaubt nicht an mich, fondern
anden, welcher mich gefendet hat; wer mic) fieht, fieht
den, welcher mich gefendet hat; XIL, 44. Sch und der
Pater find — * Niemand kommt zum Vater als nur
durch mich; X, 30. XIV, 6. Sch habe vollendet
das Werk, welches du mir aufgetcagen, mitgetheilt die
Lehren, welche du 0 Dater! mir übergeben haft; XVIL,
4 und 8. Weberall dringt Sefus, und zwar bei VBerluft
der Seligfeit — (S. Marc. XVI, 16 —) auf gläu—
bige unbedingte Annahm deffen, dem er Zeugniß gege-
ben; überall mweift er hin auf die Gefchloffenheit, Un-
pveränderlich£eit feiner Lehre und auf die Verpflichtung
zu treuer Beharrung in derfelben.
Wer will dann noch vervollfommmen, was fchon
Chriſtus als vollkommen der Menfchheit vom Himmel brachte !
Wer will fih ihm gegenüber ftellen und fagen: ich bin
der verbefferte Weg, die verbefferte Wahrheit —
ich eine vichtigere Bahn zum ewigen Leben ent-
deckt! Wer Jeſum als wahren Sohn Gottes, als Gott
von Ewigkeit erkennt, wird vor ſolch frevelhafter Läfterung
zurückbeben. —
Vernehmen wir nun — die Zeugniſſe der Apoſtel
a Gh
hierüber. — Act. XX, 27. fagt Paulus in feiner berühme
ten Abfchiedsrede an die Nelteften der Gemeine zu Ephefus,
„daß er ihnen. nicht das mindefte vorenthalten,
fondern fie mit der vollftändigen Heilsanftalt Gottes
befannt gemacht habe.“ Gal. I, 6—12 tadelt er gar fehr,
daß die Galater folchen Lehrern Gehör gegeben haben,
welche das von ihm verfündigte Evangelium haben ver—
- beffern wollen, und fügt die ernften Worte bey: „wenn
felbt ein Engel vom Himmel eine andere Lehre euch
vortrüge, als diejenige, welche ich euch beybrachte,, fo müſſe
ihn Berwerfung treffen.“ Er giebt zugleich den Grund
biefür an, weil nähmlich feine Lehre feine menfchliche
Erfindung, fondern von Gott gegeben fey, folglich von
feinem Recht die Rede feyn dürfe, fie nah Willführ
und Eigendünfel zu behandeln, fondern Tediglich von der
Pflicht, fie mit gläubiger Demuth anzunehmen und
gewiffenhaft zu ben utzen. So lautet der Urtheilsfpruch
des großen Weltapoftels über die objektive Perfeftibilität
unfrer Religion, und im 9. 3. bekräftigt er für fi
nochmahls, was er vorher im Nahmen all feiner
Amtsgenoffen erklärt hatte; ja er machte fihon im
Eingang zu diefer Rüge ausdrüdlich darauf aufmerkfam,
dag er unmittelbar von Bott das Apoftelamt erhal-
ten habe und daher fchlechterdingg niemand an feiner
verfündigten Lehre eine Aenderung oder Verbeſſerung
ſich erlauben dürfe. Col. I, 7 ermuntert er die Gläubi-
gen: feftzubalten an dem ihnen, ertheilten Unterricht.
4 Zim. VI, 20 und 2 Zim. I, 14 befchwört er feinem Zi-
motheus, „den bey ihm hinterlegten, ihm anvertrauten
Glauben in feiner Gemeine treu zu bewahren,“ und warnt
ihn zugleicdy vor jeder Verbindung mit Afterweifen, um
nicht — wie fo viele andre — vom Glauben abgelenkt zu -
werden. 4 Cor. XVI, 413 fordert er die Gläubigen auf,
nicht etwa zu prüfen und zu grübeln, fondern feftzu-
ftehen im Glauben; und Hebr. XII, 9 ermahnt er
feine Chriften, fich ia durch feine neue fremde Lehre irre
) 2
machen zu laffen; denn — fügt er hinzu — „Sefu Lehre
unterliegt feiner Veränderung, ev war geftern und ift heut
der nähmliche, und bleibt es in Emigfeit.“
‚Petrus in feinem 41 Br. I, 25 heißt die den Chriften
verfündigte Lehre des Heren „ewig und unabänderlich; “
eben fo beftimmt drückt fih Johannes im 4 Br. II, 24
aus. Ueberall fpricht die heil. Schrift vom Glauben nur
im Gegenfaß von Selbftdenfen und Selbftforfchen.
Die mit diefer Anficht im Widerfpruch fcheinende Stelle
bey Joh. V, 39 bezieht fi) auf die Schriften des alten
Bundes, und fpricht — genauer betrachtet — vielmehr
für als wider das obige. Denn, abgefehen davon, daß
jene Redensart eher im Indicativ al3 Imperativ zu ver:
ftehen feyn mag, und auch von den angefchenften Gelehr-
ten fo ausgelegt wird, enthielte fie felbft auch im letztern
Fall gar fein allgemeines Beboth in den heiligen Schrif:
ten zu forfchen, fondern fie bezöge ſich auf einen einzel-
nen, deutlich angegebenen, Umftand. Jeſus fügt nähm—
ih: eben diefe Schriften geben Zeugniß von mir, fie be-
zeichnen mich ausdrüclich als euren wahren Meffiag, und
doc) wollt ihr nicht zu mie fommen, doch mwolt ihre mir
nicht glauben. Das Forfchen- in den Schriften des alten
Bundes follte alfo die Suden zu Sefus hinleiten, um ihn
als den wahren von den Propheten verfündigten Meffias
zu erkennen, und feine Wunder follten den Glauben an
ihn als den Sohn Gottes befeftigen., |
Der in obigen Paulinifchen Stellen ausgefprochne
Zweck der Lehre Sefu ftimmt auch zudem überein mit dem
Hauptcharafter einer allaemeinen Religion, welche ein
Gemeingut — nicht bloß der Gebildeten und Gelehrten
— fondern aller Menfchen feyn fol. Der weit größte
Theil der Menfchen kann, wegen Berufsgefchäften, Man—
gel an Bildung u. f. w. fich nicht mit angeftvengten Stu-
dien in fo erhabenen göttlichen Dingen befchäftigen; jeder
aber kann fie bereitwillig anhören, gläubig — demüthig
annehmen, und gewiffenhaft befolgen. Authorität in
der ewigen Heilsangelegenheit ift alfo das tauglichfte Mit»
tel, bei einer Religion, welche ein Gemeingut Aller ift,
den. praftifchen Zweck für Alle zu erreichen. Ohnehin ift
Authorität der menfchlichen Natur fehr zufagend; jeder
Menſch folgt derfelden mehr oder weniger in jedem Ver—
hältniß oft unmwilfürlich, ohne ſich deſſen deutlich bewußt
zu feyn, und findet darin Beruhigung; um wie viel mehr
muß eine verläßliche Authorität in göttlichen Dingen, welche
das ewige Seelenheil betreffen, erwünfcht feyn, da die Be—
fimmungen der menfchlichen Vernunft wegen ihrer Be—
fchränftheit nur ſchwankend und unficher ſeyn können. Auch
ift die Verbindung zwifchen unferm gegenwärtigen und zu—
fünftigen Leben durch die Eatholifche Lehre in volle Har—
monie gebracht. Den Grund zu dem Gebäude unfrer
Beftimmung — nähmlich die Erfenntniß der Wahr-
heit — hat Jeſus Ehriftus, welcher die Wahrheit felbft
ift, gelegt, indem er diefelbe an feine Kirche zur Be—
wahrung und Verkündung übergab, und ihr feinen im-
merwährenden Beyftand verhieß. Dun fteht der
Grund feft und ficherz; welches keineswegs der Fall wäre,
wenn erſt der befchränfte, Eurzfichtige Menfch durch feinen
Forfhungsgeift den Grund zum Gebäude feiner ewigen
Beſtimmung noch legen müßte. Ob folch einer Aufgab
würde wohl bei den Meiften ihre ganze Lebenszeit verftrei-
chen; mitten im Forfchen und Prüfen £önnten fie vor den
‚ Richterfiuhl der Emwigfeit gerufen werden, ehe fie noch mit
fich felbft über die Wahrheit, als Richtfehnur ihrer fitt-
lichen Ausbildung, einig geworden wären,
Wenn nun, nach dem bisher Gefagten, von einer
Vervollkommnung unfver chriftlichen Religion Feine Rede
feyn darf und Fann, fo ergiebt fich hieraus noch ganz und
gar nicht der Schluß, daß Freyheit und Fortſchritt
im Chriſtenthum unzuläſſig ſeyen. Auch hierüber werde
ich mich noch deutlicher erklären, und alsdann das vom
Welterlöſer angeordnete Mittel zum Fortbeſtand der Glau-⸗
benseinheit näher beleuchten.
2.
Freyheit — von den Banden der Finfterniß, d. i.
der Unwiſſenheit in göttlichen Dingen (nach 4 Petr. IL, 9.
Sac. I, 25. I, 12. Goal. IV, 31. V, 43) Freyheit —
von der Knnechtfchaft der Sünde (nach Röm. VL 18. VII,
24) diefe Freyheit verdanken wir Chrifto allerdings. Vergl.
Joh. VII, 32. Wo aber die heiligen Urkunden von Frey»
heit fprechen, warnen fie zugleich auch vor ihrem Miß—
brauch. ©. 1 Petr. I, 16., vorzüglich Gal. V, 13.
Eph. IV, 414, Die chriftliche Freiheit — meit entfernt,
zur Ungebundenheit und Willführ zu berechtigen, Tegt
uns vielmehr einen Herren und Meifter — einen Dienft —
ein Soch auf, aber zu unferm eignen Beften, wie folches
dem befchränften Gefchöpf frommt und zufagt. Sn welch
furchtbarer Verblendung ift der Menfch befangen, welcher
feinen Herrn als fein ftolges Ich anerkennt, und feine in-
dividuelle Vernunft als oberfte Gebietherin aufjuftellen fich
erfühnt! Spricht nicht des Ehriftenthums göttlicher Stif-
ter felbft zu feinen Anhängern von Joch, von Bürde?
S. Math. AL 23-30 Befreyt von der Dienftbarfeit der
Sünde, find wir Knechte der Gerechtigkeit geworden —
Röm. VI, 18 — Knechte Ehrifti — 1 Cor. VII, 22, Die
heilige Schrift felbft heißt ung „ale Vernunft gefangen
nehmen unter den Gehorfam gegen Chriftum, “ nad)
2 Cor. X, 5; eben hierdurch gelangt die Vernunft aus der
Finfterniß zu Ehrifti wunderbarem Licht, nach 4 Petr. IL,
9; und für diefen Gehorfam ift Ehriftus in feiner Vers
herrlichung uns die Duelle ewiger Erlöfung, nad) Hebr.
V,9 Wahrlih, Gehorfam gegen Gottes Gebothe ift
feine Eflaverey; nur unbedingte Annahm des Evan-
geliums, als eines göttlichen, pofitiven Geſchenks,
ift unfere Pflicht, — und unfer Gewiffen ift daran gebun-
den, mwenn nicht die Drohung bey Luc. XII, 47 an ung
ſich erfüllen foll.
Mit der Einheit, dem umverlekbaren Hauptcharaf-
ter der Religion Jeſu, im ftärkften Widerfpruch fteht jenes
von dem Proteftantismus in Anfpruch genommene Pri-
ee
vatrecht einer beliebigen willführlichen Auslegung
und Würdigung der göttlichen Lehre, die Erhebung indi-
vidueller Begriffe und Anfichten zum Geſetz der Wahrheit,
die Bildung eigner Glaubensfäke. Sener spiritus privatus
ftellt durch feine Handlungen den Grundſatz auf, daß der
Zwed der Exrfcheinung Sefu auf Erde vielmehr gemwefen
fey: Berfchiedenheit im Glauben und folglich Verſchie—
denheit in der Regierungsform feiner Kirche zu ftiften.
Daß die Ausübung jenes Privatrechts nur Streit, Widers
fpruch und unbegränzte Seftenvermehrung erzeugen müffe,
beurfunden Gefchichte und Erfahrung nur zu fehr. Diefer
Geift, welcher eine von Gott gegebene Lehre vor feinen
Richterftuhl zu ziehen fi) anmaßt, ift ein Geift des Eigen»
dünfels, der Tollkühnheit, des Uebermuths; diefem aber
widerfteht Gott, und Jeſus dankt feinem Vater, daß er
feine Offenbarung denen, welche fich weife und Flug dün—
fen, verborgen, Dagegen aber den Lingelehrten befannt ge-
macht babe. ©. Matth. XI, 25. 1 Cor. I, 27. Auch
Paulus tadelt fehr diefen Geiſt der Bermeffenheit, 4 Eor.
1, 15— 29 und warnt nachdrudfam feinen Timotheus da»
gegen im 2 Br. I, 44— 19. Eine für jeden, welcher
bloß die Authorität feiner Bernunft will gelten laſſen,
wohl zu beherzigende Verhaltungsregel giebt er in diefer
Beziehung feinem Titus III, 40. Ueberall fpricht der große
Weltapoftel nur von „Bewahrung des hinterlegten Foftbaren
Guts“ — der göttlichen Lehre, nirgends aber von einer
Befugniß daffelbe nach Gutdünfen zu behandeln; und jene
Herolde der evangelifchen Freyheit, welche über die durch
Ehriftum geoffenbarte göttliche Lehre zu richten fih er-
dreiften, wird einft des ewigen Richters Ausfpruch treffen:
ihr habt nicht mir, fondern nur euch felbft geglaubt,
daher kann ich euch nicht als die Meinigen erfennen.
Wer Chrifto nachfolgen will, muß fich felbft ver-
läugnen. Dieß kann nicht von einer bloß moralifchen
Selbfiverläugnung zu verftehen feyn. Bei einer Religion,
welche geheimmißvolle, der menfchlichen Vernunft zum
Re
Theil unzugängliche Lehren enthält, giebt es ja auch eine
intelleftuelle Geldftverläugnung, welche fich — fo ſchwer
es ihr auch fallen mag — der Authorität unterwerfen und
Lehren als wahr anerfennen fol, deren innerer Zufammens
bang die menfchliche Faſſungskraft überfteigt.
roch haben wir uns über Fortfchritt im Chriften-
thum näher zu erklären, und berufen uns dabey auf Col.
I, 9—12 und 2 Petr. III, 18, wo die Apoftel ihre Gläu-
bigen ganz angelegentlih zum Wachsthum in der Er-
fenntniß Gottes und feiner Gnade ermuntern. Es giebt
alfo allerdings einen Fortfchritt der Religion in der Kirche ».
Gottes, d. b, Fortfihritt in der Erkenntniß derfelben
und beffern Anwendung aufs Leben, damit fie immer mehr
Sache des Verftandes, des Herzens und des thätigen Le—
bens werde; nur darf die Lehre felbft nicht darunter
leiden, nicht verändert werden, da fie etwas von Gott ge—
gebnes — folglich von menfchlicher Willkühr unabhängiges
— if. Gott will die Menfchen nicht unthätig wiffen; fie
follen feine Gaben anerkennen und fchäßen; er läßt bey
feinen Gefchenfen immer den Menfchen etwas zu thun üb-
vig, ohne jene felbft ihrer Willkühr preiszugeben. Dieß
thut er in der geiftigen wie in der fi nnlichen Welt. Das
Gedeihen der Feldfrüchte hängt von ihm ab; er iſts, der
Sonnenſchein — Regen — Fruchtbarkeit verleiht; dehnoch
ſoll und darf der Adkersmann nicht müßig ſeine Hände in
den Schooß legen. Der Erzieher hängt zwar. von den
Fähigkeiten feines Zöglings ab, welche er nicht zu ändern
vermag; aber doch hat jener in- Betreff der Entwiclung
und Richtung derfelben immer feinen angewiefenen Wir:
kungskreis. Allerdings hat Gott uns ſeine Heilsanftalten
geoffenbart, aber die Menfchen ſollen angeleitet werden,
diefe Cehren in Anwendung zu bringen; Die Yeberzeugung
von derfelben Yechtheit, Vortrefflichkeit und Nothwendig:
feit foll immer fefter in ihnen wurzeln. Die Auswahl der
zweckmäßigſten heilſamſten Mittel zu dieſem Behuf iſt
großentheils den Menſchen ſelbſt anheimgeſtellt wobey
*
jedoch die Hauptſache nebft der wefentlichen von
EHrifto angeordneten Form unverleßt bleiben muß, mwelche
er auch für immer ficher geftellt hat, fo zwar, daß — nad)
feiner Verheißung — „felbft die Pforten der Hölle nichts
wider die feine Lehre bewahrende Kirche vermögen werden,
und er bis zum End aller Zage bei ihr bleiben wird.“ In
folchen auf die Religion gerichteten Bemühungen der Men—
fchen ift Fortfchritt möglich und wünfchenswerth, in-
dem diefelben in ihren eignen Arbeiten immer befjern
dürfen und folen. Man muß alfo wohl unterfcheiden zwi—
fhen allmähliher Entwidlung, Erweiterung derfelben
Sache, und ihrer Bervollfommnung in objeftivem
Sinne. Wenn an heiterm Winterabend fich anfänglich
nur der eine und andre Stern zeigt, dann immer mehrere
zum Borfchein fommen, und endlich das ganze fternbefäete
Firmament unferm ftaunenden Auge fich darftellt, fo wa-
ven doch auch die fpäter gefehenen Sterne fchon früher
zugegen; die Pracht des Sternenhimmels bat fich allmäh-
lich entwidelt, fie war aber — obfchon unferm Blick
verborgen — dennoch ſchon eher vorhanden. |
Schreiten wir nun zur nähern Beleuchtung jenes vom
Gottmenfhen zur Erhaltung der Glaubensein>
heit angeordneten. Mittels! Da belehrt uns die heil. D
Schrift, daß der auferftandene Erlöſer, nachdem er die
für feine Lehren nun empfänglicher gewordenen Sünger
über Manches aufgeklärt und zu Apoſteln ausgerüftet hatte,
furz vor feiner Himmelfahrt jene denkwürdigen , von Math.
AXVIH, 18—20 uns aufbewahrten Abfchiedsmworte zu ihnen
ſprach: „Mir ift alle Gewalt über Himmel und Erde ver>
lieben. Gehet hin, unterrichtet alle Völker, taufet fie
auf den Nahmen des Vaters, des Sohns und des heiligen
Geiftes, und lehret fie alles halten, was ich euch befohlen
habe; ich bin und bleibe mit euch bis an der Welt
Ende.“ Dom heiligen Geift angetrieben eilen jeßt jene
verachteten ungelehrten Fifcher und Zölfner, die Schüler -
des Gefveuzigten, mit bloßem Wanderftab von Land zu
—
ae ae
Land, um das Panier des Kreuzes aufzurichten und das
allgemeine Sittenverderbniß zu befämpfen. Der herrlichfte
Erfolg Erönt ihr Werk. Die Hauptftadt der Welt, der
Sitz aller Lafter und Gräuel, wird zur Hauptftadt der
Ehriftenheit, und Zaufende fammeln fi) zum Kampf un-
ter der Fahne des Gefreuzigten. Immer freudiger erprobs
ten die Sünger des göttlichen Meifters wirkffamen Beyftand.
Allein nicht nur den Apofteln felbft, fondern auch all
ihren rechtmäßigen Nach folgern mußte jene Verheißung
gelten; denn unmöglich kann dem Welterlöfer die Abficht
zugefchrieben werden, feine Kirche nur bey Xebzeiten
der Apoftel zu befchüken, um fie nachher jedem Zufall
preiszugeben. Den Nachfolgern der Apoftel alfo galt
jene glänzende Verheißung: „gehet hin in alle Welt! pres
digt! ich felbft bin und bleibe bey euch; der Geift der
Wahrheit wird euch alle Wahrheit erkennen Ichren; wer
euch hört, hört mich; wer aber euch verachtet, verachtet
auch mich ſelbſt. Wahrlich, es wird Sodoma und Go—
morrha am ag des Gerichts erträglicher ergehen als einer
ſolchen Stadt, die eure Belehrungen verwirft. (Math. X,
45.) Der Zröfter, der heilige Geift, welchen der Va—
ter jenden wird in meinem Nahmen, wird euch alles Ich»
ven und euch alles deffen erinnern, was ich euch gefagt
habe, “
Zum Haupt diefes Lehrkörpers hatte Sefus den
Petrum auserkohren. An des Jordans freundlichen Ge-
finden war e8, mo der Gottmenfch, Heil und Segen vers
breitend, dem Simon Bar Jona, deffen Nahmen er in
einen ſymboliſchen, geheimnißvollen ummwandelte, die Ober-
gewalt, den Vorrang des Anſehens uud der Macht
(primatum honoris et jurisdictionis) übertrug. Die Beweife
hiefür liefert uns fowohl die heilige Schrift felbft, als
auch die ältefte apoftslifhe Zradition.
Matthäus, Markus und Lukas, wenn fie die zwölf
Jünger des Heven anführen, Math. X, 2—12; Marf. II,
16—19; Zub, VI, 44—16 nennen Petrum immer an ber
—— —
Spike der übrigen, Bey Mathäus heißt es ausdrüdlich :
zoWtog, Ziuwv 6 heyouevog Ilergog. Dieß fpricht um
fo eher den Vorrang aus, da bey den andern nicht weiter
beygeſetzt wird: der zweyte u. few. Die übrigen Apoſtel—
nahmen werden bey den Evangeliften in verfchiedener Ord-
nung angeführt, ohne Zweifel, weil fie im Rang einander
gleich ftunden, folglich hieran nichts gelegen feyn konnte,
während das Primat Petri von Chriftus felbft war
angeordnet worden, und demnach auch beobachtet werden
mußte.
Ferner. ift bey der Stelle Math. XVI, 48—19 der
wichtige Zufammenhang mit den zunachi vorhergehen⸗
den Verſen nicht außer Acht zu laſſen, indem ſich klar
daraus ergiebt, daß Jeſus Chriſtus den Petrus auf die
beſtimmteſte Weiſe vor den übrigen — auch zugegen
geweſenen — Jüngern auszeichnete. Der Ausdruck im
18. V. zay& de 001 Ayo — „aber ich hinwiederum fage
auch dir“ ift Kiftemafern, und felbft Rofenmüllern, Zel-
lern und andern proteftantifchen Eregeten mit Recht als
fehr erheblich vorgefommen. Entweder hat der Erlöfer
dem Petrus Etwas, oder er hat ihm Nichts zugefichert;
im leßtern Fall ift der Beyſatz „du bift IZezooc (Fels), und
auf Diefen Fels will ich meine Kirche bauen“ fehr müßig
und unpaffend; im erftern Fall kann. die Stelle nicht an—
ders angenommen und gedeutet werden, ald daß der Er-
löfer Petrum und feine Nachfolger zu DOberhirten der Kirche
eingefeßt babe. Jede andere Deutung Fönnte nur durch
„eine eregefifche Folter ‚erzwungen werden. Wo hat Ehriftus
je zu irgend einem andern Jünger fo gefprochen? Wohl
haben fih Henhöfer, Bredfchneider und andre ihres
Gelichters ganz gewaltige Mühe gegeben, diefer Elaren
Stelle einen andern Sinn durch mancherley Klügeleyen
unterzufchieben, allein fie wurden durch den gelehrten pro—
teftantifchen- Michaeli felbft zurechtgewiefen. Merkwürdig
genug gefteht auch der — den Katholiken übrigens gar
nicht gewogene — Marheinefe in feiner Symbolik:
we ——
„Ehriftus vertraute dem Petrus ausdrüdlich eine höhere
Gewalt ald den übrigen Süngern, und die Aufficht über
die Kicche; er erhob ihn zum fichtbaren Dberhaupt
derfelben mit aller dazu gehörigen Authorität, Gerichts»
barfeit und Unterordnung der übrigen unter ihn,“
Auch nach der Himmelfahrt Ehrifti fehen wir Perrum
fortwährend als Haupt des Apoftelvereins handeln. Dieß
geht Elar aus Act. I, 43—145; H, 14; IL, 6 und 12;
IV, 8; V,45; IX, 32; X, 5 u. folg. AV, 7—12 ber:
vor, Immer führt er in den Berfammlungen der Sünger
und erften Chriften das Wort, und legte die entitandenen
Streitigkeiten bey. Vergl. Act. XV, 7. Diele Kranfe
wandten fich an ihn vorzugsweife, um geheilt zu werden.
In der That war auch Petrus der erfte, den Glauben an
die Gottheit Ehrifti zu befennen, der erfte aus den Apofteln,
welchem der auferftandene Heiland erfchien und der erfte
Zeuge hiervon vor dem Volk, der erfte, wann die Zahl
der Apoftel zu ergänzen war; dev erfte, welcher den Glau—
ben durdy ein Wunderwerk bekräftigte; der erfte, welcher
die Suden befebrte und fie aufzunehmen beveit war. |
Aber auch die Ältefte Tradition liefert ung die
unverwerflichiten Beweife für die Uebertragung der kirch—
lichen DObergewalt an Petrum. Sene ehrwürdigen Väter,
die Slaubenshelden, die Urchriſten — zum Theil felbft
Schüler der Apoftel in den erftien Sahrhunderten des Chri—
ſtenthums — jene im Dienft des Heren ergrauten Mäns
ner, welchen der Nachklang des apoftolifchen Unterrichts
noch in den Ohren ertönte, beftätigen folches.
Ambrofius, einer der ausgezeichnetften lateinifchen
Kirchenlehrer (deffen Aufrichtigkeit in Behandlung der hei-
ligen Schriften und deffen gewiffenhafte Sorafalt in Aus
weichung zweifelhafter Dogmen noch von Niemand in Abs
rede geftellt wurden) erklärt Petrum als „Fürſt, Haupt,
Mund des apoftolifchen Kolegiums.“ An einer andern
Stelle fagt er: „in der römifchen Kirche ift immer der
Borrang des apoftolifchen Stuhls gewefen; das Primat
——
erhielt nicht Andreas, ſondern Petrus, welchen Chriſtus
auserkoren hatte, um durch Einſetzung dieſes Haupts
jede Veranlaſſung zu Uneinigkeit und Spaltung ab—
zuwenden.“
Cyprian (welcher nach dem Urtheil des großen
Erasmus alle übrigen Lehrer Afrikas — ja ſelbſt den
Hieronymus — an Beredſamkeit übertraf) fragt: „wer den
Stuhl Petri verläßt, auf welchen die Kirche gegründet iſt,
darf derſelbe noch glauben der Kirche Jeſu Chriſti anzu⸗
gehören?“
Cyrillus von Jeruſalem nennt Petrum den „Höch—
ſten und Fürſten der Apoſtel.“ Aehnlicher Ausdrücke be—
dienen ſich Baſilius — (der chriſtliche Demoſthenes, wegen
feiner ausgezeichneten Ueberlegenheit „der Große“ genannt —)
Dptatus von Mileve, Eufebius, Drigenes, Auguftinus,
Chriſoſtomus, Hieronymus u. a. m.
Selbft angefehene proteftantifche Schriftfteller der.
neuern Zeit haben fich zu diefer Anficht befannt. Der ges
lehrte Engländer Pearfon fchreibt: daß von den Alten
- niemand gejmweifelt habe, die römifche Kirche fey von Petrus
gegründet worden und die Päpfte feyen Petri Nachfolger.
Der fo aufrichtige als geiftvolle und gelehrte Grotius in
f. Annotat. in nov. Test. ad Joh. XXI, 15 nennt Petrum
„Prineipem Apostolorum.“ Sa der gegen das Papftthum
fo ungemein feindfelig gefinnte Luther geftund in einem
wider Sylvestre de Priere gefchriebnen Buch: „die ganze
Melt befennt, daß die Dbergemwalt des Papſts aus
jener Stelle bey Math, — 18 — 19 bewieſen werden
kann.“
Allein nicht bloß mit vorzüglichem Anf eben, fondern
auch mit eigentliche Macht und Gewalt ward Petrus,
als Firchliches Oberhaupt von Chriſto ausgerüftet. Beweiſe
hiefür liefert uns theild das Neue Teftament, theils das
Zeugniß der erften chriftlichen Jahrhunderte. |
Snhaltfchwer find ganz befonders die bey Math. XVI,
49 deygefügten Worte: „ich will dir die Schlüffel des
Himmelreichs geben; was du auf der Erde binden
wirft, fol auch in den Himmeln gebunden feyn, —
und was du löſen wirft auf Erde, fol auch gelöfet
feyn in den Himmeln. * Die Wichtigkeit dieſer dem
Petrus übergebnen Gewalt geht hauptfächlich aus der Ver—
bindung des 48. und 49.3. mit den früheren 16, und 47.
hervor; in welchen die Urfache und der Beweggrund
fi) ausgefprochen finden. Noch deutlicher und beftimmter
wird diefe Vollmacht in einer andern Stelle der heiligen
Schrift anfchaulich gemacht. Der Sünger , welchen Jeſus
lieb hatte, und dem wir die Ergänzungen zu den drey er»
fien Evangelien verdanfen, hat fie ung aufbewahrt XXIL,
45 —18. Nachdem nämlich Sefus durch feine Gotteskraft
fiegreich Grab und Zod überwunden hatte und feinen Jün—
gern bereits mehrmahls als Kebensfürft erfchienen war,
zeigte er fi) auch eines Morgend mehreren derfelben —
unter welchen Petrus fich befand. Zu Ddiefem fprad) er
nun wiederholt: „Simon. Sohanna, Tiebft du mich mehr
als diefe? weide meine Lämmer!“ Warum die dreymab-
lige Aufforderung Ehrifti an Petrum, die Schafe, d. h.
die an Sefum Gläubigen zu weiden — zu leiten und
zu regieren? Warum redete Sefus ausſchließlich
Petrum an, da doch auch andre Sünger noch zugegen
waren? Die erften und gründlichften Schriftausleger,
welche nicht nur hohe Wiffenfchaften und ausgebreitete
Sprachkenntniß, fondern auch ein reiches Maaß des Geiftg
Gottes befagen (wie 3. B. der heil. . Hieronymus — ber
vornehmfie Theolog der Tateinifchen Kirche) fanden in die-
fer Stelle den primatum jurisdietionis ganz klar und be,
ſtimmt anggefpeochen. Srenäug, einer der Älteften Kir-
chenväter, auch bey den Proteftanten felbft in großem An-
fehn, fpricht von „mächtigem Vorrang der römifchen Kirche.“
Es übten demnach die Bifchöfe Roms fihon im zweyten
Sahrhundert des ChriftenthHums einen großen Borrang aus,
welchen einer vom andern — und folglich von Petrus —
ererbt haben mußte. Optatus fpricht bündig und klar
- — 9 —
von der Schlüſſelgewalt des römiſchen Stuhls, heißt Petrum
das Haupt aller Apoſtel und jede Widerſetzlichkeit gegen
den Stuhl Petri eine gottesſchänderiſche Anmaßung. Noch
mehrere Beweisftellen hierfür finden fich in Marheinefes,
Doktors und Profeffors der Theologie, trefflich ausgear-
beiteter Schrift: Zeugniß aus alfen chriftlichen Sahrhun-
derten für die Gewalt der Kirche und ihres Oberhaupts;
Frankfurt 1846. Auch der berühmte proteftantifche Theo—
log Pfaff, de origine ecclesie, gefteht: „Wir können es
nicht mißfennen, daß die älteften Väter alle vom Dafeyn
eines oberften Bifchofs in der Kirche überzeugt waren.“
Und follte nicht aucy fchon die gefunde Vernunft
hinreichen, um ung von dem göttlichen Urfprung des
Primats in der Eatholifchen Kirche zu überzeugen! Alles,
alles was bloß irdiſch und menfhlich if, unterliegt
der Vergänglichkeit, dem Wechfel; blühende Reiche,
mächtige Staaten, Thronen und Städte find in Wälder
und Sümpfe umgeftaltet; die fogeheißnen Wunder der
Welt find verfchwunden; nicht3 menfchliches hat hier-
nieder bleibende Dauer. Wäre das Papftthum eine bloß
menfhlihe Einrichtung, fo würde fie wahrlich Tängft
ſchon daffelbe Schickfal erlitten haben. Hier findet feine
volle Anwendung, was-einft Gamaliel im hohen Rath zu
Serufalem — laut Act. V, 38 — ſprach: „ift dieß Wert
don Menfchen, fo wird es fich felbft zerſtören; ift es aber
von Gott, fo vermag niemand e3 zu vernichten.“
Während achtzehn Sahrhunderten haben nun Petri
Tachfolger ununterbrochen den Primat über die ganze
Kirche — auch in den bemwegteften Zeiten — ausgeübt,
ohne daß felbft die Fühnften Angriffe ihrer Widerfächer ihr
Anfehen ſchwächen Eonnten, und wahrlich, ältere ady-
tungswürdige proteftantifche Gelehrte, ein Grotius,
Pfaff, Molanus u. a. hatten von der päpftlichen Hierar—
hie noch ganz andere, richtigere Begriffe, als unfere Neo—
logen Zfchirner, Krug, Studer, der dreifte Schultheß u. a.m.
Nur das wahre Göttliche bleibt, und bleibt fich gleich.
Wunderbare, ehrwürdige, von dem Gottmenfchen felbft
geftiftete und gegründete Nachfolge feiner fichtbaren Stell-
vertreter! Throne und Reiche gehen unter, Völker ver-
fchwinden, blühende Känder verwandeln fi) in öde Step—
pen, Feinde verfchwören fich in Menge gegen diefe hehre
Anftalt; dennoch befteht fie fort, rechtfertigt gerade da—
durch ihren göttlihen Urfprung, und bemeist die
Wahrheit jener Verheißung, „daß felbit die Pforten der
Hölle fie nicht zu überwältigen vermögen. “
Wohl mag manchen Päpften, welche auf Petri Stuhl
faßen, ein eben nicht erbaulicher Lebenswandel zur Laſt
gefallen feyn. Allein der Apoftelchor blieb dennoch heilig .
und ehrwürdig, ob fich gleich ein fchändlicher Verräther
unter den Zwölfen befand; fo bleibt auch die merfwürdige
Nachfolge von Petrus bis auf Gregor XVI dennoch heilig
und unverlegt, wenn gleich einzelne aus ihnen durch ihr
Privatleben — (niemahls durch die Lehre der Kirche,
welche ‚fie immer fefthielten —) Anftoß gaben; — ja fie
zeigt vielmehr eben durch ihren unentweihten Fortbeftand
felbft in folchen Zeiten, wo der Nachen Petri vom Wo-
genaufruhr verfchlungen zu werden drohte, daß bier nicht
menfchliches, fondern göttliches Walten zum Grund
liege.
Richtig bemerkt der parteilofe Herder in f. Ideen
zur Gefch. der Philof. der Menfchheit: „eine lange Reihe
von Nahmen müßte hier fiehen, wenn auch nur die vor-
züglichften würdigen und großen Päpfte genannt werden
- follten; der Weichlinge find auf dem römifchen Stuhl weit
weniger, als auf den Thronen weltlicher Regenten; und
bey manchen derfelben find ihre Fehler nur deßwegen auf-
falfender, weil fie Fehler der Päpſte find.“
DProtefiantifche Feinde der Päpfte mögen übrigens von
ihren eignen berühmten Gefcyichtforfchern, einem Johann
von Müller, Plank, Raumer u. a. lernen, den Päpften
nach dem Geifte des jedesmaligen Zeitalters die gebührende
Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen. |
Sehr richtig bemerft ein neuerer angefehener Schrift:
ſteller: „Nach vielen Läfterfchriften der Proteftanten follte
man glauben, daß im Mittelalter das ganze Chriſtenvolk
in der äußerſten Stupidität gelebt, daß tauſend Jahre
hindurch der Papſt und die Cleriſey gar nichts andres zur
Abſicht gehabt, ja ganz planmäßig darauf hingearbeitet
haben, die Vernunft der Menfchen zu verfinftern, ihre
Gewiffen zu unterjochen, und in diefer Dunfelheit ihre
Beutel zu leeren. Männer, die vor ſechs- acht = zwölf:
hundert Sahren in ganz andren Berhältniffen, Vtational -
und Zeitbegriffen Tebten, beurtbeilen fie nach denjenigen,
die unfer Zeitalter für die richtigeren hält; nad) diefen
brechen fie den Stab über fie, und machen auf diefe Art
die ehrwürdige Kirchengefchichte zu einer Narren- und
Beutelfchneider-Ehronif. Alfällige Mißbräuche und Ueber-
treibungen, die fich etwa vorfinden, fchreiben fie immer
planmäßiger Bosheit zu, da fie fich doch meiftens won felbft
geben, und in der Schwäche oder Leidenfchaft der Men:
fchen ihren Urfprung haben. Wie könnte e8 je einem
billigen Mann zu Sinn kommen, verdammende oder
auch nur verächtliche Gefinnungen gegen eine Kirche zu
hegen oder auszuſprechen, zu welcher fich die große Mehr-
zahl der Ehriftenheit befennt, welcher ein Sadolet, Eraf:
mus, Salefius, Pasfal, Fenelon und Millionen edler
Menfchen von ganzem Herzen zugethban waren und nod)
find,“ | |
Wie oben fihon bemerkt, ftellte Fein Katholif je in
Abrede, daß feineswegs Engel fondern Menfchen auf dem
päpftlihen Stuhl faßen, ja daß einige unter ihnen den °
päpftlichen. Stuhl durch ihren Wandel verunziert haben.
Was fol jedoch dieß beweifen ? ift e3 nicht der allerfchlech-
tefte Schluß, den man vom Mißbrauch eines Amts
auf das Amt felbft zu deffen Nachtheil macht? Es ift
ia. ganz und gar nicht Fatholifche Glaubenslehre, daß
alle Päpfte Heilige gewefen oder feyen, und daß dag Amt
auch, feine Verwalter heilig mache. - Sollte aber Gott nicht
GE
auch duscch die Fehler der Päpſte feinen Zweck errei-»
chen können? Und liegt nicht gerade in jenen temporären,
aber folgelofen VBermwirrungen und Erfhütterungen
der Fatholifchen Kirche zualeich der fchlagendfte Beweis
für ihren unwandelbaren Fortbeftand? Iſt's nicht
gefchichtlihe Wahrheit, daß die bei weitem größere Zahl
der Päpfte Männer von tiefer Gelehrfanfeit, gründlicher
Wiffenfchaft, großer Geiftesftärfe und ausgezeichnet moras
liſchem Charakter waren, unter welchen auch viele durch
Heiligkeit und Unfträflichkeit des Lebens den apoftolifchen
Stuhl verherrlichten ?!
Selbft der erfie Reformator Luther in feinem „Uns
terricht auf etlich Artikel, die ihm von feinen Mißgönnern
aufgelegt und zugemefjen werden, 41519“ kann fich des Aug»
fpruch8 nicht enthalten: „dag die Kirche für allen andren
geehrt fey, ift fein Zweifel, denn daſelbſt St. Peter und
Paul, 46 Päpite und viel Hunderttaufend Martyrer ihr
Blut vergojfen, die Hölle und Welt überwunden, daß man
wohl begreifen mag, wie gar einen befondern Augenblic
Gott auf diefe Kirche habe.“ Dann fährt er fort: „ob e8
nun leider zu Rom alfo fteht, das wohl beffer taugt, fo
ift doch diefe und Feine Urfach fo groß noch werden mag,
dag man fich von derfelben Kirche reißen oder fcheiden fol.
Sa, je übler es dort zugeht, je. mehr man zulaufen und
anhangen foll, denn durch Abreißen oder Verachten es
nicht beffer wird. Sa, um gar feinerley Sünd oder
Uebel, die man gedenfen oder nennen mag, fol! man die
Lieb trennen und die geiftlih Einigkeit theilen.
Der Einigkeit follen wir Acht nehmen, und bei Leib nicht
widerftreben päpftlichen Gebothen. Siebe, nun hoff’ ich
es fey offenbar ; daß ich der römifchen Kirche nichts neh—
men will, wie mich meine lieben Freund fchelten. Dem
heiligen, vömifchen Stuhl fol man in allen Dingen folgen.“
Eben diefer Herold der evangelifchen Freyheit faat
T. IV. Jen. ©. 320. a. noch im Sahr 4528 (folglich eilf
Jahre nach der begonnenen Kirchhentrennung!)
—
„Wir bekennen, daß bey dem Pabſtthum viel chriſtliches
Gut, ja alles chriſtliche Gut ſey, und auch daſelbſt herkom—
men ſey an uns; wir bekennen, daß im Pabſtthum ſey
die rechte heilige Schrift, rechte Tauf, rechtes Sakra—
ment des Altars, rechte Schlüſſel zur Vergebung der Sün—
den, rechtes Predigtamt, rechter Catechiſmus. Ich ſage,
daß unter dem Pabſt die rechte Chriſtenheit iſt, ja der
rechte Ausbund der Chriſtenheit und vieler frommer großer
Heiligen.“
Und im T. VII. Jen. S. 169 b. 1538 (alſo ein und
zwanzig volle Sahre nach Beginn feiner Refor-
mation!) fagt ebenderfelbe: „Wahr iſt's, im Pabſtthum
ift das wahre Wort Gottes, Apoftelamt, und daß wir die
heilige Schrift, Taufe, Saframent und Predigtftuhl von
ihnen genommen haben; was wüßten wir fonft Davon ? da»
vum muß auch der Glaube, chriftliche Kicche und der hei:
fige Geift bey ihnen feyn.“ Sm feiner Abhandlung über
die Privatmefje gefteht er ganz unummwunden, „daß die
Eatholifche Kirche die wahre Kirche, die Stüke und Säule
der Wahrheit, der fehr heilige Det fey.“ „Wo man,“ fo
fahrt er fort, „die wahren Reliquien der Heiligen findet,
da war und ift noch ohne allen Zweifel auch jetzt die wahre
heilige Kirche Sefu Ehrifti, da findet man alles, was der—
felbe geftiftet. Sm diefer Kirche erhält Gott auf wunder-
bare Art die Taufe, Nachlaffung der Sünden, das Altars-
ſakrament, Amt und Drdination: der Kirchenhirten, die
letzte, troſtvolle Hülfleiftung in der Sterbftunde“ u. f w.
Auch Daille, der berühmte Prediger von Charenton,
und Antonde Dominis von Spalatro in feinem
Werf über die Kivchen-Republif 1616 halten der römifchen
Kirche die größten Lobfprüche. Nicht weniger hatten die
Doktoren der reformierten Kirche Englands immer die
vortheilhaftefte Meinung von jener Mutterficche. Dieß
fehen wir aus Maimburgs Gefchichte des Calviniſmus 2. Bd.,
aus den Schriften von Baro, Jooker, feines Vertheidi—
| "19
4
— 84 —
gers Lowel, Bunny, Potter, und hauptſächlich des berühm—
ten Thorndyke in Epil. p. 446.
Und wahrlich oft genug ſchon fanden proteftantifche
Theologen ficy bewogen, die Zweckmäßigkeit und Noth-
wendigfeit eines ähnlichen Primats anzuerkennen, und
Klagen zu äußern, daß in ihrer Kirche nicht folch eine
Anftalt vorhanden fey. So fchrieb 3. B. Capito, (Kirchen:
lehrer in Straßburg und Hofprediger des Erzbifchofs zu
Mainz, einer der gelehrteften Anhänger des Reformations-
werfs): „ich erfenne das große Unrecht, welches wir der
Kirche zufügten, daß wir fo voreilig und unbedachtfam das
Anfehen des Papfts verworfen haben; das Volk ift nun
ganz zügellos, und verachtet ale Authorität u. ſ. w.“
Sn gleichem Sinne äußert fi) der große englifche Theolog
Eomwley. Auch Melanchton, diefer thätigfte Befördrer
der Kirchentrennung und wohl der fcharffinnigfte, klügſte
unter feinen Mitarbeitern, konnte fi) der nähmlichen
Klagen nicht enthalten, und fand — laut f. resp. ad Bel. —
„die Monarchie des Papfts ſehr zuträglich zu Beförde—
rung der fo unerläßlichen Kirchen- Eintracht.“ Berfchiedne
anfehnliche, proteftantifche Theologen des lektverfloß-
nen Sahrhunderts hätten unter gewiſſen Einfchränfungen
felbft ein fihtbares Oberhaupt der Kirche — wie ſchon
Melanchton — gern Zugegeben; Grotius, Loke, Puffendorf
Pfaff, Löffler u. a. hielten ein kirchliches Primat für fehr
ziveckdienlich. Im feiner merkwürdigen Schrift: Wieder:
herftellung des Ächten Proteftantismus, Hamburg 1827,
erklärt Puſtkuchen: „Wenn es der Zweck Jeſu war,
alt feine in der ganzen Welt zerftreuten Berehrer in Eine
Gottesfamilie zu verfammeln, fo folgt daraus, daß
diefe Gefelfihaft, infofern fie fihtbar ift, auch ein ficht-
bares Oberhaupt haben müſſe; denn ein fichtbarer Kör-
per (Staat) ohne ein fihtbareg Haupt, wäre nur ein
halber, nicht ein ganzer Körper. Zu ihrem größten Nach—
theil entbehrte die proteftantifche Kirche big jet diefer für
jede äußere Gefellfchaft von Menſchen fo höchſt
notbwendigen Bedingung. Daher jene vielen Spal-
tungen und Streitigkeiten, welche gleich von ihrem er—
ften Urfprung an in derfelben überhand nahmen, und ihr
den nahen Untergang drohten.“ Auch J. Fr. Sacobi
gefteht, „daß wenn fich jede gefellfchaftliche Verfaſſung —
fomit auch die kirchliche — ihrer Natur nach zur Zentra⸗
lifierung dev Kräfte neige, es ſich von der Weisheit des
Gottmenfchen nicht bezweifeln laffe, daß er bey Stiftung
feiner Kirche darauf Bedacht genommen habe.“
So beurtbeilen angefehene proteftantifche Theo-
logen — ja felbft der erſte Reformator Deutfchlande —
den Werth und das Anfehen der Eatholifchen Mutterkirche
und des damit vereinigten Papſtthums, mährend dieſe
von fo vielen unfrer Zeitgenoffen fo fehr mißfannt — ja
fo häufig verunglimpft werden. Und was foll dieß etwa
zur Erbauung proteftantifcher Zuhörer beytragen, wenn
fo oft von ihren Kanzeln und Kathedern in bitterm Zon
wider das Papftthum losgezogen und gefafelt wird? waren
nicht auch unfre eignen Voreltern während fünfzehn Jahr—
hunderten ebenderfelben römiſchen Glaubenslehre zugethan?
werden dann auch von EFatholifchen Predigern in gottes—
dienftlichev Berfammlung die fo vielfachen Blößen unfrer
Reformatoren aufgedeet ? wozu foll es dienen, und wie
läßt e3 fih mit Anftand und Rechtlichkeit vereinbaren,
wenn ein: proteftantifcher Redner vor proteftantifchen Zu—
hörern wider Männer läftert und falbadert, die für ihn
und für fie gar nicht vorhanden find, die übrigens in der
Reihe anerkannter fouverainer Fürften fiehen, und deren
Stellung — als Haupt einer auf dem ganzen weiten Er»
denvund verbreiteten chriftlichen Kicche — auch dem Nicht:
katholiken Ehrfurcht einflößen follte? — ?!
Wir haben nun bisher gefehen, daß die Einheit der
chriftlichen Slaubenslehre von ihrem göttlichen Urheber
feldft als unverlegbare Grundbeftimmung angeordnet
und eingefchärft wurde, — daß die Upoftel und ihre
Nachfolger diefer Vorſchrift aufs gewiffenhaftefte an-
7%
o
hiengen, — daß die Zweckmäßigkeit und Nothmwendig-
feit diefer Einheit, und. fomit aud) die Verderb——
lichkeit jeder Spaltung, überall anerkannt wurde, —
daß ferner das Chriftenthum als ein Gefchenf der Gott-
heit, als geoffenbarte Lehre, als ein geſchloßnes
vollfommnes Ganzes, feiner Berbefferung von Geite
des menfchlichen befchränften VBerftandes unterliegen könne,
— daß Freiheit und Fortfchritt in der Lehre des
Chriſtenthums allerdings, jedoch nur der Wefenheit diefer
Lehre unbefchadet, Plat greifen dürfen und follen, die
Geheimnißlehren der Religion aber — ihrer Natur
nach — unergründlich“bleiben müffen, folglich die
unbedingt gläubige Annahm der geoffenbarten Lehre
unfve heilige Pflicht fey, — daß ferner die göttliche Weis:
heit und Liebe zugleich für das nothwendige Mittel
zur Erhaltung und zum Fortbeftand der Slaubenss
einheit Bedacht genommen habe, — und. daß endlich dieß
Mittel, laut klarem Zeugniß der heiligen Schrift ſo—
wohl als der älteften Lehrer und Kirchenväter, in
der von Sefu Chriſto feldft feinen Apofteln — dem Haupt
derfelben — und ihren Nachfolgern verliehenen Macht
und Gemalt beftehe.
Dieß führt ung nun zur nähern Erörterung der Lehre
‚von der Unfehlbarfeit der Kirche und ihrer Ent-
fheidungen, eines Ölaubensfakes, welcher von proteftan-
tifchen Sdioten fo heftig angefeindet — fo höhniſch geläftert
wird, dennoch aber mit der Bernunft— der heiligen
Schrift, und der Idee der chriftlihen Kirche in vollem
Einklang fteht. — Zuvorderſt müffen wir hier bemerken, daß -
die Eigenfchaft der Infalibilität (Unfehlbarfeit) Feineswegs
dem Papſt für feine einzelne Perfon zugefchrieben wird.
Die Behauptung, daß der Katholif die Päpfte felbft
für Untrügliche halte, welche niemals. irren fönnen,
beruht auf Unverftand und Unmwahrheit. Von diefer Lehre
weiß die Eatholifche Kirche nichts. Der Katholik ſchreibt
felbft der ganzen Kirche — zu welcher als einem gei-
ftigen Körper doch vorzüglich das Oberhaupt gehört — nur
eine Untrüglichfeit inder Glaubens» und Sittenlehre
bey, weil fie. nach Ehrifti Verheißung von feinem heiligen
Geift dabey geleitet wird, keineswegs aber in Gef ch i cht 8⸗
ſachen, welche mit der Offenbar ung nicht nothwendig ver—
bunden find. Selbſt die Geſammtkirche — das Ober—
haupt mit eingefchloffen — fann feine neue Dogmen
fchaffen, welche nicht in dev Schrift und Zradition, im
apoftolifchen Altertbum ihren Grund hätten, weil fie Feine
neuen Dffenbarungen erhält. Um fo weniger gilt
diefes in den Augen des Katholifen von dem Oberhaupt
allein, und felbft der gemeinfte Katholif würde den Kopf
fchütteln, wenn man ihm fagte: er halte den Papft für
befugt zu entfcheiden, was der Ehrift glauben müſſe,
um ſelig zu werden, — was er ausfpreche, ſey wahr, —
was ex gebiethe, fey vecht. Der Papſt als Privatmann
kann in feinen Anordnungen, Einrichtungen und Befchlüffen
irren, wie jeder andre fchwache Sterbliche, Der Papſt
ohne die Kirche iſt Nichts, aber die Kirche ohne den
Papft iſt ebenfalls Nichts; beyde ſind von einander un—
zertrennlich; Haupt ohne Wörner ift wie Körper ohne Haupt,
d. i. leblos. Die Fatholifche Kirche erkennt in der Perfon
ihres DOberhaupts den fichtbaren Lenker und Auffeher
der ganzen Gla ubensan ftalt, verbunden und vereinigt
mit den übrigen Bischöfen, ohne welche Berbindung er
nichts nach-eigner bloßer Willkuͤhr als Glaubenslehre vor⸗
ſchreiben kann. Er iſt das ſichtbare Oberhaupt der allge—
meinen Kirche, von Chriſto eingeſetzt zu Erhaltung
der Glaubenseinheit, zur Entſcheidung der Streitig—
keiten, uͤber welche er nebſt den übrigen Biſchöfen
erkennt. Da Chriſtus nicht ſelbſt mehr auf Erde wandelt,
mußte ev für uns einen Stellvertreter anordnen, wel—⸗
cher für unverfälfchte Reinheit feiner Lehre Sorge trüge;
dieß nun geſchieht durch den Nachfolger Petri auf dem
römiſchen Stuhl in Mitte der übrigen Biſchöfe, welchen
der Geiſt dev Wahrheit zugeſichert iſt.
A
Bernehmen mir hierüber noch einen ganz unverwerf—
lichen Zeugen. ©. biogr. univers. T. I. p. 259. Papft
Adrian VI fchrieb, bevor er den päpftlichen Stuhl be-
ftiegen hatte, disp. in libr. TV magistri sentent., worin er
fagt: „daß der Papft, für fich allein und ohne die Kirche,
auch in Sachen welche den Glauben betreffen, irren könne.“
Diefe Schrift ließ er, nachdem er fchon Papſt geworden
war, ohne die Stelle zu ändern, zum zweyten Mahl auflegen.
Die Lehre der Kirche gehört ausfchlieglich den
Nachfolgern der Apoftel: den Bifchöfen. Diefe
fönnen zu der Offenbarung nichts hinzufügen, aud
nichts davon wegnehmen; fie find nicht die Herren, nur
Ausleger derfelben. Solch ein untrüglicher Ausleger
und Richter. ift zur einftimmigen Annahm und Befolgung
der in der heiligen Schrift enthaltnen Lehrſätze — bey der
Unwiffenheit der einen und dem Stolz der andern — durch—
aus unerläßlich. Diefer Dolfmetfch nun ift der lehrende
Körper der Kirche. Seder Bifchof ift zu einem doftrinellen
Yusfpruch in feinem Sprengel befugt, in wie viel höherm
Grad alfo der Papft, und befondre oder allgemeine Sy—
noden! Die allgemeine Zuffimmung der zer-
fireuten Biſchöfe drücdt al diefen Entfcheidungen das
Siegel der Unfehlbarkfeit auf. Der Gefammtheit
der Bifchöfe, welchen in der Perfon ihrer Vorgänger,
der Apoftel, jene glänzende Verheißung gegolten hatte:
„gehet hin in alfe Welt, Iehret die Völker; wer euch höret,
hört mich felbft; ich bin und bleibe bey euch; der Geift der
Wahrheit wird euch alle Wahrheit erkennen lehren,“ —
dieſer bifchöflichen Gefammtheit allein kann das Recht zu—
ftehen, die heilige Schrift und die Weberlieferung
— dag gefchriebne und das ungefchriebne Gotteswort — zu
lehren und zu erklären. Nur fie hat dieg Recht immer
ausgeübt; Feine andern Diener der Kirche — von mwelchem
Rang, Würde und Gelehrfamfeit fie auch immer feyn moch—
ten — batten je Anfpruch darauf gemacht; wohl wurden
fie mitunter zu Rath gezogen und mochten da ihre Mei—
nungen mit dem ganzen Gewicht ihrer Kenntniffe und Bes
vedfamfeit vertheidigen, aber ſtets war ihre Pflicht: fich
der Entfcheidung ehrfurchtsvoll zu unterwerfen, So will
es Jeſus Ehriftus, welcher in feiner Kirche nicht Stolz
und Starrfinn duldet, weder bey Reichen und Mächti-
gen, noch bey Gelehrten.
Die bifchöfliche Gefammtheit alfo hat zu entfcheiden:
was geoffenbart fey oder nicht, d. h, was mit der
heil, Schrift und Tradition übereinftimme oder mit ihnen
in Widerfpruch ftehe, oder was in einer von beyden allein
enthalten fey. Weiter erſtreckt fich ihre Gewalt nicht; fie
kann immer nur den alten Glauben vortragen, nie einen
neuen einführen; nie fann und darf an die Offenba—
rung die Seile der VBerbefferung gelegt werden, da fie
durch Sefum Ehriftum in ihrer vollendeten Bollkom- ;
menbeit aus dem Himmel zu ung gelangte, und feine
von ihm erleuchteten Schüler diefelbe treulich ihren Mach»
foigern — fowohl mündlich al3 fehriftlich — überlieferten,
Diefe den Apofteln und ihren Nachfolgern verheißne
Gabe der Unfehlbarfeit betrifft übrigens feinen von
ihnen perfönlich und einzeln — da der Gottmenfch feinem
derfelben ewig beyftehen kann — fondern fie ift dem Ber-
ein aller Nachfolger dev Apoftel gemeinfchaftlich
zuerkannt; nur ihrer gemeinfchaftlichen Entfcheidung gebührt
Unterwürfigieit.
Drohen fchädliche Lehren Gefahr, fo hat das Ober—
haupt aller Bifchöfe, vom Mittelpunkt der Einheit aus,
zu wachen uud einzufchreiten. Ohne den Irrthum übers
hand nehmen zu laffen, und abzuwarten bis die Bifchöfe
in ein-Conzilium zufamntentreten fünnen , bat der Ober-
hirt dem Uebel fogleich Schranken zu feßen und ihm vor
der ganzen Welt Augen die immer unverfälfchte und un-
unterbrochne Tradition des heil. Stuhls entgegen zu halten.
Diefe Schukwehr gegen Srrlehren hat alfo die fa-
tholifche Kirche ſowohl in der päpftlihen. Authorität
als in jener der Partikylar « oder Provinzial-, um
a
hauptfächlich auch der allgemeinen oder vifumenifchen _
Eonzilien. Sobald alle Bifhöfe — den Papft an
ihrer Spike — den Befchluß eines Biſchofs, oder Par:
tifular-Conziliums, oder auch des Papfts, annehmen und
gutheißen, fo wird er dadurch zum Befchluß der allge:
meinen Kirche, und die allgemeine Uebereinftim-
mung drücdt ihm das Siegel des unfehlbaren Glau—
bensartifels auf. Ein Conzilium, wenn auch noch fo
wenig zablveich, wird dann vifumenifch — und folglich)
in feinee Lehre unfehlbar — wann feine Entfcheidungen
allgemein angenommen werden. Dieß beftätigt auch
Boffuet (ein Teuchtender Stern feines Sahrhunderts,
welcher noch über die fommenden fernen Gefchlechter die
Strahlen feines Lichts verbreiten wird, wann längft unfre
aufgeblafnen Neologen vergeffen feyn werden) in feiner Ant-
wort an Leibnig 4778. II. Bd. 22 Br. Die Beyftimmung
des heil. Stuhls, oder vielmehr feine Beftätigung, verbun⸗
den mit der Einftimmung der allgemeinen Kieche, drückt
einem Gonziliarbefchluß das letzte befräftigende Siegel auf,
wodurch er als canonifch erflärt wird. Alles übrige,
was man noch in Bezug auf den Papft fagen könnte, ift
feine Glaͤubensſache, noch auch erforderlich; denn es
ift fchon genug, daß die Kirche ein allgemein aner-=
fanntes Mittel befikt, um folche Fragen zu entfcheiden,
welche eine Spaltung unter den Öläubigen herbeyzufüh—
ren geeignet wären.
Auch angefehene proteftantifche Gelehrte und Schrift-
ficller find über den Nuten und die Nothwendigkeit
diefer Unftalt einverftanden. Der große Leibnik in einem
Brief an die Herzogin von Braunfchweig vom 2 Suli 1694
fagt: „nichts mag auf Erde ehrwürdiger feyn, als die Ent-
ſcheidung eines wahrhaft allgemeinen Eonziliums,“ Einer
der berühmteften Lehrer der reformirten Kirche Englands,
Hull, Bifchof von St. David, erklärt fich in f. Verthei—
digung des Glaubens von Nicäa, Vorr. N, 2. p 2 wie
folgt: „Sn diefem Conzilium wurde einer der vorzüglich—
ften Artikel der chriftlichen Religion — die Gottheit Chrifti
— behandelt. Wenn man nun glauben möchte, daß die
Hirten der Kicche fich in einem Grundartifel des Glaubens
hätten irren und die Gläubigen berücken können, wie ließe
fi da noch das Wort Sefu Chriſti in Schuß nehmen,
welcher den Apofteln und ihren Nachfolgern feinen emwi-
gen Beyftand zugefichert hat? Diefe Verheißung
würde folglich nicht wahr feyn, weil die Apoſtel nicht fo
Lange leben konnten, wären nicht unter der Perfon der
Apoftel auch ihre Nachfolger verftanden. “ So er-
Fannte dieſer gelehrte Theolog die Unfehlbarkeit des _
Conziliums von Nizäa, und ftükte feine Meinung auf den
fefteften aller Grundpfeiler, auf die Berheißung Sefu
Ehrifti, deffen Wort ewig beftehen wird.
Auch Luther fah die Unmöglichkeit ein, die Glau—
bengeinheit ohne eine oberfte Kirchengewalt aufrecht zu er»
halten; er fchreibt (gegen Zwingli und Defolampad) „wenn
die Welt noch länger beftehen fol, fo erkläre ich, daß bey
den vielartigen Auslegungen, welche man ung über die
heilige Schrift giebt, Fein andres Mittel übrig bleibt, um
die Einheit des Glaubens zu erhalten, als: die Befchlüffe
der Conzilien anzunehmen und uns unter den Schuß ihres
Anſehens zu flüchten. «
Die Confessio helvetica Cap. XI fpricht fich ebenfalls
— tie wir. fchon oben angeführt haben — ganz klar und
deutlich für die Annahm der vier alten Haupt-Conzilien —
nähmlich von Nizäa, Conftantinopel, Ephefus und Calze—
don, fowie des Symbols von Athanafius u. a, aus.
Prüfen wir nun auch die Art, auf welche die Autho-
rität des Papfts fomohl als der Conzilien in den erften
Sahrhunderten des Ehriftenthbums ausgeübt wurde.
Schon Paulus und Barnabas, laut Act. XV, wand:
ten fich) bey eingetretenem Zwieſpalt fogleich an Petrum,
als Chriſti Nachfolger, um durch ihn Recht. fprechen zu
laſſen, ſowie durch Jakobum als Bifchof zu Serufalem
Be
und das Conzilium der Apoftel aus Eingebung des heil.
Geiftes, Act. XV, 28. |
Eine der älteften Urkunden aus jener Zeit find ferner
die Briefe des heil. Clemens, deffen wir fchon oben er-
mwähnten. Es hatte ſich nähmlich, wie zur Zeit Pauli, in
Corinth ein heftiger Streit erhoben; ein Theil der Gläu—
bigen lehnte fich gegen tadellofe eifrige Priefter auf, und
wollte fie fogar abfegen. Fortunat verließ fogleich Corinth
und eilte nach Rom, um diefe Gährung zu berichten. Eben
war Clemens damahls Bifchof zu Rom. Alfo fchon beym
erften Anfchein einer Trennung eilte der hochbetagte Ge-
führte Pauli, der ehrwürdige Fortunat, nach Rom, und
ſetzte fi) den Gefahren und Miihfeligkeiten einer weiten
Reife aus, um das Anfehn und die Gewalt des Nachfol-
gers Petri in Anfpruch zu nehmen.
Sm erften Sahrhundert Tebte noch der größte Theil
der Apoftelfchüler; auch noch im zweyten Sahrhundert
gab e8 derer. viele, fowie andre, welche von ihnen unter—
richtet waren. Die Lehrſtimme der Apoftel lebte bey jedem
Gemüth noch in frifchem Andenken; ihre Kanzeln haben,
— wie Tertullian fi) ausdrückt — gleichfam noch gefpro-
chen. Alle Kirchen haben auch ſchon von den Zeiten ihrer
erften Gründung an getrachtet, fich gegenfeitig zu verbin—
den und zu unterftüßen, befonders zu Bekämpfung der Irr—
lehren. Sp wurden fihon im zweyten Sahrhundert als
Berfälfcher des Glaubens verurtheilt Saturnin, Baſilides,
Balentinus, Carpocrates, Cerdon, Marcion, Als die
Berfolgungen fich legten, und die Kirchen unter fanften
menfchlichen Kaifern freyer athmeten, traten ſchon Conzi—
lien zufammen. Eufebius, der erfte Kirchengefchicht-
fchreiber , unter Conftantin dem Großen (welcher ihm auch
die Benukung der Reichsarchive zum Behuf feines Werks
geftattete) hist. ecel. L. 2. C. 25 fagt: daß fich fogleich beym
Ausbruch einer Irrlehre alle Bifchöfe vereinigen, um
den erften glimmenden Funken noch in feiner Entfiehung
auszulöfchen. Go ward im 3. 255 Novpatian verdammt,
— —
ſo im J. 262 Paul, der tiranniſche, ſtolze, ſchwelgeriſche
Biſchof von Samoſata. Alſo ſchon in den erften Jahr»
hunderten entfchieden die Biſchöfe über alle Ficchlichen
Gontroverfen, und die Gläubigen huldigten ihrem Aus—
fpruch; der älteften Kirche Gebrauch und Hebung beweist
alfo, daß die Lehre der Infallibilität ſchon damahls allge
mein angenommen war. Auch Me aus jenem Zeitalter auf
uns gefommenen Urkunden der Kirchenväter beftätigen diefe
Wahrheit. S. die Briefe des heil. Sanaz an die Phila-
delpher, Smyrner, Trallier, Magneer und Ephefer; Cy—
prian von Carthago im 33. Br. Irenäus über die
Häreſien L. IV. C. 43 u. 45. und Tertullian (deſſen
im S. 192 verfaßte Apologie in Rücficht auf Bortrag und
Snhalt eines der merfwürdigften Denkmähler des chrift-
lichen Alterthums bleibt).
Mit der Thronbefteigung Kaifer Conftantin deg
Großen traten günftigere Berhältniffe ein; diefer befannte
ſich im J. 324 felbft zum Chriftentbum, und mit ihm ge»
langte auch die Religion auf den Thron.
Unter feiner Regierung "fand? — im 9. 325 — da3
erfte Conzilium zu Nizäa in Bithynien ftatt, wo
318 Patriarchen, Metropoliten und Bifchöfe aus Aſien,
Afrika und Europa beyfammen waren, nebft einer großen
Zahl von Doktoren in ihrem Gefolg; an ihrer Spike be:
fand fich als Stellvertreter de3 Kivchenoberhaupts Syl—
vefter, der berühmte Bifchof von Cordua, Hofius. Con—
ftantin erfchien babey in vollem Glanz feiner Eaiferlichen
Majeftät. Die nähern Umſtände diefes folgereichen Ereig-
niffes erzählen uns Eufebius, Sozomenes, Theodorotus,
Nicephorus. S. auch Maimburg Gefchichte des Arianis-
mus Av Bd. Mit befonnener Ruhe und Klugheit gieng
die ganze Handlung von Statten; in der VBerfammlung be-
fanden fich noch viele, unter der Verfolgung von Maren-
tus, Galerius und Lieinius verftümmelte Befenner des
Glaubens anweſend, mit Narben der Wunden bedect,
welche Konftantin ehrfucchtsvoll Eüßte. Den Befchluß der
u 4
Verurtheilung des Arius empfieng der Kaifer mit tieffter
Verehrung als einen Ausfpruch des Himmels. Ex erließ
zwey Umlauffchreiben, das eine an alle Kirchen überhaupt
und das andre an jene von Alerandrien, wo die Irrlehre
entfprungen war; ex erklärt Darin: „alles was in den
Conzilien der Bifchöfe entfchieden wird, fol man als
Willen Gottes betrachten; damit die Spaltung been»
digt werde, verfammelte ich durch Gottes Fügung in Nizäa
eine fo große Anzahl Bischöfe, Die Entfcheidung diefer
300 Bifchöfe ift nichts andres, als der Ausfpruch des ewi—
gen Sohns Gottes. Der heil. Geift hat den Willen Got: -
tes durch diefe großen Männer geoffenbart, melche von
ihm erleuchtet waren.“ ©. Fleury hist. ecel. T.I. p.159,
Sm 3. 384 fand das zweyte vifumenifche Eonzilium
in Sonftantinopel unter Gratianus ſtatt, wo Mazedo—
nius und Eudorius, — im 3. 434 dag dritte zu Ephe—
ſus unter Theodoſius (welchem auch der heil. Eyrillus bey=
wohnte), mo Neftoriug, — und im 3. 454 dag vierte
zu Calzedon unter Martinno, wo Eutyches verdammt
wurde. Ä
Sobald man im Berfolg dieſe Conziliarbefchlüffe vers
fchiedenartig auszulegen begann, vereinigten fich zu ihrer
Berfechtung die aufgeklärteften Xehrer. Weberhaupt haben
alle Nationen fi) den Ausfprüchen des erften General—
Gonziliums von Nizägg unterworfen. Das von der gan-
zen Kirche fihbon angenommene Symbolum von Nizäa
ward auf der zweyten oifumenifchen Kirchenverfammlung
zu Conftantinopel zum zweytenmahl feyerlich kundge—
macht, und erhielt dort noch mehrere durch die Irrlehren
des Mazedonius veranlafte Zuſätze. So ward dann diefe,
urfprünglich in Nizäa feftgefete, Glaubensformul, feit
dem fechsten Sahrhundert in allen Kirchen Griechen:
lands auf Befehl des Patriarchen von Conftantinopel,
Timotheus, öffentlich gebethet, auf Befchluß des Conzilium
zu Toledo vom J. 589 in allen Kirchen Spaniens nad
der Form der ovientalifchen Kirchen gefungen, zu Ende des
a —
achten Sahrhunderts auch in allen Kirchen Galliens und
Deutfchlands, endlich auf Anordnung Benedicts VII
um das Sabre 1014 in allen Kirchen Staliens eingeführt.
Selbſt zur Zeit der Reformation ward dieß Slaubensfym:
bol beybehalten, und wird noch heutzutag beynahe
in allen proteftantifihen Gemeinden als gültig be-
trachtet; ein Umftand, welchen freylich unfre anmaßenden
3eloten und Splitterrichter ganz zu überfehen pflegen.
Mit eben fo unbegränzter Verehrung fpricht von den
Vätern in Nizäa auch Athanafiug, welcher feinen Pas
triarchen Alerander dahin begleitete und durch feine Ge—
lehrfamfeit fowohl als Redekunſt fo großes Auffehen erregte,
dann Eyrillus von Alerandrien, Hilarius, Bafilius
und Hieronymus. Gregor der Große (— wegen fei-
ner ausgezeichneten Schriftkenntniß „der Theolog “ genannt,
des Bafilius Pylades und Schulgenoffe —) erklärt : „daß er
die Befchlüffe der vier erften General: Eonzilien fo
annehme und in Ehren halte, wie die vier Bücher des
heiligen Evangeliums.“ Auguftinus, diefer ‚große
Kirchenlehrer, defjen in wahrhaft Elaffiichem Geift mit der
Würde eines alten Römers gefchriebnes Werk de civitate
dei (planlos zwar. auf den erften Anblick, aber ungemein
reichhaltig an gefchichtlichen Nachrichten aus dem Alter:
thum und an fcharffinniger Auflöfung. verwicelter Streit:
fragen) felbft von neueren aufgeflärten proteftanti-
ſchen Schriftftelleen als ein Meiſterwerk geündlicher
Gelehrfamfeit und Beredfamfeit gefchätt wird, diefer er—
leuchtete Kivchenvater nennt das Conzilium von Nizäa
„das allgemeine Welt-Conzilium, deſſen Entfcheidun-
‚gen mit den Gebothen des Himmels gleiches Anfehen
haben.“ Ambrofiug, nad der Mitte des vierten Jahr—
bunderts durch die allgemeine Volksſtimme zum Exrzbis—
tyum in Mayland berufen, deſſen gegen die Zivanney
Kaifer Sheodofius des Großen und des jungen VBalentiniang
bewiefnen Heldenmuth die Gefchichte nicht genug erheben
fan, jagt: „ich nehme den Befchlug von Nizäag an, und
a —
weder Schmach noch Tod werden je mich davon trennen
können.“
So urtheilten jene frommen und weiſen Männer über
das heilige, unverletzbare Anſehen der auf Erhaltung der
Kirchen-Einheit abzweckenden Conziliar-Beſchlüſſe.
Welch unſelige Verblendung bedurfte es demnach, um
dieſer Einheit ſich feindlich gegenüber zu ſtellen, und
ein kirchliches Schisma beharrlich zu unternehmen, welches
— wie ſchon Cyprian und Auguſtin behaupten — ſelbſt
durch keine in den Schooß der Mutterkirche eingedrungne
Verderbniſſe jegerechtfertigt werden kann! Duldete
nicht Moſes Millionen ſeines Volks, welche wider Gott
murrten? duldete nicht Aaron eine Menge Juden, welche
ſich einen Götzen zur Anbethung aufſtellten, — David den
Saul, — Iſaias ſo viele der gröbſten Verbrecher? Duldete
nicht der Gottmenſch ſelbſt einen Judas? — Das Recht
der Trennung behielt allein Jeſus Chriſtus, welcher
nie fich trügen fann, auf die Zeit der großen Ernte —
des letzten Gerihts — fi) vor, bis wohin Spreu mit
Waizen — Stroh mit Korn beyfammen bleiben ſoll!
Einer der berühmteften, englifchen Gottesgelehrten,
South, Serm. Vol. V, London 41717 bemerft richtig:
„das Berderbniß in der Kirche bat bey weitem nicht
jenen zerftörenden Einfluß, welchen hingegen Spaltungen
und Trennungen heben. Wohl kann man einen Hals
heilen, wenn er in Eiterung übergegangen, — nicht aber
wenn er abgefihnitten if. Bey Zrennungen wird der
geiftige und der gefellfchaftliche Körper zugleich aufgelöst.“
Sa, hört 08, meine proteftantifhen Brüder! wer
Spaltung berbeyführt, fpricht dadurch die Abficht aus,
den für die Göttlichkeit der Sendung Jeſu we—
fentlihften Beweis zu zerftören, den er noch im Au—
genblick feines Abfchieds von dev Erde aufs tieffte
einzuprägen innigft bemübt war. Wer Spaltung her—
beyführt, ftemmt fich des Welterlöfers entfhiedenftem
Willen, al feinen Planen feindfelig entgegen; mit
—
tollkühner Empörung ruft er: die Menſchen ſollen unter
einander nicht Eins ſeyn, damit die Welt erkenne, daß
Sefus Chriſtus niht vom Vater gefendet ſey! —
Sähe doch der Schismatifer hinab in den Abgrund der
Berftörung , welchen eine Kirchenfpaltung öffnet, wahrlich)
er würde zurückbeben! Geblendet von menfchlichen Leiden-
fchaften, hingeriffen von Streitſucht — Parteygeift und
falfhem Ehrgeiz, der mit eifernem Arm den DBethör-
ten bey feiner vorgefaften Meinung fefthält, irrege—
leitet durch die Fläglichften Zäufchungen, fieht dev Elende
nicht ein, daß feine Waffen gegen den Gottmenſchen
felbft — gegen die ihm fo theure Heilsanftalt — gegen
feinen innigften Herzenswunſch — gegen das heiligfte
feiner Sefeke gerichtet find.
Die Gefchichte lehrt ung indeffen, daß die Kirche ſchon
in den älteften Zeiten folche Anfechtungen oft zu beftehen
hatte, diefelben jedoch mittelft der von dem Stifter des
ChriftenthHums angeordneten DObergewalt immer glorreich
befiegte.
Die Erfcheinung folher Widerfächer war von Chrifto
felbft, auch von Petro und Paulo, geweiffagt worden.
S. 2 Petr. U, 4. und II, 3. 4 Joh. IV, 4 — ©.
4 Kor. XL, 48 uf. w. Auch Lukas in der Einleitung
zu feinem Evangelium erwähnt folcher, die bereit3 zu der
Apoftel Zeiten auftraten. Johannes fchrieb fein Evange-
lium wider Ebion, Cherint und andre Schismatifer zu
Zrajans und Nervas Zeiten. Dieß bezeugt Irenäus,
Schüler des Polykarp, welcher felbft ein Sünger Sohan-
nis des Evangeliften war. Auch Eyrill von Alerandrien
fhrieb hiervon, und nähere Meldung der Häretifer finden
wir bey Auguftinus, Philafter, Epiphanius und Prima-
fius, (einem Sünger des Auguftinus —), welche im 2.
. dis 4 Sahrhundert der chriftlichen Kirche lebten. Der
ehrfüchtige Montanus, von heidnifchen Eltern gebohren,
ein ftolzer, fchwermüthiger Mann, welcher kurz "bevor er
Unruhen in dev Kicche erregte unter die Gläubigen auf
genommen ward, hatte unter Mark Aurel im 3. 431 die
Kühnheit, fi für den von Sefu Chrifto verheißnen Trö—
ſter — Paracletus — auszugeben. Durch) Strenge der
Sitten und den Ehrfurcht gebiethenden Ton feiner Weif-
fagungen wußte er zu täufchen und zu verführen. Nun vers
fammelten fich die Bifchöfe Afiens zu wiederhohlten Malen
in Hierapolis, erklärten — nad) langer und. fchonender
Erörterung — feine Weiffagungen, ſowie diejenigen der
Priscilla und Marimilla (welche fich beyde von ihren
Männern getrennt hatten, um den Schwärmereyen dieſes
Betrügers anzuhängen) für falfch, verdammten ihre Irr—
lehren, und fchloßen fie von der Gemeinfchaft der Kirche
aus.
Sn jedem Sahrehundert war die Kirche — mehr oder
weniger — von folchen Härefien heimgefucht worden.
Sm erften finden wir nähmlich — wie fihon erwähnt —
Ebion und Cerinth, im zweyten die Gnoftifer und Mavcio-
niten; im dritten die Novatianer und Sampofatenfer; im
vierten die Arianer, Donatiften, Euftatianer, Seleucianer
u. a.; im fünften die Manichäer, Pelagianer, Neftorianer,
Eutychianer; im fechsten die Safobiten. Von diefen läug—
neten und beftvitten einige die Menfchwerdung Chrifti,
andre die Dreyfaltigkeit, manche die göttliche Mutterfchaft
der heil. Jungfrau und die Vereinigung des Worts mit
der menfihlichen Natur; mehrere ftellten das Prädeftina-
tions Syftem auf; einige verfochten die Polygamie; andre‘
beftritten den freyen Willen; viele unternahmen Aende—
rungen im Saframent des Altars, manche verwarfen das
Purgatorium, noch andre die letzte Dehlung. Zu Anfang
des fiebenten Sahrhunderts fund Mahomet auf, deflen
Koran ale Drdnung der chriftlichen Kirche verfpottete
und der Sinnlichkeit huldigte. Im eilften Sahrhundert
fiellte Berengar die figürliche Bedeutung auf, hat aber
fpäterhin feine Irrlehre feldft wieder — mie wir im Ver—
folg fehen werden — abgefchworen. Gegen Ende des zwölf-
ten Sahrhunderts waren in Frankreich die Waldenfer,
in der Mitte des vierzehnten Sahrhunderts in England
die Wiclefiten, zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts
in Böhmen die Huffiten aufgetreten; — all diefe Häres
fien waren aber durch die oberfte Kivchengewalt befeitigt
worden. Eine zu Anfang des fechszehnten Vhrhunderts
herausgekommne Schrift. führt nicht mweniger als ſieben
und fünfzig folher Sekten an, in deren Zußftapfen die
nachherigen Reformatoren getreten waren. |
Diefe Anfechtungen und Drangfale dienten indeffen
nur dazu, das Anfehen der Kirche immer mehr zu
befeftigen, und die Wahrheit jener göttlihen Ver——
heifungen bey Math. XXVIIL, 20. und Soh. XIV, 26.
ins hellſte Licht zu feen; nie war die reine, wahre Lehre
des Chriſtenthums untergegangen; in feinem Sahrhundert —
fo finfter man ſich dafjelbe auch nur immer denken mag —
erlofch das Licht der Wahrheit, und konnte nad) dem gans
zen Plan der Gottheit nicht erlöfchen. Nie hat Rom
fi) vor Häreſien gebückt, fo oft es auch von ihnen ge—
drängt ward; morgenländifche Kaifer, Oft: und Well
Gothen, Burgunder und Longobarden bequemten fich zum
Arianismus; Rom aber blieb der Mutterfirche getreu.
Ohne Naͤchſicht fchnitt es zulekt ſich ab von der griechi—
fihen Kicche, ob diefe gleich fchon eine halbe Welt umfaste.
Allerdings belehrt ung die frühere Kirchengefchichte,
und niemand. hat je in Abrede geftellt, daß im Verlauf
der. Zeit ſich hier und da etwelhe Mißbräuche in die
erhabne Einfachheit der Religion des Gottgefandten einge»
fchlichen hatten, Diefe famen auch würklich zu Anfang
des XV. Sahrhunderts3 bey dem — unter.Kaifer Gig»
mund — in Conftanz abgehaltnen Conzilium fchon zur
Sprache, ohne daß jedoch Abhülfe erfolgte. Das Bedürf-
niß theilweifer Reformen ward hierauf immer allgemeiner
gefühlt. "Mit Recht klagte man tiber Mißbrauch dev päpft-
lichen Gewalt, unbefugte Unmaßungen der römifchen Eurie,
Herrfhfucht und Ueppigkeit der Bifchöfe, ZTrägheit und
Ausgelaffenheit des niedern Elerus, vohe Unmiffenheit des
4 |
—— —
gemeinen Volks, und hauptſächlich über den mit dem Ab—
laß getriebnen höchſt ärgerlichen Unfug in Deutfchland.
Die Beſeitigung verſchiedner Mißbräuche hinſichtlich der
zerfallnen Kirchendis ziplin war ſehr dringlich gewor—
den. Die Wrieſter hatten — wie auch Boſſuet klagt —
von nichts als Ablaß, Wallfahrt und Allmoſen an die
Klöfter gepredigt, und aus diefen Uebungen wefentliche
Erforderniffe des Goitesdienfts gemacht, da fie dody
nur Zufäße deffelben find. Ein parteylofer Echriftfieller
jener Zeit fagt: „Diele Geiftliche befümmerten fi mehr
um die Wolle, als um die Schafe, nicht um. die Herde,
fondern um ihre Fett; weniger war es ihnen darum zu
thun den Schafftall auszubeffern, und gegen Lift oder Ges
walt der Wölfe fiherzuftellen; die meiften fuchten Gemäch—
lichkeit und Wohlleben, und benußten die Einfalt ihres
Völkleins, indem fie durch Verkauf von Ablaß und Faften-
difpens mehr für ihren eignen Beutel, als für das Geelen-
heil ihrer Angehörigen forgten.“ Nur kirchliche Miß—
bräuche waren alſo wegzuräumen, welche jedoch nie als
Glaubens- Norm aufgeftellt und betrachtet worden waren,
wie auch von Schwarz in f. Handb. der chriftl. Relig.
38 ©. 116 fehr richtig bemerkt wird. Durchaus unge-
gründet ift aber das Borgeben der Schismatifer des XVL
Sahrhunderts, daß die Geiftlihfeit gegen jede Reform
ſich geftväubt habe. Das Gegentheil gebt aus den Bor:
ftellungen des Cardinals Sulianus an Papſt Eugen TV.,
Gerfong an Alerander V. und vorzüglih aus den Schrif-
ten des großen Erasmus, hervor. Nicht etwa nur Pri-
vaten, fondern angefehene Theologen, Aebte, Fürften, Bi—
fchöfe, ja Päpfte und Eonzilien begehrten Reformen des
äußern Kirchenweſens, freylich aber feineswegs eine
Ummälzung der ganzen uralten Kirche aus ihren ehr-
würdigen Angeln. Schon hatten geachtete Männer Hand
ang ernfte Werk gelegt. Nach dem Tod Sulian.des Zwey—
ten -beftieg im J. 1513 Leo X. den päpftlichen Stuhl,
welchem felbit proteftantifche Schriftfteller den Ruhm eines
BERGE.
fanftmüthigen, friedliebenden, nachfichtigen Mannes, und
daben eines entfchiednen Gönners und Befördrers Achter
Gelehrfamfeit nicht verfagen. Selbſt das muthige Frank:
reich hatte fich unter diefem weltflugen Oberhirt mit dem
heiligen Stuhl ausgefühnt. Dem berühmten Joh. Picus
von Mirandola, welcher ihn im 3. 4517 zu Reformen
in der Kiechendisziplin aufforderte, ward das bereitwilligſte
Gehör zu Theil. Nicht weniger begriffen auch der Kar:
dinal Math. Schinner in Sitten, und der Bifhof Hugo
von Conſtanz die Nothwendigkeit flyer Reformen; lektver
befonders hatte das unter dem Clerus eingeriffene Sitten—
verderbnig höchlich misbilligt, fehien gleich Anfangs fchon
der neuen Lehre zugethan, las gern die Bücher von Luther
und Zmwingli, und forderte fogar diefe felbft zum Wider—
ftand gegen die Ablaßkrämer auf, fand fich aber fchon
1524 — (gleichwie Erasmus) — zur Ginnesänderung be>
wogen, fobald er den unbezähmbaren Gtarrfinn
und den frevelbaften Uebermuth der Veuerer- ein»
fah. —
Hier ftehen wir nun an der; Schwelle jenes verhäng—
nißvollen Zeitpunkts der Reformation oder
Glaubensaͤnderung,
welche mit dem Jahr 1547 in Sachſen, dann zwei Jahre
ſpäter in der Schweiz, und fünfzehn Jahre nachher auch
in England zum Ausbruch kam.
Gewiß hätte auch dieß Schisma — gleich jedem an—
dern vorhergehenden — keine Fortſchritte gemacht, wenn
feine Urheber pflichtmäßig ſich der kirchlichen Gewalt un—
terzogen hätten; in letztertm Fall wären wohl die Miß—
bräuche gehoben, allein die Fundamental-Glaubenslehren
der Kirche aufrecht erhalten worden. Jene Urheber muß—
ten demnach gleich bei erſter Entwicklung ihres Plans da—
mit anfangen, ſich gegen die Authorität der Kirche
in den Stand offnen Aufruhrs zn ſetzen; fie mußten
*
— &
gewaltfam einen Damm durchbrechen, welcher — nach alf:
gemeinen Bolfsbegriffen von Sefu Ehrifto felbft errichtet —
einzig ihre Fortfchritte zu hemmen vermochte. Daher
fonnten fie nicht ftark genug und oft genug den Völkern
vorpredigen: alle Menfchen feyen dem Irrthum unter:
worfen,;, — fein GSterblicher, noch ein Verein derfelben
fönne fich die Eigenfchaft der Untrüglichfeit beylegen, in-
dem diefe nur Gott felbft und feinem heiligen Wort 'zuge-
fchrieben werden dürfe, — dieß letztre allein fey die Regel
unfers Glaubens und fey deutlich genug, fo daß jedermann
daffelbe verftehen und darüber urtheilen, auch fich felbft
nach feinem Gewiſſen feine eigne Religion fchaffen könne,
fur; der Wahlfpruch jener Reformationg: Stifter wart
„Die gleichförmige einftimmige Lehre der Eonzilien
fol dem Privatfinn, der willführlichen Ausle—
gung, untergeordnet werden, “
Bon Leidenfchaften und Eigendünfel angefpornt, wag—⸗
ten fie ſich nun an einzelne Geheimnißlehren der hei—
ligen Religion; fie zogen den Glauben vor den Richter-
ftuhl ihrer trügerifchen Bernunft, und erfühnten fich
in die unergründlichen Ziefen der Gottheit einzudringen.
Bald verwicelten fie fich dann durch vermeßnes Klügeln
in Spibfindigfeiten und Widerfprüche, und wurden durch
Vebermuth, Rechthaberey und Starrfinn (welche ihnen
felbft von — eifrigſten Applogeten, vergl. A. Rivet cont.
Grotium T. 3. p. 1061., zum Vorwurf gemacht werden)
zu immer neuen Sehltritten verleitet. Während fie die
heilige Schrift als ausfchlieglihe Glaubensricht—
fihnur erklärten, fonnten-fie dennoch unter fich felbft
nicht einmahl einig werden, und wurden gerade durch die—
fen vermeint „untrüglichen“ Wegweifer in die mannig—
faltigften Labyrinthe verftricft. Indem fie die göttliche
Einfekung der firhlichen Gewalt beftritten, und
ihre Gerichtöbarkeit zu zerftören begannen, ſetzten fie an
die Stelle der bifhöflihen Entfchheidungen und
Conzilien, zwar dem Scheine nach), das Anfehen des
göttlihen Worts, welches von allen Gläubigen ‚mit
frommem Kinn verehrt wurde; da fie aber zugleich das
Recht ihrer willführlihen Erflärung und Aus—
legung in Anfpruch nahmen und fich zueigneten, fo durf—
ten fie wohl beberzt von der Kirche an die Schrift
appellieven, d. h. an den geduldigen, ftummen Buchfta-
ben, der fich jedem Sinn fügt und jede Deutung ohne
Widerftand gefallen laßt, — an das gefchriebene Wort
Gottes, worin — wie der gelehrte Werenfels fagt —
jeder feine Lehre . und auch jeder feine Lehre fin.
den kann.
Dieß folgenf: chwere Ereigniß nun in ſeinem Urſprung,
Fortgang und Würkungen gründlich zu beleuchten,
iſt der Zweck dieſer nächſten Bogen.
Zu dem für ganze Völkerſchaften und Jahrhunderte
ſo einflußreichen Geſchäft einer Kirchenreform eigneten
ſich wohl überhaupt nicht einzelne Individuen, am
wenigſten dann aber jener Mann, welchen wir nun bald
näher werden kennen lernen, und der als Haupturheber
der Glaubenstrennung da ſteht. Wer das größte Hei»
figtbum der Menſchheit — die vom Welterlöfer nad)
theofratifcher Fügung auf Erden geftiftete Religion —
reinigen will, muß — als von Gott dazu berufen — nicht
nur beftimmt mwiffen, was er will und was er ſoll,
fondern»er muß auch — von heiligem Antrieb be>
feelt — demüthig und befcheiden, nicht aber roh,
heftig und leidenfchaftlich feyn. Gelbit Liebe gegen den
Feind fol fih mit würdevollem Ernft bey ihm ver-
einigen; er muß nicht in Widerfprüche fich vermwiceln,
nicht duch Läfterung und Hader feine Sache unges
ſtüm durchfegen wollen; er fol feft, planmäßig und befön-
nen zu Werk gehen; fein ganzes Benehmen fol die
Göttlichkeit feines erhabenen Berufs beurfunden und
rechtfertigen.
Leider aber darf man nur das Thun und Treiben der
Reformatsren, ihre Anfichten, gegenfeitige Stellung und
a
Widerfprüche, kurz nur fie felbft vedend und handelnd mit
gefhichhtliher Treue darftellen, um fonnenflar zu bes
weifen, daß nicht fie zu Stüken der wanfenden, bedräng—
ten Kirche und zur Reinigung der Glaubenslehre von
Gott auserkoren feyn Eonnten. Bey dDamahligen relis
giöfen und politifchen Berhbältniffen war ſich in der
That nicht zu verwundern, daß die Reform fo fchnelle
Sortfchritte machte und daß viele Fürften ihr fo geneigtes
offnes Ohr lieben; man darf nur die Mittel betrachten,
welche dabey in Anwendung gebracht wurden, um alsbald
einzufehen, daß feineswegs die Kraftdes Evangeliums
es war, was fo viele -bewog den alten Glauben zu vers
offen und dem neuen ſich anzufchmiegen, (Wohl nicht
mit Unrecht fagt einer der neueren proteftantifchen
Schriftſteller: „Luther gab den Fürften reiche Klöfter
und Abteyen, den Prieftern Weiber, und dem gemeinen
Mann ungebundene, Freyheit; dieß that gar viel zur
Sache. «)
Gewiß wäre auch der fo friebfertige Leo X., und mit
ihm die ganze Kirche, noch in manchem Punkt den Re»
formatoren entgegengefommen, wenn diefe nicht gar zu
tollkühn und ungeftim ihe Wefen fortgetrieben hätten.
Man Iefe nur die Bulle diefes Papſts contra. errores
Martini Lutheri et sequacium, XVII. Cal. Juli 1520,
worin er mit mildem Ernft den Abtrünnigen in den
Schooß der mütterlichen Kirche zurückruft. „O gütiger
Gott! heißt e8 da unter anderm — mas haben wir nicht
alles gethan, wie fehr haben wir nicht alle väterliche Liebe
aufgebothen, um ihn von folch Eläglichen Irrthümern
zurüczuführen.“ Sa, Leo bittet dann dringend „bey der
Barmherzigkeit Gottes, und bey dem vergoßnen Blut Sefu
Ehrifti aus tiefftem Herzensgrund, daß die Abgefallnen
doch nicht ferner den Frieden der Kirche ftöven möchten. *
Allein, wie weit jene neue Glaubenshelden davon ent-
fernt waren mit Ubfchaffung Eirhliher Mißbräuche
fich zu begnügen und Slaubens-Einheit herzuftellen,
— —
werden wir num bald ſehen. — Und wer waren denn jene
Männer, welche es wagen durften die allgemeine Mutter:
ficche der Neuerungen in den Hauptglaubensfäßen , der
Serthümer in der Lehre, des Aberglaubens.in den
Religionsübungen, der Abgötterey in dem. äußerlichen
Gottesdienſt zu befchuldigen ?
Ueber die Schismatifer Deutfchlands und der
Schweiz werden wir uns umftändlicher verbreiten, da
uns genugfame Materialien dießfalls zu Gebothe ftehen.
Sn Schottland fund Knox an der Spike, ein
Mönchspriefter und fpäterhin feuriger Anhänger Calvins
defien Lehren ev zuerit in fein Vaterland brachte, mo ex
alles in Feuer und Flammen verfekte ; ferner Sraf Murray,
dev natürliche aber fehr entartete Bruder der Marin Stuart,
welcher aus feinem Klofter zu St. Undreas zur Regierung
des Königreichs übertrat, und Buchanan (nad) dem Ur—
theil eines angefehenen Gefchichtfchreibers „der wahnſin—
nigfte Häretifer, der lügenhaftefte Schriftfteller, der auf-
geblafenfte, fchamlofefte Menſch auf dem weiten Erdenrund),
der undanfbare Berläumder der unglücklichen Maria Stuart,
von welchem verfichert wird, daß er auf feinem Sterbe—
bette alles widerrufen habe, was er zum Nachtheil der
Ehre Mariens gefagt hatte. Dieß waren die Presbyte-
tianer, Englands Reformatoren beftehen aus einer
Kammer der Pairs — mit Ausnahm jedoch aller
Bischöfe und mehrerer Lords — aus einer fchwachen Stim—
menmehrheit: in dee Kammer der Gemeinen, der
Königin Elifabeth und ihrem Staatsrath.
Und mwelche Züge biethen fich in dem Charakter aller
Reformationsurheber dar? Webergehen wir die perfön-
lihben Beweggründe des Ehrgeizes und Eigen:
nutzes, welche fie beherrfchten, — ihr fittlihes Be—
tragen, welches doch in Wahrheit nichts weniger als
apoftolifch war, — die Xergerniffe der Priefterehen, der
Mönchsehen mit Nonnen, welche felbft. von einigen der
gelaßneven Reformatoren verachtet und verlacht wurden;
aber fragen dürfen und follen wir: welche Stellen beklei—
beten dann jene Individuen in der geiftlichen Hierar-
hie? hat Jeſus wohl fie gemeint, als er fprach: gehet
— lehret alle Völker — id) bin bey euch bis an das End
aller Tage, mer euch hört oder verachtet, der hört oder
derachtet mich felbft —? find fie ed, denen Jeſus den hei-
tigen Geift verhieß, um fie in alle Wahrheit zu leiten?
Da diefer erhabne Ausſpruch des Gottmenfchen nur den
Apofteln und ihren Nachfolgern gegolten hatte, —
da die Apoftel, und nach ihnen die Bifchöfe, allein, von
den älteften Zeiten her, nach der Anordnung Sefu
Ehrifti die Kirche regiert und über jede Streitfrage ihr
richterliches Urtheil gefällt hatten, fo war es leicht, dieſe
Neuerer zum Schweigen zu bringen, indem man von allen
Seiten ihnen entgegnen mußte: wer feyd ihr, die ihr
euch das Recht anmaßt, über die Lehre zu entfchei-
den, und zu beftimmen, daß diefer oder jener Glaubens—
fas ein Serthbum fey, — daß dieſe oder jene Disziplin
det Kirche zum GSittenverderbniß, — daß diefe oder jene
gottesdienftliche Uebung zur Abgötterei führe, —
oder die ihr wohl gar das Recht euch anmaßt, eine voll
ftändige Spaltung in der Kirche durchzufegen ? Ihr feyd
theils bloße Laien und einfache Gläubige, theils unter-
geordnete Beiftliche. Bringt eure Befhwerden en,
erklärt euch über euve Zweifel, eröffnet eure Meinun-
gen über alle jene Materien, welche euch anſtößig vor—
fommen, — bittet eure geiftlichen Vorgeſetzten, eure
Richter — die Bifchöfe, oder dringt — wenn auch noch
fo ungeftüm — in fie, diefe Gegenftände gründlich zu un
terfuchen,, aber erwartet dann mit Ehrfurcht ihr Urtheil,
und nehmt es mit Unterwürfigfeit an! denn fo lau—
tet der Befehl Gottes; Gehorſam nur ift eure Pflicht
und euer Antheil an den Angelegenheiten der Kirche.
Etatt nun aber diefen von Sefu Chriſto felbft
und den Kirchengefegen vorgezeichneten Weg einzufchlagen,
betreten fie denjenigen des offnen Aufruhrs, fprechen
alfer bifchöflihen Macht Hohn, und legen dagegen fich
ſelbſt ein ſtolzes vorragendes Anfehen bey; fie ftürzen
die von dem göttlichen Geſetzgeber eingeführte Ord—
nung um, und ftiften an ihrer Stelle Anarchie; fie pre
digen und fchaffen überall Spaltungen; fie reißen ges
wiffermaßen den Leib des Welterlöfers in Stüden; und all
diefe Verwirrungen belegen fie mit dem glänzenden Nah—
men einer — Kirchenverbefferung! Man gebe die—
fem Serfal was immer für einen Nahmen, dennoch bleibt
es Elar wie die leuchtende Sonne, daß daffelbe immer mit
dem Charakter der Empörung wird gebrandmarft blei—
ben, und in dem unauslöfchlihen Flecken des Schisma
das eben fo unvertilgbare Zeichen der Verwerflichkeit an
fic) tragen wird.
Doch, ‚Rvernehmen wir nun die nähere Schilderung
ihrer Perfonen, wie ſolche theils von ihnen felbft,
theil8 von ihren eignen Anhängern und Gehülfen
entworfen wurde, und fodann ihre öffentlihen Ber»
richtungen im gefchichtlichen Zufammenhang, — beydes
aus den zuverläßigften Urkunden gefchöpft.
Da wir bisher wohl größtentheils nur unbegränzte
Lobeserhebungen ihrer DBefcheidenheit, Sanftmuth,
Reinheit der Sitten, ihrer ruhigen feften Befonnenheit,
der Eonfequenz ihrer Anfichten und Handlungen, ihrer
Gewiffenhaftigfeit, ihrer hocherleuchteten Weisheit, ihres
heiligen apoftolifchen Eifers, und fo viel andrer rühmlichfter
Eigenfchaften vernommen haben, — von folchem Nimbus
aber wenige Spuren ſich darbiethen werden‘, fo unterlaffe
ich nicht die authentifche Quelle meiner Gewährsmänner
überall genau anzugeben. Sch ftüße mich bey diefer Arbeit
auf den Wahlfprucd jenes alten Hiftorifers: „ ebenfofehr
begeht derjenige einen Fehler, welcher tadelnsmwerthe
Sitten und Handlungen verhbeimlicht und nicht zu rü—
gen wagt, wie derjenige, welcher der Tugend und Necht-
fchaffenheit das verdiente Lob entzieht.“
Un der Spitze diefer neuen Glaubensherolde glänzt
AR
— 25 —
der. hochgefeyerte Nahme Martin Luthers, eines Au—
guſtinermönchs aus Wittenberg, geb. 4483, geſt. 1546.
Er war nach dem Urtheil fo vieler proteſtantiſcher Schrift—
fiellev unfrer Zeit „der große Mann,“ „der Mann Got»
tes ‚“ „die Ehre des deutfchen Nahmens,“ der Mann,
welcher „einen für unerfchütterlich gehaltenen Thron mit
feiner Feder ftürzte (77), balb Europa eine andre Geftalt
gab, auf alle folgenden Jahrhunderte fo mächtig würkte,
und dabey — als ein ächter Weifer — auch der befchei=
denfte Mann in der Schäkung feiner felbft, und gutmü—
thig wie ein Kind.“ (S. 5. ©. Müllers Reliquien alter
Zeiten, Sitten und Meinungen, u. a. m.)
Leider ftehen aber folche Apotheofen in bedenklichem
Widerfpruh mit dem Zeugniß der unbeftechbaren Ge—
ſchichte.
Man höre und — ſtaune! —! |
Wie fchildert diefer große Slaubensheld ſich felbft?
und wie fchildern ihn feine Mitreformatoren und aus:
gezeichnete Zeitgenoffen?
Den vorzüglihen Werth feine Selbfigeftändniffe
darf felbft Fein Rabulift in Zweifel ziehen; wir werden fie
inder ihm eigenthümlichen fh mudlo fen Sprache anführen,
Sm allgemeinen legt er von fich felbft das Zeugnig ab
(T. V. ad Gal, I, 44), daß er als Katholif noch fein
Leben mit Faſten, Gebeth, ftrenger Enthaltfamfeit, Keufch-
heit und Gehorfam zubradhte; ein ganz entgegengefeites
Gemählde entwirft er aber. von fih als reformierten
Menfchen in f. Serm. de matrim. p. 119.
Ueber feinen Beruf zum apoftolifchen Lehramt
mögen ung folgende Herzengergießungen binlängliche Aus»
funft geben: „ich trage der ganzen Welt Haß und Feind-
fhaft, dem Kaifer und Babft mit al ihrem Anhang,
Wohlen, weil ich hbineingefommen bin, fo muß
ich feben, und ſagen, es fey recht. Darnach fpricht
mich dev Zeufel auch davumb an, und zwar hat er mich
oft mit diefem Argument fat getödtet: du bift nicht
se
berufen!“ (S. Nachl. aus Dr. M. Luthers Schriften,
Mainz 1827. ©. 9.) Ferner
„Sch kann nicht glauben, was ich lehre, aber
andre meinen id) fey aufs innigfte überzeugt. Wäre
ich jünger, fo wollte ich gar nicht predigen, ich würde eine
andre Befchäftigung wählen. Hätte ich gefehen, daß meine
Unternehmung ſo ins Weite gehen würde, fo hätte ich
gewiß das Maul gehalten! Wie viele Menfchen (feufze
ich) haft du durch deine Lehre verführt! An allen diefen
Unruhen bift du Schuld! der Gedanfe will mich gar nicht
verlaffen, daß ich wünfchte, diefen Handel nie angefan-
gen zu haben, Sn diefer- Beingftigung bin ich gar’ oft
bis in die Höhle hinabgefunfen. Weil ich aber einmal den
Handel angefangen habe, fo muß ich ihn nun wohl
als eine gerechte Sache vertheydigen.“ (S. alte Abend»
mahllehre, Zweybrücden 1827. S. 304.)
Sn eben diefem Sinn und Geift hatte er dem Pfarrer
in Rodhlik, Anton Mufa, melcher ihm mit DBetrübniß
Elagte, daß er felbft nicht glauben fünne, was er ans
dern predige, geantwortet: „Gott fey Lob und Danf,
daß es andren Leuthen auch fo geht; ich meinte, mir wäre
allein fo.“
Nach feiner eignen Ausfage hatte unfer Held auch mit
dem leibhaftigen Zeufel felbft Unterredungen; zwar fuchte
man fie als Berläumdung darzuftellen, aber fataler Weife
findet man fie in T. VIE im Traktat de, sacerd. consecr.
et miss. priv. Ao. 1534 befonders abgedruckt, und p. 228
— 230 Wittend. Ausg. 1558 von Luther felbft umftänd-
lich erzählt. Ueber feinen gar vielfachen Verkehr mit dem
Zeufel (welchen er häufig auch Sunfer Satan heißt) ent-
halten feine „Zifchreden“ Frankfurt 4593 mehrere erbau—
liche Anekdoten, 3: B. „ich hab wohl erfahren, was er für
für ein Gefell iſt; er hat mir oft fo hart zugefekt, daß
ich nicht gewußt hab, ob ich tod oder. lebendig fey.“ &. 12.
„Wenn wir vom Teufel angefochten werden, foll man fa-
gen: Heiliger. Teufel, bitte für uns; haben wir doch nicht
a
wider euch gefiindiget, gnädiger Herr Teufel! Nihm den
Stab in die Hand, und geb nach Rom zu deinem Diener,
deffen Abgott du biſt.“ S. 225. „Der Teufel ift ung feind,
fo ift er dazu Elug; wir, wiffen ‚nicht das fiebenhundertfte
Theil, was er weit. Der Zeufel kann mir bey Nacht Ar—
gumente bringen, die mich in Harnifch jagen; er hat mir
folche Argumente gebracht, daß ich nicht mußte, ob ein
Gott war oder nicht.“ ©. 168, „Heut, da ich erwachte,
fam der Teufel und wollt mit mir disputieren, objiziert
und warf mir für, ich wäre ein Sünder. Da ſprach ich:
fag mir etwas neues, Teufel; das weiß ich vorhin wohl. _
Nun, haft du nicht genug daran, du Teufel! fo habe ich
auch gefchmiffen und gepinfelt, daran wifche dein Maul,
und beife dich wohl damit.“ ©. 217. „Darnach warf er
mir vor: wo haft du die Klöfter in der Welt hingethan ?
da antwortet ich: da fchlag Bley zu, du magft fehen, mo
dein Gottesdienft bleibt. Ich halt, daß mid) der Teufel
oft erweckt, da ich fonft wohl fchliefe, allein darum daß er
mich veriere und Plage.“ ©. 219. „Er fommt oft und
wirft mir vor: es fey groß Aergerniß und viel Böſes aus
meiner Lehr entftanden. Da fett er mir oft hart zu, macht
mir anaft und bange. Er ift vom Anbeginn nie fo grim-
mig zornig gemwefen, als jekt am Ende dev Welt; ich fühle
ihn fehr wohl. Heftig zornig ift er; das verftehe und fühle
ich oft wohl; er fchläft viel näher bey mir denn meine
Käthe, d. i. er-macht mie mehr Unruh, denn fie mir
Sreude.“ ©. 222. „Wenn der Teufel des Nachts an mich
fommt, mich zu plagen, fo gebe ich ihm diefe Antwort:
Teufel, ich muß jetzt fchlafen! Wenn er nicht ablaffen will
und hält mie meine Sünde für, fo fage ich: Lieber Teufel,
ich habs Regifter gehört; aber ich habe noch eine Sünde
gethan, die fteht nicht in deinem Regiſter, fchreib fie auch
an; ich habe in die Hofen gefehmiffen, hänge fie an Hals,
und mwifch das Maul dran. Zum dritten, wenn er num
weiter anhalt und dringt hart, und klagt mich an, fo vers
achte ich ihn und fpreche: Sancte Satana, ora pro me!
——
Heiliger Teufel, bitte für mich, Er wirft mir eben gar
oft vor: o wie einen großen Haufen Leuthe haft du mit
deiner Lehre verführt!“ |
Für feine Confequenz in den Meinungen und
Anfichten, ſowie für feine Grundfäge felbft mögen
folgende Stellen zeugen:
Noch im Jahr 1528 (alfo eilf Sabre nad) Bes
ginn feiner Reform) fchrieb er: „wir befennen, daß unterm
Babſtthum viel chriftliches Gutes, ja alles chriftliche Gute
fey, und dafelbft auch herkommen fey an uns, daß im
Babſtthum fey die rechte heilige Schrift, vechte Tauf,
rechtes Altarſakrament und Predigtamt, rechter Schlüffel
zur Vergebung der Sünden, Ic, fage, daß unterm Babft-
thum die wahre Ehriftenheit, ja der vechte Ausbund der
Chriſten fey, und viele fromme große Heilige.“ Sa felbft
noch im Sahr 1533 ſchrieb er: „In der fatholifchen
Kirche, unter dem Pabft ift geblieben die heilige Zauf, der
Tert des heiligen Evangeliums, die heilige Vergebung der
Sünden, da3 heilige Sakrament des Altard. Wo folche
Stücke noch geblieben find, da ift gewiß die Kirche und
etliche Heilige blieben; denn es find alles die Drdnung
und Früchte Chriſti. Darum iſt gewiß Ehriftus hier bey
den Seinen gewefen mit feinem heiligen Geift und hat in
ihnen den chriftlichen Glauben erhalten.“ Sn feiner größern
Kirchenpoftill fchreibt er: „das ift wahr und unwiderfprech-
ih, daß folche Gewalt und Macht von Gott der Kirche
gegeben ift, daß, wen fieinden Bann thut, der ift wahr»
haftig für Gott verbannet, d. i. in Gottes Zorn und Fluch,
und aller Heiligen Gemeinfchaft beraubt, wie Chriftus
fpriht: mas ihr bindet auf Erden, fol auch im Himmel
gebunden feyn; item: mer die Kirch nicht hören will, den
folft du halten für einen Heiden und Zöllner, Was fünnte
aber einem Menfchen ſchröklicheres widerfahren, als wenn
Gottes und aller Ereaturen Fluch und Bermaledeyung über
ihn geht, und alles Heils und Troſts ewig muß beraubt
feiner | J
Leber die wefentlihe Gegenwart Ehrifti im hei—
ligen Abendmahl fagt ee — Opp. Jen. T. V. p. 490: „dies
fer Artikel ift von Anfang der chriftlichen Kicche bis auf
diefe Stund einträchtiglich geglaubt und gehalten bey
der griechifchen und lateinifchen Kirch. Welches Zeugniß
der ganzen heiligen Kirche, wenn wir fonft nichts
mehr hätten, foll uns fihon genug feyn bey diefem Ar-
tifel zu bleiben, und darüber feinen Poltergeift zu hören
und zu leiden. Denn e8 ift gefährlich und erfchred-
Lich, etwas zu hören oder zu glauben wider das ein-
trächtig Zeugniß, Glauben und Lehr der ganzen
heiligen Kirch, fo von Anfang ber nun über fünf-
zehn hundert Sahr in aller Welt einträchtiglich gehalten.“
Wie grell Eontraftieren dagegen folgende Ausfprüche
und Grundfäße! |
Sn T. V. Jen. 1557. p. 306. „Unfer Evangelium
hat Gottlob viel großes Gutes gefchafft. Zuvor hat nie
mand gewußt was Evangelium, was Chriftus, was Taufe,
was Beicht, was Saframent, was Ölaube, mag Geift,
was Fleifh, was DBaterunfer, was Zehn Gebothe, was
bethen, was leiden, was tröften, was Ehe, was Eltern,
was Kinder, was Herr, was Knecht, was Frau, was
Magd, was Teufel, was Welt, was Engel, was Leben,
was Tod, was Sünd, was Gott, was Biſchof, was Pfar—
ver, was Kirch, was Chrift, was Kreuz fy. Summa,
wir haben gar nichts gewußt, was ein Chrift wiſſen fol.
Alles ift durch die Pabftefel verdunfelt und unterdrüdt.
E3 find ja Efel, und große grobe ungelehrte Efel in chrift-
lichen Sachen.“ (Welch jämmerlicher Galimatias!)
An einer andern Stelle fpricht der befcheidene weiſe
Mann in peophetifchem Geift: „Laßt uns unfer Evange-
lium noch zwey Sahre treiben, fo folt du fehen wo Bapft,
Biſchof, Pfaff, Sardinal, Münch, Nonne, Glocke, Thurm,
Meß, Vigilien, Kutte, Kappen, Platten, Regel, Statu—
ten und das ganze Geſchwärm und Gewürm bäbſtlichen
Regiments bleibe.“ Und nicht weniger befcheiden äußert
= Me =
er fich in feinen Zifchreden S. 190. „Yon Gottes Gnaden
bin ich jeß gelehrter denn alle Sophiften und Theologen.“
Ueber das Papſtthum enthält feine größre Kirchen—
poſtill folgende erbauliche evangeliſche Lehrſätze:
„Wenn jetz jemand flucht, daß Gott das Babſtum,
Pfafferey, Möncherey und Nonnerey mit Stift und Klöſter
ausrotte und vertilge, da ſoll alle Welt ſagen: Amen;
darum daß Gottes Wort und Seegen durch ſolch Teufels—
Geſpenſt verflucht, verdammt und verhindert wird in aller
Welt. An folch giftigem böfen teuflifchen Ding kann man
die Liebe nicht üben, weil fie toben und wüthen wider Got—
tes Wort, Geift und Glauben. Summa, diefen Dingen
fluchen ift ein Werk des heiligen Geiftes, das allein Gott
dient, und ift ein Werk im erſten Geboth gebothen — außer
und über der Liebe. Denn wo Gott fein gut Werf oder
Liebe jemand erzeigt, ift man nimmer fchuldig zu lieben.
Und wenn ic) könnt alle Welt felig machen auf einen Tag,
und wäre nicht Gottes Wille, fol ichs doch nicht thun.“
„Der Babft ift des Teufels Statthalter, daß nie fein
Menfch unter der Sonne alfo wider Gott und fein Wort
getobt und gemüthet hatz er ift der Erzgräuel aller Gräuel.“
„Im Babftum ift viel größre Eünd gewefen am Feier:
tag Sleifch .effen oder ein Pfaff ehlicy werden, al3 zwans»
zig Ehbrüche oder zehen Morde. *
„Der BYabft verflucht Chriſtum, fein Wort, und feine
Saframente, *
„ Babftum ift des Satans Rotte, vol öffentlicher Ab⸗
götterey, Lügen und Mord.“
„sn des Babſts Kirchen-Regiment ift nichts überblie—
ben, das nicht zum Geiz hätte dienen müffen und für Geld
feilgetragen wäre, Und fonderlicy der große Ratten-KRönig
zu Rom, mit feinem Sudasbeutel, der iſt erſt der Geld-
fchlund, fo aller Welt Güter an fich geriffen. Das ganze
Zeufelsgefchmeiß des antichriftifchen Haufen zu Rom.
Weh, und abermahl und ewig weh ihnen und allen, die
es mit ihnen halten (alfo auch Kaifern, Königen, Fürſten,
— 6 —
Staaten, dem weit größten Theil der Chriftenheit!?) denn
ed wire ihnen beſſer, Daß jie nie geboren wären, und da=
für follten wünfchen und wollen, daß fie ihre Mutter im
erften Bad erfäuft hätte (!) oder im Mutterleib blieben
mären, weder daß einer von ihnen Pabft, Cardinal oder
Pfaff ift worden; denn e3 find doch nicht3 anders als eitel
verzweifelte, auserlefene, nicht Straßen- oder Gaffenräus
ber, fondern öffentliche Landräuber; darum hüte fich jeder»
mann vor ihnen als die da fchon lebendig in Abgrund der
Höhen verdammt find.“
Die Kirche wird von ihm auf die finnlofefte, pöbel-
haftefte Weife befchimpft. T. VII. Altenb. p. 452 heißt er
fie „eine abtrünnige verlaufene Ehehur, Haushur, Schlüf-
felhur.“ „Sa diefe ift die rechte Erzhure, und eigentlich
eine Zeufelshure. Wenn gleich. dev Babft St. Peter wäre,
fo wäre er doc) ein gottlofer Bub und Teufel, ja ein ver—
zweifeltev Gottesböfewicht.“ Eben ſolcher Ausdrücfe bedient
er fih in der Schrift contra Henr. reg. Angl. Wittenb.
. 4522., welche überhaupt von den ekelhafteſten, finnlofeften
Läfterungen gegen die Mutterfirche wimmelt.. So fagt er
dafelbft unter anderm : „das Babftum ift des Satansfür-
ften fluchwürdigfte Pet, welche je auf Erden war und feyn
wird. So lang ich lebe, bleibe ich fein Feind, und habe
ich meinen Tod in den Flammen gefunden, fo hat er aud)
dann noch an mir einen doppelten Feind.“ (Daher Luthers
Wahlfpruch: pestis eram vivens, moriens tua mors ero,
Papa.) Und an einer andern Stelle dafelbft: „Hier fiehe
ich und erwarte deinen Anhang, jene verruchte Rotte die
ich auch nach meinem Tode noch verfolgen und drängen
werde, auch wenn meine Afche in taufend Meere gewor—
fen würde. Ich werde nicht ruhen, bis ich den eifernen
Nacken und die eherne Stirn diefer Fluchwürdigen werde
zertreten haben.“ Eben fo friedfertig und menfchenfreund:
lich lautet auch folgendes Geftändnig: T. IX. Wittend.
©. 465. „Sch kann nicht bethen, ich muß dabey flu=
chen. Sol ich fagen: geheiligt werde dein Nahme,
Be
fo muß ich dabey ſagen: verflucht, verdammt, gefchändet müſſe
werden der Papiſten Nahme; dein Reich komme! ver—
flucht, verdammt, verſtört müſſe werden das Babſtum;
dein Wille geſchehe! verflucht, verdammt, geſchändet
müſſen werden alle Gedanken und Anſchläge der Babiſten.
Wahrlich fo bethe ich alle Tage mündlich und mit dem
Herzen, ohne Unterlaß. Dennoch behalte ich ein gut freund-
lich friedlich und chriftlich Herz gegen jedermann!“
Welch toller Wahnfinn!
An einer andern Stelle läßt fich der erleuchtete Glau—
bensheld aljo vernehmen: „Der Babſt ift der Teufel;
fönnt ich ihn umbringen, warum follt ichs nicht thun,
auch mit Gefahr meines Lebens. Wenn der Babft das
Evangelium überzeucht, foll auch jedermann zulaufen und
todfchlagen den Babit und wer bey ihm iſt, Kaifer, König
und Fürften (!!) und ihrer nit achten. - Regenten und
Fürften, die dem römifchen Sodoma gehören, fol! man
mit allen Waffen angreifen und in ihrem Blut die Hände
wafchen.“ — Solch wahrhaft gräßliche Meinungen finden
wir in Menge aufgezeichnet in Luthers „Zifchreden“ und
in der, „Nachlefe aus Dr. M. Luthers Schriften. “
Sm T. IV, ©. 433 „über des Pabfts Lügen“ erklärt
er ganz naiv : „ich fag mein Urtheil, daß ein folcher Bube,
der mit folchen Eremplen die Gemwiffen mit falſchem Glau—
ben verftrickt, würdig wäre, daß nicht allein - ſein Leib,
fondern auch feine Seele von allen Teufeln in hundert
taufend Stück zerrigen und zu Pulver würde.“ An einer
andern Stelle ſagt er: „der römiſche Stuhl verkauft
Schaamglieder und ftinfende todte Kaiben.“ Die römifch
Fatholifche Kirche heißt er — (Op. Luth. de Ao. 1544 )
„von niemand anderm als dem Zeufel felbft aeftifter,“ und
ihre Lehre eine „Zeufelslehre. “
Und folch wilde, vohe, von wahrer Hirnwuth jeugende
Aeußerungen wären eines Religions- und Sitten»
Berbefrers würdig, wären dem göttlichen Evanges
tum der Liebe und des Friedens, dev edelften Men—
ee 5
— —
fhen- und Feindesliebe angemeſſen? Solche Werk
zeuge hätte die ewige himmliſche Weisheit zu Her—
ſtellung der wankenden Heilsanſtalten auserkoren? —!
Noch haben wir einige Beweiſe anzuführen, wie ſehr
dieſer Pſeudoapoſtel über die wichtigſten Punkte mit ſich
ſelbſt in bedenklichem Widerſpruch war, und nur aus
ſtarrem Eigenſinn der allgemeinen Kirche Hohn ſprach.
In Betreff der heiligen Schrift ſagt er: „der
Babſt und ſeine Bapiſten verſtehen nichts in der Schrift.
Wenn euch aber jemand von ihnen antaftet und ſpricht:
man muß die Auslegungen der Bäter haben, Wie Schrift
fey dunfel, fo folt ihr antworten: es fey nicht wahr,
es ift auf Erden fein Elares Buch gefchrieben, denn
die heilig Schrift; die ift gegen alle andren Bücher, wie
die Eonne gegen das Licht.“ An einem andern Ort hin:
gegen fchreibt er: „es fol fich niemand gedenfen, daß er
habe die Schrift gefchmect, er habe denn hundert Sahr
die Kirche mit den Propheten und Apofteln regiert; darum
ift e8 ein groß Wunderwerf, Gottes Wort zu verftehen.
Ein einzig Wort in der Schrift auszugründen und gar
tief zu erholen ift unmöglich, Trutz gebothen allen Gelehr-
ten und Theologen; denn e8 find des heiligen Geifts
Worte, darum find fie allen Menfchen zu hoch, trutz
St. Peter, Paul, Mofe C!) und allen Heiligen, daß fie
ein einig Wort daraus gründlich verftehen.“ (Ganz
mit diefer letzten Anficht übereinftimmende Stellen finden.
fiy) in feinen „Zifchreden*, Sranffurt 1593 ©. 2 b. 3.
Auch beftätigte er diefe Ueberzeugung von der Unergründs
lichfeit des Gottesworts noch zwey Tage vor feinem
Tod, im Febr. 1546 ganz ausdrüdlich!) i
"Das Fegfeuer hatte er auf der erften, von Herzog
Georg von Sachfen angeordneten Difputation mit Dr.
Eccius ganz beftimmt zugegeben, und fchrieb auch hierüber:
„vom SFegfeuer fol man feft glauben und idy weiß daß
wahr ift, daß die armen Seelen unfägliche Pein leiden,
und man ihnen helfen foll mit bethen, faften u. ſ. mw.“
—
Dagegen ſagt er an einer andern Stelle: „das Fegfeuer
mit all ſeinem Gepräng, Gottesdienſt und Gewerb, iſt für
ein lauter Teufelgeſpenſt und Pfaffentrug zu achten.“
„Von der lieben Heiligen Fürbitt ſage ich und
halte feſt mit der ganzen Chriſtenheit, daß man die lieben
Heiligen ehren und anrufen ſoll.“ Dann aber wieder:
„die Anrufung der Heiligen iſt aus dev Zahl dev antichriſt—
lichen Mißbräuche einer, ftreitet wider den erſten Haupt»
artikel, tilget die Erfenntnig Chrifti. “
„Wir können nit leugnen, daß die Meffe und zu
Gottestifch gehen eine Ordnung fey, von Ehrifto eingefekt. “
Dann hingegen wieder: „die Meſſe im Babftum ift der
größefte und fchröclichfte Gräuel, ein Menfchenfündlein,
von Gott nicht gebothen. “
„Der Eheftand ift ein Saframent, und geiftliche
Deutung Ehrifti und der Chriftenheit.“ Dann aber: „man
darf auch fein Saframent aus Ehe und Priefterthum
machen, daß die zwey Sakrament bleiben: Tauf und
Abendmahl.“
Wie oft würde wohl dieſer hocherleuchtete
Mann (von Cochläus ward er wegen feines Wankelmuths
und feiner Unbeftändigeit auch Septiceps geheißen) feine
Meinungen und Grundſätze noch geändert haben,
wenn ihm ein längeres —— beſchieden
geweſen wäre?!
Vernehmen wir nun die Urtheile ſeiner Mitr efor⸗
matoren und andrer ausgezeichneter Zeitgenoſſen,
wie uns ſolche von der parteyloſen Geſchichte aufbewahrt
wurden.
Heinrich vm. König von England fehrieb ihm
(S. Florim. Räm. Fönigl. Raths im Parlament zu Bor-
deaux Gefch. der Här. III 358). Ich verwundre mich
immer mehr, daß du dich nicht, wohl wiffend wer du bift, -
vor dir felbft ſchämſt, dag du es noch wagft deine Augen
aufzufchlagen vor Gott und den Menfchen, da du doch fo
unüberlegt und leichtfinnig warft, dich auf des Zeufels
5 *
Anftiften zu folch unfinnigen böfen Begierden anreizen zu
laffen. Du, ein Drdensbruder des heil. Auguftin, warft
der erfte, der eine Gottgeweihte Nonne mißbrauchte; ein
Verbrechen, welches vormals fo fireng wäre gezüchtigt
worden, daß man fie lebend begraben und. dich fo lang mit
Ruthen gegeißelt hätte, bis du dein Leben: ausgearhmet
hätteft. Dann haft du fie öffentlich zum Weib genommen,
haft dir die Borwürfe und Verachtung deiner ganzen Na—
tion zugezogen, und die Bott abgelegten Gelübde entehrt
und befchimpft. Kann e3 endlich einen elendern Menfchen
geben als du bift? Statt dich durch das Gefühl: der
Schande und des Mißmuths über deine: blutfchändende
She niedergebeugt zu empfinden, Elender! fo rühmft du
dich ihrer noch, und ftatt um Vergebung deines fchand»
vollen Verbrechens anzufuchen, was thuft du! du forderft
durch Briefe und Bücher andre Pfeudo - Religiofen auf,
das nämliche zu thun.“
Conrad Reif (der erdichtete Nahme von Zwingli,
wie ſolches damals auch von Beza u. a. m. gar häufig
geſchah, wovon bey Schlüſſelberg weitläufige Beyſpiele
angeführt werden) über das: Abendmahl des Herrn B. 2.
ſagt: „um die Anmaßung und den Stolz Luthers zu be»
firafen, den er in al feinen Schriften deutlich an. den
Tag legt, entzog ihm Gott feinen Geift, und überantwor—
tete ihn dem Geift des Irrthums und der Lüge, der allen
denen eigen feyn wird, die feinen Meinungen folgen, bis
fie felbe verlaffen. *
Die Kirche von Zürich gegen die Confeffion
Luthers p. 61. drückt fi) fo aus: „Luther nennt ung
eine abfcheuliche und verdammte Sekte; er hüthe ſich aber,
daß er nicht ſich felbft fhon dadurch für einen Erzfeker
erkläre, weil er ſich an die nicht anfchliefen will und kann,
die Sefum Ehriftum befennen, : Wie fich doch diefer Mann
auf eine unbegreifliche Art von feinen böfen Geiftern: hin»
reißen laßt! wie doch feine Sprache ſchmutzig, und alle
feine Worte vol des Zeufeld und der Hölle find. Er be
hauptet,, dev Teufel wohne je und immer in dem Körper
Zwinglis! Wie doc) diefe Verläumdungen aus einer ver»
teufelten, überteufelten und durchteufelten Bruft hervor⸗
athbmen! Wie doch ihre Sprache nichts als eine Lügen-
fprache ift, die fich nach des Teufels Gutdünfen in Bewe—
gung ſetzt, eine von ihrem hölliſchen Gift durchaus gefchwän-
gerte Sprache! Hat man je folches Gerede felbft aus dem
Mund eines wüthenden Teufels gehört! Alle feine Bücher
bat Luther aus Antrieb und: unter Diktatur des Teufels
gefchrieben, mit dem er zu thun hatte, und der ihn durch
befiegende Bemweisgründe im Kampf überwunden zu haben
fcheint. “
Zwingli in feiner Antwort auf Luthers Eonfeffion
fagt: „Seht ihr, welche Mühe der Zeufel felbft fich giebt,
in den Befitz diefes Mannes zu fommen!“
Ebenderfelbe im 2 B. der Antwort ©. 454 ſagt
ferner: „es ift gar feine feltene Erfcheinung, daß Luther
auf einem Blatt etwas fagt, was er auf dem andern wi—⸗
derfpricht, und wenn man ihn oft von den Geinigen um—
rungen fieht, fo folte man glauben, er fey von einem un»
‘überwindlichen Haufen von Zeufeln befeffen. “
In der Vorrede zu obiger Antwort wirft Zwingli Qu»
thern vor: „daß er fo oft fich feldft vergeffe, und etwas
läugne, was er zuvor behauptet, oder behaupte, was er
kurz zuvor geläugnet habe, und daß er fich in den wichtig»
ften Materien nur auf die Bücher. berufe, welche er in
den lebten vier oder fünf Jahren gefchrieben, und
die Älteren nicht mehr wolle gelten laffen, mwodurdy er
dann nicht nur diefe, fondern auch jene zugleich verdäch-
tig mache, indem man annehmen dürfe,. daß er nach vier
Jahren auch das, was er jetzt ſchreibe, — nicht mehr werde
gelten laſſen.“
Eben diefer Zwingli, entrüſtet, daß Luther ſeine Ueber—
ſetzung der heiligen Bücher nicht nach ſeiner Erwartung
aufgenommen hatte, entſchädigt ſich nun ſeinerſeits, lärmt
tobend gegen jene Ueberſetzung Luthers, und nennt ihn
einen „Betrüger, der das heilige Wort bald fo bald wies
der ‚anders umftalte, “
Hausfhein (Decolampad) Achweißt aus Baſel an
Luther, den er vorher beynah vergöttert hatte, „Gott giebt
uns zu erfennen, daß auch du wie ein Menfch fehlen und
fallen magft. Aber al unfre Ermahnungen haft du in den
Wind gefchlagen, und fie nicht allein als thöricht, fondern
als gottesläfterlicdy verachtet. Des Befehls Ehrifti nicht zu
vergefien, der. da verbiethet, Schmähwort um Schmäh—
wort zu geben. : Sch möchte aber ungern als ein folcher
geachtet werden, für. welchen du mic) „auspläfenieveft“,
Got verzeych divs! du unglückhaftiger Träumer! es wird
fich zeigen, ob du oder wir mehr Geifer in die Schrift
einführen. Du vergleichft die Leuthe, die nicht alsbald
mit dir einig find, mit dem fiebenföpfigen und einleibigen
Thier in dev Offenbarung. Du haft das Feuer laffen über:
hand. nehmen! du allein haft mit Schelt-, Schmach- und
Drohworten viele in Unruh gehalten und fiehft mit lachen-
dem Mund zu. KXieber! mwillft du lehren, fo laß deine
Scheltwort in Wittenberg; fie befren deine Gache nicht;
mir ift auch nicht im Wiſſen, mie du fie gegen Gott ver-
antworten werdeft.“ (Darauf ermwiederte Luther: das find
Doch gedultig ſaufte Leuth; der Teufel walt aber der. Ge—
dult und Sanftmuth, die ung den Glauben umftürzt.) ı
Calvin, welcher Luthern noch) zu Anfang der Res
formation den zweyten Stifter des Chriſtenthums
genannt hatte, fchreibt nachher — S. Schlüffelbergs Theo—
logie Calvins, B. 2. ©. 126... „Wahrhaftig, Luther ift
äußerft laſterhaft; wollte Gott, er hätte fi Mühe gegeben,
die von allen Seiten in ihm kochende Unmäßigfeit zu: be—
zähmen! wollte Gott, er hätte mehr daran gedacht feine
Lafter fennen zu lernen. “
An einer andern Stelle befhuldigt Calvin die Lu—
theraner der tollen Trunfenheit, eynifcher Gottlofigfeit und
teuflifchen Uebermuths; er heißt fie Schwindelköpfe, Ra—
buliften, Verrückte, wilde Thiere, Schamlofe, Aufrührer,
— — u. ſ. w.
(Im Verfolg gab Calvin auch gegen Luther eine Schrift
heraus, welche er: Sieg der Wahrheit, oder Untergang
des Sächſiſchen Pabſtthums betitelt.)
Als Carloſtad ſich mit ſeiner Frau nach Orlamünd
an der Saale zurückzog, wußte er ſich bey den Einwohnern
ſo einzuſchmeicheln, daß ſie ſich herbeyließen, Luthern zu
ſteinigen, welcher ihm dorthin nachfolgte, um ihn wegen
ſeiner ſchlechten Meinungen in Betreff der Abendmahls«
lehre auszufchelten. Luther felbft erzählt T. I. ©. 447.
Jen. Germ. diefen Borfall in einem Brief an feine Schü»
ler in Straßburg alfo: „ich mußte froh feyn, daß dieſe
ChHriften mich nicht mit einem Koth- und Steinregen übers
fchütteten; viele von ihnen verfolgten mich. und gaben mir
diefen Segen: geh’ zu allen taufend Zeufeln!- geb und
brich dir den Hals noch eh du von bier weg fommft. *
(Worüber Luther höchlich erzürnt, immer heftiger wider
Garloftad loszog, und fein Bud) contra scelestos et fana-
ticos prophetas herausgab. )
Cochläus fällt über ihn folgendes Urtheil: „die Pro—
pheten und Apoftel arbeiteten für den Ruhm Gottes, nicht
aber für ihre eigne Ehre; fie waren nicht hartnädig noch
übermüthig, einzig für das Heil der Sünder bedacht. Luther
hingegen ift felbftfüchtig, frarrfinnig, ehrgeizig, und fchickt
alsbald jeden der Höhle zu, dev nicht feiner Meinung aus
genblicflich beypflichtet, Sn al feinen Zurechtweifungen
gewahrt man gar viel harten Stolz, aber gar wenig freund-
liche oder. väterliche Wohlmeinung. : Als Diener Chrifti
foüte er nur das Werk des Herrn befördern und zu Her—
zen faflen, feineswegs aber den zur Verfündung des gött—
- Tihen Worts vom Herrn geweihten Mund zur Quelle der
bitterften boshafteften Läfterungen , der ſchmuzigſten Zoten
und Niederträchtigkeiten herabwürdigen.“*
Eras mus, der gelehrteſte Mann jener Zeit, welchen
man überall die Zierde Hollands, die Liebe und das Ent:
zücken Großbrittanniens und faft aller Nationen nannte,
fchreibt felbft an Luther: „Ale vechtfchaffnen Leuthe feuf-
zen über die unglücliche Spaltung, mit welcher du die
ganze Welt erfchütterft durch deinen ftolzen, unruhigen und
unbändigen Geift.“ (Wirklich ward damals Luther wegen
feiner ufurpierten Gewalt faft überall, und wohl nicht mit
Unrecht, der zweyte Papft geheißen.)
Eben diefer große Erasmus fehreibt in f. Brief an
den Cardinal Sadolet — einen der vortrefflichften Männer
feiner Zeit, von fehr Tiberalen Öefinnungen über die Reli»
gion, dem Bucer und Melanchton befonders zugethban —
im J. 1528: ‚Luther verliert nad) und nach die Kiebe feis
ner Schüler, fo zwar, daß fie fihon anfangen, ihn für
einen Häretifer zu halten und behaupten, daß er nun, des
evangelifchen Kichts beraubt, den wahnwitzigen Verirrun—
gen eines menfchlichen Geifts preisgegeben fey. “
Luther Tieferte eine Ueberſetzung der heil. Schrift in
der Bolfsfprache, worin der gelehrte Emfer in Leipzig
mehr als taufend Unrichtigfeiten entdeckte; andre Schrift:
ftellev jener Zeit erwähnen einer noch beträchtlicheren Zahl
grober Fehler. Zwingli unternahm fie zu prüfen, und er»
klärte öffentlich: „fie verderbe das göttliche Wort.“ Dies
fem Urtheil ftimmte auch Ducerus bey. (Soh. G. Müller
in f. Denfw. aus der Gefch. der Reform. heißt fie hingegen
„ein Meifterwerf, wodurch ſich Luther nicht bloß um die
Religion, fondern auch um die Sprache feines Vaterlan—
des unfterbliche Berdienfte erwarb. *)
FSlorim. Rämundus heißt Ruthern „den Zodfeind
aller Zucht und Ordnung, aller Enthaltfamfeit, aller gott»
gefälligen Bußwerke;“ ev fügt bey: „einem ausgelaßnen
Wandel und der Unfeufchheit war er fo fehr ergeben, daß
er nicht nur mündlich, fondern auch in öffentlichen Schrif—
ten zu erklären fich nicht entblödete: feine Natur fey nicht
von Holz, fondern von Fleifch und Bein gebildet, er Fünne
eben fo wenig das mweibliche Gefchlecht als den Wein ent-
behren, und die Befriedigung der Fleifchestuft fey fiir ihn
u 73 —
ſo nothwendig wie jedes andern körperlichen Bedürfniſſes.“
(T. I. p. 32. und T. V., 149.)
Doch um al folche Urtheile befiimmerte fich unfer
Held ganz und gar nicht; er fagt vielmehr — ſ. Luthers
Werke, Wittendb. T. VL ©. 344. — „Was liegt mir davan
daß die Welt mich einen Teufel heißt, wenn ich weiß, daß
Gott mich feinen Engel heißt; die Engel heißen mich ihren
Gefellen, die Heiligen ihren Bruder, die Gläubigen ihren
Bater, die elenden Sünder ihren Heiland, und Gott fpricht
Sa! dazu, es fey alfo! auch die Engel fammt Creaturen.“
Bernehmen wir nody einige Proben feiner ehrbaren,
geiftlichen und evangelifchen Befcheidenheit:
Sn der größern Hauspoftil kommt wegen eines fchmwies
rigen Spruchd der Schrift folgende Stelle vor :-ey du
grober Hempel, bift du doch gröber als ein Stock; mwillft
du did) den Spruch fo hart anfechten Taffen ?! die Schrift
ift gar nicht dunkel und finfter; man fommt viel leichter
durch die Bibel als durch den Auguftinum oder andre Leh—
rer und Schreiber; ftatt der Schrift geben ung die Päbſt—
lichen ihr Gift, Geifer und Dunkelheit ein, ftatt der heil«
famen Lehre; das haben wir freffen müffen. Spey aus,
wer da fpeyen fann!«“ Im Traktat von der babylonifchen
Gefangenfchaft heißt er eine gegnerifche Schrift: „Geſtank
eines übelriechenden Sch..£haufes, Koth, Wuft und Dr.“
und endet mit dem erbaulichen Spruch: „kämpf ich mit
Dr—, Dr— bfcheißt auch mich.“ |
In feiner Schrift gegen den König Heinrich VII
von England nennt er ihn einen „Stocdnarren, Gaugler,
groben plok, — einen lügenhaften giftigen Thomiften, der
doc) wirdig wer daß man ihn mit der rutten auf den Arß
ſtrich, — groben efel, feyßte Sam, verdammtes Nas, Un»
geheur — verruchten Schurken, gekrönten efel, Tefterlichen
tippel, unveinen geiftlichen dieb , Iugenbaftigen fünig, ver-
worfnen Taugenichts, unfinnigen fchandbaren tollen Gott»
dieb, mörder, geferbten efel, eingefleifchten Teufel“ u. few.
Wahrlich man darf faum feinen eignen Augen noch
ze
trauen, . wenn ‚man in manchen Schriften des „großen “
Mannes bald auf jedem Blatt folch hivnlofen Läfterungen
begegnet. $ |
Wie er fein feyerliches eidliches -Gelübde der Keufch-
heit brach und eine dem Kloſter entlaufene Nonne heira-
thete, melche ebenfalls ewige Keufchheit geſchworen hatte,
wiffen wir. bereits fchon; über diefen Schritt verwunderten
fi) feine eifrigften Schüler und Freunde gar höchlich, be—
fonders weil er ihn zu einer Zeit that, wo in ganz Deutſch—
land Verwirrung herrfchte. Aber höchft auffallend ift es,
daß Luther, welcher als Katholik — feinem eignen Geſtänd—
niß zufolg — fein Leben in Strenge, mit Gebeth, Faften,
Armuth und Gehorfam zubrachte, dem damahligen Land-
grafen von Heffen erlaubte (wie es weltkundig ift), zu feis
ner erften Gemahlin, ohne vorherige Ehetrennung, noch
eine zweyte zu heirathen, — und als er in der Folge die
Befanntwerdung der Sad) fürchtete — im Sahr 1540 ſchrieb:
„ehe ich die Sach öffentlich wollte vertbeidigen, eher wollte
ich leugnen, daß ic und Mielanchton die Antwort (Era
laubniß) geftellt hätten.“
Sm Commentar zur Genes. 4525 billigte er die Biel-
weiberey ganz ausdrücdlich, indem ſolche nirgends im
evangelifchen Gefeß verbothen werde und fich um fo weni—
ger dagegen einwenden laffe, da auch Abraham, David
und andre große Männer davon Gebrauch gemacht haben.
AS mit Luther einft von der Keuſchheit gefprochen
ward, gab er. einen Rath, der wohl auch aus dem Mund
eines Reformators des Chriſtenthums feltfam genug Elingt.
(S. Zifhreden, Eisleben ©. 389.) „Narven feynds, die
fidy mit bethen, faften und andren Kafteyungen wider Die
böfe Luft wehren, dann diefen tentationibus und Anfech-
tungen ift noch leicht abzuhelfen, wenn nur Sungfvauen
und Weiber vorhanden find.“ Aehnliche Stellen finden
fih in f. Tifchreden ©. 305 und — wo möglich noch är—
gerlichere in f. Zraftat vom ehlichen Leben 4522. Wie
veimte aber der fromme Bibelforfcher diefes mit Mare.
— 1 —
XIII, 33. Math. XXV, 13, 4 Pet. V, 8 4 Theſſ. II,
43. Röm. VIIL43. 4 Cor, IX, 27. Gal. V, 16—23
zufammen? Widerfprechen nicht folch anftögige Lehrmeis
nungen den wefentlichften Gebothen des Ehriftenthums?
Allein noch entfchiedener fprechen fich Luthers wahr—
"haft eynifche Greundfäge über diefen Punkt in folgender
Stelle feiner 'serm. de matrim. aus, welche ic um ihres
alzuunzüctigen Gehalts willen nur im Urtert mittheile:
„Quam non «est in meis viribus situm ut vir sim, tam non
est mei Juris ut absque muliere sim. Rursus ut intua manu
non est ut femina non sis, nee in te est. ut absque viro degas.
Non enim libera est electio aut constlium, sed res est ne-
cessaria ut marem femin®, feminam mari sociari oporteat.
Præceptum Dei: crescite et multiplieamini est preceptum
divinum, puta opus quod non est nostrarum 'virium vel
ut: impediatur vel ommittatur, sed täm est necessarium
quam edere, bibere, purgare alvum, muenm emungere,
dormire et vigilare. Est implantata natura, non secus ac
membra ad eam rem pertinentia.“ Wir mwerden im Der:
folg ſehen, mie emfig diefe Grundfäße beym gemeinen Volk
verbreitet, und mit welcher Bereitiwilligfeit fie befolgt wur—
den! Nee tantum viris ille auctor fuit ut uxori renuenti
aneillam substituerent, verum etiam uxoribus suasit — id
quod Georgius Saxonie Dux in epistola quadam ipsi re-
probat — ut viris pensum non absolventibus famulos suc-
centuriarent. Solche und mohl auch noch grimmigere Stellen
finden fidy in Luth. Op. Wittenb. T. VL. p. 421 und in
Cap. VII. Ep. ad Cor. 1523.
Wir können uns hierbey der wiederhohlten Frage nicht
enthalten: war folch ein Charakter — foich eine Ge’
müthsart — waren folche Lehren und Grundfäße
geeignet, den göttlichen Beruf zur Umsgeftaltung und
Reinigung der nom Himmel geoffenbarter Religion zu
beurfunden?! —
Noch bleiben einige dogmatifche Kernfprüche Luthers
übrig, welche wir nicht unberührt laffen können. —
„Wer glaubt, kann nicht verdammt werden, wenn
er auch fhbon gern wollte; er mag Sünden thun fo
oft und fo groß er will, wenn er nur nicht ungläu»
big wird.“ T. II. de * bab. p. 271.
„Wir fchliegen gemwaltiglich mit &t. Paulus, “ fagt
ev T. V. Wittenb. p. 60. 89. 91., „daß der Glaube ohne
alle Werfe rechtfertigt.“ Ferner: „Alſo fiehft du, wie
veich ein Ehriftenmenfch oder Getaufter fey, der, wenn er
auch will, feine Geligfeit nie verlieren fann durch
die Sünden, fie mögen fo groß feyn als fie wollen, es ſey
denn, daß er nicht glauben wolle.“
An einer andern Stelle — op. Wittenb. T. VII. p. 34
— fagt er „daßdie Frommen, die Öutes thäten, um
das Himmelreich zu erlangen, es nie erlangen, fondern
vielmehr unter die Hottlofen gehören, und daß wir ung
mehr vor den guten Werfen als vor den Sünden zu
hüthen hätten.“ Daher erklärte auh Amsdorf, Luthers
Freund, Schüler und Gehülfe, „daß die guten Werke nicht
nöthig, fondern wohl gar ſchädlich zur Seligkeit feyen.“
- Adv. maj. Wittenb. 4552.
Eben fo behauptet Luther — S. Nachlefe aus M. L.
Schriften ©. 626, 629. — „der Glaube ohne alle Werfe
würft Vergebung der Sünden. Die Katholifen lehren: der
Glaube an Ehriftus macht zwar felig, aber man muß zu»
gleich Halten die Gebothe Gottes, weil gefchrieben
ſteht: willft du zum Leben eingehen, fo halte Gottes Ge—
bothe. Das ift aber Chriſtum verläugnet, und den Glau—
ben vertilgt, weil man den Gebothen Gottes und dem Ge»
fe zueignet, was Chrifto allein zugehört.“
Ganz anders lehren freylich die großen Kirchenväter
(von welchen doch fonft auch Luther bisweilen mit tiefiter
Ehrfurcht fpricht) 3. B. Augustinus de fide et operibus.
Und in manchen Stellen des N. 2. wird geradezu „ein mit
guten Werfen verbundner Glaube“ gefordert, 3. B.
Sac. II, 17; aber gerade deßwegen wird die Canonicität
diefes Brief3 von Luther in Zweifel gezogen, . und devfelbe
— 1 —
von ihm eine ftroherne Epiftel genannt — Op. Jen. T. 1.
p. 431. „denn fie doch Fein evangelifch art an ir hatz ich acht
fie für feines apoftels fehrift. Jacobus narvet wenn er fagt
die Früchte machen gerecht. Darum follen die widerfacher
ſich mit ivem Jacobo hinmwegtrollen.“ |
Un einem andern Ort heißt er das Buch Hiobs ein
„Fabelbuch,“ und den Brief an die Hebrier eine „Schrift
voll. Serthümer. “
So dachte, Lehrte, und handelte der von manchen neuen
angefehenen proteftantifchen Schriftftellern al3 „Mann Got-
tes“ — als die „Ehre des deutfchen Nahmens“ — als „ächter
Weiſer * gepriefene, hochgefeyerte Urheber der Glaubens»
Änderung. Wohl hatte ihn Plank inf. Geſch. der Ent—
ftehung des prot. Lehrbegr. richtiger beurtheilt, wo er fagt:
die Ausbildung unfers Lehrbegriffs war nicht das Werk ruhi—
ger Prüfung oder eines befonnenen gelehrten Spefulationg-
geifts, fondern dev Streitfucht, mehr durch gefränfte
Eigenliebe — beleidigten Stolz; und andre noch
untheologifchere Motive, ald aber ducch veinen Wahr»
heitseifer geleitet.“ Eben fo richtig behauptete Sartorius
in f. Gefchichte ©. 42: „einen Plan mit umfaffendem Geift
entworfen und mit Feftigfeit ausgeführt, hat Luther ganz
- und gar. nicht gekannt.“ Und ein berühmter Proteftant,
der Kanzler I. P. Ludwig erklärt ganz naiv: „die erfte
Urfache der Reformation fey der Verdruß gewefen, den
Luther ald Auguftinermönch gefchöpft habe, daß man die
Ablaßbriefe den Auguftinern entzogen und den Dominifas
nern anvertraut habe. Ohne dieß wäre ihm nie in den
Sinn gefommen, das große Werk der Reformation gegen
den Papft zu beginnen, “
+ Die gefchichtlichen Beweife für diefe Behauptungen
werden fich ung im Verfolg noch darbiethen.
Wir fihliefen diefen biographifchen Umriß mit der
Demerkung, daß Luther in feiner frühen Jugend für Die
Gerichtsftube beſtimmt war, daß er aber — als im 3. 1505
auf einer Reife zu feinen Eltern ein Blitzſtrahl einen feiner
Sreunde an feiner Seite erfchlug — den Entfchluß fafte,
‚der Welt und ihren Gefchäften zu entfagen und in ein
Klofter fich zurüczuziehen. Dafelbft verlegte er ſich emfig
auf dad Studium der Theologie, gab darüber Vorlefungen,
predigte mit Beyfall, und las befonders gern den heiligen
Auguftin,. Allein die Schwierigkeit der Zeitumftände und
der Mangel an gedrucdten Werfen geftatteten ihm Feine
vollftändige Befanntfchaft mit dem Alterthbum. Dennoch)
fieng er fchon mit dem 32; Sahr an, feine Meinungen
fund zu geben, und ſprach bereits das Vorhaben aus
„die Welt zu reformieren.“
Wenden wir uns nun zu Ruthers vertrauteftem Freund
und Schüler: Philipp Melanchton, geb. zu Bretten
in der Pfalz 1497. geft. 1560.
Diefer merkwürdige, ausgezeichnete Mann ( Adoptiv-
fohn Joh. Reuchlins, welcher feinen ‚Familiennahmen
„ Schwarzerd“ in den griechifchen umänderte —) war
fhon im vierzehnten Jahr Magifter, und dann als acht»
zehnjähriger Süngling felbft vom großen Erasmus bes
wundert morden, indem derfelbe in f. Borr. zum N. 8.
41545 fchrieb: „Diefer Philipp berechtigt in Wahrheit
ſchon als Süngling — oder vielmehr noch Knabe — zu
den größten Erwartungen; wie ungemein bewandert ift er
in allen Wiffenfihaften! welcher Scharffinn! welche Rein-
heit der Sprache! welche Gedächtnißfraft! welche vortref-
flihe Gemüthsart leuchtet aus ihm hervor. !“ Dann ward
er fihon in feinem 24. Kebensjahr 4518. vom Churfürft
Friedrich von Sachſen, aus Thüringen als Profeffor der
griechifchen Sprache nach Wittenberg berufen, und ver—
heivathete fi im 24. Sahr. (Im den geiftlichen Stand
war er niemahls getreten). ° In Wittenberg fand er
Luthern, mwelchen er bald Tiebgewann und feinen Vater
nannte; auch war ex — nach dem eignen Geftändniß der
Schüler Luthers — der einzige, welcher auf ihn Einfluß
hatte, fo zwar, daß er, im Verfolg bey jenem heftigen
Streit mit Erasmus über den freyen Willen — wo in
——
der That Luther mit der Vernunft ſelbſt den Krieg be—
gann — ihn dennoch zu bezähmen und zu belehren ver—
mochte: Sich ſelbſt pflegte Luther (T. IH. p. 488) den
Elias, feinen Liebling Melanchton aber den Jeremias zu
nennen, und äußerte dabey oft: „Ber Melanchton verach-
tet, muß feldft verächtlich feyn.“ Deſſen loci communes
rerum theologicarum galten bey Luthern ungemein viel;
er hielt fie den canonifchen Büchern gleich werth, ja er
fprach fogar den Wunſch aus, daß alle andern Bücher möch»
ten vernichtet werden und dieß allein nur übrig bleiben.
Peter Martyr nennt ihn einen „unvergleichbaren
Mann,“ und z0g ihn hinfichtlich wiffenfchaftlicher Bildung
dem Luther nody vor.
Allgemein wird feine Gemüthsart aufs vortheilhaftefte
gefchildert, und feine Schriften als gemäßigt, vubig über»
legt und durchdacht und friedfertig gelobt; auch ift bekannt,
daß er immer aufs äußerſte bedacht war in Hinficht des
fittlichen Wandels doch ja nicht die geringfte Blöße zu
zeigen. Sein friedfertiger Sinn gieng fo weit, daß er
auch gegen feine Gegner fich jeder Vertheidigung enthielt.
Daher schreibt Erasmus (im erften Brief an Sul. Plug)
„dag er auch bey den Katholiten in Anfehen geftanden,
und fogar unter den Gegnern feiner ihm würklich aufſätzig
geweſen ſey.“
Im Verfolg der Zeit ward er der Episkopal-Verfaſ—
ſung um vieles geneigter, und behauptete auf dem Reichs—
tag zu Augsburg 1530 gegen die Seinigen ftandhaft die
‚Meinung, (welche auch Luther billigte — ja zuerft ange-
rathen hatte) den Bifchöfen die frühere geiftliche Gerichts»
barfeit zu überlaffen, wenn fie ihrerfeits die evangelifche
Lehre nad Inhalt der Konfeffion zu predigen bewilligten.
An Camerarium ſchrieb er: „o wie fehr wünfchte ich —
die Wahrheit zu geftehen — die bifchöflihe Verwaltung
herzuftellen, ohne um deßwillen den Mißbrauch ihrer Herr—
{haft zu beftätigen! denn was für ein Schickfal wartet
unfver Kicche, ſobald einmahl die geiftliche Zucht und Ord—
Be
nung zerftört feyn wird; gewiß wird die Tiranney uner-
träglicher werden als je bisher.“ Und Luthern geftuhnd
er: daß ihre Anhänger nur für fich jelbft, nicht für das
Evangelium ftreiten, und „daß einige ihn nur darum lie-
ben, weil fie durch ihn zu hohen Stellen und zu einer
Freyheit gelangt feyen, welche dev Nachkommenſchaft fehr
ſchädlich werden dürfte. *
Nicht lange vorher rieth er dem Landgrafen Philipp
hauptfächlich auf Herftellung der mwefentlichftien Glaubens»
artifel und Verbeßrung des Lebens mittelft reiner Lehre
bedacht zu feyn, unfchädliche Gebräuche aber ftehen zu
laſſen, welches nicht nur nöthig, fondern der chriftlichen
Liebe gemäß fey, indem diefe die Schwachen nicht ärgern
wolle; Chriftenthbum beftehe in Gottesfuccht und Menfchen-
liebe, und es fey zu wünfchen, daß die Prediger mehr
hiervon auf der Kanzel veden möchten, jtatt ewig nur
gegen den Papft zu läftern.* |
Dom Reichstag in Augsburg aus — 1530 — fchrieb
er an feinen Bruder Georg: „gerade was mein Herz am
meiften angreift, muß ich erfahren. Armuth, Hunger,
Berachtung und andre Uebel will ich gern erdulden, aber
was mich ganz niederfchlägt, ift Zank und Streit; dazu
bin ich völlig untauglich.“
Sn feinen Bifitationsartifeln 1527 fuchte er befonderg
auch das „ewige Schimpfen der Pfarrer gegen den Papfı“
abzuftellen. „Wenn fie eine Stunde predigten — fagt er —
fo waren drey Theile davon mit Schmähungen wider den
Papſt und die Bifchöfe verlaufen.“
Melanchton war überaus ängſtlich und. vorfichtig.
Camerarius fah ihn oft bittre Thränen weinen ;-mwilde
Theologen, wie Dfiander und mehrere diefes Gelichters,
klagten ihn häufig bey Luther der Zaghaftigkeit an, der»
drehten feine Aeußerungen, und legten ihm fchon damahls
‚alles falfh aus.
An Joh. Bapt. Hencelium fchreibt Melanchton
p. 397 „daß er oft, wenn ee die Elbe wachfen und fchäus
ir
men ſehe, mit Seufzen gedenfe, daß er feine Traurigkeit,
die er in feinem Herzen nun in die dreißig Sahre gehabt
wegen des Streits von der Abendmahllehre, nicht fünne
genugjam erklären, wenn er fihon fo viel Thränen ber
gieße, als Waller in der. Elbe Taufe.“
Sein Wanfelmuth und Pyrrhonismus waren Übrigen
befannt genug; fo oft er von irgend einer Difputation mit
den Katholifen fam, war er traurig und niedergefchlagen;
oft fagte er dann: „diejenigen fcheinen ihm albern und
wahnfinnig zu feun, weiche Ölaubensmeinungen vortragen.
ohne fie im mindeften mit —n der alten Kirche be—
legen zu können.“
Calvin — in epistolis — wirft ihm überall Klein
muth vor (fowie auch Blauverus in f. Br. an Calvin vom
S. 1558) und fohreibt ihm unter andern: „dieweil du diefe
Lehre vom Abendmahl als eine Klippe flieht, damit du
nicht etliche Leuthe erzürnft, machft du viele zweifelhaft,
die von dir etwas Gewiffes erwarten, darauf fie fich ver:
laffen und dabey mit gutem Gewiſſen verharren fünnen;
denn es ſteht ung gar nicht wohl an, daß wir die Lehr
nicht einmahl mit Dinte auffchreiben wollen, die doch fo
viel heilige Leuth mit ihrem Blut zu bezeugen fich nicht
gefcheut haben, wie ich die wohl ehe fchon gefagt babe,“
Und an einer andern Stelle feiner Briefe von 4551 und
4553 an Melanchton fchreibt er: „Nun ung der Herr zum
Streit auf die Bahn zieht, müfjen wir defto fleigiger ſeyn.
E3 bat mit dir eine andre Gelegenheit als mit vielen, mie
du weißt; es ift viel eine größere Schande, wenn ein
Dberfter und Hauptmann fich fürchtet, als wenn ein ge»
meiner Kriegsmann die Flucht ergreift. Alſo haft du
mehr Klagen und Seufzen erregt mit deinem Nachge—
ben, als hundert gemeine Leuthe durch ihren Abfall.“
. Manche Anhänger feines Bekenntniffes fällen ähnliche
Urtheile über ihn. Im Colloq, Altenb. von 1568 heißt
es p. 502, 503: „die Lutheraner erklärten in öffentlicher
Synode, er habe über das Primat des: Papfis, über die
&
a en
Rechtfertigung durch den bloßen Slauben, über das Abends
mahl, über die Freyheit des Willens fo vielfältige abwech—
felnde Meinungen geäußert, daß die Schwachen, durch
folhen Wanfelmuth irregeführt, über all jene Fundamen-
talfragen in beftäindigem Zweifel waren, und daß ein großer
Theil abgehalten wurde, fich der Nugsburger Eonfeffion
anzufchließen. Durch Das ftete Ummodeln feiner Schrif:
ten habe er nur zu oft den Päpften Beranlaffung gegeben,
diefe Iaunigte Berfchiedenheit zu verwerfen, und babe zus
gleich die Gläubigen dahin gebracht, daß fie am Ende gar
nicht mehr wußten, an welche diefer Meinungen fie fich
‚ halten follten, um die ächte Lehre zu finden. Auch fagen
fie ferner, daß fein berühmtes Werk loci eommunes rer.
theol. weit füglicher joci communes genannt werden
fönnte. “ |
Schlüffelberg nimmt fogar feinen Anftand zu er—
fläven: „daß Melanchton, von einem Beift der Verblen—
dung und des Schwindels ergriffen, in der Folge von
einem Irrthum in den andern fiürzte, und es am Ende
fo weit brachte, daß er felbft im Zweifel ſtund, was er
dann eigentlich glauben follte,“ Er fekt hinzu: „Melanch-
ton hat fich gegen die göttliche Wahrheit aufgelehnt, ihm
zur Schande, und zur unauslöfchlichen Befchimpfung feir
nes Nahmens.“
Sn einem Brief an Fr. Myconius, Prediger in Gotha,
fchreibt unfer ängftlicher Reformator: „es fcheint, daß die
ihren Streit noch nicht genug verftehen, die fo leichtlich
neue Lehr ausfprengen und auf ihren Wik mehr bauen,
als auf die heil. Schrift; ich weiß, wie bald folche ſpitz—
finnige Gedanken in der Anfechtung verſchwinden, befon-
ders in diefer Sach, die der ganzen Kirch fo gräuliche
Deränderung droht. Sch bleibe bei der Elaven Meinung
der alten Kirch und der heil. Schrift, daß der Leib
Chriſti im Abendmahl wirklich und wahrhaft zuge—
gen ſey“ u. ſ. m.
An Mart. Gerolitium fehrieb ev kurz und ——
„ich will lieber fterben als der. Zwingliſchen Irrlehre bey-
pflichten.“
Wie ſehr ihm die in der Kirche überhandgenommnen
Zerwürfniſſe zu Herzen giengen, iſt auch aus ſeinen im
J. 1535 an den König in Frankreich geſandten „Rathſchlä⸗
gen zu Beſeitigung der kirchlichen Streitigkeiten“ erſicht—
lich, worin er unter anderm dem Papſt eine monarchiſche
Gewalt und Anſehn zugeſteht, hauptſächlich zum Behuf
allgemeiner Uebereinſtimmung in der REN unter
den Ehriften.
Wankelmuth und Zweifelſucht ſchienen ihn übrigens
bis an fein Lebensend verfolgt zu haben. Daß. er die
Augsburger Eonfeffion verfaßt und dabey Luthers erften
zu Torgau gemachten Entwurf zum Grund gelegt habe,
auch hierin von feinem Meifter — welcher in Coburg beim
Kurfürften zurückblied — fehr thätig mit Rath und Er-
munterung. unterftüßt ward, Liegt gefchichtlich am Tag.
Nah Schlüffelbergs Behauptung wurde er im S. 1542
Luthern abtrünnig und neigte fi) nach dem Collegium zu
Worms auf die Salvinifhe Seite. Dieß verfichert auch
P. Martyr in Dial. p. 107, Beza cont. Westph. und
in ſ. Creophag. p. 80. &ben fo behauptet Thom. Nao—
georgus in Ind.: „Melanchton hat nicht dürfen bey Leb—
zeiten Lufhers öffentlich befennen, was er vom Abendmahl
glaubte, wie aus deffen Comm. in ep. ad. Col. und feiner
Antwort an den Kurfürften nad) Luthers Tod, klar her—
vorgeht. Diefen Abfall Melanchtons von den Lutheranern
zu den Calviniften beftätigen auch Pincierus in Antidoto,
Lavater in hist. sac., Sof. Simler in vita Bulling.
und hauptfächlicy) das Zeugniß des Mag. Io, Calvan-
ders, Predigers in Braunfchweig.
| Nach Luthers Tod gab er defien Werke — jedoch mit
wefentlichen Abänderungen und ſehr verftümmelt — her—
aus, worüber auf der Synode in Leipzig 4548 verhandelt
und vielfeitige Klage geführt ward. Nun erlaubten. fid)
feine Gegner, meiftens ehemahlige Schüler, die vogeften
6*
= m:
Läfterungen wider ihn, wie z. DB. Flacius, Oſiander und
Andrei; am heftigften tobten und wütheten Weftphal und
Heshufius. (Keitrer ein wahrer Tollhäusler, welcher
einft in einer Predigt den Nahmen des Teufels mehrere
hundert Dahl nannte.)
Aus den „gerechtfertigten Montauban 1662“ kennen
_ wir die durch ganz Deutfchland und Europa erfchollene
Antwort an feine ihn zjärtlichft Liebende Mutter auf die
Frage: ob fie in der Eatholifchen Kirche bfeiben oder zu
der neuen Religion übertreten fole? „In diefer — ent:
gegnete er, — ift beifer zu leben, in jener aber ift bei»
fer zu fterdben.“ Worauf dann auch die Mutter ihrem
alten Glauben treu blieb.
Diefen Vorfall berichtet Morus lib. 2. de Miss. Fr.
Mont. in ver. def. mit etwas verfchiedenen Umftänden, wie
folgt: An Melanchtons Sterbebette ſprach feine Mutter:
„mein Sohn, du weißt daß ich dem alten Glauben zuges
than war und durch dich verleitet wurde, demfelben zu ent«
fagen und eine andre Religion als diejenige, welche meine
Boreltern befannten, zu ergreifen. Nun befchmwöre ich dich
beym lebendigen Gott, daß du mir fageft, welche Religion
die befre fey, und dag du mir in diefer Sache doch ja
nichts verhehleft. “ Hierauf fagte Melanchton mit lauter
Stimme, daß alle Umftehenden ihm deutlich) vernehmen
fonnten: die neue hat den meiften Schein, die alte
‚aber. die meifte Sicherheit für ſich“ Cilla plausibilior ,
. hee securior.)
Als er fterbend von ſeinen anweſenden Collegen gefragt
ward: ob er noch einen Wunſch auf dem Herzen habe?
antwortete er: „feinen, als die Einigkeit der Kirche!“
worauf er nach wenigen Gtunden in f. 63ften Lebensjahr
entſchlief.
Wenden wir uns nun zu einem andern Koryphäen
der Reformation: Johann Calvin: (Cauvin), Pfarrer
in Pont bey Nyon, geb. 1509, geft. 1568.
Aus Frankreich fich flüchtend, um gerichtlichen Vers
a —
folgungen zu entgehen, verfügte er ſich nach Deutfchland,
wo fein erſtes Gefchäft war diejenigen aufzufuchen, weldye
damals alle Köpfe in Bewegung fekten und alle Gewiſſen
erfchütterten. In Bafel wurde er durch Bucer, ehvorigen
Dominifanermöndh, dem Erasmus vorgeftellt. Diefer
hörte blog ruhig zu, ohne jedoch Durch die Meinungen der
Neuerer fich hinveißen zu laffen; da er fich längere Zeit
über Religionsgegenftäinde mit ihm unterredet hatte, ward
er. über das, was er in der Seele diefes Menfchen las,
fo fehr betroffen, daß er fich zu Bucer wandte, und —
feinen Blick auf den jungen Calvin heftend — fagte: ich
befürchte den Ausbruch eines fchlimmen Kampfs in der
Kicche gegen die Kirche.
Der unduldfame und rachgierige Geift diefes, nur
allzuberühmt gewordnen Mannes drückt ſich am deutlich»
ften in einem feiner Briefe an den Marquis de Poet aus:
„mac, dir nicht das geringfte Bedenken, all jene eifrigen
Schwärmer im ganzen Land auszurotten, melche die
Völker gegen uns bearbeiten und unfre Aufführung mit
fhwarzen Farben fchildern. Solche Ungeheuer müffen
erftickt werden. mie es dem Spanier Michael Servet
ergieng.“ Das Driginal diefes Brief wurde zu Monteli»
mart in den Archiven des Marquis aufbewahrt, Man
behauptet, Voltaire habe im Jahr 1772. eine authentifche
Abfchrift davon begehrt und erhalten, und nachdem er ihn
gelefen, habe er Verſe gegen Calvin als Re hin⸗
zugefügt.
Auch Grotius in ſ. voto pro pace fagt und, daß
Salvin und Beza all ihre Gegner im Punft der Dreieinige
Eeitslehve durch Feuer oder Schwert vertilgt wiſſen
wollten. _ Servets Schriften wurden auf Calvins Ans
trieb nicht nur in Genf, fondern auch andermärts ver-
brannt; auch behauptet Grotius. ganz ausdrücklich, daft
Servet durch Calvins Anreikung zum Scheiterhaus
fen fey veritetheift worden, — mas von Maimbourg hist.
du Calv, und andren gleichzeitigen Schriftſtellern ebenfalls
ee
beftätigt wird. Daß die Anklage von Calvin ausgegan«
gen war, hat diefer ſelbſt geftanden, und in einem Brief
an Farel die Hoffnung ausgefprochen, daß die Zodesftrafe
iiber Servet werde verhängt werden. (MWebrigens erklärt
Grotius zugleich in gedachter Schrift, daß er in Gervet3
Abhandlung feineswegs das gefunden habe, was ihm Kal:
vin vorwarf.) |
Die falfcher Meinungen Calvins über die Xehre von
der Dreyeinigkeit reizten gegen ihn den Eifer eines Man—
ned, der fonft feine Begriffe über die GSaframente und
andre Punkte mit ihm theilte, (Siancharus de med. in
Calv. inst. N. 4) ‚Welch ein Teufel, o Calvin! hat dich
verleitet, dich mit Arius gegen den Sohn Gottes zu er—
klären! du haft die Unklugheit, diefen Antichrift der Mittere
KANN, diefen Grammatiſt Melanchton anzubethen.“ (Dafelbft
0.3.) -„Hüthe dich, chriftlicher Lefer! und befonders ihe
- Prediger des göttlichen IBort3! vor Calvins Büchern; fie
. enthalten nichts als eine gottlofe Lehre, und die Got»
tesläfterungen des Arius, gleichfam als wenn der dem
Scheiterhaufen enttiegene Geift des Michael Servets voll-
- ftändig in Calvin gefahren wäre, ®
Eben diefer Schriftftelfer febt feinen Werfen den Ti—
tel vor: über die Dreyeinigkeit, über Jeſus Chriftus un:
- fern Mittler, — gegen Heinrich Bullinger, Joh. Calvin
und gegen alle andre- Prediger von Zürich und Genf, lau—
“ter „Störer der Kirche Gottes.“
Durch die Lehre: daß. Gott die Quelle aller
Sünden fey, empörte Calvin alle übrigen Religions:
parteyen wider ſich. Alle Lutheraner Deutfchlands verei«
nigten ſich, um diefe Läfterung zu widerlegen. (corp, doctr,
‚ ehr.) „Diefe Meinung, fagen fie, fol überall verab-
fcheut und verflucht werden; fie ift eine ftoifche, für
die Sitten zerftörende, eine abſcheuliche und gott eslä—
ſterliche Sucht.“
Dieſe Calviniſche Irrlehre — ſagt Schlüffelb erg,
- Salv, Theol; E&, 46 — raubt Bott bie Ehre, und it un:
EEE
ter allen Serthümern im ganzen menfchlichen. Gefchlecht
der verwerflichfte. Nach diefer Ealvinifchen Theologie
wäre Eott der ungerechtefte Tyrann, und Gott felbft
wäre der Vater der Lüge — nicht mehr dev Teuſel.“
Der nähmliche Schriftſteller (Superintendent und Ge—
neralinfpektor der Lutherifchen Kirchen in Deutfchland)
nennt im befagten Werf, Frankfurt 4592, die Galviniften
nie anders als „Ungläubige, Gottesläftrer, Keker, Wind»
‚beutel, Leute voll des Beiftes dev Verblendung und des
Schwindels, Leute ohne Schamgefühl, Prediger dev Vers
wirrung, und Driginul-Conzepte des Teufels. * |
Heshusius — ib. de præs. corp. Chr, 1560 in fine
erklärt, nach genauer Entwidlung der Calvinifchen Lehre,
„daß fie nicht nue Gott zum Teufel umftalte — welcher
Gedanke allein Schon erfchreclich fey, -— "fondern daß fie
die Berdienfte Jeſu Chrifti gänzlich zgernichte, das
ber ihre Anhänger bis in den Abgrund dev Hölle verftoßen
zu werden verdienen.“ '
(Hier dürfen wir — jur Beherzigung der Zwinglianer
— nicht unbemerkt laffen, daß — nach dem Geftändnif eines
dev neueren Biographen Zwingli's — der Ealvinifche
Lehrbeariff von dem Swinglifchen mehr in den äuße—
ren Formen als im Wefentlichen abweicht.)
Castellio (Chatillon) in lib. de priedest. ad Calv. ers
griff am erften die Feder wider Calvin, welcher ihn lange
Zeit hindurch in feinem Haus beherbergt hatte, und defs
fen täglicher Zifchgenog er war.“ Jener Gott — fagt er
ihm — iſt ein falfcher Gott, der mit ſeiner Barmherzig—
Zeit zögert und hingegen mit feinem Zorn vorſchnell iſt,
dev den größten Theil der Menfchenkinder fchuf, um fie
zu Grund zu richten, und der fie nicht nur zu ihrer
Verdammung, fondern auch feldft fhon zur Grundurs
fache ihrer Berdammung zum voraus beftimmt hat. Dies
‚fer Gott hätte alfo fiyon von Ewigfeit her diefe Be—
fchlüffe. gefaßt! Ex will, und er führt es auch würklich
aus, daß man dag. nothwendige Bedürfniß zu fündi«
a Bun
gen in fih trage, daß folglich alle Diebſtähle, Tod—
fchläge u. f. w. duch) feinen Antrieb ausgeführt werden.
Denn auf diefe Art flößt er den Menfchen verkehrte und
entehrende Neigungen ein; ev verhärtet ihre Gemüther
nicht bloß aus eigner Zulaffung, fondern felbit mit Zwang
und Gewalt, fo daß alfo der Gottloſe nicht fein eig=-
nes Werk, fondern Gottes Werf vollführt, und daß
- nicht mehr der Satan, fondern Calvins Gott der wahre
Gott der Rüge fey. “
Dagegen fpart aud) Calvin feine Schmähungen gegen
Ehatilton nicht, indem er ihm fagt: „Kein Menfch hat
es je im Stolz, in der Zreulofigfeit und in der Unmenfch-
lichkeit weiter gebracht al du. Wer es dir nicht gleich
auf der Stelle anfiebt, daß du ein Betrüger, ein Narr,
and ein fchamlofer Eynifer bift, der ift ein Menfch, der
nun einmahl gar nichts verfteht.“ Am Schluß diefer Ant:
wort ertheilt er ihm noch den wohlgemeinten Segen: „der
Gott Satan verleih dir feine Ruhe. Amen. Genf 1558.“
Sn einer zu London 1558 von den angefehenften Got-
tesgelehrten Englands herausgegebnen Schrift (a Survey
of the pretendet holy discipline p. 44. by Bishop Bancrost)
werden Galvin und Beza als unduldfame ftolze Leute ge-
-fchildert, die in offenbarer Empörung ihre Kicche ftifteten,
und fie mit weit gehäffigerer Graufamkeit regierten, als
man fo oft vormahls den Päpften ſelbſt vorgeworfen
babe.“ Die Berfaffer betheuren vor dem allmächtigen
Gott: „unter allen Stellen der heiligen Schrift, welche
Calvin oder feine Schüler zu Bunften der Kirche von
- Genf oder England angeführt haben, finde man feine
einzige, welche nicht ganz gegen den Sinn der Kirche,
- aller Bäter, und der Apoſtel fey, fo zwar, daß wenn
Auguſtin, Ambrofius, Hieronymus, Chrifoftomus u. a.
ins Leben zurückkehrten und diefe Berftümmlung der
heil. Schrift fühen, fie fih höchlich verwundern müßten,
wie je. ein Mann mit ſolch zügellofer Keckheit auf
Erde ericheinen fonnte, der es wagen durfte, much ohne
den mindeften Anftrich von Wahrheit auf folche Art das
göttlihe Wort zu mißbrauden, fid) felbft, feine
Lefer und die ganze Welt zu bethören.“ Und nachdem fie
feft erfläven: „daß aus diefer Genfer Quelle eine ver»
giftete, empörende und fatilinifche Lehre fich nach Eng-
land verbreitet habe,“ feten fie hinzu: „Glücklich, taufend-
mahl glücklich wäre unfre Infel, ‚hätte nie ein Englän«
der, nie ein Schotte jemahls einen Schritt nah Genf
gethan, hätten diefe nie einen Genfer walttägelehr-
ten fennen gelernt.“
Ueber die Analogie der Calviniſchen Glaubenslehren
mit den meiſten der älteren Häreſien ſ. auch Aiveli
Op. T. III, p. 2., woſelbſt die richtige Bemerkung gemacht
wird: „hätte Calvin einen firengern Lebenswandel
geführt, fo würde er zuverläffig in jenem ausfchweifen-
den Zeitalter nicht foldy zahlreichen Anhang gefunden
haben. AU feine Lehrvorträge zielten auf zügellofe
- Freybeit, indem fie die finnlihen Begierden aller
Schranfen entledigten. “ |
Vergeblich haben Calvins Anhänger verfucht, ihn ge—
gen ein ausnehmend großes Laſter und die darauf erfolgte
Brandmarkung — deren Merkmahl er, wie man öffentlich
behauptete, auf der Schulter trug — zu rechtfertigen.
Die Kicche von Genf felbt hat die gerichtliche Unter-
fuchung nicht in Abrede geftellt, welche Berthelier, als
Abgeordneter von Genf, in Noyon hierüber eingeleitet
hatte. Diefe Unterfuchung war von den vornehmften Per-
fonen unterzeichnet und in der gewohnten gerichtlichen
Form ausgefertigt worden. Aus derfelben nun ergiebt
fih, dag Galvin eines Verbrechens befhuldigt war, auf
welches gewöhnlich der Scheiterhaufen gefetst ift,, welch
wohlverdiente Strafe jedoch auf Fürbitte feines Biſchofs
in Brandmarfung gemildert ward. Hieron. Bolfec,
welcher in feiner bist. de la vie de Calvin diefen Vorfall
erzählt, ward auc von dem damahls noch lebenden
Berthelier ganz und gar nicht widerſprochen. Auch
ward überhaupt die Sache felbit damahls fo wenig in
Zweiſel gefest, daß ein Schriftfteller, welcher von Calvins
fchändlichen Leben fpricht, Edmund Campian (der im
Sahr 4581 in London als Märtyrer feiner Ueberzeugung
hingerichtet ward) als eine in ganz England befannte That-
fache behauptet: „das Dberhaupt der Ealviniften fey ges
brandmarft worden, und. habe die Flucht ergriffen. «
Zhomas Stapleton, der ernſte und gelchrte Eng-
länder, welcher in der Gegend von Noyon lebte, folglich
nahe genug war, un von der Sache unterrichtet zu feyn,
fpricht in f. promptuar. Cathol, III, p. 153 von diefer
Begebenheit in ganz zuverfichtlichen Ausdrücden: „Noch
heutzutag werden in dev Stadt Noyon in der Pikardie
Alten und Ehroniien vorgezeigt, aus welchen erfichtlich ift,
daß dieſer Joh. Calvin, der Sodomie überwiefen, aus
defondrer Gnade des Bifchof3 und der Obrigkeit nur auf
den Rücken gebvandmarkt worden und die Stadt verlaffen
habe; auch fonnten die angefehenften Männer aus feiner
Berwandtfchaft, . welche noch am Leben fich befinden, bis-
ber nicht auswürfen, daß die Denfmahl jener Schande
that, welche feiner ganzen Familie zum Schimpf gereicht,
aus den bürgerlichen Protofollen von Noyon geftrichen
. würde. * Diefe Nachricht ift wohl um fo unverdächtiger,
da Stapleton in f. Antid. Ev. et Ap. Op. T. III in prefat.
Calvins übrige vielfältige Berdienfte als Schriftfteller und
Ueberfeker nachdruckſam in Schu nimmt. Auch die Lu—
theraner in Deutfchland fprachen damahls hiervon als von
einer ganz befannten Sache. So 3. Bd. Conr. Schlüf-
felberg Calv. Theol. L.2. p. 72. „Bon Calvins ver-
fchiedenen Schandthaten und fodomitifchen Lüften, um deven
willen ev von feiner Regierung zur Brandmarkung war
verurtheilt worden.“ Und da Theod. von Beza, Calvins
Biograph, diefe Begebenbeit verfchweigt, fo fagen die
deutſchen Proteftanten felbft, dag er hierüber fein Ver—
trauen in Anfpruch nehmen dürfe, weil ihm notorifcher
Weiſe die nähmlichen Fehler wie feinem Helden zur
BL —
Laſt gelegt werden. Wohl kann man übrigens, wie Beza
und andre nach ihm, die Sache verheimlichen, allein
die von einem Augenzeugen und mehreren Zeitges
noffen zum Abfcheu der Mite und Nachwelt hinterlaßne
Erzählung über den Tod diefes Mannes fonnte doch nicht
zum Zeitvertreib erfonnen worden feyn: „Calvin endigte
fein Leben in Verzweiflung, und ſtarb an der von Gott
den Aufrührern und Verworfnen angedrohten gräßlichften
und fchändlichtten Krankheit, welche ihn zu Tod. gemar-
tert und aufgerieben hatte. Und diefes zwar Tann ich
aufs gemilfenhaftefte bezeugen, indem ich mit eignen
Augen fein fchredliche3 und klagliches Ende und Ver—
derben ſelbſt angeſehen habe.“
Schlüſſelberg in Theol. Calv. deutſche Ueberſetzung,
Frankfurt 1596. T. 2. ©. 122, 423 ſchreibt: „Gott bat
auch in diefem Sahrhundert noch fein Gericht über Calvin
ergehen laffen, indem er ihn noch vor der Stunde feines
unfeligen Ableben mit der Ruthe feines Zorns heimfuchte
und auf furchtbare Weife firafte. Gottes gewaltige Hand
traf diefen GSeftierer fo jämmerlich, dag er an feiner Se—
ligfeit verzweifelnd, unter Anrufung dev böfen Geifter,
unter Flüchen, Verwünſchungen und Gottesläfterungen
feine boshafte Seele auf das elendefte ausathmete; um
feine Benitalien waren ftinfende Gefchwüre mit Würmern
fo fehr verbreitet, daß Feiner der Unftehenden en Geruch
ferner zu ertragen vermochte. “ Ä
Sm Schimpfen und Läftern fehen wir diefen
großen Reformator feinen Amtsgenoffen wo möglic
noch überlegen. Geine Gegner hieß er — wie Boffuet
fagt — „Narren, Böfewichte, Schelmen, wüthende Beftien,
Hunde, Schweine, Eſel, Ochſen“ u. f. w, Grotius im
v. pro p. fagt ung, Daß er den Caftellio einen Nichts:
würdigen und Satan — den Caffander einen Henker,
giftige Schlange, Böfewicht — den Balduin (großen
Rechtsgelehrten, anfänglih Schüler Calvins, nachher fein
heftigftee Gegner, geft. 4575) einen Schurken, fchamlofen
Ag
DBetrieger, und an einer andern Stelle: Zaugenichts, gar—
ftigen Eynifer, Meineidigen, Ruchlofen, Teufelskind bief.
Dem Lutheraner Weftpyal antwortete Calvin: „deine
Schule ift nichts anderes als ein ftinfender Schweinftall;
perftehft du mich, Hund! verftebft du mich, Wahnfinni-
ger! verftehft du mich, großes dummes Vieh!“ Cochläus
in f. Traktat wider die aufrührerifchen Schriften des Soh.
Calvin, eines Flüchtlingg aus Frankreich, fagt: „Calvin
war von eherner Stirn im. Lügen, bitter und beißend im
Berläumden, heftig im Schimpfen, und übermütbig
in der Gerinafhätung Andrer; den Ambr. Gatha-
rinum, einen angefehenen, ehrwürdigen, greifen, ver—
dienftvollen Mann, nannte er ein ftinfendes Aas und ein
garftiges Leichenmahl — nur weil er ein Gegner Luthers
war.“ Aehnliche Benfpiele hat uns Schlüffelberg Calv,
Theol. 2 3. 4 Art. in Menge aufbewahrt.
Wegen ſolch roher gräßlicher Läfterungen ward Ealoin
felbft von M. Bucer ein rafender Brudermörder , ein
ruchlofer toller Berläumder und Berfälfcher “ geheißen.
Sp war diefes. großen Welt: und Kicchenlicht3 Sanfte»
muth, Liebe, Mäßigung, Demuth und Würde befchaffen !
So ſprach aus ihm der Beift der göttlichen Weisheit und
Milde! Dieß ift der Mann, in welchem einer der neuern
proteftantifchen Schriftfteller (S. ©. Müller in f. Denkw.
aus der Gefch. der Ref.) „einen der größten Denker, Theo—
Iogen und Gtaatsmänner, den Solon des Genferfchen
Freyftaats“ zu verchren, und an einer andern Stelle ihn
„ven Lykurg der Republit Genf, eine wahre Römerfeele,
in politifchen Gefchäften nicht minder groß als in kirchli—
chen“ zu nennen fich nicht entblötzet.
Noch dürfen wir die gründlichen und parteylofen Schil-
derungen nicht übergehen, welche ung Florim. Rimun-
dus, Maimbourg und andre glaubwürdige Hiftorifer
von ihm entworfen haben. Erfirer T. VIL ps 437 vere
fihert ung, daß er fchon von früher. Jugend an wegen
fürperlichee Schwäche und Befchwerden des Unterleibs
mäßig und enthaltfam Tebte, dag er von ernfter Gemüths—
art, verfchloffen, tieffinnig und einfyldig im Umaang war.
Die Iateinifche Sprache hatte er vollfommen in feiner Ges
walt und wußte fich gar zierlich darın auszudrücken. Geine
Screibfeligfeit fowohl im Briefwechfel als in gelehrten
Arbeiten war. unbegrängt; eben fo unermüdet thätig zeigte
er ſich als Prediger, und es ift befannt, daß er während
23 Jahren in Genf täglich — ja des Sonntags’ oft zwey>
mahl — die Kanzel beftieg, auch nebftbey noch wöchentlich
drey Öffentliche Vorträge über Theologie bielt; bevedt war
er übrigens feineswegs und daher auch als Prediger nicht
beliebt, Weber die Fatholifche Kirche läfterte er aufs hef—
tigfte und fpie Feuer und Flammen aus, indem er fie nur
das fchamlofe, verworfene, buhlerifche, abgöttifche Baby»
Ton hieß; auch dev Könige und Fürften verfchonte er nicht,
nannte fie Efel, dummes Vieh, Narren, welchen man
nicht nur feinen Gehorfam fchuldig fen, fondern ins Ge
ficht fpuden fol, wenn fie wider Gott — (d. h. wider die
Drafelfprüche der Genfer Geiftlichkeit) fich verbünden oder
dagegen auflehnen.“ So fagt er auch — ap. Becan. T. 1.
opuse 47. — „Was die Sefuiten anbelangt, die unſre größ-
ten Gegner find, muß man fie entweder morden, oder —
wenn dieß nicht wohl thunlich ift — fortiagen, oder fie
doch wenigftens durch Lügen und Berläumdungen zu Grund
vorn *
Als Südländer war er Luthern an Scharfſinn ineit
überlegen, und wagte fich an die tiefften Geheimniſſe
der chriftlichen Religion, indem er fogar die Allmacht,
Gerechtigkeit und Liebe Gottes zu befämpfen und zu
widerlegen unternahm. Luthern fchalt er einen heimlichen
Papiften, und glaubte, daß es beffer gethan wäre, einen
neuen Grund der Kirche zu legen, als über den von.
Luther fchon gelegten Grund fortzubauen; im Verfolg zer—
ftörte dann Calvin alles Alte aus Ehrgeiz und vermef-
nem Uebermuth, wie Luther aus Rachgierd und bos—
bafter Feindſeligkeit. Daß Calvin fich ſelbſt für ein
— 94 —
Orakel hielt, ergiebt ſich aus ſ. Præfat. sup. Psal., wo
er prahlt, daß er zum richtigen Verſtand der heiligen
Schrift weit mehr beygetragen habe und ihm dießfalls
mehr Ruhm gebühre, als allen Xehrern, die feit Be-
ginn des Papſtthums gelebt haben, Im feinen öffent-
lichen Borträgen gab er felbft fich immer für einen Pro-
pheten aus; und — nad) dem Urtheil eines feiner gelehr»
ten Beitgenoffen — nahm er feine fihriftlichen Arbeiten
nur dann vor, wann fein Gemüth von Haß und Neid
erfüllt war, fo daß man behaupten konnte, feine Bücher
feyen — ftatt mit Dinte — mit Gift und Galle, wie
einſt die Sefeke Drafo’s mit Blut ftatt Dinte gefchrieben.
Auch Bolmar — Calvins Lehrer — in. feinen Brie-
fen an Farel (der eigentliche Reformator Genf3 und Bor»
gänger Calvins, nach dem Urtheil des Erasmus aber der .
lügenhaftefte, boshaftefte und ftörrigfte Menfch), heißt un
fern Helden einen „heftigen, undiegfamen und ftarrfinni-
gen Feuerkopf.“ “
Was übrigens die Seftigkeit feiner Meinungen und
Grundfäke betrifft, fo mwiffen wir aus Schlüffelberg,
daß Calvin es in den verfchiedönen Colloquien und Synoden
immer mit Luthers Partey gehalten hatte, erft nach deffen
Tod aber zu. der Zmwinglifchen übergetreten war. Eine
andre gefchichtliche Duelle enthält die nähere Angabe: daß
er ſich ſchon im Jahr 4538 auf der Disputation in Bern
für die Zwinglifche Lehre geäußert hatte, nachdem aber
Zacharias, Doktor der Theologie, eigenhändige Briefe
Calvins mit den gräßlichften Läfterungen über Zwingli vor-
legte — fehr verhaßt ward und fih zu M. Bucer nad)
Straßburg flüchtete, von wo er jedoch im S. 1541 :zurüd-
berufen ward und dann noch 23 Sabre hindurch den Papft
fpielte. | |
Mach Luthers Tod bevedte er fih, daß nunmehr nie—
mand weiter ald Gegner gegen ihn aufzutreten fich ge—
trauen werde, und warf-fich Daher zum Haupt einer
eignen Partey auf, in welcher Stellung er dann auch
nicht die mindefte Widerfeßlichkeit vertrug.
Einen merkwürdigen Beleg für den Wanfelmuth
feiner Anfichten und Begriffe liefern uns feine eignen
„Bereinigungs-Motelen,“ wo er fagt: „wir halten des Herrn
Abendmahl für ein groß Wunderwerf, dad weit über
die Natur und aller Menfchen TOR if.“ Und.
über Eph, Cap. V. fchreibt er: die Leute plagen und mar-
teen fich vergeblich, wenn fie wollen mit ihrem fleifchlichen
Berftand begreifen, auf wad Map und Weife Ehri-
ftus im heil. Nachtmahl gegenwärtig fey. Derhalb
find dieß unzeitige Leute, die in dieſem Artikel nicht mehr
wollen glauben, als fie mit ihrer Vernunft fünnen
begreifen. Aber ich muß befennen, daß ich mich über
dieß große Geheimniß nicht genugfam kann verwun-
dern. Und ich ſchäme mich nicht folcher meiner Verwun—
derung, mit dem heil. Apoftel Paulo meine Unwiffenheit
— bekennen; denn dieß iſt ja viel beſſer, daß ich die
Schwachheit meines Verſtands gering achte, dieweil
es Paulus für ein groß Geheimniß hält. Und das
lehrt uns die Bernunft, denn alles was über die
Natur iſt, das ift auch Über unfern Verſtand.“
Maimbourg inf. hist. du Calvinisme Paris’ 4682
hält es als redlicher, gewiffenhafter und parteylofer Hiſto—
vifer für Prlicht, auch das Gute und Lobenswerthe, mag
den von ihm gefchilderten Perfonen neben ihren großen
Sehlern eigen war, nicht zu unterdrücden; demzufolg läßt
er Ealvins ausgezeichnetem Scharffinn, feinen vaftlofen
Arbeitsfleiß, feiner Uneigennüßigkeit, feiner veinen, zier—
lichen, : gediegenen, nach den beften Klaffitern ausgebilde-
ten Diftion in der Tateinifchen Sprache alle Gerechtig-
feit widerfahren, erklärt aber auch zugleich, daß diefe we—
nigen Vorzüge weit überwogen wurden durch feine,
auch von feinen beften Freunden eingeftandene, heftige,
mürriſche, zornige, ftveitfüchtige Gemüthsart, — fein wil-
des, zurückſtoßendes Benehmen (weßhalb felbſt M. Bucer
— 9% —
in warnendem wohlmeinendem Ton ihm nicht verhehlte: daß
er eher einem tollen Hund als einem Menſchen gleiche)
durch ſeinen Hang zu Verunglimpfung, Rachſucht und
boshafter Läſterung, und durch ſeine leidenſchaftliche Par—
teylichkeit im Urtheil über Andre. Dieſe Eigenfchaften
machten ihn dann auch ſeinen Freunden fo unerträglich,
daß fie — freylich in ruchlofem Scherz; — fagten: fie woll-
ten lieber mit dem — immer aufgewedten, heitern und
vertragfamen — Beza in der Hölle, als mit dem fo an-
maßenden, felbftfüchtigen, despotifchen, vechthaberifchen
Calvin im Himmel wohnen. (©. auch Papyr Mass. vit.
Calv., und Balduin in Calv.) Auch geſteht Maimbourg ,.
„daß Calvin allerdings, als Urheber der Härefie in
feinem Baterland und alles nahmenloſen, durch die
Hugenottenfriege nach der Mitte des fechszehnten Sahr-
hunderts entftandnen Unheils, damahls nur mit Ab⸗
ſcheu und Verwünſchung in ganz Frankreich ge
nannt wurde.“ Zudem erfehen wir aus Calvins eignen
Briefen vom I. 1554 an Wolph — in Senebier hist. litt.
de Geneve — daß fein Zerftörungswerf ganz und gar nicht
allgemein von feinen Zeitgenoffen belobt ward. So
fchreibt er 3. B.: „Glaube mir, Server, Weftphal und
andre ihres Bleichen haben mir weit weniger zu’ fchaffen
gemacht, als meine häuslichen Feinde, derer Menge un—
zählig und ihr Groll gegen mich unauslöſchlich if;
dürfte ich wählen, fo würde ich mich lieber einmahl von
den Papiften verbrennen, ala fo ohne End und
3iel von meinen nächſten Nachbaren pr en
laffen. *
Schließlich bemerken wir nur noch, daß Calvin fich
urfprünglich auf das Studium der ſchönen Wiffenfchaften,
der Rechtsgelehrfamfeit und Sprachkunde verlegt hatte,
dann aber fchon vor feinem dreifigften Sahr feine befann-
ten institutiones rel. chr. herausgab, folglich noch eher zu
dogmatifiven begann, als er fich mit dem Studium der
Theologie ernftlich befaßt hatte.
. Einen eifrigen Gehülfen fand Calvin in der Perfon
feines nachherigen Biogvaphen Theodor von Beza,
Prior zu Long-jumenu, und fehr befannt als Lateinifcher
Dichter, geb. 1519. 7
Vernehmen wir auch über diefen angefebenen Refor—
mator das glaubwürdige Zeugniß proteftantifcher Zeitge—
noſſen.
Schlüſſelberg, Dottor der heil. Schrift und Pro>
feffjor in Stralfund, deffen wir fchon mehrmahls erwähn—
ten und welcher bey den Lutheranern fehr in Bunften ſteht,
erklärt in f. Theol. Calv. L. 2. „Beza entwirft ung im’
feinen Schriften das lebendige Bild von jenen Unwiſſen—
den und groben Menfchen, welche ihre Zuflucht zu Be—
fchimpfungen nehmen, oder von jenen Publifanen, die
auch am Ende nichts andres thun als Täftern. Auf eben
diefe Art fchüttet dieſer fhändliche, von lauter Kunft-
griffen und Gottlofigkeiten zufammengefekte Menfch,
gleich einem eingerleifchten Teufel, feine fatyrifchen Got—
tesläfterungen aus, “
Ebenderfelbe bezeugt: er habe 23 Sahre feines Lebens
darauf verwendet, um 220 Schriften der Calviniſchen
Sekte zu leſen, und unter. all diefen babe er auch nicht
eine einzige gefunden, wo die Befchimpfungen und Got=
tesläfteungen fo fehr aufeinander gehäuft waren als
vorzüglich in denjenigen diefeg wilden Thiers; (mobey
auch würflich jedem chriftlichen Xefer die Haut fehaudern
muß.) Wer aber daran zweifeln wollte — fährt er. fort
— der foll nur feine berühntten Dialogen gegen den Dok—
tor Heshufius lefen. Man würde nie glauben, daß fie
aus der Feder eines Menfchen geflofien feyen, wohl aber
daß der Beelzebub felbft fie gefchrieben habe. Sch müßte
mich fchämen, alle die gräßlichen Gottesläfteruns
gen zu mwiederhohlen, womit diefer garftige und atheijtifche
Menſch mit- einer efelhaften Mifchung von Bottlofig-
feit und Narr heit den ehrwürdigſten Gegenftand beſu—
7
—
delte. Wahrfcheinfich hat er feine Feder in eine höllis>
fche Dinte eingetaucht. “
Der Lutheraner Heshufius, geft. 1605, ſchreibt
von ihm: „Wen follte die unglaublihe Schamlofigfeit
diefes Ungeheuers nicht in Erfiaunen fegen, deſſen un>
flätiges und ſchändliches Leben durch feine mehr
noch al3 eyniſche Epigrammen in ganz Frankreich bes
fannt ift? nicht nur hat er die Jugend durch unerlaubte
Liebfchaften, finnliche Ausfchweifungen und andre Schand—
thaten auf Abwege geloct, fondern auch dergleichen Fre:
vel felbft duch Schriften und Kieder in Umlauf gebracyt,
ja ſich auch hierauf noch viel zu gut gethan. Und den—
noch, wenn man ihn reden hört, würde man fagen, er
fey ein beiliger Mann, ein zweyter Hiob, oder ein Eremit;
ſo fehr weiß er überall feine Eingezogenbeit, Berufstreue,
Sitteneinfalt und unfteäfliche Lebensart anzupreifen. “
(Dagegen heißt binwiederum. Beza diefen Gegner einen
Aften, groben Efel, Hund, unverfchämten leichtfertigen
Buben, unflätigen Läſterer u. f. mw.)
Baza felbft gefteht, daß er während 45 Jahren, wo
er andre den Weg der Gerechtigkeit wandeln lehrte, nicht
nüchtern noch anſtändig und aufrichtig gelebt habe.“
&o bilden ſich — ſagt Grotius im v. p. pace —
die Schüler gewöhnlich nach ihren Meiſtern; daher ſehen
wir Calvins Anhänger vob und wild, Arnds und Mes
lanchtons hingegen gutmüthig und gelaffen.
Launäus fchreibt von ihm: „Nachdem Beza ſich mit
allen Schandthaten befudelt und folche durch feine eignen
Gedichte nocy dev Welt fundgemacht hatte, verführte er
auch das Weib eines Nachbarn, und fuchte mit ihr fein
Heil in der Flucht, betrog aber vorher noch die Bauern,
indem ev feine Einkünfte fchon zum vorhinein in Empfang
genommen hatte. Diefe Angelegenheit gab ung beim Col—
loguium viel zu fchaffen, indem eine Wittwe mit ihren
Kindern dorthin kam, um von DBeza eine ihr entfvemdete
— 99 —
Geldſumme zurückzufordern, worüber mir ſelbſt die Ver—
handlung aufgetragen wurde.“
Florim. Rämundus VIII, 624 (welcher ihn per-
‚fönlich ſehr wohl kannte, ihn oft predigen hörte und big-
weilen ihn zu Pferd mit dem Schwert umgürtet den Prinz
Ludwig von Bourbon Conde begleiten fah) entwirft von
ihm folgende Schilderung: „Beza war bevedt, emfig, ent»
fchloffen, in der griechifchen und latein iſchen Litteratur
ſehr bewandert, (daher er auch, auf Calvins Betrieb, als
Profeſſor der griechiſchen Sprache an der Akademie in
Lauſanne — nachher als Profeſſor der Theologie — an—
geſtellt ward) zur Dichtkunſt, ſey es in lateiniſcher ‚oder
franzöſiſcher Sprache, gleichſam geboren. Seine Gedichte,
1548 gedruckt, ſind aber meiſt ſchlüpfrigen unzüchtigen In—
halts, indem er den Catull und Tibull ſelbſt noch hierin
übertraf. Sein Sdol — Candida — (eigentlich Claudia,
da3 von ihm entführte Weib eines Schufters in Paris)
ift nur allzubefannt; überhaupt fand er großes Vergnügen
am —— mit dem andern Geſchlecht.“
Sn einer, von ausgezeichneten Gelehrten Polens 1565
herausgegebenen, Schrift wird von Beza behauptet, „daß
er jein ganzes Leben in liederlichen Schlupfwinfeln und
Garküchen mit Dirnen zubrachte.“ Er wird zugleich als
ein „in allen Schändlichfeiten geübtes a Unges
heuer “ Dargeftellt. |
Bon feiner Gottesläfterung liefert auch feine Creo-
phagia einen Beweis, indem er dafelbft das Abendmahl
des Herrn fogar coenum (Koth, Moraft) ftntt coenam
Domini nennt; welche Läfterung ihm aber auch im Colleq.
Poss. 1564 nachdruckſam vorgeworfen wurde.
Peter Bermilius, ein entlaufner Carthäuſer aus
Florenz, der fich felbft aus Eitelkeit den Namen Martyr
beylegte, war — nad) Florim. Räm. Zeugniß — ein un»
gemein jchlauer und fcharffinniger Mann, in jedem Fach
dev Wiffenfchaften all feinen Amtsgenoffen — den einzigen
Calvin ausgenommen — überlegen; er erregte fchon in '
-
d
— 10 —
feinent zwanzigften Jahr als Prediger in den berühniteften
Städten Staliend großes Auffehen, wodurch er dann zu
Stolz und Uebermuth verleitet ward. In der Mitte des
fechszehnten Sahrhunderts, nad) dem Tod Heinrichs VILL,
. war er mit Ochin nach England gereift, wo ev hauptfäch-
lich das Reformationswerk unter des jungen Eduard fur»
zer Regierung betreiben half, dann aber nach Halland und
fpäter nach der Schweiz zurücdfehrte, wo er im I. 4562
ftarb.
M. — Dominikaner Mönch, von an
gebürtig, Sohn eines Juden, mar ftarfer Philolog und
überaus bemwandert in dem Sutherfchen fowohl als Zwing⸗
liſchen Lehrſyſtem. Anfänglich dem erſtern zugethan, be—
kannte er ſich im Verfolg zu letzterm, welches er auch
beim Colloquium in Marburg vertheidigte — wie wir aus
feinem „Arbogaſt“ ſehen. Vergeblich hatte er aus allen
Kräften ſich bemüht die Fehde zwiſchen Luther, Melanch—
ton und Zwingli zu vermitteln, deren Controverſen er als
Logomachiam (ſpitzfindige Wortklauberei) betrachtete. Nach
Zwinglis Tod erwarteten deſſen Anhänger feinen Abfall,
da er an Bullinger und Leo Judä fchrieb, daß die Luther—
fche Meinung ihm beſſer einleuchte. Den Streit wegen
der Ubendmahllehve wollte er nie berührt willen, da fol
cher ibm zu Eiklich fehien, während Bullinger ( Comment.
sup. Math.) immer darauf antrug, und wünfchte dag man
über diefen Punkt (der würflichen "Gegenwart des Leibs
Chriſti im Altarſakrament) jeden frei glauben laſſe was
ihn gut dünfe, Später gieng ex, aud Furcht vom Kaifer
aufgehoben zu werden, nach England — wo er mit Ochin
und Bermilius fein Unwefen trieb, und nad) drei Sahren
— 45541 in feinem 614. Nebensjahr farb.
Och in, General der Kapuziner, war berühmt ſowohl
durch die Strenge ſeiner Lebensart, als durch ſein ausge—
zeichnetes Rednertalent; in letztrer Hinſicht genoß er ſol—
chen Ruf, daß er allgemein für den beſten Prediger von
‚ganz Italien gehalten ward, und durch Haltung und An—
— 401 —
ftand, wie durch Wohllaut der Stimme und eine bemun-
dernswürdige Beredſamkeit alle Zuhörer bezauberte, auch
um fo mehr Eindruck machen mußte, da fein Wandel mit
der Lehre übereinftimmte. Bald verließ er dann Italien,
trat aus feinem Orden, und begab fich in Gefellfchaft des
Deter Martye nad) der Schweiz, wo er mit der Zwing—
liſchen Sekte fih näher verband. . | ur
Beza ſchrieb von ihm an Didutius: „Ochin wurde
ein unzlchtiger Böfewicht, ein Befchüker der Arianer, ein
Spötter Jeſu Ehrifti und feiner Kirche. * (Welch letztres
auch Melanchton beftätigt.) Freylich hat Ochin von den
Genfern und Zürchern auch nicht viel beffer gefprochen;
denn in feinem Dialog gegen die Sekten der ivdifchen Göt—
tev äußert er fi ohne Rückhalt; „diefe Leute wollen, daß
man alles, was fie in ihrem Hirn ausbrüten, für Slau-
bensartifel halten fol, und jeder der ſich ihnen nicht an—
ſchließt, fol ein Keter feyn. Was ihnen des Nachts im
Zraum einfällt, das fehreiben fie auf, es wird gedruckt,
und für ein Drafel gehalten, Davan ift gar nicht zu den:
fen, daß diefe Leute jemahls fich eines Beſſern bedächren.
Es fällt ihnen fo wenig bey, der Kirche unterwürfig zu
feyn, daß vielmehr nad) ihrer Meinung die Kirche ihnen
gehorfam feyn fol. ind diefe Leute nicht Päpfte? find
fie nicht Götter der Erde? tyrannifieren fie nicht die Ger
wiſſen aller Menfchen?“
Calvins Grundfak: die heilige Schrift ſey klar und
deutlich genug, um feines Dollmetfchers zu bedürfen, ver-
leitete auch feinen Liebling Ochin zum vollftändigen Arias
nismus. „Die heilige Schrift — fo ſchloß er — ift in
ſich ſelbſt ganz heiter und klar, vorzüglich in Dingen,
welche zum Seelenheil — 8 ſind; wenn nun
das Dogma von der Dreyeinigkeit nicht ausdrücklich darin
enthalten iſt, ſo kann auch niemand verpflichtet ſeyn daran
zu glauben; denn nur dasjenige find wir zu glauben
ſchuldig, was deutlich in der heiligen Schrift ausgefpro-
chen if.“ Schade nur, daß diefer Pfeud » Apoftel an
— 102 —
einer andern Stelle diejenigen als hirnlofe verrückte
Narren erklärt, welche die heilige Schrift zu verftehen fich ein«
bilden! (Sehr richtig bemerkte fhon Tertullian: wenn
die Schrift Feiner falfhen Auslegung unterworfen
feyn Fönnte, fo wäre ja nicht einmahl die Härefie mög»
ich. Und Auguſtinus botte wohl eben fo wenig Un-
recht, indem er behauptete: mas ich beim Lefen der heil.
Schrift verftehe, ift Nichts in Vergleichung mit dem⸗
jenigen, was mir unverſtändlich iſt!)
Uebrigens berichtet uns Beza ſelbſt, daß Ochin —
als er vernahm, daß Carl Cardinal von Lothringen durch
Baſel nach Rom zurückreiſe — ſich zu ihm begab, ihm zu
Füßen warf und um ſeine Vermittlung beim heil. Stuhle
flehte, indem er ſich anheiſchig machte, mehr als hundert
verdammliche Irrthümer der Sektirer — welche er durch
vieljährigen Umgang mit ihnen kennen gelernt — aufzu—
decken. Als ihn dieſer Prälat abwies, verfügte er ſich
nach Deutſchland, und von da nach Polen, wo er ſein
Buch de polygamia ſchrieb, und den Grundſatz der Viel—
weiberey, aufs Alte Teſtament geſtützt, in Crakau auf öf—
fentlichen Kanzeln verfocht, auch überall die Arianiſche
Lehre predigte, daß nirgends aus der heil. Schrift die
Gottheit des Erlöſers und des heil. Geiſts erweislich ſey.
Von ähnlichen Gottesläſterungen wimmelt ſein, 1594 wie—
der aufgelegter, Katechismus.
Florim. Räm. III. 354. ſagt von unſerm Helden:
„ſo lang er im Gehorſam der Kirche geblieben war, leuch—
tete er ſeinem Orden gleich dem glänzendſten Geſtirn vor,
ward dann aber von Calvin verführt und gerieth in dichte
Finſterniß. So verbreitet die Lampe, während ſie brennt,
eine angenehme Helle um ſich her, ſobald ſie aber ausge—
löſcht wird, entſteigt ihr der garſtigſte Geruch.“ Calvin
ſelbſt ſchrieb noch den Polen, daß Ochin zuletzt als der
ſchändlichſte Heuchler zum Vorſchein gekommen ſey.
S0. Oecolampad (eigentlich Hausſchein), Brigit—
tenordens-⸗Mönch von St. Lorenz bey Augsburg, war anfäng»
— 408 —
lich der Lutheriſchen Sekte zugethan, im Verfolg dann
einer der eifrigſten Zwinglianer, und Prediger zu St.
Martin in Baſel, — (wegen feiner abenteuerlichen Naſe
auch —— Naso genannt. )
ach Slorim. p. 175 erzählen die Lutheraner in der
Apologie ihres Abendmahls, daß Hausfchein, welcher ſonſt
dem Zwingliſchen Lehrbegriff über die Euchariftie fehr zu—
gethan war, im 3. 1529 bey einer ‘Unterredung mit dem
Landgraf zu Heffen fagte: „Wollte Gott, daß mir die rechte
Hand abgehauen wäre, da ich erftlich anfeng vom Nacht—
mahl des Herrn wider Dr. Luther etwas zu fehreiben, “
Als diefe Aeuferung Luthern durch einen Ohrenzeugen,
Det. Plateanus, hinterbracht wurde, fihien fi) der Haß
des großen Patrincchen ‚gegen Hausfchein ein wenig zu
mildern.
Sm Colloquio zu — ſagte Hausſchein zu Ph.
Melanchton als damahligem Antagoniſten: „es wäre
möglich, daß in den Worten: das iſt mein Leib, eine
figürliche Bedeutung läge, wie in jenen Redensarten: der
Fels ift Ehriftus, — ich bin der Weinftof, — der Same
ift das Wort.
Sm 3.8. ep. ad Zwinglium fchreibt er: fo viel fich
aus den Schriften der Alten muthmaßen laſſe, ſeyen
iene Einfeßungsworte des Abendmahls finnbildfich, zu ver—
fiehen. Zugleich bittet ev Gott, daß er ihnen beyden die
Augen öffnen möchte, um die wahre Bedeutung zu
erkennen, damit fie nicht zum Unglück fo vieler Menfchen
im Spots fich verftricken. “
50. Faber inf. hrifilichen Beweifung, Tübingen 1526,
fchreibt: „Hausſchein und Zwingli find od der Mutter GSot-
te3 und den Heiligen uneinig geworden. Wie aber das ?
Hausſchein haltet frey aus der heiligen Schrift die Für-
bitt der Heiligen und fchiltet die fo es nicht halten, *
chem ap ganz widerfpricht. “ |
Im nähmlichen Buch zum 2. Cap. beweist Faber, daß .
Hausſchein im Klofter Altonig Münfter im Bayerland über
— 14 —
das Altarfalrament eine Abhandlung gefchrichben und in
Baſel habe drucen laffen, worin er die Teibliche Ges
genwart Ehrifti im Abendmahl noch. feft behauptet
hatte, und die vielen Wunderzeichen zur Zeit Zulians in
Schutz nahm.
Mit welchem Ernſt und Anſtand unſer ——— die
Controverſen mit Luther über das Abendmahl führte, er—
ſieht man aus einem ſeiner Briefe an letztern, worin er
ſich beklagt, daß derſelbe das Abendmahl der Zwinglianer
eine „Geſellenzech“ und „Baurengelage“ hieß, und dann
verfichert, daß bey ihnen das Brod feineswegs nur fo ge-
mein wie „Morchen, Rübenfchnig und Pfifferling“ geachtet
werde,
In der Läſter ungsſucht wetteiferte er mit all ſei—
nen Amtsgenoſſen. Hiervon finden wir in ſ. Briefwechſel
mit dem trefflichen berühmten Pirkheimer — welchen er
früher als feinen Gönner und Wohlthäter verehrt hatte
— vom J. 1526 Elägliche und würflich Schauer erregende
Benfpiele, Er wird von Pirkheimer in deffen nothge-
drungner Rechtfertigung als Syfophant, Berfälfcher der
göttlihen Schrift, fhamlofer Lügner, Rabulift und Ber-
läumder entlarvt, und dieſe Befchuldigung durch fattfame
Delege außer Zweifel gefekt.
Seine Befcheidenheit und apoftolifhe Demuth
geht auch fihon daraus hervor, daß er fich felbft oft mit
Nathan — ja fogar mit chliſtus, verglich. Von den
Kirchenvätern galten einzig bey ihm Auguſtinus, Origenes
und Chryſoſtomus, aber auch dieſe nur in einzelnen ab—
gerißnen Stellen, welche in ſeinen Kram zu dienen
ſchienen.
Erasmus — der gelehrte und berühmte Kämpfer
gegen die in der römiſchen Kirche eingerifnen Miß—
bräuche, aber Löchft unmwillig über die ärgerlichen Mönchs—
eben mit Nonnen, fowie über die perfönlichen Motive des
Ehrgeizes und Eigennuges bey den meiften Reformatoren
— fchreibt; „Oekolampad heirathet fo eben ein ziemlich
— 1 —
hübfches Mädchen, ohne Zweifel um fein Fleiſch dadurch
zu freugigen! Mag man immerhin fagen das Lutherthum
fey eine tragifche Sache; ich bin vielmehr. überzeugt, daß
es eine Fomifche fen, — denn die Entwicklung des Stücks
ift immer eine -Heiratb, wie in der Comödie.“
Der nähmliche Erasmus macht ihm in einem Brief
vom S. 4525 bittre Borwürfe, daß er in der. VBorrede zu
einer Drucdfihrift ihn unfern großen Erasmus geheißen
habe, um durch das Anfehen feines Nahmens dem Refors
mationswerk eher Eingang zu verfchaffen, worin er je
doch eine Befchimpfung erfannte, — weit entfernt auf
feine Gunftbezeugung oder Lobeserhebung den geringſten
Werth zu ſetzen.
Sn Luthers Tiſchreden ©. 278 finden wie fol⸗
genden wichtigen Borfall aufgezeichnet: „Defolampad bethete
in feiner Kammer , al3 er 4527 nach Bern auf die Difpu>
tation. 309, und fagte: Herr Gott, ift diefe meine
Sache recht und wahr, fo woleft du fie vertheidigen;
ift fie aber niht die Wahrheit, fo fürdre fie nicht.
Und gleichwohl des andern Tags fagt er für beftändig und
halsftarriglich, und proteftiert öffentlich: feine Sache fey
recht und wahr, — woran er doch zuvor im Gebeth
gezweifelt hatte. Dich hatte Doktor Cellarius in Haus»
fcheins Kammer zu Bern felbft gehört, und ward duch
fol zweifelhaftes Gebeth auch mwürflih zum Abfall
bewogen, wie Cellarius felbft mehrern Freunden erzählte. “
Auch verfihert Schlüffelberg, daß Hausfchein noch
kurz vor feinem Ende, von Zweifeln geängftigt und gequält,
ausrief: nun ftehe ich im Begriff, vor Sefu Ehrifti Rich»
terftubl zu treten, um Rechenfchaft abzulegen, ob ich einen
„wahrhaftigen und beftändigen“ oder aber einen „falfchen
und erdichteten“ Glauben befannt und gelehrt habe.
Nach der hist. de coena Aug. äußerte ach Luther, als
er die Nachricht feines Todes erhielt: „ach .elender, uns
glücklicher Defolanpad! du warft der eigene Prophet deines |
Unglüds, ala du Gottes Rache über dich anriefft im Fall
— 106 —
du eine falfche Lehre vortrügeft. Gott wolle dir vergeben,
wenn du anders dich in einem Zuftand befindeft, dag Gott
div vergeben kann.“
Sn der Cathedralkirche zu Baſel liegen die Bewohner
der Stadt folgende Inſchrift auf fein Grabmahl feßen:
Sohann Dekolampadius, Theolog, erfter Stifter der evan-
gelifchen Lehre diefer Stadt, und wahrer Bifchof dieſes
Zempels. 4532. |
Zutber hingegen verfaßte ihm (de missa priv.) nach-
ſtehende Srabfchrift: „Der Teufel, in deffen Dienft Defo-
lampad ftund, erwürgte ihn des Nachts in feinem Bette.
Bon diefem guten Lehrmeifter lernte er, daß die heilige
Schrift voll Widerfprüce ſey! — Geht, wie weit e8
der Teufel mit den gelehrten Leuten bringt !* —
Ueber feinen Tod waren indeffen gar mannigfaltige
Gerüchte im Umlauf. Während ihn der fromme Patriarch
Luther fchnurftrafs dem Schwarzen überantwortet, be—
hauptet Beza, daß er an der Peft gefiorben, Capito,
daß ihn eine langwierige, fchwere Krankheit weggerafft habe;
einige fagen, daß ev in den leisten Zügen fich äußerte:
bald bald werde ihn die Hölle verfchlingen; Lindanus
meldet, daß er in Verzweiflung geftorben fey; noch andre
feiner damahligen Zeitgenoffen wollen wiffen, daß er —*
Hand an fein Leben gelegt habe. —
Andre. Carlofradius (eigentlich Bodenftein) war
früher Acchidiafon in Wittenberg. Sein eifriger Gehülfe
Melanchton entwirft von ihm folgendes Bild, in einem
Brief an Myfonius: „arloftad ift ein wilder, mürrifcher
Menih, ein Mann ohne Geift, ohne Kenntnifje, ohne
Vernunft, der — weit entfernt auch nur das gevingfte
Merkmahl des göttlichen Geiftes an fich zu tragen — felbft
auch nie erkannt oder gethan hat gegen männiglich was
einem Menfchen zufteht; ja man hat allenthalben augen
fcheinliche Anzeigen von feiner Gottlofigfeit gehabt. Nur
Neid und Haß verurfachte ihn zum Streit gegen Luther;
dabey fihreyt er immer wie die unfinnigen, vollen Leute
A —
beym Trunk, die nur ihre Luft am gröbſten Fabelwerk
haben. Er if ein verfchlagner Saft, hat einen heftigen
unruhigen Kopf.“
Auch Luther urtheilt nichts weniger. als günftig von
diefem Mann. Sn feinen Tifchreden fchreibt er: „Boden-
ftein hat all feine Händel aus Ehrgeiz angefangen, denn
er fi) bedünfen ließ, e3 mwäre fein gelehrter Mann auf
Erde ald nur er; und was ich fchrieb oder im Drud ließ
. ausgehen, davon fchrieb er auch Bücher, aber dody immer
mit einer Schminfe, denn er wolt’3 allein feyn. In
Leipzig auf der Difputation legte er Schand ftatt Ehre
ein; er ift ein armer, unfeliger Difputator, bat einen
wüften, ftörrigen Kopf, ift ſtolz und aufgeblafen. “
Carloſtad war in den Sahren 4524 und 4522 — wäh—
vend Luther auf der Wartburg ſich befand — entfchiedner
Gönner und Freund der neuen Propheten in Sachſen,
welche bald in Fanatiker ausarteten und den fchrecklichen
Baurenkrieg verurfachten. Er befand ſich nebſt NIE.
Stord (dem Urheber der wiedertäuferiſchen Seckte, zu
deren Stiftung er fich duch unmittelbar göttliche In—
fpiration berufen erklärte), Münzer u. a. an der. Spike
der tollen Bilderftücmer und Braufeföpfe. Nun ward ihm
Luther abgeneigt, indem er ihm mit Recht vorwarf, „daß
er. den Pöbel toll und thöricht mache, und an Aufruhr
gewinne: *
Im Traktat wider die himmliſchen Propheten ſchreibt
Luther: „Carlſtadt iſt von uns abgefallen, dazu unſer
ärgſter Feind worden. Er und feine rottiſchen, ſtürmiſchen,
fchwärmerifchen, ja mörderifchen Geifter ſetzen das unterfte
zu oberft, und bringen alles in Verwirrung; doch will ex
angefehen feyn für den allerhöchften Geift, der den heiligen
Geift mit Federn und allem gefreffen habe. ‚Ein Eruzifir
oder Heiligenbild ift nirgend in der Schrift ver-
bothen zu-haben, wie diefer Bilderftürmer. behauptet und
lügt; das müffen fie mir laffen, auch nach dem aller-
fivengfien Geſetz, fofern ichs nicht anbethe, fondern nur
a Mu Sa
zum Gedächtnif habe; denn Gedenkbilder und Zeugene
bilder find Löbli und ehrlich. Haue, hau, reif, beiß,
ſchmeiß, brich, ftoß, tritt, wirf, ſchlag die Bilder ins
Maul, fpey dem Eruzifie ins Angefiht!! So machens
die Carloſtader.“ |
An einer andern Stelle fagt Quther: „Carlſtad fann
den Teufel am Marrenfeil führen; er giebt ein Dr— auf
alle Ermahnungen. Uns heißt er Ehriftushenfer, Mörder
u. dergl. mehr; er aber tödtet. die Seele auf einer: Geite
und der Papſt auf der andern, — beyde brechen, wie die
GSeelenmörder, chriftliche Freiheit. “ /
Sn Fabers chriſtlicher Beweiſung findet fih bey
Art. 3 folgende Stelle: „wider Earloftad fchreibt Luther:
man follt ihn über eine fühle Klinge laffen fpringen, und
wenn den Garloftadium‘ Gott nicht fichtbarlich Plage, fo
wol er auch nicht glauben, daß ein Gott fey. Sn einem
Monath darnach hat der abtrünnige Mönch, der Luther,
mit einer ausgelaufenen Nonne Hochzeit gemacht, und da
find die heiligen Männer Luther und Carloftad wieder ver:
föhnt worden; diefe Sach ward durch die Weiber, denen
viel daran gelegen, wieder gefäjlichtet und find alfo nun
die alten Gefellen wie zuvor.“
Nah Buddäus war Carloftad aus Rubmfucht und
Ehrgeiz Urheber des Saframentftreit3; aus feinen in Bafel
4524 gedruckten Büchern fchöpften Zwingli und die Zür-
cherprediger ihre, Serlehre von der figürlichen Bedeutung
ter Einfeßungsmworte zum Abendmahl; ihnen folgte dann
auch Defolampad, wobey aber diefer auf das Wort oowa
(Leib), Zwingli auf das Wort Egi (if), und Garloftad
auf zero (diefes) das ganze Gewicht legten; (daher die
Zehrmeinung des Letztern auch Tooutismus genannt wurde).
Welch fchwache Bürgfchaft für die vorgebli göttliche
Infpivation diefer Glaubenshelden liegt nicht in diefer Ab-
weichung ihrer Anfichten über dag Hauptdogma der chrifts
lichen Religion! !
Da Dekolampad und Zwingli die figürliche Auslegung
— 4109 —
Earloftads gebilligt, auch die Wiedertäufer folche ange
nommen hatten, und Zürich — auf Carloftads Antrieb —
die Bilder zerftörte, fo erreichte auch Luthers Abneigung
gegen fie alle den höchften Grad.
Wie fehr übrigens Zwingli feldft und fein ganzer Ans
bang dem Larloftadifchen Lehr-Syſtem zugethan waren,
erfeben wir aus Lavat. hist. sac. p. 0. Zwingl. cor. s
subsid. de euch. p. 81, wo letztrer hefennt, „daß er gut
Carlftadifch fey, obſchon derfelbe wegen Heftigfeit des
Streits etwas aus der Bahn von der rechten Meinung
abgewichen fey. “
Dabey verdient noch ald Beweis von dem Selbft-
- widerfpruch dieſer Kraftgenies angeführt zu werden: daf
3wingli in lib. de v. et f. rel. p. 253 — 257 diefe Mei»
nung Carloftads einen „erdichteten Glauben“ nennt, und
denjelben als „gottlos, unfräftig, grob und thöricht“ ver—
dammt, — während auch Carloftad 1525 an Luther fchrieb:
er habe nur um der Uebung willen (exereiti gratia) vom
heil. Nachtmahl difputiert, und nicht daß er der Meinung
fey oder alfo glaube, oder in jeiner Meinung balsftarrig
wolle verbleiben.
Flor. Räm. IL, 190 heißt den Gartoftad einen Hiß-
fopf, einen ‚augehldfgen‘ unruhigen, aufwieglerifchen
Menfchen, der aus angeborner Streitfucht fich ſelbſt nicht
im Frieden laffe, wenn er an Andren fich nicht veiben
fünne.
Als Luther ihm gar fo auffäßig ward, und (durch *
Fürſt Joh. Friedr. den jüngern) bewurtte, daß er aus
allen Städten und Gebiethen der ſächſiſchen Herzoge ver—
‚trieben wurde, hatte er ſich nach Zürich begeben, wo
Zwingli ihm eine Anftelung verſchaffte; fpäter kam er
nochmahls in die Gegend von Wittenberg, wo er in dürf-
tigen Umftäinden als „Bruder — und Nachbar Andres“
fein Leben friftete. Im Berfolg ward er dann nad) Bafel
berufen, wo er auch ftarb.
Dodenftein war der erfte Prieſter gewefen, welcher zur
— 10 —
ehlichen Verbindung gefchritten war; er feyerte diefelbe
mit einem nicht zu befchreibenden Subel und Beyfall aller
abtrünnigen Priefter. In der eigens für ihn verfaßten
modernen Meſſe giengen feine fchmwärmerifchen Anhänger
fo weit, daß fie diefen Menfchen, der doch — wie wir oben
fahen — auffallende Zeichen der Gottlofigfeit an fich trug,
ſchon bey Leben felig fprachen.
Seinen Tod betreffend fagen uns die Lutheraner felbtt
— hist. conf. August. p. 41. — ,„E3 ift gar nicht zu
läugnen, daß Earloftad vom Zeufel erwürgt wurde; auch
die Salviniften können die nicht in Abrede ftellen, da fo
viele Zeugen e3 befräftigen, fo viele glaubwürdige Ber»
faffer es fchriftlich. behaupten, ja felbft die, Briefe der
Paſtoren in Bafel folches beftätigen. “
In einer von Thomas Murner, Dr. der Theologie,
berausgegebnen Beleuchtung der in Baden und Bern von
den Eidgenoffen in den Jahren 1526 und 1528 abgehaltnen
Colloquien wird angeführt: daß „wie früher Berengarius,
ſo auch Laroloftad widerrufen hat.“ (Dieß bezeugt eben-
fal3 der treffliche Pirfheimer). Auch fein Sohn Sohann
entfagte der Härefie des Vaters, kehrte in den Schooß
der Fatholifchen Mutterfirche zurück, und befand ſich in
Zrient zur Zeit des dortigen Conziliums.
So endete der Mann, welcher zuerft den gefürchteten
Rutber zu befriegen gewagt und das höchfte Geheimniß der
chriftlichen Religion zu zerftören unternommen hatte, aller
tiechlichen Ordnuna feindfelig gegenüber fund, die Bilder
mit ftürmifcher Wuth vernichtete, und die Bande des
priefterlichen Gölibats auflöste, bis auch er zuletzt — nach
ftietem Kampf mit fich felbft und feinen Satelliten — durd)
die Erfenntniß feiner Verirrungen fich überwältigt und zu
ſpäter Reue verurtheilt jah.
Eine nicht minder wichtige, Rolle im Reformationd-
gefchäft fpielte auch der bekannte Schweizer Ulrich
3wingli, geb. 1484. geft. 1531., Pfarrer in Glarus,
dann in Maria Einfiedeln, und fpäter in Zürich, von
= MM —
welchem wir hier ebenfalls noch einen — aus den zuver—
läſſigſten Gefchichtsurfunden gefchöpften — biographifchen
Umriß liefern. Wir ftellen hierbey feine eignen Geftänds
niffe fowohl als die Zeugniffe feiner Mitveformatoren und
andrer gelehrten Zeitgenoffen zufammen, um dadurch zu
gründlichev Würdigung feines perfönlichen Werths zu
gelangen.
Bon fich felbft fagt diefer Herold des neuen Glaus
bens (in Parsen. ad Helv. T. I. p. 145) „ich fann es
nicht verhehlen, welch ein unbändiges Feuer in mir brennt
und mich immerwährend zur Unenthaltfamfeit hinreißt,
da es wahr ift, daß feine Wirkungen mir fhon fo oft
die entehrendeften Vorwürfe der Kirche zugezogen
haben.“
Auch die lateiniſche Bittſchrift (opp. Zwingl. I, 1.),
welche Zwingli nebſt andren Freunden dem Biſchof von
Conſtanz einreichte, enthält folgendes prunkloſe Selbſtge—
ſtändniß. „Wie erfuhren es bisdahin nur zu ſehr, daß
uns die Gabe der Enthaltfamkeit nicht gegeben worden fen.
Wir brannten vom. Feuer der Wolluft fo heftig, und
o der Schande, daß wir viel ehrlofes verübt haben,
da’ wir fonft wegen feinem Xafter bey unferer ‚Herde in
übelm Ruf stehen. “
Bon der evangelifhen Methode diefes großen
Kirchenlichts beym Unterricht feiner Schüler Liefert
uns (bey Tſchudy Mse. T. V.) fein.Brief an einen berni—
ſchen Prediger, Kolb, ein erbauliches Beyfpiel. Er fihreibt
ihm: „Heil und Gegen von Gott unferm Herrn. Lieber
Sranz! Ganz allgemad) im Handel, nicht zu ftreng; wirf
dem Bären (Berner) zuerft nur eine faure unter etliche
füge Bienen bin, darnach zwey, dann drey und wann er
anfangt in fich zu freſſen, ſo wirf ihm mehr und mehr vor,
ſaure und füge durcheinander. Zuletzt fchütt den Sack
ganz aus, mild, hart, ſüß, ſaur und rauh, fo frißt er
alle auf, und vermeint fich nicht mehr davon jagen und
vertreiben zu laffen. Geben Zürich, Montag nach Georgi
— m» —
1527. Euer Diener in Chriſto, Huldreih Zmingli.e
(Ganz andre Anleitungen ertbeilte freylich Paulus feinem
Zimotheus und Titus für die Verbreitung der Religion’
Sefu. ©&.41 Tim. 1,5. 2 Tim. II, 1— 10.IV, 2—5:«.).
Aus der von Zwingli verfaßten Schrift: Ein freund»
ich Bitt und Ermahnung etlicher Priefter der Eidgenoffen-
ſchaft u. f. mw. datiert vom 43. Juli 4522 entnehmen wir
folgende unverhohlene Herzensergießung an feine Obrigkeit:
„Euer Ehrfam Weisheit hat bisher gefehen das unehr—
bar fchändlich Leben, das wir leider bisher geführt
haben (mir wollen allein von uns gevedt haben) mit
Frauen, womit wir mäniglich übel verärgert und ver—
böfert haben. Wir begehren aber. dabey das, fintemal wir
leider erfahren haben, daß wir nicht behalten mögen das
veinlich Leben, darum, daß es uns Gott nicht gegeben hat,
daß aucd ung nicht verfchlagen werde die Ehe. Die
Brunft nad Paulus 1 Cor. VII, 9 befennen wir leider
an ung zu feyn, da wir find von ihrentwegen in Schaden
fommen. Angefeben die große Schand, die wir bis—
ber unverfchämt über uns haben laffen gehen, angeſehen
die große Aergerniß allen Menſchen damit gegeben,
angefehen unfre verwundeten Confzienzen, mit denen mir
täglich die göttliche Verwaltung des Gottsworts und der
Saframente verhandelt und doc, allweg nie Ruh gehabt;
gönnet uns, daß wir von diefer Schand der Unfeufchheit
erlöst auch ehrlich bey euch leben mögen. So wir nun
leider genug find inne worden, daß wir aus Blödigfeit oft
gefallen find. Wir hätten wahrlich unfre Schand nicht
alfo entdeckt, als nur in Hoffnung gnädiger Wilfahrung
100 Dan: Dee
Diefem fo treuherzigen Geftäindniß nach, darf es wohl
nicht fehr befremden, wann (mie 3. G. Müller in f. Res
liquien IV, 177 ſelbſt zugiebt) „gegen Zwingli ausgeſtreut
ward: er erlaube die Ehe zu brechen, er felbft habe im
Jahr 1523 vier unehliche Kinder erzeugt, gebe des Nachts
zum Spiel, und mit den Buben in die Franenhäufer u, f. w.
— —
S. auch Zwinglis Entſchuldigung etlicher zugelegter Ar—
tikel, July 4523.
Daß unſer Glaubensheld es mit der Feſtigkeit und
Conſequenz ſeiner Grundſätze eben auch nicht genauer
nahm als feine Mitapoſtel, ſehen wir aus opp. Zwing. I,
37. I, 89, lib. de del. eib. Kivchhofer p- 86 Zügen der
Ref. Gefh. der Schweiz u. ſ. w. So ſagt er am einen
Ort: „Die Kirchenväter gelten nichts,“ an einem an—
dern Drt: „Die Väter muß man. hören.“ » Ferner:
„Faſten ift unnüg und verbothen,“ dann wieder: „Faften
ift heilfam und gebothen.“ Bald: „Die Taufe tilgt die
Erbfünde nicht, denn es giebt gar feine Erbfünde,“ bald
wieder: „Die Laufe tilgt die Erbfünde. * Ferner: „man
bat fih den Slauben betreffend an die weltliche Ob-
rigkeit zu wenden, “ und wieder: „man bat deshalb nicht
nach ihr zu fragen.“ Das eine Mahl: „Dev Papf if
der Antichrift,“ und bald hingegen wieder: „Der Dapft
ift in der Kirche Gottes der Erſte; er ift der Statthalter
Ehrifti.“ - In feinem Brief an Math. Alberum fchreibt
er: „Des Herren Ehrifi Wort im heiligen Abendmahl:
— nehmet, ejfet, das ift mein Leib — find hell und Elar,
und ift leichter, daß Himmel und Erde vergehen, als daß
auch nur ein Pünftlein von diefen Worten vergehe. “
Sn den actis disputationis in: Baden 4526 . wird
Zwingli ebenfalls des Widerfpruchs mit fich felbft befchul«
digt und aktenmäßig überwieſen. Es heißt darin: „Ziwingli
behauptet, daß es allerdings der Kirche zuftehe über
Angelegenheiten: der beiligen Schrift in Unterfuchungen
einzutreten, Befchlüffe zu faffen, und Urtheilfprüce
zu fällen, weil fonft jedermann von einem Tag zum an—
dern wieder neue Meinungen aufftellen, und Gegenftände,
die ſchon einmahl ordnungsmäßig entfchieden waren,
nochmahls beftreiten und auf folhe Weife immer neue
Berwirrung fiiften würde. Faber führt ſechs Beweis—
ftellen an, in welchen Zwingli das Recht der Kirche aner—
tennt: über die heiligen Schriften Zweiſel zu löfen, Be—
\ 8
— 144 —
lehrung und Zurechtiveifung zu ertheilen, auch förmliche
Urtheile ergeben zu laffen, — ja wo er nicht nur der
Kirche felbft dieß Recht zugefteht, fondern auch den ge—
fammten Ehrifigläubigen folche Befugnig einräumt; wie er
dann würklich in Zürich zweyhundert weltlichen Bürgern
und Handwerkern feine Glaubens: Angelegenheit zum
Entſcheid vorteug. Dagegen beruft fidy Faber auf eilf
andre Beweisftellen, und führt Zwinglis eigne Worte an,
worin er offen und beftimmt alle und jede Prüfung
und Urtheil non Öottesgelehrten, Kirchenverſammlungen,
Päpſten, Univerfitäten, ja der Kirche felbft, fchlechterdings
ablehnt, und dieß Recht gänzlich verwirft.*
Daß übrigens Zwingli feine Lchre von der figürlichen
Hedeutung der Einfekungsworte zum Abendmahl feines-
wegs felbft erdacht, fondern von Carloftad entlehnt
hatte, — (mie. wir fchon unter der Rubrik diefes letztern
zeigten, und auch von Melanchton verfichert wird) —
beftätigt Zwingli ſelbſt in f. subsidio , wo er fagt: „er
habe viele Sahre lang des Earlftads Meinung vom
Abweſen des Leibs Chrifti im Abendmahl vertheidigt, er
habe aber feine Meinung nicht Teichtlich wollen unter die
Gemeinefprengen, damit er nicht die Perlen vor die
Säue würfe, eherer mit Selehrten und chriftlichen Leuten
oft davon gefprochen hätte, damit diefe Sache — welche
höher fey als jemand zu gedenfen vermöge —
wann fie dermaleins ans Kicht käme, viel Patronen und
Bertheidiger haben möchte.“ (Dieſen Hinterhalt des
Swinglis verdammt Biftorinus im Ep. p. 14 und fast:
wer nicht aufrichtig von Religion und göttlichen Sachen
denen, fo den Herrn lieb haben, antwortet, der ift ein
Berräther der Wahrheit). |
Sn Ep. von des Heren Nachtmahl an Math. Alberum.
4525. Ar 6 fihreibt Zwingl: „ich fürchte, daß viel Leuthe
in dem Streit des Nachtmahls irren, fofehrne nicht ich
mehr irre als fie alle, und fo mich die Eigenfchaft, die
Meinung der ganzen Schrift, ja die Öottfeligfeit ſelbſt nicht
— 15 —
betrüget, fo haben wir weit vom Mahl gefchoffen.“ Zu—
vor hatte der nähmliche Zwingli in feiner dem König
von Frankreich zugefandten Schrift ſich auf Gottes Rich»
terftuhl berufen, und aufs höchite betheuert, „daß er kei—
nen Zweifel an der Richtigkeit feiner Meinung in dem
Saframentfireit trage.“
Sn obiger Ep. ad Alb. a. fagt er: obfchon die
Meinung, die wir anzeigen wollen, uns beſſer gefällt, den-
noch fo fließen wir nichts, fondern wir bringen
unſre Meinung herfür, damit auch andre fo zu glauben
gelehrt werden, wann es Gott gefällt, aber von dem Geift,
der uns alles lehrt.“ Ebendafelbft befennt er, daß er
vielleicht nicht fo viel verftehe als Carloſtad, (obwohl er
defien Meinung — Toutismus — gänzlich verwirft).
Roh im Jahr 15241 gab Zwingli im Druck eine
Schrift heraus: Rath eines Mannes, der von Herzen für
die Würde des römischen Pabftes und den Ruheftand der
hriftlichen Religion beforgt if. Darin fagt er unter an—
dem: „Einem Chriften geziemt es, dem Statthalter
Chrifti von Herzen zugethan zu feyn. In Erneuerung
der Gefeke und Eitten fol man nichts ungemeffen unter-
nehmen, Edle Gemüther wollen belehrt, nicht gezwun—
gen ſeyn; nur Efel laſſen fi zwingen. (?) Theologen
geziemt es vor allen, mit Sanftmuth zu lehren, und
nichts mit Schmähung oder als Parteyſache zu be-
handeln.“
In libr. de euch. gefteht Zwingli felbft, daß, „nach
dem er Carloſtads Schriften gelefen, er der Lutherfchen
Meinung entfagt habe und zu der Carloftadifchen überges
treten ſey;“ fpäterhin, als er dann beyde zu übertreffen
beglaubt war, fäumte er nicht, fein eignes Lehrgsbäude
aufzurichten.
Don Zwinglis — muhamedaniſ chem Wahl⸗
ſpruch Evangelium sitit sanguinem (das Evangelium dür—
ſtet nach Blut), welcher auch in vielen von 1560 — 1570
Br
= 44 —&
herausgefommmen Schriften ftark gerügt ward, werden
wir noch im Verfolg zu fprechen Gelegenheit finden.
In der zarten, gemüthlicyen Schreibart metteifert
unfer Held rühmlich mit feinem Borbild Luther. So
lefen wir oft in ſ. Antwort auf deffen Bekenntniß: „fie
fhmeden nach dem Knoblauch und Böllen (Zwiebeln) in
Eaypten,“ d. h. fie find dem Papftthum gewogen. Eben-
dafelbft: „Das gehörte wohl auf den Zurzach- Markt, da
‚gilt: befh—— 8 wer mag.“ Eben fo falbungsvoller Auge
drücke bedient ſich Conrad Schmid — Zwinglis vertraus
tefter Amtsbruder — in feiner Predigt während der
Difputation in Dern 1528: „Die Wiedertäufer find
Sleichsner ; die fo ohne Sünd leben, wie die Hünde ohne
Flöh im Auguft; fie möchten die Lügen verdrehen, wie die
Kaken ihren Koth; fie find fo füuberlich gewafchen von
Sünden in ihrem Gänsbad , wie eine Bäcerfau, die fich
in einer Miftpfüge gewälzt hat“ nf. w. (Und von dies
fem würdigen Kumpan bezeuat ein moderner Biograph
Zwinglis, daß er ein „gar gefchiefter, in der ganzen Bür—
gerfchaft beliebter frefflicher und gelehrter Herr“ war, —
daß er „mit Zwingli eigentlich Ein Herz und Eine Seele “
Zeitlebens blieb, — daß er „fein verftändig, Litterarifch
gebildet, ausnehmend bevedt, ja die Urbanität und Hu—
manität felbft“ war!).
Vernehmen wir nun ferner noch die UÜrtheile und
3eugniffe feiner proteftantifchen Zeitgenoffen, wie
folche von der unbeftechbaren Geſchichte ung aufbewahrt
wurden.
Melanchton (nah Flor. Ram.) fihrieb: ich will
mich nicht weigern, mit Defolampad in eine Unterredung
in Marburg mich einzulaffen, denn mit Zwingli zu fpre-
chen ift fo viel als verlorene Zeit Das Unternehmen ıft
nicht allezeit leicht , denn ihre Meinung ift mehreren ange—
nehm, welche die Geheimniffe Gottes :mit.der Hand
ar — möchten, ſich übrigens aber doch am N
ihres Vorwitzes faiten laͤſſen.
— 417 —
Ebenderſelbe ſchrieb an Görliz in Brauſchweig,
„er wolle viel lieber tauſendmahl ſterben, als Zwinglis
Irrlehre beypflichten, daß Chriſti Leib nur könne an Einem
Ort auf Ein Dahl ſeyn.“
Sn feinem Buch an Dr. Fr. Mykonius ſagt derſelbe
ferner: „ich kann keine genugſame Urſach finden, warum
ih von Unſrer Meinung, daß der natürliche und weſent—
liche Leib Ehrifti im heil. Nachtmahl dargerveicht werde,
weichen fol; wohl mag Zwinglis Meinung müßigen und
fürwitzigen Leuten beffer gefallen, da fie mit dev bloßen
Bernunft eher übereinftimmt und mit vielen Schein»
gründen bemäntelt wird; aber was wird in der Anfech—
tung gefiheben, wenn das erwachte Gewiffen fragt, aus
welchen Gründen man von der alten, allgemeinen
Kehre der wahren Kirche Gottes abgemwichen fey, fo
werden die Worte Chrifti „das ift mein Leib— ein Done
nerfeil feyn, und das erfchrocdne Gewiffen mit feinen
Scheinaründen beftehen fünnen, da es nicht bey den
Worten Gottes bat bleiben, fondern die Bernunft
höher achten wollen. *
Brentius (in recog. proph. et apost. % fine), wel»
cher von dem berühmten Semwel „der ernfte und gelehrte
Greis“ genannt. wurde, erklärt, daß Zwinglis Lehrſätze
teuflifch, voll Sottlofigkeit — Verderbniß und Berläunts
dungen feyen, daß feine Irrlehre über die Euchariftie noch
mehrere andre Irrlehren in ihrem Gefolg habe, welche
noch gottesläfterlicher ſeyen; er behauptet die Zwin—
glianer würden es dahin bringen (in Bulling. Coronide
4544), daß in der Kirche Gottes die alten Neftoriani-
fhen Keßereyen wieder erwachen werden, daß nach und
nach einer unfrer Slaubenspunfte nach dem andern ver—
fhwinden, und durch den Aberglauben der Heiden, Zul
mudiften und Mahbomedaner werde verdrängt werden.
Flor. -Remund fagt: Zmwingli war ein Mann von
heftiger, braufender Gemüthsart und von zügelofer
— 18 —
Lüfternheit, fo zwar, daß er, nach feinem eignen Geftänd-
niß, wegen feiner geilen Sinnesluft das Cölibat unmög«
lich ertragen fonnte. Damahls begann eben in Gachfen
und den benachbarten Ländern die Lutherifche Lehre über-
band zu nehmen, welche Zwingli anfänglich nur unter fei-
nen Colfegen, bald hernach aber öffentlich mit allem Nach»
drud in Schuß nahm. Auch Zwingli eiferte zuerfi —
wie drei Sahre vor ihm Luther — nur gegen den Ab»
laß, und trat in befondres Einverftändniß mit dem Bil-
derftücmer arloftad, indem er gemeinfchaftlich mit dem-
felben die fhleunigfte Wegfchaffung der Bilder mit Unge-
ftim betrieb.
Daß Zwinglis Lehre im X. Urt. der Augsburger
Eonfeffion und der Formula concordie von 1536, ſo—
wie auch von der proteftantifchen Verſammlung in
Schmalkalden im 3.1537 und dem Eolloquio in Worms
41544 ausdrüdlih verdammt wurde, kann von feinem
Befchichtsfundigen beftritten werden.
Der mehrmahls angeführte Schlüffelberg, pro-
teftantifcher Gottesgelehrter und Profeffor in Stralfund,
ſchreibt: „Dem Zwingli hat 1525 den 13. Apr. der Teu—
fel den Galvinifhen Schwarm im Schlaf eingeblafen, wie
dann auch Zwingli in feinem Buch von der wahren und
falfhen Religion in Erzählung der Einfekungsworte toll
kühner Weife ftatt dem Wort est das Wort significat
feßt. Sch habe durch Gottes Gnad in 23 Jahren über die
200 Iateinifche und deutfche Schriften der Calviniſten und
Zwinglianer durch und durch fleißig gelefen, und erkläre
die Wahrheit in Sefu Ehrifto, daß ich nichts Gewiſſes
und Gründliches in allen ihren Büchern habe finden
fönnen, worin ic) Beruhigung erlangt hätte, fondern fah,
daß fie vol Gottesläfterung, Schmähmort, Lügen,
Afterreden und Irrthum find.“
(Hier darf nicht unbemerkt gelaffen werden, daß von
allen Zwinglifhen Schriften fein „Buch von der wahren
und falſchen Religion“, nach J. G. Müllers felbfteige-
— ME
nem Geftändniß, die einzige war, welcher eine ‚genaue
Ausarbeitung zu Theil wurde!)
Der fo gelaßne und friedfertige Melanchton fchrieb
an Luther: „Zwingl fandte feine Confeſſion gedruckt hieher.
Du wirft mit Einem Wort fagen: der Dann fey verrückt,
Ueber die Erbfünde und den Gebrauch der Sakramente er—
neuert er die alten Irrthbümer. Pomeranus, des Her:
3098 von Sachfen Kanzler, bewies dem Bucer, daß Zwingls
Lehrmeinung von der Lutherifchen ſo weit entfernt fey,
wie die Erde vom Himmel, fo zwar, dag nun die Augs—
burger Eonfeffion die Helvetifche — dieſe wiederum jene,
— die Katholifen aber alle beyde ald ivrig und häretiſch
vermwerfen. *
Ebenderfelbe fihreibt von Zwingli und feinen Hel-
fershelfern: „fie veranftalten Conzilien, wann und wo es
ihnen gelüftet; fie maßen fich größres, unerträglicheres
und unerlaubteres Anfehn, Macht und Gewalt an, alg
fein römifcher Papſt fih je gu Sinn fommen ließ. Was
Swing! einmahl meint und lehrt, das follen alle andern
fett glauben mie ein Heiligthum; wer ihm mwiderfpricht
oder nicht unbedingten Glauben fiyentt, wird als Keger
erklärt. Was diefen Leuten bey Nacht im Traum vor—
fommt, fchreiben fie auf, laſſen es druden, und wollen all
ihre Reden und Schriften als Drateifprüg: angefehen
wiſſen.“
Florim. Rämundus ſah mit eignen Augen ein
Exemplar des neuen Teſtaments, von Zwingli ins Deutſche
überſetzt, Zürich 4525 in 8. bey Chriſtoph Froſchauer ge—
druckt, worin die Einſetzungsworte hoc est corpus meum
fo willkührlich als gewaltthärig überſetzt werden
„dieß bedeutet meinen Leib,“
Sch ütz heißt Zwingli und feine Anhänger „Leibs-
und Seclenmörder, Friedensftörer und Yufwiegler.“
Indeſſen haben ai wohl bauptfächlich das Urtheil des
Patriarchen Luther über feinen rüftigen Mitkämpfer noch
ind Auge zu faſſen. Daſſelbe erfcheint um fo unverdäch—
— 120 —
tiger und glaubwürdiger, wenn wir erwägen, wie ent»
fhieden günftig felbfi die neueren Biographen Zwing—
is über die beydfeitigen Berhältniffe diefer Zwillingshelden
urtheilen. Swingli hatte nähmlich — ihrer Behauptung
zufolg — für Luthern tiefe Hochachtung, hieß ihn
einen fehr tapfern Etreiter Ehrifti, und erkannte
in ihm einen foldy fleißigen Bibelforfcher, wie feit
taufend Sahren feiner erfchienen war; beyde lehrten
und fihrieben in Einem Geift; fie predigten nach der
Apoftel Lehre Sefum den Gekreuzigten; fie nahmen die
heilige Schrift als einzige Grundlage des geläuterten Chri—
ſtenthums an; Zwingli evhob aber Luthern und die Würs
fung feines Werks weit über fich felbftz Luther war
ein von der Vorſehung auserwähltes Werkzeug zu
Befüimpfung des Aberglaubens, Aufdeckung des Prie-
fterbetrugs und zu Wiederherftellung des ächten evanges
lifchen Ehriftenthbums. Er fchrieb zum Gegen der
Kirche, zum Unterricht für Gebildete und zur Beleh-
rung des Volks. Die gefegneten Würkungen feines
Lehr» und Apoftelamts (1!) werden nie aufhören. Die
fichtbar über ihn waltende Hand der Vorſehung fegnete
fpürbar fein Werk. Mit Heldenmuth und in höherer
Begeifterung vertheidigte er das Anfehen der heiligen
Eihriften. Luthers Bemühungen in Deutfchland zweckten
einzig dahin ab, die Kivchenlehre von alen falfchen Zus
fäßen zu veinigem Dffen und freymüthig bezeugte
Zwingli feine Achtung für Luthers Geift und Muth, ja
er wagte es fogar, dem Gtellvertreter des päpftlichen Les
gaten in der Echweiz Borftellungen gegen die Bekannt»
machung de3 über Luther ausgefprochnen Banns zu ma-
chen und im Druck herauszugeben, Der fo große und
fregdenfende Luther timmte in den meiften wefent-
lihen Punkten der Reformation mit Zmwingli überein,
welcher auch feinen Anhängern hinmwiederum die Schriften
Luthers felbit zum Lefen empfahl. Luther verbefferte
den chriſtlichen Gottesdienft, brachte beym Lehrſtand
a
beilfame Beränderungen hervor, und mendete die aus
den Schriften gereinigte Religion zum Beſten aller
Stände an. Luthers Andenken wird gefchäkt feyn und
bleiben, -fo lang Chriftenglauben und Ehriftenfinn herrfcht
und Chriftusfiebe athbmet. Mit dem verdienftvollen
Luther harmonierte Zwingli brüderlich in den meiften
Religienspunften. In’ allen Jahrhunderten — fagte Zwingli
— hat noch feiner das Papſtthum fo mannlich angegriffen
und gerüttelt wie Luther. Im Kern des Chriftenthunms
ftimmten beyde Slaubenshelden überein“ u. f. mw.
Sn ſolch apodiktifchem entfchiednem Ton laffen jich die
Swinglifhen Biographen (ein Schuler, Salom., Heß und
Eonf. Jȟber Luthern vernehmen. Aber audy fhon in der
— Anno 1545 erfchienenen — Confess. orthod. Ecel. Tig.
minist. heißt Luther „der ausgezeichnet große, durch Als
ter, Einfiht und Erfahrung ehrwürdige, in hohem An»
fehn fiebende Mann, welchen wir als vortrefflichen
Diener Gottes anerkennen, und gern eingeftehen, daß
Gott durch ihn als fein geheiligtes Werkzeug viele und
herrliche Würfungen auf dem ganzen weiten Erdenrund
hervorgebracht habe, auch ihm feinen Ruhm ganz und gar
nicht mißgönnen, fondern vielmehr demfelben alle ver—
diente Ehre ermweifen, und ihn — hoch⸗
ſchätzen.“
Und nun — wie urtheilt dieſer, von älteren und neueren
Zwinglianern fo höcjgepriefene — folglich in ihren
Augen unbedingt glaubwürdige — Luther von uns
ferm „Mann nach) dem Herzen Gottes?“
Man höre, und ftaune!! —
Bey Gelegenheit einer Antwort, die er dem Landgra⸗
fen gab, ſagt er: „wozu kann dieſe Untercedung mit Swing!
nüßen, wenn beyde Parteyen fchon mit vorgefaßten Mei:
nungen auftreten, und: den Entfchluß mitbringen, in gar
nichts nachzugeben. Ic weiß es gewiß, daß fie im
Irrthum find; fie find fchlaue Teufel; auf diefe Art
müſſen die Sachen nur fchlimmer werden.“
— 422 —
An Chriſtoph Froſchauer, Buchdrucker in Zürich,
ſchrieb er im J. 41543 (S. Schlüſſelberg L. 2. Theol. Calv.)
„Ich will von ſolchen Leuten keine Bücher leſen, weil ich
ſehe, daß ſie außer der Kirche Gottes, und nicht
allein verdammt ſind, ſondern auch noch mehrere andre
elende Menſchen mit ſich in die Hölle ziehen; ſo lang
ich lebe, werde ich ſie durch mein Gebeth und durch
meine Schriften bekriegen. Die Gemeinde Chriſti
kann mit den Zwinglianern feine Gemeinſchaft haben.“
Luther hieit (nach Florim. Räm. p. 190) Carloftads
Meinung tiber die Eucharikie für albern, jene des Zwingli
aber für betrügerifch und boshaft; denn diefer gebe
den Ehriften ftatt des wahren Leibs Sefu Ehrifti — der
doch weder von Zeichen noch Geſtalt ſprach — nur Wind
und Rauch.
Nach Florim. Räm. H, 36. fagte er: Zevingfi ift
geftorben und ift verdammt, denn er wollte gleich einem
Died und Uufwiegler durch die Gemalt der Waf>
fen auch andre zur Annahm feiner Xehre zwingen, und:
hat dadurch viele TZaufende in Elend und Sammer geſtürzt.“
An den Theologen Sac, Brentius fchrieb er: „ich al-
ter, -abgelebter, halbtodter Mann gehe nun meiner Ruhe
‚entgegen. Aus deinen Briefen erfehe ich, daß die Schwei-
zer mich verwünfchen und verfluchen. Hierüber habe ich
mich nur zu freuen. Willft du wiſſen, in welchem Punft
ich armer elender Menfch mich doh noch wahrhaft
glüdlih zu fhäken habe? wohl dem der es nicht hält
mit den Saframentöfchwärmern, der nicht wandelt auf
dem Weg ber Zwinglianer, und der nicht fit auf der
Lehrkanzel der Zürcher! *
An einer andern Stelle falt er über Zwingli und
Oekolampad folgendes Urtheil: „Die Zwinglianer ſind
Ketzer und Berführer, deren Meiſter und Geift iſt
der Teufel. Zwinglianer find Chrifti Feind. Bor Zwingli
ſoll jedermann ſich hüthen und feine Bücher meiden, wie
der Zeufel Gift. Sch Luther befenne, daß ich Swinglium
413 —
halte für einen Unchriften, denn er lehrt und hält
fein Stück des criftlihen Glaubens. Die Zwinglianer
find unfinnige Gottesläftrer, VBerdammte, für die
man nicht bethen fol. Sch will mit ihnen nicht in die
mindefte Berührung mich einlaffen, fo lang fie nicht be=
fennen und geftehen, daß das Brod der Euchariftie der
wahre und natürliche Leib unfers Herrn fey. Ich befümmre
mich eben fo wenig darum, von den phantaftifchen
Zwinglianern, als von den Türken, dem Papft oder von
allen Teufeln gelobt oder getadelt zu werden. Sch — der
ich fchon an der Schwelle der Ewigfeit ſtehe — mill
diefen Ruhm und diefe Genugthuung vor den Richter-
ftuhl meines geliebten Heren und Erlöſers Jeſu Ehrifti
mitbringen, daß ich nähmlicy die Fanatifer und Sa—
framentsfeinde Carloftad, Zwingli, Defolampad nebft
ihren Schülern in Zürich und überall anderwärts von Grund
meines Herzens verdammt und gemieden habe, nad) dem
göttlichen Geboth bey Tit. III. und 2 Ep. Joh. Wir vers
dammen auch täglich in unfern Predigten ihre Keßereyen
voU Gottesläfterung ud Trug; ic müßte mich felbft
in den Abgrund der Höle fammt ihnen verdammen, wenn
ichs mit ihnen follt halten oder mit ihnen Gemeinfchaft
haben. “
Sn Luthers brevi de S. Sacram. confess. heißt er
Zwingli und Defolampad „halsftarrige ruchloſe Keker,
Saframentsfhänder“, und brandmarft fie als die „lafter-
hafteften, verworfenften Menfchen auf dem Erdboden.“
Die conf. orthod. Ecel. Tig. min: gefteht felbft: „Lu—
ther verwünfcht und verwirft alle und jede Gemeinfchaft
mit uns, und will unfre Bücher, Briefe, Befuche u. f. w.
feines Blicks noch Gehörs würdigen; er betrachtet und
behandelt uns gänzlich als geächtete und verworfene
Leute.“ Er befchuldigt ung, daß wir auch nicht einem ein»
zigen chriftlichen Glaubensartifel in Wahrheit zugethan
feyen und daß wir über das allerheiligfte Saframent des
Leibs und Bluts Ehrifti einen falfchen, gottesläfter-
ne DER
fichen, verderblichen, der heil. Schrift und der alten
chriſtlichen Kirchenlebre ganz mwiderfpremenden
Glauben befennen, aufdringen und vertheidigen.“
In verſchiedenen Drudfchriften Luthers merden die
Zwinglianer häufig „Diener des Satans, Heuchler,
Yufrührer“ genannt; er erflärt dabey: „fich lieber hun—
dertmahl zerreißen oder vom Feuer verzehren zu laffen,
als der Zwinglifchen Irrlehre beyzuftimmen, “ welche
er überall nur als ein „teuflifches Gift“ verabfcheut.
Un einer andern Stelle fagt Zuther: „vom heiligen
Geiſt erhielten die Zwinglianer eine ernfte Warnung, da
fie nähmlich fchon bey Erklärung der Einfekungsworte:
das ift mein Leib, nach fieben verfchiednen Geiftern fich
abfönderten, und feiner mit dem andern einig werden fonnte.“
Und wieder: „der arge Teufel treibt diefe verruchte
heillofe Sekte jet und auf immer; fie haben ein einge
teufeltes, überteufeltes und a läfterliches Herz
und Lügenmaul.“
(Boffuet madt hierbey die nur allzurichtige Bemer—
kung: Luther habe ſich ein eignes Geſchäft daraus gemacht
den Zwinglianern von außen und von innen, von oben
und von unten, vorwärts und rückwärts den Teufel an-
zuhängen; er habe ganz eigene Redensarten erdacht, um
fie gleichfam ganz zu verteufeln, und er mwiederhohle
dieß gebäffige Wort fo oft, daß einen wahrhaft der Schauer
ergreifen müffe.)
Auch Luthers Tifchreden, 1532 Fol. liefern uns meh
rere triftige und fchlagende Stellen. So heißt es dort:
P. 40. „Das ift auch das End aller Ketzer, daß.
fie zuleßt zum Schwert greifen und Mörder werden,
mie zu fehen an Münzer, Zwingli u, a. Zuerft fangen fie
ihr Thun an mit einem Schein der Gottfeligfeit, für-
ben und ſchmücken ihre Lehren mit der Schvift, dadurch
fie großen Schaden thun und viele Xeute verführen,
bis fie zulekt, wenn man ihre Lügen offenbart und ftraft,
zum Schwert bringen.“
— —
P. 51. „Oekolampad, Zwingli, Carloſtad u. a. mr.
meffen und urtbeilen alles nah ihrer Vernunft und
Weisheit, werden alfo zu Schanden. Ich aber danke
unſerm Here Gott, daß ich weiß und glaube, Gott fünne
mehr denn ich; ja er kann höheres machen als ich zu
begreifen vermag.“
P. 92. „Der höchfte Artikel unfers chriftlichen Glau—
beng ift Chriſtus; den hat Defolampad, Zwingli und noch
andre Keer und Rottengeifter nicht gehabt noch verftanden.“
P. 178. „BZwingli und Defolampad haben des vechten
Wegs verfehlt; denn alle Theologen, die mit Vernunft
und Spefulieren in göttlichen Sachen umgehen und davon
urtheilen, find des Teufels.“
P. 419. „Zwingli ward von Hoffart und Ehrgeik
— den fchändlichften Giften der Kirche — verführt, that
nur was ihm gefiel, mie fein Dolmetfcher über die Pro-
pheten anzeigt, die ftedt voll Vermeſſenheit und Ueber
muth. Darum fihrieb er auch: ihr frommen Fürften,
wollt verzeihen, daß ich euch euren Zitel nicht gebe; die
Senfter find eben auch durchleuchtig.“
P. 192. „Wie bin ich doch den Leuten feind, die fo
viel Sprachen auf dev Kanzel einführen, wie Zwingli; der
redet griechifch, bebräifch und Lateinifch auf dem Predigt:
ftuhl zu Marburg. ©
P. 279. „Zwingli ift ein feöhlicher höflicher Colla«
tionsmann gewefen, darnach aber doch fo gar verdüftert
und traurig worden; in der Erft war er cin feiner, auf
richtiger, heitrer Menſch, aber nach dem Fall ward er ſo
vermeſſen, daß er gar durfte ſagen und ſchreiben: es habe
kein Menfch in der Welt geglaubt, dag der Leib und Blut
Chriſti würflich im Sakrament fey. Dieß hat er reden
dürfen ganz wider aller Menfchen Erfenntniß und
Wiffenfchaftz darum ift er jämmerlich umfommen.“
P. 287. „AS Zwingli und fein Anhang mit den
todten fteinernen Bildern friegten, da gewannen fie; als |
aber die lebendigen Bilder kamen, nähmlich die Schwei-
— 416 —
zer und Eidsgenoffen auf des Papſts Seite, da wurden
fie derb gefchlagen. Alſo gefchah es auch) Münzern mit
feiner Rotte. Zwingli hat das Schwert gezüdt, darum
bat er feinen Lohn empfangen, nach dem Sprud: wer
das Schwert ergreift, fommt durch das Schwert um.“
Sn einer andern Schrift erklärt Luther: „wer zuver-
läffig weiß, daß fein Pfarrer oder Geelforger der Zwing-
liſchen Sefte zugethan ift, foll ihn meiden, und eher fein
ganzes Leben hindurch des Nachtmahlsgenuffes fich enthals
ten, al folches von ihm empfangen, ja eher den Zod er-
dulden und den äußerſten Gefahren fich unterziehen. Sene
Schwärmer, Erzteufel und doppelzüngigen Heuchler follen
von Amt und Kanzel entfernt und aus dem Landesgebieth
jelbft verftoßen werden. “ |
ie ſehr Luther und Zwingli gegenfeitig ihre Bibel
überfegungen tadelten, ift nur allzubefannt, Luther fandte
dem. Zürccherfchen Barhdrsidten das ihm von diefem gefchenfte
Eremplar fogleich zurück, mit der Aeußerung: „daſſelbe
verdiene lediglich durch die Flammen vertilgt zu werden,
indem es nichts als die fchamlofeften Berfälfchungen
des Gottesworts enthalte, *
(Die Wahrheit ift, daß jede der beyden Geften die
Veberfekung nach ihrem Sinn vornahm, und fowohl Geift
als Wort der heil. Schrift in manchen Stellen nur ih—
ven eignen Meinungen anpaften. Defolampad. (de
verbo dom.) zählte fchon 67 Weberfehungen. Luther fo»
wohl als Zwingli wollten jeder für feine Kirche nur die
eigene Ueberfegung dulden. Nachher geftatteten die Zür—
cher den Gebrauch jeder beliebigen Weberfekung. In der
Leipziger Synode 1528 befahlen aber die Lutheraner, da
alle andren Berfionen außer derjenigen des „Mannes
Gottes Martin Luther“ verfälfcht und verdorben feyen,
nur diefe leßtre in dev Kirche zu lefen und zu gebvauchen.)
In feinen „Zifchreden“ vom 3. 1532 ſchreibt Luther:
„Nun ift Zwingli jämmerlicy umgefommen; hätten feine
Irrthümer die Oberhand gewonnen, fo wären wir nebjt
—
unſrer Kirche zu Grund gegangen. Aber dev 55. Pſalm
Sagt: die Blutgierigen und Falſchen werden ihre
Tage nicht auf die Hälfte bringen.“
Auch in Briefen, welche Luther nach Zwinglis und
Oekolampads Tod an den Markgrafen von Brandenburg
und die Stadt Frankfurt ſchrieb, beſchimpfte er jene bey—
den: Männer nochmahls aufs heftigſte. Sa ſogar in dem
kurz vor feinem Tod abgelegten Bekenntniß erilärt
Luther noch: „ich verdamme auch die Phantaften
und Feinde des Saframents, Zwingli, Oekolampad
und ihre Jünger in Zürih. Im Irrthum vertieft find
fie, und in ihren Sünden zu Grund gegangen. Ich
müßte mich felbft verdammen, wenn ich mit ihnen
ſollte Gemeinfchaft haben; dus töue und dazu ſchweige der
Teufel und feine Mutter — nicht ich. “
Sp urtheilte Luther über Zwingli und deffen Lehr—
meinung! Wohl mag die Vermuthung nicht fehr gewagt
feyn, daß jene Zwinglifchen Biographen mit ihren unbe—
gränzten Lobfprüchen über die Beiftesverwandtfchaft beyder
Koryphäen mweniger freygebig gemwefen wären, wenn fie
porher mit obigen unverwerflichen Bemweisftellen fich bekannt
zu machen die Mühe genommen hätten. —
Getveu feinem fihon erwähnten menfchenfreundlichen
Wahlſpruch: „das Evangelium dürftet nach Blut“ hekte
dann Zwingli auch eifrigft die Zürcher zum Kampf gegen
ihre eidsgenöffifchen (der ‚alten Mutterficche getreu
gebliebenen) Mitbrüder auf, und zog felbit als Strei—
tev gegen fie mir Schwert und Speer — diefer unprie-
fterlichen Rüftung — in die Schlacht, wo bald auch feine
legte Stunde fchlug. —
Noch Eurz vorher hatte er in Zürich eine Predigt ge-
halten, und dem Druck übergeben, welche uns Zfehudi
aufbewahrte, und worin folgende von feinem tiefen Scharf-
blick zeugende Stelle vorkommt: „brechet auf! brechet auf!
die fünf Drte (Kantone) find in euerm Gewalt. Wann
ich die Seinde mit dev Wahrheit des Gottesworts anreden
— 13 —
werde: wen fuchet ihr, Gottlofe! dann mwerden fie vor
Schredfen und Furcht nicht antworten fünnen, fondern
ale zurüdfallen und entfliehen, wie die Juden am
Delberg ob dem Wort Ehrifti. Ihr werdet fehen, daß
das Gefhük, das fie auf euch gerichtet, fich umteh-
ven, fie felbft treffen und fie umbringen wird; ihre
Spieße, Hellbarten und Gewehre werden nicht euch, wohl
aber fie felbft verlegen u. ſ. w.“
D der gebrechlichen eiteln Stütze feines Heldenmuths!
Welch plumper Aberglaube, wenn er hierin feine würk-
liche Ueberzeugung ausiprach; welch niedrige ſchändliche
Heucheley aber, wenn er gefliffentlich feine Kampfges
nofien irreführtel —
Sedenfalls bat der prophetifche Kriegsmann fich jäm-
merlich getäufcht, und ganz anders war es im Plan der
ewigen Weisheit befchloffen. —
Und was ſagt uns die — —5——— ——— Geſchichte
von den nächſten Folgen ſeines Todes?
Seine eignen Verehrer und Anhänger ſollen
uns antworten! —
Einer der oberwähnten Panegyriſten ſagt: „die Geg—
ner frohlockten über feinen Tod, erhoben ihr Haupt
ſtolzer, fhimpften und läfterten über den Gefallnen
und feinen Anhang.“
Ein andrer fchreibt: „lange noch war in Zürich eine
Dartey der neuen Lehre abgeneigt geblieben; dann be—
gehrten die Altgläubigen, daß ihnen eine eigene Kirche
zur Haltung der Meffe eingeräumt werde; nachher
ließ der Rath auf allen Zünften jeden einzeln fragen, ob
er zum Abendmahl oder zur Meß geben wolle, und auf
Einer Zunft waren ſechs VBorgefegte diefer letztern
Meinung zugetban. Nach Zwinglis Tod durfte ein Bür—
ger — obgleich die Mefje im Kanton ſchon abgefchafft war
— Katholik — nur durfte er zu keinen Aemtern ge—
wählt werden. ‘
Späterhin theilten ſich — mie Bullinger — —
— 429 —
die Zwinglianet in nicht weniger ald aht Sekten: die
Scopiften, Energiften, Metamorphiften u. f. w. ©. Räm.
3,244, a
' Gualter, Zwinglis Schwiegerfohn und zweyter
Nachfolger, doch wohl der unverdächtigfte Gewährsmann,
giebt in feiner Apolog. pro Huldr. Zw. im Jahr 1545,
alfo vierzehn Jahre nach Zwinglis Tod, folgende be-
merfensiwerthe — von den neueren Lobrednern Zwinglis
uns forgfältig vorenthaltene — Auffhlüffe:
Es giebt viele Leute, welche ihn einen Feind des
Glaubens, einen Widerfächer der Religion, einen
Störer der chriftlichen Eintracht, Berderber der
Kirche, Sklaven des Satans, Berfälfcher der
Schrift „= Seelenmörder ;, Gottesläftrer und Ketzer
heißen.“ Ä j gi eh /
„Unter denjenigen, welche fich zum Chriftenthum bes
fennen, unter den Dienern des göttlihen Worts,
ja unter den angefehenften berühmteften Theolo—
gen ift dermahl die Liebe fo fehr erlofchen, daß fie nicht
nur über Zwinglis Untergang frohloden, fondern auch
Bergnügen daran finden, den Todten zu läſtern; fie
behaupten, daß wenn auch feine Xehre in einigen Stüden
vichtig war, er doch. in vielen andern geirrt habe, und
daher erklären fie ihn für unwürdig, daß feiner Lehre
oder feinen Schriften in dev Kirche irgend etwel—
ches Anfehn eingeräumt werde. *
Mehrere Proteftanten machen ſich gar fein Gewiſſen
daraus zu behaupten, Zwingli fey in feinen Sünden ge-
ftorben, und fchicken ihn auf diefe Urt geraden Wegs in
die Hölle.“ —
„Man legt ihm zur Laſt, daß er ungeffüm-, verwe—
gen und fhwärmerifch in allen ‚Dingen verfuhr,
aller Bernunft und religiöfe Sinn zuwider alte
und jede Bilder vafch aus den Tempeln werfen ließ, Die
Erinnrungszeihen an die Heiligen und an Chriftus
felbft verimreinigte,: den ehrmwürdigen Gebrauch der Sa—
9
— 4150 —
framente entheiligte, das Geheimnig des Abendmahls
gottesläfterlich entweihte, und — damit noch nicht
zufrieden — auch gewaltfam die Waffen und das von
Chriftus ſelbſt verbothne Schwert ergriff, um feine
Meinung durchzufeken und Andersdenkende zu unter-
jochen. *
„Der zwifchen den heivetifchen Bundesgenoffen
ausgebrochne Krieg zerftörte ihre einheimifche Rube,
brachte vielen großen unfträflihben Männern den
unzeitigen Tod, und ftürzte den Zürcherſchen Staat
in Sammer und Elend, Man befchuldigt Zwingli als
Urheber der heillofen Fehde, und als gemaltfa-
men Etörer des Öffentlichen Friedens, inden er
aus Uebermuth und Blutdurft die Zürcher zu der
vorher noch beyfpiellofen, ſchwarzen Unthat ges
gen ihre Bundsgenoffen verleitete, diefelben nähmlich
durch Entziehung aller Xebensmittel und durch Hungers-
noth unter das ihnen verhafte Soch des neuen
Glaubens zu zwingen. (S. 55b) Man behauptet laut,
er habe durch einen Eläglichen Tod feine Ruchlofig-
feit, Gottesläfterung und Graufamfeit gebüßt,
und fpricht von ihm als von einem Elenden und Ber-
worfnen, meldher zur Strafe folh großer Ber-
gehungen mitten in feinen Vebelthaten zu Grund ge—
gangen fey.“.
AU diefe Urtheile erfcheinen noch um fo glaubwürdi-
ger, wann felbft neuere Lobredner des fchmweizerifchen
Reformators nicht umbin können zu geftehen, daß ihr Held
während des ganzen Verlaufs feiner amtlichen Würkſam—
feit nights weniger als allgemein bey feinen Mitbürgern
in Gunſten ftund, fondern vielmehr eine „unzähliche Menge
Widerfächer“ hatte, — daß er immer feindfeligen Verfol—
. gungen ausgefeßt und deßwegen „faft täglich in Lebensge-
fahr“ war, — auf den Zagfakungen „oftmahls fchwerer
Vergehen befchuldigt“ und mit ernften Strafen fich bedroht
ſah, — zuleit aber aus Unmilfen über die ihm mwiderfahr-
— 414 —
nen Kränkungen ſowohl als über den bedenklichen „Kalt—
finn und Wankelmuth feiner eignen Regierung“ zu ver—
fehiednen Mahlen vom öffentlichen Lehramt abzutreten ent—
ſchloſſen war; 2° + i
So, meine proteftantifchen Brüder! war Lehre und
Wandel jener hochgefeyerten Reformationsapoftel in der
Würklichk eit befchaffen. Alle hier angeführten Zeug—
niffe beruhen auf unumftößlichen und unverjährs
baren Urkunden. Was frommen doch alle noch fo Pas
thetifchen Huldigungen und Zobhudeleien, all jene — aus—
geſchmückten Romanen ähnliche — Biographien, wenn fie
mit der nadten gefhichtlichen Wahrheit im Widers
fpruch ſtehen, und daher — früher oder fpäter — die Keicht:
gläubigen einer Täufchung entfagen lernen, in welcher fie
nur durch Vorurtheile der Erziehung und Gewohn—⸗
heit feftgehalten würden?! —
Nach diefer gedrängten Schilderung der vorjüglichften
neuen Glaubenshelden wird wohl mancher Lefer nur mit
banger Beforgniß der Entwicklung diefes Drama entges
genſehen.
Auch hier mußte allerdings die Frucht dem Baum
entſprechen; den Diſteln konnten feine Roſen entſprießen.
Wenn unſre frühere Behauptung richtig iſt, daß nur
Demuth und Friedfertigkeit, Reinheit der Sitten, klares
Selbſtbewußtſeyn, feſte ruhige Beſonnenheit, Erleuchtung
des Geiſtes und Verſtands geeignet ſeyn können, den apoſto—
liſchen Beruf zur Umgeſtaltung oder Reinigung der
— während fünfzehn Zahrhunderten fortbeſtandnen — chrift:
lichen Glaubenslehre zu beurkunden, ſo müſſen wir frey—
lich zum voraus ſchon dem Gedanken entſagen, daß
ſolche Männer von Gott auserkoren waren, ſeiner wan—
kenden einſtürzenden Kirche zum Pfeiler zu dienen. In—
deſſen wird in manchem proteſtantiſchen Lande ſchon der
zarten Jugend eine ehrfurchtsvolle Scheu vor dem bloßen
Nahmen der Reformationsſtifter eingeimpft; ſie darf ſolche
9 *
— 152 —
nur als Wefen höherer Art, als menfchliche Ideale vorn
heiligem Nimbus umfivahlt ſich vorftellen. Auch ward in
den vielen, aus Anlaß der jüngften Sefularfever zu Tage
geförderten Druckſchriften überall der forafältigfte Bedacht
genommen, Alles zu verheimlichen, was auf jene hochge—
prieſnen Männer den geringften Schatten werfen konnte;
unbedingt wurden die alten einfeitigen Lobfprüche nachges
bethet, ohne fich dabey um das Zeugniß der Geſchichte
weiter zu befümmern, während die nähmlıchen Leute —
als Sprecher ihres proteftantifchen Subildums — den ka—
tholifchen Eultus zu verdächtigen und aufs derbſte durchzus
becheln feine Mühe fparten. Hauptfächlich ſcheint ſich
diefe ungezähmte Läſterungsſucht als köſtliches Erbe
gut bey den fchweizerfchen Proteftanten erhalten zu
haben. Der Toleranz — ihrem fo beliebten Aushängfchild.
— zum Truß, beftreben ficy dort noch in den neueften Zei:
ten theologifche Schöngeifter-, Libelliſten und Wiklinge jes
der Art in die Wette mit Zeitungsfchreibern und felbft
Kalendermachern, den alten Glauben ihrer eidgenöffi-
fhen Brüder nicht nur zu verunglimpfen, fondern aufs
vöbelbaftefte zu begeifern und zu verwünfcden.
Unter ſolchen Umftänden müffen dann freylich denjenigen
Lefern, welche nie Gelegenheit oder Xuft hatten den ges
ſchichtlichen Quellen jelbft nachzufpüren und fich Tes
diglich an jene Vergötterungen fefthielten, manche unfrer
Mitteilungen als höchft paradog vorkommen. Allein es
ift hier um gründliche unbefangne Erörterung, um
Wahrheit — und zwar vollfiändige Wahrheit, nicht
um Blendwerk zu thun; und derjenige Schriftfteller er—
wirbt fi) in der That ein geringes Berdienit, welcher ent—
weder aus Bequemlichkeit nur dag jurare in verba
magistri als Richtfchnur befolgt, oder aus blöder Aengſt—
lich keit den Schleyer alterthümlicher — zu fe
ten — nicht getraut. 2
— 15 —
Wir fchreiten nun zue Betrachtung des Reformationg:
werks, d. h. der Glaubenstrennung felbit, und were
den "auch hierbey getreu, ohne Rüchalt, nur die zuverläfe
figften Gefchichtsurfunden zu Rath ziehen.
Vorher aber fünnen wir ung die Erhohlung nicht
verfagen, unfre Lefer mit einem Mann näher bekannt zu
machen, welcher in jenem verhängnißvollen Zeitpunft bey
allen geiftlichen und weltlichen Machthabern in höchftem
Anfehn fund, auch von den Reformatoren felbft als vä—
terlicher Gönner geachtet und gepriefen ward, — deſſen
Nahme als freundlich mildes mwohlthätiges Seftien am
wiffenfchaftlihen Horizont des fechszehnten Sahrhundertg
leuchtete, und noch von fpäter Nachwelt mit dankbarer
Bewunderung und Ehrfurcht wird genannt werden, —
deſſen entfchiedne Geiftesüberlegenheit felbft von den ans
maßendſten Neologen unfers Zeitalters nicht in Abrede
geftellt wird ; — ich fpreche von dem wahrhaft großen Des
fiderius Erasmus von Rotterdam (geb. 4467, geft.
1536), auf deſſen Urtheil als dasjenige eines wichtigen
Gewährsmanns mir ung oft im Verfolg zu berufen uns
zur böchften Genugthuung rechnen, und daher eine furze
Schilderung feiner ausgezeichneten Verdienſte hier bengu⸗
fügen nicht unterlaſſen können.
Vernehmen wir nun zuvorderſt die Zeugniſſe der Re—
formatoren und einiger angeſehener proteſtantiſcher
Schriftſteller über dieſen merkwürdigen Mann.
Es war im J. 1544, als Erasmus zum erſten Mahl
nach Baſel kam, wo ſich um ihn, als Vater der Auf—
klärung, alle Freunde des Lichts und der Wiſſenſchaf—
ten verſammelt hatten. Im Frühjahr 1515 reiſte Zwingli
ſelbſt dahin, um den ſo allgemein geliebten Mann
kennen zu lernen, und bezeugte ihm nach ſeiner Rückkehr
die herzlichſte Verehrung. „Indem ich an dich ſchreiben
will — ſo lauten ſeine Ausdrücke — macht mich der Glanz
deiner alles übertreffenden Gelehrſamkeit ſcheu,
und doch ermuthigt mich wieder deine liebenswürdige Freund—
— 414 —
fichfeit, die du mir erzeigteft, als ich nach Bafel hineilte,
um dich perfönlich Fennen zu fernen, und die ausgezeich-
nete Güte, die es nicht verfchmähte, fich auch an dem noch.
unmündigen und unerfahrnen Freund der Wiffenfchaften
zu erweifen. Sch — ja ich fah deine Geiftesfraft im Ge-
leite der. gefälligften Sitte und Lebensart, welche die Scheu
mäßige, und fie prägte fich mir fo tief ein, daß als ich
deine Briefe Ins, mir war als ob ich dich reden hörte,
und deine kleine ſchwachliche, und doch ſo angenehme, durch
die feinſte Sitte verſchönerte Geſtalt vor mir ſähe. Denn
— ohne Schmeichelei geſprochen — du biſt noch meine
letzte Unterhaltung, ehe ich einſchlafe. Es reut mich ſo
wenig, zu dir gereiſet zu ſeyn, daß ich mir einbilde ſchon
einen Nahmen zu beſitzen, und auf nichts ſo ſtolz bin, als
Erasmus, den um die Wiſſenſchaften und die heili⸗—
gen Schriften verdienteften Gelehrten, den von
Liebe gegen Gott und Menfhen begeifterten
Mann, der, was für die Wiffenfchaft gethan wird, fi fich
felbft gethan“ glaubt, gefehen zu haben, — ihn, für den
alle bethen follten, daß ihn Gott erhalte, damit die
durch ihn aus Barbavey und Sophifterei hergeftellten
heiligen Wiffenfchaften fich vervollfommnen, und
nicht in ihrem Auffeimen fchon wieder ihres Baters
beraubt werden, verwaifet und unerzogen bleiben. Sch
habe dir, dem Menfhenbeglüder, längſt gefchenft,
was Aefchines dem Gofrates (mich felbft) u. f. w.*
Erasmus ermuntert hinwiederum Zmwinglin nod in
fpäteren riefen von 1522 und 1523 auf alle Weife zur
Bolksbildung und Erleuchtung, zu freymüthiger Predigt
des Evangeliums, — nur nit zur Trennung von
der römiſchen Mutterkirche.
Ein neuerer Biograph Zwinglis geſteht ſelbſt; „wer
vermag zu berechnen, was Erasmus auf Zwingli — wel
cher alf feine Schriften, fobald fie erfchienen, fich an—
fchaffte — durch feine Briefe und Schriften gewürft hat,
durch fein Handbuch des chriftlichen Kämpfers, durch feine
— 135 —
Anmerkungen zum Neuen Zeftament, durch feine Dars
ftellung des wahren reineren Chriſtenthums in feinen theo—
logifhen Schriften, fowie dann auch durch die Schilde»
rungen der Unmwiffenheit und Berfunfenheit des geiftlichen
Standes, den Spott über die Scholaftit und das Mönchs—
leben, duucch fein Lob der Narrheit, u. ſ. w.!“
Melanckhton in feinem Brief an Erasmus aus Leips
zig vom San. 4519 beißt ihn den Bater der Gelchr-
famfeit und Humanität, äußert für feine Werke —
hauptfächlich die Commentarien und Paraphrafen — die
höchſte Bewunderung, und huldigt ibm als feinem
väterlichen Gönner; er bittet ihn um Verzeihbung, wenn
er je eines ungünftigen Urtheils über ihn fich fchuldig ge
macht habe, und fügt bey, daß auch M. Luther ihn außer:
ordentlich verehre und auf feinen DBeyfall den größten
Werth fete.
Defolampad in feinen Briefen an Erasmus hält
fi für unwürdig, ibm auch nur die Riemen von den
Schuhen zu löfen, und äußert feine Ehrfurcht gegen ihn
in den ftärfftien Ausdrücken.
Sn Briefen an Erasmus von 1519 heißt ihn Quther
die Zierde und Hoffnung Deutfchlands, bezeugt ihm
die innigfte Verehrung und Bewunderung feiner weit über:
legnen Kenntniffe und Erfahrungen, indem er ihn feiner
unbegränzten Anhänglichkeit verfichert, Erasmus beklagt
hingegen in feiner Antwort fi ch bitterlich, daß man ihn
hin und wieder als Mitarbeiter an Luthers Lucubrationen
verdächtigt habe, während er ihn doch ganz und gar nicht
fenne und von feinen Schriften nichts gelefen habe; er
tadelt die-fo heftige und allgemeine Berläumdung3s
‚ Sucht, und fpricht die Ueberzeugung aus, daß duch Be—
fonnenheit und Mäßigung mehr erzweckt würde, als
duch Ungeftüm „Dienlicher wäre es — fagt er —
jene zurechtzumeifen, welche das päpftliche Anfehn mif-
brauchen, als die Päpfte felbft zu läftern, den Schul—
unterricht zu verbeſſern ftatt zu verfchmähen, über
tief eingemwurzelte Begriffe gründliche Erörterungen
anzuftellen ftatt mit Tieblofer Härte darüber abzufpre-
chen, fich forgfältigft vor yerwegnen übermüthigen Aus:
fällen und vor gewaltfamer Aufreikung des rohen
Haufens zu hüthen“ u. f. w.
(Vebrigens geht aus allen Briefen des Erasmus an
den Erzbifchof Albrecht von Mainz und andre feiner anges .
fehenen Gönner und Freunde die Gewißheit hervor, daß
er Luthern weder von Perſon kannte, noch von ſeinen
Schriften geleſen hatte, — zu welch letzterm auch feine
eifrigſten wiffenfchaftlichen Studien wahrlich feine, Muße
übrig gelaſſen hätten.) =
Oekolampad hieß ihn in der Vorrede zu einer feiner
Schriften „unfern großen Erasmus“ und that fih auf
feine Zueignung gar viel zu gut, welch ungeziemende An-
maßung jedoch von Erasmus in arten Ausdrüden zu⸗
rückgewieſen ward.
Amerbach, Froben und Episcopus (Biſchof)
in Baſel, feine vertrauteften — obgleich der Zwing—
lifchen Eonfeffion zugethanen — Freunde, von welchen er
den erfien zum Erben feines bedeutenden Vermögens und
die beyden andern zu Vollſtreckern ſeines letzten Willens
ernannt hatte, ſetzten ihm das Epitaph als „dem in allen
Berichungen wahrhaft großen Mann, deffen un-
vergleichbare Gelehrfamfeit in jedem dach der Wif—⸗
ſenſchaften — mit eben ſo hoher Klugheit verbunden —
die Nachwelt bewundern und preiſen wird, — welcher
durch die Erzeugniſſe ſeines Geiſtes ſich nferviinh
Ruhm erwarb, und in der dankbaren Erinnerung
alter gebildeten Bölfer fortleben wird.“
Waͤhrlich ſolche Lobfprüche ertheilte Bafel nicht ein-
mahl feinen eignen KReformationg- Helden, jenen großen
Geiftern Hausfchein und Bodenftein. — Ein berühmter
proteftantifcher Schriftfteller der neueften Zeit fpen-
det ebenfalls dem Erasmus ungemeines Lob. „Er war
— ſo fchreibt er — weit aus der merfwürdigfte Mann
— 497 — J—
unter allen denen, welche zur Mäßigung und zur Wahl
einer glücklichen Mittelſtraße riethen, — eine Zierde
ſeines Jahrhunderts, — der wahre Wiederher—
ſteller des guten Geſchmacks — ja man darf wohl
ſagen des Chriſtenthums, welches wenige Schriftſteller
fo rein und fo durchaus praktiſch wie er erkannt und dar—
geſtellt haben. Intriguen verſtund er nicht, floh ſogar die
Höfe, ſchwang ſich zu ſolch hohem Anſehen empor,
daß ſelbſt Könige um ſeine Freundſchaft buhlten und
Dedikationen ſeiner Bücher ſuchten. Unabhängigkeit gieng
ihm über alles, und da Carl V. und Heinrich VIII. ihn
an ihre Höfe einluden, lebte er lieber von Bücher-Eorrefe
- turen; auch die Einladungen an den Römifchen und Bra-
bantifhen Hof lehnte er unter verfchiednen Vorwänden
ad. Er war geehrt und gefürchtet von beyden Parteyen
wegen feiner unbeftreitbaren Beiftes Ueberlegenheit.
Gleich anfangs, als noch alles frohlocdte, fah er das
Uebel voraus, welches die Reformation herbeyführen
würde, mie feine Briefe an Chr. v. Stadion, Bifchof in
Augsburg u. a. m. beweifen. Seine ausgezeichneten
Berdienfte um Religion und Wiffenfihaften konnten auch
die erflärteften Feinde ihm nicht abfprechen, Unläugbar
hat er auf vielfache Weife und? am mächtigften unter
all feinen Zeitgenoffen die Reformation vorbereitet,
durch Beförderung gelehrter Aufklärung mittelft feis
nes allberühmten Nahmens, durch Verbreitung des
Geſchmacks an der Litteratur und Erfchaffung der
Kritik, durch feine eignen in niedlicher, Leichter Sprache,
— dem veinften ungezwungnen Latein — verfaßten Schrif-
ten, durch freffliche Räthe und geoßmüthige Unter-
ſtühung hoffnungsvoller, ſtudierender Jünglinge, durch ſo
viele Werke über Religion und Theologie, in welchen nach
allgemeinem Urtheil das Sheiftenthum reiner als feit
vielen Jahrhunderten dargeftellt wurde, Ueber dem Stu-
dium der heiligen Schriften — fagte er — habe ich bey mir
feft befchloffen zu fterben; im ihnen nur finde ich Freud
— —
und Ruhe; zu keiner Partey ſchwöre ich; mit ungebeug—
tem Muth, durdy Ruhm und Schmac, will ich nach mei»
nen beften Kräften auf das von Chriftus vorgefekte Ziel
arbeiten. Sn vollem Exnft ſtrebte er feine Zeitgenoffen von
der theologifhen Scholaftit und Sophiſtik zu den
reinen Quellen dev göttlichen Weisheit hinzuführen.
Schon feine erfte religiöfe Schrift enchir. mil. chr. 4502
zeugte, daß er fehr fihüchtern und fucchtfam war, etwas
in der h. Schrift nicht ganz flar Gegründetes zu
behaupten, daß er aber auch) feineswegs geftattete aus dem
dort klar Ausgefprochnen einen den herrfchenden
Meinungen gemäßern Sinn durch eregetifche Spitz-
findigfeiten herauszuklügeln; fie enthielt die erfte reine
von Scholaftif gefäuberte Moral in den neueren Zeiten.
Dann fchrieb er über die wichtigften Theile der theoreti-
ſchen und praftifchen Religionswiffenfchaft die vortreff=
lihften Werke — Flaffifche Schriften, wie folche in Abficht
auf Inhalt und geiftreichen Bortrag frühere und fole
gende Sahrhunderte wenig aufzumeifen haben; er gab auf
Antrieb Papft Leo X. — jenes großen Mäzens, für defs
fen perfönlichen Charakter ganz Europa Ehrfurdyt hatte —
die erfte fritifche Ausgabe des neuen Teſtaments
heraus, welche lang die einzige blieb, half der Kennt
niß des Wortverſtands durch feine Paraphraſen nach,
(„bier lebe ich in meinem Element,“ pflegte er von
diefen zu fagen) und machte den Anfang zur Kritik der
Patriſtik mittelft feiner Ausgaben der Werke des Hies
ronymus, Ambrofius, Hilarius und mancher andrer Kir—
chenväter, wobey er auf die Bearbeitung des erften mehr
Mühe verwendet zu haben fich fihmeichelte als der Ver—
faffer des Werks felbft. Grimmigen unverföhnlichen Haß
der Schultheologen und Mönche 309 er durch feine
Satyren auf fih. Sm J. 1508 erfchien die erſte Aus—
gabe von Moriæ Encomium (Lob der Thorheit) und 4518
die Colloquia, worin priefterliche Unmwiffenheit, Aber—
glaube, -Scheinheiligfeit und leerer Ceremonien—
— 139) —
dienft mit dev feinften Laune aufgedect wurden. Die
Theologen tobten; manche fehienen ganz in Wuth gerathen
zu feyn. Und würklich hatte Erasmus ſchonungslos die
unter der Beiftlichkeit eingerißnen Unordnungen angegriffen ;
die Aftermönche (Pseudomonachos) heißt er Bauchdiener,
Sforpionen u. f. w., befchuldigt fie des Ehrgeizes,
der Bosheit und roher Unmwiffenheit; er fagt, daß
fie den Fleifchgenuß für Sünde — aber die fchwärzefte
Läfterung ihrer Brüder für Tugend halten, und daß
der dümmſte unter ihnen die meifte Achtung genieße. Da -
er, ohne fich für die neue Lehre zu erklären, den»
noch fo äußerſt beißend gegen Anftalten der herrfchenden
Kicche fchreiben durfte, fo ift fich wohl nicht zu verwun—
dern, daß diefe Gegner ihn einen „Erzketzer — Öottesläfte-
rer — DBorläufer des Antichrift3“ nannten. Indeſſen wur:
den feine Colloquia faft in alle lebenden Sprachen über:
fegt, und ein Buchhändler, Eolinetus in Paris, fol im
Sahr 1527 — da er das Gerücht von einem nahen Ders
both derfelben in Umlauf feste — in wenigen Monaten
bey 24,000 Eremplaven an Mann gebracht haben. Ein
Beweis des großen Einfluffes, welchen Erasmus auf feine
Beitgenoffen ausübte!
Als Luther manchen geheimen Wunfch des Erasmus
für Ubfchaffung der Mißbräuche mit folhem Muth
ausfprach, billigte Ietrer zwar die anfängliche inter»
nehmung, ermahnte aber jenen zu mehrerer Vorſicht
und Mäßigung, und rügte feine heftige ungeftüme Art als
dem Beift des Chriftenthums, der evangelifchen
Borfhrift — nad) 2. Tim, 2 und Lit. 1 — ſchnur—
ſtracks zuwider, Gein Grundfaß war und blieb ftets:
man müffe nur aufflärven, fo werde die Finfternif von
felbft verfhmwinden, — das Lefen und richtiger
Berftand der heiligen Schrift fey hinreichend, um
die Irrthümer um Sufähe der Scholaftifer und des
herrfchfüchtigen Clerus in’s Licht zu ſetzen, und das
Volk würde ſodann von der ſeitherigen Religion nichts als
En
die wefentlichen Lehren des Chriſtenthums beybehal-
ten. Als er aber das alte Gebäude fo tolffühn zertrüm«
mern fah, erfchrad er; dieß hatte er nicht gewollt, fon-
dern nur allmähliche Reformen beabfichtigt; num zit—
terte er für Quther, und auch für die gute Sache felbft.
Er war überzeugt, daß Luther ducch feine Verwegen—
heit. dem Chriſtenthum mehr fchade als nütze; nach fei-
ner Meinung war e3 zuträglicher, entweder ganz zu
temporifiven, oder — ohne alle Polemif — nur die evan—
gelifche Lehre vorzutragen. Wohl hatte er durch Reden
und Schriften, durch Scherz und Ernft, würffamer
als fein andrer die Reformation angebahnt, aber ſol—
hen Sturm hatte er fich nie gedacht. So ward er Lu—
thern immer abgeneigter, Mach dem Reichstag zu Worms
4521 entfernte er fich immer entfchiedner von deffen Par—
tey, und erklärte ich dann im folgenden Jahr — von
Adrian VI. aufgefordert — mit voller Ueberzeugung als
Anhänger des Papſts und Gegner Luthers. Bald
nachher fchrieb er feine Diatribe gegen ihn de libero ar-
bitrio mit möglichfter Schonung, worauf aber diefer fo
giftig, boshaft und ſpöttiſch wie ſichs Faum denfen
laßt — und zwar in deutſcher Sprache antwortete, um
Das gemeine Volk gegen ihn aufzubeken, bey welchem
Erasmus — in diefer Sprache ungeübt — ſich nicht ver—
theidigen fonntes : Daß Luther jede vorgefaßte Mei—
nung mit unbiegfamem Starrſinn verfechte und gegen
alle Andersdenkenden nur Feuer und Flammen fpeye, (wie
feine Anhänger noch heutzutage thun), daß er, durch das
Glück feiner Unternehmung und die Gunft des Volks
übermüthig geworden, auch die gründlich ften befigemein-
ten Ermahnungen in den Wind fchlage, — dieß ward nicht
ohne Grund von Erasmus getadelt, welcher nun fofort
von dem wilden Kampfplak fich zurüdzog, und mit
ungetheilter Kraft und Luft den Wiſſ enſchaften ſich
widmete.
Bon fuiedtiehender Gemüthsart, ſo das er eher
— 141 —
— mie er oft fagte — ein Landgut verlieren als erftreis
tem möchte, fehrieb er ſchon 1524 die querela paeis, worin
er zeigt, wie felbft vernunftlofe Thiere friedlicher bey:
fanımenteben als die Menfchen, — dann die Streitig—
feiten der Fürften, fowie der Mönche und Gelehr-
ten, auch einzelner Menfchen gegen einander und ſo—
gar gegen fich felbft fchildert, — hierauf den Gedanfen
fhön ausführt, daß Ehriftus ein Friedensfürft fey und
daß die Baförderung der Eintracht jedem Befenner
des EhriftentHums als heiligfte Prlicht vobliege, Er
fuchte nun nicht3 ferner als Ruhe für fein Alter, und are
beitete bloß darauf hin, von beyden Parteyen unab»
hängig zu bleiben, um nicht in das Getümmel hineinge-
viffen zu werden. Die Sprache des Uebermuths in
Religionsgegenftänden wies er zurück, und vettete bey jeder
Gelegenheit die Ehre und das Anfehn der Wiffenfchafs
ten, fowohl gegen rohe Mönche als gegen tolle Auf-
wiegler aus allen Kräften. Mit Nachdruck tadelte er
zwar an den geiftlichen Machthabern den Mangel an Ents
fchlofferheit zur Abhülfe, die falfıhen Mittel zu Dämpfung
der Unruhen, und die Begünftigung möndhifcher Unwiſſen—
heit, hielt fich aber dennoch am liebiten zu dieſer Seite,
wo er doch wenigftens fefte Ordnung in der Kirchen»
verfaffung und Macht der Einheit in der Verwaltung
erblickte. Zief beleidigt von vielen eifrigen Rutheranern,
die ihn fchredlich (wie z. B. Farel, Bucer, Epphendorf
und der lockre — auch dem Melanchton fehr verhaßte —
aus dem Elſaß weggewiefene — und zu den Zmwinglianern
geflüchtete Hutten) verunglimpften, beftürzt über die
gräßlichen Folgen der neuen Lehre, weldhe er im
mörderifhen Baurenfrieg fah, und felbft von feinem
lieben Baſel durch ſtürmiſche Auftritte weggeſcheucht, brach
er oft in bittre Klagen über die Lutheraner aus, welchen
er Religionsſchwärmerey und Verachtung der
Wiffenfhaften vorwarf. Er behauptete, daß fie bald
das Heidenthum herbenführen werden, daß fie nicht nur
— 13 —
das gute Kraut mit dem Unkraut zerftören, fondern viel«
mehr jenes ausreißen und diefes ſtehen laſſen,
daß fie die canonifchen Gebethe verwerfen und Lieber
gar nicht bethen, daß fie nach Abfekung der Bifchöfe
nun auch gegen weltliche Obrigfeit fich empören, daß
fie den Sudaismus zwar abgefchafft, aber dei Epi—
furigmus an feine Stelle gefekt haben u. f. wm. Unter
folhen Umftänden ift ſich freylich nicht fehr zu verwuns
dern, daß der friedfertige, fich felbft gleich gebliebne
Mann in dem frühzeitigen Tod Zminglis und Defolampads
eine wohltbätige Fügung der weifen Borfehung
erkannte. |
Seinem vertrauten Freund Pirfheimer fehrieb er:
„ic will nicht unterſuchen, mie weit bey andren dag
Anfehn der Kirche Gewicht hatz bey mir hat es ein
folches, daß ich felbft die Meinungen des Arius und Per
lagius annehmen könnte, wenn die Kirche fie gebilligt
hätte. Freymüthig geftund er ihm, daß er nichts Gründ—
liches hätte, worauf er fußen könnte, wenn er feinen
Glauben ändern müßte, und daß er daher lieber beym
alten verbleibe, obihm gleich einiges darin anftößig
vorfomme. Zu diefer Zeit hieß er die Proteftanten nur
noch „ Seftierer. “ Dennoch pflegte er feinem derfelben
bloß um feiner abweichenden Meinung willen die Freund—
fchaft zu entziehen, wenn nur jeder „das was er that
mit ehrlichem Herzen that.“ Drey feiner beften Freunde,
Amerbach, Frobenius und Episfop in Bafel, entfchiedne
Anhänger Zwinglis, blieben feinem Herzen immer die
nächften, und waren auch bey feinem KHinfchied zugegen.
Aber unwandelbar war fiets — und die erklärte er
auch freymüthig den hartnädigfien Gegnern der neuen
Lehre — feine Abneigung gegen den Mönchsgeift, gegen
den Seftengeift in jeder Geftaft, und gegen alle Feinde
der Wiffenfchaften. Sn den erften Zeiten der Refor—
mation hatte der weife Mann bisweilen Rathſchläge er»
theilt, wie fie zu leiten, wie und wo zu veformieren
wäre, — aber umfonft. Im einem folchen fagte er? von
beyden Seiten werde die Schnur fo gefpannt, daß fie
brechen müſſe; ftatt Bilder wegzufchaffen, folle man
lieber ihre abergläubifche Berehrung befeitigen; ftatt Prie—
fter zu verjagen, fie Tieber gelehrt und fromm machen
und nur nach ftrenger Prüfung wählen; ftatt den Got»
tesdienft über den Haufen zu werfen, lieber die anftößi-
gen Geſänge und Ceremonien weglaffen; ftatt die Meffe
zu verwünfchen, um der geizigen und ausfchweifenden Prie-
fier willen, Lieber diefe Miethlinge entfernen und weniger
Meffen halten laffen;z den Ablaßglauben fol man denen
überloffen, welche Vertrauen darauf feßen; wer nicht an
die Kraft der Seelenmeffen für die Abgeflorbnen
glaube, möge fein Geld auf die lebenden Nothdürftigen
verwenden; wer die Fürbitte der Heiligen für ung
nicht glaube, fol zu Gott- bethen — die Heiligen durch
Nachahmung verehren, und die Andersdenfenden dulden;
wer die Ohrenbeicht nicht für ein von Chrifto einge
ſetztes Sakrament halte, möge fie wenigſtens als eine von
den Bätern eingeführte, durch fo viele Jahrhunderte fort-
beftandene Einrichtung fo lange beybehalten, bis die Kirche
anders darüber befchliefe; vom Fegfeuer möge jeder
halten was ev wolle, da e3 nicht der Mühe lohne die chrift-
liche Eintracht darüber zu ftören; über den freyen Wil-
len folen die Sorboniften ftreiten, die Laien aber mit
Einfalt und Feftigfeit handeln; die guten Werfe mögen
im merhinvor Gott rechtfertigen oder nicht, fo foll uns die
Gewißheit leiten, daß auch der Glaube nichts helfe ohne
gute Werfe; die Taufe mögen Eltern gleich nach der Ge—
burt oder in fpätern Sahren vornehmen, wenn fie nur in-
zwifchen ihre Kinder tugendhaft und chriftlich erziehen; der
Streit über das Abendmahl möge verfchober werden,
bis eine allgemeine Synode darüber abfpreche oder eine
göttliche Dffenbarung ung etwas fichres darüber lehre;
über die Anbethung der Hoftie fol nicht geftritten
werden, da fie ja nicht dem Brot gelte, fondern weil man
u 4
fie für Ehriftum halte, welcher nach feiner — überall
gegenwärtig ſey u. ſ. w.
Sm Sahr 4525 erklärte er dem Magiftrat in. Baſel,
welcher ſeinen Rathſchlag über das Lutherſche Geſchäft ver—
langte: er möge hierüber Fein Urtheil fällen, da es ihm an
Gelehrfamfeit, fowie an Kenntniß der Landesfprache und
Lofalverhältniffe fehle, und er als Fremder für unſchicklich
halte, fich in Angelegenheiten des Staats zu mifchen, wo-
durch er fih nur Meid und Verfolgung zuziehen würde,
— auch habe er feither Päpften und Kaifern ähnliche Be—
gehren abgefchlagen, — Feine Partey fey ruhig genug, und
mit Borfchlägen zur Mäßigung würde er beyde nur belei-
digen. Dann ertheilte er ihm angemefne Winfe und Be—
fehrungen. Dicht lang nachher fchrieb er feinem Bilibald
(Pirkheimer) daß er durch feine verweigerte. Einmifchung
in dieß tolle Gefchäft alle Hitköpfe gegen fich aufgebracht
babe. Er fühlte immer mehr, daß feine Stimme der
Mäpigung nicht fiark genug fey, um vernommen Zu wer-
den; darum wollte er — verſchiedner Einladungen unge-
achtet — den Reichstag in Augsburg 1530 nicht befuchen,
und vieth blos fchriftlich — durch den Cardinal Campegius —
den Seckten etwelhe Duldung zu geftatten, da fie dann
wohl wegen ihrem eignen Zwieſpalt von felbft bald ihren
Einfluß verlieren würden, Endlich gab er jedoch — wegen
überhandgenommner Erbitterung beyder Theile — alle
Hoffnung zum Frieden gänzlich auf, nachdem auch feine
ſchöne Schrift de amabili ecelesie concordia — durch
welche er die Gemüther zu dem bevorftehenden Conzilium
vorzubereiten fuchte — feine der beyden Parteyen befvie-
digt hatte.
Wie Erasmus, fo dachten damahls auch noch andre
vedlihe Männer, welche die in der, Kirche eingerißnen
Mißbräuche zwar beflagten, e3 aber fin allzugefährlich
hieften, um dieſer willen die firhliche Einheit aufs
Spiel zu fegen, da fie die neue Partey bey allem -
unverkennbarem Guten doch immer nur al3 eine Sefte
— 415 —
betrachten konnten, die fich im Verfolg wohl von felbft
wieder mit der Mutterkirche vereinigen werde. Diefen
Männern Eonnte es nicht entgehen, wie gar menfchlich und
leidenfchaftlich viele der neuen Lehrer ihr Reforma—
tionswer£ betrieben; auch wurden fie duch die Gräuel
der Bürgerfriege nicht wenig abgefchredt, und ftunden
als ächte Freunde der Religion in der richtigen — von Lut—
ber felbft nie widerfprocdhnen — Weberzeugung: daß man
auch in der fatbolifchen Kirche ein erleuchteter
Chriſt nah dem Sinn Ehrifti feyn könne. Zu diefen
Männern gehörte der wackre Pirkheimer, Faiferlicher
Rath in Nürnberg, — ein edler, mweifer, angefehener
Mann, Wimpheling in Heidelberg, Ferus (Wild) in
Mainz, Spengler in Nürnberg, Caffander, Sadolet,
Thomas Morus und andre folch chriftliche Eklektiker,
derer Berdienft um ihre Kirche, wenn auch verborgen,
doch nicht minder groß war, da fie durch ihre ftillen fried»
lichen Bemühungen richtigere Degriffe in Umlauf
festen. (3u einer Zeit, wo weit mehr Gtreitfchriften
von den Keformatoren und ihren Gehülfen gegen fich ſelbſt
als gegen die Katholifen zu Tag gefördert wurden).
Noch einige ehrenvolle Zeugniffe gelehrter Zeitgenoffen
beyder Eonfeffionen kann ich mich nicht enthalten bier anzu.
führen, um die Borliebe zu rechtfertigen, mit welcher ich
mic) in der Einleitung zu diefer Skizze über den perfün=
lichen Werth de3 gefeyerten Mannes und über die Voll
gültigfeit feines Urtheils ausgefprochen habe. |
Der Herausgeber feiner Briefe, London 1642 Fol.
fagt: „Der Held Erasmus ift nicht nur über alles Lob
fondern audy über den Neid weit erhaben, eben fo be
rühmt als Bater der Wiffenfhaften und Mufter
der Beredfamfeit wie als Feind und Befämpfer
roher Unmiffenheit, hochverdient durch feine Beför—
derung des Studiums der alten Kirchenvdäter, er
ift die Zierde feines batavifchen DVaterlands, ja unfers
eignen Brittanniens und faft aller andrer Völker
10
— 4146 —
Stolz und Kleinod, deffen gleichen an Liebenswürdig—
feit die Welt feinen fab, noch jemahls fehen wird,
In diefen feinen Briefen fcbeint er nicht weniger ſich felbft
übertroffen zu haben, als er durdy feine übrigen Schrif-
ten weit über alle Sterbliche emporragt. Das Bild
jenes fturmbewegten Sahrhunderts ftellt er fo klar und
getreu vor die Augen, daß man in der That zu einer
richtigern und geündlichern Kenntniß der damahligen
öffentlichen ſowohl als befondren Berhältniffe dadurch
gelangen kann, als durch. irgend welche Urkunden der Ge =
ſchichtſchreiber.“
Ein andrer angeſehener Schriftſteller jener Zeit ent-
wirft von ihm folgende Schilderung: „Sein Arbeitsfleiß
war beyfpiellos, ev hüthete fich aufs gewiffenhaftefte
irgend jemandem durch feine Schriften weh zu thun,
und enthielt ſich in denfelben foxafältig jedes unanſtän—
digen, leichtfertigem oder beleidigenden Ausdrucks;
nichts fcheute er mehr als Uneinigfeit und Zerwürfniß; er
war der entfchiedenfte Feind aller. Heucheley — Ber-
läumdung — Ehrgeiz — Habfuht — Mifgunf —
Rachgierd — und Weichlichfeit; er lebte überaus
mäßig, wie es feine förperlichen Umftände erforderten; er
blieb unverehlicht und fröhnte nie finnliher Ruf;
leicht ward er zwar zum Zorn gereizt, aber eben fo fchnell
verfühnte er fich wieder; die hriftlihe Eintradht
lag ibm über alles am Herzen; nie ward er von dem
Glauben der alten Mutterfirhe abtrünnig, und
hätte eher auf feine Weberzeugung zum Theil verzichtet,
als die Einigfeit geftört; ob er gleich von Sugend auf
mit dem Hofleben der Großen vertraut war, verabfcheute
er doch daffelbe in fpäteren Jahren; der Vermehrung feiner
Glüfsumftände entfagte er aug eignem Willen; Schmeiche-
ley war ihm höchlich zumider; das Recht von feiner Meis
nung abzumweichen und ihn zuvechtzumeifen räumte er jedem
gerne ein; nicht Leicht ließ er ſich in feinem günftigen
— Mi —
Urtheil über Andre wankend machen, und blieb in der
Sreundfchaft unerfhütterlid.“
Der berühmte — auch. bey den Proteftanten in.
hohem Anfehen ftehende — Cardinal Sadolet heißt ihn
„den Wiederherfteller der heil. Schriften, “ rühmt
feine Selaffenheit in der Belehrung Andrer, hul-
digt feinen ausgezeichneten Geiftes, Borzügen, und
verfichert ihn feiner unbegränzten Liebe. Ä
Auch in Rom, wohin er fi) aus Hetrurien rg
ward er allgemein aufs ehrenvollfte fowohl von den Littera—
toren al$ auch von vielen Cardinälen, vorzüglich dem Car—
dinal Johann von Medizid — nachherigem Leo X., auf:
genommen, und ſchlug die ihm angetvragne hohe Würde
eines Vönitentiars beharrlich aus. Leo, welcher ihn un»
gemein fchäkte und in Briefwechfel mit ihm fiund, em—
pfahl ihn dem König von England Heinrich dem VII,
mit der Berfihrung, daß er vor feiner Erhebung auf den
päpftlichen Stuhl ihn wegen ſeiner Gelebrfamfeit ſo—
wohl als trefflihen Charakters durch vertrauten Um—
gang überaus liebgewonnen habe, und fich daher aus eig-
nem Antrieb nachdrudfamft für ihn verwende.
Thomas Morus fchreibt ihm: „Du, welchem
Dapft, Könige, Bifchöfe, ja alle in der ganzen Chriften-
welt zerſtreuten Menfchen mit hberzliher Verehrung
und Bewunderung zugethan find.“
Der grundredliche Bilibald Pirkheimer fchreibt ihm:
„Wer ift glücdlicher als du, der du nicht durch äußere
Glüdsgüter div Ruhm erwarbfi, fondern duch Tugend
und Wiffenfchaft fo fehr alle Andren überſtraählſt,
daß du noch bey Xebzeiten den Unfterblichen beyges
zählt wirft.“ |
Auch Sardinal Campegius ertheilt feiner Gelehr-
famfeit das bündigfte Lob, und legt die höchfte Achtung
gegen ihn an den Bag.
Bon Clemens VI. war er aufs angelegenfte nach
Rom, vom Kaiſer nach Brabant und von Franz L nad)
40 *
=
Paris eingeladen worden, aber feine Körperbefchwerden
waren fo anhaltend und heftig, daß er fich Lieber zu einer
baldigen Reife nach der Emigfeit bereit halten wollte.
Zur Befeftigung der Religion und Sittlichfeit —
fagt ein Gefchichtfchreiber jener Zeit — erfchien Erasmus,
defien Geiftesgröße und mwilfenfchaftliche Bildung auch künf—
tigen Jahrhunderten noch vorleuchten wird, in dem nähm-»
lichen Deutfchland, und in dem nähmlichen Beit-
punft, wo der unfelige Luther die 3erftörung derfel«
den E bewürfen drohte.
Rhenanus, einer der Biographen des Erasmus:
(Zwinglis vertrauter Freund), rühmt befonders feine Frey»
gebigfeit und großmüthige Unterftüßung hoff-
nungspoller unbegüterter Sünglinge, welche er
bis an fein Xebensend fortfeste und noch durch die
legte Willensmeinung diefen edelmuttigen Sinn
beſiegelte.
Noch ein andrer — Schriftſteller jener
Zeit heißt ihn „den ſanften, redlichen und grundgelehrten
Mann, welcher alle Theologen ſeines Zeitalters an geſundem
Sinn, gebildetem Geſchmack und edler Freymüthigkeit weit
übertraf. “
Man Eann fich daher wahrlich eines mitleidigen Lächelns
nicht enthalten, wann einer der neueften Zwinglifchen Bio»
graphen diefen unvergleichbaren Mann zu befriteln und zu
verunglimpfen fich unterfängt, und. dabey als einen wich»
tigen Umftand anführt, daß Zmwingli über ihn als einen
„Doppelzüngigen“ den Kopf gefchüttelt habe, und daß viele
der „Defferen feiner Zeit“ — zu welchen diefer Duns frey:
lich auch) einen Ulrih von Hutten rechnet — ihm um fei-
ner Zurücdhaltung, d. h. Mäßigung willen ihre Gunſt
(risum teneatis amici!) entzogen.
Was nın feine fchriftitellerifhe Würffamfeit
betrifft, fo gränzt folche in der Ehat ans Wunderbare und
Sabelhafte. Der Mann, welcher. den größten Theil feines
Lebens hindurch mit vielfachen und hartnädigen Körper=.
zo
feiden (Augenſchwäche, Magenkrämpfen, Webelkeiten,
Steinbefhwerden und Podagra) zu kämpfen hatte, — der
Mann, welcher mit allen ausgezeichneten Zeitge—
noffen in ununterbrochnem Briefwechſel und
Geiftesverfehr ſtund, förderte die Werfe der meiften
— griechifchen und Tateinifhen — Kirchenväter zu
Tage; Hilarius, Arnobius, Cyprian, Athanafius, Am—
broſius, Auguſtinus, Irenäus, Origenes, Chryſoſtomus
und Bafılius wurden von ihm aufs gründlich fte bear»
beitet; befondre Vorliebe befeelte ihn für Hieronymus,
deffen Werke er viermahl hevausgab; er hielt ihn für den
. Erften unter den Vätern der lateinifchen Kirche, melcher
an Beredſamkeit felbft den Licero noch übertraf. Aber nicht
weniger machte er fich auch um die Elaffifche Littera—
tur verdient durch feine allgemein gefchäkte Heraus—
gabe griehifcher und lateinifcher Autoren (— mweld)
beyder Sprachen er gleich mächtig war —), eines
Plutacch, Senefa, Zenophon, Demofthbenes, Ptolomäus,
Arifioteles, Euripedes, Lucian, — eines Livius, Quin—
tifian, Cicero, Curtius, Ovid, Plautus, Suetonius, Pli-
nius, Terenz, Cato u. f. w. Dann fchrieb er wieder die
- Adagia, vitas Cesarum, Epigrammata, Colloquia, Apoph-
tegmata. Sein Enchiridion mil. chr. (Handbuch des chrift-
lichen Streiters), allgemein „das goldne Büchlein“ genannt,
ward auch ind Spanifche, Franzöfifche und Deutfche über»
feßt und fand ungetheilten Beyfall, Sein Morie
encomium (Lob der Thorheit) inner weniger Monathe
fiebenmahl aufgelegt, ward von den Gelehrten aller
Länder — von Bischöfen, Erzbifchöfen, Eardinälen, Kö-
nigen, ja von Papft Leo X. felbft, der ſolches vom erften
bis zum legten Blatt durchlas, mit befonderm Wohlge-
fallen aufgenommen, — ſowie nicht weniger die, auch ing
Spanifche überfettte, Querela pacis. Eine Menge andrer
höchſt lehrreicher Schriften laffe ich unberührt ; allen
lag friedfertige verſöhnende Gefinnung zum Grund;
viele wurden auch von Wolf Köpflin (Capito) Leo Judä,
— 0
Emfer, Heidegger u. a. ins Deutfche überfekt. Manche
waren wegen ihres freymüthigen derben Snhalts von der
Sorbone und firengen Orthodoxen verurtheilt worden.
(Daher das oft erneuerte Gerücht, daß feine Schriften und
Bild in Rom, Frankreich und Brabant u. f. w. feyen ver-
brannt worden!) Den höchſten Ruhm erwarb er ſich
durch die, von ihm zuerft unternommene, Fritifche
Ausgabe des Neuen Teftaments, welche bald nad)-
einander mehreremahl aufgelegt, von vielen römifchen
Theologen zwar ungünftig aufgenommen — von Leo felbft
aber gelobt ward, — ein Elaffifches, auch noch von den
neueften und angefehbenften proteftantifchen Ge
lehrten Hochgepriefenes Werk, auf welches der Ber:
faffer nach feinem eignen Geftändniß ungemein viele Sorg—
falt und Anftrengung verwendet hatte. Und dieß alles
leiftete er keineswegs aus Eitelkeit und Ruhmfucht, ſon—
dern immer nur auf ausdrüdlichfte dDringendfte Auf-
forderung großer Männer feines Zeitalters, welche feine
entfchiedne GBeiftesüberlegenheit gern anerkann—
ten, und ihn allein für geeignet und tauglich hielten, dem
durch Srrlehren und Verwirrung tief erfihütterten Deutfch-
land zur Stüße zu dienen. Schon damahls war — mie
in den nachherigen Zeiten — das Urtheil allgemein, daß
niemand feinen Werfen die Bewunderung verfagen
könne, als wer fie entweder gar nicht gelefen habe
oder in den Wiffenfchaften mit gänzficher Blindheit
gefchlagen fey. Dieß Urtheil findet auch volle Anwendung
auf feine Epist. Lib. XXXI, eine Sammlung zahlreicher
— (beynahe 1500) aber dennoch meiftens gediegner in-
haltfhwerer ausgenrbeiteter Briefe in griechifcher
und lateiniſcher Sprache an und von den ausgezeich-
netftien Männern feines Zeitalters beyder Eonfeffionen,
worunter die Päpſte Leo X, Adrian VI, Clemens VII
und Paul IT — Kaifer Earl V— die Könige Sram I
von Frankreich — Ferdinand von Ungarn — Gigmund
von Polen und Heinrich VIII von England, die Königinnen
— 151 —
| Gatberins: von England, Maria von Ungarn und Margretha
von Navarra, — die. Herzoge Friedrich und Georg von
Sachſen und Ernft von Bayern, — dann viele Fürften,
Cardinäle, Exzbifchöfe, Univerfitäten und Magiftraten,
fowie auch die Reformatoren Luther, Bucer, Melanch—
ton, Gapito, Bwingli, Defolampad), Pirkheimer u.a.
Größtentheils betreffen dieſe Briefe die ernfte Kirchenfpal-
tung, und find unvergängliche Denkmähler feiner tiefen
Gelehrfamfeit in allen Zweigen der Wiffenfchaften,
feiner befonnenen, gemäßigten, ruhigen Denfensart,
der reinften Religiofität, unbefangner parteylofer
Prüfung, gründliher Menfchenfenntniß, rich—
tigen Scharfblids, und eines würdevollen, über
ale niedrigen Leidenfchaften weit erhabnen Charakters;
zugleich find fie eine Eöftliche Fundgrube der. mwichtigften
Urkunden, deren forgfältige Prüfung zur genauen Kennt»
niß jener fo folgenfchweren Zeit ganz unerläßlich if.
So glich dieß große wohlthätig fruchtbare Genie einem
Licht unter den Irrwiſchen ud Schattenbildern;
feine — bisher unerreichte und wohl audy unüber—
treffbare — Wiürkfamfeit war eine erwärmende Gluth,
nicht ein verzgehvendes Feuer; und wie der Gigant über
die Pygmäen emportagt, fo verdunfelt diefer hehre,
großartige Charakter all jene afterweifen Phantaften,
weiche durch ihre Selbftfuht und Prahlerey fih
eben fo läherlich.als ducch ihre Widerfprüce, Un:
geveimtheiten, — —— und Stuvrilitäten
verächtlich gemacht hatten ! —
och fügen wir zum Schluß einige Stellen aus ſeinen
Schriften bey, welche theils über feine Gemüths- und Sin—
nesart im Allgemeinen, theils Über. feine Anfichten von
denn Reformationswerk gründlichen Auffchluß geben.
„So ift nun einmahl — fchreibt er an Frobenius
— meine Gemüthsart befchaffen; denen, welche ich von
Herzen Lieb habe, kann ich nichts verfagen .... . Don
mandhem ehbemahls vertrauten Freund muß ich jetzt
— 1592 —
Unbilden erdulden. So unterliegt alles Menfchliche der
Veränderung! Was könnte man in unferm Zeitalter ſchrei—
ben, ohne diefem oder jenem zu nahe zu treten? Smmer-
hin aber habe ich aufs forgfältigfte mich befliffen Bitter-
feiten zu vermeiden und zu entfernen.“
In feinem traulichen Brief an Servatius fommt
folgende Stelle vor: „Mie firebte ich nad Glücksgü—
tern; ebenfowenig hat jemahls Ruhmſucht mid) ange-
fochten; Unmäßigfeit und Trunkenheit habe ich immer ver»
abfcheut; nie fröhnte ich der Woluft.“ Dann tadelt er
die während feines frühern Klofterlebens bemerkte Ausge-
laffenheit jeder Art. „Viele der Unfrigen, fährt er fort,
fuchen den Gottesdienft und Frömmigfeit nur in der dußern
Lebensart und im Ceremonienwefen. Was meinen eig»
nen Wandel betrifft, fo ward ich von den Achtbarſten ge-
achtet und fund in Anfehen bey den Angeſehenſten; ich
dürfte wohl auch mehr noch) zu meinem Bortheil fagen,
ohne mich einer Webertreibung fihuldig zu machen. Kein
Land ift, auch Spanien, England, Schottland und Ita—
hien nicht ausgenommen, wohin ich nicht gaftfreundlich
eingeladen werde, und ob mir auch gleich nicht jeder-
mann zugethan it — was wohl faum wünfchenswerth
wäre — fo find mir doch diejenigen gut, derer Urtheil
Das größte Gewicht hat. Alle und jede Cardinäle in
Rom empfiengen und behandelten mich mit zuvorfommen-
der brüderlicher Zuneigung, — vorzüglich der Cardinal
von Bonn, Gt. Georg, Grymann, und der dermahlige
Papft; ebenfo die Bifchöfe, Archidiakone und Gelehrten.
Solche Auszeichnung erwies man nicht meinen äußeren
Glücksgütern — die id) weder befiße noch wünſche; —
ic) gelangte auch nicht dazu durch Ehrgeiz — welchen ich
niemahls fannte; nur den Wiffenfchaften verdanfe
ich fie, welche dort in höchften Ehren gehalten, von den
Unfrigen fo gering gefchägt werden. In England ift fein
Bifchof, weldyer nicht feinen Tifch, feine Wohnung, feine
Sefellfchaft mir antrüge, Der König felbft fchrieb mir
— 155 —
während meines Aufenthalts in Stalien eigenhändig in den
fehmeichelhafteften Ausdrüden; auch jet fpricht er von
mir aufs ehrenvollfte und Liebreichfte; fo oft ich ihn grüße,
umarmt er mich gar holdfelig und blickt mich fo freund:
lich an, daß ich aus feinem ganzen Benehmen auf wahre
aufrichtige Zuneigung ſchließen darf. Die Königin bat
mich fogar zu ihrem Lehrer gewählt. Jedermann weiß,
daß es mir leicht wäre mittelft eines mehrmonathlichen
Aufenthalt3 am Hof die einträglichften geiftlichen Aemter
zu erlangen, allein ich ziehe diefe meine Muße und meine
wiffenfchaftlichen Arbeiten al andren nody fo glän—
zenden Ausfichten vor. Der Erzbifchof Wilhelm Waram
von Santerbury, Primas von ganz England und Reichs
fanzler,, ein gelehrter und rechtfchaffner Mann, liebt mich
wie einen Vater oder Bruder. Die beyden hierländifchen
Univerfitäten wünfchen mich zu behalten; an der einen
lehrte ich die griechifche Sprache und Auslegung der hei—
ligen Schrift, — und zwar wie immer unentgeldlich. Colet,
Dekan bey St. Paul, welcher wegen feiner Gelehrfamfeit
und Tugend überall die höchfte Achtung genießt, hat mich
fo fehr Tiebgewonnen, daß er meinen Umgang jedem’ an—
dern vorzieht. Mein unwandelbarer Borfak ift: dem Stu-
dium der heiligen Schrift bis an mein Lebensend
obzuliegen; dieß fol mein liebftes, mein einziges Ge
fchäft feyn und bleiben! In diefem vermag id) — nad)
dem UÜrtheil großer Männer — mehr zu leiften als Andre;
im Mönchsleben hätte ich wenig Nutzen geftiftet. Von
allen angefehenen einfichtsvollen Männern, mit welchen ich
Umgang pflog, fand ich in Frankreich, Stalien und hier
in England feinen, welcher mir gerathen hätte zum Klo—
fterleben zurückzukehren.“
An Papft Adrian VI. fchrieb er: „Du dringft in
mich, forderft mic) auf und befchwörft mich beynahe, Mit»
tel.vorzufchlagen und meine Meinung auszufprechen,, wie
der überhandnehmenden Unordnung abzubelfen fey. Hierzu
mögen aber meine Einfichten wohl nicht hinreichen; zudem
— 454 —
werden jene auf das Urtheil von Erasmus wenig Gewicht
legen, welche ſich um das Anſehn ſo vieler Akademien,
Fürſten und des Papſts ſelbſt ganz und gar nicht beküm—
mern. Bon mir, welchen die Xutheraner in fo viel hun—
dert Briefen. als das erſte Geſtirn Deutfchlands — den
größten Helden — den Fürften der Wiffenfchaften — die
Sonne: der Gelehrten — den Beſchützer, Herfteller und
Erretter allev nüßlicyen Kenntniffe — als einen Wann
ohne feines Gleichen priefen und feyerten, ſchweigen ſie
nun gänzlich, oder erlauben fich gegen mich wohl gar die
boshafteften Schmähungen. “
Sn einem Brief an Ph. Melanchton vom S. 1524
verfichert er: „nach Anfehn und KReichthümern- verlangt
mich fo wenig mia ein lendenlahmes Pferd nach fchwerer
Bürde; des Ruhms bin ich längſt überfatt, wenn anders
der Ruhm noch etwelchen Werth haben folte.e
An Lud. Berus, Sheolog bey St. Peter in Bafel,
fchrieb er 1529: „Bor - Spaltung und Geften hatte ich
immer Abfiheu; ic) babe mich feiner Partey jemahls
beygefellt, fo fehbr auch die Umftände mich dazu verleiten
mochten; auch bewarb ich mich nie um Anhänger, fon»
dern wann fich dergleichen darbothen, fo überwies ich fie
der. Schule Ehrifti.“
» Dem berühmten Garbingf Morus fchrieb er ſchon
4518. „Aufs forgfältigfte hüthete ich mich immer und
überall in meinen Schriften und Reden vor allem, mas
der zarten Sugend auf irgend eine Weife zum Anftoß ges
reichen, - was dev Andacht und frommen Uebungen Scha-
den bringen, was Zwiefpalt und Aufruhr begünftigen, und
was den guten Ruf meiner Mitmenfchen verdächtigen fonnte.
Mein ganzes DBeftreben war immer dahin gerichtet, nütz—
lichen Studien Borfchub zu leiſten und die chriftliche Re—
ligion aus allen Kräften zu befördern. Dafür weiß mir
jedermann Dank, wenige Theologen und Mönche aus-
genommen, welche weder beffer noch gefchickter zu werden
verlangen. Bey der Gnade und Barmberzigkeit Chrifti
— 455 —
gelobe ich, all meine Verſtandeskräfte, allen Einfluß mei—
ner Ueberzeugung einzig für den Ruhm Chrifti, für die
fatholifche Kirche und für den Nuken der heiligen Schrife
ten zu verwenden. “
Sn feinem vertrauten Brief an Goclenius fchreibt
: „ich fürchte einen blutigen Ausgang; hätte ich die
Bosheit und Arglift der Deutfchen gekannt, fo wäre
ich eher zu den Mahomedanern ald zu ihnen gewan—
dert. Auch Luthern ift nicht wohl zu Muth, da er fieht,
daß das Volk nicht evangelifch, fondern fatanifch wird,
und daß allen Wiffenfchaften der Untergang droht.“
An einem andern Drt fagt er: „Sch wünfchte mit
jedermann in Frieden zu leben. Zu Feinden babe ich
nur ensweder Dummföpfe und fchamlofe Poffenreißer, oder
‚ruhmfüchtige, verläumderifche, von toller Mifgunft ange»
triebne Leute, Bauchfklaven und Sinfterlinge, welchen mehr
an der Welt als an Ehrifto gelegen ift.“ Scherzhaft er»
zählt er dann in einer andern Stelle, daß in Conftanz ein
gemwiffer Doktor war, welcher in * Zimmer dası Bild
des Erasmus aufgehängt hatte, nur um folches, ſo oft
ev bey ihm vworübergieng, anzufpuden, und den Leuten,
welche nach der Urfache feines Grolls fich erfundigten, zur
Antwort gab: daß er diefem Mann die Schuld alles Un—
glücks und Elends, welches jene Zeit betraf, zufchreibe.
Mit eben fo viel Sleichmuth ertrug er die Schalfheit jener
Gegner, welche feinen — in den höchften Beziehungen beft-
verdienten — Nahmen Erasmus (liebenswürdig) bald in
Erasinus — bald in Errasmus oder Arasmus verftümmel:
ten, um durch diefe fchale Ironie ihn verächtlich zu machen.
In vielen feiner Briefe erklärt er, mit feinem Luthe-
raner je in ein Bündniß getreten zu feyn, da ihm diefer
tolle Aufruhr immer mißfallen habe, und er weder im
Leben noch im Tod fi) Ungehborfam gegen die Kirche
und Abfall vom alten Chriftenglauben werde zu
Schulden fommen laffen. Dann fügt er bey: „ich aner-
fenne Feine Partey als die chriftliche, wenn man-diefe
IN
— 156 —
fo nennen darf; dennoch ward ich von einigen Carmeliten
und Dominifanern in öffentlichen Predigten aufs wüthendfte
— oft fogar nahmentlich — befchimpft und geläftert. Wollte
Gott, ich wäre fo frey von allen Fehlern als ich unfchul-
dig an diefem Gefchäft bin, dann würde ich auch ohne
Beichte ruhig frerben. Anfänglich waren fehr viele und
angefehene Männer Luthern gewogen, fo lang nur von
Abfhafung der Mißbräuche — nicht aber von offenba-
rer Empörung und Zertriüimmrung — die Rede war;
faum hatte ich einige wenige Seiten feiner Schriften durch-
bfättert, fo Ffonnte ich alsbald mid, überzeugen, daß Ddiefe
Angelegenheit ein fchlimmes End nehmen werde, und mir
ift wahrlich ale Zwietracht fo verhaßt, daß felbft ein
Streit um die Wahrheit felbft mir mißfiele. Sch war der
erfte, welcher jenen Mann in Briefen erinnerte, doch ja
die Sache des Evangeliums auch mit evangelifcher
Sanftmuth und Mäßigung zu behandeln. Gar vft
ward ich gewarnt, meine Mißbilligung diefer Sache doch
wenigftens nicht öffentlich auszufprechen, um nicht Zungen
und Federn fo vieler Männer von Gewicht gegen mich auf-
zureißen; ich wußte auch gar zu wohl, mie fehr viele der
Unfrigen, aus Haß gegen die Wiffenfchaften, mid
aufs hartnäckigſte verfolgen würden; es konnte mir nicht
entgehen, daß es für mich dienlicher wäre, . an die andre
Partey mich anzufchliegen. Allein ich war, bin und bleibe
unmwandelbar entfchloffen, mich eher in Stüdfe zer-
reißen zu laffen ald Uneinigfeit — befonders in Glau-
bensfachen — zu begünftigen,“
So ſprach, ſchrieb und handelte jener wahr-
haft große Mann, deffen reine Gefinnungen —
mafellofen Wandel und gemeinnüßiges Leben
feldft feine Widerfäher nie zu beftreiten wagten,
auf deffen Urtheil in Sachen des Reformationsmwerfs,
wir daher im Verfolg ung getroft werden berufen und
daffelbe mit Zuverficht demjenigen der neuen —
bensapoſtel entgegenſtellen dürfen! |
— 157 —
Doch wir kehren nun zum Hauptgegenftand zurüd;
und nachdem wir die Wurzeln des Baums unterfucht
hatten, laßt uns auch diefen felbft und feine Früchte
näher prüfen.
Den verfönlichen Eigenfchaften der Reformatos
ten werden wir auch die Unternehmung felbft in ihrer
Entwidlung und in ihren Folgen ganz entfprechend
finden; und am Schluffe dürfte fi) dann die Frage leicht
beantworten lajfen: ob wir nicht Alle auch jetzt noch vor
ein und demfelben Altar fnien und Gott auf die nähm—
lihe Weife anbethen würden, wenn nicht niedrige Lei—
denfchaften, Herrfchbegierde, Ueppigkeit, Rach—
und Habſucht ſich in die Reformationsangelegenheit ges
mifcht hätten? und ob der — fo proteftantifchgefinnte —
Friedrich II. nicht Recht hatte, als er die Reformation in
Deutfchland ein Werk der Selbſtſucht und des Ei—
gennußes — in England der finnlihen Luſt — und
in Sranfreich ein Werk der Neuerungsfucht nannte?
Zuerft erwähnen wir der Reformationsgefchichte Eng»
lands in einem kurzen, aber getveuen Umriß, dann be»
trachten wir die Entwicklung des Lutheranismus in Sach—
fen, und hierauf verbreiten wir uns etwas umftändlicher
über die Begründung der Zwingliſchen Lehre in der
Schweiz. Ä
Sm Sahr 4509 heirathete Heinrich VII, kaum
418 Jahre alt, feine Schwägerin Catharina von Arrago—
nien — Wittwe feines ältern Bruders Arthur, aus mwel-
cher Ehe nur Maria, geb. 1515, am Leben blieb. Die-
fen König fchildern ung die Gefchichtfchreiber Englands
als eben. fo fittenlo3 und ausgelaffen, wie hingegen feine
Gemahlin als gemiffenhaft, fromm und eingezogen. Im
Sahr 4521 erfihien an ihrem Hof die berüchtigte Anna
von Bolleyn. Heinrich ftürzre nun feine Gemahlin von
Zhron, nachdem Eranmer, Erzbifchof von Canterbury
(ein lafterhafter, verfchmigter und fühner Dann — unter
Maria nachher zum Scheiterhaufen verurtheilt) diefe Ehe
— 4158 —
aus eigner Anmaßung Firchlich aufgelöst hatte. Dann
vermählte fi) Heinrich mit Anna. Das päpftliche Eons
fiftorium unter Clemens VII erklärte im Jahr 4533 die
erfte Ehe Heinrich mit Catharina als gültig, und bes
drohte ihn im Fall des Ungehorſams mit dem Kirchen-
bann. Dieß beftinimte den König, fich und feine Staa»
ten vom päpftlichen Stuhl loszureißen, welchen er vor—
her fo eifrig gegen Luther verfochten hatte, daß Leo X.
ihm den Zitel „Befchüger des Glaubens “ beylegte. Sm
Nov. 1534 erklärte das Parlament die kirchliche Gerichts—
barkeit ald Recht der Krone, und den König ald „Ober⸗
haupt der Englifchen Kirche.“ Diefer forderte nun die
Zuftimmung der Bifchöfe und der gefammten Geiftlichkeit
mittelft vorgefchriebnen Eides, indem er die Widerfpenfti»
gen mit der Todesſtrafe bedrohte. Ale unterwarfen
fi), mit Ausnahme des Bifchofs von Rocheftier, Fifcher,
welcher die heldenmüthige Behauptung feiner Glaubens—
grundfäße auf dem Blutgerüſt büßte. Gleiches Schickſal
hatte der berühmte Kanzler Thomas Morus, ein von
Erasmus wegen feiner ausgezeichneten Geiftes- und Here»
zensvorzüge ungemein hochgefchäßter und geliebter Mann,
Willkühr und Gemwaltthat waren nun an der Tages»
ordnung. Mit äußerfter Strenge diefe Spaltung zwifchen
feinem Reich und dem päpftlihen Stuhl zu befeftigen
bedacht, eiferte indeffen dev König nicht weniger gegen
die Härefie, und ließ eben fo Faltblütig die Katholiken
morden, als er binwiederum die Schüler Luthers und
Calvins — welche ihre Lehre zu verbreiten fuchten — zu
den Flammen des Scheiterhaufens verurtheilte. Bald
nachher mußte dann freylich die Spaltung auch den
Irrlehren feldft Thür und Thor öffnen, |
Ein neuerer Schriftfieller fchildert diefe Periode —*
Engliſchen Geſchichte mit folgenden wenigen, aber ſcharfen
Zügen: „ABS der Papſt feine Einwilligung zur
Scheidung Heinrich VIIL von feiner Gemahlin Catharina
verweigerte, mward der in Anna Bolleyn (mit deren.
— 159 —
Mutter fowohl als Schwefter der König früher — wie es ge—
fchichtlich erhoben ift, und Pol in feiner Schrift de unione
ecelesiastica beftätigt — ehebrecherifchen Umgang gepflogen
hatte) fündhaft verliebte Tyrann wüthend, und beſchloß
aus Zorn und Rachbegierde den Sturz der päpftlichen
Suprematie in England. Thierifche Luft, Sleichsnerey
und Treulofigfeit war e8, was die Reformation in England
zur Reife brachte. Diefe Anna (von einigen proteftan-
tifchen Schriftftelern „der große, weibliche Reformator “
genannt!) lebte zu allgemeiner YUergernig im Ehebruch
mit vier Herren des füniglichen Hofftaats, und in Blut-
fand mit ihrem Bruder dem Herzog von. Rochfort,
welche fämmtlih als fhuldig befunden — drey Tage
nad) der Königin Anna — ebenfalls hingerichtet wurden.
Ehe aber Anna das Schaffot befteigen fonnte, mußte auf
Heinrichs Befehl der Erzbifchof von Canterbury den König
noch von ihr fcheiden, und erklären: die Ehe (welche er
doch furz vorher als rechtmäßig und gültig ausgefprochen
hatte) fey null und nichtig, und fey e3 auch ſtets gewefen. *
Nach Berftoffung der Anna Bolleyn, und zwar fogleich
am Tag nach ihrer, Enthauptung, nahm Heinrich die Jo—
hanna Seimer, welche in ihrem Dienft geftanden war —
zum Weib, nach deren Tod er die Anna, Schwefter des
Herzogs Wilhelm heivathete, diefe dann wieder verftieß
und hierauf Catharina Havard, Nichte des Herzogs
von Morfolt zum fünften Weib nahm. Bald ward auch
diefe — des Ehebruchs übermwiefen — hingerichtet, und
Heinrich fchritt zur fechsten Ehe mit Catharina Par-
ram, Wittwe Latimers, welche ihn überlebte.
Im Jahr 1547 ftarb Heineich VIIL , nachdem er vor
feinem Ableben wieder zur Eatholifchen Kirche zurück—
gefehrt war, und die feinem minderjährigen Thronfolger
verordneten fechszehn Vormünder für katholiſche Erzie—
bung deſſelben in Pflichteid genommen hatte. Die Vor—
mundſchaft ſeines Sohns Eduard VI. — (aus der Ehe
mit Johanna Seimer) — und ſomit die Reichsverwal—
— 160 —
tung führte der Herzog von Sommerfet, Obeim des juns
gen Konigs, welcher die von Heinrich verordneten Vor—
münder verdrängte. Diefer hieng an Galvinifchen Grund-
fäßen; der Erzbifchof Eranmer huldigte mit abgeworfner
Maske al feinen Wünfchen, und ward fein vertrautefter
Freund. Dem Herzog felbft war eg nur um die Kirchen—
güter zu thun, von welcher Plünderung fich Viele großen.
Bortheil verfprachen. Cranmer dachte hauptfächlich darauf,
feine bis jeßt verborgen gehaltene Ehe nun in gefeh-
licher Form erfcheinen zu laffen. Die Reformation ward
bejchloffen! Der Herzog lieg Eduard als Reichsoberhaupt in
geiftlichen und weltlichen Rechten proflamieren, Fündigte
eine baldige Abfaffung von Slaubensartifeln an, und unter»
fagte alle Predigten. Um das Werk der Reform -thätigft
zu betreiben, wurden Peter Martyr, Ochin und Bucer —
welche fich eben in Straßburg aufbielten — nach England
berufen. Nun ward der Gottesdienft feiner ehrwürdigen
aus dem grauften Altertum herftammenden Form beraubt,
Ritual — Liturgie — Verehrung des Kreuzes aufgehoben,
felbft der Glaube an die wefentliche Gegenwart im Altar—
faframent umgeftürzt, und fo fahb England — von Erftau-
nen ergriffen — fi) in einen proteftantifchen Staat ums
geftaltet!
Eduard ftarb 4553, und Marie feine ältere Schwe—
fter folgte — nach einer zehntägigen Zwiſchenregierung
der Königin Johanna — ihm auf dem Thron. Diefe war
den von ihrer tugendhaften Mutter Latharina ererbten
katholiſchen Grundfähen treu geblieben. Es gelang ihr,
allmählich wieder ihr Volk dem päpftlihen Stuhl zu unter-
werfen. Das Parlament felbft fuchte um die vom Gardi-
nal Legaten Poole eingeleitete Verſöhnung an. Das alte
Bindnig der Glaubens -Einheit ward hergeftellt; die
alten Dogmen wurden nebft der Liturgie wieder ange-
nommen. Ganz England, obfchon tief erfchüttert durch die
Neuerungen der lekten Regierung, lebte neu wieder auf in
der Rückkehr zue Mutterkirche. Auch jet noch würde
— 114 —
wohl England ihre angehören; allein Maria jtarb — nad)
furzer Regierung — kinderlos. |
Auf dem Thron folgte ihre 1557 Elifabeth, ihre
natürliche Schwefter, zwar nicht nach dem Recht der Ge—
burt, aber nach dem legten Willen des Königs Heinrich;
denn fie war eine Tochter der Anna v. Bolleyn und ward
gebohren: zur Zeit ald noch Catharina — die rechtmäßige
Königin und Gemahlin Heinrich! — Iebte, im Suhr 1533.
Mit fchüchternem Gemüth beftieg fie den Thron, in der
Veberzeugung nicht gefeklich dazu berufen zu feyn, und war
unfchlüßig die Reforntatidn herzuſtellen aus Furcht vor ge=
fährlihen Gährungen. Endlich ließ fie fich dazu bewegen
durch die Borftselungen ihrer Minifter, daß fie nie ein
daurhaftes und aufrichtiges Einverftändnig mit dem römi—
fhen Hof fidy verfprechen dürfe und von demfelben nie
als rethtmäßige Königin anerkannt werden fönnte.
Nun ward der Bruch mit dem päpftlichen Stuhl befchloffen,
und das Parlament zu diefem Behuf verfammelt. In der
Pairsfammer ward ein Gefek vorgefchlagen: alle früheren
Befchlüffe der Königin Maria aufzuheben, Elifabeth als
oberfte Regentin in allen geiftlichen und meltlichen Anges
legenheiten — wie früher Heinrich und Eduard — anzu—
erkennen, die gefammte Geiftlichkeit hiefür in Pflichteid zu
nehmen u. f. w. Gtarf erhoben fich dagegen die in der
Kammer anmwefenden — erftaunten und beftürzten — Bi—
fchöfe; aber ohne fie einer Rückſicht zu würdigen, ward
das Gefeß angenommen. Auch in der Kammer der Ge-
meinen fiegte die Hofpartey. Das Shisma ward zum
Reichsgefek erklärt; wer es mit Nom hielt, ward als Feind
Gottes und der Krone Englands angefehen. Die meiften
Bifchöfe wurden nun megen verweigertem Eid abgefekt,
verjagt und durch folche Priefter erſetzt, welche den neuen
Grundfäken zugethan waren. Parker ward zum Erzbifchof
von Canterbury geweiht; 1562 waren alle bifchöflichen
Stühle wieder defekt und eine laubenserflärung ward
in 39 Artikeln verfaßt, vom Parlament und der Königin
4
—
ſankzioniert. So ward zum zweiten Mahl die kirchliche
Ordnung umgeſtürzt, die Glaubenstrennung feyerlich
proklamiert, und das engliſche Volk durch Liſt und Gewalt
von der ganzen Chriſtenfamilie losgeriſſen; — dieß alles
auf den Machtfpruch jener ehrgeizigen Königin. Die recht—
mäßigen Biſchöfe waren von abtrünnigen verdrängt, und
Parker ſelbſt war von folchen geweiht worden, welchen bier»
zu durchaus feine kirchliche Befugniß zuftund. Dennoch
war es der kühnen Elifabeth nicht gelungen, die Bewohner
auch nur einer einzigen Provinz oder Stadt zu Profelyten
ihrer neuen Kirche zu gewinnen. Statt folchen wurden im
Schooße diefer Reformation nur neue Sekten erzeugt,
die fich fo weit ausdehnten — fo ſchnell und tief wurzelten,
daß fie, gleich wucherndem Unfrant, nicht mehr auszurotten
waren. So gediehen die Presbyterianer, Sndependenten,
Duritaner, Quäker, Sozinianer, Anabaptiften, die mäh—
rifchen Brüder, Yuttiften, Brüder des neuen Serufalem,
und jene Unzahl von Methodiften. Daher fiehbt man in
ganz Brittannien fo viele Altäre aufbauen und niederreißen,
Kirchen, deren je eine die andere verfolgt, Tempel, die
einander fremd find, — häusliche Berfammlungen, in wel—
chen der Gottesdienft zur nähmlichen Stund mit ganz
verfchiednen Kirchengebräuchen gefeyert, dag Evanges
lium nah Gutdünfen ausgelegt, und die Religionslehre
nach den widerfprechendften Meinungen erklärt wird.
Seit der Epoche der von Efifabeth bewürften Ummwälzung
ift die Religion in England zu einem Gewirr zahllofer
Sekten herabgefunfen, die Liturgie in Verwirrung ge»
rathen, und ein Chaos von Widerfprüchen in den Lehr—
ſätzen entftanden, daß faum jemand mehr weiß, was er
alauden oder denken foll, während der göttliche Sefekgeber
und feine Nachfolger auf nichts fo fehr ald Einheit
im Glauben drangen, und gegen nichts fo fehr wie gegen
Spaltungen eiferten! —
Daß übrigens in England die Zwinglifche Lehre
der Lutherſchen vorgezogen wurde, rührt hauptfächlich
daher, weil Luther wegen feinen Controverfen mit Hein—
rich VIII. und dem Kanzler Morus verhaßt war, und
weil man beym Beginn der Reformation unter Eduard VI.
die Zwinglifche Abendmahllehre — als der päpftlichen Trans—
fubftantiation gerade entgegengefekt — für die beque=
mere und geeignetere hielt, um die Gränzfcheidung zmwifchen
dem Papftthum und der Englifchen Kirche auf immer feft-
zuftellen. Dazu fam noch, daß Ochin, Vermilius und
Bucer durch ihre Difputationen der Zwinglifchen Lehre
mehr Anfehn und Beyfall verfihaftten, da hingegen für
die Zutherifche damahls Fein Herold in England fich
befand. Zudem war der Kehrftreit zwifchen den Zuthera-
nern und Reformierten damahl3 noch zu feinerley öffent»
licher Kirchentrennung erwachſen, (mas erft nach Luthers
Tod erfolgte) fo daß die Gründe und Gegengründe
des Kehrftreits nicht Eonnten zur Wahl vorgelegt werden.
Denn, wie man aus Burnet fieht, ward anfänglich die
„Berwandlung“ und die „leiblihe Gegenwart“ in dem
nähmlicyen — päpftlichen — Sinn genommen, folglich die
päpitliche und [utherifche Xehre noch vermengt, und fomit
nur der Unterfchied zwifchen der römifchen und englifchen,
nicht aber auch zwifchen der lutherifchen und englifchen,
feſtgeſetzt. Als dann nachher unter Elifabeth die Reform
in England völlig zu Stand fam, ward — um alle Unter
thanen durch Ein Slaubensbefenntniß zu vereinigen — die
Lehre der Leiblishen Gegenwart nicht ausdrüdlich ver-
worfen, fondern in jenen 39 Artikeln der Londner Synode
von 1562 weggelaffen, und nur die Transfubftantiation,
oder Eatholifche Xehre von dev Berwandlung, verworfen;
im Artikel 28 hieß es daher nur: für diejenigen, welche es
nach DBorfchrift würdig und gläubig genießen, ift das
Brot, welches wir brechen, eine Berbindung des Leibs
Ehrifti, und eben fo der gemeihte Kelch eine Verbindung
und Gemeinfchaft des Bluts Ehrifti. i
Dieß wenige mag genügen, um fi) von dem Urfprung
und Fortgang der Kivchentrennung in England einen gründ-
4"
— 164 —
lichen Begriff zu machen. Wer jedoch in die näheren Um—
ftinde einzudringen mwünfcht, den verweifen wir auf die
Werke eines Whittafer, Tyler, Stuart, nicht aber Hume
oder Robertfon, — deren Irrthümer über verfchiedne Ab—
fchnitte der Englifchen Gefchichte erwiefen find.
Sn Sachfen begann Luther fein Werk um die Mitte
des zweyten Dezenniums im fechszehnten Sahrhundert.
Wir übergehen die, zum Theil Schon oben erwähnten, zum
Theil fattfam befannten Umftände feiner polemifchen Lauf-
bahn, und betrachten vielmehr die Abweichung feiner
Slaubenslehre von der Zwinglifchen im wefentlichiten
Punkt — näbmlich der Euchariftie.
ach Lutherifchem Lehrbegriff ift der Leib Chrifti,
feiner natürlichen und räumlichen Gegenwart nach, im
Himmel — und feiner übernatürlichen Gegenwart
nach — auf Erde, im Abendmahl. Die übernatürliche
Gegenwart leitet Luther aus der perfönlihen VBerei-
nigung der Menfchheit Ehrifti (folglich auch feines
menfchlichen Leibs) mit feiner Gottheit her. Kraft diefer
Vereinigung, und der an die menfchliche Natur mitge-
theilten Allgegenwart der Gottheit fann der ganze
ungetheilte Gottmenfc, folglich auch fein Leib und
Blut, im Abendmahl gegenwärtig feyn. Und zwar beruht
dieß Empfangen feines Leibs und Bluts auf des allmäch-
tigen Erlöfers eigner beftimmter Berheißung, melde
er dem geſegneten Brot und Wein im Abendmahl gab.
Dieſe werden alfo, während des Genuffes, Darreichungss
mittel des Damit vereinigten Reibs und Bluts Chriſti.
Darunter wird um defwillen Feineswegs das natürliche
Effen — durch Auflöfung, Zerftücelung und Berzehrung —
verftanden. Wie die Gegenwart des Leibs Ehrifti im
Abendmahl, eben fo gefchieht auch die Darreichung und
Genießung deffelben, d. b. fo, wie es nad) der über-
natürlichen Kraft eines allgegenwärtigen Leib —
einer ausdrüdlichen göttlichen Verheißung zufolg —
gefchehen fann. Das Wefen des Abendmahls hängt alfo
— Ib,
nicht von der Gemüthsverfaffung des Communikanten ab,
wohl aber die Frucht des Abendmahls. Nur demjenigen
wird die Frucht des Genuffes zu Theil, welcher glaubt.
Daher dringt auch die Lutherifhe Kirche fo fehr auf die
Nothwendigkeit des geiftigen Genuffes durch den Glauben.
Die übernatürliche Gegenwart und Geniefung des Leibs
Chriſti im Abendmahl beruht alfo nach Lutherifchen Bes
griffen lediglich auf perfönlicher Bereinigung der Gott-
heit Ehrifti mit feinee Menfchheit. Die Lehre „von
diefer Vereinigung ift ein Geheimniß, auf welchem die
Alfgegenwart feines Leibs beruht, — fo wie dann hin-
wiederum auf diefev Allgegenwart, in Verbindung mit
der ausdrücklichen Berheißung Ehrifti, das Dafeyn feines
Leibs im Abendmahl begründet if. Ueber ſolche Ge—
heimniffe unfrer Religion dürfen wir uns nicht verwun—
dern, da die heilige Schrift ung viele derfelben ganz
ausdrücklich felbft als folche bezeichnet, 4. B.: „daß in
Bott drey Perfonen- feyen“ (mo die menfchliche Vernunft
auch leichter nur Eine Perfon annehmen würde) ferner: *
„daß Gott geoffenbaret fey im Fleiſch“ welche Wahrheit
von Paulus felöft 4 Tim. II. ein ausgemacht großes Ge—
heimniß genannt wird (mo. die menfchliche Faffungsfraft
‚eher begriffe, daß der Menſch Jeſus Chriſtus ein bloßer
von Gott begnadigter Menſch ſey), ferner: „die Berei⸗
tung des Leibs Chriſti aus Maria, der unbefleckten Jung—
frau durch Ueberſchattung des beit. Beiftes,“ was dem
Verſtand eben aud) parador genug vorkommt. So würde '
uns wohl auch beffer einleuchten, daß der Menfchenftaub
im Grabe bleiben, als daß ex wieder. lebendig und mit
feiner Geele vereinigt werden fol. (Und doc, glauben
auch die Zwinglianer all diefe Moyfterien, wie der Luthera—
ner und der Katholik!). Zur übernatürlichen Gegen-
wart des Leibs und Bluts Chrifti im Abendmahl war
immerhin nur ein einziges Wunder — ein für alle
mahl — nöthig, nähmlich: die perfönliche Bereinigung
der Menfchheit Chriſti mit feiner Gottheit.
—" Ib —
Die Lutherifche Kirche lehrt folglich feine wefent,
lihe Berwandlung des Brots und Weins, fondern
nur die faframentliche Bereinigung d. i. die Ber-
bindung des fichtbaren Brots und Weins mit dem
unfihtbarmwahrhaft gegenwärtigen Leib und Blut
Chriſti, Eraft welcher Verbindung wir eines mit dem andern
zugleich genießen.
Sm Rutherifhen Katehifmus wird auf die Frage:
„was ift nun das Saframent des Altars?, geantwortet:
„e8 ift der wahre Leib und Blut unfers Heren Sefu
Ehrifti in, mit und unter dem Brot und Wein, durch
Chriſti Wort ung Ehriften befohlen zu effen und zu trinfen. “
Durch dieſe Redensart „in, mit und unter“ wollen die
Zutheraner weder eine räumliche Einfchließung noch eine
Dermengung des Wefens ausdrücen, jondern bloß eine
faframentlihe Bereinigung, welche bemürft, daß
wir mit dem Irdiſchen Sichtbaren zugleich etwas
Himmlifches Unfihtbares empfangen; während nach
dem katholiſchen Lehrbegriff die würfliche Gegenwart
Ehrifti im Altarfaframent auf der Bermwandlung der
Subftanz beruht. |
Wenn einige Kirchenpäter die Wörter „Bild, Zei:
hen, Borftelung“ (Agura, signum, symbolum, zUrog
und avzizvzog) gebrauchten, fo nehmen fie folche in ganz
anderm als Zmwinglifchem Berftand, fo daß fie durch das
äußerliche Zeichen nicht etwas abmwefendes, fondern
nur das unfichtbare bezeichnet wiffen wollten. Die
dunfleren Stellen der Kirchenväter müffen durch ihre deuf-
lichern erklärt werden. In den erften Zeiten walteten
noch gar feine Zerwürfniffe oder ungleihe An—
fihten unter ihnen ob, welche es ihnen nöthig gemacht
hätten, ſich deutlicher auszufprechen; Daher auch in
ihren Conzilien, Symbolen und Liturgien nur in allge»
meinen Ausdrücen der Abendniahllehre erwähnt wird.
Da an Ehrifti eignen Worten damahls noch niemand
zmweifelte, fo fonnte auch ein befondrer Glaubens—
— 4167 —
artikel über die Verwandlung des Brots in den Leib
Chriſti nicht ald nothwendig eriiheinen.
An die Rutherifche Abendmahllehre fchloffen fich auch
die Waldenfer, MWiclefiten und Huffiten an, indem fie
öffentlich den Zwinglifchen Lehrbegriff bermarfen;
Während Carolſtad, Defolampad und Zmingli am
heftigften unter fihh über den Sinn der Einfeßkungs-
worte ftritten, behauptete Luther unentmwegtdie würk—
lihe Gegenwart des Leibs und Bluts Ehrifti im
Abendmahl, indem er die Worte des evangelifchen Texts
allzu flar und unzweideutig fand, als daß fie irgend
eine andere Auslegung zuliefen. DBergeblich waren
alle Ausgleichungsverfuche ; auch beym Colloquium in Mar—
purg 4529 konnte feine Vereinigung ftattfinden, und eben
fd wenig fpäterhin auf den Synoden zu Bafel und Eiſenach
1536; dennoch erfolgte bey Luthers Lebzeiten Fein
öffentliber Bruch. Mach feinem Tod begann der
Streit aufs neue, wobei Galvin .fich befonders thälig
bewies, und zulest erfolgte dann die förmliche Tren-
nung. Don Geite der Lutheraner ward gegen d. 3. 1580
die formula eoncordie, und von Geite der Zwinglianer
theils 4566 die Helvetifche Eonfeffion, theils aber
bauptfächlich 1619 die Synodal-Statuten von Dord—
recht aufgeftellt, und dadurdy die Spaltung zwifchen
diefen beyden proteſtantiſchen —— feſt⸗
gegründet.
Zu Widerlegung der Zwingliſchen Lehrmeinung vom
Abendmahl b:rufen ſich die Lutheraner vorzüglich auf
geſchichtliche Urkunden aus den erften Sahrhunderten
der Ehriftenheit , auf die Ausfprüche vieler dev Alteften
Kirchenväter, welche ſämmtlich gegen den ſym—
bolifiyen oder geiftigen Verſtand der Einfeßungsworte
zeugen, befonders Eyprian in f. Rede vom Abendmahl des
Herrn — Hilarius Lib, 8, de trinit. — Eyrill v, Alexan—
drien in f. X. Buch über Joh. XII. u. f. w. Außer fo
vielen und flaren Zeugniffen der älteften Väter wer: -
— 16 —
den auch mehrere aus dem VIII Sahrhundert angeführt.
So 3. B. fihreibt Joh. Damaszenus, welcher zu An-
fang deſſelben — folglich noch mehr als hundert Sabre
vor dem durch die Transfubftantiation entftandnen öffent-
lihen Saframentftreit — [ebte, in f. IV. 8. de ortho-
doxa fide C. 14. „Brot und Mein ift feine Figur des
Leibs und Bluts Chriſti, ſondern der göttliche Leib
ſelbſt, indem Chriſtus ſpricht: das iſt mein Leib, nicht:
eine Figur des Leibs, und eben fo: das iſt mein Blut,
nicht: eine Figur des Bluts. Fragt ihre, wie das
zugehe? fo wiſſen wir nichts anzugeben als: daß Gottes
Wort wahr, kräftig und allmächtig — die Art und
Weife aber unerforfälich if.“ Das Conzilium von
Nicäa im S. 787 fpricht fich Elar dahin aus: daß fein
Apoſtel noch Kirchenvater je im figürlichen Sinn davon
gefprochen, fondern diefelben vielmehr immer behauptet
haben, daß im heiligen Abendmahl der eigentliche und
wahre Leib Ehrifti zugegen fey. . Selbft Auguftinus be-
hauptet an mehreren Stellen ausdrudlich: „daß die un-
würdigen Communifanten — denen man feine geiftige
Geniefung zufprechen fönne — gleichwohl den wah-
ren Leib und das wahre Blut Ehrifti genößen“; welchem
Lehrfaß auch Enprianus, Baſilius, Ambrofius, Chrifo-
ſtomus, Hieronimus, Leo, Deeumenius u. a. beipflichten,
woraus dann flar hervorgeht, wie wenig die Zwinglifche
Meinung unter. den Kirchenvätern und felbft bey Au—
guſtinus Gründe für fich finde. Auch Suftinus Martyr in
feiner erſten Schukfchrift an den Kaifer Antonius den
Frommen fpricht fich deutlich in obigem Ginn aus.
Amdrofius im IV. B. von den Sakramenten fagt C. V.:
„Der Herr Sefus Ehriftus felbft bezeugt ung, daß wir
feinen Leib und Blut empfangen; ifts wohl erlaubt,
an feiner Treu und Wahrheit zu zweifeln? Eben fo
urtheilen Gregor dv. Nazianz in f. andern Red vom Diter-
feft, und Cyrill v. Alerandrien wider Neftorium. Auch
Chriſoſtomus in der 27 Homil. über 4 Cor. AL fpricht
— 40609 —
aufs beftimmtefte von der nicht bloß geiftigen,
fondern mündlichen Genießung des Abendmahls durch die
Unmwürdigen (während diefen von der Zwingli—
ſchen Lehre die Theilnahme am Leib und Blut Ehrifti
ganz abgeſprochen wird).
Aber auch fogar aus Haymon, Theophylacto, Algero,
Bernhardo, dem Abt Rupert von Tui — mithin aus den
finfterften Zeiten — werden von den Lutheranern
Zeugniſſe beygebracht , welche für die würfliche Gegen-
wart fprechen. Der fchlagendfte Beweis hiefür Tiegt wohl
in dem Zeugniß der Heiden felbft, welche den Chriften
der erften Kirche den eben fo boshaften als ungereim-
ten Borwurf machten, daß fie in ihren Berfammlungen
Menſchenfleiſch eſſen.
Ueber den Punkt der Geheimniſſe ſtellen die Luthe—
raner, wie wir ſchon oben bemerkten, den pyrrhoniſchen
Zwinglianern die triftigſten Argumente entgegen. Sie
ſagen nähmlich, das große gottſelige Geheimniß nach
4 Zim. III. und fo viele andere mehr laſſen ſich nach der
Philofophbie auch nicht erklären; Geheimniffe feyen
wohl über, alein gun; und gar nicht wider die Ver—
nunft (was felbft ein Leibnitz gegen Bayle behauptet) ;
das Geheimniß unfrer eignen Natur — die Vereinigung
des Leibs und der Seele — werde ja auch geglaubt , ob
man gleich das Band diefer Vereinigung und die wech—
felfeitigen Einflüffe nicht gründlich zu erforfchen ver-
möge; alle Schwierigkeiten, welche man einer aus Got—
tes Wort Elar erwiefenen Wahrheit entgegenfeken
fönne , bemweifen lediglich: daß wir nicht alles wiſ—
fen, u. f..w.
Luther fagt in f. Tifchreden ©. 47: „Wir Narren
. fönnen mit unfver Vernunft nicht begreifen, wiffen, noch
berfiehen, wie es zugehe und woher es fomme, daf
wir mit dem Mund reden — und woher die Worte fommen,
und Daß eines einzigen Menfchen Stimme und Wort in fo
a
viele faufend Ohren erfihalle; defgleichen wie unfre Augen
jehen, und wie das Brot, Speife und Trank im Magen
verdaut und in Blut und Mift in uns verwandelt werde.
Und wir wollen doch außer und über uns fteigen und
fpefuliven von der hohen Majeftit Gottes, da wir doc)
nicht einmahl wiſſen können, was bey und in uns täg-
lich gefchieht; darum fol man in göttlichen und geiftlichen
Sachen nur glauben und hören, was Gottes Wort
fagt.“ Un einer andern Stelle in f. Tifchreden fagt er:
„Groß ift der Leute Thorheit; wir arme Menfchen mwol-
len über Gottes Wort urtheilen und richten, da mir
ihm doch nur follten ſtraks gehorfam feyn; es ift alg
ob die Kachel den Töpfer lehren wollte, wie er fie
machen und zubereiten foll; alfo wollen wir auch ung
über Gott erheben, und die Creatur will ihren
Schöpfer meiftern.“
Auch der große Leibnitz ift für die Lutheraner ein
wichtiger Gewährsmann. Im f. Theodizee Ed. Gottfd).
S. 25 — 29 und in f. Abhandlung von der Uebereinftim-
mung des Glaubens mit der Vernunft $. 18 — 21 fihlieft
er, daß die Lehre von der wahrhaften und mwefentlichen
Geniefung im Übendmahl feinen Widerfpruch enthalte,
daraus, weil jich die eigentliche Natur und Eigenſchaf—
ten eines Körpers überhaupt noch nicht beftimmen laffen,
weil feldft nach dem ordentlichen Lauf der Natur
ein Leib in viele entfernte Körper unmittelbar auf eins
mahl mwürfen könne, folglih der göttlihen Allmacht
fein Hinderniß gedenkbar fey, daß ein Körper vielen Kör—
pern zugleich gegenwärtig feyn könne. Er vereinigt des
großen Newton Meinung von den Eigenfchaften und Wür—
ungen dev Körper mit den Lehren dev Augsburger Con—
feffion, daß es nur auf Gott anfomme, folches zu be
werfftelligen; und ob diefe Würfung auch über die Kräfte
der Natur fen, fo könne man doch nicht fagen, daß fie
über die Macht des Urhebers der Natur fey, welcher
ja allerdings die der Natur gegebnen Geſetze auch eben
— 11 —
fo leicht wieder abzuſchaffen, aufzuheben oder zu aAndern
vermöge.
Die gefährlichſte Klippe für den Glauben bleibt
immer der Mißbrauch der menfchlichen Vernunft,
indem man alles wiffen —, den Urfachen und dem
Wefen nah durhdringen—, nicht aber glauben
(vergl. Hebr. XI., 1.), d. b. die göttlihen Zeugniffe
von folchen die Gränzen der Bernunft überfteigen-
den Geheimniffen nicht annehmen will. Der göttlichen
Dffenbarung nicht eher trauen ald wann auch die
Vernunft es eingefehen, oder darum befragt worden,
ob Gott auch wohl Recht habe — heißt : fich felbft ver—
göttern, wider Gottes Mageftätsrechte fich auflehnen.
Die Bernunft foll vielmehr nah Pauli Bor»
fhrift bey H. Cor. X unter den Gehorfam des
Glaubens gefangen genommen werden.
Noch ein Argument für den Lutherſchen Lehrbegriff
vom Abendmahl wird aus der DBergleichung des Dfter-
lamms im Alten Bund mit der Euckhariftie des
Neuen Bunds hergeleitet.
Bey bloß geiftiger Geniefung würden nähmlich die
Gläubigen des neuen Bunds nit mehr — ja noch
weniger — empfangen al3 jene des alten, fo daß die
Einfeßung defjelben ganz überflüffig gemefen märe.
Diefe bildliche Borftellung wäre der Natur des neuen
Dundes zumider, indem fein Unterfchied fich zeigte
zwischen Borbild — dem Dfterlamm — und Gegen
bild — dem heil. Abendmahl; ja die äußerlichen Zeichen
wären im alten Bund noch weit Elarer als im neuen,
da das Dfterlamm den Leib und das Blut Ehrifti weit
beffer hätte vorftellen können, als das Brot und der
Wein. |
Und wie fönnten wohl die Zwinglianer wider die
Zutheraner beweifen, daß der Leib Sefu Chrifti feine
andre Subftanz habe als der Leib der Menfchen?
daß 250 (ift), welches in manchen Schriftftellen mit „be—
deutet“ überfeßt werden Fann, auch in den Einferungs-
worten fo Überfegt werden müffe, und daß ein mögli—
cher Wortverftand auch allezeit ‚dev eigentlich richtige
fey ? daß eine raümliche Einfchliefung die wefent-
liche Eigenfchaft aller Leiber und felbft auch des Leibs
Chrifti jey? das es beffer fey, bei der Communion fehen
als glauben? und daß unfre Sinnen die untrügliche
Richtſchnur aller Geheimniffe des Glaubens feyen?
Den biblifch eregetifhen Hauptbeweis ihres Lehrbe—
geiffs der fatramentlichen Bereinigung gründen
indefjen die Lutheraner auf die Paulinifchen Stellen 1 Cor.
AI, 24 und X., 16. — Paulus beruft ſich nähmlıd)
Al., 23 auf Chrifti ausdrüdlichen Befehl, die Ein-
feßungsworte nach feinem — des GStifters vollſtändi—
gem Sinn vorzufvagen. Mathäus und Markus melden
bloß: das it mein Leib; Lukas fügt bey: „der für euch
gegeben wird, Paulus erklärt und ergänzt ed. Die
drey Evangeliften hatten bloß den Zweck, die Lebensge—
Ihichte und vornehmften Handlungen Sefu aufzuzeichnen;
Paulus aber hatte in Bezug aufdiefe faframentliche Handlung
den Auftrag vom Herrn erhalten: den vollftändigen
Rehrbegriff vom heiligen Abendmahl feinen corinthifchen
— ja allen chriftlichen Gemeinden in einer liturgifchen
Borfchrift vorzulegen, und dieß zwar bey einer erhei-
chenden Gelegenheit, da nähmlich ducch eingeriffene Mi f=-
bräuche zu Corinth diefe Stiftung ganz war verunftaltet
worden. Mithin Eönnen diefe von Paulo aufgezeichneten
Einfekungsworte al3 dag vollftändigfte Glaubensbe—
fenntniß der erften Kirche über diefen Artikel ange-
fehen werden. Die im 24. V. vorkommenden Worte nun
70 ooua zhwuevov halten die Lutheraner für eine ſakra—
mentliche Propofition und für den Hauptbeweis ihrer Lehr—
meinung, indem fonft Pauli Ausdruck unrichtig wäre, da
Ehrifti Keib im Tod nicht gebrochen ward (vergl. Soh,
XIX., 33); ein Ausdruck, weldyer aud) in der Metapher
nicht den Tod Ehrifti bezeichnen fann, — denn wo grüne
= 13 —
det ſich je eine Gleichnifrede im Mund Jeſu auf einen
unwabhren und in der Natur der Sache und des
Vorfalls nicht liegenden Umftand? Wo heißt im neuen
Teſt ament zAwwevor (gebrochen) fo viel als „getödtet“? Das
Prädikat „gebrochen“ fann demnach feinem Subjekt „Leib“
unmöglich anders zufommen, als im Sinn der von der Luther—
fchen Kicche angenommenen fatramentlichen Bereinigung des
Leibs mit dem Brot. Unmöglich fonnte Paulus mit Wiffen
und Willen Gelegenheit zu einem Mißverſtand geben.
Was fehen wir den Heiland in jenem ernften Augenblid
thun? das Brot brechen. Was hören wir ihn von die—
fem gebrochenen Brot fagen? Dieß ift mein Leib,
der für euch gebrochen wird. Ob die Jünger damahl3
diefes volftändig begriffen hatten, Taffen wir füglich
dahingeftellt. Jeſus duldete an ihnen viele unzulängliche
Begriffe von feiner Perfon , — feinem Amt, — Hingang —
und Reich; vieles, was fie noch nicht ganz faflen und er—
tragen fonnten, verfchob er auf die fünftige Leitung des
heil. Geiftes. (Joh. XVL, 13.)
3u all obigem kommt bey den Lutheranern noch dag
argumentum a tuto. In Blaubensfachen ift es immer
fihhrer , fih an das Anfehen des Elaren Worts Got—
tes al8 an die Einficht feiner eignen trügerifchen Ver—
nunft zu halten. Immer wagt man doch zu viel,
wenn man die Einfeßungsworte durch eine eigenmäch-
tige Deutung ſchwächt, die — mer kanns läugnen? --
vielleicht doch des Stifters Gedanke nicht könnte ge-
wefen feyn; dagegen aber wagt man nicht3, wenn man
jene Worte in ihrem eignen natürlichen Berftand annimmt.
Was dann übrigens die Einführung der Lutherfchen
Doktrin und ihren damahligen Wettitreit mit der Zwing—
lifchen betrifft, fo berufen wir ung auf die bereits fchon
in den biographifchen Notizen ihrer Urheber mitgetheilten
gefchichtlichen Umftände, und fügen hier nur noch weniges
nachträglich bey. |
Daß Luther anfänglich keineswegs eine würkliche
—
Trennung, wie ſolche nachher ſich geftaltete, beabſich—
tigte, und nur im Verfolg durch gekränkten Ehr—
geiz hierzu verleitet ward, unterliegt gar keinem Zweifel.
Das mit dem Ablaß getriebne ärgerliche Unweſen war
es, was ihn im J. 1517 auf den Schauplatz führte. Da⸗
mahl8 war er — mie er felbft bezeugt — „ein junger.
Doktor, neulic aus der Eſſe gefommen, hikig und luftig
in der heiligen Schrift.“ In feinen Zifchreden gefteht er
ganz unverhohlen: „Wenn Cajetanus (Gardinal Thomas
de Bio von Saeta, püpftlicher Nuntius und Legat bey
Kaifer Marimiltan, einer der gelehrteften Theologen) mit
beffver Befcheidenheit zu Augsburg am Reichstag im S.
4518 mit mir umgegangen wäre, und wenn er mich ange>
nommen hätte, da ich in aller Demuth zu ihm gieng und
nieder auf die Knie fiel, dann auf die Erde fo lang ich
war liegend, fo wäre es nimmermehr dahin gefommen ;
denn zu derfelben Zeit ſah ich noch wenig Irrthümer des
Papſts; hätte er ſtillgeſchwiegen, fo hätte ich Teichtlich
auch gefchmwiegen.“
Damahls hatte fih Luther noch bereit erklärt, dem
Urtheil des Papfts — welchen er alg Kirchenoberhaupt und
Gottes Stellvertreter auf Erde anerfannte — fich zu
unterziehen. Er fohrieb ihm 15418 (f. Ep. 64): „Hei—
liger Vater! heiß mich kommen , heiß mich geben; mad)
mit mir, was dir nur immer gefällt! heiß mich leben —
heig mich fterben ! Deinen Willen werde ich immer nur
als den Willen Sefu Chrifti anfehen.“ Und in einem ans
dern Brief: „Bor Gott und allen Gefchöpfen betheure
ich, daß ich nie gefonnen war noch bin, das Anfehn der
römifchen Kirche und ihres Oberhirten zu untergraben.
Sc bezeuge, daß ich diefe Kirche hoch Über alles fchäke,
was im Himmel und auf Erde ift — Jeſum Chriftum
einzig ausgenommen.“ (Luth. Op. I., 183.)
Da Herzog Friedrich von Sachſen beym Papft aus«
gewürkt hatte, daß Luther — ftatt nach Rom zu fommen
— von dem Legaten Eajetan, wie oben bemerkt, abgehört
— —
werden möge, ſchrieb er dieſem Legaten: „ich geſtehe es
und habe es ſchon anderwärts bekannt, daß ich mich des
verwegenſten Leichtſinns ſchuldig gemacht und den
Nahmen des oberſten Kirchenhaupts nicht mit der
gebührenden Ehrfurcht behandelt habe; dieſe und andre
Uebereilungen erkenne und bereue ich, bitte auch dieſer—
wegen männiglich um Verzeihung; habe ich durch die
Ablaßprediger, welche ihr Amt ſchändlich verwalteten,
mich hinreißen laſſen, etwas zu ſprechen oder zu ſchrei—
ben, welches übel ausgelegt werden könnte, ſo bedaure
ich ſolches innigſt, indem ich zugleich betheure, daß es
ganz und gar nie in meiner Abſicht gelegen war, den
Stellvertreter Gottes auf Erden zu beleidigen.“ Im
Derfolg diefer Verhandlungen begab ſich Luther zum Lega—
ten, und las in Gegenwart des Motars und vier Faifer-
licher Räthe folgenden Widerruf: „ih Martin Luther,
YAuguftinerordeng- Bruder , erkläre und bezeuge, Daß ich
der heiligen römiſchen Kirche in all meinen Reden und
Handlungen aufrichtig und treu zugethan bin; und folte
mir etwas entfallen feyn oder ich etwas dem Zumider-
laufendes gefagt haben, fo wünfche und bitte ich, daß
folches als nicht gefchehen betrachtet werden möge.“
Während diefer Unterhandlung ward das Colloquium
in Leipzig zwifchen Luther, Carloftad und Ed gehalten,
wo erfiver dem lektern geftund, daß er das Schisma der
Huffiten fchon deßwegen durchaus nicht billigen fünne,
weil fie nur aus eigner freyer Willführ von der Kirche
fih getrennt und die Einigkeit in derfelden ge ftört
— Sa nach dieſer heftigen Difputation ſchrieb Luther
noch an Leo X.: „Man hat mich beſchuldigt, als hätte
ich die Vermeſſenheit gehabt, ſogar deinen perſönlichen
Charakter, heiligſter Vater! anzutaſten; allein ich kann
und muß es betheuern, daß, fo oft ich Gelegenheit hatte,
deinen Nahmen zu nennen, ich es ſtets mit dev größten
Ehrerbiethbung gethan habe. (Dben hatte er dem Cardinal
Cajetan das Gegenteil eingeftanden.) Der unbefleckte Ruf
N
— 4116 —
deines Lebens ift in der That fo erhaben, und von der
Gelehrten aller Welttheile ſo laut gepriefen, daß er jeder.
Derunglimpfung Trutz biethen kann. Sch bin nicht fo
unverftäindig, daß ich denjenigen tadeln ſollte, welchen die
ganze Welt lobt.“ u. ſ. w.
Indeſſen verzog ſich die Unterhandlung; der entrüſtete
Eck gieng num ſelbſt nach Rom, und drang dort auf die
ſtrengſten Maßregeln. Noch ſchrieb Luther an den Papft
ernftlich, aber doch fehr demüthig, nennt zwar Rom ein
Babel, aber den Papft einen Daniel in der Löwengrub.
Bald darauf erfchien die Bulle des Papſts Leo vom 45.
Suny 1520, und nun ward die Erbittrung allgemein.
Nachdem Luther am 10. Dez. 1520 die erfte Bulle und
die päpftlichen Decretalien öffentlich verbrannt hatte, er-
folgte am 4. San. 1521 die Erfommunifationsbule. Nun
fchalt er den Papft, welchen er kurz vorher einen Da—
niel in der Löwengrube genannt hatte, einen Antichrift,
Läfterte gleich einem Wahnfinnigen, und ergoß fidy in den
heftigften Schmähungen. Sein Vebermutb Fannte feine
Schranfen mehr, und er fchrieb jetzt felbft dem Herzog
von Braunfchweig, daß fein Nahme überall hoch gefeyert
werde, und niemand ſich ihm ferner zu mwiderfeken wage ;
er hielt fih nun für ein untrügliches Orakel, und ward
bald überall „der zweite Papft“ nicht mit Unrecht geheißen.
Daß Übrigens hauptfächlich auch das Zufammentreffen der
wichtigften politifchen Verwicklungen es war, was den
Fortdeftand des Reformationswerks möglich machte und
begünftigte, unterliegt feinem Zweifel. Nach dem Reichs»
tag in Augsburg A518 war Luther — von allen ©eiten
verlaffen — im Begriff, ſich in ein andres Land zu
entfernen, als er am Abend feines Abfehiedsmahls mit
feinen Freunden zu Wittenberg den kurfürftlichen Befehl
erhielt, die Abreife zu unterlaffen, worauf dann bald durch
die päpftliche Bulle der Krieg auf Leben und Tod begann.
Als er im I. 1521 vom Papft verbannt und vom Kaifer
geächtet ward, und Alennder — der Cardinal und päpftliche
— 177 —
Nuntius sin Blutbad der Deutſchen unter ſich ſelbſt erivars
tete, wurde Carl nach Spanien gerufen; da entſtund der
franzöſiſche Krieg, in welchen die meiſten Fürſten verfloch—
ten wurden, und wo Franz ganz Italien in Schrecken
ſetzte; bald ſtarb Leo X. — und mit erſtaunender Schnel—
ligkeit verbreitete ſich der Lutheranismus in Deutſchland.
Aehnliche Bewandtniß hatte es bey den Religionszwiſten
in der Schweiz. Als ſich die fünf Stände mit Erzherzog
Ferdinand von Dejtreich gegen Zürich verbündeten, mußte
diefer fchleunig nacy Ungarn zieben, wo Sulintann das
Ungarfche Heer geichlagen hatte und fhon Deutfchland
bedrohte. Wenn der Proteftantismus am ſtärkſten von
Seite des Kaifers in Gefahr war, fo ward dieſer jedes-
mahl von den Zürfen, dem Papft oder den Franzofen
gedrängt; und es läßt fich gar nicht bezweifeln, daß die
Augsb. Eonfeffionsverwandten auch jene erfte Bewilligungs—
freyheit vom Sahr 1532 nicht würden erhalten haben, wenn
nicht eben damahls der Kaifer ihre Hülfe gegen die türs
fifche Macht dringend bedurft hätte.
‚Die Eonflifte zwifchen Luther und Zwingli
— insbeſondre betreffend geben die Verhandlungen der
im Okt. 4529 zu Marpurg abgehaltnen Diſputation,
wo Luther und Melanchton gegen Zmingli und Oekolam—⸗
pad perfönlich.aufden Kampfplak getreten waren, merf-
würdige Auffchlüffe. Es handelte fich dabey hauptfächlich
um die Gegenwart Ehrifti im Abendmahl. Zwingli beftritt.
diefen Satz, weil e8 ſich gar nicht annehmen laffe, daß
durch das bloße Wort des Prieſters das Brot fih in
EHrifti Leib verwandlen mürde, und Chriftus unmöglich
überall zugegen feyn könne; er behauptete, daß Gott von
den Menfthen nicht den Glauben an folche Dinge fordere,
welche fie auf feine Weife mit ihrem Berftand zu begrei-
fen vermögen. Luther entgegnete, daß auf Sottes Allmacht
gar nicht von unfern befchränften, finnlichen Begriffen
dürfe gefchloffen werden, daß dem Ehrift zur Pflicht ge
macht fey, noch andre weit unbegreiflichere Gegens
12
— 18 —
ſtände dennoch zu glauben — wie z. B. die Menſchwerdung
Gottes — ſeinen Kreuzestod als Gott und Menſch zugleich
u. ſ. mw. — daß jenes wundervolle Geheimniß nicht von
der priefterlichen Würde, fondern von der Allmacht
des göttlihen Worts abhange, — daß Gottes All—
gegenmwart — welche doch von niemand bezweifelt werde —
ein eben fo undurchdringliches Geheimniß fey, wie feine
wefentliche Gegenwart im Abendmahl, und man hier der
göttlichen Dffenbarung Glauben fchenfen müſſe, was
auch immer die VBernuft dagegen fagen möge, u. f. m.
Durd) Luthers Belehrung ward — mie die Akten deutlich
ausfprechen — Zwingli zum Schweigen gebracht. Bey
diefem Colloquio führten übrigens, nach dem Zeugniß da—
mahliger Echriftfieller, Zweyt racht und Ehrgeiz den
Vorſitz, und nichts ward entfchiedeu; allein Luther be—
hauptete eine auffallende Ueberlegenheit, fo zwar,
daß, — wie auch Brentius und Schlüffelberg erzählen —
3wingli mit Thränen Luthern bath, ihn als Bruder ans
zuerfennen und aufzunehmen, allein von lekterm mit dem
Ausruf abgewiefen ward: verdammt fey eine folche Ein-
tracht, die der Sache Gottes Schaden brächte; weg —
weg von ung; euch treibt ein andrer Geift als uns! —
Auf dieß Verhältniß nun that fich Luther fehr viel zu gut,
während Zwingli hingegen fich nicht wenig durd) diefe Zu—
rücftoßung befchimpft fand. Das Eolloquium ward dann
aufgehoben, weil eben damahls eine vorher unbekannte
Krankheit — der englifche Schweiß genannt — in Deutfch-
land um fich griff. Der Streit ward auf fich felbft beru-
hend gelafien, „bis der wahre, richtige Sinn der Ein-
feßungsmworte des Erlöſers vom heiligen Geift geoffenbart
werde.“ Dennoch erklärte Luther feft und mwiederhohlt,
daß er die Zmwinglianer feineswegs als Brüder, fondern
als Häretiker betrachte; und der gelaßne Melanchton
fhrieb hierüber an Mart. Gerlach, „er babe die Zwinglifche
Lehre im Colloquium zu Marpurg fattfam als eine folche
- fennen gelernt, die gar nicht von Chriftus ihren
A
Urfprung babe, und fey num überzeugt worden, daß
die Zwinglianer von ganz kindiſchen Begriffen usgehen⸗
Daß übrigens Luther den Ruhm der urſprünglichen
Reformations = oder vielmehr Deformations-Stiftung mit
Zwingli zu theilen ganz und gar nicht gefonnen war, ift
befannt genug. Weber des Letztren dießfallſige Anmaßung
höchlich erzürnt, fehrieb er feinen Freunden in Straßburg:
er könne fich rühmen, Jeſum Chriftum am erften ges
predigt zu haben, allein Zwingli wolle diefen Ruhm ihm
fireitig machen. „Kann man wohl ſchweigen — fo fihließt
er — während diefe Leute unfre Kirchen beunruhigen und
unfer Anfehen untergraben? es giebt feinen Mittelweg;
‚entweder müßen fie oder ich Diener des Satans feyn.“
Nachdem wir ung mit dem Lutherfchen Lehrbegriff
über die Euchariftie — als mefentlichftem Abweichungs-
punkt von dem Zmwinglifchen — befannt gemacht, und die
von erfterm aufgeftellten Beweisgründe vernommen haben,
betrachten wir nun die Entftehung, den Fortgang und die
Folgen der Eirchlichen Reform in der Schweiz.
Hier begann Zwingli — eın paar Sahre fpäter als
Luther in Deutfchland — das Werk der Kirchentrennung.
Die gegenfeitigen perfünlichen Berhältniffe diefer
beyden Hauptreformatoren haben wir bereit3 aus ihren
biographifchen Schattenriffen erfeben, und wiſſen auch,
daß diefelben über den wichtigften Punkt der Slaubenslehre
ſich durchaus nicht vereinigen konnten, fondern vielmehr
immer leidenfchaftlicher anfeindeten und in gegenfeitiger
Verketzerung zu überbiethen fuchten, — daß jedoch erft
nach) ihrem Tod die förmliche Trennung beyder
Gonfeffionen erfolgte, welche dann auch feitdem beharrlich
fortbeftund.
Sn den verfchiednen Bundesftaaten der Schweiz hatte
die neue Lehre auch ein fehr ungleihes ‚Schidfal;
großentheils mußte fie mit hartnäcdigen Hinderniffen käm—
pfen, jo zwar, daß hin und wieder der Wanfelmuth in
einzelnen abgefallnen ——— ſogar eine Rückkehr zu
—
MR
der ehevorigen Lehre bemwürfte, Der Hauptantrieb
gieng von Zürch aus, wo Zwingli 4519 als Prediger
auftrat, dann einige oberfeitliche ſowohl als geiftliche Per»
fonen für feine Anfichten zu gewinnen wußte, und aud)
das Volk durch mehrere Drudfchriften auf die beabfichtigte
Beränderung vorzubereiten befliffen war,
Im Sahr 1523 legte Zwingli das Syftem feiner neuen
Zehre der. Obrigfeit zum Entfcheid vor, welche dafjelbe
guthieß und deffen Einführung befahl. Diefe foupräne
oberfte Kandesbehörde — großer Rath genannt — beftund
aus zweyhundert ehrbaren Bürgern und Handwerfern.
(Man kann ſich leicht denfen, aus welch gefihieften: und
bewanderten Theologen diefe Anzahl Schweizerbürger
des XVI. Sahrhunderts zufammengefeßt war!) In folch
ehrwürdiger Berfammlung neuer Kichenväter fand
die volftändig gründliche Difputazion ‚Statt: über den
Sinn der Einfeßungsmworte des heiligen Abendmahls.
Der Reformator bewies, — und wohl ohne übergroße
Anftrengung, — zur bandgreiflichfien Ueberzeugung jener
ftarken Geifter, die figürliye Bedeutung der Ein
feßungsmorte Chriſti, mit dev befannten Parabel: „der
Acker ift die Welt, der Same ift das Wort.“ Somit
war -fein Sak Elar bewiefen, indem jene nächtliche Ers
fheinung, welche ihm eine paffendere Stelle aus Exod.
XII., 44. (denn e8 ift Dhafe, oder Borübergang des Heren)
einflüfterte, evt fpäterhin ihm zu heil ward. Dieß hoch»
erleuchtete bürgerliche Conzilium zögerte nicht lang,
die Defchlüffe anzunehmen , welche Zwingli gegen das alte
Dogma der wefentlihen Gegenwart ausgefprochen
hatte, und — die Reformation war — entfchieden ! !
(Lavater bemerft jedoch in f. hist. saer. F. 3: „daß
ein Schreiber im Rath zu Zürich dem Irrthum Zwinglis
wideritanden und ihn mit diefem Argument infonderheit
verivt habe: daß er von den eigentlichen und hellen
Worten des Sohns Gottes abweiche und feinen genuge
famen Beweis führe; denn diefe Exempel: der Same
— 11 —
ift das Wort Gottes, — Chriftug ift die Thür, — Fels —
Duelle u. f. mw. gehören nicht zue Sache, es feyen Öleidy-
niffe,, die man durch das Wort „ift* erkläre. Xapater
fügt ehrlicher Weife bei: dag Zwingli, von diefem Schrei—
ber in die Enge getrieben, wider die bene Wahrheit
nichts vorbringen fonnte.)
Sp war der Urfprung der Glaubenstrennung in. der
Schweiz befchaffen, wo zweyhundert unbefugte Laien
gegen den Glauben aller früheren Sahrhunderte
und gegen die ununterbrohne Lehre der Mutter
firche mit einer Gleichgültigfeit entfchieden , als hätte es
fich bloß um einen Civilftreit gehandelt, Mit welch gründ-
licher Sorgfalt und feyerlihem Anftand diefe Conziliar—
verhandlungen Statt fanden, geht auch fihon daraus hers
vor, daß — laut amtlicher Urkunden — das Haupt der
erleuchteten Berfammlung, der regierende Bürgermeifter
Royſt, ſelbſt erklärte, „von diefen Sachen fo viel zu ver—
‚ftehen, als ein Blinder von den Farben, und daher nicht
wohl darüber fprechen zu können“ (in welchem Fall ohne
Zweifel auch feine Mitrichter fich befinden mochten), und
daß eben derfelbe Conſul jedesmahl bey Annäherung der
Mittagszeit mit der ernften Ermahnung: „meine Herren
find müde zu fiken; es wäre jet bald Zeit zum Morgens
effen,“ den gelehrten Hader zu befchwichtigen pflegte,
Andre Städte der Schweiz , welche fpäterhin die
nähmlichen Grundfäße annahmen , haben diefelbe Methode
befolgt, und find in ihren Entfcheidungen mit eben der
Weisheit, gemwiffenhaften Sorafalt und canonifchen
Ordnung zu Werk gegangen, wie Zürich. Iſt es ſich
wohl fehr zu dermundern, wann felbft neue angefehene
proteftantifche Gefchichtfchreiber diefe Demofratifche
Manier über die wichtigften Religionsangelegenheiten —
ja fogar über eine Kirchentrennung! — nach duns
feln Impulſen abzufprechen , doch allerdings „be
fremdend und beufpiellos“ finden —? —!
Vergeblich hatte Leo X. durch feine, ſchon früher
—
erwähnte, Bulle vom 17. July 1520 die Abtrünnigen mit
väterlichen Liebe in den Schooß der Kirche zurückgerufen ;
vergeblich hatte Adrian VI wenige Sahre nachher (f.
Schrökh chriftl. Kirchengefch. T. 1. ©. 318.) in feiner dem
Nuntius Chevegetti für den Reichstag in Nürenberg er-
theilten Inſtrukzion, mit feiner eignen Curie die
Reform zu beginnen und die eingefchlichnen Mißbräu—
he abzuſchaffen fi beffimmt verpflichtet; auch
eine dringende Ermahnung des nach Adrians kurzer Res
gierung auf den päpftlichen Stuhl erhobnen Clemens VI.
blieb eben fo unbeachtet. —
Bon mehreren, dem Slauben der Bäter treu geblie-
benen, antonen.erfchienen Gefandte in Zürich, um den
Neugläubigen die Folgen ihres raſchen Verfahrens
und ihrer Abtrünnigfeit zu Gemüth zu führen, allein
diefe liegen fich von ihrer Bahn nicht abwendig machen.
Bern mwiederhohlte feine Vorftellungen durch zmeymahlige
befondre Gefandtfchaften. Die bedenklichfte Verwirrung
und Zwietracht hatte überall um fich gegriffen, fo zwar,
daß bin und wieder die Reform abgefchafft, und der alte
Bäterglaube nochmahls eingeführt, auch 3. B. in
Bern durch ein Gefek alle Neuerung wieder aufge ho—
ben ward. Aufs beweglichſte und Tiebreichite hatten die
übrigen Gantone ihre Brüder in Zürich, befehworen,
den alten, feit fünfzehn Sahrhunderten treu bewährten
Glauben der Mutterficche nicht zu verſchmähen, wobey
fie fich bereit und entfchloffen erklärten: „ſich mit ihnen
über die Mittel zu beratbfchlagen, wie das Soch abge:
fhüttelt werden könne, unter welches die Schweizer
durch das Unrecht und bie groben Gemwaltthätigfeis
ten — von Päpften — Cardinälen — Bifchöfen und Prä—
Isten verübt, fo wie durch den Ärgerlichen Handel mit
geiftlihben Nemtern, Betrügerey mit dem Ab—
laß u. f. w. feyen gebracht worden.“ Allein die Stimme
der Vernunft und Bruderliebe ward nicht gehört; der
Damm mar eingebrochen, und unaufbaltfam wälzte der
— 18 —
tobende Strom feine wilden Sluthen fort! Im Jahr 1525
fchüttelten dann die Geftierer auch die Bande Bürger:
licher Ordnung von ſich; es fam zu tollen Aus
brüchen; gegen die politifhen und moralifcyen
Ausfhweifungen mußte die Obrigkeit mit Strenge
einfchreiten, und viele jener Schwärmer, Wiedertänfer
u. f. w. wurden theils verbannt, theils hingerichtet.
Unter folch bedenklihen Umftänden ward von den
fämmtlichen eidgenöffifchen Cantonen ein Colloquium
oder Difputation auf den 16. May 1526 nach Baden
im Aargau angeordnet, worüber wir nun — da dieſe
Periode einen Hauptabfchnitt der Reformationsgefchichte
der Schweiz bildet, und wir im Befik der wichtigften
hierauf bezüglichen Urkunden uns befinden — eine zu:
fammenhängende Veberficht in getreuer Ueberſetzung
hier _mittheilen.
Zupörderft wird des zwifchen Luther und Zwingli
damahls beftandnen Berhältniffes in der Einleitungsfchrift
folgendermaßen gedacht : „Unter den von allen Geiten her
an fich gezognen Gehülfen erwarb ficy Luther einen fehr
anhänglichen, mwillfährigen und eifrigen Schüler in der
Schweiz , Nahmens Ulrich Zwingli, Prediger in Zürich,
welcher zuerſt Luthern und deſſen verführerifcher Lehre
gewaltigen. Beyfall zollte, und ihn durch feine Schrif:
ten als einen unverdroßnen und würkſamen Diener und
Ötreiter Gottes pries, welcher mit Außerftem Fleiß
die heiligen Schriften erforfche, und das Wort
Gottes fo getreu und emfig verkündige, mie vor ihm
feit taufend Sähren Feiner gethban habe. Gleichwie
nun Luther in Sachfen, fo hat nach ihm auch Zwingli
in der Schweiz die alten heiligen Väter —, die fo
viele Sahrhunderte hindurch glücklich beftandene Einheit
im heiligen Geift —, das einmüthige Einverftändniß der
chriftlihen Kirche —, und die Auslegung dev heiligen
Bücher — , durch Predigten und Druckſchriften verächt—
— 14 —
lich zu maden, zu unterdrüden und zu ehe
ten fich erfühnt.“
Dann werden Zwinglis Neuerungen aufgggäht: „er
begann alle hriftlihen Anordnungen umzuftürgen,
alle Saframente abzufchaffen und zu entweihen; er
bob alle chriftlichen Vorſchriften auf, machte aus dem
höchften göttlichen Amt des Meßopfers Sefu Ehrifti eine
Abgötterey, hieß das hochwürdige Altarfafrtament —
entgegen feinem Lehrmeifter Luther — „gemeine Bäder:
brod,“ unterdrücte das Verdienſt der guten Werke,
lehrte "Srenheit des Fleifches ftatt Freyheit des Geiftes,
verleitete Sottgemweihte Klofterperfonen beyderley Geſchlechts
zum Eidbruch, und ber aubte Klöfter und Kirchen ihres
foftbaren Eigentbums. Ueber alles diefes noch errich-
tete er eine neue abgefonderte Kirche, in welcher er
verwaltet, nachläßt, bindet, löſet, befiehlt und verbiethet,
gleich als ob ihm die Höch fie ‚geiftliche und weltliche
Macht zuftünde, *
Hierauf erklären die Eidgenoffen , daß. alfe ihre big-
herigen noch fo dringlichen Borftelungen fruchtlos geblie-
ben feyen, und daß Zwingli nicht nur feine Belehrung
angenommen, fondern vielmehr öffentlich — auf Kanzeln
und in Büchern — allem chriftlichen Anftand und brüder—
licher Liebe zuwider — jede wohlgemeinte Erinnerung ver»
lacht, ja fogar mit fhändliher Käfterung vergolten
habe, — mie es freylicy nicht anders von einem Mann
fey zu erwarten geweſen, der Jängft ſchon feinerley Aus—
legung und Lehre lebender und verftorbner, gelehrter—
berühmter — heiliger Männer, noc die Ausfprüche
älterer oder neuerer Kicchenverfammlungen — fo-
bald diefelben feinen eignen Lehrfäßen nicht günftig lau—
teten, im mindeften zu achten gewohnt war,“
Sp urtheilten und Eflagten über Zmwingli
und feine Lehre nicht etwa nur einzelne be
fhränfte Köpfe, fondern die zwölf Mitftände
der fchweizerfchen Eidgenoffenfhaft — und nicht
— 15 —
etwa aus voreiligem Eifer beym Beginn der
Zwingliſchen Umwälzung, fondern bereits ſechs
Jahre ſpäter, nachdem das Werk ſchon aus ſei—
nen Früchten erfannt werden konnte.
Die alten fchweizerfchen Glaubensbrüder erklären dann
ferner in bündigfter Sprache: da Zwingli gleich feinem
Zehrmeifter Luther gegen alle väterliche , freundliche und
chriſtliche Ermahnungen in feinem hartnäckigen vers
blendetem Sinn verharre, dabey aber dennoch fich immer
rühme, nur nach den heiligen und biblifchen Schrif-
ten — nach dem heitern und flaven Wort Gottes zu
lehren , und durch folches Vorgeben dem Volk Vertrauen
einflöße,, fo haben fie mit allem der Sache angemefnen
Ernft und Eifer auf würffamere Mittel gedacht, um die
Srregeführten zu belehren und auf die richtige Bahn zu—
rüczuleiten, die Rechtgläubigen aber in ihrer redlichen
Anhänglichkeit an den bisherigen feit fünfzehn Sahrhuns
derten feftgehaltnen Glauben zu beftärken.
„Mittlevweilen trug es fich zu (fo fahren fie fort),
daß drey ausgezeichnet gelehrte und berühmte
Theologen: Doktor Joh. v. EA, Vizekanzler der Unis
verfität Ingolftadt in Bayern, Doktor Joh. Faber, des
Herzogs von Deftreich Geheimer Rath , und Doktor Tho-
mas Murner, der heil. Schrift auch beyder Rechten
Doktor, Lektor und Prediger in Luzern, unaufgefordert,
fich fehriftfich und mündlich antrugen, Zwinglis mannig«
faltige Irrthümer, wodurch er das Wort Gottes ver-
unftalte — willtuhclich entſtelle und verkehre, und
den heiligen Geiſt durch menſchlichen Wahn verdränge, —
aus brüderlicher chriſtlicher Liebe gegen ihre Glaubens—
genoſſen, wann und wo es uns beliebe, in öffentlicher
Diſputazion zu erörtern und mit Gottes Hülfe aufs voll—
ftändigfte zu widerlegen. Aus folch freundchriftlichem An—
frag fchöpften wir nicht wenig Troſt und Freude, indem
wir ung dev zuverfichtlichen Hoffnung überließen , daß bey
ſolch wohlgemeint gemeinſchaftlicher Unterredung und Be—
— 486 —
rathung die Gewißheit ausgemittelt werde, welcher von
beyden Theilen die heilige Schrift gründlicher ver—
ſtehe, und daß der irrende Theil ſeinen Wahn wider—
rufen, und ſomit Gleichförmigkeit im Glauben her—
geſtellt werde.“
Demzufolg ward dann von den Eidgenoſſen ſolch ein
Colloquium auf den 16. May 4526 in die. Stadt Baden
im Aargau angeordnet, und fie erliefen an ihre „gelieb-
ten Mitverbündeten von Zürich“ die freundlichfte drin—
gendfte Einladung ihre Bothfchaft zu diefer Tagſatzung zu
fenden,, auch den Magifter Ulrich Zwingli und andre
Prediger oder Gelehrte zur Beywohnung dieſer
Difputation und chriftlichen Geſprächs anzubalten,
Um das Gefchäft mit defio mehr Feyerlichkeit zu be>
handeln, erfuchten fie die in ihren Gebiethen befindlichen
Bifchöfe von Conftanz, Baſel, Wallis und Laufanne, wo
möglich in Perfon oder doch durch vertraute Abgeordnete
beyzuwohnen, auch drey oder vier vechtfchaffne fchriftbe-
wanderte Männer mitzunehmen, An die drey oberwähn—
ten Doktoren erliefen fie das Anfuchen, ihrem eignen
Antrag Genüge zu leiften und bey Der angeordneten Diſpu—
tation fich einzufinden.
Würklich traten alle Botbfchafter zufammen,, und
Samftags vor Pfingften erklärten in der Pfarrficche zu
Baden obige drey Gelehrte öffentlich fich bereit: vor den
Sefandten der zwölf Kantone und Sedermann den alten
chriftlichen Olauben in Schuß zu nehmen und zu ver:
fechten.
Bon. Zürich erfchienen zwar die Gefandten der Res
gierung, aber weder Zwingli felbft noch andre Pre:
dDiger oder Gelehrte. Nun ward gemeinfchaftlich von
allen zwölf Ständen nebft Zürich beratben: ob nicht diefe
Männer, um derer willen doch hbauptfächlich das Col:
loquium war veranftaltet worden, mittelft aller nur wünſch—
baren und erdenklichen Siherheitsanftalten fünnten
vermocht werden , fi) ebenfalls einzufinden. Allein die .
— —
Zürcher Geſandten lehnten alles ab und führten als Haupt—
weigerungsgrund an: daß der Ort Baden Zwingli nicht ante
ftändig, fondern verdächtig fen.
Hierauf erklärten ale übrigen Gefandten: „damit
unfre lieben Eidsgenoffen von Zürich und Zwingli nebft
den andren Gelehrten auf Eeinerley Weife Bedenken tragen
können, obfchon wir Eidgenoffen Eraft unfrer Bünde feine
Eicherheit noch salvum eonductum benöthigen, fo haben wir
dennoch und zum Veberfluß den fieben alten Orten, welchen
die Herrfchaft über Baden zufteht, Auftrag ertheilt, die
vollftändigften Sicherheitsurfunden auszufertigen, um
jedermann allen Argwohn in unfre Redlichkeit, Ehrlichkeit
und Aufrichtigfeit zu benehmen, und haben auch diefelben
unfven lieben Eidgenoffen überfchieft, mit Erbiethen,, wenn
fie in der Form irgend eine Abänderung mwünfchten,
ihnen auf jede nur immer beliebige Weife in guten
Treuen zu entfprechen. “
Diefe littere salvi eonductus (fichrer Geleitsbrief) fin:
den fich in der „‚causa helvetica orthod. fidei, disp. Helvet.
in Baden superiori, coram XII Cant. oratoribus ae nuntiis.
Luzern 1528“ wörtlich abgedruckt, find aufs aller um tänd-
lichfte bündigfte verfaßt, und von allen Gefandten
der fieben regierenden Stände — aus ausdrücklicher Boll
macht ihrer Obern — ausgefertigt. Es ergiebt fich
aus diefem Aftenftück auch der Umftand, daß Zürich vor—
ber oft ſchon — auf Tagfakungen fowohl als in Brie—
fen — zu jeder Erörterung und Berathung fi) bereit-
willig er£lärt hatte.
„Allein alle Wünfche, Bitten, Ermahnungen
fämmtlicher eidgenöffifcher Bothen und Gefandten waren
vergeblich; junfre Eidgenoffen von Zürich verfchmäb-
ten fie unter mancherley Ausflüchten, und ihre Ge-
fandten kehrten nach) Haufe zurück.“
„Damit aber nicht ſolch ruhm- und ehrmwürdige Con—
gregation gelehrter angefehener Männer fich fruchtlos be—
müht hätte, und da von beyden Theilen hochachtbere
— 18 —
Gelehrte zugegen waren,“ fo wurde würklich zum Werf
felbft gefchritten, und das Colloquium hatte feinen Fortgang.
Am beit. Pfingftabend fand in der Kirche die erfte
Berfammlung Statt, wobey von jeder Partey zwey
Notarien ernannt und nebft vier Präfidenten in Pflicht:
eid genommen wurden; alle zweddienlichen forsfältigften
Anordnungen waren mit ftrenger Unparteylich£eit ges
troffen worden. Ed und Murner machten ihre Schluß:
fäge über die von Zwingli befteittnen, von ihnen aber zu
verfechtenden Lehrpunkte öffentlich befannt, |
Montags den 241. May fand in der Pfarrkirche zu
Baden die erfte öffentliche Difputayion bey offnen Thü-
ren in Beyſeyn aller eidgenöffifher Gefandten
der AL Stände nebft St. Gallen und Müllhaufen, auch
vieler auswärtigen und einheimifchen Zuhörer, Statt.
Gegen Ed traten Decolampad, Magifter Smeli von
Bafel, Ulrich Studer, Berchthold Haller von Bern, Hein—
rich Line von Schaffhaufen, Joh. Heß von Appenzell,
Dominik Zyli von Et. Gallen, Math. Kefler von Gais,
Dened. Burgauer von St. Gallen u. a. m. auf.
Gegenfeitig ward die Disfuffioen mit aller Freymü—
thigfeit geführt, und felbft Zwingli nahm daran mit-
telbar den thätigften Antheil, indem er den Hausfchein
(Decolampad) mittelft täglicher Zufchriften unterftüßte,
welche er ihm durch feinen Famulus Thomas Plater nad)
Baden fandte. Unter den Oppugnanten zeichnete fich zwar
Decolampad vorzüglich aus, allein Ef behauptete fort«
während eine auffallende Ueberlegenheit. (Diefer Ef,
eigentlich Job. Meyer, geb. zu Ef in Schwaben, ein in
der Philofophie und Theologie ungemein bewanderter
Mann, ward feiner Gelehrfamfeit wegen von Xuther felbft
fehr gerühmt; auch Rämund heißt ihn einen angeſehe—
nen ausgezeichneten Gelehrten, und in der Gefh.
des Collog. zu Worms wird ihm das Lob eines in der
Theologie und JZurisprudenz überaus bewander-
ten Mannes ertheilt. Im einer öffentlichen Schrift über
188 —
die Verhandlungen in Baden bieß es von ihm: „ganz be
fondern Ruhm erwarb ſich Doktor Ed, welcher mehrere
- auf einander folgende Tage hindurch die glänzendften
Beweife feiner geündlichen Belehrfamfeit gab;
heilig und unvergeßlich ift und bleibt dag Andenken diefes
Mannes, der immer in den vorderften Reihen das viel—
föpfige Ungeheur der Härefie und ‘jene trußigen milden
Soliathe muthvoll befämpfte und befiegte.“)
Eine von Zwingli aufgeftellte Befchuldigung : „daß
die Difputazion in Baden für dreißigtaufend Gulden er—
Fauft und beftochen worden fey,“ ward von Faber als
eine grelle Dreifte Küge erklärt; und da Letztrer mit
Zwingli felbft wegen deffen Ausbleiben nicht in Erörterung
eintreten Eonnte, fo übergab er fchriftlich den Geſandten
der XII Cantone feine Abhandlung, indem er bitterlich
Hagte, daß Zwingli dieß Colloquium felbft hervorgeru—
fen und nun.feigev Weife fih entzogen babe. (Joh.
Faber ftund wegen feiner Gelehrfamfeit in ausgezeichneten
Gunften bey Adrian VL, dem Kaifer Maximilian und
vielen Fürſten Deutfchlands , ward auch von Erasmus
vorzüglich geichäkt.) '
Diefe Schrift Fabers erfchien bey Ulrich Morhart in
Tübingen 4526 in Drud unter dem Zitel: Chriftenliche
Beweifung über feh3 Artikel u. f. w. Er zergliedert
darin aufs forafältigfte die Beftandtheile dev Zwinglifchen
Lehre, und zeigt derfelben DBerwandtfchaft mit den von
älteren Häretikern feit der Apoſtel Zeiten verbreiteten
Irrlehren, wobey er beweist, daß felbft die Alogianer,
Nicolaiten, Badianer, Arianer, Albonenfer und noch die
neueren HYuffiten — deren aller Lehrſätze von den anges
fehenften Kirchenverſammlungen waren verworfen worden —
weniger verderblidhe umd firafbare Grundfäke als
Zwingli verbreitet haben.
Hauptfächlich beweist Faber die in der Zminglifchen
Doktein vorkommenden Widerfprüche aus deffen felbft-.
eignen Schriften, indem ex fiebenunddreisig Elare wörtliche
— 190 —
Stellen einzeln anführt, worin Zwingli die Gegenwart
des wahren Leibs und Bluts Sefu in dem Altarfaframent
behauptet und gelehrt hatte, dagegen mwieder andre
acytundzwanzig Stellen, worin er den fchroffen Gegen-
faß aufftelt. Solcher von Zwingli unter feinem Nahmen
von 15241 — 1526 in Zürich durch den Druck herausgegeb-
nen Schriften waren wohl gegen vierzig. Zur Entfchul-
digung folcher Widerfprüche erklärt der weife Mann in
feinem 1525 herausgegebnen Commentar de vera et falsa
relig. B. 3. ©. 4119 ganz unverhohlen: wir" haben vor
zwey Sahren fiebenundfechszig Artikel behauptet; an dem
achtzehnten von dem Saframent des Altarg, da wir mehr
nach dev Zeit gefchrieben haben ald nach der Sache;
darum widerrufen wir hier diefe Ding, die wir dort
gefagt Haben; mit dem Unterfchied,, daß diefe Ding, die
wir gefchrieben haben, in dem zweyundvierzigften
Jahr fräftiger find, als die wir gefchrieben haben in
dem vierzigften u. f. mw. Siehe auch Subsid. s. coronis
de eucharist. Zwinglio autore f. 2. b. Zugleich werden
eine Menge Widerfprüche aufgedeckt und erwiefen
zwifchen den Lehren von Decolampad, Zwingli, Carloftad u. a.
Die Hauptmarime Zwinglis: „nicht zu halten und zu glaus
ben, was nicht heiter und öffentlich in der Bibel
ſtehe,“ wird vielfach Lügen geftraft, und bemwiefen, wie
oft und ſtark dieffalls Zwingli ſich widerſprach. Nachdem
Faber hiefür aus deffen eignen Büchern dreyunddreyßig folcher
Beweisftellen angeführt, fchließt ev: „aus diefen Punften
allen ergiebt fich , Daß der Zwingli fich doch gar zu fehr
widerfpricht; wann es ibm gefällt, fo will er halten
die Ding, fo nicht in der Bibel ftehen, — mann e3 ihm.
aber nicht gefällt, fo will er allein das Schwert der
Bibel und fonft fein ander Wehr oder Waffen in der
Hand führen.“ .
Ferner fchreibt Faber: im Buch von der wahren und
falſchen Religion fagt Zmwingli: „jeder, welcher das Wort
Gottes predigt, fol und muß vorerft felbft glauben,
was er age damit ev nicht als ein Gleichsner erfun—⸗
den wird, denn die größte Sünde des: Menfchen ift Gleichſ—
nerey. Nun hat aber Zwingli fünf Sahre nacheinander
in Zürich gepredigt, daß unter der Geftalt von Brot
und Wein das wahre Fleiſch und Blut Ehrifti fey, und
bat e8 doc) nie geglaubt, wie er folches felbft in *
Brief an den König von Frankreich geſteht.“
In einer andern Stelle: „Seht doch wie Zwingfi ein
Däpftler ift! ung wirft er vor, daß wir von feinetivegen
viel taufend Gulden ausgegeben haben „als ob er die Perle
im Acer fey, für welche wir alle Dinge verkauft haben.
Aber was thut er! fo lang ihm der Papft Penfion gegeben,
hat er aus Petro gemacht einen Dberften dev zwölf
Apoftel, und da er ihm nun nicht mehr wollte Geld ge—
ben, will ev Petrum kaum noch als einen armen — ———
gelten laſſen.“
„In ſeinem Apologetiko nimmt Zwingli die vier Sei
Conzilien der erften Kirche an, und in all feinen Büchern
hält er weder eins noch Feind.“
„Item an die von Toggenburg fchreibt er: mie viele
Schriften hab ich ausgehen laſſen, die mich alle würden
Lügen ftrafen. “
Sn einem andern Abfchnitt führt Faber die unmäfigen
Robeserhebungen an, womit Zwingli den Luther überfchüt-
tete, während er zugleich 450 Punkte erwähnt und mit
Belegen unterftüßt, worin ihre — Lehren einander
entgegenſtehen.
Dann entwickelt er auch die ——— worin
die Zwingliſchen Lehrſätze ſich mit den Dogmen der älte—
ſten Kirchenväter und ſo vieler Martyrer befinden, die
durch unſträflichen Wandel, ſtandhaftes Bekenntniß, Glau—
benseintracht und heldenmüthigen Tod ihre Treue beſiegelt
haben; z. B. eines Dionyſius Areopagita — eines
Clemens — Prochorus — Hermas — Ignatius —
Polykarps — Irenäus und andrer mehr,
Ferner zählt er fünfzehn General-Conzilien auf,
=. 49
derer einmüthigen Befihlüffen die neue Lehre
Zwinglis mwiderftreitet.
Murner, melcher nad) Faber als DBerfechter der
alten Lehre auftrat, Elagte, daß er nebft fieben andren
Doktoren feit mehreren Sahren durch die Kibelle der Neu»
aläubigen aufs ärgſte verläumdet und des Gößendienfts fey bes
fchuldigt worden , — welcher Läfterungen müde er die fivengfte
Berantwortung felbft fehnlichft wünfche. Er gründet biere
auf feine Schlußſätze bauptfählih auf juridifhe As
fihten in via justitie bonorum et fame, und rügt das
ftrafbare Verfahren der Neugläubigen, welche allen evan—
gelifchen Borfchriften zuwider, via faeti zu Werk gegangen
feyen. „Wenn wir Geiftliche, vuft ev aus, unrecht ge—
handelt haben, warum fordern fie ung dann nicht vor
Gericht? haben wir ung aber nicht verfehlt, warum
rvauben fie ung ohne Rechtsfprud alle Güter, und
beftrafen uns, ohne ung vorgeladen, angebört, noch Durch
öffentliches Recht verurtheilt zu haben? —
Indem er die Handlungen der Npoftaten aus rechthi—
chem Standpunkt beleuchtet, frellt ev unter anderm fols
gende Behauptungen auf, welche wir genau überfeßen:
Unfre evangelifhen Räuber dürfen keineswegs auf den
Scheingrund fich berufen, daß fie fromme Handlungen
des Mitleidens ausüben und das geraudte Vermögen
der Geiftlichen den Armen werden zufließen laffen; denn
Gott verabfiheut jede Ungerechtigkeit. Auch dürfen folche
Neuerungen nicht unter Vorwand etwelher Berbeß—
rung, noch unter dem Decmantel des Glaubens
verübt werden; denn würde ich auch. vom Ölauben abwei—
hen, und wäre ich fogar ein Jude, fo dürft ihr aus
dieſem Grund dennocdy nicht mein Eigenthum mir ent—
reißen. Auch dürfen die Wohnungen und Berfammlungss
örter felbft der Juden weder verbrannt, noch unter
irgend einem Vorwand befchädigt werden; und wäre auch
jemand fogar der gröften Verbrechen fehuldig, fo ift
ja eben deßwegen die richterliche Gewalt und der
— 13 —
Schub der öffentlichen Sicherheit angeordnet, das
mit feiner fich felbft Hülfe zu verfchaften fich unterfange.
Höre, väuberifcher Zwingli! daß du unter feinerley res
ligiofem Borwand uns zu Grund zu richten befugt
bift. Du haft feinerley Recht unfre Gotteshäufer und
Klöfter, wie es in Ittingen gefchah, zu berauben — zu
verbrennen — und zu zerftören, fein Recht unfer
Eigentbum zu verfaufen und zu verſteigern.
Wären wir auch felbft großer Verbrechen fchuldig,
fo dürfte dennoch nur die Macht und das Anfehen der
Gefeke gegen uns in Anwendung gebracht, keineswegs
aber eigenmächtig und gewalthätig gegen und verfah—
ven werden.
Ueber all diefe Schlußfäke follte zwifchen Murner und
Zwingli die öffentliche Difputation in Baden ftattfinden;
da aber Teßtrer nicht gerathen fand zu erfcheinen, fo über:
gab jener feine Conkiufionen nebft Beleuchtung in Schrift
verfaßt den Bothen der XII Eidgenöffifchen Eantone. Er
zergliederte zugleich neuen Beweistitel jedes vechtmäßigen
Befikes, und zeigte Dadurch die Ungültigkeit und Recht-
lofigfeit der von den Apoftaten begangnen Entfrem-
dungen des kirchlichen Eigenthbums. Hernach han-
delt er in acht Artikeln von den Scheingründen und
irvrigen Lehrſätzen, womit die neuen Häretiker ihre
Unthaten ausfchmücen und befcbönigen. Auch rügt Mur-
ner mit ernftem Nachdruck die duch die Aufwieglungen
der GSeftenhäupter überall entftandnen Ummälzungen
aller moralifhen und politifhen Ordnung, und
die blutigen Bürgerfriege. Er zeigt ferner die Un-
gereimtheit einer vorgeblihen Prüfung der Zwingli—
chen KXehrfäge Durch eine, aus zweihundert Laien und
in allen Wiffenfhaften gänzlich unbewan-
derten Handmwerfern beftehende Regierung, während
dod) gerade Zwingli felbft alle Authorität deg fompetenteften
Gelehrten, Kirchenväter, Eonzilien u. f. mw.
verwarf nur ſeine eigene Willkühr zum Ausleger der
13
u
heiligen Schriften erhob, und feinem eignen Berftand
die unbedingtefte Machtvollfommenheit anmafte,
zuwider der Panlinifchen Lehre 4 Cor. XIV. und den
Ausfiprüchen fo vieler Apoftel und Kirchenväter, welche
alle den Entfcheid bey abweichenden Meinungen Einzelner
nur der Kirche zuerfennen. (Wohl nicht mit Unvecht
fchrieb daher im Sahr 4528 ein fchweizerifcher Gottes»
gelehrter: alſo folten die von Zürich, durch St. Pauls
Erempel bewegt, im Zweifel des Glaubens aucy zu der
h öch ſten Obrigfeit in Ölaubensfahen fih ge
fehrt haben, und nicht alfo ein Gefpräch halten vor Schnei—
dern — Kartenmahlern — Weinrüfern um
dergl. in den höchften Ölaubensgangelegenbheiten).
Dann zeigt Murner die Strafbarfeit der Entwen-
dung aller foftbaren Kirchengeräthe von Silber und
Gold, unter dem Borwand, daß fie zum Götzendienſt
mipbraucht worden feyen, und fügt bey: es liegt klar am
Zuge, daß die evangelifchen Böfewichte uns fälfchlih der
Abgötterey befchuldigen, fintemal wir die Bilder nur al
Spiegel der Wahrheit betrachten und durch ihren Anblick
uns zur Machahmung ihrer Tugenden ermuntern, in—
dem folche Bilder dem Gedächtniß der Laien fich eher ein:
prägen, während Schrift und Wort nur flüchtigern Ein-
druck zurüclaffen. Allerdings wurden von den Xpofteln
die heidnifhen Götzen, die Bilder falfher Göt—
ter abgefchafft, welche auch die Ehriftenheit fiets verworfen
bat; allein unſre Gedächnifbilder murden in den
heiligen Schriften nirgends jemahls unterfagt. - Zwingli
beflagt fich in feinem Brief an die fünf Schweizer Can—
tone gar bitterlich über die Luzerner, daß fie fein
Bild (Porträt) verbrannt haben, fich felbft aber klagt
er nicht an, daß er die Bilder des gefreuzigten Erlö—
fer8, feiner Heiligen und DBlutzeugen felbft durchs Feuer
vertilgte, wobey er jedoch freylid; den goldnen und
filbernen Gnade widerfahren ließ und fie gefangen
in Bejig nahm. Go liegt diefen evangelifchen Räubern
— 45 =
weit mehr an der Befchimpfung und Schmacd ihrer eig:
nen Perfonen, ald Gottes und feiner Heiligen. “
| Nach geendigter Difputation, welche achtzehn Tage
hindurch gedauert hatte, wurden hinfichtlich der von den
vier beeidigten Öffentlichen Notarien verfaßten Bücher die
genaueſten Borfihtsmafßregeln getroffen, alle Exem—
vlarien aufs ftrengfte durchgefehen und verglichen, auch
derfelben Uebereinftfimmung von den Präfidenten und
geſchwornen Schreibern befräftiget.
Hierauf wurden von den Gefandten aller Eidgenöfft:
ſchen Cantone, öffentlich und feyerlich, alle anwefende
— auswärtige fowohl als einheimifche — Gelehrte und
Schriftforfcher beyder Parteyen erfucht und angele-
gentlichft gebethen (rogati serio et cum omni dili-
gentia supplicati), „zum Lob des allmächtigen Gottes und
des heiligen chriftlichen Glaubens, zu Nuk und Frommen
des Seelenheils und der ehriftfichen Einigfeit“ fih zu er-
klären, und das Geftändniß abzulegen: ob fie die Schluß:
fäße des Dr. Sof. Eckius für chriftlich, mit den heiligen
Schriften übereinſtimmend und in denfelben feft gegründet
halten? oder ob’ fie feinen Gegner So. Decolampad
nebft deffen Anhang für beffer und gründlicher unterrichtet
erfennen ?
Alsdann unterfehrieben fih „der Wahrheit allein und
dem heiligen chriftlichen Slauben zur Steuer, und zur Be—
ruhigung ihres Gewiſſens“ für Dr. Efius: vier und
achtzig geiftliche und weltliche Gelehrte aus der Schweiz
ſowohl al3 aus verfchiednen Gegenden Deutfchlands. Für
Decolampad erklärten fih nur fchmweizerfche Theologen,
und unter diefen manche nur in einzelnen der von ihm
aufgeftelften fünf Lehrfäke, nämlich: von Bafel fünf Gelehrte
in allen fünf Punften, von Schaffhaufen zwey bedingt und
einer in fämmtlichen Punkten, von Appenzell zwey in allen
Punkten, und einer in drey Punkten für Decolamipad, in
zwey für Ed, von Glarus zwey bedingt, von Wefen und
Echiunis diveh bedingt, von Bern vermweigerte Berthold
43 *
— 19% —
Haller jede Erklärung, von Solothurn — Müllhauſen und
St. Ballen fünf bedingt und drey unbedingt. Mehrere er—
klärten auch, daß fie gegen die Bilder nichts einwenden,
in der Meinung, daß fie nicht angebethet werden, dag man
davon feinen Migbrauch in den Ceremonien mache und
auch fein Vertrauen auf-fie ſetze.
Erasmus von Rotterdam, welcher damahls in Bas
fel. lebte, war auch erfucht worden, „da gelehrte Männer
beyder Parteyen ihn gar hoch ſchätzen und verehren,
auch Zwingli fich oft auf ibn als einen hochgelehrten
wichtigen Gewährsmann berufen habe,“ der Difputation
beyzumohnen, wozu er jedoch fih nicht herbeyließ, wohl
‚aber durch) die Sefandtfchaft von Bafel einen verfchloßnen
mit eigner Hand unterzeichneten lateinifchen Brief „an die
gefammte Tagfakung“ einfandte, worin er ın den ftärf-
fien Ausdrüden feine fefte Anhänglichkeit an den
althriftlihen Glauben bezeugte, zur Einigfeit in
demfelben dringend ermahnte, und ſich dann zugleich
auch über anonyme von den Geftierern herausgegebene
Libelle beklagte, in welchen ibm die Beyſtimmung zu den
neuen Lehrſätzen zugefchrieben wird. Da diefer große und
gelehrte Diann bey den Reformatoren felbft (als „vir
vere doctus et consumatissimus, graeci ac latini sermonis
peritissimus“) in hohem Anfeben ftund, fo gewinnt
dadurch diefer Brief und die darin enthaltene Herzenger-
gießung großes. Gewicht. Er äußert fih in Betreff der
Euchariftie ganz unzweydeutig folgendermaßen: „ich bezeuge,
und erkläre auch ausdrüdlich, vortreffliche Herren! daß
id) mirs gefallen laſſe, für den Erfien aller Häretifer ge-
halten zu werden, wenn in den vielen von mir gefchvieb>
nen Werfen auch nur eine einzige Stelle kann aufge:
funden werden, welche über die Abendmahllehre einen an—
dern Sinn ausfpricht als denjenigen, welchen bisher die
Eatholifbe-Kiche den heiligen Schriften gemäß
anerkannt hat.“ Und weiter fagt ev: „Ich rufe Gott zum
Zeugen an, der allein die Herzen dev Menfchen kennt, und
u
— 117 —
verzichte auf feine Barmherzigkeit, wenn je in meinem Ge—
müth eine Meinung waltete, welche demjenigen mwiderftrits
ten hätte, was bisher die fatholifche Kirche fo ein-
trächtig behauptet hat. Was andre für Offendbavungen
mögen gehabt haben, mag ihre eigne Sorge feyn. Mich
einmaͤhl konnten bisher feine Gründe bewegen, den Ges
botben der Mutter kirche untreu zu werden. Und zwar
leitet mich hierbey keineswegs menfchlihe Furcht, ſon—
dern reine Gewiſſenhaftigkeit (eligis) und Furcht
der göttlichen Ungnade. “
Als Ergebniß der DifsurattonsserkandTuhgen er⸗
klärten die XII Stände der Eidgenoffenfchaft durch das
Drgan ihrer Abgeordneten, unter Vorſitz des Conſuls,
Dni. Casp. de Mulinen, equitis aurati, einffimmig:
„Nachdem Mag. Ulr. Zwingli, allen Bitten — Erwar—
tungen — und feinem eignen wiederhohlten An-
trag zuwider, nicht erfihienen, um die von ihm geftiftete
neue Xehre zu verfechten und zu verantworten, —
nachdem er und feine Anhänger jede Belehrung beharr-
lich abgelehnt und teuß der gründlichſten Ueber—
weifung dennoch bey ihren Meinungen verbleiben, —
nachdem in Folge uralt chriftlichen Gebrauchs die Herftel-
Yung der früher fchon verworfnen häretifchen Irrlehren der
Wiklefiten und Huffiten — welche von Zwingli auf neue
verfochten werden — mit der fchwerften Erfommunikation
zu beftrafen ift, — nachdem die neue Lehre Durch öffent-
liche Bulle Pabſt Leo des X. wie auch durch Beſchlüſſe
der Parifer — Lütticher u. a. Univerfitäten, und durch
Erklärung Kaifer Carl des V. verurtheilt und verworfen
worden, — nachdem der alte mit dem Blut fo vieler
taufend Martyrer befiegelte Glaube der Bäter big
auf diefe letzten Jahre noch während fünfzehn Sahr-
hunderten von der Schweiz in Uebereinfimmung mit
der ganzen dDeutfchen Nation befannt und gefeyert
worden; fo find wir die XII Cantone mit Sort entfchlojfen,
dag heilige Evangelium nach allgemein hriftlihem
— 198 —
Berftand, nach dev Auslegung der erfeuchteten Kirchen»
lehrer, und nad dem Beyfpiel der unfteäflihen Blut:
zeugen, fernerbhin treu und unverleßt zu bewahren,
und verbiethen zugleich jede eigenmächtige vermegene Neues
rung, jede Läfterung Ebrifti und feiner göttlichen Mutter,
indem mir alle kirchlichen Eäke und Gebräuche fer=
ner beybehalten werden, wie fie von den frommen Kir—
henvätern vorgefchrieben und von unſren Vorel—
tern noch bis auf diefe Jüngften Zeiten find beobachtet
worden u. f. mw,
Da der Hauptftreitpunft bey diefer Difputation die
Abendmahllehre betraf, in deren Verfechtung fih Dr.
30. Faber ganz befonders auszeichnete, fo fann ich nicht
umbin, einige feiner Evläuterungen hierüber nachträglich
anzuführen:
„Es wäre wahrlich eine feltfame und unſchickliche Rede
bon Chriſto geweſen, daß er vor den Jüngern in ſolch
ernftilichem Handel durch einen ungebräuchlichen
tropum oder verblümten Ausdrud fie hätte in Miß—
verftand führen wollen, als ob er fie abfihtlih in
Irrung vermiceln wollte, befonders zu diefer Zeit, da ev
von ihnen abſcheiden wollte, gewiß aller Ernſt vorhanden
war; und wiewohl er eine fchöne, lange Predigt — fo
Sohann dev Evangelift befchreibt — gethan, jedoch fo hat
feine verborgne oder heimliche Rede ftatt haben mö—
gen, wie er dann auch Feine heimliche Parabel braucht,
fondern offentlich mit ihnen gehandelt, daß fie auch
würklich fich Darob gefreut und zu ihm gefprochen haben :
fiehe jetzt redeſt du auch gar öffentlich und braucht feine
verborgne Red oder Sprüchmwort. Daraus wohl zu er:
meffen, Daß befonders in den Einfekungsmorten,
woran der ganze Handel gelegen, ohne tropus — ohne
fremde Allegorie fol und muß ‚verftanden werden. Ohne
allen Zweifel würden die Jünger — wie vorher mehrmals —
gefagt haben, was er duch folhe Red verfteben wolle,
wie er dann auch von den Kaphernaiten in der Jünger
— 419 —
Beyfeyn gefragt ward, alg er fein Fleifch zu einer Speiſe
fürhielt: wie fann diefer ung fein Sleifch zu efien geben, —
und die Jünger auch gefagt hatten: das ift eine raube felt-
fame Rede, wer mag fie verftehn. So nun auch der heil.
Sohann Evangelift betrachtet wird vom dreyzehnten bis zum
achzehnten Hauptſtück, findet man, daß Chriftus in allen
heimlichen, göttlichen Dingen fih fo ganz Elar und
deutlich ausgefprochen bat. Warum folt er dann hier
etwas verhehlt oder verfchwiegen haben? Darum dann
auch die heilige, hriftliche Kirch und alle die vor»
nehmften Lehrer von den Zwölfbothen Zeiten her. diefen
buchftäblihen Berftand der Worte angenommen; —
man wollte dann der Echrift Gewalt anthun und fie wider
ihren natürlichen Sinn biegen, wie der neuen Glau⸗
benmacher Art ift. Daher folgt, daß jeder chriftliche Ver—
ftand mit ofinen Worten fagen muß, dev wahre Leib und
Blut Chrifti feyen würflih im Abendmahl zugegen
unter der Geftalt des Brots und Weins; denn es wäre
ja ganz mwunderlich, daß in einer ſolch verftändlichen
Rede folte eine Figur eingefchloffen feyn, welche doc)
mit feinem einzigen: Wort von irgend einem der Sünger
und Apoftel gemeldet wurde; wie dann auch der gelehrte
heilige Paulus 4 Cor. XI, aus deffen Mund Ehriftus felbft
geredet, mit faft gleihen Worten mit den Evyangeliften
übereinffimmt. Die neuen Ölaubenmachyer dürfen fagen:
weil Ehriftus leiblich gen Himmel gefahren, ſo könne
er nicht im Abendmahl gegenwärtig feyn, fie wollen
nicht glauben, fie legen dann Hände und Finger in des
Herrn leibliche Wunden; fie binden ihn zur rechten feines
Baters, daß er wie ein Gefangner fich nicht mehr bewe—
gen oder verändern möge; fie. meffen ihn nach gemei-
nen natürlihen Körpern, ja fie wollen ihm nicht
mehr zugeben als ihren eignen Leibern; und doch fün-
nen fie nicht läugnen, daß er von der Hölle fey aufer-
ftanden — daß er den großen Stein vom Grab ge»,
wälzt, gen Himmel aufgefahbren und nach feiner
— 200 —
Auferftehung vierzig Tage auf Erden gewandelt;
fie wiffen auch, daß der Herr gemehrt hat die fünf und
fieben Brode, und fehen alle Tage, daß ein Körnlein in
das Erdreich fällt und fich dreißig bis vierzigfach vermehrt,
was ja alles doch auch unfrer Vernunft zu begreifen
unmöglich if. Zudem hat Chriſtus nicht gefagt: fo oft
ihr Brot effen werdet, fondern gar ausdrüdlich: diefes
Brot ald zum Unterfchied von al anderm Brot; daher
dann auch Paulus bezeugt: welcher effen wird Diefes
Brot unwürdig, wird fchuldig am Leib und Blut des Herren.
Wenn nun diefes Brot feinen Unterfchied hätte von an:
derm gemein natürlihem Brot, fo würde fih auch nies
mand an diefem Brot mehr als an jedem andern verlegen
oder an des Herrn Leib fchuldig werden. Lukas beſchreibt
auch im XXII, daß der Herr mit feinen Süngern ein
Nachtmahl gehalten; diefes Nachtmahl hat er vor= und
nachher Paſcha genannt; in demfelben ift ungebefelt Brot
‚ gewefen; da hat er gefagt: ein folches Paſcha wolle er
nicht mehr mit ihnen eſſen; es ift auch Weingewächs darin
gewefen, da hat er gefagt: davon wolle er nicht mehr trin—
fen; und auf folches alles und ale andre Speiſen bat er
gegeben dieje Speis als fein Leib und Blut. Daraus
fann man erfehen, daß diefe Speis eine ganz andre Mei—
nung haben muß ald andre Speis und Trank, als Brot
und Wein, die er zum Pafcha gebrauchte. Darum fagt
auch Paulus: der Menfch fol fi bewähren und alfo von
diefem Brot effen und dieſem Trank trinken, denn wer
unmwürdig folches genießt, wird fich felbft das Urtheil efjen
und trinken, weil er nicht unterfcheidet den Leib
des Herrn. Die neue Lehre ift alfo wider die heil.
Schrift, den gemeinen und rechten Berftand derfelben,
‚wider die Meinung aller heiligen Lehrer und Mar—
tyrer, und wider den Glauben und Braud) der hriftli-
hen Kirche. Die Stelle bei Sohb. VI, 63. widerlegt
nur die Meinung der Kapharnaiten, als ob fie müßten des
Herrn Fleiſch ſt ückweis effen und mit den Zähnen zer:
— U
malmen, wie andre Fleifch und Speife, denn er fagt
klar vorher: das Brot, welches ich jeßt geben werde,
ift mein Fleiſch, das ich für das Leben der Welt geben
werde. Warum follte audy Ehriftus nicht im Sakrament
leiblich können zugegen feyn, er der ſich auch vor den
Suden unfichtbar gemacht, von und zu ihnen bey verfchloß-
nen Thüren aus= und eingegangen, — der zu Damast
mit Paulo felber gefprochen und dennodh im Himmel
geweſen, und aud) ohne Urfache gefagt hätte, wenn zwey
. oder drey in meinem Nahmen beyfammen find, bin ich in
ihrer Mitte. Chriftus hat befohlen, daß man ihm zu—
rüfte das Paſcha und daß man zubereite alles, was die
Herrlichkeit des Geſetzes erfordre, als ein gebratnes Lamm
— ungehefeltes Brot und wilden Lattich. „ Da nun alles
zubereitet war, hielt er die alte und neue Sakung einan«
der entgegen; nachdem er das Lämmlein — weldyes
die alte Sakung vorftellte — befeitigt, nahm der Herr
Sefus und ſetzt feinen Süngern für: eine unverzehrliche
Speife, die das wahre Leben ift, nähmlich das Brot, wel⸗
ches vom Himmel herabgeftiegen ift, und den Men—
fchen emwiges Leben giebt. Irenäus, des heil. Sohannes
Süngers- Sünger fchreibt ja ſchon im erften Sahrhundert
der Kirche im 4. B. gegen die Häretifer alfo: der Herr
an feinem legten Nachtmahl hat in feine Hand genommen
das Brot, welches ein Gefhöpf war, und hatdaraus
gemacht feinen Leib; darnad) bat er genommen den
Wein, der auch eine Ereatur war, und hat daraus
gemacht fein Blut. Dieß hat die Kirche von den Zwölf:
bothen hergenommen, und in der ganzen Welt opfert fie
es Gott. “
Soweit Fabers Erläuterungen der Einfehungsmorte
zum Abendmahl des Herrn, welche er der neuen Zwing—
lifchen Doftrin entgegenftellte und fiegreich gegen
Decolampad und andre Anhänger derfelben vertheidigt
hatte. Wahrlich, es bedurfte der ftarrfinnigen Vermeſſen—
heit und Berblendung jener neuen Slaubensapoftel, und des
— 202 —
unbegrängten Uebermuths ihrer fpäteren Nachfolger, um
folch einleuchtenden Gründen — folch vollwichtigem Zeug-
niß Ginn und Herz zu verfchließen. ;
Veber den Fortgang des Reformationswerfs in der
Schweiz giebt die Gefchichte uns folgende Auffchlüffe:
Im Lauf des Sahrs 4527 neigte fih auch Bern auf
die Seite der Meuerer, und die übrigen Stände der
Schweiz, welche der Difputation zu Baden im Man 1526
beygewohnt hatten, Elagten bitterlich über diefe Abtrünnig>
feit, wie aus der Appelntion und Berufung dev Gottes
gelehrten EE — Faber. und Murner , Luzern 4527“ her—
vorgeht, worin nochmahls das Unrecht der Schismatifer
und all ihre begangnen Frevel aufgedeckt, ihre Sophifmen
entfräftet und Die von ihnen aufgeftellten egrſare aufs
bündigſte widerlegt wurden.
Don Bern ward nun eine Diſputation auf Sonntag
nach) der Befchneidung Chriſti 4528 ausgefchrieben. Dieſe
Einladung erhielt Luzern erft am 6. Senner und antwor
tete am nähmtlichen Tag (uff trium vegum MDXXVjjj)
indem es über dieß Detragen fich böchlich befchmwerte,
Murner fchreibt ihnen: „der Zwingli hat zwei Meilen
Wegs nicht wollen gen Baden. fommen, und Wunderding
für Entfchuldigung vorgefchüßt,, und ihr Eapito und Bucer
feyt auch nicht gefommen»als die Suche vor den zwölf
Ständen behandelt ward. Es ift nur Luft und Rauch
womit ihr umgeht. She handelt eure Sachen fo, daß id)
kaum fchnell und eilends mit großer Haft diefes zu fchreiben.
noch Zeit hatte.“
Vergeblich drangen die treugebliebnen Rechtgläubigen
in die Apoftaten um Unterfuchung vor den Gefammteidges
noffen. „Wir ftellen unfer Leib, Ehr und But, und wol«
few ihrem Berufen entfprechen mit der Hülf Gottes als
fromme, ehrliche und chriftliche Doktoren vor allen Orten
einer freyen, Löblichen Eidgenoffenfchaft, daß die neuen
Prädifanten des ehrlofen , falfchen und erdichteten Glau—
bens eine löbliche Herrſchaft vom dern, verführt umd
— 209 — .
mit Unwahrheit betrogen, mit Fälfchung der heis
ligen , göttlichen Schriften und andren mehr Liften von
der Straße der ewigen Seligfeit abgewendet haben.“ e
Inzwiſchen febritt Zwingli auf der betretnen Bahn uns
aufhaltfam fort; zugleich nahm aber auch die Verwir—
vung immer mehr überhand. ES erfolgten nun jene
"unfeligen Bürgerfriege, welche das Land zerfleifchten,
fo viele taufend Familien in Elend und Sammer flürzten,
und gleich unmittelbar nach der Glaubensänderung ihren
Anfang genommen hatten, worüber die Gefchichte der Eid»
genoſſen fo viele blutige Blätter ung aufbewahrt. Die als
ten Urkunden und Ehronifen liefern, wie wir bereits.fahen,
thbatfähliche Beweife, daß man nichts weniger als
allgemein dem Werk der Kirchenreform und feinen tollen
Urhebern felbft zugetban war. Die Zurüftungen zum Krieg
gegen die altgläubigen Nachbarkantone fonnten in Zürich
nur äußerſt mühfam betrieben werden, und beym Aus:
zug nad) Kappel wurden ftatt der beabfichtigten 4000 Dunn
mit größter Anftrengung kaum 700 zufammengebracht.
Der oftermähnte Zwinglifche Biograph gefteht felbft, daß
„alles ohne Drdnung und Plan — in großer Verwirrung
geſchah,“ daß die verhofften Kampfgenoffen fih „auf dem
- Hülfszug abfichtlich verfäumten und abfielen,“ als «3
gerade am fchlimmften fund, daß dann aud) die Zürcher
„an Ehre — an Gut und Bolf großen Schaden litten, “
und allgemeine „Berzagtheit*.fich ihrer ganzen Stadt bes
mächtigte. Umfonft würde man auch zu läugnen verfuchen,
dag Zürich fogar durch Abfchneidung. der Lebens:
mittel feine älteften Miteidgenoffen zu befämpfen
nicht verſchmähte. Mit Flammenzügen findet fi in den
- Ehronifen jener Zeit die Klagefchrift jener zur Ver—
zweiflung gebrachten Gebirgsvölfer (vom 6. Dft. 1531)
eingegraben, worin fie erklären, „daß fienothgedrungen
zu den Waffen greifen, nachdem die Zürcher ihnen fogav
alle Zufuhr von Getreide und Xebensmitteln gehemmt haben,
um nicht nur fie, fondern auch ihre Kinder im Mub-
— 204 —
terleib der Hungersmoth preiszugeben.“ (Der nähm—
liche hochherzige Biograph ſieht freylich in Diefer Sperre
einen Beweis, daß damahls in Zürich die gute Sache (!)
die Oberhand: behielt. “ )
Die bedenflichfte —— griff auch in andren Ge—
genden der Schweiz um ſich. Mit dem Joch der Kirche
ſchüttelte hier und dort das Volk jedes Band, auch die
nothwendigſten Geſetze, von ſich, um aller Pflicht gegen
Obrigkeit und Vaterland ſich zu entledigen. Das
Pantheon anab. et enthus. 4702 Fol. liefert die kläglichſten
Belege, welch großes Unheil der Pöbel verbreitete, indem
er jeden ordnungsmäßigen Religionsunterricht
verfchmähte, jeden noch fo tollen Einfall als Offenbarung
vom Himmel anfah, und durch feinerley Anfehn fich von
den bedaurlichften Ausfchweifungen zurüchalten Tief.
BonlUnterwürfigfeitund Gehorſamwar gar
und ganz feine Rede mehr; der Freibeit folgte
Zügellofigfeit und Anarchie. Seder maßte fi
das Recht an, die Kirche umzugeftalten und Dog:
men nad) feiner Willkühr aufzuftellen.
Streit und Verfolgung wurzelten tief im Schooß einer
Kirche, in welcher nach den Grundfäßen ihrer Religion
nur allgemeiner Friede, Bruderliebe, und Wohlwolen
herrfchen folte. Das große verführerifche Benfpiel, wel—
ches die Reformatoren den Freunden einer fchrankenlofen
Freyheit gegeben hatten, konnte nicht fo leicht wieder in
Dergeffenheit geratben, und gar viele, welche das Joch des
römifchen Stuhls abgefchüttelt hatten, mweigerten ſich, ihr
Gewiffen von Mönchen beherrfchen zu laffen, die das aus-
ſchließliche Recht ſich anmaßten, die Schrift zu erklären,
derer Auslegung doc) — nad, ihrer eignen Behauptung —
Sedermann freyſtehen follte. Sene Aufwiegler fahen
nicht.ein, daß e3 zwifchen unbedingter Freiheit und unbe—
dingtem ‚Gehorfam feinen Mittelweg giebt, daß, -wer in
einem Fall bey Religionsfragen dag menfchliche Anfehn
verwirft, fi nicht leicht in andren Fällen von demfelben
— 25 —
unterjochen laſſen wird, und daß es feine gefährlichere
und verhaßtere Einfchränfung der Mienfchenrechte giebt,
als wenn man ſich unaufgefordert andren zum Mittelsmann
zwifchen Gott und ihrem Gewiffen aufdringen will. Bon
chriftliher Duldung hatten überhaupt die Reformatoren
fo ganz und gar feinen Begriff, Daß fie vielmehr. in Die
proteftantifche Kirche den Geift der Herrfihaft und Lieb—
fofigfeit — den heftigſten VBerfolgungsgeift verpflanzten,
welchen man felbft am rvömifchen Hof vergeblich gefucht
hätte. Die Sahrbücher der Intoleranz fünnen fein ſcheuß—
licheres Benfpiel von Religiongeifer und Grauſamkeit auf:
weifen als die Hinrichtung Servets, welcher in einer Pro»
teftantifchen Stadt von proteftantifchen Sirchenlehrern zum
Scheiterhaufen vernrtheilt ward. Was Calvin zu voll—
bringen fich nicht fiheute, das ward auch von: dem. fo
fanften und duldfamen Melanchton — fowie von Bullinger
— ohne Bedenken gutgehbeißen. (Jortins tract. Vol. I
p. 431.) Dieß war die erfie Frucht einer Reformation,
welche das Recht ter allgemeinfien Denf- und Glaubens
freyheit zu behaupten, die Dienfchheit erleuchten und beſänf—
tigen zu wollen fich vühmte. Wer fann läugnen, daß die
von den Reformatoren etwa beabfichtigten Vortheile wieder
weit überwogen wurden von der. furchtbaren Erbittrung,
welche die Reformation nicht nur zwifchen Katholifen und
Proteftanten, fondern hauptfächlicy und viel mehr nod)
zwifchen den verfchiednen Parteyen der Proteftanten unters
einander erwecte, und daß — genau betrachtet — Die
menfchliche Vernunft nur einer andern Herrfchaft zu
huldigen beftiimmt ward, da in. den proteftantifchen Län—
dern die als unentbehrlich gefühlte Würde eines geiftli-
hen Dberhaupts mit der. höchften weltlichen Madıt
bereinigt wurde, und diefe letztre nun als gebiethender
Schiedsrichter in Slaubensfachen anerkannt wird,
Doch, wir enthalten uns des eignen Urtheils über die
Käglichen, unmittelbaren Würfungen des Reformations—
werks, und laſſen dagegen die vollgültigen Beugniffe
— 206 —
feiner Urheber felbft und andrer glaubwürbiger Zeitge—
noffen ſprechen.
So ſchreibt Calvin (Br. an Melanchton p. 145):
„Es ift äußerſt wichtig zu verhüthen, daß die Fünftigen
Sahrhunderte von den unter ung herrfchenden Spaltun-
gen doch ja nichts erfahren; denn e8 ift über alle Vorſtel—
fung lächerlich, daß feit dem Anfang einer Reformation,
da wir nun mit der ganjen Welt gebrochen haben, wir
unter uns felbit immer-uneinig find.“
Ebenderfetbe (in f. Br. p. 5): „Nun erft erkenne
ich den ungemeinen Schaden, den wir der Kirche durch
unfer voreiliges Urtheil und unfre unüberlegte Hef-
tigfeit zugefügt haben; denn das an Freiheitfinn nun ge-
wöhnte Volk hat alle Bande zerriffen, und begehrt nicht
ferner unfre Beyhülfe, um Jeſum Chriftum zu fuchen, “
Sm libr. de scandalis, Genfer Ausgabe 4551, p. 90
flagt er: „OD wie viele befennen zwar das Evangelium
mit dem Mund, ſchänden aber daffelbe durch die gröb—
fen Wusfchweifungen, duch den ruclofeften
Kebenswandel; mit dem Mund nur ehren fie Gott, aber
mit ihren Handlungen verläugnen fie ihn. Eine wahre
Gottesläfterung ift eg, das Evangeliüm felbft als
Deckmantel der VBerdrehen zu mißbrauchen. Die
Paſtoren, ja die Paftoren, welche die Kanzel, den er:
habnen Lehrſtuhl Ehrifti, befteigen, — die fich durch tadel-
loſes Betragen vor allen übrigen Ehriften auszeichnen
folen — fie felbft liefern jet gar oft die ärgerlichften
Beyfpiele der Sittenverderbniß und aller Lafter.
Daher find ihre Predigten ohne Einfluß und Anfehen, wie
die Fabeln eines Poſſenreißers auf der Bühne. Und folche
Prediger wollen fi) noch beflagen, daß das Volk fie
‚geringichäße und fpottweife mit Fingern auf fie zeige; ich
aber muß vielmehr noch über die Geduld des gemeinen
Volks mich verwundern, daß nicht Weiber und Kinder
Korb nnd Kehricht auf fie werfen. Eolche Prediger müſ—
— 20 —
fen dann freglich auch zu jedem Fehler Andrer durd)
die Singer fehen, und ihnen noch gute Worte geben,“
Bucer machte daſſelbe Geftändnif, und fügte bey,
„daß man.bey der Reformation feinen andern Zweck hatte,
als eine Religion zu erfinden, in welcher man ganz nad
feiner Neigung leben könne.“ Gleiche Klage äußert
Geishäufer (Mykonius), Nachfolger Decolampads in
Baſel.
Der fanfte und unglückliche Melanchton, welcher
durch die Hälfte ſeines Lebens ſeinen Uebertritt zur Sekte
der Reformierten beweinte, ſchrieb im innigſten Ver—
trauen an einen ſeiner Freunde, 2. B. 202. Br.: ich habe
mehr Thränen geweint über das Unheil der Reformations—⸗
fpaltungen, als Waffer in der Elbe fliegt.“
Ebenderfelbe cons. Theol. p. 249 fagt: „durch nichts
ward unfer Evangelium mehr in Miffredit gefekt, als
ducch die in unfrer Mitte eingerifnen Epaltungen.“
„Sn der Berwirrung der die Köpfe durcchfreuzenden
Ideen weiß man wohl, wem man ausweichen, aber
nicht wem man folgen fol. *
Wolf Köpflin, genannt Capito (Hofprediger und
Vertrauter des Erzbifchofs Albrecht v. Maink, nachher
berühmter proteftantifcher Xehrer in Straßburg, und Ge—
fährte Bucers), fehried .an feinen Freund Wilh. Farel in
Genf: „Das Anfehn der Prediger ift volftändig
vernichtet; alles ift verloren; alles neigt fih zum Un—
tergang. Wir haben feine Kirche mehr, felbft nicht
eine einzige, wo man nur noch eine Spur von Diszi—
plin fände.“
Erasmus de lib. arb. fagt: „Wie fann ich mich
überzeugen, daß folhe Leute vom Geift Ehrifti ange:
trieben werden, da ihre Sitten gar fo fehr von feiner
Lehre abweichen? Früher machte das Evangelium aus
Unbändigen Sanftmüthige, aus Raubfüchtigen Wohlthäz
tige, aus Ungeftümen Friedfertige , aus Berläumdern
Liebevolle; aber diefe Neuen werden wie Rafende, be
— 208 —
mächtigen fich durch Betrug fremder Güter, erregen überall
Unruhen, und verläumden ihre eignen Gutthäter. “
Sn feinem GSendfchreiben an die Brüder in Nieder»
deutfchland und Oſtfriesland fagt ebenderfelbe: „Sch fpreche
nicht von bloßem Hörenfagen, fondern aus felbfteigner Er-
fahrung; jene, welche ich ehmahls als redliche, unver»
dorbne, treuherzige Leute fannte, find gav nicht mehr
zu erfennen, fobald fie zur Sekte der fogenannten Evans
gelifchen tibertreten; jet fprechen fie nur von Mädchen,
werfen ihre frechen Blicke überall herum, verfäumen das
Geber), find eigennügige, rachſüchtige, eitle Menfchen.
Kurz, ich vede aus Ueberzeugung: aus diefen Leuten ift
eine MNatterbrut geworden. Zeige mir nur einen Ein»
jigen, der durch fein neues Evangelium ein befrer
Menſch geworden fey; wohl aber zeige ich dir viele, die
ſchlechter und liederlicher geworden find. “
An einer andern Stelle: „Diefe elenden Leute ver-
mochten durch ihr Gebeth nicht einmahl einem hinfenden
Pferd zu helfen; ihre Wunderthaten find: Feuer, Blut,
Todſchlag, Mekeley; ihre Gott ift nicht der Gott des
Friedens, fondern der Entzweyung.“
„Die Herolde diefes neuen Evangeliums frachten nur
nach zwey Dingen, nah Geld — und Weibern; obfchon
-fie in die mannigfaltigften Sekten fih zerfplittern,
buldigen: fie doch alle gleichmäßig dem Bachus und der
Venus, und haben dem Faften und der Keufchheit den
Krieg erklärt. Ich fah einen abgefallnen Mönch, welcher
drey Weiber zur Ehe nahm, und einen abtrünnigen Pries
fier, welcher eine Ehefrau heirathete.“ *
Duditius in den theol. Br. des Theod. Beza p. 13
ruſt aus: „Sn welcher Lage befinden ſich doch die Unſri—
gen! von jedem Wind der Lehre hHin=- und hergetrieben,
wifjen fie allenfalls, was fie heut für eine Religiongmei-
nung haben, aber nie, was fiemorgen glauben werden;
fobald der eine Lehrer fich einem Glaubensartifel nähert,
wird er gleich von einem andern als aottlos verfchrieen;
— 209 —
mehstruam habent fidem , — jeden Monath wechſeln fie
ihren Glauben. “ E,
Georg Mai. de confus. dogm. „Traurig ifts in
Wahrheit, wenn man all unfre Spaltungen und Zerwürfe
niſſe bebenft; das Volk weiß aus Verwirrung nicht
mebr, wo es die Wahrheit finden foll, und ob Gott noch
eine Kirche auf Erden hat.“
Und wie urtheilt der große — ſelbſt über die
Würkungen ſeines Erlöſungswerks?
„Wir erfabren jetzt, welch gar ein gräulicher Geiz
die Herzen faft Aller befeffen "hat. Niemand erzeigt Milde
den Armen, wie er billig ſollte; man erdenkt nur immer
neue ge und Weife, um alle Ding und Waaren zu
fteigern. Uber fieh die vorige Zeit an! da fehneit es zu
mit aller Macht; da mar jedermann willig zum geben.
Welch ein Wuft ift jeßt zu Leipzig; die ift doch gar in
Geiz erfoffen. Summa: die Welt iſt des Teufels, und die
Leute find eitel Teufel geworden.“ (Nachleſe aus Dr. Di;
Luthers Schriften, ©. 208) |
Aus Post. Cap. I. Dom: Adv. „Die Welt verfchlint
mert fich täglich und wird immer fchlechter. Die Menfchen
unfver Zeit find weit mehr zur Rahfucht geneigt,
weit geiziger, gefühllofer , unbefcheidner,, und wider—
fpenftiger, kurz weit fchlechter als zur Zeit des
Pabſtthums.“
Aus Serm. Conv. germ. p. 55: Es ift eine eben
fo- auffallende, als ärgerliche Erfcheinung, daß die Welt |
täglih Schlechter wird, feit man die reine Lehre des
Evangeliums durch das Licht der Aufklärung erleuchtet bat.“
Aus Post. £ Cor. XV.: . „Edelleute und Bauren
thun fich jest darauf zu gut, daß man nichts weiter von
ihnen fordre, als daß fie fih anpredigen laſſen. Biel
lieber möchten fie aber ganz und gar mit dem Wort Gottes
verfchont bleiben, und gäben für al unfre Predigten zur
fammen nicht gern einen halben Heller; fie berückſichtigen
gar Feine KRechenfchaft im fünftigen Leben; ihr Wandel
Ä 44 ;
— 210 —
gleicht ihrem Glauben; jie find Schweine und bleiben e3;
fie glauben wie Schweine, und fterben als wahre Schweine,“
An einer andern Stelle: „Die Leute zu unfrer jeßi-
gen Zeit find gar vermeßne Unfläter, und viel geiziger als
fie zuvor je warten; fie hälfen ungern einem Armen auch
nur mit einem Heller.“
Aus f. Zifchreden ©. 86, 09, 83 u. f.w. „Ad
die Welt taugt gar nichts —— ; ſie iſt des Teufels wie
ſie geht und ſteht. Alle Welt iſt in den Sünden verſoffen;
Bauer, Bürger und Edelleute geben nicht ein Kliplein um
das Evangelium, ſondern ſchnarchen dagegen, verachten,
ja verfolgen e3 fogar. Alſo ſehe ich mein Wunder in der
Kirche, daß unter den Zuhörern einer da hinaus, der an-
dre dort hinaus geht, und unter fo einem großen Haufen
faum zehen oder zwölf find, die etwas aus der Predigt
merfen wollen. Der meifte Theil läßt fi) dünfen, es
fchmefe ihm der Wein oder Bier eben fo gut unter der
Predigt, als zu andrer Zeit. Wenn ich jekt wollte reich
werden, jo wollte ich nicht predigen, fondern ein Gaufler
werden und durch die Lande ziehen; da wollt ich mehr
Zuſeher und Geld haben, als jet Zuhörer. — Es ift in
der Apofalypfe gekommen bis zum weißen Pferd; die Welt
wird nicht lang mehr ftehen, ob Gott will nicht über hun- -⸗
dert Sahr.“ (1?)
Aus 2. über Gal. U: „Ohne Zweifel wird der Teu—
fel die Saframentieser und Schwärmer noch fo hart reis
ten, daß fie unzählig viel Sekten und Rottereyen anrichten
werden, und viel neue Ding und Werfe fich vornehmen. “
Aus 8. über 2 Petr. II: „Sett geht es fo zu: je
länger man predigt, je böſer und verftockter wird die Welt;
es hilft weder ermahnen, ftrafen, noch drohen. Es thut
frommen Chriften und Predigern wohl herzlich web; fie -
fünnen es aber fo wenig ändern, als Noah und Loth es
zu ihrer Zeit fonnten. Es wird aber, beforge ich, noch
wüft und gräulich zugehen, ebe der Tag der Erlöfung
fommt, wo Chriftus die einigen erretten und die ver—
— 211 —
fluchte Welt in Abgrund der Hölle verdammen und ber»
ftoffen wird.“
Der gelehrte Hugo Grotius ergießt ſich in bittre
Klagen über die jämmerliche Wendung, welche das Refor—
mationswerf genommen; er fihreibt in f. voto pro pace:
„Anfänglich war die Rede nur davon, die Kirche von
‚einigen eingefchlihnen Mifbräuchen zu reinigen;
‚allein es blieb nicht bey diefem Vorhaben; bald entftunden
in verfchiednen Rändern mancherley Parteyen, welche auch
unter fich felbft uneinig waren und fich hinwieder in
gar viele Eleinere Sekten zerfplitterten; und da der Boden
fruchtbar ift, wo ein jeder fich alles erlaubt mwähnt
was andre ſchon vor ihm verübten, fo fonnte die Bermwirs
rung nur immer bedenflicher überhandnehmen; die vor—
züglichften Urheber der Reformation handelten dabey mit
ungeftümer Leidenfchaft und feineswegs nach Ders
nunftgründen. “
Auh Schlüffelberg theolog. Calv. gefteht, „das
nicht allein das fchändliche Epifurifche Wefen, fondern auch
alle Srrthümer, Rotten und Sekten mit Gewalt, wie. eine
allgemeine Sündfluth oder Seuche überhandnehmen.“
Ein anderer Schriftfteller jener Zeit fagt: „Dur
die Menge der paradoren Säke find die Grundfeften unfrer
Religion erfchüttert, die Grundartifel unfers Glaubens
werden zweifelhaft, und dem Atheiſmus werden Thür und
Thor geöffnet. Wollte man einen Tag in Schwelgerey
und toller Ausſchweifung zubringen, fo bediente man fich
der fprüchhmdrtlichen Redensart: hodie lutheranice vive-
mus. (Heute ſoll's Äächt lutherifch zugehen!)
Eben fo ſtarke Klagen führen noch viele andre Schrift-
frellev der damahligen Zeit über die heftigften Aus—
brüce aller Leidenfchaften, und die durch Luthers
Lehre und Benfpiel bewirkte allgemeine Giitenver-
derbniß. Weber die Ausgelaffenheit, Polygamie u. f. w.
eines Knox, Buchanan und fo viel anderer neuer Kir-
chenlichter ift in der Gefchichte nur Eine Stimme. Auch
44*
— 212 —
die Keformationsgefchichte Polens 1562 enthält die bedauers |
lichte Schilderung von den Schandthaten der dortigen
Glaubenshelden.
Die confess. orthod. Tigur. et ministr.
4545 (folglih 14 Sabre nach Zwinglis Tod) von Rud.
Gwalter — Zwinglis Schwiegerfohn — überfekt, enthält
folgendes Geftändniß: „In diefen neuſten Zeiten herrſcht
in der chriftlihen Welt großer Sammer und Elend. . Un—
glück jeder Art, Bekümmerniſſe, Anfechtungen, Gefahren,
Aufruhr und Krieg nebmen fo fehr überhand, dag Alles
fich zum DBerderben zu neigen fiheint 5; Glaube und Got-
tesfurcht, Liebe und Sanftmuth find aus den meiften Her-
zen gewichen; die meiften Menfchen ‚pflegen das Wort
Gottes und alle Ermahnung, Unterricht und Belehrung
nicht nur zu verachten, fondern. auch feindfelig zu haffen, .
und ſich heftig dagegen aufzulehnen.“
Sn den Verhandlungen der Zürcherſch en Synode
von 1535 finden ſich über Zwinglis nächſte Amtsgenoſſen
und Schüler auch keine erbaulichen Zeugniſſe; es heißt
darin unter anderm: Leo Jude (mit Zwingli Ein Herz
und Eine Geele, wie ein Biograph des lektern fagt) follte
fleißiger predigen und nicht mit fremden Sachen fidh abs
geben, — andre feyen ftreit- und fhmähfüchtig, — ſtudie—
ven nicht fleißig, fiken inimer hinter den Weingläfern und
wenig hinter den Büchern, — feyen nachläffig und halten
ihre Eltern nicht in Ehren, noch andre feyen Trunken—
bolde, ala Raufer, Lügner und Roßhändler berüchtigt
4.4.0, |
S. Dporin in Bafel fchrieb an Antpelander, Pfarrer
in Bern. „Der Teufel bat ung mit dem neuen Papypft-
thum beſch —; im alten Papfithbum-ift gegenwärtig
mehr Freiheit, als in den evangelifchen Republifen.“
Arminius geſteht: „Allerdings haben unfre Boreltern
das Heilige gewiffenhafter behandelt; auch jene, welche wir
Päpſtler heißen, übertreffen ung weit in der Ehrerbietung
gegen alles, was zum Glauben und 8 Kirche gehört;
— 213 —
unglaublich ift bei ung die Verwirrung in den Begriffen
und dem Geftenwefen.“
| Auch neue proteftantifche Schriftſteller konnen
ſich nicht enthalten, in obige Klagen einzuſtimmen. Ver—
nehmen wir ihre Geftändniffe!
„Luther hatte hinfichtlich de3 nach feinem Tode um
fich greifenden Unweſens vichtig prognoftiziert. Gränzen—
[98 war in der That das Berderben, welches nach feis
nem und, der übrigen Reformatoren Ableben die Scholafti-
fer in die Lehre des Ehriftenthums bradıten. Ein
neues Papftthum des Scholaftizismus und der Prie⸗
ſtergewalt entſtund, nicht weniger drückend als das ab»
geſchaffte, und bürgerliche Kriege faft durch ganz
"Europa Mach Luthers Tod erhoben unter dem Theil
feiner Anhänger, - welche das lauteſte Wort nahmen —
befonders durch die Partey von Sac. Andrei, Doktor der
Theologie und Kanzler der Akademie Tübingen, Berfaffer
der formula concordie (damahls von Vielen auch fpott:
weife „Wappen- oder Gefellenbuch“ genannt — Phariſäis—
mus, Scholaftizismus, Herrſchſucht, Starrfinn und
Berfolgungsmwuth ihr Haupt fo arg als faum je vor-
ber empor. Auf die Zeit der Reformation erfolgte eine
Zeit der Geiftesftlaveren, wie fie nie vorher denkbar
war,“
„Der in der leisten Hälfte des fehseniten Jahrhun⸗
derts herrſchende Difputiergeift (Aoyoxaxie) — fein
Streben ‚nach Wahrheit , fondern bloß Zank um Mei-
nungen — ſchadete dem Anfehn der proteftantifchen Kirche
ungemein, hemmte die veligiöfe Aufflärung, ftörte
in ihrem Innern den Frieden, und vermwirrte die
mwahrheitfuchenden Gemüther; er bewürkte eine meue
Barbarey für das folgende Jahrhundert.“
„Luther ahndete die fchlimmften Folgen der Uneinig-
feit mit Recht, denn unter fo vielen Seften gab es ein-
zelne, welche ſich wieder in 34 verſchiedene Meinungen
theilten, wie Bredembachius verſichert.“
= —
„Ungeachtet der ſtrengſten Mafregeln der Zürcher—
fhen Obrigkeit hat man dennoch lange Regifter von
Berbrehen und Strafen zügellofer Prediger in
diefem Ganton hauptſächlich im Lauf des XVI. Sahrhuns
derts; und die Synode hatte lang zu thun, um nur
den allergröbften Ausbrüchen des Lafters an ihnen
zu wehren.“ Ä
. Auch, dienten all jene faft zahlloſe Eoloquien nur
zu Defeftigung der gegenfeitigen Feindfeligfeiten und
Haders; die Berwirrung war Eläglich; der nähmliche
große Geift ward an einem Dirt weggejagt, am an—
bern hinberufen, 3. B. in Magdeburg der Superinten-
dent Heshufius, in Regensburg und anderwärts. Die
Synoden, Convente, Colloquien der Lutheraner und Zwing-
lianer folgten fihb Schlag auf Schlag, aber der harte
nädige Starrfinn der Sektenhäupter vereitelte jeden
Zweck. Bon der erften Difputation in Leipzig 1519 , mo
der Zunfe zur Flamme ward, bis 4590 zählt man nicht
weniger als 45 folch ſchismatiſcher Kirchenverfammlungen ;
darunter waren die wichtigfien: 4520 in Worms , wozu
Luther berufen ward — mit welhem Edius im Nahmen
des Kaifers Ddifputirte, dann, 4523 in Nürnberg, wo
Zuther — 4525 in Halle, wo Defolampad — 1526 in
Daden, wo die Zwinglianer verurtheilt wurden — 1529
zu Marpurg in Heffen, wo der Landgraf im Streit zwi—
fhen den Zutheranern und Zwinglianern Dehl ftatt Waffer
ins Feuer goß und dag Uebel unheilbar machte, — im
gleichen Sahr zu Schwabach und Schmalkalden, wo der
Zandgraf den frühern Fehler ftatt zu verbeffern noch ver-
fchlimmerte, — 1530 in Augsburg, wo die Spaltung
zwifchen den Proteftanten fich entfchied, — 1531 in Franf-
furt und Schmalkalden, wo fie beftätigt ward, — 1534
in Conftanz, wo Bucer vergeblich zwifchen Luther und den
Smwinglianern zu vermitteln fuchte, — 4536 in Witten-
berg, wo Bucer den Zwinglianern abtrünnig ward,*
2. f w,
— 45 —
Daß es übrigens beim Neformationswerk von Seite
der abaefallnen Fürften hauptfählih auf die Kirchen—
güter abgefehen war, zeigt uns die Gefchichte zur Ge—
nüge. (Man fennt den alten Reim, welchen ein Mönch an
die Mauer feiner Zelle fchried: |
quas des sacras pietas construxit avorum
has mala-posteritas destruxit more luporum.)
Auch ift nicht zu zweifeln, daß zur Zeit der Reforma-
tion mandye veiche Bauern — denen darneben an Reis
nigfeit der Religion wenig gelegen feyn mochte — ders
felben hauptſächlich wegen gehoffter unentgeldlicher
Aufhebung der Zehnten und Bodenzinfe günftig
gewefen waren; der Bauernfrieg in Sachſen nahm
auch) eigentlich Daher feinen Ursprung.“
Und wer Eönnte ohne Grauen und Entfeken all
jene Drangfalen überdenken, welche als. unmittelbare Wür—
£ungen der Ölaubenstrennung den greößern Theil von Europa
heimfuchten ! |
Zuther hatte fo viel und. fo ftarf von der Freyheit
des menfchlihen Glaubens und Willens gepredigt
und gefchrieben — hauptfächlich im Buch von der babylo—
niſchen Gefangenfchaft — daß die Bauern in Deutfc)land,
welche ihn nicht recht verftunden, nun auch ganz
frey und unabhängig zu werden glaubten; fie verwei—
gerten daher alle Steuern und Frohndienfte, den Klöftern
die Zinfe und Zehnten u. f.w, In Thüringen entftund
hierauf im J. 1525 durch Aufwieglung eines phantaftifchen
Predigers aus Sachfen, Thomas Münzer (eines Schü:
lers von Carolſtad), welcher fihh eben fo gut wie Lu—
ther zum Reformator berufen glaubte, und auch würk—
lich eine himmliſche Infpiration vorfchügte, jener
unfelige „dauernfrieg,“ der zwar durch die vereinte
Vebermacht der Fürften gedämpft, aber nur im Blut
von fünfzigtaufend (— nach einigen Chroniken fogar einer
gedoppelten Zahl —) verführter und verführender Bauern
— 16 —
abgelöfcht werden konnte, nad) deffen Beendigung dann die
Fürften alle Klöfter fih zueigneten und folche größ—
tentheils in Iandesherrliche Yenter und? Kammergüter
vermwandelten. Ein Sahrzehend fpäter fand das fonderbare
Schaufpiel in Weftphalen Statt, wo von den Wieder-
täufern ein Schneidergefelle, Sob. Bofolt von Leiden,
zum König gewählt ward, und es dem Bifshof zu Münfter
nur vermittelft Unterftükung andrer Reichsftände und nach
einer fechsjehnmonathlihen Belagerung der Stadt Mün—
fter gelang, dieß Königreich zu zerftören. Die Ehronifen
jener Zeit entwerfen uns von diefem Ereigniß ein höchſt
Elägliches Bild, und während der Belagerung war die
Hungersnoth fo groß, daß — (wie auch Corvinus beftätigt)
fügar Kinder gefchlachtet wurden. (Diefer Schneider-
König nannte fic) rex justitie in terra, und führte fünig-
lichen Hofftaat; beym Nachtmahl diente er immer als
Priefter zu; übrigens hatte er auch durdy ein Edikt die
Polygamie eingeführt, und felbft das Beyſpiel dazu
gegeben, indem er drey Weiber nahm und bald noch eilf
andre hinzufügte — geftükt auf Luthers Expl. in Genesin
4525 und auf das Vorbild Abrahams. Das Ende feiner
Regierung war, daß er im Senner 4536 nebſt feinen
Hauptgehülfen Knipperdolling und Krechting mit glühen—
den Zangen gezwickt und zu Tode gemartert wurde, welche
Dualen fie auch ganz heidenmüthig ertrugen.)
Und mer vermag ohne Schauer an die, durch die
Salvinifhe Hätefie in Frankreich entitandnen, Huges
nottenfriege zurücdzudenfen, welche von 4560 — 1972
fortwütheten, und nur duch das gräßliche Blutbad
des 24. Aug. — Bartholomäustag — 1572 (wo im ganzen
Umfang des franzöfifchen Reichs auf Befehl des Königs
Heinrich von Navarra und feiner Mutter über fechgzige
taufend Menfchen ermordet wurden —) einftweilen
aufhörten, bis in einem fpätern Beitpunft die gänz—
liche Ausrottung der Reformierten in Frankreich unter
Ludwig XIV, Statt fand,. durch deſſen Dragonaden
— 41 -
felbft jene blutige Hochzeitfeyer noh in Schatten
geftellt ward.
Der Ereigniffe in England haben wir — früher
gedacht; auch dort ſäumte Heinrich VIII. nicht, dem
Dapft alle Rechte und Einkünfte zu entziehen, alle
Stifte und Klöfter aufzuheben. Daß es ihm bey Plüns
derung der Kirchengüter feines Reichs im minde:
fien nicht um irgend etwelhe Reform der Kirche
felbft zu thun war, ift aus Spielmanns Gefchichte des
Kirchenraubs fattfam befannt. Mehrere taufend Kir—
chen, Kapellen, Klöfter und andre der Andacht oder Men—
fchenliebe gewidmete Häufer wurden vom König aus Zorn
gegen den Clerus und aus unerfättlichem Geiz, wie von
einem Feind geplündert und dann dem Erdboden gleich
gemacht; 376 Eleinere, 645 größere Klöfter, 90 Collegien,
410 Hofpitäler, 2374 größere und Eleinere Kapellen wur—
den zerftört, AU diefe Stiftungen und Gebäude betrugen
an Werth eine unfhäßbare Summe. („Das war
des König Heinzen Evangelion, das er ſuchte,“ fagte
fehr treffend Myfonius, ein Gehülfe der Keformatoren. )
Sn Schweden nahm Guftav Wafa 1527 den Biſchö—
fen ihre großen Güter weg, und richtete den fchwedifchen
Kirchenftaat nad) Lutherfchen Grundfäßen ein.
—In Dänemark rächte fich Chriftian IL. an den Bi-
fchöfen die ihn verfolgt hatten dadurch, daß er 1534 ihre
Güter einzog und die Fatholifche Kirchenverfaffung ab—
fchaffte.
Ueberhaupt folgten in den meiften Rändern
die Fürften nur allzugern der Neigung ihrer
Unterthbanen, da ihnen die Reformation wegen
der Befreyung von der biſchöflichen Gemalt
und Einziehung der Kloſtergüter wichtige Vor—
theile gewährte.
In Deutſchland raffte nach ſiebenjähriger bitterſter
Hungersnoth eine vorher unbekannte Krankheit, sudor
anglieus (Engliſcher Schweiß) genannt — welche, nach
—
einem Brief des Th. Morus an Erasmus vom Auguſt
1520 in England furchtbar gewüthet hatte — eine unglaub-
liche Menfchenmenge weg; dann folgte die Peft, endlofe
Religiongzwifte, und zuletzt noch jener ſchreckliche drei»
Bigiährige Krieg von 4648 — 4648, wodurch ganze
Länder — vorzüglich Würtemderg , Sachſen und Bram
denburg — vermwüftet und entvölfert wurden.
ach den von einigen damahligen Chroniken aufgeftell-
ten Berechnungen waren nur von 4550 — 4580 in den
Religionskriegen über 900,000 Menfchen hingerichtet wor—
den, worunter fidy 39 Fürften, 448 Grafen, 135 Sreyherren,
447,518 Edle und 700,060 Gemeine befanden. (Seit Une
fang der Reformation Tieße fich alfo eine noch weit bes
trächtlichere Zahl annehmen.) Hierzu fommen dann
erft noch die Mekeleyen von 1620 in Beltlin, 1655 und
1656 in Piemont, 1640 in Irland, ferner in England,
den Niederlanden, Ungarn, Böhmen, Mähren, Schlefien
u. f. w.
Auch, fagt uns die unbeftechbare Gefchichte, daß die
erften Nachfolger der Reformatoren, von der römifchen
Kirche geächtet, vergeblich fich) an die griedhifche anzu—
fihliegen gefucht hatten. Sukob Andrei — Schmidlein ges
nannt — war 08, welcher zum Behuf diefer beabfichtigten
Bereinigung im Sahr 4579 feine formula concordie nad)
Eonftantinopel fandte, und — obfchon zurücgewiefen —
ſich dennoch fpäterhin nochmahls bittlich dafür ohne Erfolg °
verwendet hatte. Der Patriarch ertheilte hierauf feine
legte Antwort im J. 4581, worin er die neue Lehre als
ein von allem göttlichen Anfehn entblößtes Menſchenwerk
erklärt und mit den ernften Worten ſchließt: „Beläftigt
und nicht ferner mit euren Zuſchriften; ihr geht mit den
größten Kicchenlehrern ganz widerfprechend um; mit Wor—
ten zwar ehret — mit den Werfen aber verachtet ihre fie.“
Sp waren jene „Kirchenfpäne“ befchaffen, von
welchen die Confess. helvet. C. 17. p. 76 zu fagen ſich
erdreiftet : „dann es gefallt alfo Gott, daß er durch
— 219 —
diefe Kicchenfpäne feines Nahmens Ehre fördern
und fie zu Erleuhtung der Wahrheit gebrauchen
will.“
Nothwendig hatten dann freylich die immer ſteigen—
den Derwirrungen im Gefolge der Reformation ihren
Urhebern die Augen öffnen müffen, wie wir oben bereits
gefehen haben. Zu fpät erkannten e3 die unglücklich Ver—
blendeten, daß, um das Gebäude dev Wahrheit nieder-
zureißen, es nur der Betäubungen eines ungezügelten
fihwärmerifchen Geiftes bedarf, welchen fich der große
Haufe fo gerne hingiebt, daß e8 aber ungemein fchwer
hält, dag Niedergeriffene wieder aufzubauen, die zer—
rüttete Drdnung herzuftellen, und die vom Schwin-
del religiöfer Unabhängigkeit ergriffenen Köpfe zum
Gehorſam zurüczuführen.
Niemand wünfchte wohl diefe Heritellung inniger als
Melanhton. „Wollte Gott, fchried er an Xuther, ich
fünnte die Gewalt der Bifchöfe Herftellen! ich fehe im
Geift voraus, welch eine Kirche wir haben werden; wenn
wir alle kirchliche Polizey zerftören, wenn wir feine
Kirchenvorſteher mehr haben werden, die ung auf
fihren Wegen führen, wenn wir alle alten ehrwürdigen
Gebräuche abfchaffen, was wird und muß dann endlich
aus unfrer Kirche werden!“ Und von diefer Ueberzeugung
war nicht Melanchton allein durchdrungen, denn er äußert
fi) in den nähmlichen Briefen, daß viele feiner neuen
Glaubensgenoffen darin mit ihm übereinftimmen. Schon
in der Augsb. Confess. fprah man von Gewalt der
Kirche, von Einffimmung der alten Kirche, felbft der
Fatholifhen Kirche, ja fogar vom Lehramt der
römiſchen Kirche ziemlich deutlich. Einzelne Doktoren
der Theologie von anerkannter Gelehrſamkeit ſchloſſen
ſich ebenfalls den Grundfäen der firchlihen Authori-
tät an. Der merfwürdigfte unter ihnen ift der berühmte
Abt don Lokum, Molanus, Freund und Mitarbeiter
Leibnizens im Plan der Bereinigung, welcher längere
— 3»
Zeit ziwifchen ihm und Boffues, dem großen Bifchof von
Menur verhandelt, aber Leider nicht ausgeführt ward,
Molanus fagt: „alle Ehriften find gleicher Meinung, daß
die von einem Conzilium feftgefegte Auslegung der hei—
ligen Schrift jeder Privarauslegung vorzuziehen fey.“
Daher erklärt auch die Augsburger Eonfefjion; daß em
dfumenifches Conzilium das leute, und fchon in den
älteften Zeiten benugte Mittel fey, um jede ficchliche
Spaltung zu befeitigen, und fordert auch defjen Anwen»
dung. Die Eynode non Dovdrecht und alle, übrigen,
welche von beyden Seiten abgehalten wurden, beftätigen
ebendafjelbe ; jene von Eharenton fpricht ſich deutlich aus,
daß wenn e8 jedermann erlaubt wäre, fih an Privat»
auslegungen der Schrift zu halten, es am End fo
viele Religionen gäbe, als es Pfarreyen giebt.
Molanus und Leibniz, diefe gelehrten Männer haben
alfo der Kirche die gefegliche Gewalt zugeftanden; nach
ihrer Weberzeugung und nach den Befchlüffen der Synode
zu Charenton darf niemand die allgemein angenom»
mene Auslegung der heiligen Schrift verwerfen, — ein
ökumeniſches Conzilium (und dieß waren doch unläug>
bar, nach der Meinung aller Parteyen, jene von Nizäa,
Gonftantinopel, Ephefus und Calzedon) bat vor allen
übrigen den Vorzug, und die Unfehlbarkeit ift dag Merk—
mahl, das Attribut des größern Theils der Kirche,
weil ihr der Beyftand des göttlichen Beiftes zugefagt
iſt. Wahrlicy mehr Hatte die Fatholifche Kirche — felbft
zur Zeit Luthers und Calvins — nie verlangt! Wie be-
dauerlich ift Daher eine Spaltung, welche bloß daher
entftund, weil nıan das Anfehn und die Gewalt der
Kirche entfräftete und zerftörte, obfchon man ſpäter—
bin ihre Heilfamfeit und Mothbmwendigfeit dennoc
anzuerfennen fih nicht enthalten Tonnte.
Wir haben oben die eignen Geftändniffe der Reforma—
tions-Koryphäen felbft, ihrer eifrigften Anhäns
ger und einiger ihrer angefehenften Zeitgenoffen
14 ⸗
über die nächften Würfungen diefes großen Werks
vernommen. Mögen auch die angeführten Zeugniffe ung
von den fo einfeitigen-Xobrednern jener Blaubenshelden
wohlbedächtlich verfchwiegen und vorenthalten wor»
den feyn, fie beruhen nichts deito weniger auf unver.
werflihen Urfunden!
So ift es aefommen, und fo mufte es fommen,
denn „die Reformation — (alfo fpricht jener prahleriſche
Diograph des erlauchten Zwingli noch im Jahr 1819) —
einmabl in Bewegung gefeßt, nimmt ihren unauf-
baltbaren Lauf, deſſen Ende nicht abzufeben iſt; fie
fann ihrer Ratıkr nach nie ftille fieben, und gebt immer
ihren großen Bang; mer kann ihrem Tone wider
ſtehen?!“
Und dieſer —— Gang,“ — worin befkund —
wohin führte er?!
Wir haben die ernfte laute Antwort der Geſchichte
bereit5 vernommen, um welche jedoch jener Lobhudler ſich
wenig befümmert zu haben fiheint; eben ſo mangelhaft iſt
feine Kenntniß der eignen vaterländifchen Angelegen—
heiten, Hat er jene unfeligen Zerwürfniſſe ver-
geffen,, welche feine Landsleute beyder GEonfeffionen zer-
fleifehten und nie ganz unter ihnen verfhwanden?
Konnten ihm die unmittelbar auf die Reformation ges
folgten ſchrecklichen endlofen Religiongfriege, in wel—
chen eidgenöffifche Krieger bald auf hHeimathlichem Bo—
den, bald in Frankreich wegen der Hugenotten einander
feindfelig gegenüberfiunden, unbefannt feyn oder etwa
gar ald geringfügig erfcheinen ? machte die vaterlän-
difche Gefchichte der drey legten Jahrhunderte feinen Ein-
deu auf ihn? Hat er die jammervolle Würfung
jener Religionsfpaltung, das ruchlofe Schußbündniß aus
dem Sinn gefchlagen, welches noch zu Anfang des hetzt⸗
verfloßnen Jahrhunderts von dev einen Religionsparten
aus. Grol und KRachfucht gegen die andre, mit jenem
Fürften auf Frankreichs Thron gefchloifen ward, deffen
— 22 —
unerfättliher Ehrgeiz und Treuloſigkeit der Schweiz
den Untergang drohten, (die geheimen punifchen Arti—
fel des Häglichen bochberüchtigten — fogenannten
„Trükli—« — Bundes vom 9. May 1745 mit Ludwig XIV.
find längſt Schon dev Deffentlichkeit anheimgefallen!) wenn
nicht die alles leitende Börfehung bald nach dem Schluß
jenes Bündniffes durch den Tod des Königs die Schweiz
gerettet hätte! —
Solche Bewandtniß hatte es in der Würklichkeit
mit dem gepriefenen „großen Bang“ der Reformation
in der Schweiz. — !
Das Benehmen des päpftlichen Stuhls bey der
in Sachſen und der Schweiz überhandgenommenen
Kirchentrennung haben wir bereits im frühern Abfchnitt
dieſer Darftelung vernommen. Auf Leo X., welchem
weder die Reformatoren, noch auch neuere proteftanti-
ſche Schriftfteller das Lob eines aufgeflärten —
friedliebenden — freyfinnigen Mannes und groß-
hberzigen Beförderers der Wiffenfchaften ftreitig .
machen, folgte Adrian VL von 1524 — 1523 ein Mann
voll guten Willens, aber ohne ZThatkraft, welcher nur
Schritt für Schritt gehen wollte und ob feinen Entwürfen
bald ftarb. (Zwingli felbft hieß ihn einen „trefflichen“ Mann,
von welchem fich die Kirche, im Hinblick auf feine frühe:
ven Berdienfte, Heil verfprechen Eonnte.) Hierauf beftieg
Clemens VII den päpftlichen Stuhl, deffen wir oben
öfters gedachten; und nach ihn Paul II. von 1534 —
4550. Diefer fekte eine Congregation von 4 Gardinälen
und 5 Prälaten zur Prüfung der abzuftellenden
Mipbräuche nieder, welche hierauf 1537 ein Öutachten
einveichte; 1544 fchrieb er dag Conzilium nach Trient aus,
wo fomohl päpftliche als Eaiferliche Geſandte erfchienen,
aber nichts erzweckt ward; 1542 Iud der Legat auf dem
Reichstag in Speyer abermahl nach Trient einz die Pros’
teftanten weigerten fich zu erfcheinen; dennoch ward es
am 13. Dez. 1545 feyerlich eröffnet, aber fchon war die
— 293 —
Spaltung unheilbar geworden, Dieß Conzilium, welches
nicht nur wegen der eingerifnen Härefie, fondern haupt»
fächlih auch wegen der in Verfall gerathnen Kirchen—
zucht zufammentrat, fprady in Sess. VI. Cap. von der
Berbefrung, die Elare Abficht aus: „die zerfallne
Disziplin berzuftellen, die verdorbnen Sit—
ten unter dem Clerus und Chriftenvolf zu verbef-
fern, auch zu diefem Behuf den Anfang bey denen zu
machen, welche die Höheren Stellen in der Kirche bes
fleiden.“* Und in der That ward auch redlih Hand an’
Werf gelegt; manche Migbräuche und üble Sitten wur:
den forgfältigft befeitigt; dev Glaube der Bäter ward
rein hergeftellt, und die Kirchenzucht wefentlich vers
beffert. Sind auch jekt noch Mißbräuche bin und wie»
der vorhanden, fo werden fie von dev Kirche nicht nur
nicht gebilligt, fondern verabfcheut und immer mebr
ausgerottet. Daher ein neuerer Schriftſteller mit
Grund behauptet, daß wohl feine Spaltung oder doch ges
wiß feine Haupttrennung von der Mutterficche te
entftanden wäre, wenn diefe zu Anfang des XVI. Sahr-
bunderts fo wäre befchaffen gemwefen, wie fie e8 der—
mahl if.
4 * & *
Und in welcher Geſtalt erſcheint dermahl der Prote—
ftantismus? mo find jene gefegneten Früchte, welche wir
ihm verdanken? was ift aus dev Augsburger und Helveti«
fchen Eonfeffion — aus Melanchtons Apologie der erfiren
— aus Luthers Catechismus — aus der formula concor-
die — diefen vormahls fymbolifchen Büchern der prote=
ftantifchen Kirche — geworden? „Slaubens- und Ge-
wiffensfreiheit“ heißt nun das große Lofungswort.
Unfer dermahliger Elerus hält es für Pflicht — wie feldft
Schrökh nicht in Abrede ſtellt — den Glauben zu prüfen,
zu läutern und zu ändern, fo oft eine neue Anficht
dieß zu erfordern fcheint. Die aufgeklärten Schriftforfcher
anfver Zeit gelangen zu den mannigfaltigften widerfpres
.
— 24 —
chendſten Refultaten; dennoch berufen alle fih auf ihren
hellen Berftand und Scharffinn, und jeder hält feinen
Gegner für einen Obffuranten. Kehrten die Reformatoren
auf den Schauplak ihrer irdifchen Würffamfeit zurück, fo
müßten fie in Wahrheit nicht wenig erftaunen. über die
jeßige Geftalt ihres Lehrgebäudes.
Nach dem Geftändniß des großen Proteftantifchen
Theologen Puſtkuchen bat das Chriftenthbum, wie folches
von den Echriftftelleun und Gelehrten unfrer Zeit geltend
gemacht wird, feine ürfprüngliche Reinheit ganz und gar
berloren; ja er getraut fich zu behaupten, daß ein folches
Chriſtenthum von jedem Sahrhundert als verfälfcht wäre
zurückgeſtoßen und von den Keformatoren felbft ra
worden:
Aehnliche Klagen führt auch der gelehrte, freyfinnige
Rofenmüller de christ. Theolög. orig. p. 65.
Breszius in den Apol. 2. 3. Flagt über „unbe—
gränzte Willführ in Erklärung der evangelifcdyen Ge-
fhichte“ und über „die unfeligften Folgen des
tiziſmus.“
Heß in den Geſchichten und Schriften der Apoſtel
Jeſu führt ebendieſelbe Klage in den ſtärkſten Ausdrücken.
Kleuker inf; neuen Prüf. der Beweisgr. 2.3. ©.216
fagt: „man arbeitet aus allen Kräften davan, die hei«
lige Schrift immer mehr in Mißfredit zu ſetzen.“
Sn einer gehaltvollen Schrift: über die Sränzlinien
der Aufklävung, wird S. 31 gefagt: „in Abficht der Re—
ligion und des Reichs Gottes haben wir ſchon völ—
Lig den babylonifchen Thurmbau. Lediglich durch die Leh—
ver kömmt die Religion in Berahtung Der Press
diger reißt einen Stein aus der Mauer; gleich greifen
nun auch die andren zu, und reißen alles rieder.“
Müller, in feinen vertrauten Briefen an Bieſter 1801;
flagt: sferbft Theologen machen fihs zum Geſchäft, die
Srundfäge des ächten Ehriftenthbums in einen reinen
— 22 =
Deifmus zu verfchwenmen; die Grundlehren des
Chriſtenthums nennen fie theologifhe Vorurtheile.“
Der geb. Cab. Rath Brandes über den Einfluß des
Zeitgeifts, führt — fowie der. Ob. Präf. Bulow in Mag-
deburg — diefelben Klagen über Berfall und Mangel
der Religiofität, und daß der Lehrbegriff der proteft.
Kirche von fo vielen Beiftlihen verlaffen, umgangen,
und untergraben werde.
Joh. dv. Müller fchrieb kurz vor fl Tod 1809 den
9. März an einen Freund: „bey uns Proteſtanten ſpricht
ſich völliger Antichriſtianiſmus laut aus, Die Schrift
ſollte unſer Glaubensgrund feyn; wie fie nun ausge—
legt und gedeutet wird, mag ich gar nicht fagen. “
Ein andrer Schriftfteller. fagt: „mo der fchöne Grund»
fat der Reformation angenommen wird, hört bey den
Borftehern der Kirche alles Anfehn, bey den Gläu—
bigen aller Gehorſam auf. Ale. abweichende Mei-
nungen find gewißermafßen privilegiert. Jeder ift be-
rechtigt, den Sinn der. heiligen Schrift nach feiner
Willkühr auszulegen; er erfennt fein Gefeß des An—
ſehns; jeder hat gleiches Recht zur Auswahl einer be—
liebigen Lehrmeinung. Hierin beſteht ja eben das große
Borrecht des Proteftantifmus!“
Wenn nun der Proteftantifmus als eigentliche Kirche
gar nicht mehr exiſtiert — wie ſelbſt angeſehene proteſtan—
tiſche Theologen zu behaupten kein Bedenken trugen —
wenn er — einem endloſen Perfektibiliſmus als Spielball
preisgegeben — einem Bruchſtück ohne Zuſammenhang und
feſte Grundlage gleicht, wie kann er dem nach Gewißheit
ſich ſehnenden Gemüth Vertrauen einflößen, — wie kann
er ihm Friede und Beruhigung gewähren? Luther, der
Hauptreformator, und feine Conſorten find, nach ihren
eignen Geftändniffen, bey ihrer Unternehmung, von Lei-
denfhaft hingeriffen, nach feinem fyftematifchen zu—
fammenhangenden Plan verfahren. Nie beabfihtig-
ten fie die Gründung einer Reformation, wie fie nach—
—
— 22 —
her ſich entwickelte, oder einer Kirche, wie die heu—
tige proteftantifche Dafteht; fie eiferten wohl gegen
den fchändlichen Ablaßunfug und andre tadelnswerthe
Mißbräuche, aber nie lag die eigentliche Trennung
in ihrem Plan. Nur ihre Heftige Gemüthsart war
es, was fie nachher verleitete die ganze Kirche —
und befonders die Hierarchie derfelben — dreift anzu—
greifen; und in der Folge vermechten fie dann felbft nicht
mehr das wahre vom falfchen zu unterfcheiden, wie
wir durch ihre eignen Erklärungen ung überzeugt haben.
Die Proteftanten find nicht einig im Glauben,
nicht in der Lehre, nicht in der Disziplin; fie können
es aber auch ihren Prinzipien nach nicht feyn, und eg
nie werden, fondern es müffen — mie die Erfahrung
zeigte — nur immer größere Spaltungen entftehen. _
Nirgends waltet Berbindung und Zufammenhang
unter ihren zahllofen Sekten; diefe haben — wie
Swift fagt — nicht genug Religion, um einander zu
lieben, aber immer genug, um einander zu haffen.
Nothwendig muß dieß mweitläufige, verworrne Seften-
wefen, das immer nur mehr überhbandnimmt und
dem Hauptcharafter der chriftlichen Kirche fo fehr
widerfpriht — da die Wahrheit nur Eine ift und
ewig unveränderlich bleibt — den Proteftantifmus höchſt
verdächtig machen; feine ‚außerovdentlihe Zerſplit—
terung in zahllofe Sekten (man denfe nur an Holland
— Nordamerika — England), die immer fteigende Unei-
nigfeit und Streitfucht unter feinen Befennern kann
nur die Ueberzeugung begründen, daß unmöglich Sefus
Ehriftus eine folche Kirche habe ftiften Eönnen, die immer
nach menfhliher Willkühr folte umgeftaltet und
verbeffert werden, und daß folglich der Proteftantismus
nicht aus Gott, fondern von den Menfchen herſtamme. —
Die Kircye der Zutheraner, Calviniſten, Neformierten,
Methodiften, Anglifaner, Sozinianer u. f. w. iſt, nach ihrem
eignen Geftändniß, dem Irrthum unterworfen; folglich
— MM -
ift fie fchon deswegen nicht jeme Kirche, von welcher ber
Weltheiland (Math. XVIL, 18. und XXVIII, 20.) fagte:
daß die Pforten der Hölle fie nicht überwältigen werden,
daß er bey ihr bleibe bis an der Welt Ende, und daß
der Tröfter des Vaters bey ihr feyn, und der heilige
Geift fie in ale Wahrheit leiten werde. Wenn fie ir
ven kann, fo ift fie nicht — nach 4 Timm. III, 45 — die Kirche
Gottes, : Säule und Grundfefte der Wahrheit, fo ift
wohl vielmehr die Warnung Pauli — Eph. IV, 44. —
auf fie anwendbar. Wenn fie irren fann, wo find dann
iene von Sefus Chriftus felbft eingefebten Hirten
und Lehrer, um ewig der Kirche vorzuftehben, fie zu res
gieren und in ihr den Glauben feftzuftellen, damit
fie nicht von jedem Wind der Lehre hin und her ges
trieben werde?
Möchten doch die Proteftanten einmahl beherzigen,
was ſchon der große Kirchenvater Auguſtinus ſagte:
„wenn wir vom Evangelium nur dasjenige glauben, was
wir wollen, und das nicht glauben, was wie nicht
glauben. wollen, fo glauben wir uns felbft, nicht aber
dem Evangelium Wir glauben Menfchen, nicht
Gott.
Der Proteſtant glaubt ſchlechtweg, was ſeine Väter
glaubten, dieſe glaubten hinwiederum, was ihre Ahnen
lehrten, und ſo ſtufenweiſe zurück bis zum Zeitpunkt der
Kirchentrennung; er hat alſo zur letzten Stütze die Autho⸗—
rität feiner Reformatoren, welche jedoch nie un—
trüglich war, und nach ihrem eignen Willen durch—
aus nicht als untrüglid — —— RER follte
und durfte
Sa, es gefteht die neue in Zürich erfcheinende Kits
henzeitung mit lobenswerther Unbefangenheit „daß es in
der evangelifch reformierten Kirche auch ſolche Grundfäte
und Lehren gebe, welche nicht mit der heiligen
Schriftübereinffimmen. Eben fo unverhohlen wird
ganz neuerlich noch auch im Schooß der höchſten Res
15*
— 23 —
gierungsbehörde eines reformierten Schweizer Kantons bes
hauptet und. zugegeben, daß die beftehenden Katechifmen,
welche fonft als Grundlagen des reformierten Lehrſyſtems
galten, ganz unbrauchbar geworden ſeyen, — daß es
gegenwärtig feinen proteftantifhen Lehrbegriff
mehr gebe — daß die- confessio helvetica alles Anfehn
und alle verpflichtende Kraft verloren habe, — und daf
viele Dogmen der reformierten Kicche von den einen
Geiftlichen zwar noch anerkannt und gelehrt, von den
andren aber als veraltet und untaugli verworfen
werden, demzufolg bald jeder Geiftliche gewifjermaßen eine
eigene Kirche repräfentiere.
Sihreiten wir nun zu näherer Betrachtung einiger
Srüchte des Pr oteftantifmus, deren ung die hochers
leuchteten Neologen ſolch bedeutenden Borrath darbiethen,
dag man beynahe etwelche chronologifche oder alphabetifche
Drdnung zu befolgen fi) veranlaßt finden dürfte, |
Während der Katholik unmandelbar der Religion
Sefu Chriſti als eigentlich göttlich pofitiver Religion
huldigt, die Bücher des U. und N. Zeftaments als heilige,
unter Leitung des göttlichen Geiſts verfaßte Urkunden
mit gläubiger Ehrfurcht annimmt, fienicht zerfplittert
und zerftümmelt, fondern alle Beftandtheile derfelben ihrem
ganzen Inhalt nach als unmittelbare — folglich feis
nem weitern Vervollkommnungsprozeß von Seite menfch-
licher Bernunft und Willkühr unterworfene — Gefchenfe
der Gottheit anerkennt; wie denft, lehrt, und handelt
dagegen der mit Erleuchtung und Aufklärung fich brü-
ftiende Proteftant?
Wir werden die Antwort nicht ohne tiefen Schauer
vernehmen.
Die allg. Bibl. der neuften deutfch. Litt. 4 BD.
4784 hält das alte Teftament für Fabel und Zäu-
fhung, fihreibt die Wunder Ehrifti frommem Betrug,
und die Paulinifchen Thaten und Schriften rabbiniſchen
Künfen zu. /
Die allg. Bibl. der theof. Litt. von Schmid
und Schwarz 1804 macht aus der göttlichen Gen-
dung und Gefekgebung Mofis ein Werk des Betrugs
und der Dummpbeit.
Sn den Aphorifmen am Grab der Theologie
4802 wird mit Berufung auf mehrere große prot. Theo—
logen das Meue Leftament die Hemmfette der Auf—
klärung genannt, die für unfer Zeitalter nicht paffend
und ganz unnük fey. }
Sn der theol. Monatfchr. von Auguſti 1804
9. IX, wird gefagt, daß es beffer wäre, wenn wir gar
feine fchriftlihe Nachrichten von Sefu hätten, daß
man in den Urkunden des neuen Bunds die veine Lehre
Sefu nicht fiber erhalten habe, daß die Apoftel felbft
oft Sefum nicht verftanden haben, daß in diefen Ur—
Eunden fihb Widerfprüche finden, und daß überhaupt
eine gefchriebene Religionsverfaffung früh oder
fpät fich felbft vernichten müſſe. |
Sn den ausführl, Erflär. der ſämmtl. Meffian.
MWeiffag. Darmftadt 4801 werden die Propheten de
alten Bundes für „Saufler und Betrüger,“ und
diejenigen, welche noch einigen Werth auf die Weiſ—
fagungen des Neuen Bundes legen, für „Schmärmer und
Verrückte“ erklärt. Und diefe Schrift wird in der allg.
dv. Bibl: B. 69. S. 228 ald cine folhe anempfohlen,
welche Ungemwißheit — Blindheit und Thorheit habe ver-
fchwinden laffen, |
Nach des Superintendenten Elaudiusliranfidhten.
des Ehriftenthbums 1808 gehört zur Religion Sefu
nichts von feiner Perfon und Gefchichte, nichts von
allen, was er von fih ald dem Sohn Gottes, vom
Reich Gottes, von den Schidfalen feiner Lehre
und Kirche fagte. Im Evang. Mathäi findet ex viele
fremde Zufäße und Berfälfchungen; Sohannes
Evangelium und Briefe follen nicht von ihm, fondern
irgend einem fremden Juden herrühren; (Iſt der Herr
— 0 —
Superintendent verrücdt?) fie enthalten viel tadelns—
werthes und Widerfprüche; der Lehrbegriff in den-
felben fey anoftifch. Paulus glaube noch an's Juden—
thbum, und die Kehre von der Borfehbung und Uns
ſterblichkeit fehle bey ihm; Petri und Safobi Briefe,
und jener an die Hebräer feyen wie die Daulinifchen ; übers
haupt aber biethen die Schriften des Neuen Zeftaments
feinen zufammenbhängenden Xehrbegriff dar.
Snden Erflärungen des Paulinifhen Gegen»
fabes: Buchftabe und Geift, Sena 41799, heißt es:
daß man gleich bey der Reformation die Urkunde des
neuen Teſtaments ganz hätte abfchaffen follen, daß
eine pofitive Religion noch zu den Borurtheilen
der Apoftel gehört habe, daß das neue Teftament zur
Schwärmereny führe, und daß man ohne daffelbe
— auch wenn der Nahme Sefu ganz in VBergeffenheit
käme — fich in der Religion genugfam behelfen fönne.
Profeſſor Krug in feiner Zeitfehrift Hermes 1819
&t. IV ertheilt den Mächtigen der Erde den Rath, ſich
über. alle pofitive Religionen zur Höhe der ewigen
Bernunftreligion zu erheben, und behauptet, daß alle
wefentliden Slaubensartifel dem ächten Proteftantifmusg
nichts weiter als VBerfuche zur Anregung der ewigen Ver—
nunftsreligion feyen.
Mach) Sänifch univerf, Ueberbl. der Entwickl.
d. menſchl. Gefhl, Berlin 1801 find Stolz und Un»
duldfamfeit die Würfungen des Glaubens an die
Bibel; die Fünftliche Magie des Heiligthums aber fey ver-
ſchwunden. |
In Krummachers chriſtl. Volksſchule, Eßen 1823
S. 229 behauptet ein Doktor der Theologie ganz unbefan-
gen: der Apoftel Paulus habe fo gefchrieben, mie etwa
heufzutag ein ungebildeter Korporal oder eine Dienft-
magd, auch habe er durch feine unbefonnene Behaup—
tungen die Laſter der erften Ehriften veranlaft. |
Etermann in f, theol, Beytr. fagt, daß er auch
— M —
nicht eine einzige Prophezeyhung im alten Zeftament
finden könne, welche fich deutlich. auf Chriſtum beziehe.
Noch ftärker äußert fih hierüber Eichhorn in feinen
bebr. Propheten 3. B. 1816 — 1819.
Ein andrer Gelehrter erklärt fchlechtiveg Die meiften
Propheten als Betrüger, welche auch die Urfache feyen
warum e8 in der Welt feinen wahren Glauben gebe.
Dr. Paulus in Heidelberg, welcher. alle Wunder
wegzuraifonnieren verfteht, fagt in feinem Comment.
3.38. ©. 810 Chriſtus ſey nicht würklich geftorben,
fondern habe bloß in Ohnmacht gelegen, |
Ein anderer behauptet, Chriſtus habe fich nach) feinem
vorgeblichen od an einen Ort begeben, welcher nur
feinen Süngern befannt geweſen fey.
Der gelehbrte Wegfcheider erblidt in der von den
Evangeliften fo klar dargeftellten Himmelfahrt Sefu
Chriſti lediglich ein Mythos (Fabel).
Am unverhohlenften äußert fich aber der Verfaſſer
einer vor wenig Sahren in Helmftädt erfchienenen Schrift,
vindicie sacr. N. T. seript., daß nähmlich Sefus ſich
getäufcht habe und ein frommer Schwärmer gewefen
fey, der. würklich übernatürliche Kräfte zu beſitzen felbft
geglaubt habe. Ebendafelbft wird auch die Aufer—
ſtehung Chriſti geläugnet und der größte Theil deffen,
was von Sefu und den Apoſteln erzählt wird, unter die
Mährchen gerechnet. (Dieſem Geſchreibſel liegt offenbar
und handgreiflich der fo beliebte Wahlfpruch calumniare
audacter, semper aliquid heret zum Grund. )
Wahrlich, wenn es im Proteftantenthum fo finfter
und bedenklich ausfieht, twie kann daffelbe dann dem Katho-
liziſmus noch Abfall vom Äächten reinen Chriftenthum
borwerfen? Hatte der ernfie und gelehrte Brentius—
(in recogn. pr..et ap.) fo gewaltig Unrecht, als ex be-
hauptete: die Reformierten werden es dahin bringen, daß
die Neftorianifchen Grundfäge wieder erwachen, daß
einer unſrer Slaubensartifel nach dem andern verr
— 232 —
fhwinden, und durch den Unglauben der Heiden, Thals-
mudiften und Muhamedaner werde verdrängt werden?
Und täufchte fih Montagne fo gar fehr, ald er — in
feinen EssaisL. 2 E. 12 — den Proteftantifmus als fihern
Weg zum AUtheifmus bezeichnete? |
Während der Katholif die Gottheit Chriſti laut
und öffentlich mit Freud und Wonne als eine Lehre
befennt, welche die Propheten vorher verkündigt —
Sefus felbft durch feine Wunder und Weiffagungen
beur£undet — durch feine eignen Geftändniffe von fich
felbft beftätigt — und vor feinem Tod nohaufsfeyer=-
lichfte bezeugt hatte, welche die Upoftel nicht nur ver—
fündigten, fondern auch mit dem Martertod befräftigten,
welche feitdem — ununterbrochen in der Mutterkirche
geglaubt, befannt und vertheidigt worden, und welche Lehre
von dem Katholiken alsder Angel des wahren Evangeliums
— des göttlichen Ehriftenthums betrachtet wird, — läug=
nen die Proteftanten die Gottheit Sefu, und halten
deffen Lehre für eine rein menfchliche, welche dem Ri dh =»
terftuhl ihrer befhräntten Bernunft fich unterwerfen
fol! —
Bernehmen wir einige ihrer angefehenften Worte
führer!
Allg. Litt. Zeit. 1811 Erg. bl. N. 41 heißt es in der
Rezenf. der Emwaldfchen Charfr. Pred. dag Sejus nicht
Bott, und daß feine Verehrung abgöttifch fey.
In der Schrift an den König der dritten „über
die Gottheit Ehrifti“ wird Ddiefe Lehre eine dogmatiſche
Spikfindigfeit, eine zu fpefulative Lehre, leere
Zöne, undverftandne Wörter, die feinen Befainmien-
bang init praktiſchen Ke haben, geheißen.
Berthold krit. Journal der neuſten theol. Litt. d. V
St. III. ſetzt Jeſum in die Kathegorie des Herkules, Ro⸗
mulus, Alexander u. f. w.
Nach Claudius Uranf. d. Ehriftenth. hätte fich Je—
ſus für nicht mehr als einen bloßen Geſandten Gottes
— BB —-
ausgegeben, und niemahls göttliche Ehre verlangt. (Wie
ftimmt dieß mit Joh. V, 23. und überhaupt mit dem gan
zen N. 3. zufammen? Kann man dem Chriftenthum
dreifter Hohn fprechen?) i
Bredfchneider und Stäudlin beftreiten fogar die
Aechtheit des Evangelium Sohannes; letztrer hält folches
ganz zuverfichtlich für das Werk eines Philofophen aus
der Alerandrinifchen Schule, und den Aoyog — verbum —
fediglich für den Funken des göttlichen Geiftes, welcher in
allen vernünftigen Wefen glimme.
De Wette fiehbt in Sefu ein Werkzeug Gottes, der
fihh aber in feinem Plan betrogen hatte.
Und mie viele Zeugniffe ließen fich noch anführen aus
der Jen. allg. Litt. Beit., aus den neologifchen Eregeten
Eihhorn, Paulus, Hegel, Augufti, Efermann, aus den
Repertor. für die Litt. in Leipzig, Wegfcheiders instit.
theol. chr. dogm. u. f. mw. worin überall der nadte An-
tichriftianifmug ganz ungefcheut verfündigt wird.
Waͤhrlich auf ſolche Weife wird bald nur noch in der Fa=
tholifchen Kirche das Bekenntniß Petri laut ausgefpros
chen werden dürfen: Du bift Ehriftus, der Sohn des
lebendigen Gottes! Und für die aufgeklärteren Prote—
ftanten, — die fchwächern bleiben geborgen — (Math AL, 25.),
fcheint Ehrifti eigner Ausfpruch „wer den Sohn nicht hat,
der hat audy den Vater nicht“ bereits die Gültigkeit ver-
Ioven zu haben.
Auch andre Lehren des Chriftenthums, Dreyeinigfeit,
Berföhnungstod, Taufe, felbft Auferftehung der Leiber und
Ewigkeit der Strafen, — überhaupt alle Geheimniß—
lehren, welche der Katholif dem Evangelium gemäß
gläubig annimmt, werden vom eher gänzlid) ver—
fchlungen.
Claufen, Prof. der Theol. — daß alte
Briefe des Ap. Paulus Erzeugniffe der älteften, chriftli-
chen Zradition feyen; fein Wort im N. I. fey aus-
drücklich mit Jeſu höchfter Authorithät befiegelt, und die
— 24 —
heil. Schrift ſey ſowohl dogmatiſch, als auch hiſtoriſch
ſich ſelbſt widerſprechend; die Lehre von den Engeln
ſey mehr heidniſch als chriſtlich; die Lehre von der
Wiederkunft Chriſti zum Gericht ſey falſch und ganz
von morgenländiſcher Phantaſie geſchmückt. Eine der
troftreichften und wichtigſten Lehren des Chriſten—
thums, jene der Verſöhnung durch Chriſti Leiden
und Sterben, wird von ihm ganz wegdiſputiert, „da
ſie Zorn und Rachgierd des höchſten Weſens vorausſetze
und zur unfruchtbaren Bigoterie führe.“ Auf ähn—
liche Weiſe urtheilt der hochgelehrte Profeſſor über andre
Dogmen des Chriſtenthums, und verſchont felbft das
Heiligſte niht. Solch erbauliche Grundſätze und Lehren
werden den angehenden Gottesgelehrten in öffentlichen
Schulen der proteſtantiſchen Kirche beygebracht.
So wetteifern chriſtliche Religionslehrer des proteſtan⸗
tiſchen Deutſchlands, Prediger und Profeſſoren, ja Con—
ſiſtorialräthe und Generalſuperintendenten, (in welch bar—
bariſches Latein die Würde der Biſchöfe und Erzbiſchöfe
von Luther umgemodelt ward) die Grundlehren des Chri—
ſtenthums verächtlich zu machen und zu zerſtören.
Einer hält den Glauben an die in der Bibel vorkom—
menden Geheimniffe für eine durchaus gleichgültige
Sache; ein andrer hält die Erfcheinung- des Engels,
welcher der Maria ihre göttlihe Mutterſchaft ver:
fündigte, für eine bloße Würfung der reizbaren weiblichen
Einbildungsfraft Noch einer behauptet, daß Sefus
nur Achtung, für fen Werk, keineswegs aber An—
betbung feiner Perfon verlangt habe, und daß in
diefer Hinficht die chriftliche Kicche der größten Ketzerey
und der Anbethung dreyer Götter mit Recht befchuldigt
werde, Canabich erklärt die Dreyeinigfeitslehre
für grundlog,vernunftwidrigund daher auch ganz
entbehrlich beym Religionsunterricht. So tollfühn
wagtderKRationalifmus und AUntihriftianif->
mus fein. Haupt zu erheben! —! Der näbmliche
= u —
Herr Superintendent giebt fidy in feiner Kritik dev praft.
chriſtl. Rel. Lehre auch als einen nicht ſehr ftrengen
Moraliften zu erkennen, indem er einen gemäßigten finnlis
chen Genuß der Liebe außer der Ehe für eben fo wenig
der Sittlichfeit zuwider erklärt als in Der Ehe; und der
eben fo laxe, menfchenfreundliche Henke in feinem Maga—
zin behauptet fehlechtweg: -die Monogamie und das Ver—
both unehlicher Bermifchung gehören zu den Weberbleibfeln
des Mönchthums und beruhen auf blinden Glauben.
Solch aufgeflärte Lehren der Vorſteher und HAupe
ter einer fih evangelifch nennenden Kirche ift freylich
dem Katholiken ein Gräuel, gehört aber allerdings zum
unbeftreitbaren Vorrecht des fo hoc) gepriefenen Pr o-
teftantismus! —!
Solche auf Indifferentismus siefetide Grundfäke und
Behauptungen werden von Männern aufgeftellt, welche in
befonderm Ruf von Gelehrfamfeit ſtehen, kirchliche
Aemter befleiden, und zu Lehrern fünftiger Seel:
forger beftimmt find! Kann eine Lehre uns Troſt und
Sicherheit gewähren, in welcher die trügerifche Ver—
nunft als hböchfter Richter über Glauben und Of—
fenbarung angenommen und dabey mit eherner Stirne
behauptet wird: die heilige Schrift fey ein buntes Ge—
mifch von Wahrheit und Irrthum, die Gefhichte
Sefu fey duch Wunderfagen — Zuſätze und Did.
tungen -entftellt, und die apoftolifhen Briefe
feyen Früchte fpätrer Zeit!? —
Aber nicht nur auf Hochfchulen, in theologifchen
Hörfälen — nein, auch in den neuen Bildungsane
ftalten, in den Öymnafien und fogenannten Päda—
gogien waltet diefer Geift des Indifferentismus. Wie
mancher aufblühende Knabe betritt mit reiner Seele, durch—
drungen vom Glauben an die Religion, welche feine Eltern
— feine erften Lehrer ihn kennen und lieben lehrten, jene
Schulen; und wie bald nachher befritelt und belacht er,
als afterweifer übermüthiger Süngling die Grundlehren
— 26 —
des Chriftenthums, und vühmt fih hellerer Einfichten,
von vorurtheilfreien Illuminaten eingefogen! Die
Religion ift ihm nun ein fchaler Volkswahn geworden,
und fiehe — zerfnickt liegt die Blume der Unfchuld zu den
Fügen der beftürzten getäufchten Eltern! —
Servers Weltgefchichte für Kinder, Schloffers Welt»
gefch., Beckers Gefch. für d. Sugend u. a. m. ziehen die
Schöpfungsgefhichte und Wunder des U. und N. Tefta:
ments gänzlich in Zweifel. Lebtrer heißt Sefum und Johan—
nes Feuerföpfe, und fieht in den Evangelien viele offenbare
Erdihtungen, bey der Erwecfungsgefchichte des Lazarus
geheime Berabredungen u. f. w.
So wird Jeſus Chriftus, der Sohn des lebendigen
Gottes, der Welterlöfer, von proteftantifchen Sugendlehrern
gefcjildert, und fein Wort de3 Lebens zu einem bloß
menſchlichen Buch herabgewürdigt ! —
So fpannen die neuen Bernunftlehrer — Rationaliften
— die Bibel ganz eigentlich auf die Folter, um die
albernften Ungereimtheiten aus ihr herauszugwängen. Wäahr—
lich die Gefahr dieſer Freygeifterey, des häßlichſten
Krebfes, dev je an der Gefundheit eines Staats nagen
fann, laßt ſich nicht eindringend genug darſtellen! Noch in kei—
nem Jahrhundert erreichte ſie einen ſolch furchtbaren Grad.
Die frechſten ſpottvollſten Angriffe auf die göttliche Offen—
barung, auf die Wunder und Perſon Chriſti und die hei—
ligſten Lehren des Chriſtenthums werden gefliſſentlich überall—
hin verbreitet, und nicht etwa bloß in gelehrten Sprachen,
ſondern unter dem lockenden Titel von Unterrichts—
büchern für den gemeinen Mann (eallide vulgata, temere
credita, wie fchon Tacitus ſagte). Kann ein chriftlicher
Staat gefährlichere und fchädlichere Bürger haben, ala
diefe ſtarken Geifter , Rationaliften, NMaturaliften , Zatitu-
dinarier u. f. w., welche die Offenbarung der Gottheit
für Pfaffenbetrug, die Wunder Ehrifti für Gaufelfpiel
und Blendwerk ausgeben, alle Grundwahrheiten der
Religion befpotten, und fo dem Ehriften feinen höchften
— —
Troſt, ſeine beſte Stütze im Leben und Sterben — das
Chriſtenthum — rauben!?
Und in ſolcher Kirche ſollte der Geiſt der — ewig
unwandelbaren — Wahrheit walten? Und ſolche Leute
können nie müde werden, den Katholizismus zu verdäch—
tigen, zu verunglimpfen, zu läftern! —
* *
*
Bey aller Mannigfaltigfeit ihrer Anſichten ſtimmen
indeſſen doch die meiften proteſtantiſchen Schriftſteller in
Einem Punkt ganz wunderbar überein, nähmlich in der
Abneigung und dem Groll gegen den Katholi—
zismus; in die Wette trachten ſie ihre Verachtung gegen
dieſen ihren unbeſiegten und unbeſiegbaren Gegner an den
Tag zu legen; bier finden wir wohl den einzigen Ders
einigungspunft zwifchen den proteftantifchen Parteyen. Eine
nähere Beleuchtung diefes Gegenftands wird ihnen jedoch zu
wenig Ehre und Ruhm gereichen.
ur allzugewöhnlich wird die Eathofifche Kirche von
den proteftantifhen Skriblern mit Lieblofer Härte, ja
mit der leidenfchaftlichften Bitterfeit beurtheilt, ihr Cul—
tus von ihnen entftelltz; ihre Dogmen und Disziplinar-
gefeße werden von ihnen geläftert; es werden ihr die
ungereimteften Lehrſätze angedichtet , welche fie felbft tief
derabfcheut. Allein diefer feindfelige Hohn der meiften —
auch gebildeten — Proteftanten, und ihre VBorurtheile gegen
die Eatholifche Kirche können einzig daher entfpringen, weil
fie folche in ganz falfchem Licht betrachten, und duch uns
richtige — oft auch würklich verkehrte — Begriffe
von ihren Lehren und Glaubensfäßen geleitet, das Unwe—
fentlihe mit dem Wefentlichen vermifchen, und oft
bey der äußeren Hülle ftehen bleiben , ohne tiefer in das
Wefen felbit einzudringen, und ohne fich nur mit einer
näheren gründlichen Prüfung bemühen zu wollen.
Ja es giebt ſogar — kaum follte mans möglich glau—
ben — in proteftantifchen Ländern, welche auf den Ruhm
d
— 238 —
einer vor züglichen Bildung Anfpruch machen, theolo«
gifche Zehranftalten, wo der Unterricht in der Kir
chengefchichte überhaupt nicht nur nicht, begünftigt,
fondern gefliffentlich vernachläffigt, ja wohl gar
gänzlich hHintangefekt wird.
Sp legte noch unlängft ein angefehener Schrift
fteller und Theolog in Zürich — (dem verneint ſchwei—
zerifchen Athen, der Wiege des Zwinglianismus —) das
nachftehende „gewiffenhbafte“ öffentliche Geftändniß
vor feiner eignen Regierung ab: „Wir wurden auf unferm
Gymnafium fo ziemlich ‚vorbereitet für das Studium der
Theologie ; nur eine Sprache fehlte ung: die Hebräifche;
die wenigften aus ung Fonnten richtig leſen und fchreiben.
Nah Unterriht in der Kichengefhichte fehn
ten wir uns vergeblich; wir befamen von der
Reformation gar nie etwas zu hören! Die Hel-
vetifche Eonfeffion fennten wir nicht einmaphl
dem Nahmen nad. Mehrere hatten nicht einmahl
eine hebräifche Bibel, weil wir fie nicht brauchten. Wir hatten
zwar Unterricht in der Paftoraliheologie; aber von
Reinhard — dem berühmteften damahligen Prediger —
ward fein Wort gefprochen, Ueber Expegeſe ward nur
ein Privatkollegium gelefen. Glaubte ich nicht, der Wahr»
heit in diefer wichtigen Stunde Zeugniß geben zu müfß
fen, ich würde dieß bittre Gefühl gern unterdrüden,“
u.f. w. Und Solch ernfier Vorwurf fonnte nicht
Zügen geftraft werden! — !
Sechs Sahre früher fchon ward am nähmlichen: „Xieb-
lingsfiße dev Mufen“ in öffentlicher Synode von dem feh-
lerhaften Zuftand der. theologifchen Studien gefprochen
und die mannigfaltigen Gebrechen derfelben nachgemwiefen,
ohne daß irgend jemand diefe Behauptungen zu widerlegen
vermochte, noch Abhülfe vorzufchlagen fich getraute! —!
Don chriftlicher Toleranz und Liebe machen. die
Proteſtanten immer viel: Aufheben ; allein fobald e8 der
Eatholifchen Kirche gilt, dann wird in die Wette gefchimpft,
— 2) —
geläſtert und verläumdet. Belege hiefür liefern jene vielen
ihrer bey Anlaß der jüngſten Secularfeyer verbreiteten
Pasquille, und neuerlich noch eines „Fuchſen religiös pole—
miſcher oder vielmehr blasphemiſcher Federkampf,“ welch
elendes Geſchreibſel ſowohl an giftigen Ausfällen als an
hiſtoriſchen und dogmatiſchen Unrichtigkeiten auch die pöbel—
hafteſten Läſterſchriften der neueren Zeit noch weit über—
trifft. |
Und dieß alles gefchieht, während auf Fatholifchen
Kanzeln dag ganze Jahr hindurch wenig oder gar feine
Notiz vom Proteftantismus noch Sudenthbum genommen
wird, fondern vielmehr dev Prediger lediglich fih bemüht,
feine Zuhörer über ihren Glauben zu belehren und denfel-
ben ing praftifche Leben einzuführen. Wäre e8 daher
nicht angemeffener und würdiger , daß auch unfre protes
ftantifhen Prediger auf ihren Kanzeln die Katholiken
in Rube liegen, und Gottes Wort nach ihrer Weife
verkündigten, ohne den Zanfapfel immer wieder von
neuem hinzumerfen und dadurch die Katholiken in den
Fall der Nothwehr zu verfeken ?! —
Nur wer den Katholizismus nicht gründlich in
feinem innerftien Wefen und Zufammenhang, fondern bloß
oberflächlich ind Auge faßt, kann und mag ihn viel:
leicht haffen oder verachten. Die. firenge Abgeſchloſ—
fenheit feines Xehrbegriffs , feine Begründung auf Aus
thorität und gefchichtliche Weberlieferung , mit Verwer—
fung aller Spekulation, können — wie ein neuerer
Schriftfteller richtig bemerkt — leicht zu dem irrigen Arg—
wohn verleiten, als wäre er ein Feind wahrer wiffenfchaft-
licher Aufklärung, und als wolle ev feinen Authoritäts-
glauben in jedes Gebiet) der Erfenntnig einführen. Das
für die Gegner Fremdartige feiner Gebräuche und Sym—
bolik ftoßt die nicht daran Gewöhnten zurück; die Hei-
ligfeit und Ehrfurcht, in welcher diefelben fiehen,
erregt den Wahn, fie feyen dem Katholif die Haupt:
fahe, und feine Religion beruhe hauptfächlich auf einer
— 20 —
Etifette zwifchen Gott und ihm. Wer aber den Katho—
lizismus in feinem innerften eigentlihen Wefen fennt,
wird ihn nit haſſen, wird ihn nur hochſchätzen
fönnen; nur darf man ihn freylicy nicht aus den Pam—
flets und Schmäbhfchriften proteftantifcher Klopffechter ken—
nen lernen wollen, — man muß nicht Bolfsglauben für
wahren SKirchenglauben, d. h. ächten- Katholizismus halten.
Es ift in der That höchſt befremdend, daß felbft prote-
ftantifche Theologen fo ganz und gar unbewandert in
der Eatholifchen Litteratur find, und meiftens die kirch—
lichen Schhriftfieller der Katholifen gar nicht leſen!
Wie bald würden fie fonft einfehen müffen, daß der
vermeinte Köhlerglaube des Katholifen gar und
ganz nichts Antibiblifches in fich begreife, fondern
vlelmehr gerade in den heiligen Schriften feine vollftän-
digſte Degründung finde, daß jede Lehre, jeder Ge
braudy in der Eatbolifchen Kirche nicht nur einen tiefen
heiligen Grund, fondern auch einflußreichen wohlthätigen
3wed zur Belehrung — Beßrung und Veredlung des
Herzens habe, daß jede Sylbe, dem Boden der Dffen-
barung entfproffen, bier gepflanzt und mit heiliger
Sorafalt gepflegt worden ſey, und daß daher der Kas
tholik fich getroft auf die Worte feines göttlichen Lehrers
berufen dürfe: „fo jemand meine Lehre befolgt „ der wird
es felbft inne werden, ob fie aus Gott ift-“
Daß alle Vorwürfe und Befchuldigungen lediglich auf
Unwiffenbeit oder auf Entftellung und fchamlofer
Berläumdung beruhen, wird jede unbefangene
Prüfung alsbald außer Zweifel feßen. So geben 5. B.
die Proteftanten, wenn gleich Abkömmlinge der Katholiken,
vor: der. Papſt fey der Srundftein der ganzen katholi—
fhen Kirche, er fen unfehlbar und ihm ftehe die Ge-
walt der Sündenvergebung nah freyer Willkühr zu;
die Fatholifiche Kirche aber fennt feinen andern Grund und
Edftein als Sefum Ehriftum, nach Eph. I, 22. U, 20 —
22. Hebr. III, 4. und VII, A. Er ift ihr Haupt und
— UM —
Hoherpriefter. Der Papft ift nur fein von ihm felbit an-
geordneter Stellvertreter, um vorzüglich die Einheit
— den Haupteharafter der wahren chriftlichen Kirche —
gegen Spaltungen und Irrlehren zu erhaͤlten. Der Papſt
iſt — gleich jedem andern Sterblichen — dem Irrthum
unterworfen; nur die Kirche kann — laut Math. XVI, 18.
XXVII, 20. und Sob. XIV, 26. XVI, 13. u. f. m.
nie irren und fich betrügen. Daß der Papft die Sünden
nah Willführ und für Geld erlaffen könne, wird
fchon jedes Eatholifche Schulkind als ſchändliche Lüge
erklären. Man wirft ferner den Katholiken vor, daß fie
eine Hoftie ftatt Gott anbethen, folglich Abgötterey
treiben, während fie einzig und allein dem dreyeinigen Gott
göttliche Ehre erweifen. Man befchuldigt fie, dag fie die
Heiligen — befonders die Mutter des Erlöfers — wie
Götter anbethen; und doch glaubt der Katholif nur,
daß es gut und nüßlich — nicht aber daß es nothwendig —
ſey, die Heiligen um ihre Fürbitte bey Gott anzufpre=
chen, und fie als Sreunde Gottes zu ehren. Man wirft
ihnen vor, daß ihr Gnttesdienft in leevem Wortgepräng
und finnlofen Ceremonien beftehe, daß fie die Beicht-
anftalt al3 einen Freybrief der Sündhaftigfeit betrachten
u. ſ. w. Auch binfichtlich der Tradition thut man ihnen
Unrecht, indem fie darunter keineswegs jene abgefchmad-
ten Legenden und Mährchen verftehen, deren Glauben
man ihnen aufbürdet; nie ward von ihnen das Wort
Gottes unter die Tradition herabgeſetzt; daſſelbe ward
vielmehr von der Fatholifchen Kirche als Hauptglau-
bens- Prinzip jederzeit feyerlich erklärt, auf welches
fie auch alle ihre Dogmen gründet; es ward von ihr
eifrigft bis zur Stunde gegen alle Häreſien vertheidigt,
und vein und unverfälfcht von ihr an Luther, Calvin
u. a. übergeben. Auch der felbfteigne Bibelunter-
‚richt wird, wie wir in der Folge deutlicher fehen werden,
ganz und gar nicht — je länger je weniger — bintange=
feßt. Daß der Katholif hölzerne und fieinerne Bilder
16
— 22 —
und Reliquien von Heiligen verehre, anbethe, oder
Vertrauen auf fie feße, ift nicht nur unwahr, fondern er
wird vielmehr — in jedem Katechismus ſchon — belehrt,
daß die Kirche folches. al3 verdammungsmwürdig erklärt.
(Cone. Trid, Sess. XAV.) Der wahre Katholif ehrt die
Bilder der Heiligen, und befonders unfers gefreuzigten
Erlöfers, ald theure Denfmähler, wie wir etwa das
Bild eines trauten Freunds und Lehrers — der nicht mehr
auf Erden weilt — ehren, worin doch wahrlich Feine Un-
vernunft oder Abgötterey liegt.
So werden — wie mir weiter unten noch deutlicher
zu zeigen gedenfen — ale Glaubenslehren und Ge—
bräuche der £atholifchen Kirche entftellt und werläumdet,
bald aus Unmiffenheit, wohl öfter aber noch aus feind-
feliger Abfiht. Ep wenig wird das, von Goethe und
Lavater ausgefprochene , ernfte Wort beberzigt: „verrucht
ift, wer einen Eultus läftert und Abgötterey nennt, defjen
Gegenftand Sefus Chriſtus ift.“
Und in der That, wer fann (äugnen, daß alle und
jede Heilsanftalten —*Ñ proteſtantiſchen Confeſſionen
ſich auch in der kaätholiſchen Kirche — und zwar ganz
volftändig und in weit höherem Grade — vorfinden ? Feft
und einig ftcht diefe nun ſchon feit achtzehn Jahrhunder—
ten da, — immer zwar die Bielfheibe des Haffes —
der Berläumdung — und wie oft fchon der bifteriten
Berfolgung, aber dennoch fich immer gleich — auf un—
erfchüttertem Selfen. Ihre Lehr und Glaubensſätze find
keineswegs die Frucht fpäterer Sahrhunderte, nicht. menſch⸗
liche Erfindungen und Sakungen, — alle find göttli-
hen Urfprungs. Fälfchlich ward von jenen argliftigen
Aufwieglern das Segentheil behauptet, um. durch folche
Derunglimpfung ihrem Werk mehr Eingang zu verfchaffen.
Gegründet auf ihren Edftein Sefus Chriftus wird die
römiſch Fatholifche Mutterficche nie aufhören — fo lang
die Erde befteht,, gegen Imdifferentismus und Rationalis-
mus immer herrlicher und glängender ihr Haupt empor—
— AI
zurichten, und dadurch zu beweifen, daß — nad) ihres
Stifters unwandelbarem Machtgebotb — felbft die
Pforten der Hölle fierniht zu Üübermwältigen
vermögen. |
Eine gründliche Zergliederung und Erörterung ein»
zelner Befchuldigungen können wir übrigens um fo weni—
ger uns verfagen, ald e8 allgemein angenommen
und anerfannt ift, daß die römifchkatholifche die wahre
hriftliche Kirche wäre, wenn man jene Abweichungs—
punkte, welche fie von den afatholifchen Eonfeffionen uns
terfcheiden,, befeitigen könnte. Auch die gegen den Katho—
lizismus fonft noch ſo erbitterten Proteftanten müffen den-
noch über deffen Einigkeit — Gefchloffenheit und
Feftigfeit erſtaunen, und können gar nicht in Abrede
ftellen, daß in demfelben feine. Heilsanjtalt vermißt werde;
gebildete Proteftanten finden es höchft ungereimt, eine Res
ligionsgeſellſchaft mit Verachtung zu behandeln, zu welcher
fi) die große Mehrzahl: der. Ehriftenheit befennt —
welcher ein Erasmus, Boſſuet, Fenelon und Millionen
edler Menfchen von Herzen zugethan waren und noc, find,
Unbefangene Proteftanten geftehen,, daß die Eatholifche
Kiche Schon deßwegen eine gewiſſe Ehrfurcht einflöße,
weil fie fich in ihrem altertbümlichen Anfehn — trug
der härteften Berfolgungen und endlofer Angriffe von
Außen und Snnen immer gleich geblieben und dadurch
ihren unzgerftörbaren Bau beurkundet habe. Dieß be:
ftätigt auch der berühmte Marheinefe, Doktor und Prof.
der Theologie in Berlin, in fi ſyſtem. Entwickl. des Katholiz:,
welches Werk fonft fo viele Berunglimpfungen des katho—
lifchen Lehrgebäudes enthält.
Ehe wir zur Erörterung jener Divergenzpunfte ſchrei—
ten, fprechen wir noch ein Wort won: der, fo öft der
fatholifchen Kirche aufgebürdeten, Bekehrungsſucht.
Allerdings befiehlt diefe Kirche , Gott zu bitten , daß
er alle Irrgläubige auf die Bahn der Wahrheit zurüc-
führen möge, Wie kann es aber den Proteftanten unbe»
46 *
— 214 —
kannt ſeyn, daß auch Die Apoftel fchon folch graufamer
Handlung fih fehuldig machten? und fällt nicht etwa viel-
mehr den Anhängern — bauptfächlich und nahmentlic)
aber den — Urhebern der Reformation felbft ftatt Befehrungs-
fucht weit eher noch ein Berfolgungsgeift der ſchlimm—
ſten Art gegen Katholifen und gegen die katholiſche Kirche
zur Laſt? Letztre an fich verfolat Feineswegd. Ohne Be—
forgniß für die Feftigkeit ihres Glaubens huldigt fie freudig
der allgemeinen Mtenfchenliebe. Mögen auch Einzelne big»
weilen in ihrem Eifer die Gränzen dev Defonnenheit über—
fchreiten,, fo Fann dieß nur beweifen, daß es auch in der
fatholifchen Kirche fehlbare Mienfchen giebt. (Und macht
etwa der Nationalismus weniger Anfprüche auf allein
beglücende Lehre al3 der Katholizismus? Macht nicht
folche — und in eben fo hohen Grad — auch das Suden-
thum und der Muhamedanısmus?) Wenn aber Katholiken
ungerechte Anfchuldigungen der Proteftanten mit Entrü—
ftung zurücdweifen, wenn fie die Angriffe boshafter Ver-⸗
läumdung mit der Entlarvung des Proteftantismug oder -
Rationalismus in feiner dürren nacten Gehaltlofigfeit er>
wiedern, — wenn auch fie ohne Lift und Uebervedungs-
fünfte auf dem Weg gründlicher überzeugender Belehrung
folhe Mitchriften in ihre Gemeinfchaft aufnehmen, welche
in derfelben vichtigere Begriffe in Betreff der Religion
und des ewigen Geelenheils finden, als in ihrer bisherigen
Confeffion, — nach welchem Sprachgebrauch — mit wel—⸗
chem Recht kann man dieß Befehrungsgefchäft Bekehrungs—
fucht beißen ? Wer müßte nicht vielmehr nady Vernunft
— Gemiffen und der heiligen Schrift fowohl das Recht
als die Pflicht einer folchen Handlung anerkennen?
Sandte nicht Sefus felbft feine Apoftel in die Welt mit
dem ausdrüclichen Befehl recht viele Profelyten zu machen,
und war es nicht fein Wille, daß alle Menfchen Profelys -
ten feiner Religion werden möchten ?
Der berühmte Doktor und Oberconſi ſtorialrath Plank
in Göttingen, deſſen ausgezeichnete Verdienſte um die Ge—
—
ſchichte der Reformation allgemein anerkannt werden, ſagt
ganz richtig: „Unſre proteſtantiſche Kirche mag zum vor—
aus rechnen, daß fie viele ihrer Mitglieder verlieren wird.
Wir müren den Katholiken die Befugniß, Andren ihren
Glauben beyzubringen, allevdings zugefteben, ſowie auch
fie e8 uns nicht zum Vergehen anrechnen fünnen, wenn
ihre Gläubigen fich. von uns überzeugen laffen.“
Mer dann übrigens die Sntoleranz der veformir=
ten Kirche und ihre Anfprüche auf „alleinfeligma-
chende“ Lehre in Abrede fielen möchte, den vermweifen
wir auf die confessio helvetica, auf die formula consen-
sus, und auf den Heidelberger Catechismus — (das in
der angefehenen Republik Bern einzig anerkannte Religions—
Lehrbuch.) Wir fügen hinzu, daß noch im Jahr 4787 die
Regierung jenes fogenannten Freyſtaats jeden Angehörigen,
welcher eine Eatholifche Weibsperfon beirathete, mit Ber-
ftoßung aus dem Baterland und Einziehung fei-
nes Bermögens zu befteafen drohte, — ja daß fchon
zur Zeit dev Glaubensänderung die Oberländer (Untertha-
nen jenes Freyſtaats) durch Zwang waren befehrt wor-
den, indem man fie. ald Rebellen oder Keker duch Eifen
und Feuer für den neuen Glauben gewann, und bey diefem
Anlaß ihrer wichtigften Freyheiten bevaubte, Wir fügen
ferner hinzu, daß nach einem Gefeß der Tandesväterlichen
Regierung von Zürich vom J. 4755 jeder die reformierte
Religion abſchwörende und zur Fatholifchen Religion über
tretende, oder auch nur mit.einer Eatholifchen Weibsperfon
fich verehlichende Angehörige fein Bürger - und Landrecht
verwürkte und von allen damit verbundnen Freyheiten,
Gerechtigkeiten u. f. mw. ausgeſchloſſen ward! —
Manchen unſrer proteſtantiſchen Brüder mage vielleicht
auch unbekannt ſeyn, daß die fir engen Sätze des Heidel-
berger Katechismus und der Dordrechter Synode immer
noch nicht aufgehoben und ungültig erklärt find, denen
zufolg die Katholiken „den einzigen Heiland verläugnen
und eine verruchte Abgötteren treiben follen,“ — daß in
unſren fombolifchen Büchern noch nicht ausgeftrichen if,
was die Smalkaldifchen Artikel enthalten, „dag der Papft-
der wahre Antichrift fey , obgleich viele Proteftanten folche
Albernheiten verwerfen und nach Sohannes glauben, daß
nur derjenige der Antichrift fey , „welcher nicht bes
fenne , daß Jeſus Chriſtus im Fleifch erfchienen fey.“ Gab
es nicht im achtzehnten Sahrhundert noch Iutherifche Theo»
Iogen, welche der Augsburger Eonfeffion eine der
heiligen Schrift Ähnliche Authorität beylegten ? wird
nicht in diefer fombolifchen Urkunde der Proteftanten die
Snfallibilitätslehre — die Berdammung Andersden-
fender ausgefprochen? Und wie können wir uns mit
Toleranz brüften, wenn in proteftantifchen Ländern den
Katholifen — ja fogar in Tutherifchen Ländern den Refor-
mirten — Thurm und Glocke vermeigert wird, während
in einem erzfatholifchen Land den Evangelifchen nicht nur
Thurm und Glocke, fondern auch Schul und andre geift-
liche Gebäude zugeftanden wurden! —
Solche Bewandtniß hatte es noch in neueren
Seiten. mit der Toleranz in proteftantifhen
Staaten, welche fich ſelbſt fo gern zu den gebil-
deteven rechnen! —!
Noch bemerken wir, daß die Eatholifche Kirche für
Ausrottung der Freletaen und Sekten ſchon längſt vor
der Reformation zu bitten befahl, folglich keineswegs
um der neu entftandnen Lehren von Luther, Calvin und
Zwingli willen; fie benennt auch bey diefem Gebeth feine
einzelne Eonfeffion, fondern hat nur die Spaltung —
den Irrthum felbſt — im Auge. Wenn fie ſich für
die wahre, von dem Gottmenfchen Sefu Chrifto geftiftete,
Kirche Hält — und folglich jede andre nicht mit ihr über—
einftimmende Lehre als irrig und vermwerflich erkennen
muß; fo kann fie ja vernünftiger Weife nichts fehnlicher
wünfchen, als daß. jene Xehre immer mehr verbreitet und
allgemein angenommen werde, folglich die falfhen vom
Heil abführenden Lehren von der Erde verfchwinden möchten,
= —
Mit dem feyerlichften Ernft bittet Jeſus Ehriftus in dem
hobenpriefterlichen Gebeth kurz vor feinem Kreuzestod den
Bater: daß alle, welche durch der Apoftel Lehre an
ihn glauben werden, auch einig in diefem Tune feyn
mögen. (Joh. XVII, 20 — 24 vergl. mit Eph. IV, 3— 6
und 13 — 46, mo auf Einheit des Glaubens und * Er:
fenntniß fo feäftig gedrungen wird.) Wer dächte aber
wohl fo verkehrt, um jenes Gebeth der fatholifchen Kirche
auf Perſonen ſtatt auf die Lehre zu beziehen?
Mit Recht verdammt die Fatholifche Kirche den Srr-
thum, nicht aber jeden Serenden ; fie hält ganz und gar
nicht jeden Akatholiken für einen Häretifer, fon-
dern nur denjenigen, welcher mit Hartnäcdigkeit in
dem erfannten Irrthum beharrt. (Heereticus est, qui
agnitum cum pertinacia errorem tueltur.,
Am Schluß diefes Abfchnitts3 über die Bekehrungsan—
gelegenheit mögen nun füglicy auch einige Aphorifmen über
Glaubenswechſel Plak finden.
Ein geiftvolfer Schriftfteller fagt: „die meiften Men-
ſchen find in Beziehung auf Confeffion das, wozu Geburt
und Erziehung fie beftimmt haben. Saft auf ale paßt
was Sophocles von Jocafta erzählte, Als diefe einft zum
lyeiſchen Apoll bethete, ſprach fie in ihrer Hevzenseinfalt:
fie fey deßwegen in feinen Tempel gefommen, weil ev der
nächfte war. — Freylich ein für die Gottheit nicht fehr
zartes Kompliment! Nicht viel anders ift es aber wohl,
wenn man fchlechtmeg bey der Lehre und dem Glauben
bleibt, in welchem man erzogen ward, bloß um fich die
Mühe weiterer Nachforfchungen zu erfparen. Der Glaube,
aufs bloße Fürwahrhalten befhränft, ift bey den meiften
nur angelernt, und die mwenigften find im Stand hier-
über Rechenfchaft zu geben. Der Lehrbegriff, welchem
fie huldigen, war fchon von ihren Bätern feftgehalten
worden; mehr bedarf es nicht, um das nähmliche zu
thun; ihr Glaube ift ihr vätterliches Erbe; fie glauben
ohme oft vecht zu wiffen was? und warum?“
— 248 —
Ein andrer fällt folgendes Urtheil: „Die Religions-
veränderung hat in dev unbefangnen moralifchen Schäkung
immer eine Art von levis note macula an fi; und fo
fehr diefes die Gemiffensfreyheit zu befchränfen fcheint, fo
mag es doch in der Natur der Sache gegründet feyn.
Zwar giebt es feinen legitimen anerbornen, unveräufs
ferlichen Glauben; aber der erfte Glaube wird gleichfam
mit der Muttermilch. eingefogen;- wir empfangen feinen
Keim aus dem Mund der Eltern — der Sugendlehrer —
der Perfonen unfrer erften Anhänglichfeit und Verehrung;
er mwachft mit ung auf; er wird eine Gewohnheit, eine
andre Natur. Einen Slauben erwählen bleibt immer
ein höchft problematifcher Begriff, denn man fennt im voll-
fien Einne des Worts einen Glauben nicht cher, als bis
man ihn fchon würklich Hat; und es fann daher von einer
Wahl faum cher die Rede feyn, als bis fie bereits fchon
gefchehben und alfo innerlich unfrey gefchehen ift,
weil nur die Erfenntniß moralifch frey d. bh. vernunft-
mäßig wählen fan. Daher die Geneigtheit der Welt, bey
einem Webertritt von einem anerzognen Glauben zu
einem andern — erlernten, ftudierten — irgend einen
unlautern Antrieb des Egoifmus vorauszufeken. Wo
aber die Welt einmahl Egoiſmus vorausjekt, da ſetzt fie
gern einen der begreiflichften, bandgreiflichiien der gröbften
Art voraus: den Trieb nach äußerlichem, ivdifhem Vor—
theil; fie nimmt das neue Glaubensbefenntnig für Heu—
helen.“ —
Angeſehene proteſtantiſche Theologen und Kanzel—
redner Deutſchlands klagen über auffallende Hinneigung
ihrer Religionsgenoſſen unſrer Zeit zur römiſch katholiſchen
Kirche. Dieſe Blöße iſt um ſo merkwürdiger, da eigentlich
gerade die Proteſtanten ſelbſt durch ihre zerftörende
Behandlungsmweife des Evangeliums ſolche Rücktritte bey
Männern von Einfiht und Liebe zur pofitiven Ehriftus
Religion veranlaffen und befördern. Die eifrigften
Proſelytenmacher für die Fathol. Kirche find — ohne ihr
BE —
Wiſſen und ihren Willen — eben die proteftamtifchen,
das Chriftenthbum fegenden, Philofophen und Theologen
ſelbſt. Daher geftehbt auch der berühmte Hofprediger
Stark: ich halte den Katholizifmug — voraus fo wie man
jet die Mifbräuche in diefer Kirche abzuftellen ſich ange«
legen feyn laßt — für unvergleichbar beffer, als die Lehren
dev neuen Aufklärer und Zionswächter, welche unter uns
Vroteftanten aufgetreten find, und pflichte hierin dem wür—
digen Superintendent de Marees in Defau gänzlicy bey;
denn zwifchen jenen, welche Chriftum befennen, verehren
und anbethen, und den argliftigen Zernagern des Chriſten—
thums — den Seinden Ehrifti — kann wohl unmöglich ein
Bergleich angeftellt werden, welche von beyden den andren
vorzuziehen wären.
Uebrigens fcheinen jene proteftantifchen Zeloten, die
fo eifrig wider ihre zurücktretenden Brüder losziehen, ver-
geffen zu haben, daß ja fie felbft auch noch dem Schooß
der allgemeinen Kicche angehörten, wenn nicht eben auch
ihre Bäter des Religionswechfels ſich ſchuldig gemacht
hätten. Als der berühmte Graf Stolberg zur katholi—
fchen Religion übergetreten war, und ihm ein großer prof.
Fürft (der König v. Preußen) bemerkte: „daß er denjeni-
gen nicht hold fey, welche ihre Religion verlaffen, “
entgegnete ihm daher Stolberg fehr treffend: „ich ebenfo=
wenig; denn wenn nicht unfre Boreltern fie vor drey—
hundert Jahren verlaffen hätten, fo würde ich nicht
genöthigt gemwefen feyn es jet zu thun.“ Ueberhaupt
fpricht die Marime „daß ein Ehrenmann feinen. Glauben
nicht wechfeln dürfe“ ihr felbft das Urtheil. Iſt fie richtig,
fo müffen wir die Reformatoren des XVI. Sahrhun«
derts alle aus der Kifte der Ehrenmänner ftreichen; und
wollte man nicht vorausfeßen, daß diefe Marime nur auf
chriftliche Eonfeffionen befchränft werde, fo wären felbft
Shriftus und die Apoftel — als Abtriinnige des Mofais-
mus — ebenfalls fchuldig. — Dahin führt diefe Marime. —
Immer predigt der proteftantifche Elevus „Geiſt es—
= BE >
und Gewiffensfrenyheit“ als heiligftes Recht, und
will doch Andren den Gebrauch diefes nähmlichen fo ge
priefnen Rechts nicht geftatten. Welch ein Widerfpruch,
wenn derfelbe diejenigen feiner Confeffion befchilt und tadelt,
welche fich eben dDiefes Rechts zu bedienen in ihrem Ges
wiffen fich gedrungen fühlen! Er macht ihnen die Thüre
auf, Damit fie hinausgehen mögen, und wenn fie hinaus»
geben, fo tadelt er fie ald Meineidige und Ungetreue; —
ftatt zu beherzigen, was Chriftus bey Luc. XI, 17. weifs
fagt. Die Eatholifche Mutterkirche hingegen tröſtet fich
hinfichtlich ihrer Apoftaten mit 4 Joh. II.: fie find von
uns abgewichen, — aber fie waren nicht von ung; denn
— fie von ung geweſen wären, fo wären fie ja bey
s geblieben; aber auf daß offenbar würde, daß fie
nicht alle von uns find,
Zur Beftätigung deffen, was wir oben wegen auffal-
Iender Hinneigung unfers Zeitalter zur Glaubensänderung
bemerften, fügen wir noch bey, daß (nach Roſe Buftand
der prof. Relig. in Deutfchl. Leipzig 1826.) in den Jahren
4813 und 1814 mehr al3 dreyhundert gebildete Männer
proteftantifchev Confeſſion zur fatholifchen Kirche überge>
treten find; auch in dem tableau geu. des princip. con-:
versions, qui ont eü lieu parmi les prot. Paris 4827
wird eine Menge ausgezeichneter Convertiten, Gelehrter
und andrer Männer aus England, Holland, Rußland,
Amerifa u. f. w. angeführt, angefehene Perfonen, welche
in der proteftantifchen Kirche geboren und erzogen, ftet3
nur von Irrthümern — abergläubifchen Gebräuchen und
Abgötterey der vömifchen Kicche fafeln und Läftern hörten,
durch befondre Umftände aber veranlaßt wurden die Lehren,
Grundfäge und Cultus derfelben geündlicher zu prüfen,
— dann allmählich nicht nur ihre Reinheitund Ueber—
einffimmung mitdem Ölauben und den Reli—
gionsübungen der urfprünglidhen Zeiten en
fannten, ſondern allem Haß und Borurtheilen ent-
fagten , und fich an alle ihre übrigen Kinder anfchloßen,
= HM =
um fie zu vertbeidigen, und gegen alle Läfterungen ber
Bosheit und deslinverftands in Schuß zu nehmen.
Unter die merfwürdigeren Beyfpiele von Bekehrungen
fowohl der früheren als neueren Zeiten rechnen wir folgende:
Aus dem XVI Sahrehundert. Bon Regenten:
Sohann II. König dv. Schweden, Sohn de3 großen Guſtav
Wafa; Heinrich II. von Bourbon, Prinz Hin Eonde;
Philipp und Eduard, Markgrafen von Baden; Heinrich IV.
König dv. Frankreich (nach den forgfältigften Berathungen
der gelehrteften Theologen jener Zeit); Jakob Marfgraf
von Baden, nebft deffen Leibarzt Piftorius und dem Hof»
prediger Zehender (nad) vorheriger Difputatfion mit den
angefehenften Zübinger Theologen); mehrere Fürften von
Kichtenftein. Bon Gelehrten: Staphylus, Profeſſor
in Breslau, Schüler Luthers und Melanchtons; der Arzt
und Naturforfcher Dalechamp; Veit Amerbach; Balduin;
Suftus Lipfius; Nihuſius; Hunnius; Ed. Campianz Res
ginaldus; Du Moulin (Molinäus); Pithou; Soh. Eafau-
bonus, Sohn Iſaaks; Cayet; de Sponde; Ferrier,
Aus dem XVII Sahrhundert. Bon Regenten:
König Carl II. von England; Ehriftine, die große unüber—
froffne Königin dv. Schweden, Tochter des um Schweden
fo hochverdienten Guftav Adolphs; der al3 großer Feldherr
und trefflicher König berühmte Auguft IL von Polen;
Ehriftion Auguft, Herzog von Sachſen Zeiß; der durch
fein Sffentliches und Privatleben gleich ausgezeichnete, be—
rühmte VBicomte de Turenne; Albert, Herzog von Sachfen
Weißenfels und deffen Tochter Anna Chriſtine; mehrere
Herzoge von Sachen — Hildburgbaufen — Saalfeld und
Lauenburg; Ernft Landgraf von Heffen Rheinfels, diefer
von Leibnik und Reimann hochgepriefene treffliche Staats»
mann und Feldherr (nach vielen forgfältigen Conferenzen
mit den größten Damahligen Theologen Galirt, Haberforn
und andern ©. motiva convers. ad fid. cath. Colon. 1632) ;
mehrere Landgrafen von Heſſen-Caſſel — Darmftadt
and Homburg; Joh. Friedrich, Herzog von Hannover; die
— 12 —
Prinzeſſin Elif, Chriftine von Braunfchweig Wolfenbüttel,
nachherige deutfche Kaiferin (in Folge Gutachtens der Pro-
teftantifch Zheologifchen Fakultät in Helmftädt); der be-
rühmte Walenftein, Herzog von Friedland; Graf Gottfr.
Heinrich von Pappenheint mit einigen feiner Verwandten ;
mehrere Pfafzgrafen von Neuburg und Zweybrücken, Fürs
ſten von Go n, Herzoge von Baden Durladh und Wür—
temberg, auch aus dem Haufe Schleswig Holſtein; viele
KReichsgrafen u. f. wm. Bon Gelehrten: Wilhelm
Romland, genannt Rolandus Palingenius; Ramſay; Peter
Bayle; Dacierz; Homberg; Papin, vorher ein berühmter
Prediger des Calviniſmus; Corvinus; die Brüder Walen-
burg; Lucas Holfieinz deffen eben fo berühmter Neffe
Lambek; Scheffler; Befold, Prof. der Rechte in Tübingen;
die eben fo gelehrten als vechtfchaffnen Graf Chriſtoph v.
KRanzau, Graf Erhard zu Wezhaufen, und Frenberr von
Boineburg; die reformierten Prediger Barthol. Nigrinus,
Gudenus, Paganinus, Prätorius; der große Theolog und
Philolog, Hofprediger Pfeiffer in Königsberg, und defien
Schwiegerfohn Helwig, — meiftens Männer von ausge:
breiteter Gelehrfamfeit, unfträflibem Charakter und allge
mein gutem Ruf — felbit nach ihrer eignen Feinde Zeug-
niß, — deren Vebertritt daher zu ihrer Zeit überall großes
Auffehen erregte. '
Aus dem XVII. Sahrhundert. Don Regenten:
Sriedrich Auguft III, König von Polen, Eohn des unter
obigen Gonvertiten erwähnten Königs Fr. Aug. II.; der
mit Keibniz genau befveundete Herzog Anton Ulrich von
Braunfchweig, als fehr ‚gelehrter Fürft geachtet, vorher
ein überaus eifriger Proteftant (erſt nach mehrjähriger
Prüfung und Berathung Übergetreten); Henriette Chrifiine,
defien Zochter; Imhof, deffen Minifter, ein Mann von
Beift und allgemein anerkannter KRechtfchaffenheit; der
Feldmarfchall Carl Alerander, Prinz von Würtemberg;
mehrere Herzoge von Holftein; Ehriftian Ulrich, Herzog
von Würtemberg; mehrere Grafen von Leiningen, Erbady,
— 2 —
Schöndurg, Solms und Wurmbrand; Ernſt Freyherr von
Metternich; der von: Gellert ſehr gefchätte und gelobte
Held Gideon Ernft Freyherr von Loudon; Freyherr von
Moltke, Hannoverfcher Minifter ; der öftr. Reg. Rath Fridr.
Wilh. von Taube; der in hohem: Anfehn geftandne Reichs»
hofrath von Schleinig; der Geheime und Gtaatsrath von
Binder (des Fürften von Kaunik vechter Arm genannt.) ;
dev Freyherr von Röder, — welche beyde, wie Mofer in
feinem patr. Archiv bezeugt, ihr Bekenntniß mit unſträf—
lihem Leben und Wandel zierten. Bon Gelehrten:
Der Doktor der Philof. und Theol. Räſewitz, zugenannt
Peßel; der Commerzienrath Joh. Juſtus Herwig ; der Prof.
und Bibliothekar Küfter; der Prof. und Gefchichtfchreiber
Hofrath Ekhart; der befannte Schriftiteler I. 9. ©.
Sufti; der Freyhere Georg von Spangenberg, Bruder des
ehrwürdigen Bifchofs der Brüdergemeine, deffen Leben in
Mofers Arch, VIL, 195 — 243 gefchildert wird, und wel-
cher ebenfall3 aus den veinften Beweggründen vom Pros
teftantifmus zur Eatholifchen Kirche zurückkehrte; Die geift-
volle und liebenswürdige Elif. Carol. Elementine, Tochter
des Königl. Hofraths von Ammon, nachherige Reichsgräfin
von Schwerin; der von Böthe hochgefeyerte Soh. Joachim
Winfelmann u. a. m.
Als bemerfenswerthe Beyfpiele der neuern Zeit mögen
noch folgende gelten: Der Engländer Nathanael Thayer,
welcher zu Rom im 3. 1783 — nachdem er vorher Pre—
diger der Puritaner in Bofton war — zur fatholifchen
Kirche zurückkehrte und feine Beweggründe öffentlich be—
fannt machte, Elif. Pitt, eine Anverwandte des großen
Minifters, welche im 3. 1787 im Salefianerklofter zu Ab»
beville ihre Gelübde ablegte; (in einem nachherigen Briefe
fchrieb fie: „ich befchwöre meine proteftantifchen Brüder,
derer Geligkeit mir nahe am Herzen liegt, doch ja nicht
leichtfinnig und ohne gründliche Unterfuchung jene Zweifel
zu verwerfen, welche unausbleiblich in ihnen erwachen müf=
fen, wenn fie vor Gott veiflich nachdenken über die Meu—
— 2354 —
heit ihres Blaubens und feine zahllofen Wechſel im
Bergleich mit dem hohen Alter und der Einheit der
fatholifchen Kirche; denn der wahre Glaube iſt einig.)
Ferner: der gelehrte von Schlegel; Adam Müller in
Berlin; Doft. und Prof. Schloßer nebft zwey Brüdern
in Bonn; der.berühmte Schriftfieller und Dichter Frid.
Leop. Graf zu Stolberg, Berfaffer der: Elaffifchen
„Gefchichte der Religion Jeſu;“ Krebs aus Sachſen,
jeßt Pfarrer im Elfaß; Prediger Volz in Carlsruhe;
Prof. Freudenfeld in Bonn; Dr. und Prof. Durfs;
Drof. Köhler; Freyherr von Edftein; Kön. Preuf.
geh. Reg. Rath Befedorf in Berlin; Standel von
Maink; Fleifcher von Frankfurt; der berühmte Theolog
und Schriftfieler P. Sob. Em. Beith in Wien; der
geiftvolle Prediger und Schriftfteller Er. Lud, Zach. Wer:
ner, Derfaffer der „Söhne des Thals,“ der „Mutter
der Makkabäer,“ des „24. Februar“ u. a. m. (Al nad)
defien im I. 4814 erfolgtem Religionswechfel die Feftigkeit
feines Entfchluffes bezweifelt ward, ſchrieb derfelbe einem
vertrauten Freund: „dreifte Lügner haben von mir erzählt,
daß ich wieder VProteftant geworden fey. Sch betheure dir
aber vor dem Gott, der fich meiner erbarmt hat, daß,
wenn er mir fein Önadenlicht je fo entzöge, daß ich auf:
hörte, Katholik zu feyn, ich taufendmal eher zum Juden»
thum oder zu den Braminen am Ganges, aber nie— nie
— nie zu der fihalften, fchlechteften, widerfprechendften, nich»
tigften Nichtigkeit des Proteftantismus ‚übergehen fünnte,)
Hierzu fommt noch in: diefer neuften Zeit der angefehene
preoteftantifche Prediger Laval zu Noirmont; Graf Briftol
in London, früher sein heftiger Gegner der Eatholifchen
Confeffion; und Dr. Frid. Herbſt. ©. deffen Schrift:
die Kivche und ihre Gegner in den drey lekten Jahrhuns
derten ; eine Fath. chriftl. Bekenntnißfchrift 1832 (der Ver—
faffer, ein vühmlichft bekannter Schriftiteller fagt in f.
Brief an Sengler (Kirch. Zeit. 1832. ©. 448) „der Schritt,
den ich gethan habe, iſt das Kefultat meiner Studien
— 25 —
and Erfahrung. Nun will ich aber auch was ich bin
ganz feyn, will Alles opfernd nur der Kitche Teben, die
doch das einzige wahrhaft VPofitive im Leben ift.“
S. auch: der Katholif 1832. IX. Heft. Beyl. ©. LI)
Hauptfächlich aber dürfen hier ein paar große Geis
fter früherer Zeiten nicht unberührt gelaffen werden.
Leibniz, von welchem im DBerfolg noch bisweilen die
Rede feyn wird, der größte Philofoph feines Zeitalters,
defien die Nachwelt mit Staunen und Ehrfurcht gedenft,
deffen durchdringender Geift das ganze menfchliche Wiffen
umfaßte, ein Mann wie oft ganze Sahrhunderte nicht her—
vorbringen —, diefer bat fi), obwohl nicht äußerlich von
der proteftantifchen Kicche getrennt, doch ganz rein
römiſchkatholiſch ausgefprochen. Aus Ueberzeugung
den Proteftantisnus verlaffend, huldigte ev ganz den Dog-
men der, vömifchen Kirche. (Vergl. f. Syft. der Theol.)
Der berühmte engl. Bifchof Montague dachte in allen
Stücken nad) der Lehre der fatholifchen Kicche, in deren
Schooß er übergetreten wäre, wenn nicht fein 1641 ers
folgter od ihn an der Ausführung dieſes Vorhabens
gehindert hätte, Bier Jahre fpäter zernichtete ebenfalls
dev Tod das nähmliche Vorhaben bey einem Mann, wel-
cher durch feine Wilfenfchaft und durch fein Genie fich
zu nocy weit höherm Ruhm emporgefchwungen hatte.
Grotius nähmlich hatte bey feiner Abreife von Paris
feinen gelehrten und würdigen Freund Bignon im Ber:
trauen verfichert, daß er bey feiner Rückkunft aus Schwe—
den, wo er. nur. feine Angelegenheiten beendigen wollte,
fich ferner mit feiner andern als jener feines GSeelenheils
befchäftigen und mit der fatholifchen Kicche vereimi-
gen werde. Er Fam zurück; als er aber in Roſtock Ian-
dete, ergriff ihn die Krankheit, welche ihm das Leben —
der Kicche eine foftbare Eroberung — und der Welt ein
ewig merfmürdiges Beyfpiel raubte. Diefe Umftände werden
von Arnould, welcher fie aus Bignons Mund Fe ver⸗
nahm, aufs genaufte mRnrige,
*
*
— 256 —
Wir fchreiten nun zur umftändlichen Erörterung der
verfchiednen gegen den Katholizismus, ſowohl in Betreff
der Disziplin und gottesdienftlichen Hebungen als auch der
eigentlichen Dogmen erhobnen DBefchuldigungen , welche
zugleich die in dev Einleitung bevührten Divergenz> oder
Abweihungs-Punfte
unfver verfchiednen Confeffionen bilden, und fprechen zuerſt
vom Verboth des
Selbftunterrichts durch die Bibel,
Was hievon die Proteftanten fafein, beruht auf leerem
Fiebertraum. Vielmehr werden überall — zumahl in
deutfchkatholifchen Ländern — die Bibeln eifrigft verbreitet.
Der vaftlos thätige und freyfinnige Fatholifche Theolog
von EB hat bis zum September 4824 nicht weniger als
923,127 neue Zeftamente und 11,984 Bibeln in Umlauf
gefeist. Damahls waren bei ihm, zum Behuf des Abdrucks
der Bibeln in den verfchiednen Sprachen, zu Sulzbach
ununterbrochen zwölf Preffen im Gang, welche auch bei
dem lebten dortigen Brand gleichham durch ein Wunder
erhalten wurden. Geine Ausgabe ift in vier verfchiednen
Auflagen mit ftehender Schrift gedrucdt. Auf fehr rühm—
liche Weife beftvebt er fih, in wifjenfchaftlicher Hinficht
auf die fatholifchen ftudierenden Theologen mwohlthätig zu
würfen und das biblifche Studium in den Grundfprachen
zu fördern, durch Vertheilung hebräifcher — griechifcher —
fyrifcher und Tateinifcher Bibeln, theils unentgeldlih —
theils ın geringem Preife.
Doktor Pindferton, Agent der brittifchen. Gefellfchaft,
verficherte noch unlängft — im J. 1831 — „daß unter
den Katholifen ein großes Verlangen nad) dem Wort
Gottes bemerkbar fey, und daß er vom van Epifchen neuen
Teſtament Beftellungen bis auf 9000 Exemplare erhalten
babe, wobey ihm manche katholiſche Seiftliche hülfreiche
— Bi
Hand biethen.* Nach dem Sahresbericht der brittifchen
Bibelgefellfchaft vom 3. 1832 wurden nicht weniger als
38,787 Exemplare unter die römifihen Katholiken. ver
breitet! —
Und welche Menge von Bibeln ward nicht in Mutter⸗
ſprachen, mit biſchöflichen Approbationen, für Katholiken,
auch ſchon vor der Reformation herausgegeben! Bon
Herzen freut fich die Kicche, wann fromme Katholiken an
den Worten des Lebens fich erquicfen und erbauen. Bapft
Pius VI. beftätigt diefe Wahrheit, indem er fagt: „Du
denfft fehr richtig, wenn du die Gläubigen zum Xefen dev
göttlichen Schriften nachdrüdlich ermuntern zu müfjen
glaubſt; denn diefe find die veichlichften Quellen, die allen
offen ſtehen müfjfen, um daraus die Reinheit fowohl der
Sitten als der Lehre zu fihöpfen.“
Zufolg des im Jahr 1549 zum erften Mahl vom Le-
gaten Joh. della Caſa in Venedig publizierten, päpftlichen
Index gehört die Bibel unter die (libros non promiscue
legendos). nicht. ohne Unterfchied — nicht ganz unbe—
dingt zu lefen geftatteten Bücher. Die reg. ind. IV. be-
gründet diefe Befchränfung folgendermaßen: „da die Er-
- fabrung lehrt, daß — weni das Leſen der heiligen Schrif-
ten in der Bolisiprache überall ohne Unterfchied er-
laubt würde — durch mienfchliche Unbedachtfamfeit oder
Berwegenheit mehr Schaden als Nuken daraus ent-
ſtünde.“ Und wäre etwa eine folche Beſorgniß ſo ganz
aus der Luft gegriffen?
Nie war von einem unbeſchränkten Bibelverboth für
Laien in dev fatholifchen Kirche die Rede; nur hat diefelbe
— als forafältige Mutter — jeden Mißbrauch abzumenden
Bedacht genommen, damit nicht dieß Leſen ihren Kindern
zu einer Duelle des. Derderbens ftatt des Heils werde. Da—
her verordnete fie, daß die Gläubigen die heilige Schrift,
das Brot des geiftigen Lebens, aus den Händen: ihrer vä—
terlichen Geelforger erhalten, und mit dem Xefen zugleich
auch das Hören des Worts Gottes — nach) Act. XVII, 11.
47
— 23 —
— verbinden. Daß es die Proteſtanten mit Verbreitung
der Bibel freylich weit weniger genau nehmen, und jede
Beſchränkung als zweckwidrig und verwerflich betrachten,
dürfte ihnen wohl auch nicht zu unbedingtem Ruhm gereis
chen, Wir ftüken uns dießfalls auf: das gewichtige Zeug-
niß eines. der angefchenften Theologen der reformierten
Schweiz, welcher noch vor wenigen Sahren ernfte Klage
darüber öffentlich führte, dag ftatt des bey den Katholiken
gültigen (?) Bibelverboths ein ganz entgegengefegtes höchft
fehlerhaftes Extrem ben den Reformierten überhandgenoms
men, und aus der ungezäbmten Bibelverbreitung fich ein
förmlicher neuer Nahrungszmweig gebildet: habe, daß
man „das Heilige den Hunden und die Perle den Schwei—
nen vorwerfe,“ daß man Bibeln in überreicher Menge
(ihre Unzahl ftehe auf glänzenden Tafeln verzeichnet) unter
das Allerleyvolk verfehwende, unbefümmert ob fie auch
wohl geprüft und wohl verftanden werden u. ſ. w,
Und wer will es tadeln, daß die Fatholifche Kirche das
allgemeine Bibellefen ohne ER U he fhriftfuns
diger Lehrer undienlich findet? wurd dann folches. nicht
auch von den angefehenften, proteftantifchen Theologen —
‚einem laufen u. a. m. — als gefährlich und verwerflich
erklärt? Haben jene Splitterrichter, melche fonft immer
fo gerne auf Schriftftellen fich berufen, die in Act.
‚VIII, .30 — 34 enthaltene - überfehen, mo der den Pro—
phet Sefajas Iefende Kämmerer dem Philippus auf die
Stage: verftehft du auch was du Tiefeft? die treuherzige
Antwort giebt: wie könnte ich dieß, wenn niemand mid)
dabey anleitete! —
Die katholiſche Kirche trachtet nur jene »bedaurlichen
Verirrungen des Fanatis mus zu verhütben; fie nimmt
Bedacht, daß fein unächtes Gotteswort in die Hände der
gläubigen Menge fomme, daß diefe nicht durch vormikiges
Grübeln — durch eigenmächtiges Klügeln und willführliches
Deuteln fi) am Gotteswort verfündige, (nach 2 Vet. IIL, 16.)
dag nicht die Ehriften felbft in Parteyen ſich theilen, und
— 29 -
nicht Spaltungen im Glauben entftehen, welche dem
ausdrücklichen Machtfpruch Sefu und feiner Apoftel fo fehr
zumiderlaufen. Dder bat dann nicht oft fihon in pro«
teftantifchen Zändern der bloße Hang zum Bibellefen von
Seite des ununterrichteten Volks ohne Beyhülfe Fundiger
Lehrer die verderblichftien Spaltungen, ja felbft. die
wildeften Ausbrüche des Fanatismus erzeugt? Wir
denken, daß ſich klägliche Beyfpiele hiervon aus proteftan-
tifhen Gegenden Deutfchlands und der Schweiz noch in
den letzten Dezennien finden liegen!
Wohl nicht umfonft drang übrigens Vaulus eben
bauptfählih auf Anhörung des chriftlichen Unter-
richts. (Röm. X, 144 — 47.) Ehriftus hat nun einmahl
diefe Heilgordnung feftgefeßt, und demzufolg auch Feine
Leſegeſellſchaften, ſondern ein beftändiges Lehr- und Pre—
digtamt angeordnet. Wer erfühnt ſich ihn zu tadeln?
(Hätte er die Menfchen unumgänglich zum Xefen vers
pflichten wollen, fo würde er allerdings auch die Buch»
druckerfunft haben zu Tag fördern müſſen.) Wo werden
nun aber die. meiften und heftigften Klagen über Tempels
fcheu erhoben? bey welcher Eonfeffion haben wir die Leute
zu fuchen, welche auf Bildung vorzüglich Anfpruch mas
chen, und dabey Jahrelang vom Öffentlichen Gottesdienft
ſich entfernt halten? — !
Und wer kann überhaupt läugnen, daß vielmehr gerade
die Proteſtanten es find, welche — bey aller fheinbaren
Hochachtung für die Bibel — fie am ärgſten mißhandeln!
ie viele proteftantifche Schriftfteller haben den Werth
der heiligen Bücher, für religiöfe Erbauung und Belehrung
herabzufegen, ihr Anfehn als Religionsquelle zu entkräften,
und die ihnen erwiefene Verehrung als eine Bibliolatrie —
Abgötterey — verächtlich zu machen geftrebt! Haben nicht
große proteftantifche Theologen in vollem Ernſt darauf an—
getragen, fie als Hinderniß der Aufklärung, als Hemm-
fette der Vernunft, wo nicht ganz, doch größtentheils dem
firchlichen und häuslichen Gebrauch — und befonders auch
47,
— 260 —
dem Jugendunterricht zu entziehen? Hat etwa nur zum
Scherz Herr I. R. Sintenis in ſ. theol. Briefen kurz
und gut den Vorſchlag gemacht, das alte Teſtament ohne
Gnade ganz aus dem Weg zu räumen, und von dem
neuen nur einen Auszug aus den Briefen der Apoſtel
und den Evangelien beyzubehalten? Behandlen nicht dieſe
Ultrareformatoren die heilige Schrift als eine Art von
Waarenlager, aus welchen jeder nach Belieben eine
Auswahl trefien fünne, während andre ihres Gelichters
fih zu Schriftauslegeen und eigenmächtigen Richtern
aufwerfen, al3 hätte Gott fein Wort des emwigen Heils
zum Spielball und Zanfapfel unter die Menfchen ges
worfen und ihrer Willkühr preisgegeden, — und wäh:
rend noch Andre, an der „Elaffifchen Stätte für die Kir-
chengefchichte, und Mutterftätte "der Aufklärung für die
Chriſtenheit,“ ſtarke Geifter, welche fidy allen Gottesge:
lehrten der älteren und neuern Zeit weit überlegen fühlen,
die Eirchlich eingeführten Katechismen ihrer eignen Confef>
fion als „unevangelifch“ und „in der Zeit.der Finfter-
niß und des Bruderzwiſts erzeugt,“ als „untauglich nach
Form und Inhalt,“ als einen „Gräuel für die Mehrzahl
der Gläubigen (?) wegen den darin enthaltnen Dogmen
von der Frinität und von der Gottheit Ehrifti, für immer
aus. ihrer * evangeliſch nennenden Kirche verbannt wiſſen
wollen! —
Wer kann unter ſolchen Umftänden noch beftreiten,
daß gerade die dermahligen Wortführer des Proteftantis-
mus es find, welche fich der auffallendften Geringſchätzung
de3 Gottesworts fchuldig machen, es felten oder gar nicht
anhören, und daß hingegen die. Katholifen nie aufhörten
dafjelbe in all feinen Theilen mit der größten Ehrfurcht zu
behandeln! —
So verhält es fih in der Würklichkeit mit
dem Verboth des GSelbftunterrihts durch die
Bibel unter den Katholifen. Möchten doch die
hämiſchen Läfterungen ihrer Gegner überdiefen
Dunft endlich verftummen!
3a wahrlich, der gebildete redliche Katholik erkennt
und verehrt mit freudigem Dankgefühl die Bibel als das
Buch der Bücher, an göttliher Hoheit und findlicher
Einfalt mit feinem Erzeugniß menfchlichen Geiftes ver—
gleihbar, — als hehren freundlichen Leitftern für alle Zeis
ten und Geſchlechter, ald Inbegriff und Fülle der Weis—
heit, indem fie das Schickſal eines Volks zum Symbol für
alle übrigen aufftellt, feine Gefchichte an die Eniftehung
des Weltalls Fnüpft, und durch eine Stufenfolge geiftiger
und irdifcher Entwicklung bis in die Regionen der uner»
meglichen Kuigkeit hinausführt. —
* x
*
Nun laßt uns das hi:
Saftengebocth
der. Fatholifchen Kirche näher betrachten, und mir werden
mit leichter Mühe ung überzeugen, daß auch diepfalls die
feltfamften Borurtheile bey den Proteftanten obwalten,
Schon die confessio helvetica ſpricht ſich hierüber
ſehr gelind aus; im Cap. XIX. heißt es nähmlich: „Die
kirch chriſti befilcht uns gar heftig das chriſtenlich Faſten;
dann das faſten iſt anders nüt dann der abbruch und die
mäßigkeit gottſeliger menſchen, item ein Züchtigung, Huth
oder Verwahrung und kaſteyen unſers Fleiſches, damit wir
uns vor Gott demüthigen und dem fleiſch ſein anreizung
zum böſen entziehen, auf daß es deſto ringer und lieber
dem geiſt gehorſame und willfahre.“
Und in der That gründet ſich dieß Faſtengeboth haupt-
fächlich auf die Pflicht der Selbfiverläugnung als
mwefentliche Bedingung der Nachfolge Ehrifti, nach Math.
AVI, 24 Mare. VIII, 34 und Luc. IX, 23. Hierzu
gehört alfo vor allem aus die Bekämpfung feiner finnlichen
Neigungen und Lüfte. Dieß nennt die Schrift: Kreuz
— 202 —
tragen und Gal. V, 24. das Fleiſch mit ſeinen Leiden—
ſchaften und Begierden kreuzigen. Offenbar hat dieß auf
den Körper Bezug, deſſen Bezähmung mit der Selbſtver—
läugnung in enger Verbindung ſteht, daher die Enthalt-
famfeit in der Nahrung doch wohl eine ganz und
gar nicht gleichgültige Sache bleibt. Um Effen und Nicht:
effen, fowohl quantitativ als qualitativ, hat ficy wahrlich
pon jeher die Sinnlichkeit des Menfchen nicht wenig be»
fümmert. Sol aber der Sinnlichkeit wehe oder Abbruch
gethan werden, fo muß man doch nothwendig mit etwas
an jich Erlaubtem den Anfang machen, fonft wäre man
auch jchwerlich je geneigt fih von Unerlaubtem zu
enthalten. In diefem Gefchäft der GSelbftverläugnung
folglich der fittlihen Bervolfommnung — kommt nun die
Kirche, zu allen für das Heil ihrer Gläubigen erfprießlichen
Anordnungen bevollmächtigt, ihnen zu Hülfe, und erleich-
tert ihren Kampf. Daß das Faftengeboth der Sinnlich—
feit nahe trete, und fomit feinem Zweck entfpreche, geht
fchon aus dem Unwillen hervor, melchen die Welt hierüber
fd laut werden laßt. Webrigens richtet fich diefe kirchliche
Disziplinarvorfchrift hinfichtlich der Art dev Speifen aud)
ganz nady der Berfchiedenheit der Länder; ein klarer Bes
weis, daß es feineswegs um die Speifen felbft, fondern
um einen Zügel der Sinnlichkeit, zu thun war und
noch ift. Wer follte aber nicht einfehen, daß der Begriff
eines Faſtengeboths weit älter als das Ehriftentbum, —
ja fo alt als die Menfchheit felbft ift?! Schon den
erften Menfchen war von Schovg felbft befohlen worden,
fidy unter den ihnen zum Genuß überlapnen Speifen einer
einzelnen zu enthalten,
. Und follten die Proteſtanten — diefe emfigen Bibel:
forfcher — nicht wiffen, daß ja gerade die heiligen Urkun—
den an unzähligen Stellen das Faften als ein Gott wohl—
gefälliges Werk den Menfchen ans Herz legen? Schon
den Sfeaeliten befahl Gott felbft — bey Levit. XXIII, 27,
— jährlich an dent großen Verföhnungstag den Leib zu
— 2608 —
kaſteyen. Und welchen Werth legte David auf das Faſten,
um ſich vor Gott zu demüthigen! (2 Reg. XII, 46.
Ps. 35,69, 109. In vielen andren Stellen 5. B. 2 Paral.
XX,:3,,4 &dr: VOR: 21783u% TV, 8. Soel: T, 44
II, 12. u. ſ. w. wird ebenfall3 auf Faften der höchfte
Werth gefekt. Bey allen Völkern des Alterthums finden
wir das Faften ſchon in Uebung; allgemein galt es alg
Mittel zur Befänftigung der beleidigten Götter und zur
Abwendung ihrer: Strafen. Bey Griechen und Römern
fand fein hohes Feft, feine Befragung der Drafel, feine
Einweihung in die Myſterien der Götter Statt, ohne daß
fowohl Priefter als Volk fich durch Saften dazu vorbe⸗
reitet hätten.
Noch wichtiger aber erſcheint vollends im Neuen
Bund das Faften als weſentliches ——— moraliſcher
Vervollkommnung. Bey Luc. II, 37. wivd eine hochbetagte
Wittwe gelobt ihres Faftens dien Das Saften der Jo—
hannes- Jünger ward von unferm Erlöfer nicht nur nicht
mißbilligt, fondern er fagt vielmehr feinen eignen Süngern
voraus Math. IX, 14 — 12. Mare I, 18 — 2%.
Luc. V, 38 — 55. „daß auch fie faften würden, wenn der
Bräutigam von ihnen werde weggenommen ſeyn;“ (welches
dann auch allerdings geſchah, laut Aet. XII, 2 — 3.
AIV, 23. 2 Cor. VI, 5. und XI, 27.) und der Erlöfer
felbft gieng ja mit feinem —— Beyſpiele durch eine
vierzigtägige Faſten voran.
Welche Spitzfündigkeiten unfe er proteftantifchen Kriti⸗
kaſter wären je vermögend ſolch vollgültige Beweisſtellen
zu entkpäften?!
Dem verſtändigen Katholiken iſt der Sinn und die
Meinung feiner Kirche vücfichtlich diefer Disziplin recht
wohl bekannt; er weiß vecht gut, daß das Faften von der
Kirche nicht um des Faftens an ſich, ſondern um der
Buße willen gebothen wird. Und wie wäre es möglich,
eine Anordnung für unchriſtlich und unbibliſch zu halten,
zufolg welcher Einmahl wöchenthich — und zwar eben
an jenem Tag, an welchem der Bräutigam hinweggenom—
men ward — die Gläubigen an ihr Heildgefchäft ganz be-
fonders erinnert werden? eine Anordnung, durch. welche
in jedem Sahr vor Dftern eine eigene firengere Faſten —
oder Bußezeit dem befondern Andenken an Ehrifti, Leiden
und Opfertod vorzüglich gewiedmet bleibt, wo die Gläubigen
— von geräuſchvollen Zerftveuungen entfernt — ſich fam-
meln, in fich einfehren, mit fich Rechenfchaft halten, und
für »jene Angelegenheit, welche einzig Noth thut, eifrigft
Sorge tragen follen?
Nur da, wo das Faften fich nicht als Befördrungs-
mittel zur Tugend, fondern als Tugend felbft geltend
machte, ward es von Gott als verwerflid erklärt.
(Sef. LVIII, 4. 5. Math. VI, 16 — 18.)
Und was andres als nur daB Geelenheil ihrer Gläu-
bigen folte von jeher den Borftehern der Kirche dießfalls
zur Nichtfehnun gedient haben? Wie könnten fie je aus
Eigennuß oder andren zeitlichen Gründen einen Einfluß
auf das Effen oder Nichteffen der Gläubigen fih angemaßt
haben, wenn nicht höhere heilige Rückfichten fie dabey ge=
leitet hätten? Die von der befannten Schriftftelle „mas
von außen durch den Mund eingeht, verunveinigt den Men—
ſchen nicht“ entlehnte Einwendung der Proteftanten ift
ganz und gar unpaffend. Oder warn fam doch je der
fatholifchen Kirche zu Sinn, irgend eine GSpeife als
unrein zu erklären? (Solche Albernbeiten können nur
hirnlofe Sdioten ihre andichten.) Wäre dem alſo, wie
fönnte fie dann ebendiefelbe Speife an andren Tagen
zum Genuß geffatten? Dein, fondern der Ungehor—
fam gegen das Geboth der Kirche ift eg, was die Gläu-
bigen verunreinigt. Und fo. wurden auch die erften Men»
fchen nicht defmwegen, weil die Frucht durch den Mund in -
fie eingieng, verunveinigt, fondern weil fie des Ungehor-
fams fich durch den Genuß der verbothnen Frucht en
gemacht hatten,
Es it in Wahrheit eben bedenklich genug, und ein
= > #
arges unrühmliches Zeichen der Zeit, daß proteftantifche
Ehriften ihre fatholifchen Brüder wegen einer Disziplin
anfeinden, welche einzig und allein Bekämpfung der Ginn-
lichkeit zum Zweck hat, Freylich, jeder — auch dev mora=
lifche — Zügel ift dem Freyheitsfinn unfrer aufgeflär-
ten proteftantifchen fogenannten Gottesgelehrten zu läſtig,
daher auch unabläßig neue Verſuche ins Werk geſetzt wer—
den, um denſelben immer ſchlaffer zu machen. Wer dieß
zu * geneigt ſeyn möchte, den verweiſen wir
auf die unter der Rubrik der neologiſchen Verirrungen an—
geführten erbaulichen Beweisftellen, vorzüglich aus Can—
nabichs Kritif der pr. chr. Religionsiehre ©. 185 und
Henfes Mag. 2 Th. 1 und 5 St.
* *
*
Eben fo ungegründet find die. VBorurtheile der prote-
ftantifchen Zeloten binfichtlich des |
Keinisungsorts,
oder ſogeheißnen Fegfeuers. Vernehmen mir hierüber zu—
vorderft die Meinung und Borfchrift der Kirche felbft; fie
findet fich in Conc. Trid. Sess. XV ganz klar ausgefpro-
chen: „da die fatholifche Kirche in Uebereinftimmung mit
der heiligen Schrift und den alten Weberlieferungen der
Bäter, in früheren Conzilien und zulest noch in der gegen
wärtigen allgemeinen Synode gelehrt hat, daß ein Rei—
nigungsort fey, und daß den darin aufbewahrten Seelen
durch die Fürbitte der Gläubigen, hauptſächlich aber durch
das Gott wohlgefällige Altarsopfer, Hülfe geleiſtet werden
könne; ſo befiehlt der heil. Kirchenrath den Biſchöfen,
Sorge zu tragen, daß eine unverfälſchte Lehre vom
Reinigungsort — wie fie von den heiligen Vätern und
Eonzilien übergeben ift — von den Angehörigen der! Kirche
geglaubt, gehalten, gelehrt, und überall gepredigt werde.
Schwerere und tieffinnigere Fragen darüber, die .
weder zur Erbauung etwas biytragen, noch die wahre
*
— 206 —
Frömmigkeir befördern, follen von dem Volksunterricht
gänzlich ausgefchloffen werden. Deßgleichen ſollen fie alles
Ungewiffe und was nur einen Scyein des Unwahren
hat, nicht vortragen laſſen. Was aber bloß die Neugierde
reizen oder den Uberglauben nähren fünnte, wie auch
alles, was das Gepräg häßlicher Gewinnſucht an fich
tragt, folen die Bifchöfe als Uergerniffe und Störungen
der Gläubigen verbiethen.“
Es war und ift ganz und gar nicht Lehre der Kicche,
daß dieſe Reinigung durch (materielles) Feuer geſchehe;
ſie fpricht nur von einem Purgatorio, d. h. von einem
Reinigungszuftand im andern Leben, wobey fie jedes
nähern Urtheils fich enthält, und die Art diefer Reinigung
lediglich dev Weisheit, Güte und Gerechtigkeit Gottes an—
heimftellt (auch Grotius in v. p. pace fagt: auf welche
Weife diefe Reinigung eigentlich vor ficy acht, haben wir
nicht nöthig zu mwiffen); fie verfteht daher auch die, zwar
gewöhnliche aber uneigentliche, Benennung „Fegfeuer* nur
finnbildlich, weil die Schrift felbft das Feuer als ein Mittel,
um von Schlafen oder —— zu reinigen (zu fegen) be—
zeichnet.
Hätten die ——— Aufklärlinge auch nur
etwelchen Sinn für diejenige Achtung, welche jedem gro—
ßen Kirchenverein an ſich ſchon gebührt — während ſie
hingegen für ihre eignen Ausſprüche unbegränzte Huldigung
fordern — ſo würden ſie der von den Vätern auf den
Conzilien zu Florenz und Trient für das Purgatorium
vorgetragnen Lehre wohl nicht ſolch grobſinnliche Vor—
ſtellung unterſchieben, ſondern vielmehr — zu näherer un—
befangener Prüfung angetrieben — bald einſehen lernen,
daß ſchon das ganze hriftliche Alterthum, wie ſelbſt
Leſſing geſteht, dieſer im reinern Sinne gedachten Lehre
das Wort ſpreche, und daß nur den Schismatikern des
XVI Sahrhundert3 der traurige Ruhm vorbehalten war,
auch diefen Glauben der Väter in Zweifel zu ziehen und
zu erſchüttern.
— 207 —
Und in der That finden wir fehon in der grauen Vor—
‚zeit bey Egyptern und Juden ſowohl als bey griechifchen
und römifchen Dichtern — freylich noch ungeläuterte —
Begriffe, welche auf die Xehre vom Segfeuer führten, und
im DBerfolg befanntlih von Plato zu einem Syftem
geordnet wurden. Als dann der Welterlöfer diefe Lehre,
den Glauben an ein Mittelort zwifchen Himmel und Hölle,
bey feinen ifraelitifchen Zeitgenoffen feftgewurzelt fand,
war ev meit entfernt, fie ald Irrthum zu erklären und
gleich andren ihrer VBorurtheile zu bekämpfen. Clemens
von Alerandrien und Drigenes , die Kivchenfchriftiteller
des erften Zeitalters trugen die Xehre vom Fegfeuer ganz
deutlich vor; Tertullian und Auguſtinus geben fich noch
befondere Mühe, die Pfatonifchen Ideen durch biblifche
Beweiſe zu verftäirken. Bey Dionyf. Areop. im zweyten
Sahrhundert, dann bey Eyprian im dritten, bey Eyrill
von Seruf. Ambrofius, Johann Ehrifoft. Eufebius u, a. m.
ift von Ddiefer Lehre ganz ausdrüdlich die Rede, Selbſt
die Säretifer des XIV. und XV. Sahrhunderts, Wiflef
und Huß, fprechen einem Läuterungszuftand nach diefem
Leben das Wort. Sa, der Hauptftifter der Reformation
— Luther felbft — nahm diefen Slauben eifrigft in Schuß;
in f. Unterricht 1519 heißt es: „vom Feafeuer fol man
feft glauben, und ich weiß, daß es wahr ift, daß die armen
Seelen unſägliche Pein leiden, und man ihnen zu helfen
fchuldig ift mit beten — faften — Almofen und was man
vermag; was aber Die Pein von einer Art fey, und ob
fie allein zur Genugthuung oder auch zur Befferung diene,
weiß ich nicht, und fag auch, daß niemand dieß genugfam
weiß; dieß fol man lediglich Gott befehlen,*“ An einer
andern Stelle fagt er: „ich rathe und empfehle jedermann,
an einen Reinigungsort zu glauben, doch fol niemand
dazu gezwungen werden.“ Ferner: „ich glaube ganz zuver—
fichtlich, ja ich dürfte fogar fagen, ich weiß beftimmt, daß
e3 einen Reinigungsort giebt, und getraue mir auch
folches klar mit der Schrift zu beweifen.“ (S. Luth. de
— 203 —
purgatorio.) &o urtheilt über das von den proteftanti«
jchen Dunfen fo ſehr belachte und befritelte Fegfeuer jener
Mann, welchem felbft Zwingli das Lob ertheilt, daß feit
taufend»Sahren vor ibm fein folch fleifiger Bibelfor-
ſcher erfchienen war. Freilich hat ebenderfelbe hocherleuch-
tete „Mann Gottes“ diefe Lehren an andren Stellen wieder
als „Lügenwerk und Pfaffentvug“ verworfen. Seine An—
bänger. werden daher die erftere frühere Meinung als
Veberbleibfel aus feiner vorigen Kirche erklären, von wel—
chen er nur allmählich fich loswinden fonnte. Durch ſolch
triviale Ausplucht wird aber dem Patriarchen wenig Ehre
erwiefen; denn wenn er mit fich felbft hierüber noch
niht im Reinen war, noch feinen feften Standpunkt
hatte, fo. war er wahrlich zu einem Reformator auc) ganz
und gar nicht geeignet. Uebrigens entgegnen wir
zudem nod) , daß er obige Behauptung auf der Difputazion
in. Leipzig - resol. prop. 45 et 19 und in Assert. art.
37 — aufftellte, zu welch leßtrer Zeit er fihon als Ab—
frünniger der Kirche und Aufrührer behandelt ward, folg:
lich nicht aus Unterwürfigfeit oder Furcht vor dem Papft
anderſt fchrieb alg er * ſondern vielmehr bereits
öffentlich die heftigſten Läſterungen wider den Papſt aus—
ſtieß. | 2
Und wie fonnten in der That die fogenannten Refor-
matoren des XVI. Sahrhunderts eine Lehre fo blindlings
vermwerfen, Die nicht nur im chriftlichen Alterthum fo
unmiderfprechlich begründet, fondern auch überhaupt der
Bernunft fo einleuchtend — dem Gefühl fo anfprechend —
dem Herzen fo wohlthuend — dem Geiſt des Chriſtenthums
ſo angemeſſen ift!?
Muß nicht jeder Proteſtam als ausgemacht und un—
beſtreitbar zugeben, daß in den Himmel nichts unvol—
lendet gutes eingehen kann, zur Hölle hingegen nur
das vollendet böſe (eine Geſinnung, welche gegen
das gute wahrhaft feindſelig iſt und das böfe um des
böfen wilfen liebt, eine ganz eigentlich teuflifche Gefinnung,)
— 2109 —
verurtheilt ift, — daß es aber ferner Menfchen giebt, und
wohl gewiß fehr viele, deren moralifcher Zuftand in der
Mitte fich hält, und welche auch häufig in diefem Zuftand
aus der Welt fheiden, — und daß endlich zwifchen Zeit
und Ewigkeit Zufammenhang berrfeht, welchem gemäß
die Menfchen mit ebenderfelben —— a intreten,
wie ſie hier ausgetreten ſind? —
Gäbe es nun feinen Mittel —— — die katho—
liſche Kirche eben jenen Reinigungsort nennt), ſo müßte
ja nothwendig der Menſch entweder in ſeinem unvollen—
det gebliebnen moraliſchen Zuſtand in den Himmel ein—
gehen, deſſen er jedoch noch nicht würdig iſt, oder er
wäre zur Hölle verurtheilt, die er doch bey weitem noch
nicht verwirkt hat! Und wie ſollte der Gott der Liebe
das zerknickte Rohr vollends brechen, ſtatt es wieder em—
porzurichten, den glimmenden Docht vollends auslöſchen,
ſtatt ihn wieder zur Flamme anzufachen? Wie ſollte er
die noch aufkeimende Liebe, die verſpätete — vom Tod
übereilte — Buße ohne Erbarmen zurückſtoßen, ſtatt ſie
zu vervollkommnen und für den Himmel tauglicher zu
machen? Unmöglich kann man dieſe Lehre von einem
Mittelzuſtand verwerfen, ohne Gott einestheils Heiligkeit
und Gerechtigkeit, andrentheils Güte und Erbarmen abzu—
ſprechen; und es bedurfte wahrlich) jener heftigen bittern
Seindfeligkeit gegen die katholiſche Kirche, welche die Re—
formatoren aller Befonnenheit beraubte und fich auch auf
ihre Nachfolger ungefchmälert forterbte, um ſolch ein Ber-
werfungsfyftem aufzuftellen und zu verfechten.
Wenn dem Proteftanten ein geliebter Gegenftand —
Eltern, Kinder — durch den Tod entriffen werden, die
zivar manche gute Eigenfchaften, aber auch manche Ge—
brechen an fich trugen und in diefem Zuftand vom Tod
übereilt wurden, follte er da nicht Beruhigung fuchen und
finden in dem Gedanfen: ‘der Geliebte befindet ficy nun in
der Emigfeit, in der Hand des gütigen und gerechten
Gottes; Diefer wird feine Huld ihm nicht entziehen, er
=
wird dad Unvollkommne vollenden und für die ewige
Seligfeit tauglich machen, ob wir gleich nicht wiſſen, auf
welche Art und Weife dieß gefchehen werde. Solche und
ähnliche Empfindungen, deuten fie aber nicht eben auf
jenen Mittelzuftand bin, und drücen fie nicht aus, wie
wünfchbar derfelbe ſowohl der Vernunft, * dem Gemüth
des GSterblichen ſey?
Daß aber auch die Fürbitte deg katholiſchen Chriſten
für ſeine abgeſchiednen im Reinigungsort befindlichen Brü—
der vernunftmäßig und mit dem Geiſt des Chriſtenthums über—
einſtimmend ſey, wird ſich ebenfalls unſchwer darthun laſſen.
Grotius, der bei den Proteftanten in verdienter
Achtung ftehende, gelehrte und berühmte Mann, gründet
auf dieſe Lehre vom Gebeth für die Abgeftorbnen erfteng
die gefchichtliche Thatfache, daß ſchon feit der Zeit der
Propheten und Esdra’3 diefer Gebrauch bey den Sfraeliten
allgemein eingeführt war, zweitens darauf, daß der von
Gott zu Ausrottung der eingerifnen Irrthümer in die
Welt gefandte Erlöfer diefe beym Volk Überall vorgefundne
Eitte nirgends gerügt babe, und endlich auf den wichtigen
Umftand, daß nach dem Zeugniß von Zertullian die Ge-
bethe für die Abgeftorbnen in allen Kirchen eingeführt
waren und in allen Liturgien enthalten find, auch’ nicht
ein einziger chriftlicheer Schriftfteler der. damaligen und
fpäteren Zeit diefe Uebung je beftritten habe. Dieß Urtheil
eines der. angefeheniten proteftantifchen Theologen werden
wahrlich feine Trugſchlüſſe unfrer neueren Illuminaten je
zu entfräften vermögen.
Und geht nicht in der That fhon aus der menfchen-
freundlichen und erquicenden Lehre von dev Gemein
fhaftder Heiligen auch der wohlthätige Einfluß her—
vor, welchen wir auf unfre abgefchiednen — dem Reinigungs»
zuftand unterworfnen — Brüder ausüben fönnen und
ſollen? Nicht als abgefhnittne Glieder des Leibes,
deffen Haupt Ehriftus ift, haben wir diefe Seelen zu be—
trachten, fondern als Glieder am Leibe, die aber noch —
— 274 —
um uns eines bibliſchen Ausdrucks zu bedienen — einer
Läuterung wie das Gold durchs Feuer bedürfen, um
der Theilnahme an der Seligkeit der triumphirenden Kirche
Chriſti gewürdigt zu werden; ſie ſind alſo in der Gemein—
ſchaft, und wenn ſich eine Gemeinſchaft der Glieder
nicht ohne thätigen Einfluß denken läßt, wie könnte dann
die Lehre befremden, daß wir durch Gebeth wohlthätig auf
ſie einzuwürken vermögen? Finden wir es vernünftig, ſchon
auf Erde — wo ebenfall3 ein Zuſtand der Läuterung und
- Zauglichmachung zum Reich der Geligfeit ift — für ein—
ander zu bitten und durch Gebeth einander zu Hülfe zu
- fommen, in der ganz vernunftmäßigen Zuverficht, daß das
Gebeth oder die Fürbitte aus Liebe dem Gott der
Liebe wohlgefällig fey (1 Tim. TI, 1— 4. Jac. V, 46.),
wie fönnte dieſe Fürbitte aufhören vernünftig zu feyn
wenn fie auf die Glieder des Leibs Ehrifti im Reinigungs:
zuftand ausgedehnt wird, da es doch diefelbe Gemeinfchaft
— derfelbe Beweggrund ift! Sollten fie etwa zu entfernt
für ung feyn? ift Gott dem wir fie empfehlen, nicht überall
zugegen?
Auch Tiegt doch wohl ſchon in der moraliſchen
Natur des Menſchen ein Antrieb zur Fürbitte für die
Abgeſchiednen. Welches fühlende Herz wünſcht nicht dem
bedrängten Mitbruder zu helfen! Kann es auch nicht un—
mittelbar zur Linderung beytragen, ſo wird es ſich doch gern
an vermögende Menſchenfreunde — und wie viel lieber noch an
Gott, den mächtigſten und gütigſten aller Menſchenfreunde —
— daß er erbarmend helfe — rette — tröſte! Und gerade
dieß thun ja eben die katholiſchen Ehriften, indem fie für die
Verſtorbnen im Reinigungsort bethen. Mag immerhin wer
hartherzig genug ift — diefe Handlung der reinften Bruder-
liebe verwerfen; der Bott der Liebe, der nicht dag Ver—
derben, fondern die Rettung des Sünders will, fann und
wird fie nicht verſchmähen.
oc, bemerken wir , daß die Confessio helvetica —
diefe Haupturkunde der Zmwinglifchen Lehrmeinung — wohl
— —
den Glauben an Teufel und Hölle vorſchreibt, hinge—
gen der frofivollen Lehre vom Reinigungsort keineswegs
Raum giebt. Sm Cap. VIL begründet fie den Glauben
an den Zeufel mit vielen Schriftfiellen; im Cap. XI
behauptet fie „das Hinabfahren der Ungläubigen oder
Gottlofen mit den Zeufeln in der Hölle Abgrund, um
ewig da zu brennen; und im Sup. XXVI beftätigt
fie: daß die Ungläubigen richtig auf ihre Abfterben in die
Höhe verfenkt werden, mit dem Beyfatz: „daß ihnen durch
feine Dienfte nocy Nachthun der Lebenden daraus möge
geholfen werden.“ Während 1 Petr. III, 49. IV, 6. aus>-
drüclich gefagt wird, daß „Chriſtus nach feinem Tod den -
Geiſtern im Gefüngniß gepredigt habe,“ und daß auch „den
Zodten das Evangelium „fey verkündet worden,“ — wäh-
rend von den erfien Zeiten der Kirche an Chriſti Heim-
fuchung dev. Geftorbnen geglaubt und daher auch) ing
apoſtoliſche Symbol war aufgenommen worden (unter Hölle,
hebr. Scheol, gr. Hades ward nach altem Sprachgebrauch:
Unterwelt — Grab — Schattenreih — Aufenthaltsort der
Abgeſtorbnen verftanden) — während fchon häufig davon
in den alten Prophezeyungen, fowie bey den Kirchenvätern
Ignaz, Suftin, Irenäus, Hieronymus, Joh. Ehrifofto-
mus und fo vielen andern mehr die Rede war, — behaup—
ten dagegen unfre afterweifen Reformatoren: durch die
Hinabfteigung Ehrifti zur Hölle werde nur der Tod Chrifti
verftanden, denn Ehriftus fey nicht wahrhaftig zur
Hölle geftiegen. (S. Decolampad 1. LEp. p. 4; Bucer
ad Math. 27; Bullinger Sup. Ep. Petri; Zwingli's Pred.
in Bern gehalten 1528 und lib. ‚ep. 3. p. 1226.)
* % ie. }
Ueber das |
| EPIET ERTL
oder den unverehlichten Stand der Priefter, werden wir
nur wenig zu erinnern finden, und bemerken zuborderft,
daß es fich hierbey Feineswegs um ein ficchliches Dogma,
iA
fondern lediglich um eine Rinzielingr- Borfarift
handelt:
Erft im IV. Sahrhundert des Ehriftenthums ward es
jiemlich allgemein Sitte, daß die Bifchöfe der ehlichen
Verbindung entfagten, und Spuren von gefeklichen Bor»
fchriften einzelner Bifchöfe finden fich fchon aus jenem
3eitpunft vor; alfein noch bis ins XL: Jahrhundert fan=
den die Ehverbote für Geiftlihe — ſo ſehr auch Päpſte
und Bifchöfe diefelben mit ihrem ganzen Anſehen unters
fügen mochten — dennoch im ganzen Abendland den hart»
nädigften Widerfpruch, und nur durch 3wanggmittel gelang
e3 dem unternehmenden Papft Gregor VII. (Hildebrand )
im Jahr 107%, und feinen Nachfolgern, das Cölibat —
gegen den allgemeinen Willen der Bläubigen aller Nationen
— einzuführen. UWeberall empörten fich die Geiftlichen gegen
folchen Zwang. Noch auf dem Konzilium zu Trient dran—
gen der Kuifer — der König von Frankreich — der Chur—
fürſt don Bayern u. a. m. mit Nachdruck auf die Abfchaf-
fung des kirchlichen Cölibats; allein die Politik des römis
fchen Hofs, von Spanien unterftüßt, ſiegte.
Nach Tone. Trid. Sess. XXIH. C. 47. dürfen übri—
gens die ordines minores ſich vecheirathen, wenn fie ihrem
Amt entfagen, ja ſogar — wenn e3 An unverheiratheten
Subjekten mangeln follte — auch verheivathet im Amt blei—
ben. Sn der griechifshen Kirche ift e8 erlaubt — der
Zrullanifchen Eynode can. 13 zufolg — die Frau mit in
den geiftlichen Stand binüberzuführen; — eine Praxis,
welche die vömifche Kirche zwar nie ald rechtmäßig aner-
fannt, aber doch zu dulden fich bewogen gefunden bat.
Aus der heil. Schrift mwiffen wir, daß die meiften
Apoftel vereblicht waren, und daß Sefus nie ihnen bes
fahl, ihre Weiber zu verlaffen. Auch Petrus war,
It. Marc; I, 50. — verheirathet. Paulum fonnten
wohl nur die damahligen Drangfalen bewegen , den ehlofen
Etand zu empfehlen, in Hinficht der Verfolgungen gegen
48
die erften Ehriften und der Uebel, welche nach ihrer Hin—
richtung ihren Weibern und Kindern bevorftunden,
Nach dem Fiber pontifiealis war eine Reihe von Päp—
fien, Silverius, Gelaſius, Hoſius, Bonifacius, Felix,
Agapytus, Theodorus u, a. m. Söhne von. Prieſtern und
Biſchöfen. *
Dem nähmlichen Paulus übrigens, welcher 4 Tim.
IV, 4 — 3. das Eheverboth eine dämonifche Lehre heißt,
war. es laut 4 Cor. VIL, 32 — 35. ſehr daran gelegen,
daß die Diener der. Kirche — von jeder. häuslichen
Sorge frey — fih ausſchließlich nur um das befümmern
mas dem Herrn angehöre und ihm. wohlgefalle, indem
derjenige, welcher ein Weib habe, nothwendig auch mit
weiblichen Angelegenheiten fich befehäftigen müſſe.
Mit Hinficht auf die Stelle Apoc. XIV, 4. ift dann
noch zu bemerfen, daß laut Zeugniß von Juſtin und Ter—
tullian die Zahl diefer freymwilligen Opfer von beyderley
Befchlechtern fihon im zweyten Jahrhundert fehr groß
war, welche von der Jugend an bis zu. ihrem Tod in voll
fommner Enthaltung lebten, ehe noch feyerlihe Ange»
lobungen üblich waren und ehe man von Klöftern noch
etwas wußte, Doch pflegten in einigen Kirchen des zwey—
ten Sahrhunderts ſchon Sungfrauen, in befondre Wohnun-
gen gefchieden, ganz, abgefondert zu leben. Schon Ter—
tullian nennt diefe Sungfrauen „Vermählte Ehrifti. “
Rückfichtlich der
ECeremonien.
werden wir, da diefer Punkt einen nicht unerheblichen Theil
der gegen die Fatholifche Kirche erhobnen Befchuldigungen
bildet, in umftändlichere Erörterung einzutreten haben,
Welcher Zweck diefen gottesdienftlichen Ceremonien
zum Grund liege, darüber mag uns die Kirche felbft
den richtigften Auffchluß geben. | |
Sm Sinne des Auguftinus de Iib. arb. L. 3. C. 40.
— 25 —
fagt fie in Coneil. Trid. Sess. 22.C. 5. „Da die Natur
des Menfchen fo befchaffen ift, daß fie fich nicht leicht ohne
äußere Hülfsmittel zur Betrachtung 'göttlicher Dinge
erheben kann, fo hat die Kirche — als fromme Mutter —
einige Gebräude angeordnet und Ceremonien einge
führt, damit die Gemüther der Gläubigen durch diefe ſicht—
baren Zeichen der Religion und Frömmigkeit zur Ber
trachtung ſolch erhabner Gegenftände, als die göttlichen
Geheimnifje find, angeregt werden.“ Auch der römiſche
Gatechismus lehrt P. 2. CL Q. 10. Was durch das
Saframent innerlic, bewürft wird, wird durch die Cere—
monien deutlicher und gleichfam vor Augen gelegt, und
daducch zugleich die Vorſtellung von der Heiligkeit diefer
Gegenftände tiefer den Gemüthern dev Gläubigen eingeprägt;
was aber die Gemürher derjenigen betrifft, welche diefe
heiligen Gebräuche feben und forgfältig beobachten, fo wer—
den fie zum Machdenfen über fo erhabne Dinge ermuntert,
zugleich der Glaube und die Liebe in ihnen vege und lebens
dig gemacht. “ |
ach der Abficht der Kirche zielen alfo diefe gottes—
dienftlichen ‚Gebräuche bloß dahin, den Geift des Ehriften
zu dem Himmlifchen emporzubeben, ihm die erhabnen Leh—
ven der Religion ftetS gegenwärtig zu halten, das Herz
dafiir zu erwärmen, das Gemüth und Gefühl anzuregen,
damit der veligiöfe Sinn ins thätige Xeben übergehe und
Früchte ächter Gottesfuccht trage. Und folch geiftigen,
chriftlichen Zweck follte der gefunde Menfchenverftand miß-
biligen können? Die Kivche betrachtet diefe Ceremonien
keineswegs als Gottesdienft an fi, ganz und gar
nicht als Zweck, fondern blos ald Mittel zur Beför—
derung dev Religiofität. Nur dev Unmwiffende, der ihre
Bedeutung nicht Fennt, oder der Berläumder, der
ſolche adfühtlich migfennt, können behaupten, daß fie
feinen dem Zweck angemefnen Sinn haben. Nur der
höchſte proteftantifche Aberwig fönnte wohl den Gedanken
fich beyfallen laſſen, daß eine fo angefehene — über den
48 *
— —
ganzen Erdkreis ſich erſtreckende Kirche ein heiliges Gau—
kelſpiel erfunden hätte, um all ihre Bekenner zu äffen und
mit ihrem ewigen Seelenheil ſolch leichtfertigen, grauſamen
Scherz zu treiben! Mein, die katholiſche Kirche enthält
nicht nur fein Dogma, melches nicht von dem Gtifter
des Chriſtenthums felbft oder deſſen erften Verkündigern
herrühre, fondern auch feine Disziplinar- Einrichtung,
welcher .nicht Glaube, Hoffnung und Liebe — und fomit
ächte Religiofität zum heiligen Grund läge. Um fich hier-
von zu überzeugen, prüfe man aber diefe Lehren und Ges
bräuche nicht etwa nach abgefchmackten Legenden oder nach
Läfterfchriften pröteftantifcher Querköpfe, fondern nad)
gründlichen Lehrbüchern wahrhaft Fatholifcher ächt aufges
Härter Schriftiteler. (3: D. Eathol. Titurg. Lehr- und
Erbauungsbuch von K. W. Weininger, Wien 1523; Bin-
terims Denkwürd. der kath. Kirche, Mainz 4825; Andachts-
übungen, Gebr. und Cerem. der fath. 8: Wien; rerum
liturgie. libri 2. auct: J. Bona Col. Agr. w a. m.)
Ueberdieß forgt auch die Kirche hinlänglich dafiir, daß die
Bläubigen mit der Bedeutung und dem Zweck der Gere
monien aufs genauefte befannt gemacht werden. Dieß ift
ganz ausdrüdlid, den Bifchöfen und andren Seelſorgern
von der Kirche aufgetragen, Cone: Trid. Sess XXIIC. 8.
Sa die Kivche erflärt diefen Unterricht als einen wefent-
lichen Beftandtheil des öffentlichen Gottesdienfts, ıbid,
S. V. C. 2. und XAIV C. 4& Der römifche Gated)iss
mus empfiehlt den Geelforgern die größte Sorgfalt, Fleiß
und Eifer, damit die Gläubigen die Bedeutung der Eeres
monien, mit welchen die einzelnen Sakramente verwaltet
werden, deutlich faßen und erfennem,
Es darf auch der wichtige Umſtand nieht überfehen
merden, daß die Kirche folche von ihr angeordneten Ges
bräuche und Ceremonien ganz und gar nicht für unver»
letzlich und unabänderlich angefehen wiſſen will. Da
fie nur zur äußern Kirchenzucht gehören, nur als
Mittel zu betrachten find um dem Gottesdienſt in den Au—
a
gen der Menfchen mehr Majeftät und Würde zu ver
fchaffen und ihre Ehrfurcht für die Miyfterien der Religion
zu erhöhen, fo können fie demzufolg nad) Berfihiedenheit
der Zeiten — Sitten — und Bedürfniffe der Völker eben-
falls verfchieden feyn, verändert, felbft — wenn fie
dem Zweck nicht mehr entfprechen würden — auch aufges
hoben werden. Nur hat freylich die Kirche ein folches
Kecht, eine folche Gewalt, nicht etwa — nach proteftans
tifher Sitte — der Willkühr und den individuellen
Gutbefinden jedes Kivchendienerd und zum Reformator fich
berufen wähnenden Schwindelgeifts anheimgeftellt, um nicht
in Gegenftänden, welche fich auf das ewige Geelenheil bc»
‚ziehen und durch ihren alterthämlichen Urfprung nur. Zus
frayen und Ehrfurcht erwecen, durch leichtfinnigen ER
fel die Glaubenslehre ſelbſt zu gefährden,
Und follte es den nn. Bibel: und Geſchichts
forſchern unbekannt ſeyn, daß dieſe Anordnung der katho—
liſchen Kirche hinſichtlich außrer Gebräuche und Ceremonien
durch das Beyſpiel Chriſti ſelbſt und des chriſtlichen Alter:
thums gevechtfertigt wird ?
Ehriſtus felbft, dieſer tieffte Menfchenkenner, bers
fchmähte keineswegs finnliche Handlungen, äußere Uebun—
gen und Ceremonien, um durch fie auf dag Innere der
Menfchen einzuwürken. Er heilte den Blinden, indem er
auf die Erde ſpuckte, mit dem Speichel einen Teig bildete,
und diefen auf des Blinden Aug ſtrich; ew legte feine Hk
ger in die Ohren des Saubftummen, berührte mit Spei—
chel feine Zunge, und blickte empor gen Himmel; er bethete
und fniete dabey nieder; er hauchte feine Jünger an; er
heilte die Kranken durch Auflegung feiner Hände. Aehn—
liche Beyſpiele kommen in dem Evangelien häufig vor.
Auch die Apoftel verrichteten das, was die fatholifche
Kirche die heilige Fie mung nennt unter Gebeth und Auf
legung der Hände; eben fo ertheilten fie die Priefter>
weihe unter Faften, Bethen und Händeauflegung. ( Diefe
Leremonie der Händenuflegung haben felbft auch Prote-
me 2
ftanten hin und wieder beybehalten, ſowie auch noch bis
im J. 41769 in der proteftantifchen Schweiz das Unſer
DBater auf den Kanzeln Eniend gebethet ward.) Wer nur
immer in der Gefchichte des chriftlichen Alterthbums bewan-
dert ift, oder fich nicht gefliffentlicdy unmwifjend ſtellt, dem
Tann es nicht unbefannt feyn, daß überhaupt auch der in
der Eatholifchen Kirche dermahl noch übliche Eultus aus
dem fogenannt apoftolifchen Zeitalter herftammt. Juſtins
erfte AUpologie, welche ungefähr 140 Sahre nach Ehriftus
gefchrieben ward, Liefert hiefür den Elaven Beweis, und
zeigt zugleich, daß ſowohl die Haupttheile dev heiligen
Meffe, al3 auch die Gevemonien bey der Tauf handlung
fchon größtentheilg zur Zeit diefes Märtyrers und Kirchen»
vaters in Uebung waren. Ueberhaupt beruht der ganze
firchliche Ritus in all feinen heilen auf der verläßlichften
Tradition. Don den Taufceremonien handeln nächft Zu:
ftin auch die fpätern: Zertullian, Cyrill, Gregor und Aus
guſtin; von der Eonfirmation Clemens, Schüler des
Petrus — Ignaz, Schüler des Johannes — Zertullian
und Cyprian; die legte Oehlung findet ſich vorge»
fchrieben Jak. V, 14. und überdieg noch in allen Kicchen-
vätern; über das Ehrisma und das Kreuzzeichen han-
deln fehr gründlich Dionvfius, Zertullian, Eyprian und
Auguſtin; über den bifchöflichen Segen und die Weihe
Dionyfius, Clemens, Anakletz über das Weihwaffer
Glemens, Juſtinus Martyr, Bafılius, Ambrofius; über
die Weihe der Altäre, Becher, Schüfeln u. f. w.
Dionyſius, Ehryfoftomus, Auguftinus, Leo u. a. m.
Freylich folte das Göttliche feines vom Irdiſchen
erborgten Hülfsmittelsd bedürfen, aber die Menfchen —
als Sinnenwefen — benöthigen Sinnliches, um ſich daran
zum ileberfinnlichen emporzuheben; ihr Geift ift an eine
finnlihe Natur gebunden... Und da die Religion nicht für
reingeiftige Weſen fondern für folche beftimmt ift, die gei-
ftiger und finnliher Natur — Geift und Leib zugleich
find, da Gott dev Schöpfer von beyden tft, und ihm durch
— I —
die Religion die gebührende Huldigung dargebracht werden
ſoll, warum ſollte dieß nicht von Seite des Geiſtes und
Körpers, innerlich und äußerlich, geſchehen? Fühlt nicht
der redliche Menſch ſich gedrungen, durch äußere Zeichen
ſeine innere Neigung kundzugeben? iſt er nicht — als
Glied einer religiösmoraliſchen Geſellſchaft — verpflichtet,
durch gutes Beyſpiel dieſe äüßere Verehrung an den Tag
zulegen? Der Menſch bedarf Erinnerungsmittel, um Vor⸗
ftellungen im Geift feftzubalten, vorzüglich bey überfinnlichen
Keligionswahrheiten, Die in den vielen Zerftreuungen des
Lebens fo leicht ihre Kraft verlieren, wenn fie nicht durch)
äußere Zeichen dem Geift. oft vorgehalten und eingeprägt
werden. Wie wohlthätig wird nicht durch angemefne mit
dem öffentlichen Religionsbefenntniß im Einklang ftehende
Kirchengebräuche auf das Volk eingewürft, welches fo
mandyen guten Gedanken und frommen Vorſatz daran zu
fnüpfen ſich veranlaßt findet! Wenn tibrigens bey den
Andachtsübungen der Farholifchen Ehriften auch etwelche
Mißbräuche unterlaufen follten, fo werden folche von
ihrer eignen Geiftlichfeit höchlich mißbilligt, und manche
derfelben. möchten wohl auch beym protefiantifshen Cultus
ebenfalls anzutreffen feyn, wie z. B. das gedanfenlofe Here
plappern der. chriftlichen rehöipengein von Geite der
Geiftlichen fowohl, als der Laien u. f. w. Wenn die Pro:
teftanten durch Abfchaffung der Geremonien den Gottesdienſt
— um mich ihres Ausdrucks zu bedienen — vereinfacht
und nur auf Unterricht und Gefang beſchränkt haben, fo
fey uns dagegen auch die Frage erlaubt: ob der- veligiöfe
Sinn dadurch gefördert worden? ob ihre Tempel jekt häu—
figer. und eifriger befucht werden? ob die eigentliche Er—
bauung, die Gottesfurcht dadurch gewonnen habe? Und
in. der That, wem follten die kahlen, von allem Aeußern
fo ganz entblößten, und den —— der Quäcker
und Mennoniten ähnlichen, gottesdienſtlichen Einrichtungen
gefallen können? welchen Proteftanten ſollte nicht ein feyer-
licher Gottesdienft weit eher anſprechen? Sn dem gut pro—
— 290 —
teftantifchen Preußen, im Meflenburgifchen, KHannöverfchen,
Lüneburgifchen u. f. w. wurden viele Feyrlichkeiten benbe-
halten; Lichter werden bey Haltung des Abendmahls ange-
zündet, die Einſetzungsworte und Collekten werden abgefun-
gen, man fegnet Brot und Wein mit dem Zeichen des
Kreuzes, — eben fo die Kinder bey der Taufe, — der
Segen wird mit dem Kreuzzeichen ertheilt, auch find hin
und wieder noch Chorhemder und Kaſels im Gebrauch. Und
dieß alles gefchieht, ob man gleich vollfommen überzeugt
ift, daß mit dem Anzünden der Lichter nicht der heilige
Geift erfcheint und mit dent Auslöfchen wieder ſich entfernt,
— daß ein Kreuzfchnite mit zwey Fingern durch die Luft
dem Segenswunſch des Geiftlichen Feine größere Kraft giebt,
— daß die befondren geiftlichen Kleidungen feine befondre
Heiligkeit an fi) haben. Aber man berückfi chtigt, daß der
Menſch ein ſinnliches Geſchöpf iſt, daß äußere und ſinnliche
Dinge ihn rühren, Andacht und Ehrfurcht in ihm erwecken,
und ſein Herz für die ihm zu verkündenden Wahrheiten
empfänglicher machen; man ſieht gar zu wohl ein, daß die
Zahl der Menſchen, welche allein durch Gründe nd Rä-
fonnements als Philofophen geleitet werden, zu Flein iſt,
um in irgend einigen Anfchlag zu kommen. Ganz anders
als Luther dachte hingegen Zwingli, welchem jede Erin-
nerung aus feinem Klofterleben widerlich war; daher findet
man ın Staaten, welche der Helvetifchen Eonfeffion zuge»
than find, affe üb jede Spur von feyerlihem Kirchen
gepräng verſchwunden, und ſtatt deffen ein wildes, ver⸗
worrnes geiſt— und herzlofes (— wie ſich ſelbſt der der
angefehenften ſchweizerſchen reformierten Theologen aus—
drückte —) Gekreiſch jüdiſcher Pſalmen in Knittelreimen
und erbärmlichen Melodien in Uebung.
Wen ſollte aber die kindliche Gottesverehrung
des ächtkatholiſchen Chriſten nicht rühren! Oder wie? iſt
es nicht kindlich, die Hände dem Vater bittend entgegen—
zuſtrecken, um eine Wohlthat von ihm zu erhalten? iſt es
nicht kindlich, den Vater kniend um Berzeihung zu bitten,
— 231 —
Über deffen mit Undank vergoltne Liebe man Reue und
Schmerz empfindet? ift e3 nicht Eindlich, bey gemwiffen bes
fondren Veranlaßungen auf feftlihe Weife die Gefühle dank⸗
barfroher Anhänglichkeit und. Ehrfurcht zu äußern dem ges
liebten liebenden Vater, Herrn, Wohlthäter?! Wie fünnte
ein — nicht ganz herzlofer — Familienvater noch zweifeln,
das finnliche äußere Gebräuche fich fehr gut mit findlicher
innrer Achtung und Liebe vertragen? ja daß vielmehr
gerade die Berbindung folch innrer und äußrer Huldigung
fogar eigenthümliches Bedürfniß der Eindlichen Natur
fey? Nur vergefe man nie, daß die Kirche weit von der
Meinung entfernt ift, durch folch äußere Geremonien und
Uebungen Gott gewiffermaßen für fich gewinnen, oder das
ducch feine befondre Gunft erwerben zu wollen. Gold
unwürdige alberne Vorſtellungen kann nur Bosheit oder
Unverftand der Kirche andichten.
Ganz aus der Luft gegriffen ift auch die Behauptung,
daß dev Katholik nicht nach. eignem Herzenstrieb bethen
dürfe, daß die Worte abgezählt werden u. deral. wie pro»
teftantifche Läfterzungen vorgeben. Vielmehr ift die häus—
fihe Andacht feiner eignen Neigung gänzlich freygeftelt.
Selbſt im Gotteshaus mag er ſich meiftend nach feinem
Herzen erbauen, nur will die Kirche, daß der Gegenftand,
und die Art der Erbauung dem Glauben angemeſſen fen.
Dafür wird geforgt durch Unterricht — gerade wie bey
den Proteftanten — durdy zweckmäßige, von kirchlichen
Dberhirten anerkannte Andachtsbücher, welche dem Unver-
mögen des Volks zu Hülfe fommen, da wohl der größte
Theil — der Katholifen oder Proteftanten — nicht aus
dem Herzen zu bethen im Stand ift. Auch für jene, welche
nicht aus einem Buch und vielleicht auch nicht aus dem
DBorrath des Herzens bethen können, if der Gebraud) des
Rofenkranzes eingeführt, deffen Beftandtheile nicht nur
nichts anftögiges enthalten, fordern vielmehr die heilfame
Erinnerung an die Geheimniffe unfrer Erlöfung und Be-
jeligung in ſich ſchließen. Uebrigens wird dieß Gebeth nie
——
manden bey Verluſt des Seelenheils vorgeſchrieben, und
bildet ganz und gar keinen Glaubensartikel. Wird es auch
bier und da mit ärgerlicher Gedankenloſigkeit hergeſchnalzt,
fo wolle der proteftantifche Splitterrichter nicht vergeffen,
daß. der größre Theil feiner Glaubensgenofen es nicht
um ein Haar beſſer macht, — daß auch er an. Rituale
und Pfalmgefänge aus dem XVI. Sahrhundert u. f. w.
‚gebunden ift, — daß überhaupt Schimpf und Hohn. in
Sachen des Glaubens immer nur den höchften Grad leiden-
fhaftlicher-Berblendung und ein unedles Herz verrathen,
— und daß e8 den Proteflanten am wenigften geziemt,
übermüthig der gottesdienftlichen Gebräuche einer Confeffion
zu fpotten, zu welcher fih.ihre eignen Voreltern von den
erfien Zeiten des Chriftenthbums an, big noch vor wenigen
Sahrhunderten befannten, und welcher auch jet noch der
weit größte Theil der Ehriftenheit und der gebildeten Völ—
fer. zugethamsift. i
Ganz anders urtheilt der weiſe, große Leibniz.
„Alles — ſagt er — verdient unſern Beyfall, was nur
immer unſern Geiſt zur Betrachtung der göttlichen Größe
und Liebe mächtig emporhebt, was in uns fromme, heilige
Gefühle erregt, die unſern Geiſt von dieſem Erdenleben
ablenken und ihn in höhere Regionen über Welt und Zeit
hinaus zur Gottheit ſelbſt verſetzen, und was überhaupt
unfre Andacht zu befördern. geeignet iſt.“ Von neueren
proteftantifchen Gelehrten, welche die Ceremonien und Gas
framente eifrigft in Schuß nehmen, führen wir als einen
der anfehnlichften Gewährsmänner Göthe an, welcher im
2. Ih. feiner&Dichtung und Wahrheit zugleich das tieffte
Dedaurentüber die nackte, leere, von aller. Feyerlichkeit
entblößte Geftalt des peoteftantifchen Eultus ausfpricht.
Aus der Reformationsgefchichte wiffen wir übrigens, daß
Luther und Melanchton nie die Ceremonien gänzlich
aufheben wollten. — wie. e3 ihre nachherigen Schüler fic)
fo-angelegen feyn liefen, — und daß Tektrev. diefelben. viel»
mehr ausdrücklich beyzubehalten gewünſcht hatte.
= 8 —
Die Proteftanten befinden fich ferner in gewaltigem
Irrthum, wann fie meinen, daß die Eatholifchen Gläubi—
gen über die Verrichtungen ihrer Geiftlichen großentheils
in Ungemwißheit gelaffen werden. Dadurch daß die Kirche
beym Gottesdienft die Tateinifhe Sprache beybebielt,
welche nicht mehr der Beränderlichfeit unterworfen
ift, und den Gebrauch, der mannigfaltigen und unftäten
Bolfsfprachen befeitigte, entgeht doch wahrlich der Er-
bauung und dem GSeelenheil der Laien nicht das mindefte,
indem ihnen durch den forgfältigften Unterricht die nöthige
Kenntnig ertheilt wird, fo zwar daß fie in ihren Andachts—
und Gebethbüchern, fowie in den Eatechifationen und Pre
digten jede Bedeutung der Hiturgifchen Handlungen des
Priefters finden und hören. Wer kann läugnen, daß ge—
vade durch Beybehaltung jener Normalſprache die Einig-
feit, die Allgemeinheit der Lehren der £atholifchen Religion
— wodurch fie auch ihren heftigfien Widerfächern Achtung
abgewinnt — mefentlich gefördert und ihrer Gefährdung
aufs mwürkfamfte vorgebeugt werde? Hat nicht felbft die
ariechifche und morgenländifche Kirche die uralte Sprache
beybehalten, ob fie gleich dem gemeinen Volk eben fo un-
verftändlich, als unfere fateinifche iſt und folglich eben fo
fehr einer erflärenden Beyhülfe bedarf? Irriger Weife
berufen fich die Proteftanten auf die Paulinifchen Stellen
4 Cor. XIV. wo aber von Kußerordentlichen Geiftesgaben
die Rede ift, und der Weltapoftel keineswegs das Reden in
fremden Sprachen mißbilligt, fondern verlangt, daß man
es den Gläubigen in ihrer Mutterfprache erkläre und ver-
ftändlicy mache. Eben dieß will und verordnet auch die
Kirche, defnahen ihr keinerley Widerfpruch mit der Ge-
finnung des Apoftels zur Laſt gelegt werden kann—
= * *
*
— 34 —
Auch die von den Protefianten fo fehr beftrittene und
verbächtigte
Beichtanſt alt
werden wir bey näherer Unterſuchung dennoch in der
Vernunft, im Worte Gottes und in der Geſchichte
der erſten chriſtlichen Jahrhunderte feſt begründet finden. —
Und wer ſollte in der That den hohen Werth der
Selbſtprüfung, der Selbſterkenntniß, bezweifeln
können, weiche ſchon jener Weltweiſe des Heidniſchen Als
terthums durch feinen vollgültigen Wahlſpruch yross
osavrov zu verdientem Anſehn brachte! Oder wie kann
der Menſch ſich vervollkommnen, wenn er nicht oft
fich felbft prüft, gleichfam mit fich felbft zu Gericht geht?
Um aber feine Eigenliebe und Selbfifucht zu befeitigen,
ward. fchon in den früheften Zeiten die Nothwendigkeit ein»
gefehen , zu folcher Prüfung einen durch Einficht und Zus
gend ausgezeichneten Mann beyzuziehen, und diefem trau»
lich das Herz aufzufchliegen, um duch ihn im der
wichtigen Heilsangelegenheit Zroft und Zurechtweifung zu
erlangen. Und wem fonnte man fich wohl zur Zeit des
Urchriſtenthums in jeder Hinficht eher anvertrauen, als
den Kirchenvorftehern, welche duch Bildung des Gei-
fies und Reinheit dev Sitten vor all ihren Zeitgenoſſen
ſich auszeichneten, und denen überdieß kraft ihres Amtes
die Prüfung des Sündenbefenntniffes mit dev Gewalt zu
löfen oder zu binden ganz ausdrüdlich vom Stifter
des Chriftenthums felbft (Math. XVI. XVIH. Joh, XX.)
war übertragen worden! Gewiß hätte auch fein bloß
menſchliches Gefek je die Ehriften vermocht, alle Ders
gehungen, weiche fie mit fo viel Klugheit und Lift vor
ihren Mitmenfchen verbargen, ja ihre geheimiten fündhaften
Gedanken, zu den Füßen eines Prieſters — der doch auch
nur Menfch ift — zu entdecken, und auf diefe Weife alle
Schambaftigfeit und Eigenliebe zu überwinden.
— 15 —
Diefer pfychologifhe Grund war es auch vorzüglich,
weicher den König Heinrih VI. von England
deftimmte, ſich ganz entfchieden zu Gunften der Beichtan—
ftalt zu erfkiven. In feiner Schrift de septem saeramentis
contra Lutherum fchreibt er: da ich fehe, daß aus der
Heicht fo viel Gutes, und hinwiederum ganz und gar
nichts Nachtheiliges hervorgegangen ift; da ich fehe,
daß alles Volk fo viele Suhrhunderte hindurch feine Ver—
gehungen den Priefrern entdecte, fo würde ich in der That
— wenn auch die Schrift und die heiligen Bäter
hierüber feinen Ausfpruch enthielten — dennoch nicht ane
ders denfen oder glauben fünnen, als daß diefe Anftalt
feinesmegs eine menfchliche Erfindung, fondern auf
göttliche Anordnung gegründet und auch durch diefelbe
erbaften worden fey. Gott felbft ift Stifter diefes Sakra—
ments, und beſchützt folch heilbringende Anftalt mit feiner
Huld und Gnade. Wahrlich Fein bloß menfchliches Unfehn
vermöchte je die Völker zu bewegen, ihre geheimften Ver—
gebungen — deren innres Bewußtſeyn ſchon mit Schreden
fie erfüllte, und an deren Geheimhaltung ihnen fo viel
gelegen feyn mußte — dennoch fremden Ohren zu entdechen
und anzuvertrauen. |
Auch der große Keibnik in f. Syst. Theol. nimmt
die Beichtanftalt auf’3 eifrigfte in Schuß, und findet jie
ganz der göttlichen Weisheit angemeffen. Wenn etwas,
fagt er, in der chriftlichen Religion vortrefflich und lobeng«
werth ift, fo ift eg diefes, was felbft Ehinefer und Sapas
nefer bewundert haben; denn die Mothwendigfeit zu beich-
ten fchreeft viele von der Sünde ab, vorzüglich die, welche
noch nicht völlig verhärtet find, und gewährt den Gefalles
nen großen Troſt, fo daß idy glaube, ein frommer, ernſt—
hafter Eluger Beichtvater fey ein groges Werkzeug zum
Heil der Seelen.
Die confessio helvetica fpricht fih im C. XIV
über die Beichte folgendermagen aus: So jemand mit
einem Laſt der Sünden wäre beladen, oder mit verimorre«
— 26 —
nen Berfuchungen verriet, dem wollen wir nicht damider
ſeyn, ſo er Bericht, Rath und Troſt ſuchte, befonders
bey dem Diener der Kirche, oder ſonſt etwa bey einem
Bruder, der im Wort Gottes wohl bewandert und unter-
richtet. wäre.
Wie fehr Luther für die Beicht eingenommen war,
erfehen wir aus feinen Zifchreden S. 160, feiner Kicchen-
poftil und feiner Sermon von der Heicht, wo er- fagt:
um die Schäke der ganzen Welt gäbe ich die Beicht nicht
bin, denn ich weiß, was. ich ihr für Stärke und Zroft zu
verdanfen habe. Lieber wollte ich die Tyranney des Papſts
wieder leiden, als in die. Abfchaffung der. Beicht willigen.
Auch fol man. die Leute vor allen Dingen wohl lehren,
dag man nicht einem Menfchen, fondern Gott und dem
Herrn Ehrifto ‚beichte, item dag nicht ein Menfch, fondern
Chriftus abfolvire durch. den. Mund des Dieners;. denn
Ehriftus fagt: wer euch höret, hört mich, und wer mid)
hört, hört den Vater. |
‚Sn. gleihem Sinn äußerten ſich die, proteftantifchen
Bifchöfe Sheldon, Blamford, Montague u. a., fo. wie
auch ». neuere oeotegamiſcnt Schriftſteller, z. B. der be—
kannte Dr. Winer in ſ. Darſtellung des Lehrbegr. der
verſch. chriſtl. Kirchenparteyen, welchem zufolge ſelbſt re—
formirte Theologen den Wunſch ausſprachen, daß die Pris
vatbeichte (alſo die katholiſche Ohrenbeichte) als vorzügliches
Mittel zu Belebung der Tugend in ihrer Kirche wieder
eingeführt werden möchte, (Es iſt geſchichtlich erwieſen,
daß im XVI. Sahrhundert nach Abſchaffung der Beicht
in verſchiednen proteſtantiſchen Staaten das Sittenverderb—
niß ungemein und in ſolchem Grad überhand genommen
hatte, daß die Regierungen um Wiedereinführung der
Beicht angegangen wurden.)
Hauptſächlich vertheidigt auch der würdige Oberkon—
ſiſtorialrath Plank in Göttingen in ſ. Worten des Frie—
dens den Nutzen dev Beichtanſtalt mit den einleuchtendſten
Gründen hinſichtlich ihrer Belehrung für das irrende —
— 287 —
ihrer Stärkung für das zweifelnde — und Beruhigung
für das beängſtigte Gewiſſen.
Selbſt Rouſſeau in f. Emil geſteht: wie viele Werke
der Barmherzigkeit ſind nicht durch das Evangelium er—
zeugt worden! Zu wie vielen Zurückſtellungen, zu wie
vielen &Schadenvergütungen wurden nicht die Katholiken
durch die Beicht gebracht! Wie find nicht bei Annäherung
der Communionszeit Alle bereit, fich zu verföhnen! wie
viele Almofen werden nicht bey diefer Gelegenheit ge-
ſpendet!
Allein die kräftigſten Beweiſe für die göttliche Ein—
ſetzung der Beichtanſtalt biethet ung die heilige Schrift
feldft dar. Die Proteftanten drängen immer fo fehr auf
Have Ausfprüche des Evangeliums. Die Stelle bey Joh.
AX, 23 könnte doch unmöglich noch deutlicher feyn,
und immer hat fie das chriftliche Alterthum ganz einfac)
verftanden, als klar und deutlich angenommen, fo wie dies
jenige bey Math. XVII, 18. Eben war Ehriftus von den
Todten auferftanden; die Jünger waren in engfter Trau—
Fichkeit bey verfchlognen Thüren verfammelt; der ganze
Hergang trägt das Gepräg des Außerordentlichen, des heh—
ven Ernſtes. Sefus haucht die Sünger an, fpricht mit
Kraft und Feyerlichkeit jene eindringenden Worte: „Friede
fey mit euh! Wie der Bater mich gefendet hat, eben
fo fende ih nun auch euch. Nehmt bin den heiligen
Geiſt! Welchen ihr die Sünden vergebet — denen
find fie vergeben, welchen ihr fie aber behaltet —
denen bleiben fie behalten.“ Dieß ſprach Jeſus, nachdem
er längft vorher ſchon ihnen erklärt hatte: was ihr
auf Erde binden werdet, fol auch im Himmel ge
bunden feyn, und was ihr auf Erde löſen werdet, foll
auch im Himmel los feyn. Diefe ibnen vom Herrn
verliehene befondre Gewalt der Sündenvergebung — welche
fie ihn vorher felbft oft ausüben fahen — mußten: doch
wohl die Sünger au) in Unwendung bringen, und
diefelbe mußte — wie Predigtamt und Taufe — auch auf
— 28 —
ihre Nachfolger übergehen. Andre befväftigende Ber
weisftellen finden wir Math. III, 6. Mare. IL, 5. Xet:
AIX, 148, Sa. V, 46. 4Sob.l, 9— 10, Levit. V,
5—6. Num. V,7. Prov. XXVIII, 43. Weber die Haupts
ftelle bey Soh. XX, 19— 23. verdient Dr. Klees trefi
liche Schrift: die Beicht, eine hiſtor. krit. Unterfuchung
©. 39 nachgelefen zu werden. |
Stehen wir nun auch das Zeugniß der Urchriften
zu Rath, fo werden wir uns leicht überzeugen, daß die
firchliche Beichtanftalt immer fefter geregelt ward, und
dag in allen Sahrhunderten ihre ſegensvolle Würfungen
auf die Sinnesänderung und Lebensverbefferung neben
allen Mißbräuchen immer fichtbar blieben. Drigenes und
Auguftinus, dieſe großen — auch bey den Proteftanten
in Achtung ftehenden Kirchenväter, laſſen uns gar feinen
Zweifel über die göttliche Einfekung diefes Bußſakra—
ments mehr übrig. Erſterer zergliedert in der 2 Hom.
auf den 37. Pf. diefen Gegenftand gründlich, und aus
feiner Darftellung gebt zugleich der merkwürdige Umftand
klar hervor, daß die allgemeine Beiht aus der Dh
renbeicht entftanden fey, und keineswegs umgekehrt die
leßtre aus der erftern (mie die Proteftanten behaupten).
Durch das unverwerfliche Zeugniß diefes ehrwürdigen Kir—
chenfchriftftelers wird die Meinung, daß die Beicht nur
eine Eluge menfchlicye Anordnung fpäterer Sahrbunderte
fey, und daß fie nur auf einzelne gröbere Lafter und Ber»
brechen fich beichränft habe, fiegreich widerlegt. Auch in
der 47. Homilie über Luc. fommt eine wichtige Stelle ala
Beftätigung vor, daß wir unfre Sünden nicht nur Gott,
fondern auch denen, die unfre Wunden und Sünden hei»
len fünnen, offenbaren follen. Micht weniger klar fpricht
fich hierüber Auguftinus aus: „wenn man fagt, ich beveue
meine Einden im Geheimen vor Gott, e3 ift hinläng—
lich, vor Gott zu befennen, ſo machen wir das Evans
gelium, das Wort Gottes, gu nichte. Wenn dieß genügte,
wozu wäre dann der Kirche Gottes dv Schlüffel«
- >
gewalt gegeben worden? Warum hätte Jeſus gefagt.:
was ihr binden oder löſen werdet, fol auch im Himmelge
bunden oder gelöst feyn ?“ Weber den 86. Pf. fagt der nähm⸗
liche Kiechenlehrer: „Erröthe nicht, vor einem Menfchen
zu befennen, was du nicht errötheft vor vielen zu
thunz beffer iſts vor einem Menfchen bier ein wenig
Scham zu leiden, ald dort vor fo vielen Millionen vor
Scham zu vergehen am Tag des Gerichts.“
Nehnliche Stellen finden wir bei Athanafius, Baſilius,
Ambrofius und andern jener ausgezeichneten, wahrhaft
aufgeflärten Männer ter chriftlichen Borwelt, welche
Zeitgenoſſen dieſer Beichtanftalt waren, derer Zeugniffe
daher entfcheidend und unverwerflich find.
Daß übrigens in der Stelle bey 1 Soh. I, 9 eben die
Beicht unter jenem Befenntnißverftanden werde, geht
ſchon daraus klar hervor , weil nie ein andres Bekenntniß
feit ihrer Einfeßung nach Chrifti Auferfichung geübt ward,
Wohl Tefen wir ganz deutlich und unmißverfiehbar, daß
Ehriftus die Löfungs- und Bindungsgewalt den Apofteln
verliehen, nirgends aber daß er die Sündenvergebung mit
einem bloß vor Gott abgelegten Bekenntniß verbun-
den habe. Zur Zeit des Urchriſtenthums mußten
ſchwere notorifche Sünden Öffentlich gebeichtet werden,
um das gegebene Aergermiß gutzumachen, wobey der
Büßende beym Eingang der Kirche mit abgefhornem Haupts
haar in Trauerkleid gehült ftand. Immer gieng das von
Ehrifto eingefekte Saframent der Beicht vorher; das
von dev Kirche eingeführte öffentliche Befenntnif folgte
manchmahl darauf, und war immer nur Folge des er—
ſtern. Die eine — immer unerläßliche — ftille geheime
Beicht entichied über die zweite öffentliche, welche nur
Hülfsanftalt war. Die erfie — göttlichen Urſprungs
— beftand von jeher und wird auch ewig fortbeftehen ;
die zweyte — Eirchliche Einrichtung — erhielt fich nur
wenige Jahrhunderte hindurch, und erlofch auf Unordnung
S | 49°
N en
der nähmlichen Fanonifchen Authorität, durch welche fie
war eingeführt worden.
Daß es aber dem Katholik fo leicht gemacht fey, ſich
von der Schuld zu reinigen und von zeitlicher und ewiger
Strafe Toszufaufen, fann nur proteftantifche Bosheit
oder Unwiffenheit behaupten. Um die priefterliche Los—
fprechung zu erlangen, muß der katholiſche Ehrift nicht
etwa nur fein Gemiffen fireng erforfchen, um das
durch feinen moralifchen Zuftand aufs gründlichfte kennen
zu lernen, — nicht nur tiefe innige Reue über feine
Sehltritte und Vergehungen empfinden, durch welche er
fih der Baterliebe Gottes unmwürdig machte, — fondern
er muß auch den ernften feften Vorſatz faffen, jede Gele
genheit zur Sünde zu meiden und zu fliehen, jeden
feinem Nächften zugefügten Schaden wieder gutzumas
ben und an der Beßrung feines Herzens redlich
und unverdroffen zu arbeiten, — ev muß ferner aufrich-
tigft und vollftändig alle Bergehungen, wie er fie bey
gründlicher Gewiffensforfchung erfannt bat, mit Angabe
aller mildernden oder erfchwerenden Umftände beichten,
bey Strafe der Ungültigkeit feiner Beicht und der Ber»
größrung feiner Sündenfchuld im Fall vorfeglicher Täu—
ſchung, er muß endlich gemwifjenhaft die ihm vom Geelfor:
ger zur Buße oder Genugthuung auferlegten Werke
verrichten, welche vermög kirchlicher Vorſchrift (Con.
Trid. Sess. XIV. c. 8.) zugleih firafender und hei—
lender Natur find, indem fie theils Abbruch der Sinn»
lichkeit , theils Beßrung des Herzens bezwecken.
Dieß alles iſt doch wahrlich ſchwerer als — nach
Art der Proteſtanten — lediglich ein allgemeines Bekennt—⸗
niß herzuſagen und eine Verſichrung der Sündenver—
gebung anzuhören! Und bey ſolchen Forderungen der
katholiſchen Kirche an ihre Gläubigen ſollten dieſe Gefahr
laufen, in die Knechtſchaft der Sünde zu fallen oder einer
äußern Werkheiligkeit fich fehuldig zu machen ?
Mach proteftantifchem Lehrbegriff genügt die Neue
- I +
und Anklage vor Bott, um Vergebung der Sünden
zu erlangen. Dadurch wird allerdings dem Sünder jede
ängftliche Verlegenheit erfpart; er wird feiner eignen Dis»
fretion überlaffen, und der Demüthigung enthoben, feinem
Seelforger die geheimen Falten eines verdorbnen Herzens
aufzudeden. Mac) diefer Anficht verlöre jedoch die Beicht
allen Werth, fie wäre ganz zwecklos, und würde wohl auch
gleich von ihrer Entftehung an ohne allen Erfolg geblieben
feyn; Sefus Chriftus hätte ganz umfonft feinen Süngern
die Befugniß zur Losſprechung ertheilt, da diefe wohl
nie Gelegenheit zu Ausübung folcher Gewalt würden ges
funden haben, und jedermann den bequemern Ausweg
vorgezogen hätte, feine Sünden Gott ftatt einem Neben—⸗
menfchen zu beichten. Eben fo hätte der Heiland unrichtig
gefprochen: was ihr auf Erde bindet, fol auch im Him—⸗
mel gebunden feyn, da die Sünder fi) um folche Bin»
dungsgemwalt ihrer Lehrer ganz und gar nicht zu befüm-
mern gehabt, fondern fchlechtweg durch ein bloßes zu Gott
gefprochenes Wort fihb unmittelbar von ihm felbft
die Erlaffung ihrer Sünden ausgewürft hätten.
Allein ganz anders verfuhren die AUpoftel und ihre
Nachfolger, und nie hatten in jenen fchönen Zeiten der
Kirche die Sünder auf folch freye Wahl Anfpruch gemacht.
Nein wahrlich, die Einführung dee — auch bey den
Griechen und allen orientalifchen Chriften als göttliche
Anftalt ausgeübten — Beichte fann nur darin gefucht wers
den, daß in Kraft göttlichen Befehls feine Vergebung
. der nach der Zaufe begangnen Sünden zu hoffen fey, als
unter Beding eines den Dienern Gottes gemachten
freywilligen Geftändniffes derfelben. Alle Ehriften von
jeher — denn alle fündigten — müffen die Nothwendigkeit
erkannt haben, entweder die Schande dem Heil, oder dag
Heil der Schande vorzuziehen; und fehr richtig bemerkt
daher Schwarz in ſ. Handb. der chr. Relig.: „die Beicht
ift in der pofitiven Anftalt Sefu gegründet; ohnedem wäre
fchwer zu begreifen, wie die fpezififche Beicht bei allen
49*
= 8
Kirchen, die fi) fehon im vierten Sahrhundert von der
römifchen getrennt haben, nicht bloß als ein Rath,
fondern al3 ausdrüdliches Geboth Sefu angefehen ward.
Wer kann läugnen, daß Millionen Chriften den Arno
trieb zur Sinnesänderung, Troſt und Geelenruhe aus
diefer Anftalt fchöpften, — dag Millionen an der Hand
eines menfchenfreundlichen Führers auf die Bahn des Heils,
von welcher fie durch Leichtfinn und Leidenſchaft fich ent»
fernt hatten, wieder zurücfehrten! Bas die fräftigften
öffentlichen Xehrvorträge nicht zumegebrachten, gelang
oft der vertraulichen Zurechtweifung. Mißbräuche
aber, welche mit diefer Heilsanftalt getrieben wurden und
noch werden, fünnen nicht ihr felbft zum Vorwurf ges
reichen, da von jeher felbft das Heiligfte durch dan ent»
ſtellt und durch Mißbrauch entweiht ward.
Auch in Betreff des
Ablaffes
walten unter den Proteftanten verfchiedene irrige Anfichten
ob, deren Berichtigung eben nicht fchwer fallen wird.
Nach der einzig zuläffigen Auslegung hat man unter
Ablaß zu verftehen: die gänzliche oder theilweife Exrlafs
fung der zeitlichen Strafen, welchen der buffertige
Ehrift auch nach verziehbener Sündenfhuld noch
unterworfen wäre, |
Daß einft bereits für nachgelaffene Sünden noch bes
fondre zeitliche Strafen und Züchtigungen —— waren,
finden wir im Worte Gottes klar ausgeſprochen. 3a fchon
unſre Stammeltern traf nach erlangter Vergebung ihrer
Sünde doch noch eine zeitliche Strafe, — Gen. II. —
die Iſraeliten in der Wüſte, ſelbſt Moſes und Aaron, -
Num. XIV, Deut. XXXII. — und den Pfalmiften David
— 2 Sam. XI —
— 293 —
Das ganze chriftliche Alterthum huldigte diefer Lehre,
und immer hat die Kirche — geftüßt auf Ehrifti eignen
Ausſpruch Math, XVII, 18. Soh. XX, 23 — die Ge—
walt der Ablaßertheilung ausgeübt. ©. 1 Cor. V, 4-65.
2 Eor. II, 40. Die Schriften der meiften griechifchen und
lateinifchen Kirchenväter beftätigen die ununterbrochne An—
wendung diefer Gewalt von den Zeiten der Apoftel an,
und wir fehen aus Cyprian, Chryſoſt., Tertullian, Bar
ſilius, Theodoret u. a. m., daß die obigen. Schriftfiellen
bey Math. und Soh. nie in einem andern Sinn verjtan-
den wurden. Auguſtinus fagt in ſ. 124. Abh. über den
hei. Sohannes: „wenn auch der Menich nicht mehr zur
ewigen Straf für feine Sünden beftimmt ift, fo werden
dennoch zeitliche ihm auferlegt , theild um ihm dag
Unglück zu zeigen, welches er ‚verdiente, theils um feine
ftet3 zum Fall geneigte Natur zu beſſein, theils endlich
um ihn in der ſo nöthigen Gedult zu üben.“
Die Verordnung des Trid. Conz. lautet fo; „Weil
die Macht der Yblafertheilung von Chriftus der Kicche
ift verliehen worden, und diefelbe ſchon in den älteſten
Zeiten dieſe ihr von Gott gegebne Vollmacht ausübte;
fo lehrt und verordnet das Conzilium: daß der dem chriſt—
lichen Volk ſehr heilſame, und durch das Anſehn gehei>
ligtev Kixchenräthe gutgeheißene Gebrauch der Abläſſe in
der Kirche beybehalten werde.“
Daß in früheren Zeiten mancherley Mißbrauch und
Unfug, zum Aerger aller ächten Katholiken, mit dem
Ablaſſe getrieben ward, läugnet niemand und auch
niemand; daß aber in der katholiſchen Kirche Abläſſe um
Geld verkauft werden, iſt boshafte ſchamloſe Lüge
und Verläumdung. Die Ablaßprediger — auch nur um
Almoſen zu ſammeln — ſind vielmehr, eben zu Verhüthung
alles FRE — , gänzlich befeitigt worden.
* *
* *
— 294 —
Auch über den
Bilderdienſt
werden wir manche tief eingewurzelte Vorurtheile aufzu-
decfen und zu berichtigen finden.
Schon die Gefchichte des grauen Altertbums be
lehrt ung, daß die Völker der Vorzeit die Vorftellung
eines höchſten Weſens nicht ohne Bild feftzuhalten
vermochte, und daher in der Sonne — Sternen — Feuer
u. f. w. die Sinnbilder der Gottheit verehrten. Da fie nicht
begreifen fonnten, daß ein Einziges Wefen mit feiner Vor—
fehung das ganze Weltall zu umfaffen im Stande fey, fo
entftund bald jenes Heer von Gottheiten und ihren Bild»
fäulen. - Nie war aber ein Volk fo roh und albern, um
diefe von Menfchenhand geformten Gözenbilder für die
eigentlichen Götter felbft zu halten, welche den Sterb»
lichen ihre Gaben fpenden. Man kannte nur Einen Jupi—
ter, obgleich feine Statuen bei Zaufenden vorhanden waren.
Dver wo hat je ein Weifer des Alterthbums behauptet,
daß feine Zeitgenoffen Stein — Holz oder Erz angebe-
thet haben; für das Gegentheil fprechen Bemweife in Menge. .
Die Heiden behandelten ohne Zweifel ihre Sözenbilder wie
noch dermahl die Eatholifchen Chriften ihre Heiligenbilder,
d. h. die Verehrung galt nie dem Bild, fondern dem-
jenigen, welcher durch) das Bild vorgeftellt ward. (Schon
Pythagoras fagte, er betrachte beim Eintritt in die Tem—
pel die Abbildungen der Götter nie, ohne eine himmlifche
Rührung in feinem Geift und Gemüth zu empfinden.)
Den SZfraeliten war durch die Sinaifche Gefekestafel
nur unterfägt, von fremden Göttern gefchnikte Bilder
zu verfertigen, Sonne und Geſtirne (wie die Cananäer)
Ochſen und andre Thiere (wie die Egyptier) oder Schlans
gen und Fifche (wie die Philifter) anzubethen. Ganz
klar und beffimmt beißt es im Levit. XXVI, 1. Sch bin
der Herr, euer Bott. Ihr follt euch feine Götzen noch
— 295 —
gefchnitte Bilder machen, noch Säulen aufrichten, noch
Steine mit Bilderfchrift in euerem Land feken, um fie
anzubethben. Nur die zur Anbetbung beftimmten
Bilder alfo, nur die Abfiht dev Anbethung mars, was
Sehova verwarf und unterfagte. Wie oft finden mir in
den Schriften des alten Bundes ſolcher Denfmähler,
Altarfteine u. f. w. gedacht , welche der Erinnrung an
merkwürdige Ereigniffe geweiht waren, z. B. Joſ. IV, XXI,
XXIV. 4 Reg. VII, und nirgends die Yusdrüce der
Sreude und Merehriing vor folchen Bildern, melche bloß
das Andenken ehrwürdiger Perſonen in uns zu erneuern
beftimmt find, verbothen. Auch in Exod. XXXIV, Levit.
XIX und Deut. IV ift klar ausgefprochen, daß der Ge-
feßgeber nur immer die von Stein oder Metall geformten
zur Anbethung und DOpferdienft beftiimmten Götzen—
bilder der Heiden verdammt. Nach Exöd. XXV
befahl vielmehr Gott dem Moſes eine Arche des Bundes
zu verfertigen und an beiden Enden derfelben die goldnen
Bildniffe zweyer Cherubine aufzuftellen, Nach Num. XXI
fprady der Herr zu Mofes: „mache eine Schlange von
Erz und richte fie zum Zeichen auf; wer gebiffen worden
ift, wird durch Anfchauen derfelben geheilt werden.“ _ Und
. war Sofue mit den Alten Iſraels Abgötter, weil fie vor
der Arche fich ehrfurchtsvoll niederwarfen? war David
Abgötter, als er die Arche mit der in der heiligen Schrift
gefchilderten feyerlichen Pracht zurücbrachte? (dann find
ja wohl auch die englifchen Parlamentsglieder Abgötter,
weil fie im VBorübergehen vor dem bloßen Thron den
felben jedesmahl ehrfurchtsvoll begrüßen; dann find aud)
die veformirten Chriften Englands Abgötter, weil fie in
ihrem Gottesdienft bey Ausſprechung des Nahmens Sefu
fih andächtig neigen! Oder ift es weniger abgöttifch, ſich
vor dem Nahmen zu neigen, dejien Schall die Ohren
traf, als vor dem Bild, dus in die Augen fällt?)
Verfolgen mir die Spuren der Bilderverehrung im
neuen Bund, fo finden wir fie fchon in den Zeiten des
= Mn
Urchriſtenthums gegründet. Unverwerfliche Beweisftellen
enthält des berühmten Photius biblioth, Augufting Ueber—
einftim. der Evang. Bafılius Lebensbefch. des Helladius,
Ambrofius, Tertullian u. a. m. Athanafi us, von
Alerandrien, fagt in f. Br. an Antioch. im 3.3 wir
Shriften find weit entfernt, die Bilder als ed.
zubethen; wir befchränfen ung auf den Ausdruck unfrer
Liebe für dag Urbikd, deffen Geftalt unfren Augen vor—
fchwebt; wir tragen daher auch gar fein Bedenken, fobald
fih Die Züge des Bilds ausgelöfcht haben, das Holz, wor—
auf fie eingegraben waren, als unnüß zu verbrennen, Das
mascenus berfichert,, daß die Bildniffe von der Apoftel
Zeiten ber und auf ihren Befehl feyen geehrt worden.
Schon der. erfie Tempel, den die Kaifer Gott errich-
ten Tieße:s, der Conftantinifhe Dom im 9, 320 unter
dem Papſt Syivefter, ward mit dem Bildniß des Welt-
erlöfers und feiner Apoftel aus gediegenem Silber, fünf
Schuh hoch, jenes im Gewicht von 420, der letztern jedes
von 90 Pfund ausgeziert. Baſilius, Gregor von Nyſſa und
Gregor von Nazianz erwähnen ausdrücklich der in den
Kirchen aufgeſtellten Gemählde. (Aus der heil. Geſchichte
wiſſen wir, daß ſchon Lucas das Bild der Mutter Gottes
gemahlt hatte.) Tertullian ſpricht, zu Ende des zweyten
Jahrhunderts, ganz beſtimmt von Gemählden als allgemein
angenommenem Gebrauch, und Eufebius im VII. B. feiner
Kirch. Geſch. erzählt uns eine höchft merkwürdige ältere
Degebenheit, woraus die volle Gewißheit hervorgeht,
dag die Errichtung und Verehrung der Bilder fih
unmittelbar vom apoftolifchen Zeitalter herſchreibt.
Uebrigens feßte der Streit wegen der Bilder fchon
das VII. Sahrhundert in ftarfe Gährung. Allein gleich
beym erſten Ausbruch der Unruhen hatten fich die gelehr-
teften Männer, — der Patriarch Germanus von Conſtan—
. tinopel an ihrer Spike, — vereinigt, um die Kirche
gegen die ihre angedichteten miderfinnigen Begriffe zu
rechtfertigen. Das zweite Conzilium von Nizäa erörterte
— 297 —
den Streit aufs greündfichfte, und entfchied — „feft geftüßt
auf die Lehren der heiligen Väter und auf die Tradition
der fatholifchen vom Geift der ewigen Wahrheit geleiteten
Kirche“ — einmüthig: daß die Bilder in den Tempeln
aufgeftellt werden follen, damit die Gläubigen beym An—
blick derfelben ihren Geift — ihre Sedanfen und ihre
Wünſche zu den Urbildern emporfchwingen mögen.
Das Conzilium von Trient lehrt ganz Elar in Sess.
AXV, daß es verbotben fey, von den Bildern irgend
eine Gnade zu begehren oder, auf fie irgend ein Ber-
trauen zu feken, indem fie feine ihrien eigenthbüm-
lihe Kraft haben, wegen welcher man fie verehren müffe,
— daß fie feinen andern Zweck haben als das Andenken
an jene Perfonen in ung zu erneuern, welche darauf vor—
geftellt werden, — und daß, wenn wir unfre Knie vor
denfelben biegen, Yiele Stellung eines Pittenden immer an
das Urbild gerichtet fey, an Jeſum Ehriftum felbft, um
ihn anzubethen, oder an die Heiligen, um fie au Ders
ehren.
3ur Zeit des Glaubensabfalls war es hauptſachlich
Bodenſtein — vulgo Carloſtadius — welcher ſich wegen der
Bilder ganz gewaltig ereiferte; der tollkühne Schüler ward
aber von Luther — feinem Lehrer — ernft zuvechtgemwiefen,
indem diefer ihm die bitterften. Vorwürfe machte, und die
Bilderftürmer eines wüthenden blutgierigen Geifts befchul-
digte, Calvin und Zwingli erfüllten dann die Welt aufs
neue mit einem Läftergefchrey, das — als ihr Eöftliches
Vermächtniß — felbft noch in unfren Zeiten forthallt.
Legtrer fagt in einer zu Bern im Senner 1523 — am
Tag nach. der Zerftörung der Altarbilder — gehaltnen,
falbungsvollen Predigt; „da liegen die Altäre und Göken
im Zempel; es muß der Koth und Wuft — dus Göken-
narrenwerf — hinaus; jekt fiebt man, daß diefe Göken
nichts heiliges an fich haben, fondern tetfchen und bochslen
wie andres Holz und Stein. Hier Liegt einer, dem ift
das Haupt ab, dem andern ein Arm; hätten fie Gewalt
— Bu —
gehabt, fo hätte niemand fie entwegen noch weniger ent⸗
baupten oder lähmen mögen.“
Luther und die Lutheraner laffen in ihren Kirchen die
Bilder zu, da fie nirgends in den evangelifchen Schriften
eine Beſtimmung hierüber fanden. Sn f. Werfen XVI,
21 fagt Zuther: „Chriftus und feine Apoftel haben auch
feine Kirchen zerbrochen noch Bilder zertrümmert, fondern
die Herzen gewonnen mit Gottes Wort. Als Gedenk—
und Zeugenbilder find die Eruzifire und Bilder der
Heiligenbilder nicht nur zu dulden, fondern auch löblich
und ehrlich.“
Und haben dann die Carloftad — die Zwingli — die
Calvin etwa neue Bemweife gegen die Bilderverehrung aufs
gefunden, welche den Bilderftürmern des VII. Sahrhun-
derts entgangen waren? oder hat feitdem die Fatholifche
Kivche in ihrer Lehre und Uebung die Gränzen überfchrit-
ten? Wozu dieſe hirnlofen Läfterungen der Neformierten ?
Welcher Beweggrund fann fie antreiben,, die Mutterfirche
mit Verläumdungen zu überfihütten, welche fchon feit
einem Sahrtaufend volftändig miderlegt und vernichtet
waren? Der Katholif fol! nun einmal durchaus abgöt—
tifch heißen! Und ſolchen Groll, folche Feindfeligkeit ver-
übten fchon die Reformatoren, welche doch, im Schooß der
Kirche unterrichtet, ganz wohl gewußt haben mußten,
daß in ihr feine Abgötterey weder gelehrt noch geduldet
wird, auch nie von ihren Borgefekten hierzu verleitet
wurden, und mweder in den Kirchen noch Klöftern, zu wel:
chen fie gehörten, je eine abgöttifche Verehrung den Bil-
dern felbft erwiefen hatten. Woher fchöpften fie dann diefe
Befchuldigung gegen die Kirche, als aus dem bittern leis
denfchaftlichen Groll, der alles was er berührt, vergiftet, -
und felbft die fchuldlofeften Löblichften Handlungen zu Ber:
brechen ftempelt, um nur der Läſterungsſucht ungezügelten
Lauf zu laſſen. 3
Vebrigens ift auch wohl die Sitte, dag Andenfen
— 299 —
geliebter, verdienſtvoller Menfchen durch ihre Bildniffe
zu erhalten, faft fo alt als die Bildnerey felbft. Die Werth⸗
achtung ſolcher Bilder liegt ſchon in der Natur der Sache.
Wer möchte wohl heute noch ein Bild, welches zur
Erinnrung an Ehre, Rechtſchaffenheit und ruhmvolle
Thaten dient — ſey es ein Sokrates oder Seneka, Solon
oder Cato, Franklin oder Tell — aus ſeinem Geſichtskreiſe
verbannen? (und prangt nicht häufig an den Altären
Lutheriſcher Kirchen das Bild ihres großen wohlbeleibten
Stifters?) Daß alſo Chriſten, ſobald ihnen nur wieder
freyer Athem zu Theil ward, ihre Verſammlungsorte mit
den Bildniſſen Jeſu, ſeiner Apoſtel und heldenmüthiger
Blutzeugen ſchmückten, um ihre Beyſpiele unvergeßlich zu
machen, ſollte ihnen doch wohl eben fo wenig zum Vor⸗
wurf gereichen, ald man es danfbaren Kindern je
berargen würde, wenn fie die Bildniffe geliebter Eltern
am fihönften Pla ihrer Wohnungen aufftellen, um. fich
des Guten, welches fie ihnen verdanken, immer zu erin-
nern! Den GStiftern mächtiger Staaten, großen Gefeh-
gebern, Fürften und Feldherren errichtete man Bildfäulen
und Denfmähler, um ihr Andenken auf die Nachwelt fort-
zupflanzen und ihren Berdienften zu buldigen; aber Reli»
gionsfreunden will man es übel deuten, wenn fie durch
gleiche Mittel das Andenken an die unvergleichbaren Ver—
dienfte Sefu und feiner treuen Gehülfen feftzuhalten
fuchen!! — |
(Was die hin und wieder noch vorfommende Geſchmack—
lofigfeit in fchlechtem Schnitzwerk — fihwerfälligen plum—
‚pen Engelsgeftalten u. f. w. betrifft, fo wird folche ge—
wiß niemand in Schuß nehmen ; auch würde wohl die
alte Kirche dergleichen Unfug nicht zugelaffen haben. Der
Kirchenrath von Trient, und die nachherigen befondren
Synoden von Mayland — Cölln — Paris u. f. w. machen
es den Bifchöfen zur Pflicht, jedes Bild aus den Kirchen
zu entfernen, welches nicht auf eine Weife verfertigt ift,
daß es der Würde des Driginals entfpricht, und welches
— 50 —
nicht bey den Gläubigen wahre Erbauung zu erwecken ges
eignet wäre.)
Wir ſchließen dieſen Abſchnitt mit einer paſſenden Be—
weisſtelle aus Molanus, deſſen wir auch früher ſchon als
eines angeſehenen Gewährsmannes erwähnten: „Es iſt
allerdings gewiß, daß die Bilder keine eigene Kraft
haben, und daß man folglich in keiner andern Abſicht vor
ihnen bethen kann, als weil ſie ein ſichtbares Mittel ſind
das Andenken an Jeſum Chriſtum und himmliſche Dinge
in uns zu erwecken. Wenn man alſo Gott vor einem-
Bild anrufen oder anbethen will, fo jet man fich in die
nähmliche Gemüthsverfaffung, in mwelcher die Sfraeliten.
vor der Schlange von Erz wären, welche fie mit Ehrfurcht
anfahen, aber ihren Glauben ganz und gar nicht an die
Schlange, fondern an Gott ſelbſt richteten.“ So ur»
theilte und erklärte jich nicht etwa ein Eatholifcher Schrift-
fteller, fondern der berühmte Molanus, das Drafel der
Lutheraner im letzten Jahrhundert.
Auch ein angefehener Gefchichtfchreiber der neuern
Zeit beklagt fehr, daß durch die Verbannung der Gemählde
aus den proteftantifchen Kirchen nicht nur der Kunft ein
unermeßlicher Schaden zugefügt, fondern auch dem Volk
eine Art des Unterrichts entzogen worden, die eben fo
gut darauf berechnet war fein Gefühl anzuregen und feine
Srömmigfeit zu nähren, als der mündliche Vortrag.
Viele ausgezeichnete Doktoren der reformierten Eng-
liſchen Kirche fchrieben ebenfalls zu Gunften der Bilder.
Keiner ift, der fie nicht als Abbildungen geſchichtlicher
Gegenftände guthieße; einige haben fie aber auch in reli-
giöſer Beziehung gebilligt. Der gelehrte Montague nimmt
fie aufs Eräftigfte in Schutz. Auch Boffuet fpricht feine
volle Ueberzeugung dahin aus, daß man fich im Punkt der
Bilderverehrung — mie in fo manch anderm — leicht ver:
gleichen würde, wenn man nur die Mißbräuche befei-
tigen wollte, welche die ächten Katholiken felbft auch ver»
werfen. Er hätte entfchieden hinzufegen dürfen und follen:
und welche auch das: Conzilium von Zrient Felbft verwirft
und auszurotten beftehlt. —
* *
*
Eine ähnliche Bewandtniß hat es mit den
Relquien
deren Verehrung wir nicht nur im apoftolifhen Zeif-
alter feftbegründet finden, fondern auch die urfprünglichen
Spuren derfelben im grauen Ulterthum fchon erbliden.
So ift 3. DB. Plato de republica L. V. der Meis
nung, daß die in den Schlachten gefallnen Zapfern als
„gute Geifter“ verehrt und ihre Gräber „angebethet“
werden follen. Eufebius de pra&p. evang. L. XI.
führt dieſe Stelle genau an, und fagt dabey: dieſe Ehre
gebührt mit weit mehr Recht den in der Kiebe Gottes Ders
ftorbnen, die eigentlich die tapfren Streiter der wahren
Religion find. Von daher rührt wohl aud) der eingeführte
Gebrauch, ihre Gräber zu befuchen, unfre Gebethe und
Wünfche in Gegenwart ihrer Reliquien zu Bott abzufchiden
und ihren Seelen unfre Ehrerbiethung zu zolfen, in der
Ueberzeugung, Daß dieſe unfre Verehrung auch von der
Vernunft felbft gebilligt werde.
Manche-Benfpiele der erften Chriften in Serufalem,
Rom, Antiohien, Smyrna, fowie die Schriften der
Bäter Eufebius, Chiyfoftomus, Cyrill von Serufalem,
Hieronymus, Ambrofius u. a. m. liefern uns genügende
Deweife, daß Die Verehrung der Reliquien würklich von
den apoftolifchen Zeiten fich herfchreibe. Mit welch heilis
gem Eifer bemächtigten ſich die Chriften der Leiber des
heil. Petrus und Paulus gleich nach ihrem Märtyrer:
tod, um fie an einem befondern Pla der Catafomben bey-
zufeßen, und fie von da in die erfte aller Kivchen der Welt
zu übertragen, wohin die Mächtigften der Erde wallfahrteten,
um ihre Knie vor dem Grab diefer Apoftelfürften zu beu»
zu
gen! Mit welch rührendem Eifer verlangten die Gläubigen
von Antiochien die irdifche Hülle ihres im 3. 4107 ver-
ſtorbnen großen Bifchof3 und Martyrers Sanatius aus
Rom zurück, und trugen fie von Rom bis nach, Antiocdyien
im Siegeszug von Stadt zu Stadt auf ihren Schultern,
indem fie auf dem ganzen Weg Gott und feinen gefrönten
Kämpfer mit Xobliedern verherrlichten. ©. die Rede des
heil. Chryſoſtomus auf den bh. Ignaz; ferner Eufeb3
Kirch. Gefch. 4. B. 15. E. über den Martyrer Polykarp;
Eyrill in der 18. Catech. über die Auferfiehung, und
ganz vorzüglich Gregor v. Nazianz in der 18. Rede tiber
den heil. Eyprian. Wunder — duch die Reliquien be»
würft — erzählen uns auch der heil. Ambroſius und Aus»
guftinus mit hiftorifcher Umftändlichfeit. Ferner Hierony-
mus gegen Bigil, E. 3. Ambrofius im 85. Br. über die
h. Gervafius und Protafius; Gregor von Nyßa, Auguftis
nus, Cyrill, Baſilius; hauptfächlich Chryfoftomus 32. Hom.
über den Br. an die Römer, und Ambrofius in feiner
93. Rede.
Vergleichen wir das Benehmen der Proteftanten
und Katholiken über diefen Gegenftand! Wie oft fefleln
jene ihr Herz mit innigftem Zartgefühl an jede noch fo
unbedeutende Kleinigkeit, duch welche fie an eine theure
von ihnen gefchiedne Perfon erinnert werden; fie erbauen
wohl auch mit Kunft und Aufwand prachtvolle Srabmähler,
unter deren Marmor oft berühmte Zerftörer des menfch-
lichen Gefchlechts modern! Der Katholif ermweift Be—
wunderung, Dankbarkeit und Liebe jenen unfterblichen
MWohlthätern und Helden des Chriftenthbums, derer Ver—
dienſte zu fchildeen jede menfchliche Feder zu Schwach ift;
er bewahrt ihre Ueberrefte, ehrt ihre Afche, wallt zu ihren
Gräbern und ſchmückt fie; er küßt die Falten Reliquien ders
jenigen, derer Fußtritte wir alle gewiß füßen würden,
wenn fie noch hiernieden mweilten; beym Anblick der Reli—
quien der Heiligen, in der Nähe ihrer fterblichen Hüllen,
wird der Katholif von tieffter Ehrfurcht ergriffen; das An-
— 305 —
denken an all ihre Tugenden und Wohlthaten erwacht lebe
haft in feinem Geiftl. Wie manches durch den Anblick fol-
cher Reliquien angefeuerte Gebeth ward nicht an diefen
Stätten erbört! Keineswegs durch eine in dDiefen Ge—
beinen oder Aſchen verborgne, Übernatürliche Kraft
oder göttliche Macht — (denn gerade diefe körper—
lichen Ueberbleibfel überzeugen uns ja, daß die Heis
ligen nur waren, was auch wir find); aber wir glaus
ben und wiffen, daß es oft Gott gefallen hat, an feinen
Dienern duch Wunder, die er an ihren Gräbern würfte,
feine befondre Huld hervorleuchten zu laffen. ©. 4 Reg.
XHI, 21. Mach Act. V, 15. wurden Kranfe durch den
Schatten von Petrus geheilt, und nach Act. XIX, 12.
wurden Kranfe, wenn man Schweißtücher und Schürzen
— welche Petrus an feinem Leib getragen hatte — auf fie,
legte, gefund und die unreinen Geifter fuhren von. ihnen
aus. Eben fo unläugbar find die Wunder, derer Augenz
zeuge die urfprüngliche Kirche fo. oft an den Grä—
bern der Martyrer war, An folchen Stätten richtet der
gläubige Katholik feine Dankfagungen und Bitten kei—
neswegs an die vor Ihm liegenden Reliquien. Er dankt
Bott für ihre Berherrlichung, erflebt fih von ihm
die nähmlihen Erbarmungen, und ruft ihn um die
gewünfchte Gnade an. Bon Gott geht demnad) die Ver—
ehrung der Reliquien als von ihrer Duelle aus, und zu -
Gott kehrt fie als zu ihrem letzten Ziel zurück.
Dies find die Grundſätze des Fatholifchen Chriften;
andre hatte er nie; wer ihm andre aufbürder, irrt ſich.
Mögen ehmahls — vielleicht auch zur Zeit der Refor—
mation -- irrige, abergläubifche Begriffe hierüber verbreitet
gewefen feyn, — man fann fie nicht der Kirche aufbürden;
(tadelnswerthe Ausnahmen können nur der roheften Un—
wiffenheit zur Laft fallen, von feinem redlichen Unbefang-
nen aber auf Rechnung der Gefammtheit geftellt werden.)
die Kirche felbft beftreitet all diefe Srrthümer, und bes
fiehlt fortwährend ihren Dienern fie ducch Verkündung der
= —
entgegengefeßten wahren Xehre zu berichtigen. Wer
fann in Ddiefer etwas thörichtes, verbrecherifches finden;
wer kann in der den Reliquien der Heiligen ermwiefenen
Ehrerbietung und Huligung auch nur einen Schatten:
von Abgötterey entderfen!? —
Luthers Lehrmeinung ift auch in diefem Punkt, wie
in den meiſten übrigen, ſich ſelbſt widerſprechend. Im
vH. &%. ©. 277 Sen: Ausg. fchreyt er die Reliquien
als Detrügereyen aus, die man tief unter die Erde
begraben ſollte, .und verfichert uns in feiner pöbelhaften
Sprache „er fee auf die Gebeine der Heiligen feinen
größern Werth, ald auf diejenigen eines Gehängten.“ In
nüchternen Augenblicken gefteht er hingegen. ein: „Daß
Gott durch feine Heiligen bey ihren Gräbern in Gegen»
wart ihrer Reliquien vor den Augen der ganzen Welt noch
große Wunder thue.“ Ibid. Tom. I. und in feiner Ab-
handlung über die ftille Meffe fagt er: „wo fich noch die
wahren Reliquien der Heiligen finden, da war und
ift noch unbezweifelt die heilige Kirche Sefu Ehriti;
da find die Heiligen geblieben. “ |
*
* *
Nun kommen wir zu einem wichtigen Stein des Un»
ftoßes; wir meinen das
Ktreusjseiden
des Erlöfers. Und da wird der Beweis nicht fchwer fallen,
daß die Reformation, indem fie das Kreuzzeichen verboth
und das Kreuz von den Altiren, den öffentlichen Pläßen
und Straßen verbannte, fich in offenbaren Wider-
fpruch mit dem chriftlichen Alterthum fekte. In
England haben die Reformierten das Kreuz einzig noch in
Ertheilung der heiligen Taufe beybehalten; in Deutfchland
ward es fogar auch aus diefem Sakrament, melches ung
doch zu Ehriften Stempeln fol, verdrängt. Indem die Res
— 305 —
formatoren die Abficht vorfpiegelten, das ehrmwürdige goldine
Zeitalter des Ehriftenthums ing Leben zurüczurufen, —
indem fie vorgaben, ihr neues Gebäude bloß auf der
Grundfefte des alten zu errichten, und nur den Roft
wegzuräumen, welcher fich in den Zagen der Unmiffen-
heit und Finfterniß angehäuft habe, — entfernten
fie fich vielmehr durdy ihre Verwerfung des Kreuzes gänz»
fih von den urfprünglidhen Sitten jenes hehren
3eitalters des Chriſtenthums. — Wie oberflächlich, mie
gering mußte dann ihre Kenntniß der chriftlichen Vorwelt
ſeyn — |
Wir werden jene dreifte Vorſpieglung Lügen Strafen
durch unvermerfliche Zeugniffe der angefehenften Kirchen—
väter, und berufen ung zu dieſem Ende auf Auguftinus,
Hieronymus, Ambrofius und Zertullianus für die Iatei-
nifche, — fodann auf. Ephrem, Chryfoftomus, Eyrill von
Serufalem, Bafilius, Athanafius, Drigenes, Eufebiug
u. a. m. für die griechiſche Kirche.
Auguftinusfagt in f. Rede über die Heiligen: „Mit
dem Kreuz fangt der Unterricht der Catechumenen an, und
durch dajjelbe wird das Zaufwaffer geweiht; durch das
Kreuz empfangen die Zäuflinge alle Gaben des heiligen
Geiftes; durch dieß Zeichen werden die Kirchen und Altäre
eingeweiht; kurz es ift fein einziges Saframent in
der Kicche, welches nicht durch die geheimnißvolfe
Kraft biefes Zeichens verliehen wird; fragt man einen
Catechumenen: glaubft du an Ehriftum? fo bejaht er eg,
indem ev fogleich feine Stirne mit dem Zeichen de3 heiligen
Kreuzes bezeichnet.“
Hieronymus im Dr. an die Demetrias fchreibt:
„bewaffne oft deine Stirne mit dem Zeichen des Kreuzes,
damit der Zerftörer Egyptens Feine Gewalt über dich habe, “
Ambrofiusin f. 45. Rede fagt: „das Zeichen Chrifti
ift auf unfrer Stirne; es ift in unfren Herzen; dort,
um ihn immer zu befennen, bier, um ihn zu lieben, Un.
20
— 306 —
fer Tagewerk follen wir immer mit dem Zeichen de3 Er-
löfers beginnen. “
Sm gleichen Sinne zeugen die fehönen Verſe des Laf-
tantius (der chriftliche Cicero genannt) über das Eruzi-
firbild, und Zertullianus 2. B. 5. Dr. und über die
Krone des Soldaten 3. C.
Eben fo wenig müffen die Reformatoren in der griechi-
ſchen und orientalifchen Kirche bewandert gemwefen feyn.
Sohannes Bifchof von Conftantinopel, wegen feiner
Beredfamkeit Chryfoftomus genannt, fagt in f. Beweis—
führung gegen die Heiden: „Fürften und Unterthanen,
Männer und Weiber, Junge und Alte, Alle bezeichnen
fi) mit dem Kreuz auf dem erhabenften Theil des menfc-
lichen Angefichts. Ueberall ift dag Kreuz gepflanzt und in
Ehren gehalten, in den Häufern, auf öffentlichen Plägen,
Straßen, Meeren, Schiffen, Bergen, Thälern, Kleidern,
Betten, Warten, Gefäßen und Gemählden. Durch das
Kreuz finden wir uns fchöner gefchmüdt, als mit Dia-
demen und Gefchmeide.“ Sn gleihem Sinn eifert Ephrem.
Cyrill fagt: „Beym Effen und Trinken, Ausgehen
und Heimfehren, Schlafen und Erwachen bezeichnet ver -
trauensvoll eure Stirne mit dem Kreuz des Erlöfers!“
Bafilius über den Märtyrertod des Gordius fagt:
„Der Blutzeuge Sefu Chrifti waffnete fich hierauf mit dem
furchtbaren Zeichen des Kreuzes, und fihritt dann mit
unerfhrocdnem Heldenmuth — ohne nur im geringften die
Gefichtsfarbe zu wechſeln — dem Tod. entgegen.“ Eben
fo beftimmt äußeren fih für die Kraft des Kreuzzeichens
Athanafius über die Menfchwerdung, Drigenes Hom.
über den dr. an die Römer, Eufebiug evang. Beweis—
führ. 6. B. letztes C. Suftinus 4118 Fr. Eyrill im
6.3. gegen Sulian, und Drigenes gegen Eelfus im 2.8.
In den FINE AND aller Kirchen des V. Jahrhun—
derts ift auch nicht Eine, in welcher nicht Gebethsformeln
und Gegnungen enthalten wären, die mit dem Zeichen des
Kreuzes verbunden find.
— 307 —
Auch hätte den anmaßenden Reformatoren der gefchicht-
fihe Umftand nicht unbekannt feyn follen, daß fchon auf
der Bildfäule des erften chriſtlichen Kaifers in Rom,
Gonftantin des Großen, dag Kreuz prangte, und daß dev
höchfte Enthbufiasmus feine Heerfchaaren ergriff, wenn fie
die vornehmfte Reichsfahne — das Labarum — mit dem
Zeichen des Kreuzes und dem Monogramm des Nahmens
Sefu Chriſti an ihrer Spike erblicten.
Uebrigens ift die Berehrung des Kreuzes ja dep-
wegen feineswegs irgendwo in Anbethung ausgeartet,
fo wenig als bey den Bildern oder Reliquien — wie wir
fchon oben ung überzeugt haben. |
Diefe alberne abgeſchmackte Befchuldigung hatten eh—
mahls felbft fchon die Heiden gegen die Fatholifchen Vor—
eltern gerichtet. Gar treffend antwortete in diefer Hinficht
der Geil. Athanafius dem Fürften Antiochus: „Wenn
uns die Heiden der Anbethung des Holzes befchuldigen,
fo fünnen wir vor ihren Augen die zwey Theile des Kreu—
zes von einander ablöfen, beyde Theile auf die Erde wer—
“fen und mit Füßen tretten, zum Beweis daß unfre Ver—
ehrung fich nicht auf das Holz beziehe, fondern auf die
Erinnerung des Gekreuzigten.“
Leontius Bifhof von Neapel im 4 und T. Xrt.
des zweyten Conz. von Nizäa fagt: „Wenn ihr feht, daß
Ehriften vor dem Kreuz betben, fo wifjet, daß fie Sefum
den Gefreuzigten anbethen, Feineswegs aber das Holz.
Sind die Hölzer, woraus das Kreuz befteht, getrennt, fo
erweifen fie ihm nicht nur feine Ehrerbiethung, fondern
werfen e3 auf die Erde oder ins Feuer.“
Wenn zumeilen in der Eatholifchen Kirche von An—
bethbung des Kreuzes gefprochen wird, fo ift darüber
mit den Bätern des zweyten Conziliums von Nizäa und
mit allen unterrichteten und vedlichgefinnten Theologen zu
antworten: Anbethen — Anbethung find allgemeine Aus-
drücke, welche beziehungsweiſe auf den Gegenfiand
in verfhiednem Ginn angenommen und verftanden
20*
—
werden; beziehen ſie ſich auf eine der drey göttlichen Per—
ſonen, ſo bedeuten ſie unſre vollſtändige Abhängigkeit, die
unbeſchränkte Herrſchaft Gottes, und die Anbetbung
im eigentlichen Sinn; (mögen jene proteſtantiſchen Kir—
chenlichter, welche in den neuften theol. Annalen von 1830 die
Dogmen von der Dreyeinigfeit — fowie von der Gottheit
Ehrifti — als unevangeliſch und unapofiofifch erklären, im—
merbin ſich hierüber ärgern!) beziehen fie ſich aber auf die
Heiligen, ihre Bilder, auf das Cruzifix — Alter — Kreuz
— auf Regenten — ihre Statuen — (auch die Kaifer
und Könige unfrer jetzigen Chriſtenwelt heißen ja nicht fel-
‚ten majestates sacratissime und ,„Angebethete“ im Curial
Styl) fo bedeuten fie bloß eine relative bürgerliche oder
religiöfe Ehrbezeigung. Auf wen fonft fann und foll
man fi) über den Sinn eines Ausdrucfs berufen, als auf
jene, welche ihn gebrauchen? wollen andre beſſer wiſſen,
was jene damit fagen wollten, als fie felbtt? Wahchaftig
— jagt der große, trefflihe Boſſuet — dieß ift erbärm-
lich, und wenn man bedenft, daß durch foldy ſpitzfün—
dige Ränfe fogar die Einigkeit gefährdet und geftört
wird, fo ift es vollends abſcheulich.
Luther in f. größern Hauspoftil fagt hierüber nach
feiner mwiderfprechenden, fihtwanfenden Weife: „wo Miß—
brauch und Irrthum gefchieht: in Anbethung der Bilder
und Kreuze, fol man diefe zerſtören und wegthun, auch
die Kirchen dafelbft niederreigen. Wiewohl ich die Bilder
nicht aänzlich verwerfe, und fonderlich die Figur des ge—
freuzigten Ehrifti. Denn wir haben deſſen eine Vorftellung
im alten Zeftament von der ehernen Schlange durch Mofen
in der Wüſte aufgerichtet, auf daß alle, fo von den feuri-
gen Schlangen gebiffen waren, mo fie diefe eherne Schlange
anfchauten, foltten dadurch gefund werden. Das follten
wir auch mit dem Bild des gefreuzigten Chriftus thun.“
Auch das Alterthum beweist die verfchiedne Bedeu-
tung diefes Worts. Genes. C. XVIIL heißt es: „Abs
vabam neigte fi) bis zur Erde vor den drey Männern,
— A —
und bethete fie an.“ Gen. C. XXU: „Abraham erhob
ſich, und bethete das Volk diefes Landes an.“ Gen. XLIX.
„Die Kinder deines Vaters werden dich anbetben.“ So
bethete auch David den Saul an, Ehufi den Jakob, Achi—
maas den König, Arenna den David, Adonias den Sal»
mon, die Kinder der Propheten den Elifäug, alle Diener
des Ahasveros den Aman u. f. w. Die Chronifen und
Gefchichtfchreiber erzählen, daß Kaifer Carl der Große von
Leo II. angebethet ward, nach der nähmlichen Weife, mie
ehmahls die alten Kaifer angebethrt wurden. Im Hebräi-
fchen und Griechifhen fommt immer ein und ebenderfelbe
Ausdruck vor; allein die proteftantifchen Ausleger überfeßen
es in armfeliger Schlaubeit bald mit „anbethen“, bald
mit „verbeugen“, „niederfnien“, „Ehre erweifen“, — je
nachdem es ihnen beffer dient. Die vulgata hat überall
adorare (feyerliche Ehrerbisthung erzeigen, verehren), dr
griechifche Tert hat roooxvverv, d.h. reverenter tractare,
tiefe Ehrfurcht bezeigen. |
Weit füglicher hätten die Proteftanten den Katholiken
den Teichtfinnigen Mißbrauch des Kreuzes Chrifti
borzumerfen gehabt, — die ärgerlihe Flüchtigkeit,
mit welcher fie fich bezeichnen, — die ungebührliche Schnel»
ligfeit und Zauheit, mit welcher fo viele Priester am
- Altar bey der beifigften erhabenften Handlung ihres Amtes
dieß Zeichen binfchleudern, — dus Zeichen, welches
den kurzen Inbegriff unfers ganzen Glaubensbe—
fenntniffes in fich ſchließt: die Dreyfaltigfeit der Per—
fonen in einem einzigen Gott — die Menfchwerdung —
die Leiden und Zod Jeſu — die Erlöfung des ganzen
Menfchengefchlechts — !
Aber — dieß Glaubensbefenntniß verbiethen, —
einen Gebrauch, welcher fo alt als die Kirche felbft
it, abfhaffen, — Chriſten jenes ehrwürdige Zeichen
unterfagen; wodurch das Chriſtenthum fundgege-
ben wird, das Kreuszeichen, welches ung gegen Der:
fuchungen ah Sefahren f Hirmt — den Kranfen bey
— 50 —
Annäherung des Todes wie den Märtyrer beym Anblick
von Schwert und Scheiterhaufen ermuthigt, — das
Cruzifix, die Abbildung des für ung fterbenden Heilands
zum Feuer verurtheilen, — das Kreuz — das Gie-
geszeichen — unfern größten Ruhm und Hoffnung — deffen
einzig und allein Paulus fi rühmte — das Kreuz,
durch welches die Welt erlöfet ward — das Kreuz, durch
welches die Welt wird gerichtet werden, wenn es uns
in der nach erlofchnem Sonnenlicht uns umgebenden
grauenvollen Finfternig auf einmahl erfcheinen und meit
herrlicher als die Sonne ftrahlen wird — dieß Kreuz nie-
derreigen und in die Acht erflären, — welche Ver—
blendung, welch tollfühne DVermeffenheit, welcher Wahn-
fin! —
* *
Sn Betreff der
Verehrung und Anrufung der Heiligen,
welche uns nun zu betrachten folgt, fpricht fich der Fatho-
liſche Katehismug ganz Far und einfach aus, „daß
die Heiligen angerufen werden, nicht als ob fie aus
eigner Macht helfen könnten, fondern weil fie — laut
der Schrift — Freunde Gottes find, und weil aud)
fie für die Menfchen zu Gott bitten.“
Kein vernünftiger Katholik hat je daran gedacht, die
Heiligen anzubethen oder zu glauben, daß bey dem An—
rufen der Ton zu den Ohren des Heiligen dringen müffe,
um von ihm gehört zu werden. Solch plumpe alberne
Porftelungen fommen gar niemanden zu Sinn. Auch
fchreibt die Kirche gar nicht vor, daß man fie laut oder
anders als im Herzen anrufen fol. Weber die Art und
Weife, wie die GSeligen in die Kenntniß der gläubigen
Anrufungen auf Erde gefeßt werden, hat die Kirche nichts
entfchieden ; fie hat folche Bott anheimgeftellt — dem
Herrn des Geifterreich3 im Himmel und auf Erde,
-
— 344 —
Kennt man etiva das Geifterreich fo genau, daß man darin
eine Berbindung — eine gemeinfchaftliche wechfel-
feitige Einwirkung als unmöglicy oder abgefchmackt
erflären dürfte? Nicht von den Heiligen hofft und er—
wartet übrigens der katholiſche Gläubige die Erhörung
feiner Anliegen, fondern allein von Gott durch Jeſum
Chriftum. Sollten nicht. die Seligen im Himmel ihre
Bitten mit dem Gebeth der gläubigen Kämpfer auf Erde
vereinigen fönnen? Nach Luc. XV, 7 u. 10 haben Got—
tes Engel im Himmel Freude über die Bekehrung eines
Sünders auf Erde Alſo wiffen fie nicht nur um
das Thun der fireitenden Kirche auf Erde, fondern neh—
men auch Anthoil an ihrem Schidfal, Die Engel find
aber auch nicht allwiffend, und müfen folglich von
Gott auf eine uns unbefannte Weife in Kenntniß
gefekt werden. Warum follte man dieß nicht auch auf
die Heiligen anwenden dürfen? Ber in Betreff des
moralifhen Gottesreichs Erde und Himmel nicht
trennt — folglich eine Gemeinſchaft unter den Bürgern
diefes Gottesveichs zugiebt -- kann e8 nur vernunft—
mäßig finden, das die feligen Himmels bürger den ihnen
gewiß angemegnen Wunſch begen, daß auch die in der
fireitenden Kirche Gottes noch Wallenden diefer Selig»
keit theilhaftig würden; diefe Wünfche nun löſen fich in
Fürbitten auf, welhe — ald aus reinjier Liebe ges
floffen — dem Gott der Liebe nur mwohlgefällig ſeyn
können, um fo mehr, da das liebevolle Fürbitten für ein-
ander den Bläubigen auf Erde fo nachdrücklich in der
Schrift empfohlen und als eine Gott wohlgefällige
Sache dargeftellt wird. (Hebr. XIII, Jac. V, 2 Cor. L,
4 Zim. OH.) So lange die Heiligen auf Erde Iebten,
waren fie möglicht für ihr eignes und ihrer Mitbrüder
Heil beforgt. Diefe Gefinnung begleitete fie in die Ewig-
keit und konnte dort in näherer Bereinigung mit
Gott nur gefräftigt werden. Nach dem Drang ihrer
Siebe müffen fie wünfchen, daß die gläubigen Kämpfer
— 312 —
hienieden zu ebenderfelben GSeligfeit gelangen. Dieß ift ja
fhon Eräftige Fürbitte! Was ift von unſrer Seite
billiger, ald daß wir folches freudig und dankbar aner-
fennen, welche Empfindung dann wie unmwillführlich in ‘
traulihe Anrufung übergeht. Sm Gefühl unfeer
Unmaͤcht und Unmwürdigfeit vereinigen mir unſre Bitten
mit den Bitten derjenigen, welche — ehmald Menſchen
wie wir auf diefem Kampfplas des Lebens — jebt ver—
Elärte Freunde Gottes find. Daß wir dieß thun
fönnen und dürfen, befriedigt den Drang unfrer Herzen;
wir üben Dadurch zugleich eine Handlung der Demuth
aus — der Anbethung — des Danks — des Glaubens —
der Hoffnung und der Liebe, indem wir durch diefe Ver—
ehrung und Anrufung unfern Entfchluß offenbaren, durd)
Nachahmung -der tugendhaften Gefinnungen
der Heiligen uns Gott ftet3 wohlgefälig zu machen,
Wenn nun der gläubige Chrift auf folche Weife feinen
Herzensdrang Genüge leiftet, wer kann e3 tadeln, oder
gar abgöttifch finden?
Pac) Cone. Trid. Sess. XXV. beftehlt die fatholifche
Kiche allen Lehrern und Geelforgern, „die Gläubigen
wegen der Anrufung der Heiligen fleißig zu unterrichten
und zu belehren, daß die Heiligen, welche im Himmel
mit Ehrifto herrfchen, ihr Gebeth für die Menfchen Gott
darbringen, daß es folglich gut und nützlich fey, die—
felsen anzurufen, um von Gott feine Wohlthaten durch
feinen Sohn, unfern Herrn Jeſum Ehriftum, welcher
allein unfer-Erlöfer und Heiland ift, zu erhalten.“
Und follte Gott weniger achten auf die Fürbitte dev
abgefiorbnen Ehriften, welhe fchon auf diefer Erde
durch ihre Frömmigkeit — Gtandhaftigkeit und Selbſt—
verläugnung in inniger Gemeinfchaft mit Gott und
ihrem Erlöſer ftunden — folglich nun im Reiche des Lichts
reiner und trauter mit ihnen vereint find, als auf die
Sürbitte febibarer Sünder? — Oder wäre e3 etwa
geenunftmäßiger, zu denken, daß die Heiligen dort von
— 35 —
ihren Mitchriften — und zum Sheil Angehörigen — auf
Erde niht3 wußten oder wohl gar nichts wiffen woll-
ten, und ale thätige Liebe verläugneten ? daß Erde
und Himmel’ — wo doch Ein Gott regiert — durch un»
zugängliche Kluft gefhieden ſeyen? Gollten die Heili⸗
gen, welche auf Erde von allem Egoismus fo weit ents
feent waren, fihb im Himmel — dem Baterland der
Liebe — in ihrer eignen Seligfeit num ſelbſtſüchtig genügen
wollen?
Das, Ehriftenthum ſtellt die Gemeinfchaft der Ehriften
unter dem faßlicyen Bild eines Leibes auf, deffen Haupt
Chriſtus ift. Sollten dann die Gläubigen, wenn fie aus
diefer Zeitlichkeit austreten und in das felige Senfeits auf>
genommen werden, aufbörem, Glieder deffelben Leibes
zu feyn? Iſts nicht daſſelbe Reich — daffeldbe Haupt —
derfelbe Leib?
Wenn die Apoftel — befonders Paulus — uns ver»
ficheen, daß die wechfelfeitigen Fürbitten fchon auf
Erde Gott wohlgefällig ſeyen; wenn die Apoſtel ſich felbft
auch den Fürbitten der Gläubigen empfahlen, inden fie
zu gleichem Liebeswerk fi) anbothen, — wie fünnten dann
ſolch gegenfeitige Beweife dev Demuth und Liebe zwifchen
den Gliedern Ehrifti im Himmel und denen auf Erde _
Bott minder wohlgefällig feyn?! Die feligen Geifter leben
in jenem beſſern DBaterland mit Gott und ihrem Erlöfer,
ja fie find ſogar — nach dem Elaren Ausfpruch der Schrift
— zur Theilnahme an Chrifti Richteramt berufen (Math.
AIX, 4 Eor. VI.) und wenn fie fchon während ihrer ir di—
fchen Pilgerreife um das Wohl ihrer Brüder beforgt und
mit Fürbitte eingedent waren, wie ſollten fie in ihrem
jeßigen verflärten Zuftand weniger theilnehmend ſeyn? —
Nicht felten hört man auch die Einmendung: es fey
immer noch .ein Verbrechen, fih an die Heiligen zu
wenden, weil man bey Niemand als dem einzigen Mittler
und Heiland Sefus Chriftus Zuflucht fuchen foll. Wie
tommt es aber, daß eben diefe Leute nicht auch dann der
— MH —
Vermittlung Ehrifti zu nahe zu treten glauben, wenn fie
fihh einander gegenfeitig in ihre Gebethe empfehlen ?.
Wir fagen ja doch, den einen wie den andern: „bethet für
ung!“ und nichts weiter. Wenn nun unfre Bitte an die
einen gerichtet unfchuldig ift, fo muß es auch jene an
die andern feyn. Und wenn der Katholif durdy Ans
rufung der Heiligen die Zahl feiner Vermittler vergrößert,
fo fällt dag nähmliche auch dem Proteftant zur Laft.
welcher die Fürbitte feiner lebenden Mitchriften in Anſpruch
nimmt. Wenn lettere für ung. auf unfer Anfuchen bitten,
fo werden fie dadurch eben fo gut unfre Bertreter — Fürs
fpreher — Mittler, wie e8 die Heiligen des Himmels
für den Katholif werden. Man ftoße fich daber nicht an
diefen Nahmen, welche gar nicht zur Sache felbft thun.
Streng genommen, haben alle Menfchen nur einen Ein-
zigen Mittler, den Gottmenfchen. „Die Chriften, fagt
der große Auguftinus, empfehlen fi) unter einander
ihvem ‚gegenfeitigen Gebethe; der aber-für alle fürbittet,,
ohne daß er felbft der Fürbitte ivgend eines Sterblichen
bedürfte, ift der einzige — der wahre Mittler.“ Dennoch
lehrt ung eben dieſer Kivchenvater die Anrufung der Hei-
ligen. Eben fo der heil. Gregor v. Nazianz, der die Ber»
mittlung nur unferm Erlöfer zufpricht; ferner Athanafius,
Ehrifoftomus und Yafılius. Dieß ift die Sprache des ganzen
hriftlichen Altertbums. Wären einzelne Eatholifche Lehrer
je in blindem Eifer zu meit gegangen, und hätten den
Heiligen eine — nur Ehrifto gebührende — Macht und
Würkſamkeit beygelegt, fo werden folhe Berirrungen
feineswegs gutgeheißen, und es wäre daher fo ungereimt
als ungerecht, die Eatholifche Kirche ſelbſt für ein-
jelne Lebertreibungen verantwortlich zu machen.
Uebrigens erweifen ja auch die Preoteftanten eine veli-
giöfe Berehrung gegen Abgefchiedne, die wahrlich
weit entfernt find, unter die Heiligen gezählt zu werden.
So hegen fie z.B. hohe Achtung für das nach ihrer Meis
nung große Verdienft Luthers, fie fprechen mit Ehrfurcht
WE
von ihm, fie haben fein Bild in Kirchen und Wohnuns-
gen aufgeftellt, fie feheuen ſich alfo nicht, ihre Achtung
auch äußerlich an den Tag zu legen, — ja fie ftellen fein
Thun und Laffen als Aufmunterung, als Bewegarund zur
Treue, alfo zur Nachahmung auf. Iſt dieß nicht eine
Berehrung Luthers! Auch nach deffen Tod gedenkt
man feiner noch im Segen, und richtet Denkmähler ihm
zu Ehren auf. Sft dieß nicht eine Verehrung Luthers
des Abgefchiednen! Man dankt öffentlich Gott für den
permeint großen Gegen, welchen er durch Zuthern der
Menfchheit angedeihen ließ, fein Bild prangt in den Tem—
peln, bey gottesdienftlichen VBerfammlungen, man begeht
Sefttage zu feinem Andenken u. f. w. Heißen wir dieß
nicht mit vollem Recht eine veligidfe Verehrung
(adoratio) des abgefchiednen Luther! Wie kann und
will man nun dem Katholif etwas zum Verbrechen ans
rechnen, das der Proteftant felbft übt und für recht, edel
und vernunftmäßig hält! Der Proteftant glaubt feine
Abgötterey zu begehen durch die nähmliche Handlung, welche
er dem Katholif als eine folche aufbürdet.
Den wefentlichen Unterfchied, welchen die Eatholifche
Kirche zwifchen Fürbitte der Heiligen und Bermitt-
lung Ehrifti macht, beftimmt das Conc. Trid. in Sess.
XXV. aufs Elarfte, ausnehmend ſchön, und ganz geeig-
net felbft die fchwierigften Köpfe zu befriedigen; ehen fo
die Fatholifchen Katechismen, liturgifchen Bücher und Litas
neyen. Zu den Heiligen ruft der Eatholifche Chrift:
„bittet für uns!“ zu den Perfonen der heiligen Dre
faltigfeit: „erbarme dich unfer!“ „erhöre uns!“ „ver-
ſchone uns!“ Eben fo im gewöhnlichen Gebeth des Con-
fiteor. Den Brüdern im Himmel fagt man nicht
mehr als den Brüdern auf Erde. Alle und jede
‚Gebethe fchließen fich einzig und allein mit der die Gott—
heit des Erlöfers laut ausfprechenden Formel: per
Dominum nostrum Jesum Christum filum tuum, qui
tecum vivit et regnat in unitate spiritus sancti etc. , woraus
bervorgedt, daß ale Frucht — aller Erfolg der Ge—
bethe einzig von der Fürfprache und den BBerdienften
Sefu Ehrifti verhofft wird, — des einzigen Nahmens,
der den Dienfchen unter dem Himmel zur Erlangung ihres
Heil3 gegeben ward. (Ganz aus der Luft gegriffen ift vie
alberne Sefchuldigung, daß die kath. Kirche Mariam und
die tibrigen anerkannten Heiligen anbethe und fie gött-
lich verebre. ©. Fepler Anf. v. Rel. u. Kirchenth.
2%. ©. 219. Nur den dreyeinigen Gott bethet fie
an; auf ihn allein beziehen fich alle ihre Gebethe.)
Spezielle Bemweife aus der heiligen Schrift,
wodurch diefe fo menfchenfreundliche Lehre hiftorifch als
. geoffenbart begründet wird, enthält jedev Katechismus
und jedes dogmatifche Lehrbuch der kath. Kirche. ©. theol.
Beitfchrift von Dr. Frint. Jahrg. AI. 2. 9 1.3. und
1.9.2.8. über die Verehrung der Heiligen bon Hier.
3eidler. ee
Wie ungerecht und ſchamlos iſt demnach der Vor
wurf, daß der Katholil die Heiligen in Halbgötter ums
ftalte und fich dadurch der Abgötterey fcehuldig mache,
welche doch nur derjenige begeht, der die dem Schöpfer
gebührende Ehre und Anbethung feinem Gefchöpf erweist.
Die Lehre von der Fürbitte und Anrufung der Heiligen
fhreibt fi) von der urfprünglichen Kirche, von jenen
ehrwürdigen Sahrhunderten her, in deren Fußftapfen die
Reformatoren zurückzutreten fich brüfteten. Dieß läßt fich
durch eine Dienge Beweisitellen aus Irenäus, Eufebiug,
Athanaſius, Ephrem, beyden Gregor, Chryfoftomus, Am—
broſius, Auguftinus, Bafılius u.a. m. außer allen Zweifel
feßen. Schon Drigenes fagte: „ich werde mich auf
die Knie niederwerfen, und weil ich meiner Sünden wegen
den Muth nicht habe, mein Gebeth Gott felbft vorzutra=
gen, fo werde ich alle Heiligen zu meiner Hülfe rufen;
„ihe Heiligen des Himmels! ich flehe zu euch mit veues
vollen Seufzern und Thränen, beuget eure Knie vor dem
Gott aller Erbarmung für mich elenden Sünder!“
— 317 —
Auf dem Conzilium zu Calzedon, welches — wie wir
ſchon oben ſahen — auch bey den Proteſtanten in vollem An»
fehn fteht, riefen nach Vorlefung des Brief3 Flavians alle Bi—
fchöfe einmüthig: „das ift die Wahrheit; wir behaupten
alle daffelde; Flavian bleibe in ewigem Andenken! er lebt
auch. nach feinem Tod noch fort. Märtyrer, bitte für
ung!“ Weber all diefe mehr als fechshundert Bifchöfe
nun wäre der Stab gebrochen, wenn die Protefianten hin«
fichtlich der Anrufung der Heiligen Recht hätten. Das
ganze Konzilium wäre aus Abgöttern befanden! Wer
ſtoßt nicht ſolch abenteurlichen Gedanken mit Abfcheu von
fih? Die Väter von Calzedon lebten zunächſt den er-
ſten Zeiten; fie waren Erben der damahl noch ganz
frifchen apoftofifhen Urlehre; fie hatten ihren Glaus
ben, ihre Uebung auf die Lehre dev Kirche, auf Shatfachen
und Schriften gegründet, die nicht bis auf ung gekommen
find. Und nad) vierzehn Sahrhunderten —, wo ung die
Urkunden mangeln, welche fie befaßen, wollte man
behaupten, vom erften hriftlihen Zeitalter mehr
als fie zu wiffen? man wollte ihre Lehre ald Verkehrt—
heit und Abgötterey erklären?
Auch die Teidenfchaftlichften unfrer proteftantifchen -
Zeloten haben einen Auguftin, Hieronymus, Ambrofius,
Bafılius, Chryſoſtomus und Athanafius unter die Heiligen
gezählt. (Wir bemerfen bier benläufig zur Belehrung der-
jenigen Proteftanten, welche fo leicht und fo gerne an die-
fem Ausdruck Anftoß nehmen, daß in der Apoftelgefchichte
und in den Paulinifihen Briefen gar oft auch die-Chriften
überhaupt „Heilige“ genannt werden. Paulus hieß: die-
jenigen „Heilige“, welche durch Ehrifti Blut im Glauben
und dem Geift Gottes gereinigt wurden, Vergl. Ephef. V,
26, 27.) Selbſt Calvin fekt Eyprian, Ambrofius,
Auguſtinus, Gregor, Bernard u, a. m., die ihnen ähnlich
find, unter die „Heiligen“. Das nähmliche Urtheil fallt
auch Peter Martyr. Nun haben aber all diefe großen,
duch Zalente — Zugenden und apoftolifche Arbeiten fo
ausgezeichneten Männer die Heiligen angerufen, und
die Gläubigen ihrer Zeit ebenfalls dazu aufgefordert.
Wären fie Ubgöttrer, fo könnten fie feine Heilige feyn,
und find fie Heilige, fo wären fie feine Abgöttrer.
Die Proteftanten find demnach mit. ihren eignen
Grundfägen in argem Widerfpruc; fie behaupten, daß
fie fih ausfchlieglidy an die Slaubenslehre und gottesdienft-
lichen Gebräuche der urſprünglichen Kirche halten und
nur fpätere Einfchiebfel ausmerzen, — und doch bat une
läugbar diefe urfprüngliche Kirche die Heiligen
angerufen. Die Reformatoren fehten einen befondern Ruhm
darein, Daß fie die vier erften allgemeinen Kirchen
verfammlungen anerkennen, Calvin fagt fogar: „wir
nehmen fehr gern die alten Synoden von Nicäa, Conftan-
tinopel, Ephefus und Kalzedon und andre dergleichen an,
die fich zur Ausrottung der Irrthümer verfammelt. hatten;
wir verehren fie ald heilig. in allem, was auf Dogmen
Bezug hat.“ Eben fo entfchieden drücken ſich die Confess.
Tigur. ecel. ministr. vom Jahr. 1545 und die Helvet.
Gonfefj. von 1566 im Cap, XI und XVIII hierüber aus;
und es kann doch wohl — oder follte wenigftens — unfern
protefiantifchen Brüdern nicht unbefannt feyn, daß die Be-
fchlüffe jener vier alten Hauptfonzilien und das Glaubens»
befenntniß des Athanafius (Bifchofs von Alerandrien, geft.
im J. 373) noch bis zu dieſer Stunde, — wie fehr auc)
unfre Neologen dagegen fchimpfen und toben mögen — bey-
behalten, und daß jebt noch die nad) dem Athanafifchen Sym⸗
bol verfaßten Katechismen dem religiöfen Sugendunterricht
zum Grund gelegt werden. Sa, Calvin nennt jene Beiten,
in welche diefe vier Conzilien fielen: das goldene Zeit—
alter des Chriftentbums. Im 4. DB. feiner inst. fagt
er, „daß die Religion während der erften fünfhundert
Sahre in der Reinheit der wahren Lehre geblüht habe“
Sm 4.3. 41. Cap. fagt er noch auffallender: „es unter-
liegt feinem Zweifel und feinem Streit, daß von Jeſu big
auf die Zeiten der heiligen Lehrer mit Einfchluß des
— 319 —
heil. Auguſtins (d. i. big gegen die Mitte des fünften
-Sahrhunderts) ſich nichts in der Lehre verändert habe.“
Alfo gefteht der ultrarigorofe Genfer Doktor. felbft, daß
fich) die Ancufung der Heiligen — als welche bey den Kir-
chenvätern in Uebung war und nad) ihrem Beyfpiel immer
noch in der Mutterfieche gebräuchlich ift — bis in die
Zeiten der Apoftel hinauf erftrecde. Welch ein Wider-
fpeuch! Bor der ganzen Welt ſich brüften, als befolge
man einzig den Glauben und die gottesdienftlichen Ge-
bräuche der urfprünglichen Kirche —, und doch einen
Eheil eben diefes Glaubens und diefer Uebungen als
Ueberrefte des Heidenthums verdammen; fich rühmen,
als pflichte man den Entfcheidungen der vier erften allge
meinen Conzilien ehrfucchtsvoll bey, — und doch die in
Calzedon verfammelten 660 Bifchöfe als Abgöttrer brand»
marfen; jenes Zeitalter ein goldneg nennen -—, und doc
der Einführung der Abgötterey befchuldigen —, welch uner—
klärbare Berfehrtheit, welch fcheußlicher Unfinn !! —
Bernehmen wir jeßt noch die Urtheile ſowohl einzel-
ner angefehbener Reformatoren und die Ausfprücde der
verfchiednen proteftantifchen Eonfeffionen, als auch die Mei-
nungen berühmter proteftantifcher Schriftfteller über diefe
Lehre des Alterthbums. Luther felbft in fa Unterr. auf
etlich Artikel 1549 erklärt fi) folgendermaßen: „von der
lieben Heiligen Fürbitt fage ich und halte feft mit der
ganzen Ehriftenheit, daß man fie ehren uud anrufen
fol; denn wer mag Doch das widerfprechen, daß noch heu-
tiges Tages fichtiglich bey der lieben Heiligen Körpern
und Gräbern Gott durch den: Mabmen. feiner Heiligen
Wunder thut; darüber aber find einige fo närrifch, daß
fie meynen, die Heiligen haben eine Macht oder Ge—
walt, folches zu thun, fo fie doch nur Fürbitter find
und alles durch Gott allein gethban wird.“ ©. auch
Jen. T. IH. F. 160. Ferner T. 2. der Kirchenpoftill, Wit>
tenb. 4544 p. 118: „Gleich ald du zu deinem Nächſten
fagft : bitte Gott für mich! alfo magft du auch zu den Lieben
— 30 —
Heiligen fagen: bittet für mich! du fündigft ganz und gar
nicht, wenn du fie anrufſt.“ Ferner: „Maria will nicht eine
Abgöttin ſeyn; fie felbft thut nichts; Gott thut alle Ding.
Anrufen fol man fie, daß Bott nach ihrem Willen gebe
und thue was wir bitten. Alſo auch alle andren Heiligen
anzurufen find. Luth. T. JI. Jen. F. 489. Im 5. Cap.
über die X Gebothe fagt er: „die Heiligen vermögen Alles,
und durch fie wird euch Gott fo viel gewähren, als ihr
von ihm zu empfangen glaubt.“ Sn f. Antw. an die Theo-
logen. von Löwen: „ich habe nie geläugnet, daß wir durd)
die DBerdienfte und Gebethe der Heiligen unterftügt wer»
den, — wie mir elende Dienfchen boshafter Weife auf-
bürden wollen.“ Ebenderfelbe „über die Geburt Marieng“
erhebt ihre Herrlichkeit und Glückfeligkeit ald Gottesgebäh-
rerin in. den eifrigften Lobfprüchen. Sn f. Br. an Georg
Spalatin fagt er: „meine Meinung ift nie dahin gegan»
gen, daß die Anrufungen der Heiligen — felbft um zeit-
liche Dinge — fehlerhaft feyen. Der Kranke fol auf fei-
nem Öterbebett ohne AUnterlaß die fel. Sungfrau, die
Engel, Apoftel und alle Heiligen anrufen, auf daß fie bey
dem Heren für ihn fürfprechen.“ In ſ. Rede auf das Feft
Soh. d. Täufers fagt er: „wollt ihr wiffen, was uns dann
eigentlich die Heiligen nüßen? benüßet fie fo wie ihr euren
Nächſten benüßet! Zu diefem fagt ihr: bitte Gott für
mich !ieben fo fagt auch zu jenen: heil. Petrus bitte für mich !
Allein der nähmliche hocherleuchtete Mann läßt fich
dagegen in f. größern Hauspoftill-7. Sonnt. nad) Trinitat.
alfo vernehmen: „was mich betrifft, fo würde ich feinen
Pfenning für alle Berdienfte Petri geben; was fünnten
fie mir fruchten, da fie ja ihm felbft gar nichts gefruchtet
haben?!“ Und über Sal. IV. fagt er: „Paulus nennt
gefliffentlich, wie mir fcheint, die Mutter Gottes Weib,
um Verachtung dadurch zu bezeigen. Sc) mag e3 gar nicht
einmahl hören, daß man zu Maria: meine Hoffnung! mein
Leben! fage.“ In der Abhandlung de servo arbitrio ent»
blödet er fich nicht zu behaupten: „ale Heiligkeit Diefer
— 321 —
Reute beruhte darauf, daß fie. oft fafteten, fleißig betheten,
auf hartem Lager fchliefen, in fchlechte Kleider gehüllt
manche Unbequemlichfeit erduldeten; eine Heiligkeit, welche
auch Hunde und Schweine täglich üben fünnen!“ Wird
dem Charakter eines ſolch abenteurlichen Phantaften nicht
genug Ehre erwiefen, wenn man ihn das „Chamäleon“
der Reformation heift?? —
Hausſchein (Decolampad) in f. Rede von allen
Heil. ſagt: „Die Verehrung Mariens iſt keineswegs Gö—
zendienſt. Sie iſt die von Engeln und Erzengeln verehrte
Schutzfrau des menſchlichen Geſchlechts, und Königin der
Barmherzigkeiten, unſre mächtige Beſchützerin in allen
unſren Angelegenheiten.“ In einer Anmerk. üb. die Hom.
des heil. Chryſoſt. ſagt er: „Die Heiligen entbrennen
ganz von Liebe im Himmel, und hören nicht auf für uns
zu bitten. Was kanns dann ſchaden, wenn wir von ihnen
begehren, daß ſie das thun, was nach unſrer Meinung
Gott angenehm iſt! Daſſelbe thaten ja auch Chryſoſtomus
und Gregor v. Nazianz in feiner Lobrede auf den heiligen
Cyprian; daſſelbe thaten faft alle abend- und morgenlän-
difchen Kicchen. *
Beza hingegen hielt die. Anrufung der Heiligen für
unnüß, thöricht, ja gottlos.
Auch Calvin, im Widerfpruch mit ES obange⸗
führten Aeußerungen, heißt in f. Inst. L. IV. C. 21. die
Anrufung der Heiligen einen „Gökendienft,“ und oftmahls
ſchämt er fich nicht die Heiligen mit tieffter Verachtung zu
behandlen, indem er fie nad) feiner pöbelhaften Weife „Schat-
tenbilder, Phantome, verfaulte Leichname“ u. f. w. nennt.
Bucerund Camerarius führen eine fehr gemäßigte
Sprache, und fiheinen der Anrufung der Heiligen eher
geneigt zu feyn. Die Mehrzahl der Calviniften aber vers
feßt Die Ancufung der Heiligen in die Reihe der wefent-
lichen Irrthümer.
Die Yugfp. Confeffionentfcheidet: „man foll durch—
aus den Gebrauch der Anrufung der Heiligen aus der
24
— 32 —
Kirche verbannen und gänzlich abfchaffen.“ (Obſchon ihre
Patriarch Luther, wie wir oben gefehen, diefen Gebrauch
öfters gutgeheißen — ja fogar empfohlen hatte.)
‚Die Apologie des Augfp. Slaubensbefennt-
niffes fagt. „Wir geben zu, daß die Heiligen im Him—
mel für die Kirche überhaupt bethen. “
Das Sähfifhe Glaubensbek. fagt: „es unter»
liegt gar feinem Zweifel, daß die Heiligen für die Kirche
bethen.“ |
Das Wittenbergifche fagt: „fomwie die Engel für
uns bitten, fo bitten auch die Heiligen im Himmel für die
Kirche. “
Die confess. helvet. fpricht fih im 24. Cap. fo
aus: „Mithinzu aber befennen wir, dag nicht ohne Nuken
in den Predigen an feinem Ort und Zeit folle und möge
die Gedächtniß der Tieben Heiligen gerühmt und dem Volk
befohlen, und männiglichem ihre guten Beyfpiele vorgeftellt
werden, daß man ihnen nachfolge. “
Grotius, nachdem er lange Zeit hindurch die Armi—
nianer oder Remonftranten — welche die Anrufung der
Heiligen, wo nicht als Abgötterey, doch als ganz unnüß
verwerfen — durch feine Schriften und das Unfehen feines
berühmten Nahmens in Holand aufrecht erhielt, verließ
nach reifer Ueberlegung die Vorurtheile dieſer Gefte,
widerlegte diefelbe, und fchloß dann mit diefen Worten:
(S. votum pro pace, contra Riv. ad art. 20.) „Sc
hoffe demnach, daß jeder unbefangne, vorurtheilfveye Leer
einfehen werde, es fey vernünftiger zu glauben, daß die
heil. Märtyrer von unſren Angelegenheiten Kunde haben,
als ſich einzubilden, fie hätten Feine.“
Molanus nimmt die Anrufung der Heiligen aufs
nachdruckſamſte in Schuß, vertheidigt fie mit den Flarften
Gründen, und findet die Anfchliegung der Proteftanten über
diefen Punkt an die altertbümliche Lehre der Katholiken
ganz ungefährlich und zuläßig; S. Boffuet hinterl. Werfe
I 3. ©.
— —
Das Glaubensbekenntniß der Engl. reform. Kirche
nennt im 22. Art. die Anrufung der Heiligen eine ſüße,
betrügliche Täuſchung, von der römiſchen Kirche ohne Be—
gründung der heiligen Schrift — oder vielmehr im Gegen—
fa mit dem göttlihen Wort — blindlings erfunden.“
Montague hingegen, einer der berühmteften engli»
ſchen Theologen, — nachdem diefe Frage gründlicher als
in der Epoche von 1562 war erörtert worden — gefteht :
„Sc bin weit entfernt zu läugnen, daß die Heiligen durch
ihre Gebethe und Fürfprachen unſre Mittler feyen, mie
man zu fagen pflegt; fie verwenden fich bey Gott duch
ihre Bitten, und treten für ung ind Mittel duch ihre
Fürſprache.“ Sn einer befondern Abhandlung über diefen
Gegenftand behauptet er, „daß die Heiligen ihre auf Erde
zurückgelaßnen Eltern , Freunde und Bekannte dem Herrn
in ihrem Gebethe empfehlen.“ Ex fagt: „dieß ift nun ohne
allen Widerfpruch die allgemeine Stimme, der einmüthige
Ausfprudy des ehrwürdigen und gelehrten Alterthums,
fo weit ich es durch mein anhaltendes Studium zu ergrün—
den vermochte, und ich finde nicht den geringften Grund,
weßwegen wir über diefe Art von Fürbditte anders denfen
follten. Die Bermittlung Sefu Ehrifti wird ja dadurch
im geringften nicht befchimpft. Wären die Heiligen fo
nahe bey mir, daß ich fie erreichen fünnte, ich würde ja
mit offnen Armen ihnen entgegenfliegen, ihnen zu Fügen
fallen, und fie dringend befchwören, für mich zu bitten.
Sch finde darin weder an und für fih eine Ungereimtheit
noch Widerfpruch mit der Analogie des Glaubens oder
der heiligen Schrift; noch viel weniger halte ichs für
Sünde zu fagen: Heiliger Schußengel bitte für mich !*
Der proteftantifche Theolog Dr. Plan gefteht felbft:
„der Grund, welchen ehmals unfre Theologie gegen die
Eatholifche Xehre von Anrufung der Heiligen am fiärkften
geltend machte, daB nähmlich dadurch der Kraft der —
einzig gültigen — Fürſprach Ehrifti, welche alle weis
teren Bermittlungen überflüffig mache, etwas entzogen
21”
— 324 —
werde, beweist nichts ; denn es könnte ja auch daraus ge
fhloffen werden, daß fein Menfch für den andern
bitten dürfe, und doch waren es die Apoſtel felbft, welche
ihren Gläubigen ſo oft die gegenfeitigen Fürbitten an’s
Herz-legten.“
Mag uns dann übrigens immerhin die Einficht des
Geheimniffes, wie die Heiligen von unfrer Anrufung
Kunde erhalten, bis zur Ankunft in der jenfeitigen
Welt — gleich fo vielen andren Ölaubensmpyfte-
rien — vorbehalten bleiben! Auch Auguftinus fühlte die
nähmliche Schwierigfeit, ohne ſich dennoch in feinem Feften
Glauben dadurch irre machen zu laffen. Montague —
und die Proteftanten überhaupt — haben nie bezmweifelt,
daß die Engel von cllem was ung betrifft, genau unter-
richtet feyen, und al unfve Wünfche vernehmen, obfchon
jie gewiß nicht begriffen, auf welche Weife dieß ge-
fhehe. Nun verfichert ung aber der Erlöfer felbft, daß
die Heiligen den Engeln ähnlich feyen, und der heil.
Sohannes fchildert fie ung in gleichen VBerrichtungen —
Freude, fiegender Herrlichkeit, Einfichten und Erfenntniffen
— mit den Engeln. Folglich ift fein Grund vorhanden,
warum wir den Heiligen nur eine geringere Theilnahme
an unfren Schickſalen zufchreiben ſollten.
Kir vernahmen nun die klägliche Verſchiedenheit der
Anſichten unſrer Reformatoren über die alterthümliche
Lehre von der Anrufung der Heiligen, indem einige der—
ſelben ſie als Thorheit — Gottloſigkeit — Abgötterey
“betrachten, während andre nicht nur nichts dergleichen
darin entdecken, fondern fie vielmehr als eine vortrefh
liche Lehre Iobpreifen und empfehlen; einzelne der Re—
formatoren fahen wir fogar auch mit fich felbft in grels
lem Widerſpruch. — Und auf die Authorität folch wanfel-
müthiger Leute fol dennoch der Proteftant feinen Glaus
ben — fein Heil bauen, — er der jeden Authoritätse
glauben als ſchimpflich und erniedrigend verwirft, und die
m
— 393 —
Ausſprüche der ehrwürdigſten Conzilien als Ausgeburten
des Irrwahns und Aberglaubens verſchmäht! —
* —
2
Ueber die
Tradition
(Ueberliefrung, das ungefchriebne Gotteswort) werden wir,
da diefer Gegenftand fo. vielfach beftritten und angefeindet
wird, vorerſt den richtigen Begriff feftftellen, die gefchicht-
fihe Begründung näher erörtern, und dann noch die an—
gefehenften Zeugniffe äftrer und neuerer Zeiten beyfügen.
Es giebt ein Gotteswort in der Schrift, und ein folches
außer oder neben der Schrift. Bepydes ift ein und
ebendaffelbe Botteswort; es fließt aus dem nähmlichen
Urquell. Jeſus hieß die Apoftel feine Lehre allen Völ—
fern verkünden und predigen; nirgends leſen wir, daß
er ihnen gefagt hätte: gehet hin, ſchreibet allen Bölfern
auf, was ich ihnen zu glauben und zu thun befehle! Durch
die Sendung des heil. Geiftes erleuchtet, durchzogen. die
Apoftel und Sünger ganz Judäa und predigten dag
Wort Gottes; fie verwendeten ihre Zeit zum Handlen,
nicht Werfe zu fchreidben; ihrem Unterricht lag nichts
fchriftliches, Fein gemeinfchaftliches Tehrbucy oder formula
eonsensus zum Grund, aber alle trugen dag nähmliche
Evangelium tief in ihrer Seele. Mit begeifterten
Zungen verfündigten fie e3 allen Bölfern, ohne Daffelbe
fhriftlich vorzuzeigen. Diele Jahre verftrichen, ohne
- daß man von ihnen ein gefchriebnes Wort gehabt
hätte. Wäre die heilige Schrift zur einzigen Quelle
des Glaubens für ale Fünftige Zeiten beftimmt gewe—
fen, fo hätte die ewige Weisheit — zu Verhüthung aller
Spaltungen andre Maßregeln getroffen und den Apo—
fteln Die Aufzeichnung der Lehre ausdrücklich befohlen,
auch, zugleich die nöthigen Erklärungen beygefügt, um
der Schrift die größte Deutlichfeit und Vollſtändigkeit
— 226 —
zu geben. Hiervon findet ſich aber nichts vor. Die Apo—
ſtel begannen ihr Werk mit dem mündlichen Unterricht;
mehrere ſchrieben gar nichts, ſondern lehrten bloß münd—
lich jene, welche fie zu ihren Nachfolgern auserſehen
hatten. Was auch einzelne noch fchrieben, macht fein
zuſammenhängendes Ganzes aus; jeder erzählt nach
feiner eigenthümlichen Art, ohne Rückſicht zu nehmen,
ob nicht auch fchon ein andrer ebendaffelbe erzählt habe,
und ob es nicht in frheinbarem Widerfpruch damit ftehe;
einer erzählt mehr, der andre weniger, obne planmäßige
Drdnung; manches — mie z. B. die Briefe — ward nur
gelegenbeitlich verfaßt und ift demnach nur a8 Bruch»
ftück zu betrachten. Geht nicht fchon aus diefen Umſtän—
den die Unwahrfcheinlichkeit hervor, daß das gefchriebne
Gotteswort je zur einzigen Glaubensnorm beftimmt feyn
fonnte! —
Es unterliegt gar feinem Zweifel, daß die göftliche
Dfienbarung anfänglich nur durch die Predigten der
Apoftel und ihrer Schüler verbreitet, und dann in Folge
ihres Lehramts nach und nach einzeln in den durch
Gottes Geift eingegebnen Schriften befannt gemacht,
folglich auf gedoppelte NWeife — mündlich und fchrift-
lich, durch die Fradition und durch die Schrift —
der Welt überliefert wurde. Von diefen zwey urfprüng-
fichen und heiligen Denfmählern der chriftlisben Lehre ift
die Tradition allerdings der Entftehung nach älter,
und befiund lange Zeit hindurch ganz allein. Anfäng—
lich prägte fie fih nur dem Herz und Gedächtniß ein;
im Verfolg wurden dann einzelne Theile in den Schrif-
ten der Väter und in den Acten der Conzilien aufge:
zeichnet. Die heilige Schrift hingegen entftund erſt
fiufenmweis, ward aber als daurendes göttliches — den
Geift und die Herzen aller Gläubigen immer anfprechen-
des — Denfmahl von den Apofteln oder ihren Schülern
dem Papier anvertraut. Die Durchgründung und Erfor-
fhung der Zradition erfordert mehr Mühe und An—
oh we re dal Ze NT lt an ns al a a —
er
— 3217 —
firenaung, weil ihre Zeugniffe unter einer großen Zahl
vorhandner Urkunden zerftreut, und zum Theil auch mit
Gegenftänden vermengt find, die nicht unmittelbar
mit der Offenbarung verbunden find. Die heil. Schrift
ift voll einer geiftigen himmlifchen Lehre, aber von einer
oft unerreichbaren Erhabenheit, und kann — wie jedes ges
fihriebne Geſetz — ohne Beyhülfe einev Erklärung
und eines richtigen Urtheils nicht gleichförmig ver»
ftanden und befolgt werden. Sie ift ohne allen Bergleich
erfchöpfender , reicher , koſtbarer und vorzüglicher; Die
Tradition hingegen hat die wefentliche Beftimmung,
uns mit gewiffen — in der Schrift abgehenden — Punkten
befannt zu machen, und fie auf folche Weife zu vervoll:
fändigen. Daraus folgt nun zugleich, daß wenn eine
Wahl zwifchen beyden nothwendig oder erlaubt wäre, man
allerdings der Schrift den Borzug einräumen müßte,
dag aber übrigens, nach den Gefeken der gefunden Ber»
nunft — nad) der Lehre des Alterthums — und nad
dem Befehl des Apoſtels Paulug — beyde mit einan-
der, wie oben gefagt, in unzertrennlicher Verbin—
dung ftchen; und da wir in dem einen folche Punfte fin:
den, welche in dem andern abgeben, fo müffen wie beyde
vergleichen, und beyde zu Rath ziehen, um aus beyden
ein Ganzes zu bilden, und die Offenbarung in ihrem
ganzen Umfang fennen zu lernen. Die Apoftel fom-
men uns auf zwey pargllelen, gleichlaufenden Wegen ent—
gegen, können folglich ſich nie durchkreuzen, ſondern bie—
then ſich vielmehr wechſelſeitig die Hand und erleuchten
einander die Bahn. Die Tradition und die Schrift
haben auf unſre Ehrfurcht und Unterwürfigkeit in gleichem
Maße Anſpruch, weil ebenderſelbe Geiſt die Zunge
der Apoſtel wie ihre Feder leitete, und demnach jedes
Wort, welches ſie ſprachen, eben ſo göttlichen HEIRERNG®
ift wie jenes, welches fie niederfihrieben.
Und wie fünnten wir die Yechtheit der heilige
Schrift anderft als durch die Zradition beweifen ?
— 328 —
Müſſen wir nıcht, um zu wiſſen, daß dieſes oder jenes
Buch von einem Apoſtel oder Evangeliften berfiamme,
porerfi eben darthun, daß es als ein folches in den
alten Kirchen ſey onerfanut und gelefen worden ?
Wer könnte den Beweis führen, daß Alles, was
Sefus den Apofteln übergeben, in der Schrift enthalten
fey? Das Gegentheil läßt fih aus der Schrift felbft
beweifen, bauptfächlich aus Briefen des von den Prote—
ftanten hochgepriefenen Apoftel Paulus (1 Cor. XI, 2,
2 Theſſ. I, 45. 2 Zim. I, 13. 41.Zim. VI, 20. 2 Zim,
II, 2.), wo er fich deutlich ausfpricht: „ich lobe euch, daß
ihr die „Ueberlieferungen“, zapadoosıg , beobachtet,“ Seyt
ftandhaft und beharret bey den Borfchriften, die ihr von
mir gelernt habet, „es fey durch mündliche oder fchriftliche
Belehrung.“ Bewahre das dir Anvertraute! Bewahre die
vortreffliche „Hinterlage“. Was du von mir durch Zeugen
vernommen haft, das bringe freuen Männern bey, welche
tüchtig find, auc, „Andre zu unterrichten“ u. f. w. Der
Katholif nicht weniger als der Proteftant, verehrt Die
heil. Schrift als das foftbarfte von Gott den Menfchen
verliehene Gut; aber auch der Proteftant muß das nicht
gefchrichne Gotteswort mit gleicher Ehrfurcht an-
nehmen, da es von dem nähmlichen Geber herrührt,
Der Kaͤthout, nicht weniger als der Proteſtant, glaubt
an die heil. Schrift als regulam fidei; er erhielt fie rein
und unverfälfcht, und verfocht ihre hehres Anfehn gegen
die Härefien aller Sabrhunderte, fo daß die Reformation
fie nur aus den Händen der Kirche nehmen durfte. Aber
nicht die ganze chriftliche Dogmatik findet ev in den cano=
nifchen Büchern des alten und neuen Zeftaments klar
und deutlich enthalten, fondern ergänzt und ver—
vollftändigt fie durch die apoftolifche Tradition.
Petrus felbfi 2 Ep. III, 16. fagt: „daß die Schrift
hin und wieder dunkel und unverftändfich ſey;“ alfo bedarf
- fie doch wohl der Auslegung oder Erklärung. Die
größten proteftantifchen Eregeten find aber immer der:
— 39 —
ſchiedner Meinung; kaum zwei können ſich bey der
nähmlichen Anſicht beruhigen; dennoch wollen Alle Recht
haben. So hat z. B. Dr. Thieß über die Stelle Gal. III,
20. ſchon mehr als 150 und über die klare Parabel bey
Luc. XVI über 90 verfchiedne Auslegungen gezählt; und
wohl mögen feitdem noch einige Dutzend neue Erklärungen
hinzugefommen feyn! Und doch wäre man nad dem
Prinzip der Proteftanten befugt, an die heil. Schrift
die gerechte Forderung allgemeiner höchſtmöglicher Deuts
lich keit zu maden, wenn fie als einzige Ölaubensnorm
in fich felbft abgefchloffen daftehen, und fein Lichtftrahl aus
der Tradition in fie bineinfallen fol. Allein die fo felt«
fame Berfchiedenheit in vielen wefentlichen Glaubens—
punften bey den proteftantifchen Slaubensparteyen (die
doch alle die heil. Schrift als Grundlage und Richt—
fhnur annehmen) beweist unläugbar das Begentheil.
Wenn e3 aber neben den deutlichen Schriftfiellen auch
dunkle giebt — wie Petrus felbft verfichert — fo daß
außer der Schrift ein Ausleger der Schrift nöthig
wird, dev von dem Urheber der himmlifchen Wahrheit
ſelbſt bevollmächtigt und befugt dazu ift, auf den man
folglich fid) ganz verlaffen kann; wo ift dann dieß Licht,
dieſer fchiedrichterliche Erflärer? etwa die individuelle
Bernunft des Menfchen? woher hat fie die Vollmacht?
woher leiftet fie Bürgfchaft? wie fann auf dem Gebieth
der Gefhichte das Schiedrichteramt je der Vernunft
zuftehen, ohne die fompetenten Zeugen abzuhören? Wie
die Apoftel das was fie uns aufzeichneten, verftunden,
und mas fie als Lehre Jeſu uns hinterlaffen haben, ift
doch wohl eine Gefchichtsfrage, worüber jene die rich—
tigfte Auskunft ertheilen können, welchen die Apoftel mittel-
oder unmittelbar ihre Lehre übergeben hatten. Während
der Proteftant hierüber in DBerlegenheit geräth, bin
und her ſchwankt und nirgends feften Fuß fest, ift der
Katholik durch feine Tradition und Kirche im
Klaren, und befindet fid) im Hufen der Beruhigung.
— 330 —
Sf die Religion unmittelbare Offenbarung,
und beruht fie folglich auf Geſchichte, fo können wir nur
auf jenem Weg zu ihrer gründlichen Erkenntniß gelangen,
welcher fchon in dev Genes. vorgezeichnet wird: „Frage
deinen Bater, und er wird dirs verkünden, deine Borfah-
ven, und fie werden dirs fagen.“ Die Verbreitung der
wahren Religion begann laut der heil. Gefchichte mit der
Zradition. Es verräth daher große Yefangenheit oder
Unfunde, wenn man, um der Zradition ihr Anfehn zu
r.uben, fie mit dem Begriff von Sagen — Mährchen —
verwechfelt. Man unterfcheide wohl die apoftolifche
Zradition von der allgemeinen, — letztre oft mit
abgefehmadten unnatürlichen Legenden geſchmückt — die
von dev Kirche fcharf getrennt werden. Nirgends kann
fefdft die Profangefchichte zu ihren Behuf folch bes
friedigende Zeugniffe, folch vollgültige Authorität
aufweifen, wie der Katholif. bey feiner dogmatiſchen
Meberlieferung. Micht etwa bloß mit dem Zeugniß
eines einzelnen Kirchenvaters oder Echriftitellers bes
gnügt fi) in Glaubensfachen die Kirche, fondern es war
alfezeit ihr Srundfak, was Vince. Lerinus Comnionit,
C. 3. 4 als Regel angiebt ; fie hebt nähmlich mit größter
Sorgfalt heraus, was überall und allezeit und all-
gemein geglaubt ward. Dieß iftd, was den Katholif
bezeichnet, wie fhon der Nahme deutlich zu erkennen
giebt. Allgemeinheit, Altertbum, Uebereinftims-
mung be ft «lfo die Richtfihnur. Diefe fo vernunftmäßige
faßliche Regel, welcher auch viele angefehene Proteftanten
ihren Beyfall nicht verfagen fonnten, lag von jeher erweis—
licher Maßen, allen Befchlüffen dev Kirchenverſammlungen
zum Grund; uad von den Philoſophen aller Zeiten ward
die Uebereinftimmung als ein gültiger Beweggrund
der Annahm angefehen. Wenn dieß fchon menfchlicher
Weiſe betrachtet, von ſolchem Gewicht ift, wie beruhigend
muß e3 erft feyn, wenn man die göttliche Berheißung
bey Math, XXVII, 20. ins Auge faßt, weldye die Bür g⸗
— 331 —
fchaft ausfpricht, daß die Chriften ir Glaubensfachen
nicht Fabeln ftatt Wahrheit erhalten. Diefe klare
und einfache Stelle kann nicht von Chriſti perſönlicher
Gegenwart und auch nicht bloß von den Individuen
der Apoſtel zu verſtehen ſeyn.
Immerhin iſt doch vorzüglich zu beachten, wie die
erſten Verkünder des Evangeliums, welche zum Theil
unmittelbare Schüler der Apoſtel waren, die ſchwierigen
dunklen Stellen der heil. Schrift auslegten; denn was
damahls wahr war, iſt und bleibt immer wahr. Oder
follte man etwa heutzutag mehr Fähigkeit befiken als vor»
mahl3, die Wahrheiten und Geheimnilfe des Evangeliums
zu ergründen? Mußten nicht die Meinungen und Abfich-
ten Sefu und feiner Sünger am richtigften von denjenigen
aufgefaßt werden, welche in ihrer Nähe lebten? Oder blieb
etwa die Wahrheit jenen ehrmwürdigen Bitern des apoſto—
liſchen Zeitalters verborgen ? war ihre Entdefung nur
Luthern, Calvin, Zwingli und andren ihres Gelichters
vorbehalten? Herrſchte wohl gar die Finfterniß bis zu
unfern Zeiten, wo die großen Wortführer des Slumina-
tismus ungefiheat. die Cinheit des Lehrbegriffs als eine
Gefährdung der Glaubens» und Gemwiffensfreiheit verwer—
fen, in der Stabilirät die wahre Per und nur in der
Mobilität — im fteten Wechfel der Slaubensanfichten das
eigentliche Leben jeder chriftlichen Kirche erbliden?! —
Hein wahrlich, wir werden weit befjev thun, bey eintres
tenden Zweifeln über den richtigen Berftand einzelner dunk—
ler Schriftftellen ung an die Ausfprüche de3 alten ein-
müthigen — im Briechifchen und Hebräifihen wohl eben
fo bewa.derten — Griftlichen Lehramts, als an die neuen,
uneinigen, einander fo grell wibesfprechenden Eregeten
und Logomachiften zu halten! Getroft laßt ung dem, was
jene heiligen Männer des Urchriftentbums Iehrten, gläus
biges, ehrfurchtsvolles Gehör fihenfen! Was überall,
und immer, und von der ganzen chriftlichen Kirche
geglaubt ward, mag uns wohl eher zur Richtfchnur unfers
— 39 —
Glaubens und zur vollen Beruhigung dienen, als die ſtets
wechſelnden Meinungen unſrer neueren Dünfel» und
Dunfelmänner! —
Ganz fälfchlich hatten die Stifter der Reformation
behauptet, daß man in den älteften Sahrhunderten feine
andre Slaubensnorm gehabt habe als die heilige
Schrift. Wir haben bereits gefehen, und werden ung
im erfolg noch fefter überzeugen, daß die älteſte Kirche
die Norm des Glaubens nach der Anordnung Ehrifti und
feinev Apoſtel auf die Kehre der Biſchöfe gründete;
auch ift es gefchichtlich erwiefen, daß ung mehrere
Artikel bloß duch mündliche Tradition der Apoftel
zugekommen find; weit entfernt, daß das Altertbum alle
Dogmen als ausfchließglih in der heil, Schrift
enthalten behauptet hätte.
Eben fo unftatthaft war ihre Meinung: daß die in der
b. Schrift nicht enthaltnen Glaubensfäke nur aber-
gläubifche Anhängſel feyen, welche man der Einfachheit
des Slaubens und Gottesdienft5 in fpäteren Zeiten der
Unmiffenheit und Berdorbenheit hinzugefügt habe; denn es
ift klar am Tage, daß all jene vermeint nachträglichen Zu—
fäße ihren Urfprung ſchon aus den erften Zeiten her—
leiten,
Wer kann die Gültigkeit unfver Taufe aus der heil,
Schrift alleın beweifen? Chriftug hatte nicht die Täuf—
linge mit Waſſer über dag Haupt zu begiefen, fondern fie
unterzutauchen (Bazzifewv) befohlen. Nun iſt aber dieſer
Gebrauch fchon feit mehreren Sahrhunderten abgefommen,
. und bey den Katbolifen wie bey den Proteitanten wird die
Taufe ducch Begiegung vorgenommen, Demnach beruht
auch die Taufe der Vroteftanten lediglich auf Tradition
und Kirchengebrauch. |
Die Proteftanten erkennen ferner die Sonntags-
feyer ald eine heilſame Borfchrift, und doch erwähnt
ihrer die heilige Schrift nirgends; wohl fpricht fie vom
Sabbath, aber nirgends vom Sonntag. Mach der Tra—
— 333 —
dition aber ward von undenklichen Zeiten ber an der
Stelle des Sabbaths der Sonntag arfeyert, um an
ebendemfelben Tag die zwey größten Wunder der alten
und der neuen Zeitrechnung — nähmlich das Erwachen
des Weltalls aus Nicht, und das Erwachen Sefu
aus dem Grabe — im Andenfen zu bewahren.
So folgt hiermit auch der Proteftant in manchen
Stücken der Tradition; und wenn er gleich die von Jeſu
— (bey Soh. XIII) Elar vorgefchriebne Fußwaſchung,
fo wie die Firmung — letzte Oehlung Gae. V, 14)
u. f. w. außer Acht läßt, fo taufen doc) die proteftantifchen
Lehrer die Kinder, fie copulieren die Ehleute, fie tragen
Abendmahl zu den Kranken, fie halten öffentliche Beichte
und feyern Sonns, Feſt- und Bußtage, — was fich alles
lediglich auf die Tradition, feineswegs aber auf die
heilige Schrift gründet.
AlS Nachtrag zu der oben ausgefprochenen Behaup-
fung des frübern Urfprungs der Tradition fügen
wir noch einige gefchichtliche Umftände über die allmäh—
liche Entftehung dev heil. Bücher bey.
Am erften erfchien das Evangelium des Apofteld Mas
th Aus, des Begleiters Sefu, welcher nach dem Zeugniß des h.
Chrifoftomus 8 Sahre nach Chrifti Himmelfahrt, 30 J.
vor der Zerftörung Serufalems, beym Antritt feiner evan—
gelifhen Reife zu den Heiden, auf dringendes Anfu-
chen der Suden, in ihrer hebräifchen Mutterfprahhe —
vor den Augen der Feinde Ehrifti und Caiaphas — einen
Entwurf der Gefchichte Sefu und feiner Offenbarung
verfaßte. Niemand wird indeffen bezweifeln, daß die Re—
haion Chriſti feldft beveit3 praktif eingeführt und
im Bang war, ehe noch Mathäus fein Evangelium
fhrieb. (Gewiß ward das „Unfer Vater“ gebethet,
ehe 23 bey Math. VI. zu lefen war, und die Zaufformel
war im Gebrauch, ehe Mathäus fie aufzeichnete,
da Sefus fie feinen. Apofteln vorgefchrieben hatte.)
on Marcus, dem Schüler und Gefährten des
— 0
Petrus, erzählt und Eufebius im 2,3. 414. C. auf das
Zeugniß des Clemens von Alerandrien, daß ihn die Zus
börer Petri in Rom gebethen hatten, die Lehre Ehrifti
fchriftlich aufjufegen, mworauf Petrus von höherer Einge-
bung begeiftert das Werk unterfuchte, durch fein Anfehn
befräftigte und es in allen Kirchen zu Tefen befahl. Er
fchrieb fein Evangelium in lateinifcher Sprache, 27 Jahre
vor Serufalems Zerftörung.
Zucas, Sehülfe und Gefährte von Paulus, entivickelt
im Eingang feines in griechifcher Sprache verfaßten
Evangeliums die Gründe felbft, welche ihn dazu bewogen;
weil nähmlich damahls unter den Ehriften viele Schriften,
al3 z. B. Evangelien von Philippus — Thomas — Petrus’
u.f. w. verbreitet wurden, und Paulus — um diefe zu bes
feitigen — feine Schüler aufforderte, eine genaue Erzählung
niederzufchreibent, worauf dann Lucas — nad) Berfichrung
des heil. Hieronymus — diefe Arbeit unter den Augen
feines Meifters in Achajen und Böotien im Jahr 58 —,
dem zweyten Regierungsjahr Nero's, unternahm.
Johannes, Begleiter von Sefus, fchrieb fein Evan
gelium in griechiſcher Sprache erſt in feinem Greifen
alter zu Ephefus (wo er der von Paulus geftifteten Kicche
vorſtund, und durch längere Zeit die Mutter Sefu, welche
dieſer ihm von der Höhe des Kreuzes empfahl, bey fih
hatte) im Sahr 96 unter Kayfer Nerva, und hatte alfo
die von Ehrifto geweiſſagte Zerſtörung Serufalems früher
erlebt gehabt; fein Evangelium hatte hauptfächlich die
Widerlegung der Härefien zu Corinth und der Elioniten
zum Zweck. Sn fühnem Adlerflug fihwingt ex fich über
alle Gränzen der Zeit hinauf, zeigt ung Sefum im Schooß
der Gottheit, als Sohn Gottes, ald Gott felbft, und fteigt
mit demfelben von diefer unerreichbaren Höhe feiner gött-
lichen Größe herab auf die Erde, um uns feine Menfch-
werdung, fein Leben und feinen Berufswandel unter den
Sterblichen zu erzählen. ?
Bu
So verhielt ſichs mit den Evangelien; fie wurden, fo
wie alle Schriften des Neuen Feftaments, durch
befondre und Örtliche Umftände, aber durchaus nicht
durch einen vocher überdachtenLehrplan veranlaft.
Die Briefe enthalten Antworten auf Anfragen, oder
Belchrungen an eigens. benannte Kirchen, zum Theil
auch an einzelne Individuen.
Bon den erften Kirchenlehrern waren einige in Aſia,
etliche in Afrika, andre in Europa, und Feiner bey dem
andern;. fie fchrieben über -beyde Zeftamente , der eine
hebräifch, ein andrer griechiſch, und auch latein, aber in
folcher Uebereinffimmung, die wohl nur-duch Ein—
würkung des heil. Geiftes ftattfinden konnte; wie Egefippus
ein gleiches von den LXX Dolmetfchern meldet, welche
vom König Ptolomäus wegen des alten Teftament3 waren
zufammen bevufen worden.
Vernehmen mwir nun die Urtheile der ehrwürdigen
Kirchenväter, um unſre Ueberzeugung zu beſtärken, daß
das chriſtliche Alterthum überall ſich der Tradition be—
diente, um das geſchriebne Gotteswort auszulegen
und die Lehren des Irrglaubens zu berichtigen.
Mit heiligem Ernſt und vol Ehrfurcht für den Glau—
ben ihrer Väter viefen die Mitglieder des Conziliums
in Nicäag aus: hec est fides patrum; ita credimus,
und fogleich gab män das Glaubensfymbol, um zu zeigen,
daß es nicht eine neue Meinung oder eigne Erfindung,
fondern die wahrhaft apoftolifche Lehre fey. +
Polyfarp (der im Sahr 166den Märtyrertod ftarb),
Schüler des Apoſtels Sohannes, des Theologen — lehrte
als Bifchof von Smyrna, wie JIrenäus berichtet, „was
ibn die Apoftel lehrten, — was die Kirche lehrt, —
was allein wahr ift. Ignaz, auch Schüler des heiligen
Sohannes und Petrus, durchzog auf- feiner Reife nach
Rom viele Städte dev Gläubigen — wie ung Eufeb. mel-
det — und ermahnte fie, „fich feft an die Ueberliefe—
rungen der Apoftel zu halten.“ |
Baſilius fchreibt der Tradition wie der heiligen
Schrift gleiche Kraft zur Beförderung der Gottfeligkeit
zu, und füge bey: dieß ift eine Wahrheit, die feiner Täug-
nen fann, der nur einige Kunde von der Verfaſſung der
Kirche hat. Gebräuche verwerfen, weil fie nicht in der
heil. Schrift erwähnt werden, hieße jo viel, als dem
Evangelium ſelbſt Abbruch thun.
Clemens von Alerandrien in f. Strom. bemerkt, „da
e3 zwey Mittel für den Unterricht der Gläubigen gebe:
das gefhriebne Wort Gottes und die ungefchriebne
Lehre, oder Tradition; um die heil. Schrift würdevoll
auszulegen, müſſe man Sefu Lehre nach frommer Ueber—
liefrung der 'Apoftel erklären.“ Eben. diefer Clemens
erzählt, daß einige von den unmittelbaren Nachfol—
gern der Apoſtel, welche die Tradition der wahren Lehre
aufbehielten, fo mie fie von den heil, Petrus, Sohannes,
Paulus und Safob verkündet ward, bis zu der. Zeit gelebt
haben, - in welcher er feine Stromata fihrieb, um den
Samen des wahren Glaubens in den Herzen auszuftreuen
und einzupflanzen. (Er fchrieb dieſes fein Werk in acht
Büchern zu End des zweiten Sahrhunderts, und ſtarb im
Jahr 217.) |
Auguftinus fagt in fr epist. c. Manich. c. 5. non (
crederem evangelistis nisi anetoritas ecclesie ad id facien-
dum. me eommoveret. Und an einer andern Stelle: „alles
was man von jeher in dem Kirchen geglaubt und beob-
achtet hat, wenn man deſſen urfprünglichen Anfang nicht
ergründen kann, muß man als Einſetzung der Apoſtel
betrachten. Die Glaubenslehren, welche die älteſten
Väter in der Kieche vorfanden, bielten fie feftspwa3 fie
gelernt hatten, Ichrten fie wieder; was die Väter
empfiengen, gieng auf die Söhne über.“ In gleichem
Sinn erklärten fi auch Chryfoftomus, Irenäus, Orige—
nes, Epiphanius nf. w. Gregor der Grofe. behauptet
fogar, daß den 4 erften dkum. Conzilien der nähm—
Liche Elaube beygemeffen werde wie den 4 Evangeliften.“
— 3 —
Tertullian fagt: „Wenn Zweifel über neue Fragen
entftunden , wandte man fich zuerftran die apoftolifchen
Kirchen; bei ihnen ehrte man noch mit heiliger Erinne—
rung die Kanzeln der Apoftel, von welchen fie ihre Pre—
digten verfündigten, auf welchen ihre Briefe gelefen wurden,
die gleichfam den Ton ihrer Stimme und die Züge ihrer
Geſichtsbildung vergegenwärtigten. Alles ward durch die
Lehre und duch die Tradition der apoſtoliſchen
Kirchen entfchieden.“ — Schlieflih vernehmen wir noch)
die Ausſprüche gewichtvofer Proteftanten, und zivar
der Reformatoren felbft fowohl als auch neuerer angefe-
hener Theologen der deutfchen und anglifanifchen Kirche.
Luther und Calvin fprachen der Zradition- frey-
müthig dag Wort; ja fie rühmten fich felbft, daß fie der
Unterweifung der erften Sahrhunderte folgen und die Lehre
der alten Kirche wieder in ihrer urfprünglichen Kraft
und Reinheit herftellen; nebft dem Buchftaben der heil.
Schrift betrachteten fie zugleich noch die Leberliefe-
rung der erften Kirche bis zum 5ten Sahrhundert als
Richtſchnur des Glaubens, Aus der Augfpurger
Konfeffion 1540. Wittenb. erfehen wir, mie man fich
zur Zeit der Reformation noch auf das Alterthum berief,
den Glauben der. alten Kirche pries , und häufig Zeug-
niffe aus den Kirchenvätern anführte. Luther
felbft hält wegen dev verfchiedenen Schriftauslegun-
gen für nöthig, zur Erbaltung der Einigkeit des: Glau—
bens, die Defrete der Conzilien zur Hand zu nehmen,
folglich an die Sradition fich zu halten. Sm Jahr 1518
fihrieb er an den Kardinal Cajetan in Augfpurg, „daß
die Meinungen einzelner Bäter und Lehrer ihn nicht hin—
länglich befriedigen, ‚fondern er die Stimme der Braut
zu hören wünfche, und die Kirche über die zweifelhaften
Sätze ent ſcheiden möge, welcher er dann folgen werde,“
Auch Zwingli giebt zu, daß die Apoſtel mündlich
lehrten, und daß ihre Briefe nicht fo fehe, den Zweck bat-
ten die Bölker zu unterrichten, als fie elwehr in dem
zu befräftigen, was fie mündlidy gehört hatten.“
Sa Beza und Calvin beriefen fich felbft gegen die aus
ihrer Schule ausgetretenen Arianer auf die Tradition.
Calvin in feiner Lehre über den 2. Brief an Tim. führt
fie auf das ungefchriebene Wort zurüdz; “ dadurch ift
nun der Stoß einiger Unfinniger gedemüthigt, die fich
rühmen Feine Lehrer zu brauchen, weil fchon die Lefung
der hl. Schrift hinlänglich ſey. Wer die Hülfe des un—
aefhriebenen Wortes von fih ftoßt und fich bloß mit
der ſtummen Schrift begnügt, der wird es bald füh-
len , welch ein großes Lebel es fey, das von Gott und
Sefu Ehriftio angeordnete Mittel des Lnterrichts
zu verachten.“ Und daß in der protefiantifchen Kirche
niemals Einheit berrfchen könne folang fie die Zradition
verwirft,, bat fhon Caſaubonus eingeftanden, indem er
p. 247 der epist. ‘pr. viror. fagt, daß Luther, Calvin
und Zwingli fih nur eben deßwegen nie zu vereinigen
vermochten, weil fie die Tradition verlaffen hatten.
Auch Hugo Grotius ſtund in der vollen Ueberzeu—
gung, daß ohne Tradition keine Gewißheit in der Lehre
möglich ſey; in feinem gehaltvollen und unparteylichen
voto pro pace ſagt er S. 137: „Ale mündlichen
Lehren der Apoftel müffen mit ihren fhriftlihen glei»
ches Anfehen haben; Vaulus felbft befiehlt ja, daß man
allem geborchen müffe, was er lehre, es fey nun mit
Worten oder aber in Briefen.“
Semler fihreibt : Nur Unmiffenheit in der Gefchichte
kann chriftliche Religion mit Bibel verwechfeln, als ob es
feine Chriften gegeben hätte, da es noch feine Bibel gab,
und als ob diejenigen weniger gute Ehriften geweſen wä—
ven, welche nur einen Theil der Evangelien und apoftoli-
fchen Briefe fannten. Bor dem vierten Sahrhundert war
von einem voltftändigen Neuen Teſtament Feine Rede, und
doch gab e8 immer ächte Ehriftusfihüler. %
Dr. und Prof. Clausen, Ammon, Rofenmüller,
Griesbach und andere der angefehenften Theologen des
- We =
preoteftantifchen "Deutfchlands äußern übereinftiimmend die
Anficht daß das Chriſtenthum urfprüngli mehr durch
mündlichen Unterricht als durch Schriften ſey ver—
breitet worden ‚daß die meiſten heiligen Bücher
Früchte der älteſten chriftlichen Tradition feyen, daß
mehrere Ausfprüche Sefu und der Apoftel in den Schriften
der Kirchenväter noch in urfprünglidher Reinheit
'gelefen werden, und daß die Lehre Jefu fey vorgetragen
und entwickelt "worden lange bevor feine Schüler an
eine fchr iftliche Aufzeichnung derfelben dachten.
Selbſt der große Skeptiker Dr. Paulus in Heidel-
berg fühlt fich zw der Behauptung gedrungen: (Sophr.
3.2.9.1.) ‚Nur Tradition vermag 08 uns zu fagen
was einſt gefchehen, alfo auch was einft gedacht und ge-
glaubt worden ſey; nur durch die ueberlieferung förnen
wir letzteres erlernen.“
Wie fehr Übrigens den Proteftanten an der Beſtrei⸗
Finn des katholiſchen Lehrbegriffs über diefen Punkt ge-
legen ſeyn müffe, erfehen wir aus dem Geftändnig Sozins:
„Xefe man die Schriften der Papiften gegen die Prote:
ſtanken, und man wird deutlich wahrnehmen, daß, wenn
man fich neben den heiligen Schriften auch an das
Anſehen der Kirchhenväter halten muf, wir alle wie wir
find — Lutheraner , Calviniften u. ſ. w. den Prozeß ver—
tieren. ° Sn gleichem Sinne äußern fi auch ausgezeich⸗
nete theologiſche Schriftſteller der anglikaniſchen Kirche.
Rofe, deſſen gründliche Erörterung des Zuſtandes der
proteftantifchen Religion in Deutfchland auch in unfre
Sprache überfeßt ward, ſagt: „Um Licht und Wahrheit
zu haben ‚ müffen wir vorerft zwar zur heiligen Schrift,
datın aber — wenn Schwierigkeiten in der Auslegung
ſich zeigen — zu den chriftlichen Schriftiielleen unfre Zu—
flucht nehmen, welche zur Zeit der Entitehung des riftlt-
chen Syſtems Tebten. “
Bil. Eobbet in feiner Gefchichte der proteftantifchen
Reform in England fpricht fich hierüber ſehr bündig aus:
22 *
za >
Bir, Anhängen der xeformirten Kirche — ſagt er —
fuchen. und, finden ; in, dem. ‚Neuen, Teſtament das wahre
und ächte, Wort Gottes, ‚die einzig. wichtige Anleitung zum
Heil, unft er: ‚Seelen es muß daher für uns höchſt wichtig
ſeyn zu wiſſen, auf- welche Weife, wir zu dieſen Wor-
‚ten: des ewigen Lebens gelangt ſeyen und ‚welchen. Be⸗
‚weis; wir für, die Aechtheit, dieſes neuen Teſtaments
‚befißen, . D wie ärgerlich für uns Proteſtanten, daß wir
dieß hochheilige Buch, „vom , Papft „und, der katholiſchen
Kirche empfangen baben,, . ‚welche, man uns als abgöttifch
und, ‚verdammlich, fchildert Mies lang. nach Chrifti
Zod- ward erſt das Evangelium einigermaſſen in ſeine
jetzige ‚Form gebracht)... Su ‚wie, vielen. Kirchen verfchiede-
‚ner Lander ward es gepr edigt, noch. ehe: es als Weg-
weiſer der chriſtlichen Kirche anerkannt ward! Erſt nach
vier Jahrhunderten mward das gefchriebne. Evangelium
einer katholiſchen Kirchenver ſammlung und dem
apfſt als ‚ihrem Oberhaupt vorgelegt. Wie, viele; Evan-
‚gelien, gab es noch. — ‚außer, den. dermahl ‚gültigen — ‚von
andern Apofteln und- ihren Jüngern, z. B— Evangelium
S. Jacobi — Thom, — Basilidis — ‚Andrex — Nico-
demi — Bartholomei. — Mareionis — Pauli Valen-
tini — - Philippi — Barnabe — Jacobi majoris; und. noch
eine Menge andere! All dieſe wurden lang. nach dem Tod
ihrer Ver faſſer einem Conzilium Dev. En tholifchen
Kır che, zum, Entscheid, für ‚oder ‚wider: ihre Aechtheit vor-
gelegt; dieß Co onziſium erklärte ſich für diejenigen von
Mathau⸗ ——— Lutas und Johannes. Es entſchie d—
daß dieſe viex Evangelien , ſollen angenommen „und
geglaubt „able. übrigen „aber „verworfen, werden.
Ueberüieß ‚noch, hat auch die heutige reformirte Kirche
Englands eine. Liturgie beibehalten ,, ‚welche gröſtentheils
vom katholiſchen, Cultus herſtammt, ſowie auch das
Prizäifche und Athanafifche Slaubensbefenntnif „welche
ebenfalls vom Papſt und Eonzilium angeordnet und einge—
führt wurden. Und dieſen Papft heißen wir den, Anti—
— 31 —
Krim diefe Kirche heißen wir abgertire, "werde
— welcher Wider euch | © BED %
Molanus) Leibnihens gelehrter Mitarbeltet an Aa
gegen) VBelemige an ‚ fagt in Boſſuets nachgel
Werfen, „die Gemäßigten unter den Proteftanteht fimmen‘
doch ‚darin überein, daß wir nicht | nur die beit Stift
ſelbſt/ fondern "alıch ihren wahrhaften vehtgldubigen
Sinn in allen Fundamental - Punkten, der Tr adttion'
zu verdanken haben, ‚ohne 'viefer andrer Dinge zu erh
nen, von welchen Gafizt , Horneius und ‚Chemmiz ſchon
fang geftunden‘, daß wir fie: bloß durch vie stadion
erfahren können. Sobiel ift gewiß, daß alle Profefthhten,"
welche nebft dem aporofiihen Symbolum auch noch
die fünferſten dekum eniſchen Conzilten und die’
Uebereinſtimmung der" erften Fünf Fahren inder fe)
als theologiſchen Grundſatz annehmen, ‚wenig, ur ſache ſin⸗
den koͤnnen mit der katholiſchen Kirche in Stteit ae
rathen (Boffuel bemerkt bei dieſer Stelle: der Ber=
faſſer giebt zu, daß wir der Tradition nicht nur die heit!
Sch wife ſelbtt, fondern auch die 'gefekliche natlleliche
Au stegung derfelbert verdanken, und daß Rah
gebe‘, welche iman "ohne Behuſe der Tradition. ‚nicht
zu erkennen vermöge EIN
Der gelehrte e— von St. ——
fagt in feiner Sammlung der Kan der ur ſprungch
Kirche: „Wir fahren Weit ſichrer, wenn mit KT RR
was die allgemeine Kirche oder doch wenigfteng" der
größre Theil'der Ehriften dachte, und wer wie ns der!
jenigen Meinling anſchließen/ welche einſtimmig Ho
den Ehriiten "aller" Sipehlnderte' angenommen ward Wohl
giebt's mehrere Artikel, die man nicht in y der Heil! Satt
beſtimmt ausgedruckt finder, die aber Wand Puech, "die
allgemeine Beyftinimung aller ‚Chriften aus derſelben dein!
folgert werden tönnen 58. die Anbethung dreyet unter?"
ſchiedner Paonen de Heil, Dreifaltigkeit Bun; jede Dorn‘
ihnen Gott fen, daß es aber doch nur Einen Gott gebe, —
36
—
daß Chriſtus Bott. und Menſch in Einer; Perſon ſey us f. m.
Dieſe und ähnliche Punkte ſind in den, heil Schriften
nicht wörtlich angemerkt, dennoch aber darauf gegründet,
worüber, man. von jeher unter den ‚Chriften einverftanden.
war... Ebenfo,. find die Taufe der neugebohrnen Kinder,
die ehrechiethige Haltung des Sonntags, ‚die jährliche,
Feyer der. ‚Geburt —. des. Leidens... — der Aufer ſtehung
und Himmelfahrt des Erloͤfers, ſowie der Ausgießung des
heil. Geiſtes u. ſ. w. nirgends in den heil, Schriften an⸗
geordnet, dennoch aber ſeit undenklicher Zeit in der Kirche
ausgeübt worden; wie könnten ſie wohl ſo einffimmig R
an. allen, Orten, zw allen Zeiten und. ‚bei ‚allen, Ehri-
ften Eingang gefunden haben , wenn diefe , ‚Begriffe nicht
urfprünglich in allen» Herzen ‚gewurzeit und, yon, ‚der nP%r
ftolifchen Tradition hergerührt hätten. ‘ “ |
Auch die gelehrten Theologen der reformierten ‚anglis
kaniſchen Kirche: Thorndyke, Dodwel, S. Parker, Bull,
Waterland 1.0. m, ‚gehören fänumtlich., zu den Anhängern
und Bertheidigern der, Sradition.g u 9 '
Uebrigens wird dieſer Artikel in Affen kathouſch doge.
matifchen Lehrbüchern (welche, freilich, „von, ‚unfern prote⸗
ftantifchen, Zeloten cher, ‚geläftert gis geleſen zu wer⸗
den pflegen) ganz ausführlich und gründlich „erörtert...
Defondere Aufmerkſamkeit verdient, auch die Abhandlung
von ‚Dr. Jarry in Stolbergs Geſchichte der Religion
Seju, ‚VEIL., 442... J— '
Da: in; diefen Abfchnitt. hin. und mieder. vom) Eonzi-
fi en oder. Kirchenverfammlungen. die, Rede war, „fo fügen „,
wir noch; einige, kurze .chronologifche Notizen, hierüber bei.
Die vier. älteſten und. wichtigſten waren won Nizäa,
unter. dem; Papft; Sylpeſter und ‚Kaifer, ‚Sonftantin ‚dem,
Großen, ‚im B. 25 ä beſtehend qus 318 Biſchöfen, Pa⸗
triacchen und, Metropoliten aus Afı a ‚Afrika, und Europa;
von. Re ‚unten Damafus, zur Zeit Theo—
dofius des Großen im, I ‚3814 beftghend; aus, 180: Biſchoͤfen
u. a.. Ephefus unter Ebfefin „und dem jüngern Theo⸗
Pe
dofius.im 3. 431, beftehend aus 200 Bischöfen u. as;
Calzedon im I. 451, befiehend aus: 660 Bifchöfen war
Auf dieſe folgte fodann das zweyte Eonftantinopolitanifche
im J. 555 unter Papſt Vigilius und Juſtinian dem
Großen, das dritte Eonft: im J. 682 unter Conſtantin,
das zweite von Nizäa im J. 787, das vierte von Conſtant.
im: 869. Die vier Lateranenfifchen fanden 1123, 1139,
1179 und 1215 , die Lyoner 1245 und 1274, dasjenige zu:
Dienne 1311, zu Eonftanz 1414) bis 1418, Baſel 1431,
Slovenz 1439, Trient 1541 bis 1545 und 1563 Statt.
Nun kommen wir. zu dem wichtigſten — 5*— der
Eucariſtie oder Abendmahllehre,
eine um ſtandche ſorgfältige Auseinander ſetzung
um ſo unerläßlicher iſt, da ‚hierin die verſchiednen Glau⸗
bensbekenntniſſe gar weſentlich von einander abweichen.
Der Lutheraner nähmlich glaubt, wie. wir bereits
geſehen haben, die ſakramentaliſche Bereinigung
des Leibs mit Dem; Brot, d.rh. die, Berbindung-des-ficht-
baren Brots und Weins mit dem unſicht bar aber
dennoch ⸗ wahr haft gegenwärtigen Leib und Blut;
Chriſti, in Folge welcher, Verbindung das eine mit dem,
andern zugbe ich genoſſen wird. Dex Calviniſi und Zwing⸗
lianer, oder Reformierte, glaubt eine bloß figurlichen.
fi nnbildliche Bedeutung der Einfehungsworte Chriſti. Der;
Katho hik endlich glaubt die weſentliche wir kliche Ge⸗
genwart Chriſti im Sakrament des Altars mittelſt
Umwandlung der Subſtanz. (Transſubſtantiation.
Während alſo dem Reformierten das heil: Meßopfer
als die ungereimteſte gottesdienſtliche Handlung, als eine
Verirrung des menſchlichen Verſtandes erſcheint, iſt es
hingegen dem Katholiken der ehrwürdigſte erhabenſte Theil
feines Gottesdienſts; und in der That iſt dieß Altars—
2
ſakrament des altgläubigen Fatholifchen Ehriften entweder
wirklich dag von dem Gottmenfchen und Welterlöfer vor
achtzehn Sahrhunderten zu unfernt Heil "auf Golgatha
volbrachte Opfer, oder eg iſt ein leeres ‘gehaltlofes
Traumbild , eine vermwerfliche Abgötterei. "Auf das Abend-
mahl als den höchſten Gegenftand ‚feines Cultes richtet
der katholiſche Chriſt all feine Gedanken "und Wünfche;
es iſt die Nahrung feiner Frömmigkeit, fein: Troſt auf
der Pilgerreiſe diefes Lebens, feine Stärkung im Unge-
mach und am Rande des Grabed, die Bürgfchaft feiner
eignen Auferfiehung , oder — wie der heil. Ignatius fich
ausdrückt — „die Arznei der Unfieoblicnbeis und J Ge
gengift des Todes.“
Die zu dieſer feierlichiten Handlung dienenden Borbe-
veitungsgebethe ,; diejenigen , mwelche bey der Verwandlung
des Brots und Weins, — nad) derfelben, — und beym
Genuß des Abendmahls geſprochen werden, die am Schluſſe
gewöhnlichen Dankgebethe, nebſt den — ** für dieſen
Akt vorgeſchriebenen Gebräuchen und Ceremonien werden
zuſammen inbegriffen unter der Benennung Liturgie,
von welcher im Verfolg noch umſtändlicher die Rede ſeyn wird.
Nun dringt ſich uns doch wohl” alfobalw die ernfte
Frage auf: füllen "die Vorſtellungen und Begriffe’ des
fatholifchen Chriften’ "won der würklichen Gegenwart des’
Erlöfers im Altarſakrament grundlos ſeyn? Sollen
all jene frommen Urchriſten und Heiligen, welche in’ der
Kirche gleich der Sonne am. Himmel glänzen, und fo
viele erleuchtete Theologen⸗ des Alterthums bey all ihren
Forſchungen nur im Irrthum verſunken geblieben ſeyn?
Sol die ganze chriſtliche Kirche, welcher Jeſus Chriſtus
den Beiſtand feines Geiſtes ſo klar verheißen, und welche
denſelben auch ſo oft und deutlich erfahren hatte, bis zum
ſechszehnten Jahrhundert (ja zum weit gröſten Theil bis
auf dieſe Stunde) in ſolch gräßlichem Irrwahn geſchmachtet
haben ? Wie reimte ſich dieß mit Gottes einiger unbe⸗
gränzter Vate vrliebe zuſammen ? Sollte nicht vielmehr
— 5 —
dieſer wichtigſte aller Glaubensſätze eben ſeiner Allge—
meinheit wegen, da ihm die ganze Morgen = und Abend-
ländiſche, ja die geſammte chriſtliche Kirche huldigte und
diefen Glauben mit Blut befiegelte, — nothwendig sn.
lichen Urfprungs und wahrhaft feyn ? j
Diefe Betrachtung war es hauptfächlich, ‚welche auch
auf Erasmus den tiefften Eindruck machte und ihn zur
treuen Fefthaltung an’ der Glaubenslehre feiner Väter
beiwog. Des Streits über die’ Euchariftie (ſchrieb er im
April 1529 an ud. Berum) kaͤnn ich Fein End’ inbfehen::
allein nie fonnte man, nody wird man je mid) bereden
Eönnen, daß Chriſtus, der doh die Wahrheit und
die Liebe ſelbſt it, es hätte’ zulaſſen können daß die
Kirche — feine geliebte Braut — fh lange Zeit hindurch,
in ſo fcheußlichem Irrthum geblieben wäre ein Stück
Mehlteig an feiner Statt anzuberh en. So uvtheilte'
ein Mann, welcher von feinen gelehrteiten Beitgenoffen
als dem damahligen Reformationswerk ganz und gar nicht
abhold geſchildert wird, der nähmliche deſſen entſchiedner
Geiſtesüberlegenheit ferbft unfer Zwingli und feine Gehül⸗
fen zu huldigen ſich zur Ehre vechneten /wie wir be:
aus einem frühern Abfchnitt entnommen haben.‘
"Und wie kommt es "denn, daß die Gegner des Meß⸗
fire uns über den: Zeitpünte ſeines urſprun g8
oder den Mahmen ſeines Ur hebers nicht die getingfte
Auskunft zu evtheilen im Stande find Unläugbar hätte
doch" die neue Einführung eines ſolch myſtiſchen Lehrbe⸗
griffs gewaltiges Aufſehen erregen und ſtarken Widerſpruch
finden müſſen. Wann und auf welche Weife hätte
man eine folch einfache Glaubensmeinung, ‚welche nad)
der Behauptung der Calviniſten und Zwinglianer von den
Apoſteln ſelbſt und all ihren Schülern wäre gelehrt wor:
den, vertauſcht an eine fo gang entgegengeſetzte
Glaubenslehre, durch welche die Welt auf einmahl in’
Abgötterei und Verwirrung ſich geſtürzt hätte ? Würden
nicht gegen die Verfälſcher einer erſten urſprünglichen Li⸗—
⸗
— ——
turgie ſich mächtige Stimmen erhoben, würden nicht die
Väter von Epheſus und Chalzedon, kraft ihres kirchlichen
Anſehens, ſolch empörende Neuerung im Keime erſtickt
haben? — Allein die Kirchengeſchichte ſchweigt hievon
ganz und gar. Wohl ſchrieb Paſchaſius, Abt zu Corvey,
im. Jahr 818 zwerft über die würkfiche Gegenwart des
Leibs und Bluts Chrifti im Abendmahl, Wie, fönnte aber
vernünftigen Nbeife hieraus gefolgert werden, daß dieß:
Dogma erſt im beſagten Sahr fey eingeführt worden?
Muß nicht vielmehr ‚nothwendig angenommen. werden, daß
Paſchaſius über ein Dis zu dDamahliger Zeit. allgemein: ges
glaubtes Dogma eben Deßwegen: gefchrieben habe, weil
manch zu beſtreiten begon wen hatte ? » Denn wir finden
vollgültige Zeugniffe für dieſe Lehre fihon ‚in den erſten
Sahrhunderten, dev Chriftenheit, wie wir nun bald ‚uns:
überzeugen, werden. |
Als. „dann ſpäterhin Berengar im eilften Sabebups
dert-fich wider das Mefopfer und die Lehre. ‚der wefent-
lichen, Gegenwart. Chriſti im. Abendinahl auflehnte, ward,
feine Irrlehre durch den "berühmten Erzbifchof von Can—
terbucy,, Lanfraneus „den Kardinal Guitmundus und. den:
Biſchof Alemannus von Breszia, ſowie durch die eins,
ſtimmigen Befchlüffe mehrerer Conzilien beſeitigt. Aus
geſchichtlichen Urkunden wiſſen wir, daß ſeine Lehre von
allen, damahligen Morgen- und: Abendländiſchen Kirchen,
als eine Neuer ung und Abweichung, von dem alten
Glaubensſyſtem war erklärt, und übrigens von Berengar
ſelbſt noch auf ſeinem Todbette unter bitteun Thränen
bereut und widerrufen worden. ri
Unfteeitig war in den erſten * Chris
ftenthums das Meßopfer als Geheimniß ‚behandelt wor—
den, indem die Chriſten dieſe Feyer vor den Heiden ver—
DAB und. augleich. auch, ihpen eignen: hotecumenen
weiſe hefur lefern uns Fertullian,: Drigenes,, j ‚Sprit don.
Serufalem an as m. «Bei den Juden und Heiden ſtunden
+ ME =
die. Chriſten der apoſtoliſchen ſowohl als ‚auch, fpätrer
Zeitalter in dem gräßlichen Verdacht, daß ſie in ihren
geheimen, Verſammlungen Menſchenfleiſch und Menfchen-
blut ‚genießen. , Hätten nun dieſe Urchriſten — nach der
Meinung der Reformierten — nur Brot und; Wein zur
Erinnerung an ihren Herrn und. Meifter, genoffen, wels
chen Grund „könnten fie, gehabt. haben. ſolch „einfache,
natürliche Handlung den Ungläubigen zu verheimlichen?
Warum würden ſie eher die grauſamſten Mar ter er
duldet als ihre, ſo unverfanglichen, Gebräuche den
Peinrichtern entdeckt, und dadurch allen Oualen, und —
folgungen ſich ‚entzogen. haben di ; |
„Zertul Liam; zu ‚Ende des weyten "Sahrhunderts;
nennt das Geheimhalten der Lehre von. der Euchatis,
ſtie ein „allgemein, beftchendes, Geſetz. Der große Kirchen⸗
lehrer Auguſtinus und ſo viele andere Bäter des Alva,
chriſtenthums bedienen ſich beym Unterrricht der
Satehumenen | gefliſſ⸗ ent lich einer myſtiſchen Sprache,
und geftehen feldft, daß es ihnen. wegen den Ungemweihten nicht,
erlaubt fen den Schleier völlig zu lüften.„Sehr.beftimmt extlart
ſich Auguſtinus in, der. 2, Abhandlung, über den heil. Jo—
hannes „Funget ihr einen Catechumenen, ob, er das
Fleiſch des Menfchenfohnes eſſe und ſein Blut trinke ſo
verſteht er nicht, was ihr damit ſagen wollt. Die Cate⸗
chumenen haben von dem, was die Chriſten empfangen,
noch keinen Begriff. Die Art, ‚mie, man das. Dan.
Sefu genießt, iſt flir fie eine; noch verh üllte Sache.“
Einen zweyten Hauptbeweis für das Dogma der weſent⸗
lichen Gegenwart liefern uns die älteſten Kirchengebethe oder
Liturgien. Dieſe waren anfänglich bei den religiöſen Zus,
ſammenkünften der Chriſten nur, mündlich verrichtet wor⸗
den, und hatten + fich auch lange; Zeit hindurch bloß
mittelſt mündlicher Tradition erhalten, wurden aber
nach hergeſtelltem ‚Frieden der Kirche in Schrift verfaßt,
und nie war ihr apoſtoliſcher Urſprung ‚von dp en
in Zweifel gezogen worden... RE altıpinty: sk Hacharal ot
#
4
Bernehmen wir hierüber die Stimmen einiger unſerer
proteſtantiſchen Theologen! INERT
Der gelehrte Pfaff ſchreibt? Unmöglich kann das
große Anſehen der ſogenannten apoftofifchen Liturgien be⸗
ſtritten werden,‘ indem ſie ſchon in den älteften Zeiten‘ bey
den angefehenften "Kirchen des Hrients im Gebrauch waren,
daher ſich aus ihnen ka ind der Glaube der alten
Kirche erkennen —— BR
Hugo Grotius — doch oh ein Hg Gewehrs
mann ſagt in ‚feinem oft angeführten voto pro pace'
„Sn allen griechifchent, lateiniſchen, arabiſchen ſyriſchen und
andern Liturgien finde ich die Geberheyu Gott: er wolle
die dargebrachten Gaben durch feinen Geiſt heiligen und
fie zum Leib’ und Blut feines’ S Sohnes‘ madyen. Sc habe‘
alfo Recht zu behaupten, daß man einen ſo alten und allge
meinen Gebrauch, deſſen "Urfprung ſich von den ertten
Zeiten herfchreibt, inch hätte abaͤndern ſollen. Die'Weber-
einftimmüng alfer Liturgien aller an der in jenem
Gebet‘, daß Gott durch ſeinen Geiſt die‘ dargebrachten
Gaben Heilige, und“ fie! zum Leib und’ Blut Chriſti
machen wolle, etztres außer allen’ Zweifel, daß ſolches
Gebeth vonder’ urſprünglichen Andrdnung der Apoſtel
hergeleitet werden müſſe“ Außer der ſchon angeführten
Schrift: "die alte Abendmahllehre/ durch katholiſche und
nichtkatholiſche Zeugniffe befeuchtet - — Zweibrücken 1827.
liefeit auch Le Brün' explie! de la messe, Paris’ 4736. 7.
TV.eine genaue Zuſammenſtellung diefer Liturgien’z alfe-
fpvechen von einem Opfer und von’ eine Verwandlung.
In der alten Liturgie der Koph oder Jakobiter heißt’ es
aufs Elarfte und beftimmtefte:' Sende deinen heiligen Geiſt
auf uns und dieſes Brot und dieſen Wein, damit er dieſe
Gaben‘ ‚heilige‘ und konfekrire als allm achtiger ‚Gott, und
aus dieſem Brot und dieſem Kelch der’ Leib und das Blut
des neuen Buͤndes unſers Heren Gottes, Erföfers, und
höchſten Königs Jeſu CHeifi ſeibi fa ffe.“ Andere eben
fo fprechende Zeugniſſe werden wir weiter unten anführen.”
4
—
Am. nun das katholiſche Dogma von der Euchariſtie zu-
norderft auf ‚die. Disziplin der Verſchwiegenheit feſt
zu begründen, prüfen „wir, theils die allgemeinen Be—
weiſe — geſchöpft aus dem allen damaligen Kirchen ge—
meinſchaftlichen Glauben, theils auch noch die beſondern
Zeugniſſe einzelner Kirchenväter aus den erſten Jahrhun⸗
derten des Chriftenthums.
, Bermöge. der damals allgemein aeherefrbten Kirchendis—
ipun Disciplina areani) hielten die, Gläubigen eine ſtrenge
Verſchwiegenheit über alle Sakramente, vorzüglich über
jenes des Altars — für ihre heiligſte Pflicht. Nach Act.
U. 42, 46, und, xXX. 7, waren die erſten Chriften täglich
und eimikhig im Tempel, brachen das Brot da. und dort
in. den-Häufern, und, genoffen ‚gemeinfchaftlich die Speife.
Dieß Brotbrechen iſt dev erfte, geheimnißvolle Ausdruck
über die Euchariſtie im chriſtlichen Aterthum der jedoch
nur für die Ungläubigen unverſtändlich war. In den älte—
ſten Jahrhunderten der Chriſtenheit wurden die Sakramente
auch wirklich Geheimniſſe (Myſterien) genennt, und nur
in geſchloſſenen Verſammlungen unter Eingeweihten
gefeiert. Die Catechumenen durften nur ſolang den Ver—
ſammlungen beywohnen, bis das Meßopfer begann; auch
ward ſorgfältigſt bey den öffentlichen Auslegungen der hl.
Schrift (Homilien) jede Erwähnung der Myſterien vermie—
den. So fagt 3. 3. Cyrill Catech. 6. ganz ausdrücklich:
„Wir führen in Gegenwart. der Catechumenen keine ver—
ſtändliche Sprache über die Geheimniſſe; wir müſſen uns
oft räthſelhafter Ausdrücke bedienen, damit — indem
wir von den unterrichteten Gläubigen dennoch verſtan—
den werden — wir bei den ununterrichteten keine
Bedenklichkeit erwecken.“ . Ambroſius im Buch für die
Neueingeweihten ſagt: „Wenn ich vor der. Taufe von
den, heil. Sakramenten geſprochen hätte, ſo würde ich weni⸗
ger. mein Lehramt ausgelibt als vielmehr. die Geheimniſſe
durch eine, Art von Verrath enthüllt haben.“ Sn gleichem
Sinne äußert: fich der heil. Chryfoftomus. Auch in-den
— 350 —
Schriften anderer Väter — vorzüglich des Heil. Auguftinus,
wie wir bereits fahen — finden wir in Bezig auf die Eu- |
chariftie ähnliche Zurückhaltung und einzelne dunkle
Steffen. Diefe Verſchwiegenheit beobachteten fie ſowohl in
ihren Predigten als auch in ihren gegen die Juden und
Heiden verfaßten Schriften. Beweiſe hiefür Liefert ung
Eyrill ec. Zulian. Auch Origenes erklaͤrt ganz be—
ffimmt : „mysteria chartis non’ committenda (unſere Ge—
heimniffe dürfen dem Papier nicht” anvertraut werden).
Dieß vorfichtige Stilfhweigen dauerte bis zum fünften
Sahrhundert, wo noch Innozenz 1. in feiner Antwort an den
Bifchof von Eugubien den geheimnißvollen Punkt von der
Euchariftie nicht zu berühren ſich getraute, fondern ihm
erklärte: „Von dem andern, worüber nicht zu fchreiben
erlaubt iſt, können wir —— uns ki wenn du
hier feyn wirft.“
Fleury ſchildert diefe alte Kirchendisziplin * und
bündig alfo : „Man verheimlichte die Sakramente nicht
bloß vor den Ungläubigen, fondern felbft auch vor den
Catechumenen; die feierliche Verrichtung derſelben ge-
ſchah nie in ihrer Gegenwart ; ja e8 war fogar verboten
zu erzählen, was in der Verfammlung vorgieng, oder in
ihrev Anmwefenheit von der Natur des Sakraments zu
fpreben. Moch viel weniger aber außerte man ſich
über dieſelben ſchriftlich.“ |
Die Bifchöfe enthüllten die Lehre der Geheimnifje den
Gatechumenen (welche um die Gnade der Taufe dringend
bitten mußten, weil man nur diejenigen kaufte, welche es
ausdrücdlich begehrten) erft nachdem fie‘ hinfänglich
geprüft und zum Empfang derfelben geeignet waren er»
funden worden. Dieß gefchah in der Ofter- und Pfinaft-
nacht. Ehe fie in das geweihte Waſſer eingetaucht
wurden, erklärte ihnen der Biſchof die Nothwendigkeit
und Würkungen dieſes erſten aller Sakramente. Hierauf
wurden ſie mit weißen Kleidern angethan und in die Ver—
ſammlung der Gläubigen eingeführt. Der Biſchof beſtieg
= 9 —
die Kanzel, und enthülte vor den Neophyten die ihnen
bisher verborgen gehaltnen Geheimniffe. Dann ward ihnen
durch alle Tage der erſten Woche der Unterricht über die
Einfekung, Natur und Würkung der Euchariftie, über
die Gefinnungen lebendigen Glaubens, reiner Frömmigkeit
und thätiger Liebe, die mit dem Empfang: diefes erhabnen
Geheimniffes verbunden feyn müffen, ins Herz gefprochen.
Diefer Gebrauch dauerte bis- zum fünften Jahrhundert
in allen Kirchen fort, wie mehrere Urkunden aus jenen
erften Zeiten uns beweifen. S. des heil. Eyrill von
Serufalen 18 Catech., Gaudentius Erfl. des B. Erodus
für die Neophiten, Chrnfofe. Hom. 25 über den 1. Br.
an die Cor., Auguftinus 238 Nede auf den 5. Tag
nach DOftern u. a. m.
Die Behauptung unfter Calvinifien und Zminglianer
daß diefes Disziplinargefeß erft im IV. Jahrhundert ent-
ſtanden fey, findet ihre vollſtändige Widerlegung in dev
Gefchichte der drei erſten Sahrhunderte , hauptfächlich in
jenen von den Heiden wider die Chriften echobnen Ans
fchuldigungen ‚ welche fi nur auf Unfunde deffen, was in
den Berfammlungen der Chriften vorgieng, gründen fonne
ten, fo zwar daß mit Ungeftüm die Zodesftrafe aller,
welche den Chriftennahmen trugen, gefordert wurde , al
verabfcheuungsmwürdiger Wefen, die nicht das Bageslicht
zu fchauen verdienen. Die empörenden Befchuldigungen,
daß fie bey der geheimen Feyer ihrer Myſterien fich die
unmenfchlichiten Graufamfeiten und zügellofeften Ausfchwei-
fungen erlaubten, Fleiſch und Blut unter fi) genie-
fen u. f. w. reichen bis ins apoftolifche Zeitalter hinauf.
Drigenes ce. Celsum erzählt uns, die Juden hätten
gleich beym Entftehen des Ehriftenthums die Gage vers
breitet, daß die Ehriften die Glieder eines geopferten klei—
nen Kindes verzehren. E&:. auch Tertullian Apol. €. 7
und Euſebius 4.3.7. €.
Ferner rechnen wir hieher die Borwärfe , welche die
Heiden den Chriften über die Gcheimhaltung machten.
= we >
Sn allen Schriften der Philofophen jenes Zeitalters wur—
den die Ehriften angeklagt, daß fie immer im Finftern
wandeln; und daraus Schloß man auf die Wahrheit
jener Befchuldigungen, welche überall gegen fie ausgefto-
fen wurden. - So äußerte ſich Cäzilius, einer der Welt-
weisen zu Unfang des dritten Jahrhunderts: „Die Dun-
kelheit, in welche fich die Religion dev Chriften einhült,
beweist, daß wenigſtens ein Theil, der gegen ‚fie erhobnen
Anklagen wahr fey. Warum verbergen fie fo gefliffent-
lich ihre gottesdienftlichen Webungen vor den Menfchen,
da man fich. doch nicht: fcheuen: darf, das was ehrbar ift,
bey hellem Licht zu thun.“ Un einer, andern Stelle fchil-
dert er die Ehriften als ein „in Dunfel gehülltes
unterivdifches Volk.“ Sm öffentlichen ſtumm (jagt er)
hat e8 nur die Spradhe in verborgnen Winfeln;
ich weiß. zwar. nicht‘, ob alle Muthmaßungen wahr: find,
aber wenigftens Stimmen: fie mit ihrem nächtlichen. ver—
fteeften Gottesdienft überein; fo. groß der auf fie gewor-
fene Verdacht ift, fo. fcheint ihn doch. ‚fchon. die Dunkel—
heit. ihrer fchlechten Religion wo nicht. ganz Doch zum
Theil zu beftätigen. “
Wie wir oben aus Drigenes erfahen, hatte ſchon der
Epikuräifche Philofoph Eelfus,. welcher zu Anfang des
‚zweiten Sahrhundert3 unter, Adrian — dem. Nachfolger
Zraians — lebte, auf dag Geheimnißvolle der chrift-
lichen Myfterien gefchmäbt, und über die Verſchwiegen—
heit der erſten Chriften die bitterften Anmerkungen ges
macht. (Diefe Schmähfchrift des Celſus wider die Ehriften,
— „Rede der Wahrheit“ betitelt — kennen wir nur aus
dev Schönen Widerlegung des Drigenes, welcher alle davın
enthaltenen Berläumdungen — namentlich auch diejenigen
in Betreff der von den Ehriften beobachteten Derfäpeieaene
heit der Euchariftie — aufdedte.) _
Noch rechnen wir hieber die Lorturen, ha man
aus den. erften Ehriften die Kenntniß ihres Gottesdienftes
zu. erpreſſen ſuchte, und die unerſchütterliche Beharrlichkeit,
— 8363 —
womit dieſe eher alle Marter und den Tod erdulden aß
ihre Myfterien verrathen wollten." So fagt z.B. Plinmus
der jüngere, Statthalter von Bithinien in ſeinem an Trajan
im J. 105 wegen der Chriſten erſtatteten Bericht! >, Um
die Wahrheit zu erforſchen, ließ ich zwey bee welche
in den geheimen Berfanmlmgen gedient hatten, auf‘ die
Folter legen, Eonnte aber nichts’ entdecken als gi irre⸗
geleiteten übertriebnen Aberglauben.“
Und aus einem Fragment des Ir enaus ei 8. 4m
fennen wir die heldenmüthige Hingebung ' der 'gefolterten
Blandine, fowie aus Euſe bius die Standhaftigkeit der
ebenfalls gemarterten Biblis, wie wir bald näher ver-
nehmen werden. Selbſt allgemeine öffentliche Unfälle wur-
‚ den. auf Rechnung der Chriften als einer gottlofen verab—
fheuenswerthen Menfchenklaffe geſchrieben. Man gebe fie
den Thieren preis!“ (christianos ad bestias) ‚hörte man in
den Ampbhithentern oft mwüthend rufen. Lang wurden fie:
vom den Kaifern aufs graufamfte verfolgt, vom blutdürftis
gen Nero an bis auf Diofletian und Lizinius. Der Brand-
legung in Rom befchuldiget, mußten die’ meiften der dorti—
gen Chriften eines elenden Todes’ ſterben. Tazitus bemerkt
hierüber im XV, Buch feiner Annalen, wo er von’diefer
Begebenheit fpricht: Nero wälzte die Schuld auf. Leute,
welche damals ihrer Lafter wegen allgemein verhaßt waren
und vom Volk „Chriften“ genanit wurden.’ Diefer Mame
rührt von Ehriftus her, welchen Pontius Pilatus unter
dem Kaifer Ziberius binrichten ließ. Man erg: ff zuerſt
diejenigen, welche geſtändig waren, und auf die Aeußerungen
derfelben ward eine große Menge, zwar nicht der Brand:
legung übermwiefen, aber als Opfer des Pe KO
Haffes hingerichtet. -
Suftin Elagt in der zweiten Schutzſchrift ausdrück
lich, daß man Sklaven, Kinder und Weiber auf die Folter
foannte, um von ifnen das Geftändniß genoſſenen Men—
fchenfleifches auszupreffen. Im dem, von Eufebius ung
aufberwahrten Brief der Ehriften von - an’ jene von
— Bi —
Aſien (im J. 17T unter Man Aurel) kommt folgender
fhauderhafte- Bericht vorn), Heidnifche bei Ehriften die-
nende Sklaven, aus Zucht vor: den Qualen, welche fie
die Ehriften dulden fahen,, und: durch die Soldaten aufge:
het, Elagten fälichlich die Ehriften Thyeftifcher Gaftmähler,
Hedypifcher Heirathen und alles defien an, fo man weder
fagen noch denfen, ja nicht einmahl für möglich halten
follte. Sobald fich Die Sage diefer Berläumdungen weiter
verbreitete, Fannte die Erbitterung des Volkes gegen ung
feine ‚Grenzen mehr, und felbft der letzte Funfe von
Sreundfchaft ward nun: mit gräßlicher Wuth ausgelöfcht.
Man ſah des Erlöſers Weißagung erfüllt, daß man Gott
durch Ermordung feiner Schüler einen Dienft zu erweiſen
glauben werde.“ » Bon Blandine melden fie: „Wir alle, und
vorzüglich ihre Gebietherin „ fürchteten, daß fie, wegen der
Schwäche, in welche ‚ihr Körper ſchon hingefunfen war,
nicht den Muth Haben werde, Sefum zu befennen. Allein
fie ermüdete sam Ende alle ihre Veiniger, welche einer
nach dem andern : vom Morgen bis Abend fie mit den
‚graufamften Martern quälten. Dieſe bekannten ſich
überwunden, da fie Feine neue Dual mehr zu erfinnen
wußten; fie konnten ‚nicht ‘begreifen,, daß fie noch Athen
bohlte, da ihr ganzer Körper gefchunden und verrenft
war. Das Bekenntniß des- chriftlihen Namens gab ihr
ſtets neues, Leben; fie fand ‚Erhohlung und Beruhigung
in. dem Auseuf: „ich bin eine Chriftin, und unter uns
gefchieht nichts Böſes.“ .
Hier fragen wir unfve proteftantifchen Brüder : Ba-
rum erklärten Blandine und Biblis nicht ganz unverhoh—
len: wir ‚genießen ein wenig Brot und Wein zur Erin⸗
nerung und al figürlihe Borftellung unfers
abwefenden Erlöfers, und als ein Zeichen unfrer Ver—
bindung unter einander; das ift all unfer Gaftmahl ; ihr
mögt euch felbft davon überzeugen ! Laßt man fich etwa fo
leicht zu Bode martern, wenn man durch die einfachfte
Erläuterung ihm entgehen und feinen Blutrichtern die
e.-
— MM -
1
Augen öffnen kann? Wäre es redlich, vernunftmäßig
und chriſtlich von jenen Martyrern gehandelt geweſen,
dasjenige. aufs hartnäckigſte zu verſchweigen, durch deſſen
fo ganz unver fänglich es Geſtändniß fie nicht nur ſich
ſelbſt, und viele andre hätten retten, ſondern zugleich
auch — woran ihnen wohl weit am meiſten gelegen war —
ihrem Glauben deſto allgemeinere Annahme verſchaffen
können?
Gewiß hätten jene erſten Ehriſten, wenn die Meinung
der Reformierten im Punkt der Euchariftie gegründet
wäre, die gegen fie verbreiteten Berläumdungen nicht
mmer tiefere Wurzeln faffen laſſen, fondern diefeiben als—
bald dadurch entkräftet, daß fie furchtlos erklärt, hätten
was unter ihnen , vorgieng, daß fie die Heiden zu ihren
Berfammlungen felbft eingeladen, und in ihrer Gegenwart
das fo fchuldlofe Mahl genoſſen hätten.. Und: doch führte
jene hochherzige Sklavin eine ganz andere Sprace; fein
ähnliches Wort entfchlüpfte ihre unter allen Qualen 5 ihre
muthige Antwort ward von den Chriften als weisheitsvoll
geprieſen. Dieſer ftandhafte Heldenmuth der Marty
rer und diefe Lobfprüche ihrer Mitchriften können nur
in der Fatholifhen Glaubenslehbre einen Sinn
erhalten ‚nach welcher das Geheimniß der Euchariftie nicht
geoffenbart werden durfte. Während diefe Disziplin nach
dem Grundfak unſrer veformirten Kirche ganz uner:
Härbav, ohne Zweck und Urfache, ja aller Vernunft zus
wider wäre, ftebt fie hingegen mit dem fatholifchen
Lehrbegriff ganz im Einklang, fett ihn ſogar voraus, und
erfcheint im Borausfekung diefes Glaubens als —
mäßig, wohlthätig, ia ſelbſt als nothwendig in einem
Zeitpunkt, wo ſich die Religion bey einem noch ganz un⸗
gläubigen Bold; ankündigte. Oder wo fände ſich in dem
Sehrbegeiff der Reformirten das geringfte ‚wovon
man den Heiden. oder auch den Gatechumenen ein Ge-
heimniß zu machen Grund gehabt hätte? Ihm zufolg
vereinigt man fich. ja mit Sefu nl Geift und Glauben,
— 5 —
indem Wein und Brot lediglich als das ausgetheilt wird,
was unſern Sinnen daran bemerkbar iſt. Dieſe gewöhn—
lichen Nahrungsmittel haben in den Augen der Refor—
mierten bei der Euchariſtie keinen andern Werth als daß
fie von Chriſto zu figürlichen Darftellungen feines
Leibs und Bluts waren ausgewählt worden. Wie hätte
nun dieß im mindeften Anftoß erregen Eönnen ? Sfts ja
doch allgemeine Sitte, feinen Freunden ein Andenken zu
hinterlaffen,, wodurch fie an unſre Abwefenheit oder an
unfern Tod erinnert werden! Der Erlöfer, welcher für
alle Menfchen ftarb, Fonnte doch wohl Fein paffenderes
Denkmahl feines Todes ftiften, als: eine für die game
Welt gemeinfchaftlihe Speife. Darin Liegt aber ganz
und gar nichts, wodurch auch nur ein Schatten von
Aergerniß für irgend jemand hätte entftehen können,
folglich nicht dag mindefte was eine Berhbeimlihung
nöthig gemacht hätte. Ein ſolches Gedächtnifmahl würde
die erfte Kirche bey offenen Thüren gefeyert, und von
derfelben ohne Hehl — ohne Dunfel fprechen und fehrei-
ben gefonnt haben ; ja fie hätte vielmehr die ſtärkſten Gründe
gehabt fich deutlich und verſtändlich zu erklären, nachden
fie der ruchlofeften Handlungen öffentlich war befchuldiat
worden , und dieſe gehäßigen VBorurtheile bald von der
gemeinen Menfchenflaffe auch auf die höhern Stände und
felbft auch auf die Gelehrten jener Zeit übergegangen wa—
ren. Wie leicht wäre es für die angefchuldigten Chriſten
gewefen ſich zu rechtfertigen! Statt deſſen beruft fich
Suftin (in feiner zweyten Schukfchrift vom J. 117.)
einzig auf Gott, als Zeugen aller Handlungen und Ge-
danken ; ev will nicht die Myfterien erklären, wodurdy aller
Verdacht fogleich wäre aufgehoben und allen Berläumdun-
gen ein Ziel geftecft worden. Würde — nach Bodenfteins
und Zwinglis Meinung — der Euchariftie nur eine figür-
liche Darftelung zum Grund Tiegen, was hätte Juſtin
abhalten fünnen fich darüber ganz einfach zu erklären ?
Auch Fertullian nimmt vielmehr dieſe geheimnißvolle
— DU
Berfchwiegenheit in Schuß, ftatt fie zu: Täugnen, und
Detavius beweist (in Minut. Felix) ebenfalld die Grund-
lofigfeit jener Anflagen, ohne dennoch das würfliche Ge⸗
heimniß aufzudecken.
Prüfen wir jetzt noch über dieſen Gegenſtand die be—
ſondern Zeugniſſe einzelner Kirchenväter aus den erſten
Jahrhunderten des Chriſtenthums.
Obſchon man, wie wir bereits geſehen in den
erſten Zeiten — während der Berfolgungen — nur äußerſt
behutfam von den Mofterien ſprach, fo hat doch die gött—
fiche Weisheit und Liebe veranftaltet, daß auch in den
drückendften Zeiten die heilige Stimme fich nicht unpegengt
gelaflen hat.
Sanatius, Schüler des hi. Petrus und fein Nad-
folger auf dem bifchöflichen Stuhl zu Antiochia in Syrien,
(welcher laut feiner eigenen Berficherung den auferflandnnen
Sefum noch im SFleifche fab, und dann im 3.108 den
Martyrertod litt) fagt bei Theodoret im 3. Geſpräch:
„fie nehmen die Euchariftie und die Opfer nicht) an, ‚weil
fie folche nicht für das Fleifch des Heiland erfennett
das für unſre Sünden gelitten hat und durch des Vaters
Gnade wieder erftanden ift.“ Auf feiner Reife nach Rom
warnt er die Gläubigen in Smyrna vor Irrlehrern, wel-
che läugneten, daß Sefus einen wahren mwürflichen Leib
angenommen ‚ und fagt: „fie entfernen fi) von der Eu:
chariſtie, weil fie nicht befennen,, daß folche das Fleifch
unfers Erlöfers Jeſu Ehrifti fey, das nähmliche, wel-
ches für unfre Sünden: gelitten und von Bott auferweckt
ward; die diefer Gottesgabe widerfprechen,, fterben in ih—
rem Widerfprud dahin, und diefe Leute ſollt ihr meiden.“
3eugniffe aus dem zweyten Sahrhundert haben wir
zum heil oben fchon angedeutet: Das entfcheidendfte im
ganzen chriftlichen Altertbum aber bat uns Suftin auf-
bewahrt. Bon den römifchen Kaifern, dem Volk, und den
Juden wurden die Chriften unmenfchlich verfolgt, unter
dem Vorwand, daß diefe in ihren gottesdienftlichen Ver:
= = —
fammlungen fogar Fleifh und Blut gefchlachteter Kinder
nerzehren. Suftin übergab nun dem Kaifer Antoninus
eine »Bitt = und Schußfchrift, worin er den Glauben und
die gottesdienftlihen Handlungen ver Chriften bündig
auseinanderfekte) Er gefteht dem Kaiſer (weit entfernt
von bloßem Genuß eines Liebesmahls zum Andenken an
ihren Herrn. und Meifter zu fprechen) ganz ausdrücklich,
„dag fie wirklich das Fleifh und Blut des Menfch-
gewordnen Jeſus in ihren gottesdienftlichen Verſammlun—⸗
gen genöſſen.“ Nach umftändlicher Darſtellung der gan—
zen Verrichtung fügt er dann bey: „Dieſe Speiſe nennen
wir die Euchariſtie, und niemand darf Theil daran neh—
men, der nicht an die Wahrheit unfrer Lehre glaubt
Denn wir empfangen es Feineswegs als gemeines Brot
und gemeinen Trank, fondern fo wie Jeſus Chriftus
durch das Wort Gottes Menfch geworden und Sleifch
und Blut zu unſerm Heil angenommen , fo find wir un-
errichtet, daß dieſe Weiſe durch das feine Worte ent⸗
haftende’ Gebeth wirklich das Fleifch und Bluſt eben
diefes Menfchgemordnen Sefus if. Denn die Apoftel
haben- in ihren Schriften, welche man Evangelien nennt,
ung belehrt , daß Sefus Ehriftus ihnen befohlen habe das
zu thum, was erithat,'mit den Worten : thut dieß zu
meinem Andenken! Dieß iſt mein Leib und dieß ift mein
Blut, indem er ihnen ‚Brot und Kelch datreichte. Wenn
nun du, 0 Kaifer! diefes. vernunftmäßig findeft, ſo halte
es in Sheet: hältft du es aber für thöricht,, fo veradhte
es; nur werurtheile deßwegen nicht Menfehen zum Tode
welche nichts Böfes verübt haben. Denn wir erklären dir:
wenn du in diefer "Ungerechtigkeit verharreſt, fo wirft du
dem Gericht Gottes nicht "entgehen. Wir unferfeits
fagen nichts anders” als? der Wille Gottes geſchehe!“
So fprad) der ehrwürdige Suftin , welchem noch die apo-
ftofifche Lehre in den Ohren Hang; und damahls konnte
doch wohl noch Feine Verfälſchung des Chriftenthums
Statt gefunden haben. Wäre das Abendmahl der **
— 9 —
Ehriften das Gedächt nißmahl der ärtzigen Calviniſten
und Zwinglianer geweſen, wie kurz und leicht wäre die
Vertheidigung ausgefallen "I Sollten daher nicht unſre
modernen Theologen - ehrfurchtsvoll! den Finger auf den
Mund Tegen, wenn f Bun Zeugniſſe zu —* ei
gelangen ?! —
Ire näus, Bifchof zu yon ⸗ ii im 3. 202, fagert
„Wir opfern Gott das gefegnete Brot und den gefegneten
Kelch, und danken ihm, daß er diefe Gaben: von der Erde
zu unfter Nahrung hervorbringen ließ; wir vufen darüber
den heiligen Geift an, daß‘ er dieſes dargebrachte Brot
zum Leib Ehrifi ind‘ den Trank zum Blut Chrifti
mache, damit wer dieſe Gabe „genießt, — der
Sünden und ewiges Leben erlange >
Zeugniffe aus’ dem dritten‘ ahohundert — * and
Drigenes —'geb. im S.’185, geft. 253 — in verfchied-
nen, zum Theil fchon mgehüßtten ‚Stellen. Im achten
Bud) gegen den gelehrten heidnifchen Celſus fagt er:
„dann effen wir die geopferten Brote, welche. durch
das Gebeth der gewiße Leib Ehrifti geworden fi find,
welcher durch feine Heiligkeit die Kraft hat, jene zu 'hei-
Ligen, die ihn mit frommem Vorſatz empfangen.
Sn gleichem Sinne äußern ſich gertullian‘ in feiner
Schrift vom Gebeth, und Clemens, aus der Platoni-
ſchen Schule, der ums Jahr 220 zu Alexandrien ſtarb,
in feinen Stromaten. Auch Cypriian, Biſchof zu Cars
thago, in feinem Brief an Cäzilius, liefert uns einen ſehr
überzeugenden Beweis, und Bricht far von der Anord⸗
nung des Herrn, Urhebers und Lehrers Ddiefes Opfers‘;
er fchreibt genau alle Verrichtungen vor, und erwähnt
zugleich, daß der zu Jeſu Chrifti Andenken geopferte
Kelch müſſe mit Waffer gemifhten Wein enthal-
ten. (Wie Tann nun der Proteftant den Fatholifchen
Priefter einer Entheiligung des Kelchs buree Beymifchung
des — Ben a
WW >
Noch mögen hier ‚einige Zeugniſſe der Väter aus dem
IV. amd, Ve Jahrhundert ihre, Stelle finden; auf ſpätere
nehmen ohnehin unſre Proteſtanten wenig Nückficht, "weil
nach ihrer Meinung das päpſtliche Unweſen fchon im V.
Jahrhundert einzuſchleichen begann. So ſchreibt 3. 8.
Auguſtinus: „Wir empfangen mit gläubigem Mund
und, Herzen den Mittler, zwiſchen Gott und Menfchen,
welcher uns feineigen Fleiſch zu eſſen und ſein eigen
Blut zu: trinken giebt. Der Leib des Herrn felbft geht
in. des; Chriſten Mund eins‘ An einer andern Stelle:
„Empfanget das im Brot, was am Kreuz hieng,
* das im Kelch was, ausChriſti Wunden floß.“
Chuyfokomusiss, Mit) unfern Zungen haben wir
des Herrn felbft eigenes SFleiſch gefoftet. “ An einer
andern. Gtelle: „Laßt uns Gott im allen Dingen glau-
ben, und ihm nicht widerſprechen, ob auch, was: gefagt
iſt, unſrer Vernunft und unſern Sinnen wider—
ſtweit et. Halten wir nur feſt an Chriſti eigenen Wor—
ten, denn dieſe können nicht: trügen, unſre Sinne aber wer-
dem leicht betrogen.“ Aehnliche Außerungen finden wir bey
ibm noch. hin und wieder: „in. feinen Homilien.
Bernhardus; Die Hoſtie, welche: du fehft, ift
nicht Brot, fondern ‚Ehrifti Fleiſch, welches am
Kreuz hieng für das Leben der Welt.“ |
Ephrem — geſt. 378, deſſen Leben von dem Bru-
der des großen Bafılins, dem: heil. Gregor: von Myſſa,
befchrieben wurde — ſagt fehr „eindringend.« „Bedenket,
mit welcher Furcht Diejenigen vor. dem Throne ſtehen,
welche einem fterblichen Könige nahen. Wie viel
mehr ziemt es uns vor dem himmliſchen König mit
Furcht und Zittern und ehrerbiethigem Ernſt zu erſchei⸗—
nen.“ Und: an: einer ‚andern Stelle: „Wer mit dem
Auge des. Glaubens begabt iſt, der ſchaut Gott in reiner
Klarheit, und igt mit voller Zuver ſicht den geheilig-
ten Leib EChrifti, ohne ſich in neugierige Forſchungen
tiber diefe göttliche heilige KXehre einzulaffen. Was fucht
— 361 —
ihe den Grumd deffen, was unergründlic ift ? Wenn
ihe nur mißteauifch nachgrübelt, fo verdient ihr nicht
mehr den Nahmen Gläubige, fondern Zweifler
und Neugierig... So glaubet denn, und mit fefter
Zuverficht empfanget den Leib und dag Blut unfers
Herrn.“ Eben fo Elare beſtimmte ‚Zeugniffe liefern ung
Ambrofius, Jakob, Biſchof von Nifibi, geft. 350.
(Dieſer fagt ganz deutlich : „Unfer Herr gab feinen Leib
mit feinen: eignen Händen zur Speife, und fein Blut
zum Trank, ehe er gefreuziget wurde.“ ) Eyrill von
Jeruſalem, geſt. 3836, am Schluß der Vorrede zu feinen
Gatechefen, in welchen er mit der möglichften Verſtänd—
lichkeit die Xehre der Kivche über die Saframente — vor—
züglich über: jenes der Euchariftie — erklärt; ferner die
Synode von Alerandrien vom J. 340 in der Schuß:
fchrift des Athanafius; Eufebius, Bifchof von Emeffa
get. 3795 Bafilius, Biſchof von: Cäſarea, geft. 378
(„Was Gott gefprochen hat, daran fol man nicht zweifeln,
noch Anftand nehmen, fondern ſich feft überzeugt halten,
daß alles wahr und möglich ift, wenn aud) die Natur
dagegen fpricht.: Darin liegt der Kampf des Glaubens“);
Hilariusgeft 3675 das erfte vefumenifche Conzilium
von Niz äa; die Kicchenverfammlungen von Laodizäa
und: Carthago; Euſebius zugenannt Pamphilius,
dev ſehr gelehrte Bifchof von Cäſarea in Paleſtina, geſt.
340; Optatus, Biſchof zu Mileve in Afrika, geſt. 380;
Gregor, Biſchof won Nyſſa, geft: 396, wegen: feines
"hohen Alters; und feiner Gelehrfamfeit „der Vater der
Bäter“ genannt; Epiphanius, Metropolit zu Sala:
mine, einer: alten: vom heil Barnabas geftifteten Kirche,
geft. 4035 Paulinus, der edle Bifchof von Mola,
Zögling des Conſuls und Dichters Aufonius , geſt. 431
(Berfaffer der LXebensgefchichte des heil. Ambrofius ).;
Johann, Nachfolaer des hl. Cyrill auf dem bifchöflichen
Stuhl zu Serufalem , geſt. 46; Maruthas, Metropolit
zu Tagrit in Mefopotanien , Freund des hi. Ehryfoftomus;
— 32 —
Hier onyms Presbyter, geft. 4205 Ifidor von Pelu—
ſium, einer der berühmteften Schüler des heil. Chryſoſto—
mus , der zur Zeit der allgemeinen Kivchenverfammlung
von Ephefus großes’ Auffehen machte, und mit Cyrill
von Alexandrien in Briefmechiel ftund, gef. 440; Pro—
klus , Schüler des, hl. Johann Chryſoſtomus, im 3. 436
auf den bifchöflichen Stuhl von Eonftantinopel erhoben,
geft: 4465 Petr us,. Erzbifchof von Ravenna feiner) Bes
vedfamfeit wegen Chryſologus genannt , geft. 450, Eyrill,
im J. 412 zum Patriardy von Alerandrien: erwählt, geft.
444; Sheodoret, Bifchof von Eyrus, Schüler des hl.
Chryſoſtomus, gef 470 und noch fo viele andere Kirchen
vater mehr sin
Cyrill von — in ſeiner 23. Catecheſe fühet
die bey der Meſſe üblichen Titurgifchen Formen umftändlich
an, und wir erfehen daraus ‚daß fchon damahls die nähm—
lihen Gebethe wie noch heutzutage vom Priefter verrichtet
wurden; er erwähnt ganz ausdrücdlich, daß durch die
Kraft‘ des Heiligen Geiftes das Brot zum Leib Chrifti
und der Wein zum: Blut Chriſti verwandelt werde,
Die von Eyrill ung aufbewahrte Liturgie des heil. Sacob
ift ebendiefelbe,, welche auch heutzutag noch in der: katho—
liſchen Kicche üblich iſt; wir finden darin genau das
sursum corda — daS habemus ad dominum — das gratias
agamus domino deo nostro — das dignum et Justum
est — das sanctus — das pater noster — feibft die
Handwafchung des Priefters— die Conſekrationsgebethe —
das Gebeth für. die’ Verftorbenen und die’ Anbethung im
Augenblid der Communion. ' Somit wandelt der Fatholis
fche Ehrift getroft und freudig in den Sußftapfen des
urfprünglichen apoftolifchen Chriſtenthums fort; er be—
wahrt genau die nähmliche Ordnung, den nähmlichen Got—
tesdienft , und befennt. die nähmlichen ‘Dogmen, welche
einft die erfterund älteſte aller Kirchen: bekannte.
All dieſe Zeugniſſe bemweifen ganz unmwiderfprechlich, daß
das Neuteftamentliche Opfer. fchon zur Zeit des Urchris
u a —
ſtenthums, wenn auch einfach und ohne Gepräng, Statt
fand. Erſt nachdem die Kirche allmählig von ihren Be—
drängniſſen ſich erhohlte und als ein freyer religiös
geiſtiger Staat angeſehen ward, kamen auch jene glänzen—
den Ceremonien nach und nach hinzu, und immer deut—
licher, geſchichtlicher und feyerlicher trat dann die Lehre
vom Meßopfer hervor. ESo ward 3.3. das Sanctus
im Jahr 124 durch Sixtus, Introitus im J. 2324 durch
Cöleſtin, Patrem im IJ. 334 durch Martin nach dem
Conzilium von Nizäa, die ftehende Anhörung des Evange-
liums im J. 394 durch Anaftafius , Prefatio — Collect —
Gradual und Traet. im J. 484 ducch Gelafius ;"Kyrie
eleyson im 3.604 durdy Gregor, und Gloria in excelsis
im J. 1404 durch Thelefphorus eingeführt; — alles zwar
Gegenftände. welche nicht die Meffe felbft ausmachen.)
Uebrigens fah auch Luther die Ueberzeugungskraft der
hiftorifchen Beweiſe des Alterthums in Betreff des Meßopfers
gar wohl ein, erklärte aber — um ſich aus folcher Verlegen-
beit zu ziehen — es fey am richtigften Alles und wegzu—
läugnen als zuzugeben, daß die Meffe ein Opfer fey.
„Man hält allgemein (fagt er) die Meffe für ein Opfer;
die Ausfprüche der Väter, fo viele Beyfpiele, die all-
gemeine Hebung in der ganzen Welt bezeugen es.
Es foll uns aber die Geſinnung und Webung aller Welt
nicht irre machen.“ Welch. ein Schluß, würdig des hoch-
erleuchteten Haupts und Stifters einer neuen Ölaubens-
lehre 1 —
Weit greündlicher urtheilte der fcharffinnige Philoſoph
und Mathematiker Leibnitz, dieſer berühmte Vertheidi—
ger der Uebereinſtimmung der Vernunft mit dem Offenba—
rungsglauben, in f. Syſt. theolog., indem er ganz unum⸗
wunden erklärt: „Wir halten uns ſicherer an Chriſti
eigene Worte, welcher das Brot ſeinen Jüngern
darreichend, ſprach: dieß iſt mein Leib; und immer hat
das fromme Alterthum in dieſem Satrament ein großes,
die menſchliche Faſſungskraft weit überſteigendes Ge—
heimnißranerfannt , was es doc, gewiß ganz und gar
nicht wäre, wenn ftatt der Sache feldft nur das Zeichen
oder Sinnbild dargebothen würde Und in der That
nehmen alle Kirchen der ganzen Erde — die fogenannten
Reformirten ausgenommen, und jene, welche durch ihre
Neuerungen noch weiter gehen, welche nähmlich die Gott-
heit Sefu völlig verwerfen — heutzutage noch die wefent-
liche wirflihe Gegenwart Chrifti in der Euchariftie
an.“ "Das angeführte Werk (auch vollftändig ins Deutfche
überjeßt von Räß und Weiß, Mainz 1820) diefes großen
Mannes, welchen wir doch wahrlich getroft unfern,, wenn
auch noch: fo aufgeblafenen — Meologen an die Seite
feßen dürfen, Liefert felbft für den proteftantifchen Skep—
tifer ganz befriedigende Bemweisgründe, mie fie von einem
Leibnitz wohl nicht anders zu erwarten ſtunden. An einen
Freund in Leipzig fchrieb er (S. Vorrede zum. Systeme
de la Theologie) , daß er in Betreff der Hauptfchwierig-
feit in der katholiſchen Glaubenslehre, nähmlich der
wirflihben Gegenwart Sefu im: Altarsfatrament,
Beweiſe entdeckt habe, welche aus der Mathematik: und
der Natur der Bewegungen hergenommen für ihn ganz
befriedigend feyen. Wenn nun der tieffinnigfte Denfer
feines Zeitalters , der wohl auch von feinem unſrer jetzi—
gen Illuminaten in diefer Hinficht noch übertroffen ward,
von der Sründlichkeit der Transfubftantiationslehre fich
überzeugt erklärte , fo muß fie doch wenigſtens der menfch-
lichen Vernunft nicht fo ganz zumider feyn, mwie man aus
den Läſterungen unſrer reformirten Zeloten fchließen follte.
Und bleibt ung denn nicht etwa die Faffungsfraft des
menfchlichen Geiftes taufend Antworten über Erfcheinungen
in der phyſiſchen Welt fihuldig, fobald wir aus dem
Gebiethe der Erfahrung hevaustreten? Wie richtig fagte
fhon der heil. Auguftinus: „ Entwidle mir auch nur
die Dinge, welche bloß ir diſchen Urfprungs find, fo
glaube ich dann erft dich fähig in die himmliſchen
einzudringen und fie zu ergründen. “ Eben fo treffend
— 365 —
heißt e8 in der Suite des caract, de Theophr. „Si
Y’ homme pouvoit comprendre ce qu’il voit, je lu
pardonnerois de douter. de ce qu’il ne voit pas.
Nous sommes t@emoins d’une infinite de merveilles
que nous ne pouvons approfondir. L’origine du
flux et reflux, la succession reguliere des jours et
nuits , l’air excitant ses 'vents en notre faveur, le ciel
faisant tomber ses pluies etc. ete. Qu’avons nous a re-
' pondre ? Tout cela arrete le cours de nos reflexions.
Incapables de connoitre ces choses, nous voulons son -
der les jugements de dieu, nous lui demandons
compte de sa conduite, nous rendons sa sagesse respon-
sable de nos doutes.* Und glaubt übrigens nicht auch)
der Lutheraner beym Abendmahl an ein Wunder, mel-
ches der Zransfubftantiation gleihfommt, nähmlich
die Bereinigung des Brots und Weins mit dem Leib
und Blut-Chrifti ? Iſt denn das Wunder der Berwand-
lung größer, unbegreiflicher als das der Bereinigung?
ift e8 nicht ganz ungereimt, bey etwas. an fich felbft fchon
Unbegreiflihem dann erft noch Grade des Glaub—
lichen und Begreiflichen annehmen zu wollen! —
Kurz und. bündig fagt der proteft. Geh. Rath Horft
in feiner Siona: „Dieß ift mein Leib! Mehr ſprach
Jeſus felbft nicht. Es iſt äußerſt wichtig und wohl zu
beobachten; denn eben dadurch fteht diefe »heilige Hand:
lung ganz eigenthiümlich als Myfterium und in’höherer
Bedeutung da. A Myfterium wurde fie auch im gan-
zen Uchriftenthum unläugbar aufgefaßt und gefeyert.
Dieß ließe fih gar nicht erklären, wenn. dem finne=
ſchweren Wort Jeſu nur bloß eine hiſtoriſch ſymboli—
ſche Bedeutung wäre unterlegt worden. “
Noch können wir ung nicht enthalten eine hieher
paſſende Stelle aus Lavater (ES. Kaftnev über Katholi-
zismus und, Nichtkath.) anzuführen. Diefer zwar vielfach
bon. neidifchen Zeitgenoffen angefeindete aber nie von
ihnen übertroffne, gefühlvolle Humaniſt, deſſen Scharfblic
— 366 —
fhon zu Ende des verfloffenen Sahrhunderts auch die
nun in. den ‚kirchlichen und religiöſen VBerhältniffen ein—
tretenden ‚Erfchütterungen ſo entfchieden prognoftizivte,
erwähnt der Anbethungsweife: des katholiſchen Chriften
beym geheimnißvollen Mahl der Liebe mit dem gemüthli=
chen Ausruf: |
Warum wird, ald um dich zu loben,
Den Tod der Liebe, Sefu Chrift,
Die Hoftie emporgehoben?
Weil fie nicht mehr, weil du fie bift!
Dir. beugt die gläubige Gemeine
Das Knie; dir macht , nur div die fleine
Schon früh befehrte Schar der Jungen
Das Kreuz, regt Lippen dir und Zungen,
Schlägt dir mit Andacht und mit Luft
Mit Eleiner Hand dreymal die Bruft u. f. w.
x R
| *
Wir ſchreiten nun zu einer nähern Erörterung der
urſprünglichen Verhältniſſe jener Liturgien oder Kir—
chengebethe des chriſtlichen Alterthums.
Daß die erſte Liturgie von den Apoſteln ſelbſt nach
ihres Meiſters eigener Anleitung war eingerichtet und in
ihren, bis zum Zeitpunkt ihrer Zerſtreuung, zu Jeruſa—
lem gehaltnen Zuſammenkünften gefeyert worden, unter—
liegt feinem Zweifel. Der heil. Jakob, welcher während
29 Jahren dieſer Kirche vorſtund, ſetzte die Abendmahl-
feyer in der nämlichen Form fort, welche er früher in
Gemeinſchaft mit allen übrigen Apoſteln beobachtet hatte.
Diefe verpflanzten. fie. dann im Verfolg auch in jene
Weltgegenden, mwohin fie ſich begaben, und theilten fie
den von ihnen eingemweihten Bifchöfen und Priefieen mit.
Urkunden aus dem hohen Altertbum, deren wir noch
befonders erwähnen * er uns hierüber volle
Gemwißheit. Au
— a
Schon aus dem Schreiben von Plinius an Trajan,
dann fehr umftändlich aus Juſtins erſter Schukfchrift
fehen wir die Anwendung der Liturgie in allen Ländern,
wo der Same des göttlichen Worts ausgeftveut ward ;
auch Srenäus im B. gegen die Häretiker belehrt uns
ganz klar, daß die Liturgie von Jeſus und den Apofteln
berfiamme. Eyprian im. DB. über die Einheit, Fir mi—
lian, Bifchof von Cäfarea, in f. Brief an Enprian, und
Epiphanius über die Häreſien liefern entfcheidende
Beweife, daß fihon im erften und zweyten Sahrhundert
die Liturgie als apoftoliiche und göttliche Einrichtung
angefehben ward, und daß e8 eine für die heiligen Myſte—
rien feftgefekte Vorfchrift oder Canon gab, welche nur
der Priefter allein kannte, und von welcher er
nicht abweichen durfte Epiphanius, in Valäftina
geboren, Bifchof von Galamine und Metropolit. von
Eyvern , nennt vorzüglich den heil. Jakob, Bruder des
Seren und erften Bifchof zu Serufalem, als denjenigen,
mit welchem die zwölf Apoftel nebft Paulus und Barnabas
die Verwaltung der Miyfterien eingerichtet und feſtgeſetzt
haben. Der Berfaffer der apoftolifchen Conſtitutionen,
der in der erften Hälfte des vierten Jahrhunderts fehrieb,
erklärt im 8 DB. ganz beftimmt, daß die Liturgie vom
heil. Jakob herrühre. Auch der große Bifchof von Hippon,
Auguftinus, im 59. Br. an Paulinus beftätigt folches.
Cöleſtin im GSendfchreiben an die Bifchöfe Galliens
fpriht von mpfteriöfen priefterlihen Gebethen , welche
durch die Apoftel der ganzen Welt als Norm mitge-
theilt wurden , und von allen Kirchen ‚gleichförmig ver—
richtet werden; er benennt fie ausführlich es find genau
ebendiefelben, welche auch jekt noch überall am Charfrey-
tag für die Ungläubigen, die Häretiker u. f. w. gebethet
‚werden. Hätten urfprünglich die Apoftel eine Litur—
gie fchriftlich aufgezeichnet, fo wäre fie auch ohne
Zweifel in die canonifchen Bücher eingefchaltet und" als
umabänderliches Gefek der allgemeinen Kirche erhalten
Wi
worden; allein, wie wir fchon oben bemerften, erlaubte
die von den Apofteln felbfi angeordnete Verſchwie—
genheitsdisziplin ihnen micht, weder die Liturgie
noch die auf Verwaltung der übrigen Saframente- fich
beziehenden Formeln ſchriftlich aufzufesen. Man ver:
traute fie dem Gedächt niß der Priefter und Bifchöfe,
bis zum fünften Sahrhundert, wo man erſt anfieng fie
aufzuzeichnen. Ausdrücklich fagt Bafilius., daß
fein Apoftel noch ihre Nachfolger die Liturgie fchriftlich
aufgefekt haben. Eine folhe Verheimlichung, fo
angemeffen fie auh dem Fatholifchen Lehrbegriff ift,
müßte hingegen bey der Galvinifchen und Zwingliſchen
Meinung nicht nur als völlig zwedlos, fondern als
wahrhaft ungereimt und vernunftwidrig. erfcheinen.
Uebrigens durfte dann diefe Vorficht füglicy zur Zeit des’
Conziliums von Ephefus, alfo in der erften Hälfte des
fünften : Sahrhunderts, aufhören, weil damals die Ge-
fahr vorüber war, und fchon die Kaifer ſich zum Chriften-
thum befannten. Wenn alle Kircbenväter der vier
erften Sahrhunderte die Liturgien einftimmig den Apo—
freln zufchrieben, wie wollten denn wir im neunzehn—
ten Sahrhundert ihnen diefen Urfprung ftreitig machen ?
Können wir etwa gefchichtliche DBemweife anführen,
welche den Kirchenvätern unbefannt gewefen wären?
Sene ehrmärdigen Zeugen des chriftlichen Alterthums
berührten ja die Duelle aller: Einfekungen durch eine fehr
geringe „Zahl von Zwiſchengliedern; und uns in fold
fpäter Zeitfolge follte gelüften, durch Zweifel und Ein-
würfe gegen ihre einftimmigen Zeugniffe anzuftreben?
(Zwiſchen Srenäus, Bifchof zu Lyon, der im S. 205
ftarb, und. dem heil. Johannes war ein einziger Zmifchen-
mann Photinug, der beym Tode des Apoſtels fünfzehn
Sahre alt war, oder Polykarp, Biſchof in Smyrna, geſt.
im J. 147, welcher — ſowie Ignatius Biſchof zu Antio—
chien geſt. im J. 107 — des Apoſtels Johannes Schüler
war.) Wohl möchte uns heutzutage daran gelegen
— 469 —
ſeyn, den Liturgien ihren apoſtoliſchen Urſprung abzu—
ſprechen, weil wir durch dieſelben unſers Irrthums
überwief en werden, allein damals Fonnte man keinerley
Bortheil darin fuchen: ihnen diefen Urfprung zu beftveiten
oder einen falfchen unterzufchieben,
Wenn übrigens den Apofteln die Stiftung der —
zugeſchrieben wird, ſo iſt dieß nur von dem Weſentlichen,
von der Hauptfache zu verftehen; und begreiflicher Weife
fonnte zur Zeit der Verfolgungen, in unterivdifchen Höh—
len und Gefängniffen, der Gottesdienft nicht mit jenem
Glanz und in folcher Ausdehnung. gefeyert werden,
wie im DBerfolg - nach hergeftellten Ruhe in öffentlichen
Kirchen und Gotteshäufern. „Die Abänderungen und Ver—
fchiedenheiten ‚betrafen indeffen nur die, außerwefentlichen
Theile der Liturgie, wie wir. fchon oben bemerkt „haben,
und immerhin kann alles, was in den fämmtlichen
Liturgien zur Zeit ihrer Erfcheinung — in der erften
Hälfte des V. Sahrhunderts — gleichförmig enthalten
‚war, nähmlich: die wefentliche Gegenwart durch Verwand—
lung der Gubftanz, die Anbethung, dev Altar, das
Dpfer, und das Gebeth für, die VBerftiorbenen, nur den
Apofteln zugefchrieben werden. Hiertiber ſind auch die
Gelehrten längſt einverftanden. Nur das Anfehen des
apoftolifchen, Urſprungs fonnte bewirken, daß alle Kirchen
der Welt fih an die nähmlichen Dogmen feft-anfchloffen
und diefe Gleichförmigkeit mit ängſtlicher Sorafalt
beybehielten. Diefe höchſt merkwürdige Webereinftim-
mung ward durch kein Conzilium herbeygeführt, da die
Schismatiker nie deffen Entfcheid‘ -fich unterzogen. hätten.
Nur das für Alle gleich. heiligen Anfehen der apoftoli-
fhen Einſetzung ‚vermochte „eine ſolche Gleichförmigkeit
zuwegzubringen. Um ſich zu überzeugen, daß alle zu
jenen Zeiten übliche Liturgien ‚vouftändig mit einander
‚übereinftimmen, und daß in; denfelben der Glaube an das
Opfer, die, Gegenwart, die Subſtanzverwandlung und die
Anbethung klar und kräftig ANGORRÄCEN: ſen müſſen
— 370 —
%
jene Liturgien forgfältigft aufammengeftellt werden. Diefe
find hauptſächlich: diejenige aus dem U und 8. 3. der
apoftolifhen Conſtitutionen (welche fälfchlich dem
Papſt Clemens, Schüler und Nachfolger des Heil. Petrus
zugefchrieben werden, deren Achter VBerfaffer jedoch nad)
dem Urtheil der geprüfteften "Gefchichtsforfeher dem IV,
Sahrhundert angehört.) die römiſche Liturgie, nach der
vom Papft Gelafius im J. 492 — 496 unter dein Nah—
men Sacramentarium verfaßten vohfländigen Sammlung
alfer jener Gebethe, die zur Zeit der Apoftel in der Kirche
zu Rom bey der Meſſe verrichtet wurden; dieſe war im
3.595’ auf den Inſeln Brittanniens eingeführt und da⸗
feröft "bis zum XVL Sahehundert gefeyert worden, wie fie
es zur Stunde noch in’ Frankreich, Deutfchland, Spülen
und alfen Ländern der Welt iſt, mo fich Priefter des
fateinifchen Ritus befinden; die gallikaniſche Liturgie
nach des heil, Germanus von Paris Eurzgefaßter Ausle—
gurig der Meffe; das gothifch - gallifanifche Meßbuch
vom Ende des VII. Sahrhunderts; Liturgie des. heil.
Sohannes oder von Serufalem; Liturgie von Con:
ffantinopel, welche -von- allen Griechen des Abendlands,
in Rom, Calabrien und Puglien , von allen Geovgianern,
Bulgäten und Ruffen, von allen unter dem Patriarch
von Alexandrien, Jeruſalem und Antiochien ſtehenden
Chriſten allgemein befolgt ward; ferner die ſyriſche
Liturgie des heil, Jacob, erften Bifchofs der Kirche von
Jeruſalem; die Liturgie von Alexandrien; liturgia
Marci quam perfecit Cyrillus; die Liturgie von
Ae thiopien oder Abyſſinien; jene des heil. Marutbas,
Bifchofs zu Tagrit in Mefopotamienz jene der chal däi—
ſchen Reſtorianer, der Armenier u. ſ. mw.
Sp z. B. heißt es in der Liturgie des heil. Jacobs
von Serufalem: „Erbarme dich unfer, Gott, nad) deiner
großen Barmherzigkeit, und fende über ung und über die
hier vorliegenden Guben deinen. allbeiligen Geift, daß er
komme und durch feine ‚herrliche Gegenwart dieſes Brot
Bi
heilige und 88 zum heiligen Leib deines Chriftus ma che,
und diefen Kelch zu feinen köſtlichen Blut.“ Der Li—
—* der heil. Markus haben wir ſchon oben erwähnt.
In der Kiturgie von Conftantinopel heißt es: Segne,
o Herr, das heilige Brot, mache in Wahrheit diefes
Brot zu dem foftbaven "Leib deines Chriſtus. Gegne,
o Herr, den heiligen Kelch, und was im diefem Kelch if,
das koſtbare Blut deines Ehriftus, — verwandelt
durch den heiligen Geift.“ |
All dieſe verſchiedenen, auf unverwerflichen geſchicht⸗
lichen Urkunden beruhenden Liturgien verdienen ihrem
—* Inhalt nach in dem kn Werk des P.
Le Brun: explieation de la messe 4 Vol. in 8, Paris
1726 gelefen zu werden. Die: Liturgien des Orients wur-
den in Europa erft im XVII Sahehundert beffer befannt;
wären fie es hundert Jahre früher geweſen, ſo hätten fie
wohl der tollen Wuth jener Schismatiker gegen das apo-
ftolifche Dogma. von der. Euchariftie wirkfamen "Einhalt
gethan; ift es doch thatfächlich erwiefen, daß gelehrte
Männer im nicht geringer Zahl, "welche mit der Mutter:
milch die Grundſätze des proteſtantiſchen Eultus ein-
gefogen hatten , dennoch gerade durch ‘die Kenntniß dieſer
Liturgien und ihrer fo merkwürdigen Uebereinſtimmung
zur Rückkehr in den Schooß der Einheit und des
urſprünglichen Glaubens" bewogen worden find.
(Eine ſolche Uebereinſtimmung des Titnrgifchen Cultus
wird freylich die Nachlommenfchaft nicht Gefahr laufen,
in unferm Beitalter und in unſerm Lehrſyſtem zu finden,
wo für jeden Beiftlichen ungebundene Freyheit in Ab—
faffung kirchlicher Gebethe in Anfpruch genommen, und
jede Einmifchung irgend eines weltlichen oder geiftlichen
Unfehens — ald den Grundfäken der glorreichen Nefor-
mation ' zumiderlaufend — ea wird ©. Theol.
Annalen 1830.)
Und in der That, welch feſte Bub icht ſpricht aus
all dieſen Liturgien jener N deren - einige
— MM —
der Offenbarung felbft und ihren Wundern, andere den
3eugen derfelben fo nahe waren! Welche Einftimmig-
keit ihrer Grundfäke in. den entfernteften NWeltgegenden !
Welch unerfchütterlihe Heberzeugung von ihren Dog—
men und derfelben »göthlihem Urfprung! Keine
Berfolgung — weder Marter noch Tod — vermochte fie
wanfend zu machen. Wie Fonnte dannzu Anfang des XVI.
Sahehundert3 eine fogenannte Reformation mit dem Iofen:
den prunfvollen Berfprechen auftreten: die! Welt zum
urfprünglichen Ölauben der Väter zurückzufüh—
ven, und dennoch gerade damit den Anfang machen , daß
fie von? diefem Glauben: das Gröfte und Exhabenfte zer-
trümmerte, was die er ſten Sahrehunderte des Chriften-
thums glaubten und übten!! —
Die erwieſene Uebereinſtimmung aller Chriſten
der Welt im V. Jahrhundert, ohne daß auch nur irgend
ein Widerſpruch ſich geäußert hätte, iſt und bleibt
doch wohl ein untrügliches Merkmahl, wodurch wir an
den Liturgien jener Zeit den ‚get euen Abdruck des —
Aalen: Rh —* jeder dieſer ehrwürdigen alten
Urkumden finden wir.» Altar und dargebrachtes unblutiges
Dpfery in; jeder die. Anrufungsformel um Berwandlung
der Subſtanz, ; welche theils Die wefentliche Gegenwart
vorausſetzt theils „die, Anbethung gebiethet. Die Priefter
aller Welttheile verkündeten diefe Dogmen in feyerlichen
Sebsthen, „im den orientaliſchen Kirchen mit beynahe mehr
‚Kınft und Feuereifen noch ald in. der römiſchen. So
war unläugbar deu Glaube der ganzen chriſtlichen Welt,
and der allgemeine faſt täglich geübte Gottesdienſt in
jenen goldnen Tagen des Chriſtenthums beſchaffen; beyde
ſind mit ſo unverkennbaren Zügen in allen Liturgien des
V. Jahrhunderts ſowie unſrer Zeit aufgezeichnet und aus—
geſprochen, daß ihre verpflichtende Kraft und Gültigkeit
auch heutzutage noch, unter feinem Vorwand in Abrede
geſtellt werden kann.
Das bisher Gefagte muß ung die Ueberzeugung und
volle Gewißheit beygebracht haben , daß die alte Ver—
fhwiegenheits=-Disziplin fih nur auf das Dogma
der wefentlichen Gegenwart beziehen konnte, und
daß die in allen Liturgien des V. Jahrhunderts vorkom—
mende Verwandlung der Subſtanz — die Anbethung —
das unblutige Opfer aus dem apoftolifchen Zeitalter
herrühren. Sn Gemäfheit jener Disziplin wurden die
Myſterien unterm Schleier dunkler, räthſelhafter
Ausdrüce verhält, fobald fie der mindeften Gefahr von
Entweihung ausgefeßt waren, "außerdem aber — mie
> 3. beym Unterricht der Neugetauften — ward davon
ganz unummunden und verftändlich ' gefprochen.
Uns kann es doch wahrlidy — nach ſo langem Zwifchen-
raum — nicht zuftehen , die Umſtände zur beſtimmen, unter
welchen jene Gefahr vorhanden war; dieß Eonnten wohl
nur die Väter ſelbſt beurtheilen. Zu Anfang des V.
Sahrhundert3 wagte, wie wir‘ früher bemerkten, Inno—
zentius J. es nicht, dem Bifchof Dezentius offen und deut-
lich über die Mofterien zu fchreiben, während hingegen
ein Chrift des zweiten Sahrhunderts — Zuſtin — dem
heidnifchen Kaifer Antonin ſich entdecken und anvertrauen
durfte. (Freylich fehildert ung die Gefchichte dieſen Für—
ften als einen vortrefflichen Regenten und zweiten Sofrates ;
auch mwiffen wir ‚ daß er. das Zutrauen Suftins nicht nur
auf Feine Weife mißbraucht, fondern vielmehr zu Gunften
der Ehriften verfihiedne Edikte erlaffen hatte, ) Um nun
die Meinung der Väter über die Euchariftie richtig zu
erkennen, mus man fie folglich in: jenen. ihrer Schriften
aufjuchen;, wo ihnen derfelben Deutliche unverhohlene
Darftellung vergönnt war, z.B. beym Unterricht der
Neophyten. Ein einziger Aufſatz ſolch eines dogmatifchen
Elementarunterrichts müßte über die urſprüngliche Glau—
— 3714 —
benslehre von der Euchariftie helles Licht verbreiten, Leider
ift aber der größre Theil derfelben verloren gegangen ;
dennoch blieben durch Gottes Weisheit und Güte einige
diefer authentifchen unverwerflichen Denkmähler aufbe-
wahrt, nähmlich von den für die Neophyten verfaßten
Ehriftenlehren oder Catecheſen. Dieſe fo merkwürdigen
Borträge nun find es, welche ihrer Natur nach zwi—
fchen Katholiken und Proteftanten entfcheiden müffen!
Welcher Glaube damahls auch immer gelten mochte, fo
mußte ev fih in dieſen Schriften nothwendig ganz
unzweydeutig ausgefprochen finden. Die Neophyten
mußten jedenfall unterrichtet werden: ob das, was fie
genoßen, wirklicher Leib und Blut Eheifti oder nur
bildliche Vorſtellungen davon ſeyen. Vernehmen
wir alſo noch einige der älteſten Chriſtenlehren über dieſen
hochwichtigen Punkt!
Der ehrwürdige Cyrill, Patriarch von Jeruſalem,
ſagt in der vierten; Eatech. über die Myſterien: „Da
Ehriftus felbft , indem er vom Brot redet, deutlich‘ er—
klärt, daß es feim Leib und vom Wein, daß er fein
Blut fey, wer dürfte je dieſe Wahrheit bezweifeln ?
Ehmahls verwandelte er zu Sana in Galiläa Waffer in
Wein durch feine bloße Willensäußerung, und wir
folten ihn nicht werth: halten auf fein Wort zu glauben,
daß erden Wein in fein Blut verwandle ? Lnter der
Geftalt des Brots giebt er uns feinem Leib, und
unter der Geftalt des Weins giebt er uns fein Blut;
daher beſchwöre ich euch, meine Brüder, betrachtet es
fernerhin nicht mehr als gemeines Brot und gemeinen
Wein, weil 8 nah feiner eigenen Verfihrung
der Keib und das Blut Jeſu Chrifti ſelbſt if. Eure
Seele erfreue fichralfo in dem Herrn durch die gemwiffe
Weberzeugung, daß das, was: unfern Augen als
Brot erfcheint und vondem Gefhmad als ſolches beur-
theilt wird, nicht Brot, fondern der Leib Sefu
Ehrifti ſelbſt ift, und daß was unfern Augen als
Wein erfcheint, und von dem Gefhmad für ‚bloßen
Wein gehalten wird, niht Wein, fondern das wahre
Blut Sefu Chriſti ſelbſt iſt.“ Eben fo beffimmt
und unmifverftehbar erklären ſich noch fo wiele
andere. der angefehenften, auh von den Proteftan>
ten geachteten Kirchenväter, z. Bd. ein Öregor von
Nazianz in der 2, Nede an die Gläubigen und Neophyten
über dag Oſterfeſt; Gregor v. Nyſſa im 37. Cap. feiner
großen katech. Rede, wo er klar ausfpricht: daß der Herr
durch die Kraft der heiligen Segnung die Natur fichtba-
ver Geftalten in feinen felbfteignen Leib ver:
wandle, und wo er zugleich durch greündlichfte Auseinan—
derfeßung Diejenigen gemiffermaffen zum vorhinein
widerlegt, welche. einft der Welt die Irrlehre verfündigen
folten , daß man in der Euchariftie den Leib des Gott-
menfchen nur im Glauben, nicht in der Wirklichkeit
genieße, Micht weniger merkwürdig ift die Rede des heil.
Ambrofins, des großen Bifchof3 von Mayland , geft.
im 3. 397. de mysterüs GC. 9, wo er die Zransfubftan-
tiationslehre mit der volftändigften Klarheit zergliedert.
„Wenn auf Gottes Wort, fagt er, die Welt aus Nichts
erfchaffen ward, follte dann nicht . ebendaffelde Wort
auch die Natur ſchon erfchaffner Dinge zu verwan-
deln vermögen? Und geſchah nicht auch die Menfch-
werdung. Jeſu, feine Geburt im jungfräulichen Schooß
Mariens, außer den gewöhnlichen Gefeken der Natur ?
Der Genuß. des wahren wirklichen Leibs und
Bluts Chrifti ift ein Geheimniß, welches ihr ſorg—
fältigft innert euch felbft bewahren follt, um euch ja der
Gefahr nicht auszufeken es denen mitzutheilen , die deſſen
nicht würdig find, oder durch unbedachtſame Rede das
myfteriöfe deffelben den Ungläubigen zu offenbaren.“
Gaudentius, im Jahr 386 zum Bifchef von Brescia
ernannt, in -feiner Erklärung des Buchs Erodus an die
Neophyten, äußert fich in eben fo klaren Ausdrücken,
"und fügt bey: „Ebenderſelbe Here und allmäcdtige
>
= MM —
Schöpfer aller Dinge, der aus Erde Brot hervor-
bringt, ift e8 auch , derwieder dieß Brot in feinen
Leib ummwandelt, weil er die Kraft Yyat es zu thun,
und weil er es verfprochen hat; eben derfelbe, der
vormals Waffer in Wein verwandelte, verwandelt
auch den Wein in fein eigenes Blut.“
Sind folche Flare Ausfprüche nicht geeignet, auch den
hartnädigften Sfeptifer zu belehren und zu übermweifen ?
Ehryfoftomus, Patriarch zu Eonftantinopel, in der
47 Hom. über Soh. und 67 Hom. an das Volk von An:
tiochien; Auguſtinus in der 8 Pred. an die getauften
Erwacfenen ; Fulgentius in feiner Rede an die Neuge
tauften auf das Oſterfeſt; Eyrill von Merandrien; Eu-
febius in der 5. Homilie auf Oſtern u.a. m. verdienen in
der That umftändlich gelefen zu werden. Man kann in
diefen Stellen jene alterthümliche Einfachheit nicht
verfennen melche den Leſer anzieht, und dem Glauben durch
die Griündlichfeit der Lehre eine mächtige Stüße Teiht.
Diefe heil. Väter berufen fich bey all ihren den Neuge—
tauften ertheilten Belehrungen auf die Tradition der
Kirchen, und nach ihren Zeugniffen feyerten die Apoftel
auf Befehl ihres Meifterd ununterbrochen und überall die
Kiturgie; von der wirflihen Gegenwart und der
Zransfubftantiation fprechen alle in den deutlich—
ſten Ausdrüden, und al ihre gebrauchten Redensarten
ſtimmen mir der katholiſchen Lehre aufs vollftändigfte überein.
Können die Proteftanten die Weberzeugungsfraft fo Icher
Beweiſe noch länger zu beftreiten fortfahren? Würden
die heil. Vater ihre Neophyten nad) Calvins und Zwinglis
Grundſätzen unterrichtet haben, wie hätten fie je den Grund-
faß aufftellen Eönnen, daß das was vor der Conſekration
natürliches Brot ift, mirflich nach derfelben der
wahre Leib Sefu Chriſti werde? Nun bezeugt aber
Gregor von Niffea in feiner Rede über die Taufe Jeſu
in den beftimmteften Ausdrüden: „Das Brot ift nur im
Anfang Brot, fobald es aber durch das geheimnißvolle
—
Gebeth Eonfefrivt ift, nennt. man es und ift es der Leib
Sefu Chriſti. Ebendaffelbe allmächtige Wort Gottes
vermag die Dinge. zu verwandeln wie zu erfchaffen.“
Auch der heil. Ambroſius äußert fich in gleichem Sinne.
Und wie leicht wäre e3, noch eine Menge ähnlicher Aus-
fprüche der angefehenften Kirchenväter zu Beftätigung des
fatholifchen Lehrfakes von der Euchariftie anzuführen !
Hätte man damald geglaubt und gelehrt was unfere De-
formatoren als den alten Väterglauben vorfpiegelten,
daß nähmlich Brot und Wein nur finnliche Bilder und
Erinnerungszeihen an den, Erlöfer feyen, woher
fommts denn daß auch nicht ein Einziger von all jenen
feommen Kirchenvätern jemahls eine ähnliche Behauptung
bey folchben Gelegenheiten vorbrachte, wo fie die Lehre
von der Euchariftie ohne Rückhalt und deutlich auslegen
und erklären durften oder vielmehr mußten, nähmlid :
beym Unterricht der Neugaetauften vor ihrem Zu—
tritt zum Abendmahl? Nirgends berührten fie bildliche
Borftellungs = und Erinnerungszeichen eines abweſenden
Begenftandes auch nur mit einem Wort! BBielmehr
\ erinnern fie zu Unterffüßung ihrer Lehre von der
wefentlichen wirklichen Gegenwart, ihre Neophy—
ten an die Wunder der Weltfchöpfung aus Nichts —
der Geburt Ehrifti aus dem jungfräulichen Schooße Mariens
— der Hochzeit zu Cana — der Brotvermehrung u. f. w. !
Wäre es nicht der höchfte Grad von Albernheit gemwefen,
Himmel und Erde in Bewegung zu ſetzen, und die erha-
benftten Wunder der Allmacht anzuführen, um den
Neophyten zu: beweifen, daß (faft darf es nicht ausgefprochen
werden) — der Gottmenfd die Gewalt hatte: Brot
und Wein in Zeichen und Sinn bilder feines Leibes
und Bluts zu verwandeln. —, was ja doch ſelbſt der ohn-
mäctigfte unter den, Menfchen: jeden Augenblick zu thun
vermag? "Und vertrügen ſich wohl.die Begriffe der Pro-
tefianten ‚von. der Euchariftie. mit dem, mas der heil,
Chryſoſtomus in der Hom. über die Seraphinen fagt;
— —
„Nähert euch dem heiligen Tiſche mit dem feſten Slauben
daß da der König aller erfchaffenen Dinge zugegen fey ;
denn erift wahrhaft gegenwärtig. Ihr die ihre nur
Staub und Afche feyd, ihr empfangt den wirklichen
Leib und das wirflihe Blut, Sefu Ehrifti. Ihr ges
nießt jenen als Speife der in des Himmels Höhe von den
Engem angebethet wird. Somit unterwiefen die Väter
auch ihre Gläubigen und Neophyten, fich der Euchariſtie
nur mit den Gefühlen einev eigentlihen Anbethung zu
nähern; ja fie‘ fchrieben ihnen fogar eine dieſen innerlichen
Gefühlen entfprechende dufere Haltung beym Zutritte
zum heiligen Fifch vor, wiewiv aus Cyrill von Serufalem
in der 4. Cathech, Ambroſius im 3. B. über den heil,
Beift, Auguftinus über den 98 Pr, Honorius über
den 48 Pf. und BRENNEN in der Homilie über 1.
Cor. fehen.
Nenn die Vertheidiger ter figürlichen Lehre fich
hinfichtlich der Euchariftie auf das Anſehen der Väter
berufen, und Bemweisftellen aus denfelben anführen, fo find
Teßtere nur immer aus folchen ihren Schriften gezogen,
in welchen fie dunkler, rätbfelhafter Ausdrücke fich zu bes
dienen genöthigt waren, und (ducch länger als vier Jahr—
hunderte, während der Disziplin der Geheimhaltung) ihre
Ausdrücke genau nac den Umftänden bemeffen mußten,
niemald aber aus folchen, wo die Väter Elar und un-
ummwunden über die euchariftifchen Geheimniffe ſich aus⸗
geſprochen hatten.
Was dann übrigens noch die Unbegreiflichkeit
dieſer Dogmen betrifft, ſo liegt darin ganz und gar kein
gültiger Einwurf gegen dieſelben. Oder, wären wir etwa
berechtiget, eine durcdy die That erwiefene Wahrheit def-
wegen zu läugnen, weil ihre Theorie in Dunkel gehült ift?
Dürfen wir ein in der Religion gründlich feſtgeſetztes Dogma
aus dem Grund veriwerfen, weil wir daffelbe nicht begrei—
fett, da wir doch keinen Anftand nehmen noch nehmen
können, in der Natur taufend Wirkungen anzuerkennen,
— 379 —
von denen wir ung auc, nicht eine einzige zu erklären ver—
mögen! Weberlaffen wie es Gott, dasjenige was er uns
zu offenbaren gut fand, durch folche Mittel zu bewerkſtelli—
gen, die nur Er allein kennt; und geben wir uns nicht
die vergebliche Mühe zu —— ob dieſe ſeine
Mittel und Wege mit den Grundſätzen unſrer Bernunft
im Einklang fiehen oder‘ nicht! Denn fo weit die Himmel
über die Erde erhaben find, eben fo weit find feine Wege
. über unſre Wege und feine Gedanken über unfre Gedanfen
erhaben.
Auch Luther ſchrieb noch im S. 1537 an die Kirche
in Zürich: Auf welche Urt und Weife Leib und Blut
Ehrifti uns im Abendmahl davgereicht werde, ftellen wir
Lediglich der göttlichen Allmacht anheim Wir halten
uns einfach und gläubig am feine eigenften Worte: dieß
ift mein Leib, dieg ift mein Blut.“
Exinnetnwit uns alfo vielmehr dev Lehreund des Glau-
bens der Apoſtel und der erſten Ehriften, fowiejener
Berfhwiegenheitsdisziplin ‚welche diefe geheimniß—
vollen Dogmen in den Herzen der: Gläubigen verfchloffen
hielt, und welche fo alt wie das Chriſtenthum ſelbſt ift!
Erinnern wir ung jener Riturgien des V. Jahrhunderts,
in welchen diefe Glaubensfehre mit Fräftiger Sprache aus—
gedrückt if, und deren tibereinftimmende Gleichförmigfeit
ihren apoftolifhen Wrfprung fo unwiderſprechlich
beurfundet! Erinnern wir uns, daß die Väter den nähm—
lichen Glauben in der gröften Deutlichkeit entwidel-
ten, fo oft fie unummunden — in Gegenwart der Gläubigen
allein — reden Eonnten, oder den Neophyten vor Em—
pfang des Abendmahls den Unterricht ertheilten! Setzen
wir unfer volles gläubiges Vertrauen auf den Stifter
diefes Geheimniffes! Jene Mifchung von Licht
und Dunkelheit, welche wir im Reiche der Natur fowie
int Gebiethe der. Religion antreffen, fol unſerm Glau—⸗
ben zum Prüfftein dienen; mit dem Leben wird zugleich
auch diefe Mifchung enden; was uns hier noch verpprren
und bedenklich, vorkommt, wird jenfeits durch feine
Einfachheit uns in Erftaunen feßen ! Die höchite Ver—
mefjenheit wäre es wohl, unſre ſchwache Einficht dem
göttlichen Wort desienigen, der das Weltall erfchuf
und beherrjcht , entgegenftellen, und auf unfern fo fehr
beſchränkten Berftand mehr Vertrauen feen zu wollen
als auf feine Allmacht felbft und feine unbegrängte
Weisheit. — |
Sn diefem Sinne haben ſich auch mehrere erleuchtete
Lehrer der proteftantifchen Kirche ausgefprochen.
Der berühmte anglifanifche Bifchof Coſin — geft. im J.
1672 — fagt in ferner Gefch. der Transfubft. : „Wir
befennen mit. den heil. Vätern, daß wir die Art und
IB eife der Gegenwart Ehrifti im Altarsfaframent weder
mit Gedanken begreifen noch mit Worten ausfprechen
fönnen , das beißt, daß fie durch: den menfchlichen Ver—
fand nicht ducchforfcht, fondern durch den Glauben
als wahr. angenommen werden fol. So feltfam es uns
auch vorkommen mag, daß das Fleifch Sefu Ehrifti aus
einer fo großen Entfernung big zu uns gelangen und
felbft unfre Speife werden könne, fo dürfen wir doch
niemals vergeffen , daß die Macht des heiligen Geiftes
fich weit über die Gränzlinien unſrer Einficht erhebe,
und daß es allzuthöricht wäre feine Unermeßlichkeit nach
unferm ſchwachen Berftand ergründen zu wollen, Der
Glaube erfaffe alfo das, was unſer Verſtand nicht
begreift!“ — | |
Der. nicht minder gelehrte und ‚berühmte Dr. Ken,
Bifchof der reformierten Kirche zu Bath, fagt in feiner
AU. 1685 angenommenen Erklärung: „OD Gottmenfd !
wie fannft du, uns dein Fleifch zur Speiſe und dein
Dlut zum Trank geben? Wie ift dein Fleifch eine
wahrhafte Speife? Wie fannft du ‚der du im Him—
mel wohnſt, auf unſren Altären gegenwärtig feyn?
Bey - diefem Gedanken geräth mein: Berftand in Verwir—
zung, und dennoc glaube ich all; diefes mit feſter
a
freudiger Zuver ſicht, weil du, der du die Wahrheit
ſelbſt bit, es uns .gefagt haft. Sch baue mein ganzes
Vertrauen auf deine Liebe zu und, und werde nie zwei-
fein, daß deine All macht auch dein Wort wird in Er-
füllung zu. ſetzen wiffen,, wenn miv auch die Art und
Weiſe noch fo unbegreiflich vorkommen mag.“ Eben
fo beftimmt drückt ſich über diefen Punkt dev Englifche
Prof. und Theolog Forbefius aus: , Die Meinung der-
jenigen Proteftanten fcheint die ficherfte und gerechtefte zu
feyn, welche dafür halten, jo fe it glauben, daß der Leib
unddas Blut EChrifti swahrhaftig, wirklich und
wefentlich im heil. Abendmahl zugegen ſey und empfan-
gen. werde, aber auf eine Weiſe, die dem menfchlichen
Berftand unbegreifliay ift und nicht erklärt werden
kann, fondern Gott allein: befannt und im der Schrift
nicht geoffenbart iſt.“ | |
* *
Nachdem wir oben die Zeugniſſe der Kirchenväter aus
den fünf erſten Sabrhunderten über das urchriftliche
Dogma der wefentlichen Gegenwart angeführt haben, fo
wäre es überflüffig auch die Kette derfelben bis in Die
Mitte, des AL Jahrhunderts zu verfolgen, wo dieſer
Eatholifche Glaubensſatz, wie wir fchon früher bemerften,
zum erftenmal von Berengar, Archidiakon zu Angers,
angegriffen ward. Die Stimme der ganzen chriftlichen
Welt erhob fich alsbald wider ihn. Im kurzen Zeitraum
von 1055 bis 1079: traten acht Kirchenverfammlungen,
unter Leo IX. — Bieter IL — Niclaus IL — Alexan—
der II, — und Gregor VH., zufammen, um den fo ge:
fährlichen als: bis damals unerhörten Irrwahn auszu—
rotten. Mach vielen Ausflüchten und langem Starrfinn
widerrief Berengar feine Srrlehre noch kurz vor feinem
am 6. Senner: 1088 in feinem 90. Lebensjahr erfolgten
od. Geine letzte Aeußerung hat: ung der ausgezeichnete
3
Hiſtoriker Wilhelm don Sommerſet, "Bibliothekar von
Malmesbury in feiner Anglia sacra P. III mitgetbeitt,
wo er fchreibt : „An, feinem Todestag — dem Feſt der
Erfcheinung des Herrn — erinnerte‘ er ſich alfer jener,
die er in feiner Sugend und in der erften Hike feiner
Streitſucht irre geführt hatte. Er rief im Gefühl der
tiefften Schwermuth aus: Sefus Chriſtus, mein "Gott
und mein Herr, wird heut am Tag feiner Erfcheinung
auch mir erfcheinen, und ich hoffe er werde mich meiner
Reue wegen don feiner Herrlichkeit nicht ausfchliegen,
obſchon mich ‚zugleich die Furcht ergreift, die Unbuffertig-
feit: der von meiner Srrlehre angeſteckten Unglücklichen
fönnte mir das Verdammungsurtheil zuziehen. Was mid)
betrifft, ſo glaube ich aus eigner Ueberze ugung, ge—
ſtützt auf das Anſehen der alten Kirche, und auf fo
viele neue Wunder, die wir in unfren Tagen erfahren
haben, daß unmittelbar auf die Gegnung des Priefters
diefe Miyfterien der wahre Leib und das wahre Blut
des Welterlöfers werden “
Sener große Mann, welcher auch von den Proteſtan⸗
ten als der Pharus ſeines Jahrhunderts verehrt wird,
Erasmus „deſſen wir ſchon öfter gedachten, pflichtet in
der Vorrede zur Abhandlung über die Euchariftie von
Alger, dem Dogma der wefentlichen Gegenwart, unter
Anführung der bündig ften Gründe gänzlich bey, und
erklärt am Echlufe den Wunfch, daß jene, welche
Berengatn in feinem Irrthum folgten‘, bw auch in
feiner Reue folgen möchten.
Ebenderfelbe Erasmus in feinem Brief vom Jahr
1526 an Pellifan fett feine Gründe für das alterthüm-
liche Dogma der Euchariftie ganz umſtändlich aus einan—
der, und fügt die ernften Worte bey: „Für einen
Chriſten wäre es ein Verbrechen, fi) dem Anfeben
dev Kichenverfammlungen und der ſeit fo vielen
Sahrehunderten beftehenden Webereinftimmung -aller
Kirchen und Nationen nicht anzufchliegen. Ich leſe in
der heil. Schrift die iſt mein Leib, der für euch
wird hingegeben — diefes ift mein Blut, melches fir
euch wird vergoſſen werden. Führe mir auch nur eine
einzige Stelle an , worin geleſen würde: dieß iſt nicht
mein Leib, nur das Vorbild meines Leibs, nicht mein
Blut, nur das Zeichen meines Bluts! Vergebens
beiniiiheft du Dich jenen Beweis zu finden, daß man dem
Zeichen der Sache den Namen der Sache je gegeben
babe. Wie fönnte ich dann nach‘ ſo vielfältigen Entfchei-
dungen der Kicche mich. noch zu fagen erkühnen: die
Euchariftie fey nicht3 andresals Brot. Sch habe
bisher , gemeinfchaftlich nit allen Chriften,, in dev Eu-
hariftie den näh mlichen Jeſus angebethet, der für
mich am Kreuze ſtarb; und Feine bloß menfchlichen Beweg-
gründe werden je mich dahin bringen’ die allgemein überein⸗
ſtimmende Meinung der gefammten Chriftenheit aufzugeben.
Und wern Andre die Ueberzeugung haben follten , daß in
der Euchariftie nichts anders ad Brot md Wein
enthalten fey, ſo erkläre. ich meines Orts, daß ich mich
lieber in Stücken zerreißen und zergliedern laſſen, als
ſolcher Meinung anhängen, und daß ich lieber alle
Qualen erdulden als aus der Welt gehen wollte, belaſtet
mit einem ſo großen Verbrechen gegen das ng
meines Gemwiffens. “
Und wahrlich, wollte auch der gelehrteſte Theolog heut-
zutag jene Mofterien erklären, ev fönnte unmöglich fich
beftimmter, kräftiger und nachdriicklicher ausfprechen, als
die Älteften Kirchenväter es gethan haben; ja es
bliebe ihm nichts übrig, als die Ausdrücke jener großen
‚Männer zu wiederhohlen. Jeder dem es ernftlich darum
zu thun ift, den Ölauben der erften Sahrhunderte
über die Euchariftie aus den Vätern gründlich Fennen zu
lernen, wird ihn in ihren Zeugniffen genau und deut-
lich ſo finden wie ihn die Fatholifche Kirche auch jet
noch bekennt und immer befennen wird. Wohl haben fo
manche prot. Gelehrte. allem Scharfſinn aufgebothen, um
a
die Deutlichfeit und Kraft jener Zeugniffe zu ſchwä—
hen; fie haben die Schriften der Väter durchſpäht um
Widerfprüche herauszufinden, und ihre flaren entfchei-
denden Aeußerungen durch Anführung anderer Stellen
zu beftreiten, in welchen fie fi manchmahl geheimnißvoll
und väthfelhaft ausjudeüden genöthiget waren.
Borzüglich fchärften fie gegen Auguftinus ihre Waffen.
Wie konnte e8 aber. ihnen entgehen, daß diefer fromme
Mann in einem einzigen Wort fowohl feine perfönliche
Lehre als jene der allgemeinen Kirche verbürgt, da er ung
fagt: „Niemand ift von diefem Fleiſch ohne es vorher
angebethet zır haben, und nicht nur fündigen wir nicht
durch die Anbethbung, fondern wir fündigen gerade
durch Nichtanbethung defjelben. “+ In Eritifchen
Gelegenheiten (worin diefer mehr als alle übrigen
Bäter mit Heiden umgebne Redner häufig fich befand )
derftund er die Moyfterien zu verfchleiern, ohne fie
zu vernichten. Dder- follte es jenen fpikfindigen Pole—
mikern unbekannt geweſen ſein, daß Auguſtin täglich zu
Hippon jene rührenden und erhebenden Gebethe wieder—
hohlte, in welchen das Opfer, die» Anbethung und die
weſentliche Gegenwart durch Verwandlung der Subſtanz
deutlich ausgeſprochen werden, daß er all dieſe ſo wichti—
gen Wahrheiten oft verhüllen mußte, und fie auch
wirklich, aber mit einer dem Dogma ſelbſt unfhäd-
lichen Zartbeit, verhüllte? Begreifen fie denn nicht,
daß dieſe fo ängftliche DBerfchwiegenheit durchaus zwecklos
geweſen wäre, wenn Auguſtin die Meinung der Reformir-
ten. angenommen hätte, — weil in ſolchem Fall gar
nichts zu ver hüllen war? Uebrigens findet man
in den Schriften Augufting , wie in jenen andver Bäter,
feine Etelle welche, dunkler wäre. als es eben die
Umftände erheifchten, feine die man nicht Leicht
mit dev Lehre der Liturgien und der, Kivche in genaue
Uebereinfimmung bringen könnte. Und wem follte
es. nicht einleuchten, daß einzelne dunfle Stellen, wenn
= 35 —
auch ein heterodorer Sinn dabey zum Grund zu
liegen fehiene, die Beweiskraft jener Menge klarer
deutlicher: Zeugniffe der älteften Kirchenväter auf feine
Weiſe zu fchwächen vermöchten ?!
Selbſt Luther fchrieb hierüber noch kurz vor feinem
Id: „Die Läugner der: Gegenwart in der Euchariftie
halten den hl. Auguftin für ihre Schutzwehr, weil er fich
öfters der Ausdrücde „Saframent, Myfterium , unficht-
bares Zeichen“ bedient. Mach meinem Uetheil‘ ift der
heil. Auguftin der vorzüglichfte Lehrer, den die Kirche
feit den Zeiten der Apoftel aufzumeifen bat; allein jene
Leute haben diefen ehrwürdigen und heiligen Lehrer fo
handlich entftellt und verftümmelt, daß er von
ihnen als Bürge einer giftigen und gottestäfterifchen
Ketzerey aufgeführt wird. Ich werde fo lang ich es
vermag, und fo lang Gott mir das Leben feiftet, mit
allen Kräften dagegen freiten, und —— ben man
diefem Lehrer Unrecht thut. —
Vergleichen wir nun mit den bereits ſo umſtandlich
entwickelten wahren Geſinnungen der erſten Kirche über
das Dogma der Euchariſtie diejenigen, welche ihr von den
Herolden der neuen Glaubenslehre angedichtet oder
aufgebürdet wurden, fo geht daraus die handgreifliche
Gewißheit hervor , daß diefe Pfeudoapoftel — ſtatt ung zur
dem urfprünglichen Glauben der Bäter zurüdzuführen —
uns vielmehr nur weiter davon entfernten.
Sndeffen dürfen wir ung nicht verbergen, daß man zu
jener Zeit nur fehr mangelhafte Kenntniß vom chriftlichen
Alterthum hatte: Die Studium war kaum in feiner
Kindheit; man fieng erft nach) und nach an, die Schrif—
ten der Väter und die Akten der Conzilien zu unterfuchen,
Die Reformation war nicht fo glücdlich, ſich dießfalls
jener großen Vortheile erfreuen zu Fönnen, melche wir
heutzutage genießen ; fie wirkte in Mitte jener Finfter-
niffe, mit welchen das X VI Sahrhundert bedecdt war,
und welche kaum noch im Anfang J darauf folgenden
10)
N
Si we
verfchwanden. Diefe allgemeine Unwiſſenheit, welche da=
mals. im Studium des chriftlichen Alterthums herrſchte/,
wird auch von Gebaftian Laftellio (Chatillon) , einem der
gelehrteften Litteratorven unter den Reformirten jener. Zeit,
ganz freymüthig eingeftanden. . Sn der Vorrede zur Bibel,
Baſel 1573 Fol. fchreibt ev: „Wenn wir die Wahrheit
veden wollen, fo müffen wir allerdings. geftehen, daß
unfer Sahrhundert noch in den Dichteften Finfterniffen
der Unwiffenheit begraben ift ; unftreitige Beweiſe da—
von liefern unfre wichtigen, hartnädigen und verderblichen
Streitigfeiten, die fo. häufigen , aber ſtets fruchtho—
fen Eonferenzen zu Berichtigung unfrer Widerfprüche,
und. die, ungeheure Menge von Büchern, die täglich) erfchei-
nen undderenfeinsmitdemandern übereinfiimmt.“
Und in. der That wird dieſe Unwiſſenheit insbeſondre
in Bezug auf, das Dogma von der Euchariftie auch be—
ftätigt durch die VBerfchiedenbeit..in der. Lehre. der
Reformation über diefen Glaubensfak,, indem die Hälfte
der Proteftanten die. wefentliche Gegenwart, die
gefammte Reformation aber die Berwandlung der
Subftanz für Meinungen. halten, welche den erften
Sahbrhunderten unbefannt gewefen feyn folten,
während es heutzutag aufs klarſte am. Zag liegt,
daß die Chriften jenes glücklichen Zeitalters eben die ſes
Dogma aufs gewiffenhaftefte in ihren Herzen ver—
ſchloßen, fobald fie unter Nichteingeweihten fi
befanden, dafjelbe aber mit. ehrfurchts voller An-
betbung Öffentlich befannten, ſo oft ſie die Litur-
gie mit einander feyerten, und daß fie Ddaffelbe ihren
Neophyten mit aller Klarheit und in den Eraftvoll-
fen Ausdrücden erklärten und lehrten.
Leicht Tiefen fich noch Beyſpiele der gelehrteren Refor-
matoren anführen, welche bloß aus Mangel hinrei—
hender Kenntniffe des Alterthums in die gröb—
fen Srrtbümer verfallen find. Wir berufen uns. hier
nur auf ‚den Streit zwifchen Melanchton und Oeko—
———
lampad, nach der aktenmäßigen Darſtellung des Prof.
Abr. Ruchat in feiner Gefh. der Ref. in der Schweiz,
woben wir auch den merkwürdigen Umftand herausheben,
daß Defolampad, obfhon er. fih fo viele Mühe gab,
den Melanchton, Bucer, Bullinger und andıre Gelehrte
von der Uebereinfinmung feiner; Lehre mit derjenigen
der heil. Bäter zu überzeugen, doch mit fich. felbit
nie einig werden Fonnte- Denn er fchrieb san Zwingli,
in einem von Rämund angeführten Briefe: So viel ich
aus den Schriften der Väter vermuthen fann , müffen
die. Worte „Diefes iſt mein Leib * bildlich verftanden
werden. Mein Bruder, bitte Gott, daß er dir und aud)
mir die»Augen Öffnen möge, im Sal ich auf dem un >
vehten Weg märe, damit‘ wir nicht in Irrthum
verfallen, und fo viele andre in Gefahr ſetzen ſich mit
uns zu rxenNoch bedenklichere Beyſpiele von
Oekolampads Wankelmuth finden wir in Schlüßelbergs
caly. Theol. 2. B. Auffallende Beweiſe aber, daß, wenn
man auch im zweyten und dritten Dezennium des XVI.
Jahrhunderts in der Schweiz ſehr vieles von den Kir—
chenvätern ſprach, man fie doch ſehr wenig kannte,
liefert Räm. Florim im VI. B. Und daß es ſich auf dem
übrigen Continent und in England auch nicht beſſer ver—
hielt, ſehen wir aus Jewels Geſch. der engliſchen Kirche,
London 1685.
Freylich mußten dann * neuen, von der Refbeinntion
in folhem Zeitpunkt der Univiffenheit mit Haft und gleich»
fam im Sturm. eingeführten, durdy den Unterricht öffent:
licher Lehrer befräftigten , Diicch blindes Bertrauen ihrer
Anhänger auf Zreue und Glauben angenommenen, von
Vätern auf Kinder fortgepflanzten,, und durch geſetzmäßi—
ges Anfehen beftärkten Lehrmeinungen nach und nach den
Schein und die Macht der Wahrheit gewinnen, und
fomit auch die Gemüther in eine gefährliche Ruhe und
Sorglofigfeit einwiegen. Bald wollte man nicht
weiter mehr forfhen, und gen die vorgefaßten,
= WW =
in der Erziehung und Gewohnheit tief gemurzelten
Meinungen: durchaus nichts mehr hören. Statt: die
unumftößlichen Beweife für die göttlihe Offenbarung
diefer oder jener Glaubenslehre einer Prüfung oder
. Aufmerkfamfeit zu würdigen , „vertraute man Lieber blind»
Yings dem Serwahn des 'neuen Lehrers. Und fönnte es
wohl ein undankbareres Geſchäft geben, als Menfchen
zurechtweiſen zu wollen, die zum vorhinein jeder Be—
lehrung hartnäckig ihre Ohren verſchließen!? Der ange—
ſehene prot. Theolog J. U. Turretin inf. nubes testium,
Genf 1719, erkühnte ſich ſogar den Satz auszuſprechen:
vel sola transsubstantiatio romanx écclesie fundamentum
diruit (dert Lehrſatz von Verwandlung der Subſtanz zer:
nichtet allein fihon die Grundlage der römifchen Kirche).
Dieß Urtheil — vom Katheder geſprochen — ift für
Schüler ein Drafelfpruch,, der mit. unbedingter Ehrfurcht
angenommen wird. Wohl hätte man zweyhundert Sahre
. früher den großen Genfer Profeffor zum Theil entfchuldi:
gen können. Aber zu jener Zeit, als er Theologie lehrte,
war es doch gewiß unverzeihlich , nicht einmal gewußt zu
haben, daß die gröſten Männer des chriftlichen Alter-
thums dieß Dogma lehrten, und die urjprüngliche Kirche
demfelben huldigte, — nicht gewußt zu haben, daß felbft
Luther Tange Zeit hindurch die Transfubftantiation zuge—
Yaffen, und auch Fauftus Socinus in f. Brief an Radez
von 1636 fihrieb : „Wenn man ficdy. in Diefer Lehre an
die Väter halten muß, fo ziehen wir ganz offenbar den
Kürzern ‚“— nicht gewußt zu haben, daß auch das Be:
fenntnig von Wittenberg vom J. 1536 unbedenklich er-
Härte: wir halten die AlImach t Gottes für fo unbefchränft,
daß er in der Euchariftie die. Subftanz; des Brots
und des Weins verfchwinden machen und vdiefelben in
feinen Leib und in fein Blut verwandeln könne.“
z Geradit
Nachdem wir nun die vehte von der Sana
(oder der mwefentlichen Gegenwart Chrifti im Abendmahl
vermittelt Verwandlung der Subftany von Brot
und Wein in feinen Leib und Blut) in der, während der
erſten Sahrhunderte des Chriftenthums als allgemeines
Brundgefek eingeführten, Disziplin der- Geheim-
haltung ſowohl als auch in den authentiſchen Litur⸗
gien der erften Kirchen ganz klar und feſt begründet
gefunden , und diefe beyden Hauptbeweife jener Glaubens:
lehre mit unvermwerflichen Zeugniffen der ‚angefehenften
Gewährsmänner aus den Zeiten des Wrchriftenthums
unterftüßt haben, fehreiten wir zu forgfältiger Kuala
der urfprünglichen
Stiftung der Euchariſtie
nach Anleitung der hejligen Geſchichtſchreiber, indem wir
zuerſt von der
Verheiſſung
oder Zuſicherung derſelben durch den Welterlöſer, welche
uns einzig Johannes erzählt, und fodann von ihrer —
ein Sahr nachher wirklich erfolgten — eigentlihen Ein-
feßung fprechen, welch Teßtere nur die übrigen drey
Evangeliften aufgezeichnet haben.
Wir zergliedern demnach zuvorderft das fechste Haupt-
ftück jenes Berfaffers, „welcher von allen diefen Dingen
zeuget, und. welchen der Herr Tieb hatte,“ in feinem
ganzen Sufammenbang.
Zuerſt erzählt uns derſelbe die wunderbare Sättigung
der fünftaufend Männer , welche dem Erlöfer in die Wüſte
nachgefolgt waren. 3.1 — 14.
Seſus entzog fich ihnen, weil fie aus Ehrfurcht für
ſeine Wunderthaten ihn zum König ausrufen wollten; er
begab ſich allein auf den Berg. V. 15.
Di
Abends wandelte er auf dem See, und nahte fich. dem
Schiffe, worin, feine wegen eines heftigen Sturms geängftig-
ten Sünger fich ‚befanden. B. 16 — 3.
Am folgenden. Tag fuchte ihn das fo — von
‚ihm geſättigte Volk in Kaphernaum auf. B. 24.
Nun beginnt die. höchſt merkwürdige, gehaltvolle Un—
terredung Jeſu mit dieſer Judenmenge; er tadelt ihre
gierige Sorge für. die vergängliche und dagegen: ihre
Gleichgültigkeit für die ewige Nahrung; er fordert von
ihnen. „Glauben an den von Gott - Gefandten“
als das einzige Mittel, um dev ewigen unvergänglichen
Speife theilhaftig zu werden. Er macht ihnen Vorwürfe,
daß ſie — der vielen vor ihren Augen verrichteten Wun—
derthaten ungeachtet — dennoch nicht zum Glauben
an ihn fich zu erheben vermögen. DB. 25 — 30.
Das Manna, von welchem ihr forecht , — fügt er —
und das eure Väter in der Wüſte gegeffen haben , ift
nicht das wahre Himmelsbrot. Sch bin vom Himmel
gekommen euch zu erlöfen. Sch allein bin das vom
Himmel gefommene Brot. 3. 32 — 35.
Bey diefen Worten konnten die Suden nicht länger
ihren Unmwillen zurücdhalten; fie fprachen zu einander:
wie kann ev. — deffen Vater und Mutter wir ja fennen —
uns fagen , er fey vom Himmel gefommen ? V 42.
Sefus , ohne ihnen das Geheimniß feinev Menfchwer-
dung zu enthüllen, führt fie nochmals auf feine gött-
lihe Sendung zurück, und dringt — ftärfer noch als
zuvor — auf ihre Pflicht, feinem Wort und Zeugniß
vollen Glauben zu fchenfen. B. 43 — AT. |
Waͤhrlich, wahrlich, ich fage euch, «wer: an mid)
alaubt, der hat das ewige Leben. DB. 47:
In diefer ‚Einleitung macht fidy der Erlöfer nur zum
Theil und ftufenmweife verftändlich; er wiederhohlt aber
Öfters dem Volk, daß es feine Pflicht fey an ihn,
feine Wunder, feine Gottheit zu glauben Mit
= —
folcher Vorbereitung konnte er wohl nur feine Zuhörer
für den Vortrag einer ganz befonders wichtigen und
fhwer begreiflihen Lehre empfänglich zu machen
fuchen , da er fich fonft ohne dergleichen Umſchweife ſogleich
deutlich würde erklärt haben. |
Wirklich fteht er auch im Begriff, ihnen ein Wunder
zu verfündigen, wodurch ihr Berftand — mehr als durch
irgend eines der bisherigen — in Erftaunen gerathen
mußte. Die gerade am Tag zuvor Statt gefundene, fo
wunderbare Brotvermehrung, wovon fie alle Zeugen
waren , war in der That die paffendfte Einleitung zu der
nun folgenden Abendmahllehre. (Chryſoſtomus bemerft
hierbei: Sefus bewirkte das Wunder der Brotvermehrung
unmittelbar vorher, damit die Juden gegen das,
was er in der Folge ihnen borzutragen gedachte , nicht
ungläubig feyn möchten. )
Nachdem er feine Anfprüche auf ihr glä ade Ber:
trauen ihnen vecht anfchaulich gemacht hatte, eröffnet
er ihnen nun ganz Elar das bisher verhüllte Geheimniß,
fo daß der Sinn der wefentlihen Gegenwart un-
möglich deutlicher ausgefprochen werden konnte, B. 48 —
51. „Sch felbft bin das vom Himmel gefommene
lebendige Brot; wer von diefem ift, wird ewig leben;
das Brot, welches ich euch geben werde, i ſt mein Sleifch,
welches ich für das Leben der Welt hingeben werde.“
Werden wohldieSuden diefem fo Elarausgefprochnen
Wort des göttlihen Wunderthäters Glauben beymeffen ?
Mein ; fie dachten fi) nur einen Genuß des gemeinen
Fleifches, „Wie Eann diefer da (00700) uns fein Fleifch _
zu effen geben?" 3.52. (Go fchlicht als treffend be-
merkt hierüber der eben erwähnte Kirchenvater: Warum
habt ihr nicht auch nach dem Wunder der fünf Brote
gefragt , wis dDiefe DBermehrung möglich war?)
Sie begriffen alfo doch fo viel wenigftens recht
gut, daß von einem wirklichen Genuß die Rede war.
— BR —
richt forgfältig genug können wir in der That alfe
einzelnen Umftände diefes Hergangs zergliedern und -be-
herzigen. Wir ftehen hier bey der Urfprungsperiode
aller Spaltungen. Hier. zuerft hat fich der Skeptizismus
und die Auflehnung des Privaturtheils gegen: die
Glaubensauthorität kundgegeben. Sn dieſer Aeuße—
rung der Juden von Kapharnaum gegen den Weltheiland
erblicken wir den Keim aller ſpätern Häreſie.
Hier zuerſt proteſtierte der Rationalismus gegen die
großen Geheimniſſe der chriſtlichen Kirche. Wir werden
jedoch bald. hören, welch ernſte Zur echtweiſung Chriſtus
dieſem vermeſſenen Zweifelgeiſt entgegenſetzte.
Und benehmen ſich nicht unſre Calviniſten und Zwin—
lianer genau. wie jene Kapharnaiten? Erwiedern nicht
auch fie, wenn von. dem. Geheimniß der Euchariftie gefpro-
chen wird, gleich jenen Suden des Eyangeliums höhniſch:
wie Eönnte er. uns fein Fleiſch als Speife. darrei-
chen? , Mag. man. audy noch ſo nachdruckſam Chrifti
eigene Berfiherung ihnen zu Gemüthe führen: daß
er als das, lebendige Brot vom Himmel: gefom-
men fey, — daß fein. uns darreichendes Brot eben—
daffelbe fey, welches er für das Leben der Welt dahin
gab , — daß Gott von uns Glauben an feinen Geſand—
ten fordve, — daß diefer Glaube uns auch ewiges
Leben zumegebringe; ‚alles. umfonft; mit beharrlichem
Unglauben entgegnen fie: wie Eönnte Ehriftus uns fein
Sleifch zu effen geben ? ROTE NORD F—
Freylich mag dieſer wirkliche weſentliche Genuß des
Leibs Chriſti im Abendmahl unſre beſchränkte Faſſungs—
kraft überſteigen, allein es wäre ja doc) ganz vernunft—
widrig, an Chriſti eignem Wort, an ſeiner eignen
fo klaren Zu ſicherung ſich noch einigem Zweifel zu
überlaſſen. Und in dem ganzen Vortrag des Erlöſers
iſt nun einmahl nirgends auch nur die leiſeſte An—
deutung von einer ſymboliſchen figürlichen Vorſtellung
enthalten.
Denken wir ung einen proteftantifchen Mifjionär,
welcher diefe nämliche Xehre einem ungläubigen Volk
vortrüge , und diefes würde fie von einem wirklichen
wefentlichen Genuß verftehen, würde folch eine Vorſtellung
anftößig finden, und dem Lehrer einwenden: wie fol
dieß zugehen ? wie fann euer Gott uns fein eigenes
Fleifch zur Speife geben? Müßte und würde er
nicht feinen Zuhörern aldbald erwiedern : ihr habt den
Sinn meiner Rede unrichtig aufgefaßt, — es if
num eine figürliche Speife gemeint, — dad Brot iſt
nur ein Sinnbild des Leibs Ehrifti, — nur ein von
ihm felbft geweihtes Zeichen, zum Troſt für ſeine AB
wefenheit , als Denkmahl feiner Kiebe! —
Doch mie ganz anders benimmt ſich Sefus ! Der
wichtige, für alle Zukunft: entfcheidende - Augenblick ift
vorhanden, wo die. Frage zwifchen Vernunft umd
Glauben, zwifchen Seldftprüfung und Authorität feyer-
lich gelöst werden fol. Weit entfernt, die Zweifel:
fucht der Hörer zu beachten, den Eindruck feiner. er-
fhütternden Rede zu mildern, oder eine unrichtige
Auffaffung feiner vorgetragenen Lehre ihnen vorzumer-
fen , — weit entfernt, ihnen Brot und Wein als Zeichen
oder Symbole feines LXeibs und Bluts, und den Genuß
derfelben als einen bloßen Akt ihres Glaubens darzuftel-
len , würdigt er ihre Einwürfe und ihr Murren feiner
andern Antwort, als daß er feine: frühere Erklärung in
gefteigerten Ausdrüden wiederhohlt, und mit bes
deutungsvollem Nachdrucd ihnen erklärt: Wahrlich,
wahrlich, wenn ihr das Fleifch des Menfchenfohng nicht
effen und ‚fein Blut nicht trinken werdet, fo habt ihr
auch das Leben nicht in euch, V. 53. Nur wer mein
Fleiſch ift und mein Blut trinkt, wird ewig. leben,
3.54. Denn mein Fleifch dient in Wahrheit zu einer
Speife, und mein Blut in Wahrheit zu einem Trank,
3.55. er mein Fleiſch ift und mein Blut teintt,
bleibt aufs innigſte mit mir verbunden, 3. 56. Wer
= WM
diefes vom Himmel gefommene Brot ift, wird in Ewig—⸗
keit leben, V. 58.
Weit entfevnt alfo, von einem figürlichen Genuß,
von einer idenlifchen Speiſe zu reden, erklärt Sefus viel
mehr in den beftimmteften, ungweydeutigften Worten,
welche die Sprache nur immer darbiethen Tonnte , — aufs
bündigfte und entfchiedenfte, — daß fein Fleifch eine
wirflihe, wahrkafte, eigentliche Speife fey. Nicht
nur widerfpricht er der von den Juden geäuferten Vor—
ftelung eines wirklichen Genuffes im alfergeringften
nicht , fondern er beftätigt diefe vielmehr‘, und’ befräftigt
fie in den. ftärkften Ausdrücken, gleichfam ducch - eine
Betheurung.
Wie leicht wäre es dem Erlöfer geweſen, jene mürri-
fhen Zuhörer zu befchwichtigen und ihre Zweifel zu löſen!
Und warum ſollte er dieß nicht gethan haben? Er, der
jeden Mißverftand feiner Jünger immer aufflärte, (vergl.
Math. XVI, 11. XV, 16.) der fo eben durch Pie wun-
derbare © Sättigung diefe große Sudenfchar aufs neue an
fichh gefeffelt hatte, follte fie um eines bloßen Mifver-
ftändniffes willen gegen ſich aufgebracht und erbittert
laffen , — ja er»follte ſogar abfichtlich durch gefchraubte,
räthfelhafte Redensarten feine eigenen Jünger ivregeleitet
haben ? Nein, wahrlich ganz und gar nicht dar in
fehlten die Juden, daß fie Sefum unrichtig verftunden,
fondern lediglich darin, daß fie feinen — obfhon richtig
berftandenen — Morten dennoch nicht glauben
wollten; fie mußten von feiner andern Art das Fleiſch zu
eſſen, als daffelbe — roh oder zugerichtet — mit den
Zähnen zu zermalmen, während er ihnen doch wiederhohlt
vom Genuß feines Sleifches unter der Geftalt des Brots
ſprach, und während er durch die Ankündigung feiner
Himmelfahrt ihnen doch deutlich genug zu erkennen
gab, daß er keineswegs auf eine fichtbare Art fein
Fleiſch als Speiſe darzureichen gemeint few;
Unglaube war es alfo, was jene jüdifchen Proteſtan⸗
ten fichh zu Schulden kommen Tiefen. Doch, brechen wir
nicht den Stab über die Berblendeten ! Noch Fannten fie
ja weder die Auferftehung und Himmelfahrt des Welter-
löſers, noch die von ihm verheiffene Sendung des heil.
Geiftes, noch al jene ſpätern wundervollen Ereigniffe.
Wir peoteftantifche Ehriften hingegen befennen die Gott-
heit Sefu, wir glauben al jene erhabenen göttlichen
Wunder, und — dennoch verfagen wir feinen eigen-
fen Worten und feiner nachdruckſamſten Verſiche—
rung unſern Glauben — Gleich jenen Suden des
Evangeliums fahren auch wir noch immer fort, mit
ungläubigem Hohn auszurufen: wie könnte Ehriftus
uns fein Fleifch zu effen geben ?
Um feine Erzählung gleichfam glatbtwüchtgee zu ma-
chen, fügt Sohannes noch bey, daß diefe Unterredung in
der Synagdg zu Kapharnaum vor einer großen Suden-
fchar war gehalten worden , 3. 59.
oc waren die Zuhörer Sefu durch feine Erläuterun-
gen nicht überzeugt geworden. ‚Auch viele feiner Sünger
beharrten noch in ihrem Unglauben; fie fanden dieſe
Lehre gar zu feltfam und unbegreiflich, V. 60.
Shre Zweifelfucht,, ihr Unmuth entgiengen Sefu nicht;
er fprihtnun, V. 61 und 62, jene inhaltfchweren Worte:
„She ärgert euch jetzt fhon ob meiner Rede, daß
ich — während ich noch auf Erde vor euern Augen
ſtehe — euch mein Fleifch zur Speife geben werde; wie
viel unglaublicher muß euch erfi dann der wirkliche
Genuß meines Zleifches vorkommen, wenn ich vor euern
Augen entſchwunden feyn werde, wenn ihr mic) werdet
gefehen haben gen Himmel fleigen , — an jenen Ort
zurückkehren, woher ich gekommen war?“
Chriſtus ſpricht es alſo hier klar aus, daß feine
Lehre vom Abendmahl na ch feiner Himmelfahrt ſchwie⸗
viger zu verſtehen ſey als vor derfelben. Schon in
diefer Hinfiht Eonnte alfo unmöglich jene Lehre ge—
mieint feyn, welche die Reformirten ihm unterfchieben ;
— 306 —
denn ein geiſtiger figürlicher Genuß wäre ja nach
feinee Himmelfahrt nicht nur nicht ſchwerer zu begreifen
gewefen ald vor derſelben, fondern es mußte vielmehr
nachher den Süngern leichter feyn, nachdem das
majeftätifche Schaufpiel der Himmelfahrt ihnen: den auf:
fallendften Beweis für feine Gottheit gegeben hatte, an
ihn zu glauben, und mit dem Genuß des Denfmahls
feiner: Liebe auch die dankbarfte Erinnerung an ihn zu
verbinden. Nur nach. dem Fatholifchen Xehrbegriff des
wirklichen Genuffes Eonnte und mußte der Glaube
an dieß Geheimniß durch die Himmelfahrt — die
Entfernung feiner Perſon, die Abmwefenheit feines ficht-
baren natürlichen Leibs — erfihwert werden.
Wenn daher unfre proteftantifchen Theologen eben auf
die Himmelfahrt Chrifti ihren Hauptbeweis für‘ die
Unmöglichkeit feiner- wirklichen Gegenwart im Abend:
mahl ftüßen, fo überfehen fie in ihrer Teidenfchaftlichen
Berblendung ganz, daß ja nach des Erlöfers eigenem
Elarem Ausfpruch eben gerade durch feine Himmel:
fahrt dieß Geheimniß des wirklichen Genuffes aller—
dings in einen noch tiefern ‚Schleier der Unbegreiflichkeit
gehüft werden durfte und follte. — Der von den
Proteftanten angenommene bloß figürliche Sinn der
Rede Jeſu ift ia doch wahrlich an fich felbft ſchon fo
einfach und faßlich, daß theils die Sünger fich nie im
mindeften dagegen hätten firäuben können, theils aber
Sefus felbft auch ‚Feines folch mächtigen Bemweifes, wie
die Himmelfahrt es war, bedurft hätte, um die Wahr-
heit feines göttlihen Urfprungs und fomit auch ‘die
Glaubwürdigkeit feiner Rede ihnen anſchau—
licher zu machen. Demnach) kann unmöglich die figür-
liche Bedeutung der wahre Sinn ‚jener Worte ſeyn,
fondern- dev einzig mögliche bleidt derjenige feiner
wirklichen wefentlihen Gegenwart im Abendmahl.
Nun folgt B. 63 , aus welchem die Calviniften und
Zwinglianer fchlechtiweg den Schluß ziehen, daß die ganze
= MW =
vorhergangene Rede Sefu lediglich auf einen geiſti—
gen figürlichen Sinn deute: „der Geift nur macht
lebendig , das Fleifch hilft zu nichts; die Lehren, welche
ich euch vortrage , find Geift und Leben. *
Wenn nun aber die von Sefu vorher gefprochnen
Worte — ſowohl vinzeln als in ihrem ganzen Zufammen-
bange — unläugbar die wefentlihe Gegenwart be-
urkunden , wie wir bereit hinlänglicdy bewiefen haben,
wie könnte dann diefer Schluffak gerade das Gegen-
theil davon, nähmlich den figürlichen Sinn bezeich-
nen ? wie könnte es des Erlöfers Abſicht gemwefen feyn,
in der nähmlihen Rede — ebendemfelben ernften
und hochwichtigen Gegenftand — und mit den gleichen
Worten dennoch zwey fo ganz verfchiedene,, ja vielmehr
ganz entgegengefekte, Deutungen zu unterlegen,
und duch den Schlußfas feine ganze frühere Rede
zu entkeäften und umzuftoßgen? Es dringt fidy uns
aber noch ein zweyter entfcheidender Beweisgrund
auf. Wenn Sefus am Schluß feiner Rede umgelenft
und erklärt hätte, daß feine Yusdrücke, welche jenen Suden
fowohl “als auch den Schülern fo anftöfig vorgefommen
waren‘, nur in figürlihem Sinne zu -verftehen feyen,
fo würden ſich diefe Zuhörer ja um fo Teichter und inni-
ger wieder an ibn angefchloffen haben. ‚Allein
fiatt deſſen Tefen wir im Gegentheil, -B. 66: „Bon
diefer Zeit an traten viele feiner Singer - von ihm
zurück, und verließen ihn gänzlid.“ Wer muß
nicht in diefem Abfall der Sünger einen unwiderleg—
baren neuen Beweis finden, daß fie in jenen Schluf-
worten nicht nur Feineswegs die Erklärung eines figür-
lihen Sinnes, fondern vielmehr eben gerade die Be-
ffätigung der in feinem ganzen Vortrag io Elar
ausgefprochenen Lehre vom wirklichen Genuß e year
hatten V— nm
Betrachten wir daher die eigentliche Bed eutang
jener Schlußworte näher und gründlich.
———
Wie oft wird nicht in den heiligen Schriften unter
Fleiſch die. körperliche Sinnlichkeit — die fleiſchliche
Denkungsart, unter Geift aber die Gnade: Gottes —
die Eingebung des heiligen + Geiftes verſtanden! Vergl.
Röm. VIEL, 1, Gal. V. 19. 22. Bey Math. XVI.
ſpricht der Heiland zu Petrus: Selig biſt du Simon,
denn Fleiſch und-Blut,haben dir dieß nicht geoffenbaret,
was du eben geſagt haſt, ſondern mein himmliſcher Bater;
Die-ganz einfache, natürliche, mit der ganzen Rede
Sefu übereinffimmende Bedeutung jenes Schluffakes
ift demnach feine andere als : die euch vorgetragene Lehre
von. dem wefentlichen mwir£lichen Genuß meines Flei—
ſches ald einer Speiſe kann nur durch den belebenden
Geiſt, durch die Gnade und Erleuchtung Gottes ver—
ſtanden und geglaubt werden, nicht aber durch fleiſchliche,
ſinnliche Denkungsart, welche hierzu gar nicht
behülflich iſt. (Chryſoſtomus erläutert dieſe Stelle kurz
und bündig: die Worte ſind Geiſt und Leben d. h. ſind
göttlich und geiſtig, haben nichts ſinnliches an ſich,
und bangen nicht von den gewöhnlichen Naturgeſetzen ab.)
Deswegen fügt auch Jeſus ‚gleich unmittelbar — V. 64,
65 — hinzu: „aber einige aus euch ‚glauben nicht,
darum habe ich euch gejagt, daß niemand an mich glauben
könne, wenn es ihm nicht von meinem Vater gege-
ben wird (genau was. er oben zu Petrus gefprochen
hatte). Das heißt doch wohl. nichts anders als: nur die
Hülfe und befondre Gnade des Baters im Himmel
vermag den Glauben an meine Lehre vom wirklichen
Genuß im. Abendmahl zuwegzubringen.
Wenn Sefus den Jüngeren — im 64 V. — Unglau-
ben vorwirft, fo Tann. ja dieß nur allein auf die
wirkliche Gegenwart ſich beziehen, welches ihnen fo ganz
und gar nicht einleuchten wollte; der Begriff eines figür—
lichen Senuffes hingegen wäre alu faßlich und ein—
fach geweſen als daß ihr Glaube san denfelben auch nur
einen Augenblick hätte wanfen Fönnen Und zudem
- u
hätte nach den Grundfäken unſrer reformirten Theologen
diefer, Unglaube feine Bormwürfe nach ſich ziehen kön—
nen, weil die Jünger ja allerdings mit Recht die wefent-
liche Gegenwart verworfen hätten.
Wenn es dann — 2. 66 heißt ‚ daß „von dieſer Zeit
an. wiele Schüler fih von Sefu zurüczogen (und
nicht mehr mit ihm giengen,, “ wie fönnte man dieſe
bedauerliche Trennung zwifchen einem folcdyen Lehrer
und feinen Jüngern durch ein bloßes Mißverftändniß
erklären wollen? Würde Jeſus, der ihr Innerſtes durch—
ſchaute es haben unterlaſſen können, die liebenden und
geliebten Jünger über eine redneriſche Figur oder ver—
blümte Redensart aufzu klären, vom deren richtigem
Verſtand nichts geringeres als ihr ewiges Seelenheil ab—
hieng? Würde er nicht vielmehr alsbald ſie belehrt,
und ſich dadurch aufs neue ihrer Anhänglichkeit verſichert
haben? Wahrlich, wie man auch immer den Grund
dieſer Trennung ſich zu erklären verſuchen mag; nie wird
man einen andern als eben nur die Unbegreiflichkeit
des Geheimniſſes zu erforſchen im Stande ſeyn.
Vergeblich berief er ſich auf feine himmliſche Sen-
dung, — feine Gottheit, — feine Wunder; nichts
fonnte ihre Abneigung gegen die Sdee des wirklichen
Genuſſes befiegen, da fie denfelben nur nach dem
Fleiſcch — das heißt: nach ihren Eörperlichen Sinnen
und einer. befehränkften befangenen Vernunft — auslegten.
( Sind übrigens nicht auch wir heute noch Zeugen des
nähmlichen Abfalls? Ebendiefelbe Abneigung gegen
den Glauben des nämlihen Geheimmiffes entfrem-
dete zur Zeit der Reformation — und auch jet noch
immer — fd viele Kinder dem Schooße der Mutterficche.
In diefem Contraſt zwifchen wirfliher Gegenwart
und figürlicher Bedeutung erbliden wir die vollftän-
dige Gefchichte des auch jet noch zwifchen den Befennern
der fatholifchen und der proteftantifchen Lehre obmwaltenden
Widerfpruchs. )
- ww.
Nun wendet ſich Jeſus zu allen zwölf ſtaunenden und
fchweigenden Apofteln mit der herzergreifenden Stage:
Wollt auch) ihr von mir fcheiden ? 8.67. LEE
Petrus antwortet in Aller Namen Herr, zu
mem follten wir gehen? Du haſt Worte desiewigen
Lebens, und'gläubig erkennen wir "dich als ben Sohn
des lebendigen Gottes. “ |
Wohl mögen auch fie nicht weniger Pr ‚jenes Ab.
teünnigen auf wefentlihen wirklichen’ Genuß geſchloſ—
fen , aber — in ihrem Urtheil mehr vom Geift als vom
Fleifch geleitet — dem Herrn ſelbſt die Art und Weiſe
der Erfüllung feines Wortes gläubig anheimgeftellt
haben ; fie glaubten daher, was fie auch nicht be—
griffen, da fie in ihm den Sohn des lebendigen Gottes
erkannten und nur Worte der Wahrheit und des
ewigen Lebens aus feinem Mund zu "vernehnten gewiß
waren. Für den fo leicht begreiflichen figürlichen
Sinn: feiner Worte hätten fie doch wahrlich ihren Glau—
ben auf: feinen fo mächtigen Beweggrund zu ſtützen
bedurft. Was lag ihnen aber näher als der Ges
danke: in ſolch einer Seele Tiegt Fein Betrug , ſolch
einem Munde entfteigt Feine Lüge; zwar begreifen
wir nicht, wie er ung fein Fleifch als Speife zu geben
Willens ift, allen da er’s nun felbft fo Elar und
wiederhohlt. werfichert, ja gewiſſermaſſen betheuert,
(wahrlich, wahrlich ich: fage euch!) fo muf es wohl
auch: gefchehen Eönnen, und er muß wohl auch Mittel
dazu befiken , Die wir nicht Fennen Der heilige
Mann und Wohlthäter, deffen Unterricht: und fo eben
neuerdings vollbrachtes Wunder uns mit Ehrfurcht für
ihn erfülen, Eann mit unferm'gläubigen Bertrauen
nicht fein Spiel treiben wollen; er ift von Gott gefandt,
ift Gott felbft in Dienfchengeftalt, vermag alfo, was:
er: will; feinem Wort dürfen. und follen wir unbe:
dingten Glauben fchenfen. -
— 10 —
Biehen wir nun ſchließlich alles Gefagte im einige
wenige Aphorismen zufammen. er
Jeſus „beginnt feine Rede damit, daf er die — durch
das am Tag zuvor verrichtete Wunder- + der Brotvermeh-
rung ihm anbänglich gewordenen —- Zuhörer an jene
mächtigen B eweggründen erinnert, welche ihnen die
gläubige Annahme feiner. Worte zur Pflicht ma-
ben. - Durch dieſe Einleitung ſollten ſie aufmerkſam
icht werden, daß er ihnen etwas vorzutragen im Be⸗
ſiehe, das an un für ſich ſchwer Ju glauben fey.
ge ftellt er ſich ihnen als das” belebende Brot
dar, und erflärt: daß das Brot, welches er ihnen zu
effen geben werde, fein eigenes Fleifch fey, — das
nämlich e, welches er für das Heil der Welt aufopfern
werden ‚Die Zuden verftehen dieß im natürlichen Sinn b
welchen. fie. verwerfen, weil ihnen der wirkliche wahr-
hafte Genuß feines Fleifches unmöglich ſcheint.
Wäre dieſe ihre» Vorſtellung des wirklichen Genuſſes
irrig geweſen, ſo würde dev Erlöſer ihnen den Irrthum
ſogleich benommen und berichtiget haben. Weit ent—
fernt aber dieß zu thun, wiederhohlt er. vielmehr feine
erfte Behauptung, und zwar ſechs Male nad) einan—
der — mit immer ſtärkern Ausdrüden — ja mit einer
Art von Betheurung. Er hatte folglich die wirkliche
Gegenwart feines Leibs beym »Abendmahl im Auge,
und wollte daß man an diefe glaube.
Einige feiner Schüler erfchraden hierüber und fanden
diefe Lehre Hart — ſchwerbegreiflich; fie mußten alfo ganz
richtig den Sinn der wirflidhen Gegenwart —
der allerdings für die menfchliche Faſſungskraft un-
verffändlich iſt — nicht aber den bloß figürlichen
Sinn — der ja fo ganz leicht unfern Bernunftbegriffen
ſich anpaßt — verftanden haben. — Statt nun die Ausdrücke
zu mildern ‚welche fogar fihon den Abfall einiger feiner
Jünger verurfachten , erklärt Sefus vielmehr , daß, wenn
fie jetzt ſchon od dieſer Lehre a ihnen diefelbe
— 42 —
nach feiner Himmelfahrt noch weit unbegreiflicher
vorkommen müſſe. Nun wird aber die figürliche
Gegenwart nach der Himmelfahrt viel lei chter — die
wirkliche Gegenwart aber viel ſchwerer zu ‚glauben,
folglich war e8 nicht jene erſtere, fondern dieſe letztere
Lehre, welche der Erlöſer verkündigte.
Jeſus wirft den Jüngern keineswegs je vor, daß ſie
den Sinn ſeiner Rede nicht. verſtunden, fondern daß
fie ihn nicht glaubten; amd diefer ihr Unglaube konnte
ſich nur auf die weſentliche Gegenwart beziehen „da
für den «Glauben ‚an einen figürlichen Genuß fi ſich ia
nicht -einmahl ivgemd etwelche Schwierigkeit auch nur
gedenken ließe. e
Sefus erklärt, niemand könne in, Hinficht diefeg
wirklichen Genuffes. an feine Worte glauben, es fen
denn, daß er hierzu die Gnade, von feinem himmliſchen
Vater erhalten habe. Um aber, an einen figürlichen
Genuß zu glauben, bedarf es weder einer befondern Er—
leuchtung noch überhaupt ivgend einer An vengung,
folglich Eann er auch nicht von ſolch einem figürli-
hen Genuß gefprochen: haben.
Die Apoitel blieben: dem Heren treu; fie, gründe»
ten ihren Glauben auf die Veberzeugung von feiner Gott-
heit und Allmacht, während. die Schüler Tieber von
ihm fi trennen als ihm glauben wolten. Nun
hätten aber letztere gewiß ihren Lehrer nicht: verlaffen
wegen Verweigerung ihres Ölaubens an etwas, das ja
fo leicht zu. begreifen und zu glauben war, wenn
e8 fich (wie die Reformatoren behaupteten) nur um die
figürliche Gegenwart gehandelt hätte; und erfiere
würden doch wahrlich um fie zu glauben nicht auf die
höch ſte Beweggründe feinev Gottheit und Allmacht
fidy zu berufen nöthig gehabt haben ; alfo Fönnen weder
die treu gebliebenen Apoftelnody die abteünnigen Schü-
ler) diefen Genuß: in »figürlichem: Ginn verftanden
haben, und die wirkliche wahrhafte Gegenwart ift
— 403
fomit der einzig richtige Sinn, d welchen dag ent-
gegengefekte Be „oe — fowoht. "der Apoftel als der
Schüler — ug! gleich rklär werden an.
> ag dieſen Abfe n
| ng einer
xv dich.
; rn ** der
welche im | de weſentli
ee en — Jeſu Chriſti
ihr abweichen, mögen be-
herzigen , unſers — MR en da
Anſtoß m |
defmeg “harte
nigen fein eigenes Fle d..fei ot
teinfen follten. Sie We in ihrem
natürlichen Si 1; ärge: und fpradjen : das
ift eine_ harte Rede, we I! Mie wäre es
nun mögli u gla ben N, | Heiland — Er der
die Liebe nelbil — "feine Jünger hätte geben laffen,
wenn er die ihnen fo anſtößige Worte, nicht im natür-
lichen, fondern im bildlichen Sinn, gemeint hätte?
daß er einen Stein ‚. an welchen: fie ſo hart fließen, nicht
folte mit einigen erläuternden Worten gehoben
haben, — und noch dazu ‚einen ‚folchen Stein des An-
ftoßes , welchen er felbft ihnen in den Weg gelegt
hatte ? Statt: deffen laßt er fie gehen — weggehen von
ihm die geliebten Sünger. — Gehen wir doch nicht mit
ihnen! o nicht weg von ihm! Bleiben wir bey ihm, wie
die zwölf Upoftel bey ihm blieben! Sprechen wie mit
demjenigen, auf welchen. ex feine Kicche gründete, ſpre⸗
chen wir mit ſeiner heiligen Kirche ſelbſt: Herr,
zu wem ſollten wir gehen? ? Du baſt Worte des enisen
Lebens “ J |
* ee — u
der Olten
welche — | bar |
hatte, — die Dadurch E t *
Zwiſte, — der nf ſem A *
Erklärung behanı se für Abfall
feiner Jünger, im Gege fab mit der treuen Anhänglichkeit
der Apoſtel, einen tiefen Eindruck hervorgebracht haben.
Gewiß fejmerzte es die Apoſtel, jene abtrünnigen Jünger
‚nicht mehr an ihrer Seite zu erbliden , und daher mögen
fie wohl oft an die fo merkwü ürdige Urfache ihrer Entfer-
nung zurücfgedacht haben. Auch der Erlöſer felbft, welchem
feiner ihrer geheimften Gedanken verborgen blieb, kam
ohne Zweifel: bisweilen auf jene Unterredung zurück, und
legte ihnen ermunternde Lehren ans Herz, um ihr gläu-
biges Vertrauen zu ftärfen. Freylich melden die Evange-
liften nichts hievon, allein wir wiffen, daß fie nur einen
Theil der Handlungen und Reden Sefu aufzeichneten , und
Sohannes feldft fchloß ja fein Evangelium mit der Erflä-
rung, daß — wenn er Alles hätte auffchreiben wollen —
felbft die ganze Welt die damit angefüllten Bücher nicht
zu faffen vermocht hätte.
—
——— ee
a De a re Tue
* von dem Gewachs des Wi Hftocts
bis das Reiche Gottes kommt.“ Dann —— er
ſich, um feinen, St ngevn und Freunden durch die Fuf
az das eindrii eb der Demuth un
mi Liebe zu BAR Hierauf —— noch
Augenbtic ift vorhandn , welcher: ‚feine J Veoh if füns in
Erfüllung bringen fol.
Drey Evangeliften erzählen uns nun in wenigen
kla ren Worten, Math. NXVL, WS W., Mare.
XIV. 22 4 und Que XXI. ‚19 — 2. die Stif-
tung des geheimnißvolten booheiligen Map:
der Liebe —" !
Aber warum erwähnt nicht auch der gunger „den
Jeſus lieb hatte“ dieſes ſo wichtigen Ereigniffes? . Er,
der weit f päter als die. drey andern Evangeli n, wie
wir fchon oben bemerkt haben, nämlich: in fä Grei
ſenalter zu Ephefus unter Kaiſer Nerva ir 3.96 ſchrieb,
ließ manches unberührt, was —— vor ihm
geſchrieben, beſonders was ſie alle dre y erzählt
hatten!» Wohl mochte es auch" de r en kihe Geift in diefem
Fall ſo lenkt haben, damit wir deſto weniger zweifeln,
daß jene von Johannes allein aufgezeichnete Rede,
welche Jeſus ein Jahr vorher über diefes — damals
— 406 —
noch nicht geftifteter— Saframent "gehalten hatte, nicht
von einem bloß geiftigen Genuß ‚des Sleifches und Bluts
Chriſti handle, fondern vom wirklichen Genuß derfel-
ben im Abendmahl. (So ift. übrigens auch Johannes der
einzige, welcher uns die Berwandlung des Waſſers
in Wein beym Hochzeitmahl zu Cana erzählt, —
Dieſe Verwandlung, ſowie die wunderbaren Spei-
ſungen des Volks durch die Brotverm ehrung, muß⸗
ten — in Verbindung mit jener Rede Jeſu — die Apoftel
zum a a — —— vos = J en
* ehttich der Bad: felbſt Se J A der Worte—
in foldy vollfommenem Einklang, daß es gar nicht zu
verkennen war, jene Berfündung fey nun "eben. ih
Erfüllung übergegangen. Ohne die Teifefte Aeußerung
von Zweifel oder Mißtrauen, mit Ehrfurcht und Anbe—
thung empfangen die Apoſtel aus der Hand des Erlöſers
dieß Flei ſch als wahrhafte Speiſe, und dieß Blut
als wahrhaften Trank.
Laffen wir bier ja nicht unbeachtet die Hebereinftim-
mung aller" einzelnen Ausdrücke dort bey Johannes über
die ein Sahr früher von Sefus den Süngern gegebene
Berheiſſung ‚und hier bey den drey übrigen Evange—
liften in den fürmlihen Einfekungsworten felbft,
wodurch die Gewißheit beftärkt wird, daß beydes ein und.
daffelbe Geheimniß, eine und dieſelbe Wahrheit ſey.
Merkwürdig iſt ferner, daß die drey Evangeliſten,
welche die nämliche Thatſach erzählen, und doch zu
weit von einander ‚entfernt waren, als daß ein“ beſon⸗
deres Einverſtändniß zwiſchen ihnen gedenkbar wäre ,„—
fowie auh dev Apoftel Paulus, — mit genaufter
Gleihförmigklit die Worter anführen ; „dieß ift
mein Leib, dieß ift mein Blut.“ (Sa, nach dem Aus—
druck des Hriginals wäre ganz eigentlich zu lefen (Proleg.
Bibl. polygl,): „dieß ift mein Leib, mein eigener
u
Leib, welcher für euch gegeben ift; dieſes ift mein Blut,
mein eigenes Blut.“ Daher heißt es in „der ſyri—
ſchen Weberfekung, welche dem heil, Markus zugefehrieben
wird: „dieß ift meim eigener Leib felbft,“ und in
det Liturgie der Griechen: „das ung Dargereichte ift der
eigene Leib Set, fein eigenes Blut,“ Ä
Sn diefen wenigen klaren Einfekungsmworten fanden
übrigens alle Apoftel den wirklichen Sinn der wefent-
lihen Gegenwart und der Sransfubftantiation, und
nach den Apofteln alle fpätern Sahrhunderte bis auf
Berengar, deſſen Irrlehre, wie wir oben» fahen, die
Kirche nur auf kurze Zeit beunruhiget hatte.
"Dem XVI. Sahrhundert war der traurige Ruhm vorbe-
halten, mit Fühnerem Starrfinn gegen die heilige Wahrheit
dieſer Glaubenslehre fich zu empören. Und doch wagte es
felbft das Oberhaupt der Reformation, Luther, nur zum
Theil, ſich zu folch gewaltigem Schritt‘ zu enitfehtieen.
Bon der Einfachheit und Kraft der Einſetzungsworte zu
fehr ergriffen, vertheidigte er fogar das Dogma der
wirklichen Gegenwartan fi, und erklärte fich
bloß’ gegen die allgemein angenommene: Art und Weife
derfelben, mie wir ſchon früher gezeigt Haben. Sm
einem Brief an den Senat von Speyer geſteht er ganz
unbefangen: „Ih will und kann nicht läugnen, daß
wenn Carloſtad oder ein anderer mich vor f ünf Jahren
hätte bereden können, daß im Sakrament der Euchariſtie
lediglich Brot und Wein vorhanden ſey, ich ihm nicht
wenig Dank dafür gewußt „hätte; denn damals gab mir
diefer Gegenftand fehr viel zu Taf ent, indem es
mir nicht entgehen konnte, daß ich. dem Papftthum
einen gemaltigen Streich dadurch" verſetzen würde. Al—
lein die Worte des evangelifſchen Textes
find allzu klar, beſtimmt und deutlich, als daß
ſie eine andere Aubleguns geſtatten könnten.“
BZwinglis erklärt in f. Antw. an Pellikan :
R Allerdings, wenn das Wort ift im feiner eigentlichen
= u.
ee angenommen. wird, fo haben die Papiften
Recht und man muß glauben, daß das Brot Chrifti
* — In feiner Abhandl. über das Abendm. ſagt
——— man das Wort ift nicht im- figürlich en
Sin nimmt, ſo iſt e3 unmöglich daß nicht das Wefen
des Brots in jenes des Leibs Jeſu Chriſti verwandelt
werden ſollte, und folglich das, "was vorher Brot war,
nun nicht mehr Brot fey. “ ‚Sn einem Schreiben an
Luther fpricht ex fich eben fo beffimmt aus, und im nähm-
lichen Brief hatte er ihm früher erklärt: „Wenn du
hartnädig darauf beharreſt, Feine figüirliche Borftel-
lung anzunehmen, ſo folgt daraus, daß die Papiften mit
allem, Recht behaupten, daß das Brot in den Leib
Ehrifti verwandelt. werde.“ Allein Luther ließ fich
nicht wanfend machen ; und nie hat „er wohl feine Geiftes-
ftärfe und die mit feinem. braufenden heftigen Charakter
verbundene Kraft, der Beredtfamfeit in hellerm Licht ge-
zeigt 7 als damals da er den buch ftäblihen Sinmder
Einſetzungsworte in Schutz nahm. Er konnte ſich der
eigenen Lobrede hierüber nicht enthalten, und ſchrieb —
Ap. Hosp. Ep. Luth. ad an. 1534: „Die Papiften
felbft müffen .e8 mir zur Ehre eingeſtehen, daß: ich viel
beffer noch als fie die Lehre des amnAblihen Sin:
nes verfochten babe. “
Aber felbft auch Calviniften erklären fich eben fo
deutlich für die. weſentliche Gegenwart. Sn dem von
Bezaumd Farel, (dem heftigften und ungeftümften unter
den Reformatoren,. welcher. — nach der "eigenen DBerfiche-
rung neuerer probeft. Gefchichtfcehreiber der Schweiz —
überall Verwirrung) und Aufruhr ftiftete) Namens der
reformirten Kirchen Frankreichs .den in Worms verfam-
melten Ständen der Augſpurger Confeffion übergebenen
Glaubensbefenntniß heißt es? daß man in dem Abendmahl
nicht nur die Wohlthaten Jeſu Chriſti, ſondern ſelbſt
feine Wefenheit und fein eigenes. Fleifch empfange,
daß uns darin der Leib des göttlichen Sohnes nicht
— 409 —
bloß als bildliche Darftellung oder als fymbolifche
⸗ Bedeutung — gleichſam als ein bloßes Erinnerungs-
zeichen an den abweſenden Gottmenſchen — dargereicht
werde, ſondern daß er wahrhaft und gewiß mit dieſen
Syinbolen feldft gegenwärtig fey.“ Dann heißt «8
Kir „Wenn die Art der Darreichung dieſes
+ J—— akramentaliſch heißen, ſo
verſtehen wir
nter nicht eine bloß figürliche,
ſondern da ott unter den Geſtalten ſichtbarer
Dinge unln © ymbolen dasjenige wirklich giebt
d —————— was uns unter denſelben bezeichnet
wird. ir a alfo, daß wir die Lehre der wefent-
dcde genwart des wahr en Leibs und Bluts Chrifti
imAbendmahl ganz umd gar Nicht verwerfen, und daß,
suenn es allenfalls noch auf was immer für einen
sit ankommen ſollte, derſelbe nur die Art und
nt —** es uns — wird, —
ie a ‚ Saab 1. und
gerichtete ) proteſtanti ſche Siſchof NEL. Ridley in
London * egen die —** ken Re Fir ie unter einander
ei —— in dei, B tament r RS
ward, gen imme ‚ur, wm und zur Rechten Gottes des
Batera fitst. Nur über die Art, wie diefer Leib darin
gegenwärtig ift, find wir nicht it einander einig.“
-Bilfon, Biſchof zu Wincheſter, ſagt: „Gott ver⸗
hüthe, daß je uns beyfalle zu laus nen, daß das
Fleiſch und Blut Jeſu wahrhaft. ‚gegenwärtig fey ,. und
am Tiſch des Herrn wahrhaft von den Gläubigen
— 410 —
empfangen werde. Diefe Lehre verkünden wir ande
und tröften ung felbft durch fie.“ "Eben fo beftimmt
fprechen fich hierüber aus: der Bifhof Undrems in
feinem Btief nm Bellarmin, Forbes, Taylor,
Eofinu. a. |
Der 10. Art. dev Augfp. Eonfeff. von 1530, wie
er dem Reichstag vorgelegt wurde, t in feiner erften
Tertierung wörtlich: „Von dem Abend Su wird gelehrt,
daß der wahre Leib und das wahr efu Ehrifti
unter der Gefatt des Brots und Wei ——
gegenwärtig ſind, daß ſie in demſelben ausgetheilt
und empfangen werden. Die entgegengeſ ar Lehre
wird Daher verdammt.“
Der mit dem Geift des Proteftantismus ſo En der:
traute Grotius äußert fi) in feinem voto pro pace p.
51.: „ES ift unläugbar, daß ſowohl nach. | JR eg
der Väter als auch nach der Meinung eines großen
Theils dev Proteftanten uns im —— n Hr den Zei
fern Sinnen unzugängl
Molanus, der oe at vo tt
Vorſchlag einer Ei -einigung zwifchen dei Rathoti
Proteftanten der A Aug! \ Conferf ‚folgende ken ige Aeußerung
von ſich „Sch bin der Meinung daß ; ſchts dem Glau-
ben widerfprehendes in Her Behe wtung enthalten J
ſey, es gehe durch die Einſetzungsworte in dem Abend⸗
mahl, oder in der Eonfecgapfon‘ eine gewiſſe geheimniß—
volle Veränderung vor, durch welche der in den
Schriften der Väter ſo vie tig gebrauchte Ausdruck
„das Brot ift der Leib Ehrifti“ ſich auf eine uner;
forfhlihe Weife erwahret. Man muß alfo die.
Katholiken erfuchen, daß fie ohne fich " in eine "weitere
Unterfüchung einzulaffen, auf welche Weiſe Diefe
Veränderung des Brots und Weins in der Euchariftie
vor fich gehe, fich begnügen darin übereinzuftimmen: (und
dieß würden fie gewiß fich gefalfen laſſen) daß dieſe Weife
— 41 —
unbegreiflich und unerklärbar ſey, jedoch die
geheimnißvolle und bewundernswürdige Verwandlung
des Brots in den Leib Chriſti hervorbringe; und —*
Sefu Chrifti und der Wein fi 4
Ausdrücke ehe mals ſo allgeme
den Vätern des Vrchriftenthums 1
fich nicht ihrer bedient hätte.“ “ 3
In einer, andern Stelle fagt derſe
Ich behaupte, daß der Leib Jeſu Chriſti
* — * unter
1 "Einen gab, ‚ dev
Himmel if ‚ und an dem Kreuze war, nur d e J
dem Altar auf eine andere Weiſe vorhanden ſeh
Am Kreuz war er auf eine natürliche und blutige Weiſe,
im Himmel iſt er auf eine ſichtbare glorreiche Weiſe,
auf dem ar hingegen. auf eine unfichtbare unblutige
und u MWeife, aber. es ift doch imn merhin ‚der
nämliche Leib. Sch erkenne alfo mit den Birch der
beyden Kirchen des Morgen und Abendlandes die in der
Euchar riſtie vor ſich —* Berwandlung, welche
man mit den Worten transmütatio, transelementatio und
transsubstantiatio ausdrückt, wodurch "an jedeutet wird,
daß — er *8 Extöfers ausgefprochen find,
irklich durch die Kraft der Vereinigung mit
ichtbaren ve dasjenige: auf dem. Altar
befinde, was vo her nicht darauf war, namlich die
Perfon Zefu Chriſti.“
So ſprach ein berühmter, gründlich gelehrter, der
proteſtantifchen Confeſſion anhängender Theolog, der ge—
wiß keineswegs geſonnen war, im Punkt der Euchariſtie
im geringſten ſeiner Partey zu nahe treten zu laſſen.
Noch können wir uns nicht enthalten, einige Zeugniſſe
angeſehener Theologen der reformirt anglikaniſchen Kirche
= Mr
hier anzuführen. So ſagt 3. B. der Bifchof Forbes:
„Es liegt zu. viele Verwegenheit und zu viele Gefahr in
dev von mehrern Proteſtanten aufgeſtellten Behauptung,
Gott e Macht nicht, das Brot in den Leib
eh | eiwandeln. Darüber ift freylich die ganze
da' nicht gefchehen fühne, was einen
ſich zieht. Da aber niemand im
it einer jeden Sache genau und
ide for ud veriwichelt oder
Mm, wer er immer ſey, eine auf-
it, Gottes Allmacht Gränzen ſetzen
e daher ganz der Meinung der Witten⸗
* —— genug * das Brot und den
Wein im den Leib um das Blut Sefu Ehrifti zu
verwan dehn.
| horndyke, der berühmte Canonikus von Weſt⸗
—JJ f diefe Verwandlung an, und ‚ daß die
andtheile gewöhnlichen # Tot3 ui eins
vahı den "Das
Blut, = Chrifti, weicher ‚geheiftnißtoll da 7 ver!
wärtignift wie in einem Sakrament ‚ und zwa durch
die Kraft dere onfeftation” und han > durch
den Glauben, deffen, dere ———
Lerklartda die Verwan 2 Ing dui
die Conſekration der inn 8 dtheile her
bracht werde, und" ſtützt feine Beh
Hemweisftelen aus: dem heil. Eyrill won "Se
aus der Liturgie des heil Bafılius , — nd Aml
© Darfer, Biſchof zu Orford j Be: Es ift
einleuchtend für jedermann, felbft für nie 7 welche, in
der Theologie noch fo oberflächlich bewandert feyn mögen,
daß die alten Bäter von einem Jahrhundert zum an—
dern mit den deutlichften, Fräftigften Ausdrücken
die Lehre der wefentlihen wirflihen Gegenwart
— 413 —
behauptet haben. Die Lateiner nennen fie conversio,
transmutatio , transfiguratio , transformatio,, transelemen-
tatio und endlich transsubstantiatio (gr. weraorory&woro ).
Mit all diefen verfchiedenen Ausdrücken wollen fie nicht
mehr und nicht weniger andeuten, als eine wefentliche
und wirfliche Gegenwart in der —— ee
Berwandlung der Subftanz.“
(Wir bemerken hier beyläufig , daß das Wort trans-
substantiatio in der heil. Schrift nicht enthalten ift, daß
aber die Kirche folches auf ‚den Eonzilien zu Rom 1079
unter Gregor VII. und zu Lateran 1215 unter Snnocent II.
wählte, um ihre Xehre der Verwandlung der Wefenheit
des Brots und Weins in den Leib und das Blut ar
fürzer auszufprechen. )
So fand das Dogma der wefentlichen Sehenwane inf.
reihe VBertheidiger unter den Lutheranern und Balviniften
ſowohl als auch unter den englifcy veformirten Theologen.
Nur Zwingli war auf der bloß figürfihen Be-
deutung der Einfekungsmworte, und zwar mit folchem
Starrfinn beharrt, daß er — (in der Zueignungsfehrift
feines Subs. de euchar. ) diejenigen ſchlechtweg der Blind»
heit , verkehrten Sinnes, und der Albernbeit befchuldigte,
welche an die wahrhafte Gegenwart Ehrifti in-der Eucha-
riftie glaubten; wobey er fogar die kecke Behauptung auf-
zuftellen fich nicht entblödete , daß die Apoftel fo wenig als
die Ehriften der erften Jahrhunderte die Einſetzungsworte
je im buchftäblichen Sinne verftanden "haben. Sndeffen
wird ung die Unhaltbarkeit feiner Drafelfprüche bey näherer
Zergliederung bald einleuchten; und fo viel Aufhebens er
arsch anfänglich mit feiner. Erfindung machte, daß das
Wörtchen Ege — „ift“ — fo viel heife als: „bedeutet,“
fo ſah doch auch felbft fein treuer und gelehrtrr Freund Haus:
fchein (Defolampad) bald ein, daß er nur die bloße Möglich:
feit einer folchen Bedeutung bemwiefen habe, daß aber in
feiner einzigen Schriftftelle „ift“ ftatt „bedeutet“
vorkomme, als wo ein offenbarer, unzweifelhafter Tropus fey.
— a“
Diefer Zwift hatte dann auch zur Folge, daß Hausfchein
den. Zwingli gänzlich verließ, und die Figur nicht mehr
im Wort ıft, fondern im Wort ooua — „Leib“ —
fuchte, welche Meinung dann auch bald mehr Benfall
fand als jene erftere. Ebenfalls trennte fich auch Boden-
ftein von Zwingli, indem ev die Figur im Wort zöro —
„dieß“ — entdeckte (daher feine Lehrmeinung Toutismus
genannt wurde.).
Wir werden nun bald einfehen, daß die verfchiedenen
Schriftftellen Des N. und U. Zeftaments , worauf Zwingli
feine Meinung gründete, bey genauer Prüfung ihre Be—
weisfraft gänzlich verlieren.
Wenn der. Erlöfer bei Soh. X. und XV, fagte: „Sch
bin die Thüre, ich bin der Weinftod,“ ſo waren feine
Zuhörer vorher ſchon auf dieſe Gleichniffe vorbereitet,
und er ftellte fich ihnen auch Feineswegs als Zeichen
oder Sinnbild vor, fondern er legte fich folche Eigen-
fhaften bey, wovon Thüre und Weinftod ſchwache, —
aber fehr faßlihe Bilder waren. Zudem ift wohl zu
bemerken, daß er felbft zugleich den Sinn folder Meta:
phern inkikteikar nachher erläuterte. 3. bey Joh. X.:
„wer durd) mich eingeht, wird felig werden,“ und Soh.
XV.: „jede Rebe an mir, die nicht Frucht bringt, wird
dev. Weingärtner mwegfchneiden; ihr könnet aber. nicht
Früchte bringen , wenn ihre nicht an mie ald dem Wein-
ftock bleibt. “ & auch bey Math. XUL: „Der Same
ift das Wort Gottes; der Afer ift die Welt;“ wo Jeſus
ebenfalls. die Bedeutung der Parabel entwickelt. (ALS
Chriſtus fagte : ich bin der Weinftod, die Thüre u. f. w.,
erzählte er ein Gleihniß, ‚und hielt nicht den Weinftod,
die Thüre m. f. w inder Hand — mie das Brot, ald
er fagte dieß ift mein Leib; er feste Fein Sakrament
ein; er fonfefrirte nicht.)
Eine ganz andere Bewandtniß hat e3 mit Gegenfkänden
welche durch Sprachgebrauch fihon als Zeichen aner-
Eannt find; da mag folch eine Nedensart wohl zuläßig
— 45 — .
fern. 3. B. dieß Bild ift der, Reformator Zwingli; diefer
Fleck auf der Landkarte -ift die Schweiz u. ſ. w. Nie
ward aber das Brot fihon vor Einfekung des Abend-
mahls: al3 Zeichen oder Sinnbild irgend einer Sache,
fondern allgemein. nur ald eigene, für ſich befte-
hbende Sache betrachtet und anerkannt. Auch darf nicht
unbeachtet gelaffen werden, daß der Menfchenfohn immer
nach dem allgemeinen Spradgebrauch fich richtete,
um nie feine Schüler zu Irrthümern zu verleiten, fie,
zu denen er gefagt hatte: es naht die Zeit, wo ich mit
euch offenbar und nicht fermer in Öleichniffen
reden werde, — fie, denen. er nun eben bey Einfekung
des Abendmahls feinen legten wichtigften Unterricht
zu ertheilen,, und das am Vorabend feines Todes für fie
eingefeßte Teftament zu eröffnen im Begriff ftund.
Sndefien genügte dennody, — wer follte es glauben! —
jene feichte Auslegung des Reformators, um das gelehrige
Rathskollegium — deffen Haupt, laut öffentlich : abgeleg.
tem felbfteigenem Geſtändniß von folden Sachen
fo viel ald ein Blinder von den Farben verſtund — zu
beftimmen, „im Namen: der ganzen SKicche“ (totius
ecclesie nomine ) das heilige Miefopfer von Stunde an
abzufchaffen!! Mit: folch gemwiffenbafter Befonnenheit
und fanonifher Ordnung verfuhr in diefer höchften
Heilsangelegenheit ein bürgerliches Conzilium des ſechs—
zehnten Sahrhunderts't! —
Auch mit jener Beweisftelle aus Exod. XI., „es ift
Phafe, das if: dev Vorübergang des Herren, “ worauf
Swingli gar fo übergroßes Gewicht legte, hat es ebendie-
felbe unerbauliche Befchaffenheit,
Nachdem er fchon fünf volle Sahre hindurch ver-
geblich allen haltbaren Beweifen nachgeforfcht hatte,
um die mwefentliche Gegenwart zu entkräften, fol ihm
endlich diefe Beweisftelle im Traum geoffenbaret worden
feyn. Er fügt felbft noch bey, daß er nicht ganz genau
angeben fünne, ob der Geift, welcher ihm dieß Beyſpiel
— 46 —
eingeraunt habe, weiß oder ſchwarz geweſen fey. (Wie
fommt e8 — möchte man hier fragen — daß dem emfigen
Bibelforfiher die Stellen aus Genes. XL, 1%: „die
drey Reben find drey Tage ;“ ibid. XLL, 236: „die
fieben Aehren find. die fieben Jahre. “ Dan. VO., 17.:
„diefe vier großen Thiere find vier Reiche“ "X a. Mm.
unbekannt blieben ?)
Doch wir dürfen über diefen poßierlichen Geifterfpuf
die eigene Erzählung des Träumers unſern Leſern nicht
vorenthalten.
Er fehreibt in feinem Subs. de — „Wie nun
der dreyzehnte Tag April fi) nahte, , Cich rede die Wahr:
heit alfo, daß, wenn ichs gleich gefchweigen wollte , doch
mein Gemiffen mich zwingt ſolches ausjufagen , welches
der Herr alfo mitgetheilt hat, wiewohl ich. mich hie-
durch felbfi im Spott und Verachtung feke)
fiehe da hat mir geträumt, daß ich. abermal mit obge—
dachtem Schreiber wieder und mit großem Verdruß
zanfte und ganz ftumm werden mußte, und ihm
nicht3 antworten fonnte Und da ich mich im
Traum alfo bey. der Nacht ängftigte, da däuchte mich
es ftinde ungefähr bey mir ein Mann‘, dev mich erinnerte
(0b derfelbige ſchwarz oder weiß gewefen ſey, weiß ich
nicht ) und fprach : antworte keklich, wie am 2. B. Mof.
XI. gefchrieben fieht : est phase domini , es iftder Durch—
gang des Herrn. Da ich dieß Geficht geſehen und erwacht,
bin ich mit Freuden aus dem Bett gefprungen, habe nach—
gefucht, und ſolches bald vor der ganzen Kirche nach
meinem Vermögen öffentlich gepredigt. Als nun die
Predigt wohl angenommen worden, hat ſie allen, ſo die
geiſtlichen Sachen gern haben verſtehen wollen, und duch
die Gleichnif etwas verhindert und aufgehal-
ten worden, (!T) alle Finſterniß aus dem Weg ger
räumt, undift die drey Tag über — Grünen Donnerflag —
Stillen Freytag und Dftertag ſolch ein herrliches und
hohes Dfterfeft gehalten als ich zuvor nie gefehen hab,
— 47 —
und ift die Zahl derer ſo nach dem Knoblauch und Egyp-
tifchen Zöpfen zurücfahen (Papiften) geringer geweſen
als ich felbft gemeint hätte, “ F
(Wir finden und hier zu der gefchichtlichen Benierfimg
veranlaßt , daß unter dem gedachten Schreiber, welcher
an den beyden Tagen vorher in öffentlither Disputation
unfern großen Wundermann nicht wenig in die Enge
trieb, der zweyte Staatsfchreiber. Joachim von Grüt
gemeint ift, deffen zwar in Hottingers Geſch. der Eidg.
zue Zeit der Kirchentr. nur kurz, und in wornehm
verächtlichem Ton erwähnt wird, welcher aber in andern
Urkunden als der-,, fcharffinnigfte und zugleich gemäßigtfte“,
auch als der „tüchtigfte und furchtbarfte “Gegner Zwinglis
gefchildert ward, und eine Schrift im Druk hevausgab :
„hriftenlich Anzeygung Soachims von Grüt, daß im
Saframent des Altars warlich fey Fleifch und Blut
Ehrifti, wider den fchedlichen verfuerifchen irtumb Ulrich
Zwinglins zu Zürich,“ welche in der Oi qengeſchucnen
Litteratur höchft felten geworden ift.)
Wir werden indefjen ohne große Mühe — daß
auch dieſes in einem Traumbild ausgeheckte Vehſpiel
ganz und gar nichts figürliches darſtelle.
Der Herr befiehlt nähmlich Exod. XII.: „Shr folt
eure Lenden umgürten, und Schuhe an euern Füffen
. haben , und die Stäbe in euern Händen halten , und. efjen
das Lamm eilends, denn es ift Phafe d. i. der Vorüber—
gang des Herrn; und ich will in derfelben Nacht durch
Egypten gehen, und alle Erfigeburt fehlagen in Egypten-
land.“ Das Lamm ift alfo bier offenbar feineswegs 3 ei-
hen des Vorübergangs, fondern alle Worte deuten ganz
Hav auf den wirflihen DVBorübergang des Herrn.
„Haltet euch bereit Egypten zu verlaffen, zieht Reiſeklei—
der an, verjäumt Feine Zeit das Lamm fehnell zur effen,
denn der Herr geht vorüber.“ Dieſer Einn ergiebt fich
ganz deutlich aus dem Zufammenhang, ſowie aus dem
Beyfak : „und ich will in ae durch Egypten .
— 4 —
gehen.“ Der Grund wird alfo den Sfraeliten klar und
beftimmf ausgefprochen, warum ihnen ‚befohlen ward
fich zum Abzug bereit zu halten , und fchnell das Lamm
zu eſſen. Der Vorübergang des Herrn ward ihnen
gewiffermafien als Signal: ihres Aufbruches verkündet.
Zudem darf nicht überſehen werden, daß Mofes, indem
er vom Lamm ſpricht, dafjelbe: nicht den ;, Borübergang “
nocy „das » Zeichen des Vorübergangs“ , fondern das
„Schlachtopfer des VBorüberganas * nennt.‘ B. 27. Zur
Erinnerung an diefe Begebenheit. folk: jährlich. das Oſter—
lamm geopfert werden; und wenn die Kinder fragen : was
dieß bedeute, ſo ſoll man ihnen fagen: „es iſt das
Schlahtopfer vom VBorübergang des Heren , da er
vor den Käufern dev Kinder Sfraels in Egypten vorüber-
gieng, während er die Egyptier fchlug und hingegen
unfre Häufer verfchonte,“
roch einen andern: —2 für die figürliche
Bedeutung der Einſetzungsworte leiten die Zwinglianer
von jenem Zuſatz bey Lues XXIL her: Zdieß thut zu
meinem Andenken ©; indem: nach ihrem Urtheil das
Wort „Andenken *ſich nur auf abweſende Gegenſtände
beziehen würde, und. daher Chriftus das Abendmahl, wenn
er wirklich darin gegenwärtig wäre, nicht als bloßes
Andenken feiner Perfon angeordnet haben könnte.
Darauf: antworten wir 7 Kein einzigen Kirchen—
vater noch fonftiger kirchlich er Schriftfteller fand
je in dieſen Worten denjenigen Sinn, welchen jeßt die
Anhänger der Calviniſchen und Iwinglifchen Lehrmeinung
hineinlegen; und ebenſo gewiß iſt es, ‚daß. auch. felbft
die, welche zwerft die «Lehre: einer bloß figürlichen
Gegenwart aufſtellten, »diefelbe: "ganz umd gar nicht aus
diefen (nur bey Lukas vordemmenden· Zuſatzworten
herleiteten. ;
Es ift geſchichtlich erwieſen, daß ——8 lange genug
aus der heiligen Schrift eine figürliche Gegenwart
herauszuklügeln ſtrebte, ohne ſie je in dieſen Worten
= MW =
wahrzunehmen, fo oft fie ibm doch mußten. unter die
Augen gefommen feyn. Erſt in dem Brief eines Hollän-
ders fand er diefe „Eoftbare Perle“, wie er fich ausdrückte ;
auch glaubte der überglücliche Mann fie mit mehr Erfolg
vertheidigen zu können, als jenes berüchtigfe Traumbild.
Doch wie fehr täufchte er fih auch hierin! Um diefe
Lehre zu begründen, mußte man eine Verbindung
diefer Stelle mit. den voranftehenden Einf ekungs-
worten erkünſteln, und dieſen Zuſatz als eine Erläu-
terung oder Erklärung jener Einſetzungsworte anfehen.
Wäre aber diefe vermeinte Verbindung wirklich im Terte
ſelbſt, — und nicht vielmehr in einem gefaßten Borur-
theil, — gegründet, wie hätte fie fo lange ganz unbe-
kannt bleiben können? Wie hätte fie während vielen
Sahrhunderten allen Ehriften, und felbft auch ven
Häretikern, — denen doc, am meiften an ihrer Entdeckung
liegen mußie, — entgehen können! ſie ward ja doch erſt nach
ſchon ang enommener Lehre aufgefunden, und man
gerieth ja keineswegs von der angeblich nothwendigen
Berbindung beyder Stellen auf die Idee der figür—
lichen Bedeutung, ſondern gerade umgekehrt von der
bereits ſchon feftgeftellfen Lehre des figürlichen
Einnes erft auf jene neue wilfführliche Behaupfung ! —
Ein jiveyter Umftand widerlegt ebenfalls die Anficht
einer nothwendigen Berbindung ymwifchen den Ein-
fehungsworten feldft, und dem bey Lukas enthaltenen
Zufak. Wären nähmlich die Zufaßworte: „dieß thut
zu meinem Undenfen “ nofbwendig , um die Einfeßungs-
worte „Ddieß ift mein Leib, der für euch bingegeben wird“
zu, er klären und u berſteben, und würden leßtere
Worte in Folge diefer Erklärung ftatt der wirklichen
Gegenwart nur die figürliche andenten; fo hätte der
göttliche Erföfer den fcherzhaften Gebrauch vieler Men:
fchen nachgeahmt, welche durch pomphafte Einlei-
tung etwas fehr wichtiges außerordentliches zu
erzählen ankündigen, und dann 2% nur etwas "aan
— 90 —
geringfügiges alltägliches vortragen. Wire es aber
nicht wahre Gottesläfterung zu behaupten, daß der Er-
löfer in diefer fo hochwicht igen Sache, ‚bei feinem
Abfhiedsunterricht fi) fo benommen hätte? Nicht
nur. wäre eine folche Art der Unterredung fchon überhaupt
mit dem Geifte des Enangeliums im Widerfpruch,
fondern, fie würde auch ganz befonders noch im ernften
Augenblic des legten Abendmahls, bey der
Dergegenmwärtigung des nahen Leidens und Kreuzestudes
höchſt unpaffend geweſen ſeyn; überdieg noch mwiderftrebte
fie auch. der ganzen Sinnes- und Gemüthsart des
—Gottmenſchen, von welchem wir nirgends Iefen , daß
er. je einen Scherz ſich erlaubt, oder daß man je ein
Lächeln auf feinen Lippen erblickt hätte. |
od) kommt ein anderer - erheblicher Widerlegungs-
grund hinzu: Wenn die Einfekungsmworte für fich allein
betrachtet die wefentlihe Gegenwart ausfprechen,
und erft durch die Zuſatzworte den figürlihen
Sinn erlangen, fo müßten ja nothwendig diefe Tektern
die Erflärung der vorhergehenden feyn , fo zwar daß
nicht die einen ohne die andern fünnten fiehen bleiben;
denn würden letztere Zuſatzworte weggelaffen, fo müßte
man die Bedeutung der wefentlihen Gegenwart
annehmen, welche aber Chriftus - (nach obiger Vorausfe-
kung der veformirten Glaubenslehre) durch die Zufah-
worte „dieß thut zu meinem Andenken“ ganz förmlich
ausschließen wollte. Es wäre alfo, in diefer Voraus—
fesung, dem Zweck und Willen. des Erlöfers in diefem
allerwichtigften. Punkt ſtraks zuwider gehandelt, und
höchſt vermeffen, die erftern Worte (welche die
wefentliche Gegenwart unläugbar ausfprechen ) ohne
die letzt er (wodurch die wefentliche Gegenwart wieder
aufgehoben , und in die figürliche umgewandelt wird.)
vorzubringen. Und doch haben — was wohl beachtet
werden muß — Mathäus und Markus, welche die
erften und — während mehrerer Sahre die einzigen —
— 41 —
Evangeliften waren, diefe Tektern Worte ganz mit
Stillfhweigen. übergangen. Bon fämmtlichen
Evangeliften hat einzig Lukas fie uns aufgezeichnet! !
Sene andern müffen fie alfo nicht für nothmendig ge-
halten, nicht ad Erklärungsworte der vorherge-
henden betrachtet, auc ganz und gar nicht jene mwefentli-
he Verbindung darin gefunden haben, welche nun ein
Theil der Reformirten darin zu finden ſich einbildete.
Endlich kommt noch ein vierter Widerlegungsgrund
hinzu. Aller Logik zuwider ift nähmlich die Bchauptung :
daß das Andenfen nothwendig eine Abweſenheit
vorausſetze, und Jeſus folglich nicht hätte befehlen können,
dag man fich feinee erinnere, wenn er im Abendmahl
wirklich zugegen wäre. Mag auch fehr oft die Erin-
nerung auf abwefende Dinge Bezug haben , fo ift fie
doch nicht eigentlich Segenfak der Abweſenheit, fon-
dern der DBergeffenheit. Wie viele Dinge giebt es
num nicht, die zwar gegenwärtig find, doch aber leicht
vergeffen werden, weil ihre Gegenwart nicht fühlbar
ift und nicht in die Augen fit. So ift auch Gott —
Seele — Schußengel u. f. w. den Sinnen unfühlbar, nur
unterm Glauben gegenwärtig, und werden gar zu F in
Vergeſſenheit geſtellt.
Die wahre vichtige Bedeutung jener Zuſatzworte iſt
doch wohl unfchwer zu begreifen ; fie ſtehen in Eeiner wefent-
lichen Berbindung mit den vorhergehenden Einfeßungs-
worten ; — (eine Verbindung, von welcher weder Mathäus
und Markus noch irgend ein Bifchof oder Kirchenlehrer
bis auf die Zeit der hocherleuchteten Reformations - Apoftel
je etwas mußte — ) feine Stelle hängt von der andern
ab; jede hat für ſich ihre eigene Bedeutung. "Die
erfte fpricht allerdings die wirkliche Gegenwart aus;
und durch die zweyte wird ung die Geiftesverfaffung
eingefchärft, mit welcher wir Chrifti Leib empfangen und
genießen ſollen. Wir folen nähmlich, nach den Worten
Pauli 1. Cor. XL bey diefem Genuß uns erinnern,
— m —
„daß der Grlöfer für uns gelitten und fich für uns ge-
opfert, habe.“ Wir follen. dabey von der Erinnerung
an fein Leiden und feinen Tod vollkommen durchdrungen feyn.
Zudem fönnen wir, wenn fchon das Andenken noch
feinesivegs eine A bw efenbeit nothwendig , vorausfekt,
dennoch auch ſagen, daß dev Gegenftand unſers Anden-
fens, nähmlich der Tod Sefu, in. der — nicht
——— ſey.
Es hat demnach mit den von Zwingli zum Behuf feines
figüelic Jen} Syſtems angeführten Beweisſtellen eine ſehr
wenig erbauliche Bewandtniß.
Uebrigens dringt ſich uns in Bezug auf den richtigen
Verſtand der Abendmahllehre noch eine. weſentliche Be—
trachtung auf. Unmöglich konnte es nämlich Jeſu ver—
borgen ſeyn, daß ſeine Apoſtel keineswegs die Lehre von
der figürlicchen Gegenwart predigen, ſondern daß alle
Chriften den Sinn dev wirklichen Gegenwart anneh—
meit, — daß aber in fpätern Jahrhunderten. fih Viele
gegen. diefe Lehre empören werden. Obſchon der Al:
wiffende: alles Unheil. folcher Spaltung vorherfah, legte
er dennoch in den Mund und die- Feder der von ihm
begeifterten. heiligen Schriftfieller überall und immer
nur das Wort „mein Leib,“ nirgends aber „das Bild
meines Leib.“ Wäre nicht dieß Benehmen des Erlöfers
in einer ſo hoch wichtigen Angelegenheit ganz unbegreif-
lich,, und mit feiner Güte — Weisheit — Gerechtigkeit
und Liebe gegen die von. ihm ſelbſt geftiftete Kirche ganz
unvereinbar ? Zu welchen Irrwegen hätte er feLbft uns
verleitet, wenn die Worte „wahrhafte Speife, wahrhafter
Trank, Leib — Blut Jeſu Ehrifti“ , welche wir. in feinem
Evangelium überall klar und deutlich lefen, in ganz
entgegengefektem Sinne zu . verftehen wären, und
nur. „Figur — Zeichen — Sinnbild * bedeuten jollten,
welche Worte gar nirgends in. den. heiligen Schriften
zum. Borfchein kommen! —
Und welche Ausflucht Eönnte auch im der That den
— 25 —
Anhängern Calvins und Zwinglis noch übrig bleiben, wenn
ihnen von Katholifen und felbft Lutheranern vorgeftellt
wird, daß nach dem Hauptgrundſatz ihrer großen
Lehrneiſte⸗ nur das jenige geglaubt werden durfte, was
klar und deutlich in den heiligen Schriften ent-'
halten war! Oder vermögen ſie dann etwa auch nur
eine einzige Stelle in den geſammten heiligen
Büchern aufjufinden, die für eine -figürliche Bedeutung
irgend etweldhen Grund oder. Beweis lieferte , worin
das Wort „Zeichen, Figur * oder ein Ähnliches in Ver—
bindung mit. der Euchariftie ‚wäre ‚gebraucht worden ?
Der Apoftel Paulus mwiederhohlt, "unter ausdrücklicher
Berufung auf einen hierüber. unmittelbar vom Herrn
erhaltenen Auftrag — 1. Eor. KL, — genau die näm—
lichen Worte, deren fhon 3 han e3 in der. Rede
Chriſti vonder VBerheiffung, diefes Geheimnißmahls
fich bedient hatte. - Ueberall und immer ift nur vom Leib
und Blut Chrifti ad wahrhafter Speife und wahr:
hbaftem Trank die Rede. So machen fich dann die
neuen Reformationg = Apoftel der Dergeffenheit oder des
Widerfpruchs mit fich felbft ſchuldig, wenn fie mit
unbiegfamem Sinne darauf beftehen., die von der heiligen
Schrift fo oft und Elax ausgefprocjene Lehre der wirf-
lichen Gegenwart des Leibs und Bluts Chriſti im Abend-
mahl dennoch zu verwerfen, und dafür die Lehre
eines bloßen Zeichens und einer bildlichen Borftel-
lung, — auf welche doch nirgends in den heiligen
Schriften hingedeutet wird, — ſo ganz eigenmächtig
und willkührlich aufzuftellen. ! — —
Doch , wer auch nur einigermaßen in der kirchlichen
Revolutionsgefchichte des XVI. Sahrhunderts bewandert ift,
dem kann auch dag unbegränzte Snfallibilitätsgefühl,, —
die Anmaßung — und die ftarre Eigenmacht in der
Schriftauslegung nicht unbekannt feyn, womit jene neuen
Glaubensherolde ihre - Eurzfichtigen Zeitgenoffen zu über-
liften und zu unterjochen beflifien waren. Wir führen
— 4114 —
hier nur Zwingli als Benfpiel an. Am Schluß der oben
erwähnten Difputation erklärte er kurz weg: „Das
Urtheil ift fchon gegeben; der Geift Gottes urtheilt; wenn
meine Obrigkeit etwas erkennen und urtheilen würde, das
wider das Urtheil Gottes (d. h. wider meine eigene Mei—
nung ) wäre, ſo wollte ih dawider predigen und
handeln: ich gebe ihr das Urtheil nicht in ihre Hand;
fie fol auch über das- Wort Gottes ganz nicht urtheilen,
nicht nur vallein fie — ja auch alle Welt nicht!“
Und in feiner Antwort an den bifchöflichen Vikar läßt
fi dev ‚große Glaubensheld alfo vernehmen: „Ich ver-
fteh’ die Schrift: nicht anders als wie fie ſich felbft
durch den Geiſt Gottes (d. h. meinen eigenen Verſtand)
auslegt, und bedarf Feines menfchlichen Urtheils. Wir
wiffen , das Gefek Gottes ift geiftlich,, und will nicht von
fleifchlicher menfchlicher Bernunft ausgelegt feyn. Da-
vum willich feinen Menfchen zu einem Richter
über die Schrift Haben noch zulaffen.“ (fondern
bloß meine eigene Willkühr) Wo hat je ein Fatholifches
Kirchenhaupt auf dem Stuhl Petri fich ſolch vermefiene
Sprache zu Schulden kommen laffen ? — ! —
Bey dem allem find wir dennoch eher zu der Muthma-
fung geneigt, daß keineswegs der Tert der heiligen
Schrift ed war, was die Gegner der wefentlichen Ge-
genwart und. der Zransfubftantiation bewog diefe Dogmen
zu ‚beftreiten. Denn gerade dieſer Text mußte fie viel-
mehr zur Annahme derfelben beftimmen , und unmöglic)
fonnten fie die figürliche Bedeutung aus der Schrift
herausffügeln, ohne fie recht eigentlih mit Gewalt zu
drehen und zu verftimmeln. Um ihrer vermeinten Me—
tapher etwelche Grundlage zu verfchaffen, mußten fie die
gefammte ‚heilige Schrift durchfpähen , bis fie mit Auf-
wand al ihres Scharffinnes nur einzelne fcheinbare
Benfpiele ausfindig machen konnten, welche dann. bey
näherer Prüfung auf den vorliegenden Fall ganz und gar
nicht paßten, und die bündige Energie der. Einfes
— 125 —
kungsmworte nicht im mindeften zu ſchwächen ver—
mochten, {
Weit eher mag wohl — genau unterfucht — die Wi-
derfeglichkeit der Reformirten nur auf den philofophi-
fhen Schluffolgen beruhen, zu welchen die Annahme
jenes buchftäblichen ZTertes nothwendig führt, und
welche ihrer Vernunft als Echrecfbilder. erfcheinen. Daß
nähmlich ebenderfelbe Leib zu ebenderfelben Zeit an mehr
vern Orten zugleich gegenwärtig feyn könne, — daß das—
jenige, was der äußern Geftalt nah Brot ud Wein.
iſt, dennoch in feiner Wefenheit etwas ganz anderes
feyn könne, — wie follte diefes möglich feyn ?! —
Und allerdings fließen diefe — unfre Faſſungskraft
weit überfteigenden — Folgerungen ganz unvdermeidlicd)
aus dem buchftäblichen Sinne der Einfekungsworte. Aber
die Frage ift und bleibt immerhin nur: hat nicht der
Gottmenfh verheiffen, uns fein eigenes Fleifch,
welches er für das Heil. der Welt am Kreuzesſtamm
aufopfern werde , als eine wahrhafte Speife zu geben?
bat er nicht im Augenblik der Erfüllung diefer
Berheiffung eben fo Elar und deutlich gefprochen :
nehmet hin, effet, dieß ift mein Leib? war und ift er
nicht mächtig genug das, was er fprach, und weit
mehr noch als wir begreifen können, zu verwirklichen ?
fonnte der Erlöfer — er, der die Wahrheit felbft
ift — je fähig feyn, uns durch doppelfinnige Aus-
drücke irre zu leiten ? würde er nicht den über feine harte
Rede betroffenen , geliebten Süngern weit eher mit einem
einzigen Wort die figürliche Bedeutung . zugegeben haben,
wenn nicht dev buchftäbliche Sinn wirflich in feiner
Abficht gelegen wäre? Und würde nicht die Güte und Ge-
vechtigkeit des: Gottmenfchen ihm diefe Belehrung feiner
Sünger — faft möchten wir fagen — zur Pflicht gemacht
haben, um dadurch allen unfeligen Spaltungen für
die Zeitfolge zuvorzufommen ? . Warum follten wir doc)
nicht eher in uns felbft als in ihn Mißtrauen feken!
— 46 —
Warumfollten wir feine Wovtenicht ſo einfach glauben
als einfach er fie gefprochen hatte, ftatt ung im uner—
gründliche Schwierigkeiten zu vertiefen! Nie follen
wir — fagt treffend der heil. Hilarius — den Wirkun—
gen der göttlihen Macht nach bloß menfchlichen
Begriffen die Bahn vorzugeichnem uns vermeſſen. Die
wahre Weisheit de3 Menfchen befteht darın, der Macht
und Kraft Gottes nicht Gränzen ſetzen zu wollen.
Allerdings wäre es TShorheit und Gottlofigkeit, jenes von
der wefentlichen Gegenwart Jeſu Ehrifti im Abendmahl
zu behaupten, wenn er es uns nicht felbft geoffen-
bavet hätte.“ „Weg mit allen Argumenten , fagt
der heil Ambrofius, wo vom Glauben die Rede ift !
Was forfcheft du in dem was unerforfchlich iſt; dadurch
beweifeft dir nur deine Neugierde, nicht deinen Glau-
ben.“ Ehryfoftomms erklärt den Verſuch, göttliche
Dinge nach dev Bernunft beurtheilen zu wollen ‚als
eigentliche Gottes läſterung, weil menfchliches Urtheil
nicht gemein habe mit . den Geheimniffen Gottes; und
Cyrill von Alerandrien erklärt, daß in Glaubensfachen
jede Neugierde aufhören müffe. Aber micht nur dieſe
großen Kirchen » Authoritäten find es, welche der Ausübung
des Privaturtheils folche Schranken ſetzen; auch zwey der
angefehenften Philofophen, Bacon und Bayle, haben
diefelbe katholiſche Anſicht einmüthig RE und
vertheidigt:
Der Erlöfer kündigt wo nun einmal feinen Wil len
und feine Abficyt mit den einfachften verſtändlich—
fren Worten an, deren nur immer die Sprache ſich
bedienen kann. Das einzige, was unſre Faſſungskraft
überfteigt und erfchüttert , und was wir auch hienieden
nie klar begreifen werden, find die aus jenen Kraftworten
herfließenden Folgerungen, die Art und Weife wie
diefe wirkliche Gegenwart zu Stande gebracht wird, —
die geheime unfichtbare Triebfeder, welche dieſe Ber:
wandlung: der. Wefenheit bewirkt.
v
— MM —
‚Sollen wir aber nicht — (wie das Bekenntniß von
Wittenberg 1536 ſelbſt ſich ausdrüdt) die All macht
Gottes für fo unbeſchränkt halten, daß. er in der Eucha-
riftie die Subſtanz des Brots und Weins zu tilgen und
folche in feinen Leib und fein Blut zu verwandeln ver-
möge?! Sind wir-je berechtigt, Dingen deren Wahr-
heit fich nicht läugnen Täßt, unfern Glauben nur dep-
wegen zu verſagen, weil fie uns auf Dunfelheiten
führen, die wir nicht zu durchſchauen im Stande find?
(vergl. Hebr. XL, 1) Warum wollen wir den Grund von
Dingenerforfchen ‚die unergründlich find, und Wahr:
heiten durchſpähen, die unducchdringlich find ? Wollen wir in
tollem Wahnfinn die Gränzen überfchreiten oder ge—
waltfam ducchbrechen,, die eine Höhere Hand uns aufge—
ſteckt hat? Wir vermweifen bier ganz befonders noch auf
die im Abfchnitt über den Lutheranismus angeführten
Stellen aus Leibnitzens Theodizee , und deffen Abhandl.
von der Lebereinft. des Glaubens mit der Vernunft, fowie
ferner auf die Stellen aus Auguflinus, und den
Caract. de Theophr. am Schluß der Erörterung über
die. Disziplin der Geheimhaltung.
Und glaubt denn nicht auch der Proteftant an fo
manch andere geheimmißvolle Lehren des ‚Chriftenthums,
welche ebenfalls nicht wider aber eben fo fehr über die
Bernunft find ? glaubt nicht auch er an eine dreyfache
Derfon der. Gottheit — an das große Geheimniß (1. Tim.
III., 16.) dee Offenbarung Gottes im Fleifche — an die
Auferfiehung des Menfchenftaubs aus dem Grabe — an
die Ankunft Ehrifti zum Gericht mit feinem wahren Leib
wie ev aufgefahren (laut Confess. helvet. C. 11.) — m
die Bereitung des Leibs Chrifti aus der unbeflecten Ma—
via durch VUeberfchattung des heil. Geiftes — an die Gott-
beit und Menfchheit Cheifti in Einer Perſon — an feine
mannigfaltigen Wunderthaten, Auferfiehung, Himmelfahrt,
Erfcheinungen in Galiläa bey verfchloffenen Thüren u. f. w.?
Ja, glauben wir nicht alle das Geheimniß der Natur —
— 428 —
die Vereinigung des Leibs und der Seele, — obſchon wir
das Band derſelben und ihre wechſelſeitigen Einwirkungen
nicht zu ergründen vermögen ? Haben, wir ja doch auch
von Gott felbft feinen erfchöpfenden Begriff, da nur
eine unendliche Faſſungskraft den Unendlichen zu erfaſſen
vermöchte! —
Ziefe Beherzigung verdient in diefer Hinficht das ganz
hieher paffende IV. Cap. des IV. B. Esdrä, welcher durd)
den Engel Uriel vor vermeffenem Grübeln nad) den
Rathfchlüffen der ewigen Weisheit gewarnt wird, indem
er fich erfühnte den Weg des Allerhöchften begreifen
zu wollen. Um ihn zu befchämen, legt Uriel ihm drey
Gleichnißfragen vor: „Kannſt du das Feuer wägen?
den Wind mefjen ? den geftrigen Tag zurückrufen?“ Dann
fügt er die ernften Worte bey: „Nicht über die Tiefe
des Meeres, nicht über die Höhe des Firmaments, noch
über den Umfang des Paradiefes frage ih dich, — als
wohin du nicht gefommen bift;z aber fo habe ich dich ja
bloß vom Feuer — vom Wind — und vom Tag gefragt,
ohne welche du nicht ſeyn kannſt und durch welche du
gegangen bift, und dennoch vermagft du mir nicht zu
antworten. Du Fannft deine eigenen Dinge, und die
immer mit und bey dir find, nicht erkennen, und doc)
unterfteht fich dein Verftand, Die Wege des Höchſten
ergründen zu wollen! “
Sn eben diefem Sinne warnen ung auc, verfchiedene
erleuchtete Lehrer des Alterthbums, daß wir feine Be—
weisgründe fordern, wo vom Ölauben die Rede ift,
das wir wohl die Menfchwerdung des Gottesfohnes wifjen,
aber nicht dem Geheimniß nachgrübeln dürfen, daß
wir alles, was die heil. Schrift ung offenbart, mit
Unterwürfigkeit annehmen folen, ohne dem nachzu—
forſchen, worüber fie fhweigt, daß wir göttliche
Dinge nicht nah menfhlihem Maaßſtab beurtheilen,
noch fie den Gefeken und Bedürfniffen dev Natur
— 49 —
unterwerfen, fondern als Gläubige ung aufwärts zu
. den Höhen des Glaubens fehmwingen follen.
&
*
* *
Noch bleibt ung ein wichtiger Punkt in Betreff der
Euchariftie zu erörtern übrig, welcher dem Katholizismus
häufig zum Vorwurf gemacht wird, nähmlich: die Ent-
ziehbung des Kelches, — oder : der Genuß des Abend-
mahls unter dev Einen Geftalt des Brots.
Auch diefem Vorwurf liegt nur Unfenntniß des
chriſt lichen Altertbums zum Grund; denn wir finden
fchon in den erften Sahrhunderten der Kirche (bey Eyprian,
Hieronymus , Tertullian u. a. m.) die verläßlichften Zeug-
niffe,, daß man in gewiſſen Umftänden und Verhältniſſen
die heil. Kommunien nur unter Einer Geftalt — nähmlich
des Brots — empfieng. Dem heil. Ambrofius felbft ward
auf feinem Sterbebett noch das Abendmahl unter der
bloßen Brotsgeftaft von dem Bifchof von Bercelli —
Honoratus — gereicht, wie ung Paulinus, in feiner, dem
heil. Auguftinus zugeeigneten, Lebensbeſchreibung des heil.
Ambroſius erzählt. |
Auch ift e8 bekannt, daß die Griechen zu gemiffen
Zeiten das heil, Altarsſakrament bloß unter Einer Geftalt
fpenden.
Das Neue Teftament enthält. übrigens PS Be⸗
weisſtellen, daß durch Entziehung des Kelchs nichts weſent—
liches vorenthalten; und daß unter der Geſtalt des Brots
die Gegenwart des Sottmenfchen vollftändig undwahr-
Haft geglaubt wird. Bey Joh. VL, 50. 51. 58. werden
von Sefus felbft den Gläubigen, die ihn im Altarsſakra—
ment bloß unter Einer Geftalt empfangen, ebendiefelben
Bortheile zugefichert,, wie unter beyden Geftalten; 1. Cor.
XI. , 27. ift von Brot oder Wein die Rede, und Xct.IL,
42. 46. — XXVO., 35; Luk. XXIV., 30. 35. , ſowie
= WW =
in mehrern andern Stellen wird nur des dr otbrech ens
gedacht.
(Könnte man hier nicht vielmehr den oe
chen Critifaftern mit allem Grund und Recht den Vor—
wurf machen, daß fie die in der heil. Schrift fo Elar
gegründete Firmung, lekte Dehblung u. f. w., vergl.
Net. VII. , 15. 18. Marc. VI, 13., Sac. V., 14. 15
ohne allen Erfak und Vergütung fchlechtweg verwarfen ?)
Befugt war wohl allerdings die Kirche — keines—
wegs aber einzelne oder wenige Privatperfonen —
zu diefer Anordnung dev Kommunion unter Einer Geftalt,
fowie fie e8 früher war zur Verlegung des Sabbaths auf
den Sonntag — zur Abftellung des Eintauchens bey der
Taufe — zur Zaufe der Kinder — zur Anordnung der
Feyer der Geburt und des Leidens Ehrifti u. f. w. (veral.
die Friedens - und Bereinigungs = Borfchläge zwifchen
Boſſuet, Leibnitz und Molanıs) Schon Act. XV., 28.
erklären die Apoftel: daß es dem heiligen Geift
und ihnen gefalle, befondere Anordnungen zu
treffen. Much zeigt Paulus 1. Cor. XL, deutlich an, daß
forthin bey dem Sakrament der Eucyariftie viele Dinge
geordnet werden follen, die nicht aufgefchrieben feyeit.
Sodann wiffen wir mit Beftimmtheit aus der Kirchen:
gefchichte, daß zu Ende des AH. und hauptfächlich im XIII.
Sahrhundert den Ehriften häufig nur der heilige Leib
gereicht ward. Beranlaffung waren die damals üblichen
Kreuzzüge nach Paläftina.. Da für fo viele Kreugfahrer
auf foldy weiter Reife nicht immer genug Wein aufju-
bringen war, um alten den heil. Kelch ‚geben zu können,
und auf den Schiffen die Austheilung, des Weins großer
Gefahr des Verſchüttens unterlag, fo fleng man an, fich
mit dem heil. Leib allein zu begnügen, und bald öflanzte
dann diefer Gebrauch fih von den Kreuzfahrern auch auf.
das Volk im Allgemeinen fort. Zeuge hiervon if Thomas
de Aquino , der gefehrte Heilige, (get. 1274) 3. 3.80 Sr.
Diefer und andere damalige Kirchenlehrer fchten alte
Gründe hervor, um die Kommunion. unter Einer Geftalt
zu rechtfertigen , welche dann auch fehon bald nach U. 1300
in der abendländifchen Kirche allgemein eingeführt ward.
Das Conzilium zu Baſel im I. 1431 erklärte dann in
Sess. XIH. , daß die Kommunion unter beyden Geſtalten
nicht — ſey.
Was übrigens auch noch die Miſchung des Weins mit
Waſſer im Abendmahl betrifft, ſo gründet ſich dieſelbe
ganz klar auf Juſtin Mart. Apol. J., 127; Irenäus B.
IV., e. 57; auf Cyprian, Auguftin, Hieronymiid u.a,
©. auch Bellarm. de sac. euchar. L. IV. , ec. 19.0
Re |
Wir können diefe gedrängte Darftellung der urchriftli-
chen Kehre von der Euchariftie nicht fchließen , ohne die
Urtheile einiger neuerer Schriftfteller über den beharrlichen
Skeptizismus der Proteftanten in Betreff diefes Lehrſatzes
noc) anzuführen. |
„Ob es gleich — fagt einer derfelden — in unfern
Zeiten Modephilofophie geworden ift, alles in Zweifel zu
ziehen oder zu läugnen, was man nicht begreift, fo
wird doch dieſer Unglaube jeden Augenblick des Lebens.
befchäimt, indem wir ja auch die Kräfte der Natur
ducchaus nicht begreifen können, fondern nur Er-
fiheinungen wahrnehmen. Erfahrt nun. jene Phi-
fofophie fo oft diefe Beſchämung bey Dingen, welche im
Kreife alltäglihber Wahrnehmungen liegen‘, wie
Darf fie dann außer diefem Kreiſe fo keck zu entſchei—
den fich anmaßen? entfcheiden , — ohne auch nur Einen
Grund dagegen anführen zu können, den fie ' gefunden
hätte?! — Der bloße Zweifel beweist doch wahrlich
noch feinen Scharffinn, wenn ex nicht auf vernü RT.
tigen Urfachen beruht. Sich hinreiffen laffen vom
Geiſt der Zeit beweist Feine Stärke des Geiſtes; —
noch iſt man deßwegen freymüthig, weil man den
— 42 —
Wortführern und Tongebern des Zeitalters mechaniſch
nachſpricht, was man ſelbſt weder geprüft hat noch
prüfen Fonnte. *
Ein anderer fehreibt: „Weit gefehlt, daß die Ent-
deefungen durch Wiffenfchaft und Philofophie das Ge-
heimniß der Natur und ihres Urhebers offenbaren;
ed wird vielmehr defto dichter verhüllt. Der Magnetis-
mus ift ein Beweis davon. Welh unläugbare Wun—
der! Und doch fol alles natürlich zugehen!? Was
heiffen denn diefe Philofophen „natürlich“? Wer ann
nun noch fo vermeflen feyn, propbetifche Bifionen, Ah—
nungen u. f. mw. mwegzuläugnen ? Manches, was hiervon
erzählt wird , mag auf Irrthum und Aberglauben beruhen.
Aber die Möglichkeit zu beftreiten, und Alles was
unfer äußerer und vorzüglich unfer innerer Ginn an
unerklärbaren Phänomenen darbiethet, eben deßwe—
gen zu ver wer fen, weil ihre Möglichkeit unerflärbar
it, das ift- eine höchſt ftrafbare Vermeſſenheit der Ver—
nunft, die gar nicht geeignet ift Unbegreifliches zu
begreifen. “ | |
‚Hier fchliefen unfre Erörterungen über die geheimnif-
volle göttliche Anftalt der Euchariftie. Einft werden mir
im Licht erkennen, was wir hiernieden nur dunkel fahen !
Des Welterlöfers eigenfte Worte feyen und
bleiben unfer Leitſtern! AU diefe fcheinbaren Wi-
derfprüche, welche ung hier; verwirren, werden in dem
Augenblicke fchwinden , wo wir die Gegenftände in himm—
licher Klarheit fchauen. Erwarten wir. fehnfuchtsvoll
diefen hehren Augenblid! Bald wird er kommen, —
bald für ung Alle; denn auch der Längfte Lebensraum
ift immer nur ein kur zer Traum! — |
Wir find bereits zum Ziele unſrer Arbeit vorgerückt, und
verweilen jetzt noch in Kürze bey einer gedrängten
_— win
Weberfid:
der zurückgelegten Bahn, indem wir und die, Frage gewiſ—
jenhaft beantworten :, Welches find nun eigentlich die
Verdienſte der von vielen unſrer proteſtantiſchen Glau⸗
bensbrüder ſo hoch —— Kirchentrennung des
ſechszehnten Jahrhundert?
Wie der Baum, ſo die u ht;
Erndte. ae Zu
Das Werk: ſelbſt entſprach aan, den Eigenfchaften
feiner Urheber, worüber wir at 3 den zuberläßig-
ſten — obfchon bisher uns guöftent eils vorenthaltenen —
Quellen gründliche Belehrung ſchöpften.
Um ſich von der. ganzen Per ſonlichkeit dieſer Männer
einen richtigen Begriff zu b en, „darf man nur ihre
f elbfeigen en, ‚Schilderungen ind Zeugniſſe — wodurch
ſie wechſelſeitig ihre Namen der nſierbůchteit überliefer—
ten — zum Grund legen. Die heit, mit welcher fie
ihe Thun und Treiben der Welt. enthülften , giebt fie uns
als feindfelige unwürdige Diener „den, Kirche zu erkennen,
fen es num daß fie in jenen Schilderungen ſich volle
Gerechtigkeit widerfahren liefen ‚. dder. fich _gegenfeitig
verläumdeten. Mag ins auch immerhin ihr Charakter
bisher in noch ſo gün igem Licht dargeſtellt worden ſeyn,
mögen wir ſie auch. isher fit We fen höherer Art,
für fromme eeleuchtete. Glaubenshelden und tugend-
* wie die Saat ſo die
haft Borbilde: er gehalten und uns mit Stolz ihre
Säle: genannt haben; — zerfloffen ift nun diefer
rahlengl —9* — die Tauſchung iſt verſchwunden, unſre
oh ing gehoben ; fie felbft haben durch ihre eigenen
unumwundenen Geſtändniſſe — welchen wir folglich unſern
Glauben nicht verſagen können — uns über den bisheri—
gen Seetpum die Augen geöffnet!
In jenen Urhebern der Glaubenstrennung fahen wir
theils Mönche und Priefter von untergeprdnetem Rang,
theils einfache Gläubige und Laien —— demnach auf
— —
die unbefugtefte Reife das Richteramt und die höchfte
Gewalt in den wichtiaften Glaubens-Angelegen—
heiten ſich anmaßten, und in den Zuſtand eüenen Auf:
ruhrs gegen eine Authoritat zu treten wagten, deren
Geſetzmäßigkeit ſchon ſeit den erſten Zeiten des Chriſten⸗
thums ununterbrochen bey jeder eingeriſſenen
war anerkannt worden. r
Auch fuchten. wir vergeblich bey jenen Männern, — 7 —
die vom Erlöſer als göttlich vollkommen geoffen—
barte Religion — dieß Be Heiligthum dev Menſchheit —
von Mißbrauchen zu ‚zu veinigen fich. berufen, wähnten 1 die
zu einer folchen. Unternehmung durchaus, unerläßlichen
Eigenfchaften: ruhige, klare, feſte Befonnenheit,
Sanftmuth, Reinheit der Eitten , Demuth und Befchei-
denheit, geiviffenhafte | : Renfchenliebe , Duldſamkeit, apo⸗
ſouſche Erleuchtung, feyerlichen Ernſt, gediegene Kennt-
niß des chriſtlichen Alterthums; ſtatt deſſen fanden wir
nur: Wankelmuth und widerſpredende, ſtets
wechſelnde Meinungen, heftigeleidenfchaftliche
Gemüthsart, "unbegränzten. Ehrgeiz , „anftößiges
unfittliches Betragen den feindfeligften Verfol—
gungsgeiſt, Serlbftfu t, Rabuliftevey, tie
roheften Ausbrüche von Uneinigfeit, Hader und
Schmähfuht, Oberflähliggfeit und ——
keit in biſſenſchafichen Kenntnif et. En k
Wohl mag dieſe Siiilperung ‚jener & oryphä
Glaubensbrüder hart küngen, “aber fie — der
zugegründet. Nicht nur haben wir durch u u wei
Zeugniſſe ihrer Zeitgenoſſen die prunkvollen Hull Digu 1
neuerer Schriftfteller neutralifirt und ausgeglichen, fon-
dern fogar duch ihre ungefchminften Gelb geftändniffe
und die Stimmen ihrer eigenen Anhänger und Nachfolger
diefe Lobhudeleyen gänzlich widerlegt und entkräftet. Wen
aber gelüften ſollte, ihre heftige rohe Gemüthsart und |
ungezähmte Läſterungsſucht auf Rechnung ihres 3eital:
— Mb —
ters ſtatt ihrer Perſönlichkeit zu fchreiben,, den würden
wir ducch Hinweiſung auf: den gelaſſenen Melanchten,. den
fanftmüthigen friedlichen Erasmus, den verſöhnlichen
Pirkheimer u. a. m. Lügen ſtrafen. Uebrigens ſtehen wir
auch, bereit, jeder Zweifelſucht mit, verftärkten Beweis⸗
gründen. und rückſichtsloſer Wahrheitsliebe entgegenzutre⸗
ten, oder ernſterm Angriffe nach Gebühr: u a
nen Waffen die Stirne zu biethen.
Und welche Früchte feimten dann —— — Saat
Anfänglich beftritten die Schismatiker nu Mißbräuche
und vermeinte Neuerungen in der Kirche, indem fie
die Hexftellung der urfprünglichen Glaubensreinheit,
mie folche in den erften Jahrhunderten, — dem von ihnen
feldft ſo geheiſſenen „goldenen Zeitalter, — des Ehri-
ſtenthums geherrfcht hatte, vorſchützten. Zugleich ver-
warfen fie alle Authorität der Kirche, ja fie legten ihr
vielmehr alle verderblichen Mißbräuche oder Zuſätze zur Laſt.
Als einzige Ölaubenswegel. galt ihnen die hei—
lige Schrift, indem fiewähnten, daß auch die urfprüng-
liche Kirche fi) ausfchlieglic an fie gehalten "habe,
und daß alle nicht in der Schrift "enthaltenen Glaubens-
lehren lediglich in fpätern Zeiten feyen eingefchaltet worden.
Während fie aber. die heilige Schrift als allgemein
verftändliche Regel, als suntrüglihen Wegmweifer
erklärten , Eonnten ſie doch unter fich feldft je länger
je weniger einig werden ‚und verwickelten fich nur Auer
mehr in Zabyrinthe und Widerfprüche., -
Der Tradition ſchienen fie wohl bisweilen Recht
angedeihen zu laſſen, bald aber machten fie ihr daffelbe
wieder ftreitig ; und doch huldigte ſchon das ganze chriftliche
Alterthbum dem überlieferten wieden gefhriebenen
Wahrheiten als einer geonppelten ainter lage der, Of
fendbarung.
Die Auslegung der —— — ‚nahmen
fie als Vorrecht ihrer: trügerifchen Bernunft: in An—
fpruch ; als hätte nicht das ganze chrigtiche Alterthum
diefem Prinzip aller Streitfucht und Verwirrung - den
Ausfpruch der allgemeinen Kivche entgegengeſtellt, wel⸗
chem jede eigenmächtige® Privatın einung fich unter
werfen mußte, und immerbunterworfen hatte.
Sie zerfidrten alle Bande der Einheit, ja die Tren⸗
nung erſchien ihnen ſogar als Pflicht; und doch lehrte
uns Chriſtus ſelbſt und ſeine Apoſtel, ſowie das einſtimmige
Zeugniß der älteſten Kirchenväter, daß Einheit das erſte
aller evangelifchen Geſetze, dev Hauptzweck aller göttlichen
Offenbarung, —S paltung hingegen das unverzeihlichſte
aller Verbrechen fy.
Statt ung in den Schooß der urfprünglichen Kirche —
ihrer lockenden prahlerifchen Berheiffung gemäß — zu:
rückzuführen, die Glaubensreinheit jenes goldenen apofto-
liſchen Zalalters herzuſtellen, und fo ihr neues Ge—
bäude auf der Grundfefte des alten zu errichten, haben fie
vielmehr manche der mwefentlichften Lehrſätze abge-
fhafft, welche ſchon in der. grauen Vorzeit des Urchri-
ſtenthums mit Ehrfurcht und gläubigem Vertrauen waren
feſtgehalten worden. |
Das Kreuz des Erlöfers verbannten fie von den
Altären und dem häuslichen Herde, und unterfagten den
Ehriften jede Bezeichnung mit demfelben; als hätte nicht
das chriſtliche Alterthum dieß ehrmwürdige Siegeszeichen
bey jeder Handlung des öffentlichen und häuslichen Got:
tesdienftes in freudige vertrauensvolle Anwendung ge-
bracht, — ald wäre nicht dieß Kreuz überall als Inbegriff
des ganzen Glaubensbefenntniffes, als fchönfte Zierde und
höchſter Ruhm, als wirtfamnſes Schutzmittel in At:
fechtungen , Drangfalen ,' ‚ja ſelbſt im Martertod verehrt
und heilig gehalten worden, als hätte nicht dieß Kreuz,
durch welches. die Welt erlöfet ward und durch welches
fie auch wird gerichtet werden, fchon auf der Krone des.
erften chriftlichen Kaifers, ' und am Kriegspanier (dem
Zabarum ) der römilchen Heerfcharen geprangt. -
Sie fpotteten der Bilder verehrung als eine
=
Greueld der Abgötterey, als seines Weberbleibfels des
Heidentbums ; und doch ift ung nun die hiftorifche Ge—
wißheit zu Theil geworden, daß fehon die Urchriſten fie
als Erinnerungsmittel am die unfterblichen Berdienfte der
Apoftel und Blutzeugen in hohen Ehren hielten, daß diefe
Verehrung immer’ nur den durch. das Bild vorgeftellten
Perſonen galt und die Nachahmung ihrer Tugenden be—
zweckte, daß weder Chriften noch Heiden je fo ganz un-
wiffend "waren, um dem Bild felbft irgend welche, eigen-
thümliche Kraft zuzuſchreiben, daß. diefe vernunftmäßige
Sitte ſchon im apoftolifchen ‚Zeitalter , ja ſogar im
grauften Altertum gegründet war, — wie auch. jekt
noch immer das Andenken geliebter verdienftvoller Ge—
ſtorbener durch ihre: ungen: auf. vie; Bautoaken
Nachkommen fortgepflanzt wird.
Auch die Fromme Ehrerbiethung: gegen die Religkiieh
ward von ihnen als plumper ‚Aberglaube, als finnlofe
Abgötterey geläftert; fie vergaßen alſo, oder wußten nicht
daß ſchon die Gläubigen des Urchriſtenthums den tedifchen
Veberreften der Blutzeugen des Evangeliums Altäre errich-
teten, und mit tiefer Ehrfurcht ihr Andenfen feyerten,
ohne je. ihren Gebeinen felbft oder ihrer Afche — diefen
fiherften Beweiſen ihrer bloß menfiylichen Gebrechlichkeit: —
irgent eine Wunderkraft beyzumeffen.
Die trauliche Anrufung der Heiligen verhöhn-
temfie als heidnifchen. Gößendienft; und doch haben; wir
gefehen , daß der verftändige Fatholifche Chrift, — von
der ihm -angedichteten Borftellungsart weit entfernt, —
die Erhörung feiner Anliegen nur Gott, dem Herrn
des Geifterreichs im Himmel: und auf Erde, gläubig an—
heimftellt, — daß die Heiligen ſchon von den gröſten
Männern jenes goldenen Zeitalters um ihre hülfreiche
Fürbitte angerufen" wurden, — daß fromme Fürbitten
den Öläubigen hiernieden von den Apoſteln ſelbſt
als eine Gott : wohlgefällige Handlung aufs dringendfte
waren empfohlen worden, — und daß den Seligen im
— 438 —
Himmel die Theilnahme an den Schieffalen der "treuen
Streiter auf Erde von den heiligen ee felbft zuge⸗
ſprocen wird...
Das Gebeth für die: rn ward von
ibneh als nuklos, und die Lehre vom Reinigungsort
als Hirngefpinftt — als eine grobfinnliche Exrdichtung ver—
worfen; und doch haben wir durd) gefchichtliche Beweiſe
volle Gewißheit erlangt ‚daß die Liturgien aller chriftli-
chen Kicchen des Alterthums die eifrigften Gebethe für die
Adgefchiedenen enthielten, deren Urfprung bis zum apofto-
liſchen Unterricht hinaufreicht, — daß fehon "die älteften
Kitchenlehrer eines Mittelzuftandes zwifchen Zeit und
Emigfeit erwähnen, wo die abgefchiedenen Seelen von
ihren Unvollkommenheiten noch gereinigt werden können,
einer Anftalt , welche Gottes Heiligkeit und Gerech—
tigkeit eben fo fehr wie feiner Güte und Erbarmung
als angemeſſen erſcheint; wir haben uns "überzeugt, daß
aus jener menfchenfrenndlichen Lehre von Gemeinfchaft
der Heiligen ſich auf einen wohlthätigen Einfluß der
Glieder Eines Leibs — deffen Haupt Chriftus ift — mit
Zuverſicht fchließen laffe, und daß fomit die Reformatoren,
durch Abſchaffung des Gebeths Für die Verftgrbenen F
der Anrufung der Heiligen, beyde Welten trennten,
welchen "doch Ein Gott waltet, wodurch dann das *
fromme Einverſtändniß zwiſchen der triumphirenden Kir—
he im Himmel und der ſtreitenden Kirche anf Eon?
fieblos-aufgehoben" ward. 4
Aufs heftigſte löfterten fie den Ablaß, indem fie von
den Mißbräuchen auf die Sache felbft fchloffen , und feinen
Urſprung bloß niedriger Gemwinnfucht zufchrieben ‚ wäbrend
wir doch diefe Lehre in der heiligen Schrift felbft und in
dem Unterricht der älteſten Kirchenväter feft gegründet,
auch fchon in den erſten Sahrhunderten des Menthuns
ununterbrochen in Anwendung gebracht fanden.
-Die Bußwerke verwarfen fie, als entbehrlich gewor—
den durch des Welterlöſers allumfaſſende Genugthuung;
— 49 —
und doch belehrt uns die Geſchichte, daß die reumüthigen
Sünder ſchon in den älteſten Zeiten des Chriſtenthums zu
den ſtrengſten Bußübungen, und dadurch zur Genugthuung
für ihre begangenen Fehltritte verpflichtet wurden.
Die Beicht ward von ihnen als, fchale Erfindung der
päpftlichen Hierarchie, ald Popanz zur Beängftigung der
Gewiffen , abgefchaftt ; und doch wiffen wir, daß. fchon die
älteften Kirchenlehrer auf der genaueften Sündenbeicht
an den Prieiter als nothmwendigem Erforderniß beftun-
den, um von Gott Vergebung zu erlangen, — und doch
fanden wir die Beichtanftalt in der Ver nunft — dem
Wort Gottes — und in den Gebräuchen der erften
hriflihenSahrhunderte tief gegründet; wir über-
jeugten uns von ihren manigfaltigen fegenreichen Wir—
tungen, und ſahen, wie ſehr ihre übereilte Abfchaffung
fhon bald nach. der Kivchentrennung auch vom vielen ge-
mäßigten Reformatoren, beklagt und beveut wurde, ja daß
felbft Sreygeifter „der . neuern Zeit, — wie Voltaire und
Rouſſeau, — ihr Fräftigft. das ort fprachen. ou"
Sn Betreff der Vbendmahllehre fpalteten ſich die
Häreſiarchen ſelbſt wieder in abweichende Meinungen, ſo
zwar daß Luther die we ſentliche Gegenwart beybe—
hielt, Calvin und Zwingli hingegen auf der figürlichen
Bedeutung beharrten, folglich die Subſtanzverwandlung,
Altar, Opfer und Anbethung gänzlich verwarfen; und
doch, wird durch die gewiſſenhafteſte Prüfung aller kirchli—
chen Urkunden des chriſtlichen Alterthums ganz außer
Zweifel geſetzt, daß die wahrhafte weſentliche Ge—
genwart Chriſti im Altarsſakrament mittelſt
Verwandlung der Subftanz theils beym Unterricht
der, Täuflinge im Urchriſtenthum, theils in allen Liturgien
des Morgen- und Abendlandes ganz klar und unzwey—
deutig war ausgeſprochen und gelehrt worden, — und daß
auch jener, Verſchwiegenheits⸗ oder Geheimhaltungs-Dis⸗
ziplin, welche in den erſten vier Jahrhunderten ſtreng
—- ae
beobachtet ward, durchaus nur das Myſterium der wirk-
lichen Gegenwart zum ‚Grunde, liegen konnte.
Es bedurfte daher wahrlich des höchſten Grades von
Starrſinn oder Verblendung, um die Behauptung zu
wagen, daß jenes Geheimniß, welches von dem. chriſtlichen
Alterthum mit dem dichteſten Schleyer bedeckt ward, —
deſſen bloße Ankündigung ſchon die Jünger des Erlbſers
fo tief erſchütterte, ein Geheimniß vor welchen fchon die
Zweifler der erften S ahrhunderte des Chriſtenthums zu-
rückbebten, — welches die. Heiden in dunkler Ahndung
feiner eigentlichen Beſchaffenheit als eine grauſame Mord-
mahlzeit fich vorſtellten, — und welches die Wechriften mit
Gefahr und Aufopferung, ihres Lebens heilig in fich ver-
fchloffen, — jene feyerliche geheimnißvolle Handlung,
deren unwürdige Begehung von dem großen Weltapoftel
mit ſchrecklichen Strafen: bedroht , ia deren: frevelhafte
Ausübung mit zeitlichen Unfällen. und dem Tode beftraft
ward, (1. Cor." XL ,.30.) daß — fagen wir — diefer
echabene Gegenftand der ftrengftien Geheim-
haltung, der tiefften Ehrfurcht, des Erftau-
tens und Schredens, der Anbethung und höch—
fen Bemwunder ung, nichts mehr und nichts
weniger als ein figürlicher und finnbildlicher
Genuß gemeinen Brots und Weins zur Erin-
nerung an dentabwefenden Erlöferfey.
Wer übrigens mit der Geſchichte der frühern Häreſien
auch nur einigermaffen bekannt it, kann in den Ausgebur-
ten des Lutheranismus , de Calvinismus und Zwinglia⸗
nismus nur eine Parodie, jener alten Irrlehren der Dofe-
ten, Maveioniten, Novatianer, Valentinianer und anderer
Seften erblicken, deren Syſteme auch Sahrhunderte hindurch
von dev fpefulativen Menfchenvernunft mit einer Hart—
näckigkeit, welche felbft von der Dordrechter Synode nicht
übertroffen ward, vertheidigt "und. ‚angegriffen wurden.
Oder wer ift in der Gefchichte des. Urchriſtenthums be-
wandert, umd muß. nicht fehon in dem Unholden Simon
Magus — jenem berüchtigten Haupt der Gnofifer —
auch den großen Stammvater der alviniften, und in
den‘ Skeptikern von Capharnaum — wo zuerſt der Pro—
teſtantismus ſeine Kräfte gegen die lebendigen Worte des
Weltheilandes verſucht hatte — die würdigen ——
unſrer Hausſchein, Buzer und Zwingli erkennen? —
Die Reformation hat folglich nicht nur die ——
des urchriſtlichen Glaubens keineswegs hergeſtellt, ſon⸗
dern vielmehr ſich von demſelben weiter entfernt, umd
im allen von ihr angetafteten Punkten ſich — ‚üleich den
Härefien früherer Zeitalter — mit dem chriſtlichen Alter⸗
thum in ſchroffen Widerſpruch geſetzt.
Dieſe Wahrheit haben einige der gelehrteſten Männer
der Reformation ſelbſt gefühlt, und Middleton (der be-
rühmte Bibliothekar in: Cambridge, und Doktor der Theo:
logie) fand alle von der Reformation derworfenen
Aetikel fo Elar fhon in dem goldenen Zeitalter des
Chriftenthums vorhanden, daß ihm — zu Behauptung
feines Syftems — fein: anderes; Auskunftsmittel übrig
blieb , als geradezu alle Urkunden der Väter zu zernichten,
und ihre authentifchen — ſchlectwet unberückſichtiget
zu laſſen. |
Aber wie füllen wir dann das Verfahren jener Schis⸗
matiker uns erklären? worin haben wir die Duelle
ihrer Mißgriffe und Irrthümer zu ſuchen? —
Außer den perſönlichen Motiven der Selbfifucht
und des Ehrgeizes — worüber ihre eigenen Schilderungen
ung jeden Zweifel benehmen — doch wohl hauptfächlich
auch in dem Zuftand von Unwiffenheit, worin: man
damals noch. allgemein in Hinficht auf dag kirchliche A
terthum befangen war. Da ſich die Erfindung der Bud)
drucherkfunft erft von der Mitte: des. XV. Sahrhunderts
herfchreibt, fo war begreiflichee Weife beym Beginn der
Religionsfpaltung der: größere "Theil der Liturgien und
Werfe der Kirchenväter noch nicht zu Tage gefördert.
Vereinzelte Bücherſammlungen enthielten nur hin und
—
wieder unvollftändige und unleferliche Handfchriften. "Die
fo lehrreichen und werthvollen morgenländiſchen Liturgien
wurden erſt im XVII. SIahrhundert bekannt, Daher es
den Reformatoren unmöglich war, ſich gründliche Kennt-
niſſe über das chriſtliche Alterthum zu verſchaffen. Wohl
haben ſie mit verdienſtlichem Eifer das damals ſehr ver-
nachläßigte Studium der griechiſchen und hebräiſchen
Sprache betrieben, und viele Ueberſetzungen des N. und
A Teſtaments zum Druck befördert, (über deren gegen-
feitige Beurtheilung wir freylich nichts erbauliches zu
melden im Fall gewefen find) “allein es iſt auch eben fo
gefchichtlich erwieſen, daß Calvin, Luther, — ‚welche
beyde ſich vorher ders, Rechtskunde gewiedmet hatten, —
und Zwingli ſchon in ihrem dreißigſten Altersjahr die
erſten Streitſchriften herausgaben, und wegen jenes
Phantoms von Urproteſtantismus ſich herumbalgten, bevor
ſie noch mit der Theologie ſelbt ſich grgoduqh vertraut
gemacht hatten.
Im Verfolg wurdert dann —* —J nach die Schrif⸗
ten der Väter und Übrigen: lir chengeſchichtlichen Urkunden
durch den Druck bekannt. Der rühmlichſte Wetteifer
beſeelte die Lehrer der verſchiedenen Confeſſionen in Be—
nutzung derſelben. Gehaltvolle Werke über Alterthum
und, Kirchengeſchichte wurden zu Tage: gefördert... Gelehrte
Männer fchrieben , tbeils um den apofolifchen Ur-
fprung der angefochtenen Glaubensſätze gu wechtferti-
gen, theild “hinwieder sum ihn zu beſtreiten; wobey
jedoch die unbeftechbare Gefchichte: laut bezeugt, daß von
letzterer Klaſſe der Schriftſteller ſehr viele. — und zwar
vorzüglich unter “denstieffinnigen Englifchen Theologen .
die Uebereinftimmung der beftrittenen Dogmen mit
jenem der ‚urfprünglichen: — angeht ſich nicht
enthalten konnten.
Unter jenen Gelehrten ‚zeichneten fi * ganz. vorzüglich
aus der ungemein beredte und geiſtvolle Du Perron,
Erzbifchof von Send, — der fromme und kräftige
5
Pascal, — Petau,“ S. Mor in, — Le Brun, —
und Euſ. Rena udot, ‚welche, ſich um das Studium und
die Verbreitung. der Liturgie — beſonders der. Movgen-
Ländifchen — verdient machten ; ferner die (bon Lanjuinais
trefflich geſchilderten) Ant. Arnauld und Pet. Nicole,
die gemeinſchaftlichen Verfaſſer des großen und berühmten
Werkes de la perpetuite de la foĩ de Veglise sur
1 — die ſorgfältigſten Sammler "aller Erzeug⸗
niſſe der lichengeſchicheihen Polemik‘, ‚ jener — Vermitt-
— zwiſchen Boileau und Perrault — von Ludwig XIV.
t Recht „der große. Arnauld“ genannt, dieſer „ein.
geiindficher, Dialektiker und ‚Moraltheolog ,. Deffen . essais
de morale felbft Voltaire. unubertreffbar fand; und dann
hauptſachlich noch der mit den Quellen der ‚Reformationg-
gefchichte fo innigft vertraute, auch von ‚unfern Prote⸗
ſtanten mit Recht hochgeprieſene, unvergleichbare Bo ffuet,
deffen (zum Behuf der Bekehrung des großen Vicomte
de: Turenne verfaßte) exposition de la foi beynahe im alle
europäifchen Sprachen überfegt ward. Unter den: Calvini-
ften zeichneten ſich Dalläus, Aubertin, Cla ude ula
durch ihre patriſtiſchen Forſchungen aus. Italien hatte
ſeinen Bellarmin, den berühmten Cardinal Erzbiſchof
von Capua, Verfaſſer des: werthvollen opus ;tontroversia-
rum 5: das katholiſche Deutfchland feine Gebrüder A: md
P. Walembur ch, das proteſtantiſche einen Chemnitz,
Calixt, Fabritius. Im England glänzten die Fox:
bes — Biſchof zu Edinburg, Pearſon — Biſchof zu
Cheſter, Beveridge — Biſchof zu Aſaph, der geiſtvolle
gründlich gelehrte Thorn dyke — Canonikus in Weft-
minſter u. a. m., deren vertrauteſte Bekanntſchaft mit
allen Zweigen der alterthümlichen Litteratur auch von
unſern — wenn gleich noch ſo dreiſten — Neologen⸗ dens
noc, nicht in Abrede geftellt werden: Fann. |
Nur ſolch eifrige Forfchungen waren vermögend, über
alle gefchichtliche Thatfachen die vollſtändigſte Gewißheit
auszumitteln. Michts bleibt weiter zu entdecken oder
=
zu erforfchen mehr übrig. Um ein beftimmtes Urtheil für
ſich ſelbſt feſtzuſtellen, bedarf es nur geringer Anſtren gu u N g,
wohl aber deſto größerer Unbefangenheit — |
Als die ‚Reformation eine Herſtellung der —
chen Glaubensreinheit vorſpiegelte, war ſie ſ elbſt von
Dun kelheit umgeben; auf der einmal betretenen Bahn
mit kühnem Starrſinn fortſchreitend, und von der gera—
den Richtung abgewichen, mußte ſie nothwendig immer
eh in; Rrugfolüfe und, ‚Stvthümer ſich verwickeln.
Ihre, heftige, Jügelloſe Slreitſucht hatte atgekings
Schärfung des Berftandes und Belebung. der. theologife
Studien zur Folge; allein gerade die durch dieſes it
verbreiteten Strahlen mußten zugleich. auch) ihr eigenes
Unrecht ‚beleuchten, hıskr
Nun dringt fich aber; ‚die. — — nf welche
Prlicht liegt denjenigen ob, welche der gründlichſten
Kernntniffe im Gebieth der Gefchichte ſich zu erfreuen
haben «d.h. jedem, der nicht ab ſicht lich Aug und
Ohr! jeder i Belehrung verfchließt.) Darf und fol ein
Zeitalter, welchem. alle Duellen der Kenntniffe offen
zu Gebothe ſtehen, blindlings dem Gängelband desienigen
folgen‘, welchem fie noch verborgen geblieben: waren ?
dürfen und. follen wir denjenigen mit unbedingtem Ver—
trauen sung: hingeben , «welche einzig. die heilige
Schrift — nah ihrem Privatfinn: ausgelegt — als
Slaubensregel ‚anerkennen , da doch ebendiefelbe Schrift
ung ganz ausdrücdlich auch den Glauben an das ungefchrie-
bene überlieferte Gotteswort zur Pflicht macht? —
denjenigen , welche die: alterthümlidhe Lehre im Be—
zug auf Ablaß, Beicht, Faften, Kreuzzeichen, Heiligen-
verehrung u. ſ. w. ald Hirngeſpinſte verwerfen, da
doch all diefe Punkte von dem apoftolifchen Unterricht
herſtammen, amd mit den urſprünglichen Uebungen
- da =
der Mutter kirche, wie mit. dem göttlichen Wort,
übereinftimmen ? — denjenigen endlich, welches zum: Ab-
fall won der Sransfubftantiationslehre nur durch falfche
willführlihe Wortauslegung, ſowie durch Un-
fenntniß der Liturgien, der apoftolifchen Einrich-
tungen und der Ultertpumsgefhichte waren ver⸗
leitet worden ?:— ?
| Ueberlaffen‘ wir ung doc) Hecke Dei fo natürlichen,
vernunftmäßigen, zuverſi chtlichen Vorausſetzung, daß jene
Verblendeten, wenn fie alle Urkunden und Hülfsmittel
dor Augen gehabt hätten, welche uns zu Theil geworden
find, — und wozu ihre Verirrungen felbft auch den Anz.
Yaß gaben, — ein ganz anderes Lehrſyſtem würden auf-
geftellt haben, infofern wirklich ihren Haudlungen vedliche
Abfiht, — nicht aber Selbſtſucht und Leidenſchaft —
zum Grunde lag.
Nach den ſelbſteigenen Begriffen der Reformatoren
ſteht jeder Kirche das Recht, oder vielmehr die Pflicht zu,
ſich ſelbſt zu reformiren; ja ſie ſoll ſogar — ihrem
Prinzip nach, und Zwinglis klarem Ausſpruch gemäß —
immerfort reformirt und vervollkommnet werden; folglich
iſt ſie auch verpflichtet eine frühere Reform zu verwerfen,
deren Unzuläßigkeit ſie einſehen gelernt hat. (Was hundert
Jahre Unrecht war — ſagen unſere Parömien — wird
niemals, auch nicht eine Stunde, Recht.) Dieſe Gewalt
übte — wie wir an ſeinem Ort zeigten — die Engliſche
Kirche unter der Regierung Mariens durch einen kanoni⸗—
fchen Akt aus, deſſen Rechtskraft zu zerſtören die ſpäter⸗
hin gemaltfam —5 BAHR auf feine Reife
befugt waren. .
„Möchten doch. die Reſoemnien in dieſem an
dert. dev Erfahrung, des Lichts und. der gelehrten
Kenntnifſe ſich dahin einverſtehen, die Artikel, welche
man in einem weit weniger. ‚aufgeflärten Beitalter
aufftellte , ‚neuerdings: zu erörtern und zu ſichten, fü
— —
getraue ich mir Oyu behaupten, daß ſie — in Folge der
Fortſchritte, welche wir in allen Zweigen der Wiſſen—
fchaften vorzüglich) in der Theologie, gemacht haben —
über all dieſe Gegenſtände heutzutage ganz anders
denken würden, als eh e mals ihre blinden und | unmiffen-
den Borfahren dachten; befonders wenn fie Vorur—
theilen entfagen wollten, an denen weit mehr
die Gewohnheit und Erziehung „als. die eigene
Heberzeugung Antheilhat.“. Dieß war die Sprache,
nicht etwa. eines Idioten: und Finſterlings, ſondern eines
ausgezeichneten „Theologen. der veformirten
Englifchen: Kirche zu. Anfang des verfloſſenen Jahrhun⸗
derts. (Dodwell über. die letzte Spaltung in England,
London 1704.) >
Und follte wohl jetzt weniger als da mals die Rüd-
fehr zur Einheit, deren Verlurſt fchon bald, nad) dem
Ausbruch. der Kirchentvennung von einem Erasmus,
Melanchton, — ja felbft von Calvin und Luther, —9 tief
beflagt wurde, als wünfchenswerth erfcheinen? '
Alle biöherigen Berfuche der proteftantifchen Confeſſio—
nen zu einer Vereinigung unter fich dienten nur dazu,
das dringendfte Bedürfniß der Einheit und die Ver—
pflichtung zu Herftelung derfelben an den Zag zu
legen. Das Ziel ward jedocy immer verfehlt, und mußte
verfehlt werden, weil der einzig fichere Weg dazu
nicht war eingefchlagen worden.
Diefen Weg haben fchon in früheren Zeiten die ange-
fehenften proteftantifchen Gottesgelehrten ſelbſt vorge⸗
zeichnet , — Männer, welchen gewiß niemand den Ruhm
vehlicee Gefinnung und "hoher" wiffenf&haftli-
her Erleuchtung ftreitig machen wird. Wir nennen
hier vor allen andern Hugo Grotius und TShorndyfe.
Jener erklärt mit edelmüthiger Offenheit in feiner legten
Antwort an River die — des päpftlichen
Primats zur Erhaltung der Einheit: „Ich bin gänzlich
überzeugt , und fo viele andere mit mir, daß die Prote-
Pe
ftanten nie unter fich einig werden können, es fey dann daß
fie zugfeich mit denjenigen fich verbinden , welche dem rö—
mifchen Stuhl anbangen, ohne welchen Feine gemeinfchaft-
liche Leitung in der Kirche je ſich hoffen läßt. Unter die
Urfachen der ‚Spaltung kann man den Fanonifchen Primat
des römifchen Bifchofs nicht rechnen, wie Melanchton
feldft gefteht ‚ welcher fogar diefen Primat als ein wefent-
liches Erforderniß zur: Erhaltung der Einheit ‚betrachtete.
Dadurch würde die Kirche Feineswegs in einen: Zuftand
von Unterjochung gefet, fondern es würde nur. die’ alte
und ehrmwürdige Hrdnung der göttlichen Einheitsanftalt
wieder hergeftellt werden.
Der berühmte, in der Patriſtik ungemein bewanderte
Thorndyke, das Orakel ſeiner gelehrten Zeitgenoſſen, ſagt:
„Sobald man in der reformirten Kirche eingeſtehen muß,
daß man in dev römiſchen Kirche felig werden kann,
und von jeher felig werden fonnte, fo ergiebt fich hie-
raus auch ganz unmwiderfprechlich,, daß fich Feine Kirche
von der römifchen trennen konnte und könne, ohne ſich
ſchon dadurch allein vor Gott als hismatifch dar-
zuftelfen. “
Bon ganz befonderm Gewicht aber muß für unfte
proteitantifchen Brüder das von den berühmten Helm-
ftädter Theologen an den Braunfchweiger. Hof abge-
gebene — (in mehrere Sprachen überſetzte) Gutachten
feyn , worin ganz beftiimmt und unummunden erklärt wird,
daß alle Grundlehren der Religion auch in der römif Mr
Eatholifchen Kirche beftehen, fo daß man auch in ihr
den rechten Glauben haben ,. chriftlich leben und felig
fterben könne.“ Eben fo fchrieb Fabritius, Profeffor in
Helmftidt — Schüler des berühmten Lalirt — eine Ab-
handlung „von dem geringen Unterfchied zwiſchen der
proteftantifchen und der römiſch Eatholifchen Religion, “
worin er beweist, daß die den Katholiken beygemefjenen
Irrthümer entweder bey ihren beften Theologen fih gar
——
nicht vorfinden, oder doch auf bloße Wortſtreitig—
feiten hinauslaufen.
Und wie deutlich, klar und beſtimmt ſich mehrere der
ſcharfſinnigſten Anhänger und Beförderer der Reformation,
ein Capito, Melanchton ‚ja felbft Luther, (in feinen
Briefen gegen Zwingli und Hausfchein) dann fpäterhin
ein Lode — Puffendorf — Molanus — Leibnitz —
Serufalem, und andere Kichter unfrer proteftantifchen
Kirche hierüber ausgefprochen haben, wäre unnöthig hier
zu wiederhohlen.
Seit jenem Zeitpunkt, als die) Kirchentrennung mit
folder Haft und Leidenfhaftlihen Erbitterung
durchgefetst ward, hat ruhige Befonnenheit wieder
geöftentheils ihr Recht behauptet... Gewiß würde heutzutag
feiner unfver Regenten — weder in monatchifchen noch
vepublifanifchen Staaten — zu behaupten ſich getrauen,
daß der Stifter der. Religion ihm die Verwaltung feiner
Kirche, die Aufbewahrung und Erhaltung feiner Lehre
übertragen , ihm das Recht des Entfcheides über Gegen-
ftände des Glaubens — über Härefien u. f. w. oder fonft
irgend eine geiftlihe Macht anvertraut habe, Die
Gränzlinien der weltlichen und geiftlihen Gewalt find fo
beftimmt gezogen, daß ferner an keine Vermifchung zu
denken ift. Fürften und Minifter, wie Senatoren und
Magiftrate, wiffen gar zu wohl, daß nicht zur weltli-
hen Obrigkeit das Machtwort - des Gottmenſchen gefpro-
chen ward: „Gebet hin und lehret alle Völker ! ich bin
bey euch bis ans Ende der, Zage; wer euch hört, der
‚hört mich, wer euch verachtet, der. verachtet auch mich;
wie mein Vater mich fandte, ebenjo fende ich auch. euch.
Weidet meine Schafe!“ Und doch handelten ee
Regierungen zu Anfang des XVI. Jahrhundert
Willensmeinung des Erlöſers ſtracks zuwider. M
fühner Verwegenheit bemächtigten fie ſich einer Gewalt,
weiche durch des Exlöfers heiliges Geboth nur den Apo—
ſteln und ihren Nachfolaern war zuerkannt worden.
a Mi
Was fi) demnach mittelft diefer gewaltſamen Rechtsver-
letzung zutrug, iſt nichtig — wie in feinem Urfprung
fo auch in jeder Folgezeit. Die fpringt jedem Unbe—
fangenen in die Augen. Sol und darf dann diefe ver:
hängnißvolle Spaltung fortbeftehen,, welche nach dem
Ausſpruch unfrer eigenen aufgeflärteften proteftantifchen
Glaubensgenoſſen nie hätte entſtehen follen , nad) ihren
Veberzeugungen und Wünfchen bald aufhören folte,
und nach ihrer Meinung leicht gehoben werden EFönnte ?
Und welches ift dann übrigens der jebige wirkliche
Zuftand des Proteftantismus ? trägt er nicht den Keim
feiner frühern oder fpätern Auflöfung im eigenen Schoofe ?
in jener verderblichen Willkühr der Wahl und Geftaltung
jeder beliebigen Religion und Gottesverehrung? (einem
Vorrecht, welches unſre reformirte Kicche felbit feinem
Laien verweigern kann, nachdem fie folches fich zuerft
zugeeignet hat) in jener Unzahl der noch immer fo üppig
fortwuchernden Sekten? in jener fchranfenlofen, unbe-
dingten Glaubensfreyheit, welche nicht nur jeden
feften,, auf irgend eine Authorität gegründeten Lehrbegriff
als unevangelifch und unproteftantifch verwirft, und einzig
dem Grundfak der individuellen DBernunftsanficht und
fteter Perfektibilität huldigt, fondern felbft diejenigen als
Ehriften ehrt, welche zu gar Feiner äußern Kirche
fich befennen; während doch ihre großen Wortführer —
mit einer wahrhaft widerfinnigen Inkonſequenz — jeder
freyen Bewegung. des Geiftes im Gebiethe des Staats-
lebensund der bürgerlichen Rechtsverbhältniffe
den ftarrften Authoritätsglauben entgegenfeken ! —!
Eigene Geftändniffe angefebener Theologen: und
Schriftftelee unfrer Confeffion fprechen ganz unver—
hohlen aus: „man habe den Fall des Proteftantismus
mit Zuverficht zu erwarten, da derſelbe als kirchlicher
Körper garnicht mehr exiftiere 5; — das ganze Gebäude
der evangelifchen pofitiven Religion. fey eigentlich ſchon
zertrümmert; — der chriftliche a unter ung werde
— 50 —
bald in Sfeptizismus ſich auflöfen; — Beränderlichkeit
fey das wirkliche Element unfer8 Glaubens; — der Ul—
traproteftantismus unſrer Zeit gleiche einem fchmwindfüch-
tigen, ausgedorrten, halbtodten Körper; — die Kern - und
Gehaltlofigkeit unfers Lehrſyſtems, die Sublimirung alles
materiellen Glaubens in wefens - und lebensloſe rationelle
Begriffe, das unruhige Vordringen des Berftandes auf
dem Gebiethe des Glaubens, die Verkennung und Ver—
läugnung des urkatholifchen Prinzips müffen jeden redli-
chen Denker immer mehr zurücfchreden. “
Einer der vorzüglichfien neuern GSchriftftelleer und
Kanzelvedner der veformirten Schweiz fühlt fich zu
ähnlichen Hergensergieffungen gedrungen. „An der Stelle
des abgefchafften Glaubens- und Gewiffenszwan-
ges — ſo klagt dieſer vollwichtige Gewährsmann —
herrſcht nun eine Lehr freyheit, welche jeder für fich
behauptet, aber feiner dem andern geftatten will. Statt
der Eonzilienbefchlüffe erhob fich die vermeinte
Rechtgläubigkeit zum flogen Diktator, der mwillführlich
dem Glauben Gefeke vorfchrieb. Statt Klöfterlingen
treiben in andächtelndem Müßiggang Legionen von Conventif-
fern ihr Unwefen. Stattpäpftlicher Subildenfeyert man
Reformationsfefte mit hämiſchenSeitenblicken und farkaftifchen
Seitenhieben aufdie vermeinten oder wirklichen Gebrechen der
gegenüberftehenden Kirche. Statt des tridertinifchen
Eatehismus giebt man der harmlofen Kinderwelt ein Lehr⸗
buch in die Hand, welches fie mit der fpott- und ſtreit—
luſtigen Diſputirkunſt vertraut macht, einen — freylich
nicht eingeführten, fondern everbten, dem Blutfeld des
Religionshaffes entfproffenen — Gatechismus , welcher die
findlichen Lippen vermaledeyen lehrt, was andern chriftli-
chen Landes- Gemeinde - und oft Hausgenoffen heilig ift.
Statt Kirhengepräng und erhebender Muſik hört
man ein wildes, verworrenes, geiſt- und herzlofes Ge-
freifch jüdiſcher Pfalmen in KRnüttelverfen und erbärmli—
chen Melodien , oder ein mechanifches Abfingen eintöniger
— 51 —
Kieder. Statt der in fremder Sprache herabgelefenen
Gebethe vernimmt man fiete Wiederhohlung des Ge—
bethformularg, welche die Aufmerkſamkeit des Hörers
erfchlafft, die Andacht des Sprechers ertödtet, und fomit
die Firchliche Anbethung Gottes in’ einen , Geift und Herz
einfchläfernden,, das Vernunftwefen entehrenden Mechanis-
mus ummwandelt. Statt der Simonie fehen wir. hier
und da auf Kiechftuhl und Taufe, Einfegnung und Be-
geäbniß eine Pränumeration mit klingender Münze einges
führt, und eine auf Nepotismus gegründete Pfründbe—
ſetzung, welche einem Schauſpielhaus nicht unähnlich iſt.
Statt Proſelytenmacherey erheben ſich geiſtliche
Werbdepots für Heuchler und Heiligenſchein. Die Kezer-
rieherey ward verdrängt durch die Papiftenriecheren,
welche felbft des wunderfchönen Gebieths der Poeſie
und der reinen Myſtik nicht verfchont, und auf. einen
Lavater, Schiller, Göthe den. Stein der Berdammung
zu werfen fich nicht entblödet., Statt des planmäßigen
Sreibens und Strebens der gegenüberftehenden Zeloten
verlieven fich die unfrigen in dogmatifche Spikfindig-
feiten, eitle Spekulationen und Eleinlihe Glaubens-
fehden; es erhebt fich das Irrlicht falſcher Aufklä—
zung, welche von Berachtung des Göttlichen und Heili-
gen ausgeht, und Recht und Wahrheit zu zernichten
fivrebt ; überall brüftet fich der unverftändige Glaubenseifer
und vechthbaberifhe Parteygeiſt; überall erblicden
wir Heuchelfchein und Dünfel, Zweifelfucht und Un-
glauben, fo manche Berirrung des religiöfen Gefühls
und des denkenden Geiftes, fo manchen tollfühnen Flug
der Schwärmerey in Welten voll vafenden Unſinns, fo
manche abgefihmackte Ausgeburt des taufendfach. fich. ge-
ftaltenden Seftengeiftes, und fo manchen fchredlichen
Greuel des frechen Atheismus, u. ſ. w.“
Doc), abgefehen von all biefen Ehißierunaet. unfrer
eigenen Gottesgelehrten, wer kann läugnen, daß von der
verhängnißvollen Zeit an, ua Dip £ ichliche Einheit
— 412 —
durch Spaltung und Parteygeift zerftört ward, eine große
Zahl jener Zeitgenoffen und ihrer Nachkömmlinge, der
bedenklichiten Verwirrung und Unfchlüffigkfeit über die
Wahl ihres Glaubensbefenntniffes preisgegeben, den fin-
ftern Mächten des Sndifferentismug und des vollen:
deten Unglaubens, — des uferlofen Meeres tücifchen
Wogen — zur Beute vd? — !
Welch ein Damm ließe fich folch fteigendem — fchon
von den erften Reformatoren vorausgefehenen und beflag:
ten — Uebel entgegenfeken ? Kann dem weitern Verfall
anders vorgebeugt werden, als durch Anfchließung an
jenen einzig vorhandenen Mittelpunft, welcher von
dem Erlöfer felbft in der heilfamen Abficht gegründet
ward, um für alle Zeitfolge, und von einem Weltende
zum andern Harmonie und Einheit zu erhalten ?
Wer kann den wahren Sachverhalt jener Kir-
chentrennung unbefangen überblicken, ohne einzugeftehen,
daß durch fie feine wohlthätige Wirkungen , fondern bloß
eingebildete Bortheile neben wirklichen Nachtheilen,
und hingegen wefentliche Aenderungen in der ge—
offenbarten Ölaubenslehre hervorgebracht, in politifcher
Hinficht aber die Völker in gränzenlofe Verwirrung
geftürzt wurden? Wer noch zweifeln möchte, daß jene
lange biutige Reihe von Greueln wirklich der: Reformation
zur Laſt falle, der betrachte jene Nationen, welche ihr
den Eingang verwehrten; hier herrfchte Friede und Ruhe,
dort ward alles mit Schwerdt und Feuer verheert. Und
da überall die Reformation fi) des Angriffs. fchuldig
machte, muß ihr nicht von der Gerechtigkeit felbft, — nebft
dem durch ihre Anhänger verübten Unheil — auch
jenes noch zugerechnet werden, welches ihre von ihr
herausgeforderten Gegner begiengen, und ohne Ddiefe
ihre Herausforderung nie würden begangen haben ? — !
Mit den bloß zeitlihen KRüdfichten vereinigen ſich
noch die veligiöfen Beweggründe, um in allen Unbe-
fangenen jene Vorliebe für das Reformationswerk zu
— 43 —
tilgen, von welcher fie bisher — wohl meift nur inftinkt-
mäßig, aus Borurtheilen der Erziehung und Ge:
wohnheit, aus Unfenntniß des wahren Sachver—
halts — eingenommen waren.
Liefer Schauer ergreift den redlihen Wahrheits-
forfcher, wenn er die Zerfiörung fo vieler ehrmürdiger
Anftalten der apoftolifchen Borzeit betrachtet, und
in ihren Trümmern nichts erblickt als dag — nad) dem
Eingeftändniß aller Religionsparteyen — mit der Heili-
gung unverträglihe Schisma, dann die Euchariftie
' zu einem frevelhaften Spiel der Einbildungsfraft
herabgewürdigt, und den Gottmenfch aus feinem Sakra—
ment verdrängt, alle andern urchriſtlichen Reli-
gionsübungen aber theils verftümmelt theild weg-
gefhafft! Sol er, — da feine andere Wahl bleibt —,
der Spaltung, oder fol er dem Heile entfagen ?
Möchte man doch endlich aufhören, eine Vereini—
gung ald gleichgültig zu betrachten, nach welcher
längſt fehon gewiß fo viele der beften Köpfe und Herzen
fich fehnten! Möchte man auch zu der Ueberzeugung ge-
langen, daß politifche Einheit nur in Verbindung mit
der religidfen jedem Staat ein unübermwindliches Boll—
werk gewährt! — — Sie wird fhlagen — diefe von des
Ehriftenthums göttlichem Stifter verheiffene, und daher
unausbleiblihe VBereinigungsfiunde, wann wir über
das Labyrinth irdifher Genüffe ung mit ernften Be—
trachtungen in das Gebieth der Zukunft erheben , das
Dauerhafte dem Bergänglichen, — endlofes Glück der
flüchtigen Freude eines Eurzen Dafeyns, — das Heil der
unfterblihen Seele dem Taumel finnlicher Behaglichkeit
vorziehen werden; fie wird fchlagen dieſe hehre Stunde,
warn allgemein des’ Erlöfers Worte beherziget werden :
»was nützte dem Menfchen der Gewinn der ganzen
Welt, wenn er fie mit dem Berlurft feiner Seele
erfanfen müßte!“
Zwar Tann allgemeine Vereinigung wohl nur all-
— 454 —
mählig zur Reife gedeihen; langſam ift der Gang und die
Entwicklung bey ganzen VBölferfchaften, weil ihr Da—
feyn Länger dauert; Sahrhunderte find für fe, :w was Jahre
für den Einzelnen find. Diefen Einzelnen aber ift meift
nur ein kurzes Fummerfchweres Dafeyn unterm Monde be—
fihert. Darum, wen die Wahrheit in all ihrer
Stärke Kopf und Sinn durchglüht, der verfchließe auch
fein Herz ihrer Stimme nicht ! Ohne Selbftverläug-
nung erringen wir fein emwiges Heil, welches doch
wahrlich aller der Opfer werth ift, die es von ung fordert.
Zwar bangen Völker wie Einzelne behaglich an allen den
Begriffen, die fie von Jugend auf fich aneigneten.'
So verhält fich8 auch mit den Vorurtheilen,, welche man
bisher ihnen gegen die Fatholifchen Chriften einzuflößen fo
emſig bemüht war. Solche Begriffe zu berichtigen ‚ folche
Vorurtheile zu beleuchten und auszurotten, mag wohl
eine ſchwierige Aufgabe feyn. Darf und foll aber fort-
hin Zwieſpalt und Verderben der Menfchheit finfteres
2003 feyn ? darf und fol Verwirrung und Seftenwefen
nur immer mehr überhandnehmen ? Hat nicht der Welter—
löfer zu unbedingt feinen Machtbefehl ausgefprochen,
als daß man ohne offene Empi rung fü fi) der Folge-
leiftung entziehen könnte?!
Man hüthe fich ‚doch, den proteftantifchen Völkern
fernerhin die Wahrheit vorzuenthalten, man entftelle
nicht ferner den Glauben der Mutterficche duch grund-
loſe boshafte Einflüfterungen,, fo werden feine wohlthä-
tigen Lehren in den Gemüthern Eingang finden, "und die
Borurtheile werden weichen. Wie viele duch Wiffen-
fchaften gebildete, — zum Sheil auch durch Gelehrfan-
feit ausgezeichnete Proteftanten der Altern und neuern
Zeit. haben fchon, fobald fie nur einmal Gelegenheit
fanden, fih mit dem wahren Sachverhalt bekannt zu
machen, ihre frühern Anfichten geändert, und dem —
vorher mißfannten Glauben der Urpäter wieder
gehuldigt ! Hierzu mögen und follen in unfrer Zeit
nn —
gerade jene tollen Ausfhmeifungen der Neologen,
Illuminaten, Naturaliften, Rationaliften, Indifferentiften,
Latitudinarier, Fataliften, — und wie das Heer der, aller
göttlichen Dffenbarung Hohn fprechenden, Freygeiſter weiter
heiſſen mag — hauptſächlich beytragen. Gerade aus dem
Uebermaß des Uebels wird und muß auch das Heil—
mittel. hervorgehen ! Rechtliche Menfchen werden —
durch folche Tollkühnheiten aufgeſchreckt, und zum Mad
denken gebracht — Troſt und Beruhigung da ſuchen, wo
fie allein zu finden find, — nicht im Studium einer
bloß menfchlichen unzufammenhängenden Wiffenfchaft,
welche — uneinig mit fich, felbft und endlofer Polemif
preisgegeben — nur in ſtetem Weſchſel ‚des Perfeftibi-
lismus ihr Gedeihen ſucht, und jede feſte Grundlage
verſchmäht, — ſondern im gläubigen Feſthalten an jener
abgeſchloſſenen altertbümlichen Lehre, deren heilſame
Kraft ſeit ihrer himmliſchen Offenbarung durch den
Gottgeſandten ſich achtzehn Jahrhunderte hindurch nie
verläugnete, an welcher auch forthin wie bisher alle
feindfeligen Angriffe des Irrwahns und Unglaubens,
gleich den tobenden Wogen am unentwegten Meeresfelfen,
ohnmächtig zerfchellen werden.
Möge folhe Erleuchtung die Oberhand gewinnen,
und dadurch jener ruchlofen Sekte Einhalt gethan werden,
deren ſchwarzer Bund wider den Gottmenfchen und feine
geheiligten Altäre unfer tändelndes Zeitalter immer mehr
umflammert! Dann wird auch jener Zeitpunkt nicht
mehr ferne ſeyn, wo die Völker der ganzen Chriften-
welt am Fuße des Kreuzes fi) in Slaube — Liebe und
Hoffnung vereinigen, und fo des MWelterlöfers un-
wandelbarem, ewig gültigen Machtgeboth Folge leiften,
welches ung jener Sünger,, „den er Lieb hatte,“ als
heiliges Vermächtniß des göttlichen Lehrers auf-
bewahrte :
„ Kinderchen , Tiebet einander, wie ich euch Tiebte;
daranmwird man euchalsdie Meinigen erfennen.
— 46 —
Bleibet in mir, fo bleibe, auch ih in euch. Wie das
Rebſchoß Feine Frucht trägt, fondern verdorrt, wenn eg
nicht am Weinftock bleibt , fo auch ihre, wenn ihr nicht
in mir bleibt, An meiner Statt wird der Geift der Wahr:
heit, vom Bater gefendet, als Zröfter euch beyſtehen,
und in meiner Lehre euch beftärken. Sa, Vater! — (fo
fchloß der Gottmenfch feinen legten Unterricht hiernieden )
dein mir aufgetragenes Werk habe ich nun vollendet, und
deinen Namen den Menfchen, welche du mir anvertrauteft,
geoffenbaret; fie erfennen, daß meine Lehre von dir kommt
und daß du mich gefendet haft. Verleih , Heiliger Vater!
daß diefe meine Schüler, und alle welche durch ihren
Unterricht an mich glauben werden, Eins feyen wie du,
o Vater! in mir undih in dir, damit die Welt
gläubig deiner Dffenbarung vertraue. Deine
Herrlichkeit habe ich ihnen mitgetheilt, damit fie Eins
feyen, wie wir Eins find, ich in ihnen umd du in mir,
auf daß fie vollfommen Eins fiyen! In diefer
Einigkeit werden alle Völker das Pfand
deiner Liebe und meiner he Sendung
erfennen.“
Erläuterung
der aus fremden Sprachen eingefloffenen
Wörter.
A bderiten, eihiih, Bewohner einer Stadt in Thrazien, welche
im Ruf der Dummheit fiunden.
Abfolution, Iateinifch, Befreyung; Losfprechung.
Yllegorie gr. , verbliimte Rede; Gleichnißrede.
Alternative lat., Wechfel; Wahl; Klemmfall.
Anabaptift gr., Wiedertäufer. 2 N
Anachoret gr., aus der Gefellfchaft zurückgetreten; Einfledler.
Analog gr., gleichformig ; ähnlich, entfprechend.,
Anarchie gr., Unvrönung; Geſetzloſigkeit; Zerrüttung.
Anathem gr., Kirchenbänn.
Anonym gr., ungenannt.
Aphorismen gr.kurze Ausſprüche; Lehrſätze.
Apofalypfe gr., Enthüllung; Offenbarung. \
Apodiftifch gr., augenfcheinlich überführend ; abfprechend.
Apologie gr., Veran wortun Vertheidigung; Entſchuldigung.
Apoſtat gr., Abgefallener; Abtrünniger.
Apotheoſe gr., Vergoͤtterung.
Approbation lat., Gutheiſſung, Genehmigung.
Ar Al : mus, Srrlehre des Arins, welcher die Dreyfaltigkeit
äugnete.
Atheismus gr., Gottesverläugnung; Gottesverachtung.
Attribut lat., Eigenſchaft; Kennzeichen.
Authentiſch gr., uͤnverwerflich; rechtsbeſtändig; urſchriftlich.
Bigoterie engliſch, Andächteley; Scheinheiligkeit.
Biograp H ie ge. , Lebensbefchreibung.
Canontfh gr. , Firchengefeklich.
Eatehumenen gr. , die im Ehriftenthum unterrichtet werden.
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Chamäleon. gr., eine Art Eidechſen, die nach Verſchiedenheit
der Umſtände, ihre Farbe wechſelt. j * " ü
—— ologifch gr., nach der Zeitrechnung geordnet, — dazu
gehörig.
Elerus gr., geiftlichee Stand ; Geiftlichkeit.
Eolibat lat., Ehelofigkeit ; unverheiratheter Stand.
Eollifion lat., Anſtoß; Reibung. | i
Eollogium lat., Geſpräch; Unterredung.
Eommentar lat., Auslegung ; Erklärung; Grundriß zu einer
Geſchichte.
Compilation lat., Entwendung; Zuſammentragung.
Confeſſion lat., Bekenntniß; Geſtändniß.
Conkluſionen lat., Schlußfolgen; Vernunftſchlüſſe.
Congregation Tat, Verſammlung.
Confefration lat., Einſegnung; Einweihung.
Conſequenz lat., Folge; Schluß; Folgerichtigkeit.
Continent lat., das feſte Land.
Controverſen lat., Streitigkeiten.
Convertit lat., Bekehrter. |
Conzilium lat., Verbindung ; Vereinigung ; Bufammenfunft.
Coryphäe gr., der an der Spike fleht ; Haupt; Anführer.
Critizismus gr., Stand der: Kunſtrichter, der Splitterrichter.
- &ritifafter gr., boswilliger .Beurtheiler. 3 Kme
Eultus Hat. , Verehrung 5 Gottesdienft:
Cyniker gr., eigentlich: hündiſch; der philofophifchen Sekte ans
gehörig , die alles Natürliche öffentlich ohne Scham ausübte.
Deismus gr., Ölaube an Gott, ohne Außern Dienft.
Dezennium lat, Zeitraum von zehn Jahren. >» 7
Dialog gr., Geſpräch; — J
Diametral ge, mitten durchſchneidend; gerade entgegengefekt:
Diatribe gr., _gelehrte Abhandlung, in Rede oder Schrift:
Diözeſe gr., Kirchengebieth ; Kirchenfprengel,
Disfuffion lat., Zergliederung ; Unterfuchung. ©,
Differtation lat, gründliche Unterredung. — Erörterung.
Disziplin lat., Bucht; Unterweifung ; Einrichtung. i
Divergenz - lat, das Auseinanderläufen.
Dogma ge, Lehrfag 5; Befchluß ; Verordnung.
Doftrin lat., Wiffenfchaft ; Lehrmeinung. |
Efleftifer ge, die von. dem übrigen Sekten nur: das Beſte
‚wählen und annehmen. wi TEE Eh
Egoismus Tat. , übertriebene Eigenliebe; Seldftfuht.
Enthufiaft ge. , von’ heftiger Leidenſchaft ergriffen ; begeiſtert;
fhwärmerifch. | IM; u. , |
Enumeration lat., Herzählung.
Epikuräer ge, ke des Epifurs ; Leute, die das Ver—
gnügen für das höchfte Gut Halten. /
Epitaph gr., Grabſchrift. |
Etifette fr, äußeres Gepräng ; Formenwefen.
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Euchariſtie gr., Danffagung ; das heilige Abendmahl.
Evangelium gr. , frohe, angenehme Botichaft. |
Eregefe gr, Erklärung ; sand; Anleitung.
Erfommunifation lat., Ausfchließung ; Verſtoſſung; Kir⸗
chenbann. u TER |
Samulus Tat. , Diener; Aufwärter. 001
Fatalismus lat., die Irrlehre, welche Alles dem Blinden
Zufall — ewiger Notäwendigfeit — einem unvermeidlichen
Verhängniß zufchreibt. a |
Fisfus Tat. , obrigfeitlicher, landesherrlicher Schaf.
Genitalien Tat. , ©eburtsglieder.
Gigant ge. , Erdenfohn ; ungeheurer Rieſe. |
Onofifch gr., von einer Sekte des zweyten Jahrhunderts —
den Gnoftiferen — herrührend, welche Leute von eingebildeter
höherer Einficht waren. |
Gymnaſium ge., Offentlihe Schule ; Unterrichtsort.
Häreſiarch gr. , Urheber, Stifter einer Sekte, . J
Häretifer gr., eigl. einer beſondern Lehre oder Schule zuge—
than ; fig. Seftirer, Ketzer. | |
Hermeneutif gr., Deutungs = Erflärungs = Auslegungskunft.
Hierarchie gr., Kirchenregierung ; geiftliche Herefchaft.
Homilie gr., geiftliche Rede, Geſpräch, Unterhaltung.
Hyperbolifch ge. , übermäßig ; ubertrieben. 72%
Humanität lat. , Leutfeligfeit ; Weltbildung.
Ideal gr., was nur in der Einbildung befteht.
Idiot gr., einfältigz ungelehrt; Nichtkenner.
Idol gr., Bild; Götzenbild. e
FJdolatrie gr. , Abgotterey; Götzendienſt.
Ignorant lat., unwiſſend; unfundig.
Ill uminatismus lat., Lehre von der Erleuchtung, Aufklärung.
Im { ; ich lat. , anffallend; Aufſehen erregend; Achtung ges
iethend. . 5 Ra
Impuls lat., Anreizung ; Antrieb. |
Indifferentismus lat., ©leihgultigfeits = Lauheits Lehre,
Individuell lat., einzeln ; ungetheilt.
Infalibilitär Tat., Untrüglichkeit; Unfehlbarkeit.
Inſpirirt lat. , begeiftert ; von Eingebung getrieben. |
Intellektuel lat., zum Verſtand — Verſtändniß gehorig.
Jronie gr. , verfiellte Unmiffenheit , Spott= Hohnrede.
Iſolirt Iat., allein ſtehend; abgefondert.
Katheder gr., Sitz; Seſſel; Lehrſtuhl.
Kraß lat., dicht; plump; roh; J———— |
zaie gr., zum. Volk gehörig; Weltlicher ; Ungeweihter
Zatitudinarier Tat, die fih in Lehre und Gitten nicht
einfchränfen Laffen.
zegenden lat., Schriften ; Erzählungen.
Liturgie gr. , Kiechengebethe und Gebräuche.
Logomachiſt gr. , Wortflauber; Sylbenſtecher.
ze Me
zufubrationen Hat. Nachtarbeiten.
Mäzen lat., eigener Name; fig. Befchliger, Gönner der Gelehrten
und der MWiffenfchaften
Manuffript lat., Handfchrift.
Materialien Iat., Vorrat) ; Stoff.
Metapher gr. , verblümte Rede; uneigentliche Redart.
Mobilität lat., Beweglichkeit; Weränderlichkeit.
Modern Tat. , nach neuer Art und Gefchmad.
Monogamie gr. , Einweiberei.
Monogramm gr. , Buchitabe,, der mehrere im ſich faßt; wer:
zogener Name ; eigentl. aus bloßen Linien beftehend.
Myfterien ge., Geheimniffe ; verborgene Sachen.
Muyſtiſch gr. , dunkel; geheim.
Naturalismus lat., Lehre derjenigen, welche die Natur zum
Gott machen, und die Offenbarung läugnen. |
Neolog ge., neuer Lehre zugethan.
Neophyt gr., Mubekehrter; angehender Chrift.
Nimbus lat., Wolfe; Umhullung; Heiligenfchein; Strahlenfranz.
No . enflatur dHat., Namen Werzeichnif 5; - Herfagung der
amen.
Norm lat., Richtſchnur; Vorſchrift.
Notizen lat., Anzeigen; Nachrichten.
Notoriſch lat., bekannt; offenkundig.
Objektiv lat. „ vorliegend; gegenüberſtehend.
Dbdffurant lat. , Finfterling ; das dunfle — verborgene liebend.
Dedipus, Konig in-Theben , der das Räthſel der Sphinz löste ;
er heirathete unwiſſend feine Mutter, mit welcher er. mehrere
Kinder zeugte. ;
Defumenifh gr., ollgemein; über die beivohnte Erde ſich
erſtreckend.
Oppugnant lat., Angreifer; Gegner; Feind.
Orthodox gr., gr rn 5; der die ande Meinung hat.
Pädagogium gr., Kinder = Erziehungsanftalt. |
Pamflet engl., Schmähfchrift; Flugfcheift.
Danegyrifi g- » Kobreöne.
Dapit lat. , Anhänger des Papfithums.
Parabel gr., Gleichniß; Wergleihung. |
— gr. , ſeltſam; auffallend; dem gemeinen Wahn zumwider-
aufend.
Paraklet gr., Beyſtand; Tröfter ; Lehrer. —
Paraphraſen gr., Umfchreibung ; umſtändliche Erklärung.
Pathetifch gr. , gerührt; bewegt ; Teidenfchaftlich.
Patriftif lat., Studium der Kirchenväter.
Perfektibilität lat., DVervolllommnungs = Fähigkeit.
Periode gr. , Zeitumlauf ; Abfchnitt.
Phänomen gr. , Erfcheinung.
Phantaft gr., Schwärmer ; Örillenfänger.
Philolog gr. , Liebhaber der Gelehrfamkeit ; Litteraturfreund.
a MR
lagiat lat., geehrter Diebftahl. i
Dale mif gr, Skreitiepre — in wiſſenſchaftlichem Sinn.
Polygamie gr., Wielweiberey.
Popanz, Schredbild. N |
Prädeftination Iat., Onadenwahl; umabänderliche Vorher—
beftimmung.
Prädikat Iat., Eigenfchaft, * *
Presbyterianer Ir. eigl. die Aelteſten; Proteſtanten in
England, welche die Biſchöfe nicht anerkennen.
Primat lat., Vorrang; erſte Stelle.
Problematiſch gr., eigl. vorgelegt, aufgegeben; ungewiß,
räthſelhaft.
Profan gr., unheilig; ungeweiht; gemein. _
Prognoſtiziren gr., vorher einſehen; vorher beſtimmen.
Prophetifch gr. , weiſſagend; vorher verkündigend.
Profelyt gr., Uebergegangener, Ankömmling; RNeubekehrter.
Proteſtanten lat., fo heißen gemeinſchaftlich ſowohl die Luthe—
raner als Reformirten, weil die Fürſten dieſer beyden Confeſſio—
nen gegen eine ihnen nachtheilige Verfügung des Reichstages
in Speyer vom 3. 1529 proteſtirt hatten.
Provoziren lat., hervorrufen ; herausfordern.
Pſeudonym gr. , einen falfhen, erdichteten Namen führend. -
Pſychologie gr.,, Seelenlehre,
Punifch lat., Phöniziſch; figure. falſch, treulos.
Purgatorium lat., Reinigungsort , figürl. Fegefeuer.
Publikan Tat. , Pächter ; Zöllner.
Pygmäe gr. , eine Fauft lang ; Zwerg.
Pylades gr. , Freund des Oreſtes; figürl. zärtlicher Freund.
Pyrhonismus gr. , Zroeifelfucht.
Q * * ativ lat., was ſich auf die Beſchaffenheit einer Sache
ezieht. 9
Quantitativ lat., was ſich auf die Größe oder Menge einer
Sache bezieht. | |
Rabulift lat., ränkevoller Sachwalter; Bungendrefcher.
Rationalismus lat., Lehre derjenigen, welche die Vernunft
über die Offenbarung ſetzen.
Reformation lat., Umgeftaltung ; Umwandlung.
Reliquien Tat. , Weberbleibfel.
Revolution lat., Ummwälzung.
Ritus Tat. Hergebrachte Hebung ; Firchlicher Gebrauch.
Shisma gr., Spaltung; Trennung ; Uneinigfeit.
Sholaftif En lat., figuel. ſpitzfindig; wortflauberifch ; fchul-
fuchſeriſch.
Skeptiker gr., Zweifler; bedachtſam.
Sfizze franzöſ., Entwurf; Abriß; Grundlinien.
Skribler lat., ſchlechter Schreiber; Schmierer.
Skurrilität lat, übertriebener Scherz; Poſſenreiſſerey.
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Sophismen gr. , unrichtige, betrugliche Schlüſſe; Scheingründe;
Spitzfindigkeit.
Spezialität lat., Einzelnheit.
Stabilität „lat., Stillſtand; Unbeweglichkeit.
Stoiſch, figürl. ſtandhaft; ſtreng; ernſt.
Subſtanz lat., Weſen; für ſich beſtehendes Ding.
Summariſch lat., kurzgefaßt; Inbegriff der Hauptpunkte.
Superiorität lat., Vorzug; Ueberlegenheit.
Suprematie lat., oberſte Gewalt; Sberherrſchaft.
Sykophant gr., Verräther; Angeber; Ränkeſchmied.
Symbol gre, Kennzeichen; Sinnbild; Wahrzeichen.
Synagoge gr., Kirchengemeinde, bey den Juden.
Synaxis ger, Verſammlung, bey den alten Chriſten.
.. Synode gr., Bufammenfunft , befond: Firchliche.
Temporär lat. , vorübergehend , nur eine Zeit lang dauernd.
—Temporiſiren lat., zögern; auffchieben ; beffere Gelegenheit
abwarten.
Theokratie ge. , Gottesregierung.
Thefen gr. , Süße; Lehrfähe.
Thyeſtes gr. , Sohn des Pelops , welcher die Gemahlin feines
Bruders Atreus befchlief, ſowie feine Tochter, Pelopia, mit
welcher er den MeftHus erzeugte, der den Atreus todtete.
Toleranz Tat. , Duldung ; Duldfamkeit. |
Tradi — ion lat., Ueberlieferung; mündlich fortgepflanzter Uns
terricht.
Zransfubftantiation lat., Verwandlung der Weſenheit.
Trivial lat. , gemein; gewöhnlich; niedrig; platt.
Tropus gr, Bild; Seihnih ; verbliimte Rede,
Viſion lat., Erfcheinung ; Traumgeſicht.
Urbanität lat., einnehmendes gefälliges Weſen.
Uſurpiren lat., widerrechtlich gebrauchen — ſich anmaſſen.
Zelot gre, Eiferer; Neider.
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fällt ng: ‚der Linie „auff* weg
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Heiligenbilder
von oben wußten
Laſt.
mmer
Weiſe
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Blut
von unten romilchen
ließ:
unentwegten
Eliſabeth, und
mochte.
Braunſchweig
Salom. Heß
religiöſem
neun
Joh.
genannt —)
Lehre
vielmehr
väterliches
auf die
weltlichen
Heiligen
wüßten
Luft,
immer
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Blut)
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