MASTER NEGATIVE
NO. 93-81548-
MICROFILMED 1 993
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AUTHOR:
SPINOZA , BENEDICTUS
DE
TITLE:
ABHANDLUNG ÜBER DIE
VERBESSERRUNG...
PLACE:
HEIDELBERG
DA TE :
1888
COLUMBIA UNIVERSITY LIBRARIES
PRESERVATION DEPARTMENT
BIBLIOGR APHIC MTPROFOrm TAWnFT
Original Material as Filmed - Existing Bibliographie Record
193Sp4
J4
Kirolir.ann, Juliuo Hermann von, IMP.^l^BAf tr.
lipinoza, Benedictus de.rTract. de intoll ectus esmen
ciatione Ger. Kirchmann.; ,
• ••Abhandlung über die verbesserunf^ des ver»
Standes und über den ne^^. 1BÖ8.
Master Negative #
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Benedictus de
■)
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MflNUFfiCTURED TO fillM STRNDRRDS
BY fiPPLIED IMAGE, INC.
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I
/
Philosophische Bibliothek
oder
Sammlung
der
Hauptwerke der Philosophie
alter und neuer Zeit.
Unter Mitwirkung namhafter Gelehrten
herausgegeben, beziehungsweise übersetzt, erläutert
und mit Lebensbeschreibungen versehen
von
J« H. ?• KirehmaBB*
Vierundvierzigster Band.
Splnoza's Abhandlung: über die Yerbesserung des
Verstandes und dessen politische Abhandlung.
2. Auflage.
Benedict ¥Ofl Spinoza's
Abhandlung
über die
Verbesserung des Verstandes
und
Über den Weg, auf den er am besten zur wahren
Erkenntnis der Dinge geführt wird,
und desselben
Politische Abhandlung,
in welcher
dargelegt wird, wie die Verfassung sowohl bei einem monar-
chischen wie bei einem aristokratischen Regiment beschaffen
sein müsse, damit sie nicht in Tyrannei ausarte, sondern
der Friede und die Freiheit der Bürger unverletzt erhalten
bleibe.
Übersetzt und erläutert
von
J. H. T. Eirehmann.
Zweite Auflage
durchgesehen von Q. Giesserow.
Heidelberg 1888.
Verlag von Georg Weiss.
Heidelberg 1888.
Verlag von Georg Weiss.
Vorwort des Übersetzers.
i< ;
Rücksichtlich des der Übersetzung zu Grunde liegen-
den Textes wird auf das Bezug genommen ^ was in den
Vorworten zur Ethik, zur theologisch-politischen Abhand-
lung und zur Bearbeitung der Prinzipien des Descartes
(B. 1 V. XXXV. u. XLL) gesagt worden ist.
Die erste, hier folgende Abhandlung über die Ver-
besserung des Verstandes gehört nächst der Ethik
zu den schwer-verständlichsten Schriften Sp.s. Teils des-
halb, teils weil diese Abhandlung manche Aufklärung
über den Gang der philosophischen Entwickelung Sp.s
bietet und weil sie ebenso wie der Anhang metaphysi-
scher Gedanken zum Verständnis der Ethik viel beiträgt,
haben die Erläuterungen, welche in einem besondern Heft
unmittelbar nachfolgen werden, umfassender gehalten wer-
den müssen, als es sonst im Plane der philosophischen
Bibliothek gelegen haben würde.
Diese Abhandlung gehört jedenfalls zu den frühesten
Arbeiten Sp.s und lässt man sich für die Frage der Zeit-
folge seiner Werke lediglich durch deren inneren Gehalt
bestimmen, so würde Unterzeichneter sie so ordnen, dass
die Bearbeitung der Prinzipien von Descartes
mit dem Anhange metaphysischer Gedanken den Anfang
macht. Dieser ist dann unsere Abhandlung gefolgt,
wofür die viel reichere und schärfere Entwickelung meh-
rerer Begriffe spricht, die sich hier im Vergleich zu dort
findet. Wenn Oldenburg in seinem Briefe vom 3. April
1663 Sp. fragt, „ob er die Abhandlung zustande ge-
„bracht, worin er vom Urbeginn der Dinge u. s. w.
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^ ' -' y f ■^ i ) 4 • « »
XII
Vorwort des Übersetzers.
Vorwort des Übersetzers.
XIU
„spreche**, so ist dies kein Beweis für die frühere Ent-
stehung unserer Abhandlung, da einmal es zweifelhaft
bleibt, ob Oldenburg mit diesen Worten unsere Abhand-
lung gemeint hat, und weil er nur von einer zu voll-
endenden Abhandlung spricht, was sehr wohl von der
blossen Absicht verstanden werden kann, mit der sich Sp.
allerdings schon lange getragen haben mag.
Erst nach unserer Abhandlung hat Sp. dann die
umfassende Bearbeitung seiner Philosophie begonnen, auf
die er in dieser Abhandlung und in den Anmerkungen
derselben wiederholt als eine erst vorzunehmende
Arbeit hinweist. Als diese erste Bearbeitung der Philo-
sophie [oder als einen Entwurf dazu möchte Unterzeich-
neter die Abhandlung über Gott und den Men-
schen ansehen, die um 1860 in einer holländischen
Uebersetzung als Manuskript aufgefunden und in B. XVIII
der philosophischen Bibliothek in einer deutschen Ueber-
setzung geliefert worden ist. Unmittelbar nach diesem
Entwurf oder dieser Skizze wird Sp. dann seine Ethik,
als das auch in der Form vollendete System seiner Philo-
sophie, begonnen und wahrscheinlich ohne Unterbrechung
bis zu Ende ausgearbeitet haben; was natürlich nicht aus-
Bchliesst, dass er an diesem seinem Hauptwerke bis zu
seinem Tode fortwährend gefeilt und gebessert haben mag.
Erst nachdem Sp. mit dieser Arbeit im wesentlichen fertig
war, wird er an seine theologisch - politische Ab-
handlung gegangen sein, welche der Ethik als eines
fertigen Werkes mehrfach erwähnt und sein letztes Werk
bildet, dann die ebenfalls unvollendet gebliebene poli-
tische Abhandlung, in welcher die Ethik und die
theologisch - politische Abhandlung als fertige Werke ge-
nannt werden, und welche deutlich erkennen lässt, dass
Sp. in seinen späten Jahren sich dem Studium der Ge-
schichte und Politik, d. h. der Wirklichkeit in höherem
Masse, wie früher, zugewendet hat.
Diese Reihenfolge der Schriften des Sp. stimmt aller-
dings mehrfach nicht mit den bisherigen Annahmen der
Gelehrten, welche insbesondere die neuerlich aufgefun-
dene Abhandlung über Gott für sein frühstes, noch vor
seinem 24. Jahre geschriebenes Werk erklären (man vergl.
Avenarius: Die Phasen des Spinozischen Pantheismus
1868. S. 162); indess sind die lediglich aus dem Inhalt
der Schrift dafür entnommenen Gründe leicht zu wider-
legen und aus diesem Inhalt eher das Gegenteil zu folgern,
wie die in einem besondern Band nachfolgenden Erläute-
rungen Nr. 28, 31, 36 am Schluss, 43, 71, 77, 81, 86, 94
und 96 ergeben werden. Ueberhaupt scheint es bedenk-
lich, drei so bestimmt geschiedene Phasen in der Ent-
wickelung Sp.s anzunehmen, wie Avenarius in der er-
wähnten Schrift thut Diese Unterschiede sind nicht in
der Schärfe vorhanden, wie er behauptet, und die her-
vorgehobenen Gegensätze finden sich in den früheren
Schriften Sp.s ebenso, wie in seinem vollendetsten Werke,
der Ethik (man vergleiche z. B. Erl. 43 zu dieser Ab-
handlung); sie gehören vielmehr zu den Inkonsequenzen
und Widersprüchen, in die Sp.s Grundgedanke einer de-
duktiven Entwickelung der Philosophie aus dem Gottes-
begriffe ihn unvermeidlich verwickeln musste und welche
sich deshalb in allen seinen Schriften wiederfinden. Dabei
ist es mehr zufällig, wenn Sp. den Accent bald auf die
Natur, bald auf Gott, bald auf die Substanz legt, da die
Identität dieser Begriffe schon in seinen frühesten Schriften
von ihm ausgesprochen wird; selbst in bezug auf die
Kausalität zwischen den Attributen kann Sp. auch in der
Ethik sich nicht konsequent erhalten; insbesondere leitet
er die bildlichen Vorstellungen auch da von Zuständen
des Körpers als Ursache ab und umgekehrt ist die Iden-
tität aller Attribute neben ihrer gegenseitigen Kausalität
auch schon in dem Anhange der metaphysischen Gedanken,
in unserer Abhandlung und in der über Gott mehrfach
und zum Teil sehr bestimmt ausgesprochen. Sp. hatte
jedenfalls seine von Descartes abweichenden Grund-
gedanken schon zur Zeit, als er die Prinzipien desselben
bearbeitete, erreicht und der Unterschied seiner spätem
gegen die früheren Schriften trifft nicht diese Grund-
gedanken, sondern nur ihre vollständigere Entwickelung
und bestimmtere Darstellung.
Sollte diese Ansicht richtig sein, so verliert die Frage
nach der zeitlichen Reihe der Schriften Sp.s überhaupt
an Bedeutung; sie hat dann mehr ein Interesse für den
Litterarhistoriker und Biographen, als für die Philosophie
an sich; nur der Ueberfluss an Zeit und Gelehrsamkeit
kann dahin führen, dergleichen Fragen mit einer pein-
lichen Gewissenhaftigkeit zu erörtern.
vi
lii
.:.'X^jEr-.c^
XIV
Vorwort des Übersetzers.
Vorwort des Übersetzers.
XV
Was nun unsere Abhandlung selbst anlangt, so ist,
wie der gleichlautende Titel und die äussere Anlage zeigt,
Sp. dazu durch desDescartes Beispiel und Abhandlung
über die Methode veranlasst worden. Die Abfassung der-
selben fällt jedenfalls in die Periode, wo die Schriften des
Descartes ihn noch viel beschäftigten , und so mag es
gekommen sein, dass Sp. ebenso wie Descartes seine
schriftstellerische Thätigkeit mit einer Abhandlung über
die Methode beginnen zu müssen meinte. Indess hätte
das Beispiel von Descartes ihn eher davon abhalten
sollen, denn das, was Descartes über seine Methode
darin sagt, wird auf wenigen Seiten abgemacht und alles
andere ist vielmehr eine pikante Schilderung seiner per-
sönlichen Entwickelungen und Schicksale und eine Er-
zählung, wonach er seine wichtigen Entdeckungen in der
Geometrie und Naturphilosophie viel mehr durch die in-
duktive als die deduktive Methode gewonnen hat.
Sp.s ernster und strenger Geist nahm jedoch die Auf-
gabe ernster und so empfangen wir in unserer Abhand-
lung den Versuch zu einer wirklichen philosophischen
Methodenlehre. Indess muss, so interessant dieser Ver-
such auch ist, er doch für verunglückt angesehen werden.
Nicht nur, dass Sp. kaum über den Anfang hinaus ge-
kommen ist und dann, trotz allen guten Willens, wie
L. Meyer, sein Freund, versichert, nicht hat weiter kom-
men können, so ergiebt auch der Inhalt wie die Form
und Ordnung, dass wir es nur mit einem Versuche und
mit der Darstellung noch unklarer Gedanken zu thun
haben.
Nach einer sehr bedenklichen Einleitung, wo, wie
Descartes eine Schilderung seiner Zweifel, so Sp. eine
Schilderung seiner Versuche, das höchste Gut zu er-
reichen, zum besten giebt und dabei die Philosophie zu
einem blossen Mittel für die Glückseligkeit des Menschen
herabdrückt, beginnt der erste Teil mit einer Ent Wicke-
lung der Begriffe der eingebildeten, falschen und
zweifelhaften Vorstellungen, während der Begriff
der wahren Vorstellung nur nebenbei berührt wird.
Dieser Teil bildet wohl drei Viertel dessen, was von der
Abhandlung vorhanden ist; der Rest beschäftigt sich mit
dem Begriff der Definition und mit einem Anhang über
die Eigenschaften des menschlichen Verstandes; hier bricht
die Abhandlung plötzlich ab und ist auch später von Sp.
nicht fortgesetzt worden. Hin und wieder finden sich noch
Anmerkungen, die, nach Meyers Versicherung, später von
Sp. zugefügt sind. Wahrscheinlich sind sie während der
Ausarbeitung der Abhandlung über Gott und den Menschen
beigefügt worden, da Sp. diese letztere Abhandlung als
seine Philosophie oder den Entwurf dazu ansah und diese
Anmerkungen wiederholt auf diese Philosophie, als ein
bald zu erwartendes Werk, verweisen. Der Inhalt dieser
Anmerkungen ist übrigens unbedeutend und von den
Grundgedanken, die in der Abhandlung herrschen, keines-
wegs abweichend, was ebenfalls darauf hinweist, dass sie
bald nach der Abfassung der Schrift selbst zugesetzt sind.
Schon dieser Inhalt sowie die Ordnung dessen, was wir
von unserer Abhandlung besitzen, zeigt also, dass Sp. sich
selbst über die Anordnung wenig klar gewesen ist und
noch weniger über das Ganze der Aufgabe, welche er sich
hier vorgesetzt hatte. Allerdings hatte Sp. damals, ähnlich
wie Descartes bei seiner Abhandlung über die Methode,
schon die Grundgedanken seines eigenen Systems gewon-
nen und sich wohl auch über die dabei befolgte Methode
einige Rechenschaft gegeben ; allein im ganzen konnte er
hier noch nicht zur Klarheit gelangt sein, sonst hätte er
sicherlich mit der Schilderung des Verstandes als des In-
strumentes, oder mit dem Fundamentalbegriffe der Wahr-
heit und der deduktiven Methode begonnen, anstatt mit
den eingebildeten, falschen und zweifelhaften Vorstellungen
den Anfang zu machen, die vor Erkenntnis des Verstandes
und Feststellung der wahren Vorstellung kaum genügend
dargelegt werden konnten.
Die sonst in dem Werke vorkommenden Unklarheiten,
Mängel und Widersprüche werden in den Erläuterungen
zu den betreffenden Stellen dargelegt. Sie zeigen deutlich,
dass wir es in dieser Schrift nur mit einem ersten Ent-
würfe zu thun haben, den Sp. sicherlich einer nochmaligen
Ueberarbeitung unterzogen haben würde, wenn er nicht
die Lust an der Fortsetzung der Arbeit verloren gehabt
hätte. Denn es ist wohl nur eine gut gemeinte Entschul-
digung seines Freundes L. Meyer, wenn dieser die
NichtVollendung auf die Schwierigkeit der Aufgabe und
die Menge der dazu nötigen Kenntnisse schiebt. Wenn
Jemand, wie hier Sp., statt in der Beschreibung der Methode
XIV
Vorwort des Übersetzers.
Vorwort des Übersetzers.
XV
"
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Was nun unsere Abhandlung selbst anlangt, so ist,
wie der gleichlautende Titel und die äussere Anlage zeigt,
Sp. dazu durch desDescartes Beispiel und Abhandlung
über die Methode veranlasst worden. Die Abfassung der-
selben fällt jedenfalls in die Periode, wo die Schriften des
Descartes ihn noch viel beschäftigten, und so mag es
gekommen sein, dass Sp. ebenso wie Descartes seine
schriftstellerische Thätigkeit mit einer Abhandlung über
die Methode beginnen zu müssen meinte. Indess hätte
das Beispiel von Descartes ihn eher davon abhalten
sollen, denn das, was Descartes über seine Methode
darin sagt, wird auf wenigen Seiten abgemacht und alles
andere ist vielmehr eine pikante Schilderung seiner per-
sönlichen Entwickelungen und Schicksale und eine Er-
zählung, wonach er seine wichtigen Entdeckungen in der
Geometrie und Naturphilosophie viel mehr durch die in-
duktive als die deduktive Methode gewonnen hat.
Sp.s ernster und strenger Geist nahm jedoch die Auf-
gabe ernster und so empfangen wir in unserer Abhand-
lung den Versuch zu einer wirklichen philosophischen
Methodenlehre. Indess muss, so interessant dieser Ver-
such auch ist, er doch für verunglückt angesehen werden.
Nicht nur, dass Sp. kaum über den Anfang hinaus ge-
kommen ist und dann, trotz allen guten Willens, wie
L. Meyer, sein Freund, versichert, nicht hat weiter kom-
men können, so ergiebt auch der Inhalt wie die Form
und Ordnung, dass wir es nur mit einem Versuche und
mit der Darstellung noch unklarer Gedanken zu thun
haben.
Nach einer sehr bedenklichen Einleitung, wo, wie
Descartes eine Schilderung seiner Zweifel, so Sp. eine
Schilderung seiner Versuche, das höchste Gut zu er-
reichen, zum besten giebt und dabei die Philosophie zu
einem blossen Mittel für die Glückseligkeit des Menschen
herabdrückt, beginnt der erste Teil mit einer Entwicke-
lung der Begriffe der eingebildeten, falschen und
zweifelhaften Vorstellungen, während der Begriff
der wahren Vorstellung nur nebenbei berührt wird.
Dieser Teil bildet wohl drei Viertel dessen, was von der
Abhandlung vorhanden ist; der Rest beschäftigt sich mit
dem Begriff der Definition und mit einem Anhang über
die Eigenschaften des menschlichen Verstandes; hier bricht
die Abhandlung plötzlich ab und ist auch später von Sp.
nicht fortgesetzt worden. Hin und wieder finden sich noch
Anmerkungen, die, nach Meyers Versicherung, später von
Sp. zugefügt sind. Wahrscheinlich sind sie während der
Ausarbeitung der Abhandlung über Gott und den Menschen
beigefügt worden, da Sp. diese letztere Abhandlung als
seine Philosophie oder den Entwurf dazu ansah und diese
Anmerkungen wiederholt auf diese Philosophie, als ein
bald zu erwartendes Werk, verweisen. Der Inhalt dieser
Anmerkungen ist übrigens unbedeutend und von den
Grundgedanken, die in der Abhandlung herrschen, keines-
wegs abweichend, was ebenfalls darauf hinweist, dass sie
bald nach der Abfassung der Schrift selbst zugesetzt sind.
Schon dieser Inhalt sowie die Ordnung dessen, was wir
von unserer Abhandlung besitzen, zeigt also, dass Sp. sich
selbst über die Anordnung wenig klar gewesen ist und
noch weniger über das Ganze der Aufgabe, welche er sich
hier vorgesetzt hatte. Allerdings hatte Sp. damals, ähnlich
wie Descartes bei seiner Abhandlung über die Methode,
schon die Grundgedanken seines eigenen Systems gewon-
nen und sich wohl auch über die dabei befolgte Methode
einige Rechenschaft gegeben ; allein im ganzen konnte er
hier noch nicht zur Klarheit gelangt sein, sonst hätte er
sicherlich mit der Schilderung des Verstandes als des In-
strumentes, oder mit dem Fundamentalbegriffe der Wahr-
heit und der deduktiven Methode begonnen, anstatt mit
den eingebildeten, falschen und zweifelhaften Vorstellungen
den Anfang zu machen, die vor Erkenntnis des Verstandes
und Feststellung der wahren Vorstellung kaum genügend
dargelegt werden konnten.
Die sonst in dem Werke vorkommenden Unklarheiten,
Mängel und Widersprüche werden in den Erläuterungen
zu den betreffenden Stellen dargelegt. Sie zeigen deutlich,
dass wir es in dieser Schrift nur mit einem ersten Ent-
würfe zu thun haben, den Sp. sicherlich einer nochmaligen
Ueberarbeitung unterzogen haben würde, wenn er nicht
die Lust an der Fortsetzung der Arbeit verloren gehabt
hätte. Denn es ist wohl nur eine gut gemeinte Entschul-
digung seines Freundes L. Meyer, wenn dieser die
NichtVollendung auf die Schwierigkeit der Aufgabe und
die Menge der dazu nötigen Kenntnisse schiebt. Wenn
Jemand, wie hier Sp., statt in der Beschreibung der Methode
XVI
Vorwort des Übersetzers.
Vorwort des Übersetzers.
xvn
fortzufahren , das mittelst dieser Methode zu schaflfende
Werk selbst ausarbeitet und in seiner Ethik m einer Voll-
endung bietet, wie sie überhaupt bei dieser Methode mög-
lich ist, so können diese Gründe seines Freundes offenbar
nicht die wahren sein. Vielmehr hat es zunächst wohl dem
Sp., und mit Recht, als das Wichtigere geschienen, das
Werk selbst, zu dessen Beginn ihm diese Abhandlung wohl
den ersten ernsten Anlass gegeben hatte, in Angriff zu
nehmen, als seine Zeit und Kraft mit der Beschreibung der
Methode, wie ein solches Werk zu schaffen, zu ver-
schwenden. Sodann, und dies mag wohl der Hauptgrund
gewesen sein, fand Sp., dass er bei der weiteren Darstel-
lung seiner deduktiven Methode, welche er unter der Ver-
besserung des Verstandes versteht, in Schwierigkeiten
geriet . welche er nicht erwartet hatte. Es wurde hier
wirklich für Sp. leichter, das Werk selbst, als die Dar-
stellung der Methode zu vollenden; denn in dem Werke
selbst verhüllten sich die Mängel dieser Methode unter
dem Reichtum der konkreten Gegenstände, insbesondere
der Gottesvorstellung und des sittlichen und rehgioscn
Lebensinhaltes; das Neue, zu dem die deduktive Methode
fortschreiten musste und was sie aus sich selbst nicnt zu
gewinnen vermochte, konnte deshalb hier unvermerkt, und
wahrscheinlich auch im guten Glauben von Sp. aus dem
Reichtum jener bereits vorhandenen und geläufigen kon-
kreten Begriffe entlehnt, in die deduktiven Ableitungen
eingeschoben und so ein reicher Inhalt für das System
gewonnen werden, trotzdem dass es äusserlich sich ganz
in das strenge deduktive Verfahren der Geometrie kleidete.
Allein viel schwerer stellte sich die Aufgabe, dieses
deduktive Verfahren für sich zum Gegenstande einer
wissenschaftlichen Darstellung zu machen. Hier waren
diese Erschleichungen und unvermerkten Ergänzungen aus
dem Vorrat der Erfahrung nicht anwendbar; hier musste
einfach und trocken gezeigt werden', wie aus einem Be-
griffe ohne fremde Zuthat etwas Neues deduktiv abgeleitet
werden könne, und hier musste sich also sehr bald die
auch von Kant gemachte Erfahrung aufdrängen , dass
solche deduktive Methode zwar zu mancherlei analyti-
schen Urteilen den Weg zeigt, aber dass sie niemals zu
synthetischen, nicht schon in dem Begriff enthaltenen
Urteilen gelangen kann. Allerdings hat bei Sp. diese
Erfahrung nicht die Klarheit wie bei Kant erreicht; Sp«
hält an dieser Methode mit Zähigkeit und Ueberzeugung
fest; allein trotzdem ist er genötigt, die Hauptsache, wie
aus dem Wesen eines Dinges der reiche und weitere In-
halt desselben und seiner Zustände und Wirkungen abzu-
leiten ist, und wie die Erkenntnis des Wesens vor Er-
kenntnis der einzelnen Eigenschaften zu gewinnen ist,
in dieser Abhandlung fortwährend zu verschieben und den
Leser mit Nebensächlichem zu beschäftigen; ja, zuletzt bei
Erforschung des Wesens des Verstandes muss Sp. sein
vorher aufgestelltes Prinzip geradezu verletzen, wonach
man das Wesen eines Dinges nicht aus seinen Eigenschaften,
sondern umgekehrt diese aus jenen ableiten solle. Man
sehe Erl. 115. Diese Schwierigkeiten mussten sich ver-
mehren, je näher Sp. auf diese Methode einging und ihr
Verfahren im einzelnen anschaulich machen wollte und
je mehr er sich der unvermeidlichen Beantwortung jener
Hauptfragen näherte. Wenngleich Sp. diese Schwierigkeiten
mehr gefühlt als sich klar gemacht haben wird, so sind
sie doch wohl die wahren Ursachen gewesen, weshalb er
diese Darstellung der Methode hat liegen lassen und sich
der Ausarbeitung des Systems selbst zugewendet hat, trotz-
dem, dass diese Aufgabe an sich als die schwerere gegen
die Entwickelung der Methode erscheint.
Dazu kommt noch, dass dergleichen Methodenlehren
sich überhaupt für den Fortschritt der Wissenschaft ganz
nutzlos erweisen. Sowohl Descartes wie Sp. haben
sich an dieser Methodenlehre nur versucht, nachdem sie
die wichtigsten Gedanken ihrer Systeme bereits gewonnen
hatten, und ebenso sagt Kant, dass dieWissenschaften selbst
schon sehr weit vorgerückt sein müssen, ehe das Nach-
denken sich der Methode, wie sie zu gewinnen, zuwenden
könne. In der Philosophie des Wissens können aller-
dings die Fundamentalgesetze der Erkenntnis, die Gesetze
und die verschiedenen Richtungen des Denkens, die Natur
der Begriffe, der Definitionen, der Beweise, das Wesen des
Systems u. s. w. dargelegt werden; allein diese Wissen-
schaft ist, wenn sie sich in der Wahrheit erhalten will,
ebenso auf die Beobachtung des zeitlich verlaufenden
Wissens innerhalb der einzelnen menschlichen Seele an-
gewiesen, wie die Wissenschaft des Seienden nur aus
der Beobachtung des einzelnen Seienden sich bilden
Spinoza'* Abh. üb. Verbesser, d. Verstandes. 2
i
II!
xvni
Vorwort des Übersetzers.
Vorwort des Übersetzers.
XIX
kann. Dagegen ist die Darstellung der deduktiven Methode,
wenn sie nicht TaschenJ^pielerkunststücke treiben will, sehr
schnell mit ihren Lehren zu Ende, weil aus dem Inhalt
eines Begriflfes auf keine redliche Weise etwas Neues her-
auagepresst werden kann. Aber auch mit der blossen
Beobachtung des einzelnen Seienden ist es für den Fort-
schritt der Wissenschaften nicht abgemacht. Wenn der
wesentliche Inhalt einer Wissenschaft nur aus den Gesetzen
ihres Gebietes und deren Beweisen besteht, und wenn ihre
Begriffe nur Wert und Wahrheit haben, soweit sie sich als
brauchbare Glieder zu Gesetzen darstellen (B. I. 77), so
erhellt, dass aller Fortschritt der Wissenschaften neben
der Beobachtung zugleich auf einer glücklichen Konzep-
tion der Begriffe zu einem neuen Gesetze beruht. Erst
wenn diese Konzeption aus dem Wirrwarr und der Masse
der einzelnen Beobachtungen wie ein hellleuchtender Strahl
herausbricht, sinkt der Nebel, der über diesem Chaos ge-
legen, das Unwesentliche fällt ab und das Zugehörige
ordnet sich leicht unter die Einfachheit des neuen Gesetzes
und seiner Begriffe. Diese Konzeption des wissenschaft-
lichen Forschers ist aber so wenig wie die des Dichters
und Künstlers zu erzwingen oder durch Innehaltung von
Methoden und Regeln absichtlich zu erreichen. Sie ist die
unverhoffte Gabe des Augenblicks, der plötzliche Durch-
bruch eines Gedankens, dessen Entstehung nicht weiter zu
verfolgen ist und die eigentümliche Bevorzugung des
wissenschaftlichen und künstlerischen Genies (B. I 25;
Ph. d. W. 402. Aesthethik II. 279). Hier liegt noch ein weites
Feld für die Philosophie des ünbewussten. Ein regelrechtes
mit voller Absichtlichkeit angestelltes Verfahren zur Ge-
winnung dieser Konzeptionen ist hier mehr störend als
nützend und deshalb sind dergleichen Methodenlehren, um
die Wahrheit zu suchen und die Erkenntnis zu erweitem,
wie sie hier Desc. und Sp. versucht haben, für diesen
Zweck ein nutzloses Unternehmen; es können nur hohle
und unbestimmte Regeln dabei herauskommen, wie auch
die von beiden Männern gebotenen Vorschriften bestätigen.
Deshalb haben beide wohl gethan; und zwar der Eine,
dass er Memoiren daraus gemacht und der Andere, dass
er die Arbeit unvollendet hat liegen lassen.
Was die zweite hier aufgenommene Schrift Sp.s,
seine politische Abhandlung anlangt, so ist sie so-
wohl nach der Versicherung seines Freundes L. Meyer,
als nach den darin vorkommenden Bezugnahmen auf die
früheren Werke Sp.s, als sein letztes Werk anzusehen,
an welchem er vielleicht bis zu seiner Krankheit ge-
arbeitet haben mag und an dessen Vollendung er nur
durch den Tod gehindert worden ist. Der Leser kann
daher mit einem gewissen Recht erwarten, hier dem
reifsten Werke Sp.s zu begegnen. In einer Hinsicht
wird dies auch richtig sein; dieses Werk zeigt, dass Sp.
in seinen späten Jahren sich viel mit Geschichte und Be-
obachtung der wirklichen sittlichen Welt beschäftigt hat.
Er hat damit wenigstens stillschweigend anerkannt, dass
nicht alle Wahrheit anf dem deduktiven Wege gewonnen
werden könne; im übrigen aber steht diese Schrift an
philosophischem Inhalt und wissenschaftlicher Vollendung
der Ethik erheblich nach, was sich zum Teil daraus er-
klärt, dass die Genialität Sp.s weniger in der Beobachtung
und Induktion als in der Konzeption von Prinzipien und
deren deduktiver Entwickelung lag und dass Sp. niclt
zur Revision der Schrift gekommen sein wird, da ihn der
Tod schon an der Vollendung des ersten Entwurfes ge-
hindert hat.
Die Schrift zerfällt in zwei sehr ungleiche Teile.
Die ersten fünf Kapitel bewegen sich in allgemeinen, der
Philosophie angehörigen Untersuchungen über die Begriffe
von Recht und Staat; hier ist Sp. noch ganz in seinem
Elemente. Vom sechsten Kapitel ab geht aber die Schrift
zu einer Darstellung der einzelnen Staatsverfassungen und
Regierungsformen über, wo die deduktive Methode ihren
Dienst zum grössten Teil versagte und Sp. zu künst-
lichen Kombinationen greifen musste. Bei diesen hielt er
sich bald mehr an das geschichtlich Vorgekommene, bald
mehr an eine kluge Berechnung der in der menschlichen
Natur einander bekämpfenden Mächte und Leidenschaften
und hier verwickelt er sich viel in Einzelheiten, die weder
in die Philosophie noch in eine Abhandlung von so
beschränktem Umfange gehören, als Sp. sich vorgesetzt
hatte.
Hiernach haben auch die Erläuterungen und die Kritik
dieser Abhandlung, welche in einem besonderen Hefte
nachfolgen werden, für diese beiden Teile verschieden aus-
fallen müssen. Bei dem ersten und philosophischen Ab-
2*
XX
Vorwort des Übersetzers.
Vorwort des Übersetzers.
XXI
i
schnitt kam es vorzüglicli darauf an, die eigentlichen Ge-
danken Sp.'s klar zu legen, welche bei dieser, nur erst
als ein Konzept zu betrachtenden Schrift, nicht immer
deutlich hervortreten, und den inneren Zusammenhang
des Inhaltes mit der Ethik und der theologisch-politischen
Abhandlung darzulegen, in welchen ein Teil der hier
behandelten Fragen ebenfalls und oft wörtlich gleich-
lautend sich findet. Wenn hierbei die eine Schrifc zur
Erklärung der anderen benutzt werden konnte, so ergab
sich doch auch das interessante Resultat, dass Sp. in
dieser seiner letzten Schrift schon in manchen Punkten
über jene Werke hinausgegangen ist und der Wirklich-
keit sich näher hält. Auch erhellt daraus, dass Sp. inner-
halb der Rechtsphilosophie durchaus nicht so abhängig
von Hobbes dasteht, wie es meistenteils und auch
von Kuno Fischer behauptet worden ist. Sp. ist
teils radikaler, teils gemässigter wie Hobbes und
dabei doch konsequenter wie dieser. Bei Sp. geht
der wahre Begriff des Sittlichen und des Rechts, welcher
auf der Achtung vor dem Gebot im Gegensatz zur Lust
beruht (B. XI. 53), ganz unter; Sp. kennt selbst in
seiner Ethik nur den Trieb der Selbsterhaltung als das
Prinzip alles menschlichen Handelns und wenn er
zwischen Vernunft und Leidenschaft unterscheidet, so
gilt ihm doch die Vernunft nicht als ein selbständiges
Prinzip des Handelns, wie der neueren Philosophie seit
Kant, sondern sie ist ihm nur die kluge Leiterin des
Selbsterhaltungstriebes. Sogar die von der Vernunft ge-
botene Liebe des Nächsten ist bei Sp. nur ein Mittel für
den eigenen Nutzen und wird nur in diesem Sinne auf-
gefasst und gerechtfertiget. Nachdem Sp. so das sittliche
Motiv völlig beseitigt hat, ist es ihm leicht, das Recht ganz
mit der Macht zu identifizieren; aber diese Identität bahnte
ihm auch wieder den Weg, gewisse Grundrechte für den
Einzelnen der Staatsallmacht zu entziehen, die Staats-
gewalt selbst mannichfachen Schranken zu unterwerfen und
ein klug berechnetes Gleichgewicht zwischen den Leiden-
schaften herzustellen ; denn diese Leidenschaften sind nach
Sp. unvertilgbar und das einzige Motiv aller praktischen
Thätigkeit. Hobbes behält dagegen den gewöhnlichen
Begriff des Rechtes bei, wonach es, als sittliches Element,
den Gegensatz zur Macht und Lust bildet; denn wenn er
auch im Beginn das Recht mit der Macht identifiziert, so
hält er doch diesen Standpunkt nicht fest, sondern geht
sehr bald auf den wahren Begriff des Rechtes über, was
er zunächst aus dem Vertrage entstehen lässt, aber dann
innerhalb des Staates nur von dem Gebote der Staats-
gewalt, insbesondere des Fürsten, ableitet. Damit wird
ihm jede Beschränkung dieses Willens durch besondere
Staatsformen unmöglich und das absolute Königtum
wird ebenso folgerecht sein Staatsideal, wie für Sp. die
beschränkte Aristokratie. Sp. selbst sagt in seinem SOsten
Briefe: „Was die Politik betrifft, so besteht der ünter-
„schied zwischen mir und Hobbes darin, dass ich das
„natürliche Recht stets unangetastet erhalte und dass ich
„den Grundsatz aufstelle, dass der höchsten Staatsgewalt
„nicht mehr Recht über die ünterthanen zusteht, als nach
„Maassgabe der Gewalt, worin sie über den ünterthanen
„steht, was im Naturzustande stets stattfindet. ** Diese
Worte bezeichnen das System Sp.'s richtig ; aber der Un-
terschied gegen Hobbes ist darin ungenügend angegeben.
Der wesentliche Punkt ist vielmehr, dass Hobbes den Be-
griff des Rechts, als eines sittlichen Motivs, beibehalten
hat, während dieser bei Sp. ganz beseitigt ist. Deshalb
kann Hobbes gleich konsequent dem Fürsten mehr
Recht beilegen, als er Macht hat, was Sp. bei seinem
Prinzip nicht kann.
Für die realistische Auffassung der sittlichen Welt,
wie sie in B. XI. der philosophischen Biblioth. dargestellt
worden, ist das Studium beider Schriftsteller von grossem
Interesse; Beide fühlen die Mängel und das Flache der zu
ihrer Zeit geltenden Systeme ; Beide thun einen bedeuten-
den Schritt in Auffindung der Wahrheit vorwärts; aber
Beide halten sich nur an einzelne wahre Elemente, mit
Verabsäumung anderer und deshalb sind beide an der
vollen Erkenntnis der sittlichen Welt gehindert und ver-
mögen mit ihren einseitigen Elementen auch nur einen
Staat zu konstruieren, welcher, wenn die Probe damit ge-
macht werden könnte, sich viel mangelhafter als alle zu
ihrer Zeit wirklich vorhandenen und von ihnen getadelten
Staatsformen herausstellen würde.
Was nun den zweiten, oben erwähnten Teil unserer
Abhandlung anlangt, so ist man erst in der neuesten Zeit,
nach vielen bittern Erfahrungen, zu der Erkenntnis ge-
xxn
Vorwort des Übersetzers.
langt, dass die EDtwickelun^ eines wirklichen Staates
ebenso ein durch feste Kräfte und Gesetze geregelter
geschichtlicher Vorgang ist, wie das Wachsen eines Baumes
und die körperliche und geistige Entwickelung eines
einzelnen Menschen. Bei diesem Staatsbau bleibt zwar
die Vernunft des Menschen als eines der mitwirkenden
Elemente keinesweges ausgeschlossen, aber sie ist doch
nur eines dieser Elemente und vor allem ist es auch
da nicht die Vernunft eines Einzelnen, sondern die der
Gesamtheit des Volkes, wie sie in der öffentlichen
Meinung sich allmählich befestigt und offenbart. Der
Einzelne tritt dabei mehr nur als der geschickte Dol-
metscher und nicht als Begründer des Gedankens auf.
Diese Ansicht, welche jetzt so ziemlich als die all-
gemeine, von allen grössern politischen Parteien ebenso
wie von der Wissenschaft anerkannte gelten kann, ergiebt
von selbst, dass es nicht die Aufgabe eines Einzelnen
sein kann, Staats- und Gesellschafts-Ideale überhaupt
oder für seine Zeit zu entwerfen. Damit sind alle der-
gleichen Versuche, welche schon mit P lato begonnen und
auch nach Sp. sich fortgesetzt haben, gerichtet. Jeder
Staat ist ein so überaus kunstvolles Gebäude, bei dem
die Menge und die Verwickelung der wirkenden Kräfte
80 gross ist und bei dem das Verhältnis und die Stärke
dieser Kräfte so fortwährend wechselt, dass es dem Ein-
zelnen, selbst mit der reichsten Menschenkenntnis und
Erfahrung unmöglich ist, diese Elemente, ihre Kraft und
Dauer zu übersehen, zu berechnen und ein haltbares Ge-
bäude damit zu errichten. Dazu kommt, dass selbst die
Frage, was angenehm und nützlich ist, den verschiedensten
Urteilen, je nach der Empfänglichkeit der Einzelnen und
der Völker, unterliegt. Deshalb lassen alle Kultur-Völker
gegenwärtig die Reformen in Staat und Gesetzen von
einer grossen Zahl gemeinsam beratender und beschliessen-
der Männer ausgehen, in welchen die zahlreichen In-
teressen und Wünsche der einzelnen Klassen ihre Ver-
treter finden, und selbst von solchen Versammlungen
wird die Reform nur allmählich und in einzelnen überseh-
baren Fragen vorgenommen. Auch die durch Revolu-
tionen entstandenen neuen Verfassungen machen hiervon
keine Ausnahme; der Bruch mit der Vergangenheit ist
bei denselben nur scheinbar; das, was von diesen Ver-
Vorwort des Übersetzers.
xxni
fassungen die Zeit der Aufregung überdauert, kann leicht
als das nachgewiesen werden, was sich schon lange unter
der Decke der alten Formen vorbereitet und entwickelt
hat und was in der Revolution nur die Hülse gesprengt
hat; keineswegs aber kann es als etwas Nagelneues und
durch die Klugheit und Berechnung eines Einzelnen Er-
dachtes geltend gemacht werden.
Von diesem Standpunkte aus konnte es bei der Kri-
tik dieses zweiten Teiles nicht darauf ankommen, mit
dem Verfasser sich in einen ausführlichen Streit über die
Güte und Zweckmässigkeit seiner Vorschläge einzulassen.
Die hierher gehörenden Vorschläge Sp.'s sind auch, ab-
gesehen von solcher Kritik, schon durch die Fortschritte
der Völker innerhalb der zwei Jahrhunderte erledigt,
welche zwischen der Abfassung der Abhandlung und der
Gegenwart liegen. Es konnte also nur darauf ankommen,
die oft undeutlich ausgesprochenen Gedanken Sp.'s klar
zu legen; die Folgerichtigkeit derselben aus dem voran-
gestellten Prinzip zu prüfen und bei den einzelnen Punkten
die Quellen und Beispiele aus der Geschichte nachzuweisen,
aus denen Sp. seine Vorschläge geschöpft hat. So auf-
gefasst, hat auch dieser zweite Teil sein Interesse; er
giebt Aufschlüsse über die Fortbildung der Grundgedanken,
von denen dieser grosse Denker ausgegangen war, und
er zeigt thatsächlich, wie wenig die deduktive Methode
zu leisten vermag, wenn sie an die Gestaltung der Wirk-
lichkeit herantritt, wo es sich nicht mehr um ein isoliertes
Prinzip handelt, sondern wo die Betrachtung es mit der
Kollision und dem Kampf einer grossen Anzahl gleich-
berechtigter Prinzipien zu thun bekommt, deren Aus-
gleichung aus ihnen selbst zu entnehmen, sich als ver-
geblich erweist.
Indem Sp. in dieser seiner letzten Arbeit der Be-
obachtung der wirklichen Welt näher getreten ist, steht
er in seinen Resultaten schon höher als sein unmittelbarer
Vorgänger Hobbes, und aus demselben Grunde ersteigt
dann der 12 Jahre nach Sp.s Tode geborene Montes-
quieu in seinem 1748 erschienenen „Geist der Gesetze**
eine noch höhere Stufe als Sp. ; indem Montesquieu noch
mehr mit dem Studium der Geschichte beginnt und mit
richtigem Takt sich enthält, einen fertigen Verfassungs-
entwurf für alle Zeiten aufzustellen.
XXIV
Vorwort des Übersetzers.
Mit diesen beiden hier gelieferten Abhandlungen sind
die Schriften des Sp., seine nicht hierher gehörende he-
bräische Grammatik und Abhandlung über den Regen-
bogen ausgenommen, abgeschlossen; es bleibt nur noch
die Übersetzung und Erläuterung seiner Briefe zu liefern,
um die Freunde der phil. Bibliothek in den vollständigen
Besitz der philosophischen Werke Sp/s zu setzen. Diese
Briefe sollen noch im Herbst dieses Jahres erscheinen.
Berlin, im Juli 1871.
Y. Kirchmann.
Abhandlung
über die
Verbesserung des Verstandes.
Vorwort zur zweiten Auflage.
Vorwort an den Leser,
Die zweite Auflage ist einer eingehenden, berich-
tigenden Durchsicht unterzogen worden.
Man erlaubt sich an dieser Stelle auf die in gleichem
Verlage erschienene lateinische Ausgabe der Werke Spi-
nozas, besorgt von Hugo Ginsberg, hinzuweisen,
deren IV. Band die Schriften dieses Bändchens enthält.
Die in dem Text eingeklammerten Ziflfern beziehen sich
auf die in einem besonderen Heft erschienenen Erläu-
terungen.
Die Anmerkungen in diesem Bande sind sämtlich von
Spinoza.
l'iese Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes
n. 8. w., welche hier der Leser unvollendet erhält, hat
der Verfasser schon vor vielen Jahren geschrieben. Er
hatte immer in Absicht, sie zu beenden. Allein andere
Arbeiten hielten ihn davon ab, und endlich nahm ihn der
Tod hinweg; so konnte er die Abhandlung nicht zu dem
gewünschten Abschluss bringen. Sie enthält indes viel
Ausgezeichnetes und Nützliches, was dem, der die Wahr-
heit aufrichtig sucht, unzweifelhaft nicht geringen Nutzen
bringen kann; deshalb habe ich sie dem Leser nicht vor-
enthalten mögen. Die mancherlei Dunkelheiten, Härten
und Unebenheiten, welche die Schrift hie und da enthält,
möge der Leser mit den Umständen entschuldigen; dass
er diese nicht vergesse, darum möchte ich ihn hier ge-
beten haben. Meinen Gruss zum Schluss. ^)
m
Die Ziele der Menschen.
Abhandlung
über die
Verbesserung des Verstandes,
und
Über den Weg, auf den er am besten zur wahren
Erkenntnis der Dinge geführt wird.^)
Nachdem mich die Erfahrung belehrt hat, dass Alles, was
das gewöhnliche Leben häufig bietet, eitel und nichtig
ist, und ich gesehen, dass Alles, was ich und vor dem ich
mich fürchtete, Gutes oder Schlimmes nur so weit in sich
enthält, als das Gemüt davon bewegt wird, so beschloss
ich endlich, zu erforschen, ob es ein wahres Gut giebt,
was mitteilbar ist und von dem allein, mit Beiseitesetzung
alles Anderen, der Geist erregt werden kann; ja, ob es
Etwas giebt, durch dessen Auffindung und Erlangung
eine stete und höchste Heiterkeit für immer gewonnen
werden kann. Ich sage: „so beschloss ich endlich"; denn
auf den ersten Blick schien es unklug , das Sichere für
das Unsichere aufzugeben. Ich sah nämlich ein, dass ich
jene Vorteile , welche die Ehre und der Reichtum ge-
währen, zu verfolgen aufgeben müsse, wenn ich ernstlich
mich um etwas Anderes und Neues bemühen wollte.
Sollte also das höchste Glück in jenen Dingen enthalten
sein, so sah ich, dass ich dessen entbehren müsste; sollte
es aber nicht darin enthalten sein, ich aber doch mich
nur um sie bemühen, so würde ich auch dann des höchsten
Glückes entbehren. ^)
Ich überlegte also, ob ich wohl eine neue Lebens-
einrichtung erfiissen oder wenigstens Gewissheit in Betreff
ihrer erlangen könne, ohne dass ich die Ordnung und ge-
wöhnliche Weise meines Lebens änderte, was ich zwar
mehrmals, aber vergeblich, versucht hatte.
Das, was im Leben am meisten angetroffen wird und
was die Menschen, nach ihrem Benehmen zu schliessen,
als das höchste Gut schätzen, lässt sich auf Dreierlei
zurückführen, nämlich auf Reichtum, Ehre und Sin-
nen lust.*) Durch diese drei Dinge wird der Geist so
zerstreut, dass er über kein anderes Gut nachdenken
kann. Was die Sinnenlust anlangt, so wird der Geist da-
von so, als wenn er in einem Gute ausruhte, erfasst; er
wird dadurch völlig gehemmt, an etwas anderes zu denken;
aber nach deren Genuss folgt die höchste Traurigkeit,
die den Geist, wenn auch nicht lähmt, doch stört und
abstumpft. 6) Auch durch die Jagd nach Ehre und Reich-
tum wird die Seele viel zerstreut; namentlich wenn sie
um ihrer selbst willen gesucht werden*; und dann als
das höchste Gut gelten. Noch mehr wird der Mensch
durch Ehren zerstreut, da sie als ein Gut an sich ange-
sehen werden und als das höchste Ziel gelten, nach dem
alle streben. Auch tritt hier nicht, wie bei der Sinnen-
lust, die Reue ein, vielmehr steigt die Freude mit dem
zunehmenden Besitz und dies reizt zur steten Vermehrung
von beiden. Werden aber unsere Hoffnungen einmal ge-
täuscht, so entsteht die höchste Traurigkeit. Endlich ist
die Ehre vorzüglich deshalb hinderlich, weil man, um sie
zu erlangen , notwendig sein Leben nach dem Sinne der
Menschen einrichten und das fliehen muss, was die Men-
schen gemeinhin fliehen und das aufsuchen, was sie ge-
meinhin suchen. ^)
Als ich so sah, dass dies alles mich hinderte, für
*) Ich hätte dies breiter und bestimmter darlegen
können, wenn ich bei dem Reichtume unterschieden
hätte, ob er um seiner selbst willen erstrebt wird, oder um
der Ehre willen, oder um der Sinnenlust willen, oder um
der Gesundheit willen und um die Wissenschaften und Kunst
zu erweitern. Ich verspare dies jedoch für den dazu ge-
eigneten Ort, da diese genaue Untersuchung hier nicht
hergehört
^ Zweifel, was zu than sei.
eine neue Lebenseinriclitung mich zu bemühen, ja, dem
so entgegengesetzt war, dass ich notwendig entweder das
Eine oder das Andere aufgeben musate, so hatte ich zu
überlegen, was wohl das Beste für mich sein würde. Ich
schien nämlich ein sicheres Gut für ein unsicheres auf-
geben zu wollen. Nach einigem Nachdenken entdeckte
ich indes zunächst, dass, wenn ich unter Aufgebung dieser
Dinge für meine neue Lebenseinrichtung mich rüstete, ich
nur ein Gut aufgab, was seiner Natur nach unsicher war,
wie aus dem Obigen erhellt und zwar für ein anderes
Gut, das zwar auch unsicher war, aber nicht seiner Natur
selbst nach (denn ich suchte ein beständiges Gut), sondern
nur unsicher in bezug auf seine Erlangung. Durch fort-
gesetztes Nachdenken gelangte ich indes zur Einsicht,
dass ich dann, wenn ich es nur ganz zu tiberlegen ver-
möchte, vielmehr sichere üebel für ein sicheres Gut auf-
gebe. Ich sah mich nämlich selbst in höchster Gefahr
befangen und genötigt, nach einem selbst unsichern Hülfs-
mittel aus allen Kräften zu suchen; ich glich einem an
einer tötlichen Krankheit Leidenden, der seinen sicheren
Tod voraussieht, wenn nicht Hülfe angewendet wird und
der deshalb eine unsichere Hülfe mit allen Kräften auf-
sucht, weil seine ganze Hoffnung darauf beruht. Denn
alles das, welchem die Menge nachjagt, trägt nicht allein
nichts zur Erhaltung unseres Wesens bei, sondern ist
vielmehr ein Hindernis und oft die Ursache des Untergangs
derjenigen, welche dergleichen besitzen,*) aber immer
die Ursache des Untergangs derjenigen, welche von der-
gleichen besessen werden. '')
In vielen Fällen haben Einzelne um ihres Reichtums
willen Verfolgungen bis zum Tode erlitten; Andere haben
in der Erwerbung von Reichtümern sich so vielen Ge-
fahren ausgesetzt, dass sie endlich ihre Thorheit mit dem
Leben gebüsst haben. Ebenso zahlreich sind die Bei-
spiele, dass die, welche nach Ehren strebten oder sie ver-
teidigten, elend umgekommen sind und unzählig sind end-
lich die Fälle, wo Ausschweifungen in sinnlicher Lust
einen frühzeitigen Tod herbeigeführt haben. Diese Uebel
scheinen daher gekommen, dass alles Glück oder Unglück
nur in der Beschaffenheit des Gegenstandes liegt, dem
*) Dies ist noch genauer darzulegen.
Das höchste Gut. 5
""*?. "?.\P^^^ ?°ux"i^* . ^«®°° '''^^«° dessen, was man
nicht liebt, entsteht kein Streit, betrübt man sich nicht
wenn es untergeht, ärgert man sich nicht, wenn ein An-
derer es hat und dessentwegen entsteht keine Furcht und
kein Hass, mit einem Wort, keine Gemütsbewegung: wäh-
rend dies alles für Dinge eintritt, die man liebt und die
vergänglich sind; dazu gehören aber alle die oben ffe-
nannten. Dagegen erfüllt die Liebe zu einem ewigen und
iiiiendlichen Gegenstand die Seele mit Frohsinn, und solche
Liebe ist frei von aller Traurigkeit; deshalb ist sie höchst
begehrenswert und mit allen Kräften zu erstreben. Indes
habe ich nicht ohne Grund oben die Worte beigefüffl-
„wofern ich nur ganz es zu tiberlegen vermöchte". Denn
trotz dem, dass ich dies alles in meiner Seele klar er-
kannte, konnte ich doch deshalb mich nicht ganz von dem
Geize, von der Sinnenlust und von der Ruhmsucht be-
freien. ^)
Nur so viel bemerkte ich, dass meine Seele, so lan^e
sie in solchen Gedanken sich hielt, jene Dinge verab-
scheute und ernstlich sich der neuen Lebenseinrichtung
zuwendete. Dies war mir ein grosser Trost, da ich sah
dass diese Uebel nicht der Art waren, um jedem Heil-
mittel zu trotzen. Allerdings waren anfangs solche Zu-
stände nur von kurzer Dauer und selten; allein mit der
steigenden Erkenntnis des wahren Gutes wurden sie häu-
figer und länger; namentlich als ich eingesehen hatte, dass
der Erwerb von Gold oder Sinnenlust oder Ruhm nur
so lange schädlich ist, als sie um ihrer selbst willen und
nicht als blosse Mittel ftir anderes gesucht werden. Strebt
man nach ihnen nur als Mittel, so findet ein Masshalten
statt und sie schaden nicht, sondern helfen viel zu dem
Ziele, für das man sie sucht, wie ich an seiner Stelle dar-
legen werde. ^)
Hier will ich nur kurz sagen, was ich unter dem
wahren Gut verstehe und was zugleich das höchste Gut
ist. Um dies recht einzusehen, halte man fest, dass das
Gute und Schlechte nur beziehungsweise ausgesagt wird.
Deshalb kann derselbe Gegenstand je nach Unterschied
der Beziehung gut und schlecht genannt werden, und
ebenso vollkommen und unvollkommen, ^b) Nichts, an
sich, in seiner Natur betrachtet, kann vollkommen oder
unvollkommen genannt werden; insbesondere wenn man
6
Der Weg zum höchsten Gut.
erkannt hat, dass alles, was geschieht, nach einer ewigen
Ordnung und festen Naturgesetzen geschieht. Allein der
Mensch in seiner Schwäche kann mit seinen Gedanken
diese Ordnung nicht erfassen und deshalb erdenkt er sich
einstweilen eine andere menschliche Natur, die viel fester
ist als die seine. Da er nun nichts sieht, was der Er-
langung einer solchen entgegentreten könnte, so treibt es
ihn zur Aufsuchung von Mitteln, die ihm zu einer solchen
Vollkommenheit verhelfen und jedes anscheinend dazu ge-
eignete Mittel gilt ihm für ein wahres Gut; als höchstes
Gut aber die Erlangung und der Genuss einer solchen
Natur für sich und womöglich auch für die anderen. Wie
diese Natur beschaffen, werde ich an seinem Orte nach-
weisen; sie ist nämlich*) die Erkenntnis der Einheit, in
der die Seele sich mit der ganzen Natur ^^) befindet. Dies
ist also das Ziel, nach dem ich strebe; ich will eine solche
Natur erwerben; d. h. es gehört zu meinem eigenen Glück,
zu suchen, dass viele andere auch so, wie ich denken und
dass deren Wissen und Begehren mit meinem Wissen und
Begehren übereinstimme. n) Um dies herbeizuführen,**)
muss man von der Natur so viel einsehen, als nötig ist,
um einen solchen Zustand zu erlangen und dann eine
solche Gesellschaft bilden, wie erforderlich ist, damit mög-
lichst viele möglichst leicht und sicher dahin gelangen.
Ferner hat man sich der Moralphilosophie und der Lehre
von der Erziehung der Knaben zu befleissigen und weil
die Gesundheit wesentlich zur Erreichung dieses Zieles
beiträgt, damit die ganze Arzneiwissenschaft zu verbinden.
Auch die Mechanik darf nicht übergangen werden, weil
vieles Schwere durch die Kunst leicht gemacht wird und
man viel Zeit und Anstrengung im Leben sich dadurch
ersparen kann. 12) Vor allem aber ist ein Weg zur Ver-
besserung des Verstandes aufzusuchen, auf dem er, so viel
im Anfang es angeht, gereinigt wird, damit er die Dinge
ohne Irrtum sicher und so gut als möglich erkenne.
*) Dies wird an seinem Orte ausführlicher erklärt
werden.
**) Ich bemerke , dass es mir hier nur darauf an-
kommt, die zu meinem Zwecke nötigen Wissenschaften
aufzuzählen, ohne dass ich mich um ihre Reihenfolge
kümmere.
Lebensregeln für die Zwischenzeiten. 7
Man kann hieraus entnehmen, dass ich alle Wissenschaften
nach einem Ziele*) und Endzweck hinleiten will näm-
lich um, wie gesagt, znr höchsten menschlichen Voll-
kommenheit zu gelangen. Deshalb ist alles, was in den
Wissenschaften dieses Ziel nicht fördert, als unnütz zu
verwerfen, d. h. um es mit einem Worte zu saffen, alle
^."f/® ^?°^^""F° "°^ Gedanken sind auf dieses Ziel zu
ric!iten.i3) Indes muss man leben, während man sorfft
dieses Ziel zu erreichen und sich müht, den Verstand in
die rechte Bahn zu leiten ; deshalb muss ich vor allem
diejenigen Regeln für das Leben vorausschicken, welche
ich als gute annehme; nämlich die folgenden : i4)
^ ^1,^^* ?«. sprechen, dass die Menge es fassen kann
lind alle Arbeiten zu verrichten, die uns an der Erreichung
des Zieles nicht hindern. Denn wenn man der Fassunffs-
kraft der Menge möglichst sich fügt, so kann man viel
Vorteil davon haben; auch macht man damit die Menschen
geneigt, dass sie die Wahrheit gern hören mögen
G 1 ?^ ^^J^ Vergnügen insoweit nachzugehen, als es ohne
Schaden für die Gesundheit zulässig ist.
3) Endlich sich so viel an Geld und anderen Dingen
zu erwerben , als zur Erhaltung des Lebens und der Ge-
sundheit sowie zur Befolgung der Sitten des Landes er-
forderlich ist, soweit diese nicht unserem Ziele entgegen-
Nach Peststellung dessen, rüste ich mich zunächst zu
dem, was vor allem zu thun ist, nämlich zur Verbesserunff
des Verstandes, damit er geschickt werde, die Dinge so
?^ m TT°°®? ' ^^*® ®^ ^"^ Erreichung meines Zieles nötiff
18t. ^ö) Um dies zu bewirken, verlangt die natürliche Ord-
nung dass ich alle Arten der Erkenntnis durchgehe, mit-
tels deren ich bisher etwas als unzweifelhaft behauptet
Oder verneint habe , damit ich dann die beste Art aus-
wähle und mit der Erkenntnis meiner Kräfte und Natur,
die ich vervollkommnen will, beginne.
Wenn ich genau acht gebe, können diese Erkenntnis-
arten auf vier Hauptarten zurückgeführt werden.
L Es giebt ein Wissen, was man durch Hören oder
*) Es besteht für die Wissenschaften ein Ziel, auf das
flie alle hm zu führen sind.
/■-
i|
8
Die vier Wissensarten.
vermittelst eines sogenannten körperlichen Zeichens er-
langt. ^^)
il Es giebt ein Wissen, was man aus einer unbe-
stimmten Erfahrung erlangt, d. h. aus einer nicht durch
den Verstand bestimmten Erfahrung und die nur so heisst,
weil es sich zufällig so macht und weil kein anderer Fall
vorliegt, der ihr entgegensteht, so dass sie uns deshalb
als zuverlässig gilt.^'^) , „t j r.
in. Es giebt ein Wissen, wo das Wesen des Gegen-
standes aus einem anderen Gegenstand geschlossen wird,
aber dies nicht vollkommen entsprechend geschieht. Dies
ist der Fall*j wenn man von einer Wirkung auf die Ur-
sache schliesst, oder von einem Allgemeinbegriflfe die stete
Verbindung einer Eigenschaft ableitet.
IV. Es giebt endlich ein Wissen, wo der Gegenstand
nur durch sein Wesen oder durch die Erkenntnis seiner
nächsten Ursache gewusst wird.i^)
Dies alles will ich durch Beispiele erläutern. Nur
vom Hören weiss ich meinen Geburtstag und wer meine
Eltern gewesen und ähnliches, worüber ich nie gezweifelt
habe. 20) Durch unbestimmte Erfahrung weiss ich, dass
ich sterben werde; ich behaupte dies, weil ich andere mir
gleiche Wesen habe sterben sehen, obgleich nicht alle den-
selben Zeitraum hindurch gelebt haben, noch an derselben
Krankheit gestorben sind. Auch weiss ich aus einer
solchen schwankenden Erfahrung, dass Oel ein für den
Unterhalt der Flamme passendes Nährmittel ist; dass das
Wasser geeignet ist, die Flamme zu verlöschen, dass der
Hund ein bellendes Tier ist und dass der Mensch em ver-
*; Wenn dies geschieht, weiss man von der Ursache
nicht mehr, als man in der Wirkung betrachtet. Es er-
hellt dies klar daraus, dass die Ursache in solchem Falle
nur in den allgemeinsten Ausdrücken erklärt wird, näm-
lich so : ^Folglich giebt es Etwas" oder „folglich giebt es
ein Vermögen** u. s. w.; oder daraus, dass die Ursaclie
verneinend bezeichnet wird, wie: „Folglich ist Dies oder
Jenes nicht.** Im zweiten Falle wird der Ursache wegen
der Wirkung Etwas beigelegt, was mau klar einsieht, wie
ich an einem Beispiele zeigen werde; indes betrifft dies
nur Eigenschaften, aber nicht das eigentümliche Wesen
des Gegenstandes. «
Beispiele zu den vier Wissensarten. 9
nünftiges Geschöpf ist und so weiss ich beinah alles, was
zum Leben nötig ist. 21) Vermittelst eines anderen Gegen-
standes schliesst man in dieser Weise: 22) Nachdem man
klar erkannt hat, dass man einen solchen Körper empfindet
und keinen anderen, so folgert man daraus klar, dass die
Seele mit dem Körper vereint*) ist, welche Vereinung die
Ursache dieser Empfindung ist, allein**) wie diese Empfin-
dung und Vereinung beschaffen ist, kann man daraus
nicht vollständig erkennen. Ebenso folgert man, wenn
man die Natur des Sehens erkannt und die Eigenschaft,
wonach ein Gegenstand in der Ferne kleiner als in der
Nähe erscheint, bemerkt hat, dass die Sonne grösser ist,
als sie erscheint und anderes Aehnliche. 23) Endlich wird
Etwas nur durch sein Wesen gewusst, 2^) wenn ich dar-
aus, dass ich Etwas erkannt habe, weiss, was es heisst,
etwas zu erkennen, oder, wenn ich aus der Erkenntnis
des Wesens der Seele weiss, dass sie mit dem Körper
vereint ist. Vermöge desselben Wissens weiss man, dass
2 und 3 zusammen 5 sind und dass, wenn zwei Linien
einer dritten parallel sind, sie es auch untereinander sind ;
u. s. w. Doch ist es nur Weniges, was ich bis jetzt durch
solches Wissen habe erkennen können.
Damit man dies alles noch besser verstehe, benutze
*) Aus diesem Beispiel ist das eben Gesagte klar zu
ersehen. Denn von dieser Vereinung kennen wir nur diese
Empfindung selbst, also nur die Wirkung, aus der wir die
Ursache, von der wir nichts einsehen, folgern.
**) Ein solcher Schluss ist trotz seiner Gewissheit,
doch nur mit grosser Vorsicht als zuverlässig zu nehmen.
Sonst gerät man sofort in Irrtümer; denn wenn man die
Dinge so abstrakt und nicht nach ihrem wahren Wesen
auffasst, wird man sofort durch die Einbildungskraft ver-
wirrt und das, was an sich Eines ist, stellen sich dann
die Menschen bildlich als vielfach vor. Sie geben den
Begriffen, die sie abstrakt, gesondert und verworren auf-
fassen, Namen und benutzen diese Namen zur Bezeich-
nung von anderen, ihnen bekannten Dingen. Daher kommt
es, dass sie sich diese Dinge ebenso in der Einbildungs-
kraft vorstellen, wie sie es mit denen gewöhnt sind, denen
sie zuerst diesen Namen gegeben haben.
Spinoza'ß Abb. üb. Verbesser. d. Verstandes. 3
10 Die Mittel zur Erreichung der besten Wissensart.
ich ein einziges Beispiel, nämlich folgendes: Es sind drei
Zahlen gegeben; man sucht eine vierte, die sich zur dritten
verhält, wie die zweite zur ersten. Hier pflegen die Kauf-
leute zu sagen, dass sie wissen, wie es zu machen sei,
um diese vierte Zahl zu finden; sie haben nämlich jenes
Verfahren noch nicht vergessen, das sie nur so und ohne
Beweis von ihrem Lehrern vernommen haben. 2^) Andere
bilden dagegen aus der Probe mit einfachen Zahlen einen
allgemeinen Grundsatz; wenn nämlich, wie bei den Zahlen
2, 4, 3, 6, die vierte Zahl selbstverständlich ist und sie
finden, dass, wenn man die zweite mit der dritten multi-
pliziert und das Produkt mit der ersten dividiert, als Quotient
die 6 sich ergiebt und sie mithin sehen, dass so dieselbe
Zahl erlangt werde, von der sie auch ohnedem wussten,
dass sie die betrefifende Proportionalzahl sei, so schliessen
sie, dass dieses Verfahren für die Auffindung der vierten
Proportionalzahl überhaupt das richtige sei. 26) Dagegen
wissen die Mathematiker kraft des Beweises bei Euklid
Lehrs. 19 Buch 7, welche Zahlen einander proportional
sind; sie wissen es nämlich aus der Natur der Proportion
und ihrer Eigentümlichkeit, dass das Produkt der ersten
mit der vierten Zahl gleich ist dem Produkt der zweiten mit
der dritten Zahl. 27) Dennoch sehen sie aber die ent-
sprechende Proportionalität der gegebenen Zahlen nicht
und wenn sie sie sehen, so geschieht es nicht vermöge jenes
Lehrsatzes, sondern in anschaulicher Weise, ohne dass
eine Rechnung aufgestellt wird.^s)
Um aus diesen Arten des Wissens die beste zu wählen,
muss ich die notwendigen Mittel für Erreichung meines
Zweckes kurz aufzählen; sie sind:
I. Unsere Natur, die wir vervollkommnen wollen,
genau zu kennen und zugleich so viel von der Natur der
Dinge, als nötig ist.
U. Daraus haben wir die Unterschiede, die Ueber-
einstimmung und die Gegensätze der Dinge richtig abzuleiten.
III. Dass wir richtig erkennen, was die Dinge erleiden
können, und was nicht.
IV. Dass dies mit der menschlichen Natur verglichen
werde. Daraus wird sich leicht ergeben, zu welcher Voll-
kommenheit der Mensch gelangen könne.
Prüfung der vier Wissens-Arten.
11
Nach diesen Erwägungen haben wir zu sehen, welche
Art des Wissens wir zu erwählen haben. 29)
Was nun die erste Art anlangt, so ist es selbstver-
ständlich, dass man durch Hörensagen, abgesehen von der
Unsicherheit in solchen Fällen, das Wesen der Gegen-
stände nicht erfassen kann, wie mein Beispiel ergiebt.
Da, wie sich später ergeben wird, das Dasein einer ein-
zelnen Sache nur gewusst wird, wenn ihr Wesen erkannt
ist, so ergiebt sich klar, dass alle solche Gewissheit, die
man vom Hören hat, nicht zur Erkenntnis gehört. Von
dem blossen Hören kann Niemand bestimmt werden, wenn
nicht die eigene Einsicht vorausgegangen ist.
Auch von der zweiten Art des Wissens*) kann
nicht gesagt werden, dass sie den Begriff jener Proportion,
die gesucht wird, besitze. Dieses Wissen ist an sich sehr
unsicher und ohne Ziel, und Niemand wird auf diese Art
etwas mehr, als blos die Accidenzen von den natürlichen
Dingen erfassen, die ohne vorgängige Erkenntnis ihres
Wesens nie klar erkannt werden können. Deshalb ist
auch diese Art des Wissens auszuschliessen. -
•
Von der dritten Art ist gewissermassen zu sagen,
dass man dabei den Begriff der Sache habe und auch
ohne Gefahr eines Irrtums schliesse; dennoch ist sie an
sich kein Mittel für die Erlangung unserer Vollkommenheit.
Nur die vierte Art umfasst vom Gegenstande das
ihm entsprechende Wesen, und zwar ohne Gefahr eines
Irrtums; deshalb ist von ihr am meisten Gebrauch zu
machen. Wie aber zu verfahren ist, um eine unbekannte
Sache mit dieser Art des Wissens einzusehen, und wie
dies am einfachsten zu erlangen ist, dies auseinanderzu-
setzen soll meine Sorge sein.^i) Nachdem wir nämlich
ermittelt haben, welches Wissen uns not thut, ist der
Weg und das Verfahren darzulegen, mittelst welchem die
zu erkennenden Gegenstände mittelst dieses Wissens er-
kannt werden können. Zu dem Ende ist zunächst zu be-
denken, dass hier keine Untersuchung ohne Ende ver-
*) Hier werde ich etwas ausführlicher über die Er-
fahrung handeln und das Verfahren der Empiriker und
der neueren Philosophie prüfen, ^o)
8*
12 Das Verfahren zur Gewinnung des besten Wissens.
langt wird; denn für Auffindung des besten Verfahrens
zur Erforschung der Wahrheit bedarf es nicht wieder
eines andern Verfahrens, um dieses Verfahren zu finden,
und um dieses zweite Verfahren zu finden, bedarf es
keines dritten und es geht nicht so ohne Ende fort; denn
auf diesem Wege würde man nie zur Erkenntnis der
Wahrheit, ja überhaupt zu keiner Erkenntnis gelangen. 32)
Es verhält sich vielmehr, wie mit den körperlichen In-
strumenten, bei denen man dieselben Gründe geltend
machen könnte. Denn um das Eisen zu schmieden, be-
darf man eines Hammers und um einen Hammer zu
haben, muss er gemacht werden; dazu sind aber ein
anderer Hammer und andere Instrumente nötig, und für
deren Erlangung sind wieder andere Instrumente nötig,
und so fort ohne Ende. In dieser Weise würde man
vergeblich zu beweisen suchen, dass die Menschen keine
Macht haben, das Eisen zu schmieden. Vielmehr haben
die Menschen im Anfange mit ihren angeborenen In-
strumenten nur das Leichteste mühsam und unvollkommen
zustande bringen können ; demnächst machten sie Schwereres
mit weniger Mühe und besser ; so gelangten sie allmählich
von den einfachsten Arbeiten zu den Instrumenten, und
von diesen zu anderen Werken und Instrumenten, und
damit endlich dahin, dass sie so Vieles und Schweres mit
leichter Mühe vollbringen. Ebenso macht auch der Ver-
stand durch seine angeborene Kraft*) sich günstige In-
strumente, durch welche er neue Kraft zu neuen geistigen
Werken**) erlangt, und aus diesen Werken erlangt er
neue Instrumente oder Macht, weiter zu forschen ; in dieser
Art schreitet er allmählich fort, bis er den Gipfel der
Weisheit erreicht. Dass der Verstand sich so verhalte,
ist leicht einzusehen, wenn man nur weiss, wie das Ver-
fahren zur Erforschung der Wahrheit ist und welches
jene angeborenen Instrumente sind, deren er allein bedarf,
*) Unter der angeborenen Kraft verstehe ich das, was
in uns von äussern Ursachen nicht bewirkt wird, und
was ich später in meiner Philosophie erklären werde.
**) Ich nenne es hier: Werke, und werde in meiner
Philosophie erklären, was sie sind.
Das Wissen vom Wissen.
13
um daraus andere Instrumente für den weitern Fortschritt
zu bereiten. Um dies darzulegen, gehe ich so vor-
Die wahre Vorstellung*, (denn wir haben eine wahre
Vorstellung) ist von ihrem Vorgestellten unterschieden;
denn der Kreis ist nicht die Vorstellung des Kreises'
letztere ist nicht etwas, was einen Umring und einen
Mittelpunkt hat, wie der Kreis und ebenso ist die Vor-
stellung des Körpers nicht der Körper selbst. Ist hier-
nach die Vorstellung von ihrem Gegenstande verschieden,
so wird sie auch selbst etwas Erkennbares sein; d. h.
die Vorstellung nach ihrem seienden Inhalte kann der
Gegenstand eines andern nur gewussten Inhaltes sein und
auch dieser letztere mit seinem gewussten Inhalte wird
an sich betrachtet etwas Seiendes und Erkennbares sein,
und so fort ohne Ende. 33) So ist z. B. Peter ein Seien'
des; die wahre Vorstellung des Peter enthält das
gewusste Wesen des Peter und ist an sich etwas
beiendes, was von Peter selbst ganz verschieden ist
Da sonach die Vorstellung des Peter etwas Wirkliches
^t, was sein besonderes Sein hat, so ist sie auch etwas
Wissbares, d. h. sie ist der Gegenstand einer andern Vor-
stellung, welche in sich Alles das in der Wissensform
haben wird, was die Vorstellung des Peter als seiende
an sich hat. Ebenso hat die Vorstellung von der Vor-
stellung des Peter wiederum ihr Sein, was wieder den
Gegenstand für eine andere Vorstellung abgeben kann
und so fort ohne Ende. Jeder kann selbst die Erfahrung
davon machen, wenn er bemerkt, dass er weiss, was Peter
ist und auch weiss, dass er weiss und auch weiss, dass
er weiss, er wisse; u. s. w. Daraus erhellt, dass
zu dem Wissen des Wesens des Peter es nicht nötig ist,
auch die Vorstellung des Peter zu wissen und noch
weniger die Vorstellung von der Vorstellung des Peter;
deshalb kann ich ebenso sagen, dass zu meinem Wissen
das Wissen von meinem Wissen nicht nötig ist und noch
weniger das Wissen von dem Wissen meines Wissens;
*; Ich bemerke, dass ich hier nicht bloss das eben
Gesagte darlegen, sondern auch zeigen will, dass ich bis
hierher richtig vorgegangen bin, sowie zugleich manches
andere Wissenswerte.
14
Die Wahrheit bedarf keines Kennzeichens.
es ist dies so wenig erforderlich, als zum Wissen des
Wesens des Dreiecks, das Wissen des Wesens des Kreises*)
nötig ist. Allein bei diesen Vorstellungen verhält es sich
umgekehrt; denn um zu wissen, was ich weiss, muss ich
notwendig vorher wissen. 3^) Hieraus erhellt, dass die
Gewissheit nur der gewusste Inhalt selbst ist; d. h. die
Weise in der man den seienden Inhalt empfindet, ist die
Gewissheit selbst. Daraus erhellt wiederum, dass es zur
Gewissheit der Wahrheit keines andern Zeichens bedarf,
als die wahre Vorstellung zu haben ; denn es ist, wie ge-
zeigt, nicht nötig, dass man wisse, man wisse von seinem
Wissen. Hieraus erhellt wiederum, dass nur Derjenige
wissen kann, was die höchste Gewissheit ist, welcher die
entsprechende Vorstellung oder den g e w u s s t e n Inhalt
eines Gegenstandes hat : denn die Gewissheit und der ge-
wusste Inhalt sind dasselbe.
Wenn somit die Wahrheit keines Kennzeichens be-
darf, sondern der Besitz des gewussten Inhaltes der Dinge,
oder was dasselbe ist, der Besitz der Vorstellungen ge-
nügt, um allen Zweifel zu heben, so erhellt, dass es nicht
das rechte Verfahren ist, wenn man nach dem Erwerb
der Vorstellungen demnächst nach einem Kennzeichen tür
ihre Wahrheit sucht; sondern das richtige Verfahren ist
eben das, dass man die Wahrheit selbst oder den Inhalt
der Dinge in der Wissensform oder die Vorstellungen
(was Alles dasselbe bezeichnet) in gehöriger Weise auf-
sucht.**) 36)
Allerdings muss das Verfahren auch über das Schliessen
und die Einsicht sich verbreiten ; 3?) d. h. das Verfahren
ist nicht das Schliessen selbst, um dadurch die Ursachen
der Dinge einzusehen, noch weniger ist es schon diese
*) Ich bemerke, dass ich hier nicht ermittle, wie das
erst gewusste Wesen uns angeboren ist. Dies gehört zur
Erforschung der Natur, wo dies ausführlicher erklärt und
zugleich gezeigt wird, dass es neben der Vorstellung kein
besonderes Bejahen oder Verneinen und auch keinen
Willen giebt.35)
**) Was ein Suchen innerhalb der Seele ist, wird in
meiner Philosophie erklärt.
Die deduktire Methode.
15
Einsicht der Ursachen der Dinge; vielmehr besteht das
Verfahren nur in dem Wissen, was eine wahre Vor-
stellung ist, indem er sie von andern Vorstellungen unter-
scheidet, und ihre Natur ermittelt, um dadurch die Kraft
unseres Verstandes kennen zu lernen und unsern Geist
so im Zaume zu halten, dass er nach dieser Regel Alles
erkenne, was überhaupt erkennbar ist. Dies Verfahren
lehrt zugleich als Hilfsmittel gewisse Regeln und sorgt,
dass der Geist sich nicht durch Unnützes erschöpfe.
Hieraus ist abzunehmen, dass das Verfahren nur in einer
rückschauenden Erkenntnis oder in einer Vorstellung
von einer Vorstellung besteht und da eine Vorstellung
von einer Vorstellung nicht eher möglich ist, als bis eine
Vorstellung gegeben ist, so kann auch das Verfahren
nicht eher beginnen, als bis eine Vorstellung gegeben
ist. 38) Sonach wird dasjenige das richtige Verfahren
sein, was zeigt, wie die Seele nach dem Richtmass der
gegebenen wahren Vorstellung zu leiten ist. Da ferner
das Verhältnis zwischen zwei Vorstellungen dasselbe ist,
wie zwischen den seienden Gegenständen dieser Vor-
stelluDgen, so folgt, dass die zurückschauende Erkennt-
nis der Vorstellung von einem aller vollkommensten Wesen
vorzüglicher ist, als die zuröckschauende Erkenntnis
anderer Vorstellungen; d. h. jenes Verfahren wird das
vollkommenste sein, welches zeigt, wie die Seele nach
dem Richtmasse der gegebenen Vorstellung eines voll-
kommensten Wesens zu leiten ist. 39)
Hieraus ergiebt sich leicht, wie die Seele durch das
Wissen von Mehrerem zugleich neue Instrumente gewinnt,
durch welche sie in ihrem Wissen leichter fortschreiten
kann. Denn vor Allem muss, wie aus dem Obigen er-
hellt, in uns eine wahre Vorstellung, als eingeborenes
Instrument, bestehen, ^o) mit deren Erkenntnis zugleich der
Unterschied zwischen einer solchen Vorstellung und allen
andern erkannt ist. Hierin besteht der eine Teil des
Verfahrens und da es von Natur klar ist, dass die Seele
sich um so besser kennt, je mehr sie von der Natural)
kennt, so wird dieser Teil der Methode um so vollkom-
mener sein, je mehr die Seele erkennt und dann vielleicht
am vollkommensten, wenn die Seele sich zur Erkenntnis des
vollkommensten Wesens hinwendet oder zurückbeugt. ^2)
16 Vorstellung u. ihr Gegenstand stimmen im Inhalte überein.
Ferner erkennt die Seele um so besser ihre Kräfte und
die Ordnung der Natur, je mehr sie weiss, und je besser
sie ihre Kräfte erkennt, desto leichter kann sie sich selbst
leiten und sich Regeln geben , und je besser sie die Ord-
nung der Natur erkennt, desto leicliter kann sie sich von
Unnützem fern halten und darin besteht, wie erwähnt,
das ganze Verfahren. Man nehme hinzu, dass die Vor-
stellung sich in ihrem gewussten Inhalt ebenso verhält,
wie ihr Gegenstand sich seinem wirklichen Inhalte nach
verhält. Gäbe es daher in der Natur Etwas, was mit
andern Dingen in keiner Verbindung stände, so würde
dessen gewusster Inhalt, welcher durchaus mit dem seien-
den Inhalte des Gegenstandes übereinstimmen müsste, mit
andern Vorstellungen ebenfalls*) in keiner Verbindung
stehen, d. h. man würde rücksichtlich ihrer nichts folgern
können; und wenn umgekehrt das, was mit Anderem in
Verbindung steht, wozu Alles, was in der Natur besteht,
gehört, erkannt wird, so wird auch der gewusste Inhalt
der Natur in derselben Verbindung mit einander stehen
und damit werden die Instrumente für den weitern Fort-
schritt sich vermehren. *3)
Dies war es, was ich beweisen wollte. Ferner er-
giebt sich aus dem letzten erwähnten Satz , nämlich dass
jede Vorstellung mit dem wirklichen Wesen ihres Gegen-
standes übereinstimmen muss, weiter, dass, so wie unsere
Seele nur ein Beispiel der Natur darstellt, sie auch alle
ihre Vorstellungen von derjenigen Vorstellung ableiten
muss, welche den Ursprung und die Quelle der ganzen
Natur darstellt; so dass diese Vorstellung auch ihrerseits
die Quelle für alle andern ist.
Es fällt hier vielleicht auf, dass, nachdem ich gesagt,
das gute Verfahren sei das, welches zeigt, wie die Seele
nach dem Richtmass der gegebenen wahren Vorstellung
zu leiten sei, ich dies durch Begründung zu beweisen
suche; denn daraus scheine zu folgen, dass dieser Satz
nicht durch sich selbst klar sei. Man könnte deshalb
fragen, ob ich meine Begründungen in rechter Weise
gebe? Solle dies geschehen, so müsste ich von einem ge-
*j In Verbindung mit Anderem stehen, ist von An-
derem hervorgebracht werden, oder Anderes hervorbringen.
Weshalb hier eine Begründung gegeben wird. X7
gebenen Begriffe ausgehen und da dieses Ausgehen von
einem gegebenen Begriffe der Begründung bedürfe so
müsste ich auch diese Begründung wieder rechtfertigen
und dann letztere wiederum und so fort ohne Ende.
Hierauf antworte ich, dass, wenn Jemand zufällig in Auf-
suchung der Wahrheit so vorgegangen wäre, nämlich so,
dass er nach dem Richtmass der wahren Vorstellung neue
Vorstellungen in richtiger Ordnung erworben hätte, so würde
er nie an der Wahrheit*; seiner Vorstellungen gezweifelt
haben; denn die Wahrheit offenbart sich selbst, wie ich
gesagt und Alles würde ihm von selbst zugeflossen sein.
Allein dies geschieht niemals oder nur selten; deshalb
habe ich annehmen müssen, dass wir das, was uns durch
Zutall nicht gewährt wird, durch überlegten Entschluss
erreichen und dass zugleich dabei erhelle, wie wir zum
Beweis der Wahrheit und der richtigen Begründung keiner
weitern Instrumente als der Wahrheit selbst und der
richtigen Begründung bedürfen. Denn die richtige Be-
gründung habe ich durch richtiges Begründen bewiesen
und will versuchen, dies noch weiter zu beweisen.**)
Dazu kommt, dass auf die3e Weise die Menschen sich
auch an inneres Nachdenken gewöhnen. Wenn aber bei
Erforschung der Natur selten die Untersuchung in dieser
Ordnung geschieht, so liegt es an Vorurteilen, deren Ur-
sachen ich später in meiner Philosophie darlegen werde.
Auch gehören dazu, wie ich später zeigen werde, erheb-
liche und scharfe Unterscheidungen, welche viele Mühe
machen. Auch kommt es von den menschlichen Zuständen,
die, wie gezeigt, sehr veränderlich sind; andere Ur-
sachen, die noch vorhanden sind, lasse ich unerörtert. *5)
Wenn ich vielleicht gefragt werde, warum ich nicht
selbst sofort die Wahrheiten der Natur auf diese Weise
dargelegt habe (da die Wahrheit sich selbst offenbare), so
erwidere ich und erinnere, dass man einzelne Sätze, wegen
Ihres anscheinenden Widersinnes, nicht sofort als falsch
verwerfen möge; man bedenke vielmehr zunächst die Ord-
nung, in der ich sie beweise und es wird sich dann er-
geben, dass ich die Wahrheit getroffen habe; deshalb
nabe ich dies vorausgeschickt.
*) Wie auch ich hier nicht an der Wahrheit des hier
gesagten zweifele.
18
Die Skeptiker.
Sollten demnächst Skeptiker über die erste Wahrheit
selbst und über Alles, was ich nach Anleitung derselben
ableite, noch Zweifel behalten, so sprechen sie entweder
gegen ihre Überzeugung, oder ich muss einräumen, dass
es Menschen giebt, die von Natur oder durch Vorurteile,
d. b. durch äussere Anlässe mit Blindheit des Geistes
geschlagen sind. Solche Leute wissen von sich selbst
nichts und wenn sie Etwas behaupten oder bezweifeln, so
wissen sie nicht, ob sie behaupten oder zweifeln; sie
sagen, dass sie nichts wissen und selbst diese Sätze wissen
sie wie sie sagen, nicht und auch dies behaupten sie
nicht unbedingt, weil sie das Eingeständnis scheuen, dass
sie bestehen, wenn sie sagen, dass sie nichts wissen; des-
halb müssen sie zuletzt schweigen, damit sie nicht doch
Etwas zugeben, was nach Wahrheit schmeckt. Auch kann
mit solchen Leuten über die Wissenschaft nicht gesprochen
werden. Denn in Bezug auf das zum Leben und zum
Verkehr Notwendige hat sie nur die Not gezwungen, an-
zunehmen, dass sie bestehen und ihren Nutzen verfolgen
und mit Eidschwur Vieles behaupten und verneinen.
Wenn ihnen etwas bewiesen wird, so wissen sie nicht,
ob die Beweisführung richtig oder mangelhaft sei ; wenn
sie bestreiten, zugeben oder widersprechen wissen sie nicht,
dass sie bestreiten, zugeben oder widersprechen und man
muss sie deshalb für Automaten halten, die des Verstandes
ganz entbehren. ^6)
Ich fasse hier das, was ich beabsichtige, kurz zu-
sammen. Wir haben bis hierher zunächst das Ziel ge-
funden, auf das wir alle unsere Gedanken richten wollen.*^)
Wir haben zweitens ermittelt, welches die beste Vor-
stellung ist, mit deren Hilfe wir zu unserer Vollkommen-
heit gelangen können. ^8) Wir haben drittens den ersten
Weg kennen gelernt, auf dem die Seele sich erhalten
muss, um richtig anzufangen; er besteht darin, dass sie
nach der Anleitung irgend einer gegebenen wahren Vor-
stellung fortfährt, mit Innehaltung bestimmter Regeln zu
forschen. *9) Dass dies richtig geschehe, soll das folgende
Verfahren sichern: Zuerst ist die wahre Vorstellung
von allen übrigen Vorstellungen zu unterscheiden und die
Seele von letztern abzuhalten. Zweitens sind Regeln
zu geben, dass die unbekannten Dinge nach solchem Richt-
Unterscheidung d. wahren Vorstellungen von den anderen, 19
mass erkannt werden. Drittens ist eine Ordnung ein-
zuhalten, damit man sich nicht durch Unnützes ermüde.
Nachdem wir dieses Verfahren ermittelt haben, haben
wir viertens erkannt, dass dieses Verfahren am voll-
kommensten sein werde, wenn wir die Vorstellung des voll-
kommensten Wesens erlangt haben werden. Deshalb musste
gleich im Beginn bemerkt werden, dass wir so schnell
als möglich zur Erkenntnis eines solchen Wesens ge-
langen müssen.^)
Ich beginne hiernach mit dem ersten Teile des
Verfahrens, welcher, wie gesagt, darin besteht, dass man
die wahre Vorstellung unterscheidet und von den übrigen
trennt und die Seele hindert, die falschen, die erdichteten
und die zweifelhaften Vorstellungen mit den wahren zu
vermengen. Ich will dies hier ausführlich darlegen und
die Leser in der Betrachtung eines so notwendigen Gegen-
standes festhalten, weil es Viele giebt, die selbst über
das Wahre zweifeln, weil sie den Unterschied nicht be-
achten, der zwischen einer wahren Vorstellung und anderen
besteht; solche gleichen deshalb Menschen, die im Wachen
ihr Wach-sein nicht bezweifeln, allein die, nachdem sie
einmal im Traume, wie es vorkommt, sich gewiss für
wachend gehalten und dies sich nachher als ein Irrtum
ergeben hatte, nunmehr auch über ihr Wachen zweifel-
haft geworden sind, weil sie niemals zwischen Träumen
und Wachen unterschieden haben. Ich erinnere vorweg,
dass ich hier das Wesen jeder Vorstellung und zwar
durch ihre nächste Ursache nicht darlegen will, da dies
zur Philosophie gehört, si) sondern ich will nur das zum
Verfahren Gehörige darlegen, also nur das, um was es sich
bei erdichteten, falschen - und zweifelhaften Vorstellungen
handelt und wie man sich von diesen freimachen kann.
Meine erste Untersuchung richtet sich sonach auf die er-
dichteten Vorstellungen.
Da jedwede Vorstellung ihren Gegenstand entweder
als daseiend nimmt, oder blos nach seinem Wesen ^2) und
die naeisten Erdichtungen das Dasein der Dinge betreffen,
so will ich zunächst über diese sprechen ; wo nämlich nur
das Dasein erdichtet ist, aber die Sache, um deren er-
dichtete Thätigkeit es sich handelt, gekannt ist oder als
gekannt genommen wird. So bilde ich mir z. B. ein, dass
Peter, den ich kenne, nach Hause geht, dass er mich be-
20
Die erdichtete Vorstellung.
sucht, und Aehnliches. *) Ich frage nun, was enthält
diese Vorstellung? Ich sehe, dass sie nur Mögliches ent-
hält, aber weder Notwendiges noch Unmögliches. Ich
nenne eine Sache unmöglich, deren Natur für ihr Dasein
einen Widerspruch enthält; und notwendig, deren Natur
für ihr Nicht-Dasein einen Widerspruch enthält; möglich,
deren Dasein nach ihrer Natur keinen Widerspruch weder
für ihr Dasein noch für ihr Nicht-Dasein enthält, sondern
bei welcher die Notwendigkeit oder Unmöglichkeit ihres
Daseins von Ursachen abhängt, die wir nicht kennen,
während wir ihr Dasein erdichten. Wäre uns daher die
von äussern Ursachen bedingte Notwendigkeit oder Un-
möglichkeit derselben bekannt, so hätten wir auch da-
rüber uns nichts erdichten können. Daraus folgt, dass,
wenn es einen Gott oder ein allwissendes Wesen giebt,
wir durchaus nichts erdichten oder voraussetzen können.
Denn was uns selbst anlangt, so kann ich, nachdem ich
erkannt, dass ich bestehe,**) nicht mehr mir einbilden,
dass ich bestehe oder nicht bestehe;^) auch einen Ele-
phanten , der durch ein Nadelöhr geht, kann ich mir nicht
einbilden. Ebenso kann ich, nachdem ich***) die Natur
Gottes erkannt habe, nicht mehr mir einbilden, dass
er bestehe oder nicht bestehe; dasselbe gilt von der Chi-
märe, deren Natur das Nicht -Dasein einschliesst. Hier-
aus erhellt, was ich gesagt habe, nämlich dass das hier
*) Man sehe ferner das nach, was ich über solche
Hypothesen bemerken werde, die man klar einsieht; die
Erdichtung besteht dabei nur darin , das man behauptet,
dergleichen bestehe in den himmlischen Körpern. ^3)
**) Weil die Sache, sobald sie nur verstanden ist,
sich selbst offenbart; man braucht deshalb hier nur ein
Beispiel, aber keine Beweisführung. Dasselbe gilt für den
Widerspruch, wo man nur zu untersuchen braucht, um
ihn als falsch erscheinen zu lassen. Dies wird sich gleich
ergeben, wenn ich von den das Wesen betreffenden Er-
dichtungen handeln werde.
***) Ich bemerke, dass, wenn Viele sagen, dass sie
an Gottes Dasein zweifeln, sie es dann nur mit einem
Worte zu thun liaben oder sich Etwas selbst erdichten,
was sie Gott nennen. Dies stimmt aber nicht mit der
Natur Gottes, wie ich später an seiner Stelle zeigen werde.
Die erdichtete Vorstellung. oi
erwähnte Einbilden bei ewigen*) Wahrheiten nicht statt-
nnaet. ^^)
Ehe ich jedoch weiter gehe, will ich kurz bemerken,
dass der Unterschied, der zwischen dem Wesen der einen
Sache und dem Wesen der andern besteht, auch zwischen
der Wirklichkeit und dem Dasein der einen Sache und
der Wirklichkeit und dem Dasein der andern besteht.
Wollen wir also z. B. das Dasein von Adam nur durch
das allgemeine Dasein erfassen, so wäre es dasselbe, als
wenn wir zur Erfassung seines Wesens auf die Natur des
Wesens überhaupt acht haben, um dadurch zuletzt zu
bestimmen, dass Adam ein Wesen ist. Je allgemeiner
also das Dasein vorgestellt wird, um so verworrener wird
es vorgestellt und um so leichter kann es einer Sache
beliebig zugesprochen werden ; während, wenn das Dasein
mehr besondert vorgestellt wird, es um so klarer einee-
sehen und um so schwerer einer anderen, als der eigent-
liehen Sache, mit Nichtbeachtung der Ordnung der Natur,
zugeteilt wird; was der Beachtung wert ist.sß)
Ich habe nun das in Betracht zu nehmen, was man
insgemein erdichtet nennt, obgleich man deutlich weiss,
dass die Sache sich nicht so verhalte, wie man sie er-
dichtet Wenn ich z B. auch weiss, dass die Erde rund
18t so hindert mich doch nichts, einem Andern zu sagen,
die Erde sei eine Halbkugel und wie eine halbe Pomeranze
auf einem Teller; oder die Sonne bewege sich um die Erde
und dergleichen mehr. Betrachtet man diese Fälle näher,
so wird man finden, dass alles mit dem bereits Gesagten
zusammenhängt; sofern man nur bedenkt, dass wir mit-
unter uns haben irren können und jetzt diese Irrtümer
als solche erkannt haben ; ferner, dass man sich einbilden
ooer^^enigstens denken kann, dass andere Menschen in
*) Ich werde auch gleich darlegen, dass keine Ein-
bildung bei ewigen Wahrheiten statt hat. Unter einer
ewigen Wahrheit verstehe ich eine solche, die, wenn sie
oejahend ist, niemals verneinend werden kann. So ist es
aie erste und ewige Wahrheit, dass Gott besteht ; dagegen
ist es keine ewige Wahrheit, dass Adam denkt. Dass die
uiimare nicht bestehf, ist eine ewige Wahrheit; aber dass
Adam nicht denkt, ist keine.
22 Wie die erdichtete Vorstellung entstellt.
demselben Irrtume sich befinden oder, wie wir selbst
früher, hineingeraten können. Ich sage, dies kann man
sich einbilden, so lange man keine Unmöglichkeit bemerkt
Wenn ich also Jemand sage, die Erde sei nicht rund
u. s. w., so rufe ich nur den Irrtum m das Gedächtnis
zurück, den ich vielleicht selbst gehabt, oder in den ich
geraten konnte und bilde mir dann ein oder denke, dass
der, welchem ich es sage, in diesem Irrtum ist oder liin-
eingeraten könne. Ich bilde, wie gesagt, dies mir em,
so lange ich keine Unmöglichkeit und keine Notwendig-
keit bemerke; denn hätte ich eine solche bemerkt, so hatte
ich mir nichts einbilden können und ich hätte nur sagen
können, dass ich etwas gethan hätte. ^t)
Ich habe noch das zu erwähnen, was bei diesen Unter-
suchungen vorkommt und was mitunter auch bei dem Un-
möglichen vorkommt; z. B. wenn man sagt: Man nehme
an, dass diese jetzt brennende Kerze nicht brenne, oder
dass sie in irgend einem eingebildeten Orte brenne, oder
da, wo es keine Körper giebt. Dergleichen wird manch-
mal angenommen, obgleich das letztere ofifenbar unmöglich
ist. Wenn nun dies geschieht, so ist in Wahrheit keine
Einbildung vorhanden. Denn erstens habe ich nur etwas
in das Gedächtnis zurückgerufen,*) nämhch eine nicht
brennende Kerze (oder ich habe mir sie ohne Flamme
vorgestellt) und das, was ich von dieser Kerze denke, das
sehe ich von ihr ein, so lange ich auf die Flamme nicht
*) Wenn ich später über die Einbildungen in Betreff
des Wesentlichen sprechen werde, so wird sich klar er-
geben, dass die Einbildung niemals etwas neues bewirkt
oder der Seele bietet, sondern dass dabei nur das in dem
Kopfe oder in der Einbildung Vorhandene m das Ge-
dächtnis zurückgerufen wird und dass die Seele auf alles
verworren gleichzeitig acht hat. So ruft man z. B. eine
Rede und einen Baum in das Gedächtnis zurück und wenn
die Seele zerstreut und ohne Unterscheidung acht hat, so
glaubt man, der Baum rede. Dasselbe gilt von dem Da-
lein, namentlich wenn es, wie gesagt, so allgemein als ein
Ding vorgestellt wird, weil es dann leicht mit allem, was
gleichzeitig in dem Denken auftritt, verbunden wird. Dies
ist sehr bemerkenswert.
Die Einbildungen über das Wesen. 23
acht habe. Im zweiten Fall ziehe ich nur meine Gedanken
von den umstehenden Körpern ab, damit die Seele sich
bloss der Betrachtung der Kerze, für sich allein genommen
zuwende und nachher schliesse, die Kerze habe keine Ur-
sache für ihre eigene Vernichtung, so dass, wenn keine
Körper sie umgaben, diese Kerze und auch die Flamme
r/fintf'' ^l'^^'\ ^^'t ""^ dergleichen ähnliches!
Es findet a^so hier keine Einbildung statt, sondern echte
und reine Behauptungen. *) 58) ^ ' »onuern ecüte
Ich komme jetzt auf die Einbildungen in Betreff des
Wesens der Dinge allein, oder des Wesens in gleichzeitige?
Verbindung mit einer gewissen Wirksamkeit oder eines
Daseins Hier ist vorzüglich zu bedenken, dass je wenige?
«o .rlfiL""''»!*'^^ ^^f ^''^ mancherlei' wahrnimmt" um
80 grosser ihre Macht zu Einbildungen ist; ie mehi s^
dagegen versteht, desto mehr nimmt diese Macht ab So
haben wir z B. oben gesehen, dass, so lange wir denken
ruchT.h?'f 1.'^"^^^^^? ^'°"^°> ^^«« ^'^ denken und'
auch nicht denken; so können wir auch, nachdem wir die
eldll'h^'' ^^'^'' f.^"^°* ^^^«°> ^°« keine Mücke un
endlich gross vorstellen; und ebensowenig können wir
nach Erkenntnis der Natur der Seele**) Ls dnbildli
dass sie Viereckig sei, obgleich man dies alles in Worten
aow-*^ Dasselbe gilt von Hypothesen, welche zu Erklärung
gewisser Bewegungen aufgestellt werden, welche mit def
Erscheinungen der Himmelskörper übereinstimmen, nu?
kö DeHÄ^M^ '^l'' Anwendung auf die Himmels'
Korper nicht die Natur der Himmel folgern, da diese eine
ancrvier ^T ^?^ T ^^^^^^"°^ ^^^««^ Bewegungen
auch viele andere Ursachen angenommen werden können.
sein *rlJ^i,*/'?^ oft, dass der Mensch das Wort Seele in
Bild s^oh «Ä ^Tfl^^'\ ^°^, ""^^^^^^ ^^° «i°°«ches
kiL Pr Ä ^A^' \V^^^' gleichzeitig vorgestellt, so
üerM.Li] * *f, die Meinung, dass er sich eine kör-
mit dpr If l' ''^''*^"l "?^ ^^°^"^^» i'^dem er den Namen
hofflliUol ^?\ Widerlegung sich nicht tibereilen, was sie
ntl ä "%^V*»»^« /erden, wenn sie nur auf die Bei-
spiele und auf das folgende genau acht geben.
24 Ob eine Einbildung die andere beschränke.
ausdrücken kann. Je weniger dagegen die Menschen, wie
sea&st die Natur kennen, desto leichter können sie vieles
sich einbilden, wie z. B. dass die Bäume sprechen, dass
die Menschen plötzlich in Stein verwandelt werden oder
in Quellen, oder dass Geister im Spiegel erscheinen, oder
dass das Nichts zu Etwas werde, oder dass die Götter
sich in wilde Tiere oder Menschen verwandeln und Un-
zähliges dieser Art mehr. 59)
Man wird vielleicht meinen, dass die Einbildung von
der Einbildung, aber nicht von der Einsicht begrenzt
werde d. h. wenn ich Etwas mir eingebildet habe und
mit einer gewissen Freiheit zugestimmt habe, dass es so
in Wirklichkeit bestehe, so bewirke dies, dass ich es
später mir nicht anders denken könne. Wenn ich z. B.
mir eingebildet habe (um ihre Worte zu gebrauchen), dass
die Natur der Körper die und die Beschaflfenheit habe,
und mich vermöge meiner Freiheit habe überreden wollen,
dass diese Natur wirklich so bestehe, so könne ich dann
mir nicht mehr einbilden, dass eine Mücke z. B. unend ich
sei- und wenn ich mir das Wesen der Seele eingebildet
habe so könne ich sie nicht mehr als viereckig ansehen
u ß/w. Allein dies bedarf der Prüfung. eo) Erstens
m'üssen sie entweder bestreiten oder zugestehen, dass
man Etwas erkennen kann. Gestehen sie es zu, so muss
das was sie von der Einbildung sagen , auch von der
Erkenntnis gelten; wenn sie es aber bestreiten, so wollen
wir die wir wissen, dass wir Etwas wissen, sehen, was
sie 'sagen.«) Sie sagen nämlich, dass die Seele zwar em-
pfinde und auf viele Arten wahrnehme , aber nicht sich
selbst noch die bestehenden Dinge, sondern nur das, was
weder an sich, noch irgend wo ist, d. h. dass die Seele durch
ihre Macht allein es vermöge Empfindungen oder Vor-
stellungen zu erzeugen, ohne ^assjiie Gegenstände datür
bestehen. Somit betrachten sie zum Teil die Seele wieGott.^2)
Ferner sagen sie, dass wir oder unsere Seele eine solche
Freiheit besitzen, dass sie uns oder sich selbst, sogar ihre
eigene Freiheit zwinge. Denn wenn sie sich Etwas ein-
gebildet und ihm Glauben geschenkt hat, so kann sie dies
nicht auf andere Weise denken oder sich einbilden und
sie wird durch diese Einbildung sogar genötigt, es nur
so zu denken, dass es der ersten Einbildung nicht wider-
spricht. Ebenso werden sie auch den ünsmn, welchen
Die Einbildung ist leicht zu erkennen.
25
ich hier angebe, durch ihre Einbildung zuzulassen ge-
zwungen; indess werde ich zu dessen Widerlegung mich
mit keinen Beweisen abmühen.*) 63) Ich lasse sie vielmehr
in ihrem Unsinn und sorge nur, dass ich aus den mit
ihnen gewechselten Worten etwas Wahres für unseren
Gegenstand gewinne, nämlich : Wenn die Seele auf einen
eingebildeten und seiner Natur nach falschen Gegenstand
Acht giebt, um ihn zu erwägen, zu erkennen und das
daraus Folgende in guter Ordnung daraus abzuleiten, so
wird sie sehr leicht klarlegen, dass er falsch ist.64) Igt
dagegen die eingebildete Sache ihrer Natur nach wahr,
so kann die Seele, wenn sie darauf achtet, um sie zu er-
kennen und die Folgen daraus in guter Ordnung abzu-
leiten, getrost ohne Unterbrechung damit fortfahren ;65) da
wir gesehen haben , dass der Verstand vermag, bei einer
falschen Einbildung, sobald sie vorgebracht wird, sogleich
deren Verkehrtheit und anderen daraus abgeleiteten Un-
sinn darzulegen.
Deshalb ist keineswegs zu fürchten, dass man sich
Etwas einbilde, wenn man nur die Sache klar und deut-
lich erkennt ; denn wenn man etwa sagt, dass die Menschen
plötzlich in wilde Tiere verwandelt werden, so wird dies
nur ganz allgemein ausgesagt und kein Begriff davon geboten,
d. h. keine Vorstellung oder Verbindung zwischen Subjekt
und Prädikat innerhalb der Seele; denn geschähe dies,
so würde die Seele zugleich das Mittel und die Ursachen
einsehen, wodurch und weshalb so Etwas geschehen ist^^)
Ferner wird auch nicht auf die Natur des Subjekts und
*) Obgleich ich dies offenbar aus der Erfahrung
folgere, so sagt doch vielleicht Jemand, es sei nichts, weil
der Beweis ausbleibe; deshalb soll er diesen Beweis, wenn
er will, so erhalten: Da in der Natur es nichts geben
kann, was ihren Gesetzen widerspricht, vielmehr Alles nach
ihren festen Gesetzen geschieht und bestimmte Wirkungen
nach festen Gesetzen in unzerreissbarer Verkettung daraus
hervorgehen, so folgt, dass die Seele, wenn sie sich einen
Gegenstand wirklich vorstellt, fortfährt, in ihrem Wissen
dieselben Wirkungen zu bilden. Man sehe weiter unten
die Stelle, wo ich von den falschen Vorstellungen spreche.
Spinoza' 8 Abb. üb. Verbesser, d. Verstandes. 4
26
Folgerungen in Betreff der Einbildungen.
Die falsche Vorstellung.
27
Prädikats Acht gegeben. Ferner wird, wenn nur die erste
Vorstellung nicht eingebildet ist, und aus ihr alle anderen
Vorstellungen abgeleitet werden, allmählich die Ueber-
stürzung im Einbilden erlöschen.
Ferner kann eine eingebildete Vorstellung nicht klar
und deutlich sein; sie ist vielmehr verworren und man
erkennt, dass alle Verworrenheit davon kommt, dass die
Seele eine ganze oder aus Vielem zusammengesetzte Sache
nur zum Teil kennt und das Bekannte nicht von dem
Unbekannten unterscheidet ; überdem denkt sie gleichzeitig
und ohne Unterscheidung an das Viele, was in der ein-
zelnen Sache enthalten ist. ß^) Hieraus folgt nun erstens,
dass, wenn die Vorstellung eine durchaus einfache Sache
betrifft, sie nur klar und deutlich sein kann; da eine
solche Sache nicht teilweise, sondern entweder ganz oder
gar nicht gekannt sein kann.ß«) Es folgt zweitens,
dass, wenn eine zusammengesetzte Sache in ihre einfachsten
Teile im Denken zerlegt wird und jeder Teil für sich be-
trachtet wird, alle Verwirrung erlöschen wird.^^) Es
folgt drittens, dass eine Einbildung nicht einfach sein
kann, sondern aus einer Verbindung mehrerer verworrener
Vorstellungen sich bildet, welche verschiedene in der
Wirklichkeit bestehenden Gegenstände und Handlungen
betreffen; oder besser gesagt, dass sie aus der Aufmerk-
samkeit auf viele Vorstellungen, ohne dass man ihnen zu-
stimmt, hervorgeht. *) Denn wäre die Einbildung einfach,
so wäre sie klar und deutlich und deshalb auch wahr.
Wäre sie aus der Verbindung deutlicher Vorstellungen
gebildet, so wäre auch diese Verbindung klar und deutlich
und folglich wahr. Wenn man z. B. die Natur des Kreises
und des rechtwinklichen Vierecks erkannt hat, so kann
man dann beide nicht mehr verbinden und keinen Kreis
*) Die Einbildung an sich ist daher von dem Traume
wenig unterschieden ; ausgenommen, dass im Traume sich
keine Ursachen bieten, welche dem Wachenden mit Hilfe
der Sinne geboten werden ; deshalb kann man bei jenen
Einbildungen abnehmen, dass sie zu dieser Zeit nicht von
äusserlichen Gegenständen ausgehen. Der Irrtum ist aber,
wie gleich sich ergeben wird, ein Träumen im Wachen
und ist er sehr offenbar, so nennt man ihn Irrsinn.
viereckig machen, noch die Seele viereckig machen ^o) und
Aehnliches. Ich ziehe sonach kurz den Schluss und zeige
dass bei der Einbildung nicht zu fürchten ist, dass sie
mit wahren Vorstellungen vermengt werde. Denn was die
erste zuerst besprochene anlangt, wo nämlich die Vor-
stellung klar ist, so haben wir da gefunden, dass, wenn
der Gegenstand, welcher klar vorgestellt wird und bei
dem auch sein Dasein an sich eine ewige Wahrheit ist,
dass da in Bezug auf einen solchen Gegenstand keine
Einbildung geschehen kann. Ist aber das Dasein des vor-
gestellten Gegenstandes keine ewige Wahrheit, so hat
man nur zu sorgen, dass das Dasein der Sache mit ihrem
Wesen verglichen und dass zugleich auf die Ordnung der
Natur geachtet werde. Was die z w e i t e Art Einbildungen
betrifft, so habe ich gesagt, dass sie ein Achtgeben auf
mehrere verworrene Vorstellungen sind, denen man aber
nicht zustimmt und die sich auf verschiedene wirklich be-
stehende Gegenstände und Handlungen beziehen. Hier
haben wir ebenfalls gesehen, dass von einem durchaus
einfachen Gegenstand keine Einbildung möglich ist,
sondern nur eine Erkenntnis ; und dass dies auch für zu-
sammengesetzte Dinge gelte; wenn man nur auf die ein-
fachen Teile, aus denen sie bestehn. Acht hat. Deshalb
kann man auch aus ihnen keine irgend welche Thätig-
keiten sich einbilden, die nicht wahr wären ; denn man würde
genötigt, zugleich zu erwägen, wie und weshalb dies ge-
schähe. 7i) ^
Nachdem wir dies erkannt haben, gehe ich zur Un-
tersuchung der falschen Vorstellung, damit wir sehen,
wo sie statt hat und wie man sich davor schützen kann,
dass man nicht in falsche Vorstellungen gerate. Beides
wird nach der Untersuchung der eingebildeten Vorstellung
nicht schwer sein. Beide uuterscheiden sich nur dadurch,
dass die falsche Vorstellung die Zustimmung voraussetzt,
d. h. (wie ich schon bemerkt habe) dass keine Gründe
bei ihr, wenn die falsche Vorstellung sich bietet, gegeben
sind, aus denen man, wie bei der eingebildeten Vorstellung,
abnehmen könnte, dass sie nicht von äusseren Gegen-
ständen komme und dass sie deshalb so ziemlich nur ein
Träumen bei offenen Augen oder im Wachen sei. ^2) Die
falsche Vorstellung bewegt sich also oder (besser gesagt)
sie bezieht sich entweder auf das Dasein eines Gegen-
4*
28
Die falsche Vorstellung über das Wesen.
Standes, dessen Wesen gekannt ist, oder auf das Wesen,
und zwar in gleicher Weise wie die eingebildete Vor-
stellung. Die nun, welche sich auf das Dasein bezieht,
wird ebenso berichtiget wie die eingebildete Vorstellung;
die aber, welche sich auf das Wesen bezieht, wird ebenso
berichtiget, wie die Einbildung ; ^3) denn wenn die Natur
des bekannten Gegenstandes das Dasein desselben not-
wendig verlangt, so können wir über das Dasein dieses
Gegenstandes unmöglich getäuscht werden; ist dagegen
das Dasein des Gegenstandes keine ewige Wahrheit, wie
sein Wesen, sondern ist die Notwendigkeit oder Unmöglich-
keit seines Daseins von äusseren Ursachen abhängig, so
hat man Alles ebenso zu nehmen, wie ich bei Gelegen-
heit der Einbildung gesagt habe ; denn die Berichtigung
geschieht auf gleiche Weise.
Die andere Art der falschen Vorstellungen anlangend,
welche sich auf das Wesen oder auch auf Thätigkeiten
beziehn, so sind solche Vorstellungen notwendig immer
verworren und aus verschiedenen verworrenen Vorstel-
lungen der wirklich daseienden Dinge gebildet; z. B. wenn
man die Menschen überredet, dass in den Wäldern, in Bildern,
in unvernünftigen Tieren u. s. w. Götter gegenwärtig
seien, oder dass es Körper gebe, aus deren blossen Ver-
bindung das Wissen entstehe, oder dass Gestorbene denken,
wandeln, sprechen, oder dass Gott hintergangen werde
u. s. w. Dagegen können klare und deutliche Vorstel-
lungen niemals falsch sein, denn solche Vorstellungen
sind entweder die einfachsten oder aus den einfachsten
gebildet, d. h. daraus abgeleitet. Dass aber eine durchaus
einfache Vorstellung nicht falsch sein kann, kann Jeder
wissen, wenn er nur weiss, was wahr oder Erkenntnis
und zugleich was falsch ist.
Denn was die Form des Wahren anlangt, so unter-
scheidet sich sicherlich die wahre Vorstellung von der
falschen nicht blos durch die äussere Benennung, sondern
hauptsächlich durch die innere.'^*) Denn wenn ein
Zimmermann sich ein Gebäude ordentlich ausgedacht hat,
so ist seine Vorstellung, wenn auch ein solches Gebäude
nie bestanden hat und niemals bestehen wird, doch eine
wahre und die Vorstellung bleibt dieselbe, mag das Ge-
bäude bestehen oder nicht. 7^) Wenn dagegen Jemand
sagt, Peter bestehe, ohne zu wissen, ob Peter bestehet
Das Sachliche der wahren Vorstellungen. 29
so ist diese Vorstellung in Bezug auf ihn falsch , oder
wenn man lieber will, nicht wahr, wenn auch Peter wirk-
lich besteht; denn diese Aussage, dass Peter besteht, ist
nur in Bezug auf Den eine wahre, welcher gewiss weiss,
dass Peter besteht. 76) Hieraus ergiebt sich, dass in
den Vorstellungen etwas Sachliches enthalten ist, durch
welches die wahren von den falschen unterschieden werden
und ich habe diesem jetzt näher nachzuforschen, 77) damit
wir das beste Richtmass für die Wahrheit erlangen (denn
ich habe gesagt, dass wir nach dem gegebenen Richtmass
der wahren Vorstellung unsere Gedanken bestimmen sollen
und dass mein Verfahren eine rückblickende Erkenntnis
sei) und die Eigentümlichkeiten des Verstandes erkennen.
Auch darf man nicht sagen , dass dieser Unterschied da-
raus hervorgehe, dass die wahre Kenntnis eine Kennt-
nis der Dinge durch ihre ersten Ursachen sei, worin sie
allerdings sich von der falschen Vorstellung sehr unter-
scheiden würde, wie ich dies oben bestimmt habe. Denn
auch diejenige Vorstellung heisst eine wahre, welche das
Wesen eines Prinzips als gewusstes in sich enthält, was
keine Ursache hat und durch sich und in sich erkannt
wird. Deshalb muss die Form 78) einer wahren Vor-
stellung in ihr selbst ohne Beziehung auf andere enthalten
sein und sie erkennt ihren Gegenstand nicht als ihre
Ursache an, sondern sie muss von der eigenen Macht und
Natur des Verstandes abhängen.
Denn wenn man den Fall setzte, dass der Verstand
irgend ein neues Wesen erkannt hätte, was nirgends be-
standen habe, also in der Weise, wie manche bei Gott
die Erkenntnis annehmen, ehe er die Welt geschaffen
hatte (wo allerdings seine Vorstellung von keinem Gegen-
stande entspringen konnte) und der Verstand leitete aus
einer solchen Vorstellung andere in ordentlicher Weise ab,
so würden alle diese Vorstellungen wahre sein, ohne dass
sie von einem äusseren Gegenstand bestimmt worden
wären ; vielmehr würden sie nur von der Macht und Natur
des Verstandes bedingt sein. Deshalb muss das, was die
Form der wahren Vorstellung bildet, in ihr selbst gesucht
werden und aus der Natur des Verstandes abgeleitet wer-
den. 79) Um diesem nun nachzugehen, wollen wir eine
wahre Vorstellung vor Augen stellen, bei der wir ganz
zuverlässig wissen , dass ihr Gegenstand nur von unserer
\
V
30
Beispiel einer wahren Vorstellung,
; :^
Kraft zu denken abhängt und nicht in Wirklichkeit be-
steht; denn in einer solchen Vorstellung werden wir, wie
aus dem Gesagten erhellt, das Gesuchte ^o) leichter auf-
spüren können. So nehme man z. B. behufs Bildung der
Vorstellung der Kugel nach Belieben eine Ursache an,
z. B. dass ein Halbkreis sich um seinen Mittelpunkt drehe
und dass aus dieser Umdrehung die Kugel gleichsam ent-
stehe. Diese Vorstellung ist gewiss wahr und wenn wir
auch wissen, dass keine Kugel in Wirklichkeit je so ent-
standen ist, so bleibt es doch eine wahre Vorstellung und
die leichteste Weise, die Vorstellung der Kugel zu bilden.
Hier ist nun zu bemerken, dass diese Vorstellung bejaht,
dass ein Halbkreis sich dreht; diese Behauptnng würde
falsch sein, wenn sie nicht mit der Vorstellung der Kugel
oder derjenigen Ursache verbunden wäre, welche eine
solche Bewegung bestimmt, oder sie würde unbedingt falsch
sein, wenn diese Bejahung für sich allein bestände; denn
dann würde die Seele nur die Bewegung des Halbkreises
zu bejahen streben, welche in dem Begriffe des Halbkreises
nicht enthalten ist und auch nicht aus dem Begriffe einer
die Bewegung bestimmenden Ursache entspringt. Deshalb
besteht hier das Falsche nur darin, dass von einem Ge-
genstande Etwas bejaht wird, was in der von ihm gebil-
deten Vorstellung nicht enthalten ist, wie die Bewegung
oder die Ruhe des Halbkreises. Daraus folgt, dass die
einfachen Vorstellungen nicht unwahr sein können, z. B.
die einfache Vorstellung des Halbkreises, der Bewegung,
der Grösse u. s. w. Was sie an Bejahung enthalten, ent-
spricht ihrem Inhalt und dehnt sich nicht weiter aus.
Deshalb kann man ohne Sorge, in Irrtum zu geraten,
beliebig einfache Vorstellungen bilden, ^i)
Ich habe daher nur noch die Kraft zu untersuchen,
mit der die Seele diese Vorstellungen bilden kann und
wie weit diese Kraft sich erstreckt. Nach Feststellung
dessen ersieht man leicht die höchste Erkenntnis, zu der
man gelangen kann; denn es ist gewiss, dass diese Kraft
nicht unendlich ist, da, wenn wir Etwas über einen
Gegenstand bejahen, was in der von ihm gebildeten Vor-
stellung nicht enthalten ist, dies einen Mangel in unserer
Vorstellung anzeigt und angiebt, dass wir gleichsam ver-
stümmelte und zerschnittene Gedanken oder Vorstellungen
haben. Denn wir haben gesehen, dass die Bewegung
Die Vorstellungen der Einbildungskraft sind abzuhalten. 31
eines Halbkreises falsch ist, wenn sie allein in der Seele
ist; aber dass sie wahr ist, wenn sie mit der Vorstellung
der Kugel verbunden wird, oder mit der Vorstellung einer
Ursache, die eine solche Bewegung veranlasst. Wenn es
also zur Natur eines denkenden Wesens selbstverständlich
gehört, wahre oder genau entsprechende Vorstellungen zu
bilden, so ist sicher, dass unzureichende Vorstellungen nur
deshalb in uns entstehen, weil wir ein Teil eines denken-
den Wesens sind, von dem nur einzelne Gedanken ganz,
andere aber nur in einzelnen ihrer Teile, unsere Seele
bilden. 82)
Noch ist aber ein Umstand zu betrachten, dessen Be-
achtung bei den Einbildungen sich nicht verlohnte, bei
dem aber hauptsächlich Täuschungen vorkommen ; nämlich
wenn einzelnes, was der Einbildungskraft sich bietet, auch
im Verstände ist, d. h. wenn es klar und deutlich erfasst
ist; denn so lange das Deutliche von dem Verworrenen
nicht unterschieden wird, wird die Gewissheit, d. h. die
wahre Vorstellung mit dem Undeutlichen vermengt. So
hatten z. B. einige Stoiker wohl den Namen der Seele und
dass sie unsterblich sei, gehört; aber sie stellten sich dies
nur verworren vor ; daneben hatten sie auch die bildliche
Vorstellung und zugleich die Erkenntnis, dass die feinsten
Körper alle übrigen durchdringen, aber selbst von keinem
durchdrungen werden. Indem sie nun dies alles zugleich
sich vorstellten, und zwar unter Begleitung der Gewiss-
heit des letztern Grundsatzes, waren sie sofort überzeugt,
dass jene feinsten Körper die Seele seien und dass sie
unteilbar seien u. s. w.
Auch davon befreit man sich jedoch, wenn man sich
bestrebt, nach dem Massstabe der gegebenen wahren Vor-
stellung alle seine Vorstellungen zu prüfen. Man muss
sich, wie ich im Beginne gesagt, vor den Vorstellungen
in acht nehmen, die man vom blossen Hören oder durch
eine unbestimmte Erfahrung erworben hat. Dazu kommt,
dass eine solche Täuschung daher rührt, dass die Gegen-
stände zu abstrakt aufgefasst werden; denn es ist selbst-
verständlich, dass ich die von ihrem wirklichen Gegen-
stande entnommene Vorstellung nicht auf einen andern
anwenden kann. Endlich entsteht die Täuschung auch
davon, dass man die ersten Elemente der Natur noch
nicht kennt; indem man deshalb ohne Ordnung vor-
32
Die Erkenntnis der Katar.
Die zweifelhafte Vorstelluno-.
33
schreitet und die Natur mit abstrakten, wenn auch
wahren Sätzen vermeng, wird man selbst verwirrt und
man verkehrt die Ordnung der Natur. Dagegen
brauchen wir, indem wir so wenig abstrakt als möglich
vorschreiten und mit den ersten Elementen, d. h. mit
der Quelle und dem Ursprünge der Natur 83) so bald als
möglich beginnen, eine solche Täuschung nicht zu be-
fürchten.
Was aber die Erkenntnis des Ursprungs der Natur
anlangt, so ist durchaus nicht zu befürchten, dass wir sie
mit abstrakten Begriffen vermengen; denn wenn Etwas
abstrakt vorgestellt wird, wie dies bei allen Universalien
geschieht, so wird es immer weiter in dem Verstände
aufgefasst, als die dazu gehörenden Einzelnen in Wirklich-
keit bestehen können, s*) Auch giebt es in der Natur
Vieles, dessen Unterschied so gering ist, dass es dem
Verstände beinah entgeht, deshalb kann (bei dessen ab-
strakter Auffassung) es leicht kommen, dass dergleichen
verwechselt wird. Dagegen kann der Ursprung der
Natur, ^^) wie sich nachher zeigen wird, weder abstrakt
noch universell aufgefasst werden, noch im Verstände
weiter ausgedehnt werden, als er wirklich ist; er hat
auch keine Aehnlichkeit mit vergänglichen Dingen, des-
halb ist für dessen Vorstellung keine Verwechslung zu
befürchten, sobald man nur das Richtmass der Wahrheit
hat (wie ich bereits dargelegt habe). Dieses Wesen ist
nämlich einzig,*) unendlich, d. h. es ist alles Sein**) und
es giebt kein Sein ausser ihm. 8^^)
So viel über die falsche Vorstellung. Es bleibt noch
die zweifelhafte Vorstellung zu untersuchen, d. h. die
Untersuchung dessen, was uns in Zweifel versetzen kann,
und zugleich, wie der Zweifel gehoben werden kann. Ich
*) Dies sind aber keine Attribute Gottes, welche
seine Wesenheit darlegen, wie ich in meiner Philosophie
zeigen werde.
**) Dies ist schon oben bewiesen worden. Denn wenn
ein solches Wesen nicht bestände, so könnte es niemals
hervorgebracht werden und folglich vermöchte dann die
Seele mehr einzusehen, als die Natur zu leisten, was sich
oben als falsch erwiesen hat.
spreche hier von dem wirklichen Zweifel in der Seele und
nicht von dem, welchem man wohl manchmal begegnet wo
jemand zwar mit Worten sagt, er zweifle, aber in seiner
Seele nicht zweifelt; denn die Berichtigung dieses Zweifels
gehört nicht zu dem hier behandelten Verfahren, sondern
zur Ermittelung des Eigensinns und dessen Besserung.
Es kann nun kein Zweifel in der Seele durch die Sache
selbst, über die man zweifelt, entstehen, d. h. wenn nur
eine einzige Vorstellung in der Seele ist, sei sie wahr
oder falsch, so ist dann weder Zweifel noch Gewissheit
möglich sondern nur eine gewisse Empfindung. Solche
Vorstellung ist nämlich an sich nur eine gewisse Empfin-
dung; und der Zweifel wird nur durch eine andere Vor-
stellung veranlasst, die nicht so klar und deutlich ist, um
aus ihr etwas Gewisses in Betrefi' des Gegenstandes, über
den man zweifelt, ableiten zu können; d. h. die Vorstellung,
die uns zweifeln macht, ist nicht klar und deutlich. Wenn
z. ß. jemand niemals über die Täuschungen der Sinne
nachgedacht hat, ob sie durch Erfahrung oder sonstwie
ertolgen, so wird er niemals darüber zweifeln, ob die
bonne grösser oder kleiner ist, als sie erscheint, und des-
halb verwundern sich hin und wieder die Bauern, wenn
sie hören, dass die Sonne viel grösser als die Erdkugel
sei; vielmehr*) entsteht der Zweifel durch das Nachdenken
über die Unzuverlässigkeit der Sinne, und wenn dann
jemand nachher die wahre Erkenntnis über die Sinne er-
langt hat und weiss, wie durch deren Organe die Gegen-
stande sich je nach der Entfernung darstellen, so wird
der Zweifel wieder gehoben. 86) Daraus folgt, dass man
wahre Vorstellungen nicht deshalb bezweifeln kann, weil
vielleicht ein betrügerischer Gott besteht, der uns selbst
in dem Gewissesten täuscht; dies wäre nur möglich, so
^nge man keine klare und deutliche Vorstellung hat.
Wenn man aber auf die Erkenntnis, welche man über
iK ^^!P^"^^ aller Dinge besitzt, achtet und mit der-
selben Erkenntnis nichts findet, was uns lehrt, dass Gott
ein Betrüger sei, mit welcher Erkenntnis man bei Be-
^chtungjder Natur des Dreiecks findet, dass seine drei
) D. h. er weiss, dass die Sinne ihn manchmal ge-
tauscht haben; aber er weiss dies nur verworren, da er
nicht weiss, wie die Sinne täuschen.
34 Wie die Zweifel zu beseitigen. Das Gedächtnis.
Winkel zweien rechten gleich sind, wenn man also eine
solche Erkenntnis von Gott wie von dem Dreieck hat, so
verschwindet dann aller Zweifel. Und auf dieselbe Weise,
auf die man zu einer solchen Erkenntnis des Dreiecks
gelangen kann, obgleich man nicht sicher weiss, ob nicht
irgend ein höchster Betrüger uns täusche, auf dieselbe
Weise kann man auch zu einer solchen Erkenntnis Gottes
gelangen, obgleich man nicht sicher weiss, dass kein
höchster Betrüger besteht; und wenn man nur diese Er-
kenntnis erlangt hat, so genügt sie, wie gesagt, um alle
Zweifel zu beseitigen , die man über klare und deutliche
Vorstellungen haben kann.s?)
Wenn man ferner in der Nachforschung richtig vor-
schreitet und das, was zuvor zu ermitteln ist, zuerst er-
mittelt, ohne die Verkettung der Dinge zu unterbrechen,
und wenn man weiss, wie die Fragen zu stellen sind,
ehe man zu deren Lösung sich rüstet, so wird manimmer
nur ganz gewisse, d. h. klare und deutliche Vorstellungen
haben. Denn der Zweifel ist nur ein Anhalten des Geistes
in Betreff einer Bejahung oder Verneinung; er würde be-
jahen oder verneinen, wenn nicht Etwas sich zeigte, ohne
dessen Kenntnis die Erkenntnis des Gegenstandes unvoll-
kommen bleiben muss. Hieraus erhellt, dass der Zweitel
immer davon kommt, dass ein Gegenstand nicht in rechter
Ordnung untersucht wird.
Dies ist es, was ich in dem ersten Teile über das
Verfahren behandeln wollte. Um indes nichts zu über-
gehen, was zur Erkenntnis des Verstandes und seiner
Kräfte beitragen kann, will ich auch einiges über das
Gedächtnis und das Vergessen sagen. Hier ist haupt-
sächlich zu beachten, dass das Gedächtnis mit Hülfe des
Verstandes gestärkt, aber auch ohne dessen Hülfe ge-
stärkt werden kann. Denn den ersten Fall anlangend, so
wird eine Sache um so leichter behalten, je mehr sie er-
kennbar ist, und umgekehrt wird sie um so leichter ver-
gessen, je weniger sie es ist. Wenn ich z. B. jemand eine
Anzahl loser Worte sage, so wird er sie viel schwerer
behalten , als wenn ich ihm diese Worte in Form einer
Erzählung sage. — Ohne Hülfe des Verstandes wird das
Gedächtnis gestärkt, wenn die Einbildungskraft oder der
sogenannte Gemeinsinn von einem einzelnen körperlicheu
Gegenstande stark erregt wird. Ich sage „einen einzelnen ,
Was das Gedächtnis ist.
35
denn die Einbildungskraft wird nur von einzelnen Dingen
erregt. Wenn z.B. jemand nur eine Liebesgeschichte
gelesen hat, so wird er sie sehr gut behalten, so lange
er keine andere weiter gelesen haben wird; denn sie be-
steht dann in der Einbildungskraft allein; hat er aber
mehrere der Art gelesen, so stellt man sich alle vor und
vermengt sie leicht. Ich sage auch „ein körperlicher
Gegenstand", denn die Einbildungskraft wird nur von
körperlichen Dingen erregt. 88) Wenn sonach das Gedacht-
ms von dem Verstände und auch ohne ihn gestärkt wird
so folgt, dass das Gedächtnis etwas von dem Verstände
Verschiedenes sein muss und dass es bei dem Verstände,
'J'^^ betrachtet, weder Gedächtnis noch Vergessen
giebt.89) Was ist aber dann das Gedächtnis? Nur die
Empfindung von Gehirneindrücken zugleich mit dem Denken
an die bestimmte Dauer*) der Empfindung; dies zeigt
auch die Erinnerung. Denn dabei denkt die Seele an
jene Empfindung aber ohne die ununterbrochene Dauer,
und deshalb ist die Vorstellung dieser Empfindung nicht
die Dauer dieser Empfindung selbst, d. h. nicht das Ge-
dächtnis selbst. 90)
Ob aber die Vorstellungen selbst einer Verderbnis
fähig seien, werde ich in der Philosophie untersuchen,
bellte dies jemand sehr verkehrt scheinen, so genügt für
meinen Zweck, dass er bedenke, wie eine Sache um so
leichter behalten wird, je vereinzelter sie ist, wie aus
dem eben angeführten Beispiel mit der Komödie er-
hellt. 9i) Ferner wird ein Gegenstand um so leichter be-
dächt*niq\^^?^®° ^i? ^^"^"^ unbestimmt, so ist das Ge-
auch dl tJ f^^«en Gegenstand mangelhaft, was jedem
veSt l'^'T/°P^^? °»ehr vertrauen zu können,
verlangt man oft die Angabe der Zeit und des Ortes, wo
Etwas geschehen sei. Allerdings haben auch die Vor-
ZäT^ w solche in der Seele ihre Dauer, allein wir
Massf?i h °> ^'^ ^^"^^ "^^ ^^^^^ ^^'^«^ Bewegung als
Wf 1 ^f^'FV^^^y was auch mit Hülfe der Einbildungs-
blpihnn^ ^''^'??*' "°^ ^^«^^^^ beobachtet man kein Ver-
angehörtr" Vorstellungen, welches dem reinen Verstände
36
Die wahre Vorstellung.
halten, je erkennbarer er ist; deshalb muss ein höchst
einzelner und nur durch den Verstand erkennbarer
Gegenstand gar nicht aus dem Gedächtnis verloren gehen
können. 92)
Somit habe ich den Unterschied zwischen der wahren
Vorstellung und den übrigen gezogen und gezeigt, dass
die eingebildeten, falschen und anderen Vorstellungen ihren
Ursprung in der Einbildungskraft haben, d. h. in gewissen
zufälligen (so zu sagen) und losen Empfindungen, die nicht
aus der Macht der Seele entstehen, sondern aus äusseren
Ursachen , sowie der Körper sowohl im Schlafe wie im
Wachen mancherlei Bewegungen empfängt. Man kann
hier, wenn es beliebt, unter Einbildungskraft sich alles
Beliebige denken, wenn es nur von dem Verstände ver-
schieden ist und die Seele dabei in dem Verhältnis eines
Leidenden sich befindet; denn es ist hier gleich, was man
wählt, nachdem wir erkannt haben, dass die Einbildungs-
kraft etwas Unbestimmtes ist, wobei die Seele etwas er-
leidet, und nachdem wir auch erkannt haben, wie der Ver-
stand sich davon befreien kann. Deshalb darf es niemand
wundern, dass ich hier noch keinen Beweis dafür führe,
dass es Körper und anderes Notwendige gebe und doch
von der Einbildungskraft, von dem Körper und dessen
Beschaffenheit spreche. Denn es ist, wie gesagt, gleich,
was ich dafür nehme, nachdem ich erkannt habe, dass es
etwas Unbestimmtes ist u. s. w.^Sj
Dagegen ist die wahre Vorstellung, wie ich gezeigt,
einfach oder aus einfachen gebildet und sie zeigt, wie und
weshalb Etwas ist oder geschehen ist und dass ihre Wir-
kungen als gewusste in der Seele nach Verhältnis der
Wirklichkeit des Gegenstandes selbst vor sich gehen. Dies
ist dasselbe, was die Alten sagten, nämlich dass die wahre
Wissenschaft von der Ursache zur Wirkung fortschreite;
nur haben sie, so viel ich weiss, nirgends, wie ich hier
dargelegt, dass die Seele nach festen Gesetzen handelt,
gleichsam wie ein geistiger Automat. Dadurch haben wir,
so weit es im Beginne möglich ist, die Erkenntnis unseres
Verstandes erlangt und zugleich ein solches Richtmass
für die wahre Vorstellung, dass wir nicht mehr die Ver-
mengung der wahren mit falschen und eingebildeten Vor-
stellungen zu fürchten brauchen. Auch ist es nunmehr
nicht mehr auffallend, dass man manches einsieht, was in
Auch die Worte führen zu Irrtümern. 37
keiner Weise unter die Einbildungskraft fällt und dass
in dieser manches ist, was mit dem Verstand im Gegen-
satze steht, und manches, was mit ihm tibereinstimmt
?.^°?,.^um:,^^^®'^ erkannt, dass jene Vorgänge, aus denen
die Lmbildungeu entstehen, nach Gesetzen geschehen die
von denen des Verstandes ganz verschieden sind 'und
dass die Seele bei der Einbildungskraft sich nur in dem
Verhältnis eines Leidenden befindet. Daraus ergiebt sich
auch, wie leicht diejenigen in grosse Irrtümer geraten
können, welche zwischen Einbildungskraft und Verstand
nicht genau unterscheiden. Dahin gehört z. B., dass die
Ausdehnung in einem Orte sein müsse; dass sie begrenzt
sein müsse; dass ihre Teile sich wirklich von einander
unterscheiden; dass sie die einzige und erste Grundlage
aller Dinge sei und zu einer Zeit mehr Raum einnehme
als zu einer andern, und vieles Aehnliche, was alles gegen
die Wahrheit streitet, wie ich an seinem Orte zeigen
werde. 9*)
uM^ ^*/®u°^^ ^^^ ^^^*® ^^°^" ^^'^ ^er Einbildungskraft
bilden, d. h. da wir, je nachdem sie sich ohne Regel nach
einem gewissen Zustande des Körpers in dem Gedächtnis
verbinden, viele Vorstellungen bilden, so können auch
unzweifelhaft die Worte ebenso wie die Einbildungen die
Ursache vieler und grosser Irrtümer werden, wenn man
sich nicht mehr in acht nimmt. Dazu kommt, dass die
Worte willkürlich und nach dem Fassungsvermögen der
Menge gebildet sind; sie sind deshalb die Zeichen der
Dinge nur so, wie diese in der Einbildung sind, und nicht
wie sie in dem Verstände sind. Dies erhellt daraus deut-
lich, dass man Dingen, die nur dem Verstände und nicht
der Einbildung angehören, oft verneinende Namen gegeben
hat, wie: unkörperlich, unendlich u. s. w. und ebenso
Vieles, was wahrhaft bejahend ist, nur verneinend aus-
drückt und umgekehrt, z. B. ungeschaffen, unabhängig,
unendhch, unsterblich u. s. w. Die Gegenteile davon
werden nämlich viel leichter vorgestellt; deshalb sind sie
den ersten Menschen zunächst aufgestossen und haben die
öejahenden Worte in Besitz genommen. So bejahen und
▼erneinen wir vieles, weil die Natur der Worte, aber nicht
die Natur der Dinge dies gestattet, und wenn man dies
nicht weiss, kann man leicht etwas Falsches für wahr
halten, ^s)
38
Zweiter Teil. Die deduktive Methode.
Es handelt sich hier um eine gute Definition.
39
Sl:
1^
Man hat ferner eine andere grosse Ursache der Ver-
wirrung zu vermeiden , wegen welcher der Verstand we-
niger auf sich reflektiert; sie besteht darin, dass man,
indem man zwischen Einbildungskraft und Verständnis
nicht unterscheidet, meint, was wir uns leichter einbilden
sei auch klarer und dass man das , was man sich ein-
bildet, auch zu erkennen glaubt. Dadurch stellt man das
voraus, was zurückzustellen ist, die rechte Ordnung
des Fortschritts wird verkehrt und nichts wird richtig
^^^^ Um* nun zu dem zweiten Teile dieses Verfah-
rens zu gelangen, werde ich zuerst mein Ziel bei diesem
Verfahren angeben und dann die Mittel, es zu erreichen.*)
Mein Ziel ist also der Besitz von klaren und deutlichen
Vorstellungen , d. h. von solchen , die rein aus der beele
und nicht aus zufälligen Bewegungen des Körpers gebildet
sind. Ferner, alle Vorstellungen auf eine zurückzuführen
und deshalb zu versuchen, sie so zu verketten und zu
ordnen, dass unsere Seele, so weit es möghch ist, im
Wissen das Sein der Natur als Ganzes und nach deren
Teilen wiederspiegelt, ^ß) . . i ,
Was das Erste anlangt, so gehört, wie ich schon
dargelegt habe, zu unserem letzten Zweck, dass die Dinge
entweder durch ihr Wesen allein oder durch ihre nächste
Ursache erfasst werden. Wenn nämlich die Sache an sich
ist, oder wie man gewöhnlich sagt, die Ursache ihrer ist,
so wird sie dann durch ihr Wesen allein eingesehen wer-
den müssen; ist die Sache aber nicht an sich, sondern
bedarf sie zu ihrem Dasein einer Ursache , so muss sie
durch ihre nächste Ursache eingesehen werden; denn die
Erkenntnis der Wirkung ist in Wahrheit nur der Erwerb
einer vollkommenem Erkenntnis der Ursache. **)»'') Des-
*) Die Hauptregel dieses Teiles ist, wie aus dem
ersten Teile sich ergiebt, alle Vorstellungen zu prüfen,
die wir, als zu dem reinen Verstände gehörig, m uns an-
trefi'en, und sie von den Vorstellungen der Einbildungskraft
zu unterscheiden, was aus den Eigentümlichkeiten einer
jeden, nämlich der Einbildungskraft und des Verstandes,
abzunehmen ist.
**) Hieraus erhellt;, dass wir von der Natur nichts
halb ist es uns niemals gestattet, so lange es sich um die
Untersuchung der Erkenntnis der Dinge handelt, aus ab-
strakten Vorstellungen Etwas zu folgern, und man hat
sich sehr vorzusehen und das, was nur in dem Verstände
ist, 98) nicht mit dem, was in den Dingen ist, zu ver-
mengen. Die beste Folgerung ist die, welche von einer
besondern bejahenden Wesenheit oder von einer wahren
und richtigen Definition abgeleitet wird. Denn von den
allgemeinen Grundsätzen allein kann der Verstand nicht
zu dem Einzelnen herab gelangen ; denn jene Grundsätze
erstrecken sich über unendlich Vieles und bestimmen den
Verstand zur Betrachtung des einen Einzelnen nicht mehr
als des andern. Deshalb ist der rechte Weg der Auffin-
dung der, dass man die Gedanken aus einer gegebenen
Definition bildet. Dies geht um so besser und leichter.
je besser man die Sache definiert hat. Deshalb dreht sich
die Angel dieses ganzen zweiten Teiles des Verfahrens
nur um die Erkenntnis der Bedingungen einer guten
Definition und um die Art und Weise, sie zu gewinnen.
Hiernach werde ich zunächst von den Bedingungen der
Definition handeln. 99) ^ ^
Wenn die Definition vollkommen sein soll, so muss
sie das innerste Wesen der Sache darlegen und sich hüten,
statt dessen eine Eigentümlichkeit zu nehmen. Zur Er-
läuterung dessen will ich mit Uebergehung gewisser Bei-
spiele, damit es nicht scheine, als wollte ich Anderer
ioni aufdecken, nur das Beispiel einer abstrakten
öache anführen, bei der es einerlei ist, wie man sie
üeüniert, nämlich den Kreis. Lautet die Definition desselben
üaliin dass er die Gestalt ist, deren Linien von dem
Mittelpunkte nach dem Umringe gleich sind, so sieht
jedermann , dass diese Definition das Wesen des Kreises
Keinesweges ausdrückt, sondern nur eine Eigentümlich-
keit desselben. Und wenn dies auch, wie gesagt, bei den
^iguren und den übrigen Gedanken-Din|en wenig aus-
HM? ' n? ™^^^* ®^ ^^^^ ^®^ ^®^ natürlichen und wirk-
S '¥^'' '^^} ^"s; die Eigentümlichkeiten einer
öache werden nämUch nicht erkannt, so lange ihr Wesen
er£n ^?? können, ohne zugleich unsere Erkenntnis der
ersten Ursache oder Gottes zu erweitern.
VI
40 Bedingungen einer guten Definition.
nicht erkannt ist; schickt man also jene voraus, so ver-
kehrt man unvermeidlich die Verkettung im Verstände,
welche der Verkettung in den Dingen entsprechen soll,
und kommt von seinem Ziele gänzlich ab. >'» Um also
diesen Fehler zu vermeiden, ist bei der Definition Polgen-
dpa zu beobachten : , „ r. i.
I Handelt es sich um eine erscha«fene Sache, so
muss wie gesagt, die Definition ihre nächste Ursache ent-
halten ofr Kreis ist z. B. nach dieser Regel so zu de-
fineren- Er ist eine Figur, welche von einer beliebigen
LWe beschrieben wird, deren eines Ende fest und to
andere beweglich ist. Diese Definition umfasst deutlich
die "^«hste^^^sach.-)^ ^.^ ^^^^.^.^^ ^.^^^
eine solche sein, dass alle Eigentümlichkeiten derselben,
wenn sie an siJh und ohne Verbindung mit andern be-
Traohtet wird, aus ihr gefolgert werden können, wie dies
an dieser Definition des Kreises zu sehen ist. Denn man
kann daraus deutlich folgern, ^as^ .»»e Linien von dem
Mittelpunkte nach dem Umkreise gleich ««a. i»^) Dass
dies ein notwendiges Erfordernis der Definition se , ist
bei einiger Aufmerksamkeit so offenbar, dass es nicht der
Mühe virlohnt. bei dessen Beweis sich aufzuhalten, noch
zu zeigen, dass wegen dieses zweiten Erfordernisses jede
Definition bejahend sein muss. Ich meme dabei die Be-
jahungTm Denken, ohne die Bejahung in Worten zu be-
achten ; '«') denn bei der Armut der Sprache kann der
Gedanke vielleicht verneinend ausgedrückt werden müssen,
"'^'tVgen tnd'Äfordernisse der Definition einer
„nerschaffenen Sache: ^^^^^^uesst, d. h. dass die
Sache keiner anVern neben ihrem Sein zu ihrer Erklärung
*"^"i: Dass, wenn die Definition gegeben ist, kein Platz
für die Praee bleibt, ob die Sache ist.«**) . . „ ,
'"' III. Da?s sie ii bezng auf die Seele keine Haup-
wörter hat, welche in Eigenschaftswörter verwandelt wer-
den können , d. h. dass sie durch kerne abstrakten Vor-
^'^nrEuÄÄSS (obgleich dies zu er^h^
nen nicht sehr notwendig ist), dass aus der Definition
Die Ordnung der Vorstellungen,
41
derselben alle ihre Eigentümlichkeiten gefolgert werden
können. ^^)
Für den Aufmerksamen werden auch diese Bestim-
mungen alle selbstverständlich sein.
Ich habe auch gesagt, dass die beste Folgerung von
einer besondern bejahenden Wesenheit entnommen wer-
den muss; denn je mehr die Vorstellung in das Einzelne
geht, desto bestimmter und folglich desto deutlicher ist
sie. Deshalb ist die Erkenntnis der Besonderheiten vor-
züglich zu erstreben.
In bezug auf die Ordnung und dass alle unsere Vor-
stellungen geordnet und geeint seien, ist erforderlich und
von der Vernunft geboten, dass wir so schnell als mög-
lich erforschen, ob es ein Wesen giebt und wie es be-
schaffen ist, was die Ursache aller Dinge ist, und dessen
wissende Wesenheit auch die Ursache aller unserer Vor-
stellungen ist, so dass unsere Seele, wie gesagt, die Natur
möglichst wiedergiebt; denn dann wird sie deren Wesen-
heit und Ordnung und Einheit als gewusste in sich
haben, ^o^) Daraus erhellt, dass wir vor allem alle unsere
Vorstellungen immer von den natürlichen Gegenständen
oder von den wirklichen Wesen ableiten und dabei so viel
als möglich nach der Reihe der Ursachen von einem wirk-
lichen Wesen zu dem andern fortschreiten, ohne auf die
abstrakten und universellen Vorstellungen tiberzugehen und
ohne weder etwas Wirkliches aus diesen zu folgern noch
sie aus einem Wirklichen zu folgern; denn beides unter-
bricht den wahren Fortschritt des Verstandes, ^o^)
Indes verstehe ich hier unter der Reihe der Ursachen
und wirklichen Wesen nicht die Reihe der einzelnen ver-
gänglichen Dinge, sondern nur die Reihe der festen und
ewigen Dinge. Denn die Reihe der einzelnen veränder-
lichen Dinge kann von der menschlichen Schwachheit
nicht vollständig erfasst werden; teils wegen ihrer jede
Zahl übersteigenden Menge, teils wegen der unzähligen
in ein und derselben Sache zusammentreffenden Umstände,
deren jeder die Ursache für das Dasein oder Nicht-Dasein
der Sache sein kann; da das Dasein der Sache keine Ver-
knüpfung mit ihrer Wesenheit hat oder, wie gesagt, keine
ewige Wahrheit ist. io9) Ueberdem ist es auch nicht nötig,
deren Reihe zu kennen, da die Wesenheit der einzelnen
veränderlichen Dinge nicht aus deren Reihenfolge oder
Spinoza* 8 Abb. üb. Verbesa«r. d. Veritand«B. 5
tfc
42
Die Erkenntnis der einzelnen Dinge.
Die Kräfte des Verstandes.
43
Ordnung im Dasein entnommen werden kann ; denn diese
bietet uns nur äusserliche Benennungen, Beziehungen und
höchstens Nebenumstände , welche alle von der innern
Wesenheit der Sache weit abliegen. "O) Es ist also nur
ihre Wesenheit von den unveränderlichen und ewigen
Dingen zu entnehmen und zugleich von den darin, wie
in ihren wahren Gesetzbüchern, eingeschriebenen Gesetzen,
nach denen alles Einzelne geschieht und sich ordnet. Ja,
jene veränderlichen einzelnen Dinge hängen so innig und
wesentlich (so zu sagen) von jenen unveränderlichen ab,
dass sie ohne letztere weder sein, noch begriflfen werden
können. Deshalb werden jene unveränderlichen und
ewigen Dinge, trotz ihrer Einzelheit, vermöge ihrer All-
gegenwart und weitesten Macht für uns gleichsam die
Allgemeinheiten oder die Gattungen der Definitionen der
einzelnen veränderlichen Dinge und die nächsten Ursachen
aller Dinge sein."i) , . . ^ ^^ u
Wenn dies sich so verhält, so scheint der Birwerb
der Erkenntnis dieser einzelnen Dinge mit grossen
Schwierigkeiten verknüpft; denn die gleichzeitige Vor-
stellung ihrer Aller übersteigt weit die Kräfte des mensch-
lichen Verstandes und die Ordnung, nach der eines aus
dem andern zu erkennen ist, kann, wie gesagt, nicht aus
der Reihenfolge ihres Daseins und auch nicht aus den
ewigen Dingen abgeleitet werden, da sie alle dort von
Natur zugleich sind. Deshalb müssen hier andere Hülfa-
mittel neben jenen gesucht werden, deren man sich zur
Erkenntnis der ewigen Dinge und deren Gesetze bedient.
Doch gehört die Erörterung derselben nicht hierher und
es bedarf deren auch nicht, bevor man nicht eine ge-
nügende Erkenntnis der ewigen Dinge und ihrer untrüg-
lichen Gesetze erlangt hat, und die Natur unserer Sinne
uns bekannt geworden ist.^^^)
Bevor wir uns zur Erkenntnis der einzelnen Dinge
rüsten, wird es Zeit sein, die Hülfsmittel darzulegen, welche
alle darauf hinzielen, dass wir verstehen, unsere Sinne zu
gebrauchen und Versuche nach festen Regeln ordentlich
anzustellen, so weit sie zur Bestimmung des untersuchten
Gegenstandes erforderlich sind, damit wir daraus zuletzt
folgern, nach welchen ewigen Gesetzen der Natur sie ge-
bildet sind und ihre innerste Natur von uns erkannt werde,
wie ich an seinem Orte darlegen werde. Hier bestrebe
ich mich, um zu meiner Aufgabe zurückzukehren, nur
das zu lehren, was notwendig ist, um zur Erkenntnis der
ewigen Dinge zu gelangen und ihre Definitionen nach den
oben angegebenen Bedingungen zu bilden.
Ich erinnere zu dem Behufe an das oben Gesagte,
nämlich dass, wenn die Seele auf einen Gedanken acht
hat, sie ihn erwäge und aus ihm in richtiger Ordnung
das ableite, was regelmässig daraus abgeleitet werden
kann, und dass sie, wenn er falsch ist, diese Falschheit auf-
decke ; ist der Gedanke aber wahr, dann soll sie nur ge-
trost ohne alle Unterbrechung fortfahren, die wahren Dinge
daraus abzuleiten; dies, sage ich, gehört zu unserer Auf-
gabe. Denn wo keine Grundlage ist, da können unsere
Gedanken nicht bestimmt werden; wollen wir also den
ersten Gegenstand von allem erforschen, so muss eine
Grundlage gegeben sein , welche unsere Gedanken dahin
leitet. Da mein Verfahren aber die zurückschauende Er-
kenntnis selbst ist, so kann die Grundlage, welche unsere
Gedanken zu leiten hat, nur die Erkenntnis dessen sein,
was die Form der Wahrheit ^^^^ ausmacht, desgleichen die
Erkenntnis des Verstandes, seiner Eigenschaften und
Kräfte. Haben wir diese Erkenntnis erworben, so haben
wir die Grundlage, von wo wir unsere Gedanken fortleiten,
und den Weg erlangt, auf dem der Verstand nach seinen
Fähigkeiten zur Erkenntnis der ewigen Dinge, mit Rück-
sicht nämlich auf seine Kräfte, gelangen kann, ^i*)
Da es nun, wie im ersten Teil gezeigt worden, zur
Natur des Denkens gehört, wahre Vorstellungen zu bilden,
so habe ich hier zu ermitteln, was unter den Kräften und
der Macht des Verstandes zu verstehen ist. Da ein wich-
tiger Teil meines Verfahrens darin besteht, die Kräfte
und die Natur des Verstandes möglichst zu erkennen, so
muss ich dies (nach dem, was ich in dem zweiten Teile
gesagt habe) aus der Definition des Denkens und des Ver-
standes selbst ableiten. Allein bis jetzt haben wir keine
Regeln zur Auffindung der Definitionen gehabt und ebenso
wenig kann ich sie lehren ohne Erkenntnis der Natur
oder ohne Definition des Verstandes und seiner Macht
Hieraus folgt, dass die Definition des Verstandes entweder
durch sich selbst klar sein muss, oder dass wir überhaupt
nichts erkennen können. Jene Definition ist nun an sich
nicht unbedingt klar; allein da die Eigenschaften des Ver-
6*
i
', !
<■!
U
Die Eigenschaften des Verstandes.
Die Eigenschaften des Verstandes.
45
Standes, wie alles, was man durch den Verstand hat, nur
nach Erkenntnis ihrer Natur klar und deutlich aufgefasst
werden können, so wird die Definition des Verstandes sich
von selbst ergeben, wenn man auf seine klar und deutlich
erkannten Eigenschaften acht hat. Ich werde deshalb die
Eigenschaften des Verstandes aufzählen, sie erwägen und
von den uns eingeborenen*) Werkzeugen zu handeln be-
ginnen. 1^^)
Die Eigenschaften des Verstandes, die ich besonders
bemerkt habe und klar einsehe, sind:
1) Dass er die Gewissheit einschliesst, d. h. er weiss,
dass die Sache sich in Wirklichkeit so verhält, wie sie
als gewusst in ihm enthalten ist.^^^)
2) Dass er mancherlei auffasst, sei es, dass er gewisse
Vorstellungen selbständig bildet, oder dass er sie aus
anderen bildet. So bildet er die Vorstellung der Grösse
selbständig, ohne dabei auf andere Vorstellungen zu
achten; dagegen können die Vorstellungen der Bewegung
nur in Hinblick auf die Vorstellung der Grösse gebildet
werden. 11')
3) Die Vorstellungen, welche er ohne andere bildet,
drücken die Unendlichkeit aus; dagegen bildet er die
endlichen Vorstellungen aus anderen. Wenn der Verstand
nämlich die Vorstellung der Grösse durch eine Ursache
erhält, so bestimmt er die Grösse so, wie er sie auf-
fasst, wenn er sich vorstellt, dass aus der Bewegung einer
Ebene ein Körper, aus der Bewegung einer Linie eine
Ebene und aus der Bewegung eines Punktes eine Linie
entsteht, welche Vorstellungen sämtlich nicht zur Er-
kenntnis, sondern nur zur Bestimmung der Grösse
dienen. Dies erhellt daraus, dass man sie als aus einer
Bewegung entstehend vorstellt, obgleich doch die Vor-
stellung der Bewegung nur gefasst werden kann, wenn
die Vorstellung der Grösse zuvor erfasst ist; ebenso kann
man die Bewegung, welche zur Bildung einer Linie dient,
ohne Ende fortsetzen, was man nicht könnte, wenn man
nicht schon vorher die Vorstellung einer unendlichen Grösse
hätte. 118)
4) Der Verstand bildet die bejahenden Vorstellungen
früher als die verneinenden, i^^)
*) Man sehe oben Seite 12.
5) Er fasst die Dinge nicht sowohl nach der Dauer
auf, als unter einer gewissen Form der Ewigkeit und nach
einer unendlichen Zahl auf; oder vielmehr, er achtet zur
Erfassung der Dinge nicht auf ihre Zahl und ihre Dauer ;
wenn er aber die Dinge sich in der Einbildungskraft vor>
stellt, so fasst er sie nach einer bestimmten Zahl und einer
bestimmten Dauer und Grösse auf.^^o)
6) Die Vorstellungen, welche man als klare und
deutliche bildet, scheinen so aus der Notwendigkeit
unserer Natur zu folgen, dass sie ganz von unserer Macht
abzuhängen scheinen ; bei den verworrenen Vorstellungen
findet das Gegenteil statt, denn sie bilden sich oft gegen
unseren Willen. 121)
7) Die Vorstellung von Dingen, welche der Verstand
aus anderen bildet, kann die Seele auf mannigfache Weise
bestimmen; um z. B. die Ebene einer Ellipse zu be-
stimmen^ stellt sie sich vor, dass ein Stift innerhalb eines
Fadens sich um zwei Mittelpunkte bewege, oder sie stellt
sich unendlich viele Punkte vor, welche alle dasselbe
Verhältnis zu einer gegebenen geraden Linie einhalten,
oder sie stellt sich einen schief durchschnittenen Kegel
so vor, dass der Winkel der Neigung grösser ist, als der
Winkel an der Spitze des Kegels, oder auf noch unzäh-
lige andere Weise. 122)
8) Die Vorstellungen sind um so vollkommener, je
mehr Vollkommenheit ihres Gegenstandes sie ausdrücken.
Wir bewundern den Baumeister, der eine Kapelle aus-
gedacht hat nicht so, wie den, welcher einen bedeutenden
Tempel ausgedacht hat^^s)
Bei dem Uebrigen, was sich auf das Denken bezieht,
wie Liebe, Fröhlichkeit u. s. w. halte ich mich nicht auf,
denn für meine jetzige Aufgabe helfen diese nichts, auch
können sie ohne Erkenntnis des Verstandes nicht ver-
standen werden, denn mit Aufhebung des Vorstellens wird
auch dies Alles mit aufgehoben. 124)
Bei den falschen und eingebildeten Vorstellungen ist
es nicht ihr bejahender Inhalt (wie ich genügend gezeigt
habe), weshalb sie falsch oder eingebildet genannt werden,
sondern sie gelten nur aus einem blossen Mangel des
Denkens als solche. Deshalb können die falschen und
eingebildeten Vorstellungen als solche uns über das Wesen
des Denkens nicht belehren, vielmehr muss dies aus den
46 Die Eigenschaften des Verstandes.
eben aufgezählten bejahenden Eigenschaften abgenommen
werden, d. h. man muss etwas Gemeinsames aufstellen,
aus dem diese Eigenschaften notwendig folgen, oder mit
dessen Setzung auch diese notwendig gesetzt werden
und mit dessen Aufhebung auch dies Alles aufgehoben
wird. 125)
(Das üebrige fehlt) ^26)
Benedict von Spinoza's
Politische Abhandlung
in welcher
dargelegt wird, wie die Verfassung sowohl bei einem
monarchischen wie bei einem aristokratischen Eegiment
beschaffen sein müsse, damit sie nicht in Tyrannei
ausarte, sondern der Friede und die Freiheit der Bürger
unverletzt erhalten bleibe.
49
1 Brief te Massers an m Frert,
welcher
dieser politischen Abhandlung als Vorrede passend
vorausgehen und sie vertreten kann.
\i
Werter Freund! Dein lieber Brief ist mir gestern
überbracht worden. Ich danke Dir herzlich für die Teil-
nahme, die Du an mir nimmst. Ich Hesse diese Gelegen-
heit u. s. w. nicht vorbeigehen, wäre ich nicht bei einer
Arbeit, die ich für nützlicher halte und die, wie ich glaube.
Dir mehr gefallen wird ; nämlich bei der Ausarbeitunff
einer politischen Abhandlung, die ich auf Deine Veran-
lassung vor einiger Zeit begonnen habe. Sechs Kapitel
A * I,. I .^*^°° ®^^^^ ^®^'g- ^as erste enthält eine
Art iLmleitung zu dem ganzen Werke; das zweite han-
delt vom Naturrecht; das dritte vom Recht der höchsten
Staatsgewalt; das vierte von den politischen Geschäften,
welche zum Regimente dieser höchsten Staatsgewalt ge-
hören; das fünfte von dem letzten und höchsten Ziele
aer bürgerlichen Gesellschaft und das sechste von der
i!.mrichtung des monarchischen Regiments, damit es nicht
in lyrannei ausarte. Jetzt bin ich bei dem siebenten
^apitel, in welchem ich alle Stücke des vorgehenden
^apitels, welche die Verfassung einer gut eingerichteten
Monarchie betreffen, der Reihe nach darlege. Dann werde
ich zur aristokratischen und demokratischen Regierungs-
lorm und zuletzt zu den Gesetzen und zu einigen anderen,
50
auf den Staat bezüglichen Fragen übergehen. Damit ge-
hab Dich wohl; u. s. w. .,.,,, ,r e i
Hieraus kann man die Absicht des Verfassera ent-
nehmen: indes hat Krankheit und der Tod ihn gehindert,
das Werk weiter, als bis zum Schluss der Aristokratie
zu bringen, wie der Leser selbst finden wird, i)
61
Benedict von Spinoza's
Politische Abhandlung/^
Erstes Kapitel.
§ 1. Die Gemütsbewegungen, von denen wir er-
faast werden, betrachten die Philosophen als Fehler, in
welche die Menschen durch ihre Schuld geraten; sie
pflegen sie deshalb zu belachen, oder zu beweinen, oder
zu tadeln, oder (wenn sie sich den Schein der Heiligkeit
geben wollen) zu Terfluchen. So meinen sie ein göttliches
Werk zu verrichten und den Gipfel der Weisheit dadurch
zu erreichen, dass sie eine menschliche Natur, die nirgends
besteht, auf alle Weise loben und die wirklich vorhandene
zu beschimpfen verstehen.
Denn sie nehmen die Menschen nicht, wie sie sind,
sondern wie sie nach ihnen sein sollten; daher kommt
es denn, dass sie statt einer Ethik eine Satyre geschrieben
haben und dass sie niemals eine Staatsverfassung erdacht
haben, von der man hätte Gebrauch machen können,
sondern nur eine, die man für eine Chimäre 3) halten
musste, und die nur in Utopien oder in jenem goldenen
Zeitalter der Dichter, wo sie am wenigsten nötig wäre,
eiDgeführt werden könnte. Da so von allen praktischen
Wissenschaften die Lehre vom Staat am meisten von der
Wirkhchkeit abweicht, so gelten auch die Theoretiker oder
rhilosophen als Die, welche am wenigsten zur Leitung des
Staats geschickt sind. *) -
§ 2. Umgekehrt gelten die praktischen Staatsmänner
lor solche, welche den Menschen mehr nachstellen als für
52
Politische Abh. Kap. 1. §. 3. 4.
]^i
Ifis
deren Wohl sorgen; man hält diese Männer mehr für listig,
als für weise ; die Erfahrung hat sie nämlich belehrt, dass
es Laster geben werde, so lange es Menschen geben
wird. Indem sie sich bestreben, der Bosheit der Menschen
zuvorzukommen und zwar vermittels der Künste, welche
die Erfahrung durch lange üebung gelehrt hat und welche
man mehr aus Furcht als in Leitung der Vernunft anzu-
wenden pflegt, so erscheinen sie als Gegner der Religion,
namentlich in der Meinung der Theologen, welche glauben,
dass die oberste Staatsgewalt die öffentlichen Angelegen-
heiten nach denselben Regeln der Frömmigkeit betreiben
müsse, an die der Einzelne gebunden ist. Unzweifelhaft
haben jedoch die Staatsmänner über Politik besser als
die Philosophen geschrieben; denn sie hatten die Erfah-
rung zur Lehrmeisterin und lehrten deshalb nichts Un-
ausführbares.
§ 3. Ich bin nämlich überzeugt, dass man durch
die Erfahrung alle die Staatsformen kennen gelernt hat,
welche zum einträchtigen Beisammenleben der Menschen
ausgedacht werden können. &) Dasselbe gilt für die Mittel,
durch welche die Menge geleitet oder innerhalb gewisser
Schranken gehalten werden muss, und ich glaube daher
nicht, dass man irgend otwas Ausführbares und der Er-
fahrung Entsprechendes in diesem Gebiete erdenken kann,
was nicht bereits versucht und bekannt geworden ist.
Denn die Menschen sind so beschaffen, dass sie ausser-
halb allen gemeinen Rechtes nicht leben können; dieses
gemeine Recht und die öffentlichen Angelegenheiten sind
aber bereits von den scharfsinnigsten, bald schlauen, bald
einsichtigen Männern eingerichtet und behandelt worden,
und es ist deshalb kaum glaublich, dass man noch etwas
für die bürgerliche Gesellschaft Nützliches erfinden könne,
was nicht bereits die Gelegenheit oder der Zufall geboten
hat, und was die Menschen bei Betreibung der gemein-
samen Geschäfte und in Fürsorge für ihre Sicherheit nicht
schon bemerkt haben. ^)
§ 4. Als ich daher mein Denken der Politik zu-
wendete, wollte ich keineswegs etwas ganz Neues und
Unerhörtes, sondern nur das mit der Wirklichkeit am
besten Uebereinstimmende auf eine sichere und unzweifel-
hafte Weise darlegen oder aus den Bedingungen der
menschlichen Natur ableiten. Um das, was dieser Wissen-
Die Begierden zur Natur d. Menschen. 53
Schaft angehört, mit derselben Unbefangenheit, wie es
bei der Mathematik geschieht, zu untersuchen, habe ich
mich sorgfaltig gehütet, die Handlungen der Manschen zu
belachen oder zu beklagen oder zu verwünschen, sondern
nur gestrebt, sie zu verstehen. Ich habe deshalb die
menschlichen Gemütszustände, wie die Liebe, den Hass.
den Zorn, den Neid, den Ehrgeiz, das Mitleiden u. s. w
nicht als Fehler der menschlischen Natur, sondern als
Eigenschaften betrachtet, welche ihr ebenso zukommen,
wie der Natur der Luft die Hitze, die Kälte, der Sturm
der Donner und ähnliches, was, wenn auch lästig, doch
notwendig ist und seine festen Ursachen hat, durch die
man deren Natur zu erkennen sucht, und in deren Be-
rachtuDg der Geist denselben Genuss findet, wie an der Er-
kenntnis der Gegenstände, welche die Sinne ergötzen. 7)
Lvu-i? I ^°L° ®® ^®* ^®^^«« "°^ Jch habe es in meiner
Mhik als wahr nachgewiesen, dass die Menschen mit
Notwendigkeit den Gemütsbewegungen unterworfen und
80 beschaffen sind, d^s sie die Elenden bemitleiden und
die Glücklichen beneiden und dass sie mehr zur Rache
als zur Barmherzigkeit neigen und dass Jeder wünscht,
die Uebrigen sollen nach seinem Sinn leben und das
billigen, was er billigt und das verabscheuen, was er ver-
abscheut. So geraten sie, da Alle gleich sehr die Ersten
sein wollen, in Streit und suchen sich nach Kräften sesen-
seitig zu unterdrücken. Wer dabei den Sieg erringt,
wird mehr wegen des dem Andern zugefügten Schadens
a 8 wegen des für sich erlangten Vorteils gefeiert. Ob-
gleich jedermann überzeugt ist, dass dies der Religion zu-
«^ih'Vil^T-^t^^ ^^n"^*' ^*«« j^^^^ ««^°en Nächsten wie
sich selbst heben solle, d. h. jeder solle das Recht des
Andern wie sein eigenes verteidigen, so habe ich doch
Dachgewiesen, dass diese Ueberzeugung gegen die Leiden-
schaften wenig vermag. Solche Lehre wirkt in der Stunde
wn J^^^l^'. ""^ ^i® Krankheit die Leidenschaften aber-
wunden hat nnd der Mensch träge auf seinem Lager liegt;
Ä/°w°.P^**^'\^°«®^°> ^0 ^ie Menschen ?eine Ge-
schäfte betreiben ; aber sie wirkt nicht auf dem Markte.
f.Z Hofe, wo sie doch am nötigsten ist. Ich habe
;«? Irf ®^.®'^*' H^ ^i® Vernunft zwar viel zur Hemmung
und Mässigung der Leidenschaften vermag; allein der
weg, den die Vernunft zeigt, hat sich auch als ein sehr
54 PoUtische Abh. Kap. 1. §. 6. 7. Kap. 2. §. 1.
Steiler ergeben. Wer deshalb meint, die Menge oder die
n den G^eschäften befangenen Staatsmänner konnten zu
einem Leben bloss nach den Vorschriften der Vernunft
Seht werden, der träumt von dem goldenen Zeitalter
der Dichter oder von Fabeln. ») . . x j..„„
8 6 Deshalb ist kein Regiment gesichert, dessen
Bestand von der Treue jemandes abhängt und wo die
Verwäftung nur |ut geführt werden kann wenn Die
welche die^GeschäFte besorgen, >»'* ««^^llit'* T^^^^ö
vielmehr muss, wenn das Regiment bestehen soll, es so
I newichtrse in, dass die Leiter der Geschäfte, mag die
Vernunft oder de Leidenschaft sie bestimmen, nicht zur
Untreue oder Schlechtigkeit verführt werden können.
Auch "st für die Sicherheit des Staats der Beweggrund
ÄÄig, welcher die Menschen zur guten Führung der
elfte bestimmt, wenn fie«« ."«^ ^f f^«^/* w£s
Die Freiheit des Geistes oder die Festigkeit des Willens
u! eine Pnvattugend; die Tugend des Staats aber .st
Sicherheit.^ ^„^lieh alle Menschen, seien sie Barbaren
oder gesittet, überall allmählich in Verbindungen treten
und einen bürgerlichen Zustand herstellen, so darf man
d"e Umchen und natürlichen Grundlagen der Staatsgewa
nicht aus den Beweisen der Vernunft, sondern man mus
sie aus der gemeinsamen Natur »"^ de" 2««'^°^^».^,';
Menschen ableiten, was ich in dem folgenden Kapitel zu
thun beschlossen habe.'")
Zweites Kapitel.
8 1. Ich habe in meiner theologisch-politischen Ab-
handlung das Natur- und bürgerliche Recht behandelt und
in meinir Ethik habe ich erklärt, was Sünde was Ver-
dienst, was Gerechtigkeit, was Ungerechtigkeit und endlich,
was die menschliche Freiheit ist. 'i) Damit indes die
Leser dieser Abhandlung nicht nötig haben, das wesen-
liche, hierher Gehörige anderwärts aufzusuchen, so wiu
ich es hier nochmals erklären und bis zur vollen Gewiss-
heit beweisen.
Da» Naturrecht ist die eigene Macht der Natur. 65
§ 2. Jeder natürliche Gegenstand kann zureichend
begriffen werden, mag er bestehen oder nicht: deshalb
kann man aus der Definition weder den Ursprun? des
Daseins der natürlichen Dinge noch deren Fortdauer im
."..T %""•'') Denn ihre geistige Wesenheit ist,
nachdem sie da zu sein begonnen haben, dieselbe, als wie
vor dem Beginn ihres Daseins. Wenn daher der Ursprung
Ihres Daseins ans ihrer Wesenheit nicht folgt, so gilt die!
auch für Ihre Fortdauer, und dieselbe Ma!ht, dfren^e
zum Beginn ihres Daseins bedürfen, brauchen sie auch
für die Fortdauer ihres Daseins. Daraus ergiebt sich
dass die Macht, durch welche die natürlkhen Wnge bt-
stehen und folglich auch wirken, nur die ewige Macht
Gottes sein kann. Denn wäre es eine geschaffene Macht,
L r«t- S'* "J?-*"* «'«'».«elbst und folglich auch nicht
dir Jhi v^L ^l?.^^ ^^^^^^"^ ; ''«'"»ehr Würden diese
derselben Macht die nöüg war, damit sie geschaffen
harren" J3)*" bedürfen, um in' ihrem Dasein zu be°
§ 3. Daraus, dass die Macht der natürlichen Dinge,
ermoge deren sie bestehen und wirken, die eigene Macht
Oottes ist, kann man leicht entnehmen, was das Natur-
recht ist. Denn da Gott das Recht auf alles hat und das
Recht Gottes nur seine Macht ist, soweit sie als unbedingt
frei aufgefMst wird, so folgt, das jedes natürliche Ding
nach der Natur so viel Recht hat, als es Macht hat zu
bestehen und zu wirken ; denn die Macht jeder einzelnen
natürlichen Sache , vermöge deren sie besteht und wirkt
' "ß *! r®T x'^^xT^ ***'=''' '^""«S' ^'e durchaus frei ist. '*
C..J j «"■ N?*n"echt verstehe ich daher die eigenen
Gesetze oder Regeln der Natur, nach denen alles geschieht,
ttv^ o^^?? ¥*«'>' <ler Natur. Deshalb |eht das
natür iche Rech der ganzen Natur und folglich jedes
ijmzelnen so weit wie deren Macht und folglich thut jeder
Mensch das, was er nach den Gesetzen seiner Natur thut.
nach dem höchsten Rechte der Natur und er hat so vie
Kecht gegen die Natur, als seine Macht vermag.
.i„i. ^ r.*?" ^l ^^^^^ ""•* <äer menschlichen Natur
Xift" T'"*lr«' ^T •''« Menschen nur nach den Vor-
T.rÄ *'*' Vernunft lebten und nach nichts anderem
eSf™r'..*V."'^* .^** ^^'^ menschlichen Geschlecht
eigentümliche Naturreeht sieh lediglich nach der Macht
56
Politische Abb. Kap. 2. §. 6.
der Vernunft bestimmen. Allein die Menschen werden
mehr von den blinden Begierden als von der Vernunft ge-
leitet und deshalb muss die natürliche Macht der Menschen
oder ihr Recht nicht nach der Vernunft , sondern nach
leder Begierde, die sie zum Handeln und zur Erhaltung
ihrer selbst treibt, bestimmt werden. Ich erkenne zwar
an , dass diese Begierden , die nicht aus der Vernunft
entepringen, mehr ein Leiden als ein Handeln der
Menschen sind; allein da ich hiervon der Macht oder
dem Rechte der ganzen Natur handele, so kann ich hier
keinen Unterschied zwischen den Begierden anerkennen,
die aus der Vernunft und denen, die aus anderen Ur-
sachen in uns erzeugt werden; denn diese, wie jene, sind
Wirkungen der Natur und bezeichnen die natürliche Kratt,
mit der der Mensch sich in seinem Sein zu erhalten
strebt. Denn jeder Mensch, der Weise wie der Thor, ist
ein Teil der Natur und alles, was ihn zum Handeln be-
stimmt, muss zur Macht der Natur gerechnet werden, so-
weit sie durch die Natur dieses oder jenes Menschen aus-
cedrückt ist. Denn der Mensch handelt, sowohl wenn er
Ion der Vernunft, als wenn er bloss von der Begierde
geleitet wird, nur nach den Gesetzen und Regeln der Na-
tur, d. h. (nach § 4 dieses Kapitels) nach dem Rechte der
Natur. ^^) j j.
8 6 Allein meistenteils nimmt man an, dass die
Thoren die Ordnung der Natur mehr beschädigen als be-
folgen und fasst die Menschen in der Natur wie einen
St^t im Staate auf. Man behauptet, dass die mensch-
liehe Seele aus keinen natürlichen Ursachen hervor-
gebracht werde; sondern dass sie von Gott unmittelbar
Irschaffen werde und deshalb von allen arideren Dingen
80 unabhängig sei, dass sie eine «I^^^^^^f «.JJ*f]^* ^^^^^^
sich selbst zu bestimmen und die Vernunft nchtig zu ge-
brauchen. Allein die Erfahrung lehrt zur Genüge, dass
eine gesunde Seele ebensowenig in unserer Gewalt steht
wie ein gesunder Körper. Da nun jedes Ding, so viel
von ihm abhängt, sich im Sein zu erhalten strebt, so wür-
den wir unzweifelhaft, wenn es ebenso in unserer Gewalt
läge, nach den Vorschriften der Vernunft zu leben, als
von den blinden Begierden geleitet zu werden, alle uns
von der Verunft leiten lassen .und unsere Lebensweise
danach einrichten; allein dies ist keineswegs der Fall,
Die Vernunft hat keine unbedingte Macht über die Begierde. 57
denn jeder folgt seinen Lüsten. Auch die Theologen be-
seitigen diesen Mangel nicht, wenn sie behaupten, dass
die Ursache dieser menschlichen Ohnmacht ein Fehler
oder eine Sünde sei , f^elche von dem Falle des ersten
Elternpaares herrühre. Denn wenn es in der Macht des
ewten Menschen gelegen hätte, sowohl zu stehen wie zu
fallen und er seines Verstandes mächtig und von unver-
letzter Natur gewesen wäre, wie war es da möglich, dass
er mit Wissen und Willen doch gefallen ist? Man sagt
er sei von dem Teufel verführt worden; aber wer war
derjenige, der den Teufel selbst verführt hat? Wer hat
dieses vorzüglichste aller vernünftigen Geschöpfe so sinn-
los gemacht, dass es grösser als Gott sein wollte? Wollte
nicht auch er, der eine gesunde Seele hatte, sein Dasein
erhalten, so viel es von ihm abhing? Wie war es ferner
möglich, dass der erste Mensch selbst, der seines Ver-
standes mächtig und Herr seines Willens war, sich ver-
fuhren und täuschen Hess? Denn hatte er die Macht
seine Vernunft zu gebrauchen , so konnte er nicht ge-'
täuscht werden; denn soweit es von ihm abhing, hatte
er notwendig das Bestreben, sein Dasein und seine Seele
sich gesund zu erhalten. Nun nimmt man an, dass er
diese Macht gehabt habe; folglich hat er auch not^
wendig seine Seele gesund erhalten und hat nicht se-
tauscht werden können. So erhellt aus dieser Geschichte
seiDst ibre Unwahrheit und man muss anerkennen , dass
es nicht in der Macht des ersten Menschen gestanden
nat, seine Vernunft richtig zu gebrauchen, sondern dass
fsVieT'^ ^^^> ^^^ Leidenschaften unterworfen gewesea
§ 7. Dass nun der Mensch, wie die übrigen Einzel-
wesen, sein Dasein, so viel von ihm abhängt, zu erhalten
l- V /^"° niemand bestreiten. Wäre hier ein Unter-
schied denkbar, so mtisste er davon kommen, dass der
Mensch einen freien Willen hätte. Allein je freier man
sich den Menschen denkt, desto mehr ist man zur An^
nähme genötigt, dass er sich erhalten und seines Geistes,
mächtig sein müsse; wer die Freiheit nicht mit der Zu*
lalligkeit verwechselt, wird mir dies leicht zugeben. Den»
aie i^reiheit ist eine Kraft oder Vollkommenheit; alles
also, was die Schwäche des Menschen darlegt, kann nicht
zu seiner Freiheit gehören. Deshalb kann der Mensch
Spinoxa's Abh. üb. Verbesser. d. Verstandes.
6
58
Politische Abh. Kap. 2. § 8.
Dicht deshalb frei genannt werden, weil er nicht zu sein
oder seine Vernunft nicht zu gebrauchen vermag; sondern
nur deshalb und so weit, als er die Macht hat, zu sein
und nach den Gesetzen der menschlichen Natur zu wirken.
Je freier mau also die Menschen annimmt, desto weniger
darf man sagen , dass sie die Vernunft nicht gebrauchen
und das Schlechte statt des Guten wählen können. Des-
halb erkennt und wirkt auch Gott, der durchaus frei
ist, notwendig; er ist und erkennt und wirkt nach der
Notwendigkeit seiner Natur. Denn offenbar handelt Gott
mit derselben Freiheit, mit der er besteht; sowie er aber
nach der Notwendigkeit seiner Natur besteht, so handelt
er auch aus der Notwendigkeit seiner Natur, d. h. er
handelt unbedingt frei.i?) , . , ,, ,
§ 8. Ich folgere also, dass es nicht m der Macht
jedes Menschen steht, seine Vernunft immer zu gebrauchen
und auf dem höchsten Gipfel der menschlichen Freiheit
zu stehen; aber dennoch strebt jeder, sein Dasein, so
viel er vermag, zu erhalten und deshalb begehrt und
thut jeder (weil jeder so viel Recht hat, als er Macht hat),
sei er weise oder ein Thor, das, was er begehrt und
thut, immer mit dem höchsten Rechte der Natur. Dar-
aus ergiebt sich, dass das Naturrecht und die Natur-
ordnung, unter der alle Menschen geboren werden und
zum grössten Teile leben, nur das verbieten, was niemand
begehrt und was niemand vermag, und dass sie weder
dem Streite, noch dem Hasse oder dem Zorne und Be-
trüge, noch sonst dem, was die Lüste begehren, entgegen
sind. Auch ist dies nicht wunderbar; denn die Natur ist
nicht mit den Gesetzen der menschlichen Vernunft, die
nur auf den wahren Nutzen und die Erhaltung der Men-
schen abzwecken, abgeschlossen, sondern umfasat noch
unendlich viele andere Gesetze, die sich auf die ewige
Ordnung der ganzen Natur, von welcher der Mensch nur
ein Teil ist, beziehen, und aus deren Notwendigkeit allein
wird jedes Einzelne in sicherer Weise zum Dasein und
Handeln bestimmt. Wenn uns daher in der Natur etwas
lächerlich oder verkehrt oder schlecht erscheint, so kommt
es nur davon, dass wir den Gegenstand nur bloss teil-
weise kennen und dass die Ordnung und der Zusammen-
hang der ganzen Natur uns zum grössten Teile unbekannt
ist, und weil wir verlangen, dass alles nach den Vor-
Die Macht über einen Andern giebt auch das Recht über ihn. 59
Schriften unserer Vernunft geschehen solle, während
doch das von der Vernunft für schlecht Erklärte, kein
Schlechtes in Beziehung auf die Ordnung und die Ge-
setze der ganzen Natur ist, sondern nur in Beziehung auf
die Gesetze unserer eigenen Natur, ^s)
§ 9. Ferner ergiebt sich, dass jedweder so lange
dem Rechte eines andern unterworfen ist, als er unter
dessen Macht sich befindet, und so weit selbständigen
Rechtes, als er vermag, jede Gewalt zurückzuschlagen
und den ihm zugefügten Schaden nach seiner Ansicht zu
rächen und unbedingt nach seinem Belieben zu leben.
§ 10. Jemand hat einen andern in seiner Gewalt,
wenn er ihn gebunden festhält oder ihm die Waffen und
die Mittel, sich zu verteidigen oder zu entwischen, ge-
nommen hat oder ihm Furcht eingeflösst hat, oder ihn
durch Wohlthaten sich so verbunden hat, dass er lieber
seinen Willen als den eigenen befolgen und lieber nach
seiner Absicht als nach der eigenen leben mag. Wer in
der ersten und zweiten eben genannten Weise einen an-
dern in seiner Gewalt hat, hält nur dessen Körper, nicht
dessen Seele fest; aber in der dritten und vierten Weise
hat er sich ebenso seine Seele wie seinen Körper unter-
worfen, doch nur so lange, als die Furcht oder die Hoff-
nung anhält; sind diese verschwunden, so wird jener wie-
der sein eigener Herr.i^)
§ 11. Die Urteilskraft kann insoweit unter dem
Recht eines andern stehen, als die Seele von einem an-
dern getäuscht werden kann. Deshalb ist die Seele nur
so weit selbständig, als sie ihre Vernunft recht ge-
brauchen kann, und da die menschliche Macht nicht
sowohl nach der Körperkraft als nach der Tapferkeit der
Seele abzuschätzen ist, so sind diejenigen am meisten
selbständig, deren Vernunft am stärksten ist, und die
sich am meisten von ihr führen lassen; und ich nenne
deshalb einen Menschen nur insoweit frei, als er von der
Vernunft geleitet wird; denn nur so weit handelt er aus
Ursachen, die aus seiner eigenen Natur zureichend er-
kannt werden können, wenngleich er von derselben mit
Notwendigkeit zum Handeln bestimmt wird; denn die
Freiheit hebt die Notwendigkeit des Handelns nicht auf,
sondern setzt sie, wie in § 7 dieses Kapitels gezeiet
worden ist.20) ^ » &
6*
60
Politische Abh. Kap. 2. § 12-16.
Der Staat und seine Form.
61
§ 12. Die* jemand erteilte Zusage, womit in blossen
Worten versprochen worden ist, dass dies oder jenes von
dem Zusagenden gethan werden solle, was er nach seinem
Rechte unterlassen konnte, oder umgekehrt, bleibt so lange
gültig, als der Wille des Versprechenden sich nicht ändert.
Denn wer die Macht hat, sein Wort zu brechen, hat in
Wahrheit sein Recht nicht vergeben, sondern nur Worte
gewechselt. Meint er daher, da er nach dem Naturrecht
sein eigener Richter ist, mit Recht oder Unrecht (denn
irren ist menschlich), dass das Versprechen ihm mehr
Schaden als Nutzen bringe, und will er nach seiner An-
sicht das Versprechen nicht halten, so kann er dies nach
dem Naturrecht. (Nach § 9 dieses Kapitels.) ^^)
§ 13. Wenn zwei sich vereinigen und ihre Kräfte
verbinden, so vermögen sie mehr und haben deshalb auch
mehr Recht gegen die Natur als jeder allein, und je mehr
Menschen in dieser Weise sich verbunden haben, um so
mehr werden alle auch mehr Rechte haben. 22)
§ 14. So weit als die Menschen von Zorn, Neid oder
von der Leidenschaft des Hasses erfüllt sind, haben sie
verschiedene Ziele und sind einander entgegen; sie sind
dann um so mehr zu fürchten, je mächtiger und je klüger
und verschlagener als die übrigen Geschöpfe sie sind.
Da nun die Menschen meistenteils (wie ich in § 5 des
vorigen Kapitels gesagt) diesen Leidenschaften von Natur
unterworfen sind, so sind von Natur die Menschen ein-
ander feind. Denn Der ist mein grösster Feind, den ich
am meisten zu fürchten und vor dem ich mich am meisten
in acht zu nehmen habe. 23)
§ 15. Da nun (nach § 9 dieses Kapitels) im natür-
lichen Zustand jeder sein eigener Herr ist, so lange er
sich gegen die Unterdrückung eines andern schützen
kann , und einer allein sich nicht gegen alle schützen
kann, so folgt, dass, so lange das natürliche Recht des
Menschen nach seiner Macht sich bestimmt, es so lange
keines ist und mehr in der Meinung als in der Wirklicli-
keit besteht, weil es keine Sicherheit für dessen Geltend-
machung giebt; denn es ist gewiss, dass jeder um so
weniger vermag und folglich um so weniger Rechte hat,
als er grössern Grund zur Furcht hat. Dazu kommt, dass
ohne gegenseitige Hülfe die Menschen kaum ihr Leben
fristen und ihren Verstand bilden können ; und so folgere
ich, dass das dem menschlichen Geschlecht eigentümliche
Naturrecht nur da möglich ist, wo die Menschen ein Je-
memsames Recht haben und zugleich vermögen, ein Land
was sie bewohnen und bebauen können, sich zu verschaff
fen, sich zu schützen, alle Gewalt zurückzuschlagen und
nach dem gemeinsamen Willen aller zu leben. Denn ie
mehr Menschen (nach § 13 dieses Kapitels) sich so ver-
einigen, um so mehr haben sie auch Rechte, und wenn
die Scholastiker deshalb, weil die Menschen in dem Natur-
zustande kaum selbständig sein können, den Menschen
dir e^ en aif ^ Geschöpf nennen wollen, so habe ich nichts
V u^ ^^\ ^^ ^^® Menschen ein gemeinsames Recht
haben und alle wie von einem Sinn geleitet werden, da
hat offenbar (nach § 13 dieses Kapitels) jeder Einzelne
derselben um so weniger Rechte, je mehr die üebrigen
Ihm überlegen sind, d. h. der Einzelne hat in Wahrheit
nur so viel Recht auf die Natur, als das gemeine Recht
ihm gestattet. Was übrigens in gemeinsamer üeberein-
stimmung ihm befohlen wird, ist er schuldig auszuführen,
oder er kann (nach § 4 dieses Kapitels) mit Recht dazu
gezwungen werden.
K J ^I' P}^^^^ ^^^^*» was durch die Macht der Menge
bestmamt wird, pflegt die Staatsgewalt genannt zu werden
und derjenige besitzt sie unbedingt, welcher nach ge-
meinsamen Uebereinkommen die Sorge für den Staat hat,
also besetze zu geben, auszulegen und aufzuheben, Städte
zu befestigen, über Krieg und Frieden zu entscheiden
u. 8. w. Koramt diese Sorge einer Versammlung zu. die
hIL if i^'*"™A^" Volksmenge besteht, so heisst die
Herrschaft eine Demokratie; sind es aber nur einige
Anserlesene, Aristokratie, und ist endlich die Sorge
ttir den Staat und folglich die Herrschaft bei Einem, io
heisst sie Monarchie. 25) '
h.uß }^' ^^^ ^^^ ^^ diesem Kapitel Dargelegten er-
neut, dass es im Naturzustande keine Sünde giebt, oder
wenn Jemand sündigt, so sündigt er gegen sich und nicht
gegen Andere. Denn nach dem Naturrecht braucht Nie-
mand dem Andern zu Willen zu leben, wenn er nicht
wm; er braucht nur das für gut und schlecht zu halten,
was er nach seinem Sinne für gut und schlecht halten
*^iii, und es ist nach dem Naturrecht nur das verboten,
ii
h
62
Politische Abb. Kap. 2. § 19. 20.
Der Staat gegenüber der Moral und Religion.
6a
was Niemand vermag. (Man sehe § 5 und 8 dieses Ka-
pitels.) Die Sünde ist aber eine Handlung, welche nicht
mit Recht geschehen kann. Wären die Menschen nach
der Einrichtung der Natur gehalten, der Vernunft zu
folgen, dann würden notwendig Alle von der Vernunft
geleitet werden. Denn die Einrichtungen der Natur sind
Gottes Einrichtungen (nach § 2, 3 dieses Kapitels), welche
Gott mit derselben Freiheit anordnet, mit der er selbst
besteht, und die deshalb aus der Notwendigkeit der gött-
lichen Natur folgen (man sehe § 7 dieses Kapitels), ewig
sind und nicht verletzt werden können. Allein die Men-
schen werden hauptsächlich durch die Begierden, ohne
die Vernunft , geleitet ; sie stören jedoch dabei nicht die
Ordnung der Natur, vielmehr befolgen sie sie notwendig
und deshalb ist der unwissende und seines Verstandes
nicht Mächtige nach dem Naturrecht ebenso wenig ge-
halten, seine Lebensweise verständig einzurichten, wie
der Kranke gehalten ist, gesund an Körper zu sein. 26)
§ 19. Eine Sünde ist deshalb nur bei einer Staats-
gewalt möglich, wo nach dem gemeinen Rechte des ganzen
Staates bestimmt wird, was gut und was schlecht sein
soll und wo nur der (nach § 16 dieses Kapitels) recht
handelt, welcher nach dem gemeinsamen Beschlüsse und
Willen handelt. Denn nur das ist eine Sünde (wie im
§ 18 gesagt worden), was nicht mit Recht gethan werden
kann, oder was das Recht verbietet, und der Gehorsam
ist der beständige Wille, das zu thun, was nach dem
Recht gut ist und nach dem gemeinsamen Beschlüsse ge-
schehen soll.
§ 20. Man pflegt indes auch das Sünde zu nennen,
was gegen das Gebot der gesunden Vernunft geschieht,
und unter Gehorsam versteht man den beständigen Willen,
die Begierden nach dem Gebot der Vernunft zu massigen.
Ich würde dem beitreten, wenn die menschliche Freiheit
in der Willkür der Begierden und die menschliche Knecht-
schaft in der Herrschaft der Vernunft bestände. Allem
da die Freiheit des Menschen um so grösser ist, je mehr
der Mensch sich von der Vernunft leiten lässt und die
Begierden massigen kann, so kann man das vernünftige
Leben nur sehr uneigeutlich Gehorsam nennen und
ebenso uneigentlich das Sünde, was in Wahrheit die
Ohnmacht der Seele, nicht aber eine Willkür gegen sicli
selbst ist, durch welche der Mensch vielmehr ein Knecht^
statt frei genannt werden kann. (Man sehe 8 7 und 11
dieses Kapitels.)«?) » u xx
§ 21. Da indes die Vernunft gebietet, Frömmigkeit
zu üben und ruhigen Sinnes und guten Mutes zu sein,
und dieses nur im Staate möglich ist und da ferner die
Menge, wie es im Staate nötig ist, nicht unter einen
Sinn gebracht werden kann, wenn nicht Rechte bestehen,
welche den Vorschriften der Vernunft entsprechen, so
haben die Menschen, welche im Staate zu leben pflegen,
nicht unpassend das Sünde genannt, was gegen das Ge-
bot der Vernunft geschieht, weil das Recht des besten
Staates (nach § 18 dieses Kapitels) nach den Geboten
der Vernunft eingerichtet werden muss. Weshalb ich
aber gesagt habe (§ 18 dieses Kapitels), dass der Mensch
im Naturzustande nur gegen sich selbst sündige, wenn er
sündigt, darüber sehe man § 4 und 5, Kap. 4, wo ge-
zeigt wird, in welchem Sinne man sagen kann, dass Der,
welcher die Staatsgewalt inne und nach dem Natur-
recht erlangt hat, an die Gesetze gebunden sein und
sündigen könne.
§ 22. Was die Religion anlangt, so ist ofl'enbar der
Mensch um so freier und sich selbst am willfährigsten,
je mehr er Gott liebt und von ganzem Herzen verehrt.
Achtet man indes nicht auf die Ordnung der Natur, die
uns unbekannt ist, sondern nur auf die die Religion be-
treffenden Gebote der Vernunft, und bedenkt man, dass
diese uns von Gott, als wenn er in uns spräche, offenbart
sind, oder dass sie auch den Propheten als Rechte offen-
bart worden sind, so gehorcht in menschlicher Redeweise
der Mensch Gott so weit, als er ihn von ganzer Seele
Hebt, und sündigt umgekehrt, wenn er von der blinden
Begierde sich leiten lässt. 28) Indes muss man dabei ein-
gedenk bleiben, dass wir so in Gottes Macht sind, wie
der Thon in der Hand des Töpfers, der aus demselben
Stoffe Gefässe zur Zierde und zur ünzierde macht, und
dass deshalb der Mensch zwar gegen die Beschlüsse Gottes
handeln kann, so weit sie in unserer oder der Propheten
Seele als das Recht eingeschrieben sind, aber nicht gegen
den ewigen Ratschluss Gottes, welcher der Natur des
Weltalls eingeschrieben ist und sich auf die Ordnung der
ganzen Natur bezieht. 29)
64
PoUtische Abb. Kap. 3. § 1. 2.
Die Grundlage des Staats.
65
§ 23. So wie daher die Sünde und der Gehorsam
im strengen Sinne, so ist auch die Gerechtigkeit und
Ungerechtigkeit nur im Staate denkbar. Denn in der
Natur giebt es nichts, von dem man mit Recht sagen
könnte, es gehöre Diesem und nicht Jenem, vielmehr ge-
hört Alles Allen, so weit sie die Macht haben, es sich zu
verschaflFen. Aber im Staat, wo das gemeine Recht be-
stimmt, was Diesem und was Jenem gehören solle, heisst
Der gerecht, welcher den beständigen Willen hat, Jedem
das Seine zu geben, und ungerecht Der, welcher dem ent-
gegen das Fremde zu dem Seinigen zu machen begehrt.
§ 24. Uebrigens habe ich in meiner Ethik ausein-
andergesetzt, dass Lob und Tadel nur Gemütszustände
der Freude und Trauer sind, welche die Vorstellung der
menschlichen Macht oder Ohnmacht als ihre Ursache be-
gleitet. 30)
Drittes Kapitel.
§ 1. Die Verfassung eines jeden Staates heisst bür-
gerlich ; der ganze Körper des Staates heisst aber Staats-
gemeinde; und die allgemeinen Geschäfte der Staats-
gewalt, welche von der Leitung ihres Inhabers abhängen,
heissen Gemeinwesen. Ferner heissen die Menschen, so
weit sie nach dem bürgerlichen Recht sich aller Vorteile
des Staates erfreuen, Bürger und, so weit sie den Ein-
richtungen des Staates oder dessen Gesetzen zu gehorchen
gehalten sind, Unterthanen; endlich habe ich in §17
des vorigen Kapitels bemerkt, dass es drei Arten des
Regimentes giebt; nämlich die Demokratie, die Aristo-
kratie und die Monarchie. Ehe ich auf diese einzeln und
besonders eingehe, will ich zuvor das allen Verfassungen
Gemeinsame behandeln, und zwar vor Allem das höchste
Recht der Staatsgemeinde oder der höchsten Staatsgewalt
§ 2. Aus § 15, Kap. 2 erhellt, dass das Recht des
Staates oder der höchsten Gewalt nur das natürliche
Recht ist, was durch die Macht nicht eines Einzigen, son-
dern durch die Macht der gleichsam von einem Willen
geleiteten Masse der Bürger bestimmt wird, d. h. so, wie
jeder Einzelne im Naturzustande, so hat der ganze Kör-
per und die Seele des Staates so weit Rechte, als seine
Macht reicht Deshalb hat jeder Bürger oder Unterthan
um so weniger Rechte, je mehr der Staat mächtiger als
dieser Einzelne ist (§ 16, Kap. 2), und deshalb besitzt
und thut jeder Bürger dem Rechte gemäss nur das, was
er durch den gemeinsamen Willen des Staates vertei-
digen kann.
§ 3. Wenn ein Staat Jemandem das Recht und
folglich die Macht (denn sonst hat er nach § 12, Kap. 2
nur Worte ausgeteilt), nach seinem Sinne zu leben, er-
teilt, so begiebt er sich damit seines Rechtes und über-
trägt es auf Den, dem er eine solche Macht giebt Hat
er nun Zweien oder Mehreren diese Macht gegeben, dass
Jeder nach seinem Sinne leben kann, so hat er damit die
Staatsgewalt geteilt, und hat er endlich diese Macht an
jeden Bürger gegeben, so hat er damit sich selbst zer-
stört und ist kein Staat mehr, vielmehr kehrt Alles in
den Naturzustand zurück, wie aus dem Obigen sich klar
ergiebt Deshalb ist es unmöglich, dass es jedem Bür-
ger nach der Staatsverfassung erlaubt sein kann, nach
seinem Sinne zu leben und deshalb hört notwendig jenes
natürliche Recht, wonach Jeder sein eigener Richter ist,
in der bürgerlichen Verfassung auf. Ich sage ausdrück-
lieb: nach der Staatsverfassung; denn das natürliche
Recht erlischt (wenn man die Sache recht erwägt) in dem
Staate nicht; denn der Mensch handelt sowohl im natür-
lichen wie in dem bürgerlichen Zustande nach den Ge-
setzen seiner Natur und sorgt für seinen Nutzen; ich
sage, der Mensch wird in beiden Zuständen durch Hoflf-
nung oder Furcht zu dieser oder jener Handlung oder
Interlassung bestimmt; aber der Hauptunterschied zwischen
beiden Zuständen ist, dass in dem Staate Alle dasselbe
fürchten und für Alle dieselbe Sicherheit Ursache und
|brund ihres Verhaltens ist, wodurch allerdings das Ver-
»mogen eines Jeden, zu urteilen, nicht aufgehoben ist
i>enn wenn Jemand beschliesst, allen Geboten des Staates
zu folgen, so sorgt er, mag es aus Furcht vor dessen
Macht geschehen oder aus Liebe zur Ruhe, in seinem
ojnne für seine Sicherheit und seinen Vorteil. 3»)
§ 4. Ferner ist es undenkbar, dass jeder Bürger
66
Politische Abh. Kap. 3. § 6. 6.
Schranken der Staatsgewalt.
67
befugt sei, die Beschlüsse des Staates und seine Gesetze
auszulegen. Wenn jeder dies dürfte, so wäre er damit
sein eigener Richter, da jeder seine Handlungen unter
dem Schein des Rechts bei allen Geschäften entschuldigen
oder verschönern und somit sich das Leben nach seinem
Sinne einrichten könnte, was (nach § 3 dieses Kapitels)
widersinnig wäre.
§ 5. Jeder Bürger ist also nicht sein Herr, sondern
der Staat ist sein Herr; dessen Befehle ist er zu befolgen
schuldig, und er hat kein Recht, zu bestimmen, was recht
oder unrecht, was fromm oder gottlos ist ; vielmehr muss,
da der Wille des Staates als der Wille aller gilt, das was
der Staat für recht und gut erklärt, so betrachtet werden,
als hätten es alle dafür erklärt. Wenn daher ein Unter-
than auch die Beschlüsse des Staates für unrecht hält, so
ist er doch gehalten, sie zu befolgen. ^2)
§ 6. Man könnte entgegnen, dass es gegen das Ge-
' bot der Vernunft laufe, sich eines Andern Urteil ganz zu
unterwerfen und dass deshalb die bürgerliche Verfassung
der Vernunft widerstreite. Es würde daraus folgen, dass
die bürgerliche Verfassung eine unvernünftige sei und
nur von unvernünftigen Menschen eingerichtet werden
könne, aber nicht von solchen, die sich von der Vernunft
leiten lassen. Allein die Vernunft fordert nichts gegen
die Natur und deshalb kann die gesunde Vernunft nicht
gebieten, dass, so lange die Menschen den Leidenschaften
unterworfen sind, jeder sein Herr bleibe (§ 15, Kap. 2),
d. h. (§ 5, Kap. 1) die Vernunft will, dass dies nicht ge-
schehe. Dazu kommt, dass die Vernunft überhaupt lehrt,
den Frieden zu suchen, der nicht erlangt werden kanu,
wenn das gemeinsame Recht des Staates nicht unverletzt
erhalten wird; deshalb wird ein Mensch, je mehr er von
der Vernunft geleitet wird, d. h. (nach § 11, Kap. 2) je
freier er ist, um so beständiger die Rechte des Staates
beachten und die Gebote der höchsten Gewalt, deren
Unterthan er ist, erfüllen. Dazu kommt, dass die bürger-
liche Verfassung eingerichtet ist, um den Einzelnen die
gemeinsame Furcht zu benehmen und das gemeinsame
Elend zu beseitigen, und so dasselbe bezweckt, was, wie-
wohl vergeblich, ein jeder im Naturzustande, wenn er der
Vernunft folgt, erstrebt. (§ 15, Kap. 2.) Wenn deshalb
ein vernünftiger Mensch mitunter auf Befehl des Staates
etwas thun muss, was er als unvernünftig erkennt, so
wird dieser Schade doch weit durch das Gute aus-
geglichen, was er aus der bürgerlichen Verfassung
schöpft, und es ist auch ein Gesetz der Vernunft, dass
man von zwei Übeln das kleinere wähle. Deshalb
handelt niemand gegen die Gebote seiner Vernunft,
wenn er das thut, was das Recht des Staates ver-
langt. Man wird dies mir noch bereitwilliger zuge-
stehen, wenn ich erst dargelegt haben werde, wie weit
die Macht des Staates und folglich sein Recht sich er-
streckt. ^3)
§ 7. Zunächst ist zu erwägen, dass, so wie im
Naturzustande (§ 11, Kap. 2) Derjenige am mächtigsten
ist, der der Vernunft folgt, so auch der Staat am mäch-
tigsten und selbständigsten sein wird, wenn er auf der
Vernunft gegründet und von ihr geleitet wird; denn das
Recht des Staates wird durch die Macht der, wie von
einem Willen geleiteten Menge bestimmt, und diese Ein-
heit der Geister wäre unmöglich, wenn der Staat nicht
hauptsächlich das verfolgte, von dem die gesunde Ver-
nunft allen Menschen lehrt, dass es nützlich ist. 3*)
§ 8. Zweitens ist zu erwägen, dass die ünterthanen
nur insoweit nicht selbständig, sondern dem Staat unter-
geben sind, als sie dessen Macht oder Drohungen fürchten,
oder als sie den bürgerlichen Zustand lieben. (§ 10,
Kap. 2.) Daraus folgt, dass Alles, wozu Niemand durch
Lohn oder durch Drohungen bewogen werden kann, nicht
zu dem Rechte des Staates gehört. So kann z. B. sich
Niemand seiner Urteilskraft begeben; denn durch welchen
Lohn oder welche Drohung könnte wohl ein Mensch be-
stimmt werden, zu glauben, dass das Ganze kleiner sei
als der Teil, oder dass es keinen Gott gebe, oder dass
ein Körper, den er als in Grenzen eingeschlossen sieht,
ein unendliches Wesen sei, überhaupt, dass er etwas
dem zuwider glaube, was er sieht oder denkt? Durch
welchen Lohn könnte ebenso Jemand bestimmt werden,
Den zu lieben, welchen er hasst, und Den zu hassen,
welchen er liebt? Hierher gehört auch Alles, was die
menschliche Natur so verabscheut, dass sie es für schlimmer
als alles Uebel hält; z. B. dass ein Mensch gegen sich
selbst Zeugnis ablege ; dass er sich kreuzige ; dass er seine
Eltern töte; dass er dem Tod nicht ausweiche und Ähn-
m
68
Politische Abb. Kap. 3. § 9. 10.
liches, wozu Niemand weder durch Lohn, noch durch
Drohungen gebracht werden kann. Wollte man dennoch
behaupten, der Staat habe das Recht oder die Macht, der-
gleichen zu befehlen, so wäre dies ebenso, als wenn man
sagte, ein Mensch habe das Recht, wahnsinnig und irr-
sinnig zu sein; denn was Anderes als Wahnsinn wäre
ein solches Recht, an das Niemand gebunden sein
könnte ?35 Indes spreche ich hier nur von dem, was
unmöglich zum Recht des Staates gehören kann und vor
dem die menschliche Natur einen Abscheu hat. Denn
wenn ein Thor oder Wahnsinniger durch keinen Lohn
und keine Drohung zur Befolgung der Befehle bestimmt
werden kann, und wenn Ein oder der Andere, weil er
dieser oder jener Religion zugethan ist, die Rechte des
Staats für schlimmer als alle Uebel hält, so werden da-
durch die Rechte des Staats nicht umgestürzt, sofern nur
die Mehrzahl der Bürger ihnen folgt, und deshalb weil
Die, welche weder Etwas fürchten noch hoffen, ihre eigenen
Herren sind (§ 10, Kap. 2), sind sie Feinde des Staats
(§ 14, Kap. 2), die man mit Recht durch Gewalt im
Zaume halten kann.
§ 8. Drittens ist endlich zu erwägen, dass das zu
den Rechten des Staates nicht gehört, was die Meisten
mit Unwillen von sich weisen. Denn unzweifelhaft treibt
die Natur die Menschen aus gemeinsamer Furcht oder
aus dem Verlangen, einen gemeinsamen Schaden zu rächen,
zur Verbindung, und da das Recht des Staats sich nach
der gemeinsamen Macht der Menge bestimmt, so wird
offenbar die Macht und das Recht des Staats insoweit
verringert, als er selbst den Anlass giebt, dass Mehrere
sich gegen ihn verschwören. Denn jeder Staat hat ge-
wisse Dinge zu fürchten und so wie jeder Bürger und
wie jeder Mensch im Naturzustande, so ist auch der Staat
um so weniger selbstständig, je mehr er Ursache zur
Furcht hat. 36)
So viel über das Recht der höchsten Staatsgewalten
gegen ihre Unterthanen; ehe ich indes deren Rechte
gegen Andere untersuche, will ich erst die Frage zu
lösen suchen, welche die Religion betrifft.
§ 10. Man kann mir nämlich entgegnen, dass durch
den bürgerlichen Zustand und den Gehorsam der Unter-
thanen, wie ich ihn, als für den bürgerlichen Zustand
Verhältnis des Staats zur Religion. gg
nötig, dargelegt habe, die Religion aufgehoben werde,
nach der wir Gott zu verehren schuldig sind. Indes
wird eine nähere Erwägung der Sache ergeben, dass hier
kein Grund zu Gewissenszweifeln vorhanden ist. Die
Seele, welche der Vernunft dient, ist selbständig und
nicht der Staatsgewalt unterthänig. (§ 11, Kap. 2.) Des-
halb kann die wahre Erkenntnis und Liebe Gottes keiner
Staatsgewalt unterthan sein und ebensowenig die Liebe
zu dem Nächsten. (§ 8, Kap. 3.) Bedenkt man nun.
dass die Uebung der Liebe vorzüglich darin besteht, dass
man den Frieden schützt und die Eintracht erhält, so erfüllt
offenbar Der seine Pflicht, welcher Jedem so weit hilft als
die Rechte des Staats, d. h. die Eintracht und die Ruhe
es gestatten. Was aber den äusserlichen Gottesdienst an-
langt, so kann dieser die wahre Erkenntnis Gottes und
die aus ihr notwendig folgende Liebe zu ihm weder unter-
stützen noch behindern; man darf ihn deshalb nicht für
so wichtig nehmen, dass es sich verlohnte, um seinet-
willen den Frieden und die öffentliche Ruhe zu stören.
Uebrigens ist es gewiss, dass ich nach dem Naturrechtj
d. h. (§ 3, Kap. 2) nach Gottes Ratschluss nicht der
Vert^eidiger der Religion bin; denn ich habe nicht die
Macht, wie vordem die Jünger Christi, de unreinen Geister
zu vertreiben und Wunder zu thun; und doch wäre diese
Macht notwendig, um die Religion da zu verbreiten, wo
sie verboten ist, wenn nicht Zeit und Mühe, wie man sagt,
verloren sein und Belästigungen ausserdem entstehen
sollen, wovon alle Jahrhunderte die traurigsten Beispiele
gesehen haben. Jeder kann vielmehr, wo er auch ist,
Gott in wahrer Religion verehren und für sich sorgen,
wie es die Pflicht des Privatmannes ist; im üebrigen ist
oie Sorge für die Verbreitung der Religion Gott oder der
btaatsgewalt, denen allein die Sorge für das gemeine
Wesen obliegt, zu tiberlassen. Ich kehre nunmehr zu meiner
Aufgabe zurück. 3?)
§ 11. Nachdem ich das Recht der höchsten Staats-
gewalt gegen die Bürger und die Pflichten der Unter-
thanen erklärt habe, muss ich noch die Rechte der Staats-
gewalt gegen andere Staaten betrachten, die sich aus dem
gesagten leicht ergeben werden. Denn da das Recht
der höchsten Staatsgewalt (nach § 2, Kap. 3) nur das
natürliche Recht ist, so folgt, dass zwei Staaten sich zu
I
70
Politische Abh. Kap. 3. § 12—14.
Das Völkerrecht.
71
hM 'i'r
einander wie zwei Menschen im natürlichen Zustande ver-
halten, ausgenommen, dass der Staat sich gegen fremde
Unterdrückung schützen kann, was der Mensch im natür-
lichen Zustande nicht kann, da er täglich von dem Schlafe,
oft von Krankheiten oder Seelenleiden und zuletzt vom
Alter bedrückt wird und auch sonst manchen anderen
Übeln ausgesetzt ist, gegen die der Staat sich schützen
kann.
§ 12. Der Staat ist deshalb insoweit sein eigener
Herr, 38) als er sich raten und gegen fremde Unterdrückung
schützen kann (§ 9. 15, Kap. 2), und insoweit (§ 10. 15,
Kap. 2) unselbständig, als er die Macht eines anderen
Staates fürchtet oder von ihm an der Ausführung seines
Willens gehindert wird, oder soweit er dessen Hilfe zu
seiner Erhaltung oder VergrÖsserung bedarf. Denn un-
zweifelhaft haben zwei Staaten, die sich gegenseitig Hilfe
leisten wollen, mehr Macht und folglich auch mehr Recht
als jeder allein (§ 13, Kap. 2).
§ 13. Dies erhellt noch deutlicher, wenn man er-
wägt, dass zwei Staaten von Natur Feinde sind; denn
die Menschen im Naturzustand sind einander feind (§ 14,
Kap. 2); wer also sein natürliches Recht ausserhalb des
Staates behält, bleibt ein Feind. Wenn also ein Staat
den anderen bekriegen und das Aeusserste gegen ihn in
Anwendung bringen will, um ihn sich zu unterwerfen, so
steht ihm dies nach dem Naturrecht frei, da zu dem
Kriegführen der Wille genügt. Über den Frieden kann
aber kein Staat ohne Willen des anderen etwas bestimmen.
Deshalb hat jeder einzelne Staat das Recht zum Krieg,
dagegen betrifft das Recht des Friedens nicht blos einen,
sondern mindestens zwei Staaten, welche deshalb ver-
bündete genannt werden.^)
§ 14. Dieses Bündnis besteht so lange als die
Ursache, welche dessen Abschluss veranlasst hat, nämlich
die Furcht vor Schaden oder die Hoffnung auf einen Vor-
teil. Ist aber Eines oder das Andere für den einen Staat
fortgefallen , so bleibt er selbständig (§ 10, Kap. 2), und
das Band, was die Staaten umschlang, ist von selbst ge-
löst. Deshalb hat jeder Staat das volle Recht, das Bünd-
nis aufzulösen, wenn es ihm beliebt und man kann ihm
keinen Betrug und keine Untreue vorwerfen, wenn er sein
Wort nicht hält, sobald die Ursache zur Furcht oder zur
Hoffnung beseitigt ist, weil diese Bedingung für beide
Teile gleich war, nämlich dass der erste, welcher der
Furcht ledig würde, selbständig sei und nach seinem
Belieben sich verhalten könne. Auch würde ausserdem
niemand sich für die Zukunft verpflichten, ausgenommen
unter Voraussetzung, , dass die gegenwärtigen Umstände
flieh nicht ändern. Andern sich diese, so ändert sich
auch der Grund des ganzen Zustandes und deshalb behält
jeder der verbündeten Staaten das Recht, für sich zu
sorgen und deshalb sucht jeder, so viel er kann, sich von
der Furcht zu befreien und selbständig zu werden und
zu verhindern, dass der andere mächtiger werde. Wenn
mithin ein Staat sich über Betrug beklagt, so hat er nicht
den anderen Staat der Treulosigkeit, sondern sich selbst
der Thorheit anzuklagen, dass er sein Heil einem Anderen
anvertraute, der selbständig ist und dem sein eigenes
Wohl als höchstes Gesetz gilt.*«)
§ 15. Die Staaten, welche mit einander Frieden ge-
schlossen haben, sind berechtigt, die Fragen zu entscheiden,
welche über die Bedingungen und Vereinbarungen des
Friedens sich erheben, weil sie sich gegenseitig zur
Treue verpflichtet haben. Denn die Rechte aus dem
Frieden gebühren nicht bloss einem Staate, sondern allen,
die ihn geschlossen haben (§ 13 dieses Kapitels). Können
sie sich darüber nicht einigen, so kehren sie dadurch in
den Kriegszustand zurück, ^i)
§ 16. Je mehr Staaten miteinander Frieden geschlossen
haben, um so weniger ist der einzelne von den übrigen
zu fürchten, oder um so geringer ist die Macht des ein-
zelnen, die anderen mit Krieg zu überziehen; vielmehr ist
der einzelne dadurch um so mehr gehalten, die Bedin-
gungen des Friedens inne zu halten, d. h. (nach § 13
dieses Kapitels) um so weniger ist er sein eigener Herr,
sondern muss sich um so mehr dem gemeinsamen Willen
der Verbündeten fügen.
§ 17. Übrigens wird dadurch die Treue, welche die
gesunde Vernunft und die Religion lehrt, nicht aufgeho-
ben; denn auch die gesunde Vernunft und die Schrift
lehren nicht, dass jedes Versprechen gehalten werden
müsse. Wenn ich z. B. jemand versprochen habe, das
Geld, was er mir heimlich anvertraut, zu verwahren, so
72
Politische Abb. Kap. 4. § 1.
brauche ich Dicht Wort zu halten, wenn ich erfahre, oder
zu wissen meine, dass er das mir übergebene Geld ge-
stohlen habe; vielmehr handle ich dann richtiger, wenn
ich dafür sorge, dass das Geld seinem Eigentümer zu-
rückgegeben werde. Ebenso darf die Staatsgewalt ihr
Wort nicht halten, wenn, nachdem sie einem anderen
Etwas zu leisten versprochen hat, nachher die spätere
Zeit oder die Vernunft lehrt, oder zu lehren scheint, dass
die Erfüllung dem gemeinsamen Vorteile der Unter-
thanen zuwider sei. Da die heilige Schrift sonach nur im
allgemeinen lehrt, Wort zu halten, aber die einzelnen Aus-
nahmen eines Jeden Urteil tiberlässt, so lehrt sie soweit
nichts, was den von mir dargelegten Grundsätzen wider-
spricht. *2)
8 18. Um indes nicht zu oft den Faden der Rede
unterbrechen und um nicht später ähnlichen Einwürfen
entgegentreten zu müssen, so erinnere ich, dass ich dies
alles aus der Notwendigkeit der allseitig in Betracht ge-
zogenen menschlichen Natur abgeleitet habe, d. h. aus
dem gemeinsamen Bestreben aller Menschen, sich zu er-
halten. Dieses Bestreben erfüllt jeden Menschen, die
törichten, wie die weisen; mögen deshalb die Menschen
als durch die Leidenschaften oder durch die Vernunft
bestimmt angesehen werden, so ändert dies nichts, da der
Beweis, wie gesagt, allgemein gilt.
Viertes Kapitel.
§ 1. Das Recht der höchsten Staatsgewalt, was sich
nach ihrer Macht bestimmt, ist im vorgehenden Kapitel
behandelt worden und wir haben gesehen, wie es haupt-
sächlich darin besteht, dass sie gleichsam die Seele des
Staats bildet, welche alle Bürger zu führen hat. Deshalb
hat diese Staatsgewalt allein das Recht zu bestimmen,
was gut, was schlecht, was gerecht, was ungerecht ist,
d. h. was die Einzelnen oder alle zu thun oder zu unter-
lassen haben. Deshalb gebührt ihr, wie wir gesehen
haben , allein das Recht , Gesetze zu geben und diese in
dem einzelnen Fall, wo es sich darum handelt, auszulegen
Rechte der höchsten Staatsgewalt. 73
botenen anzunehmen (§ 12, 13 Kap 3) ' **'* *°«f«-
Staat nur von der Leit^in^ 5!Ü ".lu^" '^'^ ^^^ der
höchste Gews^t haben und es fnfi ''''•.*"«''. ^«'"he die
höchste Staatsgew:« berät?g/i? üTÄtr ''"'
der Einzelnen zu richtpn for„l, „ • j fandlnngen
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Strafe zu belegen und di/Riuf''V?'f Ye^brecher mit
Bargen, zu eSeMen ^der ÄS- ^^ ?*«' «J«»
welche dies an ihrer SteltevÄten .a^g?" .-'f t"'"'
allem berechtigt, alle Mittel für den Kr e«r „nH l • '?'"
zu verwenden und zu regeln • also S«rftl t^ "u *^"edea
zu befestigen, das Heef z^bethlilen d?e miH?" •" T**
zunahmen und die dairerÄtheÄf -«r„ -
a5 Ä «l^e?=- - i--e: sa
daf Besle de^Äerfe^d":^*^^^ "-" -'
h«chsVstartegew5fai''die r:!""*^^ aufzuwerfen, ob die
sie daher sie Sen könne 'llt •««^"'«'«V«' "-d <">
z^i^^ Ä-ni^rbK •, £
Bp-oA rA^Äh ' f"^""" "" «'« eine Chimäre
2» 8 Abb. üb. Verbesser, d. Verstandes. 7
74
Politische Abh. Kap. 4. § 4.
betrachtet werden. Der Staat sündigt also wenn er das
thut, oder geschehen lässt, was seinen Untergang ver-
anlassen kann und er sündigt dann m deniselben Sinn,
wie die Philosophen und Mediziner von der Natur sagen,
dass sie sündige. In diesem Sinne kann man sagen
dass der Staat sündige, wenn er Etwas gegen das Gebot
der Vernunft thut; denn der Staat ist dann am meisten
Herr seiner selbst, wenn er nach den Geboten der Ver-
nunft handelt (§ 7, Kap. 3); soweit er also f geji di«
Vernunft handelt, soweit sündigt er oder handelt unrecht.
Es wird dies klarer, wenn man bedenkt, wie bei dem
Ausspruch, dass jeder über das, was seines Rechtes ist,
nach Belieben verfügen kann, diese Macht nicht bloss
durch die Macht des Handelnden, sondern auch durch
den entsprechenden Zustand des Leidenden beschrankt
wird. Saie ich z. B., dass ich mit diesem Tisch machen
kann, was ich will, so meine ich doch wahrhaftig damit
nicht dass ich das Recht habe, zu bewirken, dass dieser
Tisch Gras verzehre; ebenso meine ich, wenn ich sage,
dass die Menschen sich nicht selbst, sondern dem Staate
angehören, nicht, dass die Menschen die menschliche Natur
verlieren und eine andere annehmen und dass der Staat das
Recht habe, zu bewirken, dass die Menschen fliegen, oder
was gleicherweise unmöglich ist, dass sie mit Ehrfurcht
etwas betrachten, was Lachen oder Ekel erweckt; son-
dern dass, unter gewissen Umständen, die Unterthanen
gegen den Staat Ehrfurcht und Scheu hegen müssen
und dass mit Wegfall dieser Umstände diese Scheu und
Ehrfurcht und damit der Staat zugleich hinwegfalle.
Damit also der Staat seine Selbständigkeit erhalte , muss
er die Bedingungen der Scheu und Ehrfurcht sich er-
halten, sonst hört er auf, ein Staat zu sein. So ist es
Denen oder Dem, der die Herrschaft hat, ebenso un-
möglich, betrunken oder nackt mit öffentlichen Dirnen
durch die Strassen zu laufen, den Komödianten zu
machen, die von ihm selbst gegebenen Gesetze offen
zu übertreten oder zu verachten und dabei die Majestät
sich zu bewahren, als es unmöglich ist, zu sein una
tugleich nicht zu sein. Das Morden der Unterthanen,
das Plündern, das Rauben der Jungfrauen und ähn-
liches verkehrt die Scheu in Unwillen und folglich den
bürgerlichen Zustand in den Zustand der Feindseligkeit.
Wie weit der Staat an Gesetze gebunden ist. 75
kann? dasaß'S; sVafiJ' d^: ^ ^^^'^ «^^^ -an sagen
fehlen könne. VeSteht rnfn'^"''*'" ^^^»"^^° «ei und
bürgerliche RechtrwaL nach ^'. "°k' ^'"^ ^'''^' ^^s
selbst geltend gern JwerS kZ ^^T'^^^^'"" ^^^^
das, was dieses börgerlilhe Sohf °' u^f "°*^^ ^'^^echt
man diese Worte in ihrem ecttenCn^^'^^^ ^'' "^'"t
keiner Weise sagen, daL dpr iff! ? "^' '^ ^^nn man in
bunden sei odefs^ ni^hrrK^*? ^^" «^^*°« besetze ge-
Kegeln und die B:ding ien Ä^^ ''''^ J?«"° ^^«
welche der Staat seinftwSpn hL 1??^" "°^ Ehrfurcht,
D^cht diese Gesetze des StS T^,^'"" T''^ ^«^^^ffen
da letzteres (nach dem voriehUr p" ^^' Naturrecht,
^nrch das Recht des Staat,!!^^^" Paragraphen) nicht
des Krieges geschüztwe 'den kann ""' ^^/^^^as Rech
?5 aus demselben GrTnde d-r?n ' ""^^"" ^^^at ist
li^inzelne in seinem noHili- u ^l^^ gebunden, wie der
*' I, sich hüten muss sTh Lil ♦ *'^^°^' ^««^ werden
welche kein Gehorsam' fi ~i ^®"'!' ^" töten; eine Sor?e
liehen Natur is^Sk;ren'■"^./''^'■^^*'''^«^ -"S
Rechte nur von dem BeSsse Ä 9' »»a^gerhchen
braucht dabei auf lieinen SL *^^^*'« *^ «"«^ dieser
""d dass er frei bleibe ZZZn' T ''"^ «'«l" ««'«»st
das für gut „„d schlecht zn^K? ""^ ^' ''^»'«='" ••"
»ä gut oder schlechterkennt n'''.T.?\'' ^^' «'<">
bloss das Recht, sich zu S;^- **''^"' •"»* « nicht
«nd ^uszulegen/soDderueTgJf»' Gesetze ="'/«ben
ve-^eÄ)''"'"'^'-^- - -'- ÄÄiS
•äurch^UrdTe mS tX t' ""r^^S^ -<^ Gesetze,
«der einen MensS if *"''* \"^ e'"« Versammlung
*enn das GeSwohTihre Wr?f ''**' ^«^'«t^* ^e'de>f
Scheidung hierflbeT, ob nämS t,f<^ ^"^'^"«'- »'« Ent-'
'ange oder nicht kommf Jh! ?*? Gemeinwohl dies ver-
»w den, Inhaber der Steatttl^nT ^„"'^«^' ««»dem
(nach § 3 diesp« Vä^jf f f*tsge«ralt dem Rechte nach zu
Serlichln & fn^'^^'^f 'l*'^ •"«'»>* "«ch dem bür
»"einige AMeUllrtJ^^V'^y^"^''^'^''' ^^
J^nvatmann das Recht hat d^O^M" ''°"""*' ^"^ kei"
^■n verbinden sie De?ttrdÄ"ÄS' i^'e
7*
I
fjQ Politische Abb. Kap. 5. § 1. 2.
hat.« Sind 8ie jedoch der Art, ^,»«« «J« J^^J^^rsf die
gleich die Kraft ^es Staats erscMte^ h da«^.,d.e
gemeinsame Sf et. Jer meisten B^^^«'^^« „^^ „„^ ^^r
SBHle Änfen ^^^£
Äten wie der Einzelne im Naturzustande, um nicht
worden ist.
Fünftes Kapitel.
81 In § 11 des Kap. 2 habe ich gezeigt, dass ein
Menslh dann^m meisten . l^'^^Jf" ^'Llf ,',„7 Wol^
meisten von der Vernunft sieh leiten lasst »»a dass toig
«Ph «n J. derieniee Staat am mächtigsten und selbstän-
digsten tt weffi i«f die Vernunft gegründet nnd von
\ fhf gdeltei Trd. Da nun diejenige Leb---«£,^tn
zur möglichsten Erhaltung semer selbst ist , :^e'«oe ^«?
Torschriften der Vernunft gemäss emgerjchtet. st so fog^,
dass alles das das Beste ist, was der Men ch oder Staa^
♦hnt insoweit er am meisten selbständig ist. uenn icn
ÄuX nfcht, dass alles, was mit Recht geschieht auch
" daiÄ sei; einen Ack^r mit Recht bebauen .st nicht
-Selbe als hn am besten bebauen ; und ebenso , meine
fch ist es nicht dasselbe, sich mit Recht zu schützen, zu
ftaltenr^ä urteilen u. s'. w. und alles dies am bestenju
thun und deshalb ist es auch nicht dasselbe, mit Recht
in einem Staat zu herrschen und zu regieren und dies
'am beXn zu thun. Nachdem ich daher bU jetzt jon^em
Recht eines jeden Staates ™ a".g«■"«"«^!^^*"^f jS
, ist es Zeit, über die beste Weise eines jeden Regimente
zu handeln ^) ^^^^ .^^ ,,.,^t ,„,
demWk der bürgerlichen Gesellscha abzunehmen
\ es ist dies kein anderer, als der Friede und die Sicher
l^eit des Lebens. Deshalb ist dasjenige Regiment das
Die wahren Grundlagen des Staats. 77
Aufstinden, Kriegen P ««»*,! *S^ ^'® Schuld von
tretungen n'ichT owöh'l dt ßthÄr n^f^K"'^ ^^''■
der schlechte Znstand der Re^fernnt ^n*'""*w"^°'.. *'« ,
Mensch wird nicht ffebor«^ 11! ^- i.Pf bürgerliche
sind die natürSL^^fiS^—^^^-^iS'-Sibildet. Überdem i
selben herStde8lÄfHL^'''^''^l^"° «'»«'''" die-
heit und wer^n dort mehren "/'"l*"^***'« mehr Bos-
anderen, so kommt es Tich^rÄ^''^^*"/*"' »'« '» <>««"
stände nicht besSh«f^ ^'* Ursachen der Anf-
erwartPn h.f "^^^J"«' bat, wo man stets den Kries zn
s ,^•st^U"tm"kSrz„t'^'r ^'^'^''•>'' «^"^'^«t«»
wo jeder nach seinem ßtLh °! nT.^ unterschieden,
sich"^bewegt ^''^'"° ""' Ö«'^*'" «««es Lebens
gebuSdenhelt u"nd wLf^^tnX^ZfflTlJ'^ ^»-
Schuld träfft- «n :^i7^^P®°stigkeit der ünterthanen die
8 i vi • Aufstand vorgekommen ist.«)
PurcIt'nicJtzu'deTÄ^n'.'^T" ünterthanen^ „ur aus
rrS^ »I? arÄÄ SsSr:
behShe Wille dat,'':r'° ^""^^ K^^J ^''P- 2) ist de",
Einöde als ein St«a/^» Gehorchen lernen, vielmehr eine
R >i m genannt werden.
nenn! w« ^-^"^ ''''' .'''^"' dasjenige Regiment das be8te\
H darunter IlX*;'''." '""^^ •«^«•'' «« ^^'
uarunter em Leben, dass nicEFlSloss in dem BIntumlauf
78
Politische Abh. Kap. 6. § 6. 7.
Die Festigkeit des Staats.
und anderen , mit allen Tieren gememsamen ZuständeB
besteht, sondern das vor allem nach der Vernunft, al»
dM wahren Tugend und dem wahren Leben der Seele,
sich ^f'^f^ bemerke, dass ich unter dem Uegiment,
was ich 'zu dem Behuf eingerichtet verlange, das von einer
freien Anzahl Menschen errichtete verstehe und nicht das,
was gegen diese Menschen durch das Recht des Krieges
\ erlanlt worden ist. Eine freie Menschenmenge wird mehr
S die Hoffnung als durch die Furcht geleitet; eme
'unterworfene mehr durch Furcht aU durch die Hoffnung;
iene strebt das Leben zu verbessern; diese sucht nur
^dem Tode auszuweichen; jene, sage ich strebt sich selbst
zu leben, diese ist dem Sieger unterworfen; deshalb nennt
man diese hörig und jene frei. Deshalb ist der Zweck
S^es Regiments^ was irch das Kriegsrecht erworben
wTrd, die Herrschaft und der Besitz von Sklaven, nicht
von ünterthanen. Wenn auch zwischen einem Reg™ent,
was die Menschen frei errichten und dem durch Krieg
«worbenen in bezug auf das beiderseitige Recht im all-
gemeinen ken wesentlicher Unterschied besteht so sind
doSi "hre Ziele, wie ich gezeigt, und die Mittel durch
wdche jedes sich zu erhalten hat, bei ihnen sehr ver-
schieden.«)^.^ Mittel, welche ein Fürst, der nur von der
Herrschsucht geleitet ist, anzuwenden hat, um seine Herr-
fchaft zu begründen und zu erbalten, hat der scharfsinnige
Macchiavel ausführlich dargelegt; in welcher Absicht er
es aber gethan, ist nicht recht klar. War sie gut w e
man von einem weisen Mann annehmen muss, so wollte
er wohl zeigen, wie verkehrt viele handeln, wenn sie die
Tyrannen zu beseitigen suchen, ohne die Ursachen, welche
den Fürsten zum Tyrannen machen, zu beseitigen; wie
sie vielmehr diese Ursachen steigern, je mehr sie dem
Fürsten Anlass zur Furcht geben , was dann geschieht
wenn die Volksmasse ein warnendes Beispiel an den
Fürsten aufstellt und des Fflrstenmordes wie einer guten
That sich rühmt. «•) Vielleicht hat er auch zeigen wollen
wie sehr ein freies Volk sich hüten muss, sein Wohl nicht
einem Menschen unbedingt anzuvertrauen, der, wenn er
n cht eitel ist und nicht meint, allen gefallen zu können,
Uglich die Nachstellungen fürchten und deshalb eher sich
7«
IZt^mZ^ iT ^•"'' »«?''«'«»«''> als für dasselbe
sorgen muss. Ich neige mich mehr zu dieser Ansicht
Sit'e-'drPrlt-f'""''f ".***""' "^* er bekanntlich aa
amt^ÄLirJetbenrat..^!^ '^«'^" "^'^'^ '">
Sechstes Kapitel.
j J \ ?* ^'*. Menschen, wie gesagt, mehr durch ihro
Leidenschaften als durch die Vernunft sich leiten lassen
so folgt, dass das Volk nicht durch die Vernnn rsoS
durch eine gemeinsame Leidenschaft naturgemäÄümmt
wird wenn es seh vereinigt und in eignem ^ et
fuhrt sein will (wie ich in § 9. Kap. 3 dargelegt habe^
sei dies nun eine gemeinschaftliche Hoffnung^odef Furcht
oder das gemeinsame Verlangen, einen Sehaden zu rächen
Da indes allen Mensehen die Scheu vor der Verernsamu„;
einwohnt, weil niemand da die Kraft hat, s7ch zu ver^
teidigen und die notwendigen Bedürfnisse Ses Lebens zu
gewinnen so verlangen deshalb die Menschen von N^tur
nach dem bürgerlichen Znstand, und die Menschin können
ihn auch niemals völlig auflösen, »ä) """"""en ''onnen
§ 2. Deshalb führen die Streitigkeiten und Aufstände
die in einem Staate öfters entstehen, niemals zur 1^«^
tZ^^^ ^"'f •"''' '" «''"^^'«» Gemeinschaft^ oft vor^
kommt), sondern nur zu einer Veränderung seiner Form •
wenn nämlich nnter der bestehenden Form Te StreitS'
keiten nicht beigelegt werden können, ü^tei^ den zu^J
her '^"."fr^M ^^iT'"' "ötigen Mitteln ve?stehelch dä^
her die Mittel, welche zur Erhaltung seiner Form ohne
erhebliche Änderung derselben erforderlieh sind?
.? ^- Ware die menschliche Natur so beschaffen dass 1
die Menschen das Nützlichste am meisten begehrten so l
bedurfte es keiner Kunst zur Erhaltung def Eintracht '
und Treue; indes verhält es sich ganz anders mit der
menschlichen Natur, und deshalb mim das Sment so
eingerichtet werden, dass alle, sowohl die Reifenden -
wie die Regierten, mit oder ohne ihren Willen dM thm. ^
was das gemeine Wohl erfordert, d. h. daL alle e^twäe; \
f.
IL ;l
80
Politische Abh. Kap. 6. § 4. 5.
freiwillig oder mittels Zwangs oder aus Not nach den
Vorschriften der Vernunft leben müssen.ss) Dies ge-
schieht dann, wenn das Regiment so eingerichtet ist, dass
das zu dem gemeinen Wohl Erforderliche nicht von der
Treue eines einzigen Menschen abhängt. Denn selbst der
Wachsamste schlummert mitunter und niemand ist so
festen und reinen Gemütes , dass er nicht manchmal und
namentlich da, wo die Seelenstärke am notigsten ist
nachgäbe und sich überreden Hesse. Es ist deshalb
thöricht, von jemand das zu verlangen, was niemand von
sich selbst verlangen kann, d. h. dass er für andere mehr
als für sich wache; dass er weder geizig, noch neidisch,
noch ehrsüchtig u. s. w.sei; namentlich wenn es jemand
betrifft, welcher den Verlockungen aller Leidenschaften
tagtäglich ausgesetzt wird.54) , j- es ^
8 4. Dennoch lehrt die Erfahrung, dass die Sorge
für den Frieden und die Eintracht die üebertragung aller
Gewalt auf einen Menschen verlangt. ^5) Kein Reich hat
ohne erhebliche Veränderungen so lange bestanden als
das türkische, und umgekehrt ist kein Staat weniger
dauerhaft gewesen als die Volksstaaten oder Demokratien,
in diesen sind die meisten Aufstände gewesen. Wenn
iDdes die Sklaverei, die Barbarei und Vereinsamung den
Frieden ausmacht, so gäbe es für die Menschen nichts
Schlimmeres als den Frieden. Allerdings kommen unter
Eltern und Kindern mehr und bitterere Streitigkeiten vor,
als zwischen Herren und Dienern, und doch wäre es tür
den Hausstand nicht gut, das Recht des Vaters in das
eines Eigentümers umzuwandeln und die Kinder aen
Sklaven gleichzustellen. Das Interesse der Sklaverei, nicht
aber das des Friedens verlangt deshalb, alle Gewalt aut
Einen zu übertragen; der Friede besteht, wie gesagt
nicht in dem Nichtsein des Krieges, sondern m der JJ^in-
heit und Eintracht der Gemüter.
8 5. Auch irrt man stark, wenn man es tur moglicn
hält, dass ein Einziger die höchste Staatsgewalt inne haben
könne; denn das Recht bestimmt sich, wie ich Kap. 2 ge-
zeigt habe, nur nach der Macht, und die Macht eines
Menschen ist der Übernahme einer solchen Last nicht ge-
wachsen. Hat daher das Volk sich einen König gewählt,
80 geschieht es, dass dieser sich nach Feldherren oder
Räten oder Freunden umsieht, welchen er sein und Aller
Gefahren der Herrschaft eines Einzigen. g^
Wahl anvertraut. Deshalb ist das Regiment, was man für
ein absolut monarchisches hält, in Wahrheit und der That
nach ein aristokratisches, was aber nicht offen hervortritt
sondern im Verborgenen und deshalb um so schlimmer
besteht. Dazu kommt, dass wenn der König nocHin
Knabe ist oder krank oder altersschwach, fr nur zum
Scheine Konig is ; dann besitzen in WahVheit diejenigen
die höchste Gewalt, welche die wichtigeren StaatsSffte
besorgen oder dem Könige am nächsten steheirw^^^^^^^
^h nicht erwähnen mag, dass, wenn der Koni J der
Wollust ergeben ist, die Leitung aller Angelegenheiten dem
Belieben einer oder mehrerer Buhlerinnen oderKupplerinne^
„Ich hatte wohl gehört, dass in Asien ehemals die Frauen
§ 6. Es steht flberdem fest, dass der Staat mehr
von seinen Bürgern als von den Feinden gefthrderist
da die guten selten 8ind>) Deshalb wird dfr Eine anl
dt°Bu'rt.f'"'v St«t^^«.«'alt «bertragen worden f,imer
die Burger mehr als die Feinde fürchten , sich deshalb
vorsehen und für die ünterthanen nicht sorgen sondern
^nen nachstellen; namentlich Denen, dTsich durch
mäcäg sinr"'"' "^'^ ^'' •^"^'^ •'"'"'" ««•«'»""'»
n,Pl>r^fLu?*^",''T?*' '^*'' die Könige auch ihre Söhne
mehr fürchten als Leben; namentlich wenn diese in den
fnnt" rl"! Fnedens und Krieges sich auszeichnen imd
von den ünterthanen ihrer Tugenden wegen geliebt wer
den Deshalb erziehen die Kön^e ihre Söhne fo, da s der
Anlass zur Furcht beseitigt wird. Die Beamten helfen
«n«h-M'f"*'-^'^l'x'^''" Könige und beeifern sich, einen
ungebildeten Nachfolger als König zu bekommet der
d"ch Kunstgriffe geleitet werden kann. ^'''"°'°^"' "«'
_fe 8. Ans alledem erhellt, dass der König um so
so' kltliow'^."^-'^ K"°i "^'^ ^'S' ^«' ünterthfnen um
p;nil«u^l '^*' J* beliügongsloser alle Staatsgewalt auf
Einen übertragen wird. Es gehört deshalb zu einer gut
eT"*;Ä ^^»"archie, dass man die Grundlagen Ist
ege, auf die sie erbaut wird; aus diesen soll für den
Monarchen die Sicherheit und 'für das Volk der Frieden
hervorgehen. Deshalb ist der Monarch dann am selb
Q2 Politische Abb. Kap. 6. § 9 — 12.
Btändigsteu, wenn er am meisten für die Wohlfahrt seineB
Yofkes BO^t. Diese Grundlagen d^ 'P»"««^'«,'*/" ?,f:
giments will ich kurz angeben und sie dann der Reibe
nach im Einzelnen darlegen. ^3^)
8 9 Es müssen eine oder mehre Städte erbaut
und lef^stigt werden,""; deren Einwohner das gleiche
Bürgerrecht gmieasen, mdgen sie innerhalb oder, des
Ackerbauea legen, ausserhalb der Mauern wohnen; jede
ml jedoch eine bestimmte Anzahl Bürger zu •h/e'n «nd
zum gemeinsamen Schutz enthalten; vermag eine btadt
diese Bedingung nicht zu erfüllen, so muss sie unter
anderen Slungen in die Botmässigkeit genommen
w6rdcD • ^^^) 1 •
8 10. Das Heer darf nur aus den Bürgero , keinen
ausgenommen, und aus niemand sonst bestehen; jeder ist
deshalb verpflichtet, die Waflfen zu führen und keiner
kann Bürger werden, der nicht den Kriegsdienst gelernt
hat und verspricht, zu bestimmten Zeiten im Jahre an
den Übungen teilzunehmen. Wenn dann die Streitbaren
aller Stämme 5^^) in Hauptmannschaften und Regimenter
verteilt sind, so dürfen nur Die zu Offizieren gewählt
werden 57) welche die Kriegskunst erlernt haben. Ferner
können die Führer der Hauptmannschaften und Regi-
menter wohl auf Lebenszeit bestellt werden, aber der
oberste Führer der Miliz eines Stammes darf nur für die
Kriegszeit gewählt werden, sein Amt nur ein Jahr lang
behauen und es weder länger führen, noch von Neuem
dazu gewählt werden. Diese Führer müssen aus den
Räten des Königs (von denen in § 15 u. f^ gehandelt
werden soll) oder aus den Stellvertretern gewählt werden.
S 11 Alle Einwohner und Anwohner der btadte,
also alle * Bürger müssen in Stämme eingeteilt werden,
welche besondere Namen und Zeichen erhalten. Alle
Kinder dieser Stämme gehören zu den Bürgern und wer-
den mit Namen in das Stammverzeichnis ^ eingetragen,
wenn sie die Jahre erreicht haben , wo sie die Waffen
tragen und den Dienst versehen können; nur die ehr-
losen Verbrecher, die Stummen, die Wahnsinnigen, die
Dienstboten und Die, welche einen entehrenden Erwerbs-
zweig treiben, bleiben ausgeschlossen. n a a
8 12. Das bebaute Land und der ganze Grund und
Boden, womöglich auch die Häuser , sollen öffentliches
Der Adel. Der grosse Rat. go
Eigentum sein und dem Inhaber der Staatsgewalt gehören
TrlfLf''' r^ 'T" ifl^^lichen Zins dfn B^lern Tn
der Stadt und den Landleuten vermietet :58) sonst ist n
Friedenszeiten jedermann frei von allen Abgaben Von
jenem Zins wird ein Teil für die Befestigunlswerke des
Staates und ein anderer zu dem häuslichenTedarf des
Ans dt^^di/ -^^^ es ist nötig, dass während d
^ riedens die Städte sich zu dem Kriege rüsten, und dass
werdt. ""^ ''"'*^'^' Kriegsmaschine! in Stand gesetz?
wählf If Wenn der König aus einem der Stämme ge-
wählt ist so gehören nur die Nachkommen des Königs
zum Adel; sie müssen sich durch königliche AbzeS
Jchdir ^"^^^ ""^ ^'" ""^^^^" Itämml unter.
o„o I- ^^' A?^f männlichen Anverwandten des Konica
aus diesem Adel, welche mit dem regierenden König b!s
zum dritten und vierten Grade verwandt sind, dürfen nicht
dt ftir'l:r ''''"^'^J'i ^^^^"^^'^ «ollten:!' geXn
diese für illegitim; sie bleiben von allen Ehren aus-
geschlossen und gelten nicht als die Erben ihrer Eltern
vielmehr fälU deren Vermögen auf den KL'nurS)
§ 15. Ferner müssen die Räte des Königs die ihm
am nächsten stehen und der Würde nach £ Zweiten
sind, der Zah nach ihrer mehrere sein und nurlus
Ä^X^'S *r ''''^J °%"^^^^ ^"« J^^^- Stamme dre'
vier oder fünf (wenn der Stämme nicht mehr als 600
Ä tbeTnlr'% i'r ^^*^^^*^^ dieser K^^ersÄ
vfer oder fiin^^^^^^^^^ Lebenszeit, sondern nur auf drei,
V erte oder fLÄ ?,%^^'' 'l J"^""^ ^^^'^ ^«^ ^^^^te
vierte oder fünfte Teil dieser Körperschaft neu eewählt
iSm i^Jr' "^'"l' ''' .^^^^«^ ^^ halteuMraus
Ä weS) "^'"^^^'^"^ ^^^ rechtserfahren^r Rat ge-
§ 16. Diese Wahl geschieht von dem Könige- ieder
Stemm hat zur bestimmten Zeit, wenn jährlich die ne„en
Rate zu wählen sind, eine Liste aller seiner Bürger über
50 Jahr, die um dieses Amt sich bewerben und förmlich
wl'w'S-^"'^'" r^'. ^^^ Könige zu überre'chenraSs
welcher dieser nach seinem Ermessen die Auswahl rifft
In einem Jahre, wo ein Rechtsverständiger an Stelle ehies
solchen eintreten muss, ist dem Könige nur di^L ste der
iilj
84
Politische Abh. Kap. 6. § 17—19.
Bildung des grossen Rats.
Rpchtsverständieen einzureichen. Alle Rite, deren Amta-
Sabgekufenlt, können ihr Amt nicht fortführen und
dürfen auch in den nächsten fünf Jahren oder noch länger
in die Liste der zu Wählenden nicht wieder aufgenommen
werden. Der Grund, weshalb in jedem Jahre einer aus
iedem Stamme gewählt werden soll, ist, dass diese Kats-
versammlung nicht das eine Mal aus unerfahrenen Neu-
lingen und das andere Mal aus erfahrenen Alten bestehe,
wai der Fall sein würde, wenn alle aut einmal ausschieden
und neue nachfolgten. Wird dagegen aus jedem Stamme
iährlich einer gewählt, so wird nur der fünfte, vierte
oder dritte Teil der Versammlung aus Neulingen be-
stehen.«') Sollte der König durch andere Gesehafte oder
sonst eine Zeit lang an der Vornahme dieser Wahlen be^
hindert sein, so haben die Räte selbst die Wahl für die
Zeit vorzunehmen, bis der König entweder andere wählt
oder die von den Bäten Gewählten bestätigt.
S 17 Die hauptsächlichste Aufgabe dieses Kats ist
die Verteidigung der Grundgesetze des Reichs und die
Unterstützung des Königs mit seinem Gi^aohen, damit
dieser wisse, was das allgemeine Wohl verlangt. Deshalb
darf der Köuig ohne vorherige Anhörung dieses Kats
keine Beschlüsse fassen. Machen sich jedoch , wie dies
gewöhnlich der Fall sein wird , in dieser Versammlung
nicht bloss eine, sondern mehrere Meinungen geltend
trotzdem, dass selbst die Sache zwei- oder dreimal beraten
worden ist, so darf deshalb die Sache nicht hingehalten
werden, sondern die entgegengesetzten Ansichten amd dem
Könige vorzulegen, wie ich in § 25 dieses Kapitels an-
geben wer e^^ ^^^ ^^^^ ^.^^^^ Versammlung gehört
auch die Bekanntmachung der Anordnungen und Be-
schlüsse des Königs und die Besorgung dessen, was zum
allgemeinen Besten beschlossen worden, so wie für die
ganze Verwaltung des Staats als Stellvertreter des Königs
zu sorgen. )^_^ ^ ]iönnea nur durch diese Ver-
sammlung Zutritt zu dem König erlangen; ihr sind alte
Anträge oder Bittschriften zu übergeben , um sie dem
Könige einzureichen. Auch die Gesandten fremder Staaten
könnln nur durch Vermittlung dieser Versammlung
Audienzen bei dem Könige erlangen, und die von auswärts
85
für den König eingehenden Schreiben müssen ihm durch
diese Versammlung überreicht werden ; so dassde^S
iZW%^'^ ^'''' ^"^ ^^''^^ '"«' diese Verslmmlunf
wie die Sinnesorgane dieser Seele oder wie der Körne!
des Staate anzusehen ist, durch welchen die Seele die
Lage des Staates wahrnimmt, und durch weche sie daä
was sie für das Beste hält, ausführt.«) '
ii»„f^.i-^" ■i"*''' ^'®. Erziehung der Söhne des Königs
legt dieser Versammlung ob und ebenso die Vonnund!
Schaft wenn bei dem Tode des Königs sein Nachfo^r
wÄen" SeTzl"d?"*v'"''"",«*^"- """An
wanrena dieser Zeit die Versammlung nicht ohne Koni"-
sei, muss aus dem Adel des Staats ein Ältester gewähfi
Sir'f fAu'" König vertritt, bis der rechtSsTge
"SuJg'üitXeÄn*!' ^" " '^''^ ^'-^ ^-*-
§ 21. Die Anwartschaft zum Mitglied dieser Ver-
Se'oÄt vf'/^'*'''^ 'J' f^^'«'»"^' di^ Grund-
gesetze oder die Verfassung des Staates kennen dessen
3 hrten°Xri^?"'Ä "'' ^.^.^'^ Stelle eTnes' Rechte"
gelehrten dann einnehmen will, der muss ausserdem auch
die Regierungen und die Verhältnisse der Staaten kennen
mit denen sein eigener Staat in Verkehr steht. Erst m"t
dem fünfzigsten Jahre können die Anwärter, wenn ^e
kemes Vergehens überführt sind, in die Liste der 'zu Wählen
den aufgenommen werden.«*)
w,tJ.f' Diese Versammlung darf nur in Gegenwart aller
Mitglieder beschl.essen; ist eines durch Krfnkheit oder
sonst verhindert, so muss es einen andern ans demselben
V rrhtet'^.f "'n'/*^*.' ^•''"■?^»' ^«'''''« dasselbe Am"
verrichtet hat, oder der schon in die Wählerliste auf-
f^rr^iK'*^-- 5*' ^'' ^'''"•"'"te d«« verabsäumt und
bat deshalb die Versammlung die Beratung eines Gegen-
lth°en'V:;f.'"'f'° müssen ,%o ist er mif einer emffin.
W^.^ ^T*^" zu belegen. 6S) Dies gilt indes nur für
Angelegenheiten welche das ganze Reich angehen, also
GeseS für^^'''^*'"^ /"' Aufhebung oder^Erlass von
ijtesetzen, für den Handel u. s. w. Bei Angelegenheiten
S "" 'T. "^Z' '^•« ''"^"« Stadt odef ättschrS
betreten, genügt, dass die Mehrheit von den Mitgliedern
der Versammlung anwesend ist.
§ 23. Damit unter den Stämmen in allem die Gleich-
86 Politische Abb. Kap. 6. § 24. 25.
heit und die Ordnung rücksichtlich des Sitzes, ^^ An-
träge und Reden eingehalten werde, findet ein W^hsel
in dem Vorsitz der Versammlung für die einzelnen Stamme
der Reihe nach statt, und welcher in der einen bitzung
der erste war, wird in der folgenden der letzte sein. Unter
den Mitgliedern aus demselben SUmme hat hierbei der
früher Gewählte den Vorrang. „ . ^ . _„, .
8 24. Diese Versammlung soll wenigstens viermal im
Jahre berufen werden, um Rechenschaft über die Staats-
verwaltung von den Ministern zu fordern , um von dem
Zustand des Reichs Kenntnis zu nehmen und zu sehen,
was anzuordnen nötig ist. Denn es scheint unmöglich,
dass eine so grosse Anzahl von Bürgern fortwährend dem
öffentlichen Dienst obliege; da indes die Staatsgeschäfte
in der Zwischenzeit nicht ruhen können , so sind tüntzig
oder mehr aus der Versammlung auszuwählen, welche
täglich in der Nähe des königlichen Hof lagers sich ver-
sammeln und da alltäglich für die Staatsgelder, die
Städte, die Befestigungen, die Erziehung der königlichen
Söhne und überhaupt für alles, was dem grossen Rat
nach dem Obigen obliegt, sorgen ; nur neue Einrichtungen,
über welche noch nichts beschlossen ist, sind hiervon aus-
genommen. , V
8 25. Ist die Versammlung beisammen, so haben vor
der Beratung fünf oder sechs oder mehr Rechts verstan-
dige aus den Stämmen , welche für diese Session an der
Reihe sind, den König anzugehen, um ihm die Bitt-
Schriften oder Briefe zu überreichen, die sie etwa enoptan-
gen haben, um ferner über den Zustand des Reichs zu
berichten, und um endlich von ihm zu l^ören, welche
Gegenstände er dem Rat vorgelegt haben will. 66) Dem-
nächst kehren sie in die Versammlung zurück und der
Erste der Reihe nach hat die Beratung zu eröffnen. Die
Abstimmung darf nicht gleich erfolgen, wenn Einzelnen
die Sache von Erheblichkeit erscheint, sondern ist so
lange zu verschieben, als die Angelegenheit es gestattet.
Wenn die Versammlung sich bis zu diesem Zeitpunkt ge-
trennt hat, so können inmittelst die Mitglieder jedes Stam-
mes untereinander die Sache beraten und bei wichtigem
Fragen ihre Vorgänger oder die Anwärter (§ lö) an-
hören. Sollte ein solcher Stamm in der bestimmten t rist
nicht einig werden, so bleibt dieser Stamm von der Ab-
Der Rat für die Rechtspflege. 37
Stimmung ausgeschlossen (weil jeder Stamm nur eine
Stimme führt) ;67) sonst trägt der Rechts verständige jedes
Stammes die Ansicht, welche für die beste erkannt wor!
den, in der Versammlung vor, und ebenso thun es die
übrigen. Wenn die Majorität nach Anhörung der An-
sichten und der Gründe Aller eine nochmalige Erwägung
7li\flJV'''^'^ ^"^'"'^ y?^^ ^^ ^^"° je^er Stamm
seine letzte Meinung ausspricht und in Gegenwart der
ganzen Versammlung die Stimmen gesammelt werden. 68)
^ll?w7-''^^° «nter Beiseitelassung jener Anträge, welche
nicht wenigstens hundert Stimmen für sich erlang haben,
die übrigen Anträge dem Könige von allen Rfchtsve?'
hltir°^ '''^^^' der Beratung beigewohnt haben, über-
bracht, um aus denselben, nach Einsicht der Gründe für
jeden, den auszuwählen, welchen er billigt. 69) Alsdann
aüeTenfr-''^'^^'^^.'" ^'' VersammZg zurück wo
fhm Ih-n- JJ'^ a'"'. ^f^^'^^^en Zeit erwarten, um die von
zu^e?nÄ%t)"^^^^ "°^ ^^« - - *^- b-^lossen,
v...^ ^^; ^"'' Verwaltung der Justiz ist eine andere
Versammlung aus blossen Rechtsverständigen zu bilden 7i)
welche die Prozesse zu entscheiden und die Verbrecher
rltf r? ^"^ ^'^^®; ^^*' ^"^^«3 ™«8sen alle ergehenden
Erkenntnisse von denen, welche die Stelle des grossen
(W plrSif '-.^^^^^ ''''^'°> ^^ «'« "^^ Beobachtung
(1er Form ichkeiten und unparteiisch ergangen sind. Kann
rLT'.^^'^r n' ^f^^ ^^^eisen, dals ein Richter vom
3o? • ''''''^ Geschenke bestochen worden, oder dass
sonst em genügender Grund für ein Einverständnis mit
n^r /J''^ ''i^'' ®'T S^'"^" ^^^«" «ie selbst bestehe,
wIrH fTh^P ^^"^ f'' Verfahrens verletzt worden, so
w rd solche Partei m den vorigen Stand wieder eingesetzt.
^•e in T ^' '^'^i ^'' .^^"^t^^" °^^^* eingeführt werden,
rrflnL^*7^^^"^u m^°/°^^^^^^*^ nicht%owohI durch
Oründe, als durch Torturen zu überführen pflegen; aber
auch hier nehme ich kein anderes richterliches Vei^^.
S'ver^t^i^! 72)"^^' "^^ ^'' ^''*'° Verwaltung des Staates
§ 27. Diese Richter müssen 'öfiie erhebliche und
dabei ungerade Anzahl bilden; nähmlich 61 oder weniff-
stens 51; aus jedem Stamme ist nur Einer, aber nich!'
:■§
33 Politische Abh. Kap. 6. § 28—33.
anf Lebenszeit zn wählen; auch »»«' "«J^SSäW-
Teil ausscheiden, und die *»« ?°3«™„^"'"J^*°±^!^^8te
ten müssen dafür eintreten. Alle müssen das vierzigste
Jahr erfüllt haben.'») . ße».-
8 28 In dieser Versammlung darf nur m uegen
wart aller Richter ein Urteil gesprochen werden. Kann
lin Mite ied wegen Krankheit oder sonst längere Zeit n cht
äSnf solt'ein Stellvertreter für diese Z^^^^^^^^
Bei der Abstimmung giebt Keiner «e^« stimme offenthc^
ab, sondern durch schwarze oder ^«»«e Steinchen ^
8 29. Das Einkommen der Mitglieder beider Ver-
sammlungen besteht ans dem Vermögen der zum Tode
vSnrteilten und den Geldstrafen. Ausserdem hat Jeder,
weLh in einem bürgerlichen Rechtsstreit unterlegen jst
nach Verhältnis der streitigen Summe emen leii ein
Zuzahlen welcher beiden Versammlungen zufliesst.«)
zuzahlen welcher ^_^^^^ Versammlungen «tehen andere
in jeir Stadt, deren Mitglieder ''««tnicht auf Lebens^
»oit oTwfthlt werden dürfen. Auch hier tritt alljäbriien
e^i TeiT neu Tin der aus den einzelnen darin ansässigen
Familien gewählt wird; das Weitere brauche ich nicht
auszuführen .^ ^^^^^ ^^ g^j^ a
!™ Krif^; erhalten nur Diejenigen einen täglichen Sold,
Tel^hrfoU^^rTärelohn; lebten. Die Heermhjer^-;
Offiziere haben im Kriege keine andern Vorteile als die
dem Feinde abgenommene Beut« zn erwarten.
S 32. Hat ein Fremder die Tochter eines Bürgers
geheirate , so werden dessen Kinder Bürger und in die
Lste des 'Stammes der Mutter e>ngetragen D'e Kmder
fremder Eltern, welche im Lande geboren n°f erzogen
worden sind, 'können für eine ^«^'•»„tmm" kaufJ^'
Büreerrecht von den Aufsehern eines Stammes ka"««».
SeTJrden dann in die Register dieses Stemmese.n|e-
traeen Dem Staate kann es nichts schaden , wenn die
iXeher aus Eigennutz einen Fremden selbst um eine
«.rinsere Summe in der Liste ihrer Bürger aufnehmen
foTlten vidmehr hat man auf Mittel zu sinnen, um die
Cl der Bürger zu vermehren und ein Zusammenströmen
^i Menschet zu bewirken.^«) Die m die LUte nicht
Eingetragenen haben, wenigstens in Kriegszeiten , ihre
Müsse durch Arbeit oder Steuern auszugleichen.
Hofstaat. Unteilbarkeit des Staats. §9
§ 33. Die Gesandten, welche in Friedensupiten ■,„
andere Länder zum Abschiuss oder zur BewahrMj"d s
Friedens geschickt werden, dürfen nur aus dem Adel")
gewählt werden und ihre Auslagen sind aus der Staatekassi
und nicht aus der besonderen Klasse des Könfgs zu deÄ
§ 34. Die Hofleute und Diener des Königs, welche
er aus seiner besondern Kasse unterhält, blfSen von
allen Staats-Aemtern ausgeschlossen. Ich sage ansdrück"
hch: Welche der König aus seiner besondern Ka^e
unterhalt« um seine Leibwache nicht darunte? zu be
iTd"« BoJ't"""'''' uT'^ "" •""BO^S"' "«'Stadt,
wo oer Hof ist, wechselweise vor den Zimmern des
Königs die Wache halten.
§. 35. Krieg darf nur des Friedens wegen eeführt
werden; nach Beendigung des Krieges sollen die Waffen
niedergelegt werden.'«) Den durch das Kriecsrecht p?
oberten Städten und dem bezwungenen Ssfnd d'e
Bedingungen so zu stellen, dass die eroberten Stade
keiner Besatzung bedürfen; vielmehr mnss dem Gegner
durch den Frieden entweder das Recht eingeräumt wer-
den , sie für einen bestimmten Preis wieder einzulösen
oder (wenn de Furcht wegen der GefährliSt des
Ortes mmer m dem Rücken bleiben sollte) man muss
siedlhl.'V *° " *'''" ^'"^"•'""^ anderwärts übe^
§ 36. Der König darf keine Fremde heiraten, son-
dern er muss seine Gemahlin aus den Blutsverwandten
oder Bürgern wählen. Im letztern Falle können dfeA„°
verwandten der Frau kein Staatsamt verwalten «•)
,i<.n LJV-^-® Staatsgewalt ist unteilbar. Hinterlässt
also der König mehrere Kinder, so folgt ihm nur der
iÄ.""*^ ^n' ^j^ ^^'^ '"^'' ""te' »ie verteilt" noch
ungeteilt an alle oder einige überlassen werden. Noch
ZV"S^-u ^* "'t"^*' !'■"*"> Teil des Reichs einer Tochter
als Mitgift zu geben, denn es darf aus keinem Grunde
Ifctt^rrÄ^'* Staatsgewalt durch Erbschaft auf
„,->„ K^l' ^^^}'\ ?^l ^^°'ff "•■"« männliche Nachkom-
menschaft, so folgt ihm in der Herrschaft der nächste
Blutsverwandte, ausgenommen, wenn dieser eine Aus-
Snnen' wSs^"*"* ^''' """^ " '^'^ "*»" ^^''' »i«»'*
Spinoza 's Abh. üb. Verbeseer. d. Verstandes. g
90
Politische Abb. Kap. 7. § 1.
8 39. Was die Bürger anlangt, so erhellt aus § 5,
Kap. 3, dass jeder alle Befehle des Königs und bekannt
gemachten Erlasse der grossen Versamralnng (man sehe
hierüber § 18. und 19 dieses Kapitels) befolgen muss,
selbst wenn er sie für noch so verkehrt hält, und dass
er rechtlich dazu genötigt werden kann. Dies sind die
Grundlagen des monarchischen Regiments; auf ihnen
muss der Bau, wenn er fest sein soll, errichtet werden,
wie ich in dem folgenden Kapitel zeigen werde.
8 40. In Bezug auf die Relig'on sind keine Kirchen
auf Kosten der Städte zu erbauen und keine Gesetze
über Meinungen zu erlassen, so lange diese Meinungen
nicht aufrührerischer Natur sind und nicht gegen die
Grundlagen des Staats sich richten. Die, welchen die
öffentliche Übung ihrer Religion gestattet worden ist,
haben sich ihre Kirche, wenn sie wollen, auf ihre Kosten
zu erbauen. Der König mag zur Übung der Religion,
welcher er zugethan ist, eine besondere Kirche in semer
Residenz haben.^s)
Siebentes Kapitel.
§ 1. Nach Darlegung der Grundlagen des monarchi-
schen Regiments will ich sie der Reihe nach rechtfertigen,
wobei ich zunächst bemerke, wie es praktisch sehr wohl
ausführbar ist, dass die Verfassung so fest begründet
sein kann, dass selbst der König sie nicht aufzuheben
vermag. So verehrten die Perser ihre Könige wie Götter,
und doch hatten diese Könige nicht die Macht, die ein-
mal getroffenen Einrichtungen aufzuheben, wie sich aus
Daniel, Kap. 5 ergiebt. Nirgends wird, so viel ich weiss,
der Monarch unbeschränkt und ohne ausdrücklich aufge-
stellte Bedingungen erwählt. Dies streitet weder gegen
die Vernunft, noch gegen den Gehorsam, den man dem
Könige schuldet ; vielmehr sind die Grundlagen des Staats
wie für die Ewigkeit geltende Beschlüsse des Königs an-
zusehen, so dass selbst seine Minister ihm durchaus ge-
horchen, wenn sie die Ausführung von Befehlen verwei-
gern, welche er gegen die Grundlagen des Staats erlässt.
Der König kann nur recht handeln. 9^
Ich kann dies durch das Beispiel des Ulysses deutlich er-
läutern. Seine Gefährten folgten seinem Befehl als sfe
den an den Mastbaum angebundenen und durch den
Gesang der Syrenen sinnverwirrten Ulysses zu befreien
sich weiger en, obgleich er es unter allerhand DrohuneeS
Ihnen befahl; und Ulysses galt als weise, d^s rspä^e?
seinen Gefährten dankte, weil sie vielmehr seinen e?8ten
Willen befolgt hatten. Nach diesem Beispiel voruS
pflegen die Könige auch die Richter anzuweisen die
Rechtspflege ohne Ansehen der Personen und selbs des
Königs zu üben, wenn er einmal Etwas gegen d^ be
stehende Recht gebieten sollte. Denn die^ Könige sind
kerne Götter, sondern Menschen, die oft von dIL Ge
sänge der Syrenen verwirrt werden, und wenn Alle^ von
dem schwankenden Willen eines Einzigen abhinte gäbe
es nichte Festes Deshalb muss das monarcSe iLi
zTär^IllP^f ^««^tJjen soll, so eingerichtersefn , da^s
zwar Alles blos nach der Anweisung des Königs geschieht
d. h. dass alles Recht als der ausdrücklich! K des
Königs gilt; aber nicht, dass jeder Wille des KöniS
zu beachten sind. Es genügt nicht, zu zeigen was ef
schehen soll, sondern was geschehen kan^, damit Ife
Menschen sowohl in der Leidenschaft wie bei Tnhiffe?
Vernunft die Gesetze achten und bewahren sJfltVJ If^^
das Recht des Staats und die öffentS Freihel nur^nf
d.e schwache Hilfe der Gesetze, so Llt den Bürgern
nicht nur die Sicherheit von deren Geltung, wie ich 8 3
des vorigen Kapitels gezeigt habe, sonde« es gereilhl
ihnen zum Verderben. Denn sicherlich ist kein InstLnd
eines Staats elender, als der selbst des besten &
wenn er zu schwanken beginnt oder wohl gar mit eÄ
schlage zusammenbricht und in die Unfreiheit stetTwa^
rn^fJ"**^'"'''.''''""'^- ^' ^8'« dann besser tedte
«bÄ!'"'.'^'"' 'V^'' ^T^^ «''»« Schranke Einem
^„nÄ" ' -t'' T'^^^!"^ """^ ^"'e »der nutzlose Bedin
giingen für ihre Freiheit sich ausmachten, und damit den
veri! bZt" ""'«-^r.^^S ^o ihrer grausamsten Skia"
verei bahnten. Sind dagegen die in dem vorgehenden
8*
92
Politische Abh. Kap. 7. § 3. 4.
I
Kapitel besprochenen Grundlagen des monarchischen Re-
ff iments fest, und können sie nicht zerstört werden ohne
Empörung des grössern Teiles des bewaffneten Volkes,
und folgt aus ihnen Friede und Sicherheit für den König
und das Volk, und habe ich diese Grundlagen aus der
gemeinsamen Natur abgeleitet, so kann Niemand bestrei-
ten dass sie die besten und wahren sind, wie aus § 9,
Kap. 3 und § 3, 8 Kap. 6 erhellt. Ich will nun so kurz
als möglich darlegen, dass jene Grundlagen von solcher
Beschaffenheit sind. ^ t i. v
8 3. Alle sind einverstanden, dass es den Inhabern
der Staatsgewalt obliegt, 8^) den Zustand und die Lage
des Landes immer zu kennen, für das allgemeine Wohl
zu wachen und das auszuführen, was der Mehrheit der
Bürger nützlich ist. Ein Mensch kann aber nicht Alles
übersehen , kann nicht immer seine Gedanken darauf ge-
richtet haben; oft wird er durch Krankheit, Alter oder
andere Ursachen an der Fürsorge für die öffentlichen
Angelegenheiten gehindert. Deshalb muss der König
Räte zur Seite haben, welche die thatsächlichen Ver-
hältnisse kennen, den König mit ihrem Gutachten unter-
stützen und ihn vertreten können. Nur so wird es er-
reicht, dass die Regierung oder der Staat immer und in
demselben Geiste sich erhält.
§ 4. Die menschliche Natur ist indes so beschaffen,
dass jeder seinen eigenen Vorteil mit aller Anstrengung
verfolgt und diejenigen Einrichtungen für die besten hält,
welche der Erhaltung und Vermehrung seiner Interessen
dienen, und dass er fremde Angelegenheiten nur so weit
schützt, als er damit seine eigenen zu befördern glaubt.
Deshalb müssen die Räte aus denen gewählt werden,
deren eigenes Besitztum und Nutzen von dem gemeinen
Wohle und Frieden Aller abhängt. Wenn deshalb aus
jedem Stande oder jeder Klasse oder Bürger einige Räte
gewählt werden, so wird dies der Mehrheit der ünter-
thanen nützen, weil sie dann in dieser Versammlung die
Mehrheit der Stimmen hat. Allerdings wird diese Ver-
sammlung, welche sich aus einer sehr grossen Zahl von
Bürgern zusammensetzt, auch viele Mitglieder von ge-
ringer Bildung enthalten; allein man kann sicher sein, dass
Jedermann in den Geschäften, welche er lange mit grossem
Eifer betrieben hat, klug und gewandt genug sein wird.
Diese Versammlung ist friedfertig.
Wenn daher nur solche Personen zu Mitgliedern gewählt
?i;^I p1' wl""^^ ^!''' ^\. ^^"?°^ fünfzigsten Lebensjahre
ihre Geschäfte ohne Fehler besorgt haben, so sind sie
sicherlich zum Rat in Dingen, die sie betreffen, geschickt,
namenthch wenn ihnen bei wichtigen Angelegenheiten
Zeit zur Überlegung gestattet wird. Überdem verhält es
sich in kleinem Versammlungen mit den Mitgliedern
ebenso, und gerade da besteht der grösste Teil aus
solchen Leuten, weil Jeder gerade hier am meisten nur
Dumme zu Genossen zu haben sucht, die von seiner
Meinung abhangen, während bei grössern Versammlungen
dies nicht stattfindet. 86) ^ ö«*uiuimngen
§ 5. Es steht auch fest, dass Jedermann lieber
regieren, als regiert werden will. Niemand gewährt
irei willig einem Andern die Herrschaft, wie Sallust in
seiner ersten Rede an Cäsar sagt. Deshalb würde ein
ganzes Volk sein Recht niemals auf Wenige oder Einen
übertragen, wenn es selbst beratschlagen könnte, und
wenn aus den Streitigkeiten in grossen Versammlungen
nicht leicht Aufstände entständen. Deshalb überträgt ein
Volk freiwillig nur das auf den König, was es durchaus
nicht selbst in seiner Macht behalten kann, d. h. die
Entscheidung der Streitigkeiten und die Ausführung der
Beschlüsse. Denn wenn, wie oft vorkommt, ein Köniff
nur des Krieges wegen erwählt wird, weil der Krieg von
Konigen viel glücklicher geführt werde, so geschieht
dies nur aus Unkenntnis, nämlich dessen, dass sie den
Krieg nur glücklicher führen, um dann im Frieden Skla-
ven zu sein; so weit nämlich es Friede in einem Lande
genannt werden kann, wenn diese höchste Staatsgewalt
nur des Krieges wegen auf Einen übertragen worden
18t, welcher deshalb seinen Wert und das, was Alle an
diesem Einzigen haben, wesentlich nur durch Krieg zei-
gen kann, während dagegen das Volks-Regiment den
Vorzug hat, dass seine Tugend mehr im Frieden als im
iiriege gilt. Mag indes der Grund der Wahl des Königs
sein, wecher er wolle, so kann doch, wie gesagt, der
iioiiig allem nicht wissen, was dem Lande nützlich ist,
vielmehr ist dazu, wie ich im vorigen Paragraphen ge-
zeigt, notig, dass er mehrere Bürger als Räte um sich
nabe, und da ich nicht annehmen kann, dass bei der Be-
ratung durch eine so grosse Zahl von Männern Etwas
94
Politische Abh. Kap. 7. § 6—8.
übersehen werden könnte, so folgt, dasa neben den, dem
Könige vorgelegten Anträgen dieser Versammlung nicht
wohl noch einer, dem Wohle des Volkes heilsamer, möglich
ist. Da nun das Wohl des Volkes das höchste Gesetz
oder das oberste Recht des Königs ist, so folgt, dass der
König nur berechtigt ist, einen aus den verschiedenen
Anträgen der Versammlung auszuwählen, aber nicht gegen
den Willen der ganzen Versammlung etwas zu beschlies-
sen oder zu entscheiden, s?) (Man sehe § 25, Kap. C.)
Müssten dagegen alle in der Versammlung vorgebrachten
Anträge dem Könige mitgeteilt werden, so könnte der
König leicht kleinere Städte mit wenig Stimmen begün-
stigen. Selbst wenn nach den Regeln der Versammlung
die verschiedenen Anträge ohne Angabe ihrer Urheber
dem Könige tiberbracht werden müssen, würde sich dies
doch niemals ganz verheimlichen lassen, und deshalb ist
die Anordnung nötig, dass ein Antrag, welcher nicht
hundert Stimmen für sich hat, unbeachtet bleibt, und die
grössern Städte haben diese Bestimmung mit aller Macht
zu verteidigen.
§ 6. Ich könnte hier, wenn ich mich nicht der
Kürze befleissigen wollte, die sonstigen grossen Vorteile
dieser Versammlung darlegen; ich will indes nur einen
von besonderer Bedeutung erwähnen. Es ist, dass Nichts
mehr zur Tugend^) antreiben kann, als die Jedem er-
öffnete Aussicht, diese höchste Ehre zu erlangen ; da Alle
hauptsächlich sich durch die Ehre bestimmen lassen, wie
ich in meiner Etliik ausführlich gezeigt habe.
§. 7. Es ist zweifellos, dass den grössern Teil die-
ser Versammlung nicht die Neigun«: zum Kriege, sondern
die Sorge und die Liebe zum Frieden erfüllen wird ; denn
der Krieg erhält sie immer in der Furcht, ihr Vermögen
und Freiheit zu verlieren und dazu kommt, dass der
Krieg neue Ausgaben fordert, die sie schaffen sollen, und
dass ihre eigenen Kinder und Verwandte, die den häus-
lichen Geschäften zugewendet sind, genötigt werden, sich
für den Krieg vorzubereiten und zu Felde zu ziehen, aus
dem sie nur nutzlose Narben nach Hause bringen können,
da, wie ich § 30, Kap. 6 gesagt, die Miliz keinen Sold
erhält und nach § 11, Kap. 6 nur aus Bürgern und nie-
mand weiter gebildet wird. ^9)
§ 8. Auch ein anderer Umstand von grosser Wich-
Vorzüge der höchsten Versammlung. ^
tigkeit wird zu dem Frieden und zur Einigkeit beitragen
nämlich dass kein Bürger Grund-Eigentum besitzt. (Man
sehe § 12, Kap. 6.) Deshalb droht der Krieg Allen mit
gleicher Gefahr, da Alle des Gewinnes wegen Handel
treiben oder einander Geld borgen werden, wenn, wie
ehemals bei den Atheniensern, als Gesetz gilt, dass Nie-
mand sein Geld an Andere als Einheimische auf Zins
leihen darf. Dadurch werden sie nur zu solchen Ge-
schäften veranlasst, wo sie gegenseitig beteiligt sind
oder die alle die gleichen Mittel für ihren günstigen
Fortgang erfordern. Deshalb wird die grosse Mehrheit
dieser Versammlung über die öffentlichen Angelegenhei-
ten und die Unternehmungen des Friedens meist nur
einer Ansicht sein; denn Jeder befördert, wie ich in § 4
dieses Kapitels gesagt habe, des Andern Angelegenheiten
nur so weit, als er seinen eigenen dadurch zu nützen
meint.90)
§ 9. Unzweifelhaft wird es niemals Jemand ein-
fallen, eine solche Versammlung zu bestechen. Kann man
nur Einen oder den Andern aus einer so grossen Ver-
sammlung auf seine Seite ziehen, so ist damit nur wenig
erreicht, da, wie erwähnt, nur Anträge, die wenigstens
hundert Stimmen für sich haben, beachtet werden dür-
fen. 91)
§ 10. Auch die einmal festgestellte Zahl der Mit-
glieder dieser Versammlung wird schwerlich auf eine
geringere Zahl sich zurückführen lassen, wenn man die
menschlichen Leidenschaften betrachtet. Alle werden von
Ehrgeiz getrieben und Jeder mit gesundem Körper hofft
ein solches Alter zu erreichen. Wenn man deshalb die
Zahl Derer berechnet, welche wirklich das 50. oder 60.
Jahr erreicht haben, und wenn man die grosse Anzahl
der Mitglieder dieser Versammlung berücksichtigt, welche
alljährlich gewählt wird, so ergiebt sich, dass kaum ein
Waffenfähiger der Aussicht, zu dieser Würde zu gelan-
gen, entbehrt. Deshalb werden Alle die Rechte dieser
Versammlung nach Kräften verteidigen. Jede Verschlech-
terung kann leicht gehindert werden , wenn sie nicht all-
mählich eindringt. Da nun leichter und mit weniger Neben-
buhlerschaft es geschehen kann, dass aus einem Stamme
als aus Wenigen eine geringere Zahl gewählt werde, als
dass ein solcher Stamm ganz ausgeschlossen werde, so
ii S
i ;
96
Politische Abb. Kap. 7. § 11. 12.
kann nach § 14, Kap. 6 die Zahl der Mitglieder nur
vermindert werden, wenn die Versammlung um den
dritten, vierten oder fünften Teil vermindert wird. Eine
solche Abänderung ist aber sehr bedeutend und wider-
streitet der allgemeinen Gewohnheit. Ebensowenig ist
eine Verzögerung oder eine Nachlässigkeit bei der Wahl
zu fürchten , da diese von der Versammlung selbst vor-
genommen wird. (Man sehe § 16, Kap. Q,)^^)
§ 11. Deshalb wird der König entweder aus Scheu
vor dem Volke, oder um sich der Mehrheit des bewaff-
neten Volkes zu verpflichten, oder aus Edelmut und im
Interesse des gemeinen Nutzens die Anträge, welche die
meisten Stimmen für sich haben, d. h. (nach § 5 dieses
Kap.), welche der Mehrheit des Reiches am nützlichsten
sind, bestätigen und sich bestreben, die ihm vorgelegten
abweichenden Anträge möglichst auszugleichen, um sich
Alle zu verbinden. Er wird alle seine Kraft hierauf rich-
ten, damit das Volk sowohl im Frieden wie im Kriege
kennen lerne, was es an seiner einen Person besitze.
So wird der König dann am selbständigsten und seine
Gewalt die grösste sein, wenn er am meisten auf die
allgemeine Wohlfahrt bedacht ist. 93)
§ 12. Denn der König allein kann nicht Alle durch
Furcht in Zucht erhalten, vielmehr stützt sich seine Macht,
wie gesagt, auf die Zahl und hauptsächlich auf die Tapfer-
keit und Treue seiner Soldaten, welche Eigenschaften
unter den Menschen immer nur solange vorhalten wer-
den, als sie mit dem Bedürfnis, sei es anständig oder
gemein, sich verknüpfen. Deshalb pflegen die Könige die
Soldaten mehr anzureizen als in Zucht zu halten, und mehr
deren Laster, als deren Tugend zu verheimlichen, und sie
pflegen, um die Bessern unterdrücken zu können, die
Faulen und durch Verschwendung Heruntergekommenen
aufzusuchen, hervorzuheben, ihnen durch Geld oder Gunst
aufzuhelfen, die Hand zu drücken, den Kuss zu geben
und sich um der Herrschaft willen zu Allem zu ernie-
drigen. Sollen daher die Bürger vor allen Andern von
dem Könige geachtet werden und selbständig bleiben,
80 weit es die btlrgerlichen Zustände oder die Billigkeit
erlaubt, so muss die Miliz nur aus den Bürgern bestehen
und die Bürger müssen selbst in den Rat gehören. Um-
gekehrt werden die Bürger immer die Unterjochten sein,
Die kurzen Wahlperioden der Versammlung.
97
f
und es werden die Grundlagen zu steten Kriegen gelegt
sein, sobald sie gestatten, dass Söldner zu Hilfe genom-
men werden, deren Löhnung der Krieg ist und deren
grösste Macht auf der Uneinigkeit und den Aufständen
beruht. ^)
§ 13. Dass die Räte des Königs nicht auf Lebens-
zeit, sondern nur auf drei, vier oder höchstens fünf Jahre
gewählt werden dürfen, erhellt aus § 10 dieses Kapitels
und aus dem schon in § 9 Gesagten. Wenn sie auf
Lebenszeit gewählt werden, so kann zunächst der grösste
Teil der Bürger sich kaum eine Hofi'nung auf Erlangung
dieser Würde machen; es entsteht daraus eine grosse
Ungleichheit unter den Bürgern; Neid, stete Aufregung
und zuletzt Aufstände sind dann die Folge, was aller-
dings herrschsüchtigen Königen ganz recht ist. Ferner
werden sich solche lebenslängliche Räte grosse Freiheiten
herausnehmen (da die Furcht vor den Nachfolgern weg-
gefallen ist), ohne dass der König sich dem entgegen-
stellen wird, da sie, je verhasster sie bei den Bürgern
sind, um so mehr dem Könige anhängen und ihm zu
schmeicheln bereit sein werden. Selbst eine fünQährige
Amtsdauer scheint noch zu lang, weil in einem solchen
Zeiträume es wohl möglich ist, einen grossen Teil der
Versammlung (sei sie auch noch so gross) durch Geld
oder Gunst zu bestechen. Deshalb wird die Sicherheit
weit grösser sein, wenn jährlich aus jedem Stamme zwei
ausscheiden und ebensoviele ihnen nachfolgen (wenn näm-
lich jeder Stamm fünf Mitglieder zu senden hat). Nur in
dem Jahr, wo der Rechtsverständige des Stammes aus-
scheidet, tritt nur ein neuer an dessen Stelle.
§ 14. Kein König kann sich übrigens eine grössere
Sicherheit versprechen, als sie der König eines solchen
Staates besitzt. Nicht allein dass Derjenige schnell um-
kommt, den seine Söldner nicht mehr verteidigen wollen,
so droht doch sicherlich den Königen die meiste Gefahr
immer von Denen, die ihnen am nächsten stehen. Je ge-
ringer daher die Zahl der Räte ist und je mächtiger die
einzelnen dann sind, desto mehr droht den Königen Ge-
fahr, dass Jene die Herrschaft auf einen Andern über-
tragen. Nichts schreckte David mehr, als dass sein Mi-
nister Ahitophel die Partei des Absalon ergriff. Dazu
kommt, dass wenn alle Gewalt unbeschränkt Einem
98
Politische Abb. Kap. 7. § 16. 16.
Die Vorteile der Miliz.
99
"1
^19
■'13
vM'i f
übertragen worden, sie gerade dann nm so leichter von
Einem auf den Andern übertragen werden kann. Zwei
gemeine Soldaten unternahmen es, die Herrschaft im rö-
mischen Reiche auf einen andern zu tibertragen (Tacitus*^
Gescliichte Buch 1.)^^) und führten es aus. Ich übergehe
die Künste und listigen Ränke der Räte, durch die sie
sich schützen müssen, um nicht von den Nebenbuhlern
verdrängt zu werden ; dies ist bekannt genug und Jeder,
der die Geschichte gelesen, weiss, dass den Räten ihre
Treue meist zum Verderben gereicht hat und dass sie
deshalb, um sich zu erhalten, listig und untreu haben
werden müssen. Sind dagegen die Räte mehr, als dass
sie zu einem Verbrechen sich verbinden könnten, sind
sie sich alle gleich und bleiben sie nur vier Jahre im
Amte, so können sie dem Könige niemals furchtbar wer-
den, so lange er nicht unternimmt, ihnen die Freiheit zu
entziehen und so alle Bürger in gleicher Weise zu ver-
letzen. Ant. Perez sagt treffend, dass die Aufstellung
einer unbeschränkten Herrschaft für den Fürsten sehr
gefährlich, den Unterthanen sehr verhasst und den gött-
lichen und menschlichen Einrichtungen zuwider sei, und
dass unzählige Beispiele dies belegen. ^ß)
§ 15. Ich habe ausserdem noch andere Grundlagen
in dem vorhergehenden Kapitel gelegt, aus denen für die
Könige eine grosse Sicherheit ihres Regiments und für
die Bürger ein grosser Schutz für Freiheit und Frieden
hervorgeht, wie ich an seinem Orte zeigen werde. In-
des ist das, was sich auf die höchste Versammlung be-
zieht, von dem grössten Gewicht und deshalb war dies
vorweg zu behandeln. Das Übrige will ich nun in der
angep:ebenen Reihenfolge erörtern.
§ 16. Dass die Bürger um so mächtiger und folg-
lich auch um so selbständiger sein werden, je grösser
und wohlbefestigter ihre Städte sind, ist unzweifelhaft.
Je geschützter ihr Wohnort ist, desto besser können sie
ihre Freiheit schützen und desto weniger brauchen sie
den äussern und Innern Feind zu fürchten. Auch ist es
sicher, dass die Menschen von Natur umsomehr für ihre
Sicherheit sorgen, je reicher sie sind. Wenn eine Stadt
der Macht eines Andern zu ihrer Erhaltung bedarf, so
haben beide nicht gleiche Rechte, und die Stadt ist um-
so weniger selbständig, je mehr sie der Macht des Andern
bedarf; denn ich habe in Kap. 2 gezeigt, dass sich da»
Recht nur nach der Macht bestimmt.^')
§ 17. Aus demselben Grunde darf, wenn die Bürger
selbständig bleiben und ihre Freiheit bewahren wollen^
die Miliz ohne Ausnahme nur aus den Bürgern bestehen.
Der bewaffnete Mann ist selbständiger als der wehrlose.
(Man sehe § 12 dieses Kap.), und die Bürger überliefern
ihr Recht unbedingt Dem, dem sie die Waffen geben
und die Wälle der Stadt anvertrauen; sie hängen dann
von seinem guten Willen ab. Dazu kommt der Geiz,
welcher die meisten Menschen beherrscht; fremde Söldner
können nicht ohne grosse Kosten geworben werden und
die Bürger können die Auflagen kaum ertragen, welche
der Unterhalt der faulen Miliz erfordert, »s)
Dass ferner der Befehlshaber über die ganze Miliz
oder grosse Abteilungen derselben höchstens nur auf
ein Jahr erwählt werden darf, es sei denn, die Not
erfordert es, weiss Jeder, welcher die heilige und pro-
fane Geschichte gelesen hat. Nichts lehrt die Vernunft
deutlicher, da fürwahr die ganze Kraft des Staats dem
anvertraut wird, dem genügende Zeit gestattet ist, um
kriegerischen Ruhm zu erwerben und seinen Namen
über den des Königs zu heben, wenn er die Anhäng-
lichkeit des Heeres durch Nachsicht, Freigebigkeit und
die sonstigen Künste sich verschafft, durch welche die
Feldherren die Unterwerfung des Andern und die Herr-
schaft für sich zu erreichen verstehen. Zu mehrerer
Sicherheit des ganzen Staates habe ich noch hinzugefiigt,
dass diese militärischen Befehlshaber aus den gegenwär-
tigen oder früheren Räten des Königs gewählt werden
sollen, also aus Männern des Alters, wo man meist das
Alte und Sichere dem Neuen und Gefahrvollen vor-
zieht. 99)
§ 18. Ich lasse die Bürger nach Stämmen sich ein-
teilen und aus jedem Stamm eine gleiche Zahl Räte er-
wählen, damit die grössern Städte eine der Zahl ihrer
Bürger entsprechend grössere Zahl von Räten und, wie
billig, auch eine grössere Zahl von Stimmen erhalten.
Die Macht des Reiches und also auch das Recht be-
stimmt sich nach der Zahl der Bürger und es wird kein
besseres Mittel zur Erhaltung dieser Gleichheit unter den
Bürgern erdacht werden können, da Alle von Natur so
100
Politische Abb. Kap. 7. § 19—21.
Die Miliz erhält keinen Sold.
101
beschaffen sind, dass Jeder zu seinem Stamme gehören,
aber durch die Familie sich unterscheiden will.
§ 19. Im Naturzustande kann kein Gegenstand
weniger von dem Einzelnen ergriff'en und seinem Rechte
unterworfen werden, als der Grund und Boden und das,
was mit ihm so verbunden ist, dass es weder verborgen,
noch beliebig fortgeschafft werden kann. Deshalb ist
der Grund und Boden, und was ihm in der angegebenen
Weise anhängt, vorzugsweise gemeinsames Staatseigentum,
d. h. er gehört allen Denen, die gemeinsam die Gewalt
haben, ihn sich zu verschaffen, oder Dem, welchem Alle
die Gewalt dazu übergeben haben. Deshalb darf der
Grund und Boden und sein Zubehör nur so viel bei den
Bürgern gelten, als nötig ist, dass sie Fuss darauf fassen
und das gemeinsame Recht oder die Freiheit schützen kön-
nen. Der sonstige Nutzen, welchen der Staat daraus zu
ziehen hat, ist in § 8 dargelegt worden, ^^o)
§ 20. Damit die Bürger einander möglichst gleich
bleiben, was für einen Staat vorzüglich nötig ist, sollen
nur die Nachkommen des Königs zum Adel gehören.
Wenn indes alle Nachkommen des Königs heiraten oder
rechtmässige Kinder erzeugen könnten, so möchten sie im
Laufe der Zeit an Zahl so zunehmen, dass sie dem Könige
und Allen nicht nur zur Last, sondern auch zu einer
grossen Gefahr werden könnten; denn müssige Menschen
sinnen meist auf Unthaten. Deshalb werden die Könige
vorzüglich des Adels wegen zum Kriege verleitet, da ihnen
bei einem zahlreichen Adel der Krieg mehr Sicherheit
und Ruhe, wie der Friede gewährt. Da dies bekannt ist,
so erörtere ich es ebenso wie das, was ich in § 15 bis
27, Kap. 6 gesagt habe, nicht weiter. Das Wichtigste
habe ich in diesem Kapitel begründet und das Übrige
rechtfertigt sich von selbst.
§ 21. Auch ist allbekannt, dass der Richter so viele
sein müssen, dass ihre Mehrheit durch eine Privatperson
nicht bestochen werden kann ; ebenso, dass sie ihre Stim-
men nicht öffentlich abgeben dürfen und dass ihnen ein
Gehalt für ihre Arbeit gebührt. Meistenteils erhalten sie
einen jährlichen Gehalt; deshalb betreiben sie jedoch die
Prozesse nicht schnell und oft nehmen deshalb die Rechts-
streitigkeiten kein Ende. Ferner wird da, wo die kon-
fiszierten Güter dem Könige anheimfallen, oft „nicht das
„Recht und die Wahrheit, sondern die Grösse des Ver
„mögens beachtet; dann giebt es Verdächtigungen und die
„Reichsten werden als Beute gefasst. Solch schweres und
„unerträgliches Unrecht wird zwar mit der Kriegsnot ent-
„schuldigt; allein es bleibt auch im Frieden.** loi) Dagegen
wird die Habgier der Richter, wenn sie nur zwei oder
höchstens drei Jahr ihr Amt behalten, durch die Furcht
vor ihren Nachfolgern in Zaum gehalten, abgesehen da-
von, dass die Richter kein festes Vermögen besitzen kön-
nen, sondern ihr Geld ihren Mitbürgern des Gewinnes
halber leihen müssen. Dadurch sind sie genötigt, eher
auf deren Vorteil als auf deren Nachteil bedacht zu sein,
namentlich wenn die Zahl der Richter, wie erwähnt, be-
deutend ist. 102)
§ 22. Die Miliz soll keinen Sold erhalten, weil ihr
höchster Lohn die Freiheit ist. Im Naturzustande strebt
Jeder nur seiner Freiheit wegen, sich möglichst zu ver-
teidigen ; er erwartet keinen andern Lohn für seine kriege-
rische Tapferkeit, als seine Selbständigkeit. In dem bürger-
lichen Zustand sind aber die Bürger insgesamt gleichsam
wie ein Mensch im Naturzustand anzusehen, und wenn
sie für diesen Zustand zu Felde ziehen, so sorgen und
arbeiten sie nur für sich. Dagegen arbeiten die Räte,
die Richter, die Beamten u. s. w. mehr für Andere wie
für sich, deshalb ist es billig, ihnen einen Lohn für ihre
Arbeit zu gewähren. io3) Dazu kommt, dass im Kriege es
nichts Ehrenwerteres und keinen stärkern Anreiz zum
Siege giebt, als das Bild der Freiheit. Wird dagegen nur
ein Teil der Bürger für die Miliz bestimmt, so muss den-
selben dann auch ein fester Sold ausgesetzt werden; der
König wird sie dann notwendig vor den Übrigen aus-
zeichnen (wie ich in § 12 dieses Kap. gezeigt habe), und
sie werden zu Menschen, die nur das Kriegshandwerk
kennen, die im Frieden wegen zu vieler Müsse durch
Schwelgerei verderben und zuletzt, nachdem sie ihr Ver-
mögen durchgebracht, nur auf Raub, bürgerlichen Zwist
und Krieg denken. Deshalb kann ich behaupten, dass ein
monarchisches Regiment dieser Art in Wahrheit der Kriegs-
zustand ist, wo nur der Soldatenstand frei ist, alle Übrigen
aber sich in Dienstbarkeit befinden.
§ 23. Das, was ich über die Aufnahme der Frem-
den unter die Bürger in § 32, Kap. 6 gesagt, wird sich
102
Politische Abli. Kap. 7. §^24. 26.
Über den Nachfolger des Königs.
103
idurch sich selbst rechtfertigen. Auch wird wohl Niemand
es bestreiten, dass die nächsten Anverwandten des Königs
nicht in seiner Nähe sich aufhalten dürfen und dass sie
nicht die Geschäfte des Krieges, sondern des Friedens
treiben dürfen; dies wird ihnen zur Zierde und dem Lande
zur Ruhe gereichen. Aber selbst dies hat den türkischen
Sultanen nicht genügt; deshalb ist der Gebrauch dort,
alle Brüder zu tödten. Man darf sich hierüber nicht
wundern; je unbeschränkter die Staatsgewalt auf Einen
tibertragen worden ist, desto leichter kann sie auch von
Einem auf den Andern übergehen, wie ich in § 14 dieses
Kapitels gezeigt habe. Dagegen wird in dem hier von
mir aufgestellten monarchischen Regiment, wo es keine
Söldner-Miliz giebt, in der von mir beschriebenen Weise
unzweifelhaft für das Wohl des Königs gesorgt sein.
§ 24. Auch über das in § 34 und 35, Kap. 6 Ge-
sagte kann man wohl nicht bedenklich sein. Dass der
König keine Fremde heiraten darf, ist leicht zu zeigen.
Einmal sind zwei Staaten, selbst wenn sie ein Bündnis
miteinander geschlossen haben, dennoch im Zustande der
Feindschaft zueinander (nach § 14, Kap. 3); und da hat
man vorzüglich zu sorgen, dass um des Königs häuslicher
Angelegenheiten willen kein Krieg entstehe. Nun ent-
springen aber die meisten Streitigkeiten und Zwiste aus
solchen Heiraten und werden zwischen den Staaten ge-
wöhnlich durch Krieg erledigt; deshalb ist es einem Staat
gefährlich, eine zu enge Verbindung mit einem anderen
einzugehen. Ein trauriges Beispiel davon giebt die heilige
Schrift. Nach dem Tode Salomons, welcher eine Tochter
des Königs von Ägypten zur Frau genommen hatte, führte
dessen Sohn Rehabeam einen höchst unglücklichen Krieg
mit Susanus, König von Ägypten, und wurde von ihm unter-
jocht. Ebenso wurde die Heirat zwischen Ludwig XIV.,
König von Frankreich, und der Tochter Philipps IV. der
Keim zu einem neuen Krieg, und dergleichen Fälle finden
sich noch viele in der Geschichte, ^o*)
§ 25. Die Gestalt des Reichs muss unverändert
bleiben, deshalb darf nur Einer und vom nämlichen
Geschlechte König sein und die Staatsgewalt darf nicht
geteilt werden. Wenn ich gesagt, dass dem Könige sein
ältester Sohn oder der nächste Blutsverwandte (wenn
keine Söhne da sind) nachfolgen solle, so rechtfertigt sich
dies teils aus § 13, Kap. 6, teils daraus, dass die von
dem Volke geschehene Wahl des Königs, so weit als
möglich, für ewige Zeiten gelten muss. Sonst muss die
höchste Staatsgewalt oft auf das Volk zurückfallen,
welches die stärkste und deshalb geföhrlichste Ver-
änderung ist. Es ist ein Irrtum, wenn man meint, dass,
weil der König Eigentümer des Reichs und sein Recht
daran unbeschränkt sei, er es nach seinem Belieben ver-
geben und seinen Nachfolger sich wählen könne, und dass
das Erbrecht seines Sohnes nur darauf sich stütze. Viel-
mehr ist der Wille des Königs nur so lange gültig, als
er das Schwert des Reichs führt, da sein Recht an das-
selbe lediglich durch seine Macht bestimmt wird. Deshalb
kann ein König wohl seine Staatsgewalt aufgeben, aber
auf einen Anderen nur mit Gestattung des Volkes oder
dessen stärkeren Teiles übertragen. Dies wird deutlicher,
wenn man erwägt, dass die Kinder nicht nach dem Natur-
recht, sondern nach dem bürgerlichen Recht die Erben
ihrer Eltern sind, da alles Eigentum der Bürger nur in
der Macht des Staats seinen Grund hat. Deshalb ge-
schieht es vermöge derselben Macht oder desselben Rechts,
vermöge dessen eine Willenserklärung über das Vermögen
gilt, dass eine solche Willenserklärung auch noch nach
dem Tode giltig bleibt, so lange der Staat bestehen
bleibt. Aus diesem Grunde behält Jeder in dem bürger-
lichen Zustande dasjenige Recht, was er bei seinem Leben
hat, auch nach seinem Tode, weil er, wie gesagt, über
seine Güter nicht vermöge seiner Macht, sondern vermöge
der Staatsmacht, die ewig währt, verfügen kann. Bei
dem König verhält es sich aber anders; der Wille des
Königs ist das bürgerliche Recht selbst und der König
ist der Staat selbst. Mit dem Tode des Königs stirbt
also auch gleichsam der Staat; der bürgerliche Zustand
kehrt wieder zu dem Naturzustand zurück und somit
kommt auch die höchste Gewalt an das Volk zurück und
dies kann daher mit Recht neue Gesetze geben und die
alten aufheben. Hieraus erhellt, dass es bei dem Könige
keinen Rechts -Nachfolger giebt, ausser dem, welchen das
Volk erwählt, oder den in der Theokratie, wie sie sonst
bei den Juden bestand, Gott durch den Propheten er-
wählt. Ich könnte dies auch daraus ableiten, dass das
Schwert oder Recht des Königs in Wahrheit der Wille
n
104
Politische Abh. Kap. 7. § 26. 27.
des Volkes selbst oder seines stärksten Teiles ist; ebenso
daraus, dass vernünftige Menschen niemals ihr Recht so-
weit aufgeben, dass sie aufhören, Menschen zu sein und
zu dem Vieh werden ; doch brauche ich dies nicht weiter
auszuführen. 10^)
§ 26. Übrigens kann Niemand das Recht auf
Religionsübung oder Gottesverehrung auf einen Anderen
tibertragen; ich habe ausführlich hierüber in den beiden
letzten Kapiteln meiner theologisch-politischen Abhandlung
gehandelt und brauche es deshalb hier nicht zu wieder-
holen. Damit glaube ich die Grundlagen des besten mo-
narchischen Regimentes deutlich, wenn auch kurz, darge-
legt zu haben. Ihren Zusammenhang oder die innere
Übereinstimmung eines solchen Staats wird Jeder leicht
bemerken, der sie mit einiger Aufmerksamkeit betrachtet.
Ich bemerke nun noch, dass ich hier nur das monarchische
Regiment behandle, was ein freies Volk einsetzt, dem
allein es deshalb von Nutzen sein kann. Ein Volk, was
an andere Formen der Herrschaft gewöhnt ist, kann nicht
ohne grosse Gefahr des Unterganges die geltenden Grund-
lagen der Herrschaft umstossen und das ganze Staats-
regiment verändern. ^^)
§ 27. Vielleicht wird diese Darstellung von denen
mit Gelächter aufgenommen, welche die Fehler, die allen
Sterblichen anhaften, blos auf das gemeine Volk schieben ;
weil nämlich die Menge kein Mass halte; weil sie fürch-
terlich sei, wenn sie nicht fürchte; weil sie niedrig sich
beuge oder stolz die Herrschaft übe; weil in ihr weder
Wahrheit noch Urteil zu finden sei, u. s. w. Allein alle
Menschen haben nur eine und gleiche Natur. Man
lässt sich aber durch die Macht und die Bildung täuschen ;
daher kommt es, dass man, wenn Zwei dasselbe thun,
oft sagt, der Eine darf es ungestraft thun, der Andere
nicht; nicht weil die Sache, sondern weil die handelnde
Person verschieden ist. Den Herrschenden ist der Stolz
eigen; die Menschen werden eitel über eine Ernennung
auf ein Jahr: wie nun gar die Vornehmen, die Ehre auf
Lebenszeit besitzen sollen, ^o?) Aber deren Anmassung
wird dabei ausgeschmückt durch Aufwand, Luxus, Ver-
schwendung, durch eine gewisse Harmonie von Lastern,
durch eine gewisse gelehrte Unwissenheit und eine ge-
wisse Zierlichkeit des Schlechten. So kommt es, dass
OffentUchkeit der Staataverhandlungen. 105
Laster, welche einzeln und für sich betrachtet, wo sie
am deutlichsten hervortreten, hässlich und widerwärtig
erscheinen, von den Unerfahrenen und Unwissenden für
ehrbar und anständig gehalten werden. Übrigens hält die
Menge nicht Mass; sie schreckt, oder sie fürchtet; denn
die Freiheit und die Dienstbarkeit lassen sich nicht ver-
binden. Dass die Menge keine Wahrhaftigkeit und kein
Urteil hat, kann nicht auffallen, wenn die wichtigsten
Staatsgeschäfte geheim betrieben werden, und sie nur aus
dem Wenigen, was sich nicht verbergen lässt, eine Ver-
mutung schöpfen muss. Denn die Zurückhaltung des Ur-
teils ist eine seltene Tugend. Es ist deshalb die höchste
Thorheit, zu verlangen, dass Alles geheim geschähe und
dabei die Bürger doch nicht schlecht darüber urteilen
und es nicht zum Schlechten auslegen sollen. Könnte
die Menge sich massigen und ihr Urteil über noch weniff
bekannte Dinge zurückhalten oder aus dem wenig Bekannten
schon ein richtiges Urteil fällen, so wäre sie würdi^^er
zu regieren, als regiert zu werden. — Indes ist, wie*ffe-
sagt die Natur für Alle die gleiche; Alle werden durch
die Herrschaft hoffärtig; Alle sind fürchterlich, wenn sie
nicht fürchten, und überall wird die Wahrheit meist von
der Feindseligkeit und Bosheit zerstört. Dies gilt nament-
lich da, wo nur Einer oder Wenige die Herrschaft besitzen,
die bei ihren Erkenntnissen nicht auf das Recht und auf
die Wahrheit, sondern nur auf die Grösse des Reichtums
achten.
§ 28. Endlich pflegen die Söldner-Milizen, welche
an die militärische Zucht gewöhnt sind und Kälte und
Mitze und Hunger ertragen können, das bürgerliche Volk
zu verachten , weil es zu Eroberungen und zu offenem
Kampfe viel weniger geschickt sei. Aber kein Vernünftiger
wird behaupten, dass deshalb die Staatsgewalt viel
schwächer und unbeständiger sei; vielmehr wird jeder
billige Beurteiler der Verhältnisse einräumen, dass dieses
Regiment das dauerhafteste ist, gerade weil es nur den
eigenen Erwerb zu schützen vermag und nach fremdem
tiut nicht verlangen kann und deshalb den Krieg auf alle
Weise zu vermeiden und den Frieden möglichst zu er-
halten sich bestreben wird.
• § 29. Übrigens räume ich ein, dass die Absichten
eines solchen Regiments sich kaum werden verhehlen
Spinoza' 8 Abh. üb. Verbesser, d. Verstandes. g
106
Poütische Abh. Kap. 7. § 30.
lassen; allein Jedermann wird auch mit mir anerkennen,
dass es besser ist, die rechtlichen Absichten sind dem
Gegner bekannt, als die schlechten Geheimnisse der
Tyrannen bleiben den Bürgern verborgen. Wer die Reichs-
geschäfte geheim zu betreiben vermag, hat es ganz in
seiner Gewalt, sowie dem Feinde im Kriege, ebenso auch
den Bürgern im Frieden nachzustellen. Dass dies Geheim-
halten einem Staate oft nützlich ist, kann man nicht
leugnen; aber Niemand kann beweisen, dass ohnedem
ein Staat sich nicht erhalten könne. Es ist unmöglich.
Jemanden den Staat unbeschränkt anzuvertrauen und zu-
gleich die Freiheit zu bewahren und deshalb ist es Thor-
heit, einem geringen Nachteil durch ein grosses Übel
entgehen zu wollen. Nur die, welche nach der unbe-
schränkten Gewalt streben, wissen nichts weiter als ewig
zu wiederholen, dass das Staats- Interesse den geheimen
Betrieb der Staatsgeschäfte verlange und dergleichen mehr.
Je mehr dergleichen Redeusarten sich unter den Mantel
des Nutzens verbergen, eine um so schlimmere Knecht-
schaft haben sie zur Folge, i^^^^)
§ 30. Obgleich kein Regiment, so viel ich weiss,
unter allen hier aufgestellten Bedingungen bestanden hat,
so kann ich doch aus der Erfahrung nachweisen, dass
diese Form der Monarchie die beste ist; man muss nur
zu dem Ende die Ursachen der Erhaltung und des Unter-
gangs der nicht barbarischen Staaten untersuchen. Dies
würde jedoch den Leser hier sehr ermüden ; nur ein er-
wähnenswertes Beispiel kann icli nicht mit Stillschweigen
übergehen, nämlich das Arragonische Reich, wo die Unter-
thanen eine besondere Anhänglichkeit an ihre Könige ge-
habt und die Staatsverfassung in gleicher Beständigkeit
sich unverletzt erhalten haben. Sobald die Arragonier
das erniedrigende Joch der Mauren abgeschüttelt hatten,
beschlossen sie , sich einen König zu wählen ; aber über
die Bedingungen dabei waren sie nicht ganz einig und sie
beschlossen deshalb, den Rat des Papstes darüber einzu-
holen ; dieser benahm sich hierbei wirklich als Statthalter
Christi und schalt sie, dass sie von dem Beispiel der
Juden sich nicht belehren Hessen und hartnäckig auf einen
König bestünden ; wollten sie aber durchaus dabei bleiben,
so riete er, den König erst zu wählen, nachdem sie zuvor
billige und dem Geist des Volkes entsprechende Ein-
Ein Beispiel aus der Geschichte Arragoniens. 107
richtungen getroffen hätten; namentlich sollten sie einen
höchsten Rat einrichten, welcher den Königen, wie die
Ephoren bei den Lacedämoniern , gegenüber stehe und
das unbeschränkte Recht der Entscheidung in den Strei-
tigkeiten habe, welche sich zwischen Volk und König er-
höben. Sie folgten diesem Rat, beschlossen die ihnen
billig scheinenden Gesetze, und dass deren höchster Aus-
leger und folglich oberster Richter nicht der König, son-
dern der Rat sein solle, welchen sie die Siebzehn nannten
und dessen Vorstand „Gerechtigkeit« hiess. Diese Sieb-
zehn mit ihrer „Gerechtigkeit" als Vorstand wurden
nicht gewählt, sondern durch das Los auf Lebenszeit
bestimmt, und sie hatten das unbeschränkte Recht, alle
iirkenntnisse, die gegen irgend einen Bürger von andern
Behörden des Staats oder der Kirche oder vom Könige
selbst ergangen waren, zu widerrufen oder zu vernichten :
jeder Bürger hatte mithin das Recht, selbst den König
vor dieses Gericht zu laden. Auch hatten sie ehedem
noch das Recht, den König zu wählen und abzusetzen;
doch erreichte es nach Ablauf vieler Jahre endlich der
Konig Don Pedro, genannt der Dolch, durch Bemüh-
"°&®°» /beschenke, Versprechungen und Dienstleistungen
aller Art, dass dieses Recht abgeschafft wurde (sobald er
dies erreicht hatte, schnitt er sich öffentlich mit einem
Dolch die Hand ab, oder brachte sich, was wohl wahr-
scheinlicher ist, nur eine Wunde daran bei, indem er
sagte, dass die Unterthanen nur auf Kosten des Blutes
des Königs denselben wählen dürften) , jedoch mit der
Bedingung: „dass sie vormals und jetzt die Waffen
^gegen jede Gewaltmassregel ergreifen könnten, wodurch
„Jemand zu ihrem Schaden die Herrschaft in Besitz neh-
„men wolle und zwar selbst gegen den König und seinen
«türstlichen Nachfolger, wenn er in dieser Weise die
„Herrschaft sich verschaffen wolle." Mit dieser Bedin-
gung haben sie das frühere Recht nicht sowohl abge-
schafft, als verbessert. Denn der König darf, wie ich
§ 5. und 6, Kap. 4 gezeigt habe, nicht durch das bür-
gerliche Recht, sondern nur durch das Kriegsrecht seiner
Herrschermacht entsetzt werden, oder die Unterthanen
dürfen seine Gewaltmassregeln nur durch gleiche Gewalt
verhindern. Ausserdem wurden noch andere Bedingungen
verabredet, die für meinen Zweck nicht interessieren.
9*
108
Politische Abh. Kap. 7. § 31.
Mit solchen unter Aller Zustimmung getroffenen Einrich-
tuDgen blieben sie eine unglaublich lange Zeit ungeschä-
digt, und die Könige bewahrten immer gleiche Treue gegen
die Unterthanen, wie diese gegen den König. Als aber
das Reich an Ferdinand von Castilien, der zuerst
den Beinamen des Katholischen erhielt, durch Erbschaft
gelangte, wurde diese Freiheit der Arragonier den Casti-
liern verhasst, und sie rieten ohne Unterlass Ferdinand,
diese Rechte zu beseitigen. Dieser war indes noch nicht
an das unbeschränkte Regieren gewöhnt und wagte es
nicht, sondern antwortete seinen Ratgebern: „Einmal
„habe er das Arragonische Reich unter den ihnen be-
„kannten Bedingungen erhalten und er habe geschworen,
„diese heilig zu halten; und es sei eines Menschen un-
„würdig, das gegebene Wort zu brechen ; sodann habe er
„bedacht, wie sicher seine Herrschaft sei, so lange sie
„ebenso den Unterthanen wie dem Könige am Herzen
„liege, und so lange der König weder die Übermacht
„über die Unterthanen, noch diese über den König hätten;
„denn sobald ein Teil sich zu dem stärkeren mache, werde
„der Schwächere nicht blos die alte Gleichheit wieder zu
„gewinnen, sondern im Schmerz der erlittenen Verletzung
„noch darüber hinaus zu gehen streben und die Folge werde
„der Untergang Eines oder Beider sein." Diese weisen
Worte würde ich nicht genug bewundern können, wenn
sie von einem König gesprochen worden wären, der ge-
wohnt gewesen, Sklaven statt freien Menschen zu gebieten.
So behielten die Arragonier auch nach Ferdinand ihre
Freiheiten, wenn auch nicht von Rechts wegen, sondern
aus Gnade der mächtigern Könige, bis auf Philipp ü.,
der sie zwar mit mehr Glück, aber mit nicht weniger
Grausamkeit als die vereinigten Niederlande unterdrückte.
Obgleich Philipp IIL anscheinend Alles in den frühern
Stand zurückversetzt hat, so haben die Arragonier, von
denen die Meisten den Mächtigen zustimmten (denn es ist
Thorheit, gegen die Peitsche von hinten auszuschlagen) und
der Rest von Furcht und Schrecken erfüllt war, nur die
hohlen Worte und die leeren Formen von der Freiheit
behalten. ^^)
§ 31. Mein Ergebnis ist also, dass ein Volk sich
unter einem König eine grosse Freiheit bewahren kann,
.wenn es nur sorgt, dass die Macht des Königs sich blos
Das aristokratische Regiment. ^qq
nach der Macht des Volkes bestimmt und doch den Schutz
des Volkes sich erhält. Diese Regel allein hat mir bei
Legung der Grundlagen des monarchischen Regiments
zur Richtschnur gedient.
Achtes Kapitel.
Das aristokratische Regiment mnss aus einer grossen
Anzahl Patrizier bestehen; über seine Vorzüge, und
dass es mehr als das monarchische dem unbeschränkten
Regiment sich nähert und deshalb zum Schutze der
Freiheit besser geeignet ist.
§ 1. So viel über das monarchische Regiment. Ich
werde nun angeben, wie ein dauerhaftes aristokrati-
sches Regiment 'einzurichten ist. Ich habe dasjenige Re-
giment aristokratisch genannt, was nicht ein Einziger,
sondern mehrere aus dem Volke Auserwählte inne haben
und Letztere werde ich von nun ab Patrizier nennen. "o
Ich sage ausdrücklich: „welches einige Auserwählte inne
^naoen. Denn es unterscheidet sich vorzüglich dadurch
von dem demokratischen Regiment, dass in dem aristo-
Kratiscüen das Regierungsrecht bloss von der Wahl ab-
fangt, m dem demokratischen aber hauptsächlich von
<lem angeborenen oder durch Glück erlangten Rechte (wie
ich an seinem Orte darlegen werde). Wenn daher auch
<ias ganze Volk eines Staates unter die Zahl der Patrizier
aufgenommen würde, so bliebe doch das Regiment ein
aristokratisches, so lange dies nur zu keinem erblichen
«ir J*^^ "^^ "^^^* °^^^ gemeinem Rechte auf Andere
upergeht, sondern nur die ausdrücklich Erwählten unter
uie mrizier aufgenommen werden, n») Sind deren nur
zwei, so wird der Eine sich die Macht vor dem Andern
zu verschaffen suchen, und der Staat trennt sich weffen
^er grossen Gewalt Beider leicht in zwei Teile oder in
«rei, oder vier oder fünf, wenn drei, vier oder fünf das
|( ' \'-:l
110
Politische Abb. Kap. 8. § 2. 3.
II
Regiment inne haben. Dagegen werden die Teile um
80 schwächer sein, je grösser die Zahl derer ist,
welche die Staatsgewalt inne haben. Deshalb gehört
zur Festigkeit des aristokratischen Regiments, dass
bei der Bestimmung der niedrigsten Zahl der Pa-
trizier auf die Grösse des Reiches Rücksicht genommen
virerde
§'2. Ich will daher annehmen, dass für ein mittel-
grosses Reich hundert Vornehme 1 »2) vorhanden sind, auf
welche die Staatsgewalt übertragen ist und denen deshalb
das Recht zusteht, sich Patrizier zu Genossen zu erwählen,
wenn einer derselben mit Tode abgeht. Sie werden na-
türlich auf alle Weise sich bemühen, dass ihre Kinder
oder nächsten Verwandten ihnen nachfolgen, und die
höchste Staatsgewalt wird dann immer bei denen bleiben,
welche als Patrizier zufällig Kinder oder Verwandte haben.
Da nun unter hundert Menschen, die nur durch Zufall
zu dieser Würde aufsteigen, kaum drei sich finden wer-
den, die durch Verstand und Kenntnisse sich auszeichnen»
so wird die Staatsgewalt nicht bei hundert, sondern bei
zweien oder dreien sein, die durch ihre Geisteskräfte
hervorragen, alles leicht an sich ziehen und von denen
jeder infolge der menschlichen Leidenschaften sich den
Weg zur Monarchie bahnen kann. Deshalb muss bei
richtiger Berechnung in einem Lande, dessen Grösse
mindestens hundert Vornehme verlangt, die Staatsgewalt
auf mindestens 5000 Patrizier übertragen werden. Nur
so werden immer hundert in Tugend ausgezeichnete
Männer unter ihnen gefunden werden, da ich annehme,
dass unter 50, die nach dieser Würde streben und sie
erlangen, immer einer sich finden wird, der den Besten
gleich steht, abgesehen von anderen, welche der Tugend
der Besten nacheifern und deshalb auch würdig sind, zur
Regierung zu gelangen.
§3. Die Patrizier pflegen meist Bürger einer Stadt
zu sein, welche das Haupt des ganzen Reiches bildet und
nach welcher es den Namen führt, wie ehedem das Rö-
mische und gegenwärtig das Venetianische und Genuesische.
Dagegen hat der holländische Staat seinen Namen von
der ganzen Provinz, woraus hervorgeht, dass dessen
Bürger grössere Gerechtsame geniessen. Ehe ich nun die
Grundlagen, auf denen das aristokratisclie Regiment ruhen
D. aristokr. Regiment ist unbeschränkter wie das der Könige. Hl
soll, angeben kann, habe ich den Unterschied anzugeben
der zwischen einer auf einen Einzigen übertragenen und
der auf eine ziemlich grosse Versammlung übertragenen
Herrschaft besteht und der sehr erheblich ist. Erstens
ist die Kraft eines Menschen nicht im stände, die ganze
Herrschaft zu führen (wie ich § 5, Kap. 6 gesagt) , aber
von einer genügend grossen Versammlung kann man dies
ohne grosse Verkehrtheit nicht sagen; denn indem man
die Versammlung als hinlänglich gross anerkennt, erkennt
man auch an, dass sie zur Führung der Herrschaft nicht
unvermögend ist. Der König braucht also jedenfalls
Ratgeber; die Versammlung aber keinesweges.ii3) Dann
sind zweitens die Könige sterblich, die Versammlungen
aber ewig. Deshalb kehrt die Staatsgewalt, wenn sie
einmal auf eine hinlänglich grosse Versammlung über-
tragen worden ist, niemals an das Volk zurück, was bei
dem monarchischen Regiment wohl vorkommt, wie ich
in § 25, Kap. 6 gezeigt habe. Drittens ist die Re-
gierung des Königs oft durch dessen Jugend oder
Krankheit oder zu hohes Alter oder aus andern Ursachen
hinfällig, während die Macht einer solchen Versammlung
immer nngeändert bleibt. Viertens ist der Wille
eines Menschen veränderlich und unbeständig; deshalb
gilt in dem monarchischen Staate alles Recht als der aus-
drückliche Wille des Königs (wie ich in § 1, Kap. 6
gesagt habe), aber nicht jeder Wille des Königs darf
Recht sein; von einer grossen Versammlung kann man
aber dies nicht sagen. Denn da eine solche Versammlung
(wie gezeigt) keiner Räte bedarf, so muss notwendig alles,
was sie ausdrücklich will, auch Recht sein. Hiernach
schliesse ich, dass die auf eine genügend grosse Versamm-
lung übertragene Herrschaft unbeschränkt ist oder
wenigstens der unbeschränkten sehr nahe kommt; denn
wenn es eine ganz unbeschränkte Herrschaft überhaupt
giebt, so ist es in Wahrheit die, welche das ganze Volk
inne hat^i*)
§ 4. Da indes dieses aristokratische Regiment nie-
mals (wie ich oben gezeigt), zum Volke zurückkehrt, so
findet auch bei demselben keine Beratung des Volkes
statt, sondern alle Beschlüsse dieser Versammlung sind
ohne Weiteres Gesetz. "S) Deshalb muss dieses Regiment
als ein unbeschränktes betrachtet werden, und seine
fä :
112
Politische Abh. Kap. 8. § 5—7.
Grundlagen müssen sich deshalb nur auf den Willen und
die Beschlüsse der Versammlung stützen und nicht auf
die Wachsamkeit des Volkes, da dies sowohl bei der Be-
ratung wie bei der Stimmgebung fern gehalten wird.
Wenn deshalb in der Verwirklichung dies Regiment
nicht unbeschränkt ist, so kann es nur daher kommen,
dass das Volk von den Herrschern gefürchtet wird und
deshalb einige Freiheiten erlangt, die es, wenn nicht
durch ausdrückliche Gesetze, doch stillschweigend sich
verschafft und erhält.
§ 5. Hieraus erhellt, dass dieses Regiment dann am
besten ist, wenn es sich dem unbeschränkten am meisten
nähert, d. h. wenn das Volk möglichst wenig zu fürchten
ist und nur diejenigen Freiheiten hat, welche nach der
Staatsverfassung ihm nicht vorenthalten werden können
und welche deshalb nicht sowohl ein Recht des Volkes,
als des ganzen Staates sind, welches Staatsrecht die vor-
nehme Klasse als das ihrige beansprucht und bewahrt.
So wird die Wirklichkeit am meisten mit der Theorie
tibereinstimmen, wie der vorgehende Paragraph ergiebt
und von selbst klar ist; da unzweifelhaft die Herrschaft
um so weniger bei den Patriziern sein wird, je mehr
Rechte das Volk beansprucht: wie dergleichen in Nieder-
Deutschlaud die Kollegien der Handwerker, die man
Gilden nennt, besitzen. i^^)
§ 6. Auch braucht man von der unbeschränkten
Übertragung der Staatsgewalt an die Versammlung des-
halb nicht zu fürchten, dass diese das Volk in Dienst-
barkeit bringen werde, da der Wille einer so grossen
Versammlung nicht sowohl von der Willkür, als von der
Vernunft bestimmt werden kann. Die Menschen haben
durch schlechten Affekt verschiedene Absichten; nur
wenn sie das Rechte, oder wenigstens was als Recht er-
scheint, erstrebe», können sie gleichsam in einem Geiste
handeln. 117)
§ 7. Bei Bestimmung der Grundlagen des aristo-
kratischen Regiments muss man deshalb vor allem dar-
auf sehen, dass sie nur auf dem Willen und der Macht
der höchsten Versammlung ruhen, und dass diese Ver-
sammlung möglichst selbständig sei und von dem Volke
nichts zu fürchten habe. Um diese auf dem blossen Willen
und der Macht der höchsten Versammlung ruhenden
Die Einrichtungen beim aristokr. Regiment. 113
<Jrundlagen zu bestimmen, muss man die Grundlagen des
Friedens, welche dem monarchischen Regimente eigen-
tümlich sind und dem aristokratischen fremd sind be-
trachten. Kann man dem aristokratischen Regiment ebenso
kräftige Grundlagen, die zugleich seiner Natur ent-
sprechen, unterstellen , und behält man daneben die hier
bereits gelegten Grundlagen bei, so wird unzweifelhaft
aller Anlass zu Aufständen beseitigt sein und dieses Re-
giment mindestens ebenso sicher wie das monarchische
sein; ja sicherer und in einem besseren Stande, da es
mehr als das monarchische ohne Schaden für Frieden und
Freiheit (man sehe § 3 und 6 dieses Kap.) dem unbe-
schrankten sich nähert. Je grösser das Recht der höchsten
Staatsgewalt ist, desto mehr kommt die Form des Regi-
ments mit dem Gebote der Vernunft überein und ist des-
halb auch zur Erhaltung des Friedens und der Freiheit
mehr geeignet (nach § 5, Kap. 3). Ich werde deshalb das
in S y, Kap. 6 Gesagte durchgehen, um das für das aristo-
kratische Regiment unpassende zu beseitigen und das
Passende aufzufinden, ii«)
§ 8. Dass auch hier es zunächst nötig ist, eine
oder mehrere Städte zu erbauen und zu befestigen, kann
niemand bezweifeln. Vorzugsweise ist die Hauptstadt
eines Landes zu befestigen und dann die Grenzstädte.
Jene muss als das Haupt des ganzen Reichs, als welches
sie das höchste Recht hat, auch an Macht allen andern
überlegen sein. Übrigens brauchen bei einem solchen
Kegiment die Einwohner nicht in Stämme eingeteilt zu
werden. ^^^)
§ 9. Was nun die Miliz anlangt, so ist bei diesem
Regiment nicht die Gleichheit Aller, sondern nur die
bleichheit der Patrizier zu suchen , und da die Gewalt
der letztern grösser ist als die des Volkes, so gehört es
sicnerlich nicht zu den Grundgesetzen und Rechten dieses
itegimentes, dass die Miliz nur aus den Bürgern gebildet
werde; vielmehr ist es vor allem nötig, dass niemand zum
ratrizier gewählt werde, der nicht die Kriegskunst gut
versteht. Dagegen ist es Thorheit, wenn Einige ver-
langen, dass die ünterthanen von der Miliz ausgeschlossen
!!m. ^^i^^^- ^'^^^^ ^^^'^t ^er an die ünterthanen ge-
zaüite 6old im Lande, während der einer fremden Miliz
gezaülte dem Lande verloren geht;i20) sodann würde die
114
Politische Abh. Kap. 8. § 10.
Die Versammlung der Patrizier.
115
wichtigste Kraft des Reichs dadurch geschwächt werdeny
da unzweifelhaft Die am tapfersten kämpfen, welche für
Haus und Hof kämpfen. Deshalb ist es ebenso irrig,
wenn man verlangt, dass die Feldherren, Obersten und
Hauptleute nur aus den Patriziern genommen werden
sollen. Wie sollen Soldaten tapfer fechten, wenn ihnen
alle Hoffnung auf Ruhm und Ehren entzogen ist? Ebenso
würde es aber unklug sein und dem höchsten Recht der
Patrizier widerstreiten (man sehe § 3, 4, 5 dieses Kap.),
wenn man verordnen wollte, dass die Patrizier keine
fremde Miliz in Sold nehmen dürften, sofern dies nötig
sein sollte, um sich zu schützen, Aufstände zu dämpfen,
oder sofern andere Gründe dafür eintreten. Übrigens
ist der Feldherr einer Heeresabteilung, sowie der ganzen
Miliz, nur für den Krieg und nur aus den Patriziern zu
wählen; er behält sein Amt nur auf ein Jahr und nicht
länger, darf auch nicht von Neuem gewählt werden. i^i)
Diese Bestimmung ist nicht bloss bei dem monarchischen
Regiment nötig, sondern hier noch notwendiger; denn
obgleich das Regiment, wie ich oben bemerkt, viel leichter
von einer einzelnen Person auf eine andere übergehen
kann, als von einer freien Versammlung auf einen Ein-
zelnen, so kommt es doch oft vor, dass die Patrizier von
ihren Führern und zwar zum viel grösseren Schaden des
Staats unterjocht werden; da, wenn der Monarch be-
seitigt wird, nicht das Regiment, sondern nur der Tyrann
gewechselt wird, während bei einem aristokratischen Re-
giment dies nicht ohne ümstürzung der Verfassung und
der Niedermetzelung der bedeutendsten Männer geschehen
kann. Rom hat dazu die schrecklichsten Beispiele gelieferte
Übrigens gilt der Grund, weshalb in einem monarchischen
Staate die Miliz ohne Sold dienen soll, bei der aristokra-
tischen Verfassung nicht; denn wenn die Unterthanen
sowohl von Versammlungen wie von Abstimmungen aus-
geschlossen sind, so gelten sie nur wie Fremde und können
deshalb nicht unter schlechtem Bedingungen, wie diese,
zu dem Dienst angehalten werden. Auch besteht hier
keine Gefahr, dass die Versammlung sie vor den Übrigen
bevorzuge ; vielmehr ist es, damit niemand seine Thaten,
wie wohl vorkommt, selbst zu hoch abschätze, geratener,^
dass die Patrizier den Soldaten einen festen Sold aus*
setzen.
§ 10. Eben deshalb, weil alle ausser den Patriziern
wie Fremde gelten, gestattet es die Sicherheit des ganzen
Staates nicht, dass die Ländereien, Häuser und aller Grund
und Boden Staatseigentum bleibe und den Einwohnern
nur gegen einen jährlichen Zins verpachtet werde. 1*2)
Denn Unterthanen, die keinen Anteil an der Staats-
gewalt haben, verlassen in schlimmen Zeiten leicht die
Städte, wenn sie ihre Besitztümer überall mit sich nehmen
können. Deshalb müssen die Ländereien und der Bo-
den eines solchen Staates den Unterthanen nicht ver-
pachtet, sondern verkauft werden, unter dem Beding,
dass sie aus den jährlichen Einkünften einen Bruchteil
jährlich dem Staat entrichten, wie dies in Holland ge-
schieht.
§ 11. Ich gehe nun zu den Grundlagen über, auf
die die höchste Versammlung sich stützen und durch
welche sie befestigt werden soll. Die Mitglieder dieser
Versammlung müssen in einem Reiche mittlerer Grösse
ungefähr 5000 der Zahl nach betragen, wie ich in § 2
dieses Kapitels gezeigt habe; es muss deshalb dafür ge-
sorgt werden, dass diese Zahl der herrschenden Klasse
nicht geringer werde, vielmehr muss sie mit der Zunahme
eines Staates verhältnismässig wachsen. Ferner muss
unter den Patriziern die möglichste Gleichheit herrschen;
in den Versammlungen muss schnell verhandelt werden,
für das gemeine Beste gesorgt werden, endlich muss die
Macht der Patrizier oder der Versammlung grösser als
die Macht des Volkes sein, aber diesem darf daraus kein
Schaden erwachsen.
§ 12. Bei Verfolgung des ersten dieser Ziele macht
der Neid die grösste Schwierigkeit. Denn die Menschen
smd von Natur, wie gesagt, einander feind und selbst
wenn sie durch Gesetze verbunden und in Zaum gehalten
werden, behalten sie diese Natur. Daher mag es kom-
men, dass die demokratischen Staaten in Aristokratien
und diese endlich in Monarchien sich umwandeln. Denn
ich bin überzeugt, dass die meisten Aristokratien zuerst
Demokratien waren, indem eine gewisse Anzahl Menschen
sich neue Wohnsitze suchten und, wenn sie diese gefun-
den und eingerichtet hatten, das gleiche Recht an der
Staatsgewalt für alle beibehielten, weil niemand gern
emem Andern diese Gewalt überträgt. 123) Aber wenn
I
116
Politische Abh. Kap. 8. § 13. 14.
Die Wahl der Patrizier.
117
auch jeder es recht findet, dass das Recht, was dem An-
dern gegen ihn zusteht, ihm selbst auch gegen den An-
dern zustehe, so hält er es doch für unbillig, dass auch
den Fremden, die sich bei ihnen niederlassen, das gleiche
Recht an der Staatsgewalt zustehen solle, da sie selbst
diese mit Mühe sich gesucht und mit ihrem Blute erwor-
ben haben. Auch die Fremden sind damit zufrieden, da
sie nicht der Herrschaft, sondern ihrer häuslichen An-
gelegenheiten wegen zu ihnen ziehen, und da sie zufrieden
sind, wenn sie nur ihre eigenen Geschäfte sicher betreiben
können. Allein nach und nach wächst die niedere Volks-
klasse durch dieses Zusammenströmen von Fremden, welche
allmählich die Sitten dieses Stammes annehmen und zu-
letzt nur daran erkennbar sind, dass sie zu keinen Staats-
ämtern gelangen können. ^24) Während ihre Anzahl täg-
lich zunimmt, nimmt die der Bürger aus vielen Ursachen
ab, da Familien oft erlöschen, andere wegen Verbrechen
ausgeschlossen werden und viele wegen unzureichenden
Vermögens die Staatsgeschäfte vernachlässigen, während
die Mächtigern dahin streben, allein zu regieren. So
kommt das Regiment allmählich auf Wenige und durch
Parteispaltungen zuletzt auf Einen. Ich könnte dem
noch manche andere Umstände, welche solchen Staaten
verderblich werden, hinzufügen; indes lasse ich dies, da
sie bekannt sind, und ich will nun der Reihe nach die
Gesetze besprechen, welche zur Erhaltung des aristokra-
tischen Regiments dienen sollen.
§ 13. Das erste Gesetz eines solchen Staats muss
das sein, welches das Verhältnis der Zahl der Patrizier zu
der Volkszahl festsetzt. Das Verhältnis muss (vermöge
§ 1 dieses Kap.) der Art sein, dass mit dem Wachsen
der Volksmenge auch die Zahl der Patrizier sich ver-
mehrt. Das Verhältnis muss (nach dem in § 2 dieses
Kap. Gesagten) ungefähr wie 1 zu 50 sein, d. h. die Zahl
der Patrizier zur Volksmenge darf niemals geringer sein;
wohl aber kann (nach § 1 dieses Kap.) ohne Schaden für
dieses Regiment die Zahl der Patrizier grösser sein als
die Zahl der übrigen Volksklassen; nur in der zu nie-
drigen Zahl jener liegt die Gefahr. Wie es einzurichten,
dass dies Gesetz innegehalten werde, soll bald dargelegt
werden.
§ 14. An manchen Orten werden die Patrizier nur
aus bestimmten Familien gewählt; doch ist es schädlich
wenn dies durch ein besonderes Gesetz bestimmt wird!
Einmal erlöschen Familien oft; die übrigen können nicht
ohne Verletzung ihrer Ehre ausgeschlossen werden und
dann widerstreitet es dieser Staatsform, dass die patri-
zische Würde erblich sei (nach § 1 dieses Kap.). Die
Verfassung würde vielmehr dann jener Demokratie ähneln,
die ich in § 12 dieses Kapitels geschildert habe, wo nur
eine geringe Zahl von Bürgern die Staatsgewalt inne
hat. Dagegen ist es unmöglich und verkehrt, wie ich
in § 39 dieses Kapitels zeigen werde, wenn man verhin-
dern will, dass die Patrizier nicht ihre Kinder und Ver-
wandten wählen sollen, wodurch die Herrschaft bei ge-
wissen Familien erhalten bleibe. Vielmehr darf dies nur
nicht durch ejn bestimmtes Gesetz vorgeschrieben wer-
den und die Übrigen (d. h. die im Lande geboren sind
und die Landessprache sprechen und keine Fremde zur
Frau genommen haben und ihrer Ehre nicht verlustig
erklärt worden und nicht in eines Andern Diensten
stehen, noch ihren Lebensunterhalt durch ein knech-
tisches Geschäft sich verschaffen, wohin ich auch die
Wirte der Wein- und Bierschänken rechne) dürfen nur
nicht ausdrücklich ausgeschlossen werden ; dann kann der
Staat sich seine Verfassung erhalten und das Verhältnis
zwischen Patriziern und dem Volke kann aufrecht erhalten
werden.
§. 15. Wenn ferner ein Gesetz die Wahl jüngerer
Männer verbietet, so wird die Staatsgewalt niemals in
wenigen Familien bleiben, und deshalb muss gesetzlich
bestimmt werden, dass erst mit dem 30. Jahre Jemand
m die Liste der Wählbaren eingetragen werden dürfe.i25)
§ 16. Es muss drittens festgesetzt werden, dass
alle Patrizier an einem bestimmten Orte zu bestimmten
Zeiten sich versammeln müssen; und der Ausbleibende,
sofern er nicht durch Krankheit oder ein öffentliches Ge-
schäft verhindert ist, muss mit einer empfindlichen Geld-
strafe belegt werden. Denn sonst würden die Meisten
über ihre eigenen Angelegenheiten die öffentlichen ver-
nachlässigen. 126)
§ 17. Das Geschäft dieser Versammlung ist, Gesetze
zu geben und aufzuheben, sich Patrizier zu Genossen zu
erwählen und alle Beamten des Staates zu ernennen. 12?)
118
Politische Abh. Kap. 8. § 18. 19.
Denn der Inhaber des höchsten Rechts, wie es ja diese
Versammlung sein soll, kann unmöglich die Macht der
Gesetzgebung einem Andern verleihen, ohne sein Recht
Aufzugeben und auf Den, dem er diese Macht einräumt,
zu übertragen. Wer nur einen Tag die Macht hat, Ge-
setze zu geben und aufzuheben, kann die ganze Staats-
verfassung verändern. Dagegen kann die laufende Ver-
waltung Andern auf bestimmte Zeit nach festgestellten
Regeln überlassen werden, wenn jene nur das höchste
Recht sich vorbehält. Auch würden, wenn die Reichs-
beamten von einem Andern als dieser Versammlung er-
nannt würden , die Mitglieder derselben eher Unmündige
als Patrizier heissen müssen. ^28^
§ 18. Dieser Versammlung pflegt ein Leiter oder
Vorstand gegeben zu werden, entweder auf Lebenszeit,
wie in Venedig, oder auf eine bestimmte Frist, wie in
Genua; es ist aber unter so vielen Klauseln geschehen,
dass deutlich erhellt, welche Gefahr hierbei für den Staat
besteht. Auch nähert sich damit unzweifelhaft das Re-
giment dem monarchischen, und es ist, so viel man aus
der Geschichte dieser Staaten abnehmen kann, nur des-
halb geschehen, weil das Land vor Einrichtung dieser
Versammlung unter einem Leiter oder Herzog, wie unter
einem König, gestanden hatte. Deshalb ist die Wahl eines
solchen Vorstandes wohl ein notwendiges Erfordernis
eines bestimmten Geschlechts, aber nicht des aristokra-
tischen Regiments an sich.^^e^
§ 19. Da indes die höchste Staatsgewalt nur bei
der ganzen Versammlung ist und nicht bei jedem ein-
zelnen Mitgliede (denn sonst wäre es nur die regellose
Zusammenkunft einer Menschenmenge), so müssen alle
Patrizier an die Gesetze so gebunden sein, dass sie nur
einen Körper darstellen, der durch eine Seele geleitet
wird. Nun sind aber die Gesetze an sich ohnmächtig und
werden leicht übertreten, wenn Diejenigen sie beschützen
sollen, welche sündigen können und allein aus der Strafe
eine Warnung sich nehmen und die ihre Genossen des-
halb strafen sollen, damit sie ihre eigene Lust durch die
Furcht vor gleicher Strafe im Zaume halten; dergleichen
wäre sehr verkehrt. Deshalb muss man auf ein Mittel
sinnen, welches die Ordnung in dieser höchsten Ver-
sammlung und die Verfassung des Reichs unverletzt er-
Die Syndiken.
119
hält, ohne die Gleichheit unter den Patriziern, soweit es
angeht, aufzuheben.
§ 20. Aus der Ernennung eines Leiters oder Vor-
standes, der auch in der Versammlung das Stimmrecht hat
muss notwendig eine grosse Ungleichheit in der Versamm-
lung entstehen, zumal ihm die zur sichern Verwaltung
seines Amtes nötige Gewalt eingeräumt werden muss. Bei
sorgsamer Erwägung erscheint deshalb keine Einrichtung
für das allgemeine Wohl heilsamer, als dieser höchsten
Versammlung eine andere zu unterstellen, die aus einigen
Patriziern gebildet wird und deren Amt nur darin besteht
zu wachen, dass die Rechte des Staates in Betreff der Ver-
sammlungen und der Staatsbeamten unverletzt bleiben. Sie
haben deshalb die Macht, jeden schuldigen Staatsbeamten,
welcher gegen die Staatsgesetze in Betreff seines Amtes
Verstössen hat, vor ihren Richterstuhl zu fordern und
nach den Reichsgesetzen zu verurteilen. Diese Patrizier
werde ich die Syndiken nennen. 129 b.)
§. 21. Diese Syndiken sind auf Lebenszeit zu wäh-
len; denn wenn es nur auf eine bestimmte Zeit geschähe
und sie dann später andere Staatsämter übernehmen
konnten , würde man die in § 19 dieses Kapitel darge-
legte Verkehrtheit begehen. Um indes zu hindern , dass
die lange Amtsgewalt sie nicht stolz mache , dürfen nur
mrizier, die 60 Jahre und darüber alt sind und Sena-
toren gewesen sind (worüber unten das Weitere folgen
wird), dazu gewählt werden.
§ 22. Ihre Zahl findet man leicht, wenn man be-
denkt, dass diese Syndiken sich zu den Patriziern ver-
üalten, wie diese zusammen zu dem Volke, das sie nicht
regieren können, wenn ihre Anzahl unverhältnismässig
7 l? J®** Deshalb muss sich die Zahl der Syndiken zur
z-ahl der Patrizier verhalten wie die Zahl dieser zur Zahl
des Volkes, d. h. (nach § 13 dieses Kap.) wie 1 zu 50.
S 26. Damit ferner diese Versammlung der Syndiken
Ihr Amt sicher verwalten kann, ist ihr ein Teil der
S 1^30) ^^®^^®^«^° » welcher dann unter ihren Befehlen
1. • ^ ^^\ 9^® Syndiken und alle Staatsbeamte erhalten
Kernen Gehalt, sondern nur solche Gebühren, dass sie
oüne ihren eigenen grösseren Schaden das Reich nicht
schlecht verwalten können. Au sich ist es billig, dass
120
Politische Abh. Kap. 8. § 25.
Wahl der Syndiken.
121
die Beamten des aristokratischen Regiments eine Ent-
schädigung für ihre Arbeit erhalten; denn die Mehrheit
des Staates ist das gemeine Volle und die Patrizier sorgen
für dessen Sicherheit, während dieses sich nicht um den
Staat, sondern nur um seine eigenen Angelegenheiten
kümmert. Allein Niemand sorgt für einen Andern (wie
§ 4, Kap. 7 gezeigt worden), wenn er nicht seine eigene
Sache damit zu sichern glaubt, und deshalb muss die
Sache so eingerichtet werden, dass die Beamten, welche
für den Staat sorgen, dann den grössten Vorteil für sich
erlangen, wenn sie für das allgemeine Wohl am besten sorgen.
§ 25. Hiernach sind die Einkünfte der Syndiken,
deren Amt, wie gesagt, darin besteht, über die Beobach-
tung der Gesetze des Staats zu wachen, dahin zu be-
stimmen, dass aus allen Orten des Reichs jeder Familien-
vater jährlich eine geringe Geldsumme, nämlich den
vierten Teil einer Unze Silber, i3i) den Syndiken ent-
richtet, damit sie daraus die Zahl der Einwohner ent-
nehmen und prüfen können, welchen Bruchteil die Patri-
zier bilden. Ferner muss Jeder, der neu zum Patrizier
erwählt worden, den Syndiken eine grössere Summe zah-
len, etwa 20 oder 25 Pfund Silber. i32) Ausserdem sollen
auch die Geldstrafen, welche die bei den Versammlungen
ausgebliebenen Patrizier zu zahlen haben, den Syndiken
zufallen. Ferner erhalten sie einen Teil der Güter der
verurteilten Staatsbeamten, welche vor ihren Gerichtshof
gehören und entweder eine bestimmte Geldsumme als
Strafe zu entrichten haben, oder deren Vermögen ein-
gezogen wird. Doch erhalten dies nur diejenigen Syn-
diken, welche täglich Sitzung halten und welche die
Versammlung der Syndiken zu berufen haben, wie in
§ 28 dieses Kapitels näher angegeben werden wird. Da-
mit die Versammlung der Syndiken immer vollzählig
bleibe, ist in der zur bestimmten Zeit berufenen höch-
sten Versammlung vor Allem dieser Punkt zu unter-
suchen. Haben die Syndiken dies verabsäumt, so liegt
dann dem Vorstand des Senats (von dem ich bald han-
deln werde) ob, die höchste Versammlung daran zu er-
innern und von dem Vorstand der Syndiken den Grund
des Schweigens zu erfragen und festzustellen, was die
Meinung der höchsten Versammlung hierüber ist. Thut
auch dieser 133) nichts, so ist die Sache vom Vorsitzen-
den des höchsten Gerichtshofes, oder bei dessen Schwei-
gen von jedem beliebigen Patrizier aufzunehmen und
der Grund des Schweigens von dem Vorstande der Syn-
diken, des Senats und des Gerichtshofes zu erfordern.
Damit endlich das Gesetz über Ausschliessung der Jünffern
streng eingehalten werde, ist festzusetzen, dass Jeder
nachdem er das Alter von dreissig Jahren erreicht hat'
sich in die Liste im Beisein der Syndiken eintragen lassen
muss, wenn er nicht ausdrücklich von der Regierung aus-
geschlossen worden ist. Sie erhalten dann gegen Zah-
lung einer Summe von diesem ein Zeichen der erlangten
Würde und dürfen dann ein bestimmtes Kleid anlegen
was andere nicht tragen dürfen, und woran sie erkannt
werden, um von den andern in Ehren gehalten zu werden.i34)
Ferner muss bestimmt sein, dass bei den Wahlen kein
Patrizier bei schwerer Strafe jemanden nennen darf der
in der allgemeinen Liste nicht eingetragen ist. Auch darf
niemand ein Amt oder Geschäft, zu dem er erwählt wor-
den ist, ablehnen. Damit endlich die Grundlagen des
Staats für alle Zeiten unverändertes Recht bleiben ist
zu verordnen, dass Jeder, der in der höchsten Versamm-
lung ein solches Grundrecht des Staats in Frage stellt
z. B. die Verlängerung des Amtes eines Befehlshabers des
Heeres, oder die Verminderung der Zahl der Patrizier
oder anderes der Art beantragt, der verletzten Majestät
schuldig sein und den Tod erleiden soll; seine Güter
sollen konfisziert und ein Zeichen seiner Strafe für ewige
Zeiten an einem öffentlichen Orte angebracht werden, i^)
Was die übrigen Gesetze anlangt, so genügt zu deren
bchutz die Bestimmung, dass kein Gesetz aufgehoben oder
gegeben werden kann, wenn nicht zuerst die Versammlung
der Syndiken und dann die höchste Versammlung mit drei
Vierteln oder vier Fünfteln ihrer Mitglieder dem zugestimmt
§ 26. Den Syndiken muss das Recht zustehen, die
höchste Versammlung zu berufen und die zu beratenden
tregenstände zu bezeichnen; auch ist ihnen der erste Platz
m der Versammlung einzuräumen ; doch haben sie kein
ötimmrecht. Ehe sie ihren Sitz einnehmen, müssen sie bei
dem Heil dieser höchsten Versammlung und der öffent-
lichen Freiheit schwören, mit allen Kräften die Rechte
aes Vaterlandes unverletzt zu bewahren und für das all-
SpinojBa's Abh. üb. Verbesser, d. Verstandes. JQ
122
Politische Abh. Kap. 8. § 27—29.
Der Senat
123
gemeine Beste zu sorgen ; dann haben sie die zu beraten-
den Gegenstände durch einen ihnen zugeordneten Schrift-
führer zu eröffnen.
§ 27. Damit bei den Beschlüssen und der Wahl der
Staatsbeamten allen Patriziern die gleiche Macht bleibe
und alles schnell erledigt werde, ist das von den Vene-
tianern befolgte Verfahren einzuhalten, wo einige Mit-
glieder der Versammlung behufs Wahl der Beamten durch
das Los bestimmt werden und diese der Reihe nach Per-
sonen dazu vorschlagen; dann giebt jeder Patrizier seine
btimme, ob er den Vorgeschlagenen annimmt oder nicht,
durch Steinchen ab, damit man nachher nicht wisse, wer
für den Einen oder Andern gestimmt habe. Dadurch
wird nicht allein die Geltung eines jeden Patriziers bei
den Beschlüssen mit den anderen gleich erhalten, son-
dern auch der Geschäftsgang beschleunigt. Ebenso
S?"° / .t ?*®^® ^^^^® ^'*" jeder im Interesse voller
ötimmtreiheit, welche den Versammlungen vor allem nötig
ist, seine Stimme ohne Gefahr, sich verhasst zu machen,
abgeben. '
A' f..^^* ^^ ^®° Versammlungen der Syndiken werden
die btimmen wie in den übrigen Versammlungen durch
Steinchen abgegeben. Das Recht der Syndiken die Rats-
versammlungen zu berufen und die Gegenstände der Ver-
handlung zu bestimmen, muss ihr Vorsitzender haben.
Dieser muss täglich mit zehn oder mehr Syndiken
bitzungen abhalten, um die Beschwerden des Volkes gegen
öeamte und die geheimen Anklagen zu vernehmen und
die Ankläger, wenn es erforderlich ist, festzuhalten, auch
die Versammlung vor den regelmässig feststehenden
1« risten zu berufen, wenn eines der Mitglieder Gefahr im
Verzuge findet. Diesen Vorsitzenden und Die, welche
sich taghell mit ihm versammeln , hat die höchste Ver-
sammlung aus den Syndiken zu wählen , aber nicht auf
Lebenszeit, sondern nur auf 6 Monat und so, dass sie
erst nach 3 oder 4 Jahren wiedergewählt werden dürfen.
Diesen sind, wie erwähnt, die konfiszierten Güter und
Uie beldstraten oder ein Anteil daran zuzuweisen. Was
sonst noch diese Syndiken angeht, werde ich an seinem
Orte bemerken.
§ 29. Eine zweite, der höchsten Versammlung unter-
geordnete Versammlung ist die, welche ich den Senat
nenne. Sein Amt ist die Besorgung der öffentlichen Ge-
schäfte, also die Verkündigung der Gesetze, die gesetz-
liche Regelung der Stadtbefestigungen, die Ausfertiffunff
der Bestallungen für die Miliz, die Auferlegung von Ab-
gaben auf die Unterthanen und deren Verteilung die
Antworten an fremde Gesandte und die Bestimmung
wohin Gesandte geschickt werden sollen; die Gesandten
selbst hat jedoch die höchste Versammlung zu wählen ^^)
Denn man muss vorzüglich sorgen, dass die Patrizier
Staats -Amter nur von der höchsten Versammlung er-
halten können, damit sie sich nicht um die Gunst des
Senats bewerben. Ferner gehört alles vor die höchste
Versammlung, was den vorhandenen Zustand der Dinge
in irgend einer Weise verändert, wie Beschlüsse über
Krieg und Frieden. Deshalb bedürfen die Beschlüsse des
benats über Krieg und Frieden zu ihrer Gültigkeit der
Bestätigung durch die höchste Versammlung, und deshalb
mochte ich auch die Ausschreibung neuer Abgaben nicht
dem Senat, sondern der höchsten Versammlung zu-
weisen. ®
. , . § ^- P^i der Festsetzung der Zahl der Senatoren
ist in Betracht zu ziehen, 1) dass alle Patrizier eine gleich
grosse Aussicht auf Erlangung der Senatorenwürde er-
halten ; 2) dass trotzdem die Senatoren , deren Amtszeit
abgelaufen ist, nach nicht zu langer Frist wieder ein-
treten können, damit der Senat durch erfahrene und er-
prob e Männer geleitet werde, und 3) dass unter den
benatoren eine Anzahl durch Weisheit und Tugend be-
rühmter Männer sich befinde. Zur Erfüllung dieser Be-
dingungen lässt sich gesetzlich nur bestimmen, dass erst
mit dem fünfzigsten Jahre ein Patrizier in den Senat ge-
wählt werden darf, und dass ungefähr 400 Mitglieder,
also ungefähr der zwölfte Teil der Patrizier, auf ein Jahr
zu wählen sind und dass sie zwei Jahre nach dessen
Ablauf wieder eintreten dürfen. Auf diese Art wird
immer ein Zwölftel der Patrizier mit kurzen Unter-
Drechungen das Senatoren-Amt bekleiden, und diese Zahl
zusammen mit der Zahl der Syndiken wird nicht viel
Riemer sein als die Zahl der Patrizier, welche das 50ste
Jahr erreicht haben. Dadurch hat jeder Patrizier immer
grosse Aussicht, die Senatoren- oder Syndiken- Würde zu
erlangen, und trotzdem werden dieselben Patrizier mit
10*
124
Politische Abh. Kap. 8. § 31.
Die Einrichtung des Senats.
I!
nur kurzen Unterbrechungen das Senatoren- Amt bekleiden,
so dass (nach dem zu § 2 dieses Kap. Gesagten) dem Se-
nate niemals die durch Klugheit und Geschicklichkeit aus-
gezeichneten Männer fehlen werden. Auch kann ein
solches Gesetz nicht verletzt werden, ohne dass nicht viele
Patrizier dadurch erbittert würden ; deshalb bedarf es zu
seinem Bestände keiner weiteren Fürsorge, als dass jeder
Patrizier, wenn er das bestimmte Alter erreicht hat, dies
den Syndiken nachweise. Diese nehmen dann seinen
Namen in die Liste der Kandidaten zur Senatorenwürde
auf und verlesen ihn mit in der höchsten Versammlung.
Dann nimmt er mit seinen übrigen Genossen den für diese
in der Versammlung bestimmten Platz ein, welcher dem
Platze der Senatoren am nächsten ist.
§ 31. Die Bezüge der Senatoren müssen der Art
sein, dass sie mehr Vorteil vom Frieden wie vom Kriege
haben. Deshalb kann ihnen ein oder zwei Prozent von
den aus- und eingeführten Waren bewilligt werden; un-
zweifelhaft werden sie dann den Frieden möglichst zu
erhalten und den Krieg niemals zu verlängern suchen.
Von diesem Zoll sind selbst die Senatoren, im Fall sie
Handel treiben sollten, nicht frei; denn eine solche Frei-
heit kann ohne grossen Schaden für den Handel nicht
bewilligt werden, wie jedermann einsehen wird, i^?) Ferner
ist durch Gesetz anzuordnen, dass kein Senator und
keiner, der es gewesen ist, ein militärisches Amt ver-
walten dürfe und dass kein Feldherr und höherer Offizier,
so weit sie nur für die Kriegszeit nach § 9 dieses Kap.
eintreten sollen, aus denen genommen werden darf, deren
Vater oder Grossvater Senator ist oder aus dem Senat
erst seit zwei Jahren ausgeschieden ist. Unzweifelhaft
werden die nicht zum Senat gehörenden Patrizier auf
diese Bestimmung mit aller Kraft halten und so wird der
Senat immer ein grösseres Einkommen von dem Frieden
wie von dem Kriege haben, und er wird nur in der
höchsten Not des Staates dazu raten, i^s) Man wird mir
vielleicht entgegnen, dass, wenn auf diese Weise den
Syndiken und Senatoren so bedeutende Bezüge gewährt
würden, das aristokratische Regiment den ünterthanen
ebenso beschwerlich wie irgend ein monarchisches fallen
würde. Indes verlangt die Hofhaltung des Königs grosse
Ausgaben, ohne dass sie der Erhaltung des Friedens dienen;
125
auch kann der Frieden niemals zu teuer erkauft werden.
Dazu kommt, dass das, was in der Monarchie nur Einem
oder Wenigen zu gute kommt, hier an Viele gelangt
Ferner trägt der König und sein Diener nicht, wie die
ünterthanen, zu den Lasten des Reiches bei, während
hier dies geschieht, da die Patrizier, welche immer aus
den Reichern ausgewählt werden, den grössten Teil der
Staatsabgaben entrichten. Endlich entspringen die Lasten
des monarchischen Regiments nicht sowohl aus dem Auf-
wand für den König, als aus dessen geheimen Ausgaben.
Die Abgaben, welche den Bürgern für den Schutz des
Friedens und der Freiheit auferlegt werden, lassen sich
wenn sie auch gross sind, doch ertragen und werden
durch die Vorteile des Friedens erschwinglich. Welches
Volk hat je so viele und so schwere Steuern zu zahlen
geliabt wie das holländische? Dennoch war es nicht er-
schöpft, sondern noch so vermögend, dass alle es um sein
Schicksal beneideten. Wenn daher die Lasten des mo-
narchischen Regiments des Friedens wegen aufgelegt wür-
den, so würden sie den Bürger nicht bedrücken; allein
es kommt vielmehr von den geheimen Ausgaben dieses
Regiments, dass die ünterthanen dessen Lasten nicht er-
tragen können. Denn der Könige Tapferkeit gilt mehr
im Kriege als im Frieden , und wer allein regieren will,
sucht nach Möglichkeit, dass die ünterthanen arm bleiben,
wobei ich nicht das erwähne, was ein kluger Belgier V. H.
einst sagte, i39) da es meinem Zweck nichts angeht, welcher
nur auf die Darstellung der besten Verfassung für jede
Staatsform gerichtet ist
§ 32. Im Senat müssen einige von der höchsten Ver-
sammlung gewählte Syndiken sitzen, aber ohne Stimm-
recht. Sie sollen nur acht haben, dass die diese Ver-
sammlung betreffenden Gesetze gehörig befolgt werden,
und sie haben für die Berufung der höchsten Versamm-
lung zu sorgen, wenn der Senat etwas bei derselben an-
zubringen hat. Denn das Recht, diese Versammlung zu
berufen und ihr Gegenstände zur Beschlussfassung vor-
zulegen, haben, wie gesagt, nur die Syndiken. Ehe
{ * ^ *° solchem Falle die Stimmen gesammelt werden,
hat der Vorsitzende des Senats den Sachverhalt und die
Meinung des Senats mit den Gründen vorzutragen, und
!
126
Politische Abh. Kap. 8. § 33. 34.
Die Konsuln.
127
ll
erst dann sind die Stimmen in der gewöhnlichen Welse
einzusammeln.
§ 33. Der ganze Senat hat sich, wie jede grosse
Versammlung, nicht täglich, sondern nur zu bestimmten
Zeiten zu versammeln. Da indes auch in der Zwischen-
zeit Staatsgeschäfte zu erledigen sind, so ist für diese
Zwischenzeit ein Ausschuss aus dem Senat zu wählen,
der ihn vertritt, den ganzen Senat erforderlichen Falles
beruft, dessen Beschlüsse ausführt, die an den Senat und
die höchste Versammlung eingehenden Schreiben liest
und die Beratungsgegenstände für den Senat feststellt.
Damit dies alles und das Verfahren dieses Senates deut-
licher aufgefasst werde, will ich das Ganze genauer be-
schreiben. 1^)
§ 34. Die, wie gesagt, auf ein Jahr gewählten Se-
natoren sind in 4 oder 6 Abteilungen zu teilen, von denen
die erste in den 3 oder 2 ersten Monaten des Jahres im
Senate an erster Stellie sitzt; dann folgt ihr die zweite
und so fort der Reihe nach, so dass jede Abteilung eine
gleiche Zeit den ersten Platz im Senate einnimmt, so
dass, wer in den ersten Monaten der erste, in den zweiten
Monaten der letzte ist. Ausserdem sind für jede Abtei-
lung ein Vorsitzender und ein Stellvertreter zu wählen,
und der Vorsitzende der ersten Abteilung und bei dessen
Abwesenheit sein Stellvertreter hat auch in den ersten
Monaten den Vorsitz im Senate; ebenso geschieht es bei
den übrigen der Reihe nach. Ferner sind aus der ersten
Abteilung durch Los oder Wahl einige Mitglieder zu be-
stimmen, die mit dem Vorsitzenden und dem Stellvertreter
dieser Abteilung den Senat, wenn er nicht beisammen
ist, vertreten, und zwar für dieselbe Zeit, wo diese Ab-
teilung den ersten Platz im Senate einnimmt. Nach
deren Ablauf sind ebenso Viele aus der zweiten Abtei-
lung durch Los oder Wahl zu bestimmen, die mit ihrem
Vorsitzenden und Stellvertreter den Platz der ersten Ab-
teilung einnehmen und den Senat vertreten; und so fort
auch die Übrigen der Reihe nach. Auch ist es nicht
nötig, dass deren Wahl, die nach Obigem durch das Los
oder durch Abstimmung alle 3 oder 2 Monate erfolgt,
und welche Personen ich nun Konsuln nennen werde,
von der höchsten Versammlung ausgeht. Denn der
Grund in § 29 dieses Kap. gilt hier nicht und noch weniger
der Grund in § 17. Es genügt deshalb, wenn sie von
dem Senat und den Syndiken, die anwesend sind, gewählt
werden.
§ 35. Ihre Zahl kann ich nicht so genau bestim-
men. Doch muss sie so gross sein, dass sie nicht leicht
bestochen werden können; denn wenn sie auch allein
keinen Beschluss über Staatsangelegenheiten fassen können,
so vermögen sie doch die Sitzungen des Senats zu ver-
schieben, oder, was schlimmer ist, ihn zu verspotten, in-
dem sie nur das Unbedeutende ihm vorlegen und die
wichtigern Sachen zurückhalten. Auch würde, wenn ihrer
zu wenig wären, die Abwesenheit Eines oder des Andern
die Erledigung der Geschäfte verzögern. Es ist deshalb
hier, wo die Konsuln gewählt werden, weil die grosse
Versammlung nicht täglich den öffentlichen Angelegen-
heiten obliegen kann, eine Mitte zu halten und der Mangel
der Zahl durch die Kürze der Zelt zu verbessern. Wenn
daher nur ungefähr 30 auf diese 2 oder 3 Monate gewählt
werden, so sind es dann schon so viel, dass sie für so
kurze Zeit nicht leicht bestochen werden können. Des-
halb habe ich auch verlangt, dass ihre Nachfolger erst
dann gewählt werden sollen, wenn jene abtreten und diese
eintreten sollen.
§ 36. Ihnen liegt ferner, wie gesagt, ob, den Senat,
auch wenn nur einige Wenige es beantragen, zu berufen,
die zu beratenden Gegenstände zu bestimmen, den Senat
zu entlassen und seine Beschlüsse über öffentliche An-
gelegenheiten zur Ausführung zu bringen. Ich will noch
angeben, in welcher Form dies zu geschehen hat, damit
die Sachen nicht durch nutzlose Verhandlungen ver-
schleppt werden. Die Konsuln müssen nämlich beraten,
was dem Senate vorzulegen und was zu thun ist; sind
sie hierüber einer Meinung, so rufen sie den Senat zu-
sammen, tragen die Sachen der Reihe nach vor, sprechen
ihre eigene Ansicht aus und sammeln, ohne auf die An-
sichten Anderer zu warten, die Stimmen ein. Bestehen
aber unter den Konsuln verschiedene Ansichten, so ist im
Senat über die betreffende Frage zunächst diejenige Mei-
nung zur Abstimmung zu bringen, welche von der Mehr-
heit der Konsuln verteidigt wird. Ist dabei die Anzahl
der Zweifelhaften und der Verneinenden die Mehrheit, ^^i)
was aus der erwähnten Art der Abstimmung erhellen
!l
I i!
128
Politische Abb. Kap. 8. §. 37.
Die Richter.
muss, SO ist dann die Ansicht, welche weniger Stimmen
*^?\^«" Konsuln gehabt hat, vorzutragen und so dem-
nächst die übrigen. Erhält keine die Mehrheit im Senate
so ist der Senat auf den folgenden Tag oder auf eine
andere kurze Frist zu vertagen, damit die Konsuln in-
zwischen überlegen ob sie noch andere, mehr annehmbare
Vorschlage auffinden können. Ist dies nicht der Fall
oder erhält demnächst keiner die Mehrheit bei dem Senat'
flo ist dann jeder Senator einzeln mit seiner Ansicht zu
hören, und wenn von diesen keine die Mehrheit erlangt,
so ist über jede m der Art abzustimmen, dass nicht bloss
die Zahl der Ja und Nein, sondern auch die Stimmen der
Zweifelhaften zu zählen sind. Ist die Zahl der Bejahen-
den grösser als die einer der beiden andern Parteien, so
gut diese Ansicht als angenommen und umgekehrt für
abgelehnt, wenn die Zahl der Verneinenden grösser ist
als die der Bejahenden oder als die der Zweifelhaften.
Ist dagegen die Zahl der Zweifelhaften grösser als eine
der beiden anderen, so werden dann die Syndiken hinzu-
genommen, damit sie mit dem Senate ihre Stimme ab-
geben. Alsdann werden bloss die bejahenden und ver-
neinenden Stimmen gezählt und die zweifelhaften nicht
beachtet. Ebenso ist es bei den von dem Senat an die
höchste Versammlung gebrachten Sachen zu halten. 1^2)
So viel über den Senat. ^
• uß ^J^ ^^?r ^®° Gerichtshof anlangt, so kann er
nicht auf denselben Grundlagen wie der in der Monarchie
und m § 26 u. f. des Kap. 6 beschriebene ruhen. Denn
es stimmt nicht zu den Grundlagen des aristokratischen
Regiments (nach § 14, Kap. 6), dass dabei auf Familien
und btamme Rücksicht genommen werde. Auch könnten
dann die Richter, welche bloss aus den Patriziern gewählt
sind, zwar durch die Furcht vor den ihnen nachfolgen-
den Patriziern abgehalten werden, gegen einen derselben
ein nachteihges Urteil zu fällen oder die verdiente
S"- ufo^^.T^^^^^ge»; dagegen würden sie gegen die
JNicüt-ratrizier sich alles herausnehmen und die Reichen
sich immer zur Beute auswählen. Deshalb wird, wie mir
bekannt, von Vielen der Rat in Genua gelobt, der nicht
aus den Patriziern, sondern aus Fremden gewählt wird.
Indes erscheint mir eine solche Einrichtung, allgemein
aufgefasst, verkehrt, wo Fremde und nicht die Patrizier
129
die Gesetze auslegen sollen; denn was sind die Richter
anders, als Gesetzes- Ausleger ? Ich vermute deshalb, dass
die Genuesen hierbei mehr die Eigentümlichkeit ihrer
Nation, als die Natur ihres aristokratischen Regimentes
beachtet haben, und ich habe deshalb für die allgemein
gestellte Frage die Mittel aufzusuchen, welche dieser
Staatsform am besten entsprechen.
§ 38. Was nun also die Zahl der Richter anlangt,
so verlangt diese Staatsform nichts Besonderes; vielmehr
muss man hier, wie bei der Monarchie, vor allem nur
darauf halten, dass die Anzahl der Richter hinlänglich gross
ist, um Bestechungen durch eine Privatperson zu verhindern
Ihr Amt ist nur, dafür zu sorgen, dass kein Bürger den
andern beschädige; sie haben deshalb die Entscheidung der
Streitigkeiten zwischen den Bürgern, seien es Patrizier
oder Nicht-Patrizier, und sie haben gegen Verbrecher,
selbst aus dem Stande der Patrizier, der Syndiken und
Senatoren, wenn sie das gemeine Recht verletzt haben,
die btrafen zu vollziehen. Dagegen gehören die Streitig-
keiten zwischen einzelnen Städten des Staats vor die
höchste Versammlung.
, . , § 39. Auch mit der Amtsdauer verhält es sich in
beiden Staatsformen gleich ; ebenso hat in beiden alljähr-
lich ein Teil auszuscheiden, und wenn auch nicht Jeder
aus einem andern Stamme zu sein braucht, so dürfen doch
nicht zwei Blutsverwandte an demselben Spruch teilnehmen.
Dies gilt für alle Versammlungen mit Ausnahme der
höchsten, wo es genügt, wenn bei den Wahlen gesetzlich
vorgesehen ist, dass Niemand einen seiner Anverwandten
zu einem Amte vorschlagen , noch über ihn , wenn ein
Anderer ihn vorgeschlagen hat, abstimmen dürfe, und dass,
wenn ein Beamter durch das Los bestimmt werden soll,
nicht zwei Anverwandte das Los aus der Urne nehmen
üurten. Dies genügt, wie gesagt, für eine so grosse Rats-
versammlung, die überdem keinen besonderen Gehalt be-
zieht. Deshalb hat hier der Staat nichts zu fürchten und
es wäre verkehrt, durch ein Gesetz alle Verwandte der
i-atrizier von der höchsten Versammlung auszuschliessen,
wie ich m § 14 dieses Kap. ausgeführt habe. Das Ver-
mehrte hierbei liegt zu Tage; denn diese Bestimmung
Konnte von den Patriziern selbst nicht getroffen werden,
Ohne dass sie damit zugleich ihrer Vorrechte sich ganz
Iil
130
Politische Abh Kap. 8. § 40. 41.
Die Prokonsuln.
131
begäben. Deshalb könnten niclit die Patrizier, sondern
nur das übrige Volk die Wächter für eine solche Bestim-
mung sein, was mit dem in § 5 und 6 dieses Kapitels
Ausgeführten in geradem Widerspruch stehen würde. Das
Gesetz, welches die Erhaltung des festen Verhältnisses
zwischen der Zahl der Patrizier und des übrigen Volkes
anordnet, hat vorzüglich zur Absicht, die Rechte und die
Macht der Patrizier zu schützen; sie sollen damit nicht
so gering an Zahl werden, dass sie die Menge nicht mehr
regieren können.
§ 40. übrigens sind die Richter von der höchsten
Versammlung aus den Patriziern, d. h. (nach § 17 dieses
Kap.) aus denen, die das Gesetz gegeben haben, zu wählen,
und die von ihnen erlassenen Urtel in bürgerlichen und
Straf- Sachen sind giltig, wenn die Formen beobachtet
und keine Parteilichkeit stattgehabt; hierüber haben ge-
setzlich die Syndiken die Prüfung, Entscheidung und Be-
stimmung.
§ 41. Die Richter müssen die in § 29, Kap. 6 an-
gegebenen Bezüge erhalten, nämlich für jedes in bürger-
lichen Rechtssachen erlassene Urteil einen Bruchteil
der streitigen Summe, welche der Verlierende zu zahlen
hat. Nur in Strafsachen tritt hier der Unterschied ein,
dass die konfiszierten Vermögen und die Geldstrafen für
geringere Vergehen ihnen allein zufallen; doch dürfen
sie nie die Tortur zur Erlangung von Geständnissen
anwenden. Dadurch wird genügend vorgesehen sein,
dass sie gerecht gegen die Nicht-Patrizier verfahren und
die Patrizier nicht aus Furcht zu sehr begünstigen. Denn
diese Furcht wird hier schon durch das Geldinteresse,
noch dazu unter dem wohlklingenden Titel des Rechts
gemässigt; dazu kommt ihre grössere Anzahl und dass
sie nicht öflfentlich, sondern geheim mit Steinchen ab-
stimmen, so dass, selbst wenn Jemand über seine ver-
lorene Sache unwillig ist, er doch es keiner bestimmten
Person zur Last legen kann. Ferner wird die Scheu vor
den Syndiken sie von ungerechten oder verkehrten Ur-
teilen und von Betrügereien abhalten; abgesehen davon,
dass unter einer so grossen Anzahl von Richtern immer
sich Ein und der Andere findet, welchen die Bösen fürch-
ten. Für die Nicht-Patrizier ist dadurch gesorgt, dass sie
an die Syndiken Berufung einlegen können, welchen, wie
erwähnt, zusteht, die Rechtspflege zu überwachen, zu
untersuchen und darüber Verordnungen zu erlassen. Denn
unzweifelhaft werden viele Syndiken sich den Hass der
Patrizier zuziehen, dagegen aber der zweiten Volksklasse
zugethan sein und deren Zustimmung nach Möglichkeit
zu gewinnen suchen. Deshalb werden sie, wenn die Ge-
legenheit sich bietet, die ungesetzlichen Erkenntnisse auf-
heben, jeden Richter in Aufsicht nehmen und die schlech-
ten mit Strafen belegen, da nichts die Gemüter der
Menge mehr bewegt. Es schadet dabei nichts, dass
solche Fälle nur selten vorkommen werden; vielmehr ist
dies sehr nützlich. Denn einmal ist der Staat schlecht
beschaffen, wo täglich ein warnendes Beispiel an den
Schuldigen vollzogen werden muss (wie ich § 2, Kap. 5
gezeigt habe), und ferner darf das, was am meisten Auf-
sehen erregt, nur selten vorkommen.
§ 42. Die in die Städte und Provinzen abzuord-
nenden Prokonsuln sind aus dem Senatorenstande zu
wählen; 143) da die Senatoren für die Befestigung der
Städte, für die Staatseinkünfte, die Miliz u. s. w. zu sorgen
haben. Werden sie jedoch in entferntere Gegenden ge-
sendet, so können sie den Senat nicht besuchen, und des-
halb sind dazu Senatoren nur nach Städten des Landes
zu berufen; dagegen sind für die nach entfernteren Ge-
genden Abzusendenden solche Patrizier zu wählen, die
das Alter für die Senatorenwürde haben. Indes wird
danait der Frieden des ganzen Reichs noch nicht genügend
gesichert sein, wenn die benachbarten Städte von allem
Stimmrecht ausgeschlossen bleiben; sie müssten denn so
unbedeutend sein, dass man auf sie keine Rücksicht zu
nehmen brauchte, was indes nicht angenommen werden
kann. Deshalb sind die benachbarten Städte mit dem
Bürgerrechte zu beschenken, und aus jeder sind 20 oder
30 oder 40 Bürger (was sich nach der Grösse der Städte
richtet) zu wählen und in die Liste der Patrizier auf-
zunehmen ; 3, 4 oder 5 davon aus jeder Stadt sind jähr-
lich mit in den Senat zu wählen, und einer davon ist
lebenslänglich zum Syndikus zu ernennen. Diese Sena-
toren werden mit dem Syndikus als Prokonsuln in die
Städte gesandt, wo sie gewählt sind.
§ 43. Übrigens sind in jeder Stadt Richter einzu-
setzen, welche aus den Patriziern dieser Städte zu wählen
I
i '
•■'{
132
Politische Abh. Kap. 8. § 44.
sind. Hierüber brauche ich das Nähere nicht weiter an-
zugeben, da es nicht zu den eigentümlichen Grundlagen
dieser Staatsform gehört.
§ 44. Die Schriftführer und anderen Beamten der
Versammlungen sind, da sie kein Stimmrecht haben, aus
der zweiten Volksklasse zu wählen. Da diese Beamten
durch ihre tägliche Beschäftigung mit diesen Angelegen-
heiten sich die meiste Sachkenntnis erwerben, so er-
langt ihre Meinung oft einen zu grossen Einfluss und
der Zustand des Reiches wird dann wesentlich von ihrer
Leitung abhängig, wie dies sich in Holland zu dessen
Verderben gezeigt hat, da ein solcher Zustand den Haas
vieler Vornehmen erwecken muss. Unzweifelhaft wird
auch ein Senat, dessen Klugheit nicht von den Rat-
schlägen der Senatoren, sondern seiner Beamten abhängt,
meist nur von trägen Mitgliedern besucht werden, und
ein solcher Zustand ist wenig besser als der einer Mo-
narchie, wo einige königliche Räte regieren. (Man sehe
§ 5, 6, und 7, Kap. 6.) Allein ob ein Regiment mehr
oder weniger diesen Übeln ausgesetzt ist, hängt von
dessen mehr oder weniger guten Verfassung ab. Die
Freiheit eines Reichs, die nicht fest begründet ist, kann
nur mit Gefahr verteidigt werden; um dieser zu ent-
gehen, wählen die Patrizier ehrgeizige Leute aus dem
Volke, die, wenn die Sache übel geht, wie Opfertiere
abgeschlachtet werden, um den Zorn Derer zu stillen, die
der Freiheit nachstellen. Wo dagegen die Grundlagen
der Freiheit fest gelegt sind, da wollen die Patrizier den
Ruhm, die Freiheit zu schützen, für sich behalten, und da
sorgen sie, dass die kluge Leitung der Geschäfte nur von
ihren Ratschlägen bestimmt wird. Deshalb habe ich bei
Feststellung der Grundlagen dieses Regimentes vorzüglich
dies Beides im Auge gehabt, nämlich das Volk sowohl
von den Ratsversammlungen, wie von dem Stimmgeben
auszuschliessen (man sehe § 3, 4 dieses Kap.); deshalb
habe ich die höchste Staatsgewalt auf alle Patrizier, die
Amtsgewalt auf die Syndiken und den Senat, und das
Recht, den Senat zu berufen, und die zum allgemeinen
Wohl gehörenden Angelegenheiten auf die aus dem Senate
zu wählenden Konsuln übertragen. Wenn nun noch be-
stimmt wird, dass die Schriftführer des Senats und der
übrigen Versammlungen nur auf 4 oder 5 Jahre zu wählen
Die Religionsangelegenheiten.
133
sind, und wenn jedem ein zweiter Schriftführer für diese
Zeit beigeordnet wird, der einen Teil der Arbeit über-
nimmt, oder wenn der Senat nicht blos einen, sondern
mehrere Schriftführer für die verschiedenen Geschäfts-
zweige annimmt, so wird die Macht dieser Beamten nie-
mals erheblich werden.
§ 45. Die Verwalter der Staatseinkünfte sind aus
dem Volke zu wählen; ihre Rechnungen haben sie nicht
blos dem Senate, sondern auch den Syndiken abzulegen.
§ 46. Was die Religionsangelegenheiten betriflPt, so
habe ich mich darüber ausführlich in meiner theologisch-
politischen Abhandlung ausgesprochen. Doch ist da Einiges
unerwähnt geblieben, was dort nicht hingehörte. Es
müssen nämlich alle Patrizier derselben Religion zugethan
sein, und zwar der einfachsten und allgemeinsten, wie
ich sie in jener Abhandlung beschrieben habe. ^^) Denn
man muss vor Allem verhüten, dass nicht Religionssekten
unter den Patriziern sich bilden, von denen die eine von
Diesem, die andere von Jenem begünstigt wird, und dass
sie nicht von Aberglauben befangen werden und nicht
dahin streben, den ünterthanen das Recht der freien Ge-
dankenäusserung zu entziehen. Indes dürfen, auch wenn
diese Freiheit für Jeden besteht, grössere Versammlungen
doch nicht gestattet werden. Es kann daher Denen, die
einer andern Religion zugethan sind, wohl gestattet werden,
Gotteshäuser, so viel sie wollen, zu erbauen; allein diese
Gebäude dürfen nur klein sein, sie müssen in einem be-
stimmten Masse sich halten und in einiger Entfernung
von einander bleiben. Dagegen ist es wichtig, die Gottes-
häuser für die Landesreligion gross und prächtig einzu-
richten, und bei dem Hauptgottesdienst dürfen nur die
Patrizier und Senatoren den Dienst verrichten, so dass
nur diese taufen, trauen, weihen und als die alleinigen
Priester, Wächter und Ausleger der Landesreligion auf-
treten dürfen. Für das Predigen und das Kirchen- Ver-
mögen, sowie für die täglichen laufenden Geschäfte kann
der Senat die nötigen Beamten aus dem Volke nehmen;
^A fi ®^°^ ^^® Vertreter des Senats und haben diesem über
Alles Rechenschaft abzulegen.
• k ^ ^'^'. ^^^^ ^^^^ ^^® Grundlagen dieses Regiments,
ich füge ihnen noch Einiges hinzu, was zwar nicht so
tief greifend, aber doch von grosser Bedeutung ist. Dahin
* l
134
Politische Abh. Kap. 8. § 48. 49.
I
gehört, dass die Patrizier in einer besonderen Kleidung
oder Tracht an der man sie erkennt, einhergehen; sie
müssen ferner mit einem besondern Titel begrtisst werden-
jeder aus dem Volke hat ihnen Platz zu machen, und
hat ein Patrizier durch einen unvermeidlichen Unglücks-
fall sein Vermögen verloren, und kann er dies nach-
weisen, so soll es ihm aus dem Staatsvermögen ersetzt
werden. Hat er dagegen durch Verschwendung, Auf-
wand, Spiel, liederliche Weibspersonen u. s. w. sein Ver-
mögen verzehrt, oder hat er mehr Schulden gemacht, als
er bezahlen kann, so geht er seines Standes verlustig
und wird zu allen Würden und Ämtern unfähig; deun
wer seine eigenen Angelegenheiten und sich selbst nicht
in Ordnung halten kann, vermag noch weniger dem
Staate zu helfen,
§ 48. Wo das Gesetz einen Eid vorschreibt, werden
Meineide viel mehr vermieden werden, wenn der Eid bei
dem Wohl und der Freiheit des Vaterlandes und bei der
höchsten Versammlung, als wenn er unter Anrufung
Gottes geleistet wird. Denn im letzten Falle setzt der
Schwörende nur sein eigenes Wohl aufs Spiel; wer aber
die Freiheit und das Wohl des Vaterlandes anruft, der
schwört bei dem Gute, was Allen gemein ist und was
er nicht abschätzen kann; wer einen solchen Eid falsch
schwört, erklärt sich dadurch selbst für einen Feind seines
Vaterlandes. ^^)
§ 49. Die auf Staatskosten gegründeten wissen-
schaftlichen Anstalten sind weniger für die Entwickelung
der Geister als auf die Zucht derselben eingerichtet. In
einem freien Staat aber wird dadurch am besten für Kunst
und Wissenschaft gesorgt sein, wenn Jedem, der darum
nachsucht, öflfentlich zu lehren gestattet wird, und zwar
auf seine Kosten und auf Gefahr seines Ansehens. Dies
und Ahnliches behalte ich mir jedoch für einen andern
Ort vor, da ich hier nur die Grundlagen des aristokra-
tischen Regiments behandeln wollte, i*«)
Das aristokratische Kegiment mehrerer Städte. 135
Neuntes Kapitel.
§ 1. Bis hier habe ich dies Regiment nur in der
Weise in Betracht genommen, dass es von einer Stadt,
welche die Hauptstadt des ganzen Landes ist, seinen
Namen hat. Ich habe nun von derjenigen Form desselben
zu handeln, wo mehrere Städte das Regiment haben und
welche ich der ersten Form vorziehe. Um den Unter-
schied und Vorzug zu erkennen, werde ich die Grund-
lagen der ersten Form der Reihe nach durchgehen, das,
was für diese zweite Form nicht passt, beseitigen und
andere Stützen an dessen Stelle setzen. ^^^^
§ 2. Es müssen deshalb die einzelnen Städte, welche
das Bürgerrecht besitzen, zwar so gebaut und befestigt
sein, dass eine allein ohne die audere sich nicht vertei-
digen kann, aber auch von den andern ohne grossen
Schaden für den Staat nicht abfallen kann. Auf diese
Weise werden die Städte immer vereint bleiben; Städte
dagegen, die solche Verfassung haben, dass sie sich weder
erhalten, noch den andern Furcht einflösen können, sind
nicht selbständig, sondern den andern unterthänig.
§ 3. Dagegen sind die Aufstellungen in § 9 und
10, Kap. 8 aus der allgemeinen Natur des aristokratischen
Regiments abgeleitet; dahin gehört auch das Verhältnis
zwischen der Zahl der Patrizier zu der Volkszahl, sowie
die Bestimmung über ihr Alter und über die Bedingungen
ihrer Wählbarkeit ; deshalb kann hierbei kein Unterschied
statt haben, gleichviel ob eine oder mehrere Städte die
Herrschaft besitzen. Allein anders ist es mit der höch-
sten Versammlung. Würde eine bestimmte Stadt für den
Zusammentritt dieser Versammlung bezeichnet, so würde
diese in Wahrheit die Hauptstadt des Landes sein; es
muss deshalb hier eine Reihenfolge der Städte Platz
greifen, oder die Versammlung muss sich an einem Ort
versammeln, der das Bürgerrecht nicht hat und deshalb
allen Städten gleich zugehört. Indes ist dergleichen
leichter zu bestimmen als auszuführen; da es sich hier
darum handelt, dass viele tausend Menschen ihre Stadt
häufig verlassen und bald hier, bald dort sich versammeln
sollen.
-- ■na-.iy"
136
Politische Abb. Kap. 9. § 4. 6.
§ 4. Um hier das in dieser Frage Nötige wahr
und richtig zu treffen und einen Schluss zu ziehen, wie
die Reichsversammlungen ihrer Natur und den Umständen
gemäss einzurichten, ist zu beachten, dass jede Stadt desto
selbständiger als der einzelne Bürger ist, je mehr sie ihn
an Macht übertrifft (nach § 4, Kap. 2); deshalb muss
jede Stadt eines solchen Reichs (nach § 2, Kap. 9) inner-
nalb ihrer Mauern oder ihres Gebietes so viel Rechte als
möglich besitzen. Ferner sind alle diese Städte nicht als
blosse Bundesgenossen anzusehen, sondern sie sind so ver-
bunden und geeint, dass sie ein Reich bilden. Dabei muss
jedoch die einzelne Stadt um so mehr Rechte im Reiche
haben, je mächtiger sie in Vergleich zu den anderen ist;
denn wer unter Ungleichen die Gleichheit herstellen will,
ist ein Thor. Dagegen gelten die einzelnen Bürger mit
Recht als gleich, weil die Macht des Einzelnen gegen die
Macht des ganzen Reiches verschwindet, während die
Macht der einzelnen Stadt einen grossen Teil der Macht
des Reiches bildet, der um so grösser ist, je grösser die
Stadt selbst ist. Folglich können die Städte nicht alle
unter einander gleichgestellt werden, sondern die Rechte
einer jeden müssen, wie die Macht derselben, nach ihrer
Grösse bemessen werden. Die Bande, welche sie zu
einem Staate zusammenhalten, sind nach § 1, Kap. 4
hauptsächlich der Senat und die öffentlichen Gerichte.
Ich will mit Wenigem darlegen, wie die Städte durch
diese Bande vereint zu halten sind, ohne doch die Selb-
ständigkeit der einzelnen mehr als nötig zu schmälern.
§ 5. Demgemäss müssen in jeder Stadt die Pa-
trizier, deren Zahl sich nach der Grösse derselben be-
stimmt (§ 3 dieses Kap.), das höchste Recht haben, und
ihre Versammlung, welche für ihre einzelne Stadt die
höchste ist, hat volle Macht, die Stadt zu befestigen, ihre
Mauern zu erweitern, Steuern aufzulegen, Gesetze zu
geben und aufzuheben, und Alles ohne Einschränkung zu
thun, was sie für die Erhaltung und das Wachstum der
Stadt für nötig hält.i48) Dagegen ist für die gemein-
samen Reichsangelegenheiten ein Senat nach den im
vorigen Kapitel dargelegten Bestimmungen zu bilden. Die-
ser Senat unterscheidet sich von jenem nur dadurch, dass
dieser auch die zwischen den einzelnen Städten entstehen-
den Streitigkeiten zu entscheiden hat, da bei dieser Form
Der Senat in den Städten.
137
des Regiments, wo keine Hauptstadt da ist, dies nicht
wie dort von der höchsten Versammlung geschehen kann.
(Man sehe § 38, Kap. 8.)
§ 6. Im Übrigen wird bei dieser Art des aristo-
kratischen Regiments die höchste Versammlung nur be-
rufen, wenn es sich um Veränderungen der Verfassung
oder um ein besonders schwieriges Geschäft handelt, das
zu erledigen die Senatoren sich nicht getrauen. Dadurch
wird die Berufung aller Patrizier nur selten vorkommen;
denn das wichtigste Geschäft dieser höchsten Versamm-
lung ist nach § 17, Kap. 8 die Gesetzgebung und die
Wahl der Beamten, i*^) Indes sollen die Gesetze und die
allgemeinen Rechte des Staats, wenn einmal festgesetzt,
nicht veränderlich sein. Verlangen indes die Zeit und
die Verhältnisse eine Abänderung oder die Herstellung
eines neuen Rechtes, so kann die Frage zunächst im Senat
verhandelt werden. Ist der Senat darüber einig, so hat
er Gesandte in die einzelnen Städte zu senden, welche
den Patriziern derselben die Ansicht des Senats aus-
einandersetzen, und wenn die Mehrheit der Städte dieser
Ansicht beitritt, so gilt der Beschluss, ohnedem aber nicht.
Ebenso ist bei der Wahl der Feldherren und der Gesandten
für auswärtige Staaten und bei den Beschlüssen über
den Beginn eines Krieges oder über die Friedensbe-
dingungen zu verfahren. 150) Dagegen ist bei der Wahl
der übrigen Beamten, damit (nach § 4 dieses Kap.) jede
Stadt möglichst selbständig bleibe und das ihrer Macht
entsprechende Recht im Staate erhalte, das nachfolgende
Verfahren einzuhalten. Die Senatoren sind nämlich von
den Patriziern in jeder Stadt zu wählen, so dass in jeder
Stadt die Patrizier in ihrer Versammlung eine bestimmte
Zahl von Senatoren aus ihren Genossen wählen, welche
Zahl zur Zahl der Patrizier dieser Stadt sich (nach § 30,
Kap. 8) wie 1 zu 12 verhält ; dabei bestimmen sie, welche
zur ersten, zweiten, dritten u. s. w. Abteilung gehören
sollen. Dadurch wird jede Senatsabteilung die angemessene
Zahl von Senatoren aus jeder Stadt enthalten. Dagegen
smd die Vorsitzenden und Stellvertreter der Abteilungen,
deren Zahl geringer als die Zahl der Städte ist, vom
oenate aus den gewählten Konsuln durch das Los zu
bestimmen; dasselbe Verfahren ist bei der Wahl der Mit-
glieder des höchsten Reichsgerichtes zu beobachten, so
Spinoza' 8 Abh. üb. Verbosser. d. Verstandes.
11
!
I' 5 i
I
I
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1
:tii
11
138
Politische Abh. Kap. 9. § 7—9.
dass die Patrizier der einzelnen Städte nach der Grösse
derselben aus ihren Genossen eine entsprechende Zahl
von Richtern wählen. So bleibt Ijede Stadt, so viel als
möglich, in der Wahl der Beamten selbständig und jede
hat das ihrer Macht entprechende Mass von Recht im
Senat, wie bei dem Gericht ; wobei ich annehme, dass der
Senat und das Gericht bei den Beschlüssen der Staats-
angelegenheiten und Entscheidung der Streitigkeiten so ver-
fahren, wie in § 33 und 34, Kap. 8 bestimmt worden ist.
§ 7. Die Obersten und Hauptleute der Miliz sind
auch aus den Patriziern zu wählen. So wie es billig ist,
dass jede Stadt nach Verhältnis ihrer Grösse eine Anzahl
Soldaten für die gemeinsame Sicherheit des Reiches zu
stellen hat; ebenso billig ist es, dass aus den Patriziern
jeder Stadt, nach Verhältnis der Regimenter, die sie zu
unterhalten hat, so viel Hauptleute, Obersten, Fahnen-
träger u. s. w. gewählt werden, als zur Ordnung des
Teiles der Miliz, welchen sie dem Reiche stellt, gehört.
§ 8. Auch kann der Senat keine Zölle auflegen;
vielmehr hat der Senat für die Kosten der Staatsverwaltung
nicht die ünterthanen, sondern die einzelnen Städte ein-
zuschätzen, so dass jede Stadt nach ihrer Grösse zu diesen
Unkosten verhältnismässig beizutragen hat. Zur Be-
schaffung dieser Summe können die Patrizier der ein-
zelnen Städte deren Einwohner heranziehen, entweder
nach Verhältnis von deren Vermögen oder was gerechter
ist, durch Auflegung von Zöllen.
§ 9. Wenn auch nicht alle Städte eines solchen
Reichs an der See-Küste liegen und die Senatoren nicht
blos aus den Seestädten gewählt werden, so können den-
selben doch die in § 31, Kap. 8 bezeichneten Bezüge ge-
währt werden; zu dem Ende sind die der Verfassung
entsprechenden Einrichtungen zu treffen, welche die Städte
noch enger mit einander verbinden. Alles Übrige, was
in Betreff des Senats, der Gerichte und des ganzen Re-
giments in dem Kap. 8 beschrieben worden, ist auch für
diese Form des Staats anwendbar. Deshalb bedarf es
bei einem Regiment, was von mehreren Städten geführt
wird, keiner regelmässigen Berufung der höchsten Ver-
sammlung zu bestimmten Zeiten und an bestimmte Orte;
vielmehr ist dem Senate und dem Gerichte ihr Sitz in
einem Dorfe oder einer Stadt anzuweisen, welche kein
Die Syndiken, die Konsuln, die Richter.
139
Stimmrecht hat. Auf das, was die einzelnen Städte be-
trifft, werde ich nun zurückkommen.
§ 10. Das Verfahren der höchsten Versammlungen
in den einzelneu Städten für die Wahl der Stadt- und
Reichsbeamten und für die Entscheidung der Angelegen-
heiten ist dasselbe, was § 27 und 36, Kap. 8 angegeben
worden ist, da die Verhältnisse hier dieselben wie dort
sind. Ferner ist der Rat der Syndiken diesen Versamm-
lungen ebenso unterzuordnen, wie der Rat der Syndiken
in Kap. 8 zu der Versammlung des ganzen Reiches ge-
stellt worden ist. Auch ist sein Amt innerhalb des Ge-
bietes jeder Stadt dasselbe, und er bezieht dieselben Vor-
teile. Ist die Stadt und folglich die Zahl der Patrizier
so klein , dass sie nur eine oder zwei Syndiken bestellen
kann und diese daher kein Kollegium bilden, so hat die
höchste Versammlung dieser Stadt den Syndiken bei der
Rechtsprechung nach Bedarf Richter beizuordnen, oder
die Untersuchung ist an den höchsten Rat der Syndiken
abzugeben. Jede Stadt hat nämlich aus ihren Syndiken
einige Mitglieder an den Sitz des Senats abzuordnen,
deren Amt ist, darüber zu wachen, dass die Rechte des
Reichs nicht verletzt werden ; sie nehmen an den Sitzungen
des Senates Teil, haben aber kein Stimmrecht.
§ 11. Die Konsuln der einzelnen Städte sind von
deren Patriziern, welche gleichsam den Senat derselben
Stadt bilden, zu wählen. Deren Zahl kann ich nicht be-
stimmen; auch ist dies nicht nötig, da die bedeutenden
Angelegenheiten jeder Stadt von ihrer höchsten Ver-
sammlung und die allgemeinen Reichsangelegenheiten von
dem grossen Senat besorgt werden. Bestehen jene Ver-
sammlungen der einzelnen Städte nur aus wenig Mit-
gliedern, so müssen die Stimmen in der Versammlung
Öffentlich abgegeben werden und nicht mittelst Steinchen,
wie in den grossen Versammlungen; denn wenn die
Stimmen in kleinen Versammlungen heimlich abgegeben
werden, so kann ein Listiger leicht merken, wie die Ein-
zelnen gestimmt haben und die weniger Aufmerksamen
auf viele Weise hintergehen.
§ 12. Ferner sind die Richter jeder Stadt von ihrer
höchsten Versammlung zu bestimmen. Die Appellation
von deren Entscheidung geht an das höchste Reichsge-
richt, ausgenommen, wenn der Angeklagte auf der That
11
140
Politische Abh. Kap. 9. § 13. 14.
betroffen worden oder der Schuldner geständig ist. Ich
brauche dies nicht weiter auszuführen.
§ 13. Ich habe jetzt nur noch von den abhängigen
Städten zu handeln. Diese müssen, wenn sie in einer
Provinz oder Gegend des Reiches gegründet sind und
ihre Bewohner zu demselben Volksstamm gehören und
dessen Sprache sprechen, wie Dörfer gleichsam als Zu-
behör der benachbarten Städte angesehen werden und
daher unter dem Regiment einer selbständigen Stadt sich
befinden. Es hat dies darin seinen Grund, dass die Pa-
trizier nicht von der höchsten Reichsversammlung, son-
dern der höchsten Versammlung ihrer Stadt gewählt
werden und deren Zahl in jeder Stadt nach der Ein-
wohnerzahl ihres Gerichtsbezirks sich richtet. (Nach § 5
dieses Kap.) Deshalb muss die Einwohnerschaft einer
nicht selbständigen Stadt zum Steuerverbande einer an-
deren selbständigen Stadt mit gerechnet werden, und jene
müssen von der Leitung dieser abhängig sein, ^^i) Da-
gegen sind im Kriege eroberte Städte und die dem Reiche
neu hinzugekommenen, wie Reichs-Bundesgenossen anzu-
sehen; sie müssen durch Wohlthaten besiegt und ver-
pflichtet werden, oder es müssen Kolonien mit dem Bür-
gerrecht ausgestattet dahin gesendet und die alte Ein-
wohnerschaft wo anders hin geführt oder überhaupt ver-
nichtet werden. 152)
§ 14. Dies sind die zu den Grundlagen eines solchen
Regiments zu rechnenden Bestimmungen. Sein Zustand
ist besser als der, wo eine Stadt das Regiment führt,
weil die Patrizier der einzelnen Städte nach der Natur
der menschlichen Leidenschaften bestrebt sein werden,
ihre Rechte in ihrer Stadt wie im Senate festzuhalten
und wo möglich zu vermehren. Sie werden nach ihren
Kräften die übrigen Einwohner an sich zu ziehen suchen
und die Herrschaft mehr auf Wohlthaten als auf die
Furcht stützen, auch ihre eigene Anzahl vermehren.
Denn je mehr ihrer sind, desto mehr Senatoren (nach
§ 16 dieses Kap.) können sie aus ihrer Versammlung
wählen und damit desto mehr Recht im Staate gewinnen.
Dem steht nicht entgegen, dass, da jede Stadt für sich
selbst sorgt und neidisch auf die andern ist, sie häufiger
in Zwist geraten und die Zeit mit Streitigkeiten verloren
geht. Denn ging zwar Sagunt während der Beratungen
Rechtfertigung dieses Regiments.
141
der Römer verloren, so geht wenn nur Wenige Alles
nach ihren Leidenschaften bestimmen, die Freiheit und
die allgemeine Wohlfahrt verloren. Der Sinn des Menschen
kann zwar bei seiner Schwäche nicht sofort Alles durch-
schauen ; allein er schärft sich durch Beraten, Hören und
Streiten, und wenn alle Mittel versucht werden, wird er
das, was er will, treffen, und Alle werden es billigen,
wenn auch vorher Niemand daran gedacht hatte. Wenn
man mir entgegnet, dass der holländische Staat nicht
lange ohne einen Reichsgrafen oder Statthalter an Stelle
jenes sich habe erhalten können, so erwidere ich, dass
die Holländer zur Erlangung ihrer Freiheit es für genügend
erachtet haben, den Reichsgrafen zu beseitigen und den
Reichskörper des Hauptes zu berauben, ohne sonst an
Umgestaltung des Regiments zu denken ; vielmehr blieben
alle Glieder desselben in der frühem Verfassung, sodass
die Grafschaft Holland ohne Grafen, wie ein Körper ohne
Haupt, und die Staatsgewalt selbst ohne Namen blieb.
Es kann deshalb nicht auffallen, wenn die meisten ünter-
thanen nicht wussten, bei wem die höchste Staatsgewalt
sich befand. Und wäre dies auch nicht der Fall, so war
doch die Zahl der wirklichen Inhaber der Staatsgewalt
zu klein für die Regierung des Volkes und die Nieder-
haltung ihrer mächtigen Gegner. So kam es, dass letztere
ihnen ungestraft nachstellen und zuletzt sie beseitigen
konnten. Der rasche Umsturz der Verfassung ist deshalb
hier nicht davon gekommen, dass man seine Zeit unnütz
in Beratungen verschwendet hat, sondern weil die Staats-
verfassung missgestaltet und der Regierenden zu wenig
waren. ^^^)
§ 15. Diese Form der Aristokratie, wo mehrere
Städte das Regiment haben, verdient auch deshalb den
Vorzug vor der anderen, weil man nicht, wie bei dieser,
dafür zu sorgen braucht, dass nicht die höchste Ver-
sammlung einmal plötzlich überfallen und aufgehoben
werde, da (nach § 9 dieses Kapitels) keine Zeit und kein
Ort für deren Einberufung feststeht. Auch die mächtigen
Bürger sind bei diesem Regiment weniger gefährlich,
denn da, wo mehrere Städte an der Herrschaft teilnehmen,
ist es für Den, der nach der Alleinherrschaft strebt,
nicht genug, eine Stadt zu unterwerfen, um damit die
Herrschaft in allen anderen gewonnen zu haben. Auch
112
Politische Abb. Kap, 10. § 1.
Die Diktatur; ibre Gefabren.
143
i
i
ist bei diesem Regiment die Freiheit allgemeiner; denn
wo eine Stadt allein herrscht, da wird für die anderen
nur soweit gesorgt, als es der herrschenden Stadt ge-
nehm ist. 1^*)
Zehntes Kapitel.
§ 1. Nachdem ich die Grundlagen des aristokra-
tischen Regiments in seinen beiden Formen dargelegt und
erläutert habe, fragt es sich noch, ob durch irgend einen
verschuldeten Umstand dieses Regiment aufgelöst und in
ein anderes umgewandelt werden kann. Der Hauptgrund,
weshalb solche Verfassungen sich nicht erhalten haben,
ist, wie der scharfsinnige Florentiner in seinen Erörte-
rungen zu Livius, Buch 3, Abschn. 1, erwähnt, i^S) dass in
jedem Regiment, wie in dem menschlichen Körper, „sich
^täglich Etwas ansammelt, was der Heilung zur rechten
„Zeit bedarf"; deshalb, sagt er, muss mitunter Etwas ein-
treten, was das Regiment zu den Grundlagen , auf denen
es errichtet worden ist, zurückbringt. Geschieht dies nicht
zur rechten Zeit, so nehmen die Mängel so zu, dass sie
nur mit der Verfassung selbst sich beseitigen lassen.
Diese Abhülfe kann, wie er sagt, entweder zufällig ge-
schehen oder absichtlich durch gut eingerichtete Gesetze
oder durch die Tugend eines ausgezeichneten Mannes.
Unzweifelhaft ist dieser Punkt von dem höchsten Gewicht;
wo diese Übel nicht vorgesehen sind, da kann das Regi-
ment sich nicht durch seine Güte, sondern nur durch sein
gutes Glück erhalten, während da, wo das passende Mittel
dafür angewendet wird, selbst die Mängel ein Regiment
nicht verderben können, sondern nur höhere Gewalt, wie
ich gleich deutlicher zeigen werde, i^^) j^\^ nächstes
Mittel gegen diese Übel bietet sich , alle fünf Jahre auf
einen oder zwei Monate einen höchsten Diktator zu er-
nennen, welcher die Führung jedes Senators und Be-
amten zu prüfen und darüber zu entscheiden und zu be-
stimmen hat, und welcher damit das Regiment auf seinen
anfänglichen Zustand zurückführt. Allein bei Beseitigung
der Übelstände eines Regiments soll man nur Mittel an-
wenden, welche seiner Natur entsprechen und aus seinen
Grundlagen selbst sich ableiten; sonst wird man in die
Scylla, geraten wenn man die Charybdis vermeiden will.
Allerdings müssen sowohl die Regierenden wie die Re-
gierten durch Leibes- und Lebensstrafen in Furcht ge-
halten werden, damit sie nicht ungestraft und noch mit
Vorteil sündigen können; allein sicherlich befindet sich
ein Staat in grosser Gefahr, wenn die guten, wie die
schlechten Menschen von dieser Furcht erfüllt sind. Die
ünbeschränktheit der diktatorischen Gewalt muss sie aber
alle erschrecken, namentlich wenn zu festen Zeiten regel-
mässig ein solcher Diktator gewählt wird, denn dann
werden alle Ehrgeizigen eifrig nach diesem Amte streben ;
gewiss wird während des Friedens nicht auf Tugend,
sondern auf Reichtümer gesehen, sodass je anspruchsvoller
jemand auftritt, er um so leichter Ehrenposten erlangen
wird. Vielleicht haben die Römer deshalb nicht zu be-
stimmten Zeiten, sondern nur wenn die Not dazu zwang,
einen Diktator ernannt. Trotzdem war die Macht des
Diktators, um mit Cicero zu sprechen, den guten
Bürgern lästig, denn da dieses Diktator- Amt so un-
beschränkt wie das eines Königs ist, so droht dem Staat
die grosse Gefahr, dass der Diktator die Verfassung ge-
legentlich in eine monarchische, wenn auch nur auf kurze
Zeit umwandelt. Ist dagegen keine Frist für die Wahl
des Diktators bestimmt, so wird dann für die Zwischen-
zeit, von einem Diktator bis zu dem anderen, obgleich
dieser Zeitraum so wichtig ist, keine Rücksicht genommen
werden, und die Einrichtung kann dann bei dieser Un-
bestimmtheit leicht in Vergessenheit geraten. Wenn daher
diese diktatorische Gewalt nicht dauernd und fest und so
eingerichtet ist, dass sie ohne Verletzung der Verfassung
auf eine Person nicht übertragen werden kann, i^^) go wird
die Verfassung und das Wohl und der Bestand des Staats
immer sehr schwankend bleiben.
§ 2. Wenn dagegen mit Erhaltung der Verfassungs-
formen das Schwert des Diktators dauernd geführt und
nur von den Schlechten gefürchtet zu werden braucht, ^^)
so werden unzweifelhaft (nach § 3, Kap. 6) die Mängel
nicht zu einer solchen Stärke anwachsen, dass sie weder
gehoben noch gebessert werden können. Um nun diese
Bedingungen zu erfüllen, habe ich den Rat der Syndiken
der höchsten Versammlung untergeordnet; damit ist jenes
diktatorische Schwert ein stets bereites, aber bei keiner
i*.
,'
iM
144
Politische Abb. Kap. 10. § 3. 4.
natürlichen, sondern einer juristischen Person, deren Mit-
glieder zu viele sind, als dass sie die Herrschaft unter sich
verteilen (nach § 1 und 2, Kap. 8) oder zu einem Ver-
brechen sich verbinden könnten. ^59) d^zu kommt, dass
sie andere Staatsämter nicht annehmen dürfen, dass sie
der Miliz keinen Sold zahlen, und dass sie in einem
solchen Alter stehen, wo man das Gegenwärtige und
Sichere dem Neuen und Gefährlichen vorzieht. Deshalb
droht dem Reiche von ihnen keine Gefahr; nur den
Schlechten können und werden sie Furcht einflössen; denn
zur Verübung von Verbrechen sind sie zu schwach, aber
deshalb zur Bewältigung der Bosheit um so stärker. Sie
können jedem Unternehmen in dessen Beginn sich ent-
gegenstellen (weil der Rat ohne Unterlass besteht), und
ihre Anzahl ist so gross, dass sie ohne Furcht vor Schaden
einen oder den andern Mächtigen anklagen und verurteilen
werden, zumal die Stimmen mittels Steinchen abgegeben
werden und das Urteil namens des ganzen Rats ausge-
sprochen wird.
§ 3. In Rom hatten die Tribunen auch eine dauernde
Stellung, aber für die Niederhaltung der Macht eines
Scipio waren sie zu schwach; ausserdem mussten sie ihre
Anträge auf heilsame Anordnungen bei dem Senat an-
bringen, der sie oft dadurch vereitelte, dass er die Gunst
des Volkes mehr auf den lenkte, den die Senatoren weniger
fürchteten. Dazu kam, dass das Ansehen der Tribunen
gegen die Patrizier sich auf die Gunst des Volkes stützte
und dass, wenn sie sich auf das Volk beriefen, dies mehr
den Schein eines Aufstandes als die Einberufung einer
Versammlung annahm. Alle diese Übelstände finden bei
der m den beiden vorhergehenden Kapiteln beschriebenen
Verfassung nicht statt.
§ j' Indes vermag diese Macht der Syndiken nur
die Verfassung zu erhalten und die Gesetzesübertretungen
und, dass aus Versündigungen kein Vorteil gewonnen
werde, zu verhindern; allein das Syndikat kann das
Einschleichen von Übeln nicht hindern, gegen welche das
Gesetz unvermögend ist, und in solche geraten die in
Mtissiggang lebenden Menschen, und der Untergang des
Reiches ist nicht selten davon die Folge. Denn im Frieden
legen die Menschen die Furcht ab; aus wilden Barbaren
werden sie gesittet und mild, und die Milde führt zur
Luxusverbote.
145
Weichlichkeit und Trägheit; Jeder will dann den An-
deren nicht in Tugend, sondern in Aufwand und Schwel-
gerei überbieten, und so beginnt man die guten alten
Sitten zu verlassen und neue anzunehmen, d. h. sich skla-
visch zu beugen.
§ 5. Zur Beseitigung dessen hat man es oft mit
Luxusverboten versucht; allein vergeblich, da alle Ver-
ordnungen, die ohne Schaden eines Anderen verletzt wer-
den können, nur dem Spotte dienen. Anstatt die Begierden
und die Ausgelassenheit der Menschen zu zähmen, reizen
solche Verbote sie nur; „denn man drängt immer nach
„dem Verbotenen und verlangt nach dem Versagten."
Auch verstehen müssige Menschen immer dergleichen Ge-
setze zu umgehen, da sie Dinge treffen, die man durchaus
nicht verbieten kann, wie Gastmahle, Spiele, Putz und
Ähnliches. Hier ist nur das Übermass schlecht, und dieses
bestimmt sich nach dem Vermögen des Einzelnen und
kann deshalb durch ein allgemeines Gesetz nicht geregelt
werden. ^^^) °
§ 6. Deshalb können diese hier besprochenen Übel
aller Friedenszeiten nicht geradezu, sondern nur mittelbar
gehemmt werden, indem die Grundlagen des Regiments
so gelegt werden, dass die Mehrzahl nicht mit Weisheit
zu leben braucht (denn dies ist unmöglich), sondern dass
es gentigt, wenn sie nur von solchen Leidenschaften be-
herrscht wird, die dem Staate zum Vorteil gereichen.
Deshalb muss man vorzüglich dahin streben, die Reichen,
wenn nicht sparsam, so doch geizig zu machen. lei) Wenn
diese Neigung, welche an sich allgemein und beständig
ist, noch durch Ehrgeiz unterstützt wird, so werden un-
zweifelhaft die Mehrzahl nur auf Vermehrung ihres Ver-
mögens in rechtlicher Weise bedacht sein und aus diesem
brunde nach den Würden verlangen und jede Schmach
vermeiden. Und geht man auf die Grundlagen beider
a ormen des aristokratischen Regiments, wie ich sie in den
vorgehenden Kapiteln dargelegt habe, zurück, so erhellt,
üass solche hier beschriebene Folgen sich daraus ergeben.
Denn m beiden Formen ist die Zahl der Regierenden so
gross, dass den meisten Reichen der Zugang dazu und die
ii^rlangung der Würden des Reichs offen steht.
§ 7. Wird ausserdem bestimmt (wie ich in §47, Kap. 8
gesagt), dass verschuldete Patrizier aus ihrem Stande aus-
■Hi
146
Politische Abh. Kap, 10. § 8. 9.
gestossen werden und dass die durch Unglück Zurück-
gekommenen Ersatz erhalten, so werden unzweifelhaft alle
auf Erhaltung ihres Vermögens bedacht sein. Sie werden
ferner nicht nach fremden Sitten verlangen und der Sitten
ihrer Väter nicht überdrüssig werden, wenn das Gesetz be-
stimmt, dass die Patrizier und die Kandidaten zu Ämtern
durch eine besondere Tracht sich unterscheiden, wie § 25
und 47, Kap. 8 gesagt worden ist. Auch sonst kann für
jedes Regiment nach Beschaffenheit des Landes und des
Charakters des Volkes noch manches ausgedacht werden,
was vorzüglich dahin führt, dass die ünterthanen ihre
Pflichten mehr freiwillig als aus den Zwang des Gesetzes
erfüllen.
§ 8. Ein Regiment, was nur auf die Leitung seiner
Angehörigen durch die Furcht bedacht ist, wird weniger
Mängel haben, als wenn es auf die Tugend rechnet; den-
noch ist es besser, die Menschen so zu leiten, dass sie
dieser Leitung nicht inne werden, sondern meinen, nach
ihrem eigenen Sinne und freien Entschlüsse zu leben;
dann werden sie durch die blosse Liebe zur Freiheit,
durch den Eifer, ihre Mittel zu vergrössern, und durch die
Hoffnung, die Ehrenstellen des Staats zu erlangen, in Ord-
nung erhalten. Im Übrigen sind die Bildwerke, die
Triumphe und andere Anreize zur Tugend eher das Zeichen
von der Knechtschaft als von der Freiheit; denn nur den
Knechten, aber nicht den Freien gewährt man eine Be-
lohnung für ihre Tugend.i^^) Allerdings werden die Men-
schen durch diese Reizmittel wesentlich bestimmt; allein
dergleichen wird zwar anfänglich nur grossen Männern
gewährt; später aber, bei zunehmender Eifersucht erhalten
die Trägen und durch ihre Reichtümer Aufgeblasenen
zum grossen Ärger aller rechtlichen Leute diese Aus-
zeichnungen. Zuletzt halten sich sogar Die für beleidigt,
welche sich der Standbilder und Triumphe ihrer Vorfahren
rühmen, wenn sie den Übrigen nicht vorgezogen werden.
So viel ist, ohne Anderes zu erwähnen, gewiss, dass wenn
einmal die Gleichheit abgelegt ist, auch die allgemeine
Freiheit untergeht, und dass sie in keiner Weise erhalten
werden kann, wenn einem einzelnen, durch seine Tugenden
hervorragenden Manne besondere Ehren von Staatswegen
zugesprochen werden.
§ 9. Dies vorausgesetzt, ist zu prüfen, ob ein solches
Bedenken gegen d. Dauer d. aristokr. Regiments. 147
Regiment in selbstverschuldeter Weise zu Grunde gehen
kann. Kann nun überhaupt ein Regiment ewig dauern
so muss es das sein, dessen Verfassung sich, nachdem sie
einmal richtig begründet worden, unverletzt erhält. Denn
die Seele des Staats ist das Recht, und bleibt dies ge-
schützt, so bleibt auch der Staat unversehrt. Die Rechte
können aber nur gelten, wenn di^ Vernunft und die all-
gemeinen Triebe der Menschen sie schützen; stützen sie sich
dagegen nur auf die Hülfe der Vernunft, so bleiben sie
schwach und werden umgestossen. i63) Da ich nun gezeigt
habe, dass die Verfassung beider Arten des aristokrati-
schen Regiments sowohl mit der Vernunft, als mit den
allgemeinen Trieben der Menschen übereiubiimmen, so kann
ich behaupten, dass, wenn irgend ein Regiment, sicherlich
dieses von ewiger Dauer sein werde, und dass keine in-
nere Schuld, sondern höchstens ein unvermeidliches äusser-
liches Unglück 164) es zerstören kann.
§ 10. ^ Man kann mir noch einwenden, dass, wenn
auch die im Vorgehenden beschriebene Staatsverfassung
durch die klare Vernunft und die allgemeinen Neigungen
der Menschen geschützt werde, sie doch mitunter ver-
nichtet werden könne, weil jeder Trieb von einem an-
deren, der stärker und entgegengesetzt ist, überwunden
werde und selbst die Furcht vor dem Tode oft von der
Begierde nach fremdem Besitz überwunden werde. Die,
welche in Schrecken vor dem Feinde fliehen, können durch
kein anderes Schreckmittel zurückgehalten werden; viel-
mehr stürzen sie sich in Ströme oder rennen in das
Feuer, um dem Schwert der Feinde zu entgehen. Wenn
daher der Staat auch noch so gut eingerichtet und seine
Verfassung bestens geordnet ist, so werden doch alle bei
einer grossen Not des Staates, wo sie, wie bekannt, von
einem panischen Schrecken erfasst werden, nur das ver-
langen, was die gegenwärtige Furcht rät, und weder auf
die Zukunft, noch auf die Gesetze Rücksicht nehmen,
i^eshalb wenden sie in solchen Fällen sich an einen
durch seine Siege berühmten Mann, befreien ihn von den
besetzen, verlangen seine Herrschaft (das schlimmste Bei-
spiel) und vertrauen den ganzen Staat seiner Treue an.
Um war allerdings die Ursache, dass der römische Staat
zu Grunde ging; allein auf diesen Einwand antworte ich
zunächst, dass in einem wohl eingerichteten Staate ein
148
Politische Abh. Kap. 11. § 1.
Schrecken solcher nur bei gegründetem Anlass entsteht;
deshalb kann ein solcher Schrecken und die daraus her-
vorgehende Verwirrung keinem Umstand zugeschrieben
werden, welchen die menschliche Vorsicht hätte vermeiden
können. Sodann kann bei der von mir im Vorgehenden
beschriebenen Verfassung es nicht vorkommen (nach § 9
und 25, Kap. 8), dass Einer oder der Andere durch den
Ruhm seiner Tugend so hervorragt, dass Aller Augen sich
auf ihn richten; vielmehr wird er mehrere Nebenbuhler
haben, die von andern unterstützt werden. Wenn also
auch der Schrecken einige Verwirrung in dem Staate ver-
anlasst, so wird doch niemand die Gesetze betrügerisch
umgehen und einen Einzelnen gegen die Gesetze zur
militärischen Herrschaft erheben können, ohne dass nicht
sofort andere Nebenbuhler sich erheben. Ein solcher
Streit kann also nur entschieden werden, wenn man zu
den feststehenden Satzungen und zu den von allen ge-
billigten Gesetzen zurückgreift und die Staatsangelegen-
heiten nach dem bestehenden Rechte erledigt. Ich kann
daher unbedingt behaupten, dass sowohl ein solches Re-
giment einer Stadt, und noch mehr das mehrerer Städte,
einen ewigen Bestand haben und durch keinen innern
Grund untergehen oder in eine andere Form übergehen
werde. ^^)
Elftes Kapitel.
§ 1. Ich komme nun zu dem dritten und gänzlich
unbeschränkten Regiment, was ich das demokratische
nenne. Sein Unterschied von dem aristokratischen be-
steht, wie erwähnt, hauptsächlich darin, dass es bei letz-
terem nur von dem Beschluss der höchsten Versammlung
und von der freien Wahl abhängt, wer zum Patrizier ge-
wählt werden soll; deshalb kann bei diesem Regiment
Niemand ein Stimmrecht oder ein Recht zu Aemtern
vermöge seiner Abstammung geltend machen oder von
Rechts wegen fordern, wie dies bei dem Regiment der
Fall ist, was ich jetzt behandeln will; hier können viel-
mehr Alle, deren Eltern Bürger sind, oder die in dem
Lande geboren sind, oder sich um den Staat verdient ge-
Das Wesen des demokratischen Regiments. 149
macht haben, oder sonst nach den Gesetzen das Bürger-
recht erlangt haben, in der höchsten Versammlung mit-
stimmen und auf die Staatsämter Anspruch machen, wenn
sie nicht ein Verbrechen begangen oder ihre Ehre ver-
loren haben.
§ 2. Wenn deshalb nach der Verfassung auch die
Ältesten, welche ein gewisses Alter erreicht haben,
oder die Erstgeborenen, nach Erreichung eines gewissen
Alters, oder Die, welche einen gewissen Betrag an Steuern
dem Staate entrichten, das Stimmrecht in der höchsten
Versammlung haben und die Staatsangelegenheiten be-
sorgen dürfen, sowird ein solches Regiment, selbst wenn
dadurch die höchste Versammlung aus weniger Bürgern
bestände als bei dem vorbeschriebenen aristokratischen
Regiment, dennoch ein demokratisches sein, weil die zur
Staatsleitung befruenen Bürger nicht als die Besten von
einer höchsten Versammlung gewählt werden, sondern
nach dem Gesetze dazu berechtigt sind, fiin solches
Regiment, wo nicht die Besten, sondern die zufällig reich
Gewordenen oder Erstgeborenen zur Staatsleitung befugt
sind, scheint allerdings dem aristokratischen Regiment
nachzustehen; indes wird in der Ausübung und infolge
der gleichen Lage der Menschen die Sache ziemlich auf
Eins hinauskommen; denn den Patriziern werden immer
Die als die Bessern gelten, welche reich oder ihre Ver-
wandte oder Freunde sind. Wäre es mit den Patriziern
so beschaffen, dass sie bei der Wahl ihrer Standesgenos-
sen sich von aller Zuneigung freihielten und nur durch
die Sorge um das allgemeine Wohl leiten Hessen, so könnte
kein anderes Regiment mit dem aristokratischen sich mes-
sen. Indes hat die Erfahrung genügend gelehrt, dass die
öachen sich umgekehrt verhalten , namentlich in Oligar-
5 »V ^** ^^^ Eigenwille der Patrizier wegen der fehlen-
den Mitbewerber am meisten von den Gesetzen sich befreit.
Hier halten die Patrizier absichtlich die Besten von der
Versammlung fern und suchen nur nach solchen Genos-
sen, die, wie sie es verlangen, stimmen. Deshalb ist ein
öiaat mit solchem Regiment in einer viel traurigem Lage,
ca die Wahl der Patrizier von der unbeschränkten und
aurch kein Gesetz gehemmten Willkür Weniger abhängt;
üoch ich kehre zu meiner Aufgabe zurück.
§ 3. Aus dem im vorgehenden Paragraphen Gesagten
i
150
Politische Abh. Knp. 11. § 4.
Das Regiment der Frauen.
151
erhellt, dass es verschiedene Arten des demokratischen
Regimentes geben kann. Indes will ich nur von der-
jenigen handeln, bei welcher alle ohne Ausnahme das
Stimmrecht in der höchsten Versammlung und die An-
wartschaft auf die Staatsämter haben, sofern sie nur dem
einheimischen Recht unterthan, selbständig und von recht-
schaffenem Lebenswandel sind. Ich sage ausdrücklich:
„sofern sie dem einheimischen Recht unterthan sind", um
die Fremden auszuschliessen, die unter fremder Herrschaft
stehen. Ich habe ferner die Selbständigkeit verlangt, um
die Frauen und Knechte auszuschliessen, die in der Ge-
walt der Männer oder Herrn sich befinden, und ebenso
die Kinder und unmündigen, welche in der Gewalt der
Eltern oder Vormünder sich befinden. Ich habe end-
lich gesagt: „die von rechtschaffenem Lebenswandel sind",
um Die auszuschliessen, welche wegen eines Verbrechens
oder eines schändlichen Lebenswandels als ehrlos gelten.^^)
§ 4. Indes kann man fragen, ob die Frauen in-
folge natürlicher Umstände oder nur durch menschliche
Einrichtungen unter der Gewalt der Männer stehen ? Wäre
nur Letzteres der Fall, so hätten wir keinen vernünftigen
Grund, die Frauen von der Regierung auszuschliessen.
Fragt man indes die Erfahrung, so scheint ihre Schwäche
der Anlass dazu zu sein; denn nirgends haben Männer
und Frauen gleichzeitig regiert, vielmehr sieht man, dass
überall, wo Männer und Frauen angetroffen werden, die
Männer als Regierer und die Frauen als Regierte und
beide Geschlechter in dieser Weise einträchtig miteinander
leben. Dagegen sollen die Amazonen, welche ehedem,
wie man erzählt, geherrscht haben, den Männern den
Aufenthalt in ihrem Lande nicht gestattet und nur die
weiblichen Kinder aufgezogen, die männlichen aber nach
der Geburt getödtet haben. Wären die Frauen von Natur
in Festigkeit und Schärfe des Geistes den Männern gleich,
so würden sie, da hierauf die Macht der Menschen und
das Recht hauptsächlich beruht, auch ebensoviel gelten,
und man würde unter so vielen und verschiedenen Völ-
kern sicherlich einzelne finden, wo beide Geschlechter eine
gleiche Herrschaft führten, und andere, wo die Männer
von den Frauen regiert und so erzogen würden, dass sie
ihnen an ßilduug nachständen. Allein dies ist nirgends
der Fall, und so kann man behaupten, dass die Frauen
von Natur kein gleiches Recht mit den Männern haben,
sondern den Männern nachstehen. Deshalb ist eine gleiche
Herrschaft beider Geschlechter unmöglich, und noch we-
niger eine Herrschaft der Frauen über die Männer, i^?)
Betrachtet man ferner die menschlichen Leidenschaften
und sieht man, dass die Männer die Frauen meist nur
aus Sinnlichkeit lieben und ihren Geist und ihre Weisheit
nur soweit schätzen, als ihre Schönheit dabei hilft, und
dass die Männer es nicht vertragen, wenn die von ihnen
geliebten Frauen andere Männer in irgend einer Weise
begünstigen, und nimmt man noch Anderes der Art hinzu,
so ergiebt sich leicht, dass eine gleichzeitige Regierung
der Männer und Frauen nicht ohne grosse Gefahr für den
öffentlichen Frieden möglich ist. Doch genug davon, ^^s)
(Das Übrige fehlt.)
-^^?<-
3'J
Georg Weiss Verlag, Heidelberg.
Philosophisclie Monatshefte.
Unter Mitwirkung von Dr. F. Ascherson sowie mehrerer
namhaften Fachgelehrten redigiert und herausgegeben ron
Prof. P. Natorp in Marburg (Hessen).
Die Philosophischen Monatshefte werden, ihrem bisherigem
Programme getreu, auch ferner keiner Schule und keinem
System dienen, vielmehr den verschiedenen Seiten und Rich-
tungen der wissenschaftlichen Bewegung auf dem ihnen zuge-
hörigen Felde freies Spiel geben. Das Interesse daran, dass
die Philosophie deutscher Zunge durch eine möglichst alle in ihr
lebenskräftigen Richtungen zum Ausdruck bringende Fachzeltschrift
vertreten sei, gilt uns als ein allgemeines, dem das Sonder-
interesse einzelner Richtungen sich durchaus unterzuordnen hat.
Doch gilt uns nur, was sich wissenschaftlich ausweisen kann,
als berechtigte Partei.
Neben der Förderung der systematischen Aufgaben der Phi-
losophie, und um ihrer willen, wird die Pflege ihres geschicht-
lichen Studiums unser Augenmerk sein. Die Verknüpfung der
geschichtlichen mit der systematischen Arbeit gilt uns als Grund-
satz, die Lostrennung jeuer von dieser als bedenklicher Abweg.
Endlich möchten wir noch auf das Bündnis der Philosophie
mit den Einzel Wissenschaften besonderen Nachdruck legen. Inner-
halb der Spezialwissenschalten selbst wird das Bedürfnis, über
philosophische Fragen sich Rechenschaft zu geben, wieder stär-
ker empfunden. Gerne wollen die Monatshefte sich da allen
gediegenen, auf eine regere Wechselbeziehung zwischen Philo-
sophie und Wissenschaften gerichteten Bestrebungen als Organ
zur Verfugung stellen.
Und so möchten sie in jeder Richtung Verständigung an-
bahnen, die Gesammtheit des wissenschaftlichen Interesses der
Philosophie vertreten und ihre mannigfachen Bestrebungen in
einem Brennpunkt sammeln. Deshalb gilt für sie keine an der
Partei als die Partei der Arbeit.
Die Redaction wird von einer bedeutenden Zahl namhafter
Gelehrten Deutschlands, Oesterreichs und der nordischen Länder
thatkräftig unterstützt. Durch Original-Abhandlungen, Analysen
und kürzere Referate Über alle beachtenswerthen Erscheinungen
der philos. Litteratur, die von Dr. F. Ascherson besorgte voll-
ständige Bibliographie, sowie Auszüge und Mittheilungen aus deut-
schen und fremden Zeitschriften sind die Monatshefte bemüht, die
Aufgaben der Philosophie zu fördern und vom Fortgange der
Arbeit an denselben getreu und vollständig Rechenschaft zu geben.
Die Philos. Monatshefte erscheinen in Bänden zu 10 Heften,
in der Regel in Doppelheften, zum Abonnementspreis von 12 M.
Einzelne Hefte kosten 2 M., Doppelhefte 4 M.