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NATURAL HISTORY
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ABHANDLUNGEN
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MATHEMATISCH-PHYSIKALISCHEN KLASSE
DER KÖNIGLICH BAYERISCHEN
AKADEMIE ver WISSENSCHAFTEN.
DREIUNDZWANZIGSTER BAND
IN DER REIHE DER DENKSCHRIFTEN DER LXXVIII. BAND.
MÜNCHEN 1909.
VERLAG DER K. B. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
IN KOMMISSION DES G. FRANZ’SCHEN VERLAGS (J. ROTH).
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FON ARTEN
DS
AKADEMISCHE BUCHDRUCKEREI VON
Inhalt des XXIII. Bandes.
I. Abteilung (1906).
Syngonielehre. Von E. von Fedorow (mit 1 Tafel)
Aus den wissenschaftlichen Ergebnissen der Merzbacherschen Tian-Schan-Expedition:
Ein Profil durch den nördlichen Teil des zentralen Tian-Sehan. Von H. Keidel
und P. St. Richarz (mit 5 Tafeln)
Die Gesteine des Profils durch das südliche Musart-Tal im zentralen Tian-Schan.
Von P. A. Kleinschmidt und P. H. Limbrock, S.V.D. (mit 2 Tafeln)
IL. Abteilung (1907).
Über die Bewegung der Elektronen. Von F. Lindemann. Exster Teil: Die trans-
latorische Bewegung
Über die Bewegung der Elektronen. Von F. Lindemann. Zweiter Teil: Stationäre
Bewegung
1
Über die Abhängigkeit des Verhältnisses der spezifischen Würmen 22 k in trockener,
Co
kohlensäurefreier atmosphärischer Luft von Druck und Temperatur. Von Peter
Paul Koch (mit 4 Tafeln)
II. Abteilung (1908—1909).
Photographien und Zeichnungen des Kometen 1907 d, Daniel. Von Max Wolf
(mit 3 Tafeln) , N ee T 2
Die Polytrichaceen. Eine biologische Monographie von Dr. Wilhelm Lorch
Über Altperuanische Schädel von Ancon und Pachacamäe. II. Abhandlung: Die
Schädel der Gaffronschen Sammlung. Von Johannes Ranke (mit 9 Tafeln)
Handlirschia Gelasii nov. gen. et spec. aus dem Schaumkalk Frankens. Von Otto
JM. Reis (mit 1 Tafel)
Seite
213
235
337
9717
Syngonielehre.
Von
E. von Fedorow,.
(Mit emer Tafel.)
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt.
.wotroba"t mov u
Das vorige Jahrhundert hat durch die berühmten Werke einer Reihe genialer Mathe-
matiker, wie Steiner, Chasles, Pflücker, von Staudt, Schrötter, Reye und anderer,
eine wunderschöne mathematische Disziplin geschaffen, welche von verschiedenen Gesichts-
punkten aus bearbeitet und sogar mit verschiedenen Namen belegt wurde, wie z. B.
Geometrie der Lage, projektive Geometrie, Lehre von den Büscheln überhaupt und har-
monischen Büscheln im besonderen, noch abstrakter: Strahlenlehre. Man pflegt besonders
diese Disziplin dureh den Namen Neuere oder Hóhere Geometrie zu bezeichnen.
Als charakteristisches Merkmal für diese Disziplin kann das Studium der unendlichen
Gesamtheiten bedingter geometrischer Gebilde gelten im Gegensatz zu früherer Geometrie,
welche sich fast ausschließlich mit vereinzelten Gebilden betätigte.
Die Sätze dieser neuen Lehre erhalten dadurch einen sehr abstrakten Charakter und
viel weiter greifende Bedeutung. Von solchen Sätzen, wie Chasles' Dualismussatz, kann
man mit Recht sagen, daß derselbe uns eine unbestimmt große Reihe neuer Sätze kund
macht; bei jedem wesentlichen Schritte bestimmter Art wird derselbe auch in künftiger
Zeit die Anzahl der Sätze verdoppeln.
Da aber aus ganz natürlichen Gründen die reinen Mathematiker stets zu höchster
Allgemeinheit bestrebt waren, so erwies sich, daß die beschränkteren Verzweigungen dieser
Disziplin, welchen aber, wegen zahlreichen Anwendungen, besonders auf Kristallographie,
spezielle Bedeutung zukommt, geringeres Interesse in dem Geiste dieser genialen Männer
erregten; aber nur geringeres, da auch zahlreiche Anwendungen von denselben nicht über-
sehen wurden. Durch die Werke und vereinzelte Sätze von Gauß, Möbius und den oben
erwähnten Autoren erhielt auch die Kristallographie manchen wichtigen Beitrag.
Als solche beschränktere Disziplin der Neueren Geometrie kann auch die Lehre von
den rationalen Strahlensystemen, kürzer Syngonielehre, abgesondert werden. Der Grund-
stein für diese abgesonderte Teildisziplin wurde von Möbius’ Baryzentrischem Kalkül,
Hessels Kristallonomie (Elementen der Gestaltenlehre) und J. Graßmans Werkchen „Zur
physischen Kristallonomie* gelegt. In diesen grundlegenden Werken sind jedoch manche
Fragen ersten Ranges unberührt geblieben, sogar das zu Grunde dieser Lehre liegende
Syngonieellipsoidgesetz nicht erwähnt. Aber die Kenntnis dieser Werke orientiert einen
Kristallographen in den Fragen dieser Lehre gut und regt zu weiteren Schritten an und
bereitet dieselben vor.
Jedenfalls war es den neuesten Kristallographen vorbehalten, diese spezielle Disziplin
als eine der zu Grunde stehenden Hilfslehren zur Kristallographie weiter zu entwickeln.
Und die vorliegende Arbeit bietet einen Versuch dar, nicht nur die schon errungenen
1*
4
Resultate in einheitlichem Bilde zu kombinieren, sondern, und dabei in erster Linie, neue
Gesichtspunkte hervortreten zu lassen.
Der Verfasser hegt die Überzeugung, daß eine im Vergleich mit dem blühenden
Zustande anderer exakter Wissenschaften unermeßliche Zurückgebliebenheit der Kristallo-
graphie, welche sich in einer Reihe anomaler und beispielloser Tatsachen kund gab (wie
vollständige Jahrzehnte hindurch dauerndes Ignorieren der grundlegenden Werke Hessels,
so langes Vorherrschen von so irrtümlichen Auffassungen, wie die von Naumann, welche
bis heutzutage Anklang haben u.s. f), gerade davon herrührt, daß die für die Kristallo-
graphie im Grunde stehenden Disziplinen nicht hinreichend von Spezialisten berücksichtigt
waren; teilweise aber, weil diese Disziplinen selbst bis zu letzter Zeit nicht vollkommen
genug in ihren Teilen bearbeitet und zu Einheitlichem verbunden waren.
Der Verfasser hielt sich von den Schwierigkeiten nicht ab, diesem Mißzustand nach
Kräften entgegen zu wirken.
Es möge auch diese Arbeit dazu beitragen.
I. Teil.
Syngonielehre in der Ebene.
Der Syngoniebegriff ist von der Kristallographie geschaffen.
Eine Annüherung an diesen Begriff kam schon im primitiven, rein empirischen Zustande
dieser Wissenschaft in der Form eines kristallographischen ,Systems^. In dieser Form
wurde der Begriff von dem berühmten deutschen Kristallographen Weiß hervorgehoben,
und zwar in engem Zusammenhang mit dem von Demselben entwickelten Begriff der
„kristallographischen Achsen“.
Dieser letzte, echt mathematische Begriff entwickelte sich logisch auf Grund des
zuerst von Hauy konstatierten Erfahrungsgesetzes, welches von dem letzteren zugleich
theoretische Aufklärung erhielt, welche den heutigen kristall-struktur-theoretischen Vor-
stellungen sehr nahe kommt.
Der Begriff der kristallographischen Achse unterscheidet sich dadurch von dem der
Koordinatenachsen der analytischen Geometrie, daß in demselben auf jeder Achse besonders
eine bestimmte Strecke für eine Einheit angenommen wird, infolgedessen sämtliche Gebilde
der Kristallographie in diesen Einheiten einen rationalen Ausdruck erhalten.
Vom Standpunkte der neueren mathematischen Philosophie kann man also sagen,
daß dieser kristallographische Begriff ein arithmologischer ist, während der Begriff der
Koordinatenachse der Analysis angehört, wo kontinuierlich veränderliche Größen zur Unter-
suchung kommen.
Auf diese Weise erhielt das Hauysche Gesetz in den kristallographischen Achsen
einen anschaulichen Ausdruck.
Nun unterschied Weiß die kristallographischen Systeme gemäß der Lage und Strecken-
einheiten der Achsen.
Da aber der Beweis leicht erbracht werden konnte, daß als kristallographische Achsen
beliebige Geraden angenommen werden können, in welchen die Kristallfláchen sich schneiden
5
lassen, so war somit klar geworden, dafs solche Bestimmung der Systeme keine genügende,
sondern eine willkürliche ist. Die Entdeckung der nahen Korrelation zwischen den auf
diese Weise bestimmten Systemen und den optischen (später auch anderen physikalischen)
Eigenschaften der Kristalle hat aber diesem Begriffe große praktische Bedeutung verliehen,
welche allen Kristallographen ganz klar wurde.
Diese wichtigen Schritte in der Kristallphysik haben auf lange Zeit die Kritik
dieses Begriffes paralisiert, aber zugleich verlor derselbe einen bestimmten geometrischen
Sinn, da für denselben die physikalischen Eigenschaften eine noch wichtigere Rolle erhielten.
Später erwies sich, daß in Bezug auf verschiedene physikalische Eigenschaften ver-
schiedene Verteilung der Kristalle in Gruppen Geltung hat, und dieser Umstand hat die
Frage über den Inhalt des Begriffes „Kristallsystem“ noch mehr verdunkelt.
Die dadurch entstandene Verlegenheit wurde dadurch beseitigt, daß man diesen Begriff,
welcher stets in der kristallographischen Praxis als ein Grundbegriff galt, in der Theorie
für einen willkürlichen erklärt, dessen Inhalt nicht etwaigen strengen Definitionen, sondern
lediglich praktischen Gesichtspunkten entsprechen mußte.
Besonders wurde dieser Standpunkt von mathematischer Seite hervorgehoben. Am
schärfsten wurde dies durch Herrn Schönflies, Autor des ausführlichen Werkes „Kıistall-
systeme und Kristallstruktur^, ausgesprochen. Dort (S. 106) heißt es: „Als Einteilungs-
grund kommt in erster Linie die Analyse des symmetrischen Verhaltens in Betracht; daneben
sind Spekulationen über die Struktur der Kristalle, sowie spezielle physikalische und
schließlich auch praktische Gesichtspunkte für die Ausgestaltung der üblichen Systematik
maßgebend gewesen.“
In einem der letzten Lehrbücher wird dies sogar folgendermaßen ausgesprochen: „Daß
die Verteilung der Kristalle in Systeme eine künstliche ist, wird dadurch bewiesen... .*;
„somit hat die Verteilung der Kristalle in Systeme ihren Grund in der Vereinfachung des
Ausdrucks durch zweckmäßiges Koordinatensystem, insoferne dieselbe bei gegebener Sym-
metrie zulässig ist. Dieses Prinzip ist ein rein methodologisches, also kein für die Natur
der Kristalle wesentliches*.')
Die echt wissenschaftliche, besonders mathematische Behandlung erfordert aber die
Anwendung streng begrenzter Begriffe, welchen jede Zweideutigkeit fremd ist.
Dies war der Grund, warum der Verfasser einen solchen Begriff Syngonie vor-
geschlagen und entwickelt hat.?)
Wie die Symmetriearten eine ganz natürliche Einteilung der Kristalle sind, welcher
streng mathematischer Grund zukommt, so besitzen die ,Syngoniearten^ ebensolchen Grund
in Bezug auf die kristallographischen Komplexe, und dieser Grund liegt in speziellen
Symmetriearten dieser Komplexe selbst (also komplexiale Symmetriearten — Syngoniearten).
Der Begriff des kristallographischen Komplexes erhielt durch die logische Entwick-
lung des Hauyschen Gesetzes ganz streng abgegrenzte Bedeutung. In diesem Begriff
eines Büschels móglicher Flüchen und Kanten liegt keine Spur einer Unbestimmtheit vor.
1 G. Wulffs Lehrbuch der Kristallographie. Warschau 1904, 175 (russ.). Es bleibt aber unbegreif-
lich, warum der Begriff der Syngonie, in welchem keine Spur einer Willkür vorhanden ist, unerwühnt
geblieben.
?) Das Fachwort selbst wurde zuerst in Ch. Sorets ,Crystallographie physique^ zur Anwendung
gebracht.
6
Das Objekt dieses Begriffes ist aber von mehr abstrakter Natur als die Kristallform. Der
Komplex bleibt identisch, indem zugleich die Symmetriearten der betreffenden Kristall-
gestalten sich sehr verschieden erweisen. Insofern bei Veränderung der Symmetriearten
der Komplex keine Veränderung erleidet, bleibt seine Syngonie dieselbe. Somit bürgt die
Einteilung nach Syngonien in sich eine Gruppe verschiedener Symmetriearten.
Die Begriffe der Syngonie und des kristallographischen Komplexes scheinen unter-
einander so eng verbunden, daß man hätte sagen wollen, daß Syngonielehre eigentlich die
Lehre von den Komplexen ist. Dies würde aber nicht ganz genau sein, da, wie wir es
ersehen werden, es Komplexe gibt, welche durch keine bestimmte komplexiale Symmetrie
ausgezeichnet sind, also keiner bestimmten Syngonieart zugerechnet werden können.
Wie die Figuren in der Ebene einen partikulären Fall der Figuren im ‚Raume dar-
stellen, so kann man auch als einen partikulären Komplex einen solchen betrachten, welcher
in der Ebene liegt und eigentlich einen Strahlenbüschel bildet. Ein solcher Komplex wird
eine Zone genannt, und kann ebenfalls nach Syngoniearten unterschieden werden.
Deshalb besteht der erste Schritt in der mathematischen Syngonielehre in der Ab-
grenzung der Syngoniearten der Zonen, welche in dieser Beziehung in der Arbeit über
orthogonale und isotrope Zone studiert wurden.!)
Im Grunde steht der Ausdruck der Rationalität der Doppelverhältnisse, und zwar
sin (r r“) sin (nr)
sin (r'r'*) ' sin(r'r'^)
ET k, 1)
wo 7, r', r", r‘ vier Strahlen des ebenen Komplexes sind (welche zugleich als vier Kanten
einer möglichen Kristallfläche und vier Normale eines Flächenbüschels betrachtet werden
können) und % ist ein Bruch, dessen Zähler und Nenner ganze Zahlen sind.
Aus dieser Relation geht direkt hervor, daß ein ebener Komplex durch drei Strahlen,
folglich zwei Winkel resp. zwei Konstante bestimmt wird. In der Tat schreibt man
der Zahl % alle möglichen rationalen Bedeutungen zu, so erhält man für 7'' alle möglichen
Lagen im Komplexe, d. h. die vollständigen Büschel.
In dem allgemeinen Fall gibt es keine Symmetrieelemente in diesem Komplex (abge-
sehen vom Inversionszentrum, welches notwendigerweise da ist,)?) welche zwei verschiedene
Strahlen zur Deckung bringen kónnen.
In diesem Falle sind also sämtliche Strahlen singuläre Richtungen. Dadurch wird
die monokline Syngonie dieser schiefen Zonen bestimmt.?)
Dabei wird vorausgesetzt, daß rechte Winkel vollständig abwesend sind, weil bei der
Annahme ihrer Anwesenheit die Eigenschaften des Komplexes wesentlich andere werden.
Nehmen wir z. B. für einen rechten den Winkel rr' Nun nimmt die Formel 1)
die Form eines einfachen Verhältnisses:
tang (r r‘) :tang (rr)=k 2)
und dann kommt komplexiale Symmetrie zum Vorschein.
1 Verhandlungen der K. Mineralog. Ges. zu St. Petersburg 25, 53.
?) Da aber die Ebene des Büschels als eine Symunetrieebene desselben betrachtet werden kann,
so folgt, da& auch die zweizühlige, zur Büschelebene senkrechte Achse als stets vorhandene anerkannt
werden muß.
3) Reguläre Plan- und Raumteilung. Abhandl., d. K. Bayer. Akad. d. Wiss. IT. Kl. 20, II. Abt., 1900.
In der Tat, unter Annahme k—= — 1, erhält man:
tang (rr): — — tang (r r^) oder rr^ = — rr“.
In diesem Fall ist also jedem beliebigen Strahl »'' ein anderer r' zugeordnet, welcher
in anderer Richtung mit r denselben Winkel bildet wie r'". Somit kann den Strahl r als
die Trace einer Symmetrieebene!) des Komplexes betrachtet werden; dasselbe gilt für den
zu ihm senkrechten Strahl »*.
Alle Strahlen sind also paarweise einander als symmetrisch gleiche zugeordnet.
Allein die besonderen Strahlen r und »' verbleiben als die singularen, das heißt sind keinen
anderen Strahlen des Komplexes symmetrisch gleich, da allein für diese Strahlen die
Winkel rr'" und r r‘ gleich Null sind.
In diesem Fall gibt es also zwei zueinander senkrechte singulüre Rich-
tungen. Diese Syngonieart ist als eine rhombische bezeichnet worden, und die Zonen
selbst als die orthogonalen.?) Die Anzahl der Konstanten reduziert sich zu einer ein-
zigen, z.B. dem Winkel rz". Die Entwicklung des Komplexes geschieht, indem der Zahl %k
alle rationalen Bedeutungen beigelegt werden.
In der Aufstellung der Formel 2) wurde das Vorhandensein wenigstens eines rechten
Winkels vorausgesetzt; in der Tat kann für diese Syngonieart allein ein solcher Winkel
zugelassen werden; unter Annahme eines zweiten wird leicht der Beweis geliefert, daß
dann sámtliche Strahlen paarweise untereinander senkrecht stehen, und die Eigenschaften
des Komplexes werden vom Grunde aus verschieden.
In der Tat, unter Annahme des rechten Winkels r;' und zugleich etwa r“r‘“,
erhält man:
tang (r r^) tang (r r^) — —1
und dann nach der Multiplikation von 2):
tang? (rr) — — k — Kk. 3)
Diese Gleichheit zeigt schon, daß jetzt keine einzige Konstante da ist, sondern
sämtliche Winkel des Komplexes von vornherein durch die Bedingung der Rationalität.
der Tangentenquadrate bestimmt werden; k muß dabei natürlich negativ angenommen
werden, da ein Quadrat nur positiv sein kann. Dem Werte k' = co entspricht jedesmal
der rechte Winkel r7", unabhängig davon, welcher Strahl als Ausgangsstrahl ange-
nommen wird.
Solehe Zonen wurden als isotrope bezeichnet.
Als Folge davon, daß jedem Strahl ein ihm senkrechter Strahl zugeordnet ist, kann
man sagen, daß jeder Strahl zugleich die Trace einer Symmetrieebene ist: also sämtliche
Flächen einer isotropen Zone sind Symmetrieebenen. Auf dem Satze fußend, nach
welchem zwei Symmetrieebenen unter dem Winkel a sich in Symmetrieachsen schneiden,
1) Resp. als zweizählige Symmetrieachse, was für die ebenen Figuren ganz gleichbedeutend ist.
?) Für die ebenen Systeme gilt diese Bezeichnung mit wörtlicher Genauigkeit, da diese Symmetrie-
art wirklich die Symmetrieart eines Rhombus ist. In der Tat aber ist die Bezeichnung den Raumfiguren
entnommen, wo solche Bezeichnungen wie „Symmetrie des Rhombus“, „Symmetrie des Quadrates“
befremdend klingen.
deren Zühligkeit 7 ist, kann man sagen, daß die Achse jeder isotropen Zone eine
Symmetrieaxe von unendlicher Zähligkeit ist.
Zusammen genommen erweist sich die komplexiale Symmetrie einer isotropen
Zone als die Symmetrie des Kreises.
Wenn aber die Strahlen eines isotropen Komplexes durch die Bedingung der Ratio-
nalıtät der Tangentenquadrate verbunden sind, so folgt daraus noch nicht, daß überhaupt
nur ein einziger isotroper Komplex möglich ist; auch daraus, daß die Achsen der isotropen
Zonen Symmetrieaxen sind von unendlicher Zühligkeit, folgt noch nicht, daß dieselben
zugleich Symmetrieaxen sind von beliebiger Zähligkeit (abgesehen davon, daß dieselben,
wie erwähnt, notwendigerweise zweizühlige Axen sind).
Wegen besserer Aufklärung in den Fragen dieser Art wollen wir umständlicher die
Grundformel 1) diskutieren.
Ziehen wir durch den Stralenkom-
plex eine Schnittgerade r r' (Fig. 1), und
bezeichnen die dadurch auf den Strahlen
‘r"' bedingten Strecken respek-
444
ana
tive durch a, a‘, a”, a
7 Nun ist die Gleichung 1) in der
Fig. 1. Form
(n) 9 PUT TTL Anti
aa" sin(rr" ‚aa sin (r? a: 1a)
a' a'' sin (r' rr^) " a’ a’ sin r' r^^)
darstellbar, da dadurch gleiche GróBen als Faktoren und als Divisoren eingeführt sind.
In dieser Form sind aber die Glieder dieses Doppelverhältnisses die Hälften der Dreiecks-
flächen, welche eine gemeinschaftliche Gerade zur Basis und den gemeinschaftlichen Eck-
punkt O besitzen; da also alle Dreiecke gleiche Höhe besitzen, so sind ihre Flüchen den
Basisseiten proportional. Also kann dieselbe Gleichung auch in der Form
AO YA TRO TCU TERR RE, 1b)
TUE ODE OLET y Er
geschrieben werden, und hat diese Form für beliebige Schnittgerade Geltung.
Nun wollen wir diese Schnittgerade aus dem Punkt »' drehen, bis sie endlich dem
Strahle r parallel sein wird. Alle Strahlenstrecken ändern sich dabei in ihrer Größe, aber
diejenige des Strahles r nähert sich der Größe co, und erreicht diese Grenzgröße, sobald
die Schnittgerade dem Strahle » genau parallel kommt.
In dieser Grenzgröße näbern sich in der Formel lb) die Strecken r7" und r7'';
das Verhältnis dieser Strecken ändert sich also in der
1 Aid “u
abenamite ——— 0 mate TER;
Reihenfolge:
r y"! Y y'" 4 y y" : y y" n 9i N, T» 1 Ys T,
EXT Em UI —1 T Su 3 1 =F sen) il Ir AUD O.o ar TE]
DE, rà rà rn Yarz oo
also besitzt es zu seinem Grenzwert die Einheit; für diesen Grenzfall besteht als die Relation:
4
r rU : y y" — I, 1c)
9
das heißt: die Verhältnisse der Strecken auf der dem Strahle x parallellen Schnittgerade
werden rational.
Die rationale Zahl ist also der Bruch P wo p, und p, ganze Zahlen sind. In der
2
Form dieses Bruches können wir auch ganze Zahlen schreiben, wie 1— 1:1, 2—2:1 u.s.f.
Jede solche Zahl bezieht sich auf einen ganz bestimmten Strahl, wenn wir nur wissen,
welche Strecke dem Verhältnis 1:1 entspricht.
Zur vollständigen Charakteristik des Komplexes ist (außer dem Winkel zwischen den
Strahlen » und r‘) noch die Strecke Or’ auf dem Strahle r' nötig, welche ebenfalls als
eine Einheit in dieser Richtung angenommen werden kann.
Da das Verhältnis /— ^. für jeden gegebenen Strahl r'^ konstant bleibt, so ist das-
Or‘
selbe die echte Charakteristik des Strahles selbst. Ist r's, = p,[p, so erhalten wir bei
rn DB» n
angezeigter Annahme roa 1 S wo p, und p, ganze Zahlen sind, positive oder
2
negative.
Daraus ersehen wir, daß derselbe Strahl durch zwei ganze Zahlen charakterisiert
werden kann, und diese Zahlen sind Strecken auf den Strahlen r und r’, welche in bedingten
Einheiten ausgedrückt sind. Das ist das einfachste Verfahren der Reproduktion des voll-
ständigen Komplexes durch alle möglichen Kombinationen zweier ganzen Zahlen. Dabei
aber dürfen behufs vollständiger Eindeutigkeit diese Zahlen keine gemeinschaftlichen
Faktoren besitzen, und nun erhält das Symbol (p, p;) die Bezeichnung des Symboles des
gegebenen Strahles und die Zahlen selbst die seiner Indizes.
Auf Grund dieser einfachen Relationen ist es sehr leicht, den Komplex einer natür-
lichen Entwicklung nach Perioden zu unterziehen (Fig. 2).
Fig. 2.
In der Tat dienen als Grundstrahlen die Strahlen r = (10) und r' = (01); zugleich
sind für dieselben die Einheitsstrecken OA resp. AB gegeben; dem Strahl OB würde
dann das Symbol (11) eigen sein; dem Strahl O 5b’, für welchen .4 5' — .A B, gehört das
Symbol (11) (und diese vier Strahlen bilden bekannterweise das harmonische Büschel).
Nun bemerken wir, da& das Symbol (11) aus den Symbolen (10) und (01) durch
Summierung der respektiven Indizes entsteht (1 + 0; 0 + 1); dasselbe hat in Bezug auf (11)
statt: (11) 2 (01) + (10) zz (0 +1; 1 4- 0).
Diese vier Strahlen bilden die I. Periode in der Entwicklung des Komplexes.
Nach den nunmehr erkannten Verhältnissen sind wir jetzt in der Lage, die folgenden
Strahlen mit den einfachsten Indizes zu bestimmen; diejenigen der II. Periode lassen sich
durch einfaches Summieren aus denen der ersten Periode erhalten.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt. 2
10
Eine Entwicklung in vier Perioden ist in der Figur 2 reproduziert. Dieselbe ist in
anschaulicher Weise auch aus beigegebener Tabelle ersichtlich:
110 11 01 11 10
II 21 12 12 21
III 31 32 23 18 I 2300032 31
IV Su 4T "52" 53 48" 34 85 257 14 "T4 25 "3532 49 1599859 BET
Nun ist es klar, daß in dieser Weise leicht so viele Perioden reproduziert werden,
wie man will, und alle dadurch bedingten Strahlen sind die Komplexstrahlen, welche in
der Formel 1) ihren Ausdruck finden. Natürlich nimmt die Zahl der Strahlen. jeder fol-
genden Periode nach bestimmtem Gesetze zu, und zwar nach dem Gesetze der geometrischen
Progression mit dem Verhältnis 2, da jedesmal bei dem Übergang zur folgenden Periode ein
Strahl durch zwei ersetzt wird; wir müssen dabei nur von den Ausgangsstrahlen absehen.
Nun ist leicht zu zeigen, daß man auf die Höhe der Periode aus dem Symbole
selbst schließen kann. Dazu gehört folgende Regel: ist (p, p,) wo p,2 p, ein Strahl
kten Periode, so muß (p, —p,, P,) einen Strahl der (E—1)*" Periode, und im Gegen-
teil (p, + p,, p) denjenigen der (k + 1)*" Periode ausdrücken.
Die Hóhenzahl der Periode drückt die Anzahl der aufeinanderfolgenden Additionen aus,
welche nötig ist, um die Indizes (p, p, aus denen der I. Periode abzuleiten. Natürlich
spielen dabei keine Rolle weder die Vorzeichen der Indizes noch etwaige Permutationen,
da solche von der Höhenzahl der Periode unabhängig sind. Infolgedessen ist es erlaubt, stets
nur positive Indizes und eine bestimmte Permutation, z.B. p, 7 p, allein in Betracht zu ziehen.
Überhaupt läßt sich jede ganze Zahl aus Einheiten durch sukzessive Addition erhalten,
und nur die Indizes der I. Periode sind 1 oder 0, das heißt höchstens 1.
Eine bestimmte Sukzession dieser Operationen führt uns zuletzt zu bestimmten
Indizes; also alle solche lassen sich aus (10) und (11) zusammensetzen.
Zum Beispiel (53), wie aus oben gegebener Tabelle ersichtlich ist, läßt sich folgender-
maßen zusammensetzen:
(53) z« (32) + (21); (32) = (21) + (11); @I)= (11) + (10).
Zusammengenommen sind drei Operationen notwendig, welche in der Gleichheit
(53) 3 (11) 4- 2 (10)
ihren endgültigen Ausdruck finden.
Diese Gleichheit ist aber von vornherein klar und kann ohne sukzessiver Operations-
folge, sondern direkt, geschrieben werden. Zugleich aber ersetzt dieselbe eine ganz bestimmte
Aufeinanderfolge der Operationen und dient als deren Ausdruck, und diese Aufeinanderfolge
führt stets zu der Steigerung der Höhenzahl der Periode 3, das heißt, sie besitzt nicht
nur für die in dieser Gleichung enthaltenen Indizes, sondern eine allgemeine Gültigkeit.
Wenn also die Gleichheit
(p, p) 5 8 (y, 4) 9- 2, 7)
besteht, wo (g,g,) und (r,r,) die Indizes zweier solcher Strahlen sind, welche durch Sum-
mierung diejenigen einer höheren Periode bedingen, so muß die Höhenzahl der Periode
von (p,p,) um 3 größer sein, als die größte Höhenzahl der Indizes (g, q,) resp. (r, 7,).
11
Der Anschaulichkeit wegen betrachten wir folgendes Beispiel:
III 32 21 I 11 10
IV 99 II 2]
Vi 85 74 IH 32 91
VI lube: so ar o I IV 49. . 58 52. 41
Diese Zahlenreihen weisen auf so vollständige Analogie hin, daß jeder. bestimmten
Zahl einer Reihe eine der anderen eindeutig zugeordnet ist.
Nun wissen wir aber, daß (53) — 3 (11) + 2(10). Die bestehende Analogie läßt uns
mit Recht auch die Gleichheit
(13-8) ze 3 (82) + 2 (21)
schreiben, was übrigens unmittelbar klar ist.
Die Analogie besteht hier in der gleichen Aufeinanderfolge derselben Operationen,
weshalb auch die Anzahl derselben ebenfalls die gleiche sein muß. Gehört (53) der
IV. Periode zu, also führt die angegebene Operation zur Erhöhung der Periode von (11)
und (10) um 3, so muß auch das Symbol (13-8) auf einen Strahl sich beziehen, welcher
ebenso um 3 Perioden höher steht als die höchste der Perioden von (32) und (21); und
da (32) der III. Periode zugehört, so muß (13-8) der VI. Periode zugehören.
Aber auch (11) läßt sich durch Summieren aus (10) und (01) zusammensetzen; also
ist bei dem Übergang aus den letzten Indizes zu den ersten eine eben solche. Operation
nötig. Demgemäß kann man sagen, daß (53) sich aus (11) und (10) durch dieselbe Operation
zusammensetzen läßt, wie (32) und (10) und (01). Wenn wir also für kurze Zeit die Aus-
gangsstrahlen als der besonderen 0t®" Periode zugehörig betrachten wollen, so erhalten
wir die Analogie:
I 11 10 0 10 ; ..01
II 21 I iit
III 32 51 II 21 12
IV 43 53 52 41 TH 31 92 25 13
Nun aber sind die Indizes (32) in der Form (5—3, 3) darstellbar, da, wie gesagt,
die Permutationen in den Fragen über Periodenhöhe keine Rolle spielen. Wenn also (53)
einer um 1 höheren Periode zugehört als (32), so muß dasselbe einer um 1 niedrigeren
Periode zugehören als (5 + 8, 3) — (83), da (83) — 3 (11) 4- 5 (10).
Auch (83), wie jedes andere Symbol, läßt sich durch sukzessives Summieren aus Sym-
bolen der niedrigeren Perioden ableiten. Wollen wir dasselbe aus denen der III. Periode
erhalten, so hütten wir als Ausgangsstrahlen diejenigen durch (31) und (21) ausgedrückten
anzunehmen, da 3$ 2.
Und nun finden wir:
III 31 21
IV 52
V 83 73.
und diese Tabelle dient als Bestätigung der Folgerung über die Periodenhöhe von (83).
9*
12
Ebenso ist klar, daß (83) durch dieselbe Operationsreihe aus (11) und (01) sich
ableiten läßt, wie (53) aus (01) und (10), also:
I 10 JU 0 10 01
II 21 li 11
II 91 II 21
Inv 52 IH 52
V 83 IV 53
Der eben bewiesene Satz gibt das Verfahren in die Hand, die Periodenhóhe jedes
gegebenen Symbols durch sukzessive Erniedrigungen um 1, bis das Symbol von schon
bekannter Hóhe erhalten wird, zu bestimmen.
Zum Beispiel, wir finden direkt, daß (87) der VII. Periode zugehört, da (8—7, 7)
= (17) das Symbol der VII. Periode ist.
Nun gehen wir zur detaillierten Studie der isotropen Komplexe über.
Da in denselben sämtliche Strahlen sich in einander senkrechte
Paare zerlegen, so ist stets möglich, als Ausgangsstrahlen einen be-
liebigen Strahl r und den ihm senkrechten Strahl »' (Fig. 3) aus-
zuwühlen.
x Bestimmen wir zuerst die Bedingungen, welche notwendig und
0 hinreichend sind, daß der Komplex ein isotroper ist.
Fie, 3, Gemäß der Formel 3) gehört dazu die Rationalität des Tangenten-
quadrates eines Winkels.
Es sei 7^ derjenige Strahl, welchem das Symbol (11) zukommt. Nun sind die Achsen-
DR 73 ce ENS
einheiten Or und Or’ die Strecken r'r^" und Or‘; aber "o —tang (r^ 7^). resp. d
— tang2i(r. 7.) — =; wo a und b ganze Zahlen sind; also:
(r' 1) (0r) — Ya:Vb. 4)
Diese Gleichheit ist also die gesuchte Bedingung des Isotropismus.
Wird ein Strahl durch das Symbol (p, p,) ausgedrückt, so haben wir:
I YT) P ] 2
TOLLERE Ya — tang (Fr) resp. tang (roma yi 5 (^) E ;P 5)
Qr? pn Vb Ds
Auf Grund des Satzes, nach welehem ein isotroper Komplex eine Symmetrieachse
von unendlicher Zähligkeit besitzt, folgt, daß die Aufeinanderfolge der Winkel genau die-
selbe bleibt, welche Strahlen auch als Ausgangsstrahlen genommen würden und in welcher
der beiden Richtungen dieselben gemessen würden.
Also kommt der Formel 5) allgemeine Bedeutung zu.
Somit sind in einem isotropen Komplex die Winkel dadurch bedingt,
daß die Tangentenquadrate einer und derselben Zahl gleich sind, multi-
pliziert durch Quadrate einer beliebigen rationalen Zahl.
Durch diese Bedingung wird die Anzahl der einem gegebenen isotropen Komplex
zugehörenden Strahlen in hohem Maße beschränkt. Jeder Winkel, dessen Tangenten-
13
quadrat eine rationale Zahl ist (unabhängig von einem quadratischen Faktor), welche mit
der für den gegebenen Komplex charakteristischen Zahl nicht übereinstimmt, ist für diesen
Komplex ein unmöglicher.
In Anbetracht der so hohen Wichtigkeit, welche dieser charakteristischen Zahl zu-
kommt, soll dieselbe, als Parameter des Komplexes bezeichnet und für die bestimmende
Hauptkonstante gehalten werden, welche aber im Gegensatz zu den Konstanten der
schiefen und orthogonalen Zonen nicht eine beliebige Größe eines Winkels, sondern eine
rationale Zahl ist.
Da aber eine unendliche Anzahl solcher vorhanden ist, so sind auch die isotropen
Komplexe selbst in unendlicher Anzahl vorhanden.
Formel 5) läßt sich vereinfachen, wenn man dieselbe durch 5 zugleich multipliziert
und dividiert, dann haben wir:
k 2
tang? (r' r)= ab (&) —JÀq 2. 5a)
Jetzt ist a’ eme ganze Zahl und k‘ ein rationaler Bruch. Diese ganze Zahl ist der
eindeutig ausgedrückte Parameter des Komplexes. Also sind die Parameter ganze
Zahlen.
Jede ganze Zahl, welche keine zwei gleichen Faktoren besitzt, ist Para-
meter eines ebenen isotropen Komplexes. Wenn es aber in einer ganzen Zahl zwei
(oder mehr) gleiche Faktoren gibt, so ist diese Zahl als Parameter des Komplexes gleich-
bedeutend mit derjenigen, welcher dieser Faktoren beraubt sind (z. B. 6 und 54 = 6-32).
Also kommt den beiden Faktoren der Zahl «'Ek'? sehr verschiedene Bedeutung zu:
der erste ist für den Komplex charakteristisch, der zweite, quadratische, ist eine beliebige
rationale Zahl. Aber auch der erste Faktor kann auf verschiedene Art dargestellt werden,
etwa 5 2 ab, E Nur wegen der Einfachheit haben wir aus dieser Zahlenreihe ab beson-
ders hervorgehoben und als Parameter bezeichnet.
: I
In Anbetracht des Gesagten kann man sehr verschiedene Zahlen der Form c£, 5 12
als etwas Einheitliches ansehen. In diesem Sinne können wir alle solche als parametrisch
gleiche bezeichnen, da wirklich ihnen ein und derselbe Parameter zukommt. Zum Beispiel
- " 4 z
sind die Zahlen 3, 3 a 5) PUT MAE =,
der gleiche Parameter 3 entspricht.
Vermittelst dieser Definition läßt sich ein allgemeiner Satz folgendermaßen aus-
drücken:
Jedem Strahl des ebenen isotropen Komplexes gehört eine bestimmte
Parametergröße zu.
Zieht man durch einen Strahlenpunkt, dessen Distanzquadrat dem diesem
Strahle zugeordneten Parameter gleich ist, eine irgendwelchem anderen Kom-
plexstrahl parallele Schnittgerade, so schneidet diese Gerade alle übrigen
Komplexstrahlen in den Punkten, deren Distanzquadrate gleich sind den den
respektiven Strahlen zugeordneten Parametern. Diese Distanzen werden vom
Mittelpunkt des Komplexes gezählt.
75... parametrisch gleiche, da allen denselben
14
Der Definition gemäß werden hier unter
Parameterzahlen parametrisch gleiche Zahlen
verstanden.
Den Ausgangsstrahlen r und r‘ seien die
Parameter a resp. 0 zugeordnet.
Ziehen wir eine zum Strahle OC (p, p,)
senkrechte Schnittgerade A B (Fig. 4). Es ent-
stehen die ähnlichen Dreiecke 4 O B und
DOC; also:
Jl ll ——— TJ Iw j ‘
04:0 B= ——:——— oder 042: OB? —a|——]:5(—), 6)
»,Va p,Vb ap, bp,
Außerdem
0? = DC* - OD? —ay; 4- bp, —cg*. 7)
(p 22
Berücksichtigen wir noch, daß die Strecken OA und OB sind « (eh) resp.
api + bp :
b re
bp,
durchgeht, welchen wirklich die Strecke mit dem Parameter a, resp. b zukommt, so ist
klar, daß dem Strahle »‘“ der Parameter c zukommt.
) daß also die Schnittgerade .4.B auf Strahlen r und »‘ durch Punkte hin-
Wegen allgemeinsten Beweis des Satzes ist eine beliebige, aber einem Komplexstrahle
parallele Schnittgerade zu ziehen, welche aber auf den Strahlen r und r‘ die denselben
zugeordneten Strecken bestimmt hätte. Als solche nehmen wir beliebig 4i und Zh wo
Va Vb
g, und g, irgendwelche ganze Zahlen sind.
Nun ist die Gleichung dieser Geraden
zYa QyYb _,
dh VP
und die Gleichung des Strahles O C
zp,Vb — yp, Va — O.
Folglich sind die Koordinaten der Schnittpunkte:
P, 4, 0, Va Ph Vb
qp = — == — und y= —aA=——.
2,90 + 229,6 IT nmatpab
Daraus ergibt sich das Quadrat der Strecke:
2 2 d.d 2
+ NP%= (ap + bp (esu) 8
oo
Dadurch erhält der aufgestellte Satz den allgemeinsten Beweis, da aus 8) ersichtlich
ist, daß der Parameter eines beliebigen Strahles OC derselbe bleibt, wie man auch
die Schnittgerade auswählt, wenn nur die im Satze aufgestellten Bedingungen erfüllt
worden sind.
15
Bezeichnen wir die auf der Schnittgerade C D durch den zu OC senkrechten Strahl
O C' bedingte Strecke durch x, so erhält man (p,V5)* — vp, Va, und daraus
Oo ee are PBy-a a
$ zn + bp: (5 q^.
Also een: (5) ann 9)
a 1 2. fb ,
das heißt: das Produkt der Parameter zweier beliebiger zu einander senkrechter
Strahlen ist stets gleich dem Parameter des Komplexes.!)
Nun wollen wir daraus verschiedene Folgerungen ziehen.
Wir sehen, daß es gut möglich ist, eine unendliche Anzahl ebener isotroper Kom-
plexe zu erhalten, indem man zwelen einander senkrechten, sonst beliebigen Strahlen die
Parameter a und 5 zuerteilt, wo «a und b beliebige Zahlen sind, aber weder gemeinschaft-
liche noch quadratische Faktoren besitzen.
Die Tangentenquadrate sümtlicher Strahlenwinkel sind parametrisch gleiche Zahlen,
und dieser Parameter ab ist der des Gesamtkomplexes.
Auch jedem Komplexstrahl kommt ein bestimmter Parameter zu. Welche Strahlen
auch als die Ausgangsstrahlen angenommen würden, stets ist das Produkt der Parameter
dieser Strahlen dem Parameter des Komplexes ab gleich; folglich besteht diese Relation
gleichgeltend für sämtliche Paare zu einander senkrechter Strahlen, was übrigens durch 9)
direkten Beweis erhilt.
Aber jedem beliebig herausgenommenen Strahl kónnen wir auch sonst eine beliebige
ganze Zahl als dessen Parameter zuerteilen, nur muß diese Zahl in dem Komplex als ein
möglicher Parameter auftreten.
Wollen wir einige Beispiele betrachten.
Es sei ein Komplex mit dem Parameter 1 gegeben. Nehmen wir als Parameter eines
Strahles die Zahl a, so erhalten wir für den senkrechten Strahl das Parameter - das heißt
die Zahl, welche der Zahl « parametrisch gleich ist. In diesem Komplex besitzen folglich
zwei senkrechte Strahlen stets einen und denselben Parameter resp. die Strahlen selbst
sind parametrisch gleich. Daraus folgt das Vorhandensein der vierzähligen Symmetrieachse.
Die Gesamtheit der parametrisch gleichen Strahlen bildet einen Teilkomplex.
Nun ist es klar, daß die Symmetrie jedes Teilkomplexes dieselbe ist, wie die des
Gesamtkomplexes. Aus dem Satze über Vorhandensein der Symmetrieachsen mit unend-
licher Zähligkeit folgt aber, daß alle Teilkomplexe deckbar gleich sind.
In dem Komplex mit dem Parameter 1 müssen die Symmetrieebenen sich auch unter
dem Winkel 45° schneiden, als Folge des Vorhandenseins der vierzähligen Symmetrie-
achse; und wirklich ist tang? 45° — 1.
In dem Komplex mit dem Parameter 3 müssen die Symmetrieebenen unter 60° stehen,
da tang?60=3. Also besitzt derselbe drei-, folglich auch sechszählige Symmetrieachsen.
1) Ziehen wir noch die Gerade O C" unter dem Winkel BO C" gleich dem Winkel BOC, so besitzt
der Strahl O C" denselben Parameter wie OC (da OD die Trace der Symmetrieebene ist). Andersereits
ist OC" mit OC' symmetrisch in Bezug auf O E, welche mit Or' den Winkel 45? bildet. Daraus folgt
a) daß OE keinem anderen Komplex als [11] zugehóren kann und b) daß das Produkt der Parameter
der so symmetrischen Strahlen gleich dem Parameter des Komplexes ist.
16
Schreiben wir einem Strahl den Parameter 1 zu, so soll der zu ihm senkrechte den Para-
meter 3 besitzen. Daraus ist zu schließen, daß in diesem Komplexe nach je 30° sich die
Parameter 1 und 3 abwechseln.
Natürlich ist auch in jedem anderen Komplexe mit dem Parameter ab einem Strahle 1
der senkrechte Strahl ab zugeordnet.
Hier treffen wir auch verschiedenartige und lehrreiche Zahlenrelationen.
In erster Linie ist jetzt mit den Summen der Quadrate der ganzen Zahlen zu tun,
wie dies aus der Formel 7) hervorgeht.
Der Satz über das Vorhandensein der Symmetrieachse von unendlicher Zähligkeit _
und der daraus weiter folgende Satz über das Vorhandensein einer unendlichen Reihe von
Teilkomplexen mit gleichen Parametern führt uns zu dem Schlusse, daß die Gesamtheit der
ganzen Zahlen, welche durch 7) ausgedrückt worden ist, in eine weitere Summe zerlegt
werden kann, in welcher jedes Glied aus parametrisch gleichen Zahlen besteht, also:
N=A+B+C+..., 10)
wo A die Summe der Zahlen al}, D die Summe der Zahlen bA3 u.s. f. bedeuten.
Diese Teilsummen entsprechen den Teilkomplexen; dabei sind die Strahlen der Teil-
komplexe durch die Gleichheit der Winkel verbunden.
Daß wirklich sämtliche mit gleichen Winkeln untereinander stehenden Strahlen dem-
selben Gesamtkomplexe angehören, ersieht man auch direkt aus dem allgemeinen Ausdruck
der Tangenten solcher Winkel.
Es sei z. B. der Winkel y gegeben zwischen dem Strahle »' und beliebigem Strahle 7*^
Natürlich hat tang?» die Form des Produktes ab- À?, wo ab der Parameter des Komplexes ist.
Nun ist zu beweisen, daß tang? y =tang*y-l?, wo [ ebenfalls eine rationale Zahl ist.
Zu diesem Zweck entwickeln wir den Ausdruck tangny. Der Kürze wegen wollen
wir anstatt tang y einfach t schreiben.
8?
Also tang 2y — t —
tang 3y — t m
tang 4y —t Da
lang 5y = DIIS
tang 67 6—20t? 4- 6 t*
een:
5 7—35 €? + 21 t£— t$
U (0 —
ang (7 Ix Iu 7p
8— 56 t? + 56 15 — 8 t^
S» == -—— - :
tang 8) 1—981*-r 704 —3985/05:48
9 —84 t? + 196 t$— 36 t8 -I- t$
tang 9»—t St + 126 a S + i
1— 36 t* + 126 15 —84 t5 + 9 ts
— 19 2 259 t$—]12 [3e 8
tang 10 » = 10—120 t? + 252 t*—120 t^ 4- 10 t y)
1—45 € + 210 € —210 t5 4- 45 t$— t1
17
tangny —t
n—5 n—3 n—1
n—n, V +n,t?—..-+(—-1)2 An zul 5.4 (— 1): fes inscr C 1s p
jJ FE Eine E Dou in—5 4 ca n,t3 + a
tang(» + 1)» —t
(n4- mt mot Em )8— inicr dier quat cit n) e sme ds ss etii
1- (nn, 8 £n, nn) De [s win) ee [E 1s
Dabei wird die Zahl » als eine ungerade gemeint.
Diese Tabelle, welche unendlich fortgesetzt gedacht werden kann, dient als direkter
Beweis des eben erwähnten Satzes, da natürlich, wegen Rationalität des t?» auch sämtliche
Koeffizienten bei tang; hier rationale Brüche sind.
Das nähere Studium derselben Tangententabelle lehrt uns sehr merkwürdige Relationen
kennen zwischen den Koeffizienten derjenigen Glieder dieser Reihe, welche auf Tangenten
mit Winkeln von gerader Zähligkeit sich beziehen. Zuerst wollen wir zeigen, daß diese
Koeffizienten unabhängig von denen zusammengesetzt werden können, welche sich auf
Winkel mit ungerader Zähligkeit beziehen. Wir haben nämlich:
2t
lang 2y = IB
4t— 41?
tang 4y = 1—68 4 d
6t— 2013 + 615
LS ie Tre
8t— 5613 + 5665 —8 t
tang 87 = 7 288 4 708 — 286 4 6 A)
tanz10y — .10$—1201* + 25269— 1204" + 10%
Dear 056/515 45 t9 3010
kanzıa, _ 125—2201* + 79265— 792 -- 22019 — 121
8 ^7 — 1— 66€ + 495 — 92415 + 49515 — 6610 + t?
kaneia, — 14 5—364t + 20021584321 + 20020? —364t7 + 1403
n8-=7 — 1—91 € + 1001€ — 300305 £ 8003t5— 100160 + 9162 — t4
on Er 3 8 STRE TR ER 11 19e 15
fang16; — __ 16t—360t + 436805 — 1144017 + 11400 —4368t? + 560° — 166
1— 1201? + 18201? — 800815 + 1287015 — 8008t!* + 18201? — 120t!* + t16
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt. 3
18
2nit—mnj* tn — + (— 1) nU + (—T) 0-3 4-7 (—1)9H20t»—!
1—m,t? + m, —m419 --- + (— Ly? m,U— + (— D)-' mt"? + (—1y t»
(2n -j- 2)5&— (2n tn, -- 2m) 8 -- (n, Emp 2mjjli 3 ne
1—( 4m, +4n)t?+ (m, 4- m, + 2n)t* — (m, + m, + 2n,)t8 +
Alle Zahlen n,,%,, "4 ... sind notwendigerweise gerade, was durch die Zusammen-
setzung (An + n, + 2m,), (n, 4- n4 4- 2m,) ... bewiesen wird.
Auf diese Weise läßt sich die Tabelle unbegrenzt fortsetzen.
Nun ist leicht zu konstatieren, daß die Summe der Quadrate des Zählers und des
Nenners dieser Brüche gleich ist einem vollständigen Quadrat. Daraus ist leicht zu
ersehen, daß
2\ 2
l-4Ftang?2y = i rem
tang2ny =
tang(2n + 2)y —
cos? 2 1—1t?
1 (4-8)
245 — — =
an ee Gueusn dee ar: B)
1 (1 4r £s
E 2 aM — —]1
Ip teng 8) — C67 P ee:
1 (1 4- £5
og? I, — = =
l-r tang? 8; cos? 8y (1— 28€? + 70t* — 28t5 + t5?
Diese Relation ist für uns von hoher Wichtigkeit, da sie zum Beweise dient, daß
alle mit »’ den Winkel 277 bildenden Strahlen denselben Parameter besitzen, also mit r‘
zu einem und demselben Teilkomplexe gehóren.
Wenn in der Tat wir dem Strahl »' den Parameter 1 zuerteilen, so ist der Para-
meter des Strahles, welcher mit r' den Winkel 27»; bildet, in dem Ausdrucke. 1 + tang? 2ny
1 : e Be : :
nn enthalten, und nun sehen wir, daß derselbe wirklich ein vollständiges Quadrat
ist, also als Parameter gleich 1 ist.
Erteilt man dem Winkel » solche Bedeutung zu, daß tang; eine ganze Zahl sein
würde, so erhält man für den Zähler ebenso wie für den Nenner der Brüche der ange-
gebenen Tangentenreihe ebenfalls ganze Zahlen, und zwar solche, deren Quadraten-
summe auch das Quadrat einer ganzen Zahl ist.
Auf diese Weise ist also möglich, eine unbegrenzte Menge solcher Zahlen aufzufinden.
Zugleich läßt sich auf Grund dieser Relationen eine Anzahl von Sätzen ableiten, zum
Beispiel den folgenden allgemeinen Zahlensatz:
Für jede ganze Zahl1-+? (wo feine beliebige ganze Zahl ist) und ihre belie-
bigen Potenzen ist stets möglich, solche zugeordnete Zahlen aufzufinden, daß
^
1 Da der Koeffizient m, gleich (2x —1)» ist, so ist 1-3- m,-4-4» — 2»? 4- 8n-- 1 — (2 -- 1)
2n—2 (?n -3) (2n —?) 2n—2 (2n —3) (2n—9)
(r +1. Auch z, — 3j + 3j. wo Yj die Summe 2-4-44- 6 4--- 4- (2n —2), und *; die Summe 1-2
2 1-9 E
1-2
2n—2 (2n—3) (?2n—2)
4-3-4+--+(2n—3) (22 —2) bedeutet. Folglich (2n 4- »4,4-2mi) —- (2n 4- 3j + $3 + @n-1)2n)
2 np
9n (2n—1)9n
—À*SJü-p $5 sf
P 1.2
>
19
die Summe der Quadrate der beiden Zahlen gleich ist dem Quadrate einer
ganzen Zahl.
Speziell für t — 1 haben wir 1+t?=2, und da tang y — 1, so ist y =, Somit
erhält die periodische Reihe tang 2 y, tang 4 y, tang 6 y ... sukzessive die Werte Co, 0,
COO. 0 ..., also in angegebener Reihe sind wechselweise Nenner und Zähler gleich Null,
was übrigens direkt ersichtlich ist, da wechselweise die Summe der Koeffizienten in dem
Nenner und Zähler der Tangenten gleich Null ist.
Wenn tang 2ny, wo n eine ungerade Zahl ist, gleich co wird, so behält natürlich
dieselbe Größe auch 1 tang? 2ny resp. ———-—.
Med P cos? Any
3 : : 1
Ist aber tang 22 y, wo n eine gerade Zahl ist, gleich 0, so erhält Ban die Größe I.
Also bei t — 1 haben wir:
c(l = 1641; +1 + = 1281? 4 70828148; -E(1-4 ts
— 1— 661 + 49514 — 92415 4 495° — 6611 -E t? u. s, £.1)
Daraus besteht eine Reihe von Sätzen über die KoeffizientengróBen der oben ange-
führten Tangentenausdrücke.
Natürlich läßt sich über dieselben noch eine längere Reihe von Sätzen ableiten.
Erteilt man z. B. der Größe t? den Wert 3 zu, so erhält man für 1 + tang?2ny die
periodische Zahlenreihe +4, +4 +1, +4, +4... und da zugleich 1+t?=4, so
findet man bei t? — 3:
4 — (1—1t*?*, 43 — (1—61*? -- t5, E45 — 1— 158 4 15t* —18;
4' — (1. — 28t* -- 70t* —28t9 + t9) u. s. f.
In den angeführten Tabellen sind also die Formeln enthalten, welche uns in Stand
setzen, nach der Lage des einen gegebenen Strahles unbegrenzt viele Strahlen desselben
Teilkomplexes aufzufinden. Wie wir aus der letzten Tabelle ersehen, gehören die Reihen
der rationalen Kosinusse dazu.
Im allgemeinen, da der Winkel ; in Bezug auf 2z: irrational ist, erhalten wir unend-
liche Reihen, was gerade mit dem Begriff des Teilkomplexes übereinstimmt. Nur als Aus-
nahmefälle erscheinen rationale Winkel y, und dann entsteht anstatt des Komplexes nur
eine begrenzte Strahlenkombination.
Für den gegebenen Komplex besteht die Gleichheit tang? (r'r'^ = =: und nun ergibt
die erste Formel der letzten Tabelle:
b—a\?
p Ay —
cos? 2 (r' r'^) n) 11)
Es ist ersichtlich, daß r'r" keinen irrationalen Wert erhält, a) wenn 2 (r'r'") einen
rechten Winkel ausbildet, oder b) wenn Verdoppelung des Winkels keine Anderung in
dem Werte von cos? führt.
J) Da diese Gleichungen vermittelst Quadratwurzel zustande gekommen sind, so bleiben die Vor-
zeichen unbestimmt.
3*
Im ersten Fall haben wir:
Var 2
E i) —10) alsor@ = D undi — T
b+a
Im zweiten Fall erhält man:
Docs ARE EN 24s GU
(=) - pe also a — 3ab, und , — 9.
pee
Im ersten Falle besitzt der Komplex vierzählige, im zweiten sechszählige Sym-
metrieachsen.
In diesen beiden Fällen erfordert die Entwicklung des Teilkomplexes die Ersetzung
des Strahles (11) durch eimen anderen Strahl.
Nun läßt sich der Beweis hervorbringen, daß diese beiden Fälle die Ausnahmefälle
sind: sonst erhült man nur irrationale Winkel.
Wenn in der Tat eine 2» zählige Symmetrieachse vorhanden ist, so ist tang 2ny = 0,
also in Anbetracht der Reihe A lassen sich sämtliche mögliche Symmetrieachsen auffinden,
wenn man die Reihe der Gleichungen höheren Grades
2t=0; 4t—41? — 0; 66— 201° + 66° — 0; 8t— 561° + 561°— St”...
auflöst.
Man sieht zuerst, daß alle diese Gleichungen eine gemeinschaftliche Wurzel t — 0
besitzen, und diese Auflösung gibt uns die zweizählige Symmetrieachse, deren Vorhanden-
sein in allen, sogar anisotropen Komplexen von Anfang an betont wurde. Überhaupt
lassen sich Auflösungen der ersten Gleichungen periodisch in den übrigen wiederholen. Für
alle geraden Werte von r haben wir die Wurzel 1, was vierzühligen Symmetrieachsen, für
alle Werte » — 34 (k beliebige ganze Zahl) haben wir die Wurzel 4, was sechszähligen
Symmetrieachsen entspricht.
Unterdrücken wir in allen diesen Gleichungen die gemeinschaftlichen Faktoren und
bezeichnen t? durch &, so erhalten wir die Reihe (zuerst sehen wir von der zweiten
Kolonne ab):
3—1-0; z—1=0
3z2*— 10x 2-820; 2—102+9=0
a— 10 +12 —1=0; 2 —12+12—1=0
922 — 602° + 126° — 602 +5 — 0; 25— 602° + 5-1262?—5?.602 4- 5*3 — 0
3a5—552*--19823—1982?-- 55: —3 — 0; 2:-552*4-3-19823-8?.1982?-83?.552-3* — 0
72° — 18825 + 10012: — 17162? + 10012? 26—- 1882? + 7-10012* — 7?-1716 23 + 7?
nn; .100122— 74-188 4- 7$ — 0
22" — 7029 + 5462*— 1430 z* + 1430 x* — z1— 7029 4- 2-54625— 22-1430 25 -- 23-1430 2?
— 546a? + 70z —2 — 0; — 95.5462? -- 25. 707—291 —
Besitzt eine dieser Gleichungen die rationale Wurzel 2 (und solche Wurzeln sind
jetzt allein in Betracht zu nehmen), so müssen die Zahlen p und g als Faktoren der
Koeffizienten im ersten und letzten Gliede dieser Gleichungen auftreten. Gerade aber läßt
21
sich jetzt von Faktoren absehen und lediglich die Koeffizienten im ganzen in Rücksicht
nehmen, da dieselben lauter einfache Zahlen sind. Da aber zugleich der erste und letzte
Koefäzient die gleichen Zahlen sind und die Gleichungen nicht in ganzen Zahlen (außer 1)
auflösbar sind, so muB p notwendigerweise gleich 1 sein. Also die einzige zulässige Form
sli
der Wurzel ist —.
q
Ersetzen wir also © durch m so erhalten wir die Gleichungen in der Form, in
d
welcher sie die Wurzel 1 besitzen müssen (also die Summe der Koeffizienten gleich Null
sein muß). In dieser Form sind diese Gleichungen in der zweiten Kolonne angegeben.
Nun sieht man, daß diese Bedingung lediglich in den drei ersten Gleichungen erfüllt
ist, welchen respektive die Wurzeln 1, 1 und 1 entsprechen.
Außer diesen beiden besitzen also die Gleichungen keine andere Wurzel, welche den
rationalen Winkeln entsprechen.
Aus den Gleichungen B ersieht man noch, daß wenn solche rationalen Werte der
Winkel y vorhanden sind, so müssen auch die Kosinusse derselben rational sein. Und
Az
- - : : ar
nun ist schon längst bewiesen worden,!) daß solche Werte von cos Dur 0, 4 und
+1 zulässig sind, und diese Werte entsprechen den vierzähligen, der drei- respektive sechs-
zähligen und den zweizühligen Symmetrieachsen.
Demgemäß dürfen die oben angegebenen Sätze nur als Schlußfolgerungen ange-
sehen werden.
Sonst aber existiert eine unendliche Reihe von rationalen Kosinussen, und vermittelst
dieser Reihe lassen sich aus einem gegebenen Strahle eines Teilkomplexes alle übrigen
Strahlen desselben ableiten.
Sind @ und b nicht zu große Zahlen, so können wir leicht einfachste Glieder solcher
Kosinus-Tabelle für jeden rationalen Komplex besonders herstellen.
In der Tat
1 cos* y Cm 1 Cs
= — - * l 9) —— b ht "TNI Zi .
By qase): wenn also cosy 7 ist, so beste n mp
Dieser Formel gemäß läßt sich die Parametergröße für jeden rationalen Kosinus bestimmen,
wenn wir sukzessive dem Zähler alle Werte der natürlichen Zahlenreihe, und dem Nenner
alle Werte der größeren Zahlen erteilen.
Diese Zusammenstellung ist in der nächstfolgenden Tabelle geschehen. Der Einfach-
heit wegen, da jedem Werte von c* eine Kolonne entspricht, ist diese Zahl nur einmal
am Haupte der Kolonne angegeben, und die übrigen Zahlen der Kolonne sind die Nenner
der Brüche, das heißt d?—.c*.
Wenn nicht direkt der Parameter, sondern eine andere ihm gleiche Zahl auftritt,
so wird dieselbe in Parenthesen eingeschlossen angezeigt. Falls der Bruch, welcher die
Kosinusgröße darstellt, gemeinschaftliche Faktoren im Zähler und Nenner besitzt, also
keinen neuen Fall darstellt, so ist die entsprechende Zahl in Klammern |] eingeschlossen.
1) Zuerst von Budajew in Verhandlungen der K. Mineralog. Gesellschaft zu St. Petersburg 4, 189.
22
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(23) 27
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(41) 28
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(11)15
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(30) 31
29
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(62) 38
315 29
(35) 34
384 29
(6) 3
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528 29
(33) 37
603 29
(67) 38
24
Zieht man aus dieser Tabelle die jedem gegebenen Parameter zukommende rationale
Kosinusgröße, so erhält man noch folgende Tabelle:
Parameter 1 2 3 5 6 une ee 83
sa 1 1 en en or
u re n ho dE. eoo dna ha
Shs "hi "Ufa Hs Shı ha Sa Is Mr "hs "he 13/1 15/5 107
2 Th Ch. 195i hs se "he Tis Vilos
Sl; "hg !3ha Has hs "los Vos 23]. 1
i5. 235. 13h. for 395. Sa
"e las
20] 6 29,1
21s
Parameter 23 26 29 30 31 33 234 35 3937 38 39 „41.42 43 746
1 1
His nns His "s 15/ e sl 151g un 181,9 UT 5[s 204 ue 21[oa las
az 25]: 101g 13/7 Yo 16,7 lg; Ur 1lgz Mg 190 165; 19/55 UH 23[-
1
2ölgg 29];ı lg; Uo 13]
[as
196
29],
Parameter e 44 751 52581055. 75709585859 25061 7 $62:80652 6099986720869
3304 — "ho Hr I hi ?"|s1 Iso Msı ss oa hie he !9ha
19s os 3. fs 3959 Use fs Gas os Mas 19b. Mae 3.
28, -
Übrigens ist es sehr leicht, die Zugehórigkeit des bestimmten rationalen Kosinus zu
einem Komplex mit bestimmtem Parameter festzustellen. Ist cos y —- so folgt daraus,
2 _ m? Ll
daB tig? y = 2 p T — Yan: P p) Diese Zahl ist der Zahl (g 4- p) (qg — p) para-
metrisch gleich.
Im speziellen Fall, wenn q — p — 1, haben wir (q + p), wenn q — p — 2, haben wir
2 (g d- p) wenn g — p — 3, haben wir 3 (g 4- p) als Parameter. Auch umgekehrt, für jeden
gegebenen Parameter ist leicht die zugeordnete rationale Kosinusgröße aufzufinden, indem
wir die Parameterzahl P resp. P.2?, P3? .... in irgendwelche zwei Faktoren zerlegen
5B
und dieselben gleich g+p und q — p setzen; dann ist " die gesuchte Grófe.
25
Im ganz speziellen Fall P — 1 resp. a? haben wir p® + g? — a?. In die erste Kolonne
der letzten Tabelle kommen also lediglich die Zahlen, welche dieser Bedingung Genüge
leisten.!)
Wir haben gesehen, daß jeder Teilkomplex durch eine sehr einfache Operation —
unbegrenzt gedachte Vervielfachung eines gegebenen Winkels desselben — entwickelt
werden kann. Ist aber diese Entwicklung vollständig, das heißt würden mittelst dieser
Operation sämtliche Strahlen erscheinen ?
Es ist leicht den Beweis hervorzubringen, daß dies nicht der Fall ist.
Nehmen wir vorläufig an, daß dies der Fall ist für einen bestimmten Winkel a,
dessen Kosinus gleich 3 ist. Nun ist sofort klar, daB, wenn wir diesen Winkel durch
2a, 8a.. na.. ersetzen, der Strahl unter dem Winkel a keineswegs bei dieser Operation
erscheint, wie lange dieselbe auch fortgesetzt gedacht wird. Allgemeiner ausgedrückt ist
dies für sämtliche Winkel 2a, 3a... nicht der Fall, wenn zur Entwicklung als Grund-
winkel na angenommen wird. Natürlich werden hier die Winkel m, 2 x -- a, m, 2 x -- 2a,
m,22--9a...m,2z--xa... gemeint.
Wäre in der Tat die Annahme zutreffend, daß
m,9z-L-xa-Nma,
so würde daraus folgen
MBs
«Nm —x
Die Zonenachse wäre dann Symmetrieachse mit der Zühligkeit Nn — x gewesen,
was aber unmüglich ist.
Daraus folgt, daß die auf diese Weise aus a, 2a, 3a .. (n—1)a.. bestimmten
Komplexe verschiedene sind, obgleich sämtliche die Strahlen enthalten, welche schon im
Komplex a eingeschlossen sind. Wir kónnen somit in Bezug auf einen. gegebenen Winkel
den ersten, zweiten, ... n‘® Komplex unterscheiden.
Zum Beispiel erwühnen wir für den ersten Winkel des Teilkomplexes in dem Komplexe
{11} den Winkel 53° 8' 15,96", dessen Kosinus gleich 2 ist, so erhalten wir
9
a(Nn— z)=m,.2r resp. a an.
für den zweiten Winkel den Wert 106° 16‘ 31,92" dessen Kosinus — 25 ist,
. dritten 159? 24° 477,88" 3 one ist
- - ? " 7 , ? ” 125 ,
: 527
9120 331 8,84" — Ze. j
-ubvierben A - , 1207332 3,84 3 » 625 ist,
ü [; 4 4 237 Ó
IOS e tümitem = £ * 265? 41' 19,80 = 7 — 8195 ist,
; ; 2 le
- , sechsten T : , 318? 49* 35,76 4 j + 15695 Ist,
1) Die allgemeine Formel für die Auffindung solcher Zahlen wurde von mir schon in Zeitschrift
für Kristallographie 28, 47 hergeleitet. Dabei wurde von dem speziellen Fall abgesehen, für welchen
4 —c ein volles Quadrat ist. In diesem Fall ist aber auch a-|-c ein volles Quadrat, z. B. 29 — 20 = 3%,
29 -- 20 = 72, also 20? + 21? = 29? u. s. w.
Abh. d. IT. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt 4
26
für den siebenten Winkel den Wert (360°+) 11° 57° 51,72‘ dessen Kosinus + t ist,
164833
4 ä 650 4 ; 7 2 = : d
Ps achten: » ; 6' 7,68 E 390695 ist
Im Komplex {12} erhalten wir auf analoge Weise, falls wir als ersten Winkel
70° 31’ 43,62" wählen, dessen Kosinus # ist:
7
für den zweiten Winkel den Wert 141° 3' 27,24" dessen Kosinus — 208 ist,
: EN DON
2145. !*dritten 5 5 2 211° 35‘ 10,86" " E — gy ist,
2 T'AS
Sal Nsvierben * 2 » 2820 6' 54,48" N $ 31 ist,
H * j ' Dal,
»5 fünften : 5 ; 952? 38° 38,10" Y 2 + 543 ist,
< ac 4 4d 329 2
. », sechsten 5 RER EA NT , : + 729 ist,
- „ siebenten 5 : : - 99949 08534: E a -— ist,
5988. .
9 0 4 8 ( 7 ee 3
; $, achten " 2 : 5 204? 13' 48,96 - 5 6561 ist
Wenn wir einen Winkel als »t°" bezeichnen, so heißt das, daß auch ein » mal geringerer
Winkel demselben Teilkomplex eigen ist, wenn gleich zu demselben auch eine Anzahl von
360° hinzugefügt wird. Der Winkel 63° 10‘ 21,72" in der letzten Tabelle ist nicht der
sechste Winkel, sondern der Winkel 423? 10' 21,72“.
Die Betrachtung dieser beiden Tabellen zeigt uns, da& der Nenner des Kosinus des
„Yen Winkels die »'* Potenz ist des Nenners des ersten Winkels. Es ist nun leicht zu
beweisen, daß dieses Verhältnis das allgemeine Gesetz ist mit Ausnahme derjenigen Fälle,
in welchen q eine gerade Zahl ist.
Da& der genannte Nenner wirklich eine solche Zahl ist und nicht mehr Faktoren
besitzen kann, ersieht man direkt aus dem allgemeinen Ausdruck für cos (ra), und zwar:
n! n!
cos (na) = cos" a — 81(n— 8j cos? -?a sin? a 4- - "FUTT cos"^-*asinfa —-.-.-
RT ni. pcs ese) um NT ilo AN
gr 2!(n—2) p" 41(n — 4)! q"
Ape fix E: (n — = Un. 3 (n — 2) (n — 3) (q* — p?)
" (n — 4) (n — 8) ( — p) jl
1 - 5 ole0
\ 5.6 p JJ
Nun denken wir, daß q eine ungerade Zahl ist, und schreiben die Reihe der Ausdrücke:
27
1
ees EIE PIe eee (PARS
2
eos (4 a) — 2 (2 cos? a — 1? —1 — — [2 (2 p* — 9% — q*]
HS
cos (8 a) — 2 [2 (2 cos?*a — 1? — 1 — 1 nl ip 0), galletas
In jedem Gliede dieser Reihe haben wir in Parenthesen ein Binom von der Form
9p?— q*. wo p' und q keine gemeinschaftliche Faktoren besitzen; infolgedessen bleibt
der Nenner des Bruches cos (2” a) stets q?".
Wenn aber dies der Fall ist für diese Reihe, so muß dasselbe auch für alle anderen
Glieder der Reihe cos (na) bestehen; denn, wie aus dem allgemeinen Ausdruck zu ersehen
ist, würde die Reduktion in einem Gliede dieser Reihe stattgehabt, so hätte dieselbe auch für
alle folgenden Glieder bestanden, was aber für die Glieder der eben angeführten Reihe
nicht der Fall sein kann.
Dieser Satz ist für uns von hoher Bedeutung, da derselbe uns in Stand setzt für
jeden gegebenen Winkel eines Teilkomplexes direkt zu entscheiden, ob derselbe der erste,
zweite, ... n'* Winkel des Systems ist. Dazu ist nur nötig zahlenmäßig seinen Kosinus
auszudrücken; ist der Nenner keine ganze Potenz, so ist der Winkel der erste.
Nur in dem Falle ; — 2r (wenn also q eine gerade Zahl ist) erfolgt eine Reduktion
der Ausdrücke, und zwar:
1
cos (2a) — 2 cos?*a —1 ons 2— 2p?)
cos (4 a) — 2 (2 cos*a —1)* —1— zz [(p? — 2r? — 2 7?]
cos (8a) — 2 [2 (2 cos*a — 1? — 1 —1 — zi Ip —27?? —2r?]? —2r?}
Wie man sieht, ist auch in diesem Falle die Nummer des gegebenen Winkels im
Systeme zu ermitteln, nachdem sein Kosinus zahlenmäßigen Ausdruck in der Form eines
regelmäßigen Bruches erhält.
Wenn aber die Bedingung 4" (resp. 27") für den Nenner des Bruches notwendig
dafür ist, daß der Bruch im »'*" Winkel des Systems wäre, so ist dieselbe nicht zugleich
hinreichend.
Man hätte zum Beispiel glauben können, daß 3% ein Kosinus des zweiten Winkels
eines Systems gewesen wäre; dies ist aber nicht der Fall, da dieses Glied weder dem
System 2, noch dem System £ angehört. Also ist der zugeordnete Winkel der erste
Winkel des speziellen Systems des Komplexes {11}.
Die Systeme q und e kónnen als identische gelten, obgleich in denselben die
identischen Glieder mit solchen von entgegengesetzten Vorzeichen wechseln.
Aber es sind Systeme denkbar, welche teilweise identisch sind. Zum Beispiel die
Systeme 2 und 4.
4*
Natürlich gehören diese Kosinusse den ersten Gliedern der zugeordneten Systeme an.
Die zweiten Glieder derselben sind respektive — 4; und + j;; die vierten Glieder sind
aber vollständig identisch. Wenn also der Winkel angegeben wird, dessen Kosinus 337 ist,
so bleibt ganz unbestimmt, ob das erste Glied dieses Systems 2 oder & ist.
Jedenfalls folgt aus dieser Auseinandersetzung, daß sogar ein Teilkomplex nicht etwas
Einheitliches darstellt, sondern in unendlich viele Teilsysteme sich gliedern läßt, und nur
für diese letztere kommt die Entwicklung durch Zusammenstellung einer einfachen arith-
metischen Progression aus dem ersten Winkel desselben zustande.
Auf diese Weise kann jeder Teilkomplex nach einem gegebenen Strahle entwickelt
werden. Dazu gehört die Gesamtheit der Winkel, deren rationale Kosinusse dem Komplex-
Parameter entsprechen, also eine und dieselbe Gesamtheit für alle Strahlen, unabhängig
von den Parametern der letzteren. Wenn wir also den Strahlenkomplex (ab) so auf sich
selbst anlegen, daß ein Strahl vom Parameter c zur Deckung mit einem Strahle vom Para-
meter d kommt, so kommen zugleich die betreffenden Teilkomplexe vollständig zur Deckung;
dabei kommen aber die Komplexe selbst zur Deckung, das heißt auch die übrigen Teil-
komplexe mit bestimmten anderen Teilkomplexen, da zur Deckung des Komplexes nur not-
wendig und hinreichend ist, wenn drei Strahlen einander decken.
Gerade aber diese Folgerung ist gleichbedeutend mit dem Satze, nach welchem jeder
isotrope Komplex unendlich-zählige Symmetrieachsen besitzt.
Ist y ein Winkel zwischen zwei Strahlen verschiedener Teilkomplexe, so ist 2y der
Winkel, welcher die Zühligkeit einer vorhandenen Symmetrieachse bedingt, und alle
Drehungen um den, mehrfachen Winkel ergeben keinen einzigen Strahl der übrigen Teil-
komplexe. Für den Übergang zu einem Strahl von diesen übrigen Teilkomplexen ist eine
Drehung um einen ganz anderen Winkel und dessen mehrfache nótig.
Daraus ergibt sich, daß einem jeden isotropen Komplex nicht eine einzige,
sondern die unendliche Gesamtheit der Symmetrieachsen von unendlicher
Zühligkeit zukommt, und daß dabei alle unendlichen Größen, welche die Zühligkeit der
betreffenden Symmetrieachsen bedingen, keine endliche Faktoren (außer 2) besitzen. Als
Ausnahmefälle erscheinen der tetragonale Komplex, für welchen diese Größe durch 4 und
der hexagonale Komplex, für welchen diese Größe durch 6 teilbar ist.
Alle diese unendlich-zühligen Symmetrieachsen sind untereinander inkongruent (abge-
sehen vom gemeinschaftlichen Faktor 2), weil bei der Annahme des gemeinschaftlichen
Faktors r zwischen den Zühligkeiten der beiden, dies bedeuten würde, daß auch eine » zählige
Symmetrieachse vorhanden ist, was, wie bewiesen, unmöglich ist. Wenn also 7 einen Winkel
zwischen zwei Strahlen verschiedener Teilkomplexe bedeutet, so fehlen in dem Komplexe
sämtliche Winkel -, wo n eine beliebige ganze Zahl ist.
n
In Anbetracht der Formel 7) haben wir hier also mit folgenden Aufgaben der Zahlen-
theorie zu tun.
l. Es sind drei Zahlen a, b und c gegeben. Zu finden sind die Zahlen
p, und p,, deren Quadratmesser ap; + óp; durch c gleiche Quadrate ausgedrückt
werden kann?
29
Die Auflösung dieser Zahlenaufgabe reduziert sich auf die Konstruktion eines Kom-
plexes mit den Ausgangsstrahlen » (Parameter a) und »' (Parameter b) und die Entscheidung
darüber, ob Strahlen mit dem Parameter c vorhanden sind.
Haben wir einmal konstatiert, daß ei solcher Parameter wirklich vorhanden ist,
so existiert ein ganzer Teilkomplex mit diesem Parameter. Folglich, wenn es möglich
erscheint, die Summe von a Quadraten irgendwelcher ganzen Zahl p, und von
b Quadraten einer ganzen Zahl p, durch die Summe von c Quadraten einer Zahl
q zu ersetzen, so sind unendlich viele Zahlen p,, p, und q vorhanden, welche
dieser Bedingung Genüge leisten. Die betreffenden Strahlen (p, p;) bilden eine unend-
liche Reihe von Winkeln, welchen rationale Kosinusse entsprechen und dem Komplex-
parameter a b entsprechen.
Daraus ersehen wir, daß dieselbe Aufgabe mehr korrekt so zu formulieren wäre:
2. Es sind zwei ganze Zahlen a und 0 gegeben. Zu entscheiden ist, ob
die Summe von api-J-b5p», wo p, und p, verschiedenartige ganze Zahlen sind,
dureh e gleiche Quadrate ausgedrückt werden kann? oder noch: „durch welche
Summe von e gleichen Quadraten kann die Summe ap; + 5p ausgedrückt werden,
wo p, und p, beliebige ganze Zahlen sind?*
Vom Standpunkt der Syngonielehre reduziert sich diese Aufgabe auf die Auffindung der
möglichen Strahlenparameter. Unter den notwendig vorhandenen Werten von c sind auch
die Zahlen « und 5 vorhanden, das heißt die Summe a pi-- 6p? kann auf unendliche
Weise auch einfach durch die Summen von « resp. b gleichen Quadraten ersetzt werden.
Ist z.B. « — 1, so kann diese Summe auf unendliche Weise auch durch ein einziges Quadrat
der ganzen Zahlen ersetzt werden.
Aus allem Gesagten geht klar hervor, auf welche Weise sich jeder Komplex bildlich
vorstellen läßt.
Derselbe besteht aus einer unendlichen Anzahl von Teilkomplexen, und jedem letzteren
kommt eine bestimmte Parametergröße, die gleiche für alle Strahlen des Teilkomplexes, zu.
Wenn wir also jedem Strahle eine Strecke zuerteilen, welche durch diesen Parameter aus-
gedrückt wird, so wird jeder Teilkomplex durch einen Kreis dargestellt und der vollständige
Komplex durch eine Gesamtheit von konzentrischen Kreisen, deren Radien gleich sind
den respektiven Parametern der Teilkomplexe.
Nun aber spielen sámtliche Strahlen des Komplexes dieselbe Rolle, da durch Drehung
um einen bestimmten Winkel zwischen zwei Strahlen verschiedener Teilkomplexe auch der
vollständige Komplex mit sich zur Deckung kommt.
Von dem erwähnten bildlichen Standpunkte aus ist aber diese Drehoperation identisch
mit Verlängerung einer Strecke um eine Größe, welche dieselbe einer anderen Strecke
gleich macht und einem Strahle des anderen Teilkomplexes zukommt.
Falls wir also die Strecken eines Ausgangsstrahles um einen Faktor vergrößern,
wodurch diese Strecke einer anderen Strecke des Komplexes gleich kommt und zugleich
sämtliche anderen Strahlenstrecken um denselben Faktor vergrößern, so erhalten wir einen
mit dem früheren identischen Komplex, was seine bildliche Darstellung anbetrifft, obgleich
der analytische Ausdruck des Komplexes durch die Formel 7) veründert wird.
Multiplizieren wir zum Beispiel diese Gleichung mit «c, so erhalten wir:
cm tabem=ag”. 7a)
30
Diese Identität der Komplexe führt zu einer sehr wichtigen Folgerung.
Denken wir, daß a und c Primzahlen sind, ebenso wie eine noch vorhandene
Komplexzahl d. Die Multiplikation mit «c gibt die Zahl acd; die Identität des Kom-
plexes erfordert aber, daß auch in dem ersten Komplexe die Zahl a cd vertreten wäre.
Also sind die Komplexzahlen (Parameter) die verschiedenartigen Produkte der
bestimmten Primzahlen, welche selbst als Parameter auftreten.
Wenn aber d nicht eine Primzahl ist, sondern ein Produkt d, d, von zwei (oder
mehreren) Primzahlen, so sagt das Produkt acd,d, gar nicht aus, daß notwendiger-
weise auch d, und d, als selbständige Parameter auftreten. Es ist also auch der Fall
nicht ausgeschlossen, daß einige Primzahlen nicht selbständig als Para-
meter, sondern nur als Faktoren der Parameterzahlen auftreten.
Nun ist aber stets möglich solche zwei Zahlen « und b auszuwählen, daß die Summe
api + bp: durch keine p,, p, als ein einziges Quadrat dargestellt werden kann. Durch
die Multiplikation mit « nimmt aber die Summe die Form p + api an, und da die Para-
meter der Ausgangsstrahlen natürlich zwei möglichen Parametern der Komplexstrahlen
angehören, so ist jetzt auch Parameter 1 notwendigerweise em möglicher Strahlenparameter.
Daraus ist zu folgern, daß in der Reihe der Komplexzahlen desselben Kom-
plexes in seinen beiden Formen aß 4- b pj und p? +abp keine einzige gemein-
schaftliche ist. Wäre eine einzige Zahl für beide Komplexe gemeinschaftlich, so würden
auch sämtliche Komplexzahlen identisch, und das ist unmöglich.
Demzufolge sind Strahlenkomplexe und Zahlenkomplexe zu unterscheiden: einem
und demselben Strahlenkomplexe kónnen verschiedene Zahlenkomplexe zu-
geordnet sein, und dann haben solche Zahlenkomplexe keine einzige Zahl
gemeinschaftlich. Wollen wir solehe Zahlenkomplexe als koordinierte bezeichnen.
Dann ist der Satz zu formulieren: jeden zwei koordinierten Zahlenkomplexen
gehórt eine und dieselbe Gesamtheit der Primzahlen zu, aber in ver-
schiedenen Kombinationen als Faktoren der Zahl.
Solche Zahlenkomplexe, welchen keine koordinierten Zahlenkomplexe zugeordnet sind,
wollen wir als vollständige bezeichnen.
Nun ist es klar, daß jeder vollständige Zahlenkomplex auch die Zahl 1 enthält und
überhaupt alle seine Zahlen alle móglichen Kombinationen einer bestimmten Reihe von
Primzahlen darstellen: wäre eine Faktorenkombination a, a,a,... nicht darin enthalten, so
würden demselben auch sämtliche andere Kombinationen dieser einfachen Zahlen a,, a,, a,
fremd sein, da durch Multiplikation mit a,, 4,, 44, @, 44, à, a, u. s. w. wir andere Kom-
binationen erhalten, welche durch Einführung der komplementüren Faktoren die Zahl
d, d, Ay... ergeben hätten, als ein Glied des koordinierten Zahlenkomplexes, und dies ist
unmóglich.
Also kann der vollständige Komplex nur durch die Gleichung der Form
an+m=cq 7 b)
ausgedrückt werden, und dabei muß a eine Primzahl sein, weil sonst, z. B. wenn a — a, a5,
a, ein möglicher Parameter gewesen wäre; so würde er nur mit einem quadratischen Faktor
erscheinen können und die Kombination der Faktoren würde in dem Komplexe nicht voll-
ständig vertreten sein, da die Zahlen a,, @,, einzeln genommen, in demselben nicht auftreten
sl
würden. Die Ursache des Fehlens dieser Zahlen ist also dieselbe, wie die der Gleichheit
einer der Zahlen a oder b der Einheit.
Durch Multiplikation mit « erhält die Gleichung die Form:
pid apiacq. 7 c)
Die Einheit wird durch « und « durch die Einheit ersetzt, ebenso wie c durch ac
und ac durch c. Das ist keine eigentliche Multiplikation, sondern die Vertauschung
des Strahles r mit r‘, was natürlich stets erlaubt worden ist, ohne daß dabei eine Ände-
rung auftritt.
Überhaupt bleibt der Zahlenkomplex unverändert, wenn man seine sämt-
lichen Zahlen durch zwei derselben multipliziert. Sind z. B. zwei Zahlen a und b
vorhanden, so ersetzt die Multiplikation mit a5 a durch 5b und b durch a. Nun ist aber
das Vorhandensein einer einzigen gemeinschaftlichen Zahl genügend, um die Identität der
Zahlenkomplexe festzustellen.
Wenn also der Komplex durch zwei Zahlen 1 und a, a, bestimmt wird, so enthält
derselbe weder a, noch a,, da einfach Multiplikation durch «, a, diese zwei einander
gegenseitig ersetzt. Das gleichzeitige Vorhandensein sämtlicher vier Zahlen 1, «a,, a, und
c, a, würde bedeuten, daß der Komplex vollständig ist, was für die nicht einfache Zahl
a, a, unmöglich ist.
Wird der Komplex durch zwei Zahlen 1 und a, a,a, bestimmt, so findet man auf
dieselbe Weise, daß demselben weder «,, @,, d,, noch «, &,, 4, Q,, d,d, notwendig zugehören.
Überhaupt demjenigen koordinierten Komplex, welchem die Zahlen a, und a,«, zuge-
hören, können nicht die Zahlen «, und a, a,, auch nicht die Zahlen a, und a, a, zugehóren.
Diesem Strahlenkomplex sind somit vier Zahlenkomplexe zugeordnet.
Bei größerer Anzahl von einfachen Faktoren erhält man auch größere Anzahl der
zugeordneten konjugierten Zahlenkomplexe. Es ist leicht den Beweis zu erbringen, daß,
wenn die Anzahl der einfachen Zahlenfaktoren gleich » ist, die Anzahl der zugeordneten
Zahlenkomplexe 2"-—! ist.
Aber es ist nicht ausgeschlossen, daß auch einem einzigen einfachen Faktor nicht
der vollständige, sondern eine Anzahl koordinierter Zahlenkomplexe entspricht und daß
dies sogar der allgemeine Fall ist. Man bedenke nur, daß unter anderen auch stets der
Parameter 1—+ « vorhanden ist (dazu ist nur nötig p, und p, gleich 1 zu setzen); da «
eine ungerade Zahl ist (mit Ausnahme von « — 2), so ist 1+ a stets eine gerade Zahl und
überhaupt kann 1 +. verschiedene Faktoren besitzen, und diese Faktoren können nicht
explicite als Parameter auftreten.
Sehr lehrreich ist hier auch die Vektorentheorie (resp. die Lehre der Imaginären)
zur Anwendung zu bringen. :
Man weiß, daß nach dieser Theorie «a + bi, also auch p, Ya 4- 2, V5-i (wo i—Yy —1)
einen Vektor ausdrückt, welcher eine Resultierende (geometrische Summe) von zwei senkrechten
Vektoren a resp. p, Va auf der Ausgangsgerade und 5 resp. p, VD auf der dazu senkrechten
Gerade ist. Die jedem Vektor zukommende Streckengröße wird nach Hamilton ,Skalar*
genannt. Also die Größen « resp. p, Ya .und 5 resp. p, Vb sind die Skalare beider zu-
sammengesetzten Vektoren.
32
Die Summierung zweier komplexen Zahlen geschieht durch die gesonderte Summierung
ihrer reellen und ihrer imaginären Zahlen. Die geometrische Bedeutung der Summe ist
die parallelogrammatische Zusammensetzung wie bei dem Summieren der Kräfte u. dgl.
Also ist die Zahl p, Va + p, Vbi die Summe von p, Va und p,Vbi und der betreffende
Vektor ist die Diagonale des Rechteckes, dessen Seiten den zusammensetzenden Skalaren
gleich ist.
In der Theorie der Imaginären wird anstatt „Skalar“ das Fachwort , Modulus* gebraucht.
Der komplexen Zahl «+ bi entspricht der Modulus Ya? + b?. Also ist der Para-
meter der Syngonielehre das Quadrat des Modulus. Ausserdem nennt man „Argument“ den
Winkel a, für welchen tanga = 2: also der Winkel zwischen dem Ausgangsstrahle r und
dem gegebenem Vektor resp. Strahl.
Für den Vektor resp. Strahl p, Va + p, V b i ist der Modulus Va p; + bp} resp. q Y c.
Nun ist von vornherein klar, daß die Summe der Vektoren eines rationalen Kom-
plexes ein Vektor desselben Komplexes ist.
In der Tat haben wir:
(p, Va 4- p, Vb -3) 4- (a, Va -- a, Vb - i) — (p, t 3) Va 4- (47 3) Vo i.
Diesem zusammengesetzten Vektor gehört der Modulus Va (p, 4- q,)* 4- &(p, +19)? an.
p;Va.
Fig. 5.
Der Begriff „Vektor“ unterscheidet sich von dem einfacheren Begriff .Strahl^ dadurch,
daß in dem ersten außer der Lage des Strahles noch seine Strecke hinzugenommen wird.
Dieser Unterschied ist also dem Unterschiede zwischen Koordinatenachse und kristallographi-
scher Achse analog.
Es muß noch bemerkt werden, daß der Parameter nicht eigentlich das Quadrat des
Modulus, sondern diese Zahl mit Ausschluß von quadratischen Faktoren, als nicht c g?,
sondern c ist.
Der Begriff des Symboles (p, p,) eines Strahles gehört ausschließlich der Lehre von den
rationalen Strahlenkomplexen, also der reinen Syngonielehre an, und war der allgemeinen
Vektorenlehre fremd.
Nun wird in der Theorie des Imaginären der für uns sehr wichtige Satz bewiesen,
da& die Multiplikation zweier (oder mehrerer) komplexen Zahlen eime Zahl ergibt, deren
Modulus dem Produkte der Moduli und deren Argumente der Summe der Argumente der
gegebenen Zahlen gleich sind.
In der Theorie der Vektoren ist dasselbe in Bezug auf Vektoren selbst der Fall.
Es ist leicht den Beweis hervorzubringen, da& das Produkt zweier Vektoren
eines gegebenen Komplexes ein Vektor desselben Komplexes ist.
33
Auf Grund des Satzes, nach welchem sämtlichen Komplexstrahlen die gleiche Rolle
zukommt, ist es zuerst ganz klar, daß, wenn außer 7", welcher mit r den Winkel a bildet,
noch der Strahl »““ in demselben Komplexe vorkommt, welcher mit r den Winkel f. bildet,
auch der Strahl r" vorhanden ist, welcher mit » den Winkel «+ fp bildet, da dieser
Strahl mit r^ den Winkel f, also denselben wie r' mit r, bildet.
Nehmen wir weiter den Strahl resp. Vektor r' (Fig. 6) als den Ausgangsvektor. Da
die Strecke dr“ die diesem Vektor zugeordnete Strecke (Modulus) ist, so wird jede geo-
metrische Konstruktion, welche aus einem gegebenen Strahl zu einem anderen desselben
Komplexes führt, für den letzteren auch die ihm früher zukommende Strecke ergeben. Und
nun ist die Konstruktion des Strahles r'“ mittelst der Winkel f und y aus »'' genau dieselbe,
wie die Konstruktion von r'^ aus v. Also ist der Vektor r'".eim Vektor des Komplexes.
Aber dieser Vektor ist das Produkt der Vektoren r' und »'".!)
id
Sind also die Parameter der Strahlen »“ und »'" Primzahlen a, und a,, so ist der
Parameter des Strahles r!Y das Produkt a, und a,. Folglich sind unter den Parametern
alle solehe vorhanden, welche sümtliche mógliche Kombinationen derjenigen Primzahlen
darstellen, die auch gesondert die Parameter einiger Strahlen sind.?)
Daraus folgt weiter, daß solche Vektoren nicht möglich sind, deren Parameter das
Produkt «f darstellt, wo a die Primzahl ist, welche als Parameter auftritt, und f eine
solche, welche als Parameter nicht auftritt. Also sind die Primzahlen, welche,
vereinzelt, als Parameter, nicht auftreten, auch in Produkten nur in einer
Gesamtheit und nicht vereinzelt möglich.
Im besonderen sind für einen Komplex (1, « b) die Parameter à und 5 unmöglich.
Da aber (1, & 5) und (ab) eigentlich einen und denselben Strahlenkomplex darstellen, so
sind dieselben als Zahlenkomplexe von Grund aus verschieden (besitzen keine einzige gemein-
schaftliche Zahl). Zwei solche Zahlenkomplexe, zusammen genommen, bilden einen voll-
ständigen Komplex.
Ganz analog können wir diese Regel auf die Komplexe übertragen, welche durch 1
und ein Produkt von mehr als zwei Primzahlen sich bestimmen lassen.
Im Speziellen können wir aber einen gegebenen Vektor beliebige Male mit sich selbst
multiplizieren, das heißt denselben potenzieren, und alle Potenzen desselben bilden ebenfalls
mögliche Vektoren des Komplexes.
Bei sukzessiver Potenzierung erhalten wir für einen Vektor p,]/a + p,Vb-i eine
arithmetische Reihe von Argumenten a, also a, 2a, 3a... und zugleich ist der Modulus
der Potenz gleich der respektiven Potenz des Modulus, also der Reihe nach Ya p; + b pi,
(Va gi 4- b gi)? — ap: + bp: (Parameter gleich 1), (Va pi + 0 p? — V a p; -- bp} u.s. w., also
Sukzession von zwei gleichen Parametern, in welchen alle geraden Glieder gleich 1 sind.
1 Das Produkt der Vektoren p, Va-- pa Vb - i und q, Va -- qs Vb -i ist der Vektorensumme
(pi da && — pa qa P) H- Va b (p4 qa-4- pa q1) $. gleich.
?) Zu bemerken ist, daß dabei der Ausgangsvektor gleich 1 vorausgesetzt wird. Für die Komplexe
Ja bh, wo keine bestimmende Zahl gleich 1 ist, ist der Satz nicht mehr anwendbar; nun aber kann ein
solcher Zahlenkoraplex durch 11, ab) ersetzt werden, und dann erhält der Satz wieder seine Gültigkeit.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt 5
24
Wenn wir also alle diese Potenzen mit dem Vektor des Ausgangsstrahles multiplizieren, so
erhalten wir die Sukzession von Modulen Va, Va fi 4-6 pj und Va.
Alle gerade Glieder dieser Sukzession bilden zusammen einen Kreis mit dem Radius
a, und die ungeraden Glieder den Kreis mit dem Radius a (a pi + bp), resp. a c q*.
Somit sind wir auf anderem Wege zu derselben bildlichen Vorstellung des Komplexes
durch eine unendliche Gesamtheit konzentrischer Kreise gekommen.
Nun wollen wir einige einfache Beispiele näher betrachten.
Bei der Entwicklung (in V Perioden) verschiedener Komplexe wollen wir die Symbole
der Strahlen in Klammern oben und die zugeordneten Parameter unten schreiben.
Entwicklung des Komplexes {ll}.
(01) (12) (11) (21) (10)
1 2 2 5 1
(13) (23) (32) (91)
10 13 13 10
(14) (25) (35) (34) (43) (53) (52) (41)
17 29 34 1 1 34 290 17
(15) (27) (38) EN (47) (58) (57) (48) (54) (75) (85) (74) (73) (83) (72) CD)
26.153 731258 '65...89... 74. 41 44... 74 1,8905,,65:51581, 73315959: 8926
(16) (29) (3-11) (3-10) (4-11) (5-13) (5-12) (49) (59) (7-12) (8-13) (7-11) (7-10)
37 85 130 109 137 191 1691209722106: 2193 233 170 149
(8-11) (7-12) (56) (65) (12-7) (11-8) (10-7) (11-7) (13-8) (12-7) (95) (94) (12-5)
185 193 61 61 19 185 149 170 233 193,106, 2197 69
(13-5) (11-4) (10-3) (11-3) (92) (61)
191 137 109 130 85 37
Alle diese Parameter in der Reihe der Zahlen vereinigend, erhalten wir die Tabelle:
1.2.5-10-13.17-26-29- 34-37-41-53- 58-61- 65-73. 74 - 85-89-97-106-109-130...
2-5 2.18 2-17 2.29 5-313 2.37 5-17 2-53 2-5-13
Sehr merkwürdig ist die Reihe der Primzahlen, welche diesen vollständigen Komplex
bilden. Das sind außer der Zahl 2 noch die Primzahlen von der Form 1 + £z, also:
1. 2; 5, (9), 113,17, 7 (21), (85), 29,:- (83). 37,041, 5) (40) en)
61, 4(65):3(89); 73, 870% ED (85) 98999193), IE
Also sind alle diejenigen Glieder dieser arithmetischen Progression auszustreichen,
welche nicht Primzahlen sind; deswegen sind sie in Klammern eingeschlossen.
Bei der eingeschränkten Entwicklung ist natürlich das Fehlen einiger Glieder zu
erwarten, welche aus der weiteren Entwicklung zum Vorschein kommen würden.
Eine solche Zahl ist z. B. 82 2 2-41. Nun ist aber leicht zu beweisen, daß diese
Zahl notwendigerweise als ein Parameter dieses Komplexes auftreten muß. Dazu ist nötig
die Tangente derjenigen Summe von zwei Winkeln zu bestimmen, welche den Strahlen 2
(Symbol 11) und 41 (Symbol 54) entsprechen.
35
Nun ist tang (1- 2) — 1; tang (1-41) = £; folglich
.. tang(1-2)-d- tang (1-41)
^" 1-— tang(1-2) tang (1- 41) -
tang (1 - 82) 95
das Symbol ist also (9-1).
Die besondere Eigenschaft dieses Komplexes, welche allein demselben: zukommt, ist
seine Symmetrie in Bezug auf den Strahl (11). Dieselbe kommt keinem anderen Komplex
zu, da in keinem die beiden den Komplex bestimmenden Parameter gleich sein können.
Das ist die Ursache, warum die Entwicklung ausnahmsweise bis zu VI Perioden ver-
längert wurde.
Entwicklung des Komplexes {12}.
(01) (12) (11) (21) (10)
1 1 3 6 :
3) (92) (81)
2 17 11
(14) (25) (35) (94) (43) (53) (52) (41)
33 6 59 41 34 43 33 2
(15) (27) (38) (37) (47) (98) (57) (45) (54) (75) (85) (74) (73) (83) (72) (51)
36 102 T3v 107 1A 153 123 66: 57! 1 114 1- 67 829^ 57- 3
Daraus entnimmt man folgende Reihe der Parameterzahlen:!)
123 61117 19 22 33 34 387? 4143 51 57 59 66 67 82 | 102.107 114...
2-3 2.11 3-11 2-17 2-19 3-17 3:19 2-3-11.- 2.41 2-3:17 . -.2.8-19
Dieser Komplex ist also wieder ein vollständiger.
Entwicklung des Komplexes {13}.
(01) (12) (11) (21) (10)
1 13 1 7 3
(13) (23) (32) (31)
7 31 21 3
(14) (25) (35) (34) (43) (53) (52) (41) |
1 79 21 57 43 13 37 le)
(15) (27) (38) (87) (47) (58) (57) (45) (54) (75) (85) (74) (73) (83) (72) (51)
IE Ten ln BR ne Ze 191500732 1910991399997; 0199 2 9105 0. 2957
Daraus entnimmt man folgende Reihe der Parameterzahlen:
IUS SION 2 TN SIni37099:543157:01590/: 099 29 29/] ] 9 "001.398 1510 1691220 10266
3-7 3-13 3-19 7-15 3-67
Auch dieser Komplex ist der vollständige (obgleich infolge ungenügender Entwicklung
manche Zahlenkombinationen nicht zum Vorschein gekommen sind).
!) In diesem Komplex sind die Primzahlen von der Form 3-+-8n enthalten. Wenn z. B. in
der angegebenen Entwicklung die Zahl 83 fehlt (und sie allein), so ersieht man aus der Gleichung
828 — 1-9?-- 2.1, daß diese Zahl bei der weiteren Entwicklung wirklich zum Vorschein kommt. Aber
außer dieser Reihe der einfachen Zahlen gibt es noch andere, wie 2, 17,41...
?) 88 — 1-6? 4- 2. 1?
5*
36
Auch hier, wie im Komplex {11}, ersieht man eine merkwürdige Reihe von Prim-
zahlen in der Form 1-- 6» mit Himzufügung von 3. Also
190991 7, 183, 19, (25), 9100978 249.9049) E65) 614767, MTS TO (OO).
(OD) 97103, 100 A
Infolge der ungenügenden Entwicklung hat es den Anschein, als ob einige dieser
Zahlen fehlen, zum Beispiel 103, 109..; nun ist es aber nicht schwer zu beweisen, daß
in der Tat solche Zahlen wirklich als Parameter in die Reihe kommen. Also
1038-2?—=1-7?+3-11? oder 103-3 —1-3*--3-10?, endlich 1083=1-10? +3-1...
Entwicklung des Komplexes {15}.
(01) (12) (11) (21) (10)
1 21 6 1 5
(13) (23) (32) (31)
46 1 29 14
(14) (25) (35) (34) (43) (53) (52) (41)
1 129 134 89 61 70 5 21
(15) (27) (88) (37) (47) (58) (57) (45) (54) (75) (85) (74) (73) (83) (72) (51)
14 .249 329 254 29 345 30 141 105 174 21. 129 94 109 69: 30
Daraus entnimmt man folgende Reihe der Parameterzahlen:
1,351 601140121 22910300 61; 169° 170.5891 945. 1055 109. 712901345 AT)
2.3 9.7. 8.7 9.3.5 2.23 257 247 85.7 3.49 2.67 8.97 5.29
174 949 254 329 345...
2.3.29 3.83 2.197 747 85.23
Nun sieht man, daß dieser Zahlenkomplex kein vollständiger ist. Außer den Prim-
zahlen, welche explizit in Parametern auftreten, gibt es eine Reihe anderer Zahlen, für
welche dies nicht der Fall ist und welche, dem obigen Satz gemäß, überhaupt in die
Parameter nur in einer Gesamtheit von Faktoren eintreten. Dazu gehören die Zahlen
25 8E s 2BE Boc UI s ars
Ersetzt man diesen Zahlenkomplex durch den Komplex (2-10), welcher als Strahlen-
komplex mit demselben identisch ist, so findet man, daß dieser letzte der demselben
koordinierte Komplex ist.
Entwicklung des Komplexes {2-10}.
(01) (12) (11) (21) (10)
2 42 3 2 10
(13) (23) (32) (31)
92 2 58 7
(14) (25) (35) (34) (43) (53) (52) (41)
2 258 268 178 122 140 10 42
(15) (27) (38) (37) (47) (58) (57) (45) (54) (75) (85) (74) (73) (83) (72). (51)
1... 498 (658 127 58 690 15. 282 210 387 42,258 |47, 4218. 198 05
1) 145.— 1 -10?-1-.5.-82.
Daraus entnimmt man folgende Reihen der Parameterzahlen:
237 10523 835 42 2417. 58: 6211.82. 122381272 2 198 t5 1681 9210
54 234 2.29 3:29 2.61 3.9.28 2.89 2.9.5.7
218 258 282 498 658 690
2.109 2.129 2.141 2.249 2.329 2.3-.5-23
Stellt man in einer Zeile die explizit auftretenden Primzahlen des ersten, und in
zweiter diejenigen des zweiten Komplexes, so erhält man die Reihe:
1 5 29 41 61
2 3 4 23 37 43 47 67
Das Verhältnis der beiden Zahlenkomplexe ist folgendes: Alle möglichen Kombinationen
der Zahlen der ersten Zeile, ebenso wie dieselben mit geraden Kombinationen der Zahlen
der zweiten Zeile setzen den ersten Komplex zusammen. In dem zweiten sind dieselben
Kombinationen nur mit den ungeraden Kombinationen der Zahlen der zweiten Zeile ver-
bunden. Zusammengenommen bilden die beiden einen vollständigen Zahlenkomplex.
Da die Primzahlen einer jeden Zeile die gleiche Rolle spielen — man hätte sagen
können, daß der Zahlenkomplex symmetrisch ist in Bezug auf jede Primzahl einer Zeile
— so erhalten wir dasselbe Resultat, wenn wir die Zahl 2 durch 3 ersetzen würden,
das heißt, daß die Zahlenkomplexe {2-10}, {3.15} identische sind. Man kann weiter
gehen und behaupten, daß der erste Komplex identisch bleibt, wenn wir seine bestimmenden
Zahlen {15} mit einer beliebigen Kombination der Primzahlen der ersten Zeile und
noch durch eine gerade Anzahl der Primzahlen der zweiten Zeile multiplizieren, und daß
der zweite Zahlenkomplex identisch bleibt, wenn wir dieselben bestimmenden Zahlen des
ersteren durch eine beliebige Kombination der Primzahlen der ersten Zeile und zugleich
noch mit einer ungeraden Anzahl der Primzahlen der zweiten Zeile multiplizieren.
Jetzt kehren wir uns der Betrachtung der Zahlenkomplexe {a 1} zu, in welchen «
keine Primzahl ist. Dabei müssen aber die quadratischen Zahlen ausgeschlossen werden,
da dieselben in den Zahlenkomplex keine Änderung einführen; [a?, 1} ist offenbar mit {11}
identisch, was übrigens leicht direkt zu beweisen, wenn man die Gesamtheit der Zahlen
4^pi-- p; berücksichtigt. Auch der Komplex [a?, b?} ist mit dem Komplex {11} identisch
gleich und zwar aus demselben Grunde.
Bei näherer Betrachtung eines Zahlenkomplexes sind also überhaupt quadratische
Faktoren auszuschließen.
Nun gehen wir zur näheren Betrachtung der Komplexe {ab-1} über, wo a und 5
Primzahlen sind.
Diese Primzahlen treten schon nicht mehr vereinzelt, sondern paarweise oder über-
haupt in gerader Anzahl der Faktoren auf. Also muf in diesem Falle notwendigerweise
ein koordinierter Zahlenkomplex vorhanden sein, welcher aus diesem durch Multiplikation
mit 4, b.... oder einer ungeraden Anzahl solcher Faktoren entsteht. Solche zwei Zahlen-
komplexe, zusammengenommen, bilden einen vollstündigen Zahlenkomplex mit bestimmter,
ihm eigener Reihe der Primzahlen.
38
Als das einfachste Beispiel ziehen wir folgende Komplexe in Betracht.
Entwicklung des Komplexes {16}.
(01) (12) (11) (21) (10)
1 1 7 10 6
(13) (23) — (32) (31)
55 58 33 15
(14) (25) (35) (34) (43) (53) (52) (41)
95 154 159 105 70 79 1 22
(15) (27) (38) (57) (47) (98) (57) (45) (94) (75) (85) (74) (73) (83) (72) (51)
151 298 393 303 310 409 319 166 1 199 214 145 103 118 73 31
Daraus entnehmen wir folgende Reihe der Parameterzahlen:
15.56, fWai105015. 225 391 183110100 $8gm09| (795097: 8009315105!:9 DT 8gdialidi5
2.3 2-5 3-5 2-11 311 5:11 2-29 35.7 259 529°
154/4,159. ,.166,.:-199. 1.214 1.5217 70298111 303n0u8310: 18131928
2.7-11 3-53 2.83 2.07 7.31 2-149 5301 25-31
Der Anschaulichkeit wegen sind die hier explizit vorkommenden Primzahlen fett
gedruckt. Man sieht, daß andere Primzahlen, welche explizit nicht auftreten, ausschließlich
in gerader Kombination vertreten sind, während die ersteren in beliebiger Kombination
vorkommen.
Wir können also die für diesen Komplex charakteristische Reihe der Primzahlen
in zwei Teile sondern, und dadurch werden sämtliche Parameter dieses, wie des ihm
koordinierten Zahlenkomplexes, eindeutig bestimmt.
Diese Zahlenreihen sind respektive:
il 7 31 (33. 8) 97. 103 MEUS
23M T1029 53 59 83 TOT cos
Der einfachste Ausdruck des ihm koordinierten Zahlenkomplexes wird durch Multi-
plikation mit 2, als {23}, erhalten.
Es ist aber natürlich, daß
[23] — (321 = (5-30) — f11-176) u. s. w., während
{16} = (7. 42) = (31-186) u. s. w. auch = (10- 60} = (15 - 90) ....
Überhaupt jst jede Kombination dieser Primzahlen direkt auf den einen oder
anderen Teilkomplex zu beziehen. Bezeichnen wir im Allgemeinen diese Zahlenreihen
respektive
H a, s [A
b b, b, b,
so ist die Zahl a,-a,* a4... 0,0, b, 0, ... b, der Parameter des ersteren, wenn n eine
gerade und des letzteren, wenn n eine ungerade Zahl ist.
39
Entwicklung des Komplexes {1-10}.
(01) (12) (11) (21) (10)
1 41 11 14 10
(13) 23) (32) (91)
91 94 1 19
(14) (25) (35) (34) (43) (53) (52) (41)
161 254 259 1 106 115 65 26
(15) (27) (38) (37) 47) (58) (57) (45) (54) (75) (85) (74) (73) (83) (72) GD
251 494 649 499 506 665 is 266 185 299 314 209 139 154 89
Daraus entnehmen wir folgende Reihe der Parameterzahlen:
EN) SOIRS SSH 82 6 0I 5a" O95 9226500277989 8, I 110 9 2PSUCTIRO GCOBETPIO EIS RIS 1:39
1 7 2-93 5.13 2.37 7.13 247 2.53 3.5.41 5-23
sr Sa) 209 251 254 259 266 299...
7.2: 7 2-19 11-19 2-127 2.133 13-23
Also sind die charakteristischen Primzahlen im folgende zwei Zeilen zu verteilen:
1 11 19 59
Z oW. 13 33 37 47 53
Solche Zahlen wie 2, 5, 7, 13, 22 — 2-11; 23, 37, 98. = 2-19). 47, 55 — 5-11 u.s. f.
sind die Parameterzahlen des Komplexes {25} und demselben gleicher Komplexe.
Aus dem Obigen ersehen wir, von wie hervorragender Bedeutung derjenige Zahlen-
complex ist, in dessen Zusammensetzung der Parameter 1 hinzutritt. In demselben, ebenso
wie in allen mit ihm koordinirten Komplexen sind die für denselben charakteristischen
Primzahlen in beliebigen Kombinationen zu nehmen; für die übrigen Primzahlen ist dies
nicht der Fall. Deswegen verdient ein solcher Komplex als Hauptkomplex bezeichnet
zu werden.
Im Allgemeinen sind zwei solche Komplexe wie {1-ab} und {ab} koordinierte.
Aber dies ist nicht stets der Fall, da die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, daß
“pi + bp: durch ein einziges Quadrat ausgedrückt werden kann. Tritt ein solcher Fall
ein, so sind die beiden Komplexe identisch, da es für die Identität hinreichend ist, daß ein
einziger Parameter gemeinschaftlich auftritt.
Ais der einfachste solche Fall ist der Komplex {2-7} resp. [1:14] aufzuzeichnen,
da 2-4- 9 — 1-3* und folglich nicht nur in {1-14}, sondern auch in (2-7) der Para-
meter 1 gemeinschaftlich auftritt.
Jedem solchen Komplexenpaar ist ein anderes. zugeordnet, welches durch Permutation
der ersten Zahlen entsteht.
Unter solchen sind auch die Komplexe (1-7) und {2-14} die gleichen, da
2-5*-- 14 —1.8*.
Dasselbe gilt für die Komplexenpaare [2-23] — [1-46] und [1.23] — (2-46],
da 2-3?-- 46—1-8?,
Auch für die Komplexenpaare [2-34] — (1-68) — {1-17} und {1-34} = (2-68j
-—12-17) da/'2-4*--17—1-7? |
40
Auch für die Komplexenpaare {2-47} = {1-94} und {1-47} = {2-94}, da
24292211. 94:— T. - 162.
In diesen Füllen sind die beiden so einander zugeordneten Komplexenpaare die
gleichen.
Für die Komplexe {2-7} und {1-14} sind die charakteristischen Primzahlen:
1/2 7 23 71
3 5 1319 59:61 83 101
Ein Komplex {l-abc} kann auch in den Formen {a-be}, [b-ca)], jc-ab} dar-
gestellt werden. Man erhält diese drei Formen durch Multiplikation des Hauptkomplexes
respektive mit a, b, c. Treten also diese Zahlen in demselben nicht auf, so erhalten wir
vier verschiedene Zahlenkomplexe; demgemäß sind auch die charakteristischen Prim-
zahlen in vier Zeilen zu gliedern; die Zahlen jeder Zeile treten einzeln nur in dem
respektiven Zahlenkomplex auf. Sind aber alle Zeilen gegeben, so ist schon leicht für
jeden besonderen Zahlenkomplex seine Parameter zusammenzusetzen.
Wollen wir diese Zahlen durch
1 0, 0; (oem abe
( a, A, [7734 1e aet bc
b b, b, DRITTE ac
C 6 £ ed pu ab
bezeichnen, und nun sei eine Kombination
01 0.00, 0, 0,C, 6%
gegeben und es wird gefragt, zu welchem Zahlenkomplex gehört dieser Parameter?
Zuerst unterdrücken wir alle o und die gerade Anzahl der Faktoren jeder Zeile, da
solche Produkte die Zugehörigkeit des Parameters zu einem bestimmten Zahlenkomplex
nicht ändern.
Wir erhalten auf diesem Wege etwa
ab,,
also die Kombination der Faktoren, welche für die Zeile c charakteristisch sind, und nun
ist die Aufgabe gelöst.
Man hätte auch rekursiv verfahren können, was zu demselben Resultate führt, aber
ohne Nutzen komplizierter wird:
c, gehört der Zeile c, c,c, der Zeile 1, b,c,c, der Zeile b, a,b,c,c, der Zeile c,
1, 4, 0, €, c, der Zeile b, aa, a, b, c, c, der Zeile c an, und die Faktoren o,, 0, ändern diese
Zugehórigkeit nicht.
Wollen wir diese Verhältnisse an einem Beispiel, z. B. dem Komplex [1 - 30},
demonstrieren.
Nach Ausführung der Entwicklung findet man die folgenden Zahlenzeilen:
l 31 19 30
2 17 23 47 113 137 15
3 13 317 4 67 157 10
3. 1i 29 59 101 131 149 6
-
Q9 N27 Oo D
or
E
41
Mit Hilfe dieser vier Zeilen nun kónnen wir eie beliebige Anzahl von Parametern
ermitteln und jeden auf einen bestimmten Zahlenkomplex beziehen. Wollen wir z. B.
sämtliche Parameter aufsuchen, welche aus zwei Faktoren zusammengesetzt sind, deren
GróBen die Zahl 70 nicht übertreffen, so finden wir:
1 2-37 2.23 2-47 3-13 3-37 3-43 3.67 5.11 5-29 5-59 11.29 11.59 13-37 13-43 30
2 2.31 35 311 3-29 3.59 5-13 5-37 5-43 5-67 11-13 11-37 11-43 11.67 13-29 15
3 2.5 2.11 2.29 2-59 3-31 5-17 5-23 5-47 11-17 11-23 11-47 13-31 17-29 17-59 10
5 2-3 2.13 2-37 2-43 2-67 3.17 3-23 3-47 5-31 11.31 13-17 13-23 13-47 17-37 6
1 13.67 17.23 17-47 23-47 29.59 37.443 37-67 43-67 30
2 13-59 17.31 23-31 29.37 29-43 29.67 31-47 237.59 498-59 59.67 15
3 23-29 23.59 29-47 31-37 23143 31-67 47-59 10
5 1743 17.67 23-37 23-43 23-67 29.31 31:59 37.47 43-47 47.67 6
Wollen wir noch sümtliche Parameter aufsuchen, welche aus drei Faktoren zusammen-
gesetzt sind, deren Größe die Zahl 35 nicht übertrifft, so finden wir:
2.9-5 2.9.11 2.3.29 2.5-13 2.11.13 2-18-29 2-17-31 2.28.81 3-5-17 3-5.28 23-11-17
2.9.13 2.5.11 2-5.29 2-11-29 2.17.23 3-5-81 3-11-31 3-13-17 83-18-23 3-29.81 5-11-17
2.3.17 2-3-23 2-5 p 2.11-31 2-313317 2.13.23 2.29.31 3-5-11 3-5-29 3.11.29 3-17-23
2.3.31] 2-5-17 2.5.23 2-11-17 2-11-23 2.13.31 2-17.29 2.23.29 3.5.13 23-11-13 3-13-29
3.11.28 3-13-31 3-17-29 3-23-29 5.11.81 5.18.17 35-18-28 5-29-31 11-13-17 11-18-28
5-11-23 5-13-31 5-17-29 5.23.29 11-19-31 11-17.29 11.23.29 13-29-31
511-13 5-13-29 5.17.31 5-23-31 11-13- 2 11-17-31 11-23-31 13-17-23 17-29-31 23-29.31
317-91 3-23-31 5.11.29 5.17.23 11-17-23 13-17-31 13-23-31 17-23-29
11.29.31 15.17.29 13-23-29 17-23-31
Natürlich sind auch hier Fälle möglich, in welchen manche- der vier Zahlen-
komplexe {1-abc}, (a- be), {b-ca}, (c- ab) einige Parameter gemein haben, und dann
haben sie sämtliche Parameter gemein, das heißt die Komplexe sind identisch.
‚Das ist zum Beispiel der Fall für die Zahlenkomplexe {1-66} und {3-22}, da
22-- 9 —1-5?. In diesem Fall sind auch {2-33} und [6-11] identisch.
Dieser Komplex hat folgende charakteristische Zeilen der Primzahlen:
iie respz5 3 67 97 66 resp. 22
2 resp. 6 2 11 17 41 83 107 99 resp. 11
5-1 5 23 5:66
7-1 7 13 61 7-66
Nach obigem ist es leicht daraus für jeden dieser Zahlenkomplexe eine unbegrenzte
Anzahl von Parametern herzuleiten.
Der Komplex {1-abced} gliedert sich in acht Zahlenkomplexe:
1) {1-abed}, 2) {a-bed}, 3) {b-cda}, 4) {c-dab}, 5) (d- abc),
7) {ac-da}, 8) (ad- bc).
Und überhaupt der Komplex [(1-a5...c], wo n Faktoren in der zweiten bestimmenden
Zahl enthalten sind, gliedert sich in 2"—! Zahlenkomplexe, da diese Zahl durch den Ausdruck
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIIT. Bd. T. Abt. 6
6) (ab - cd],
42
n nn —1), nn —1)n— 2) n(n—1)..2
T 19T Ang en)
bestimmt wird.
Man ersieht daraus, daß die Aufgabe der Aufsuchung der Parameter jedes gegebenen
Komplexes sich auf die der Aufsuchung der charakteristischen Zeilen der Reihen der
Primzahlen reduziert.
Man kann natürlich diese Aufgabe durch reguläre Entwicklung des Komplexes auf-
lösen, aber dabei werden unterwegs auch und zwar in überwiegender Mehrzahl die Para-
meter selbst zur Rechnung gelangen, und dieser Umstand erfordert viele unnütze Mühe.
Viel einfacher ist, sich darauf zu beschränken, zwei Reihen der für den Komplex charak-
teristischen Quadrate zu schreiben und dann die Reihe der Primzahlen zu prüfen, ob
dieselbe aus diesen Quadraten zusammengesetzt werden kann.
Zur Demonstration des Verfahrens wollen wir uns mit einigen einfachen Beispielen
begnügen.
Für die Aufsuchung der charakteristischen Primzahlen des Komplexes {1} schreiben
wir die natürlichen Reihen der Quadrate, also:
1 4 9 16 25 36 49 64 81 100 121 144 169 196 225
i4 9 16 25 36 49 64 81 100 121 144 169 196 225
256 289 324 361 400...
256 289 324 361 400...
Die angedeutete Prüfung ergibt:
q]-2c41-0-51, 2=1+1, 5=4+1, B=9-+4,
37 — 36 4-1, 41 — 25 4- 16, 53 — 49 +4 61 — 36 +: 9 — 64 4- 9, 89 — 64 + 25,
9A — 81.1316, MOL —5 100/5174 109 1001-29: LU is +49, 129—121 4-8,
137 — 121 -4- 16, 149 + 100 + 49, 157 — 121 + 36, 17: 169 +4, 181 — 100 +81,
198 — 144 +49, 197 — 196 +1, 221 — 196 +25. 229 = 995 +4, 238 —169 + 64,
241 — 225 + 16, 257 — 256 + 1, 269 = 169 + 100, 277 — 196 + 81, 281 = 256 + 25,
293 — 289 +4, 313 —169 + 144, 317 — 196 + 121, 337 = 256 + 81, 401 — 400 +1...
7=16+1, 9=35+4,
Dasselbe Verfahren für den Komplex {1-3} ergibt:
1 4 91625 36 49 64 81 100 121 144 169 196 225 256 289 334 361 400...
3 12 27 48 75 108 147 192 243 300 363 432 507 588 ....
Nun haben wir:
—]1-250-8, 3=1:0 73,7 =423, 189 -—T--12: 19: —:f6/:79 91 —( M
7, 61 — 49 +12, 67 — 64 4- 83, 73 — 25 +48, 79 — 4 -- 75,
97 —49-4-48, 103—1004-3, 109—14-108, 177=100 +27, 138 225-108,
139 — 64-34-75, 151—4--147, 157 =49 + 108, 168— 16 + 147, 181— 169 + 12,
193—1--192, 199 — 196 2-3, 211=64-+ 147, 228 —96 +27, 229 — 121 + 108,
241 — 49 + 192, 247 — 4 -- 248, 259 — 16 + 243, 971 — 196 + 75, 277 — 169 + 108,
283 — 256 + 27, 301 — 1 -- 300, 307 = 64 + 243, 318 = 121 + 192, 331 = 256 + 75,
337 — 289 4 48 349 = 49 + 300, 367 — 4 + 363, 373= 361 + 12, 379 — 16 + 363,
397 = 289 4- 108, 403 — 400 +3...
Wenn die bestimmende Zahl des Komplexes mehrere einfache Faktoren besitzt, so
wird das Verfahren natürlich etwas komplizierter, da die gefundenen einfachen Zahlen
sich in verschiedene Zeilen gliedern lassen.
43
Ich glaube, daß das einfachste Verfahren dasselbe ist, welches weiter unten an dem
Beispiele {1-30} demonstriert wird. Dabei werden der Prüfung nicht allein die Prim-
zahlen selbst, sondern auch deren Produkte mit den einfachsten Parametern des Komplexes,
je eine aus jeder Zeile, unterzogen. Gerade aus der Zusammensetzung der Faktoren ersehen
wir, auf welche Zeile die gefundene Primzahl Bezug hat.
Für diesen Komplex schreiben wir also folgende Quadratenreihen:
1 + 3er 169725 36 49 64 81 100 121 144 169 196 225 256 289
324 361 400 441 484 529 576
30 120 270 480 750 1080 \
Da die Zahl 30 aus den Faktoren 2, 3 und 5 besteht, so erhalten wir direkt die
Anfangsglieder sämtlicher vier Zeilen und nun steht uns bevor, jede Primzahl sukzessive
mit allen diesen Zahlen zu multiplizieren und der Prüfung zu unterziehen, ob die so
gefundene Zahl eine Summe von zwei dieser quadratischen Zahlen ist.
Nun finden wir:
5-11—25 +30, 3-13=9-+ 30,2:17=4430, 2-23 — 16 -- 80, 5:29 — 25.4- 120,
31.— 1:-E:30,13:4137,— 81. -E.30,. 3-43= 9-1 120, 2:47—=164 1-.30;..5,:59,— 25:2-1970,
3.62—81+120, 79 — 49 + 30,.5 -101.—.25.-1- 480, .2.- 113. — 196.+ 30,
521915 — 695219301 19/2:197,—5 4. - 2910 cn:
Daraus entnehmen wir direkt folgende Zeilen der Primzahlen:
2 i7. 23 47 113 137
[Uv]
mÓ
c2
[Uv]
-1
Hx
Q2
[or]
1
11 29 59 TO PROS
Diese Zeilen sind mit den oben angegebenen identisch, aber auf viel einfachere Weise
erhalten, als jene. |
Unter allen isotropen Komplexen sind also zwei, und nur zwei, welche sich durch
ihre Symmetrieeigenschaften auszeichnen und infolgedessen auf besondere Syngoniearten zu
beziehen sind. Das sind {11}, dessen Syngonie als tetragonale und {13}, dessen Syngonie
als hexagonale bezeichnet wird.
Zusammengenommen sind also vier Syngoniearten der ebenen Komplexe zu ver-
zeichnen: monokline, rhombische, tetragonale und hexagonale.
Wir haben gesehen, daß sämtliche Vektoren eines Strahlenkomplexes durch Addition
von zwei senkrechten Vektoren p, Va und p, Vb-i sich ableiten lassen, wo p, und p, die
Gesamtheit aller ganzen Zahlen ist.
Analytischer Ausdruck dieser Gesamtheit ist die Gleichung
Qx
api bp eq,
also eine lineare quadratische Form.
Nun ist offenbar, daß die erwähnte Vektorensumme ein ebenes Netz bedingt, dessen
parallelogrammatischen Maschen Rechtecke sind, mit den Seiten Va und V respek-
tive auf den Strahl r und vr‘. Wie bekannt, drückt dasselbe auch die angegebene quadra-
tische Form aus. Ein einziger Widerspruch entsteht bei Anwesenheit der sechszähligen
Symmetrieachse, also für die Form 7 +3Pp =cg.
6*
44
Der Vektor 1 4- V3-i hat den Modulus Vi-Es — 2; derselbe ist also mit dem
Modulus von 1 nicht gleich, sondern doppelt so groß, trotzdem daß der Winkel zwischen
beiden 60° groß ist. In diesem einzigen Falle, um den Widerspruch zu beseitigen und
das Vorhandensein der sechszähligen Symmetrieachse wirklich geltend zu machen, muß
man die betreffenden rechteckig-parallelepipedischen Maschen noch mit Zentralpunkten
ergänzen, was aber zulässig, da dadurch keine Parametergröße in dem Strahlensystem
einer Änderung unterliegt; aber dieses ergänzende Punktsystem ist von vornherein in der
allgemeinen Gleichung nicht enthalten.
Es ist selbstverständlich, daß solche ergänzende Punktsysteme auch für sämtliche
vollständige Vektorensysteme zulässig und im Allgemeinen die auf diese Weise erhaltenen
Punktsysteme verschieden sind.
Jedem vollständigen Vektorensystem entsprechen also je zwei regelmäßige
Punktsysteme einfachster Art resp. ebene Netze.
Somit sind wir also zur Theorie der ebenen Netze gekommen. Darin liegen also die
Berührungspunkte der Syngonielehre mit dieser Theorie.
Daß sämtliche solche Punktsysteme wirklich die ebenen Netze sind, ist daraus
ersichtlich, daß dabei ganz gleichgültig jeder Systempunkt für den Mittelpunkt des gleichen
Strahlen- resp. Vektorensystems angenommen werden darf. Bei solcher Transformation
ändern sich nur die ganzen Zahlen p, und p,, und nun ist von vornherein vorausgesetzt,
daß diese Zahlen sämtlich ganze Zahlen sind. Die erwähnte Transformation führt also
noch zu keiner Änderung in dem Punktsystem.
Speziell aber für den Fall des Vektorensystems {11} dürfen die beiden zugeordneten
Punktsysteme als die gleichen angesehen werden: durch die Addition der Vektoren 1 und
i erhält man zwar den Vektor 1 +i mit dem Modulus |/2, also für den neu eingeführten
/92
Punkt den Modulus LI aber jedes Vektorensystem kann als das gleiche betrachtet werden,
wenn wir seine sümtliche Vektoren mit einer und derselben, rationalen oder irrationalen
Zahl, multiplizieren. Und nun wird das neu gefundene System mit dem früheren identisch,
E)
wenn wir als einen solchen Faktor — annehmen.
9
Nun führt die Anwendung der Syngonielehre auf die Lehre über die ebenen Netze zu
folgender neuen Definition und folgenden Sätzen:
Ein ebenes Netz, dessen parallelogrammatischen Maschen Rechtecke
sind mit den Seiten Va resp. V5 (wo ab ganze Zahlen sind) wird das isotrope
genannt.
Es gibt unendlich viele isotrope ebene Netze.
Wenn wir in einem isotropen ebenen Netze die Seiten der Maschen, welche die
Vektoren Va und Vb-i sind, durch zwei beliebige senkrechte Vektoren p, Va + fs Vb -i
und ap, Vb 4- o fs Va-i ersetzen und diese wieder als Maschenseiten annehmen, so erhalten
wir das dem früheren gleiche ebene Netz.
Also enthält jedes isotrope ebene Netz unendlich viele nicht parallele
gleiche ebene Netze in sich.
Nun denken wir uns, daß um jeden Punkt eines isotropen ebenen Netzes gleichzeitig
und mit gleicher Geschwindigkeit ein Kreis wüchst, dessen Mittelpunkt dieser Punkt ist,
45
bis endlich unendlich viele Kreise zugleich zur Berührung kommen, aber in dem frei
gebliebenen Raume mit derselben Geschwindigkeit fortwachsen; zuletzt entsteht in der
unbegrenzt gedachten Ebene ein System gleicher und paralleler Polygone, welche Par-
allelogone genannt wurden, da in denselben notwendigerweise die Seiten in die gleichen
und parallel zugeordneten Seiten sich teilen lassen.
Daß diese Figuren wirklich Polygone und dabei Paarseitner!) sind, ergibt sich
daraus, daß unter gemachter Voraussetzung ihre Grenzseiten zu den ein Paar nächster
Punkte verbindenden Geraden die senkrechten Geraden sind, welche durch die Mittelpunkte
der betreffenden Strecken hindurchgehen. Daß die Figuren Parallelogone sind, folgt
daraus, daß durch dieselben die Ebene in parallele gleiche Teile regulär geteilt wird.
Zugleich sind diese Parallelogone konvexe Polygone.
In der Lehre von der regulären Planteilung wird der Beweis erbracht, daß solche
Parallelogone von Tri- resp. Diparallelogonen möglich sind.
Es sei noch erwähnt, daß hier von den primitiven und einfachen Parallelogonen die
Rede ist.?)
Nun ist von vornherein klar, daß jedem isotropen ebenen Netz erster Art
(d. h. ohne Hinzufügen des intermediären Punktsystems) die Parallelogone zukommen,
welche mit den rechteckigen Maschen des Netzes selbst identisch sind.
Weiter ist leicht der Beweis zu erbringen, daß jedem isotropen ebenen Netz
zweiter Art bestimmte Triparallelogone zukommen.
In jedem solchen Punktsystem sind, außer den durch die allgemeine Formel be-
dingten Punkten a, b, c, d (Fig. 7), noch die intermediären Punkte o vorhanden. Verbinden
Fig. 8.
wir einen solchen Punkt mit den ihm nächstliegenden Punkten a, b, ce, d und ziehen
zu den Mittelpunkten a‘, b‘, c‘, d' der so entstandenen Strecken die Perpendikel, so bedingen
dieselben das Perimeter des betreffenden Triparallelogons, wie dies aus der Figur unmittelbar
ersichtlich ist. Dieses Parallelogon wird dann in ein Diparallelogon verwandelt, wenn eine
Seite etwa sich bis zum Verschwinden verkürzt. In diesem Fall, wie aus der Figur 8
ersichtlich, verwandelt sich die rechteckige Masche in die quadratische, und dann entsteht
1| Unter Paarseitner wurde noch in den Elementen der Gestaltenlehre des Verfassers ein Polygon
verstanden, dessen Seiten paarweise gleich und parallel sind.
?; Das Parallelogon heißt primitiv, wenn es das Inversionszentrum besitzt. Das primitive Parallelogon
ist einfach, wenn in demselben nur je ein Paar paralleler Seiten vorhanden sind. Ein konvexes Parallelogon
ist stets primitiv und einfach.
46
das Punktsystem zweiter Art von dem Parametersystem {11}, welches, wie eben bewiesen,
gleich ist dem betreffenden Punktsystem erster Art.
Nun wurde in der Lehre von der regulären Planteilung der Beweis erbracht, daß den
besonderen symmetrischen Komplexen {11} und {13} besondere symmetrische Parallelogone
zugeordnet sind, und zwar dem {11} das Quadrat und dem Punktsystem zweiter Art von
{13} das reguläre Sechseck. Die anderen Vektorensystemen zukommenden Parallelogone
sind anomale, das heißt solche, welche durch kein System von Verschiebungen in
das Quadrat resp. in ein reguläres Sechseck verwandelt werden können. In der Tat, jedem
solchen Parallelogon können zwei konzentrische Kreise eingeschrieben werden, deren Durch-
messer den Höhenlinien der betreffenden Parallelogone entspricht. Dies ist in der Figur 9
für Di- und in der Figur 10 für Triparallelogone angezeigt.
«
Fig. 9. Fig. 10.
Auch in diese Lehre führt die Syngonielehre neue Definitionen und Sátze ein und zwar:
Unter isotropen Parallelogonen werden solche verstanden, deren Hóhen-
linien (resp. die die Berührungspunkte der Parallelogone mit Kreisen verbindenden Durch-
messer) die Vektoren eines isotropen Komplexes sind.
Es gibt unendlich viele isotrope Parallelogone. Darunter zeichnen sich zwei
besondere — das Quadrat und das reguläre Sechseck — aus und die übrigen sind die
anomalen. Überhaupt ist jedem isotropen Vektorenkomplex ein Di- und ein Tri-
parallelogon zugeordnet.
Zwei besondere Parallelogone zeichnen sich dadurch aus, dab darin nur ein einziger
Kreis eingeschrieben ist, in den übrigen aber zwei Kreise.
Andererseits kónnen in den letzteren zwei eingeschriebene Kreise durch eine einzige
Ellipse ersetzt werden. Im Grunde genommen sind solehe Systeme von den nicht isotropen
nicht verschieden, welche ihren Ausdruck in diesen Ellipsen findet, und davon soll jetzt
die hede sem.
Sämtliche Komplexe überhaupt sind miteinander durch eindeutige kristallographische
Projektivität verbunden; eindeutige, weil jeder Strahl durch die Indizes (p, p,) ausgedrückt
werden kann und dies ist für sümtliche Komplexe der Fall; also jede zwei Strahlen von
irgendwelchen zwei verschiedenen Komplexen, welche durch dieselben Indizes (p, p,) aus-
gedrückt werden, sind untereinander eindeutig projektiv verbunden. Daß die Projektivität
die kristallographische ist, erhellt daraus, daß auch nach der Deformation das Netz in
ein anderes Netz verwandelt wird, das hei&t gleiche und parallele gerade Strecken
bleiben auch nach der Deformation gleich. und parallel, und das ist gerade die Charak-
teristik der kristallographischen Projektivität (Affinität Mobius").
Nun läßt sich im allgemeinsten Falle diese Projektivität durch die Gleichungen
$, — Ay 2, T 43 X,
Y — dg Y, 4 dos X.
ausdrücken.)
Demgemäß erhält die Gleichung des Kreises
4c vict
nach der Deformation die Form:
stad dp ad) — 2 2 (0 + e) Eid p m fna mom).
| 721 "22
Diese Kurve II. Ordnung ist die Ellipse, da für dieselbe die Bedingung 4 AC — 5? 0
Geltung hat, weil:
4 (a2 + a3) (a2 + an) — 4 (0, 05, 4 0,5 Ag) — 4 (03, 055 — Ay an? — 4 4* 7 0.
Im besonderen, wenn 4 — 1, ist die Deformation eine Gesamtheit von Verschiebungen,
da dabei die Flächengröße der parallelogrammatischen Maschen unverändert bleibt.
Diese Ellipse wird Projektivitütskurve genannt, da dieselbe bildlich den Effekt
der Deformation darstellt.
Infolge eines bekannten Satzes kann das Quadrat durch homogene
Deformation in ein beliebiges Parallelogramm verwandelt werden.
Andererseits läßt sich in einem beliebigen Parallelogramm « 0 c d. eine
bestimmte Ellipse einschreiben, deren zwei koordinierte Diameter eg
und f 7 (Fig. 11) den Seiten des gegebenen Parallelogramm respektive
parallel sind.
Daraus ist zu schließen, daß die Besonderheiten der iso-
tropen Komplexe nach der Deformation verloren gehen, und man
kann sämtliche deformierte Komplexe aus einem einzigen, zum Beispiel von {ll} ent-
standen, annehmen.
Natürlich ändert sich das Quadrat je nach der Art der Deformation. Wird es dabei
in ein Rechteck verwandelt, so verbleiben zwei senkrechte Symmetrieebenen, und der
Komplex wird rhombisch; sonst erhält er die Zugehörigkeit zur monoklinen Syngonie.
Aber stets wird für seine Bestimmung eine einzige parallelogrammatische Masche
hinreichend, da dieselbe uns außer den Strahlen of und og noch zwei Strahlen oa und ob
offenbart; zur vollständigen Bestimmung des Komplexes sind aber schon drei Strahlen
hinreichend.
Für die isotropen Komplexe gilt als Ausdruck der komplexialen Symmetrieverhältnisse
der Kreis als eine partikuläre Form der Ellipse. In demselben sind alle zwei senkrechte
Durchmesser die konjugierten, und wenn einer derselben Komplexstrahl ist, so gilt dasselbe
auch für den senkrechten Strahl.
Da aber die homogene Deformation von solchen Eigenschaften, wie die Zuordnung
der konjugierten Strahlen, unberührt bleibt, so kann man für die beliebige Ellipse als
Projektivitätskurve sagen, daß, wenn einer ihrer Durchmesser der Komplexstrahl ist, das-
1) Die betreffenden Fragen wurden in der III. analytisch-kristallographischen Studie speziell behandelt.
48
selbe auch für den konjugierten Durchmesser gilt. Ist also eine der Hauptachsen der
Ellipse der Komplexstrahl, so ist dasselbe auch für die andere der Fall. Das bezeichnet
den Fall eines rhombischen Komplexes; im monoklinen Komplex ist dies für keine der
Hauptachsen der Fall, das heißt: die beiden Hauptachsen sind irrational.
Dadurch erhalten die Syngonieeigenschaften in Ellipsen als Projektivitätskurven ihren
genauen Ausdruck.
In der Projektivitätsellipse findet seinen Ausdruck das Gesetz der Verteilung der
rationalen Vektoren samt ihren Strecken.
Wenn auch die Frage über den isotropen Komplex, aus welchem jeder gegebene abge-
leitet gedacht werden muß, die unbestimmte Lösung erhält — da diese Lösung schon
außerhalb der Grenzen der Syngonielehre enthalten ist —, so ist doch die aus irgend-
welchem Grunde gefaßte Lösung in der Form einer oder zweier Ellipsen, welche in Di- resp.
Triparallelogonen eingeschrieben sind, zugleich die Lösung der Frage über denjenigen iso-
tropen Komplex resp. das isotrope ebene Netz, aus welchen die gegebenen entstanden gedacht
werden müssen.
Und nun ist jeder Vektor durch dieselben Indizes (p, p;) bestimmt, welche in dem
isotropen Komplex eindeutig auch seinen Parameter bestimmten. Jetzt aber erhält jeder
Strahl nicht diejenige Strecke, welche ihm durch den Parameter zugeschrieben wird, sondern
er kommt verändert vor, und gerade das Gesetz dieser Veränderung ist das Ellipsengesetz.
Für jede gegebene rationale Richtung eines ebenen Netzes, die Richtung mit bestimmten ihr
zukommenden Indizes, kann man jetzt mittelst dieser Indizes und des Ellipsengesetzes die
betreffende Streckengröße auffinden; diejenigen, welche gleiche Parameter besaßen, erhalten
jetzt ungleiche, aber leicht zu bestimmende Strecken-
„0! größen bis auf den quadratischen Faktor, welcher
// N dabei ebenso ausfällt, wie dies für die isotropen
3 // HANNS Komplexe der Fall ist. Auch die gleichen Winkel
"ND E32 Jl 4 8 D. bs. zwischen den Strahlen von gleichem Parameter
UN Me. by BE FAN N werden durch eine Reihe ungleicher, einem be-
= analal aj ^5;/25 stimmten Gesetz folgenden Winkel ersetzt.!)
IN NN Vn j| Das Ellipsengesetz ist also das Grundgesetz der
Syngonielehre in der Ebene.
Wenn aber die Ellipse unbekannt bleibt und
nur drei Strahlen gegeben sind, was eigentlich für
die Bestimmung des Strahlenkomplexes hinreichend
Fig. 12. ist, so ist es doch möglich die Syngonieart des
betreffenden Komplexes aufzufinden.
!) Dieses Gesetz ist leicht zu formulieren. Es seien O a, Oa,, O a5 ... (Fig. 12) die unter gleichen
Winkeln stehenden Strahlen eines isotropen Komplexes; es sei die Punktreihe a, 4, a9... durch die
erfolgte Deformation (welche den Kreis in die gegebene Ellipse verwandelt) durch die Punktreihe 5,b,, b, .
ersetzt. Nun ist nötig die beiden Punktreihen, als die projektiven, in perspektive Lage zu setzen, also
z. B. den Punkt b mit dem ihm zugeordneten Punkt a in Koinzidenz zu bringen und dabei die Reihe b
in die parallele Lage der Reihe b' zu führen. Dann genügt es, irgend zwei Paare zugeordneter Punkte,
z. B. a, und b,‘, as und b,' durch Gerade zu verbinden, welche sich in dem Punkte O' schneiden. Durch das
Projizieren aus diesem Punkte erhält man die der Punktreihe d,, a, a4 .. zugeordnete Punktreihe b,' by‘ by‘...
und es ist der Strahlenbüschel Oa, Ob,', Ob;', Obs... der gesuchte.
49
Zuerst finden wir die Größen der Tangentenquadrate beider Winkel, und falls die-
selben in einem und demselben rationalen Parameter sich auflösen lassen, so kann man
nicht nur behaupten, daß der Komplex der isotrope ist, sondern zugleich durch seine
Konstante — Parameter — charakterisiert wird. Aber nur in den Fällen der Gleichheit dieser
Parameter mit den Zahlen 1 resp. 3 haben wir das Recht von bestimmten Syngoniearten
zu sprechen und zwar der tetragonalen resp. der hexagonalen. Sonst bleibt die Antwort
unbestimmt (wie wir im folgenden Teile erkennen, erscheinen solche Komplexe nur als die
Ebenen der rationalen Schnitte eines isotropen räumlichen Komplexes).
Ist dies nicht der Fall, so bleibt nur eine Entwicklung des Komplexes auszuführen
und das Vorhandensein zweier zueinander senkrechter Strahlen zu prüfen. Führt diese
Prüfung zu positivem Resultat, so können wir behaupten, daß der Komplex der rhombische
ist. In dem Falle des negativen Resultates können wir sagen, daß die Prüfung in den
Grenzen der ausgeführten Entwicklung (zum Beispiel in n bestimmten Perioden) als Resultat
zu einem monoklinen Komplex geführt hätte.
Wie gesagt, dient die für jeden Komplex charakteristische Kurve, Projektivitätsellipse
als Indexkurve aller wesentlichen Eigenschaften des Komplexes, unter anderem auch seiner
(das heißt komplexialer) Symmetrie. Zugleich aber entsteht sie aus der homogenen Deformation
des Kreises, als Indexkurve eines isotropen Komplexes. Bei dieser Deformation gehen aber
Symmetrieelemente verloren (außer dem Inversionszentrum und der zur Komplexebene senk-
rechten Gerade, welche stets zweizählige Symmetrieachse bleibt). Als Ausnahmefall ver-
bleiben zwei senkrechte Symmetrieebenen, und dann haben wir einen speziellen Fall des
rhombischen Komplexes. Wir wollen jetzt von diesem speziellen Ausnahmefall absehen
und die Frage aufstellen, was verbleibt von den Symmetrieelementen in dem allge-
meinen Fall?
Wenn vor der Deformation A B Symmetrieebene ist, so soll r r p
jedem Punkt a ein Punkt a‘ zugeordnet werden, welcher sich auf der- a a
selben zu AB senkrechten Gerade a Ba' befindet, und dabei aB=u'B
ist. Bezeichnen wir den zur A D senkrechten Strahl durch r, so
bildet die Gesamtheit der Strahlen (r r' r" r'^) ein sogenanntes A
harmonisches Strahlenbündel, da Fig. 13.
SIDA n SITMET UE 1
sinzr'snry c
was man noch einfacher durch die symbolische Gleichheit (r r' r^ 7^) — — 1 bezeichnet.
Nach der erfolgten Deformation bleibt aber diese Gleichheit bestehen. Wenn also
die Symmetrieebene verschwindet, so behält doch diese wesentliche Bedingung ihre Gültig-
keit; harmonische Eigenschaften sind also diejenigen, welche für sümtliche
Komplexe charakteristisch sind und nur für spezielle (z. B. rhombische und ganz
besonders für die isotropen Komplexe zu Symmetrieeigenschaften werden. Es
besteht also zwischen komplexialer Symmetrie und Harmonie eime nahe Verwandtschaft.
Demzufolge lassen sich auch Harmonieelemente — und dies haben gerade Herr Gold-
schmidt und besonders Herr Viola!) getan — bestimmen, also solche Symmetrieelemente
1) In seinen „Grundzügen der Kristallographie^, Leipzig 1904.
Abh. d. II. KI. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. T. Abt. 1
50
des Komplexes, welche durch die betreffende homogene Deformation verloren gegangen sind.
Außer Harmonieebenen können wir also Harmonieachsen unterscheiden, aber keines-
wegs spezielle Elemente der zusammengesetzten Harmonie, da solche spezielle Symmetrie-
elemente von vornherein den Komplexen eigen sind, wenn die respektiven Symmetrieachsen
vorhanden sind (vierzählige Achse der zusammengesetzten Symmetrie, wenn vierzählige
Symmetrieachse, und sechszählige Achsen der zusammengesetzten Symmetrie, wenn sechs-
zählige Symmetrieachse vorhanden ist).
Diese verwandtschaftlichen Beziehungen existieren aber ausschließlich zwischen den
Harmonieelementen und den Elementen der komplexialen Symmetrie, keineswegs
aber den Elementen der realen (resp. wirklichen) Symmetrieelementen. Wenn wir unter
Symmetrieelementen eines Komplexes die komplexialen und realen unterscheiden können,
so ist dies nicht der Fall für die Harmonieelemente, welche ausschließlich komplexial sind.
Und gerade nun die Symmetrieelemente sind die individuellen, ganz bestimmten geo-
metrischen Gebilde, während komplexiale Symmetrieelemente in unendlicher Anzahl vor-
handen sind, z. B. sämtliche Strahlen eines isotropen Komplexes sind die Tracen der kom-
plexialen Symmetrieebenen, also auch sämtliche Strahlen eines beliebigen Komplexes sind
die Harmonieebenen; allen kommt die gleiche Rolle in einem Komplex zu, welchem spezielle
reelle Symmetrieelemente fehlen. Das Vorhandensein eines realen Symmetrieelementes ist
also eine wichtige und ganz bestimmte Konstante dieses Komplexes, was für die Harmonie-
elemente nicht der Fall ist.
Da alle Harmonieeigenschaften durch obige Gleichheit einen vollständigen Ausdruck
erhalten, wenn man — 1 durch sämtliche rationale Zahlen ersetzt, und dieser Ausdruck nichts
anderes ist als die Bedingung der Rationalität des Komplexes, welche schon seit Gauss
und Miller festgestellt und ausführlich studiert wurde, so kann man sagen, daß Harmonie
nur ein neues Fachwort ist und keinen neuen Inhalt mit sich bringt.
Wenn also Rationalität der Komplexe dasselbe Ding ist, wie deren Harmonie, so
würden auch die Bezeichnungen rationale Komplexe und harmonische Komplexe als iden-
tische zu betrachten sein, und also auch die Lehre von den rationalen Komplexen, d. h. die
Syngonielehre, zugleich die Lehre über harmonische Strahlenbündel sein, wo aber darunter
nicht nur vier bestimmte, sondern unendlich viele Strahlen verstanden werden, gemäß der
Definition der Harmonie.
Aus den verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Elementen der komplexialen Sym-
metrie- und Harmonieelementen können wir schließen, daß außer den in jedem Komplexe
vorhandenen realen Symmetrieelementen nur Harmonieebene, sowie vier- und sechszählige
Harmonieachsen möglich sind (nicht aber acht-, zehn . . . zählige).
Diese verwandtschaftlichen Beziehungen sind aber einseitig. Ein komplexiales Symmetrie-
element verwandelt sich nach der Deformation in ein zugeordnetes Harmonieelement und
nieht umgekehrt. Das ersieht man daraus, da& nur bestimmte Komplexe vier- und sechs-
zühlige Symmetrieachsen, ebenso wie Symmetrieebenen besitzen können; es gibt sogar
unendlich viele isotrope Komplexe, in welchen die erwähnten Symmetrieelemente fehlen.
Für Harmonieelemente ist dies nicht der Fall. In dieser Hinsicht sind sämtliche Komplexe
gleich. Wir können z. B. aus dem Komplexe beliebig drei Strahlen herauswählen und da
dieselben die Tracen der Harmonieebenen sind, so ist die Schnittgerade dieser Ebenen
(Zonenachse) die sechszühlige Harmonieachse. Jeder harmonische vierstrahlige Büschel,
51
welcher aus dem Komplexe in unzähliger Anzahl herausgenommen werden kann (dabei
drei Strahlen beliebig herausgenommen), kann als Beweis dienen, daß der Komplex zugleich
eine vierzühlige Harmonieachse besitzt.
In Anbetracht dessen, daß die Einführung der neuen Fachwörter „Harmonie“,
„Harmonieelemente* u. del. keinen neuen Inhalt mitbringt, infolge der eben erwähnten
Einseitigkeit, welche Veranlassung zu einer Verlegenheit gibt, glaube ich nicht, daß sie den
alten Fachwörtern „rationale Doppelverhältnisse“, „rationale Komplexe“ vorzuziehen ist.
Dabei spielen auch „harmonische Doppelverhältnisse* eine wichtige Rolle und waren stets
im Gebrauch, ebenso wie anharmonische resp. Doppelverhältnisse schlechtweg.!) In der
Tat, wenn in komplexialer Hinsicht sämtlichen Strahlen eine ganz gleiche harmonische
Rolle zukommt, wenn man also die Eigenschaften der rationalen Komplexe überhaupt
kennt, wozu dann dieselben Strahlen noch als die Tracen der Harmonieebenen bezeichnen?
Darin liest keine neue Entdeckung. Dies würde der Fall sein, wenn nur einige individuelle
Strahlen solche Eigenschaften besitzen würden, welche den übrigen fehlen, wie dies für
die Symmetrieeigenschaften der Fall ist, oder wenn dabei solche Eigenschaften entdeckt
würden und nur durch diese Bezeichnungen ausgedrückt werden könnten, welche bisher
unbekannt waren. Dies ist aber nicht der Fall und es bleiben nur leere Wörter übrig.
II. Teil.
Syngonielehre im Raume.
Nachdem die Eigenschaften des ebenen rationalen Komplexes untersucht wurden,
entsteht am allerersten die Frage, was unter dem rationalen Komplex im Raume zu
verstehen ist.
In Anbetracht dessen, daß die Fragen der Geometrie zweier Dimensionen nur parti-
kuläre Fälle derjenigen im Raume sind, kann man die Forderung aufstellen, daß jeder
ebene Schnitt des rationalen Raumkomplexes ein rationaler ebener Komplex sein muß.
Um aber eine solche Definition zulässig zu machen, muß der Beweis erbracht werden, daß
solche Komplexe wirklich existieren.
Nun ist es leicht den Beweis zu erbringen, daß wirklich ein solcher Komplex entsteht
aus vier beliebig im Raume gedachten Strahlen (von welchen keine drei komplanar sind)
mit der Anwendung der bekannten Regeln der Zonenentwicklung, welche durch das Zonen-
gesetz bedingt worden sind.
Zuerst beweisen wir den Satz, nach welchem zwei in perspektivischer Lage sich
befindende ebene Komplexe beide rational sind, wenn einer davon rational ist.
1) Z. B. „Die Determinanten und anharmonischen Verhältnisse in dem Gebiete der Kristallographie*
wurden zum alleinigen Objekt der II. analytischen kristallographischen Studie des Verfassers, und dort
wurde die hierzu gehörige Literatur erwähnt und benutzt. Sogar sämtliche vier erwähnte Studien sind
auf der projektiven Geometrie fußend, und gerade für diese stellt der Begriff des ,anharmonischen*
Verhältnisses den Grundbegriff dar.
7*
Es sei ein ebener rationaler Komplex mit den Winkeln a, b,ce.. gegeben (Fig. 14);
es sei ein anderer ebener Komplex mit den zugeordneten Winkeln «a‘, b‘, c^. . in perspek-
tivischer Lage mit demselben befindliche gegeben, indem die beiden den zugeordneten
Strahl A gemein haben, und sämtliche andere zugeordnete Strahlen, durch große Kreise
vereinigt, den Hauptstrahl C der Perspektive bedingen.
Nun haben wir:
sina sinf sin(@a+b) sing "€ sna — sinfsina
sino sing' sin(ad- f) sing sin(a- b) sing sin(a 4- f)
Auch:
sinc "sing sm(b-re) -sinf IDE sin € sing sin y
siny siny' sin(f--y) siny sin(b-- c) sinf sin(f 4- y)
Also
sin qo Bsin (oz 0) ESTIS A)
sin(a+b) sic sn(a+ß)' siny
wo k eine beliebige rationale Zahl ist, gemäß der Voraussetzung.
? 1)
Da der zweite Teil von der Lage der i perspektivischer Lage befindlichen Komplexe
(&.., 4 .. unabhängig ist, so besteht ebenfalls die Relation:
sina! — sin(b'- c)
sin(a^4- 5)' sine‘
t la)
was zu beweisen war.
Aus diesen Formeln folgt zugleich, daß nicht nur die ebenen Strahlenkomplexe
selbst (mit den Winkeln @a..a‘..), sondern auch die Zonenkomplexe der Strahlen-
ebenen rational sind.
Wenn wir in dem geführten Beweise die Strahlen durch die Normalen zu Ebenen-
büschel ersetzen, so erhalten wir dasselbe Resultat der Rationalität der Normalenkomplexe
ebenso wie der Ebenenbüschel selbst.
Daraus folgt, daB, wenn wir für die integrierenden Teile des Raumkomplexes alle
Strahlen halten würden, welche die Schnittgeraden zweier rationalen projizierenden Ebenen-
büschel sind, der Raumkomplex selbst rational wird.
Es seien zwei rationale Ebenenbüschel A (mit den Winkeln a..) und A‘ (mit den
Winkeln a'..) als Bestimmungsbüschel des Raumkomplexes ausgewählt (Fig. 15); dann
bestimmen zwei zugeordnete Ebenenpaare dieser Büschel zwei Schnittstrahlen und zugleich
Be c —
53
eine Strahlenebene (mit den Winkeln «@..), welche sich in perspektivischer Lage befindet
in Bezug auf den Büschel A ebenso wie auf den Büschel 4‘. Folglich ist diese Strahlen-
ebene die Ebene eines rationalen Strahlenkomplexes.
Dasselbe Resultat ergibt sich, wenn man A und A‘ als die Normalen zweier Ebenen
und die projizierenden Ebenen als diejenigen annimmt, welche zu den Strahlen eines ebenen
Komplexes senkrecht sind. Dann ist die Ebene mit den Winkeln «... eine zu einem
gewissen Strahle senkrechte Ebene und die Winkel «... beziehen sich auf die Ebenen-
winkeln eines rationalen Ebenenbüschels.
Auf Grund dieser aus der projektiven Geometrie be-
kannten Relationen ist es schon leicht, den allgemeinen
analytischen Ausdruck für rationale Raumkomplexe
aufzufinden.
In Anbetracht der Bezeichnungen, welche in
der Figur 16 angegeben sind, mit Hinzunahme noch
folgender: die Winkel A' P A", A" PA, AP A' wer-
den respektive durch .5,, C,, D, und die Winkel A'Q A",
A" Q.A, A Q.A' werden respektive durch 5, C,, D,
bezeichnet, kann man schreiben:
A"
sin a sin b‘ sinD, sic sin 9' sin D,
sinp' sing sinD' siny' siny sin D
sima qe sinDi M sincBs sinc; sino" sind,
sing" sing! siB' si" sny' snB
sma" sinb sin C, sinc" sind sin C,
sing sing" snC’ sinw Simo ge sin bs
Also auch:
sina sing‘ sinD, sind‘ sing . sin a sin D, sing' sinóà' sinD,sing
in € ' sins inD, sind‘ "siny ' sin sin D, siny'' sind‘ sin D, sin.
sine siny' sinD 9 C D » 9 D
sina! _sinB, sing" sinb" sin B, sing‘
sin ec’ sin B, sin v"' sind" — sin D, siny'
sno" smC,sngo- snb sin C, sin 9^
sinc" — sinC, siny ' sind sinO, sin y^
Daraus
sina sinb _sin D, sing'sinp sinC,sing" sino _Sin(APA') Sin(A P A")
sinc sind sin D, siny' sin y "sin C, siny"siny — Sin(AQA") Sin(AQ A^)
und noch
sina, sinb' Sin(A'P A") Sin(A' P A)
sin c' ' sin d' Sin (A' Q.A") ' Sin(A' Q.A)
und 2)
sina" sind" Sim(4' PA) Sin(A"PA^
sinc" sind" Sin(A" QA) ' Sin(A" Q 4)
Sin bedeutet hier Sinusfunktion des betreffenden Trigonoäders.
54
Man ersieht sogleich aus den letzten Teilen der Gleichungen, daß jede derselben nur
eine Folgerung der beiden anderen ist und sich durch einfache Multiplikation erhalten läßt.
Das muß auch für die ersten Teile der Fall sein. Wenn zwei derselben rationale Zahlen
sind, so ist dies der Fall für alle angegebenen Doppelverhältnisse, und diese sind die
bekannten Gaussschen Doppelverhältnisse für einen kristallographischen Komplex.
Nun kann man sagen, daß jeder Strahl eines Raumkomplexes durch zwei
rationale Winkel als sphärische Koordinaten desselben sich bestimmen läßt.
Im I. Teile wurden die wichtigsten speziellen Komplexe, die isotropen, mit besonderer
Umständlichkeit untersucht. Dieselben zeichnen sich dadurch aus, daß die Tangenten-
quadrate sämtlicher Winkel derselben rationale Zahlen sind und in der Form c g? dargestellt
werden können, wo die ganze Zahl c, welche keine zwei gleiche Faktoren besitzt, als Para-
meter bezeichnet wurde.
Nun ist leicht der Beweis zu erbringen, daß auch in Raum-
komplexen sümtliche ebene Komplexe (Zonen), als in-
tegrierende Teile derselben, isotrop sind, wenn für
zwei Bestimmungskomplexe die isotropen genommen
sind, und wenn die Achsen dieser beiden aufeinander
senkrecht stehen.
Nehmen wir als die den Raumkomplex bestimmenden die
Fig. 17. isotropen Ebenenbüschel, deren Achsen die senkrechten Geraden
A und C sind (Fig. 17).
Da der Winkel f ein rechter ist, so ist nach bekannter Formel der sphürischen
Trigonometrie:
ii 1
cos? b = cos? e cos?a oder —
1+t?25 (14-t£6)(14- t ay
Also
t5—Ua-rE tod atc 3)
Wenn t?a und t?c rationale Zahlen sind, so ist dies auch für t?) der Fall, was zu
beweisen war.
Solehe Raumkomplexe werden ebenfalls als isotrope bezeichnet.
Diesem Satze gemäß sind die Quadrate der Tangenten von sämtlichen Winkeln, als
integrierenden Teilen der isotropen Komplexe, rationale Zahlen, welchen die Form cq?
zugeschrieben werden kann. Da durch jeden Strahl derselben unendlich viele isotrope
ebene Komplexe gezogen werden können, und in jedem derselben notwendig ein zum
gegebenen senkrechter Strähl vorhanden ist, so ist zugleich demselben die ihm senkrechte
komplexiale Ebene zugeordnet, und die einzelnen Strahlen der letzteren bilden dieselben
ebenen Winkel, wie die Flächenwinkel der durch diesen Strahl hindurehgehenden Ebenen.
Wenn also der Parameter c charakteristisch ist für den ebenen Strahlenkomplex, so gilt
genau dasselbe auch für die Flächenwinkel der letzteren Ebenenbüschel. Wir können also
nicht nur jedem ebenen Schnitte eines isotropen Komplexes, sondern auch jedem einzelnen
Strahl einen bestimmten Parameter in der Form einer ganzen Zahl zuschreiben, und dieser
Parameter wird derselbe für einen beliebigen Strahl und für den ihm senkrechten ebenen
Komplex.
55
Ersetzen wir in der Gleichung 3) die Tangentenquadrate durch die rationalen Zahlen
von bekannter Form, so erhalten wir
py hy Dy Pi py
ee)
E a gg,
P (p q, qd) — P, (q p, a” + P (a q, 9, + P, P, (q p, p,)-
Da alle vier Zahlen pq, Q4 Pı 9 ds 92,9, und q p, p, voneinander unabhängig sind,
so ist einfacher dieselbe Gleichung in der Form:
Py —Pygu-q4P»pclP P. 4)
Hier bedeuten P, und P, die Parameterzahlen der beiden den isotropen Komplex
bedingenden senkrechten Zonen. Der Anschaulichkeit wegen können wir diese Zonen
durch die zugeordneten Parameterzahlen bezeichnen.
Nehmen wir jetzt anstatt der Zone P, eine andere zu P, senkrechte Zone mit dem
Parameter P, P,. Dann erhalten wir als die entsprechende Gleichung:
Br PL PPpı Hrn But rPrpnıt rn. 4a)
Somit verhält sich die Zone P, zu den Zonen P, und P, P, ebenso wie P, P, zu
den Zonen P, und P, Da aber P, als die zu P, senkrechte Zone angenommen wurde,
so müssen alle drei Zonen P,, P, und P, zu einander senkrechte Zonen sein.
oder
Also die in jedem isotropen Komplex zu beiden senkrechten gegebenen
Zonen mit den Parametern P, und P, senkrechte Zone besitzt den Parameter
P, P,, wie beliebig die Zonen P, und P, auch aus dem Komplex herausge-
nommen würden.
Dieser sehr wichtige Satz von allgemeiner Bedeutung für die isotropen Komplexe
wäre als Grundsatz für dieselben zu bezeichnen.
Da P,xP,xP,P,=(P, Pj?, so.kann man denselben Satz auch derart formulieren,
daß das Produkt der Parameter dreier sonst beliebigen, aber zueinander senk-
rechten Zonen stets ein volles Quadrat ist.
Multiplizieren wir die Parameterzahlen der drei senkrechten Zonen mit einer dieser
Zahlen, so erhalten wir drei Zahlen, welche schon die Bedingung für drei senkrechte Zonen
eines isotropen Komplexes nicht mehr erfüllen.
Multiplizieren wir zum Beispiel die Zahlen P, P, P, P, mit P,, so erhalten wir Pi,
P, P, Pi P, respektive 1, P,P,, P, (da P; als volles Quadrat eine verschwindende Zahl ist);
nun sieht man, daß eine dieser Zahlen keineswegs das Produkt der beiden anderen ist;
auch ist das Produkt aller drei P, Pj, also kein volles Quadrat.
Darin ersehen wir einen Grundunterschied in der Bedeutung dieser Zahlen für den ebenen
und für den Raumkomplex. Im isotropen Raumkomplexe ist nicht gestattet die
Parameterzahlen sämtlich durch irgendwelche ganze Zahl zu multiplizieren,
da auch die Zahlen P,%k, P,k, P,P,k die Bedingungen nicht erfüllen, welche den Para-
metern dreier senkrechten Zonen zukommen.
In isotropen Raumkomplexen kommt den Parameterzahlen eine absolute
Bedeutung zu.
Auf Grund derselben Formel der sphärischen Trigonometrie können wir auch schreiben:
56
MA E .
cos, — Ü — cosa cos y + sina sin y cos b oder ta t y — —
cos b’
oder weiter
1
H $-—.———-— 2
Patty —lqüb
oder endlich
rb=tat?y—1. 5)
Der Vergleich dieser Formel mit 3) zeigt, daß wir den Parameter desselben Strahles
auch vermittelst sphärischer Koordinaten anderer Art bestimmen können.
Auch dieser Formel kommt hervorragende Bedeutung zu in Anbetracht der zahl-
reichen Folgerungen, welche zur Aufklärung der Eigenschaften der isotropen Komplexe
beitragen.
Ziehen wir in Betracht, daß jedes Tangentenquadrat des isotropen Komplexes eine
2
Zahl von der Form a (2) ist, wo a, p und q ganze Zahlen sind, dabei p und q ganz
l 2 2 2
ei B() ; EET ; 7=co[&).
b, G5 Ya
Denken wir zuerst, daß a, und a, ganz beliebig herausgenommen werden, aber y,: a,
— y,:a,. Diesen Werten entsprechen unendlich viele Werte der Winkel a und y, aber
nur solche, welche zweien isotropen ebenen Zonen mit den Parametern A resp. C ent-
sprechen und dabei in bestimmt koordinierten Kombinationen stehen. Für alle diese Koordi-
natenkombinationen bleibt das Produkt t?a t?y konstant, folglich auch t?b. Die unend-
liche Gesamtheit aller dieser Strahlen des Komplexes besitzt einen und denselben Para-
meter Db.
Weiter denken wir sämtliche Glieder dieser Gleichheit mit dem Quadrat einer beliebigen
rationalen Zahl c multipliziert; also:
12 Bu — 162 02 Di— cb lar ch 5 a)
beliebige.
Es seien:
Als Koordinaten können wir jedesmal beliebig t? a’ = c* t* a oder t?y'= c?t?y setzen.
Diese beiden Annahmen entsprechen den Winkelkombinationen (a'y) oder (ay‘), welche
untereinander und zugleich von den oben erwähnten wesentlich verschieden sind. Trotzdem
erhalten wir für b' solche Werte, welche den Strahlen mit demselben Parameter entsprechen,
obgleich diese Werte von den obigen Werten b verschieden sind; es ist aber natürlich, daß
alle Werte von )' gerade die Gesamtheit der Winkel der isotropen Zone mit dem Parameter
B umfassen.
So verschiedenartig erweist sich die Entwicklung desjenigen Teiles des Gesamtkom-
plexes, welche allein die Strahlen mit gleichen Parameter, also die parametrisch gleichen
Strahlen, umfaßt. Diese Gesamtheit in Analogie mit der im I. Teile gemachten Annahme
kann als ein Teilkomplex mit dem Parameter B bezeichnet werden.
Weiter ersehen wir aus der Formel 5) direkt, daß die Ebene A C Symmetrieebene
des Komplexes ist. Da aber die senkrechten Strahlen .4 und C aus dem Komplex in seiner
beliebigen Ebene herausgenommen wurden, so sind sümtliche Strahlenebenen des
57
Komplexes Symmetrieebenen desselben und folglich auch sämtliche Strahlen
desselben zweizählige Symmetrieachsen desselben.
Nehmen wir beliebig aus dem Komplex zwei Strahlenebenen mit gleichem Parameter
heraus, so schneiden sich die beiden in einem bestimmten Strahl, welcher als die Achse
einer bestimmten Zone angenommen werden kann. Nun sind die beiden senkrechten
Bisektrissen-Ebenen dieses Paares von Ebenen die Symmetrieebenen dieses Paares. Die
Bestimmung des Gesamtkomplexes erleidet keine Änderung, wenn anstatt eines Paares senk-
rechter Strahlen wir auf einer dieser Ebenen das ihm symmetrische Strahlenpaar aus der
anderen Ebene zur Bestimmung herausnehmen. Die Bestimmung erleidet auch keine
Änderung, wenn wir das herausgenommene Strahlenpaar auf der ersten Ebene durch ein
anderes Strahlenpaar auf derselben Ebene ersetzen, dessen konstituierende Strahlen gleichen
Parameter besitzen.
Also die Gesamtheit aller Strahlen des Komplexes, welche gleichen Para-
meter besitzen, bildet eine symmetrische Gruppe, das heißt: sämtlichen Komplex-
strahlen mit gleichem Parameter kommt in dem Komplexe gleiche Rolle zu.
Die Strahlen mit gleichem Parameter sind also die gleichen Strahlen. Aus dem
Dualismusgrunde ist dasselbe für sämtliche Strahlenebenen gültig, das heißt: die Gesamt-
heit aller Strahlenebenen des Komplexes, welche gleichen Parameter besitzen,
bildet eine symmetrische Gruppe, anders ausgedrückt: sämtlichen Komplexebenen
mit gleichem Parameter kommt in dem Komplexe gleiche Rolle zu.
Die Komplexebenen mit gleichem Parameter sind die gleichen.
Dadurch werden die oben erwähnten Teilkomplexe bedingt: ein Teilkomplex umfaßt
also die vollständige Gesamtheit aller gleichen Strahlen resp. Ebenen.
Wollen wir auf jedem Strahle seinen Parameter in der Form einer zentralen Strecke
auffassen, so bedingt jeder Teilkomplex eine Sphäre mit bestimmtem Radius.
Dieselbe Sphäre drückt zugleich die Gesamtheit der den Strahlen zugeordneten (das heißt
respektive senkrechten) Komplexebenen aus.
Der Gesamtkomplex wird somit durch eine unendliche Gesamtheit der konzentrischen
Sphären ausgedrückt, deren Radius durch alle dem Komplex zukommenden Parameter-
zahlen bestimmt werden.
Aus dem Satze, nach welchem sämtliche Strahlenebenen Symmetrieebenen des Kom-
plexes sind und daß es solche Ebenen, welche sich in einer einzigen Achse schneiden, in
unendlicher Anzahl gibt, folgt weiter, daß sämtliche Strahlen des Komplexes unend-
lichzählige (und nicht nur zweizählige) Symmetrieachsen sind.
Wenn wir also um jeden Strahl unendliche gleichachsige Rotationskegel mit den
Öffnungswinkeln «,, a, a,.. beschreiben würden, so liegen auf der Oberfläche jedes solchen
Kegels die unendlich vielen gleichen Strahlen.
Dieser Schluß ist übrigens aus der Formel 5a) direkt ersichtlich, wenn wir in der-
selben der Zahl c alle möglichen Werte erteilen und dabei den Winkel a unverändert
lassen und nur von dem Winkel y die aus der Formel hervorgehenden Werte y’ berechnen.
Aus der Formel 5) scheint weiter hervorzugehen, daß wir bei Änderung von y und
Beibehaltung von « den Strahl mit dem von B verschiedenen Parameter als Komplexstrahl
erhalten, und zugleich muß sich dieser Strahl auf derselben Kegeloberfläche mit dem
Óffnungswinkel a befinden.
Àbh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt. 8
58
Dies ist aber nicht der Fall, wie man aus dem Folgenden ersieht.
Es sei C ein Komplexstrahl, welcher als die Achse eines Kegels mit dem sphärischen
Radius C a^ angenommen ist (Fig. 18). Es seien a, a,,a,... die in der zu C senkrechten
Ebene vorkommenden gleichen, und 5,c... die ungleichen Strahlen.
Dadurch wird die unendliche Anzahl von ebenen Komplexstrahlen be-
dingt, welche sümtlich den Strahl C mit bestimmten Parameter gemein-
sam haben. Unter diesen Komplexen sind die Komplexe C a, Ca,, Ca, . .
die gleichen, da sie durch gleiche Parameter auf senkrechten Strahlen
bestimmt sind; folglich müssen auch die Strahlen a‘, a,‘, a,' auf der
Kegelfläche die gleichen sein. Würden aber auch die Strahlen 5', c'..
auf derselben Kegelfläche möglich sein, so würde dies bedeuten, daß auch
die Komplexe Cb, Cc... den Komplexen Ca... gleich sind, da für die Gleichheit der
ebenenen isotropen Komplexe die Gleichheit je eines Winkels hinreichend ist, und hier
haben wir die gleichen Winkel («= Cb'—Cc'...
Die Strahlen b‘, c'... sind also unmöglich, das heißt sie können in dem gegebenen
Komplexe nieht vorhanden sein. Somit entsteht ei scheinbarer Widerspruch mit der
Formel 5). Dieser Widerspruch entsteht aber infolgedessen, da& die Koordinatenwinkel
a, y nicht voneinander unabhängig sind, und davon ist in Formel 5) nichts enthalten.
Die zwischen « und y bestehende Koordination kann auf folgendem Wege aufgeklürt
werden. Bezeichnen wir diejenigen zwei Winkel, welche aus dem rechten Winkel AC
durch die Zone BB‘ entstehen, durch f, resp. f,, so erhalten wir: !)
iav ptc — PPS — SPP DET Js
i3 resti (lo) PPP SC — PAUL qr ga) s
Aus dieser Formel ersieht man sogleich, daß a nicht sämtliche für den Komplex
zulässige Größen annehmen kann. Im Gegenteil nimmt die Gesamtheit von Zahlen t*a
nur die Werte derjenigen Zahlenreihe an, welche einem ebenen Komplex (P,- 1] entspricht,
und dabei noch mit P, multipliziert. Der erste Faktor aller dieser Zahlen ist also gerade
derselbe, wie für den Komplex von t?(c). Falls also in dieser unendlichen Reihe auch die
Zahl P, vorkommt, so bringt die Einführung der Faktoren P, keine Änderung, und die
beiden Zahlenreihen sind identisch. Ist dies aber nicht der Fall, so haben die beiden
Zahlenreihen keine einzige Zahl gemeinsam.
Natürlich gilt dasselbe auch in Bezug auf die Zahlen der Reihe t?» und (PD,-1].
Jedenfalls läßt sich die Gesamtheit der Koordinaten t?a (wie t? y) als eine solche auf-
fassen, welche den Zahlen einer einzigen Zone entsprechen.
Übrigens kann dieser Schluß als selbstverständlich gelten. Wenn in der Tat D der
zu C senkrechte Strahl der Zone ist, welche durch die Koordinate a bestimmt wird, und
JD' die Achse dieser Zone ist, so sind die Parameter beider identisch. Die Strahlen D und
JD' sind die senkrechten, also koordinierte Strahlen der Zone C; jedem Strahle dieser Zone
entsprechen die Zahlen z(P.-1], wo v eine beliebige Zahl der betreffenden Zahlenreihe
ist, und nun ist in dieser Zahlenreihe allein die Zahl P, gegeben, welche den Parameter
6)
! Dem oben erwähnten Satze zufolge besitzt die Zone AC den Parameter Pa Pc, wenn Pa der
Parameter des Strahles A, und P. der Parameter des Strahles C ist.
59
des Strahles A darstellt, folglich «= P. Ist P, — 1l, so ist dasselbe für x der Fall, aber
das ist ein sehr partikulärer Fall.
Wenn P. der Parameter eines Strahles der Zone DAD‘ z. B. D’ ist, so sind die
betreffenden Parameter der Zone C D die Gesamtheit der Zahlen P,{P,-1}; folglich ist
die vollstindige Gesamtheit aller Parameterzahlen des Komplexes:
P, [P, (P; - 1) - 1] — [P, (P, 1] - P;] resp. [P; [P,- 1] - Z,]. 7)
Dieser Ausdruck, welchen man einfacher durch ein einheitliches Symbol [P,- P.]
ersetzt, kann als Symbol des Gesamtkomplexes gelten, da in demselben sämtliche Parameter-
zahlen eingeschlossen sind.
Im Gegensatz zu den ebenen Komplexen ist hier nicht gestattet die Zahlen mit irgend-
welcher Zahl weder zu multiplizieren noch dividieren, da in Raumkomplexen jeder Para-
meterzahl eine absolute Bedeutung zukommt; diese Zahl bedingt nämlich die Entwicklung
der betreffenden Zone in eine Reihe bestimmter Winkel. Führt man einen beliebigen
Faktor ein, so wird die Winkelreihe selbst eine ganz andere.
Also z. B. drücken solche zwei Symbole wie [3-1], [6-2], [3-4]... ganz ver-
schiedene Raumkomplexe aus, oder wenigstens bedarf deren Identität eines speziellen
Beweises.
Wenn aber eine der bestimmenden Zahlen ein volles Quadrat ist, so ist der Para-
meter eigentlich gleich 1; also kann man von vornherein schreiben:
[3-4] 29 [8 - 1], B-12]=[3-3]=[3-1]...
Die letzte Gleichung beruht darauf, daß, wenn zwei bestimmende Zahlen A und C
sind, die Parameterzahl des zu den gegebenen Strahlen senkrechten Strahles A C ist, in
diesem speziellen Fall 5-5 — 1-5*; nun ist es erlaubt, denselben Komplex durch. die
Zahlen A und AC oder C und A C zu bestimmen.
Da auf Grund der Formel 7) die Identität besteht
[4-C]zs[A4 (C-1) - C] [A4 C (A- 1])],
so kann man sagen, daß, wenn irgendwelche Zahlen der Reihe (C - 1] bekannt sind, z. B.
C,, C,.. oder wenn irgendwelche Zahlen der Reihe {A - 1) bekannt sind, z. B. A,, A,,
man eine neue Reihe der Identitäten aufstellen kann und zwar:
[A4- C] [A C,- C] [A C,- C]z5 [.A C, C]...
und [A4 -C] 5 [A «4, 0C] [4-45 C] zx [A -.44,C]. -.-
Zum Beispiel bestehen die Identitäten (vgl. S. 34 ff.):
[1-1]2[2-1]--[ 5- 1]2s[10- 1] z2[18- 1] zz [17 - 1] 5 [26 - 1]...
[3-1]2s[6-1]2s [15 - 1] za [80 - 1] z2 [89 - 1] za [51 - 1] Z8 [78 - 1]...
-—[3.38]-[93-9]e[8-21]z [8-39] [8-57] z[98- 63]...
[S377] Bee]:
Jedes Glied dieser Gleichungen können wir durch weitere Entwicklungen als Anfangs-
glieder neuer Identitätenreihen darstellen, zum Beispiel:
(Ir E] 12: 33] [2:2] —: 2: 5:3] Ole el 2] m 95:
auch [5-1] e [5.« 5] [5 - 6) — [5-34] — [5»- 21] s [5.- 29] [5 «:80].
8*
A
31
8)
AR
60
Alle diese unbegrenzt gedachten Entwicklungen der Identitäten weisen auf das Vor-
handensein zweier senkrechten Strahlen in dem gegebenen Komplex mit den angegebenen
Parameterzahlen, welche zu koordinierten Paaren vereinigt vorkommen, hin.
Jedem dieser Zahlenpaare ist noch eine dritte Zahl koordiniert, welche das Produkt
beider ist.
Eine weitere Erforschung der Formel 5) zeigt, daß die Bedingung der Möglichkeit
zweier Koordinaten a und y ist:
ta ty 1. 9)
Ist einer dieser Winkel, z. B. a ein rechter, so hat die Gleichheit t?a — C statt.
Folglich ist auch t*5 — unabhängig von dem Werte des Winkels y. Diese Folgerung
ist von vornherein klar.
Alle vorhergehenden Folgerungen über isotrope Raumkomplexe zusammenfassend,
können wir sagen, daß jedem Strahle derselben eine bestimmte Parameterzahl zukommt
und daß der Gesamtkomplex aus unendlich vielen Teilkomplexen besteht, unter welchen
jedem eine bestimmte Parameterzahl zukommt, jeder also durch eine Sphäre repräsentiert
werden kann, und die Gesamtheit aller solcher Sphären alle für den Komplex zulässigen
Parameterzahlen als deren Radien umfaßt.
Besonders interessant ist aus dem Vorhergehenden folgende Repräsentation einer
einem Teilkomplexe zukommenden Sphäre. Nehmen wir jeden von zwei senkrechten
beliebigen Strahlen des Komplexes als die Achsen eines Büschels von einem koaxialen
Rotationskegel an, wobei die Öffnungswinkel der Kegel sämtliche Winkel zwischen gleichen
Strahlen zweier koordinierten Zonen umfassen, so sind die Schnittstrahlen dieser Kegelflächen
die Strahlen eines und desselben Teilkomplexes. Unter koordinierten Zonen werden solche
verstanden, deren senkrechten Achsen die koordinierten Parameterzahlenpaare des gegebenen
Komplexes sind.
Da aber jedem koordinierten Strahlenpaar auch ein dritter, zu beiden senkrechter
Strahl, koordiniert ist (und seine Parameterzahl das Produkt der beiden Parameterzahlen
der gegebenen koordinierten Strahlen ist), so gilt dasselbe auch für das dritte koordinierte
Kegelsystem.
Auf der Sphäre werden die koaxialen Kegeloberflächen durch konzentrische Klein-
kreise reprüsentiert, und da die gleichen Strahlen einer Zone (ebenen Komplexes) unter
lauter gleichen (irrationalen) Winkeln stehen, also die Radien der konzentrischen Kleinkreise
eine arithmetische Progression bilden, so kann man das Gesamtsystem von sphärischen
konzentrischen Kreisen mit einem Wellensystem vergleichen, und dann können wir diese
Folgerung in folgenden Worten zum Ausdruck bringen:
Ein Teilkomplex wird durch drei koordinierte sphürische Wellensysteme
reprüsentiert. Knotenpunkte dieser Systeme sind die Strahlen dieses Teil-
komplexes. Auf sämtlichen Knotenkreisen dieser Wellensysteme liegt kein
einziger Knotenpunkt (resp. ein Komplexstrahl) eines anderen Teilkomplexes.
Berücksichtigt man, daß die elementare Differenz dieser arithmetischen Progression,
welche wir als da bezeichnen wollen, irrational ist, so kann man daraus schließen, daß
unter diesen unendlichen Systemen von Kleinkreisen kein einzigesmal ein Großkreis ent-
stehen kann.
61
In der Tat, hätte die Gleichheit »- da -5 bestanden, wo n eine endliche, ganze
Zahl bedeutet, so würde dies zu dem Schlusse führen, daß die betreffende Zonenachse
vierzählige Symmetrieachse ist; diese Annahme ist aber, wie in dem I. Teil dieser Arbeit
bewiesen wurde, unmöglich. Daraus folgt aber keineswegs die Unmöglichkeit derselben
Annahme für den Fall » — CS, da die letzte Annahme nur bedeuten würde, daß die
Zonenachse eine Symmetrieachse von unendlicher Zähliekeit ist.
Wie in dem I. Teile ebenfalls bewiesen wurde, läßt sich jeder Teilkomplex in unendlich
viele Systeme gliedern. Demzufolge stellt auch ein Teilkomplex im Raume nicht
allein eine Gesamtheit der Knotenpunkte eines einzigen sphürischen Wellen-
systems, sondern die Knotenpunkte unendlich vieler solcher Systeme dar.
Kommt unter unendlichen konzentrischen Kleinkreisen auch ein Grofkreis vor, so
bildet derselbe von sich selbst ein abgesondertes System. Wie wir oben gesehen haben,
unterscheidet sich derselbe von allen Kleinkreisen wesentlich dadurch, daß in ihm nicht
allein die Strahlen desselben Teilkomplexes, sondern auch eine unendliche Anzahl der
Strahlen anderer Teilkomplexe vorkommen.
Bezeichnen wir eine Kegelfläche eines Systems als konische Zone, so können wir
sagen, daß die Schnittstrahlen konjugierter konischer Zonen eines Teilkomplexes die Strahlen
desselben sind.
Es fällt die Analogie dieses Gesetzes der Teilkomplexe mit dem Zonengesetz für den
Gesamtkomplex in die Augen.
Wollen wir den Teilkomplex entwickeln, dessen Strahlen einem Hauptstrahl, z. B. dem
Strahl € (Fig. 17, S. 54) gleich sind, so sind die beiden senkrechten, durch C hindurchgehenden
Hauptzonengroßkreise diejenigen besonderen Großkreise, welche den aus den beiden anderen
Hauptstrahlen ausgehenden Wellensystemen zukommen. Der Fall aber, in welchem auch
in der zu C senkrechten Zone Strahlen vorhanden sind, welche dem Strahle C gleich
sind, ist ein partikulärer. Wenn ein solcher Strahl wirklich vorhanden ist, so können wir
denselben als Hauptstrahl annehmen, und dann erhalten wir einen Komplex, welchen wir
durch zwei gleiche Strahlen mit dem Parameter C bestimmen; dann ist der dritte Haupt-
strahl der mit Parameter 1, das heißt zugleich eine komplexiale vierzühlige Symmetrieachse.
Solche spezielle Komplexe können wir als tetragonaloid-isotrope bezeichnen,
ebenso wie solche, in welchen der Parameter 3 auftritt, als hexagonaloid-isotrope.
Im Allgemeinen lassen sich die Winkel « und y in der Formel 5) nicht vertauschen
(trotzdem die Formel selbst in Bezug auf die beiden symmetrisch ist).
Wäre dies der Fall gewesen, so würde die Ebene DB 5’ Symmetrieebene des Kom-
plexes, also eine Zone desselben sein, und dann wären die Strahlen A und C die gleichen;
die zur Ebene derselben senkrechte Gerade würde dann die vierzählige Symmetrieachse des
Komplexes und der letzte wäre ein tetragonaloider gewesen.
Im Allgemeinen sind durchaus nicht alle Schnittpunkte der aus verschiedenen aber
gleichen Punkten eines Teilkomplexes sich ausbreitenden Wellensysteme Punkte desselben
Teilkomplexes. Bei dieser Annahme hätten wir stets gleichseitige sphärische Dreiecke,
deren sphärische Zentren einer dreizähligen Symmetrieachse des Teilkomplexes angehört
hätten. Ein solcher Fall ist also allein in hexagonaloiden Komplexen zulässig. Sonst nicht.
62
Natürlich sind auch solche Komplexe denkbar, welche zugleich tetragonaloide und
hexagonaloide sind. Es sind z. B. der Komplex [1:5], welcher als hexagonal-isotroper,
und [1-1]. welcher als kubischer bezeichnet wird. Für den ersten ist dies direkt
ersichtlich. Was den zweiten anbetrifit, so wird dies klar sein, wenn man berücksichtigt,
daß auch der dritte zu beiden Hauptstrahlen 1 und 1 senkrechte Hauptstrahl ebenfalls den
Parameter 1 besitzt, also den beiden anderen gleich ist. In einem solchen sind also drei
Bissektrissenebenen vorhanden BB‘, welche Symmetrieebene sind und sich unter gleichen
Winkeln in dem Strahle B schneiden. Folglich ist D sechszühlige Symmetrieachse.
Der Komplex [3-3] ist mit dem Komplex [1-3] identisch, da der dritte Hauptstrahl
denselben Parameter 1 besitzt.
Nun ist aber zu beweisen, daß wirklich Komplexe vorhanden sind, welchen die Teil-
komplexe 1 respektive 3 fehlen, welche also weder tetragonaloide noch hexagonaloide sind.
Betrachten wir zum Beispiel den Komplex [3-5], welcher augenscheinlich ein hexa-
gonaloider ist. Wir haben einen solchen ausgewählt, da derselbe sicher von den Komplexen
[1-1] resp. [1-3] verschieden ist, weil weder in dem ersten, noch in dem zweiten der
Strahl 5 (das heißt mit dem Parameter 5) in der Zone des Strahles 3 auftritt.
Gemäß der Formel 4) haben wir für diesen Komplex:
Py -—383pi-5g-r15p.
Würe ein Komplex ein tetragonaloider (wobei also P — 1 als möglicher Wert erscheinen
würde), so hätten wir gehabt:
p -—3)p--5gi-r- 15% respektive p 4- 2 pj — 5 (gi 4- 5 4- 9 $3).
Die Zahl 9 + 2 p muß also durch 5 teilbar sein können; mit anderen Worten, unter
den Parametern des ebenen Komplexes {12} muß auch 5 vorhanden sein.
Wie in dem I. Teile (S. 35) bewiesen ist, ist dies nicht der Fall. Also es gibt isotrope
Komplexe, welche keine tetragonaloide sind. Dieser Komplex ist im der oberen
Hälfte der beigegebenen Tabelle reproduziert worden.
Betrachten wir weiter den Komplex [1-7].
Derselbe ist offenbar ein tetragonaloider. Für denselben haben wir:
Pp=p+7m+7Tp.
>
Soll ın demselben der Parameter 3 auftreten, so hätten wir:
3p -F6p —'n-Fp-r»)respektive 3 (p -- 2 pi) — 7 (pi 4- 92 o m).
Diese Gleichheit ist aber eine unmögliche, da der Komplex {1-2} den Parameter 7
nicht besitzt. Es gibt somit isotrope Komplexe, welche keine hexagonaloiden sind.
Dieser Komplex ist in der unteren Hälfte der beigegebenen Tabelle reproduziert.
Überhaupt können wir über jeden gegebenen isotropen Komplex entscheiden, ob in
demselben ein Teilkomplex mit bestimmten Parameter P auftritt oder nicht.
In der Tat kónnen wir die Gleichung 4) stets in der Form
Py -rF(P,—P)p-—BPxn-m42P»
darstellen, und in dieser Form reduziert sich die aufgestellte Aufgabe auf die Auflósung
der Aufgabe, ob in dem Zahlenkomplexe (P-(P, — P,)) die Zahl P, auftritt oder nicht.
63
Betrachten wir den Komplex [2 - 6].
Derselbe erhält als seinen Ausdruck die Gleichung:
Ppf=2p+6m+12p.
Zur Prüfung des Parameters 1 haben wir die Gleichung:
PH + tete.
Da dem Komplex {1-1} der Parameter 6 nicht zukommt, so kommt dem Komplex
[2-6] der Parameter 1 nicht zu.
Zur Prüfung des Parameters 3 haben wir die Gleichung:
3p 4p —3p-Fpi-—6(pn-nm2»5).
Da dem Komplex {3-1} der Parameter 6 nicht zukommt, so kommt dem Komplex
[2-6] der Parameter 3 nicht zu.
Daraus hätte man den Schluß ziehen können, daß dem ropes weder 1 noch 3
zukommt; aber dieser Schluß ist unrichtig, weil der dritte Hauptparameter nicht eigentlich
12 —53-2?, sondern 3 ist. Also [2-6] — [2-3] = [1- 1] (wie dies übrigens schon oben
angeführt wurde), und der Komplex besitzt somit die beiden Parameter 1 und 3.
Schreiben wir die Gleichung richtig
Py-—2p-r6p--3p,
so haben wir zur Prüfung die Gleichungen
pcpp5n—2(mc3p-c2p)
und 3p-rp-3(n-T2p5-»),
welche das schon bekannte Resultat bestätigen.
Schreiben wir aber die erste Gleichung in der Form
p pn-—3(nT2p5-0»,
so hätte man leicht einen falschen Schluß ziehen können, ob dem Komplexe nicht der
Parameter 1 zukommt. Diese Bemerkungen sollen dazu beitragen, die Vorsichtsmaßregeln
hervortreten zu lassen, welche nótig sind, damit die angeführte Operation nicht zu einem
falschen Schluß angeregt hätte.
Auf den ersten Blick kann es den Anschein haben, als ob auf räumliche Komplexe
der Multiplikationssatz anwendbar wäre. Daraus würde folgen, daß, wenn in dem Komplexe
zwei Parameter P, und P, vertreten sind, notwendig auch der Parameter P, P, vorhanden
sein muß, welcher nach der Multiplikationsregel der Vektoren gefunden wird.
Dies ist aber nicht der Fall, da, wie im I. Teile hervorgehoben wurde, dieser Satz
nur dann zur Anwendung kommt, wenn in der Zone der Strahlen P, und P, auch der
Strahl 1 vorhanden ist. Und es wurde oben bewiesen, daß es sogar Komplexe gibt, in
welchen der Parameter 1 vollständig fehlt.
Dieser Satz ist also ausschließlich auf solche Zonen anwendbar. Zum Beispiel im
kubischen Komplex auf Zonen $1-A}, wo A eine Zahl der Reihe ist, welche die einfachen
Zahlen 1, 2, 5, (9), 13, 17, (21), (25), 29... allem als Faktoren vertreten. Im hypo-
hexagonalen Komplex auf Zonen [1- B], wo B dieselben Zahlen sind, mit 3 multi-
pliziert u. s. w.
64
In der Zone 3 ist also die Zahlenreihe {1-3} nur in dem hexagonalen Komplex
repräsentiert und nicht in dem kubischen, wo dieselbe durch (2 - 6) — 2 (1-3) repräsentiert
ist, auch nicht in sämtlichen anderen Komplexen, wo die betreffende Reihe k {1-3}, wo £k
für den betreffenden hexagonaloiden Komplex charakteristisch ist; würde in zwei Kom-
plexen dieser Faktor gemeinschaftlich, so wären die Komplexe selbst identisch.
Ebenso ist im kubischen Komplex die Zone 1 durch den Zahlenkomplex [1-1]
repräsentiert, während es in dem hexagonalen die Zahlenreihe 3 [1-1] ist.
Wenn wir aber für einen Parameter eine Zahl, welche keine Primzahl ist, auswühlen,
zum Beispiel 6, so kann ebenfalls für jeden gegebenen Komplex entschieden werden, ob die
betreffende Zone durch den Zahlenkomplex [1-6] oder [2-3] oder endlich durch dieselben
Zahlen mit bestimmten Faktoren vertreten sind. Die erste Zahlenreihe gehórt dem hexa-
gonalen Komplex an. Zum Beispiel der Zone [2121] gehóren die Flüche (0101) (Parameter 1)
und die senkrechte Fläche 2121 (Parameter 6) an, während im kubischen Komplex der Zone
[211] die Flüche 110 (Parameter 2) und die senkrechte Flüche (111) (Parameter 3), oder
der Zone [552] (ebenfalls Parameter 6) die Flüche (110) (Parameter 2) und die senkrechte
Fläche (115) (Parameter 3) angehören.
Man kann sogar sagen, daß in den Zonen, welche den Parameter 1 besitzen, die
Anwendung des Satzes unbestimmt ist, da es jedenfalls solche Parameter in derselben Zone
eine unendliche Anzahl gibt.
Trotzdem kann der Satz in Anwendung gebracht werden. Es sei ein Komplex
gegeben mit den senkrechten Vektoren P,, P, P, P,. Durch diese drei Vektoren werden
drei Zonen bestimmt, und eine beliebige andere Zone schneidet sich mit denselben in drei
Vektoren. Es seien dieselben a, b, c. Nun nehmen wir den Vektor a als den Einheits-
vektor 1; dann werden die beiden anderen «db und ac und das Produkt der beiden a?be
respektive dc. Es bleibt noch übrig, diesen Vektor mit a zu multiplizieren, und wir erhalten als
Produkt von b und c den Vektor abc; derselbe bildet mit c denselben Winkel, wie & mit b.
Wenn überhaupt in einer Zone drei Vektoren a, b und c bekannt sind, so mu& sich
in derselben als Produktvektor abc befinden. Der Satz läßt sich in Produkte von 5,7...
und überhaupt von einer ungeraden Anzahl Vektoren verallgemeinern.
Andererseits lassen sich in jeder Zone Vektoren entwickeln aus der Zahlenreihe
kil- P) wenn P der Parameter der Zone und £ die charakteristische Zahl ist. Diese
Zahl ist aber keine streng bestimmte. Für eine solche kann eine beliebige Zahl der
Vektorenzone angenommen werden.
Da die Zone P die drei Grundzonen {a-b}, (b- c), (c- a) in bestimmten Vektoren
schneidet, so kann ein beliebiger Parameter dieser drei Schnittebenen für k angenommen
werden. Das Resultat der Entwicklung der Zone bleibt davon unabhängig, da der Zahlen-
komplex {%-% P} durch Multiplikation mit einer beliebigen ihm zugehörigen Zahl stets
einen und denselben Zahlenkomplex {1- P} gibt.
Was aber den Additionssatz der Vektoren anbetrifft, so ist derselbe in vollem Grade
anwendbar, da derselbe eigentlich mit demjenigen elementaren Satze übereinstimmt, welcher
als der Satz der drei Perpendikeln bekannt ist.
Die drei ganzen Zahlen y, p, p, in der Formel 4) werden als Indizes eines Strahles
bezeichnet, und die Größen p, V P,, p, V P;, p, V P, sind die Komponenten des Vektors. Jede
dieser Komponenten kann als die Summe y, V P, — V P, 4- VP, + - -- betrachtet werden;
65
der Summierung kommen dabei nur die Indizes zu; der Faktor V P, bleibt dabei gemein-
schaftlich. Wenn wir drei Vektoren a, b, c (Fig. 19) mit den respektiven Indizes «a, a, a,,
b,b,b,, €, C,c, so auswählen, daß ein Strahl in der Ebene be zwischen
b und c die Indizes (b, +c,d,4c,5,+ c) und ein Strahl in der ^
Ebene ca zwischen c und a die Indizes (c, + à, €, + Ad, c4 + a,) erhált?), hi AN
so ist leicht der Beweis zu erbringen, daß der Schnittstrahl von a und E PIG
(b-+-c) einerseits und 5 und (c+ a) andererseits die Indizes (a 4- b 4- c), EN
ebenso wie der Schnittstrahl a b und c-(a 4- b -]- c) die Indizes (@a+b) erhält. @ b
Nehmen wir an, daß dies nicht der Fall ist; jedenfalls muß aber
derselbe die Form (a+c)m-+kb und zugleich die Form (b 4- cn 4- (a
haben, also (a 4- e)m 4- Eb — (b -- c)n -4- la. respektive a (m — |) 4- b(k — n) + e(m — 0) — 0.
Diese Formel enthält in sich das System von sich selbst widersprechenden Gleichungen
a, (m — 0) 4- &, (E — n) 47 e, (m — 2) —0
a, (m — I) + b, (k — n) + e, (m — n) = 0
a4 (m — D) 4- b, (k — n) 4- e4 (m — n) —0
Fig. 19.
respektive
(m — D) : (kk — n): (m — m) — (b c), : (ca), : (a b), = (be), : (ca), : (a b), — (b 6), : (ca), : (a D),.
Diesen Gleichungen werden nur die Bedingungen (m — 7) — 0, (k — n)—= 0, (m — n) — 0
genüge leisten, also 5; — / — m — n. In den Indizes werden aber die gemeinschaftlichen
Faktoren beseitigt, woraus folgt, da& b — | — m — w — 1 ist, was zu beweisen war.
Aus diesem Satz folgt aber weiter, daß wir alle beliebigen Indizes eines Strahles
durch sukzessives Addieren reproduzieren können, indem jedes aus drei Strahlen bestimmte
sphürische Dreieck sich in sechs weitere zerlegt, welche durch die meu erhaltenen
Zwischenstrahlen bedingt werden.
Da& dabei die Dreiecke stets die für die Anwendung der Additionsregel nótige Be-
dingung erfüllen, ist aus den Identitäten
lab e, las ane b, 6, 6, à,4- 6, 0,4-6,4- €, 6 |
1—/|a,b5,c | —3|a,4-5,-F- 0, 5,-- 04 €, — | a5 d- 6$ 05 ++, 6,
| | | ' p
a,b, €, | +57, b5+% 6, + ,+b+% 6s |
ersichtlich, indem die erste als die von vornherein für das Dreieck (abc) geltende ange-
nommen wird, während die zweite auf Dreieck (a 4- b -- c b -- c c), die dritte auf Dreieck
(a+ca-+b-+ecc)... Bezug hat.
Jedesmal aber, wenn wir von den Zahlen, welche die Indizes derjenigen Strahlen sind,
welche die Scheitelpunkte eines Dreiecks bestimmen, zu neuen übergehen, welche die Zerlegung
dieses Dreiecks in sechs weitere bedingen, wird die Periode der Komplexentwicklung um
eins gesteigert. Dementsprechend kónnen wir jede besondere Gruppe der Indizes einer
1) Wie in der zonalen Kristallographie bewiesen wird, ist dazu nötig, daß die Determinante
abe
(15 by €5
Az Ds C4
gleich 1 gewesen wáre.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt. 9
66
bestimmten Periode zuordnen; und nun kann der Satz bewiesen werden, daß durch Er-
setzung der Indizes (p, p, p wo 9, > p, p,, durch (p, — p,, p, — ps, p) die Periode um
eins erniedrigt und durch Ersetzung durch (p, + p, + p4. p, + P,, p) um eins gesteigert wird.
Aus den im I. Teile entwickelten Gründen kann man schließen, daß jeder gegebene
Strahl ( p, p, P;) als ein Resultat bestimmter Additionsoperationen vorkommt. Dieses Resultat
respektive diese Operationsfolge wird durch den Ausdruck
(D, Do P;) = p, (100) + p, (010) + p, (001) eindeutig bedingt
und kann sogar durch ein bestimmtes spezielles Symbol ersetzt
werden, wie dies wirklich in der zonalen Kristallographie durch
die zonalen Symbole geschehen ist. Das Dreieck (100), (010),
(001) (Fig. 20) läßt sich aber in sechs Teildreiecke zer-
legen, welche respektive durch a,a, b, p, c, y bezeichnet
werden. Genau dieselbe Operationsfolge kann in jedem dieser
Teildreiecke geschehen, und das Resultat wird davon ab-
hängen, in welchem davon es geschehen wird.
Wir erhalten:
in dem Dreiecke a. p, (100) 4- p,(110) 4- p, (111) —(p, + p, 4- p.) (100) 4- (p, 4- p,)(010) + p, (001)
208. 6 2(010)+P,(110)+ p.111) (p, E p) (100) 4- (p, +2,+ (010) 4- p, (001)
JM » 5 p,(010)-F p,(011) 4- p,(111) — 5,(100) 4- (p, -F p, - p4)(010) J- (p, 2- 0)(001)
s » B p,(001)-F p,(011) 4- p,(111) —p,(100) -F (p, + p,)(010) 4- (p, -- p, d- p.) (001)
vds » € p,(001) 4- p, (101) 4- p, (111) —(p, 4- p3)(100) J- p, (010) 4- (p, -- pot- 03)(001)
20s 00s y Ií000) 4- 2,0101) +9, (111) — (p, + ps 13) (100) 4- p, (010) 4- (ps 4- p, (001).
Man kann sagen, daß in allen Füllen die Indizes dieselben sind, aber in verschieden-
artiger Permutation und zwar:
in dem Dreiecke « gilt (g, 4; qj) und dabei ist q, — q, 7 q;
NC ar (dd, d.)
"05 » 5, (09,0,
"n Ba ah)
"on 3 6 LGBPAUB
E E E y s (qi ds d»)-
Natürlieh ergibt auch bei weiterer Entwicklung des Komplexes im Bereiche eines jeden
von diesen Teildreiecken die Anwendung derselben Operationsfolge dasselbe Resultat, das heißt
gleiche Indizes mit verschiedener Permutation.
Die Permutationen spielen also in Fragen dieser Art keine Rolle; sie weisen nur auf
den Dreiecksbereich hin, in welchem die betreffenden Operationen geschehen. Wir kónnen
gegebene Indizes in derjenigen Permutation annehmen, für welche die Bedingung p, 7 p, 7 p,
gültig ist. Dies würde nur bedeuten, daß wir uns die betreffende Operation innerhalb des
Dreiecks a vorstellen.
Wie wir gesehen haben, hat dieselbe Operation p, (100) + p, (010) + p, (001), in dem
Bereiche des Dreiecks « ausgeführt, zu einer anderen Operation geführt, da
p, (100) + p, (110) + p, (111) & (p, + p, + p3) (100) + (p, + 5) (010) + 2; (001).
67
Diese Operation ist also in Bezug auf (100), (010), (001) als eine kompliziertere zu
betrachten, als in Bezug auf (100), (110), (111). Man kann dieselbe also auf eine um
eins höhere Periode beziehen. Und in der Tat haben wir (110) — 1 (100) + 1 (010) 4- 0(001)
und (111) — 1(100) 24- 1(010) 4- 1(001), das heißt (110) und (111) sind emit einer kom-
plementüren Additionsoperation verbunden.
Falls man also für irgendwelche (E — 1)* Periode annimmt, daß der Strahl dieser
Periode [(p,— 2;) (p, — p,) p,] einer um eins niedrigeren Periode angehört, als der Strahl
[», p, p,] %*" Periode, so gilt derselbe Ausdruck für die nächstfolgende Periode, da
(p, — 23) (1:00) p, (100)
(p, — 29) (110) Sud p, (110)
p, (111) p, (111) !
Pı P» D. (Pı SUE ZR Ps) (Ps xz 3) yu
das hei&t:
2, (100) + p, (110) +2, (111) — (p, +23 + 03 (100) + (p; + 5) (010) +9, (001).
Auf diese Weise läßt sich für jede gegebenen Indizes in rekursivem Wege entscheiden,
zu welcher Periode dieselben Bezug haben. Zum Beispiel (752) muß der IV. Periode
angehóren, da
und diese Indizes beziehen sich auf die I. Periode.
Wie erwähnt, pflegt man in dem Gebiete der zonalen Kristallographie sämtliche
Operationen dieser Art durch spezielle zonale Symbole zu bezeichnen und zwar aus folgen-
dem Grunde. In jedem Teildreieck £/s höherer Perioden läßt sich die Reihenordnung der
Indizes unterscheiden, indem man als den ersten % denjenigen annimmt, welcher der Strahl
einer niedrigeren Periode ist, und als den zweiten / denjenigen, welcher mit % einer Strahlen-
ebene niedrigerer Periode angehórt.
Nach genügender Zerlegung der Sphüre in Teildreiecke hóherer Perioden gelangt man
endlich dazu, daß der gegebene Strahl entweder die Lage k +1. oder Z+ m, oder m+k,
oder endlich £ 4-/-l- m annimmt. Diese Fälle werden respektive durch A, D, C und A
bezeichnet.
Wenn der Strahl (p, p, p,) der ke" Periode angehört, so befindet sich derselbe innerhalb
eines bestimmten Teildreiecks der f£ — 1'*" Periode, und dieses Teildreieck nimmt inner-
halb des Teildreiecks der k — 2ten Periode eine der Lagen a, «a, b, B, c, y ein. Dieses Teil-
dreieck seinerseits nimmt innerhalb des bestimmten Teildreiecks der 5 — 3ten Periode eben-
falls eine durch diese Buchstaben charakterisierte Lage ein und so fort, bis wir endlich zum
Teildreieck der II. Periode gelangen. Der Strahl kann aber nicht nur innerhalb dieses
Dreiecks liegen, sondern sich auch auf einer seiner Seiten befinden.
Wenn der Strahl auf einer Seite mit A sich befindet, so wird die Frage über die
Zugehörigkeit zu einem Dreieck a, a, b, f, c, y unzweideutig beantwortet; wenn aber der
Strahl auf den mit B oder C enthaltenden Seiten desselben liegt, so gehört derselbe
zugleich entweder aa, ay, oder b f, b a, oder endlich c y, c f. Dementsprechend wird
9*
68
entweder A oder D, oder endlich C gesetzt. Die Zusammenstellung dieser Buchstaben
bildet das zonale Symbol, welches zugleich das Symbol der sukzessiven Additionsoperationen
ist. Demgemäß ersieht man aus dem Symbol direkt die Zugehörigkeit des Strahles zu
einer bestimmten Periode, welche eine um eins größere Zahl ist, als die Anzahl der Buch-
staben des Symbols. Natürlich bilden hiervon die Strahlen der I. Periode eine Ausnahme,
indem für sie besondere Buchstaben zur Anwendung gebracht sind, und zwar H für (100),
D für (110) und O für (111).
Aus dem eben Gesagten ersieht man, daß der auf voriger Seite erwähnte Strahl (752)
durch das zonale Symbol Ac.B ausgedrückt wird. Der letzte Buchstabe weist darauf hin,
daß sich der Strahl in der Ebene ba befindet. j
Wie gesagt, drückt A die Indizes (210) aus; der Buchstabe.c weist darauf hin, daß
für den Übergang zur folgenden, d.i. III. Periode, die Permutation (102) anzuwenden ist,
folglich Ac die Indizes [(1-i- 0 -- 2) (0 - 2) 2] — (322) ausdrückt. Der folgende Buchstabe B
weist auf Unbestimmtheit der Lósung der Frage, ob zum folgenden Übergang die Permu-
tation b (p, p, p,) oder a (p, p, p,) zur Anwendung zu bringen ist. Nun sieht man wirklich,
daß die beiden das gleiche Resultat (232) ergeben. Deswegen ist weder b noch a, sondern
B gesetzt. Also ist 4c B [(2 4-3 4- 2) (8 -+ 2) 2] — (752). In Summa haben wir
(752) — 7(100)-F 5(010)-- 2(001) —2(100) 4- 3(110) - 2(111) — 1(110) 4- 0(221) 4- 2(821).
Man begreift leicht, daß direkt nach den Buchstaben B, C oder nach einer Buch-
stabenfolge Akb oder A ke, wo k die Buchstaben « und a in beliebiger Anzahl und
beliebiger Permutation enthält, nur die Buchstaben A, B oder C und nicht a, a, b, B, €, y
folgen können.
Zum Beispiel BA=(531), dd B=(221); C.B — (431), da C — (211); C* —- C € — (432),
da C —(211);; AbC= (743), da Ab= (331); Aa* a*?ac C = (47-33-19), da Aa* a*ac
= (19. 14. 14).
Und umgekehrt, nach dem Buchstaben A können nur Buchstaben a, a, b, B, c, y und
nicht A, D, C (noch A) folgen. Zum Beispiel 3(» — (632), 9(ac —(10-4-3), da 3(a — (631)
und so fort. Dies ist schon daraus ersichtlich, daß das Erscheinen des Buchstaben X jede
Zweideutigkeit in der Schätzung der Lage des betreffenden Teildreiecks ausschließt.
Zwischen dem Komplex der Strahlen und der zu ihnen senkrechten Ebenen existiert
eine eindeutige und vollständige Zuordnung, indem jeder Strahl mit der ihm zugeordneten
Ebene in Bezug auf die Sphäre koordiniert ist.
Da alle vorangehenden Sätze auf den Winkelgrößen zwischen den Strahlen beruhen,
und da diese Winkelgrößen dieselben sind für die koordinierten Ebenen, so haben alle diese
Sätze gleiche Geltung auch für den Ebenenkomplex.
Aber es ist noch ein Satz von sehr allgemeiner Bedeutung aufzustellen, welcher nicht
auf die Winkelgrößen, sondern auf die Streekengrößen Bezug hat.
Dieser Satz lautet:
Jedem Strahl des Komplexes gehört ein bestimmter Parameter zu, und
diese Zahl kann als dessen Streckengröße betrachtet werden. Zieht man durch
den Endpunkt einer solchen Strecke die zum Strahle senkrechte Ebene, so
bedingt dieselbe auf sämtlichen anderen Strahlen Strecken, deren Größen den
betreffenden Strahlenstrecken parametrisch gleiche Zahlen sind.
69
Betrachten wir zwei Strahlen p mit den Indizes (p, p, p,) und q mit den Indizes
(4 ds 9); ziehen wir die zum ersten senkrechte Ebene, welche durch den Endpunkt der
demselben zugehörenden Strecke (P,pi+ P,pi-- P, P,p;) hindurchgeht. Dann bleibt nur
die Streckengröße auf dem Strahle q aufzufinden, welche durch diese Ebene bedingt wird.
Die Gleichung der betreffenden Ebene ist
2, VP, p, +% VP, p 4 2, VP, Pop — 1
des Strahles p
di "- V X
APIS 3
27 Pn 12. Ps
und des Strahles q
gm ED 9s
USER ERE ror.
Daraus die Koordinaten des Endpunktes von p
VP, VP, D, VP, P, D. 9 bl o
zh A nn, wo RZ Bm. 6 BR Pup,
und des von q
Q2VEs „_VBa , VER.
4 = DN Erw qa — QUE wo Q,— Pp, END e EE NDSqus
Also
2 E 2 Jp 1
(Xii xX)—p—p
und
"A Eo qose A Pod.
9; Qr
was zu beweisen war, da die letzte Zahl parametrisch gleich ist mit Q.
Aus allem Vorhergehenden ergibt sich, daß eine unendlich große Anzahl isotroper
Komplexe existiert, aber im Allgemeinen ihre vollständigen Indizes irrational sind, und zwar
quadratische Wurzeln von ganzen Zahlen enthalten. Unter vollständigen Indizes werden
hier die Produkte y, ir! D. yap» 5, V P, P, verstanden.)
Wesentlich erscheint also die Frage, ob auch solche isotrope Komplexe vorhanden
sind, deren vollstándige Indizes rational sind.
Ist dies der Fall, so müssen drei Strahlen des Dreiecks der I. Periode (Grundstrahlen)
gleichen Parameter besitzen, welcher als gemeinschaftlicher Faktor von selbst verschwindet.
Diese Verschwindung findet aber für sümtliche hóhere Perioden der Komplexentwicklung
statt, da dieselbe stets zu Strahlen führt, deren Indizes durch einfache Summierung der
Indizes der dadurch bestimmten Strahlen sich erhalten lassen; also in sümtlichen Strahlen
10)
(zi 4- a3 p 2, —
!) Von einem gewissen Standpunkte aus kann dieser Satz als selbstverstándlich gelten. In der Tat ist
2
QE? -— E (a — Winkel zwischen p und 4) — P(1-4-t?a) — P (1 0H. wenn durch R der Para-
TER p?
meter des zur Ebene pq senkrechten Strahles bezeichnet wird. Also Q k'?— P(p?- Rp?) Dieser Satz
behauptet also, daß der Parameter (Q zur Zone P{1-R} gehört, und dies ist selbstverständlich.
70
des Komplexes verschwinden die irrationalen Faktoren der vollständigen Indizes als die
gemeinschaftlichen. 2
Es braucht nicht erwähnt zu werden, daß hierzu der kubische Komplex gehört, da
demselben als Grundparameter die Zahlen TATE eigen sind, welche von selbst rational sind.
Überhaupt können solche Komplexe nur unter denjenigen trigonalen mesosphürischen Iso-
&dern sein, welchen die gleichen Parameter sämtlicher den Mittelpunkt (der ein- und um-
geschriebenen Sphäre) mit den Eckpunkten verbindenden Strahlen zukommen.
Die Frage läßt sich somit durch einfache Zusammenstellung sämtlicher hierzu gehóriger
Figuren lösen. Von vornherein sind aber alle diejenigen ausgeschlossen, welchen fünf-,
sieben- und mehrzählige Symmetrieachsen eigen sind. Mit diesem Ausschluß bleiben nur
folgende zur Berücksichtigung: !)
1. Mesosphärisches Hexakisoktaéder. Dieser Fall ist ausgeschlossen, da den betreffen-
den Strahlen die Parameter 1, 2 und 3 zukommen.
2. Die pyramidalen Würfel Dieser Fall ist ausgeschlossen, da den betreffenden
Strahlen die Parameter 1, 3 und 3 zukommen.
3. Oktaéder. Den Strahlen kommen die Parameter 1, 1 und 1 zu. Diese Figur ist
aber die Grundfigur für den kubischen Komplex.
4. Tetraöder. Den Strahlen kommen die Parameter 3, 3 und 3 zu. Der betreffende
Komplex ist aber mit dem kubischen identisch.
5. Trigonale Bipyramide. Den Strahlen dieses mesosphärischen Isoéders kommen die
Parameter 3, 3 und 1 zu. Dieser Komplex [3-3] = [1-3] ist also derjenige, welcher als
hexagonal-isotrop bezeichnet wird.
6. Tetragonale Bipyramide. Der mesosphürische Vertreter dieser Reihe ist aber das
reguläre Oktaöder, welcher, wie erwähnt, den kubischen Komplex bedingt.
7. Hexagonale Bipyramide. Den Strahlen dieses mesosphärischen Isoöders kommen die
Parameter 3, 3 und 1 zu. Der Komplex ist also mit demjenigen der trigonalen Bipyramide
identisch, das heißt hexagonal-isotrop.
In anderen mesosphärischen Isoödern, wie in Skalenoédern, Sphenoédern, sind nicht
alle zentralen durch die Flächenteile hindurehgehenden Ebenen Symmetrieebenen und die
von zwei solchen Ebenen gebildeten Winkeln keine rationalen.
Nun wollen wir zeigen, wie sich die vollständigen
Indizes des hexagonal-isotropen Komplexes rational ge-
b stalten lassen. Auf drei senkrechten Strahlen dieses
Komplexes hat man die Parameter 1, 3, 3 anzunehmen.
Es seien diese Strahlen O A, O D und der zu beiden senk-
rechte Strahl (Fig. 21). Nachdem der Komplex mit irratio-
nalen vollständigen Indizes entwickelt worden ist, soll der
erste Index durch einen anderen ersetzt werden, welcher
sich auf einen Strahl mit dem Parameter 3 bezieht.
Dieser Strahl ist aber der Strahl O C, welcher mit OA
1) Bei dieser Zusammenstellung folgen wir dem Werke des Verfassers „Über die mesosphärischen
Polyüder^, wo die vollständige Ableitung derselben ausgeführt wurde (in Mémoires de l'Akad. J. des
Seiences de St. Petersbourg, XIV, Nr. 1).
71
den Winkel 30° bildet. Es ist ganz augenschemlich, daß nur der auf diesen Strahl
sich beziehende Index zu berechnen ist, während die beiden anderen unverändert
bleiben.
Wenn wir also eine beliebige Ebene des Komplexes ziehen würden, welche die Ebene
des Strahles O 4 und O B in der Geraden ac schneidet, so bleibt nur die Strecke O c
in der Streckengröße O a auszudrücken, da diese Größen den betreffenden Indizes umge-
kehrt proportional sind. Während 04 — 1, 0B— 0C — = nehmen wir Oa i und
A
ny3
Die Strecke Oc läßt sich aus dem Dreieck Oac berechnen, wo Oa und zwei an-
m
liegende Winkel bekannt sind, da tang a — Nun ist aus der elementaren Trigono-
V3.
metrie bekannt, daß:
een ei Ze
HT m sin(Oca) sin(150— ay
1 2
Daraus läßt sich berechnen 2 = — - —.
ya m+n
Schreiben wir als ersten Index denjenigen, welcher sich auf den senkrechten, als zweiten
denjenigen, welcher sich auf den Strahl Ob und als dritten denjenigen, welcher sich auf den
Strahl O a bezieht, so erhalten wir eine Ebene, für welche die bezüglichen Achsenschnittstrecken
ee!
nie die früheren irrationalen Indizes (]/3, mV3, n und die neueren rationalen
m' m
, — = MIN ,/Z m--n —.
respektive IV3, my3, mE oder l0, m, 5 sind.
p pe
Man ersieht daraus, daß die alten und neuen Indizes allein in derjenigen Zone unver-
ändert bleiben, für welche m — ^».
Berücksichtigt man noch, daß den beiden Strahlen OB und O C noch ein dritter O.D
gleich ist, welcher mit den beiden durch eine sechszählige vertikale Symmetrieachse ver-
bunden ist, und daß für denselben die .von derselben Ebene bedingte Strecke gleich
2
—— — — — ist, so erhält man als vollständiges
V3 »— m)
& eU ci NUTS m+n n—m
Symbol ein viergliedriges (1 m, 2d Mt)
In der Figur 22. sind die unvollstándigen
irrationalen Indizes mit den respektiven vollstán- em
digen rationalen zusammengestellt. Die irratio- (0709)
nale Komplexentwicklung ist durch punktierte
Linien und die neue, rationale, durch ununter- s
brochene Linien angedeutet. (0712)
Obgleich für sämtliche Strahlen die beiden
ersten Indizes unverändert(proportional)bleiben,
so ändert sich doch der Entwicklungsgang von Fig. 22.
001
(0071) 013 (0121)
72
Grunde aus. Anstatt vier Grunddreiecke auf der Hemisphäre erhält man jetzt sechs
solcher, welche vom Strahl (100) einerseits und von den Strahlen (001), (011), (011),
(001), (011), (011) andererseits bestimmt werden.
Bezeichnet man die alten unvollständigen Indizes durch (p, p, p,) und die drei ersten
neuen vollständigen durch (g, 9, 9,), so hat man also die Beziehung
91:92:95 — 2 p,:2 py: po + ps
und umgekehrt:
Pi Dy ps = 04:05: — d Y 2.
Für zwei zueinander senkrechte Strahlen 'existiert bekannterweise die Relation
(Zonengleichung):
n,V3-r,V3-r p, V8 -r,V3 4- pyr, — 0 respektive 3 p,r, 2- 3 p, 7, + p, je.
Für die neuen Indizes nimmt die Gleichung die folgende Form an:
34,5, 1- 9455, H- (29 — 4;) (28 — 5,5) — 0. resp. 39,5, 4- 4, 5 -- 4 08, — 2 (05$, + d, 5,) — 0.
Diese Gleichung kann man schreiben
di (35,) 4- d; (4s, = 25) +9 (EPI E 4$) —0
oder $, (34,) c- $ (£d, —24,) - s,(— 245 - 44) — 0.
Die in Klammern gestellten Faktoren bezeichnet man als die Subindizes. Ersetzt
man diese Faktoren einfach durch Indizes mit unten gestelltem Strich, so erhält diese
Zonengleichung die Form:
Q, $, tot dy $4 — 0 respektive q, $, 4- d4 $, d- d4 $, — 0.
Denken wir, daß die beiden Strahlen q und g‘ zum Strahl s senkrecht sind, so
erhalten wir
Q, 5, -- ds Ss T ds $, —0
und d, 5, 3- ds $a - ds Sy — 05
|
Un 1G2145 AL? |. | d: de |
I4 0 | 1a | [Rs
Die Subindizes lassen sich also direkt durch diese Operation berechnen, und dann
mit Anwendung von
folglich:
welche sich als umgekehrte aus der oben angedeuteten Gleichung
$,:1$,:$,— 98, :45, —2$,: —28, +48
ergibt, lassen sich die Indizes der Zone berechnen.
Zum Beispiel für die Subindizes der Zone von zwei Strahlen (1911) und (2121)
erhält man:
121 |
Sy desit ioc t| ase OD
Folglich $,:5,:3,— 2-1:2-0-p- 1:0. -2-1— 2:1:2,
Also die Zonenachse ist (2121) und so fort.
73
Unter allen isotropen Komplexen zeichnen sich also zwei besonders, der kubische
und der hexagonale, dadurch aus, daß ihnen trigonale mesosphürische Isoöder — das
Oktaöder und die hexagonale Bipyramide — zu Grunde liegen, deren Achsen wirkliche
Symmetrieachsen sind und zugleich gleiche Parameter besitzen — 1 für den kubischen
und 3 für den hexagonalen Komplex — und daß infolgedessen ihre sämtliche Strahlen durch
vollstàndige rationale Indizes sich ausdrücken lassen.
Die übrigen trigonalen mesosphärischen lIsoéder mit den Achsen, welche gleiche
Parameter besitzen, kónnen nur Polyéder von unendlieh hohem Grade sein.
' Man hätte sagen können, daß nur diesen beiden Komplexen reale Bedeutung zukommen
kann, weil reale Objekte von unendlich hohem Grade nicht gut denkbar sind. Und in der
Tat hat die zonale Kristallographie den erfahrungsmäßigen Beweis erbracht, daß in der
Natur, in dem Reiche der Kristalle, nur diese beiden isotropen Komplexe vertreten sind
und zugleich als typische Vertreter der unendlich veründerlichen Objekte vorkommen, so
daß jeder natürliche Kristall entweder als nach bestimmten Gesetzen deformierter kubischer
oder hexagonaler betrachtet werden kann. Demgemäß wurde in der zonalen Kristallographie
die Einteilung sámtlicher Kristalle in zwei Typen — den kubischen und den hypohexa-
gonalen — konstatiert.
Jetzt können wir die Gesamtheit derjenigen Parameter auffinden, welche diesen beiden
Komplexen zukommen.
Es läßt sich der Beweis erbringen, daß in dem kubischen Komplex die Zahlen der
Form Sn — 1 und in dem hexagonalen Komplex die Zahlen von der Form 2+3n als
Parameter nicht vorkommen.
Zuerst ist der Hilfssatz zu beweisen, daß die Zahl a®-+ 1 nicht durch 3 teilbar
sein kann.
Wäre dies der Fall gewesen, so hätte « nicht durch 3 teilbar sein können, also
entweder nur die Zahl 3e -- 1 oder 3e — 1. Bei der ersten Annahme hätten wir gehabt,
daß die Zahl (3e 4- 1)? 43-1 — 3 (3c? 4- 26) J- 2, bei der zweiten Annahme, daß die Zahl
36—1y-4-1—5(3c*—206)-- 2 durch 3 teilbare Zahlen sind, was aber unmöglich ist.
Wie wir im I. Teile (S. 34) gesehen haben, sind sämtliche Zahlen des Komplexes (1, 1]
Produkte von der Form (4a, 4-1) (£a, 4- 1) (4a, 4- 1)... oder noch mit dem Faktor 2
versehen. Diese Produkte sind aber selbst von der Form (4c +1). Wäre also in dem
Komplexe [11] eine Zahl von der Form 8» — 1 vertreten gewesen, so hätten wir die
Gleichungen
entweder a*-- (de+V)=8n—1,
oder a*-- 2(4e4-1)—8m—1
gehabt.
Daraus kónnen die Gleichungen gefolgert werden
entweder G?—2(4q« — 2c — 1),
oder a? — 4 (2m — 2c — 1) 4-1 respektive (a 4- 1) (a — 1) — 4 (2 & — 1).
Die erste Gleichung ist von vornherein als unmögliche ausgeschlossen. Aber auch
die letzte Gleichung ist unmöglich. In der Tat ist für dieselbe die Annahme, es sei a
eine gerade Zahl, ausgeschlossen. Wäre aber a eine ungerade Zahl, so ist eine von den
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIIT. Bd. I. Abt 10
74
Zahlen (a +1) und (a — 1) nur mit 2, und die andere durch 4 (in partikularen Fällen
sogar mit 8, 16 u.s. w., das heißt überhaupt durch 2*, wo k >1) teilbar. Daraus ersieht
man, daß die Zahlen der beiden Teile der geschriebenen Gleichung nicht die gleichen sein
können!).
Der Komplex [1-3]=[1-3(1,1)] enthält als Parameter die Zahlen von der Form
a* J4- 3 (1 4- 4c) respektive a?4- 6(1 + 4c). Soll unter diesen Zahlen auch die Zahl 2 4- 3»
vorkommen, so hätten wir die Gleichheiten
a?--1 23k respektive @* +4=3%
gehabt.
Nun sieht man, daß die letzte Gleichheit nur eine spezielle Form der ersteren ist;
ist die erste unmöglich, so gilt dasselbe auch für die zweite. Die Unmöglichkeit der ersten
wurde aber durch den oben aufgestellten Satz festgestellt.
Derselbe Beweis läßt sich aber Auf direktem Wege erhalten. Wäre die Gleichheit
pfi 3p 3p-—2-F3n
eine mögliche, so wäre dasselbe auch für die Gleichheit
3 (x 4- i2) — 20: 4-1) 4-3k
der Fall. Die letzte Gleichheit ist aber unmöglich, da pi + l nicht durch 3 teilbar ist.
Wir haben im Vorhergehenden die quadratischen Faktoren unberücksichtigt gelassen.
Der Beweisgang ändert sich aber nicht wesentlich, wenn auch diese Faktoren mit in
Betracht gezogen werden.
Für den kubischen Komplex erhalten wir anstatt der zweiten obigen Gleichheit die
Gleichheit
a? 4- 2(4e 4- 1) 2 (8n — 1)d?
und daraus
a? 4- d? — 2 [4 (n d? — e) — 1].
Der erste Teil der Gleichheit ist der Zahlenkomplex {1-1}. Derselbe enthält aber
ausschließlich die Faktoren 2 und (4e + 1), kann also den Faktor 4(» d? — c) — 1 nicht
enthalten.
Für den hexagonalen Komplex erhalten wir die Gleichheit
3a? 4- 35? -- e 2 (2--3n)da?
respektive
3 (a? + +) — 3nd? 4- 2 (e + d?).
Nun aber enthält der Zahlenkomplex (c*-- d?) respektive (1, 1) den Faktor 3 nicht,
und die Gleichheit ist somit eine unmögliche.
Jetzt wollen wir die beiden Zahlenkomplexe entwickeln.
Diese Entwicklung kann, analog dem, was im ersten Teile ausgeführt, durch sukzessive
Addition der Indizes nach Perioden geschehen. Aber der kürzere Weg ist direkt die Reihe
{1,1} anzugeben, und derselben die Reihe a? hinzuzufügen.
!) In der Zeitschrift für Kristallographie 40, 340 wurde der Beweis auf anderem Wege erbracht.
Drittor
ID 7 Index
sooo Ct - c
Dann erhalten wir folgende Tabelle.
Zwei erste Indizes ; 17)
00 01 11 02 12 22 03 13 23 04 14 33 94 34 15 95 44 35 06 16 26 45 36 07 55) 46
01 2 45 8 91013 16 17 18 20 25 26 29 32 34 56 37 40 41 45 49 50 5
1. 23. 9 — — LE DE Me EE ge ce Zee —
4.5 68.912 — — — — d s —
0 ua re AID ee ei D =
16 17 18 20 21 24 25 26 29 32 33 34 36 — — — 48 — — — —
25 26 27 29 30 33 34 35 38 41 42 43 45 50 51 54:57 59 — — — 66 — — 5 .—
36 37 38 40 41 44 45 46 49 52 53 54 56 61 62 65 68 70 72 73 76 77 81 — 86 88
49 50 51 53 54 57 58 59 62 65 66 67 69 74 75 78 81 83 85 86 89 90 94 98 99
64 65 66 68 69 72 73 74 77 S0 81 82 84 89 90 93 96 98
81 82 83 85 86 89 90 91 94 97 98 99
Um Wiederholungen zu vermeiden, wurden hier nur solche dritte Indizes berück-
sichtigt, welchen kleinere bis gleiche und keineswegs größere Zahlen unter den beiden
ersten Indizes entsprechen.
Vergleichen wir die auf diese Weise erhaltene Zahlenreihe mit der vollständigen Reihe
der Parameterzahlen bis 100:
ae 10, Peto 14, 19, 17, 19,521, ,22,723,:26, 12%
29, 30, 31, 33, 34, 35, 37, 38, 39, 41, 42, 43, 46, 47,.51, 53, 55, 57,
oe mag. e 518/62:5/65. 2566, 0107 69] 10 dil 2 Tas A a BO MS DRE QUEE:
86,. 84, 89, 91,..98,. 94, 95. 97;
so finden wir, daß unter den Parameterzahlen des kubischen Komplexes aus-
schließlich und allein die Zahlen der Form 8» — 1 nicht vorkommen. Diese
Zahlen sind in dieser Reihe fett gedruckt.!)
Ermitteln wir auf analoge Weise die vollständige Zahlenreihe für den hexagonalen
Komplex [1-3] — [1-3 (1, 1]].
Dazu läßt sich folgende Tabelle zusammenfassen:
1) Für den Komplex [(1:1-1-1]] des vierdimensionalen Raumes, welcher sich natürlich auch in
der Form nn darstellen läßt, kann man also sagen, daß in demselben alle möglichen Parameter-
zahlen vertreten sind, was auch aus dem längst bekannten Satze der Zahlentheorie folgt, nach welchem
aus vier ganzen (Juadraten jede ganze Zahl zusammengesetzt werden kann.
Dritter
Index
«6 0 -10 0| 4€ 0n ©
mn
oO
11
76
36
49
64
81
70
87
61
76
93
12
15
16
19
24
31
40
51
61
79
96
100 108 106 112 115
121 124 127 183 136
29,
58,
86,
114, 115,
Vergleichen wir
so finden wir,
schlie&lich und allein die Zahlen der Form 2
9,
33,
62,
73
88
105 108
124 127
63
76
91
145 148
6,
34,
65,
p]
93,
13
30
sl
34
39
46
55
66
79
23
39
40
43
48
55
64
75
88
Zwei erste Indizes
04 14
73 76
84 87
99 100
94 103 112 115
111 120 129 132
130 139 148
103
118
135
die auf diese Weise
Reihe der Parameterzahlen
3JIle
61,
89, 91,
[io
35,
66,
94,
118, 119, 122,
bis 150
10) dub. 83b
37, 98, 39,
6 HET
95, "97; 101,
123, 127, 129,
142,
143, 145, 146,
24 34 15
60 75 78
61 760719
64 79 82
69 84 87
76 91 94
85 100 1038
96 111 114
109 121 127
124 139 142
141
14,015:
41, 43,
71,73,
102, 103, 105,
130, 131, 133,
147, 149,
44 35 06
96 102 108
97 103 109
100 106 112
105 111 117
112 118 124
2 121 127 135
132 138 144
145
19, 21,
46, 47,
7, 78:
106, 107,
154, 137,
17
16 26 45 36 07 55
111 120 123 135 147 150
112 121 124 136 148
115 124 127 139
120 129 132 144
127 136 139
136 145 148
147
22, 23, 26, 27,
51, 59; 09,9,
79, 82, 83, 85,
109, 110, 111, 113,
138, 139, 140, 141,
daß unter den Parameterzahlen des hexagonalen Komplexes aus-
Zahlen sind in dieser Reihe fett gedruckt.
Indizes direkt abzulesen.
+3n nicht vorkommen.
Diese
Der letzten Tabelle kónnen wir uns bedienen, um die Parameter für jede gegebenen
In derselben sind die unvollstündigen (S. 71), welche wir von den
richtigen Symbolen mit Klammern und Parenthesen unterscheiden wollen.
Also aus der zweiten Kolonne ersehen wir, da& den Indizes
1100? = (1000) und {010} = (0211) der Parameter
107: —(2011) 5
{102}= (1011) ,
entspricht.
{103} —
2033) .
{104} = (1022) „
{105} = (2055) .
011) — en l
1012
1013
(014
1015
Die ternüre quadratische Form
— PPP,
welche den vollständigen Zahlenkomplex ausdrückt, drückt zugleich die Gesamtheit der
Punkte eines Raumgitters,
mit den Kantenlängen V P,, V P,, V P, P, sind, aus.
Pe
j
js
ems
}
=
Ü
n a
(0253),
(01932)
t
[n
-1 cO
ww Im
dessen parallelepipedische Maschen rechteckige Parallelepipede
T
Nun wird in der Lehre von den regulüren Punktsystemen (zuerst von Frankenheim
und Bravais) der Beweis erbracht, daB, wenn zu dem gegebenen haumgitter noch die ihm
parallelen Raumgitter hinzugefügt werden, deren Punkte entweder a) die Mittelpunkte eines
Systems von rechtwinkligen Flüchen oder b) die Mittelpunkte aller drei Systeme dieser
Flüchen der parallelepipedischen Maschen, oder c) die Mittelpunkte der parallelepipedischen
Maschen selbst ohne oder endlich d) mit den Mittelpunkten der Kanten desselben einnehmen,
neue haumgitter entstehen. Der Beweis wurde eigentlich aus allen isotropen Komplexen
allein für den kubischen erbracht; der Beweisgang zeichnet sich aber durch solche Ein-
fachheit aus, daB es hinreichend ist zu erwähnen, daß derselbe ebenfalls für alle isotropen
Komplexe gültig ist.
In der Lehre von der regulären Raumteilung!) wird der Beweis erbracht, daß diesen
verschiedenen Raumgittern verschiedene reguläre parallele Raumteilungen resp. Parallelo-
&der entsprechen, und zwar jedem solchen Punktsystem ohne hinzugefügte Raumgitter —
die Triparallelo&áder, den Raumgittern a) die Tetraparallelo&der, den Raumgittern b)
die Heptaparalleloéder und endlich den Raumgittern c) die Hexaparalleloéder.
Beschrünken wir jetzt unsere Betrachtungen auf die zwei besonderen Komplexe, den
kubischen und den hexagonalen. j
Die Symmetrieverhültnisse des ersten sind nur mit den Raumgittern 1) der einfachen,
2) der dem Falle b) und 3) der dem Falle c) entsprechenden kompatibel, und die Sym-
metrieverhültnisse des zweiten nur mit dem Raumgitter a) kompatibel. Also dem kubischen
Komplex sind die Tri-, Hexa- und Heptaparalleloéder zugeordnet, welche sich durch
dieselben wirklichen Symmetrieelemente auszeichnen, die für diesen Komplex charakteristisch -
sind, und dem hexagonal-isotropen System sind allein die Tetraparalleloéder zugeordnet
mit den für diesen Komplex charakteristischen wirklichen Symmetrieelementen.
Alle übrigen Paralleloöder, für welche diese Übereinstimmung in wirklichen Symmetrie-
elementen derselben mit denen der Komplexe nicht besteht, bezeichnet man als die
anomalen. ;
Nun führt die Anwendung der Syngonielehre auf die Lehre über die Raumgitter die
folgenden neuen Definitionen und Sätze ein.
Ein rechtwinkliges Raumgitter, dessen parallelepipedische Maschen
durch rechteckige Flächen begrenzt sind, und in deren -Flächen die Seiten
sich wie die Quadratwurzeln von ganzen Zahlen verhalten, wird das isotrope
genannt.
Es gibt unendlich viele isotrope Raumgitter.
Wenn wir ein isotropes Raumgitter, dessen Seitenkanten die Parameter P,, P,, P, P,
sind, in demselben Punktsystem durch ein anderes ersetzen, dessen Seitenkanten wieder drei
zueinander senkrechte Strahlen sind mit denselben Parameter P,, P, und P, P, (deren zu-
geordnete Strecken aber von anderer absoluter Größe sind), so erhalten wir ein anderes
Raumgitter, welches dem ersteren wesentlich gleich ist, indem seine Kantenstrecken durch
proportionale Strecken ersetzt sind, und dabei bildet dieses Raumgitter nur einen integrie-
renden Teil des ersten.
!) Am umstándliehsten in den Abhandlungen der K. Bayer. Akademie der Wiss., II. Kl, XX. Bd.,
IL Abteil, 1900, S. 32 ff.
Dieser Ersatz ist aber auf unendlich viele Weise auszuführen.
Bezeichnen wir die drei Hauptstrahlen des ersten Raumgitters durch 7, r,, r, respektive
mit den Parametern P,. P, P, P, so können wir zum Beispiel die Strahlen r, und v, in
ihrer Ebene um r, drehen, bis r, mit einem Strahl r,'sich deckt, welcher sich in derselben
Ebene durch denselben Parameter P, auszeichnet (und wir wissen, daß in jeder Strahlen-
ebene unendlich viele solcher gleichen Strahlen vorhanden sind); dann muB notwendig auch
der Strahl r, mit einem ihm gleichen Strahl r,' mit dem Parameter P, zur Deckung kommen.
Jetzt führen wir noch eine solche Drehung der Strahlen r,' und r, in ihrer Ebene um den
Strahl r,' aus, und erhalten eine neue Kombination zueinander senkrechten Strahlen »,', r,", 7,
mit denselben respektiven Parametern P,, P, und P,P,, und diese drei Strahlen können
wir also als Hauptstrahlen des neuen, aber gleichen Raumgitters annehmen.
Überhaupt können wir den Strahl r, durch einen beliebigen ihm gleichen Strahl 7,'
des Komplexes ersetzen und als r,' einen sonst beliebigen, aber zu r,' senkrechten Strahl
auswählen, dessen Parameter gleich P, ist; dann muß als r,‘ derjenige Strahl angenommen
werden, welcher zü beiden Strahlen r,‘ und r,' senkrecht steht. Da der Komplex derselbe
ist, so muß r,' den Parameter P, P, besitzen.
Also jedes isotrope Raumgitter enthält in sich unendlich viele ihm gleiche
aber nicht parallele isotrope Raumgitter.
Im Gegensatz zu ebenen Netzen enthält jedes Raumgitter auch unendlich viele Systeme
ihm ungleicher isotroper Raumgitter in sich.
Denken wir uns nun, daß um jeden Punkt eines isotropen haumgitters gleichzeitig
und mit gleicher Geschwindigkeit eme Sphäre wächst, deren Mittelpunkt dieser Punkt ist,
bis endlich unendlich viele Sphären zugleich zur Berührung kommen, aber in dem frei
gebliebenen Raume mit derselben Geschwindigkeit fortwachsen; dann entsteht zuletzt
in dem unbegrenzt gedachten Raume ein unendliches System von Polyédern, welche als
Parallelo&der bezeichnet wurden, da in denselben notwendigerweise die Flächen in die
gleichen und parallelen Paare sich teilen lassen.
Daß diese Polyéder wirklich Poly&éder und dabei Paarflächner!) sind, folgt daraus, daß
bei diesem Sphärenwachstum sich die ebenen Flächen ausbilden, welche zu den die nächst-
liegenden Punkte verbindenden Geraden senkrecht stehen und durch deren Mittelpunkte
hindurchgehen.
Daß dieselben wirklich Parallelo@der sind, folgt daraus, daß durch sie der unbegrenzt
gedachte Raum in gleiche und parallele Bereiche regulär geteilt wird. Zugleich sind diese
Paralleloöder konvexe Polyéder.
Nun wird in der Lehre von der regulären Raumteilung wirklich der Beweis erbracht,
daß solche Paralleloöder nur Tri-, Tetra-, Hepta- und Hexaparalleloéder sein können.
Wie wir gesehen haben, gehören dazu vier verschiedene Arten von Raumgittern, welche
wir als solche L, IL, III. und IV. Art bezeichnen können.
Es sei noch erwähnt, daß hier von den primitiven und einfachen Parallelogonen die
Rede ist.?)
!) Unter Paarflüchner wird ein Polyéder verstanden, dessen Flächen paarweise gleich und parallel
sind (gleichgültig gerade oder umgekehrt parallel Elemente der Gestaltenlehre $ 69.
?) Das primitive, das heißt das Inversionszentrum besitzende Parallelo&der (Elemente der Gestalten-
lehre $ 76). Das primitive Paralleloöder wird als das einfache bezeichnet, wenn in demselben parallele
Flächen nur paarweise auftreten; sonst heißt es ein zusammengesetztes (ebenda $ 76).
19
Alles zusammengefaßt, ergibt sich, daß jedem isotropen Raumgitter I. Art die
Triparallelo&8der zukommen, welche mit den parallelepipedischen Maschen
desselben identisch sind.
Jedem isotropen Raumgitter II. Art kommen bestimmte Tetraparallelo-
éder zu.
Jedem isotropen Raumgitter Ill. Art kommen bestimmte Hepta- und dem-
jenigen IV. Art bestimmte Hexaparalleloéder zu.
Bekanntlich gehören die Paralleloöäder zu derjenigen Abteilung der Polyéder, welche
als die Zono8der abgegliedert werden.!)
Nun läßt sich der Satz aufstellen, nach welchem sämtliche zentrale, zu primi-
tiven Zonenachsen senkrechte Schnittfiguren der einfachen isotropen Par-
allelo&der einfache isotrope Parallelogone sind.
Daß diese Schnittfiguren Parallelogone sind, wurde schon früher erkannt?) DaB aber
diese Schnittfiguren isotrope sind, folgt daraus, daß die respektiven Schnitte des Raum-
komplexes isotrope ebene Komplexe sind.
Aber durchaus nicht alle diese Schnittfiguren stellen normale Parallelogone dar.
Dies ist für das normale Triparalleloeder des kubischen und für das normale Tetra-
paralleloöder des hexagonal-isotropen Komplexes, ebenso wie für sämtliche Schnittfiguren
des normalen Hexaparalleloöders des kubischen Komplexes der Fall. Die Schnittfiguren
aber des normalen Heptaparalleloöders des kubischen Komplexes sind die anomalen Tri-
parallelogone.
Dies ist schon daraus ersichtlich, daß der ebene
Schnittkomplex des Heptaparalleloöders den Parameter 2
und nicht 3 besitzt. Übrigens ist dies direkt daraus zu
schließen, daß in der zentralen Schnittfigur des Hepta-
parallelo&ders die Diagonale a d des Triparallelogons durch
zwei vertikale AB und C D in drei gleiche Strecken a b,
bc, cd geteilt wird, während im regulären Sechsecke die-
selbe Diagonale durch A B und C D in ungleiche Strecken
ab=de, und bd —be-- cd —ab-F- de geteilt wird.
Folglich kann das erste Sechseck durch keine homogene Deformation in das regulüre
Sechseck verwandelt werden.
Die ebenen Schnittkomplexe des normalen Triparalleloöders besitzen sämtlich den
Parameter 1.
Der ebene, zur Achse [1000] senkrechte ebene Schnittkomplex des normalen Tetra-
parallelo&ders besitzt den Parameter 3, während drei zu derselben Achse parallele ebene
Schnittkomplexe derselben Figur durch die senkrechten Strahlen {3-3} bestimmt sind,
folglich den Parameter 1 besitzen.
Fig. 23.
1 Die primitive Zone eines Polyéders heißt eine ununterbrochene Flächenreihe, deren jede zwei
nächste Flächen sich in parallelen Kanten schneiden (Kantenrichtung = Zonenachse). Das Zonoéder ist
ein Poly&der, deren sämtliche Flächen sich in primitiven Zonen verbinden (Elemente der Gestalten-
lehre $ 65).
2) Elemente der Gestaltenlehre $ 82.
80
Endlich besitzen alle sechs ebenen Schnittkomplexe des normalen Hexaparalleloöders
den Parameter 3.
Die übrigen Schnitte der normalen Paralleloéder, außer den erwähnten zentralen, sind
die Parallelogone hóherer Ordnung und kónnen wieder als die isotropen von anderen unter-
schieden werden.
Jetzt kehren wir uns den nicht isotropen rationalen Komplexen zu. Da jeder rationale
ebene Schnitt eines solchen, wie.in dem I. Teile bewiesen wurde, in der Verteilung der
Komplexstrahlen seinen Ausdruck in einer bestimmten Ellipse findet, so folgt daraus, daß
die Verteilung der Strahlen im Raumkomplexe durch ein bestimmtes Ellipsoid, Syngonie-
ellipsoid, ausgedrückt wird.
Die zonalen Verhältnisse für die isotropen und nicht isotropen Komplexe bleiben
dieselben. Dies folgt daraus, daß die Strahlen aller Komplexe durch eindeutige Projektivität
verbunden sind, was in gleichen (unvollständigen) Indizes seinen Ausdruck erhält; die
zugeordneten Strahlen, welche im isotropen Komplex tautozonal sind, verbleiben tautozonal
auch in nicht isotropen, so daß der Gang der Entwicklung des Komplexes durch sukzessives
Addieren der Indizes derselbe verbleibt für alle Komplexe und durch ganz analoge geometrische
Operation zu Stande kommt, und gerade diese Operation bestimmt die zonalen Verhältnisse
des Komplexes.
Nun ist diese kristallographische Projektivität, welche mit der Affinität übereinstimmt,
gleichbedeutend mit dem System der homogenen Deformationen, für welche die Bedingungen
gelten, daß die Ebenen und Geraden vor der Deformation als solche auch nach der Defor-
mation verbleiben; die parallelen Geraden und Ebenen verbleiben auch nach der Defor-
mation parallel; jede Punktreihe in beliebiger Richtung auch nach der Deformation in allen
ihren Teilen proportional (ühnlich).
Wenn also vor der Deformation als Ausdruck der Verteilung der Strahlen eine Sphäre
galt, welche wir als in einem Würfel oder mesosphärischen hexagonalen Prisma einge-
schrieben denken, so verwandelt sich nach der Deformation der Würfel in ein beliebiges
Parallelepipedon, aus dem so spezifizierten Prisma in eines von allgemeineren Charakter, und
die in ihnen eingeschriebenen Sphären in Ellipsoide, welche aber in dem betreffenden Par-
allelepipedon und Prisma eingeschrieben verbleiben.
Alle Kombinationen von drei zueinander senkrechten Vektoren werden jetzt zu Kom-
binationen der konjugierten Vektoren. Der Begriff des Parameters verliert jetzt seine
Bedeutung, und anstatt dessen verbleibt nur von Bedeutung der Begriff des Vektors mit
der jedem Strahle zugeordneten Strecke (Modulus). Alle kongruenten Punktreihen der
isotropen Raumeitter verbleiben als kongruente Punktreihen, und dabei wird die Punkt-
distanz dieser Reihe durch die Strahlenstrecken bestimmt. Das Produkt der Strecken dieser
koordinierten Vektoren wird jetzt veränderlich, aber dasselbe, multipliziert mit der Sinus-
funktion des von den koordinierten Vektoren gebildeten Trigonoéders bildet eine kon-
stante Größe, welche der Größe des Volums des von den Vektoren bedingten Parallel-
epipedon gleich ist. Wenn wir als homogene Deformationen allem das System von Ver-
schiebungen zur Anwendung bringen, so kann man sagen, daß diese Größe derjenigen des
Volumens des rechtwinkligen Parallelepipedon der isotropen Komplexe gleich ist, weil die
Verschiebungen die Volumenelemente unveränderlich lassen.
81
Die Gleichungen dieses Syngonieellipsoides lassen sich direkt aufstellen .auf Grund
derjenigen Eigenschaft desselben, dab seine Hauptachsen die einzigen konjugierten senk-
rechten Geraden sind. Dazu sind die Projektivitütsgleichungen anzuwenden, welche nach
dem Berechnungssystem des Verfassers zur Bestimmung der projektiven Indizes dienen!)
In einfachster Form sind diese Gleichungen für die Berechnung der Flächenindizes:
4
Di Q4 D, - ds Dy T. 5 Ds
N Q4 Ds d- 05 Ds
ps' P3
und für die Berechnung der Kantenindizes:
n a,r,
s ee CRUS à
Ty — (0,05 — 4g 44) r, — 0, 05 "s tar
Für die senkrechten Flichen und Kanten haben wir die Gleichung:
p':m.'-* a Ip 56g!
ESP NEL,
Speziell für die konjugierten haben wir außerdem:
Di DE eq our str
Folglich bestehen für die Achsen (d,, d,, d,) der Syngonieellipsoide die Gleichungen
u.dh+radtad, ^ ad,
a,d,-Fa,d, _ —@, d,+a,d,
d, (a, —a,a)d - wa,d,taa,d,
und gerade diese Gleichuug ist die gesuchte charakteristische Gleichung für das Syngonie-
ellipsoid.
Da in diesen Gleichungen die Koeffizienten der Projektivitätsgleichungen «a; im All-
gemeinen irrationale Zahlen sind, so ergibt die Auflösung dieser Gleichungen irrationale
Werte für d. Also im Allgemeinen, das heißt für die trikline Syngonie, sind die
Strahlen, welche die Ellipsoidachsen darstellen, nur durch irrationale Indizes
ausdrückbar.
Diese Schlußfolgerung ist mit derjenigen identisch, nach welcher in triklinen Kom-
plexen drei senkrechte rationale, das heißt dem Komplexe zugehörige Strahlen unmöglich
sind. Und in der Tat, wären solche vorhanden gewesen, so hätten wir in den drei senk-
rechten Schnittebenen des Komplexes orthogonale Zonen (rhombische ebene Strahlen-
komplexe) gehabt, und dies wäre keineswegs als allgemeiner Fall zu bezeichnen.
Noch zweckmäßiger wäre es die Komplexe als veründerliche zu betrachten, inso-
fern diese Veränderlichkeit mit dem Vorhandensein der bestimmten wirklichen Symmetrie-
elemente kompatibel ist. In dieser Auffassung wäre aber das Vorhandensein der Symmetrie-
elemente als eines speziellen Falles abzusondern. Dann hätten wir sagen können, daß von
Belang nicht die zufällig erscheinenden rechten Winkel, sondern solche sind, welche als die
notwendigen Folgerungen der Annahme der Symmetrieelemente auftreten.
1) IV. Analytisch-kristallographische Studie. Einleitung.
Abh. d. IL. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. ]. Abt. 11
82
Dann würden wir folgende spezielle Fälle unterscheiden können:
1. Es gibt keine wirklichen Symmetrieelemente. Natürlich ist im Komplexe selbst
stets ein Inversionszentrum vorhanden. In diesem Falle sind keine notwendigen Bedingungen
dafür vorhanden, daß die Ellipsoidachsen rational sind. Sie sind also alle als irrationale
Strahlen anzunehmen. Zugleich gibt es keine gleiche Strahlen, das heißt solche, welche
notwendigerweise zur Deckung kommen, wenn wir den Strahlenkomplex in anderer Orien-
tierung mit sich selbst zur Deckung bringen, da jetzt überhaupt eine solche Deckung aus-
geschlossen ist. Alle Komplexstrahlen sind somit singuläre.
Diese Syngonieart wird als die trikline bezeichnet.
In diesen Strahlenkomplexen sind sämtliche Zonen schiefe.
2. Es gibt eine zweizählige Symmetrieaxe. Da zugleich das Inversionszentrum not-
wendig vorhanden ist, so folgt daraus, daß auch die resultierende, zur Symmetrieachse
senkrechte, Symmetrieebene notwendig vorhanden ist.
In diesem Falle muß notwendigerweise eine der Ellipsoidachsen diese Symmetrieachse
sein, und die senkrechte Symmetrieebene ist die Ebene der beiden anderen Ellipsoidachsen.
Diese Ebene ist zugleich diejenige besondere Ebene, in welcher sämtliche Strahlen
singuläre sind. Außerdem ist natürlich die Symmetrieachse, welche allein vorhanden ist
und zu dieser Ebene senkrecht steht, ebenfalls singulär. Sämtliche andere Strahlen sind
paarweise einander gleich, da sie zur Deckung kommen, wenn man den Komplex selbst
durch die diesem zukommende symmetrische Operation zur Deckung bringt.
Diese Syngonieart wird als die monokline bezeichnet.
Da in diesem Falle eine Ellipsoidachse notwendigerweise rational ist, so können wir
derselben rationale Indizes zuschreiben. Nehmen wir für dieselbe die Indizes [010] an, so
erhalten wir für die Koeffizienten der Projektivitätsgleichungen die Bedingungen a, — 0 und
a,—= 0, und dann reduziert sich die Gleichung der Ellipsoidachsen zu:
ad, +a,d, a,d,
a,d, ad,
d, —a,a,d,-4-a,a, d
Da für die Indizes (d, d,d,) nur ihr Zahlenverhältnis in Rücksicht kommt, so ist
es erlaubt, eine dieser Zahlen, z. B. d,, als Einheit anzunehmen, falls dieselbe nicht
gleich Null ist.
Dann erhalten wir zwei Gleichungen zur Bestimmung der beiden anderen Indizes
(a, d, 4- a4) (— a4 a, d, -- a, 04,) — a, d,
und |
d; d, d, — a, (a, d, + a4) d, — (ai d, + a, 4,) d,.
Die Auflósung der ersten Gleichung als quadratische in Bezug auf d, gibt zwei Werte
d,' und d,", und dabei stets reelle, da:
a;—0;4-1 X YV(ai E uL 1)? + 4
q[ —
2
2 (04 05
1
Setzen wir diese Werte in die zweite Gleichung, so erhalten wir, da& die Summe
(ai — ai) d, — a, a, nicht verschwindet, also d, gleich Null sein mu£.
83
Wenn umgekehrt in der zweiten Gleichung d, nicht gleich Null angenommen wird,
so erhält man d,— ! a und setzt man diesen Wert in die erste Gleichung, so erhält
4 1
man den Widerspruch. Also bei der Annahme, da& d, der Zahl O nicht gleich ist, ist
die Annahme d, — 1 unmöglich, also d, — 0 und zugleich d, — 0, da P: P =.
3 Er A
Somit erhalten wir die Werte für drei Ellipsoidachsen d,'01, d," 01 und 010. Die
Kenntnis der Indizes d,' und d," lassen uns die Lage der betreffenden Strahlen berechnen
durch die Winkelgrößen, welche diese Achsen mit der Vertikalachse [001] bilden. Diese
Indizes selbst sind aber irrational, und die Achsen selbst können nicht die Komplex-
strahlen sein.
In diesem Falle sind alle ebenen Strahlenkomplexe, welche den besonderen
Strahl (Symmetrieachse respektive Normale zur Symmetrieebene) enthalten, orthogonale
(rhombische).
Wählen wir als diesen besonderen Strahl den Strahl A (Fig. 16, S. 53) aus, und als
Strahlen A’ und A" die Strahlen in der besonderen Ebene, so erhalten wir aus der Formel 2),
da& das rationale Doppelverhültnis
Sin(4' PA") Sin(A" PA)
Sin(4’Q4“) ' Sin (A" Q.A)'
falls P und Q in der Ebene A A‘ liegende Strahlen sind, sich auf das folgende
cos AP sn AP ur. tang A Q
cos A Q'sin A Q eben tang A P
reduziert, was gemäß dem I. Teil für die orthogonalen Zonen charakteristisch ist.
Auf Grund des Gesetzes des Dualismus folgt weiter, daß auch jeder in der
besonderen Ebene liegende Strahl die Achse der orthogonalen Flächenzone ist.
Das sind die einzigen Fälle, in welchen nicht sämtliche drei Ellipsoidachsen die
rationalen Strahlen und zugleich die Achsen der orthogonalen Zonen sind.
Von den isotropen Komplexen vertritt allein der kubische eine besondere Syngonieart,
da hier allein die Gesamtheit der Symmetrieelemente zulässig ist, welche den Komplex
unveränderlich machen. Dazu sind vier dreizühlige Symmetrieachsen hinreichend, welche
die Lage der Würfeldiagonalen besitzen. Für die übrigen isotropen Komplexe ist dies nicht
der Fall Allein der hexagonal-isotrope Komplex zeichnet sich durch Zulässigkeit der
sechszähligen Symmetrieachse aus. Aber das Vorhandensein dieser Achse bedingt noch
keineswegs die genannte Unveründerlichkeit, da dabei stets die Dilatation in der Richtung
dieser Achse möglich ist unter der Bedingung der Beibehaltung der vorhandenen Symmetrie-
elemente.
Diesem Komplex entspricht als Syngonieellipsoid nicht notwendig die Sphüre, welche
lediglich als ein Grenzfall bei diesen Veränderungen erscheint, sondern ein Rotationsellipsoid,
in welchem die Rotationsachse mit dieser Symmetrieachse koinzidiert.
Das Rotationsellipsoid kommt aber auch zu Stande, wenn man die Dilatation des
kubischen Komplexes in der Richtung der vierzähligen Symmetrieachse ausführt. Diese
Syngonieart ist aber von der vorigen dadurch verschieden, daß eine einzige isotrope Zone
hier die tetragonale (mit Parameter 1), dort die hexagonale (mit Parameter 3) ist.
115
84
Somit erlaubt uns das Syngonieellipsoidgesetz folgende Syngoniearten zu unterscheiden.
1. Kubische Syngonie. Dieselbe ist allein durch den tetragonal-isotropen Komplex
vertreten, durch die Sphäre als Syngonieellipsoid charakterisiert, unveründerlich in ihren
singulären Elementen. Sie ist durch spezielle Symmetrieelemente fixiert, unter welchen
notwendig vier dreizählige Symmetrieachsen vertreten sind. Natürlich sind sämtliche Zonen
isotrop. Es gibt keine singulären Richtungen. Die minimale Anzahl gleicher Richtungen
ist drei: das sind die Hauptachsen mit dem Parameter 1.
2. Tetragonale Syngonie. Dieselbe ist durch den Komplex vertreten, welcher
aus dem vorigen durch Dilatation in der Richtung einer Hauptachse zu Stande kommt.
Für sie ist das Vorhandensein einer einzigen isotropen und zwar tetragonal-isotropen Zone
charakteristisch, deren Achse mit der Richtung der Dilatation koinzidiert. Sie ist durch
ein Rotationsellipsoid als Syngonieellipsoid charakterisiert, wo der Rotationsachse als Strahl
der Parameter 1 zukommt. Diese Richtung ist zugleich die singulüre. Alle übrigen
Strahlen sind Achsen orthogonaler Zonen. Die minimale Anzahl gleicher Richtungen
ist zwei.
3. Hexagonale Syngonie. Ihr Komplex entsteht gleichgültig aus dem kubischen
oder aus dem hexagonal-isotropen Komplex durch Dilatation in der Richtung der drei-
respektive sechszühligen Achse mit dem Parameter 3. Sie ist ebenfalls durch ein Rotations-
ellipsoid als Syngonieellipsoid charakterisiert, aber mit anderem Parameterwerte als für die
vorige Syngonieart. Auch jetzt ist diese Achse die einzige singuläre Richtung, aber die
minimale Anzahl der gleichen Richtungen ist drei und zwar in der zur Rotationsachse
senkrechten Ebene.
Da der hierzu gehörige Komplex sich aus dem kubischen, wie aus dem hexagonal-
isotropen durch Dilatation in der Richtung der dreizähligen Symmetrieachse ableiten läßt,
so folgt, daß die beiden isotropen Komplexe sich auseinander auf demselben Wege ab-
leiten lassen.
4. Rhombische Syngonie. Ihr Komplex entsteht ebenfalls aus dem kubischen,
wie aus dem hexagonal-isotropen durch Dilatation in der Richtung der drei rationalen
senkrechten Richtungen. Diese Richtungen sind zugleich die singulären, und können als
die Achsen der orthogonalen Zonen betrachtet werden. Das charakteristische Syngonie-
ellipsoid ist schon ein dreiachsiges, und dessen Achsen sind die genannten singulären
Richtungen. Die Strahlen überhaupt, welche in drei singulären (durch singuläre Richtungen
bestimmten) Ebenen liegen, sind die Achsen der orthogonalen Zonen. Sonstige Strahlen
sind schon die Achsen von schiefen Zonen.
Von der 5. monoklinen und 6. triklinen Syngonie war oben die Rede. Es ist
nur hinzuzufügen, daß auch die hierzu gehörigen Komplexe sich ebenfalls aus dem kubi-
schen, wie aus den hexagonal-isotropen Komplexen ableiten lassen.
Diese Verhältnisse treten noch deutlicher hervor, wenn wir anstatt der Strahlen-
komplexe die Raumgitter in näheren Betracht ziehen.
Für die letzteren erscheint es noch möglich die respektiven Trägheitsellipsoide zu
bestimmen und den Beweis zu liefern, dali dieselben mit den Syngonieellipsoiden zusammen-
fallen.
Es ist von vornherein klar, daß für die Raumgitter der kubischen Syngonie, gleich-
gültig von welcher Strukturart, hexaédrischer, oktaödrischer oder dodeka&drischer, sich das
85
Trägheitsellipsoid zur Sphäre reduziert, wie dies für das Syngonieellipsoid der Fall ist.
Dies ist aber nicht der Fall für die Raumgitter der übrigen isotropen Komplexe, da die-
selben sich aus dem kubischen durch bestimmte Dilatation in der Rüchtung der Haupt-
aehsen ableiten lassen, wie dies auch für die Komplexe der rhombischen Syngonie der
Fall ist.
Aber speziell für den hexagonal-isotropen Komplex, wenn wir das Raumgitter II. Art
annehmen, erscheint die sechszühlige Symmetrieachse; in Schnittebenen aber, welche dieser
Achse parallel sind, erhalten wir das gewöhnliche quadratische Netz. Daraus folgt, daß
speziell für dieses Raumgitter das Trügheitsellipsoid zur Sphäre wird.
Wir kónnen also alle diese vier Raumgitter den respektiven Dilatationen unter-
werfen, und dabei verwandelt sich die Sphäre als Syngonieellipsoid und als Trägheits-
ellipsoid in die gleichen Ellipsoide.
Berücksichtigen wir nun, dab eine solche Dilatation die Trügheitsmomente in den
der Dilatationsachse parallelen Schnitten unverändert läßt, während in dem zu dieser Achse
senkrechten Schnitte sich zugleich die Trägheitsmomente sämtlicher Systempunkte um
einen und denselben Faktor ändern, so ändert sich folglich auch die Summe dieser Momente.
In dieser Hinsicht spielt der Umstand keine Rolle, ob die Dilatationsachse rational oder
irrational ist.
Das Syngonieellipsoid ist ein vollkommener Ausdruck für die rationalen Komplexe,
und das Syngonieellipsoidgesetz muß als Grundgesetz der Syngonielehre be-
trachtet werden.
Was die komplexialen Symmetrieverhältnisse und die Verteilung der Parameter
anbetrifft, wurde schon oben mit genügender Ausführlichkeit dargetan. Nur muß bemerkt
werden, daß in den isotropen Komplexen die Parameterverhältnisse nicht durch eine einzige,
sondern durch eine unendliche Gesamtheit der konzentrischen Kugeln zum Ausdruck
gebracht wird. Für die anderen Syngoniearten verliert aber die absolute Größe der Para-
meter ihre Bedeutung, und es bleibt nur die relative übrig. Anstatt-einer Schaar kon-
zentrischer ähnlicher Ellipsoide brauchen wir jetzt nur ein einziges, welches von allen den
isotropen Komplexen zukommenden Sphären nur diejenige mit dem Radius gleich der
Einheit berücksichtigt.
Jetzt wollen wir zeigen, wie dieses Gesetz uns die Verteilung der rationalen und
irrationalen Strahlen zur Anschaulichkeit brinst. Wir wollen nämlich die Frage unter-
suchen, in welchen ebenen Schnitten des Syngonieellipsoides die beiden Ellipsenachsen die
rationalen sind.
Denken wir uns einen Schnitt durch die Ebene (p, p, p,).
Wählen wir als Ausgangskanten dieser ebenen Zone die Kanten |01| = | n p |
1 Pa Ps
— |», 05 D. | m ; , ee:
—=[09,9,]) und |10| = en | — [p,0 p,]. Dann wird eine beliebige Zonenkante mn |
durch die Indizes
[— ^ 9,5 — m p,; m ps + ^ 9]
ausgedrückt. Für die konjugierte Kante derselben Zone haben wir den Ausdruck:
|—n^9, —mp, mp,--n"p,
Du P$ Ds
86
Wenn also diese konjugierte Kante zur Kante |mn| senkrecht steht, so muß die
Gleichheit bestehen!)
4. 4 4 4
— NN — fS WT Wr. |
4. 4. 4
22D N N 0),
4. 4
Pı y Ds'
wo die Apostrophe die zugehórenden projektiven Indizes bedeuten und der Kante [r,' r,' r,']
die eigentlichen Indizes [p, p, p,] zukommen.
Führen wir also die eigentlichen Werte ein, so erhalten wir die quadratische
Gleichung:
— "(a à — 0404) p, — 4405 p, + A), py]. — m (a, à — a40,) p, — a, p, + a4, Ps}
em, Ps —M D.
0, D, 7r. Pt 0s Ds 04 Ds + 05 Ds
Im (— a, p, + a, p.) + na, p,}
m (4 p, + 44 p4) + ^ (G4 p, + a p, + A, p3)
Ds
Für die trikline Syngonie ergibt diese Gleichung für m und rn lauter irrationale Werte,
da keine senkrechten rationalen Strahlen vorkommen.
Für die monokline Syngonie vereinfacht sich diese Gleichung, da a,— 0 und «a,— O0.
Also nimmt sie die Form an:
—mn(—a4,0,2,43-a,a,2,) — m(— a4 a, p, + 04 0, 9.) (m a, py + na, p,)
— fh fs — MP; T G4 D dl- "(G4 9, -]- G5 p) | —:0.
G4 p, + 05 Ds Q4 p» Ds
Die Gleichung genügt für alle Flächen (p, 0 p,), also p,— 0, wenn dabei m — 0,
und » bleibt unbestimmt. Also sind zueinander senkrecht die Kanten
0 [0 p, 0] 4- » [p, 0 p,] — — » [p, 0 p,]-
Dioden Kante one [010].
2i 0 ps |
Für die rhombischen Komplexe haben wir noch a,= 0, und die Gleichung reduziert
sich auf
— Na,a,P — ma,0,p, MaPt ra, Pı
— fh ps — nh ps map + na,p, —90O.
| 0, Di Q4 ps Ds
Dieser Gleichung wird nicht nur die Bedingung 7,— 0 und »-— 0, sondern auch
?,=0 und » — 0, und noch y,— 0 und n=( zugeordnet. Wenn z.B. p,— 0. so
haben wir:
01|—[0p,p,], |10] — [100], also |mn/=m[0p,p,) + 0 [100] — [0 p, p;]-
1) Diese Gleichheit wurde zuerst in der Zeitschrift für Kristallographie 33, 588 aufgestellt.
87
0 Ps P
als
Für die tetragonalen Komplexe haben wir noch a=a,. In diesem Fall reduziert
sich die Gleichung auf:
Die dieser Kante koordinierte ist eol uS
| Na, —ma,p, m p, n p,
| — NP; — mp ma,p,-o- nap, |-—0.
04, A D, 725
Nun sieht man, da& der Gleichung durch ganz beliebige Indizes genügt wird, wenn
man m:n gleich p,:p, setzt. Dann haben wir:
|m n | py [0 py ps] + 9, Ls 0 5,1] 5 [— m P3 — Po Py: Pi + 2].
D if; "m me —
xs Pepsi 122 | 179,0].
Die dieser Kante koordinierte ist |
y 1 y Js
Wenn wir aber p, — 0, p, — 0 annehmen, so wird die Gleichung zur Identität:
Ka (0)
|-db- db.) res oe
ipo RO
In diesem Falle sind also m und » völlig unbestimmt, das heißt: es läßt sich in dieser
Zone (als einer isotropen) ein beliebiger Strahl auswählen, und stets wird der ihm koordi-
nierte Strahl der dazu senkrechte.
Endlich reduziert sich für die kubische Syngonie die Gleichung von selbst auf die
Identität
— np, mp: ms nd,
— np, — mp, mp,-n"p,|-—0,
y D» Ps
was selbstverständlich ist, da in diesem Fall die Werte m und *» wesentlich unbestimmt
sind für sämtliche rationale Schnitte des isotropen Komplexes.!)
Auf Grund dieser Verteilung der orthogonalen und isotropen Zonen kann die Frage
über die Syngonieart beantwortet werden, wenn z. B. allein vier Strahlen (resp. Ebenen)
gegeben sind, von welchen keine drei tautozonal sind.
Ist der Komplex isotrop, so sind die Tangentenquadrate rational. Man entwickle
den Komplex. Wenn derselbe tetragonal oder hexagonal ist, so sind sämtliche Zonen
orthogonal. Von zwei konjugierten senkrechten Ebenen geht eine notwendig durch die
Hauptsymmetrieachse. Der Schnittwinkel zweier solcher Ebenen bedingt, ob die einzige
isotrope Zone tetragonal oder hexagonal ist. Ist der Komplex rhombisch, so steht bevor,
die Ebene aufzusuchen, deren Strahlen die Achsen der orthogonalen Zonen sind, und dann
bestimme man die senkrechten konjugierten Ebenen, welche den zur vorigen Ebene senk-
rechten Strahl gemein haben. Ist aber dieser Strahl die Achse der schiefen Zone, so ist
der Komplex monoklin. Im triklinen fehlen die orthogonalen Zonen vollständig.
!) Was speziell die hexagonale Syngonie anbetrifft, so ist die analoge Operation in der Zeitschrift
für Kristallographie 33, 588 angeführt.
88
Das Entstehen sämtlicher Komplexe aus den isotropen, was als Gesetz der Pro-
jektivität der Komplexe bezeichnet wird, bewirkt die Eigenschaften, welche von Herrn
Goldschmidt und Viola als harmonische bezeichnet wurden.
Harmonieachse mit be-
stimmter Zähligkeit bleibt jede Achse, welche vor der Deformation, das heißt im isotropen
Komplexe als Symmetrieachse mit derselben Zähligkeit auftrat; dasselbe gilt auch für
Harmonieebenen.
Wie schon im I. Teile erklärt (S. 51), bringen die neuen Fachwörter ,Harmonie*,
.Harmonieelemente* keinen neuen Inhalt mit; hier ist also nur nötig, am Schlusse dieses
I. Teiles auf sie Bezug zu nehmen.
Einleitung
I. Teil. Syngonielehre in der Ebene.
Syngoniebegriff .
Die ebenen Komplexe aberhanpt
Die isotropen ebenen Komplexe
Periodensatz
Parameter der isotropen Kms
Teilkomplexe
Parameterzahlen .
Strahlenkomplexe und VERTES UE
Additions. und Multiplikationssätze
Entwicklung der einfachsten Komplexe
Vereinfachung derselben Operation
Regulüre Planteilung und Syngonielehre .
Syngonieellipse
Inhalt
Seite
3
ll. Teil. Syngonielehre im Raume.
4 Rationaler Komplex im Raume .
6 Grundformeln für rationale Komplexe
7 Teilkomplexe
10 Additions- und Multipiikabionesätze
13 Periodensatz S ó
15 Parametersatz 2
18 Der kubische und der Bene SORGE
30 Komplex . E
3l Zahlensätze für Raneenlere : :
34 Regulüre Raumteilung und Syngonielehre .
42 Syngonieellipsoidgesetz und Syngoniearten
44
47
Seite
51
54
57
64
65
68
70
78
77
81
Fedorow, Syngonielehre.
ENT N p à Nu.
CA KC RATE
TI A EHE
A INT MN S
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75, 7 SQ ESI. VAT Bi» AX GP
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Lh. Anstv.Mubert Köhler München.
Aus den wissenschaftlichen Ergebnissen der
Merzbacherschen Tian-Schan-Expedition.
Ein Profil durch den nördlichen Teil des
zentralen Tian-Schan.
Von
H. Keidel und 2. St. Richarz.
(Mit 5 Tafeln.)
Abh. d. II. Kl. d. K. AE. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt. 12
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I. Geologische Übersicht über den Bau des zentralen Tian-Schan
von
H. Keidel.
Noch vor kurzem haben wir nur wenig von dem zentralen Tian-Schan gewußt.
Namentlich von den höchsten, nahe am Khan-Tengri sich erstreckenden Gebirgsteilen,
wo es sehr große Gletscher gibt, zeigen alle Karten ein falsches Bild. Der hauptsächliche
Zweck der Forschungsreise, die Herr Dr. Merzbacher!) in den Jahren 1902 und 1903 im
Tian-Schan ausgeführt hat, war die geographische und geologische Erforschung dieses
Gebiets. An dieser Forschungsreise habe ich als Geologe teilgenommen und bin an viele
Stellen der inneren, höchsten Teile des Gebirges gekommen, wo vor mir noch kein Forscher
gewesen war.
Diese Arbeit ist nun ein Versuch, die wichtigsten geologischen Verhältnisse des
nördlichen zentralen Tian-Schan in großen Umrissen zu schildern; sie besteht aus zwei
Teilen: der eine davon enthält die Ergebnisse der petrographischen Untersuchung von
Gesteinen, die ich in dem sehr hohen, nahe am Khan-Tengri liegenden Gebirge gesammelt
habe, der andere die wichtigsten Beobachtungen, die sich auf die stratigraphischen und
tektonischen Verhältnisse beziehen. Die petrographische Untersuchung hat Herr P. Stephan
Richarz ausgeführt, wofür ich ihm aufrichtig danke.
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Als nördlichen zentralen Tian-Schan bezeichne ich denjenigen Teil des Tian-Schan,
der von dem östlichen Ufer des Issyk-kul im Westen bis zu dem Großen Musart-Tal nach
Osten reicht. Als südliche Grenze nehme ich die, wie wir sehen werden, in tektonischer
Beziehung wichtige Linie des Inyltschek-Tals an, die ungefähr die Mittellinie des Gebirges
in der Längsrichtung ist und nach Ostnordost auf den Khan-Tengri trifft. Die nördliche
Grenze ist ziemlich deutlich gekennzeichnet durch eine Zone hochgelegener Steppen, die
sich vom Issyk-kul nach Ostnordost erstrecken. Diese Steppen sind alte Seebóden und
werden heute vom Kegen und vom Tekes durchflossen.
!) Merzbacher, Vorläufiger Bericht über eine in den Jahren 1902 und 1903 ausgeführte Forschungs-
reise in den zentralen Tian-Schan, Ergänzungsheft 149 zu Peterm. Mitteil, 1904, mit Karte.
Merzbacher, Forschungsreise im Tian-Schan, Sitz.-Ber. der math.-phys. Klasse der K. Bayer. Akad.
der Wissensch., Bd. XXXIV, 1904, Heft III.
Merzbacher, The Central Tian-Schan Mountains, London, 1905, mit Karte.
12s
92
In dem so begrenzten Gebirgsstück kann man leicht einen nördlichen und einen süd-
lichen Teil unterscheiden, beide durch die Wasserscheide der Stromgebiete des Ili und des
Jarkent-daria getrennt. Das östliche Ende des Terskei- oder Kirgisin-Ala-Tau bildet
diese Wasserscheide vom Issyk-kul her bis in die Gegend des oberen Sary-dschass-Tals.
In der Nähe des Aschu-tör-Passes biegt die Wasserscheide fast unter einem rechten
Winkel nach Süden um, verläuft dann längs des vereisten Kammes,!) der die Firnbecken
des Semonow-Gletschers und des westlichen Bayum-kol-Gletschers trennt und folgt weiter
nach Osten der fast 6000 m hohen Kette, die nördlich vor dem Khan- Tengri liest, und die
ich hier weiterhin die „zentrale Kette“ nenne. Von dem Gebiet des östlichen T erskei-
Ala-Tau, ungefähr von 79? 5. L. an, bis in die Gegend des obersten Sary-dschass-'l'als
ist diese Wasserscheide eine natürliche Grenze zwischen den inneren, sehr hohen, auffallend
langen und fast parallelen Ketten im Süden und den viel niedrigeren äußeren Gebirgszügen
im Norden. Östlich vom Aschu-tór-Pa&, wo die Wasserscheide nach Süden umbiegt, ist
diese Grenze nicht mehr deutlich; und die inneren Ketten gehen, indem das Gebirge
gleichmäßig nach Norden niedriger wird, allmählich in die äußeren Gebirgszüge über. Wir
unterscheiden also zwei Gebiete: nämlich die hohen inneren Ketten im Süden und die
niedrigeren äußeren Gebirgszüge im Norden. Bei beiden ist die Richtung der Ketten oder
das Streichen der Sedimente und die Längsrichtung der granitischen Massive in den abge-
tragenen Gebirgsteilen im allgemeinen O.N.O., wobei aber eine deutliche Drehung des
Streichens von N.O. im Westen nach 0.8.0. im Osten sichtbar ist. Ein Blick auf eine
Übersichtskarte des Tian-Schan zeigt, daß die orographisch deutlich sichtbaren Teile des
zentralen Gebietes sich in südwestlicher Richtung ausbreiten, wodurch die Ausdehnung des
Tian-Schan in der meridionalen Richtung schon im Meridian des Bedel-Passes bedeutend
größer wird, als im Meridian des Khan-Tengri. Die verschiedenen Gebirgsstücke des
zentralen Tian-Schan, wovon wir einige kennen lernen werden, sind nur als die öst-
lichen Enden der im Westen liegenden großen Ketten aufzufassen; die granitischen Massive,
woraus zum großen Teil die äußeren Gebirgszüge des nördlichen zentralen Tian-Schan
bestehen, sind z. B. nur die östliche Fortsetzung der viel größeren granitischen Massen des
Terskei-Ala-Tau. Daraus ergibt sich, daß der zentrale Tian-Schan nach Westen nicht
natürlich begrenzt werden kann. Ähnlich ist es mit der Begrenzung im Osten. Die graniti-
schen Massive und die Sedimente der äußeren Gebirgszüge streichen von W.S.W. heran und
endigen nach einer leichten Beugung der Strichrichtung nach Osten, spitzwinkelig an den
großen von Westen nach Osten verlaufenden Brüchen, an den südlichen Rändern der alten
Seebecken, worin der Tekes und der Kegen fließen. Die zentrale Kette aber schwenkt
deutlich aus der O. N. O.-O. W.-Richtung nach O.S.O0. ab. In der Fortsetzung dieser Richtung
kommen wir zum Musart-Pa&. Es kann kaum ein Zweifel darüber bestehen, daß der kristal-
linische Kalk, woraus das Gebirge in der Umgebung dieses Passes besteht, von Westen her, aus
dem Gebiet der nahe am Khan-Tengri sich erstreckenden zentralen Kette, heranstreicht und
noch über den Pa& hinaus nach Osten reicht. In den tief in das Gebirge eingeschnittenen
Musart-Tälern bestehen die sich gegenüberliegenden Stücke der Talseiten aus den gleichen
!) Merzbacher, Ergänz.-Heft, Peterm. Mitteil., S. 18 und 29. In dem vergletscherten Kamme,
der die Firnbecken des Semono w- und des westlichen Bayum-kol-Gletschers trennt, liegen zwei Ein-
sattelungen, von denen Merzbacher die eine als Bayum-kol- und die andere als Semonow-Paß
bezeichnet.
93
Gesteinen; sie haben auch dasselbe Streichen und denselben Bau. Die sehr deutlichen, tiefen
Furchen der beiden Musart-Täler sind also keine Grenze des zentralen Tian-Schan nach
Osten, wenn man für die Einteilung des Gebirges die geologischen Verhältnisse benutzt.
II.
Die ersten Nachrichten über die geologischen Verhältnisse einiger Teile des nördlichen
zentralen Tian-Schan hat Semonow!) gegeben; er ist im Jahre 1857 von der Gegend
des Santasch-Passes, östlich vom Issyk-kul, durch einige Quertüler des östlichen
Terskei-Ala-Tau bis zum oberen Sary-dschass-Tal gekommen. Auf diesem Wege hat er
gefunden, daß granitische Gesteine in großer Masse den Terskei-Ala- Tau zusammensetzen,
und daß darauf Kohlenkalk lagert. Am Issyk-kul beständen alle Vorsprünge des Gebirges
aus kristallinischen Felsarten, nämlich aus Granit und Syenit, die mit einem zerreiblichen
Konglomerat bedeckt seien. Dies leicht nach N.W. geneigte Konglomerat hält Semonow
für eine sehr junge Seebildung.
Sewerzow,?) der einige der Beobachtungen Semonows, zum Beispiel über die
Verbreitung der kristallinischen Gesteine im Terskei-Ala- Tau bestätigt hat, ist auf
seiner großen Reise in den Jahren 1867 und 1868 nicht im zentralsten Tian-Schan gewesen.
Der nächste geologisch geschulte Forscher, der den zentralen Tian-Schan bereist
hat, ist Ignatiew?) gewesen. Er hat im Jahre 1886 das östliche Ende des Terskei-
Ala-Tau im Turgen-Aksu-Tal und im Berkut-Paß überschritten und die unteren
Teile der großen Gletscher im Sary-dschass-Tal, im Adür-tör-Tal und im Inyltschek-
Tal gesehen. Leider hat er seinen im Jahre 1887 veröffentlichten vorläufigen Bericht
später nicht mehr durch genauere Mitteilungen über die geologischen Verhältnisse, die er
beobachtet hat, ergänzt. Die erwähnten vorläufigen Mitteilungen geben ein nur lücken-
haftes Bild von der Verbreitung der paläozoischen Sedimente und der granitischen Gesteine,
jedoch fast gar keine Auskunft über die tektonischen Verhältnisse.
Ignatiews Beobachtungen lassen aber erkennen, daß in der Umgebung des Sary-
dschass-Tals ähnliche Sedimente und kristallinische Gesteine vorkommen, wie sie Semonow
und Sewerzow in den Gebirgszügen des Transilenischen-Ala-Tau, des Kungeu-
Ala-Tau und des mittleren Terskei-Ala-Tau festgestellt haben, nämlich: paläozoische
Tonschiefer, unterkarbonischer Kalk und von Eruptivgesteinen hauptsächlich Granit.
Ignatiew erwähnt den großen Granitzug des Turgen-Aksu-Tals, die Tonschiefer auf der
rechten Seite des Sary-dschass, den unterkarbonischen Kalk des Itsch-kele-tasch, der
Productus giganteus und Productus striatus führt. Auch die bunten Mergel und
Sandsteine im Kok-dschar- Tal hat er gesehen und nahe dabei in grauem Kalk Granit-
gerólle gefunden.
Die ausführlichsten Nachrichten über die Verbreitung der Sedimente und der grani-
tischen Gesteine in einigen Teilen des zentralen Tian-Schan hat Friederichsen*) erst
J| Semonow, s. u. a. Peterm. Mitteil., 1858, S. 35 f.
?) Sewerzow, u.a. in Peterm. Mitteil, Ergünzungshefte Nr. 42 und 43, 1875.
3) Ignatiew, Vorlàufiger Bericht über die Expedition zur Erforschung der Berggruppe Khan-
Tengri, lswestiya der K. Russ. Geogr. Gesellschaft, 1887, XXIII (russ.).
1) Friederichsen, Forschungsreise in den zentralen Tian-Schan und Dsungarischen Ala-tau,
Mitteil. der Geogr. Gesellschaft zu Hamburg, Bd. XX, 1894.
94
vor kurzem gegeben; seine Beobachtungen hierüber erhalten besonderen Wert dadurch, daß er
die verschiedenen Sedimente und die granitischen Gesteine auf seiner Karte genau verzeichnet
hat, und daß die Gesteinsproben, die er gesammelt hat, namentlich die Eruptivgesteine»
petrographisch untersucht worden sind. Die Untersuchung hat ergeben, daß unter den
Eruptivgesteinen granitische Gesteine, namentlich Amphibolbiotitgranit, vorherrschen; und
Petersen, der die Untersuchung ausgeführt hat, spricht!) die Ansicht aus, daß das von
Friederichsen bereiste Gebiet des zentralen Tian-Schan in petrographischer Beziehung
so einförmig zusammengesetzt sei, wie kaum ein anderes Gebiet von annähernd ähnlicher
Ausdehnung. Wenn wir aber den Weg verfolgen, den Friederichsen gegangen ist, so
sehen wir, daß die hohen inneren Ketten noch südlich hievon liegen; die meisten Gesteins-
proben, die Friederichsen im nördlichen zentralen Tian-Schan gesammelt hat
stammen aus dem Gebiete der äußeren Gebirgszüge, einige davon, z. B. die Proben
aus dem Sary-dschass-Tale, aus dem Grenzgebiet zwischen den inneren hohen Ketten
und den äußeren Gebirgszügen, das nördlich von der Wasserscheide liest. Die graniti-
schen Gesteine zeigen fast alle mehr oder weniger deutlich Druckerscheinungen.
Friederichsen hat auch in demselben Kalk, worin Ignatiew Productus giganteus
gefunden hat, am Itsch-kele-tasch, Fossilien gesammelt und er hat nachgewiesen, daß
dieser Kalk sich auf der rechten Seite des Sary-dschass-Tals weiter nach Osten aus-
dehnt, zum Kapkak-Paß, wo er ebenfalls Fossilien führt.
In dem vorläufigen Bericht, den Merzbacher über unsere Forschungsreise veröffentlicht
hat, finden wir Mitteilungen über die geologischen Verhältnisse der sehr hohen inneren
Ketten; es sind die ersten Nachrichten hierüber, abgesehen von einigen spärlichen Angaben
Ignatiews. Die großen granitischen Massen des Bayum-kol-Tals und der Umgebung
des Semonow-Gletschers, die ausgedehnten Züge von kristallinischen Schiefern, welche
diese Massen umgeben, der paläozoische Schiefer des Inyltschek-Tals werden erwähnt;
fast alle Verhältnisse, die in dieser Arbeit ausführlicher beschrieben werden, sind dort
schon kurz angeführt, und es wird besonders die Tatsache hervorgehoben, daß der höchste
Teil des Tian-Schan und auch sein höchster Gipfel, der Khan-Tengri, aus Sedimenten
und nicht aus Eruptivgesteinen bestehen.
Diese Nachrichten geben zusammen schon ein ungefähr zutreffendes Bild von der
Zusammensetzung des nördlichen zentralen Tian-Schan. Wir sehen, daß namentlich.
D I
granitische Gesteine weit verbreitet sind; sie setzen den Terskei-Ala-Tau zusammen
und sie treten auch in großen Massen in den hohen inneren Ketten auf. In beiden Gebieten
werden sie von kristallinischen Schiefern, von Tonschiefern und von unterkarbonischem
Kalk begleitet. Die höchsten Teile des Tian-Schan bestehen aus stark veränderten
Sedimenten. Ächter Gneiß kommt selten vor, und mesozoische Bildungen hat man bis
heute nicht gefunden, wohl aber sehr junge Ablagerungen in den alten Seebecken auf der
nördlichen und südlichen Seite des zentralen Tian-Schan und zum Teil auch in den
Talbecken im Inneren des Gebirges. Bei allen Mitteilungen, die wir vor unserer Ex-
pedition über die Zusammensetzung des Gebirges erhielten, füllt besonders der Mangel an
Nachrichten über die tektonischen Verhältnisse auf; und wo wir sie in den erwähnten
Berichten finden, beruhen sie weniger auf sicherer Beobachtung, als vielmehr auf Speku-
!) Friederichsen, l. c., Petrographischer Anhang.
95
lation. Es ist dies sehr begreitlich. Denn auf Forschungsreisen in einem sehr ausgedehnten
Gebiet, namentlich wenn es ein Hochgebirge ist, gibt es auf dem schmalen Streifen des
Reiseweges, wenn man nicht längeren Aufenthalt nimmt und Vorstöße ins Herz des Gebirges
ausführt, selten eine Gelegenheit, sichere Beobachtungen über den Bau des betreffenden
Gebietes zu machen. Wenn dies aber nur hie und da dennoch der Fall ist, dann bleiben
die Beobachtungen meist ohne Zusammenhang.
Die allgemeinsten Tatsachen vom Bau des zentralen Tian-Schan sind freilich schon
bekannt. Das Streichen der Sedimente, das sehr beständig N.O. oder O.N.O. ist, wird
von allen Beobachtern übereinstimmend angegeben. Aber über die Fallrichtungen, die
irgendwelche Gesetzmäßigkeiten viel schwerer erkennen lassen, sind die Nachrichten schon
unsicher, denn hier tritt schon an die Stelle der fehlenden Beobachtungen, die Spekulation.
Die außerordentlichen Schwierigkeiten, die sich der Erforschung der höchsten Teile
des Tian-Schan entgegenstellen, können nicht in kurzer Zeit bezwungen werden. Die
Expeditionen, die nur flüchtig in diesen Teilen des Gebirges gewesen sind, wie die
Ignatiews und Saposchnikows,!) haben unsere Kenntnisse von den geologischen Verhält-
nissen in der Umgebung der großen Gletscher nur um ein Geringes vermehren können.
Gerade diese Teile des zentralen Tian-Schan waren aber, wie ich schon gesagt habe,
unser besonderes Ziel; und wir haben, um sie erforschen zu können, unser Hauptlager
längere Zeit an den Enden der großen Gletscher aufschlagen müssen. Dadurch habe ich
viele schwer zugängliche Stellen in den vergletscherten Teilen des Gebirges gesehen, und
die Beobachtungen haben Zusammenhang erhalten, so daß mir die hauptsächlichen Ver-
hältnisse soweit bekannt geworden sind, daß ich sie auf einer geologischen Übersichtskarte
habe darstellen können.
Auf dieser Karte?) sind die Teile des Gebirges deutlich sichtbar, die in geologischer
Beziehung noch wenig oder fast gar nicht bekannt sind. Einige dieser Lücken werden
sobald nicht ausgefüllt werden, weil das betreffende Gebiet entweder sehr schwer zugänglich
ist, wie zum Beispiel die Ketten am oberen Inyltschek-Gletscher nahe am Khan-Tengri,
oder weil sich ein großer zusammenhängender Mantel von Firn und Eis darüber ausbreitet,
wie dorten und namentlich auch über das Gebirge zwischen dem Semono w- Gletscher und
dem Adür-tör-Tal. Andere, wenig bekannte Stellen allerdings, liegen zwischen den großen
Quer- und Längstälern in Gebieten des Gebirges, die nicht gerade schwer zugünglich und
zum Teil auch nicht mit Firn und Eis bedeckt sind; sie sind aber bisher nicht besucht worden.
Dies gilt z. B. für manche Stellen nördlich von der Wasserscheide in den östlichen Teilen
des Terskei-Ala-Tau. Die besten Aufschlüsse haben die tiefen Furchen der Quertäler
auf der nördlichen Seite des Gebirges: das Turgen-Aksu-Tal, das Kok-dschar- Tal, das
Kapkak-Tal, das Bayum-kol-Tal und noch weiter nach Osten das Kleine und das Große
Musart-Tal und die Mukur-Mutu-Täler geliefert. Alle diese Täler münden nach Norden
in große ehemalige Seebecken, die an dem nördlichen Rande des Gebirges sich dehnen. Die
Quertäler, die in dem westlichen und dem mittleren Teile des nördlichen zentralen Tian-
Schan liegen, sind nur in die nördlichen Abhänge des Gebirges eingeschnitten, und man sieht
!) Friederichsen, |. c., Einleitung.
2) Als orographische Übersichtskarte empfehle ich die dem Merzbacherschen Bericht in Peter-
manns Mitteilungen (l. c.) angefügte, mit unseren Reiserouten versehene Karte.
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deshalb in ihren Furchen nur den geologischen Bestand der óstlichen Auslüufer des Terskei-
Ala-Tau. Die großen Quertüler im Osten reichen dagegen, weil die Wasserscheide nahe
am Aschu-tör-Paß nach Süden umbiegt und auf die zentrale Kette übergeht, bis in das
Herz des Gebirges, wo ihre Flüsse aus großen Gletschern entspringen. In ihren Furchen
ist ein sehr großer Teil des ganzen nördlichen zentralen Tian-Schan.aufgeschlossen.
Weiter im Westen können wir dagegen die geologischen Verhältnisse der hohen inneren
Ketten nur in den oberen Abschnitten der großen Längstäler und in deren Nebentälern
erkennen; hiezu gehören namentlich das Sary-dschass- Tal und das Inyltschek-Tal.
III.
Die granitischen Massive. — Ein Blick auf die geologische Übersichtskarte zu
dieser Arbeit zeigt, daß granitische Gesteine sowohl in den inneren hohen Ketten, als auch
in den äußeren Gebirgszügen des zentralen Tian-Schan weit verbreitet und in einem
hohen Grade an der Zusammensetzung des Gebirges beteilist sind.
In den hohen inneren Ketten können wir deutlich zwei große granitische Massive unter-
scheiden, die durch die hohe, aus Sedimenten bestehende zentrale Kette und deren westliche
Fortsetzung, den Sary-dschass-Tau getrennt werden, doch ist es von beiden Massiven
nicht genau bekannt, wo sie im Osten beginnen und wo sie im Westen endigen mögen.
Das nördliche Massiv ist hauptsächlich in dem östlichen Teile der inneren Ketten gut
aufgeschlossen. Schon in den Zweigtülern des Kleinen Musart-Tals und auch noch
weiter im Osten, im Großen Musart-Tal, ist es sichtbar; im oberen Teile des Bayum-
kol-Tals beträgt seine Breite ungefähr 5 km (siehe Profil I auf Taf. III), erstreckt sich
von dort nach Westen, setzt fast die ganze Umgebung des Semonow-Gletschers und das
Stück des Gebirges zusammen, das vom Semonow-Gletscher und dem obersten Teile des
Sary-dschass-Tals im Nordosten und Norden und vom Muschketow-Gletscher und
dem Adür-tör-Tal im Süden und Südwesten eingeschlossen wird. Die hohe mit Firn
und Eis bedeckte Kette, die sich in diesem Gebirgsstück erhebt, endigt plötzlich mit
stellem Abfall am Eingang des Adür-tór-Tales, an großen quer zum Streichen gerich-
teten Verschiebungen; die Fortsetzung des Massivs und die begleitenden Sedimente liegen
weiter im Westen unter den jungen Bildungen und Aufschüttungen des zu einem Tal-
becken erweiterten Sary-dschass-Tals.
Letzteres gilt jedenfalls für den größeren, nördlichen Teil des Massivs; es ist aber zweifel-
haft, ob es auch für den südlichsten Teil zutrifft; es scheint allerdings so, als ob die
granitischen Gesteine, die man auf der nördlichen Seite des Tues-aschu-Passes findet
(s. Profil XII auf Taf. IV), dessen westliche Fortsetzung seien. Dies ist aber bei den
geringen Kenntnissen, die wir von dieser Gegend des Gebirges bisher gewonnen haben,
heute noch nieht mit Sicherheit zu entscheiden.
Die südliche Grenze des Massivs ist sehr deutlich; sie wird auf der ganzen eben
beschriebenen Strecke von der zentralen Kette gebildet und zwar liegt sie im Osten an dem süd-
lichen Rande der Bayum-kol-Gletscher, in der Mitte an dem südlichen Rande des großen
Firnbeckens, woraus der Semonow- und der Muschketow-Gletscher entspringen und im
Westen auf der nördlichen Seite des Muschketow-Gletschers.
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9
Auch die nördliche Grenze ist ziemlich deutlich; sie liegt im Osten in dem oberen
Teile des Bayum-kol-Tals (s. Profil D, und erstreckt sich von dort fast in gerader
Linie nach Westen. Zwischen dem Bayum-kol-Tal und dem Semonow-Gletscher ist
sie eine Strecke weit unbekannt; dann sieht man sie unmittelbar neben der Endzunge des
Semonow-Gletschers und im Westen endigt sie an den Verschiebungen auf der rechten
Seite des Adür-tör-Tals.
Das südliche Massiv ist im Verhältnis zu seiner Länge sehr schmal. Es liegt auf
der rechten Seite des Inyltschek-Tals (s. Profil XIII auf Taf. IV) und ist nur aus diesem
Tal genauer bekannt. Es ist sehr wahrscheinlich, daß es nach Westen noch eine Strecke
weit über die tief eingeschnittene Furche des Sary-dschass-Flusses hinausreicht, und nach
Osten noch eine Strecke weit den südlichen Abhang der zentralen Kette, die dort fast
unzugünglich ist, zusammensetzt. Dieses Massiv trennt, wie wir noch sehen werden, als ein
schmaler Streifen, zwei durch ihre Zusammensetzung und ihren Bau ganz verschiedene
Teile des Gebirges.
Es ist bemerkenswert, daß die granitischen Gesteine der hohen inneren Ketten, ob-
gleich sie die Sedimente an Masse übertreffen, dennoch nicht die höchsten Teile dieser
Ketten zusammensetzen. Abgesehen vom Khan-Tengri, der aus veränderten Sedimenten
aufgebaut ist und außerhalb der hohen zentralen Wasserscheide liegt," besteht auch die
höchste zentrale Kette ganz aus kristallinischem Kalk; ihre Gipfel, die im Durchschnitt über
6000 m hoch sind, überragen die Gipfel des granitischen Massivs im Bayum-kol-Tal und
am Semonow-Gletscher um 1000 bis 1500 m an Höhe; und im Westen besteht der Kamm
des Sary-dschass-Tau, der genau die Fortsetzung der zentralen Kette ist, fast ganz
aus unterkarbonischem Kalk.
Die Untersuchung der granitischen Gesteine aus dem Massiv des oberen Bayum-kol-
Tals hat ergeben, daß diese Gesteine ganz frisch sind und keine Kataklase zeigen; und
die granitischen Gesteine auf der rechten Seite des Inyltschek-Tals haben den unter-
karbonischen Kalk des Sary-dschass-Tau im Kontakt verändert.
Wir wenden uns nun zu dem Granitmassive der äußeren Gebirgszüge, worin vom
Terskei-Ala-Tau her bis zum Aschu-tör-Paß die Wasserscheide zwischen den Strom-
gebieten des Ili und des Jarkent-daria liegt.
Wenn man die Stellen der äußeren Gebirgszüge, wo Granit bekannt ist, miteinander
verbindet, so treten hier deutlich zwei große Granitzüge hervor, nämlich ein nördlicher und
ein südlicher. Der nördliche Zug, wovon nur die kleinen Stücke im Turgen-Aksu-Tal und
am Sart-dschol-Paß in die Karte eingezeichnet sind, ist die östliche Fortsetzung der
granitischen Achse des Terskei-Ala-Tau; er ist seit langem weiter im Westen in mehreren
Profilen auf der Südseite des Issyk-kul bekannt. Von dort streicht dieser mächtige
Granitzug über das Souka-Tal, das Dschütü-oguss-Tal, das Turgen-Aksu-Tal und
über den Sart-dschol-Paß bis in die Gegend der Tekesquellen, wo er am Rande der
Steppe endigt. Der südliche Granitzug ist im Westen schon in der Gegend des Kulu-
Passes bekannt; er setzt das Gebirge auf der südlichen Seite des Terskei-Ala-Tau, zum
Beispiel südlich vom Karakür- und vom Turgen-Aksu-Paß zusammen und bildet eine
kurze Strecke weit die Wasserscheide, streicht quer über das obere Kok-dschar-Tal,
1 Merzbacher, Peterm. Mitteil., l. c., S. 74.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt. 13
98
das Kapkak- Tal, den unteren Abschnitt des Bayum-kol-Tals und erreicht den südlichen
Rand der Tekessteppe, wo er in der Nähe der Mündung des Großen M usart- Tales
dureh Brüche abgeschnitten wird. Ein breiter nach O.N.O. streichender Streifen von
Sedimenten, der an mehreren Stellen an Breite zu- oder abnimmt oder sich in Nebenstreifen
spaltet, trennt diese beiden Granitzüge.
Von dem nórdlichen Granitzug, der im Westen viel breiter ist als im Turgen-
Aksu-Tal und am Sart-dschol-PaB, kennt man die granitischen Gesteine des T erskei-
Ala-Tau in seimer ganzen Ausdehnung. von dem Gebiete an, wo er orographisch als
geschlossener Gebirgszug deutlich hervortritt, das ist ungefähr im N.N.O. des Son-kul,
bis zu den Vorbergen südlich vom Issyk-kul und zu den tiefen Quertülern, die bis in seine
höchsten Teile eingeschnitten sind. Von dort reichen die granitischen Gesteine bis an
den Issyk-kul, wo sie Semonow in den Vorsprüngen des Gebirges beobachtet hat. Im
Westen, in der Umgebung der Poststation Kutemaldü sind die meisten Gerólle der jungen
Seebildungen roter Granit. Friederichsen,!) der im Jahre 1902 die Vorberge und die
Täler des Terskei-Ala-Tau, die südlich vom Issyk-kul liegen, bereist hat, berichtet, daß
dort fast überall granitische Gesteine das Gebirge zusammensetzen. Amphibolbiotitgranit
kommt hauptsächlich vor, dann Biotitgranit und an einigen Stellen Diorit. Zum Amphibol-
biotitgranit gehört wahrscheinlich auch der größte Teil des Syenits, den die älteren
Beobachter, z. B. Semonow und Muschketow, erwähnen. Friederichsen hat die Vor-
berge des Terskei-Ala-Tau in ihrer ganzen Breite gesehen; er ist am Korumdu-Paß
in den westlichen Vorbergen mehr als 2800 m hoch gewesen, und hat dort und am
Karatasch-Paß den südlichen Rand der Längstäler erreicht, welche den Hauptkamm
des Terskei-Ala-Tau von den Vorbergen trennen. In den Tälern, die zu diesen Pässen
führen, steht hauptsächlich roter Granit?) an. Schon Semonow ist im Souka-Tal über
die Vorberge hinaus nach Süden bis zu dem Einschnitt des Souka- Passes gekommen, der
in dem hóchsten Kamm des Terskei-Ala-Tau, das ist in der Wasserscheide zwischen
den Quellen des Naryn und dem Stromgebiet des Tschu liegt; er berichtet, daß haupt-
süchlich Syenit vorkommt, woraus die Vorberge ganz bestehen. Erst südlich von einem
großen Längstal, das die Vorberge von dem Hauptkamm trennt und das ungefähr 10 km
fluBaufwürts von der Stelle, wo die Souka aus dem Gebirge tritt, in das Souka- Tal
mündet, stehen steil fallende, metamorphe Sedimente an. Semonow meint deshalb, daß
der Reisende schon in den Vorbergen die kristallinische Achse des Terskei-Ala-Tau,
also die nördliche von den beiden großen Granit-Syenit-Achsen überschreite, woraus nach
seiner Ansicht der Tian-Schan zusammengesetzt sei. Hieraus folgt jedenfalls, daß in
der Linie des Souka-Tals die kristallinischen Gesteine von dem nördlichen Abhang des
Hauptkamms bis zu der Niederung des Issyk-kul reichen, und daß die Vorberge ganz daraus
bestehen. Ich kenne das Souka-Tal aus eigener Anschauung und habe von Süden kommend
den Souka-Paß überschritten. Ich habe ein Profil entworfen, das auf der südlichen Seite
des Terskei-Ala-Tau ungefähr in der Mitte zwischen dem Ak-bel und der Wasser-
scheide am Souka-Paß beginnt und das nach Norden über den Paß und das Souka-Tal
bis zu dem breiten Uferstreifen auf der Südseite des Issyk-kul reicht; es ist aber nur ein
!) Friederichsen, l. e, S. 39 f.
*) Friederichsen, l. c.,, S. 47 und 51.
99
vorläufiges Profil, weil die Gesteinsproben, die ich dort gesammelt habe, noch nicht petro-
graphisch untersucht worden sind. An diesem Profil (Figur XIV auf Taf. IV) ist aber jedenfalls
zu sehen, daß die Masse der granitischen Gesteine sehr viel größer ist, als die der Sedimente.
Granitische Gesteine findet man schon weit südlich vom Souka-Paß, wo das Gebirge stark
abgetragen worden ist, dann am Passe selber. Hier enthält der helle, fast weiße Granit
Einschlüsse von gebänderten metamorphen Sedimenten. Südlich vom Paß sieht man eine
Zone von steil nach Norden einfallenden, stark veränderten Sedimenten. Dies sind die
Grünschiefer, die Semonow erwähnt; es sind hauptsächlich Kalkphyllit, Phyllit und zum
Teil amphibolitartige Gesteine. An einigen Stellen sieht man Aplit darin. Sodann folgt
wieder derselbe Granit, wie er am Paß auftritt und hierauf ein schmaler Streifen von
deutlich geschichtetem, steil nach Norden einfallendem, kristallinischem Kalk. Dieser Kalk
setzt östlich vom Souka-Tal die südliche Seite des langen, aus Südost heranziehenden
Längstales zusammen, das ich oben erwähnt habe. Weiter talabwärts sieht man auf fast
20 km nur granitische Gesteine; das ist in der Zone der Vorberge. In der südlichen Hälfte
dieser Strecke enthält das Gestein sehr große Kristalle von Feldspat, sodaß es stellenweise
porphyrische Struktur annimmt; in der nördlichen Hälfte findet man mittelkörniges Gestein.
Hier ist das Gebirge auffallend niedriger als in der südlichen Hälfte der Vorberge; es hat
viel weniger schroffe Formen als dort und erhebt sich kaum über die obere Baumgrenze.
Nach Norden tauchen die granitischen Gesteine unter ein rotes, schwach nach Norden
geneigtes junges Konglomerat und unter eine mächtige Decke von alter Moräne hinab.
Man sieht bis zu der Stelle, wo der Granit verschwindet, in den Vorbergen keine Sedimente;
und es scheint, daß die Ansicht Semonows richtig sei: daß nämlich die kristallinische,
eigentliche Achse des Terskei-Ala-Tau in den Vorbergen liege.
Das eben erwähnte Profil ist bis zu der Stelle, wo der nördliche Teil der grani-
tischen Vorberge des Terskei-Ala-Tau durch das junge Konglomerat und die alte
Moräne begrenzt wird, in der Luftlinie ungefähr 35 km lang. Davon nehmen die Sedi-
mente, die alle paläozoisches Alter haben, noch nicht den sechsten Teil ein. Dies zeigt
sehr deutlich, daß in dem Meridian des Souka-Passes fast der ganze Terskei-Ala-Tau
aus granitischen Gesteinen besteht.
Das nächste weiter östlich liegende große Quertal, über dessen geologische Verhältnisse
wir einige Nachrichten haben, ist das Dschütü-oguss-Tal. Friederichsen ist dort gewesen
und hat unter dem jungen Konglomerat am nördlichen Rande der Vorberge nicht Granit,
sondern einen dünnplattigen bunten Mergel angetroffen, der Tongallen enthält und stärker
disloziert worden ist als die darüber lagernden, gleichmäßig unter einem kleinen Winkel
nach Norden einfallenden Schichten des Konglomerats. Weiter talaufwärts kommt unter den
Geröllen des Dschütü-oguss ein roter Kalk vor, der viele Fossilien enthält. Schellwien,!)
der die Fossilien untersucht hat, meint, daß der rote Kalk karbonisches oder permisches
Alter habe, „daß aber die Zugehörigkeit zum unteren Karbon nicht gerade wahrscheinlich
sei.* Ich habe nun auch die Stücke gesehen, die Friederichsen gesammelt hat; sie
stimmen vollstindig mit denselben Gesteinen überein, die ich weiter im Osten in der Fort-
setzung des Terskei-Ala-Tau, am Sart-dschol-Paß anstehend gefunden habe. Dort
führen sie denselben breiten und flachen Spirifer und denselben kleinen Productus, der
1 Friederichsen, l. c., paläontol. Anhang.
13*
100
in der Tat, wie Schellwien meint, dem Productus longispinus sehr ähnlich ist; außerdem
aber kommt häufig Productus giganteus und Productus striatus darin vor. Es ist also
kaum ein Zweifel darüber, daß der rötliche Kalk des Dschütü-oguss-Tals dasselbe Alter
hat wie der rötliche Kalk am Sart-dschol-Pa&, daß er also unterkarbonisch ist. Der bunte
Mergel, der am Sart-dschol-Paß Gips enthält, liegt darüber. Friederichsen hat im
Dschütü-oguss-Tal die granitische Zone der Vorberge nicht erreicht; daß sie dort aber
nicht fern im Süden liegt, beweisen die von ihm beobachteten zahlreichen granitischen Gerölle
des Flußbetts. Die Stelle, wo Friederichsen das Dsch ütü-oguss-Tal, von Westen kom-
mend, gekreuzt und den nördlichen Rand der Vorberge berührt hat, liegt nördlicher als die
Stelle, wo das Souka-Tal in das Becken des Issyk-kul mündet. Dies hat seinen Grund
darin, daß östlich vom 78.? ö. L., wo die Souka aus dem Gebirge tritt, der Terskei-Ala-
Tau sich mehr und mehr der nördlichen Parallelkette, dem Kungeu-Ala-Tau nähert. Wir
kennen hier die Struktur des Gebirges noch zu wenig, um die Frage zu entscheiden, wie weit
die auf allen Karten so deutlich sichtbare orographische Schwenkung, die der Hauptkamm
des Terskei-Ala-Tau östlich vom 78.° ö. L. ausführt, mit den geologischen Verhältnissen
zusammenhängt. Soviel ist aber schon bei dem Maß unserer heutigen Kenntnisse sicher,
daß die paläozoischen Sedimente an den nördlichen Abhängen des Gebirges nach Osten
zu an Breite zunehmen, die granitischen Massen dagegen abnehmen. Es war schon
Semonow bekannt, daß die paläozoischen Sedimente in der Umgebung des Issyk-kul
hauptsächlich auf dessen östlicher Seite vorkommen. Namentlich der unterkarbonische
Kalk ist dort weit verbreitet, denn nördlich von Preobraschensk und weiter im Osten
bestehen die östlichen Ausläufer des Kungeu-Ala-Tau hauptsächlich hieraus und aus
Porphyr. Wir werden dem unterkarbonischen Kalk noch weiter im Osten, am Santasch-
Paß begegnen und sehen, daß er dort wahrscheinlich mit dem unterkarbonischen Kalk auf
der Südseite des Karkará-Beckens zusammenhängt. In der südwestlichen Forsetzung des
unterkarbonischen Kalks vom Santasch-Paß liegt nun der rote Kalk des Dschütü-
oguss-Tals und daraus ergibt sich, daß die Decke des unterkarbonischen Kalks, die südlich
von Prschewalsk die granitische Zone der Vorberge des Terskei-Ala-Tau nach Norden
begrenzt, schon auf der östlichen Seite des Souka-Tals sichtbar ist.
Semonow hat die granitischen Gesteine der Vorberge östlich von Prschewalsk
in den Aksu-Tälern gefunden, wo heiße Quellen (Arasan) daraus entspringen; er gibt
die Entfernung zwischen dem Rande des Gebirges und der Quelle in dem kleinen Aksu-
Tal auf 10 km an. Friederichsen hat dort Amphibolbiotitgranit gesammelt, paläozoische
Sedimente aber nicht anstehend getroffen, sondern nur als Gerölle in der alten Moräne
am Ausgang des Tales gefunden.
Der Granitzug, der im Aksu-Tal zwischen den heißen Quellen und dem Rande des
Gebirges sichtbar ist, erstreckt sich nach O.N.O., wo er in der Furche des Turgen-Aksu-
Tals mehr als 18 km breit aufgeschlossen ist. Im Norden wird er am Gebirgsrande
durch alte Moräne bedeckt und im Süden grenzt er an die Sedimente, die den Hauptkamm
zusammensetzen, welcher die Wasserscheide zwischen dem Issyk-kul und dem Flußgebiet
des Sary-dschass trägt. Wir befinden uns im Turgen-Aksu-Tal schon in dem Gebiet,
das ich auf der geologischen Übersichtskarte darzustellen versucht habe. Die Karte zeigt,
daß in O.N.O.-Riehtung vom Turgen-Aksu-Tal granitische Gesteine in dem unteren
Abschnitt des Kok-dschar-Tals und am Sart-dschol-Pa& anstehen. Die granitischen
101
Gesteine des Turgen-Aksu-Tals und des Sart-dschol-Passes bilden also beiläufig das
östliche Ende des großen Granitzugs, den ich als den nördlichen Granitzug der äußeren
Gebirgszüge des nördlichen zentralen Tian-Schan bezeichnet habe.
Wir haben vorhin gesehen, daß dieser Granitzug weit nach S.W. reicht; er ist
südöstlich von Prschewalsk am Ausgang des Aksu-Tals sichtbar, und es ist kaum
zweifelhaft, daß er noch weiter westlich mit den granitischen Massen des Souka-Tals
zusammenhängt. Es bleibt aber doch noch die Frage zu beantworten, ob er die östliche
Fortsetzung der granitischen Achse der Vorberge des Terskei-Ala-Tau ist oder die
Fortsetzung der höheren nördlichen Achse, also der granitischen Gesteine, woraus das
Gebirge in der Umgebung des Souka-Passes besteht. Die Beantwortung dieser Frage
hängt enge mit der Entscheidung zusammen, ob die Richtung der Ketten des Terskei-
Ala-Tau nur eine orographische Erscheinung ist, oder ob sie von der Streichrichtung der
Sedimente und von der Längsrichtung der granitischen Massive abhängt; sie soll daher
erst bei der Besprechung der tektonischen Verhältnisse gegegeben werden.
Der südlichere der äußeren Granitzüge reicht, wie ein Blick auf die geologische
Übersichtskarte lehrt, viel weiter nach Osten als der nórdliche Granitzug. Der ziegelrote
Biotitgranit am Ausgang des Großen Musart-Tals gehört noch dazu, und wahrscheinlich
erstreckt er sich noch beträchtlich darüber hinaus nach Osten, denn in der Furche dieses
Großen Quertals ist er noch mehrere Kilometer breit aufgeschlossen. Die nördliche Grenze
[860 m
Fig. IV. Profil am nördl. Ende der Tekesebene (östliches Ende des südl. Granitzuges bei den
Mukur-Mutu-Tälern).
Mafsstab 1: 62,000.
gl gn Gneis, Glimmerschiefer, s grünlicher Phyllit, Tonschiefer, g roter Granit, c transgressiv
lagernder unterkarbonischer Kalk mit Productus giganteus, m alte Moräne, f Schotter der
großen Schuttkegel.
dieses Zuges bildet hier im Osten der südliche Saum der Tekesebene, und in den Gebirgs-
zügen, die diesen Saum begleiten, sind granitische Gesteine im ununterbrochenem Zusammen-
hang vom Großen Musart-Tal bis in die Nähe der Mündung des Bayum-kol-Tals entblößt.
Das Profil des mittleren Mukur-Mutu-Tals (Fig. IV) zeigt die bedeutende Breite des süd-
lichen Granitzugs westlich vom Großen Musart-Tal. Man sieht hier nur an wenigen
Stellen Sedimente: nämlich Phyllit, Tonschiefer und unterkarbonischen Kalk. An dem
Ausgang des Bayum-kol-Tals und westlich davon nehmen diese aber an Masse zu, und
die nördliche Grenze der granitischen Gesteine wendet sich nun, indem sie, unregelmäßig
und zuweilen unterbrochen, dem allgemeinen Streichen folgt, nach W.S.W. in das Innere
des Gebirges. Westlich vom Bayum-kol-Tal erreicht nämlich der Streifen der Sedimente,
der die beiden Granitzüge trennt, den südlichen Saum der Tekesebene.
Dieser Saum verläuft von der Gegend der Tekesquellen bis weit über das Große
Musart-Tal hinaus fast genau von Westen nach Osten, also spitzwinklig zum Streichen
102
der Sedimente und zu der Längsrichtung des südlichen Granitzugs. Der trennende Streifen
der Sedimente wird daher gleichsam plötzlich abgeschnitten. Dasselbe gilt für die grani-
tischen Gesteine. Dies drückt sich deutlich in den orographischen Verhältnissen aus,
indem der äußerste Rand der nördlichen Abhänge des Gebirges verhältnismäßig steil zur
Tiefe geht.
Die granitischen Gesteine breiten sich von diesem Rande weit in das Innere des
Gebirges aus. Dies zeigt sich namentlich in der Umgebung des unteren Bayum-kol-Tals
deutlich. Und wo hier Sedimente vorkommen ist auch fast überall deren granitische Unter-
lage entblóft.
Wo die südliche Grenze der granitischen Gesteine östlich vom Bayum-kol-Tal liegt,
wissen wir heute noch nicht. Wahrscheinlich wird der südliche Granitzug dort ebenso wie
im Norden dureh Sedimente in der Richtung des Streichens begrenzt.!) . Die Verhältnisse,
die wir in dem mittleren Teile des Bayum-kol-Tals kennen lernen werden, lassen darauf
schließen. Westlich vom Bayum-kol-Tal ist die südliche Grenze eine Strecke weit im
Aschu-tör-Tal bekannt. Die Karte zeigt, daß sie in diesem Tale in der Tat dem Streichen
folgt; ihre Fortsetzung nach Westen ist wieder unbekannt. Die breite Zone der grani-
tischen Gesteine des unteren Bayum-kol-Tals aber dehnt sich weit in dieser Richtung
aus. Die von Merzbacher entdeckten und beschriebenen, hochgelegenen Seen Ak-kul
und Kara-kul liegen darin.) Man kommt westlich von diesen Seen in die Furche des
Kapkak-Tals. Hier stellen sich vereinzelte Lappen von unterkarbonischem Kalk ein;
aber fast an allen Stellen sieht man ihre granitische Unterlage. Die Breite des südlichen
Granitzugs ist also im Kapkak-Tal kaum geringer als im Bayum-kol-Tal. Weiter
westlich wird sie dagegen geringer und die Sedimente schwellen an. Wir kommen in das
Gebiet der Wasserscheide in dem Bereich des Terskei-Ala-Tau. Der südliche Abfall
gegen das Sary-dschass-Tal besteht aus Phyllit und unterkarbonischem Kalk. Im Norden
aber streicht, tief durchschnitten vom Kok-dschar, der Sedimentstreifen vorüber, der die
beiden großen Granitzüge trennt. Weiter westlich besteht die Wasserscheide beim Berkut-
Paß ganz aus dem Granit, der in der westlichen Fortsetzung der großen Granitmassen des
Kapkak-Tals liest.
Sobald dieser Teil der Wasserscheide erreicht ist, sieht man die große Veränderung
der morphologischen Verhältnisse des Gebirges in voller Deutlichkeit. Die Beständigkeit
der Abdachung, welche die Umrandung der großen Quertäler im Osten auszeichnet, ver-
schwindet hier. Der nördliche Abfall des Gebirges ist auf den Streifen des nördlichen
Granitzugs beschränkt; in dem Gebiet des südlichen Granitzugs dehnen sich dagegen die
in morphologischer Beziehung eigentümlichen, fast ebenen Hochflächen aus, die wir später
näher betrachten wollen. Diese Hochflächen sind unabhängig von der Zusammensetzung
und dem Bau des Gebirges; sie schneiden gleichmäßig die granitischen Gesteine und die
! Infolge der Abreise Keidels nach Südamerika, habe ich die Lesung der Korrekturen über-
nehmen müssen. Dies gibt mir Gelegenheit zu einigen ergänzenden Anmerkungen, welche Teile des
Gebirges betreffen, die Herr Keidel nicht gesehen hat, von mir aber nach dessen Heimreise noch besucht
wurden. Die oben ausgesprochene Vermutung, daß auch weiter im Osten die Gesteine der Granitzone
von den Sedimenten in der Streichrichtung, südlich begrenzt werden, habe ich in den Tälern Saikal
und Dondukol bestätigt gefunden. Siehe Peterm. Mitteil, l. c., S. 88 f. und 93. G. Merzbacher.
?) Peterm. Mitteil., 1. c., S. 89 f.
105
dislozierten Sedimente ab. Aber ihre Lage bezeichnet genau die Lage der verschiedenen
Stücke des südlichen Granitzugs in dem Bereich der Wasserscheide. Ein solches Stück ist
am Berkut-Paß, ein anderes weiter im Westen im Ottuk-Tal und am Törpu-Paß
sichtbar.
Die großen Lücken in unserer Kenntnis von der Zusammensetzung des Gebirges in der
Umgebung des Kulu- und des oberen Irtasch-Tals, des Kolpakowsky- und Petrow-
Gletschers!) machen es sehr schwierig, nachzuweisen, ob die granitischen Massive auf der
rechten Seite des Sary-dschass-Tals und in dem oberen Teile des Kok-dschar-Tals,
welche die Hochflächen tragen, mit dem Granit zusammenhängen, woraus das gleichfalls
ausgedehnte Hochflächen tragende Gebirge zwischen dem Ak-bel und dem Souka-Pa&
hauptsächlich besteht. Die Ähnlichkeit dieser Teile des Gebirges in morphologischer Be-
ziehung ist aber erstaunlich groß; der Anblick der großen flach nach Süden geneigten
Firn- und Eisfelder, die südwestlich vom Souka-Paß liegen und deren ebene Gesteins-
unterlage deutlich sichtbar ist, überrascht den Reisenden ebenso sehr?) wie der Anblick der
ebenen Hochflächen in der Umgebung des Sary-dschass-Tals. Darüber indes kann
kaum ein Zweifel bestehen, daf das granitische Massiv des oberen Kok-dschar- Tals mit
den granitischen Massen des Ottuk-Tals und Tórpu- Passes zusammenhängt und wohl auch
noch mit dem Granit in dem mittleren Teile des Kulu-Tals weiter westlich. Ich selbst bin
nicht weiter westlich gewesen und Friederichsen, der den Kulu-Pafß überschritten hat,
führt aus dem oberen Teile des Kulu-Tals nur Sedimente an. Erst westlich von diesem
Paß hat er wieder Granit und Gneisgranit in der Furche des Aschu-Kulu gefunden, der
ein Nebenfluf des Irtasch ist. Von dort bis in die Nähe des Souka-Passes ist die Zu-
sammensetzung des Gebirges unbekannt. Die granitischen Gesteine am Törpu-Paß und
in dem unteren Teile des Kulu-Tals stehen mit dem Granit und dem Gneis des Arpa-
tóktyr-Plateaus in Verbindung; auch der schluchtartige enge Teil des Sary-dschass-
Tals, ein wenig nórdlich von der Mündung des Kulu besteht aus granitischem Gestein.
Noch weiter östlich hat Friederichsen Granit und Gneisgranit auf der nördlichen Seite
des Sary-dschass-Tau gefunden. Diese wenigen Nachrichten genügen aber nicht, um
sieher entscheiden zu kónnen, wie weit die granitischen Gesteine des südlichen Zuges nach
Süden reichen; ihre südliche Grenze läßt sich heute auch nicht einmal ungefähr angeben.
Die granitischen Gesteine, welche den südlichen Abhang des Sary-dschass-Tau zusammen-
setzen, gehören aber, wie wir gesehen haben, nicht mehr dazu.
Der nördliche Granitzug tritt östlich vom Souka-Tal in dem Gebiet des nördlichen
zentralen Tian-Schan deutlich hervor; auch seine westliche Fortsetzung liest wahrschein-
lich in den nördlichen Vorketten des Terskei-Ala-Tau; nach Osten wird er allmählich
schmäler, indem seine Masse abnimmt und die Sedimente, namentlich der unterkarbonische
Kalk, mehr und mehr zunehmen; er liegt in diesem Gebiet des zentralen Tian-Schan
überall nördlich von der Wasserscheide, so dafßß der stark zerschnittene nördliche Abhang
des Gebirges hauptsächlich daraus besteht.
Der südliche Granitzug, der im Osten besser als im Westen bekannt ist, ist an vielen
Stellen seines westlichen Teils schlecht aufgeschlossen. Denn die Hochflächen, die sich dort
!) Siehe die Karten bei Merzbacher und Friederichsen.
2) Merzbacher, l.c., S. 64 f.
104
zum großen Teil über die Gesteine dieses Zuges ausbreiten, liegen an vielen Stellen in
großer Höhe, und sind dann mit Firn und Eis oder mit alter Moräne und anderem
Schutt bedeckt. Dieser Umstand erschwert es, die Grenzen oder die verbindenden Stücke
des Zuges zu erkennen. Im Osten hingegen ist auch der südliche Granitzug, da dort die
Quertäler tief darin eingeschnitten sind, gut aufgeschlossen. Vielleicht liegt hierin der
Grund, daß es scheint, als habe er dort größere Ausdehnung als im Westen. Jedenfalls
setzt der südliche Granitzug im Nordrandgebiet des zentralen Tian-Schan die Wasser-
scheide zusammen; nur östlich vom Kapkak-Paf, wo er sich der Tekesebene nähert,
ist dies nicht der Fall; dort geht die Wasserscheide auf die zentrale Kette über.
IV.
Die Sedimente. — Nachdem wir nun gesehen haben, daß granitische Gesteine
sowohl die hohen inneren Ketten als auch die äußeren Gebirgszüge, die sich als die öst-
liche Fortsetzung des Terskei-Ala-Tau erweisen, zum großen Teil zusammensetzen,
wollen wir sehen, welche Sedimente dort vorkommen und ob sie uns einen stratigraphischen
Anhalt geben, das Alter der granitischen Gesteine und die Zeit der verschiedenen Phasen
der gebirgsbildenden Bewegungen zu bestimmen. Dabei begegnen wir aber sogleich einer
großen Schwierigkeit, die ihren Grund hauptsächlich darin hat, daß die Sedimentfolge in
dem Gebiet des zentralen Tian-Schan sehr große Lücken aufweist, und daß sogar das
Alter der paläozoischen Sedimente zum größten Teil nicht genau bestimmt werden kann.
Außer den jung-tertiären Gobi-Sedimenten und den zum Teil pleistozänen Bildungen der
alten Seebecken und der Talbecken, findet man im nördlichen zentralen Tian-Schan
aber nur paläozoische Sedimente. Die jüngsten darunter sind die bunten, Gips führenden
Mergel und roter Sandstein auf der südlichen Seite des Sart-dschol-Passes (siehe S. 100).
Mesozoische Sedimente, die in anderen Gebieten des Tian-Schan als Landpflanzen und
Kohle führende Schichten in großer Mächtigkeit und Ausdehnung vorkommen, sind da-
gegen bis heute im zentralen Tian-Schan nicht gefunden worden; und es gibt Anzeichen
dafür, daß sie dort nicht abgetragen, sondern überhaupt nie vorhanden gewesen sind.
Die Gebirgszüge des zentralen Tian-Schan gehören, wie wir noch sehen werden, in der
Tat einem sehr alten Stück des Gebirges an, dessen ursprüngliche Anlage durch die
spüteren gebirgsbildenden Bewegungen mehrere Male veründert worden ist. Es ist natür-
lich sehr schwierig in einem solch alten, wiederholt abgetragenen und wieder aufgerich-
teten Gebirge die Zeit der Intrusionen der granitischen Massen zu bestimmen und die
Spuren, welche die verschiedenen gebirgsbildenden Bewegungen zu verschiedenen Zeiten
hinterlassen haben, zu erkennen, zu verfolgen und von einander zu unterscheiden, wenn
die Sedimentfolge so große Lücken aufweist, wie im zentralen Tian-Schan.
Aber obwohl diese Schwierigkeiten sehr groß sind, so dürfte es uns dennoch gelingen,
einige der hauptsüchlichen Ereignisse in der Geschichte unseres Gebietes dadurch zu erkennen,
daß wir die Verbreitung und die Lagerungsverhältnisse der beiden einzigen Glieder der
Sedimentfolge, deren Alter genauer bekannt ist: nämlich des unterkarbonischen Kalks
und der tertiüren Gobi-Sedimente, verfolgen. Diese sollen deshalb hier ausführlicher
besprochen, die übrigen Sedimente dagegen nur soweit betrachtet werden, als es notwendig
ist, um die in dieser Arbeit geschilderten Verhältnisse zu verstehen.
105
1. Die paläozoischen Sedimente.
Da außer einigen undeutlichen Resten von Cambrium, die in graublauem Tonschiefer
am Kaschka-tur-Paß gefunden wurden, Fossilien in älteren paläozoischen Sedimenten
außer einigen noch nicht sicher bestimmten devonischen Formen vom Ischtyk-Paß haupt-
sächlich nur im unterkarbonischen Kalk gefunden worden sind, so fehlt es bis jetzt an
genügendem Anhalt, die Reihenfolge der paläozoischen Bildungen sicher festzustellen.
Dennoch können wir mit Hilfe derjenigen petrographischen Verschiedenheiten, die all-
gemeine Bedeutung haben und weit verbreitet sind, sowie in einigen Gebirgsteilen auch
mit Hilfe der Lagerungsverhältnisse wenigstens zwei große Gruppen von Sedimenten unter-
scheiden: nämlich die Phyllitgruppe und die Tonschiefergruppe.
Diese Einteilung hat aber nur beschränkte stratigraphische Bedeutung, da sie uns
nur ungefähr in großen Zügen vor Augen führt, was älter und was jünger ist. Es ist
sehr oft nicht möglich, sie im einzelnen Falle sicher anzuwenden; denn wir finden z. B.
Phyllit nicht nur unter den Bildungen der Phylliteruppe, sondern auch in der Gruppe der
Tonschiefer; und öfters sehen wir eine Zone von Phyllit zwischen Tonschiefern, ohne daß
ein Merkmal zur Beurteilung der Lagerungsverhältnisse vorhanden wäre. Dies sind zwei
Beispiele, woran wir die beiden hauptsüchlichen Ursachen, die alle diese Unklarheiten
hervorgerufen haben, erkennen können. Die großen Intrusionen der granitischen Gesteine,
die zu verschiedenen Zeiten vor sich gegangen sind, haben nümlich an vielen Stellen und
auf weite Entfernungen auch die Sedimente der Tonschiefergruppe so veründert, da& sie
oft kristallinischer sind als die Bildungen der Phyllitgruppe, und die großen wiederholten
Dislokationen haben die ursprünglichen Lagerungsverhältnisse und die natürliche Reihen-
folge der paläozoischen Sedimente fast unkenntlich gemacht. Vieles von den ursprüng-
lichen stratigraphischen Verhältnissen mag, weil das Gebirge zu verschiedenen Zeiten
stark abgetragen worden ist, überhaupt nicht mehr festzustellen sein.
Wir müssen uns aus diesen Gründen einstweilen damit begnügen, die großen Gruppen,
die Sedimente von sehr verschiedenem Alter vereinigen mögen, nach den wenigen wirklich
vorhandenen Merkmalen zu unterscheiden, es im einzelnen Falle aber oft unentschieden
lassen, zu welcher Gruppe die jeweils in Frage kommenden Bildungen gehören. Auch
steht es keineswegs fest, daß die hier angegebene Reihenfolge völlig richtig ist; sie
ist aus der Verbindung vieler einzelner Beobachtungen und deren Kombination hervor-
gegangen.
Die Phyllitgruppe. — Am meisten verbreitet und auch am mächtigsten ist grau-
schwarzer und grünlicher Phyllit; er ist besonders mächtig entfaltet in den Gebirgen
südlich vom Inyltschek-Tal. Man findet ihn aber auch unter den Sedimenten der
äußeren Gebirgszüge; er enthält an manchen Stellen Kalkphyllit, graugelben Quarzit und
quarzitischen Schiefer. Häufig ist auch graugrüner Phyllit. Auch er enthält quarzitische
Lagen und an manchen Stellen liegt darin ein amphibolitartiges Gestein, das aus einem
basischen Eruptivgestein und den dazu gehörenden Tuffen durch Druck und Zersetzung
entstanden ist. Die amphibolitartigen Gesteine begleiten dann Züge von weichen, fein-
blättrigen chloritischen Schiefern. Nur in den Phylliten allein kommen wahrscheinlich die
echten Gneise vor, die aber nicht sehr mächtig auftreten. Ein Beispiel dafür ist u. a. der
schmale Gneiszug in den Phyllitmassen auf der rechten Seite des oberen Sary-dschass-Tals.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt. 14
106
Wenn auch alle diese Bildungen sehr alt sein mögen, so gehören sie nach meiner
Auffassung doch nicht zum Grundgebirge, sondern sind wahrscheinlich jünger als Cambrium.
Zusammen mit den Bildungen der Tonschiefergruppe stellen sie aber die ältesten noch
sichtbaren Stücke des Gebirges dar, wovon wir eines in der mächtigen Schieferzone des
Bayum-kol- und Sary-dschass-Tals kennen lernen werden. Wo die eigentliche strati-
graphische Grenze zwischen diesen beiden Gruppen liegt, ist, wie schon hervorgehoben,
nicht festzustellen. An den heute sichtbaren Grenzen zwischen Phyllit und Tonschiefer
kommt an vielen Stellen des Gebirges ein ziemlich mächtiges Quarzitkonglomerat vor,
dessen stark gepreBte und verdrückte Gerölle in einem dunklen, quarzreichen, kristallini-
schen Bindemittel liegen. Dieses Konglomerat ist weit verbreitet; man findet es im Bayum-
kol-Tal, im Sary-dschass-Tal, im Inyltschek-Tal und auch am Rande der Tekes-
ebene zwischen dem Kleinen Musart-Tal und den Mukur-Mutu-Tälern, aber immer
zusammen mit Phyllit. Es ist anzunehmen, daß dieses gewiß sehr alte Konglomerat das
Zeichen einer Diskordanz andeutet, zumal es so weit verbreitet ist; aber bei der Unklarheit
der stratigraphischen Verhältnisse bleibt dies nur eine Vermutung. Auch über die Máüchtig-
keit der Bildungen der Phyllitgruppe läßt sich nur wenig Sicheres sagen, da in den
Bruchstücken des von ihr zusammengesetzten sehr alten Gebirges, die Art der alten Dis-
lokationen an den heute scheinbar konkordant liegenden Schichten nicht mehr zu erkennen
ist; es ist daher zweifelhaft, ob in den Aufschlüssen nicht dieselben Schichten infolge von
Faltung mehrmals wiederkehren. Aber ein gewisses Verhältnis zwischen der Mächtigkeit
der verschiedenartigen Bildungen tritt dennoch hervor: der grauschwarze Phyllit ist am
mächtigsten, der deutlich grüne Phyllit viel weniger entwickelt; Quarzit und Quarzitschiefer
haben verhältnismäßig nur eine untergeordnete Bedeutung.
Die Tonschiefergruppe. — Der Übergang vom Phyllit zu den Bildungen dieser
Gruppe scheint allmählich zu erfolgen. An manchen Stellen findet man den dunklen,
plattigen Tonschiefer, den wir als den ältesten betrachten, schon so verändert, daß man ihn
als Phyllit bezeichnen könnte. Dies wird aber an vielen Stellen dadurch verschleiert, daß
oft die jüngeren granitischen Gesteine der inneren Ketten, die hauptsächlich von diesem Ton-
schiefer begrenzt werden, ihn schon auf eine beträchtliche Entfernung vom Kontakte stark
verändert haben. Wo aber der Tonschiefer nicht durch die Kontaktmetamorphose verändert
worden ist, ist er plattig oder blätterig und sehr ebenflächig; er ist fast schwarz, grau-
schwarz oder dunkelblaugrau gefärbt und zeigt sich, wenn er verwittert, an vielen Stellen
mit einer braunen Rinde überzogen. Zuweilen enthält er Kalkschiefer, der an manchen
Stellen in dünnbankigem Kalk übergeht. Aus solchem Tonschiefer besteht ein großer Teil
der inneren Ketten nördlich vom Inyltsckek-Tal. Man findet ihn im Bayum-kol-Tal
(s. Profil I, Taf. II), im Sary-dschass-Tal (s. Profil XII, Taf. IV) und in den äußeren
Gebirgszügen. Was seine Mächtigkeit anbetrifft, so gilt davon dasselbe, was vom Phyllit
gesagt worden ist.
Für jünger als den dunklen Tonschiefer halte ich weinroten und lebhaft grün gefärbten
Tonschiefer, der zusammen mit rotem und grünem Radiolarit namentlich in der Umgebung
des Kaündü-Tals vorkommt. Mit diesen Gesteinen wechsellagern Dolomit und dolomitischer,
kristallinischer Kalk, die beide Crinoideenreste enthalten. Den bunten Schiefer und den
Radiolarit, der reich an leider nicht mehr bestimmbaren Radiolarien ist, halte ich für
devonisch. Auch der Dolomit hat sehr wahrscheinlich dasselbe Alter.
107
Außer diesen Bildungen kommen im zentralen Tian-Schan, namentlich in den
äußeren Gebirgszügen, noch eine Reihe anderer Sedimente vor, die ohne jeden Zweifel
jünger als die meisten der bisher erwähnten Bildungen sind, die aber wahrscheinlich auch
einige von den jüngeren, für devonisch gehaltenen, faziell vertreten. Dies sind hauptsächlich
graublauer und graugrüner, griffeliger und blütteriger Tonschiefer, worin z. B. am Kaschka-
tur-Paß die schon erwähnten verdrückten Reste von Conularien vorkommen, sodann dunkler,
fast schwarzer Kieselschiefer und grauwackenähnliche Gesteine. Ich kann aber über die
Reihenfolge dieser Bildungen ebensowenig sagen wie über die stratigraphischen Verhält-
nisse der älteren paläozoischen Sedimente.
Man findet den blaugrauen Tonschiefer hauptsächlich auf der rechten Seite des Sary-
dschass-Tals, im Kok-dschar-Tal, in der Umgebung des oberen Kapkak-Tals; er
geht an manchen Stellen in Schieferton über und tritt auf ziemlich großen Strecken
zusammen mit dem unterkarbonischen Kalk auf. Die Verhältnisse am Kaschka-tur- Paf,
die so deutlich die transgressive Lagerung des unterkarbonischen Kalks auf den älteren
paläozoischen Bildungen erkennen lassen (s. Profil VI), geben uns auch Auskunft über die
Stellung des Tonschiefers gegenüber dem Kalk.
Wenn man nämlich vom Kaschka-tur-Paß nach Westen in das Kubergantü-Tal
hinabsteigt, das ein Nebental des Kok-dschar- als ist, so sieht man auf beiden Seiten
des Weges, der sich rasch nach Westen senkt, zunüchst den gefalteten, blaugrauen Ton-
schiefer. Etwas weiter westlich verschwindet dieser Schiefer unter Schutt und Sumpf-
boden. Große Blöcke, die in dem Schutt umherliegen, bestehen nur aus Kalkkonglomerat,
Steigt man nun nach Norden das Gehänge aufwärts, so sieht man, daß das Konglomerat
scheinbar mit dem Tonschiefer wechsellagert; in Wirklichkeit ist dies aber nicht der Fall,
sondern das Konglomerat fällt fach nach Norden ein, liegt diskordant auf dem gefalteten
Tonschiefer, und die scheinbare Wechsellagerung wird dadurch hervorgerufen, daß eine
große Anzahl von Längsverschiebungen Tonschiefer und Kalk zusammen in lange, schmale
Schollen zerschnitten haben, die sich in Staffeln von Norden nach Süden senken. Es ist
also kein Zweifel darüber, daß der Tonschiefer schon gefaltet war, als die unterkarbonische
Transgression erfolgte; und dies Beispiel zeigt uns, daß zwischen Tonschiefer und dem
Kalkkonglomerat eine stratigraphische Lücke vorhanden ist.
Konkordanz zwischen Tonschiefer und Kalk habe ich auch nur an wenigen anderen
Stellen des Gebirges beobachtet, wo beide Bildungen zusammen stark disloziert worden sind.
Es ist daher in der Tat sehr wahrscheinlich, daß diese Konkordanz nur vorgetäuscht wird
und eine Folge der postkarbonischen Dislokationen ist.
Mit dem eben besprochenen Tonschiefer schließen die Bildungen der Tonschiefer-
gruppe nach oben ab. Es ist dabei jedoch zu beachten, daß wir nach dem heutigen Stande
unserer Kenntnisse die Frage nicht beantworten können, ob die erwähnten grauwacken-
ähnlichen Gesteine und die fast schwarzen Kieselschiefer nicht vielleicht jünger sind als die
Tonschiefer.
Der unterkarbonische Kalk. — Der unterkarbonische Kalk hat in unserem
Gebiete eine größere Verbreitung als irgend ein Glied der älteren paläozoischen Bildungen;
und obwohl diese Angabe im ganzen nur auf Schätzung beruht, so ist es doch nahezu sicher,
daß sie richtig ist. Die große Verbreitung erklärt sich dadurch, daß der unterkarbonische
Kalk nicht nur sehr große Teile des Gebirges fast allein zusammensetzt, sondern, daß er
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auch aus den Gebieten der sedimentären Bildungen auf große Teile der granitischen Massive
hinübergreift; er ist das Gebilde einer Transgression, und wir finden fast überall an
seiner Basis, wo seine Unterlage aufgeschlossen ist, das Transgressionskonglomerat, das
bald ein Kalkkonglomerat ist, wie über dem Tonschiefer am Kaschka-tur-Paß, bald ein
polygenes Konglomerat, wie über den dislozierten Phylliten und Tonschiefern oder über
den granitischen Massiven. Da der unterkarbonische Kalk fast überall bestimmbare Fossilien
führt, so ist es verhältnismäßig leicht ihn zu erkennen. Schon Semono w hat die bezeich-
nenden Fossilien des Kohlenkalks darin gefunden und angegeben, da& er das obere Glied
der palüozoischen Schichtenfolge sei. Ignatiew hat an der Stelle, wo der Itsch-kele-
tasch von Norden in das Sary-dschass- Tal mündet, Productus giganteus und Pr.
striatus gesammelt. An derselben Stelle oder doch nahe dabei und weiter im Osten am
Kapkak-Paß hat vor kurzem auch Friederichsen unterkarbonische Fossilien gefunden.
Ich habe schon S. 100 erwähnt, dab der unterkarbonische Kalk östlich vom Issyk-
kul in dem Maße unter den jungen Bildungen des Issy k- kul- Beckens hervortritt und an
Ausdehnung zunimmt, wie sich der Terskei-Ala-Tau nach Norden dem Kungeu-Ala-
Tau nähert, und daß der Kalk des Santasch-Passes wahrscheinlich unter den jungen
Bildungen des Passes mit dem Kalk an dem südwestlichen Rande des Beckens von Karkarä
zusammenhängt. Auch noch weiter im Osten habe ich nur an wenigen Stellen ältere
Bildungen gesehen, wohl aber den unterkarbonischen Kalk in groBer Ausdehnung. Das
Gebirge an den Ründern der alten Seebecken besteht hauptsüchlich daraus, soweit es nicht
von granitischen Gesteinen und*von Porphyr zusammengesetzt wird. Man findet den Kalk,
z. B. in den Bergen südlich und südöstlich von Karkarä, in den Randketten des Gebirges
an dem oberen Laufe des Tekes und weit und breit in den Gebirgszügen, die die Tekes-
ebene im Süden begrenzen. In diesen Teilen des Gebirges, wo der nördliche Granitzug
an Ausdehnung verliert, und wo sich, wie es scheint, die Achse des Terskei-Ala-Tau
allmählich nach Osten senkt, greift der unterkarbonische Kalk von den Rändern des
Sedimentstreifens, der die beiden großen Granitzüge des Terskei-Ala-Tau trennt, nach
Süden und Norden auf die granitischen Massive hinüber. Wir finden ihn dort an vielen
Stellen in transgressiver Lagerung über dem Granit. Wir beobachten ihn dagegen
unter anderen Verhältnissen in den inneren hohen Ketten. Die geologische Übersichtskarte
zeigt dort am Tüss-aschu-Paß Streifen des Kalks zwischen längsgestreckten Granitzügen.
Es ist dunkelgrauer und heller Crinoideenkalk, der viele Fossilien, darunter Productus
giganteus und Productus striatus, sowie Korallen führt. Der Kalk ist steil gestellt,
gefaltet und im Kontakt mit dem Granit verändert worden. Auf eine beträchtliche Ent-
fernung vom Passe nach Westen bestehen die höchsten Teile des Sary-dschass-Tau
daraus; und es kann auch kein Zweifel darüber aufkommen, daß seine Fortsetzung nach Osten
der kristallinische Kalk der hohen zentralen Kette ist, die wir bei der Besprechung des
Bayum-kol-Tals noch näher kennen lernen werden. Diese wenigen Angaben genügen
schon, die große Verbreitung des unterkarbonischen Kalks zu zeigen. Über seine Mächtig-
keit vermag ich nichts Sicheres anzugeben. Die transgressiv liegenden, oft wenig gestörten
Schollen in den granitischen Massiven sind zum Teil stark abgetragen worden, und außer-
halb dieser Massive ist der Kalk, zusammen mit den älteren Sedimenten, so stark disloziert
worden, daß es oft unmöglich ist, die Art der Lagerung zu erkennen oder nur zu ent-
scheiden, ob der Kalk in seiner ganzen Mächtigkeit aufgeschlossen ist. Vor allem ist aber
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zu beachten, daß er, da er ein Transgressionsgebilde ist, an den verschiedenen, zum Teil
ziemlich weit voneinander entfernten Stellen des Gebirges, je nachdem diese von der Trans-
gression früher oder später erreicht worden sind, auch verschieden mächtig sein muß.
Man kann beobachten, daß von dem unterkarbonischen Kalk hauptsächlich zwei
Varietäten vorkommen: nämlich dichter dunkelgrauer, oft dolomitischer Kalk und hellerer
Crinoideenkalk. Crinoideenreste findet man zwar fast überall, doch zeigt es sich, daß sie an
einzelnen Orten das Gestein besonders dicht erfüllen. Da diese gewiß voneinander ver-
schiedenen Bildungen auch getrennt vorkommen, so ist es wahrscheinlich, daß sie zuein-
ander in einem bestimmten statigraphischen Verhältnis stehen; es ist auch möglich, daß
sie sich an den verschiedenen Stellen des Gebirges vertreten. In der zentralen Kette, z. B.
am Pik Nikolai Michailowitsch, der mehr als 6000 m hoch ist (s. Abbildung 2 auf
Taf. D) ist der Gegensatz in der Färbung des dunklen und hellen Kalks durch die Meta-
morphose so lebhaft geworden, daß man deutlich erkennen kann, wie der helle, fast rein
wei&e Kalk durch immer hüufigeres Auftreten von dünnen, dunklen Schichten in den fast
schwarzen, körnigen Kalk übergeht. Dies ist aber Wechsellagerung und nicht Wieder-
holung derselben Schichten als eine Folge von Faltung.
Der dichte, dolomitische, dunkelgraue Kalk kommt, soweit meine Beobachtungen
reichen, hauptsächlich an den nördlichen Abhängen des Gebirges vor, z. B. an dem süd-
lichen Rande der Tekes-Ebene zwischen dem Großen Musart-Tal und dem Bayum-kol-
Tal, zwischen diesem Tal und den Tekes-Quellen und noch weiter im Westen am süd-
lichen Rande des Karkarä-Beckens; er führt beinahe überall eine reiche Fauna, die fast
nur bekannte und weltweit verbreitete Arten enthält. Namentlich ist er reich an Korallen
und Brachiopoden, führt aber an den meisten Stellen auch Foraminiferen. Fast überall ist
Productus giganteus häufig, daneben kommt auch Productus striatus vor; und von
den Korallen sind außer großen Einzelkorallen besonders die stockbildenden Korallen der
Gattungen Syringopora und Lithostrotion verbreitet.) An manchen Stellen, z. B.
südlich von Karkará und in der Umgebung des unteren Bayum-kol-Tals, besonders
aber in der Umgebung der Mukur-Mutu-Täler, kann man deutlich beobachten, daß der
dunkelgraue Kalk, der dicke Bänke zusammensetzt, nach oben in einen dunklen, dünnplattigen
oder dünnbankigen Kalk übergeht, worin die Fossilien sehr häufig verkieselt sind.
Der Crinoideenkalk, der im ganzen heller gefürbt zu sein scheint als der eben
besprochene dunkeleraue Kalk, kommt hauptsächlich an den südlichen Abhängen der
äußeren Gebirgszüge und in den inneren Ketten vor; er geht an einigen Stellen in
Crinoideenbreccie über, z. B. südlich vom T üss-aschu-PaB und enthält dieselben Brachio-
poden wie der dunkle Kalk, besonders häufig Productus giganteus und Productus
striatus. Korallen lassen sich darin aber seltener beobachten. Ob aber diese Unterschiede
eine stratigraphische Bedeutung haben, kann mit Hilfe der bisherigen Beobachtungen noch
nicht sicher bestimmt werden; denn diese werden, außer durch die Dislokationen und die
starke Abtragung auch durch die Metamorphose erschwert, die gegen die hohen zentralen
Teile des Gebirges hin, mehr und mehr die unterkarbonischen Bildungen verändert hat.
1) Das gesamte auf den Reisen im zentralen Tian-Schan sowohl auf der Südseite als auf der Nord-
seite gesammelte sehr umfangreiche Faunenmaterial ist augenblicklich noch in Bearbeitung. Die Ver-
öffentlichung der Ergebnisse der Bestimmung wird sich noch einige Zeit verzögern. G. Merzbacher.
110
Es fragt sich nun, ob alle bisher im zentralen Tian-Schan gefundenen karbonischen
Bildungen, die in verschiedenen Teilen unseres Gebietes, wie wir gesehen haben, veränder-
liche Mächtigkeit sowie deutlichen Wechsel der petrographischen Beschaffenheit zeigen, zur
unteren Abteilung des Karbons zu rechnen sind. Ich neige hiezu, da mehrere Gründe
hiefür sprechen: Obwohl die Fossilien, die im Laufe der Expedition an verschiedenen, zum
Teil weit voneinander entfernten Stellen in den karbonischen Bildungen des zentralen
Tian-Schan gesammelt wurden, erst zum geringen Teil genauer untersucht worden sind,
so hat sich doch schon jetzt soviel ergeben, daß die verschiedenen Faunen, sowohl die
aus dem dunkelgrauen als auch die aus dem Crinoideenkalk eine auffallende Übereinstim-
mung zeigen. An den meisten Stellen ist zudem Productus giganteus das bezeichnende
Leitfossil. Fusuliniden, die auf der südlichen Seite des Tian-Schan in den oberkarboni-
schen Bildungen so weit verbreitet sind, fehlen dagegen auf der Nordseite in dem zentralen
Gebirgsstück vollständig. Gegen das Vorkommen von oberkarbonischen Bildungen spricht
außerdem die Tatsache, daß Kalke mit Productus giganteus auf einer großen Strecke
des nördlichen zentralen Tian-Schan nach oben in salinare Sedimente übergehen, deren
Bildung, wie wir bald sehen werden, mit einer Regression des Meeres zusammengehängt
hat. Es ist also wahrscheinlich, daß die karbonischen Bildungen des nördlichen zentralen
Tian-Schan zu der oberen Abteilung des unteren Karbons, nämlich zu der Stufe des
Productus giganteus, gehören.
Obgleich es aus den erwähnten Gründen nicht möglich ist anzugeben, wie groß die
Mächtigkeit der unterkarbonischen Bildungen im Sary-dschass-Tau und in der zentralen
Kette ist, so scheint es mir doch fast sicher zu sein, daß sie dort größer ist als in den
äußeren Gebirgszügen und daß sie von Süden gegen Norden allmählich abnimmt. Die
Aufschlüsse auf der südlichen Seite des Sart-dschol-Passes lassen z. B. erkennen, daß
SN CNQNSES
Fig. V. Profil durch die linke Seite dee Kok-dschar-Tals, ca. 3 km südöstlich vom Sart-dsehol-Paf.
Mafsstab 1: 10,000.
g Granit, gs rote, sandig-kalkige Schotter aus Granitgrus mit Einzelkorallen, ge Kalk mit Granitgérólle,
ea dichter, rauchgrauer und rötlicher Crinoideenkalk mit Productus giganteus und Productus striatus,
cb dünnplattiger Kalk, r bunte plattige Mergel, m grauer und graugrüner Mergelton und Mergel mit Gips,
t Erdtrichter.
dort der wenig mächtige graue Kalk mit Produetus giganteus nach oben in rötlichen
Kalk und darauf in bunte, Gips führende Mergel übergeht, daß also die Mächtigkeit
dieses Kalkes auffallend gering ist gegenüber der des unterkarbonischen Kalks am Tüss-
aschu-Paß und in der zentralen Kette.
Aber nicht nur die unterkarbonischen Bildungen, sondern auch die jüngeren Sedimente
der karbonischen Schichtenfolge werden um so vollständiger und mächtiger, je mehr man
sich von Norden dem südlichen Rande des Tian-Schan nähert. Ein vermittelndes Vor-
111
kommen ist mir vom Ischtyk-Pa& bekannt, wo unterkarbonischer Kalk mit Productus
giganteus mächtig entwickelt ist. Auch noch weiter südlich sind unterkarbonische Bil-
dungen in außerordentlicher Mächtigkeit sehr weit verbreitet, hauptsächlich Dolomit, dolo-
mitischer Kalk und Sandsteine. Die Gebirgszüge auf der rechten Seite des Kok-schaal-
Flusses bestehen zum größten Teil hieraus. Bei Utsch- Turfan enthalten diese Bildungen
bis zu zwei Meter mächtige Bänke aus Brachiopodenschalen, namentlich aus Schalen des
Productus giganteus.!)
Das untere Oberkarbon ist im Süden durch schwarze, an Gastropoden reiche Kalke,
die Spirifer mosquensis als Leitfossil enthalten, vertreten, das mittlere Oberkarbon durch
helle Fusulinenkalke. Am weitesten verbreitet smd die in petrographischer Beziehung sehr
mannigfaltigen Bildungen des obersten Karbons. Die großen Faltenbögen, die zusammen
bisher in der Literatur als Kokschaal-Tau bezeichnet wurden, bestehen zum größten
Teil hieraus; diese Bildungen führen überall Schwagerina princeps, und enthalten eine
Fauna, die ganz erstaunlich mit der des Uralischen Schwagerinenkalks übereinstimmt.
Aus dieser Verbreitung der verschiedenen Glieder des Karbons ergibt sich also, daß
die karbonischen Bildungen auf der südlichen Seite des Tian-Schan vollständig entwickelt
sind, da& dagegen in den nórdlich daran grenzenden Teilen des Gebirges und im zentralen
Tian-Schan nur die Kalke der Stufe des Productus giganteus vorhanden sind, und
daß diese Kalke von Süden nach Norden an Mächtigkeit abnehmen.
Die intramittelkarbonischen gebirgsbildenden Bewegungen haben große Teile des
Tian-Schan getroffen; wir kónnen ihre Spuren auf der südlichen Seite des Gebirges
deutlich in den stratigraphischen Diskordanzen der oberkarbonischen Sedimente erkennen.
In dem nördlichen Teile des zentralen Tian-Schan, wo diese Bildungen fehlen, sehen
wir die einzigen Spuren der beginnenden Bewegungen in den Bildungen der bunten, Gips
führenden Mergel und roten Sandsteine südlich vom Sart-dschol-Pa&, die eine Regression
des karbonischen Meeres anzeigen. In der Gegend des Sart-dschol-Passes hat die Regression
begonnen, nachdem die roten, plattigen Kalke, die Productus giganteus führen, gebildet
worden waren.
Bunte Mergel, roter Sandstein und Konglomerat. — Dies sind die jüngsten paläo-
zoischen Sedimente des nördlichen zentralen Tian-Schan; ich selbst habe sie hauptsächlich
Kaschka-kun-P
MEZ j
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Sary-dıchzss a
— 77
Fig. VI. Profil durch den rechten Talrand des Sary-dschass-Tals am Kaschka-tur-Paß.
£z Gneis, p Phyllit, gr grauwackenähnliches Gestein, t graublauer Tonschiefer, cg Quarzit-
konglomerat der Transgression, c Kalk mit Productus giganteus, m alte Moräne, s Schutt,
a Sumpf und Moorböden.
1 Merzbacher, l.c., $S.45. Über den geologischen Bau des südlichen Tian-Schan habe ich
soeben eine Arbeit vollendet, welche unter dem Titel: „Geologische Untersuchungen im südlichen Tian-
Der Verfasser.
112
auf der südlichen Seite des Sart-dschol-Passes im Kok-dschar-Tal gefunden. Man
trifft sie aber auch in den benachbarten, weiter westlich gelegenen Teilen des Gebirges;
denn, wie wir schon bei der Besprechung des nördlichen Granitzugs (S. 99 £.) der äußeren
Gebirgszüge gesehen haben, stimmen die bunten Mergel des Dschütü-oguss-Tals, die
Friederichsen gefunden hat, mit dem bunten Mergel des Sart-dschol-Passes überein;
sie sind aber noch weiter im Westen bekannt, wenn auch ihre stratigraphische Stellung
nicht erkannt worden ist. Schon Semonow!) berichtet von dem Konglomerat der Buam-
Schlucht, wo der Tschu, aus dem Issyk-kul-Becken kommend, die westlichen Ausläufer
des Kungeu-Ala-Tau durchbricht. Die Seiten des Durchbruchtals bestehen dort zum
groBen Teil aus Bildungen, die denen des Sart-dschol-Passes und des Dschütü-oguss-
Tals gleichen; es kommen aber außerdem noch mächtig entwickelte Konglomerate vor.
Ganz dieselben Bildungen habe ich auch noch weiter westlich an den nördlichen Abhängen
des Alexander-Gebirges südlich von Pischpek gesehen: es sind auch dort bunt gefürbte
Mergel, rotviolette und rote Sandsteine sowie grobes Konglomerat.
In der Buam-Schlucht finden wir außerdem die folgenden Verhältnisse: An dem
Ausgang der Schlucht sieht man etwas talaufwärts von der Poststation Dschil-aryk,
wo Gneis und Gmeisgranit anstehen, unter fluvioglazialem Schotter und Gehängeschutt auf
der linken Seite des Tschu zuerst roten und violetten Tonsandstein und bunten Mergel,
die höchst wahrscheinlich das Liegende der weiter talaufwärts sichtbaren Schichtenfolge
bilden. Ein wenig weiter östlich steht dicht am Flusse stark zersetzter, violetter Porphyr
an, der wahrscheinlich in den roten Sandsteinen und bunten Mergeln liest. Noch weiter
talaufwärts folgt darüber in mannigfacher Wechsellagerung roter Sandstein, blauer, grauer
und grüner Mergel und grobes Konglomerat. Dies Konglomerat enthält sehr große Blöcke,
die zum Teil aus Kalk, zum Teil aus kristallinischen Gesteinen bestehen.
Friederichsen?) hat dicht am Tschu einen Minettegang angetroffen, der feinkörniges
Konglomerat durchbrochen hat. Da ich diesen Teil des Gebirges nur flüchtig gesehen
habe, so kann ich über die Lagerungsverhältnisse der roten Sandsteine, bunten Mergel und
groben Konglomerate und ihre Beziehungen zu den älteren Bildungen in der Umgebung
des Tschu-Tals keine Angaben machen. Ich sah vom Flusse aus nur, daß die bunten
Sedimente auf dessen linker Seite hauptsächlich nach Süden, auf der rechten Seite zum
Teil nach Norden einfallen.
Südlich vom Sart-dschol-Paß, auf der rechten Seite des Kok-dschar-Tals, sind
dagegen die Lagerungsverhältnisse klarer. Da sie sowohl über die transgressive Lagerung
des unterkarbonischen Kalks auf Granit als auch über den allmählichen Übergang des
unterkarbonischen Kalks in die bunten Mergel ausgezeichneten Aufschluß geben, so wollen
wir sie hier genauer betrachten.
Von Karkará führt ein von den Kirgisen benutzter Weg durch das Gebirge über
den ungefähr 3700 m hohen Sart-dschol-Paß nach Süden in den unteren Teil des Kok-
dschar-Tals. Auf diesem Wege kommt man aus dem alten Seebecken von Karkará
zunächst am Fuße des Gebirges in einen breiten von Osten nach Westen verlaufenden
Gürtel niedriger waldreicher Hügel. An den wenigen Stellen, die von der Vegetation ent-
! Semonow, Peterm. Mitteil, 1858, S. 358 und Zeitschr. Gesellsch. f. Erdkunde, Berlin, 1869.
?) Friederichsen, l. c, S. 33, petrograph. Anhang, S. 248.
115
blößt sind, sieht man, daß diese Hügel aus lebhaft rot gefärbten Sedimenten bestehen; es sind
hauptsächlich weiche, rote, dann blaugraue und graue Mergel, Mergeltone, Tonsandsteine und
Glimmer führender, dünnplattiger Sandstein: dieselben Bildungen, worin nordwestlich von
Karkará!) eine jungtertiäre Fauna von Süßwassergastropoden vorkommt. Südlich von
diesen Hügeln erheben sich zuerst vereinzelt, dann in geschlossenem, O.W. bis O.N.O.
streichendem Zuge steil nach Süden einfallende Schollen von dolomitischem und plattigem,
grauem Kalk. In dem plattigen Kalk findet sich ziemlich häufig Productus giganteus,
in dem dolomitischen Kalk schlecht erhaltene Brachiopoden, Korallen und Bryozoen. Hoch
an die Kalkschollen hinan, 300 bis 400 m über die Sohle des alten Seebeckens von Karkarä
reichen die verhüllenden tertiiren Bildungen und umgeben stellenweise die Kalkschollen von
allen Seiten. Zwischen unterkarbonischem Kalk und tertiären Bildungen führt nun der Weg
zum Sart-dschol-PaB, zuerst nach Süden, dann nach Südosten zum Teil durch bewaldetes
Gebirge. Dicht unterhalb der oberen Baumgrenze tritt an einigen Stellen Granit auf,
dann noch einige große Schollen von hellem, unterkarbonischem Crinoideenkalk, deren
granitische Unterlage aber nicht sichtbar ist. Oberhalb der Baumgrenze zeigt sich bis
zum Paß, zwei bis drei Stunden weit nur Granit. Es ist dies das östlichste der auf der
geologischen Übersichtskarte noch eingezeichneten Stücke des nördlichen Granitzuges.
Man steigt von Norden allmählich zum Paf hinauf, der i einer flachen Einsenkung
des stark abgetragenen granitischen Hauptkammes liegt. Ganz in der Nähe des Passes
findet man schon auf der Nordseite große Blöcke und kleinere Stücke von grauem unter-
karbonischem Kalk. Daraus ergibt sich, daß einst der Mantel der unterkarbonischen
Bildungen auf der nördlichen Seite des Hauptkammes bis in die Höhe des Passes gereicht
haben muß. Westlich vom Paßeinschnitt erscheint in einiger Ferne in der Höhe des
Hauptkammes, deutlich horizontal geschichtetes Gestein; es scheint also dort noch eine
größere Scholle des unterkarbonischen Kalks erhalten zu sein.
Auf der steil geneigten Südseite des Hauptkammes fallen, nicht weit unterhalb der
Paßhöhe, zahlreiche Konglomeratblócke auf, die aus Kalk- und Granitgeröllen zusammen-
gesetzt sind; in einzelnen Blöcken herrschen die Granitgerölle so vor, daß die Blöcke fast
ganz daraus bestehen, in anderen verdrängen wieder die Kalkgerölle den Granit bis auf
wenige kleine Stücke, die in der einschlie&enden Kalkmasse zerstreut liegen. Wenn man
nun weiter nach Süden in das Kok-dschar-Tal hinabsteigt, so stößt man ungefähr 500
bis 600 m unterhalb der Paßhöhe in dem Bett des vom Paß herabflieBenden Baches an einen
Felsriegel, der vom Wasser durchschnitten worden ist. Dieser Riegel besteht aus O.N.O.
streichendem, schwach nach Norden einfallendem, unterkarbonischem Kalk, den man auch
noch eine Strecke weiter zu beiden Seiten des Weges in den vorspringenden Kanten des
Gehänges beobachten kann. Es ist nun bemerkenswert, daß hier der Kalk auf allen Seiten
vom Granit umgeben ist; die Grenze zwischen Kalk und Granit läßt sich allerdings an
dieser Stelle nicht feststellen, weil sie von Morünen und Gehüngeschutt verdeckt wird.
Aber etwas weiter am Gehänge abwärts, finden wir Verhältnisse, die ich in der folgenden
Skizze (Figur VII) darzustellen versucht habe: Im Hintergrunde erheben sich einige Gipfel,
die aus Granit bestehen und zum Zuge des Hauptkammes gehóren, im Vordergrunde am
1 Merzbacher, l. c., S. 4.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt. 15
114
Fig. VII. Reste von ingressiv liegendem Schotter aus Konglomerat und unterkarbonischem Kalk
am Sart-dschol-Paß.
g granitische Gesteine, c Konglomerat aus Granit und Kalkgeróllen, darunter sandige Schichten,
die aus Granitgrus bestehen, darin Korallen, cb unterkarbonischer Kalk mit Productus giganteus
und Productus striatus.
Gehünge aber liegen vereinzelte, getrennte Schollen von geschichtetem Konglomerat und
unterkarbonischem Kalk. Das Konglomerat, das aus Granit und Kalkgeróllen besteht,
liegt an der Basis des Kalks unmittelbar auf Granit, der auf allen Seiten ansteht und auch
zwischen den Schollen in den Furchen des Gehänges angeschnitten ist. Die Schollen setzen
auf ihrer Rückseite am Granit ab und es kann kein Zweifel darüber aufkommen, daß sie
einst in einem langgestreckten Streifen zusammengehängt haben.
Da die Schollen in einer flachen Einsenkung des Gehänges liegen, an welchem man,
um in das Kok-dschar-Tal zu gelangen, in Südrichtung etwas hinansteigen muß zu jener
Stelle des Gehänges, an das sie sich anzulehnen scheinen, so trifft man oberhalb der
Schollen wieder auf Granit; dann senkt sich das Gehänge zur Tiefe des Kok-dschar-Tals.
Auf dem Abstiege dahin zeigt sich nochmals eine Kalkscholle von geringem Umfang, deren
Bänke mäßig nach Norden geneigt sind; dann verdeckt dichte Vegetation das anstehende
Gestein. Ganz zuletzt kann man noch dünnplattigen, Glimmer führenden roten und grün-
lichen Sandstein beobachten, der O.N.O. streicht und steil nach Süden einfällt. An dieser
Stelle läßt sich zwar die Grenze zwischen Kalk und Sandstein der Vegetation wegen nicht
feststellen; doch kann man immerhin sehen, daß sich der unterkarbonische Kalk in der
östlichen Fortsetzung des Streichens schwach nach Norden einfallend, an den Granit
anlehnt, daß bunte Mergel und Sandstein etwas südlich davon sein Hangendes bilden, und
daß alle diese Bildungen in einem scharfen flexurartigen Bogen nach Süden zur Tiefe des
Kok-dschar-Tals umbiegen.
Über das Lagerungsverhültnis zwischen dem unterkarbonischen Kalk uud den bunten,
Gips führenden Mergeln und Sandsteinen finden wir weiter östlich auf der rechten Seite
des Kok-dschar-Tals Aufschluß. Etwas talaufwärts vom Wege, der vom Sart-dschol-
Pa&, dem schon erwähnten Bache folgend, nach Süden hinab zum Kok-dschar führt,
mündet ein von Norden kommendes kleines Seitental. Der Hintergrund dieses Seitentals
liegt im Granit und man sieht dort an der Grenze von Granit und Sedimenten und weiter
südlich das folgende Profil (s. Profil V): Dicht über dem Granit liegt plattiger, zum Teil
115
knolliser, rötlicher sandiger Kalk, worin abgeriebene Brachiopodenschalen vorkommen.
Zwischen diesem Kalk und dem Granit findet man ein rotes klastisches Gestein, das aus
kleinen aufbereiteten Bruchstücken des Granits, namentlich aus Quarz und Feldspat besteht.
Schon in diesen grusig-sandigen, wenig mächtigen Schichten erscheinen öfters Einzelkorallen.
Über dem rötlichen plattigen Kalk folgt diekbankiger Kalk, der in den unteren Lagen noch
rötlich gefärbt ist und gerundete Gerölle von Granit enthält, in den oberen Lagen aber
verschwinden die Gerölle mehr und mehr; es kommen jedoch noch Bruchstücke von Quarz,
von zersetztem Feldspat und vor allem von dunklem Glimmer darin vor. Schon in diesen
Lagen führt der Kalk sehr viele Fossilien: stockbildende Korallen wie Lithostrotion,
sehr häufig Productus striatus, dann Productus giganteus, Productus inflatus,
Productus longispinus u.a. Die darüber folgenden Bänke bestehen aus dichtem hell-
grauen Kalk, worin Crinoideenreste und dieselben Fossilien vorkommen, wie in den tieferen
Bänken. Dieser Kalk geht nach oben in dünnplattigem rótlichem, Crinoideenreste enthal-
tendem Kalk über, der vollständig dem rötlichen Kalk gleicht, welchen Friederichsen
als Geröll im Flussbett des Dschütü-oguss-Tals gesammelt hat (siehe S. 100). Darüber
folet bunter mergeliger Kalk, dann plattiger bunter Mergel, der hellen Glimmer und
Tongallen führt; darauf weiche graue und graugrüne, gipshaltige Mergel und zuletzt roter,
plattiger Sandstein. Der Gips bildet weiße gebänderte Einlagerungen in den Mergeln und
seitlich von dem eben beschriebenen Profil findet man auf der Sohle des Seitentales mit
Wasser angefüllte Erdtrichter.
Hier sehen wir also deutlich, daß der unterkarbonische Kalk auf dem Granit trans-
gressiv liegt, daß der massige graue Kalk nach oben in rötlichen Kalk, dieser dann in
bunte, Gips führende Mergel übergeht, und daß darauf dann der rote plattige Sandstein
folgt.!) Ich habe aber an dieser Stelle kein Konglomerat anstehend gefunden, das mit den
bunten Sedimenten wechsellagert, sondern nur lose Blócke aus Granit und Kalkgeróllen
gefunden.
Aus allen diesen Tatsachen ergibt sich zusammen mit den über die Verbreitumg der
karbonischen Bildungen auf der südlichen Seite des Tian-Schan?) gemachten Beobachtungen
folgendes: Die marine Schichtenfolge des Karbons ist vollständig auf der südlichen Seite
des Tian-Schan entwickelt; namentlich das Unterkarbon tritt dort in weiter Verbreitung
und in großer Mächtigkeit auf. Im Hangenden des Kalks mit Productus giganteus tritt
dort mehr und mehr Sandstein auf; dann stellen sich Kalk- und Quarzkonglomerate ein. In
den Geröllen der Kalkkonglomerate kommen unterkarbonische Fossilien vor. Diese grobklasti-
schen Bildungen gehören also wahrscheinlich zum mittleren und oberen Oberkarbon; aber auch
an anderen Stellen. wo die Kalke der Stufe des Spirifer mosquensis zahlreiche Fossilien
führen, wie z. B. bei Kara-dschul am Südrand, westlich von den Salzsümpfen des Schor-
köl, erkennt man deutlich an der Beschaffenheit der Bildungen wesentliche Abnahme der
ehemaligen Wassertiefe. In die Zeit des unteren und mittleren Oberkarbons füllt
eine Phase der gebirgsbildenden Bewegungen, die einen großen Teil des Tian-
Schan getroffen haben. Die in petrographischer Beziehung mannigfaltigen Bildungen
!) Einen ähnlichen Übergang des unterkarbonischen Kalks in salinare Bildungen habe ich auch in
den nordöstlichen Vorketten, im Temurlik- Tau beobachtet, im Dschidschen Tale. G. Merzbacher.
?) Siehe meine S. 111 erwähnte, demnächst erscheinende Abhandlung.
15*
116
des oberen Oberkarbons liegen diskordant auf den älteren karbonischen Bildungen; sie
enthalten Schwagerina princeps und, abgesehen von der Gattung Enteletes, eine
Fauna, die vollständig mit der Fauna des uralischen Schwagerinenkalks übereinstimmt (siehe
S. 111). Von der karbonischen Schichtenfolge ist hingegen in den mittleren und nördlichen
Teilen des zentralen Tian-Schan nur der Kalk mit Productus giganteus gefunden
worden. Dieser Kalk ist in der zentralen Kette und im Sary-dschass-Tau ohne Zweifel
mächtiger als an vielen Stellen der äußeren nördlichen Gebirgszüge, wo er nach oben erst in
bunte, Gips führende Mergel, dann in rote Sandsteine und Konglomerate übergeht. Auch
dort weisen Mergel auf Abnahme der Wassertiefe, das heißt auf die beginnende Regression
des Meeres hin. Die großen zum Teil eckigen Blöcke in den Konglomeratbünken der
Buam-Schlucht, wovon manche mehr als einen Meter Durchmesser haben und also nicht
weit transportiert sein können, verraten die Nähe von Landflächen und dadurch auch,
daß mit der Regression des Meeres die gebirgsbildenden Bewegungen begonnen haben.
Die früher erwähnte geringere Mächtigkeit des unterkarbonischen Kalks im Kok-
dschar-Tal läßt verschiedene Deutungen zu: entweder hat die Transgression die granitische
Unterlage dort später erreicht, als im Gebiet der zentralen Kette und des Sary-dschass-
Tau, oder die Regression hat dort früher begonnen und die bunten Sedimente vertreten
einen Teil des unterkarbonischen Kalks, oder aber, und dies ist am wahrscheinlichsten: die
Transgression ist über eine gebirgige Oberfläche vor sich gegangen.
Wie dem nun aber auch sei, so scheinen marine Sedimente jedenfalls nach der Ab-
lagerung des Kalks mit Productus giganteus und nach der Regression des Meeres in
dem Gebiet des nördlichen zentralen Tian-Schan nicht mehr gebildet worden zu sein.
Die bunten Sedimente kommen dort, soweit die bisherigen Beobachtungen reichen, nur an
den nördlichen Abhängen des Gebirges vor; sie setzen einen langen und verhältnismäßig
schmalen Streifen zusammen, der sich mit manchen Unterbrechungen vom Kok-dschar-
Tal längs der nördlichen Seite des Terskei-Ala-Tau über das Durchbruchstal des Tschu
am westlichen Ende des Issyk-kul nach Westen bis zu den nördlichen Abhängen des
Alexander-Gebirges erstreckt. Verlauf und Ausdehnung dieses Streifens, wie sie sich
ungefähr aus der jetzigen Lage der verschiedenen Reste der bunten Sedimente ergeben,
mögen in Wirklichkeit etwas anders gewesen sein; denn vor allem ist deren Absatz von Lage
und Ausdehnung der alten Gebirgsrümpfe, die von der unterkarbonischen Transgression
vermutlich nur zum Teil betroffen worden sind, abhängig gewesen. Es kann kein Zweifel
darüber herrschen, daß große Teile dieser Gebirgsrümpfe uns in den heute noch sichtbaren
granitischen Massiven des Terskei-Ala-Tau und seiner östlichen Fortsetzung erhalten
geblieben sind, denn die transgressive Lagerung des unterkarbonischen Kalks über Granit
ist nicht nur am Sart-dschol-Paß und im Kok-dschar-Tal, sondern auch an vielen
anderen Stellen, namentlich im Gebiet des südlichen äußeren Granitzuges sichtbar. Die
geringe Mächtigkeit der unterkarbonischen Bildungen und ihre Lagerungsverhältnisse am
Sart-dschol-Paß weisen darauf hin, daß die Transgression dort in der Tat über einer
sehr unebenen Oberfläche vor sich gegangen, und daß sie vielleicht an manchen Stellen
mehr eine Ingression gewesen ist. Wir kennen allerdings nicht das Maß der Veränderungen,
welche die äußeren Gebirgszüge des nördlichen zentralen Tian-Schan und die westlich
davon gelegenen Teile des Terskei-Ala-Tau durch die späteren gebirgsbildenden Be-
wegungen erlitten haben und vermögen deshalb auch nicht zu beurteilen, wie weit die
1517
Höhenunterschiede, die heute zwischen diesen Teilen des Gebirges bestehen, abgesehen von
der Abtragung, erst später entstanden sind. Wahrscheinlich ist es aber, daß die alten
Gebirgsstücke, worin die granitischen Massive besonders ausgedehnt gewesen sind, zur Zeit
der unterkarbonischen Transgression verschiedene Hóhe gehabt haben, sodaf sie also von
der Transgression nicht alle oder doch nicht gleichmäßig getroffen worden sind. Die bisherigen
Beobachtungen lassen ferner schon erkennen, daß die alten palüozoischen Sedimente in unserem
Gebiet nach Osten mehr und mehr an Ausdehnung zunehmen, wo die transgressive Lagerung
des unterkarbonischen Kalks sowohl über Granit als auch über den alten palüozoischen
Sedimenten noch am meisten sichtbar wird, das ist zwischen dem oberen Teile des Sary-
dschass-Tals im Westen und dem großen Musart-Tal im Osten. Vielleicht hängt dies
zusammen mit einer ursprünglichen Erniedrigung des Gebirges durch Senkung der alten Falten-
achsen nach N.O. unter Zunahme der Sedimente und Abnahme der granitischen Massive.
Die tertiären Bildungen.
Durch Semonow und Sewerzow, sowie durch spütere Reisende sind uns aus vielen
Teilen des Tian-Schan, sowohl von den Rändern als auch aus dem Inneren des Gebirges,
rote Sedimente bekannt geworden, die durch ihre Beschaffenheit und durch ihre Lagerungs-
verhältnisse auf den ersten Blick verraten, daß sie sehr junge Bildungen sind. Semonow?)
erwähnt solche Bildungen vom Issy k-kul, namentlich aber von der sogenannten Dschala-
nasch-Hochfläche, die auf der nördlichen Seite der östlichen Ausläufer des Kungeu-
Ala-Tau liegt. Sewerzow?) hat rote Sedimente, hauptsächlich Sandstein, Steinsalz führen-
den Ton und Konglomerat, aber auch noch jüngere weniger feste und geschichtete
Bildungen in weiter Verbreitung zwischen dem Issyk-kul und dem Tschatyr-kul im
Gebirgsland des Naryn gesehen. Stoliczka,°) der von Kaschgar aus den Tschatyr-
kul besucht hat, berichtet von gelblichen und rötlichen Tonen, die Konglomeratbänke
enthalten und eine breite Zone an dem nördlichen Rande der Kaschgarischen Niederung
zusammensetzen, ferner von rotem Sandstein und Konglomerat, die in den Gebirgszügen
südlich vom Tschatyr-kul in der Umgebung des Tojun-Tals vorkommen und die zum
Teil von basaltischen Gesteinen durchbrochen worden sind. Alle Forschungsreisende, die
den Tian-Schan später bereisten, haben die roten Sedimente auch in anderen Teilen des
Gebirges angetroffen. Romanowsky und Muschketow haben sie in den westlichen und
nördlichen Teilen des Gebirges in weiter Verbreitung gesehen und Bogdanowitsch*) und
Obrutschew°) haben gezeigt, daß sie die Ränder des östlichen Tian-Schan und des Bei-
Schan begleiten und zwischen die Gebirgszüge eindringen. Die neueren Forschungen haben
nun ergeben, daß sie sogar in den höchsten Teilen des Gebirges, nämlich im zentralen
Tian-Schan vorkommen. Ich habe sie zwischen dem Bedel- und dem Ak-bel-Paß, sowie
1 Semonow, Peterm. Mitteil, 1858, S. 357 und 360.
2) Peterm. MitteiL, Ergänzungsheft Nr. 42, 8. 18, 32 und 48 f. Nr. 43, S. 18 £, 42£., 69 f. und 85 f.
2) Record Geolog. Survey of India, 1874, VII und Quaterly Journal, 1874, XXX.
5) Ergebnisse der Tibet-Expedition des M. W. Pewtzow. Bd.II. Geologische Untersuchungen von
K. J. Bogdanowitsch. Petersburg 1892 (russ.).
*) Obrutschew W. A. Zentral-Asien, Nórdliches China und Nan-Schan. 2 Bde. Petersburg 1900
und 1901 (russ.). Siehe besonders Bd. II, S. 647 f.
118
im Quellgebiet des Kara-sai gesehen, wo sie in der Nähe der höchsten Erhebungen mehr
als 3600 m hoch liegen (Merzbacher, 1. c., S. 63).
Friederichsen hat sie westlich davon beobachtet, nämlich am Unterlaufe des Orto-
Utsch-kul, das ist an den südlichen Abhängen des Terektü-Tau nördlich vom Irtasch.
Nach seinem Bericht kommen dort noch in der Höhe von 3700 m rote und braunrote Kon-
glomerate und Sandsteine vor. Weiter im Osten hat Friederichsen!) im Sary-dschass-
Tal in dem Einschnitt des Tschilun, der ein linker Nebenfluß des Sary-dschass ist,
rötliche, geschiehtete Sande und Konglomerate in der Höhe von 3000 m gesehen; die
gleichen Bildungen habe ich weiter nach Osten verfolgt und die geologische Übersichtskarte
zu dieser Arbeit zeigt, daß sie auf der linken Seite des Flusses fast den ganzen nördlichen
Abhang des Sary-dschass-Tau begleiten.
Aus diesen Nachrichten geht die außerordentlich große Verbreitung der roten Sedi-
mente im Tian-Schan hervor, und zwar begleiten sie nicht nur die Ränder des Gebirges
auf großen Strecken, sondern sie breiten sich auch über weite Flächen des Gebirges aus,
die sich zwischen dem Issyk-kul und dem südlichen Rande des Gebirges bei Kaschgar
erstrecken. Auch reichen sie zu bedeutenden Höhen hinan und man findet sie selbst noch
in der Nähe der höchsten und zentralsten Teile des Gebirges.
Die roten Sedimente werden allgemein als tertiäre Bildungen betrachtet. Es ist aber
bei dem Mangel an Fossilien in den meisten Fällen unmöglich, das Alter der verschiedenen
Gruppen dieser Sedimente, die sich nur mit Hilfe der Lagerungsverhältnisse oder gewisser
petrographischer Unterschiede in Glieder trennen lassen, genauer zu bestimmen. Dagegen
ist es möglich, jedoch nur bis zu einem gewissen Grade 'eine Altersfolge nachzuweisen.
Vergleichen wir nun zunächst die roten Sedimente der verschiedenen Gebiete des
Gebirges miteinander und stellen wir fest, welche Unterschiede sich dabei ergeben.
Semonow?) berichtet, daß junge Sedimente die Dschalanasch-Hochfläche mehrere
hundert Fuß hoch bedecken und in den tiefen Einschnitten des Kegen und der Merke-
Flüsse sehr gut aufgeschlossen sind, daß sie aus Sand, Lehm und aus Steingeröllen von
allen möglichen Größen bestehen, sowie daß sie zu einem lockeren und losen Konglomerat
nur schwach verkittet erscheinen. Dies sei, so meint Semonow, „ein von den zahlreichen
Flüssen angeschwemmter Boden ganz modernen Ursprungs, ungestört auf anstehenden festen
Gesteinen angehäuft und aufgelagert.“ Diese Beschreibung ist ausführlich genug, um erkennen
zu lassen, daß mit den Bildungen der Dschalanasch-Hochfläche ein großer Teil der Bildungen
übereinstimmt, womit die weiten Becken des Karkara und Tekes angefüllt sind.
Diejenigen roten Sedimente, die auf der südlichen Seite des Issyk-kul an dem Fuße
des Terskei-Ala-Tau vorkommen, beschreibt Semonow als ein Konglomerat, in welchem
Quarz, Feldspat, Granitkörner und auch größere Gerölle zu einem mehr oder weniger zer-
reiblichen Gestein verkittet worden sind. Dieses Konglomerat, das an manchen Stellen auch
gefestigt erscheint, fällt unter einem Winkel von 35° nach Norden ein. Semonow meint
nun, es sei auch dies eine Bildung offenbar ganz modernen Ursprungs, nämlich eine See-
bildung des Issyk-kul.
Friederichsen,?) der dieses Konglomerat auch untersucht hat, neigt zu der Ansicht,
1 Friederichsen, l. c., S. 108 und 109.
2) Petermanns Mitteil. 1858, S. 360.
3) Friederichsen, |. c., S. 72.
119
daß es durch Anhäufung von Gebirgsschutt entstanden sei, und daß die Neigung der
Schichten nicht durch Dislokation entstanden, sondern die natürliche Neigung des Schuttes
an den Gehängen einer ausgedehnten Mulde darstelle.
Sewerzows rote Bildungen sind zweifellos zum Teil anders beschaffen, als die jungen
Bildungen der Dschalanasch-Hochflüche, der Becken des Tekes, des Karkara und des
Issyk-kul; zum Teil stimmen sie aber auch damit überein. Es lassen sich nämlich unter
diesen Bildungen, wie Sewerzow selbst schon angedeutet hat, zwei Gruppen unterscheiden,
die verschiedene petrographische Beschaffenheit und verschiedene Lagerungsverhältnisse
haben.!) Die erste, älteste Gruppe, enthält die festen oder mürben roten Sandsteine mit unter-
geordneten Konglomeratschichten und tonige Gesteine, die Steinsalz führen. Diese Bildungen
bedecken einen großen Teil des Gebirges zwischen dem Issyk-kul und dem Tschatyr-
kul; sie sind disloziert worden, fallen nach Norden und Süden ein und folgen dem Streichen
der Ketten, die hauptsächlich aus paläozoischen Gesteinen bestehen. Sewerzow sagt darüber:
„Dieser rote Sandstein mit dem ihm untergeordneten Konglomerat und dem stellenweise sich
vorfindendem Steinsalz ist ohne Zweifel eine Meeresformation, und seine quer durch das ganze
System (des Tian-Schan) sich hinziehenden Entblößungen, weisen darauf hin, daß zu der
Zeit, als dieser Sandstein sich ablagerte, sich wahrscheinlich an der Stelle der eben ange-
gebenen Reihe von Gebirgssätteln eine Meerenge befand.‘
Die zweite, jüngere Gruppe, enthält geschichtete Ablagerungen, welche die weiten
Becken des Gebirges am Naryn erfüllen. Diese Bildungen sind weniger fest als die
Sedimente der ersten Gruppe, ihre Farben sind blasser und ihre Konglomerate sind schwach
vertestiste Gerölllagen; im Ganzen sind sie wenig gestört, wenn auch einige Dislokationen
darin vorkommen. Die Beschreibung Sewerzows läßt erkennen, daß diese Bildungen mit
den Ablagerungen der Dschalanasch-Hochfläche und denen der Becken auf der Nord-
seite des Gebirges übereinstimmen, von denen Sewerzow meint, daß sie in großen Seen
abgelagert worden seien.
Wir begeben uns nun weiter nach Süden und betrachten die jungen Bildungen
zwischen dem Tschatyr-kul und Kaschgar, worüber wir Nachrichten durch Stoliczka
und Bogdanowitsch erhalten haben. Wir folgen Stoliczkas Bericht?) und beginnen
im Süden: „Eine breite Zone von jungen Bildungen begleitet nördlich von Kaschgar den
äußersten Saum des aus paläozoischen Sedimenten bestehenden Gebirges." Nach Stoliczka
finden sich hauptsächlich geschichteter Ton und Sand, meist gelblich weiß, an einigen Stellen
auch rötlich gefärbt; manche Lagen sind durch kalkiges oder kieseliges Zement verhärtet.
Diese Bildungen sind disloziert worden, sind gefaltet und werden von Brüchen durch-
schnitten. Stoliezka bezeichnet sie als Artusch-Schichten?) und meint, sie hätten neogenes
Alter und wären marinen Ursprungs. Fossilien sind aber bisher nicht darin gefunden
worden.
Die eben erwähnten Bildungen liegen vor dem Rande des Gebirges; im Gebirge selber
treten in der Umgebung des Tojun-Tals und noch weiter nördlich zwischen dem Sujok-
1) Peterm. Ergänzungsh. Nr. 42, S. 32 und besonders Nr. 43, S. 42 f. und 69 f.
2) Records Geolog. Survey of India, 1874.
2) Sollte Artysch heißen, nach der in der Nähe gelegenen Dórfergruppe Artysch (siehe Merz-
bacher, l. c., S. 37 £.).
120
Fluß und dem Turugart-Paß rote Sandsteine und Konglomerate auf, die von basaltischen
Gesteinen durchbrochen worden sind. Südlich von Tschakmak liegen große vereinzelte
Schollen desselben roten, rotgelben und weißen Sandsteins diskordant auf den abgetragenen
paläozoischen Sedimenten. Der Sandstein führt zerstreute und in Lagen angehäufte gerundete
Gerölle von rotem und grünem, Radiolarien führenden Hornstein und von rötlichem Quarz.
Die basaltischen Gesteine treten als Lagergänge und Gänge auf.
Nördlich von Tschakmak nehmen die aus paläozoischen Sedimenten bestehenden
Ketten an Höhe ab und an ihre Stelle treten niedrigere Gebirgszüge, die aus rotem und
weißem Sandstein und aus Konglomeraten bestehen. Die basaltischen Gesteine erreichen
dort eine große Mächtigkeit, treten in Lagergängen auf und vereinzelt auch als große
Decken. An einigen Stellen sieht man auch hier, daß der Sandstein diskordant auf paläo-
zoischen Sedimenten liegt, an den meisten Orten ist aber die Unterlage nicht sichtbar.
Die Sandsteine und Konglomerate sind disloziert worden, fallen unter Winkeln von 30°
bis 40° nach Norden ein und bilden eine mächtige Schichtenfolge. Stoliczka und
Bogdanowitsch halten sie für tertiäre Bildungen. Der erwähnte südlich von Tschakmak
auftretende rote Sandstein, der Hornsteingerölle führt, ist ein verhältnismäßig nur wenig
mächtiges Glied dieser Bildungen.
Wir haben also aus dem Gebirge südlich vom Tschatyr-kul bisher zwei verschiedene
Glieder der roten Sedimente kennen gelernt: nämlich die Artysch-Schichten Stoliczkas
und die eben besprochenen Sandsteine und Konglomerate.
Es gibt in diesem Teile des Gebirges aber noch eine dritte Art von Bildungen.
Stoliezka bezeichnet sie als „gravel“ und gibt an, daß sie an einigen Stellen zu Kon-
glomeraten verfestigt worden seien; er hält sie mit Recht für die Ablagerungen ehe-
maliger großer Flüsse. Zunächst ist zu bemerken, daß Bogdanowitsch!) diese Bildungen
mit Konglomeraten vergleicht, die östlich vom Tschatyr-kul weit verbreitet sind, und
daß er ihnen tertiäres Alter zuschreibt. Es handelt sich hier aber in der Tat weniger um
Kiesel, wie Stoliczka meint, als vielmehr um Konglomerate, die an den meisten Stellen
recht fest sind.
Diese Konglomerate sind im Allgemeinen deutlich geschichtet und liegen am Rande
des Gebirges diskordant über den Artysch-Schichten, im Innern des Gebirges aber diskordant
über den tertiären Sandsteinen. Am Rande des Gebirges sind sie mehrere hundert Meter
müchtig und sehr weit verbreitet und erfüllen auch weiter im Osten die beckenartigen
Vertiefungen des Gebirges; sie bestehen dort aus Geröllen von granitischen und basaltischen
Gesteinen, aus solchen der paläozoischen Sedimente und auch Stücke des roten tertiüren
Sandsteins finden sich darin, während ihr Bindemittel kieselig oder kalkig ist, an vielen
Stellen aber auch lehmig. Diese Konglomerate sind nur wenig disloziert worden, fallen mut
schwacher Neigung nach Norden gegen das Gebirge ein und sind jünger als der tertiäre
Sandstein und also auch jünger als die Artysch-Schichten.
Wir wollen nun noch die roten Sedimente zweier anderen Gebiete des Gebirges ganz
kurz betrachten: nämlich die des zentralen Tian-Schan und die der alten Seebecken
auf der nördlichen Seite des Gebirges. Zunächst sind zwei Stellen zwischen dem Bedel-
1 | Ergebnisse der Pewzowschen Tibet-Expedition. Bd. I: Geologische Untersuchungen in Ost-
Turkestan von K. J. Bogdano witsch. Petersburg 1892 (russisch), S. 66 f.
121
Paß und dem Ak-bel-Plateau zu erwähnen; die eine liegt ungefähr eine halbe Tagereise
nórdlich vom Bedel-Pa&, die andere in dem Quellgebiet des Kara-sai!) An diesen
beiden Stellen zeigen sich rote, lockere feinkörnige Konglomerate, die meist aus kleinen
Geröllen von Quarz, Quarzit und Kalk bestehen und auch noch Brocken von Phyllit und
Tonschiefer enthalten. Daneben findet man geschichteten roten und grauen Ton und
sogar einige dünne Bänke von graugelbem, stark tonhaltigem Kalk. Diese roten Sedimente
erfüllen sowohl nördlich vom Bedel-Paß als auch im Quellgebiet des Kara-sai sehr
hoch gelegene, flache Becken des Gebirges (siehe S. 117), das dort aus stark dislozierten
Sedimenten, namentlich aus Phyllit, Tonschiefer und Quarzit besteht; sie sind haupt-
sächlich an den Rändern dieser Becken sichtbar, wo sie unter emer mächtigen Decke von
alten. Morünen und rezenten Aufschüttungen hervortauchen. Auf der nórdlichen Seite des
Kara-sai-Quellgebietes fallen sie steil nach Norden unter palüozoischen Tonschiefern ein.
Die Beschreibung, welche Friederichsen?) von den roten Bildungen des Orto-Utsch-
kul gibt, zeigt, daß diese vollständig den roten Bildungen gleichen, die wir in den Becken
nördlich vom Bedel-Paß und am Kara-sai fanden; es sind lockere rote Konglomerate,
die Bruchstücke der in der Nähe anstehenden Gesteine, namentlich von Tonschiefer und
Gneis, enthalten. Daneben kommt auch ein plattiger, tonhaltiger, hellgelber Kalk vor.
Auch diese Bildungen sind disloziert worden; sie fallen 35° nach Süden und in dem Quell-
gebiet des Flusses anscheinend auch nach Norden ein; ihr Streichen ist N.O. bis O.N.O.
gerichtet. Friederichsen meint, daß sie, wie andere ähnliche Bildungen, durch Anhäufung
von Schutt entstanden seien.?)
Rote Sedimente, welche wır im Kaündü-Tale auf weiten Strecken des Mittellaufes
verbreitet fanden, stimmen mit denen der Becken nördlich vom Bedel-Paß und im Kara-
sai-Quellgebiet beiläufig überein.*) Es sind auch dort hauptsächlich lockere Konglomerate:
die zum größten Teil auffallend rot gefärbt sind. Man findet darin sowohl gerundete Gerölle
von Kalk und Quarzit, wenig Granit und sehr viel Gabbro, als auch Brocken von Phyllit und
Tonschiefer. Diese Konglomerate sind fast immer deutlich geschichtet; an einigen Stellen
verliert sich aber die Schichtung, indem das Bindemittel stark zunimmt und lehmig wird.
Diese roten Konglomerate des Kaündü- Tals, die sich nach Süden bis zum Utschat, nach
Osten bis in die Nähe des Kara-art-scha, eines Nebenflusses des Koi-kaf, ausdehnen, sind
sehr stark disloziert worden (siehe Figur VIII); sie setzen zwischen den hohen Gebirgszügen
des zentralen Tian-Schan ein relativ niedriges Hügelland zusammen und liegen an den
meisten Stellen scheinbar konkordant auf den palüozoischen Bildungen, auf Phyllit, Ton-
schiefer und dolomitischem Kalk, sind aber zusammen mit diesen durch große im Streichen
verlaufende Brüche in Streifen zerschnitten worden.
1 Merzbacher, l. c., S. 68.
2) 1. c., S. 108.
3) 1.c., 8. 38, 72 £, 74, 109, 122, 156.
*) Hiezu möchte ich bemerken, daß ich im Kaündü-Tal, welches ich mehrmals besucht und von
einem Ende zum andern durchwandert habe, während Herr Keidel es nur flüchtig an einer Stelle
berühren konnte, zwei verschiedene Arten von Konglomeraten gefunden habe, außer den erwähnten
lockeren, groben roten Konglomeraten, kommt auch ein weniger grobes, gelbliches, ungemein festes vor,
welches talauswürts mehr und mehr in Sandstein übergeht. (Siehe übrigens S. 79 meines Berichtes.)
G. Merzbacher.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt. j 16
Fig. VIII. Profil durch das Gebirge auf der südlichen Seite des Kaündü-Tals.
Maísstab 1:33000.
p grauschwarzer und grünlicher Phyllit, t plattige, lebhaft rot und grün gefärbte Tonschiefer,
z. T. Hornstein, c paläozoischer, z. T. kristallinischer Kalk, d Dolomit, g rote Gobi-Sedimente,
st Schotter der Terrasse auf der rechten Seite des Kaündü-Tals, s Gehängeschutt, a Gabbro.
Von den roten Sedimenten, die wir bisher aus den hochgelegenen Teilen des zen-
tralen Tian-Schan, aus der Gegend des Bedel-Passes, vom Kara-sai, vom Orto-
Utsch-kul und vom Kaündü-Tal kennen, unterscheiden sich die Bildungen des Sary-
dschass-Tals hauptsächlich durch ihre ungestörte Lagerung, aber auch durch ihre etwas
abweichende petrographische Beschaffenheit. Die Bildungen des Sary-dschass-Tals sind
blasser gefärbt; ihr Bindemittel verschwindet öfters gänzlich, sodaß nur loser Sand oder
grusiger, mit kleinen Gesteinsbruchstücken vermengter, rotgelber Lehm die Lücken zwischen
den Geröllen erfüllt. Diese sind sehr mächtig und haben ursprünglich das ganze Becken des
Sary-dschass-Tals erfüllt.
Wir wenden uns nun zu dem letzten der Konglomerat-Gebiete, nämlich zu den alten
Seebecken auf der nördlichen Seite des zentralen Tian-Schan, die sich, wie ich schon S. 92
erwähnt habe, vom Issyk-kul weit nach Osten erstrecken und vom Kegen und Tekes
durchströmt werden. Wir haben schon S. 118 das rote Konglomerat des Issyk-kul-
Beckens kennen gelernt, das Semonow für eine Seebildung hält. Dieses Konglomerat sieht
man auf beiden Seiten des Seebeckens; es lagert diskordant über granitischen Gesteinen
und paläozoischen Sedimenten und setzt zum Teil die breiten Uferstreifen des Sees und die
niedrigen Gebirgszüge am Saume der Vorberge des Terskei- und des Kungeu-Ala-Tau
zusammen.
Aus ganz ähnlichen Bildungen bestehen die bewaldeten Gebirgsrücken in der Um-
gebung des Santasch-Passes, wo sich der Terskei-Ala-Tau und der Kungeu-Ala-
Tau fast berühren. Obwohl dort die Aufschlüsse wegen der ungemein üppigen Vegetation
und wegen der großen Ausdehnung der alten Morünen nur spärlich sind, so sieht man
doch deutlich, daß die jungen Bildungen ebenso wie am Issyk-kul aus rotem, lockerem,
feinkórnigem Konglomerat bestehen. Dieses Konglomerat enthält auch größere Gerölle und
Bruchstücke von Granit, Porphyr und Kalk; es ist deutlich geschichtet und fällt unter
mäßiger Neigung nach Norden ein, streicht in der Richtung der Längsachse des Issyk-
kul, also nach O.N.O. Die Färbung ist etwas heller als die der Konglomerate des Issyk-
kul; dies läßt sich dadurch erklären, daß es an einer Stelle liegt, wo die Sedimente des
Terskei- und des Kungeu-Ala-Tau mächtiger entwickelt sind als dies an den Ufern
des Issyk-kul der Fall ist. Das Konglomerat des Santasch-Passes enthält deshalb
mehr Gerölle dieser Sedimente, namentlich des unterkarbonischen Kalks, als das Kon-
glomerat des Issyk-kul, das fast ganz aus granitischen und porphyrischen Gesteinen
zusammengesetzt ist.
123
Die roten Sedimente des Santasch-Passes reichen nun nach Osten bis in das hoch-
gelegene Becken von Karkará; aber je weiter man sie nach Osten verfolgt, um so deut-
licher tritt eine gewisse Veränderung ihrer Beschaffenheit hervor: das Konglomerat wird
lockerer; seine Mächtigkeit nimmt ab und Zwischenlagen von rötlichem, graugelbem und
gelbweißem, zum Teil lößähnlichem Lehm, schalteu sich mehr und mehr ein. Schließlich
besteht die sehr mächtige Schichtenfolge hauptsächlich hieraus; eigentliche Konglomerate
sind kaum noch vorhanden, sondern nur noch mehr oder weniger mächtige Gerölllager.
Durch diese Lager, durch Streifen von Kies und kaum verfestigtem Gesteinsschutt, sowie
durch die verschiedene Färbung des Lehms ist eine Schichtung noch zu erkennen, und
man bemerkt außer einer leichten, aber veränderlichen Neigung der Schichten kein Zeichen,
das auf bedeutendere Dislokationen schließen ließe. Wir werden später ähnliche Vorkommnisse
bei Betrachtung der tektonischen Verhältnisse, die sich an den Rändern der Tekes-Ebene
zeigen, kennen lernen.
Wenn man nun die Ränder des Beckens von Karkara genauer untersucht, so findet
man die folgenden bemerkenswerten Verhältnisse: Das rote Konglomerat des Santasch-
Passes setzt einen bewaldeten und mit Matten bedeckten Gebirgszug zusammen, der im
Westen aus dem Tale des Tub ansteigend, den Einschnitt des Passes trägt, und sich in
seinem Verlaufe nach Osten in dem Hügelland auf der südlichen Seite des Beckens von
Karkara verliert. Im Westen berührt dieser Zug die nach O.N.O. gerichteten, aus unter-
karbonischen Kalk und Porphyr bestehenden, dem Kungeu-Ala-Tau vorgelagerten niederen
Ketten; er trennt das Issyk-kul-Becken vom Karkara-Becken, indem er in schräger
Richtung den Kungeu-Ala-Tau mit dem Terskei-Ala-Tau verbindet und erhebt sich
300 bis 400 m über den Boden des Beckens von Karkara. Zwischen seinem nördlichen
Fuße und dem südlichen Abhang des Kungeu-Ala-Tau liegt, als eine schmale Einsenkung
der westliche Zipfel des Beckens von Karkara. Die östlichen Ausläufer des Kungeu-Ala-
Tau bilden hier nur niedrige Gebirgsrücken und sind hauptsächlich aus dem gleichen
rötlichen unterkarbonischem Kalk zusammengesetzt, den wir schon aus dem Dschütü-
oguss-Tal und vom Sart-dschol-Paß (S. 112) kennen gelernt haben. An dem äußersten
Saum ihrer südlichen Abhänge, das ist also an dem nördlichen Rande der eben erwähnten
Einsenkung, sieht man aber steilstehende, N.O. bis O.N.O. streichende, plattige oder in
dünnen Bänken abgelagerte, feste bunte Mergel, Glimmer führende tonige Sandsteine und
graugrüne und graublaue Mergeltone. Diese Sedimente, die von ferne gesehen, durch ihre
im Ganzen rote Fürbung auffallen, legen sich in diskordanter Lagerung an den unterkarboni-
schen Kalk; sie tragen die Terrassen eines alten Sees, verschwinden nach Süden unter den
rezenten Aufschüttungen des Beckens und bilden weiter in östlicher Richtung dessen nórd-
lichen Rand. Da sie fast nur aus tonigen und mergeligen Bildungen bestehen, da sogar die
Sandsteine zurücktreten und Konglomerate selten vorkommen, so unterscheiden sie sich
schon hiedurch auf den ersten Blick von den Konglomeraten des Santasch-Passes und
damit auch von denen des Issyk-kul und von den lehmigen, Geröll führenden Schichten
des Karkara- und des Tekes-Beckens.
Es zeigt sich, daß sie auch älter als diese Bildungen sind, denn in westlicher Rich-
tung verschwinden sie mit steiler Schichtenstellung unter den Konglomeraten des Santasch-
Passes. Dort liegt also zwischen den stark dislozierten Mergeln des Karkara-Beckens
und dem schwach nach Norden geneigten Konglomerat des Santasch-Passes eine deutliche
16 *
124
Diskordanz. Ganz dieselben Verhältnisse finden wir nun auf der südlichen Seite des
Gebirges im Tojun-Tal nördlich von Kaschgar. Dort werden die mehr oder weniger
dislozierten Artysch-Schichten Stoliezkas (siehe S. 119 f.) von den schwach nach Norden
einfallenden, sehr mächtig entwickelten Konglomeraten (den gravels Stoliczkas) überlagert.!)
Was nun hier im Becken von Karkara und weit entfernt davon, auf der südlichen
Seite des Gebirges in der Nähe von Kaschgar deutlich hervortritt: nämlich die Diskordanz
zwischen den dislozierten älteren und den wenig oder gar nicht gestörten jüngeren Bildungen,
hat aber eine allgemeine Bedeutung. Indem wir speziell von der Voraussetzung ausgehen,
daß die gebirgsbildenden Bewegungen, durch welche die älteren roten Sedimente stark
disloziert worden sind, große Teile oder auch das ganze Gebiet des heutigen Gebirges
getroffen haben, und davon, daß die Phase dieser Bewegungen die letzte war und fast ihr Ende
erreicht hatte, als die weniger gestörten Bildungen abgelagert wurden, erhalten wir in der
Diskordanz ein Mittel, eine ungefähre Altersgrenze zu bestimmen. Es setzt uns dies zu-
nächst in die Lage die jüngeren Bildungen miteinander zu vergleichen: den Ablagerungen
der Dschalanasch-Hochfläche entsprechen die roten Konglomerate des Issyk-kul, des
Santasch-Passes, die Ablagerungen der Tekes-Ebene, der größte Teil der Bildungen des
Beckens von Karkara, ferner Sewerzows Seebildungen in der Umgebung des Naryn,
die Konglomerate über den Artysch-Schichten und die ungestörten Konglomerate auf der
nördlichen Seite des Sary-dschass-Tau. Außer dem sehr wesentlichen gemeinsamen
Merkmal der geringen Dislokation kommt hier noch ein anderes sehr wichtiges Kennzeichen
in Betracht: die große Ähnlichkeit, welche alle diese Bildungen miteinander haben und zwar
hat diese Ähnlichkeit ihre Ursache in derselben Art der Entstehung und ist so groß, daß
die verschiedenen Beobachter unabhängig voneinander zu sehr verschiedenen Zeiten die-
selben oder doch ähnliche Ansichten über die Entstehung dieser Bildungen ausgesprochen
haben: Semonow sagt, daß die Ablagerungen der Dschalanasch-Hochfläche durch Flüsse
angehäuft worden seien; die roten Konglomerate des Issyk-kul hält er für eine See-
bildung. Sewerzow hat die gleiche Meinung hinsichtlich der jungen Bildungen des Naryn-
Hochlandes geäußert?) und Stoliczka spricht die Ansicht aus, daß die Konglomerate
(gravels), welche über den Artysch-Schichten liegen, durch fließendes Wasser gebildet
worden seien. Friederichsen hingegen meint, wie schon erwähnt, daß die Konglomerate
des Issyk-kul und von anderen Orten, Anhäufungen von Gebirgsschutt wären, deren
Bildung als Folge einer langen Kontinentalperiode vor sich ging.
In diesen meist grobklastischen Sedimenten sind (siehe S. 118) bis heute nirgends
Fossilien gefunden worden: weder marine Fossilien, die wir bei der Beschaffenheit dieser
Sedimente auch nicht erwarten können, noch Süßwassergastropoden oder Pflanzenreste,
noch die Knochen großer Landbewohner. Da wir also das Alter der Sedimente nicht
unmittelbar ermitteln können, so wollen wir wenigstens versuchen, die Lage der Diskordanz
an ihrer Basis zu bestimmen, und zu diesem Zweck betrachten wir die Unterlage der
jungen Bildungen. Diese besteht, wie ich schon mehrfach hervorhob, aus ganz verschiedenen
!) Siehe Merzbacher, 1. c., S. 37.
2) Allerdings nimmt Sewerzow schon (Peterm. Mitteil., Ergänzungsheft Nr. 42 S.32, Nr. 43 8.43,
45, 46 und 69) für eine Stufe dieser Ablagerungen, welche sich durch geringe oder gar keine Dislozierung
von den darunter liegenden, stark gestörten älteren unterscheiden, fluvioglazialen Ursprung an.
G. Merzbacher.
125
Gesteinen. An einigen Stellen sind es ganz alte Felsarten. Die Bildungen der Dschalanasch-
Hochfläche, die Semonow für eine Ablagerung der Flüsse hält, liegen auf granitischen und
porphyrischen Gesteinen und auf unterkarbonischem Kalk, die Konglomerate des Issyk-kul,
soweit dies zu ermitteln ist, hauptsächlich auf Granit, die des Sary-dschass-Tals auf Phyllit
und Tonschiefer. An den meisten Stellen besteht die Unterlage aber aus tertiären @obi-Sedi-
menten. Im Gebirgsland des Naryn sind es zum großen Teil die roten, braunen und grauen
Sandsteine, Steinsalz führenden Tone und Konglomerate, von denen Sewerzow zum Teil!)
marine Entstehung angenommen hat; in der Umgebung des Tschatyr-kul die roten und
weißen, von Basalt durchbrochenen Sandsteine, die von Stoliczka und Bogdanowitsch
in das Tertiär gestellt werden, an dem südlichen Rande des Gebirges die Artysch-
Schichten, für die Stoliczka neogenes Alter und marinen Ursprung annimmt. Aber weder
in den roten, Steinsalz führenden Tonen und Sandsteinen Sewerzows noch in den tertiären
Sandsteinen und Konglomeraten auf der südlichen Seite des Tschatyr-kul und des Tojun-
Tales noch in den Artysch-Schichten Stoliezkas sind bisher Fossilien gefunden worden.
Dagegen ist es mir gelungen in der Schichtenfolge der steil gestellten roten und
grauen Mergel, Tone und Sandsteine des Karkara-Beckens, ungefähr 5 km nördlich von
Karkara, eine aus graugrünem mergeligem Ton bestehende Bank zu entdecken, die zahl-
reiche Süßwassergastropoden enthält, welche auf pliozänes Alter schließen lassen.?) Der
Streifen dieser Bildungen ist sehr breit, und etwas weiter im Norden gewinnen die Kirgisen
an Stellen, wo ich nicht gewesen bin, Steinsalz daraus; es ist also immerhin möglich, daß
auch noch ältere und noch jüngere Bildungen als die Gastropoden führenden Mergel bei
Karkara darin vorkommen. Wie dem nun aber auch sei, so steht doch jedenfalls so viel
fest, da& diese 1n steiler Schichtenstellung auftretenden Sedimente diskordant von dem flach
nach Norden einfallenden Konglomerat des Santasch-Passes überlagert werden.
Wenn ich nun zur Betrachtung der übrigen Bildungen der Unterlage übergehe, so
möchte ich vorausschicken, daß ich an dieser Stelle den Versuch nicht unternehmen will,
die Beziehungen ausführlich zu besprechen, die zwischen den verschiedenen Gliedern der
roten Sedimente an den Rändern des Gebirges, namentlich auf dessen südlicher Seite zu
erkennen sind, weil wir uns dadurch zu sehr von dem eigentlichen Gegenstande dieser Arbeit
entfernen würden. Dies soll in einer von mir vorbereiteten Arbeit über meine Untersuchungen
in der Kaschgarischen Niederung geschehen. Ich will hier vielmehr nur kurz die Tat-
sachen anführen, die sich bei dieser ausführlichen Besprechung ergeben werden:
a) Die Bildung roter Sedimente hat schon zu der Zeit des Mesozoicums begonnen; denn
es war, zum Beispiel am südlichen Rande der Kaschgarischen Niederung, schon eine
mächtige Schichtenfolge von rotem Mergel, Ton, Sandstein und Konglomeraten von der
Beschaffenheit der Gobi-Sedimente vorhanden, als der Mergel mit Gryphaea Esterhazyi,
der eine eozäne Transgression von kurzer Dauer bezeichnet, darüber abgelagert wurde.
Die Bildungen dieser Transgression haben nur sehr geringe Mächtiskeit, und breiten sich
nur über die südlichen Teile der Niederung des Jarkent-daria aus; sie liegen heute
1) Peterm. Mitteil., Ergánzungsheft Nr. 43 S. 42, 43, 69, 70, 78.
2) Ich habe diese Funde Herrn Dr. M. Schlosser zur Untersuchung übergeben, welcher das Ergebnis
seiner Bearbeitung demnächst veróffentlichen wird, doch kann schon jetzt gesagt werden, daß es unent-
schieden bleiben muß, ob spätmiozäne oder pliozäne Bildungen vorliegen. G. Merzbacher.
126
zwischen Alai und Tian-Schan in bedeutenden Höhen und stellen so die Verbindung
mit dem marinen Tertiär des Ferghana-Beckens her. Zu der Zeit der Transgression
waren einfachere Verhältnisse in der Verteilung von Erhebungen und Niederungen vorhanden
und der Unterschied von Höhen und Tiefen war viel geringer als heute.
b) Die ältesten roten Bildungen liegen auf der südlichen Seite des Tian-Schan, an
dem südlichen Rande der nach N.W. streichenden Gebirgszüge des Chalyk-Tau und an
dem nördlichen Rande des Kaschgarischen Gebirges konkordant über graugrünen, Pflanzen
und Kohle führenden mesozoischen Sandsteinen und Konglomeraten, in die sie nach unten
allmählich übergehen. Bei einer Vergleichung der verschiedenen Gebiete ergibt sich, daß
diese roten Bildungen an der Basis nicht gleichmäßig zusammengesetzt sind, sondern, daß
sie sowohl in der horizontalen als auch in der vertikalen Richtung einen ähnlichen, wenn
auch nicht so starken Wechsel von fein- und grobklastischen Sedimenten zeigen, wie die
eigentlichen Gobi-Sedimente; man muß daher annehmen, daß sie wie diese unter ähnlichen
und örtlich wechselnden Verhältnissen abgelagert wurden. An ihrer Beschaffenheit ist mit
Sicherheit erkennbar, daß sie hauptsächlich in fließendem Wasser, in seichtem Wasser oder
zum Teil vielleicht auch subaéri| entstanden sind. Es hat also in großen Teilen der hier
in Frage kommenden Gebiete seit der Zeit des jüngeren Paläozoicums oder des älteren
Mesozoicums, abgesehen von der nur kurze Zeit dauernden eozänen Transgression, keine
Meeresbedeckung bestanden. Im großen Ganzen kann ein Unterschied in der Zusammen-
setzung der mesozoischen Bildungen und der alttertiären Gobi-Sedimente kaum festgestellt
werden. Ein Unterschied andererseits zeigt sich allerdings darin, daß die mesozoischen
Bildungen graugrün sind und Kohle führen, die Gobi-Sedimente dagegen rot sind und
Gips und Steinsalz führen.
c) Die Abhängigkeit der Beschaffenheit der roten Sedimente von den örtlichen Ver-
hältnissen ist namentlich an den Rändern und in den daran grenzenden Teilen der nach
N.O. streichenden Gebirgszüge des südlichen Tian-Schan sichtbar, wo die roten Sedimente
in diskordanter Lagerung Vertiefungen des Gebirges ausfüllen oder seine abgetragenen
Falten bedecken. Die ältesten Bildungen sind hauptsächlich verschieden gefärbte und
beschaffene Sandsteme. Diese Sandsteine enthalten kleine, stark gerundete Gerölle von
rotem und grünem Hornstein und rotem Quarz; sie sind an einigen Stellen, wie im Tojun-
Tal und im Sugun-Gebiet von basaltischen Gesteinen durchbrochen worden. Da Fossilien
nicht darin gefunden worden sind, so kann ihr Alter nicht genauer bestimmt werden.
Stoliezkas Artysch-Schichten sind jünger als diese Sandsteine, welche keine ein-
heitliche, konkordante Schichtenfolge bilden. Außer den Bildungen, die Stoliczka anführt,
findet man noch roten, tonigen Sandstein, Gips und Steinsalz führenden Ton und bunte
Mergel längs der Linie des Tojun-Tals. Diese Bildungen werden durch markante Dis-
kordanzen getrennt und, an die Diskordanzen gebunden, trifft man grobe und feine Kon-
glomerate aus Geröllen der paläozoischen Sedimente und an einigen Stellen auch von basaltı-
schen Gesteinen. Auch diese Konglomerate sind noch stark disloziert worden.
Die Dislokationen der verschiedenen roten Sedimente zeigen zusammen mit den Dis-
kordanzen, die eine Abtragung des Gebirges voraussetzen, daß gebirgsbildende Bewegungen
und Unterbrechungen während der Bildung dieser Sedimente erfolgt sind. Diese Bewegungen
haben eine allgemeine Bedeutung gehabt. Einige Teile des Tian-Schan sind erst hiedurch
12
entstanden, andere aber stark verändert worden. Die ursprünglich einfacheren Verhältnisse
in der Verteilung der alten, abgetragenen Gebirgszüge und der Niederungen sind dadurch
verwickelter, der Unterschied zwischen Höhen und Tiefen ist größer geworden. Um dies
zu zeigen, genügt der Hinweis darauf, daß die eozüne Transgression der Niederung des
Jarkent-daria von Westen gekommen ist, und daß man heute an der Stelle der verbindenden
Straße zwischen dieser Niederung und dem Ferghana-Becken die Austern führenden
Schichten des Eozäns zwischen den alten Felsarten des Tian-Schan und des Alai in
Höhen von mehr als 4000 m findet. Die Becken oder auch die tiefgelegenen Strecken des
Landes, wo sich der feine Detritus sammeln konnte, haben also im Allgemeinen durch die
Gebirgsbewegungen an Ausdehnung verloren. Die Tone und Sandsteine der basalen
Schichten der roten Sedimente nehmen im Ganzen an Mächtigkeit ab und an ihre Stelle
treten nach oben mehr und mehr grobklastische Bildungen.
Die genauere Untersuchung der verschiedenen Glieder der Gobi-Sedimente zeigt dies
sehr deutlich. Die Sandsteine des oberen Tojun-Tals, welche wir zu den ältesten Bildungen
unter diesen Sedimenten rechnen, führen nur sehr kleine Gerölle der widerstandsfühigsten
Gesteine, und Konglomerate sind im allgemeinen selten. Die Artysch-Schichten, die jünger
sind und, wie ich schon hervorhob, Sedimentgruppen von verschiedenem Alter umfassen,
sind im Ganzen reich daran. Vergleicht man alle erwähnten Sedimente ohne Rücksicht
auf die Diskordanzen, so zeigt es sich, daß die Psephite der verschiedenen Gruppen von
den Rändern des Gebirges nach außen an Mächtigkeit abnehmen und durch Psammite und
Pelite ersetzt werden, sowie daß in allen Gruppen zusammengenommen, diese nach oben an
Bedeutung verlieren und durch Psephite mehr und mehr ersetzt werden. Die ganz jungen,
wenig dislozierten Bildungen, die wir für das jüngste Glied der Gobi-Sedimente halten,
bestehen an den meisten Stellen fast ganz aus grobklastischen Bildungen. Es ist klar, daf
diese Verhältnisse, die wir im Ganzen betrachtet in fortschreitender Ordnung finden, während
der ganzen Zeit der Bildung der Gobi-Sedimente auch räumlich nebeneinander ohne Ord-
nung, aber in viel beschränkterem Maße bestanden haben. j
Die roten, Salz führenden Tone und Sandsteme Sewerzows liegen — was er selbst zwar
nicht feststellte, was aber aus seiner Schilderung der Lagerungsverhältnisse hervorgeht — über
abgetragenen Teilen des Gebirges, wovon Reste bis in eine sehr späte Zeit erhalten geblieben
sind; sie verraten durch die Art ihrer Konglomerate die Mitwirkung von fließendem Wasser
bei ihrer Bildung. Die pliozänen Tone und Mergel von Karkara, welche Süßwasser-
gastropoden führen, liegen in einem Becken des Gebirges, das seit langer Zeit bestanden
hat und während der letzten Phase der gebirgsbildenden Bewegungen wahrscheinlich noch
vergrößert worden ist. Grobklastische Bildungen, ja sogar Sandsteine sind dort selten.
Wir haben es hier mit Ablagerungen eines ausgedehnten ehemaligen Sees zu tun.
Aus alledem ist zu entnehmen, wie schwierig es ist, die verschiedenen Glieder der
Gobi-Sedimente zu vergleichen und die Frage nach ihrem Alter zu beantworten. Nach
den bis heute vorhandenen Beobachtungen ergeben sich als sicher, kurz wiederholt nur die
folgenden Beziehungen: die roten Sandsteine auf der südlichen Seite des Tschatyr-kul und
im Tojun-Tal sind älter als die Sedimente der Artysch-Schichten und wahrscheinlich auch
älter als die roten Salz führenden Tone und Sandsteine Sewerzows. Diese sind aber
älter als der größte Teil der Tone und Mergel des Karkara-Beckens, die vielleicht
den jüngeren Bildungen der Artysch-Schichten äquivalent sind. Über das Alter der roten
128
Sedimente aus der Gegend des Bedel-Passes und des Kara-sai, des Orto-Utsch-kul
sowie über das der im Kaündü-Tal abgelagerten läßt sich bis jetzt nichts Sicheres sagen;
da sie aber stark disloziert werden sind, kommt ihnen gewiß ein höheres Alter zu, als
dem Konglomerat des Sary-dschass-Tals und den übrigen, diesem Konglomerat ent-
sprechenden Bildungen vom Issyk-kul und von anderen Orten.
Zum Schlusse fassen wir noch einmal die Ergebnisse zusammen, die sich aus allen
diesen Tatsachen ergeben:
Die Bildung roter Sedimente mit Einschaltungen ausgedehnter grob-
klatischer Zwischenlagen, die in fließendem Wasser entstanden sind, beginnt
in der mesozoischen Zeit. Diese Bildungen liegen in gewissen Teilen des Ge-
birges und seiner Ränderdiskordant auf den stark abgetragenen alten Felsarten,
in anderen Teilen aber konkordant auf den mesozoischen Angara-Schichten,
in welche sie nach unten allmählich übergehen. Außer den Gebilden der
eozänen Transgression, die man bis jetzt nur von dem südlichen Rande der
Niederung des Jarkent-daria kennt, sind marine Sedimente nicht gefunden
worden.
Es folgen die gebirgsbildenden Bewegungen der tertiüren Zeit zu wieder-
holten Malen; dies ist sichtbar an den Diskordanzen. Die einzelnen Gruppen
der roten Sedimente wurden disloziert, dann abgetragen, aufs Neue gebildet,
nochmals disloziert und wieder abgetragen. Auf solche Weise kompliziert
sich die Verteilung von Hóhen und Tiefen; die tiefgelegenen Striche des Ge-
birges und seiner Ränder wurden kleiner und die Bedingungen der Ablagerung
der roten Sedimente werden dadurch in der Beziehung verändert, daß in den
jüngeren Schichtengruppen mehr und mehr grobklastische Bildungen auf-
treten.
So kommen wir zu der großen Diskordanz, die am Santasch-Paß, im Tojun-Tal,
östlich davon und an so manchen anderen Stellen sichtbar ist. Die jüngsten Bildungen,
über welche diese Diskordanz sich ausbreitet, sind gewisse Glieder der Artysch-Schichten
und die Mergel und Tone von Karkara, denen wir pliozänes Alter zuschreiben. Die
jungen, wenig gestörten Bildungen über der Diskordanz sind also noch jünger, doch muß
es unentschieden bleiben, mit welcher Stufe des Pliozäns sie beginnen.
Die jungen Bildungen. — Diese Bildungen fassen wir deshalb zu einer Gruppe
zusammen, weil sie gegenüber den älteren, bis in das Pliozän reichenden tertiären Sedi-
menten ihrer Unterlage, wenig oder gar nicht gestört worden sind, und weil für ihre Ab-
lagerung nur ein verhältnismäßig kurzer Zeitabschnitt in Frage kommen kann.
Ich vermag in dieser Abhandlung über diese Bildungen nur die wichtigsten Beobach-
tungen anzuführen und muß darauf verzichten, die Folgerungen, die sich aus der Vergleichung
der in verschiedenen Gebieten auftretenden Arten ergeben, hier ausführlicher zu begründen.
Denn obgleich auch bei diesem Gegenstand die Vergleichung des zentralen Tian-Schan mit
den benachbarten Gebieten ebenso notwendig wäre, wie bei manchen anderen Punkten seiner
stratigraphischen Verhältnisse, so sind doch mit der Frage nach Entstehung und Verbreitung
dieser jungen Bildungen so viele andere wichtige Fragen enge verknüpft, z. B. die nach der
Entstehung und dem Alter mancher großer Quertäler, nach der Veränderung der Gefälls-
129
verhältnisse, nach der Ausdehnung und den Phasen der ehemaligen Vergletscherung, daß es
nicht möglich ist diese Verhältnisse hier erschöpfend zu besprechen.!)
Die jungen Ablagerungen sind, wie wir schon gesehen haben, sehr mächtig. Semonow?)
gibt an, daß sie die Dschalanasch-Hochfläche mehrere hundert Fuß hoch bedecken;
dies mag auch für das Becken des Issyk-kul zutreffen, wo die roten, flach nach Norden
einfallenden Konglomerate jedoch nicht vollständig aufgeschlossen sind, sondern zum Teil von
alter Moräne und rezenten Ablagerungen des Sees bedeckt werden oder unter dessen Spiegel
hinabsinken. Stoliezka war erstaunt über die Mächtigkeit dieser Bildungen (gravels) im
Tojun-Tal. Dort sieht man sie mäßig nach Norden geneigt und in gleichmäßiger Schichten-
folge quer zum Streichen fast eine halbe Tagereise weit aufgeschlossen; östlich vom Tojun-
Tal sind sie in den Becken des Gebirges 150—250 m mächtig. Auch in der Tekes-Ebene,
wo ihre Unterlage nicht sichtbar ist, erreichen sie große Mächtigkeit und Ausdehnung; im
Sary-dschass-Tal sind sie zwar zum großen Teil durch die Erosion wieder entfernt worden,
aber doch noch immer sehr mächtig (S. 122). In den tertiären Mergelgebirgen des Süd-
randes, dem Topa-dawan und Tschul-Tau (Merzbacher, l. c., S. 36 £. und 45), welche
ein Äquivalent der Artysch-Schichten sind, liegen sie weit verbreitet als Decken dis-
kordant über den Gips und Salz führenden tertiären Mergeln und Tonen. Allenthalben
sind sie in verschiedener Hóhe abgelagert worden. Die rótlichen Konglomerate des Sary-
dschass-Tals liegen fast ganz ungestórt mehr als 3000 m hoch, und wenn wir für die
Randgebiete des Gebirges, die ungeführ mittlere Hóhenlage der Flüsse, die in die jungen
Bildungen eingeschnitten sind und die des Issyk-kul-Spiegels nehmen, so erhalten wir
die folgenden Werte: für die Tekes-Ebene 1700 m, für das Karkara-Becken 1900 m
(2100 am Santasch), für den Issyk-kul 1600 m, für die Gegend von Tangitar und
Basch-sugun auf der Südseite des Gebirges 1800 m, für das Tojun-Tal 17—1800 m
und für den Topa-dawan 16—1700 m, für den Tschul-Tau etwa 14—1500 m. Diese
Zahlen geben aber nur ganz ungefähr die Höhenunterschiede an. Genauere Werte lassen
sich nur schwer oder gar nicht ermitteln; denn einmal ist die Lagerung der jungen Bildungen
an den meisten Stellen, wenn auch nur wenig, so doch immerhin gestórt worden, und an
manchen Stellen ist ihre Unterlage, die am besten für die Vergleichung geeignet wäre,
gar nicht sichtbar.
Aber die Tatsache, daß die Unterlage der jungen Bildungen des Sary-dschass-Tals
bei 3000 m entblößt ist, in den handgebieten des Gebirges aber durchschnittlich 1300 bis
1400 m tiefer liegt, genügt allein schon, um zu zeigen, daß diese Bildungen in sehr ver-
schiedener Hóhe abgelagert worden sind. Zieht man dabei auch in Betracht, da& zur Zeit
der Ablagerung Bodenbewegungen stattgefunden haben, so hatten diese doch kein sehr großes
Maß, jedenfalls bei weitem nicht solche Bedeutung wie die Bewegungen, die noch die
pliozänen Bildungen des Karkara-Beckens und die Artysch-Schichten etc., getroffen haben.
1) Ich möchte hier schon jetzt darauf hinweisen, daß aus der Bildung dieser verschiedenen und in
verschiedener Weise abgelagerten Konglomerate, Sandsteine und Tone mit Sicherheit hervorgeht, aber
auch aus anderen Verhältnissen bewiesen werden kann, daß in der Tertiärzeit und später im Tian-Schan
wasserreiche Epochen mit solchen verhältnismäßiger Trockenheit wiederholt abgewechselt haben. Über diese
mit dem Prozesse der Talbildung und dem Verlaufe der Eiszeiten im Tian-Schan in engem Zusammenhang
stehende Frage, werde ich meine Beobachtungen in einer eigenen Arbeit veröffentlichen. G. Merzbacher.
2) Peterm. Mitteil., 1858, S. 357. :
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt. 17
130
Obgleich wir also sehr bedeutende Bodenbewegungen nicht voraussetzen können, so
weisen doch die Lagerungsverhältnisse der jungen Bildungen darauf hin, daß seit deren.
Ablagerung Veränderungen in der Gestalt der Oberfläche ausgedehnter Teile des Gebirges
vor sich gegangen sind.
Wenn wir die Lagerungsverhältnisse und die Verbreitung der jungen Bildungen
genauer verfolgen, so zeigt es sich, daß diese entweder große Becken des Gebirges zum
Teil, oder kleinere Becken ganz erfüllten und über deren Rändern eine zusammenhängende.
Decke bildeten. Für den ersten Fall haben wir im Issyk-kul-Becken und in den Becken
von Karkara und des Tekes gute Beispiele, für den zweiten Fall finden wir vorzügliche
Aufschlüsse am südlichen Rande des Gebirges (Bassins von Argu, Tegermen, Sugun).
Die Geschichte der großen Becken auf der Nordseite des Gebirges ist schwierig zu
verfolgen; wir werden einiges davon noch im tektonischen Teile dieser Arbeit kennen
lernen, müssen uns aber hier zunächst mit der unbestreitbaren Tatsache begnügen, daß diese
Becken zum großen Teil schon seit der tertiären Zeit bestehen, und daß sie also schon
vorhanden waren, als die jungen Bildungen abgelagert wurden. Dagegen wollen wir die
Verhältnisse auf der südlichen Seite des Gebirges genauer betrachten, weil sich dort Gelegen-
heit bietet, sowohl das Ma& der Veründerungen, welche die jungen Bildungen seit ihrer
Ablagerung erfahren haben, zu erkennen, als auch ihre Entstehung zu beurteilen.
Stoliezkas!) Profil durch die Zone seiner , Artysch-Schichten* zeigt, obgleich es
die tektonischen und die stratigraphischen Verhältnisse nur in den äußersten Umrissen
wiedergibt, doch ganz gut die außerordentliche Mächtigkeit der jungen Bildungen (gravels),
vor allem aber die exponierte hohe Lage ihrer steilen, nach Süden gekehrten Erosions-
ränder, an denen die schwach nach Norden geneigten Konglomerat-Schichten ausstreichen.
Schon an dieser Stelle, die am Ausgang des Tojun-Tals, nördlich von Kaschgar liegt,
zeigt es sich, daß die jungen Bildungen über den dislozierten und abgetragenen Gobi-
Sedimenten diskordant liegen, und daß sie die Vertiefungen ausfüllen, welche zwischen
den aus paläozoischen Sedimenten bestehenden Ketten des Gebirges und den Gobi-Sedi-
menten oder in den Gobi-Sedimenten selber liegen. Weiter im Osten sind die Aufschlüsse
noch klarer: Zwischen Tangitar und Basch-sugun sieht man sehr deutlich, daß die
Einsenkungen zwischen den äußersten frei stehenden Kulissen des Gebirgsrandes ganz ange-
füllt sind mit jungen Bildungen, und daß diese über den Rändern der Kulissen zusammen-
schließen. Auf diese Weise sind nicht nur die Vertiefungen zwischen den aus paläozoi-
schen Sedimenten bestehenden Ketten und Kulissen, sondern auch die Vertiefungen zwischen
den Erhebungen der Gobi-Sedimente ausgeglichen worden, sodaß sich eine mächtige,
l| Records, l. c, S. 25. Zu diesem Profil ist zu bemerken, daß die Entfernung zwischen Kaschgar
und Tschon-terek (Chung-terek im Profil in der Luftlinie ungefähr 50 km beträgt. Im Verhältnis zur
Länge sind die Höhen deshalb stark übertrieben; und auch das Verhältnis zwischen der Höhe der niedrigen
Gebirgszüge, die aus den „Artysch-Schichten bestehen“, und der Höhe der eigentlichen Ketten, die aus
paläozoischen Sedimenten zusammengesetzt sind, ist nicht richtig ausgedrückt. Ich wähle dennoch dieses
Profil, weil es die erste, unbefangene Darstellung von Verhältnissen gibt, die in der Literatur oft erwähnt
worden sind. Die Schichtung der jungen Bildungen (gravel, Nr. 1 im Profil) ist nicht angegeben; einer
der steilen Erosionsränder liegt etwas links seitlich von dem C in dem Worte „Chung-terek“. An diesem
Rande streichen die schwach nach Norden geneigten Konglomeratschichten aus und das Profil gibt richtig
wieder, daß die obere Kante des Randes höher liegt, als irgend ein Punkt der aus Artysch-Schichten
bestehenden Unterlage.
131
zusammenhängende Decke über große Teile des Gebirgsrandes ausgebreitet hat. Wir
müssen nun annehmen, daß diese Decke, die fast ausschließlich aus geschichteten,
grobklastischen Bildungen besteht, vom Gebirge abdachende Flächen gebildet hat, und
daß auf diesen Flächen Gerölle über große Strecken durch fliebendes Wasser ausgebreitet
worden sind. Die Lage, in weleher wir die Reste dieser Decke heute finden, zeigt uns nun
die Größe der Veränderungen, die seit ihrer Bildung eingetreten sind. Ein Beispiel dafür
bietet schon das angeführte Profil Stoliczkas. Wir können dort die exponierte Lage der
Erosionsränder nicht allein durch Abtragung erklären, sondern müssen, um die anormale
Neigung der Schichten nach Norden gegen das Gebirge zu verstehen, annehmen,!) daß doch
sehr späte Bodenbewegungen stattgefunden haben. Ganz ähnliche Verhältnisse, wie im
Tojun-Tal lassen sich aber an vielen Stellen des von uns in großer Ausdehnung bereisten
Südrandes des Gebirges nachweisen.
Schon dies allein genügt, um zu zeigen, daß in der Tat nicht nur die Oberfläche
des Gebirges, sondern auch dieses selber seit der Ablagerung der jungen Bildungen
in einem deutlich erkennbarem Maße verändert worden ist. Aber auch Beispiele anderer
Art, wie die zweifellos durch späte Bewegungen verursachten Veränderungen der Gefälls-
verhältnisse und die damit zusammenhängende Bildung vieler in jüngeren Ablagerungen
eingeschnittenen Durchbruchstäler, würden dies zeigen.?)
Während es nun verhältnismäßig leicht ist, die Entstehung der jungen Bildungen an
den Rändern des Gebirges zu erkennen, ist es viel schwieriger ihre Entstehung in den
großen, tiefen und geschlossenen Becken zu erklären. In einem solchen Becken liegt z. B.
der Issyk-kul. Es ist klar, daß jeder Versuch, hier die Entstehung der jungen Ablage-
rungen zu erklären, voraussetzt, daß die Geschichte des Beckens selber bekannt sei. Dies
ist um so notwendiger, als gerade das Issyk-kul-Becken in einer Zone großer Disloka-
tionen liegt, die, wie die steile Stellung der pliozänen Bildungen des Karkara-Beckens
beweist, noch in sehr später Zeit vor sich gegangen sind. Semonow meint, das rote
Konglomerat des Issyk-kul, das den nördlichen Fuß des Terskei-Ala-Tau begleitet, sei
eine junge Seebildung. Das Konglomerat reicht aber wahrscheinlich tief unter den Spiegel
des Issyk-kul hinab, und östlich vom Santasch-Paß liegt es mehr als 2000 m hoch.
Es nimmt auch eine beträchtliche Fläche ein. Ist es dennoch eine Seebildung und erklärt
sich dadurch die nordwärts gerichtete Neigung seiner Schichten? Friederichsen denkt
an eine Auffüllung des Beckens durch Gebirgsschutt und meint, daß auch in diesem
Falle die Neigung der Schichten ursprünglich sein könne. Aber die gleichmäßige Verbrei-
tung der gröberen Gerölle und die deutliche Schichtung können alsdann nur durch fließendes
Wasser verursacht worden sein, und die Ablagerung so mächtiger grobklastischer Bildungen
setzt ganz erhebliche Wassermengen voraus. Ist aber dennoch zu jener Zeit kein See
vorhanden gewesen und war also das Issyk-kul-Becken damals geöffnet? Dies sind
Fragen, auf die wir heute bei unseren geringen Kenntnissen der Verhältnisse noch keine
1| Die Erklärung, welche Stoliczka selbst für die merkwürdige Erscheinung gibt, ist interessant,
siehe Rec. G. S. o. J., VIII, S. 14.
?) Dazu gehóren z. B. auf der Nordseite des Gebirges die sogenannte Buamschlucht, die des Terte
und Kusgun-ya etc. auf der Südseite mehrere im Merzbacher'schen Berichte erwühnte Durchbrüche,
z. B. die des Tilbitschek, des Kap-salyan und Kepek-tschai im Chalyk-Tau, die des Tangitar, des Gess-
Maidan und Kurumduk, sowie andere mehr.
qus
132
befriedigende Antwort erwarten können. Wie dem nun aber auch in dem einzelnen Falle
sein mag, so ist es doch gewiß, daß der größte Teil der jungen Bildungen auf fluviatilem
Wege entstanden ist, sowohl in den hoch im Inneren des Gebirges liegenden flachen Becken
als auch besonders an den Rändern des Gebirges.!)
Wir finden ähnliche Bildungen auch noch heute,?) namentlich auf der südlichen Seite
des Tian-Schan in dem oft 20 bis 30 km breiten Streifen der rezenten Schuttdecken,
die sich vom Rande des Gebirges nach außen gegen die Wüste senken, und die häufig
die äußersten niedrigen Kulissen des Gebirges und die Sättel und Mulden der Gobi-
Sedimente fast ganz bedecken. Größe und Ausdehnung der heutigen Schuttdecken bleiben
aber, so bedeutend sie auch sein mögen, weit hinter denen der Schuttdecken der jungen
Ablagerungen zurück; das zeigt sich allenthalben, besonders bei der Vergleichung beider
Erscheinungen in den Randtälern des Gebirges. Wir müssen deshalb, um diesen Unter-
schied erklären zu können, für die Zeit der Ablagerung der jungen Bildungen viel reich-
lichere Niederschläge für alle Teile des Gebirges voraussetzen, als wir sie heute selbst in
dessen regenreichsten Teilen beobachten.
In den Zeitabschnitt nach Ablagerung der jungen Bildungen und vor der Ablage-
rung der rezenten Schuttdecken fällt die ehemalige große Vergletscherung des Tian-Schan,
die weit bedeutender gewesen ist, als man bisher angenommen hat. Ich führe, um dies zu
beweisen, nur zwei Erscheinungen an.?) Westlich vom Ausgang der Buam-Schlucht sieht
man auf der linken Seite des Tschu, dicht an der Straße, die von Stary-Tokmak nach
der Poststation Dschil-aryk führt, ungefähr in der Höhe von 1200 m, also 400 m tiefer
als der Spiegel des Issyk-kul liegt, mitten in der Steppenvegetation sehr gut erhaltene
Granitrundhöcker mit glatter, fast frischer Oberfläche und Gletscherschrammen, die in der
Richtung des Tschu-Tals verlaufen. Am Ausgange des südlichen Musart-Tals zeigen
sich 200—300 m über dem Talboden alte Moräne am Gebirgsrand und vor dem Ausgang
mitten in der Kieswüste mächtige Endmoränen. Sowohl am nördlichen als auch am süd-
lichen Rande des Tian-Schan hat also das Eis die Niederungen am Fuße des Gebirges
erreicht, und wir finden seine Spuren an Stellen,. wo heute trockene Steppe oder heiße
Wüste vorhanden ist.
Ausgedehnte, sehr gut erhaltene Terrassen zeigen an, daß sich der Issyk-kul in
postdiluvialer Zeit bis an den Santasch-Paß nach Osten ausgedent hat, und der Gastero-
poden führende Seelöß in dem Talbecken von Kok-mainak*) beweist, daß er auch noch
weiter nach Westen gereicht hat. Man findet ähnliche Terrassen auch im Karkará- und
im Tekes-Becken, im Kapkak-Tal, sowie im Argu-Becken etc. und an vielen Stellen
!) Auch der Umstand, daß diese Bildungen häufig in dem Maße, als sie sich vom Inneren des
Gebirges nach außen hin erstrecken, an grobem Material verlieren und mehr und mehr feinkörnig werden,
spricht hiefür. G. Merzbacher.
2) Siehe Merzbacher, l.c., S. 28, 38, 40, 46, 81, 85.
3) Im übrigen verweise ich auf die zahlreichen, in Merzbachers Bericht angeführten Tatsachen.
4) Friederichsen, l. e., s. Abb. 4 auf Taf. 3; die hellen Streifen in der Mitte des Bildes sind
Seelöß, der Süßwassergastropoden führt, aber abgesehen davon ist zu beachten, daß die wagerechten
Terrassen zwischen Prschewalsk (Karakol) und dem Santasch-Paß mehr als 1800 m hoch liegen, daß die
Höhe des Tschu-Tals bei Kok-moinak aber nur ungefähr 1530 m beträgt. Dies gibt eine deutliche Vor-
stellung von der Größe und Tiefe des Issyk-kul in postdiluvialer Zeit.
133
auf der südlichen Seite des Gebirges, wo zur gleichen Zeit viele ausgedehnte Seen bestanden
haben. Ein großer Teil der Niederungen vor den nördlichen Abdachungen des zentralen
Gebirges, die heute von den großen Zuflüssen des Ili durchströmt werden, worunter das
beste Beispiel das weite und sehr lange Becken des Tekes ist, waren früher mit Seen aus-
gefüllt. Am Südrand des Gebirges lassen sich an allen Mündungen der Flußtäler Merkmale
und Reste einer glazialen Epoche nachweisen, wo man jetzt nur trockene Steppe findet.
Hieraus ergibt sich überaus deutlich die große Veränderung der klimatischen Verhältnisse,
die in der Quartärperiode und später eingetreten ist.
Den ehemaligen Seen kommt also postglaziales Alter zu oder sie haben schon in der
letzten Zeit der großen Vergletscherung bestanden: ihre Terrassen ziehen sich, gut erhalten
über die aufbereiteten Endmoränen hin, die vor dem Ausgang der großen Quertäler liegen.
Zur Zeit dieser Wasserbedeckung haben die heutigen oro- und hydrographischen Verhältnisse
zum größten Teil, wenigstens in allgemeinen Zügen, schon bestanden. Einige der großen
Quertäler mögen seitdem, wie das Beispiel des Tschu-Durchbruchs in der Buam-Schlucht
zeigt, vergrößert worden sein. An den Mündungen der großen Quertäler auf der südlichen
Seite der Tekesebene reichen dagegen die Terrassen des großen Sees, drei oder vier
übereinander, eine Strecke weit in die Täler hinein;!) weiterhin sieht man aber darüber
und talaufwärts die unversehrte alte Moräne.
Noch lehrreicher sind die Verhältnisse auf der Südseite des Gebirges in der nördlichen
Umrandung der Kaschgarischen Niederung. Dort liegen ausgedehnte flache Talbecken,
von denen schon Stoliezka?) berichtet hat, in der Zone der Gobi-Sedimente und weiter
nördlich zwischen den aus paläozoischen Gesteinen zusammengesetzten Ketten und Kulissen
des eigentlichen Gebirges. Der Boden und zum Teil auch die Ränder dieser Becken bestehen
aus jungen Konglomeraten, die diskordant die dislozierten @obi-Sedimente überlagern.?)
An den Beckenrändern, auch in den mürben Sandsteinen und Mergeln der Gobi-Sedi-
mente, sieht man heute noch an manchen Stellen die Terrassen der alten Seen.*) Wo
die Quertäler in die Becken münden, zeigen sich, besonders gut aufgeschlossen bei Tischyk-
tasch im Tojun-Tal, verfestigte fluvioglaziale Schotter, die vom Tojun-Fluß in 20 bis
30 m hohen, nahezu senkrechten Wänden angeschnitten worden sind. Weiter talaufwärts,
zwischen Tschon-terek und Mursa-terek, wird auf beiden Talseiten oberhalb der
Schotter alte Moräne sichtbar. Die Furche des Tojun-Tals war also im ganzen zur Zeit
der großen Seen, gegen das Ende der Vergletscherungsperiode im allgemeinen schon so
beschaffen, wie heute. Nun liegen aber die steilen, nach Süden gekehrten Ränder der
jungen, schwach dislozierten Konglomerate, die bei der Besprechung von Stoliezkas Profil
erwähnt worden sind, 300 bis 400 m über den fluvioglazialen Schottern der Talsohle. Hie-
durch wird uns ein anderer Beleg für die bedeutende Veränderung gegeben, welche die
Oberfläche des Gebirges seit Bildung der jungen Konglomerate erlitten hat, die eine so
große Mächtigkeit erreichen. Es zeigt uns ferner, daß, abgesehen von wenigen Ausnahmen,
die sich aber durch besondere Verhältnisse erklären lassen, seit der Zeit der Bildung der
1 Merzbacher, l. c., S. 8, 30, 87 u.s. w.
?) Records, VIII, S. 15: „A peculiar feature in this part of the hills consists in the occurrence of
extensive plains to which the name jilga is generally applied."
Ierzbacher, l. c., S. 37, 38, 41. 3) ibid. S. 38.
3) 1
134
jungen Konglomerate bis zu der Zeit der fluvioglazialen Schotter nur grobklastische Sedi-
mente abgelagert worden sind. Die Mächtigkeit der fluvioglazialen Schotter, die zur Zeit
der großen Seen oder kurz vorher entstanden sind, ist viel geringer als die Mächtigkeit der
jungen Konglomerate. Obgleich wir Verhältnisse, die es erschweren, den Prozeß der Ab-
lagerung beider Bildungen miteinander zu vergleichen, nicht zu berücksichtigen vermögen,
wie z. B. den Unterschied in der Dauer der Ablagerung und die wahrscheinlich sehr große
Verschiedenheit der damaligen Oberflüchenverhültnisse des Gebirges von den späteren, so
ergibt sich dennoch klar, daß seit Bildung der jungen Konglomerate bis zur Zeit der Ab-
lagerung der fluvioglazialen Schotter eine Periode sehr großen Wasserreichtums abnahm
und besonders auch die Menge des fließenden Wassers dauernd allmählich abgenommen hat.
Wir kennen zwar nicht das Alter der großen Diskordanz an der Basis der jungen
Bildungen und wissen deshalb auch nicht, ob deren grobklastische Sedimente schon in der
Zeit des Pliozäns entstanden sind; aber dies ist wahrscheinlich der Fall, und es scheint
deshalb, als ob gegen das Ende dieses Zeitabschnitts die Niederschlagsmengen in einem
hohen Maße gestiegen sind, so daß) dadurch im Verein mit der großen Höhe des Gebirges
und weniger durch Verminderung der allgemeinen Temperatur die ausgedehnte Vergletsche-
rung des Gebirges entstanden ist.
Wenn wir noch einmal kurz zusammenfassen, was sich bei Betrachtung der jungen
Bildungen ergibt, so kommen wir zu den folgenden Ergebnissen: Diese Bildungen sind
in verschiedener Höhe entstanden, ihre heutige Lage kann deshalb nicht dazu
benutzt werden, den Betrag der späten Dislokationen zu ermitteln, und ihr
gemeinsames Merkmal ist, außer der sehr ähnlichen Beschaffenheit, die auf
Ablagerung in fließendem Wasser schließen läßt, das geringe Maß ihrer Dis-
lokationen im Vergleiche zu denen der älteren Bildungen. Die großen, weit
ausgreifenden, gebirgsbildenden Bewegungen der tertiären Zeit hatten daher
schon vor Beginn dieser Ablagerung ihr Ende erreicht. An der Basis der
jungen Bildungen sieht man, wo deren tertiäre Unterlage sichtbar wird, eine
weit verbreitete Diskordanz, und die Sedimente der Unterlage sind stark dis-
loziert worden. Die Gastropoden führenden Mergel von Karkará zeigen, daß
diese Dislokationen, die durch große, weit gedehnte, gebirgsbildende Be-
wegungen verursacht wurden, noch im Pliozän, wenn nicht früher, ent-
standen sind.
Die weite Verbreitung und große Masse der grobklastischen Sedimente
und die Tatsache, daß an vielen Stellen die rote Färbung verschwindet, zeigen
ein Wachsen der Niederschlagsmengen nach dieser Zeit an. Es entstanden
während dieser Zeit die Grundzüge der heutigen Oberflächenverhältnisse des
Gebirges; viele der großen Täler wurden damals gebildet. Diese Vermehrung
der Niederschlagsmengen verursachte in erster Linie die Vergletscherung des
hohen Gebirges, als deren Folge wieder die großen Seen beim periodischen
Rückgang der großen Vereisung entstanden sind.
135
MS
Nachdem wir bereits hervorgehoben haben, daß granitische Gesteine im nördlichen
zentralen Tian-Schan sehr weit verbreitet sind, und nachdem wir die Sedimente, die sich
dort finden, zum Teil kennen gelernt und hiedurch die erforderliche Grundlage für Betrach-
tung der tektonischen Verhältnisse erhalten haben, wollen wir untersuchen, wie weit es mög-
lich ist, an der Hand der bisherigen Tatsachen die verschiedenen Stücke im Bau des nörd-
lichen zentralen Tian-Schan zu unterscheiden. Daß solche deutlich unterscheidbare Stücke
vorhanden sind, ergibt sich schon aus den bisher mitgeteilten Beobachtungen und ich erinnere,
um dies zu zeigen, nur daran, daß die granitischen Gesteine, welche einen großen Teil der
äußeren Gebirgszüge zusammensetzen, sehr alt sind, daß sie Kataklase zeigen, und daß der
unterkarbonische Kalk auf ihnen transgressiv liegt; daß dagegen die granitischen Gesteine,
welche in den hohen inneren Ketten große Massive zusammensetzen, wo sie genauer unter-
sucht wurden, nämlich im Bayum-kol-Tal, keine Kataklase zeigen, und daß sie im Sary-
dschass-Tau und anderwärts den unterkarbonischen Kalk im Kontakt verändert haben.
Obgleich die geologische Übersichtskarte, die ich für diese Arbeit entworfen habe,
sehr große Lücken hat, so zeigt sie doch, daß die Struktur der inneren Gebirgsteile, die
sich sehr deutlich in dem gleichmäßigen und geradlinigen Verlauf der granitischen Massive
und der Sedimente ausprägt, viel besser erhalten zu sein scheint, als die der äußeren.
Nichts ist aber mehr geeignet, den Unterschied zwischen den äußeren Gebirgszügen und
den inneren zu kennzeichnen, als die Lagerungsverhältnisse des unterkarbonischen Kalks,
der in den äußeren Gebirgszügen in großen unregelmäßig verteilten Lappen und Schollen
transgressiv auf den granitischen Gesteinen und den älteren paläozoischen Sedimenten liegt,
dagegen in den inneren Teilen des Gebirges zwischen langgestreckten granitischen Massiven
steil gestellt oder gefaltet worden ist. Dieser Unterschied tritt auch in orographischer
und morphologischer Beziehung deutlich hervor, sodaß wir Kriterien verschiedener Art haben,
die äußeren Gebirgszüge von den inneren Ketten im Alter zu unterscheiden. Ehe wir die
tektonischen Verhältnisse der verschiedenen Gebirgsteile im einzelnen verfolgen, ist es geboten,
einen Querschnitt zu betrachten, der sowohl die inneren Ketten als auch die äußeren im
Zusammenhang zeigt.
Von den großen Quertälern, welche in die nördlichen Abhänge des zentralen Tian-
Schan eingeschnitten sind, eignet sich hiezu am besten das Bayum-kol-Tal, weil es
ganz in der Nähe des höchsten Gebirgsteiles, nämlich nahe am Khan-Tengri beginnt
und uns in seiner tiefen Furche in ausgezeichneten Aufschlüssen fast alle die Unterschiede
zeigt, die ich eben erwähnt habe. Wir haben hiebei den Vorteil, daß die Gesteine, die
das Gebirge längs dieser Linie zusammensetzen, in ausreichendem Maße petrographisch
untersucht worden sind (siehe Profil Fig. I auf Taf. II).
Das Bayum-kol-Tal beginnt ungefähr 15 km nordöstlich vom Khan-Tengri am
nördlichen Fuße der höchsten zentralen Kette; es ist ungefähr 60 km lang und mündet
nahe westlich von der russisch-chinesischen Grenze in die Steppe des Tekes. Man kann
in den das Tal umrahmenden Gebirgen in morphologischer Beziehung drei natürlich
begrenzte Abschnitte unterscheiden: Der südliche Abschnitt ist das Hochgebirge und
darin liegt der oberste Teil des Bayum-kol-Tals. Auf beiden Seiten dieses Talabschnittes
tragen die Gipfel Firn und Eis und dazwischen sieht man Gletscher in den flachen Mulden.
136
Auch der Talboden liest dort noch über der Baumgrenze und man findet nur niedrige Sträucher
von Juniperus sabina, Caragana jubata und Salix-Arten. Der zweite Abschnitt, worin
der mittlere Teil des Tals liegt, ist die breite Zone des Gebirges, die sich sowohl in vielen
Teilen des Tian-Schan, als auch in anderen innerasiatischen Gebirgen zwischen der Firn-
grenze und der oberen Baumgrenze ausdehnt. Es ist dies das in morphologischer Beziehung
interessante Schuttgebiet, das durch ausgedehnte, von den Flüssen herbeigetragene Schutt-
massen, die in beckenartigen Weitungen flach aufgebreitet wurden, ausgezeichnet ist.')
Teilweise liegt der Talboden des mittleren Bayum-kol-Tals schon etwas unter der oberen
Baumgrenze. Der dritte und längste Abschnitt, der untere Teil des Tals, hat schon Mittel-
gebirgsformen. Hier findet man Landschaften, die denen der europäischen Voralpen ähnlich
sind. An vielen Stellen reichen die Matten bis zu den Gipfeln und dichte Bestände der
schönen Picea Schrenkeana bedecken Talseiten und Berggehänge. Von den drei Ab-
schnitten des Tales gehören der untere und der mittlere, sowie die nördliche Hälfte des
oberen Abschnitts in geologischer Beziehung zu den äußeren Gebirgszügen; doch ist der
Unterschied in orographischer Beziehung zwischen diesen und den inneren Ketten deshalb
hier nicht mehr so deutlich, weil, wie ich schon im einleitenden Teil zu dieser Abhandlung
gesagt habe, die Wasserscheide hier in der zentralen Kette liegt und das Gebirge sich
deshalb gleichmäßiger von Süden nach Norden erniedrigt, als z. B. westlich vom Aschu-
tör-Paß, wo die Wasserscheide dem östlichen Verlaufe des Terskei-Ala-Tau folgt.
Die Gesteine, die Herr Richarz untersucht hat, habe ich teils im oberen, teils im mittleren
Bayum-kol-Tal gesammelt.
Um eine Übersicht über die in geologischer Beziehung verschiedenen Teile des
Gebirges dieser beiden Talabschnitte zu erhalten, betrachten wir am besten zunächst das
Bild Fig. I auf Tafel I.
Ich versetze den Leser auf die Höhe eines die Talsohle um mehrere hundert Meter
überragenden Bergsturzes, der sich auf der linken Talseite erhebt, ungefähr dort, wo sich
kurz hintereinander von Südost der Ala-aigür und von Südwest der Aschu-tör in den
Bayum-kol ergießen,?) das ist an der Stelle, wo Profil I auf Taf. III im Norden endigt.?)
Im Rücken hat man den unteren Abschnitt des Bayum-kol-Tals, also den größten Teil
der waldreichen äußeren Gebirgszüge des nördlichen zentralen Tian-Schan. Vor dem
Beschauer zu Füßen breitet sich der ebene, mit Schotter bedeckte Talboden des mittleren
Talabschnittes aus. Im Hintergrunde des Bildes liegt genau im Süden die pyramiden-
förmige Gestalt des Khan-Tengri. Davor aber und ein wenig weiter östlich erhebt
sich ein mit Eis bekleideter hoher Berg. Zwischen diesen Berg, der in der zentralen Kette
liegt, und den Khan-Tengri ziehen wir die von W.S.W. nach O.N.O. verlaufende süd-
liche Grenze des nördlichen zentralen Tian-Schan, da sie dann mit der in tektonischer
Beziehung wichtigen Linie des Inyltschek-Tals zusammenfällt. Der Khan-Tengri
besteht, wie wir schon wissen, aus veränderten Sedimenten, die sich in seinem Gipfel mehr
1) Siehe übrigens Merzbacher, l. c., S.8f., 25, 31, 79, 85, 88, 94 u. s. w.
2) Der Leser, der die Karte von Friederichsen benutzt, muß beachten, daß derselbe das mittlere
und obere Bayum-kol-Tal als Ala-aigür, das Aschu-tör-Tal als Beian-kol-Tal, den Aschu-tör-Paß als Naryn-
kol-Paß und das Kara-kol-Tal (Nebental des Sary-dschass-Tals) als Aschu-tör-Tal bezeichnet. Die Karte
Merzbachers hat die richtigen Bezeichnungen; s. Merzbacher, l. c., S. 18 f.
3) Merzbacher, l. c, S. 8 und 9.
137
als 7000 m hoch erheben; der hohe mit Eis bedeckte Gipfel und die zentrale Kette, in deren
Nähe er liegt, bestehen aus stark verändertem, zum Teil kristallinischem, unterkarbonischem
Kalk. Unter dem Khan-Tengri und scheinbar ein wenig westlich davon erheben sich im
Hintergrunde des Bildes noch zwei Berge; sie sind vom Khan-Tengri ungefähr 13
und 15 km, vom Standpunkt des Beschauers 19 und 16 km entfernt und bestehen aus
granitischen Gesteinen.
Der übrige auf dem Bilde sichtbare Teil des Gebirges bildet die Umgebung des.
mittleren Teils des oberen Talabschnitts. Die mit Schnee und Firn bedeckten Höhen zur
Linken bestehen aus einer Schichtenfolge von Gneis, Phyllit, Tonschiefer und Dolomit und
aus einem schmalen Granitmassiv (siehe Profil I auf Taf. III und die Skizze in Fig. XVII),
die Talhänge im Vordergrunde auf beiden Seiten des Tals werden aus Biotitgranit gebildet.
Hiemit haben wir auf einer ungefähr 30 km langen Linie vom Khan-Tengri im
Süden bis zu der Mündung des Ala-aigür-Tals im Norden quer zum Streichen die
wichtigsten Teile kennen gelernt, die das Gebirge zusammensetzen.
Es sind:
1. die Kette des Khan-Tengri,
2. die zentrale Kette,
. das Granitmassiv im oberen Teile des Bayum-kol-Tals,
4. die Schichtenfolge von Gneis, Tonschiefer, Dolomit u. s. w., die ich, um eine kurze
Bezeichnung zu wählen, als die Schieferzone des Bayum-kol-Tals bezeichnete,
5. das Granitmassiv in der nördlichen Hälfte des mittleren Talabschnittes, das einen
Teil des südlichen Granitzugs der äußeren Gebirgszüge bildet.
Von diesen Teilen liegt die Kette des Khan-Tengri schon außerhalb unseres Gebietes;
die zentrale Kette und das Granitmassiv des oberen Bayum-kol-Tals bilden zusammen die
inneren Ketten, die Schieferzone und das Granitmassiv am Ala-aigür-Tal gehören dagegen,
strenge genommen, schon zur Gruppe der äußeren Gebirgszüge. Das Profil in Fig. III, Taf. III
zeigt, daß hier im Bayum-kol-Tal der Teil des Gebirges, den wir aus geologischen Gründen
zu den äußeren Gebirgszügen rechnen, ungefähr dreimal so breit ist, als die inneren Ketten.
Wir wollen nun die eben erwähnten Teile des Gebirges im einzelnen näher betrachten:
Genauere Angaben über die petrographische Beschaffenheit der granitischen Gesteine und der
Sedimente, die das Gebirge in der Umgebung des oberen und mittleren Talabschnitts
zusammensetzen, finden wir in der hier anschließenden Arbeit von Richarz und einige
Angaben über die granitischen Gesteine der äußeren Gebirgszüge bei Petersen.!)
[9v]
1. Der Khan-Tengri.
Wir wissen durch Merzbacher,?) daß sich der höchste Berg des Tian-Schan, der
Khan-Tengri, in einer schmalen langgestreckten Kette erhebt, die der Inyltschek-Gletscher
umfliebt. Die Kette ist in geologischer Beziehung die östliche Fortsetzung der Kette auf der
linken (südlichen) Seite des unteren Inyltschek-Tals; sie ist noch etwas über den Khan-
Tengri hinaus bekannt; dagegen ist nicht ganz festgestellt, wo sie im Osten endet. Wir
1 Friederichsen, l. c., petrogr. Anh., S. 275 £., nicht Nr. 220, das aus dem Aschu-tör-Tal stammt.
?) Merzbacher, l. c., S. 74.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt. 18
158
wissen aber, daß sie dorten mit der wasserscheidenden zentralen Kette zusammenhängt, die
sich ihrerseits unter einer Abschwenkung des Streichens nach 8.0. in den hohen Ketten am.
Musart-Paß fortsetzt.
Die Kette auf der linken Seite des Inyltschek-Gletschers besteht hauptsächlich aus
Serien von grauschwarzem und grünlichem Phyllit, Glimmerschiefern und Amphiboliten, worin
an mehreren Stellen mächtige Lager von Gabbro und, wie die vorläufige Untersuchung der
gesammelten Gesteinsproben ergeben hat, auch von stark veränderten Quarzporphyren vor-
kommen; ferner aus verändertem dolomitischem Kalk und crinoideenhaltigen Dolomit, in
welchen auch erkennbare unterkarbonische Fossilien vorkommen.
Das Profil in Figur IX zeigt uns, obgleich es nicht vollständig ist, den Bau dieser
Kette. Alle Schichten fallen, abgesehen von örtlichen Störungen, im Ganzen unter Winkeln
von 20° bis 40° nach Süden ein.
2900m_— =
Fig. IX. Profil durch die linke Uferkette des unteren Inyltschek-Tals.
Mafsstab 1: 10,000.
p grünlicher Phyllit, c kristallinisch-paläozoischer, zum Teil dolomitischer Kalk, m alte Moräne,
s Schuttkegel, 1 fluviatiler Löß, t Terrassenschotter des Flußbettes, g Granit, a Gabbro.
Ein breiter Streifen von Grundmoräne verhüllt den nördlichen Fuß der Kette an den
meisten Stellen des Tales. Dicht unterhalb der Gletscherzunge ist diese aber fast bis an
den Talboden entblößt und man sieht, daß dort der untere Teil des Gehänges, soweit man
überhaupt anstehendes Gestein erreichen kann, aus dem grünschwarzen und grünlichen
Phyllit besteht. Der Phyllit verschwindet, indem er nach O.N.O. streicht, zum großen
Teil talaufwürts unter dem Eis des Inyltschek-Gletschers; aber ungefáhr 16 km von der
Endzunge entfernt, wird er wieder in der Kette sichtbar, die den Khan-Tengri trágt,
denn diese Kette beginnt," indem sie plötzlich mit steilen Wänden mitten aus dem Eis
des Inyltschek-Gletschers zu bedeutender Höhe emporragt, mit Phyllit.
Ganz sicher ist hiemit der Zusammenhang ja nicht erwiesen; aber abgesehen davon,
da& diese Kette in der Streichrichtung der linken Uferkette des oberen Inyltschek-Tals
I) Merzbacher, l. c., S. 70.
139
liegt, weist auch ihr Bau in der Nähe des Khan-Tengri und am Khan-Tengri selber
auf diesen Zusammenhang hin.
Wir finden nämlich auch dort dieselben Gesteine und ähnliche Lagerungsverhältnisse,
wie auf der linken Seite des Inyltschek-Tals. An der Stelle, wo sich die Kette des
Khan-Tengri aus dem Inyltschek-Gletscher erhebt, sind der Phyllit und die anderen
ihn begleitenden Sedimente stark zerknittert, aber man erkennt doch im Ganzen deutlich
das Südfallen.
Dies wiederholt sich auch am Khan-Tengri und der Berg zeigt bei seiner gewal-
tigen Größe eine überraschende Einfachheit des Baues. Schon von weitem kann man von
einigen hochgelegenen Stellen des nördlichen zentralen Tian-Schan,!) z. B. vom Sart-dschol-
Pa&, von der Kette auf der rechten Seite des oberen Sary-dschass-Tals aus, besonders
deutlich aber von den Talgehängen des mittleren Bayum-kol-Tals aus erkennen, daß in
dem unteren Teile des Khan-Tengri dunkles Gestein ansteht, daß dagegen der obere Teil
des Berges aus einem hellen Gestein aufgebaut ist.
Die Skizze in Figur XV zeigt uns das Bild des Berges, wie man es von einem hoch-
gelegenen Punkte der Gehänge des mittleren Bayum-kol-Tals sieht. Der Berg liegt von
diesem Punkt ungefähr 35 km in südlicher Richtung entfernt. Man erkennt aber dennoch
auf das Deutlichste dunkles Gestein an dem Fuße der steilen Nordwand der Gipfelpyramide und
dessen scharfe, sanft von Westen nach Osten ansteigende Grenze gegen das darüber lagernde
helle Gestein der Gipfelwände.
Dasselbe beobachtet man von einem hochgelegenen Punkte der rechten Umrandung
des oberen Inyltschek-Tals. Auch hier erkennt man das dunkle Gestein in dem unteren
Teile des Gipfelbaues und darüber das helle Gestein des Gipfels. Von hier aus sieht man
aber, daß sich die Grenze zwischen beiden von Norden nach Süden senkt.
Dies wird durch Merzbachers in der
Nähe des Berges gemachten Beobachtungen
bestätigt, und es zeigt sich, daß der Sockel
des Khan-Tengri in der Tat aus dunklen
Sedimenten, nämlich hauptsächlich aus
grünlichen Phylliten besteht, worin ein basi-
sches Eruptivgestein, wahrscheinlich Gab-
bro,?) in großer Menge vorkommt, daß da-
gegen das helle Gestein des Gipfels kristal-
linischer Kalk (zum Teil etwas dolomitisch) Fig. XV. Blick auf den Khan-Tengri von Norden (vom
ist. Alle diese Bildungen fallen unter Win- mittleren Teil des Bayum-kol-Tales aus).
keln von 20° bis 30° nach Süden ein, so- 4 kristallinischer, zum Teil etwas dolomitischer Kalk
daß die Kalk- und Dolomitbünke und zum des Khan-Tengri, p Phyllite mit basischen Eruptiv-
Teil auch noch der Phyllit sowohl auf der gesteinen darin von der Basis des Berges, c kristal-
nördlichen:als auch!auf. der: südlichen Seite linische Kalke der zentralen Kette, g Granit des oberen
; : B -kol-Tals.
des Berges ausstreichen. Das helle massige Cm Ps
1 Merzbacher, l. c., S. 68.
2) Das Untersuchungsergebnis des petrographischen Befundes der Gesteine aus dem oberen Inylt-
schek-Tal liegt noch nicht vor.
18*
140
Gestein liegt über dem dunklen Phyllit flach gewölbeartig gebogen, wie das Stück einer
riesigen, sanft nach Süden geneigten Platte.!) Wir haben hier also im Ganzen dieselben
Lagerungsverhältnisse, wie sie weiter im Westen, auf der südlichen Seite des Inyltschek-
Tals zu beobachten sind.
Die Kette auf der linken Seite des Inyltschek-Tals streicht demnach in
der Nähe der Endzunge des Inyltschek-Gletschers in der Richtung nach O.N.O.
auf die rechte Seite des Gletschers hinüber und setzt sich in der Kette des
Khan-Tengri nach Osten fort. Dabei erhebt sie sich von Westen nach Osten
allmählich zu sehr bedeutender Höhe.
Der Bau der Ketten am Khan-Tengri und auf der linken Seite des Inyltschek-
Tals wiederholt sich weiter im Süden. Die alten Gesteine, die dort die Ketten zusammen-
setzen: Phyllit, paläozoischer Tonschiefer, kristallinischer Kalk und Dolomit zeigen fast
überall südliches Einfallen; die wenigen Ausnahmen haben nur örtliche Bedeutung. Grani-
tische Gesteine in großer Menge sind, soweit das Gebirge südlich vom Inyltschek-Tal heute
bekannt ist, das ist nach Süden bis in die tiefe Furche des Koikaf-Tals,?) nach Osten
bis an die an den Hintergrund der mächtigen Gletscher des Inyltschek- und des Kaündü-
Tals, nur an einer Stelle, nämlich südlich vom Khan-Tengri, zwischen dem Inyltschek-
und dem Koikaf-Gletscher gefunden worden. Basische Eruptivgesteine kommen dagegen
häufig vor. Lagergünge und mächtige Lager von Gabbro schalten sich zwischen die alten
Gesteine ein.
Der hier in Rede stehende Teil des Gebirges gehórt, ebenso wie der Khan-Tengri
strenge genommen, nicht mehr zum Gebiet des nördlichen zentralen Tian-Schan,
entsprechend der Begrenzung, die ich für dieses Gebirgsstück in der Einleitung gegeben
habe. Wir wollen seinen Bau aber dennoch hier kurz erörtern, weil es zum Verständnis
der tektonischen Verhältnisse der nördlich davon liegenden Gebirgsteile notwendig ist. Die
geologischen Verhältnisse, die im Profil IX dargestellt sind, bleiben auf eine beträchtliche
Strecke weit nach Osten fast unveründert sichtbar. Der Weg aus dem mittleren Inylt-
schek- zum Kaündü-Tal führt durch zwei von einer Hochfläche getrennte verbindende
Täler, die Atschailo-Täler. An der Stelle, wo das nördliche Atschailo-Tal in das
Inyltschek-Tal mündet, ungefähr 17 bis 18 km unterhalb der Endzunge des Inyltschek-
Gletschers,?) springt ein Teil der linken Uferwand spornartig gegen die Mitte dieses Tales
vor und in dem toten Winkel dahinter findet man viel alte Moräne. Der Sporn und die
unterste, tief eingeschnittene Strecke des nördlichen Atschailo-Tals besteht aus steil nach
Süden einfallendem grauem, kristallinischem Kalk. Ungefähr 1 km südlich von der Mündung
gabelt sich dieses Tal. Der eine Ast ist nach O.N.O. gerichtet, der andere verläuft nach
S.0. und mündet etwas spitzwinklig zur Richtung des Inyltschek-Tals. Bis an die
Gabelung sieht man, vom Inyltschek-Tal kommend, den Kalk. In der Gabelung folgt
grauer und grünlicher Phyllit, der, wie der Kalk, steil einfällt und weit nach Süden reicht,
wo er einen hohen Gipfel bildet. Der Weg zum Kaündü-Tal, der dem nach 8.0. ver-
laufenden Aste folgt, steigt in steilen Serpentinen zu einem hochgelegenen, flachen, mit
alter Morüne erfülltem Boden an, der ungefähr dem Streichen der Phyllite folgt. Auf der
linken Seite sieht man im Südosten eine hohe, aus kristallinischem Kalk bestehende, stark
1 Merzbacher, l. c., S. 75. 2) ibidem S. 70, 72, 78, 81 f. 3) ibidem S. 77.
141
vergletscherte Kette. Im Nordwesten dagegen, zur Rechten ist das schiefrige von der linken
Seite des Inyltschek-Tals heranziehende Gebirge eine ziemliche Strecke weit in einem
sehr auffallendem Maße abgetragen. Die Wasserscheide ist mitten in den begrünten
alten Moränendecken kaum sichtbar; auch im oberen Teile des südlichen Atschailo-
Tals ändert sich die Umgebung nicht. Der untere Talabschnitt bildet jedoch vor der
Mündung eine enge Schlucht, die, weil sie sich nach Süden wendet, tief in den Kalkzug
eingeschnitten ist, der die vergletscherte Kette auf der südlichen Seite der oberen Atschailo-
Täler bildet. In dieser Schlucht sieht man aufs Neue die große Beständigkeit des südlichen
Fallens. Nun steigt man auf steilem Pfad ins Kaündü-Tal hinab, das an dieser Stelle fast
von Osten nach Westen verläuft. Der kristallinische Kalk der vergletscherten Kette ist
auf der linken Seite des Kaündü-Tals wieder sichtbar (siehe das Profil in Figur VII);
der Phyllitzug, in den Atschailo-Tälern von alten Moränen fast ganz bedeckt, tritt in
der rechten Talwand heraus. Hier sieht man auch seine Zusammensetzung; ungemein
mächtige Massen von Gabbro, wovon Teile schon vom Atschailo-Tal aus sichtbar werden,
liegen darin. Geht man im Kaündü-Tal aufwärts, so bemerkt man, daß auf den Kalk
der vergletscherten Kette weit und breit im Südost Phyllit und Tonschiefer folgen. An
vielen Stellen bricht auch dort der Gabbro durch. Dieser Phyllitzug streicht nach O.N.O.;
sein äußerster nördlicher Saum, aus rotem und grünem Tonschiefer, aus Radiolarit und
grauem Phyllit zusammengesetzt, erscheint über der steilen Wand des erwähnten Kalkes
auf der linken Talseite. Unterhalb dieser Stelle wendet sich das Kaündü-Tal nach Süd-
westen und erweitert sich zu einem flachen Becken mit verhältnismäßig niedrigen Rändern.
In diesem Becken erscheinen, einen unerwarteten Anblick mitten im wilden Hochgebirge
bietend, die lebhaft rotgefürbten Gobi-Sedimente. Diese Sedimente, die ich schon bei
Besprechung der stratigraphischen Verhältnisse mehrfach erwähnt habe, findet man auf
beiden Seiten des Kaündü-Tals; sie erstrecken sich namentlich aber weit nach Süden,
wo sie bis in die Gegend des Utschat-Tals ein nicht hohes, von höheren Ketten
umrahmtes Bergland zusammensetzen. Auf der rechten Talseite reichen sie dagegen nur
200 bis 300 m über das Niveau des Flusses und grenzen in scheinbar konkordanter Lage-
rung an Schiefer oder an die mächtigen Massen von Gabbro, die dort anstehen. Auf der
linken Seite sieht man unterhalb der Gobi-Sedimente die Unterlage, aus palüozoischen
Bildungen bestehend, an vielen Stellen zutage treten. Allerorten fallen diese Bildungen,
hauptsächlich grauer Phyllit und kristallinischer Kalk, nach Süden ein und folgen in
langgestreckten Graten dem allgemeinen Streichen nach O.N.O. Über diese Unterlage
breiten sich die Gobi-Sedimente in scheinbar konkordanter Auflagerung als eine ausge-
dehnte Decke aus und bilden das Hangende auf den flachen Südseiten der aus paläozoischen
Sedimenten bestehenden Grate und Rücken. Dies geschieht in mehrfacher Wiederholung
auf der Linie unseres Profils. An keiner anderen Stelle habe ich eine ähnliche Über-
deckung der Gobi-Sedimente durch die alten Bildungen beobachtet. Nichts spricht über-
zeugender dafür, daß hier große, im Streichen verlaufende Brüche vorhanden sind, als diese
Verhältnisse und der Umstand, daß auch die Gobi-Sedimente davon getroffen worden sind,
zeigt, daß diese Brüche während der letzten großen Phase der gebirgsbildenden Bewegungen
entstanden sind. Das Ausmaß der Brüche muß sehr beträchtlich sein. Die sichtbare Höhe
I) Merzbacher, l. c., S. 77.
142
der Verschiebung beträgt an einer Stelle der linken Talseite des Kaündü dicht oberhalb
der Einmündung des Atschailo-Tals mehr als 800 m. In dieser Höhe sieht man eine
Schichte der Gobi-Sedimente, die weiter im Westen am Talboden liegt, über der steilen
linken Uferwand. Hieraus ergibt sich zugleich, daß an dieser Stelle die tiefe und breite
Furche des Kaündü-Tals erst nach der Bildung der Brüche entstanden sein kann.
Die steilen Nordseiten der Grate, welche den Verlauf der Brüche bezeichnen, lassen
deutlich erkennen, daß sich die Schichten nach Westen neigen. Dies ist eine Erscheinung
von allgemeiner Bedeutung, denn sie wiederholt sich an allen in Frage kommenden Stellen.
Das Gebirge, das also aus langgestreckten, durch die Brüche getrennten, nach O.N.O.
streichenden Schollen besteht, steigt nach Osten allmählich an. Was hier in der Umgebung
des mittleren Kaündü-Tals so deutlich sichtbar ist, wiederholt sich im Inyltschek-' Tal
und in der Kette des Khan-Tengri Auch dort sind große Brüche vorhanden, die
besonders deutlich auf der rechten Seite der Endzunge des Inyltschek-Gletschers hervor-
treten und scheinbar in der Richtung der Talachse verlaufen; sie trennen die Kette des
Khan-Tengri von der zentralen Kette und die linke Uferkette des Inyltschek-Tals
vom Sary-dschass-Tau. Auf diese Weise erklärt sich die auffällig große Verschieden-
artigkeit in der Zusammensetzung der Ufergebirge auf beiden Seiten des In yltschek- Tals.
Die Linie dieses Tals wird zu einer tektonisch wichtigen Linie, welche die in geologischer
Beziehung natürliche, südliche Grenze des nórdlichen zentralen Tian-Schan hier zu ziehen
gestattet (siehe S. 91). In diesen Verhältnissen zeigt sich aber fast ausschließlich die Wir-
kung der letzten Bewegungen. Wie das Gebirge vordem beschaffen war, ist heute schwer
zu ermitteln. Vor allem erscheint es für diesen Zweck wichtig, das Alter der mächtigen
Dolomit- und Kalkmassen zu kennen, die in der Umgebung des Khan-Tengri und südlich
vom Inyltschek- Tal so weit verbreitet sind.
Unterkarbonische Fossilien, darunter Productus giganteus, kommen am oberen
und mittleren Inyltschek-Gletscher vor und Merzbacher hält dafür,!) daß zwischen
dem hellen Gestein der Gipfelpyramide des Khan-Tengri und dem Phyllit an seiner Basis
eine ausgesprochene Diskordanz vorhanden sei. Die Natur dieser Diskordanz, ob strati-
graphisch oder tektonisch, konnte nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Die Tatsache aber,
daß der helle Kalk und Dolomit des Gipfels verhältnismäßig flach liegt, der Phyllit darunter
aber überaus heftig gestórt worden ist, macht es sehr wahrscheinlich, da& auch der Gipfel
des Khan-Tengri aus unterkarbonischem Kalk und Dolomit besteht, und daß an dessen
Basis eine ühnliche wichtige Transgressionsdiskordanz vorhanden ist, wie die, welche wir
schon kennen gelernt haben, als von den Verhältnissen auf der rechten Seite des Sary-
dschass-Tals, am Kaschka-tur-Paß die Rede war. Ein Teil der Kalk- und Dolomit-
massen ist aber älter, und hiedurch wird die Erkennung der Verhältnisse sehr erschwert.
Die ganz alten, vor der unterkarbonischen Transgression erfolgten Bewegungen mögen,
wie auch das Beispiel der Schieferzone des Bayum-kol-Tals zeigt, sehr heftig gewesen
sein. Im hohen Grade auffallend ist in diesem Teile des Gebirges die Beständigkeit des
südlichen Einfallens.
Wir fassen also kurz zusammen, was sich an der Hand der bisherigen Beobachtungen
über das Gebirge in der Umgebung des Khan-Tengri und südlich vom Inyltschek- Tale
sagen läßt:
1) Mündliche Mitteilung.
143
Granitische Gesteine sind selten, dagegen basische Eruptivgesteine außerordentlich häufig.
Als Sedimente zeigen sich hauptsächlich Phyllit, Tonschiefer, Dolomit und Kalk. Unter-
geordnet kommt Radiolarit und Quarzit vor. Über diesen alten Bildungen erscheinen (wahr-
scheinlich jungtertiäre) Gobi-Sedimente in der Umgebung des Kaündü- und Utschat-Tals.
Alle diese Bildungen streichen im Allgemeinen nach O.N.O.; sie sind, abgesehen von den
Gobi-Sedimenten, in Zonen angeordnet, von denen wir, vom Inyltschek- Tal nach Süden
gehend, die folgenden unterscheiden können: a) die Zone von kristallinischem Kalk und
Dolomit auf der linken Seite des Inyltschek-Tals, b) die Zone von Phyllit, die an der
Gabelung des nördlichen Atschailo-Tals sichtbar wird, den Untergrund der Atschailo-
Täler nach Südwest bildet und sich nach Nordost in der Kette des Khan-Tengri fort-
setzt, c) die Zone von kristallinischem Kalk und Dolomit, in welcher die hohe vergletscherte
Kette auf der südlichen Seite der Atschailo-Täler liest, d) die Zone von Phyllit und
Tonschiefer östlich davon in der Umgebung des mittleren Kaündü-Tals. Über c) und d)
legen sich die Gobi-Sedimente dieses Tales. Diese Zonen werden im Streichen von Brüchen
begleitet, die sowohl in der Kette des Khan-Tengri, als auch besonders in den Gobi-
Sedimenten des mittleren Kaündü-Tals sichtbar sind. Die Sedimente steigen, indem sie
beständig nach Süden einfallen, allmählich von Westen nach Osten zu den bedeutendsten
Höhen des Gebirges am Khan-Tengri und im Hintergrund des Kaündü-Gletschers an.
2. Die zentrale Kette.
An der Stelle, wo sich die Kette des Khan-Tengri in der Mitte des Inyltschek-
Gletschers, ungeführ 16 km von dessen Endzunge entfernt, zu erheben beginnt, teilt sie,
wie schon hervorgehoben, den Inyltschek-Gletscher in zwei Arme. Auf dem linken
(südlichen) Arm ist Merzbacher!) bis an den Fuß des Khan-Tengri vorgedrungen.
Der rechte Arm aber, der schmäler ist als der linke, erwies sich als unzugänglich; denn
die ganze Breite zwischen dem südlichen Ende der Kette des Khan-Tengri und der
nördlich davor liegenden zentralen Kette wird von einem Eissee!) eingenommen, der von
steilen Felswänden eingeschlossen, den Zugang versperrt. Wir kennen also die Furche des
nördlichen Gletscherarms nicht und wissen nicht, aus welchen Gesteinen dort der südliche
Abfall der zentralen Kette besteht. Dagegen ist deren nördliche Seite gut bekannt. Würde
man von dem nördlichen Fuße des Khan-Tengri nach Norden über die zentrale Kette
steigen, so käme man dicht östlich an dem höchsten darin liegenden Gipfel, den Merz-
bacher Pik Semonow genannt hat,?) vorbei auf den vereisten Kamm, der die Firnbecken
des Semonow- und Muschketow-Gletschers von den Firnbecken des westlichen Bayum-
kol-Gletschers trennt. Dieser Kamm trägt die zwei Einschnitte, welche als Semonow- und
Bayum-kol-Paf bezeichnet wurden, und auf ihm verläuft, wie wir schon wissen (S. 92 ete.),
vom Aschu-tör-Paß her die Wasserscheide des zentralen Tian-Schan. Das Stück der
zentralen Kette, das sich von diesem Kamme und von der östlichen Seite des Pik Semonow
nach Osten bis zum Pik Nikolai Michailowitsch erstreckt, liegt im Hintergrunde des
Bayum-kol-Tals, den wir nun zunáchst betrachten wollen.
Eine tiefe Einsenkung trennt diesen Teil der zentralen Kette, deren Gipfel mehr als
6000 m hoch sind, von dem im Norden liegenden Gebirge, das von dem Bayum-kol-Flu&
I) Merzbacher, l. c., S. 70 f. ?) ibidem S. 19.
144
von Süden nach Norden tief durchfurcht worden ist. In dieser Einsenkung fließen die
beiden Zweiggletscher des Bayum-kol fast aus entgegengesetzten Richtungen, von 0.8.0.
und von W.S.W. zu einer gemeinsamen Endzunge zusammen. Die einzelnen Firnbecken,
welche diese beiden Gletscher alimentieren, liegen, in einer Reihe nebeneinander, in kar-
artigen Vertiefungen des nördlichen Abfalles der zentralen Kette.!)
Die Moränen, die aus diesen Firnbecken kommen, geben Aufschluß über die Gesteine,
aus denen die zentrale Kette besteht. Man findet stark veränderte Sedimente, granitische
Gesteine scheinen aber nicht vorzukommen. Sehr häufig ist weißer, körniger Kalk, dann
dunkler Kalk; jede Spur von organischen Resten ist daraus verschwunden. Diese Ge-
steine stammen von den höchsten Teilen der Kette, wo an manchen Stellen der steile Fels
aus dem mächtigen Mantel von Schnee und Eis zutage tritt. Auch hellen und dunklen
kristallinischen Crinoideenkalk findet man und darin werden Reste von Korallen und
Brachiopoden sichtbar; so habe ich zum Beispiele noch erkennbare Reste der Schalen von
Spirifer und Diclasma darin gesehen. Der Crinoideenkalk stammt gleichfalls zum größten
Teile vom oberen Teil der Umrandung.
Obgleich die große und mächtige Decke von Schnee und Eis, welche die nördlichen
Abhänge der zentralen Kette bekleidet, es verhindert, die Stellen zu erreichen, wo diese
Gesteine anstehen, so kann man doch auch schon von ferne sehr gut beobachten, daß in
der Tat der Kamm der Kette und der obere Teil ihres nördlichen Abhangs aus hellem
und dunklem kristallinischen Kalk bestehen. Und an dem Wechsel der Farbe erkennt man
sehr deutlich, daß die Kalkbänke steil stehen und in der Richtung der Kette, also O.N.O.
bis N.O. streichen. Dies wird auch bestätigt durch Beobachtungen an den Abhängen
der von der zentralen Kette nach Norden abzweigenden Seitenkämme. Hier stehen die
Schichten allerdings nicht mehr ganz senkrecht, sondern sie fallen mehr oder weniger steil
nach Süden ein (siehe Profil X), und man sieht an den höher gelegenen Aufschlüssen, daß
die Anderung des Fallens allmählich vor sich geht.
Am Boden der Einsenkung, worin die beiden Bayum-kol-Gletscher liegen, gibt
es zwischen dem Eis und den Moränen nur wenig entblößtes Gestein; man vermag daher
kein vollständiges Profil der Zusammensetzung des Baus des Gletscherbodens zu bilden.
Immerhin gewinnt man einige Klarheit dadurch, daß man die über das ganze Gletscher-
gebiet zerstreuten Aufschlüsse so miteinander verbindet, daß sie Teile eines Profiles werden.
Gerade südlich von der Stelle, wo sich die beiden Hauptarme des Bayum-kol-Gletschers
zu der gemeinsamen Endzunge vereinigen und genau in der nach Süden verlängerten
Richtung des obersten Bayum-kol-Tals endigt ein mit Schutt bedeckter Seitenkamm der
zentralen Kette, auf dem man allmählich fast bis zu deren halben Höhe nach Süden
ansteigen kann. An diesem Kamme (Profil II auf Taf. III in der unteren rechten Ecke)
zeigt sich, aus welchen Gesteinen der südliche Teil des Gletscherbodens und der Fuß der
zentralen Kette bestehen.
Man findet, wenn man vom Fuße der Kette nach Norden geht, die folgenden
Verhältnisse: Der stark veränderte helle und dunkle Kalk, der, wie gesagt, hauptsächlich
die hohen Teile der zentralen Kette zusammensetzt, kommt an dem unteren Teile ihres
!) Siehe die Abbildung auf Taf. I, die einen Teil des östlichen Zweiggletschers, seine Firnbecken
sowie den Pik Nikolai Michailowitsch zeigt.
145
nördlichen Abhangs nur noch selten vor; dort wird dünnbankiger kristallinischer Crinoideen-
kalk sichtbar, der mit Kalktonschiefer und Tonschiefer wechsellagert, und nach Norden
stellt sich mehr und mehr Phyllit ein. Vom Fuße der Kette sieht man bis zu dem
Ende des Seitenkamms diese Bildungen eine mannigfach wechselnde Schichtenfolge zusammen-
setzen, so daß die kalkigen Glieder hauptsächlich am Fuße der zentralen Kette und in
dessen Nähe, die tonigen dagegen mehr im Norden, im südlichen Teile und in der Mitte
des Gletscherbodens vorkommen.
Diese Anordnung der verschiedenen Sedimente kann man sehr gut außer in Abbldg. X
und XI, in Fig. 2 auf Taf. I erkennen. Der kristallinische Kalk, dessen senkrechte Stellung
JrofiXIL arcium
' j % Glimmersch.
|
|
1 /f.1 -
| SEVEN
|
s d
en
Crinoıdeen-u.Korallen-Kalke. E xx lors mit RS MES
ZAmphibolbiolitér. S s ul Lampraptr, urpidotstir.
7:30000 > njie.Schiefer Pebmatit.
Fig. X. Profil durch den Gletscher des Bayum-kol-Talschlusses von Süd nach Nord.
durch den Wechsel von heller und dunkler Fürbung dort sehr scharf hervortritt, zeigt sich
besonders deutlich an der steilen Westwand des Pik Nikolai Michailowitsch, von wo
er, geradlinig nach Westen und Osten streichend, den Kamm und die Gipfel der zentralen
Kette zusammensetzt. Am Fuße der Kette zeigen sich die nach Norden abzweigenden
Seitenkümme, welche die Firnbecken des östlichen Bayum-kol-Gletschers voneinander
trennen. Diese Seitenkämme haben keine scharfen Formen; sie sind gerundet und sehr stark
mit Schutt bedeckt, bestehen aus Phyllit und Schiefern, die, wie man sehr gut beobachten
kann, einen breiten nach Osten verlaufenden Streifen zusammensetzen.
5 M.
j EG N
az d. A
Amphibolbiotitgr.
Schiefer ER NA {
E PIER e US p
Fig. XL Profil durch den Gletscher des Bayum-kol-Talschlusses von Süd nach Nord.
j Mittelstück aus Profil X.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt. 19
146
Die bisher geschilderten Verhältnisse zeigen also, daß der südliche Teil der Um-
randung des Bayum-kol-Gletschers aus zwei verschiedenen Teilen besteht: nämlich aus
dem steilstehenden Kalk der zentralen Kette und aus einer Schichtenfolge von Kalk, Ton-
schiefer und Phyllit, die am Fuße der Kette sichtbar wird und ungefähr bis in die Mitte
des Gletscherbodens reicht. In der nördlichen Hälfte des Gletscherbodens und in seiner
nördlichen Umrandung finden wir dagegen andere Gesteine: nämlich solche granitischer
Natur und dazwischen eine schmale langgestreckte, im Streichen verlaufende Zone von
injizierten und deshalb sehr stark veränderten Schiefern. Der Kontakt zwischen den grani-
tischen Gesteinen des Gletscherbodens und dem Phyllit und Tonschiefer in dessen südlichem
Teile ist namentlich an dem Ende des Seitenkammes deutlich zu sehen, der nahe an der Stelle
endigt, wo sich die beiden Hauptarme des Bayum-kol-Gletschers vereinigen.
Man findet dort am Kontakt von Süden nach Norden (siehe Profil II auf Taf. IIT)
erst Tonschiefer und Phyllit, dann einen schmalen Streifen von zerrüttetem, stark ver-
ündertem Kalk, hierauf granitisches Gestein. Durch die petrographische Untersuchung des
Kalks wurden die Erscheinungen der Kontaktmetamorphose nachgewiesen; das granitische
Gestein gehört zu dem Amphibolbiotitgranit des oberen Bayum-kol-Tals Wenn man
sich in der Richtung dieses Profiles weiter nach Norden begibt, so kommt man am
Ende des Seitenkammes auf die Endzunge des Bayum-kol-Gletschers, wo eine Strecke
weit alles anstehende Gestein mit Eis und Moräne bedeckt ist. An der Spitze der End-
zunge sieht man aber neben dem Eise, auf dessen westlicher Seite, zuerst mürbes, grün-
liches Gestein, dann nördlich davon ein wenig Biotitglimmerschiefer.
Wir müssen nun, um diese Verhältnisse genauer kennen zu lernen, die oben erwähnten
Gesteine im Streichen verfolgen, bis wir in der westlichen und östlichen Umrandung der
Bayum-kol-Gletscher dazu geeignete Aufschlüsse finden.
Zunächst ist der Kontakt zu verfolgen, der nur eine kurze Strecke weit sichtbar ist.
Man sieht ihn am Ende des erwähnten Seitenkammes, dann taucht er nach Osten unter
das Eis und die Moränen des östlichen Bayum-kol-Gletschers hinab und verläuft darunter
bis hin an den äußersten östlichen Rand der Einsenkung, in welcher die Bayum-kol-Gletscher
liegen. Dort wird er nochmals sehr deutlich sichtbar. Es kann kaum ein Zweifel darüber
sein, daß die gerade Verbindungslinie zwischen diesen beiden Stellen den Verlauf des Kon-
taktes unter dem Eise ungefähr richtig wiedergibt. Nach Westen ist dieser viel schwerer
zu verfolgen als nach Osten; denn der westliche Bayum-kol-Gletscher ist stark zerrissen
und verhüllt die Stellen, wo der Kontakt beobachtet werden könnte, noch mehr als in der
östlichen Umrandung. Die Tatsache aber, daß an der östlichen Seite des Kammes, der die
Firnbecken des westlichen Bayum-kol-Gletschers und des Semonow-Gletschers trennt,
außer den Gesteinen, die wir am Fuße der zentralen Kette finden, auch Granit ansteht,!)
macht es sehr wahrscheinlich, daß der Kontakt auch dort vorhanden ist.
Wir sehen also, daß die Sedimente, die den Fuß der zentralen Kette und den süd-
lichen Teil des Bodens der beiden Bayum-kol-Gletscher zusammensetzen, an einer langen,
geraden, dem allgemeinen Streichen folgenden Linie durch die granitischen Gesteine, woraus
der nördliche Teil des Gletscherbodens besteht, begrenzt werden. Diese granitischen Ge-
steine sieht man, abgesehen von dem vordersten Ende des schon öfters erwähnten Seiten-
1) Merzbacher, ]. c., S. 29.
147
kammes, auch an einigen Stellen, sowohl am nördlichen Rande des östlichen Bayum-
kol-Gletschers als auch im Westen zwischen dem Eis und den Morünen des westlichen
Gletscherarms. Leider ist es nicht möglich im Osten die Breite des Zuges, den sie zusammen-
setzen, zu ermitteln, da dort dessen Grenze gegen die im Norden folgenden injizierten
Schiefer durch den Gehängeschutt und zum Teil auch durch Vegetation verdeckt wird.
Die Länge dieses Zuges ergibt sich für die Einsenkung der Bayum-kol- Gletscher
aus der Entfernung der Stellen, wo sein Kontakt gegen die Sedimente am Fuße der
zentralen Kette noch sichtbar ist; im Osten erreicht er also den äußersten Teil der Um-
randung und wahrscheinlich reicht er noch weiter darüber weg; nach Westen erstreckt er
sich, indem er allmählich breiter wird, noch über den Semonow-Gletscher hinaus; denn man
findet dort noch in dessen oberem Teile die Zone der injizierten Schiefer (siehe die Karte).
Die dortige Breite dieses Zuges kann nur geschätzt werden; in dem Profil der Endzunge
(Profil II auf Taf. III) ist dieser quer zum Streichen ungefähr 700 m weit sichtbar oder
an dem Gehängeschutt zu erkennen; es ist aber sehr wahrscheinlich, daß er sich noch 200
bis 300 m weiter nach Norden unter dem Eis und den Moränen der Endzunge fortsetzt; so
mag seine Breite hier ungefähr 1 km betragen. Dies ist aber wohl auch seine größte Breite
innerhalb der Umrandung des Bayum-kol-Gletschers.
Die Zone der injizierten Schiefer, die diesen Granitzug im Norden begrenzt, ist nicht
so breit; ihre Grenzen sind aber nur an wenigen Stellen deutlich zu erkennen. Dennoch
kann man die Schiefer sowohl an der Beschaffenheit des Gehängeschutts als auch an. der
Zusammensetzung der Moränen in der Streichrichtung innerhalb der Umrandung der Bayum-
kol-Gletscher so weit verfolgen, als der Granitzug und sein Kontakt gegen die Sedimente
der zentralen Kette zu sehen ist.
Die petrographische Beschaffenheit der injizierten Schiefer ist in der Arbeit von Richarz
zu finden, und ich will deshalb hier nur die hauptsächlichsten Verhältnisse anführen:
In den Aufschlüssen, die zwischen dem Eis und den Moränen des westlichen Bayum-
kol-Gletschers an einigen Stellen vorhanden sind, finden wir ziemlich nahe dem nörd-
liehen Rande des Granitzugs zum größten Teil in losen Blöcken der Moräne, aber auch
anstehend, ein stark gepreßtes granitisches Gestein, dessen basische Gemengsteile in Lagen
angeordnet und in der Zersetzung begriffen oder schon zersetzt worden sind. Große an
den Rändern ausgezogene Feldspate liegen darin. Dieses Gestein gehört zum Granitzug;
es stimmt vollständig mit dem Gestein an der nördlichen Grenze des Granitmassivs im
oberen Bayum-kol-Tal überein. Zwischen der Stelle, wo es in den Moränen und unter
dem Eise des westlichen Bayum-kol-Gletschers vorkommt und dieser Grenze liegen nun
die injizierten Schiefer, die namentlich in der tiefen Furche des Baches aufgeschlossen sind,
der am nördlichen Rande des westlichen Bayum-kol-Gletschers entspringt. Es sind
hauptsächlich Kalk und Tonschiefer, die von Aplitgängen und Adern durchschwärmt werden
und so verändert worden sind, daß man mit blobem Auge kaum noch erkennen kann, daß
das Gestein ursprünglich ein Sediment gewesen ist. An einigen Stellen hat es eine deutlich
gneisähnliche Beschaffenheit angenommen; an anderen Stellen, dicht an der Grenze des
Granitmassivs des oberen Bayum-kol-Tals ist die Veränderung nicht so weit gegangen.
Wir können in der Zone der injizierten Schiefer drei verschiedene Glieder in petro-
graphischer Beziehung unterscheiden: nämlich erstens den Biotitglimmerschiefer, der haupt-
sächlich am nördlichen Rande des östlichen Bayum-kol-Gletschers dicht neben dem
19*
148
Granit des oberen Bayum-kol-Tals vorkommt (siehe Profil I auf Taf. IIT), zweitens das
grünliche, mürbe Gestein, das wir von der linken Seite der Endzunge des Gletschers kennen,
das auch in der Furche des westlichen Bayum-kol-Gletschers aufgeschlossen ist und zu
dem wahrscheinlich auch der Chloritknotenschiefer gehórt, den man in der rechten Ufer-
moräne der Endzunge findet, zuletzt die veränderten Kalke und Tonschiefer, die haupt-
süchlich am nórdlichen Rande des westlichen Bayum-kol-Gletschers, an der Grenze des
Granitmassivs des oberen Bayum-kol-Tals anstehen.
Obgleich es sehr wahrscheinlich ist, daß diese Angaben, die sich aus den bisherigen,
noch nicht erschöpfenden Beobachtungen und aus nur wenigen Aufschlüssen ergeben, die
ganze Verbreitung dieser Gesteine nicht ganz genau wiedergeben, so zeigen sie doch, daß
die Zone der injizierten Schiefer auf den beiden Seiten der Endzunge des Bayum-kol-
Gletschers verschieden zusammengesetzt ist; denn der Glimmerschiefer der rechten Talseite
scheint auf der linken zu fehlen, wogegen die veründerten Kalke und Tonschiefer auf der
rechten Seite kaum sichtbar sind.
Dies trifft zusammen mit einer gewissen Verschiedenheit der granitischen Gesteine
auf den beiden Seiten der Endzunge des Bayum-kol-Gletschers; es läßt sich darüber
heute zwar noch nichts ganz Bestimmtes sagen, es scheint aber, als hätte diese Verschieden-
heit der granitischen Gesteine ihren Grund in einem Altersunterschiede. Jedenfalls verlüuft
die südliche Grenze des Granitmassivs des oberen Bayum-kol-Tals nicht so regelmäßig,
wie die auf dessen nórdlicher Seite. Da ich sie aber wegen der starken Morünendecke und
wegen des Gehüngeschutts nicht genau verfolgen konnte, so habe ich es vorgezogen, sie
auf der geologischen Übersichtskarte geradlinig anzugeben.
Wir unterscheiden also im Hintergrunde des Bayum-kol-Tals, das ist in der zen-
tralen Kette und in der vor ihr im Norden liegenden Einsenkung der beiden Bayum-
kol-Gletscher in geologischer Beziehung die folgenden Glieder:
a) den kristallinischen Kalk der Kette, b) die Schiefer an ihrem nördlichen Fuße, die
bis zu der Mitte der Einsenkung reichen, c) den schmalen Granitzug in der nórdlichen
Hälfte der Einsenkung und d) die Zone der injizierten Schiefer an dessen nórdlichem Rande.
Wie wir gesehen haben kann man alle diese Glieder lüngs der ganzen Einsenkung der
beiden Bayum-kol-Gletscher annühernd verfolgen. Die kristallinischen Kalke der zentralen
Kette reichen über den Pik Nikolai Michailowitsch hinaus nach Osten und dies gilt
auch für die Schiefer vom nördlichen Fuß der Kette. Der schmale Granitzug in der nórd-
lichen Hälfte der Einsenkung ist noch in deren östlichen Umrandung sichtbar, ebenso die
Zone der injizierten Schiefer. Es ist aber unbekannt, wie weit sich diese beiden Glieder
noch darüber hinaus nach Osten erstrecken.) Dagegen kónnen wir sie nach Westen eine
beträchtliche Strecke weit verfolgen. Wir sehen den kristallinischen Kalk in der zentralen
Kette auch noch in deren hóchstem Gipfel, dem Pik Semonow, an dessen westlicher
Flanke zutage treten, wo auch die steile Stellung der Schichten noch deutlich sichtbar wird.
Von dort nimmt die zentrale Kette, wie aus der Skizze Figur XVI ersichtlich wird, unge-
fähr bis zum Meridian des Eissees, der den nördlichen Arm des Inyltschek- Gletschers
!) Ich möchte hiezu ergänzend bemerken, daß ich die gleichen Gesteine, in der gleichen Folge
weiter im Osten bei meinen Untersuchungen im Hintergrunde der Täler Saikal und Dondukol feststellen
konnte. G. Merzbacher.
149
absperrt, fast einen Kammverlauf in gerader Linie. Am nördlichen Fuße des Piks
Semonow breitet sich das dem Semonow- und dem Muschketow-Gletscher gemeinsame
große Firnbecken aus. Etwas weiter westlich hiervon erhebt sich aber zwischen den beiden
Gletschern, erst schmal dann aber nach Westen rasch breiter‘ und höher werdend, eine
Zwischenkette, die weiterhin den nördlichen Rand des Muschketow-Gletschers bildet.
Der nördliche Abfall dieser Kette ist ganz vereist, die südliche Seite dagegen ist von Eis
Pik-Semenow Khan-Tengri
Fig. XVI. Blick von der Mittelmoräne des oberen Semenow-Gletschers (4000 m) nach 8.8.0.
auf zentrale Kette.
< Granit der Zwischenkette, d Dolomit und dolomitischer, sowie kristallinischer Kalk des Khan-Tengri,
c kristallinischer Kalk der zentralen Kette, m Mittelmoräne des Semenow-Gletschers.
und Schnee in ihren unteren Teilen frei und man sieht, daß sie hauptsächlich aus grani-
tischen Gesteinen besteht. Diese Gesteine liegen nun genau in der westlichen Fortsetzung
des Granitzugs, den wir aus der nördlichen Hälfte der Einsenkung der beiden Bayum-kol-
Gletscher kennen gelernt haben. Obgleich wir diesen Zug von Osten her nur bis an den
schon mehrfach erwähnten wasserscheidenden Kamm, wo er unter Firn und Eis verschwindet,
verfolgen können, so ist es doch sehr wahrscheinlich, daß der Granit der eben besprochenen
Zwischenkette in Wirklichkeit seine westliche Fortsetzung ist, um so wahrscheinlicher, als
die Zone der injizierten Schiefer nördlich davon auch in der Umrandung des oberen
Semonow-Gletschers noch einmal sichtbar wird (siehe die geologische Karte).
In der zentralen Kette aber, die, wie gesagt, vom Pik Semonow fast in gerader
Linie nach W.S.W. verläuft, erheben sich noch drei oder vier gleichfalls über 6000 m
hohe Gipfel, die auf dessen Südseite dem oberen Muschketow-Gletscher einen prachtvollen
Rahmen verleihen. An den Flanken dieser Gipfel kann man an einigen Stellen, ähnlich
wie an der westlichen Seite des Piks Semono ws, beobachten, daß auch hier der kristal-
linische Kalk noch vorkommt und man erkennt auch deutlich, daß er steil steht. Es ist
also kaum ein Zweifel darüber, daß in der Tat der kristallinische Kalk vom Pik Nikolai
Michailowitsch her bis in diesen Teil der zentralen Kette und wahrscheinlich auch noch
weiter nach Westen reicht. Weiter westlich kenne ich das Gebirge bis in die Nähe des
Tüss-aschu-Passes nicht mehr; es trägt dort eine außerordentlich mächtige Eisdecke
und Merzbacher,t) der auch den unteren Teil der Umrandung des Muschketo w- Gletschers
gesehen hat, berichtet, daß an den nach Norden gerichteten Abhängen der linken Uferkette
des Muschketow-Gletschers kein anstehendes Gestein aus dem mächtigen Firn- und Eis-
1) Merzbacher, 1. c., S. 67.
150
mantel hervortritt; seine Angaben über die Zusammensetzung der Moränen lassen aber
erkennen, daß dort dieselben Gesteine wie in der südlichen Hälfte der Einsenkung des
Bayum-kol-Tals vorkommen: nämlich heller und dunkler kristallinischer Kalk, Phyllit
und Tonschiefer.
Daraus ergibt sich mit Sicherheit, daß sich der kristallinische Kalk der zentralen
Kette bis an den mittleren Teil des Muschketow-Gletschers verfolgen läßt, daß er auch
westlich vom Pik Semonow noch die sehr hohen Gipfel der Kette zusammensetzt, und
daß er nach den Beobachtungen Merzbachers wahrscheinlich auch noch weiter im Westen
vorkommt. Dasselbe gilt von dem aus Phyllit und Tonschiefer zusammengesetzten Streifen
am nördlichen Fuße der zentralen Kette; diese Bildungen sind aber westlich von der Ein-
senkung der Bayum-kol-Gletscher nur noch an wenigen Stellen sichtbar, weil sie dort
meist von Firn und Eis bedeckt werden. Man sieht sie nur noch in geringer Ausdehnung
auf der linken Seite des Muschketow-Gletschers.
Der in der nördlichen Hälfte der Einsenkung der Bayum-kol-Gletscher auftretende
Granitzug reicht also weit nach Westen; er bildet die Zwischenkette zwischen den oberen
Teilen des Semonow- und Muschketow-Gletschers und noch weiter im Westen die rechte
Uferkette dieses Gletschers, nimmt dabei vom Bayum-kol-Gletscher her nach Westen
bedeutend an Mächtiekeit zu.
Am deutlichsten zeigt sich dieses Anschwellen auch am Verlauf der Zone der injizierten
Schiefer, die, wie schon hervorgehoben, noch einmal in der Umrandung des oberen Semonow-
Gletschers sichtbar werden, dorten aber nördlicher liegen als am Bayum-kol-Gletscher.
Wenden wir uns nun zur Betrachtung der dritten Zone von Gesteinen nochmals zum
Bayum-kol-Tal, so vergegenwürtigen wir uns wieder unsern auf S. 136 erwähnten Stand-
punkt auf dem Bergsturz und erblicken hier nach Süden gewendet:
3. Das Granitmassiv des oberen Bayum-kol-Tals.
Die hauptsächlichsten Verhältnisse dieses Massivs hat Richarz in seiner Arbeit aus-
führlicher besprochen. Die hohen Teile der nördlichen Umrandung der beiden Bayum-kol-
Gletscher bestehen ganz aus den granitischen Gesteinen dieses Massivs, wogegen die unteren
Teile noch in der Zone der injizierten Schiefer liegen. Zunächst ist nochmals darauf hinzu-
weisen, daß die Gesteine des Massivs auf den beiden Seiten der Endzunge des Bayum-kol-
Gletschers nicht völlig miteinander übereinstimmen. Wie weit diese Verschiedenheit geht, hat
durch die petrographische Untersuchung leider nicht nachgewiesen werden können, da einige
von den Gesteinsproben, die ich auf der linken Seite der Endzunge gesammelt habe, abhanden
gekommen sind; sie ergibt sich jedoch auch schon bei makroskopischer Betrachtung. Der
Granit auf der linken Seite der Gletscherzunge ist reicher an basischen Gemengteilen, die
zum Teil in der Zersetzung begriffen sind, als der Granit auf der rechten Seite; der Feldspat
ist fleischrot, und die großen Einsprenglinge haben dieselbe Färbung. In dem Granit der
rechten Seite kann man dagegen die spärlichen basischen Gemengteile mit bloBem Auge
kaum erkennen, das Gestein hat eine lichtere Färbung und die großen Einsprenglinge des
Feldspats sind hellgrau.
Der Granit auf der linken Seite der Endzunge des Bayum-kol-Gletschers hat
äußerlich große Ähnlichkeit mit manchen granitischen Gesteinen der äußeren Gebirgszüge
und mit solchen auf der nördlichen Seite des Sary-dschass-Tau. Der Granit der rechten
151
Seite ist dagegen bisher nur in dem Massiv des oberen Bayum-kol-Tals sowie in dessen
westlicher Fortsetzung gefunden worden.
Die Zusammensetzung des Granitmassivs des oberen Bayum-kol-Tals ist im Profil I
auf Taf. III dargestellt; wir sehen, daß an den Rändern des ungefähr 5 km breiten Massivs
porphyrische Ausbildung vorhanden ist, die sich gegen das Innere des Massivs hin aber
bald verliert. Hier, wo das Gestein normalkörnig wird, nimmt der Plagioklas so an Be-
deutung zu, daß das Gestein als Tonalit bezeichnet werden kann.
Die südliche Grenze des Massivs bildet, wie schon gesagt wurde, die Zone der in-
jizierten Schiefer, nämlich auf der rechten Seite der Endzunge des Bayum-kol-Gletschers
Glimmerschiefer, auf der linken Seite stark veränderter Kalk und Tonschiefer. Nur in der
Tiefe des Einschnittes des Bayum-kol-Tals sieht man die scharfe Grenze zwischen den
injizierten Schiefern und den granitischen Gesteinen; in der Hóhe ist sie dagegen an den
Gehüngen meist durch Morüne und Schutt bedeckt. Soweit sie verfolgt werden kann, zeigt es
sich, daß sie den Schichtflächen der Schiefer und sehr wahrscheinlich auch im Allgemeinen
deren Streichen folgt; noch deutlicher ist dies der Fall am nórdlichen Rande des Massivs.
Hier grenzen die granitischen Gesteine an Tonschiefer und Phyllit, die durch die Kontakt-
metamorphose stark verändert worden sind; ihre Grenzfläche ist den Schichtflüchen der
Sedimente parallel und folgt daher deren Streichrichtung, die O.N.O. bis O.W. ist. Nach
dieser Richtung kann man sie von einem hochgelegenen Punkte innerhalb des Massivs
eine beträchtliche Strecke weit auf beiden Seiten des Bayum-kol-Tals überblicken.
Nur im Profil betrachtet, erscheint das granitische Massiv des oberen Bayum-kol-
Tals wie ein müchtiger Lagergang, der dem Streichen und Fallen der umgebenden Sedi-
mente auf beträchtliche Entfernung folgt. Wir wollen aber schon hier bemerken, daß der
Granitzug in der Einsenkung der beiden Bayum-kol-Gletscher, wie die petrographische
Untersuchung lehrt, ohne Zweifel zu dem Massiv des oberen Bayum-kol-Tals gehört,
ganz abgesehen von den Gründen, die wir dafür in den tektonischen Verhältnissen finden
und in dem Umstand, daß die granitischen Massen nach Westen breiter werden und an
Mächtigkeit bedeutend zunehmen.
4. Die Schieferzone des Bayum-kol-Tals.
An der nördlichen Grenze des Granitmassivs kommen wir in die vierte große Zone, die
wir in der Umgebung des Bayum-kol-Tals unterschieden haben: nämlich in die mächtige
Schichtenfolge von Phyllit, Tonschiefer, amphibolitartigem Gestein, Gneis und Dolomit.
Diese Zone ist im Bayum-kol-Tal sehr breit; sie reicht von der Mitte des oberen
bis zu der Mitte des mittleren Talabschnitts und sie wird im Norden, wie wir gesehen
haben, von einem Granitmassiv, das schon als ein Teil des südlichen Granitzugs der äußeren
Gebirgszüge angesehen werden muß, begrenzt.
Das Profil I auf Tafel III zeigt, daß wir in dieser Schieferzone mehrere Glieder
unterscheiden kónnen, und zwar von Süden nach Norden, in der folgenden Anordnung:
a) in der nördlichen Hälfte des oberen Bayum-kol-Tals Phyllit und Tonschiefer, b) an
der Grenze des oberen und mittleren Talabschnitts einen Streifen von amphibolitartigem
Gestein, begleitet von grünlichem Phyllit, von hochkristallinischem Schiefer und Gneis,
c) zwei Züge von Crinoideendolomit, die durch ein 1 km breites Granitmassiv getrennt
werden. zuletzt d) nochmals einen breiten Streifen von Phyllit und Tonschiefer.
152
Die verschiedenen Glieder der Schieferzone haben verschiedenes Alter; sie gehören
zum Teil zu der Phyllitsruppe, zum Teil zu der Gruppe der Tonschiefer des zentralen
Tian-Schan; sie haben also paläozoisches Alter und sind jedenfalls alle älter als der
unterkarbonische Kalk. Einige davon fallen durch ihre petrographische Beschaffenheit und
durch ihre Färbung so auf, daß man sie leicht im Streichen verfolgen und auch dorten
wieder erkennen kann, wo sie vom Bayum-kol-Tal schon weit entfernt vorkommen. Wir
finden z. B. denselben Tonschiefer, der im Bayum-kol-Tal in der nördlichen Hälfte des
oberen Talabschnitts ansteht, weiter im Westen auf der linken Seite des oberen Sary-
dschass-Tals wieder, und der grünliche Phylht und das amphibolitartige Gestein ist am
Aschu-tör-Paß und noch weiter westlich auf der rechten Seite des Sary-dschass-Tals
auch sichtbar. Dort ist die Reihenfolge der verschiedenen Glieder der Schieferzone, soweit
sie aufgeschlossen sind, dieselbe wie im Bayum-kol-Tal. Dies ergibt sich sogleich, wenn
wir den Verlauf der Tonschiefer und des amphibolitartigen Gesteins verfolgen und dieses
Profil des oberen Bayum-kol-Tals mit dem Profil des oberen Sary-dschass-Tals ver-
gleichen (s. Profil XII auf Taf. IV).
Wir wollen zunächst die Gruppe der Sedimente betrachten, die wir unter a) zusammen-
gefaßt haben.
Im oberen Teile des Bayum-kol-Tals sieht man darin an der Grenze des oberen Granit-
massivs alle Zeichen der Kontaktmetamorphose. Dicht am Granit beobachtet man Hornfels,
dann etwas davon entfernt Fleckschiefer, zuletzt Knotenschiefer. Die Regelmüfigkeit dieser
Erscheinungen im Ganzen wird nur ein wenig dadurch gestört, daß der Granit zum Teil
in mächtigen Apophysen in den umgebenden Mantel der Tonschiefer eingedrungen ist.
Man kann nun ganz deutlich beobachten, daß die kristallinische Beschaffenheit der Schiefer
in dem Maße abnimmt, als die Entfernung von der Grenze des Granitmassivs zunimmt.
Zuerst sieht man, wenn man den eigentlichen Kontakthof verlassen hat, stark veränderte
Schiefer: Quarzphyllit und Phyllit, und fast jedes Stück, das man anschlägt, hat auf den
Schichtflächen einen dichten Überzug von Glimmer. Diese Beschaffenheit verliert sich
ungefähr 2 km vom Massiv entfernt mehr und mehr nach Norden und das Gestein ist nun
ein harter plattiger, fast schwarzer oder ein blüttriger, weniger fester, dunkelgrauer Ton-
schiefer, der sich auf den Schutthalden zum Teil mit einer braunen Verwitterungsrinde
bedeckt. An einigen Stellen zeigen sich, eingeschaltet in den Tonschiefer, Quarzit und
Quarzitschiefer. Dies bleibt so bis in die Nähe des grünlichen Phyllits am nördlichen
Ende des oberen Bayum-kol-Tals. In den Tonschiefern eingelagert findet man an mehreren
Stellen, namentlich auf der linken Seite des Tals einen feinkörnigen, grauen oder grau-
grünen, stark gepreßten Granit und Gneisgranit, dessen Verbindung mit dem Tonschiefer
der starken Schuttdecke und der Moränen wegen aber nicht erkannt werden kann.
Ganz dieselben Verhältnisse beobachten wir im oberen Teile des Sary-dschass-Tals.
Nur finden wir dort unmittelbar am Kontakt gegen das Granitmassiv des Semonow-Gletschers
an Stelle von kristallinischem Schiefer einen schmalen Streifen von metamorphem Kalk.
Nach Norden folgt darauf zuerst die Zone der Tonglimmerschiefer, dann die der dunklen
und grauen Tonschiefer, worin auch hier wie im Bayum-kol-Tal Granit vorkommt.?)
1) Friederichsen, l.c., S. 131 und 274.
153
Das zweite Glied der Schieferzone, das wir mit b) bezeichnet haben, bildet eimen viel
schmäleren Streifen, als die Phyllite und Tonschiefer südlich davon. Die Breite dieses
Streifens beträgt im Bayum-kol-Tal ungefähr 300 bis 350 m; aber die Tatsache, daß
diese Bildungen, hauptsächlich grünlicher Phyllit und amphibolitartiges Gestein, auch im
Sary-dschass-Tal in derselben Lage zu den Phylliten und Tonschiefern wie im Bayum-
kol-Tal vorkommen, zeigt, daß diese Bildungen ein selbständiges Glied der ganzen Schiefer-
zone sind. Im Bayum-kol-Tal ist die Zusammensetzung dieses Streifens wegen der alten
Moräne, des Gebirgsschuttes und der dichten Vegetation nur sehr schwierig zu verfolgen;
es zeigt sich aber dennoch, daß er aus verschiedenen Bildungen besteht. Man findet dort
die folgenden Verhältnisse:
Der obere Teil des Bayum-kol-Tals wird nach Norden durch einen Felsriegel ab-
geschlossen, der aus grünlichem Phyllit besteht und vom Flusse in einem engen Einschnitt
durchbrochen worden ist.) Hinter diesem Riegel kommt man, auf der rechten Talseite
gegen Norden gehend, an alte Moräne und Schutt, auf der linken Seite auf einen Berg-
sturz, der dort einen großen Teil des Gehänges verdeckt. Ungefähr 300 m nördlich von
dem Riegel hat sich der Bayum-kol-Fluß zum zweiten Male in gefestigte alte Moräne und
anstehendes Gestein eingeschnitten. Bis hierher ungefähr reicht die Serie der Bildungen,
die wir unter b) zusammenfaßten.
Auf dieser Strecke also finden wir von Süden gegen Norden zuerst den grünlichen
Phyllit, begleitet von weichen, blättrigen chloritischen Schiefern, sodann ein grünliches,
zunächst noch schieferiges Gestein, das aber immer dichter wird und in unregelmäßigen,
kantigen Stücken springt. In diesem Gestein zeigen sich die ersten Vorkommnisse von
Gabbro, der in Lagergängen auftritt. Weiter im Norden sind die Schutthalden so mächtig,
daß man, wenigstens im unteren Teile des Gebirges, die Art der Verbindung des Gab-
bros mit den übrigen ihn umgebenden Bildungen nicht mehr mit Sicherheit erkennen
kann. Noch weiter talabwärts stehen Glimmerschiefer und gneisähnliche Schiefer an,
sodann Gneis; dieser reicht bis an den zweiten, oben erwähnten Einschnitt des Bayum-
kol-Flusses (siehe Profil I).
Im Sary-dschass-Tal dagegen zeigt sich nur der südliche Teil dieser Schichtenfolge,
nämlich nur der grünliche Phyllit und das amphibolitartige Gestein. An der Stelle, wo
das Kara-kol-Tal in das Sary-dschass-Tal mündet, sieht man (siehe Profil Fig. XIT),
in dem breiten Schotterbett des Sary-dschass nach Norden gehend, an den unteren
Teilen des Gebirges auf der rechten Talseite einige Rundhöcker, die aus grünlichem
Phyllit bestehen, darauf bis zu der Höhe des Gehänges alte Moräne, dann nochmals eine
Strecke weit grünlichen Phyllit und den weichen blättrigen, chloritischen Schiefer,
zuletzt in der Furche eines von Norden kommenden, hängenden Seitentales das amphibolit-
artige Gestein. Sobald man dieses erreicht, verliert sich die deutliche Schichtung. Obgleich
es mir nicht gelungen ist hier ein basisches Eruptivgestein, wie im Bayum-kol-
Tal zu finden, so besteht für mich doch kaum ein Zweifel darüber, daß das amphibolitartige
Gestein daraus hervorgegangen, aber fast bis zur Unkenntlichkeit verändert und zersetzt
worden ist. Noch weiter nach Norden stößt man erst auf einen schmalen Zug von Granit
1 Merzbacher, l. c., S. 8.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt. 20
N
154
und darauf auf unterkarbonischem Kalk, der mit mäßiger Neigung nach Norden einfällt
und sich weit und breit nach Westen, Norden und Osten ausdehnt.
Es bleibt nun noch ein Sediment zu erwähnen, dessen stratigraphische Stellung nicht
sicher zu ermitteln ist, dessen weite Verbreitung an der Grenze von Tonschiefer und grün-
lichen Phyllit (b) aber zeigt, daß es eine gewisse Bedeutung hat. Es ist dies das schon
bei der Besprechung der paläozoischen Sedimente (S. 106) erwähnte Quarzitkonglomerat.
Dieses Konglomerat ist im Sary-dschass-Tal, an der Stelle, wo sich der Sary-dschass
und der Kara-kol vereinigen und weiter im Osten im Kara-kol-Tal auf der rechten Talseite
nahe am Flußbett nur wenig mächtig aufgeschlossen. Man sieht es zwischen Tonschiefer
und grünlichem Phyllit auch auf der westlichen Seite des Aschu-tör-Passes, und es
kommt außer in den früher erwähnten Örtlichkeiten auch im Bayum-kol-Tal vor. Dort
habe ich es aber nicht anstehend, sondern nur in Blöcken auf den Schutthalden am nörd-
lichen Ende des oberen Talabschnittes gefunden. Das Konglomerat ist deshalb interessant,
weil überall seine Gerölle stark deformiert sind und das ganze Gestein verändert ist. Dadurch
unterscheidet es sich von den ähnlichen Konglomeraten an der Basis des unterkarbonischen
Kalks, deren Gerölle unverändert sind. In Anbetracht der weiten Verbreitung dieser Kon-
glomerate ergibt sich hieraus, daß die Veränderung des Konglomerates an der Grenze von
Phyllit und Tonschiefer schon vor der unterkarbonischen Transgression erfolgt sein muß.
Wir wenden uns nun zur dritten Gruppe von Sedimenten, die die Schieferzone des
Bayum-kol-Tals zusammensetzen, nämlich zu (c) den beiden Zügen von Crinoideendolomit.
Nördlich vom erwähnten zweiten engen Einschnitt des Bayum-kol sieht man noch
eine Strecke weit talabwärts Gneis; dann kommt eine Schutthalde, die die Grenze zwischen
Gneis und dem darauffolgenden Dolomit verdeckt. Zusammensetzung und Bau des nächsten
talabwärts folgenden Stückes der rechten Talseite sind am besten auf der Skizze Figur XVII
zu erkennen (dazu Profil D. Man bemerkt dort von Süden nach Norden zunächst ein
breites steil abfallendes Band des Dolomits, das schrüg den Hang hinaufzieht. Die Bünke
des Dolomits fallen steil nach Süden ein: sie werden talabwürts durch Glimmerschiefer
begrenzt, der allmählich in Gneisgranit übergeht; dann folgt der Kern eines ungefähr 1 km
/ ab, $
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Fig. XVII. Talboden des mittleren Bayum-kol-Tals (rechte Talumrandung) von der linken Seite
gegen 0.S.O. gesehen.
gr präkarbonischer Granit, an den Rändern Gneisgranit, gn Gneis, p Phyllit und amphibolitartige
Gesteine, m Gabbro, c karbonische Kalke, d Dolomit, s Tonschiefer und Phyllit, Adinole und Hornfels.
Streichen O.W. bis O.N.O. Fallen steil nach Süd oder senkrecht.
155
breiten Granitmassivs, das aus Biotitgranit besteht. Der nördliche Rand dieses Massivs
zeigt wieder Gneisstruktur; nochmals wie an dessen äußersten südlichen Saume zeigt sich
Glimmerschiefer und darauf das zweite senkrecht stehende Band des Dolomits. Das Streichen
des Dolomits ist hier 80" O. N.O. bis O.W. Die petrographische Untersuchung hat ergeben,
da& der vom Dolomit eingeschlossene Granit dieselbe Zusammensetzung und Beschaffen-
heit zeigt wie der Biotitgranit in der nördlichen Hälfte des mittleren Bayum-kol-Tals, der
zu den prükarbonischen Graniten der äußeren Gebirgszüge zu zählen ist. Wenn man nun
die Grenzzone dieses Granitmassivs gegen den nórdlich darauffolgenden Dolomit genauer
untersucht, so zeigen sich zwischen dem Glimmerschiefer am äußersten Saume des Massivs
und dem Dolomit zunächst noch etwas Phyllit und feinblättriger graugrüner Tönschiefer, die
mit dünnplattigem dolomitischem Kalk wechsellagern und im Ganzen nur wenig müchtig
sind, weshalb ich sie in das Profil nicht eingezeichnet habe. Dann erst folgt der massige,
zum Teil in dicken Bänken abgelagerte Dolomit. Mitten darin findet man aber wieder grau-
grünen Tonschiefer mit plattigem, dolomitischem Kalk wechsellagernd und dann am nórd-
lichen Rande des Dolomitbandes nochmals denselben Wechsel und einen allmählichen Über-
gang in die weiter talabwürts folgenden Phyllite und Tonschiefer.
Damit kommen wir zu dem letzten, am weitesten im Norden liegenden Stücke (d)
der Schieferzone des Bayum-kol-Tals, welche vom petrographischen Gesichtspunkt aus
in der Abhandlung von Rieharz erläutert wird. Ich möchte hiezu noch hervorheben, daß
an der Grenze gegen den nördlich folgenden präkarbonischen Granit Zeichen der Kontakt-
metamorphose in Gestalt von Hornfels und Adinolen deutlich sichtbar sind; auch Aplit
findet man in den Schiefern.
Im Sary-dschass-Tal haben wir nur den südlichen Teil der Schieferzone, den
Phyllit und Tonschiefer, den grünlichen Phyllit und das amphibolitartige Gestein getroffen.
Wie wir gesehen haben, folgt auf der rechten Seite des oberen Sary-dschass-Tals darauf
zuerst Granit, dann unterkarbonischer Kalk. Wir finden dort weder den Gneis, noch den
Dolomit, noch den Phyllit und Tonschiefer. Um dieses Verhältnis zu erklären, müssen
wir nochmals einen Blick auf Profil (Figur VI S. 111) werfen: Durch mehrfache Beobach-
tungen hat sich ergeben, daß der grünliche Phyllit mit den amphibolitartigen Gesteinen
von Osten her über den Aschu-tör-Paß, längs der rechten Seite des Kara-kol- und des
Sary-dschass-Tals bis in die Gegend des Kaschka-tur-Passes streichen; sie bilden auf
dieser ganzen Strecke (siehe die. Karte) einen zusammenhüngenden, zwar schmalen, aber
geschlossenen Zug, der im Kara-kol- und im Sary-dschass-' Tal orographisch dadurch
deutlicher hervortritt, da& dort die unmittelbar südlich davon liegenden Tonschiefer durch
die Erosion entfernt worden sind und sich an ihrer Stelle das ungemein breite Schotterbett
des Sary-dschass ausdehnt. Etwas talaufwürts vom Kaschka-tur-Paß sieht man nun,
daß der Phyllitzug der rechten Talseite an quer zum Streichen gerichteten Verschiebungen
mehrere Male nach Norden zurückweicht, so daß der mit alter Moräne bedeckte Talboden
des Sary-dschass rechtwinklig in die Talwand vordringt und dadurch rasch breiter wird.
Der Phyllitzug der rechten Talseite ist also durch große quer zum Streichen gerichtete
Verschiebungen in mehrere Stücke zerschnitten worden (siehe auch S. 107) und diese Stücke
liegen so, daß die rechte Talwand talaufwürts vom Kaschka-tur-PaB, im Grundriß
gesehen, wie eine Treppe aussieht, wodurch das am weitesten im Westen gelegene Stück
auch am weitesten im Norden liegend erscheint. Ungefáhr 5 km talabwürts vom Kaschka-
20*
156
tur-Paß endigt nun im Sary-dschass-Tal das letzte Stück des Phyllitzuges, indem es unter
unterkarbonischem Kalk verschwindet und dieser Kalk bildet von nun an weiter im Westen
die rechte Talseite.!) An diesem letzten Phyllitstück sieht man nun sehr deutlich die trans-
gressive Lagerung des unterkarbonischen Kalks nahe am Kaschka-tur-Paß. Wir finden
dort, wie Profil Fig. VI zeigt, die folgenden Verhältnisse: Der grünliche Phyllit mit dem
amphibolitartigen Gestein steht auch hier wie weiter talaufwärts und wie im Bayum-kol-
Tal fast senkrecht oder fällt unter einem sehr steilen Winkel nach Süden ein. Vom Bett des
Sary-dschass-Flusses nach Norden gehend sehen wir zuerst am Talboden von alter Moräne
umgeben einen Rundhöcker aus grünlichem Phyllit, darauf in der rechten Talwand, ein-
geschaltet in diesen Phyllit, schmale Züge von Gneis und grauwackenähnlichem Gestein,
das Bruchstücke von Quarz und Feldspat enthält. Die Wand ist in der Höhe der Talseite
fast eben abgeschnitten. Begibt man sich dorthin, so hat man vor sich im Norden eine
fast horizontale, mit Schutt bedeckte Hochfläche, die in dem südlichen Rande des Gürtels
der Denudationsflächen liegt, den wir bei Besprechung des südlichen äußeren Granitzugs
kennen gelernt haben. Hier ist in der Nähe des Sary-dschass-Tals wie auch weiter
östlich (siehe Profil XII) nur ein Stück davon erhalten; die Hochfläche ist nur schmal, sie
endigt nach Norden an einem Abbruch, an dessen steilem Abfall horizontal liegende Bänke
von unterkarbonischem Kalk ausstreichen. Der Kalk führt Productus giganteus und
an seiner Basis sieht man ein Konglomerat, dessen Gerölle in der Linie des Profiles über
dem Phyllit hauptsächlich aus Quarzit, daneben aus Phyllit, Tonschiefer, Gneis und stark
zersetzten granitischen Gesteinen bestehen. Demnach kann kein Zweifel darüber herrschen,
daß in diesem Konglomerat eine Reihe von Gesteinen vorkommt, die aus den Äquivalenten
der Schieferzone des Bayum-kol-Tals stammen: und damit ist bewiesen, daß die
Sedimente dieser Schieferzone, wenigstens die des südlichen Teils — nur diese
sind im Sary-dschass-Tal sichtbar — älter sind als unteres Karbon, und dass
diese Sedimente schon disloziert waren, als die Transgression vor sich ging.
Es bleibt nun noch zu entscheiden, ob dies auch für den nördlichen Teil der
Schieferzone zutrifft. Die eben besprochenen Verhältnisse lassen mit voller Deutlichkeit
erkennen, daß im Meridian des Kaschka-tur-Passes in der Tat nur die südliche Hälfte der
Schieferzone zutage tritt. An Stelle des nördlichen Teils finden wir dagegen den unter-
karbonischen Kalk in transgressiver Lagerung, und weiter im Westen verschwindet der
Phyllit ganz darunter. Wenn wir die Höhen vergleichen, die der Phyllit und der unter-
karbonische Kalk auf der rechten Seite des Kara-kol- und des Sary-dschass-Tals auf
einer dem Streichen folgenden Linie erreichen, so finden wir, daß sie von Osten nach
Westen stetig abnehmen. Am Aschu-tör-Paß liest der Phyllit mehr als 4200 m hoch,
an der Stelle, wo sich der Kara-kol mit dem Sary-dschass vereinigt, erreicht er 4000 m,
am Kaschka-tur-Paß nur 3700 m, und weiter im Westen finden wir an der Stelle,
wo der Phyllit verschwunden ist, den unterkarbonischen Kalk am Talboden des Sary-
dschass schon bei 3000 m Höhe. Von Osten, von der Gegend des Aschu-tör-Passes
beginnend, versinkt also der Phyllitzug mehr und mehr gegen Westen und in dem Maße,
wie dies geschieht, verschmälert er sich, und der unterkarbonische Kalk greift über ihn
hinweg bis an den Rand des Sary-dschass-Tals. Dies Versinken geht aber nicht all-
!) Siehe Merzbacher, 1l. e., S. 22.
157
mählich und beständig, sondern sprungweise an den quer zum Streichen gerichteten Ver-
schiebungen vor sich. Es sind dies die gleichen Verschiebungen, an denen plötzlich die
hauptsächlich aus granitischen Gesteinen bestehenden Ketten zwischen dem Sary-dschass-
und dem Adür-tör-Tal auf der rechten Seite des Adür-tór endigen (S. 96).
Nach Osten ist der Phyllitzug der rechten Seite des Sary-dschass-Tals über den
Aschu-tór-Pa& hinaus noch eine beträchtliche Strecke weit sichtbar, weiter östlich aber
ist das Gebirge in der Fortsetzung seiner Streichrichtung unbekannt (siehe die Karte).!)
Auf der östlichen Seite des Passes sieht man in der tiefen, von Süden nach Norden
verlaufenden Furche des obersten Teils des Aschu-tór-Tals in südlicher Richtung die
dunklen Gesteine der Schieferzone; unmittelbar nördlich vom Passe zeigen sich aber in
dieser Furche mächtige, ausgedehnte Massen von lichtem, ziemlich kristallinischem Kalk. Ich
habe in ihm zwar keine bestimmbaren Fossilien gefunden, doch liegt dieser Kalk direkt
in der Streichrichtung des unterkarbonischen Kalks, der im Kara-kol-Tal auf der nörd-
lichen Seite des Phyllitzugs durch Granit im Kontakt veründert worden ist und gleicht
ibm vollständig, sodaß kein Zweifel darüber aufkommen kann, daß er unterkarbonisches
Alter hat, wenn auch das verbindende Stück zwischen ihm und dem als unterkarbonisch
bekannten Kalk des Kara-kol-Tals nicht genauer geprüft wurde. Verfolgt man diesen
das oberste Aschu-tór-Tal auf mehrere Kilometer umrandeuden Kalk quer zu seinem
Streichen, so sieht man an der Stelle, wo dieses Tal aus der S.N.-Richtung nach N.O.
umbiegt auf der rechten Talseite den Kalk nach Osten fortsetzen, auf der linken Seite
dagegen eine beckenartige Erweiterung, an deren südlichem Rande der Kalk steil abbricht.
Weiter talabwürts wird zuerst eine nach O.N.O. streichende Zone von Tonschiefer und
Phyllit sichtbar, dann granitisches Gestein, nämlich Granitgneis und Granit. Die Grenze
zwischen den granitischen Gesteinen und den Sedimenten verläuft in der allgemeinen
Streichrichtung nach O.N.O. und es zeigt sich, wenn man den Granit noch weiter talab-
wärts verfolgt, daß er mit dem Granit der nördlichen Hälfte des mittleren Bayum-kol-
Tals zusammenhängt. Dies ergibt sich auch aus der petrographischen Untersuchung.
Petersen?) hat die Proben untersucht, die Friederichsen von dem Gneis und Granit
im Aschu-tör-Tal gesammelt hat; es ist ein Biotitgranit, der seiner Beschreibung nach
vollständig mit dem Granit des nördlichen Teils des Bayum-kol-Tals übereinstimmt, also
auch präkarbonisches Alter haben und zu dem südlichen Granitzug der äußeren Gebirgs-
züge des nördlichen zentralen Tian-Schan gehören dürfte.
Die Phyllite und Tonschiefer, die wir weiter südlich im Aschu-tör-Tal antreffen,
liegen in der westlichen Fortsetzung des Streichens des nördlichen Teils der Schieferzone
des Bayum-kol-Tals; sie stoßen, wie schon angedeutet, unmittelbar an die Kalkzone des
Passes an, wo diese eine Höhenlage von 33—3500 m erreicht.
Fassen wir diese Tatsachen zusammen, so ergibt sich das folgende Bild: Westlich
vom Kaschka-tur-Pa& verschwindet das grünliche Phyllit der rechten Seite des Sary-
dschass-Tals und an seiner Stelle reicht der unterkarbonische Kalk bis an den Rand des
!) Hiezu möchte ich bemerken, daß nach meinen späteren Beobachtungen bei Durchforschung der
östlicher liegenden Quertäler Klein Musart, Saikal und Dondukol dort in der Tat die Phyllitmassen einen
immer breiter werdenden Gürtel bilden, der im großen Musart-Tal seine größte Breite gewinnt.
G. Merzbacher.
2) 1. ce, S. 274.
158
Sary-dschass-Tals, wo er in Höhen von 3000— 3300 m liest. Am Kaschka-tur-Paß
liegt er 3500 m hoch in transgressiver Lagerung auf dem letzten im Westen sichtbaren
Stück des Phyllitzugs; noch weiter im Osten erreicht der Phyllit eine Höhe von 4000 m,
und auf seiner nördlichen Seite sieht man, durch einen Granitzug davon getrennt, den unter-
karbonischen Kalk, dessen Bänke unter Winkeln von 30—40° nach Norden einfallen und
Gipfel von über 4000 m Höhe zusammensetzen. Westlich vom Aschu-tör-Paß finden sich
im Kara-kol-Tal ganz ähnliche Verhältnisse (Profil Fig. XII): der unterkarbonische Kalk
ist durch Granit im Kontakt verändert worden und seine Schichten stehen steil. Dies
bleibt so bis zum Meridian des Aschu-tór-Passes. Auf dieser ganzen Strecke vom
Kaschka-tur-Paß her bildet der unterkarbonische Kalk einen zusammenhängenden breiten
Streifen auf der Nordseite des Phyllitzugs und verdeckt die Sedimente des nördlichen Teils
der Schieferzone des Bayum-kol-Tals; weiter im Westen überdeckt er auch ein Stück
des südlichen Teiles dieser Zone, liest dann transgressiv darauf, lehnt sich weiter östlich
mit mäßig nach Norden einfallenden Bänken daran und steht schließlich im Kara-kol-Tal
und nördlich vom Aschu-tör-Paß steil, sodaß dort die Diskordanz zwischen ihm und dem
älteren Phylht verwischt wird. Auf der östlichen Seite des Aschu-tör-Passes bricht er
an von Norden nach Süden gerichteter Linie steil ab und weiter östlich erscheinen, noch
zum Teil in der Fortsetzung seines Streichens, die Phyllite und Tonschiefer des nördlichen
Teils der Schieferzone des Bayum-kol-Tals, die im Aschu-tör von denselben präkar-
bonischen Biotitgranit wie im mittleren Bayum-kol-Tal im Norden begrenzt werden.
Weder im Sary-dschass-, noch im Kara-kol-Tal, noch am Aschu-tör-Paß sieht man
den Crinoideendolomit des mittleren Bayum-kol-Tals oder sonst ein Stück des nördlichen
Teils der Schieferzone. Erst dort, wo der unterkarbonische Kalk nicht mehr vorhanden
ist, wie in dem mittleren Teile des Aschu-tör-Tals, kommt diese Gruppe wieder zum
Vorschein.
Bei Besprechung des Phyllitzugs der rechten Seite des Sary-dschass-Tals habe ich
S. 155 hervorgehoben, daß dieser Zug in der Nähe des Kaschka-tur-Passes von großen,
quer zum Streichen gerichteten Verschiebungen in mehrere Stücke zerschnitten worden ist.
Man erkennt dieses Verhältnis, wie schon erwähnt wurde, auch an den verschiedenen Höhen,
die der unterkarbonische Kalk auf einer im Streichen des Phyllitzugs liegenden Linie einnimmt.
Diese Verschiebungen haben in der Umgebung des Sary-dschass-Tals eine große Bedeu-
tung für den Bau des Gebirges; sie haben nicht nur den Phyllit und den unterkarbonischen
Kalk der rechten Talseite betroffen, sondern sie reichen noch weiter nach Süden. Die große
beckenartige Erweiterung des Sary-dschass-Tals, die im Osten etwas talaufwärts von der
Mündung des Adür-tór-Flusses also ungefähr da beginnt, wo die Verschiebungen in der
Nähe des Kaschka-tur-Passes so deutlich hervortreten, ist hauptsächlich dadurch ver-
ursacht worden,!) daß ein großes Stück des südlichen Teils der Schieferzone sowie des
im Süden daran grenzenden granitischen Massivs (siehe S. 96 und 156), das in der west-
lichen Fortsetzung des Bayum-kol- und des Semonow-Massivs liegt, an diesen Ver-
schiebungen abgesunken ist.
Aber auch im Osten zeigen sich diese Verschiebungen; schon die verhältnismäßig
tiefe Lage des unterkarbonischen Kalks im Aschu-tór-Tal östlich vom Aschu-tór-Paf,
!) Merzbacher, 1. c., S. 22.
159
an einer Stelle, wo wir eigentlich den nördlichen Teil der Schieferzone des Bayum-kol-
Tals sehen müßten, und der steile Abbruch des Kalks längs eier von Norden nach
Süden verlaufenden Linie, lassen darauf schließen, daß hier Verschiebungen vorhanden sind.
Wir sehen aber ihre Anzeichen auch im mittleren Teil des Bayum-kol-Tals.!) Die
Spuren einiger Querverschiebungen lassen sich an der steilen, gegen das Tal abfallenden
Wand des nördlichen Dolomitbandes erkennen. Zwei von diesen Verschiebungen sind be-
sonders deutlich bis in das im Süden folgende Granitmassiv zu verfolgen. Dies würde
aber noch nicht beweisen, daß den Verschiebungen eine größere Bedeutung zukommt.
Bei der Vergleichung der beiden Talseiten zeigt es sich jedoch, daß die verschiedenen
Bildungen der rechten Talseite nicht in der geraden Fortsetzung des Streichens auf die
linke Seite hinüberreichen, sondern daß sie dort sowohl in horizontaler als auch in verti-
kaler Richtung verschoben worden sind. Wie groß das Maß der Verschiebungen ist, habe
ich aber wegen der mächtigen alten Moränendecke und der dichten Vegetation bei der
Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit nicht bis ins einzelne feststellen können
und deshalb wurden sie auch in der Karte nicht berücksichtigt. Soviel scheint mir aber
gewiß, daß der ganze mittlere Teil des Bayum-kol-Tals in einer Zone dicht nebeneinander
liegender, quer zum Streichen gerichteter Verschiebungen liegt.
Aus allen diesen Beobachtungen ergibt sich nun, daß in der Schiefer-
zone des Bayum-kol-Tals, von dort bis zum Kasckka-tur-Paß und wahrschein-
lich auch noch darüber hinaus nach Westen eine Anzahl quer zum Streichen
verlaufender Störungen vorhanden ist,. welche die Schieferzone in Stücke
zerschnitten haben, und daß über den tiefer liegenden Stücken an vielen
Stellen der unterkarbonische Kalk in transgressiver Lagerung erscheint.
Hiedurch wird aber noch nicht genügend erklärt, warum einzelne Glieder der Schiefer-
zone, wie deren südlicher Teil, und in einem gewissen Grade auch der grünliche Phyllit
auf eine lange Strecke sichtbar sind, während der nördliche Teil an den meisten Stellen
durch den unterkarbonischen Kalk verdeckt wird. :
Wir haben schon bei der Besprechung des graublauen Tonschiefers des Kasckka-
tur-Passes (S. 107). den wir als eines der jüngsten Glieder der palüozoischen Schieferserie
betrachten, gesehen, daß dieser Tonschiefer westlich vom Kaschka-tur-Paß, in dem
oberen Teile des Kubergantü-Tals, zusammen mit dem basalen Konglomerat des unter-
karbonischen Kalks durch eine Anzahl staffelfórmig auftretender Längsbrüche zerschnitten
worden ist. Ich habe diese Brüche nach Westen nicht weiter verfolgt; nach Osten sieht
man sie eine Strecke weit über den Kaschka-tur-Paß hinaus; noch weiter östlich ist
aber das Gebirge eine Strecke weit bisher nicht genauer untersucht worden. Wir haben
zunächst die Tatsache zu berücksichtigen, daß die Schieferzone des mittleren Bayum-
kol-Tals schon zu den äußeren Gebirgszügen gehört, wo, wie wir wissen, die Granit-
massive stark abgetragen und die Sedimente disloziert waren, als die unterkarbonische
Transgression vor sich ging. In diesem Teile des zentralen Tian-Schan, der also ein
heute noch sichtbares Stück àus dem Rumpfe eines sehr alten Gebirges darstellt, erkennen
wir, wenn wir von den Stauchungen und flexurartigen Verbiegungen, die der unterkar-
bonische Kalk zwischen den alten Granitmassiven erlitten hat, absehen, die Wirkung der
1 Merzbacher, l. c., S. 8.
160
späteren gebirgsbildenden Bewegungen hauptsächlich in den sehr häufigen und oft sehr
großen Brüchen. Unter diesen Brüchen haben namentlich die Längsbrüche und die spitz-
winkelig zum Streichen verlaufenden Brüche für den Bau und die Gestalt der äußeren
Gebirgszüge eine große Bedeutung (siehe S. 98 und 101). Es ist wahrscheinlich, daß der
starre Rumpf des alten präkarbonischen Gebirges auch während der verschiedenen späteren
Phasen der gebirgsbildenden Bewegungen in ähnlicher Weise beeinflußt worden ist; daß
dort also sowohl während der intrakarbonen, als auch während der postkarbonischen und
der tertiären tektonischen Vorgänge, Brüche entstanden sind. Spuren hievon finden wir,
abgesehen von den schon erwähnten Stellen, wie wir später sehen werden, auch an sehr
vielen anderen Orten der äußeren Gebirgszüge.
Für das Gebiet der inneren Ketten des zentralen Tian-Schan läßt sich aus den
bereits geschilderten Verhältnissen entnehmen, daß zusammen mit den gebirgsbildenden
Bewegungen während einer, vielleicht auch während zweier Phasen, die Intrusion sehr
ausgedehnter granitischer Massen vor sich gegangen ist, durch die der unterkarbonische
Kalk im Kontakt verändert wurde. Zu diesen granitischen Massen gehört auch noch der
schmale Granitzug, der westlich vom Aschu-tör-Paß den grünlichen Phyllit auf der
rechten Seite des Sary-dschass-Tals von dem nördlich darauf folgenden unterkarboni-
schen Kalk trennt. Wo dieser Granit auftritt, fällt der unterkarbonische Kalk steiler ein,
und die Deutlichkeit der Längsbrüche verliert sich. In diesem Teile der Schieferzone des
Bayum-kol-Tals, welche die granitischen Massive des alten Gebirges von den jüngeren
Massiven der inneren Ketten trennt, sind die Spuren der zu verschiedenen Zeiten vor sich
gegangenen Bewegungen so verwischt worden, daß es nicht möglich ist, sie nach den
wenigen bisher gemachten Beobachtungen sicher zu kennzeichnen.
Friederichsen!) erwähnt den steilen Abfall, den der unterkarbonische Kalk westlich
vom Kaschka-tur-Paß mehr als 30 km weit talabwärts auf der rechten Seite des Sary-
dschass-Flusses zur Schau trägt. Dieser Abfall tritt in der Landschaft sehr auffällig da-
durch hervor, daß er den südlichen Rand der ausgedehnten Denudationsflächen der äußeren
Gebirgszüge bildet, und daß sich an seinem südlichen Fuße der auch fast ebene, weite Tal-
boden des Sary-dschass ausbreitet. Friederichsen vermutet, daß dieser Abfall ein langer
Bruchrand oder eine Flexur sei, woran ein großer Teil der Denudationsflüchen im Süden
abgesunken sei. Dies ist in der Tat der Fall. Der tiefer liegende Flügel wird allerdings
durch alte Moräne und Schutt verhüllt; man sieht aber an vielen Stellen des langen Abfalls,
daß der unterkarbonische Kalk entweder abbricht und alter Schiefer darunter hervorkommt
oder, daß er in flexurartigen Stauchungen nach Süden zur Tiefe umbiegt. Dieser Abfall
liest nun in der Streichrichtung des grünlichen Phyllits des oberen Sary-dschass-Tals,
jedenfalls in der westlichen Fortsetzung der Schieferzone des oberen Bayum-kol-Tals,
und es ist daher augenfällig, daß hier in der Tat ein Teil der Schieferzone von einem
großen Lüngsbruch getroffen worden ist. Obgleich es heute noch nicht möglich ist, dies
auch im Osten für den nördlichen Teil der Schieferzone nachzuweisen, so erklärt sich
doch sehr wahrscheinlich auch dort das Verschwinden dieses’ Teils der Schieferzone durch
Längsbrüche.
1 Friederichsen, l. c, S. 124 und 129. Der Abfall des unterkarbonischen Kalks tritt auf
Friederichsens Karte, Blatt I, deutlich hervor.
161
Aus allen den bisherigen Beobachtungen über die Schieferzone des Bayum-kol-
Tals ergibt sich folgendes:
1. Die Schieferzone besteht aus verschiedenen Bildungen: aus Gneis, Phyllit, amphi-
bolitartigem Gestein, Tonschiefer und Dolomit. Diese verschiedenen Bildungen haben ein
verschiedenes Alter. Diskordanzen sind darin vorhanden, wie uns z. B. das veränderte
Quarzitkonglomerat zeigt, das sowohl auf der rechten Seite des Sary-dschass- und des
Kara-kol-Tals, als auch im Bayum-kol-Tal und an andern Orten (S. 106), wenn auch
wenig mächtig, so doch in weiter Verbreitung auftritt. Alle Bildungen der Schieferzone
aber sind älter als unteres Karbon.
2. Auch stellen sie keine Einheit in stratigraphischer, wohl aber in tektonischer Be-
ziehung dar, indem sie in einer geradlinig nach O.N.O. streichenden Zone die prä-
karbonischen Granitmassive im Rumpf des alten Gebirges von den jüngeren
Massiven der inneren Ketten trennen. Wo immer die Schieferzone oder ein Teil
hievon sichtbar ist, bemerkt man, abgesehen von den nachträglichen Störungen, daß die
Schichten senkrecht stehen oder steil nach Süden einfallen. Diese Dislokationen haben
zum großen Teil schon bestanden, als die unterkarbonische Transgression vor
sich ging, was uns die Lagerungsverhältnisse am Kaschka-tur-Paß und an
andern Orten zeigen.
3. Eine gewisse Zugehörigkeit der Schieferzone zu der starren Masse der abgetragenen
alten präkarbonischen Gebirgsteile, die sich schon aus der diskordanten und transgressiven
Lagerung des unterkarbonischen Kalks über beiden ergibt, zeigt sich aber auch darin, daß
der hauptsächliche Typus der Dislokationen, den wir in den alten granitischen Gebirgs-
teilen beobachten, auch in der Schieferzone vorherrscht: nämlich die großen Brüche. Quer-
brüche haben die Schieferzone in Stücke zerschnitten und Längsbrüche, die am Kaschka-
tur-Paß und auf der rechten Seite des Sary-dschass-Tals sichtbar sind, haben einzelne
Teile der Schieferzone auch in der Längsrichtung gegeneinander verschoben.
4. Hiedurch erklärt es sich, daß wir auf einer im Streichen der Schieferzone liegenden
Linie dasselbe Glied in verschiedener Höhe finden und daß wir es schließlich im Westen
unter der Decke des unterkarbonischen Kalks verschwinden sehen, sowie daß einige Teile,
namentlich der nördliche Teil der Schieferzone in der Richtung des Streichens von dem
unterkarbonischen Kalk bedeckt werden.
5. Die Nähe der jüngeren granitischen Massen der inneren Ketten, zwischen denen
der unterkarbonische Kalk in der zentralen Kette steil aufgerichtet oder gefaltet worden
ist, macht sich in der Schieferzone durch die Einschaltung eines schmalen Granitzugs und
in der steilen Stellung des unterkarbonischen Kalks nordwestlich vom Aschu-tör-Paß
auf der rechten Seite des Sary-dschass-Tals bemerkbar. Dagegen hängt das vom Dolomit
umgebene Granitmassiv des mittleren Bayum-kol-Tals vermutlich mit den präkarbonischen
Granitmassiven der äußeren Gebirgszüge zusammen.
Ich gehe nun zur Besprechung der Verhältnisse über, die in den inneren Ketten
westlich vom Bayum-kol-Tal vorherrschen.
An der südlichen Grenze der Schieferzone des Bayum-kol-Tals kommen überall, wo
die Grenzen bekannt sind, granitische Gesteine vor. Im Bayum-kol-Tal setzen diese das
Massiv des oberen Talabschnitts zusammen. Wir haben gesehen, daß dort die Grenzfläche
dieses Massivs im Norden mit dem Streichen und Fallen der Sedimente zusammenfällt,
Abh.d.11.Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt. 21
162
und daß im Süden noch ein schmaler Granitzug durch eine Zone von injizierten Schiefern
von dem Massiv abgetrennt wird. Die nördliche Grenze läßt sich vom Bayum-kol-Tal
noch einige Kilometer weit nach Westen übersehen; weiter westlich ist das Gebirge bis in
die Nühe des Aschu-tór-Passes nieht genauer untersucht worden. Im oberen Teile des
Sary-dschass-Tals sieht man die Grenze aber wieder dicht unterhalb der Endzunge des
Semonow-Gletschers (Profil XII auf Taf. IV). Es steht dort dem Granit zunächst ver-
änderter Kalk an; darauf folgt Schiefer wie im Bayum-kol-Tal. Die Grenze zwischen
Granit und Sedimenten quert unter spitzem Winkel das Sary-dschass-Tal, sodaß die linke
Seite des Tales noch eine Strecke weit unterhalb der Endzunge des Gletschers aus Granit
besteht (siehe auch Skizze Fig. XVIII) Wo der Kontakt am linken Ufer wieder deutlich
sichtbar wird, sieht man die Verhältnisse, die im Profil Figur XIX dargestellt sind.
Fig. XVIII. Blick von der Endzunge des Semenow-Gletschers nach Westen in den oberen Teil des
Sary-dsehass-Tales. (Höhe des Standpunktes ca. 3400 m.)
s Tonschiefer, Kalkschiefer und zum Teil Phyllit, gr Granit, c unterkarbonischer Kalk mit Productus
eiganteus, ct Kontakt zwischen Granit und Schiefer.
Man sieht den Kontakt zwischen Schiefer und Granit, die deutliche Längsstufe auf der linken Seite
des Sary-dschass, im Hintergrunde in der Mitte des Bildes die höchst auffälligen Denudationsflächen am
Kaschka-tur-Paß (ca. 3500 m).
An dieser Stelle findet man eine Scholle von körnigem Kalk von Granit umgeben;
dann folgt nach Norden an der Grenze des Massivs nochmals Kalk, dann umgewandelte
Schiefer, hauptsächlich Phyllit, und in der breiten Talleiste gegen das Bett des Sary-
dschass-Flusses von Brüchen durchschnittener Tonschiefer, der in den tiefen, engen
Einschnitten der aus den Gletschern der linken Talseite entspringenden Bäche, gut
aufgeschlossen ist. Es zeigen sich hier also am Kontakt in der Zusammensetzung der
Schieferserie dieselben Verhältnisse, wie an der Endzunge des Semonow-Gletschers, und
nur darin besteht ein Unterschied, daß unmittelbar an der Grenze des Granitmassivs die
Schichten nach Norden einfallen, wogegen sie in der Talleiste lebhaft disloziert erscheinen.
Weiter westlich entfernt sich die Grenze des Granitmassivs, indem sie im Allgemeinen
dem Streichen der Sedimente folgt, mehr und mehr vom Sary-dschass-Tal nach Süden.
163
Wie schon erwähnt wurde, endigen der Granit und die ihn begleitenden Sedimente am
westlichen Rande der großen beckenartigen Erweiterung des Sary-dschass- Tals auf der
rechten Seite des Adür-tör-Flusses an großen Querverschiebungen.!)
Auf der ganzen Strecke vom Bayum-kol-Tal bis zum Adür-tór- Tal bildet, soweit das
Gebirge genauer bekannt ist, dasselbe Glied der Schieferzone die Grenze gegen die granitischen
Gesteine im Süden; nur sieht man unmittelbar am Kontakt im Bayum-kol-Tal umge-
wandelte Schiefer, am Semonow-Gletscher und auf der linken Seite des Sary-dschass-
Tals dagegen zwischen Granit und Schiefer noch einen Streifen von körnigem Kalk. Auf
dieser ganzen Strecke fällt die Grenzfläche des Granits mit dem Einfallen der Sedimente
zusammen: das Einfallen ändert sich aber von Osten nach Westen; es ist im Osten steil
nach Süden, im Westen steil nach Norden. Am Semonow-Gletscher sieht man denselben
hellerauen Amphibolbiotitgranit wie im Bayum-kol-Tal, mit großen weißlichen Feld-
spaten. Die tiefsten Punkte, an denen die granitischen Gesteine noch sichtbar sind, liegen
im Bayum-kol-Tal ungefähr bei 3000 m, an der Endzunge des Semonow-Gletschers bei
3400 m, auf der rechten Seite des Adür-tör bei 3200 m.
S PS 3 N
Fig. XIX. Profil durch die linke Seite des oberen Sary-dschass-Tales.
Kontakt an der südlichen Grenze der Schieferzone unterhalb der Vereinigungsstelle
von Sary-dschass und Kara-kol.
Mafsstab 1: 13,500.
Granit des Semenow-Massivs, c kontaktmetamorpher Kalk, p umgewandelter Phyllit,
Phyllit und Tonschiefer, m Moràne der heutigen Gletscher, m! Moräne der alten Gletscher.
t
Über die Verbreitung des Granits des obersten Bayum-kol-Tals gegen Westen habe
ich mich schon S. 96 f. ausgesprochen; es ist nicht sicher erwiesen aber sehr wahrscheinlich,
daß die Granite unter der Endzunge des Muschketow-Gletschers und unter dem Bette
des daraus entspringenden Adür-tór-Flusses fortstreichen und mit dem Granit zusammen-
hängen, der im Meridian des Tüss-aschu-Passes auf der nördlichen Seite des Passes
ansteht (siehe die Karte und das Profil in Fig. XIII sowie S. 96 und 108). Es würe wichtig
dies sicher nachzuweisen," denn es würde hiedurch wahrscheinlich gemacht, daß das ganze,
sehr große Massiv in Wirklichkeit nicht einheitlich, also nicht durch denselben Prozess ent-
standen ist. Die bisherigen Beobachtungen reichen aber noch nicht aus dies zu entscheiden,
Abgesehen von der schon nahe der Endzunge des Bayum-kol-Gletschers bemerkbar werden-
I) Merzbacher, l. e., S. 22.
?) Dies kann erst geschehen, wenn auch die dort gesammelten Gesteine petrographisch genauer
untersucht sein werden, was bis jetzt noch nicht möglich war. da der Vollständigkeit eines geologischen
Gesamtdurchschnittes wegen, zunächst die Gesteine eines großen südlichen Quertales, des südlichen Musart-
Tales, systematisch bearbeitet wurden. Das Ergebnis wird in unmittelbarer Folge nach dieser Arbeit in
diesen Abhandlungen erscheinen. G. Merzbacher.
21:5
164
den Verschiedenheit der granitischen Gesteine (S. 148 und 150), die sicher nachzuweisen der
zukünftigen Forschung überlassen bleiben muß, zeigt auch die Vergleichung der Massive
im Westen und Osten eine gewisse Verschiedenheit der Gestalt. Im Westen ist das Massiv
breiter als im Osten und an seinen Grenzen fallen die Sedimente nach außen ein: im
Süden der Tonschiefer und Phyllit am nördlichen Fuße der zentralen Kette nach Süden, im
Norden die Bildungen des südlichen Teils der Schieferzone nach Norden. Im Osten dagegen
gleicht das Massiv mit seinen nach Süden steil einfallenden Grenzflächen einem mächtigen
Intrusivlager (S. 151).
Über die Lagerungsverhältnisse und die Ausdehnung der granitischen Gesteine, die
sich in der Fortsetzung dieses Massivs nach Westen, nördlich vom Tüss-aschu-Paß finden,
kann ich nur wenige Angaben machen. Zwischen der Endzunge des Muschketow-
Gletschers und dem oberen Teile des Tüss-aschu-Tals ist das Gebirge zum Teil noch
unbekannt, und zwischen dem unteren Teile des Adür-tör-Tals und dem unteren Teile
des Tüss-aschu-Tals befinden wir uns innerhalb der mehrfach erwähnten großen Brüche,
die den östlichen und den südlichen Rand der beckenartigen Erweiterung des Sary-
dschass-Tals begleiten. Hier liegen die granitischen Gesteine und die paläozoischen Sedi-
mente, worunter auch unterkarbonischer Kalk, unter der Decke der horizontal geschichteten
roten, sehr jungen Konglomerate (S. 118), die ihrerseits wieder von mächtiger Moräne
überlagert werden. Hier, zwischen dem nördlichen Fuße des Sary-dschass-Tau und dem
Sary-dschass-Fluß befindet man sich daher am Beginne eines durchschnittlich 10 km
breiten und mehr als 50 km talabwärts reichenden Streifen von niedrigen, gerundeten
Hügeln, die aus jungem Konglomerat und alter Moräne bestehen. In den dazwischen-
liegenden Wannen trifft man auf versumpftem Boden Moränenseen.?)
Der Tüss-aschu-Fluß hat sich in dieses Hügelland 120—150 m tief eingeschnitten,
und in seiner Furche ist im Süden nahe am Rande des eigentlichen Gebirges die aus
paläozoischen Sedimenten bestehende Unterlage aufgeschlossen und zwar zum ersten Male
1 km westlich von der Öffnung des Nebentals zum Haupttal. Es sind hauptsächlich
dunkle Tonschiefer, hier und dort mit Kalkschiefern wechsellagernd, also im allgemeinen
dieselben Bildungen, wie wir sie aus dem südlichen Teile der Schieferzone des Bayum-
kol-Tals und aus der Talleiste auf dem linken Ufer des oberen Sary-dschass-Tals
kennen. Am Tüss-aschu erscheinen sie gefaltet, aber auch von Brüchen durchschnitten;
Streichen und Fallen ändern sich auf kurzen Entfernungen. Wir treffen die gleichen
Schiefer also auch noch weiter talaufwärts, wo sie den äußersten Saum des Sary-dschass-
Tau zusammensetzen (siehe Profil XIII, Taf. IV) und den Granit begrenzen, aus dem die
nördlichen Abhänge des Sary-dschass-Tau zusammengesetzt sind. Man findet auch hier
Tonglimmerschiefer; aber irgendwelche unzweifelhafte Spuren der Kontaktmetamorphose
habe ich bei der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit nicht entdecken können.
Weiter talaufwürts trifft man längs des Weges zum Tüss-aschu-Paß die folgenden Ver-
hältnisse: Das Tüss-aschu-Tal durchschneidet die nördlichen Abhänge des Sary-
dschass-Tau von Norden nach Süden. Eine Strecke weit sieht man zu beiden Seiten des
Weges nur granitische Gesteine, die eine nach O.S.0. streichende Zweigkette zusammen-
!) Siehe darüber Merzbacher, l. c., S. 69.
2) Friederichsen, l1. c. S. 123 und Karte Bl. I; Merzbacher, l. c., S.
t2
I)
165
setzen. Schon auf der südlichen Seite dieser Kette wird die Öffnung eines großen Längstales
passiert, das ein wenig schräg zum Streichen des Sary-dschass-Tau verlaufend, fast ganz
in Granit eingeschnitten zu sein scheint. Bei der Ausmündung dieses Tales in die Furche des
Tüss-aschu findet man aus Moräne und Schutt herausragenden — und deshalb nur wenig
mächtig aufgeschlossen — kristallinischen Schiefer, der zum Teil hornfelsartige Beschaffenheit
zeigt, auf der südlichen Seite des Längstales tritt wieder Granit auf, so daß die Schiefer im Norden
und Süden von ihm eingeschlossen werden. Den Granit kann man eine ziemliche Strecke weit
im Längstal aufwärts verfolgen; nach der Gestalt der Felsen zu schließen, bildet er auch dessen
Hintergrund, wo sich große Firnfelder ausbreiten. Auf der linken Seite des Tüss-aschu
mündet auch von Westen her ein Längstal, das aber kürzer ist als das östliche; auch dort
setzen granitische Gesteine die ‚Talumwallung zusammen. Beim Aufstiege zum Tüss-
aschu-Passe machen sich zu beiden Seiten der Hochtalfurche zunächst granitische Wände
bemerkbar, dann aber trifft man auf Kalk (siehe S. 108 und Profil XIII). Die Grenze
zwischen Granit und Kalk ist leider durch eine große Schutthalde teilweise verdeckt, so dass
man sie in der Höhe des Paßwegs nicht genau verfolgen kann. In den Schutthalden, die
nach ihrer Lage und Zusammensetzung zu schließen, zweifellos ganz aus der Nähe der
Grenze stammen, befinden sich große Blöcke, die zum Teil aus hellgrauem Kalk, zum Teil
aus sandfarbenem dolomitisehen Kalk bestehen. Der Kalk ist veründert und ist es um so
mehr, je näher man ihn an der Grenze gegen den Granit findet.) An den oberen Teilen
des Gehänges erkennt man, daß er massig ist, aber mit der zunehmenden Entfernung
vom Granit immer deutlicher bankig wird. Die Bänke stehen steil und etwas weiter auf-
wärts gegen den Paß bilden sie eine überaus klare, ein wenig nach Norden geneigte Falte.
Unmittelbar südlich von dieser Falte kommt man auf der Höhe des Passes auf einen nach
Westen steil abbrechenden Gletscher, in dessen Moräne sich viel körniger, hellgrauer
Crinoideenkalk und dunkler Kalk finden, ferner Blöcke eines Kalkkonglomerats, das außer
Kalkgeröllen auch Bruchstücke von hartem, fast schwarzem Tonschiefer enthält. In der
Umgebung des Gletschers, besonders südlich davon, ist der Kamm des Sary-dschass-Tau
stark abgetragen worden und mit einer mächtigen Decke von Moräne und Schutt bedeckt.
Aus diesem Schutt ragt in steil gestellten Bänken zerrütteter, gelbgrauer, zum Teil dolo-
mitischer Kalk heraus, der von der Erosion in abenteuerliche Gestalten zerschnitten worden
ist. Diesen Kalk sieht man noch eine Strecke weit nach Süden nahe am Wege, der von der
Pa&hóhe in das Inyltschek-Tal hinabführt, trifft aber dann bald auf einen dunklen, zum
Teil plattigen Crinoideenkalk, dessen Bänke steil nach Süden einfallen, also mit den Bänken
des ebenerwähnten Kalks konkordant liegen. Dieser Crinoideenkalk bildet ein breites Band
in der Höhe der nördlichen Talseite des Inyltschek-Tals, wo man ihn in der Fortsetzung
der Streichrichtung nach W.S.W. und O.N.O. weithin an seiner dunklen Färbung erkennen
kann; er ist sehr fossilreich und geht an einigen Stellen in Crinoideenbreccie über. Man
findet darin außer anderen Fossilien namentlich große Einzelkorallen und zahlreiche Stücke
des Productus giganteus.
Tiefer abwärts am Wege zum Inyltschek-Tal macht sich ungefähr in der Mitte des
Gehänges die Grenze des Kalks gegen den Granit bemerkbar. Ehe man aber diese Grenze
erreicht, sieht man ein in den dunklen Crinoideenkalk eingeschaltetes Konglomerat, das
1 Merzbacher, 1. c., S. 24.
166
nur wenige Meter mächtig ist und außer Kalkgeröllen auch solche kristallinischer Gesteine,
hauptsächlich stark zersetzter granitischer Gesteine enthält. Zwischen diesem Konglomerat
und dem Granit liegt noch körniger Kalk, der rot und violett gefärbt ist. Aber auch
hier ist die Veränderung des Kalks nicht am Anstehenden in ihrem Verlauf genauer zu
beobachten, da gerade die Grenze zwischen dem veränderten Kalk und dem Granit durch
den Sehutt des dunklen Crinoideenkalks großenteils verdeckt wird. Immerhin läßt sich die
Grenze in der geradlinigen Fortsetzung des Streichens auf beiden Seiten des Weges eine
betrüchtliche Strecke weit an der lebhaft roten Fürbung des veründerten Kalks verfolgen.
Wir treffen also in dem breiten Streifen des Kalks, der hier den Kamm des Sary-dschass-
Tau zusammensetzt (siehe Profil XIII) von Norden nach Süden die folgenden Verhältnisse:
Im Norden Granit; an der Grenze gegen diesen Granit ist der Kalk kórnig und
massig. Dann sieht man deutlich die Bankung des Kalks und eine große Falte, die bei-
nahe an den nördlichen Rand des Paßgletschers reicht. Hier zeigen sich in der Moräne
Blöcke eines Kalkkonglomerates, das Bruchstücke von schwarzem Tonschiefer enthält, weiter-
hin südlich sehen wir gelblichen, zum Teil dolomitischen Kalk, dann bankigen und plattigen,
dunklen Crinoideenkalk mit Productus giganteus, darauf em Konglomerat mit zersetzten
granitischen Gesteinen, zuletzt einen Streifen von massigem, kórnigem Kalk, der an Granit grenzt.
Hiezu möchte ich bemerken, daß sich aus der an den Rändern der Kalkzone auftretenden
allmählichen Veränderung des Kalks, die von innen nach außen stärker wird, ergibt, daß auf
beiden Seiten Primürkontakt des Kalks mit den granitischen Gesteinen vorhanden ist.
Bemerkenswert ist auch, da& Konglomerate vorkommen, die in die Schichtenfolge des Kalks
eingeschaltet sind. Das Konglomerat in der Morüne des Paßgletschers, das Bruchstücke von
schwarzem Tonschiefer enthält, ist allerdings nicht anstehend gefunden worden, wohl aber
das Konglomerat mit Geróllen kristallinischer Gesteine auf der südlichen Seite der Kalkzone,
das in konkordanter Lagerung mit dem umgebenden Kalk steil nach Süden einfällt.
Es muß ferner nochmals hervorgehoben werden, daß die granitischen ‚Gesteine dieses Kon-
glomerats zum Teil zersetzt oder zum Teil in der Zersetzung begriffen sind, daß aber
dagegen der südlich davon austehende Granit, soweit ein Vergleich noch möglieh ist,
anders beschaffen, jedenfalls aber noch frisch ist. Eine Wiederholung derselben Schichten
durch Stauchung oder Faltung ist für den nórdlichen Teil der Kalkzone bis zu einem
gewissen Grade sicher, wie weit dies aber für die dunklen Crinoideenkalke zutrifft ist ungewiß;
jedenfalls läßt es sich mit Hilfe der bisherigen Beobachtungen nicht entscheiden. An dem-
jenigen Teil des Gebirges, der im Profil als unter dem Pa&gletscher liegend eingezeichnet
ist, waren keine Aufschlüsse sichtbar.
Ich halte die ganze Schichtenfolge von Kalk und dolomitischem Kalk, die wir hier
am Tüss-aschu-Paß treffen, für unterkarbonisch, hauptsächlich auf Grund der Erfahrungen
in anderen Teilen des Gebirges. Die Konglomerate, die darin vorkommen, scheinen Kon-
glomerate der Transgression zu sein; sie enthalten Bruchstücke von altpaläozoischen Sedi-
menten und von granitischen Gesteinen, die älter sind als die in der Umgebung anstehenden
Granite. Die Lagerungsverhältnisse sind aber schwer zu erklären, da die Unterlage des
unterkarbonischen Kalks nicht sichtbar ist.
Ich möchte noch hinzufügen, daß im nördlichen Teile der Kalkzone eine gewisse
Veränderlichkeit des Streichens hervortritt; man kann dort ganz deutlich beobachten, daß
die Grenze des Granits leicht spitzwinklig zum Streichen des gefalteten und gestauchten
167
Kalks verläuft. Es hat fast den Anschein, als sei hier am Tüss-aschu-Paß für das
Gesamtstreichen der Kalkzone nicht sowohl die hier zu beobachtende Streichrichtung des
Kalks als vielmehr die Richtung der Lüngsachsen der auf den Gebirgsseiten vorherrschenden
granitischen Massen maßgebend.
Der Granitzug auf der Nordseite des T üss-aschu- Passes ist im Streichen nur eine kurze
Strecke weit bekannt; er besteht dort, wie bereits mehrfach erwühnt, in der Hauptmasse aus
Amphibolbiotitgranit, der große fleischrote Einsprenglinge von Feldspat enthält. Dieses Gestein
ist, wie ich schon hervorhob, dem Granit sehr ähnlich, der im oberen Teil des Bayum-
kol-Tals auf der linken Seite der Endzunge des Bayum-kol-Gletschers ansteht.!) Der auf
der südlichen Seite des Tüss-aschu-Passes auftretende Granit setzt auch den unteren Teil
der rechten Talseite des Inyltschek-Tals zusammen und ist mir von der Endzunge des
Inyltschek-Gletschers bis zu der Stelle bekannt, wo der Inyltschek in den Sary-
dschass mündet, also auf einer mehr als 50 km langen Strecke. Man sieht auf dem Wege
talabwärts deutlich, daß der unterkarbonische Kalk vom Tüss-aschu-Paß, nach W.S.W.
streichend, den Kamm des Sary-dschass-Tau zusammensetzt, sodaß sich auf der ganzen
rechten Talseite des Inyltschek-Tals dieselben Verhältnisse finden, die wir in dem Profile
des Tüss-aschu-Passes auf der südlichen Seite des Passes kennen gelernt haben. Im
Meridian des Tüss-aschu-Passes treffen wir aber nur die wenigen Bestandteile der inneren
Ketten des nördlichen zentralen Tian-Schan, die der zentralen Kette im Osten und dem
Granitzug der Zwischenkette an ihrem nördlichen Fuße entsprechen. Die westliche Fort-
setzung der granitischen Gesteine des obersten Bayum-kol-Tals und des Semonow-
Gletschers sowie der südliche Teil der Schieferzone des Bayum-kol-Tals liegen unter den
jungen Bildungen der beckenartigen Erweiterung des Sary-dschass-Tals begraben (siehe
S. 163 und 164). Es macht sich also am Tüss-aschu-Paß in den Verhältnissen gegenüber
denen, die wir im Osten beobachten konnten, insoferne ein Unterschied bemerkbar, als die
Zone der Phyllite und Tonschiefer, die wir im Hintergrund des Bayum-kol-Tals in der
Einsenkung des Bayum-kol-Gletschers am Fuße der zentralen Kette feststellen konnten,
nicht mehr vorhanden ist, daß dagegen die Masse der granitischen Gesteine sehr zuge-
nommen hat. Die große Länge des Granitzugs auf der rechten Seite des Inyltschek-Tals
und die Tatsache, daß er noch etwas über die Endzunge des Inyltschek-Gletschers hinaus
nach Osten reicht, rechtfertigen die Vermutung, daß auch die südlichen Abhänge der
zentralen Kette zwischen dem nördlichen Arm des Inyltschek-Gletschers und dem Musch-
ketow-Gletscher ähnlich zusammengesetzt sind, wie die rechte Talseite des Inyltschek-
Tals (siehe S. 95, 97 und 143).
Nachdem nun das Wesentlichste von den geologischen Verhältnissen der inneren
Ketten, soweit sie untersucht werden konnten, gesagt ist, wollen wir auch die tektonischen
und morphologischen Verhältnisse der äußeren Gebirgszüge näher betrachten:
Die tektonischen Verhältnisse der äußeren Gebirgszüge.
Es wurde bereits eingehender darüber berichtet, daß diese Teile des nördlichen zen-
tralen Tian-Schan hauptsächlich aus granitischen Gesteinen bestehen, und daß diese
Gesteine in zwei großen Zügen, die durch einen Streifen von paläozoischen Sedimenten
getrennt werden, angeordnet sind. Es sei auch in Erinnerung gebracht, daß paläozoische
1) Siehe die Fußnote S. 163.
168
Sedimente auch auf der nördlichen Seite des nördlichen Granitzugs, z. B. am Issyk-kul
und weiter östlich am Santasch-Paß vorkommen, und daß sie auch auf der Südseite des
südlichen der äußern Granitzüge, wo wir sie in der Schieferzone des Bayum-kol-Tals kennen
gelernt haben, vorhanden sind. Unter den paläozoischen Bildungen ist der unterkarbonische
Kalk, abgesehen von den Mergeln und Sandsteinen des Sart-dschol-Passes, das jüngste
und das am weitesten verbreitete Glied und überall, wo man seine Unterlage sehen konnte,
beobachteten wir, daß er transgressiv liegt. Sowohl in den Massiven der beiden Granitzüge
als auch im Gebiet der paläozoischen Sedimente konnte die transgressive Lagerung festgestellt
werden, und zwar über Granit am Sart-dschol-Paß, über altem Phyllit am Kaschka-tur-
Paß und ähnlich an andern Orten. Später werden wir das gleiche Verhältnis am südlichen
Rande der Tekes-Ebene kennen lernen und darauf, daß es sehr wahrscheinlich auch
zwischen dem Sary-dschass und dem Bayum-kol-Tal vorherrscht, haben wir schon
hingewiesen. Was aber für diese zum Teil beträchtlich voneinander entfernten Stellen
gilt, können wir auch mit Recht für den ganzen Raum des Gebirgsteils, der in dieser
Arbeit unter den Begriff der äußeren Gebirgszüge fällt, annehmen. Indem wir nämlich
von den Verhältnissen am Sart-dschol-Paß und Kaschka-tur-Paß ausgegangen sind,
sind wir zu der Vorstellung einer ausgebreiteten unterkarbonischen Transgression gekommen,
die vor sich gegangen ist, als die granitischen Massen schon zum größten Teil abge-
tragen und als die altpaläozoischen Bildungen schon disloziert gewesen sind (siehe S. 115 f.
und 161).
Wir haben also in den äußeren Gebirgszügen des nördlichen zentralen
Tian-Schan den zum Teil noch sichtbaren Rumpf eines alten Gebirges vor uns.
Die Längs- und Querbrüche, durch die am Kaschka-tur-Paß und in der Schieferzone
des Bayum-kol-Tals der unterkarbonische Kalk verschoben worden ist, die großen Brüche
auf der Nordseite des Gebirges, die flexurartigen Biegungen des unterkarbonischen Kalks
auf der südlichen Seite des Sart-dschol-Passes und noch manche andere Beispiele, die
bisher noch nicht besprochen worden sind, zeigen aber, daß auch nach der unterkarboni-
schen Transgression gebirgsbildende Bewegungen eingetreten sind. Fassen wir der Über-
sichtlichkeit wegen die S. 118 f, 126 f. und 159 f. hervorgehobenen Bewegungsreihen zu-
sammen, so handelt es sich 1. um die intrakarbonischen Bewegungen, deren Spuren sich
in der Regression des unterkarbonischen Meeres auf der Nordseite und in den Diskordanzen
der karbonischen Serie auf der Südseite des zentralen Tian-Schan zu erkennen geben,
dann 2. um postkarbonische Bewegungen, in die Zeit des jüngsten Paläozoicums oder
ältesten Mesozoicums fallend, wahrscheinlich verbunden mit der Intrusion und Effusion großer
Lager und Decken von Quarzporphyr. In diese Phase der Bewegungen fällt sehr wahr-
scheinlich auch zum größten Teil die Intrusion der großen granitischen Massen der inneren
Ketten und die Bildung der granitischen Achsen in den Faltenbögen auf der Südseite des
zentralen Tian-Schan;!) 3. um die verschiedenen tertiiren Bewegungen, deren Spuren
in den Diskordanzen der Gobi-Serie sichtbar sind, und durch die noch die pliozänen Bil-
dungen des Karkarä-Beckens disloziert worden sind; 4. um die sehr jungen Bewegungen,
welche an den Dislokationen der zum Teil postpliozänen, präglazialen Konglomerate in
vielen Teilen des Gebirges kenntlich sind.
!) In dieser Hinsicht verweise ich nochmals auf meine (Fußnote S. 111) angekündigte Arbeit über
den südlichen Tian-Schan.
169
Wir haben gesehen, daß ın dem Gebiet des nördlichen zentralen Tian-Schan bisher
außer den tertiären Gobi-Sedimenten und den noch jüngeren, nur wenig dislozierten Kon-
glomeraten keine Bildungen gefunden worden sind, die jünger wären als die karbonischen Mergel
und Sandsteine des Sart-dschol-Passes und vor allem, daß keine mesozoischen Bildungen
bekannt geworden sind, weder marine Sedimente noch Landpflanzen und Kohle führende
Sandsteine und Konglomerate, die sonst in gewissen Gebieten des Tian-Schan mächtig
entwickelt sind. Aus diesem Grunde ist es, ganz abgesehen von der Unzulänglichkeit der
bisherigen Beobachtungen, nicht möglich, an unserem Gebirgsteile die tektonischen Vorgänge
einiger Zeitabschnitte, namentlich die des jüngeren Paläozoicums und älteren Mesozoicums,
auch nur in den äußersten Umrissen zu ermitteln. Außer der unterkarbonischen Trans-
gression, die in so großer Deutlichkeit an den verschiedenen Stellen der äußeren Gebirgs-
züge sichtbar ist, können wir daher erst wieder die Vorgänge der tertiären Zeit mit einiger
Sicherheit erkennen. Ich habe schon (S. 104) gesagt, daß es wenig wahrscheinlich ist,
daß mesozoische Landpflanzen führende Sandsteine und Konglomerate in dem nördlichen
Teile des zentralen Tian-Schan abgelagert und dann wieder entfernt worden sind." Das
Gebirge hat wohl, nachdem es vor der unterkarbonischen Transgression schon stark abge-
tragen worden war, in diesem Zustand lange Zeiträume an den Bewegungen der karbo-
nischen Zeit teilgenommen, ist sodann durch die postkarbonischen Bewegungen haupt-
sächlich als eine starre Masse verändert und dann in stetem Zuge bis in die tertiäre Zeit
hinein abgetragen. dann nochmals verändert und abermals abgetragen worden. Gegen die
Ablagerung von mesozoischen Bildungen, limnischen oder kontinentalen Ursprungs, die
eine gewisse Tiefe des Niveaus der Unterlage voraussetzt, spricht neben den Verhältnissen,
die wir sogleich betrachten werden, vor allem die Tatsache, daß die bisher aus dem Tian-
Schan bekannt gewordenen mesozoischen Bildungen in einer bisher nicht beachteten, aber
sehr beachtenswerten Gesetzmäßigkeit nur in den nach N.W. streichenden Gebirgszügen,
die erst während der tertiären Zeit entstanden sind, vorzukommen scheinen. In Überein-
stimmung hiemit ergibt sich bei einer genaueren Verfolgung der Verbreitung und Lage-
rungsverhältnisse der Gobi-Sedimente, daß diese tertiären Bildungen in den wirklich alten
Teilen des Tian-Schan, also in dem Gebiet der nach N.O. streichenden Gebirgszüge
überall, wo ihre Unterlage sichtbar ist, diskordant auf abgetragenen paläozoischen Sedi-
menten lagern.
Wegen der großen Lücken in der Sedimentfolge muß die Frage nach Art und
Größe der Veränderungen, welche die postkarbonischen Bewegungen im Gebiet der äußeren
Gebirgszüge hervorgerufen haben, unbeantwortet bleiben; es ist aber gewiß, daß, wenn
das Gebirge seit jenen Bewegungen bis in die Tertiärzeit hinein abgetragen worden ist,
die Spuren der Abtragung noch sichtbar sein müssen, wenn anders sie nicht durch später
vor sich gegangene tertiäre Bewegungen wieder verwischt worden sind. Dies führt uns
zu der Frage nach der Art, Lage und Ausdehnung der Dislokationen, die durch diese
Bewegungen verursacht worden sind.
Wir wollen nicht jetzt schon diese Dislokationen einzeln nacheinander betrachten,
wozu die bisherigen Beobachtungen zum Teil noch nicht ausreichen, sondern wollen
1j Friederichsen, ].c., S. 156 und 157 spricht von einer kontinentalen Periode und meint, daß
während dieser Periode tektonische Vorgänge eingetreten und Binnenablagerungen gebildet wurden.
Abh.d.11.Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt. 22
170
zunächst sehen, ob es wirklich Abtragungsflächen gibt, die derart enge mit den tertiären
Dislokationen in Verbindung treten, um es klar zu machen, daß sie älter sind als diese.
Dadurch erhalten wir am besten einen Überblick über das Maß der Abtragung und der
später durch die tertiären Dislokationen eingetretenen Veränderung.
Es ist Friederichsens!) Verdienst, daß er als Erster auf die in morphologischer Be-
ziehung eigentümlichen, zum Teil fast ebenen Hochflächen, die sich in der Umgebung des
Sary-dschass-Tals nnd weiter westlich in der Umgebung der Hauptwasserscheide aus-
dehnen, mit dem Hinweise aufmerksam gemacht hat, daß diese Flächen wahrscheinlich
alte Denudationsflächen seien, entstanden während einer kontinentalen Periode.
Nur wenig später hat Davis?) die ausgedehnten, hoch liegenden Flächen, die.er südlich
vom Issyk-kul und in der Umgebung des Son-kul gesehen hat, beschrieben und mit
großem Nachdruck die Ansicht geäußert, daß diese Flächen Teile einer wahren peneplain
seien. Davis meint, daß diese peneplain seit der Zeit der starken gebirgsbildenden Be-
wegungen, die er ins Mesozoieum setzt, durch eine lange dauernde Abtragung, die wenig
oder gar nieht dureh Bodenbewegungen gestórt worden sei, entstanden sei. Für ihre
Entstehung kümen die verschiedenen Vorgünge der subürilen Erosion, weniger die seitliche
Erosion der Flüsse in Betracht. Diese Ansicht ist unzweideutig. Um aber die verschieden
hohe und vor allem sehr hohe Lage soleher Flüchen zu erklüren, meint Davis, sei es
am besten anzunehmen, daß die Abtragungsflüche, nachdem sie das untere Denudations-
niveau erreicht oder doch nur kurze Zeit, bevor sie es erreicht hatte, durch Boden-
bewegungen zerstückelt worden sei, und zwar durch eine ungleichmäßige Hebung der
Massen, welche die Flächen trugen. Dabei schließt Davis fast ausschließlich aus der Gestalt
der südwestlich und westlich vom Issyk-kul liegenden Gebirgszüge, daß diese Hebung
an großen Verwerfungen (fault) vor sich gegangen sei.
Diese Ansicht unterscheidet sich aber, indem sie eine Bewegung der Horste gegen-
über der Umgebung voraussetzt, sehr wesentlich von der Ansicht, die Suess vertreten hat:
daß nämlich die Horste stehen blieben und die Umgebung gesenkt wurde. Wir wollen
hier keine Spekulation über diese Frage beginnen, obwohl die Umrandung des Tian-Schan
die Gelegenheit hiezu bieten würde, soda& z. B. bei Vergleichung der Lage und der
Lagerungsverhältnisse der tertiären Bildungen der westlichen Abhänge des Gebirges mit
denselben Bildungen der aralo-kaspischen Niederung eine Massenbewegung der heute
höher liegenden Teile sehr wahrscheinlich erscheint. Für unseren Zweck hat aber diese grund-
sätzliche Frage keine Bedeutung, denn es handelt sich für uns nur darum, festzustellen,
ob wirkliche Teile einer peneplain, also einer Destruktionsfläche aus mesozoischer Zeit,
heute in so hoher Lage sichtbar sind, wie Davis dies annimmt, und ob diese Flächen mit
späteren Dislokationen so in Verbindung treten, daß es klar wird, sie verdanken diesen
ihre heutige Lage. Es ist für uns dabei einstweilen gleichgültig, ob dieses Niveau durch
Senkung der Umgebung oder durch Hebung der Massen, welche die Flächen tragen, ver-
ursacht worden ist. Es ist von vorneherein klar, daß bei der Entstehung der Höhen-
unterschiede Faltung nicht in Frage kommen kann, wenn anders so große Teile der alten
1) Friederichsen, l. c, S. 163.
2) Davis: Exploration in Turkestan. Expedition of 1903 under Direction of Raphael Pumpelly.
Washington 1905, S. 73 f. und $0 f.
Art
peneplain erhalten geblieben sein sollen, sondern daß der vorherrschende oder alleinige Typus
der Dislokation die Verschiebung sein muß.
Die Flächen, die Friederichsen erwähnt und die ich selber an vielen Stellen der
äußeren Gebirgszüge gesehen habe, tragen alle die Merkmale wie sie Davis hinsichtlich der
merkwürdigen Hochflächen in der westlichen Umrandung des Issyk-kul beschrieben und
zum Teil abgebildet hat; sie dehnen sich, was schon (S. 102 f.) bei Besprechung des süd-
lichen Granitzugs hervorgehoben worden ist, hauptsächlich in der Umgebung der Wasser-
scheide aus, soweit diese in dem Bereich der östlichen Ausläufer des Terskei-Ala-Tau
liest. Die Beständigkeit der Abdachung des Gebirges, die weiter im Osten sich in der
Umgebung der großen, in das Tekes-Becken mündenden Quertäler zeigt, ist hier ver-
schwunden und die scharfen Formen, die wir in unseren europäischen Alpen zu sehen
gewohnt sind, bleiben ein großes Stück südlich vom Issy k- kul und auch noch etwas weiter
östlich davon auf den nördlichen Abhang des Terskei-Ala-Tau beschränkt. Man ist erstaunt,
wenn man, durch die waldreichen Quertäler dieses Abhangs, z.B. im Turgen-Aksu- oder
im Souka-Tal nach Süden reisend, den wasserscheidenden Kamm überschreitet und nun vor
sich im Inneren des Gebirges die weiten, an vielen Stellen fast ebenen Hochflächen sieht.
Die Flächen liegen hier in der Nähe der Schneelinie, an einigen Stellen auch darüber
und sind dann mit Firn und Eis bedeckt. Wo sie darunter gehen, tragen sie eine Decke
von alter Moräne und Schutt. Auch an Stellen, wo ihre Höhe noch geringer ist, sind sie
meistens steril, und nur im Osten, wo sie in der Umgebung der Mukur-Mutu-Täler
beinahe bis an die obere Baumgrenze herabgehen, sieht man auf ihnen prächtige Matten.
Huntington ist zu derselben Zeit wie Davis, zum Teil mit ihm zusammen, im
Tian-Schan gewesen; er hat, vom Issyk-kul ausgehend, den westlichen Teil des zen-
tralen Tian-Schan in südlicher Richtung bis an den Rand der Kaschgarischen Niede-
rung überschritten. Auch er beschreibt solche hochgelegene Flächen wie Davis und be-
trachtet sie wie dieser als Reste einer großen peneplain.!)
Huntingtons Profil durch diesen Teil des Tian-Schan beginnt im Norden am
südlichen Ufer des Issyk-kul, an der Mündung eines Flusses, der Juuka-Su genannt
wird und verläuft nach Süden über einen Pa&, der Jukuchak-Paß heißen soll?) Der nörd-
liche Teil dieses Profils verläuft also beiläufig längs derselben Linie, wie das Profil Figur XIV
in dieser Arbeit. Ein Blick darauf zeigt, daß in der Tat südlich von diesem Paß eine bedeu-
tende Abtragung des Gebirges erkennbar ist und ich habe schon S. 103 erwähnt, daß sich
südwestlich vem Souka-Paß große, schwach nach Süden geneigte Eis- und Firnfelder
ausdehnen, und daß deren Unterlage als eine große Fläche sichtbar ist.
Die äußersten im Norden liegenden Reste solcher Flächen (siehe S. 102 f.) sieht man
noch in der unmittelbaren Umgebung des Souka-Passes. Indem sie sich sanft nach Süden
senken, nach Norden aber durch einen steilen Abfall begrenzt werden, bilden sie gleichsam
in einem zwar zerschnittenem, aber scharfem Rande den Kamm des Terskei-Ala-Tau;
sie liegen hier in der Nähe des Kammes beiläufig 4000 m hoch, senken sich aber nach
Süden, soweit anstehendes Gestein noch sichtbar ist, das ist auf einer Strecke von 15 bis
20 km, nur wenige hundert Meter. Der Höhenunterschied zwischen dem Kamm des Terskei-
1) ].e., S. 167 f. und 172 f.
2) Juuka-Su ist sehr wahrscheinlich die Souka und der Jukuchak-Paß der Souka-tschak-Paß.
22*
172 l
Ala-Tau und dem Fuß seines nördlichen Abhangs beträgt aber auf einer nicht viel größeren
Strecke mehr als 2000 m. Auf dieser Strecke sieht man keine Spur der Flächen. mehr,
sondern das Gebirge zeigt dort die scharfen Formen, die wir in den Alpen zu sehen gewohnt
sind. Wie weit die Flächen vom Kamm des Terskei-Ala-Tau gegen Süden reichen, läßt
sich kaum angeben; denn sie verschwinden dort unter tertiiren Gobi-Sedimenten, den noch
jüngeren Bildungen und vor allem unter den ausgedehnten, ungemein mächtigen Massen der
alten Morünen.' Auf diesen Aufschüttungen dehnen sich, mehr als 3000 m hoch gelegen,
die weiten Sommerweideplätze der Kirgisen aus. Wo sich aber Teile des Gebirges jenseits
davon im Süden darüber erheben,?) bestehen sie zumeist, wie z. D. im Quellgebiet des Kara-
sai, aus alten Schiefern und Kalk und sind dann so mit Eis und Firn und vor allem mit Schutt
bedeckt, ja geradezu darunter begraben, daß es fast ganz unmöglich ist, ihren Bau im Ganzen
zu erkennen. Aus diesen Gründen kann auch ich nur wenig über den Bau dieser Teile des
Gebirges sagen, und es ist deshalb kaum nötig hervorzuheben, daß Huntingtons Profil
(Fig. 124), wenigstens was den zwischen seinem „Jukuchak-Paß“ und dem ,Kara-kul-R.*
gelegenen Teil betrifft, im Wesentlichen nur eine Konstruktion ist, die auf verhältnismäßig
wenigen, oft weit auseinanderliegenden, und selten deutlich erkennbaren Aufschlüssen beruht.
Die Aufschlüsse reichen außerdem in den meisten Füllen nur sehr wenig unter die Ober-
flüche. Deshalb mag vielleicht der Bau des Tian-Schan sein, so wie ihn Huntington
in semem Profil darstellt; es ist aber auch ebenso gut möglich, daß er anders ist. Dies
zu bemerken ist notwendig, denn erstens wissen wir nicht, wie tief die Aufschüttungen
zwischen den verschiedenen noch sichtbaren Teilen des Gebirges hinabreichen, und zweitens
ist es sehr wahrscheinlich, daß die Einheitlichkeit des Baues, die Huntington für die
Linie seines Profiles annimmt, in Wirklichkeit ebensowenig vorhanden ist, wie weiter im
Osten, wo die Verhältnisse dem Beobachter Einsicht in den Gebirgsbau wirklich gestatten,
z. B. auf irgend einer meridionalen Linie im Sary-dschass-Tal. Davis?) meint, daß die
Bildung der peneplain in dem Gebiet des Issyk-kul schon in der mesozoischen Zeit be-
gonnen habe; Huntington,*) der ausdrücklich die Einheitlichkeit der Abtragung und
ihren Zusammenhang über einem großen Raum hervorhebt, ist überzeugt, daß die peneplain
in den von ihm besuchten Teilen des Gebirges tertiäres Alter habe.
Es kann nun ohne weiteres die Wahrscheinlichkeit zugegeben werden, daß eme Ab-
tragung in der tertiären Zeit vor sich gegangen sei; wir wollen aber das Schema vermeiden,
das heißt eine Ansicht, die für gewisse Teile des Gebirges richtig sein mag, wollen wir nicht
gleich auf das ganze Gebirge ausdehnen, bevor dieses genauer erforscht ist. Soweit wir
es aber kennen, beobachtet man mit Sicherheit, wie aus den früheren Ausführungen auch
hervorgeht, daß seine einzelnen Teile verschiedenartig sind: In dem Gebiet des eigentlichen
zentralen Tian-Schan, im Gebiet des Sary-dschass-Tals und noch weiter westlich
sieht man die Denudationsflächen in einem ganz bestimmten Teile der äußeren Gebirgszüge,
dessen morphologische Verhältnisse deutlich verschieden sind von denen der inneren Ketten.
!) Merzbacher, l. c., S. 63.
?) Huntington, lc, 8.178. Die dort in Figur 125 gegebene Abbildung zeigt einen Teil des Ge-
birges aus dieser Gegend. Im Vordergrunde sieht man ein Stück der Aufschüttungsflüchen, im Hinter-
grunde die sanften Formen einer unter Schnee und Schutt fast ganz begrabenen Erhebung.
3 1. e, S. 72% 53) ].c., S. 167 und 168. 1
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Die Abtragung mag auch in diesen Ketten weit vorgeschritten sein, sicher aber lange
nicht so weit, wie in den äußeren Gebirgszügen. Ich bin der Ansicht, daß diese Verschie-
denheit auch in den Teilen des Gebirges vorhanden sein muß, die Huntington gequert
hat, daß also die Hochflächen, die wir unmittelbar südlich vom Souka-Paß beobachten,
nieht ohne weiteres mit der tertiären peneplain zusammenhängen, die weiter im Süden
vorhanden sein soll. Wären die Tiefen, die im: Meridian des Souka-Passes die verschie-
denen Teile des Gebirges trennen, nicht mit so mächtigen Aufschüttungsmassen erfüllt, so
würden wir wahrscheinlich einen ähnlichen, wenn auch vielleicht nicht so starken Gegen-
satz in den morphologischen Verhältnissen wie auf den beiden Seiten des oberen Sary-
dschass-Tals feststellen können.!) Ein großes hohes Gebirge wird in langen Zeiten ver-
hältnismäßiger Ruhe abgetragen: es mag schließlich eine wahre peneplain entstehen; nicht
wahrscheinlich ist es jedoch, daß diese peneplain, die sich über sehr verschiedene Teile des
Gebirges gleichmäßig ausbreitet, in solehem Zusammenhang 3000 oder 4000 m hoch gehoben
wird, wie Huntington dies annimmt.?)
Aber abgesehen von diesen sich aufdrängenden Erwägungen zeigt auch die mehrfach
hervorgehobene Tatsache, daß in der Serie der Gobi-Sedimente Diskordanzen vorkommen, die
eine mehrmalige Wiederholung der gebirgsbildenden Bewegungen anzeigen, daß die notwen-
digste Voraussetzung für die Abtragung eines sehr großen und hohen Gebirges: nämlich eine
lange Zeit verhältnismäßiger Ruhe für die tertiüre Zeit wenigstens nicht zutrifft. Über andere
Gründe, die hiefür sprechen, werde ich mich bei der Beschreibung der großen Faltenbögen
der Südseite des Gebirges in einer demnächst erscheinenden Arbeit noch üufern.?)
Wir halten also zunächst die Tatsache fest, daß die Hochflächen in der Umgebung
des Souka-Passes nach Norden bis an den Kamm des Terskei-Ala-Tau reichen, daß
sie dort zum Teil in einer scharfen Kante an den jähen Abstürzen der nördlichen Seite
endigen, daß sie dagegen nach Süden mit allmählicher Senkung unter. Aufschüttungen,
hauptsächlich unter alter Moräne, verschwinden (siehe S. 103). Wenn wir es nun auch
für nicht erwiesen erachten, daß diese Flächen Teile einer großen tertiären peneplain
sind, so müssen wir doch anderseits auf die Verschiedenheiten in morphologischer Beziehung
hinweisen, die sich hier ähnlich wie im Sary-dschass-Tal, wenn auch durch die Auf-
schüttungen zum großen Teil verdeckt, zwischen dem Gebiet der Flächen und den südlich
davon liegenden Teilen des Gebirges zeigen.
Man sieht, südlich vom Souka-Paß stehend, die Flächen eine Strecke weit sich
nach Osten und Westen ausdehnen. Bei einem Blick nach Osten kann man ihre Fort-
setzung über die Mündung des großen Kolpakowsky-Gletschers hinaus*) weit in den
Oberlauf des Irtasch hinein verfolgen; doch ist die morphologische Beschaffenheit dieses
Gebirgsteils im ganzen so gut wie unbekannt. Erst jenseits vom Kulu-Paß kennen wir
!) Wie verschiedenartig die tektonischen Verhältnisse in den verschiedenen Teilen des Tian-Schan
und auch auf dessen Südseite sind, wie sehr sie an anderen Stellen von dem Profile Huntingtons ab-
weichen, kann am besten aus einem Profile durch eines der größten südlichen Quertäler, durch das süd-
liche Musart-Tal, ersehen werden, welches demnächst als weiterer Teil der „Wissenschaftlichen Ergebnisse
der Merzbacher’schen Tian-Schan-Expedition“ unter dem Titel: „Die Gesteine des Südlichen Musart-
Tales“, von P. Kleinschmidt und P. Limbroek in diesen Abhandlungen erscheinen wird, nachdem die
Arbeit schon jetzt druckfertig vorliegt. - G. Merzbacher.
2) Huntington, l. c., S. 169. 3) Siehe Anmerkung unter Text S. 111.
4) Siehe die Karte bei Merzbacher, l.c. und Friederichsens.
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sie wieder besser, denn für den östlich von diesem Paß liegenden Teil des Gebirges haben
wir die Beobachtungen Ignatiews und die von Friederichsen,!) der von Norden kom-
mend durch das Turgen-aksu-Tal und über den Kara-kür-Paß in das Gebirge am
Kulu gelangt ist. Ich bin ein Jahr später denselben Weg in der entgegengesetzten
Richtung gegangen und war ebenso erstaunt wie Friederichsen über die Deutlichkeit,
welche die Flächen hier zeigen und über ihre Ausdehnung, obgleich ich solche Bildungen
schon vorher am südlichen Rande der Tekes-Ebene, am oberen Laufe des Sary-dschass-
und am Souka-Pab gesehen hatte. Man findet sie hier in dem Streifen des Gebirges,
der im Norden von dem wasserscheidenden Kamm des Terskei-Ala-Tau, im Süden von
den nördlichen Abhängen des Kulu-Tau begrenzt wird, das ist also im Gebiet der
äußeren Gebirgszüge, worin der westliche Teil des südlichen Granitzugs liegt. Kommt
man von Norden und quert das Gebirge über den nahezu 4000 m hoch liegenden Kara-
kür-Paß, so steigt man auf dem Weg nach Süden im das Ottuk-Tal hinunter. Schon
am oberen Laufe des Ottuk zeigt sich, daß das Gebirge auf beiden Seiten des Flusses
stark abgetragen worden ist. Die Flüchen sind hier, wie es scheint, nicht mehr sehr
deutlich erhalten; sie treten aber um so deutlicher hervor, sobald man das zum Berkut-
Paß führende Nebental erreicht hat. Dort dehnen sie sich nun nach Osten weit aus; ihr
scharfer südlicher Hand ist auf der rechten Seite des Sary-dschass-Tals mehr als eine
Tagereise weit talaufwürts, fast immer in derselben Höhe bis in die Gegend des K aschka-
tur-Passes sichtbar. Im Norden werden sie eine Strecke weit östlich vom Kara-kür-
Paß, von dem Kamm des Terskei-Ala-' Tau begrenzt, dann bilden sie selbst die Wasser-
scheide und erreichen den mittleren und oberen Teil des Kok-dschar- Tals.
Der geschlossene Kamm des Terskei-Ala- Tau reicht, soweit bei der großen mor-
phologischen Verschiedenheit der südlichen und nórdlichen Abhünge?) überhaupt yon einem
zusammenhängenden Kamme die Rede sein kann, nach Osten noch etwas über den 3900 m
hohen Turgen-Aksu-Paß hinaus, erreicht aber nicht die linke Seite des Kok-dschar-
Tals. Die Karten geben darüber verschiedenerlei Auskunft. Auf Friederichsens Karte
sieht man den mit Schnee und Eis bedeckten Kamm östlich vom Turgen-Aksu-Paß
endigen, auf der Karte Merzbachers verläuft er, indem er aus der N.O.-Riehtung nach
Osten abschwenkt, bis in die Gegend des Kaschka-tur-Passes. Wir haben bei der Be-
sprechung der beiden Granitmassive der äußeren Gebirgszüge (S. 97 f.) gesehen, daß sie in
der geraden Fortsetzung der Streichrichtung nach N.O. bis an den südlichen Rand der
Tekes-Ebene reichen, daß also die Richtungsänderung des Terskei-Ala-Tau östlich
vom Turgen-Aksu-Paß nicht mit einer Veränderung der geologischen Verhältnisse zu-
sammenhüngt. Das erste große Quertal, östlich davon, das Kok-dschar-Tal, schneidet
tief in das Gebirge ein und zieht mit seinem Quellgebiet weit nach Süden bis in die
Nähe der inneren Ketten. Indem das Gebirge sich zu erniedrigen beginnt und gleichzeitig
in seiner Kammregion sich wesentlich verbreitert und abplattet, wird hier der Terskei-
Ala-Tau in östlicher Richtung in eine Anzahl getrennter Gebirgsstücke zerlegt, die von
tiefen Quertälern begrenzt werden. Es zeigen sich aber in der unmittelbaren Fortsetzung
des Kammes, westlich vom Turgen-Aksu-PaB solche Hochflüchen sogar auch östlich
vom Sart-dschol-Paß, wo sie allerdings nicht näher erforscht wurden; aber genau bekannt
I Friederichsen, |. c., S. 87 f. 2) Merzbacher, l. c., S. 64.
175
^
sind diese Denudationsflüchen in der Umgebung des Berkut-Passes, weiter im Osten am
Mün-tór-Pa& und am Kapkak-PaB; sie reichen sogar nach Osten bis zum Kaschka-
tur-PaB und darüber hinaus und bilden auf dieser langen Strecke einen jetzt durch Erosion
allerdings verhältnismäßig vielfach zerlegten Streifen, der aber zweifellos früher Zusammen-
hang hatte. 1:
Wenn wir nun die nördlichen und südlichen Ränder der Flächen in dem bisher
besprochenen Gebiet genauer verfolgen, so zeigt sich das Folgende: Am Souka-Paß ist
der nórdliehe Rand sehr scharf durch den steilen Absturz der nórdlichen Seite des Terskei-
Ala-Tau bezeichnet; er verliert aber weiter nach Osten an Schärfe. Dennoch können
wir auch dort einen ühnlichen Gegensatz zwischen der nórdlichen und südlichen Seite des
Terskei-Ala-Tau erkennen. Friederichsen hat ihn geschildert; ein Unterschied gegen-
über den Verhältnissen am Souka-Paß ist nur insofern vorhanden, als in der Umgebung
des Turgen-Aksu-Tals und weiter nach Osten die nördliche Seite des Terskei-Ala-Tau
nicht mehr so steil ist und als die Flächen auf seiner südlichen Seite nicht mehr so zu-
sammenhüngend sind, sondern durch Erosion zerschnitten worden sind. Noch weiter im
Osten verschwindet der Rand, sobald man sich dem Kok-dschar-Tal nähert, uud die
Flächen werden nach Norden durch dieses Tal und seine Quelltäler begrenzt.
Im Osten der vorhin erwähnten Hochflächen des Irtasch-Oberlaufes wird auf der
rechten Seite des unteren Kulu-Tales an dessen südlichen Rande noch ein Stück hohen
Denudationsgebietes, das sogenannte Arpa-tóktyr-Plateau sichtbar, eine „tischförmig ebene
Hochflüche*') und, von ihm nur durch den tiefen Einschnitt des Kulu getrennt, Friederich-
sens sogenannter Tórpu-Syrt. Noch weiter östlich ist als der heute noch sichtbare südliche
Rand dieser Zone der steile Absturz des unterkarbonischen Kalks anzusehen, den Friede-
richsen erwähnt und den wir bei Betrachtung der Lüngsbrüche des Sary-dschass-"Tals
kennen gelernt haben (s. S. 160). Sehr wahrscheinlich haben dort einst die Flächen?) noch
weiter nach Süden gereicht, und Friederichsens Vermutung, daß sie an großen Brüchen ab-
gesunken seien, mag richtig sein. Östlich vom Kaschka-tur-Paß treffen wir noch einige
zerstreute Reste der Flächen auf der rechten Seite des Sary-dschass- und des Kara-kol-
Tals. Der Verlauf der Grenze der ganzen Zone zeigt uns deutlich, daß die Denudationsflächen
von Westen nach Osten bedeutend an Breite verlieren und zuletzt auf das schmale, zwischen
dem Kok-dschar- und dem Sary-dschass-Tal liegende Gebirgsstück beschränkt bleiben.
1) Friederichsen, l. c., S. 91 und siehe die Karte Bl. I.
?) Nach meinen Informationen ist es nicht mit Sicherheit festzustellen gewesen, ob die Kirgisen
nicht nur die ausgedehnten Weidegründe im Hintergrunde der Hochtäler, sondern auch die sterilen Hoch-
flachen, von denen hier die Rede ist, als Syrt bezeichnen. Nach den Angahen Almasys und Friede-
richsens (l.c. S. 151 £) wäre dies der Fall. Dann wäre es aber auch gewiß, daß unter der Bezeichnung
Syrt sehr verschiedene Arten von Flächen zusammengefaßt würden: nämlich sowohl Destruktionsflächen,
die uns hier ausschließlich beschäftigen, als auch die meist etwas tiefer liegenden Aufschüttungsflächen
an den Ufern des Oberlaufes der Flüsse. Es ist aber ganz klar, daß diese beiden Arten von Flächen
durch ganz verschiedene Vorgänge entstanden sind: die Destruktionsflächen durch Abtragung des Gebirges,
die tiefer liegenden Flächen in den höchsten Teilen der Täler aber durch Auffüllung der dicht benach-
barten weiten und flachen Becken des Gebirges mit den sehr jungen roten Sanden und Konglomeraten
und mit altem Moränenschutt. Für die Destruktionsflächen finden wir Beispiele auf der rechten Seite
des Sary-dschass-Tals, für die Aufschüttungsflächen dicht daneben auf dessen linker Seite. Es empfiehlt
sich also die Bezeichnung Syrt, die doch wohl hauptsächlich für die Weidegründe der Aufschüttungsflächen
gilt, nicht ohne weiteres als morphologische Bezeichnung für die Destruktionsflächen zu verwenden.
176
Betrachten wir nun die Hóhen,!) welche die Denudationsflächen an den verschiedenen
Stellen des eben begrenzten Gebietes einnehmen: Die vorläufige Karte Merzbachers
gibt für den Souka-Paß 4270 m Höhe an: der Wert Semonows beträgt 3360 m. Das
ist ein erheblicher Unterschied. Es gibt aber Gründe dafür, daß die von Semenow
ermittelte Höhe zu gering ist.?) Die Vorberge des Terskei-Ala-Tau erreichen nach
Sewerzow im Mittel schon 3300 m, einzelne Gipfel darin 3600—53900 m Höhe. Man
sieht, daß diese Gipfel an Höhe bedeutend hinter denen der Kammlinie des Terskei-
Ala-Tau zurückbleiben, und daß die Gipfel der Vorberge auch zum großen Teil tiefer
liegen als die Scharte des Souka- Passes, dessen Umgebung ganz vergletschert ist. Westlich
davon liegt der Barskoun-PaB, ungefähr 3700 m hoch. Selbst wenn wir nun für den
Souka-Paß nur einen ähnlichen Wert annehmen würden, so erhielten wir, indem wir die
Höhe der Gipfel in der Umgebung des Passes hinzufügen, für die auf diesen Gipfeln noch
sichtbaren Reste der Denudationsflächen (siehe Profil Fig. XIV) mehr als 4000 m Höhe.
Die Flächen senken sich allmählich nach Süden, und wenn wir dies in Betracht ziehen, so
ergibt sich, daß sie im Mittel in der Umgebung des Souka-Passes mindestens 3800 bis
4000 m hoch liegen müssen.
Die Höhe des Kara-kür-Passes beträgt nach Merzbachers Karte rund 3900 m,
nach Friederichsen 3932 m. Hier stimmen also die Angaben überein. Der Turgen-Aksu-
Paß hat nach Alexandrows?) Messung 3876 m, der Törpu-Paß nach Friederichsen
3708 m, der Berkut-Paß nach Alexandrow 3903 m Höhe. Sowohl der Törpu-Paß
als der Berkut-Paß liegt im Gebiet der Denudationsflächen; beide sind flach mulden-
förmig eingesenkt und werden von den Flächen ihrer Umgebung nur wenig überragt.
Der Höhenunterschied zwischen diesen Sary-dschass-Hochflächen und denen am Souka-
Paß ist also nicht bedeutend.
Eine gewisse Unklarheit kommt dadurch in diese Verhältnisse, daß sich etwas westlich
vom Kara-kür-Paß im Quellgebiet des Turgen-Aksu-Flusses einige Gipfel erheben, die
nach Saposchnikows Vermessungen zum Teil mehr als 5000 m hoch sein sollen. Es
ist klar, daß dies gegenüber der Lage der Denudationsflächen einen derartigen Höhen-
!| Ein Teil der Höhenangaben sind der übersichtlichen Tabelle entnommen, die Friederichsen in
dem IV. Anhang seines Berichtes gibt.
2) Die in meinem Berichte (Peterm. Mitteilg.) verwerteten Koten sind, wie ich dort (S. 100) hervor-
cehoben habe, nur beiläufige, weil sich das gesamte hypsometrische Beobachtungsmaterial noch in wissen-
schaftlicher Bearbeitung befindet. Immerhin kann bei der Güte der benützten Instrumente und bei der
großen Sorgfalt, welche den Beobachtungen zugewendet wurde, behauptet werden, daß schon diesen
vorläufigen Werten eine annähernde Richtigkeit zukommt. Der große Unterschied zwischen meiner und
der Kote Semonows mag seine Erklärung darin finden, daß, wie ich mit hoher Wahrscheinlichkeit
annehmen darf, Semonow nicht die sehr weit nach Süden zurückliegende, schwer erreichbare höchste Paß-
höhe betrat, sondern nur eine Einsattlung im nördlichen Rand der Kette. G. Merzbacher.
3) Die Werte, die Borgheses Expedition (Brocherel, In Asia Centrale. Una esplorazione nel
Tien Scian Centrale; Spedizione d. Prineipe Don Seipio Borghese nel 1900, B. d. S. G. Italiana, 4. Ser.,
Bd. V, S. 451—90, 574—603, davon getrennt ein Kartenblatt: Carta d. T. S. Centrale con l’itinerario d.
spedizione d. Princ. Se. Borghese secondo lo note ei relievi d. Prof. G. Brocherel 1:600000, Rom 1904)
erhalten hat, scheinen mir, was auch schon Friederichsen (l. c., S. 231) für einige Punkte hervorgehoben
hat (siehe auch Literaturbericht, Peterm. Mitteil. 1905, Heft VII, Nr. 381) zu niedrig zu sein: sie bleiben,
abgesehen von anderen Punkten des Gebirges, für den Turgen-Aksu-Paß hinter den Werten Alexandrows
und für den Törpü-Paß hinter dem Werte, den Friederichsen angibt, um rund 700 m zurück.
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unterschied ergibt, daß keine Rede davon sein kann, die Denudationsflächen hätten sich
ähnlich wie am Souka-Paß unter allmählicher Erhebung nach Norden bis zu der Höhe
dieser Gipfel erstreckt. Wahrscheinlicher ist, daß der Unterschied durch spätere Bewe-
gungen entstanden sei. Soweit ich die Flächen dieses Gebiets gesehen habe, konnte ich
nirgends ein allmähliches Ansteigen nach Norden deutlich erkennen. Man beobachtet sie
vielmehr in getrennten Stücken, die fast wagerecht verlaufen. Demnach gewinnt es den
Anschein, als lägen sie dort als ein nach N.O. verlaufender Streifen, eingesenkt zwischen
steil aufragenden Rändern. Besonders deutlich tritt dies hervor auf der südlichen Seite
des Kulu-Tals, am Südrande des Arpa-töktyr-Plateaus, das, völlig eben und 3800 m
hoch gelegen, im Süden zuerst von 4300 m hohen, dann im Kulu-Tau von fast 6000 m
hohen Gipfeln überragt wird. Auch weiter im Osten bemerkt man ähnliche Verhältnisse:
der schmale Streifen der Denudationsflächen auf der rechten Seite des Sary-dschass-
Flusses liegt in der Gegend des Mün-tór-Passes 3800 m, am Kapkak-Paß 3900 m und
auf der rechten Seite des Kara-kol-Tals 3800 bis 3900 m hoch. Gegen Norden hin würde
die Fortsetzung der Flüchen hóher liegen als alle Gipfel des Gebirges, vielleicht mit Aus-
nahme einiger Erhebungen auf der rechten Seite des Kok-dschar-Tals und im obersten
Kapkak-Tal, die das Niveau der Flüchen ein wenig überragen mógen; nach Süden würde
dagegen die Fortsetzung der Flächen auf die Gehünge der hohen inneren Ketten!) treffen.
Dies wäre ein in seinen Hauptzügen ähnliches Bild wie am Arpa-töktyr-Plateau.
Aus den Vergleichungen der bisher ermittelten Höhen ergibt sich nun ganz deutlich,
daß die Denudationsflächen, vom Souka-Paf! im Westen bis zum Aschu-tör-Paß im
Osten. im Durchschnitt 3900 m hoch liegen. Gegenüber der Beständigkeit des Niveaus
der Flächen treten einige Verschiedenheiten in ihrem sonstigen Verhalten hervor. Am
Souka-Pal sieht man deutlich, daß sich die Flächen von den Gipfeln des Kammes
allmählich nach Süden senken, was besonders gut an den ausgedehnten Firnfeldern süd-
westlich vom Passe sichtbar wird; in der Umgebung des Kulu-Tals, am Törpu-Paß,
aber namentlich am Arpa-töktyr-Plateau und auf der rechten Seite des Sary-dschass-
und des Kara-kol-Tals liegen die Flächen dagegen mehr oder weniger wagerecht, wie
eingesenkt zwischen höher aufragenden Rändern. Im oberen Teile des Sary-dschass-
Tals kann man wahrnehmen, daß einzelne, dicht benachbarte Stücke des südlichen Randes
der Denudationsflächen, soweit er erhalten ist, in verschiedener Höhe liegen, wenn der
Höhenunterschied auch nur gering ist: Die Hochfläche am Kaschka-tur-Paß liegt auf
unterkarbonischem Kalk ein wenig tiefer, als das Stück der Hochfläche auf dem Phyllitzug
östlich davon, und der Unterschied beginnt ganz deutlich an den Stellen, wo die großen
Querverschiebungen, die den Phyllitzug zerschnitten haben, verlaufen (siehe S. 96, 107,
155 f. und 159).
Es dürfte deshalb die Annahme berechtigt sein, daß diese Querverschiebungen später
als die Flächen entstanden sind.
1 Friederichsen, ]. c., Abbildung 42 auf Tafel 26. Diese Abbildung gibt eine gute Vorstellung
hiervon; man sieht im Vordergrunde zur Rechten ein Stück aus dem südlichen Rande der Denudations-
flàchen. Es ist fast eben und wagerecht. Im Hintergrunde sind die Teile der inneren Ketten, die
zwischen dem Khan-Tengri und dem Tüss-aschu-Paß liegen, sichtbar. Die Fortsetzung der Denudations-
fläche im Vordergrunde nach Süden träfe die nördlichen Abhänge der inneren Ketten noch unterhalb
der Schneelinie.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt 23
178
Wenn dies aber richtig ist, so ist es sehr wahrscheinlich, daß die heute
sichtbare Lage und Verbreitung der Denudationsflächen in einem hohen Grade
von Dislokationen beeinflußt worden ist, und dadurch ließe sich erklären;
weshalb diese merkwürdigen, ausgedehnten Flächen nur in gewissen Teilen
des Gebirges vorkommen und zwar an manchen Stellen in einer niedrigeren
Lage als die umgebenden Teile des Gebirges, die keine Spur der Flächen
zeigen oder mehr erkennen lassen. op :
Alles dies führt zur Frage nach dem Alter, der Lage und der Bedeutung der Dis-
lokationen, die hier in Betracht kommen könnten. Um eine solche Frage zu beantworten;
müssen wir uns nochmals zum nördlichen Rand der Denudationsflächen wenden.
Auf der linken Seite des Kok-dschar-Tals können wir deutlich wahrnehmen, daß
die Hochflächen in dem Sedimentstreifen zwischen den beiden Granitzügen den steil ge-
stellten unterkarbonischen Kalk ebenso abschneiden wie den Phyllit der: Schieferzone des
Bayum-kol-Tals auf der rechten Seite des Sary-dschass. Auch westlich vom Kaschka-
tur-Paß und am Kapkak-Paß läßt sich ähnliches beobachten. Die Denudationsflächen,
die dort auf unterkarbonischem Kalk liegen, breiten sich nach Osten auf der rechten Seite
des Kara-kol-Tals auch über den Granit aus, der diesen Kalk im Kontakt verändert hat.
Hieraus ergibt sich, daß die Abtragung des Gebirges, die schließlich bis zur
Bildung von Denudationsflächen vorgeschritten ist, erst begonnen hat, nach-
dem die intrakarbonischen und sehr wahrscheinlich auch die postkarboni-
schen Bewegungen vor sich gegangen waren, durch welche die steile Stellung des
unterkarbonischen Kalks verursacht worden ist.
Wir haben bei Betrachtung der orographischen Verhältnisse des nördlichen zentralen
Tian-Schan gesehen (S. 92), daß das Gebirge östlich vom Aschu-tör-Paß, wo die
Wasserscheide von den östlichen Ausläufern des Terskei-Ala-Tau, nämlich vom Gebiet
des südlichen äußern Granitzugs, also auch von dessen Denudationsflächen auf die hohe
zentrale Kette übergeht, anders beschaffen ist, als westlich davon. Die genauere Betrachtung
ergibt nun einen Unterschied insoferne, als die Quertäler im Westen auf der Nordseite
nur bis an den Kamm des Terskei-Ala-Tau reichen und auf der südlichen Seite im allge-
meinen nur wenig entwickelt sind, daß sie sich dagegen östlich vom Aschu-tör-Paß bis in
die Nähe der zentralen Kette erstrecken und dort, dicht nebeneinander liegend, das Gebirge
tief zerschnitten haben (S. 95 f.). Wir haben ferner (S. 103, 171, 173) gesehen, wie groß
der Unterschied in morphologischer Beziehung zwischen den nördlichen Abhängen: des
Terskei-Ala-Tau und dem Gebiet der Denudationsflächen ist: daß nämlich: die nörd-
lichen Abhänge Formen zeigen, die an unsere Zentralalpen erinnern,!) und da&.die Denu-
dationsflüchen in dem Gebiet der Wasserscheide mitten im Hochgebirge einen. überaus
lebhaften Gegensatz dazu bilden. Dieselben scharfen Formen wie an. den: nördlichen
Abhängen des Terskei-Ala-Tau finden wir nun auch östlich vom Aschu-tör-Paß in
der geraden Fortsetzung der Denudationsflächen der Wasserscheide nach O.N.O., und die
Veränderung geht plötzlich vor sich, gerade an der Stelle, wo das Aschu-tór- Tal bis
nahe an die zentrale Kette nach Süden reicht. So sehen wir also auch von Westen nach
Osten, in Gebieten von derselben Zusammensetzung und demselben Bau, ganz denselben
I) Merzbacher, l. c, S. 64.
179
Gegensatz der morphologischen Verhältnisse wie auf irgend einer meridionalen Linie des
Terskei-Ala-Tau. Der Übergang ist allerdings nicht ganz so deutlich sichtbar wie am
Kamme dieses Gebirgszuges, weil die Denudationsflüchen schon westlich vom Aschu-tór-
Pa& allmählich verschwinden oder an Deutlichkeit verlieren und zuletzt nur noch in einem
schmalen Streifen auf der rechten Seite dés oberen Sary-dschass- und des K ara-kol- Tals
erhalten geblieben sind. Östlich vom Aschu-tör-Paß verschwindet auch dieser Streifen,
und erst in der Nähe des Bayum-kol-Tals sieht man wieder Reste der Flächen. Diese
Verhältnisse sind so auffällig, daß sie fast allein schon genügen, um zu zeigen,
da& die Denudationsflüchen älter sind als die Quertäler, und daß sie von
diesen zerschnitten und zum Teil vernichtet worden sind, Eine ‚Bestätigung
dessen finden wir in dem Vorkommen der eben erwähnten Reste der Denudationsflächen,
die in der Nähe des Bayum-kol-Tals und weiter östlich nur in kleinen Stücken noch
erhalten sind, aber sonst ganz die Beschaffenheit der Flächen des Sary-dschass-Tals
haben. Ein besonders deutliches Beispiel bietet das Quellgebiet der Mukur-Mutu-Flüsse.!)
Es kann demnach nicht mehr zweifelhaft sein, daß sich die Denudationsflächen über das
ganze, heute noch sichtbare Gebiet des südlichen äußeren Granitzugs ausdehnen, daß sie
aber nach Osten mehr und mehr bis auf wenige, voneinander entfernte Stücke vernichtet
worden sind. Erst die später eingetretene Bildung der großen Quertäler hat diese Erschei-
nung verursacht, und es liegt daher nahe anzunehmen, daß die Entstehung dieser Quer-
täler, das heißt die hiezu erforderliche Veränderung der Gefällsverhältnisse durch Boden-
bewegungen von bedeutendem Ausmaß verursacht worden ist.
Es ist nunmehr unsere Aufgabe nachzuweisen, dal solche Bodenbewegungen statt-
gefunden haben, daß sie jünger sind als die Denudationsflächen und daß die Lage der
grofien Quertäler einen gewissen Zusammenhang mit der Lage der Dislokationen, welche
durch diese Bewegungen hervorgerufen worden sind, zeigt. Der erste Teil der Aufgabe
erledigt sich leicht. Es genügt noch einmal, wie S. 177, darauf hinzuweisen, daß die Ver-
schiebungen und Längsbrüche am Kaschka-tur-Paß, um nur ein sicheres Beispiel anzu-
führen, die Denudationsflächen im Gebiet des Phyllitzugs zerschnitten haben, und daß der
steile Abfall des unterkarbonischen Kalks auf der rechten Seite des Sary-dschass-Tals,
woran die Denudationsflüchen nach Süden endigen (S. 160), höchst wahrscheinlich durch
einen Längsbruch gebildet worden ist.
Die verschiedenen Teile der äußeren Gebirgszüge zeigen, soweit sie bekannt geworden
sind, in der Richtung des Streichens im ganzen den gleichen Bau und gleiche Zusammen-
setzung; sie endigen im Osten an den südlichen Rändern des Karkarä- und des Tekes-
Beckens, indem sie daran nacheinander spitzwinklig abschneiden (S. 98 und 101). Also
nähern sie sich, aus dem Innern des Gebirges nach O.N.O. streichend, gegen Osten
allmählich dessen Rande, der schräg zu dieser Richtung verläuft. Dies ist namentlich
für das Gebiet des südlichen äußeren Granitzugs deutlich, somit auch für seme Denu-
dationsflächen, die dorten bis auf wenige Reste verschwinden, wo sie in den Bereich
der Abdachung geraten. Die Richtung dieser Abdachung ist also unabhängig
vom Streichen der alten Sedimente und von der Lüngsrichtung der graniti-
1 Merzbacher, l. c., S. 6.
180
schen Massive (siehe auch S. 96). Es bliebe nun noch zu prüfen, ob sie im Zusammen-
hang mit Dislokationen steht, die jünger als die Denudationsflächen sind.
Muschketow!) hat zu zeigen versucht, daß im Transilensischen Ala-Tau und
im Kungei-Ala-Tau sehr wahrschemlich große Längsbrüche vorhanden seien; und er
hat auch die Erdbeben, die wiederholt den nördlichen Fuß des Transilensischen Ala-
Tau betroffen haben, darunter das starke Erdbeben von Wernoje am 28. Mai 1887, in
Zusammenhang mit den großen Brüchen gebracht, die den Fuß des Gebirges begleiten.
Davis?) meint, daß das östliche Ende des Alexander-Gebirges sowie die Gebirgszüge
um das westliche Ende des Issyk-kul, die noch Teile der großen peneplain tragen, als
durch Verwerfungen begrenzte Massen anzusehen seien.
Wir erinnern uns hier an die bei der Besprechung des nördlichen Granitzugs schon
(S. 100 £) erwähnte Tatsache, daß der Kamm des östlichen Teils des Terskei-Ala-Tau
auf seiner Erstreckung östlich vom Souka-PalS unter einem deutlichen Winkel plötzlich
aus der W.O.-Richtung nach O.N.O. abschwenkt und daß seine Richtung von dort bis
in die Gegend des Kok-dschar-Tals, wo er allmählich verschwindet, mit dem Streichen
der Sedimente übereinstimmt. In dieser Richtung streichen aber auch die Sedimente im
Souka-Tal, während die Achse der granitischen Vorberge des Terskei-Ala-Tau nach
W.S.W. gerichtet ist. So kommen wir zu dem nahe liegenden Schluß, daß diese Streich-
richtung auch weiter im Westen vorhanden ist, und daß der nördliche Abhang des Terskei-
Ala-Tau nicht die Abdachung eines selbständigen Gebirgsbogens, sondern der nördliche
Abfall einer aus dem Rumpfe des alten, abgetragenen Gebirges herausgeschnittenen Masse
ist, und damit dehnen wir die Ansicht, die Davis aus den auffallenden Formen der Ge-
birgszüge am Westende des Issyk-kul gewonnen hat, auch auf den größten Teil des
Terskei-Ala-Tau aus: daß nämlich große Brüche vorhanden sind, so daß der nördliche
Abhang dieses Gebirgszugs in seinem südlich vom Issyk-kul von W. nach O. gerichteten
Laufe auch die Richtung dieser Brüche anzeigt.
Diese Verhältnisse verraten eine überraschende Ähnlichkeit mit den Verhältnissen
am südlichen Rande der Tekes-Ebene. Da ich diese auf einer längeren Strecke aus
eigener Anschauung kenne, wogegen über die tektonischen Verhältnisse des mittleren Teils
des Terskei-Ala-Tau nur sehr wenig bekannt ist, so wollen wir zuerst den südlichen
hand der Tekes-Ebene kurz betrachten.
Den südlichen Rand der Tekes-Ebene begleitet vom oberen Laufe des Tekes im
Westen bis über die chinesische Grenze nach Osten hinaus ein breiter Saum der roten,
sehr wenig dislozierten jungen Bildungen. Diese setzen am Fuße des Gebirges niedrige
Hügel zusammen, die zum großen Teil nur mit spärlicher Vegetation bedeckt sind, schon
aus großer Entfernung durch ihre rötliche Färbung auffallen und dadurch in einem leb-
haften Gegensatz zu den dunklen, mit Wald und Alpenmatten bedeckten Gehängen des
Gebirges stehen. Hauptsächlich bestehen sie aus stark eisenschüssigen Lehmen, von löß-
artiger Beschaffenheit oder locker und bröckelig zerfallend, und darin sind Gerölle von
Quarz, von Granit und Kalk enthalten, welche zu undeutlichen Bänken angeordnet sind.
An den meisten Stellen fallen die Bänke flach nach Norden ein und bedecken in diskor-
!) Muschketow, Mém. Com. Geol, St. Petersburg, X, Nr. 1, 1890, S. 132.
SICHT TAT:
181
danter Lagerung den präkarbonischen Granit und die alten Sedimente, die hier haupt-
sächlich aus unterkarbonischen Kalk bestehen (siehe die Profile Fig. XX und XXI). Die
roten Lehme verhüllen den Fuß des Gebirges an manchen Stellen, wie z. B. an der Mün-
dung des Kapkak-Tals; sie reichen aber nur bis zu geringer Hóhe und werden in den
höheren Tälern nieht mehr sichtbar. An manchen Stellen werden sie von alter Moräne
bedeckt und senken sich nach Norden allmählich unter die mächtigen Aufschüttungen
hinab, welche die Tekes-Ebene auffüllen. Mitten in diesen Bildungen findet man,
228,
Fig. XX. Profil durch den Bergrücken Kasalusch zwischen Staniza Narynkol
und der Mündung des Bayum-kol-Tals. (Länge 150 m.)
eg dunkelgrauer, unterkarbonischer Kalk, in den unteren Bänken Gerölle von rotem
Granit, c dünnplattiger Kalk, p pleistozäne Konglomerate, Sande und Lößlehm.
namentlich zwischen der Mündung des Kapkak-Tals im Westen und der Kosakenansiede-
lung Narynkol (Ochotnitschi) im Osten, getrennte Schollen des unterkarbonischen
Kalks. An der Basis einer dieser Schollen zeigt sich die transgressive Lagerung des
unterkarbonischen Kalks auf Granit.
Westlich von der Mündung des Bayum-kol-Tals schließen sich diese Schollen
zusammen und setzen einen schmalen, von den jungen Bildungen umgebenen Streifen
zusammen, der vom Kapkak-Fluß in einem engen Einschnitt durchbrochen wird. Noch
weiter im Westen sieht man in der Nähe der Poststation Ütsch-kapkak in der Fort-
setzung der Schollen nach Westen einen zusammenhängenden Zug von unterkarbonischem
Kalk, der flach nach Süden einfällt und nach Norden in einer 300---400 m hohen mauer-
artigen Wand steil abfällt. Am Fuße dieser Wand wird Quarzporphyr in großen Massen
sichtbar. Nördlich davon dehnt sich die flache, fast ebene Steppe aus.
Bei genauerer Untersuchung zeigt es sich, daß in diesen Schollen Streichen und
Fallen des unterkarbonischen Kalks sehr veränderlich ist. Bei der Station Ütsch-kapkak
fallen die Kalke, wie wir eben gesehen haben, flach nach Süden ein; westlich von der
Mündung des Bayum-kol-Tals bilden sie mit den jungen Bildungen einen 200—250 m
hohen Rücken und stehen hier steil oder fallen ein wenig nach Süden ein bei einem Streichen
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Fig. XXI. Profil durch die linke Seite des Kapkak-Tales bei der Mündung des Tales. (Länge 400 m.)
c dunkelgrauer, unterkarbonischer Kalk, p pleistozäne rote und gelbliche, lockere Konglomerate und grusige
Sande mit Kalk und Porphyrgeróllen, f fluvioglaziale Schotter, s Gehüngeschutt.
182
nach W.N.W. Der hellgraue unterkarbonische Kalk ist dort. außerordentlich stark zertrüm-
mert und wird von zahlreichen Kalkspatschnüren durchzogen. Etwas weiter im Osten sieht
man das frühere, vom Bayum-kol-Fluß verlassene Durchbruchstal.') ‘Auf dessen östlicher .
Seite liegen die Kalkbänke wieder flach, fallen nach Norden ein und streichen zunächst
noch nach W.N.W.; aber noch weiter östlich gehen sie an der Stelle, die in dem Profil
Fig: XX dargestellt ist, in die östliche Richtung über. Zwischen dem Streifen der
Schollen, der ungefähr von Westen nach Osten verläuft, und dem geschlossenen Rande
des Gebirges liegt ein 3—4 km breiter Gürtel ebener Steppe, dann folgt ein schmaler
Saum von alter Moräne und darauf erreicht man den unterkarbonischen Kalk und den
alten Granit des Gebirgsrandes. Zwischen dem Bayum-kol-Tal und dem kurzen Quertal
Naryn-kol besteht der Rand des Gebirges zum größten Teil aus Kalk, und erst weiter
südlich gegen das Innere des Gebirges treffen wir die großen granitischen Massen des süd-
lichen Granitzugs, die das Profil Fig. III zeigt. Es hat dies seinen Grund darin, daß
zwischen den beiden eben erwähnten Tälern der Gebirgsrand noch zum Gebiet des Sediment-
streifens gehört, der die beiden großen Granitzüge trennt. Am Ausgang des Bayum-kol-
Tals fällt der unterkarbonische Kalk nach Norden ein und streicht nach N.O.; dann sieht
man unmittelbar südlich davon noch einmal Granit; und die Lagerungsverhältnisse sind
dort so beschaffen, da& man sie, die transgressive Lagerung des Kalks vorausgesetzt, nur
durch das Vorhandensein von Brüchen, die in der Richtung des Gebirgsrandes verlaufen,
erklären kann. Solche Brüche sind aber weiter östlich, im Innern und am Rande des
Gebirges, wie wir wissen, in großer Deutlichkeit sichtbar. !
Östlich von der Mündung des Bayum-kol-Tals besteht der Rand längs einer ungefähr
8 km langen Strecke aus unterkarbonischem Kalk, der 40— 50? nach N.O. streicht und ein
veründerliches Fallen zeigt, weil er schwach gefaltet worden ist. Ungefähr 4 km südwestlich
von Staniza Narynkol tritt wieder Granit auf. An dieser Stelle kommt von Süden her
ein kleines Quertal aus dem Gebirge, das die Kirgisen Ak-tasch nennen. Auf seiner
linken (westlichen) Seite kann man die transgressive Lagerung des unterkarbonischen Kalks
auf dem Granit ungefähr 3— 4 km weit nach Süden in das Innere des Gebirges verfolgen.
An dessem Rande gehen die Kalkbänke zur Tiefe (siehe die Skizze Fig. XXII), stehen
Yerst steil, legen sich dann nach außen ein wenig flacher und versinken nach Norden unter
dem Saum der alten Moränen. Gegen das Innere des Gebirges steigen sie nach Süden
allmählich an und fallen nach N.W. ein. Zunächst ist hier hervorzuheben, daß der Kalk
und der darunter liegende Granit nach Osten steil abbrechen. Der Kalk ist wenig dis-
loziert worden und bildet sehr wahrscheinlich den östlichen Flügel einer nach N.O.
streichenden Mulde. Die größere Höhe, in welcher der Granit auf der rechten Seite des
Quertals liegt, zeigt nun sehr deutlich, daß der steile Abbruch auf der linken Seite durch
emen ungefähr von Süden nach Norden verlaufenden großen Bruch verursacht worden
ist. Dafür sprechen auch die Harnische, die man im Granit beobachtet.
Die transgressive Lagerung des Kalks ist nur eine kurze Strecke weit zu verfolgen,
nämlich nur an der Stelle, wo der Granit fast die Höhe des Talbodens erreicht und die
Kalkbünke zur Tiefe biegen. Unmittelbar über der Talsohle ist die Berührungsfläche durch
Gehängeschutt verdeckt. Aber ungefähr 20—30 m darüber findet man im Kalk vereinzelte
1) Merzbacher, l. c., S. 8.
183
Bänke von brecciöser Beschaffenheit, die Bruchstücke von Quarz und Feldspat enthalten
und dadurch zeigen, daß in der Tat transgressive Lagerung vorhanden ist. Weiter tal-
aufwärts kann man den Granit nur mehr bis in die Nähe der Auflagerungsfläche verfolgen ;
die unmittelbare Grenze zwischen Granit und Kalk ist dort entweder unerreichbar oder
durch Gehüngeschutt verhüllt. Der Granit ist bis zu einer Tiefe von 20—30 m unter
der Auflagerungsfläche stark verwittert, so daß er bei der Berührung mit dem Hammer
zu feinem Grus zerfällt. Weiter talaufwärts, wo die Entfernung von der Auflagerungs-
fläche immer größer wird, ist das Gestein zwar auch zersetzt, jedoch nicht ganz so mürbe.
Der transgressiv liegende Kalk ist hauptsächlich Crinoideenkalk in 0,5 —2 m dicken Bänken
und in emigen Lagen ein wenig dolomitisch; seine sichtbare Mächtigkeit mag hier 80—100 m
betragen. Es ist jedoch sicher, daß sie im allgemeinen weit größer ist. An einigen Stellen
ist der Kalk so zertrümmert, daß er unter dem Hammer in kleine eckige Stücke zerfällt.
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Fig. XXII. Unterkarbonischer Kalk in transgressiver Lagerung auf Granit im Quertal Ak-tasch
südöstlich von Narynkol, Blick nach S.W.
cz Granit, e unterkarbonischer Kalk, m alte Moräne.
Wenn man sich nun, im Ak-tasch-Tal aufwärts steigend, nach Süden begibt, so
findet man die folgenden Verhültnisse: Am Eingang des Tals und 3—4 km talaufwürts
zeigt sich auf der linken Seite die Überlagerung des zersetzten Granits durch den unter-
karbonischen Kalk, wie sie in der Skizze Fig. XXII dargestellt 1st. Hat man den Hinter-
grund des kurzen Tals erreicht, so befindet man sich auf der Höhe der ersten Kette,
ungefáhr 800—900 m über dem Niveau des Bayum-kol-Flusses. Auf der südlichen Seite
zieht em Tal nach S.W. hinab; auf dem Kamme zwischen dem Ak-tasch-Tal und diesem
Tal wird noch Granit und Kalk sichtbar, darunter die klippenartige Masse des Kalks, die
auf der linken Seite der Skizze Fig. XXIII dargestellt ist. Wenig südlich davon steht
aber nur Kalk an, und der Granit ist nicht mehr sichtbar. Verfolgt man die Lagerungs-
verhältnisse genauer, so zeigt es sich, daß der oberste Teil des nach S.W. verlaufenden
Tals in den unterkarbonischen Kalk eingeschnitten ist, da& die Bünke dieses Kalks an
manchen Stellen noch deutlich das nordóstliche Streichen bewahren, und an den meisten
Stellen, wo sie aus den üppigen Matten hervortreten, bemerkt man, daß sie stark disloziert
und daher sehr zerrüttet worden sind. Zum großen Teil liegen sie tiefer als die eben
erwähnte klippenartige Masse, aber auch tiefer als der Granit, der auf der Höhe nördlich
davon in großer Ausdehnung ansteht. Die Grenze zwischen dem Granit (siehe die
Skizze Fig. XXIII) ist nun so scharf und verläuft auch in gerader, mit dem allgemeinen
Streichen nicht übereinstimmender Linie von Westen nach Osten, daß kein Zweifel darüber
bleibt, es handle sich hier in Wirklichkeit um eine Verschiebung des Kalks gegen den
Granit. Es ist eine Bruchlinie vorhanden, die ungefähr von Westen nach Osten, also in
184
der Richtung des Gebirgsrandes verläuft und 2—3 km weit sichtbar bleibt. Wahrscheinlich
reicht sie aber noch viel weiter und besitzt die Bedeutung einer Verwerfung von großem
Ausmaß. Spuren davon sind auch noch weiter östlich auf der linken Seite des Naryn-kol-
Tals sichtbar; allein es würde zu weit führen alle diese Verhältnisse hier eingehender zu
beschreiben. Fassen wir sie also kurz zusammen, so kommen wir zu folgendem Ergebnis:
Zwischen der Mündung des Bayum-kol-Tals im Westen und der des Naryn-kol-Tals
im Osten besteht der hand des Gebirges aus einer Kette, die sich 900 bis 1000 m über
das Niveau des Bayum-kol-Flusses erhebt. Diese Kette, die auf ihrer nördlichen Seite
gegen die ebene Steppe des Tekes-Beckens absinkt, hat ungefähr eine Länge von 9 bis
10 km und besteht aus unterkarbonischem Kalk und Granit. Der Kalk ist hauptsächlich
im Westen sichtbar und bildet den Rand bis in die Nähe von Naryn-kol; er erscheint
in Mulden und Sätteln, die nach N.O. streichen und am Rande des Tekes-Beckens scharf
abschneiden. Wo der Granit zum ersten Male in größerer Ausdehnung sichtbar wird, im
Ak-tasch-Tal, zeigt sich ein von Süden nach Norden gerichteter Bruch und im Inneren
des Gebirges eine große Bruchlinie, die in der Richtung des Gebirgsrandes von Osten nach
Westen verläuft. Östlich vom Ak-tasch-Tal steht in der Umgebung des Naryn-kol-
Tals viel Granit an, der auch noch weiter östlich hauptsächlich den Rand des Gebirges bildet.
Als ein weiteres Beispiel für die tektonischen Verhältnisse und die Zusammensetzung des
Gebirgsrandes kommt weiter im Osten die Umgebung der Mukur-Mutu-Täler in Betracht:
Fig. XXIII. Unterkarbonischer Kalk durch Bruch von Granit getrennt, zwischen unterem
Bayum-kol-Tal und Naryn-kol-Tal. ungefähr 7 km von dem südlichen Rande der Tekes-Ebene
entfernt. (Blick nach N.N.O.)
c Unterkarbonischer Kalk, b Bruch, g Granit.
Die Mukur-Mutu-Täler (siehe S. 95, 101, 106, 109) sind drei kurze Quertäler
zwischen dem Kleinen und dem Großen Musart-Tal, die, dicht nebeneinander liegend, von
Süden nach Norden verlaufen.) Das mittlere etwa 5 km lange Tal mündet ungefähr 25 km
östlich von Naryn-kol in die Tekes-Ebene. An seiner Mündung steht Gneis und Sericit-
schiefer, in seinem unteren Teile grünlicher Phyllit und im oberen Teile Granit an. Den
Hintergrund des Tals bildet ein in unterkarbonischem Kalk eingetieftes Kar. Nur der
untere Teil des Tals ist tief eingeschnitten, der obere Teil verflacht sich ganz allmählich
und bildet zuletzt eine undeutliche Mulde. Der Granit ist sehr stark abgetragen worden
und setzt zwischen den drei Tälern breite, kaum gewölbte Rücken zusammen, deren seichte
1) Merzbacher, |. c., S. 5 f.
185
Vertiefungen durch alte Moräne ausgefüllt worden sind. Zwischen dem Kar im Hinter-
grunde des mittleren Tals und der Mulde an dessen Ende liegt eine niedere Bodenschwelle,
die sich mit auffallender Deutlichkeit weit nach Osten und Westen erstreckt. Diese Schwelle,
die zumeist mit alter Moräne bedeckt ist, bezeichnet eine in geologischer Beziehung sehr
deutliche Grenze. Es zeigen sich nämlich südlich davon weithin von Osten nach Westen
verlaufende Schollen des unterkarbonischen Kalks, nórdlich davon nur Granit. Die Schollen
fallen flach nach Süden ein und brechen steil nach Norden ab. In dem steilen Abfall der
nördlichen Seite liegen im Mukur-Mutu-Gebiet einige Kare nebeneinander. Das Kar im
Hintergrund des mittleren Tals ist halbkreisförmig, hat einen Durchmesser von 100 bis
120 m Länge und sein Boden ist mit alter Moräne bedeckt. Auch ein Teil der Karwände
ist durch Schutt verhüllt; an der westlichen Seitenwand jedoch ist das Gestein gut aufge-
schlossen: hauptsächlich grauer Crinoideenkalk, der in der höheren Lage zahlreiche Schalen-
reste des Productus giganteus enthält. Die darunter liegenden Bänke bestehen aus
hartem, dichtem Kalk, sind dünner als die Bänke des Crinoideenkalks und enthalten haupt-
süchlich verkieselte Korallen. Die flach nach Süden einfallenden Kalkbänke der Karwände
werden von zahlreichen O.W. verlaufenden Klüften, welche senkrecht stehen, zerschnitten;
sıe brechen auch steil nach Süden ab.
Das wahre Streichen ist, soweit es unter diesen Verhältnissen und bei der flachen
Lagerung der Kalkbänke sicher zu erkennen ist, im Allgemeinen wahrscheinlich nach N.O.
gerichtet. Es ist aber sehr auffällig, daß die Kalkschollen, worin die Kare liegen, einen von
Osten nach Westen und der oben erwähnten Bodenschwelle parallel verlaufenden Streifen
bilden. Die genauere Untersuchung ergibt, daß der unterkarbonische Kalk nach Norden
hin nicht auf dem nahe benachbarten Granit lagert, sondern, daß seine Bänke dagegen ab-
stoßen, und daß in der Linie der Kalkschollen und der Bodenschwelle von Westen nach
Osten, in derselben Richtung wie der Gebirgsrand zieht, große Verschiebungen verlaufen.
Auch der steile Absturz der Kalkwände der südlichen Seite des Kars am Ende des mittleren
Mukur-Mutu-Tals ist durch eine solehe Verschiebung verursacht worden, und noch weiter
südlich findet man die grabenartigen Versenkungen, die Merzbacher erwühnt,) und
welchen das Hochtal Maral-tö folgt.
An dieser Stelle ist wegen der Verschiebungen die transgressive Lagerung des unter-
karbonischen Kalks auf Granit nicht unmittelbar sichtbar. Unter den Kalkgeröllen, die
man in der alten Moräne und im Schotter der Bäche findet, kommen ebensolche von röt-
licher Färbung vor, die dunkle Glimmerblättehen und Bruchstücke von Quarz und Feldspat
enthalten und dieselbe Beschaffenheit zeigen, wie der Kalk über dem Granit des Sart-
dschol-Passes (S. 110 und 113 £.).?)
Die transgressive Lagerung ist daher auch hier vorhanden. Im Gebirge, das den Süd-
rand des mittleren Tekes-Laufes bildet, sind also nahe an dessen Rande große von Westen
I) |. c., S. 6.
?) Hiezu möchte ich anfügen, daß ich in einem höheren Niveau, auf dem Plateau südlich vom
Hintergrunde des mittleren und westlichen Tals diesen Kalk in einer mächtigen, nur mäßig steil ge-
steliten, durch dünnplattige Schichtung ausgezeichneten Scholle, die nach Süden abbricht, anstehend
gefunden habe. Etwas nördlich von dieser Stelle ist der Kalk in einer Senkung stark abgetragen und
der Granit ragt in einzelnen schroffen Klippen daraus hervor. G. Merzbacher.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt. 24
186
nach Osten verlaufende Störungen sichtbar. Einige davon treten sehr deutlich hervor und
können auf beträchtliche Entfernung verfolgt werden, so die Verschiebungen zwischen dem
Bayum-kol- und dem Naryn-kol-Tal und in der Umrandung der Mukur-Mutu-Täler.
Man kann annehmen, daß sie in den dazwischen liegenden, weniger oder gar nicht be-
kannten Teilen des Gebirges ebenfalls vorhanden sind; dort, wo sie durch alte Moräne oder
durch Vegetation verdeckt werden, läßt sich ihr Vorhandensein durch verschiedene Anzeichen
erraten, wie z. B. durch die Harnische im Granit, durch die in der Richtung der Störungen
verlaufenden Klüfte und die große, an manchen Stellen sichtbare Zertrümmerung des Kalks.
Die Größe und Häufigkeit dieser Störungen führt aber zu dem berechtigten Schluß, daß
auch der eigentliche Rand des Gebirges, wo der nach N.O. streichende karbonische Kalk
unter spitzem Winkel plötzlich endigt, durch große Brüche gebildet worden ist, und daß
auch die zahlreichen Schollen, die im Norden vor dem Rande aus den sehr jungen Bildungen
hervortauchen, von der Masse des Gebirges abgetrennte Stücke sind. Schon die Tatsache,
daß an der Basis einer dieser Schollen der alte Granit liegt, während am Gebirgsrand,
dieser Scholle gegenüber nur der unterkarbonische Kalk sichtbar wird, spricht deutlich hiefür.
Es ist jedoch fast unmöglich selbst bei genauerer Untersuchung wegen der mächtigen, ver-
hüllenden Decke der weichen, jungen Bildungen, die Brüche selber zu erkennen. Aber alle
die schon erwähnten Anzeichen, z. B. der steile, mauerartige Abbruch des Kalks bei der
Station Utsch-Kapkak (S. 181), die große Zerrüttung des Kalks und seine veränderliche
Lagerung an der Mündung des Bayum-kol-Tals (S. 182) zeigen, daß sie in Wirklichkeit
vorhanden sind. Das Beispiel von der Mündung des Ak-tasch-Tals (S. 183) beweist, daß
auch von Norden nach Süden verlaufende Brüche vorkommen. Andere Brüche liegen im
Streichen, sind also wahre Längsbrüche, wieder andere sind mehr oder weniger steil dazu
gerichtet und treten schräge zum Gebirgsrand aus der Masse des alten Rumpfes heraus; sie
endigen an den bedeutenderen Brüchen, welche diesen Rand gebildet haben. Infolgedessen
bleibt, obwohl an jenen Brüchen die verschiedenen Teile des Gebirges verschoben worden
sind, dennoch der Rand des Gebirges auf einer 50 bis 60 km langen Strecke und auch noch
weiter nach Osten über das Große Musart-Tal hinaus ziemlich gerade,!) und wo Unregel-
mäßigkeiten aufzutreten scheinen, ergeben sie sich meist durch das Vorhandensein der
Schollen vor dem Rande.
Die Karte zu Merzbachers Bericht zeigt, obgleich sie nur eine vorläufige Darstellung
ist, sehr deutlich, daß der gerade, von Osten nach Westen verlaufende Gebirgsrand auf der
südlichen Seite der Tekes-Ebene am oberen Laufe des Tekes auf Erhebungen trifft,
die nordöstliche Richtung haben und auf der Karte als Basch-oglü-tagh bezeichnet sind.
Es sind dies Gebirgszüge, welche den zentralen Tian-Schan mit: den Erhebungen des
Temurlik-Tau verbinden. Die Poststraße nach Naryn-kol überschreitet sie östlich von
Karkara. In der Nähe von Karkara bestehen sie aus altem Schiefer und unterkarboni-
schem Kalk, weiter östlich aus Dioritporphyr, hauptsächlich aber aus Quarzporphyr. Daß
die Masse des Quarzporphyrs, die an der Zusammensetzung dieser Gebirgszüge beteilist ist,
!) Diese auffällige Erscheinung, welche mich auf meinem Wege nach Osten zum Temurlik-Tau
beschäftigte, die dort auch mit dem Auftreten von doleritischen und porphyritischen Gesteinen im Temurlik-
Tau in Verbindung zu bringen ist, weist auf Brüche älterer und jüngerer Entstehung hin.
G. Merzbacher.
187
außerordentlich groß sein muß, geht schon aus der weiten Verbreitung der Porphyrgerölle in
den jungen Bildungen des Tekes-Beckens hervor. Im Norden dieses Beckens bestehen die
zum Teil mächtigen Gerölllager dieser Bildungen an den südlichen Gehängen des Dschitür-
dschal- und des Naryn-Tau fast ganz aus Porphyrgeröllen. Der Quarzporphyr ist jünger
als der unterkarbonische Kalk, also jünger als die alten Sedimente. und granitischen Ge-
steine des nördlichen zentralen Tian-Schan; seine Intrusion und Effussion fällt daher
auch in eine Phase der gebirgsbildenden Bewegungen, die jünger ist als die Dislokationen,
die der unterkarbonischen Transgression vorangegangen waren, vielleicht in die Phase der
intrakarbonischen, wahrscheinlicher aber erst in die der postkarbonischen Bewegungen.
Die Spuren der Störungen, die den südlichen Rand der Tekes-Ebene begleiten, sind
auch westlich vom Basch-oglü-tagh am südlichen Rande des Karkara-Beckens deutlich
sichtbar. Man erkennt sie dort namentlich an der Lagerung der Schollen des unterkar-
bonisehen Kalks, welche schon bei Besprechung der geologischen Verhältnisse des Sart-
dschol-Passes erwähnt wurde. Die Brüche, die dort den unterkarbonischen Kalk in
Schollen zerschnitten haben, sind wegen der starken Verhüllung durch die roten pliozänen
Mergel und mürben Sandsteine nicht sichtbar. Man sieht aber die nach Süden einfallenden
Kalkbänke und die nach Norden gekehrten steilen Abfälle der Schollen. Auf der südlichen
Seite des Sart-dschol-Passes treten dagegen Brüche, die dem Streichen des unterkarboni-
schen Kalks folgen oder spitzwinklig dazu verlaufen, deutlich hervor.
Wenn nun auch ein Teil der Höhenunterschiede zwischen dem unterkarbonischen
Kalk und dem darunter liegenden Granit durch ingressive Lagerung zu erklären ist, so
können dagegen die Unterschiede in der Höhenlage der verschiedenen Kalkschollen nur durch
Verschiebungen entstanden sein. Schon während des Abstiegs von der Höhe des Sart-
dschol-Passes zum Kok-dschar-Tal (siehe Fig. VII S. 114) trifft man die Schollen in
verschiedener Höhe. Ich erinnere hier an die Schichtung in der Nähe der Paßhöhe und an
die zerstreut umherliegenden Blöcke des unterkarbonischen Kalks, dann an die Schollen,
die weiter gegen das Kok-dschar-Tal abwärts in so ausgezeichneter. Weise die trans-
gressive Lagerung zeigen. Die scharfe, noch tiefer am Gehänge sichtbare flexurartige
Beugung des Kalks und des roten Sandsteins gegen die Tiefe des Kok-dschar-Tals und
die dichte Decke von Schutt und Vegetation verhindern es, die tektonischen Verhältnisse
in der unteren Hälfte des Paßabstiegs genauer zu erkennen.
Weiter östlich nimmt der Kalk an Mächtigkeit zu, und der nördliche, liegende Schenkel
der Flexur steigt in der Richtung des Streichens nach O.N.O. allmählich an. Der Verlauf
der Flexur ist jedoch nicht beständig und ihre Beugung nicht gleichmäßig. Es treten ver-
schiedene Komplikationen in ihrem Bau auf, zum Teil dadurch, daß die flexurartig gebogenen
Sedimente an verschiedenen Stellen von Brüchen sowohl im Sinne des Streichens als auch
quer dazu, durchschnitten und die verschiedenen Teile gegeneinander verschoben worden sind.
Wie die tektonischen Verhältnisse nun aber auch im Einzelnen beschaffen sein mögen, so
ist doch das Vorkommen von Brüchen auf der rechten Seite des Kok-dschar-Tals
unzweifelhaft. Ein Teil dieser Brüche mag im Granit verlaufen und daher nicht sichtbar
sein, ein Teil hat aber auch die Sedimente betroffen und hauptsächlich die eigentümlichen
Lagerungsverhältnisse des unterkarbonischen Kalks und der darüber folgenden bunten
jüngeren Bildungen geschaffen. Zu erwähnen ist noch, daß sehr große nach O.N.O.
streichende Brüche wahrscheinlich auch nordöstlich von Karkara vorhanden sind. Das
24*
188
Becken von Karkara verlängert sich nach Osten in eine mit Weidegründe bedeckte Hoch-
fläche, die lang aber verhältnismäßig schmal ist und zwischen O.N.O. streichenden Gebirgs-
zügen liegt. Die Abhänge dieser Gebirgszüge begrenzen die Hochfläche als lange, gerade
Mauern (S. 108, 122 f. und 181) und ich nehme an, daß es sich hier um Grabenbrüche
handelt.
In den östlichen Ausläufern des Kungeu-Ala-Tau, östlich und westlich vom San-
tasch-Paß und am nördlichen Rande des Terskei-Ala-Tau, südlich und nicht weit
westlich von diesem Pab, trifft man auf Porphyr. Genau in der Fortsetzung dieses Randes
in der Streichrichtung nach W.S.W. kommt man, wie mehrfach hervorgehoben, an den
Mündungen des Dschütü-oguss- und des Souka-Tals in die Zone der roten Konglome-
rate des Issyk-kul. Die Gerölle dieses Konglomerats bestehen zum großen Teil aus
Porphyr. Noch weiter westlich hat Friederichsen!) in der geraden Fortsetzung dieser
Linie Quarzporphyr am Ausgang des Tosor-Tals gefunden.
Es ist bemerkenswert, daß eine große Masse von Quarzporphyr, fast überall wo Sedi-
mente vorhanden sind in Verbindung mit unterkarbonischem Kalk, von den Bergzügen des
Temurlik-Tau im N.O. bis zu der Mitte des südlichen Ufers des Issyk-kul reicht (siehe
Bemerkung S. 186). Die östlichen Ausläufer des Kungeu-Ala-Tau in der Umgebung von
Preobraschensk bestehen zum großen Teil daraus (S. 100) und wahrscheinlich ist dies auch
dort der Fall, wo sich Kungeu-Ala-Tau und Terskei-Ala-Tau in der Nähe des Santasch-
Passes fast berühren (S. 108 und 186). Das ist ungefähr die Stelle, wo die alten granitischen
Gesteine zurücktreten und die Sedimente, hauptsächlich unterkarbonischer Kalk, in größerer
Ausdehnung anstehen. Da der Quarzporphyr jünger ist als der unterkarbonische Kalk und
dieser transgredierend auf den alten granitischen Gesteinen und den schon vor der Trans-
gression dislozierten alten Sedimenten liegt, so ist er kein Glied des sehr alten Gebirges. So
kommen wir zu dem Schlusse, die langgestreckten Gebirgszüge, die den nórdlichen Teil der
östlichen Ausläufer des Terskei-Ala-Tau genau in der Fortsetzung des Streichens mit
den Gebirgszügen des Temurlik-Tau verbinden, als ein bis zu einem gewissen Grade selb-
ständiges Stück des Gebirges anzusehen, das jünger ist als der größte Teil der äußeren
Gebirgszüge des nördlichen zentralen Tian-Schan. Die Brüche, die den südlichen Rand
der Tekes-Ebene begleiten, reichen bis in das Gebiet dieses jüngeren Gebirgsstücks.
Wahrscheinlich gehören die Grabenbrüche nordöstlich von Karkara dazu; sie werden
wieder am südlichen Rande des Beckens von Karkara sichtbar, wiederholen sich südlich
davon im Kok-dschar-Tal und dürften auch weiter im Westen vorhanden sein. Es ist
natürlich äußerst schwierig diese Brüche auch in den granitischen Gesteinen auf der südlichen
Seite des Issyk-kul zu verfolgen; aber einige Anzeichen weisen doch darauf hin, daß sie
dort vorhanden sind. Hiezu gehören die heißen Quellen am nördlichen Rande des Terskei-
Ala-Tau, von denen ich nur die des Aksu-Tals bei Prschewalsk erwähne, die aber
auch an anderen Stellen auftreten,?) dann die Erzgänge, die im Gebirge südlich von
Prschewalsk vorkommen und auch die Formen, worauf sich Davis stützt. Es ist also
sehr wahrscheinlich, daß sich westlich vom Souka-Paß die Erscheinungen wiederholen,
die wir am südlichen Rande der Tekes-Ebene kennen gelernt haben.
1).].c., S. 53: 2) Friederichsen, I. c., S. 61 und 65. Merzbacher, l. e., S. 31.
189
Hält man sich die mehrfach festgestellten Tatsachen vor Augen, daß die den eigent-
lichen Gobi-Sedimenten im nördlichen zentralen Tian-Schan diskordant überlagernden
jüngeren Bildungen nur schwache Dislokationen erfuhren, die in keinem Zusammenhang
mit den oben erwähnten großen Bruchlinien stehen, daß dagegen die ihre Unterlage bilden-
den älteren grobklastischen Ablagerungen sehr stark disloziert wurden und daß beispiels-
weise im mittleren Kaündü-Tal die Gobi-Sedimente ebenfalls von den großen Brüchen
getroffen wurden, sowie daß im Mittel- und Oberlaufe des größten Längstales, des Inyltschek-
Tals, das wir als südliche Begrenzung für den nördlichen zentralen Tian-Schan angenommen
haben, große Brüche den Lauf der Talachse begleiten, so ergibt sich die große Bedeutung,
welche diese Brüche für die heutige Gestalt des Gebirges haben. Besonders der nördliche
Gebirgsrand ist durch weitgedehnte Brüche, deren Verlauf teilweise ein ziemlich regel-
mäßiger ist, begrenzt worden. Auf der Südseite der Tekes-Ebene, am Südende des
Karkara-Beckens und, soweit dies festzustellen bisher möglich war, auch auf der Südseite
des Issyk-kul, schneiden die Brüche die O.N.O. streichenden Sedimente unter spitzem
Winkel und die aus dem Innern des Gebirges hervortretenden Störungen endigen daran.
An anderen Stellen, wie z. B. an einigen Orten zwischen dem Tekes- und Karkara-
Becken, scheinen letztere vorzuherrschen und die langen und schmalen, hier gelegenen
Gebirgszüge, welche die wahre Fortsetzung des Terskei-Ala-Tau nach O.N.O. sind, haben
langgestreckte im Streichen verlaufende Störungen, welche die Merkmale der Grabenbrüche
erkennen lassen.
Dieser Teil des nördlichen zentralen Tian-Schan ist aber noch sehr wenig erforscht
worden, und der Verlauf der Brüche ist im Einzelnen noch fast unbekannt.
Wie dem nun aber auch sein mag, so genügen doch die bisher über die tektonischen
Verhältnisse in den benachbarten Teilen des Gebirges gemachten Beobachtungen, um
erkennen zu lassen, daß der Verlauf der nördlichen Abdachung des Gebirges auf der süd-
lichen Seite der Tekes-Ebene und sehr wahrscheinlich auch auf der südlichen und süd-
westlichen Seite des Issyk-kul von dem Verlauf der Brüche abhängig ist. Damit haben
wir auch die Erklärung für die Entstehung und die Lage der großen Quertäler und für das
Verschwinden der Denudationsflächen in dem Bereiche dieser Täler.
Indem wir also die Beobachtungen über die Zusammensetzung und den Bau des nörd-
lichen zentralen Tian-Schan in geeigneter Weise mit den Beobachtungen über die morpho-
logischen Verhältnisse verbinden, kommen wir zu folgenden Schlüssen:
Der transgressiv liegende unterkarbonische Kalk ist disloziert worden,
ehe die Denudationsflächen gebildet worden sind. Die Denudationsflächen,
als ganz bestimmt begrenzte Teile einer großen Destruktionsfläche, sind älter
als die großen Brüche, von denen sie an manchen Stellen durchschnitten wer-
den. Die Brüche haben an den Rändern des Gebirges die für die Entstehung
der großen Quertäler erforderlichen Gefällsverhältnisse geschaffen. Die Quer-
täler sind also zum großen Teil jünger als die Brüche.
Wir erkennen solcherweise wenigstens in den Umrissen die mannigfaltigen Vorgänge,
durch die der Bau des nördlichen zentralen Tian-Schan so kompliziert geworden ist. Es
sind, kurz wiederholt, die folgenden: das alte präkarbonische Gebirge, zusammengesetzt aus
mächtigen granitischen Massiven, aus Phyllit, Tonschiefer, verändertem Kalk und Dolomit,
ist abgetragen worden, zum Teil durch Abrasion. Es folgten die unterkarbonische Trans-
190
gression, dann die intra- und postkarbonischen Bewegungen. Die Spuren dieser beiden
Phasen der gebirgsbildenden Bewegungen, die verbunden gewesen smd mit der Bildung
müchtiger Massen von granitischen Gestemen in den inneren Ketten und von Porphyr iu
den nördlichsten Teilen, können aber nicht sicher unterschieden werden. Das so entstandene
Gebirge ist von Neuem während einer langen Zeit kontinentaler Verhältnisse ausschließlich
durch Denudation bis zu einer ausgedehnten Destruktionsflüche abgetragen worden. Die
Entstehung dieser Fläche fällt in die Zeit, in welcher in anderen Teilen des Gebirges die
jüngeren Bildungen der mesozoischen Angara-Schichten abgelagert worden sind. Die so
entstandene Destruktionsflüche ist während der tertiären Phase der gebirgsbildenden Be-
wegungen durch große Verschiebungen zerstückelt worden. Die heute noch sichtbaren
Reste dieser Destruktionsfäche haben ihre hohe Lage durch diese Verschiebungen erhalten,
wobei es aber unentschieden bleiben mag, ob dies durch Hebung der Masse des Gebirges
oder durch Senkung seiner Umgebung geschehen ist.
Tangential gerichtete Bewegungen sind während der ersten Phase und sehr wahr-
schemlich auch während der intra- und postkarbonischen Phasen erfolgt; der unterkarbo-
nische Kalk der inneren Ketten ist sicher an einigen Stellen gefaltet worden, wobei es aber
unentschieden bleiben muß, wie weit daran die Intrusion der granitischen Gesteine beteiligt
gewesen ist. Die Bewegungen der tertiären Phase haben sich dagegen fast nur in radialer
Richtung geäußert; sie haben das abgetragene Gebirge als eine starre Masse getroffen.
Aus diesem Grunde ist auch der Verlauf des nördlichen Randes des zentralen Tian-
Schan in hohem Maße unabhängig von der Streichrichtung der Sedimente und der Längs-
richtung der granitischen Massen. Der Terskei-Ala-Tau ist in seinem westlichen und
mittleren Teil nur in orographischer Beziehung ein selbständiger Gebirgsbogen, in geo-
logischer Beziehung besteht er aus verschiedenen Teilen, die nach Südwest weit in das
Innere des Gebirges reichen; er zeigt fast überall die Merkmale des Horstes. Der Hypo-
these über das Vorhandensein eines großen selbständigen Bogens, den Muschketow!) für
diesen Teil des Tian-Schan angenommen hat, kann also meines Erachtens, nicht beige-
pflichtet werden.
1) Muschketow, J. W. Turkestan, Il. St. Petersburg 1886, russ., S. 32 f.
191
Bemerkungen zur Karte.
Die geologische Übersichtskarte zu dieser Arbeit habe ich hauptsächlich zu dem
Zweck entworfen, dem Leser die Erkennung und Verfolgung der in geologischer Beziehung
verschiedenen Teile des nördlichen zentralen Tian-Schan zu erleichtern. Nur das Mittel-
stück des Gebietes ist indes dargestellt worden. Die westlichen Teile, wie den Kamm des
Terskei-Ala-Tau zwischen dem Souka-Paß und dem Turgen-Aksu-Tal, die Um-
gebung des mittleren und oberen Kulu-Tals, ferner auch die östlichen Teile, wie die
Fortsetzung der zentralen Kette gegen den Musart-Paß und die Umgebungen des Kleinen
und des Großen Musart- Tals, habe ich nicht mehr eingetragen. Diese Gebiete sind einesteils
in geologischer Beziehung noch nicht genügend erforscht, und andernteils habe ieh sie selbst
teils nur sehr flüchtig, teils gar nicht gesehen, sodaß ich es nicht wagte, das Kartenbild auf
diese Gegenden auszudehnen. Auch ohnedem trägt auf dieser Karte leider noch vieles den
Stempel des Kompromisses. Dies trifft in erster Linie für die Signaturen zu, die nur zu
sehr die Unsicherheit ausdrücken, welche das bisherige Wissen über die stratigraphischen
Verhältnisse der alten Sedimente kennzeichnet. Es wäre zur Erkennung dieser Verhältnisse
und für die der Verbreitung der verschiedenen paläozoischen Bildungen vielleicht zweck-
mäßiger gewesen, die Zahl der dafür in Frage kommenden Signaturen einzuschränken. Ich
habe es aber, wie die Verhältnisse einmal liegen, vorgezogen, dies nicht zu tun, dafür aber
den Verlauf der verschiedenen Stücke des Gebirges und ihre Bedeutung durch besondere
Signaturen recht deutlich zu machen versucht. Infolgedessen sind etwas verschiedenartige
Sedimente durch die gleiche Signatur bezeichnet worden und dieselbe Bildungsserie hat
verschiedene Signaturen erhalten. Die Signatur für die Schiefer der äußeren Gebirgszüge
umfaßt z. B. einen großen Teil der Bildungen, die wir bei der Besprechung der Phyllit-
und Tonschiefergruppe unterschieden haben. Hier kam es mir, abgesehen davon, daß es
bei der Unzulänglichkeit der vorhandenen Beobachtungen heute noch nicht möglich ist,
die Verbreitung dieser verschiedenen Bildungen in den äußeren Gebirgszügen zu übersehen,
namentlich darauf an, die Beteiligung der hauptsächlichen Gruppen der Gesteine: nämlich
der granitischen Gesteine, der Schiefer im Ganzen und des unterkarbonischen Kalks recht
deutlich auszudrücken. Andererseits ist es, um den entgegengesetzten Fall anzuführen,
nieht zweifelhaft, daß die Zone der Phyllite und Tonschiefer am nördlichen Fuße der
zentralen Kette und die Zone der injizierten Schiefer nördlich davon zum großen Teil aus
denselben Sedimenten bestehen. Hier drücken die verschiedenen Dramen nur den ver-
schiedenen aber bezeichnenden Grad der Veränderung aus.
Für das Gebirge südlich vom Inyltschek-Tal und die Kette des Khan-Tengri habe
ich notgedrungen eine zusammenfassende Signatur wählen müssen, denn einmal fallen dort
die Schichten nach Süden ein und überdecken sich deshalb, und dann kenne ich das Gebirge
dort zu wenig und kann daher die Verbreitung der verschiedenen Bildungen nicht mit der
auch für eine Übersichtskarte wünschenswerten Genauigkeit angeben. Über die Zusammen-
setzung dieses Gebirgsteils läßt sich im Allgemeinen heute nur sagen, daß hauptsächlich die
Gesteine der Schieferzone des Bayum-kol-Tals dort vorkommen. Unterkarbonischer Kalk
ist, wie das Vorkommen von Productus giganteus sogar im oberen Teile des Inylt-
schek-Gletschers beweist, sicher auch dort vorhanden. Vielleicht besteht sogar der Gipfel
des Khan-Tengri selbst, aus einem umgewandelten Kalk dieser Stufe; da aber in dem
192
stark verändertem Kalk erkennbare Fossilien nicht gefunden wurden, läßt sich ganz Sicheres
hierüber nicht sagen.
Was die granitischen Gesteine anbetrifft, so habe ich vier Signaturen benutzt. Zwei
für die präkarbonischen Granite der äußeren Gebirgszüge und zwei für die granitischen
Gesteine der inneren Ketten. Hier ist zu bemerken, daß vielleicht die granitischen Gesteine
des Sary-dschass-Tau dasselbe Alter haben wie die des Bayum-kol- und Semonow-
Massivs. Beweisen läßt sich das heute noch nicht, da das verbindende Stück an der End-
zunge des Muschketow-Gletschers noch zu wenig bekannt ist. Ich habe es daher vor-
gezogen, die Granite dieser beiden Gebiete durch verschiedene Signaturen zu bezeichnen.
Wahrscheinlich sind auch alte Granite vorhanden, die denen der äußeren Gebirgszüge
entsprechen. Auch ein Irrtum wäre zu berichtigen: das kleine Granitmassiv des mittleren
Bayum-kol-Tals gehört, soweit sich dies durch die petrographische Untersuchung hat
feststellen lassen, zum präkarbonischen Granit der äußeren Gebirgszüge und nicht zum
Granit der inneren Ketten.
Als topographische Unterlage habe ich die Karten von Merzbacher und Friede-
richsen benutzt, dabei aber die eigenen Aufnahmen verwertet. Für die Einzeichnung
des Bayum-kol-Tals hat mir die Aufnahme, die Herr Ingenieur Hans Pfann im
Jahre 1902 ausgeführt hat, gute Dienste geleistet; das Ottuk-Tal und das Turgen-
Aksu-Tal, das ich selber nicht aufgenommen habe, habe ich aus Friederichsens Karte
entnommen.
193
IL Die Gesteine des Profils dureh das Bayum-kol-Tal im
nórdliehen Teil des zentralen Tian-Schan
von
P. Steph. Richarz, S. V. D.
Herr Dr. Merzbacher hatte die große Freundlichkeit mir einen Teil seines im
zentralen Tian-Schan gesammelten Gesteinsmaterials zur Untersuchung zu überlassen,
und zwar speziell die Gesteine aus dem oberen und mittleren Bayum-kol-Tal. Die Unter-
suchung führte ich aus im petrographischen Seminar der Universität in München unter
Anleitung des Herrn Professors Dr. E. Weinschenk. Zunächst liest mir nun die ange-
nehme Pflicht ob, Herrn Dr. Merzbacher für die gütige Übergabe des ausgezeichneten
Untersuchungsmaterials, sowie Herrn Professor Weinschenk für die freundliche, meiner
Arbeit durch seine reiche Erfahrung auf petrographischem Gebiete gewährte Unterstützung,
bestens zu danken. -
Auch Herrn Dr. Keidel, dem Geologen der Merzbacher'schen Expedition, spreche
ich hiermit meinen tiefgefühlten Dank aus. Er hat mir in uneigennützigster Weise sein
ganzes Beobachtungsmaterial zur Verfügung gestellt und war so liebenswürdig, mir auf
meine Anfragen jede nur erwünschte Auskunft bereitwillig zu erteilen.
Dr. Keidel zerlegt in seiner Arbeit (S. 90—192) unser Profil in fünf Teile:
1. Die Kette des Khan-Tengri,
2. Die zentrale Kette,
3. Das Granitmassiv im oberen Teile des Bayum-kol- Tales,
4. Die Schieferzone des Bayum-kol-Tales,
5. Das Granitmassiv in der nördlichen Hälfte des mittleren Talabschnittes.
Vom ersten Teile lagen keine Gesteine vor; den zweiten behandelt man am passendsten
an letzter Stelle. Und somit beginnt die Beschreibung der Gesteine mit dem dritten Teile.
Abh. d. IT. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt. 25
194
A. Das Granitmassiv im oberen Bayum-kol-Tal.
Dieses große Granitmassiv nimmt fast den ganzen oberen Teil des Bayum-kol-
Tales bis zur Gletscherzunge ein. Es besteht der Hauptsache nach aus einem Granit von
gewöhnlich mittlerem Korn. Der Habitus ist der eines echten Granites, nähert sich aber
stellenweise dem eines Quarzdiorites oder Tonalites. Feinkörnig wird er gewöhnlich
in den Apophysen, welche ins Nebengestein eindringen, porphyrisch an beiden Rändern.
Letztere Verhältnisse beschreibt Dr. Keidel auf folgende Weise: „Dicht am Ende
der Gletscherzunge sieht man, daß der Glimmerschiefer, von der rechten Talseite herüber-
streichend, an einer Stelle neben dem Eis zutage kommt und auf die linke Seite hinüber-
geht, gerade im Streichen nach W.S.W. Es folgt nun nach N. die Grenze des Granit-
massivs in der hier angeführten Ordnung: Zuerst sieht man stark zersetztes, schieferiges
Gestein und darin große rote Feldspatkristalle, die stark zerdrückt und an den Enden linsen-
förmig ausgezogen sind. Eine kurze Strecke weiter nördlich ist der Granit nicht so zersetzt;
hier ist der Glimmer lagenweise angeordnet und dazwischen sieht man mit bloßem Auge
nur Quarz und Feldspat. Die großen rötlichen Feldspäte sind auch hier noch ausgezogen,
einige Kristalle sind Karlsbader Zwillinge. Einige Meter weiter talabwärts verliert der
Granit die Lagenstruktur, das Gestein wird frischer und die Feldspatkristalle sind sehr
groß, ich habe solche gesehen von 12—18 cm? Fläche im Bruch. Aber auch hier sieht
man am Quarz noch Spuren des Gebirgsdruckes oder der Protoklase. Nach Norden nehmen
die großen Kristalle allmählich an Zahl ab und das Gestein hat mittleres Korn; 2 km
nördlich von der Gletscherzunge ist es ganz frisch.“
Ein Handstück von dieser linken Talseite lag nicht vor, von der rechten Seite aber
wurden mehrere vom südlichen Rande stammende porphyrische Granite untersucht. Nur
eines von ihnen zeigte geringe undulöse Auslöschung des Quarzes, Serizitisierung des Plagio-
klases und Chloritisierung des Glimmers. Roter Feldspat findet sich am Südrande nur auf
der linken Talseite. °
Weiter berichtet Herr Dr. Keidel: ,2!/; km vom Gletscherende entfernt sieht man
zum ersten Male große Hornblendesüulen, welche von nun an immer mehr zunehmen, bis
mit der Annäherung an den nördlichen Rand des Massivs wiederum eine Abnahme der
Hornblende und, wie es scheint, auch des Glimmers eintritt. Das Gestein wird gleichmäßig
hellgrau und sehr große weiße Feldspäte werden häufig, solche von 10—12 cm Länge sind
nicht selten. Dicht an der Grenze gegen die Schiefer zeigt der Granit wieder Lagen-
struktur und die Feldspäte sind wie am südlichen Rande ausgezogen (Augengneisstruktur);
dicht am Kontakt ist das Gestein dunkel und sehr feinkörnig, was wahrscheinlich durch
endogene Kontaktmetamorphose zu erklären ist.*
„Pegmatitische und aplitische Ausbildungen finden sich häufig im Nebengestein.
Besonders zahlreich sind die Aplitgänge in der südlichen Umrandung des Massivs im oberen
Bayum-kol-Tale, sowohl in der Nähe der Grenze als auch weiter südlich im Gneis und
in den Kalken unter dem Eise des westlichen Bayum-kol-Gletschers, auch auf der rechten
Seite des östlichen Gletschers. Sie haben oft nur geringe Mächtigkeit, einige habe ich
beobachtet, die eine Hand breit waren oder darüber. Sie folgen den Schichtfugen oder
durchsetzen die Schichten. In der Furche des westlichen Bayum-kol-Gletschers sind sie
195
in den wenigen Aufschlüssen zwischen den Moränen so zahlreich, daß sie das Gestein
durchschwärmen. “
„Lamprophyre habe ich nur im Intrusivgestein selbst beobachtet, und zwar besonders
häufig dort, wo auch schon im Granit die Hornblende stark hervortritt, d. i. ungefähr in
der Mitte der nördlichen Hälfte des Massivs; sie spielen, was ihre Häufigkeit anbetrifft,
dieselbe Rolle wie die häufigen basischen Ausscheidungen des Adamello-Tonalites, wovon
schon v. Rath berichtet hat. Sie treten aber in allen Fällen, wo ich sie beobachten konnte,
nicht als Gänge, sondern nur als lokale Ausscheidung des dazu gehörenden Gesteins auf
und bilden Nester von den verschiedensten Größen, deren Grenze gegen das umgebende
Gestein stets äußerst scharf ist. Es sind dies Schlieren, oft lang gestreckt und dann schmal
endigend, oft aber kurz und dann von rundem Umriß. Zuweilen sind sie einen Meter. und
mehr mächtig (auf der rechten Talseite wurden zwei von bedeutender Mächtigkeit beob-
achtet, siehe Profil 1), oft aber nnr haudbreit.*
Für die petrographische Auffassung geht aus all diesem das Gesetz hervor, nach
welchem das Granitmassiv aufgebaut ist: die basischsten Bildungen befinden sich in der
Mitte. Nach beiden Rändern hin wird das Gestein immer saurer, der Orthoklas tritt immer
mehr in großen Einsprenglingen in den Vordergrund, bis endlich im Nebengestein aplitische
Gesteine allein herrschen.
Nach diesen Vorbemerkungen möge die genauere Beschreibung der einzelnen Teile folgen.
Der Granit.
Der Granit ist in den meisten Fällen richtungslos körnig. Schieferige Struktur
zeigt sich bei den vorliegenden Handstücken einigemale in den porphyrischen Ausbildungen,
welche sich dadurch einem Augengneis nähern. Besonders deutlich ist die Schiefer-
struktur am südlichen Rand des Massivs, worauf später noch zurückzukommen ist.
Makroskopisch erkennt man im Granit neben weißem Feldspat.und weißem Quarz,
immer schwarzbraunen Biotit und fast immer grüne Hornblende. Es liegt also ein Amphi-
bolbiotitgranit vor, welcher in einigen Fällen in einen Biotitgranit übergeht.
Die mikroskopische Untersuchung ergab eine Fülle von Mineralien, deren Be-
schreibung nicht ohne Interesse ist. Der Orthoklas zeigt meist große Individuen, häufig
in Karlsbader Zwillingen. Er ist gewöhnlich frisch und perthitisch verwachsen mit Plagio-
klas. Mikroklin findet sich besonders in den porphyrischen Ausbildungen als Einspreng-
ling. Der Plagioklas ist meistens Oligoklas-Andesin, wie die Bestimmung nach der
Fouqué'schen Methode und nach der Höhe der Lichtbrechung ergab. Nur selten geht
er bis zum Oligoklas. Das Mineral ist vollkommen frisch und wasserklar mit gut ausge-
bildeten Zwillingslamellen nach Albit- und Periklingesetz. Dazu kommt manchmal noch
das Karlsbadergesetz. Fast in jedem Schliff finden sich Verwachsungen von Quarz mit
Plagioklas (Quartz vermiculé), genau in derselben Ausbildung, wie sie Weinschenk
(Gesteinsbildende Mineralien S. 75) abbildet. Serizitisierung ist selten. Wenn sie auftritt,
so geht mit ihr parallel die Chloritisierung des Glimmers und die beginnende Zertrümme-
rung des Quarzes. Besonders tritt diese Erscheinung hervor an einem porphyrisch aus-
gebildeten Handstück vom Südrande des Massivs und an einem anderen aus der Mitte
desselben.
25*
196
Der Quarz bildet, wenn er nicht mit Plagioklas in der beschriebenen Weise ver-
wachsen ist, meistens die letzte Ausfüllung. Nicht selten aber zeigt er auch Andeutung
von Kristallform. Kataklastische Erscheinungen sind äußerst selten und, wenn vor-
handen, nur durch schwach undulöse Auslöschung angedeutet. Flüssigkeits- und Gasein-
schlüsse durchziehen den Quarz oft in Schnüren.
Gemeine grüne Hornblende meistens in zerfetzten Lappen, selten mit seitlicher
Begrenzung, fehlt fast nie, wenn sie auch, wie schon hervorgehoben, in der Mitte des
Massivs besonders hervortritt, sodaß sie dort auch der makroskopischen Beobachtung nicht
entgehen kann, wie aus der Beschreibung Dr. Keidels hervorgeht. Der Biotit tiefbraun
in ganz normaler Ausbildung, ist vielfach in die Hornblende eingeschlossen. Er zeigt gute
seitliche Begrenzung, aber keine Endflächen.
Epidot kommt sowohl in größeren, oft gut ausgebildeten Kristallen, als auch in
Form von Mikrolithen und in formlosen Fetzen vor. Man kann ihn in allen wesentlichen
Gemengteilen, sowohl im Feldspat als im Quarz, ebenso in der Hornblende wie im Biotit,
finden und immer ist das Mineral, indem er eingeschlossen ist, vollständig frisch und zeigt
keine Spur von Umwandlung. Er ist also unzweifelhaft primärer Bestandteil und vor den
wesentlichen Gemengteilen auskristallisiert. Seine Menge ist sehr wechselnd. Niemals
aber fehlt er ganz. Bemerkenswert ist seine gelbe Farbe und der schwache Pleochroismus.
Mit Epidot verwachsen oder selbständig auftretend ist ferner Orthit ein verhältnis-
mäßig häufiger Bestandteil dieses Granites, wie dies ja gewöhnlich ist. Es ist kaum ein
Schliff vorhanden, in dem er nicht zu finden wäre. Er ist braun, deutlich pleochroitisch
und zeigt pleochroitische Höfe in Biotit und Hornblende. Seine schwache Doppelbrechung
und seine schiefe Auslöschung (30—35°), wodurch auch die Zwillingsbildung deutlich
hervortritt, machen die Bestimmung sicher. Sind Epidot und Orthit verwachsen, so bildet
ersterer wie immer den Rand um letzteren.
Sehr oft ist der Orthit zersetzt und zwar so, daß er aus drei verschieden gefärbten,
verschieden pleochritischen und verschieden doppelbrechenden Teilen besteht. Der Rand
ist dunkelgelb und zeigt die stärkste Doppelbrechung (zwischen 0,010 und 0,015) und den
stärksten Pleochroismus; dann folgt eine Zone von hellgelber Farbe mit schwächerem
Pleochroismus und einer Doppelbrechung von etwa 0,005; den Kern bildet endlich eine
graulich-gelb gefärbte Masse, welche. fast isotrop ist. Die einzelnen Zonen sind zwar
scharf, aber in unregelmäßig gewundenen Linien gegeneinander abgegrenzt (Fig. l der
Tafel V). Außerdem findet sich in jedem Schliff und oft in großer Menge Titanit
Nicht selten zeigt dieser die typisch rhombischen Querschnitte und ist in allen anderen Be-
standteilen eingewachsen. Der Pleochroismus ist deutlich; oft beobachtet man Zwillinge
und selbst Zwillingslamellierung, sodaß man das Mineral im polarisierten Licht leicht mit
Caleit verwechseln könnte, wogegen aber die hohe Lichtbrechung und die starke Dispersion
der Achsen sprechen.
In einem Granit aus der Mitte des Massivs wurde ein Mineral gefunden, welches in
Graniten weniger weit verbreitet ist, nämlich Prehnit. Er tritt, meist im Biotit in
größeren Individuen eingewachsen, in zweifacher Ausbildung auf: 1. Faserig, mit starker
Licht- und Doppelbrechung und normalen Interferenzfarben. Charakter der Hauptzone
positiv. 2. Schuppig, mit schwacher Doppelbrechung und starker Dispersion und infolge-
197
dessen mit anormalen Interferenzfarben. Die positive Bisektrix halbiert einen kleinen
Achsenwinkel.
Apatit kommt nicht nur in feinen Nadeln, sondern auch in großen Kristallen
vor. Seine Menge ist ganz beträchtlich. Endlich treten nicht allzu häufig Zirkon, mit
pleochroitischen Höfen in Hornblende und Biotit, Titaneisen und Eisenglanz als nor-
male Gesteinsgemengteile auf, während der Pyrit durch die Art seines Vorkommens in
Rissen und an der Grenze zweier Mineralien beweist, daß er eine sekundäre Bildung ist.
Er hat öfters einen braunen Rostrand.
Die Struktur des Gesteins ist, wie schon bei Beschreibung des Quarzes angeführt
wurde, meist echt granitisch, es bildet also der Quarz die letzte Ausfüllungsmasse.
Manchmal aber tritt auch das Gegenteil ein: der Quarz zeigt mehr oder weniger voll-
kommene Kristallform und die Struktur nähert sich damit der granulitischen.
Es kommt vor, daß der Orthoklas, welcher an Menge im allgemeinen etwas hinter
dem Plagioklas zurückbleibt, ganz fehlt. Es wird dann auch der Plagioklas basischer,
etwa Andesin und zeigt Zonarstruktur. Es ist somit aus dem Granit en Quarzdiorit
geworden. Die übrigen Mineralien zeigen aber keinen Unterschied gegenüber denen des
Granites. Ein solcher Quarzdiorit stammt aus der Mitte des Massivs.
Lamprophyre.
Wie schon erwähnt sind basische Ausbildungen des Granites, mit Ausnahme eines
einzigen Vorkommens (Profil III), nur im Massiv selbst beobachtet worden. Schon unter
den eigentlichen Graniten finden sich einzelne Handstücke, bei welchen die basischen Be-
standteile stark hervortreten; außer diesen aber treten auch ganz dunkle eigentliche Lampro-
phyre auf, teils richtungslos kórnig, teils schieferig, bei welchen man mit bloßem Auge
nur noch Biotit und Hornblende unterscheiden kann. U. d. M. findet man neben diesen
beiden Mineralien, von welchen auch hier der Biotit von der Hornblende umschlossen wird,
noch einen Plagioklas, welcher als Oligoklas-Andesin bestimmt werden konnte, wührend
Orthoklas ganz fehlt und Quarz nur in vereinzelten, kleinen Kórnern vorkommt.
Die akzessorischen Gemengteile sind dieselben wie im Granit.
Pegmatit und Aplit.
Die sauren Spaltungsprodukte, welche untersucht wurden, stammen fast alle aus
Gängen und Adern im Nebengestein, welche in der Nähe des Massivs auftreten.
Die grobkórnigen Pegmatite kommen in verschiedener Ausbildung vor, von denen
zwei untersucht werden konnten. Die einen zeigen makroskopisch Orthoklas mit großen
Biotitblättern. Die mikroskopische Untersuchung ergibt aber ganz dieselben Mineralien, wie
sie im Granit vorkommen. Der Biotit ist fast ganz in Chlorit (Pennin) umgewandelt.
Orthit ist besonders häufig und in großen Kristallen, auch Zwillingen, entwickelt. Dazu
kommt auch hier wieder faserig ausgebildeter Prehnit.
Die anderen Pegmatite lassen mit bloßkem Auge große rothe Orthoklaskristalle, große,
weiße Quarz-Individuen und Orthit erkennen. Das Gestein durchsetzt eine grüne Ader von
Epidotmineralien, die nach der mikroskopischen Untersuchung aus Epidot, Klinozoisit und
Orthit besteht. Dieselben Mineralien kommen auch sonst noch im Gestein zerstreut vor.
198
Neben ihnen konnte Orthoklas und Oligoklas, beide mit Quarz verwachsen, nachgewiesen
werden. Außerdem dieselben Mineralien, wie im Granit. Die Struktur ist die für Peg-
matite bezeichnende: alle Mineralien liegen ohne nachweisbare Kristallisationsfolge und
ohne Kristallform nebeneinander. :
Ein Aplit läßt makroskopisch bloß Feldspat und Quarz als feinkórniges Gemenge
erkennen. U. d. M. zeigt er sich zusammengesetzt aus Orthoklas, perthitisch verwachsen
mit Plagioklas und aus Mikroklin — beide Kalifeldspäte sind ziemlich frisch —; ferner
aus Plagioklas und zwar aus Oligoklas, welcher aber im Gegensatz zu den Kalifeldspäten
stark serizitisiert ist. Der Quarz ist feinkörnig. Untergeordnet treten auf: Muskovit
in paralleler Verwachsung mit Biotit und Chlorit; letzterer grünlich mit anormalen Inter-
ferenzfarben, also Pennin. Er ist sicher sekundäre Bildung und zwar aus Biotit entstanden,
wie die Übergänge und die ausgeschiedenen Titansäuremineralien, Leukoxen und Anatas,
deutlich erkennen lassen. Daneben kommt Titanit als primärer Bestandteil vor.
Ein anderer Aplit, welcher am Nordrande des Massivs in kalkhaltige Gesteine einge-
drungen ist, zeigt große Ähnlichkeit mit dem beschriebenen. Man erkennt aber schon
makroskopisch Strahlstein, welcher offenbar durch Aufnahme der Bestandteile des Neben-
gesteins entstanden ist.
B. Die Schieferserie im Norden.
Verfolet man nun das Profil 1 weiter nach Norden, also talabwürts, so schließt sich
an den Granit eine Serie kalkig-toniger Sedimente an. Unmittelbar an den Granit grenzt ein
Hornfels,
welcher sich durch seinen splittrigen Bruch sofort als solcher zu erkennen gibt. Er bildet
ein dichtes Gemenge weißer und grüner Mineralien, die makroskopisch nicht näher be-
stimmbar sind.
Die mikroskopische Untersuchung ergibt vor allem die für Hornfelse so charakte-
ristsche Pflasterstruktur. Es ist Forsterit in zahlreichen Kórnern, welcher dieses
Pflaster bildet. Dazwischen sieht man ganz farblosen Tremolit und eine andere Horn-
blende, welche ebenfalls farblos ist. Die Art der Ausbildung spricht für Uralit. Es
scheint dieses Mineral aus Diallag hervorgegangen zu sein, da es reich ist an Einschlüssen;
welche dieselbe Anordnung zeigen, wie man sie beim Diallag gewohnt ist. Dazu gesellt
sich noch ein Chlorit mit wohlausgebildeten Zwillingslamellen, fast so, wie beim Plagioklas.
Die Fürbung ist sehr schwach grünlich, die Doppelbrechung ziemlich hoch. (die Interferenz-
farben gehen bis zum Weiß erster Ordnung im normalen Schliff). Die Schiefe der Aus-
löschung beträgt etwa 4°, der Charakter der Hauptzone ist negativ, der des Minerals positiv,
der Achsenwinkel sehr klein. Es liegt also zweifellos Klinochlor vor. In ihm einge-
schlossen findet sich Graphit.
An den Hornfels schließen sich nun Knotenschiefer an, nämlich:
Skapolithknotenschiefer.
Es sind das brüunliche Schiefer von phyllitischem Habitus mit groBen, hellen, runden
Knoten. Diese Knoten bestehen der Hauptsache nach aus Skapolith, wie die mikro-
19,9
skopische Untersuchung ergibt; nach der qualitativen chemischen Analyse ist derselbe kalk-
reich mit einem Gehalt an Chlor.
U. d. M. sieht man, da& die Grundmasse des Gesteins aus Quarz und Biotit
besteht und vollkommen schieferig ist. Die Knoten von Skapolith (Lichtbrechung wie
Quarz — im Mittel 1,55 —, Doppelbrechung etwas höher als Quarz) sind ganz durch-
löchert und mit Quarzkörnern und anderen Mineralien erfüllt (Figur 3 der Tafel V). Das-
selbe gilt für den Biotit. Wir haben also hier die für Kontaktgesteine so charakteristische
Siebstruktur vor uns. Neben dem Skapolith findet sich in jedem Schliff Turmalin in
großer Menge. Es ist der stark pleochroitische, braune Turmalin mit den typischen neun-
seitigen Querschnitten, die zonaren Aufbau zeigen. Diese Querschnitte, sowie die starke
Absorption quer zur Hauptzone in den Lüngsschnitten und zugleich die ungewöhnlich große
Menge des Minerals zeigt Figur 4, Tafel V, in welcher die Turmalinlüngsschnitte quer
zur Schwingungsrichtung des Polarisators liegen.
Außer diesen Mineralien sind noch Titanit, Apatit und Zirkon zu erwähnen.
Dieses Gestein bezeugt somit, daß intensive pneumatolytische Prozesse der Eruption
des Granites gefolgt sind: chlor- und borhaltige Dämpfe stiegen empor, sie drangen in
kalkhaltige Tonschiefer ein und bildeten dort Skapolith und Turmalin.
In die Knotenschiefer sieht man nun einen etwa 100 m mächtigen Granitgang hinein-
ragen. Das Material dieses Ganges unterscheidet sich in mehreren Punkten von dem des
Hauptmassivs. Zunächst ist es sehr feinkórnig. An Stelle des Orthoklases trifft man einen
getrübten Mikroklin mit kryptoperthitischer Struktur. Der sehr seltene Plagioklas konnte
als Oligoklas bestimmt werden. Die Hornblende fehlt. Dafür tritt aber Muskovit auf.
Der Biotit ist teilweise zu Pennin geworden. Der Quarz, sehr feinkórnig, zeigt Kristall-
form; die Struktur ist also granulitisch. Überhaupt zeigt das Gestein große Ähnlichkeit
mit dem an erster Stelle beschriebenen Aplit. Jedenfalls ist es eine saure Ausbildung des
Granites. Es wurde nicht unter den Apliten beschrieben, weil eine solche Benennung der
hohe Biotitgehalt verbietet. j
An die Knotenschiefer schließt sich eine recht mannigfaltige Schieferserie an. Sie
besteht nach den Untersuchungen Keidels „im südlichen Teile aus Kalkschiefern, Quarz-
phylliten und glimmerigen Tonschiefern, welche aber nicht ganz bis zur Hälfte der ganzen
Schichtfolge reichen.“ (Man vergleiche Profil 1 zwischen den beiden Granitmassiven im
oberen und im mittleren Bayum-kol-Tal.) „Das vorwiegende Merkmal dieser Zone ist,
daß hier Kalkschiefer und glimmerhaltige Schiefer besonders häufig sind, welche mannig-
faltig miteinander wechsellagern. Fast jedes Stück, das man anschlägt, hat auf den Schicht-
flächen Glimmer. Die Schiefer scheinen hier in einem höheren Maße verändert zu sein,
als weiter nördlich.“ Diese makroskopische Beobachtung wird durch die mikroskopische
Untersuchung voll und ganz bestätigt und vervollständigt. Es wurde zunächst ein
Quarzphyllit
untersucht, ein dunkler, feinkörniger Schiefer, dessen Hauptmasse aus Quarz, getrübtem
Orthoklas und Oligoklas und parallel gelagerten Biotitblättehen besteht. Dazu kommt
Muskovit in wenigen Durchschnitten, Turmalin in wohlumgrenzten Kristallen, grünlicher
200
Rutil, Zirkon, Epidot und Apatit. Graphit findet sich im ganzen Schliff zerstreut,
an einzelnen Stellen aber besonders angehäuft. Ferner konnte ein
Körniger Kalk
mit zahlreichen Kontaktmineralien untersucht werden. Unter diesen herrscht ein schwach
pleochroitischer Strahlstein vor, der in manchmal recht gut ausgebildeten Kristallen schon
makroskopisch deutlich hervortritt. Ferner findet man Diopsid, von Strahlstein umrandet,
chlorhaltigen Skapolith und farblosen Chlorit in großen Kristallen. Letzterer ist optisch
positiv, hat gerade Auslöschung und höhere Doppelbrechung als Klinochlor. Das sind aber
die optischen Eigentümlichkeiten des Leuchtenbergits. Interessant ist das Verhältnis
dieses Minerals zum Skapolith, dessen Umwandlungsprodukt er darstellt. Man sieht öfter
beide Mineralien in der innigen Verbindung, wie sie Figur 2, Tafel V zeigt, wobei sie
sich sowohl durch ihre optischen Eigenschaften als durch die Richtung der Spaltrisse unter-
scheiden. Diese verlaufen beim Skapolith parallel der Umgrenzung, beim Leuchtenbergit
bilden sie mit ihr einen Winkel, welcher in dem abgebildeten Durchschnitt etwa 30° beträgt.
Die Schiefer, welche nun nach Norden folgen, sind nach Dr. Keidels Angaben vor-
herrschend dunkle, feste, oft ganz schwarze und plattige Tonschiefer. Doch wechseln Farbe
und sonstige Beschaffenheit auch hier auf kurze Entfernungen. Bald sind es Phyllite von
graugrüner Farbe, bald dünnplattige oder blätterige, braun verwitternde graue Tonschiefer.
Am nördlichen Saume der ganzen Schieferserie aber folgt eine Schichtenfolge, welche
sich sehr deutlich von den vorhergehenden Teilen unterscheidet. Die Schiefer sind hier
vorwiegend grün gefärbt, zum Teil ist es grüner Phyllit; in manchen Lagen jedoch hat
das Gestein ein ganz eigentümliches Aussehen. Es ist graugrün, fühlt sich weich an, hat
weiße Adern und Flecken, die mit Salzsäure brausen. An anderen Stellen sind es sehr
femblütterige, fettglünzende und weiche chloritische Schiefer. Dieses letztere Gestein stellt
gegenüber den Schiefern eine einheitliche Zone dar, deren Breite Dr. Keidel auf 250 bis
280 m schützt. Er ist der Ansicht, daß hier ein stark zersetztes basisches Eruptivgestein
vorliegt, welches durch Metamorphose und Verwitterung sehr verändert ist.
Diese Ansicht erlangt eine gute Stütze dadurch, daß ein unzweifelhaftes basisches
Eruptivgestein hier an dieser Stelle in Gängen beobachtet wurde. Es ist dies ein Gabbro,
wie mineralische Zusammensetzung und Struktur bezeugen. Die Struktur erkennt man
besonders deutlich bei makroskopischer Betrachtung des Dünnschliffes: alle Mineralien sind
gleichmäßig ausgebildet, ohne ausgesprochenen Idiomorphismus des einen oder des anderen.
Diese kórnige Gabbrostruktur ist meist gut erhalten; nur ein Handstück ist deutlich
geschiefert. Die mineralische Zusammensetzung ergibt, daß das Gestein ein
Saussuritgabbro
ist. Der Plagioklas besteht deutlich aus zwei Teilen, welche regellos durcheinander
liegen. Der eine ist Andesin, der andere Labrador oder vielleicht noch basischer. Da-
zwischen liegen Klinozoisit und Epidot, ganz zerfetzt, ohne Kristallform. Es hat also zweifellos
der ursprünglich basische Plagioklas seinen Kalkgehalt zum Teil an die Epidotmineralien
abgegeben und ist selbst dadurch saurer geworden. Dieser Prozeß ist aber noch nicht bis
201
zur vollen Entfernung des Kalkgehaltes aus dem Feldspate vorgeschritten, d. h. der Feldspat
ist noch nieht zu Albit geworden, wie man es bei ähnlichen Vorkommnissen sonst häufiger
beobachtet. Ähnliche Verhältnisse fand ja auch Luczizky in den „Amphiboliten“ der
Oberpfalz. Neben diesem Feldspatmosaik ist der Hauptbestandteil ein Uralit, blaugrün
in sehilfiger Ausbildung. Woraus er entstanden ist, läßt sich nicht mehr nachweisen.
Biotit ist nicht häufig und immer nur in kleinen Fetzen vorhanden. Das Titaneisen
ist fast ganz zu Leukoxen geworden. Nur in der Mitte ist manchmal noch ein frischer
schwarzer Kern erhalten geblieben. Besonders häufig ist das Titaneisen von Uralit um-
schlossen. Merkwürdigerweise fehlt in den schieferigen Gesteinen die Umwandlung in
Leukoxen. Endlich wäre noch ein wenig; Schwefeleisen anzuführen.
Aus dieser Schieferserie sind noch zwei Gesteine zu erwähnen, welche von der größten
Bedeutung für das Verständnis der ganzen Gruppe zu sein scheinen. Das erste ist wiederum
“ein granitähnliches Gestein, welches ganz aus der Nähe der Gabbrogünge stammt.
Äußerlich sieht dieses Gestein einem Zentralgneis völlig gleich und die mikroskopische
Untersuchung bestätigt diese Vermutung und zeigt, daß fast in jeder Beziehung Überein-
stimmung herrscht. Der Plagioklas, em Oligoklas-Andesin, ist ganz vollgepfropft mit
Klinozoisit und Epidot. Ferner enthält er Mikrolithen von Biotit und Serizit, dabei
ist er vollständig frisch.
Orthoklas scheint zu fehlen. Dagegen kommt Quarz in großer Menge vor. Zer-
trümmerungserscheinungen wurden an ihm nicht beobachtet: alle Individuen löschen voll-
ständig einheitlich aus. Der Biotit ist mit Chlorit verwachsen und zwar teils parallel,
teils durehqueren die Chloritblättchen den Glimmer; aber stets sind die Verhältnisse so,
daß beide Mineralien vollkommen frisch sind. Der Chlorit setzt scharf gegen den Biotit
ab, sodaß eine sekundäre Entstehung durch Umwandlung des Biotits ausgeschlossen erscheint.
Es ist ein Pennin mit starkem Pleochroismus (hellgrün bis fast farblos), mit schwacher
Doppelbrechung, aber normalen Interferenzfarben. Er löscht gerade aus, hat negativen
Charakter der Hauptzone und kleinen positiven Achsenwinkel. Die makroskopisch deutliche
Schieferung gibt sich auch unter dem Mikroskop zu erkennen, indem Glimmer und Chlorit
in Lagen, der Schieferung parallel, angeordnet sind. Manchmal sieht man, wie diese
Glimmer- und Chloritlagen sich flaserig um einen Feldspat herumwinden.
Vergleicht man mit diesen Angaben die Beschreibung, welche Weinschenk!) vom
Zentralgranit gibt, so fällt sofort die große Übereinstimmung auf. Hier wie dort sind
die frischen Plagioklase mit Klinozoisit und Epidot erfüllt, hier wie dort tritt ein Pennin
mit niedrigen, aber normalen Interferenzfarben als primärer Gemengteil auf. Ein Unter-
schied liegt nur darin, daß der Plagioklas etwas basischer ist, als der am Groß-Venediger
und daß endlich die Erscheinungen der Zertrümmerung am Quarze fehlen.
Dieser Granitgneis steht ganz in der Nähe der Gabbrogänge an, etwas nördlich von
ihnen (Profil I, Taf. III). „Auf der linken Talseite ist er viel mächtiger entwickelt. Ich muß
1) Beiträge zur Petrographie der östlichen Zentralalpen, speziell des Groß-Venedigerstockes. II. Über
das granitische Zentralmassiv und die Beziehungen zwischen Granit und Gneis. Abhandl. der K. Bayer.
Akad. der Wissensch., II. KL, XVIII. Bd., III. Abt.
Abh. d. IT. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt. | 26
202
hervorheben, daß in diesen Schiefern (in der nördlichen Hälfte der Schieferserie) nach
Stücken im Gebirgsschutt zu schließen, an mehreren Stellen Gneis oder Gneisgranit vor-
kommt“ (Keidel).
Mit diesen granitischen Gesteinen im Zusammenhang scheint ein anderes Gestein zu
stehen, welches etwas südlich von den Gabbrogüngen geschlagen wurde. Es ist ein Gestein,
welches man wohl am besten mit dem Namen
Gneisglimmerschiefer
bezeichnet. Der Plagioklas, welcher makroskopisch hervortritt und eine porphyrartige
Struktur bedingt, ist merkwürdigerweise ein Bytownit. Daneben erkennt man u. d. M.
ein feines körniges Aggregat von Albit und Quarz, wobei die Bestimmung und Unter-
scheidung beider Feldspate sowohl nach der Fouqué'schen Methode als auch durch Mes-
sung der Lichtbrechung sichergestellt ist. Von dunklen Gemengteilen kommen Biotit
und Hornblende vor, letztere in der blaugrünen, natronhaltigen Varietüt. Von den
Nebengemengteilen beobachtet man Orthit, Zoisit, Titanit, Zirkon und etwas Kalzit.
Der Bytownitgehalt scheint aus den in der Nähe auftretenden basischen Eruptivgesteinen
herzustammen.
Verläßt man nun die Schiefer mit den Gabbrogängen, so kommt man alsbald talab-
wärts in eine neue Gesteinsreihe. Man stößt zuerst auf einen hochkristallinischen, weißen
Crinoideendolomit.
Die Crinoideenstielglieder sind an der Oberfläche in großer Anzahl ausgewittert und
deutlich zu erkennen. Im frischen Bruch sieht man nur ihre Spaltungsflüchen. Die chemische
Untersuchung ergibt für das Gestein sowohl wie für die Crinoideenreste reinen Dolomit,
welcher selbst in konzentrierter Salzsäure in der Kälte ganz unlöslich ist. U. d. M.
erkennt man fast allgemein Zwillingslamellierung nach — 2 R. Auch finden sich manch-
mal kleine, wohlbegrenzte Rhomboeder in demselben. Die Crinoideen haben ihre mikro-
skopische Struktur vollständig verloren und geben sich u. d. M. nur dadurch zu erkennen,
daß sie größere Individuen in der mittelkörnigen, stark verzahnten Grundmasse darstellen.
Von mechanischen Einwirkungen sieht man gar nichts. Alle Durchschnitte sind .voll-
ständig einheitlich auslöschend und zeigen weder Zertrümmerung noch Verbiegung.
Unmittelbar an diesen Dolomit schließt sich wiederum ein Granitlager an, von
etwa 1 km Mächtigkeit und ihm entspricht ungefähr 2 km nördlich, durch eine Serie ähn-
licher, meist umgewandelter Gesteine, wie sie eben beschrieben wurden, getrennt, ein
weiteres großes Granitmassiv, das in unserem Profil nur noch in einer Mächtigkeit von
3 km eingezeichnet ist, das sich aber in Wirklichkeit noch weiter nach Norden ins untere
Bayum-kol erstreckt. Auf den ersten Blick erkennt man an diesem Granite bedeutende
Unterschiede gegenüber dem zuerst beschriebenen Amphibolbiotitgranit im oberen
Bayum-kol-Tale. Es bedarf deshalb das Gestein einer eingehenden Beschreibung, wobei
man am besten beide Lager znsammenfaßt.
C. Der Granit im mittleren Bayum-kol-Tal.
Dieser Granit ist ein ziemlich grobkörniges Gestein. Große weiße, im nördlichen
Teile des Massivs auch rote Feldspäte, erscheinen neben bläulichem Quarz. Als dunklen
Gemengteil erkennt man den Biotit, der aber meist nicht schwarzbraun, sondern schmutzig-
grün erscheint. Das südlichste Lager geht an den Rändern in Gneis über. Über das
große Massiv im Süden teilt Dr. Keidel folgendes mit: „Nur die südliche Grenze dieses
Massivs ist scharf. Aus dem normal struierten Granit kommt man hier gegen Süden in
schieferige Lager. Die Struktur ist nur schwer zu erkennen, weil das Gestein ganz zer-
setzt ist; doch treten gerundete und zerquetschte Feldspatkörner deutlich hervor; sie erreichen
eine solche Größe, daß das Gestein porphyrische Struktur annimmt. Die schieferige Ab-
. sonderung (grünliche und bräunliche einheitliche Färbung) wird immer ausgeprägter, je
weiter man nach Süden kommt, und es ist in der Richtung der Schieferung eine deutliche
Schichtung bemerkbar, die fast O.W. streicht. Dieser ganze Komplex besitzt "Gneis-
struktur, es wechseln helle und dunkle Streifen, doch sind sie infolge der starken Zer-
setzung nicht mehr sehr ausgesprochen. Die Feldspäte, die auch in dem äußeren Teile oft
noch in größeren Individuen vorhanden sind, sind stark ausgezogen; sie liegen auf den
Schichtflächen als gerundete Knoten, in eine grünliche, chloritische Masse eingebettet (lagen-
weise Anordnung der basischen Gemengteile) Die zersetzte schieferige Randzone des
Granites geht allmählich in grünliche blätterige Schiefer über. Nach Norden steht das
Massiv mit der großen Masse der präkarbonischen Granite der äußeren Züge des zentralen
Tian-Schan, d.i. der östlichen Fortsetzung des Terskei-Ala-Tau, im Zusammenhang."
Die mikroskopische Untersuchung ergibt:
Orthoklas mit Plagioklas perthitisch verwachsen, meist frisch und in großen Indi-
. viduen neben sehr stark serizitisiertem Oligoklas-Andesin und ganz oder zum Teil
umgewandeltem Biotit, der zu Chlorit mit starkem Pleochroismus und anormalen Inter-
ferenzfarben geworden ist. Dieser ist also Pennin. Er ist sicher aus Biotit entstanden,
wie die Übergänge deutlich zeigen und auch die gewöhnliche Ausscheidung von Titanit
und Anatas in Form von „Insekteneiern“ beweist. Vielfach ist er verrostet. Diese ver-
rosteten Stellen zeigen dann höhere Doppelbrechung und sind einachsig negativ, während
die frischen Partien positiven Charakter haben.
Muskovit kommt selten neben dem sekundären Serizit als primärer Gemengteil vor.
Von unwesentlichen Bestandteilen sind zu erwähnen Epidot und Orthit, Titanit, Anatas,
Zirkon und Apatit. Daneben Kalzit und Schwefelkies.
Das Gestein ist ganz zertrümmert, die Feldspäte zerrissen und die einzelnen Teile
gegeneinander verschoben, die Risse mit Serizit und Kalzit erfüllt. Der Quarz zeigt
überall stark undulöse Auslöschung und Mörtelstruktur. In die Zertrümmerungszonen
sind Serizit, Chlorit, Kalzit in großer Menge eingedrungen.
Ganz dieselben Erscheinungen, wie sie hier von dem etwa 1 km mächtigen Lager im
Süden beschrieben wurden, wiederholen sich beim Hauptmassiv im Norden, welches das
Ende des Profiles darstellt. So unterscheidet sich denn der Granit im mittleren Bayum-
kol-Tal in seinem ganzen Habitus von dem Amphibolbiotitgranit im oberen Tal: Es
fehlt die Hornblende, das Gestein ist stark kataklastisch und war intensiven Zersetzungs-
prozessen unterworfen, welche Erscheinungen man im Granit des oberen Tales nur ganz
26*
204
vereinzelt und niemals in so hohem Grade antrifft. Wie schon erwähnt steht dieses Granit-
massiv mit dem Granit im unteren Bayum-kol-Tal in Verbindung. Dr. Petersen hat
in der von Herrn Dr. Keidel zitierten Arbeit (Seite 275 und 276) einige von Friedrichsen
gesammelte Granite aus diesem Teil des Tales beschrieben. Er war so liebenswürdig, mir
die Schliffe dieser Gesteine durch den Vorstand des naturhistorischen Museums in Hamburg
zusenden zu lassen, wofür ich ihm bestens danke. Der Vergleich dieser Schliffe mit den
von Dr. Keidel gesammelten ergab vollständige Übereinstimmung. Vor allem zeigte sich
hier das starke Vorwiegen der sauren Gemengteile über die basischen, was gegenüber dem
Granit im oberen Bayum-kol-Tal, der im Durchschnitt viel basischer entwickelt ist, einen
dürchgreifenden Unterschied bezeichnet. Neben Orthoklas findet sich sehr viel Mikroklin
mit oft wunderbarer Gitterlamellierung. Manchmal nimmt auch der immer vorhandene
Muskovit so zu, daß ein Zweiglimmergranit entsteht (Nr. 226 auf S. 276). Zertrümmerungs- _
und Zersetzungserscheinungen sind ebenso intensiv, wie bei den beschriebenen Schliffen;
besonders ist die Chloritisierung des Glimmers weit vorgeschritten. Epidot und Orthit.
sind manchmal sehr häufig und zwar in so gut ausgebildeten Kristallen, daß man sie
wohl, wenigstens zum Teil, als primäre Bildung auffassen muß.
Was nun zwischen den beiden Granitmassen liegt, ist rasch beschrieben. An den
Nordrand des südlichen Vorkommens schließt sich zunächst ein Gestein an, welches man
wiederum am besten mit dem Namen Gneis-Glimmerschiefer bezeichnen könnte. Es
enthält als Plagioklas einen Albit. Daneben kommen vor: Quarz, Biotit und Chlorit.
Letzterer gibt sich durch seinen starken Pleochroismus und durch seine geringe Doppel-
brechung als Pennin zu erkennen. Er ist aber, im Gegensatz zum Pennin des Granites
ganz frisch und mit dem ebenfalls frischen Biotit parallel verwachsen. Er ist also hier
sicher primärer Entstehung. Epidot findet sich in großer Menge neben Titaneisen,
Apatit und Kalzit. Der Albit ist serizitisiert, aber meist nur im Kern, während der
Rand noch vollkommen frisch ist, ohne daß sonst ein zonarer Aufbau erkennbar wäre.
Der Quarz zeigt nur schwach undulöse Auslöschung.
Über das Weitere berichtet Dr. Keidel:
„Das Hauptmassiv des Granites geht am Südrande, wie schon erwähnt, in dünne
Schiefer über und die Schieferung wird immer ausgesprochener, je näher man dem
Nebentale (in dem Profil kenntlich durch die Einsattelung) kommt. Dicht bei diesem
findet man ein helles gangförmiges Gestein, wahrscheinlich Pegmatit oder Aplit, dann festes,
hell klingendes, splitterig springendes Gestein, wahrscheinlich Hornfels, wie im Kontakt
weiter talaufwärts.* (Siehe Profil I, Taf. IIL)
Von dem Pegmatit oder Aplit und von den Hornfelsen lag leider kein Stück zur
Untersuchung vor. Doch stand mir ein Gestein zu Gebote, unmittelbar vom südlichen
Granitrande, welches man seinem ganzen Habitus nach als Adinol bezeichnen muß, das
also wohl einen verkieselten Tonschiefer darstellt. Mit Einschluß der ersten Partien des
gequetschten und zersetzten Granites ist nach Dr. Keidel die Serie der Hornfelse etwa
250 m mächtig. Am Taleinschnitt des Nebentales liegt Schutt, zum Teil auch alte Moräne.
Auf der Südseite des Nebenflusses stehen unmittelbar neben diesem stark gefältelte Schiefer
an; sie lösen sich in großen Blöcken in schief parallelepipedischen Massen ab und zerspringen
205
griffelig. Mit diesen Schiefern beginnt eme Schichtenfolge, die außerordentlich verändert
ist. Dann folgt wieder eine nicht näher untersuchte Schieferserie, bis zuletzt mit einem
Crinoideendolomit, dem früher beschriebenen in allem gleich und einem „Tonschiefer mit
Pyritwürfeln*, die Grenze des südlichen Granitlagers erreicht ist, welche, wie schon erwähnt,
in ihrer schieferigen Ausbildung von einem Gneisglimmerschiefer begleitet wird. |
Nun ist noch das Profil in seinem weiteren Verlauf nach Süden gegen die hohe
Kette des Khan-Tengri zu verfolgen.
D. Der Südrand des Granitmassivs im oberen Bayum-kol-Tal.
Man nähert sich jetzt dem vergletscherten Gebiete und deshalb muß man sich mit
einzelnen Aufschlüssen zufrieden geben. Doch sind diese noch immer so beschaffen, daß
sie ein klares Bild vom Bau des Gebirges geben und noch manches Interessante bieten.
Zunächst ist es von Bedeutung, daß hier im Süden der Granit deutliche Schieferung
zeigt. Die mikroskopische Untersuchung läßt hier wieder, wenigstens einigemale jene
Erscheinung erkennen, welche Weinschenk Piezokristallisation nennt: Massenhafte
Epidot- und Klinozoisitkristalle erfüllen den frischen Plagioklas, welcher hier zwischen
Oligoklas und Oligoklas-Andesin steht, sich aber ersterem nähert. Die Struktur ist
granulitisch. Mechanische Einwirkungen fehlen auch bei diesem Gestein.
Unmittelbar an diesen schieferigen Granit schließen sich nun Glimmerschiefer an,
wie das Profil zeigt, mannigfalüg von Aplitadern durchzogen. ' Ein Handstück läßt diese
Aplitinjektion im Kleinen erkennen: Lagen von Biotit und feinkörnigem Quarz wechseln
mit unzweifelhaft granitischem resp. aplitischem Material. Dieses besteht nämlich aus
Orthoklas in großen Karlsbader Zwillingen, Oligoklas, Quarz und etwas grünlichem
Biotit. Dazu kommen Epidot in großer Menge, Orthit, Apatit und Zirkon, also ganz
dieselbe Mineralkombination, wie sie oben bei den Apliten beschrieben wurde.
Die Fortsetzung des Profils I gibt Profil II (Taf. III). Es beginnt mit den soeben
erwähnten injizierten Schiefern. Darauf folgt vielleicht ein nur in der Moräne beobachtetes
Gestein. Es ist gelblich-grün, ein
Chloritknotenschiefer.
Die Knoten bestehen aus Klinochlor, kenntlich durch den schwachen Pleochroismus,
die etwas schiefe Auslóschung und die hóhere Doppelbrechung mit normalen Interferenz-
farben. Dieser Klinochlor ist umgeben von Albit und durchsetzt von Biotit und Titanit.
Die Knoten liegen in einer Grundmasse, welche hauptsächlich aus Epidot, mit außer-
gewöhnlich vielen und schönen Zwillingen besteht. Daneben findet sich aber auch wieder
Albit, Biotit und Klinochlor. Letzterer ist auch hier wieder primärer Entstehung, aus
denselben Gründen, wie sie früher bei anderen Gesteinen angeführt wurden. Sekundär
aber ist Kalzit eingedrungen. Er findet sich nur in Spalten und Hohlräumen.
Die ganze Mineralkombination weist darauf hin, da& der beschriebene Schiefer durch
Umwandlung eines basischen Eruptivgesteins oder eines dazu gehörigen Tuffes entstanden ist.
206
Die nächsten Gesteine, welche nun wieder aus den Moränen auftauchen, sind Granite
-in mehreren Kuppen; sie gehören zu den Amphibolbiotitgraniten des Hauptprofils
und sind ebenso ausgebildet wie jene.
An die Granite schließt sich eine Serie von Kalken, Phylliten und Glimmerschiefern
an. Von diesen beanspruchen die Kalke ein besonderes Interesse, da sie unzweifelhafte
organische Reste enthalten, nämlich Crinoideen und Korallen. Der
Crinoideenkalk,
welcher etwas weiter im Süden in der Moräne gefunden wurde, ist ein körniger grauer
Kalk und zeigt sowohl makroskopisch wie mikroskopisch die Crinoideenreste sehr deutlich.
U. d. M. ist die organische Struktur vollkommen erhalten durch Graphitstaub; der Median-
kanal ist ganz mit diesem Staub erfüllt. Figur 5 der Tafel V zeigt die Photographie
eines Lüngsschnittes, Figur 6 die eines Querschnittes durch ein Stielglied.
Die Hauptmasse des Gesteins besteht aus feinkörnigem, stark durch graphitischen
Staub verunreinigtem Kalzit. Die Crinoideenreste bilden große Kalzitindividuen mit
sich unter einem spitzen Winkel kreuzenden Zwillingslamellen nach — 1 R. Diese Lamellen
zeigen einigemale Verbiegungen. An Kontaktmineralien tritt sehr häufig Turmalin auf
mit typischem Pleochroismus (c gelb, s farblos) und mit vielen gut ausgebildeten trigo-
nalen Querschnitten. Außerdem gelblicher, pleochroitischer Phlogopit sowie Eisenglanz.
Endlich bemerkt man noch nicht näher bestimmbare sulfidische Erze, unter denen sich
aber sicher Eisenkies befindet. Im
Korallenkalk
treten makroskopisch deutlich Korallenreste hervor, welche nicht nüher bestimmbar sind.
U. d. M. aber findet man von ihrer Struktur keine Spur mehr. Man sieht nur noch, wie
die Stellen, welche man makroskopisch als Korallen erkennt, durch das bedeutend gröbere
Korn sich aus der feinkórnigen Masse abheben. Der Grund dafür ist wohl hier, wie beim
Crinoideenkalk, in der größeren Reinheit des Materials zu suchen. Denn während die
Korallen durchaus klar sind, enthält der feinkörnige Kalzit massenhaft kleine opake Ein-
schlüsse. Diese Einschlüsse bewirken auch die dunkle Fürbung des Gesteins, aus welcher
schon fürs bloße Auge die weißen Korallen sich deutlich abheben. Auch hier zeigen die
großen Kalzitkörner die charakteristische Zwillingslamellierung nach — 1 R. Als Kontakt-
mineral sieht man hier und da einen farblosen Glimmer.
Neben diesen beiden Kalken kommen noch andere vor, welche aber aus reinem Kalzit
bestehen. Sie alle zeigen im allgemeinen die Pflasterstruktur. In einzelnen sind die
Zwillingslamellen verbogen. Die Kalke treten wechssellagernd mit Phylliten und Ton-
schiefern auf. Einigemale finden sich Zwischenlagen von dichtem weißem Kaliglimmer
ühnlich den sog. Helvetan von Gümbel.
Profil X (S. 145) beginnt im Norden mit dem Amphibolbiotitgranit des Hauptmassivs,
welcher hier am Rande pegmatitische Ausbildung und einen größeren basischen Putzen
zeigt. Daran schließt sich, in geringer Mächtigkeit, der bei Profil I beschriebene Glimmer-
schiefer (injizierter Schiefer) und dann körnige Kalke an. Der Kalk, welcher dem
207
Granit am nächsten liest, ist ein dunkles Gestein mit schwarzen Knoten. Die Knoten
bestehen aus Graphit mit etwas Quarz und Glimmer. Der Kalzit, meist ziemlich
grobkörnig, zeigt zum Teil verbogene Zwillingslamellen (nach — 4 R.) Neben ihm findet
man noch Quarz, etwas Albit, Muskovit, Zirkon und Schwefelkies. Der Graphit
tritt, außer in den Knoten, auch noch sonst in Rissen oder im Glimmer eingeschlossen auf.
"Etwas mehr nach Süden schließt sich nun ein Crinoideenkalk an. Die Crinoideen-
reste, welche makroskopisch leicht erkennbar sind, findet man unter dem M. nicht mehr
' wieder. Die Struktur ist gänzlich verschwunden. Doch sieht man manchmal kleinere
Kalzitindividuen in größeren, mit anderer Orientierung, eingesehlossen und zwar gerade
dort, wo man makroskopisch die Crinoideenstiele beobachtet.
Quarz tritt in Knoten auf, in denen sich immer viele kleine Stücke zusammenhäufen.
Dazu kommen Muskovit, Schwefelkies und Graphit. Letzterer füllt auch hier die
Risse aus und ist im Glimmer eingeschlossen. Die Zwillingslamellen des Kalzites sind
stark verbogen.
Die beiden beschriebenen Kalke zeigt in vergrößertem Maßstab Profil XI. Dort sieht
man auch, wie Aplite in mehreren Verästelungen in die Kalke eindringen. Dann ist eine
kurze Strecke mit Moränen bedeckt, welche ein Gletscherbach durchflie&t. Am Süd-
gehänge dieses Baches (Profil X) stehen wieder Gesteine an, welche besonderes Interesse
verdienen.
Zunächst bemerkt man einen Pegmatit und einen feinkörnigen Granit. Letzterer
enthält Orthoklas in unregelmäßigen Fetzen, sehr wenig sauren Plagioklas (eine nähere
Bestimmung ist nicht möglich, weil die Stücke zu klein sind), Quarz in kleinen, meist
wohlbegrenzten Kristallen, Biotit gleichfalls endlich gut begrenzt, Epidot in großer _
Menge, aber fast nie mit Kristallform, Eisenglanz in sechsseitigen Täfelchen, Apatit
und Zirkon. Die Struktur ist granulitisch und man würde das Gestein Aplit nennen
können, wenn nicht die basischen Gemengteile ziemlich stark vertreten wären.
Mit diesem Granit resp. Pegmatit steht in enger Verbindung ein anderes Gestein.
Es zeigt deutlich sedimentären Charakter: gut ausgebildeter Muskovit und feinkörniger
Quarz durchziehen das Gestein parallel der Schieferung und umschließen in der Schiefe-
rungsrichtung langgestreckte Graphitputzen. Zwischen diesen Lagen aber ist Aplit
eingedrungen, denn man findet hier frischen Mikroklin, Quarz, von größerem Korn, als
im Schiefer, richtungsloser Biotit, Pennin, Apatit, Zirkon. Dazu kommt endlich noch
ein Mineral, welches zwar im Bayum-kol-Tal niemals im Granit beobachtet wurde, wohl
aber häufig in den umgewandelten Sedimenten, nämlich Turmalin. Er ist hier grünlich
gefärbt (co dunkelgrün, s hellgrün bis farblos) und in außergewöhnlich großen, gut um-
grenzten Kristallen entwickelt. ;
Wir befinden uns also hier unzweifelhaft in der Region der injizierten Schiefer, in
welcher granitisches und sedimentäres Material sich in der mannigfaltigsten Weise mischen.
Vieles ist leider verdeckt von diesem interessanten Gebiet. -Doch sieht man etwas weiter
nach Süden in unserem Profil X wiederum eine Partie unter dem Eis hervorkommen. Ein
Aplit durchsetzt auch dieses Gestein und somit charakterisiert es sich als die wahrschein-
liche Fortsetzung genannten Gebietes.
Verläßt man diesen Gneis mit Aplitgang, so kommt man nach Süden wiederum auf
Granit, welcher unter Eis und Moräne stellenweise beobachtet wurde. Es ist derselbe
208
Amphibolbiotitgranit, welcher in Profil I die drei Kuppen bildet, resp. seine westliche
Fortsetzung. In Profil X ist er eingezeichnet, natürlich schematisch, da er nur in kleinen
Partien aufgeschlossen ist. Hier wurde auch „sehr häufig in der Morüne zwischen dem Eis,
das tief zerspalten ist, Augengneis gefunden.“ Auf dem Granit folgten nach Süden auch in
Profil III u. X Crinoideen- und Korallenkalke, wie sie schon bei Profil II beschrieben wurden.
Über die paläozoischen Kalke, welche den Hintergrund unserer Profile im Süden bilden
und welche die hohen Ketten zusammensetzen, kann nichts Näheres angegeben werden, weil
keine Stücke zur Untersuchung vorlagen und somit muß hier die Beschreibung der Gesteine :
ihren Abschluß finden.
Ergebnisse der petrographischen Untersuchung.
Drei Fragen sind es vor allem, welche sich nun aufdrängen: 1. Ist der Granit als
Intrusivmasse in die Schiefer eingedrungen, welche ihn jetzt umgeben? 2. In welcher
geologischen Periode ist dieses geschehen? 3. Welches ist die Ursache der kristal-
linischen Beschaffenheit der Schiefer und Kalke?
1. Daß die erste Frage für den Amphibolbiotitgranit bejahend beantwortet werden
muß, unterliegt keinem Zweifel. Dafür sprechen: 1. Die porphyrischen und schieferigen
Randzonen. 2. Die Aplite und Pegmatite, welche ins Nebengestein eindringen. 3. Die
Kontaktmetamorphose dieses Nebengesteins selbst. Ein Blick auf die Profile zeigt dieses
alles ganz deutlich.
Nicht so deutlich liegen die Verhältnisse beim Biotitgranit im mittleren Bayum-
kol-Tal. Aber auch hier findet man vollständig befriedigende Beweise: Die porphyrische
und schieferige Randzone wurde von Dr. Keidel beschrieben; ebensowenig fehlt der
Pegmatit im Nebengestein, wenn auch nur ein einziger beobachtet wurde; endlich ist auch
die Kontaktmetamorphose durch Hornfelse und Adinole nachgewiesen.
2. Das Alter der Granite ist somit in seiner Grenze nach unten durch das Alter der
umgebenden Schiefer bestimmt. Für den Granit im oberen Bayum-kol-Tal ergibt sich
also ein postkarbonisches Alter, weil er oberkarbonische Gesteine metamorphosiert hat.
Der Granit im mittleren und unteren Bayum-kol-Tal aber ist zweifellos älter.
Wenn auch die Schiefer, welche er verändert hat, unbestimmten Alters sind (vergl.
Keidel S. 104 £), so ergeben die an zahlreichen Stellen nachweisbaren Transgressionen unter-
karbonischer Ablagerungen über diesem Granit und seinen Kontaktbildungen, daß zur Zeit
der Ablagerung jener Sedimente der Granit mit seiner kontaktmetamorphen Hülle schon
einer weitgehenden Denudation anheimgefallen war. Mit ihm gleichalterig, da
petrographisch völlig übereinstimmend, ist auch das etwa 1 km mächtige Lager nördlich
von diesem. granitischen Hauptmassiv.
Zweifellos haben wir es also mit zwei verschiedenalterigen Intrusionen zu tun, von
welchen die jüngere, jene im oberen Bayum-kol-Tal, mindestens postkarbonisch ist. Aber
man kann das Alter dieser auf Grund petrographischer Beobachtungen noch etwas nüher
definieren. Einerseits weist nämlich die große Menge an Mineralien der Epidotgruppe,
alles Mineralien von kleinem Molekularvolumen, wie auch die Piezokontaktmeta-
morphose am Südrande auf einen bedeutenden Druck während der Verfestigung hin, so
daß die Intrusion wohl in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Gebirgsbildung
gestanden haben mag und sowohl die Verfestigung des Granites selbst, also auch die Meta-
209
morphose des Nebengesteins unter dem Einfluß des hohen Druckes dieser Gebirgsbildung
vor sich ging. Andererseits ist aber der Granit in seiner ganzen Masse frisch und
unzersetzt. Mechanische Zertrümmerungen sind nur lokale Erscheinungen und erreichen
nie einen hohen Betrag. Das erscheint unmöglich, wenn nach der Verfestigung des Granites
noch bedeutende gebirgsbildende Bewegungen stattgefunden hätten. Wie eine solche
auf ein Granitmassiv einwirkt, zeigt sich deutlich am Granit des mittleren und unteren
Bayum-kol-Tals, bei dem fast kein einziger Bestandteil ohne Zertrümmerungserscheinung
geblieben ist.
Es wäre also somit als Zeit der Intrusion mit großer Wahrschemlichkeit die letzte
große gebirgsbildende Bewegung im Tian-Schan bestimmt.
3. Die dritte Frage streift ein Gebiet, das heutigen Tages im Mittelpunkte des all-
gemeinen Interesses aller Geologen steht: Die Entstehung der kristallinischen Schiefer.
Und weil hier die Ansichten so sehr voneinander abweichen, so scheint es vor allem geboten,
bei der Behandlung dieser Frage strenge Tatsachen und Theorie auseinanderzuhalten.
Es ergibt sich zunächst aus den Untersuchungen im Bayum-kol-Tal, daß man hier
von einer archäischen Formation oder von der Formation der kristallinischen
Schiefer nicht reden kann. Die Kalke und Schiefer von der hohen Kette des Khan-
Tengri bis ins mittlere Bayum-kol-Tal hinab, sind durch Fossilfunde als paläozoisch
bestimmt. Nur die schmale Zone von Schiefern zwischen dem Granitmassiv des mittleren
Bayum-kol und dem nördlichen Crinoideendolomit ist unbestimmten Alters. Es ist also,
wenn wir zunächst von diesen wenigen Schiefern absehen, sicher nachgewiesen, daß die in
Rede stehenden Gesteine umgewandelte Sedimente und, zum geringen Teil, umgewandelte
basische Eruptivgesteine sind.
Die Frage nach der Ursache ihrer kristallinischen Umwandlung läßt sich für die
Gesteine im obersten Bayum-kol-Tal leicht und mit absoluter Sicherheit beantworten:
Es ist unzweifelhaft, daß es die kontaktmetamorphosierende Kraft des Granites war,
welche die Gesteine in nächster Nähe des Granites in den jetzigen Zustand übergeführt hat.
Ein Blick auf Profil II, III und X (S. 145) läßt dieses für die südlichsten Teile deutlich
erkennen. Dort sieht man ja, wie der Granit selbst oder seine sauren Spaltungsprodukte
in der mannigfaltigsten Weise in Kalke und Schiefer eindringen, überall ihre Spuren in der
Neubildung oder Umkristallisierung der Mineralien zurücklassend. Das kann man verfolgen,
soweit die Aufschlüsse reichen, so lange nicht ewiges Eis alles bedeckt. Die Profile geben
natürlich nur die bedeutendsten Aplitadern. Daß die Aplite z. B. unter der Moräne der
Furche des westlichen Bayum-kol-Gletschers das Gestein gleichsam durchschwärmen, sieht
man auf den Profilen nicht.
Für die Gesteine am Nordrande des Granitmassivs im oberen Bayum-kol-Tal hat
man nicht geringere Sicherheit für die umwandelnde Wirkung des Granites. Zwar sind
hier die Aplite nicht so zahlreich, — wenn man nicht etwa die mächtige Apophyse von
. feinkórnigem Granit dazu rechnen will, — aber an ihre Stelle tritt eine andere Erschei-
nung: an den Granit schließen sich Hornfelse und Knotenschiefer an, welche man immer
als typische Kontaktbildungen auffaßt. Und neben diesen treten auch Kalke auf, mit
typischen Kontaktmineralien und endlich Quarzphyllite mit Turmalin. Bis hierhin also,
etwa 1 km nördlich vom Granit und ebenso für die im Süden an den Granit angrenzenden
Kalke und Schiefer ist die Kontaktmetamorphose Tatsache,
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt. 27
210
Sind wir aber nun berechtigt die Kontaktmetamorphose auch auf die noch weiter
nach Norden folgenden Schiefer auszudehnen?
Wir wissen durch Herrn Dr. Keidel, daß die Gesteine der südlichen Hälfte der
Schieferserie sich vor den anderen durch einen hóheren Grad der Metamorphose
auszeichnen, ja daß die der nördlichen Hälfte, wenigstens zum Teil, ganz unverändert
sind. Das alles würde sich leicht erklären durch die geringere oder größere Entfernung
des Granites.
Allerdings nimmt die Metamorphose wieder zu, wenn wir uns noch mehr nach Norden
begeben und uns den Gabbrozungen nähern. Den Grund dafür aber finden wir in Graniten,
welche besonders auf der linken Talseite sehr häufig sind. Auch von der rechten Seite
wurde ein solcher beschrieben und mit dem Zentralgranit der Alpen verglichen. Es ist
also wenigstens sehr wahrscheinlich, daß die ganze Schieferserie kontaktmetamorph ist.
Sicher wird dieses wieder für jene Gesteine, welche den Biotitgranit im mittleren
und unteren Tal umhüllen.
Es ist auf den ersten Blick auffallend, daß nur am Nordrand des großen Granit-
massivs im oberen Bayum-kol-Tal Hornfelse und Knotenschiefer sich finden, während
am Südrande gar nichts derartiges vorkommt. Man kann dieses Fehlen nicht dadurch
erklären, daß das Gebiet zu wenig durchforscht sei. Die Profile zeigen, daß gerade der
unmittelbare Kontakt des Granites an mehreren Stellen sehr eingehend untersucht wurde.
So charakteristische Bildungen wie Hornfelse und Knotenschiefer hätten dabei dem Sammler
nicht entgehen können. Noch viel weniger darf man deshalb die Kontaktmetamorphose
leugnen, da ja doch in den Apliten ganz unwiderlegliche Beweise gegeben sind.
Es handelt sich hier offenbar um eine ganz andere Art der Kontaktmetamorphose,
wie am Nordrand. Hier am Südrand ist es das, was Weinschenk Piezokontaktmeta-
morphose nennt, am Nordrand ist es normale Kontaktmetamorphose. Merkwürdig
genug ist es nun, wie erstere auch mit der Piezokristallisation zusammenhängt; wird doch
am Südrande der Granit, wie schon beschrieben, schieferig und nimmt makroskopisch wie
mikroskopisch ganz den Habitus eines zentralalpinen Granites an. Dieselbe Übereinstimmung
mit zentralalpinen Gesteinen ergibt sich aus der Betrachtung der metamorphosierten Schiefer
und Kalke. Nirgendwo treten am Südrande die stets als typisch betrachteten Kontakt-
mineralien wie Andalusit und Cordierit oder Kalksilikatmineralien auf, sondern an Stelle
ersterer tritt als Neubildung Muskovit und Biotit, an Stelle letzterer bleiben Kalzit und die
Kieselsäure getrennt, sei es, daß letztere als Quarz auskristallisiert oder sich im Albit findet.
Geht man hingegen zum Nordrand, so treten im Hornfels sofort Diopsid und
Fosterit auf und im kórnigen Kalk bildet sich Strahlstein, wührend man freie Kieselsáure
vergebens sucht.
Merkwürdig und zugleich hochbedeutsam ist es, daß so ein und dasselbe Massiv die
beiden Arten der Kontaktmetamorphose zeigt. Mag man dieses nun dadurch erklüren,
daß im Süden, wo die mächtigen Ketten bis über 7000 m emporragen, der Druck während
der Metamorphose ganz besonders stark auf den Gesteinen lastete, mag man irgend eine
andere Erklärung suchen: Die Tatsache muß jedenfalls beim Studium ähnlicher Gebiete,
vor allem unserer Alpen, berücksichtigt werden; man darf nicht mehr von einer Theorie
der Piezokontaktmetamorphose sprechen, welche sich durch keine Tatsachen beweisen lasse.
St. Gabriel b. Mödling, März 1906.
Ao
211
Erklürung der Tafel V.
(Vergrößerung ca. 70 fach).
. Orthitkristall aus drei verschieden gefärbten, scharf gegeneinander abgegrenzten Teilen bestehend.
Aus dem Amphibolbiotitgranit des obersten Bayum-kol-Tales.
Gewöhnliches Licht. x
In der Mitte des Gesichtsfeldes ein Skapolithkristall mit Spaltrissen, der Längsrichtung
parallel. In diesem Kristall sieht man einzelne Partien, deren Spaltbarkeit einen Winkel von
30? mit der des Skapoliths bildet. Es ist Leuchtenbergit. Kontaktkalk.
Gewöhnliches Licht.
Siebstruktur eines Skapolithknotens. Der Skapolith ist durchlóchert und mit Quarz und Biotit
angefüllt. —+ Nicols. Skapolithknotenschiefer.
Zeigt neunseitige Turmalinquerschnitte und stark absorbierende Lüngsschnitte in dem vollkommen
geschieferten Skapolithgestein. Skapolithknotenschiefer.
Längsschnitt durch einen Crinoideenstiel. Die ursprüngliche organische Struktur ist durch Graphit-
flecken angedeutet.
Gewöhnliches Licht. Im Marmor des obersten Bayum-kol-Tales.
Quersehnitt durch einen Crinoideenstiel. Ein einheitliches, zwillingslamelliertes Kalzitindividuum
zeigt in der Mitte einen Hohlraum, welcher ganz mit Graphit erfüllt ist. :
Gewöhnliches Licht. Im Marmor des obersten Bayum-kol-Tales.
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gs Biotiteranit des mittleren Bayum - Kol-Tals
m Granit in den Schiefern 1
g Amphibolbiotitgranit des oberen Bayum-Kol- Tals
p Phyllit (z. T. Gneiss, Gabbro usw.)
£ Tonschiefer (z. T. Phyllit)
s Kontaktmetamorphe Schiefer d. oberen Bayum-Kol-Tals
d Dolomit der Schieferzone i. mittleren Talabschnitt
di Dolomit d. Khan -Tengri u. kristallin. Kalk
c Carbonischer Kalk
enin des abere Boum AKI uS | Umrandung d. östl. Bayum- Kol- Gletschers.
ct Contact des schmalen Granitzuges des Gletscher-
bodens gegen die Schiefer am nördlichen Fusse
der centralen Kette Pik Nicolai Michailowitsch
i Injizierte Schiefer
ptk Phyllit - Tonschiefer u. Kalkschiefer a. nördlichen
Fusse der centralen Kette
c untercarbonischer kristallinischer Kalk
Ant-IA-muupd sev ab VuwovoMAOYA emp
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Amphibolitische Gestt
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zone des Bayum-kol-T|
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Injizierte Schiefer am
des Bayum-kol-Massivi
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Paläozoische Schiefer iD 3
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Sandsteine (karbonisc&&
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puge; zum Teil plain esc
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Präkarbonischer Gran)
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Quarzporphyr.
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Gepre&ter Granit, e|
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kol-Tals.
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kol-Tals.
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züge, vermutlich gleipey?
Merzbacher'sche Tian-Schan-Expedition. — Keidel & Richarz. Tafel II.
5 10 Tekes - Steppe
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222
1 Amphibolitische Gesteine. chloritische
Schiefer und grüner Phyllit der Schiefer-
zone des Bayum-kol-Tals.
2 Phyllit und Tonschiefer des Bayum-kol-
Tals, zum Teil kontaktmetamorph.
3 Dolomit des mittleren Bayum-kol-Tals.
4 Dieselben Gesteine wie 1, 2, 3 im Ge-
n des Inyltschek-Tals und südlich
d
on.
5 Injizierte Schiefer am südlichen Rande VU
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des Bayum-kol-Massivs N
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VVVVVVVVVVVVNVYVM
e Schiefer der äußeren Ge-
7 Phyllite und Tonschiefer am nördlichen
Rande der zentralen Kette.
bonischer Kalk der Stufe des
Produetus giganteus.
9 Unterkarbonischer, kórniger Kalk der
Zentralketten.
10 Bunte gipsführende Mergel und rote Aschu-tor-R255
Sandsteine (karbonisch) des Sart-dschol-
Pas
Semenow Gl.
8.
11 Tertiäre Gobi-Sedimente.
"Haschke-tur-Ra55 Bayum-ho) PAkNicolar-
12 Junge, zum Teil pleistozäne Bildungen 2 ACA ze ,
der alten Seebecken und der Talbecken. . Zwischenketle Ze Het " Gletscher. Michailowitsch
Re, C o7 PUE Cent“ TTA Hhan-Tengri
13 Prükarboniseher Granit der äußeren Ge- Mill
—
birgszüge. em iir UU
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14 Jüngerer Granit der inneren Gebirgszüge.
15 Quarzporphyr.
16 Granit desBayum-kol-Semonow-Massivs.
17 Geprefiter Granit, eingelagert in den
Tonschiefern der Schieferzone des Bayum-
kol-Tals.
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I um Geolosische Übersichtskarte
18 Gneis ete. in der Schieferzone des Bayum-
kol-Tals. "Alschailo- Tha? a.nordll. centralen Tian-Schan,
72755
19 Granit der nördlichen äußeren Gebirgs-
züge, vermutlich gleichalterig mit 13. entworfen nach d.Aufnahmen
In aen Jahren 1902 u.1903
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Fig. II. Profil durch den obersten Teil des Bayum-kol-Tales von S.—N.
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Fig. III. Profil durch den nürdlichen Teil des zentralen Tian-Schan im Meridian des Khan-Tengri (vom Khan-Tengri durch das Bayum-kol-Tal zur Tekes-Ebene).
p Phyllit, Tonschiefer u. s. w., 7 T. in Profil I, d Crinoideendolomit der Schieferzone des Bayum-kol-Tales, c unterkarbonischer Kalk, z. T. grauwackenühnlieh, c, kristallinischer Kalk (z. T. dolomitisch) der zentralen Kette,
c3 kristallinischer, z. T. dolomitischer Kalk des Khan-Tengri, i Zone der injizierten Schiefer, t junge Bildungen der Tekesebene, m alte Morüne, s Aufschüttungen der Steppe, g präkarbonischer Granit der äußeren Gebirgszüge,
2 gı Granit des oberen Bayum-kol-Tals, gs geprefter Granit der Schieferzone, a Gabbro.
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Abh. d. Il. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt.
Merzbacher'sche Tian-Schan-Expedition. — Keidel & Richarz. Tafel IV.
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Semenow-Gl.
Fig. XII. Profil durch das Karakol-Tal und den Semenow-Gletscher (Endzunge).
p grünlicher Phyllit, a amphibolitartiges Gestein,
tg Tonglimmerschiefer, t Tonschiefer, eg Quarzitkonglomerat, k kontaktmetamorpher Kalk,
c unterkarbonischer Kalk, g
Granit, m Morüne, s Gehüngeschutt, et Kontakt, e Gletscher
Tüss- aschu-Fass
E - RC Firn
Gletscher
Jnyltschek -Thal
1:50000
Fig. XIII. Profil durch den Sary-dschass-Tau im Meridian des Tüss-aschu-Passes.
p Pbyllit, kristallinische Schiefer, z. T. injizierte Schiefer, c unterkarbonischer Crinoideenkalk mit Productus giganteus,
et kontaktmetamorpher Kalk mit Kalkkonglomerat (cg),
g Granit, Amphibolbiotitgranit und porphyrischer Biotitgranit,
pi rötliche, lockere, pleistozüne Konglomerate und Sande des Sary-dsehass-Beckens,
m alte Morüne, mf fluvioglaziale
Bildungen in Terrassen, sf Flußschotter, s Schutt.
Masserscheige
Grosses Lans$sthal 2 Eisseen i.Einschnitt a Souka- Passes.
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Verschiebung 1:270,000
Fig. XIV. Profil durch den Terskei-Ala-Tau im Meridian des Souka-Passes.
& granitiscbe Gesteine, Amphibolbiotitgranit, Biotitgranit, s metamorphe Schiefer, c heller und dunkler kristallinischer Kalk, z. T. von Aplit durchbrochen,
k rotes, postpliozänes Konglomerat des Issyk-kul, f fluvioglaziale Schotter, sh rezente Schotter des Issyk-kul-Ufers, m! Morünen der ehemaligen Gletscher,
m Moränen der heutigen Gletscher.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt.
Merzbacher'sche Tian-Schan-Expedition. — Keidel & Richarz.
L1
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Prof. Weinschenk phot.
Abh. II. KL.
d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt.
Aus den wissenschaftlichen Ergebnissen der
Merzbacherschen Tian-Schan-Expedition.
III. Die Gesteine des Profils durch das südliche Musart-Tal
im zentralen Tian-Schan.
Von
P. A. Kleinschmidt und £P. H. Limbrock, S. V. D.
(Mit 2 Tafeln.)
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt 28
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Einleitung.
Das in Folgendem dargestellte Profil soll gewissermaßen die Fortsetzung bilden zu
den Studien von P. St. Richarz über die Gesteine des Bayum-kol-Tals auf der Nord-
seite des Tian-Schan (siehe Denkschriften der Akad. der Wiss. S. 193—211). Das süd-
liche Musart-Tal bildet allerdings nicht die gerade Fortsetzung des Bayum-kol-Tals,
sondern liegt etwas weiter östlich. Da aber nach den Angaben von Dr. Keidel in der
nördlichen Fortsetzung des von uns eingehender studierten Abschnittes, im „Großen oder
nördlichen Musart-Tale*, annähernd ähnliche Verhältnisse herrschen, wie im Bayum-
kol-Tal, so geben die beiden Profile zusammen jedenfalls ein hinreichendes Bild von der
petrographischen Beschaffenheit des zentralen Tian-Schan.
Es obliegt uns zunächst die angenehme Pflicht, Herrn Dr. G. Merzbacher unseren
aufrichtigen Dank auszusprechen für die freundliche Überlassung des Materials und der
photographischen Abbildungen. Sodann dem Geologen der Expedition, Herrn Dr. H. Keidel,
der in liebenswürdigster und selbstlosester Weise uns seine gemachten Beobachtungen zur
Verfügung stellte und mit der größten Zuvorkommenheit stets bereit war, über alle dunklen
Punkte Aufschluß zu geben und uns durch ausgiebige Skizzen und Notizen über die Lage-
rungsverhältnisse unterrichtet hat. Auch müssen wir Herrn Professor Dr. E. Weinschenk
danken, unter dessen erfahrener Leitung wir unsere Untersuchungen ausführen konnten.
Wir werden nun zunächst versuchen, einen kurzen Überblick zu geben über die geo-
logischen Verhältnisse unseres Gebietes nach den freundlichen Mitteilungen des Herrn
Dr. Keidel. Sodann soll die Beschreibung des Profils selbst folgen und endlich die aus
den beobachteten Tatsachen zu ziehenden Schlüsse.
I. Kurzer Überblick über die geologischen Verhältnisse des
südlichen Musart-Tals.
Aus der geologischen Beschreibung Keidels (siehe Denkschriften der Akad. der Wiss.
S. 91 £) wissen wir, daß sich auf der Nordseite des Tian-Schan mehrere größere grani-
tische Massive befinden. Über das nördliche transgrediert der unterkarbonische Kalk, wes-
halb dieser Granit sicher älter sein muß als die betreffenden Teile des Karbons. Dagegen
unzweifelhaft postkarbonischen Alters ist der südlichste Granitzug, da er den karbonischen
Kalk, der die höchsten Ketten am Khan-Tengri bildet, nachweislich kontaktmetamorph
umgewandelt hat.
Der Musart-PaB, an dem unser Profil beginnt, liegt nach Keidel genau in der
nordöstlichen Streichrichtung der den Khan-Tengri tragenden Gebirgszüge. Hier wie dort
28*
216
sind die höchsten Erhebungen aus kristallinischen Kalken und Dolomiten zusammen-
gesetzt. Keidel ist daher der Ansicht, daß auch am Musart-Paß die Kalke karbonischen
Alters sind, obwohl im größten Teile der Kalkzüge keine Fossilfunde vorliegen wegen der
hochkristallinen Beschaffenheit dieser Sedimente.
Von Interesse für uns ist auch die Tatsache, daß die wahrscheinliche Fortsetzung des
postkarbonischen Granites des obersten Bayum-kol-Tales sich ca. 15 km nördlich vom
Musart-Paß findet. Das Massiv hat nach Keidels Schätzung — er hat im nördlichen
Großen Musart-Tal nur flüchtige Beobachtungen machen können — eine Mächtigkeit von
etwa 8 Kilometern. Der Granit ist, wie im oberen Bayum-kol-Tal, reich an Hornblende.
Vom Musart-Paß südwärts folgen wir der Expedition lange Zeit durch die oben-
genannten kristallinischen Kalke, in die sich stellenweise mächtige Lager und Gänge
von Quarzporph yr einschalten, und die mehrfach mit typischen Hornfelsen und Glimmer- :
felsen wechsellagern.
Weiter nach Süden schließen sich mannigfaltige Bildungen an, fast. alles echte
Kontaktgesteine. In diesem Abschnitte treten einige kleinere Granitstöcke auf unter
etwas eigentümlichen Verhältnissen, die weiter unten geschildert werden sollen.
Wir nähern uns nun dem granitischen Massive des südlichen Musart-Tals, das in
seiner ganzen Mächtigkeit aufgeschlossen ist. Gegen 30 Kilometer führt der Weg durch
dieses Massiv, das allerdings, wie wir noch sehen werden, kein einheitliches ist.
Die südliche Kontaktzone ist verhältnismäßig schwach entwickelt. Der Grund
ist nicht recht klar. Das Wahrscheinlichste ist wohl, daß die transgredierenden ober-
karbonischen Sedimente, die gleich folgen, einen großen Teil der Schiefer bedecken. Mög-
licherweise ist auch eine Überschiebung daran Schuld, wie Keidel deren mehrere in anderen
Teilen des südlichen Tian-Schan nachweisen konnte.
IL. Petrographische Beschreibung der Gesteinstypen.
1. Der Granit.
Die gewaltige Granitmasse des südlichen Musart-Tals stellt, wie oben schon ange-
deutet wurde, kein einheitliches Massiv‘ dar. Dieses ist vielmehr aus mindestens zwei
durchaus verschiedenen Graniten zusammengesetzt, die wohl auch verschiedenes Alter haben.
Das größere, wahrscheinlich ältere Massiv besteht aus einem Granit, der in seiner
normalen Ausbildung sehr grobkörnig ist und eine grauliche Farbe hat, welche durch den
ungewöhnlich reich vorhandenen Quarz häufig einen bläulichen Ton erhält, oder durch
grünlich-gelbe Flecken, die auf einen Gehalt an Epidot schließen lassen, mehr ins Grün-
liche neigt. Gegen die Ränder des Massivs beobachtet man beiderseits eine mehr und mehr
hervortretende Parallelstruktur, womit gleichzeitig der Quarzgehalt abzunehmen scheint.
Und in den äußersten Randzonen ist der im Kern völlig richtungslose Granit zu typischem
Augengneis geworden mit zahlreichen Feldspataugen, die durchschnittlich 2—3 cm groß
sind und von starken Lagen von Biotit umflasert werden.
Die zur mikroskopischen Untersuchung vorliegenden Gesteinsproben weisen eine
granitische Struktur auf; im Kerne des Massivs ist sie richtungslos, zum Rande hin nimmt
217
der Glimmer eine parallele Orientierung an. Unter dem Mikroskop erweisen sich die
Granite als ziemlich zersetzt und zertrümmert.
Drei Feldspäte sind in jedem Schliff zu beobachten: Orthoklas, Oligoklas-
Andesin und Mikroklin. Während das Mengenverhältnis des Orthoklases zum Plagioklas:
annähernd konstant bleibt, variiert die Menge des Mikroklins ziemlich stark. Meistens
bleibt er sehr hinter der Menge der übrigen Feldspäte zurück; in einem einzigen Falle
fällt auf ihn der Hauptanteil.
Der Orthoklas und der Plagioklas sind durchweg ziemlich getrübt durch Serizit-
bildung und stellenweise auch durch größere oder kleinere Fetzen von Epidotmineralien
und Chlorit. Der Mikroklin ist im Durchschnitt ziemlich frisch; nur hier und da bemerkt
man auf den Rissen Kalkspatimprägnation. Im Mikroklin schwimmen Kristalle von
Plagioklas und Orthoklas; bisweilen sind die letzteren perthitisch verwachsen.
Quarz bildet mit Mikroklin die letzte Ausfüllungsmasse ohne jegliche Andeutung
einer Kristallform; er ist immer in geringerer Menge vorhanden als der Feldspat und stets
mehr oder weniger zertrümmert .und zeigt darum undulöse Auslóschung. Stellenweise ist
er völlig zu Sand zermalmt und weist dort die charakteristische Mörtelstruktur auf.
Biotit ist durchweg in verhältnismäßig geringer Menge vertreten; er ist großtafelig
ausgebildet und stellenweise ziemlich stark umgewandelt und zwar meist in Epidot und
Zoisit; ferner in Titanmineralien: Titanit, Anatas und Titaneisen; Chloritbildung
ist ziemlich untergeordnet.
Von den akzessorischen Gemensteilen sind zu nennen Orthit in größeren Körnern
im Biotit eingewachsen, ferner einige vorzüglich ausgebildete Zirkonkriställchen und
Apatit.
Turmalin kommt ganz vereinzelt in kleinen Nädelchen vor. Von den Erzen ist
außer Titaneisen noch Eisenkies als Imprägnation auf den Spaltrissen vertreten. Mit
seiner Zunahme läuft eine Zunahme der Zersetzung des ganzen Gesteins parallel.
Ganz abweichend ist der Granit, der sich an die nördliche Augengneiszone anschließt.
Seine Ausdehnung beträgt noch gegen 10 Kilometer. Er zeigt eine ziemlich außergewöhn-
liche Ausbildung. Es ist ein weißes, aplitähnliches Gestein, das sehr arm ist an dunklen
Bestandteilen. Feine Biotitlagen geben ihm ein schlieriges Aussehen. Die Unterschiede
in Bezug auf Struktur und Zusammensetzung sind an den verschiedenen Stellen des Massivs
nur gering. Doch ist eine Verschiedenheit dadurch gegeben, daß die Biotitlagen in den
Randzonen eine schieferige Beschaffenheit bedingen, während der Biotit im Kern des Massivs
mehr oder weniger richtungslos angeordnet ist.
Die mikroskopische Untersuchung bezieht sich auf vier Gesteinsproben. Auffallend
ist sogleich die ausgesprochene granulitische Struktur, wie sie für die Zweiglimmer-
granite so charakteristisch ist. An einzelnen Stellen wird diese zur pegmatitischen
Struktur.
An der Zusammensetzung beteiligen sich drei Feldspäte, Orthoklas, Mikroklin
und Oligoklas (vereinzelt auch Oligoklas-Andesin) in annähernd gleichen Mengen.
Der Orthoklas ist durchweg frisch. Nur an wenigen Stellen zeigt er schwache
Trübung durch Serizitbildung. Hier und da ist er perthitisch verwachsen mit Plagioklas.
Seine Form ist ziemlich unregelmäßig. Der Mikroklin ist mit Quarz die letzte Ausfüllungs-
masse. Quarz bildet gerade im Mikroklin mit Vorliebe gerundete Einschlüsse. Trübung
218
durch serizitische Mineralien ist selten. Im Gegensatz dazu ist der Oligoklas durchgehends
ganz erfüllt von Serizit, wozu an einigen Stellen noch Epidot und Zoisit kommen.
Der Quarz tritt zuweilen in größeren unregelmäßigen Körnern und Fetzen auf.
Meist erfüllt er in gerundeten Körnern die verschiedenen Feldspäte, besonders den Mikroklin,
oder er ist mit diesen direkt verwachsen. Wo er selbständig auftritt, führt er als Ein-
schlüsse Apatit- und Biotitkriställchen. Kataklase ist kaum nachweisbar.
Muskovit und Biotit sind nicht sehr häufig. Die Kristalle sind meist ziemlich groß.
Der Muskovit ist stets frisch, während der Biotit oft zu Chlorit zersetzt ist. Die Chloriti-
sierung kommt in den verschiedensten Abstufungen vor; indem sie auf den Spaltrissen
beginnt, wandelt sie nach und nach den ganzen Biotit um. Den Chlorit begleiten stellen-
weise Epidot, Klinozoisit und Titaneisen mit Titanit und Anatas, die darum sicher
als Nebenprodukte der Chloritbildung anzusehen sind.
Als akzessorische Mineralien sind nur Apatit und sehr wenig Zirkon zu nennen.
Innerhalb des Massives treten einige lamprophyrische Gänge auf, und ebenso setzt sich
der Nordrand des Massivs aus einer verhältnismäßig mächtigen Lamprophyrzone zusammen.
Betrachten wir zunächst das Gestein, das die Gänge bildet.
Es ist von grünlicher bis schwarzer Farbe und ziemlich feinkörniger Ausbildung,
Auf den unregelmäßigen Bruchflächen nimmt man recht viel Biotit wahr. Dieser tritt
aber im Dünnschliff stark zurück gegenüber der gemeinen Hornblende, die einen
bedeutenden Bestandteil bildet. Der Feldspat ist zum geringeren Teil Orthoklas. Der
Plagioklas ließ sich infolge des Mangels geeigneter Schnitte nur schwer bestimmen. Der
Lichtbrechung nach steht er zwischen Andesin und Labrador. Er ist in der Regel
frisch. Nur an verhältnismäßig wenigen Stellen zeigt er Zersetzung zu Serizit und
Epidotmineralien. Auch enthält er oft Einschlüsse von Apatitkriställchen. Quarz
ist fast gar nicht vorhanden. Anataskörner, die ein Eisenerz begleiten, charakterisieren
dieses als Titaneisen. Auffallend ist der bedeutende Gehalt an Titanit in großen meist
unregelmäßigen Fetzen.
Das Gestein der Randzone ist von dem der Gänge durchaus verschieden. Es ist
plattig bis schieferig ausgebildet und zeigt schwarze bis bräunliche Farbe, die vom hohen
Biotitgehalt herrührt.
Im Dünnschliff erscheint die Struktur als richtungslos kórnig. Der Biotit erfüllt
in mittelgroßen Blättchen das Gestein ohne bestimmte Anordnung. Vereinzelt ist; er chloriti-
siert. Der Feldspat ist Orthoklas und Labrador, beide sind stark zersetzt. Häufig
bemerkt man hier Einschlüsse von Biotitkriställchen und zahlreichen kleinen, gerundeten
Quarzkörnern. Als Zersetzungsprodukt sind neben Chlorit und Serizit noch Anatas
und Rutil zu nennen, sowie etwas Kalkspat, der einige Risse ausfüllt.
2. Die südliche Kontaktzone.
Die schwache Entwickelung der südlichen Kontaktzone wurde oben schon erwähnt
und auch der wahrscheinliche Grund dafür angegeben. Wir gehen daher sogleich über zur
Beschreibung der Gesteine, welche diese Zone zusammensetzen.
Unmittelbar am Granitkontakt steht ein gneisartiges Gestein an mit reichem
Glimmergehalt. Die Übereinstimmung mit den ,Gneisen^ des Wechselgebirges in
219
Niederösterreich geht bis zur völligen Gleichheit. Da an den höchsten Stellen des Wechsel-
gebirges granitische Injektionen nachweisbar sind, so ist es klar, daß hier eine Vermengung
des granitischen mit dem sedimentären Material stattgefunden hat. Es sind vom Granit
resorbierte Schiefer, die den Granitlakkolithen überlagern. Ganz dasselbe Gestein finden
wir im südlichen Musart-Tal unmittelbar am Granitkontakt. Somit kann bezüglich der
Natur dieses Gesteines kaum mehr ein Zweifel vorhanden seın.
Die mikroskopische Untersuchung bestätigt die Gleichheit vollkommen. Das Gestein
wird von breiten Bändern von Muskovit und Chlorit, mannigfach gewunden, verbogen
und gestaut, durchzogen. Man beobachtet hier stellenweise Andeutung von helizitischer
Struktur. In diesen Bändern findet sich besonders reichlich Epidot. Die Grundmasse
besteht aus Feldspat und Quarz, wobei der Feldspat den Quarz überwiegt. Beide durch-
dringen sich ziemlich regellos. Gewöhnlich bildet der Quarz Einschlüsse im Feldspat, die
zuweilen helizitisch angeordnet sind. Hin und wieder stellt sich auch echte Pflasterstruktur
ein. Der Feldspat gibt sich als Albit zu erkennen, der vereinzelt zonar umgeben ist von
Oligoklas. Er ist ganz erfüllt mit Einschlüssen von Chlorit und Muskovit in kleinen
Kristallen, sowie von Orthit, Epidot und Zoisit m unregelmäßigen Körnern. Außerdem
findet sich noch etwas Rutil und Titaneisen, das entweder getrübt ist durch Leukoxen-
bildung, oder einen Rand von Titanit oder Anatas aufweist.
Weiter südlich verliert das Gestein seinen hohen Glimmergehalt. Der Glimmer
bildet nur mehr feine Blättchen in dem vorherrschend aus Quarz und Feldspat bestehen-
den Gestein. Die parallel gelagerten Glimmerlamellen bedingen eine deutliche Schieferung.
Allmählich geht auch der Feldspat verloren und es entwickeln sich typische Glimmer-
schiefer mit starken Quarzlagen und aushaltenden Membranen von Muskonit.
Das mikroskopische Bild weicht insofern von dem des ersten Gneises ab, als die
breiten, gewundenen Lagen von Glimmer mehr verschwinden. Diese bilden nur mehr
Schnüre im Gestein. Auffallend ist hier die an mehreren Stellen zu beobachtende parallele
Verwachsung des Glimmers mit blauem Turmalin, der durch die stürkere Absorption
senkrecht zur Hauptzone deutlich hervortritt. Quarz und Feldspat verhalten sich stellen-
weise noch genau wie im vorigen Gestein. Der Feldspat zeigt reichlich Einschlüsse von
Glimmerkriställchen. Gewöhnlich herrscht die Pflasterstruktur vor, die öfters recht
deutlich wird. Hier und da sind die Quarzkórner fest verzahnt, ohne daß man aber erheb-
liche Druckwirkungen wahrnimmt, denn sie zeigen weder Sprünge noch undulóse Aus-
lóschung. Chlorit und Epidotmineralien treten sehr in den Hintergrund. Wenig Titaneisen
erkennt man an der Leukoxenbildung. Bemerkenswert ist noch der Graphit, der in
femen Schüppchen an einzelnen Stellen in nicht unbedeutenden Mengen auftritt.
In ganz normaler Weise folgen auf die Glimmerschiefer Gesteine von phyllitühnlichem
und schließlich ganz grauwackenartigem Habitus. Sie haben graue Farbe, deutliche
Schieferung und zeigen eine doppelte Fältelung. Sie werden wahrscheinlich transgredierend
von den nicht umgewandelten oberkarbonischen Sedimenten überlagert.
Von Einlagerungen in dieser normalen Serie kontaktmetamorpher ,kristallinischer
Schiefer* sind besonders zu erwühnen Lagen von dunklen nicht sehr deutlich schieferigen
Grünschiefern, sowie ein ziemlich mächtiger Granitgang.
Unter dem Mikroskop zeigt es sich, daß der Grünschiefer zum allergrößten Teil aus
gemeiner Hornblende besteht, deren Individuen entweder wirr durcheinanderliegen, oder
220
sich zu strahligen Aggregaten vereinigen. Die Ausfüllung bildet hauptsächlich Feldspat,
während Quarz nur sehr wenig vorhanden ist. Bedeutend ist der Gehalt an Titanit.
Er tritt in großen, prächtig lamellierten Körnern auf, die hier und da Einschlüsse von
Rutil aufweisen. Dazu kommen noch geringere Mengen von Anatas, Chlorit, Granat,
Epidot, Zoisit und Klinozoisit. ;
Das Gestein des Eruptivganges ist nach den untersuchten Proben etwas wechselnd.
Bald ist es gröber, bald feinkörniger, richtungslos oder schlierig, heller oder dunkler.
Die zur mikroskopischen Untersuchung vorliegenden Proben weisen sämtlich eine
richtungslos körnige granitische Struktur auf. Alle sind ziemlich stark kataklastisch und
mehr oder weniger zersetzt.
Es sind besonders zwei Feldspäte, die sich am Aufbau des Gesteins beteiligen: der
Orthoklas und der Oligoklas-Andesin; beide sind in ungefähr gleichen Mengen ver-
treten. Den Mikroklin trifft man nur ganz untergeordnet an. Die Trübung sowohl des
Orthoklases als auch des Plagioklases tritt nur stellenweise stärker hervor und wird ver-
ursacht durch Serizitbildung und Fetzen von Epidot und Zoisit. Perthitische Verwach-
sung zwischen Orthoklas und Plagioklas ist ganz untergeordnet vorhanden. Rundliche
Plagioklaskórner sind von wurmfórmigem Quarz („quartz vermiculé^) durchwachsen. So-
wohl der Orthoklas als der Plagioklas zeigen in der Regel Zonarstruktur. Der nur in
winzigen Mengen vertretene Mikroklin ist äußerst frisch.
Der Quarz tritt m ganz unregelmäßigen Lappen auf; die Mengenverhältnisse wechseln
ziemlich stark; stellenweise ist er in geringer Menge vorhanden und an anderen Stellen
sehr massenhaft. Die Kataklase ist ziemlich bedeutend. Größere Quarzindividuen um-
schließen öfter Feldspat, Glimmer und Hornblende.
Biotit und grüne Hornblende sind ziemlich stark und in gleichen Mengen ver-
treten, beide Mineralien sind lokal zum Teil umgewandelt in Chlorit, Epidot, Zoisit
und Titanit unter Ausscheidung von Titaneisen. Orthit ist.nur in ganz geringer
Menge zu beobachten. Man trifft auch Epidot und Zoisit und Titanit (in der charak-
teristischen Briefkouvertform an), die sicher keine Zersetzungsprodukte sind. Apatit und
Zirkon sind ziemlich spärlich vertreten.
Schwefelkiesimprägnation findet sich dort besonders stark, wo die Zersetzung am
meisten vorgeschritten ist.
3. Die nördliche Kontaktzone.
Da die nördliche Kontaktzone eine ungemein bedeutende Ausdehnung hat und die
mannigfaltigsten Bildungen in sich begreift, so muß man sich nach einer zweckmäßigen
Gruppierung umsehen, um den Überblick nieht zu verlieren. Durch die petrographische
Beschaffenheit ist schon eine natürliche Zweiteilung gegeben. Vom nördlichen Rande des
Granitmassivs bis zur Mündung des Seitentales Turpal-tsche liegt eine umfangreiche und
wechselvolle Serie der verschiedensten kristallinischen Gesteine vor, in denen wohl alle
Arten von Sedimenten, vom Konglomerat bis zum Tonschiefer und Kalkstein vertreten sind.
In diesen treten auch an mehreren Stellen Eruptivgesteine auf. Vom Turpal-tsche-Tal
an herrschen marmorisierte Kalke vor mit untergeordneten Einlagerungen von Hornfelsen
und hornfelsähnlichen Bildungen, sowie mit stark hervortretenden Gängen und Lagern von
Quarzporphyr. Gehen wir nun über zur Beschreibung des ersten Abschnittes.
a) Die Gesteine vom Granitkontakt bis zum zentralen Marmormassiv.
Im ersten Abschnitte wurde noch die zweifellos zum Granit gehörige lamprophyrische
Randzone besprochen. An sie schließt sich eine Reihe durch Struktur, mineralogische
Zusammensetzung und äußere Erscheinungsform voneinander weit abweichender Gesteine
an, von welchen nur in den Grundzügen eine Feststellung der Reihenfolge möglich ist bei
der außerordentlichen Mächtigkeit, welche dieser Komplex besitzt. Wegen der ausge-
dehnten Entwickelung von Hornfelsen kann man sie zusammenfassend als die Zone der
Hornfelse bezeichnen, obwohl ihre mannigfachen Einlagerungen öfter eine recht große
Bedeutung erreichen.
Vor allem muß eine kleinere Partie aus der Hauptmasse ausgeschieden werden, welche
zu beiden Seiten des Kone-Chailik-Tals, das etwas nördlich von Chailik-Mabuse ab-
zweigt, ansteht und sich durch höchst eigentümliche Beschaffenheit auszeichnet. Diese
Serie beginnt nach einer schmalen Zone hornfelsartiger Gesteine, die das Granitmassiv
umgeben, mit einem normalkörnigen, rötlichen Granit, der gegen das erwähnte Nebental
unter die Moräne untertaucht. Die mikroskopische Übereinstimmung mit dem granuliti-
schen Granit ist nicht sehr groß; doch beobachtet man auch hier, wenigstens stellenweise,
die granulitische Struktur, sowie pegmatitische Verwachsung von Quarz und
Orthoklas. Der Orthoklas erscheint in ziemlich großen Kristallen, in die Plagioklas,
Quarz und Biotit eingewachsen sind. Der Plagioklas ist ein Oligoklas. Beide Feldspäte
sind stark zersetzt und getrübt durch Serizit und Kalkspat. Der Quarz ist oft sehr
stark zertrümmert. Der Biotit ist zum großen Teil in Chlorit umgewandelt. Titan-
eisen begleitet häufig den Biotit. Muskovit tritt nur in untergeordneten Mengen auf. Der
Apatit ist meist farblos, vereinzelt auch zonar gefärbt. Der Zirkon zeigt gut ausgebildete
Kristalle. Dazu kommen noch Rutil und Anatas, wahrscheinlich entstanden bei der
Zersetzung des Biotites.
Möglicherweise ist dieser Granit eine Apophyse des granulitischen Massivs. Der
Erhaltungszustand ist allerdings sehr verschieden; denn während der Granit im Massiv sehr
wenig Kataklaserscheinungen aufweist und ziemlich frisch ist, ist hier der Granit stark
zersetzt und zertrümmert.
Wenn man die von Moränen bedeckten Gehänge des genannten Seitentales über-
schritten hat (Fig. 1), so kommt man an vollständig dichte Dolomite von graulicher Farbe
und dem normalen Habitus gewöhnlicher Sedimente. Daß das Gestein trotz dieses äußeren
Jal Kane- Chatlik
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Dichter grauer Dolomit Breccie Granit
Fig. 1. Profil durch das Kone-Chailik-Tal nórdlich von Chailik-Mabuse.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt. 29
222
Habitus, der auch bei der mikroskopischen Untersuchung gleichbleibend entgegentritt, ein
echtes Kontaktgestein darstellt, das beweist die Erscheinung, daß es stellenweise direkt
gebändert ist durch zweifellose Granitlagen von normaler Struktur und verhältnismäßig
grober Ausbildung.
Im Dünnschliff ist, wie schon bemerkt, nirgends eine Änderung der Struktur des
Dolomites, selbst direkt am Kontakt mit den Granitlagen, zu erkennen, nur daß hin und
wieder einzelne Feldspäte des letzteren im Dolomite schwimmen und der Granit selbst
von Karbonaten ganz durchsetzt ist. Der Granit hat ziemlich normale Zusammensetzung
und Struktur und enthält sowohl Biotit als Muskovit. Bemerkenswert sind gefärbte,
zonar struierte Prismen von Apatit, kleine Fetzen von Turmalin und namentlich ein
hoher Gehalt an Schwefelkies, der sich besonders in der Nähe der Granitadern anhäuft.
Derartige Bildungen innerhalb von stark umkristallisierten Gesteinsserien erscheinen
auf den ersten Blick immerhin recht merkwürdig. Die bier hervortretende Bildung ist
aber keineswegs vereinzelt. Vor allem mag darauf hingewiesen werden, daß die Randzone
der sogenannten Kalkkeile im Berner Oberland in zahlreichen Fällen durchaus über-
einstimmende Beschaffenheit aufweisen. Im südlichen Musart-Tale aber geben uns die
Einlagerungen von echt granitischer Natur den absoluten Beweis dafür, daß diese Bildungen
den Wirkungen der kontaktmetamorphen Prozesse des Granits ausgesetzt gewesen sein
müssen. Wie man sich im Einzelnen die dabei in Betracht kommenden Vorgänge denken
soll, kann hier nicht eingehend abgeleitet werden. Es mag genügen, zu bemerken, daß die
Beobachtung mit Sicherheit darauf hinweist, daß lokal selbst in den inneren Kontaktzonen
noch die Karbonatgesteine, die doch so leicht kristallinische Struktur annehmen, durch eine
Metamorphose zu Dolomit werden und durch eine diese häufig begleitende, untergeordnete
Verkieselung vor weiterer Umwandlung bewahrt bleiben.
An den Granit schließt sich eine eigentümliche Breccie an. In einem meist dunkel-
grauen bis schwärzlichen Zement umschließt sie sehr verschiedenartige Gesteinsbruchstücke
und umhüllt wiederum einen Putzen von rötlichem Granit. Die einzelnen Gesteins-
fragmente, welche mehr oder weniger gerundet und durchschnittlich 3—4 cm groß sind,
bestehen aus Hornfels, Gneis, Glimmerschiefer u. s. w. Selbst der rötliche Granit, der den
Putzen bildet, ist darunter vertreten. Noch merkwürdiger wird das Gebilde durch echte
aplitische Injektionsadern, sowie durch die Erscheinung, daß die Breccie stellenweise
im Granit zu schwimmen scheint. Dieser zeigt mikroskopisch eine weitgehende Zertrüm-
merung. Quarz und Feldspat sind zerdrückt, der Biotit meist zersetzt und mehr oder
weniger verbogen und gestaut. Die granulitische Struktur, die offenbar vorhanden war,
ist nur mehr in Andeutung zu erkennen. Ein Zweifel, daß hier eine dem Glauch von
Nagyáüg analoge Reibungsbreccie vorliegt, könnte bei der petrographischen Beschaffenheit
dieser Bildung kaum aufkommen, wenn sie nieht weiter nach Norden zu in eie arkose-
ähnliche Bildung von rötlicher Farbe übergehen würde, welche aus mannigfaltigen Mine-
ralien und Mineralbruchstücken in einem Kalkspatzement bestehend, eigentlich sedimentären
Charakter an sich trägt. Eine Einwirkung kontaktmetamorpher Agentien läßt sich an
dieser nicht mit Sicherheit erkennen.
Den größten Teil der im Obigen abgegrenzten Zone bis zum Tale Turpal-tsche
bilden eigentliche Kontaktgesteine: echte Hornfelse, Glimmerschiefer, Knotenschiefer und
gneisähnliche Gebilde, hin und wieder mit granitischen Intrusionen. Der Charakter dieser
. 223
Gesteine, von recht wechselnder Beschaffenheit, soll kurz skizziert werden. Beginnen wir
mit der Beschreibung der Hornfelse.
a) Die Hornfelse.
Der Habitus der ursprünglichen Sedimente kommt in den mannigfaltigen Hornfels-
bildungen meist recht gut zum Ausdruck. Da tritt uns zunächst ein Gestein entgegen von
grauer bis schwarzer Farbe und unregelmäßigem Bruch. Es ist sehr kompakt mit etwas
rauher Oberfläche. An verschiedenen Stellen treten deutliche Einschlüsse hervor, die man
noch besser im Dünnschliff erkennt. Diese Einschlüsse sind bald eckige Quarzkörner, bald
gerundete Gerölle von Glimmerschiefer und ähnlichen Gesteinen.
Unter dem Mikroskop besteht die Grundmasse aus einem Aggregat von feinen Quarz-
kórnern und Feldspat. Um diese legt sich eine Masse von feinschuppigem Biotit und
wenig Muskovit. Hier finden sich massenhaft Nadeln von Turmalin, ferner etwas
Titanit, Anatas, Apatit und Rutil. Letzteres Mineral tritt in bedeutenden Mengen
und recht großen Körnern und Zwillingskristallen in dem Glimmerschiefereinschluß auf. Wir
haben es hier offenbar mit emem konglomeratischen Sandstein zu tun, bei dem das
tonige Bindemittel durch die Kontaktmetamorphose umkristallisiert wurde. Darüber läßt
die mikroskopische Untersuchung keinen Zweifel.
Damit verwandt ist ein anderer Hornfels von schwarzer Farbe und rauhen Bruch-
flächen, auf denen man feine Biotitblättchen sieht.
Das mikroskopische Bild ist dem des vorigen Gesteins völlig gleich, nur daß die Ein-
schlüsse von Geröllen fehlen. Zu dem Mineralbestand kommt noch etwas Kalkspat,
Epidot, Klinozoisit und Titaneisen. Auch diesen Hornfels erkennt man deutlich im
Mikroskop als kontaktmetamorph umgewandelten Sandstein.
Allmählich nimmt der Gehalt an Biotit ab, wobei die Quarz- und Feldspatkörner
sich enger aneinanderschließen. Das hierher gehörige Gestein ist schwarz, feinkörnig,
ziemlich hart und wenig geschichtet. Auf den Schichtfugen befinden sich Quarzinjektionen,
in denen man mit der Lupe deutlich pechglänzende Körner und Prismen von Orthit wahr-
nimmt. Auf den Bruchflächen beobachtet man wenig roten Granat, der im Schliff sich
kaum nachweisen ließ.
Quarz erkennt man im Dünnschliff als Hauptgemengteil. Er ist sehr feinkörnig,
während er in den Injektionsadern recht grob ausgebildet ist. Hier sind die einzelnen Körner
stark verzahnt und die Kataklase geht oft bis zur Mörtelstruktur. Neben dem Quarz
bemerkt man auch etwas Albit. Biotit und Muskovit sind nicht sehr häufig. Ein
verrostetes Karbonat wird Braunspat sein. Apatit bildet größere und kleinere Kristalle,
Turmalin eine Reihe größerer blauer Fetzen.
Zwei Proben von quarzitischen Hornfels stellen den ursprünglich ziemlich reinen
Quarzsandstein dar. Beides sind schmutzig-rötliche bis gelblich-braune Gesteine, die man
makroskopisch schon als Sandsteine erkennt. Die eine Probe ist gebändert durch hellere
Partien, die andere durch biotitreichere Lagen.
Beide Gesteine zeigen unter dem Mikroskop typische Pflasterstruktur. Sie bestehen
zum größten Teil aus Quarzkörnern. In dem durch hellere Partien gebändertem Gestein
kommt dazu noch ziemlich viel Kalkspat. Die feinen Biotitblättchen, die in nicht
sehr bedeutenden Mengen vorkommen, durchsetzen hier in paralleler Anordnung die Quarz-
202
224
körner, während sie in dem anderen Gestein senkrecht zur Bänderung stehen. Im übrigen
sind die Gesteine arm an Mineralien. Es sind wenig Muskovit, Hornblendefetzen,
Chloritoid, Titanit, Anatas, Rutil, Schwefelkies und Turmalin.
Stellenweise werden diese Hornfelse sehr graphitreich; der Graphitgehalt wird in
einer Probe so bedeutend, daß das Gestein ein fast kohliges Aussehen bekommt. Auf den
undeutlichen Schieferungsflächen nimmt man gelbe Flecken von Nontronit wahr, sowie
feine, aber aushaltende weiße Schnüre mit Feldspat.
Der Dünnschliff ist an den meisten Stellen wegen des Graphites ganz undurchsichtig.
Das Gestein besteht zumeist aus Quarz und Feldspat, die sich ziemlich unregelmäßig durch-
dringen und öfters durcheinander geknetet erscheinen. Größere Quarzkörner zeigen starke
Druckwirkungen. Der Feldspat ist oft umgewandelt zu Serizit und Nontronit, der
die makroskopisch zu beobachtenden gelben Flecken bildet. Von sonstigen Mineralien sind
zu nennen außerordentlich viel Rutil und Turmalin m gut ausgebildeten, größeren
Prismen, die senkrecht zur Schieferung stehen.
An mehreren Stellen endlich treten Kalksilikathornfelse auf von schwürzlicher
Farbe und meist plattiger Absonderung. Die im Dünnschliff untersuchte Probe ist gebändert
durch helle Partien von mittelkórnigem Kalk. An den dunklen Stellen des Gesteins ist
der Kalkspat, der auch hier den Hauptbestandteil bildet, feinkórnig bis undeutlich kristal-
linisch. Er ist stark erfüllt von Graphit, der meist in feinen Schüppchen, vereinzelt auch
in breiten Bändern auftritt. Hier bemerkt man sehr kleine, radialstrahlis‘ angeordnete
Individuen eines Minerals, das höchst wahrscheinlich der Chloritgruppe angehört. An
der Grenze zwischen den grobkörnigen und den feinkörnigen Partien zieht eine Schicht
von feinem Quarz und Feldspat durch, die ebenfalls erfüllt ist von Graphit.
Anschließend hieran wäre noch ein sedimentärer Gneis zu erwähnen, ein graues
Gestein von gneisähnlichem Habitus und schwacher Schieferung, stellenweise mit Injektions-
adern von Quarz.
Quarz bildet unter dem Mikroskop den Hauptbestandteil. Er wird begleitet von ziem-
lich viel Albit, hin und wieder auch von Mikroklin. Kalkspat ist ebenfalls sehr häufig.
Biotit erscheint bald in größeren, gut ausgebildeten Blättchen, bald in skelettartigen
Kristallen. Hornblende bildet unregelmäßige, oft durchlöcherte Fetzen. Außerdem findet
sich Apatit in großen prismatischen Körnern, ziemlich viel Titanit in großen Lappen,
oft einen Rand um Titaneisen bildend, Schwefelkies, häufig verrostet, und wenige,
aber große Individuen von blauem Turmalin.
B) Glimmerschiefer und Phyllit.
Gegenüber der großen Entwickelung der Hornfelse treten die übrigen Kontaktgesteine
sehr in den Hintergrund. Was zunüchst die Glimmerschiefer betrifft, so sind sie typisch
nur an einer Stelle nahe am Kontakt entwickelt. Sie zeichnen sich aus durch einen ziem-
lichen Gehalt an Biotit, wodurch das Gestein schwach bronzefarben aussieht; diese Biotit-
schiefer, meist ohne Quarzlagen, gehen in echten Biotitfels über. In noch geringerem
Maße sind Phyllite entwickelt, die kaum jemals typisch auftreten. Untergeordnet trifft
man auch Knotenschiefer, von denen drei Proben vorliegen. Die eine ist eim phyllit-
ähnliches, schieferiges Gestein mit sehr feinen Granatknótchen. Größer werden die
Knoten in einer weiteren Probe. Es ist ein Glimmerfels von fast hornfelsartigem Habitus.
225
Unter dem Mikroskop beobachtet man viel Muskovit und etwas weniger Biotit
als vorherrschende Gemengteile. Der Muskovit durchzieht das Gestein gewöhnlich in gewun-
denen Lagen. Der Biotit ist in der Regel feinschuppiger und häufig zu verfilzten Aggre-
gaten vereinigt. Oft ist er in Chlorit umgewandelt. Zwischen den Glimmerlamellen findet
sich Quarz, manchmal in größeren Individuen. Untergeordnet wird er von Feldspat
begleitet, der starke Trübung zeigt. Roter Granat ist es, der die Knoten bildet. Er ist
manchmal durchwachsen von Quarz und Glimmer. Dazu ist er erfüllt von Graphitstaub,
der auch reichlich über das ganze Gestein verteilt ist. Apatit und Turmalin sind nicht
gerade häufig. Außer einem Eisenerz, das in recht feinen Körnern vorkommt und einigen
größeren Fetzen von Schwefelkies beobachtet man noch vereinzelt Rutilkörner.
Recht große Knoten von etwas eigentümlicher Beschaffenheit zeigt eine dritte Gesteins-
probe. Das Gestein hat phyllitartiges Aussehen, ist grau und seidenglänzend. Auf den
Schichtflächen befinden sich ungefähr zentimetergroße Knoten, die vorherrschend aus Glimmer
bestehen.
Unter dem Mikroskop bemerkt man in den Knoten nur eine Anreicherung des glimmer-
artigen Minerals, das zum größten Teil Chlorit ist. Auch hier ist, wie im ganzen Gestein,
der Chlorit umgeben von einer feinkörnigen Masse von Quarz, Feldspat, Biotit und
etwas Muskovit. Vereinzelt nimmt man in den Knoten auch Granat wahr. Turmalin
ist sehr reichlich vertreten. Ferner findet sich etwas Apatit und Zirkon. Über das ganze
Gestein verteilen sich einerseits runde Körner, wahrscheinlich von Magnetit, andererseits
ein feiner Staub von Graphit.
Als Einlagerungen in diesen zweifellosen Kontaktgesteinen trifft man eine Reihe
abweichender, teils eruptiver, teils sedimentärer Gesteine. Von letzteren ist haupt-
sächlich eine im Profil gezeichnete mächtige Partie von Konglomeraten zu erwähnen,
nach Keidels Angaben von grober Beschaffenheit mit violetter Grundmasse, von dem kein
Material zur Untersuchung vorlag. Dagegen konnten wir zwei Proben von Quarzporphyr
untersuchen, die den Hornfelsen bei Chailik-Mabuse eingelagert sind. Die eine Probe
zeigt ein lichtes Gestein mit feinkörniger Grundmasse und zahlreichen Feldspateinspreng-
lingen. Das andere ist etwas bräunlich und durch Biotitmembranen etwas schieferig. Das
mikroskopische Bild der ersteren zeigt zahlreiche, ziemlich gut umgrenzte Individuen von
Orthoklas und Plagioklas, von welchen der letztere häufig serizitisiert ist. Dazwischen
finden sich entweder Anhäufungen von Quarz oder eine aus Quarz und Feldspat bestehende
Grundmasse in regellosen Kórnern. Die übrigen Mineralien sind die gewöhnlichen. Oft
macht sich eine Imprägnation von Karbonaten bemerkbar, und auch Schwefelkies ist
in nicht geringer Menge vorhanden. Von ihm unterscheidet sich der andere Quarzporphyr
nur durch den hóheren Gehalt an Biotit.
In den oberen Teilen dieses Abschnittes werden die Hornfelse an mehreren Stellen
durch Grünschiefer ersetzt, die zweifellos kontaktmetamorph umgewandelte basische
Eruptivgesteine darstellen. Drei Proben wurden genauer untersucht.
Die erste Probe ist ein grünes, recht feinkörniges Gestein mit schwacher Schieferung.
Auf einigen Flächen sieht man 1—3 cm lange Hornblendekristalle. Im Dünnschliff erkennt
man als Hauptgemensteil Hornblende. Es ist die gemeine Hornblende, die aber etwas
abweichende Färbung hat mit einem Stich ins Violette, was auf einen Gehalt an Titan
schließen läßt. Die einzelnen Individuen liegen regellos nach allen Richtungen durcheinander.
226
Die Zwischenräume füllen Quarz und Feldspat aus. Letzterer ist der Hauptsache nach
Andesin, während vereinzelt auch Oligoklas-Andesin beobachtet wurde. Ein Eisenerz,
das in zahlreichen zum Teil skelettartigen Körnern auftritt, läßt sich nicht näher bestimmen,
da es durchaus frisch ist. Es kann sowohl Eisenglanz als auch Titaneisen sem.
Eine zweite Probe ist etwas dunkler und durchsetzt durch Bänder von grobkörnigem
Kalkspat. Die Hornblende ist auch hier der Hauptgemengteil in derselben Ausbildung.
Der Quarzgehalt ist etwas größer als in der vorigen Probe. Der Feldspat wechselt
wieder zwischen Andesin und Oligoklas-Andesin. Wo der Kalkspat vorherrscht, ist
er grobkörnig ausgebildet. Besonders in der Nähe der kalkreicheren Partien, zum Teil auch
von diesen eingeschlossen, treten Epidot und Klinozoisit auf. Apatit findet man in großen
Basisschnitten, sowie in klemen Prismen. Titanit läßt sich in ziemlichen Mengen und
großen Kórnern nachweisen.
Die dritte Probe endlich unterscheidet sich von des vorigen durch einen bedeutenden
Gehalt an Biotit, der stellenwese ganze Lagen im Gestein bildet. Mikroskopisch stimmt
dieses vollständig nach Struktur und Mineralbestand mit der ersten Probe überein, nur "irit
etwas Braunspat auf, der teilweise verrostet ist.
Anschließend wäre noch ein eigenartiger Serpentin zu erwähnen, der in Blöcken
etwas nördlich von Chailik-Mabuse gefunden wurde. Das Gestein besteht aus dichten,
schwärzlichen Serpentinbrocken, die von einem schuppigen, talkähnlichen Aggregate wie
eine Breccie durchsetzt werden.
Die wenig mächtige Kalkeinlagerung dieses Abschnittes stimmt mit den ent-
sprechenden Vorkommnissen der folgenden Zone vollständig überein.
b) Das zentrale Marmormassiv.
Dieser Abschnitt zeichnet sich vor dem besprochenen besonders dadurch aus, daß er
zum allergrößten Teil aus kristallinischen Kalken und Dolomiten besteht. Von der
Ausdehnung dieser Sedimente kann man sich einen Begriff machen, wenn man bedenkt,
daß die Kalkzone mit dem Ende des Profils nicht abschließt, sondern sich den Gletscher
entlang etwa 18 km bis zum Paß und noch darüber hinaus, andernteils ebenso weit nach
Westen erstreckt. Der Hauptsache nach haben wir einen weißen Kalk vor uns, der bald
gröber, bald feiner körnig ausgebildet ist. Die dolomitischen Partien zeichnen sich, wie
immer, durch besonders feinkörnige Beschaffenheit aus. Auch der graue Kalk mit großen
Tremolitkristallen, der immer wieder mit den weißen Kalken wechsellagert, ist sehr fein-
kórnig. Unter den weißen Marmoren finden sich so reine, durchscheinende Muster, daß sie
den Vergleich mit denen von Laas oder Pentelikon wohl aushalten können. Durch den
Wechsel der grauen und weißen Kalke tritt das Maß der Knetung und Verbiegung, wie
sie die Granitintrusion im Gefolge hatte, deutlich hervor. (Figur 3, Tafel I.)
Mit den Kalken wechsellagern Hornfelse und hornfelsähnliche Bildungen, deren
verschiedene Vorkommnisse wir hier näher betrachten wollen. Südlich von Tamga-tasch,
wo die Kalke besonders stark geknetet sind, ist es ein biotitreicher Hornfels, der sich in
diese einschaltet. Es ist ein dunkles, grobschieferiges Gestein mit schwachem Bronzeglanz
und splittrigem Bruch. Eine Bänderung durch hellere und dunklere Partien ist makro-
skopisch zu beobachten. Mikroskopisch erkennt man, daß das Gestein zumeist aus Biotit
besteht, dessen Gehalt in den einzelnen Lagen wechselt. Die Zwischenräume zwischen den
227
Biotitblättehen füllen Quarz und Kalkspat aus, beide sehr feinkörnig ausgebildet. Graphit
durchzieht das Gestein in breiten Bändern parallel zur Schieferung. Sonst beobachtet man
noch wenig Apatit, Titanit, Chloritoid und Schwefelkies, der meist verrostet ist.
Aus dem Gebiete nördlich von Tamga-tasch wurden vier Hornfelse genauer unter-
sucht. Der erste findet sich unterhalb der Morüne. Das Gestein ist grau bis schwarz,
ziemlich kompakt und wenig schieferig. Hier und da stellen sich Quarzinjektionen ein. Die
mikroskopische Untersuchung ergibt eine feine Grundmasse, die hauptsächlich aus Quarz,
vielleicht auch zum Teil aus Feldspat besteht, und die ganz erfüllt ist von feinen Biotit-
blittchen. Kalkspat, der in geringeren Mengen, aber größeren Körnern auftritt, ist
auf das ganze Gestein verteilt. Er findet sich auch in den Quarzadern und ist hier grob-
körnig und mannigfach verzahnt. Die übrigen Mineralien sind einzelne größere Körner
von Mikroklin, viel blauer Turmalin in großen Individuen, Chloritoid in ziemlich
großen unregelmäßigen Kristallen und gut ausgebildete Prismen von Zirkon.
Die übrigen Hornfelse stehen an den Seitenwänden des Gletschers an. Es sind
schwarze, nicht allzu harte Gesteine. Zwei von ihnen, die eine schwache Schieferung auf-
weisen, enthalten Injektionsadern von Quarz. Die mikroskopische Betrachtung gibt folgendes
Bild. Das am meisten kompakte Gestein zeigt eine feinkörnige Grundmasse mit Pflaster-
struktur und besteht aus Quarz und Feldspat. In dieser Grundmasse schwimmen ziemlich
gleichmäßig verteilt feine Blättchen von Biotit. Ebenso gleichmäßig verteilt finden sich
feine Körner von Titaneisen, die sich durch Leukoxenbildung zu erkennen geben.
Dazu kommen noch kleine Körner von Anatas und gut ausgebildete Kristalle von Apatit.
Als größere Einsprenglinge wären zu nennen Tafeln von Biotit und Muskovit, Quarz-
körner und zum Teil schwarz umgrenzte Kristalle von Oligoklas-Andesin.
Der folgende, etwas schieferige Hornfels wurde in zwei Schliffen untersucht, von denen
der eine annähernd parallel, der andere ziemlich senkrecht zur Schieferung liest. Im Schliff
parallel zur Schieferung beobachtet man ein ziemlich gleichmäßig körniges Aggregat von
Kalkspat und Quarz. Biotit bildet kleine, unregelmäßige Blättchen. Der Graphit, der
sich im ganzen Gestein findet, hält sich besonders an die biotitreicheren Partien. Muskovit
ist wenig vorhanden, ebenso Turmalin. In dem zur Schieferung senkrechten Schliff
tritt der Turmalin bedeutender hervor. Hier beobachtet man auch viel Chloritoid, der
im anderen Schliff nicht zu finden war, sowie gemeine Hornblende in etwas eigentüm-
licher Ausbildung, meist in schlecht begrenzten, durchlöcherten Kristallen.
Die letzte Probe endlich enthält wieder Quarzinjektionen auf den Schichtflächen und
Rissen. Unter dem Mikroskop beobachtet man eine feinkörnige Grundmasse, vorherrschend
aus Quarz bestehend, in die viel Biotit in feinen Blättchen richtungslos eingestreut ist.
Die Injektionsadern von Quarz enthalten auch etwas Muskovit. Im übrigen finden sich noch
Einsprenglinge von Apatit in größeren prismatischen Kristallen, viel blauer Turmalin,
etwas Zoisit und Chloritoid, ferner Rutil in zahlreichen Körnern und Zwillingen und
etwas Zirkon, Anatas und zum Teil verrosteter Schwefelkies.
Sonstige nichtkarbonatische Kontaktgesteine mit Ausnahme eines nicht sehr
typischen Glimmerschiefers sind in dem ganzen Gebiete nicht beobachtet worden.
Eine besondere Bedeutung für diesen Abschnitt haben die Vorkommnisse von Quarz-
porphyr, welche zum Teil als Einlagerungen zum Teil direkt gangförmig in den Kalken
auftreten. (Fig. 2 und die Tafel I.) Nach den Mitteilungen Keidels spielen Quarzporphyre
228
namentlich an der Südseite des Tian-Schan eine Rolle (s. auch Merzbacher, Peterm. Mitt.,
Ergänzungsheft Nr. 49, S. 47). Sie finden sich hier in pflanzenführenden Sandsteinen und
Konglomeraten des älteren Mesozoikums. Nördlich von Bai, d. i. östlich vom Musart-
Tal, befindet sich eine Decke, die dem Bozener Quarzporphyr an Mächtigkeit und Ausdehnung
nichts nachgibt. Die Effusion steht nach Keidels Beobachtungen mit den gebirgsbildenden
Bewegungen des ülteren Mesozoikums im Zusammenhang, in welche Zeit er auch die Bil-
dung der zentralen Ketten verlegt.
Quarzporphyr Hornfels Kristallinischer
Kalk, z. T. Dolomit
Fig. 2. Quarzporphyr in kórnigem Kalk, etwas südlich vom Musart-Paß. (Länge ca. 800 m.)
Auch im oberen Teil des südlichen Musart-Tals trifft man den Quarzporphyr an
mehreren Stellen; zunächst in einer mächtigen Masse südlich von Tamga-tasch, die den
Eindruck eines Ganges macht und von welcher eine Apophyse südlich davon abzweigt
(Tafel I, Fig. 3). Etwas nördlich davon steckt ein weiterer Gang in den Schiefern (Tafel I,
Fig. 2). Noch weiter nach Norden lüngs des Gletschers bildet der dunkle Quarzporphyr
stark hervortretende Lager in dem wei&en kórnigen Kalk (Tafel I, Fig. 1) Von diesem
Quarzporphyr liegen nicht weniger als sieben Proben vor, welche die verschiedenen Über-
günge vom normalen Gestein bis zu stark serizitisierten, mehr oder weniger unkenntlichen
Bildungen darstellen.
Der normale Quarzporphyr zeigt eine graue bis schwärzliche Farbe und ist ziemlich
feinkórnig. Auf den Bruchflächen treten 2—3 mm große Quarzkristalle hervor. Unter dem
Mikroskop nimmt man zunächst eine sehr feine Grundmasse wahr, aus Quarz und Feldspat
bestehend. Sie ist durchaus frisch und weist keine Spur von Serizitbildung auf. Nur an
einigen Stellen zeigt sich in geringem Maße Kalkinfiltration auf Sprüngen und Rissen. Die
Einsprenglinge sind vorherrschend Quarz und Feldspat. Der Quarz zeigt die typischen
Korrosionsformen, meist gedrungene Doppelpyramiden, in welche die Grundmasse schlauch-
förmige Einbuchtungen eingefressen hat. Der Quarz weist starke Kataklase auf. Oft ist
ein Kristall, der seine äußeren scharfen Umrisse bewahrt hat, im Innern in lauter kleinere
Fragmente zerlegt, die verschieden auslöschen. Die einzelnen Teile des so zermalmten
Kristalls sind unter sich in mannigfaltiger Weise verzahnt. Längere Kristalle sind gebogen
und zerbrochen. Die Feldspateinsprenglinge sind vorherrschend Orthoklas in perthiti-
scher Verwachsung mit Plagioklas. Er ist zum Teil scharf begrenzt zum Teil magmatisch
korrodiert und führt Einschlüsse von sehr kleinen Quarzkristallen. Der Plagioklas variiert
229
in den verschiedenen Proben zwischen Albit-Oligoklas und Oligoklas-Andesin. Ein-
zelne Einsprenglinge sind erfüllt von Mikrolithen von Kaliglimmer. Ursprünglicher
Biotit ist zersetzt zu emem Aggregat von Eisenglanz und Chlorit, wobei die skelett-
artige Verteilung des Eisenglanzes noch die frühere Form des Biotites erkennen läßt. . Eisen-
glanz findet sich im ganzen Gestein in geringer Menge und feiner Verteilung. Seltener
sind größere skelettartige Körner. Außerdem beobachtet man noch etwas Orthit und
Turmalin.
Eine zweite Probe ist dieser fast ganz gleich. Abweichend ist eine schwache, aber deut-
liehe Schieferung. Auch das mikroskopische Bild stimmt mit dem vorigen durchaus überein.
Beim Quarz reicht die Kataklase bis zur Mörtelstruktur. Von akzessorischen Mineralien
konnten nachgewiesen werden wenig Zirkon, Titaneisen und Turmalin. Serizit durch-
zieht das Gestein in parallelen Schnüren, die sich um die Einsprenglinge herumwinden.
Im ganzen ist die Veränderung des Porphyrs noch gering.
Eine weitere Probe ist makroskopisch kaum als Quarzporphyr zu erkennen. Mit der
Lupe sieht man einzelne sehr kleine Quarzeinsprenglinge. Das Gestein ist gleichmäßig dicht
und von rötlicher Farbe. Unter dem Mikroskop unterscheidet sich das Gestein, was Struktur
und Zusammensetzung angeht, in nichts von den vorhergehenden Proben. Die Kataklase
macht sich an den Quarzeinsprenglingen lange nicht so stark bemerkbar. Sie offenbart sich
nur in der undulösen Auslöschung. Jedenfalls steht sie weit zurück hinter jener des nor-
malen Quarzporphyrs. Dafür ist die Serizitisierung der Grundmasse um so stärker. Diese
ist nämlich nur an wenigen Stellen gut erhalten. Auch nimmt man Neubildung von Albit
auf Klüften wahr, sowie Imprägnation mit Schwefelkies.
Verwandt damit ist ein mehr helles Gestein mit Andeutung von Schieferung, sonst
aber noch ziemlich kompakt wie das vorige. Die Druckwirkungen sind hier wieder etwas
stärker.
Bedeutend stärker vorgeschritten ist die Zersetzung bei einer weiteren Gesteinsprobe.
Der Quarzporphyr hat hier lichte Farbe, ist deutlich schieferig und reich an Serizit, der
makroskopisch schon deutlich hervortritt. Die mikroskopische Untersuchung zeigt klar die
Zugehörigkeit zum selben Quarzporphyr. Wir beobachten immer dieselbe Grundmasse und
dieselben Einsprenglinge. Die Kataklase ist wenigstens nicht stärker als beim normalen
Gestein. Die Serizitisierung ist recht bedeutend. Auch machen sich sonst bedeutendere
Zersetzungen bemerkbar. Das Titaneisen ist zum größten Teil zu Titanit geworden, der
in ziemlichen Mengen auftritt und manchmal noch Reste des Titaneisens einschließt. Dazu
kommen noch größere Körner von Anatas. Als Andeutung einer Saussuritisierung
wird man die Neubildung von Orthit und Epidot ansehen müssen. Beide finden sich in
Putzen und unregelmäßigen Körnern, stellenweise zusammen mit Biotit und Titanit.
Wohl am stärksten verändert ist das Ganggestein bei Tamga-tasch. Es ist hell
und nähert sich in seinem ganzen Habitus einem Serizitschiefer. Mikroskopisch erkennt
man, daß die Grundmassen wenigstens soweit erhalten, um die Zugehörigkeit zum selben
Gestein konstatieren zu können. Die Kataklase ist auch hier bedeutend. Die Feldspäte
sind in reichem Maße serizitisiert. Bei manchen Kristallen sind die serizitischen Blättchen
vom Rande aus senkrecht in den Kristall hineingewachsen. Zu den Einsprenglingen kommt
noch Biotit, dessen größere Kristalle häufig zersetzt sind zu Titaneisen, Titanit und
Anatas. Blauer Turmalin ist ziemlich reichlich vertreten.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt. 90
230
Gneisartiges Aussehen hat das Gestein einer Apophyse nördlich davon. Seriziti-
sierung und Druckwirkung sind hier wohl am stärksten. Die größeren Einsprenglinge
sind schlecht erhalten. Besonders der Quarz scheint an einzelnen Stellen ganz zermahlen
zu sein. Das Gestein weist außerordentlich viel Titaneisen auf, das teilweise zersetzt ist
zu Anatas. Offenbare Neubildungen sind unregelmäßige Körner von Orthit und Biotit-
kristalle, die oft senkrecht zur Schieferung stehen. In diesem Falle sind sie gewöhnlich
gedrungener ausgebildet.
Daß auch der Quarzporphyr kontaktmetamorph beeinflußt wurde, dafür scheinen
zunächst zu sprechen die zweifellosen Neubildungen von Biotitkristallen; sodann die Im-
prägnation mit Turmalin und schließlich die mannigfaltigen Zersetzungen des Feldspates zu
Saussurit und serizitischen Mineralien; endlich die Tatsache, daß der Grad der Zer-
setzung in keinem nachweisbaren Zusammenhang steht mit dem Maß der Kata-
klase, daß vielmehr, wenigstens teilweise, das stärker zersetzte Gestein geringere
Druckwirkungen aufweist als das weniger zersetzte.
‘Zu erwähnen wären endlich noch die Adern, die an verschiedenen Stellen des Profils
beobachtet wurden. Bei Tamga-tasch bildet ein Aplitgang die nördliche Grenze des
Quarzporphyrs. Nach der Art seines Auftretens könnte er auch als Salband des Quarz-
porphyrs aufgefaßt werden, wie es von Keidel geschieht. Die Frage wird sich schwer
entscheiden lassen.
III. Schlussfolgerungen.
Überblicken wir nun die an den Gesteinen des südlichen Musart-Tals beobachteten
Erscheinungen, so muß uns zunächst die ungemein ausgedehnte Kontaktmetamorphose
auffallen. Denn daß es sich um diese handelt, kann nach der Untersuchung der Gesteine
nicht mehr zweifelhaft sein. Die typischen Hornfelsbildungen von den verschiedensten
Punkten des Profils, die wir bald als Einlagerungen in den kristallinischen Kalken ange-
troffen haben, bald in mächtigen, selbständigen Schichtensystemen, mehrfach begleitet von
Glimmer- und Knotenschiefern, lassen wohl keine andere Deutung zu. Für die Kontakt-
metamorphose sprechen ferner die aplitischen Adern, von denen zwar nur wenige, diese
aber an den verschiedensten Stellen beobachtet wurden, und die zweifellos eine größere
Bedeutung haben, als man aus den Beobachtungen an dem wenig umfangreichen Material
ersieht. Sie wird auch bestätigt durch die massenhafte Turmalinimprügnation. Wir
finden fast kein Gestein, dem der Turmalin fehlt, oft aber sehen wir diesen in ganz be-
deutenden Mengen auftreten. Jeder Zweifel also an der Entstehung der kristallinischen
Beschaffenheit der Gesteine durch Kontaktmetamorphose scheint hier völlig ausgeschlossen .
zu sein.
Wenn wir uns nun fragen, welchem Granit die weitgehenden Umwandlungen zuzu-
schreiben sind, so kommen nicht weniger als drei Massive in Betracht, zunächst das Massiv,
das sich auf der Nordseite des Gebirges befindet etwa 15 Kilometer vom Musart-Paß;
sodann das Doppelmassiv im südlichen Musart-Tale, das wir oben näher kennen gelernt
haben. Die Entfernung der beiden Massive auf der Nord- und Südseite voneinander ist
eine recht bedeutende und beträgt mindestens 50 Kilometer. Gleichwohl finden sich auf
dieser weiten Strecke fast ausschließlich typische Kontaktgesteine. Ja es läßt sich nicht
231
einmal eine Zunahme oder Abnahme der Intensität der Umwandlung in diesem gewaltigen
Komplex deutlich konstatieren.
Sicher ist nun, daß jeder von den drei genannten Graniten seine Kontaktzone hat
oder doch gehabt hat. Diese im einzelnen zu umgrenzen, wird schlechthin unmöglich sein.
Dabei bleibt aber bestehen, daß sich sehr weit von den beiden Massiven, die für die oberen
Teile des südlichen Musart-Tals in Frage kommen, noch ausgesprochene Kontaktgesteine
vorfinden. Auch kann man wohl nicht umhin, das gewaltige Marmormassiv als eine
einheitliche Bildung gleicher Art aufzufassen.
Deswegen verdient das südliche Musart-Tal ganz besonderes Interesse als typisches
Beispiel, wie die Kontaktmetamorphose wirkt, wenn die Intrusion des Granites verbunden
war mit gebirgsbildenden Bewegungen. Daß letzteres der Fall war, ist ganz die Ansicht
Keidels, der nach allen Beobachtungen die Entstehung der zentralen Ketten in das ältere
Mesozoikum verlegen zu müssen glaubt. Dafür sprechen auch die massenhaften Quarz-
porphyrergüsse, die sich teilweise in Schichten finden, die zweifellos dem älteren Mesozoikum
angehören. Die Gebirgsfaltung brachte natürlich mannigfaltige Störungen des Schichten-
verbandes mit sich und bahnte dem Granit die Wege. Die Quarzporphyrgänge inmitten des
kristallinischen Kalkes bestätigen die Ansicht, daß sich darunter noch gewaltige Granit-
massen finden, von denen der Quarzporphyr etwa die Ausläufer darstellt. Auch die Aplit-
gänge und -Adern in den Kalken sowohl wie in den Hornfelsen lassen sich wohl schwerlich
anders erklären. Wenn man das alles bedenkt, so hat die weitgehende Kontaktmetamorphose
nichts besonders Auffälliges mehr an sich, ja wir finden es ganz selbstverständlich, daß
diese eine so bedeutende Ausdehnung hat.
Es ist dieses von um so höherem Interesse, als gerade in einem ähnlichen Gebiete,
in unseren Zentralalpen, die Ansicht, daß die kristallinische Beschaffenheit der Gesteine
der Kontaktmetamorphose zuzuschreiben sei, immer mehr an Boden gewinnt. Eine
jede neue, vorurteilslos unternommene Spezialuntersuchung erbringt neue Beweise für die
Kontaktmetamorphose. Wenn man sich aber von vielen Seiten noch sträubt, eine so
weit sich erstreckende Kontaktmetamorphose anzunehmen, so kann man jetzt den Alpen
den zentralen Tian-Schan gegenüberstellen. Wenn dort die Kontaktmetamorphose
für weit vom Granit entfernte Gesteine nachgewiesen ist, so kann sie auch in den
Alpen nicht mehr befremden, wo es sich doch meistens um noch geringere Entfernungen
handelt, ganz abgesehen davon, daß die große Entfernung gewöhnlich nur eine schein-
bare ist, weil der metamorphosierende Granit nicht an .der Oberfläche liegt, sondern in
der Tiefe verborgen ist, aber nicht selten durch Straßen- und Tunnelbauten in seinem
Versteck entdeckt wird zur Warnung für alle allzu eifrigen Anhänger des Dynamometa-
morphismus.
Aber noch einen anderen wichtigen Punkt lehrt uns die Untersuchung des südlichen
Musart-Tales. Es ist wieder dieselbe Erscheinung, wie sie im II. Teil dieser Arbeiten
vom oberen Bayum-kol-Tal beschrieben wurde: der eine Rand des Granitmassivs ist von
typischenKontaktgesteinen: Hornfelsen und Knotenschiefern begleitet, am anderen
treten an deren Stelle: Gneis, Glimmerschiefer und Phyllit; an der .einen Seite
normale, an der anderen Piezokontaktmetamorphose. Von den stets als typisch
bezeichneten Kontaktmineralien, wie Andalusit, Kordierit, findet man im ganzen
Profil durch den zentralen Tian-Schan keine Spur, von anderen, wie Granat, nur
232
vereinzelte Vorkommnisse. Das zeigt aber, daß es gänzlich verfehlt ist, die Kontaktmeta-
morphose dann zu leugnen, wenn die genannten Mineralien fehlen, und selbst dann, wenn
die typischen, oder sagen wir besser, die allgemein als typisch anerkannten Kontaktgesteine
nicht vorhanden sind. Man darf eben die Kontaktmetamorphose nicht nach einem Schema
behandeln, sondern muß alle geologischen und petrographischen Momente in Unter-
suchung ziehen und abwägen, dann erst kann die schwierige Frage nach der Entstehung
der „kristallinischen Schiefer“ befriedigend gelöst werden.
Was endlich das Alter der verschiedenen Granitmassive betrifft, so sind für dessen
genauere Bestimmung wenig sichere Anhaltspunkte vorhanden. Wenn das Massiv auf der
Nordseite, wie Keidel, und auch wohl mit Recht, annimmt, die Fortsetzung ist von
jenem Granitzug, der in der weiteren Umgebung des Khan-Tengri am Tüs-aschu-Paß :'
(siehe Abhandlungen XXIII, S. 96, 163 f. und 167) die karbonischen Kalke kontaktmetamorph
umgewandelt hat, so steht auch hier dessen postkarbonisches Alter fest. Von dem
Doppelmassiv des südlichen Musart-' Tales läßt sich nur das eine mit ziemlicher Be-
stimmtheit sagen, daß der nördliche Teil jünger ist als der größere südliche. Der südliche
Teil des Massivs aber ist jedenfalls älter als das obere Karbon, das allem Anscheine nach
transgredierend die Kontaktzone überlagert. Keidel hält auch diesen Granit für karbonisch.
Die petrographische Untersuchung erbrachte selbstverständlich weder für noch gegen diese
Ansicht irgend welche Gründe.
St. Gabriel im Juni 1906.
Merzbacher’sche Tian-Schan-Expedition. — Kleinschmidt & Limbrock: Südliches Musarttal. Tafel I.
Bei Tamga-Tasch. Einlagerung von Quarzporphyr in weissem Kalk.
Oberhalb Tograk-Jailak. 2 km unterhalb Tamga -Tasch.
Weisser Kalk mit dunklem Quarzporphyr in Hornfels. . Quarzporphyr in weissem Kalk.
Dr. Merzbacher phot Abh. II. KL d. K. A d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt. 1906.
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Merzbacher'sche Tian-Schan-Expedition. — Kleinschmidt & Limbrock.
Tafel II.
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0.0.0,0.0 VoVoVoVsVo ++++ UNE HORTON
WeiBer Kalk Grauer Kalk Hornfels Quarzporphyr Konglomerat Granit, Aplitischer Aplit und Grobkürniger Augengneis Morüne
bergang in Granit Lamprophyr- Granit
Breccie Günge
Schw. Fs. C. 8. C. Sc. IR; K. R.
Schwagerinenkalk Fusulinensandstein Rötliches Sandstein Kalkkonglomerat Sandstein und 'T'onschiefer der Kohlenflóz Rezente Auf-
» Konglomerat der tibetanisehen Konglomerat der Angaraschichten schüttung
Transgression Angaraschichten t
Profil durch die rechte Seite des südlichen Musart-Tals von der Endzunge des Dschiparlyk-Gletschers bis zum Rande der Niederung des Jarkent-daria. Ma&stab 1: 50,000.
Abh. d. Il. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. I. Abt.
Ueber
die Bewegung der Elektronen.
Von
F. Lindemann.
Erster Teil:
Die translatorische Bewegung.
(Eingelaufen am 12. Januar 1907.)
Àbh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd.]I. Abt. al
19d
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Ln
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Während ich versuchte, mittelst der Elastizitütstheorie des Lichtäthers die Gesetz-
mäßigkeiten in den Spektren der Elemente zu erklüren,') haben andere die Theorie der
Elektronen zu diesem Zwecke herangezogen. Da die Ausbreitung der elektrischen Kraft
Zeit erfordert, so wird ein bewegtes elektrisches Teilchen (sei es ein geladenes materielles
Teilchen oder ein Quantum von Elektrizität ohne materielle Unterlage) im allgemeinen
auf sich selbst Kräfte ausüben, welche die Bewegung beeinflussen. Als Eigenschwingungen
werden solche schwingende Bewegungen des Elektrons angesehen, bei denen diese Kräfte
verschwinden, sogenannte kräftefreie Schwingungen. Um diese Bestrebungen mit meinen
Untersuchungen zu vergleichen, mußte ich die betreffende Literatur eingehend studieren.
Besonders hat Sommerfeld sehr allgemeine Untersuchungen über die von bewegten Elek-
tronen auf sich selbst ausgeübten Kräfte angestellt, und aus seinen Formeln für den be-
sonderen Fall der konstanten Geschwindigkeit das auch sonst schon abgeleitete Resultat
bestätigt, daß die Bewegung eines Elektrons mit konstanter Unterlichtgeschwindigkeit
kräftefrei sei.
Eine Änderung der Geschwindigkeit bedingt dagegen das Auftreten von Kräften, und
so kommt man zu der Anschauung, daß das masselose Elektron sich verhält wie ein träges
Massenteilchen, wobei sich dann allerdings die Masse als Funktion der Geschwindigkeit
ergibt; und auf Grund dieser Resultate konnte man dazu übergehen, die Trägheit der
materiellen Massen umgekehrt durch die scheinbare Trägheit der Elektronen zu erklären,
so daß sich die Masse aus Elektronen zusammensetzt und nur deshalb konstant zu sein
scheint, weil die in der Mechanik vorkommenden Geschwindigkeiten nicht groß genug sind,
um die Abweichungen hervortreten zu lassen. Die fundamentale Wichtigkeit dieser neuen
Auffassungsweise der Mechanik erfordert vor allem eine volle Klarlegung der Grundgesetze
1) Zur Theorie der Spektrallinien, Sitzungsberichte der math.-phys. Klasse der K. Bayer. Akademie
der Wissenschaften, Bd. XX], 1901 und Bd. XXII, 1903. Es sei bei dieser Gelegenheit bemerkt, daß ich
am Schlusse der letzteren Abbandlung in den asymptotischen Werten bei der Korrektur irrtümlicher Weise
eine Quadratwurzel durch eine vierte Wurzel ersetzt habe. — Unter Benützung genauerer asymptotischer
Entwicklungen habe ich inzwischen die Untersuchungen fortgesetzt und Formeln erhalten, die sich den
Beobachtungen besser anschließen; die Resultate sind vorläufig zusammengestellt in meiner Rektoratsrede:
Gestalt und Spektrum der Atome, Süddeutsche Monatshefte, 2. Jahrg. 1905 (englische Übersetzung in
The Monist, vol. 16, Chicago 1906).
gue
236
für die Bewegung eines Elektrons, und eine solche versuche ich im folgenden auf Grund
der partiellen Differentialgleichungen der Elektronentheorie zu geben.
Die dabei gewonnenen Resultate sind von den bisher erhaltenen wesentlich verschieden.
Ich knüpfe zunächst an den allgemeinen Ansatz an, den man Sommerfeld verdankt;
in den Aufsätzen des letzteren kommen verschiedene Entwicklungen vor, die mir aus
mathematischen Gründen nicht haltbar erscheinen. Ich habe deshalb seine ganze Unter-
suchung von neuem durchgeführt und dabei möglichst ausführlich alle zweifelhaften Stellen
erörtert. Schließlich habe ich in $ 16 die betreffenden Stellen eingehend bezeichnet und
besprochen, zugleich auch klarzulegen versucht, weshalb die ältere Behandlung der Be-
wegung mit konstanter Geschwindigkeit (nach Lorentz und Abraham) dazu führte, diese
Bewegung als eine kräftefreie anzusehen.
Die vorliegende Arbeit behandelt nur die reine Translation, und zwar für den Fall,
daß die Bahn des Elektrons und die Geschwindigkeit willkürlich gegeben sei; es wird
ganz allgemein die durch das Elektron erzeugte Kraft berechnet. Erläutert ist die allge-
meine Theorie durch den Fall konstanter Unterlichtgeschwindigkeit ($ 12), wobei sich die
Kraft nicht gleich Null ergibt und der Grenzfall der Bewegung mit Lichtgeschwindigkeit
ohne Schwierigkeit erledigt wird. Hiernach dürften die erwähnten Vorstellungen über
die Erklärung der Trägheit materieller Massen aus der Elektronentheorie sich nur unter
Hinzufügung neuer Hypothesen aufrecht erhalten lassen. Auch die Vorstellung, daß ein
konstanter elektrischer Strom der Elektronenbewegung mit konstanter Geschwindigkeit (dem
konstanten Konvektionsstrom) äquivalent sei, ist nur qualitativ, nicht quantitativ zutreffend,
da ein konstanter Strom keine Selbstinduktion zeigt, ein konstant bewegtes Elektron
dagegen auf sich selbst Kräfte ausübt.
In gleicher Weise ist die Bewegung mit konstanter Überlichtgeschwindigkeit
behandelt ($ 13), wobei der Grenzübergang zur Lichtgeschwindigkeit sich ohne Anstand
vollziehen läßt und zu demselben Resultate führt, wie beim Ausgange von Unterlicht-
geschwindigkeit. Weiters sind die allgemeinen Formeln zur Behandlung der gleichförmig
beschleunigten oder verzögerten Bewegung verwandt; dabei zeigt sich, daß der allmähliche
Übergang von Unter- zu Überlichtgeschwindigkeit und umgekehrt sich ohne jede Schwierig-
keit vollzieht.
Alle Untersuchungen beziehen sich auf Volumladung, d. h. es wird vorausgesetzt,
daß das bewegte (kugelfórmige) Teilchen sich wie ein Nichtleiter verhalte, dessen ganzes
Innere elektrisch geladen ist. Die Voraussetzung bloßer Oberflächenladung kann durch
Grenzübergang leicht erledigt werden. Ich werde darauf in einer Fortsetzung der vor-
liegenden Arbeit zurückkommen, in der dann auch die rotatorische Bewegung Berück-
sichtigung finden soll.
237
$1. Das elektromagnetische Feld eines bewegten Elektrons.
Die von einem bewegten elektrischen Teilchen (z. B. einem Elektron) ausgehenden
Kräfte hängen von zwei Potentialen ab, dem „skalaren Potentiale“ o, das der Gleichung:
(1) 9 — 0 A^ g — 3g
genügen muß, und dem „Vektorpotentiale* 9(, dessen Bestandteile W,, 3(,, A; durch die
drei Gleichungen: "
SUE 1621292. e oC.
(2) 9(, — c*u*:96, —r0 6 y;
3, — e 4* 936 — ocv;
bestimmt werden.) In ruhendem Zustande geht das skalare Potential p in das elektro-
statische, das Vektorpotential X in das magnetische Potential über. In obigen Gleichungen
bedeutet o' den zweiten Differentialquotienten von y nach der Zeit ? an dem im absoluten
Raume festen Punkte mit den Koordinaten z',y',z', und es ist:
rm 9* o 9*g
Ag \
i DUO NCC
Es bedeutet ferner o die elektrische Dichte an diesem Punkte, c die Lichtgeschwindig-
keit, und v, d,, v. sind die Komponenten der Geschwindigkeit
(8) v —Vo 24- v? 4 vj,
mit der sich das Elektron bewegt.
Nur im Innern des Elektrons ist o von Null verschieden; es ist also o eine im
allgemeinen unstetige Funktion des Ortes und außerdem (da der Ort des bewegten Elektrons
sich mit der Zeit ändert) eine Funktion der Zeit. Die dadurch der Integration entgegen-
stehenden Schwierigkeiten kann man in folgender Weise beseitigen.
Es werde ein mit dem Elektron fest verbundenes Koordinatensystem (v, y, 2) ein-
geführt, das sich mit der Geschwindigkeit v im Raume translatorisch bewegt, d. h. es werde
ta
"=a2+ (vd,
0
i
(4) y — y fv dt,
[U
"= 24 fo dt
Ü
1| Vgl. in Betreff der Literatur den Artikel „Maxwells elektromagnetische Theorie“ von H. A.
Lorentz in der Enzyklopádie der Mathematik, V 2, 1, und für die Ableitung besonders Abraham,
Prinzipien der Dynamik des Elektrons, Annalen der Physik, Bd. 318 (neue Folge, Bd. 10), 1903, (franzó-
sische Übersetzung in dem Werke: Jons, Électrons, Corpuscules, herausgegeben von der Société francaise
de physique, Paris 1905, t. I), ferner desselben Verfassers Werk: Elektromagnetische Theorie der Strah-
lung, Leipzig 1905.
238
gesetzt, wobei vorausgesetzt wird, daß die Bewegung des Elektrons zur Zeit
— 0 beginnt. Bezeichnet dann "t den Differentialquotienten von o nach der Zeit an
einer mit diesem Koordinatensystem fest verbundenen Stelle, so ist:
QS eue 9pdz ,99ody 9pdz'
ee orz eq IUE TII >
oder nach (4):
9p anh RAD 89 °P
n ILC es |
(5) 2 t 4r 2x dr I 3E D;,
2y
wo nun D; 0,0, gegebene Funktionen von £ sind.
Durch Wiederholung dieser Differentiations-Operation erhült man:
op °P
- 3*9 89g dv, :
) — — 28 2 + 6S$»,v, ——-—,
unb aa
9 on 9x dt FEX
wenn zur Abkürzung folgende Bezeichnungen eingeführt werden:
2apdz, 99 dv, ,3godvw,, 3g9dv,
ar dt 23x dt "PS Ug UE
HET : er 02 mE v -_ 23
8 9 v, v, Lo — —_ Lv A +» =: + 25,5, 51 +20. RE 5 Tm
Die Differentialgleichung (1) wird infolgedessen:
verbundenen Punkt &,y,2 von der Zeit unabhängig, also nur noch von z,y,z abhängig,
und zwar gleich Null außerhalb des Elektrons.
Indem man die Funktion o — f (2, y, z) durch ein Fourier'sches Integral darstellt,
läßt sich die in dieser Unstetigkeit liegende Schwierigkeit umgehen.!) Es ist nach Fourier:
Hier ist nun die elektrische Dichte o für jeden mit dem beweglichen Systeme fest
TAREA E = (ff dk dl dm (OR f (aA p)etse—9tdz dAdu,
Oo 7t PO — 20
worin:
$ (x —z)k-(x-—z)k-(y—2)l-4(e—u)m.
Indem wir durch die Gleichungen:
(7) o — giSkz — gitkz-d-ly-r mz)
d-o
(8) P= n 55 0 (2,4, u) e-'9** dz di dp
!) Nach dem Vorgange von A. Sommerfeld (Göttinger Nachrichten, Jahrgang 1904), dem wir in
den zunächst folgenden Paragraphen uns anschließen, von dessen Resultaten aber die unsrigen wesentlich
abweichen werden (vgl. unten $ 16).
239
zwei von 5, l, n abhängige Hülfsfunktionen einführen, läßt sich obige Fouriersche Formel
in der Gestalt:
+»
(9) o—f(z,y,z) 9 f f f P-o'-dkdldm
schreiben. Diesen Wert setzen wir auf der rechten Seite von (6) ein und erhalten dadurch
eine für alle Werte von z, y, 2 gültige analytische Darstellung der Funktion o.
Von den mehrfachen Integralen machen wir uns frei, indem wir auch auf der linken
Seite von (6) statt der Funktion y mittels der Formel
-d-o
(10) 2=SSS o (Lu m)- P-dkdldm
eine weitere Hülfsfunktion @' einführen. Die auf der rechten und linken Seite von (6)
dann unter dem dreifachen (nach %, (, m) genommenen Integralzeichen auftretenden Funk-
tionen setzen wir einander gleich und dividieren beiderseits mit P; so entsteht die folgende
partielle Differentialgleichung für die von x, y, 2, k,l,m und £ abhängige Funktion @':
9° 9 899' dv. 9°p' 9? g' ek jm
—$ 28 5, + 88 — — v, 0, — c? 43g! — cà. eiSke,
aD at ar dt EN away." is
Die Differentialgleichung ist der Gleichung (6) vollkommen analog gebildet; statt der
unstetigen Funktion o — f'(v,y,2) steht nur jetzt auf der rechten Seite die durchaus stetige
Funktion o', welche durch (7) eingeführt -wurde. Die Bestimmung der Potential-
funktion gy ist daher vorläufig zurückgeführt auf die Bestimmung einer
spezielleren Potentialfunktion 9‘, welche einer durch den ganzen Raum stetigen
(wenn auch imaginären) Dichtigkeitsverteilung o' der Elektrizität entspricht.
Die Berechtigung der bei dieser Zurückführung benutzten Operationen bedarf aber
noch der näheren Untersuchung; die Gleichung (6) nämlich führt nur dann auf die Gleichung
(11) für g', wenn es gestattet ist, die Differentiation der durch (10) definierten Funktion o
nach z, y, z,t unter dem dreifachen Integralzeichen auszuführen. Bleibt die Funktion
*' (E, 1, m) für unendlich große Werte von A, /, m endlich, so ist diese Operation jedenfalls
erlaubt, wenn auf der rechten Seite von (10) unter dem Integralzeichen der Faktor
£—?5 hinzugefügt wird, wo s die positive Quadratwurzel:
(12) s—= Vi2+1E+ m?
‚bedeutet und p eine positive Konstante bezeichnet. Setzen wir also:
(13) = SSS e=P8 gt (b, l,m)- P- dkdldm
und zur Abkürzung:
, 2?g 8g dv, 8?g 9?g DT
14 Do— - —2 «+ 88 —— v vy — c? 4? o,
9) OB TTT ax dt Simons es suite Drums Cid
so genügt die Funktion 9, nicht der Differentialgleichung (6), sondern der Gleichung:
+o
(15) Dp,=e@SSSe-" P-o'-dkdldm;
und das obige Verfahren, welches die Gleichung (6) auf die Gleichung (11)
zurückführte, wird nur anwendbar sein, wenn die Gleichung:
240
(16) (D gy)yzo = D(P),=0
als bestehend nachgewiesen ist. Mit diesem Nachweise werden wir uns im folgenden
noch beschäftigen (vgl. $ 5).
82. Das Hilfspotential 9‘.
Ein partikuläres Integral der Gleichung (11) finden wir durch den Ansatz:
(17) 21 = A NED) — giSkz F (t),
wo F allein von der Zeit ? abhängt. Es ist dann:
ED gite = 2p=—(R+E+m). FQ),
dio dibz Ed n , d s
oid d UNI IN M UA
8? gi —34piSkz d F(t) :
CPGE me dt ER
88, 5,00, = — ef F() SCHI. em — er FQ) (Eko).
Durch Einsetzen des Ausdrucks (17) in (11) und Fortlassen des auf beiden Seiten
von (11) auftretenden Faktors e'$^7 erhalten wir also für 7F'(f) die lineare Differential-
gleichung zweiter Ordnung:
@F .dE dv
D) " 2 02 ] |: -
i8 2iq,Shwtl|es iS1 dt
(18) —(8k 5 F-,
worin s wieder durch die Gleichung (12) definiert ist.
Diese Gleichung läßt sich durch die Substitution
(19) Jh! — Noir
vereinfachen, indem man die Funktion « so bestimmt, daß das Glied mit 2 herausfällt.
Es wird zunächst:
oa: media : df [da .da ' d;
9 JP Troy] [oes er AES) ec ER AA } a
(20) eat? (5: aisı v) 2t [s 20 st v. + &s?a d4- (Sko;)?a—iaSEk ur €
Es soll demnach a der Bedingung
d6 m isa-Skn, e isa (bos p Doy + mo)
genügen, wodurch sich a in der Form
(21) a eiSk®,
bestimmt, wenn
i i
(22) $5, — (v. df, 85, — (y dt, 8, — fo. dt
to io
24]
gesetzt wird. In der eckigen Klammer, welche in (20) vorkommt, wird infolgedessen:
da .da N dv. ‚dv, A 2.
dB gj) di ia8k;—a(Skbwuy;
und die genannte Gleichung nimmt folgende vereinfachte Gestalt an:
dif
523 Ir Se SEE] ISKEB,.
(23) iB JE eer cgo
Ersetzt man die rechte Seite durch Null, so ist das allgemeine Integral der ent-
stehenden homogenen linearen Differentialgleichung gleich:
A - cosin (est) + B - sin (est),
wo A und B Konstante bedeuten; folglich wird:
t
(24) [zm 2 fees: sines(t—u).dw-+ A cosin (est) + D sin (est),
%
wo das Zeichen ®; (vw) andeutet, daß in dem durch (22) definierten Integrale $5,(/) die
obere Grenze f durch die Integrationsvariable u zu ersetzen ist. Eine Änderung der
unteren Grenze f£, bedingt nur eine Änderung der Integrationskonstanten A und P.
Es empfiehlt sich, die gewonnenen Ausdrücke durch die Substitution v — £ — u
umzuformen; es wird dann nach (19):
ti)
(Pa) A E [ cis - ism S;ü—D2sinesc-dz -- e'S*9z(0(4 cosincst+ Dsincst).
S
0
Der Exponent von e unter dem Integralzeichen ist:
S k (88, (£) — 35. (£ — x)) ) e fos (s art ifo )d: - m fo (x) t) d v.
i-r i—r
Setzen wir also zur Abkürzung
1
t t
(26) zz fs zG)dv, ne fv ddr &£—fv (dr,
EE i—r ir
so sind &,n,& die Koordinaten desjenigen Raumpunktes, an welchem sich ein Punkt zur
Zeit £— v befand, der sich zur Zeit f an der Stelle z, y, 2 befindet. Nach (17) und (25)
wird dann:
to
p1 = ee sin esz - dz + ee *** 95:04 cosincst + Bsinest).
u)
Aus diesem partikulären Integrale y; findet man das allgemeine Integral ' von (11)
durch Hinzufügen einer allgemeinen Lösung derjenigen partiellen Gleichung, welche aus
(11) entsteht, wenn man die rechte Seite durch Null ersetzt; eine solche Lösung ergibt
sich aus der allgemeinen Lösung der Gleichung:
c 2 2
&—e( Sens )- o:
9x? y? 9 =
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt. 32
242
(deren linke Seite mit der linken Seite von (1) identisch ist) indem man die Substitution (4)
ausführt, welche eben dazu diente, die Gleichung (1) in die Gleichung (6) zu transformieren ;
und die linke Seite der letzteren ist mit der linken Seite von (11) identisch, wenn man
in ersterer o durch @‘ ersetzt. Die Funktion ® kann man demnach bekanntlich in folgender
Weise darstellen:
+» +»
d— sn SISaaaparSSIn@u») cosin (A + B 4- C) cosin dt dA du dv
1 dU Tj : sin 9 £
t gzidJJ dad dy fff fs Qu») cosin (A -- B+OT, didpd;
hierin bedeuten f, und f, willkürliche Funktionen von 4, u, v und zur Abkürzung ist
9 — cya? 4- P? 4r y?,
A-a(s—2, B-B(y—)» Com y (a —»)
gesetzt worden, wobei z', y‘, z' mit x, y, 2 durch die Gleichungen (4) zusammenhängen. Für
t=( wird:
ad
(om eno, GT) hand
Den Anfangspunkt / — 4, unserer Bewegung lassen wir mit der Zeit £ — 0
zusammenfallen; dann ist die allgemeine Lósung von (11) in der Form:
Qeon pao
gegeben und es bestehen die Anfangsbedingungen:
(zer A -E f, (v, y 2);
op "
(27 —ose'8*» B -r f, (v, y, e).
at Ji—0 =
Aus g' wird das eigentlich gesuchte Potential y gemäß der Formel (10) berechnet,
vorausgesetzt, daß sich die am Schlusse von $ 1 erwähnten Bedenken beseitigen lassen.
. . oiu c T
Es verschwinden offenbar y und Ar für £ — 0, sobald die entsprechenden Ausdrücke g*
9g' a a R "
und an für £ — 0 verschwinden. Nun soll das Elektron vor der Zeit — 0 noch in Ruhe
sein, und die Bewegung soll im Momente £ — 0 beginnen. Wir müssen also annehmen,
daß die Gleichungen
29°
zs
Q'— 0 und
. für £ — 0 erfüllt seien und demnach
4—0, B-—0, fj,—0, f;—0
wühlen. Fürdas von uns behandelte Problem genügt es demnach, die Funktion
p' in der folgenden partikulüren Form anzunehmen:
t
EA. } Case: PA
(27) qi x Du sinest-dr,
243
worin (wie auch oben) $k(& + 5) für die Summe E (x -- &) -- L(y 4- 9) 4- m(e -- £) ge-
schrieben ist. Auf eine andere (für die Elektronenhypothese vielleicht nüher liegende) An-
nahme über den Anfangszustand gehen wir unten im $ 15 näher ein.
$ 3. Die Hilfsfunktion P.
Das mehrfache Integral P, welches durch Gleichung (8) eingeführt wurde, läßt sich
unter besonderen Annahmen über die Gestalt des Elektrons noch näher ausführen. Wir
setzen von jetzt an das Elektron als Kugel voraus, die mit einer gleichfórmig
verteilten Volumladung e erfüllt sei.!)
Die Hülfsvariabeln x, 4, « interpretieren wir als Koordinaten eines Punktes in Bezug
auf das bewegte (im Elektron feste). Koordinatensystem; den Abstand dieses Punktes vom
Anfangspunkte bezeichnen wir mit c, den Radius der das Elektron bildenden Kugel mit a;
dann ist:
(28) 4
$6127 (0
Bei Berechnung von o handelt es sich dann um eine Integration über das Innere
einer Kugel; wir werden deshalb Polarkoordinaten einführen, die sich auf den Mittelpunkt
dieser Kugel (d.i. den Anfangspunkt des bewegten Koordinatensystems) beziehen. Als
Achse dieses Systems denken wir uns die Verbindungslinie s des Punktes %, 1, m (wobei
diese Größen auch als Koordinaten eines Punktes im bewegten Systeme gedeutet werden)
mit dem Mittelpunkte. Um diese Achse herum werde der Winkel y gemessen, der Winkel
2 dagegen von dieser Achse aus und zwar so, daß der Strahl s mit dem Strahle o den
Winkel # einschließt und somit die Formel
Skz kz+lit-mu
S6 50
(29) cosin d =
besteht; das Volumelement wird gleich:
0°-sind-dodyd»
und c läuft von O0 bis a, w von O bis 27, à von O bis z. Die Gleichung (8), verbunden
mit (28), ergibt somit:
9 ü Hier zt
o€ ; ; "
je o?:d/o: J| dap. ) e ‘second sim 9. qa9.
pg ded dv]
so da& P als Funktion von s (und «) erscheint.
Die Integration nach w kann sofort ausgeführt werden und liefert den Faktor 27;
die Integration nach 2 führt auf:
g- ics cosin E 2 sinso
iSc :
Jo So
und nach Einsetzen dieses Wertes läßt sich auch die Integration nach c erledigen; man findet:
1) Für Oberflächenladung vgl. den später erscheinenden zweiten Teil der vorliegenden Abhandlung.
32*
244
3E sInds— as-cosinads
8323 SE j
(30) pe
. Diesen Wert von P und den in (27) gefundenen Wert von 9, führen wir in das
durch (10) gegebene Integral ein und finden:
t
(SD) = es ET ERDE dS E al am [ese sin esz dz,
—o 0
Tiv (gus a? s*
wobei nun s durch (12) definiert war. Auch hier läßt sich das Resultat durch Einführung
von Polarkoordinaten vereinfachen; als Achse derselben wählen wir die Richtung R, welche
den Punkt z 4- £& y 4- x, 2 4- €. mit dem Anfangspunkte des festen Koordinatensystems
verbindet; von dieser Achse aus möge der Winkel © gezählt werden, d. h. der Winkel
zwischen der Richtung R und dem Strahle, der denselben Anfangspunkt mit dem Punkte
k, l, à verbindet. Dabei deuten wir jetzt die Integrationsvariabeln %k, /, m als Koordinaten
eines Punktes in Bezug auf das im Raume feste System z', y', z'; allerdings hatten wir
bei Berechnung von P in $ 2 dieselben Größen £,/, m auf das im Elektron feste System
bezogen; damals ergab sich P als nur von s— Vi-rB-am abhängige; und nachdem
dies Resultat gewonnen ist, können wir den Hülfsvariabeln %, !, m, denen direkt keine
geometrische oder mechanische Bedeutung zukommt, jetzt eine andere Bedeutung beilegen.
Um den Radiusvektor R herum zählen wir den von 0 bis 2x laufenden Winkel WV.
Dann wird:
S (x 4 &) — k(z-4- £) d- Ly 4 9) 4- m (2 4- C) — s R eosin O,
und:
oo sc PE D
BE sinas— ascosmas (^. : ; RR,
(32) = -— ;J — IE: 946 [a Leod CSt- dr.
ve LS. SE
0 0 0 0
Auch die Integrationen nach © und Y lassen sich ebenso, wie oben diejenigen nach
9 und w, ausführen; und so findet man:
i
oo
9ec sin 4$ — as cosin as . ] dr
(33) Qui ooa E ds | snesz-sin Rs —.
z^ S R
0 0
Unter der Voraussetzung, daß auf der rechten Seite die Integrations-
ordnung trotz der Unendlichkeit der einen Grenze vertauscht werden darf,
würde man ferner erhalten:
2 946 S ]
(34) 7 3:375 | d
Ü
wenn:
(34°) SE [ena ier = cosin 03 sin es - sin Rs- ds,
J 5
(349) RE. —(z--£F-F(y-- 3Y rer
gesetzt wird. Wir kommen auf die hiermit berührte Frage sogleich zurück.
245
$ 4. Berechnung einiger Hilfsintegrale.
Ist die Formel (34) anwendbar, so kommt es zunächst auf die Auswertung des In-
tegrals S an. Differenzieren wir dasselbe nach « und führen die Differentiation unter dem
Integralzeichen aus, so wird:
C
R : : ds
eG MSInT S SIUS SITES eee.
8a E
o
[t]
Das rechts stehende Integral ist aber nur bedingt konvergent, und deshalb ist die
Zulässigkeit der Differentiation unter dem Integralzeichen zweifelhaft. Um alle Zweifel
zu beseitigen, betrachten wir das allgemeinere Integral, welches entsteht, wenn wir unter
dem Integralzeichen den Faktor e—7* hinzufügen und gehen nachträglich zur Grenze p — 0
über. Wir beginnen also mit dem Integrale:
co
x a sinaz —aczcosmazc. : 9 J,
(35) S, — er 3 sin ßxsnyz-de= J,— at,
\ % 9a
0
wenn:
a
7: mo mp ES
(36) Jo = re sinazsinfzsinya
0
gesetzt wird. Es wird ferner:
oo
8 J, - S P E da
—-— |e ?*"cosnazsnpzsnyz —,
a x”
0
2:J,
da?
— — fern sinazsin Basin pa a.
0 | x
Das letzte Integral ist unmittelbar bekannt, denn setzt man:
0, — a--B —y, óyca—-Fy,
DS aui sisi TO Du Om
sinazsinpzsmnycz-— z Gn 6,2 + sin d, x — sin d, z — sin Ó, &)
und folglich:
27,
9 a*
1[e 5 dz 9 : (la cs . de & : da
L———|(e-?*sinó, z — €—?*sm 6, z — —( e-?*sin 0,2 — —(e-?* sınd, x — |.
4 ) SU db an Or T f SAP i, cr B
Die hier rechts auftretenden Integrale sind bekannt; man hat:
e
: daz Ó
[ee sinóz = arctang —,
9 p
0
und somit: $
2? J, 1 Ó 0) D) Ó
EVE p PA E 7$ Lar <a
(372) ams 7 [arctang 5 -F arctang T arctang 5 arctang " |.
246
Von hier kehren wir durch zweimalige Integration zu J, zurück; zunächst ist:
[o OD + p?
| aretang ph da = Öaretang aD log ;
p
wenn Ó irgend eine der Zahlen ó,, ö,, ö,, Ó, bedenkt; folglich:
ad) __6, Ó, ONE ÓS oh Ó,
BED EE imn ar Sue, nn — arctang BET = y arctang 8 emi * aretang — f
i 168 (& j di) a + à)
\@ T à) (+)
Die Konstante bestimmt sich durch die Annahme a = 0; dann ist bekanntlich:!)
pou
) + const.
ta: Be ee e+lßory?
=, arctang 9 arctang 5 m 41087 + (B pP
folglich const — 0 und:
Sn . E EE RE
S cosinazsınpzsinyx p
0
, DENM pais ài) (p? + ài) EN: ó, Ó, 0, h 0,
38 — Tdi SAL EPA fi en S
(38) g log. (p LH TZ arctang 7 nis ctang E + 1 arctang E
ö, vp ie 4 9,
+ 2 arctang Es
Für eine nochmalige Integration bedienen wir uns der Hilfsformeln:
f c aretang z d z = (1 + $ arctang z — x
flog (p? + 2?) dx = vlog (a? 4- p?) + 2 p arctang das PA
und finden:
x
da
X» —pz uw «eis OI MERE: 1o ee
d, [e ?"sacsinfzsinyz ;
0
(89) — P log Q? +5) + d,log (? +5) — &, log (p? + 8) — à, log (2! + 89]
Ó, Ó,
— E | arctang 1 + ói arctang % — ó$ aretang — — Ój arctang 3|.
8 p p p p
Ó 3
Gehen wir nun zur Grenze p — 0 über, so ist zu beachten, daß arctang 5 gleich
+ oder gleich — 2 wird, je nachdem ó positiv oder negativ ist; demnach haben wir
folgende Fälle zu unterscheiden:
1) Vel. Meyer-Dirichlet, Vorlesungen über bestimmte Integrale. Leipzig 1871, S. 298.
247
l.a>ß>y; es ist 0,2 0 und 9, 7 0 (0, ist immer > 0, da natürlich a, f, y positive
Zahlen bezeichnen sollen).
i à,—a—B—y20,
dones 5 3 3 3
= — qq 493) — 58»,
9 J, A zt E
(=) _- — g (i d à —9, — à) — 0,
(40) 5 sr
2. y=a—ßB—-y—(,
IE 752 2 2 7U
a 1 a aee (un ed
8 J,
(22) - $0 +38 — 5,
(40°) = 56-9;
3. ah OR
J, — — 1s d+8-8+9)-—, (9 f —2a8—88y — 2ya),
aJ, _ qi ru euo :
DE u Orc sch 5.) ze [B e 9);
(40°) $,— 5 en).
IL. B7 a2 y; es ist 0, 2 0 und ó,« 0.
jl: à,—a— f -4- y 0,
J, — — ds c 66— 864-8) — — 5 (9 P? - ph 2af — 28, —2y9),
aJ, SUI. |
(22) — — $64 —4 39 a)
4n 8, — 3 là — (0 —
2 dpa pies
J, — — 4591 — d 9) — — 5 (9 P p —2af —28y—6ay),
(=) - ne à +) = — (at),
9a
(41>) = 45 [€ — Rn? 8er];
248
9. ;—a—p-ry&O, E
J,— — qs — 5 — +6 = Say,
8 J, JU 7t
(22) - $6 —4 49-5
(41») S, =).
II. 82 72 a; es ist 0, 2 0, 0, «0, während Ó, positiv oder negativ sein kann; es
gelten also die Formeln des vorhergehenden Falles.
IV. y 2 a2 f oder y 2 B 7 a; esist 0,7 0, 0, «0, während à, positiv oder negativ
sem kann; wir haben im vorigen Falle f und y zu vertauschen, also:
1. ó,—a-- B — y 2 0; es gelten die vorstehenden Formeln unverändert,
2. Ó, — a 4- B — y — 0; es gelten ebenfalls die Formeln des vorhergehenden Falles,
9. 0, — a -- B — y € 0; es wird:
z 8 J, z
Unter Beiseitelassung der Grenzfülle, wo eine der GróBen Ó verschwindet, hónnen
wir diese Resultate in folgender Form zusammenfassen:
Stellt man die drei Zahlen a, f, y durch Strecken dar, und bezeichnet $,
das in (34?) definierte Integral, so 1st:
^ Q 3 2 7) 2
(48) = 2 [9— (6 — 9.
wenn sich aus den Strecken a, f, y ein Dreieck bilden läßt, dagegen:
= 7t
(44) S, = 291 B VA
wenn sich ein solches Dreieck nicht bilden läßt, weil a 7 f 4- y ist, und:
(45) S, — 0,
wenn die Bildung des Dreiecks dadurch unmöglich wird, daß a « f — y (wenn
p y) oder a € y — B (wenn f «€ y) ist.
Es ist von Interesse zu sehen, welches Resultat sich ergibt, wenn man vorstehende
Rechnungen durchzuführen versucht, ohne unter dem Integralzeichen den Faktor e”?* hin-
zuzufügen. Zu dem Zwecke geht man von der obigen Gleichung (37?) aus, welche uns
für p — 0 sofort lehrt, daß das Integral:
: MERI dx
(46) DE f sin acxsinfzsinyz- —
ö
durch die Gleichung:
a IT IT IT Jt
cd (5 A Dm D: amid
gegeben ist, wenn Ó, ö,, ö,, Ó, sämtlich positiv sind, dagegen durch:
=1(3+3 om er
wenn à, Ó, Ó, positiv, Ó, dagegen negativ ist, wobei a> f — y angenommen wurde. Da
j in a, B, y symmetrisch ist, kann man das Resultat in folgender Form aussprechen: Das
obige Integral j hat den Wert xm oder 0, je nachdem sich aus den drei Strecken
a, D,y ein Dreieck bilden läßt oder nicht.
Integrieren wir nun j nach a® und vertauschen die Integrationsordnung,
so wird: *
& , 2
A sinaz-——acosnazc . : da
fjada- [ s Sina 02 Sa aa — — Sy
Ü e x PA
0
wo S, wieder das in (35) definierte Integral für p — 0 bezeichnet. Setzt man links den
gefundenen Wert (uto T oder 0) für j ein, so ist damit auch $, bekannt. Für kleine
Werte von a ist sicher a «Cf + y und auch (wenn wir f > y voraussetzen) a « f — y, also
ein Dreieck unmöglich und j — 0, folglich:
%=0 fü 0<a<ß—y, wenn Bv»
und ebenso:
$,—0 für O0<a<y—P, wenn y f.
Wird aber a2 B — y (bzw. y — f), so wird das Dreieck möglich, falls a den Wert
B y nicht überschreitet; es ist folglich:
@
S,—f Tada=Fle By] für 0o<B-y<a<ß+r
und ebenso:
a
S,— f Teda= S [e (BP — yf] für0cy—f«a«p- y.
Wächst die obere Grenze a weiter und geht über den Wert f -- y hinaus, so ist
das Dreieck wieder unmöglich, d.h. ; — 0 und:
ro| 3
e
SS ada 2(( ry—G—71—252 für foy wdamB4y
und ebenso:
S,— $4 x eg ema für B « y und a » p 4 y.
vB 4 2.0
Die hier gefundenen Werte!) stimmen mit den in (43), (44) und (45) angegebenen
vollständig überein; bei diesen Rechnungen istesalso erlaubt, die vorkommenden
Vertauschungen der Integrationsordnungen vorzunehmen. Da aber das Integral j
bedingt konvergent ist, gibt das hier zuletzt eingeschlagene Verfahren kein sicheres Resultat.
!) Auf dem hier zuletzt eingeschlagenen Wege hat Sommerfeld a. a. O. (Göttinger Nachrichten
1904) die Werte des Integrals S, abgeleitet.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt. 33
250
8 5. Über die Zulüssigkeit der vorgenommenen Vertauschungen von Differentiationen
und Integrationen.
Die im Vorstehenden aufgestellten Relationen sollen uns noch dazu dienen, die am
Schlusse von 8 3 aufgeworfene Frage zu beantworten, ob die dort vorkommenden Differen-
tiationen unter dem Integralzeichen erlaubt sind. Wir fragen zu dem Zwecke nach der
Bildung der Differentialquotienten von S, nach y, d. h. wir bilden den betreffenden Differen-
tialquotienten von 5$, und gehen dann zur Grenze p — 0 über.
Es ist nach (38) und (39):
DA 0 plos
$,— 4, — at e Tg — tos pan
có
(46,
y ips ö, Ö, Ö, oW
4r 8 0, 6, | arctg 5 + arctg pm 0, 0, | arctg 7 + arctg »Jl
folglich:
28$, p[, ++ à) 2.0, 26; 2.0,
T te Jes n". us T uu) en je Zeug |
(47) 3F ! (B — vy) (arctz ^ — -r arct 2^) 4- (B 4- y) nete = + arctg JJ
al p "p EID en
pl à. 0, 0, 0, 0, 05, ]
re Fra Peer
Für p — 0 haben wir wieder die obigen verschiedenen Fülle zu unterscheiden:
TRO 0,0008
1l.ó,—a-—p--y20,
- 25, A 85 5 E D . ó
(48) ( dj —3p-— S in Übereinstimmung mit (40),
Yy/p2o 2 y
2.0, —a—f—y-0
- e S, V UNO x 3 t . . :
(48°) STR eric) nicht in Übereinstimmung mit (40%),
ha p-o ©
9. ,=a—ß—y<I,
e S, JU 2 S. . t . . .
(489) E ) Exi (B— y)-— 42 in Übereinstimmung mit (40°).
p=\
Y °y
IL B>a>y,6,>0,8,>0,5,<0.
1. ó,—a—f-4- 0,
e 8
ev
L 4
ais. INNER A
(49) ( J — > —-y)=<- in Übereinstimmung mit (41),
pn 3
251
(493) E z E (8 — y) nicht in Übereinstimmung mit (412),
9% N 2 RR :
(49®) (=) — ET in Übereinstimmung mit (41®),
T 4
und analog für II. 8 y — a.
: : x 35 : ET
Die Grenzwerte, welche sich für p — 0 aus 353 ? ergeben, sind diejenigen Werte, welche
y
LU
j : aes amat zh
man erhält, wenn man in $, (ato in J, und e die Differentiation nach y unter dem
a
Integralzeichen ausführt. Die Differentiation von 5, unter dem Integralzeichen
führt daher in allen Füllen zu richtigen Resultaten, allein ausgenommen die
Grenzfälle à, — 0, 0, — 0, à, — 0.
Bilden wir auch den zweiten Differentialquotienten nach y und bezeichnen mit P
einen Ausdruck der für p = 0 verschwindet und deshalb nicht genauer berechnet zu werden
braucht, so wird:
a? S
N
a7?
0) ); Ó
=—4 larete zi 4E adig t — arctg D — arctg 2 TP.
Die hier auftretende eckige Klammer ist dieselbe, welche in (37?) auftrat und zu dem
2qQ
Integrale (46) führte. Es ist also - Bp für p — 0 bis auf das Vorzeichen mit dem Integrale
3
ya
4
2? S, LN t
2 y? Dee 4’
wenn sich aus den drei Strecken a, f, y ein Dreieck bilden läßt, dagegen:
@ 3 Me
2j? p-o k
wenn sich ein solches Dreieck nicht bilden läßt.
Die erstere Gleichung erhält nian ebenso aus (43) bzw. (48®) und (49%), die letztere
Gleichung aus (44) und (45), bzw. (48) und (49^), wenn man vor der Differentiation p = 0
setzt und unter dem Integralzeichen differenziert. Auch die Bildung der zweiten
Differentialquotienten von 5, nach y kann daher so geschehen, daß man einfach
unter dem Integralzeichen differenziert. Dies Resultat war nicht mit Sicherheit
vorauszusehen, da das durch Differentiation unter dem Integralzeichen entstehende Integral j
nur bedingt konvergent ist.
J identisch, und folglich:
Für die Differentiation von S, nach f gilt natürlich dasselbe.
Wenn wir jetzt zu unseren Untersuchungen zurückkehren, so haben wir zunüchst zu
entscheiden, ob das Integral (34) mit (33) wirklich gleichwertig ist; es ist dies sicher der
336
252
Fall, wenn es gestattet ist, die im (33) gegebene Funktion p unter dem Integralzeichen
nach f£ zu differenzieren. Ersetzen wir @ wieder durch g,, indem wir unter dem Integral-
zeichen den Faktor e-—7* hinzufügen, so ist:
1
99, | ec [(S,V - + f 9 (8S, e.
at = alle E GBR GER El:
0
Nun haben wir soeben gezeigt, daß:
E 25, ol
ey) E o
ist (denn in vorstehenden Formeln ist jetzt a durch a, f durch KR und y durch cz zu
ersetzen); folglich ist der gefundene Ausdruck für p — 0 identisch mit dem aus (34) abge-
leiteten Werte a und demnach ist hier die Vertauschung der beiden Integrationen nach
s und nach v erlaubt, d. h. die Funktionen g, wie sie in (33) und (34) angegeben
wurden, sind miteinander identisch.
Ebenso läßt sich jetzt die Richtigkeit der Relation (16) nachweisen. Es kam darauf
an, ob die Funktion p unter den drei naeh %, !, m genommenen Integralzeichen differenziert
werden darf, oder ob die in (34) aufgestellte Funktion y unter dem nach s genommenen
Integrale differenziert werden darf. Jedenfalls ist:
8p, _ Bee [re aR-!aR,_ EE QU He
ox — 2aa B ym az oRex R'
0
und aus (50) folgt dann sofort die Zulässigkeit des Verfahrens. Ebenso ist es bei zwei-
maliger Differentiation. Es besteht daher in der Tat die Gleichung (16); und die
in (34) aufgestellte Funktion g ist als Integral der Differentialgleichung (6)
zu betrachten, und zwar für einen Punkt z, y, 2, der sich zur Zeit 2 im Innern des
Elektrons befindet, während die rechte Seite von (6) durch Null zu ersetzen ist, wenn
®, y, 2 die Koordinaten eines äußeren Punktes sind.
86. Das skalare Potential » für Volumladung bei Translation mit Unterlicht-
geschwindigkeit.
Es handelt sich nun darum, die Werte von S in den verschiedenen Fällen zur Aus-
wertung des für p in (34) gefundenen Ausdrucks wirklich zu benutzen. Dabei haben
wir zu verfolgen, wie das Elektron allmählich seine Anfangslage verläßt, um dann die
ihm durch die Funktionen &,7,© (bzw. durch die Komponenten v, 0, v;) vorgeschriebene
Bahn zu beschreiben. Dabei ist aber die Variable z zunächst als Zeitmaß zu denken,
und diese Zeit r wird nach rückwärts gemessen.
Für = 0 wird nach (26) E=0,7n=0,5=0, d.h. das Elektron befindet sich
in der zur Zeit £ erreichten Endlage, während der Wert r — £ der ursprünglichen Ruhe-
lage entspricht.
253
Nach (26) und (34°) bezeichnet AR die Entfernung des Punktes mit den Koordinaten:
t t t
vr (vs dt, y -F (v, dt, 2+ (v, dt,
uU Ü IU
von dem Punkte mit den Koordinaten:
pem t—r t—r
£v dt, fv» dt, fv. df,
0 Ü 0
d. h. des Punktes, welchem in Bezug auf das im Elektron feste Koordinatensystem die
Koordinaten x, y,2 zukommen, von demjenigen Punkte, in welchem sich der Anfangs-
punkt dieses Koordinatensystems zur Zeit £ — v befand.
Die geradlinige Entfernung der Anfangspunkte dieser beiden Koordinatensysteme
voneinander soll im folgenden mit 7' bezeichnet werden; es ist also:
(51) T -Bog d.
Um den Wert von g zu bestimmen, haben wir den ganzen Raum, entsprechend den
Ungleichungen, wie sie in $5 bei Berechnung des Integrales S,(— $) benutzt wurden,
in verschiedene Gebiete einzuteilen, gleichzeitig aber auch das Anwachsen der Variabeln v
zu berücksichtigen. Es sei:
DXec ia.
Dann zerfällt der Raum in folgende drei Gebiete:
1. KR «a-—-cz, eine Kugel mit dem Radius & — cr um den Punkt Ó als Mittel-
punkt, in welchem sich der Anfangspunkt des Systems &,y,2 zur Zeit ( — v befand.
2.a+cr>R>a— cr, eine Kugelschale, welche nach innen von der Kugel
- — a — cr, und außen von der konzentrischen Kugel R=«-+ cr begrenzt wird.
3. R>a-+ cr, der Raum außerhalb der letzteren Kugel.
I. cz a.
Dann sind folgende Gebiete zu unterscheiden:
1. R<cr—a, das Innere der Kugel R=cr — a.
2. er 4- a2 R7 er—a, eine Kugelschale, begrenzt von den beiden Kugeln R=cr — a
und É —cz-- a.
3. E cr--a, der Raum außerhalb der Kugel R=cr-+.a.
Dementsprechend haben wir folgende Werte von o:
L Für cr<a:
1. E «a — cz (also auch R<a und a 2 KR -4- c).
Hier ist (44) anzuwenden, und folglich erhalten wir aus (34):
1
9ieic? 9e -t
52 EOS LUPA RE EN
(92) 2 lade 8 a?
0
2
Diese Formel gilt, solange £ einen gewissen durch die Gleichung R=« — cr bestimmten
Wert r‘ von r nicht überschreitet. Da R von z,y,z und £,«y,6 abhängt, ist dieser Wert c'
254
eine Funktion von Z und z,y,2; nur wenn derselbe auch der Bedingung er'< a genügt,
ist er hier brauchbar; und diese Ungleichung wird für gewisse Werte von z,9,2 und £
immer erfüllbar sein.
2. a—cr<R<a-+cr; hier ist a<R-+cr, unda> R— cr für R>er, und
da cc «a sein soll, auch a2 ec — R für Ki «cs; für RZet gilt also nach (43) und
(34) die Formel:
Beto Sec
Saa? Saa?
i
[ie — 06-995
cb
52°) g—
und zwar, solange t eine gewisse, durch die Gleichung R=«a-+ cr bestimmte Größe r'
nicht überschreitet, welche als Funktion von £,z,y,2 erscheint.
3. a-- ec « R, also auch er<R und a € E —c2z, d.h. es ist die Formel (45)
für £2 v" anzuwenden:
EICHE BEE
fte — erm
Tt
52" QI— -
ee) : Srza? Sza?
TIG Bro.
l. R<er-a, also auch E «er und a « ez — R, so daß wieder die Formel (45)
zur Anwendung kommt, nach welcher das Intervall i <r<r” keinen Beitrag zu
der durch (34) gegebenen Funktion g liefert, wenn 7 durch die Gleichung R=cr—a
, : TED RZ [44 . : 1 3 :
bestimmt wird (wobei die Wurzel c zu sein muß, wenn sie brauchbar sein soll); es ist
also hier ebenso wie im vorigen Falle:
>”
9'ec?2'3 EC eO rt P 7 o
dum zu [a — (cv — Ry] für v «£«z'.
8aa 8za*, R
"I
(53) Q-—
2. ev — a R «ces 4- a, also a2 ec — E; überdies ist die Bedingung a «ez -- R
von selbst erfüllt, da hier a « cv vorausgesetzt wird; es kommt also Gleichung (43) zur
Anwendung, und es wird nach (34):
re 3Eec fie dr
[e® — (e— RP],
ns a a?
wo 7” definiert ist, wie im vorigen Falle. Die Gleichung hat Gültigkeit für z^ «£« uv,
wenn z!Y als Wurzel der Gleichung a — ec 4- .K definiert wird.
3. ez d- a € R, also a € R — cr für cz € R; der Fall cz ^ R kommt hier nicht in
Betracht, denn dann wäre e — R+a<0, was nicht sein kann; es ist also Gleichung (45)
anwendbar, d.h. der Faktor S unter dem Integralzeichen in (34) für dieses Intervall gleich
Null und:
AM
REN: fece mg 15 für £2.
E XE ore cum ae
(53*) ee E 7 Baa) fte (ev - By lg + Saa?
: : : 2 9
Es kommt im folgenden auf die partiellen Differentialquotienten =, s an;
wir haben nach Gleichung (34*):
TIEREN
E) im
demnach ergibt sich aus jd
(54) — 0 fürct<a und AK -«a--er,
=
dagegen aus (92°):
t
9p 3ecv 3: Sec (Eme 8 z' Sec f 8 (ia
T
oz 4za® 92 Saa? R len Saar.) 9x 7
T
Nun war z' durch die Bedingung E — a — cr definiert; es ist also:
ES aR oR ar
AT ax
und:
IA -(GS 9 R39» ,8o Roc
ELT ^ X9£ 2a« an dr OG oe
1 ; :
- (ate 92-0 owe nl) _
— 9 (1*) - cosin (Ki, v),
somit:
(545 Pop cur
Simp) 9w |R(e+ v-cosin (R,v))|.=:
und schließlich:
38g. Sec 97 eds ee ictu S qe
54 —:. HN
o) az Ana? dx ag:
für cz « a und adole on
ar T ie : A
wo für — der in (54°) angegebene Wert einzusetzen ist.
E ;
Ebenso erhält man aus (52») da 7’ der Gleichung « — R— cr genügen sollte:
A 9p 93eciv' 9v s LII
54€ —- 272 — JJ d ,
o) 2x Ana? 9x er (ae ) b
Turc sed a, Sud à -J- ccr « R.
Dieselbe Formel bleibt für den in (53) behandelten Fall (eva, R<cer—a)
bestehen.
Aus (53°) ergibt sich Faser
t
DONE AUC TA dm. SEC 3 29 2 falls | 3 : Ar
= = T d
a2 Ara? ac edes » -—R9* R ee T s: 20) R
H7
fü cer—a<R<erta,
256
endlich aus (53")
IV
8 Sec?^v 8 d 5 a z+E Sec z -
Be ejerce mte resonet
T.
44d.
denn die durch Differentiation der Grenzen ‘ und z!Y entstehenden Glieder fallen hier
infolge der für diese Grenzen geltenden Gleichungen fort.
Im folgenden wird weiters verlangt (und zwar zur Berechnung der auf das Elektron
x : ; : . 9p 8p 39g .
wirkenden Kräfte), diese Differentialquotienten = — über das Innere des Elektrons
nach x, y, 2 zu integrieren. Dabei sind die für die verschiedenen Fälle aufgestellten Un-
gleichungen zu berücksichtigen. Da 7‘, z^, 7“, z! Y nicht näher bekannte Funktionen von
4, y, 2 (und f) sind, so können diese Integrationen im allgemeinen nicht weiter ausgeführt
werden. Doch läßt sich durch folgende Überlegung eine Vereinfachung erzielen.
8 7. Fortsetzung. — Ausführung der Integration über das Volumen des Elektrons.
Die verlangten dreifachen Integrale führen wir auf Doppelintegrale mittelst der
bekannten Gauß’schen Formel:
(55) EH I dzdydz- -ffe - cosin (x, 4) de
zurück, wo n die nach Innen gerichtete Normale und do das Oberflüchenelement der das
Elektron darstellenden Kugel bezeichnet. In unserem Falle ist die Normale » der Radius
der Kugel und
cosim (x, 2?) = — zm do —asin OdO d V,
a
wenn Y und © in bekannter Weise Länge und Breite auf der Kugel bezeichnen, also:
(56) If ds dydz— [ fv LESE V [7-2 sin 6-46.
0
u
Um die Winkel © und Y analytisch einzuführen, gehen wir von einem rechtwink-
ligen Hülfssysteme x“, y", z^ aus, dessen Mittelpunkt im Zentrum des Elektrons liegt,
und setzen:
“
2" =r cosin ©,
(57) x" =rsin O- cosin V,
y" —=r sn O'-sin V,
wo 7? — z^? Jay? -LFz?-—a?--a?--£2, und wo auf der Oberfläche der Kugel r — a zu
nehmen ist.
Die Achse z'" soll mit der Linie O-M zusammenfallen, welche den Anfangspunkt
des im haume festen Koordinatensystems mit dem Zentrum des Elektrons verbindet, die
x-Achse soll in die z-y-Ebene des im Elektron festen Systems z-y-2 fallen; dann ist
die Lage des neuen Systems voilstindig bestimmt, und man hat in den Substitutions-
gleichungen:
257
4.
q — q'' - cos (2, x) + y - cos (v, y") + 2" - eos (m, 2‘),
(98) y — a" * cos (y, ^^) + y" - cos (y, y") + 2" - eos (y, 2"),
g — q'' - cos (2, 2) + y" - eos (e, y') + 2" - cos (2, 2°‘)
noch die Koeffizienten zu berechnen. Jedenfalls ist:
x e TL Dr j TAS] NA t
(59) cos (z, 2 )=r7 cos (y, 2 )—um cos (2, 2 7
Die z"- Achse steht zur y'"- und z'"-Achse senkrecht, außerdem aber auch zur z-Achse;
es ist also:
(60) sosiny (zu, 2) 0,
und die drei genannten Achsen liegen in einer Ebene, so daß:
Verne
(61) cosin (2, y^^) = sin (e; 2") = sin 2, 7) — En
Die übrigen Koeffizienten ergeben sich aus den elementaren Formeln der orthogonalen
Transformation; man findet so durch leichte Rechnung:
1 u 4d dg
= pen T— eb e Eg),
10032 " “u
1
ee icon
wo zur Abkürzung o — V£
mittelst (57):
en T sin © cosin P— £ t sin Osin W+ Eo cosin 0),
(63) Dem 7 (€ Tsin Ocosin V — —5 sin Osin V 4- y o cosin 6),
0
7
m 0 + g? sin O sin V + £ o cosin 9).
zZ
Die Koordinaten z, y, z kommen in g nur vor, insofern sie in R eingehen; man findet
sofort aus (63):
P—(G BG du Go
P4 DLB(E nd 20
r* -- T? - 2r T cosin 9.
|
(64)
Ferner ist:
if
Or
(642) cosin (r, z) = — E (£ o cosin O — n Tsin O cosin Y' — £ £ sin O sin V^),
und:
(649) cosın (R,x) =
z+E o&(rcosinO -- T) —5r T sin © cosin Y— ZErsin Osin V
R o T Vr? 4- T? 4-2 r T cosin O :
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt. 34
258
Dieser Formeln werden wir uns sofort zur Ausführung der in (55) verlangten In-
tegrationen bedienen. :
Vorweg bemerken wir noch, daß es bei diesem Integrationsgeschüfte notwendig wird,
zu unterscheiden, ob die Geschwindigkeit, mit der sich das Elektron bewegt, größer oder
kleiner als die Lichtgeschwindigkeit c ist. Wir nehmen zunächst das letztere an, setzen
also zunächst Bewegung mit ,Unterlichtgeschwindigkeit^ voraus. Wir defi-
nieren dieselbe durch die Bedingung:
(65) DUM.
welche aussagt, daß der vom Lichte in der Zeit v zurückgelegte geradlinige Weg stets
größer ist, als die durch (51) definierte Entfernung des Anfangspunktes O vom Anfangs-
punkte des Systems z, y, z. Die Bedingung (65) ist sicher immer erfüllt, wenn die Be-
wegung des Elektrons mit einer Geschwindigkeit v geschieht, welche kleiner als c ist, denn
der vom Elektron beschriebene Weg ist im allgemeinen nicht geradlinig und somit größer
als 7. Aber auch für »>c kann die Ungleichung (65) noch erfüllt sein; auch derartige
Bewegungen sind daher in unsere Bedingung (65) für ,Unterlichtgeschwindigkeit mit
eingeschlossen.
Wir gehen jetzt zur näheren Behandlung der in (56) angedeuteten Integrationen
nach © und Y über. Es war q selbst nach (34), bzw. (52), (52?) und (52^) als ein in
Bezug auf die Variable r gewonnenes Integral gegeben. Die Integration nach 7 kann,
solange v, d,, v, als Funktionen von £ ganz allgemein gelassen werden, nicht weiter aus-
geführt werden; Vereinfachungen sind also nur durch Vertauschung der Integrationsordnung
möglich: wir denken uns zuerst die Integration nach © und V, und dann die nach c
ausgeführt. Die dabei zu berücksichtigenden, je nach dem Werte von v verschieden zu
wühlenden, Integrationsgebiete, sind uns durch die in 8 6 aufgestellten Ungleichungen
vollkommen definiert.
Wir haben demgemäß die sukzessiven Lagen des Elektrons im Raume genau zu ver-
folgen, und zwar zuerst unter Annahme der Ungleichung (65), d. i. für Unterlicht-
geschwindigkeit.
Erste Lage. Für v — 0 ist 7— 0, und für kleine Werte von z kann a>2cr
und & — T angenommen werden. Der Mittelpunkt des Elektrons befindet sich in der
Entfernung 7 vom Anfangspunkte Ó, um den eine Kugel mit
dem Radius cr gelegt werde; diese Kugel liest ganz im
Innern einer konzentrierten Kugel mit dem Radius a — cr.
Die letztere befindet sich ganz im Innern des Elektrons,
d. h. der Kugel mit dem Radius « und mit dem Mittelpunkte
JM, denn die kürzeste Entfernung A-.B (vgl. Fig. 1) zwischen
den Peripherien beider Kreise ist gleich:
a— T —(a—c:) — 6c: — T2 0 nach (65).
Die Kugel mit dem Radius a — cr teilt das Innere des Elek-
trons in zwei Gebiete. In dem einen, das in Fig. 1 vertikal
schraffiert ist, haben wir £ € T 4- a (T -- a — O C in Fig. 1),
also auch a — ec « KR «a -- cr, wenn wieder R die Entfer-
259
nung des Punktes z, y, 2 vom Punkte O bezeichnet; es ist hier also y durch (52°) be-
stimmt. In dem andern (horizontal schraffierten) Gebiete ist R<a— cr, also y durch
(52) gegeben.
Im letzteren Gebiete ist p von z, y, 2 unabhängig, folglich das über dasselbe erstreckte
Integral (55) gleich Null. Das entsprechende, über das erste Gebiet erstreckte Integral
ist die Summe zweier Integrale J, und J,, von denen sich das erste auf die äussere Grenz-
fläche der Kugelschale, d. i. auf die Oberfläche der Kugel mit dem Radius r=« (Ober-
fläche des Elektrons) bezieht, das andere auf die Oberfläche der Kugel mit dem Radius
R=a-—cr Es ist also:
J,— — (fe cos (r, 2) - à? - sin O-d Od V,
worin cosin (r, X) durch (64?) bestimmt ist. Wenn man den zu wählenden Wert von 9
aus (52°) entnimmt, ist zu beachten, daß die Größe r’ jetzt ihre Bedeutung verliert. Früher
nämlich handelte es sich darum, für einen gegebenen Wert von R (also auch für gegebene
Werte von z, y, z) die Integrationsgrenzen den Ungleichungen gemäß zu bestimmen; jetzt
aber (nach Vertauschung der Integrationsordnung) ist eim Wert von v gegeben, und R soll
entsprechend (hier einfach durch die Gleichung R = a — cr) bestimmt werden. Die früheren
Werte 7’, z^, 7‘, z1* kommen daher jetzt nicht weiter in Betracht; man findet so:
jr e Eee: v [ir — (cr — R)?] eosin (n, 2) - sin O - —-
Setzt man hier für /? und cosin (n, ©) = — cosin (r, x) die Werte (64) und (64*) ein
(wobei in ersterem r — a zu nehmen ist), so läßt sich die Integration nach Y ausführen,
und infolge der Relationen:
97 2% 2z
feosin V d P — 0, fsin Vd V, — 0, fd P — 2n,
[IU U Ü z
ergibt sich:
zm
yn Ua Het RE + 2er— | sin O cosin O d O.
0
Auch die Integration nach © ist ausführbar, denn das Glied mit 2cr fällt ganz
heraus, und es ist
(66) f sin © cosin O d ©
V®+ T? 4- 2a T cosin 6 3a Y
(a? + 1? —a T cosin ©) Ya? 4 T? 4-2a T cosin O,
f Va? 4- T? -- 2a T cosin O. sin O cosin Od O
(66°)
IE cum + T? 4- 2a T cosin Oy?» (a? + T? —34« T cosin 9)
also durch Einsetzen der Grenzen O0 und z:
(67) f sin O cosin O d O t 2 gu
Va? -- T? -- 2a T cosin O 3
34*
260
7
DA B :
(672). VeFPrFrTon ©. sin Ocosin 040 — 1s 3 0 apio TIO
[U
Mit Hilfe dieser Formeln drückt sich J, durch eine Funktion 4,,(a,f) aus, die durch
die Gleichung:
(68) 9$, (o,f) — er —102 + 5e)dr
0
definiert sei, wo sich das zweite Argument von 4, darauf bezieht, daß auf der rechten
Seite unter dem Integralzeichen eine Funktion von £ steht; es ist:
(68*) J, — 9. (f t).
Um das auf die Kugel mit dem Radius R — « — er bezügliche Integral zu behandeln,
führen wir Polarkoordinaten R, ©, V^ mit dem Mittelpunkte O ein, und zwar mit Hilfe
eines rechtwinkligen Systems, dessen Achsen den oben benutzten Achsen z^, y', 2" parallel
sind; d.h. wir setzen, analog zu (63):
z-4-é-— E (—n T'sin O' cosin P' — £ Csin O' sin" + £o cosin O^),
(69) y+n= E (£T sin O'eosin V — sin O' sin Y" -- 3 o cosin O^),
" R es es ; N,
E bm + o? sin O' sin Y^ 4- £ o cosin O^).
Dann ist:
(692) cosin(R,x) = "lil s m n T sin O' cosin V' — £ £ sin O' sin?" + £o cosin ©‘)
und (da hier cosin (n, x) = + cosin (R, x) zu nehmen ist):
J, — — V (o - cosin (R, x) (e — c 1 sin O' d O'
0 0
2x zo
(70) — _. = far fa Ju Ic — (ex — Ry] cosin (R, x) - (a — er)sin O' d' O,
Ü 0 0
wo nun A -— «4 —c: zu setzen und die Integration nach Y auszuführen ist; also:
x
afe e fere sin Ó' cosin O' d O'.
0
(709) jm IE
- 8a?
Hier ist auch die Integration nach O' ausführbar, und es ergibt sich J, — 0. Für
LAMPS TEE :
t«.— gilt somit die Relation:
2c
(71) g.— (ffodzdydez-— Du (bh),
wenn die Integration über das Innere des Elektrons ausgedehnt wird, und wenn 9, wieder
durch (68) definiert ist.
261
Weitere Entwicklung der ersten Lage. Es ist cr<a<2cr. In dem horizontal
schraffierten Gebiete (Fig. 2) ist wieder p von x,%, 2 unabhängig, also das betreffende
Raumintegral gleich Null; in dem vertikal schraffierten Gebiete dagegen ist wieder der in
(523) angegebene Wert von @ zu benutzen, so daß die Formel (71) für das ganze
Intervall 0 « £ « gültig bleibt.
[4
Zweite Lage. Wächst v weiter, so wird cz >a, während T' (stets « c v) zunächst
noch kleiner, als a bleibt; es ist dann ez — «a « a — T, d. h.:
(72) cv-bT «3.
Die Kugel mit dem Radius R=cr—a liegt also ganz innerhalb der Kugel
R=a—T (und letztere berührt die Kugel r — a von innen). Auch hier wird das
Elektron durch die Kugel R= er — a in zwei Gebiete getrennt; in dem vertikal schraffierten
(vgl. Fig. 3) ist ez — a «& E «cv -- a, also der entsprechende Beitrag zum Potentiale 9
durch (53°) bestimmt; im andern (horizontal schraffierten) Gebiete ist AK «cr — a, also
der fragliche Beitrag gemäß (45) unter Berücksichtigung von (53) zu berechnen; dieser
Beitrag ist also gleich Null, und es kommt genau wie in der ersten Lage nur auf das
Gebiet
cert—a<R<ct+tua
an, in welchem der Beitrag zum Potentiale y durch die Gleichung:
Be
ge
A [a® — (cr — Ry] dr
gemäß (53°) bestimmt wird, also genau wie in der ersten Lage. Wir erhalten durch An-
wendung der Gleichung (55) wieder zwei Oberflüchenintegrale J, und J,. Das eine (Jj)
bezieht sich auf die Kugel r — « und ist wieder durch (68) gegeben; für J, gilt wieder
die Gleichung (70), in der nur jetzt R=cr — a (statt früher a — cr) zu setzen ist; dann
aber wird der unter dem Integralzeichen stehende Faktor:
262
La? — (er — Ry]
gleich Null, und folglich J; — 0. Da nun auch in der ersten Lage J,—= 0 gefunden
wurde, so gilt folglich die Formel (71) auch für die jetzt betrachtete zweite Lage.
Der Gültigkeitsbereich dieser zweiten Lage ist durch die Ungleichung (72) definiert;
da v stets an die Bedingung 0 <r< gebunden ist, so wird diese Ungleichung so lange
bestehen, wie das ganze Intervall O<r<t in den Bereich der Ungleichung (in der T
eine Funktion von v und £ ist) fällt; bei wachsendem £ wird schließlich nur ein Teil
dieses Intervalles brauchbar, letzteres selbst also durch den Wert ?", welcher als Wurzel
der Gleichung:
(722) (et Die: — 2a
bestimmt ist, in zwei Teile geteilt; für O<r<t’ gelten die Resultate der ersten
und zweiten Lage; für f? « z « t kommt die folgende Lage in Betracht. Dabei ist der
Einfachheit halber vorausgesetzt, daß die Gleichung (72°) nur eine brauchbare Wurzel
hat; bei der vollkommenen Unbestimmtheit der Funktion 7 können hier die verschie-
densten Möglichkeiten eintreten; an der Hand einer geometrischen Integration der Glei-
chung (723), wie wir sie sofort bei der dritten Lage besprechen, wird man sich in jedem
einzelnen Falle leicht über alle Móglichkeiten Rechenschaft geben kónnen. Für die erste
und zweite Lage gilt also die Gleichung (71) für 0 «f.
Dritte Lage. Bei weiterem Wachsen von v wird nicht nur cv 7 a, sondern auch
ert-- T2 a werden, so daß die Ungleichung (72) nicht mehr erfüllt ist, aber 7' noch
kleiner als « bleibt. Der Punkt O liegt jetzt noch innerhalb des Elektrons. Letzteres
wird von der Kugel R=cr—.a geschnitten und in zwei Gebiete geteilt; in dem einen
(in Fig. 4 horizontal schraffierten) Teile ist der Beitrag von o gleich Null (da R<cr-—a),
in dem anderen (wo R>cr—.a und r «€ a) ist der Beitrag von o nach (53?) zu berechnen.
Für die Berechnung des Integrals über das Volumen des Elektrons tritt keine weitere
Änderung ein, wenn r so weit wächst, daß auch T^ « wird (z. B. Fig. 5); dann liegt O
l) Es ist hier vorausgesetzt, daß 7 mit wachsendem z im wesentlichen wächst; es wäre denkbar,
daß andauernd T'«Za bleibt, so daß das Elektron sich nie um mehr, als die Länge eines Radius beträgt,
von der Anfangslage entfernt; dann gilt die Gleichung (71) unbegrenzt für alle Werte von t.
263
außerhalb des Elektrons, und die Kugel wird, so lange cr — a « T' -]- a. bleibt, wieder in
zwei Teile zerlegt. In dem vertikal schraffierten Gebiete ist:
(73) 0 <cer—a<R<T+ta<cer-ta,
also o wieder durch (53?) bestimmt, wenn das bei der „ersten Lage“ über v' Gesagte
berücksichtigt wird; in dem horizontal schraffierten Gebiete ist R<cr— a, und dem-
nach o aus (52°) zu entnehmen; d. h. dieses letztere Intervall liefert keinen Beitrag zu
dem Integrale von 9, und wir haben nur das erstere Gebiet zu berücksichtigen. Dasselbe
wird von den Kugeln E — c: — a und r — a begrenzt; demnach zerfällt das Integral in
die Summe Jı + Js, wo:
Ji — — (fe - cosin (n, 2) -à9sin Od O d 'P fürn —a,
Js — — ff 9 - cosin(n, z) -(a — er)’ sin O' d O'-d Y^ für R=a—cı.
In Jj ist cosin (2, 2) -—5 durch (64*) gegeben; in einem Schnittpunkte beider
Kugeln (vgl. Fig. 4 und 5) ist O — ©, wenn ©, durch die Gleichung:
(73°) (a — cv)? — a? -- T? -- 2a T cosin 6,
definiert wird. Als Beitrag unseres Gebietes finden wir also, wenn z” entsprechend ge-
wählt wird:
2x7 [0)
i 2 1
; Sec 2 ECL
Jig (as av [pe — (er — 817,5 6-46,
;0 [uU U
worin R wieder aus (64) bekannt ist.
Die untere Grenze z? bestimmt sich dadurch, daß für das Intervall O0 « v « v? die
Resultate der ersten und zweiten Lage zur Anwendung kommen müssen. Nun war die
Grenze zwischen zweiter und dritter Lage durch die Ungleichung (72) definiert, die für
die erste und zweite Lage gelten sollte, während in der dritten Lage:
ez" T2a
wird; es ist demnach 7? als Wurzel der Gleichung:
(13) Gus T. — 2,
als Funktion von £ zu definieren. Natürlich ist hierbei vorausgesetzt, daß diese Gleichung
eine Wurzel z? zuläßt, die kleiner als £ ist; darüber verschafft man sich in jedem ein-
zelnen Falle durch eine geometrische Interpretation des zwischen £ und v gemäß (73^)
bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses leicht vollkommene Klarheit; wir kommen darauf
sogleich bei Betrachtung der Figuren 6 und 7 zurück (vgl. auch unten die Beispiele in
8 12, 13 und 14).
Die in J; verlangte räumliche Integration ist ganz wie bei der ersten Lage aus-
führbar. Man hat, indem man den Wert von cosin ©, aus (73°) einsetzt und die unbe-
stimmten Integrale (66) und (66°) benutzt:
264
9
" -[ sin O - cosin O. d O
; ‘Ve -- T? --2a T cosin ©
—ggi qul +) — (0 — 63) (à —6) —2( 4 T) 4 P —a TJ]
—;3qBG—c90m 822]
9
U, — f Va? + T? + 2a T cosin O - sin © cosin 0d O
Ö
1 5 :
— 3g qi qs L9 (€ FD) —3(a — ey (a—exy — 2(T ay (à t T? —3a T)]
also: :
Ü Sec E] 2 5
(74) IR i fee — o o) U, — U;] 7; d*.
z0
In analoger Weise wird J5 gefunden, indem man in Ja, d.i. in (70), die obere
Grenze z des nach Ó' genommenen Integrals durch ©; ersetzt, wobei nach Fig. 4 und 5
der Winkel ©; aus der Gleichung:
(749) a? — (a — cr) + T? — 2 (a — cr) T cosin O1
zu entnehmen ist. Dabei ist in (70) R gleich ev — a zu setzen; dann verschwindet aber
der unter dem Integralzeichen stehende Faktor a? — (cv — R)’; das Integral J? ergibt
sich folglich gleich Null. Da die Funktion g. gleich dem von 0 bis 4 genonnenen Inte-
grale ist, so ist für das Intervall O0 « v « :?, wo s? durch (73") definiert war, die frühere
Formel (71) anzuwenden, für das Intervall v? « v « £ aber die Funktion (74), d. h.:
3Ec "E ^ 3.9 7T
5 [7 [(aà — $23) U, — D,]dr.
10
(75) d», (a, t) =
Es wird also für die dritte Lage:
(76) qz = due, + d», (t, t),
wobei 7° durch (73®) bestimmt wurde.
Dieser Ausdruck ist anwendbar, solange das Elektron von der Kugel mit dem Radius
KR — c: — a geschnitten wird, d.h. solange für alle Werte von z zwischen ?? und ? die
Ungleichung ez — a « T 4- a erfüllt ist; der äußerste Wert von vz, bei dem dies noch
stattfindet, ist die kleinste Wurzel v', welche — 7? ist und der Gleichung genügt:
(77) ev—a — T 4a.
Ist diese Wurzel v', welche selbst im allgemeinen Funktion von / ist, größer als f,
so ist dieselbe nicht brauchbar, da die Variable z notwendig an die Bedingung v «f£
gebunden ist; dann gilt die Gleichung (76) für alle Werte von £, die der Ungleichung
i«1' genügen, und durch die Bedingung:
(78) t=t oder ct=T,-,ı+2a
ist ein Wert £^ bestimmt, bis zu welchem £ wachsen kann, ohne die Gleichung (76) zu stören.
265
Für £>#‘ wird zugleich (vgl. unten Fig. 6 und 7) v' &« £, und es tritt die sogleich
zu besprechende vierte Lage ein.
Vierte Lage. Wenn die erwähnte Wurzel z' kleiner als £ ist, so wird für £2 «'
das betreffende Integral wieder gleich Null (indem die Funktion unter dem Zeichen ver-
schwindet, da dann er — a — KR für v' « v « £), und wir erhalten:
(19) Qr — $,. (20 0) dE Ds, (^; t), ,
wo O9, und 9, bzw. durch (68) und (75) definiert sind.
Zusammenfassend haben wir also für das dreifache Integral von 2,
erstreckt über das Innere des Elektrons, die Werte:
(80) aes Mr) für 0 «t« f,
(81) $.—0,,(9,0--0,,(2) „ m«txt,
(82) Qs Dis) d) , rxex
wobei vorausgesetzt ist, daB die Kurve so verlüuft, wie es in Figur 6 und 7
schematisch dargestellt ist.
MENO
Für die Integrale von cm und > gelten ganz analoge Formeln; man hat nur £
2 ; 2
[5]
bzw. durch n oder £ zu ersetzen.
Es empfiehlt sich, diese Verhältnisse an einer Figur zu veranschaulichen. Wir wählen
die Variabeln £ und z als Koordinaten, £ als Abszisse, v als Ordinate, und zeichnen die
Gerade £ — v und die Kurve (77), d.h. ez — T' -- 2a, und die Kurve ez -- T —2a. In
dem vertikal schraffierten Teile der Ebene ist v — /; derselbe kommt daher für die Inte-
gration nicht in Betracht. Verlüuft die Kurve (77) so, wie in beistehender Figur 6, so ist
in den schräg schraffierten Intervallen £ selbst als obere Grenze des Integrals P; bzw. d»,
zu wählen, in dem horizontal schraffierten Intervalle dagegen z*.
T
Fig. 6. Fig. 7.
Man könnte einen Moment zweifelhaft sein, ob diese Resultate auch gültig bleiben,
wenn die Kurve (77), nachdem sie in Fig. 6 die Linie =t an der Stelle £ — /" über-
schritten hat, nicht so verlàuft, wie in der Zeichnung angenommen wurde, sondern mit
wachsendem f£ fällt. Wenn nämlich zur Zeit =’ die entsprechende Lage des Elektrons
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt. 35
266
erreicht ist, so wächst die Variable v sicher weiter über # hinaus; fällt also die Kurve mit
wachsendem £, so daß z'«' ist für £>#, so können diese Werte 7‘ unmöglich eine
physikalische Bedeutung haben. Diese Überlegung ist aber nur scheinbar berechtigt.
Wie nämlich zu Beginn von $ 6 hervorgehoben wurde, ist das Elektron zur Zeit f an der
durch den Wert v — 0 gegebenen Stelle und zur Anfangszeit ? — 0 an der jetzt durch
den Wert zr — £ markierten Lage. Ist daher <t‘ für £>t‘,. so sagt dies aus, daß der
nachwirkende Einfluß der zu Beginn der Bewegung herrschenden Verhältnisse jetzt ein
anderer ist, als im Falle z' >, und daß infolgedessen das Intervall z' & « « £ ( 7 1") keinen
Beitrag zum Integrale liefert, indem jetzt 7‘ die obere Grenze des Integrals wird. Für
jeden Wert von £ (als Abszisse) ist also die zugeordnete Ordinate zur Dar-
stellung von r zu benutzen, und der auf ihr liegende Wert von z' (Schnittpunkt mit
der Kurve cz — T' 4- 2a) kommt für die Rechnung in Gleichung (74) allem in Betracht.
Schneidet also die Kurve (77) die Gerade £ — xr nochmals (in #, ^, 27), wie in
Figur 7, so haben wir:
quc (RL De (io) Kur,
sed. HL DEN, PER E
el LU EUM
DE (aos Doz (ae) MU Tr
(83)
: : . EEE : . 2a.
Anders ist es, wenn die Gleichung (77) eine Lösung v' hat, welche kleiner als — ist;
6
dann ist aber (7), 2. — cev' — 2a « 0; d.h. T' würde negativ sein, also 7’ durch 0 hin-
durchgehen, und das Elektron rückläufig werden. Solche kompliziertere Bewegungen
bedürfen einer genaueren Untersuchung in jedem einzelnen Falle.
Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß entsprechende Formeln und Überlegungen
: : Ses 5 6 299 28 : ;
für die dreifachen Integrale oy, y. der Differentialquotienten ay E Gültigkeit haben.
88. Das Vektorpotential 9( für Translation mit Unterlichtgeschwindigkeit
bei Volumladung.
Neben dem skalaren Potentiale 9 haben wir die drei Vektorpotentiale Vz, 9[,, X:
zu untersuchen, welche durch die Gleichungen (2) definiert werden.
Diese Gleichungen entstehen aus (1), indem auf der rechten Seite bzw. der Faktor:
TRI dE
Oc v
hinzugefügt wird, wo b;, vy, v. gegebene Funktionen von z', y', 2’ und f sind, und nach
Einführung der Koordinaten z, y, nur noch von £ abhängen.
Führen wir wieder das mit dem Elektron fest verbundene System z, y, 2 ein, so
genügen also 3G, A,, 9(. den Gleichungen, welche aus (6) entstehen, wenn man rechts die
gleichen Faktoren hinzufügt. An Stelle von X; führen wir eine Hilfsfunktion W; ein, die
der aus (11) in derselben Weise hervorgehenden Gleichung zu genügen hat, nämlich:
267
AN, 89305 dv, — A,
— E 8s?
E 9x dt — 28 2t" BE
9? 90
(84) ray
0, 0, — c: 42 MEER EUN githz--ly-d- mz).
Diese wird wieder auf eine zu (18) analoge Gleichung zurückgeführt; es ist dann
in (23) rechts wieder c® durch cd, zu ersetzen, und demnach wird in (27) die rechte
Seite in der Form:
1 : ; E
— [v. (u) - eiS*G-- 2 sin es(t —u)du
S
i
TU RU ; "E.
— o. — 2 e*t. sinescdr
E
0
erhalten; und schließlich ist (34) zu ersetzen durch:
t
eec LE =
358.
(85) 9r, —
2m
wo S und R die früheren Bedeutungen haben; und zwar ist K durch (34^), S durch (43).
(44) bzw. (45) definiert; in v, ist unter dem Integralzeichen ? durch £ — v zu ersetzen.
Die Einteilung des Raumes in verschiedene Gebiete ist hier, ebenso wie vorhin bei
Berechnung von g, zu berücksichtigen. Man hat folgende Fälle zu unterscheiden:
Ds reme a.
1. R<a— cr (also auch E « a) im Intervalle 0 « : «£ für hinreichend kleine
Werte von f:
i
je — 94s
4 za?
0
(86) x, =
nach (34) und (44), analog zu (52);
2. ag —ecer« E «a-- cs im Intervalle z' &z «£, analog zu (522):
- 3
(869) =; D z. afin ler EI CE
nach (34) und (43);
3. a g- ex € FK, analog zu (529):
1
(865) x ne 2 js
i 2 2? a.
nach (34) und (45), indem diese Formel aus (86°) für {= 7" hervorgeht.
IL ez a.
1. R<cr—.a, analog zu (53), ebenso wie im vorigen Falle:
96
» (. E
(87) ogg dnt dr
nach (34) und (45);
ODE
268
2. cv -a<R<cr-+a, analog zu (539):
Tu Hu
3
(879) X — sj" t )24c4 gs (Aso [i — (ec Ry] 8
0 a
nach (34) und (43);
3. ev d- a « RE, analog zu (30), indem in der vorhergehenden Formel ? — :!Y ge-
setzb wird:
IV;
RT: E
(87) =, [ut—2 d:
um
nach (34) und (45) für £2 «V. à
Befindet sich die das Elektron darstellende Kugel zur Zeit v teils in einem teils in
einem anderen der hier gekennzeichneten Raumgebiete, oder genügt für einen gegebenen
Wert von R ein Teil des Intervalls 0 « « «£ der einen, ein anderer Teil einer anderen
Ungleichung, so müssen für diese verschiedenen Teilintervalle verschiedene Werte von 93[,
angesetzt werden. Das ist besonders bei den zu verlangenden Integrationen über das
Volumen des Elektrons wichtig.
Es handelt sich aber nicht um die Integration der Funktionen 9(,, 9(,, 9(, sondern
U;
um die Auswertung der dreifachen Integrale ihrer partiellen Differentialquotienten c
9 3L.
ay'
ihren partiellen Differentialquotienten, und zwar auf Grund der obigen Relation (55);
een, T)
[4 [5
Dieselbe geschieht in ganz derselben Weise, wie bei der Funktion o bzw.
unter dem nach r genommenen Integrale ist nur überall der Faktor
needs - s " ; - uM
Dre 1) hinzuzufügen. Die betreffenden Integrale bezeichnen wir mit Az, Ay, ...,
C
die dabei einzuführenden Funktionen mit 7^.., 7^,,, ... Man erhält so die folgenden
Resultate:
Erste und zweite Lage: 0 «£«/?, wo /? durch (72?) definiert sei. Es ist, wie
in (71):
(88) EI IN zdzdyde — Vis (60)
wenn analog zu (68):
(889 Ya) [ve —925(m —102$4-56:)dr fü o<i<t;
und ebenso:
(89) Ay ydz —W,, (tt),
wenn:
a
(899) woo D) ij" (—3)q (T? —1028 4-5 23) dz.
0
269
Dritte Lage: ! <t<r‘, wenn z' wieder durch (77) definiert ist:
(90) vA) — V, cc (c9 2) T uo (t, 0,
wenn analog zu (75):
t
; 3 € 5 3 2_2
(903) V, (a, t) —— A (— 9) 5 la — &:9) U,— Uj] dv,
Q0
und ebenso:
(91) Ary—= V, ry GA V5 sy (, Ü,
wenn:
i
3 € 7 2 2.9
(919) ure (orem is f». (t—9 5 [e? — 2) U,— U,] dv.
z0
Vierte Lage: £2 :', analog zu (79):
(92) PA — c 2, 0 z Ve 5n 2),
(93) zy — Vy (09, 0) 37 Vt, (^, D).
In Betreff der Bedeutung der GróBe z' und anderer damit zusammenhüngender Fragen
kann auf die früheren Erörterungen (vgl. den Schluß von 8 7) verwiesen werden.
Die den bisherigen Rechnungen zu Grunde liegende wichtige Formel (55) ist nicht
mehr anwendbar, wenn es sich um die Integration des partiellen Differentialquotienten
9 3.
ot
deshalb nicht auf ein Doppelintegral zurückführen; es gelingt dies aber teilweise durch
die folgenden Erwägungen.
Es hängt X, explizite von R und t ab; in R wiederum geht # dadurch ein, daß R
eine Funktion von z--£, y 4- 5, 2 4- £ ist, und daß £, y, € gemäß (26) von £ abhängen.
Das von 0 bis £ nach der Variabelen z zu nehmende Integral, durch welches X, nach (85)
dargestellt ist, zerfällt zufolge der in $ 6 für die Funktion y bei den Gleichungen (52)
bis (53^) angestellten Überlegungen in eine Summe von einzelnen Integralen, deren Grenzen
T', 1"... selbst wieder Funktionen von f£ sind, da sie durch Gleichungen der Form:
über das Innere des Elektrons handelt; das betreffende dreifache Integral läßt sich
er ele puo arse -— 07
bestimmt werden. Auch diese Grenzen sind also Funktionen von £, aber nicht explizite,
sondern nur insofern, als sie von R abhängen. Bei der Differentiation aber kommen diese
Grenzen nicht in Betracht; denn die Funktion $ ist nach (43), (44) und (45) an ihnen
stetig. Ist z. B. ein Wert v, durch die Gleichung R+cr=a bestimmt, so wird für
: —31, und R+cr>a nach (43):
TOMOS cto
S=— : ;
2 X0 Ja
d. h. gleich demselben Werte der sich für R+cr>a aus(44) ergeben würde; da nun r,
einmal als obere, das anderemal als untere Grenze auftritt, so heben sich die durch Differen-
tiation der Grenzen entstehenden Glieder fort. Ebenso ist für « 2 ev — KR. und a — ex —R,
270
nach (43) S — 0, für a<cr— R aber nach (45) ebenfalls S — 0. Wir brauchen also
bei Bildung von E nur die obere Grenze £ und die Funktion unter dem In-
tegralzeichen zu berücksichtigen. Man erhält aus (85):
223a39L _ (7 IR jer de 1n «Fata.
€ ot
denn für die untere Grenze v — 0 verschwindet die Funktion 5S nach (44). Auf das letzte
Glied wenden wir die partielle Integration an und erhalten:
S
t h i i e s
Soo eso TOI E E i)
go d4--[5s = —w Og) fse—» 2a
0 0 0
also:
(94) Seal. P a) Gr) di:
d
Hierm ist nach (26):
Ss (Est a (5
R Mi R 1 (55) i)
ot ora m RAN a R
wobei mit © dasjenige bezeichnet ist, was man erhält, wenn man bei der Differentiation
oT
(e+ Se d- (d 1) ty Ge O9) a
von S die Größe R als konstant betrachtet.
Was soeben über die Differentiation der Grenzen nach £ gesagt wurde, gilt ebenso
bei der Differentiation nach x; es ist also:
und entsprechende Gleichungen gelten bei Differentiation nach y und z. Sonach folgt
aus (94) die später wichtige Relation:
i
99( 29C 2 3(. 2 3L, 2 a
(95) re b. — 2y Dy cas ae = a »t- (35 eS
0
ci
und hierin ist für ES einer der aus (43), (44) und (45) sich ergebenden Werte einzu-
setzen, nämlich:
271
(96) c3 =— zen im Falle (43),
S zcR
(962) e) = 5 " b] (44),
NN S
(965) a) lab):
Wenn jetzt das dreifache Integral von a genommen über das Innere des Elek-
trons, zu berechnen ist, so haben wir uns nur noch mit dem Integrale:
(97) | fas ava [ee
zu beschäftigen, denn es ist das gesuchte Integral:
336 x
i E a da dydz
infolge von (95) gleich:
(98) At 0s Ass: + vy Acy+ Vi Au. Vo.
Zur Berechnung von JV; haben wir wieder die verschiedenen móglichen Lagen
durchzugehen:
Erste Lage: 2cr<a. In Fig. 1 (vgl. oben S. 258) ist dasjenige Gebiet vertikal
schraffiert, in welchem:
a—cr<R<a+tecr und zugleich r<a
ist, so daß hier die Formeln (43) und (96) anzuwenden sind. Das hierauf bezügliche drei-
fache Integral, das wir V; nennen wollen, ist über die Kugelschale auszudehnen, welche
nach außen von der Kugelflüche r — «, nach innen von der Kugelflüiche R=a— cr
begrenzt wird. Wir führen mittels (69) Polarkoordinaten R, ', V" ein; dann variiert
(bei gegebenem Werte von O') R von R=a— cr bis zu einem durch die Gleichung:
(99) a? — BH --1?-—32.R,T cosi ©‘
bestimmten Werte R, (und zwar ist das positive Vorzeichen der betreffenden Quadrat-
wurzel zu wählen); €' läuft von 0 bis z, V" von O0 bis 275 also:
t t
pts a cede se Jin m nanjar
zt
0 0 a—cr
1
€)
(100) —— Mes Wen See E emoimr H dO";
0 0
Hierin ist nach (99):
7 — a? — T? + 2 T? cosin? O' 4- 2 T cosin O' Va? — T? sin? O',
also:
272
(101) [€ sin O' d O' = — (a? — T?) cosin O' — 2 T? cosin? O' — -- (a? — T? sin? O')’%,
(1012) [Rsino' ae —9g -— 7;
ferner:
(102) Ri — 3 (a? — T?) T cosin O' + 4 T? cosin? O' + (a? — T? 4- 4 T? cosin? O") V a3 — T?sin? O'.
Bei der Integration nach O' haben wir uns der Formeln
[ve — T? sin? O' sin O' d O' = — 1 cosin O' Ya? — T? sin? O'
— — log (T' cos O' + Va? — T? sin? ©"),
(102%) [ve = T? sin? O' cosin? O' sin O' d O'
(a? — T?y — — M
ETSI log (a? — T? +2 T? cosin? O' + 2 T cosin O' Va? — T? sin? O")
E gp — T? + 2 T? cosin? ©') cosin O' Va? — 1? sin? O^
zu bedienen; dieselben ergeben:
a?— T? cpi
2T 08a -k T'
[ve — T? sin? O' sin O' d O' 22a —
(1025)
[Ve — T? sin? O* cosin? O' sin 40 — ^. u E 2 + I log E D
c
0
und folglich, indem sich der logarithmische Ausdruck heraushebt:
(103) [Rsin 040 — 2,
sonach schließlich durch Einsetzen in (100):
t
iz [n (—2- [I? —68 9? --6(a—ccy]-ec- dz.
0
Es bleibt das zweite (in Fig. 1 horizontal schraffierte) Gebiet zu betrachten, das bei
(104) y,—
> 99... ; . : : :
Integration von — keinen Beitrag lieferte, jetzt aber einen von Null verschiedenen Wert
e.
ergibt. In diesem Gebiete ist R<a— cr; es kommen also die Formeln (44) und (96°)
zur Anwendung; den Beitrag zum Integrale (97) bezeichnen wir mit V7: dann wird:
275
i a—cc 27
yim Aet ons fran fanorae fu
(105) 3
1
— "sns (£ — x) - (a — e x)? d «.
a
0
In (98) ist schließlich:
(106) pn
unter Benutzung der in (104) und (105) angegebenen Resultate einzusetzen, um den ge-
suchten Wert von A,: zu erhalten.
Weitere Entwicklung der ersten Lage: ee Wie bei den früheren
Betrachtungen tritt hier nur eine Änderung in der Zeichnung der zugehörigen Figur ein,
nicht eine Änderung der sonstigen Betrachtungen (vgl. oben Fig. 2) Man hat daher:
(107) V.— Vi Vi Wia(50 für 0<E<,,
wenn die Funktion Y gemäß (104) und (105) durch die Gleichung:
"teres d eed it Ll icc EE
0
(108)
2 fee: [4a3— 6a?ct .- 1? Fer T?] d x
— 4$
0
definiert wird.
Zweite Lage: cr a, T<a, ev-- T<2a, wie oben in (72); vgl. Fig. 3. Das
Elektron zerfällt wieder in zwei Gebiete; in dem vertikal schraffierten haben wir ein
Integral V 7 zu bilden, das aus V; entsteht, wenn man in (100) die untere Grenze a— cr
durch er — « ersetzt, also:
t z
D, (— 4f e eom do‘.
0
96€
y——14
ev—a
Bei der JEMEN ne bleiben die Formeln (101) bis (103) unverändert anwendbar;
und man erhält:
1
£C
yl iss [os t— 2) (7? 4- e à — 6a) e: + 4a3] d «.
0
Für das andere (horizontal schraffierte) Gebiet, in dem R<er— a ist, hatten wir
nach (45) und (53) einen verschwindenden Beitrag für das Potential y gefunden, so daß
jetzt gemäß (96®) und (97) für die zweite Lage einfach:
V.—V für
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt. 36
274
zu setzen ist, wenn wieder ? durch (72%) bestimmt wird. Dieses Integral V; ist aber
genau gleich dem für die erste Lage in (108) aufgestellten Integrale. Die Gleichungen
(107) und (108) haben daher für die erste und zweite Lage, d.h. für 0 «£«4,
gemeinsame Gültigkeit.
Dritte Lage: 0 «ec —a« T 4- a, <t<r', wenn v' durch (77) in obiger Weise
definiert ist. Wir haben Fig. 4 zu benutzen; in dem vertikal schraffierten Gebiete ist,
wie in (73):
0 <er— a<k<Tta<crta,
also S durch (43) bestimmt (da ez — R<a<cr oder R—cr<a<cer ist), und e3
T
durch (96). Hier läuft O' von © — 0 bis O' — Oi, wenn ©; durch die Gleichung:
(109) 2 R T cosin 09; =R+T?’—a?
als Funktion von R und 7 (also auch von z und /) bestimmt wird; R läuft von R=cr—-a
bis KE — T 4- a; dieses Gebiet liefert also nach (96) zu dem Integrale V; den Beitrag:
s EU 9a
z5;j«t-22q( nanfnouo Jav
zü cr—a 0
& T+a
x. fü —Harfter— 1) f — cosin 62 4 2,
70 cer—a
oder wenn man den Wert von cosin ©; aus (109) einsetzt:
v, (f£ —
_ _ drop. ( 2n q( (UT +a) — (ev — ay) — 42 T 4-62) (T 4- à — (ev — a)3)
(110) E
+17? — a +2ct T)((T 4- ap —(ex— ay) —(T 4- 2a —ez)ec(T? —a?)]ds.
In dem horizontal schraffierten Gebiete (Fig. 4) ist T —a« R«ccv— a, also R<er
und a<ctr— KR, so daß die Gleichungen (45) und (96") zur Anwendung kommen, dieses
Gebiet also wie in der zweiten Lage keinen Beitrag zum Integrale liefert. Es wird
demnach:
(111) V, = Uu t-r VYsu(tt),
wenn 75,, durch die Gleichung:
3 a = s cmm
(112) V.) — — 5, | 2 = P GT, cx) d:
zo
definiert wird, in der mit @ (7, cr) die ganze Funktion von 7’ und cr bezeichnet ist, welche
in dem Ausdrucke (110) unter dem Integralzeichen auftritt.
Die vierte Lage bedarf keiner neuen Erörterung, da für sie keine neuen Funktionen
benötigt werden, sondern nur die Grenzen einer eingehenderen Diskussion bedürfen, die
ebenso wie vorhin auszuführen ist.
275
89. Die von den Potentialen p und 9( bei Unterlichtgeschwindigkeit
abhängenden Kräfte.
Durch die berechneten Potentiale und 9(, 9(j, A; läßt sich die auf einen Punkt
x, y, 2 durch die Bewegung des Elektrons ausgeübte Kraft darstellen; es geschieht die
dureh die Gleichungen :') ;
E NOUO TEMPE
E ox | c 2% CIO
"D [1 99, 1929; 129,
o) en One or ich 26
2p | 19959, 19%
f; — auis SEXE SEI
welche die drei Komponenten bestimmen; und es ist wieder:
9,0, N: — nz 90; 1 07390 - 1, 917;
also z. B.:
SIORbz s E OU: | CEN]
az
STE: i
acr "oc
Die Kraft f bezieht sich auf die Ladungseinheit des Elektrons; für die Gesamtladung
& ergibt sich also durch Integration über das Innere des Elektrons eine Kraft mit den
Komponenten:
SE —i54 a [ P eau av ae.
(114) ES ZA dxdydz
N. mo ;daodyda.
Die hier verlangten Integrationen sind in den beiden vorhergehenden Paragraphen
bereits ausgeführt. Unter Benutzung der dort angewandten Bezeichnung erhalten wir also:
RE
s: 1 li
(115) RECAP Eee a = eier 0 Arzt oy Acy + Dg Az) — Ast.
Infolge der ne Gleichung (95) lassen sich diese Relationen sehr ver-
einfachen; die Gleichungen (113) nämlich werden:
DU
(116) Qc dE [oe »( Fr
X an? ac
9
worin ($2) durch die Gleichungen (96), (96*) und (96^) für die verschiedenen Gebiete
definiert ist; entsprechendes gilt für f, und f. Ebenso ist die Gleichung (115) infolge von
(98) durch die Relation:
1 Vel. Abraham a. a. O.
276
(117) Uno genu Y,
(und die entsprechenden für %, und %;) zu ersetzen. Wir haben jetzt nur die in 8 6 für
ps und die in 8 8 für V; gewonnenen Resultate bei den verschiedenen Lagen zu verwerten.
Erste und zweite Lage (Fig. 1, 2 und Fig. 3): 0 «£-« t"; dann ist nach (71)
und (107):
Ana?
1
(118) Zar da Dialt, Malt);
hierbei ist ,, durch (68), V^,; durch (108) definiert. Da hier «2 cr und nach (65)
ct >T sein soll, so ist offenbar 4, negativ, wenn v, positiv ist (da dann auch &>0);
ebenso ist nach (108) 7^,, «0 wegen (72. Die Komponente 8; der Kraft ist also
in der ersten Lage eine stets positive (und von Null verschiedene) GróBe; ebenso
ist es in der zweiten Lage. Entsprechendes gilt für , und $.
Dritte Lage: O<cr— a<T-+a, !<t<rt.
Hier folgt aus (117), (79) und (107):
4305.
il 1
3 = Sr mI I [Ca 1) "I 9», (t, Dm EU DEMOS V. (t, 0),
wo nun 9», durch (75) und V^,, durch (108) definiert ist. Die Funktionen ,, und Mar
sind auch hier negativ; ebenso ®,., denn nach (74) kann diese Funktion in der Form:
(1182)
i 9
9'ec f: dt sin © cosin O
18, || Serra ENTER SE
4a T p Va? -- T? 1- 2a T cosin ©
r^
[a — e? :? — (a + T? -- 2a T cosin O)] d O
0
geschrieben werden, worin die eckige Klammer unter dem Integralzeichen offenbar negativ ist.
Um %,: zu beurteilen, zerlegen wir den Ausdruck in die Summe von Y" und V;
es sei:
i
ae 2 £c [2 (dr)
S3 fL
z0
HT + at — (ez — ay) —4(2 T+er)((T-+a)”— (ex — a)!]dr;
dann ist nach (110):
ANLE Ta
ET ar (fp —20: T — a9) R-er(P-ayjaR,
70 er—a
«c
Der Ausdruck in der eckigen Klammer unter dem Integralzeichen in V/ ist gleich:
(T-4-aj[r(T-ra)—&T-——iex]— (ev— ay[i(ev— a) —à T— 1er];
hier sind die beiden eckigen Klammern negativ; das erste Glied überwiegt dem absoluten
Werte nach; die Differenz ist folglich negativ.
Ebenso ist die eckige Klammer in 7“ negativ, denn es ist 7>a und:
Pont ato (Der) ne
277
d.h. <0, da Z «er nach (65). Somit ist auch %..<0; alle Glieder der rechten Seite
von (118?) sind positiv; auch in der dritten Lage ist daher die Komponente $
der wirkenden Kraft (für positive Werte von b,) stets positiv.
Die Gleichung (108°) ist in dem Intervalle 7? <t<r' anwendbar, wenn r’ die kleinste
Wurzel der Gleichung (77) bezeichnet, welche größer als £ ist; diese Wurzel ist aber
(vgl. oben S.265) nicht immer brauchbar; es greifen dann diejenigen Überlegungen Platz,
die oben am Schlusse von $7 angestellt wurden, und die wir hier nicht zu wiederholen
brauchen; wir stellen hier nur nochmals die Resultate zusammen:
Für 0«£« f gilt obige Formel (118), analog zu (71).
Für £?«£-«0, wo t' durch die Gleichung (78) definiert ist, gilt die Formel (118%),
analog zu (76).
Für £ «c «f, wo v' durch (77) definiert ist, haben wir, analog zu (79):
3
(1189) = %%r = — D.(t, 0) — $5. (G6 1) = E Vs (5. 1) — 17 : len, t).
In gleicher Weise haben die früheren Formeln (83) hier ihre Analoga.
Die in Richtung der Tangente der Bahnlinie wirkende Kraft 5, findet man schließlich
für jeden einzelnen dieser Fälle aus der Relation:
(119) v, Sz De + Oy Dy + Ss Us.
$ 10. Das Potential p für Volumladung bei Translation mit Überlichtgeschwindigkeit.
Im Gegensatze zu (65) definieren wir eine „Bewegung mit Überlichtgeschwindigkeit^
durch die Ungleichung:
(120) GUEST |
welche für alle Werte von r und 7 erfüllt sein soll; allerdings kann die Geschwindigkeit
des Elektrons größer als die Lichtgeschwindigkeit sein, ohne daß diese Bedingung erfüllt
ist, z. B. wenn das Elektron eine Spirale um den Anfangspunkt beschreibt, deren Win-
dungen sehr enge sind; eine solche Bewegung fällt unter die Ungleichung (65), ist also
nach unserer Definition als eme Bewegung mit Unterlichtgeschwindigkeit zu betrachten.
Die oben ($ 6) vorgenommene Einteilung des Raumes in verschiedene Gebiete bleibt
hier unverändert bestehen, demnach auch die Gleichungen (52) und (52°). Die verschie-
denen Lagen, welche zu den weiteren Gleichungen führten, bedürfen aber einer erneuten
Besprechung.
Beim Potentiale y kommt es für die Schlußformeln auf die Integrale:
zo ae
[f f£ an ay as, FEST an ava, 5, 4» dy de
an; die Berechnung derselben wird wieder mittelst der fundamentalen Formel (55) auf die
Berechnung der entsprechenden Oberflüchenintegrale zurückgeführt. Wir brauchen deshalb
die in $ 6 für Unterlichtgeschwindigkeit durchgeführten Überlegungen. und Rechnungen
hier nicht in entsprechender Weise zu wiederholen, sondern gehen für Überlichtgeschwindig-
278
keit sogleich dazu über, die in$ 7 ausgeführten Integrationen auch hier in analoger Weise
durchzunehmen. Wir beginnen sogleich mit Betrachtung der verschiedenen durch Un-
gleichungen charakterisierten Lagen:
Erste Lage: Der Mittelpunkt M des Elektrons liest außerhalb der mit dem Radius
c: um den Punkt O geschlagenen Kugel (da T> er ist) Für hinreichend kleine Werte
von r liegt diese Kugel ganz im Innern des Elektrons, denn es ist in Fig. 8:
AB=AM—-BO—-0M=a-—(c-+T),
also positiv für hinreichend kleine Werte von rz. Für diese -
erste Lage sei demnach:
(121) act T.
Nach (120) ist dann auch a >2cr, d.h. er<a— cr,
so daß die Kugel mit dem Radius R=ecr in der Tat so
liegt, wie es in Fig. 9 gezeichnet ist.
Die Kugel mit dem Radius a — cr teilt das Innere
des Elektrons wieder in zwei Gebiete. In dem einen (in
X DADOS Fig. 8 horizontal schraffierten) ist:
C R<a—ct acu a>R,
Fig. 8. folglich kommt Gleichung (44) zur Anwendung, und es
wird o wieder durch (52) gegeben; im Innern des Gebietes
verschwindet ® —L: das Gebiet liefert also zu dem Integrale p, keinen Beitrag.
ex
In dem andern (in Fig. 8 vertikal schraffierten) Gebiete ist:
(122) R>a—ctr und R<a-er.
Auch die mit dem Radius @«-+ cz um OÖ konstruierte Kugel trifft nämlich infolge der
Bedingung (120), d. h. hier:
a+cr<a-+T
stets das Elektron. In diesem Gebiete ist (43) anzuwenden, und demnach:
1 Sec dz
9: ?
(123) is fe (ec — By],
also wie in (52°), wenn dort z' — 0 genommen wird.
Ein drittes Teilgebiet des Elektrons liegt außerhalb der Kugel mit dem Radius
R=a- ct; hier ist:
(124) a+tcr<R<T-+ta,
so daß Gleichung (45) zur Anwendung kommt und = 0 wird.
Nur das durch (122) charakterisierte Gebiet liefert sonach einen Beitrag zu dem
Integrale qz; die Oberfläche wird teils durch die Kugel r=a, teils durch die Kugeln
R=a—cr und R=a+ cr gebildet; an letzterer ist nach (123) v — 0, so daß nur die
beiden ersteren Flächenteile in Betracht kommen. Die darauf bezüglichen Integrale seien
bzw. K, und X,; für X, wenden wir die Polarkoordinaten r, ®, Y an, die durch die
Gleichungen (63) eingeführt wurden. Es wird dann nach (55) und (123):
279
E ©; 27
3'ee 1 ,]Z2snOdo
K,— 3577. [a« [le —(@:— 5 DE et
0 Os 0
wenn ©, und ©, bzw. durch die Gleichungen:
(a -- cc — a? -- T? 4- 2a T cosin 6,,
125
(29) (a — ez — a? 4- T? 4- 2a T cosin O,
bestimmt werden. In X, sind AR? und z gemäß (64) und (64°) als Funktionen von © und
V für r — a einzusetzen. Die von cosin 7 und sin Y abhängenden Glieder fallen durch
die Integration nach Y zwischen den Grenzen 0 und 27: heraus, und es bleibt, ähnlich
wie oben bei Ji in 8 7, nur das von & abhängige Glied stehen, so daß:
€»
i
aeq es Ira ders N ;
= e rr 2
K, 7 Ip d all R R4 z sin O cosin O d O
uU
wird. Vermöge der früher bei Ableitung von (74) berechneten Integrale U, und U, läßt
sich die Integration nach © durchführen; es wird, wenn man cosin ©, und cosin ©, aus
(125) einsetzt:
[271
In Í Penis OR)
E Va? 4- T? -- 2a T cosinO 3a T?
9s
9
WA [vo -- T? + 2 a T cosin O sin O cosin O d O
93
TE e (9 474 1-95 q3 c3 43 — 272. &42.8'T2
ip2gst :*-F25a^c3-— 15a? T? — bes? T»)
Hierzu kommt jetzt das Integral:
©
OR (yt : CIE ne. pes
W, — [sin @ cosin 640 — 77, (?* 5),
93
und es wird:
1
SEI WER 5 Eu 5
i Le —e8)w,— W,- 2er W]dr
; 0
(126) :
PSTCII VICA UR 2 422 32 tpa (15 4 ed
ET qs i6cvc—10922828-F(ov— )(15aex —4c3?)|dsr.
0
Es bleibt X, zu berechnen, d.h. das auf die Oberflüche E — «—c« bezügliche
Doppelintegral, soweit diese Fläche im Innern des Elektrons verläuft; hier ist:
ap
cosin (n, x) = cosin (R, x) — RB
CN
also nach (55) und (123), wo R=a— e: zu nehmen ist, unter Benutzung der durch (69)
eingeführten Polarkoordinaten ZO', Y:
280
[cn 2z
qos era — ez? sine. cosin O' eis
0
rci
PIA Ge
K,——
wo & durch die GURME.
a? — (a— cr)’ + 1? 4- 2 (a — ex) T eosin ©,
definiert ist; also: i
K,— — H (a — cc) sin? Op d «
(127) — a [iem tae IIT
t
i n ecco ues ceo dr.
Die gesuchte Funktion q. war gleich A, + K,; führen wir also zwei Integrale 9.
und Pj. durch die Gleichungen:
e
=” m ex, T)dt
= o. (a, t) = 102: J
(128)
—PnÓÀ e v)G, (ec, T) d
ein, wo G, und G, bzw. die in X, n K, unter den Integralzeichen in den eckigen
Klammern stehenden ganzen Funktionen bezeichnen, so wird schließlich bei Überlicht-
geschwindigkeit:
(129) = Diet‘) + i.(6t) füra>cr-+T.
Zweite Lage. Ist im Gegensatze zu (121) die Un-
gleichung:
(130) acer T
erfüllt, so wird in Fig. 8 die Strecke:
A B -—a-— (ex 4 T)
negativ, d. h. das Elektron (Kugel r — a) wird von der
Kugel A — ec geschnitten, so daß die frühere Figur 8
durch beistehende Figur 9 zu ersetzen ist. Auch hier
wird das Elektron von den beiden Kugeln mit den Radien
Ta a— cr und @a+ er geschnitten; auf die Oberflächen dieser
X CMD-& d TEE > à
MZ. Ps Kugeln kam es aber bei Ber echnung von 9z allein an; es
wird daher nichts wesentliches geändert: und die Formel
Fig. 9. (129) bleibt für diese zweite Lage gültig.
281
Die Kugel mit dem Radius Z — a — cr schneidet das Elektron nicht mehr, wenn
die Summe der Radien kleiner als die Entfernung der Mittelpunkte, d.h. wenn:
a—crta<T oder 2a<T-+ter
ist. Dann bleibt aber (wegen T>cr) noch zunächst @> cr, so daß die Kugel mit dem
Radius « — er noch möglich bleibt. Die Grenze der Anwendbarkeit des in (129)
abgeleiteten Resultates ist also durch die Gleichung:
(131) 2a=T-ter
gegeben. Hier aber sind zwei Fälle zu unterscheiden.
Bezeichnen wir mit 7, den Wert von rz, welcher sich aus (131) ergibt und der eine
Funktion von f£ ist, und von dem überdies zunächst vorausgesetzt werden möge, daß er
: QW à
kleiner als — sei. Dann ist entweder:
C
(132) mot,
oder:
(1322) CESTA
Die Variable x ist stets an die Bedingang 0 <r<t gebunden; im Falle (132) wird
daher das Bestehen der Gleichung (129) nicht gestórt. Diese Gleichung gilt weiter, bis
zt, — f, wird, wo £, die kleinste positive Wurzel (<‘) der Gleichung:
(133) 2a—(T-+ Co)
bedeutet. Die Kurve (131) verläuft in diesem Falle (wenn wieder £ als Abszisse und c
als Ordinate betrachtet werden) so, wie es in Fig. 10 angedeutet ist; sie schneidet die
Linie £ — r zum ersten Male, indem sie von oben links kommt, und zwar für 4 — v, — £4.
Dritte Lage im Falle (132). Dieselbe tritt ein, wenn £2» 7, wird, wo f, in der
eben angegebenen Weise durch (133) definiert ist. Jetzt ist die Gleichung (131) durch
Werte r, befriedigt (vgl. Fig. 10; ob die Kurve mit wachsendem 7 steigt oder fällt, ist
nach den Erórterungen am Schlusse von $ 7 gleichgültig), die « 4 (und >t,) sind. Es ist
fürgz <7,:
2a>T-+ter,
Fig. 10. Fig, 11.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt. 97
282
so daß für diesen Teil des Integrationsintervalles (0 « z « x) die Formel (129)
gültig bleibt; aber für v 2^ v, wird:
2a«T--cr,
und das Elektron wird wohl noch von der Kugel «+ cz, nicht aber von der Kugel a — cr
geschnitten. Es kommt nur das Doppelintegral über denjenigen Teil der Kugeloberfläche
(r — a) in Betracht, auf dem © von ©, bis z läuft, wo wieder ©, durch die erste Gleichung
(125) definiert ist (vgl. Fig. 11). Der betreffende Beitrag wird durch die Funktion:
LEE fie er nione tg
für a=t dargestellt. Die für (136) Memes Integrale W,. W,, W, sind jetzt unter
Benutzung der in (66) und (66?) berechneten unbestimmten Integrale bzw. durch W^,
Wi, Wi zu ersetzen; dabei ist:
(184 Wi; — [sin © csine a6 —* E ST Pa T GARANTIE.
——
Os
; f sin Ó cosin O d O
I UE Ver Tr arme 6a ne Eds Dar
—B® -- 8 T? —(a+er}(a-+ecr)].
Auf der rechten Seite muß der positive Wert der Quadratwurzel aus (a — T? ein-
gesetzt werden. Es ist also zu unterscheiden, ob a — T' oder a<T ist. Für kleine Werte
von r ist sicher 42 7; ob dies aber in unserem Intervalle (£2 £j) vorkommen kann,
bedarf in jedem Falle der Untersuchung; es möge für /,« : «4 die Bedingung
&2 T erfüllt sein, für größere Werte von v (d. h. c2 £j) nicht; dann ist:
(1849) luem Ze PH BEE 3 (as ca) Pee c] lr vt eee n
6a? T
dagegen:
(134 *) We 6g i ;[2 7?— 6a3-- 3a 8 : —3(a4- e) T? - 8 v] für «2 65.
)
In gleicher Weise sind bei Berechnung von Wi zwei Fälle zu unterscheiden, je nach-
dem «>T oder T>a ist. Man erhält aus (66*):
Wi fV a? + T? 4- 2a T cosin O sin Ó cosin O d O
NUN MEE (5 (a? + T?) — 3(a-+ ey]
T sog: qp € (G8 — T?) +5 (2T3*—37T?ec4- 5c? 05)
-15acz2(à!20—T?)-—29T75—579*04394-9c^:75] für «7 T,
283
We apET-a@+T+3aN)—(a+ ex (5(? 4- T) — (a + ex]
(1349) —sapl- ie ba (T3 809) 5a (9 T: -9 Tex — 59v)
+ 1S5R 6323 (ch? — T2) aop$cs15 T3 c$23 4 Ice für a.« T.
Es wird also:
a
(135) $2,(2,1) — 22] S a — 3) W; —Wi-L2ecW;]dsz.
ET
T
Dabei ist das Integrationsintervall in zwei Teile (eventuell in mehrere
Teile) zu zerlegen; in dem Teilintervalle, in welchem a 2 T' ist, sind Wi und
Wi bzw. durch die Ausdrücke (194") und (1349) zu ersetzen, in dem Teilinter-
valle, wo a X T ist, dagegen bzw. durch (134°) und (18349). Wir erhalten so:
qz — Ot. (c t) + 12 (50), wenn 0 t«1 «t,
9% — 5. (1,, + tz (v, 2) - $3: (657) — 5; (, D), wenn f «1, «t «t,
wo nun f£, die nächst größere Wurzel der Gleichung (133) bezeichnet, die noch kleiner
als «:c ist. (Die Bedingung f£, <r, entspricht der Figur 11; fällt die Kurve mit wachsen-
dem f£, so kann auch 7,<Z, werden.)
(1352)
Vierte Lage für den Fall (132) und & EXT, wenn f, ebenso wie im vor-
stehenden definiert ist. Die Wurzel v der Gleichung (131) wird hier größer als £; sie
werde mit v, bezeichnet; sonst bleibt alles unverändert; man erhält also:
(136) g.— Del, ) + Of, (60) für 0€ «t «t«v «t,
wenn f£, die nächste Wurzel der Gleichung (133) bezeichnet, denn jetzt wird im allgemeinen
wieder:
2a s T-L-osz. für 245
so daß das Elektron hier wieder von der Kugel E — & — c geschnitten wird, und die
Funktionen d$., Oi. zur Anwendung kommen.
Br Eu t : QUT. ; H
In ähnlicher Weise geht es weiter, bis bor o wird, und wir zur fünften Lage
kommen.
Fünfte Lage für den Fall (132) und t> —. Hier ist statt der Kugel R=a4— cr
die Kugel R=cr—.a zu betrachten; letztere schneidet aber das Elektron nieht, da nach
(120) T — a>cr—a vorausgesetzt wird. Infolgedessen bleibt wieder dasselbe Integral 5;
anwendbar, wie bisher; und wir erhalten im Anschlusse an (136):
(137) v,—96£&(2,t)-- ot (Z, t) -- ex (60 — ot ( S, t) | ftr utc «t,
) " S ) C 1 9 2 C
) 9% — Di: (1o, f) + 1s (v, t) 4- [42, (f, t£) — 2. (vo, £)] für fi « ve <= RI,
wie man durch entsprechende Überlegungen leicht findet.
Br
Dritte Lage im Falle (132°). Verläuft die Kurve
(131) derartig, wie es m Fig. 12 gezeichnet ist, indem
7, X f ist, so sei mit f, der Schnittpunkt der Kurve mit
der z-Achse bezeichnet; dann ist offenbar die Gleichung
(129) anwendbar für 0 «t «£,. Wird aber £2 fj. so
ist h<u<i<.; und für das Intervall von z, bis £
wird das Elektron von der Kugel R=a— cr nicht
geschnitten, so daß hier die Funktion 2, anzuwenden
ist; es muß also m 23, die untere Grenze £, durch r,
Fig. 12. ersetzt werden, d. h. es ist:
q.— d$. (t0) + Die (f) für O<t<t, und
9: — Diet, £) J- dt. (0) + [DE (5,2) — Die (n, 0]. für & «v «t «1 ES
(138)
Vierte Lage im Falle(1322). Wächst £ über £, hinaus, bleibt aber kleiner als -
so wird das Elektron von der Kugel AK — a — cr wieder geschnitten; und wir finden:
(139) Qa — Di: (5, £) + dt. (0, 0) 4- 2. (6 t),
und so geht es fort.
Fünfte Lage im Falle (132°). Es werde =. Dann erhalten wir:
(140) qz — Os (f, 0) + O1. (6, 2 4 Deelt,t) fürn «x zie t.
Dagegen z. B.:
la a RER aa ER a
(1402) Qr; — Dr (5. ) + Pi, (5. ) + D3, (t, 0) = [5p (5. ) für T9 < p EL Lh.
Und so wird man sich an der Hand einer Figur leicht von allen möglichen Fällen
Rechenschaft geben, die hier ebenso wie bei Unterlichtgeschwindigkeit in großer Mannig-
faltigkeit auftreten können.
Endlich kann 7' so weit wachsen, daß auch die Kugel mit dem Radius cr-+ a das
Elektron nicht mehr schneidet, dann ist:
(141) certa<T—a oder 2a<T-— cr,
und wir kommen zur
Sechsten Lage: die durch diese Ungleichung (141) charakterisiert sei. Im ganzen
Innern des Elektrons ist jetzt er + a<R, also (45) anwendbar, und @ verschwindet im
ganzen Integrationsgebiete. Bezeichnet demnach z, die kleinste Wurzel der Gleichung:
(142) 2a=T—cı,
welche positiv und > und kleiner als £ ist, und zwar derart, daß für r<r, die
x
Ungleichung 242 T —c:, für zz, aber die Ungleichung (141) besteht, so haben wir
für £^ v, keinen Beitrag zum dreifachen Integrale in Rechnung zu ziehen; es wird z. B.
im Anschlusse an (137):
285
(143) q. — df. © ) + 0%, (5. ) 2 E (,5-— dH (5. ) für t «n «t n et
dagegen im Anschlusse an (137?)
(1433) 9 — die (5 £) + f. (5, £) + [0% (n, £) — Belt, 2)] für t € v, Se
Ist aber die Wurzel z, der Gleichung (142) größer als t, so ipe in vor-
stehenden beiden Formeln z, durch £ zu ersetzen.
Ebenso wird im Anschlusse an (140):
(144) qz = Dir (f, £) 4- Die (4, £) + Die (n, £) für v « t, << "E:
und im Anschlusse an (140°):
(1443) p, — dz. * ) 4- 9t, (S. ) a | nd (5. | für UST <u<t
Auch hier ist für 7, >? die obere Grenze z, durch f£ zu ersetzen.
Es sei darauf hingewiesen, daß die Ungleichung (141) nur erfüllt sen kann für
er>a, denn wenn das Elektron ganz außerhalb der Kugel R=cr-+.u liest, so muß
es um so mehr außerhalb der Kugel R=cr—a liegen; es muß also der Übergang von
a— cr zu cx — a schon stattgefunden haben.
Hat die Gleichung (142) mehrere Wurzeln, so hat man ganz analoge Überlegungen
anzustellen, wie sie im Falle der Unterlichtgeschwindigkeit am Schlusse von $ 7 angestellt
wurden.
$ 11. Das Potential X bei Volumladung und Translation mit Überliehtgesch windigkeit
und die auf das Elektron wirkende Kraft.
Wie in 8 8 gezeigt wurde, unterscheidet sich das Potential A von dem Potentiale 9
hauptsüchlich dadurch, da& unter dem Integralzeichen der Faktor:
Puer) (vor. vy = 7) 5 En)
€ ; €
hinzutritt. Die Einteilung des Raumes in verschiedene Gebiete ist aber jetzt eine andere,
sie ist durch die für Überlichtgeschwindigkeit (T2 cz) in 8 10 angestellten Überlegungen
bedingt.
Unabhängig von dieser Einteilung sind die allgemeinen Betrachtungen, welche zu der
Relation (95) und weiterhin zu der Gleichung (116) führten. Aus letzterer folgte, daß die
Berechnung der Integrale A,., Ary, Azz, Azt.... im einzelnen nicht ausgeführt zu
werden braucht, denn diese Funktionen heben sich bei Berechnung der Kraftkomponenten
S Sy, 5: heraus; und es wird schließlich gemäß der Formel (117) nur das Integral V;
benötigt, welches durch (97) definiert war:
Y, =, ff fasavas f«c- 2% 3r
286
worin für (23) die in (96), (96°), (96^) angegebenen Werte je nach den betrachteten
räumlichen Gebietsteilen einzusetzen sind. Wir beschränken uns daher hier auf
Berechnung des dreifachen Integrals V. für die verschiedenen Lagen.
Erste Lage, charakterisiert durch die Bedingung (121), d. h. «7 c -- T, und veran-
schaulicht durch Fig. 8. Die Kugel r — « (d.i. das Elektron) wird von den Kugeln
R=a—cr und R=a-+tcr i drei Gebiete zerlegt. In dem horizontal schraffierten
Gebiete ist «> ER 4- cr, so daß (44) und (96°) zur Anwendung kommen. Es ist folglich
der entsprechende Teil von V; gleich:
yum iae f (fasavas foco.
wobei sich die räumliche Integration auf das von den Kugeln R=a—cır und r=a
begrenzte Gebiet bezieht. Wir führen wieder mittels (69) Polarkoordinaten R, O' Y' ein,
wobei V" von 0 bis 2r, O' von O0 bis z läuft; um also die Grenzen genau anzugeben,
zerlegen wir V; in die Summe W, und W,.
Es entspreche W, dem Innern einer Kugel, die mit dem Radius a — 7 um den Punkt
R=0 konstruiert werde und demnach die Kugel r — « von innen berührt; hier wächst
O' von Null bis z und R von Null bis « — T'; es ist folglich:
t a—T t 2z
Jec 9 1 4 uy
Wo ; [v t— 9a: 13 AR [sin © do fax
0 0 0
— = [pt — 9:6 — Nr ar.
0
Das Gebiet für W, werde begrenzt durch die Kugel R=a—T, die Kugel E —a— cc
und die Kugel r — a; für einen gegebenen Wert von R läuft ©‘ von Null bis zu dem
durch die Gleichung:
(145) a@—=T?+ R’—2RT cosin Oj
zu berechnenden Werte ©, so daß:
i a—cr [c 2z
W,— 1275 [pet nd: [RAR (sin 0° a0 [aw
= Jt Q^ 4) [3 [»,
0 a—T 0
i a-cr
9 ec aic» fe i
- 4 wt—27 [enr—7T—2mO--e)Ran
0 a—T
BezeT
a—T en]
= 3 : | N) [ T3) I riger—im|
Es wird demnach:
287
t
(146) V:— W,4- W, 4 ER DT mega 21
o
wenn die ganze Funktion g (R, T) durch die Gleichung:
ass) g(R,T)— (9 -RAITR—ıR
definiert war.
Das zweite Gebiet liegt zwischen den Kugeln R=a—cr und A -—a--cr und
wird seitlich durch die Kugel r — a begrenzt; in ihm ist der Beitrag zum Integrale V;
nach (43) und (96) gleich:
= | [fawava: jf (£—3)-(6«— 8) 55.
Für einen gegebenen Wert von R läuft hier O' von Null bis zu dem durch die
Gleichung (145) bestimmten Wert ©,, und sodann R von a — cz bis a+cr. Es wird also:
t . a+cr [2] 9z
= " mai )(Gau dich ass seas
0 1—C0r
3 1 a-+cr
5 —92Dec dr d 5
(147) —— Je 05 [e«— be nT— T —1 LE e)dR
i: ü z
Sec -
= - [ee — 0-lec tos (n + on T) — (a — en T)
0
d
—g(a+ ex, T) 4- g (a — e; TJ],
worin 9 wieder durch (146°) und g, durch die Gleichung:
(147 2) g, CR, T) — (dà? — T)R+TR—ıR
gegeben wird. Für die erste Lage wird so schließlich:
V.— Vo = je DRTQ Dr Fg(nd- 02 q(0 02 —29(4— 7)
(148) 0
+ € id (a — 62) — 8, (a 4 cj] 7 E
wo in 9, und g das zweite Argument 7'nicht angegeben wurde, oder ausgerechnet:
t
(148) y,— |» t— 1): 4 T— 2a? P+t@T+er(m 20 +209)G
Ü
Zweite Lage, erläutert durch obige Figur 9. Diese neue Figur war nur not-
wendig wegen der veränderten Lage der Kugel R=cr; das Elektron wird auch hier
288
von den beiden Kugeln R=a—cr und R=a-cr geschnitten, so daß die Glei-
chung (148) auch für die zweite Lage gültig bleibt; wir setzen:
[/4
(149) V, (a, t) — ical" (£—2)-[T*-- 16a? T+ c*eé-- 6828 T?—(12a? 7T?+ 12a? 2:2) ] *
s :
also:
(150) V.— Via(tt0) für O<t<t, im Falle (132).
3r eire aote Tisi ay
Dritte Lage. Das Elektron wird von der Kugel E — « — cr nicht mehr geschnitten;
es tritt dies ein, wenn 7>r, wird, wo z, die kleinste brauchbare Wurzel der in (131)
gegebenen Gleichung bezeichnet; und zwar sind zwei Fülle zu unterscheiden, die oben
bzw. durch die Ungleichungen (132) und (132?) gekennzeichnet werden. Für einen ge-
gebenen Wert von R läuft O' von Null bis zu dem durch die Gleichung:
qa? — T? mJ —29RRTcosin 6»
bestimmten Wert ©, R selbst aber läuft von 7T'— a biscr --a. Da jetzt Gleichung (96)
anzuwenden ist, so wird der dem Gebiete entsprechende Beitrag durch die Funktion:
a er+a [2M
P3,, (a, Qo — 255 fit m dx fiev — 0) T [sin 6' d 6'
S 71 T—a 0
, ] a ] er+ta
(151) —— v er ds (e :— EB) [RRT— Rh — T2 a?] d R
n T—a
3sc > dt
8a?
er
= 5 (vs (—9- [eda endo) — (79) ga + 0) +9 (T—9)] 57
dargestellt, und es wird hier g, und g wieder bzw. durch (147?) und (146). gegeben, so
daß die in der eckigen Klammer stehende ganze Funktion sich in der Form:
(1513) — 1(a — T? —2 ex T)[(er+ a? — (T — ay] + (à — T)er(er — T+ 2a)
51a 3
1 [ler 4- a) — (T -a)] — 1 (ec +2 T) [ex ta’ —(T—a),]
schreiben läßt, wodurch die Analogie mit der in (112) auftretenden ganzen Funktion
deutlich hervortritt.
Es wird jetzt in der dritten Lage für den Fall (132):
V — Mi. „werner 0<7 <z,,
(152) V.— Via(nt)-- $465) — Y3.4(5,0), wenn 4<7,<i<t,
dagegen für den Fall (132*):
(1523) Vi— UW*(ng-E PII.) Did) fur. cn E e
wobei z, und z, dieselbe Bedeutung haben wie in (135) und (138).
289
Vierte Lage im Falle (132). Es wird:
(153) V,— Vf(Óf) für 0€ netten S n bzw. 0 c, «t, t«n« a 29
Fünfte Lage für den Fall (132). Es wird analog zu (137):
(54) V,— Via (5 ) + Pal) VE (5.2) für, X «&« «t,
dagegen analog zu (137°):
(155) VENUE ERE Red iT M <u< eich
Dritte Lage im Falle (132°); dieselbe ist schon oben durch Gleichung (152%)
erledigt.
Vierte Lage im Falle (132°); es wird analog zu (139):
(156) V,— rl dd Falk) fr <u<i Si.
Fünfte Lage im Falle (1322). Wir haben analog zu (140):
(157) V, — Val, d+ Pal) für «zt, ES
also dieselbe Formel wie im vorigen Falle; dagegen z. B. analog zu (140?):
(1573 = Vt. (5 ) ORG.) VL. (s.t) für n «T «in u. s. £.
Endlich kann es bei wachsendem # eintreten, daß auch die Kugel mit dem Radius
R=a- er das Elektron nicht mehr trifft; wir kommen dann zur sechsten Lage. Es
sei wieder z, die kleinste brauchbare Wurzel der Gleichung (142), so wird z. B. im An-
schlusse an (154): !
(158) Te Pis (s.t) - gs (ns f) s vis (5r) für £, « v, u
dagegen im Anschlusse an (154°):
(153) re = Vir t Hr V5: t) — Pc, für f, «s, «Tác ue.
Ebenso wird z. B. im Anschlusse an (157), analog zu (144):
(159) V,— Halt, + Plot) für nte cuc,
dagegen im Anschlusse an (1572):
(1593) Y,— Vt, (21) Ab Wir De hes (5.5) für Ts at.
Bei der Willkürlichkeit der in 7' vorkommenden Funktionen v,, v,, v, sind natürlich
auch andere als die hier betrachteten Fülle móglich; dieselben lassen sich indessen immer
in analoger Weise erledigen.
Abh. d. IL Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt. go
290
Nach Berechnung der Funktionen o, und V; bietet die Bestimmung der Komponenten
8z, 8y, 8: infolge der Relation (117) keine Schwierigkeiten mehr. Wir können sofort dazu
übergehen, die betreffenden Resultate zusammenzustellen.
Erste und zweite Lage, nach (129) und (150):
4 za?
965
$,—-—90(60)- tt - Pit) für 0«!«z, im Falle (132)
oa EE gg.
Um die Richtung der Kraft zu bestimmen, bemerken wir, daß d$. nach (126) von
den Integralen W,, W, und W, abhängt. Hier ist W, (wegen er « T) negativ; es ist:
(160)
O9 . . 2
(a3 — e 3) W, — W, — — (àà-- T) W,—2aT ij Sn a Besen do
2 Va? 4- T? 4- 2a T cosin O
3
Hier ist W, = nm (3 T? — c?1?) negativ, das Integral auf der rechten Seite ist
positiv; über die in X, vorkommende Kombination (a? — c? 1?) W, — W, ist folglich hin-
sichtlich des Vorzeichens etwas allgemeines kaum zu sagen. Die Funktion 41i; ist nach
der in (127) und (128) gegebenen Definition stets negativ.
[nq SUE OUT sss TD
p 4B (1 — cosin 6) > 0
29
3m Pn o.
folglich wachsen g, und g mit wachsendem R und es sind in dem Ausdrucke (148) für V;
die vier ersten unter dem Integralzeichen in der eckigen Klammer stehenden Glieder positiv,
die in der geschweiften Klammer (Faktor von cr) stehenden Glieder aber geben etwas
negatives. Welcher Teil überwiegt, scheint sich allgemein nicht angeben zu lassen, denn
auch in dem ausgerechneten Ausdrucke, wie er in (149) unter dem Integralzeichen steht,
könnte es sein, daß das positive Glied a? 7' für das Vorzeichen entscheidend wird, und
es könnte eintreten, daß ein positiver Wert von V/,, auch das Vorzeichen von $y; bestimmt,
so da& dann die Komponente der Kraft entgegengesetzt der Bewegungsrichtung wirkt.
Dritte Lage im Falle (132). Es wird nach (134) und (152):
4za? : : - >
es Sz ET em Dir (T: t) ED di. (GER t) WT [45, (t, i)— DE (c t]
3e > 2
(161) 1 1
— I rir t)-— » [V2z:(05 1) — Pax, $)] für. cj et
r 5b 2
Hier wird die Entscheidung über das Vorzeichen noch umständlicher; denn auf der
rechten Seite von (135) zeigt unter dem Integralzeichen die Summe (a? — e? 3?) W, — W;
analoges Verhalten wie bei der ersten Lage, aber W ist positiv.
In gleicher Weise kann man die übrigen Lagen durchgehen, indem man gemäß der
: BE: 1 ; : : : :
Relation (117) die Ausdrücke — 9; und — zi V, addiert; es ist wohl nicht nötig, die
entstehenden Formeln hier zusammenzustellen. Das in $ 13 zu behandelnde Beispiel
konstanter Überlichtgeschwindigkeit wird überdies die Formeln erläutern.
291
$ 12. Die translatorische geradlinige Bewegung eines Elektrons bei Volumladung mit
konstanter Unterliehtgeschwindigkeit, bzw. Liehtgeschwindigkeit.
Bei geradliniger Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit vereinfachen sich die
gewonnenen Resultate außerordentlich, indem sich alle Integrationen ohne Schwierigkeit
durchführen und die Wurzeln der auftretenden Gleichungen leicht bestimmen lassen.
Es sei v die gegebene konstante Geschwindigkeit, und die Bewegung finde in Rich-
tung der X-Achse statt; dann ist nach (26):
ESO aes me s (U
und nach (51):
(162) I, — Ever,
also 7 nur von der Hilfsvariabeln 7, nicht von £ selbst, abhängig. Die Bedingung (65)
für Unterlichtgeschwindigkeit wird hier einfach:
OS
Wir haben gemäß $ 7 die verschiedenen möglichen Lagen zu besprechen. Für die
erste Lage ist die Funktion ®,, nach (68) zu berechnen. Es wird:
9,.(,0 — 175, [* [@ 4- 5 2) à — 10 a?] d«
(163) 0
OLOR S E a*sel Epl
— @ OT seta
und diese Formel ist für 0 xix gültig. Nach Gleichung (108) wird ferner:
Eecva
(1632) Yzı(a,t) = 16a
16a — 12aca+(® -4- s?) ca?],
ze REMIS > = - t
und somit die in Richtung der z-Achse wirkende Kraft, wenn man nach Potenzen von T
(welche Zahl kleiner als Eins ist) entwickelt, und o =. setzt:
4 zr a? 1 Bou 7 DONE
——— u — — 0,,— — ,,,— — — 9 2 :
Ode tU Ir Rei UR PEE CESTOTESN
Diese für die erste Lage abgeleitete Gleichung bleibt nach obigem auch für die
zweite Lage gültig, d. h. so lange 4 « £? ist, wo £? durch obige Gleichung (72°) bestimmt
wird; da jetzt T'— vr zu nehmen ist, so ergibt sich:
1 2a
642 g0 ———— m.
(1642) t Dd:
In der Gleichung (164) ist also die Variable - an die Bedingung
dre acit
[7 l--o
gebunden, wo nun die rechte Seite (für c « 1) größer als die Einheit ist.
38*
292
Für kleine Werte von £ ist die Kraft (y, negativ, d. h. zu Beginn der Bewegung muß
eine beschleunigende Kraft hinzugefügt werden, um die Geschwindigkeit konstant zu
erhalten; ohne diese Kraft würde das Elektron verzögernd auf sich selbst wirken. Für
größere Werte von £ sind die Wurzeln der kubischen Gleichung
E 3 1 ien. sa
(165) 1 it uorie)e-o
zu untersuchen. Die linke Seite ist positiv für z — 0 und negativ für zr — — oo; eine
Wurzel ist demnach jedenfalls reell und negativ, kommt also für uns nicht in Betracht.
Die anderen beiden Wurzeln sind ebenfalls reell; für z — 0 nämlich ist der Ausdruck (165)
2 2
positiv, für xz — [Em aber gleich:
1 (o 5 n : $ Ed
7" (IER CE o2) somit — 0 für Kot ay — 1 (Y 59 SIE
2
loo
liegt demnach für co <w, immer eine Wurzel der kubischen Gleichung;
diese Wurzel bestimmt diejenige Zeit, zu welcher die Kraft S, ihr Vorzeichen
ändert, d. h. die Wirkung des Elektrons auf sich selbst aufhört verzögernd
zu sein und beschleunigend wird.
a :
Für £4 — —, d.h. am Ende der ersten Lage wird:
e
Er (2) ae) 1 (OMA
ES GE BEN
und am Ende der zweiten Lage:
also für alle Werte von «c, die kleiner als c sind, negativ. Zwischen 0 und
2.2 2
L1) G0 YES
— - —- (2 —- &£w — o),
2 za*(l-r 723 a )
(166) (t?)
und dieser Wert ist für © <w, stets positiv, dagegen negativ für c > o.
Dritte Lage: /? «£« t£, wo sich £^ aus Gleichung (78) bestimmt, nämlich:
Wir haben zuerst die Funktionen d$, und V5,,; zu berechnen. Für die bei Auf-
stellung von Gleichung (74) benutzten Integrale U, und U, findet man in unserem Falle:
n 1 : 3 :
= Gaby Ba — c) —r(8e? —868 + 2v3)]
1 :
U,— 3085 [15a3(72—- c2) J- a3(10 v3 --25 c3 —15936)z 4-15 acX(v? —?):? + (3c°—5c?v? —2v°)r2],
:— 39 gi?
also:
ES oa T UT 1 7 ^ 4^ 3 o 29 D 2.9
U, (à — $1) — 0, — 30 38 7 [(10 ce + 20 v0)a?T + 30 (o? — à)ac c
3 oUadq-v
— (2 v5 4- 10s? e? 4- 20 2? c? — 18 c9) z?],
v xem Py.
also (wenn = - gesetzt wird) nach (75):
C
293
E 2 3
$.— tet (©) (5 + 10 9?) — 10 (2) (c3 — 1)
1 fara Dar :
taU) GT 5o*-F 1099 —9)..
Ferner wird nach (110) und (112) die dort vorkommende ganze Funktion G (7, cr)
jetzt gleich:
: 8
G — a* (e — Ds +(1- (t +2@-30°—20)) (2)
(1662)
: 1 1 ? 3o er 4
wy d o-—«uo 30?) 5 |
: 6T v
und somit, wenn man nach Potenzen von — und QT o ordnet:
a
t
ER 1 Ct eT? (NS 6T
(167) E TED TI a, (=) A (5) KG).
10
wo:
1o—1 123
on b, — «G +3 +40 308),
(1672) =, (- S +4+20 +30 e 2a,
E S5 €07
70
= | za 95-400 4 30? — 52 45a.
Für die dritte Lage wird also gemäß (118°) die Kraft gleich:
ne TESI (2- t
Qz— — £ (015—302)
6
2z a?(l-r o) 5
3g esr ivi dui m doas :
t ae Os) ema 1 (Sie - emat (em)
und diese Gleichung gilt in dem Intervalle:
2a
)!-— Ur —f}
=) a = (— t),
denn die Gleichung (78) hat, wie schon erwähnt wurde, nur die (von £ unabhängige)
2
Wurzel '— f ——— :
6— 70
Will man sich die Intervalle an den Figuren 6 und 7 verdeutlichen, so hat man
die Kurven er + T=2a und cr — T=2a einfach durch zwei Parallele zur Abszissen-
achse zu ersetzen, und zwar durch die Geraden:
2a
und? z-—
2a
€ 4-v DEN
qu
294
Für £># (d.h. für die vierte Lage) ist endlich Gleichung (118^) anzuwenden,
d. h. wir haben in (168) den Wert £ durch den konstanten Wert 7’ =
dadurch ergibt sich: -
2a
zu ersetzen;
9-70)
— gap
Base oRe
8e Jb 1 1 1 : 1 E
59) tuse tere) BEL ker) |
) AE NS ER MM 2a
+5 (=) (res) Lea dI) Er (i) ij d o (p— 9
wo die eckige Klanimer der rechten Seite in der einfacheren Gestalt:
eoo?
3 [e om c?
$ o — o»)
e e 16. 3w-+ o?
2 bo IX "E uis 8 b, (1— 02)? gs 3 da Ber @2)?
L- 325
geschrieben werden kann.
Die Kraft ist also nach Ablauf der Zeit
2a
c 1 .. .. Q
stationär, d.h. unabhängig
e —
von t, geworden.
v : 1 : ;
Da o IE ) klemer als Eins vorausgesetzt ist, so wird man nach Potenzen von o
2
entwickeln, um eine Näherungsformel zu erhalten. Da in /, 5, 5, das Quadrat der
Geschwindigkeit v im Nenner vorkommt, so wird die Entwicklung mit negativen Potenzen
von co? beginnen: man erhält für den stationären Zustand:
3 e? ( 29 1 1 3935 . 967 )
(1692) Boone EN RE
Die Kraft ist also für kleine Werte von negativ, d. h. verzögernd. Es muß also für
c X o während der dritten Lage noch ein Vorzeichenwechsel eingetreten sein. Im statio-
nären Zustande ist ferner bei Unterlichtgeschwindigkeit (v « c) die Kraft in
x > - P] h
erster Annäherung dem reziproken Werte des Quadrates von — proportional.
5 6
Natürlich darf man hieraus nicht auf ein Unendlichwerden der Kraft für v — 0
schließen, denn die Ableitung der Formel (169?) setzt voraus, daß schon eine gewisse Zeit
9
hindurch (una zwar von der Dauer ?= Pe 2 ? eine Bewegung mit der Geschwindigkeit v
stattgefunden hat; man darf also nicht nachträglich durch die Annahme v — 0 dieser
Voraussetzung widersprechen; für die Formel (164), welche bei Beginn der Bewegung
gilt, ist es dagegen erlaubt v — 0 zu nehmen, und sie ergibt dann in der Tat % — 0.
Für die Bewegung mit Lichtgeschwindigkeit wird die Wurzel £' —' unendlich
9
groß, die Größe !! — "m — wird gleich z so daß die zweite Lage vollkommen in Wegfall
kommt; es gilt also für alle Werte von £, die größer als " sind, stets die
295
Formel (168); die Bewegung mit Lichtgeschwindigkeit bietet demnach keine besonderen
Schwierigkeiten. Macht man in 5j d,, b,, b, die Substitution «) — 1 (d. h. v — c), so
ergibt sich:
[7]
0, à
= 0, b, 20%
TUUS
also die erzeugte Kraft für die Bewegung mit Lichtgeschwindigkeit wird
nach (164):
a ER des Se BU DICH, Tous 4 a
(170) ae = — LEE (2) | Pe (2) + 40 (2) | für beso
und nach (1683):
IM img l 3 |[(cty* z Meyer qu
(Sj). = zal a tl) re) n
oder:
st datu rs u vau (eg
(170%) (8). = | 80 "8 [E t 80 ©) |
117 & NOTEN EN e a
| er) á ee) | PE Tas
Im Gegensatze zu den bisher von anderer Seite aufgestellten Formeln (vgl. unten
S 16) erkennt man, daß die Kraft bei Bewegung mit Lichtgeschwindigkeit für
jeden endlichen Wert der Zeit endlich bleibt. Sie ist nach (170) gleich Null für
f — 0, negativ für kleine Werte von £, ebenso für große Werte von f. Um zu untersuchen,
ob ein Vorzeichenwechsel eintritt, hat man die kubische Gleichung:
40 —50z-4-1123—0
zu betrachten. Eine Wurzel ist reell und negativ, und für uns unbrauchbar, sie liegt
zwischen = — 2 und z— — 3; die beiden anderen Wurzeln sind ebenfalls reell und
liegen bzw. zwischen z — 1 und z — $ und zwischen z — $ und z — 2. Da aber in der
ersten Lage t< ; sein soll, so ist z an die Bedingung 0 «& z « 1 gebunden; auch die beiden
anderen Wurzeln sind also unbrauchbar, d. h. in der ersten Lage tritt kein Vor-
zeichenwechsel ein. In der zweiten Lage bleibt $%. nach (170%) negativ, denn die
Wurzeln der quadratischen Gleichung:
39.—— 90m — 1.220
sind imaginär. Bei Bewegung mit Lichtgeschwindigkeit ist die Kraft demnach
andauernd negativ, d.h. wirkt verzógernd.
3153. Die translatorische Bewegung mit konstanter Überlichtgeschwindigkeit
(bzw. Lichtgeschwindigkeit) bei Volumladung.
Wir machen jetzt die Voraussetzung v e und nehmen wieder v als konstant an,
so daß T und £ wieder durch (162) bestimmt werden. Für die „erste und zweite Lage“
kommt es auf Berechnung der in (128) aufgestellten Integrale an. Man findet unter der
gemachten Annahme:
296
£c?
91.() — 155. [I2 4-2 o? 6 15ac( — o) — 102 er] dr,
0
ti
* BE T 2 3 2 2 2 2
Ol —e)f« (0 — &) +4acı — 4a? 1) dv,
0
also:
qz = d$. (f) + Di.)
(171) EIQEITCIUNZ
—15 (5 la—s o?) + 1 0— o!) e 425 08— 14 o? + 15 o*) (S).
wenn wieder o — gesetzt wird, wobei jetzt o 21 ist. Die Grenze der Gültigkeit
dieserFormelistdurch dieGleichung (133) gegeben d.h. hier durch die Bedingung:
2a
(171*) b<t, wenn 4C- Di a,
2 !
ist; an der Grenze, d. h. für (t wird
9 -rc
2a ea ; 1 2
(172) 9& en) — 304 oy za 45 o* — 130 o? — 64 o + 50 c + 53).
Für die erste Lage berechnen wir sofort auch das Integral V; gemäß Gleichung
(148°); es wird:
t
SEC
(173) — Vf,(t)— V.— g qi J |^ € +” + t 4) — 2a? v(& -- o9) 4- $a 7 dz
0
\
3 [8 ct PUÁDUNS i a AN
—zeca E e (=) — (1+ o?) (3) En 24 (14- 6 o? -- o) e |
Hieraus folgt nach (160) für die wirkende Kraft in der ersten Lage der Wert:
TR. — 3e " 1 7 SEN [- l $ c iN?
wm 4 z a? (v [6 r.) —— — 4s: a? "IL E gt 9 07) a)
5 CINE AAN CONS
Be 73 5 2p : 4 J
1s o»( ) +361+ 0) +35) |
a
Für kleine Werte von £ ist das Vorzeichen der Kraft negativ wie bei Unterlicht-
geschwindigkeit; um zu untersuchen, ob sich das Vorzeichen mit wachsendem £ ändert,
hat man die in z c 2) kubische Gleichung:
rbd ICD S 914-20?-r35o* .
5 Wr m
BE 320 xut
e a
zu betrachten. Dieselbe enthült zwei Zeichenwechsel und eine Zeichenfolge, hat also
jedenfalls eine reelle negative Wurzel (die unbrauchbar ist) und vielleicht zwei positive
Wurzeln. Sind letztere vorhanden, so muß der Differentialquotient der linken Seite:
297
le 8
4
3 o a? Dr + E (c? — 1)
reelle lineare Faktoren enthalten; die Diskriminante dieses quadratischen Ausdrucks ist:
= (81 c* — 60 c? 4- 60 co 4-1 4-18 09);
sie ist für kleine Werte von & positiv und kann das Zeichen nur wechseln, wenn 60 > 81 c,
also auch «c «1 ist; dann aber ist 60 c — 60 c?, und sie bleibt positiv; jene linearen
Faktoren sind also reell, und es ist in jedem Falle zu untersuchen, ob ihnen reelle Wurzeln
der kubischen Gleichung zugehóren, d. h. ob die Kraft ihr Zeichen wechseln kann.
2
Die Gleichung (131) hat in diesem Falle nur die eine Wurzel rer indem
die in Fig. 10 gezeichnete Kurve hier eine gerade Linie ist, welche parallel zur Abszissen-
F 2a : Ae 5 à
achse im Abstande - verläuft und demnach die Linie £ — z nur einmal schneidet. Es
v4-c
2a
- . _
ist also 7, konstant, und zwar gleich "un
: ®
dung, wo der angegebene Wert für 7, einzusetzen ist. Die Summe der beiden ersten
Glieder Di; und f; entsteht aus (171), wenn dort £=r, genommen wird; d.h. es ist:
; und es kommt die Formel (135?) zur Anwen-
1 ie MEUS oa TET 1 : 1 23-140 +15o%
Di: (s: t) m Dir (@; t) amm gu HE "OE la 9 0 ) 3F n @’)+ 40 a Bue o) |
(175) Sr
< pa Loy (3 104o* +12 o)
Wir erhalten ferner nach (135):
t
Ux fte — eom —m + 20 Wlan.
22
(1752) $i. (f) TES $5, (1,) —
Da die Wurzel f, in diesem Falle nicht existiert, so gilt die Gleichung für das ganze
Intervall n EO, und es kommt die vierte Lage, die durch (136) dargestellt war, hier
nicht in Betracht; in dem ganzen Integrationsintervalle ist also 7 == Sodab af
— a — vr stets positiv bleibt, und die oben im Anschlusse an (135) gemachte Bemerkung
über die Zerlegung des Integrationsintervalles hier (und im folgenden) nicht zur Anwen-
dung kommt, wie aus den Ungleichungen:
[7 2a a [7
cem.
sofort hervorgeht.
Es ist demnach Wi durch (154", W3 durch (1344) und außerdem W; durch (134)
gegeben; und zwar wird:
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt. 39
298
SEDE i A AGAT |
Wi es Io s»)
De mee 1 [s acri A nea 2 mun 3 =]
wi= a 0?) +1 —30 2 o?) =
3
Wi — 0 [isa o?) (985—154 1002) 150 — o»("t =) aa 2o»(^r) l
eo
Setzt man diese Werte ein, so ergibt sich aus (135):
t
s c
91. (0 — ies J| - 150 — 0) -- 85 (1 — 8 9? — 9 95) (=)
u
+15(1 0) (Et =) +(13+5 0? + 08.0) (T D ler.
und somit:
£a T fict 2
di. (f) Eo. 5, (5) = 160 0 p ;[- 15 (1— 0?) d. SETS
(1750) +2 (1-38 ce) Ins eat js ke]
Hass emnit- (4:
Zur Berechnung der Kraft dient ferner der Ausdruck 7^,,; wir haben nach (151):
(1759) Wi. (f) — 4- fe-wf[e (c je -) s (+30: -9(& "\]a (y
a
Die wirkende Kraft wird PUR nach (161):
M 36c€ " 2a 2 g, > 2a
ul) tl) ceo AD
RUE TU RD 2
Hl s js V2. (0) —- al 2 Y für
64- v
(176)
<<]
wo nun die einzelnen Werte aus (175), (175®), (173), (175°) einzusetzen sind.
Für das nächste Intervall ist Gleichung (137°) anzuwenden, d.h. es bleibt die-
selbe Formel (176) auch für t gültig, und zwar so lange, bis die obere Grenze £
des nach z genommenen Integrals gleich einer Wurzel der Gleichung (142) wird; diese
Gleichung lautet hier:
(177) 2a —(v-—2c):
die Wurzel:
. 2a
(177°) T=
v— €
2
ist also wieder von £ unabhängig. Ist endlich i ares. so wird die Kraft stationär,
299
indem alle Integrale d». und %.: sich nicht mehr ändern, wenn ? über diese Grenze
hinaus wächst. Diese stationäre Kraft ist also für die Bewegung mit Über-
lichtgeschwindigkeit gleich:
EE ores 2a 4 2a ^ 2a T 2a
Ge ixg|*- lees ;) ur ee E + ;) dis C) dis Es ;)
qe 2a jest 2a [en 2a
+7 Piz (25) n Wirt (227) e el
Die rechte Seite ist eine rationale Funktion von «c, deren Nenner sich aus Potenzen
von o, 1— o und 1+ o zusammensetzt. Diese Glieder werden also für «c — 1 (d.h. für
Bewegung mit Lichtgeschwindigkeit) sehr groß. Trotzdem bleibt die stationäre
> 2 : MOM C e 2 :
Kraft $; immer endiich, denn die Formel (178) ist nur anwendbar für fl. wird
also v — c, so gibt es keine Werte der Zeit /, die dieser Bedingung genügen; und folglich
ist dann für alle Werte von (o 2 die frühere Formel (176) anzuwenden.
7
Damit sind wir schon in die Diskussion des Falles v—=c eingetreten. Dieser Fall
ist bereits oben als Grenzfall der Bewegung mit Unterlichtgeschwindigkeit (S 12) eingehend
behandelt, so daß es kaum nötig ist, hier darauf zurückzukommen. Immerhin mag man
sich davon überzeugen, daß die jetzt für die Bewegung mit Lichtgeschwindig-
keit entstehenden Resultate mit den früheren vollständig übereinstimmen.
Zunächst nämlich ist das zuerst in Betracht kommende Intervall (171?) mit dem
früheren Intervalle 0<t<Z im Falle o — 1 (d.h. v=c) vollkommen identisch. Die
für dieses Intervall abgeleitete Kraft $;, wie sie in (170) berechnet war, ergibt sich jetzt
genau ebenso aus (174). Iu der Tat wird das im $ 10 behandelte Integral X, mit dem in
$ 7 behandelten Integrale J, identisch, indem sich aus (125) jetzt (d.i. für v — e, T'— c)
€, — 0, O,— z ergibt, so daß die Grenzen beider Integrale übereinstimmen; ebenso wird
in dem durch (100) gegebenen Integrale V; das Integrationsgebiet jetzt identisch mit dem
Integrationsgebiete des Integrals Vz in $ 11; die Übereinstimmung ist nur nicht so
unmittelbar einleuchtend, weil früher (S 8) erst nach R und dann nach O', später (S 11)
erst nach ©' und dann nach R integriert wurde; die Übereinstimmung tritt aber im
Resultate hervor, indem der in (148°) für V, gefundene Ausdruck jetzt (d.i. für v — c)
in den Ausdruck (107) bzw. (108) direkt übergeht. Die Identität der beiden im (170) und
(174) für den Fall v — c erhaltenen Ausdrücke der Kraft $, gibt überdies eine nützliche
Kontrolle der Rechnung.
2 ah ;
Das zweite Intervall Pi «t« — kommt für v — c nicht in Betracht, da hier obere
C 5
und untere Grenze zusammenfallen; die Formeln (174), (175) und (176) gelten aber auch
2a
—€
im nächsten Intervalle, dessen obere Grenze 5 hier unendlich groß wird, wo wir diese
Formeln für:
Zen
2
39*
300
anzuwenden haben. Das Integral W; wird gleich Null für 7'— cc, das Integral Wi; mit
dem früheren Integrale U, in (74) identisch, nämlich = — a denn es wird jetzt O, — zx
2
und 6,— 0; ebenso wird W3 mit dem früheren U, identisch, nämlich - 50.6 a? — 7°);
für v — c fällt also in der Tat die jetzige Funktion 5, mit der früheren Funktion ®s,
zusammen.
Ebenso wird endlich das in (112) aufgestellte Integral V/5,; mit dem jetzt in (151)
2 i : :
auftretenden Integrale ,,(f) — Pax: (55) für v — c und T — c« identisch, indem
zi
dann sowohl die Grenzen als die Funktionen unter dem Integralzeichen übereinstimmen;
in der Tat wird auch nach (166°) die frühere ganze Funktion @ jetzt gleich Null, und
derselbe Wert ergibt sich für die in Y/;.; auftretende ganze Funktion, wie sie oben in
(151°) angegeben wurde. Es ergibt sich hierbei also, daß der durch das skalare Potential
gegebene Teil der Kraft %, bei Bewegung mit Lichtgeschwindigkeit schon nach der Zeit
í— — stationär wird, während der durch das Vektorpotential gegebene Teil der Kraft stets
von £ abhängig bleibt.
$ 14. Die geradlinige, gleichförmig beschleunigte (bzw. verzögerte) Bewegung eines
Elektrons mit Volumladung. — Übergang von Unterlichtgeschwindigkeit
zu Überlichtgeschwindigkeit.
Das Beispiel der Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit ($ 12 und 13) war zu
einfach, um das Wesen der aufgestellten allgemeinen Formeln ganz erkennen zu lassen;
es ist deshalb nützlich, auch noch das nächst einfache Beispiel, d. h. die gleichförmig
beschleunigte Bewegung, kurz durchzugehen. Es sei demnach:
Ber nel m AE
so daß die Bewegung wieder in der z-Achse stattfindet und mit der Geschwindigheit v
beginnt. Wir erhaltan aus (26):
i
u [s dc (o a0:— dr, gem. «6e.
i—r
(179)
fre
Ist v « e, so ist jedenfalls zu Anfang der Bewegung, d. i. für kleine Werte von f£,
Unterlichtgeschwindigkeit vorhanden; bei wachsendem £ wird dieselbe aber allmählich in
Überlichtgeschwindigkeit übergehen. Die Grenze zwischen beiden Geschwindigkeiten wird
durch die Gleichung c: — 7', d. h. nach Absonderung des Faktors r, durch die folgende
Gleichung gegeben:
(180) qi— 1:4 v—26— 0.
Wählen wir wieder £ als Abszisse, v als
Ordinate, so stellt diese Gleichung eine gerade
Linie (Z in Fig. 13) dar, welche die Achse z — 0
im Punkte = er (Punkt 4 in Fig. 13) und
C— 7v
q
schneidet. Für alle Punkte rechts von dieser
ziemlich steil verlaufenden Geraden ist 7'— cr,
links von ihr ist T «c-r. Da v an die Bedin-
gung zr «í gebunden ist, so kommen für die
Formeln der Unterlichtgeschwindigkeit nur die
Punkte £, z des Dreiecks O A C in Betracht.
In Figur 13 ist das oberhalb der Linie =! |
liegende Gebiet (das für uns keine Bedeutung
hat) vertikal schraffiert, das Gebiet der Überlicht-
geschwindigkeit horizontal, das Gebiet der Unter- Fig. 13.
lichtgeschwindigkeit schrüge.
die Achse {= 0 im Punkte = 2
(Punkt B)
Für die erste und zweite Lage gemeinsam gilt die Formel (118), d. h. es ist hier:
ON
(181) 8.—— EEE [9:69 + V4. (6, 0] für 0 «t« t?
dabei ist #° durch die Gleichung (72*) definiert, welche hier nach (179) die Gestalt:
qt?-- 2(e4- v)t—4a-—0
annimmt, so daß:
+ 2 4a
(1812) enti. y (E25 N
wird (also für positive Werte von q auch stets reell ist). In (181) sind die Funktionen
® und Y durch die obigen Gleichungen (68) und (108) definiert; man sieht, daß diese
Integrale infolge von (179) rationale ganze Funktionen von f£ (also nirgends unendlich)
werden.
Für £21? haben wir die Gleichung (118?) anzuwenden; in ihr ist r? durch die
Gleichung (73^) als Funktion von £ definiert; diese Gleichung lautet hier:
(181) qr —2qcvt—92(ce--v)vd- 4a — 0.
Nimmt man wieder £ als Abszisse, vr als Ordinate, so ist dies die Gleichung einer
Hyperbel; ihr Mittelpunkt J/' liegt an der Stelle:
e+v
TT MEE 7d)
D— ZA:
Vi
ihre Asymptoten haben die Gleichungen:
24 undo 10%
Die Lage der Hyperbel ist in Fig. 14 veranschaulicht; sie ist dort mit H, bezeichnet.
Durch Auflösung von (181®) findet man für v" den Wert:
302
(1819) ecce Et y (ee ey t8
hierbei ist das negative Vorzeichen zu wählen, da nur solche Werte z" in Betracht kommen,
die kleiner als £ sind (vgl. oben die Erórterungen bei Einführung von 7°). Die Abszisse 2”
des Schnittpunktes der Hyperbel mit der Linie z — ist durch (181?) gegeben, also stets
reel; sie entspricht dem Punkte E im Figur 14. Der Schnittpunkt / mit der durch (180)
dargestellten Linie L hat die Koordinaten:
à quc Qo asd? Med Ba
(1819) t 9c q ( 5), T cx
Der rechts von diesem Schnittpunkte gelegene Teil der Hyperbel H, hat für uns
zunächst keine Bedeutung. da er im Gebiete der Überlichtgeschwindigkeit liegt, in dem
andere Formeln gelten. Die Schnittpunkte mit der Achse £ — 0 haben die Koordinaten:
c+v A (E m y 4a
[ED EE V ——— || =,
q sd q
können also reell oder imaginär sein; da sie oberhalb der Linie = liegen, kommen sie
für uns nicht in Betracht.
Für t2 t" zerfällt das Integrationsintervall der Variabeln v in zwei Teile, wie früher
erörtert wurde (vgl. oben S. 263 f), das eine geht von r — 0 bis r — 1", das andere von
r — 1" bis zu einer Grenze, die durch die Glei-
chung (77) bestimmt wird. Letztere ist hier:
(182) q3$—29gív4-2(ec—v)z—4a — 0.
Sie stellt also in der £-7-Ebene eine Hyperbel
dar. Ihr Mittelpunkt ist durch die Gleichungen:
e— v
7 noatNnn t, , i 0
2 (EU
bestimmt, liegt demnach im Punkte A (Fig. 14);
Asymptoten sind die f-Achse und die durch
(180) dargestellte Linie L. Die Hyperbel ist
in Fig. 14 mit H, bezeichnet. Nur diejenigen
/ Punkte derselben haben für uns Bedeutung,
1 für welche z «f ist; es müssen deshalb ihre
B
(1823) e
Schnittpunkte mit der Geraden £— * gesucht
Fig. 14. werden: diese sind: !)
MC TUE JA EI = (Punkt @ in Fig. 14),
(24 y (—:y-i8 qid m s vi.
1) In Fig. 14 ist vorausgesetzt, daß t, 719 sei; das tritt ein, wenn 4aq72 (3 c-]- 4v) ist; andern-
falls sind noch weitere Fülle zu unterscheiden.
303
Wir haben demnach zwei Fälle zu unterscheiden:
a) Es ist (c — v « 4a, die Schnittpunkte (£, und Z,) sind imaginär; hier gilt die
Formel (118?) in dem ganzen Intervalle £, & £ « £&, (wenn wieder /, — are gesetzt wird);
es ist also:
9
(184) B—— a9. t) + Ds; (2 t4 - Un eo t) + - Marl, 7 für UU ESC neu
b) Es ist (c—v) >4ag: hier muß das Intervall in mehrere Teile zerlegt werden;
man hat (indem wir hier und im folgenden die Indices z und 7 an den Funktionen ® und Y
der Kürze wegen fortlassen):
0849 = —47 |o e oc 9 6022 oso zm eo] m nien,
; a 3 s Jl 1 Jm
(184*) = — TA |s. (55,0) 43- 9, (1,0) -- = AO 2 V, (t, 7 für f£, & t « f,
wobei z, die positive Wurzel der Gleichung (182) bedeutet:
CE e—0N914q
(184°) BR N V (5 4a
: q "s q i q
und an Stelle des in (79) und (118") gebrauchten Zeichens z' steht, während 19, £,, £, wieder
bzw. durch (1817), (183), (182*) gegeben werden.
Wächst / über £, hinaus, so treten wir in das Gebiet ein, in welchem die Bewegung
mit Überlichtgesehwindigkeit erfolgt, und das rechts von der Linie L liegt. Die allgemeine
Formel (34) behält ihre Gültigkeit; das Integrationsintervall ist nur in verschiedene Teile
zu zerlegen, nämlich:
0 <r<r“, wo die Formeln für Unterlichtgeschwindigkeit anzuwenden sind,
7*<r<t, wo die Formeln für Überlichtgeschwindigkeit in Betracht kommen.
Dabei bedeutet z* die Ordinate des Schnittpunktes der durch (180) dargestellten
Linie L mit der Parallelen zur r-Achse, welche in der Entfernung £ von derselben gezogen
wird, d. h. es ist:
(185) dc Ao eaa A
q
Da aber r «f£ sein muß, so gilt diese Zerlegung:
v 1
en 3&c S S
(186) *— gos ntt [2
nur, solange auch z* «f bleibt, d. h. für:
(187) "amb E) ees QUNM iE
wenn f£. die Abszisse des Punktes C in Fig. 14 bezeichnet, d.i. des Punktes, in dem die
Linie L von der Linie — £ geschnitten wird.
304
Man erkennt hieraus, daß der allmähliche Übergang von Unter- zu Über-
lichtgeschwindigkeit keinen Schwierigkeiten begegnet; insbesondere wird die
Kraft nicht unendlich groß (wie von anderer Seite behauptet wurde), denn die Integrale 9,
und 7, bleiben durchaus endlich; im der Tat tritt m 9, nach (75) nur die Funktion 7
im Nenner unter dem Integralzeichen auf; es verschwindet aber 7 nur für v — 0, und
dieser Wert liegt außerhalb der für (184), (184°) und (184^) vorausgesetzten Intervalle;
und außerdem ist 7 — 0 nur für:
vU
T=2t+2-,
q
und dieser Wert ist größer als £, wenn q (wie wir jetzt annehmen) positiv ist, kommt
also auch nicht in Betracht.
Für das Gebiet der Überlichtgeschwindigkeit müssen wir zunüchst die kritischen
Kurven (191) und (142) untersuchen; die erstere wird hier durch die Gleichung gegeben:
da
TEE
also mit der obigen Hyperbel (181") identisch, die in Fig. 14 durch H, dargestellt war,
und deren rechts von der Linie L verlaufender Zweig nunmehr auch für uns Bedeutung
gewinnt.
Wir finden demnach für das nächste Intervall und für den obigen Fall a) nach (129)
und (186):
Heus Et ur 0,
3
— S — 95 (x5, t) + 9i (75 0 + : T5 (75,0)
e 1 * ) !
(188) 2p [ 5, (19, t) — D, (*, 2] EJ = [94 (di De 2 (e ?)J
-F 9, (t, t) 4- 2 Y,(t,t) für ,<t<t, im Falle a).
Im Falle b) dagegen sind wieder zwei Möglichkeiten zu unterscheiden:
: e—v\?__ 4 a N? "NT
b.) Es ist £, 7 £&&, d.h. (= ) on + (5) ; dann gilt im ganzen Intervalle
die Gleichung:
Ara°
S. — d$ (*, 0) 1 (x5, t) + - pi f)
3E
| 1
(188) +[9, (09,0) — 9, (5. 0] 4- 19, (5 0 — V, (5, 9]
voe ©,
d 9,00) ES) fü tct
dieser Fall entspricht der Zeichnung in Fig. 14.
bj) Es ist 4, «4, d. h. (yx
q j q
Teile zerspalten haben, und wir erhalten die Gleichung (188?) für das Intervall £, «t €f:
dagegen:
+ >): dann muß das Intervall in zwei
305
a a? Se Su MATE nS
a. 8. di(r D d- 0650 LYTGS D
1
(188) six eoo) —— D, (25,0)] ns m RA (eoi) v (r*, ©]
9,0,04- 5 9,0 AUS ATQUE
Die Kurve (142) ist hier durch die Hyperbel 4,, d.i. durch die Gleichung:
— tv 4q
(189) — 8:t4- 22 "b Pob ui
gegeben; ihr Mittelpunkt fällt mit en der Hyperbel H, zusammen; auch die
Asymptoten sind beiden Kurven gemeinsam; die letzteren liegen aber in verschiedenen
Winkelräumen zwischen den Asymptoten. Löst man die De (189) auf, so ergibt sich:
CV et a 4a
T, —Íí —
3 ,
q
(190)
Die für uns in Betracht kommende vertikale Me ist also durch die Gleichung:
ji en
bestimmt. Durch diesen Wert Z, ist ein weiteres Intervall abgegrenzt. Der Schnitt J der
Hyperbel (189) mit der Linie = liefert den Wert:
(191) VI: + eh
und es ist 4, >4#,, so daß durch f£, und £, dann ein weiteres Intervall abzugrenzen ist.
Dazwischen schaltet sich als zu beachtender Punkt noch der Schnittpunkt C der Linie LL
mit der Linie 7 — £ ein:
(1903) (m
(192) ti — 1 —12
dieser Wert ist stets kleiner als £,; er liegt zwischen Z, und £, in obigem Falle b), dagegen
zwischen f, und f, in obigem Falle a); demgemäß ist die Unterscheidung dieser Fälle auch
im folgenden beizubehalten. Wir erhalten:
Im Falle a) für £, «f£ « f£, zunächst obige Gleichung (188); dann:
ET Uf
„ud, ie (c9) ))-4-— Lu, t)
(193) -- ds (v*, Qases lp qs, 1)
-- [9, (4, f) — o, (*, £] 4S DE C, DS VG OI für f «Ex ty
Abh. d. II. Kl. à. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt 40
306
wobei als untere Grenze der Integrale & und Y5 der Wert 7’ zu nehmen ist; dieselbe
untere Grenze ist im folgenden für diese Integrale zu wählen; das Einsetzen
einer anderen unteren Grenze ist durch entsprechende Differenzbildung (in den eckigen
Klammern) angedeutet. Ferner:
Ana?
: . loe
37 8. — d, (19, £) 4- d (9 0) d- 5S (19, £)
(1932) ;
44:0 LS fü ctn.
Für £2^£, ist zu beachten, daß die beiden Schnittpunkte einer Parallelen zur v-Achse
mit der Hyperbel H, verschiedene Intervalle ergeben, in denen das Integral ®, von Null
verschieden ist, während dazwischen (d.h. für ,<r<r,) die Integrale 9, und V, ver-
schwinden. Weiter wird:
Ana:
27 8, — 0,00 4- di (^, +)
(193*) DH)
et 1; (bi) Died] ES «eR.
In (193°) und (193®) hat der Einfluß der früheren Bewegung mit Unter-
lichtgeschwindigkeit ganz aufgehört (ao nach Ablauf der Zeit £, — 2 2 x 2r und
endlich:
3
&. — d 0) E di ^0) - Ls Q1)
(1939) ;
++ Ed für (o
Je mehr ? wächst, um so mehr nähern sich die Werte :? und z, einander und der
Null; bei der gleichfórmig beschleunigten Bewegung (mit Überlichtgeschwindigkeit) nimmt
also die von dem Elektron auf sich selbst ausgeübte Kraft bei hinreichend großen Werten
von £ scheinbar andauernd ab; da aber £ auch in den Funktionen unter den Integral-
zeichen vorkommt, so kann doch der Wert der Integrale bei wachsendem £ alle Grenzen
übersteigen; jedenfalls läßt sich ohne genauere Untersuchung hierüber nichts aussagen.
Im Falle b) ist zu beachten, daß das Auftreten der reellen Schnittpunkte der
Geraden =r mit der Hyperbel H, (die den Abszissen f£, und f, entsprechen) eine andere
Abgrenzung der Intervalle bedingt. Man hat zunächst für £, « £ « t£, obige Gleichung (188?)
für den Fall b.), dagegen für den Fall b;) die Gleichung (188*) nur im Intervalle 4, — £ € t,
und (188) im Intervalle /, <t<t,. Für £2 f, sind wieder die beiden Unterabteilungen
zu unterscheiden; aber es tritt noch eine weitere Unterscheidung hinzu, je nachdem /, «€ f;
oder f, >t, ist. Wir haben also:
€ — v?
ba.) £2 & wie oben in b.) und dazu £, 7 £,, d. h. => =); dann ist:
^"
307
DE TODE SERIE)
(194) 4- d5 (r*, t) 4- - DE)
Ar D, (s Ü pls - Lee (t5; 0) für [s <i < UN
und
j3
"AI e— di0S0-- (0 cL i 0
(1943) 4 9:0 LS (0
4-9, (6 t) +2 (td) fü t«t«t.
Für £2 f, kommt wieder der Umstand in Betracht, daß eine Parallele zur v-Achse
die Hyperbel H, in zwei Punkten (r, und z,) schneidet; demnach wird:
des a — d (19, d)+ d; (i9, £) + - V; (x9, f)
Hd (ns D d ES (ns
(1949) + — 95,0] 4- 2 C8 (15.0) — 5 0]
+[8, (4, €) — 9, (*, 0] + : Fred n ern ir ec fectus
Für £2 f, kommt das Gebiet links von der Linie L (d. h. der Einfluß der zu Anfang
bestehenden Bewegung mit P LOIRE SUN nicht mehr in Betracht, und es wird:
al
3e —— [2 (v9 1) 4 LT d (r0 t) 4 Vi (er 1)
ar o, es 1) Sr TW Ip; (ts, t)
(1942) d
-- [5 (t£) — 9: («,, 0] 4- tz Ge ent
Endlich, nachdem die Hyperbel H, die Linie — £ in J überschritten hat:
4 zr a?
— S. — d» (19, t) 4- V (x9, t) = lea)
(1943)
+ 4» (n, t) dits — V(r,t) für t2t,
bag) t,>t,, wie vorhin, aber f; « f,, d. h. e =) ; dann ist:
(195) Gleichung (194) gültig für das xri SU
Für £2 f; kommen jetzt die Punkte v, und z, auf der Hyperbel H, in Betracht; also:
40*
308
Aras ] E [e
Le n di) 96504 Li no
E : V; (n, 1)
(195) HEN + C3 65,0 — V5 0]
+, — 9,650] [9 HN) für etn
Ferner:
(195°) Gleichung (194?) für das Intervall £, « £ € f;,
(195*) T day 5 St, E
(1953) i IA 5 Be
bg) Es ist £, <t,, wie oben. Die folgenden Gleichungen schließen sich also an
Gleichung (188°) an; hier ist immer f, € £,, d. i. s y ss wir haben also keine
weiteren Unterabteilungen, und erhalten:
(196) Gleichung (1942) für das Intervall 4, «££ «ft.
Ferner:
(1962) E aa), E [ULM
wie oben und ebenso:
(196^) Gleichung (194°) , , = Int,
(196°) s ee : liz:
Hiermit ist die gleichförmig beschleunigte Bewegung vollständig behandelt; die Aus-
wertung der auftretenden Integrale bietet im einzelnen kaum größeres Interesse.
Ist q sehr klein, so liegt der Punkt £, = E sehr weit nach rechts entfernt; dann
nennt man die Bewegung quasistationür. Für diese quasistationäre Bewegung gilt also
die Gleichung (184^), in der nur die Funktionen $,, 2,, ^, V^, vorkommen (die sich also
nur auf Unterlichtgeschwindiekeit bezieht), für ein sehr weites Intervall. Das Interesse,
welches sich an diese Bewegungsform knüpfte, beruht wesentlich darauf, daß die gleich-
förmige Bewegung mit Unterlichtgeschwindigkeit bisher als ,krüftefrei^ (unter der Bedin-
gung % — 0 erfolgend) betrachtet wurde; es kam deshalb darauf an, den einfachsten Fall
der nicht krüftefreien Bewegung nüherungsweise zu behandeln. Nachdem aber obige
genauere Behandlung gezeigt hat, daß auch die gleichfórmige Bewegung nicht kräftefrei
ist, können wir eine eingehendere Behandlung der quasistationären Bewegung zunächst
übergehen.
In ganz analoger Weise läßt sich die gleichmäßig verzögerte Bewegung
behandeln. Es genügt, für diesen Fall die verschiedenen‘Hyperbeln zu zeichnen; aus der
Figur entnimmt man leicht die zu unterscheidenden Intervalle. Jetzt ist die Beschleuni-
gung q negativ; wir setzen sie gleich — z. Die Gerade (180) wird dann:
309
22t— ar W— )=/(;
sie trennt in der í-:r-Ebene wieder das Gebiet der Überlichtgeschwindigkeit von dem
der Unterlichtgeschwindigkeit. Sie liegt so, wie in Fig. 13 die Linie L, wenn:
OR Hes neu
22€ x
gewählt wird, wobei jetzt v^ c sei, so daß die Bewegung mit Überlichtgeschwindigkeit
beginnt; aber jetzt entspricht das schräg schraffierte Gebiet der Überlichtgeschwindigkeit,
das horizontal schraffierte (rechts von L gelegene) Gebiet der Unterlichtgeschwindigkeit.
Die dureh (1815) dargestellte Hyperbel .H, hat hier die Gleichung:
z0—9n»c:t--2(c--v)v—4a0.
Ihr Mittelpunkt J* hat die Koordinaten:
— ERA ges
x
t
er liegt also rechts vom Punkte A (vgl. Figur 15); die Asymptoten sind die Linien:
mega und 7=(.
x
Erstere Linie geht durch * und ist parallel
zu L; die Lage der Kurve H, ist in Figur 15
schematisch angegeben. Die Hyperbel JH, ist
nach (182):
zT -——2ztv-4-2(v—c)v4-4a-0;
sie hat den Mittelpunkt:
v—-6
t= T T—0:
z
derselbe liest also in A; die Asymptoten sind die
Linie L und die Achse z — 0; die Kurve liegt
also so, wie die Hyperbel H, in Figur 14. Um-
gekehrt liegt jetzt (in Fig. 15) die Hyperbel H.,,
d.i. nach (189) die Kurve:
z (9 —2:t)--2(v —c)z —4a-—0
so, wie früher die Hyperbel H,; sie hat Mittel- Fig. 15.
punkt und Asymptoten mit H, gemeinsam.
Die Hyperbeln H, und H, schneiden sich in einem Punkte mit den Koordinaten:
[7 v 2a
ges e ea
C ub C
Auf den ersten Blick kónnte es scheinen, als ob dieser Schnittpunkt einen stórenden
Einflu& auf die Bestimmung der einzelnen Intervalle habe; tatsüchlich ist das aber nicht
310
der Fall; denn zur Zeit = 2 ist die Geschwindigkeit des bewegten Elektrons gleich Null
Az
geworden, und dieser Zeitpunkt liegt immer vor demjenigen, welcher dem erwähnten Schnitt-
punkte entspricht. Sobald aber nun die Geschwindigkeit negativ wird, hat man den
Anfangspunkt der Zeit zu verlegen, d. h. eine neue Zeit £* einzuführen, so daß:
P d
zx
wird, und für die neue Zeit £* eine neue Figur zu entwerfen; dabei darf man natürlich
nicht versäumen, die im Intervalle 0 « £ « — gewonnenen Beiträge zur Kraft $; auch für
x
die weitere rückläufige Bewegung zu berücksichtigen. Auch der allmähliche Über-
gang von Überlichtgeschwindigkeit auf Unterlichtgeschwindigkeit bereitet
demnach keine Schwierigkeit.
815. Ergänzende Betrachtung über den Anfangszustand der Bewegung, insbesondere
bei gleichförmiger und bei gleichförmig besehleunigter Bewegung des Elektrons.
Bei der bisherigen Behandlung der Bewegung eines elektrischen Teilchens haben wir
angenommen, daß dasselbe zur Zeit = 0 seine Bewegung beginnt und gleichzeitig seine
elektrische Ladung empfängt. Denkt man sich aber das bewegte Teilchen als ein Elektron,
d. h. als durch und durch aus Elektrizität bestehend, so ist die Ladung schon vor der
Zeit = 0 vorhanden gewesen, und schon vor Beginn der Bewegung hat sich ein elek-
trisches Feld durch den ganzen Raum ausgebreitet, während unsere Behandlung nur das
vom Momente f — 0 ab entstehende und vom bewegten Elektron mitgeführte Feld berück-
sichtigt. Jenes schon vorhandene Feld wird natürlich die Bewegung mit beeinflussen, es
sei denn, daß die Wirkung vor der Zeit {= 0 durch andere Elektronen und sonstige
Umstände neutralisiert wurde.
Um nun die Wirkung dieser neuen Voraussetzung über den Anfangszustand mathe-
matisch zu behandeln, könnte man von dem elektrostatischen Potentiale der vor der Zeit
t=0 ruhenden Kugel auf die bewegte Kugel ausgehen. Von jedem Punkte der ersteren
aus zieht sich das elektrische Feld mit der Geschwindigkeit c zurück, so daß jedes Volum-
element der ersteren nur auf diejenigen Punkte der bewegten Kugel eine Wirkung ausübt,
die zur Zeit £ sich außerhalb einer Kugel mit dem Radius c£ befinden, in deren Zentrum
jenes Volumelement liegt. Dabei wäre ferner zu berücksichtigen, daß die bewegte Kugel
eine gewisse Zeit hindurch die feste Kugel schneidet, daß daher ein Teil der ersteren im
Innern der ruhenden Kugel sich befindet, ein anderer Teil außerhalb dieser Kugel, und
daß für beide Teile verschiedene Werte des Potentials zu benützen sind. Einfacher kommt
man indessen durch folgende Betrachtung zum Ziel.
Unsere allgemeinen Formeln gelten bei ganz beliebigen Annahmen über die Geschwindig-
keitskomponenten v; vy, v., z. B. also auch dann, wenn die Bewegung durch eine Ruhezeit
unterbrochen und dann wieder fortgesetzt wird. Legen wir nun eine solche Ruhezeit in
den Anfang der Bewegung, so kommt dies darauf hinaus, daß wir:
31i
[]
1. die am Schlusse von $3 in den Moment / — 0 verlegte Anfangszeit durch einen
negativen Wert = — f, ersetzen, d. h. in den allgemeinen Formeln £, durch — /,
ersetzen, so daB die Bewegung zur Zeit = 0 beginnt, wie bisher;
2. für die Zeit von = — £, bis £— 0 die Werte der Funktionen v&(r), voy (2), v (x)
gleich Null annehmen, so daß die Ausdrücke für die in (26) gegebenen Funktionen
-
& y, € und für T in (51) vollständig ungeändert bleiben;
. den Anfangspunkt = — £, so bestimmen, daß die vor Beginn der Bewegung vom
Elektron ausgehenden Kraftwirkungen volle Berücksichtigung finden.
c
Die allgemeine Formel (34) wird jetzt:
tfo
- DEE
(197) "asa [mer
wo wieder S durch (342), E durch (34®) gegeben sind. Der einzige Unterschied gegen
früher besteht darin, daß die Variable v (welche die Zeit von dem Momente ? aus rückwärts
mi&t, so daß z — 0 dem gerade betrachteten Endpunkte der Bahn, v — £ dem Anfangs-
punkte entspricht) jetzt für das erweiterte Intervall von v — 0 bis v — £ -- /, in Betracht
kommt. Die Bestimmung von f, ist für Unter- und Überlichtgeschwindigkeit naturgemäß
eine verschiedene.
Wir setzen zunächst wieder Unterlichtgeschwindigkeit voraus (also T'« ec) Sei
T,= (T);.-:, so bedeutet T, die Entfernung des Mittelpunktes des Elektrons zur Zeit £
von seiner Anfangslage. Die Wirkung der Anfangslage auf das Elektron hört offenbar
auf, wenn dasselbe von der Kugel, welche mit dem Radius c£ um den am weitesten ent-
fernten Punkt der anfänglichen Lage der Kugel geschlagen werden kann, überholt wird,
d. h. wenn das Elektron diese Kugel mit dem Radius c£ von innen berührt; dadurch
ist die Zeit = — f, bestimmt; dies ergibt die Bedingung:
eO — An Brad ture it,
oder:
(198) (Z)i=o + 2a =
Durch diese Gleichung ist bei Unterlichtgeschwindigkeit die in (197)
einzusetzende Größe f, bestimmt.
Die Abgrenzung der einzelnen Intervalle ist jetzt ebenfalls zu ändern, denn dieselbe
beruht wesentlich darauf, daß die Variable r an die Bedingung 0 <r<t gebunden war,
während dies Intervall jetzt auf:
(199) 0«:«1t- f,
erweitert ist. Die sonstigen Überlegungen bleiben indessen ungeündert. Demgemäß bleibt
das in $ 7 besprochene erste und zweite Intervall (0 <<’) ungeündert, insoweit die
Variable x in Betracht kommt; die obere Grenze des zweiten ist jetzt durch die Gleichung,
welche aus (72?) hervorgeht, indem man z durch t-+ f, ersetzt, d. h. durch:
(200) (cc T IsEg-—2d
312
definiert. Die Größe z? bleibt aber untere Grenze der Integrale Ds, und Y/;,; indessen ist
die obere Grenze des zweiten Intervalls nicht mehr durch (77) gegeben; es behält nämlich
die Kurve (73^) ihre Bedeutung, aber die Grenze der Anwendbarkeit ist nicht mehr durch
die Bedingung 7 — £, sondern durch die Bedingung r=t-+ t, gegeben, so daß (77) durch
die Gleichung:
(201) c(t 4-4) — (Does 2a
zu ersetzen ist. Bei der im Anschlusse an die Figuren 6 und 7 angestellten
geometrischen Diskussion ist also die Gerade v — £ durch die Gerade:
(202) piod
zu ersetzen, um dem jetzt vorausgesetzten Anfangszustande gerecht zu werden;
im übrigen bleibt dieselbe unveründert anwendbar.
Wir nehmen als Beispiel wieder die geradlinige Bewegung mit konstanter Unterlicht-
geschwindigkeit. Hier war 7 — v: (vgl. $ 12); somit erhalten wir aus (198):
2a
20: u= + —.
(203) XR AP EE
Die Gleichung (200) gibt infolgedessen für die obere Grenze des ersten Intervalls
den Wert:
2a 2a a 4
20: =, — tt — = — ;
(Ot) Ds. edv c—v ce l—o?
uud die Gleichung (164) für die wirkende Kraft im ersten Intervalle würde ergeben:
3 & ofct 4 9 c/[et 4 1 7 et Zu mW.
905 ducum E P —— E = .
(205) 8; 4 z a? \ a 1— =) |: 4a É 1— 3) un i $a = je iu) |
Da aber die obere Grenze des zugehörigen Intervalles nach (204) negativ ist, das
Intervall selbst also ganz im Negativen liegt, so hat diese Gleichung für uns keine Be-
deutung; denn ihrer Ableitung nach stellt sie die Kraft nur nach dem Beginne der
Bewegung (d. h. für O<o<c) dar; für £ «0 wäre auch « — 0 zu setzen, und dann
resultiert in der Tat der richtige Wert iQ, — 0: die Kraft der elektrischen Vollkugel auf
sich selbst.
Die Gleichung (201) liefert jetzt für die früher benutzte Größe z' — ?' (obere Grenze
des zweiten Intervalles) die Relation:
(206) ce(v -- 6) —v(v 4-4) 4-208 oder 1?'—————t,—0.
Auch dieses Intervall liegt also ganz im Negativen und kommt nicht in Betracht,
so daß die Gleichung (168) hier zu keiner entsprechenden Gleichung führt. Die Bewegung
beginnt also im vierten Intervalle, für welches die Gleichung (169) aufgestellt wurde,
d.i. die Gleichung der stationären Kraft. Die Gleichung (169) für den Wert %., der
313
Kraft im stationären Zustande gilt also jetzt ebenso wie früher; dieser Zu-
stand tritt aber schon bei Beginn der Bewegung ein.
Bei Überlichtgeschwindigkeit befindet sich das Elektron nach einer gewissen
Zeit £j dauernd im elektrischen Felde, das von ihm selbst in seiner Ruhelage erzeugt
wurde: diese Zeit £, wird wieder durch den Moment bestimmt, wo die Kugel mit dem
Radius c £o, welche den vom Elektron entferntesten Punkt der Ruhelage zum Mittelpunkt
hat, mit dem Elektron eine Berührung (aber jetzt von außen) eingeht, d. h. durch die
zu (198) analoge Gleichung:
(207) (9i — 206 th *
Dieselbe Überlegung kann man für einen beliebigen Zeitpunkt 7 anstellen (von der
Zeit f nach rückwärts gerechnet); es bestimmt die Gleichung:
(2072) (Di=s —2a=ch
diejenige Zeit /;, während welcher die zur Zeit v vom Elektron ausgehende Kraftwirkung
noch auf die Bewegung des Elektrons von Einfluß ist. Diese Zeit 4 ist im Sinne der
wachsenden Größe r gemessen, also vom zur Zeit £ (d.h. — 0) erreichten Endpunkte nach
rückwärts. Setzen wir nun r — f, d.h. betrachten wir den Anfangspunkt der Bewegung,
und ist dann = die kleinste brauchbare Lösung von (207%), d. h. von der für : — f£
aus ihr hervorgehenden Gleichung (207), so muß die gesuchte Zeit /£, durch die Gleichung:
208) &— f
bestimmt werden; denn wir hatten die Anfangszeit mit — f, bezeichnet, so daß /, in der
gleichen Richtung von fj gemessen wird. Dieser Wert ist für die Bewegung mit
Überlichtgeschwindigkeit in die obere Grenze des auf der rechten Seite von
(197) auftretenden Integrals einzusetzen, um der jetzigen Annahme über den
Anfangszustand zu entsprechen.
Die dadurch notwendige Abänderung der früheren Formeln tritt besonders bei Bestim-
mung der zu berücksichtigenden Intervalle hervor. Zunächst sind die Ungleichungen (132)
und (132?) bzw. durch die Bedingungen:
Endet
zu ersetzen; alsdann tritt an Stelle der Gleichung (133) die Gleichung:
(209) 2I (T +c T)-— Hits
während die Gleichung (131) und die entsprechende Kurve ihre Bedeutung behalten; der
sich hieraus ergebende Wert von f£ ist aber in 5, und ,,, nicht als untere Grenze ein-
zusetzen, als solche ist vielmehr der frühere Wert z, beizubehalten; es tritt eine all-
gemeine Verschiebung der Intervallgrenzen gegen die Integralgrenzen ein
(wie bei Unterlichtgeschwindigkeit) Die zweite kritische Gleichung, nämlich (142), oder:
Am d ue
definiert wieder z, als Funktion von /; aber die Grenze der Anwendbarkeit ist verschoben
und jetzt durch die Gleichung:
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt. 41
314
(210) 2a —=(T—=er),=rr, also durch = p
festgelegt (während früher r, — £ zu setzen war).
Es möge dies wieder durch das Beispiel der Bewegung mit konstanter Überlicht-
geschwindigkeit erläutert werden (vgl. 8 13). Die Formel (174) bleibt im ersten Intervalle
gültig, wenn man dort £ durch £ 4- £, ersetzt, wobeií, gemäß (207) und (208) zu berechnen
ist; es ergibt sich:!)
2a
(211) I, = PUDE
Für das erste Intervall erhalten wir dann aus (174):
Sr IE ARD TEN 1490 (et 2 5 5 (ct DENS
8 eats! 8 (ez) 16 4. o zu
ipt Do eges 3 35 »(z 2 :
329 9 2 c* 4- 955 0 FE :
und diese Gleichung würde anwendbar sein in dem Intervalle:
2a
0ct-4-t« à
t fo c+v
oder:
2 2 9
24 <r< 2a © DOM
e— 79 c+v 9—€
Dieses ganze Intervall liegt aber im Negativen; da die Variable v nur positive Werte
annehmen kann (0 «Cc «£-- t,), so hat dieses ganze Intervall und die zugehörige letzte
Formel für 3. für die Bewegung des Elektrons keine Bedeutung mehr. Will man die
Formel für $, dennoch anwenden, so muß man bedenken, daß v für negative Werte von
t gleich Null ist, wodurch auch %; gleich Null wird. Wir haben demnach sogleich mit
dem nüchsten Intervalle zu beginnen, für das die Formel (176) abgeleitet wurde, und das
nach obigem durch den Wert (177?) begrenzt wurde. Letzterer ist nach (211) jetzt durch
die Gleichung:
+) — e) —2a,
oder:
2g
b iet en o!
bestimmt. Auch dieses Intervall hat also keine Bedeutung mehr, und ebenso der zuge-
hórige Wert von %, und wir kommen sofort zum dritten Intervalle; in ihm war die
Bewegung stationär und die Kraft S. durch (178) bestimmt. Diese Gleichung ist ebenso
wie im Falle der Unterlichtgeschwindigkeit unverändert anwendbar, da ja nur die Intervall-
grenzen, nicht die Integralgrenzen gegen früher geändert werden. Bei der jetzigen
Voraussetzung über den Anfangszustand ist daher die Bewegung mit kon-
stanter Überlichtgeschwindigkeit von Anfang an stationär.
! Bezeichnet AB einen in Richtung der Bewegung des Elektrons von A nach B gezogenen
Durchmesser desselben, so ist fj die Zeit, welche die von B ausgehende elektrische Kraft gebraucht, um
sich rückwärts bis A fortzupflanzen.
315
Besonderes Interesse bietet die Bewegung mit Lichtgeschwindigkeit (co — 1, v = c).
Geht man von der Bewegung mit Unterlichtgeschwindigkeit aus, so werden die entsprechenden
Formeln (205), (168) und (169) scheinbar unbrauchbar, indem sie unendlich große Werte
von S- ergeben. Tatsächlich aber darf keine dieser Formeln für den Fall c — 1 angewandt
werden: denn wir haben gesehen, daß die den Gleichungen (205) und (168) entsprechenden
Intervalle jetzt zu negativen Werten der Zeit gehóren, also keine Bedeutung haben; die
Gleichung (169) aber entspricht dem stationüren Zustande, und der ihm zugehórige Wert
der Kraft wird gewonnen, indem man in den Ausdruck der Kraft für das zuletzt vorher-
sehende Intervall die Zeit 4 (sofern sie in der oberen Grenze des Integrals (197) erscheint,
und bei konstanter Geschwindigkeit kommt sie unter dem Integralzeichen nicht vor) durch
die obere Grenze dieses vorhergehenden Intervalles ersetzt, also hier durch Null ersetzt.
Nun war aber jene Kraft im vorhergehenden Intervalle (£« 0) gleich Null; folglich bleibt
sie gleich Null im stationüren Zustande, d. h. das Integral (197) ist für v — c bei jedem
Werte von £ gleich Null (indem der Wert von rz, der den stationären Zustand liefert, hier
mit der unteren Grenze Null zusammenfällt). Bei unserer jetzigen Voraussetzung
über den Anfangszustand der Bewegung (wo das Elektron nach unendlich
langer Ruhe die Bewegung plötzlich mit Lichtgeschwindigkeit beginnt) ist
die geradlinige gleichfórmige Bewegung mit Lichtgeschwindigkeit „kräfte-
frei.“ Dasselbe Resultat ergibt sich, wenn man von Überlichtgeschwindigkeit ausgeht, denn
auch bei dieser kommt nur das dem stationären Zustande entsprechende Intervall in Betracht,
dessen untere Grenze ebenfalls an der Stelle 7 — 0 liegt.
Drittens betrachten wir das in $ 14 behandelte Beispiel der gleichmäßig be-
schleunigten Bewegung unter den jetzigen Voraussetzungen. Die zur Bestimmung
von £, dienende Gleichung (198) wird hier gemäß (179):
$e—( —v)t —2a=0;
sie hat eine negative und eine positive Wurzel; nur die letztere ist für uns brauchbar, also:
: e—V e—v\? 4a
(212) f, -—-— «Vy (5 + —.,
b q q q
Die frühere Gleichung (180), welche in der £-:r-Ebene das Gebiet der Unterlicht-
geschwindigkeit durch die Linie L von dem Gebiete der Überlichtgeschwindigkeit trennte
(vgl. Fig. 13), bleibt hier unverändert bestehen. Das erste Intervall (0 « t « £?), für welches
Gleichung (181) aufgestellt war, wird hier: :
86 Yo i5 ENTER,
(212%) «ice y (CE) «e -V er e
Die rechte Seite kann positiv oder negativ sein; nehmen wir das letztere an, so kommt
das ganze Intervall für uns nicht in Betracht.
Es handelt sich weiter um die Hyperbel (182); jetzt ist aber die Linie t — £ durch
die Gerade v — f -- f, zu ersetzen; die Wurzel v, der genannten Gleichung (wie sie in
(154°) angegeben wurde) ist nur brauchbar, wenn sie kleiner als + f, ausfällt. Wir
müssen also die Linie 7 — t-+ f, mit der Hyperbel (182) zum Schnitt bringen; das gibt
die beiden Wurzeln:
41*
316
i-e) Vet
ee
(213) zu 5» kn Ve Hi
welche an Stelle der früheren Größen f, und £, treten; diese Wurzeln sind immer reell;
die erste aber ist negativ und kommt nicht in Betracht; die zweite ist positiv und größer
BF = a e— 0v
als f£, = em auch größer als f, is 55 4e p
Der früher mit a) bezeichnete Fall, in dem /, und £, imaginür waren, scheidet hier
ganz aus; es kommt nur die Möglichkeit b), bzw. ihr jetziges Analogon, in Betracht; wir
erhalten also nach (184):
3e ^ : 1 2 1 =
(214) | 8$; — — Ta EIG + $,(n.2) 4- S V. (15:0) 4- P. At 0 für 0 «f «1,
wobei z, wieder durch (184°) definiert ist.
Für £2 f£, geschieht die Bewegung mit Überlichtgeschwindigkeit; hierdurch ist die
obere Grenze des zuletzt betrachteten Intervalles festgelegt; diese Grenze ist unab-
hängig von £,. Das nächste Intervall erstreckt sich von f, bis £, und wir erhalten, analog
zu (1889):
4nza?
9e
(215) + (4) «e. | + | in )- ACD)
+ $, (c, t) - - V. (rM). für 4 « t «ds
$.— 4565,54 016524 - V: (x5, d)
Man macht sich die Abgrenzung der einzelnen Intervalle wieder durch nebenstehende
Figur 16 leicht klar (eine analoge Zeichnung hätte auch für den obigen Fall der gleich-
förmigen Bewegung mit Vorteil benutzt werden können).
Das nächste Intervall erstreckt sich von Z, bis £.. wo £, wieder die vertikale Tangente
der Hyperbel H, bestimmt und durch (190*) gegeben ist; £i ist hier stets größer als
t., kommt also noch nicht in Betracht.
4 za?
36
EHRE EL Vt G^ 0
(216) + 4» (7,2) + zi Uy» (rs 0)
+9, (5 0 4 : VS (rst) ind S Ste
317
Da £i zwischen £4 — £5 und £j; liegt, so erhalten wir im nächsten Intervalle, indem
nun auch die Hyperbel H, in Betracht kommt:
isa.
— 52 g, — d (9,0) - di (5,2) : V; (x5, f)
HB) c V (n
(217) | 1
[95 (05.0) — 5 8,0] 4 T DES (5.0 — MN]
4- [9, (n, t) — , («*, £] + : [V2(5; )z- W,(* 5]: für „<i<t.
Fig. 16.
An der Stelle /; wird die Hyperbel H, von der Linie 7 — £ -- t, geschnitten, so daß
jetzt der Hyperbelzweig durch diese Linie zu ersetzen ist; wir erhalten demmach:
3
ie) -- di (9,1) - Pie)
^r ds (n, f) + : V; (v, 1)
(218) 1
+ [95 (65,2) — Ba -- — [3 5,0) Pd)
"FE [9, € 6) — 9, G5, 0] - E Cs 46,2) — Ri]
TUE E e es
318
dabei bestimmt /; den Schnittpunkt der Linie L, die durch (180) gegeben war, mit der
Linie v — £ -- £j; es ist also:
5 EV
| i=2 Eh
Endlich bezeichne £; den Schnittpunkt der durch (189) dargestellten Hyperbel 4,
mit der Geraden v — £ -- £j; dann wird:
4 z a
SEE
(219) ++ (n)
8. — d (7^0) -- di 69,0 EL)
HB (4-4, DB N - BAHN CN] für.
Hier sind die Glieder, welche von ® und V^ also von der anfänglichen Bewegung
mit Unterlichtgeschwindigkeit herrühren, verschwunden; der Einfluß des anfänglichen Ruhe-
zustandes macht sich aber noch in den Argumenten geltend, indem + t, an Stelle von 4
getreten ist. Wächst endlich f£ noch weiter, so wird:
3
= 8. — d» (6^, 0) 4- di (5,0) 4- : Ti (0t)
(220)
+ d» (r,, )- lw (7) V für £2 £;.
Auch bei der jetzigen Annahme über den Anfangszustand macht hier-
nach der Übergang von Unter- zu Überlichtgeschwindigkeit durchaus keine
Schwierigkeit: er vollzieht sich vielmehr vollständig stetig; der nahezu statio-
nüre Zustand, wie er dureh (220), bzw. oben (1949), gegeben wird, stellt sich nur erst
nach längerer Zeit her (denn es ist /£;2 f; Ein Unterschied macht sich ferner darin
geltend, daß jetzt schon für 7 — 0, gemäß (214), sich eine endliche Kraft ergibt, während
bei der früheren Annahme, d.i. nach (182), diese Kraft für 4 — 0 gleich Null war.
8 16. Vergleichung mit anderen Bearbeitungen der behandelten Probleme.
Im Laufe der Untersuchung ist wiederholt hervorgehoben worden, daß unsere Resultate
mit den von anderer Seite erhaltenen nicht übereinstimmen. Es ist daher notwendig, die
Gründe dieser Divergenz klarzulegen.
Von Lorentz, Searle und Abraham wurde die Bewegung eines Elektrons mit
konstanter Geschwindigkeit behandelt, besonders von letzterem auf Grund seiner allge-
meinen Formeln zur Dynamik des Elektrons, und zwar unter der Annahme, daß diese
Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit schon unendlich lange Zeit angehalten habe, so
daß sich ein stationärer Zustand herausgebildet hat, d. h. ein Zustand, der für einen mit
dem Elektron fest verbundenen Punkt von der Zeit unabhüngig geworden ist. Es ist dann
(bei gleichfórmiger Bewegung, nach unendlich langer Zeit) in jedem Momente die Vor-
geschichte des Problems dieselbe; mithin ist das Feld des skalaren Potentials p und des
Vektorpotentials X, bezogen auf ein translatorisch mitbewegtes Achsenkreuz, konstant. Wir
haben zu untersuchen, inwieweit dieser Schluß mit unseren Formeln übereinstimmt.
319
Für den Fall der Translation mit konstanter Geschwindigkeit v, geht unsere Differential-
gleichung (6), die auf das im Elektron feste Koordinatensystem bezogen ist, in die Gleichung:
ER ER 8
= UB CN TEE = 5 >) >= 0
et 9 x* [ecd es 92? =
3
über. Für den stationären Zustand E: — 0) wird also:
E 2 275
(221) quee ENDO P DendeE UM Me
943! gy3 gg
d. h. in der Tat dieselbe Gleichung, welche Abraham zu Grunde legt. Durch die Trans-
formation:
(222) z'V1—o-z, quss eue
wird dieselbe:
Sp,
99
9*8 39^ ar EAE
3
92-7
2
d.h. die gewöhnliche Poisson-Laplacesche Gleichung für das elektrostatische Potential.
Jene Transformation führt aber die Kugel des Elektrons in ein verlängertes Rotations-
ellipsoid über (wenn c « l, also bei Unterlichtgeschwindigkeit):
xz? (1— o?) +y? 4- 2? — a.
Es ist also 9 das elektrostatische Potential eines Rotationsellipsoides in Variablen
z'. y', z^. Ebenso lassen sich die Gleichungen für 9G, 9(,, A; transformieren; wir erhalten
aus (2):
WERULT OA PE
if 2 e ze
( €07) 22? XU ay? + 22 Qo, ^
; 2? 9 AU 2? 3[
1 CT 9 1| Li Y
\ eu 9a? 8j? a 922 2
- og U, 2? 9t, 9? 9f,
1 (9? ze cb
ae ya WE SIT: d
so dab 9[, — c - y wird, während X, und 9f, in den Ausdrücken für die Kraftkomponenten
bzw. mit »,(— 0) und v, (= 0) multipliziert erscheinen und ganz herausfallen.
Die Komponenten der wirkenden Kraft werden dann nach (113):
71-52: 95 113719307 499 ——299
an ce Dor
BERN = ag vol, 249 m
29g v 9 9f, x99 a9
I epi gras Tees ee
Die auf das Elektron wirkenden Kraftkomponenten werden durch Integration über
das Innere desselben gewonnen; sie sind nach (114), wenn o im Innern konstant ist:
320
Le o» (P (29 ac ayas 2 — 25; ul | fet ae ay az.
em e anf 2Earavan- num [ftne aio
dcs — = S (f fee asayas—— i isse» f f? ? da dy dz,
Die Integrationen nach z', y', 2° beziehen sich auf das Innere des Rotationsellipsoids,
welches aus dem kugelfórmigen Elektron durch die Transformation (222) entsteht. Diese
Integrale sind bekanntlich gleich Null, da die Kraft, die das Ellipsoid auf sich selbst
ausübt, verschwindet, und so ergibt sich scheinbar das von den genannten Forschern
erhaltene Resultat, daß die stationäre Bewegung eines Elektrons „kräftefrei* sei. Trotzdem
sind diese Schlüsse nicht einwurfsfrei.
Zunächst könnte man zweifeln, ob die ARD dab das Potential p nach unendlich
langer Zeit von £ unabhängig werde, d. h. da& sich = für £ — oc der Grenze Null und
q einer bestimmten endlichen Grenze nähere, MCA ist. Dieses Verhalten von @ ist
aber in der Tat eine Folge unserer allgemeinen Formeln. Bei gleichfórmiger Bewegung
ist nämlich £ — vv, y — 0, 6 — 0, folglich:
R=@+vVYV+yP+2
und wenn man diesen Wert von R in die Gleichung [35 einsetzt, so wird die rechte
Seite der letzteren in der Tat unabhängig von £, indem die Grenzen z', z'*, z'^, z1V bzw.
durch die Gleichungen:
R=a—ct cfe et. (Gm): R—_ om a, Toute C a)
als Funktionen von x. y, 2 definiert werden. Es wird also o schon für endliche Werte
von £ stationär, um so mehr für unendlich große Werte von f£, wie vorausgesetzt wurde;
dasselbe gilt für das Vektorpotential A. Der in (53^) gegebene Ausdruck g ist übrigens
für den Fall der gleichfórmigen Bewegung auf elementare Funktionen zurückführbar, indem
sich die Integrationen ausführen lassen; er muß eine von der gewöhnlichen abweichende
Form für das elektrostatische Potential des Ellipsoids darstellen, wenn man in ihm die
"Transformation (222) ausführt.
Die Schwierigkeit liegt demnach an einer andern Stelle. Wenn man den stationären
Zustand der Bewegung beurteilen will, so kommt es nicht so sehr auf den Grenzwert des
Potentials für £ — oc, sondern auf den Grenzwert der Kraft an. Die Formeln (223)
entstehen, wenn man, ausgehend von den Gleichungen (113) und (114) den folgenden
Grenzprozeß macht:
9 29
(224) lim — — [ | [1m E 2 Sa zl dz dy dz,
vwvVuvi-—o
und die Integration rechts über das ganze Volumen des Elektrons ausdehnt. Zur Dar-
stellung des stationiren Zustandes benótigt man aber den Grenzwert:
jg 2
(225) lim $$; = — lim | n B poeni s dz dy dz;
en) i—owv c:9% 3:9/f.
321
und dabei ist die Integration rechts nicht über das ganze Volumen auszudehnen, sondern
nur über den Teil, welcher zwischen den Kugeln mit den Radien A — cr und R-+er
: SERIEM US i. = : TURO H S
sich befindet, wie in 8 7 und 8 näher ausgeführt wurde, wenigstens für zm wührend für
= noch andere Gebiete im Innern in Betracht kommen, nicht aber das ganze Volumen
der Kugel. Hierbei ist vorausgesetzt, daß die Integration nach 7 zuletzt, die Integration
über das Volumen zuerst ausgeführt werde; eine solche Vertauschung der Integrations-
ordnung ist ja bei endlichen Grenzen und endlichen Funktionen stets erlaubt (und in
obigen Rechnungen durchgeführt). Auf der rechten Seite von (225) hängen also die
Grenzen des Volumintegrals (nach der Vertauschung) von r, und somit auch von f£ ab,
woraus hervorgeht, daß eine Identität der beiden Grenzprozesse (224) und (225) nicht zu
erwarten ist; in der Tat ist ja schon in einem einfachen Beispiele:
a i
. d : d
lim —— 20 dagegen lim | — Fr io
zei) ta ies Vt- c
Für die Lósung des physikalischen Problems, das uns beschüftigt, kommt es aber
auf den zweiten, durch (225) gekennzeichneten Grenzübergang ausschließlich an; diesen
haben wir in unseren Entwicklungen durchgeführt; die letzteren geben daher die einzig
brauchbare Lösung der Aufgabe. Sie lautete dahin (vgl. 8 12 und $ 15), daß bei gerad-
liniger Bewegung mit konstanter Unterlichtgeschwindigkeit nach einer ge-
wissen endlichen Zeit die Kraft stationär (aber nicht gleich Null) wird.
Daß andauernd eine Kraft nötig ist, um die konstante Geschwindigkeit aufrecht zu
erhalten, kann man auch durch folgende Überlegung einsehen. Es sei AB ein Durch-
messer des Elektrons, der von A nach BD in Richtung der Bewegung weist. Von JD und
von der Umgebung des Punktes B gehen in jedem Momente elektrische Wirkungen aus,
und zwar auch rückwärts in Richtung auf den Punkt A und dessen Umgebung. Diese Kräfte
muß das Elektron in jedem Momente überwinden, und nur in der Ruhe werden sie durch
die entgegengesetzt wirkenden Kräfte aufgehoben. Daran wird nichts geändert, wie lange
auch die Bewegung gedauert hat; auch nach unendlich langer Zeit wird daher eine Kraft
aufzuwenden sein, und die Zeit, während welcher diese von jedem Momente ab wirkt,
ist gleich der Zeit, welche die elektrische Kraft braucht, um sich rückwärts von D nach
A mit der Geschwindigkeit c fortzupflanzen, also (da das Elektron sich mit der Geschwin-
7)
leere: E 2a t A eve
digkeit v in entgegengesetzter Richtung bewegt) gleich ——. So wird es verständlich,
e—70
2a
daß die benötigte Kraft durch ein zwischen den Grenzen O0 und ——— genommenes Integral
—v
dargestellt wird, dessen Variable z die Zeit von der augenblicklichen (d. h. zur Zeit f
erreichten) Lage des Elektrons nach rückwärts mißt.
Andererseits beruht die Lorenz-Abrahamsche Lösung des Problems der Bewegung
mit konstanter Geschwindigkeit sicher auf einer unter der Annahme 3,0 zulüssigen
Lösung der zu Grunde liegenden partiellen Differentialgleichung; daß dieselbe trotzdem
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt. 42
322
im vorliegenden Falle nicht anwendbarist, erkennt man ohne Hilfe der obigen
ausführlichen Rechnungen durch folgende Überlegung. Wenn man ein mit dem
Elektron fest verbundenes Koordinatensystem eingeführt hat, so denkt man sich selbst mit
diesem Systeme (und mit dem Elektron) in starrer Verbindung; das Elektron wird also
als ruhend betrachtet, während der ganze Raum sich mit der Geschwindigkeit — v vom
Elektron fortbewegt. Die Formel (221) Abrahams ist anwendbar auf alle Punkte bzw.
Körper, die sich mit dem Elektron ebenfalls in starrer Verbindung befinden. Das hier zu
behandelnde Problem verlangt aber, die Wirkung des Elektrons auf seine früheren Lagen
(bzw. die Wirkung der letzteren auf das Elektron) zu berechnen; die früheren Lagen sind
aber mit dem Raume, nicht mit dem Elektron starr verbunden; man hat also die Wirkung
des letztern auf diese früheren Lagen, d. h. auf kongruente Elektronen zu berechnen die
sich mit der Geschwindigkeit — v vom Elektron fort (also nach rückwärts) bewegen und
diese früheren Lagen markieren. In den Gleichungen (223) ist also nicht über das Innere
des (jetzt ruhend gedachten) Rotationsellipsoides zu integrieren, sondern über das Innere
anderer Ellipsoide, die sich vom gegebenen aus nach rückwärts bewegen; und dann kommt
auch die Zeit in die Resultate hinein, und man erkennt, daß es auf die Variable ankommt,
welche oben eingeführt wurde und die Zeit vom (ruhenden) Elektron aus nach rückwärts
mißt. Zur weiteren Durchführung der Integration hätte man die verschiedenen Lagen
genau so studieren müssen, wie wir es getan haben, und es wird kaum möglich sein, hier
wesentliche Vereinfachungen zu erzielen.
Allerdings war Sommerfeld!) durch seine Bearbeitung des allgemeinen Problems
der Elektronenbewegung auch zu dem Resultate gekommen, daß die gleichförmige Bewegung
des Elektrons mit Unterlichtgeschwindigkeit kräftefrei sei; aber die dahin führenden mathe-
matischen Entwicklungen unterliegen gewissen Bedenken, die hier dargelegt werden mögen.
Sommerfeld hat den allgemeinen Ansatz gegeben, der die Lösung des Problems ermög-
licht; wir haben uns ihm in den ersten Paragraphen ($ 1 bis 3), wie dort schon hervor-
gehoben wurde, ziemlich enge angeschlossen. Der Unterschied beginnt bei der Gleichung
(25) bez. (27); dort kommt die Anfangszeit Z, vor, die wir der Einfachheit halber an die
Stelle £ — 0 legten; Sommerfeld nimmt dagegen £,— — o», so daß die obere Grenze
t — t, durch oo ersetzt wird, und ebenso alle folgenden Integrationen nach v von v — 0
bis =», statt von r — 0 bis v — £ ausgeführt werden. Er begründet die Annahme
= — oo damit, daß im Laufe der Entwicklung die unendliche Grenze doch wieder durch
eine endliche Grenze ersetzt wird (wie auch wir es fanden, vgl. Gleichung (79), (1185) und
viele andere, insbesondere den stationären Zustand in $ 12, 13 und 15); das ist allerdings
richtig, aber diese endliche Grenze ist dann im allgemeinen eine Funktion von £ (Wurzel
der Gleichung (78) oder (133) bzw. (142)); dasselbe gilt für die Potentiale 3(,, 3(j, 25; bei
Berechnung der Kraft werden die letzteren gemäß den Formeln (113) nach der Zeit f
differenziert; da nun X, bei uns durch das Integral (85) dargestellt war, in dessen oberer
Grenze die Zeit (später eine Funktion der Zeit) vorkommt, so entstehen durch Differentiation
nach der oberen Grenze Glieder, die fortfallen, wenn man diese Grenze konstant (nämlich
gleich oo) gesetzt hat; diese Glieder sind von uns in $7 bzw. $ 11 berücksichtigt. Über-
dies aber gab gerade das Auftreten der Veränderlichen in der oberen Grenze uns die
!) Göttinger Nachrichten, a. a. O., Jahrgang 1904.
323
Veranlassung, die verschiedenen Fälle zu unterscheiden, die z. B. in S 7 (d. h. für Unter-
lichtgeschwindigkeit) eingehend diskutiert sind; die Unterscheidung dieser Fülle brachte es
mit sich, daß im ersten Intervalle 0 Xm eine Funktion unter dem Integralzeichen auf-
tritt, die für z — O0 nicht unendlich wird, während die einzelnen Sommerfeldschen Inte-
grale für z — oc unendlich groß werden, und dieses Unendlichwerden erst in der Schluß-
formel wieder herausfällt.
Nur bei gleichfórmiger Bewegung tritt im stationären Zustande (der der Annahme
í,— — o» entsprechen würde) eine konstante obere Grenze in den Integralen für 9, und
A, auf (vgl. 8 12); diesen Fall der geradlinigen stationären Bewegung mit konstanter
Unterlichtgesehwindigkeit müßten daher die Sommerfeldschen Formeln richtig darstellen.
Aber auch hier sind die Resultate dadurch entstellt, daß das bei Ausführung der Volum-
integrationen angewandte Verfahren nicht einwandfrei ist.
it ) da dydz,
Es handelte sich in 8 7 um Ausführung des Integrals:
k — Ff ft asay dpi
wo nach (34°):
oo
sina s—ascosinas à
s-|[° sınest-sin Rs-ds.
Ü
Da z, y, z nur in R, d.h. in der Verbindung + £, y 4- 9, 2 4- £ vorkommen, so ist:
39 2) à)
Sen Um SA
Dem entsprechend setzt Sommerfeld, bei dem (wie schon erwühnt) die obere
Grenze f des nach v genommenen Integrals durch oo ersetzt wird, jenes Integral gleich:
Sec S
eo jn ll): dzdydz-K.
Dabei ist das dreifache Hd wieder über das ganze Innere des Elektrons zu
erstrecken; nun hat aber die Funktion S die Eigenschaft, in einem Teile dieses Innern zu
verschwinden, und nur im andern Teile (dessen genauere Begrenzung von T' abhängt, wie
aus obigen Entwicklungen in $ 4 hervorgeht, wie wir auch sogleich noch sehen werden)
von Null verschieden ist; es bezeichne d'«» das Volumelement in demjenigen Teile, wo S
von Null verschieden ist; dann würde:
Linee c f. o? SI
ecco sardo
0
und wenn wir mit 9° die Differentiation nach £, in den Grenzen des Raumintegrals bezeichnen:
E elles aro Fffes nen] o-
42*
324
Da aber 22 in demselben Gebiete verschwindet, in welchem S gleich Null ist, so ist
kcu a ZEILE
und so ist es evident, daß die Integrale X und K' sich wesentlich voneinander unter-
scheiden. Was die Abhängigkeit der genaueren Begrenzung von 7 (und somit von &, n, £)
angeht, so sei z. B. auf obige Gleichung (74) verwiesen, wo ©, durch (73°) als Funktion
von T und c definiert ist; ebenso ist es bei Sommerfeld, in dessen Gleichungen (19) die
Werte von $ für die verschiedenen Intervalle als Funktionen von R angegeben sind; bei
der Integration nach R kommen so auch bei ihm unter Berücksichtigung dieser Intervalle
Funktionen von 7 in die Grenzen des dreifachen Integrals. Trotzdem kann allerdings unter
besonderen Verhältnissen eine Identität beider Operationen eintreten.
Es ist leicht, diese allgemeinen Überlegungen durch ein Beispiel zu erläutern, das alle
wesentlichen Momente der vorstehenden Erörterungen deutlich hervortreten läßt, aber sehr
viel einfacher ist. Wir betrachten das Integral:
> -
sin &s- cosin 28
dog —ÀÁÀMÀÁ US!
"o
andererseits:
a
L= fa«2. |i
[U
wo 0«£«a sei. Das nach s genommene Integral ist der Dirichletsche Diskontinuitüts-
faktor, also:
&s- cosin z $ az = r
[zs ds, DD vA rA
EP) m Wubxas.
Folglich wird:
oo
' sin es. cosin xs IT x. P".
2 (a8) a dis” ar, für m «6E
dE S 2
0
—I) SIDE
und:
3t Zo.
L—ga [dz — 7 £c
Damit vergleichen wir das Integral:
D—— 2 (fe a Ee 2 pee nt gear.
0
Dasselbe ist:
L-. [e tab da—2 da) TIE gadz—(1 4:29) E.
0 0
325
Es entstehen also in der Tat ganz verschiedene Werte bei verschiedener Anordnung
der Operation des Differenzierens und des Integrierens. Nur für a — — 1 geben beide
Integrale denselben Wert — = s
Fassen wir die Sommerfeldschen Formeln zusammen, bevor die betreffenden Integrale
ausgewertet sind, so läßt sich sein Ausdruck für die Kraftkomponente %; in der folgenden
Form schreiben:
= I. E sfffeo-s Sud): (s a) totus
isse a: (ff 7 da dy az].
wobei unter S wieder das obige Integral (226) verstanden werde. Zufolge der von uns
erlangten Resultate würde dagegen die entsprechende Formel lauten:
SEA eiu Ss Le p mese o) de) ade
e eei
und hierin treten die von uns besprochenen Unterschiede deutlich hervor
(Wahl der oberen Grenze für das Integral nach v und Vertauschung verschiedener Inte-
grationen und Differentiationen). Allerdings haben wir die Kraft $y oben nicht in dieser
Form gegeben, teils weil wir die einzelnen Bestandteile gesondert auswerteten, teils weil
wir das Glied S v. (f)v. (f£ — v) im ersten Gliede der rechten Seite von (227) zuvor mittelst
der Relation (95) fortschafften, so da& sich das Resultat auf Grund der Gleichungen (94),
(114) und (116) in der einfacheren Form darbot:
en ll a D
ed ffretoas feu]
Wir hatten ferner weitere Vereinfachungen erzielt, indem wir in $ 7 auf Grund der
Gleichung (55) das erste Integral der rechten Seite auf die folgende Form brachten:
(228?) IS (s ;) d'a d zi - fui OS (n, v) d a
SEE 0
0
da dy de],
(228)
326
wobei n die innere Normale der Kugel des Elektrons und do das Oberflüchenelement des-
selben bezeichnete. Durch diese Umformungen wird der direkte Vergleich unserer Formeln
mit den bisherigen erschwert, weshalb obige Zusammenfassung in der Form (227) nützlich
sein. dürfte.
Sommerfeld sucht die notwendige (und von uns durchgeführte) Diskussion der ein-
zelnen Fälle durch ein anderes Integrationsverfahren zu umgehen; nachdem das Integral
von 29 Qurch den angegebenen (nicht zulässigen) Ansatz auf den Differentialquotienten
2x
grece ETE dzdydz
0 0
nach é zurückgeführt ist, kommt es noch auf Behandlung dieses letzteren Integrals an
(nur daß bei Sommerfeld als obere Grenze nicht /, sondern oo steht) Setzt man zur
Abkürzung:
des Integrals:
sin Rs
R
so ist:
o»
sinas— as cosinas
-sinest-ds.
0
Es genügt w bekanntlich der partiellen Gleichung:
(229) Pu+s-u=0;
ff frasanac2 —$ ff f udzdydz— — 5 | (25 ds,
wenn do das Oberflichenelement des Elektrons bezeichnet. Nun ist bekanntlich: ?)
es ist also:
au sin7Ts sinas— as cosinas
(230) IU jo NADIE
- A j - — *
Jon JE $
und folglich wird:
2 -
ii e Izdud -4] sinas — ascosinasV? , n Ts ds
y dczdydz--- : sinest-sin .—.
e) IE J 41 sg? 5?
0
Die Auswertung des obigen Integrals P ist also auf die Berechnung des Integrals Q
zurückgeführt, wo:
o
" sinas —ascosm as d ds
Q— = sincsr-sin Ts- FE
€
s*
Diese Berechnung kann in analoger Weise geschehen, wie die Berechnung anderer
Integrale oben in $ 4; die Sonderung der verschiedenen Fälle wird dann nachträglich bei
1) Vgl. Pockels: Über die partielle Differentialeleichung 4w-|-k*?u — 0. Leipzig 1891, Seite 217.
327
Ausführung dieser Integration notwendig, während sie bei unserem obigen Verfahren vorher
geschah. Dieses von Sommerfeld für das Integral Q^ eingeschlagene Verfahren wäre
übrigens für uns auch anwendbar gewesen; allerdings kommt es, wie schon gesagt, nicht
auf das Integral P an, sondern auf dasjenige Integral, welches aus P entsteht, wenn man
au au Tote uo i ! en :
u durch — = SE ersetzt. Die obige Hülfsformel (230) gilt allgemein für jede Funktion «,
ac é
welche der Differentialgleichung (229) genügt; da nun auch:
sau
oz ? x
ist, so wird nach (230)
(f [St as av as - — = EAE NE sim Ts\ sinas— a8 cosin as
J EE, ren N N "ici auo NUT & \
Wir hätten also nach der Methode von $ 7 das Integral:
sin BE as 2 sinecst 9 fsmsT
(231) A | u .ds.
É BE ENS JR
auszuwerten gehabt, um dann nachträglich die Diskussion der verschiedenen Fälle durchzu-
führen, wie sie auf anderem Wege oben in$ 7 gegeben wurde. Es dürfte allerdings kaum
eine wesentliche Vereinfachung dadurch erzielt werden; überdies läßt sich gegen dies
Verfahren noch ein Einwand erheben. Dasselbe setzt nämlich voraus, daß die In-
tegration zwischen den Grenzen 0 und oo noch mit der dreifachen Integration über das
Volumen des Elektrons vertauscht wird; ob aber diese Vertauschung gestattet ist, bedarf
erst der Untersuchung; ohne weiteres würde sie gestattet sein, wenn in dem Integrale (231)
unter dem Integralzeichen die vierte Potenz von s im Nenner stände an Stelle der tat-
sächlich (durch Differentiation nach £) vorkommenden dritten Potenz.
Es muß noch bemerkt werden, daß die Berechnung des von Sommerfeld benutzten
Hülfsintegrals Q von ihm nicht korrekt durchgeführt ist. Bezeichnen wir wieder mit 5$
das in 8 4 eingehend behandelte Integral:
on
S -[ Gi — UL cosın az
P sinfz-sinyz-:da,
0
so ist zunüchst:
cz+T a
sila B-aß,
cz —H.
es kommt also darauf an, das Integral:
a
0— [S-#-48
0
zu berechnen; dabei sind die Gleichungen (40) bis (42) von $ 7 zu Rate zu ziehen.
328
Lassen wir a von 0 ab allmählich wachsen, so ist zunächst das Intervall O <u<)
zu betrachten, in dem während der Integration 0 « f « a ist; wir haben hier « «& y — f;
ersetzen wir also a durch a, so ist 0 « f « a « y und 0, — a -- B — y «0, d.h.'es kommen
die Gleichungen (42) zur Anwendung, nach denen $ gleich Null zu nehmen ist. Somit
ergibt sich das erste Resultat:
(232) 2=0 für 0<a<)
"<a<y ist 5<B<a, also f « a « y und a 7 y — f; hier
haben wir den Fall IV) von $ 4, und zwar ist 2, — 0, folglich nach (41):
Im nächsten Intervalle
ro|-2
0-2 9,—5 [ie—e—»pap- S [s eP-ife-»wie-»[
(233) l
Ge A
5 5
37 bed Ed d nA
quae X sg CR pA
Eu IT
8
Alsdann möge a den Wert y überschreiten, aber 5 während der Integration zunächst
kleiner als & — y bleiben; hier ist «> >y undd,=a—ß—y>0, also nach (40):
für IA IER.
Überschreitet dagegen 8 den Wert « — y, so wird ó, « 0 und nach (405):
7 2 "D 9
zug [hc css
also »
br
Q2 9,7 fte — (8 —»*]ap4 z 1 dpa fe (&— yy] gag
(234) e
m 67 il Seg eu P 1 a
—'$ 192? ag 4r (a7) Sw 42er re ee
= als a*--4ay—9d9,-r8ayi— E yt für a 7 y.
Dieses Resultat ist von dem bei Sommerfeld ge-
gebenen verschieden; bei ihm wird nämlich die obige
Gleichung (40) für das ganze Intervall 0 € B « a — y
in Anspruch genommen, wührend wir oben das Intervall
0« px - abtrennen mußten, in dem die Formel (42)
anzuwenden ist. Infolgedessen ändert sich auch sein
Resultat für das Integral Q. Nehmen wir die Größe er
als Abszisse, y als Ordinate einesrechtwinkligen Systems,
und zeichnen die Kurven y — e: — Twdy=cr-+T,
wie es in Figur 17 geschehen ist, und seien r,. z*, 7,, 7
bzw. durch folgende Gleichungen definiert:
329,
z, durch die Gleichung a=ct+T,
r 1 : x Macho el
c 5 2 a oa cv]
Ut H a 5 2aq—ocv— T;
ziehen wir ferner die Linien y — « und y — 2a, so ist in dem horizontal schraffierten Teile
der Figur:
ert— T««yx«cev-- T und y «a,
in dem vertikal schraffierten Teile:
er— T«yXoev-- T und 2a>y>a.
Nehmen wir ferner der Einfachheit wegen an, es sel v, X t' & v, X v". (andernfalls
würen leichte Modifikationen nótig, ebenso wenn obige Gleichungen mehrere Wurzeln haben).
Dann ist:
cc T
Ie für Osee QI [2 dy, wenn @, durch (234) definiert ist,
er—T
a er
are end oim RO [9 dy ate dy, wenn 9, durch (233) gegeben ist,
CU T a
a
2a
ar ST E) zul, dy-+ if dy,
uv)
ci— T
2a
4 Würwer«cr, Q— £[9, ua
cr— T
Dibfurie m O0.
Wir haben somit fünf verschiedene Fälle zu unterscheiden, während bei Sommerfeld
nur drei unterschieden werden. Obgleich also die Grenzen des Integrals ( scheinbar von
T unabhängig (nämlich gleich 0 und o») sind, erweisen sie sich tatsächlich doch als Funktion
yon T=yV2+ 7° +2, und somit (auch bei Sommerfeld) als Funktionen von &, 5, €,
wodurch es nach Obigem bedingt ist, daß die Integrale X und K' (auch abgesehen von der
oberen Grenze co statt f) voneinander verschieden sind. Wie wir in $ 7 sahen, sind die
Wurzeln r und rz, für die schließliche Auswertung unserer früheren Integrale nicht von
wesentlicher Bedeutung.
In einer spüteren Arbeit!) hat Sommerfeld seine Resultate auf anderem Wege
abgeleitet, wobei er die Einführung des Fourierschen Integrals (vgl. 8 1) vermeidet und
statt dessen den Greenschen Satz wiederholt benutzt; er kommt so für das Potential ®
zu dem Resultate:
1) Simplified deduction of the field and the forces of an electron, moving in any given way;
Koninklijke Akademie van Wetenschappen te Amsterdam, Proceedings, December 1904.
Abh. d. IT. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt. 43
330
"go 2^
d. h. zu derselben Formel, die er auch in seiner ersten Mitteilung gewonnen hatte und die
sich von unserer Gleichung (34) dadurch wesentlich unterscheidet, daß in der oberen Grenze
t durch oo ersetzt ist. Weshalb aber nach 7 zwischen den Grenzen 0 und & integriert
wird, geht aus der a. a. O. gegebenen neueren Darstellung nicht hervor. In Betreff der
weiteren Folgerungen gelten dieselben Bedenken, die wir soeben erórtert haben. Diese
Folgerungen beziehen sich hauptsüchlich auf die Bewegung mit konstanter Überlicht-
geschwindigkeit; doch werden auch einige andere Resultate der früheren Arbeiten erneut
abgeleitet.
In etwas modifizierter Weise leitet Abraham?) die Sommerfeldschen Formeln für
konstante Geschwindigkeit ab: doch wird auch hier nach v zwischen den Grenzen 0 und c
ohne weitere Begründung integriert, während die Zeit ? als obere Grenze in dem betreffenden
Integrale auftreten sollte.
Auffällig ist es, daß Herglotz*) auf ganz anderem Wege die Sommerfeldschen
Resultate bestätigte; derselbe geht von einer partikulären Lösung der Differentialgleichung:
2n
ot
— (4 o0
aus, indem er diese Gleichung als Differentialgleichung. eines Potentials p im Raume von
vier Dimensionen auffaßt, wobei die vier Variabeln z, y, 2 und icf in Betracht zu ziehen
sind. Jedes Integral der Form:
[ff f- o (k, l, m, x) dk dl dm dr
JJ JJ (x — b + (y — D? + (e — m)? — e (t — y
ist dann eine allgemeine Lósung der Gleichung, und Herglotz bestimmt nun die Inte-
gration nach z, indem er diese Variable als komplex auffaßt und dann über einen gewissen
Weg in der komplexen Ebene integriert; er findet so in der Tat einen Ausdruck, der sich
als identisch mit dem betreffenden Ausdrucke Sommerfelds erweist; indessen bleibt es
bei den Entwicklungen von Herglotz zweifelhaft, ob seine Formeln wirklich zur Dar-
stellung des physikalischen Problems brauchbar sind; erstens ist durch das Operieren mit
imaginären Zeiten r der Zusammenhang gestört,. dann aber ist nicht gezeigt, daß die
angegebene Lósung im Innern des bewegten Elektrons auch der geforderten Bedingung (1):
9—034g9-—co
wirklich genügt: denn der übliche Beweis hierfür, wie er sich in der gewóhnlichen
Potentialtheorie gestaltet, läßt die unmittelbare Übertragung auf den Fall, wo ein Quadrat
im Nenner der partikuliren Lósung mit negativem Vorzeichen unter den Integralzeichen
auftritt, nicht zu.
1) Elektromagnetische Theorie der Strahlung (Theorie der Elektrizität Bd. 2). Leipzig 1905, S. 238.
2) Über die Berechnung retardierter Potentiale. Göttinger Nachrichten, Dezember 1904.
331
Ausgehend von der Vorstellung, da& die Róntgenstrahlen durch plótzliche Hem-
mungen der Elektronen an der Antikathode entstehen, hat Paul Hertz!) solche plötzliche
Änderungen in der Geschwindigkeit der Elektronen und deren Einfluß auf die Ausstrahlung
studiert. Die Behandlung dieses Problems kann selbstverständlich auf Grund unserer
alleemeinen Formeln geschehen, denn in dem Sommerfeldschen Ansatze sind die Ge-
schwindigkeitskomponenten ganz willkürliche, also z. B. auch unstetige Funktionen der
Zeit. Hertz stützt sich dabei teils auf die allgemeinen Formeln Abrahams für die
Dynamik des Elektrons, teils auf dessen besondere Resultate für das konstante Feld bei
stationärer Bewegung; die wirkenden Kräfte werden auf indirektem Wege (durch Ver-
mittlung der Energie des stationären Feldes) berechnet, und die Resultate stimmen mit
den unsrigen nicht überein, und zwar, soviel ich sehe, deshalb, weil die Abrahamsche
Formel für die Energie im stationären Felde vorausgesetzt wird, und aus ihr rückwärts
die Energie vor Eintritt des stationären Zustandes abgeleitet wird, während auch für die
Berechnung der Ausstrahlung und der Energie unsere Formeln von den bisher benutzten
abweichen (vgl. den folgenden Paragraphen). Hervorzuheben ist aber, daß die verschiedenen
Stadien, für welche Hertz jeweils verschiedene Formeln aufstellt, mit den von uns betrach-
teten Lagen ($ 7) übereinstimmen (für den Fall konstanter Unterlichtgeschwindigkeit), und
daß Hertz den Grenzfall der Bewegung mit Lichtgeschwindigkeit ebenso beurteilt, wie wir
es taten, indem auch nach ihm in diesem Grenzfalle der stationäre Zustand niemals erreicht
wird und die Kraft für jede endliche Zeit endlich bleibt. Trotz dieser qualitativen Über-
einstimmung sind die Hertzschen Schlußresultate von den unsrigen verschieden.
In einer späteren Arbeit hat Paul Hertz?) die Frage untersucht, welche Bewegung
von einer gegebenen Kraft hervorgerufen wird; insbesondere wird ein Beweis dafür erbracht,
daß dieses Problem in gewissen einfachen Fällen. lösbar und eindeutig bestimmt ist. Alle
diese Entwicklungen knüpfen an die Sommerfeldschen Formeln an, werden also einer
Revision bedürfen.
8 17. Weitere Folgerungen.
Nach den bisherigen Anschauungen galt das Gallileische Prinzip, nach welchem ein
Punkt sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegt, wenn keine Kraft wirkt, für eine
elektromagnetische Masse ebenso wie für einen Massenpunkt der Mechanik; auf Grund
dessen konnte man den Versuch machen, die Mechanik auf elektromagnetischer Grundlage
aufzubauen, indem man nur elektrische Massen als vorhanden annahm. Nachdem aber
gezeigt ist, daß eine elektrische Masse auch bei gleichförmiger Bewegung eine Kraft
erfordert, welche diese Bewegung aufrecht erhält, fällt die Analogie zwischen Mechanik
und Elektrodynamik fort, wenn man sie vielleicht auch durch Hinzufügung weiterer Vor-
aussetzungen wieder einführen kann. Insbesondere wird auch der Begriff der elektro-
magnetischen Masse hinfällig; als solche bezeichnet man (nach Analogie mit der gewöhn-
lichen Mechanik) den Quotienten von Kraft und Beschleunigung (nach Lorentz und
1) Untersuchungen über unstetige Bewegungen eines Elektrons, Inauguraldissertation, Göttingen 1904.
?) Die Bewegung eines Elektrons unter dem Einfluß einer longitudinal wirkenden Kraft. Göt-
tinger Nachrichten, 1906, S. 229.
: 49*
332
Abraham); derselbe ist abhängig von der Geschwindigkeit und von der Richtung, in
welcher die betreffende Komponente der Kraft gemessen wird. Insbesondere bezeichnet
man diesen Quotienten als longitudinale Masse, wenn die Kraft in Richtung der Bewegung
gemessen wird. Da nun bei gleichfórmiger Bewegung die Beschleunigung verschwindet,
und dennoch die Kraft von Null verschieden ist. so würde sich eine unendlich große Masse
ergeben. Schon in diesem einfachsten Falle wäre also die Analogie gestört.
Von Interesse ist ferner die Berechnung der Energie und der Strahlung des bewegten
Elektrons. Nach Abraham besteht allgemein die Gleichung: !)
dW
(235) Gr
=
wenn W die elektromagnetische Energie des betrachteten Raumteiles bezeichnet:
sz fie +9’, dzdydz,
und wenn A, die Arbeit der inneren Kräfte bezeichnet:
; d A; 1 1
937 ae! la en
(237) di JS: (Sv.f.) dz dydz "ne Ds dr;
wobei f, durch (113) gegeben ist.
(236) w-
Hierbei ist ferner:
(238) ilb cus UE
und
S=h+b+B:
A a ME EB Lomo! ir:
IET 3g" Muy cag m guns citius
Endlich bedeutet &? den Poyntingschen Ausdruck:
€? — (fy B; — + (fs Ba — fz 89? o (fa 8 — fy f.»
—8g.8pg— (81.5)
—(?.$5*.smn?(G, 5),
und auf der linken Seite von (235) steht das über die Oberflüche des betreffenden Raum-
telles genommene Doppelintegral über €. Dieses Doppelintegral bestimmt die Ausstrahlung
aus dem haumteile, und Gleichung (235) sagt uns, daß innere Arbeit und Ausstrahlung
auf Kosten der elektromagnetischen Energie erfolgen. Auf Grund unserer Formeln kann
diese Strahlung in jedem Falle berechnet werden, indem man die dreifachen Integrale A;
und W über das Innere des Elektron ausdehnt.
Im emfachsten Falle der gleichfórmigen Bewegung war nach den bisherigen Formeln
dW
W von der Zeit unabhängig (nur eine Funktion der Geschwindigkeit), also rri m 0;
!) Vgl. Abraham, Annalen der Physik und Chemie, Bd. 315, 1903. Gleichung (IV); dabei ist das
dortige Ar o durch o zu ersetzen, sodann Er durch fr, 8z durch Fr.
333
d A; : : ld marce -
ebenso war TES gleich Null zu setzen, denn die Bewegung war krüftefrel (y, — v, $y — v,
8-— v); infolge dessen war auch keine Ausstrahlung vorhanden.
Auf Grund unserer Resultate ist aber die rechte Seite von Gleichung (237) von Null
verschieden; es muß also : aus (287), W aus (236) berechnet werden, und dann ergibt
sich die Strahlung des Elektroms aus (235). Dabei ist zu beachten, daß in der Formel
i t
4z4;——($8v-i-dt — —S(v-i-dt
0 D
für die Funktionen Sz, Sy, 3. in den verschiedenen Abschnitten des Intervalles von 0 bis £
nach obigen Resultaten verschiedene Funktionen von f£ einzusetzen sind.
Handelt es sich z. B. wieder um die Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit v
lings der z-Achse, so ist nach (238) und (222*)
en el +
°P d oq Yi q 2 99 i
a2" Disi Diss D (55) +58) i
Wendet man den in obiger Gleichung (55) enthaltenen Gaus'schen Satz an, so wird:
BS GG eee e Ten
— D^ 4g p?
pdzdydz— E V E = 2 eos[n, 2)ds.
ferner:
ESORUON DC x: Hong
ut EY.
wo wieder do das Oberflichenelement des Elektrons und » die Riehtung der inneren
Normale bezeichnet. Es ist ferner:
39g
el
ea sae (7) d
Bei Auswertung desselben sind ebenso wie bei Auswertung des in der letzten Gleichung
auftretenden Oberflächenintegrals die verschiedenen Lagen zu berücksichtigen, wie sie für
Unterlichtgeschwindigkeit in $ 7, für Überlichtgeschwindigkeit in $ 10 betrachtet wurden.
Auf die nühere Ausführung der Integrale gehen wir hier nicht ein.
Den Ausdruck für die Energie benutzt man, um die Geschwindigkeit der Kathoden-
strahlen im elektrostatischen Felde zu berechnen. Sei y das Potential dieses Feldes, so
ist der Zuwachs der Energie des Elektrons gleich der geleisteten Arbeit!):
W — W,-—e(o — 9),
wenn —e die negative Ladung des Elektrons bezeichnet. Da man annehmen darf, daß
1) Vgl. Abraham: a.a. O. Bd. 2, S. 195.
334
die Zeit ? größer als ist, so ist W — W, eine Funktion von c, für die man einen
C
dem stationüren Zustande entsprechenden Ausdruck aus obigen Formeln zu berechnen hat.
Aus dieser Gleichung läßt sich dann die Endgeschwindigkeit cw berechnen; doch wird die
Art der Abhängigkeit zwischen «c und g eine ganz andere sein, als man auf Grund der
bisherigen Formeln anzunehmen berechtigt war. Das Resultat wird wesentlich verschieden
sein, je nachdem man (konstante) Über- oder Unter-Lichtgeschwindigkeit voraussetzt,
sowie je nach den Vorstellungen, die man sich über den Anfangszustand bildet, wobei
unsere Erórterungen in $ 15 zu berücksichtigen sind.
Um die Ablenkung der Kathodenstrahlen im magnetischen oder elektrischen Felde
zu beurteilen, ist es nötig, den Begriff der „transversalen elektromagnetischen Masse“
zuvor zu erörtern. Das ist aber kaum möglich, ohne daß vorher das bei der Translation
entstehende Drehmoment berechnet und die Rotationsbewegung. der Elektronen behandelt
wäre; diese Fragen sind in obigen Entwicklungen noch nicht berücktichtigt, doch hoffe
ich darauf demnächst in einer Fortsetzung dieser Untersuchungen zurückzukommen.
Dann werden wir auch auf die Herglotzschen Untersuchungen!) einzugehen haben,
die sich auf die Kräfte rotirender Elektronen beziehen und in besonderen Fällen von jenen
kräftefreien Schwingungen handeln, die oben in der Einleitung erwähnt wurden.
!) Zur Elektronentheorie. Göttinger Nachrichten, 1903, S. 1.
Berichtigungen.
o Kt C YA
: A » ; 9ec?r 9 6,5.
Seite 256 Zeile 2 v. o. muß es heißen: , statt — —.
4 a? 4a
5 s : 29
„ 260 In Gleichung (71) muß es heißen: 7 statt g.
2 Zeile 18 v. u. muß es heißen: /9 statt f,.
5 , 11 v.o. Für die zweite Lage ist über das Vorzeichen der Kraft $y,
allgemein kaum etwas auszusagen.
Dasselbe gilt dann für die dritte Lage.
» 288 „ 9 v.u. muß es heißen: (T — a)? statt (T — a),.
» 3902 In Figur 14 „ x 3 19 statt £,.
[
€
6
7
Do
er}
jag lav tl d
Einleitung
CJ) YUR UR UR up
d» 0 WW
epo Cp Uy up oun um
mn
Das SIE nneneiische Feld eines MONS Elóktons
2. Das Hilfspotential g'
. Die Hilfsfunktion P
. Berechnung einiger Hilfsintegrale
Über die Zulässigkeit der vorgenommenen Ve uschunger von Dikerentiationen d Inte-
grationen
Das skalare Potentials p für V olozladuugi bei Translation mit nerlindesehmindtekent
Fortsetzung. — Ausführung der Integration über das Volumen des Elektrons
Das Vektorpotential A für Translation mit Unterliehtgeschwindigkeit bei olsalkdune
Die von den Potentialen p und X bei Unterlichtgeschwindigkeit abhängenden Kräfte
Das Potential y für Volumladung bei Translation mit Überlichtgeschwindigkeit .
. Das Potential A bei Volumladung und Translation mit Überlichtgeschwindigkeit und die
auf das Elektron wirkende Kraft .
2. Die translatorische geradlinige Bewegung eines Elektrons bei Volumladung mit kon hte
Unterlichtgeschwindigkeit bzw. Lichtgeschwindigkeit .
3. Die translatorische Bewegung mit konstanter Überlichtgeschwindigkeit (bzw. Lictgeschwin
digkeit) bei Volumladung
. Die geradlinige, gleichförmig Beschleekigte (a verzögerte) Bewegung eines Iss s mit
Volumladung. — Übergang von Unterlichtgeschwindigkeit zu Überlichtgeschwindigkeit
. Ergänzende Betrachtung über den Anfangszustand der Bewegung, insbesondere bei gleich-
förmiger und bei gleichfórmig beschleunigter Bewegung des Elektrons
5. Vergleichung mit anderen Bearbeitungen der behandelten Probleme
. Weitere Folgerungen
335
931
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"wd irte an Hoc willig) TEE
[ malia NE
ler et yn
Ueber
die Bewegung der Elektronen.
Von
F. Lindemann.
Zweiter Teil:
Stationäre Bewegung.
(Eingelaufen am 10. Juli 1907.)
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt. 44
au. T "AE
19d5U An
‚nonorhlolY 19b grurgswsd sib M
sa (
AIrtgmro bul. . ^t
o»nirasvrad esiBmollgl^
T ia NIE A N OO
Im ersten Teile dieser Abhandlung (vgl. oben Seite 235 ff. des vorliegenden Bandes)
hatte ich das Problem der Elektronenbewegung für den Fall der Translation auf Grund
des Sommerfeldschen Ansatzes neu behandelt, und war dabei zu wesentlich anderen
Resultaten gekommen, als sie sonst aufgestellt wurden. Die Unterschiede beruhen haupt-
sächlich darauf (wie in $ 16 dargelegt wurde), daß gewisse Integrationen und Differen-
tiationen sowie andere Grenzübergünge (für £ — o») nicht in beliebiger Anordnung aus-
geführt werden dürfen, daß vielmehr das Resultat von der Anordnung dieser Operationen
wesentlich beeinflußt wird. Dabei ist bei Auswertung des Integrals P5, ein Irrtum vor-
gekommen, insofern eine Quadratwurzel mit unrichtigem Vorzeichen genommen wurde, und
ein in der Entwicklung eines Binoms vorkommendes Glied bei der Integration vergessen
wurde; außerdem ist im Nenner der Faktor 2 hinzuzufügen. Ich bin Herrn G. A. Schott
in Bonn in außerordentlicher Weise zu Dank verpflichtet, da er sich der Mühe unterzog,
die Rechnungen genau zu revidieren und mich auf den Irrtum aufmerksam machte, auch
das richtige Resultat mitteilte. Es hat dies in einem Punkte eine wesentliche Änderung
der zu ziehenden Folgerungen zur Folge, indem sich jetzt ergibt, da& bei Bewegung mit
konstanter Geschwindigkeit die vom Elektron auf sich selbst ausgeübte Kraft nach Ablauf
einer gewissen Zeit gleich Null wird. Wenn also auch in diesem einen Punkte Überein-
stimmung mit älteren Resultaten hergestellt wird, so bleiben doch alle anderen Formeln
von den früheren abweichend, und die frühere Behandlung der (nach gewisser Zeit ein-
tretenden) kräftefreien Bewegung hat nur zufällig zu dem richtigen Resultate geführt.
Es geht dies deutlich daraus hervor, daß nach Abraham und Sommerfeld die Wirkung
des skalaren und des vektoriellen Potentials je für sich gleich Null sein sollte, während
tatsächlich nur ihre Summe verschwindet.
In den folgenden Paragraphen sind die Integrale D neu berechnet, und es ist die
stationäre Bewegung eingehend behandelt. Hinzugefügt sind die entsprechenden Gleichungen
für die sogenannte quasistationäre Bewegung, wenngleich nicht einzusehen ist, wie eine
solche zustande kommen soll, denn auch sie kann sich erst herausbilden, nachdem eine
gewisse Zeit hindurch nicht unerhebliche verzögernde Kräfte auf das Elektron gewirkt
haben. Das Auftreten dieser Kräfte tritt auch der elektromagnetischen Auffassung der
materiellen Mechanik hindernd entgegen.
Auf die Einwürfe, welche Sommerfeld in einer Arbeit, die der Akademie im Juni
vorgelegt wurde, gegen meine früheren Entwicklungen erhoben hat, kann ich hier nicht
eingehen, da sie mir noch nicht näher bekannt sind.')
1) Inzwischen bin ich darauf in einer besondern Abhandlung (Sitzungsberichte der K. Ban nchen
Akademie, math.-phys. Klasse, 1907. S. 177 ff.) näher eingegangen.
44*
340
$ 18. Berechnung der Integrale ®,. und 4$,,.
(Nachtrag zu $ 7 und $ 10.)
In $ 3 war für das Potential p die Gleichung (34) aufgestellt, nämlich:
OXCIC
melo pris PES
worin der Wert des Integrals:
oo
S (= as — 48 cosin «8
E: sincst-sin Rs-ds
0
durch die Untersuchungen in $ 4 näher bestimmt wurde, und zwar ist je nach den zwischen
a, R und er bestehenden Ungleichungen gemäß den Gleichungen (43), (44), (45) S ent-
weder durch:
E [d — (er — RP] oder durch » ct. R oder durch 0
zu ersetzen, so daß in verschiedenen Intervallen der Beitrag zum Integrale y durch die
Gleichung:
do= WI [a — (cx — RP] dr
oder:
do= qa er Rdr oder dq —0
IE
4a?
bestimmt wird. Demgemäß ist in den Relationen der 88 6 und 7 die im Nenner auf-
tretende Zahl 8 überall durch 16 zu ersetzen, sobald im Zähler unter dem Integralzeichen
die Klammer [a? — (c x — Ry] vorkommt.
Hiernach wird das in $ 7 für die erste Lage zu berechnende Integral J, durch die
Formel:
9ec 3i do
J,—— dT Je] v [ie — en roi x). sin ©: B2
gegeben, und dasselbe ist gleich (f, f), wenn die Funktion ®,, durch die Gleichung:
€C
(68) Ó,, (a, £) 7 20 q3
[sa — 10e 58 8)d«
U
definiert wird.
Bei der dritten Lage (Seite 263) ist ebenso das Integral J; durch die Gleichung:
t 27 64
[ax [av [te — ex— n] LIT
16 za.
70
2
o€c
s
gegeben. Die Auswertung führten wir zwei Integrale U, und U, zurück, deren Werte aus
den in (66) und (66*) gegebenen unbestimmten Integralen entnommen werden können. Es wird:
341
64
zi sin Ó - cosin O . d O
: ee
TE sen [13 (a3 + T?) — (a — e x) V(a—cz — 2 (a + T) (a? +7 — a TY].
Hierin ist für J/(« — cr)? der positive Wert zu nehmen, und dieser ist gleich er — a,
da in der dritten Lage cr 2 « vorausgesetzt wird, während ich in $ 7 aus Versehen den
Wert a — cr gewählt hatte (obgleich bei dem entsprechenden Integrale 5, in $ 10 für
den Wert der Quadratwurzel V(T — a)? das richtige Zeichen gewählt wurde). Es ist also:
UN $a sq Ge e T) — (a er} e — a) — 2 (a + T) (a? -- T? — a T)].
Ebenso wird:
9
= (Ve? X T? 2 à T cosin O - sin O - cosin - d o
0
— 30? so ze qa L5 G8 T9) — 8 (ev — ay M (ev — ay — 2 (T -- ap (à? -- T? —3a T)],
und hieraus:
2 2 42 IE — 1 C13 5 3 (n2 72 __ M2
(à —607)U, —U,— V m 8a5 + 10 a3 (8 « 218)
+ 10a? (v? — T*) —15a(ce — T?) 2 + (ez — T? (&e8$ 4-8? 2 T 4- 2ec T? 4- T9)].
Zur Berechnung von Ji bedürfen wir ferner noch des Integrals:
je [tiae
9
OU C .
-In.ct- [sin Gesn 000 — gm Qu
0
&
JH
was sich leicht ergibt, wenn man den Wert von x aus der ersten Gleichung (63) einsetzt
und r=a nimmt. Da cosin ©, durch Gleichung (73?) gegeben war, so wird:
IU do mss TS ?32? — 4 a?].
Schließlich ergibt sich:
Ji = Q^». (t, t),
wenn jetzt die Funktion 9», durch folgende Gleichung definiert wird:
(75) Ds,(a, )-5 2 — 32) U, — U, J- evsin? O,] d v,
wo nun für U,, U, und sin? M die obigen Werte einzusetzen sind; unter dem Integral-
zeichen wird dann:
(a? — c v) U, — U, 4- e v sin? O,
Ux 32 a*-1- 40 a? (C? 1? — T?) —20 à? (ez — TP (ev -- 2 T) J- (ev— T (ex 4- 4 T].
Ps
— 60a? T* T?
342
Herr Schott macht mich noch darauf aufmerksam, daß die Auswertung des In-
tegrales Jı sich etwas einfacher gestaltet, wenn man die Substitution:
R=+Va?+ T? --2a7T cosin 9,
abo snOdO dR
R chau
ausführt. Es wird dann:
@ T-+a
7a _ dee [&dv E arg E ?
(753) $5. (2,0 — 155 | m [Ie (cx — RE] [R8 — aà — 79] d R,
1:0 cr—a
man vermeidet also das Rechnen mit den Quadratwurzeln.
Auch in den Untersuchungen über die Bewegung mit Überlichtgeschwindigkeit ist
der Nenner 8 in Gleichung (123) und den daraus folgenden Gleichungen durch 16 zu
ersetzen. Die Gleichungen (128) lauten also:
5 , (a, )—35| m G, (ev, T) d v,
(128) j
9.66?
Diz (a, = 1623
[= G, (er, T) dv,
0
wo die ganzen Funktionen G, und G, in der früheren Weise definiert sind. Auch in der
Funktion 5, ist überall mit 2 zu dividieren; wir haben also an Stelle von (135) schließlich:
(135) 9. (a, t) — zl [5 [(a? — 8 3) W; — Wi + 2e: Wz]dz:
[21
$ 19. Gleiehfórmige geradlinige Bewegung.
(Ergänzung zu $ 12.)
Auf Grund der verbesserten Formeln für die Integrale D, müssen wir das Beispiel
der gleichförmigen Bewegung ($ 12) nochmals kurz behandeln. Nach (162) ist jetzt
T=vr zu setzen, und dann wird:
9.. (1) — 57, IL [et 52): — 1022] d:
(163) 0
UA EE rS LMV CEA
—aa|t ] Dite ed 3l
worin a — í zu setzen ist.
Für 74. erhalten wir aus Gleichung (108) den Wert:
ecvt
V^ (0 0) — 65 [16a3 — 12a?ct+c(® + 29) f].
Gemäß (118), 8 9 finden wir sonach für die wirkende Kraft 5S. die Relation:
2 Ina, _ 1 ^m cé et? 5+30@? fct
us) mu ee 20 F-&) ne (&) |
und diese Gleichung ist für die erste und zweite on d. h. in dem ersten Intervalle:
«ix——
0 «t TEE 3
anwendbar. Die Kraft ist für kleine Werte von £ negativ; für größere Werte hat man
die Wurzeln der kubischen Gleichung:
40 (1 — 2) 4- (5-303) 23 — 0
zu untersuchen. Das Produkt der Wurzeln ist negativ, die Summe ist Null; es müssen
also zwei positive (oder imaginüre) Wurzeln und eine negative Wurzel vorhanden sein.
Für z — 1 ist die linke Seite positiv.
Setzen wir z —
z zs 80 wird die linke Seite gleich:
also negativ für: pt
oo, wen: .o,—4i(V41 — 4).
Dieser Wert c ist kleiner als die Einheit, kann also vorkommen. Zwischen 0 und
Ds liegt demnach für o € o, immer eine Wurzel der kubischen Gleichung;
diese Wurzel bestimmt diejenige Zeit, wo die Kraft aufhört verzögernd zu
wirken, indem sie ihr Vorzeichen ändert, so daß von nun ab die Wirkung des
Elektrons auf sich selbst zunächst a en ist. Der Differentialquotient
der linken Seite verschwindet für z -/ ® Sams dieserd Wert ist für o? «1 stets
35+ E
größer als DE die zweite positive Wurzel ist also größer als der letztere Wert und
kommt deshalb nicht in Betracht. Für «c $ (7 c) sind diese Wurzeln imaginär.
Für t, d. h. am Ende der ersten Lage wird:
zt 35e€o 3+5 0
DE 7 m ——— —-
und am Ende der zweiten Lage:
2 ZN emen GP R
(166) C5) — za rude 0m,
d. h. negativ für <w,, positiv für > o.
Für die dritte Lage ist £? « t « t', wo
344
Wir haben die in (78), $ 18 gegebene Funktion Ds, für den FalE=T7T=vr zu
berechnen. Es wird:
[74
SIEIC
Bela] 1-25 +40a°( — vd) — 20 a?(e—v)’(c+2v)+ (c—9* (3-490 dr,
ferner nach (112):
E )— — $55 few),
70
wo nun nach (110):
4
Gese9e eo -D[-$ «ao (t) La- (2)
Die Ausführung ergibt:
(1672) d», (I, f) — ios HER ——( ar o) J- 20(1— o? 3 a ra)!
-wa- era ee
(167%) s (ff) — 1 | 40(1 — e) o* ls ie e
oU ARGNE 1 Sfet\* 1
—- A oe) -
Für die wirkende Kraft finden wir so in der dritten Lage gemäß (118?) den
Ausdruck:
9 e? o 8 :
8. = *tzzaq ros apis fa 2
Speer Afer 0 i nro E T P
und diese Gleichung gilt in dem oben re tadıen Intervalle, nämlich:
1 er 1
1+o mM
(168)
Liegt 4 in der Nähe der unteren Grenze des Intervalls, so überwiegt das erste Glied
der eckigen Klammer, letztere vergrößert also die verzögernde Wirkung der Kraft.
9
Für die vierte Lage (1> zt ist endlich Gleichung (118*") anzuwenden, d.h. es
5
ist £ durch den konstanten Wert — zu ersetzen, der den Beginn der vierten Lage
Fe
bestimmt; die Kraft wird also stationär. Ihr konstanter Wert aber ergibt sich (das ist
das durch die sorgfältigen Rechnungen des Herm Schott festgestellte Resultat) gleich
Null; wir haben nämlich:
345
ed
— 1450420).
o)(1 4 u
(1-F oy
20
|| 22.400 (1 SAN BIST
"(1-r oy 5 um:
also genau gleich dem negativen Wert des Ausdrucks:
2a 1 2a
|
2) DEL
so da& die Summe zu Null wird:
Sl + 3e) rus 5e CX
(1693) 8.0—0 — füt2- ER
2a :
Nach Ablauf der Zeit n NOI Beginne der Bewegung ab gerechnet,
EE
ist also die vom Elektron auf sich selbst ausgeübte Kraft, stationür und zwar
gleich Null geworden.) Dabei ist vorausgesetzt, daß das Elektron bei Beginn der
Bewegung seine Ladung erhält (also gewissermaßen erst geschaffen wird); für den statio-
nüren Zustand kann dieser Anfangszustand keinen Einflu& haben; in der Tat werden wir
bei anderer Annahme über denselben im folgenden Paragraphen zu dem gleichen Resultate
kommen, und dann die weiteren Folgerungen besprechen.
Für den stationüren Zustand stimmt also das hier gewonnene Resultat mit dem von
Abraham und Sommerfeld erhaltenen überein. Das ist aber (im Sinne der Rechnung)
nur zufülbg: alle anderen von uns gewonnenen Resultate bleiben von denjenigen Sommer-
felds vollkommen verschieden. Es mag dies hier nochmals an dem Beispiele der Bewegung
mit konstanter Unterlichtgeschwindigkeit gezeigt werden.
Nach der Sommerfeldschen Formel wäre in diesem Falle für jede endliche Zeit t
die Kraft gleich (vgl. oben $ 16):
92e e\f, 2 S 98v 93 f S
| 8aig ( 2) tss f f m s; Se f ff a no
0 0
und zwar ist das erste Glied bei Sommerfeld aus derjenigen Funktion durch angeblich
erlaubte Umformungen entstanden, die wir mit ®,. + d», bezeichnet haben; es wäre also
nach Sommerfeld:?)
1) Dadurch wird die auf Seite 321 der früheren Arbeit angestellte Überlegung nicht ungültig:
dieselbe bezieht sich auf die einzelnen Potentiale y und U; es tritt aber jetzt das Resultat hinzu, daß
sich die Wirkungen der beiden einzelnen Potentiale gerade aufheben.
2) Bei ihm steht f-|-f, ursprünglich anstatt t als obere Grenze; indem er í9— o nimmt, verlegt
er den Beginn der Bewegung in eine unendlich weit zurückliegende Zeit; für den hier besonders in
Betracht kommenden stationären Zustand ist aber die Wahl des Anfangszustandes ohne Einfluß.
Abh. d. II. KL d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt. 45
346
2.6.6 m P5 (E ff] Faranar) ar
0
und:
ev 83 f S
=. (Ra) ToS.) -——-— 5 bis (9 +9.) + Z—— 2g 5i UTI da dy de) dr.
Dieselbe Formel ist von Abraham in seinem Werke abgeleitet worden. Hier
wäre nun:
PD.) + $54 (1)
und:
Pe) + Pe)
nach der Sommerfeldschen Darstellung je für sich gleich Null.) Diese Resultate sollen
9
für alle endlichen Zeiten gelten, und insbesondere für =», d.h. für £ z —
ist aber nach obigen Gleichungen (163) und (1679):
2a 2
0,0) ++)
26a c?
— © 1 5
Ede, y Ee). | 1450 «(I s) aezoys (I2 i2) +0 yao)
und hier zeigt schon der erste, von c ^! abhängige, Term, daß die Summe nicht gleich
Null sein kann. Ebensowenig kann die Summe V/,(1?) + V5, (f) für endliche oder unend-
liche Werte von £ verschwinden; es wird vielmehr:
il 2:e00* _ 5
zr C) t C2) - ax et on
en esee eua e taa
Auch die ursprüngliche Abrahamsche Ableitung.der Gleichung für den stationären
Zustand kommt darauf hinaus, daß diese beiden einzelnen Ausdrücke für {= oo verschwinden
(während dies tatsächlich nicht eintritt, sondern nur ihre Summe gleich Null ist); denn
nach ihm würde die Kraft für f — o» in unserer Bezeichnungsweise durch die Funktion:
Dann
= nn [414 (7°) zt $».(t)]i- (1 EE. c?)
dargestellt seim müssen. :
Was endlich die Bewegung mit Lichtgeschwindigkeit betrifft (co = 1), so wird
jetzt nach (164):
MN e E SINT (DI S YAN 2a
(170) (152) — TTE 5 (1 = + = e ) für t< ev
und nach (166) am Ende der zweiten Lage:
!) Vgl. Góttinger Nachrichten, 1904, S. 398 ff.
347
Se
20. m. a2
also in diesem Momente negativ, wie es nach unseren allgemeinen Überlegungen sein mu,
wenn o (hier — 1) 2 o, ist. Endlich nach (168):
3e 3&2 d 98 a 2a
703 c oo —— a a ne für t Er
Senn 20.7.0 Semis 1) 30ad On
also in der Tat gleich Null für =», wie es sein muß, da die obere Grenze des dritten
2
Intervalls c = selbst unendlich groß wird. Beim Beginne einer Bewegung mit
Liehtgeschwindigkeit ist also die vom Elektron auf sich selbst ausgeübte
Kraft nach (170) verzögernd; und diese Kraft bleibt dauernd verzögernd, indem
sie umgekehrt proportional der Zeit abnimmt.
20. Die Bewegung mit konstanter Unterlichtgeschwindigkeit bei der zweiten
Voraussetzung über den Anfangszustand.
[7^]
In 8 15 hatten wir die Modifikationen betrachtet, die an den vorhergehenden Unter-
suchungen anzubringen sind, wenn man die Voraussetzung über den Anfangszustand dahin
abändert, daß das Elektron, welches zur Zeit = 0 die Bewegung beginnt, schon vorher
seit beliebig langer Zeit seine Ladung besaß, so daß schon bei Beginn der Bewegung ein
elektrisches Feld im ganzen haume vorhanden war. In diesem Falle hatten wir eine
Größe f£, durch die Gleichung (198):
Dr + 2a — € f,
zu bestimmen, in der 7, den Wert von T für r — £ bezeichnet, und dann gelten die
früheren Formeln, wenn nur die obere Grenze f der nach v zu nehmenden Integrale durch
t+t, ersetzt wird. Diese positive Größe £, war dadurch so bestimmt, daß die vor der
Zeit £ — — f, vom Elektron ausgehenden Kraftwirkungen auf die spätere Be-
wegung desselben keinen Einfluß mehr ausüben.
Um die einzelnen Intervalle zu bestimmen, hatten wir zunüchst die Kurve (200):
Gr MI e
wenn wieder die frühere geometrische Darstellung benutzt wird, mit der geraden Linie (202):
=t+bh
zum Schnitt zu bringen, indem letztere an Stelle der früheren Linie z — tritt. Dies gab
den Endpunkt des ersten Intervalles (Ende der zweiten Lage), während der Endpunkt des
zweiten Intervalles durch die Kurve (206):
Uevr—T-—2a
in entsprechender Weise zu bestimmen war.
Bei Anwendung dieser Formeln ist für die Berechnung von 7 zu beachten, daß:
45*
348
i i
= fede foa
i—r 0
zu nehmen ist, sobald 7>t wird; denn die Geschwindigkeit v, ist gleich Null für negative
Werte des Arguments.
Wenden wir dies auf das Beispiel der gleichfórmigen Bewegung an, so wird:
Een Furt
GE t eda dre
Die Kurve (73?) oder (200) wird daher:
(240)
(gem 2 Fr ie ao
c+vV
(241)
BL [Dd
rises € 1 à
Ersteres ist eine Parallele zur Achse z — 0, letzteres eine Gerade, die erstere in ihrem
2
Schnittpunkte mit der Linie c = £ trifft, und die Achse =( im Punkte = — schneidet;
sie ist in beistehender Figur 18 durch P, bezeichnet. Ebenso gibt obige Kurve (206) jetzt:
2a
= —— (=f) für o<ö
c—v
(242) z
v 2a
BE —- 5
er un ? » "mt
Letztere Linie (P, in Fig. 18) schneidet die Linie P, im ihrem Schnittpunkte mit
der Achse 4 — 0 und trifft die Linie c —£ in demselben Punkte, durch den auch die
Gerade = t‘ hindurchgeht. Die Kurven (200)
und (206) erhalten also jetzt in ihren Schnitt-
punkten mit der Linie v — £ einen Knick,
wie es Figur 18 veranschaulicht, wührend ich
bei der früheren Behandlung diese Knickung
nicht beachtet hatte. Diese Abänderung wird
bei der Kleinheit des Intervalles 0 « £ € f£,
nicht von großem Einfluß sein, gewinnt aber
im Falle der gleichförmigen Bewegung doch
prinzipielle Wichtigkeit.
Der Schnitt der Linie P, (d. h. der zweiten
Linie (240)) mit der Geraden v — £ -- £, ergibt
als Grenze des ersten Intervalles den Wert:
p. 24 (0c 28 1 €
4 19-0 wc, ver e— vJ'
349
denn es ist hier nach (198), wie früher in $.15, = — E zu setzen. Dieser Wert ist
negativ und kommt daher nicht in Betracht.
Das Ende des zweiten Intervalls (der dritten Lage) wird gefunden, indem wir die
Linie P, (zweite Linie (242)) mit der Lmie r=t-+ /, zum Schnitt bringen; das gibt:
2a
KG, (1 6 ):
e — v e —7v
also ebenfalls negativ, und für uns nicht brauchbar.
Die früheren Formeln des dritten Intervalls sind also (bei der jetzigen
Voraussetzung über den Anfangszustand) sofort bei Beginn der Bewegung
anzuwenden, wie wir auch in $ 15 gefunden hatten. Es ist also:
iis [90-4 e (2 mec HUE ide
I42 x
=) u Aaa
für alle Werte von í.
Aber bei Auswertung der rechts stehenden Integrale ist die verschiedenartige Definition
von z?(r « f und 72 f) zu beachten; und dadurch ergibt sich die Notwendigkeit
wieder verschiedene Fälle und Zeitintervalle zu unterscheiden.
Es ist allgemein nach (71) und (197):
qr o, (f f) T9 (t SIE fo; 0,
wenn wir setzen:
i
E]
À, (t, t) - $85 faf fas dy de,
(244) DEM
, 356€ S
$; (t 4- t,, Dogs [ec ff f totae
t
Das erste Integral stimmt vollständig mit demjenigen überein, das wir oben mit Hilfe
der Funktion ®,. und $5, auswerteten; das Integral 9' dagegen bedarf erneuter Behandlung,
indem für den Fall der gleichfórmigen Bewegung unter den Integralzeichen T' nicht gleich
vr, sondern gemäß (240) gleich ví gesetzt werden muß. Wir haben demnach folgende
Reihe von Intervallen:
Erstes Intervall 0<?t<
ie {%). Wir erhalten aus Gleichung (68), $ 18
9; (a) = Di.) = [vtt P—109 4 500) dr,
t
wenn a kleiner als der durch die zweite Gleichung (241) bestimmte Wert:
2a
245 00 U
(245) (f e SOR *
350
ist; denn für das Intervall £ « v « £ -- ti, wird die Grenze der Anwendbarkeit der Formel
(68), 8 18 jetzt durch diese Gleichung (241) bestimmt, d. h. in Figur 18 durch die gerade
Linie P,. Für unsern Fall kann also v bis zu dieser Grenze wachsen, so daß wir erhalten:
700
(246) à; (199, f) = ©, (19, t) = ue / (3 8—10a3-- 5e :3)ds,
t
wo z° durch (245) definiert wird. Die Linie P, wird aber nur für £ « f? von der in der
Entfernung £ zur r-Achse gezogenen Parallelen innerhalb des von den Geraden r — £ und
29 E :
T-— E t4 — begrenzten Streifens getroffen. Die Anwendbarkeit der Formel (246)
bleibt daher auf das bezeichnete erste Intervall beschränkt. Die Ausführung der
Integration ergibt:
le — 0 ( 8 — 1009) +4 mM],
oder: -
2 Ro REN, et a E api ven ; = es
(247) B.(2,t) 15 (@ 1 (1T 9)55 (16 ?— 10 0 4- 10) oy +10(1 20)5 5|.
Es ist bemerkenswert, daß dieser Ausdruck für:
QLR ANTT
2a 1-+w'
d.h. an der oberen Grenze des Intervalles verschwindet.
Wächst jetzt bei der Integration (von =0 bis c — £-- £j) die Variable v über 7?
hinaus, so haben wir die Formel (175), 8 18 anzuwenden; es ist:
9; (a, t) = 9, (t9, t) + ©. (a, 0,
wenn gemäß obigem Resultate:
a
: E
(248) d: (a t) — a [a 679) U, — U, cv sint 0] da
100
gesetzt wird, oder nach (75°), $ 18 unter Berücksichtigung der zweiten Gleichung (240):
- 32 a*-- 40 a3 (C ? — v? 9) — 20a? (ez —vtP (ev 4- 2vt)
? ) 3Ec
(249) | $».(a,t) — 180a 9B
4- (ex — vt)* (ec 4- 4vt)] d v.
Zum Zwecke der Integration schreiben wir die eckige Klammer in der Form:
— 82 a* 4- 80a3 vt(cv — vt) 4- 40a3 (c: — vt? — 20a* (cz —vty
— 60a?vt(cx —vtP 4- 5vt(cr — vt) + (cv — vd),
und die unbestimmte Integration ergibt:
-L- 32 a (ez — vt) H- A0a3 o t(cz —vtf -- 1(40a3 — 60a? vt)(cv — vi)’
(2493)
— Ba? (cx —vtf-Fvt(c: —vt? + (er —vt)6].
351
Die Variable z kann bis zu dem durch die zweite Gleichung (242) bestimmten Werte:
(250) —woít dem =
wachsen; geht ihr Wert darüber hinaus, so verschwindet das Integral gemäß den allgemeinen
Erörterungen in 8 7. In 45. ist daher als obere Grenze für a der Wert r,, einzusetzen;
2a
= e a RE, :
als untere Grenze ist :" gegeben. Nun haben wir: rz, — cf — kc für die obere Grenze
erhalten wir also:
P
3
a sip 605. a, ze a5 et
TE 3 c P GTI qe ASIN Ep
und für die untere Grenze, da:
z[- 32 + 160 02 + 30,,)-40+320,.4%
€
zu nehmen ist:
2 a8 ct ; 160 SER cty?
NET, 2 A FH iid Td
- (1 oct [- 32 - 80 o $ (1: 2) + 3 ( 9 ? BI 4)
16 (BAND as et
le ee
Führen wir für die hier auftretenden ganzen Funktionen die angedeuteten abkürzenden
Bezeichnungen y, und y, ein, so wird:
Be A 3ed ct ct
sm Biete m — es (» z)-^ C «JI
480 o? (5 Ji =
a
Man sieht sofort, da& bei weiterer Ausrechnung das Glied mit ©? den Faktor Null
a
erhält; für kleine Werte von c überwiegt also das Glied mit o-! () . Es ist
hiernach die in (244) eingeführte Funktion ®, gegeben durch die Gleichung:
(252) Dt +, — Di, 7,0 + G6, (n, f) für O<t< - Sy
wo ®;, durch (247), ®;, durch (251) bestimmt wird.
Zur Berechnung der Kraft haben wir die Funktionen 7^, und V^, entsprechend zu
behandeln. Nach (97) und (107) ist:
V, (a, en sfeccon fff) tq.
wo (%) durch die Gleichungen (96), (962), (96") definiert ist. Da aber v.(£— v) gleich
Null zu nehmen ist, sobald r>t wird (da dann das Elektron ruht), so ist stets:
(253) Uo (asy Ale), Eri.
352
Das Integral V, hat deshalb bei der jetzigen Voraussetzung über den
Anfangszustand denselben Wert wie früher; derselbe ist in $ 12 für den Fall der
konstanten Unterlichtgeschwindigkeit genau berechnet. Für die wirkende Kraft erhalten
wir so im ersten Intervalle die Gleichung:
3E ; h 1
En = | (52) -- 1, NL 96; (0) 4 — Piel, |
"E 2a.
für USUS umet
hierbei ist $;, durch (163), 8 18, di, durch (247), d$, durch (251), = durch (245), v, -
durch (250), V^, durch (163°), 8 18 gegeben; das erste Argument der Funktion Y^, ist
dadurch bestimmt, daß für diese Funktion nach (255) die früheren Formeln gelten,
und wir uns im früheren Sinne jetzt im ersten Intervalle befinden.
Zweites Intervall /? « ? « f', wo wieder:
2a 2a
= Mu
(2E OO e —9
Eine Parallele zur Achse 7 — 0 schneidet jetzt die Strecke P, nicht mehr; aber die
Linie z — t" kommt jetzt in Betracht und bestimmt für die frühere Funktion $;, und 95,
die sie trennende Grenze. Die Kraft wird demnach:
e
(255) [y zm Sus EIG t) SF Ds , (f, t) ul Q5, (rs 2) TE Ds. (f, t)
Zo 5
au j 1 N 2a 2a
edid) dos (op) fürs Zub;
+ AN + 0] für t et S
Die Funktionen ® und Y sind hier so, wie in (254) definiert, ®s, und %, durch (1673)
bzw. (167®), 8 18. Das Integral d», hatte in (251) die untere Grenze 7°; jetzt wird statt
dessen, wie aus Figur 18 hervorgeht, die untere Grenze ? gebraucht; deshalb tritt die
Differenz D' (7,,) — ?* (f) auf. Nach (249?) ist '(f) bis auf eine additive Konstante, die
in der Differenz herausfällt, gleich:
3ea [a AR ct
480 o? Vct]. "?\a)'
ct ct (BG: 40 9 - ect fct?
» — I = — (u — — áp) L - — — — 2
"(2 (1 (| 2 ao(7)a 0) -4 3 ( 25) (1— o)
c iN? etAS, TEC NS.
en aA 1 -— aas ess 2005|.
(7) a e») +0(%) a + s (7) (1 oy:
es wird dann:
(256) Biel) dis (0 7 — 53 | (» uj » Dia 9
i N:
480 o? (2)
a
wenn:
353
Das in y, vorkommende Glied mit dem Faktor c-? hebt sich hier nicht gegen ein
entsprechendes Glied in y, fort; denn das in y, vorkommende Glied mit dem Faktor c-?
ist von £ unabhängig, das entsprechende Glied in y, aber enthält den Faktor =
Drittes Intervall £^ 4". Hier wird eine Parallele zur Achse £ — 0 innerhalb des
zwischen den Linien z — £ und =t+ t, liegenden Parallelstreifens von den Geraden P,
und P, nicht mehr getroffen (vgl. Fig. 18). Hier gelten also die früheren, in $ 18 auf-
gestellten Relationen, und die Funktionen d; und d$» kommen nicht mehr in Betracht.
Es wird nach (1692) 8 18:
em 36 2a 3a Ies ENG) Ups (25
Uc zm Pesce) e dus (55) arm n. (5) pt Tos 29)]
. (251)
Im stationüren Zustand erfolgt also auch bei der jetzigen Voraussetzung
über den Anfangszustand die Bewegung krüftefrei.
Will man aber von der Elektronenbewegung Anwendungen auf die Mechanik machen,
um letztere elektrodynamisch aufzufassen, so handelt es sich immer um den Übergang aus
der Ruhelage zur Bewegung; nach unseren Resultaten wirken bei Beginn der
Bewegung stets verzógernde Krüfte des Elektrons auf sich selbst. Da wir kein
Mittel haben, diese Kraft willkürlich aufzuheben, so geschieht also eine Bewegung, die
etwa eine sehr kleine Zeit mit konstanter Geschwindigkeit erfolgt ist, im nächsten Momente
schon mit anderer Geschwindigkeit; es kann also in Wirklichkeit der stationäre
krüftefreie Zustand niemals zustande kommen.
Man könnte einwerfen, daß es überhaupt keine ruhenden Elemente gibt, indem die
gewöhnliche Mechanik nur von relativer Ruhe spricht, hier aber absolute Ruhe (für
f «.0) vorausgesetzt wurde. Das ist allerdings richtig; aber dann erfolgen die Bewegungen
schwerlich mit konstanter Geschwindigkeit; wenn dies aber doch geschehen sollte, so hätte
die Dynamik die Aufgabe, den Einfluß einer Geschwindigkeitsänderung zu untersuchen,
und da würde sich sofort in ganz analoger Weise ergeben, daß das Elektron dabei eine
verzögernde Kraft auf sich selbst ausübt.
Ganz analoge Schwierigkeiten ergeben sich, wenn man den elektrischen Strom als
eine Elektronenbewegung mit konstanter Geschwindigkeit auffassen will; denn man sieht
nicht ein, wie eine solche Bewegung zustande kommt. Bei dem Sommerfeldschen Resultate
dagegen, nach welchem eine kräftefreie Bewegung von Anfang an (d.h. von £— — oo an)
bestehen sollte, hätte man sich vorstellen können, daß die erwähnte Schwierigkeit zu über-
winden sei. Überdies ist zu beachten, daß jene Sommerfeldschen Formeln für die elek-
trischen und magnetischen Kräfte je für sich nicht die richtigen Ausdrücke ergeben
(vgl. S 19).
Die Zeit, während welcher die anfängliche verzögernde Kraft wirkt, ist allerdings bei
geringen Geschwindigkeiten außerordentlich klein = 25) aber bei größeren Werten
von v (wie z. B. beim elektrischen Strome) wird ihre Dauer beträchtlich. Auch
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt. í 46
354
: a : ct v É .
die Kraft, die als Funktion von gi und von = » gefunden wurde, ist nicht zu vernach-
lässigen, da sie negative Potenzen von c und £ enthält, wie aus den Gleichungen (255)
und (256) hervorgeht.
Es bleibt noch zu vergleichen, wie sich die Sommerfeldschen Formeln bei dem
jetzt betrachteten Anfangszustande verhalten. Wie schon hervorgehoben wurde (vgl. 8 16)
stimmt seine Fundamentalformel, aus der alles andere durch scheinbar zulässige Operationen
abgeleitet wird, mit unserer Gleichung (34), 8 3 wesentlich überein. Diese Gleichung
aber bezieht sich ausschließlich auf den von uns zuerst vorausgesetzten Anfangszustand,
also für gleichfórmige Bewegung, auf den soeben in $ 19 behandelten Fall. Die jetzt in
8 20 (und früher in 8 15) gemachte (physikalisch nüher liegende) Voraussetzung über den
Anfangszustand wird daher von Sommerfeld in seiner ursprünglichen Arbeit nicht .
behandelt; darauf bezieht sich aber die spätere Fortsetzung.!) Hier wird die Bedingung
T=vr für z «£t und T — vf für v f eingeführt, also die jetzige zweite Voraussetzung
berücksichtigt; für dieselbe wird auch eine verzógernde Kraft gefunden; da aber seine
allgemeine Ausgangsformel (nach den von ihm vorgenommenen Umformungen) mit der
unsrigen nieht übereinstimmt, so sind natürlich auch seine Resultate von den unsrigen
verschieden.
Die Bewegung mit Lichtgeschwindigkeit erhält man, indem man in vorstehen-
den Formeln co — 1 setzt. Dann wird die dureh (250) dargestellte Linie P, (Fig. 18)
parallel zur Linie c — £, und der Einfluß des Anfangszustandes dauert für alle Zeiten fort;
die Größe £, wird unendlich groß; die Linie c — £ 4- f, verschiebt sich also ins Unendliche,
und wir kommen so niemals aus dem zweiten Intervalle heraus, in welchem eine von £
abhängige verzógernde Kraft gemäß Gleichung (255) dauernd wirkt.
S 21. Die Bewegung mit konstanter Überlichtgeschwindigkeit.
Ebenso wie bei Unterlichtgeschwindigkeit ist bei Überlichtgeschwindigkeit in den
Integralen d; und 2} überall der Faktor 2 im Nenner hinzuzufügen, also insbesondere in
den Gleichungen (123), (126), (127), (128) und (135), vel. S. 342. Dasselbe gilt dann für
das Beispiel der Bewegung mit konstanter Überlichtgeschwindigkeit in 8 13; wir erhalten
jetzt:
(171) 9,-— 49.(t)-4- df.(0-— Sla 68 i (10 — 30 0°) + (23 — 140? + 15 o*) a \
20» \2a S 2a
und am Ende der ersten Lage den Wert:
172) » 2a N 2 € ( — (33 4 90 94. c9? 60 3 15 o9
d Hs scie — 90o?(1-- o) ORTE RAN, OD pam n Git le OUS
und für die wirkende Kraft in der ersten Lage erhalten wir den Wert:
96 ) s Bes ct d EENe
eo 7, — y. Dc NE Dep Fa DN Dee
® al EP ) | à a Sn 20
(174)
1 083 Eee ctt
+59 23 — 9 o? + 45 w +5 c9) oU |
!) Göttinger Nachrichten 1905, S. 201 ff.
355
In (175°) und (175?) ist auf der rechten Seite wieder der Nenner 2 hinzuzufügen.
Da die Berechnung der Kraft nicht weiter durchgeführt wurde, so wird an den weiteren
Formeln von $ 13 nichts geändert.
Geht man von der zweiten Voraussetzung über den Anfangszustand aus,
so beginnt die Bewegung in der dritten Lage, so daß sofort vom Beginne ab die ent-
sprechenden Gleichungen zur Anwendung kommen. Es ist die früher für den stationären
Endzustand anzuwendende Formel. Die Ausführung der Integration muß aber jetzt in
etwas anderer Weise geschehen, ganz wie es für Unterlichtgeschwindigkeit in $ 20 soeben
erörtert wurde. Entsprechend zu den Gleichungen (240) haben wir:
-— T -—ocfürsr«t
9
EEUU UN SU SES oe
v—€C
und die kritischen Kurven werden:
DE au: Ce
(259) [m
í v 2a
= ——-t+ — n (UE
C C
sie liegen ganz analog, wie die entsprechenden in Figur 18; nur ist jetzt ex do die
Neigung gegen die t-Achse also größer als 45°. Die wirkende Kraft wird, analog zu
(254), gleich folgendem Ausdrucke gefunden, wie sogleich näher erörtert werden soll:
9
: WELT Es (t£) J- 9; (0 4- 97, 6,0 — e; (tt)
260) a
3E 9, (^. bv $,, t) 9$, (t rin) — 9, (r^, Dh 9 Ti. ol.
Die Glieder mit den Funktionen d, di, d$, Di. V, sind nach Analogie zu (254) sofort
verständlich; aus den Gleichungen (128) ergeben sich folgende Definitionen, indem man dort
T=vt setzt und jetzt unter 7° den aus der zweiten Gleichung (259) fließenden Wert:
() 2a
261) 9 — — + —
ED 1 € 6
versteht (vgl. S. 280 und 342):
D,,(e, ef" ett—- 10.32 c 3? + (? 22 — 9? P) (15 6 —4 a?)] d x
(262) E
[2
[ree e—emetxes—209)0t— cer 22)dr.
0
p : Sec?
Tis (9 — 15 rg
Um das Glied mit $;, zu begründen, müssen wir zunächst die zweite kritische Kurve
in ihrem Verlaufe innerbalb des Parallelstreifens (r — £ und v — £ 4- £j) untersuchen; ihre
Gleichung T — cr —26 wird hier:
(263) vt—cri-—2a.
46*
356
Sie stellt eine gerade Linie dar, welche
in Fig. 19 mit P, bezeichnet ist; sie schneidet
die Achse 7 — 0 im Punkte = -— und
: ab. , 2a
die Linie — £ im Punkte vd cp
2
die Achse v — 0 im Punkte = 20.1208
DRESS
sie verläuft also ganz unterhalb der Linie : — £
2a 2a
für O0 <t< ———; erst für [> — — tritt
v—6 DR
sie in den Streifen zwischen den Parallelen
t: — i und z — £-[- f, ein, der für uns jetzt
in Betracht kommt. Nun liefert nach unseren
allgemeinen Erörterungen in $ 10 das In-
tegral 5; einen von Null verschiedenen Bei-
trag nur in dem Gebiete, der r-/-Ebene, in
welchem:
(264) T+cr>2a, T —ex «2a
ist. Dieses Gebiet ist in unserem Falle
zwischen den Linien P, und P, (und den
Linien z — £ und r=t-+4,) in Figur 19
eingeschlossen. Für £« " kommt daher für v das Intervall von 7” bis £-- £, in Betracht,
wie aus der erwähnten Figur sofort ersichtlich ist; und zwar ist das Integral ®,, hier
durch folgende Gleichung definiert:
(265) For (ay) ep; (p ry ms = 1l [(a3 — & 2) W; — Wi 4-2c« Wiz] dz,
wobei nach (134) (134*) zu setzen ist. Ü
T er=— vu? m ES. 2 .
W;= ag p [8 z v-oa4agg-iact].
zl r* 1 " V yi PERECVENO! c) 2 9 49 2
(266) Wi— 63 B [2 (à? -- 9? 8 -- avt) V(a —vt? — (3a? 4- 3v? P —(a 4- ex) (a o e2)],
W;-— ! [2 (a3 + 9? 8 +3avt)(V(a— vt))>—(a+ er) (5 (à 4- 1?) — 3(a 4- ex?) ],. .
30a? f?
wenn über das Vorzeichen der Quadratwurzel in der sogleich zu besprechenden Weise
verfügt wird.
Um das Gültigkeitsintervall der Formel (260) genau festzustellen, muß man noch
die Fülle:
c«v«2c und v>2c
unterscheiden. Im ersten Falle (c « v « 2c) liegt die Gerade P, so, wie in Figur 19 die
2g
stark angezogene Linie; sie schneidet die Achse = 0 zwischen den Punkten z = GELS
6 i
357
EE
und DL. In diesem Falle gilt die Formel (260) für das ganze Intervall
24
N :
0 Sis mem
Im anderen Falle (v 7 20) schneidet die Linie P, (d. i. die punktierte Linie Pi in
2q
Fig. 19) die Achse £ — 0 oberhalb der Stelle = wer sie trifft deshalb die Linie 7 — £ +1,
D)
in dem Punkte:
n iav 2a(v—2 c)
D, "iil Misco Capa
welcher auf der Seite £7 0 liegt und deshalb zu berücksichtigen ist. Da nun die Inte-
gration ursprünglich gemäß (244) bis zur Grenze t- £, ausgedehnt werden soll, und da
jetzt ein Teil der Linie z — £ -- £, noch unterhalb der Linie P, liegt, so haben wir an
Stelle von (260), wenn der Index z an 9 und Y fortgelassen wird:
(268) = [00 E 90 d d E 4,0 — dino
rose eo. + : yr. (f, 0 für 0€ £« f,
wo f, durch (267) definiert ist, und:
o
5
4 za?
269) $,—— X, (£, £). J- 5 (t, £) 4- 4, (09, 0) — y (6 0) -- DA, 2) —D (Et
(269) (
FLY cd Soo] masse.
Diese beiden Gleichungen gelten im zweiten Falle (v2 26) an Stelle der
Gleichung (260).
Es erübrigt noch das Vorzeichen der in den Ausdrücken W; und W3 gemäß (266)
vorkommenden Quadratwurzel zu bestimmen. Für £ -«" ist:
vt--Fcí«2a, also vt<2a.
Demgemäß zerfällt das Intervall 0 «£«:9*, in dem die Gleichung (260)
gilt, in zwei Teile; für 0 x ist in (266) der Ausdruck V(a—vt)? gleich vt— a
zu setzen, dagegen für I « E« f? ist derselbe Ausdruck gleich & — v£ zu wählen (vgl. die
allgemeine Erörterung hierüber auf S. 283). Im zweiten Falle (v 7 2 c) ist in gleicher Weise
das Intervall, in welchem die Gleichung (268) gilt, in zwei Teilintervalle zu zerlegen oder
dasjenige für Gleichung (269), und zwar je nachdem « außerhalb oder innerhalb der
Werte 2+Y3 liegt.
Zwischen den Linien 7 — £^ und £ — f, liegen die Linien P, und P, ganz innerhalb
des Gebietes z «f£, kommen also nicht in Betracht und wir erhalten (vgl. Figur 19):
358
sud MEL 1
Jn : V: (t, 0) 4- i Vr; (t, t) — E Vs (t^, o) für (f or LT <t<- eh)
—@
Wächst £ über den Wert f£, hinaus, so tritt die Linie M in den Parallelstreifen
zwischen den Linien z — £ und v — £ -F f, ein; sie ist daher mit zu berücksichtigen; sie
zeigt uns, wie der Einfluß des Anfangszustandes allmählich verschwindet. Wir müssen
jetzt den Wert von rz, welcher sich aus der Gleichung der Linie P, d. h. aus (263), ergibt:
(271) ut,
in die Integralgrenze von ®5' einführen und finden:
5
Bom — Ls 0o) de 900 4. i (6 0— 01 (0 E (0
(272)
+ EDEN d DAHIN DE nd] für a <t< (=b,),
denn in dem Punkte i m wird die Linie z -— £4- £, von der Linie P, geschnitten.
Hier tritt letztere aus dem für uns wichtigen Parallelstreifen heraus; es verschwindet somit
der Einflu& der Anfangslage ganz und wir erhalten:
zt 3 : : f N 4 PE
Qai T & (t9, 0) 4- d (t9, £) 4- ,5 (t, t) — d» (t9, 0) 4- ri Jr (t9st)
979^ Y
s) is 1 \ 2av
+-%(,)— -P5(?,t)) für > ——.
C , c (v — ep
In diesem Intervalle erhalten wir eine konstante Kraft, da bei konstanter
Geschwindigkeit die Funktionen d* und 7° von ihrem zweiten Argumente unabhängig
sind (anders ;' und 9»).
$ 22. Die gleichförmig beschleunigte Bewegung bei der zweiten Voraussetzung über
den Anfangszustand.
Wie soeben in $ 20 die gleichfórmige Bewegung unter Annahme des zweiten (in $ 15)
besprochenen Anfangszustandes genauer behandelt wurde, so ist in gleicher Weise jeder
andere Fall zu erledigen; es sei das hier noch an dem Beispiele der gleichfórmig beschleu-
nigten Bewegung gezeigt. Analog zu (240) haben wir hier gemäß Gleichung (179):
—T—(v--q) t 3942, für 0 <z<t,
(274) ®
ET WdE 148,4. «ustdd
Dabei ist 4, gemäß der Gleichung (198) durch den Wert (212) gegeben. Die kriti-
schen Kurven sind also, analog wie in (241):
für v « t die Hyperbel H, in Figur 14, dargestellt durch die Gleichung (181):
359
(275) ge —2grt—2(c+V)r+t4a=l,
und für 4 « 1 €«£ 4- f£, die Kurve:
(2753) qOG-E2vt--2er—4a-—0.
Die Auflösung der letzten Gleichung nach vr gibt den Wert 7°, den wir jetzt an
Stelle von obigem Werte (245) zu benutzen haben, nümlich:
: 1
(276) "= —-,,@+2vi— da)
2@
C
Die Gleichung (275?) stellt eine Parabel dar, welche die Achse £ im Punkte =
trifft, und die Achse z — in den Punkten:
letztere sind reell; sie trifft die Linie r — £ in denselben Punkten wie die Hyperbel H,;
wir haben:
dr — qr A TIO det q.
dicc cdd? v— 16r
der Scheitel der Parabel liegt also an der Stelle:
D 2a v?
serito q
die Kurve ist gegen die Achse r — 0 konkav gekrümmt; in Figur 20 ist sie mit P,
bezeichnet; sie tritt an Stelle der geraden Linie P, in Figur 18.
Die andere kritische Kurve ist analog zu (242) aufzustellen, nämlich:
für 0 « r «f£ die Hyperbel H, in Figur 14:
(211) qi—2qtv--2(c—v)r—4a-0
und für £ « r X f, -- £ die Parabel:
(2719) ger +2vt+d4a—2ctr=(.
Die Auflösung ergibt den Wert r,,:
(278) m — 5. +20t +40).
Diese Parabel (P, in Figur 20) trifft die Linie c — £ in denselben Punkten wie die
Hyperbel H, und schneidet die Achse 7 — 0 in demselben Punkte, wie die Parabel P,. Sie
ist konvex gegen die Achse r — 0 gekrümmt; ihr Scheitel liegt an der Stelle:
; 2
(219) RER dad eut I de it
Für uns kommen nur die Teile derselben in Betracht, welche zwischen den beiden
Parallelen z — £ und z — £ - f£, gelegen sind.
Innerhalb dieses Streifens ist aber auch die Grenze zwischen Unter- und Überlicht-
geschwindigkeit neu zu bestimmen; sie ist für r « 4 durch die gerade Linie (180) gegeben,
360
für 7>t dagegen durch die Gleichung, welche entsteht, wenn man den zweiten Ausdruck
für 7 aus (274) in die Gleichung 7T — cr einsetzt, d. h. durch die Gleichung:
(280) ez-—ovib4- 1g.
Es ist dies eine Parabel, welche durch den Anfangspunkt geht, welche die Linie v — £
im Sehnittpunkte mit der durch (180) dargestellten Linie LL, d. h. im Punkte:
(Qe
q
(281) ern
trifft, und deren Scheitel an der Stelle:
D gr
t = —— T——
de 2c
gelegen ist; sie ist in Figur 20 mit L' bezeichnet. Die Parabeln (280) und (277°) haben
dieselbe Achse; sie schneiden sich nicht (berühren sich im Unendlichen von der dritten
Ordnung); die Parabel P, verlüuft demnach ganz im Gebiete der Unterlichtgeschwindigkeit.
Die Parabeln P, und P, schneiden
sich dagegen, und zwar auf der z-Achse,
in dem Punkte:
2a
Das von diesen Parabeln und der
Linie z — £ gebildete Dreieck spielt hier
ganz dieselbe Rolle, wie in Figur 18
das von derselben Linie und den dortigen
Linien P, und P, gebildete Dreieck.
Wir nehmen der Einfachheit wegen
an, daß die Schnittpunkte der Hyperbel
H, mit der Geraden <=? imaginàr
seien; dann schneidet auch die Parabel
P, diese Gerade nicht, und wir erhalten
deren Verlauf wie in Figur 20. Die
Kräfte werden in den einzelnen Inter-
vallen:
|? (6 t) 3- - V, (f, 2) 4c di (65,2) — d» (5t)
: 9€
me pu
Ara?
(282)
ID ED) 9). für 0 « t « t*.
Hierbei ist zu beachten, daß die Funktionen V/ wegen des bei ihnen unter dem
Integralzeichen auftretenden Faktors v.(f— r) jetzt in ganz der gleichen Weise auftreten,
wie vorher bei der früheren Voraussetzung über den Anfangszustand; es ist das ganz
ebenso, wie in $ 20. Die Gleichung (282) ist der Gleichung (254) genau analog gebildet.
Es ist also Dj gemäß (244) dadurch bestimmt, daß in die allgemeine Gleichung (68), 8 18
für T der Wert aus der zweiten Gleichung (274) eingesetzt wird, den wir mit 7, bezeichnen
wollen:
361
(283) LT, =virtgt;
E j £C 3 j m
Bi (a, t) — d; (0 — ges [T (i — 108 567) d:
i
EC 3 2 2 3 3
— agas UI — 10a T9) (a — 0 - $6 T (o — t£].
Ebenso entsteht d» aus dem allgemeinen Ausdrucke (75), $ 18, indem man dort T
überall durch den Wert T, ersetzt; wir haben demnach, analog zu (249):
@
£C : ame
160a T? [— 32 a+ 40a? (cv— Io) — 20 a^ (cv— Po)(cz - 2 4153)
ie + (ex — Ty (ex 4-4 T] dr.
Bei Ausführung der Integration kann man dieselbe Umformung benutzen, wie oben
in (249); die eckige Klammer unter dem Integralzeichen ist gleich:
— 32 a* -- 80 a T, (cx — T,)+ 40 a? (ct — Ty — 20 à? (cr — Toy?
— 60a? T, (cx — Ty --5 Ty (es — T* + (ez— T5
qas) Ra) RB)
es wird also:
Q5 (a, f) — d: (B, t) = Tee [— 32. 0° € (a — B) + 40 a* T, ((ca — T)? — (c8 — Ty)
+ 4 (40 a? — 60 a? T ((c a — TQ? — (e B — Toy
— $a? ((c a — T9* — (ef — To} + To ea — T9* — (68 — Tj
+ + tea — Ty — (cB — ZH:
Im nächsten Intervalle ist die Parabel P, durch die Hyperbel H, zu ersetzen; für
das Integrationsintervall <r<t kommt jetzt auch die Funktion 2, bzw. Y, zur An-
wendung, wo ®, durch (75), S 18, 7, durch (112), $ 8 gegeben ist, und wir finden:
rn B — ps0 050 WOSO 0604 L9 60
+9, — d» (60)], für («x t£«1,.
Die Hyperbel H, und der Wert z, kommen hier nicht zur Geltung, da diese Hyperbel
ganz außerhalb des Gebietes v « f liegt, wenn ihre Schnittpunkte mit der Linie v — £, wie
wir jetzt annehmen, imaginür sein sollen. Für das nächste Intervall kommen die der
Überlichtgeschwindigkeit entsprechenden Funktionen zur Anwendung; wir haben, analog
zu (188):
Aza?
— 52 8, — a6 (5.0) - 1 (5,0 4 Vr G0 d DEN 9 05,0
(287) Er 90 — 9 659] 9,60 4- 29,00
10H) 952 für «t5.
Hierbei ist der Wert 7* wieder durch Gleichung (185), $ 14 definiert.
Für das nächste Intervall kommt es auf den durch (192), $ 14 definierten Wert:
Àbh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt. 47
Q—
fcm (in $ 14 mit /, bezeichnet)
4
an; er liegt bei imaginären Schnittpunkten der Hyperbel 4, mit der Linie r — £ zwischen
t, und £, (vgl. S. 305); es wird also:
4 za
3e
d ceni
(288) Z4 9,62 — 9,052)
B. — di (0.0 + DEN) + RD + d (151)
ie : BA CODING S978 Ee eme
Im nächsten Intervalle ist nun die Linie L oberhalb der Linie r — durch die Parabel
L' zu ersetzen, die hier die Grenze zwischen Unter- und Überlichtgeschwindigkeit angibt;
wir setzen entsprechend der Gleichung (280):
= v q b
D) A Em EEG
(289) n-tt3 nt
dann wird (wenn f£, wie oben in (190°) definiert wird):
Ar 4 zt a?
(290) 3e
$& — 9$ (1, 0) 4- d; (5, t) 4- : V: (9, t) 4- 05 (£0) + : V'; (f, f)
aD, DEE DL) DE (GOD re SS ESSI
Die zu Anfang bestandene Bewegung mit Unterlichtgeschwindigkeit macht sich also
nur noch in den Gliedern 4» geltend, welche von dem Anfangszustande herrühren. Für
das Intervall £ « z X& x). kommt jetzt auch die Funktion $5' in Betracht, welche aus 45
entsteht, wenn man 7 durch T, ersetzt; es ist also ®3° durch (265) gegeben, wenn dort
folgende Werte für die Größen W" eingesetzt werden:
eere Tee eres n ^ ?
Wi= gar [c v — T; +4a— tacı]
Ww= — [2 (d 4- T; -- a T) (T, — a) — {3® 4- 3 T; — (a + cr’) (a + er)]
Wi- sop Be + 7; 3aT)(D,— ay — (a + er)’ (5(à + T?) — 3 (a + ezy]].
Aber auch in der Gleichung der kritischen Kurve (142) ist jetzt T durch T, zu
ersetzen; die Hyperbel 4,, welche für r «f zu berücksichtigen war und deren Gleichung
in (189) vorlag, ist also für r7 £ durch die Parabel:
(291) e: —ot4- igt?—2a
zu ersetzen, welche (in Figur 20 mit P, bezeichnet) durch den Schnittpunkt der Hyperbel
H, mit der Linie =? hindurchgeht. Oberhalb dieser Kurve ist T, — cz «2a; deshalb
kommt in Gleichung (297) nun das Intervall rj <r<z, in Betracht, wobei v, durch (291),
d. h. durch die Gleichung:
363
'299 ud " T
(292) uet:
definiert ist.
Für die nächsten Intervalle kommen als charakteristische Grenzen neben f, nur noch
die Schnittpunkte der Linie r — £ J- £, mit den Parabeln P, L' und P, in Betracht; wir
finden für den Schnittpunkt mit P,:
(293) gO-UE (Ly tt L—
für den Schnittpunkt mit L':
e> an
und für den Schnittpunkt mit P;:
BEE nn v+c ee eet
29: f[— — E
(295) «Ve Ee L—À
Wird zunächst £ 7 £,, so kommen die zwei Punkte in Betracht, in denen eine Parallele
zur r-Achse von der Hyperbel H, getroffen wird; sie sind durch die Werte z, und rz, in
(190) gegeben; es wird also:
EL
= d; (r5, £) 4- d (9, d) m — V4 (19, £) + O5 (x, f) qt V'; (v, f)
Er) 4 5 (0) — 92 (0) E P5 (2) — V3 0]
nsn aspe is (P) sabe (eot) Di (co f) für o Seis
Wird £2 f, so tritt nun die Funktion 5 mit dem Argumente z, wieder zurück, und
wir finden:
4za?
SIE NSE
: : uS usa: , zy.
Sz — 5 (19, t) 4- d; (19, 0) 4- 5 Vi (50,0) -- 5 (n, 0) 4- 2 V5 (7,1)
+.) — d5' (v, t£) 4- do (v, 1) — d» (6, t) für t « tX &,
wo £, durch (293) definiert wird, und weiter:
/ Bir
EE Mame em 8. — d» (5, 2) - di (6,12) - — wich, + d» DE T5 (1,0)
4- d (5, f£) — Di (,, t) + 2 Erd DA) Jm. RS,
wo £, durch (294) gegeben ist; dann:
ea
(299) RCM d, (19, f) + dj (19, t) pt V; (9, 0) 4- D; (os t) (ni: lap; (t t)
Sr d; (t + t,) = d; (CE t) für [A SU 15,
wenn t, gemäß (295) bestimmt wird. Hier, also nach Ablauf der Zeit &,, ist der
Einfluß der anfänglichen Unterlichtgeschwindigkeit nicht mehr bemerkbar.
Endlich wird:
47*
364
4a?
96
Nach Ablauf der durch Gleichung (295) bestimmten Zeit 4, ist also der
Einflu& des Anfangszustandes auf die Bewegung des Elektrons ganz ver-
schwunden; denn die Gleichung (300) ist mit (194) vollkommen identisch. Die Parabel
P, wird hier in ähnlicher Weise benutzt, wie die Gerade P, bei der Bewegung mit kon-
stanter Überlichtgeschwindigkeit in Figur 19, indem ihr Verlauf das allmähliche Ver-
schwinden des Einflusses angibt, den der Anfangszustand auf die Bewegung ausübt.
Wenn man annimmt, daß die Linie =t von der Hyperbel 4, in reellen Punkten
getroffen wird, so kommen auch die in (183) gegebenen Werte 7, und £, als Intervall-
grenzen in Betracht, und die Zahl der zu unterscheidenden Fälle vermehrt sich noch
außerordentlich. Es bietet die Durchführung indessen keine prinzipiellen Schwierigkeiten.
(300) —
8: 405,0) 0; (00) 5-2 Us (eo )e d (n) CE en) ei.
9 " 3 9
8 23. Quasistationüre Bewegung.
Obgleich die Bewegungen mit konstanter Geschwindigkeit bei beiden naheliegenden
Hypothesen über den Anfangszustand zu Beginn störenden Kräften unterworfen sind, obgleich
es daher zweifelhaft ist, ob eine solche stationäre Bewegung hergestellt werden kann, möge
noch untersucht werden, wie im Verhältnisse dazu eine nahezu stationäre Bewegung verläuft,
d. h. eine Bewegung, bei der die höheren Potenzen der Beschleunigung q gegen die erste
Potenz vernachlüssigt werden dürfen. Wir führen diese Beschleunigung wieder mittels der
Gleichungen:
(301) D, — v --qí, y=0, v,—0
ein, so daß v die Anfangsgeschwindigkeit bedeutet. Es wird dann nach (179):
£—T-—(v-cg)r—iqv.
Wir hätten nun die in $ 14. entwickelten
Ausdrücke für die Kraft nach Potenzen von q
zu entwickeln und die ersten beiden Glieder zu
berechnen. Für g — 0 müssen sich die Formeln
von $ 14 auf diejenigen von $ 12, bzw. $ 19
reduzieren, so daß die ersten Glieder der Ent-
wicklungen bekannt sind.
Um zunächst festzustellen, unter welchen
Bedingungen eine solche „quasistationäre“ Be-
wegung eintreten kann, knüpfen wir an die
Figur 14 an. In ihr war die Hyperbel H, an
Stelle der bei gleichförmiger Bewegung auf-
tretenden geraden Linie:
2a
TI————
c+v
getreten, und die Hyperbel H, an Stelle der
Geraden: PE
Fig. 14. TIL IER
365
Das kann nur vorkommen, wenn die Hyperbel 4, die gerade Linie — £ in reellen
Punkten schneidet, d. h. wenn: ;
(302) (c— vp 24aq
ist, wie aus den obigen Gleichungen (183) sofort hervorgeht. Sicher muß ferner £ € f, oder:
e—v
(303) AST (— £s)
bleiben, denn für £— f, wird v 4- qt — c, so daß die Lichtgeschwindigkeit erreicht wird.
Einem Punkte der Hyperbel H, kommt nach (181*) die Ordinate:
4% / c--FvM 4a
VE
Bang vag 7
T — (1 xis = 1 22 il 4a
q ale+ 2)
oder durch Potenzentwicklung der Quadratwurzel, näherungsweise:
: na c+v 2a a 2a Kd 2a ( LN um
e e-(r q ) Veen oe or ee);
q ran
Dieser Wert stimmt in der Tat mit dem entsprechenden der gleichfórmigen Bewegung
für kleme Werte von q überein; und zwar müssen, damit obige Näherungswerte gültig
sind, folgende Ungleichungen bestehen :
tag qt
€ = 1E
Prey und ee
von denen die erstere infolge der Bedingung (302) von selbst erfüllt ist. Für die Hyperbel
H, wird nach Gleichung (184°):
x = (r o) zy tg
Hier ist der positive Wert der ee zu wählen; wegen der zweiten Un-
gleichung (305) ist daher: p»
V(qt —e-4- vy-—ec—v—qt
zu setzen, so daß wir erhalten :
2. 2 i
(306) al ETC (1-2.
e—v—gt ce —v
(305)
wobei zu den Ungleichungen (305) noch die Bedingungen:
4ag (
—<1, ——«l1
CIEEDEN DELL "EOS
hinzuzufügen sind, von denen wieder die erstere eine Folge der früheren Bedingungen ist,
während die andere mit (303) zusammenfällt.
(307)
366
Nach Ablauf der Zeit /, ist die Bewegung nahezu stationär geworden; dann gibt
Gleichung (184») für die wirkende Kraft den Wert:
= aA 0 At; V. (9,0) 4- | AC) für 4 <t<t,
wo nun ®, und ®, durch die obigen Gleichungen (68) und (75) in $18, V, und 7, durch
die Gleichungen (108) und (112) in $ 8 gegeben werden. Wir haben diese einzelnen
Integrale nach Potenzen von q zu entwickeln. Es sei:
$,— d;--gqd,, WYW,—UWi-pqWu,
$,— d)--qd,, WT,— Vip qW.
Da sich für y — 0 der stationäre Zustand der gleichfórmigen Bewegung ergeben muß,
so besteht für die Summe die Relation:
1 1
(309) a u 2
(308)
gemäß Gleichung (1693), 8 19. Diese Anfangswerte brauchen wir also nicht zu berechnen.
Die Funktionen $, und 4, wurden durch Integrale der Form:
J— [ra.2d:«
gegeben, wo F(T,r) eine Funktion von 7 und r bezeichnet, die aus den Gleichungen (68),
(75) und (752) in $ 18 zu entnehmen ist. Die Beschleunigung g kommt in den Grenzen
und in 7 vor; es ist also bei Vernachlüssigung der zweiten Potenz von q und der hóheren
Potenzen:
Ita N).
- [rien zZ) dr. -fu A
Mee
z 89 q/o 2 qJo
gesetzt wird, und wenn mit ro, zo, T'», T die betreffenden Anfangswerte für q — 0 bezeichnet
werden. Wir können die nötige Rechnung indessen wesentlich durch folgende Überlegung
vereinfachen. Es werde gemäß (179):
T=Ww+g6)r 127
gesetzt, und zunächst nach Potenzen von z entwickelt, dann ist:
wenn:
TQ
(310) T- Fev atsodi— 5. aU — rdı,
TQ
AO : : :
wo in — nun q — 0 zu nehmen ist; denn wir haben:
ov
a EEE UR eco. rine nenn NOR CER
ov "aT 53v arm“ 2x Aa 33s. 3T
367
Nachträglich setzen wir dann z — q; in dem Faktor von «(— q) konnten die Integral-
grenzen durch rj und rj ersetzt werden, da dadurch nur höhere Potenzen von q vernach-
lissigt sind. Das erste Glied der rechten Seite von (310) ist uns schon bekannt, wenn
wir annehmen, daß die Grenzen r',z'' einen der Werte:
0
On:
annehmen, denn z’ und r, hängen von 4 nur in der Verbindung v +- gt ab gemäß den
Näherungsformeln (304) und (306). Bezeichnen wir also mit PF, und FJ, die in den Inte-
gralen ®, und 2, unter den Integralzeichen stehenden Funktionen, und setzen den Inte-
gralen ®, und 9, ihre Argumente (v) bei, so wird:
70
(311) FF, (ov 47 qt, v) dv — f F, (vx 4- qtv, c) dv — 9, (v 4- qt),
zs 0
(312) f E.G 4- qz o) dr — f F,(vc 4- gt, dz — 9,(v 4- qt).
Ur 10
Um diese Integrale zu finden, brauchen wir also in den Formeln für , und 9, nur
überall v durch v+g£ zu ersetzen. Nun besteht die Gleichung (309) im stationären
Zustande für alle Werte von v» (0 « v X c), also auch, wenn man v durch v + q£ ersetzt,
d. h. es ist:
sel 1
(818) 9, (v 4-40) -- 9, (o c a0 d V o0 de LY Qe qt — 0.
Diese Ausdrücke liefern demnach keinen Beitrag zur Berechnung der
Kraft X.. Es ist nämlich auch (wenn man nach Potenzen von q entwickelt):
2d a 0, a V 9
HE EHE ee 2 L0,
av Qv 9v ov |.
EDEN npe E UE c at|e
worauf es hier eigentlich ankommt. ]
Im folgenden kommt es also nur auf das zweite Glied der rechten Seite
von (310) an. Wir kónnen dabei die schon ausgeführten Integrationen verwerten, wenn
wir folgendes beachten. Es gelte für das unbestimmte Integral die Gleichung:
(314) [50s94— 5 4 en C17 -- 0312 -- 0513 Eee,
so ist:
Fund)=— S e, ^-2et-p3eU--.--.
also offenbar:
23F
2v
90, 7° 3 90, 31? 20 96,237
3 9v 4
(£917
E) 9v 2 9v
rde— — 5 logr
Für 2, ist nun nach (68), $ 19 zu setzen:
€C
T* i
— 3 [4 2 B 2 2
fee le Fand) 5 "foros:
368
Wir haben also:
or, a x
ee rs Jas
und:
z0
ie d a^ een nn £C
Jan comete 3 15 (cre 20a
(316) ^? 2
a? 1648 9E à Ka OR ET Ung e
7 (e4-9915:20 9.609 0 t 6c Tt): sogar Dat 0)
Für das Integral 9, ist nach (1672), 8 19
ea [8a eT (Qo
SES qp ec 2 vod QVE s ier 3 ZU.
(317) e + N enel Le» Q4 29) (27)
aan
uU raue
also wird gemäß (314) und (315):
9 F, 2.2.0? 3 a CIN AO * ENG
I ur BL En 31-0) (14-20) (52)
oo
(817) sa-ora+4o(sr)]|
ri - 40 (e zy -8oü—o) ($7 ; — 820 (1-59) (zz) ]
oder, wenn man auf gemeinsamen Nenner bringt:
ea? 80 SV CONS
gs „| 181087 40(5° =) - 3 »» (27)
— P a— sq 4 3o-- 69 (57 a):
Hierin hat man als obere und untere Grenze für vr bzw. die Werte:
$
(3175)
za. 2a 2a
(318) PES und ECT
einzusetzen; dann ergibt sich:
s F, 16 ea 1--o » e
(819) Sr 15-40 .@. 08 cus |I 10 10
70
2 30 -- o 14-3o--6o?
- D — 0* - 3 (1 - 9 5
agn D Ires TTE TS E (10 o + 20 o? AD) qpum Sara]
oder nach einigen Umformungen:
16.a? l4-o
oc
(320) 20.0.0 "9 1—20
16a?
600 c?- o (1 -- 9)* (1 —
9: (30 -- 90 c + 40 o — 270 wo? + 16 o* — 132 o5 — 14 09).
369
Für das folgende ist es wichtig, das Verhalten dieses Ausdrucks in seiner Abhängig-
keit von o zu prüfen; um dasselbe in der Nähe von c — 0, d.h. für kleine Werte von
© zu erkennen, müssen wir nach Potenzen von «c entwickeln. Es ist:
Om . gy 2530210021618
tar 5 SF 7 Lip oe Ei 150? ose
1 9
1 a oa 2
g 5
co3 1—o co?
|
Multiplizieren wir mit:
15 (1 4- o)? (1 — o 2 15(1-4-5«o--10o?-- 1003 4---)(1— 20 4- o?)
=151+30+0—50°+ +.)
so wird:
15 l+o : 4 ? 5 A $ 1!
Zell + o) (1 — oy = (30 + 90 o + 40 o? — 120 o ur
Man erkennt hieraus, daß die rechte Seite der Gleichung (320) bei Ent-
wicklung nach Potenzen von o mit dem Gliede:
16.ao0 120-7270 2 &e a?
— 0
321 E
ca 40€ 15 e
beginnt, also für o — 0 verschwindet.
Bezeichnen wir mit A®; den Teil des Zuwachses der Funktion 4, welcher auf das
Resultat von Einfluß ist, d. h. weleher sich nicht infolge der Beziehung (313) schließlich
heraushebt, so ist also naeh (310), (316) und (320):
(322) A (0, + 6) — — (I, (9) 4- T, (9) 1.
wenn /, und 7, bzw. die in (316) und (320) rechts stehenden Funktionen von «c bedeuten,
die bis auf das Glied log I rational von o abhängen. Die Entwicklung nach Potenzen
von c ergibt:
| 2 ea
(323) Bw lltg et).
15 c?
Etwas anders muß man bei Berechnung von AY, und AY, verfahren, denn in 7
kommt die Geschwindigkeit v auch außerhalb der Funktion 7’ unter dem Integralzeichen
vor. Es sei gemäß (108) und (112):
y — [v.e—2»z. dr;
dann wird, da v.(f — z) — v -- q(t — v) zu setzen ist, analog zu (310) und (312):
zo
y — (oat atnnde
(324) aD
wv
—afiron24:—2 v? ede.
zo TQ
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt. 48
370
Auf Grund dieser Formel haben wir 4 V, und 4 7, zu berechnen. Für X, erhalten
wir nach Gleichung (108), 8 8:
feres 2ds- ße q312— 2o ej EC v? c) ]
ra]
also durch Einsetzen der Grenzen:
70
re: c) —
0
Es wird ferner für V^:
[2 d £C [te "e IR £C? 9? v? 16- ca? o? ( ez A9
——% rT=77, LO CUIU AEOUY ODER T o— m = 7
2v 4 a? 2,03. 35 DIC 2a
und nach Einsetzen der Grenzen:
2ea?
ce(1-+ o
4 REM
2
| EUM mE
z0
ia 18e c?
CE 5c (1+ 0)
0
In Rücksicht auf (324) wird also, wenn das Zeichen 4 so definiert wird, wie es für
die Gleichung (322) geschah:
q ra? 8 16142-2o?
| rn
: 4.20? e EE
(325) — MM E
q4-e
m, — pes oe
In gleicher Weise erhalten wir für V nach (112), 8 8, wenn dort der oben in $ 18
angegebene Wert von p t, cr) eingesetzt wird, unter Benutzung von (167^) $ 19:
[Fes9«- d— x ^ ia —o)(;* 7.) +0) (5) -5a —o»(2)]
und durch Einsetzen der Grenzen:
10
(Qr) ET Ze [- o (em ]
(820) [509 T nm: +0 5 — 8 reri
v 0
ea?
33d
5€
Zur Auswertung des zweiten Bestandteiles der Änderung von %, haben wir die in
(314) und (315) enthaltene Regel anzuwenden, und zwar auf die rechte Seite der Gleichung
(1675) S 19; wir finden dadurch:
Por 2a
IL 3 cde [00 (s5y -sa—o(; ;:)- c9a-or(r zl
311
Nach (324) haben wir die Summe:
2 [For drdr+ rar
zu bilden; sie wird:
ea?
=. ie 30)(5. a r9 a—oa—2o( 3
— ee 3 —— mr :
16 (1 — o? (1 — 3 o) (s .) |:
und nach Einsetzen der Grenzen:
Senna
5c (14r o)?
Bezeiehnen wir also die in (325) und (327) rechts stehenden rationalen Funk-
(827) — [— 2 — 18 o — 39 o? + 65 o + 29 o*] = (-2-83o-4o.)
tionen von o mit — UM und Jj. so wird:
-
2
(328) AF 3 V) — — 304 7) — —E T,
wo das Zeichen 4 dieselbe Bedeutung hat, wie in (322). In erster Annüherung wird:
(329) AQ, 4- V) — — $5 - (6-80 -- 889? 4).
Die auf das Elektron bei quasistationärer Bewegung wirkende Kraft wird
hiernach:
aoi
(330) eg
d. zm
wo I, I, I, die soeben definierten Funktionen von o bedeuten, oder für kleine
2
Werte von o:
: m 1&6
330°) Da an s
20zac
( cLuo—iSXmo-TT:-.).
Dieses Resultat ist von dem bisherigen verschieden; nach Sommerfeld und Abraham
sollte die Kraft durch den Ausdruck:
€9 2 2
G0) | t ubRILL|--—RiLi.Dreu]
20zac o? (1 — o?)
dargestellt sein. Es ist bemerkenswert, daß das Glied mit log 7 Z2 hier in derselben
Weise (und mit demselben Zahlenfaktor) auftritt, wie in unserer Mena (320); aber
die hinzutretende rationale Funktion von « ist eine andere.
Die Anwendbarkeit der Formel für die quasistationäre Bewegung ist durch die
Ungleichungen (302), (303), (305) und (307) begrenzt. Wir haben also:
4aq-«(c—vy, qgt<c—v.
48*
372
Hierzu tritt aber noch eine weitere Beschränkung. Die Gleichung (3302) wurde durch
Entwicklung der früheren Ausdrücke nach Potenzen von q gewonnen; hierbei trat in dem
Integrale 9, T im Nenner auf, wo nach (179):
T=vrtgtr— tg.
Auch der reziproke Wert von T mußte also nach positiven Potenzen von q entwickelt
werden, und das ist nur möglich, wenn innerhalb der Integrationsgrenzen:
v2gí—iqv oder qgt«v-Fiqgz
ist. Der kleinste Wert, welchen 7 (als untere Grenze) im Integrale ®, annimmt, ist gleich
2a .
; wir haben also:
c+e
TE
(331) De Ue ie:
das zweite Glied der rechten Seite ist sehr klein; es kann also näherungsweise:
(331°) gt<v
verlangt werden, d. h. die Zunahme der Geschwindigkeit darf nie gleich der An-
fangsgeschwindigkeit v werden. Für kleine Werte von v ist daher das Gebiet der
quasistationären Bewegung ein sehr beschrünktes. Für v — 0 muß auch q — 0 werden,
wie es natürlieh ist, denn bei der Anfangsgeschwindigkeit Null kann überhaupt keine
Bewegung zustande kommen.
Der Umstand, daß die Größe v in Gleichung (330) die Anfangsgeschwindigkeit bedeutet,
erhöht die Schwierigkeit ihrer Anwendung; denn der Zeitpunkt / — 0 fällt außerhalb des
Zeitraums, für welchen die Bewegung als quasistationür betrachtet werden darf. Wührend
dieses Zeitraums ist die Geschwindigkeit gleich v 4- q£ zu setzen. Führt man aber diese
Größe v+ gt an Stelle von v in die rechte Seite von (330) ein, so unterscheidet sich der
neue Ausdruck (mit v 4- gt) von dem alten (mit v) bei Entwicklung nach Potenzen von q
um Glieder zweiter und höherer Ordnung in 9. Wenn man aber solche Glieder benutzen
will, so hütte man alle vorkommenden Integrale von vornherein bis auf die entsprechenden
Potenzen von q entwickeln müsseu. Es ist daher nicht erlaubt, bei den Anwen-
dungen in Gleichung (330) die Anfangsgeschwindigkeit v durch eine spätere
Geschwindigkeit v 4- gt zu ersetzen. Bei Benutzung!) des Ausdrucks (330") dagegen
pflegt man unter v(— c - c) die Geschwindigkeit der Zeit 4 zu verstehen; man bezeichnet
den Faktor von g als longitudinale elektromagnetische Masse, und diese ist dann
als Funktion der jeweiligen Geschwindigkeit definiert; unsere Formel (330) dagegen
gibt diese Masse als Funktion der Anfangsgeschwindigkeit; als Funktion der
jeweiligen Geschwindigkeit kann man sie nach den vorstehenden Erörterungen nur
angeben, wenn man von vornherein bei allen Entwicklungen auch die zweite Potenz von q
berücksichtigt.
l| Z. B. bei der Berechnung der Geschwindigkeit der Kathodenstrahlen; vgl. Abraham, Elektro-
magnetische Theorie der Strahlung. Leipzig 1905, S. 195.
375
Die aufgestellten Formeln für die quasistationäre Bewegung sind zunächst nur für
unsere erste Voraussetzung über den Anfangszustand abgeleitet, behalten aber bei unserer
zweiten Voraussetzung ($ 15 und $ 22) ihre Gültigkeit.
Um dies einzusehen, muß man sich die obige Figur 20 für unseren zweiten Zustand
gezeichnet denken; es geschieht dies, indem man die Hyperbel H,, welche in Figur 14
(S. 364) auftritt, einzeichnet und die Parabel P. gleichzeitig so deformiert, daß sie die
Linie r — £ in denselben reellen Punkten trifft, wie die Hyperbel H;. Alsdann gilt für
0«£«t? unverändert die Gleichung (282); die Gleichung (286) aber hat jetzt
nur in dem Intervalle £^? «7, Gültigkeit, wenn £, (ebenso wie in Figur 14) den
ersten Schnittpunkt der Hyperbel EH. mit der Linie r — £. bezeichnet und wieder durch die
erste Gleichung (183) definiert ist. Für £7, ist jetzt die Hyperbel H, ebenso anzuwenden,
wie früher bei der ersten Voraussetzung über den Anfangszustand; für das Intervall
4<t<t, gilt demnach die frühere Gleichung (184®) unverändert. Da nun nach
obigem der quasistationäre Zustand eintritt, wenn Z, sehr groß wird und wenn die Hyperbel
H. sehr nahe mit einer Parallelen zur {-Achse zusammenfällt, so gelten auch obige
Gleichungen (310), .... (330?) unverändert für die zweite Voraussetzung über
den Anfangszustand.
Soll bei Überlichtgeschwindigkeit das Eintreten einer sogenannten quasistationären
Bewegung untersucht werden, so sind die Gleichungen von $ 14 nicht ohne weiteres
anwendbar, denn in ihnen ist die Anfangsgeschwindigkeit v kleiner als c vorausgesetzt.
Wählen wir aber jetzt v»>c, so wird in Figur 14 die Strecke 0 A negativ, 0.5 dagegen
positiv. Der Mittelpunkt der durch Gleichung (182) dargestellten Hyperbel H, liegt also
links vom Anfangspunkte 0; sie schneidet die Linie v — £ nicht und kommt also nicht in
Betracht; die Hyperbel H,, dargestellt durch Gleichung (181®), behält ihre Bedeutung; die
Hyperbel H, in Figur 14 ist weit nach links zu verschieben; ihr Schnittpunkt J mit der
Linie z — f ist durch die Abszisse £, in Gleichung (191) dargestellt. Wir erhalten jetzt:
PAP ica? ^ : il e =
(332) — = d» (t, t) 4- d (f, + HF (a
2€ C
und weiter, wenn auch £, negativ wird:
t Abas (UR s B : joe : discs
Q3) — — 12 ga (9,0 e i (8,0 4 LV G0 4 98 60 4-3 (60
Urb OE T.
endlich: et E
up Ina: à , : : 13 rds j [rwr ir
(334) — 2.7 g, — d (09,0) - di (5,0 -- HAN EF 39 (0 E Pl,‘ fürt«r.
Dabei sind z’ und r, ebenso wie früher durch die Gleichungen (181°) und (190)
definiert. Diese Gleichung (334) bleibt für alle größeren Werte von t gültig. Die Be-
wegung wird quasistationár, wenn die Hyperbeln H, und H, sich von zwei Parallelen zur
nahe zusammenfallen; das
t-Achse nur wenig unterscheiden. Es muß also r? mit en.
gibt wieder die obigen Bedingungen (205); und es darf v, sich von I nur wenig unter-
schéiden, und das führt auf die Bedingungen:
374
(335) 4agq<(gt+v— eo), gt<v—ec,
welche zu (307) analog sind. Außerdem muß ?>t, sein, also:
(qt Eo — 0*7 4aq 4- (c — 9,
wodurch dann die erste Bedingung (335) von selbst erfüllt ist. Entwickelt man nun nach
Potenzen von q, so ist zu beachten, daß für Überlichtgeschwindigkeit keine Relation der
Form (313) besteht, daß vielmehr die linke Seite dieser Gleichung eine Funktion von
v-- gt wird, ferner daß in den Funktionen ?' und V" die Größe T —(v--gt)v—1igv
im Nenner auftritt, so daß auch wieder die Bedingung (331), bzw. (331°) erfüllt sein muß.
Bei Abraham und Sommerfeld wird das oben in (330) angegebene Resultat auf
Grund der Annahme abgeleitet, daß die quasistationäre Bewegung schon unendlich lange
Zeit angedauert habe. Da nun die Geschwindigkeit bei jeder (auch noch so kleinen)
Beschleunigung nach unendlich langer Zeit beliebig groß wird, so scheint mir diese Ab-
leitung (abgesehen von sonstigen Bedenken) einen Widerspruch in sich zu enthalten.
Berichtigungen und Zusätze,
Seite 232 In Gleichung (1) muß es heißen: c?o statt 7?o.
„ 297 Zeile 10 v. o. 5 » : das Vektorpotential dient zur Darstellung
der durch nie Bewegung, erzeugten magnetischen Kräfte.
dv d
298 "IST: Svo 0: muf es heifen: = statt di
„ 244 In Gleichung (32) , , ES C CEBLAUUO Or5s
DATE E CEU S ra
T 2
n b] (412) ? " " : 8 —5p»
228524907 = KETTE » .:3ß-+y statt f — y.
» 251 Zeile 14 v. o. "EROS » : P statt P,
„ 284 Zu $ 6 vgl. die Bemerkung S. 340, Zeile 16 v. o.
„ 259 ff. Vgl. hierzu S. 340—342.
. 262 Zeile 7 v. u. muß es heißen: 2 a statt a.
, 276 . „ 37 und 1 v. u. muß es heißen: +2crT statt — 2cc T, so daß die
daran geknüpfte Bemerkung über das Vorzeichen zu streichen ist.
„ 278 ff. Zu den Gleichungen (123) bis (135) vgl. die Bemerkung S8. 342, Z. 9 v. o. ff.
, 291 Zu $ 12 vgl. $ 19, S. 342 ff.
, 295 Zu $ 13 vgl. $ 21, S. 354.
, 298 Zeile 10 v. o. muß es heißen: V/5,; statt V^,
= Felle Fr DEVEOS weis , :7—c€ statt c — v.
375
Seite 307 In Gleichung (194) muß es heißen: 5 statt % und W% statt V^.
n
bl
n
2
307 Auf der linken Seite der Gleichung (194°) ist + dureh — zu ersetzen.
310 ff. Zu $ 15 vgl. $ 20, S. 347 ff. und $ 21, S. 355 f£, sowie $ 22, S. 358 ff.
312 Gleiehung (204), im Zähler rechts muß es heißen: 4 w statt 4.
322 Zu $ 16 vgl. die weiteren Entwicklungen in meinem Aufsatze „Zur Elektronen-
theorie“, Sitzungsberichte der K. Bayer. Akad. d. W., math.-phys. Klasse,
Sitzung vom 6. Juli 1907. In dieser Abhandlung werden die Einwürfe
widerlegt, die Herr Sommerfeld in einer am 8. Juni der Akademie
vorgelegten Abhandlung gegen die von mir befolgte Methode erhoben
hatte. Nur in einem nebensächlichen Punkte, wo es sich um Aus-
wertung eines bei ihm vorkommenden Integrals (in $ 16 mit Q be-
zeichnet) handelte, konnte ich ihm recht geben. Insbesondere habe
ich a. a. O. untersucht, welcher partiellen Gleichung die in meiner
Gleichung (34) definierte Funktion genügt, wenn man die obere Grenze
t des Integrals dureh oo ersetzt.
2 Zeile 10 v. u. muß es heißen: $12 952 statt SEES.
342 Auf der rechten Seite der zweiten Gleichung (128) ist unter dem Integral-
zeichen der Faktor (7? — c? z?) hinzuzufügen.
343 Zeile 6 v. u. muß es heißen: 5 + 3 ©? statt 3 + 5 «?.
O44 Ivo, » 3: (75) statt. (78).
203295y-3205 UP DAS, 78 7138154:0:
BE) — m 8j ub. den » : (241) statt (240).
In Figur 18 ist /, dureh /' zu ersetzen.
350 In Gleichung (247) ist rechts der Faktor «a hinzuzufügen.
365 Zeile 10 v. u. muß es heißen: (1 SL statt V —
Br. n3 rer d piis: A dcs idest oh Ink x :
a a (SO 2 mann OOE.R VEZ bu A S A JE E dar SE ERE soif v
m
Pe SEN TEE A raadidd ua funr dan ARDEN Bi E08) endete gie)
nat lf vuN us mede gn P OY ett qoi nm matos CUT tret nih Dn fii Dr
qusenlat, mida. diei oW. ib box A ven a sb sid ides nipsaR, [ados da 5 oer TNCS
siat. HE neh? w yuyıhand a - aei b Hi vogt ia Dh nov gus E 3 "s
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«
Über die Abhängigkeit des Verhältnisses der spezifischen
Wärmen a k in trockener, kohlensäurefreier atmo-
sphärischer Luft von Druck und Temperatur.
Von
Peter Paul Koch.
(Mit 4 Tafeln.)
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. IT. Abt. A0
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TIN
Eine im Jahre 1899 veröffentlichte Abhandlung Witkowskis!) enthält
sehr interessante Ergebnisse in Bezug auf das Verhältnis der spezifischen
Wärmen in atmosphärischer Luft bei den Temperaturen von 0° und rund
— 79° und Drucken bis 100 Atmosphären. Die vorliegende Untersuchung
wurde unternommen auf Veranlassung von Herrn Geheimrat Professor
Dr. Röntgen zum Zweck einer möglichst exakten Nachprüfung und Aus-
dehnung auf ein größeres Druckintervall.
Den Messungen zu Grunde liegt die Beziehung:
GE ART EHEN
® V Mm (52 :
Dabei ist C die Schallgeschwindigkelt unter den in Betracht kommenden
8 : ds :
= ist der isotherme Elasti-
zitätskoeffizient und P die Dichte der Luft beim Druck p und der Tempe-
Bedingungen von Druck und Temperatur, — v
(DES * : i
ratur ti %k— = ist das Verhältnis der spezifischen Wärmen bei konstantem
Druck und konstantem Volumen.
Dieser Gleichung zufolge gliedert sich die vorliegende Veröffentlichung
in drei Hauptabschnitte. Der erste ermittelt die Schallgeschwindigkeit, der
zweite die Isothermen von 0? und — 79? und der dritte verknüpft die so
gewonnenen Werte zur Berechnung von f.
I) A. W. Witkowski. Bulletin international de l'Académie des Sciences de Cracovie. Mars 1899.
49*
380
I. Teil.
Die Schallgeschwindigkeit in atmosphärischer Luft bei Drucken bis 200 Atmo-
sphären und den Temperaturen des schmelzenden Eises und des Alkohol-
Kohlensäuregemischs.
Methode.
Die Schallgeschwindigkeit in Luft unter den angeführten Bedingungen
von Druck und Temperatur wird in Beziehung gesetzt zu der Schallgeschwin-
digkeit in Luft von Zimmertemperatur und Atmosphärendruck mit Hilfe der
Kundtschen Staubfiguren.
Ein Stahlstab wird an zwei Stellen auf !/ı seiner Länge von den Enden
eingeklemmt. Longitudinal angerieben veranlaßt er stehende, durch ein
leichtes Pulver sichtbar gemachte Wellen, in zwei über seine Enden gescho-
benen Röhren. Das eine davon (Untersuchungsrohr) enthält komprimierte
Luft von 0° oder — 79°, das andere (Kontrollrohr) Luft unter normalen
Bedingungen.
Das Verhältnis der Wellenlängen in beiden Röhren gibt das Verhältnis
der Schallgeschwindigkeiten.
Versuchsanordnung.
Schallquelle.
Als Schallquelle diente ein Stahlstab St (Figur 1) von 310 mm Länge
und 8,2 mm Durchmesser. Er trug an seinen Enden zum Übertragen der
Schwingungen an die Luft in den Wellenrohren kreisförmige Stahlplatten
von 24 mm Durchmesser und 1,1 mm Dicke hart aufgelótet. Auf ca. Y/ı seiner
Länge von den Enden befanden sich auf der einen Seite eine Messingplatte
M, (Durchmesser 51mm, Dicke 5,5 mm) zum Befestigen am Druckzylinder D,
auf der anderen Seite eine Messinghülse M, zur Befestigung am Kontroll-
rohr K.
381
Die richtige Lage von M, und M, am Stahlstab wurde experimentell
ermittelt: Ein Klemmen an dieser Stelle mit einer Zange darf keine merk-
liche Dämpfung des Longitudinaltones verursachen.
K
Figur 1.
Druckzylinder und Untersuchungsrohr. Kontrollrohr.
Der Druckzylinder war von Ducretet-Paris geliefert und für die in Be-
tracht kommenden Drucke mit Wasser geprüft.
Er trug einen seitlichen Ansatz S zur Zuführung der Druckluft. Das
Festklemmen des Stahlstabs am Zylinder erfolgte mit Hülfe eines Verschluß-
schraubenstückes V mit viereckigem Kopf und zylindrischer Bohrung durch
die am Stahlstab festgelótete Messingplatte M,. Abgedichtet wurde durch
einen zwischen JM, und das Auflager des Druckzylinders eingelegten Blei-
oder Lederring.
Die Innendimensionen des Zylinders bestimmten die Mafie des einzuschieben-
den Untersuchungsrohrs U. Der verfügbare Raum war zylindrisch, 100 cm
lang und hatte 34 mm Durchmesser im Lichten. Deshalb waren die Unter-
suchungsrohre Glasróhren von ca. 80cm Länge und ca. 30 mm Durchmesser
im Lichten. Die Röhren länger zu wählen hätte keinen Zweck gehabt, weil
der Stahlstab etwas über 22 cm in den Druckzylinder hineinragte. Sie trugen
um ein Herumrutschen zu verhüten an den Enden Papierstreifen, die bewirkten,
daß das Rohr gerade noch mit sanfter Reibung in den Zylinder paßte.
Die Dimensionen der Kontrollrohre waren die gleichen wie bei den
Untersuchungsröhren. Sie trugen einen seitlichen Ansatz A zum Durchleiten
trockener Luft. Die Befestigung des Stahlstabs am Kontrollrohr und der
luftdichte Abschluß des letzteren erfolgte mit Hülfe der Messinghülse JM,
durch einen auf das Kontrollrohr geschobenen Gummiring G, und einen über
Messinghülse und Kontrollrohr gezogenen Gummischlauch @,. Auf der anderen
Seite war das Kontrollrohr verschließbar durch einen Gummistopfen.
Druckluftanlage.
Zur Herstellung der Druckluft wurde der im Kellergeschoß des Instituts
aufgestellte Kompressor der Lindeschen Luftverflüssigungsanlage benutzt.
(Figur 2.)
zumDruckzylinder
zum Compressor
zu den Trockenröhren
u. Naironlaugeflaschen
Hs
zur Wasserluftpumpe
Von einem 7-pferdigen Elektromotor angetrieben preßt er die von außen
angesaugte Luft in zwei Stufen auf maximal 200 Atmosphären. Die Druck-
luft tritt durch ein Rückschlagventil R in den Wasserabscheider W, in dem
sich der Hauptteil des zum Schmieren der Kompressorstulpen eingespritzten
Wassers absetzt. Es wird durch das Ventil H, abgelassen. Auf dem oberen
Ende des Wasserabscheiders sitzt das zum Messen des Druckes benutzte Feder-
manometer M von Schäffer und Budenberg, Magdeburg-Buckau. An dem
Ventil H, vorbei geht die Luft in das mit einem Auslaßventil H, versehene
Trockenrohr 7' und durchstreicht in diesem von unten nach oben eine etwa
einen Meter lange Säule (Durchmesser ca. 7 cm) von feinkórnigem Chlorcalcium
und Natronkalk zur Absorption von Wasserdampf und Kohlensäure. Schließ-
lich passiert die Luft ein Schlangenrohr S, das mit einem Viehsalz-Eisgemisch
auf rund — 25" abgekühlt wird, ebenfalls zum Zweck des Festhaltens von
Wasserdampf und geht an einem mit zwei Ventilen H, H, versehenen 7-Stück
vorbei durch ein ca. 25 Meter langes Kupferrohr zu dem Druckzylinder im
zu ebener Erde gelegenen Zimmer des Beobachters.
Vom Ventil H; im Keller führt eine Bleileitung zu einem Dreiweghahn
H, und von dort zu einer Wasserluftpumpe um die ganze Anlage evakuieren
und dann trockene kohlensäurefreie Luft einlassen zu können. Die Dich-
tungen an Ventilen und Verschraubungen erfolgten durch Leder, Vulkanfiber
oder Blei. Letzteres erwies sich als besonders zuverlässig. Es machte geringe
Mühe in der ganzen Anlage den Druck selbst bei 200 Atmosphären länger
als eine Stunde innerhalb der Meßmöglichkeit des Manometers von ca. einer
Atmosphäre konstant zu halten.
383
Temperaturbäder und Temperaturmessung.
Das Kontrollrohr wurde bei den definitiven Versuchen auf Zimmertem-
peratur gehalten. Der Druckzylinder mit eingelestem Untersuchungsrohr
befand sich bei den Versuchen der ersten Reihe in schmelzendem Eise, bei
denen der zweiten in einem Gemisch von absolutem Alkohol und fester
Kohlensäure.
Das Kontrollrohr lag in einem oben offenen Zinkkasten von 93x 16 »« 16 cm.
Die Befestigung am Kasten erfolgte durch zwei auf das Rohr aufgeschobene
Gummistopfen, die in zwei in den Seitenwänden des Kastens angebrachte Löcher
hineinpaßten. Der erwähnte seitliche Ansatz des Kontrollrohrs kam außer-
halb des Kastens zu liegen. In den Kasten wurde Wasser von Zimmertem-
peratur eingefüllt. Zur Temperaturbestimmung dienten zwei in ganze Grade
geteilte Thermometer, die in zwei am Zinkkasten befestigten Messinghaltern
steckten, so daß ihre Kugeln sich dicht neben dem Kontrollrohr befanden.
Bei den ersten Probeversuchen war das Kontrollrohr mit schmelzendem
Eis umgeben. Die so erhaltenen Resultate stimmten sehr schlecht unter-
einander, wie es scheint eine Folge von Luftströmungen, hervorgerufen durch
die Temperaturdifferenz zwischen der auf 0° abgekühlten Mitte des Kontroll-
rohrs und den auf Zimmertemperatur befindlichen Enden.
Der Druckzylinder lag für die 0?-Versuche gleichfalls in einem. oben
offenen Zinkkasten auf zwei Holzstützen. Die Maaße des Kastens waren
122x25x25cm. In der einen Schmalseite befand sich eine kreisförmige
Öffnung, die gestattete den Druckzylinder, durch einen Gummiring gedichtet,
so einzupassen, daß er wenige Millimeter über die Außenseite des Kastens
herausragte. So war es auf bequeme Art möglich, von der Außenseite des
Kastens her das Untersuchungsrohr in den Druckzylinder einzuführen, den
Stahlstab einzusetzen und den Verschlußkopf zuzuschrauben.
Als Alkohol-Kohlensäuretemperaturbad diente ein bedeutend kleineres
Gefäß aus drei ineinandergesteckten spiegelblanken zylindrischen Weißblech-
kästen, die von einander durch zwei Filzlagen thermisch isoliert waren. Die
Gefässe waren oben offen und konnten durch einen Blechdeckel geschlossen
werden. Der innerste Kasten war 114cm lang und hatte 15 cm Durch-
messer i. L. Der Druckzylinder lag auf zwei entsprechend geformten Holz-
stützen und war in der eben beschriebenen Art durch die eine Seitenwand
des Kühlgefässes durchgeführt.
Um Klarheit zu gewinnen, ob und in welcher Zeit die Luft im Druck-
zylinder die Temperatur der umgebenden Bäder annimmt, wurde ein Bolo-
384
meter eingeführt. Auf ein Glasrohr von 30 mm äußerem Durchmesser und
1,5 mm Wandstärke war ein Gewinde von 0,6 mm Ganghóhe und 32 Win-
dungen eingeätzt und in dieses ein Platindraht von 0,05 mm Dicke, bezogen
von Heraeus-Hanau, eingelegt. Der Draht wurde in der üblichen Weise
vor und nach dem Aufwickeln elektrisch ausgeglüht. Der Widerstand bei 0°
betrug etwa 130 Ohm. Der Draht war vor Beschädigung geschützt durch ein
zylindrisch gebogenes Glimmerplättchen, das durch einen aufgeschobenen
Messingring gehalten wurde.
Dieses Bolometer (B Fig. 1), das den Stahlstab konzentrisch umfaßte
ohne ihn zu berühren, war auf die Platte M, aufmontiert, so daß es mit
dem Stahlstab als Ganzes in den Druckzylinder eingesetzt werden konnte.
Es kam etwa 14cm von der Platte M, entfernt in den Zylinder zu liegen
und blieb somit noch etwa Scm vom Anfang des Untersuchungsrohrs entfernt.
Folgender Weg wurde gewählt, um beide Zuleitungen zum Bolometer
von einander isoliert druckdicht nach außen zu führen.
Der Stahlstab wurde vom Druckzylinder elektrisch isoliert, dadurch,
daß M, ganz mit isolierendem Material umgeben wurde. Auf der Seite
von M,, die vom Verschlußstück gefaßt wurde, lag ein Vulkanfiberring P,
der Zylindermantel von M, war mit einem Hartgummiring H umgeben, und
zwischen M, und dem Druckzylinderauflager lag ein Lederring L, der
zugleich als Dichtung diente. Die eine Zuleitung des Bolometers ging zur
Messingplatte M,. Eine auf die Messinghülse M, aufgesetzte Klemmschraube
vermittelte die Weiterleitung nach außen. Die andere Bolometerzuleitung ging
zur Bleidichtung Bl zwischen der Lederdichtung L und dem Auflager. Die
Bleidichtung wurde durch Zuschrauben des Verschlußstückes energischst gegen
das Druckzylinderauflager gepreßt und vermittelte einen exakten metallischen
Kontakt mit dem Druckzylinder. Die Weiterleitung nach außen erfolgte durch
einen an die Außenseite des Druckzylinders angelöteten Draht.
Gang der Versuche.
Mit der beschriebenen Anordnung wurden nach einer Vorversuchsreihe,
bei der Kontroll- und Untersuchungsuhr sich auf Zimmertemperatur befanden,
und die zur Orientierung diente, zwei Hauptmeßreihen ausgeführt.
Es ist zuerst eine Beschreibung des Arbeitsverfahrens bei der 0°-Reihe
gegeben. Dann folgen Bemerkungen über die —79°-Reihe, soweit Abände-
rungen gegenüber der 0°-Reihe eintreten mußten.
385
Vorbereitung der Wellenröhren und des Druckzylinders.!)
Die Wellenröhren wurden ein für allemal sorgfältigst chemisch gereinigt
mit Salpetersäure und Kalilauge. Vor jedem Versuch wurden sie mit frischem
trockenem Fensterputzpapier ausgewischt, über einem Bunsenbrenner erhitzt
und während sie noch heiß waren, etwa eine halbe Stunde lang trockene Luft
in langsamem Strome durchgesogen. Dann wurde Lykopodium eingefüllt, das
längere Zeit zu dünner Schicht ausgebreitet in einem Schwefelsäure-Exsikkator
gestanden hatte. Die Pulvermenge wurde möglichst gering genommen. Durch
die mit Lykopedium beschickten Röhren wurde noch einige Stunden trockene
Luft durchgesogen.
Während dieser Zeit wurde vom Kompressor her etwa 20 Minuten lang
trockene Luft durch den Druckzylinder geblasen.
Einsetzen des Untersuchungsrohrs.
Dann wurde das Untersuchungsrohr, am hinteren Ende durch einen Gummi-
stopfen oder bei tiefen Temperaturen durch eine federnde Metallplatte ver-
schlossen, in den Zylinder eingeschoben. Dabei wurde es einige Grade um
seine Längsachse gedreht, so daß das Pulver seitlich etwas erhöht an die :
Röhrenwand zu liegen kam, die bekannte Maßregel um gute Staubfiguren zu
erhalten.
Sehr wichtig ist es die Tiefe, bis zu der das Wellenrohr in den Druck-
zylinder eingeschoben werden muß, richtig zu treffen, denn weder die Stellung
bester Resonnanz, bei der der Abstand von der schallübertragenden Endplatte
des Stahlstabs bis zu dem das Rohr abschließenden Pfropfen eine ganze Anzahl
stehender Wellen beträgt, noch die um eine halbe Wellenlänge verschobene
Stellung schlechtester Resonnanz gibt brauchbare Figuren. Im ersten Fall
werden die Staubfiguren verwischt, wie es scheint durch zu große Intensität
der Schallschwingungen, im zweiten Fall gibt es überhaupt keine Figuren.
Die besten Resultate erzielt man bei einer Zwischenstellung. Da diese im
voraus nie genau zu ermitteln ist, weil unter anderem der Ton des Stahlstabs
variiert (siehe unten), so ist das Auftreten guter Figuren etwas Glückssache
und ein beträchtlicher Prozentsatz der Versuche schlägt ganz fehl.
1) Die etwas umständlich erscheinenden Vorsichtsmaßregeln sind nötig um dem Lykopodiumpulver
seine möglichste Leichtbeweglichkeit zu sichern.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt. 50
386
Einsetzen des Kontrollrohrs. Abwarten der Temperaturkonstanz.
Nach dem Einführen des Untersuchungsrohrs in den Druckzylinder wurde
der Stahlstab. eingesetzt und das Verschlußstück behutsam eingeschraubt. Nun
wurde auf der anderen Seite des Stahlstabs das im Zinkkasten liegende Kontroll-
rohr in der beschriebenen Art befestigt.
Während durch das Kontrollrohr mit Hilfe des seitlichen Ansatzes und
eines durchbohrten Gummistopfens trockene kohlensäurefreie Luft durch-
gesogen wurde, wurde der Druckzylinder zweimal auf etwa 15 mm Queck-
silberdruck vom Maschinenraum her ausgepumpt und trockene, kohlensäure-
freie Luft eingelassen. Unterdessen wurde in die Zinkwanne des Kontrollrohrs
Wasser von Zimmertemperatur eingegossen und die Thermometer eingesetzt.
Gleichzeitig wurde der Zinkkasten des Druckzylinders mit gestoßenem Eis und
Wasser gefüllt.
Hierauf wurde durch den Kompressor der vorgesehene Druck hergestellt,
was, um auf 200 Atmosphären zu kommen, etwa 30 Minuten dauerte. Jetzt
wurde auch der Luftstrom durch das Kontrollrohr abgestellt und das ganze
System zum Erreichen konstanter Temperatur sich selbst überlassen. Das
Wasserbad des Kontrollrohrs wurde öfters energisch umgerührt und der Gang
der beiden Thermometer notiert. Ebenso wurde der Widerstand des Bolo-
meters im Untersuchungsrohr verfolgt. Die Zeit, die verstrich, vom Einfüllen
des Eises bis zum Konstantwerden des Bolometerwiderstandes, betrug etwa
eine Stunde, wobei das Herstellen des Druckes nur bei den ersten Kolben-
hüben des Kompressors einen kleinen Einfluß auf den Temperaturgang aus-
übte. Daß der endgültige Bolometerwiderstand wirklich 0° entsprach, ergab
die vorherige Aichung (siehe unten).
Vom Druckpumpen' bis zum Erzeugen der Staubfiguren wurde etwa
75 Minuten gewartet, um der Temperaturkonstanz ganz sicher zu sein.
Nachdem die Verhältnisse so festgelegt waren, wurde bei den späteren
Versuchen das Bolometer weggelassen, weil es die Handhabung des Stahlstabs
immerhin etwas umständlich machte.
Anreiben des Stahlstabs. Druckablesung.
Nun wurde der Stahlstab durch einen kolophoniumbestreuten Bierfilz
angerieben. Es wurde darauf geachtet möglichst kurz und möglichst nur
einmal anzureiben. Die Intensität des Anreibens wurde so schwach gehalten,
daß sich im Kontrollrohr gerade noch Staubfiguren bildeten. Man konnte
387
dann sicher sein, daß auch im Untersuchungsrohr Figuren entstanden waren,
wenn überhaupt richtige Resonnanz vorhanden war. Denn in komprimierter
Luft bilden sich die Figuren viel leichter wegen der größeren Dichte der
schwingenden Luft. Zu intensives Anreiben war zu vermeiden wegen der
Bildung unregelmäßiger Staubfiguren.
Sofort nach dem Anstreichen wurde das Manometer nebst danebenhängen-
dem Thermometer abgelesen und dann die Luft aus dem Drucksystem durch
Öffnen des Ventils H, langsam abgelassen. Schließlich wurde das Unter-
suchungsrohr aus dem Druckzylinder herausgenommen und mit einem Kork
verschlossen stehen gelassen, bis es Zimmertemperatur angenommen hatte.
Ablesen der Wellenlängen.
Zum Bestimmen der Wellenlänge im Kontrollrohr trug der Zinkkasten,
aus dem vor dem Ablesen das Wasser entfernt wurde, zwei Messingstutzen,
auf die ein Messingmaßstab parallel zum Wellenrohr in einigen Millimetern
Abstand so aufgeschraubt werden konnte, daß er mit seiner geteilten Fläche
auf die Höhe der Achse des Wellenrohrs zu liegen kam.
Auf das Rohr wurde federnd aufgeschoben eine parallel zur Achse auf-
geschlitzte, innen geschwärzte Messinghülse mit scharfem, weißen Strich senk-
recht zur Achse. Dieses bekannte Verfahren gestattet ein exaktes Einstellen
des Strichs auf die Knoten der Figuren. Ein mit der Messinghülse verbundenes
Messingblech mit Index vermittelte die Ablesung der Einstellung auf dem
Maßstab. Die Ablesung der Knoten erfolgte je zweimal, indem man die Reihe
der Figuren nach der einen und nach der entgegengesetzten Richtung durchlief.
Je zwei bis drei Wellen am Stempel des Stahlstabs und am Ende des Wellen-
rohrs wurden nicht mitgemessen.!)
Um die Wellen im Untersuchungsrohr abzulesen, wurde es mit Hilfe zweier
Klammern direkt auf den Maßstab aufgeklemmt. Die Einstellung auf die
Knoten erfolgte mit einer Messinghülse ähnlich der beschriebenen, die Ablesung
am Maßstab durch Visieren über den Rand der Hülse.
Damit war der Versuch beendet und es begannen die Vorbereitungen für
den nächsten. Ein jeder solcher Versuch dauerte einen halben Tag. Ein
Vorteil dabei war die Möglichkeit der Benutzung desselben Kontroll- und Unter-
suchungsrohrs bei sämtlichen Versuchen der 0°-Reihe.
!) Kundt, Pogg. Ann. 135, 8. 337. 1868.
388
Abweichungen von dem beschriebenen Verfahren bei den
Versuchen der — 79'-Reihe.
Das langsame Arbeiten verbot sich von selbst bei den Versuchen, bei
denen der Druckzylinder in einem Bad von absolutem Alkohol und fester
Kohlensäure lag, wegen der Kosten. Da die Zeit fehlte, nach jedem Versuch
die Wellenröhren zu reinigen, mit neuem Pulver zu beschicken und zu trocknen,
wurden zwei Kontrollrohre, jedes in der beschriebenen Art, in einen Zink-
kasten montiert und drei Untersuchungsrohre benutzt. Die Vorbehandlung
war dann wie oben.
Recht umständlich war das Herstellen und Erhalten des Temperaturbades für
den Druckzylinder. Nachdem das dreiwandige Kühlgefäß etwa zur Hälfte mit
absolutem Alkohol gefüllt war, wurde feste Kohlensäure zugesetzt, die aus großen,
ca. 20 kg flüssige Kohlensäure fassenden Bomben, durch direktes Ausströmen
in einen Sammtbeutel erhalten wurde. Ein schlimmer Mißstand war das sehr
bald eintretende Verstopfen der Ausströmungsöffnung durch das stets in den
Bomben enthaltene und in der Öffnung gefrierende Wasser. Um Zeitverluste
möglichst zu vermeiden, wurden deshalb mehrere Bomben gleichzeitig in An-
bruch genommen.
Das Kühlgefäß faßte ca. 17 Liter Gemisch. Die Schichtdicke des Bades
rings um den Zylinder betrug ca. 3 cm. Der Gesamtbedarf an Kohlensäure
für einen Versuchstag, an dem etwa 8—10 Versuche gemacht werden konnten,
belief sich auf 120—140 kg, der an absolutem Alkohol auf etwa 15 Liter.!)
Wie das Bolometer zeigte, dauerte es rund drei Stunden vom Beginn der
Badherstellung an, bis die Luft im Untersuchungsrohr Temperaturkonstanz
erreichte, und der Stahlstab zum erstenmal angestrichen werden konnte. Nun
wurde der Druckzylinder geöffnet, das Untersuchungsrohr möglichst rasch
herausgeholt, ein neues inzwischen vorbereitetes eingeschoben, und der Zylinder
wieder verschlossen. Gleichzeitig wurden die Kontrollrohre ausgetauscht. Nun,
nachdem der Druckzylinder abgekühlt war, dauerte es nur etwa 30 Minuten,
bis die Temperatur wieder konstant wurde. Um ganz sicher zu gehen, wartete
man bei jedem Versuch vom Druckpumpen bis zum Anstreichen des Stahlstabs
mindestens 45 Minuten.
Die Verschraubungen und Dichtungen funktionierten bei — 79° genau so
gut wie bei 0°.
!) Der Institutsmaschinist Georg Eichenseher hatte vollauf zu tun, das Kältegemisch dauernd in
richtigem Zustand zu halten. Nur durch sein durchaus selbständiges Vorgehen hierbei war es mir
möglich, die ganze Aufmerksamkeit auf die eigentlichen Messungen zu konzentrieren.
Aichungen und Korrektionen. Diskussion der Fehlerquellen.
Chemische Beschaffenheit der Luft. Wasserdampf und
Kohlensäure.
Die besonderen Vorsichtsmaßregeln, die getroffen wurden (siehe oben), um
die aus dem Kompressor austretende Luft zu trocknen, sind sehr wichtig,
weil beim Komprimieren feuchter Luft die relative Feuchtigkeit ungefähr
dem Druck proportional zunimmt, so daß Luft, die bei Atmosphärendruck nur
Bruchteile von Prozenten relativer Feuchtigkeit besitzt, auf 200 Atmosphären
komprimiert, mit Feuchtigkeit gesättigt sein kann, zumal wenn sie noch ab-
gekühlt wird. =
Man überschlägt den Einfluß der Feuchtigkeit auf die Schallgeschwindig-
keit, indem man in Gleichung (1) für die Dichte trockener Luft die der feuchten
einführt.) Der isotherme Elastizitätskoeffizient und % sind für feuchte Luft
nur wenig verschieden von den entsprechenden Werten in trockener Luft, so
daß man ihre Änderung für den vorliegenden Überschlag nicht in Betracht zu
ziehen braucht. Im ungünstigsten Falle, wenn die Luft bei Atmosphärendruck
und 0° mit Wasserdampf gesättigt ist, ergibt sich der Einfluß zu 1.19/oo.
Dieser Einfluß muß bei wachsendem Druck diesem proportional abnehmen,
weil der Sättigungsdruck des Wasserdampfes konstant bleibt. Schon bei
25 Atmosphären beträgt der mögliche Fehler also nur noch etwa 0.04/0o.
Für — 79° entfällt er vollständig.
Der Einfluß etwa nicht absorbierter Kohlensäure nimmt nicht mit wach-
sendem Druck ab, weil die Kohlensäure sehr weit vom Zustand der Sättigung
entfernt ist. Im ungünstigsten Fall könnte er 0.08?/oo betragen.
Temperaturmessung.
Zur Bestimmung der Temperatur des Wasserbades, in dem das Kontroll-
rohr lag, dienten zwei in ganze Grade geteilte Quecksilberthermometer (siehe
oben). Sie wurden unter allen Vorsichtsmaßregeln verglichen mit einem von
der physikalisch-technischen Reichsanstalt beglaubigten, in 0.1° geteilten Normal-
thermometer, dessen Nullpunkt kontrolliert wurde und innerhalb der Ablese-
möglichkeit mit den’ Angaben des Prüfungsscheins stimmte. Die erhaltenen
Korrektionen wurden graphisch aufgetragen und verwertet.
1) Winkelmann, Handbuch. 1. Aufl, I, S. 794. 1891.
390
Durch die Verwendung von Wasser von Zimmertemperatur als Bad für
das Kontrollrohr wurde der Temperaturgang sehr herabgedrückt. Er betrug
selten über 0.1° pro Stunde, wodurch die Sicherheit gegeben ist, daß die
Luft im Kontrollrohr wirklich die Temperatur hatte, die die Thermometer
des Wasserbades anzeigten.
Die Temperaturbestimmung der Luft im Kontrollrohr ist also mindestens
auf 0.1? genau. Der davon mögliche Fehler auf das Endresultat beträgt 0.2°/oo.
Zur Konstatierung, ob und in welcher Zeit die Luft im Untersuchungsrohr
die Temperatur des den Druckzylinder umgebenden Bades annahm, diente das
Bolometer (siehe oben). Zur Aichung mußte es vom Stahlstab abmontiert
werden. Es bildete den einen Zweig einer Whentstoneschen Brücke, der andere
war ein Widerstand von Edelmann-München, der dritte und vierte ein Meßdraht
mit Ballastwiderstand. Im Brückenzweig lag ein Drehspulengalvanometer von
Siemens und Halske mit objektiver Ablesung (Widerstand 10000 Ohm, Empfind-
lichkeit 1 Skt—=1:4- 107^ Ampere). Um die späteren Temperaturmessungen
unmittelbar mit der Aichung vergleichen zu können, wurde nach der Aichung
an der ganzen Kombination nichts mehr geändert, auch am Rheostaten wurden
dieselben Widerstandsrollen benutzt. Nur das Bolometer mußte wieder auf
den Stahlstab aufmontiert werden. Dies geschah so, daß die Zuleitungen sich
nur änderten einerseits um das Stück des Stahlstabs zwischen seinen beiden
Knoten, andererseits um das in Betracht kommende Stück des Druckzylinders
(siehe oben). Eine wahrnehmbare Änderung des Widerstandes trat, wie zu
erwarten war, hierbei nicht ein. Die Verschiebung des Schleifkontaktes auf
dem Meßdraht betrug 1.13 cm für 1? Temperaturänderung des Bolometers.
Auf diese Art wurde die oben vorweggenommene Tatsache festgestellt,
daß eine Stunde nach Einfüllen des Eises in den Zinkkasten der Bolometer-
widerstand konstant wurde und innerhalb der Meßfehlergrenze (0.2 mm Ver-
schiebung am Meßdraht, entsprechend 0.02° C.) der Temperatur von 0° entsprach.
. Dasselbe ergab sich, wenn der Zylinder komprimierte Luft enthielt. Eine
Berücksichtigung des Druckeinflusses auf den Bolometerwiderstand!) fand nicht
statt, weil die Größenordnung dieses Einflusses etwa die der Meßfehlergrenze ist.
In ähnlicher Weise erfolgte Aichung des Bolometers und Temperatur-
messung bei der Temperatur des Alkohol-Kohlensáuregemisches. Es wurde die
Zeit ermittelt, die man abwarten mußte, um im Druckzylinder Temperatur-
konstanz zu erhalten und festgestellt, daß diese Temperatur auf etwa 0.1" die
!) W. E. Williams, Phil. Mag. May. 1907. Dortselbst auch Literatur.
391
des Außenbades war. Der davon herrührende mögliche Fehler auf das End-
resultat beträgt 0.2°/oo. Die Temperatur des Kältegemisches hierbei und bei
den Schallgeschwindigkeitsmessungen wurde aus dem Barometerstand ent-
nommen. Zu Grunde gelegt wurde der von Holborn!) angegebene Siedepunkt:
— 18-34? für 760 mm Quecksilberdruck, kombiniert mit der von Dubois und
Wills?) ermittelten Abhängigkeit dieser Temperatur vom Druck: —55 mm
dp
dt
Quecksilbersäule pro Grad. Dazu kommt unter Umständen der Einfluß der
Eintauchtiefe des gekühlten Raumes in das Kältegemisch. Nach Bestelmeyer °)
entsprechen 42 cm Tiefe des Gemisches rund 2.7 cm Quecksilberdruck.
Druckmessung.
Die Druckmessung geschah mit dem auf dem Wasserabscheider befestigten
Federmanometer von Schäffer und Budenberg. Sein Druckbereich ging bis
400 Atmosphären, der Wert eines Teilstrichs war 10 Atmosphären, die Ablese-
möglichkeit also eine und unter günstigen Bedingungen eine halbe Atmosphäre.
Es wurde verglichen mit einem großen Präzisionsinstrument derselben
Firma, dessen Verwendbarkeit für exakte Druckmessungen von Wagner?) in
eingehender Weise mit Hilfe des Amagatmanometers untersucht war. Nach
den dort gemachten Erfahrungen war zu berücksichtigen der Einfluß von
elastischer Nachwirkung und Temperatur.?)
Zur Abkürzung sei das von Wagner auf das Amagatmanometer bezogene
Instrument mit M M, das bei den Schallgeschwindigkeitsmessungen verwendete
mit L M bezeichnet.
Die Gebrauchsweise des L M, wenigstens bei den 0?-Versuchen, war eine
typische im Sinne Wagners, so daß die Berücksichtigung der elastischen Nach-
wirkung nach den dort gegebenen Vorschriften erfolgen konnte: es wurde
stets nach einer Erholungszeit von mindestens sechs Stunden der Druck langsam
hergestellt und eine Stunde darnach abgelesen.
Um bei der Vergleichung von LM und M M, die mit Hilfe einer von
Schäffer und Budenberg gelieferten Druckpumpe erfolgte, Bedingungen zu
haben, die den genannten möglichst entsprächen, wurden beide Manometer
!) Holborn, Drudes Ann. 6, S. 242. 1901.
2) Dubois und Wills, Verh. d. deutschen phys. Ges. 1, S. 168. 1899.
3) Drudes Ann. 13, S. 968. 1904.
4) Drudes Ann. 15, S. 906. 1904.
5) Für freundliche Unterstützung bei allen Fragen der Druckmessung sage ich Herrn Dr. Wagner
hiermit meinen Dank.
392
nach einer Erholungspause von einem Tage unter den gewünschten Druck
gesetzt und eine Stunde lang stehen gelassen. Die Temperatur dabei betrug
8°, dieselbe, die sehr konstant im Maschinenraume bei der Benutzung des L M
geherrscht hatte. Dann wurden beide Manometer abgelesen.
Der Druck, der dabei in den Manometern herrschte, war zu entnehmen
aus der von Wagner für das M M gegebenen Tabelle X, S. 951. Dabei ist
zu berücksichtigen, daß diese Werte erhalten sind, indem der Druck in
35 Minuten gleichmäßig auf 300 Atmosphären gesteigert und bei jeder Druck-
stufe sofort abgelesen wurde, während im vorliegenden Fall die Manometer
außerdem noch eine Stunde unter Druck gestanden hatten. Die Größe der
hierfür an den Werten der Tabelle X anzubringenden Korrektionen ist den
Angaben der Seiten 940 und 941 entnommen. Sie ist für unsere Zwecke
belanglos und nur der Vollständigkeit halber angebracht.
Zu dieser Korrektion des M M für elastische Nachwirkung kommt die
Korrektion für Temperatur. Die Vergleichung der Manometer erfolgte bei
8° während die Werte der Tabelle X für 15° gelten. Der Einfluß der Tem-
peratur auf die Angaben des M M ist der von Wagner in seiner Dissertation!)
S. 38 gegebenen Beziehung entnommen:
PB. 120), 5-9
2933
pps
Dabei bedeutet P,, den Druck in Atmosphären, den das Manometer bei
15° anzeigt, P, den bei der Gebrauchstemperatur í.
Nach Anbringung dieser Korrektionen an den Angaben des JM M ist der
Druck bekannt, der zur Zeit der Ablesung in der Druckpumpe herrschte. Auf
diesen kann also die Ablesung des L M einwandsfrei bezogen werden.
Da es sehr zeitraubend gewesen wäre, das ganze LL M in typischer
Gebrauchsweise durchzuaichen, begnügte man sich mit der Feststellung, daß
bei drei Drucken, die den Teilstrichen 90, 150, 210 Atmosphären des M M
entsprachen, der Gang der elastischen Nachwirkung beim ZL M derselbe war.
Die Vergleichung bei den anderen Drucken erfolgte, indem bei steigendem und
fallendem Druck ein rascher Zyklus durchlaufen wurde. An den so gewon-
nenen, auf die Angaben des M M bezogenen Ablesungen des Z M, waren dann
noch die für einstündiges Stehen unter Druck ermittelten Korrektionen anzu-
bringen, die gerade in der Grenze der Meßmöglichkeit lagen.
Die beigegebenen Tabellen enthalten die Zahlendaten. Die korrigierten Werte
für andere als in der Tabelle angeführte Drucke wurden aus diesen interpoliert.
! Leipzig, Johann Ambrosius Barth.
393
Die Druckberechnung erfolgte für die — 79"-Versuche in derselben Weise.
Es war zwar die Erholungszeit für das L M meist kürzer, wie bei den 0°-Ver-
suchen, jedoch nicht in dem Maß, daß ein für die Messungen merklicher
Fehler entstehen konnte.
Tabelle 1.
Vergleich der elastischen Nachwirkung der Manometer.
Ablesung am .|
Ablesung am
; Druck E
Datum Gt — Zeit SS.
ew ax | LM | MM | LM
|
15. XII. 04 | 10538 210 222 11^43 | 210 | 2225
[GET OZ SIRE, 150 158 194. — e] 150 158.5
17. XII. 04 | 9 35| 90 | 95 |10 45 | 90 | 95,5
Alle Drucke in kg/qem.
'Tabelle 2.
Vergleichung der Manometer bei rasch durchlaufenem Druckzyklus.
Der Gang aufwürts dauerte 3 Minuten.
| LM LM
AM M | steigender fallender
Druck Druck
60 | 65
90. | 95 |
125 | 132 | l 132.5
150 158 |
1:0 | 3891 | |
210 222 222
Tabelle 3.
Korrektionen an den Ablesungen des MM für die Vergleichsbedingungen.
Wirklicher Druck- | Druckwert, korrigiert DrüslwortsEcrki
Nomineller | Wert für die bei | für den Fall, daß das | "a Far die Be.
Drückwert Wagner, TabelleX, | M M vorder Ablesung EIE des MM
r | S.951, definierte Art eine Stunde unter he go
| der Beanspruchung Druck stand :
ET [
5 | 4.56 4.56 4.26
30 29.00 28.98 28.74
60 59.16 59.13 53.96
90 89.27 89.22 89.12
125 124.54 124.48 124.47
150 149.60 149.52 149.57
180 179.51 179.42 179.54
210 209.41 209.31 209.50
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt.
51
394
Tabelle 4.
Korrektionstabelle für das LL M bei der definierten typischen Gebrauchsweise.
Ancabe Wirklicher
des LM Druck
0 | 0
33.9 28.7
65.5 59.0
95.5 89.1
132 5 UTD 155
158.5 149.6
189.5 179.5
222.5 | 209.5
Für die spätere Verwertung der Tabellen 1—4 sei darauf hingewiesen,
daß alle Drucke Überdrucke über die Atmosphäre bedeuten. Um den bei den
Schallgeschwindigkeitsmessungen im Innern des Druckzylinders vorhandenen
Druck zu erhalten, ist zu den Ablesungen des L M der Atmosphärendruck zu
addieren. (Siehe Tabellen 5 und 6, Kolonne 3.)
Aussehen der Staubfiguren.
Wie erwähnt, war es zu vermeiden, die komprimierte Luft im Unter-
suchungsrohr in intensive Schwingungen zu versetzen, entweder durch Resonanz
oder energisches Anreiben des Stahlstabes. Die Folge war, besonders bei hohen
Drucken, die, daf das Pulver aus den Schwingungsbàuchen weggeblasen wurde
und sich in unregelmäßig verteilten Staubhäufchen in der Nähe der Knoten
sammelte. Schon Kundt?!) und später Kundt und Warburg?) haben auf diese
" Folge zu intensiver Schwingungen hingewiesen.
Wie Kundt?) gezeigt hat, kann die starre Verbindung zwischen Schall-
quelle und Wellenrohr zu Störungen der Staubfiguren Anlaß geben da-
durch, daß das Wellenrohr zum Mitschwingen veranlaßt wird. Die starre
Verbindung von Stahlstab und Druckzylinder war im vorliegenden Fall aus
Diehtungsgründen nicht zu umgehen. Dafür ist die Masse des Zylinders
(ca. 50 kg), verglichen mit der des Stahlstabs so groß, daß ein Mitschwingen
ausgeschlossen sein dürfte.
I) Poge. Ann. 127, S. 497, 1866.
?) Pogg. Ann. 157, S. 362, 1876
3) Pogg. Ann. 135, S. 351, 1868
395
Einige charakteristische Typen von Staubfiguren, besonders aus dem Unter-
suchungsrohr, sind auf Tafel 1 reproduziert. Sie sind erhalten als direkte Schatten-
risse auf lichtempfindliches Papier, das an das Wellenrohr zylindrisch ange-
bogen wurde, hergestellt mit Sonnenlicht. Trotz ihres meist etwas unregel-
mäßigen Aussehens sind sie gut auszuwerten und ergeben befriedigende Überein-
stimmung der Einzelwellenlängen, wenn man die in den Knoten liegen geblie-
benen Staubhàufchen zur Einstellung benutzt, ein von Kundt und Warburg (l. c.)
für solche Fàlle empfohlenes Verfahren.
Das Aussehen der Wellen im Kontrollrohr war immer sehr regelmäßig,
mit engen Knoten und breiten Bàuchen.
Korrektionen für die Wellenlänge.
Der Messingmaßstab, an dem die Ablesung der Staubfiguren erfolgte,
wurde mit dem Normalmaßstab des Institutes aus Invar,!) an dem praktisch
keine Korrektion anzubringen ist, verglichen. Die Vergleichstemperatur betrug
14.0°, die Meßfehlergrenze 0.02 mm. Der Maßstab erwies sich als für den vor-
liegenden Zweck fehlerfrei mit Ausnabme der Strecke 0—10 cm, die um
0.08 mm länger war als das entsprechende Stück des Normalmaßstabes und
die Strecke 40—50 cm, die um 0.12 mm zu lang war. Auf der Strecke 40
bis 50 cm gelang es mir einen Sprungfehler von rund 0.1 mm nachzuweisen
zwischen den Teilstrichen 46.7 und 46.8 cm, um den dieser Millimeter zu grofi
war. Deswegen wurde zu jeder Ablesung über 46.8 0.1 mm addiert. Auf der
Strecke 0— 10 cm war ein größerer Sprungfehler nicht nachzuweisen. Da es
nicht sicher war, ob mehrere kleinere Sprungfehler vorhanden waren, oder ob
sich der Fehler gleichmäßig über die ganze Strecke verteilte, wurde eine
Korrektion dafür nicht angebracht. Abgesehen von der Kleinheit ist diese
Unterlassung auch deswegen belanglos, weil die Wellen im Kontroll- und im
Untersuchungsrohr am selben Maßstab gemessen und daraus das Verhältnis
der Wellenlängen berechnet wurde. Diese Bemerkung gilt auch für den
Sprungfehler zwischen 46.7 und 46.8 cm.
Weil der Messingmaßstab bei 14.0° mit dem Normalmeter verglichen war
und bei einer anderen Temperatur 14 + t zur Ablesung benutzt wurde, waren
zur Wellenlänge 2 mm zu addieren bzw. davon zu subtrahieren: 0.000019 -2-A mm.
Die Glasrohrausdehnung war in Rechnung zu ziehen, weil die Staubfiguren
1) Geliefert von der Société génévoise pour la construction d'instruments.
Dil
396
bei verschiedenen Temperaturen erzeugt und abgelesen wurden.!) Sei die
Temperaturdifferenz £, dann ist die mittlere Wellenlänge um 0.000008 - 2-4
zu verkleinern, falls die Ablesetemperatur höher ist als die Entstehungstempe-
ratur der Wellen.
Eine Korrektion wegen des Druckeinflusses auf die Dimensionen des Unter-
suchungsrohrs wurde als nicht in Betracht kommend vernachlässigt.
Der von Kundt?) experimentell gefundene Einfluß der Röhrenweite auf
die Schallgeschwindigkeit wurde von Kirchhoff?) auf die Wirkung von Wärme-
leitung und innerer Reibung im Gase des Wellenrohrs zurückgeführt. Die so
abgeleitete Beziehung wurde für weite Röhren unter normalen Bedingungen
wenigstens annähernd experimentell bestätigt.
Nimmt man die Kirchhoffsche Formel für die im Untersuchungsrohr vor-
kommenden Bedingungen von Druck und Temperatur auch nur als annähernd
gültig an, so wäre daraus zu folgern, daß die Röhrenweitenkorrektion
bedeutend geringer sein muß, als bei Atmosphärendruck. Denn Wärmeleitung
und innere Reibung ändern sich nur wenig mit dem Druck, wogegen die
Gasmenge im Untersuchungsrohr ungefähr dem Druck proportional zunimmt.
Experimentelle Resultate Witkowskis (s.l. c.) scheinen diese Schlußfolgerung
zu bestätigen. Dieser arbeitete mit Röhren von 20.7 bzw. 8.6 mm Durch-
messer und Wellenlängen von rund 26 und 46 mm bei 0° und Drucken bis
110 Atmosphären. Aus seinen Messungen scheint hervorzugehen, daß der
Einfluß der Röhrenweite bei hohen Drucken sogar den entgegengesetzten Sinn
haben kann von dem, den man nach der Kirchhoffschen Formel erwarten
sollte, indem die Schallgeschwindigkeit in engen Röhren und für große Wellen-
längen größer ist als für weite Röhren und kurze Wellen. Die Größenord-
nung der Abweichungen deckt sich allerdings nahe mit seiner Meßfehlergrenze.
Witkowski vermutet als Ursache dieser merkwürdigen Umkehrung des Röhren-
weiteneinflusses eine endliche Amplitude der Schwingungen im Untersuchungsrohr.
Im vorliegenden Fall wurde von einer Anbringung der Röhrenweiten-
korrektion überhaupt abgesehen. Den so möglichen Fehler wird man kleiner
als 19/00 schätzen dürfen. Denn es kommt lediglich das Verhältnis der Wellen-
längen in Kontroll- und Untersuchungsrohr in Betracht. Die Korrektion beträgt
1) Strecker, Wiedem. Ann. 13, S. 28, 1881.
?) Monatsberichte der Berliner Akademie S. 858, 1867.
3) Pogg. Ann. 134, S. 177, 1868.
4) Die kinetische Gastheorie verlangt Unabhängigkeit vom Druck. Für die innere Reibung von
Kohlensäure bei höheren Drucken liegen Untersuchungen von Warburg und Babo (Wiedem. Ann. 17,
S. 390, 1882) vor, die eine kleine Abhängiskeit vom Druck ergeben.
397
für das Kontrollrohr rund 1°/oo,!) während sie für das Untersuchungsrohr dem
eben Gesagten zufolge jedenfalls kleiner ist.
Die Korrektion könnte noch weiter herabgedrückt werden durch Ver- .
kleinern der Wellenlänge im Verhältnis zur Róhrenweite. Dem setzt das Auf-
treten unregelmäßiger und schiefer Staubfiguren eine Grenze. Die in dieser
Beziehung gemachten Erfahrungen decken sich völlig mit denen von R. Koenig.?)
F. A. Schulze,?) sowie J. Müller,*) ziehen zur Erklärung das Vorhandensein von
Obertónen heran, ersterer unter Annahme von Intensitätsunterschieden senkrecht
zur Röhrenachse.
Experimentell läßt sich feststellen, daß die Staubfiguren bei gleicher
Röhrenweite besonders schief werden, wenn man die Röhre lang nimmt und
den tongebenden Stahlstab nicht zentrisch parallel zur Röhrenachse, sondern
schief dazu einstellt, daß dagegen die Figuren regelmäßig werden, wenn man
bei gleicher Röhrenweite die Wellenröhre nur einige Wellen lang macht und
den Stahlstab möglichst gut zentriert und der Röhrenachse parallel stellt.
Wie bemerkt, kamen bei allen Versuchen der 0°-Reihe dieselben beiden
Röhren als Kontroll- und Untersuchungsrohr zur Verwendung. Dies war bei
den Versuchen der — 79?-Reihe nicht möglich. Die dazu benützten Röhren
wurden so ausgesucht, daß ihr Durchmesser bis auf Bruchteile von Millimetern
übereinstimmte. So war man sicher, daß der Einfluß der Röhrenweite bei
allen Versuchen wenigstens derselbe war.
Die für die Staubfiguren nötige Pulvermenge wurde so gering gewählt
wie möglich, um gut sichtbare Figuren zu erhalten. Nach den Erfahrungen
von Kundt?) dürfte bei der relativ großen Röhrenweite ein davon herrührender
merklicher Fehler auf das Resultat ausgeschlossen sein.
Unsere zu Grunde gelegte Beziehung (1) ist abgeleitet unter der Voraus-
setzung, daß die Schwingungsamplitude der die Schallfortpflanzung vermitteln-
den Luftteilchen unendlich klein ist, verglichen mit der Wellenlänge des Tons.°)
Für Atmosphärendruck hat Kundt’) gezeigt, daß innerhalb seiner Meßfehler-
grenze ein Einfluß der Schwingungsintensität des tongebenden Stabes auf die
!) Valentiner, Drudes Ann. 15, S. 91, 1904.
2) Wiedem. Ann. 69, S. 654, 1899.
3) Wiedem. Ann. 68, S. 880, 1899. Drudes Ann. 13, S. 1067, 1904.
1) Drudes Ann. 11, S. 335, 1903:
5) Pogg. Ann. 135, S. 527, 1868.
8) S. z. B. Voigt, Thermodynamik I, S. 138.
7) Pogg. Anm. 135, S. 538, 1868.
398
Schallgeschwindigkeit im Wellenrohr nicht zu erkennen war. Ebenso hat Kayser !)
nachgewiesen, daß unter normalen Bedingungen von Druck und Temperatur
eine Änderung der Amplitude der Schwingungen im Wellenrohr im Verhältnis
1:8 keine Änderung der Schallgeschwindigkeit hervorbringt, die größer ist
als 11/2 9/oo.
Experimentelle Untersuchungen bei hohen Drucken liegen nicht vor.
Wäre ein merklicher Einfluß vorhanden, so müßte er mit einiger Wahr-
scheinlichkeit zu erkennen sein aus der schlechten Übereinstimmung von Resul-
taten, die unter sonst gleichen Bedingungen gewonnen sind, da die Intensität
der Stahlstaberregung sehr verschieden war. Die am Schluß diskutierte Fehler-
grenze der Meßresultate ist also wohl auch ein Maß für diesen sonst vorläufig
unzugänglichen Einfluß.
Es wurde weiter in Erwägung gezogen die Möglichkeit einer Erwärmung
der im Wellenrohr befindlichen Luft durch die hineingesandte Schallenergie.
Warburg?) fand mit Hilfe eines Thermoelements, daß in festen Körpern, wenn
in ihnen ein Longitudinalton erregt wird, eine Temperaturerhöhung bis zu 2°
eintreten kann, und daß diese in den Knoten größer ist als in den Bäuchen.
Für Gase dagegen war eine merkliche Temperaturerhöhung beim Tönen nicht
zu konstatieren, obwohl eine Temperaturänderung der Thermoelementlötstelle
von l/5o0? zu erkennen gewesen wäre.
Dvorak?) findet dagegen eine sehr starke Erwärmung der Luft beim
Erzeugen stehender Wellen in einer Kundtschen Róhre. Der Nachweis erfolgt
durch ein kleines Luftthermometer mit Weingeistindex. Es zeigt sich eine
erößere Erwärmung, wenn die Thermometerkugel im Bauch einer Welle steht.
Bei den vorliegenden Druckversuchen, bei denen sich ein Bolometer im
Druckraum befand, war beim Anstreichen des Stahlstabs eine Temperatur-
änderung des Bolometers von 0.02? mit Sicherheit nicht nachzuweisen. Wegen
des großen Wasserwertes des Bolometers und seiner damit verbundenen Un-
empfindlichkeit für Temperaturschwankungen der umgebenden Luft sind diesem
Resultat weitergehende Schlüsse nicht zu entnehmen.
Eine eingehendere Untersuchung mit einem Bolometer von möglichst
geringem Wasserwert, das hergestellt wurde durch Aufwickeln von Platindraht
von !/so mm Dicke auf ein Gerüst von vier dünnen Hartgummistäbchen, die
im Viereck aufgestellt waren, zeigte, daß in Wellenröhren mit Luft von Atmo-
1) Wiedem. Ann. 6, S. 465, 1879.
2) Pogg. Ann. 137, S. 632, 1869.
3) Poeg. Ann. 153, S. 118, 1874.
399
sphärendruck unter keinen Umständen eine Erwärmung des Bolometers eintrat,
die 0.002° überstieg. Dabei wurden alle in Betracht kommenden Bedingungen,
wie Resonanzlänge des Wellenrohrs, Ort des Bolometers, Intensität des An-
reibens variiert.
Zur Erklärung der Beobachtungen Dvoraks, die denen Warburgs und den
vorliegenden direkt widersprechen, ist es vielleicht nicht ausgeschlossen, daß
Dvorak mit seinem Luftthermometer nicht Wärme-, sondern Druckeinflüsse
gemessen hat.
Eigenschaften des Stahlstabs.
Die Tonhöhe des schallgebenden Stahlstabs war nicht konstant. Die größten
Abweichungen von Einzelwerten untereinander betrugen 8°oo. Ein Einfluß
des Druckes auf die Tonhöhe war nicht zu erkennen, wohl aber war die
Dämpfung hervorgerufen dadurch, daß das eine Ende des Stahlstabs Luft von
bedeutend größerer Dichte in Schwingungen zu setzen hatte, sehr merklich.
Der Stahlstab war bei hohen Drucken bedeutend schwerer anzureiben.
Die Inkonstanz des Stahlstabtones kann in den Fällen gefährlich werden,
in denen ein mehrmaliges Anreiben erfolgen muß, weil nicht sofort die Wellen
im Untersuchungsrohr fallen. Dabei können etwa beim ersten Anreiben die
Wellen im Untersuchungsrohr entstehen, beim zweiten mit vielleicht etwas
geändertem Ton, die Wellen im Kontrollrohr. Dagegen spricht die Tatsache,
daß die Wellen im Untersuchungsrohr wegen der großen Dichte der Luft
bedeutend leichter entstehen als im Kontrollrohr. Selbst wenn also beim
zweiten Anstreichen der Stahlstab einen anderen Ton geben sollte, ist mit
einiger Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß der Ton des zweiten Anstreichens
für die Lagerung des Pulvers im Untersuchungsrohr maßgebend ist, daß also
die Wellen in beiden Röhren von der gleichen Tonhöhe erzeugt werden.
Jedoch hat man auch hier, wie beim Einfluß der Amplitude, nur in der
Übereinstimmung von unter sonst gleichen Bedingungen gewonnenen Resul-
taten ein Maaß für die Erlaubtheit der Annahme.
Zahlenresultate.
Die Tabelle 5 enthält die Resultate der bei 0° ausgeführten Meßreihe.
Es wurde keine Messung verworfen, bei der überhaupt gleichzeitig im Kontroll-
und Untersuchungsrohr ablesbare Figuren entstanden waren.
Die erste Spalte enthält den Druck, abgelesen am Manometer, in kg/qem,
die zweite den korrigierten Druck in kg/qem (siehe oben), die dritte den
400
Tabelle 5. t= 0%.
Druck Druck konigier ur Unter- 1 = un KR AK on ne
abgelesen | korrigiert Bro "T suchungs-| suchungs- d ed d trollrohr Monats rohr —
Felsen REGE Drac oir eh rer | Uno. pompier Cara, | in’ zum |2Rontoll
ylinder |
1 2 3 4 5 6 U 8 9 10
|
0 0 0.9 | 29.811 | 29.809 | 30.682 | 30.684 | 17.0 | 29.770 | 1.0018
0 0 0.9 | 29.819 | 29.817 | 30.674 | 30.675 | 16.0 | 29.813 | 1.0001
0 0 0.9 | 29.827 | 29.894 | 30.648 | 30.649 | 15.8 | 29.797 | 1.0009
22.0 18.9 19.2 | 29.947 | 29.944 | 30.590 | 30.591'| 15.2 29.771 | 1.0058
: 88. 28.7 28.7 | 30.035 | 30.032 | 30.578 | 90.574 | 15.6 | 29.735 | 1.0100
28.5 24.4 24.5 | 29.948 | 29.944 | 30.528 | 80.529 | 14.5 | 29.748 | 1.0066
54.5 48.6 47.9 | 30.890 | 30.387 | 30.546 | 30.547 | 14.8 | 29.775 | 1.0206
54.0 48.1 47.5 | 30.460 | 30.457 | 30.609 | 30.609 | 13.5 | 29.876 | 1.0195
55.5 49.5 48.8 | 30.435 | 30.432 | 30.577 | 30.578 | 13.6 | 29.842 | 1.0198
16.0 69.6 68.3 | 30.833 | 30.830 | 30.634 | 30.635 | 14.2 | 29.867 | 1.0322
11.5 71.0 69.6 | 30.827 | 30.824 | 30.497 | 30.498 | 14.0 | 29.743 | 1.0368
78.0 71.5 70.1 | 30.830 | 30.827 | 30.553 | 30.554 | 14.9 | 29.751 | 1.0362
104.5 97.7 95.4 | 31.586 | 31.584 | 30.699 | 30.700 | 15.0 | 29.887 | 1.0568
101.5 | 94.8 92.6 | 31.508 | 31.505 | 30.717 | 30.719 | 15.9 | 29.859 | 1.0551
101.0 | 94.4 92.3 | 31.506 | 31.504 | 30.713 | 30.715 | 15.6 | 29.871 | 1.0547
127.0 | 119.2 116.3 | 32.020 | 32.017 | 30.568 | 30.564 | 14.7 | 29.771 | 1.0754
128.0 | 120.2 | 117.2 | 82.135 | 32.132 | 30.622 | 30.623 | 14.9 | 29.818 | 1.0776
129.0 | 121.1 118.1 | 32.193 | 32.189 | 30.599 | 30.599 | 14.5 | 29.816 | 1.0796
151.0 142.4 138.7 | 33.097 | 33.093 | 30.492 | 30.492 | 13.8 | 29.747 | 1.1125
150.0 | 141.4 137.7 | 33.081 | 33.078 | 30.610 | 30.611 | 15.5 | 29.776 | 1.1109
146.5 | 138.0 134.4 | 32.981 | 32.978 | 30.632 | 30.633 | 15.5 | 29.797 | 1.1068
179.0 | 169.4 164.8 | 34.337 | 34.333 | 30.631 | 30.631 | 13.2 | 29.915 | 1.1477
181.5 | 171.8 167.2 | 34.250 | 34.247 | 30.485 | 30.485 | 13.9 | 29.737 | 1.1517
182.5 | 172.8 168.1 | 34.323 | 34.320 | 30.444 | 30.445 | 18.5 | 29.717 | 1.1549
203.0 | 191.8 186.5 | 35.489 | 35.485 | 30.646 | 80.647 | 15.5 | 29.871 | 1.1903
202.5 | 191.3 186.0 | 35.360 | 35.356 | 30.602 | 30.603 | 15.2 | 29.783 | 1.1871
212.5 | 200.4 194.8 | 35.980 | 35.976 | 30.772 | 30.773 | 15.2 | 29.949 | 1.2012
118.0 | 110.6 107.9 | 32.021 | 32.018 | 30.557 | 30.558 | 12.9 | 29.859 | 1.0723
128.5 120.7 117.7 | 32.258 | 32.254 | 30.513 | 30.513 | 12.9 | 29.815 | 1.0818
139.0 | 130.8 127.5 | 32.737 | 32.734 | 30.569 | 30.569 | 13.2 | 29.855 1.0964
152.5 | 143.8 140.1 33.200 | 33.196 | 30.595 | 30.595 | 13.2 | 29.880 | 1.1110
|
| |
401
Druck, umgerechnet auf Atmosphären zu 76 cm Quecksilber von 09, vermehrt
um den Druck der äußeren Atmosphäre, also den wirklichen Druck, der beim
Erzeugen der Staubfiguren im Innern des Druckzylinders geherrscht hatte. In
der vierten Spalte steht die bei diesem Druck und 0° erhaltene Wellenlänge
im Untersuchungsrohr in mm, berechnet aus den doppelt ausgeführten Ab-
lesungen der Knoten mit Hilfe der Methode der kleinsten Quadrate, in der
fünften die Wellenlänge korrigiert nach den eben ausgeführten Grundsätzen.
In der sechsten und siebenten Spalte stehen die entsprechenden Wellenlängen
im Kontrollrohr, in der achten die Temperatur des Kontrollrohrs in Grad
Celsius korrigiert. Die neunte gibt die Reduktion dieser Wellenlängen auf 0°
mit Zugrundelegung der Beziehung:
= At
—— Vi 0.008678
25
wo 4, die Wellenlänge bei 0° und A, die entsprechende Wellenlänge bei /?
bedeutet. Die Zahlen dieser Spalte geben gleichzeitig Auskunft über die
Verànderlichkeit des Stahlstabtones. In der zehnten Spalte endlich findet sich
das Verhältnis der Wellenlängen in Untersuchungs- und Kontrollrohr und
damit das Verhàltnis der Schallgeschwindigkeiten in Luft von 0? und dem
angegebenen Druck zu der in Luft von 0° und Atmosphärendruck.
Tabelle 6, {= — 79.39.
Druck Eis : 5
SE "i À : : t : 4 Unter-
Druck | Druck et ae Unter s Kon. 1 Ran Ko en . | suchungs-
abgelesen | korrigiert no 3 "Ha suchungs-| suchungs- roll eni ell EN trollrohr| "79 fo rohr
ke/qem | kg/gem |2/9€m d rohr un- | rohrkorr. WOTrONr | UO TOT | Grad au AKontroll-
c | im Druck-| korterert| Brian unkorr. | korrigiert Celsius | 1n mm
| zylinder | 2 rohr
Ie oX au A SE 6 7 8 9 10
0 | 0 0.9 24.982 | 24.964 | 30.268 | 30.264 | 11.2 | 29.661 | 0.8416
28.0 | 24.0 24.1 | 24.634 | 24.617 | 30.182 |:30.178 9.9 | 29.644 | 0.8304
76.5 | 70.0 68.6 24.835 | 24.814 | 30.174 | 30.170 8.4 | 29.716 | 0.8350
131.5 | 123.5 120.4 | 27.910 | 27.886 | 30.148 | 30.144 8.0 | 29.710 | 0.9386
212.0 | 200.0 194.4 39.162 | 35.734 | 30.122 | 30.119 7.6 | 29.707 | 1.2029
212.5 | 200.5 194.9 95.852 | 35.822 | 30.304 | 30.300.| 10.6 | 29.727 | 1.2050
171.52 16221 [57:92 | 31.403 | 31.736 | 30.267 | 30.263 8.6 | 29.795 | 1.0652
115.0 107.8 105.2 | 26.715 | 26.693 | 30.368 | 30.364 8.2 | 29.917 | 0.8922
51.0 45.3 44.8 | 24.685 | 24.664 | 30.168 | 30.164 8.5 | 29.704 | 0.8308
| 25.000 | 30.110 | 30.106 8.4 | 29.653 | 0.8431
0: 13.30 0.9 | 25.021
| | |
| | |
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt. 52
402
Tabelle 6 enthält die Ergebnisse der Einzelversuche, die bei der Tempe-
ratur des Alkohol-Kohlensäuregemisches ausgeführt wurden. Der Barometer-
stand an beiden Versuchstagen betrug rund 710 mm. Dem entspricht eine
Temperatur des Kältebades von — 79.3°. Die Bedeutung der einzelnen Spalten
ist dieselbe wie in Tabelle 5.
In dem beistehendem Diagramm, Tafel II, sind die Resultate beider Tabellen
graphisch aufgetragen. Abszisse ist der Druck in Atmosphären & 76 cm Queck-
silber von 0°, Ordinate das Verhältnis der Schallgeschwindigkeiten in Unter-
suchungs- und Kontrollrohr.
Der mögliche Gesamtfehler für dieses Verhältnis ergibt sich als Summe
der Einzelfehlermöglichkeiten: Reduziert man die Wellenlängenablesungen eines
Einzelversuchs in Kontroll- und Untersuchungsrohr nach der Methode der
kleinsten Quadrate und berechnet daraus den wahrscheinlichsten Fehler des
Mittelwertes, so findet man Fehlergrenzen von der Größenordnung + 0.5 %/oo
für Kontroll- und Untersuchungsrohr, zusammen also + 1%o0. Dazu kommt
für das Kontrollrohr eine Fehlermöglichkeit von + 0.2°o0, herrührend von
der Temperaturmessung. Eine entsprechende Korrektion für das Untersuchungs-
rohr entfällt, weil dort die Temperatur mit großer Genauigkeit 0° bzw. — 79.3°
betrug. Eine Irrtumsmöglichkeit in der Druckablesung, die bis + !/» Atmo-
sphäre betragen kann, würde, besonders bei höheren Drucken, wo die Schall-
geschwindigkeit stark mit dem Druck variiert, das Resultat etwa um + Ya /oo
fälschen können. Die Gesamtfehlermöglichkeit für das Verhältnis der Schall-
geschwindigkeiten für den Einzelversuch beträgt also + 1.7 9/oo.
Abweichungen bis zu dieser Größe und darüber kommen bei Versuchen,
die unter sonst gleichen Bedingungen gewonnen sind, in der Tat vor. Soweit
man übersehen kann, ist der einzige Faktor, über den man nicht mit Sicher-
heit verfügen kann, die Tonhöhe des Stahlstabs und eventuell davon abhängende
Bedingungen. Eine davon herrührende Fehlermöglichkeit ist Seite 399 diskutiert
und als unwahrscheinlich ausgeschlossen worden, weil sie die Wellenlängen in
Kontroll- und Untersuchungsrohr gleichzeitig und im selben Sinn beeinflussen
müßte. Vielleicht hängen die Abweichungen zusammen mit Veränderungen
der Resonanzbedingungen von Versuch zu Versuch in den beiden Wellenröhren,
eine Fehlerquelle, die wegen der Inkonstanz des Stahlstabtones kaum zu ver-
meiden wäre.
Versuche zur Aufklärung sind in Aussicht genommen.
m
Zum Zweck der Kombination der in Tabelle 5 und 6 gegebenen Schall-
geschwindigkeitsmessungen mit den im II. Teil veröffentlichten Isothermen,
403
sowie zur Vergleichung mit schon vorhandenen Messungen früherer Beobachter
wurden für Druckstufen von 25 zu 25 Atmosphären graphische Mittelwerte
genommen. Die Resultate der 0°-Reihe stehen in Tabelle 7.
Es enthält Kolonne 1 den Druck in Atmosphären, 2 das zugehörige Ver-
hältnis der Schallgeschwindigkeiten. In 3 stehen zum Vergleich die Mittel-
werte Witkowskis für ein Verhältnis von Wellenlänge (27 mm) zur Röhrenweite
(20 mm), das etwa dem von mir benutzten entspricht. Die Übereinstimmung
ist befriedigend.
Tabelle 7. = 0".
: ID verhaltais Verhältnis
en Ianderi Schall, ee
REOR | gesehwindig- | 5. =
ae ne a
1 2 9
1^ 9 2151000 1.000
25 1007 pror 01.009
50 1.021 1.021
do 12039 1.038
100 | 1061 1.062
125 1.091
150 1.126
075 ea 466
200 1.212
Vielleicht etwas besser verbürgte Mittelwerte sind zu erwarten, wenn man,
anstatt für Druckstufen von 25 zu 25 Atmospháren zu mitteln, die Einzel-
resultate in passende Gruppen zusammenfaßt und für den dem Gruppenmittel-
punkt entsprechenden Druck den Mittelwert des Schallgeschwindigkeitsverhält-
nisses angibt. Man erhält so die Werte der Tabelle 7a. Die Gruppen, in
die die Einzelversuche zusammengefaßt sind, wird man aus der graphischen
Darstellung unschwer erkennen. In Kolonne 1 steht der dem Gruppenmittel-
punkt entsprechende Druck, in 2 der zugehörige aus den Einzelversuchen
berechnete Mittelwert des Schallgeschwindigkeitsverhältnisses und in 3 zum
Vergleich die Werte, die die zur Tabelle 7 benutzte Kurve für den in 1
angeschriebenen Druck liefert.
DDr
404
Tabelle 7a. {= 0%.
en 2 3
24.1 1.008 1.007
48.1 1.020 1.020
69.3 1.035 1.035
934771. 1:0567 | 221.055
114.9 1.076 | 1.078
135.7 1107, | 1.106
166.70) | 1-191otp] an 1-152
189.1 1193012192
Die Abweichungen der Kolonnen 2 und 3 in Tabelle 7a voneinander
liegen innerhalb der eben diskutierten Fehlermöglichkeit, so daß die übersicht-
lichere und in vieler Hinsicht zweckmäßigere Art der zur Tabelle 7 benutzten
Mittelbildung zur Weiterrechnung benutzt wurde.
In Tabelle 8 finden sich die Mittelwerte der — 79.3°-Reihe. Es steht in
Kolonne 1 der Druck in Stufen von 25 Atmosphären, in 2 das zugehörige
Verhältnis der Schallgeschwindigkeiten und in 3 die entsprechenden Werte
Witkowskis. Zum Vergleich der Kolonnen 2 und 3 ist zu berücksichtigen
die Verschiedenheit des mittleren Luftdruckes in Krakau und München. Der
davon herrührende Temperaturunterschied des Alkohol-Kohlensäuregemisches
beträgt rund 1°. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes würden sich die
Werte der Reihen 2 und 3 noch um etwa 2°oo nähern. Trotzdem bleibt
hier die Übereinstimmung zwischen Witkowski und mir weniger gut als bei
der 0?-Reihe.
Tabelle 8. ; — — 79.3*.
1 2 8
1 0.842 0.844
25 0.830 0.841
50 0.829 0.837
75 0.841 0.856
100 0.882 0.901
125 | 0.955
150 1.040
175 1.130
200 1.224
405
TIS pel:
Die Isothermen der Luft für 0? und — 79° und für Drucke bis 200 Atmosphären.
Zur Bestimmung der Isothermen sind zwei Methoden üblich. Die eine!)
arbeitet mit einem konstanten Volumen und ermittelt wie viel Luft von Atmo-
sphärendruck und Zimmertemperatur dieses Volumen bei Hochdruck und
der Temperatur der gesuchten Isotherme enthielt. Die andere?) arbeitet mit
konstanter Gasmenge und untersucht deren Volumen bei den gewünschten
Bedingungen von Druck und Temperatur.
Die vorliegende Untersuchung ist nach der ersten Methode geführt, die
gegenüber der zweiten den Hauptvorzug konstanter Empfindlichkeit über den
ganzen Druckbereich besitzt: Es wurde ein bestimmtes, genau gemessenes
Volumen mit komprimierter Luft von 0° bzw. — 79° gefüllt. Diese ließ man
dann aus einem mit Glyzerin gefüllten Ballon so lange Glyzerin verdrängen, bis
zum Schlusse des Versuchs im gesamten System wieder Atmosphärendruck
herrschte.
Übersicht der Anordnung. (Figur 3.)
Die aus dem Maschinenraum
im Keller kommende Druckleitung
D (Beschreibung im I. Teil) führt
zu einer Kupferspirale X und von
dort zu einem Ducretetschen Hahn
V, der hier nur als T-Stück dient.
Dort teilt sie sich in einen Zweig
nach dem Amagatmanometer A
und in einen anderen zum Meß-
volumen in Form eines Druck- Fig. 3.
!) Natterer, Pogg. Ann. 62, S. 132, 1844. Derselbe, Pogg. Ann. 94, S. 436, 1855. Wroblewski,
Wiener Berichte 97, S. 1321, 1888. Witkowski, Phil. Mag. 41, S. 288, 1896.
2) Regnault, Expériences I. Cailletet, Compt. rend. 70, S. 1131, 1870; Journ. de phys. 19, S. 386, 1880.
Andrews, Ann. de chim. et de phys. 21, S. 208, 1870. Amagat, in zahlreichen Arbeiten von 1869 an, die
an Ort und Stelle zitiert sind. Kammerlingh-Onnes, in den Communications of the laboratory of Leiden.
406
stahlrohrs, das zwischen den Ventilen V, und V, liegt. Die Leitungen bis V,
sind Hochdruckleitungen, die von JV, ab weiterführenden haben höchstens
Überdrucke bis eine Atmosphäre auszuhalten und bestehen größtenteils aus
Glas. Die Leitung verzweigt sich beim Dreiweghahn H,. Nach der einen
Seite geht sie über den Dreiweghahn H,, der eine Verbindung mit der Atmo-
sphäre gestattet, zu einem großen Glyzerinballon, aus dem ein Heber mit
Hahn ZH, herausführt, nach der anderen gelangt man zu einem weiteren Drei-
weghahn AH, der einerseits mit der Atmosphäre, andererseits mit dem Queck-
silbermanometer Q in Verbindung steht.
Einzelnheiten der Anordnung.
Das Amagatmanometer.
Das zur Druckmessung benutzte Amagatmanometer, von Gindre freres
Lyon geliefert, ist von Wagner?) eingehend beschrieben mit Gebrauchsanweisung
und ausführlichem Hinweis auf Vorsichtsmaßregeln. Es wurde das kleinere
Übertragungsverhältnis von rund 60 benutzt. Die zur Messung von 200 Atmo-
sphären verlangte Quecksilberhöhe betrug nicht ganz 21/2 Meter. Steigröhren
und Bandmaß waren sorgfältig vertikalisiert und montiert wie bei Wagner.
Die Ablesung erfolgte von einer Leiter aus.
Die ständige Benutzung des Manometers ist, falls es mit den einmal
bestimmten Kolbenquerschnitten als Drucknormale dienen soll, vielleicht nicht
ganz vorteilhaft für das Instrument, weil immerhin die Möglichkeit vorliegt,
daß bei dem zum Einstellen unumgänglichen Kolbenrotieren sich die Kolben
eine Spur abnutzen. Im vorliegenden Fall ließ sich die dauernde Benützung
nicht umgehen, da die Genauigkeit, mit der die anderen in Betracht kommen-
den Größen sich feststellen ließen, eine Genauigkeit der Druckmessung erfor-
derte, die nur mit dem Amagatmanometer zu erreichen war.
Die Druckleitung aus dem Keller, die Zuleitung zum Amagatmanometer
und die Leitung zum Stahlrohr waren an den Ducretetschen Hahn ver-
schraubt mit Hilfe von Flanschen und Überwurfmuttern und mit Blei ab-
gedichtet.
!) E. H. Amagat, Ann. de chim. et de phys. 29, p. 70—77, 1893.
?) Drudes Ann. 15, S. 906, 1904.
407
Das Stahlrohrvolumen. (Figur 4.)
Einige Schwierigkeiten machte die endgültige Gestaltung des Meßvolumens.
Es bestand schließlich aus einem Stück nahtlos kaltgezogenen Stahlrohr !)
(Länge etwa 205 mm, äußerer Durchmesser 26 mm, Wandstärke 3 mm), an
dessen Enden zwei Hochdruckventile Kammerlingh-Onnesscher Konstruktion ?)
aus Stahl angeschraubt waren. Dazu waren an den Enden des Stahlrohrs auf
der Innenfläche Gewinde eingeschnitten und in diese Gewinde Stahlplatten heiß
i
INT)
hj
en
3
ya
mit Zinnlot eingeschraubt. In die Platten waren Stahlröhrchen gleichfalls mit
Lot eingeschraubt, die an ihren Enden Flanschen mit Überwurfmuttern trugen,
zum Verschrauben an die Hochdruckventile. Abdichtung mit Blei. Um das
Volumen des Systems durch das bei einer Meßreihe etwa nötig werdende An-
ziehen der Verschraubungen nicht zu ändern, wurden sie vorher ein für alle-
mal mit aller Sorgfalt festgezogen.
Die Ventile waren so angesetzt, daß das Volumen im Stahlrohr. abgegrenzt
wurde durch die auf den Ventilsitz niedergeschraubten Stahlventilkegel. Der
Raum der Ventile, der an die Packungen grenzte, gehörte also nicht zum
Meßvolumen; es wird dadurch die Möglichkeit einer Absorption von Luft in
den Packungen vermieden, die bei den hohen Drucken unter Umständen stark
stören könnte. Die Packungen bestanden Anfangs aus Leder, zum Schluß bei
den — 79°-Versuchen aus Feuerschwamm.
Das Stahlrohr war innen vergoldet, um Oxydation zu verhüten.
Die Verbindung der Ventile mit der Druckleitung bzw. mit der Weiter-
leitung zu H, erfolgte ebenfalls durch Überwurfmuttern und Flanschen. Dich-
tung durch Blei.
1j Geliefert von den deutsch-österreichischen Mannesmannröhrenwerken Düsseldorf in hervorragender
Vollkommenheit.
?) Geliefert unter freundlicher Vermittlung des Herrn Prof. Kammerlingh-Onnes von Kipp und Zonen
in Delft. Beschreibung in Commun. from the Labor. of Leiden, Nr. 46 und 54.
408
Zu unten ausgeführten Zwecken konnte die Druckzuleitung an V, entfernt
und an ihre Stelle eine Verbindung zu einer Quecksilberluftpumpe mit Mc Leod-
Manometer angesetzt werden.
Um dem ganzen Druckstahlrohrsystem den nötigen Halt zu geben, waren
die beiden Ventile durch je vier Schrauben auf eine massive Stahlplatte
aufmontiert.
Temperaturbäder.
Zur Festlegung der Isothermen (im Folgenden kurz als p v-Messungen
bezeichnet), wurde das Stahlrohr samt Ventilen in ein Gemisch von Eis und
destilliertem Wasser bzw. von fester Kohlensäure und absolutem Alkohol gesetzt.
Für den ersten Fall diente ein Zinkkasten 93x16>16 cm, für den zweiten
drei ineinandergesteckte Weißblechkästen, durch Flanell thermisch voneinander
isoliert, von denen der innerste im Lichten 56x16x6!/a cm hielt. Um keine
Wärmeleitung vom Boden her zu haben, wurde die Stahlplatte mit Stahlrohr
und Ventilen auf zwei schmale Holzblöcke von etwa 5 cm Höhe gesetzt, so
daß beim Umrühren des Bades auch eine Zirkulation unter der Stahlplatte
stattfinden mußte.
Vor direkter Berührung mit der Umgebung waren die oberen Teile der
Ventile durch übergezogene Schlauchstücke geschützt, besonders um den Alkohol
des — 79° Bades von den Packungen fernzuhalten.
Die Ventile funktionierten auch bei — 79°, nachdem die Lederpackungen
durch Feuerschwamm ersetzt waren, hervorragend zuverlässig.
Die Möglichkeit, die Ventile ganz im Temperaturbad zu halten, macht
jede, stets etwas mißliche Annahme bzw. Messung des Temperaturgefälles von
im Bad befindlichen Teilen gegen solche außerhalb überflüssig und vereinfacht
die Berechnung der Versuche in hohem Maße.|
Die vom Ventil V, durch das Temperaturbad wegführende Leitung war
eine Kupferkapillare. Außerhalb war sie mit Siegellack in das Glasrohr einge-
kittet, das zum Hahn A, führte.
Der Glyzerinballon fate ca. 25 Liter. Er stand in einem großen
Wasserbad von Zimmertemperatur.
Quecksilbermanometer.
Das empfindliche Organ der Anordnung ist das Quecksilbermanometer. Es
dient gleichzeitig zur Messung des Stahlrohrvolumens und als Manometer bei
den p v-Messungen.
409
Die Manometerröhren aus Glas haben etwa 1.1 cm Durchmesser i. L.,
sind ca. 75 cm lang und tragen je eine Millimeterteilung. Die linke Röhre
mit dem Dreiweghahn ist gut vertikalisiert und fest aufmontiert auf ein Holz-
brett von etwa 2!/e Meter Länge, das auf dem Fußboden aufsteht. Die rechte
Röhre sitzt auf einem Holzbrettchen von ca. 30 cm Länge, das in einer Nut
des großen Holzbrettes auf- und abgezogen werden kann. Die Verschiebung
erfolgt vom Platz des Beobachters aus durch eine Schnur, die über je eine
an der Decke und am Beobachtungstisch angebrachte Rolle läuft. Am unteren
Ende sind beide Röhren verbunden durch einen übersponnenen, sehr massiven
Gummidruckschlauch.
Die Röhren sind möglichst eng aneinandergerückt aus Ablesungszwecken.
Die Ablesung der Niveaus erfolgt durch ein Kathetometer. Durch ein Klopf-
werk, das vom Kathetometer aus betätigt werden kann, werden die Queck-
silberniveaus beim Ablesen zwecks sicheren Einspielens erschüttert.
Bestimmung des Stahlrohrvolumens zwischen den Ventilen.
Eine direkte Auswägung des Stahlrohrvolumens mit Quecksilber war aus-
geschlossen, es konnte nur eine volumenometrische Methode in Betracht kommen.
Dazu wurde folgendermaßen verfahren: Das Stahlrohr wurde evakuiert
und dann aus dem festen Schenkel des Quecksilbermanometers, in dem Anfangs
Atmosphärendruck herrschte, in das Vakuum Luft eingesogen. Nun wurde
der bewegliche Schenkel soweit hochgezogen, bis im festen wieder Atmo-
sphärendruck herrschte. Das vom Quecksilber im festen Manometerrohr zwischen
Anfangs- und Endstellung eingenommene Volumen ist mit den nötigen Kor-
rektionen gleich dem Volumen des Stahlrohrs.
Ein Vorteil der Methode ist der, daß nur das Volumen des festen Mano-
meterrohrs mit Quecksilber ausgewogen zu werden braucht. Das Volumen
der Verbindungsröhren zwischen Stahlrohr und Manometer braucht gar nicht,
oder für einige geringfügige Korrektionen nur ganz oberflächlich bekannt zu
sein. Man kann deswegen jederzeit das Stahlrohr zum Auswechseln der Tem-
peraturbäder oder Nachsehen der Ventile wegnehmen, ohne irgendwelche Neu-
aichungen vornehmen zu müssen.
Evakuierung des Stahlrohrs.
An das Ventil V, wurde anstatt der Druckleitung ein Verbindungsrohr
mit der Quecksilberluftpumpe angeschraubt (siehe oben). Ventil V, wurde
geöffnet, V, geschlossen und das Stahlrohr evakuiert. Man kam dabei leicht
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt. 53
410
auf einige tausendstel Millimeter Quecksilberdruck, der sich auch bei abge-
stellter Pumpe nur wenig änderte. Inzwischen wurde der Hahn A, so gestellt,
daß nur die Verbindung V, H, H, bestand. Durch ZH, blieb zunächst das
Röhrensystem von V, ab nebst dem Manometer mit der Atmosphäre in Ver-
bindung.
Orientierung des Kathetometers.
Um nach erfolgtem Nachsaugen von Luft ins Stahlrohr erkennen zu kónnen,
wann der Innendruck gleich dem äußeren war, wurde das Kathetometer gleich
für die im Voraus bekannte Endstellung des Fernrohrs orientiert, da es sich
gezeigt hatte, daß die Säule des Kathetometers etwas gekrümmt war.
Dazu wurde der rechte bewegliche Schenkel des Manometers hochgezogen,
so daß der Rand des Quecksilbers in ihm am unteren, im linken festen Schenkel
also am oberen Ende der Glasröhre einstand. Unter Erschüttern der Queck-
silbersäulen durch das Klopfwerk wurde der Faden des Kathetometerfernrohrs
so eingestellt, daß er mit den Rändern der beiden Quecksilberniveaus sich
deckte, also horizontal stand. Die Kuppenhóhen waren nur in seltenen Fällen
voneinander verschieden. Es mußte dann die Fadeneinstellung auf die Kuppen
erfolgen. Der Unterschied in den Kuppenhóhen war nie so groß, daß eine
Korrektion wegen Kapillardepression nótig war.
An dem so orientierten Faden des Fernrohrs, das bei den Messungen
hóchstens um etwa einen Zentimeter verschoben zu werden brauchte, wurden
die Überdrucke bzw. Unterdrucke im Manometer an der Millimeterteilung der
linken Manometerróhre abgeschátzt. Am Schluß jeder Volumbestimmung wurde
der Fernrohrfaden unter denselben Bedingungen wie am Anfang kontrolliert.
Nach diesen Vorbereitungen wurde der bewegliche Manometerschenkel
wieder tief gestellt, so daß das Quecksilber in der rechten Röhre oben, in
der linken unten einstand.
Eigentliche Messung.
Nun wurde die Einstellung des Quecksilberrandes und die Kuppenhóhe
im linken festen Schenkel mit einem kleinen Hilfsfernrohr an der aufgeätzten
Millimeterteilung parallelaxenfrei abgelesen und der Druck im Stahlrohr am
Me Leod-Manometer der Pumpe festgestellt. Durch Drehen des Schliffes H,
wurde das Manometer von der Atmosphäre abgeschlossen, so daß es nur noch
mit dem System V, H, in Verbindung stand und hierauf das Ventil V, durch
Niederschrauben geschlossen, das Ventil V, geöffnet. Schließlich wurde der
bewegliche Manometerschenkel soweit hochgezogen, bis das Quecksilber in
beiden Röhren wieder gleich hoch stand, im ganzen System von V, ab also
411
wieder Atmosphärendruck herrschte Die genaue Einstellung wurde durch
Interpolieren gefunden. Wie erwähnt, ist das Volumen im festen Manometer-
rohr zwischen Anfangs- und Endstellung des Quecksilbers gleich dem Stahl-
rohrvolumen zwischen den Ventilen V, und V..
Das Verfahren setzt voraus, daß das ganze System sich im thermischen
Gleichgewicht befindet, insbesondere, daß Stahlrohr und festes Manometerrohr
die gleiche Temperatur haben. Diese Bedingung war nicht immer erfüllt wegen
des Temperaturgefälles von der Decke zum Boden, das bei kaltem Wetter,
wenn im Zimmer geheizt wurde, Beträge bis zu einigen Grad pro Meter
erreichte. Um das äußerst umständliche Einsetzen der ganzen Anordnung in
ein Wasserbad zu umgehen, wurde das ganze Zimmer als Luftbad benutzt:
die umgebenden Räume wurden auf annähernd gleicher Temperatur gehalten
und die Luft im Zimmer durch einen kleinen Ventilator, der in etwa 4m
Entfernung von der Anordnung so orientiert war, daß er einen Luftstrom vom
Fußboden schräg nach oben blies, energisch umgerührt. Wenige Minuten
nachdem der Ventilator in Gang gesetzt war, zeigten sämtliche in freier Luft
befindliche Thermometer innerhalb ihrer Ablesemóglichkeit von 0.1? die gleiche
Temperatur an. Frühestens 1!/» Stunden nach dem Ingangsetzen des Ventilators
wurden die Volummessungen begonnen.
Aichungen und Korrektionen für die Volumbestimmung.
Die Auswàgung des festen Manometerrohrs.
Die Millimeterteilung auf dem festen Manometerrohr war im Institut
hergestellt. Die Striche dienten in den meisten Fällen nur als Marken, ledig-
lich beim Interpolieren kamen ganz kurze Strecken als Millimeterteilung zur
Verwendung.
Die Teilung wurde verglichen mit einem Messingmaßstab, der an dem
Normalmeter des Instituts verifiziert war. Für die vorgesehene Meßgenauigkeit
von 0.1 mm war an der Róhrenteilung eine Korrektion nicht anzubringen.
Das zur Auswàgung bestimmte Quecksilber wurde in dünnem Strahl durch
verdünnte Salpetersäure geträufelt, dann im Vakuum destilliert und vor der
Benutzung noch einmal auf rund 120° erhitzt und filtriert.
Der Gewichtssatz wurde mit einem Präzisionsgewichtssatz verglichen, der
seinerzeit auf ein von der physikalisch-technischen Reichsanstalt beglaubigtes
100-Grammstück bezogen worden war.
Die Auswägung des Manometerrohrs erfolgte dreimal im Laufe der pc-
Messungen, das erstemal in Intervallen von 5 zu 5 cm, das zweite und drittemal
53*
412
mit ganz engem Einschluß der für die Volummessungen in Betracht kommenden
Teilstriche am unteren und oberen Ende der Röhre.
Die Ablesung erfolgte am Rand der Quecksilbersäule War bei einer
Auswägungsreihe die Kuppenhöhe nicht konstant (es handelte sich bei einer
Kuppenhóhe von ca. 1.3 mm höchstens um + 0.1 mm), so wurden alle Rand-
einstellungen auf gleiche Kuppenhöhe umgerechnet, indem man die Kuppe,
wie es auch der Augenschein lehrte, als Teil einer Kugelkalotte ansah.
Ein Druckeinfluß auf das Volumen des Manometerrohrs, hervorgerufen
durch das Gewicht des zum Auswägen benutzten Quecksilbers, war nicht wahr-
nehmbar.
Eine Prismenwirkung der Röhrenwand, die auch bei senkrechtem An-
visieren eine scheinbare Verschiebung des Quecksilberrandes gegen die auf der
Außenseite der Röhre angebrachte Teilung hervorrufen könnte, war nicht zu
erkennen.
Auf diese Art erhielt man das Volumen des Manometerrohrs zwischen
den eingestellten Teilstrichen bei der Auswägungstemperatur. Herrscht bei
der Volumbestimmung des Stahlrohrs eine andere Temperatur, so ist das
Volumen des Manometerrohrs mit Hilfe des Ausdehnungskoeffizienten des Glases
auf die letztere umzurechnen.
Korrektionen für die eigentliche Volumbestimmung.
Hatte vor und nach dem Einsaugen von Luft ins Stahlrohr das Queck-
silber bei seiner Einstellung unten bzw. oben im festen Manometerrohr ver-
schiedene Kuppenhöhen, so war die Einstellung des Randes wie oben auf
gleiche Kuppenhöhe umzurechnen.
Das Interpolationsverfahren auf Gleichheit des Innendrucks im Gesamt-
volumen mit dem Außendruck wurde nach dem Nachsaugen von Luft ins
Stahlrohr etwa 1'/a Stunden lang alle 20 Minuten wiederholt, um die bei der
anfänglichen Druckerniedrigung etwa entstandenen Temperaturdifferenzen sich
ausgleichen zu lassen und Temperatur- und Barometergang in Rechnung ziehen
zu können (siehe unten). Das Interpolieren erfolgte mit Hilfe des beweglichen
Manometerschenkels, den man einmal hochzog, bis ein kleiner Überdruck im
festen Manometerrohr vorhanden war und dann herabließ, bis ein kleiner
Unterdruck herrschte. Die so interpolierte Einzeleinstellung des Quecksilbers
im festen Rohr, bei der der Innendruck gleich dem Außendruck war, stimmte
bei Wiederholung mit Sicherheit auf 0.1 mm. Weil nur Über- bzw. Unterdrucke
von wenigen Millimetern ins Spiel kamen, war die Temperatur des Quecksilbers
413
im Manometer gleichgültig. Ein dynamischer Einfluß auf das Einspielen der
Quecksilberniveaus, herrührend von dem Luftzug des Ventilators, war nicht zu
bemerken.
Der Temperaturgang im Beobachtungszimmer wurde verfolgt mit Hilfe
von vier Thermometern, die etwa alle 30 Minuten abgelesen wurden. Sie
gestatteten 0.1" mit Sicherheit abzulesen und waren unter den üblichen Vor-
sichtsmaßregeln mit einem von der physikalisch-technischen Reichsanstalt beglau-
bigten Thermometer verglichen, dessen Nullpunkt kontrolliert wurde. Ein
Thermometer lag am Stahlrohr so, daß seine Kugel das Rohr direkt berührte,
das zweite hing am Hahn 4, in freier Luft und das dritte und vierte neben
dem festen Manometerrohr. Der Temperaturgang betrug in den ungünstigsten
Fällen bis 0.3? pro Stunde. Es wurde durch besondere Versuche festgestellt,
daß selbst bei viel stärkerem Temperaturgang die Temperatur der Luft im
Róhrensystem nicht merklich hinter der Außentemperatur nachhinkte. Durch
Rechnung und Experiment wurde ermittelt, daß eine Temperaturänderung der
Luft im Róhrensystem um 0.1? bei Gleichheit des Innen- und Außendrucks
eine Verschiebung des Quecksilberniveaus im festen Schenkel um 0.3, mm
verursachte. Damit wurden die beim Interpolieren gefundenen Einstellungen
im festen Schenkel auf die Temperatur bei Beginn des Versuchs reduziert.
In derselben Weise wurde der Barometergang in Rechnung gezogen und
die Einstellung im festen Schenkel auf den Barometerstand beim Abschließen
von der Atmosphäre umgerechnet. 1 mm Außendruckänderung bewirkt bei
710 mm Barometerstand eine Verschiebung des Quecksilbers im festen Schenkel
um 1.20 mm. Betreffend Prüfung des Barometers siehe unten bei den pv-
Messungen. Hier kommen bloß Barometerstandsdifferenzen in Betracht.
Zu berücksichtigen war die Volumànderung unseres Systems, hervorgerufen
durch das Öffnen des Ventils V, beim Verbinden des Vakuums im Stahlrohr
mit der Luft im Manometer. Ein Öffnen des Ventils V, um eine halbe Um-
drehung bewirkte eine Volumvergrößerung, die einer Verschiebung des Queck-
silbers im festen Manometerrohr um 0.2, mm bei gleichem Innen- und Außen-
druck entsprach.
Eine Korrektion dafür, daß die Luft, die bei Beginn des Versuchs im
festen Manometerrohr sich befunden hatte, zum Schluß in dem etwa 30 cm
höher gelegenen Stahlrohr also unter niedererem Druck sich befand, wurde
wegen der Geringfügigkeit: 0.03 mm nicht angebracht.
Zu achten ist auf gute Trocknung der Luft, die aus dem Manometer ins
Stahlrohr nachgesogen werden soll. Andernfalls kann man, besonders bei
raschem Öffnen des Ventils V, Volumwerte erhalten, die stark gefälscht sind
414
dadurch, daß wegen der Abkühlung sich Wasserdampf auf die Röhrenwand
niederschlägt, der dann beim Steigen des Quecksilbers an der Wand einge-
schlossen wird. Es ist deshalb gut auf alle Fälle das Ventil V, nur langsam
zu öffnen und gleichzeitig den beweglichen Manometerschenkel hochzuziehen,
so daß im festen stets ungefähr Atmosphärendruck herrscht.
Dies empfiehlt sich aus dem ferneren Grunde, weil im oberen Teil des
Ventils V, zwischen dem Ende der Schraube und der Packung ein kleiner
Hohlraum sich befindet, der bei Druckänderungen im Röhrensystem seinen
Druck nur langsam dem Schraubengewinde entlang ausgleichen kann. Es
wurde deswegen, wenn etwa die ganze Anordnung zur Prüfung auf Dicht-
haltung evakuiert worden war, mit dem Beginn der Volumbestimmungen einige
Stunden gewartet, da an den Ventilen selbst, auf deren sicheres Funktionieren
alles ankam, nichts geändert werden sollte.
Eine Aichung des Mc. Leod-Manometers, an dem der Anfangsdruck im
Stahlrohr vor dem Einsaugen der Luft abgelesen wurde, war wegen der
Kleinheit dieses Druckes, der für die Zwecke der Volumberechnung gleich
Null gesetzt werden konnte, nicht nötig.
Zahlendaten zur Volumbestimmung.
Der Gang der Festlegung der Isothermen war so, daß zwischen je einer
Reihe von p v-Messungen eine Reihe von Volumbestimmungen ausgeführt wurde.
Für die definitiven Werte wurden nur die pv-Messungen von Nr. 16 an
benutzt, weil erst von da an alle in Betracht kommenden Bedingungen in
einwandfreier Weise festgestellt waren. Die vorherigen Messungen dienten zur
Orientierung. Nach dem Versuch 27 brach das Verbindungsrohr zwischen dem
Stahlrohr und dem einen Ventil, so daß die Verbindung erneuert werden mußte.
Infolgedessen sind die Volumbestimmungen vor und nach dem p v-Versuch 27
nicht miteinander vergleichbar. Die p v-Messungen vor und nach dem Bruch
wurden aneinander angeschlossen durch Wiederholung einer Anzahl von Mes-
sungen (bei 100 Atmospháren) mit dem neuen Stahlrohrvolumen.
Tabelle 9 gibt die Einzelresultate der Volumbestimmungen.
In Kolonne 1 steht das Datum, in 2 die Nummer der y v-Messungen,
zwischen denen die Volumbestimmungen ausgeführt wurden, in 3 die Anfangs-
stellung des Quecksilbers im festen Manometerrohr vor dem Einsaugen der
Luft ins Stahlrohr in cm, in 4 die Endstellung, bei der Innen- und Außen-
druck wieder gleich war, beide Einstellungen mit sämtlichen Korrektionen, in
5 die Differenz in Zentimetern der Röhrenteilung und in 6 die Temperatur,
bei der die Volumbestimmung ausgeführt wurde.
415
Wie man sieht, stimmen die Einzelmessungen innerhalb der Meßmöglich-
keit überein. Das Stahlrohrvolumen blieb also während der ganzen Meßreihe
für unsere Zwecke merklich konstant. Es ist somit erlaubt zur Vereinfachung
der Rechnung Mittelwerte zu nehmen und diese weiter zu verwerten.
Tabelle 9.
1 | 2 | 3 4 | 5 6
| 5.095 | 69.527 | 64.432 | 17.6
4.680. .| 69.127 | 64.447 | 17.5
5.200 | 69.641 | 64.441 | 17.7
4.140 | 68.573 | 64.483 | 17.8
4.010 | 68.452 | 64.449
4.015 | 68.437 | 64.422 | 18.1
IN N cd o
A
[92]
[e]
3.600 | 68.057 | 64.457 | 18.2
3.600 | 68.061 | 64.461 | 18.4
oo er pa Te ines UE ut | Ai
4.385 | 68.847 | 64.462 | 19.0
4.715 | 69.155 | 64.440 | 19.1
o2
-
Ne)
[e>)
4.305 | 68.739 | 64.434 | 19.1
4.045 | 68.487 | 64.442 | 19.5
4.110 | 68.570 | 64.460 | 19.9
4.170 | 68.605 | 64.435 | 19.9
20. VII. 06. | 37—381
1.x.06 | 37-38, | 2420 | 67.846 | 64426 | 12.
| | 3.440 | 67.870 | 64.480 | 12.6
|
Uum Ins en | 3220 |.ez.Bee 161.446 88
N 70 | 8880 | 67.838 | 64.458 | 13.9
| | 3.575. | 68.005 | 64.430 | 18.1
301 870604 34 Nachiom o Spes Sen u
Pale 3.175 | 67.691 | 64.456 | 13.8
Tabelle 10 zeigt die Art der Weiterrechnung. Kolonne 1 enthält die
Gruppe, für die das Mittel genommen ist, Kolonne 2 das Mittel der Anfangs-
stellungen, 3 das der Endstellungen, 4 das der Differenzen, 5 das der Tem-
peraturen. Zur Weiterrechnung sind von hier ab auch noch die Gruppen
zusammengezogen in der Art, wie die Klammern zeigen. Die Kolonnen 6a
und 6b geben das Volumen in ccm zwischen den so ermittelten Teilstrichen
416
und zwar aus den beiden Auswägungen, die mit engem Einschluß dieser Striche
gewonnen sind. In 7 steht das Mittel aus 6a und 6b, also das Volumen
zwischen den Teilstrichen des festen Manometerrohrs bei der Auswägungs-
temperatur von 18°. In 8 folgt das Volumen desselben Stückes bei der Tem-
peratur der Volumbestimmung (also auch das Volumen des Stahlrohrs bei
dieser Temperatur), berechnet mit dem Ausdehnungskoeffizienten des Glases:
& — 6-10-*. In 9 endlich steht das Volumen des Stahlrohrs bei 0°, berechnet
mit Hilfe des durch eine einfache Fühlhebelmethode gemessenen Ausdehnungs-
koeffizienten des Stahls zwischen 0 und 100%: & — 11.0 - 10-5.
Tabelle 10.
1 AN BS 4 | gites. TP Ten | 7 8 9
] -xw 3l | | | | li |
15—16 | 4.523 | 68.960 | 64.436 17.8 | 61.308 | 61.304 | 61.304 | 61.304 | 61.268
27—28 | 8.947 | 68.398 | 64.451 | 18.7 || _ | ve
| | | 61.816 | 61.309 | 61.31: .914 | 61.275
37—838, | 4.158 | 68.600 | 64.442 | 19.6 || eser ed docct prosit BIT
37—3885| 3.430 | 67.858 | 64.428 | 12.4 | | |
58—59 | 3.400 | 67.852 | 64.452 | 13.9 | 61.311 | 61.296 | 61.304 | 61.298 | 61.272
Nach 67| 3.375 | 67.818 | 64.443 | 13.5 | | | | |
| | | | |
So erhielt man schließlich:
Volumen des Stahlrohrs zwischen den Ventilen für 0° und eine Atmo-
sphäre Innendruck:
für die pv-Versuche 16—27: 61.268 ccm
5h EOnol. (5 a 28—67: 61.274 ccm.
Diese Werte dürften auf wenige Zehnte pro Mille verbürgt sein. Bei den
pv-Versuchen 33—67 war das Stahlrohr auf rund — 79° abgekühlt. Der mit
einer einfachen Fühlhebelmethode zwischen 0° und — 79° gemessene Ausdeh-
nungskoeffizient des benutzten Stahls ergab sich zu 9.7-10-5. Daraus berechnet
sich das Volumen des Stahlrohrs bei — 79? und einer Atmosphäre Innendruck
zu 61.132 cem.
Der Druckeinflu& auf das Stahlrohr wurde rechnerisch ermittelt. Als
durch den Druck deformiertes Volumen wurde nur das Stahlrohr selbst in
Betracht gezogen. Der Einfluß auf die Hohlräume in den Stahlverbindungs-
röhren zwischen eigentlichem Stahlrohr und Ventil und in den Ventilen selbst
wurde vernachlässigt, weil sie an sich nur etwa 2?/o des Gesamtvolumens aus-
machten und diese Teile obendrein sehr dicke Wandungen hatten.
417
Das Stahlrohr wurde als Zylinder mit zwei ebenen Endflächen betrachtet
und die Beziehung angewandt:
dv=nal E . a : zi Dm 2 qà za = 2 )
Dabei ist:
dv die Änderung des Innenvolumens in ccm durch den Druck.
zu em Bab
a — innerer Radius des Zylinders: 1.00 cm,
b — äußerer „ x a 2153/0 enm
ji- Innendruck — 200 Atmosphären — 2.03 - 10* c. g. s.,
ni —cAullendrück! 7 1. cmi g4—s409- A. 10° ces,
| — lichte Länge des Zylinders zwischen den Endplatten — 19.0 cm,
k — Kompressibilität des Stahls = 17.10" c. g. s.
n — Scherungsmodul des Stahls — 8.8 - 10" c. g. s.
Die beiden letzten Konstanten sind Mittelwerte Wegen der Kleinheit
des Druckeinflusses war eine besondere Messung überflüssig.
Daraus ergibt sich: dv — 0.044 ccm.
Da das Volumen des Stahlrohrs selbst rund 60 ccm betrug, so ist diese
Korrektion für 200 Atmosphären etwa 0.7°/oo des Gesamtvolumens.
Für andere Drucke wurde der Druckeinfluß graphisch interpoliert, indem
man ihn als lineare Funktion des Druckes behandelte.
Die Korrektion für — 79? wurde mit denselben elastischen Konstanten
berechnet, da diese sich mit der Temperatur in für unsere Zwecke nicht in
Betracht kommender Weise ändern.?)
Gang der po-Messungen bei 0°.
Zu den pv-Messungen wurde vor jedem Versuch die ganze Róhrenanlage
sorgfältig von Wasserdampf befreit. Dazu wurde die Druckzuleitung hinter
dem Ducretetschen Hahn V abgeschraubt und unter Erhitzung der Kupfer-
spirale K, in der von dem vorhergehenden Versuch noch Feuchtigkeit sitzen
konnte, vom Kompressor her etwa 15 Minuten lang trockene Luft durch-
geblasen. Inzwischen war mit Hilfe einer Wasserluftpumpe durch das System
V, V; H, H, mindestens zwei Stunden lang sorgfältig getrocknete Luft durch-
1) Poynting, Textbook of Physics, l, S. 117, 1903.
?) Cl. Schäfer, Drudes Ann. 5, S. 220, 1901 und nach im hiesigen Institut ausgeführten Messungen.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt. 54
418
gesogen worden. Hierauf wurde das Drucksystem wieder zusammengeschraubt
und die Kupferspirale mit einem Gemisch von Alkohol und fester Kohlensäure
zur letzten Absorption von Wasserdampf während des Druckpumpens umgeben.
Gleichzeitig wurde das Kühlgefäß des Stahlrohrs mit Eis und destilliertem
Wasser gefüllt. Dann wurde das Ventil V, geschlossen, V, geöffnet und der
gewünschte Druck hergestellt.
Um die Luft 1m Stahlrohr die Temperatur des Bades annehmen zn lassen,
wurde etwa 45' gewartet. Inzwischen wurde, während die Röhren von V, ab
durch H, bzw. H, mit der Atmosphàre in Verbindung standen, das Katheto-
meter orientiert, und der Faden des Fernrohrs unter den bei der Volum-
bestimmung beschriebenen Vorsichtsmaßregeln auf die Ränder des Quecksilbers
im Manometer Q horizontal eingestellt.
Jetzt wurden Amagatmanometer und Barometer abgelesen, das Ventil V,
geschlosssen und die Hähne 4, und H, von der Atmosphäre abgeschlossen.
Sofort darauf wurde das Ventil V, und gleichzeitig der Hahn 7, am Glyzerin-
ballon geóffnet. Die aus dem Stahlrohr kommende Luft drückte dann das
Glyzerin aus dem Ballon in ein untergestelltes Glasgefäß.
Der Austritt der Luft aus dem Stahlrohr ließ sich durch das Ventil V,
sehr gut regulieren. Es wurde stets nur soweit geöffnet, daß der am Queck-
silbermanometer Q abzulesende Überdruck höchstens eine halbe Atmosphäre
betrug.
Es wurde solange Glyzerin ausfließen lassen, bis im System von V, ab
wieder Atmosphärendruck herrschte. Die dazu genau erforderliche Glyzerin-
menge wurde interpoliert, indem man zuerst soviel auslaufen ließ, bis noch
einige Millimeter Überdruck herrschten, dann etwa eine Stunde auf Temperatur-
konstanz der Luft im Ballon wartete und schließlich noch etwas Glyzerin
zapfte, so daß einige Millimeter Unterdruck herrschten.
Das Volumen des so gewonnenen Glyzerins gibt das Volumen der in den
Ballon eingetretenen Luft bei Atmosphärendruck und der im Ballon herrschen-
den Temperatur. Diese Luft hatte sich vorher bei 0° und Hochdruck im
Stahlrohr befunden. Damit sind alle Daten gegeben zur Festlegung eines
Punktes der 0°-Isotherme.
Zum Schluß wurde das Glyzerin wieder in den Ballon eingesogen und es
konnten die Vorbereitungen für den nächsten Versuch beginnen.
419
Gang der po-Messungen bei — 79°.
Bei den Messungen der — 79°-Reihe mußte man wegen der Kostspieligkeit
des Kältebades, unbeschadet der Genauigkeit der Versuche, rascher arbeiten.
Die Anordnung wurde nur vor dem ersten Versuch jedes Versuchstags in der
beschriebenen Art getrocknet. Das Kältegemisch um die Kupferspirale X wurde
ständig unterhalten. In dem Bad des Stahlrohrs lag ein Bolometer. Falls
das Einbringen neuer fester Kohlensäure nötig war, erfolgte es stets vor oder
während des Druckpumpens. Auf diese Art konnte man es leicht erreichen,
daß während der 40 Minuten, die man nach dem Druckpumpen auf Tempe-
raturkonstanz für die Luft im Stahlrohr wartete, die Temperatur im Kältebad
mit Sicherheit um nicht mehr als 0.1° schwankte.
Im übrigen wurde verfahren wie bei der 0°-Reihe.
Aichungen und Korrektionen.
Die Druckmessung mit dem Amagatmanometer.
Zur Berechnung des Drucks im Stahlrohr aus der Steighóhe des Queck-
silbers im Amagatmanometer und den Konstanten des Manometers wurde die
Reduktionsformel benutzt:
$5 + (s — 9) E
: (d 5
76-5, ;
Emi Hy
Es ist:
p der im Drucksystem herrschende Überdruck über die Atmosphäre,
gerechnet in Atmospháren zu 76 cm Quecksilber von 0".
n ist das Verhältnis der Kolbenquerschnitte, von Wagner (s.l. c.) ermittelt
zu: 61-45 & 0.03.
H,, ist die beobachtete und auf 15" umgerechnete Steighóhe des Queck-
silbers, vom Nullpunkt des Manometers an gerechnet, in cm. Das zur Ab-
lesung benutzte Bandmaß wurde mit einem am Normalmeter geaichten Messing-
maßstab unter Berücksichtigung der Temperatur verglichen. Die Korrektionen
gingen bis 0.4 mm. Die Temperatur der Quecksilbersäule wurde durch ein
etwa auf halber Höhe der Säule angebrachtes Thermometer festgestellt. Ein
vertikales Temperaturgefälle von hier in Betracht kommender Größe war nicht
vorhanden, da sämtliche pv-Messungen in die Sommermonate fielen, während
deren das Zimmer nicht geheizt wurde (siehe oben). Der Nullpunkt des
1) Wagner, Drudes Ann. 15, S. 925, 1904. "Ebendort auf S. 916, Figur.
54*
420
Manometers wurde oft kontrolliert und innerhalb der Ablesemöglichkeit kon-
stant gefunden. Er lag bei 0.61 cm des Bandmaßes.
s,, ist die Dichte des Quecksilbers bei 15° — 13.559,
sy ist die Dichte des Quecksilbers bei 0° — 13.596,
o ist die Dichte des Rizinusöls — 0.96,
q, der mittlere Querschnitt der Steigróhren, ergab sich durch Auswägen
mit Quecksilber zu 0.252 qem.
Daß die Steigróhren nicht konisch waren, wurde durch stückweises Aus-
wägen festgestellt.
d, der Querschnitt des Manometerbassins, wurde zu 77.45 qcm gefunden
(Wagner).
Die zu benutzende Reduktionsformel berechnet sich daraus zu:
p —*Hg$*0:8088:
Dieses p ist, wie bemerkt, der Überdruck im Drucksystem über den
Auflendruck. Um den gesamten Innendruck zu erhalten, ist dazu der Baro-
meterstand auf 0? reduziert und auf Atmosphären umgerechnet zu addieren.
Eine Schwerekorrektion und die von Regnault!) angegebene Korrektion
wegen der Abnahme des Luftdrucks auf das freie Ende der Quecksilbersäule
bei steigendem Quecksilber wurde nicht angebracht, weil sie sich entgegen-
wirken und nur die absoluten Werte beeinflussen.
Die Kompressibilität des Quecksilbers wurde gleichfalls vernachlässigt.
Beim Ablesen der Quecksilbersäule wurden die üblichen Vorsichtsmaßregeln
beobachtet, bestehend in Kolbenrotieren und Klopfen des Meniskus. Parall-
axenfreie Ablesung erfolgte mit Hilfe eines kleinen Spiegels an der Kuppe.
Die Kuppenhóhen waren merklich konstant. Kapillardepression war deshalb
nicht zu berücksichtigen.
Die bei den Druckmessungen ausgeführten Einzeleinstellungen, zwischen
denen stets größere Schwankungen des Quecksilberniveaus in den Steigröhren
mit der Ölregulierschraube (A in der Figur Wagners) vorgenommen wurden,
ergaben mit Sicherheit Übereinstimmung innerhalb der Ablesegenauigkeit von
0.1 mm. Die daraus genommenen Mittel dürften also auf 0.1 mm sicher sein.
Der gleiche Fehler ist beim Ablesen des Nullpunktes móglich. Dies entspricht
im günstigsten Fall, bei einer Quecksilbersäule von rund 2!/» Metern, einer
relativen Genauigkeit der Druckmessung von rund 0.1°/oo. Bei niederen
Drucken ist die Genauigkeit entsprechend geringer. Dagegen ist zu betonen,
1) Regnault, Experiences I, (1847), Sixiéme Mém., S. 360.
421
daß die absolute Genauigkeit gegeben ist durch das Verhältnis der Kolben-
querschnitte, das von Wagner auf 1°oo verbürgt wird.
Das nach der Ablesung des Manometers betätigte Schließen des Ventils
V, hatte keine feststellbare Druckerhöhung zur Folge.
Das Volumen des ausgeflossenen Glyzerins und das Volumen der
aus dem Stahlrohr in den Glyzerinballon eingetretenen Luft.
Das aus dem großen Ballon durch die aus dem Stahlrohr kommende Luft
verdrängte Glyzerin floß in große, ca. 7 Liter haltende zylindrische Glasgefäße
und wurde auf einer Robervalschen Wage mit Tariermethode gewogen. Die
benutzten Gewichte waren auf Normalgewicht bezogen.
Als Temperatur des Glyzerins wurde die an dem Thermometer des großen
Wasserbades unter häufigem und anhaltendem Rühren abgelesene angenommen.
Das Thermometer war in 0.2° geteilt und mit einem Normalthermometer ver-
glichen (siehe oben). Bei den günstigen Verhältnissen, die zur Zeit der pv-
Messungen herrschten, änderte sich die Temperatur des Bades nur in ver-
schwindendem Maße mit der Zeit. Der höchste, nur ein- oder zweimal
beobachtete Gang betrug 0.05° pro Stunde. Ein für die übrige Genauigkeit
der Versuche in Betracht kommendes Nachhinken der Glyzerintemperatur hinter
der des Wasserbades war also nicht zu befürchten.
Die Dichte des Glyzerins wurde Anfangs nach jeder »v-Messung, später
weniger häufig, mit dem Pyknometer bestimmt. Sie nahm mit der Zeit etwas
ab und zwar während der insgesamt ausgeführten 67 pv-Messungen um rund
19/oo, wohl infolge der Aufnahme von Wasserdampf aus der Luft. Der Gang
der Glyzerindichte, abhängig von der Zeit, wurde graphisch aufgetragen und
daraus für jeden Versuch die Dichte entnommen. Die Abhängigkeit der Dichte
von der Temperatur ergab sich aus dem mit dem Pyknometer gemessenen
Ausdehnungskoeffizienten: « — 0.00045.
Das so gemessene Volumen des Glyzerins ist mit den nótigen Korrektionen
gleich dem Volumen der aus dem Druckstahlrohr ausgetretenen Luft bei dem
herrschenden Barometerstand und der Temperatur des Wasserbades.
Folgende Korrektionen und Vorsichtsmaßregeln wurden berücksichtigt:
1. Die Frage nach der Zeit, innerhalb deren die aus dem Druckrohr
ausgetretene kalte Luft die Temperatur des Wasserbades annahm, ließ sich
experimentell beantworten, indem man die ganze Anordnung als Luftthermo-
meter benutzte. Wenige Minuten nachdem das Auszapfen des Glyzerins be-
endet war, was bei 200 Atmosphären Druck etwa 30 Minuten dauerte, wurde
422
der am Quecksilbermanometer @ festzustellende Druck merklich konstant. Bis
zu den definitiven Druckablesungen für die Zwecke der Glyzerininterpolation
wartete man dann noch 30—40 Minuten.
2. Der Temperaturgang war im allgemeinen verschieden für die in freier
Luft befindlichen Verbindungsröhren zwischen Druckstahlrohr und Quecksilber-
manometer bzw. Glyzerinballon, und für den im Wasserbad befindlichen großen
Ballon. Die Temperatur im Druckrohr selbst war konstant. Es befand sich
ein Thermometer neben dem festen Rohr des Quecksilbermanometers, eines
hing am Hahn H,, ein weiteres in 0.2° geteiltes (siehe oben), steckte im
Wasserbad.
Der Temperaturgang in freier Luft war an sich nicht groß und auch
deshalb von verschwindendem Einfluß, weil die Verbindungsröhren selbst in
ungünstigen Fällen bei Versuchen mit niedrigem Druck nur etwa 5°o des
Gesamtvolumens ausmachten. Der Temperaturgang im Wasserbad des Ballons
war ganz unbedeutend, dagegen von relativ großem Einfluß, weil das Haupt-
volumen in Betracht kam.
Die Überdrucke bzw. Unterdrucke, die am Quecksilbermanometer zur
Interpolation der ausgeflossenen Glyzerinmenge abgelesen wurden, wurden auf
die Temperatur, die beim Abschließen der Hähne 4, und H, von der Atmo-
sphäre geherrscht hatte, umgerechnet mit dem thermischen Druckkoeffizienten
der Luft und unter Berücksichtigung der Anteile von Ballon und Verbindungs-
röhren am Gesamtvolumen, sowie ihrer besonderen Temperaturgänge. Diese
Korrektionen hatten die Größenordnung von einigen Zehntelmillimetern. Des-
wegen entfiel auch hier die Notwendigkeit, das Volumen der Verbindungs-
röhren genauer zu kennen.
3. Ein Gang des äußeren Luftdrucks wurde in Rechnung gezogen, indem
die Interpolationsüber- und Unterdrucke auf den Barometerstand reduziert
wurden, der beim Abschließen der Hähne von der Atmosphäre geherrscht hatte.
4. Es war möglich, daß der große Ballon mit Glyzerinfüllung ein anderes
Volumen hatte als ohne diese, wegen des Bodendrucks des Glyzerins. In der
Tat war ein solcher Einfluß wahrzunehmen. Er wurde nicht berücksichtigt,
weil im ungünstigsten Fall die Volumänderung !/100000 des Gesamtvolumens
betrug. Noch weniger brauchte also in Rücksicht gezogen zu werden der
Einfluß der Interpolationsüber- bzw. Unterdrucke auf das Volumen des Ballons.
5. Ein Fehler konnte auftreten dadurch, daß das Glyzerin Luft absorbierte
und das Volumen der aus dem Stahlrohr austretenden Luft zu klein erscheinen
ließ. Dagegen spricht die geringe Absorptionsfähigkeit des Glyzerins für
423
Gase,!) der kleine Überdruck, unter dem die Luft in den Ballon eintrat, und
die Tatsache, daß das Glyzerin beim Auszapfen mit großer Oberfläche mit
Luft in Berührung kam, so daß es reichlich Gelegenheit hatte, sich zu sättigen.
Auch die pv-Versuche selbst geben keinen Anhalt für das Vorhandensein einer
solchen Fehlerquelle.
6. Auf die Beseitigung der letzten Reste von Wasserdampf aus der in das
Druckrohr eintretenden Luft wurde besonderer Wert gelegt. Die zu dem
Zwecke auf — 79° abgekühlte Kupferspirale X hatte eine Gesamtlänge von
ca. 4 Metern und einen Innendurchmesser von 2 mm. Die in das Stahlrohr
hineinzupressende Luft durchströmte sie in einem Betrag von 10 ccm pro Sekunde.
Dadurch ist, wie auch besondere Versuche mit Glasröhren ergaben, die Sicher-
heit gewährleistet, daß die Spannung des etwa aus der Spirale austretenden
Wasserdampfes nicht größer ist, als der Temperatur von — 79° entspricht.
Dieser Dampfdruck kommt für die Genauigkeit der vorliegenden Versuche
nicht mehr in Betracht.?)
7. Gegen das Vorhandensein von Kohlensäure wurde außer der Schicht
Natronkalk im Trockenrohr der Druckluftanlage keine Vorsichtsmaßregeln
getroffen, weil der Einfluß auf die Dichte der Luft für unsere Endgenauigkeit
nicht merklich ist (siehe oben bei den Schallgeschwindigkeitsmessungen).
8. Der Glyzerindampfdruck konnte störend wirken, falls er sich während
eines p»-Versuchs aus irgend einem Grunde änderte Es wurde während der
Wartezeit zwischen Auszapfen des Glyzerins und Ablesen des Quecksilber-
manometers die besondere Aufmerksamkeit auf Druckänderungen gerichtet, die
von diesem Einfluß herrühren konnten. Wie zu erwarten, wurde nie eine
wahrnehmbare Wirkung beobachtet, denn der Glyzerindampfdruck ist schon
an sich unbeträchtlich. Er beträgt für reines Glyzerin 0.24 mm für 118.5°.?)
9. In eingehender Weise wurde die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß
durch Undichtwerden, besonders des Drucksystems, störende Luftverluste ein-
treten könnten. Besonderes Augenmerk war deswegen zu richten auf die
Packungen der Ventile V, und V,, auf die Verschraubungen dieser Ventile
mit dem Stahlrohr und auf die Absperrkegel, die den Weg sperrten von den
Ventilen in die Druckröhrenleitungen. Die anderen Verbindungen und Hähne
von V, bis zum Glyzerinballon bzw. zum Quecksilbermanometer hatten nur
1 G. Just, Zeitschr. für phys. Chemie, 37, S. 342, 1901.
?) Scheel, Verh. d. d. phys. Ges. 5, S. 287, 1903 gibt unter Diskussion der vorhandenen Messungen
den Dampfdruck des Wassers für — 509 zu rund 0.04 mm.
3) Richardson, Journal of the chemical Society, 49, S. 764.
424
Überdrucke bis eine halbe Atmosphäre auszuhalten und waren mit den gewöhn-
lichen Vorsichtsmaßregeln leicht dicht zu bekommen. Von dem Dichthalten
der unter Hochdruck stehenden Stahlrohrverschraubungen und Packungen
konnte man sich während der Versuche dauernd überzeugen, weil sie in einem
Flüssigkeitsbad lagen. Das Dichthalten des Ventilkegels in V; wurde mit dem
Quecksilbermanometer untersucht, während des Abwartens der Temperatur-
konstanz im Stahlrohr, das des Kegels in V, dadurch, daß man die Druck-
leitung abschraubte und ein Glyzerinmanometer ansetzte. Es machte keine
Schwierigkeiten, alle Verschraubungen und Ventilkegel mit Sicherheit dicht
zu bekommen. Dagegen versagten die Lederverpackungen am Ventil V, bei
den — 79°-Versuchen bei höheren Drucken, indem trotz schárfsten Anziehens
der Packungsschrauben beim Schließen des Ventils nach der Ablesung des
Amagatmanometers hörbar Luft auszischte, so daß es unsicher war, welcher
Druck im Stahlrohr im Moment des Ventilschließens herrschte. In der Tat
gingen die Versuche 46—50 inklusive auf diese Art verloren. Vollständige
Abhilfe wurde erzielt, indem man die Lederpackungen im Ventil V, und gleich-
zeitig im Ventil V, durch Feuerschwamm ersetzte.
10. Es bliebe die Móglichkeit einer Absorption von Luft durch die Stahl-
rohrwände bei hohem Druck. Mangels jeglicher experimenteller Daten über
diesen jedenfalls außerordentlich geringen, wenn überhaupt vorhandenen Einfluß,
erübrigt sich das Anbringen einer Korrektion.
Berechnung der Endwerte.
Um aus dem so korrigierten Volumen der aus dem Stahlrohr ausgetretenen
Luft ihre Maße zu erhalten, ist es mit ihrer Dichte zu multiplizieren. Als
Temperatur der Luft ist dabei die des Wasserbades beim Abschließen der
Hähne AZ, und H, von der Atmosphäre, als Druck der gleichzeitige Barometer-
stand zu nehmen (siehe oben). Die Dichte wurde aus den Tabellen von Landolt
und Börnstein, 3. Auflage, entnommen. Da hier der absolute Barometerstand
in Frage kommt, wurde das benutzte Heberbarometer von Fueß-Berlin auf die
Güte des Vakuums nachgeprüft. Die davon herrührende Korrektion betrug
einige hundertstel Millimeter und wurde weggelassen. Auch die Schwere-
korrektion wurde weggelassen, einmal, weil sie für München blos 5/100000
beträgt!) und dann, weil sie für unseren pv-Endwert, der auf Luft von 0°
und 760 mm bezogen ist, herausfällt. Eine Korrektion für eine etwaige Niveau-
1| Landolt-Bórnstein, 3. Auflage.
425
differenz zwischen Barometer und freiem Ende des Quecksilbermanometers kam
nicht in Betracht.
Um das spezifische Volumen v der Luft im Stahlrohr bei Hochdruck
und 0? bzw. — 79" zu erhalten, ist zu dieser Luftmasse im Glyzerinballon
noch die Luftmasse im Stahlrohr bei Atmosphärendruck und 0° bzw. — 79°
zu addieren und die Summe durch das Volumen des Stahlrohrs bei dem
Versuch zu dividieren. Daraus ergibt sich schließlich durch Beziehen von o
auf Luft von 0° und 760 mm und durch Multiplikation mit p, dem am
Amagatmanometer abgelesenen Druck, der Endwert pv, bezogen auf Luft
von 0? und 760 mm.
Zahlendaten.
Tabelle 11 enthält die Einzelresultate für die p v-Messungen bei 0°.
In Reihe 1 steht die laufende Nummer des Versuchs, in 2 die Steighóhe
des Quecksilbers im Amagatmanometer mit Bandmaßkorrektion und auf 15°
reduziert in cm, in 3 der Druck im Stahlrohr in Atmosphären zu 76 cm
Quecksilber von 0^, in 4 die ausgeflossene Glyzerinmasse in gr, in 5 die
Glyzerindichte, in 6 das Volumen des Glyzerins in ccm, alles mit sämtlichen
Korrektionen. Es folgen in 7 und 8 Temperatur und Druck der Luft im
Ballon, letzterer auf 0° reduziert. Daraus ergibt sich in 9 die Dichte der
Luft, in 10 ihre Masse in gr im Ballon, in 11 die Masse in gr im Stahlrohr,
in 12 die Summe von 10 und 11, also die Gesamtluftmasse, die bei Hochdruck
und 0? im Stahlrohr enthalten gewesen war. In 13 steht das Volumen des
Stahlrohrs in cem für den Versuch mit allen Korrektionen, und in 14 der
Wert von pv, bezogen auf Luft von 0° und 760 mm.
Tabelle 12 enthält die entsprechenden Resultate der — 79?-Reihe. Die
Bedeutung der einzelnen Reihen von 1 bis 13 ist dieselbe. Im besonderen ist
zu bemerken: Zu 11. Die Masse der Luft im Stahlrohr bei — 79° und dem
äußeren Barometerstand wurde berechnet, indem man als mittleren Ausdeh-
nungskoeffizienten der Luft zwischen 0° und — 79? den Wert: 0.00367 annahm.!)
Zu 14. In 14 steht die Temperatur des Alkohol-Kohlensäuregemisches
aus dem Barometerstand entnommen (siehe S. 391) und auf 0.1? abgerundet.
In Reihe 16 stehen alle pv-Messungen der — 79°-Reihe, auf — 79.1?
reduziert mit Hilfe der mittleren Ausdehnungskoeffizienten zwischen 0" und
— 79.1? (siehe unten Tabelle 15).
J) Holborn und Wien, Wiedem. Ann. 59, S. 213, 1896.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt. 55
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C2. HEX rt COH. X0 cO >
HH HE II I
—
XH
55*
428
Wie man sieht liegen die Abweichungen der Einzelwerte voneinander im
allgemeinen unter 1°/oo und gehen in seltenen Fällen bis zu 2 und 3%.
Die graphisch gewonnenen Mittelwerte dürften demnach relativ zueinander
auf 1°/oo richtig sein. Die absolute Genauigkeit wird wegen der Unsicherheit
der Druckmessung und der anderen Fehlermóglichkeiten auf etwa 1!/e9/oo zu
schátzen sein.
Tabelle 13 enthält die »pv-Mittelwerte für 0°. In Kolonne 1 stehen die
Drucke in Atmosphären, in 2 die zugehörigen pvo-Werte der vorliegenden
Untersuchung, bezeichnet als pv;.
Tabelle 13. 7 — 0*.
p Atm. | Por | pUViI py.
1 2 3 | 4
1. 1.0000 | 1.0000 | 1.0000
25 0.9821 0.9869
50 0.9732 0.9754
75 0.9682 | 0.9694
100 0.9656 0.9730 | 0.9681
195 0.9685 0.9722
150 0.9762
175 0.9875
200 1.0016 1.0100
Ohne Umrechnung vergleichbar mit diesen Werten sind die Amagats!)
und Witkowskis,?) die ebenfalls bei 0° gewonnen wurden. Sie stehen in
Kolonne 3 und 4 als pv,, und pv,. : Amagat maß seine Drucke mit dem
Amagatmanometer. Witkowski basierte seine Druckmessung mit Hilfe eines
Luftmanometers auf frühere Resultate Amagats,?) die in der Kirche von Four-
vieres durch direkte Aichung von Luftmanometern mit Quecksilber-
säulen ohne Kolbenübertragung erhalten sind. Diese letzteren pv-
Werte Amagats sind bei 16° erhalten und lassen sich durch Vermittlung von
Ausdehnungskoeffizienten, die Witkowski (s.l. c. zwischen 16? und 0? bei den
entsprechenden Drucken gemessen hat, auf 0° reduzieren. Tabelle 13a enthält
die auf diese Reduktion bezüglichen Zahlen. In Kolonne 1 steht der von
Amagat benutzte Druck in Metern Quecksilber, in 2 die zugehörigen pv- Werte
1) Ann. de chim. et de phys. 6s. 29, S. 68, 1893.
°) Phil. Mag. 41, S. 288, 1896.
3) C. R. 1884, II, S: 1154.
429
Amagats bei 16°, 3 gibt den Druck der Kolonne 1, umgerechnet in Atmo-
sphären à 76 cm Hg von 0°; in 4 steht der pv- Wert der Kolonne 2, umge-
rechnet auf 0? mit Hilfe der von Witkowski gegebenen Ausdehnungskoeffizienten,
in 5 endlich zum Vergleich die pv;-Werte für denselben Druck.
Tabelle 13 a.
Amagat
: i DUy.
D p | Druck in | pe ATI 00
Hy 169 | Atm. 00
1 | 2 3 | 4 5
0.76 | 1.0000 | 1.00 | 1.0000 | 1.0000
20.00 | 0.9901 | 26.32 | 0.9823 | 0.9816
25.00 | 0.9876 | 32.90 | 0.9784 | 0.9788
30.00 | 0.9855 | 39.47 | 0.9748 | 0.9761
35.00 | 0.9832 | 46.05 | 0.9718 | 0.9741
40.00 | 0.9824 | 52.63 | 0.9699 | 0.9723
45.00 | 0.9815 | 59.21 | 0.9678 | 0.9705
50.00 | 0.9808 | 65.79 | 0.9661 | 0.9691
55.00 | 0.9804 | 72.37 | 0.9646 | 0.9682
60.00 0.9803 | 79.08 0.9658 0.9671
65.00 | 0.9807 | 85.53 | 0.9632 | 0.9662
Wie man sieht, stimmen in Tabelle 13 die pv,, und pvo,-Werte gut
überein. Dagegen weichen die p»v,,-Werte von den vorgenannten bis zu
8 ?/oo ab.
In Tabelle 13a wiederum stimmen die auf 0? reduzierten pv,g- Werte
bedeutend besser mit den entsprechenden p»v,-Werten, wenn auch noch eine
kleine systematische Abweichung vorhanden zu sein scheint.
Nun basieren die pv,-Werte wie die pv,,-Werte auf Druckmessung mit
Hilfe des Amagatmanometers. Beide Meßreihen können deshalb prinzipiell
mit einer Unsicherheit behaftet sein, herrührend von der Bestimmung des
Kolbenquerschnittsverháltnisses. Amagat hat keine näheren Einzelheiten ver-
öffentlicht über die Art, in der er dieses Verhältnis feststellte. Infolgedessen
ist eine Diskussion von dieser Seite aus nicht möglich. Jedenfalls zeigen die
meisten der Tabellen Amagats (s.l. c.), in denen die Druckangaben verschie-
dener Manometersysteme zusammengestellt sind, systematische Abweichungen
dieser Angaben voneinander, die groß genug sind, um die Unterschiede der
p"1:-Werte und der pv,-Werte zu erklären.
450
Die Druckmessung Amagats in der Kirche zu Fourvieres ist von den eben
besprochenen Fehlermöglichkeiten frei und verdient somit erhöhtes Zutrauen.
Die Übereinstimmung der so gewonnenen P%,7-Werte mit den pv,-Werten
weist daraufhin, daß das von K benutzte Kolbenquerschnittsverhältnis richtig
ist. Als weitere Stütze dieser Folgerung kommt dazu die gute Übereinstim-
mung zwischen den pv-Werten von A und W, welch letztere sich ja auf die
p"4n-Werte stützen.
Soviel mir bekannt hat Amagat keine Messungen veróffentlicht, die seine
mit direkter Quecksilbersäule bestimmten Isothermen, die bis 85 Atmosphàren
gehen, mit seinen mit dem Amagatmanometer ermittelten verbinden, die bei
100 Atmosphären beginnen. Andernfalls hätte ein etwaiger Sprung in diesen
mit zwei verschiedenen Druckmeßmethoden erhaltenen Isothermen zutage
treten können.
Tabelle 14 enthält die po-Mittelwerte der — 79°-Reihe. In Kolonne 1
steht der Druck in Atmosphären, in 2 der zugehörige pv- Mittelwert, bezeichnet
als pv, und zwar für — 79.1°, in 3 der Wert von pv, für — 79.3°, berechnet
zum Zweck der Kombination mit den Schallgeschwindigkeitsmessungen (siehe
oben) die bei — 79.3? ausgeführt wurden, in 4 die po- Werte Witkowskis für
— 718.5" und in 5 endlich die letzteren zum Vergleich umgerechnet auf — 79.1.
Die Übereinstimmung zwischen Kolonne 2 und 5 ist befriedigend.
Tabelle 14. t= — 7%.
; p v K p ® K p v W p [ Ww
: — 19.19 — 19.30 — 78.50 — 19.19
1 9 3 4 5
1 0.7097 0.7092 0.7119 0.7103
25 0.6628 0.6623 0.6689 0.6670
50 0.6199 0.6194 0.6252 0.6234
75 0.5820 0.5814 0.5863 0.5845
100 0.5572 0.5566 0.5600 0.5582
125 0.5495 0.5489 0.5520 0.5501
150 0.5540 0.5534
175 0.5715 0.5709
200 0.5960 0.5954
Der pv,-Wert für 1 Atmosphäre ist berechnet mit Hilfe des Ausdehnungs-
koeffizienten für Luft: « = 0.00367.
431
Die zu den Umrechnungen der Tabelle 14 benutzten mittleren Ausdehnungs-
koeffzienten der atmosphärischen Luft zwischen 0° und — 79.1? finden sich
in Tabelle 15. Sie folgen unmittelbar aus der Kombination der pv ,- Werte
in den Tabellen 13 und 14. Zum Vergleich stehen in der letzten Kolonne
die entsprechenden Werte Witkowskis (s. l. c.).-
Tabelle 15.
: Ausdehnungs- | Ausdehnungs-
Druck in = z
Atmosphären ocean foede
5 | 2 | 3
25 0.00411 | 0.00411
50 459 | 457
75 504 | 503
100 595 | 5597
125 547 551
150 547
175 339
200 | 512
Die Resultate der Tabellen 13 und 14 sind auf Tafel III graphisch dar-
gestellt. Die kleinen Abweichungen zwischen dieser Darstellung und den Zahlen-
werten der Tabellen sind wegen des aus Reproduktionsgründen gewählten,
etwas zu kleinen Maßstabes, unvermeidlich.
432
TE e
Berechnung des Verhältnisses der spezifischen Wärmen.
Aus Gleichung (1) folgt, wenn man die nachfolgende Entwickelung auf
die Masseneinheit bezieht:
(2) koe De
v* (2
av
Die im II. Teil festgelegten Isothermen setzt man in der Form an:
(3) DmE aU)
und erhàlt daraus:
oDASCU Et DAS:
E s) rar m
dp p
Aus (4), (2) und (3) ergibt sich:
1f(
roy 10
5 Ee. zu
6) fi»
Für Luft von 0° und Atmosphärendruck ist:
: u : df(p) Pa
ZEN und Fry 0,
das letztere wegen der für unsere Zwecke genügend genauen Annäherung an
den idealen Gaszustand.
Also:
(6) ky — G.
Aus (5) und (6) folgt:
dise zd dp
e
0/ ft
(7) zi
In Tabelle 16 sind noch einmal sámtliche Daten zusammengestellt, die
E . C wer
nötig sind, zur Berechnung von *—=% bei 0".
U
433
In Reihe 1 steht der Druck in Atmosphären à 76 cm Quecksilber von 0°,
in 2 das Verhältnis der Schallgeschwindigkeiten aus Tabelle 7, in 3 der
Wert von f(p) aus Tabelle 13, in 4 der graphisch ermittelte Wert von
in 5 der Wert von AL und in 6 zum Vergleich der £-Wert Witkowskis
für die gleichen Bedingungen. Als Wert von A, wurde angenommen:
I; — 1.4053.)
Tabelle 16. 7/— 09.
fees
s ie Up | 2 2 loy? | k E wig
1 | 2 | 3 4 5 6
25 1.007 | 0.9821 Zn] eM AO 1.47
50 1.021 | 0.9732 Ond 1.527 1.53
75 1.039 0.9682 —_ 15.9 1.586 1.58
100 1.061 0.9656, LING 1.636 1.64
125 1.091 0.9685 EDI 1.677
150 1.126 0.9762 2L S 1.721
175 1.166 0.9875 + 50.8 1.762
200 1.212 1.0016 1.162:7) )01:803
Die Fehlergrenze für die Werte der Reihe 5 ergibt sich als Summe der
Teilresultatfehler. Zu den in Teil I und II diskutierten Fehlermóglichkeiten
df Cp)
dp
kommt der Fehlereinfluß, herrührend von der Bestimmung von Dieser
Einfluß ist zufolge (7) an sich gering. Die graphisch wiederholt und aus
df (p)
dp
einander meist vorzüglich überein. Abweichungen von Prozenten waren selten.
Dadurch kann der Wert von % in ungünstigen Fällen um Beträge von der
Größenordnung von 1°/oo beeinflußt werden. Alles zusammen wird man die
Endwerte der 0^-Reihe für auf !/2°/o verbürgt halten dürfen.
Kurven verschiedenen Mafistabs entnommenen Werte von stimmten unter-
In Tabelle 17 stehen die Daten zur Berechnung von k für — 79.3". Die
Bedeutung der einzelnen Kolonnen ist dieselbe wie in Tabelle 16. In Anbe-
tracht der erhöhten Schwierigkeiten wird man die Genauigkeit der %k-Endwerte
hier nur auf etwa 1°/o schätzen.
1) Röntgen, Pogg. Ann. 148, S. 580, 1873.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt. 56
434
Die Resultate der Tabellen 16 und 17 sind auf Tafel IV dargestellt.
Mit den Werten Witkowskis stimmen die k-Werte der Tabelle 16 befrie-
digend, die der Tabelle 17 weniger gut.
Tabelle 17. {= — 79.3».
p c[eg FED df (0, 19-3 k E wig
| 12
ET 3 | 4 Blu
| I |
1 | 0.842. | 0.7092 0 nn
85.1.0:83001270:6623 — 188 , 1566 | 1.58
50 | 0.829 | 0.6194 | — 162 | 1.763 | 1.79
75 | 0.841 | 0.5814 | — 198 | 1.992 | 2:06
100 | 0.882 | 0.5566 — O93 sl 2 EO 30
125 | 0.955 0.5489 — 81 | 2.378
150 | 1040 | 05534 | E418 | 23955 |
175 101.150, 990157099 CP EISD:329 275100.
200 | 1.224 0.5954 C106 | 2.277
Auch mit dem, was von dem Verhalten der spezifischen Wärmen anderer
reeller Gase bisher bekannt ist,!) stimmen die Resultate der vorliegenden
Untersuchung qualitativ gut überein.
Schließlich sei kurz hingewiesen auf die Lage des Maximums von c,/c,.
Die van der Waalssche Zustandsgleichung:
d Ys N jf E
(o i)e— 5 — R1 207
zusammen mit der für alle homogenen Kórper geltenden Beziehung:
(22 Zr e r0. d
8p 29°
ergibt für das Maximum von c, die Bedingung:
Drap — Ux:
wo vy das kritische Volumen bedeutet. Da dieselben Grundgleichungen ver-
langen ve,— const, so folgt für das Maximum von 2 gleichfalls: v»—v;.
6r
!) Literatur bei Knoblauch und Jakob: Mitteilungen über Forschungsarbeiten auf dem Gebiete des
Ingenieurwesens, Heft 35 und 36. "Valentiner, Drudes Ann. 15, S. 74, 1905.
435
Für Luft liegen sehr gut übereinstimmende Werte von Olszewski und
v. Wroblewski vor für die kritische Temperatur 7 und den kritischen Druck p;.
Das Mittel aus den Werten beider Beobachter!) ist:
T,-— 1392.9 abs py — 39.3 Atm.
Daraus ergibt sich mit Hilfe der aus der van der Waalsschen Zustands-
gleichung folgenden Beziehungen:
a 8a
Dx — op? R- I, — 32$)
wenn man £A — 0.00366 nimmt, der Wert:
D — 340 10.0,0463.
Für — 79? müßte also zufolge der im zweiten Hauptabschnitt gegebenen
Isothermen c, seinen Maximalwert bei rund 120 Atmosphàren erreichen, für
0? bei Drucken höher als 200 Atmosphären.
Die qualitativ gute Übereinstimmung dieser aus der van der Waalsschen
Zustandsgleichung gezogenen Schlußfolgerung mit den Resultaten der vor-
liegenden, auf ganz anderen Grundlagen basierenden Experimentaluntersuchung
ist immerhin bemerkenswert.
Eine eingehendere Verwertung des gewonnenen Beobachtungsmaterials zur
Prüfung thermodynamischer Beziehungen ist in Aussicht genommen.
1) Landolt-Bórnstein, Tabellen, 3. Aufl., S. 186.
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Untersuchungsrohr
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————— — VerAadtnis der S challgeschwindigkeiten
PPKoch Verhältnis d. spezit Wa
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Sc
0.95 E:EREH
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0.85 HH
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srohr
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Jat H.
0 50 400 150 290
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0.90 H 0.90
SE
0.85 0.85
= 0
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0:22 50 400 150 200
— — Druck in Atmosphären à 76cm Hg von 0°
Abh. d. lI. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. Il. Abt.
Lith: Anst.v. Hub. Köhler, München.
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Lith. Anst.v. Hub.Köhler, München.
Abh. d. T. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. Il.. Abt.
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vnd
Photographien und Zeichnungen
des
Kometen 1907 d, Daniel.
Von
Max Wolf.
Mit 3 Tafeln.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 57
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Der Komet, den Z. Daniel in Princeton am 9. Juni 1907 entdeckte,
entwickelte sich im August 1907 zu einem auffallenden Objekte und sein
Schweif, der nahezu senkrecht zu unserer Gesichtslinie lagerte, erreichte eine
Länge von 12 Bogengraden. Da das Wetter ziemlich günstig war, konnte der
Komet in unserem Institut in der Zeit vom 21. Juli bis zum 27. August an
10 Tagen mit 41 Platten photographiert werden; 19 dieser Platten wurden
vom Unterzeichneten am 28zólligen Waltz-Reflektor aufgenommen. Der Kern
des Kometen war so hell, daß mit den feinen Fäden des Pointers auf ihn
gehalten werden konnte, so daß die Bilder befriedigende Schärfe erhielten.
Der Reflektor besitzt bei einer freien Spiegelflàche von 72 cm eine Brenn-
weite von 282 cm; das Leitfernrohr hat 16 cm Öffnung und 240 cm Brennweite.
Der Komet bot durch das Finderokular des Reflektors (Vergrößerung
41fach) einen prächtigen Anblick und reizte unwillkürlich zur Anstellung
von Vergleichen, zwischen dem, was gesehen und dem, was photographiert
werden konnte.
Schon früher war dem Unterzeichneten die Unvereinbarkeit des optischen
und des photographischen Bildes bei Kometen aufgefallen; allein es fehlte ein
genügend mächtiges optisches Hilfsmittel, um befriedigende Vergleiche anzu-
stellen. Der Reflektor ermóglichte nun Vergleiche, und deshalb móchte der
Unterzeichnete nicht versäumen, die gefundene Verschiedenheit an einigen
seiner Bilder zur Anschauung zu bringen.
Die Originale der hier abgebildeten sieben*) photographischen Aufnahmen
sind zu den folgenden Zeiten im Fokus des Reflektors aufgenommen worden:
1. 1907 August 2 von 14^ 39.6" bis 14^ 49.6" M. Z. Königstuhl
2. x 4 5s T4 97:028 014.1 49.6 E
3. „ JOE IA UU 0 a 3916 À
4. ; SQ AT 3
5. , 9M 141053. 7 ERRIRSTE UND: 7 :
6. TIE 1057.7: AMETE IST, 5
fj: ET ESTER NENNE) ;
*) Vgl. Monthly Notices R. A. S.; LXVIII, pag. 180.
57*
440
Die Bilder geben natürlich nur die nächste Umgebung des Kopfes wieder.
Auf den Reproduktionen ist 1? — 86 mm, also 1 Bogenminute etwa 1!/2 mm.
Auf den im folgenden besprochenen Zeichnungen ist der Maßstab 3—4 mal
so groß.
Das Gemeinsame aller Aufnahmen ist die ungemein große Anzahl von
Einzelästen, aus denen sich der Schweif aufbaut. Auf den Originalen lassen
sich meist 30 und mehr Einzeläste zählen.
Die Äste, welche der Schweifachse näher liegen, sind im allgemeinen länger
und heller als die mehr außen gelagerten. Knickungen kommen vielfach vor;
meist liegen sie im Innern des Büschels.
Eine Gabelung ist auf mehreren Aufnahmen fast in derselben Lage bezüg-
lich der Achse wiederzufinden, trotzdem kurz aufeinanderfolgende Aufnahmen
derselben Nacht — die hier nicht reproduziert sind — zeigen, daß sich das
Bild in wenigen Minuten ganz verändert. So liegt die auffallende Gabelung
auf der Aufnahme 6 wohl in demselben Positionswinkel als auf der Aufnahme 5,
aber dem Kern viel näher als auf der früheren Aufnahme Man muß sich
also sehr hüten, solche prägnante Stellen von verschiedenen Tagen rechnerisch
zu verknüpfen, um die Bewegung der Schweifmaterie zu finden.
Interessant ist die Tatsache, daß auf allen Aufnahmen des Kometen die
kürzesten Schweife — die auch den größten Winkelabstand von der Achse
besitzen — am stärksten gekrümmt erscheinen. Ganz besonders lehrreich ist
in dieser Beziehung das Bild 3, worauf sich kontinuierlich verfolgen läßt, daß
je kürzer der Schweifast, um so größer und rascher eine Biegung eintritt.
Das reiche Detail der Aufnahmen bleibt späterer messender Untersuchung
vorbehalten; auch zeigt die Betrachtung der Bilder die Einzelheiten objektiver
als eine Beschreibung.
Die Zeichnungen des Kometen sind als fast gleichzeitig mit den photo-
graphischen Aufnahmen ausgeführt anzusehen. Allerdings sind sie nur das
Resultat weniger Minuten, die die kurze, zwischen den Aufnahmen verfügbare
Zeit übrig ließ. Immerhin wird der Anblick im wesentlichen getroffen sein.
44]
Es sind folgende Bemerkungen zu den Zeichnungen nachzutragen:
Fig. 8. August 4: Auf der der Sonne abgewandten Seite des Kernes
ist keine merkliche Helligkeit vorhanden, vielmehr kontrastiert die ganze
Gegend hinter dem Kern wie ein tiefer Schatten gegen die 2 Schweifarme.
Die Ränder dieses Schattens erscheinen vollkommen scharf, wie mit der Schere
ausgeschnitten. Der Kern ragt in den Schattenraum herein, so daß beiderseits
von ihm noch halbrunde Ausschnitte sichtbar sind. Erst in größerem Abstand
von dem Kern (auf der der Sonne abgewandten Seite) füllt sich der Hohl-
raum mit merklicher Helligkeit. Die absolute Leere des Schattenraumes ist
wohl nur eine Kontrastwirkung, aber der Unterschied ist jedenfalls enorm.
Die Achse des der Sonne zugekehrten Ausströmungskegels ist etwa 20° nach
Süden aus der Schweifachse herausgedreht. — Mit bloßem Auge ist der Schweif
noch in der Rektaszension 4" 25” erkennbar.
Fig. 9. August 7: Der Ausströmungskegel hat die Schweifachse gegen
Norden hin überschritten und ist jetzt ungefähr 20° nach Norden von dieser
weggerichtet. In dem Ausströmungskegel haben sich mehrere Zonen stärkerer
Verdichtung entwickelt. In der Verlängerung des Ausströmungskegels, auf die
Sonne zu, ist eine Lücke deutlich erkennbar. — Der Schattenraum auf beiden
Seiten neben dem Kern und hinter dem Kern (der Sonne abgekehrt) ist wieder
sehr deutlich. — Der Schweif kann mit bloßem Auge bis 11 Orionis ver-
folgt werden.
Fig. 10. August 8: Der Ausstrómungskegel hat sich mehr nach Norden
gerichtet. Die Neigung gegen die Schweifachse beträgt wohl 309. Der Kegel
ist schón symmetrisch gebaut. Es ist nur eine schwache Andeutung der Aus-
buchtung an dem der Sonne zugekehrten Komarand zu erkennen. — Der
Schattenraum ist beiderseits vom Kern geradlinig begrenzt, wie mit dem
Lineal abgeschnitten. Diese Begrenzungslinie steht nicht senkrecht auf der
Schweifachse, sondern ist etwas verdreht, wenige Grade und in dem Sinne, daß
diese Linie der Achse des Ausstrómungskegels nachgefolgt ist. — Mit bloßem
Auge kann der Schweif bis zur Rektaszension 4" 55" verfolgt werden.
Fig. 11. August 9: Der Kegel hat sich noch mehr gegen Norden ge-
dreht; die Neigung seiner Achse beträgt jetzt etwas mehr als 60? gegen die
Schweifachse. — Die geradlinige Begrenzungslinie des Schattenraumes hat genau
die gleiche Lage gegen die Schweifachse beibehalten, die sie am 8. August hatte;
sie ist also dem Kegel nicht weiter nachgefolgt. Dagegen liegt die Linie etwas
442
weiter in der Richtung von der Sonne weg. — Der Schweif reicht mit bloßem
Auge gesehen bis zur Rektaszension 4^ 50”.
Fig. 12. August.11: 14" 30". Der Ausstrómungskegel ist zurückge-
pendelt. Er steht noch etwa 15? von der Schweifachse gegen Norden gerichtet.
Um 15* 20" ist eine zweite Ausströmung etwas südlich von der Achse zu erkennen.
Es ist nicht mit Sicherheit zu sagen, daß diese Ausstrómung um 14" 30" noch
nicht da war, obwohl sehr wahrscheinlich. — Die Begrenzung des Schattens
ist rund, eher etwas spitz.
Fig. 13. August 14: Der Ausstrómungskegel ist sehr schwierig zu zeichnen.
Es sind deutlich zwei sich übereinander lagernde Fácher. Der kleinere, viel
hellere liegt etwas südlich von der Schweifachse; der breitere, schwächere mit
seiner Mitte etwas nördlich, so daß der hellere, kleinere Fächer über die süd-
liche Kante des schwächeren reicht und dieselbe in ihrem inneren Teile zu
überdecken scheint. — Der Schattenraum ist halbrund begrenzt, im übrigen
wie die letzten Tage.
Zur Vergleichung von Photographie und Zeichnung ist zu bemerken, daß
sich zeitlich entsprechen:
Zeichnung Figur 8 und Photographie Figur 2
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n n 1 0 n n 4
n » 1 1 n » n 9
n ? 1 2 ” » n 6
n » 1 3 n n n Te
Die entsprechenden Bilder sind etwa gleichzeitig hergestellt!) und jeweils
sollte das gezeichnete Bild mit dem photographierten übereinstimmen. Die
Zeichnungen sind, wie gesagt, durch das gleiche Instrument wie die Aufnahmen
hergestellt, und bei der ganz schwachen Vergrößerung eines Kellnerschen
Okulares von 68 mm Äquivalentbrennweite, entsprechend einer schwachen Lupe
von 3—4facher Vergrößerung.
Der erste Blick auf die Bilder zeigt, daß eine absolute Verschiedenheit
zwischen dem photographischen und dem optischen Bilde besteht. Dort wo
die Platte die hellen, der Sonne abgewandten Strahlen abbildete, die das
1) Etwa fünf Minuten nach Beendigung der Aufnahmen.
443
Wesentliche der Photographien ausmachen, sah das Auge gar keinen anf-
fallenden Lichteindruck. Trotz größter Anstrengung und trotz künstlichen Ver-
deckens der hellsten Partien konnte durchaus nichts von den photographisch
so hellen Ästen gesehen werden.
Die photographierbaren Schweife müssen also Lichtarten aussenden, die
durchaus verschieden sind von denen, die die Koma und der optische Schweif
dem Auge darbieten; und die Spektra müssen ebenso verschieden erscheinen,
wenn es möglich sein wird, sie zu trennen.
Es ist danach wahrscheinlich, daß es auch ganz verschiedene Vorgänge sind,
welche die optischen und die photographischen Schweife aussenden. Während
die Platte bis zum gewissen Grade die gesehene Ausströmung mit abbildet
als die ausgedehnte zurückgebogene Koma, sieht das Auge nichts von den
zahlreichen, hellen Schweifen, die auf der Rückseite des Kernes zum Teil
gerade dem optischen „Schattenraum“ entspringen.
Wenn man die Bilder vorurteilsfrei betrachtet, möchte man geradezu
zu der Ansicht kommen, daß die optisch erfaßbaren Schweifteile nach der
Besselschen Auffassung von der Stirn des Kernes ausgehen, während die auf-
fallendsten photographischen Büschel großenteils dem Vakuum auf der Rück-
seite des Kernes entspringen.
Heidelberg, Dezember 1907.
P. S. Leider ist es dem Lichtdrucker nicht gelungen, auch nur einiger-
maßen den Originalen entsprechende Abdrücke herzustellen, vielmehr sind
sowohl alle Details nahe am Kopf, als auch alle äußeren, kürzeren Schweife .
verloren gegangen. (Heidelberg, Juli 1908.)
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Fig. 1.
bh. d. II. KI. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt.
Fig. 5. Fig. 6.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt.
. IL KI. d. K. Ak. d. Wiss. XXITT. Bd. III. Abt.
Die Polytrichaceen.
Eine biologische Monographie
von
Dr. Wilhelm Lorch.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. IIT. Abt. 58
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Vorbemerkung.
In der vorliegenden Publikation übergebe ich dem botanischen Publikum eine biolo-
gische Monographie, die als solche meines Wissens ein Novum darstellt. Absichtlich wählte
ich die hochorganisierte Familie der Polytrichaceen, um den Beweis zu erbringen, daß auch
eine im System niedrig stehende Gruppe des Pflanzenreiches der biologischen Betrachtungs-
weise zugänglich ist. Maßgebend für die Wahl dieser Familie war fernerhin die Erwägung,
da& darüber bereits zahlreiche Veróffentlichungen vorlagen, aus denen ich viel Brauchbares
für meine* Darstellung benutzen konnte.
Von berufener Seite wird oft der Einwand erhoben, da& der Begriff der Biologie noch
durchaus ungeklärt sei und sich mit dem der Physiologie decke. Gewib mag in vielen
Füllen eine reinliche Scheidung beider Disziplinen eine schwierige Aufgabe sein, es mufi
aber doch auffallen, daß seit mehreren Jahrzehnten beide Begriffe in der Literatur Eingang
gefunden und sich hartnäckig neben einander behauptet haben, was gar nicht zu verstehen
wäre, wenn beide ihrem Wesen nach dasselbe bedeuteten. Wenn man aber „die Teile des
Pflanzenkórpers nicht wie die Morphologie als Glieder, sondern als Organe, als Werkzeuge‘ !)
betrachtet, so meine ich, kann über den Inhalt und die Aufgabe der Biologie kein Zweifel
mehr obwalten.
Ohne entwicklungsgeschichtliche, anatomische und physiologische Untersuchungen war
auch bei dieser Arbeit nicht auszukommen, die Biologie erweist sich demnach als eine sehr
befruchtende und belebende wissenschaftliche Disziplin.
! Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen. Erster Teil, S. 2.
448
A. Der Gametophyt.
I. Die vegetativen Organe.
Das Stämmchen.
Denken wir uns die zahllosen Geschlechter der Laubmoose in üppiger Fülle teppich-
artig zu unseren Füßen ausgebreitet, so werden in erster Linie diejenigen Formen den
Blick fesseln, die durch besondere habituelle Eigentümlichkeiten ausgezeichnet sind und
sich infolgedessen scharf von der Umgebung abheben. Die winzigen Vertreter der Gattungen
Diphyscium und Buxbaumia, ferner Sphagnum und Andreaea, Splachnum und die riesen-
haften Formen von Polytrichum, Dawsonia, Spiridens u. a. würden auch dem nicht formen-
geübten Auge des Laien als Besonderheiten auffallen. Bei den Polytrichaceen incl. Daw-
soniaceen ist es vor allem die starre und kräftige Tracht der Stämmchen, die auf das Auge
wirkt und in ühnlicher Ausbildung bei keiner Gruppe der Laubmoose wiederkehrt.
Dank dem Entgegenkommen des Herrn Geh. Oberregierungsrats Prof. Dr. Engler
war es mir möglich,!) an einem sehr umfangreichen Material die Verzweigungsarten der
Polytrichaceenstämmchen zu studieren.
Alle Polytrichaceen besitzen orthotrope, radiäre und cymös verzweigte Sprosse von
sympodialem oder dichasialem Typus. Wir finden, wie Goebel?) richtig bemerkt, „bei den
Polytrichaceen alle Arten von normaler Entwicklung der Seitensprosse (wenigstens eines
Teiles derselben) bis zur habituellen Hemmung, die aber auch keine ausnahmslose ist“.
Beginnen wir mit der Gattung Polytrichadelphus, von der einige Arten, wie P. gigan-
teus C. M. und ciliatus Mitt. als wahre Riesen bezeichnet werden dürfen. Eine recht
bedeutende Höhe erreichen auch P. prolificans C. M., croceus Mitt., glaucus Hampe, juni-
peraceus C. M. und perelatus C. M.
Bei allen Arten dieser Gattung beschließt das Stämmchen sein Wachstum mit der
Hervorbringung eines Archegoniums, so daß kein Zweifel über die Akrogynie bestehen
kann. Die Art der Verzweigung läßt sich an den Polytrichadelphusarten sehr gut studieren,
weil sie meist in merklich großen Abständen Innovationen bilden. Im Herbar C. Müller-
Hal. befindet sich ein ca. 35 cm langes Stümmchen von P. giganteus C. M., das insgesamt
zehn Sporogonien hervorgebracht hat. Die Stellen des Stämmchens, an denen die älteren
Sporogonien saßen, sind noch deutlich an den seitlich hervortretenden, außerordentlich
widerstandsfähigen Seten zu erkennen. In seinem unteren längeren Teil erscheint das
Stämmchen einfach, es trägt in diesem Abschnitt fünf Sporogonien, weiter hinauf tritt
eine gabelähnliche Verzweigung ein, diese Gabelzweige verhalten sich aber genau so wie
!) U. a. das vom Staate käuflich erworbene Herbar des bekannten Bryologen Dr. C. Müller-Hal.
2) K. Goebel, Archegoniatenstudien in Flora 1906, Band 96, Heft I, S. 3 und 4.
44!)
die Abschnitte des unteren Stämmchenabschnitts. In Wirklichkeit ist das Stämmchen,
dessen Sprosse immer in der Verlängerung des nächst tieferen Abschnitts liegen, gar nicht,
wie es scheinen könnte, einfach, sondern jeder höhere Abschnitt ist ein Seitenzweig des
tieferen und nimmt unmittelbar unter der Spitze des letzteren, der ein Sporogonium erzeugte,
seinen Ursprung.
Bei Polytrichadelphus glaueus Hampe tritt oft eine baumförmige Verzweigung ein.
Aber auch hier sind alle Äste seitliche Hervorsprossungen. Im Herbar C. Müller-Hal,
Berlin, liegen zahlreiche Exemplare dieser Art von dendritischem Habitus mit reichlichster
Sporogonienbildung, die erkennen läßt, daß zum Aufbau derartiger Stümmchen ein Zeit-
raum weniger Jahre hinreicht. Mehrere Stämmchen trugen die Sporogonien von drei auf-
einander folgenden Vegetationsperioden: alte, schwarzbraune, entdeckelte Kapseln in guter
Erhaltung, dann solche von mittlerem Alter und hellbrauner Farbe mit Deckel und schließlich
jugendliche, mit noch unentwickeltem Sporenbehälter und Kalyptren. Es ist mir kein Moos
bekannt, an dem man in ähnlicher Weise durch die verschiedenalterigen Sporogonien in
den Stand gesetzt wird, eine Altersschätzung des Stämmchens vorzunehmen.
Vielfach kommt es auch, wie ich dies bei P. croceus Mitt. beobachtete, zur Ausbildung
mehrerer, nahe beieinanderstehender Sporogonien an einem Seitenzweige. Auf Längsschnitten
ist jedoch sehr gut zu sehen, daß jene auch hier in ungleicher Höhe entspringen.
Hin und wieder erwecken einige P.-Arten, u. a. P. aristatus Hpe. und P. Abriaquiae
C. M. den Anschein, als ob jeder höhere Abschnitt analog den Gliedern des männlichen
Stämmehens aus dem Mittelpunkt eines Bechers entspränge. Dies kommt dadurch zustande,
daß die Seitensprosse mit besonders kleinen Blättern ihr Wachstum beginnen und es in
der Nähe des Archegoniums mit größeren Blättern beschließen.
Unter allen Polytrichaceen besitzen die Arten der Gattung Dendoligotrichum den
hóchsten Grad der Verzweigung. D. dendroides Hampe, microdendron C. M., mieropus Dusén
und squamosum Hook. et Wils. gehóren gleich unserem Climacium dendroides W. et M.
wegen ihres zierlichen baumfórmigen Habitus zu den anmutigsten Formen der Laubmoose.
Nach Ausbildung eines sehr kräftigen und anatomisch außerordentlich gut differen-
zierten starren und starken Stimmchens kommt es in dessen oberem Teil zur Entwicklung
einer vielverzweigten Krone. Das weibliche Stämmchen schließt nicht mit der Entwicklung
eines Sporophyten ab, sondern erzeugt zunüchst, wie Climacium dendroides W. et M., ein
System von Ästen, an denen die Archegonien entstehen. Jeder folgende Ast ist aber stets
der Seitenast der vorhergehenden, und damit hängt es zusammen, daß die weiblichen
Stämmehen ein ganz anderes Aussehen als die männlichen haben müssen, weil hier, wie
bei allen Polytrichaceen die Scheitelzelle am Leben bleibt und immer wieder neue Sprosse
hervorbringt. Es darf aber nicht verschwiegen werden, daß an Ästen üppiger Kronen
von Dendoligotrichum dendroides hin und wieder, nachdem schon mehrere Antheridien-
becher gebildet worden sind, über diesen doch eine Verzweigung eintreten kann in der
Weise, daß die Äste wiederum „männliche Blütenstànde^ — ich zählte deren mehrere
Male bis zu drei — hervorbringen, es nimmt also diese Art eine Sonderstellung unter allen
Polytrichaceen ein. Männliche Achsen können sich, was bisher unbekannt geblieben sein
dürfte, ebenfalls verzweigen.
!) Solche Exemplare in größerer Anzahl im K. Herbar zu Berlin-Dahlem.
450
Bei Lyellia erispa Hook. habe ich an dem sehr reichlichen Material des K. Herbars
in Berlin nur unverzweigte, weibliche Sprosse vorgefunden. Auch die Dawsonia-Arten
besitzen, von verschwindend wenigen Ausnahmen abgesehen, einfache Stümmchen. Bei
D. intermedia C. M. und longiseta Hampe kommt es hin und wieder zu einer bescheidenen
Astbildung. Goebel bildet auf S. 2 seiner , Archegoniatenstudien* (Flora. Band 96, Heft 1) ein
Stimmchen von Dawsonia superba Grev. ab, das an seiner Spitze sich in zwei kurze Äste
gabelt, von denen jeder ein Sporogon trägt. Solche Gabelung hat der genannte Forscher
öfter beobachtet; er hält es für wahrscheinlich, daß der eine Zweig als Hauptachse, der
andere als Nebenachse aufzufassen ist, es sei aber auch nicht ausgeschlossen, daß diese
Verzweigung ebenso wie die sonst an unverzweigten Baumfarnen (z. B. Dicksonia antarctica)
gelegentlich auftretende auf eine Beschädigung der Sproßspitze zurückzuführen ist. ich
möchte mich der ersteren Auffassung anschließen, wonach hier ausnahmsweise eine ruhende
Sproßanlage zur Entwicklung gelangt ist, weil auch hier ein Sporogon, wie dies bei so
vielen Polytrichaceen vorkommt, den Abschluß bildet. Wie erwähnt, bilden D. intermedia
C. M. und longiseta Hampe hin und wieder Seitensprosse, es ist aber auffällig, daß, wie
die Herbarexemplare ausweisen, bei ziemlich starker Gabelung keine Sporogonbildung
eintrat. In diesen Fällen dürfte es sich tatsächlich um eine Beschädigung der Sproßspitze
handeln, die dadurch in der Entwicklung des Sporogons gehemmt wurde und die tiefer
stehenden ruhenden Axillarknospen zum Austreiben veranlaßte. Von einer Übergipfelung,
wie sie bei den Polytrichadelphusformen und anderen Vertretern der Polytrichaceen normaler-
weise eintritt, kann aber hier nicht gesprochen werden. An den sonst stets unverzweigten
Stämmehen von Polytrichum commune L. kommen hin und wieder auch Verästelungen vor.
Es handelt sich aber stets um durchaus gleich starke Äste, deren Zustandekommen ohne
Zweifel auf einer Verletzung der Sproßscheitelzelle beruht. Es kann aber auch vorkommen,
daß, wie an einem Exemplar von Dawsonia polytrichoides im Berliner Herbar zu sehen ist,
von den im weiblichen Blütenstand vereinigten Archegonien zwei zur Embryobildung ge-
langen, dieser Fall dürfte aber äußerst selten eintreten.
Die meisten Polytrichum-Pogonatum-Psilopilum-Catharinaea- und Oligotrichum-Arten
haben unverzweigte Stümmchen. (Von den oft vorhandenen ruhenden Astanlagen sehe ich
jetzt ab.) Einige Spezies der erstgenannten Gattung, z. B. Polytrichum austro-alpinum C. M.,
polare C. M., plurirameum C. M., hyperboraeum RBr., himalayanum C. M. u. e. a., weichen
jedoch durch reichliche Astbildung ab, vielfach ist der Habitus deutlich baumförmig. Ältere
Exemplare von Polytrichum austro-alpinum C. M. tragen eine Menge Sporogonien ver-
schiedensten Alters, man sieht auf den ersten Blick, daß die Astbildung mehreren Vege-
tationsperioden angehórt und mit der Sporogonbildung gleichen Schritt hált. Ganz anders
bei Polytrichum plurisetum C. M. und polycarpum Schpr. Bei diesen Arten stehen die
Sporogonien meist in größerer Anzahl an der Spitze des Stümmchens dicht gedrängt zu-
sammen; bei P. plurisetum C. M. zählte ich an allen Exemplaren 8—9, bei P. polycarpum
Schpr. bis 5 Kapseln. Diese entwickeln sich in einer und derselben Vegetationsperiode
und rufen den Eindruck hervor, als ob sie, den Antheridien analog, in einem Becher ver-
einigt wären. Wie die Untersuchung ergab, findet im höchsten Teil des Stämmchens durch
die hier zusammengedrüngten kurzen, aber doch in verschiedener Hóhe entspringenden
Sporogonien tragenden Äste eine Verbreiterung des Sprosses statt. Polytrichum pluri-
setum C. M. erschien mir aber noch aus einem anderen Grunde interessant. Die Seten
451
sind nämlich bei dieser Art ziemlich stark hin- und hergebogen, sie erinnern im Verbindung
mit den obersten Stämmchenblättern stark an die Verhältnisse bei Thysanomitrium und
Campylopus.
Ich glaubte, auf die Schilderung der bei den Polytrichaceen auftretenden Verzweigungs-
arten nicht verzichten zu können, weil ich bei den sich anschließenden Mitteilungen immer
wieder darauf zurückkommen muß.
Dem pleurokarpen Climacium dendroides W. et M. entspricht, was den Habitus anbe-
langt, das akrokarpe Dendoligotrichum dendroides Hampe vollständig. Äußerst kräftig gebaute
Achsen dienen bei beiden Arten einer viel verzweigten Krone als Stütze. Die Größe der
letzteren und die Säulen- und Biegungsfestigkeit der Achse stehen bei beiden Arten im
besten Verhältnis. Entwickeln sich bei Climacium dendroides W. et M. aus dem Rhizom
neue Sprosse, so dringen diese ohne jegliche Kronenentwicklung, wie dies jederzeit in der
Natur beobachtet werden kann, zur Höhe der Kronen der ausgebildeten Stämmchen empor
und lassen erst dann die schon sehr gut vorgebildeten, aber noch zwischen den Blättern
des Stämmehens verborgenen Knospen unter dem Einfluß des Lichtes zu Zweigen aus-
wachsen. Ältere Stämmehen dieser Art gehen nach Entwicklung von Sporogonien, die
nicht gerade häufig ist, zu Grunde und werden durch neue ersetzt. Erst also, wenn das
Licht seinen „belebenden“ Einfluß geltend machen kann, vollzieht sich die Streckung der
verborgenen Knospen; dieser Einfluß zeigt sich erst, wenn die Sproßspitze zwischen die
Kronen der älteren Stämmchen gelangt ist. Für Dendoligotrichum dendroides Hpe. dürfen
wir wohl denselben Entwicklungsgang der vegetativen Teile annehmen. Unter den zahl-
reichen Exemplaren des K. Herbars zu Berlin befand sich nur ein Exemplar mit wenig
entwickelter Krone, das Stämmchen war so groß, wie die der übrigen mit stark entwickelter
Krone, welcher Umstand uns erkennen läßt, daß ein prinzipieller Unterschied gegen Climacium
dendroides W. et M. nicht besteht.
Hiervon ganz abweichend verhalten sich die ebenfalls baumförmigen, aber zu dichten
Rasen vereinigten Individuen von Polytrichum hyperboraeum RBr., austro-alpinum C. M.,
polare C. M. u.a. Bei diesen kann von einer starken Stütze, auf der die Krone ruhe, nicht
die Rede sein. Sie erweist sich als überflüssig, denn die einzelnen Pflänzchen stehen dicht
beieinander und bilden kompakte Massen.
Es hat den Anschein, als ob bei diesen Formen die Hauptachsen die Aufgabe, dem
Stämmchen als Stütze zu dienen, gleichsam nur im Nebenamte übernähmen, es fehlt ihnen voll-
ständig an der Kraft, ein einzeln stehendes Stämmehen, wie es bei Dendoligotrichum und
Climacium der Fall ist, zu tragen. Die Hauptachsen sind außerdem verhältnismäßig sehr kurz
— wenn die beiden letztgenannten Arten zum Vergleich herangezogen werden — außerdem
verringert sich ihr Durchmesser nach der Basis hin ganz bedeutend, auch sind sie in auf-
fälliger Weise hin- und hergebogen. Unser Polytrichum alpinum L. ähnelt in vieler Be-
ziehung den genannten Arten, wenn auch bei ihm der baumförmige Habitus nicht immer
so scharf hervortritt. Ich zweifle nicht daran, daß die Hauptachsen in der Jugend einen
aufrechten Wuchs besitzen und daß die Verbiegungen erst später durch das sich stetig
steigernde Gewicht der Krone verursacht werden. Bei Polytrichum alpinum L. ist die
Schlängelung der Achse nur an deren unteren Teilen wahrzunehmen, oben dagegen ist
sie gerade und auch kräftig genug, um nicht von der Last der Krone seitlich verbogen
zu werden. Ein Rasen von Polytrichum hyperboraeum RBr., polare C. M. u. a. darf mit
452
einem Walde im Kleinen verglichen werden, dessen kurzstümmige Kronen dicht aneinander-
stossen, deren Äste ineinandergreifen und das Umfallen der Stümmchen verhindern; die
Achsen dienen hier nur als Befestisungsmittel der Pflänzchen im Boden und verhindern,
daß der Wind den ganzen Wald wegfest.
Die genannten dendritisch verzweigten Formen sind in ihrem Vorkommen sämtlich
an arktische Breiten und bedeutende Höhenlagen gebunden, ein Umstand, der wohl der
Beachtung wert ist. In mehrfacher Beziehung erinnern sie an den Wuchs alpiner Pflanzen,
das Zwerghafte und Kümmerliche ihrer Erscheinung, die kurzen Hauptachsen, das Bestreben,
viele Äste zu bilden, die Tendenz, in einer langen Reihe von kurzen Vegetationsperioden
unter nieht sonderlich günstigen klimatischen Bedingungen zahlreiche Sporogonien zu ent-
wickeln, wodurch die Existenz der Art gesichert wird, in allen diesen Punkten finden wir
Anklänge an höhere Pflanzen, die alpine Regionen und hohe Breiten der Erde bewohnen.
Wohl alle unverzweigten Polytrichaceenstümmchen beschließen mit der Ausbildung
des Sporophyten ihr Dasein. In der Natur hat man oft genug Gelegenheit, dies zu beob-
achten. An Stellen, wo man früher stets fruchtende Rasen zu finden gewohnt war, sind
solche nicht mehr anzutreffen. Derartige Rasen machen einen ruinenhaften Eindruck, ihr
frisches Grün ist dahin und an seine Stelle ist eine welke Farbe getreten. An derselben
Lokalität kann man unter Umständen später wieder fruchtende Exemplare in üppigster
Entwicklung sammeln. Der Rasen hat sich zum Teil erneuert und zwar aus Trieben, die
er aus der Tiefe zum Lichte emporsandte. Die schwellenden Polster des im Grunewaldmoor
massenhaft vorkommenden Polytrichum gracile Dieks. boten Gelegenheit, die einschlägigen
Verhältnisse zu studieren. Reißt man ein Polster, das in größter Massenhaftigkeit Sporo-
conien hervorgebracht hatte, heraus, so nimmt man sofort eine Massenentwicklung von
Innovationssprossen wahr, die mit dichtem, weißlichen Filz ausgestattet sind. Ein Stämmehen
erzeugt meist mehrere solcher Sprossen. Diese dringen zum Lichte empor, und indem sie
sich mit den älteren Stümmchen zu einem dichten Polster vereinigen, treten sie über die
Oberfläche des Polsters hervor. Sie entwickeln Laubblätter und können zur Kapselbildung
schreiten. So ragen die Stümmchen eines Polsters um einen gewissen Betrag über die
Trümmer der Sprosse empor, an denen sie entstanden.
Als ich oben die Verzweigungsart von Polytrichadelphus darlegte, wies ich darauf
hin, dal hier der neue Sproß stets unmittelbar unter der Spitze des mit einem Sporogon
abschließenden Stämmchens hervorsprießt und in der Verlängerung des letzteren fortwächst,
so daß es aussieht, als ob ein unverzweigtes Stämmchen vorläge. Stellen wir uns vor,
bei dem riesigen Polytrichadelphus giganteus C. M. und ciliatus Mitt. z. B. würden die Ver-
zweigungen in der natürlichen Länge unter einem Winkel von ca. 30° gegen die jeweilige
Hauptachse geneigt seitwärts in die Höhe wachsen, so wird uns sofort klar, daß die Existenz
des Stümmehens nicht denkbar ist. Wenn nun diese oft wiederkehrende Anfügung nach
dem sympodialen Typus auch noch in der Form einer Schraubel sich vollzieht, indem die
Scheinachsen immer nach derselben Seite hin entwickelt werden, wie es in der Tat bei
manchen Polytrichadelphusarten der Fall zu sein scheint, — ich sage ausdrücklich: scheint!
— so ist der Bestand eines mit schweren Ästen beladenen primären Stämmehens erst recht
nicht denkbar. Ein kräftiger, längerer primärer Sproß könnte wohl einem Komplex kürzerer,
auseinander hervorgehender Seitenzweige, die die Anordnung einer Schraubel aufweisen
und unter einem kleinen Winkel gegen die jedesmalige Hauptachse geneigt sind, als Stütze
453
dienen, nicht aber vermag er diese Last zu tragen, sobald die Äste eine gewisse Länge
überschreiten. Vom rein mechanischen Standpunkt aus betrachtet, unterscheiden sich also
die unverzweigt erscheinenden Stämmchen vieler Polytrichadelphusarten in nichts von dem
einfachen Sproß unseres Polytrichum commune L. In beiden Fällen gelangt ein einheitlicher,
peripherischer, mechanisch festigender, auf Säulen- und Biegungsfestigkeit in Anspruch
genommener Hohlzylinder zur Verwendung.
Bei Polytrichadelphus prolificans C. M. liegen die Verhältnisse anscheinend anders.
Im K. Herbar zu Berlin finden sich Exemplare dieser Art von durchaus verschiedenem
Habitus. Die größeren Stümmchen sind stark hin- und hergebogen und tragen längere
Sprosse, die nicht in der Richtung der Achse, aus der sie hervorgingen, weiterwuchsen,
sie sind im Gegenteil unter größerem Winkel gegen diese geneigt. Diese Zweige fallen,
mit denen der übrigen Polytrichadelphusarten verglichen, durch ihre große Zartheit auf,
die an ihnen inserierten Blätter nehmen von unten nach oben allmählich an Größe zu. Sie
machen durchaus den Eindruck von Stolonen, die sich möglicherweise loslösen und die Art
auf vegetativem Wege vermehren. Bestimmtes vermag ich aber darüber nicht mitzuteilen.
An dieser rein mechanischen Auffassung könnte man sich genügen lassen. Es dürfte
aber eingewendet werden, daß hiermit noch lange keine ausreichende Erklärung für die
Tatsache gegeben ist, daß der Tochtersproß unter Beiseiteschiebung der Spitze des Mutter-
sprosses die Führung des letzteren übernimmt. Vom physiologischen Standpunkt könnten
Licht- und Schwerkraftsreize zur Erklärung in Anspruch genommen werden. Da aber die
Spitzen der Seitensprossen stets den höchsten Punkt einnehmen, weil sie unmittelbar unter
der Spitze des älteren Sprosses entspringen, so ist wohl dem Einfluß des Lichtes ein geringerer
Anteil bei der Entwicklung des Seitensprosses zuzuschreiben. Ohne Zweifel entwickelt sich
eine der höchsten ruhenden Astanlagen zu einem neuen Triebe, was bei anderen Polytrichaceen,
die auch solche ruhenden Knospen besitzen, niemals vorkommt. Warum bei Polytrichadelphus
das Licht auf eine solche ruhende Astanlage einen anderen Einfluß ausüben soll als auf
eine solche von Polytrichum commune L., ist nicht einzusehen, und diese wie zahlreiche
andere Polytricha schließen doch ebenfalls die Entwicklung des Sprosses mit der Entwicklung
des Sporogoniums. Meines Erachtens ist hier, wie bei den vóllig im Dunkeln empordringenden
Innovationssprossen von Polytrichum gracile Dicks. eine richtende Kraft in Anspruch zu
nehmen, ich wage es aber nicht, für diese hier eine Bezeichnung zu wühlen. Haben sich
diese Sprosse in die Region erhoben, wohin der Einfluß des Lichtes reicht, so tritt auBer-
dem eine Änderung in der Divergenz der Blätter ein. Sie zeigten bisher die Divergenz
l[; in bester Ausbildung, durch die Scheiteltorsion (Correns) werden sie in eine zum Lichte
vorteilhaftere Lage gebracht, die nur durch eine Änderung in der Divergenz erzielt werden
kann. Der Querschnitt des Stämmchens, bisher dreiseitig, wird in einen polygonalen über-
geführt. In der Finsternis konnten sich derartige Einflüsse nicht geltend machen, der
Segmentation der Scheitelzelle entspricht die Divergenz !/s und die dreiseitig-prismatische
Gestalt des Stämmchens.
Das jüngste und deshalb plastischste Gewebe enthält die Sproßspitze. Bricht nun,
wie dies bei Polytrichadelphus der Fall ist, der Seitensproß unmittelbar unter der Stämmchen-
spitze hervor, so kann er, weil die Zellen der Muttersproßspitze noch nicht in den Dauer-
zustand übergegangen sind, diese leicht zur Seite drücken und selbst die Verlängerung der
Achse übernehmen. Entstände der Seitensproß in tiefer gelegenen Regionen, so wäre er
Abh.d.II.Kl.d.K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 59
454
dazu nicht imstande. Der Seitensproß muß sich also gleichzeitig mit dem Sporogon ent-
wickeln, was auch der Fall ist.
Wie bereits hervorgehoben wurde, entstehen die wirklichen Laubblätter an den Inno-
vationssprossen erst in der lichterfüllten Sphäre, von der die Bildung des Chlorophylls ab-
hängt. Je weniger Licht in die von den erwachsenen Stümmchen gebildeten Räume ein-
dringen kann, um so niedriger die Organisationsstufe, auf der die Blätter der Innovations-
sprosse stehen. Es ist nicht anzunehmen, daß die reduzierten Blätter dieser Sprosse unter
allen Umstünden sich entwickeln, da& sie erst in bestimmter Hóhe den Übergang von den
Niederblättern zu den Laubblättern vollziehen könnten. Richtet man die Versuche so ein,
daß noch jugendliche Innovationssprossen, die unter normalen Verhältnissen erst in be-
deutender Höhe zur Bildung von Laubblättern geschritten wären, von den sie-umgebenden,
erwachsenen, alten Stümmchen des Rasens befreit werden, daß sie also mit den Spitzen
aus den gekürzten Sprossen ihrer Umgebung hervorschauen, so schreiten sie sofort zur
Bildung von Laubblättern, ein meines Erachtens vollgültiger Beweis dafür, daß das Licht die
gestaltändernde Kraft in sich verborgen hielt und daß die Polytrichaceen wie fast alle
Laubmoose einen hohen Grad von Plastizität besitzen, auf die schon öfter von anderen
hingewiesen wurde, eine Plastizität, von deren genauer Erforschung wir uns noch eine
große Reihe wichtiger Ergebnisse versprechen dürfen.
In dem im Grunewald gelegenen Teufelsfenn, an dessen westlichem Rande äußerst
üppige Rasen von Polytrichum commune L. weite Flächen überziehen, hatte die Natur selbst
physiologische Experimente angestellt, so daB ich nur nötig hatte, das Resultat derselben
mir zu eigen zu machen. Zwischen den hohen Stämmchen dieser Art fanden sich in ver-
schiedener Höhe vielfach kleinere Moorbrocken — wie diese dorthin gekommen, vermag
ich nicht zu sagen, wahrscheinlich waren sie durch austreibende höhere Pflanzen empor-
gehoben worden und zwischen den Stümmchen hängen geblieben, — aus denen kräftige
Seitensprosse von bedeutender Länge, die meines Wissens bei Polytrichum commune L. nicht
vorkommen, hervorragten. Die Moorteilchen hatten sich in den Blattwinkeln festgesetzt
und die ruhenden Astanlagen zum Austreiben veranlaßt. Diese hatten ein geeignetes Substrat
gefunden, in dem sie austreiben und zu einem kräftigen Sproß auswachsen konnten. Hier
hatten also, wie wohl kaum zu bezweifeln sein dürfte, die Moorstückchen die ruhenden
Astanlagen zur Weiterentwicklung veranlaßt, also einen Reiz auf sie ausgeübt. Oft waren
diese Sprosse mitten durch den umfangreichen Moorbrocken hindurchgewachsen. Ob hier
nur ein Ausnahmefall vorliegt oder ob Polytrichum commune L. solche Innovationssprosse,
die sich später vielleicht vom Muttersproß loslósen, öfters produziert, muß ich dahingestellt
sein lassen.
Bei den vollständig im Dunkeln des stark verfilzten Polsters von Polytrichum gracile
Dieks. heranwachsenden Innovationssprossen, die an ihrer Oberfläche reichlich mit dichtem,
weißlichen Rhizoidenfilz überzogen sind, ist von den reduzierten Niederblättern äußerlich
kaum etwas wahrzunehmen. Der gänzliche Lichtmangel verhindert hier eine stärker diffe-
renzierte Ausbildung der Niederblätter, wie sie bei anderen Polytrichaceen, deren Vor-
kommen an andere Örtlichkeiten gebunden ist, zu beobachten sind. Wir sind bei jeder
Polytrichaceenart, wenn wir die Verhältnisse, unter denen sie gedeihen, berücksichtigen,
in der Lage, zu entscheiden, auf welcher Entwicklungsstufe die Niederblütter stehen. Wie
früher bereits bemerkt wurde, fehlt diesen Niederblättern das für die Laubblätter zahlreicher
CN
TEN
T
455
Polytrichaceen charakteristische Schwellgewebe, weil sie in der, man kann sagen, immer-
feuchten Atmosphäre nicht in die Lage kommen, zum Schutze gegen übermäßige Trans-
spiration eine Trockenstellung einnehmen zu müssen.
Auf die schon öfter erwähnten ruhenden Astanlagen bei Polytrichaceen hat wohl zuerst
Correns!) aufmerksam gemacht. Er sagt darüber: „Polytrichum commune besitzt, wie
P. formosum, ruhende Astanlagen von ganz eigenartiger Ausbildung (Polytrichum-Typus):
es sind wirkliche, oft etwas verzweigte, freilich kurz bleibende Äste mit reduzierten Blättern,
die unter den das Stämmchen bedeckenden Blattscheiden versteckt stehen. Sie sind mit
einer guten Lupe leicht zu finden.
a. — 19 — 30 — 41 — 56 — 68 — 82 — 94 — 106 — 118 — 130.
b. — 13 — 28 — 40 — 52 — 64 — 77 — 89 -- 101.
e. — 3 — 15 — 27 — 39 — 53 — 67 — 88 — 87 — 109 — 133
— 145 — 158 — 172. — 137.
Es ist ganz auffällig, daß hier am häufigsten das zwölfte Blatt (3 »« 4!) eine Astanlage
bildet. Zu Ende der einen und zu Beginn der neuen Vegetationsperiode ist der Abstand
größer und wird die Stellung unregelmäßig. Deshalb enden alle Sprosse (am 1. April
gesammelt) unregelmäßig und fangen a) und b) auch so an, während an dem längsten
Stück c), bei dem also weiter unten mit dem Zählen begonnen werden konnte, zu unterst
je das zwölfte Blatt eine Astanlage trägt und die Unregelmäßigkeiten erst weiter oben,
in einer auch in der Beblätterung abweichenden Zone, von Blatt 39 an beginnen‘.
Ich kann die Richtigkeiten dieser Angaben bestätigen. Die Frage nach der Bedeutung
dieser seltsamen Organe ist aber nicht leicht zu beantworten. Fast alle Polytrichaceen
bringen wohl derartige Astanlagen hervor, die sicher bei der Erzeugung von Innovations-
sprossen eine wichtige Rolle spielen, auch mögen Astbildungen, die z. B., wenn auch meist
in bescheidenem Maße, bei vielen Polytrichum- und Pogonatum-Arten vorkommen, auf das
Austreiben solcher ruhenden Astanlagen zurückzuführen sein. Den oben mitgeteilten Fall,
der bewies, daß unter bestimmten Verhältnissen auch die Astanlagen von Polytrichum
commune L. austreiben können, möchte ich aber doch zu den Ausnahmefällen rechnen-
Was stellen nun diese Organe bei Polytrichum commune L., formosum Hedw. u. a. dar?
Ihr zartes Stengelgewebe, ihre sehr stark reduzierten Blätter sind wohl fähig, Wasser zu
speichern, sie aber für Wasserreservoire anzusprechen, ist doch etwas gewagt. Ihre ver-
steckte Lage innerhalb der Blattscheiden läßt sie aber wieder als wasserhaltende Werkzeuge
erscheinen, doch ist anderseits ihre Größe so gering, daß für den umfangreichen Organismus
eines Stämmchens ein besonderer Nutzen für es sich nicht ergeben kann. Es muß dahin-
gestellt bleiben, ob man in ihnen die kümmerlichen Überreste einer früheren reicheren
Astbildung bei den Polytrichaceen zu erblicken hat oder ob es Organe sind, die sich in
fortschreitender Entwicklung befinden.
Es war zu erwarten, daß diese ruhenden Astanlagen sich zur Weiterentwicklung
bequemen würden, sobald die Stimmchen, der Scheitelzelle beraubt, ihr Spitzenwachstum
einzustellen gezwungen werden. Zahlreiche Stämmchen von Polytrichum commune L., die
1) Correns, Über Scheitelwachstum, Blattstellung und Astanlagen des Laubmoosstämmehens. Fest-
schrift für Schwendener. 1899, 8.405. Correns, Untersuchungen über die Vermehrung der Laubmoose
durch Brutorgane und Stecklinge. Jena, 1899, S. 389.
59%
456
ae ich in einer mit Feuchtigkeit gesättigten
en zc Atmosphäre kultivierte, wurden in gleicher
et ZI - Höhe durchschnitten. Nach einiger Zeit
: Zur == traten aus den Achseln mehrere zarte Sprosse
BTL i & GE hervor, deren basaler Teil sich durch den Be-
DE eu & sitz sehr reichlicher Rhizoiden auszeichnete.
a a \ Die Primärblätter, jedoch nur die unteren,
u gs | trugen auf der Rückenfläche Rhizoiden, aber
Du nur in geringer Anzahl, während solche an
Fig. 1. den oberen Blättern nicht nachzuweisen
waren. Es durfte nun nicht ohne weiteres
angenommen werden, daß die neuen Sprosse die ausgewachsenen, ruhenden Astanlagen
darstellten, denn die Möglichkeit, daß durch den operativen Eingriff die Bildung neuer
Organe in die Wege geleitet werden würde, war auch vorhanden. Es stellte sich aber
heraus, daß es sich in der Tat um die von Correns beschriebenen Axillarsprosse handelte,
denn in der Regel war der junge Trieb um je zwölf Blätter von der tiefer stehenden
ungeweckten Astanlage entfernt. Es mußte auffallen, daß die Stämmchen meist nur die
st,
höchststehenden ruhenden Astanlagen zur Weiterentwicklung brachten. Die übrigen blieben
stets ungeweckt. Es ist außerdem von Interesse, daß die auswachsenden Sprosse, denen
doch reichlich Feuchtigkeit zur Verfügung stand, zu sehr reichlicher Rhizoidenbildung
schritten, die eine flockige, weiße Masse bildeten und oft sehr bedeutende Länge besassen.
Die jungen, noch ruhenden Astanlagen sind in der Tat oft verzweigt, wie aus Fig. 1,
die einen Querschnitt durch die Hauptachse b und die beiden Nebenachsen a vorführt, zu
457
ersehen ist. An der Astnatur ist also nicht zu zweifeln. Die Rhizoiden sind, wie man
an Längs- und Querschnitten feststellen kann, mit sehr stark verdickten Membranen aus-
gestattet, so daß das Lumen sehr klein ist.
Den Raumverhältnissen zwischen Blattscheide und Stämmehen entsprechend ist die
Hauptachse der ruhenden Astanlage stark zusammengedrückt (Fig. 1b), und auch die kurzen
Seitenäste richten sich in ihrer Lage nach dem zur Verfügung stehenden Raum. Ein aus
diekwandigen Zellen, dem Querschnitt in seiner Gestalt entsprechender, gut ausgebildeter
Zentralstrang ist vorhanden, er unterscheidet sich aber von dem des Stämmchens durch den
fast vollständigen Mangel der sogenannten Hydroiden. (Fig. 2a zeigt deren nur zwei.)
Wenn wir berücksichtigen, daß die ruhenden Astanlagen unter normalen Verhältnissen
nicht austreiben, so erscheinen derartige typische Wasserleitungszellen auch ganz über-
flüssig. Dem Zentralzylinder ist hier, wie es scheint, ausschließlich die Aufgabe der mecha-
nischen Festigung des Sprosses zugewiesen. Weiter fehlt im Gegensatz zur Achse des
Stämmchens der aus zartwandigen und farblosen Zellen — die Membranen des zentralen
Gewebes sind bräunlich — bestehende, mehrschichtige Hohlzylinder, den man als zum
Zentralzylinder gehörig betrachtet, auch ist das Grundgewebe ganz anders als bei der
Stämmehenachse ausgebildet. Dieses ist nicht einheitlich, sondern zerfällt in sechs mit-
einander abwechselnde Gewebepartieen (Fig. 2), von denen je drei mit stärkeren Membranen
versehen sind (Fig. 2b) und die Verbindung zwischen dem Zentralstrang und den drei
umfangreichen Gruppen (Fig. 2c) peripherisch gelegener steréider Zellen herstellen. Diese
sind weiter nichts als die in das Stämmcehengewebe übergehenden mechanischen langgestreckten
Zellen der reduzierten Blätter. Die Peripherie selbst ist nicht, wie bei der Stämmchen-
achse, besonders mechanisch gefestigt. Die drei Blattspuren, durch die erwähnten Brücken
mit dem Zentralstrang verbunden, reichen zur mechanischen Festigung des Sprosses, besonders
aber, wenn dieser austreiben sollte, vollständig aus. Noch einfacher liegen die Verhältnisse
bei den kurzen Ästen, die an der Achse der ruhenden Astanlage entspringen. Die drei
Blattspuren (Fig. 3) sind überall deutlich zu erkennen. Von einer Differenzierung des Gewebes
kann aber hier überhaupt nicht mehr gesprochen werden. ;
Etwas höher hinauf ändert sich zunächst der Querschnitt der Hauptachse der ruhenden
Astanlage. Er nähert sich mehr und mehr der Kreisgestalt (Fig. 4). Immer noch überwiegt
räumlich der Zentralstrang sehr stark, es kommen aber jetzt die drei zu ihm hinführenden,
mit kräftigen Membranen versehenen Gewebemassen in Wegfall. Wir finden ein einheit-
liches, zartwandiges Grundgewebe, das von den drei Blattspursträngen unterbrochen wird.
Stark verdickte Rindenzellen fehlen, nur die Außenwand ist etwas verdickt.
Die Astanlagen verschiedener Polytrichumarten verhalten sich unter sonst gleichartigen
äußeren Bedingungen durchaus verschieden, wie eine längere Reihe von Versuchen auswies.
Ich legte eine größere Anzahl gleich langer Stämmchen von Polytrichum commune L.
und gracile Dicks. — je sechs von beiden Arten — parallel auf eine kreisrunde Kartonscheibe
und nähte sie an mehreren Stellen fest, und zwar so, daß alle Teile der Kartonscheibe dicht
anlagen. Diese Scheiben ließ ich auf gleichgroßen Korkplatten auf Wasser schwimmen.
In den Gefäßen, die nicht luftdicht verschlossen waren, herrschte genügende Luftfeuch-
tigkeit. Auch waren die Kartonscheiben durch ihre Berührung mit dem Wasser stets mit
solchem getränkt, so daß ein Eintrocknen ausgeschlossen war. Das Wasser wurde täglich
erneuert.
458
Die Stämmchen von Polytrichum commune L. wurden durch die horizontale Lage nicht
veranlaßt, die ruhenden Astanlagen zu entwickeln. Dagegen setzte die Sproßspitze ihr
Wachstum fort, indem sie sich scharf unter einem rechten Winkel gegen die Horizontale
erhob. Ganz anders verhielten sich die Versuchsobjekte von Polytrichum gracile Dicks.
Hier stellte die Sproßspitze ihr Wachstum ein, dagegen brachen an zahlreichen Stellen
eines jeden Stämmchens zarte Triebe hervor, die nichts anderes als die geweckten ruhenden
Astanlagen darstellten, wie eine genauere Untersuchung ergab. Es genügt mir, die Tat-
sachen mitgeteilt zu haben. Auf theoretische Erörterungen lasse ich mich nicht ein, weil
ich überzeugt bin, daß nichts dabei herauskommt.
Sehr bemerkenswerte Resultate lieferte eine große Anzahl von Versuchen!) die ich mit
Stämmchen von Polytrichum commune L., gracile L., formosum Hedw., Dawsonia superba Grev.,
Lyellia crispa Hook., Polytrichadelphus semiangulatus Mitt., Dicranum undulatum Hedw. und
Climaeium dendroides W. et M. anstellte. Über die Art und Weise der Versuchsanstellung
kann ich mich hier nicht auslassen, ich will nur mitteilen, da& die Versuchsanstellung eine
sehr mannigfaltige war, durchaus abhüngig von der Frage, die beantwortet werden sollte.
Es ergab sich, daß die Stämmchen der genannten Arten bei Verlust der Feuchtigkeit
Torsionen ausführten, und zwar oft sehr ausgiebige. So drehten vier 7 cm lange Stämmchen
von Polytrichum formosum Hedw. um Winkel von 290°, 350°, 340° und 215°, bei Poly-
trichum commune L. betrugen die Torsionswinkel ca. 90° (sechs je 5 cm lange Stämmchen).
Aber die Stümmchen einer und derselben Art drehen seltsamer Weise nicht, wie man erwarten
sollte, in derselben Richtung. Von 26 Stümmchen von Polytrichum commune L. drehten
22 Exemplare nach links, vier nach rechts, von 18 Stämmchen von Polytrichum gracile Dicks.
führte die Hälfte Drehungen nach links, die übrigen solche nach rechts aus. Bei Lyellia
crispa Hook. drehten von 20 Stämmchen 13 nach links, vier nach rechts, während bei drei
I) Lorch, Berichte der Deutsch. Bot. Ges. 1908. Heft I.
459
Stämmehen kein deutlicher Ausschlag erfolgte. Mit Polytrichadelphus semiangulatus Mitt.
habe ich zehn Versuche angestellt, sechs Stämmehen drehten nach links, vier nach rechts.
Dieranum undulatum Hedw. und Climacium dendroides W. et M., zwei den Polytrichaceen
fernstehende Arten, führen ebenfalls bei Wasserverlust Torsionen aus. Von der erstgenannten
Art tortierten 13 nach rechts, sieben nach links.
Eine weitere Reihe von Experimenten zeigte, daß die Torsion an entblätterten Stämmchen
früher eintritt und daß an beblätterten Sprossen die Torsionserscheinungen sich einstellen,
sobald die Blätter in die Trockenstellung übergegangen sind.
Es könnte vermutet werden, daß der Sinn der Torsion und der Grad der Ablenkung,
also die Größe des Drehungswinkels von den Blättern beeinflußt würde. Dies ist jedoch
nicht der Fall. Jugendliche Stämmchen, die aus dem Rhizom oder aus unteren Stämmchen-
teilen hervorgehen und noch keine typischen Laubblätter aufweisen, haben ebenfalls die
Fähigkeit, Torsionen auszuführen und zwar drehen sie, wie ich an Polytrichum formosum
Hedw. feststellte, oft in entgegengesetztem Sinne, genau wie die fertigen Sprosse.
Längere Stámmchen — denn diese eignen sich zu diesen Experimenten am besten —
führen nur in den eintrocknenden Teilen Drehungen aus. Man kann ganz nach Belieben
Teile von hinreichend langen Sprossen zur Drehung veranlassen und diese durch Befeuchtung
an anderen Teilen verhindern.
An gleich langen Sproßstücken zwischen je zwei Antheridienbechern der Stämmchen
von Polytrichum commune L. nimmt die Größe des Drehungswinkels allmählich nach unten-
hin ab. Es ist dies abhängig von dem Alter des Gewebes. Der jüngste Abschnitt besitzt
mehr Torsionskraft als der nächst tiefer gelegene.
Der Dichtigkeitsgrad der Beblätterung ist bei Individuen derselben Art oft sehr ver-
schieden. Er übt auf die Torsion einen Einfluß derart aus, daß dichter beblätterte Sprossen
um kleinere Winkel drehen, als solehe mit lockerer Beblätterung.
Wie es scheint, ist bisher ganz übersehen worden, daß es bei vielen Polytrichaceen
Stämmchen mit links- und mit rechtsläufiger Blattspirale gibt. Diese Verschiedenheit in der
spiraligen Anordnung übt, wie ich durch zahlreiche Versuche an Polytrichum commune L.
feststellte, einen bestimmenden Einfluß auf den Sinn der Torsion aus. Stämmchen mit rechts-
läufiger Spirale drehen nach rechts, solche mit linksläufiger in entsprechender Richtung.
Immer aber ist der Ausschlag nach links größer als der nach rechts, auch das Tempo der
Torsion nach links ist ein schnelleres. Zur Erklärung der Rechts- und Linksläufigkeit der
Blattspirale bei Stämmehen derselben Art kann meines Erachtens nur das Verhalten der
Scheitelzelle herangezogen werden. Wahrscheinlich scheidet sie ihre Segmente das eine
Mal im Sinne des Uhrzeigers, das andere Mal im entgegengesetzten Sinne ab.
Wunderbar ist, daß in einem und demselben Stämmcehen mehrere Torsionsmöglichkeiten
vorhanden sein können. Untersuchungen nach dieser Richtung hin lieferten das Ergebnis,
daß die verschiedenen Torsionsmöglichkeiten immer an die in einer und derselben Vegetations-
periode erzeugten Sproßteile gebunden sind.
Höchst eigenartig ist auch das Verhalten der Haupt- und Seitensprosse von Dieranum
undulatum Turn. In vielen Fällen war der Sinn der Torsion bei beiden derselbe, vielfach
war aber auch das Gegenteil der Fall. Eine gesetzmäßige Beziehung der Drehungserscheinungen
bei dieser Art ließ sich nicht feststellen.
460
Die Blätter.
Die Lamellen.
Wenn auch die vegetative Organbildung bei den Laubmoosen im Gegensatz zu der
reicheren Gliederung des Vegetationskörpers der Lebermoose eine verhältnismäßig geringere
Mannigfaltigkeit aufweist, wenn auch bei ersteren ein und derselbe Typus der Gliederung
des Vegetationskörpers, der des beblätterten Stämmehens, im wesentlichen überall wieder-
kehrt,!) so darf doch nicht übersehen werden, daß auch in der Reihe der Laubmoose sehr
eigenartige Bildungen zur Entwicklung gelangen, von denen bei den Hepaticae bisher nur
zwei analoge Fülle — Gottschea Blumei u. a.”) und Jungermannia lamellata Hook.?) —
bekannt geworden sind. Hierher rechne ich u. a. die an den Blättern der Polytrichaceen
und einiger Pottiaceen auftretenden Lamellen und die verzweigten Fäden an der Blattober-
fläche mehrerer Barbula-Arten. Zahlreiche Forscher, unter ihnen vor allem L. C. Treviranus,*)
C. Müller-Hal.’) und P. G. Lorentz‘) haben sich für diese charakteristischen Emergenzen
der Laubmoosblütter interessiert und ihre Beobachtungen in ziemlich ausführlichen Ver-
öffentlichungen niedergelegt. Trotzdem muß unsere Kenntnis, besonders was die biologische
Deutung der Lamellen anbelangt, als der Vervollständigung und Verbesserung durchaus
bedürftig bezeichnet werden. Auch in Bezug auf Entwicklungsgeschichte und Morphologie
der Lamellen herrscht noch vielfach Unklarheit. Wenn ich nun den Versuch mache, einige
der vorhandenen Lücken auszufüllen und die biologische Bedeutung der Lamellen in das
rechte Licht zu setzen, so bin ich mir der Schwierigkeit der Aufgabe, eine in jeder Beziehung
befriedigende Erklärung zu geben, wohl bewußt, weshalb ich bitte, meine Darlegungen
einer wohlwollenden Prüfung und nachsichtigen Beurteilung zu unterwerfen. Bei vielen
Untersuchungen biologischer Art können nur dann befriedigende Resultate erzielt werden,
wenn außer dem zu behandelnden Gegenstande selbst auch alle ferner liegenden Momente
herbeigezogen werden, die geeignet erscheinen, den gegebenen Darlegungen einen möglichst
hohen Grad von Wahrscheinlichkeit zu verleihen.
J. Hedwig war wohl der erste,") der Lamellen an einer Polytrichumart, und zwar an
Polytrichum nanum Schreb., beobachtete. Ihm war die bedeutende Dicke der Blattrippe
bei dieser Art aufgefallen, auch war ihm nicht entgangen, daß die Rippe an der Oberseite
— Querschnitt — nach der Spitze hin Erhabenheiten und zahnartige Vorsprünge besitzt,
was er an den Abbildungen zum Ausdruck bringt.) Eine ähnliche Beobachtung machte
1) K. Göbel, Organographie der Pflanzen. Teil II. HeftI. Bryophyten. S. 235.
2) Göbel, Archegoniatenstudien. Beiträge zur Kenntnis australischer und neuseeländischer Bryo-
phyten. Flora, Bd. 96, Heft 1, S. 111.
3 Hooker, Musci exotici. Bd. I. Tab. XLIX.
4) L. C. Treviranus. Über den Bau einiger Laubmoosblátter. Linnaea, 1841, S. 303—309. Mit 1 Tafel.
5) C. Müller-Hal. Über die Lamellen der Laubmoosblätter. Linnaea, 1844, S. 99—111. Mit 1 Tafel.
6) P. G. Lorentz. Moosstudien. 8.20—25. Tafel4. Leipzig, 1864, und Grundlinien zu einer ver-
gleichenden Anatomie der Laubmoose. Pringsheims Jahrbücher für wissenschaftliche Bot. Leipzig, 1867 bis
1868, S. 368—466.
7) In der „Historia muscorum* des Joh. Jac. Dillenius, Oxford, 1741, findet sich keine, die Lamellen
betreffende Notiz.
8 Hedwig. Beschreibung und Abbildung der Laubmoose. I. 38. Tom. XIII, 8.6—8. II.
BE,
461
er an Oligotrichum hereynicum Ehrh.!) Wahlenberg?) bestätigt die Beobachtung Hedwigs
und sagt in Bezug auf diese Art und Psilopilum arcticum Brid., daß die untere armschichtige
Partie der Blätter nach der Spitze hin eine wellenförmige Ausbildung erfahre und einen
Heischigen Rücken bilde, was bei anderen Moosen bisher nicht beobachtet worden sei. Robert
Brown?) und später C. Müller?) sprachen die Vermutung aus, daß wahrscheinlich an der
Oberseite der Blätter aller Polytrichaceen wie bei Dawsonia und Lyellia sich Lamellen
nachweisen lassen würden, und daß diese bei mehreren Arten nicht nur die Nerven selbst,
wie die Muscologia Britannica annimmt, sondern auch einen größeren Teil der Blattfläche
— also der laminaren Partie — einnehmen. Sehwügrichen?) wies bei mehreren Poly-
trichumarten, wie P. elatum, adpressum, piliferum u. a., Lamellen an der Blattoberseite
nach und deutete sie als Faltungen der Blattrippe. Eine weitere Bereicherung unserer
Kenntnis bezüglich der Lamellen verdanken wir Treviranus, der außer einigen exotischen
Arten alle deutschen Formen untersuchte und überall Lamellen vorfand. In seiner Arbeit
“Über den Bau einiger Laubmoose* widmet er diesem Gegenstand mehrere Seiten. Er ver-
breitet sich ziemlich ausführlich über die gegenseitige Lage, Anordnung, Zahl und Anatomie
der Lamellen sowie deren Verhältnis zur Blattrippe. Hedwig hatte früher an der Ober-
fläche der Blätter von Pottia cavifolia Ehrh. (Gymnostomum ovatum Hedw.) eine zusammen-
hängende Masse von körniger Beschaffenheit beobachtet, die bei den Verfassern der Bryologia
Germanica, in der wunderbarer Weise die Lamellen von Pottia subsessilis Br. Eur. richtig
dargestellt sind, sich zu einer Art Auftreibung der Blattrippe, zu einer Art Kapsel ent-
wickelt, deren Innenraum mit freien Körnern ausgefüllt war. Treviranus zeigte aber an
Querschnitten durch die Blätter von Pottia cavifolia Ehrh., daß man es hier mit längs-
laufenden Lamellen, in ähnlicher Art und ähnlichem zelligen Bau wie bei Polytrichum
und Lyellia zu tun habe.
Obwohl zu der Zeit, als Treviranus und C. Müller ihre Beobachtungen über die Lamellen
veröffentlichten, biologische Fragen nur höchst selten das Interesse der Forscher in Anspruch
nahmen, so forderten diese höchst eigentümlichen Zellflächen und Zellfäden, wie man sie
bei zahlreichen Polytrichaceen, bzw. einigen Barbula-Arten angetroffen hatte, gebieterisch zu
einer biologischen Deutung heraus. Beide Forscher haben sich denn auch dieser Auf-
forderung nicht entziehen können, und es ist erfreulich zu sehen, wie schon damals, wenn
auch nur vereinzelt, das Bedürfnis sich geltend machte, jenen Bildungen ihre Stellung als
Werkzeuge im Dienste des Gesamtorganismus anzuweisen.
Treviranus wagt sich an eine biologische Deutung der Lamellen nicht heran, er sagt
darüber:°) „Es ist demnach schwer zu sagen, was für ein Bedürfnis der Natur ein so ver-
einzeltes Vorkommen des beschriebenen Baues veranlassen móge. Als eine anfangende
Entwicklung — es ist zuvor die Rede von den dorsalen Lamellen bei Campylopus-Arten
— der bei den zusammengesetzteren Organismen so eigentümlichen Struktur der oberen
Blattfläche zu denken, dürfte zu gewagt sein; dienen also jene Lamellen etwa, die Feuch-
1) A. a. O. 44.
2) Wahlenberg, Flora Lapponica 429. T. XXII.
3) Robert Brown in Linnean Transactions, XII, 566.
5 C. Müller, Über die Lamellen des Laubmoosblattes. Linnaea, 1844, S. 100.
5 Schwägrichen. Supplem. II, Vol. II 4—7, tab. 151—158.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 60
462
tigkeit zu erhalten und ihre Einsaugung von außen zu verstärken, gleich den gegliederten
Fäden, von denen sich das nämliche vermuten läßt? Auch diese entspringen zuweilen,
gleich jenen Lamellen, höchst regelmäßig aus dem Blattnerven, wie bei Barbula membrani-
folia Schultz, wo Bischoff dergleichen sehr treu geschildert hat; denn wie sehr diese aus
der ganzen Blattfläche zu entspringen scheinen, geschieht es doch einzig und allein aus
dem Nerven“.!) Einige Jahre später hat C. Müller?) die Frage: „Was bezweckt die Natur
mit der Lamellenbildung?* folgendermaßen beantwortet: „Alles zusammengefaßt, würde
dann endlich das Resultat sich ergeben, daß die Lamellen nur eine wuchernde Bildung der
Laubmoosblätter sind, durch welche, wie gesagt, der überflüssige Nahrungssaft zu neuem
Membranstoff verarbeitet wird.“ Der im Überfluß vorhandene Nahrungssaft soll also nach
der Theorie Müllers, wenn er in den übrigen schon bedeutend verdickten Teilen, wie Achse
und Blattrippe, nicht mehr assimiliert werden kann, in der Verlegenheit keinen anderen
Ausweg haben, als eine einfache luxuriöse Bildung seiner Endzellen — der Rippe nämlich
— hervorzurufen, „die sich verlängern und zu Lamellen werden.“ Das Abfallen der Lamellen
— in Wirklichkeit sind es Fäden — an den Blättern älterer Exemplare von Barbula
membranifolia Schultz und chloronotos Bruch. soll seinen Grund darin haben, daß diese
„nicht mehr mit ihrer verdickten Struktur geeignet sind, viel Flüssigkeit aufzusaugen‘,
dessen natürliche Folge das Aufhóren der Lamellenbildung sei. Die Natur geht aber, wie
hinlänglich bekannt, mit dem ihr zur Verfügung stehenden Material sehr sparsam um und
erzielt damit einen möglichst großen Effekt, sie vergeudet also den „überschüssigen Nah-
rungssaft* nicht in so ungeheuerlicher Weise, wie Müller annimmt, denn es ist wohl nicht
zu viel gesagt, daß bei sehr vielen Polytrichaceen die Lamellen mindestens ein Drittel
des Gesamtmaterials eines Stämmchens ausmachen.
Einer Klärung bedarf auch die Frage, was man bei den Blättern der Polytrichaceen
als Rippe und was als Lamina aufzufassen hat. Nach Hooker und C. Müller trägt nur die
Rippe Lamellen; Treviranus, Robert Brown und Schleiden dagegen behaupten, daß auch
die Lamina — nach Treviranus z. B. Polytrichum contortum — Lamellen besitzt. Limpricht?)
und P. 6G. Lorentz*) unterscheiden an den Blättern der Polytrichumarten eine Inter-
mediärzone, die sich zwischen den einschichtigen Teil der Blattlamina und die Sklerenchym-
platten einschiebt. Auf Grund eingehender Untersuchungen an einem sehr reichlichen
Beobachtungsmaterial kann ich mich nur der Auffassung Hookers und C. Müllers anschließen.
Wie bei fast allen Laubmoosen kann man auch bei den Polytrichaceenblättern nur
zwei Teile, Rippe und Lamina unterscheiden. Diese kann ein-, zwei- und mehrschichtig
sein. Die Lamellen gehören stets der Rippe an, wie auch durch die Entwicklungsgeschichte
des Blattes bewiesen wird. Ich unterscheide zwei Typen der Blattbildung, den von Poly-
trichum piliferum Schreb. und den von Polytrichum Humboldtianum Hmpe.
Reicht die dorsale Sklerenchymplatte bis zur einschichtigen Lamina, wie es bei erst-
genannter Art der Fall ist, so kann von einer intermediären Zone nicht die Rede sein;
Rippe und Lamina sind in diesem Falle sehr scharf getrennt. Schiebt sich jedoch zwischen
!) Linnaea, 1841, S. 308.
?) Linnaea, 1844, S. 111.
3) m Dr. L. Rabenhorsts Kryptogamen-Flora. Bd. IV, Abt. II, S. 612.
5) P. G. Lorentz. Studien über Bau- und Entwicklungsgeschichte der Laubmoose. S. 23.
465
die dersale Platte und die Lamina, die, wie schon oben erwähnt, nicht einschichtig zu sein
braucht, eine längere (Polytrichum Humboldtianum Hmpe.) oder kürzere (Polytrichum com-
mune L.) Zwischenzone ein, so kann man Zweifel darüber hegen, ob man diese Zone zur
Rippe oder zur Lamina rechnen soll Die Entwicklungsgeschichte und die vergleichende
Anatomie lehren, daß diese Schichten als Teile der Rippe aufzufassen sind, die intermediüre
Zone als ein besonderer Teil des Blattes kommt also in Wegfall.
Betrachtet man Querschnitte durch die Blütter von Polytrichum Himalayanum Wils.
und Trichopilum simense B. et S. unter dem Mikroskop, so hat man den Eindruck, als ob
die Endzellen der Lamellen und die dorsalen Epidermiszellen eine einheitliche, d. h. zu-
sammenhängende Zellenreihe bildeten. Man kommt unwillkürlich auf den Gedanken, daß
die Lamellen durch Zerfallen eines früher zusammenhüngenden Gewebes an der Blatt-
oberseite entstanden sein möchten. Die Entwicklungsgeschichte belehrt uns indessen eines
Besseren, doch wirkt der Eindruck so überzeugend, daB man sich nicht ohne weiteres von
dem Gedanken freimachen kann, die
Polytrichaceen könnten in der ange-
gebenen Weise ihre Lamellen erhalten
haben.
Es ist längst bekannt, daß viele
Polytrichaceen außer den Lamellen an
der Oberseite des Blattes noch solche
an der Rückenseite, wenn auch in teil-
weise beschränkterem Maße, hervor-
bringen. Sie erinnern in dieser Be-
ziehung durchaus an die analogen Bil-
dungen der Blätter vieler Campylopus-
Arten, insbesondere Campylopus poly-
trichoides De Not., Oligotrichum java-
nicum Dozy et Molkb. und Pogonatum
semilamellatum M. erreichen, was die
Zahl der Lamellen betrifft, den hóchsten
Grad der Organisation. Bei erstge-
nannter Art kommt noch hinzu, daß
die Lamellen der Oberseite selbst
wieder kurze Auszweigungen ent-
wickeln. (Fig. 5a u. f.) Im Gegensatz
zu dieser Art muß die Lamellenbildung
an der Unterseite bei Pogonatum semi-
lamellatum M. (Fig. 6) als die reichere
bezeichnet werden. Ansätze zur La-
mellenbildung an der Rückenseite der
Blätter, vor allem der Rippe, können
bei vielen Polytrichaceen nachgewiesen
werden.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich
60*
464
a
noch auf die eigentümliche Zahnbildung
an der Unterseite der Blütter von Catha-
rinaea- Arten aufmerksam machen. Unter N
den einheimischen Arten ist besonders N AP 2
Catharinaea Hausknechti Jur. et Milde
hervorzuheben. Die Unterseite der Blütter
dieser Art besitzt Zähnchen in schiefen
Reihen. (Fig. 7 a.) Eine solche Reihe habe &
ich in Fig. 7 f abgebildet. DieseZähnchen
halte ich für lamellóse Organe, für Über- [NS
bleibsel einer früheren reicheren Lamel- fan
lenentwicklung. Die Catharinaea-Arten Í
befinden sich meines Erachtens, was O9 ;
ihre Lamellen anbelangt, in einer rück- N us
schreitenden Entwicklung. Auch der un- N Q^ ©
tere Lappen des doppelschichtigen Randes
z. B. bei Catharinaea tenella Röhl. ist
meiner Meinung nach als Rest einer Fig. 7.
früheren Lamelle aufzufassen.
Den Schluß dieses Abschnittes möge die Aufzählung derjenigen Polytrichaceen bilden,
deren Blätter Lamellen nicht hervorbringen. Es sind Pogonatum macrophyllum D. et M.,
Racelopus pilifer D. et M.,') Olisotrichum minutum C. M.?) und Pogonatum margi-
natum Mitt.?)
I) Nach Engler-Prantl, Die Natürl. Pflanzenfamilien. Liefg. 23.
2) Ibid. Liefg. 222, pag. 675.
3) Ibid. Liefg. 222, pag. 690.
465
Entwicklung des Blattes bzw. der Lamellen der Polytrichaceen.
Soweit ich die über diesen Gegenstand veröffentlichte Literatur zu übersehen imstande
bin, finden sich die ersten Angaben über das Blatt und die Lamellen der Polytrichaceen
in der schon oben zitierten Abhandlung von Karl Müller „Über die Lamellen des Laub-
moosblattes*.!) Nach diesem Forscher vollzieht sich die selbständige Lostrennung der Blätter
von der Stengelsubstanz nie gleichmäßig am ganzen Blatte, „vielmehr löst sich an der
Mittelfläche desselben, wo sich der Nerv bildet, eine ganze Reihe von Zellen mit ab, welche
aus der Blattsubstanz hervorragen*. Wir wissen heute, daß die Entwicklung des Poly-
trichumblattes einen ganz anderen als den von Müller geschilderten Verlauf nimmt, und
was dieser über die Evolution der Lamellen von Polytrichum und die Zellfäden von Barbula
membranifolia Schultz mitteilt, ist zum Teil so unvollständig, verworren und unzutreffend
zugleich, daß es nicht der Mühe lohnt, hier näher darauf einzugehen. Müllers Bedeutung
lag eben nicht in der Fähigkeit, morphologische und entwicklungsgeschichtliche Fragen
zu behandeln, seine Stärke bekundete er vor allem auf dem Gebiete der Systematik, worin
er zweifelsohne Hervorragendes geleistet hat.
Zwanzig Jahre später hat P. G. Lorentz?) in seiner Publikation „Studien über Bau
und Entwicklungsgeschichte der Laubmoose* die Entwicklung des Polytrichumblattes in
einer für jene Zeit mustergültigen Form dargelegt. Mechanische Hilfsmittel vielerlei Art,
die uns heute die Arbeit wesentlich erleichtern, standen Lorentz nicht zur Verfügung, um
so mehr muß man sich über die verhältnismäßig große Selbständigkeit der entwicklungs-
geschichtlichen Angaben wundern. Auch heute vermag oft die geschickteste Hand nur
selten mit dem Rasiermesser einen wirklich brauchbaren Querschnitt durch die Endknospe
des Polytrichumstümmchens herzustellen, in den meisten Fällen legen sich die jüngsten
Blattanlagen zur Seite, so daß auch der gewissenhafteste Beobachter leicht das Opfer einer
Täuschung werden kann. Durch die schiefe Lage der jüngsten Blattanlagen nämlich,
besonders wenn der Schnitt nicht außerordentlich dünn ist, entstehen im Gesichtsfeld doppelte
Konturen, die einer und derselben Wand angehören. Man glaubt dann oft, einen weiteren
Entwicklungszustand vor sich zu haben, weil sich die Zahl der Konturen verdoppelt hat.
Manche Übelstände lassen sich jedoch bei Benutzung des Mikrotoms beseitigen; es
können damit so dünne Querschnittslamellen hergestellt werden, daß eine Neigung derselben
zur Seite und die Entstehung doppelter Konturen zur Unmöglichkeit wird, besonders wenn
durch Unterlegen von Deckglassplittern der Druck des Deckglases nicht zur Geltung ge-
langen kann. Aber auch das Mikrotom versagt und führt uns auf Irrwege, wenn nicht
auf die Lage der in der Stämmchenspitze vereinigten Blätter gebührend Rücksicht genommen
wird. Es will mir scheinen, als ob dieser Punkt von vielen, z. B. auch von Lorentz, nicht
genügend beachtet worden wäre. Fig. 8 stellt einen Längsschnitt durch die Stämmehen-
spitze einer Polytrichumart dar. (t Scheitelzelle.) Die jüngsten Blätter (a, b, c) bilden
einen niedrigen, ziemlich stumpfen Kegel, seine Hóhe wüchst, er wird um so spitzer, je mehr
wir uns den äußeren (d, e, f, g) bzw. älteren Blättern zuwenden. Wenn wir unmittelbar
1) Linnaea, 1844, S. 104, Mit 1 Tafel.
2) P. G. Lorentz. Moosstudien, 1864, I, S. 22—25.
466
über der Scheitelzelle t einen Querschnitt — senkrecht zur Achse des Stämmehens —
durch die Sproßspitze herstellen, so lehrt ein Blick auf Fig. 8, daß in diesem Falle Bilder
entstehen müssen, die kaum zu deuten sind.
Die jüngsten Blattanlagen werden zunächst, wie auch Lorentz richtig angibt, durch
Aufführung antikliner Membranen in eine größere oder geringere Anzahl von Zellen zerlest.
Darauf kommt es zur Entstehung von Membranen, welche die Bildung der Blattrippe ein-
leiten. In meiner Inaugural-Dissertation „Beiträge zur Anatomie und Biologie der Laub-
moose* (München, 1894), hatte ich bei Gelegenheit der Schilderung der Entwicklungs-
geschichte des Blattes von Leucobryum vulgare Hmpe. und Octoblepharum albidum und
Arthrocormus Schimperi auf die Tatsache hin-
gewiesen, da& die Aufführung der Membranen
zu beiden Seiten der Mediane des Blattes beider
Arten streng von den Gesetzen der Symmetrie
beherrscht wird. Ich hoftte nun, Ähnliches
auch für die Blütter von Polytrichum nach-
weisen zu können, mußte mich aber von dem
geraden Gegenteil überzeugen. Es ergab sich
die Unmöglichkeit, Rippe und Lamina auf ganz
bestimmte Zellen der jüngsten Blattanlagen
zurückzuführen, was auch Lorentz hervorhebt.
Schon in der Blattanlage und in allen Teilen
einer solchen macht sich nämlich die Asym-
metrie in der Entstehung von Membranen be-
merkbar. Wie Fig. 9 zeigt, werden im obersten
Teil eines jungen Polytrichumblattes zunächst
nach erfolgter Fächerung durch antikline Mem-
branen (a) mehrere perikline Wände (b) ge-
bildet; wir sehen aber außerdem, daß noch eine
antikline Wand (c) hinzugekommen ist, woraus
hervorgeht, daß auch noch nachträglich antikline Membranen eingefügt werden können.
Lorentz!) dagegen vermutet, daß „alle die Zellen, aus denen später die (der Zahl nach in
den verschiedenen Blättern wechselnden) charakterisierten Abteilungen gebildet werden
sollen, auf diese Weise vorher angelegt werden, ehe in einer der so gebildeten Zellen eine
Weiterentwicklung eintritt“. Die Lage der Wände, wie sie aus Fig. 10 ersichtlich ist, —
es handelt sich um einen etwas tiefer geführten Schnitt desselben jugendlichen Blattes —
läßt sehr gut erkennen, daß die rechte Hälfte mehr gefördert ist als die linke. In Fig. 11,
die über die Verhältnisse eines Querschnitts durch den basalen Teil eines jungen anderen
Blattes orientiert, macht sich eine auffällige Förderung der linken Blatthälfte geltend. Bei
Fig. 10 sind im rechten Blattflügel, mit Fig. 9 verglichen, nicht weniger als vier Membranen
hinzugekommen, denen nur eine einzige (a) im linkel Flügel gegenübersteht. In der linken
Blatthälfte von Fig. 11, die als die geförderte anzusehen ist, befinden sich von dem mittleren
Zellenzug (5 Zellen) ab gerechnet, 21 Zellen, im linken dagegen eine Zelle weniger. Diese
!) Studien üher Bau und Entwicklungsgeschichte der Laubmoose. S. 22, Taf. 4, Fig. 3.
467
Asymmetrie ist auch stets in fertigen Blättern leicht festzustellen. Studiert man die Ent-
wicklungsgeschichte der Sklerenchymplatten, so kann man schon bei den jüngsten Stadien
derselben die asymmetrische Anordnung der Membranen nachweisen. Fig. 12 führt uns die
ersten Entwicklungsstadien der ventralen Sklerenchymplatte von Polytrichum piliferum
Schreb. vor Augen. Wir sehen, daß zunächst durch perikline Wände die ventralen, schon
im jüngsten Entwicklungszustand des Blattes vorhandenen Zellen (1+2-+3-+4), über
G
Fig. 9. Fig. 10.
denen die jugendlichen Lamellen d stehen, geteilt werden; die Zelle 1 4- 2 4- 3 4- 4 zerfällt
durch die periklinen Membranen a—b (Fig. 13) in die Zellen 1 und 2+3-+4. Alsdann
kommt es wieder zur Bildung antikliner Wände (c) in den beiden nach der Rückenseite
des Blattes hin gelegenen Zellen 2+3-+-4. Bis hierher ist die Symmetrie nach jeder
Richtung hin gewahrt. Im weiteren Verlauf der Entwicklung jedoch macht sich die asym-
metrische Membranbildung bemerkbar, denn die periklinen Wände e entstehen nicht in den
beiderseits der Mediane liegenden Zellen 2 und 3-+ 4, vielmehr findet in der von der
Symmetrielinie nach links gelegenen Zelle 2 die Aufführung der periklinen Wand e nicht
statt, sondern in der an die Zelle 2 nach links anstoßenden Zelle 3 + 4, wodurch die seither
bestehende Symmetrie aufgehoben wird.
In Fig. 13 habe ich der Deutlichkeit halber den Verlauf der Entwicklung schematisch
dargestellt, die gleichwertigen Membranen sind durch gleichartige Linien kenntlich gemacht.
Es ist nun überraschend, zu sehen, wie das junge Blatt, obwohl es andauernd im
Verlauf seiner Entwicklung von den Gesetzen der Symmetrie in der Ausbildung neuer
Membranen abweicht, trotzdem zähe an der symmetrischen Aufführung neuer Wände fest-
zuhalten sucht.
468
Wie schon oben erwähnt wurde, wird ein jedes Segment der Scheitelzelle, das bei den
Laubmoosen stets zu einem Blatte heranwächst, zunächst durch antikline Wände gefächert.
(Fig. 9, 10, 11.) Darauf kommt es mit Ausschluß der äußersten Zellen, die zur einschich-
tigen Lamina werden, zur Entstehung perikliner Membranen (Fig. 11 u. 14.) Diesen Zug
perikliner Wände habe ich in Fig. 14 mit den Buchstaben a—a bezeichnet. Wenn wir
nun über die Symmetrieverhältnisse Aufschluß erhalten wollen, so müssen wir einen be-
stimmten Zellenkomplex, der in der Mediane des Blattes liegt, zum Ausgangspunkt unserer
Betrachtungen machen. In Fig. 14, die ein schematisches Abbild von Fig. 11 darstellt,
gibt der Pfeil die Mediane des Blattes an. Von diesem Zellenkomplex ab gerechnet sind
durch die primären periklinen Wände (a) nach rechts fünf, nach links sechs Zellen abge-
schnitten worden, so daß im rechten Blattflügel vier, im linken dagegen drei Zellen unzerlegt
bleiben. Diese durch den Membranzug a—a geteilten Elemente werden zur Rippe, die
später die beiden Sklerenchymplatten und eventuell auch die sogenannte intermediüre Zone
BET
|
poe
|
[e
l
Fig. 14.
(Polytrichum commune L., Humboldtianum Hampe, Lyellia crispa Hook. u. a.) umfaßt. Wir
sehen, daß schon auf einer sehr frühen Entwicklungsstufe des Blattes die Symmetrie in der
Anordnung der Membranen gestört ist. In der weiteren Entwicklung des Blattes eilt nun
die umfangreichere dorsale Sklerenchymplatte in der Ausbildung der ventralen voraus. Die
Entstehung beider Platten ist an die Aufführung neuer perikliner Wünde gebunden. Diese
zerlegen einen Teil der zuvor durch den Membranzug a—a geteilten primären Zellen noch
ein Mal, so daß wir beiderseits der Mediane mehrere vierteilige Zellkomplexe zählen können.
Auffällig ist nun, daß der perikline Membranzug b—b, von der Mediane aus betrachtet,
rechts eine Zelle mehr teilt als links, dagegen gehorcht der Membranzug c—c wieder
den Geboten der Symmetrie. Der Membranzug b — b springt also nach rechts um denselben
Betrag mehr vor als a— a nach links, und hierdurch wird gleichsam die frühere Asymmetrie
wieder zur Symmetrie erhoben. Mit der Aufführung der periklinen Wandzüge b —b und
c— c nimmt auch die Bildung der Sklerenchymplatten ihren Anfang, wenn auch damit
nicht behauptet werden soll, daß alle dadurch entstandenen Zellen zur Sklerenchymplatte
selbst werden. In Fig. 11 bezeichnet die perikline Wand a den Anfang der ventralen Platte,
469
die betreffende Membran liegt asymme-
trisch in der rechten Blatthälfte. (In
Fig. 14 ist e die erste Zelle der ventralen
Platte.) Die antikline Membran b in
Fig. 11, die eine der fünf in der Sym-
metrielinie des Blattes liegenden Zellen
teilt, setzt sich nicht, wie es die Sym-
metrie verlangen würde, in der Mediane
an die beiden periklinen Wände an, sie
zerlegt vielmehr die betr. Zellen in zwei
sehr ungleich große Teilzellen. Fig. 15a
führt den Querschnitt durch ein in der
Entwicklung etwas weiter fortgeschrit-
tenes Blatt von Polytrichum piliferum
Schreb. vor. Die ventrale Sklerenchym-
platte, aus den Teilungen der Epidermis-
zellen entstanden, hebt sich scharf von
dem übrigen Gewebe ab; auch sieht man
sofort, da& das Blatt bzl. der Skleren-
chymplatte eine Fórderung nach der
linken Seite hin erfahren hat. Das Mehr
an Zellen auf diesem Blattflügel betrügt
vier. (Punktierte Zellen.) Was die Lage
der Membranen des ventralen Bündels
anbelangt, so kann nicht bestritten
werden, daß im Großen und Ganzen
eine symmetrische Aufführung der Wände
Regel ist, doch sind auch hier wieder
deutlich Störungen wahrzunehmen. Einige wenige korrespondierende Membranen habe ich
durch übereinstimmende Zahlen (11, 22, 33) gekennzeichnet. Die schematische Fig. 15 f
enthält alle durch die Symmetrie geforderten Wände. Von diesen sind a, b und e in
Fig. 15a nicht vorhanden. Die ventrale Sklerenchymplatte entsteht also nicht in der Weise,
daß die Epidermiszellen, über denen die Lamellen stehen, voneinander unabhängig durch
Membranen zerlegt werden, vielmehr sind alle in ungeführ gleicher Entfernung von der
Mediane vor sich gehenden Membranbildungen, die zu einer und derselben Epidermis-
zelle gehören, abhängig von unbekannten Einflüssen, deren Wirkung aber deutlich in Er-
scheinung tritt.
Auf dem Querschnitt der Blätter fast aller Polytrichaceen treten drei Zellenzüge —
bei Dawsonia superba Grev. und Pogonatum macrophyllum D. et M. u. e. a. sind es einige
mehr — durch ihr größeres Lumen aus dem übrigen Gewebe scharf hervor. Der mittlere
Zug, an den sich seitlich die Epidermiszellen der ventralen Blattseite anschließen, umfaßt
die sogenannten „Deuter“.!) Im jugendlichen Blatt werden diese „Deuter“ schon sehr früh
1 P. G. Lorentz, Grundlinien zu einer vergleichenden Anatomie der Laubmoose. Pringsheims
Jahrb. 1867—1868, S. 374— 378.
Abh. d. IL. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 61
470
durch perikline Membranen abgeschnitten, im ausgewachsenen Blatt ist es aber nicht mehr
möglich, die sogenannte ,Zentralzelle* (Fig. 16), die auf Querschnitten durch junge Blätter
durch ihre Gestalt von den übrigen ,Deutern^ etwas abweicht und durch die man sich
die Mediane des Blattes gelegt denken muß, als solche zu erkennen. Auf Querschnitten
durch die Blätter beschreiben die „Deuter“ einen nach der Bauchseite des Blattes offenen
Bogen, eine Zelle nähert sich also dem Rücken des Blattes am meisten, doch wäre es voll-
ständig verfehlt, in dieser Zelle nun die sogenannte ,Zentralzelle^ erblicken zu wollen.
Wenn es sich im jugendlichen Blatte um eine ungerade Zahl von „Deutern“ handelt, fällt
es meist nicht schwer, die .Zentralzelle* zu finden. (Siehe Fig. 10 u. 12). Auf anderen
Querschnitten indessen, wo eine gerade Zahl von ,Deutern* sich ermitteln läßt, kann diese
„Zentralzelle* nur durch Kombination nachgewiesen werden. Es ist aber, um die Ent-
wicklung des Polytrichumblattes genau verfolgen zu können, durchaus notwendig, diese
.Zentralzelle^ aufzusuchen, da man nur mit ihrer Hülfe den Nachweis führen kann, daß
die asymmetrische Aufführung der Membranen Regel ist und daß ein Übergewicht auf einer
Blattseite durch ein eben solches auf der anderen ausgeglichen wird.
Lorentz behauptet, daß sich die ,Zentralzelle^ durch eine (Taf. IV, Fig. 4) oder
mehrere Wände teilen kann. „Dies scheint“, so schreibt er, „zuweilen individuell zu sein;
bei einer Pflanze fand ich alle „Zentralzellen“ geteilt‘. Demgegenüber bemerke ich, daß
ich niemals eine Teilung der „Zentralzelle* konstatieren konnte. Möglicherweise hat Lorentz
die periklinen Wände, die zur Entstehung des ventralen Sklerenchymbündels Veranlassung
geben, als weitere Teilungen der „Zentralzelle* angesehen. Die Entwicklungsgeschichte
lehrt aber, daß (siehe Fig. 12 u. Fig. 14) die ventrale Platte ihre Entstehung der Aufführung
perikliner Wände verdankt, die in den über den ,Deutern* nach der Bauchseite des Blattes
hin gelegenen Epidermiszellen entstehen.
Bei allen bisher genauer untersuchten Laubmoosen hat man an der Stämmchenspitze
das Vorhandensein einer meist dreiseitig-pyramidalen Scheitelzelle festgestellt. Eine Aus-
nahme machen Fissidens, Phyllogonium und Distichium. (Ob für Distichium wirklich der
Nachweis einer sogenannten zweischneidigen Scheitelzelle erbracht ist, vermag ich nicht
zu entscheiden.) Aus jedem Segment der dreiseitig-pyramidalen Scheitelzelle geht ein Blatt
471
hervor, das mit einer zweischneidigen Scheitelzelle wächst. (Ausnahme Buxbaumia).?)
Hoffmeister hat zuerst nachgewiesen, daß die Divergenz der Blätter, wenn sie nicht ein
Drittel ist, durch das „Vorgreifen der Segmentwand in anodischer Richtung“ bedingt wird.
Von der Richtigkeit der Hoffmeister'schen Beobachtung habe ich mich an zahllosen Quer-
schnitten durch die Stämmchenspitze vieler Polytrichaceenarten überzeugen können. Bei
zahlreichen Arten aus dieser Familie sind die Blätter nach ?[& gestellt,?) obwohl sie, wenn
die Segmente der Scheitelzelle streng parallel zu den Wänden derselben aufgeführt würden
und sonstige Verschiebungen, die mit der Bildung des Stämmchens ohne Zweifel zusammen-
hängen, nicht eintrüten, die Divergenz !/; zeigen müßten. Jenem Vorgreifen der Segment-
wände in anodischer Richtung schreibe ich es zu, wenn sich in der Entwicklung der Blätter
andauernd Abweichungen gesetzmäßiger Art von der symmetrischen Anlage neuer Mem-
branen zeigen.
Z UE ue
4 COBA
SS E Ee
PHA YER
In seltenen Fällen verrät auch die Ausbildung der Lamellen des fertigen Blattes
Fig. 17.
mehrerer Polytrichumarten, daß sich bei der Blattentwicklung Einflüsse geltend machen,
von denen wir annehmen müssen, daß sie mit den Symmetrieverhältnissen des Blattes in
innigster Beziehung stehen. Ich denke an die auffällige Gestaltung der Endzellen der
Lamellen von Polytrichum subremotifolium Hampe, die durchaus den Gesetzen der Symmetrie
entspricht. Die Endzellen der beiderseits der Mediane des Blattes stehenden Lamellen besitzen
eigenartige schnabelfórmige Fortsätze, die in der rechten Blatthälfte nach rechts, in der
linken nach links gerichtet sind. Nur die Endzelle der in der Mittellinie des Blattes ange-
hefteten Lamelle ist symmetrisch gebaut. (Fig. 17 u. 18.) Leise Anklänge an diese bei der
genannten Art so scharf hervortretende Symmetrie finden wir auch noch bei anderen Poly-
trichaceen. C. Müller hat eine ähnliche Ausbildung der Lamellenendzellen bei Pogonatum
Olygodus Kunze beobachtet. Seine Arbeit ,Über die Lamellen des Laubmoosblattes* bringt
auf Taf. IV Fig. 17 ein Bild des Blattquerschnittes jener Art. Falsch an dieser Figur ist
jedenfalls, da& die schnabelfórmigen Fortsütze fast aller Endzellen nach derselben Seite,
und zwar nach rechts gewendet sind; ich nehme an, daß dieser Querschnitt nicht dem
Pogonatum Olygodus Kunze angehört, denn die Blätter von Exemplaren aus dem Berliner
Herbar, die Müller selbst bestimmt hat, haben eine ganz andere Ausbildung der Lamellen.
Zahlreiche Polytrichaceenarten vom Typus unserer Polytrichum piliferum Sehreb. wie
Polytrichum nano-globulus C. MülL, pallidicaule C. Müll, Antillarum Rich., macrorhaphis
C. Müll., aristiforum Mich., brachypyxis C. Müll, aristatum Schpr., rhacomitrium C. Müll.
und viele andere Arten haben die bei sehr zahlreichen Formen noch erhaltene Bewegungs-
fähigkeit des laminaren Teils ihrer Blätter fast vollständig eingebüßt. Im trockenen wie
1) C. Göbel, Organographie. II. Teil., I. Heft, S. 352 u. 353.
?) P. G. Lorentz, Studien über Bau und Entwicklungsgeschichte der Laubmoose. S. 20.
61*
472
im turgeszenten Zustand sind die meist sehr gut ausgebildeten einschichtigen Blattsäume
der genannten Arten nach oben umgeschlagen, bei manchen Spezies, wie Polytrichum
macrorhaphis C. Müll, brachypyxis C. Müll. und aristiflorum Mich. greifen die Ränder im
oberen Teil des Blattes ziemlich weit übereinander, in der Regel klafft aber zwischen beiden
Rändern ein schmaler Spalt, der sich längs der Mitte des Blattes hinzieht. Besitzen nun
die Blätter schon im jugendlichen Zustand diese Ausbildung oder verlieren die Laminarteile
erst später ihre Bewegungsfähigkeit? Die Untersuchung ergab, daß die Blätter schon sehr
früh mit den nach oben umgeschlagenen Rändern ausgestattet sind, zu einer Zeit schon,
wo die Endzellen der Lamellen z. B. bei Polytrichum piliferum Schreb. noch nicht die
eigentümlichen hyalinen, flaschenfórmigen apikalen Wandverdickungen aufweisen. (Fig. 19.
c— Zentralzelle. Über dieser nach der Bauchseite des Blattes hin vier punktierte Zellen,
aus den ventralen Epidermiszellen entstanden, als Anfang des bauchständigen Sklerenchym-
bündels).
Alle Polytrichaceen kónnen, wenn die Zahl der Lamellenendzellen zum Einteilungs-
prinzip erhoben wird, in zwei Kategorien untergebracht werden: Die erste umfaßt die weit-
aus größte Anzahl von Arten, es gehören zu ihr alle Formen, deren Lamellen in eine einzige
Endzelle auslaufen, in die zweite Kategorie, die verhältnismäßig wenige Spezies umfaßt,
— Polytrichum flexuosum C. Müll., Humboldtianum Hampe, purpurascens Hampe, rufisetum
Wils., Pogonatum microstomum Br. Eur. u. a. — stelle ich diejenigen Arten, bei denen
die Lamellen einen höheren Grad der Organisation durch Verdoppelung ihrer Endzellen
erreichen. Wie es scheint, besteht zwischen der Höhe und der sonstigen Ausbildung
der Lamellen eine überall zu beobachtende Korrelation. Bei Polytrichum Humboldtianum
Hampe (Fig. 20), dessen Lamellen in ihrem einschichtigen Teil meist aus nur zwei Zellen
bestehen, erlangen, soweit meine Beobachtungen reichen, die Endzellen der Lamellen den
höchsten Grad der Ausbildung insofern, als hier oft die beiden letzten Zellen eine Ver-
doppelung erfahren. Auch die Lamellen der
übrigen Arten gehören zu den niedrigsten, die
ich bei Polytrichaceen vorfand. Die wasser-
saugende und wasserhaltende Kraft der La-
mellen nimmt ohne Zweifel in demselben Maße
ab, wie die Zahl der sie zusammensetzenden
Zellen sich vermindert; es ist also wohl leicht
denkbar, daß die stärkere Ausbildung der End-
zellen einen Ausgleich herbeizuführen imstande
ist. Bei Polytrichum rufisetum Wils. besteht
der einschichtige Teil der Lamellen meist aus
e zwei, seltener drei Zellen, in den Seitenpartieen
Fig. 19. ist oft nur eine Fußzelle vorhanden, bei Poly-
trichum flexuosum C. Müll. (Fig. 21 a u. b)
finden wir im mittleren Teil des Blattes in
(FY^XACX YA AR
III DER RO b m 3 3
ab ON (095 COPAS \ der Regel drei, nach den Seiten hin zwei,
OUO C te Yecoiuoeu euet = ; a -
€ Soc nach den Rändern meist nur eine Zelle, ähn-
NE > Ne)
liche Verhältnisse gelten für Pogonatum miero-
Fig. 20. stomum Br. Eur. (Fig. 22.)
473
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Fig. 22
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Fis. 21 Fig. 23
Mit der Verdoppelung der Endzellen, wodurch eine sehr bedeutende Verdickung des
Lamellenrandes hervorgebracht wird, steht aber noch eine andere, für das Leben, bzw.
die Wasserversorgung der fraglichen Arten sehr wertvolle Einrichtung im Zusammenhang.
Die verdoppelten Endzellen springen, wie auf Querschnitten sehr deutlich zu erkennen ist,
um ein Bedeutendes nach den Seiten vor; die Folge davon ist, daß die Zellflächen ziemlich
weit auseinander rücken, und dieser Umstand bewirkt wieder, daß in den relativ großen
Zwischenräumen nicht unerhebliche Mengen Wasser festgehalten werden können. Die
genannten Arten besitzen im Verhältnis zur Höhe der Lamellen tatsächlich die größten
Hohlräume; was ihnen also durch ihre sonstige geringere Größe an der Fähigkeit abgeht,
größere Wassermengen zu speichern, das ersetzen sie in vortrefflicher Weise durch die
Ausbildung großer interlamellöser Hohlräume. (Fig. 20 u. 22.)
Es darf ohne Übertreibung behauptet werden, daß bei den meisten Polytrichaceen
die Größe der Hohlräume zwischen den Lamellen abhängig ist von der Beschaffenheit der
Lamellenendzellen. Je mehr sich diese durch ihre Größe, besonders aber ihre Breite von
den übrigen Zellen der Lamellen unterscheiden, desto größer sind die Entfernungen zwischen
je zwei Lamellen und die von diesen geschaffenen Hohlräume.
Was den feineren Bau der Endzellen betrifft, so herrscht bei den zahlreichen Formen
eine Mannigfaltigkeit, wie man sie sich kaum größer vorstellen kann. Der einfachste Fall
liest vor, wenn die Endzellen, wie es für Catharinaea undulata und sehr zahlreiche andere
Polytrichaceen zutrifft, mit den übrigen Lamellenzellen übereinstimmen. Dem kompli-
ziertesten Bau begegnen wir bei Polytrichum nano-globulus C. Müll, dessen Endzellen
außer der bei xerophilen Arten vorhandenen flaschenfórmigen hyalinen Anfügung noch
seitliche Emergenzen an letzterer hervorbringen. (Fig. 23 1—8.) Beide Extreme können
als Anfangs- und Endpunkte einer Linie aufgefaßt werden, auf der zahlreiche Zwischen-
glieder den Übergang vom einfachsten zum verwickeltesten Stadium vermitteln. Eine solche
474
Reihe hier aufzustellen und in ihren einzelnen Gliedern bildlich vorzuführen, gestattet der
zur Verfügung stehende Raum nicht.
Es dürfte sich aber trotzdem empfehlen, diesem Gegenstand noch eine kurze Be-
sprechung zu widmen.
Bei den Catharinaea-Arten, die ich untersuchte, sind alle Membranen der Lamellen,
auch die der Endzellen, von gleicher Dicke. (Fig. 33 1.) Die Arten dieser Gattung dürfen
wir zu den ausgesprochen hygrophilen rechnen, die einheimischen Spezies kommen aus-
schließlich an feuchten und im der Regel schattigen Plätzen vor, dementsprechend ist auch
die Zahl der wenig hohen Lamellen gering. (3— 8.) Bei den meisten Polytrichaceen
aber, so darf behauptet werden, sind die Wünde der Lamellenendzellen ihrer Aufgabe ent-
sprechend mehr oder weniger verdickt. Der Unterschied zwischen Endzellen und den übrigen
Elementen der Lamellen tritt z. B. bei Polytrichum brachypelma C. Müll. (Fig. 33 2) sehr
gut hervor. Eine weitere Komplikation besteht darin, daß die verdickten Wände der End-
zellen eine nochmalige Anfügung in Gestalt hyaliner Massen erhalten. So bei Polytrichum
alpinum Dill. (Fig. 33 8), einer durchaus xerophilen Art; der obere Teil der Endzellenwand
ist ungemein stark verdickt, auBerdem aber noch durch sehr zahlreiche Kórnchen hyaliner
Art verstärkt. Auf mehr glatte hyaline Massen stoßen wir bei den zum Typus des Poly-
trichum piliferum Schreb. gehörigen Formen. (Fig. 24 links.) Diese hyalinen Anfügungen
und stark verdickten Membranen sind deutliche Anzeichen von Xerophilie; es gestattet also
die Anatomie der Lamellen einen Rückschluß auf die Beschaffenheit der Örtlichkeiten, an
denen die zugehörigen Arten vorkommen. Göbel bildet in Heft 1, Flora 1906, Seite 17, die
Lamellen von der mir unbekannten Dawsonia longiseta ab und bemerkt, daß sie trockenere
Stellen als Dawsonia superba bewohnt. In der Tat stimmt jene Art in der Ausbildung der
Lamellen, besonders deren Endzellen fast ganz mit jenen Formen überein, deren Xerophylie
außer Zweifel steht, die ich zum Typus des Polytrichum piliferum Schreb. rechne.
Auf einen Punkt möchte ich noch besonders aufmerksam machen. Man beobachtet,
daß die Endzellen der Lamellen bei zahlreichen Polytrichaceen im Laufe ihrer Entwicklung
von oben her eine Einknickung bzw. Einbuchtung erfahren, wodurch eine an der oberen
Kante der Lamelle verlaufende Rinne hervorgebracht wird. Unser häufiges Polytrichum
commune L. (Fig. 339) besitzt solche Endzellen. Andere Arten mit derartiger Ausbildung
der Endzellen sind Polytrichum subpilosum P. B., Buchanani Broth., Preussii Broth. und
longissimum C. Müll. Von sehr wechselnder Gestalt sind diese Einknickungen bei Poly-
trichum robustum C. Müll, wie die sechs Endzellen Fig. 33, 13 beweisen. Eine solche
Furche muß sich in eine große Zahl kleiner, niedriger, wannenartiger Behälter auflösen,
wenn die Querwände der Lamellenendzellen nach oben ebenso hoch wie ihre Seitenwände
vorspringen. Eine derartige Einrichtung fand ich bei dem fraglichen Polytrichum Olygodus
Kunze.
Was wird durch diese Einrichtung erreicht? Erstens ausnahmslos eine Verbreiterung
der Endzelle selbst, beide Seitenwände werden voneinander entfernt und wirken räumlich
genau so wie die Doppelendzellen. Zweitens dient diese Furche zur Aufnahme von: Wasser,
das von hier aus langsam in die Zellen eindringen kann: Drittens ist die Möglichkeit
nicht ausgeschlossen, daß sie für sich oder mit Wasser erfüllt wie eine Linse wirken,
durch die das Licht nach allen Richtungen zerstreut wird, so daß es auch zu den tiefer
liegenden Teilen der Lamellen gelangt; ich bin von dieser Wirkungsweise fest überzeugt
475
Was hier bezüglich der Endzellen ganz allgemein gesagt wurde, gilt im besonderen
auch von den Arten mit den komplizierteren Doppelendzellen der Lamellen; es muß jedoch
hinzugefügt werden, daß sich bei diesen eine solche an Zwischengliedern reiche Reihe, da
die Lamellen von nur wenigen Polytrichaceen doppelte Endzellen besitzen, nicht aufstellen
läßt. Polytriehum Humboldtianum und Pogonatum mierostomum Br. Eur. könnten als
Anfangs- bzw. Endglied der Reihe gelten.
Wie ich schon früher hervorhob, sprach Treviranus die — übrigens richtige —
Vermutung aus, es möchte sich bei den Lamellen der Polytrichaceen um Vorrichtungen
handeln, die dazu dienen, Feuchtigkeit aufzusaugen und festzuhalten, wogegen C. Müller
eine Art Ablagerungsstütte, eine Art Schutthaufen für überflüssigen Nahrungssaft darin
erbliekte. Später deutete man die eigenartigen Zellplatten als Verstärkung des Assimila-
tionssystems; Göbel!) wies jedoch darauf hin, daß ihre Aufgabe wohl darin bestehe, Wasser
kapillar festzuhalten, da ohne letzteres die Assimilation nicht vor sich gehen könne. Es
steht für mich fest, daß die Lamellen in erster Linie der Wasseraufnahme und Wasser-
speicherung dienen und daß das assimilatorische Moment erst an zweiter Stelle in Betracht
kommt. Die beste Stütze für die Richtigkeit der Auffassung von Treviranus, Göbel und
mir finde ich in den festen Beziehungen, die sich zwischen dem anatomischen Aufbau der
Blätter einerseits und dem Standorte der in Frage kommenden Arten anderseits nachweisen
lassen. Wir dürfen erwarten, daß z. B. Formen, deren Vorkommen an sonnige, trockene
Stellen gebunden ist, in dem Aufbau der Blätter und besonders der Lamellen sich wesentlich
von denjenigen Arten unterscheiden, die an feuchten und schattigen Stellen wachsen. Die
anatomischen Untersuchungen täuschen unsere Erwartungen nicht, wir vermögen die zu
schildernden Einrichtungen nur als funktionelle Anpassungen aufzufassen.
„Wir können es einer Pflanze direkt ansehen, ob sie in der Natur trockene oder
feuchte Standorte bewohnt, aber nicht, ob sie der Flora eines kalten oder warmen Klimas
angehört“, sagt Schimper?) mit Recht, und dies gilt auch für die Polytrichaceen mit der
Einsehrünkung, daß ein oberflächliches äußeres Anschauen bei diesen weniger hochstehenden
Pflanzen nicht ausreicht, sondern stets durch die Erforschung der inneren Verhältnisse
ersetzt werden muf.
Schimper unterscheidet zwei große ökologische Klassen, die Hygrophyten und Xero-
phyten, und schiebt als minder scharf umgrenzte Gruppe zwischen beide die sogenannten
Tropophyten ein, ,deren Existenzbedingungen je nach der Jahreszeit diejenigen von
Hygrophyten und Xerophyten sind.^?) Zu den Tropophyten rechnet er die große Mehr-
zahl der Pflanzen unserer Flora. „Die Struktur der perennirenden Teile ist bei ihnen
xerophil, die der nur während der nassen Jahreszeiten vorhandenen hygrophil.* Diese
dritte ökologische Klasse kommt für unsere Betrachtung sicher nicht in Frage, da die
Polytrichaceen in ihren vegetativen Organen stets dasselbe Bild gewühren. Ich will nun
versuchen, nachzuweisen, daß bei zahlreichen Polytrichaceen die Kenntnis der Struktur
der Blätter uns in den Stand setzt, zu entscheiden, ob wir es mit einer hygrophilen oder
xerophilen Art zu tun haben.
1) Flora, 1893, p. 430.
?) Schimper, Pflanzengeographie auf physiologischer Grundlage, p. 40.
3) Schimper, Pflanzengeographie, p. 5.
Zu den Polytrichaceen mit überraschend deutlich erkennbarer xerophiler Struktur
rechne ich die Formen vom Typus unseres einheimischen Polytrichum piliferum Schreb.,
die ich bereits auf Seite 471 genannt habe.
Bei allen diesen Arten sind die verhältnismäßig sehr breiten einschichtigen Säume
des Spreitenteils nach oben umgeschlagen, so daß die Rippe mit den aufstehenden Lamellen
bis auf einen meist sehr schmalen Spalt von ihnen bedeckt wird, bei manchen Arten wie
Polytrichum aristiflorum Mitt. und brachypyxis C. Müll. greifen die Blattsäume im oberen
Teil des Blattes übereinander. Eine Analogie bieten einige Arten der Gattung Barbula,
wie B. aloides B. et S., ambigua B. et S. und rigida Schultz. Es leuchtet ein, daß durch
die beschriebene Einrichtung, obwohl keine Volumänderung eintritt, eine sehr bedeutende
Verkleinerung der Oberfläche hervorgebracht wird, eine Folge hiervon ist zweifellos die
Herabsetzung der Transpirationsgröße. Es kehrt hier eine bei den höheren Pflanzen längst
als Schutzmittel gegen zu starke Transpiration bekannte Einrichtung, die des Rollblattes,
wieder. Zudem sind die Wände der laminaren Blattteile dieser xerophilen Arten stark
verdickt, besonders gilt dies von der dorsalen Seite.
Von den von mir untersuchten, sehr zahlreichen Polytrichaceen unterscheiden sich
die genannten Arten vor allem durch die überaus kräftige Ausbildung der dorsalen Skleren-
chymplatte, die das Blatt in seiner ganzen Breite durchzieht und auch den größten Teil
der nichtlamellösen Spreitenpartie einnimmt. Vergleicht man einen Blattquerschnitt eines
Polytrichum vom Typus des Polytrichum piliferum Schreb. mit einem solchen der drei
Barbula-Arten, so glaubt man auf den ersten Blick, auch bei letzteren Querschnitte von
Polytrichumblättern vor sich zu haben. Die in Betracht kommenden Polytrichum- und
Barbula-Arten gehören zu den Xerophyten, die starke Entwicklung der sklerenchymatischen
Elemente liefert den deutlichsten Beweis.
Für höhere Pflanzen ist experimentell nachgewiesen worden, daß, falls man bei ver-
minderter Wasserzufuhr die Transpiration beschleunigt, in der Regel die chlorophyll-
führenden Palissadenzellen der Blätter eine Vergrößerung in der Richtung ihrer Längs-
achse erfahren. Ich glaube nun nicht zu weit zu gehen, wenn ich die Lamellen der Arten
vom Polytrichum piliferum - Typus als ein Analogon zu den Palissadenzellen der Blätter
höherer Pflanzen auffasse; abgesehen von der Aufgabe der Wasserspeicherung stehen die
Lamellen im Dienste der Assimilation. Dieser Aufgabe können aber die Lamellen der in
Betracht kommenden Polytrichaceenarten um so leichter gerecht werden, als sie die größten
sind, die wir bei den Polytrichaceen antreffen. Die xerophile Struktur gibt sich also
auch im der Organisation der Lamellen zu erkennen.
Noch in einigen anderen Punkten stimmen die Arten vom Typus des Polytrichum
piliferum Schreb. überein. Die Endzellen der Lamellen der von mir untersuchten Arten
haben nämlich alle dieselbe flaschenfórmige hyaline Membranverdickung, die bei hygro-
philen Formen niemals vorkommt; zwischen Blattbau im allgemeinen und der Aus-
gestaltung der Lamellenendzellen besteht also eine feste Beziehung. Breitet man ein Blatt
von Polytrichum piliferum Schreb. z. B. ohne Druck des Deckglases auf dem Objekttrüger
aus, so leuchten bei richtiger Anwendung des Spiegels die flaschenfórmigen hyalinen
Verdiekungen als Punktreihen durch. Weiter verdient die eigentümliche Gestalt (Fig. 25),
die Färbung der Membranen, sowie der geringe Gehalt an festen Bestandteilen im
Innern der Zellen des laminaren Saumes hervorgehoben zu werden. Bei letztgenannter
477
Art sind die Zellen des Blattsaumes, die man mit einem Doppelfenster, das sich aus zahl-
reichen kleinen Scheiben zusammensetzt, vergleichen kann, wasserhell; betrachtet man ein
turgeszentes Blatt von der Oberseite, so schimmert das grüne Lamellengewebe durch, so-
dass das Auge die über diesem liegenden Säume gar nicht sieht. Leicht nimmt das Licht
seinen Weg durch die Säume in das Innere zu den Lamellen; nur wenige Körper — ob
dieselben Licht überhaupt absorbieren, muß unentschieden bleiben — innerhalb der Saum-
zellen und die Membranen, die auch hell sind, könnten dem durchgehenden Licht sich
hindernd in den Weg stellen, was aber kaum anzunehmen ist. Bei Verlust des Wassers
verengt sich der Spalt zwischen den Säumen, indem die verdickten hyalinen und gewellten
Ränder — das habituell sehr ähnliche Polytrichum nano-globulus C. Müll. stimmt
darin mit P. piliferum überein — der laminaren Platten einander nähern; im lufttrockenen
Zustand greifen Wellenberge und Wellentäler der Ränder z. T. lückenlos ineinander und
stellen einen vorzüglichen Verschluß des Hohlraums an der Blattoberseite her, eine
Einrichtung, die zweifellos eine übermäßige Verdunstung des vorhandenen Wassers zu ver-
hindern imstande ist.
Fig. 24. Fig. 25.
Die Färbung der Membranen der laminaren Blattteile darf nicht als ein nebensäch-
liches Moment angesehen werden. Bei Polytrichum brachypyxis C. Müll. erscheint das
Gewebe im durchfallenden Licht hellbraun, ebenso bei Polytrichum rhacomitrium C. Müll.
und .P. nano-globulus C. Müll, bei P. pallidicaule C. Müll. hellgelb.
An Querschnitten durch die Blätter der genannten Arten fällt im Gegensatz zu
zahllosen Polytrichaceen die ungewöhnlich dichte Stellung der Lamellen auf, größere
Lücken zwischen diesen fehlen, nur vereinzelt begegnet man schmalen, spaltenförmigen
Hohlräumen. Bei xerophilen Arten sollte man aber das gerade Gegenteil erwarten. Be-
rücksichtigt man aber, daß diese Spezies die dicksten Blätter und höchsten Lamellen
besitzen und daß sie über eine ganze Reihe vorzüglicher Einrichtungen zur Wasser-
speicherung und Herabsetzung der Transpiration verfügen, so erweist sich die lockere
Stellung der Lamellen als vollständig überflüssig.
Es ist kein Zufall, daß gerade unter diesen xerophilen Formen vom Typus des Poly-
trichum piliferum Schreb. sich einige befinden, deren Blätter eine wohlausgebildete hyaline
Spitze, ein sogenanntes Glashaar, besitzen; solche Arten sind die letztgenannte und das in
Àbh. d. II. KI. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 62
478
bedeutender Höhe am Kilimandscharo vorkommende Polytrichum. nano-globulus ©. Müll.
Derartige Glashaare finden wir bei Bryophyten, die an trockenen, sonnigen Plätzen vor-
kommen.!) Wir dürfen annehmen, daß diese beiden Arten im Kampfe ums Dasein infolge
äußerer Einwirkungen in. den Besitz eines solchen Glashaares gelangt sind. Kultiviert
man Polytrichum piliferum Schreb. in feuchter Luft, wie ich es getan, so kommen die
Glashaare in Wegfall.
Die symbiotische Natur des Flechtenthallus ist längst erkannt und dürfte heute kaum
noch einen ernsthaften Gegner finden. Bestimmte Algenarten, vor allem solche aus den
Abteilungen der Schizophyceen und Chlorophyceen sind mit den Hyphen gewisser Asko-
und Basidiomyceten zu einer Lebensgemeinschaft verbunden und setzen das Flechtenlager
zusammen. Aber auch mit höheren Pflanzen gehen mehrere niedere Algenarten ein, wenn
auch weniger inniges symbiotisches Verhültnis ein; das bekannteste Beispiel ist das der
Anabaena Azollae, die man stets zwischen Ober- und Unterlappen der Blätter von Azolla
caroliniana antrifft. Es ist nun nicht einzusehen, warum nicht auch in anderen Gruppen
des Pflanzenreichs, z. B. bei den Bryophyten symbiotische Verhältnisse vorkommen sollen.
In den Zwischenräumen der Lamellen sehr zahlreicher Polytrichaceen fand ich stets Algen,
von denen die meisten wohl den Familien der Nostocaceen und Palmellaceen zuzuweisen
sein dürften. Was mich aber in der Überzeugung bestärkt, daß es sich in vielen Füllen
nicht um ein zufälliges Eindringen der in Frage stehenden Algen in die Hohlräume zwischen
den Lamellen, sondern um eine wirkliche Symbiose handelt, ist die sicher von mir fest-
gestellte Tatsache, daß die Lamellenhohlräume und die Oberseite der Blätter bei bestimmten
Arten auch von ganz bestimmten Algenspezies bevölkert werden. Es handelt sich, soweit
meine Beobachtungen reichen, stets um Algen, die eine Schleimhülle entwickeln. Dieser
kommt bekanntlich in hohem Grade die Fähigkeit zu, Wasser zu speichern, das sie aber
nur langsam wieder abgiebt. Welcher Vorteil für die kompliziert gebauten Blätter der
Polytrichaceen sich aus dieser losen Verbindung ergibt, liegt klar auf der Hand. Bei
Pogonatum microstomum Br. Eur. beobachtete ich an den Spitzen zahlreicher Blätter des-
selben Stümmchens größere, mit bloBem Auge deutlich wahrnehmbaxe, klumpenfórmige
Anhüufungen der Füden einer Cyanophycee, die, innig miteinander verbunden, in eine
große, durch Schleimmassen gebildete Gallerte eingebettet waren. (Fig. 26). Noch auf-
fälliger ist die Erscheinung bei Polytrichum mahense Besch., dessen Blätter, von der
Seite betrachtet, wie mit Fransen eingefaßt erscheinen. In diesem Falle handelt es sich
um eine außerordentlich zarte Oscillarie, deren Fäden in ungeheuerer Anzahl die Lamellen-
zwischenriume und die Oberseite der Blätter bewohnen. (Fig. 27. Siehe auch das bei
stärkerer Vergrößerung gezeichnete Stück eines Blattes der letztgenannten Art. Fig. 28.)
Bei Pogonatum Junghuhnianum Dozy et Molkboer und e. a. bildeten die Algenfäden an der
Oberfläche der Lamellen mit ihren Schleimhüllen ebenfalls eine zusammenhängende Decke,
die man für sich mit der Nadel abheben konnte. (Fig. 29.)
Über die bei Verlust des Wassers eintretenden Schrumpfungs- und Bewegungs-
erscheinungen der Blätter mehrerer Polytrichaceen, wie Dawsonia superba Grev. und Poly-
trichum piliferum Schreb. habe ich im Band 96 Heft 3 der Zeitschrift „Flora“ ausführliche
ı) C. Göbel, Organographie. Teil II, Heft I, Bryophyten, p. 368 und Lorch, Beiträge zur Anatomie
und Biologie der Laubmoose. Flora, 1594, p. 39.
479
und, wie ich glaube, auch ausreichend erklärende Mitteilungen veröffentlicht. Bei Dawsonia
superba Grev. wird das Blatt meist von drei, selten von vier Sklerenchymplatten durchzogen.
An Ausdehnung nehmen diese Platten von der hücken- nach der Bauchseite allmählich ab.
Beobachtet man einen Blattquerschnitt unter dem Mikroskop in dem Augenblick, wenn er
sein Wasser verliert, so kann man mit Leichtigkeit feststellen, daß diese sklerenchymatischen
Strünge infolge ihrer starken Zusammenziehung einen Zug nach den Flügeln des Querschnittes
. und nach der ventralen Linie desselben ausüben. Alle Stränge kontrahieren sich nach der
Symmetrielinie des Schnittes, und es hat den Anschein, als ob ein System von Gummibändern,
deren Enden in der Mediane befestigt sind, mit ihren freien Enden die übrigen Teile des
Querschnittes nach dem mittleren Teile desselben hinzógen. Die Lumina der weiteren
Zellen der Sklerenchymplatten werden, sobald die Kontraktion der letzteren vor sich geht,
gestaltlich bedeutend verändert. Aber auch die übrigen weitlumigen Elemente nehmen an
der Gestaltveründerung teil und erfahren eine Streckung in der Richtung, in der die Kraft
wirkt. Die transversalen Bewegungen des Blattes von Dawsonia superba Grev. sind also
lediglich auf das Verhalten der Sklerenchymplatten zurückzuführen.
es ee
Amr
Fig. 28. Fig. 29.
Bei Polytrichum piliferum Schreb. und vielen exotischen Arten, wie P. aristiflorum
Mitt. brachypyxis C. Müll, rhacomitrium C. MülL, pallidicaule C. Müll., nano-globulus
C. Müll. und. vielen anderen, überdecken die breiten Laminarsäume im turgeszenten Zustand
62*
480
die Lamellenschicht bis auf einen kleinen Spalt. Diesbezügliche Experimente zeigten, daß
die bei Polytrichum juniperinum Willd. und strictum Banks. noch zu beobachtende Be-
wegungsfähigkeit der einschichtigen Blattflächen ganz oder besser gesagt fast ganz in
Wegfall kommt.
Bei einer sehr großen Anzahl Polytrichaceen fand ich in der dorsalen Sklerenchym-
platte auf Blattquerschnitten eine in der Mediane liegende mechanisch schwächere Stelle,
um welche sich beide Blattflügel etwas nach der ventralen Seite des Blattes drehen können.
Da, wo die ventrale Sklerenchymplatte an die stets stürkere dorsale herantritt, kann
man sehr oft eine Verstärkung des dorsalen Sklerenchymstranges beobachten. Diese Ver-
stärkungen stellen die Angriffspunkte der Kräfte dar, die in der ventralen Platte ihren
Sitz haben und die z. B. bei Polytrichum piliferum Schreb. bei Verlust des Wassers
bewirken, daß die Blätter um die mechanisch schwächere Stelle in der dorsalen Platte
sich drehen, wodurch die einschichtigen Laminarteile veranlaßt werden, eine schwache
Bewegung nach der Oberfläche der Lamellen auszuführen, die einschichtigen Laminarteile
besitzen außerdem noch eine Eigenbewegung.
Die longitudinalen, höchst auffälligen Bewegungen vieler Polytrichaceen sind auf die
Tätigkeit eines am Übergang von Scheide zu Spreite liegenden Schwellgewebes zurück-
zuführen. !)
Firtsch führt die longitudinalen Bewegungen der Blätter von Polytrichum junipe-
rinum auf das verschiedenartige Schrumpfungsvermögen der beiden die Rippe durchziehenden
Sklerenchymplatten zurück. Es müßten sich dann aber auch alle Polytrichaceen, deren
Blätter mit zwei Sklerenchymsträngen versehen sind, genau wie Polytrichum juniperinum
verhalten, was aber nur bei solchen Arten der Fall ist, die ein Schwellgewebe besitzen.
Ist ein solches nicht vorhanden, so treten bei Wasserverlust Schrumpfungen ein, die mit
den bei Polytrichum juniperinum u. a. zu beobachtenden Bewegungen nichts Gemeinsames
haben. Mehrere Dawsonien verfügen in ihren Blättern sogar über drei bis vier Sklerenchym-
platten, man müßte also annehmen, daß alle diese Stränge sich bei Eintrocknung ver-
schieden verhalten.
Ich möchte aber nicht unterlassen, noch auf einen Punkt aufmerksam zu machen,
den ich der angezogenen Arbeit zu besprechen unterließ, weil er besser in dieser Publikation
dargelegt zu werden verdient, zumal die zu schildernde Einrichtung mit der Funktion der
Lamellen in engem Zusammenhang steht.
Legt man ziemlich dicke Querschnitte durch die Blätter von Polytrichum alpinum Dill.,
perichaetiale Mort., Pogonatum capillare Mich. u. a. ohne Druck des Deckglases auf den
Objekttrüger, so läßt sich leicht unter dem Mikroskop beobachten, daß die Blätter, sobald das
Wasser verdampft, von beiden Seiten her sich gleichmäßig zusammenziehen, ohne eine
bemerkenswerte Gestaltveränderung zu erfahren. Was aber auf Querschnitten durch die
Blätter der genannten Arten besonders auffällt, ist die eigentümliche Stellung und der
!) Lorch W., Einige Bewegungs- und Schrumpfungserscheinungen an den Achsen und Blättern
mehrerer Laubmoose als Folge des Verlustes von Wasser. Flora, Band 97, Heft 1, S. 76 —95. — Firtsch G.,
Über einige mechanische Einrichtungen im anatomischen Bau von Polytrichum juniperinum. Ber. d.
D. bot. Ges. 1883, Band I. — Stolz F., Zur Biologie der Laubmoose. Nach dem Tode des Verfassers
veröffentlicht von K. Giesenhagen in Flora, 1902, Heft 2, S. 305—315. — Bastil, Recherches anato-
miques et physiologiques sur la tige et la feuille des Mousses in Revue générale de Botanique. T. III, 1891.
481
anatomische Aufbau des laminaren Teils. Bei Poly-
trichum alpinum Dill. z. B. sind die Blattsäume steil
aufgerichtet, bei Polytrichum perichaetiale Mort sind >
sie bogenförmig nach oben und innen gekrümmt, bei ne
Pogonatum capillare Mich. besteht der schmale Saum
aus mehreren Zellen mit sehr stark verdickten Mem- a
branen. (Fig. 30a, b, c.) Diese Einfassung zieht sich
längs des ganzen Blattes hin, ausgenommen davon ist
der scheidenförmige basale Teil. wo eine derartige Ein-
richtung, da hier die Lamellen fehlen, vollständig über-
flüssig ist. Die äußersten Lamellen stoßen unmittelbar
an den Blattsaum an, dieser folgt mit seinen Aus- und
Einbuchtungen genau den entsprechenden Ein- und
Ausbuchtungen der Randlamellen, wie leicht an Blättern,
die ohne Druck unter das Deckglas gelegt werden,
festzustellen ist. Bei Pogonatum capillare Mich. springt
eine Zelle so nach innen vor (Fig. 30c), daß sie genau
an die Endzelle der Randlamellen anstößt. Welche
Aufgabe hat nun diese Einrichtung zu erfüllen?
Man benützt in Bibliotheken, um das Umfallen
und lückenlose Aufstellen von Büchern zu ermöglichen,
rechtwinklig gebogene Blechstücke. Wird ein Buch
aus der Reihe herausgenommen, so müssen, damit die
gewünschte Ordnung wieder eintritt, beide Blechstücke
etwas einander genähert werden. Bei Pogonatum capil-
lare Mich. u. a. wirken nun die eigenartig geformten
Randteile der Blätter genau so wie jene Metallwinkel.
Zieht sich das Blatt infolge Wasserverlustes etwas
zusammen, so findet eine Annäherung der Blattränder statt. Es werden durch die nach
innen vorspringenden Zellen des Blattrandes die Kopfzellen der Lamellen einander näher
gebracht, so daß der früher bestehende Zustand der gegenseitigen Lage der Lamellen
wieder eintritt, andernfalls würde bei Wasserverlust die Oberseite der Lamellen Lücken
erhalten, durch die das Wasser in tropfbar flüssiger Form austreten und dann leicht
verdampfen könnte, was durch jene Einrichtung verhindert wird, der wir noch bei zahl-
reichen anderen Polytrichaceen, u. a. Trichopilum simense B. et S. und Polytrichum tim-
mioides C. Müll. begegnen. Wie bei einem empfindlichen Aneroidbarometer die geringsten
Schwankungen des Luftdrucks die Stellung des Zeigers beeinflussen, so hängt bei der
geschilderten Einrichtung der Polytrichaceenblütter die Entfernung der Punkte a a (siehe
schematische Fig. 31) von dem größeren oder geringeren Wassergehalt der Membranen der
mechanisch wirkenden Zellen ab, aus denen sich die dorsale Sklerenchymplatte zusam-
mensetzt.
Fig. 30.
Kultiviert man Rasen von Polytrichum commune L., unserer stattlichsten einheimischen
Art, in einem mit Wasserdampf gesättigten Raume (beispielsweise in einem durch einge-
schliffenen Glasstöpsel luftdicht verschließbaren zylindrischen Gefäße) derart, daß nur die
482
unteren Teile des Rasens in Wasser -eintauchen. so läßt sich, besonders wenn die Tem-
peratur der eingeschlossenen Luft als „kühl“ bezeichnet werden ‚kann, an der Oberseite
eines jeden nicht untergetauchten Blattes unmittelbar vor der Spitze ein winziges Wasser-
trüpfchen beobachten, dagegen gelingt es nicht, selbst bei Benützung einer starken Lupe;
Ausscheidungen von Wasser in Form von Tropfen an der Lamellenoberfläche nachzuweisen.
Die Zwischenräume zwischen den einzelnen Lamellen sind bei genannter Art ziemlich groß
und unter den soeben näher bezeichneten günstigen Umständen mit Wasser gefüllt. Da
die eigentümlich geformten Endzellen der Lamellen mit ihren seitlichen Emergenzen im
Zustande der Turgeszenz dicht aneinanderstoßen, so kann nur an der Spitze des Blattes,
wo die Lamellenhohlräume sich öffnen, Wasser in Tropfenform austreten. Dieser Versuch
beweist, daß in der Tat die Endzellen der Lamellen einen Verschluß der Lamellenhohl-
räume herstellen und ein allzu rasches Verdunsten des in ihnen kapillar festgehaltenen
Wassers zu verhindern imstande sind.
Fig. 31.
Rasen von Polytrichum commune L. gedeihen in feuchter Luft sehr gut, man ist
also in der Lage, die Einwirkung der in reichlicher Menge zur Verfügung stehenden
Feuchtigkeit auf die Ausbildung der Blätter und insbesondere der Lamellen kennenzu-
lernen. Die in der mit Wasserdampf gesättigten Atmosphäre hervorgebrachten Sprosse
sind schmächtig, ihre Blätter klein und ziemlich weit voneinander entfernt. Eine genauere
Untersuchung zeigt, daß die Rippe im Vergleich zum einschichtigen Spreitenteil des Blattes
sehr schwach entwickelt ist, außerdem fehlen die Lamellen vollständig. ‘Von dem bei nor-
malen Blättern so deutlich ausgebildeten Schwellgewebe!) ist auch nicht die geringste
Spur vorhanden. Lamellen und Schwellgewebe, diese charakteristischen Eigentümlichkeiten
vieler Polytrichaceenblätter, entstehen bei Polytrichum commune L. nicht, sobald die äußeren
Bedingungen sich derart gestalten, daß ihre Ausbildung sich als überflüssig erweist, und
das ist bei Kultur in dauernd mit Wasserdampf gesättigter Atmosphäre der Fall. Auch
ist von der scharfen Sonderung des normalen Blattes in einen scheidigen Teil und eine
Spreite bei den Blättern im Feuchten erwachsener Stümmchen nichts zu bemerken.
Auf die große Formenmannigfaltigkeit und die durch die Symmetrieverhältnisse des
Blattes bedingte Ausbildung der Lamellenendzellen habe ich bereits früher hingewiesen.
1) Siehe Flora, Band 96, Heft 3.
485
Auch habe ich in dem Abschnitt, der die Entwicklungsgeschichte des Blattes und der
Lamellen behandelt, darauf aufmerksam gemacht, daß die Einfügung der antiklinen Mem-
branen bei verdoppelten Lamellenendzellen und die Membranverdickungen und hyalinen
Verstärkungen die letzten Stadien der Lamellenentwicklung ausmachen. Da diese unstreitig
wiehtigsten Teile der Lamellen den Abschluß der Entwicklung bilden, so drängt sich die
Frage auf, ob nicht die besondere Gestaltung der Lamellenendzellen überhaupt als Folge
äußerer Reize aufzufassen ist. Ich neige zu der Ansicht, daß sie funktionelle Anpassungen
darstellen, die.von äußeren Faktoren hervorgebracht werden. . Einen Nachweis dafür zu
erbringen, ist, soweit ich sehen kann, nicht möglich, denn, wie das Beispiel von Poly-
triehum commune L. beweist, verschwinden die Lamellen bei Kultur in dauernd feuchter
Atmosphäre, damit ist also die Untersuchung der Lamellen zur Unmöglichkeit geworden.
Es ist auch nicht anzunehmen, daß die Kultur anderer Arten zu wesentlich anderen Er-
gebnissen führen wird. Als Stütze für meine Ansicht teile ich folgende, von. mir bei
zahlreichen Polytrichaceen beobachtete Tatsache mit, indem ich gleich im voraus bemerke,
daß die von außen einwirkenden Reize verschiedenartig sein können. Außer der Feuchtigkeit
kommt wohl auch das Licht als formbildender Reiz in Betracht.
Werfen wir einen Blick auf Fig. 32, m der
die rechts von der Symmetrielinie gelegenen (Qe A
IAS US
Lamellenendzellen des Blattes von Polytrichum N [/N// INA TL \
juniperinum Willd. abgebildet sind, so fällt sofort \ I m b | on A
auf, daß die bei den mittleren Endzellen vor- N A AA Ta A aA N fin
handene bedeutende Verdickung des oberen Teils | \ YI y " [ N €
nach den Seiten hin allmählich abnimmt, so daß A I) Al "nn t4 1) (6
bei den Randzellen von irgend einer Membran-
verdickung nicht mehr die Rede sem kann. Wie Dep EPI
Polytrichum juniperinum Willd. verhalten sich
viele andere Arten der Polytrichaceen. Ich bin überzeugt, daß, nachdem das Blatt seine
Entwieklung im großen ganzen abgeschlossen hat, die definitive Gestaltung der Lamellen-
endzellen bedingt wird von einem von außen einwirkenden Reize, und zwar bei letztge-
nannter Art von einem Lichtreiz. Wie verschiedenartig Lichtreize überhaupt wachsende
Stämmehen und deren Blätter beeinflussen, habe ich durch eine ausgedehnte Versuchsreihe
ermittelt.
Eine große Spiegelglasplatte wurde an ihren Rändern mit einer Pappleiste eingefaßt,
so daß das Ganze die Gestalt einer niedrigen Wanne annahm. Darauf wurde der ent-
standene niedrige Hohlraum mit weißem Sand ausgefüllt. In diesen versenkte ich gleich-
große, mit Wasser gefüllte Bechergläser, die dann mit Rasen von Polytrichum commune L.
und Dieranum maius Turn. beschiekt wurden. Über jedes Becherglas stülpte ich einen
lichtdichten Pappzylinder, der seitlich in der Höhe der Rasen einen schmalen Spalt oder
an der Basis oben ein kleines kreisrundes Loch besaß. Das Eindringen von Licht von
unten her wurde dadurch verhindert, daß die Pappzylinder ebenfalls in den Sand ein-
tauchten. Alle möglichen Kombinationen, was Anbringung von Spalten und. Löchern
anbelangt, habe ich zur Anwendung gebracht.
Die nach Anstellung der. Versuche gewachsenen Stümmchenteile beider Arten unter-
schieden sich in einem Punkt sehr wesentlich. Während bei Polytrichum commune L.
484
die Stämmchen selbst sehr deutlich sich dem lichtspendenden Spalt zuwandten, war dies
bei Dieranum maius Turn. nicht der Fall, hier folgten nur die Blätter dem bestimmenden
Reiz, während bei Polytrichum commune L. Stämmchen und Blätter den äußeren Ein-
wirkungen entsprechend reagierten. Polytrichum commune - Stämmchen, die durch zwei
diametral gegenüberliegende Spalten Licht empfingen, neigten zur Hälfte nach der einen,
zur Hälfte nach der anderen Seite. Die Blätter selbst stellten sich so, daß man von einer
Art Zweizeiligkeit sprechen konnte. Am überraschendsten aber war das Ergebnis eines
der vielen Experimente mit Dicranum maius Turn. Stümmchen dieser Art, die durch ein
kleines Loch von oben Licht erhielten, entwickelten nach allen Seiten Blätter, so daß von
der in der Natur vorhandenen, außerordentlich gut entwickelten Einheitswendigkeit der
Blätter nichts mehr zu sehen war. Ich glaube hierdurch den experimentellen Nachweis
erbracht zu haben, daß die einseitswendige Anordnung der Blätter bei vielen Laubmoosen,
u. a. auch bei Dieranum maius Turn., auf Lichtreize zurückzuführen ist.
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6. 73:
Fig. 33.
„Die mechanische Funktion der Zellen, sagt Göbel (Flora 1906, S. 13), scheint mir bei
den Moosen allzusehr in den Vordergrund gestellt worden zu sein. Käme sie wirklich
ausschließlich in Betracht, so wären viele Moose geradezu verschwenderisch damit aus-
gestattet, jedenfalls nicht nach dem Prinzipe, daß mit dem geringsten Materialaufwand
die größte notwendige Festigkeit erzielt werden sollte. Abgesehen von der Bedeutung
der Membranverdickungen als Schutz gegen Transpiration, Tierfraß etc. kommen gewiß
noch andere Faktoren in Betracht, die derzeit unbekannt sind, da unsere Kenntnis der
485
Stoffwechselerscheinungen und des inneren Aufbaues der Moose noch eine zweifelhafte ist.“
Ich stimme Göbel bei und erblicke in der bei zahllosen Formen der Bryophyten vorkom-
menden Membranverdickung in erster Linie eine Einrichtung zum Festhalten des Wassers,
das bekanntlich meist von der Oberfläche der Blätter, des Stämmehens und anderer Organe
zugeführt wird. Es nimmt nicht nur der Zellinhalt Wasser auf, dieses durchdringt auch
die Membranen und wird in ihnen, wie es nach manchen Beobachtungen sehr wahrscheinlich
ist, viel kräftiger festgehalten als von dem
Inhalt selbst. Besonders stark verdickte
Wände besitzen die xerophilen Arten, es
wäre aber durchaus verkehrt, aus dem
anatomischen Befund kurzerhand auf Xero-
philie bzw. Hygrophilie einer Art schließen
zu wollen. Dies geschieht leider sehr oft;
ich möchte an dem folgenden Beispiel nach-
weisen, daß z. B. eine Art mit ausgesprochen
xerophilem Blattbau trotzdem zu den hygro-
philen Formen gerechnet werden muß. Po-
gonatum macrophyllum D. et M., eine der
größten Polytrichaceen, die in dem malay-
ischen Archipel, einem der niederschlag-
reichsten Teile der Erde, ihre Heimat hat,
ist dadurch merkwürdig, daß ihre Blätter
keine Lamellen aufweisen. C. Müller-Hal.
sagt ganz richtig: folia — omnia lamellis
brevissimis instructa, itaque veluti elamel-
losa. (Siehe Fig. 34.) Blattquerschnitte
geben aber noch einen anderen interessanten
Aufschlu&. Es erhöht sich nämlich bei
dieser Art die Zahl der Sklerenchymplatten Fig. 94.
auf drei, außerdem sind alle Zellen mit sehr
stark verdickten Membranen ausgestattet. Wer nun aus diesem anatomischen Befunde den
Schluß herleitet, es handle sich bei Pogonatum macrophyllum D. et M. um eine xerophile
Art, befindet sich im Irrtum. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Die starken Wände des
Blattgewebes, die größere Zahl der Sklerenchymstrünge haben hier nicht die Aufgabe der
mechanischen Festigung zu erfüllen, sie dienen zur Speicherung des Wassers, das durch
Lamellen, denen sonst diese Aufgabe zufällt, nicht festgehalten werden kann. Es liegt
hier eine Korrelation vor, wie sie kaum besser in die Erscheinung treten kann. Der anato-
mische Bau des Stämmchens trägt kein xerophiles Geprüge. Ein Schwellgewebe ist nicht
vorhanden, weleher Umstand ebenfalls für die Hygrophilie dieser Art spricht. Bei Ein-
trocknung verhalten sich die Blätter wie die zahlreichen Vertreter immerfeuchter tropischer
Gebiete, hierher gehóren vor allem die von C. Müller unter Catharinella vereinigten Arten.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 65
486
Versuche mit Blättern von Polytrichum commune L.
Löst man ganze Blätter dieser Art vom Stämmchen los, legt sie auf einen Objekt-
träger und läßt sie eintrocknen, so vollzieht sich unter anfänglich schwacher Krümmung
des Spreitenteils die Aufbiegung des letzteren in die Trockenstellung. Bei weiterer Ein-
trocknung beschreibt der Spreitenteil einen starken Bogen, dessen Öffnung an der Blatt-
oberseite liegt. Scheide und Spreite stellen schließlich eine Kreislinie dar, die einem Winkel
von ca. 270° angehört. An der Aufwärtskrümmung und Biegung nimmt die Scheide keinen
Anteil. Eigentümlich sind die Vorgänge, die sich fernerhin an dem eintrocknenden Blatt
beobachten lassen. Die Blattspitze krümmt sich nämlich wieder nach oben zurück, auch
die übrigen Teile der Spreite ändern ihre Linienführung, schließlich zeigt das Blatt die
Form eines S8.
In der Natur findet niemals eine derartige starke Krümmung (ca. ?|, einer Kreislinie)
der Blattspreite statt. Das Stümmchen und die Blätter selbst verhindern, daß ein Blatt
sich über einen gewissen Betrag hinaus nach oben umbiegt. Da also den Blättern die
Fähigkeit innewohnt, stärkere Krümmungen auszuführen, so ist die notwendige Folge, daß
sie sich mit bedeutender Kraft nach oben aneinander legen bzw. zwischen einander drängen
müssen, was vom biologischen Standpunkt aus nur als vorteilhaft angesehen werden kann.
Es mußte nun nachgewiesen werden, daß ein einzelnes Blatt am Stümmchen sich
ebenso verhält wie ein davon losgelóstes. Ich schnitt die Stümmchen, die zuvor in Kork
eingespannt waren, quer durch und zwar immer über einer Blattscheide, beseitigte die
tiefer stehenden Blätter und überließ das Spitzenblatt der Eintrocknung. Der nun zu
beobachtende Vorgang war derselbe wie bei losgelósten Blättern. Das freistehende Blatt
zeigte zum Schluß die »förmige Gestalt, die Spreite stand quer zur Achse des Stämmchens.
Nach dem Gesagten sind also bei der Aufbiesung des Blattes von Polytrichum com-
mune L. drei Bewegungsphasen zu unterscheiden: Zunächst die Drehung der Spreite um
das obere Ende der Scheide, hervorgerufen durch das Verhalten des Schwellgewebes, als-
dann die Ausführung der starken bogenförmigen Krümmung seitens der Spreite und
schließlich die Umwandlung dieser einheitlichen Krümmung in eine Linie von » förmiger
Gestalt. Die Versuche beweisen, daß das Wasser in verschiedenen Teilen des Blattes nicht
gleichzeitig verdunstet, andernfalls müßte mit der einheitlichen Krümmung der Spreite die
Bewegung ihr Ende erreichen. Ich bemühte mich nun, die Ursache für die Krümmung
der Spreite ausfindig zu machen. Man konnte vermuten, daß die zahlreichen Lamellen
an der Blattoberseite besonders durch stärkere Kontraktion der eigentümlichen Endzellen
die Bewegung veranlaßten. Kratzt man vorsichtig mit einem spitzen und scharfen Messer,
ohne daß das Blatt sonst verletzt wird, die Lamellen weg, so tritt trotzdem die Bewegung
in die Trockenstellung ein, hiernach haben die Lamellen anscheinend keinen Anteil an der
Hervorbringung der Bewegung. Recht charakteristisch verhalten sich die Lamellen, die
man in Wasser unter das Deckglas bringt, beim Zutritt von Glyzerin. Sie krümmen sich
außerordentlich stark nach der Kante, an der die Endzellen der Lamellen liegen, voraus-
gesetzt, daB sie nicht am Objekttrüger oder Deckglas adhürieren. Sie nehmen aber ihre
ursprüngliche Gestalt wieder an, sobald man Wasser zuführt und den Einflu& des Glyzerins
beschränkt oder aufhebt. In der Natur kommt aber eine Behandlung mit Glyzerin nicht
487
in Frage, dieser Versuch enthält also keine Erklärung. Wasser und Alkohol oder absoluter
Alkohol allein bringen an den Lamellen keine Gestaltänderung hervor. Ohne Zweifel sind
aber die Lamellen doch an der Blattspreitenkrümmung beteiligt. Abgekratzte und sofort
unter das Deckglas gebrachte Lamellenstücke erhalten, falls sie nicht, wie es oft der Fall
ist, am Objekttrüger adhärieren, eine Ausbauchung an der oberen Kante, die von den
Endzellen gebildet wird, diese ziehen sich also zusammen, und zwar sehr stark, und wenn
man bedenkt, wie hräftig die Zugwirkung der zahlreichen Lamellen bei einem Blatte (50—70)
sein muß, so können wir uns nicht der Einsicht verschließen, daß sie bei dem Zustande-
kommen der Beugung großen Anteil haben müssen. Zarte Einschnitte am Rücken des
sonst unverletzten Blattes vermochten die Krümmung desselben ebenfalls nicht zu beseitigen,
dasselbe Ergebnis erzielte ich, wenn von der Oberseite her derartige Eingriffe vorgenommen
wurden. Die Krümmung trat auch ein, wenn die Zellflächen beiderseits der Rippe weg-
geschnitten oder wenn diese von den Seiten her mit einer feinen Schere in mehrere Ab-
schnitte zerlegt wurden.
Nicht geringe "Schwierigkeiten bereite& die Ausführung von Flüchenschnitten, durch
welche die dorsale Sklerenchymplatte in Wegfall gebracht werden soll. Die besten Resultate
erzielte ich noch, wenn ich das Blatt mit der Spitze in den Spalt eines federnden Korkes
einspannte und mit dem Rasiermesser über den Rücken des Blattes langsam hinfuhr; durch
die Berührung mit dem Messer legte sich das Blatt dicht an den Kork an, die Führung des
Messers wurde dadurch leichter und sicherer, so daß es mir öfter gelang, am Rücken des
Blattes einen zusammenhüngenden Gewebekomplex wegzuschneiden. Die in dieser Weise
ihres dorsalen Bündels beraubten Blätter führten die charakteristische Krümmung des
Spreitenteils nicht aus, ich ziehe hieraus den Schluß, daß das Übergewicht des dorsalen
Sklerenchymbündels bei unverletzten Blättern die Biegung der Spreite veranlaßt. Es sei
noch darauf hingewiesen, daß die Wirkung des Schwellgewebes durch Verletzung der
Spreite nicht im geringsten beeintrüchtigt wird.
Nach den Untersuchungen, welche ich an den Blättern von Catharinaea Hausknechtü
Jur. et Milde angestellt habe,') steht es fest, daß die verschiedenen Gewebemassen des
Blattes sich bei Verlust des Wassers durchaus verschieden verhalten, und was von der
genannten Art gilt, darf ganz allgemein von den an Laubmoosblättern zu beobachtenden
Schrumpfungserscheinungen gesagt werden. Nach welcher Richtung hin die Bewegungen
des Blattes sich vollziehen, darüber gibt die bei Polytrichum und vielen anderen Bryophyten
scharf ausgeprügte Dorsiventralitit Aufschlu&, denn immer tritt die Krümmung an der
anatomisch stärker differenzierten Seite auf, da naturgemäß hier auch der größte Feuch-
tigkeitsverlust zu verzeichnen ist. Aber ganz abgesehen davon ist bei den Blättern vieler
Bryophyten eine Bewegung nach der entgegengesetzten Richtung vollkommen ausgeschlossen,
weil das Blatt schon im turgeszenten Zustand in seinen einzelnen Teilen eine Lage ein-
nimmt, die gar keine andere Bewegung als die nach der ventralen Seite hin zuläßt. Selbst
unter der Voraussetzung, daß bei Tortula ruralis L. z. B. an beiden Blattflächen die Aus-
trocknung einen ganz gleichmäßigen Verlauf nähme, vermöchte sich das Blatt doch nur
nach der ventralen Seite hin zu krümmen, weil es an dieser eine im turgeszenten Zustand
1) Lorch, Einige Bewegungs- und Schrumpfungserscheinungen an den Achsen und Blättern mehrerer
Laubmoose als Folge des Verlustes von Wasser. Flora, Band 91, Heft 1, S. 82—84.
63*
488
vorhandene Aushöhlung besitzt, die nicht an die dorsale Seite des Blattes verlegt werden
kann, weil die kräftigen Blattränder und das meist aus zwei Lagen bestehende Stereiden-
bündel der Rippe hindernd in den Weg treten.
Bewegungserscheinungen an den Blättern der einheimischen Catharinaea-
Arten, hervorgerufen durch den Verlust der Feuchtigkeit.
Bei allen diesen Arten nehmen die Blätter bei Verlust des Wassers zunächst eine,
wenn auch unbedeutende Aufbiegung nach oben vor. Gleichzeitig erfahren die zuvor flach
ausgebreiteten Randpartien eine Aufrichtung, so daß an der Blattoberseite eine Rinne ent-
steht. Bei zunehmendem Wasserverlust krümmen sich die Blätter bogenförmig an ihrer
Oberseite. Am stärksten ist die Aufrichtung der Blattränder im apikalen Teile, wo sie
sich bald berühren. Alsdann rollt sich die Spitze schneckenförmig ein. Am längsten
turgeszent bleiben die unteren Blatteile. Im allgemeinen beginnt die Eintrocknung an der
Spitze und schreitet allmählich nach der Basis hin fort.
Unsere einheimischen Catharinaea-Arten besitzen kein Schwellgewebe, auch sind
Spreite und Scheide als gesonderte Blattabschnitte nicht vorhanden. Mit Ausnahme der
basalen Zellen sind alle übrigen durchaus gleichartig, meist rundlich-sechsseitig und in den
Winkeln etwas verdickt. Eine gewisse Ähnlichkeit der Laminarzellen mit denen des typi-
schen Schwellgewebes läßt sich nicht bestreiten, und wenn wir berücksichtigen, daß gerade
durch ihr Verhalten die Gestalt des Blattes im trockenen wie im turgeszenten Zustand
bestimmt wird, so dürfen wir sie als ein Schwellgewebe im weiteren Sinne ansprechen,
zumal die Laminarsäume zweifellos echter Polytrichum-Arten sich aus denselben Zellen
zusammensetzen.
Die Catharinaea-Arten bevorzugen stets feuchte Stellen als Wohnorte. Am üppigsten
gedeihen sie auf dem Boden lichter Laubwälder, an immerfeuchten Erdlehnen, unter
Hecken und Gebüsch, wo die Gefahr der Austrocknung selten an sie herantritt. Nicht
weil sie in ihrem Vorkommen an derartige und ähnliche Lokalitäten gebunden sind, ge-
hören sie zu den hygrophilen Polytrichaceen, sondern weil die Struktur ihrer Blätter z. B.
uns die Hygrophilie offenbart.
Es ist nicht angängig, die Eintrocknungserscheinungen bei den Catharinaea-Arten
mit den bei vielen anderen hygrophilen Formen vorkommenden zu vergleichen. Zweifellos
ist die Aufbiegung des Randes, besonders im oberen Blatteil eine Einrichtung besonderer
Art, der die Aufgabe zufällt, die auf die ventrale Seite des oberen Blattabschnittes be-
schränkten Lamellen vor dem Verlust des Wassers zu schützen. Ein Vergleich mit den
Schutzeinrichtungen des Blattes von Polytrichum commune L. anstellen zu wollen, hat
keinen Wert, weil ein solcher unmöglich ist. Wir können Polytrichum commune L. an
die Spitze einer Reihe stellen, deren Schluß die Catharinaea-Arten als die Vertreter der
einfachsten Schutzeinrichtungen gegen Transpiration darstellen. Beide Extreme sind durch
Übergänge mannigfachster Art verknüpft.
Die scharfe Gliederung eines Polytrichaceenblattes — viele Polytrichum-, Pogonatum-,
alle Dawsonia- und Polytrichadelphus-Arten — in Scheide und Spreite deutet stets darauf
hin, daß ein typisches Schwellgewebe vorhanden ist, lockere, d. h. an der Achse ab-
stehende Scheiden zeigen dagegen immer den gänzlichen oder fast vollständigen Mangel
489
eines derartigen Gewebes an. Umschließt die Scheide das Stümmchen nicht fest, so voll-
zieht sich der Übergang zur Spreite meist in der Form eines Bogens. Derartigen Ver-
hältnissen begegnen wir z. B. bei Polytrichum usambarieum Broth., latidens C. M., dissiti-
folium Broth., Holstii Broth., flexibilifolium C. M., Catharinella rubenti-viridis C. M. u. v. a.
Alle diese Formen schlagen eine Brücke zwischen den beiden Extremen Polytrichum com-
mune L. und Catharinaea undulata W. et M. Bei den genannten Arten, deren Zahl ich
noch um das Zehnfache vergrößern könnte, handelt es sich fast ausschließlich um Be-
wohner der niederschlagreichsten Teile der Erde, bei denen sich solch vollkommene Ein-
richtungen, wie sie Polytrichum commune L. besitzt, als überflüssig erweisen. Charakte-
ristisch für sie ist die Art, wie die Blätter die Verdunstung des Wassers zu verhindern
suchen. Bei Polytrichum usambaricum Broth. z. B. dessen Spreite, von einem ganz schmalen
Saum abgerechnet, dicht mit Lamellen bedeckt ist, wird bei Einbuße des Wassers durch
Aufbiegung der seitlich der Rippe gelegenen Spreitenflächen ein einheitlicher, zylindrischer
Hohlraum hergestellt; in dem die Lamellen von allen Seiten her fest umschlossen sind.
Wie Polytrichum usambaricum Broth. verhält sich auch das lamellenlose Pogonatum macro-
phyllum D. et M. Die Aufführung der Rinne beginnt stets an der Blattspitze und schreitet
ganz allmählich bis dahin fort, wo die Biegung zur Scheide sich vollzieht. Diese ist
wegen ihrer festen Verbindung mit dem Stämmchen daran verhindert, ihre Ränder nach
oben umzulegen. Es entsteht also an dem Übergang der Spreite zur Scheide eine Óff-
nung, aus der die Lamellen noch in größerer Anzahl hervortreten. Fällt Wasser auf die
Blätter, so gelangt es hier zuerst zu den Lamellen, die es sehr schnell in ihren kapillaren
Zwisehenräumen nach der Spitze hin transportieren können.
Die Polytrichaceen der tropischen Regenwälder und anderer niederschlagreicher Erd-
segenden fallen durch ihre tiefdunkelgrüne Farbe, durch den Reichtum der Zellen an
Chlorophyllkórnern, sofort auf. Charakteristisch für die meisten ist außerdem die starke
Kräuselung im Zustande der Trockenheit. Tiefes Grün, lockere Lage der Scheide am
Stämmehen, Aufbiegung der Blattränder zum Zweck der Herstellung einer Rinne oder
eines zylindrischen Hohlraumes an der Blattoberseite, Mangel des Schwellgewebes, Kräuse-
lung der Blätter im Zustande der Trockenheit sind im allgemeinen untrügliche Kennzeichen
der Hygrophilie.
Das Blatt der meisten Polytrichaceen wird von zwei Sklerenchymplatten durchzogen,
einer meist stärkeren, dorsalen und einer schwächeren, ventralen, nur bei einigen Daw-
sonia-Arten und bei Pogonatum macrophyllum D. et M. wird diese Zahl überschritten.
Gegen die Blattspitze hin vereinigen sich diese Bündel festerer Gewebeelemente zu einem
einzigen Strang, der für sich allein den Spitzenteil des Blattes einnimmt. Nach dem
Grunde hin, bei den Formen. deren Blätter deutlich Scheide und Spreite unterscheiden
lassen, dagegen schon beim Übergang beider Abschnitte, verringert sich die Ausdehnung
des fast immer stärkeren, dorsalen Bündels, so daß schließlich von einem Überwiegen des-
selben dem ventralen gegenüber nicht mehr gesprochen werden kann. Mit der Feststel-
lung dieser Tatsache ist aber nur wenig gewonnen. Ich habe gezeigt, daß das dorsale
Bündel die von dem Schwellgewebe unabhängige Krümmung der Blattspreite, z. B. bei
Polytrichum commune L., veranlaßt. Der scheidenartige Teil des Blattes dieser Art führt
aber niemals eine Bewegung aus, die eintreten müßte — wenn auch sehr schwach —,
wenn die Stärkeverhältnisse der Sklerenchymplatten hier dieselben wären wie im Spreitenteil.
490
Die Scheide, welche als halber Hohlzylinder das Stämmehen umfaßt, hat wesentlich andere
Aufgaben wie die Spreite zu lösen. Ihre breiten Säume führen viel weniger Chlorophyll
als die entsprechenden Abschnitte der Spreite, für die Assimilation kommen sie sicher
nur wenig in Betracht. Sie vermag Wasser festzuhalten, auch wird solches sicher, da alle
Scheiden einen einzigen Hohlzylinder bilden, zwischen diesem und dem Stämmchen auf-
wärts geleitet.
Kräftige Polytrichum eommune-Rasen kultivierte ich in feuchtigkeitsgesättigter Atmo-
sphäre. Die Rasen standen in Bechergläsern, die nur zur Hälfte mit Wasser gefüllt
waren. Die Stämmchen wuchsen in die Länge, die Zuwachsstücke waren aber verhältnis-
mäßig schmächtig. Darauf brachte ich die Rasen in Bechergläser mit Sachs’scher Nähr-
lösung, doch so, daß die Flüssigkeit nur die untersten Teile des Rasens bespülte. Nach
einiger Zeit hatten sich die schmächtigeren Stümmchenpartien um viel kräftigere Stücke
verlängert. Beide Versuche wiederholte ich an demselben Rasen mehrere Male und erzielte
mit der Zeit ca. 15 cm lange Zuwachsstücke, bei denen schmächtigere und üppigere Sproß-
teile fünfmal miteinander abwechselten. Ein Transport von unten findet also sicher statt,
und wenn es auch nicht mit Bestimmtheit behauptet werden kann, so doch mit einiger
Wahrscheinlichkeit, besonders zwischen Stümmchen und dem durch die Blattscheiden ge-
bildeten Hohlzylinder.
Bei allen Polytrichaceen, die wie so viele Catharinaea-, (Catharinella)-, (Oligotrichum)-
und Psilopilum-Arten eine scharfe Trennung von Scheide und Spreite nicht erkennen
lassen, bei denen mehr ein bogenfórmiger Übergang zwischen beiden stattfindet, enthalten
auch die Zellen der unteren Blattpartien viel Blattgrün. Sie kommen kaum für den durch
kapillare Kräfte bewirkten Wassertransport, wohl aber für die Assimilation in Betracht.
Die bei Verlust des Wassers eintretenden Krümmungen ‘des Blattes nach der Oberseite
hin und die vielfach damit verbundenen Aufbiegungen des Randes sind ohne Zweifel bedingt
durch das Verhalten der Laminarteile,*) nicht aber der Sklerenchymplatten, die, weil sie
ziemlich gleich stark sind, nicht so wirken können, wie zwei an Umfang erheblich ver-
schiedene Stränge. Wenn nun, wie es bei Arten der Sektio Cathariella C. M. der Fall ist,
die Blätter außer der Aufbiegung noch eine spiralige Drehung erfahren, so liegt dies un-
zweifelhaft daran, daß die Blattseiten ungleichartig entwickelt sind, denn bei genauerer
Untersuchung zahlreicher Blattquerschnitte stellte es sich heraus, daß die rechte und
linke Blatthälfte stets etwas ungleich ausgebildet sind, insbesondere gilt dies von den
sklerenchymatischen Elementen, an denen diese Tatsache sich am leichtesten feststellen ließ.
Bei der Mehrzahl der Polytrichaceen
darf die ventrale Sklerenchymplatte als eine
durchaus ungegliederte Partie sklerenchy-
matischer Zellen angesehen werden. Daw-
sonia Beccarii Geh. et Schlieph. macht eine
Ausnahme, die Bauchplatte ist hier nämlich
sehr deutlich durch großlumige, zartwan-
Fig. 35. dige Zellen in zwei Bündel zerlegt (Fig. 35).
!) Lorch. Einige Bewegungs- und Schrumpfungserscheinungen an den Achsen und Blättern
mehrerer Laubmoose als Folge des Verlustes von Wasser. Flora, Band 97, S. 82—84.
m
Noch weiter geht der Vorgang der
Zerlegung in mehrere kleinere und
größere Bündel bei Polytrichadelphus
Lyalli Mitt. Auf einem Blattquer-
schnitt zählte ich deren nicht weniger
als 15 (Fig. 36a), von diesen war
das centrale am kräftigsten entwickelt
(Fig. 36b). Ob die trennenden groß-
lumigen Elemente (Fig.36 c) als Durch-
la&zellen zu gelten haben oder ob sie
bei transversalen Bewegungen der
Blätter durch Verkleinerung ihres
Lumens ausgleichend wirken, muß
ich dahingestellt sein lassen.
Ganz allgemein läßt sich an den
lamellenführenden Blättern konsta-
tieren, daß die Lamellen nach der
Blattbasis hin eine allmähliche Ver-
kürzung erfahren, die immer mit einer
Veränderung bzw. Vereinfachung der
Endzellenorganisation verknüpft ist.
(Siehe die Figur in Goebel, Arche-
goniatenstudien. Flora, Band 96, Heft 1,
S.17.) Aber auch zwischen den End-
zellen der Lamellen aus der Blattmitte
und den mehr nach der Spitze hin
gelegenen bestehen oft bedeutende
Abweichungen. Als Beispiel diene
Dawsonia Victoriae C. M. Fig. 37a
führt einen Querschnitt durch den
oberen Blatteil vor. Die Anfügungen
der Lamellenendzellen sind sehr grof
und deutlich flaschenfürmig, in der
Mitte dagegen nehmen die hyalinen
Anfügungen an Stärke ab (Fig. 37 b),
wodurch die Endzellen eine andere
Gestalt erhalten. Im Gegensatz zu
Angehórigen anderer Pflanzengruppen
gelten die Laubmoose mit Recht als
sehr plastische Organismen, die auf
äußere Reize hin, vor allem solche
des Lichtes, in auffälligster Weise
reagieren. Ich hoffe noch, den durch
physiologische Versuche gestützten
491
492
Nachweis erbringen zu können, daß die hyalinen Anfügungen nur im Lichte entstehen.
Wenn, wie wir bei Dawsonia Victoriae C. M. sehen, diese Anfügungen nach der Basis der
Lamellen hin mehr und mehr abnehmen und schließlich ganz verschwinden, so führe ich
dies darauf zurück, daß an solchen Stellen, wohin nur wenig Licht gelangt — und dies
ist die Basis des Blattes —, die Ausbildung der hyalinen Verdickungen unterbleibt, wo-
gegen in den stürker belichteten, mittleren und oberen Lamellenschichten das Licht einen
fördernden Einfluß in Bezug auf jene Anfügungen ausübt.
II. Die Geschlechtsorgane.
Antheridien.
Die ,Blüten*?) der Polytrichaceen sind zweihäusig, selten einhäusig oder polygamisch.
Die Antheridien, besonders der diöcischen Formen, stehen immer in größerer Anzahl bei-
sammen, vermischt mit eigentümlichen Paraphysen und abweichend geformten Perigonial-
blättern, die in ihrer Gesamtheit die Gestalt eines Bechers oder einer Scheibe nachahmen.
Für die Arten von Dawsonia gilt dasselbe, außerdem bleibt auch bei ihnen die Scheitel-
zelle erhalten, und diese Tatsache für sich allein genügt, um klar zu erkennen, daß die
systematische Sonderstellung der Dawsoniaceen nicht zu rechtfertigen ist, daß sie also mit
den Polytrichaceen zu einer Familie vereinigt werden müssen.
Was nun die Gestalt der Perigonialblätter der männlichen Blütenstände anbelangt, so
ist zunächst hervorzuheben, daß sich an ihnen eine allmähliche Größenabnahme von außen
nach innen (von unten nach oben) nachweisen läßt. Mit der Größenabnahme ist aber
immer eine bedeutende Gestaltänderung verknüpft, auch verdient der Umstand, daß die
Perigonialblätter, mit den Laubblättern verglichen, in sehr niedrigen Spiralen — dadurch
kommt die Bechergestalt zustande — stehen, Beachtung. Bei den Polytriehum-, Dawsonia-,
Polytrichadelphus- u.s. w. Arten ähneln die untersten Perigonialblätter in ihrer Gestalt
noch sehr den Laubblättern, die wirklichen Perigonialblätter erinnern aber in nichts mehr
recht an die letzteren, sie sind meist verkehrt-eiförmig und nur zu einem geringen Teil
mit einer kleinen Anzahl von Lamellen ausgestattet. Perisonialblätter von dieser wech-
selnden Gestalt sind vorzüglich geeignet, einen allseitig gut schließenden „tiefen* Teller zu
bilden, in dem ein tüchtiger Wassertropfen aufgenommen werden kann. Gerade der obere,
sehr verbreiterte Blatteil der äußeren Perigonialblätter schließt allseitig den Teller von
der Innenfläche und bringt in ausgezeichneter Weise einen lückenlosen Rand hervor.
Wollte man sich diesen Teller aus den Laubblättern gebildet vorstellen, so wäre dazu, um
den gleichen dichten Verschluß nach außen zu bewirken, eine sehr große Anzahl von
Blättern erforderlich. Die Bildung des einheitlichen, lückenlosen Randes, wie ihn die
gestaltlich so stark abweichenden äußeren Perigonialblütter herzustellen vermögen, könnten
!) Entwicklungsgeschichtliche und vergleichend-morphologische Angaben in Hofmeister, Über
die Zellenfolge im Achsenscheitel der Laubmoose. Bot. Ztg., 1870. — Leitgeb, Die Antheridienstände
der Laubmoose. Flora, 1882. — Goebel, Über die Antheridienstände von Polytrichum. Flora, 1882. —
H.Satter, Zur Kenntnis der Antheridienstände einiger Laubmoose (Phascum cuspidatum, Archidium)
Berichte der Deutsch. Bot. Ges., 1884. — F. Vaupel, Beiträge zur Kenntnis einiger Bryophyten. Flora
1903, Heft 3.
493
aber die Laubblätter nicht zustande bringen. Es zeigt dies Beispiel, daß die Natur mit
geringem Aufwand an Material den denkbar größten Effekt erzielt und daß die Gestalt
der Organe ohne ihre Funktion nicht verstanden werden kann.
Bringt man auf die männlichen Blütenbecher von Polytrichum piliferum Schreb. einen
Tropfen Wasser, so bleibt dieser darin sehr lange Zeit erhalten, besonders wenn das
Stimmchen in einer feuchtigkeitsgesättigten Atmosphäre kultiviert wird, der Verschluß
durch die Perigonialblätter ist also ein sehr dichter. Hierfür sorgt eine besondere Ein-
richtung.
Auf Kosten der Rippe erfahren nämlich die Laminarteile des Blattes eine bedeutende
Verbreiterung, vor allem im oberen Abschnitt. Diese Seitenflächen sind außerordentlich
zart, sie vermögen sich aus diesem Grunde umso fester aneinander zu schmiegen, sodaß
Wasser, welches in den Becher gelangt, nicht nach außen entweichen kann. Daß die
Dichtigkeit des Verschlusses umso vollkommener sein muß, je zarter und demzufolge bieg-
samer die Laminarteile der Blätter sind, leuchtet ohne weiteres ein. In ähnlicher Weise
adhärieren sehr dünne, durch eine Wasserschicht getrennte Glas- oder Glimmerlamellen,
die man biegen kann, ohne daß sich ihr Zusammenhang löst. Eine seitliche Verschiebung
ist ohne bemerkenswerten Aufwand an Kraft möglich, will man sie dagegen in einer zur
Plattenfläche senkrechten Richtung auseinanderziehen, so begegnet dies denkbar größtem
Widerstande. Die gewöhnlichen starren Laubblätter, die außerdem, wenn sie eintrocknen,
noch eine besondere Bewegung ausführen, sind nicht imstande, einen derartig dichten
Verschluß herzustellen, weil ihre Laminarteile zu starr sind und nicht bei Berührung mit
entsprechenden Teilen anderer Blätter adhärieren würden. Von Interesse ist ja auch die
Tatsache, daß den Blättern der Becher die Fähigkeit, besondere Bewegungen zur Herab-
setzung der Transpiration auszuführen, gänzlich abgeht.
In der Knospenlage stehen die Blätter des Bechers aufrecht, sie schließen einen an-
nähernd zylindrischen Hohlraum ein. Erst durch das Auseinanderweichen der Blätter wird
die Schüsselgestalt des Bechers hervorgebracht. Es wird jetzt biologisch verständlich,
warum vor allen übrigen Blättern des Bechers gerade die äußeren mit solch breiten Seiten-
flächen ausgestattet sind und warum gerade die breitesten Laminarteile den oberen Blatt-
partieen angehören. Bei Entfaltung der Blätter an der Peripherie müssen breite Flächen
vorhanden sein, da diese am meisten sich voneinander entfernen. Die zarten Laminar-
teile, sich dicht deckend, verschieben sich seitlich und stellen mit den breiten, oberen
Partieen einen lückenlosen Rand her, aus dem nur die Rippen als prächtig gefärbte Spitzen
hervorragen.
Es drängt sich nun die Frage nach der biologischen Bedeutung dieser Antheridien-
becher auf. Ihre Gestalt zeigt, daß es nicht gewagt ist, sie als Wasserbehälter aufzufassen.
Bei der Antheridienentleerung spielt das im Becher aufgefangene Wasser ohne Zweifel
eine wichtige Rolle. Nachdem die Perigonialblätter den Becher oder die vertiefte Scheibe
gebildet haben, verharren sie dauernd in der von der Gestalt des Bechers geforderten Lage.
Den Perigonialblättern fehlt, wie ich a. a. O. nachwies, das Schwellgewebe, sie können
also nicht, wie die Laubblätter, longitudinale Bewegungen ausführen. Wie kommt es aber,
daß sie sich nach außen bewegen, wenn das Gewebe, welches bei den Laubblättern durch
sein eigentümliches Verhalten die Bewegungen bewirkt, bei den Perigonialblättern fehlt?
Ich halte es für ausgeschlossen, daß diese Blätter selbständige Bewegungen ausführen
Abh. d. IT. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 64
494
können, nehme im Gegenteil an, daß sie sich bei der Bewegung in radialem Sinne rein
passiv verhalten und durch Kräfte, die in den inneren Teilen des Bechers ihren Sitz haben,
auseinandergetrieben werden. Ich kann mir nicht denken, daß das Auseinanderweichen
der Perigonialblätter etwa als Analogon zu der Art und Weise, wie sich die Blütenhüll-
blätter höherer Pflanzen öffnen, aufzufassen ist. Nach meinen Beobachtungen ist die
Öffnung des Bechers auf die Volumenzunahme zurückzuführen, welche die zahlreichen
Antheridien und massenhaft erzeugten Paraphysen im Laufe ihrer Entwicklung erfahren.
Die Organisation der Antheridien und der gerade bei den Polytrichaceen hochdifferenzierte
Bau der Paraphysen erscheinen uns in einem ganz anderen biologischen Lichte, wenn wir
das Werden eines solchen Antheridienstandes zur Grundlage unserer Betrachtung machen
und von den Verhältnissen, wie sie dessen fertiger Zustand darbietet, vollständig absehen.
Auch bin ich keinen Augenblick im Zweifel darüber gewesen, daß hier die Beziehungen
von Funktion und Form der Organe in ausgezeichnetster Weise zum Ausdruck gelangen.
Es soll aber nicht bestritten werden, daß die den Paraphysen von anderen Forschern zu-
geschriebenen Funktionen ebenfalls von Bedeutung sind.
Auf den hohen Grad der Organisation der Paraphysen bei den Polytrichaceen ist
bereits hingewiesen worden. Sie bilden bei zahlreichen Vertretern dieser Familie in ihrem
oberen Teile Zellflächen, „welche nicht selten eine zweischneidige Scheitelzelle besitzen*.!)
In den männlichen Blüten von Dawsonia finden wir Übergänge zu den aus einem Zell-
faden bestehenden Paraphysen der übrigen Moose, ich glaube aber, daß die Dawsonia-
Arten, was ihre Paraphysen anbelangt, als die höchstorganisierten angesehen werden müssen.
In morphologischer Beziehung halte ich sie mit Goebel für Rhizoiden, wie sie in den Blatt-
achseln anderer Laubmoose anzutreffen sind; allem Anschein nach liest eine funktionelle
Anpassung vor.
Die Antheridien selbst sind von langgestreckter Gestalt und bei manchen Arten
werden sie von unverhältnismäßig langen, nach oben sich allmählich verdickenden Stielchen
getragen, wodurch eine deutlich keulenförmige Gestalt zustande kommt. Ich erinnere mich
nicht, bei Laubmoosen je solche Antheridien gesehen zu haben. Vergegenwärtigen wir
uns, daß die Antheridien durch Aufführung zahlloser Lüngs- und Querwünde, also durch
Bildung ebenso vieler Spermatozoiden erzeugender Zellen, an Umfang zunehmen, daß außer-
dem die massenhaft vorhandenen Paraphysen in ihrem oberen Teile sich durch Zellbildung
flächenförmig vergrößern, so ist die natürliche Folge, daß sie nach den Seiten hin einen
Druck ausüben müssen, der die vorher aufrechten Perigonialblätter in radialer Richtung
auseinandertreibt. Im Zentrum des Blütenstandes erhebt sich außerdem der junge Sproß,
der den zur Verfügung stehenden Raum noch mehr verkleinert, die unmittelbare Folge
davon ist, daß Antheridien und Paraphysen zur Seite gedrängt werden und wiederum
gegen die Perigonialblätter drücken. Wie es scheint, wird dadurch in den Perigonial-
blüttern, besonders in den peripherischen, Energie in Form von Federkraft aufgespeichert,
der bei der Entleerung der Antheridien eine gewichtige Rolle zufallen dürfte.
Nach der Publikation Vaupels muß die Akrandrie der Polytrichumantheridien als
durchaus sicher festgestellt angesehen werden. Correns war der erste, der auf die in
! Goebel, Archegoniatenstudien. Flora, Band 96, S. 19.
?) F. Vaupel, Beiträge zur Kenntnis einiger Bryophyten. Flora, 1903, S. 346 — 361.
495
den Blattachseln mancher Polytrichaceen vorkommenden ruhenden Astanlagen aufmerksam
machte. In der Literatur findet sich keine Angabe, aus der hervorginge, daß sie schon
früher beobachtet worden wären. Hofmeister und Leitgeb scheinen sie ebenfalls nicht
gekannt zu haben. Wie schon mehrfach erwähnt, stehen sie bei Polytrichum commune L.
in der Achsel des zwölften Blattes. Die beiden letztgenannten Forscher!) haben an-
genommen, da& „jede Antheridiengruppe* — die Antheridien stehen in zwei bis drei
übereinander stehenden Reihen unterhalb je eines Blattes, untermischt mit den Paraphysen —
„einen kaum in die Länge entwickelten Seitenzweig darstellt, dessen Scheitelzelle sich zur
ersten Antheridie entwickelt“. Stellen wir uns vor, die oberen Blätter eines Stämmchens
von Polytrichum commune L. rückten, indem sie gleichzeitig die Form der Perigonialblätter
annehmen, dicht zusammen, so werden damit auch die in den Blattachseln stehenden,
ruhenden Astanlagen einander sehr genähert. Trägt eine solche Anlage, wie es bei Poly-
trichum commune L. der Fall ist, ein oder zwei winzige Seitenzweige, findet eine starke
Reduktion dieser Zweige statt, entwickeln sich aus den Sproßscheitelzellen Antheridien und
treten aus den Oberflüchenzellen der auf wenige Zellen verkürzten Achsenteile Rhizoiden
von der Form der Paraphysen hervor, so erhalten wir einen männlichen Blütenstand. In
der Tat würden die Antheridien einen kaum irgend in die Lünge entwickelten Seiten-
zweig darstellen, auch dürfte über die Homologie von Rhizoiden und Paraphysen kaum
mehr ein Zweifel obwalten. ‘Aus den Untersuchungen Vaupels ergibt sich, daß die An-
theridien sich nicht gleichzeitig entwickeln und hieraus ist zu folgern, daß die Entleerung
der Spermatozoidenmassen sich in zeitlichen Intervallen vollziehen muß. Eine solche
Massenerzeugung von Spermatozoiden kommt meines Wissens, von Mnium u. e. a. ab-
gesehen, bei anderen Laubmoosen nicht mehr vor. Die hochorganisierten Antheridien-
becher der Polytrichaceen stehen offenbar mit der Spermatozoidenentleerung in engster
Beziehung, ich erblicke in jenen eine Einrichtung, die eine ganz allmähliche Aussaat der
Spermatozoiden ermöglicht, einem Brunnen vergleichbar, der das in seinem Innern kräftig
emporsprudelnde Wasser über seinen Rand hinaus in einer dünnen Schicht nach allen
Seiten abfließen läßt. Wie bekannt sein dürfte, bilden die männlichen Stämmehen unserer
Polytrichum-Arten zusammenhängende Rasen, die von den Trägern der Archegonien, welche
ebenfalls herdenweise zusammenstehen, räumlich weit getrennt sind. Ohne Zweifel liegt
eine gleichzeitige Entleerung sämtlicher Antheridien nicht im Interesse der betreffenden
Art. Ein starker Regenguß im Frühjahr würde die Spermatozoiden gewaltsam fortführen
und verhindern, daß sie in den Anziehungsbereich des Archegoniums gelangen.
Das Auseinanderweichen der Blätter eines Antheridienstandes geht sehr langsam vor
sich, wovon ich mich in der Natur und an Exemplaren, die ich zu Hause beobachtete,
überzeugte. Bei Polytrichum piliferum Schreb. entsteht am apikalen Teil der Knospe
eine kreisförmige Öffnung, durch die man in die Tiefe des Hohlraumes hinabsehen kann;
hier erblickt man eine grüne Fläche, aus der sich die roten Spitzen der kleinsten Blätter
deutlich abheben, alle übrigen Blätter liegen dicht aneinander und bilden die Wand des
Hohlzylinders. Die äußeren Perigonialblütter weichen insofern von den typischen Laub-
blättern ab, als sie sich nicht einzeln aus dem Verbande der Knospe lösen, sondern, sich
dicht deckend, die Bewegung nach außen ausführen. Es gleiten also nicht nur die Blätter
1) Nach Goebel, Organographie, Bryophyten, S. 369.
64*
496
seitlich aneinander, sondern auch mit der ganzen Fläche in radialer Richtung, hierdurch
wird die Dichtigkeit des Ganzen noch bedeutend erhöht. An einem Becher sind also
zwei Arten von Blättern zu unterscheiden, eine Schicht äußerer, größerer Blätter, die
seine Wand bilden, und eine Gruppe innerer, kleinerer, die mit Antheridien und Para-
physen gemischt den Boden zusammensetzen. An geeigneten Längsschnitten durch die
Mitte des Antheridienstandes erkennt man leicht die noch von Antheridien, Paraphysen
und kleineren Blättern umgebene Spro&spitze. So lange sich oben am Antheridienstand
nur eine kleine Öffnung befindet, kann diese, falls die Knospe eintrocknet, noch ge-
schlossen werden, später ist dies bekanntlich nicht mehr der Fall. Es vergeht geraume
Zeit, bis jene Öffnung durch Zusammenneigen der obersten Perigonialblütterabschnitte ver-
schwindet. Ganz im Gegensatz dazu büßen die oberen Laubblätter sehr schnell ihr Wasser
ein, in der Trockenstellung drücken sie mit großer Kraft von allen Seiten her gegen
die Wand der Perigonialblätter. In diesem Zustand kann man die Knospe mit einem Ei
vergleichen, das von zahlreichen Krallen umfaßt wird, die alle an demselben ihre Kraft
zur Geltung bringen. Der Verschluß der Öffnung würde natürlich mit größerer Ge-
schwindigkeit vor sich gehen, wenn die von den Antheridien, Paraphysen, den kleinen
Perigonialblättern und von den verbreiterten ,Blütenboden* festgehaltenen Wassermengen
sich nicht sehr langsam in Wasserdampf verwandelten. Auch ist die zwischen den Peri-
gonialblättern wirkende Adhüsionskraft — durch eine Wasserschicht veranla&t — sehr
bedeutend, sie hört erst auf zu wirken, wenn das Wasser auch zwischen ihnen vergast
ist; unter dem Drucke der oberen Laubblätter bewegen sie sich alsdann um einen ge-
ringen Betrag gleichmäßig nach innen, die Laubblätter liegen auch im lufttrockenen Zu-
stand der Knospe sehr fest an, sie würden sich gleich den Laubblättern anderer Poly-
trichaceen im unbehinderten Zustand noch sehr weit über die definitive Lage hinaus-
bewegen, wie ich durch Versuche ermittelte. An anderer Stelle habe ich bereits erwähnt,
daß nur die größeren Perigonialblätter nach der Spitze hin Lamellen tragen. Hat die
Eintrocknung an den exponierten oberen Abschnitten dieser Blätter um die Öffnung herum
begonnen, so bleibt diese doch noch sehr lange Zeit erhalten, obwohl man das Gegenteil
erwarten sollte. Die Ursache hierfür finde ich in dem Verhalten der Lamellen, weiter in
der Fähigkeit der dicken Blattspitze, Wasser längere Zeit festzuhalten und schließlich in
der Annahme, daß diese schön rot gefärbten Zellen an und für sich das Wasser sehr
schwer abgeben. Unter normalen Verhältnissen bewegt sich eine Säule Wasserdampf im
Hohlraum der Knospe aufwärts und gelangt durch die Öffnung ins Freie. Ein Teil wird
aber sicher von den Lamellen, an denen er vorbeistreicht, wieder nutzbar gemacht, d.h.
kondensiert, so daß sich die Verhältnisse der Turgeszenz in der Knospenspitze nicht ändern.
Erst, wenn nach langer Zeit alles Wasser in Gasform durch die Öffnung entwichen ist,
verlieren es auch die Lamellen. Dann neigen sich die obersten Perigonialblätterabsehnitte ?)
wie die Zähne bei einer Primulakapsel zusammen, die Öffnung wird geschlossen. In der
Natur mag dieser Fall nur sehr selten eintreten, weil die Antheridienentwicklung an die
feuchte Jahreszeit gebunden ist.
1| Einen anderen Weg nimmt der Wasserdampf sicher nicht.
2) Dieser mit Lamellen versehene Teil ist morphologisch die Spreite, das größere Stück die Scheide.
Es bleibt also der schwach entwickelten Spreite eine gewisse Bewegungsfähigkeit erhalten.
497
In welchem Zustande der Entwicklung befindet sich der jugendliche Sproß, wenn
sich bereits an der Spitze der Knospe eine Öffnung gebildet hat? Wie weit sind die
Antheridien und Paraphysen in der Entwicklung fortgeschritten? Die Antheridien haben
noch keineswegs ihre Reife erlangt, die flächenförmigen Paraphysenteile — die dreischneidige
Scheitelzelle ist sehr gut zu sehen — haben ebenfalls ihre definitive Ausbildung noch
nicht erreicht. Der junge Sproß ist noch kurz, seine Länge mag ungefähr die Hälfte der
Antheridienlänge ausmachen. In diesem Stadium kann er noch keine Wirkung nach den
Seiten hin ausüben, erst wenn er sich mit dem breiteren Teil in die Höhe schiebt —
scheinbar natürlich! —, ist er imstande, dies zu tun. Er wächst sehr schnell in die Länge
sein Anteil an der Entleerung der Antheridien ist kaum in Zweifel zu ziehen.
Es vergingen mehrere Wochen, bis die Öffnung des Antheridienstandes an den zu
Hause kultivierten Exemplaren den Durchmesser von 1 mm oder etwas darüber erreicht
hatte. Da der Standort, von welchem das Beobachtungsmaterial herrührte, in nicht allzu
großer Entfernung von meiner Wohnung lag, so war es möglich, öfter die männlichen
Rasen in der Natur zu beobachten. Ich konnte feststellen, daß der Öffnungsvorgang der
Antheridienbecher in der Natur nicht schneller sich vollzog als zu Hause. Bei der Unter-
suchung der Antheridien fand ich, daß die Öffnungskappe an ihnen bereits scharf durch
die Konturen der Zellwände hervortrat, auch hatten die Paraphysen ihr Wachstum abge-
schlossen. Reif waren aber die Antheridien noch nicht.
Versucht man, einen kleinen an der Spitze einer Nadel hängenden Wassertropfen
durch die ca. 1 mm weite Öffnung des Bechers in dessen Höhlung einzuführen, so ist dies
ein vergebliches Bemühen, weil die in den Hohlraum eingeschlossene Luft das Eindringen
des Tropfens verhindert. Daraus ergibt sich, da& die Öffnung des Bechers erst einen
gewissen Betrag erreichen muß, bis Wasser, beispielsweise Regentropfen, die Luft vertreiben
und deren Raum einnehmen können. In dem geschilderten Zustand vermögen die apikalen
Teile der Perigonialblätter den Becher noch vollständig zu schließen.
Die Beobachtungen in der Natur beweisen, daß einige Antheridien ihren Inhalt
schon zu einer Zeit entleert haben müssen, wenn der bei weitem größte Teil der in
einem Becher vereinigten männlichen Geschlechtswerkzeuge sich noch in sehr unreifem
Zustande befindet, denn überall begegnet man jugendlichen Sporophyten mit bereits voll
entwickelter Seta, obwohl die größte Mehrzahl der Antheridien noch nicht reif ist. Es
ergibt sich hieraus, daß die Aussaat der Spermatozoiden sich über einen sehr langen,
mehrere Monate umfassenden Zeitraum erstreckt.
Archegonien.
Die Bryophyten sind typische Archegoniaten. Charakteristisch für sie ist der Bau
der weiblichen Sexualorgane und der scharf ausgeprägte Generationswechsel. An dem
Archegonium sind zwei Teile zu unterscheiden, ein in der Regel langgestreckter Halsteil
und ein Bauchteil, der die Eizelle einschließt. Bei den Laubmoosen ist meist noch ein
Stiel vorhanden, der insofern für die Entwicklung der embryonalen Generation von Bedeu-
tung ist, als sich der Embryo in ihn einbohrt und so schon im jugendlichen Zustand des
Sporophors für dessen Befestigung und Ernährung Sorge trägt. Abweichungen irgend-
welcher Art von dem normalen Typus des Archegonienbaues sind mir bei den Polytrichaceen
nicht begegnet.
498
Wie bei allen Laubmoosen, so schließt auch bei den Polytrichaceen die Achse ihr
Wachstum mit der Entwicklung eines Archegoniums ab, die Potytrichaceen sind sämtlich
akrogyn.
Goebel hat bereits darauf aufmerksam gemacht, daß, wie bei vielen diöcischen Laub-
moosen, auch bei den Polytrichaceen, z. B. Dawsonia, die weiblichen Pflanzen die männ-
lichen Exemplare oft an Größe und durch kräftigere Gestaltung der vegetativen Organe
übertreffen. Bei mehreren einheimischen Formen, z. B. Polytrichum piliferum Schreb.,
tritt dieser Größenunterschied ziemlich deutlich hervor, ein Gleiches darf auch von vielen
Polytrichadelphus-Arten behauptet werden.
Die Möglichkeit, daß auch manche Polytrichaceen, besonders solche, deren Stämmchen
mit üppigem Rhizoidenfilz umgeben und zu sehr dichten und zugleich ausgedehnten Rasen
vereinigt sind, sogenannte „Zwergmännchen“ hervorbringen könnten, war von vornherein
nicht ausgeschlossen, ich habe aber solche trotz eifrigen Suchens nicht auffinden können.
Es gibt eine nicht geringe Anzahl diöcischer Laubmoose, deren männliche Pflanzen
bisher nicht bekannt geworden sind. Hierher gehören u. a. zahlreiche einheimische und
exotische Campylopus-Arten. Bei der Untersuchung mancher ausländischer Arten dieser
Gattung glaube ich im Wurzelfilz der Blätter, des Stimmchens und in den Zwischenräumen
zwischen den Haubenbechern (Fig. 62) die seltsamen „Zwergmännchen“ beobachtet zu
haben, die bei einer nicht geringen Anzahl Dicranum-Arten, bei Leucobryum glaucum L.,
Fissidens bryoides L. und anomalus, Macromitrium und Schlotheimia, Hypnum aureum und
fallax Brid. — bei dieser Art sind solche bisher nicht gefunden worden, wohl aber dem
sehr nahestehenden Amblystegium filieinum De Not.!) —, Camptothecium lutescens B. et S.,
Dienemon calyeinum und in gewissem Sinne auch bei Buxbaumia?) nachgewiesen worden sind.
Leucobryum vulgare L. und Dicranum scoparium Hedw. bringen außer den „Zwerg-
münnchen* auch münnliche Pflanzen von gewóhnlichem Aussehen hervor. Goebel erblickt
in dem Vorkommen von ,Zwergmünnchen* die Folgen ungünstiger Ernührungsbedingungen;
an der Richtigkeit dieser Auffassung ist nicht zu zweifeln. Bei Leucobryum vulgare L.
beispielsweise fällt ein großer Teil der Sporen auf die außerordentlich dichten, kissen-
förmigen Rasen und bleibt darin hängen. Nährstoffe stehen nur in geringer Menge zur
Verfügung, sie reichen aber hin, um das kümmerliche „Zwergmännchen“ aufzubauen und zu
ernähren. Schnell schreitet es zur Erzeugung weniger kleiner Blätter und zur Entwicklung
der Antheridien. Wesentlich günstiger liegen ohne Zweifel die Verhältnisse bei den auf
freie Stellen des Waldbodens niederfallenden Sporen. Nährstoffe in Lösung stehen in
hinreichender Menge zur Verfügung, an Licht ist kein Mangel, es entsteht ein kräftiges
!) Rabenhorst, Kryptogamen-Flora, Band IV, 3, S. 302.
?) Diesbezügliche Literatur: Goebel, Archegoniatenstudien, Flora, Band 96, Heft 1, S. 55— 56, ders.
in Archegoniatenstudien, Flora, Band 76 (Ergänzungsband), S. 92, ders. in Organographie, Bryophyten,
S. 370 (Buxbaumia); Fleischer, Die Musci der Flora von Buitenzorg, Band II, S. 402, 427 (Macromitrium-
Arten und Schlotheimia); Philibert, Les fleurs máles du Fissidens bryoides L., in Revue bryologique
1888, 8. 65; Gümbel, Der Vorkeim, in Nova acta acad. Leop.-Carol, Vol. XXIV, pars II, S. 627 (Campto-
thecium lutescens und Hypnum aureum); Roth, Die europäischen Laubmoose, Band 1, S. 276 (Dicranum
scoparium); Rabenhorst, Kryptogamen-Flora, Band IV, 1 (Dieranum spurium Hedw. Bergeri Bland.,
undulatum Ehrh., Bonjeani De Not. neglectum Jur. et Milde, Mühlenbeckii Bryol. Eur. und scoparium
Hedw., S. 344—354).
499
Stämmchen, das, nachdem es eine gewisse Höhe erreicht hat, zur Entwicklung der Antheridien
übergeht. Wie ungünstig gestellt sind im Vergleich hierzu die ,Zwergmünnchen* bezüglich
der Belichtung! In den Wurzelfilz der dichten Polster könneu nur sehr geringe Lichtmengen
vordringen. Man muß sich aber trotzdem wundern, daß an solch wenig günstigen Stellen
trotzdem ein „Zwergmännchen“ zustande kommen kann. Untersuchen wir den Rhizoidenfilz
von Leucobryum vulgare L., so finden wir darin stets Erdteilchen und Reste organischer
Art, aus diesen zieht das „Zwergmännchen“ seine Nährstoffe.
Es ist durchaus kein Zufall, daß z. B. bei den zweihäusigen Arten der Sektion
„Dieranum im engeren Sinne“ ,Zwergmünnchen* auftreten. Diese kleinen, männlichen
Pflänzchen vermögen eben nur an solchen weiblichen Exemplaren ihre Entwicklung durch-
zumachen, die ihnen für ihr wohl sehr kurzes Dasein einige Existenzbedingungen zu bieten
in der Lage sind. Hierzu befähigt sind in erster Linie jene ,Dicranum-Arten in engerem
Sinne*,. weil in einem mächtig entwickelten, dichten, feuchtigkeitsstrotzenden Rhizoidenfilz
die Sporenkeimung sich vollziehen und aus den allerdings in bescheidenem Maße zur
Verfügung stehenden Nährstoffen im weiteren Verlaufe der Entwicklung das „Zwerg-
màánnchen* seine Organe aufbauen kann. Bei Dicranum maius mit seinen ausgezeichnet
siehelförmigen Blättern, seinem mächtigen Filz, seinem lockerrasigen Wuchs haben die
herabfallenden Sporen keinen Halt, sie werden vom Regen fortgespült und erzeugen
normale, wenn auch schlankere männliche Stämmehen. „Zwergmännchen“ dürfen wir also
vor allem bei dichtrasigen, starkfilzigen Bryophyten erwarten, besonders auch bei den in
vieler Beziehung interessanten Campylopus-Arten. Bei diesen ist ja die Sporenausstreuung
insofern eine höchst eigentümliche, als die Sporogonien, deren Deckel und Haube bei zahl-
reichen Arten im Grunde des weiblichen „Blütenbechers“ zurückbleiben (Fig. 62), mit ihrer
nach unten gekehrten Mündung sich nicht hoch über den letzteren erheben. Die weitaus
größte Sporenmenge fällt hier sicher in den Becher und die Blätter hinab, die wie die
Stämmehen oft sehr reichlichen Rhizoidenfilz besitzen. Der Nachweis, daß auch die
Campylopus-Arten sehr oft ,Zwergmünnchen^ hervorbringen, wird nicht lange auf sich
warten lassen.
Die Unterschiede in der Größe zwischen männlichen und weiblichen Pflanzen der-
selben Art können, wie das Beispiel der ,Zwergmünnchen" zeigt, sehr bedeutend sein,
„eine Verschiedenheit, welche sich bei einer Anzahl von Moosen bis zur Bildung von
„Zwergmännchen* steigert*.)
Man pflegt die nach der Befruchtung des Archegoniums oben am Stümmchen oder
an der Vaginula sich weiter entwickelnden Blätter seit jeher als Perichätialblätter zu
bezeichnen. Bei allen mir bekannten Laubmoosen unterscheiden sich diese von den typischen
Laubblättern in folgenden Punkten: Die Perichätialblätter weichen gestaltlich nicht unbe-
deutend — ich erinnere an Dienemon, Dichelyma und Paludella — von den Laubblättern
ab, andernfalls hätte man für sie nicht eine besondere Bezeichnung gewählt. Weiterhin
übertreffen sie zum Teil die Laubblätter sehr oft an Länge und unterscheiden sich von
diesen ganz auffallend durch ihre mehr aufrechte Stellung. In der Regel vollzieht sich
außerdem bei ihnen eine Reduktion des oberen Teils zu Gunsten des meist scheidenartig
vergrößerten basalen Abschnitts, der den Grund des Sporophors mantelartig umschließt.
1) Goebel, Archegoniatenstudien, Band 96, Heft I, S. 58.
500
Auch ist darauf hinzuweisen, daß ihr feinerer anatomischer Bau oft sehr erheblich von
dem der Laubblätter differiert. :
Daß die Perichätialblätter Organe besonderer Art sind und daß sie eine besondere
Aufgabe zu erfüllen haben, kann nur der bestreiten, der in ihnen weiter nichts als eine
eigenartige Form der Laubblätter zu sehen gewöhnt ist. Funktion und Form stehen aber
auch bei den Perichätialblättern, wie ich nachzuweisen gedenke, in innigster Beziehung.
Sie wachsen mit der embryonalen Generation und gehören zu ihr, wenn auch nur in
biologischem Sinne. Man hat in ihnen ein Organsystem zu erblicken, dessen Aufgabe
darin besteht, die Entwicklung des Sporogons sicherzustellen. Sie ahmen in auffälliger
Weise die Gestalt einer Knospe nach, aus deren Mitte sich die sporenerzeugende Generation
erhebt. Mit der Vergangenheit, als welche Protonema und das aus ihm hervorgesproßte
beblätterte Stümmchen aufzufassen sind, haben sie gleichsam vollständig gebrochen, ihre
Sorge ist der Zukunft gewidmet, der embryonalen Generation. Von ihr werden sie offenbar
in ihrer Entwicklung beeinflußt, von ihr müssen Reize ausgehen, die durch die höchst
eigentümliche morphologische Ausbildung der Perichätialblätter ausgelöst werden.
Versuchen wir zunächst die Frage nach der Bedeutung der aufrechten Stellung der
Perichätialblätter zu beantworten, indem wir in erster Linie die Polytrichaceen ins Auge
fassen. Bei unseren einheimischen und zahlreichen exotischen Polytrichum- und Pogonatum-
Arten, bei Dawsonia und Polytrichadelphus, überhaupt bei allen Formen, deren Xerophilie
nicht angezweifelt werden kann, liegen die Perichätialblätter dem unteren Teil der Seta
dicht an, es entsteht dadurch, daß die sehr stark verbreiterten und verlängerten Scheiden-
teile dieser Blätter einander umfassen, ein Hohlzylinder,!) der den unteren Abschnitt des
Sporophyten fest umschließt. Im trockenen wie im feuchten Zustand bleibt der Zusammen-
hang der Perichätialblätterscheiden gewahrt, weil diese unbeweglich sind. Die Adhäsion solch
zarter Gewebeflichen, wie sie in den häutigen, hyalinen Scheiden vorliegen, ist vor allem
auch bei Benetzung mit Wasser sehr groß. Dadurch wird ein hoher Grad von Stabilität
erzielt, diese trägt dazu bei, den Sporophyten zu stützen, ihn in seiner aufrechten Lage
zu erhalten. Umklebt man eine biegsame, ihrer ganzen Länge nach aufgerissene Metall-
röhre, z. B. eine Gardinenstange dicht mit Papier, so wird dadurch die Biegsamkeit
ganz bedeutend verringert. Der Vergleich ist ja nicht durchaus zutreffend, immerhin aber
ist der Erfolg, wie er durch Wasser bei dem Zylinder der Perichätialblätter gezeitigt wird,
ein ähnlicher. Die mit Lamellen ausgestatteten Spreitenteile sind stark reduziert, eine
gewisse, wenn auch geringe Beweglichkeit bleibt ihnen aber erhalten, wovon man sich
überzeugen kann, wenn man die Laubblätter beseitigt und eintrocknen läßt.
Aus einer entsprechend großen Anzahl von Laubblättern kann ein derartiger Hohl-
zylinder aus naheliegenden Gründen nicht hergestellt werden. Eine Haupt-Vorbedingung
für dessen Zustandekommen ist der Umstand, dab Scheide und Spreite ungefähr gleich-
gerichtet sind; vorteilhaft ist außerdem, wenn die Blätter von außen nach innen (unten
nach oben), wie es auch der Fall ist, an Größe abnehmen und die Insertionsstellen mög-
lichst nahe beieinander liegen. Diese Vorbedingung und Anforderungen finden wir bei
den Perichätialblättern vieler Polytrichaceen erfüllt.
I) Vgl. auch Goebel, Archegoniatenstudien. Flora, Band 96, Heft I, S. 49 (Über Dienemon
calycinum und semicryptum).
501
Dem Perichätium fällt aber außer der erwähnten Aufgabe meines Erachtens noch
eine andere, weit wichtigere zu. Das zarte Gewebe des in der Regel vergrößerten unteren
Blattabschnittes gestattet dem Wasser, das durch die nach oben gerichteten Blätter auf-
gefangen wurde und nach unten abfloß, leicht den Zugang zu den Zellen der sich ent-
wickelnden embryonalen Generation, denn diese besitzt offenbar nicht die Fähigkeit, gleich
den vegetativen Teilen des Individuums längere Zeit der Trockenheit ohne Schaden zu
überstehen. Von oben kommendes Wasser können nur nach oben gerichtete und für die
Fortleitung nach unten entsprechend eingerichtete Blätter auffangen. Die sparrig zurück-
gekrümmten Blätter von Paludella squarrosa L., Hylocomium squarrosum B. et S., Dicranella
squarrosa Stke., die Hypnum-Arten aus der Aduncagruppe sind nicht dazu geeignet. Ihre
Perichätialblätter strecken sie aber alle dem Himmel entgegen und so erfüllen sie ihre
Aufgabe im Dienste des Sporophors. Das Perichätium ist ein Organ im besten Sinne des
Wortes, seiner Funktion entspricht auch die Gestalt der Blätter, die es zusammensetzen.
Es muß dahingestellt bleiben, ob zwischen den häutigen hyalinen Blattscheiden von
Polytrichum commune L., formosum Hedw., juniperinum Willd. u. a. Wasser in größerer
Menge festgehalten werden kann. Daß es hier aber in flüssiger Form lange erhalten
bleibt, dürfte außer Frage stehen. Wenn man aber die anatomischen Verhältnisse von
Querschnitten durch die Scheidenteile vieler Arten in Rücksicht zieht, so gewinnt man
die Überzeugung, daß auch zwischen den zarten Zellflächen Wasser gespeichert werden
kann. Mechanisch wirkende Elemente (Fig. 37c) sind nicht vorhanden, denn die mecha-
nische Festigkeit wird durch den Zylinder selbst gewährleistet. Alle Membranen sind
durchaus gleichartig und sehr zart. Besäßen alle Perichätialblätter im Scheidenteil einen
Querschnitt, wie ihn Fig. 37c unten vorführt, so würden sich bei Benetzung die breiten
dünnen Säume dicht aneinander legen. Wesentlich anders liegen aber die Verhältnisse,
wenn zwei Blätter von den Querschnittsformen, die durch Fig. 37c vorgeführt werden,
zur Kombination gelangen. Wir sehen, daß bei Fig. 37c, a die sonst einschichtigen Säume
dreimal von zweischichtigen Zelllagen unterbrochen werden. Denke ich mir Querschnitt a
an Querschnitt f (Aus Versehen fehlt der Buchstabe f) herangeschoben, sodaß sie sich
berühren, so werden durch die vorspringenden Zelllagen des Querschnitts Hohlrüume hervor-
gebracht. Ich móchte nicht unterlassen, auf die annühernd symmetrische Lage der vier
Zellen auf Querschnitt a hinzuweisen.
Mit einer ziemlich starken Lupe läßt sich, da die häutigen Säume der Perichätial-
blätter dem Lichte den Durchgang leicht gestatten, feststellen, daß die Rhizoidenbildung
zwischen den einzelnen Blättern eine ziemlich bedeutende ist. Die Rhizoiden, welche oft
verzweigt sind und bisweilen auch die an dem Kalyptrafilz so deutlich hervortretenden
rankenartigen Krümmungen an ihren Enden zeigen, erscheinen wie die Reiser eines Besens.
Sie sind sehr lang und nehmen eine aufrechte Lage ein, bilden also nicht an der Basis
eine Ansammlung.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 65
502
B. Der Sporophyt.
Der Sporophyt der Laubmoose, jenes hóchst seltsam gebaute Organ, das allen ver-
gleichend-morphologischen Deutungen sich bisher in mehr als einer Beziehung als unzu-
gänglich erwiesen hat,) — die Homologie mit der „fertigen“ Farnpflanze ist seit Hof-
meisters grundlegenden Untersuchungen über allen Zweifel erhaben — führt bekanntlich
zeitlebens ein parasitisches Dasein auf dem beblätterten Stümmchen. Bei den Polytrichaceen
erreicht der Sporophyt einen sehr hohen, wenn nicht den höchsten Grad der Organisation,
die große Reihe der Laubmoose bietet meines Erachtens kein Analogon dar.
Es ist nicht zu verwundern, daß sich das Interesse der Forscher seit jeher in so
reichem Maße an den Polytrichaceen betätigte, da diese durch ihre eigenartige Organisation
förmlich zu eingehendstem Studium nach den verschiedensten Richtungen hin aufforderten.
So bleibt denn, was den Sporophyten anbelangt, nur noch wenig nachzutragen übrig.
Unsere Kenntnis der anatomischen Verhältnisse des Sporophyten darf als durchaus voll-
ständig angesehen werden, auch in Bezug auf die Entwicklungsgeschichte sind die Unter-
suchungen durch die jüngste Publikation Goebels?) zu einem befriedigenden Abschluß
gebracht worden. Soweit ich zu sehen vermag, besteht noch eine Unklarheit hinsichtlich
der Frage, ob bei den nacktmündigen Psilopilum-Arten ein Mundbesatz angelegt wird oder
nicht. Zu den gymnostomen Formen dieser Gattung gehören Psilopilum gymnostomulum
C. M.,?) pygmaeum C. M., Ulei Broth.?) und Bellei Broth. Bei keiner dieser Arten habe ich
eine Peristomanlage nachweisen können, unser europäisches Psilopilum glabratum besitzt
ein Peristom mit durchaus ungleich ausgebildeten Zähnen, es scheint eine Mittelstellung
zwischen den gymnostomen Vertretern und solchen mit gut ausgestattetem Mundbesatz
einzunehmen.
Ein reiches Feld der Beobachtung bot die Untersuchung des Sporophyten nach der
biologischen Seite hin, vergleichende Seiten- und Umblicke nach anderen systematisch mehr
weniger fernstehenden Bryophytenformen ließen sich aber nicht vermeiden.
Die Methode der biologischen Betrachtungsweise ergibt sich von selbst. Wir beginnen
am unteren Ende des Fußes und steigen allmählich zur Deckelspitze empor. Dabei drängt
sich die Überzeugung auf, daß die Zahl der bisher unbekannt gebliebenen Einzelheiten
sich zusehends in der angegebenen Richtung vermindert, wie es auch begreiflich ist, da
doch gerade der Sporogonteil die Aufmerksamkeit der Forscher mehr in Anspruch nahm
als der basale Abschnitt der embryonalen Generation.
Wie bei allen Laubmoosen wächst auch bei den Polytrichaceen die Eizelle nach der
Befruchtung durch Aufführung neuer Wände zu einem Embryo heran, der eine deutliche
Polarität des Wachstums zu erkennen gibt. Sein unterer Teil, später als Fuß bezeichnet,
ist positiv geotrop*) und bohrt sich tief in das zentrale Gewebe des Stämmchens ein, wo-
gegen die obere, später in Seta und Sporogon zerfallende Partie dem Lichte zustrebt. Aus
!) Es sei vor allem auf das Peristom und den Deckel hingewiesen.
)
2) Goebel, Archegoniatenstudien. In Flora, Band 96, 1906, Heft I, S. 19—45.
3) Besonders genau untersucht wurden Psilopilum gymnostomulum C. M. und Ulei Broth.
5) Diesen Terminus im weitesten Sinne gefaßt.
503
dem Gewebe, das den Fuß umschließt, entsteht die spätere „Vaginula“, die bei weiterem
Wachstum des Sporophyten zum größten Teil als Haube in die Höhe gehoben wird. Wir
kennen die Kräfte nicht, welche die Polarität des Wachstums des Embryos bedingen, es
dürfte auch sehr schwierig sein, ihnen nachzuspüren und genügend Klarheit zu schaffen.
Dieser Umstand sollte nun aber nicht die Veranlassung sein, auf die Lösung dieser physio-
logischen Frage a priori zu verzichten.
Die Gestaltungsverhältnisse des Fußes der von mir untersuchten Polytrichaceen stehen
mit dem anatomischen Aufbau der Seta in innigster Beziehung, Seta wie Fuß lassen
nämlich eine scharfe Sonderung des Gewebes in einen peripherischen und zentralen Ab-
schnitt deutlich erkennen.
Bei allen Polytrichaceen bildet eine
vom übrigen Gewebe sich scharf abhebende
peripherische Lage kleinerer, dickwandiger
Zellen die äußerste Schicht des Fußes
(Fig. 38 I und Ila). Diese Zellen sind sämt-
lieh mit ihrer periklinen Außenmembran
in zentrifugaler Richtung ausgebaucht, wo-
durch eine größere Oberfläche erzielt wird
(Fig. 38 I und IIb). Beim Übergang zur
Seta tritt diese Konvexität der Außenwände
immer mehr zurück. Auf diese Schicht
folgen weiter nach innen Zellen von pro-
senchymatischer Gestalt (Fig. 38 I und Ile)
und mit schief gestellten Querwänden
(Fig. 351Id), an diese schließen sich sehr
weitlumige, mehr rectanguläre Zellen an
(Fig. 38 I und Ile), alsdann kommen wie-
der länger gestreckte Elemente mit merk-
lich dünneren Membranen (Fig. 38 I u. II £),
schließlich bilden sehr langgestreckte Zellen
von zweierlei Form das Innere des Fußes
(Fig. 33 I und IL g), von denen die inner-
sten äußerst dünnwandig und englumig sind,
diese stellen den eigentlichen Zentralstrang
dar. Das Durchlüftungssystem (Fig. 38 IL h)
ist gut entwickelt.
Es ist klar, daß sich dem Fuße beim
Eindringen in den zentralen Teil des Stämm-
chens erhebliche Widerstände entgegenstel-
len, die Arbeit, die der Fuß bei der Besitz-
ergreifung zu leisten hat, ist sicher nicht
gering. Wie wir sehen werden, ist er dazu
aber auch in hohem Grade befähigt. Die
bereits erwähnten, nach außen vorgewölbten,
504
starken, widerstandsfähigen Zellen der Peripherie zerstören nämlich beim Vordringen des
Fußes die zarten, an sie anstoßenden Zellen des Stämmchens, sie wirken einer- Feile ver-
gleichbar, in vielen Fällen werden mehrere Zellschichten des Stämmchens zerstört, diese
lösen sich auf und bilden schließlich einen schleimigen Hohlzylinder um den Fuß
(Fig. 38 L, Hi.) In dieser schleimigen Umhüllung sieht man deutlich die Reste der teils
aufgelösten, teils zerrissenen Membranen. Der zentrale, besonders wohl der Wasserleitung
dienende Strang wird gegen Kollaps durch die übrigen, mechanisch sehr festen Zellkomplexe
geschützt. Der peripherische Teil des St&mmchens, der sich zur Vaginula entwickelt, ist
aber mechanisch so sehr gefestigt, daß ein Zerreiben dieses Zylinders durch die zweifels-
ohne vorhandenen, zentrifugal wirkenden Kräfte, die im Fuß wirksam sind, unmöglich ist.
Die krüftigsten Zellen des Fußes liegen aber nahe der Spitze (Fig. 39, 40). Diese
wirkt wie ein Pfahl und erobert leicht das Terrain. Die Natur verfolgt also hier dasselbe
Prinzip wie der Mensch, der, wenn er einen Stamm im Boden befestigen will, ihn zunüchst
zuspitzt und eventuell mit einer Eisenspitze versieht, damit das zugespitzte Ende leichter
eindringen kann und auf seinem Wege in die Erde nicht beschádigt wird.
Ganz glatt verläuft nun der Kampf des Fußes nicht immer. Die ihm entgegen-
arbeitenden Widerstände sind oft so groß, daß er sich zu Konzessionen herbeilassen muß,
die sich dadurch zu erkennen geben, daß die peripherischen Außenwände mehrfach ver-
bogen werden (Fig. 39a).
Die Entwicklung des Fußes und des zu Seta und Sporogon heranwachsenden Teils
des Sporophyten hält wohl bei allen Moosen nicht gleichen Schritt. Zeitlich eilt die Aus-
bildung des Fußes der der Seta und des Sporogons weit voraus. Wenn die beiden letzt-
genannten Teile des Sporophyten sich noch in den Anfängen ihrer Entwicklung befinden,
hat der Fuß bereits schon seine definitive Ausbildung erlangt. Es liegt dies auch durchaus
im ernährungsphysiologischen Interesse der embryonalen Generation. Die Aufgabe des
505
Fußes besteht, darüber kann kein Zweifel obwalten, weniger darin, dem Sporophyten einen
festen Halt im Stämmchen zu verleihen, vielmehr ist er, wie auch allgemein angenommen
wird, ein Organ, dem die Aufsaugung und Fortschaffung der Nähr- bzw. Baustoffe für
die noch zu entwickelnden Teile des Sporophyten als Aufgabe zufüllt. Wenn auch ein
Teil der Nahrung dureh das assimilierende Gewebe des fertigen Sporogons selbst erworben
werden kann, so muß doch die Zufuhr der meisten Nähr- und Baustoffe durch den Fuß
bewerkstelligt werden, zumal die Entwicklung der Spaltóffnungen, falls solche vorhanden
sind, doch erst sehr spät erfolgt. Die Herbeischaffung von Wasser und der zum Aufbau
des Sporogons nötigen Stoffe geschieht durch den Fuß, dessen Zellen größtenteils dicht mit
Inhalt gefüllt sind. Zur Zeit der Sporenbilung mag ja auch die assimilatorische Tätigkeit
des Sporogons von Bedeutung sein, ich vermag sie aber nur gering einzuschützen, zumal
alle die zahlreichen Polytrichaceen aus der Sectio Aporotheca keine Stomata besitzen.
Versucht man die entwickelten Sporogone samt Seta und Fuß aus dem Stämmchen
herauszuziehen, so ist der Aufwand einer nicht unbedeutenden Kraft erforderlich, woraus
hervorgeht, daß die Verbindung des Fußes mit dem
Stümmchen eine recht feste ist. In der Regel aber ge- t
lingt es verhältnismäßig selten, einen Sporophyten un- |
versehrt herauszuziehen, meist reißt die Seta an der A
Übergangsstelle zum Fuße ab. Es wäre aber verfehlt, cn
wenn man behaupten wollte, eine solch feste Veranke- D
rung des Fußes sei erforderlich, damit derselbe in einem | c
durchaus sicheren Fundament ruhe. Ich neige durchaus Cu
der Ansicht zu, daß hierdurch der Fuß in eine feste Lage Ls RT
gebracht werden soll zu dem ihn umgebenden Gewebe, I
ohne welches er seine Aufgabe als Saugwerkzeug nicht
erfüllen kann. Hierfür glaube ich durch die Ergebnisse
meiner Untersuchungen den Wahrscheinlichkeitsbeweis
erbringen zu können. |
Bei den von mir untersuchten Polytrichaceen liegt
die Vaginula, die wie erwühnt, aus überaus krüftigen
Zellen gebildet ist, dem Sporophyten da besonders dicht || ^ ||... DR
an, wo wir die Übergangsstelle von Fuß zu Seta zu |
suchen haben. Sie bildet hier einen längeren, äußerst
dicht schlie&enden zylindrischen Ring, der nach unten sich
erweitert. Der von dieser Stelle an abwürts sich ver-
dickende Fuß (Fig. 41) reißt, wenn man den Sporophyten
herausziehen will, hier (Fig. 41a) ab, weil die krüftigere
Vaginula nicht nachgibt. Durch diesen engeren, hohl- |
zylindrischen Teil des Scheidchens wird der Sporophyt er
in einer unverschiebbaren Lage festgestellt, denn weiter |
unten ist der Fuß, wie bereits mitgeteilt, von einer \
Schleimhülle umgeben, in der von einer sicheren Lage
nicht gesprochen werden kann. d
Aber noch in emem anderen Punkte besteht in den Fig. 41.
506
Verhältnissen der Vaginula und des Fußes bei allen untersuchten Laubmoosen eine Über-
einstimmung. Da wo die Seta gleichsam in panzerartiger Umschlie&ung durch die Vaginula
in den Fuß sich fortsetzt, zeigt sich überall eme deutlich sichtbare Veränderung in der
Färbung der Membranen der peripherischen Fußzellen und oft auch des benachbarten
Gewebes des Scheidchens (Fig. 42 a). Im Gebiete des Ringes weisen
die Zellen des Fußes eine rötlichbraune Färbung auf, die nach unten
gänzlich verschwindet, nach oben aber meist einer helleren Abstufung
von Braun Platz macht. Dieser bei-zahllosen Laubmoosen zu beobachtende
gemeinsame Zug muß unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Ich
will nicht behaupten, daß meine Deutung die richtige ist, möchte aber
doch nicht unterlassen, sie mitzuteilen.
Der Fuß ist wie erwähnt, in eine Schleimhülle eingehüllt. Fehlte
nun diese Ringstelle der Vaginula, so würde zweifellos der Fuß in einem
ringförmigen Spalt mit der Außenwelt in Verbindung treten. Das im
Schleim vorhandene Wasser würde leicht verdampfen, was durch den
hermetischen Verschluß verhindert wird, und diesen bilden nach meinem
Dafürhalten die gebräunten Zellen. Ich nehme an, daß sie für Wasser
wenig durchlässig sind.
Schon in früher Jugend wird z. B. bei Polytrichum pycnocarpum
C. M. diese für die weitere Entwicklung des Sporophyten wichtige Ein-
richtung geschaffen. In Fig. 41 ist der noch vóllig von der Vaginula
eingeschlossene Sporophyt seiner ganzen Lünge nach zu sehen. Die ring-
fórmige Zone (bei a) ist ziemlich breit, über ihr verjüngt sich die jugend-
liche Seta (Fig. 41d) sehr deutlich, die durch ihre rötlichbraune Färbung
vom übrigen Gewebe abweichende Partie des Sporophyten ist punktiert.
Fig. 42. (Die Rhizoiden der Vaginula wurden zum gró&ten Teil wegprüpariert,
nur der an der Spitze vorhandene Schopf ist gezeichnet.)
Bei der Mehrzahl der Laubmoose kommt es zur Ausbildung eines Fußes von der
Gestalt eines einfachen Pfahls, diese Form dürfen wir wohl als die typische ansehen. Viele
Polytrichaceen aber, u. a. alle einheimischen Pogonatum-, Polytrichum- und Catharinaea-
Arten, zeigen eine Komplikation insofern, als das untere Fußende hackig umgebogen ist.
Anfänglich wollte es mir nicht gelingen, über die Ursache dieser Erscheinung ins Klare
zu kommen. Der Fuß hat wohl die Kraft, bis zu einer gewissen Tiefe ins Stümmchen
vorzudringen. Es gelingt ihm leicht, das zartere, jüngere Gewebe des Stämmchens zu
durchsetzen, später aber zwingen ihn die resistenteren Zellen des älteren Stämmchengewebes
zur seitlichen Abbiegung, ähnlich wie ein Nagel, der in der Wand auf einen Stein trifft,
sich an seiner Spitze umbiegt.
Es läßt sich nicht leugnen, daß die anatomischen, besonders aber die biologischen
Verhältnisse des Fußes bei den Bryophyten bisher eine recht stiefmütterliche Behandlung
erfahren haben. Im Innern des Stümmchens verborgen, gehört er nicht zu den ohne
weiteres ins Auge fallenden Teilen, auch bietet er für die oberflächliche Betrachtung weit
mehr Hindernisse als alle übrigen Werkzeuge der Moospflanze. Seine Eigentümlichkeiten,
seine Verbindung mit den Stümmchen sind nur durch das Studium von Längs- und Quer-
507
schnitten zu ermitteln. Ich habe es mir deshalb nicht versagen können, einen Seitenblick
zu werfen in andere, den Polytrichaceen nicht zugehörige Glieder der Bryophytenreihe.
Wenn Diphyscium und Buxbaumia hinsichtlich des Baues ihres Fußes eine Sonder-
stellung einnehmen, so darf man sich darüber nicht wundern. Beide Gattungen lassen
sich an keiner Stelle im System einfügen, sodaß ihnen, wie eingangs erwähnt, eine Sonder-
stellung eingeräumt werden muß. Die Aufgabe des Fußes als Haustorium tritt bei den
bizarren Formen jener zwei Gattungen so recht klar hervor, er entsendet nämlich von
seiner Oberfläche dicht gedrängt stehende, gegliederte und verzweigte Fäden von schlauch-
artiger Gestalt, die mit ihren Endzellen sich an das Stämmehengewebe anlehnen.!) Der
Fuß gleicht also der Wurzel einer höheren Pflanze
in vieler Beziehung, als Analogie zu den Wurzel-
haaren müßten die verzweigten Fäden aufgefaßt
werden.
Bei Diphyscium foliosum Mohr, das ich ge-
nauer untersuchte, liegen die peripherischen dick-
wandigen Zellen nicht mehr an der Außenfläche
des kegelförmigen Hauptteils, sie sind vielmehr an
das äußerste Ende der Rhizoiden — denn als solche
müssen die in Frage kommenden Fäden angesehen
werden — selbst gerückt. Bei Anwendung geeig-
neter Tinktionsmittel nimmt die pheripherische Zone
der Rhizoiden (Fig. 43a) besonders stark den be-
treffenden Farbstoff auf, sodaß sie deutlich hervor-
tritt. Die Zellen sind besonders reich an Inhalts-
stoffen, hier findet ohne Zweifel eine Speicherung
der durch das Stämmchen erzeugten Assimilate statt,
die alsdann ihren Weg durch die Rhizoiden in zentri-
petaler Richtung nehmen, um durch den zentralen
Teil des Fußes dem Sporogon zugeführt zu werden.
An dieser Partie des Fußes (Fig. 43 b) ist nicht wie
bei Dawsonia Victoria C. M. eine besondere Gewebe-
differenzierung zu beobachten, gestreckte Zellen von
annähernd gleicher Länge, die im basalen Teil des
Sporogons sich verkürzen und inhaltsreicher wer-
den, — von einer Seta kann ja wohl kaum ge-
sprochen werden — setzen ihn zusammen.
Die in Betracht kommenden Fäden zeigen das
Bestreben, den durch ihr Vordringen geschaffenen
Raum des Stämmcheninnern nach Kräften auszu-
nützen. Sie wachsen unter spitzem Winkel (Fig. 43 c)
gegen die zentrale Partie an der Innenseite des
kurzen Scheidchens empor und bedecken sie mit einer
1) Goebel, Flora, 1892, Ergánzungsband, S. 103.
508
weniger mächtigen Schicht. Der Rand der Vaginula ist aus Zellen mit gebräunten Mem-
branen (Fig. 43 d) gebildet, die sich bei Zusatz von Methylenblau z. B. sehr intensiv färben.
An der Innenseite reicht diese gebräunte Gewebeschicht genau bis zu der Stelle (Fig. 43 e),
wo die Rhizoidenschicht ihr oberes Ende erreicht. Auch der Fuß ist in dieser Gegend in
seinem peripherischen Teil von einer Zone von Zellen mit gebräunten Wänden gehildet,
die auffälligerweise gerade bis dahin sich erstrecken (Fig. 43 f), wo die! höchsten Rhizoiden
am Fuße entspringen. Wie bei Dawsonia Victoriae ©. M. ist auch bei Diphyscium foliosum
Mohr im peripherischen Teil des Fußes eine Schleimschicht vorhanden, die wie bei jener
Art durch die geschilderte Einrichtung gegen Wasserverlust geschützt wird.
Recht eigenartig liegen die Verhältnisse des Fußes bei einem Laubmoose, das wahr-
scheinlich von Buchanan entdeckt und von Hooker!) zuerst als Pterogonium ambiguum
beschrieben wurde.?)
Die Archegonien entstehen in auffallend großer Anzahl an dem später gewölbten
Scheitel eines kurzen Seitenzweiges. In der Regel wird nur ein Archegonium befruchtet,
höchst selten sind es deren zwei. Liegen die Hauptachse der sehr kurzen Seta und der
sehr kurzen Kolumella ungefähr auf derselben Geraden, so ist das Sporogon gerade gestielt,
bilden die Achsen, wie es oft der Fall ist, einen Winkel, so dürfen wir es als schief gestielt
bezeichnen. Dieser letzte Fall tritt immer ein, wenn ein von dem höchsten Punkt des
Stämmchenendes seitlich gelegenes Archegonium befruchtet wird. Es muß auffallen, daß
das Sporogon stets in seiner Längsachse vertikal gerichtet ist, wie ich an sehr zahlreichen
Längsschnitten beobachten konnte. Daß schon in früher Jugend diese Lage eingenommen
wird, ist selbstverständlich. Wir finden das mächtige Sporogon tief in die außerordentlich
dicht anschließenden Perichätialblätter eingesenkt, es wird von diesen förmlich in seiner
definitiven Lage festgehalten. Dünne Längsschnitte, welche seitlich der Hauptachse des
Stüimmchens und Sporogons geführt wurden, sodaß also letzteres nicht mehr durch den
Fuß mit ersterem fest verbunden war, lieferten den Beweis, daß die Perichätialblätter wie
mit Federkraft ausgestattet, das Sporogon frei schwebend festhielten. Ich möchte nicht
unterlassen, darauf hinzuweisen, daß auch die Färbung der Perichätialblätter, soweit sie mit
ihrem unteren Teile das Sporogon umfassen, eine von den oberen Teilen stark abweichende
ist. In den basalen und mittleren Partieen finden wir eine dunklere Färbung als an den
oberen, nicht an das Sporogon anstoßenden Teilen. Meines Erachtens handelt es sich hier
um eine durch das Licht hervorgebrachte Eigentümlichkeit. In den oberen Teilen kann
das Licht in mehr ungestörter Weise, wenn ich mich so ausdrücken darf, seinen Weg
durch die Blätter nehmen, was weiter unten nicht der Fall ist. Wir müssen also das
Sporogon für die dunklere Färbung verantwortlich machen, nicht aber annehmen, daß hier
eine vererbte Eigenschaft der Perichätialblätter vorliegt. Übrigens kann man bei sehr
zahlreichen Vertretern der Bryophyten dieselbe Beobachtung machen, es handelt sich also
um eine weitverbreitete Einrichtung, die eine verschiedene biologische Deutung zuläßt.
! W.J. Hooker, Musci Nepalenses; or Descriptions of several Mosses from Nepal. Transact. of
the Linn. Soc. Vol. 9, p. 310, tab. 26.
2) Bridel, Bryologia universa p. 154, erhob später diese Art zur Gattung Cleistostoma. Das von
Hooker publizierte Habitusbild gibt nur eine schlechte Vorstellung von dem Aussehen dieser Art. Viel
besser ist die von Brotherus gelieferte Abbildung in Engler-Prantl „Natürliche Pflanzenfamilien‘.
Wahrscheinlich hat diese Einrichtung, so
einfach sie erscheint, doch mehrere Auf-
gaben im Leben des betreffenden Indivi-
duums zu erfüllen.
Was nun den Fuß von Cleistostoma
ambiguum Brid. anbelangt, so ist zunächst
dessen bedeutender Umfang hervorzuheben
(Fig. 44a). Im medianen Längsschnitt hat.er
eine verkehrt-keulenförmige Gestalt, wie sie
von keinem Laubmoos bisher bekannt gewor-
den ist (Fig. 44). Der Fuß nimmt einen wei-
ten Raum ein, infolge seines Eindringens
erweitert sich das Stämmchenende bedeutend
und erhält eine kugelförmige Oberfläche.
Die den Fuß bildenden Zellen sind sehr
groß, die mittleren etwas länger (Fig. 45)
als die seitlichen — sie repräsentieren den
Zentralstrang — und mit zarten Membra-
nen!) versehen. Nur die äußeren Zellwände
(Fig. 46 a) sind bedeutend verdickt und stark
nach außen gewölbt, wodurch eine größere
Oberfläche erzielt wird. Bei seinem Vor-
dringen in das Stämmchen drückt der Fuß
dessen zartes Gewebe zusammen, es ent-
steht auch hier die schon mehrfach er-
wähnte Schleimschicht. Daß der Fuß in
dem seitlich gelegenen Gewebe des Stämm-
chens nicht dieselben „Verwüstungen“ an-
richten kann wie an seinem breiten Grunde,
versteht sich bei richtiger Beurteilung der
Umstände von selbst.
Nach Brotherus bringt Cleistostoma
ambiguum Brid. zweigestaltige Sporen her-
vor. Ich habe aber nur eine Art vorge-
funden. In allen untersuchten Sporogonien
fand ich aber dasreich verzweigte Mycel eines
Pilzes, das unzühlige Conidien abgeschnürt
hatte, die überall in der Kapsel verbreitet
waren und auch an der Außenwand der
Sporen hafteten, sodaß diese dadurch ein
papillóses Aussehen erhielten. Ich zweifle Fig. 46.
!) Die beigefügten Figuren sind zum Teil nach Schnitten gezeichnet, die mit Kalilauge behandelt
worden waren.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. IIT. Abt. 66
510
nicht daran, daß Brotherus diese Conidien für die kleinere Sporenform gehalten hat. Etwas
Ähnlichem begegnen wir auch im Sporogon von Sphagnum.
Eine von der gewöhnlichen Form stark abweichende Ausbildung des Fußes tritt uns
bei den im System tiefstehenden Arten von Phascum, Mildeella und Archidium entgegen.
Bei diesen ist das in Frage kommende Organ meist keulig bzw. kugelig angeschwollen.
Dieser Form des Fußes begegnen wir aber auch, wie ich
an Öleistostoma ambiguum Brid. zeigte, bei systematisch
DE hóher stehenden Laubmoosen, beispielsweise fand ich bei
Gigaspermum repens Hook., einer in vieler Beziehung sehr
interessanten Art, die zu den Hedwigiaceen gestellt wird,!)
habituell jedoch den cleistokarpischen Bryineen sehr nahe
steht, einen Fuß von ausgesprochen traubenfürmiger Gestalt
(Fig. 47), dessen peripherische Zellen mit sehr verdickten
und nach außen stark vorgewólbten Außenmembranen ver-
sehen sind, wogegen die Innenzellen sehr zarte Wände be-
sitzen; diese Elemente kann man in ihrer Gesamtheit als
Zentralstrang auffassen. Die Angabe Limprichts,?) „er —
der Fuß der Laubmoose nämlich — besitzt an seiner Peri-
Fig. 47. pherie dünnwandige, sich vorwölbende Zellen“, ist in dieser
Allgemeinheit durchaus falsch.
In der ,Organographie*?) und in den zuletzt veröffentlichten „Archegoniatenstudien“
hat Goebel auf die höchst eigenartigen Organisationsverhältnisse von Eriopus cristatus
Hedw. und remotifolius C. M. hingewiesen und die Entwicklungsgeschichte der erstgenannten
Art ausführlich dargelegt.
Wie Goebel richtig bemerkt, macht der Fuß eines frei prüparierten Embryos von
Eriopus cristatus Hedw. durchaus den Eindruck einer Seta, die an ihrem oberen Ende ein
Gebilde von kapselähnlichem Aussehen trägt. Alle von mir untersuchten Eriopus-Arten,
z. B. E. Zürnianus C. M., setigerus Mitt. stimmen in dem angeführten Punkte mit jenen
Formen überein. Es tritt auch hier überall außerordentlich klar hervor, daß der Fuß in der
Entwicklung allen übrigen Teilen des Sporophyten voraneilt. Die Organisation des Fußes
bei den Eriopus-Arten muß als eine in jeder Beziehung eigenartige bezeichnet werden und
hat, soviel mir bekannt ist, in anderen Verwandtschaftskreisen der Laubmoose ihresgleichen
nicht mehr. Der Fuß ist nämlich aus sehr großen, zartwandigen, — nur die periklinen
Außenwände sind etwas verdickt — großkernigen und protoplasmareichen Zellen gebildet
und stellt einen schlaffen Schlauch dar, dem alle Einrichtungen mechanisch wirkender
Art, wodurch sein Eindringen in den stielfórmigen Teil — von Goebel Archegonienstiel
genannt — erleichtert wird, fehlen. Bei allen von mir untersuchten Eriopus-Arten, auch
bei Eriopus cristatus Hedw., dringt der Fuß fast bis zur Basis des Archegonienstiels vor;
diese Tatsache veranlaßte mich unter Berücksichtigung des Umstandes, daß dem Fuß alle
Waffen zur Einbohrung fehlen, noch einmal die bereits von Goebel in ihren Grundzügen
! Engler-Prantl, Natürliche Pflanzenfamilien, Lieferung 222, S. 718.
2) Rabenhorst, Kryptogamen-Flora, Band IV, Abt. T, S. 41.
3) Siehe Goebel, „Archegoniatenstudien“, S.67. Flora, Band 96, Heft I.
511
festgestellte Entwicklungsgeschichte des Sporophyten genau zu untersuchen. Ich habe
mich aber auf die letztgenannte Art nicht ausschließlich beschränkt, habe vielmehr eine
ganze Anzahl von Eriopus-Formen untersucht, weil von einer vergleichenden Untersuchung
die besten Resultate zu erwarten waren. Es sei schon jetzt mitgeteilt, daß alle Eriopus-
Arten bezüglich der Entwicklung des Sporophyten in allen wesentlichen Punkten über-
einstimmen.
Gelegentlich der Schilderung der Entwicklungsgeschichte des Sporophyten von Gott-
schea Blumei macht Goebel!) darauf aufmerksam, daß „das Sporogon sich nicht einfach
in die unverändert bleibende Sproßachse hineinbohrt. Man sieht auf Lüngsschnitten durch
Stämmehen, welche befruchtete Archegonien tragen, daß weit unterhalb des Embryos das
Gewebe, welches er verdrängen will, vorgebildet ist. Es ist sehr zartwandig und von dem
peripherischen, welches dann den Embryo als schützende Hülle umgibt, deutlich verschieden. ..
Offenbar ist also der Vorgang der, daß infolge der Befruchtung (wie dies auch sonst bei
Lebermoosen vorkommt) auf das embryonale Gewebe unterhalb des Archegoniums ein Reiz
ausgeübt wird, der-es zu den erwähnten Differenzierungserscheinungen (die ich hier nicht
aufführe, L.) veranlaßt. Das Sporogon findet also seinen Weg in die Sproßachse schon
vorgezeichnet. Auf Seite 109 äußert sich der genannte Forscher weiter über die Bohr-
arbeit des Fußes von Gottschea Blumei folgendermaßen: Man kann deutlich verfolgen, wie
beim Einbohren des Sporogons die Zellen der Sproßachse sich voneinander loslösen, aus-
gesogen und desorganisiert werden. Es ist auch am unteren Ende des Embryos ein be-
sonderes Bohrorgan vorhanden, ausgezeichnet durch verdickte, wie gequollen erscheinende
Zellwände. Dieses Bohrorgan ist aber offenbar der Hauptachse nach nicht mechanisch
tätig, sondern scheidet Stoffe aus, welche auf das Sproßgewebe eine auflösende Wirkung
ausüben“. Diese Angaben halte ich, mit Ausnahme des letzten Punktes, für zweifellos
richtig. Auch bei der Entwicklung des Sporophyten von Polytrichum- und Pogonatum-
Arten, von Cleistostoma ambiguum Brid. und anderen Arten habe ich die Entstehung eines
zartwandigen Gewebes unterhalb des Embryos feststellen kónnen und dieselben Erschei-
nungen beobachtet, wie sie Goebel für Gottschea Blumei angibt. Anderer Ansicht bin
ich hingegen bezüglich des umgebogenen Endes des Fußes des genannten Lebermooses, ein
Analogon liegt bei zahlreichen Polytrichum- und Pogonatum-Formen vor, worüber ich mich
bereits oben geäußert habe. Will der Fuß tiefer ins Stümmchen eindringen, als das zart-
wandige Gewebe reicht. so findet er in den älteren Zellen einen großen Widerstand, der
die Umbiegung zur Folge hat.?)
In seiner Abhandlung „Über einige mechanische Einrichtungen im anatomischen Bau
von Polytrichum juniperinum**) macht Firtsch in Bezug auf die Befestigung des Sporogons
Angaben, die ich nicht unwidersprochen lassen kann. Er nimmt nämlich an, daß der Fuß
der genannten Art Einrichtungen besäße, die es verhinderten, daß das Sporogon, besonders
zur Zeit der Reife, aus der Vertiefung des Stämmchens herausgezogen werde. Er sagt
l| Goebel, Archegoniatenstudien. Flora, Band 96, Heft I, S. 111.
?) Siehe auch Haberlandts Mitteilungen über die Beziehung zwischen dem Zentralstrang des
Stämmchens und dem Sporogonfuß. Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Laubmoose. Prings-
heims Jahrb. f. wiss. Bot., 1886, S. 387—388.
3) Berichte der Deutsch. Bot. Ges., 1883, S. 983—965.
66*
512
bezüglich des Fußes des Sporogons folgendes: „Die Vorwölbungen der Außenwandungen
bedingt nicht nur eine Vergrößerung der absorbierenden Flächen, sondern erhöht auch
die Reibung des Fußes an der Innenfläche der Vaginula. Diese letztere ist gleichfalls mit
Höckerchen versehen, welche allerdings mehr vereinzelt sind, die aber doch zur Erhöhung
des Reibungswiderstandes beitragen dürften. Diese Höckerchen bestehen aus einzelnen
größeren Zellen von birnförmiger Gestalt, welche aus der zweiten oder dritten Zellschicht
von innen gezählt gegen den Fuß zu wachsen, die darüber befindlichen Zellen zur Seite
drängen und wahrscheinlich resorbieren.
Bisweilen erscheinen diese dünnwandigen, aber stark turgeszierenden Höckerchen
gefächert. Ob ihre angedeutete mechanische Funktion die einzige ist, welche ihnen zukommt,
oder ob sie nicht auch in ernährungs-physiologischer Beziehung eine Rolle spielen, kann
hier nicht entschieden werden.“
Die von Firtsch erwähnten Vorwölbungen des Fußes und die eigenartigen birnförmgen
Zellen sind weiter nichts als Absorptionswerkzeuge, mit der mechanischen Befestigung
aber haben sie nichts zu tun. Die birnförmigen Zellen, die, wie erwähnt, bisweilen ge-
fächert sind, müssen als schwache Anzeigen von Rhizoidenbildung aufgefaßt werden, die
bei Diphyseium foliosum Mohr zu sehr kräftiger Entwicklung gelangt (siehe Fig. 43).
Wie ich gezeigt habe, eilt die Entwicklung des Fußes der der übrigen Teile des
Sporophors stark voraus. Die Entwicklung der Seta und des Sporogons nimmt erst ihren
Fortgang, nachdem der Fuß seine volle Ausbildung erlangt hat. Dieser wird, wie ich
dargelegt habe, schon in früher Jugend so fest in das Stümmchen eingekeilt und durch
besondere Einrichtungen so straff in der erforderlichen Lage gehalten, daß die Vorwöl-
bungen als Mittel zur Befestigung gar nicht in Betracht kommen kónnen.
„Die Seta ist in das Stämmchen geradezu eingekittet*, schreibt Firtsch. Polytrichum
juniperinum unterscheidet sich aber von den übrigen Arten dieser Gattung und anderen
Polytrichaceen-Formen in keiner Weise, sein Fuß steht ebenfalls in einem Schleimzylinder,
der durch die Zerstörung von Zellen bei seinem Vordringen und durch eigene Absonde-
rung einer ähnlichen Substanz hervorgebracht wird. Die Möglichkeit, daß ein junges
oder erwachsenes Sporogon durch äußere Gewalten aus dem Stämmcheninnern heraus-
gezogen werden könnte, ist vollständig ausgeschlossen, diese Gefahr tritt niemals an einen
Sporophor heran.
Unsere Kenntnis der Entwicklungsgeschichte des Eriopussporophyten erfährt, wie
ich im folgenden zeigen werde, eine wesentliche Bereicherung durch Aufdeckung der Be-
ziehungen, die zwischen dem Sporophyten, insbesondere seinem Fuße zu dem, was Goebel
den Archegonienstiel nennt, bestehen. Auf Seite 65 seiner „Archegoniatenstudien“ bildet
Goebel (Fig. 41I) ein befruchtetes Archegonium ab, das oben mit breiten Papillen be-
deckt ist. An seiner Basis stehen drei unbefruchtete Archegonien. Das, was Goebel den
.Archegonienstiel^ nennt, ist zu Beginn der Entwicklung noch nicht vorhanden, denn der
Archegonienstiel hat nur eine geringe Kürze, wie die Figur zeigt. Ich behalte aber den
Ausdruck ,Archegonienstiel^ bei, um mich deutlich ausdrücken zu können. Dieser Stiel
(Fig. 48b) entsteht erst nach der Befruchtung, in ihn bohrt sich der Fuß des Embryos
ein (Fig. 48c), was zur Voraussetzung hat, daß der Stiel ebenfalls in die Länge wächst.
Bewege ich Doleh und Scheide mit beiden Händen um ungefähr denselben Betrag gegen-
einander, so schiebe ich die Scheide über den Dolch und zugleich den Dolch in die Scheide.
513
Anders verhält sich die Sache, wenn ich die Scheide in der linken
Hand festhalte und mit der rechten den Dolch einführe. Auf den
Vorgang bei Eriopus paßt das zuerst angewandte Bild. So ist es
dem waffenlosen, schlaffen Fuße möglich, eine feste Basis zu ge-
winnen, sein Wachstum und die Streckung des Stieles ergänzen ein-
ander vortrefflich. In diesem Falle kann auch von einer Zerstörung
benachbarten Stielgewebes durch den Fuß nicht die Rede sein, weil
dieser, auch wenn er die z. B. für Dawsonia Victoriae C. M. be-
schriebenen mechanischen Hilfsmittel besäße, gar keine Verwendung
dafür haben würde, denn der wachsende Stiel umschließt ihn um
denselben Betrag, um den er sich selbst verlüngert, jedenfalls ein
hóchst eigenartiger Vorgang.
Bei allen Eriopus-Arten, z. B. E. Zürnianus C. M., Jellineki
C. M., remotifolus C. M., setigerus Mitt., cristatus Hedw., ist die
Seta erwachsener Sporophyten an ihrem Übergang zum Fuß eigen-
tümlich hin- und hergebogen. In früher Jugend schon tritt, wie
Goebel nachwies, diese Verbiegung ein, sie ist also eine dauernde
Eigentümliehkeit des Sporophyten. Goebel äußert sich über das
Zustandekommen dieser Krümmung folgendermaßen: „Man könnte
sich dieses dadurch zustande gekommen denken, daß man annimmt, .der Embryo ver-
längere sich rascher als das Epigon, er biege sich deshalb an der Stelle, wo das Epigon
ihn am wenigsten fest umhüllt, und diese Biegung bedinge dann die weiteren Erschei-
nungen.“ Es kann kein Zweifel darüber obwalten, daß ausschließlich rein mechanische
Ursachen die Krümmung am basalen Ende der Seta bedingen. Goebels Vermutung führt
ja die Erscheinung ebenfalls auf mechanische Ursachen zurück, ich vermag mich ihr
aber nicht anzuschließen. Durch ausgedehnte Untersuchungen konnte ich über die Ent-
stehungsursache der Krümmung folgendes in Erfahrung bringen. Das Epigon wächst, wie
Goebel annahm, zu gewissen Zeiten der Entwicklung langsamer in die Länge als der von
ihm umschlossene Embryo, die Folge davon ist, daß der Embryo sich irgendwo krümmt.
Nun fragt es sich, worin liegt es begründet, daß das Epigon nicht gleichen Schritt mit
dem Wachstum des Embryos hält? Diese Frage war nicht leicht zu beantworten, da die
Kleinheit des Objekts für die Untersuchung ins Gewicht fiel, derartige Untersuchungen
auch an und für sich zu den schwierigeren gehóren.
An der fertigen Haube der von mir untersuchten Eriopus-Arten sind schon im
jugendlichen Zustand des Sporophyten zwei Teile sehr deutlich zu unterscheiden, ein oberer,
je nach der Art mit besonderen Eigentümlichkeiten ausgestatteter, und ein unterer Ab-
schnitt, dessen langgestreckte Zellen in Form von einzelnen Fransen oder Fransenbüscheln
vom basalen Rand des oberen Kalyptraabschnitts herabhüngen. Diese untere Partie der
Haube ist es, welche in jugendlichem Alter die Streckung des oberen Epigonteils, aus dem
ja zum größten Teil die obere Kalyptra hervorgeht, verhindert und die Biegung des
unteren Setenteils verursacht. Wie die Entwicklungsgeschichte lehrt, geht der untere
Haubenteil aus der Gesamtheit der Oberflächenzellen des unteren Epigonteils, des Arche-
1) Siehe die Abbildungen in Flora, Band 96, Heft I, S. 66.
514
gonienstiels, hervor, der in seiner ganzen Erstreckung
als Vaginula bezeichnet werden darf. Der basale
Haubenabschnitt löst sich als Hohlzylinder von der
Peripherie des Archegonienstiels los; damit hängt es
zusammen, daß in der Jugend die Fransen bis zur
Basis des Stiels hinabreichen (Fig. 49). Ist der Zu-
sammenhang zwischen Archegonienstiel und Fransen-
partie aufgehoben, so kann sich der obere Epigonteil
mit den Fransen nach oben strecken. Der obere Epi-
gonteil erscheint als Luftballon, der vermittelst zahl-
reicher, starker Taue, der Fransen, unten am Arche-
gonienstiel festgehalten wird. Löst sich die Verbin-
dung, so kann das Fliegen beginnen. Eine weitere
Folge der Zugwirkung ist, daß der vorher gerade und
wachsende Embryo gezwungen wird, sich zu biegen;
Fig. 49. dies geschieht bei allen Arten an einer ganz bestimmten
Stelle, der Basis der Seta (Fig. 48a). Es leuchtet ein,
daß durch diese seitliche Ausbiegung des Embryo ein größerer Raum in Anspruch genommen
wird, zumal außerdem an jener die Rhizoiden entstehen, die später in oft sehr mächtiger Aus-
bildung teilweise unter dem Sporogon wahrzunehmen sind. Das noch jugendliche, biegsame
und wohl auch dehnbare Gewebe des Epigons wird durch die Krümmung des Embryos nach
außen gedrückt, wodurch eine ringfórmige, vorspringende Zone am Epigon hervorgebracht
wird (Fig. 50a, b, c). Immer noch wirken die Zugkräfte der basilaren Haubenpartie, unteres
und oberes Epigon drücken in einer bestimmten Schicht aufeinander und es entsteht ein
Wulst, der am deutlichsten am oberen Rand des Archegonienstiels hervortritt und von
Goebel als Vaginularkragen bezeichnet wird (Fig. 50d,e,f). Aber auch der obere Epigon-
abschnitt besitzt einen solchen Kragen, der sich jedoch nicht in der charakteristischen
Weise wie der am Archegonienstiel umlegen kann, weil an ihm die noch nicht von
letzterem befreiten Fransenzellen einen Zug nach unten ausüben. Innerhalb des Kragens
entsteht ein braun gefürbtes, äußerst sprödes Gewebe, das mit den gebrüunten Elementen
im späteren basalen Setenteil im großen ganzen übereinstimmt. In dieser Gewebepartie
des Kragens tritt die Trennung zwischen unterem Epigonteil, dem Vaginularkragen und
der Basis des oberen Kalyptraabschnitts ein (Fig. 48d). Durch die Bildung des Kragens
wird aber noch etwas anderes erreicht, nümlich die Loslósung der in der Entwicklung
fertigen Fransen vom Archegonienstiel. Durch die zentrifugale Bewegung des Kragens
werden die an der Basis seines oberen Teils anfassenden Fransen ebenfalls im zentrifugaler
Richtung fortbewegt, sie werden dadurch gedehnt und vom Archegonienstiel abgehoben
(Fig. 51a und Fig. 50e, f). In sehr zahlreichen Fällen konnte ich diese Loslósung sehr
gut beobachten und noch genau feststellen, welche Fransenzelle sich von einer bestimmten
Stelle der Peripherie des Archegonienstiels gelöst hatte. Die Betrachtung der Oberfläche
des letzteren zeigt, daß hier keine normale Außenfläche mehr vorliegt. In der Regel findet
nur die Loslösung einer einzigen Schicht von der Außenseite des Archegonienstiels statt
(Fig. 50e). Es kommt aber auch vor, daß zwei Schichten abgehoben werden (Fig. 50 f).
Wenn nun der basale Teil der Haube nur aus der äußeren dieser beiden Schichten hervor-
515
Fig. 51.
geht, so kommt es zur Bildung eines den Archesonienstiel umgebenden Hohlraums, über
dessen biologische Deutung ich keine Angabe machen kann (Fig. 5la und Fig. 50 f, h).
Möglicherweise fällt ihm die Aufgabe zu, Wasser festzuhalten. Der Nachweis dieses Hohl-
raums ist nur an nicht allzu dünnen Schnitten möglich, weil die Zellschicht des Mantels
sehr zart ist und sehr leicht reißt, wodurch dann mikroskopische Bilder entstehen, die
zu falschen Deutungen Veranlassung geben. Aus dem Mitgeteilten ergibt sich, daß die
Fransen der Haube, wie man leicht annehmen könnte, nicht rhizoidenartige Auswüchse
vom unteren Rande der Kalyptra sind, denn sie verdanken, wie gezeigt wurde, ihre Ent-
stehung dem Archegonienstiel, sie dürfen also nicht mit den an der oberen Kalyptra
entstehenden rhizoidenförmigen Emergenzen als morphologisch gleichwertig hingestellt
werden, wie es auch bisher noch von keiner Seite geschehen ist.
Durch die Loslósung der unteren Kalyptra wird also die in basaler Richtung wirkende
Zugkraft ausgeschaltet, es ist damit aber noch nicht die tiefere Ursache für die endgültige
Befreiung des oberen Hauptteils der Kalyptra von der kragenförmigen Vaginula ermittelt,
516
denn jener bildet doch im Jugendzustand mit dem
Archegonienstiel ein einheitliches Ganzes. Durch
das Auftreten eines besonderen Gewebes mit sprö-
den Wänden, das bei entwickelten Sporophyten
hauptsächlich die oberen Partieen der Vaginula
zusammensetzt, wird die Trennung der beiden
Teile herbeigeführt (Fig. 52a). Nach der Aus-
bildung dieser eigenartigen, mit starren Wänden
ausgestatteten Zellen, die wir auch an dem Über-
gang der Seta zum Fuß beobachten, kann sich
das Gewebe eines ganz bestimmten Teils der Seta
strecken und die Haube emporheben. Aber der
gekrümmte Teil der Seta ist nicht mehr strek-
kungsfähig und behält dauernd seine eigentüm-
liche Form. Ich möchte nicht unterlassen, dar-
auf hinzuweisen, daß die gebräunte Gewebemasse
an der Basis der Seta aus Zellen mit außerordent-
lich reicher Tüpfelung besteht (Fig. 53). Nach
oben nimmt die Zahl der Tüpfel allmählich ab.
Nach Goebel sind jene Zellen nicht abgestorben,
sondern führen protoplasmatischen Inhalt. Es
liegt hier meines Erachtens eine Korrelations-
erscheinung vor. Dadurch, daß die Seta gezwungen
wird, unter der Einwirkung äußerer Faktoren
sich zu krümmen, wird die Zufuhr von Wasser
und Nährstoffen außerordentlich erschwert. Die
Herstellung der so zahlreichen Tüpfel macht den
„Fehler“ wieder gut. Es muß auch auffallen,
daß gerade an dieser Biegungsstelle die Rhizoiden
entstehen, denen offenbar die Aufgabe zufällt,
ebenfalls den durch die Knickung entstandenen
„Schaden“ wieder auszugleichen.!) Bis zu welcher
Mächtigkeit diese Rhizoiden, die wir später teil-
weise unterhalb des Sporogons wiederfinden, ge-
langen können, führt Fig. 54 vor Augen.
Der hygrophile Charakter der Eriopus-Arten,
die gleich den zahlreichen Hookeria-Formen an
schattigen und nassen Stellen wachsen, findet
seinen klarsten Ausdruck in der Anhäufung von
Einriehtungen zum Auffangen und Festhalten von
Wasser, wie sie in solcher Mannigfaltigkeit und
üppiger Entwicklung kaum wieder unter den
!) Vel. auch die Bemerkung Goebels in Organographie, Teil II, Heft I, Bryophyten, S. 377.
517
Bryophyten anzutreffen sein mögen. Besonders hoch muß die wasserhaltende Kraft der
Seta eingeschätzt werden, die an ihrer ganzen Oberfläche mit sehr reichlichen, vielfach
auch rhizoidenförmigen, aber unverzweigten Emergenzen besetzt ist. Alle im Herbar
C. Müller-Hal. vorhandenen Eriopus-Arten zeigen in diesem Punkte vollkommene Überein-
stimmung. Wie aus Fig. 55 ersichtlich ist, nimmt die Wandstärke von der Peripherie der
Seta nach innen hin allmählich ab, dasselbe gilt auch hinsichtlich der Zahl der Tüpfel.
Diesen begegnet man am häufigsten an der nach innen gelegenen Wand der vorgestülpten
Epidermiszelle und an den Membranen der benachbarten Zellen (Fig. 55 a); dies deutet
darauf hin, daß das von den Papillen aufgenommene Wasser in zentraler Richtung fort-
geleitet wird. Wo die Papillen fehlen, ist die Zahl der Tüpfel sehr gering oder es sind
solche gar nicht vorhanden.
Fig. 55. Fig. 56.
Auch die Haube vermag viel Feuchtigkeit in sich aufzunehmen. Bei Eriopus Jellineki
C. M. besteht die Wand der Kalyptra aus einer überraschend großen Zahl von Schichten
(Fig. 56), in deren Zellen sowohl wie auch in den stark verdickten Membranen Feuchtigkeit
in größerer Menge gespeichert werden kann.
Es ist schon früher von mir darauf hingewiesen worden, daß auch bei den Poly-
trichaceen der Fuß an seiner Außenfläche mit einer Schleimschicht überzogen ist. Die
Frage nach der Herkunft des Schleims, d. h. ob die Zellen des Fußes selbst imstande sind,
Schleim abzusondern, oder ob es sich um eine Schicht handelt, die aus der Zerstörung von
Stámmchenzellen durch den eindringenden Fuß entsteht und diesem adhäriert, konnte nur
auf experimentellem Wege entschieden werden. Bei der Versuchsanstellung verfuhr ich
in folgender Weise: Eine kreisrunde Korkscheibe wurde vermittelst einer glühenden Nadel
an zahlreichen Stellen perforiert. Durch die entstandenen feinen Lócher wurden die Sporo-
phyten von Polytrichum junipernum Willd. hindurchgesteckt, die Sporogone verhinderten
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 67
518
dann durch ihren größeren Umfang, daß die Versuchsobjekte durchfielen. Die Korkscheibe
wurde darauf in ein mit Wasser gefülltes Becherglas gebracht, dessen Inhalt täglich
erneuert wurde; die Objekte selbst waren im Wasser in annähernd vertikaler Lage suspendiert.
Nach einiger Zeit zeigten sich überall schleimige Überzüge an der Oberfläche des
Fußes, wohingegen weiter hinauf solche fehlten. Mit einer guten Lupe waren diese Schleim-
überzüge im durchfallenden Lichte deutlich zu sehen. Aus diesem Versuch ergibt sich,
daß das Gewebe des Fußes Schleim abzusondern in der Lage ist. Welche Art von Schleim
vorliegt, habe ich nicht untersucht. Mit Alaun ließ er sich gut härten, auch nahm er
viele Farbstoffe, z. B. Methylengrün, begierig auf.
Das Experiment lieferte noch ein anderes Resultat. Die grünlichen Teile des Fußes
nahmen mit der Zeit eine braunrote Färbung an. Zuerst zeigte sich diese Farbenänderung
an der Spitze, später verbreitete sie sich über ausgedehnte Partieen des Fußes. Es handelt
sich hierbei wohl um eine Schutzvorrichtung des Fußes gegen das Licht, wir dürfen die
Färbung des Fußes als durch die Belichtung hervorgerufen ansehen.
Abgesehen von der nicht bei allen Polytrichaceen vorhandenen Apophyse,!) die Goebel
und Haberlandt als zur Seta gehörig betrachten,") bietet diese in biologischer Beziehung
weniger Bemerkenswertes. Anatomisch ist sie schwach differenziert, ganz im Gegensatz
zu dem hochentwickelten Stümmchen und dessen Blättern. Ein peripherischer, aus lang-
gestreckten, dickwandigen Zellen gebildeter Zylinder übernimmt auch hier die mechanische
Festigung, wührend das Innere, aus dünnwandigen Elementen bestehend, dem Transport
des Wassers und der in ihm gelösten Nährstoffe dient. Ein Zentralstrang fehlt nirgends,
er hebt sich scharf von dem umgebenden Gewebe ab. Im großen ganzen entspricht die
Lünge der Seta der Größe des Stämmchens, allerdings müssen die Seten der riesenhaften
Dawsonia-Arten, wie D. gigantea Grev. u. e. a., als relativ kurz bezeichnet werden. An
anderer Stelle?) habe ich darauf aufmerksam gemacht, daß die in stehenden Gewässern,
Sümpfen und Mooren lebenden Laubmoose sich durch den Besitz sehr langer Seten aus-,
zeichnen, wogegen die im fließenden Wasser vorkommenden Formen in der Regel sehr
kurze Seten hervorbringen, vielfach kann überhaupt bei den Bewohnern des strómenden
Wassers von einer Seta kaum die Rede sein. Arten, deren Vorkommen an Erde, Gestein,
Büume u. dgl. gebunden ist, nehmen hinsichtlich der Lünge der Seta eine Mittelstellung
ein. Es läßt sich der Gedanke nicht von der Hand weisen, daß zahllose Laubmoose mit
kurzgestielten Kapseln früher ein Wasserleben führten, sehr zahlreiche Formen haben die
habituellen Eigentümlichkeiten der Wassermoose bewahrt. Grimmia apocarpa, die an den
trockensten Stellen, z. B. auf Felsen und Gestein, wächst, kommt auch im fließenden Wasser
vor (f. rivularis) und läßt uns wohl ahnen, daß die Vorfahren vieler jetzt außerhalb des
Wassers lebenden Formen früher an dieses Medium gefesselt waren.
Die größte Mehrzahl der Polytrichaceen sind Landbewohner. Interessant ist es nun,
daß die in Mooren und Sümpfen gedeihenden Formen dieser Familie durch besonders lange
1) Über die anatomischen und anderen Verhältnisse Vaizey in Journal of the Linnean Society,
Vol. XXIV, S. 271, Fig. 17, Taf. 10, außerdem S. 280 und S. 281, Absatz 2.
?) Im geneigten Zustand stellen Sporogon und Apophyse ein einheitliches Ganzes dar, sodaß ich
mehr der Ansicht zuneige, daß beide Teile zusammengehören.
3) Lorch, Beiträge zur Anatomie und Biologie der Laubmoose. Flora, 1894, Heft IIl, S. 34.
519
Seten an ihren Standort angepaßt sind. Von den europäischen Arten nenne ich Poly-
trichum gracile Dicks (6—8 cm),!) strictum Banks (6—10 cm), Swartzii Hartm. (5—8 cm),
commune L. (6 —12 cm), wohingegen die kräftigen Stämmchen von P. alpinum L. (3—5 cm),
formosum Hedw. (£—S cm), juniperinum Willd. (2—6 cm), wie die angegebenen Zahlen
beweisen, viel kürzere Seten erzeugen. An einem äußerst reichhaltigen Herbarmaterial
konnte ich mich davon überzeugen, daß die exotischen Formen mit den Vertretern unserer
Flora übereinstimmen.
Jeder, der die Oberfläche eines an fruktifizierenden Laubmoosen reichen Torfmoores
mit Aufmerksamkeit betrachtet hat, wird mir bestütigen, daB die Seten dieser Arten, mit
den Landbewohnern verglichen, durch ihre große Zartheit auffallen, eine Eigentümlichkeit,
der eine nicht zu bestreitende Gesetzmäßigkeit innewohnt, worauf meines Wissens bisher
noch von keiner Seite hingewiesen wurde. Aber noch eine andere Besonderheit der Seten
der Moorbewohner kann nicht übersehen werden, ich denke an die eigentümlichen Krüm-
mungserscheinungen, die sich an den Seten der typischen Bryophyten der gedachten
Örtlichkeit beobachten lassen; der zur Verfügung stehende Raum gestattet aber nicht, hier
eine Aufzühlung der in Frage kommenden Arten zu geben. Beide Eigentümlichkeiten treten
in den verschiedensten Verwandtschaftsreihen der Laubmoose auf, fast immer begegnet
man ihnen bei den moorbewohnenden Spezies. Es ist also kein Zufall, wenn z. B. Poly-
trichum graeile Dicks., ein typischer Bewohner unserer Moore, eine geschlängelte und
relativ schmächtige Seta hervorbringt.
Die Seten der meisten Laubmoose spielen, da sie biegungsfest gebaut sind, bei der
Sporenaussaat eine wichtige Rolle. Regentropfen und Winde wirken auf sie ein und setzen
sie in vibrierende Bewegung, wodurch in Verbindung mit anderen Einrichtungen des Sporo-
cons eine allmähliche Sporenausstreuung erzielt wird.*) Je länger die Seta ist, umso
größer ihr Ausschlag, wenn bewegte Luft oder ein Regentropfen sie trifft. Ob auch bei
den Polytrichaceen die ruckweisen Erschütterungen (Torsion) der Seta infolge Aufnahme
oder Verlustes des Wassers eintreten, vermag ich nicht zu sagen, ein Grund zur Annahme,
daß es hier anders sein soll, liegt nicht vor. Diese ruckweisen Drehungen der Seta ver-
anlassen, besonders bei geneigten Sporogonien, ebenfalls eine allmähliche Sporenentleerung.
Wichura hat in seiner Publikation „Beiträge zur Physiologie der Laubmoose*?) der
Schraubenwindung der Seta ein besonderes Kapitel gewidmet. Die Verflachung der Seta
tritt, wie auch von mir überall beobachtet wurde, unmittelbar unter dem Sporogon zuerst
auf und schreitet nach unten fort. ,Die bandartige Verflachung scheint, so schreibt Wichura,
Bedingung der eintretenden Schraubendrehung zu sein, wie ich daraus entnehmen zu
müssen glaube, daß die Fruchtstiele von Bryum und Mnium, die auch im Trocknen rund
bleiben, keine Spur einer Schraubenwindung zeigen." Wichura hat auch den Drehungs-
vorgang der Seta nach der physikalischen Seite hin untersucht. Er betont, „daß die
Achsendrehung eines bandartig abgeplatteten Kórpers in der Regel nur móglich ist, wenn
sich mit dieser Bewegung zugleich eine leichte Krümmung nach einer der beiden flachen
1) Kryptogamen-Flora von Rabenhorst, 1895, Band IV, Teil II.
2) Vgl. Goebel, „Über die Sporenausstreuung bei Laubmoosen*, Flora, 1895, S. 459 und „Über
Sporenverbreitung durch Regentropfen“, Flora, 1896, S. 480.
3) Pringsheims Jahrbücher f. wiss. Bot,, 1860, S. 189 — 201.
67*
520
Seiten hin verbindet“. Es müssen, wie Wichura hervorhebt, die beiden Seiten der Seta
in anatomischer Beziehung Differenzen aufweisen. Daß dies der Fall ist, ergibt sich aus
dem Verhalten des oberen Setenabschnitts, durch dessen Verflachung die Überbiegung der
Seta ermöglicht wird. Neigen sich z. B. die Kapseln von Polytrichum commune L., so
liegen alle Symmetrieebenen, wenn man sich die Längsachsen der Sporogone gleichge-
richtet denkt, parallel zueinander. Da aber, wie sich herausgestellt hat, die Neigung des
Sporogons von dem Eintreten der bandartigen Verflachung abhängt, so läßt sich daraus
die Folgerung ziehen, daß jene Verflachung einen gesetzmäßigen, d. h. bei allen Sporo-
gonien durchaus übereinstimmenden Verlauf nehmen muß. Die bei der Kapsel deutlich
hervortretende Dorsoventralität ist in der oberen, möglicherweise auch in der ganzen Seta
vorhanden und zeigt sich, wenn durch Eintrocknung die Abplattung erzeugt wird.
Die Seten unserer einheimischen Polytrichaceen sind meist in ihrem oberen Teil rechts
gedreht. Bei dem Auf- und Zusammenrollen des Setenbandes wird das Sporogon mehrere
Male im Kreise herumgeführt. Da aber, wie oben erwähnt, die Achsendrehung nur möglich
ist, „wenn sich mit dieser Bewegung zugleich eine leichte Krümmung nach einer der beiden
flachen Seiten hin verbindet“, so wird dadurch die Längsachse des Sporogons andauernd in
ihrer Lage verschoben, was für die allmähliche Sporenausstreuung sicher von Bedeutung ist.
Obwohl die ungeschlechtliche Generation, wie Wichura sich ausdrückt, „etwas völlig
Neues“ ist, so kann ich ihm nicht zustimmen, wenn er behauptet, daß das Sporogon samt
Seta von dem Gametophyten in Bezug auf seine symmetrische Ausbildung ganz unabhängig
sei, dafs beide „das Gesetz ihrer Symmetrie von außen durch die Beleuchtung“ empfangen.
Es will mir scheinen, als ob sich die drehende Tendenz der Stämmchen auch auf die Seta
übertrage; diese Tendenz kann sogar noch in der spiraligen Drehung der Zähne des
Peristoms, der Zellen der Haube und des Deckels!) ihren Ausdruck finden.
Die Dorsoventralität der embryonalen Generation gibt sich schon in recht jugend-
lichem Zustand des Sporophyten zu erkennen, in erster Linie selbstredend bei solchen
Formen, deren Sporogonien auch im erwachsenen Zustand den dorsoventralen Aufbau
besonders deutlich zeigen. Ich untersuchte jugendliche Stadien des Sporophyten von Poly-
trichum pyenocarpum C. M., solange diese noch vollständig im stark gestreckten Arche-
gonienbauch eingeschlossen waren, und fand, daß schon auf diesem Entwicklungsstadium
die Dorsoventralität sich in hinreichend klaren Umrissen offenbart (Fig. 41). Ob man nun
schon auf dieser Stufe der Entwicklung des Sporophyten dem Lichte einen die Dorso-
ventralität bedingenden Einfluß einräumen darf, wage ich nicht zu entscheiden. Junge
Sporophyten, an denen noch keine Trennung von Vaginula und Haube eingetreten ist,
haben meist die Form eines mehr oder weniger stark gekrümmten Säbels; die Dorso-
ventralität gelangt also auch an solchen Teilen zum Ausdruck, welche der geschlechtlichen
Generation zum Schutze dienen.
Die hygroskopischen Auf- und Abrollungen der trockenen Seta ist mit einer wirk-
lichen Achsendrehung verknüpft. Wie Wichura?) zeigte, ist „aber der Fruchtstiel der
meisten Moose im jugendlichen Zustand kein geradliniges Gebilde, sondern eine regel-
mäßige, sanft aufsteigende Schraubenlinie von sehr engem Lumen“. Nach dem genannten
1 Wichura, Beiträge zur Physiologie der Laubmoose, S. 203.
?) Wichura, Beiträge zur Physiologie der Laubmoose, S. 201.
521
Forscher tritt bei dieser Schraubenlinie im Gegensatz zur trockenen Seta keine Achsen-
drehung ein (Atrichum undulatum, Polytrichum commune). „Es wird also hieraus unzweifel-
haft, daß uns die Fruchtstiele der Moose in ihrem jüngeren Zustande das Beispiel einer
Schraube ohne Achsendrehung bieten“, denn die Kapseln müßten ihre durch das Licht
fixierte Lage fortwährend ändern, wenn mit der Aufführung der Schraubenlinie sich eine
Achsendrehung der Seta verbände.
Die Oberflächenzellen der jugendlichen Seten von Pogonatum aloides Hedw., Poly-
trichum piliferum Schreb., juniperinum Willd., Dicranella heteromalla L., Ceratodon pur-
pureus L. und Discelium nudum Dicks. verlaufen in einer nach rechts drehenden Schrauben-
linie. Hieraus geht hervor, daß schon im jugendlichen Zustande der Seta zum Ausdruck
gelangt, in welchem Sinne später die Spirale an der reifen Seta verläuft. Man kann aber
auch an jugendlichen Seten konstatieren, daß nicht erst ein gewisser Reifezustand erreicht
werden muß, wenn die bandförmige Verflachung und die spiralige Einrollung erfolgen
soll. Es läßt sich dies sehr gut an Discelium nudum Dicks., das auch m manch anderer
Beziehung zu den interessanteren Formen der Bryophyten gehört, beobachten. Diese Art
steht in allen Teilen der ungeschlechtlichen Generation im Banne einer rechtsläufigen Spirale.
Von der Fu&- bis zur Deckelspitze, Vaginula und Haube eingeschlossen, schließen sich die
Epidermiszellen in dem genannten Sinne aneinander. Bei der Untersuchung überraschte
mich am meisten der Umstand, daß die Oberflächenzellen des Fußes die spiralige Anord-
nung am schärfsten hervortreten ließen, und hier hatte ich es am wenigsten erwartet. An
der Vaginula war die Spirale höher, aber trotzdem gut zu sehen, am wenigsten von der
spiraligen Tendenz beeinflußt erwies sich Sporogon einschließlich Deckel. Auch die große
Schraubenwindung der turgeszenten Seta ist bei Discelium nudum Dicks. sehr gut ausgebildet,
sie wird durch Verlust des Wassers von einer sehr großen Anzahl engerer Schraubenlinien
ersetzt. Die große Schraubenwindung ist unter dem Mikroskope an den Ausbiegungen
nach rechts und links sofort zn erkennen. Diese kommen bei Eintrocknung in Wegfall,
damit ist eine Streckung der Seta verbunden.
Bei Atrichum angustatum Bryol. Eur. sind alle Epidermiszellen der turgeszenten Seta
in sehr deutlicher, rechtsläufiger Spirale angeordnet, bei Verlust der Feuchtigkeit findet
aber nur im oberen Setenteil die Einrollung statt, unten dagegen unterbleibt sie voll-
ständig, oben tritt die Verflachung der Seta ein, unten bleibt die zylindrische Gestalt
erhalten, ein Beweis dafür, daß die Einrollung nur vor sich gehen kann, wenn die Ab-
plattung eintritt. |
Nach Limpricht!) soll die trockene Seta bei Mnium hornum L. keine Drehung zeigen.
Anschemend besitzen die Epidermiszellen turgeszenter Seten keine spiralige Anordnung.
Sie ist aber doch vorhanden, nur nicht so leicht zu sehen, weil die Spirale sehr hoch ist.
Trocknet die Seta ein, so nimmt sie die bandförmige Gestalt an und führt die spiralige
Einrollung aus.
Die trockenen Seten von Dicranella cerviculata Schpr. sind unten rechts, oben links
gedreht. Dem entspricht vollkommen der Verlauf der Epidermiszellen an der turgeszenten
Seta. Zwischen beiden Zonen liest eine kürzere Strecke, deren Zellen im turgeszenten
Zustand nicht gedreht sind. Bei Discelium nudum Dicks. sind alle Oberflüchenzellen der
I) Kryptogamen-Flora, Band IV, 2, S. 453.
522
turgeszenten Seta in demselben Sinne gedreht, es findet die Aufrollung der eintrocknenden -
Seta auch nur nach einer Richtung statt.
Bei solchen Polytrichaceen, die in ihrem Vorkommen an schattige und fast stets
feuchte Lokalitäten gebunden sind, kann auch eine Reduktion eines Teiles des vom mecha-
nischen Zylinder umschlossenen Gewebes eintreten. Es entseht dann ei luftführender
Hoblzylinder um den Zentralstrang. Es wäre nicht allzu gewagt, vorausgesetzt daß die.
diesbezüglichen Angaben richtig sind,!) hierin eine Anpassung an äußere Verhältnisse zu
erblicken, denn an Orten, wo immer Feuchtigkeit zur Verfügung steht, kann die Entwick-
lung des Sporogons auch wohl vor sich gehen, wenn ein Teil des inneren Gewebes fehlt,
zumal ja der Zentralstrang, den man für das Organ der Wasserleitung ansieht, erhalten
bleibt. Als typische Bewohner feuchter, schattiger Stellen sind unsere Catharinaea-Arten
und sehr viele hygrophile, tropische Polytrichaceen, besonders solche aus der Abteilung
Catharinella C. M. anzusprechen. Immerhin würde die Existenz eines luftführenden, den
Zentralstrang umschließenden Hohlraums der biologischen Deutung große Schwierigkeiten
bereiten. Berichtigt sei hier eine Angabe von Brotherus,*) wonach bei Rhacelopus pilifer
die Seta mit einem zylindrischen Hohlraum versehen ist. Auch bei dieser Art ist die Seta
im zentralen Teil mit einem scharf sich vom übrigen Gewebe abhebenden Zentralstrang
versehen. Dieser wird von einem Gewebe sehr zartwandiger Elemente umschlossen, das auf
dickeren Querschnitten leicht zu erkennen ist, bei Anfertigung dünner Querschnitte aber
leicht zerreißt. Ich habe die Catharinaea-Arten auf diesen Punkt hin nicht untersucht,
stehe aber den diesbezüglichen Angaben mißtrauisch gegenüber.°) In diesem Mißtrauen
werde ich bestärkt durch die Ergebnisse der Untersuchungen von Vaizey,*) der das Vor-
handensein eines derartigen Luftzylinders bestreitet. „I have carefully examined setae in
all stages of development, but detected no sign of any such process — destroyed and
absorbed cells in the internal layers of the cortex — although the gradual separation of
the cortical cells to form the intercellular air-passages, was easily seen. It was indeed
found, when the sections were made with due care, that in the mature seta every,
or nearly every, cell of the parenchymatous sheath was connected with one or two of the
cells of the cortex.^ Zur Aufnahme von Wasser sind die Seten vieler Polytrichaceen mit
Mammillen oder papillösen Auflagerungen an ihren peripherischen Zellen ausgestattet.
Erstere erreichen wohl bei Rhacelopus pilifer den höchsten Grad der Ausbildung, halten
aber einen Vergleich mit den entsprechenden Organen der Eriopus-Arten nicht aus. Papil-
löse Wandverdickungen kommen vor allem den Polytrichum-Seten aus der Sectio „Poly-
tricha pilifera^ und vielen in bedeutender Meereshóhe und in arktischen Breiten einheimi-
schen Formen zu, eine Tatsache, die vom pflanzengeographischen Standpunkt aus betrachtet
unsere Beachtung in höchstem Maße verdient.
Es ist eine längst bekannte Thatsache, daß zahlreiche Laubmoose zur Zeit der Sporen-
reife ihre Sporogonien zur Seite neigen. Daß hierdurch die Sporen leichter verbreitet
1 Kryptogamen-Flora von Rabenhorst, 1895, Band IV, 2, S. 591—601.
! Engler-Prantl, Die natürlichen Pflanzenfamilien, Laubmoose, Lieferung 220, S. 670.
!) Haberlandt, Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Laubmoose, S. 397.
I Vaizey, On the Anatomy and Development of the Sporogonium of the Mosses in Journal of
the Linnean Society, Vol. XXVI, p. 268, Fig. 28, auf Taf. 11 und 12.
523
werden können, braucht wohl nicht erst bewiesen zu werden. Auch bei den Polytrichaceen
können wir in sehr vielen Fällen diese Erscheinung beobachten. In der Jugend nimmt
das Sporogon immer eine aufrechte Lage ein, später ist es geneigt, wagerecht bis nickend.
Am stärksten ausgeprägt finden wir die Neigung der Sporogonien bei den mit einer Apo-
physe versehenen Arten der Gattung Polytrichum, bei den streng dorsoventral gebauten
Kapseln von Lyellia erispa Hook., Dawsonia und Polytrichadelphus, während die Theken
der der Apophyse entbehrenden Pogonatum-Arten, wie P. nanum Schreb., aloides Hedw.,
urnigerum L. u. a. zur Zeit der Sporenreife aufrecht stehen oder eine schwache Neigung
zur Seite zeigen. Rhacelopus pilifer, die Arten von Psilopilum neigen ihre Sporogonien
ebenfalls stark seitlich, unsere Catharinaea-Arten und die Vertreter der Gattung Oligotrichum
kónnen als aufrecht bezeichnet werden, weil die Neigung der Sporogonien sich als eine
Krümmung derselben zu erkennen gibt. Ein eingehendes Studium der Symmetrieverhältnisse
aller Polytrichaceensporogonien überzeugt uns, daß sie sämtlich dorsoventral gebaut sind,
und auch bei den Aloidella-Formen ist der scheinbar radiäre Bau durch mancherlei Besonder-
heiten gestört. Stets ist aber schon an der fertigen jugendlichen Kapsel deutlich zu
erkennen, nach welcher Seite hin sie sich im Reifezustand neigen wird.
Bei den Polytrichum-Arten bildet die Längsachse der Theka zur Zeit der Sporenreife
ungefähr einen rechten Winkel zur Seta, oft aber ist die Neigung noch stärker. Im
Gegensatz zu den Pogonatum-Formen verfügen sie, wie oben erwähnt, über eine Apophyse
an der Übergangsstelle von Seta zu Sporogon; dieser Hals ist halbkugelig oder verfließt
fast mit der Kapsel oder aber er ist scheibenförmig!) und dann durch einen tiefen, ring-
förmigen Spalt von der Urne getrennt. Bei Polytrichum juniperinum Willd. und piliferum
Sehreb. die ich genauer untersuchte, spielt die Apophyse auch bei der Sporenentleerung
eine wichtige Rolle.
Bevor das Sporogon sich neigt, erfährt der obere Teil der Seta eine bemerkenswerte
Veränderung, sie nimmt nämlich durch Schrumpfung eine bandförmige Gestalt an. Es
leuchtet ein, daß um eine Achse von solcher Beschaffenheit die Neigung des Sporogons
leichter möglich ist als um eine solche von kreisfórmigem Querschnitt._ Beispielsweise läßt
sich ein Stück Weißblech ohne Schwierigkeit knicken, ein aus demselben Material ver-
fertigter Hohlzylinder setzt aber eventuellen Knickungsversuchen den denkbar stärksten
Widerstand entgegen.
Von den obengenannten beiden Arten brachte ich Rasen mit schon fast reifen, aber
noch aufrechten Sporogonien, deren Seten noch nirgends die bandförmige Verflachung auf-
wiesen, in kleine Bechergläser und ließ die Rasen eintrocknen, ohne daß sie von direktem
Sonnenlicht getroffen wurden. Nachdem sich der obere Teil der Seten abgeflacht hatte,
neigten sich die Kapseln merklich zur Seite. Durch die Überbiegung seitens des Sporogons
muß das Gewebe auf der konkaven (unteren Seite) falls zu der betreffenden Zeit nicht
noch irgendwelche Veränderungen der Membranen, was unwahrscheinlich ist, eintreten,
zusammengepreBt werden, es steht also die Unterseite unter dem beherrschenden Einfluß
des Gewebes der konvexen (oberen) Fläche der bandförmigen Seta. Die Zellpartieen der
konkaven befinden sich infolgedessen dauernd in einem Zustand der Spannung, diese kann
aber aus dem angeführten Grunde nicht zur Geltung gelangen. Querschnitte, die durch
I) Rabenhorst, Kryptogamen-Flora, 1895, S. 613.
524
eine solche in Spannung befindliche Seta geführt werden, verhalten sich ganz eigentümlich.
Ihre Teile liegen nie in einer Ebene, die ventrale Partie ist in eigentümlicher Weise um-
geschlagen (Fig. 57).
Die Befruchtung der Eizellen in einem Polytrichum-Rasen er-
folgt nicht gleichzeitig. Sicher sind die Momente der Befruchtung
zeitlich verschieden, und daher kommt es, daß man in demselben
Polytrichum-Rasen mehr oder weniger reife Sporogonien vorfindet.
Halbreife Sporogonien neigten sich bei Verlust des Wassers nur
schwach zur Seite, die bandförmige Verflachung der Seta trat zwar
auch hier ein, doch verhielt sich die Apophyse abweichend. Bei
Pogonatum nanum Schreb., aloides Hedw. und vielen anderen fehlt
die Apophyse, die bandartige Verflachung des obersten Teiles der
: Seta ist aber auch hier zu beobachten. Da aber die Vertreter der
j Aloidella-Gruppe das Sporogon in der Reife nicht neigen, so ver-
mute ich, da& die Apophyse infolge ihrer Schrumpfungen die Herab-
biegung der Kapsel bewirkt. Es ist wohl nicht angüngig, das Ge-
wicht der Theka für die in der Sporenreife sich zeigende Neigung
in Anspruch zu nehmen, denn jenes verringert sich immer mehr;
Fig. 57. ob die eigenartigen Schrumpfungen des Sporogons an der Neigung
derselben Anteil haben, muf ich dahingestellt sein lassen.
Die dargelegte bandartige Ausgestaltung des oberen Setenteils vollzieht sich erst,
wenn die Sporen zur Reife gelangt sind, wenn also keine Baustoffe mehr durch die Seta
herbeigeführt zu werden brauchen. Ich nehme an, daß diese bis zur vollständigen Reife
der Sporen Nährstoffe zuführt und daß deren Transport erst aufhört, wenn die bandförmige
Verflachung stattfindet, wodurch das Aufsteigen von Wasser und der in ihm gelösten
Bestandteile zur Unmöglichkeit wird.
Welch bedeutende Veränderungen sich im Laufe der Zeit an der Apophyse von Poly-
trichum juniperinum Willd. vollziehen, lehrt ein Blick auf Fig. 58a—d. Fig. 58a zeigt
die Linien, wie sie ein Längsschnitt durch das erwachsene Sporogon dieser Art liefert.
Die das Sporogon von der Apophyse trennende wallartige Vertiefung ist noch ziemlich
schwach ausgebildet. An etwas älteren Kapseln, die sich zur Neigung anschicken, ver-
ringert sich der Abstand je zweier gegenüberliegender Punkte der Vertiefung, das heißt,
die ringförmige Aushóhlung wird tiefer (b). Zu ungefähr derselben Zeit flacht sich die
oberste Seta bandförmig ab, weiter findet sich an der dorsoventralen Seite, da wo Seta
und Apophyse ineinander übergehen, eine sich immer stärker geltend machende Knickung
statt (Fig. 58e, d). Mittlerweile hat sich aber auch der Längsdurchmesser der Apophyse
bedeutend verkürzt.
Goebel und Haberlandt betrachten die Apophyse von Polytrichum als obersten Ab-
schnitt der Seta. Vaizey rechnet sie zur Theka: In Polytrichum, as mentioned above, the
theca is differentiated into two organs, namely, the sporangium and the apophysis (Journal
of the Linnean Society, Vol. XXVI, p. 270, Taf. 9, Fig. 8a—d) In der Reife stellen
Apophyse und Sporangium ein einheitliches Ganzes dar, die vorher wagrecht verlaufende
Furche zwischen Apophyse und Sporogon wird nach der Herabbiegung in eine vertikale
Lage gebracht, sodaß die Längsachse beider sich nicht verschiebt, Apophyse, und Sporo-
525
gonium behalten also immer ihre gegenseitige Lage bei, woraus ich schließe, daß sie in
morphologischer Beziehung nicht getrennt werden dürfen. Auch auf Grund der Entwick-
lungsgeschichte der Theka läßt sich kein Argument dafür anführen, daß die Apophyse zur
Seta zu rechnen ist. Vielmehr zeigt sich, daß das jugendliche Sporogon erst in späteren
Entwicklungsstadien eine Einschnürung erhält, die zur Entstehung der Apophyse und des
Sporogoniums im engeren Sinne führt. In dem apophysenähnlichen Hals von Buxbaumia
aphylla befindet sich ein hohlzylindri-
scher, mit Spannfädenresten ausgekleide-
ter Hohlraum, den man für das untere
abgeschnürte Ende des oberen, dem
eigentlichen Sporogon angehörigen Luft-
raums halten kann. Meines Erachtens
liegt in dem eigentümlichen Aufbau des
Halses dieser Art ein Hinweis, daß der
Hals nicht der Seta zuzurechnen ist, zu-
mal auch gerade an der Übergangsstelle
von der Seta zum Halse die papillöse,
oberflächliche Auskleidung der letzteren
ihr Ende erreicht. Bei Splachnum luteum
trägt die Oberseite der blattähnlichen
Apophyse sogar Spaltöffnungen, die man
bei anderen Moosen bisher nur am Spo-
rogon selbst nachgewiesen hat. Mit
Vaizey!) möchte ich auch hier wie bei
Polytrichum die Apophyse'als einen Teil
des Sporogons betrachten.
In recht bescheidenen Grenzen be-
wegt sich zur Zeit noch unsere Kenntnis
der anatomischen, entwicklungsgeschicht- ill
lichen und biologischen Verhältnisse der
Laubmooskalyptra. Eine den Gegenstand
von allen Seiten beleuchtende Darstellung d
wäre also sehr verdienstlich und würde
eine Menge neuer Tatsachen ergeben, zu-
mal die Kalyptra, schon was die Mannig-
falügkeit ihrer Ausbildungsweise anbe- Fig. 58.
langt, z. D. mit dem Gestaltenreichtum
der Blätter, des Peristoms wetteifern kann. Am besten unterrichtet sind wir noch über
die einschlägigen Verhältnisse bei Dawsonia und Polytrichum in weiterem Sinne, die beide
in der Ausbildung der Kalyptra große Ähnlichkeit zeigen. Auch ist der Versuch gemacht
worden, über die biologische Bedeutung dieses Organs Klarheit zu schaffen.
1) Vaizey, On the Morphologie of the Sporophyte of Splachnum luteum. Annals of Bot., Vol. V,
p. 5—7.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 68
au
[G9]
{or}
Die Arten der Gattungen Polytrichum, Pogonatum, Dawsonia,!) Cephalotrichum,
Rhacelopus, Bartramiopsis bilden in Bezug auf die Ausbildung der Haube eine biologische
Gruppe, sie besteht aus „Protonemafäden begrenzten Wachstums“,?) die durch eigenartige,
rankenförmige, kürzere, seitliche Fäden zu einem mehr oder weniger dichten Netzwerk
verflochten sind. Die Arten von Polytrichadelphus, Oligotrichum, Catharinaea und Lyellia?)
bringen nur spürliche Rhizoiden an ihrer Kalyptra hervor, wührend sie der Haube der
Psilopilum-Formen vollständig abgehen.
Daß die in Betracht kommenden ,Haarbildungen* nichts anderes als Rhizoiden sind,
dürfte nach Goebels Untersuchungen?) kaum einem Zweifel noch begegnen. Alle Eigen-
schaften, die den am Stämmchen und an der basalen Vaginula hervorsprossenden Rhizoiden
zukommen, finden wir auch an denen
der Kalyptra; es ist kein Grund zur
Annahme vorhanden, daß die im
oberen Teil des Epigons bei Poly-
trichum auftretenden Bildungen spä-
San //| ter morphologisch etwas anderes sein
| , sollen, als was sie in der Jugend
/ waren, zumal sich gar kein wesent-
ib licher Unterschied und keine Grenze
// zwischen den Rhizoiden an einem
| 77 befruchteten Archegonium feststellen
Vy läßt. 5)
Im erwachsenen Zustand hat die
| Kalyptra bei den Arten der zuerst
| aufgeführten Gattungen eine annä-
hernd glockenförmige bis zylindrische
Gestalt, sie haftet lange an der Spitze
der „inneren“ Kalyptra, während nach
| unten der Zusammenhang mit ihr ge-
N N löst ist. Eine solche Haube erweckt
Fig. 59. Fig. 60. den Anschein, als ob ihre Rhizoiden
aus den obersten peripherischen Zellen
der „inneren Kalyptra^ hervorgegangen und im weiteren Verlauf ihrer Entwicklung nach
unten gewachsen seien. Durch ausgedehnte Untersuchungen habe ich aber festgestellt, daß
die Haubenrhizoiden aus einer längeren Zone der „inneren“ Kalyptra, des oberen Vaginula-
abschnitts hervorsprossen, wie es sich, wenn man die Verhältnisse bei einem befruchteten
Archegonium in Rücksicht zieht, eigentlich von selbst versteht. Es muß aber doch darauf
hingewiesen werden, daß ein Teil des sich streckenden Epigons und zwar der später über
1) Goebel, Organographie, Teil II, Heft I, S. 372.
?) Goebel, Archegoniatenstudien, Flora, 1906, Heft I, S. 20 und R. Brown, Miscellaneous
Works I, p. 349.
3 Goebel, Archegoniatenstudien. Flora, Band 96, Heft I, S. 37.
3) Goebel, Organographie, Teil II, Heft I, S. 372.
5) Vgl. Fig. 249 in Goebels Organographie, Teil II, Heft I, S. 373.
527
der Rißstelle der an der Basis zurückbleibenden eigentlichen Vaginula gelegene Abschnitt
keine Rhizoiden hervorbringt. Bei Polytrichum Beccarii C. M., das ich genauer unter-
suchte, steht der mächtige Rhizoidenfilz in der Jugend durch Fäden mit dem Epigon
in Verbindung, die aus der Peripherie des letzteren hervorsprossen, es sind dies die
primären Rhizoiden (Fig. 59). Diese lösen sich später durch eine basale Trennzelle,
die sehr zarte Wände besitzt (Fig. 60), von dem Epigon los und legen sich dem
übrigen Filz an. Nur an der Spitze des Epigons findet keine Trennung statt und zwar
aus leicht ersichtlichem Grunde. Die an der Kalyptra im jugendlichen Zustande derselben
an ihr hervorsprossenden Rhizoiden stehen sehr dicht beieinander, nach außen hin ver-
ästeln sie sich in der bekannten Weise. Mit der Weiterentwicklung des Sporophors hält
die Kalyptra einige Zeit Schritt, sie wächst in die Länge. Dadurch werden die Ursprungs-
stellen der Rhizoiden an der Kalyptra voneinander entfernt. Die Längsrhizoiden, die sich
durch zahllose Rankenfäden gegenseitig einen Halt gewähren, werden in ihrer Längsrich-
tung gedehnt, können aber ohne Gefahr für ihren Bestand dem Zuge folgen, weil sie in
die Fesseln der Rankenrhizoiden gelegt sind. Ihre meist umgebogenen Enden lassen es
nicht zu, daß sie sich seitlich um einen gewissen Betrag gegeneinander verschieben. Die
Ursprungsstellen der Rhizoiden sind aber mit der Zeit so weit voneinander entfernt worden,
daß ihre Loslösung von der Kalyptra an den Trennzellen erfolgen muß. Nur an der
Spitze, wo von derartigen Wachstumsverhältnissen nicht die Rede sein kann, bleibt der
Zusammenhang gewahrt. Die „innere* Haube befreit sich später an einer bestimmten
Stelle, die schon vorher erkennbar ist, von dem unteren
Teil des Epigens und bleibt mit jener auch nach der
Fortführung durch den Wind und andere Agentien fest
verbunden. Bei allen von mir untersuchten Hauben-
formen — es waren deren sehr viele — reißt die
.innere^, aus festem Gewebe gebildete Kalyptra außer-
dem der Länge nach auf und zwar stets, was bemerkens-
wert ist, in einer in der Symmetrieebene des Sporogons
liegenden Linie. Auch dieser Riß ist vorgebildet, beson-
ders starke Saumzellen schaffen einen widerstandsfähigen
Rand, besonders gut zu sehen ist dieser z. B. bei Poly- Fig. 61.
trichum polycarpum Schpr. Die Kalyptren machen stets
den Eindruck, als ob sie radiür gebaut wären. Bei genauerem Zusehen beobachtet man
aber oft, da& auch die Haube nicht allseitig — ich meine den Filzteil — geschlossen ist,
sondern eine ebenfalls deutlich wahrnehmbare Rißlinie aufweist (Fig. 61). Diese Rißlinie
des Filzteils entspricht stets dem an der ,inneren* Kalyptra entstehenden Spalt.
Die Entwicklungsgeschichte lehrt, daß die rankenfórmigen Seitenzweige erst ihre
Ausbildung erfahren, nachdem das feste Gerüst, das aus stärkeren Längsrhizoiden besteht,
die bei Dawsonia mehrzellig sind, fast seine definitive Beschaffenheit erlangt hat. Diese
rankenartigen Khizoidenzweige treiben durch ihr Wachstum das stärkere Gerüstwerk aus-
einander und verhindern gleichzeitig dadurch, daß sie sich an zahllosen Stellen umschlingen,
das Auseinanderweichen der kräftigen Längsrhizoiden. Die Entwicklung des Rhizoidenfilzes
ist eine höchst eigentümliche und hat wohl nicht ihresgleichen in einem anderen Ver-
wandtschaftskreise der Laubmoose. Ich vermute, daß diese kurzen Rhizoidenzweige Schleim
68*
528
absondern, eine bestimmte Angabe kann ich aber nicht machen, auch muß es dahingestellt
bleiben, ob ihnen die Eigenschaft des Rankens!) zukommt.
Der Filz hat ohne Zweifel die Aufgabe, Wasser zu speichern. Je dichter bzw. dicker
er ist, umso besser kann er diese Aufgabe erfüllen. Im allgemeinen bringen die mehr
xerophilen Formen der Polytrichaceen die typische Rhizoidenkalyptra hervor, aber auch
sehr zahlreiche, ausgesprochen hygrophile Arten, die den feuchtwarmen Gebieten der Erde,
z. B. Kamerun, angehören, erzeugen diese Form der Kalyptra. Es muß aber bemerkt
werden, daß, was Dichtigkeit und Größe des Kalyptrafilzes anbelangt, diese Arten hinter
den trockenheitsliebenden zurückstehen.
Die Aufgabe der rankenförmigen Rhizoiden besteht aber nicht nur darin, den Bestand
des ganzen Filzes zu sichern. Er erscheint uns in einem wesentlich anderen biologischen
Lichte, wenn wir die fertige Rhizoidenmasse in ihrem Verhältnis zum Sporogon betrachten.
In der Jugend paßt sich nämlich, wie an allen in Betracht kommenden Polytrichaceen-
sporogonien zu beobachten ist, die Haube der Form der letzteren an. Nimmt das Sporogon
mit zunehmender Reife an Umfang zu, so geben die Ranken, die schon vorher in ge-
nügender Länge vorhanden sind, nach und halten trotzdem das Gerüstwerk zusammen. Hat
- das Sporogon seine Ausbildung erreicht und beginnt es einzuschrumpfen, so bleibt der
geschaffene Zustand der Rhizoidenmasse bestehen, dadurch entfernt sich diese etwas von der
Theka und wird später als lockere Umhüllung zur Zeit der Sporenreife abgestreift. Solange
also das Sporogon noch in der Entwicklung begriffen ist, liegt ihm der Filz dicht an.
Er speichert Wasser, das unmittelbar von den Zellen des Sporogons aufgenommen werden
kann. Daß die Rankenrhizoiden in der Tat diese Aufgabe haben, muß auch bewiesen
werden können, und ich glaube, diesen Beweis erbringen zu können. Bei manchen Dawsonia-
Arten, z. B. D. polytrichoides, reicht der Filz weit unter das Sporogon hinab. Die viel
dünnere Seta treibt aber den Filz gar nicht auseinander, wie die Beobachtung zeigt,
wogegen weiter oben eine mächtige Dehnung durch den sich vergrößernden Umfang des
Sporogons eintritt. Wie soll nun die Haube sich von der Kapsel befreien, wenn sie unten
an die Seta gefesselt ist? Durch die seitliche Neigung des dorsoventralen Sporogons wird
der Filz an der Rückseite in seiner Längsrichtung gedehnt, die starken, aus mehreren
Zellen bestehenden Rhizoiden werden voneinander entfernt, woher es kommt, daß wir die
Haube oft in einen oberen und einen unteren Abschnitt zerlegt vorfinden. In der geschil-
derten Tütigkeit der Rankenrhizoiden erblicke ich deren vornehmste biologische Aufgabe.
Der Filz umschlie&t also bis zu einem gewissen Stadium fest das Sporogon, führt ihm
Wasser zu und verhindert eine übermäßige Transpiration. Wenn nun, wie ich vermute,
die Rankenrhizoiden Schleim absondern, so würde dadurch die wasserspeichernde Kraft
des Filzes ganz bedeutend erhóht.
Morphologiseh gleichwertige Organe pflegen oft in systematisch fernstehenden Ver-
wandtschaftskreisen aufzutreten. Es sei bezüglich der Bryophyten erinnert an die Lamellen
der Blütter der Polytrichaceen, mehrerer Pottia-Arten, zahlreicher Campylopus-Formen und
an die von Goebel zuerst beschriebenen homologen Bildungen bei dem Lebermoose Gottschea
Blumei. Dasselbe läßt sich von den Rhizoiden an den Kalyptren der Laubmoose sagen,
!) Firtsch, Berichte der Deutsch. Bot. Ges. 1883, Band I, und Goebel, Archegoniatenstudien,
Flora, 1891, Heft I, S. 21 und 22.
529
wenn auch ihre Verbreitung eine viel häufigere als die der Lamellen ist. Einem leisen
Anklang an den Kalyptrafilz der Polytrichaceen begegnen wir bei vielen exotischen Campy-
lopus- und Thysanomitrium-Arten, die aber noch in manch anderer Beziehung biologisch
höchst interessant sind.
Bei diesen Arten werden die Sporogonien meist in größerer Menge am Stümmchenende
hervorgebracht. Sie stehen, zu einer Art Becher vereinigt, dicht beieinander. Dieser
Becher, rein äußerlich betrachtet, hat einige Ahnlichkeit mit dem Antheridienbecher der
Polytrichaceen. Jedes Sporogon bildet den Abschluß eines Zweiges, die Scheitelzelle der
Hauptachse persistiert aber nicht, sodaß eine Durchwachsung, wie wir sie bei den Antheridien-
bechern der Polytrichaceenbecher beobachten, hier nicht zustande kommen kann. Die
Sporogonien (Fig. 62 c) werden von hin- und hergebogenen, geschlängelten Seten!) getragen
und sind bis zu ihrer Öffnung in die tiefsten Stellen des Bechers, mit der Haubenspitze
nach unten gekehrt, versenkt. Erheben sich die Sporogonien, indem sich die Seten strecken,
aus der schützenden Umhüllung der
Becherblütter, so bleiben bei vielen
Arten alle Hauben samt Deckel in
der Tiefe zurück (Fig. 62a). So z. B.
bei Thysanomitrium Beccarü, wo die
Haube den Deckel an Länge bedeutend
übertrifft (Fig. 62a), erstere bringt
außerdem einen reich verzweigten Rhi-
zoidenfilz hervor (Fig. 62 a), der sich
in die Spalten, welche in der Tiefe
des Bechers massenhaft vorhanden
sind, hineindrüngt und verhindert,
daß die Haube bei Streckung der
Seta mit emporgehoben wird. Der
Rhizoidenfilz an der Haube dieser Art
ist reichlich vorhanden und stimmt
mit den am Stümmchen und an der
Oberseite der Blütter hervorsprossen-
den, stark verzweigten Füden voll-
kommen überein. Ich habe zahlreiche
Becher dieser Art untersucht und
stets ebenso viele Hauben und Deckel
in der Tiefe vorgefunden, wie Sporo-
gonien vorhanden waren. In einem
Falle zählte ich zehn Sporogonien
und ebenso viele Hauben mit Deckel.
Niemals aber konnte ich eine Kalyptra
an einem über den Becher empor- Fig. 62.
1) Vgl. Wichura, Beiträge zur Physiologie der Laubmoose. Pringsheims Jahrb. f. wiss. Bot.,
1860, S. 202.
530
gehobenen Sporogon entdecken, die Zahl der umgestülpten Hauben entsprach stets der Zahl
der Kapseln. In dem Grunde des Bechers dienen die äußerst zierlichen, trichterfórmigen
Gefäße als vortreffliche Wasserbehülter, deren feuchtigkeitshaltende Kraft sicher noch eine
Verstärkung durch den reichlichen Rhizoidenfilz erfährt. Thysanomitrium Wichurae C. M.
enthielt in einem Becher zwólf Sporogonien. Deckel und Haube fehlten überall. Entweder
waren diese in der üblichen Art abgefallen oder noch innerhalb des Bechers aufzufinden,
Es verhielt sich hier genau so wie bei Th. Becarii, ich fand die zwölf Hauben mit Deckeln -
tief versenkt zwischen den zahlreichen kurzen Ästchen, die an ihrer Spitze das Sporogon
tragen und im Verein mit Hochblüttern den Becher zusammensetzen. Die spitzkegelfórmige
Haube füllt die Zwischenräume der Ástchen so vorzüglich aus, daß Spalten und Lücken
kaum zu bemerken sind. In einem anderen Becher von Th. Wichurae C. M. waren zehn
Kapseln vereinigt, die Zahl der Hauben im Grunde des Bechers stimmte damit überein.
Mit diesen beiden Arten sind aber die Campylopus- und Thysanomitrium- Arten, denen
das geschilderte Verhalten eigentümlich ist, nicht erschöpft. Diese Einrichtung ist aber
durchaus spezifisch, andere zahlreiche Formen üben das bei den meisten Laubmoosen zu
beobachtende Verfahren. Welche Einrichtungen den Deckel innerhalb der Haube fest-
halten, vermag ich nicht zu sagen. Als den eigentlichen Wasserbehälter müssen wir den
Deckel ansehen, denn die Haube ist meines Wissens oft seitlich gespalten, diese würde
also ohne den Deckel nur wenig zu leisten imstande sein.
Was bei den Antheridienbechern der Polytrichaceen die sich vorzüglich aneinander
schmiegenden Perichütialblütter zu Wege bringen, einen dichten Verschluß nämlich, das
leistet bei vielen Campylopus- und Thysanomitrium-Arteu die Gesamtheit der zahlreichen,
in die Tiefe des Bechers versenkten Zisternen. Aber es besteht doch zwischen beiden
Einrichtungen in Bezug auf diejenigen Organe, denen Wasser zugeführt werden soll, ein
tiefgreifender Unterschied. Bei den Polytrichaceen mag wohl auch durch die Becher-
bildung die persistierende Scheitelzelle vor dem Absterben bewahrt werden, ich glaube
aber doch, daß ihre Hauptaufgabe eine andere ist, daß diese mit der Antheridienentleerung
im Zusammenhang steht. Es drüngte sich die Frage auf, welche Organe der Campylopus-
und Thysanomitrium-Arten wohl aus der geschilderten Einrichtung einen Nutzen ziehen
mögen. In der ersten Zeit wohl mehr die Sporogonien, später mehr die in den Achseln
der obersten Stämmchenblätter stehenden unentwickelten Äste, die teils wieder als Wasser-
reservoire dienen, teils zu Ästen auswachsen, die den Vorgang der Becherbildung nach
einiger Zeit wiederholen. Von diesen ruhenden Knospen wächst bei Th. Beccari fast
immer nur eine (Fig. 62 d) zu einem Aste aus, während die anderen als wasserspeichernde
zartwandige Gewebemassen (Fig. 62e) die Zukunft des wachsenden Sprosses gemeinsam
mit den Haubenzisternen des Bechers (Fig. 62a) sichern. Bei vielen Campylopus- und
Thysanomitrium-Arten entwickeln sich aber mehrere ruhende Knospen zu neuen Ästen, es
hängen also die habituellen Eigentümlichkeiten dieser Arten im wesentlichen von der Zahl
der zu Ästchen auswachsenden Knospen ab.
Nach den Notizen zu schließen, die den im Berliner Kgl. Herbarium vorhandenen,
äußerst zahlreichen Arten beider Gattungen beigegeben sind, handelt es sich wohl fast
immer um xerophile und oft in sehr bedeutender Meereshóhe vorkommende Formen.
Wie erwähnt, fungieren eine Anzahl schlafender Knospen als Wasserbehälter. Die
ruhenden Astanlagen sind hier recht kräftig (Fig. 62e) und die Gefahr, sie für etwas
531
anderes!) zu halten, ist ausgeschlossen. Die Scheitelzelle ist stets leicht nachzuweisen, ein
Irrtum also ausgeschlossen. Das Gewebe ist äußerst zart und für die Wasseraufnahme
trefflich geeignet. Wahrscheinlich führen die oberen größeren Blätter das Wasser zu, das
bei dem Austreiben der Ruheknospen nutzbar gemacht wird. Wir sehen also, daß morpho-
logisch gleichwertige Organe sich in ihrer Entwicklung ganz verschiedenartig verhalten,
was hier umso mehr auffällt, weil es sich um Knospen handelt, die in allernächster Nähe
beieinander stehen. An den höchst eigentümlichen Stolonen von Jaegerina stolonifera ist
ein ähnliches Verhalten zu beobachten. In den Winkeln der winzigen Blätter entwickeln
sich zahllose Brutknospen (Fig. 63 a), die sich um eine ruhende Knospe gruppieren (Fig. 63 b).
Diese entwickelt sich in der Regel nicht zu einem Aste, sie dient als Wasserspeicher und
ermöglicht die Entwicklung der Brutkörper, die morphologisch wohl nichts anderes als
metamorphosierte Rhizoiden darstellen. Die dreiseitig-pyramidale Scheitelzelle war auch
hier leicht nachzuweisen (Fig. 63b und c). Die sehr zartwandigen Zellen der ruhenden
Knospen (Fig. 63 b, c) gehen nach innen in ein mit sehr stark verdickten Membranen und
auf allen Wänden ungemein reich getüpfeltes (Fig. 64 b) Grundgewebe über, wie es in
dieser Ausbildung meines Wissens bei den Laubmoosen bisher noch nicht angetroffen wurde.
Es kann also Wasser, welches von dem zarten Gewebe der ruhenden Knospe aufgenommen
wird, leicht durch die unverdickten Wandstellen zu den in der Entwicklung begriffenen
Brutknopen, von denen Fig. 64a einige in stärkerer Vergrößerung vorführt, transportiert
werden. [
Bei Thysanomitrium Beccarii ist der untere Teil der Seta von einer becherförmigen
Hülle umgeben, diese besteht aus einem widerstandsfähigen Gewebe mit gebrüunten Mem-
1| Vgl. die Bemerkungen und Berichtigungen Goebels in Archegoniatenstudien, Flora, 1906,
8. 78—80 über die von Brizzi beschriebenen ,macule* an Cyathophorum.
532
branen. Eine andere biologische Aufgabe als die der Wasserspeicherung können diese
Becher wohl kaum haben (Fig. 62).
Über die Einrichtungen, die zur Ausstreuung der Sporen bei den Laubmoosen dienen
oder in irgend einer Beziehung dazu stehen, sind wir noch wenig unterrichtet. Es liegen
meines Wissens über diesen Gegenstand bisher nur zwei Abhandlungen vor, deren Titel
ich in der Fußnote!) mitteile.
Charakteristisch für die Polytrichaceen (exklusive Dawsonia) ist das Auftreten eines
meist dünnen Häutchens, des Epiphragmas, das aus der Kolumella hervorgeht und an seiner
Unterseite längere Zeit hindurch, meist bis nach der Aussaat der Sporen, mit dem Peristom
in Verbindung bleibt. Wird das Epiphragma etwas gehoben, so entsehen zwischen den
Zähnen des Peristoms feine Öffnungen, durch welehe die Sporen den Weg ins Freie nehmen
können; man kann also mit Goebel das Polytrichumsporogon z. B. hinsichtlich der Sporen-
ausstreuung sehr gut mit der Porenkapsel von Papaver vergleichen. Sind auch die Poren,
die sich bei feuchter Witterung scheinbar meist nicht ganz schließen, relativ klein, so ist
doch die Größe der Sporen so gering, daß solche stets in größerer Menge verstäubt werden
können. Es unterliegt keinem Zweifel, dab das Epiphragma in ausgezeichneter Weise das
Eindringen von Regen in die Kapsel verhindert, aber darin besteht meines Erachtens nicht
seine Hauptaufgabe.
In seinen peripherischen Teilen ruht das Epiphragma auf den Zähnen des Peristoms,
während es in seiner Mitte von dem stielförmigen Abschnitt der Kolumella unterstützt
wird. Das Epiphragma befindet sich längere Zeit hindurch in einem Zustand der Span-
nung, die spannende Kraft liegt in der Säulenfestigkeit der Sporogonwand verborgen und
wird durch die Zähne auf das Epiphragma übertragen. Der Vergleich mit dem Felle einer
Pauke hinkt ja etwas, jedenfalls ist aber die Möglichkeit vorhanden, daß das Epiphragma
durch auffallende Regentropfen in vibrierende Bewegungen versetzt wird. Tritt dieser Fall
ein, so wird auf die Luft unter dem Epiphragma die Wellenbewegung der Paukenhaut
übertragen, hierdurch wird die trockene Sporenmasse aufgewirbelt und mit der durch die
Poren herausgepreßten „Luftsäule* ins Freie übergeführt. Es will mir scheinen, als ob die
mit einer Paukenhaut ausgestatteten Polytrichaceen, besonders aber solche, deren Kapseln
im Reifezustand aufrecht stehen oder schwach geneigt sind (Catharinaea, Pogonatum, Oligo-
trichum), auch wenn die Luft Feuchtigkeit enthält, doch ihre Sporen auf die geschilderte
Art zu entlassen imstande sind.
In der Reife führen die Sporogonien von Polytrichum, Lyellia, Dawsonia und Poly-
trichadelphus eine scharfe Neigung zur Seite aus, die mit der Sporenentleerung in Beziehung
steht. Besonders die Arten der drei erstgenannten Gattungen zeichnen sich durch den
Besitz eines stark verbogenen äußeren Sporensackes vor allen übrigen Polytrichaceen aus.
Es leuchtet ohne weiteres ein, daß die Aussaat der Sporen aus einem derartigen Sporen-
sack viel langsamer erfolgen muß als aus einem solchen von der gewöhnlichen Form (Hohl-
zylinder) Regen und Wind setzen Seta samt Sporogon in Bewegung, und da die Neigung
der Kapseln stets größer als 90° ist, müssen die in tieferen Ausbuchtungen lagernden
1!) Goebel, Archegoniatenstudien. Über die Sporenausstreuung bei den Laubmoosen. Flora, 1885,
Heft IIl. — Hutton, Observations on the different Modifications in the Capsules of Mosses, with reference
to the Dispersion of the spores. "Transactions and Proceedings of the New Zealand Institute, 1874.
553
Sporenmassen in springender Bewegung allmählich nach der Öffnung des Sporogons ge-
langen. Sehr wenig vorteilhaft wäre es, wenn die Neigung der Kapsel soweit ginge, daß
der Mund nach unten zu liegen küme, es fünde dann die Entleerung der Sporen in kürzester
Frist statt, was nicht im Interesse der Art ist, ganz abgesehen davon, daß sich die Sporen-
massen an der Urnenmündung über dem Epiphragma zusammenballen und die Poren ver-
stopfen würde. Ein Zuckerstreuer entläßt bekanntlich seinen Inhalt am besten, wenn man
ihn in ganz bestimmter Neigung zu dem Objekt, das man mit Zucker bestreuen will, bewegt.
Lyellia crispa Hook. unterscheidet sich von Dawsonia und Polytrichadelphus durch
den Mangel des Peristoms. Die Kolumella erweitert sich oben nicht zu einem häutigen,
zarten Epiphragma, sondern zu einem mehr massigen Kórper von annühernd kegelfórmiger
Gestalt, der nach Goebel dem Polytrichum- Epiphragma in entwicklungsgeschichtlicher
Beziehung nicht entspricht. Bei feuchter Witterung verschließt dieses verbreitete Ende
die Öffnung des Sporogons wie ein Kegelventil. Selbst wenn dieser Verschluß fehlte,
könnte Wasser doch nicht in die Öffnung des Sporogons eindringen, weil dessen Rückenseite
nach vorne vorgezogen ist und die Kapselmündung wie ein schützendes Dach überragt.
Lyellia und Dawsonia, in geringerem Grade auch Polytrichadelphus und Polytrichum
besitzen Sporogonien von deutlich dorsoventralem Bau. Daß nun diese gerade zur Zeit
der Sporenreife ihre Kapseln zur Seite neigen, ist eine auffällige Erscheinung, ebenso wie
die Tatsache, daß die Schrumpfungen hier am stärksten auftreten. Ob die im Laufe der
Entwicklung an der Kapsel sich immer mehr geltend machende Dorsoventralität in einem
ursächlichen Zusammenhang mit der Neigung der Kapsel steht, hahe ich nicht ermitteln
können, wahrscheinlich ist es aber. :
Das Exothecium von Dawsonia ist von lederartiger Konsistenz und wie bei Lyellia
an seiner Rückenseite mit einer der Längsachse entsprechenden Ausbuchtung versehen.
Auf die hierdurch hervorgerufene Ähnlichkeit der Dawsonia-Kapseln mit denen von Bux-
baumia und Diphyseium hat bereits Goebel hingewiesen und der Vermutung Ausdruck
gegeben, es möchte die Sporenausstreuung ähnlich wie bei Diphyscium durch eine Art
Blasebalgeinrichtung, die durch Regentropfen in Tätigkeit gesetzt wird, erfolgen. Das aus
zahlreichen, langgestreckten Borsten bestehende pinselfórmige Peristom dient jedenfalls der
allmählichen Aussaat der Sporen durch den Wind, es arbeitet genau so wie die Porenkapsel
einer Pogonatum- oder Catharinaea-Art.
Es würe noch die Frage zu beantworten, ob die Wand oder die Kolumella bei Verlust
der Feuchtigkeit eine stärkere Zusammenziehung erfährt oder ob nur einer von beiden
Teilen sich kontrahiert. Nach meinen Beobachtungen kommt die Kolumella nicht in Be-
tracht. Änderungen in dem Feuchtigkeitsgehalt der Atmosphäre müssen naturgemäß an
der Außenseite des Sporogons, an der Kapselwand, ihre Wirkung zuerst äußern. An
Oberflüchenimhalt übertrifft die Sporogonwand den nach außen liegenden Abschnitt der
Kolumella — es handelt sich nur um das Epiphragma — ganz bedeutend, und da unter
gewöhnlichen Umständen eine größere Fläche mehr an Feuchtigkeit einbüßt als eine kleinere,
so dürfte die Kapselwand je nach dem Feuchtigkeitsgehalt der Luft durch ihre Streckung
bzw. Kontraktion die Verengung bzw. Erweiterung der Poren hervorrufen.
Die Wand des Sporogons der Polytrichaceen verdient in mehr als einer Beziehung
unsere Beachtung. Insbesondere sind die Eigentümlichkeiten, mamillösen Auftreibungen,
wie sie uns bei den meisten Polytrichaceen entgegentreten, geeignet, unser Interesse in
Abh. d. IT. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 69
534
Anspruch zu nehmen, zumal heutzutage mit der Auffassung, es handle sich um eine Ober-
flächenvergrößerung zum Zwecke der Assimilation, nichts mehr anzufangen ist.
Vaizey!) hat die Epidermiszellen von Polytrichum commune L. genauer untersucht
und erläutert an einer Figur (Pl. XII, Fig. 48), die einen Querschnitt durch die Sporogon-
wand jener Art vorführt, die einschlägigen Verhältnisse: Each epidermal cell rises at the
middle point of its external surface, so as to form an outward projection from each
cell, and from the cell-lumen a deep pit penetrates into this papilla, leaving the tip of
papilla only closed by a very thin membrane. Vaizey berichtet hier etwas, worüber die
Figur keinen Aufschluß erteilt, denn die Verdünnung an der Spitze ist im Vergleich zu
der Dicke der übrigen Wandteile so geringfügig, daß von einer „very thin membrane*
nicht die Rede sein kann. Auch ist die Anwendung der Bezeichnung ,Tüpfel^ auf dem
heller erscheinenden Teil der Mamilla durchaus zu verwerfen, da fast ausnahmslos bei
Polytrichaceen mit derartigen Vorstülpungen der Außenwände der Epidermiszellen gerade
der äußerste Teil der Membran eine Verdickung aufweist. Das scheinbare Auftreten von
Tüpfeln ist in rein optischen Verhältnissen begründet, weil das Licht von den seitlich
aufsteigenden Membranpartieen stärker absorbiert wird als von dem Spitzenteil der Papille.
Daher kommt es auch, daß bei höherer Einstellung der fragliche Tüpfel von einer ring-
förmigen Leiste umgeben zu sein scheint, die in Wirklichkeit nicht existiert.
Über die Aufgabe dieser Einrichtung äußert sich Vaizey folgendermaßen: This peculiar
modification is only found on the wall of the sporangium, and as that is the part covered
by the calyptra, it has occurred to me that a possible explanation of the structure is,
that by means of these modified pits nourishment may be conveyed from the epidermis
cells of the sporangium to the calyptra.
Stofflich erweisen sich die äußersten Teile der Mamillen aus demselben Material auf-
gebaut wie beispielsweise die Membranen der Zellen der Glashaare und die papillósen
Anfügungen der Lamellenendzellen. Es besteht heute kein Zweifel mehr darüber, daß
solche Wände infolge ihres starken Quellungsvermögens, besonders befähigt sind, Wasser
in größerer Menge zu speichern und lange festzuhalten.) Die Mamillen der Polytrichaceen-
sporogonien haben wohl auch diese Aufgabe zu erfüllen. Vaizey verhält sich bezüglich
der biologischen Deutung der Mamillen sehr vorsichtig, er gibt „a possible explanation
of this structure“, für die ich mich nicht erwärmen kann.
Meine Ansicht über die Funktion der Lamellenendzellen habe ich bereits früher in
dieser Schrift mitgeteilt: In ihnen erblicke ich eine optische Vorrichtung, die dazu dient,
dem zu den Lamellen gelangenden Lichte den Durchgang zu erleichtern, es in zweck-
entsprechender Weise zu zerstreuen, sodaß auch die tiefer gelegenen chlorophyllhaltigen
Zellen ihre Assimilationsarbeit verrichten können. Ich möchte annehmen, daß es sich auch
bei den mamillósen Ausstülpungen der Polytrichaceensporogonien in erster Linie um eine
derartige Einrichtung handelt, durch welche selbst in den zentralen Partieen der immerhin
ziemlich voluminösen Kapsel noch eine ausreichende Assimilationsarbeit ermöglicht wird.
1 R. Vaizey, On the Anatomy and Development of the Sporogonium in Mosses, Journal of
Botany, Vol. XXVI, p. 271.
?) Lorch, Beiträge zur Anatomie und Biologie der Laubmoose. Flora, 1894, S. 39—41.
535
Bei Pogonatum aloides Hedw. sind die Mamillen sehr gut entwickelt (Fig. 65b).
Jede Epidermiszelle besitzt eine solche und liefert bei höherer oder tieferer Einstellung
unter dem Mikroskop ganz verschiedene Bilder (Fig. 65a und c). An den Außenwänden
ist keine verdünnte Stelle wahrzu-
nehmen, es ist also ganz verkehrt, N
von Tüpfeln zu sprechen. Es liegt s EDS MV () ©) (0) ()
nahe, daß von außen auf die Sporo- 000 C (
gonwand gelangende Lichtstrahlen » ’ E (9) (0) (©) [O)
irgendwelche Ablenkungen erfahren, KIN (>
die nicht eintreten würden, wenn die Jl
Mamillen fehlten. ) ; |
Bei den Polytrichum- und Pogo- Sr f [D (0) ne (9)
natum-Arten ist der Sporensack ver- vé xf SAI BD ©) ©)
mittelst chlorophyllhaltiger Fäden X f W | ©)
frei im Hohlraum der Theka aufge- f f -
hängt. Er ist besonders bei Poly- iC yr iy) (9) e)
trichum mehrere Male längs und quer b
gefaltet, wodurch eine sehr bedeutende . Fig. 65.
OberflachenvergróBerung und die Er-
zeugung ungeheurer Sporenmassen ermöglicht wird. Viele Teile des gewundenen Sporen-
sackes befinden sich dem ankommenden Lichte gegenüber in einer ungünstigen Lage, dieser
Übelstand wird aber ausgeglichen nach meiner Ansicht durch die von den Mamillen her-
vorgebrachte starke Dispersion des Lichtes.
Zwischen der Lage des Sporensackes und dem Vorhandensein bzw. Mangel der Mamillen
scheinen bei den Polytrichaceen feste Beziehungen vorhanden zu sein. Es ist nämlich
auffallend, da& bei solchen Polytrichaceen, deren Sporensack dem Exothecium anliegt, die
Mamillen fehlen. Dies ist z. B. bei den Catharinaea-Arten der Fall. Hier bedeckt die
Haube nur einen geringen Teil der Kapsel, der größte Teil der Oberfläche wird unmittelbar
von den ankommenden Lichtstrahlen getroffen. Der Weg durch das Exothecium zum
Sporensack ist nur kurz, besondere Apparate zur Zerstreuung des Lichtes erweisen sich
als überflüssig. Auch bei Pogonatum nanum Schreb., das unter den einheimischen Arten
dieser Gattung eine Ausnahmestellung einnimmt, fehlen die Mamillen. Der Sporensack
liegt aber auch hier ebenfalls unmittelbar dem Exothecium an und ist auBerdem nur sehr
wenig hin- und hergebogen.
Mit Mamillen ausgestattet sind die Epidermiszellen bei den Kapseln der Gattungen
Rhacelopus, Pogonatum und Polytrichum Sectio Porotheca, sie fehlen bei Polytrichum Sectio
Aporotheca, Oligotrichum, Bartramiopsis, Lyellia, Dendoligotrichum, Polytrichadelphus und
Dawsonia.!)
Die Verháltnisse bei Oligotrichum, Dendoligotrichum und Polytrichadelphus, wo zwar
auch wie bei Pogonatum (exklusive Sectio Nana) und Polytrichum der Sporensack beider-
seits vermittelst Spaunfüden im Hohlraum des Sporogons suspendiert ist, scheinen mit meiner
Erklärung in Widerspruch zu stehen, indessen besitzt hier der äußere Sporensack keine
!) Engler-Prantl, Die Natürlichen Pflanzenfamilien, S. 672—700.
69*
5236
Ausbuchtungen und Verkrümmungen, außerdem ist, von Polytrichadelphus abgesehen, das
Sporogon wenig umfangreich. Es darf auch nicht übersehen werden, daß die Kalyptra
bei diesen Gattungen das Sporogon im entwickelten Zustand wenig oder gar nicht bedeckt
und schon frühzeitig abgeworfen wird.
Der Sporensack zeigt also, besonders wenn er beiderseits durch annühernd gleich
lange Spannfüden innerhalb des Sporogons aufgehüngt ist, das Bestreben, seine Oberflüche
und damit auch seinen Inhalt durch seitliche Ausbuchtungen zu vergrößern. Ermöglicht
wird ihm dies dadurch, daß die Spaunfüden sich den Vergrößerungsbestrebungen des Sporen-
sackes anpassen, sie sind wohl einer gewissen Dehnung fähig. Sind die mit der Kapsel-
wand in Verbindung stehenden Fäden kürzer als die nach innen ausstrahlenden, so wird
dadurch die Oberflächenvergrößerung stark behindert, weil kürzere Fäden die mit den Aus-
buchtungen des Sporensackes verknüpften Dehnungs- und Lagenveränderungen nicht in
dem Maße mitmachen können wie längere.
C. Systematik und Pflanzengeographie.
Die vielseitigsten Untersuchungen namhaftester Forscher haben das Ergebnis geliefert,
dab die Polytrichaceen als die höchst organisierten Laubmoose zu gelten haben. Das
weitere Verbleiben dieser Familie als solcher in der Gruppe der Bryineen ist nicht mehr
zu rechtfertigen, sie muß gleich den Gattungen Buxbaumia, Diphyscium, Andreaea und
Sphagnum zu einer selbständigen Unterklasse erhoben und an die Spitze der Laubmoos-
reihe gestellt werden. Dadurch würde sich die Zahl der Architypen!) der Mooswelt von
drei auf die folgenden sechs erhöhen: Polytrichales, Buxbaumiales, Diphysciales, Andreaeales,
Sphagnales und Bryales. Es ist nicht einzusehen, warum man bisher den Schritt, die
Polytrichaceen an die erste Stelle zu setzen, noch nicht getan hat. In der sonst so aus-
gezeicheten Limpricht'schen Bearbeitung der Laubmoose in Rabenhorsts Kryptogamen-
Flora leitet der Verfasser die Schilderung der Familiencharaktere mit den Worten „Am
höchsten organisierte Familie der Mooswelt^ ein, beläßt sie aber altem Herkommen gemäß
trotzdem als Familie in der durch das rein äußerliche Merkmal der Akrokarpie gekenn-
zeichneten Gruppe der Musei acrocarpi.
Für die Vereinigung der Dawsonia-Arten mit den Polytrichaceen sprechen gewichtige
Gründe. Ältere Systematiker wie Bridel-Brideri, C. Müller-Hal. u. a. bringen auch die
Dawsonia-Arten bei den Polytrichaceen unter, Brotherus?) dadegen erhebt sie zu einer
selbständigen Familie, ohne ersichtlichen Grund nach meinem Dafürhalten. Nachdem durch
Goebel?) nachgewiesen war, daß das höchst sonderbare Peristom der Dawsonien in ent-
wicklungsgeschichtlicher Beziehung durchaus dem Polytrichumperistom entspricht, liegt
meines Erachtens erst recht keine Veranlassung mehr vor, jene zu einer selbständigen
Familie zu stempeln. Die anatomischen Differenzen im Aufbau der vegetativen Organe
von Dawsonia und Polytrichum sind nicht derart, daß man auf sie eine systematische
1 Vgl. J. Sachs, Phylogenetische Aphorismen und über innere Gestaltungsursachen und Auto-
morphosen, $ 4.
?) Brotherus in Engler-Prantl, Die natürlichen Pflanzenfamilien, Lieferung 222.
3) Goebel, Archegoniatenstudien. Flora, Band 96, Heft I, S. 22— 35.
537
Trennung beider basieren kann. Schon der Umstand, daß die Dawsonien ausnahmslos mit
einem vorzüglichen Schwellgewebe und deren Blätter außerdem mit kräftigen Lamellen
versehen sind, dürfte genügen, um die nahe Verwandtschaft mit den Polytrichaceen über-
zeugend darzulegen. Bezüglich mancher Einzelheiten im Bau der Sporophyten stehen sie
den typischen Polytrichaceen sogar viel näher — Rhizoidenkalyptra — als manche Formen,
die man wie Lyellia seither ohne weiteres dieser Familie zurechnet. Wollte man die
systematische Sonderstellung der Dawsonien aufrecht erhalten, so müßte meines Erachtens
auch Lyellia und ein Teil der Psilopila aus der Polytrichaceen-Unterklasse entfernt und
zu Vertretern besonderer Familien erhoben werden.
Nach Goebels Untersuchungen sind die Peristomzähne von Dawsonia nicht, wie man
früher annahm, einfach, sondern gegliedert, während bei den Polytrichaceen sie sich aus
Bündeln bastfaserähnlicher, ungegliederter, ganzer Zellen zusammensetzen. Auf Grund
dieses anatomischen Befundes hat Mitten die Laubmoose in Arthrodontei und Nematodontei
zerlegt. Nach dieser Einteilung würde Dawsonia von den Polytrichaceen getrennt werden,
„sie ist daher aufzugeben “.!)
Auf Grund vergleichend-anatomischer Untersuchungen vertritt Goebel die Ansicht,
daß „die Gewebegliederung des Polytrichaceenrhizoms auf einer primitiveren Stufe stehen
geblieben ist und Dawsonia superba diesen weniger differenzierten, primitiveren Charakter
auch in den oberirdischen Sproßachsen beibehalten hat^.?) „Dawsonia“, so schreibt der
genannte Forscher,?) „kann als primitive Form der Polytrichaceenreihe betrachtet werden.
Dies spricht sich aus einerseits im Bau der Gamophyten, anderseits in dem der Sporophyten,
speziell dem des Peristoms.* Auch die „Aufstellung der Dawsonioidiae als einer von den
Polytriehaceen getrennten Gruppe“ verwirft Goebel, „beide stellen nur Gruppen einer sehr
natürlichen Familie dar*.*)
Goebel ist auch ,der Frage nach der Verwandtschaft der Polytrichaceen mit anderen
Moosgruppen*?) näher getreten, von denen nach ihm außer den Buxbaumiaceen noch die
Tetraphideen in Betracht kommen. Er wendet sich gegen Philibert,) der den Versuch
gemacht hatte, „zwischen dem Peristom der Dawsonieen und dem der- Buxbaumieen eine
hypothetische Verbindung herzustellen*.?) Philibert hat aber offenbar das entwicklungs-
geschichtliche Moment, das in diesem Falle für die Feststellung der Verwandtschaft beider
Gruppen ausschlaggebend sein kann, außer acht gelassen und ist deshalb zu irrtümlichen
Auffassungen gelangt. „Etwas günstiger liegen die Verhältnisse für eine andere Moos-
gruppe, welche man ebenfalls mit den Polytrichaceen in Verbindung gebracht hat, den
„Tetraphideen‘. Man mag also annehmen, daß Tetraphideen und Polytrichaceen, eventuell
auch die Buxbaumiaceen mehr oder minder nahe beieinander aus einem gemeinsamen Ur-
stamm entsprungen seien, aber frühzeitig besondere Wege der Weiterentwicklung einge-
schlagen haben.5) Nach allem, was uns also bisher über die systematische Stellung der
Polytrichaceen bekannt geworden ist, dürfen diese weder mit Diphyscium und Buxbaumia
noch mit den Tetraphideen zu einer natürlichen Familie vereinigt werden. Vorderhand
dürfen wir wohl die letzteren als den Anschluß nach unten gelten lassen.
1) Goebel, Archegoniatenstudien, Band 96, Heft I, S. 198. 2) Ibib., S. 17. 3) Tbid., S. 198.
5) Tbid., S. 45. 5) Tbid., S. 40.
6) Philibert, Revue bryologique, 1901.
7) Goebel, Archegoniatenstudien, Band 96, Heft I, S. 40. 8) Ibid., S. 48.
538
Versucht man die Polytrichaceen, die als Unterklasse der Laubmoose nach der Nomen-
klatur Englers!) als Polytrichales bezeichnet werden müßten, systematisch zu gruppieren,
so kann man sich von verschiedenen Einteilungsprinzipien leiten lassen. Geht man von
rein morphologischen Gesichtspunkten aus, so würden wiederum mehrere Grundsätze befolgt
werden können. Vielfach geben auch die biologischen Figentümlichkeiten mancher Organe
vorzügliche Anhaltspunkte für die systematische Einteilung ab.
Die Aufgabe der systematischen Botanik besteht in der „Gruppierung der Pflanzen-
formen nach ihrer natürlichen Verwandtschaft*. Wenn wir annehmen, daß die Gattungen
von Polytrichum, Polytrichadelphus, Bartramiopsis, Pogonatum, Rhacelopus, Catharinaea,
Oligotrichum, Psilopilum, Dawsonia und Lyellia so nahe miteinander verwandt sind, daß
wir sie zu einer Familie veremigeu kónnen, so bleibt noch immer die Frage offen, in
welchem verwandtschaftlichen Verhältnisse die einzelnen Gattungen zueinander stehen und
an welche Familien bzw. größere systematische Gruppen wir sie nach oben oder nach
unten angliedern sollen.
Es ist klar, daß ein Mann wie C. Müller-Hal., der sein ganzes Leben der Bryologie
widmete und infolgedessen befähigt war, die große Reihe der Laubmoose in toto zu über-
blicken, sich ein wesentlich vollständigeres Bild von den verwandtschaftlichen Verhältnissen
der Laubmoose hätte machen können als einer, der nicht über die Kenntnis so zahlreicher
Formen verfügt. Leider hat aber der genannte Forscher von der Kraft, die in ihm wohnte,
nicht den richtigen Gebrauch gemacht, denn er beachtete die zur Ergründung der Ver-
wandtschaft unbedingt notwendige entwicklungsgeschichtliche und anatomische Literatur
gar nicht. Wie wäre es sonst möglich gewesen, daß Müller die in entwicklungsgeschicht-
licher und manch anderer Beziehung so isoliert dastehenden Gattungen Buxbaumia und
Diphyseium mit den Polytrichaceen vereinigen konnte!
In seinem posthumen Werke „Genera Museorum frondosorum“ (p. 157) wählt er die
Symmetrieverhültnisse des Sporogons zum Einteilungsprinzip. Lyellia und Dawsonia stellt
er mit Buxbaumia und Diphyseium in der Sektion der Polytrichaceae asymmetricae zu-
sammen. Er übersieht dabei aber vollständig, daß bei den Arten dieser Gattungen die
Symmetrieverhältnisse in Gestalt einer ausgesprochenen Dorsoventralität in die Erscheinung
treten, denn asymmetrisch nennt man nur den Körper, der in keiner Weise den Gesetzen
der Symmetrie gehoreht. Dieses rein äußerliche Merkmal veranlaßt also Müller, jene vier
Gattungen zu einer höheren systematischen Einheit zu verknüpfen und sie den Poly-
trichaceae symmetricae gegenüberzustellen. Es ist von mir darauf hingewiesen worden,
daß alle Polytrichaceen, was die Symmetrieverhältnisse des Sporogons anbelangt, mehr
oder weniger dorsoventralen Bau besitzen.
Müller war ein Feind der Dezentralisation und hat sich als solcher unbestreitbare,
große Verdienste erworben, es kann aber auch nicht verschwiegen werden, daß er in
seinem Bestreben zu konzentrieren, sehr oft zu weit gegangen ist. Wenn er die von
anderen Autoren zu selbständigen Gattungen gestempelten Typen Rhacelopus und Pogo-
natum mit Aloidella, Cephalotrichum, Oedipyxis, Catharinella und Eupolytrichum unter
Polytrichum vereinigt, so ist auch nicht das geringste dagegen einzuwenden, wenn er aber
!) Engler, Syllabus der Pflanzenfamilien, 1904.
?) Engler, Syllabus der Pflanzenfamilien, S. 6.
539
Atrichum, Psilopilum, Oligotrichum, Polytrichadelphus und Dendoligotrichum als , Hórige*
der Gattung Catharinaea hinstellt, so muß dagegen Einspruch erhoben werden, da zu
dieser Konzentration nicht der mindeste Anlaß vorliegt. Atrichum, Oligotrichum und auch
Dendoligotrichum ruhen ja als Gattungen scheinbar auf recht schwachen Füßen, falls man
nur die äußere Morphologie in Rücksicht zieht. Wesentlich anders gestaltet sich aber
das Urteil, sobald die anatomischen Verhältnisse, besonders die des Stämmchens, die zur
Ergründung der Verwandtschaftsverhältnisse unentbehrlich sind, Beachtung finden. Es ist
zunächst hervorzuheben, dafs Dendoligotrichum einen vorzüglich ausgebildeten polytrichoiden
Zentralstrang besitzt, der von einer ebensolchen Endodermis umgeben ist, die als äußerst
scharf umgrenzter Ring besonders bei Zusatz von Kalilauge hervortritt. Bei Oligotrichum
ist nach Brotherus der Zentralstrang nicht polytrichoid; von der Richtigkeit dieser Angabe
konnte ich mich an Querschnitten durch die Stämmchen zahlreicher Arten überzeugen.
Die Atrichum-Arten haben nach Limpricht meist einen polytrichoiden Zentralstrang. Wir
sehen also, daß der einfache — nieht polytrichoide Zentralstrang von Oligotrichum bei
den meisten Atrichum-Arten den polytrichoiden Typus annimmt und bei Dendoligotrichum
den höchsten Grad der Differenzierung der Gewebe erreicht. Wir sind wohl berechtigt,
aus diesem anatomischen Befund den Schluß zu ziehen, daß Dendoligotrichum Atrichum
näher steht als Oligotrichum, ganz abgesehen davon, daß die beiden erstgenannten Gattungen
auch sonst eine hóhere Stufe der Entwicklung reprüsentieren.
Müller hat auch Polytrichadelphus in seinem großen Genus Catharinaea aufgehen
lassen, und zwar deshalb, weil es bezüglich der Haubenbildung mit den übrigen Unter-
gattungen übereinstimmt. Es gibt aber Polytrichadelphus-Arten, deren Haube einen relativ
starken Rhizoidenfilz aufweisen, sodaß es doch sehr gewagt ist, sie mit Catharinaea zu
vereinigen. Sie würden auch, was die Symmetrie der Kapsel anbelangt, zu Buxbaumia,
Diphyseium, Lyellia und Dawsonia als den Vertretern der Polytrichaceae asymmetricae
gestellt werden müssen. Denn gerade auch bei ihnen ist die Kapsel zweikantig und im
Querschnitt halbmondförmig, was Müller ganz übersehen zu haben scheint. Der poly-
trichoide Zentralstrang ist bei Polytrichadelphus sehr gut entwickelt, die Blätter sind sehr
scharf in Scheide und Spreite gesondert, besitzen im Gegensatz zu Atrichum und Oligo-
trichum ein gut ausgebildetes Schwellgewebe und können demzufolge — auch wieder im
Gegensatz zu Atrichum und Oligotriehum — in Übereinstimmung mit vielen Polytricha
Bewegungen in der Trocken- und Feuchtigkeitsstellung ausführen. Abweichend von Atrichum
und Oligotrichum wird die Spreite der Polytrichadelphusblätter der ganzen Länge nach von
Lamellen bedeckt, auch sind überall die Lamellenendzellen nach derselben Grundform gebaut.
Wohin man also kommt, wenn bei systematischen Erwägungen nicht die Gesamtorganisation
der Leitstern ist, offenbart sich so recht an der von C. Müller beliebten Art, das System
nach rein äußerlichen und nur nach einem einzigen Merkmal aufzustellen.
Noch weniger als Polytrichadelphus darf Psilopilum in der Gattung Catharinaea
belassen werden. Die peristomlosen Arten, wie P. gymnostomulum C. M., pygmaeum C. M.,
Ulei Broth., Bellei Broth. strüuben sich gegen ihre Vereinigung mit Catharinaea. Die
eigenartige Gestalt — trichterförmig — des Epiphragmas und die bei den genannten
Arten zu beobachtende Nacktmündigkeit weisen auf Lyellia hin. Manche Arten verfügen
allerdings über ein Peristom, bei anderen sind die Zähne sehr ungleichmäßig ausgebildet.
Wie es scheint, ist nirgends ein polytrichoider Zentralstrang vorhanden.
940
Den höchsten diagnostischen Wert besitzen solche Merkmale, die zeitlebens an dem
Individuum haften und hierher gehören auch biologische Eigentümlichkeiten, die man
bisher fast gar nicht berücksichtigt hat. Diese haben den anderen gegenüber oft noch
den Vorzug, daß sie ohne besondere Hilfsmittel, beispielsweise ohne Verwendung einer
Lupe, festgestellt werden können. So können in vielen Fällen die charakteristische Auf-
wärtsbewegung der Blätter in die Trockenstellung, die bei Eintrocknung für viele Formen
eigentümlichen Kräuselungen, spiralige oder anders geartete Drehungserscheinungen u. s. w.
zur Feststellung einer Art dienen. Die Torsionen der Stämmchen haben keinen diagnosti-
schen Wert, weil die Untersuchungen lehren, daß es rechts- und linksdrehende Stämmehen
bei einer und derselben Art gibt. Für die Unterscheidung der Arten kommen in erster
Linie die anatomischen Details der Blätter in Betracht, ferner die Eigentümlichkeiten im
Bau des Sporogons. Ohne Zuhilfenahme des Mikroskops ist nur selten auszukommen, denn
oft verbirgt sich das spezifische Merkmal in der anatomischen Beschaffenheit des Blatt-
querschnitts. Ich habe die Blattquerschnitte vieler hundert Polytrichaceen untersucht und
kann jetzt schon auf Grund diesbezüglicher Beobachtungen mitteilen, daß eine nicht geringe
Anzahl der von C. Müller-Hal. aufgestellten Formen spezifisch nicht voneinander abweichen.
In sehr zahlreichen Fällen führen erst die Untersuchungen der Lamellenendzellen zu dem
gewünschten Ergebnis. Welch hohe diagnostische Bedeutung diesen innewohnt, ergibt
sich aus den Bestimmungstabellen, die Brotherus in den „Natürlichen Pflanzenfamilien*
(Lieferung 221 und 222) veröffentlicht hat. Es läßt sich ohne Berücksichtigung irgend
eines anderen Organs lediglich auf die anatomischen Verhältnisse des Blattes hin eine
Bestimmungstabelle aufstellen, die alle bekannten Polytrichaceen umfaßt.
In seinem Bestreben, die Polytrichaceen zu klassifizieren, hat C. Müller-Hal. mehrere
Male unbewußt Gruppen gebildet, deren Vertreter in pflanzengeographischem und zugleich
biologischem Sinne zusammengehören. Es sind dies die Arten der Sektion Catharinella
und der Subsektion Polytricha pilifera seiner Gattung Polytrichum. Die Catharinella-
Arten!) C. Müllers sind fast ausschließlich auf das Gebiet der tropischen Regenwälder
beschränkt und folgen in ihrer Verbreitung vollständig den Ausbuchtungen, welche die
feuchtwarme Zone nach den verschiedenen Breiten hin erfährt. Sie sind ausgesprochene
Hygrophyten, die einerseits in der westafrikanischen Waldprovinz und dem Monsungebiet
des paläotropischen Florenreichs, anderseits in mehreren Gebieten (Hyläa) des zentral- und
südamerikanischen Florenreichs?) ein den physiognomischen Charakter der Landschaft sicher
beeinflussendes Element darstellen. Ich habe schon früher an mehreren Stellen auf diese
Formen hingewiesen, es sei jetzt noch hinzugefügt, daß deren Lamellen in der Regel wenig
dicht stehen und wenige Zellen hoch sind und daß die Lamellenendzellen keine besonders
hervorstechenden Eigentümlichkeiten gegenüber den übrigen aufweisen. In dieser Beziehung
zeigen sie vollständige Übereinstimmung mit den einheimischen hygrophilen Catharinaea-
Arten. Das Gewebe des Blattes ist locker, die Sklerenchymplatten sind relativ schwach
ausgebildet. In höheren Regionen verschwinden die Catharinella-Arten, beispielsweise in
e
o
1) Hierher rechne ich noch sehr zahlreiche Arten, die C. Müller besonders in den Sektionen Pogo-
natum und Aloidella unterbringt.
?) Engler, Syllabus der Pfanzenfamilien. Übersicht über die Florenreiche und Florengebiete der
Erde, S. 213—216.
541
dem nordafrikanischem bzw. ost- und südafrikanischen Steppengebiet (C. latidens C. M.,
fexibifola C. M., rubenti-viridis C. M., Molleri C. M., brevi-urnacea C. M., cubensis Sull.,
obseuro-viridis C. M., fast alle in Kamerun, Pogonatum macrophyllum D. et M., Polytrichum
Humboldtianum und zahlreiche andere).
Wesentlich anders verhalten sich die zur Sektion Polytricha pilifera gehórenden Arten.
Ihre Lamellen sind die höchsten, welche ich beobachtete, und durch die höchst eigentüm-
lichen, hyalinen, flasehenfórmigen Anfügungen ausgezeichnet. Die Blattränder bedecken
die Lamellenschicht und dürfen als unbeweglich angesehen werden. Die Zellen dieser
Randfüchen sind für Licht leicht durchlässig, so daß man durch sie die Lamellenendzellen
unter dem Mikroskop wahrnehmen kann. Die Tiefe der Lamellenschicht macht besondere
Einrichtungen zur Zerstreuung des von oben kommenden Lichtes notwendig, und als solche
betrachte ich die hyalinen Anfügungen.
Die Polytricha pilifera sind scharf ausgeprügte Xerophyten, sie kommen in allen, in
niedrigen Breiten aber nur in bedeutender Hóhe vor. Interessant ist in dieser Beziehung
z. B. die von Volkens am Kilima-Ndscharo in bedeutender Hóhe gesammelte und von C. Müller
als Polytrichum nano-globulus beschriebene Form, da sie außer der apikalen hyalinen An-
fügung an ihren Lamellenendzellen meist noch mehrere seitliche Anfügungen hervorbringt.
Weiterhin besteht im anatomischen Aufbau große Übereinstimmung. Die dorsalen
Sklerenchymbündel sind sehr. kräftig ausgebildet und reichen, abweichend von zahlreichen
anderen Polytrichaceen, bis zum einschichtigen Rand und nehmen den größten Teil des
Blattquerschnitts ein. Die Membranen der Sklerenchymzellen sind stark verdickt, besonders
auch die der dorsalen Epidermis. Ebenso weist der Besitz des wohlausgebildeten Glashaares
und des Schwellgewebes auf Xerophilie hin (Polytrichum patagonicum C. M., stolonigerum
C. M., tubereulosum C. M., pilifoium C. M., hyperboraeum R. Br., boreale Kindbg.,
Spegazzinii C. M., piliferum Schreb. u. a.).
In geographischer Hinsicht besonders bemerkenswert ist die Verbreitung der Psilo-
pilum-Arten. Von wenigen Formen, die in sehr bedeutender Meereshóhe vorkommen,
abgesehen, sind sie durehweg Bewohner des arktischen, des austral-antarktischen und des
Kerguelen-Gebietes.!) Die wenig krüftigen Arten dieser Gattung haben also vorzugsweise
ihre Verbreitung in zwei weit voneinander entfernten, der Breite nach sich entsprechenden
Erdgebieten, die man sich in Gestalt zweier schmaler Gürtel um die Erde gelegt denken kann.
In ausgezeichneter Weise tritt bei der Mehrzahl der Psilospila die Form des Roll-
blattes auf. Es wird hier nicht wie bei vielen hygrophilen Arten von Atrichum, Oligo-
trichum, Catharinella eine Rinne erst bei Verlust des Wasser hervorgebracht, die verhültnis-
mäßig sehr breiten Blattsäume sind vielmehr dauernd aufgerichtet und verwandeln die
ventrale Seite des Blattes in eine Hohlrinne, in der sich die nicht gerade sehr häufigen
Lamellen befinden. Die Blätter der Psilopila haben keinen scheidigen Grund, sie sind meist
auch in turgeszentem Zustand stark an der Oberseite gebogen, trocken aber in der Regel
stark schneckenförmig eingerollt.
Den größten Teil des Jahres hindurch leidet der Boden arktischer Breiten unter
niedriger Temperatur, er ist für die Pflanzenwelt physiologisch trocken. Auch während
des kurzen Sommers können die klimatischen Bedingungen als nicht besonders günstig für
1) Engler, Syllabus der Pflanzenfamilien, S. 209, 217.
Abh. d. IL. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 70
542
die Pflanzenwelt angesehen werden; rasch wachsen dann die Knospen höherer Pflanzen zu
Trieben aus, ebenso schnell vollzieht sich die Entwicklung der Blüten und Früchte. Mit
dem zur Verfügung stehenden Wasser — ich meine das in der Pflanze vorhandene —
müssen viele Formen recht haushälterisch umgehen, und darin werden sie von den Roll-
blättern, die eine übermäßige Transpiration verhindern, unterstüzt. Es ist nicht einzu-
sehen, warum nicht auch bei den Laubmoosen die Form der Rollblätter vorkommen soll.
Nach meinem Dafürhalten sind die Psilopila ein Analogon zu den mit Rollblättern aus-
gestatteten höheren Pflanzen niederer bezw. mittlerer Breiten. Aus dieser pflanzengeo-
graphischen Erwägung heraus hat sich mir die Überzeugung aufgedrängt, daß das Genus
Psilopilum ein scharf umschriebenes ist und nicht mit Atrichum, Oligotrichum und Dendo-
ligotrichum zu Müllers Gattung Catharinaea vereinigt werden darf.
Nicht minder interessant ist die geographische Verbreitung der Dawsonia-Arten, die,
soweit ich darüber Auskunft in den einschlägigen Werken und Herbarien erhalten konnte,
auf Australien, Neu-Guinea und Neu-Seeland beschränkt sind. Der bekannte Tiergeograph
Wallace vertritt die Ansicht, daß Neu-Seeland und Neu-Guinea einstmals mit Nordaustralien
verbunden waren, die Verbreitung der Dawsonien stützt sehr gut die Annahme einer der-
artigen Landverbindung, denn auf der größtenteils von Wüste und Steppe eingenommenen
Schichttafel Westaustraliens sind bisher Vertreter der Gattung Dawsonia nicht angetroffen
worden. Der Verbreitungsbezirk ist also ein sehr beschränkter, zumal von den gebirgigen
Teilen des Kontinents und auch von Neu-Guinea und Neu-Seeland nur einige Areale in
Betracht kommen.
Neben Madagaskar haben Neu-Seeland und Australien einschließlich Tasmanien die
altertümlichste Fauna und Flora aufzuweisen. Es ist nicht nur denkbar, sondern sogar
höchst wahrscheinlich, daß uns in den Dawsonien, die hinsichtlich des Baues ihres Peri-
stoms so von allen übrigen Laubmoosen und durch die primitivere Anatomie des Stümmchens
wesentlich von Polytrichum abweichen, ebenfalls altertümliche Formen erhalten geblieben sind.
Von der Gattung Dendoligotrichum sind bis jetzt nur vier Arten bekannt geworden,
von denen noch nicht feststeht, daß sie echte Arten sind. Ihr Vorkommen in zwei
voneinander weit getrennten Gegenden der Erde (Chile und Feuerland einerseits, Neu-
Seeland anderseits) ist schon C. Müller-Hal. aufgefallen, der sich darüber folgendermaßen !)
äußert: „Man bemerke in der eigentümlichen Verbreitung besagter drei Arten — nach
Brotherus „Natürliche Pflanzenfamilen^ sind es jetzt vier —, wie groß hier abermals die
Verwandtschaft der Formen von Fuégia, Chile und Neu-Seeland sich ausdrückt. Man kann
eine so wunderbare Ähnlichkeit der Pflanzen, welche sich in der Regel entsprechen, sicher
nicht anders erklären als durch die Annahme, daß sowohl die Flora von Fuégia und
Valdivia wie die Flora von Neu-Seeland gleichalterig sein müssen.“ Wir können uns
nicht der Einsicht verschließen, daß die Verbreitung der Dendoligotricha von höchstem
pflanzengeographischen Interesse ist und zu weiterem Nachdenken über die Gründe anregt
die zu einer derartig seltsamen Verbreitung führten. Manche Forscher nehmen an, daß
in früheren Erdzeitläuften Südafrika einschließlich Madagaskar, Südamerika und Australien
mit Neu-Seeland große kontinentale Massen gebildet haben. Diese Annahme reicht aber
nicht aus, um die Verbreitung der Dendoligotricha zu erklären, weil der Indische und
! C. Müller, Genera muscorum frondosorum.
543
Pazifische Ozean als unüberspringbare Schranken sich ihrer Verbreitung hindernd in den
Weg gestellt haben würden. Wir sind also gezwungen, entweder eine Landverbindung
zwischen Australien über Madagaskar und Afrika nach Südamerika oder eine solche zwischen
Südamerika und Neu-Seeland anzunehmen. Soviel mir bekannt ist, neigt man in geolo-
eischen Kreisen zu der Ansicht, daß die erstgenannte Verbindung existiert hat, wogegen
man das stille Weltmeer als einen seit jeher von Wasser bedeckten Teil der Erdoberfläche
ansieht.
Ich kann mir nicht denken, daß die riesenhaften Dendoligotricha von Norden her
infolge zunehmender Abkühlung der Erde aus ihren Wohnsitzen vertrieben und zur Aus-
wanderung nach dem Süden veranlaßt worden sein sollten, wo sie sich im Kampfe ums
Dasein den neuen klimatischen Verhältnissen anpaßten. Viel wahrscheinlicher ist es, daß
die Tier- und Pflanzenwelt des größten Kontinents der nördlichen Hemisphäre, die während
unermeßlicher Zeiträume im Kampfe um Daseins die größte Kraft gewonnen hatten, all-
mählich südwärts vordringend das Terrain eroberten, die weniger kräftigen Konkurrenten
vernichteten oder an Stellen zurückdrängten, wo diese mit den Eindringlingen von Norden
her den Kampf, ohne zu erliegen, aufnehmen konnten. Vielleicht gehören die Dendoligo-
tricha zu diesen siegreichen Vertretern der Flora südlicher Breiten, gleich den Dawsonien
möchte ich sie deshalb auch für Formen von durchaus altertümlichem Gepräge ansehen.
Dendoligotrichum darf unter keinen Umständen nach dem Vorgang C. Müllers-Hal.
mit Psilopilum und Polytrichadelphus in der Gattung Catharinaea belassen werden. Wenn
irgend ein Polytrichaceengeschlecht Anspruch darauf erheben kann, als selbständige Gattung
zu gelten, so ist es Dendoligotrichum. Ganz abgesehen von dem dendritischen Habitus,
der hier in seiner reinsten Form sich offenbart, widersprechen die hoch differenzierten
anatomischen Verhältnisse des Stämmchens und auch die histologische Beschaffenheit der
Blätter einer Vereinigung mit Catharinaea, Psilopilum und Polytrichadelphus. Ich glaube
aber auch, daß in vielen Fällen die geographische Verbreitung der Arten den Weg. weist,
auf dem wir zur richtigen systematischen Bewertung einer Art, Gattung u. s. w. gelangen
können, und dies möchte ich ganz besonders für Dendoligotrichum annehmen, dessen Arten,
wie ausgeführt wurde, eine höchst eigentümliche Verbreitung besitzen.
Die artenreiche Gattung Polytrichadelphus bietet in geographischer Hinsicht eben-
falls recht bemerkenswerte Züge. Es ist zunächst hervorzuheben, daß bisher nur aus der
Neuen Welt (Amerika und Australien einschließlich Tasmanien und Neu-Seeland) Poly-
trichadelphus-Arten bekannt geworden sind. Die meisten Formen bevölkern in durchweg
sehr bedeutender Erhebung über dem Meeresspiegel das gewaltige Kettengebirge der
Kordilleren von Vancouver-Island im Norden bis zur Magelhaensstraße im Süden. Auch im
brasilianischen Bergland kommen mehr in der Nähe der Küste einige Arten vor. In
Australien sind sie auf den Faltenzug des Ostens, der sich in die Insel Tasmania fortsetzt,
und auf die vorgelagerte Falte von Neu-Seeland beschränkt, sie scheinen auch hier aus-
schließlich alpine Höhen zu bevorzugen.
Alle Polytrichadelphus-Arten sind Xerophyten, in den anatomischen Verhältnissen des
Stümmchens und der Blätter gelangt dies deutlich zum Ausdruck.
Wie aus den Daten über die geographische Verbreitung der Dawsonia-, Psilopilum-,
Dendoligotrichum- und Polytrichadelphus-Arten sich ergibt, haben diese mit Ausnahme
weniger Psilopila- und Polytrichadelphus-Formen, ihre Verbreitung ausschließlich in den
544
relativ jungen Faltenzügen Westamerikas, Ostaustraliens und Tasmaniens, Neu-Guineas und
Neu-Seelands. Sie gehören also vornehmlich der riesigen Falte an, welche das pazifische
Weltmeer ungefähr halbkreisförmig einschließt. Aber die Verbreitung der in Betracht
kommenden Arten erstreckt sich nur auf die südlichen Abschnitte dieses Faltenbogens in
der Kette nördlich von Vancouver über die Aleuten, Kurilen, Japan, Liu-Kiu, Formosa,
Philippinen, Molukken und Sundainseln fehlen sie anscheinend vollständig.) Vergegen-
wärtigt man sich nun, daß einige Psilopilum-Arten auf Südgeorgien (Ps. tapes C. M. und
Ps. antareticum C. M.) und letztere Form auch auf den weit davon entfernten Kerguelen
vorkommt, so wird man zu der Annahme gedrängt, daß diese Inselgruppen auf einer sub-
marinen Falte liegen, die sich von den Feuerlandsinseln in der Richtung auf Tasmanien
bzw. Neu-Seeland hinzieht, der nördliche Bogenabschnitt der pazifischen Falte würde
dadurch für die Erklärung der Verbreitung der betreffenden Arten nicht in Frage kommen.
Auch die geographische Verbreitung der Dendoligotricha ließe sich, obwohl solche auf den
zuletzt genannten Inseln bisher nicht nachgewiesen wurden, durch die Annahme einer
solchen Falte zwanglos erklären und was von Dendoligotrichum gilt, dürfte auch für
Polytrichadelphus zutreffen.
1) Neuerdings nach Geheeb kommt Dawsonia auch auf Borneo vor.
Den größten Teil des Materials zu meinen Untersuchungen erhielt ich aus den Her-
barien des K. Pflanzenphysiologischen Instituts zu München, des K. Botanischen Museums
zu Berlin-Dahlem und aus der Privatsammlung des Kgl. Forstmeisters Herrn C. Grebe in
Hofzeismar.
Es ist mir eine angenehme Pflicht, den Herren Geh. Rat Professor Dr. K. Goebel,
Geh. Oberegierungsrat Professor Dr. A. Engler, Professor Dr. G. Lindau und Kgl. Forst-
meister C. Grebe meinen verbindlichsten Dank abzustatten für die Liberalitüt, mit der sie
mir die Schütze der betreffenden Herbarien zur Verfügung stellten.
Dr. W. Lorch.
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545
Erklärung der Figuren.
. Querschnitt durch die Achse erster Ordnung und zwei zugehörige Achsen zweiter Ordnung der
ruhenden Astanlage von Polytrichum commune L.
Querschnitt durch die Achse erster Ordnung einer ruhenden Astanlage von Polytrichum
commune L. :
. Querschnitt dureh eine Achse zweiter Ordnung einer ruhenden Astanlage von Polytrichum
commune L.
Querschnitt durch die Achse erster Ordnung einer ruhenden Astanlage von Polytrichum com-
mune L., etwas höher geführt als in Fig. l.
«a und B. Querschnitte durch das Blatt von Oligotriehum javanicum D. et M.
Quersehnitt dureh das Blatt von Pogonatum semilamellatum M. Linke Blatthülfte.
a. Teil des Blattes von Catharinaea Hausknechtii Jur. et Milde von der Unterseite. Zähnchen-
reihen. — f. Einige Zähnchen vergrößert.
Lüngsrehnitt durch das Stämmchenende einer Polytrichum-Art, median geführt. £ Scheitelzelle.
Querschnitt durch ein junges Blatt einer Polytrichum-Art.
Querschnitt durch dasselbe Blatt, etwas tiefer geführt.
. Querschnitt durch das junge Blatt einer Polytrichum-Art.
2. Querschnitt durch das junge Blatt von Polytrichum piliferum Schreb.
. Schema von Fig. 12.
. Schema von Fig. 11.
. a. Teil eines Blattquersehnitts von Polytrichum piliferum Schreb. — f. Schema von a.
Querschnitt durch ein junges Blatt von Polytrichum. Unteres Spreitenende. Rechte Seite
gefördert. Zellen punktiert.
- Lamellenendzellen vom mittleren Teil des Blattes von Polytriehum subremotifolium Hampe.
Die Endzellen der drei mittleren Lamellen des Blattes von Polytrichum subremotifolium
Hampe. f
Querschnitt durch ein junges Blatt von Polytrichum piliferum Schreb. Ungefähr durch
die Mitte.
Lamellen von Polytriehum Humboldtianum Hampe auf dem Blattquerschnitt.
a und b. Querschnitteile vom Blatte von Polytrichum flexuosum C. M.
Querschnitt durch das Blatt von Pogonatum microstomum Br. Eur. Lamellenquerwünde sind
nicht gezeichnet.
- Lamellenendzellen von Polytrichum nano-globulus C. M. im Querschnitt.
Flaschenfórmige hyaline Wandverstärkungen an den Endzellen der Lamellen von Polytrichum
piliferum Schreb. und Pogonatum microstomum Br. Eur.
Teile des einschichtigen umgeschlagenen Blattsaumes von Polytrichum piliferum Schreb.
b. Randpartie mit gewelltem Saum.
Algzenmasse an der Spitze des Blattes von Pogonatum microstomum Br. Eur.
Algenmassen an dem Blatte von Polytrichum mahense Besch.
. Ein kleiner Teil einer solchen Algenmasse stark vergrößert.
Algenmasse an der Blattoberseite von Pogonatum Junghuhnianum D. et M.
a. Querschnitt durch das Blatt von Polytrichum alpinum Dill. — b. Teil eines Blattquer-
schnitts von Polytrichum perichaetiale Mort. — c. Teil eines Blattquerschnitts von Pogonatum
capillare Mich.
Schema eines Blattquerschnitts einer Polytrichacee.
Endzellen der Lamellen von Polytrichum juniperinum Willd.
546
Figur 33.
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1. Lamelle von Catharinaea angustata Brid., 2. von Polytrichum brachypelma C. M., 3. von
Polytrichum Warburgi C. M., 4. von Polytrichum sexangulare Flórke, 5. von Polytrichum
subgracile Hampe, 6. von Pogonatum capillare Mid., 8. von Polytrichum alpinum L., 9. von
Polytriehum commune L., 10. von Polytriehum Volkensii Broth., 11. von Polytrichum Mülleri
Schpr. 12. von Polytrichadelphus semiangulatus Pers. 13. von Polytrichum robustum C. M.
14. von Polytrichum Teysmannianum D. et M.
. Teile von Querschnitten durch Rippe und Lamina des Blattes von Pogonatum macrophyllum
D. et M.
. Querschnitt durch das Blatt von Dawsonia Beccarii Geh. et Schlieph.
Teil eines Blattquerschnitts von Polytrichadelphus Lyalli Mitt.
. & und b. Teile von Blattquerschnitten von Dawsonia Victoriae C. M.
I. Längsschnitt durch den Fuß von Dawsonia Victoriae C. M.
IL Querschnitt durch den Fuß von Dawsonia Victoriae C. M.
. und 40. Längsschnitte durch den Fuß einer Polytrichum-A rt.
. Jugendliche embryonale Generation von Polytrichum pyenocarpum C. M.
. Längsschnitt durch Fuß und Vaginula von Dawsonia Victoriae C. M.
. Längs- und Querschnitt durch den Fuß von Diphyseium foliosum Mohr.
. Längsschnitt durch das Stämmehenende von Cleistostoma ambiguum Brid.
. Längsschnitt dureh den Fuß von Cleistostoma ambiguum Brid.
Gewebe unter dem Fuß von Cleistostoma ambiguum Brid.
. Längsschnitt durch den Fuß von Gigaspermum repens Hook.
. Längsschnitt durch den unteren Teil des Sporophyten von Eriopus Zürnianus.
. Junger Sporophyt von Eriopus cristatus Hedw.
Schematische Darstellung der Entwicklung des Sporophyten von Eriopus.
. Längsschnitt durch den unteren Teil des Sporophyten von Eriopus Jellineki C. M.
Frei präparierter jugendlicher Sporophyt von Eriopus remotifolius €. M.
Gewebe über der gebrüunten Zone am Fuße von Eriopus Jellineki C. M.
. Sporogon und oberer Setenabschnitt einer Eriopus-Art.
. Längsschnitt durch die Seta von Eriopus Zürnianus.
Querschnitt dureh die Haube von Eriopus Jellineki C. M.
Querschnitt dureh den oberen Setenteil einer Polytrichum-Art.
. Längsschnitt durch den obersten Seten- und untersten Sporogonabschnitt von Polytrichum
juniperinum Willd.
. Längsschnitt dureh einen Teil des Sporophyten von Polytrichum Beccari C. M.
. Längsschnitt wie Fig. 59. Trennzelle des Rhizoids.
. Symmetrieverhültnisse der Haube von Polytrichum piliferum Schreb.
. Schematischer Längsschnitt durch das Stämmchenende einer Campylopus-Art.
. Quersehnitt durch eine ruhende Knospe von Jaegerina stolonifera C. M.
. a. Brutknospen, b. tüpfelreiche Zellen in der Nähe der ruhenden Knospe von Jaegerina
stolonifera C. M.
. a. Epidermiszellen des Sporogons von Pogonatum aloides bei tieferer Einstellung, b. im Quer-
Schnitt, c. bei hóherer Einstellung.
Über
Altperuanische Schädel
von Ancon und Pachacamae.
II. Abhandlung:
Die Schädel der Gaffronschen Sammlung.
Von
Johannes Ranke.
Mit 9 Tafeln.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. II. Abt. 71
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Mit der reichen Sammlung Peruanischer Altertümer der Gaffronschen Kollektion, !)
welche jetzt einen wertvollen Bestandteil der Ethnographischen Sammlung des Bayerischen
Staates bildet, wurden auch 37 skelletierte Schädel, 4 noch mit den vertrockneten Weich-
teilen und den Haaren bedeckte Mumienköpfe, 1 Schädelmaske, 1 vollständige Mumie einer
erwachsenen Person und 2 mumifizierte Körper von vielleicht noch nicht vollkommen aus-
getragenen Neugeborenen und ein Neugeborenenkopf aus den gleichen Fundplätzen wie
die ethnographischen Objekte stammend, erworben.
Die genannten somatischen Reste wurden der anthropologisch-prühistorischen Samm-
lung des Staates einverleibt. Die Mumien und mumifizierten Köpfe stammen aus dem
altberühmten Totenfelde von Ancon.?) Die Schädel sind zum Teil als aus dem gleichen
Fundplatze stammend direkt bezeichnet, ein anderer Teil stammt der Bezeichnung nach
aus Pachacamác. Es sind das die gleichen beiden Fundplätze, von welchen I. K. H. Prin-
zessin Therese von Bayern im Jahre 1898 33 (resp. 34) Schädel persönlich gesammelt
und der anthropologisch-prühistorischen Sammlung zur Untersuchung und Bewahrung
übergeben hat.
Über dieses wissenschaftlich wichtige Geschenk habe ich im Jahre 1900 eingehend
in diesen Abhandlungen berichtet unter dem Titel: Über altperuanische Schädel von
Ancon und Pachacamác, gesammelt von I. K. H. Prinzessin Therese von Bayern.
Mit 9 Tafeln und 41 Figuren im Text. 122 Seiten.
Der Angabe nach, welche die Untersuchungen vollkommen bestätigen, stammen auch
die unbezeichneten Schüdel der Gaffronschen Sammlung von den gleichen beiden Fund-
plätzen. Da aber ohne direkte Angaben eine Ausscheidung der Schädel nach ihrer genauen
Provenienz nicht mit voller Sicherheit ausführbar ist, so sollen im folgenden die neu-
erworbenen Schädel zunächst als eine zusammengehórende Reihe betrachtet werden.
Gaffron ist Arzt und hat als solcher mit besonderem Interesse die somatischen Reste
der präkolumbischen Bevölkerung Perus gesammelt.
') Die Gaffronsche Sammlung. Münchener Allgemeine Zeitung, 1907, Nr. 80, S. 2.
?) W. Reiss und A.Stübel, Das Totenfeld von Ancon in Peru. Darin XIV. Schädel, Tafel 108
bis 116 von R. Virchow.
[ros
550
Zunächst waren es die verschiedenen Grade und Formen der Deformation, welche für
die Aufsammlung und Aufbewahrung entscheidend waren; und in der Tat enthält die
Kollektion eine bemerkenswerte Mannigfaltgkeit von Deformationsformen der Schädel.
Es sei schon hier bemerkt, daß keiner der neuerworbenen Schädel von Deformation voll-
kommen frei ist, freilich macht sich bei einigen die Umgestaltung der normalen Form nur
dem durch vergleichende Betrachtung geschärften Auge bei eingehender Analyse kenntlich.
Solche Schädel erscheinen auf den ersten Blick als normal geformt.
Auch für die seit Tschudis!) ersten Angaben nicht mehr zur Ruhe gekommene Dis-
kussion über den sogenannten Inca-Knochen?) bringt die Gaffronsche Sammlung inter-
essantes Material, ebenso zu der Frage, inwieweit etwa die Deformation durch „Vererbung“
angeboren ist.
Ein weiteres Moment, welches für die Aufsammlung Gaffrons bestimmend war,
ist die so viel besprochene Frage der präkolumbischen Lues in Amerika. Die Samm-
lung enthält mehrere Schädel mit mehr oder weniger ausgesprochener krankhafter Ver-
änderung, einer derselben, Nr. 32, Ancon, ist in extremem Grade pathologisch.?)
Die folgenden Untersuchungen schließen sich direkt an meine oben zitierte Abhand-
lung an, als deren Fortsetzung und Ergänzung sie zunächst gelten wollen. Betreffs der
Literatur über unseren Gegenstand verweise ich auf die dort gemachten Angaben. Die
wichtigste neuere Publikation über die amerikanische Schädeldeformation bleiben R. Vir-
chows Crania ethnica Americana, Sammlung auserlesener, amerikanischer Schüdel-
typen. Mit 26 Tafeln und 29 Textillustrationen. Groß-Folio. Berlin, Asher & Co., 1892.
Hier findet sich die ältere Literatur und auch das gesamte Material zur Beurteilung der
entscheidenden Differenzen zwischen Virchows und meinen Ergebnissen.
Wie neu und unerwartet die letzteren waren, geht aus den Besprechungen meiner
Abhandlung durch R. Virchow*) und A. Lissauer hervor. Ich begreife die Haltung
der beiden ausgezeichneten Forscher vollkommen, war ich doch selbst von meinen Unter-
suchungsresultaten überrascht. Bis dahin hatte ich nicht an der ,beabsichtigten*
Schädeldeformation unter den Alt-Peruanern gezweifelt; ich habe eine solche in meinem
Lehrbuch: Der Mensch?) in der I. und II. Auflage (letztere 1894) direkt und ein-
gehend gelehrt. Bd. I, S. 187 —192 „Schädelplastik“ und Bd. II, S. 234—238 „De-
formation der Schüdel*, S. 190, Bd. I habe ich Rüdingers Abbildung: Kind in der Kopf-
presse, Alt-Peru, in vollem Glauben an eine solche ebenso unvernünftige wie grausame
Sitte wiedergegeben.
1) Dr. J. J. Tschudi, Über die Ureinwohner von Peru. Hiezu Tafel IV und V. Joh. Müllers Archiv
für Anatomie und Physiologie, 1844, ll. Abt., S. 98—109.
?) Tschudi selbst nennt ihn Inga-Knochen, os Ingae, 1. c., S. 108.
3) Die pathologischen Verhältnisse unserer Altperuaner Schädel sind bearbeitet von Dr. med. und
phil. Karl Jäger, Kaiserl. Marine-Oberassistentsarzt, in Beiträge zur frühzeitlichen Chirurgie. Inaugural-
dissertation. Wiesbaden, C. W. Kreidels Verlag, 1907. Text 141 Seiten und Atlas mit 13 Lichtdrucktafeln.
Aus dem Münchener anthropologischen Institut.
3) R. Virchow, Zeitschrift für Ethnologie, 32. Jahrg., 1900, S. 226. Dazu Max Uhle, Zeitschrift
für Ethnologie, 33. Jahrg., 1901. Verhandlungen S. (404).
?) J. Ranke, Der Mensch. II. Auflage. Leipzig und Wien. Bibliographisches Institut. 1894.
551
Gegen meine auf Beobachtungen gegründete Darstellung der Bedeutung und der
Methoden der altperuanischen Schüdeldeformation sind auf neue Untersuchungen begründete
Einwendungen kompetenter Forscher nicht erhoben worden. Ohne neue Untersuchungen
und Überprüfung der alten Ergebnisse nach den von mir gefundenen neuen Gesichts-
punkten ist ein etwaiger Widerspruch selbstverständlich bedeutungslos.
Mir hat nun die neue Schädelsammlung aus den gleichen Fundplützen, aus welchen
die Schüdel meiner ersten Serie stammen, Gelegenheit gegeben, meine 1900 gewonnenen
Resultate wieder zu prüfen.
Herr Privatdozent Dr. Ferd. Birkner, K. Kustos an der anthropologisch-prühistori-
schen Sammlung des Staates und die Herren stud. geogr. und anthr. Max Mayr und Ried
haben mich bei den Untersuchungen auf das wirkungsvollste unterstützt, so daß ich
die als Mitarbeiter an der vorliegenden Abhandlung zu bezeichnen habe. Mit eingehendster
Sorgfalt wurde Schädel für Schädel wiederholt gemeinsam betrachtet und nach Form und
Maß geprüft.
Es gereicht mir zur Genugtuung, es schon hier aussprechen zu können, daß die
neuen Untersuchungen meine früheren Resultate nach jeder Richtung bestätigt haben:
Die „künstliche Deformation* der altperuanischen Schädel von Ancon
und Pachacamác ist keine im strengeren Sinne ,absichtliche*; sie erklärt sich
wie die zwar im allgemeinen schwücheren, im Prinzipe aber vollkommen
identischen „künstlichen Deformationen“ europäischer Schädel, z. B. Hinter-
kopf-Abplattung und Sattelkopfbildung,!) aus der Art und Dauer der Lage-
gerung der Neugeborenen auf mehr oder weniger fester Unterlage und aus
der länger dauernden Einbindung der noch leicht formbaren Köpfchen in ver-
schieden gebundene Kinderhäubchen und ähnliche Schutzvorrichtungen für
den Kopf.
Wie die Methoden der Deformation, so reihen sich auch die Formen der deformierten
Schädel vollkommen in die älteren beiden Reihen ein, es treten keine neuen Methoden und
Formen auf. I.K.H. Prinzessin Therese hatte?) die betreffenden Schädel nach dem
Gesichtspunkt aufgesammelt, daß womöglich alle an den beiden in der Umgegend von
Lima gelegenen altperuanischen Fundstätten sich findenden Schädelformen vertreten sein
sollten. So wurden jene zwei in sich geschlossenen Parallelreihen von Schädeln verschie-
dener Form aus Ancon und Pachacamác gewonnen, welche einen möglichst vollkommenen
Überbliek gaben über die individuellen Variationen innerhalb dieser beiden Gruppen der
Mehrzahl nach stärker „künstlich“ deformierten Schädel. Dadurch wurde es ermöglicht,
tiefer in das Wesen der wunderlichen, in ihrem Grund und Ursprung damals noch un-
erklärten und allgemein verkannten, scheinbar grausamen Sitte der „künstlichen“ Schädel-
umformung bei den Alt-Peruanern einzudringen. Wie vollkommen I. K. H. Prinzessin
Therese die beabsichtigte Vollständigkeit der Formen-Aufsammlung gelungen ist, beweist,
daß, wie gesagt, die neue Schädelserie sich mit der früheren zu einer einheitlichen
Reihe verbindet.
1) J. Ranke, Über altperuanische Schädel ete., S. 103 ff. (371 ff.).
2) Derselbe, l. c., 3. 3 (631).
552
Sehr erwünscht war es, daß die Gaffronsche Sammlung mehrere Exemplare der
„künstlich“ geformten Dolichocephalen“ enthält. Unsere ältere Gesamtreihe besitzt
nur einen solchen Dolichocephalen aus dem Totenfeld von Ancon. Er findet sich be-
schrieben 1. c., S. 51 und 52 unter der Bezeichnung Nr. 18 (33) Ancon. $.51 bringt eine
sagittale Umrißzeichnung und Tafel 5 ausgeführte geometrische Aufnahmen des Schädels
in den drei Hauptnormen in ein Drittel natürlicher Größe. ;
Die größere Anzahl der Vergleichsobjekte gestattet nun eine sichere Bestätigung des
früheren Resultats, nun nicht mehr allein auf eine Einzelbeobachtung gegründet.
Ein weiteres, wohl noch bedeutsameres Resultat hat nun die größere Anzahl der
zur Vergleichung zur Verfügung stehenden Schädel ergeben: es haben sich deutlich zwei
verschiedene Urtypen der Schädel erkennen lassen. Die Schädel zeigen trotz der
Deformation noch die ursprünglichen normalen beiden Schädelformen: einen feinen und
einen groben Typus. Ich glaube die beiden Typen nicht auf individuelle Variation,
sondern auf ethnische Verschiedenheiten, auf Mischung zweier verschiedener ethnischer
Elemente in unseren Reihen, beziehen zu dürfen.
2.
Allgemeine Beschreibung der Schädel.
Die allgemeine Schädelform.
1. Die Längenbreitenverhältnisse der Schädel,
Die Schädel der Gaffronschen Sammlung reihen sich, wie gesagt, vollkommen unter
jene ein, welche ich in meiner ersten Abhandlung über altperuanische Schädel von Ancon
und Pachacamäe beschrieben habe. Es gilt das zunächst für die allgemeine Form, welche
durch das Längenbreiten- und das Längenhöhenverhältnis der Schädel charakterisiert ist.')
Die von I.K.H. Prinzessin Therese gesammelten Schädel konnten alle nach ihrer
Provenienz in zwei Reihen gesondert werden, welche einander in Beziehung auf das Längen-
breitenverhältnis sehr ähnlich sind.
„Die Schädelreihe von Ancon beginnt, abgesehen von dem einen deformierten
dolichocephalen Schädel, mit einem (resp. zwei) Schädeln, welche an der brachycephalen
Grenze der Mesocephalie stehen, von dem Längenbreiten-Index (76,55 und) 78,45, und
schreitet dann von dem brachycephalen Grenz-Index 80 in fast geschlossener Reihe von
Index zu Index vor bis zu dem Index 100, bei welchem die Breite des Schädels, welche
normal kürzer ist als die Länge, der letzteren gleich geworden ist.“
„Die Schädelreihe von Pachacamäc beginnt mit ebenfalls zwei Schädeln meso-
cephaler Form, mit den Indices 79,57 und 79,77 an der Grenze der Brachycephalie stehend.
Die brachycephalen Formen beginnen mit dem Längenbreiten-Index von 84,24 und schreiten
von da ebenfalls ziemlich stetig vor bis zu einem Index von 106, bei welchem Index die
Länge von der Breite des Schädels um 6°/o überschritten wird.“
Unter den nach ihrer Einzelherkunft bezeichneten Schädeln der Gaffronschen Samm-
lung sind aus Ancon: 2 Dolichocephale, einer mit dem Index 72,84, der andere mit dem
Index 74,68 direkt an der Grenze der Mesocephalie stehend, und ein Brachycephaler, mit
Index 85,39. Aus Pachacamäc ebenfalls 2 Dolichocephale mit Index 73,33 und 74,1,
letzterer wieder an der Grenze der Mesocephalie; 1 Mesocephaler mit Index 76,34 und
8 Brachycephale, welche von dem Index 85,47 bis zu dem ganz extremen von 112,48
vorschreiten. Die Indices sind: 85,47; 91,61; 95,30; 95,96; 100,00; 100,00; 101,38; 112,48.
Die Schädel reihen sich sonach, abgesehen von dem ganz extrem deformierten mit
Index 112 am Ende der Pachacamäc-Reihe, vollkommen in die früheren Serien ein. Auch
u
ar
e
NV
S
Fh
l1) J. Ranke, 1. c., S. 8 (6
554
insofern besteht Übereinstimmung, daß die extremen Grade der brachycephalen Deformation
unter den Schädeln aus Pachacamác häufiger sind als unter denen aus Ancon. Die prin-
zipielle Übereinstimmung der beiden Reihen läßt es aber, wie hervorgehoben, untunlich
erscheinen, die niehtbezeichneten Schädel der Gaffronschen Sammlung nach den beiden
Fundplätzen auszuscheiden. Ich ziehe es deshalb vor, alle Altperuaner-Schädel unserer
Sammlung hier zu einer Gesamtreihe, nach ihren Längenbreiten-Indices geordnet,
zu vereinigen. Die Schädel der Gaffronschen Sammlung sind in der Tabelle durch
Zahlen in Kursivschrift ausgezeichnet.
Tabelle I.
Lüngenbreiten-Index von 70 Altperuaner Schädel von Ancon und Pachacamác.
Von Ancon = A; von Pachacamäc = P; AP = unbestimmt, von welchem der beiden Fundplätze;
die kursiven Zahlen bezeichnen die Schädel der Gaffronschen Sammlung, die anderen jene der
Sammlung der Prinzessin Therese.
inus Längen- Ah Reihe Längen- dk
er breiten- ort der breiten- ae
Indices Index Indices Index
65 68,21 AP Brachycephale: 86 86,42 IP
68,55 (— 69) AP 86,47 IB
69 69,74 (= 70) A 57 87,27 B
Dolichocephale: 70 — 87,86 A
71 71,13 AP 58 88,15 AP
71,55 AP 88,89 B
72 72,84 A 89 89,03 A
73 73,18 AP 89,24 Ip
73,93 P 90 E
74 74,01 B 91 91,30 P
74,68 (= 75) A 91,36 AP
Mesocephale: 75 = 91,61 Ig
76 76,34 B 91,82 B
76,53 (= 77) AP 92 92,55 A
77 — 93 93,04 AP
78 78,13 AP 93,04 AP
78,45 A 94 94.75 A
79 79,92 AP 95 95,30 B
79,57 P 95,96 (= 96) P
19,10 D 96 =>
Brachycephale: 80 50,23 A 97 =
80,35 A 98 98,66 A
80,53 AP 99 99,32 P
80,55 AP 100 100,00 A
80.84 A 100,00 P
81 81,09 A 100,00 D
82 82,14 A 101 101,35 P
83 83,03 AP 101,43 AP
83,33 AP 101,92 P
83,58 AP 102 102,16 AP
84 54,11 AP 102,77 P
84,21 A 105 103,29 ig
84,24 P 103,52 AP
4,2 AP 104 104,54 P
P 105 —
85 AP EA 106 106,45 p
A 106,53 AP
A 112 112,48 D
Die vollkommene Gleichartigkeit der Gesamtreihe spricht für sich selbst.
Die Längenbreiten-Indices gehen von extremer Dolichocephalie (Index 68) bis zu ex-
tremster Brachycephalie (Index 106 resp. 112, von welch letzterem in den folgenden Be-
rechnungen meist abzusehen ist).
Unter der Gesamtzahl 70 überwiegen weit die Brachycephalen mit 53 Schädeln,
ihnen stehen gegenüber 7 Mesocephale und 10 Dolichocephale. Von den 7 Mesocephalen
nähern sich 2 mit Index 76 den Dolichocephalen, 5 mit dem Index 78 und 79 (79,77)
den Brachycephalen. ;
Vom Index 78 bis 106 (von der ganz extremen Ziffer 112 sehe ich hier ab) umfaßt
die Gesamtreihe 39 Einzel-Indexstufen. Fast ohne Unterbrechung, es fehlen nur 3 Stufen,
ist jede Stufe dieser so außerordentlich gestreckten Indexreihe durch einen oder durch
mehrere Schädel vertreten.
In meinem Buche: Beiträge zur physischen Anthropologie der Bayern,
mit 16 Tafeln und 2 Karten, München, Literarisch-artistische Anstalt Theodor Riedel,
II. Abschnitt, 1879 (s. Beiträge zur Anthrop. u. Urgesch. Bayerns, Bd. II, 1879) habe ich
zum erstenmal die anthropometrischen, speziell die kraniometrischen Ergebnisse geschlos-
sener Messungsreihen in Kurvenform dargestellt, um eine exakte Vergleichung ver-
schiedener Reihen tunlichst zu erleichtern. Meine Methode der Kurvendarstellung hat sich
dann rasch überall für anthropologische Untersuchungen eingebürgert, seitdem zuerst
J. Kollmann!) dieselbe für seine umfassenden, vergleichend kraniometrischen Studien
verwendete und Stieda?) meine Kurvenresultate seinen mathematischen Analysen des
wahrscheinliehen Fehlers und der exakten Beweiskraft kraniometrischer Serien zu Grunde
gelegt hat.
Meine Methode, die kraniometrischen Resultate in Form einer Kurve aufzuzeichnen,
li&t die Beurteilung der Einzelwerte, z. B. die beobachteten Lüngenbreiten-Indices, mit
einem Blicke überschauen. Als Abszisse benutze ich die in fortschreitender Linie auf-
getragenen Längenbreiten-Indices in ganzen Indexzahlen von 65 bis 100 resp. 106, die Höhe
der Ordinaten wird durch die Anzahl der auf jeden Index treffenden Schädel bestimmt,
indem ich dieselbe über jeden einzelnen Index verzeichne.
Zur Vergleichung der Verschiedenheiten der Gesamtserie unserer deformierten alt-
peruanischen Schüdel von einer geschlossenen Serie undeformierter Schüdel von ebenfalls
hoher Brachycephalie wähle ich meine Kurve von Altötting, Oberbayern.?) Die Abszisse
dieser Kurve reicht vom Index 73 bis 89, die Kurve steigt aber erst vom Index 76 an
geschlossen in die Höhe bis sie über den Indices 83 und 84 ihre Maxima erreicht, von denen
sie sehr rasch zu Index 89 abfällt, auf diesen treffen noch 3 Schädel auf 90 schon wieder 0.
Wie ganz anders ist das Resultat der entsprechenden kurvenmäßigen Zusammen-
stellung unserer altperuanischen Schädelreihe.
1) J. Kollmann, Beiträge zu einer Kraniologie der Europäischen Völker. Archiv für Anthropologie,
Bd. XIII, 1881, S. 79 f., S. 179 ff. XIV, S. 1 ff.
2) L. Stieda, Archiv für Anthropologie, Bd. XIV, 1883, S. 167 ff. Über die Anwendung der Wahr-
scheinlichkeitsrechnung in der anthropologischen Statistik.
3) J. Ranke, l.c. II. Abschnitt, S. 23 ff. Tabelle T, S. 74 und Kurventafel.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 72
556
Zur Vergleichung stelle ich beide Kurven übereinander:
Kurve I der 70 altperuanischen Schädel
verglichen mit 100 altbayerischen Schädeln (Altötting), beide Kurven nach den Einzel-Indices geordnet.
—-————— — Kurve der Altöttinger Schädel
€ H . peruanischen
L]
\
]
]
LI
1
Uu
\
D
\
D
1
I
l
Ju
\
Y
\
\
\
M
\
a
o
SO man = i5 c
SO ocoocooco
nennen
Während die Kurve von Altötting im wesentlichen eine geschlossene Form zeigt und
ihre entschiedenen Maxima in nächster Nähe besitzt: Index 81, 83 und 84, zeigt die
Peruanerkurve nur relativ kleine, wellenförmige Erhebungen vom Anfang der Abszisse bis
zu ihrem Ende. In der Tat hebt sich der Index 85 etwas über die anderen, ohne daß
wir aber bei ihm schon von einem wahren Maximum der Kurve reden dürften. Die natür-
liche Kurve, wie sie der undeformierte Peruaner-Schädel ergeben würde, ist offenbar durch
die Deformation der Schädel und die dadurch gesetzte gleichsam „willkürlich“ gesteigerte
individuelle Variation zersprengt. Die Gestalt der Peruanerkurve dürfen wir als einen
Beweis dafür ansprechen, daß unnatürliche Einwirkungen auf die Form der Schädel deren
natürliche Gestalten in ausschlaggebendem Maße alteriert haben.
Wir sind imstande, die Wirkung der individuellen Variation auf das allgemeine
Resultat dadurch etwas zu korrigieren, daß wir nicht die Einzel-Indices der Kurve zu
Grunde legen, sondern mehrere zu einer gemeinsamen Gruppe zusammenfassen.
Durch meine Vermittelung haben sich die deutschen Kraniologen mit den französischen
und englischen Kollegen dahin vereinigt, die Längenbreiten-Indices im allgemeinen in
Gruppen zu je 5 Indexziffern unter einer gemeinsamen Bezeichnung zusammenzufassen,
im Anschluß an die altgebrüuchliche Zusammenfassung von 5 Längenbreiten-Indices als
Mesocephalen (75—79) zwischen die Dolichocephalen und Brachycephalen. Die Dolicho-
cephalie und Brachycephalie werden nun in Stufen zu je 5 Indexzahlen geteilt: Dolicho-
cephalie I. Stufe 74—70, IL. Stufe 69—65 . . ., Brachycephalie I. Stufe 80—84, II. Stufe
!) J. Ranke, Internationale Verständigung. Korrespondenzblatt der deutschen Gesellschaft
für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, XVII. 1886. S. 17.
107
557
85—89 ... In der nebenstehenden Kurve ist die Abszisse nach den fortlaufenden Index-
stufen zu je 5 Indexzahlen geteilt und als Ordinaten über jede Stufe die auf sie treffende
Anzahl der Schädel eingetragen.
Kurve II der 70 altperuanischen Schädel
nach je 5 Index-Stufen geordnet.
60—64
65—09
10—74
—'19
80—84
85—89
90—94
95—99
100—104
105—109
110—114
115—119
Der Haupt-Index unserer seriierten Peruanerkurve fällt bei Berücksichtigung der
5 zifferigen Indexstufen auf die I. Stufe der Brachycephalie Index 80—84. Die Kurve zeigt
jetzt eine gut geschlossene Form: neben einem nicht unbedeutenden Stock von Dolicho-
cephalen und Mesocephalen, Index 68— 79, erscheint das hohe Übergewicht der Brachy-
cephalen aller, auch der extremsten Stufen, Index 80—112. Sehr charakteristisch erhebt
sich die Kurve noch einmal über der V. Stufe der sicher durch Deformation gesteigerten
Brachycephalie, Index 100—104, um dann rasch zu den allerextremsten Breitformen der
Stufen VI und VII abzufallen.
Es ergibt sich ja ohne weiteres, daß solche Kurven wie Kurve I und II der defor-
mierten Paruaner-Schädel in einer geschlossenen Serie von Schädeln einer normalen Be-
12=
©
558
völkerung niemals vorkommen können, die individuelle Variation geht hier über alles als
normal von der Natur erlaubte Maß hinaus. Aber immerhin ist es charakteristisch, daß
die II. Kurve der Peruaner eine gewisse Ähnlichkeit mit der Kurve der altbayerischen
Schädel von Altötting auf Kurve I nicht verkennen läßt. Auch die Altbayern haben als
Haupt-Index der Kurve die I. Stufe der Brachycephalie mit Index 80—84. Der Haupt-
stock der deformierten brachycephalen Alt-Peruaner. war nicht wesentlich
kurzköpfiger als unsere modernen Altbayern, für welche ich in ihrer Gesamtheit,
nach Messungen von 1000 Schädeln aus den verschiedenen altbayerischen Landesteilen als
Hauptindex 83 gefunden habe.!) Der Eindruck, welchen die überwiegende Mehrzahl der
Peruaner Kurzköpfe während ihres Lebens auf den Beschauer gemacht haben, kann sonach
von dem wenig verschieden gewesen sein, welchen im Hinblick auf ihre Kurzköpfigkeit
unsere Gebirgs- und Vorgebirgsbevölkerung heute hervorbringen. Dazu kommt noch,
wie ich in der I. Abhandlung ausgeführt und durch eine Abbildung illustriert habe,?) daß
durch die diehten und langen Kopfhaare der Alt-Peruaner die Schädelform in hohem Maße
verdeckt worden ist, so daß auch stärkere Deformationen sich während des Lebens ver-
bergen mußten.
2. Längenhöhen-Index.
Wie die extremen Grade der Brachycephalie der deformierten Altperuaner-Schädel weit
über alles hinausgehen, was man als normale Kurzköpfigkeit bei irgend einem Volke der
Erde beobachten kann, so erhebt sich auch ihre Hochkópfigkeit weit über das normale Maß.
Auch in dieser Beziehung bestätigen und ergänzen die neuen Messungen unsere älteren.
Ich habe in der I. Abhandlung S. 15 (643) die Einzelwerte der Längenhöhen-Indices
in ähnlicher Weise nach je 5 Indexstufen seriiert, wie das schon allgemein für die Längen-
breiten-Indices geschieht (s. oben).
Die Mittelgruppe bilden für die Lingenhóhen-Indices die Orthocephalen mit
Index 70—74. Nach unten schließen sich an die Chamaecephalen I. Stufe mit Index
69—65; IL Stufe mit Index 64—60 ... Nach oben reihen sich an die Orthocephalen die
Hysicephalen I. Stufe 75 —79, II. Stufe 80—84, III. Stufe 85—89, IV. Stufe 90—94...
Unter den brachycephalen Altbayern, welche wir wieder als den Typus einer
normalen geschlossenen Bevólkerung heranziehen, kommen Chamaecephalen überhaupt nur
recht selten vor, den Hauptstock bilden die Orthocephalen und die Hypsicephalen der
I. Stufe, solche der II. Stufe finden sich nur vereinzelt, die höheren Stufen fehlen ganz.?)
In der Gesamtserie unserer 70 Altperuaner-Schädel beginnt die Indexreihe des
Längenhöhenverhältnisses mit Index 68,88 I. Stufe der Chamaecephalie und reicht bis 98,53,
V. Stufe der Hypsicephalie. Die folgende Tabelle stellt die beobachteten Einzelwerte
zusammen.
1) J. Ranke, Beiträge zur physischen Anthropologie der Bayern. II. Abschnitt, S. 23.
?) J. Ranke, Über Altperuanische Schädel ete. I. Abhandlung, 1900. Abh. d. K. B. Akad. d. W.
II. Kl. XX. Bd. III. Abt., S. 79 (707), Tafel 8.
3) J. Ranke, 1l. e, Tabelle IV, S. 15 (643).
559
Tabelle II.
Längenhöhen-Index und Längenbreiten-Index von 70 Altperuaner Schädeln
von Ancon und Pachacamác.
A = Ancon; P = Pachacamäc; die unbezeichneten Schädel sind unbestimmt, von welchem
der beiden Fundplätze. Bezeichnung wie in Tabelle I.
! Ba Y» h 288 nn
FEMMES SEHE EST ER AUR 2 ENT
CELESTE se IU UG
Chamaecephale: 65 = Hypsicephale: SRWENS2 TIGEN. 91,50
I. Stufe 66 HE | IL. Stufe 83 2509 A. 100,0
Ze 67 — 83,01 106,
Index 65—69 68 68,88 N 69,44 | Index 80—84 83.13 78.13
9 69,40 TTS | 85293 P 10434
Orthocephale: 70 70,65 80,53 | 83,93 D 101,92
Index 70—74 7083 A 8035 | 83,64 83,03
71 151, A 80123, | 8389 P 99,32
rà s NN 80,84 | Gu-- enm X 92,35
72 72,19 80,55 8499 P 85,47
72,25 68,291 | 84,77 84,11
7262 P 13,88 III. Stufe 85 85,12 83,93
73 = | Index 85—89 8518 P 88,89
74 74,86 68,95 | 86 8642 P 86,42
Hypsicephale: 75 D 9 79,57 56,42 91,36
I. Stufe 75,9 A 8109 | Quos P PUE
T KE 76 7640 P 79,77 (86,93) P (112,48
Index 73—79 7647 P 8647 87 8709 P 9161
716,47) A, 1185,29. | 8726 P 95,96
7661 P 8421 88 883 A 89,03
77 77,85 93,04 88,57 101,43
78 78,16 71,55 | 89 8933 A 98,66
78,21 73,18 8947 A 94,73
7857 A 8244 89,8 P 109,77
79 7900 P 87,27 : 90 9013 P 83,88
7901 A 7284 IV. Stufe 91 - 91,39 100,00
7975 A 74,68 Index 90—94 99 ES
Il. Stufe 80 8000 P 8494 | 93 93,08 P 89,24
Index 80—84 80,00 A 87,86 V. Stufe 93,13 88,13
8000 P 91,82 ee c
8004 P 1634 Links Gr tn 95 9517 101,30
8047 P 84,61 95,52 P 100,0
80,63 103,52 | 969 er
80,98 85,27 a >
81 8101 P 74,01 98 98,10 93,04
EEE N 85,39 98,53 102,16
81,22 79,22 99 —
8158 P 103,29 | 100 —
51,67 84,28 |
8193 P 10615 |
In Tabelle II stelle ich neben den Längenhöhen-Index auch den Längenbreiten-Index.
Die Vergleichung beider läßt auf den ersten Blick kaum eine Übereinstimmung er-
kennen, wie man eine solche doch im allgemeinen erwarten müßte.
Bei der Berechnung der Mittelwerte der einzelnen Indexstufen, wobei ich die beiden
letzten Stufen der Hypsicephalie, um auch hier eine etwas größere Anzahl der Einzelwerte
zu erhalten, zusammengefaßt habe, ergibt sich aber doch das vorauszusetzende Resultat
freilich nur auf Kosten der Unterdrückung der störenden individuellen Variation.
. 560
Hilfs-Tabelle.
Mittelwerte der Längenhöhen-Indices und Längenbreiten-Indices der 70 Altperuaner Schädel.
Längenhöhen- Längenbreiten-
Index Index
2 Chamaecephale 69,14 70,98
7 Orthocephale 12,39 76,05
18 Hypsicephale I. 71,64 81,14
24 I. 81,92 90,52
12 : IIT. 87,46 93,29
8 5 INNE 94,37 84,71
Als Resultat ergibt diese Zusammenstellung der Mittelwerte der einzelnen Stufen
des Lüngenhóhen-Index mit den Mittelwerten der darauf treffenden Lüngenbreiten-Indices
ein gleichartiges Ansteigen beider Werte von der Chamaecephalie bis zur extremsten
Hypsicephalie. Mit der durch die Deformation hervorgerufenen Verbreiterung der Schädel
hält sonach auch eine entsprechende Erhöhung derselben im allgemeinen gleichen Schritt
und vice versa. Ein Resultat, welches bei der relativen Unzusammendrückbarkeit des Gehirns
resp. des ganzen Schädelinhalts theoretisch vorauszusehen war. Die Deformation in der
einen Richtung wird durch Deformation in der anderen kompensiert. Dadurch erklärt sich
ja auch der geringe oder vielmehr fehlende Einfluß der rein mechanischen Deformation
auf das Gehirn und seine Funktionen, die sich nur einstellen, wenn eigentlich pathologische
Momente mit ins Spiel kommen.
3. Der Innenraum des Hirnschädels.
Über die aus meiner ersten Untersuchung sich ergebende auffallende Kleinheit der
deformierten Altperuaner-Schädel und ihres Innenraumes der Gehirnkapsel habe ich dort
ausführlich berichtet und den Gedanken zurückweisen kónnen, als erklüre sich diese Klein-
heit der Schüdel aus den Einflüssen der Deformation.
Wie Morton so war auch R. Virchow die Kleinheit aufgefallen.) Unter den
134 Schüdeln aus Ancon u. v. a. „sind, sagt letzterer, ausgemachte Nannocephalen ohne alle
Deformation sehr häufig“, so „3 Schädel aus Pachacamáe zu 1060, 1100 und 1192 cem
Rauminhalt. Daraus geht hervor, daß es gänzlich untunlich ist, bei einem deformierten
Schädel die etwa vorgefundene Kleinheit ohne weiteres der Deformation zuzuschreiben*.
Ich kam nach Skelettmessungen zu dem Schluß: „die Kleinheit des Hirnraumes
der Schädel erklärt sich aus der geringen Körpergröße der betreffenden Be-
vólkerung*.
Nach den Knochenmessungen kam ich nach Humphry-Topinards?) Methode der
Berechnung der Körpergröße aus der Länge der langen Skelettknochen (hier Femur) zu
nahezu zwerghaften Maßen, für
1 Mann 1465 mm,
1] Weib 1161 , beide erwachsen.
) J. Ranke, Über Altperuanische Schädel etc. S. 112 (740).
?) P. Topinard, Eléments d'Anthropologie générale. Paris 1885. S. 474.
561
Ich habe nach den neuen Untersuchungen dem dort Gesagten nichts hinzuzufügen.
Die folgende Tabelle III vereinigt wieder die Resultate der Kapazitätsbestimmungen aller
70 zur Vergleichung verfügbaren Schädel, soweit die Bestimmung ausführbar war, zu einer
Gesamtreihe. Die Bezeichnungen entsprechen den beiden ersten Tabellen. Von einer
Trennung nach den Geschlechtern sehe ich für diese Zusammenstellung ab.
R. Virchow bezeichnete die Schädel mit einer Kapazität über 1600 com als Kepha-
lone; Schädel mit einer Kapazität von 12— 1600 ccm als Euricephale; mit einer
Kapazität unter 1200 cem als Nannocephale.
Tabelle III.
Der Schädelinhalt von 60 Altperuaner Schädeln aus Ancon. und Pachacamác.
c Schüdel- * Schädel-
Se ds inhalt Fundort NG da inhalt Fundort
Schädel i ecni Schüdel E
24 Euricephale | (13) 1190 IB
1600—1200 | (36) 1190 P Kind
16 1510 P 4 1180 P
I 3 1180 P
1 1430 B uS 3
c BET (37) 1150
i i350 E | (3) 1175
33 1350 A e ed
= 11 1175, ip
(7) 1340
2 29 (9) 1170
(5) 1330 E T
; vd (20) 1170
(19) 1325 z -
D 2 (21) 1170 P
26 1320 A
na (10) 1165 12
= 1315 E 14 1130 P
(23) 300 © :
= e | (5) 1130 P Kind
17 1290 IB | (24) 1130 P
8 1280 B e
( - | (27) 1130
(11) 1270 P xis
= SA 9 1125 12
1o 1265 jg (22 1125 P
2 2e5 92) D,
d 1202 5 (3) 1120 Kind
(26) 1265 A 22 GE 1
10 1260 P (33) 1105 P Kind
6 1230 P | (30) 1105 Kind
(29 GE | (32) 1095 A Kind (schwer pathologisch)
29) 1225 =
BE 55] ) 31 1090 A
25 1220 A 2,
15 Tu 18 1080 A
5 1215 ID S EA
2329 1215 A 30 1070 A
ze a 29 1060 A
(25) 215 97 =
= 205 27 1050 A
5 1205 P (28) 1040
19 1200 A en 2 ;
(31) 1035 A Kind
38 Nannocephale, darunter 9 Kinder o 1029
a UR 22 1000 A
LIS | (35) 999 Kind
12 1190 IB (14) 965
28 1190 A
20 1190 A Kind
Unter den 60 Schädeln sind nur
25 Euricephale
von 1200—1510 cem Kapazität. Im Mittel beträgt ihre Kapazität nur ca. 1300 cem; nur
10 Schädel messen 1300 und darüber und 1430 und 1510 nur je einer.
562
Von den
39 Nannocephalen
gehören 23 zu der Gruppe 1100 (1190—1105). 12 Schädel bleiben mit ihrer Kapazität
unter 1100, die Gruppe 1000 (1095—1000) umfaßt 10 Schädel; unter 1000. finden sich
noch 2 Schädel.
Unter den Nannocephalen sind 9 Kinderschädel, 2 davon stehen mit 1190 cem an
der Spitze dieser Gruppe; 5 andere stehen mitten zwischen den nannocephalen Schädeln
Erwachsener, nur 2 gegen das Ende der Reihe. Die Kapazität der Schädel Erwachsener
bleibt sonach vielfach unter der Kapazität, welche Kinderschädel des gleichen Volkes
während des Zahnwechsels schon erreicht haben.
Die Tabelle III: Gesamttabelle der Schädelkapazität zeigt wieder, daß sich die Schädel -
der Gaffron-Sammlung vollkommen einordnen in unsere älteren Reihen, so daß unser
Resultat, welches wir aus jenen ableiteten, auch in dieser Beziehung keine Änderung erleidet.
Nach Prozenten berechnet haben wir
Euricephale 42°],
Nannocephale 58°/o,
darunter 9 Kinder im Zahnwechsel.
Unsere Alt-Peruaner von Ancon und Pachacamäc scheinen sonach eine
kleinschädelige und kleinhirnige Rasse gewesen zu sein, entsprechend
ihrer schon in der ersten Abhandlung konstatierten auffallend geringen
Körpergröße.
563
3.
Einzelbeschreibung der 37 Schàdel der Gaffronschen Sammlung.
Zum rascheren Verständnis der folgenden Schädelbeschreibungen wiederhole ich zu-
nüchst R. Virchows klassische Formanalyse der deformierten amerikanischen
Schädel.!) In seiner Crania ethniea Americana beschreibt er folgende Hauptformen der
Schüdeldeformation.
I. Künstliche Kurzköpfe, Brachycephali artificiales, vier verschiedene Formen.
1. Die rein occipitale Deformation, Abflachung des Hinterkopfes und
dadurch Verkürzung des Schüdels. Die gewöhnliche Form von Ancon, sagte R. Virchow,
findet in der brachycephalen Abplattung des Hinterkopfes ihre Erklürung. Die Abflachung
betrifft manchmal fast die ganze Oberschuppe des Hinterhauptsbeins oder wenigstens
einen großen Teil desselben. öfter ist aber nur die Spitze der Schuppe (der Lambdawinkel)
abgeplattet, dann greift die Abplattungsfläche auch auf die benachbarten Partien der
Scheitelbeine über, welche manchmal fast ausschließlich betroffen sind.
Im strengen Sinne des Wortes habe ich bei den mir vorliegenden Schüdeln sowohl
aus Ancon wie aus Pachacamäe, überhaupt an keinem unserer Altperuaner-Schüdel, eine
reine occipitale Deformation konstatieren können. Es zeigen sich mit der Abflachung
des Hinterkopfs stets, wenn auch manchmal nur in geringem Grade, Deformationen am
Vorderkopf beziehungsweise an der Stirn und meist in etwas höherem Grade in der Gegend
der Kranznaht. Zu der Abplattung der Oberschuppe des Hinterhauptsbeins in ihren
sehr wechselnden Graden gesellt sich bei mehreren Schädeln auch ein gleichzeitiges Flach-
liegen der Unterschuppe. Ober- und Unterschuppe liegen bei solchen Schädeln fast in
ihrer ganzen Ausdehnung annähernd in einer Ebene, ohne die normale Abknickung der
beiden Abschnitte gegeneinander zu zeigen. Ist gleichzeitig die Stirnpartie stark abgeflacht,
so verlaufen Stirn- und Hinterhaupt einander nahezu parallel und die Schädel erhalten
damit, wenn man sie auf das im ganzen abgeflachte Hinterhaupt legt, die Form eines
ziemlich flachen Kuchens. Nach der deutschen Horizontale aufgestellt, erscheinen diese
Schádel in der Seitenansicht nach oben zugespitzt.
2. Die rein frontale Deformation, Abflachung der Stirn. Anstatt der
normalen Wölbung des Stirnbeins erscheint das letztere über den Augenbrauenbogen ab-
!) J. Ranke, Über altperuanische Schädel etc., S. 4 (632) f.
Abh. d. IT. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 73
564
geflacht, in extremen Fällen sind auch die Stirnhócker abgeplattet. Diese Form ist weit
seltener als die erste und dritte.
Auch diese Form Virchows habe ich bisher niemals rein beobachtet, sondern stets
mit anderen Deformationszeichen verbunden.
3. Oceipital-frontale Deformation, gleichzeitige Abplattung des Hinterhaupts
und der Stirn und dadurch Verkürzung des Schädels. Hier ergeben sich zwei resp. drei
Unterformen.
a) Künstliche Hochkópfe, Thurmkópfe, Hypsicephali artificiales. Durch den
Druck von vorn und hinten im occipital-frontaler Richtung erscheint der Schädel verkürzt
und verbreitert durch Hervorbuchtung der Schläfengegend, und die Scheitelgegend ist mehr
oder weniger turmartig in die Höhe gepreßt.
b) Künstliche Hochkópfe, Zuckerhutköpfe, Oxycephali artificiales.
c) Künstliche (brachycephale) Flachköpfe, Chamaecephali (brachycephali) arti-
ficiales. Die Schädel erscheinen durch Druck in oceipital-frontaler Richtung (wie a) ver-
kürzt und verbreitert, außerdem aber noch durch einen annähernd senkrecht nach unten
wirkenden Druck auf den Scheitel erniedrigt. Solche Schädel sind unter den heutigen
Indianerstimmen, namentlich der Nordwestküste, verbreitet und unter dem Namen Flach-
köpfe, Flatheads, bekannt und beschrieben.
II. Künstliche Langköpfe, Dolichocephali artificiales, Langköpfe, Longheads.
Auch diese künstlichen Langköpfe sind nach der Beschreibung R. Virchows chamae-
cephal, sie unterscheiden sich aber von den Flatheads nicht nur durch künstliche Brachy-
cephalie und Dolichocephalie, sondern den Longheads fehlen die für die Flatheads charakte-
ristischen Druckflichen auf dem Scheitel; bei jenen ist das Schädeldach nicht sowohl für
sich abgeflacht als im Zusammenhang mit der allgemeinen künstlichen Zylinderform
des Hirnschädels erniedrigt, so daß ihre Gesamtform extrem gesteigerter Dolichocephalie
entspricht.
Die I3b erwähnte Zuckerhutform, die künstliche Oxycephalie, ist zwar, wie
R. Virchow ausführt, mit künstlicher Brachycephalie verbunden, „erscheint aber der
künstlichen Dolichocephalie insofern verwandt, als der Hirnschüdel — wenn auch nicht
zylindrisch von vorn nach hinten — so doch gerundet konisch nach oben in die Scheitel-
partie verlängert resp. erhöht ist“.
Die Ähnlichkeit der beiden Formen führt R. Virchow auf die Ähnlichkeit der hypo-
thetischen Deformierungsmethoden zurück, beide sollen durch Druckbinden, welche durch
kreisfürmig von vorn nach hinten vorschreitende Umschniirung wirken, hervorgebracht
werden.
Mit Ausnahme der „Zuckerhutform® habe ich alle die Virchowschen Typen der
Deformation in unseren Schädelserien aus Ancon und Pachacamáe konstatieren können, aber
freilich nicht als reine Typen. Stets war eine Mannigfaltigkeit der deformierenden Ein-
wirkungen nachzuweisen, wodurch die individuelle Schädelform mehr oder weniger aus-
gesprochene Abweichungen von dem „reinen“ Typus erkennen ließ. Am wenigsten stimmen
meine Beobachtungen mit dem einfachen Schema der künstlichen Erzeugung der Scheitel-
abflachung der Flatheads und „kreisförmig von vorn nach hinten vorschreitende
Umschnürung durch Druckbinden“ habe ich niemals konstatieren können.
565
Die im folgenden gegebenen Einzelbeschreibungen der Schädel werden am besten
zeigen inwiefern meine Ergebnisse von denen Virchows und fast aller früheren Autoren
abweichen. A
Zur Erklärung einiger bei den folgenden Schädelanalysen nur kurz an-
gegebenen Verhältnisse, welche sich fast für jeden Schädel wiederholen, möchte ich
die bei der Schädelbeschreibung von mir gewissermaßen als Termini technici verwendeten
Ausdrücke vorausgehend etwas näher besprechen.
Zunächst die Koronalrinne, welche ich bei keinem der Schädel vollkommen ver-
misse. In typisch ausgebildeten Fällen zieht sich den beiden Seitenhälften der Koronalnaht
entlang, die Bregma-Partie, d. h. das vordere Ende der Pfeilnaht vom Drucke in der Breite
von ein bis zwei Fingern meist sehr deutlich freilassend, eine mehr oder weniger tiefe,
etwa fingerbreite Rinne nach abwärts, die Koronalrinne. Ihr „vorderer Wall“ wird im
wesentlichen von der oberen Kantenpartie des Stirnbeins gebildet, der „hintere Wall“ von
den entsprechenden vorderen Randpartien der Scheitelbeine. Die Kranznaht selbst läuft
meist nicht in der Tiefe der Rinne, sondern ist auf der Innenseite des „vorderen Walls“
gelagert. In der Lage entspricht die Koronalrinne den Einbuchtungen der europäischen
Sattelköpfe.
Mit der Koronalrinne verbinden sich besonders deutlich bei den künstlichen Dolicho-
cephalen und vor allem bei den „dreigelappten“ Schädeln, welche ich Schädel mit zwei-
gelapptem Hinterhaupt nenne, noch weitere Druckfurchen, deren Verlauf bei den
folgenden Schädelbeschreibungen im einzelnen dargestellt werden mu.
Die Koronalrinne charakterisiert sich zweifellos als eine Druckwirkung. Durch den
sie erzeugenden Druck werden gewissermaßen die vom Druck freigebliebenen Schädelpartien
.wallartig^, wie eben beschrieben, in die Höhe gewölbt, was sich dann mit den Wirkungen
benachbarter Deformationen in etwas verschiedener Weise kombiniert. Das gilt namentlich
für das Stirnbein.
Nach meinen Beobachtungen besteht, wie ausnahmslos nachzuweisen, die frontale
Deformation aus zwei getrennten Druckflächen auf den oberen seitlichen Partien
des Stirnbeins. Nach unten erreichen sie vielfach die Stirnhöcker nicht, in manchen Fällen
werden letztere an ihren oberen Rändern vom Druck berührt, selten werden sie ganz in
die Druckflächen einbezogen. In der Mitte der Stirn nähern sich die beiden seitlichen
Druckflächen mehr als oben; auf diese Weise bleibt in ganz charakteristischer Weise ein
Teil der Stirn vom Drucke frei. Die nicht eingedrückten Partien heben sich dadurch,
wie gesagt, gewissermaßen über die eingedrückten und abgeflachten Stellen. Die ganze
obere Randpartie des Stirnbeins vor der Koronalrinne ,wólbt* sich dadurch als künst-
licher Stirnwulst über beide Druckflächen hervor. Nach abwärts bleibt in der Mitte
der Stirn eine annähernd dreieckige Stelle, mit ihrer Basis mit dem Stirnwulst verbunden,
uneingedrückt: ich bezeichne sie als künstliches Stirnbeindreieck. Das letztere sendet
einen der Stirnmitte in sagittaler Richtung entsprechenden, ebenfalls vom Druck freien
Ausläufer, mehr oder weniger schmal, nach abwärts, welcher sich zwischen den sich hier
stärker nähernden Druckflächen als künstlicher Stirnbeingrat gewissermaßen erhebt.
Stirnbeingrat, Stirnbeindreieck und Stirnbeinwulst sind danach die zusammenhängende,
von der frontalen Deformation nicht betroffene obere und mittlere Stirnbeinpartie. Ihre
Erhebung ist nur eine relative über das Niveau der abgeplatteten Stellen. Da einmal
723%
(2
566
der Stirngrat, ein andermal das Stirnbeindreieck oder der Stirnwulst energischer hervortritt,
habe ich an der schon in der ersten Abhandlung gebrauchten Einzelbezeichnung der drei
Abschnitte der undeformierten Stirnbeinpartie festgehalten.
In einem Fall berühren sich in der Mitte der Stirn die beiden Druckflächen, so daß
der untere Abschnitt des Stirnbeingrates etwas mit abgeplattet und hier sonach eine ge-
meinsame mittlere Druckfläche erzeugt wird, zu welcher von beiden Seiten her sich die
typischen frontalen Druckflüchen zusammenneigen.
In wenigen Füllen überschreiten die frontalen Druckflüchen an den Seiten den Stirn-
beinwulst, so daß sie sich mit der Eintiefung der Koronalrinne vereinigen.
Die speziellen Deformationen, entsprechend dem Ende der Sagittalnaht und den beiden
seitlichen Schenkeln der Lambdanaht mit mehr oder weniger breiter Einbeziehung der den
Nähten anliegenden Knochenpartien, sind ohne die Einzelbeschreibung der betroffenen
Schädel kaum verständlich, ich verzichte daher an dieser Stelle auf ihre nähere Beschrei-
bung. Nur das sei noch hervorgehoben, daß bei sehr vielen Schädeln eine deutliche, öfters
starke und breite Druckfurche, Schnürfurche, von den hinteren unteren Seitenpartien rechts
und links über die Mitte des Hinterhaupts horizontal hinzieht, letzteres also umfassend.
567
Fig. 1. Mit Tafel 1.
o
Kindlieher Schädel ohne Unterkiefer. Gut ausgeprägte Koronalrinne; sie entsendet eine
schwächere Fortsetzung nach vorwärts und unten, eine stärkere nach hinten, welche über den
hinteren unteren Winkel des Scheitelbeins auf die Hinterhauptsschuppe jederseits übergreift. Hier
vereinigen sich beide Rinnen, so daß der Schädel horizontal in dieser Richtung ganz umgriffen
erscheint. Der Scheitel und das Hinterhaupt sind nach hinten und oben gewölbt, die Ober- und
Unterschuppe schief aufwärts gerichtet. die normale Knickung zwischen beiden fehlt fast voll-
kommen, so daß beide streckenweise nahezu in einer Fläche verlaufen. Die Partie um die
Spitze der Oberschuppe mit den angrenzenden Scheitelbeinen zeigt eine Abplattung, occipitale
Deformation. Die Stirnbeinabflachung ist ziemlich stark und ganz typisch. Auf den beiden
Seitenhälften des Stirnbeins zeigen sich flache Druckflächen, welche die Stirnhöcker frei lassen,
ebenso die mittleren und oberen Stirnbeinpartien. Die nicht abgeflachten Stellen erheben sich
über die abgeflachten, dadurch entsteht ein über die Mitte des Stirnbeins sich erhebender sagit-
taler Mittelgrat: Stirnbeingrat, nach unten schmal, nach oben sich verbreiternd: Stirnbein-
dreieck. Letzteres geht in den vom Koronalrand des Stirnbeins gebildeten vorderen Wall der
Koronalrinne über, welche im Hinblick auf das Stirnbein als Stirnbeinwulst erscheint. Typisch
sind sonach zwei Druckflächen rechts und links auf dem Stirnbein, dazwischen der Stirnbeingrat,
welcher in das Stirnbeindreieck und dieses in den Stirnbeinwulst resp. die relativ undeformierten
Partien des Stirnbeins übergehen: frontale Deformation.
Die Nähte und die Sphenobasilarfuge offen, wenig, kleine Schaltknochen in der Lambda-
naht und jederseits ein soleher in der Gegend der hinteren Seitenfontanelle.
Schädelform an der Grenze der Brachycephalie, Längenbreiten-Index 80,55; Längenhöhen-
Index 72,19 — orthocephal.
Die Schädelkapazität unbestimmbar — — eem; der Horizontalumfang 465; der ganze
Sagittalbogen 337 mm. Der Schädel ist schwach prognath 80°.
Die Gesiehtsbildung ist zart, mittelbreit, Index 50,00 — mesoprosop. Fossa canina flach,
die Wangenbeine und die zarten Jochbogen angelegt; die Nase hoch und schmal, Index 41,72
— leptorrhin, Nasenstachel kräftig; das Nasendach ziemlich schmal und lang, ziemlich gerade.
Augenhóhlen weit, gerundet, Index 97,22 — hypsikonch. Ohróffnungen hoch-oyal. Gesicht
schief. Gaumen mäßig tief und kurz, schief, Index 81,39 — mesostaphylin. Alveolarfortsatz
kurz. Die Zähne sind noch im Zahnwechsel begriffen, vom Dauergebiß sind schon vorhanden:
die Schneidezähne und jederseits der erste Prämolar und der erste Molar, die zweiten Molaren
sind im Durchbreehen, die Eckzáhne noch tief in den Alveolen. Alter ca. 9 Jahre.
Uebersicht der Maasse.
Kapazität — cem ] "Ganze Gesichtshöhe
Größte horizontale Länge 162mm Obergesichtshöhe
= Breite 130,5 Jochbreite i
Gerade Hóhe [29 Gesichtsbreite (Virchows)
Ohrhöhe 106 Augenhöhlen-Höhe
Horizontale Länge des Hinterhaupts 127 5 -Breite
Basilare Lünge des Vorderhaupts 64 Nasen-Hóhe
Horizontalumfang 465 „ -Breite
Sagittalumfang des Stirnbeins 109 . Gaumen-Lünge
z der Scheitelbeine 112 , -Breite
a „ Hinterhauptsschuppe 116 Gesichtswinkel
Ganzer Sagittalbogen 337
Kleinste Stirnbreite 85
Länge der Schädelbasis 76
Breite „ ^ 05
Berechnete Indices,
Lüngenbreiten-Index 80,55 Obergesichts-Index . 50,00
Längenhöhen-Index 72,19 Augenhóhlen-Index 97,22
Ohrhóhen-Index 62,72 Nasen-Index 41,72
Hinterhaupts-Index 75,15 Gaumen-Index. 81,39
í her n-
A Allgemeine Analyse: : na
> "isTh
braehycephal, orthocephal, mesoprosop (chamaeprosop), hypsiconch, leptorrhin, mesostaphylin, prognath.
x
ni
ide ; nib BE x
nii baje | "2
569
Erwachsener, wahrscheinlich weiblicher Schädel ohne Unterkiefer. Die Deformationen
sind relativ wenig ausgesprochen. Auffallend erscheint eine gewisse Flachheit der Scheitel-
gegend des im allgemeinen recht niedrigen Schädels, rechts und links von der ersten Hälfte
der Sagittalnaht zeigt sich je eine ca. zwei Finger breite Abflachung, wie sie, freilich weit
stärker, bei den Schädeln mit zweigelapptem Hinterhaupt sich zeigt. Die Koronalrinne ist im
ganzen schwach; die Stirnabflachung ist rechts stärker als links. Das Hinterhaupt erscheint
trotz einer deutlichen oceipitalen Abflachung noch ziemlieh gerundet. Die Unterschuppe des
Hinterbauptbeins ist mit in die Höhe gewendet, so daß sie in der Norma occipitalis großenteils
sichtbar ist. Zwischen Ober- und Unterschuppe des Hinterhauptbeins verläuft eine gut aus-
geprägte Querfurche (s. die oben erwähnten Schädel).
Die Nähte sind alle offen und fast vollkommen normal, nur in den hinteren Seitenfonta-
nellen kleine Schaltknochen. Die Sphenobasilarfuge verknöchert; die Zitzenfortsätze auffallend
gering ausgebildet.
Der Schädel ist doliehocephal, Längenbreiten-Index 71,13; Längenhöhen-Index 69,04 —
chamaecephal. Die Kapizität beträgt 1025 cem; der Horizontalumfang 462, der ganze Sagittal-
bogen 332 mm. Der ganze Gesichtswinkel beträgt 819 — schwach prognath, stärkere alveolare
Prognathie.
Das Gesicht ist schmal, Index 54,83 — leptoprosop. Jochbeine und Jochbogen angelegt;
Fossa canina relativ tief. Augenbrauenbogen sehr schwach. Augenhöhlen hoch und gerundet,
Index 102,79 — überhypsieconch. Die Nase ist im ganzen schmal, Index 42,71 — leptorrhin;
Nasenrücken gut gewölbt, Nasenbeine ziemlich schmal. Ohröffnung rundlich.
‘Während des Lebens waren alle Zähne des Dauergebisses vorhanden, der 3. Molar jeder-
seits sehr klein, stiftartig.
Lebensalter zwischen 20 und 30 Jahren.
Uebersicht der Maasse.
Kapazität 1025 ccm Ganze Gesichtshöhe — mm
Größte horizontale Länge 168 mm Obergesichtshóhe 63,5
, Breite 119,5 Jochbreite 116
Gerade Höhe 116 Gesichtsbreite (Virchows) 89
Ohrhóhe 100 Augenhóhlen-Hóhe 37
Horizontale Länge des Hinterhaupts 106 » -Breite 36
Basilare Länge des Vorderhaupts 67 Nasen-Höhe 48
Horizontalumfang 462 „ -Breite 20,5
Sagittalumfang des Stirnbeins 111 Gaumen-Lünge 49
É der Scheitelbeine 106 , -Breite 33,5
- , Hinterhauptsschuppe 115 Gesichtswinkel 81?
Ganzer Sagittalbogen 332
Kleinste Stirnbreite 88
Länge der Schädelbasis 84
Breite , - 95
Berechnete Indices.
Lüngenbreiten-Index 71,18 Obergesichts-Index 54,83 (71,38)
Lüngenhóhen-Index 69,04. Augenhóhlen-Index 102,79
Ohrhóhen-Index 59,53 Nasen-Index 42,71
Hinterhaupts-Index 63,09 Gaumen-Index 68,57
Allgemeine Analyse:
O?, doliehocephal, chamaecephal, leptoprosop, hypsiconch, leptorrhin, leptostaphylin, schwach prognath
(vorwiegend Alveolarprognathie).
Qt
-1
[5
Kindlicher Schädel, ohne Unterkiefer. Koronalrinne gut ausgebildet, etwa daumenbreit,
wie gewöhnlich verläuft die Kranznaht etwas gehoben in der Hinterwand des Vorderwalles der
Koronalrinne. Letztere geht ungeteilt jederseits bis zur Mitte der Kranznaht, hier gabelt sie sich,
jederseits geht ein schwacher Eindruck gegen die vordere untere Ecke des Scheitelbeins, nach
unten und vorn, ein zweiter flacherer, der sich nach hinten verbreitert und vertieft, läuft über den
unteren, hinteren Winkel des Scheitelbeins und über die untere Hälfte der Lambdanaht, diese
in einer Breite von ca. zwei Fingern überschreitend. In der Mitte der Hinterhauptsschuppe treffen
von beiden Seiten her die Furchen zusammen, eine einheitliche, breit rinnenartige horizontale Ver-
tiefung bildend. Von beiden Seiten her und von unten erscheint dadurch das Hinterhaupt zu-
sammengepreßt und der Schädel nach hinten verlängert. Die frontale Deformation zeigt zwei
breite Druckflächen, welche den oberen Rand des Stirnbeins in Daumenbreite freilassen, welcher
dadurch stark hervorgewölbt erscheint. Die beiden Stirnbein-Druckflächen lassen eine mittlere
Partie des Stirnbeins unter dem Stirnbeinwulst ziemlich frei und reichen bis an die Stirnhöcker,
von denen der rechte noch etwas abgeplattet ist. Unter den Stirnhöckern ist die Mitte der Stirn
nieht deformiert, dagegen scheinen sich seitlich die Abflachungen bis zum oberen Augenhöhlen-
rand fortzusetzen. Die oceipitale Abplattung ist gut ausgesprochen als eine etwa zwei Finger
breite Fläche an der Spitze der Oberschuppe des Hinterhauptbeins und die angrenzenden Scheitel-
beinpartien. Die obere Grenze des Musculus temporalis resp. die ihr entsprechende halbkreis-
förmige Linie zieht nur etwa ein Finger breit über der Sehuppennaht hin, der Muskel war
sonach noch sehr klein und wenig entwickelt.
Die Nähte sind alle offen und gut ausgebildet. Schwache, rinnenfórmige Stenokrotaphie
der Schläfengegend. Ein kleiner Schaltknochen je in der hinteren Seitenfontanellgegend. Im
rechten Teil der Lambdanaht mehrere kleine Wormsche Knochen und fünf kleine Schaltknochen
in der Mastoidealnaht. Die Sphenobasilarfuge ist offen, die Kondylen des Hinterhauptbeins
noch nicht vollkommen verknöchert. Zitzenfortsätze entsprechend unentwickelt.
Der Schädel ist dolichocephal, Längenbreiten-Index 68,21; Längenhöhen-Index 72,25
— orthocephal.
Das Gesicht ist schmal, Index 53,27. Wangenbeine und Jochbogen angelegt; Augen-
hóhlen sehr hoch, gerundet, Index 100 — extrem hypsiconch. Nase ziemlich schmal, Index
50.56 — mesorrhin, mit bemerkenswert breiten und gut gewölbten Nasenbeinen. Ohróffnung
rundlich oval. Gaumen-Index 79,54 — leptostaphylin.
Abh. d. If. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 74
572
Die Kapazität beträgt 1020 cem; der Horizontalumfang 464; der ganze Sagittalbogen 352;
der Gesichtswinkel 82° — an der Grenze der Prognathie.
Das Milchgebiß besteht noch vollständig; dazu ist der erste bleibende Molar schon aus-
gebildet, das Lebensalter ist sonach etwas mehr als 7 Jahre.
Uebersicht der Maasse.
Kapazität 1020 cem Ganze Gesichtshöhe — mm
Größte horizontale Länge 173 mm Obergesichtshóhe 57
* Breite 118 Jochbreite 107
Gerade Hóhe 125 Gesichtsbreite (Virchows) 79
Oberhóhe 106 Augenhóhlen-Hóhe 36
Horizontale Länge des Hinterhaupts 113 a -Breite 36
Basilare Länge des Vorderhaupts 67 Nasen-Höhe 44,5
Horizontalumfang 464 „ -Breite 22,5
Sagittalumfang des Stirnbeins 118 Gaumen-Länge 44
3 der Scheitelbeine 121 » -Breite 35
: „ Hinterhauptsschuppe 113 Gesichtswinkel 829
Großer Sagittalbogen 352
Kleinste Stirnbreite 84,5
Länge der Schädelbasis 85
Breite , 3 86
Berechnete Indices,
Lüngenbreiten-Index 68,21 Obergesichts-Index 53,27 (72,98)
Längenhöhen-Index 72,25 Augenhóhlen-Index 100,00
Ohrhóhen-Index 61,27 Nasen-Index 50,56
Hinterhaupts-Index 65,32 Gaumen-Index 79,54
Allgemeine Analyse:
dolichocephal, orthocephal, leptoprosop, hypsiconch, mesorrhin, leptostaphylin, prognath (an der Grenze
der Prognathie).
573
Fig. 4.
Kindlicher Schädel im Zahnwechsel, ohne Unterkiefer, Gesicht zum Teil zerbrochen. Starke
Koronalrinne, welche sich beiderseits bis auf die unteren, hinteren Ecken der Scheitelbeine und
von da auf die Unterschuppe des Hinterhauptbeins, wo sich beide Rinnenschenkel vereinigen,
verfolgen läßt. Dadurch wird eine das ganze Hinterhaupt umgreifende Furche gebildet, wo-
durch dieses nach hinten und oben bombenförmig vorgewölbt erscheint. In der Gegend des
unteren Drittels der Kranznaht geht eine schwache Fortsetzung der Koronalrinne als Abflachung
über die Naht auf den hinteren Abschnitt des Stirnbeins über. Die kräftige Stirnabflachung
erstreckt sich jederseits auch auf die Stirnhöcker und wölbt den vorderen Wall der Koronal-
rinne, den Stirnwulst, seinerseits stärker in die Höhe. Ein Mittelgrat des Stirnbeins ist nur
schwach ausgebildet. Die Hinterhauptsabflachung ist ebenfalls nur unbedeutend an der Lambda-
spitze und den angrenzenden Ecken der Scheitelbeine.
Die Sphenobasilarfuge und alle Nähte sind offen, rechts und links Reste der fötalen
Hinterhauptsquernaht. Je ein Schaltknochen in der Gegend der fötalen hinteren Seiten-
fontanelle. Zitzenfortsätze entsprechend unausgebildet.
Der Schädel ist schwach brachycephal, Längenbreiten-Index 80,53; Längenhöhen-Index
70.65 = orthocephal. Die Kapazität beträgt — ccm; der Horizontalumfang 489; der ganze
Sagittalbogen 341 mm.
Der Profilwinkel beträgt 33°, der Schädel ist sonach orthognath. Das Gesicht zeigt
kindliche Formen, es ist niedrig, Index 50,00 — chamaeprosop. Wangenbeine angelegt; die
Jochbogen sind zerbrochen. Die Nase ist hoch, Index 45,45 — leptorrhin. Der Unterrand der
Apertura piriformis ist flach, breit, gerade verlaufend, die untere Begrenzung der Apertur er-
scheint dadurch fast eckig. Nasenstachel kräftig. Das zerbrochene Nasendach war breit. Die
Augenhöhlen sind weit und sehr hoch, Index 102,79, extrem hypsiconch. Augenbrauenbogen
fehlen. Ohröffnung rundlich. Alveolarfortsatz niedrig; Gaumen kindlich kurz, fast viereckig.
Das Milchgebiß war während des Lebens noch vollständig erhalten, dazu waren schon die
ersten Molaren des Dauergebisses ausgebildet. Das Lebensalter hatte sonach das 7. Jahr
überschritten.
74*
574
Uebersicht der Maasse.
Kapazität —— (gui Ganze Gesichtshóhe — mm
Größte horizontale Länge 167 mm Obergesichtshóhe 55
3 Breite 134,5 Jochbreite 110
Gerade Hóhe 118 Gesichtsbreite (Virchows) 88
Ohrhóhe 106 Augenhóhlen-Hóhe 97
Horizontale Lànge des Hinterhaupts 116 - -Breite 36
Basilare Lünge des Hinterhaupts 66 Nasen-Hóhe 44
Horizontalumfang 489 , -Breite 20
Sagittalumfang des Stirnbeins 112 Gaumen-Länge 43
; der Scheitelbeine 118 3 -Breite 37
» „ Hinterhauptsschuppe 116 Gesichtswinkel 830
Ganzer Sagittalbogen 341
Kleinste Stirnbreite 92
Länge der Schädelbasis 80
Breite „ 3 96
Berechnete Indices.
Lüngenbreiten-Index 80,53 Obergesichts-Index 50,00 (62,50)
Längenhöhen-Index 70,65 Augenhöhlen-Index 102,79
Ohrhóhen-Index 63,47 Nasen-Index 45,45
Hinterhaupts-Index 69,46 Gaumen-Index 86,05
Allgemeine Analyse:
brachycephal, orthocephal, orthognath, chamaeoprosop (mesoprosop), leptorrhin, hypsiconch,
brachystaphylin.
[or
-1
or
Nr. 5. Pachacamäc.
Fig. 5.
Kindlieher Schädel im Zahnwechsel, ohne Unterkiefer, frontal und oceipital deformiert.
Er zeigt eine breite, flache Koronalrinne, welche beiderseits eine Fortsetzung erkennen läßt zu
den unteren, hinteren Eekpartien der Scheitelbeine zur Unterschuppe des Hinterhauptbeins,
wo die Rinnen von beiden Seiten her sich vereinigen. Die Stirnabplattung ist typisch mit
Mittelgrat, Stirnbeindreieck und Stirnbeinwulst. Die Stirnhöcker sind etwas in den Bereich der
Abplattung einbezogen. Die oceipitale Deformation ist ziemlich stark, sie betrifft die Lambda-
spitze des Hinterhauptbeins und vor allem die angrenzenden Scheitelbeinpartien; trotz dieser Ab-
plattung ist aber der Schädel kaum verkürzt, da die Hinterhauptsschuppe durch die beschriebene
umgreifende „Druckrinne“ etwas nach hinten vorgewölbt erscheint.
Die Sphenobasilarfuge und Nähte sind vollkommen offen, in der Lambdanaht zwei kleine
Sehaltknóehelchen.
Der Schädel ist dolichocephal, Längenbreiten-Index 73,33; Längenhöhen-Index 72,62 =
orthocephal. Die Kapazität beträgt 1130 eem; Horizontalumfang 462; der ganze Sagittalbogen
350 mm.
Der Gesichtswinkel beträgt 81? — schwache Prognathie. Das Gesicht zeigt kindliche
Formen, schmal aber niedrig, Index 48,11 — chamae- bezw. mesoprosop. Die Nase ist schon
gut entwickelt, Index 44,29 — leptorrhin. Die Nasenbeine oben ziemlich sehmal, trotzdem das
Nasendach bemerkenswert gewólbt. Augenhöhlen weit, gerundet, Index 100,00 — extrem-
hypsiconch. Wangenbeine und Jochbogen angelegt. Ohröffnung schmal oval. Gaumen ziemlich
tief, Index 81,81 — mesostaphylin.
Während des Lebens war wohl noch das ganze Milchgebiß vorhanden, aber schon stark
abgekaut. Die ersten Molaren des Dauergebisses sind schon vollkommen entwickelt und etwas
abgekaut. Das Lebensalter betrug sonach etwa 7 bis 8 Jahre.
576
Uebersicht der Maasse.
Kapazität 1130 ccm Ganze Gesichtshöhe — mm
Größte horizontale Länge 165 mm Obergesichtshóhe 51
Breite 221 Jochbreite 106
Gerade Hóhe 122 Gesichtsbreite (Virchows) 78,5
Ohrhóhe 109 Augenhóhlen-Hóhe 33
Horizontale Länge des Hinterhaupts 110 2 -Breite 33
Basilare Länge des Vorderhaupts 64 Nasen-Hóhe 42
Horizontalumfang 462 , -Breite 19
Sagittalumfang des Stirnbeins 113 Gaumen-Länge 44
: der Scheitelbeine 124 „ -Breite 36
5 , Hinterhauptsschuppe 113 Gesichtswinkel 811/49
Ganzer Sagittalbogen 350
Kleinste Stirnbreite 82
Länge der Schädelbasis 82
Breite , » 94
Berechnete Indices.
Lüngenbreiten-Index 73,33 Obergesichts-Index 48,11
Längenhöhen-Index 72,62 Augenhóhlen-Index 100,00
Ohrhóhen-Index 64,88 Nasen-Index 44,29
Hinterhaupts-Index 65,47 Gaumen-Index 81,81
Allgemeine Analyse:
dolichocephal, orthocephal, chamaeprosop (mesoprosop) hypsiconch, leptorrhin, mesostaphylin, prognath.
577
Nr. 6
/
//
/
/
7 zT i
| ———
v
Fig. 6.
Kindlicher Schädel ohne Unterkiefer. Die Koronalrinne ist breit und seicht, sie teilt
sich etwa entsprechend der Mitte der Kranznaht in einen schwächeren sich nach vor- und
abwärts wendenden Schenkel und in einen zweiten, welcher beiderseits nach rückwärts zieht
über die Unterhälfte der Scheitelbeine, wo er breit entwiekelt ist, zur Hinterhauptsschuppe.
Die Partien um die untere Hälfte der Lambdanaht erscheinen stark zusammengepreßt. Durch
diese starke seitliche „Pressung“ wird das Hinterhaupt im ganzen vorgebuchtet und in seinen
unteren hinteren Partien verschmälert. Die typische frontale Deformation zeigt wieder eine
rechte und eine linke Druckfläche auf beiden Stirnbeinseiten, dabei bleibt ein „Mittelgrat“,
.Stirnbeindreieck^ und ein etwa daumenbreiter ,Stirnbeinwulst^ vom Druck frei und treten
dementsprechend über die Fläche des Knochens vor. Die oecipitale Deformation zeigt sich
als eine wenig ausgedehnte Abplattung der Partien um die Spitze der Lambdanaht.
Sphenobasilarfuge und alle Nähte offen und vollkommen normal ohne Nahtknochen.
Schwache, rinnenförmige Stenokrotaphie der Schläfengegend. Die Zitzenfortsätze sind für das
kindliche Alter ziemlich groß (Geschlecht vielleieht männlich).
Der Schädel, ist mesocephal, Längenbreiten-Index 78,13; Längenhöhen-Index 83,13 —
trypsicephal.
Die Kapazität beträgt — cem; der Horizontalumfang 465; der ganze Sagittalbogen 334 mm.
Der Gesichtswinkel beträgt 85° — orthognath. Die Gesichtsform ist kindlieh, schmal,
Index 50,00 — Grenzwert zwischen Lepto- und Chamaeprosopie resp. Mesoprosopie. Wangen-
beine und Jochbogen angelegt. Die Fossa canina, der kindlichen Form entsprechend, wenig
ausgebildet. Alveolarfortsatz kurz. Nase schon wohl entwickelt, Index 51,22 — platyrrhin.
Die zerbrochenen Nasenbeine waren verhältnismäßig breit und gut gewölbt. Die Augenhöhlen
im Vergleich mit anderen Schädeln dieser Serie nicht besonders hoch, der Index ist aber doch
hypsieonch: 87,15. Ohröffnung rund. Gaumen kindlich, ziemlich flach und schmal, Index 72,92
— leptostaphylin.
Das Milchgebiß war während des Lebens wohl noch großenteils erhalten. Jetzt stecken
im Kiefer noch links der erste Molar gut erhalten und kaum abgekaut, rechts ein Bruchstück
desselben Zahnes. Auch der zweite Molar scheint schon im Kommen gewesen zu sein. Das
Lebensalter war sonach über 7 Jahre.
Uebersicht der Maasse,
578
Kapazität — cem
Größte horizontale Länge 160 mm
» Breite 125
Gerade Hóhe 138
Ohrhóhe 115
Horizontale Lünge des Hinterhaupts 97
Basilare Länge des Vorderhaupts 66
Horizontalumfang 465
Sagittalumfang des Stirnbeins 114
3 der Scheitelbeine 95
5 „ Hinterhauptsschuppe 125
Großer Sagittalbogen 334
Kleinste Stirnbreite 88
Länge der Schädelbasis (86)
Breite , E 99
Berechnete Indices.
Lüngenbreiten-Index 78,18
Längenhöhen-Index 83,13
Obrhöhen-Index 71,87
Hinterhaupts-Index 60,63
Ganze Gesiehtshóhe — mm
Obergesichtshóhe 57
Jochbreite 114
Gesichtsbreite (Virchows) 83
Augenhöhlen-Höhe 30,5
2 -Breite 35
Nasen-Höhe 41
„ -Breite 21
Gaumen-Länge 48
» -Breite 35
Gesichtswinkel 859
Obergesichts-Index 50,00 (68,67)
Augenhóhlen-Index 87,15
Nasen-Index 51522
Gaumen-Index 72,92
Allgemeine Analyse:
mesocephal, hypsicephal, chamaeprosop (mesoprosop), hypsiconch, an der Grenze der Platyrrhinie,
leptostaphylin, orthognath.
579
Ziemlieh schwerer, jugendlicher Schädel, Geschlecht unbestimmbar, ohne Unterkiefer, oxy-
cephal mit abgeflachtem Scheitel. Er entspricht in Form und Deformation ziemlich dem Schädel
Nr. 3. Er zeigt flache, breite Koronalrinnen, welche sich zuerst jederseits ziemlich schwach
über die unteren Partien der Scheitelbeine fortsetzen, die hinteren unteren Ecken der letzteren
aber in breiter Fläche eindrücken. Diese Druckrinnen gehen beiderseits auf die Schuppe des
Hinterhauptbeins über und vereinigen sieh unter der Protuberantia oecipitalis externa zu einer
fingerbreiten, ziemlich tiefen Furche. Die Stirnabplattung zeigt rechts und links auf dem
Stirnbein die typischen zwei Druckflächen. Sie lassen die Stirnhöcker fast ganz uneingedrückt,
bilden in der sagittalen Mittellinie einen kleinfingerbreiten ,Mittelgrat^ und lassen wie diesen auch
die oberen Partien des Stirnbeins vom Drucke frei. Die oceipitale Deformation ist ziemlich
beträchtlich, die Abplattung betrifft die Spitze der Oberschuppe, hat aber ihre Hauptausdehnung
auf den beiden Scheitelbeinen. Trotz der erwähnten Rinne unter dem äußeren Hinterhaupts-
höcker sind dieser selbst und die benachbarten Muskelansatzstellen über der Rinne relativ gut
ausgebildet. Die oceipitale Rinne ist sonach während der ersten Jugendzeit entstanden vor der
erst später erfolgenden vollen Ausbildung der Nackenmuskulatur.
Die Sphenobasilarfuge und alle Nähte sind offen. In der Gegend der hinteren Seiten-
fontanelle sind links zwei, rechts ein Schaltknochen, in der sonst gut ausgebildeten Lambdanaht
finden sich einige Wormsche Knóchelchen. Beiderseits in der Schläfengegend schwache, rinnen-
förmige Stenokrotaphie mit inkompleten Stirnfortsätzen der Schläfenschuppe. Die Zitzenfortsätze
sind bemerkenswert klein.
Die Sehàdelform ist die dolichocephale, Längenbreiten-Index 73,18; Längenhöhen-Index
78,31 = hypsicephal. Die Kapazität beträgt 1340 cem, der Horizontalumfang 508, der ganze
Sagittalbogen 361 mm.
Der Gesichtswinkel ist 779 — prognath. Das Gesicht erscheint im allgemeinen ziemlich
kurz, der Index beträgt 48,40 — chamaeprosop (bzw. mesoprosop). Jochbogen und Jochbeine
angelegt, erstere in der Mitte schwach ausgewólbt. Die Nase ist schmal, Index 46,74 —
leptorrhin, aber nicht besonders groß. Der Unterrand der Apertura piriformis abgeplattet, im
ganzen gerade verlaufend, die Ecken ziemlich scharf, winkelig, ähnlich wie bei Nr. 4. Das
relativ schmale Nasendach erhebt sich einige Millimeter unter der Wurzel aquilin. Die Augen-
Abh.d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 75
580
höhlen sind weit, gerundet, Index 97,22 — hypsiconch. Augenbrauenbogen schwach, Stirn-
nasenwulst. Ohróffnung ziemlich schmal-oval. Gaumen mäßig tief, Index 79,24 — lepto-
staphylin.
Während des Lebens waren alle Zähne gut erhalten, rechts war der dritte Molar wohl
schon durchgebrochen, links war er nahe am Erscheinen. Die noch im Schädel vorhandenen
Zähne (beiderseits die ersten beiden Molaren, rechts der zweite Prämolar) sind noch wenig
abgekaut. Danach kann das Lebensalter, auch im Hinblick auf die noch offene Sphenobasilar-
fuge, auf kaum mehr als 16 Jahre angesetzt werden.
Uebersicht der Maasse.
Kapazität 1340 cem Ganze Gesichtshöhe — mm
Größte horizontale Länge 179 mm Obergesichtshóhe 60,5
Breite 182 Jochbreite 125
Gerade Hóhe 140 Gesichtsbreite (Virchows) 99
Ohrhóhe 114 Augenhóhlen-Hóhe 35
Horizontale Lànge des Hinterhaupts 113 5 -Breite 36
Basilare Länge des Vorderhaupts 72 Nasen-Höhe 46
Horizontalumfang 508 „ -Breite 21,5
Sagittalumfang des Stirnbeins 126 Gaumen-Länge 58
3 der Scheitelbeine 120 , -Breite 49
; , Hinterhauptsschuppe 115 Gesichtswinkel 770
Ganzer Sagittalbogen 361
Kleinste Stirnbreite 86
Länge der Schädelbasis 93
Breite „ : 102
Berechnete Indices,
Längenbreiten-Index 73,18 Obergesichts-Index 48,40 (61,11)
Längenhöhen-Index 78,21 Augenhöhlen-Index 97,22
Ohrhóhen-Index 63,69 Nasen-Index 46,74
Hinterhaupts-Index 63,13 Gaumen-Index 79,24
Allgemeine Analyse:
dolichocephal, hypsieephal, chamaeprosop (mesoprosop), hypsiconch, leptorrhin, leptostaphylin, prognath.
581
Nr. 8.
Fig. 8. Tafel 8.
v4
Erwachsener Schädel, ohne Unterkiefer, Geschlecht unbestimmbar. Die Form des Hirn-
schädels ist den vorbeschriebenen, z. B. Nr. 3, sehr ähnlieh. Die Koronalrinne ist gut aus-
gebildet, breit, sie beginnt erst ca. 1 em rechts und links von dem anderen Ende der Sagittal-
naht, verläuft dann bis unter die Mitte der Kranznaht. Von da wendet sie sich in einem ganz
schwachen Ast nach vorwärts und abwärts, ihre Hauptfortsetzung findet sie aber in der Rich-
tung nach hinten und unten, wo sie ca. zwei Finger breit über die untere Partie der Scheitel-
beine zur Hinterhauptsschuppe verläuft. An der Grenze beider Knochen ist der Schädel stark
eingedrückt. Von hier verläuft dieser Teil der Fortsetzung der Koronalrinne als etwa finger-
breite Furche unter dem äußeren Hinterhauptshöcker, entsprechend Nr. 7.. Durch die so hervor-
gerufene Vorwölbung der Oberschuppe des Hinterhauptbeins erscheint das Hinterhaupt etwas
verlängert. Das Stirnbein zeigt auf seiner rechten und linken Seite die oft beschriebenen
beiden, hier ziemlich breiten, Abflachungen; in typischer Weise erscheinen an der Grenze die
vom Drucke nicht betroffenen Stirnbeinpartien über die Druckflächen entsprechend erhoben:
die oberen Randabschnitte als ,Stirnbeinwulst^, der sich nach unten zwischen die Druckflächen
als ,Stirnbeindreieck^ fortsetzt, dessen verlängerte Spitze der „Stirnbeingrat“ ist. Die Stirn-
höcker bleiben vom Drucke ziemlich frei. Die occipitale Deformation zeigt sich als eine ziemlich
schwache, etwa drei Finger breite Druckfläche auf den hinteren oberen Partien der Scheitel-
beine, gegen welche sich der Oberrand der Oberschuppe des Hinterhauptbeins etwas vorwölbt.
Die oecipitale Druckfläche liegt, wie gesagt, ausschließlich auf den Scheitelbeinen, nur noch
einen ziemlich großen Wormschen Knochen rechts von der Spitze der Lambdanaht einbeziehend.
Beinahe die ganze Hinterhauptsschuppe erscheint, gleichmäßig flachgelegt, also ohne die normale
Abkniekung zwischen Ober- und Unterschuppe, in der Ansicht der Norma basilaris, nur der
Oberrand der Oberschuppe in der Norma oceipitalis.
Die Spenobasilarfuge ist verknöchert, die Schädelnähte alle offen. In der Gegend der
fötalen Schläfenfontanelle links ein, rechts drei Schaltknochen, auch in der Gegend der hinteren
Seitenfontanelle zeigt sich je ein solcher; auch die rechte Schuppennaht besitzt zwei. Die
Lambdanaht hat außer dem schon genannten größeren Wormschen Knochen in ihrem rechten
Schenkel rechts und links noch eine Anzahl kleinerer. Die Zitzenfortsätze sind schmal und
zierlich.
75*
582
Der Sehädel ist stark dolichocephal, Längenbreiten-Index 68,85; Längenhöhen-Index 74,86
— orthocephal. Kapazität 1330 eem; Horizontalumfang 510, ganzer Sagittalbogen 373 mm.
Gesichtswinkel 77° = prognath; das Gesicht schmal, Index 55,28 — leptoprosop; Wangen-
beine angelegt. Die Apertura piriformis ist schmal, nach unten schön herzförmig ausgebuchtet
mit schwach abgerundetem Rande. Nasenstachel kräftig. Die Nasenbeine sind breit und aquilin
gewölbt, das Nasendach hoch; Nasen-Index 50,00 = mesorrhin. Die Augenhöhlen sehr hoch,
Index 105,41 — extrem hypsiconch. Der Gaumen tief, Index 68,96 — leptostaphylin. Ohr-
öffnung oval, oben weit.
Während des Lebens waren alle Zähne des Dauergebisses vorhanden, die dritten Molaren
klein, noch kaum abgekaut, Lebensalter etwa 20 Jahre.
Die Form des erwachsenen Schädels entsprieht sehr vollkommen der des kindlichen Schädels
Nr. 3: es tritt sonach eine Veränderung der im kindlichen Alter durch Deformation erworbenen
Form nicht mehr ein, die Schädel behalten die in der Jugend ausgebildete Form bis ins
spätere Alter.
Uebersicht der Maasse.
Kapazität 1380 ccm Ganze Gesichtshöhe — mm
Größte horizontale Länge 183 mm Obergesichtshóhe 68
F Breite 126 Jochbreite 123
Gerade Höhe 137 Gesichtsbreite (Virchows) 98
Ohrhóhe 114 Augenhöhlen-Höhe 39
Horizontale Länge des Hinterhaupts 115 ^ -Breite 37
Basilare Länge des Vorderhaupts ED Nasen-Höhe 46
Horizontalumfang 510 „ -Breite 23
Sagittalumfang des Stirnbeins 123 Gaumen-Länge 58
der Scheitelbeine 138 „ -Breite 40
d „ Hinterhauptsschuppe 112 Gesichtswinkel uri.
Ganzer Sagittalbogen 373
Kleinste Stirnbreite 89
Länge der Schüdelbasis 94
Breite „ 5 97
Berechnete Indices.
Lüngenbreiten-Index 68,85 Obergesichts-Index 55,28 (69,39)
Längenhöhen-Index 74,86 Augenhöhlen-Index 105,41
Ohrhóhen-Index 62,29 Nasen-Index 50,00
Hinterhaupts-Index 62,84 Gaumen-Index 68,96
Allgemeine Analyse:
dolichocephal, ortbocephal, leptoprosop, hypsiconch, mesorrhin, leptostaphylin, prognath.
583
N29:
/
vi
/
Jj
/ /
) = M
De
Fig, 9.
Erwachsener (alter?) Schädel ohne Unterkiefer, Geschlecht unbestimmbar: fronto-oceipitale
Deformation, Oxycephalus, Stirn in fliehende Form deformiert, Hinterhauptschuppe im ganzen
aufgerichtet. Eine Koronalrinne ist nur schwach, flach, ausgebildet; das obere Ende der Sagittal-
naht zeigt, wie das gewöhnlich deutlich konstatiert werden kann, keine Druckwirkung. Letztere
läßt sich bis zur Mitte der Koronalnaht verfolgen, eine Fortsetzung nach unten und vorne ist
nieht deutlich. Dagegen zieht sich beiderseits eine ca. drei Finger breite Druckfläche jederseits
von den typischen Druckflächen der Stirn über den unteren Teil der Scheitelbeine zu deren
unteren hinteren Ecken und überschreitet hier die Lambdanaht, wo sie undeutlich wird. Die
breiten Druckflächen pressen die Umgebung der Lambdanaht etwas zusammen und wölben die
Hinterhauptsehuppe etwas nach hinten vor. Die Stirnabflachung ist bedeutender als bei den
bisher geschilderten, insofern als sie auch die Stirnhócker einbezieht und das Stirnbein, wie es
scheint, etwas verschmälert. Die oberen Partien des Stirnbeins zeigen keine Druckwirkung, es
zeigen sich, wenn auch nicht stärker sich erhebend, die typisch vom Druck freibleibenden Stirn-
beinteile als: Mittelgrat mit Stirnbeindreieck und Stirnbeinwulst. Auffallend treten durch die
bedeutende Abflachung der unteren Stirnbeinpartie die Augenbrauenbogen hervor. Eine schwächere
oecipitale Abplattung betrifft die Lambdaspitze der Hinterhauptsehuppe und die nächstangrenzen-
den Scheitelbeinpartien.
Obwohl die Sphenobasilarfuge vollkommen verknöchert ist, sind doch noch alle Nähte offen
und im wesentlichen normal, nur ein kleiner Schaltknochen in der Gegend der fótalen vorderen
Seitenfontanelle in der Mitte der Kranznaht, weitere kleine Sehaltknóchelehen in der Lambda-
und Schuppennaht. Die Zitzenfortsütze sind schmal und klein. In der Schläfengegend rinnen-
förmige Stenokrotaphie, rechts stärker als links.
Der Schädel ist dolichocephal, Längenbreiten-Index 71,55; Làngenhóhen-Index 78,16 —
hypsieephal. Die Kapizität beträgt 1170 ccm; der Horizontalumfang 499, der ganze Sagittal-
bogen 356 mm.
Der Gesiehtswinkel beträgt 759 — prognath, mit alveolarer Prognathie. Das Gesicht ist
schmal, Index 53,26 — leptoprosop. Wangenbeine (links zerbrochen) angelegt; Fossa canina
ziemlich tief. Die Nase ist ziemlich schmal, Index 49,35 — mesorhin; die Apertura piriformis
mit ulmenblattförmigem Unterrand. Nasendach, etwas zerbrochen, gut gewólbt, Nasenbeine oben
584
ziemlich schmal. Augenhöhlen hoch, gerundet, Index 100,00 — extrem hypsiconeh. Ohröffnung
schmal-oval. Gaumen relativ seicht und schmal, Index 74,51 — leptostaphylin.
Während des Lebens waren schon zu Verlust gegangen: rechts der erste Prämolar, links
alle drei Molaren, rechts ist die Alveolarpartie der letzteren zerbrochen. Die beiden Eekzähne
und der linke erste Prämolar waren kariös.
Das Lebensalter war sonach wohl schon ein höheres.
Uebersicht der Maasse.
Kapazität 1170 ccm Ganze Gesichtshöhe — mm
Größte horizontale Länge 174 mm Obergesichtshóhe 65
„ Breite 194,5 Jochbreite 122
Gerade Hóhe 156 Gesichtsbreite (Virchows) 91
Ohrhóhe 114 Augenhóhlen-Hóhe 39
Horizontale Länge des Hinterhaupts 108 - -Breite 89
Basilare Lànge des Vorderhaupts 69 Nasen-Hóhe 49
Horizontalumfang 499 „ -Breite 92,5
Sagittalumfang des Stirnbeins 124 Gaumen-Lünge 51
der Scheitelbeine 116 , -Breite 38
5 „ Hinterhauptsschuppe 116 Gesichtswinkel 759
Ganzer Sagittalbogen 356
Kleinste Stirnbreite 76
Länge der Schädelbasis 96
Breite , * 101
Berechnete Indices.
Lüngenbreiten-Index 71,55 Obergesichts-Index 53,26 (71,43)
Längenhöhen-Index 75,16 Augenhöhlen-Index 100,00
Ohrhóhen-Index 65,52 Nasen-Index 49,35
Hinterhaupts-Index 60,92 Gaumen-Index 74,51
Allgemeine Analyse:
doliehocephal, bypsicephal, leptoprosop, hypsiconch, mesorrhin, leptostaphylin, prognath.
585
Nr 10 Pachacamác.
Fig. 10.
Erwachsener, ziemlich zarter männlicher Schädel mit Unterkiefer; frontal und oceipital
deformiert. Koronalrinne gut ausgebildet, breit, die vordere Partie der Sagittalnaht nicht ein-
beziehend. Etwas unter der Mitte der Stirnnaht tritt eine Gabelung der Koronalrinne ein.
Schwache Fortsetzung nach vorn und unten, stärkere nach hinten, welche zwei Finger breit
auf die untere Hälfte der Lambdanaht übergeht und diese überschreitet. Der Schädel wird
dadurch von hinten etwas zusammengedrückt, aber wie es scheint, nicht verlängert. Die Stirn
zeigt die beiden seitlichen breiten Druckflächen mit den vorspringenden nicht eingedrückten
Partien des Stirnbeins: Stirnwulst mit großem Stirnbeindreieck und Mittelgrat. Auch die unteren
Teile des Stirnbeins bleiben uneingedrückt, doch sind die Stirnhöcker vom Drucke berührt. Die
oceipitale Druckfläche ist gut drei Finger breit und betrifft die Spitze der Oberschuppe und die
angrenzenden Teile der Scheitelbeine. Ober- und Untersehuppe des Hinterhaupts zeigen eine
deutliche Verschiedenheit in der Lage; während die Oberschuppe aufgebogen ist und vorwiegend
in die norma occipitalis zu liegen kommt, liegt die Unterschuppe in der norma basilaris. Die
beiden Anschnitte der Schuppen sind durch einen breiten Knochenwulst voneinander abgegrenzt.
Die Sphenobasilarfuge ist verwachsen, die Nähte sind größtenteils noch offen, in der
Schläfengegend beginnt die Verwachsung. Die processi mastoidei sind ziemlich klein.
Der Schädel ist mesocephal mit Neigung zur Dolichocephalie, Längenbreiten-Index 76,34.
Làngenhóhen-Index 80,24, hypsicephal. Die Kapazität beträgt 1165 eem, der Horizontalumfang
485 mm, der ganze Sagittalbogen 354 mm.
Profilwinkel 78°, prognath. Das Gesicht ist schmal, Index 56,27 leptoprosop. Jochbogen
angelegt. fossa canina flach, Nase relativ kurz und mäßig breit, Index 52,27 — platyrhin; die
Nasenbeine an der Wurzel ziemlich flach, dann stark konvex aquilin vorspringend. Augenhóhlen
viereckig, weit, Index 94,44 — hypsieonch. Ohróffnung oval. Gaumen schmal, sehr tief, Index
70,59 — leptostaphylin. Die Záhne waren wührend des Lebens alle vorhanden, der erste linke
Prámolar ist kariós, die noch erhaltenen beiden ersten Molaren stark abgerieben.
Unterkiefer zart und niedrig, aber männlich mit steil aufgerichteten Ästen. Kinn gut
entwickelt. Zähne klein; während des Lebens fehlte rechts der erste Molar; der rechts vor-
handene dritte Molar ist noch ganz wenig abgekaut. An der Alveole des zweiten Molar links
in der Vorderwand des Unterkiefers eine ziemlich große rundliche Offnung in die Alveole als
Rest einer Zerstörung durch Wurzelentzündung, Zahnfistel.
Lebensalter zwischen 20 und 30 Jahre.
586
Uebersicht der Maasse.
Kapazität 1165 ccm Ganze Gesichtshöhe 101 mm
Größte horizontale Länge 167 mm Obergesichtshöhe 65
3 Breite 127,5 Jochbreite 15:5
Gerade Höhe 134 Gesichtsbreite (Virchows) 93
Ohrhóhe 112 Augenhóhlen-Hóhe 34
Horizontale Länge des Hinterhaupts 107 3 -Breite 36
Basilare Länge des Hinterhaupts 66 Nasen-Hóhe 44
Horizontalumfang 485 , -Breite 23
Sagittalumfang des Stirnbeins 121 Gaumen-Länge 51
d der Scheitelbeine 198 x -Breite 36
: „ Hinterhauptsschuppe 110 Gesichtswinkel 780
Ganzer Sagittalbogen 354
Kleinste Stirnbreite 85
Länge der Schädelbasis 82
Breite „ à 93
Berechnete Indices.
Längenbreiten-Index 76,34 Obergesichts-Index 56,27 (69,89)
Längenhöhen-Index 80,24 Augenhöhlen-Index 94,44
Ohrhóhen-Index 67.07 Nasen-Index 52,27
Hinterhaupts-Index 64,07 Gaumen-Index 70,59
Allgemeine Analyse:
Ó, mesocephal, hypsicephal, leptoprosop, hypsiconch, platyrhin, leptostaphylin, prognath.
587
Nr. 11. Pachacamäc.
Fig. 11. Tafel 9.
Schwerer männlicher Schädel mit Unterkiefer, von vorgeschrittenem Lebensalter, ohne
deutlich erkennbare Deformation. Der Scheitel erscheint flach dachförmig; starke Augenbrauen-
bogen aber mit planum orbitale. Eine schwache rinnenförmige Einziehung läuft über dem gut
ausgebildeten torus oceipitalis, wie es scheint etwas auf die Scheitelbeine übergreifend, viel-
leicht Spur einer Deformation im Kindesalter. Starke krankhafte Knochenveränderungen, auf
der rechten Seite der Oberschuppe des Hinterhauptbeins eine tiefe, ca. drei Finger breite un-
regelmäßige Einbuchtung mit entsprechender Vorwölbung nach innen bildend. Die Knochen-
oberfläche der eingebuchteten Stelle stark porös mit kleinen Wucherungen der Glastafel. Von
der äußeren Einbuehtung geht oben rechts eine lineare, der Sagittalnaht fast parallele, ca. 2 mm
breite, 7 cm lange, durch zahlreiche Poren charakterisierte, schwache Knochenfurche aus, in der
Mitte des Scheitelbeins nach vorn verlaufend; vielleicht entspricht das Ganze einem geheilten
Trauma.
Die Nähte sind zum Teil verwachsen und verstrichen. In der Lambdanaht, soweit diese
erhalten, zahlreiche Schaltknochen. Sphenobasilarfuge verwachsen. Processi mastoidei kräftig,
groß. Durch starke Muskelansätze ist die Unterschuppe des Hinterhauptbeins kräftig profiliert.
Der Schädel brachycephal, Index 85,47; Längenhöhen-Index 84,29 hypsicephal. Die
Kapazität beträgt 1270 cem, der Horizontalumfang 513 mm, der ganze Sagittalbogen 365 mm.
Profilwinkel 849, orthognath. Das Gesicht ist breit und niedrig, Index 46,95 chämo-
prosop; Fossa canina ziemlich flach, Wangenbeine vorspringend, Jochbogen ausladend. Nase
mit starken Pränasalgruben, platyrrhin, Index 51,58; Nasenstachel lang; Nasenbeine breit und
steil gegeneinander gestellt, das Dach an der Wurzel eingezogen, Nasenwurzel tief, der Rücken
aquilin vorspringend. Augenhöhlen viereckig, Index 78,57 chamaeconch. Der obere Rand
erscheint gewissermaßen durch Knochenauflagerung im ganzen verdickt, wodurch er nach vorne
über den Stirnfortsatz des Wangenbeins vorspringt und die Augenhöhlen erniedrigt; beiderseits
ein Foramen supra orbitale, rechts und links 6 mm vom Rande entfernt. Ohröffnung oval,
hoch. Gaumen flach und kurz, Index 94,00 brachystaphylin. Alveolarrand senil, die vor-
handenen Zähne klein und schlecht, ziemlich abgekaut. Es fehlten im Leben die Schneidezähne,
die drei Molaren, rechts der erste, links beide Prämolaren. Alter über 50 Jahre.
Abh. d. IL. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 76
588
Unterkiefer: Körper niedrig, Kinn gut entwiekelt; Äste mäßig steil gestellt. Von den
Zähnen fehlte im Leben rechts der erste, links der zweite und dritte Molar.
Der Schädel unterscheidet sich durch sein ganzes Ansehen wesentlich, gewissermaßen
rassenhaft, von den im vorausgehenden beschriebenen.
Uebersicht der Maasse
Kapazität 1270 cem Ganze Gesichtshöhe 101 mm
Größte horizontale Länge 172 mm Obergesichtshóhe 61,5
A Breite 147 Jochbreite 131
Gerade Höhe 145 Gesichtsbreite (Virchows) 107
Oberhöhe 116 Augenhöhlen-Höhe 33
Horizontale Länge des Hinterhaupts 98 5 -Breite ' 42
Basilare Länge des Vorderhaupts 73 Nasen-Höhe 47,5
Horizontalumfang 513 . -Breite 9455
Sagittalumfang des Stirnbeins 122 Gaumen-Lünge 50
- der Scheitelbeine 121 „ -Breite 47
E , Hinterhauptsschuppe 122 Gesichtswinkel 849
Ganzer Sagittalbogen 365
Kleinste Stirnbreite 99
Länge der Schädelbasis 100
Breite „ : 114
Berechnete Indices.
Lüngenbreiten-Index 85,47 Obergesichts-Index 46,95 (57, 48)
Lüngenhóhen-Index 84,29 Augenhóhlen-Index 78,57
Ohrhóhen-Index 67,44 Nasen-Index 51,58
Hinterhaupts-Index 56,98 Gaumen-Index 94,00
Allgemeine Analyse:
ö, brachycephal, hypsicephal, orthognath, chamaeprosop, platyrrhin, chamaeconch, brachystaphylin.
Nr. 12.
Fig. 12.
Wenig deformierter, kräftiger männlicher (?) Schädel mit Unterkiefer, erwachsenen Alters,
mit offener Stirnnaht. Eine schwache Druckspur scheint oberhalb der Augenbrauenbogen über
die Stirn zu verlaufen. Eine schwache Abplattung zieht über die hinteren unteren Ecken der
Scheitelbeine und greift auf die Hinterhauptsschuppe über. Eine oceipitale Abplattung zeigen
die Partien um die Spitze der Lambdanaht.
Die Nähte sind alle offen und stark gezackt. Die Lambdanaht enthält eine Anzahl kleiner
Sehaltknochen. Die Sphenobasilarfuge ist verwachsen, die Kondylen und Zitzenfortsätze sind
kräftig und groß.
Der Schädel ist ausgesprochen brachycephal, Index 85,27; Höhen-Index 80,98, hypsicephal.
Die Kapazität beträgt 1175 eem, der Horizontalumfang 486 mm, der ganze Sagittalbogen 342 mm.
Profilvinkel 78° prognath, vorwiegend alveolar. Das Gesicht ist ziemlich breit, Index
48,86 — chamaeprosop und kräftig profiliert; fossa canina ziemlich tief, Wangenbeine vortretend,
Jochbogen etwas ausladend. Nase ziemlich lang, Index 50,98 — mesorhin; der Nasenstachel
ist abgebrochen, war aber anscheinend kräftig; Unterrand der stark ulmenblattförmigen Apertura
piriformis flach gerundet. Nasendach an der Wurzel breit und flach, dann vorspringend. Augen-
hóhlen rundlich-viereckig, mittelhoch, Index 85,00 — mesoconeh. Augenbrauenbogen schwach,
breiter flacher Stirnnasenwulst. Ohröffnung oval. Gaumen tief, ziemlich lang, Index 77,96 =
leptostaphylin. Alveolarfortsatz mäßig lang und stark prognath. Während des Lebens fehlten
links der erste und dritte Molar. Die vorhandenen Zähne sind ziemlich stark abgekaut, Unter-
kiefer relativ niedrig, Kinn kräftig. Die Äste mäßig schief. Die Zähne waren mit Ausnahme
des linken dritten Molar im Leben alle vorhanden. Die Schneidezähne sind auffallend klein;
im Oberkiefer waren, nach den Alveolen zu urteilen, die Schneidezähne wesentlich größer.
Lebensalter etwa 30 Jahre.
590
Uebersicht der Maasse.
Kapazitüt 1175 cem Ganze Gesichtshóhe 109 mm
Größte horizontale Länge 168 mm Obergesichtshóhe 64
> Breite 139 Jochbreite 131
Gerade Höhe 132 Gesichtsbreite (Virchows) 95
Ohrhóhe 118 Augenhóhlen-Hóhe 34
Horizontale Länge des Hinterhaupts 94 " -Breite 10
Basilare Lànge des Vorderhaupts 77 Nasen-Höhe 53
Horizontalumfang 486 , -Breite 27
Sagittalumfang des Stirnbeins 122 Gaumen-Länge 59
5 der Scheitelbeine 114 „ -Breite 46
5 „ Hinterhauptsschuppe 106 Gesichtswinkel 780
Ganzer Sagittalbogen 342
Kleinste Stirnbreite 96
Länge der Schädelbasis 95
Breite „ 5 103
Berechnete Indices.
Längenbreiten-Index 85,27 Obergesichts-Index 48,86 (67, 37)
Längenhöhen-Index 80,98 Augenhöhlen-Index 85,00
Ohrhóhen-Index 69,32 Nasen-Index 50,94
Hinterhaupts-Index 57,67 Gaumen-Index 71,96 3
Allgemeine Analyse:
ö (2), brachycephal, hypsicephal, prognath, chamaeprosop, mesorhin, mesoconch, leptostaphylin.
Nr. 13. Pachacamäc.
Fig. 13.
o
Sehr schwerer männlicher Schädel ohne Unterkiefer. Er ist durch Deformation in seiner
ursprünglichen Form offenbar relativ wenig beeinflußt. Koronalabplattung flach mit sehr stark
entwickelter breiter Krista. Über die Stirn zieht sich auf beiden Seiten eine Druckspur, über
welcher in der Mitte des Stirnbeins ein starker Mittelgrat und ein großes Stirnbeindreieck
hervorragt. Die Abplattung greift auf die beiden Scheitelbeine über. Da die Sagittalnahtgegend
in ihrer vorderen Hälfte unverändert ist, erscheint die Scheitelpartie ausgesprochen dachförmig.
Der untere Teil des Stirnbeins zeigt keine bemerkenswerte Deformation; die Augenbrauenbogen
sind stark entwiekelt. Eine geringe Abplattung besteht in der Gegend der hinteren Hälfte der
Sagittalnaht. Über die Lambdanaht, diese nur schwach überschreitend, verläuft von der hinteren
unteren Ecke der beiden Scheitelbeine je eine etwa zwei Finger breite rinnenförmige Eintiefung.
Dadurch erscheinen die seitlichen Ränder in der Norma oceipitalis etwas konkav eingedrückt.
Starke Crista oceipitalis.
Die Nähte sind großenteils verwachsen; offen ist noch die ganze Kranznaht und die Nähte
um den großen Keilbeinflügel. Verwachsen und fast ganz verstrichen ist die Pfeilnaht, ebenso
die Lambdanaht mit Ausnahme einer kleinen Strecke rechts und die ganze Nahtverbindung der
Schläfenbeine mit den Scheitelbeinen. Es scheint beiderseits processus frontalis der Schläfen-
beinsehuppe bestanden zu haben. Die Sphenobasilarfuge ist völlig verwachsen, das Hinterhaupts-
loch ist etwas schief wie der ganze Schädel; die Zitzenfortsátze sind groß und stark.
Der Schädel ist dolichocephal, Längenbreiten-Index 74,01; Längenhöhen-Index 81,01,
hypsicephal. Die Kapazität beträgt 1190 ecm, der Horizontalumfang 507 mm, der ganze Sagittal-
bogen 373 mm.
Profilwinkel 80°, prognath. Das Gesicht ist gegen die Basis etwas schiefgestellt mit
leichter Wendung nach links. Es ist breit und niedrig, Index 47,79 — chamaeprosop. Fossa
canina mäßig profiliert. Jochbeine und Jochbogen ziemlich weit ausladend; Alveolarfortsatz kurz.
Nase leptorhin, Index 46,29, mit abgerundetem unterem Rand der Apertura piriformis; Nasen-
beine zum Teil zerbrochen, gut ausgebildet, Nasendach gewölbt, nach unten vorspringend.
Augenhöhlen hoch und weit, Index 85,71 — hypsieoneh. Ohróffnung rund und weit. Gaumen
oval, Index 79,31 — leptostaphylin, tief. Die Zäbne waren während des Lebens wahrscheinlich
alle vorhanden.
Der Schädel charakterisiert sich durch die Dicke seiner Knochen, durch seine Schwere
und sein ganzes Aussehen als eine besondere Form.
Kapazität
Größte horizontale Länge
, Breite
Gerade Hóhe
Ohrhóhe :
Uebersicht der Maasse.
Horizontale Lànge des Hinterhaupts
Basilare Länge des Vorderhaupts
Horizontalumfang
Sagittalumfang des Stirnbeins
T der Scheitelbeine
„ Hinterhauptsschuppe
Ganzer Sagittalbogen
Kleinste Stirnbreite
Länge der Schädelbasis
Breite der Schädelbasis
Längenbreiten-Index
Lüngenhóhen-Index
Oberhóhen-Index
Hinterhaupts-Index
1190 cem
177 mm
131
145
114
104
80
507
125
127
121
378
100
107
102
Ganze Gesichtshóhe
— mm=
Obergesichtshöhe 65
Jochbreite ; Med o
Gesichtsbreite (Virchows) 104 -
Augenhóhlen-Hóhe .36
a -Breite -42
Nasen-Hóhe 54
, -Breite 925
Gaumen-Länge 5 B
- -Breite 46
Gesichtswinkel 809.
Berechnete Indices.
74,01
81,01
63,69
58,10
Obergesichts-Index
Ausenhóhlen-Index
Nasen-Index
Gaumen-Index
Allgemeine Analyse:
r
85,7
46,29
79,31
47,79 (62, 50) -
iu
Ó, dolichocephal, hypsicephal, chamaeprosop, hypsiconch, leptorhin, leptostaphylin, prognath. B ».
595
Nr. 14
Fig. 14.
Weiblieher(?) stark deformierter Schädel mit Unterkiefer; einige Reste der Kopfhaut sind
noch erhalten. Oxycephalus mit flachem Scheitel; er entsprieht in seiner Form teilweise dem
folgenden Nr. 15. doch sind die Druckwirkungen zum Teil geringer. Die Koronalrinne ist am
vorderen Ende der Sagittalnaht nieht eingedrückt; die Fortsetzung nach vorn und unten ist
undeutlich, die Fortsetzung nach hinten über das untere Ende der Scheitelbeine bis etwas über
die Lambdanaht breit und flach, wodurch der Schädel in der Gegend der unteren Hälfte der
Lambdanaht zusammengedrückt erscheint; eine Fortsetzung der Eintiefung über das Hinterhaupt
ist nicht deutlich. Die starke Stirnbeinabplattung läßt ein breites Stirnbeindreieck uneingedrückt,
welches sich unten bis über die Mitte des Stirnbeins zugespitzt als Grat erstreckt. Die beiden
seitlichen Stirnabplattungen haben die Stirnhöcker nicht vollkommen eingedrückt. Die oceipitale
Abplattung ist ziemlich bedeutend, sie erstreckt sich über die Oberschuppe und die angrenzenden
Teile der Scheitelbeine; die Obersehuppe ist gegen die Unterschuppe abgeknickt; die Scheitel-
beine sind etwas bombenfórmig gewölbt.
Die Nähte sind, soviel man sehen kann, ganz normal und noch offen; die Sphenobasilar-
fuge ist verwachsen; die processi mastoidei sind klein.
Der Schädel ist brachycephal, Index 84,11. Längenhöhen-Index 84,77, hypsicephal. Die
Kapazitát betrágt 965 ecm, der Horizontalumfang 466 mm, der ganze Sagittalbogen 312 mm.
Profilwinkel 71°, starke Prognathie. Das Gesicht ziemlich lang, Index 54,76 — lepto-
prosop. Wangenbeine und Jochbogen etwas ausladend; fossa canina nicht profiliert. Nase breit,
Index 53,92 — platyrrhin; der untere Rand der apertura piriformis abgerundet, vorderer
Nasenstachel schwach; Nasenbeine breit; das Dach an der Wurzel flach und etwas eingezogen,
nach unten sich aquilin vorwólbend. Augenbrauenbogen schwach, Augenhöhlen weit, Index
87.18 — hypsiconch. Ohröffnung schmal, oval. Gaumen ziemlich tief, schmal und lang, Index
78.57 — leptostaphylin. Alveolarfortsatz ziemlich lang, prognath. Während des Lebens war
der dritte Molar rechts, wie es scheint, zu Verlust gegangen, links alle drei Molaren. Der rechte
erste Prämolar kariös zerstört.
Unterkiefer: Kinn gut entwickelt, die Äste schief, weiblich. Der linke dritte Molar war
sehr klein, die rechten fehlten während des Lebens alle. Zähne zum Teil stark abgekaut.
Lebensalter über 30 Jahre.
594
Kapazität
Größte horizontale Länge
. Breite
Gerade Höhe
Ohrhöhe
Horizontale Länge des Hinterhaupts
Basilare Länge des Vorderhaupts
Horizontalumfang
Sagittalumfang des Stirnbeins
» der Scheitelbeine
, Hinterhauptsschuppe
Ganzer Sagittalbogen
Kleinste Stirnbreite
Lünge der Schüdelbasis
Breite „ ^
Längenbreiten-Index
Längenhöhen-Index
Ohrhóhen-Index
Hinterhaupts-Index
O (?), brachycephal, hypsicephal,
965 cem
151 mm
127
128
110
86
79
466
108
95
109
312
91
92
108
Berechnete Indices,
Allgemeine Analyse
Uebersicht der Maasse.
Ganze Gesichtshöhe
Obergesichtshóhe
Jochbreite
Gesichtsbreite (Virchows) :
Augenhóhlen-Hóhe
a -Breite
Nasen-Höhe
„ Breite
Gaumen-Länge
5 -Breite
Gesichtswinkel
84,11 Obergesichts-Index )
84.77 Augenhóhlen-Index 87,18
72,85 Nasen-Index 53,92
56,75 Gaumen-Index 78,57
107 mm
69
126
101
34
39
51
255.
56
44
719
leptoprosop, hypsiconch, platyrrhin, leptostaphylin, prognath.
595
Nr. 15.
Fig. 15.
Ziemlich zerbrochener, erwachsener, wahrscheinlich weiblicher Schädel. Oxycephalus;
starke Koronalrinne, die aber das vordere Ende der Sagittalnaht uneingedrückt läßt. Die
Rinne setzt sich gut daumenbreit bis etwa zur Mitte der Koronalnaht fort, wendet sich dann
in einem schwachen Schenkel nach vorwärts und unten, in einem besser ausgeprägten nach
rückwärts, umgreift die untere Partie der Scheitelbeine und läßt sich bis auf die Oberschuppe
des Hinterhauptbeins verfolgen, die Kontouren der Norma oceipitalis konkav einbuchtend. Der
Schädel ist auch oeeipital durch Druck stark deformiert, wodurch sowohl die Oberschuppe
des Hinterhauptbeins als die Unterschuppe in der Norma oceipitalis erscheinen; diese oceipitale
Druckfläche setzt sich gut zwei Finger breit über die Spitze der Lambdanaht hinaus auf die
angrenzenden Teile der Scheitelbeine fort. Durch diese kombinierten Druckwirkungen wird der
Scheitel konvex in die Höhe gewölbt. Die beiden Frontaldruckflächen erstrecken sich in
ziemlich gleichmäßiger Weise fast über das ganze Stirnbein, die Stirnbeinhöcker bis fast zur
Unkenntliehkeit eindrückend; auch hier bleibt die obere Koronalrandpartie etwa in Fingerbreite
vom Druck frei; ebenso läßt sich ein schwach angedeutetes Stirnbeindreieck und ein schwacher
Mittelgrat nachweisen.
Die Nähte sind alle offen und normal; nur in der Lambdanaht befinden sich Reste kleiner
Schaltknochen. Der Schädelgrund ist zerbrochen; die processi mastoidei sind klein.
Der Schädel ist mit einem Längenbreiten-Index von 83,88 brachycephal. Längenhöhen-
Index 90,13, hypsicephal. Die Kapazität beträgt — cem, der Horizontalumfang 478 mm (der
ganze Sagittalbogen 345? mm).
Der Profilwinkel beträgt 83° — orthognath an der Grenze der Prognathie. Das Gesicht
ist breit und niedrig, Index von 50,00 (nicht genau zu messen) mesoprosop; fossa canina
flach, Wangenbeine angelegt, Jochbogen etwas ausladend; Alveolarrand kurz. Nase breit und
kurz, Index 53,06 — platyrrhin, Nasendach zerbrochen, breit und flach. Unterer Rand der
Apertura piriformis breit abgerundet. Augenhöhlen weit und nach unten ausgerundet, der obere
Band gerade verlaufend (Index 100,00 — hypsieonch), wodurch eine gewissermaßen birn-
förmige Öffnung entsteht, mit der Spitze im oberen, inneren Augenwinkel. Augenbrauenbogen
Abh. d. IL Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. vtl
596
sehr schwach, auch schwacher Stirnnasenwulst, an welehen die Stirnabplattung noch heranreicht.
Ohröffnung oval. Gaumen kurz und wenig tief. Die Zähne waren während des Lebens alle
vorhanden, auch die drei Molaren; die vorhandenen sind schwach abgekaut. Lebensalter etwa
25 bis 30 Jahre. Das Gesicht steht deutlich schief zum Hirnschädel, die linke Seite ist etwas
vorgebuchtet.
Uebersicht der Maasse.
Kapazität com Ganze Gesichtshóhe — mm
Größte horizontale Länge 152 mm Obergesichtshóhe 61
„ Breite 127,5 Jochbreite —
Gerade Hóhe 137 Gesichtshóhe (Virchows) 94
Ohrhóhe 120 Augenhöhlen-Höhe 35
Horizontale Länge des Hinterhaupts ei -Breite 35
Basilare Länge des Vorderhaupts = Nasen-Höhe 49
Horizontalumfang 478 . -Breite 26
Sagittalumfang des Stirnbeins 118 Gaumen-Länge (40)
der Scheitelbeine (123) 5 -Breite (35)
a „ Hinterhauptsschuppe (109?) Gesichtswinkel 830
Ganzer Sagittalbogen (345 ?)
Kleinste Stirnbreite S6
Lànge der Schüdelbasis —
Breite „ 5 (105)
Berechnete Indices,
Längenbreiten-Index 83,88 Obergesichts-Index 50,00 (64, 98)
Làngenhóhen-Index 90,13 Augenhóhlen-Index 100,00
Ohrhóhen-Index 79,47 Nasen-Index 53,06
Hinterhaupts-Index — Gaumen-Index (87,50)
Allgemeine Analyse:
9 ?, brachy-, hypsicephal, mesoprosop (chamaeprosop), hypsiconch, platyrrhin, brachystaphylin, orthognath.
597
Fig. 16.
Älterer männlicher Schädel mit Unterkiefer. Die Deformation vorwiegend oceipital. Jeder-
seits eine breite Abflachung der Scheitelbeine über der oberen Schläfenlinie, wodurch der
Scheitel eine dachförmige Gestalt erhält. Vom vorderen Drittel der Sagittalnaht an zieht sich
eine flache Eintiefung bis zum Hinterhauptshöcker hinab; an der Lambdaspitze zweigen von ihr
zwei weitere flachere Rinnen ab, die der genannten Naht bis zu ihrem Ende folgen. Das
ganze Hinterhaupt ist abgeplattet, wodurch der Schädel verkürzt und in seiner hinteren Hälfte
verbreitert wird. Oberhalb des Torus oceipitalis läuft eine schwache rinnenartige Eintiefung,
die auch schwach auf die hinteren unteren Ecken der Scheitelbeine übergreift. Die Seiten-
partien des Schädels fallen steil ab und sind durch eine gut markierte Kante entlang der
Schläfenlinien von der Scheitelabflachung geschieden. In der Mitte des oberen Teiles des Stirn-
beins zeigt sich eine erkrankte Stelle der äußeren Glastafel. An mehreren Stellen ist das
Schädeldach zum Teil wohl krankhaft durchbrochen, auch die innere Glastafel ist zerstört und
das ganze Schädeldach ist so verdünnt, daß sicher die Einsenkung großenteils als pathologische,
vielleicht zum Teil auch Alterserscheinung, zu deuten ist.
Die Nähte sind großenteils verwachsen und teilweise schon verstrichen. Am linken unteren
Ende der Lambdanaht befindet sich ein größerer Schaltknochen. Sphenobasilarfuge verwachsen;
processi mastoidei breit und kräftig. Pars basilaris des Hinterhauptbeins breit. Ein mäßig
starker Torus oceipitalis; Augenbrauenbogen nur in ihrer inneren Hälfte besser entwickelt.
Der Schädel ist hyperbrachycephal, Index 91,36. Längenhöhen-Index 86,42 hypsicephal.
Die Kapazität beträgt — cem; der Horizontalumfang 498 mm, der ganze Sagittalbogen 339 mm.
Der Profilwinkel beträgt 85° trotz der starken Alveolarprognathie; der Schädel ist sonach
orthognath. Das Gesicht erscheint mäßig breit und ziemlich flach, der Index ist 55,15 lepto-
prosop; fossa canina sehr seicht. Wangenbeine und Jochbogen schwach ausladend. Nase lang
und breit, Index 51,85 platyrrhin, unterer Rand gerundet. Nasenbeine ziemlich groß und breit,
schön gewölbtes Nasendach, aquilin. Augenhöhlen ziemlich weit und hoch, Index 83,33 meso-
conch. Öhröffnungen oval. Gaumen senil, seicht, Index 81,04 mesostaphylin, vorne rauh.
Der Alveolarfortsatz. der für Schneide- und Eekzähne noch gut erhalten ist, ist ziemlich lang
und stark prognath. Von den Zähnen des Oberkiefers waren während des Lebens noch erhalten:
Die vier Schneidezähne und die zwei Eckzähne, die Prämolaren waren schon während des
(tfe
598
Lebens schlecht, die Molaren, deren Alveolarfortsatz beiderseits ganz usuriert ist, haben wohl
schon alle gefehlt.
Unterkiefer: Körper mittelhoch, Kinn kräftig, Äste niedrig, breit und steil gestellt. Von
Der äußere
den Zähnen waren während des Lebens erhalten: Die beiden Schneidezähne links.
nur als kariöse Wurzel; dann beide Eekzühne, links der erste, rechts beide Prämolaren, beider-
seits die zwei dritten Molare. Die eigentümliche Zerstörung der noch erhaltenen Partien des
Alveolarfortsatzes der Oberkiefer wird sich wohl aus kariöser Zahnerkrankung der Prämolaren
eventuell ersten Molaren erklären.
Uebersicht der Maasse,
ccm
mm
Ganze Gesichtshöhe
Obergesichtshöhe
Jochbreite
Gesichtsbreite (Virchows)
Augenhóhlen-Hóhe
5 -Breite
Nasen-Höhe
. -Breite
Gaumen-Länge
. -Breite
Gesichtswinkel
Berechnete Indices.
Kapazitüt =
Größte horizontale Länge 162
, Breite 148
Gerade Hóhe 140
Ohrhóhe 117
Horizontale Länge des Hinterhaupts 86
Basilare Länge des Vorderhaupts 76
Horizontalumfang 498
Sagittalumfang des Stirnbeins 113
der Scheitelbeine 111
» „ Hinterhauptsschuppe 115
Ganzer Sagittalbogen 33%
Kleinste Stirnbreite 96
. Länge der Schädelbasis 97
Breite „ 5 106
Längenbreiten-Index 91,56
Längenhöhen-Index 86,42
Ohrhóhen-Index 12,29
Hinterhaupts-Index 53,08
Obergesichts-Index 55
Augenhóhlen-Index 83,33
Nasen-Index 51
Gaumen-Index 81
Allgemeine Analyse:
ö, hyperbrachycephal, hypsicephal, orthognath, leptoprosop, platyrrhin, mesoconch, mesostaphylin,
prognath.
599
Nr. 17. Pachacamác.
Fig. 17.
Kindlicher Schädel ohne Unterkiefer. Die oceipitale Deformation stark ausgebildet. Koronal-
rinne seicht, flach und breit; eine Fortsetzung nach hinten und unten läßt sich nieht erkennen.
Auf dem Stirnbein zwei durch einen .daumenbreiten, wenig vorspringenden Mittelgrat getrennte,
gut ausgebildete Druckflächen, welche die Stirnhöcker uneingedrückt lassen, ebenso vor der
Koronalnaht einen gut fingerbreiten niedrigen Stirnwulst. Die oceipitale Abplattung umfaßt
nahezu die ganze Oberschuppe und die angrenzenden Partien der Scheitelbeine bis 4 em ober-
halb der Lambdanahtspitze, wo die Hinterhauptsabflachung dureh einen deutlichen Kniek vom
Scheitel getrennt ist. Auf beiden Seiten sind die Partien um die untere Hälfte der Lambdanaht
konkav eingedrückt. Durch die Oeccipitaldeformationen wird der Schädel stark verkürzt und
sein Hinterhaupt verbreitert.
Nähte und Sphenobasilarfuge offen; am unteren Ende der Lambdanaht rechts und links
kleine Schaltknochen. Zitzenfortsätze klein, kindlich; Kondylen langgestreckt. Der Schädel hat
seinem Vorbesitzer zu ärztlichen Trepanationsversuchen gedient, daher rührt im hinteren Teil
des rechten Scheitelbeins ein kreisrundes scharf begrenztes Loch von 1!/, em Durchmesser, ebenso
ein langer Knochendefekt senkrecht zur Mitte des rechten Schenkels der Lambdanaht.
Der Schädel ist hyperbrachycephal, Länge und Breite sind gleich, Index — 100,00.
Längenhöhen-Index 91,39, hypsicephal. Die Kapazität beträgt — cem, der Horizontalumfang
485 mm, der ganze Sagittalbogen 359 mm.
Profilwinkel 83°, orthognath. Das Gesicht erscheint ziemlich schmal, Index 48,82 — meso-
prosop bzw. chamaeprosop, gut profiliert, fossa canina auffallend tief; Wangenbeine und Joch-
bogen angelegt. Nase hoch und sehr schmal, Index 45,62 — leptorhin; der Unterrand der
Apertura piriformis scharf, Nasenstachel kräftig; Nasendach ziemlich hoch, obwohl die Nasenbeine
oben schmal sind, Augenbrauenbogen fast fehlend. Augenhöhlen weit gerundet, stark schief-
gestellt, Index 94,81 — hypsiconch. Ohróffnungen oval, klein. Gaumen tief und kurz, Index
97,68 — braehystaphylin. Alveolarrand ziemlich lang. Die Milchzähne waren im Leben noch
alle erhalten, vom Dauergebiß sind erst die beiden rechten Molaren vorhanden, schwach abge-
kaut. Lebensdauer ca. 7 Jahre.
600
Uebersicht der Maasse,
Kapazität -— Gun Ganze Gesichtshóhe — mm
Größte horizontale Länge 151 mm Obergesichtshóhe 62
, Breite 151 Jochbreite 127
Gerade Höhe 138 Gesichtsbreite (Virchows) 89
Ohrhóhe TTA Augenhöhlen-Höhe 314
Horizontale Länge des Hinterhaupts 87 5 -Breite 38,5
Basilare Länge des Vorderhaupts 58 Nasen-Höhe 48
Horizontalumfang 485 , Breite 21
Sagittalumfang des Stirnbeins 124 Gaumen-Länge 43
a der Scheitelbeine 117 „ -Breite 49
5 „ Hinterhauptsschuppe 118 Gesichtswinkel 889
Ganzer Sagittalbogen 359
Kleinste Stirnbreite 94
Lünge der Schüdelbasis 83
Breite der Schädelbasis 100
Berechnete Indices.
Lüngenbreiten-Index 100,00 Obergesichts-Index 48,82 (69, 66)
Lüngenhóhen-Index 91,39 Augenhöhlen-Index 94,81
Ohrhöhen-Index 77,48 Nasen-Index 45,62
Hinterhaupts-Index 57,61 Gaumen-Index 97,68
Allgemeine Analyse:
hyperbrachycephal, bypsicephal, orthognath, mesoprosop (bzw. chamaeprosop), leptorhin, hypsiconch,
brachystaphylin.
601
Nr. 18. Pachacamäc.
"I
Qd
Fig. 18.
Schwerer, männlicher Schädel, erwachsenen Alters, ohne Unterkiefer. Hauptsächlich oceipi-
tale Deformation. Schwache Abplattung, die von dem Stirnbeinrand aus jederseits auf die obere
Hälfte der Scheitelbeine übergeht. Jederseits gehen konkave Druckflächen von der unteren
Ecke der Scheitelbeine auf die Hinterhauptsschuppe über. Vom hinteren Drittel der Sagittal-
naht an erstreckt sich eine rinnenartige Einziehung bis zu dem in der Mitte eingebogenen Torus
oceipitalis über diesen eine pathologisch rundliche Einsenkung, deren Durchmesser ca. 2 zu 3 cm.
Lambdanaht etwas eingezogen. Die oceipitale Deformation erstreckt sich von der Oberschuppe
des Hinterhauptbeins auf die angrenzenden Partien der Seheitelbeine. Durch die Abplattung
ist der Schädel verkürzt und verbreitert. Die oceipitale Abflachung ist etwas schief, so daß
die rechte Seite mehr vorspringt. Am Beginne der zweiten Hälfte der Sagittalnaht befindet
sich eine rundliehe Grube, Durchmesser ca. 2 em, pathologisch.
Die Nähte sind mit Ausnahme der Sagittalnaht in der Gegend der letzterwähnten Grube
offen. Im unteren Teil der Lanıbdanaht rechts und links je ein kleiner Wormsscher Knochen.
Die Sphenobasilarfuge war verwachsen, zerbrochen. Zitzenfortsätze klein, gerundet.
Der Schädel ist hyperbrachycephal, Index 95,96, Längenhöhen-Index 87,36 hypsicephal.
Die Kapazität beträgt — cem; der Horizontalumfang 510 mm, der ganze Sagittalbogen 340 mm.
Profilwinkel 829 (?) an der Grenze der Prognathie. Das Gesicht ist ziemlich hoch, Index
52.27 leptoprosop. Fossa canina seicht; Wangenbeine und Jochbogen ziemlich angelegt. Nase
ziemlich groß, aber breit, Index 54,35 platyrrhin. Nasenbeine an der Wurzel schmal und ein-
gezogen, dann vorspringend, abgebrochen. Augenhöhlen weit und hoch, Index 87,82 hypsi-
conch. Öhröffnungen oval. Gaumen tief. Alveolarrand ziemlich lang, prognath. Die Zähne
waren während des Lebens alle erhalten. Der erste Molar war kariös, auf der rechten Seite
fehlt der dritte Molar, vielleicht ist er niemals entwickelt gewesen.
Alter vielleicht 30 Jahre.
602
Uebersicht der Maasse.
Kapazität ccm Ganze Gesichtshóhe — mm
Größte horizontale Länge 161,5 mm Obergesichtshöhe 69
„ Breite 155 Jochbreite 132
Gerade Hóhe 141 Gesichtsbreite (Virchows) 94
Ohrhóhe 116 Augenhóhlen-Hóhe 56
Horizontale Lànge des Hinterhaupt 89 * -Breite 41
Basilare Lünge des Vorderhaupts 70 Nasen-Hóhe 46
Horizontalumfang 510 , -Breite 25
Sagittalumfang des Stirnbeins 117 Gaumen-Länge —
E der Scheitelbeine 122 „ -Breite =
M „ Hinterhauptsschuppe 101 Gesichtswinkel (829)
Ganzer Sagittalbogen 340
Kleinste Stirnbreite 91
Länge der Schädelbasis 94,5
Breite „ ^ (108)
Berechnete Indices.
Lüngenbreiten-Index 95,96 Obergesichts-Index 52,27 (73, 51)
Längenhöhen-Index 87,36 Augenhöhlen-Index 87,82
Ohrhöhen-Index 73,06 Nasen-Index 54,35
Hinterhaupts-Index 54,46 Gaumen-Index —
Allgemeine Analyse:
ö, hyperbrachycephal, hypsicephal, leptoprosop, platyrrhin, hypsiconch, prognath.
603
iNT29?
Fig. 19.
Männlicher Schädel mit Unterkiefer. Deformation oceipital, schief, d. h. die rechte Seite
des Hinterhaupts ist weit mehr verdrückt. Die normale Schädelform scheint in ihrer Gesamt-
heit durch die Deformation wenig, links so gut wie gar nicht verändert. Koronalrinne und
Stirnabflachung ganz minimal. Über dem hinteren unteren Winkel des rechten Scheitelbeins
geht eine gut zwei Finger breite, flache Eintiefung, die noch etwas über die Lambdanaht über-
greift. Die oceipitale Abplattung betrifft die Oberschuppe des Hinterhauptbeins und die oberen
hinteren Ecken der beiden Scheitelbeine.
Torus oceipitalis; die Muskelansätze sind stark ausgebildet. Die Nähte sind offen mit
Ausnahme der Pfeilnaht, welche fast vollkommen verstrichen ist. Als Ursache der vorzeitigen
Verwachsung derselben erscheint ein pathologischer Prozeß, als dessen Überbleibsel am Ende
des ersten Drittels der Pfeilnaht eine rundliche Grube von ca. 1 em Durchmesser erscheint, in
deren Tiefe die Spongiosa freigelegt ist. In der Lambdanaht sind einige kleine Schaltknochen.
Sphenobasilarfuge verknöchert. Am vorderen Rande des Foramen magnum eine Gelenkfläche
für den Zahnfortsatz des Epistrophäus; ihre Oberfläche ist nicht glatt. Processus mastoidei
mäßig groß und breit.
Der Schädel ist brachycephal, Längenbreiten-Index 83,33; Längenhöhen-Index 85,12
hypsicephal. Die Kapazität beträgt 1325 cem. Der Horizontalumfang 496 mm, der ganze Sagittal-
bogen 343 mm.
Der Profilwinkel 82° stellt den Schädel an die Grenze der Orthognathie. Das Gesicht
ist ziemlich breit, Index 49,25 chamäprosop bzw. mesoprosop; Fossa canina mäßig tief, Wangen-
beine und Jochbogen etwas ausladend. Die Nase ist lang und ziemlich schmal, Index 46,00
leptorrhin. Am unteren Rande der Apertura piriformis Pränasalgruben; das Nasendach gut
gewölbt. Augenhöhlen weit und groß, Index 87,18 hypsoconch. Augenbrauenbogen mäßig
entwickelt. Ohröffnungen oval. Gaumen tief, breit, mäßig lang, Index 78,43 leptostaphylin.
Während des Lebens waren alle Zähne vorhanden; die Molaren sind noch wenig abgekaut.
Unterkiefer etwas schief, rechte Seite zurücktretend. Kinn gut entwickelt; Äste steil.
Von den Zähnen war während des Lebens keiner verloren gegangen, rechts ist der dritte Molar
vorhanden, aber noch kaum abgekaut, links ist er noch nicht herausgetreten.
Lebensalter zwischen 20 und 30 Jahren.
Abh.d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 78
604
Uebersicht der Maasse.
Kapazität 1325 ccm Ganze Gesichtshöhe
Größte horizontale Länge 165 mm Obergesichtshöhe
Ri Breite 140 Jochbreite
Gerade Höhe 143 Gesichtsbreite (Virchows)
Ohrhöhe 112 Augenhóhlen-Hóhe
Horizontale Länge des Hinterhaupts 106 ^ -Breite
Basilare Länge des Vorderhaupts 69 Nasen-Hóhe
Horizontalumfang 196 , -Breite
Sagittalumfang des Stirnbeins 122 Gaumen-Länge
5 der Scheitelbeine 192 2 -Breite
H „ Hinterhauptsschuppe 104 Gesichtswinkel
Ganzer Sagittalbogen 948
Kleinste Stirnbreite 86
Länge der Schádelbasis 96
Breite „ - 109
Berechnete Indices.
Längenbreiten-Index 83,58 Obergesichts-Index
Lüngenhóhen-Index 85,12 Augenhóhlen-Index $7,18
Ohrhóhen-Index 68,29 Nasen-Index 46,00
Hinterhaupts-Index 64,63 Gaumen-Index 78,48
Allgemeine Analyse:
109 mm-
66
134
98
34
39
50
23
51
40
829 -
49,25 (67,55)
Ó, braehycephal, hypsicephal, chamaeprosop (mesoprosop) hypsiconch, leptorrhin, leptostaphylin,
prognath, fast orthognath.
605
Nr. 20.
Pd
pA
/
EN
Á T gm:
Fig. 20
Massiver, männlicher Schädel mit Unterkiefer. Stark oceipital schief, vorwiegend links
abgeplattet. Koronalrinne sehr schwach. Auf dem Stirnbein zeigt sich auf den mittleren
Partien beiderseits nur eine ganz schwache Druckfläche, die die Stirnhöcker unberührt läßt.
Eine gut zwei Finger breite Abflachung geht über die unteren hinteren Partien der beiden
Scheitelbeine gegen das Hinterhaupt zu und ist besonders links stark ausgebildet. Die oceipitale
Abplattung betrifft die ganze Oberschuppe, welche dadurch steil aufgerichtet ist, und erstreckt
sich dann weit auf die Scheitelbeine, mehr als ein Drittel der Pfeilnaht einbeziehend. Rechts
sind sowohl die Oberschuppe als die Scheitelbeine in etwas geringerer Breite verdrückt.
Die Nähte sind alle offen; in der linken Lambdanaht befindet sich ein kleiner Wormsscher
Knochen. Sphenobasilarfuge verknöchert; zwischen der Pars basilaris des Hinterhauptbeins und
dem Keilbeinkörper zeigt sich eine einspringende Rinne, als wäre die erstere gegen das Keil-
bein abgedrückt, vielleicht als Folge eines oceipitalen Druckes. Processi mastoidei ziemlich
groß und stark.
Der Schädel ist brachycephal, Längenbreiten-Index 83,03, Längenhöhen-Index 83,64
— hypsicephal. Die Kapazität beträgt 1170 cem, der Horizontalumfang 489 mm, der ganze
Sagittalbogen 340 mm.
Profilwinkel 799 — prognath. Das Gesicht ist hoch, erscheint aber relativ breit, Index 52,21
— leptoprosop; Fossa canina mäßig tief; Wangenbeine angelegt, nach unten etwas ausladend,
Jochbogen schwach vortretend. Nase lang und ziemlich schmal, Index 48,08 — mesorrhin,
mit abgerundetem, breitem unteren Rande der Apertura piriformis einen wahren Clivus nasalis
bildend; vorderer Nasenstachel gut entwickelt; Nasendach gut gewölbt, nach vorwärts aquilin
vorspringend, die Nasenbeine ziemlich breit. Augenhóhlen weit, aber etwas mehr eckig, Index
84.52 — mesoconch. Augenbrauenbogen in ihren inneren Partien gut entwickelt. Ohröffnung
rundlieh-oval. Gaumen tief, oval, Index 76,78 — leptostaphylin. Die Zähne, namentlich die
Schneidezähne, auffallend klein; der rechte mittlere Sehneidezahn kariós(?) Die Zähne waren
während des Lebens alle vorhanden und erhalten, die dritten Molaren noch nicht abgerieben.
Unterkiefer: Körper ziemlich hoch; das Kinn gut ausgebildet; die Äste breit und steil.
Die dritten Molaren waren noch nicht erschienen. Lebensalter annähernd 20 Jahre.
78*
606
Uebersicht der Maasse.
Kapazität 1170 ccm Ganze Gesichtshöhe 111 mm. \
Größte horizontale Länge 165 mm Obergesichtshöhe 71
, Breite 137 Jochbreite 136
Gerade Höhe 138 Gesichtsbreite (Virchows) 108
Ohrhöhe 118 Augenhöhlen-Höhe 35,5
Horizontale Länge des Hinterhaupts 99 B -Breite 12
Basilare Länge des Vorderhaupts 72 Nasen-Hóhe 52
Horizontalumfang 489 . -Breite 25
Sagittalumfang des Stirnbeins 115 Gaumen-Lünge 56
A der Scheitelbeine 110 » -Breite 43
M „ Hinterhauptsschuppe 115 Gesichtswinkel 799
Ganzer Sagittalbogen 340
Kleinste Stirnbreite 93
Länge der Schädelbasis 94
Breite , » 109
Berechnete Indices.
Längenbreiten-Index 83,03 Obergesichts-Index 52,21 (65,74)
Längenhöhen-Index 83,64 Augenhóhlen-Index 84,52
Ohrhóhen-Index 71,52 Nasen-Index 48,08
Hinterhaupts-Index 60,00 Gaumen-Index 76,78
Allgemeine Analyse:
Ó, brachycephal, hypsicephal, leptoprosop (mesoprosop), mesoconch, mesorrhin, leptostaphylin, prognath..
607
Nr. 21. Pachacamäc.
Männlicher Schädel erwachsenen Alters mit Unterkiefer. Schädeldach dünn, an vielen
Stellen stärker durchscheinend. Vorwiegend oceipitale Deformation. Schwache Koronalrinne,
die, wie das gewöhnlich der Fall ist, das vordere Ende der Sagittalnaht freiläßt. Eine geringe,
beiderseitige Abflachung der Stirnbeinwölbungen. Das zweite Drittel der Sagittalnaht etwas
schwächer, die Lambdanaht etwas stärker eingezogen. Über die hinteren unteren Ecken der
Scheitelbeine verläuft eine ca. zwei Finger breite flache Eintiefung, die sich als schmale, seichte
Rinne über den mäßig starken Torus oceipitalis mit der Eintiefung der anderen Seite verbindet.
Die Nähte sind alle offen; in der Lambdanaht befinden sich eine Anzahl Wormsscher
Knochen; Sphenobasilarfuge verwachsen. Augenbrauenbogen in ihren inneren Abschnitten gut
ausgebildet.
Der Schädel ist hyperbrachycephal, Index 91,61, Längenhöhen-Index 87,09 hypsicephal.
Die Kapazität beträgt 1170 eem, der Horizontalumfang 488 mm, der ganze Sagittalbogen 340 mm.
Profilwinkel 80°, prognath mit vorwiegend alveolarer Prognathie. Das Gesicht erscheint
relativ breit, Index 49,04 meso- bzw. chamaeprosop. Fossa canina ziemlich flach. Wangen-
beine ausladend, Jochbogen angelegt. Nase kurz und verhältnismäßig breit. Index 53,33
platyrrhin; unterer Nasenrand abgerundet; Nasendach verhältnismäßig gut gewölbt, schwach
aquilin. Augenhöhlen mehr eckig als gerundet, niedrig, Index 78,57 chamaeconch. Ohröffnungen
oval. Gaumen tief und lang, Index 76,36 leptostaphylin. Alveolarrand, wie gesagt, ausge-
sprochen prognath. Die Zähne waren während des Lebens alle erhalten und schon etwas
abgekaut.
Unterkiefer: Körper niedrig, Kinn gut entwickelt, Äste breit und steil. Von den Zähnen
war während des Lebens der rechte dritte Molar zu Verlust gegangen; der erste Molar links
ist etwas kariós. Der dritte Molar links steckt schief (nach innen gerichtet) im Kiefer. Lebens-
alter etwa 30 Jahre.
608
Uebersicht der Maasse.
Kapazität 1170ccm * Ganze Gesichtshöhe 109 mm
Größte horizontale Länge 155 mm Obergesichtshóhe 64
, Breite 142 Jochbreite 130,5
Gerade Höhe 135 Gesichtsbreite (Virchows) 107
Ohrhóhe 114 Augenhóhlen-Hóhe 33
Horizontale Länge des Hinterhaupts 90 a -Breite 42
Basilare Länge des Vorderhaupts 71 Nasen-Hóhe 45
Horizontalumfang 488 , -Breite 24
Sagittalumfang des Stirnbeins 110 Gaumen-Länge 55
: der Scheitelbeine 113 , -Breite 42
E . Hinterhauptsschuppe 117 Gesichtswinkel 809
Ganzer Sagittalbogen 340 S
Kleinste Stirnbreite 93
Länge der Schädelbasis S8
Breite , = 100
Berechnete Indices,
Längenbreiten-Index 91,61 Obergesichts-Index 49,04 (59,81)
Längenhöhen-Index 87,09 Augenhöhlen-Index 78,57
Ohrhóhen-Index 13,55 Nasen-Index 53,33
Hinterhaupts-Index 58,07 Gaumen-Index 76,36
Allgemeine Analyse:
ö, hyperbraehycephal, hypsicephal, prognath, meso- bzw. chamaeprosop, platyrrhin, chamaeconch,
leptostaphylin.
609
Nr. 22, Pachacamäc.
Fig. 22.
Ziemlich schwerer, männlicher Schädel ohne Unterkiefer mittleren Alters. Deformation
vorwiegend oceipital. Flache breite Koronalrinne, die beiderseits nieht bis zur Sagittalnaht
reicht. Beiderseits schwache Abplattung des Stirnbeins, die Stirnhöcker berührend, die oberen
und sagittalen Partien des Stirnbeins wie gewöhnlich freilassend. Über die hinteren und unteren
Winkel der Scheitelbeine ziehen sich je gut zwei Finger breite Abflachungen gegen die Lambda-
naht, diese etwas überschreitend. Die Hinterhauptsabplattung erstreckt sich in breiter Fläche
fast auf die ganze Oberschuppe des Hinterhauptbeins und die anliegenden Scheitelpartien.
Schwache sagittale Eintiefung gegen den gut entwickelten Torus oceipitalis. Der Scheitel erscheint
durch eine die oberen vorderen Teile der Scheitelbeine umfassende Abflachung etwas erniedrigt.
Die Nähte sind fast alle offen; rechts vollkommen, links fast vollkommen trennende Schalt-
knochen der Schläfenfontanelle. Sphenobasilarfuge verwachsen; Zitzenfortsätze schmal und
ziemlich klein. Eine rundliche kleine Exestose zeigt sich an der Knickstelle des linken Scheitel-
beins gegen die oceipitale Deformationsfläche,
Der Schädel ist hyperbrachycephal. Längenbreiten-Index 95,30, Längenhöhen-Index 86,58
hypsicephal. Die Kapazität beträgt 1125 eem, der Horizontalumfang 480 mm, der ganze Sagittal-
bogen 338 mm.
Der Schädel ist prognath, Profilwinkel 78°. Das Gesicht erscheint ziemlich breit, Index
49,23 meso- bzw. chamaeprosop. Fossa canina mit mittlerer rinnenförmiger Vertiefung. Wangen-
beine und Jochbogen wenig ausladend, Nasen-Index 52,83 platyrrhin mit scharfem unteren Rand
der Apertura piriformis, Nasenstachel kräftig, Nasendach gut gewölbt, etwas zerbrochen, nach
unten schwach aquilin vorspringend. Augenbrauenbogen schwach, Augenhóhlen weit, rundlich-
viereckig, Index 81,25 mesoconch. Ohróffnungen rundlich. Gaumen tief und sich nach hinten
stark verbreiternd, Index 92,31 brachystaphylin. Alveolarfortsatz mäßig lang und etwas prognath.
Die Zähne waren während des Lebens alle erhalten und wenig abgekaut; der rechte erste Molar
ist kariós.
Lebensalter zwischen 20 und 30 Jahre.
610
Uebersicht der Maasse.
Kapazität 1125 ccm Ganze Gesichtshöhe — mm
Größte horizontale Länge 149 mm Oberzesichtshóhe 64
, Breite 142 Jochbreite 130
Gerade Höhe 129 Gesichtsbreite (Virchows) 99
Ohrhóhe 108 Augenhóhlen-Hóhe 82,5
Horizontale Länge des Hinterhaupts 88 ' - -Breite 40
Basilare Länge des Vorderhaupts 69 Nasen-Hóhe 48
Horizontalumfang 480 , Breite 25
Sagittalumfang des Stirnbeins 115 Gaumen-Länge 52
5 der Scheitelbeine 111 „» -Breite 48
z „ Hinterhauptsschuppe 112 Gesichtswinkel 789
Ganzer Sagittalbogen 338 :
Kleinste Stirnbreite 89
Länge der Schädelbasis 94
Breite „ E 106
Berechnete Indices.
Lüngenbreiten-Index 95.30 Obergesichts-Index 49,23 (64,65)
Längenhöhen-Index 86,58 Augenhöhlen-Index 81,25
Ohrhóhen-Index 12.48 Nasen-Index 52,83
Hinterhaupts-Index 59,06 Gaumen-Index 92,31
Allgemeine Analyse:
ö, hyperbrachycephal, hypsicephal, prognath, meso- bzw. chamaeprosop, platyrrhin, mesoconch,
brachystaphylin.
611
Kräftiger, männlicher Schädel vorgeschritteneren Alters, ohne Unterkiefer. Turmkopf mit
vorwiegend oceipitaler Abplattung, welche eine starke Verkürzung des Schädels bewirkt. Seichte
Koronalrinne, welche eine ca. zwei Finger breite Partie der vorderen Sagittalnahtgegend freiläßt.
Beiderseits geringe Abflachung des Stirnbeins bis zu den Stirnhöckern. Über die hinteren
unteren Winkel der Scheitelbeine zieht sich eine gut drei Finger breite,. konkave Abflachung
auf die Lambdanaht und schwach auf die Oberschuppe des Hinterhauptbeins übergreifend. Die
ganze Oberschuppe mit Ausnahme kleiner seitlicher Partien rechts und links, von dem Torus
oceipitalis an abgeplattet. Die Abplattung greift stark auf die angrenzenden Scheitelbeinpartien
über. Die abgeplattete Partie ist etwa 9 em hoch und 7 em breit. Die Scheitelbeine sind
durch die Deformation in ihren hinteren Abschnitten stark in die Höhe gewölbt.
Die Sagittalnaht ist teilweise in ihrem hinteren Abschnitt verwachsen, vielleicht als Folge
des Druckes. Die übrigen Nähte sind offen. Im unteren Teil der Lambdanaht rechts kleiner
Wormscher Knochen, in beiden Schläfenfontanellen je ein fast trennender Schaltknochen. Spheno-
basilarfuge verwachsen. Zitzenfortsätze kräftig. Torus oceipitalis gewissermaßen verdrückt.
Sehr starke, fast neandertholoide Augenbrauenwülste.
Der Schädel ist hyperbrachycephal, Index 88,13. Längenhöhen-Index 93,13 hypsicephal.
Die Kapazität beträgt 1300 cem. Der Horizontalumfang 496 mm, der ganze Sagittalbogen 360 mm.
Der Profilwinkel beträgt 81°, schwache Prognathie. Das Gesicht erscheint breit, Index
50.37 meso- bzw. leptoprosop. Fossa canina ziemlich flach. Wangenbeine und Jochbogen grob,
ausladend. Nase lang und breit, schwach platyrrhin, Index 51,88. Nasenstachel ziemlich lang.
Nasenbeine zerbrochen, verwachsen, Nasendach stark gewölbt, aquilin vorspringend. Der Unter-
rand der Apertura piriformis stark abgeflacht gegen den Alveolarfortsatz in einer schiefen Fläche
abfallend. Augenhöhlen viereckig, niedrig, Index 75,00 ehamaeconch. Ohróffnungen oval.
Gaumen ziemlich schmal und lang, Index 75,00 leptostaphylin, mit rauher Oberfläche. Alveolar-
fortsatz sehr kurz, großenteils zerbrochen, macht aber einen schon seneszierenden Eindruck.
Die Zähne waren übrigens zum Teil während des Lebens noch erhalten.
Lebensalter nicht genau bestimmbar, jedenfalls über 40 Jahre.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 79
612
Uebersicht der Maasse.
Kapazität 1300 cem Ganze Gesichtshöhe — mm.
Größte horizontale Länge 160 mm Obergesichtshöhe 67
„ Breite 141 Jochbreite (133)
Gerade Höhe 149 Gesichtsbreite (Virchows) 101
Ohrhóhe 124 Augenhóhlen-Hóhe 33
Horizontale Lünge des Hinterhaupts 92 - -Breite 44
Basilare Länge des Vorderhaupts 77 Nasen-Höhe 53
Horizontalumfang 496 „ -Breite 27,5
Sagittalumfang des Stirnbeins 113 Gaumen-Lànge 54
x der Scheitelbeine 130 »„ -Breite 40,5-
2 , Hinterhauptsschuppe 117 Gesichtswinkel 819
Ganzer Sagittalbogen 360
Kleinste Stirnbreite 92
Lünge der Schüdelbasis 103
Breite „ n 110
Berechnete Indices,
Längenbreiten-Index 88,13 Obergesichts-Index 50,37 (66,34)
Längenhöhen-Index 93,13 Augenhóhlen-Index 75,00
Ohrhöhen-Index 77,50 Nasen-Index 51,88
Hinterhaupts-Index 57,50 Gaumen-Index 75,00
Allgemeine Analyse:
Ó, hyperbrachycephal, hypsicephal, meso- bzw. leptoprosop, platyrrhin, chamaeconch, leptostaphylin,.
prognath.
613
Nr. 24. Pachacamäc.
Wahrscheinlich männlicher Schädel höheren Alters, ohne Unterkiefer mit vorwiegend occipi-
taler Deformation. Schwache Koronalrinne in der Mitte über der Sagittalnaht nicht deutlich
getrennt. Geringe beiderseitige Stirnabflachung. Über die hinteren. unteren Ecken der Scheitel-
beine verläuft wie gewöhnlich eine ca. drei Finger breite schwache konkave Abflachung, über
die Lambdanaht übergreifend und sich als eine schwache Rinne über dem flachen Torus
oecipitalis fortsetzend. Die Abflachung des Hinterhaupts ist sehr bedeutend, sie betrifft den
größten Teil von Ober- und Untersehuppe des Hinterhauptbeins und die oben angrenzenden
Partien der Scheitelbeine. Der Schädel ist dadurch verkürzt. Die Abplattung deutlich schief.
Die rechte Seite springt nach hinten etwas stärker vor. In der Mitte des linken Scheitelbeins
und über die Protuberantia oceipitalis externa befinden sich je eine rundliche kleine patho-
logische Eintiefung.
Die Nähte sind zum Teil verwachsen und teilweise verstrichen. Sphenobasilarfuge ver-
knöchert. Processi mastoidei klein. Torus oceipitalis flach. Augenbrauenbogen in den mittleren
Partien gut ausgebildet.
Der Schädel ist extrem brachycephal, Index 101,38, die Breite übertrifft etwas die Länge.
Längenhöhen-Index 95,17 hypsicephal. Die Kapazität beträgt 1130 cem. Der Horizontalumfang
477 mm, der ganze Sagittalbogen 313 mm. Profilwinkel von 76°, ziemlich starke Prognathie.
Das Gesicht erscheint ziemlich breit, Index 48,28 chamaeprosop; Fossa canina tief. Wangen-
beine und Jochbogen schwach ausladend. Nase ziemlich lang und groß, Index 48,08 mesorrhin,
unterer Rand der Apertura piriformis flach gerundet. Nasenstachel gut entwickelt. Nasendach gut
gewölbt, schmal, stark aquilin vorspringend. Augenhöhlen weit und ziemlich hoch, Index 83,72
mesoconch. Ohröffnungen oval. Gaumen senil verändert, Index 78. Alveolarfortsatz für die
Schneidezähne auffällig kurz. Von den Zähnen fehlten rechts die Molaren und Prämolaren,
links der zweite und dritte Molar, der Alveolarfortsatz ist dementsprechend usuriert.
Lebensalter jedenfalls über 50 Jahre.
79*
614
Uebersicht der Maasse,
Kapazität 1130 cem
Größte horizontale Länge 145 mm
„ Breite 147
Gerade Hóhe 138
Ohrhóhe 112
Horizontale Länge des Hinterhaupts 86
Basilare Lànge des Vorderhaupts 70
Horizontalumfang 477
Sagittalumfang des Stirnbeins 106
E der Scheitelbeine 207
» „ Hinterhauptsschuppe 207
Ganzer Sagittalbogen 313
Kleinste Stirnbreite 92
Länge der Schädelbasis 87
Breite , : 108
Lüngenbreiten-Index
Längenhöhen-Index
Oberhóhen-Index
Hinterhaupts-Index
Berechnete Indices,
101,38
95,17
71,24
59,31
Allgemeine Analyse:
Obergesichts-Index
Ganze Gesichtshóhe — mm:
Obergesichtshóhe 62
Jochbreite 128
Gesichtsbreite (Virchows) 97
Augenhóhlen-Hóhe 36
= -Breite 43
Nasen-Hóhe 52
„ -Breite 25
Gaumen-Länge 50
. -Breite 39
Gesichtswinkel 760
48,28 (63,92)
Augenhóhlen-Index 83,72
Nasen-Index 48,08
Gaumen-Index 18,00
ö (?), Extrem-brachycephal, hypsicephal, prognath, chamaeprosop, mesorrhin, mesoconch, leptostaphylin..
Nr. 25
MJ
Fig. 25.
Männlicher Schädel höheren Lebensalters, ohne Unterkiefer, vorwiegend oceipital deformiert.
Sehwache seitliche Koronalrinnen, welche die Partie in dem vorderen Ende der Sagittalnaht in
fast zwei Fingerbreite unverändert lassen. Beiderseitige schwache Stirnabflachung, welche ein
Stirnbeindreieek mit schwachem Mittelgrat unverändert läßt. Über die hinteren unteren Scheitel-
beinecken verläuft eine gut zwei Finger breite, leicht konkave Abflachung, welche besonders
deutlich links die Lambdanaht als seichte Rinne überschreitet. Die oceipitale Abflachung er-
streckt sich fast auf die ganze Oberschuppe und die obere Partie der Unterschuppe des Hinter-
hauptbeins und greift weit auf die hinteren oberen Ecken der Scheitelbeine über. Auf dem
linken Scheitelbeinhöcker befindet sich eine seichte, daumenbreite, pathologische Einsenkung,
auf dem rechten Scheitelbein, bei dem Foramen parietale, ziemlich tiefe, runde, zum Teil per-
forierende Grube mit Zeichen eines langdauernden Heilungsprozesses.
Die Nähte sind, mit Ausnahme der im Verstreichen begriffenen Sagittalnaht, offen. In der
Lambdanaht sind viele größere und kleinere Wormsche Knochen. Auf dem Hinterhaupt sind die
Reste der fötalen Hinterhauptsquernaht, rechts 25, links 20 mm, lang erhalten, als unvollkom-
menes Os ineae. Die Sphenobasilarfuge ist verwachsen; die Processi mastoidei sind mäßig groß.
Der Schädel ist extrem brachycephal, Index 93,04, Längenhöhen-Index 98,10 hypsicephal.
Die Kapazität beträgt 1215 cem, der Horizontalumfang 494 mm, der ganze Sagittalbogen 353 mm.
Der Schädel ist ziemlich stark prognath, Profilwinkel 769. Das Gesicht erscheint mäßig
breit, Index 50,77 lepto- bzw. mesoprosop; Fossa canina seicht, Wangenbeine angelegt, Joch-
bogen schwach ausladend. Nase ziemlich lang, Index 48,08 mesoconch. Unterer Rand der
Apertura piriformis flach abgerundet, Nasenstachel gut entwickelt. Nasendach schmal, gut ge-
wölbt, etwas zerbrochen, aber wohl aquilin vorspringend. Augenhöhlen viereckig, ziemlich niedrig,
Index 76,19 chamaeconch. Ohróffnungen eng, oval. Gaumen tief und lang, Index 75,55
leptostaphylin. Alveolarfortsatz kurz; von den links bedeutend stärker abgekauten Zähnen fehlten
wahrscheinlich schon während des Lebens die drei Molaren, sowie links der erste Prämolar,
rechts der Eckzahn und die beiden Prámolaren. Der linke Eckzahn ist bis auf den Hals ab-
gekaut, aber gesund. Der erste Molar links kariös.
Lebensalter etwa 50 Jahre.
Das Gesicht ist gegen den Hirnschädel etwas schief gestellt, d. h. nach rechts geschoben,
wahrscheinlich infolge der Unterkieferverhältnisse.
616
Uebersicht der Maasse.
Kapazität 1215 cem
Größte horizontale Länge 155 mm
$ Breite 147
Gerade Hóhe 155
Ohrhóhe 122
Horizontale Länge des Hinterhaupts 84
Basilare Lànge des Vorderhaupts 75
Horizontalumfang 494
Sagittalumfang des Stirnbeins 110
E der Scheitelbeine 129
a , Hinterhauptsschuppe 114
Ganzer Sagittalbogen 355
Kleinste Stirnbreite 92
Länge der Schädelbasis 98
Breite , E 108
Berechnete Indices.
Längenbreiten-Index 93,04
Längenhöhen-Index 98,10
Ohrhöhen-Index 77,22
Hinterhaupts-Index 53,16
Ganze Gesichtshöhe — mm
Obergesichtshóhe 66
Jochbreite 130
Gesichtsbreite (Virchows) 99
Augenhöhlen-Höhe 32
5 -Breite 42
Nasen-Höhe 52
. -Breite 25
Gaumen-Lànge 55
» -Breite 41,5
Gesichtswinkel 769
Obergesichts-Index 50,77 (66,66)
Augenhóhlen-Index 16,19
Nasen-Index 48,08
Gaumen-Index 5155,
Allgemeine Analyse:
ö, Ultra-brachycephal, hypsicephal, prognath, lepto- bzw. mesoprosop, mesorrhin, chamaeconch,
leptostaphylin.
617
Nr. 26. Ancon.
"c
Fig. 26.
Kräftiger, männlicher Schädel mit Unterkiefer, von mittlerem Lebensalter, wenig defor-
miert, eigentlich nur oceipital etwas abgeplattet. Schwache, seitliche Koronalrinnen, welche wie bei
Schädel Nr. 25 die Partien um das vordere Ende der Sagittalnaht in fast zwei Fingerbreite un-
verändert läßt. Ganz schwache beiderseitige Stirnabflachung, welehe, wie gewöhnlich, große Teile
des Stirnbeins unverändert läßt als Stirnbeingrat, Stirnbeindreieck und Stirnbeinwulst. Dadurch
bekommt der Scheitel eine flach dachförmige Gestalt. Die oceipitale Abplattung, eine rundliche
Fläche von ca. 5em Durchmesser, betrifft die Lambdanahtspitze der Oberschuppe des Hinter-
hauptbeins und greift auf die angrenzenden Scheitelbeinpartien über. Von den unteren hinteren
Ecken der Scheitelbeine geht eine ganz schwache, gut zwei Finger breite Eintiefung über die
Lambdanaht herüber. Schwacher Torus oceipitalis, in der Mitte mit einem zapfenförmigen
äußeren Hinterhauptshöcker, unter welchem sich die letztgenannten Eintiefungen als schwache
Rinne vereinigen.
Die Sagittalnaht ist nahezu vollkommen verstrichen, die übrigen Schädelnähte sind offen.
Die Sphenobasilarfuge ist verknöchert. Zitzenfortsätze stark und breit. Schwache rinnenförmige
Stenokrotaphie.
Der Schädel ist stark brachycephal, Index 85,39 schon hyperbrachycephal. Längenhöhen-
Index 81,18 hypsicephal. Die Kapazität beträgt 1265 cem, der Horizontalumfang 518 mm.
Der ganze Sagittalbogen 347 mm.
Profilwinkel 81°, sonach schwache Prognathie, vorwiegend durch den vorspringenden
Alyeolarfortsatz bewirkt. Das Gesicht ist kräftig profiliert und ziemlich breit, Index 51,49
meso- bzw. leptoprosop; Fossa canina mäßig tief, Wangenbeine ebenso wie die Jochbogen etwas
ausladend. Nase groß, hoch und schmal, Index 44,64 leptorrhin. Am unteren Rand der Aper-
tura piriformis zeigen sich schwache Pränasalgruben, Nasendach fein und hochgewölbt, nach
unten stark aquilin vorspringend. Die Augenbrauenbogen in ihren mittleren Partien kräftig
entwickelt, Augenhöhlen weit rundlich-viereckig, hoch, Index 92,50 hypsiconch. Ohröffnungen
schmal oval, durch Exostose noch weiter verengt, hoch. Gaumen tief und lang, Index 74,14
leptostaphylin. Alveolarfortsatz ziemlich hoch, prognath. Von den Zähnen haben schon während
618
des Lebens gefehlt: rechts der zweite, links der erste und zweite Prämolar, rechts der zweite
Molar an der Innenseite kariös, ebenso an der benachbarten vorderen Seite der dritte Molar,
links ist der erste Molar an seiner hinteren Wand kariös, der zweite Molar war schon während
des Lebens durch Wurzelentzündung mit Fisteldurchbruch zerstört, der dritte Molar hat auf der
Kaufläche eine kariöse Öffnung.
Unterkiefer: Körper hoch, Kinn gut entwickelt, Äste steil und breit. Die Zähne waren
während des Lebens alle erhalten, der dritte Molar rechts ist hohl, kariös, der zweite zeigt be-
ginnende Karies. Der dritte Molar links zeigt wie der gegenüberstehende Zahn des Oberkiefers
in der Mitte der Kaufläche eine kleine kariöse Öffnung.
Uebersicht der Maasse.
Kapazität 1265 cem Ganze Gesiehtshóhe 128 mm
Größte horizontale Länge 170 mın Obergesichtshóhe 69
5 Breite 145 Jochbreite 157
Gerade Hóhe 138 Gesichtsbreite (Virchows) 104
Ohrhöhe 111 Augenhóhlen-Hóhe 37
Horizontale Länge des Hinterhaupts 100 A -Breite 40
Basilare Länge des Vorderhaupts 80 Nasen-Hóhe 56
Horizontalumfang 518 „ -Breite 25
Sagittalumfang des Stirnbeins 112 Gaumen-Länge 58
der Scheitelbeine 118 „ -Breite 43
B „ Hinterhauptsschuppe 117 Gesichtswinkel 819
Ganzer Sagittalbogen 347
Kleinste Stirnbreite 99
Länge der Schädelbasis 97
Breite „ * 109
Berechnete Indices.
Längenbreiten-Index 85,39 Obergesichts-Index 51,49 (66,84)
Längenhöhen-Index 81,18 Augenhóhlen-Index 92,50
Ohrhóhen-Index 65,29 Nasen-Index 41,64
Hinterhaupts-Index 58,82 Gaumen-Index |o 74,14
Allgemeine Analyse:
ö, hyperbrachycephal, hypsicephal, meso- bzw. leptoprosop, leptorrhin, hypsiconch, leptostaphylin,
prognath.
619
Nr. 27.
Fig. 27. Mit Tafel 2.
Schädel mittleren Alters mit Unterkiefer, wahrscheinlich weiblich; frontal-oceipital stark
deformiert. Schwache Andeutung seitlicher Koronalrinne. Das Stirnbein erscheint im ganzen
stark flach, es zeigt sich aber wie bei den bisher beschriebenen Schädeln, die obere Partie
gegen die Kranznaht in etwa zwei Finger Breite als Stirnwulst von der Deformation nicht
betroffen, ebenso daran anschließend ein mittleres, etwa thalergroßes, deutlich umwalltes Stück
an Stelle des sonst nachzuweisenden Stirnbeindreiecks und des Stirngrates, in der Mittelpartie
zum Teil auch etwas abgeflacht. Seitlich davon erstreckt sich je eine rinnenförmige, stärkere,
von dem Mittelstück durch einen deutlichen Wall abgegrenzte Abflachung, beiderseits bis an
und zum Teil über die sehr schwach ausgebildeten, fast fehlenden Augenbrauenbogen. Die
oceipitale Hauptabflachung erstreckt sich nahezu auf die ganze Hinterhauptsschuppe, knapp
zwei Finger breit von der Spitze der Lambdanaht beginnend bis zum Hinterrand des Foramen
magnum. Ober- und Unterschuppe erscheinen in dieser Ausdehnung in eine Fläche gelegt, welche
mit der Stirnfläche fast parallel läuft. Der Schädel erhält dadurch, auf das Hinterhaupt gelegt,
eine eigentümlich flach-kuchenförmige Gestalt. Auch die obere Spitze des Hinterhaupt-
beins mit den angrenzenden Scheitelpartien zeigt eine von der erstbeschriebenen unabhängige,
einen fast rechten Winkel mit dieser bildende, drei Finger breite Abflachung. Die hinteren,
oberen Partien der Scheitelbeine sind seitlich stark ausgewölbt. An den hinteren, unteren Ecken
der Scheitelbeine findet sich eine schwache, breite Abflachung, geringer, aber in der Lage
den bei den vorausgehend beschriebenen Schädeln beobachteten Abflachungen der gleichen Stelle
entsprechend; sie überschreitet aber, wie es scheint, die Lambdanaht nicht.
Die Nähte sind noch alle offen. Die Kranznaht in der Mitte wenig gezackt, fast schuppen-
artig. Sphenobasilarfuge verwachsen; Processi mastoidei mäßig groß. Die Schläfenschuppe rückt
rechts und links nahe an das Stirnbein heran, auf 3—4mm entsprechend der Virchowschen ein-
fachen Schläfenenge; die großen Flügel des Keilbeins sind in ihren oberen, hinteren Ecken ent-
sprechend beträchtlich verschmälert.
Der Schädel ist ultra-brachycephal, Index 93,04, Längenhöhen-Index 77,85, hypsicephal.
Die Kapazität beträgt 1130 cem. Der Horizontalumfang 513 mm, der ganze Sagittalbogen 311 mm.
Der Profilwinkel beträgt 86° ausgesprochene Orthognathie. Das Gesicht erscheint relativ
breit, Index 50,56 meso- bzw. leptoprosop; Fossa canina mäßig tief, Wangenbeine und Joch-
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXTI. Bd. III. Abt. 80
620
bogen ausladend. Nase hoch und im ganzen schmal, Index 44,23 leptorrhin. Nasenstachel
kräftig, aber auffallend breit; Unterrand der Apertura piriformis scharf. Nasenbeine groß,
Nasenwurzel breit, Nasendaeh flach gewölbt, nach unten vorspringend. Augenhöhlen weit
rundlich, Index 91,67 hypsiconeh. Ohröffnung schlitzförmig, Gaumen tief und kurz, Index 100,00.
Alveolarfortsatz nicht kurz, dagegen die Zähne sehr klein; während des Lebens waren alle vor-
handen und noch wenig abgekaut.
Unterkiefer: Ziemlich niedrig, aber mit gut entwickeltem Kinn, Äste mäßig schief gestellt,
Zähne ebenfalls sehr klein; während des Lebens waren noch alle erhalten, die zweiten Molaren
rechts oben und unten links zeigen in der Mitte der Kaufläche geringe kariöse Erkrankung.
Lebensalter ca. 30—35 Jahre.
Uebersicht der Maasse.
Kapazität 1130 ccm Ganze Gesichtshóhe 113 mm
Größte horizontale Länge 158 mm Obergesichtshöhe 68 -
„ Breite 147 Jochbreite 134,5
Gerade Hóhe 128 Gesichtsbreite (Virchows) 99
Ohrhóhe 114 Augenhóhlen-Hóhe 38,5
Horizontale Lünge des Hinterhaupts 96 - -Breite 42
Basilare Länge des Vorderhaupts 64 Nasen-Höhe 52
Horizontalumfang 513 „ -Breite 23
Sagittalumfang des Stirnbeins 111 Gaumen-Länge 43
3 der Scheitelbeine 95 , -Breite 43
2 . Hinterhauptsschuppe 105 Gesichtswinkel 860
Ganzer Sagittalbogen 311
Kleinste Stirnbreite 92
Länge der Schädelbasis 86
Breite „ = 107
Berechnete Indices,
Längenbreiten-Index 93,04 Obergesichts-Index 50,56 (68,69)
Längenhöhen-Index 171,89 Augenhóhlen-Index 91,67
Ohrhóhen-Index 72,15 Nasen-Index 44,93
Hinterhaupts-Index 60,76 Gaumen-Index 100,00
Allgemeine Analyse:
O (2), ultra-braehycephal, hypsicephal; meso- bzw. leptoprosop, leptorrhin, hypsiconch, orthognath.
621
Nr. 28.
ut
NE
Fig. 98. Mit Tafel 3.
Vielleieht männlicher Schädel mittleren Alters mit Unterkiefer; frontal-oceipital deformiert.
Schwache Andeutung einer Koronalrinne auf beiden Seiten der Pfeilnaht. Die Stirnabflachung
zeigt wenig hervortretenden Koronalwulst, Stirnbeindreieck und Mittelgrat. Die Seitenpartien
des Stirnbeins sind abgeflacht, die Stirnhöcker sind unverändert. Über die unteren, hinteren
Eeken der Scheitelbeine zieht über die Lambdanaht eine drei Finger breite, flach konkave
Eintiefung. Das Hinterhaupt ist stark abgeflacht. Die Druckfläche erstreckt sich über die
Oberschuppe des Hinterhauptbeins und weit auf die anliegenden Scheitelbeinpartien, bis über
die Hälfte der Sagittalnaht. Der Schädel ist dadurch verkürzt und erhöht.
Die Nähte sind noch alle offen; in der Lamibdanaht einige kleine Wormsche Knochen.
Processi mastoidei gut ausgebildet. Mäßig starker Torus oecipitalis. Die Oberaugenbrauen-
bogen sind in ihren mittleren Partien gut ausgebildet.
Der Schädel ist extrem brachycephal, Index 102,16. Längenhöhen-Index 98,53 hypsi-
cephal. Die Kapazität beträgt 1040 ecm. Der Horizontalumfang 465 mm, der ganze Sagittal-
bogen 320 mm. 5
Profilwinkel 78° — Prognathie. Das Gesicht ziemlich breit und niedrig, Index 47,37
chamaeprosop. Fossa canina flach. Wangenbeine und Jochbogen wenig ausladend. Nase hoch
und schmal, Index 45,92 leptorrhin. Nasendach gut gewölbt, aquilin. Augenhöhlen mäßig weit,
viereckig, Index 76,19 chamaeconch. Ohróffnungen schlitzförmig. Gaumen ziemlich flach und
kurz, Index 86,95 brachystaphylin. Alveolarfortsatz kurz und prognath. Die Zähne waren
während des Lebens alle erhalten, aber zum Teil ziemlich abgekaut.
Unterkiefer: Körper niedrig, kräftig. Äußeres Kinn gut ausgebildet. Äste ziemlich steil.
Die Zähne waren während des Lebens erhalten.
Lebensalter etwa 30—40 Jahre.
80*
MN
Uebersicht der Maasse.
Kapazität
Größte horizontale Länge
„ Breite
Gerade Hóhe
Ohrhóhe
Horizontale Lünge des Hinterhaupts
Basilare Länge des Vorderhaupts
Horizontalumfang
Sagittalumfang des Stirnbeins
3 der Scheitelbeine
„ Hinterhauptsschuppe 99
3
Ganzer Sagittalbogen
Kleinste Stirnbreite
Länge der Schädelbasis
Breite „ 5
Lüngenbreiten-Index
Lüngenhóhen-Index
Ohrhóhen-Index
Hinterhaupts-Index
1040 cem Ganze Gesichtshóhe 102 mm
139 mm Obergesichtshóhe 63
142 Jochbreite 133
137 Gesichtsbreite (Virchows) 96
115 Augenhóhlen-Hóhe 32
79 * -Breite 42
65 Nasen-Hóhe 49.
465 „ -Breite 22,5
101 Gaumen-Länge 46
120 » -Breite 40
Gesichtswinkel 789
20
92
87
101
Berechnete Indices,
102,16 Obergesichts-Index 47,37 (65,63) -
98,53 Augenhöhlen-Index 76,19
82,73 Nasen-Index 45,92
56,54 Gaumen-Index 86,95
Allgemeine Analyse:
ö(?), extrem brachycephal, hypsicephal, prognath, chamaeprosop, leptorrhin, chamaeconch,
brachystaphylin.
623
Nr. 29.
1 Q
Fig. 29.
Wahrscheinlich männlicher Schädel mittleren Lebensalters mit Unterkiefer, frontal und
namentlich oceipital stark deformiert, Hinterhaupt „zweilappig“ wie Nr. 33 und 35 (s. auch diese).
Schwache breite Koronalrinne resp. konkave Abflachung, welche die Sagittalnahtgegend in gut
Daumenbreite freiläßt und sich, stärker auf der linken Seite, gegen die Schläfengegend rinnen-
förmig vertieft. Die beiden ziemlich breiten Flächen der im ganzen geringen Stirnabflachung
lassen einen Mittelgrat, Stirndreieck und einen im allgemeinen schwachen Koronalwulst unver-
ändert. Neben dem Stirnbeindreieck erscheint der Koronalwulst etwas eingetieft, was bei den
bisher beschriebenen Schädeln noch nieht beobachtet worden ist. Über die unteren, hinteren
Ecken der Scheitelbeine verläuft die oft beschriebene, breite, schwach konkave Eintiefung zur
Lambdanaht. Die oceipitale Abflachung umfaßt die Mittelpartie der Oberschuppe des Hinter-
hauptbeins und die angrenzenden Partien der Seheitelbeine. Durch Eintiefung der Sagittalnaht
und Lambdaspitze erscheint das Hinterhaupt wie gelappt, indem jedes Scheitelbein sich für sich
vorwölbt. Die beiden Scheitelbeine sind jedes für sich nach rechts und links ausgewölbt. Von
der Mitte der Koronalrinne aus ziehen sich beiderseits breite Furchen — eine mittlere Partie
der Scheitelbeine als „Scheitelbeindreieck“ freilassend, gegen die Mitte der Sagittalnaht. Hier
vereinigen sich beide zu einer einzigen, der Sagittalnaht bis zur Spitze der Lambdanaht entlang
laufenden Furche, welche sich als ein ziemlich tiefes Tal zwischen die beiden hügelartig vor-
gewölbten Scheitelbeine erstreckt. An der Lambdaspitze teilt sich die Furche wieder in zwei
Schenkel, die der Lambdanaht beiderseits entlang laufen und sich über die hinteren, unteren
Ecken der Scheitelbeine in der Richtung gegen die Schläfenschuppe und die vorderen Enden
der Koronalrinne fortsetzen. Die Scheitelbeine sind von diesen Furchen fast in der ganzen Er-
streckung ihrer Ränder umgriffen und gleichsam eingeschnürt, woraus sich die starke, seitliche
Hervorwölbung und damit die zweilappige Form des Hinterhaupts erklärt.
Die Nähte sind alle offen und stark gezackt, die Lambdanaht enthält eine Anzahl Schalt-
knochen, an der Spitze einen größeren. Die Processi mastoidei sind breit und kurz. Torus
oceipitalis ziemlich schwach. Augenbrauenbogen in ihren inneren Abschnitten gut hervortretend.
Der Schädel ist extrem brachycephal, Index 106,53. Längenhöhen-Index 83,01 hypsi-
cephal. Die Kapazität beträgt 1225 ccm. Der Horizontalumfang 511 mm, der ganze Sagittal-
bogen 307 mm.
624
Profilwinkel 81° leicht prognath. Das Gesicht erscheint hoch und mäßig breit, Index 53,33
leptoprosop; Fossa canina flach; Wangenbeine und Jochbogen ziemlich angelegt. Nase hoch,
Index 47,06 mesorrhin; Nasenstachel kräftig; Nasenbeine zum Teil zerbrochen, oben schmal,
Nasendach schmal, gut gewölbt; Augenhöhlen weit, bemerkenswert schief gestellt, Index 86,36
hypsiconch. Ohróffnungen rundlich. Gaumen tief und lang, Index 76,47 leptostaphylin. Alveolar-
fortsatz zum Teil senil verändert. Während des Lebens fehlten rechts der erste Prümolar, der
erste und zweite Molar, links die Prämolaren und der erste und zweite Molar.
Unterkiefer: Körper mittelhoch und breit, Kinn kräftig. Äste verhältnismäßig schief.
Während des Lebens waren rechts der erste Molar und die beiden Prämolaren verloren gegangen.
Die dritten Molaren waren nicht zum Durchbruch gekommen.
Lebensalter wohl über 50 Jahre.
Uebersicht der Maasse.
ccm Ganze Gesichtshöhe 109 mm
Kapazität 1225
Größte horizontale Länge 153 mm Obergesichtshóhe 72
„ Breite 163 Jochbreite (135)
Gerade Hóhe 197 Gesichtsbreite (Virchows) 94
Ohrhóhe 108 - Augenhóhlen-Hóhe 38
Horizontale Länge des Hinterhaupts 90 A -Breite 44
Basilare Länge des Vorderhaupts 71 Nasen-Hóhe 51
Horizontalumfang 511 . -Breite 24
Sagittalumfang des Stirnbeins 109 Gaumen-Länge 51
der Scheitelbeine 103 . -Breite 39
s „ Hinterhauptsschuppe 95 Gesichtswinkel 819
Ganzer Sagittalbogen 307
Kleinste Stirnbreite 95
Länge der Schädelbasis 95
Breite , ^ 106
Berechnete Indices.
Längenbreiten-Index Obergesichts-Index 53,33 (76,59)
Längenhöhen-Index Augenhöhlen-Index 86,36
Ohrhóhen-Index Nasen-Index 47,06
Hinterhaupts-Index Gaumen-Index 76,47
Allgemeine Analyse:
ö(?), extrem brachycephal, hypsicephal, prognath, leptoprosop, mesorrhin, hypsiconch, leptostaphylin.
625
Nr. 30,
Kindlicher Schädel mit Unterkiefer. Es sind nur geringe Spuren von Deformation vor-
handen, so daß der Schädel auf den ersten Blick undeformiert erscheinen könnte. Eine minimale,
flache Eindrückung seitlich vor der Kranznaht und je eine breite, schwach konkave Abflachung
der unteren hinteren Ecken der beiden Scheitelbeine, welche die Lambdanaht überschreiten
und als flache, gut daumenbreite, über die obere Partie der Unterschuppe des Hinterhauptbeins
verlaufende Furche ineinander übergehen. Eine Stirnabflachung rechts und links von einem
schwachen Stirngrat ist nur angedeutet. Stirn- und Scheitelbeinhöcker sind gut ausgebildet.
Rechts schwache, rinnenförmige Stenokrotaphie. Die Nähte sind alle offen und gut gezackt;
ein Wormscher Knochen befindet sich links in der Lambdanaht. Die Sphenobasilarfuge ist noch
weit offen, die Partes condyloidei mit der Pars basilaris noch nicht vollkommen verwachsen.
Die Processi mastoidei sind dem Alter entsprechend klein.
Der Schädel ist mesocephal. Längenbreiten-Index 79,22, Längenhöhen-Index 81,17 hypsi-
cephal. Die Kapazität beträgt 1105 eem. Der Horizontalumfang 448 mm, der ganze Sagittal-
bogen 335 mm.
Der Profilwinkel 82° steht an der Grenze der Orthognathie. Das Gesicht schmal, aber
kurz. Obergesichts-Index 54,56 leptoprosop. Wangenbeine und Jochbogen stark angelegt. Nase
kindlieh, Index 47,50 mesorrhin. Der Unterrand der oben bemerkenswert breiten Apertura
piriformis ist gerundet und verläuft im ganzen gerade mit nur angedeuteten Ausbuchtungen
nach unten. Schwacher Nasenstachel; Nasenbeine ziemlich groß und breit, das Nasendach flach
gewölbt, die Augenhöhlen sind gerundet und sehr hoch, Index 103,22 hypsiconch.
Gesichtsprofilierung kindlich, Ohröffnungen rundlich oval. Gaumen kindlich, relativ lang,
Index 81,58 mesostaphylin.
Unterkiefer: kindlich zart und niedrig; die Äste sind relativ breit und wenig schief gestellt.
Das Kinn ist verhältnismäßig schon gut entwickelt. Alle Milchzähne des Gebisses waren während
des Lebens noch vorhanden. Der erste Molar ist im Ober- und Unterkiefer im Erscheinen, in
letzterem auch die zweiten Schneidezähne des Dauergebisses.
Lebensalter zwischen 7 und 8 Jahre.
626
Uebersicht der Maasse,
Kapazität 1105 cem Ganze Gesichtshöhe 86 mm
Größte horizontale Länge 154 mm Obergesichtshóhe 53
, Breite 122 Jochbreite 99
Gerade Hóhe 125 Gesichtsbreite (Virchows) 73,5
Ohrhóhe 106 Augenhóhlen-Hóhe - 82
Horizontale Länge des Hinterhaupts 101 » -Breite 31
Basilare Länge des Vorderhaupts 55,5 Nasen-Höhe 40
Horizontalumfang 448 „ Breite 19
Sagittalumfang des Stirnbeins 119 Gaumen-Länge 38
" der Scheitelbeine 111 » -Breite 31
* , Hinterhauptsschuppe 105 Gesichtswinkel 829
Ganzer Sagittalbogen 335
Kleinste Stirnbreite 80,5
Lünge der Schüdelbasis 77
Breite der Schädelbasis 79
Berechnete Indices,
Längenbreiten-Index 79,22 Obergesichts-Index 54,56
Lüngenhóhen-Index 81,17 Augenhóhlen-Index 103,22
Ohrhóhen-Index 68,83 Nasen-Index 47,50
Hinterhaupts-Index 65,58 Gaumen-Index 81,58
Allgemeine Analyse:
mesocephal, hypsicephal, leptoprosop, hypsiconch, mesorrhin, mesostaphylin, schwach prognath.
ER
627
Nr. 31. Ancon.
Fig. 31.
Wenig deformierter, kindlicher Schädel ohne Unterkiefer. Er ist ausgezeichnet durch ein
vollkommenes Os Ineae. Flache, schwache Koronalrinnen jederseits ca. ein Finger breit von
der Kranznaht beginnend. Das Stirnbein zeigt Stirnbeindreieck, Mittelgrat, seitlich. von letzterem
je eine geringe Abflachung. Über die unteren, hinteren Ecken der Scheitelbeine verläuft eine
deutliche, zwei Finger breite, schwach konkave Abflachung. welche, die Lambdanaht etwas über-
schreitend, sich auf die Unterschuppe des Hinterhauptbeins fortsetzt. Eine schwache, oceipitale
Abflachung zeigt sich beinahe ausschließlich auf die oberen, hinteren Partien der Scheitelbeine
beschränkt, nur die oberste Lambdaspitze des Os Incae einbeziehend. Etwa ein Finger breit
unter der Grenznaht des Os Incae befindet sich in der Mitte eine pathologische Grube von
rundlicher Form, in der Tiefe derselben erscheint die Spongiosa freigelegt. Die ursprüngliche
Form des Schädels ist trotz der Deformation wenig verändert; nur das Hinterhaupt scheint durch
die seitlichen Druekwirkungen etwas hervorgewölbt resp. verlängert.
Die Nähte sind alle offen und mit Ausnahme des Os Incae normal. Im unteren Ende
der Lambdanaht sind links zwei Schaltknochen. Die basalen Teile des Hinterhauptbeins sind
noch nicht vollkommen verknöchert. Die Pars basilaris des Os oceipitale fehlt, die Spheno-
basilarfuge war noch weit offen. Processi mastoidei kurz, kindlich.
Der Schädel ist dolichocephal, Längenbreiten-Index 72,84; Längenhöhen-Index 79,01 hypsi-
cephal. Die Kapazität beträgt 1035 cem, der Horizontalumfang 446mm, der ganze Sagittal-
bogen 343 mm.
Profilwinkel 82° an der Grenze der Prognathie zur Orthognathie. Gesicht schmal, aber
niedrig, Index 51,04 leptoprosop bzw. mesoprosop. Wangenbeine und Jochbogen angelegt.
Nasenform kindlich, der Unterrand der Apertura pyriformis abgerundet und gerade auslaufend,
die Nasenbeine fehlen, waren aber breit und das Nasendach flach gewölbt; Nasen-Index 54,05
platyrrhin. Augenhöhlen rund, Index 100,00 hypsiconch; im rechten Augenhöhlendach befindet
sich eine ziemlich große kribrose Stelle. Ohróffnung rechts rundlich, links oval. Gaumen
kindlich, relativ lang, Index 89,47 brachystaphylin. Alveolarrand kindlich; der erste Molar ist
rechts und links durchgebrochen, sonst waren noch alle Milchzähne vorhanden.
Lebensalter ca. 7 Jahre.
Abh.d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 81
628
Uebersicht der Maasse.
Kapazität 1035 cem Ganze Gesichtshöhe — mm
Größte horizontale Länge 162 mm Obergesichtshóhe 49
, Breite 118 Jochbreite 96
Gerade Hóhe 198 Gesichtsbreite (Virchows) 75
Ohrhóhe 108 Augenhóhlen-Hóhe 1851
Horizontale Länge des Hinterhaupts 105 5 -Breite 31
Basilare Lànge des Vorderhaupts 60 Nasen-Hóhe -
Horizontalumfang 446 . -Breite 20
Sagittalumfang des Stirnbeins 109 Gaumen-Lànge 38
E der Scheitelbeine 110 „ -Breite 34
: „ Hinterhauptsschuppe 124 Gesichtswinkel 820
(49 4-75)
Ganzer Sagittalbogen 345
Kleinste Stirnbreite 79
Länge der Schädelbasis (82)
Breite , 2 84
Berechnete Indices.
Längenbreiten-Index 72,84 Obergesichts-Index 51,04
Längenhöhen-Index 79,01 Augenhöhlen-Index 100,00
Ohrhóhen-Index 63,58 . Nasen-Index 54,05
Hinterhaupts-Index 64,82 Gaumen-Index 89,47
Allgemeine Analyse:
dolichocephal, hypsicephal, leptoprosop (mesoprosop), hypsiconch, platyrrhin, brachystaphylin,
schwach prognath. :
629
Fig. 32. Mit Tafel 4.
Kindlicher Schädel ohne Unterkiefer, der Schädel ist durch pathologische Prozesse (Syphilis?)
stark deformiert. Eine Stirnkrista erhebt sich ungefähr am Ende des Stirnbeins in der Gegend
der ehemaligen großen Fontanelle zu einem hohen länglichen Höcker resp. Vorwölbung des
Knochens. Das Schädeldach zeigt mehrere große und kleinere kribrose Stellen. Von künst-
licher Deformation zeigen sich innerhalb der pathologischen Verunstaltung nur zweifelhafte
Spuren. Das Hinterhaupt erscheint wohl durch Druck etwas verschmälert: und vorgebuchtet.
Sagittal ist eine künstliche Deformation sonst nicht zu erkennen, frontal zweifelhaft.
Von den Nähten des Schädeldaches sind nur noch links die des großen Keilbeinflügels
offen, die übrigen sind vollständig verschwunden. Sphenobasilarfuge sowie die Nähte im Gesicht
und an der Schädelbasis offen. Die Knochen sind sehr dünn und an mehreren Stellen durch-
brochen.
Der Schädel ist dolichocephal, Index 74,68, Längenhöhen-Index 79,75 hypsicephal. Die
Kapazität beträgt 1095 cem, der Horizontalumfang 445 mm.
Profilwinkel 84° — Orthognathie. Das Gesicht erscheint kurz, Index 42,99 chamaeprosop.
Der Unterrand der Augenhöhlen springt scharf kristenartig vor. Wangenbeine angelegt, Joch-
bogen etwas ausgewölbt. Nase kindlich, kurz, Index 54,05 platyrrhin, Nasenstachel kräftig,
Nasendach schön gewölbt, aquilin. Augenhöhlen weit, Index 89,19 hypsiconch. Ohröffnungen
rundlich. Gaumen tief, Index 100,00 brachystaphylin. Während des Lebens war das Milch-
gebiß vorhanden, der erste bleibende Molar durchgebrochen.
Lebensalter etwa 7 bis 8 Jahre.
81*
630
Uebersicht der Maasse.
Kapazität
Größte horizontale Länge
R Breite
Gerade Höhe
Ohrhóhe
Horizontale Länge des Hinterhaupts
Basilare Lànge des Vorderhaupts
Horizontalumfang
Sagittalumfang des Stirnbeins
* der Scheitelbeine
2 „ Hinterhauptsschuppe
Ganzer Sagittalbogen
Kleinste Stirnbreite
Länge der Schädelbasis
Breite „ à
Längenbreiten-Index
Längenhöhen-Index
Ohrhóhen-Index
Hinterhaupts-Index
1095 ccm Ganze Gesichtshöhe
158 mm Obergesichtshóhe
(118) Jochbreite
126 Gesichtsbreite (Virchows)
105 Augenhóhlen-Hóhe
102 : -Breite
57 Nasen-Hóhe
445 „ Breite
x Gaumen-Länge
— . -Breite
— Gesichtswinkel
(340)
91
78
82
Berechnete Indices.
74,68 Obergesichts-Index 42,99
79,75 Augenhöhlen-Index 89,19
66,45 Nasen-Index 54,05
64,56 Gaumen-Index 100,00
Allgemeine Analyse:
dolichocephal, hypsicephal, orthognath, chamaeprosop, platyrrhin, hypsiconch, brachystaphylin.
631
Nr. 33. Pachacamäc.
Fig. 33.
Kindlieher, sehr stark deformierter Schädel ohne Unterkiefer, mit gelapptem Hinterhaupt,
ähnlich wie Schädel Nr. 35, Tafel 5. Stark ausgeprägte, breite Koronalrinne, jederseits bis an
die Sagittalnaht reichend und besonders in den seitlichen Partien sehr stark vertieft, sich zwischen
Stirnbein und Scheitelbein einsenkend, welche sich wallartig über die Furche erheben. Schwache
Fortsetzung direkt nach unten, namentlich rechts deutlich. Über die hinteren, unteren Ecken
der Scheitelbeine verläuft wieder eine breite, schwach konkave Abflachung, die Lambdanaht
gegen die Unterschuppe des Hinterhauptbeins zu etwas überschreitend. Die starke oceipitale
Abflachung betrifft hauptsächlich die mittleren Abschnitte der Unterschuppe des Hinterhaupt-
beins etwa fingerbreit von dem Hinterrand des Foramen magnum beginnend und bis zur Grenze
der Oberschuppe reichend. Von der Mitte der Kranznaht aus, am Anfang der stärkeren Ein-
tiefung der Koronalrinnen zieht sich beiderseits eine flache Eintiefung, ein breites „Scheitel-
beindreieck^ aussparend, nach hinten gegen die Sagittalnaht. Hier vereinigen sich beide
Eintiefungen bis zur Lambdanahtspitze, eine einheitliche, flache und breite Sagittalfurche,
gewissermaßen ein breites Tal zwischen den beiden rundhügelartig nach den Seiten und nach
oben vorgewölbten Scheitelbeinen bildend. Von da trennt sich diese Sagittalfurche wieder in
zwei Schenkel, beiderseits der Lambdanaht entlang laufend und von hier aus als flache Druck-
fläche jederseits den unteren, hinteren Winkel des Scheitelbeins überschreitend mit der Richtung
nach vorwärts gegen das untere Ende der Koronalrinne, von welcher sie nur in der Erstreckung
der Schläfenbeinnaht getrennt bleibt. Auf diese Weise wird jedes der beiden Scheitelbeine durch
die geschilderten Furchen fast vollkommen in seinen vier Rändern umgriffen und eingeschnürt.
Jedes Scheitelbein wird dadurch für sich vorgewölbt, wodurch die zweigelappte Form des
Hinterhaupts entsteht. Durch die Deformation wird der Schädel stark verkürzt und verbreitert
und infolge davon entsprechend erniedrigt.
Sphenobasilarfuge und alle Nähte offen. In der Lambdanaht sind eine Anzahl kleiner
und großer Schaltknochen. Rechts ist die Fótalquernaht des Hinterhauptbeins noch offen,
darüber ein gut ausgebildetes Os Incae laterale dextrum.
Der Schädel ist extrem brachycephal, Index 112,48, Längenhöhen-Index 86,93 hypsi-
cephal. Die Kapazität beträgt 1015 eem. Der Horizontalumfang 475 mm, der ganze Sagittal-
bogen 291 mm.
632
Profilwinkel 85? — Orthognathie. Das Gesicht erscheint breit und kurz, Index 48,15
chamaeprosop; Wangenbeine angelegt. Jochbogen schwach ausladend; Fossa canina gut profiliert.
Nase relativ lang und schmal, Index 42,11 leptorrhin. Unterer Rand der Nasenóffnung gerade,
abgeflacht, kleiner spitzer Nasenstachel, Nasenbeine ziemlich breit, flach gewölbt, leicht aquilin
vorspringend. Augenbrauenbogen fehlen, schwacher Stirnnasenwulst. Augenhöhlen weit, ge-
rundet, Index 94,31 hypsiconch. Öhröffnungen oval. Gaumen kindlich, Index 83,75 meso--
staphylin. Alveolarfortsatz relativ hoch. Es war noch das ganze Milchgebiß vorhanden, der
linke erste Milehmolar war kariós. Der erste bleibende Molar rechts und links schon durch-
gebrochen.
Lebensalter 7 Jahre.
Uebersicht der Maasse.
Kapazität 1015 ccm Ganze Gesichtshöhe — mm
Größte horizontale Länge 137 mm Obergesichtshöhe 52
n Breite 154 Jochbreite 108
Gerade Hóhe 117 Gesichtsbreite (Virchows) 78
Ohrhóhe 101 Augenhóhlen-Hóhe 33
Horizontale Länge des Hinterhaupts 81 : -Breite 35
Basilare Länge des Vorderhaupts 57 Nasen-Hóhe 58
Horizontalumfang 175 , -Breite 18
Sagittalumfang des Stirnbeins 95 Gaumen-Länge 40
der Scheitelbeine 90 - -Breite 33,5
" „ Hinterhauptsschuppe 106 Gesichtswinkel 850
Ganzer Sagittalbogen 291
Kleinste Stirnbreite 90
Länge der Schädelbasis 79
Breite „ ^ 97
Berecnnete Indices.
Lüngenbreiten-Index 112,48 Obergesichts-Index 48,15
Längenhöhen-Index 86,93 Augenhöhlen-Index 94,31
Ohrhóhen-Index 79,22 Nasen-Index 42,11
Hinterhaupts-Index 59,15 Gaumen-Index 83,75
Allgemeine Analyse:
extrem brachycephal, hypsicephal, orthognath, chamaeprosop, leptorrhin, hypsiconch, mesostaphylin.
633
Nr. 34.
Fig. 34.
Kindlieher, frontal-oecipital deformierter Schädel ohne Unterkiefer. Seitliche, in der
Gegend der Mitte der Kranznaht ziemlich stark vertiefte Koronalrinnen, durch deren Ein-
drücke die Nachbarpartien des Scheitel- und Stirnbeins auf beiden Seiten wallartig aufgewulstet
erscheinen. Die relativ schwache Stirnabflachung läßt die Stirnhöcker und einen breiten, aber
niedrigen Koronalwulst frei mit Stirndreieck und Mittelgrat. Die unteren, hinteren Ecken der
Scheitelbeine zeigen in geringem Grad die gewöhnliche, breite Abflachung, welche die Lambda-
naht etwas überschreitet. Auf den beiden Scheitelbeinen entlang der Lambdanaht und auf der
Oberschuppe sind große „kribröse“ Stellen mit Auftreibung des Knochens; eine kleine „kribröse“
Stelle findet sich auch auf der linken Stirnbeinhälfte, auch sonst kleine „kribröse“ Stellen im
Gaumen und an den Schläfenbeinen. Die oceipitale Abflachung wird zum Teil durch die ge-
nannten „kribrösen“* Knochenauftreibungen verdeckt; sie betrifft die Oberschuppe des Hinter-
hauptbeins und der benachbarten Teile der Scheitelbeine.
Sphenobasilarfuge und Nähte offen und normal. Zitzenfortsätze kindlich klein.
Der Schädel ist extrem brachycephal, Index 101,43, Längenhöhen-Index 88,57 hypsi-
cephal. Die Kapazität beträgt — cem. Der Horizontalumfang 443 mm, der ganze Sagittal-
bogen 304 mm.
Profilwinkel 83°, schwach orthognath. Das Gesicht relativ schmal, Index 48,65 meso-
prosop; Wangenbeine und Jochbogen angelegt. Nase ziemlich lang, Index 50,00 mesorrhin.
Unterrand der Apertura pyriformis gerade, flach mit kurzem Nasenstachel. Nasenbeine teilweise
zerbrochen, Nasendach relativ gut gewólbt. Augenbrauenbogen noch fehlend. Augenhöhlen
weit, Index 100,00 hypsiconch. Ohróffnungen oval; Gaumen kindlieh kurz, aber tief, Index 89,47
brachystaphylin. Alveolarfortsatz ziemlich lang. Das Milchgebiß war während des Lebens noch
erhalten, erste Molaren noch in den Alveolen.
Lebensalter ea. 6 Jahre.
Der beiliegende Unterkiefer gehört nicht zum Schädel: Äste ziemlich steil gestellt, Kinn
kräftig. Das Milchgebiß ist noch erhalten, doch ist schon der erste bleibende Molar jederseits
voll entwickelt. Lebensalter ca. 7 Jahre.
634
Uebersicht der Maasse.
Kapazität — cem Ganze Gesichtshöhe 87mm
Größte horizontale Länge 140 mm Obergesichtshöhe Ha
, Breite 142 Jochbreite “104
Gerade Höhe 124 Gesichtsbreite (Virchows) 75
Ohrhöhe 105 Augenhöhlen-Höhe 32
Horizontale Länge des Hinterhaupts 89 h -Breite 33
Basilare Länge des Vorderhaupts 56 Nasen-Hóhe 36
Horizontalumfang 448 „ -Breite 18
Sagittalumfang des Stirnbeins 99 Gaumen-Länge 38
* der Scheitelbeine 100 „ -Breite 34
B , Hinterhauptsschuppe 105 Gesichtswinkel 880 —
Ganzer Sagittalbogen 304
Kleinste Stirnbreite 87 :
Länge der Schädelbasis 80
Breite „ a 85
Berechnete Indices,
Längenbreiten-Index 101,43 Obergesichts-Index 78,65
Längenhöhen-Index 88,57 Augenhóhlen-Index 100,00
Ohrhóhen-Index 73,57 Nasen-Index 50,00
Hinterhaupts-Index 63,57 Gaumen-Index 89,47
Allgemeine Analyse:
extrem brachycephal, hypsicephal, orthognath, mesoprosop, mesorrhin, hypsiconch, brachystaphylin.
635
Nr. 35:
! —
Fig. 35. Mit Tafel 5 und 6.
Kindlieher Schädel, frontal-oceipital deformiert, ohne Unterkiefer. Deformation ähnlich wie
bei Schädel Nr. 33. Beiderseits eine geringe Stirnabflachung mit Koronalwulst, Stirnbeindreieck
und Stirnbeingrat; mit zweilappigem Hinterhaupt. Starke Koronalrinne bis zu den Schläfen herab-
reichend, das vordere Ende der Sagittalnaht nicht berührend, der Mitte der Kranznaht ent-
sprechend, welche sie stärker vertieft, so daß sich ihre Ränder wallartig erheben. Die oceipitale
Abflachung erstreckt sich auf beide Schuppenabschnitte des Hinterhauptbeins. Von der Unter-
schuppe bleibt nur eine kaum fingerbreite Strecke über dem Hinterrand des Foramen magnum
undeformiert. Von dem Anfang der stärker vertieften Teile der Koronalrinne, also etwa von
der Mitte der Kranznaht ausgehend, zieht jederseits eine breite Furche nach hinten, schief gegen
die Mitte der Sagittalnaht. Dadurch wird ein breites, wohlbegrenztes, undeformiertes „Scheitel-
beindreieck^ abgegrenzt, welches breit an der Kranznaht beginnt und seine Spitze etwas
hinter der Mitte der Sagittalnaht besitzt. Hier vereinigen sich die beiden seitlichen von der
Koronalrinne jederseits ausgehenden Furchen und ziehen als eine einheitliche, breite Eintiefung:
Sagittalrinne, der Sagittalnaht entlang, die Spitze der Lambdanaht etwas überschreitend und hier
die oceipitale Deformationsfläche berührend. Von der Lambdaspitze aus trennt sich die ein-
heitliebe Sagittalrinne wieder in zwei tiefe, relativ breite Rinnen, beiderseits der Lambdanaht
entlang über die hinteren unteren Ecken der Scheitelbeine nach vorwärts laufend, sowohl
rechts wie links unverkennbar, in der Richtung gegen das untere Ende der stark eingetieften
Koronalrinne. Nur ein kaum zwei Finger breites Stück über der Schläfenbeinschuppe, welches
keine deutliche Eintiefung zeigt, bleibt zwischen den beiden Rinnen übrig. Die Scheitelbeine
werden von den geschilderten Rinnen sonach an ihren vier Rändern fast vollkommen umgriffen
und eingeschnürt. Dadurch wird jedes für sich seitlich extrem hervorgewölbt, wodurch die
zweilappige Form des Hinterhaupts entsteht.
Pars basilaris des Hinterhauptbeins fehlt; Sphenobasilarfuge und alle Nähte offen; in der
Lambdanaht rechts ein kleiner Wormscher Knochen. Zitzenfortsätze kindlich, sehr kurz.
Der Schädel ist extrem-brachycephal, Index 103,52, Längenhöhen-Index 80,63 hypsicephal.
Die Kapazität beträgt ca. 990 cem. Der Horizontalumfang 458 mm, der ganze Sagittalbogen 290 mm.
Alveolarrand größtenteils zerbrochen, daher der Profilwinkel nicht sicher meßbar, etwa 74?
— Prognathie. Das Gesicht ist kindlich, breit, Index 48,48 chamae-mesoprosop. Wangenbeine
und Jochbogen angelegt; die Nase erscheint ziemlich groß und lang, Index 50,00 mesorrhin.
Abh. d. IT. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 82
636
Die Apertura pyriformis zeigt einen geraden, abgeflachten Unterrand mit relativ gutem Nasen-
stachel. Nasenbeine groß und breit und mäßig stark vorspringend. Nasendach gut, etwas flach
gewölbt, Nasenform wohl schon ausgesprochen aquilin. Augenbrauenbogen fehlen noch. Augen-
höhlen hoch und rund, Index 92,65 hypsieonch. Ohröffnungen oval, schlitzfórmig. Gaumen
und Oberkieferfortsatz zerbrochen. Während des Lebens war das Milchgebiß noch erhalten.
Lebensalter 5 bis 6 Jahre.
Uebersicht der Maasse.
Kapazität ca. 990 cem Ganze Gesichtshöhe — mm:
Größte horizontale Länge 142 mm Obergesichtshöhe 48
„ Breite 147 Jochbreite i 99
Gerade Hóhe 114,5 Gesichtsbreite (Virchows) 77,5
Ohrhöhe 93,5 Augenhöhlen-Höhe 3155
Horizontale Länge des Hinterhaupts 92 z -Breite 34
Basilare Lànge des Vorderhaupts 56 Nasen-Hóhe 34
Horizontalumfang 458 „ -Breite 17
Sagittalumfang des Stirnbeins 93 Gaumen-Länge —
der Scheitelbeine 98 . -Breite —
3 . Hinterhauptsschuppe 100 Gesichtswinkel (749)
Ganzer Sagittalbogen 290
Kleinste Stirnbreite 80
Länge der Schädelbasis (76)
Breite , - 85
Berechnete Indices.
Längenbreiten-Index 103,52 Obergesichts-Index 18,48
Längenhöhen-Index 80,63 Augenhöhlen-Index 92,65
Oberhóhen-Index 64,44 Nasen-Index 50,00
Hinterhaupts-Index 64,79 Gaumen-Index —
Allgemeine Analyse:
extrem-brachycephal, hypsicephal, prognath. chamae-mesoprosop, mesorrhin, hypsiconch.
E
Nr. 36. Pachacamäc.
Fig. 36.
Kindlieher Schädel mit Unterkiefer, groß, mit schöner, gerade ansteigender, hoher Stirn und
gut ausgebildeten Stirnhöckern. Der Schädel mit Gesicht und Gaumen ist deutlich schief. Vor-
wiegend oceipital deformiert. Koronalrinnen kaum angedeutet, ebenso die Stirnabflachung beider-
seits nur über den Stirnhöckern zu erkennen. Die Abflachung durch die Hinterhauptsdefor-
mation ist nur einseitig links, hier aber recht stark; sie hat den Schädel im ganzen erhöht
und namentlich links verkürzt. Rechts zieht eine ganz schwache Abflachung (?) über die untere
bintere Scheitelbeinecke; links zieht sich eine weit stärkere, zwei Finger breite, konkave Ab-
flachung von der Mitte des Scheitelbeins, über dessen unteren Abschnitt, zur Lambdanaht und
geht hier in die oceipitale Abflaehung über.
Nàhte und Sphenobasilarfuge offen. Der obere Teil der Oberschuppe ist dureh eine Naht
vom übrigen Hinterhauptbein als großer, einheitlicher Spitzenknochen getrennt.
Der Schädel ist extrem-brachycephal, Index 100,00, Längenhöhen-Index 95,52 hypsicephal.
Die Kapazität beträgt 1190 cem, der Horizontalumfang 460 mm, der ganze Sagittalbogen 325 mm.
Der Profilwinkel beträgt 86°, der Schädel ist sonach ausgesprochen orthognath. Das
Gesicht zeigt noch kindliche Form, es ist chamaeprosop, Index 42,73. Wangenbeine und
Jochbogen angelegt. Nase relativ lang und mäßig breit, Index 51,25 platyrrhin, unterer Rand
der Apertura piriformis flach gerundet, Nasenstachel ziemlich kräftig, Nasendach zum Teil zer-
brochen, flach gewölbt mit großen Nasenbeinen. Augenbrauenbogen fehlen noch. Augenhöhlen
weit und gerundet, Index 85,00 noch mesoconch resp. an der Grenze der Hypsiconchie. Ohr-
öffnung links oval, rechts schwache Exostose. Gaumen kindlich, kurz, Index 92,31 brachy-
staphylin und wie der ganze Schädel rechts mehr nach hinten gehend wie links. Alveolar-
fortsatz mittellang; während des Lebens war noch das ganze Milchgebiß vorhanden. Der erste
bleibende Molar war schon vollkommen ausgebildet.
Unterkiefer: Körper ziemlich hoch, Kinn gut entwickelt; Äste ziemlich steil gestellt. Zähne
ebenso wie im Oberkiefer.
Lebensalter über 7 Jahre.
638
Uebersicht der Maasse.
Kapazität 1190 cem Ganze Gesichtshöhe 95 mm
Größte horizontale Länge 145 mm Obergesichtshöhe 50
. Breite 145 Jochbreite . 117
Gerade Hóhe 138,5 Gesichtsbreite (Virchows) 88
Ohrhóhe 112,5 Augenhóhlen-Hóhe 34
Horizontale Länge des Hinterhaupts 88 = -Breite 40
Basilare Länge des Vorderhaupts 58 Nasen-Höhe 40
Horizontalumfang 460 » Breite 20,5
Sagittalumfang des Stirnbeins 114 Gaumen-Länge 39
^ der Scheitelbeine 96 . 5. -Breite 36
3 „ Hinterhauptsschuppe 115 Gesichtswinkel 869
Ganzer Sagittalbogen 325
Kleinste Stirnbreite $6
Länge der Schädelbasis 89
Breite , - 99
Berechnete Indices.
Làngenbreiten-Index 100.00 Obergesichts-Index 42,73
Längenhöhen-Index 95,52 Augenhöhlen-Index 85,00
Ohrhöhen-Index 171,58 Nasen-Index 51,25
Hinterhaupts-Index 60,69 Gaumen-Index 92,31
Allgemeine Analyse:
extrem-brachycephal, hypsicephal, orthognath, chamaeprosop, platyrrhin, mesoconch (an der Grenze der
Hypsiconchie), brachystaphylin.
639
Nr. 37.
————
Fig. 37.
Kindlicher Schädel ohne Unterkiefer, wenig deformiert, nur das Hinterhaupt zeigt sich
rechts deutlicher abgeplattet, wodurch der ganze Schädel etwas schief geworden ist. Eine
Koronalrinne ist kaum, eine Stirndformation nieht nachzuweisen. Über die beiden unteren
Ecken der Scheitelbeine ziehen sich gegen die Lambdanaht, diese rechts weiter als links über-
schreitend, fast drei Finger breite Abflachungen. Das Hinterhaupt erscheint dadurch zusammen-
geprebt und namentlich nach links vorgewölbt und verlängert. Die occipitale Abflachung umfaßt
die Lambdaspitze der Hinterhauptsschuppe und die benachbarten Teile der Scheitelbeine wie
gesagt rechts etwas stärker als links.
Sphenobasilarfuge und alle Nähte offen und normal. Alle Verhältnisse sind kindlich.
Der Schädel ist brachycephal, Längenbreiten-Index 84,28, Längenhöhen-Index 81,76
hypsicephal. Die Kapazität beträgt 1180 cem. Der Horizontalumfang 464 mm, der ganze
Sagittalbogen 336 mm.
Der Schädel ist orthognath, Profilwinkel 849. Das Gesicht ist schmal, Index 50,00 meso-
prosop. Wangenbeine und Jochbogen angelegt. Nase lang und schmal, Index 47,43 eben mesor-
rhin. Nasenstachel groß, Nasenbeine fehlen, das Nasendach war aber breit und offenbar relativ
gut gewölbt. Unterrand der Apertura piriformis gerade und flach. Augenhöhlen weit und hoch,
Index 91,43 hypsiconeh. Augenbrauenbogen fehlen noch. Stirn gut gewölbt mit gut ausge-
bildeten Stirnhóckern. Ohróffnungen oval. Gaumen ziemlich tief und relativ schmal, Index
82.95 mesostaphylin. Alveolarfortsatz verhältnismäßig lang. Während des Lebens war noch
das ganze Milchgebiß vorhanden, der erste bleibende Molar ist schon vollkommen ausgebildet.
Lebensalter ca. 7 Jahre.
640
Uebersicht der Maasse.,
Kapazität
Größte horizontale Länge
5 Breite
Gerade Hóhe
Ohrhóhe
Horizontale Länge des Hinterhaupts
Basilare Länge des Vorderhaupts
Horizontalumfang
Sagittalumfang des Stirnbeins
* der Scheitelbeine
1180 ccm
159 mm
134
130
109
93
58
464
115
100
„ Hinterhauptsschuppe 121
Ganzer Sagittalbogen
Kleinste Stirnbreite
Länge der Schädelbasis
Breite „ S
Längenbreiten-Index
Längenhöhen-Index
Ohrhóhen-Index
Hinterhaupts-Index
336
S6
S7
92
Ganze Gesiehtshóhe
Obergesichtshóhe
Jochbreite
Gesichtsbreite (Virchows)
Augenhóhlen-Hóhe
E -Breite
Nasen-Hóhe
. -Breite
Gaumen-Lünge
- -Breite
Gesichtswinkel
Berechnete Indices.
84,28
81,76
68,55
58,49
Obergesichts-Index
Augenhóhlen-Index
Nasen-Index
Gaumen-Index
Allgemeine Analyse:
(50,00)
91,43
41,43
82.95
brachycephal, hypsicephal, orthognath, mesoprosop, mesorrhin, hypsiconch, mesostaphylin.
641
Schlussbetrachtungen.
I. Die Methoden der Schädeldeformation.
Meiner früheren Darstellung der Ursachen der mechanischen Kopfumbildung der Alt-
peruaner von Ancon und Pachacamäc!) habe ich wenig hinzuzufügen.
Sowohl für die gewöhnlichen Formen der occipitalen Abplattung wie für die der
frontalen Deformation ergaben sich keine neuen Gesichtspunkte. Die Befestigung der Kinder
auf dem „Kindelbrett“, d. h. auf der „Wiege“ mit mehr oder weniger fester, unnachgiebiger
Unterlage für den Kopf, in Verbindung mit dem am Kopfteil der Wiege angebrachten
Kopfschutz sind die wesentlichen mechanischen Ursachen der „künstlichen“ Schädeldefor-
mation. „Der verschiedene Bau der Wiegen erklärt (l. c., S. 95 [723]) die große Mehrzahl
der scheinbar willkürlichen Deformationen des Kopfes des Kindes, welche um so mehr den
Eindruck der Absichtlichkeit hervorrufen, da sie bei den verschiedenen Stämmen ver-
schieden sind, aber der Grund für die verschiedenen Kopfformen liest in der
verschiedenen Form der Wiegen bei den verschiedenen Stämmen.“ Die neuen
Untersuchungen haben aber weiter gelehrt, daß für den Erfolg der Defor-
mation auch die ursprüngliche Kopfform ausschlaggebend ist.
Kinder, welche nicht, oder nur kurz in „Wanderwiegen“ befestigt, getragen worden
sind, wurden am Hinterkopf nicht oder nur wenig abgeplattet. Trotzdem können aber
solche Schädel in extremen Fällen sehr auffallende, anderweitige Umbildungen auch der
Occipitalregion aufweisen.
l.c. S. 98 (726) habe ich eingehend die Deformation des einen deformierten dolicho-
cephalen Schädels aus Ancon aus der Sammlung I. K. H. Prinzessin Therese beschrieben
und sie auf die Wirkungen eines entsprechenden Kinderhäubchens zurückgeführt, wie
ein solches von H. von Schrötter an einem Kinderschädel mit bereits bedeutender Elon-
gation, „Longhead“, aus einem präkolumbischen Gräberfeld in Nord-Chile so anschaulich
beschrieben worden ist.?) Ich wiederhole die dort gemachten Angaben:
1) J. Ranke, Über Altperuaner-Schüdel etc. (1900), S. 89 (707) bis S. 100 (728) mit den Abbildungen
Fie. 34—41.
2) Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien, Bd. XXVIII, 1898, S. 46 ff.
642
Dieser Kinderschädel beansprucht ein hohes Interesse, „da an demselben noch die die
Deformation bedingende „Wickelung“ in ihrer ursprünglichen Form erhalten ist, wodurch
die etwa noch strittige Auffassung über die Entstehung der peruanischen Lang-
schädel greifbar bewiesen wird“. „Es geht ein aus vielen Schnüren zusammengedrehtes
Band in doppelter Tour von der stark deprimierten Stirn und vor den Parietalhöckern
unter die Protuberanz des Hinterhaupts, welches von einem netzartig geflochtenen,
mit Haaren und Federn geschmückten Korbe umfaßt wurde, der an die Maschen
des vorerwähnten Bandes geknüpft war. Der Knoten des Deformationsbandes befindet sich
unten am Schädel“.
Es ist, wie ich dargelegt habe, ein Kinderhäubchen aus altperuanischer Zeit, aus
dessen Anwendung schon eine stärkere Verlängerung des kindlichen Kopfes, der das Hàubchen
als Schmuck und Schutz zugleich trug, hervorgegangen war, wie H. von Schrötter sagt:
„die Längsdimensionen haben auf Kosten der Querdimensionen zugenommen“.
Ich bezweifle diese Anschauung keineswegs, muß aber das eine hervorheben, daß eine
durch ein solches , Kinderhüubchen* ausgeübte Deformation doch nur dann ein ,Longhead*
hervorbringen kann, wenn die Urform des Schädels vor der eintretenden Defor-
mation schon eine dolichocephale gewesen ist.
Bindespuren, welche meist als relativ breite und tiefe Einbuchtungen von der unteren,
hinteren Ecke jedes der beiden Scheitelbeine auf das Hinterhaupt übergehen, wie solche
nach der obigen Beschreibung der Befestigung des Kinderhüubchens unter der Wólbung
des Hinterhaupts des noch weichen Köpfchens entstehen müssen, finden sich, wie die
vorstehenden Beschreibungen ergeben, keineswegs nur an „künstlichen Dolichocephalen*,
sondern auch an „künstlichen Brachycephalen*. Bei letzteren kommt oft sehr deutlich zu
den Druckwirkungen der Wiege noch jene des Häubchens hinzu. Bei den „künstlichen
Dolichocephalen* fehlt die Druckwirkung der Wiege oft ganz oder wenigstens fast ganz,
so daß die dolichocephale Grundform des Schädels sich im wesentlichen erhalten konnte.
Die Beschreibung dieses ,Kinderhüubchens^ durch Herrn von Schrótter läßt noch
manche Frage offen. Ich bin auch jetzt noch der Meinung, daß „wahrscheinlich die Form
der die künstliche Dolichocephalie bewirkenden (?) Häubchen bei den alten Bewohnern von
Ancon und Pachacamáe nicht vollkommen die gleiche war wie jene, welche in Nord-Chile
gebraucht wurde*.
Nach dem von mir an meinem Material festgestellten, ausnahmslosen Vorkommen der
„Koronalrinne“ ist anzunehmen, daß bei den altperuanischen Kindern unserer Fundplätze
auch das freie Kinderhüubchen unter dem Kinn, wie bei unseren deutschen Kindermützchen,
gebunden wurde. Bei jenen entstand so die Koronalrinne, bei unseren Kindern der
Sattelkopf.
Von dem unter dem Kinn gebundenen Bande des Häubchens ging, nach den Druck-
spuren unserer Schädel zu urteilen, beiderseits je ein Band aus, ähnlich dem von Herrn
von Schrötter beschriebenen, welches unter der Wölbung des Hinterkopfes herumgeführt
und wohl hier „unten am Schädel“ mit dem der anderen Seite zusammengebunden wurde.
Wir dürfen annehmen, daß an diesen zwei Bändern, dem „Scheitelkinnband“ und
dem „Seitenwand-Hinterhauptsband“, der geflochtene Häubchenkorb befestigt war, dessen
Vorderrand das „Scheitelkinnband“ und dessen Unterrand das „Seitenwand-Hinterhaupts-
band“ bildete.
643
Bei einigen Schädeln laufen aber nachbarlich annähernd parallel nebeneinander auch
von den beiden oberen Enden der seitlichen Schenkel der Koronalrinnen jederseits über die
oberen Partien der Scheitelbeine, über den ganzen Scheitel hin, zwei von vorn nach hinten
gewendete Druckspuren, welche auf zwei obere, seitliche Verstärkungsbänder des Häubchens
zu beziehen sind. Ihre deformierende Wirkung zeigt sich in einer Abflachung resp. Er-
niedrigung des Schädelgewölbes.
Die Gaffronsche Sammlung hat weiter auch die Erklärung gebracht für die Ent-
stehung der wunderlichsten Deformation der Altperuaner-Schädel: der Schädelform mit
zweigelapptem Hinterhaupt.
Ich hatte früher als Ursache der rinnenartigen Vertiefung, über das Ende der Sagittal-
naht auf die Hinterhauptsschuppe übergreifend, an einen von der Unterlage des Kopfes
auf diesen ausgeübten linearen sagittalen Druck gedacht, wie ein solcher durch einen etwas
über die Fläche vorstehenden stärkeren Mittelstab des manchmal aus Stäben zusammen-
gesetzten Bodens der Wiege (s.l. c., Abbildung 37, S. 94 [722]) ausgeübt werden könnte.
Die exquisiten Fälle der Zweilappung des Hinterhaupts der neuen Sammlung haben mir
nun aber gezeigt, daß auch hier nur die Wirkung von Kinderhäubehen angenommen
werden darf. Die Form und der innere Bau dieser Häubchen war von denen der im Vor-
stehenden besprochenen Hàubchen nur wenig verschieden, wie die Druckspuren unver-
kennbar ergeben.
Von der Mitte der beiden Koronalrinnenschenkel steigt schief nach oben und hinten
je eine Druckspur gegen die Mitte der Sagittalnaht in die Höhe. Dabei bleibt eine drei-
eckige, mit ihrer Spitze nach hinten gewendete, Fläche, aus den vorderen oberen Teilen
der Seitenwandbeine gebildet, von der Druckwirkung frei. In der Mitte der Sagittalnaht
vereinigen sich die Druckspuren zu einer einzigen, dem Verlauf der hinteren Hälfte der
Sagittalnaht folgenden, diese eindrückenden, rinnenartigen Vertiefung. Über dem Hinter-
haupt teilt sich diese künstliche „Sagittalrinne“ wieder in zwei Schenkel, von denen je
einer die hinteren, unteren Enden der Scheitelbeine umgreift und diese kugelig hervorwölbt.
Diese Druckspuren vereinigen sich dann mit der nicht fehlenden Druckspur des das Hinter-
haupt im Ganzen umgreifenden ,Seitenwand-Hinterhauptsbandes*.
Als Ursache auch dieser extremen Deformation haben wir sonach an ein ,Kinder-
háubchen^ zu denken. An seinem Vorderrand befindet sich das ,Scheitelkinnband*,
durch welches die Koronalrinne hervorgerufen wurde. Von diesem Band geht wieder als
Unterrand des Häubchens das „Seitenwand-Hinterhauptsband“ ab, welches unter dem
Hinterkopf gebunden. wurde. Dazu kommen noch, wie bei der im Vorstehenden zuletzt
beschriebenen, die Scheitelpartie abflachenden Form des Häubchens, zwei gegen den Scheitel
gerichtete Verstärkungsbänder. Aber während dort diese Bänder nahe am Scheitel ab-
gehen und ohne sich zu vereinigen nach hinten über den Kopf wegziehen, gehen bei der
Form mit zweigelapptem Hinterhaupt die beiden Verstärkungsbänder seitlich tiefer von
dem „Scheitelkinnband* ab, steigen dann schief nach oben und hinten zum Scheitel
empor, vereinigen sich etwa auf dessen Mitte und laufen nun vereinigt der Sagittalnaht
entlang. Schon vor deren Ende trennen sich die beiden Verstärkungsbänder wieder, jedes
von ihnen umgreift eine Hälfte des noch leicht formbaren Hinterhaupts, und wendet sich
dann nach vorne und unten.
Die Zweilappung des Hinterhaupts wird sonach, wie gesagt, durch eine nur leichte
Abh. d. IT. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXTII. Bd. III. Abt. 83
644
Modifikation im Verlauf der beiden oberen Verstärkungsbänder des Häubchens, denen wir
schon bei einer anderen Deformationsform begegnet sind, hervorgerufen.
Auch für diese wunderlichste aller altperuanischen Deformationen der Schädel bedarf
es für die Erklärung keiner, „absichtlich“ angewendeter künstlicher Druckapparate aus
Schienen oder Zirkelbinden. Es genügt dafür, daß das kleine Schmuckhüubchen dem Kopf
des Neugeborenen aufgesetzt und hier festgebunden erhalten wird. Der wachsende Schädel
fügt sich dem Druckrichtungen der Häubehenbänder an und wölbt sich in seinen von dem
Bänderdreieck frei gebliebenen Partien stärker aus.
Die durch die Deformation der Wiege oder des Häubchens erzeugte künstliche Form
wird aber bedingt durch die normale Urform des Kopfes ob dolichocephal oder brachy-
cephal. Die Deformation ist, soviel unser Material lehrt, nicht imstande, aus
einem Brachycephalen einen Dolichocephalen zu machen. Immerhin kann die
ursprünglich normaldolicho- oder mesocephale Kopfform durch Eindrückung des Hinter-
haupts durch die Wiege oder durch das ,Zweilappung^ erzeugende Kinderhäubchen ver-
kürzt und verbreitert werden. Trotzdem wird der primäre Typus der Kopfbildung auch
in diesen Fällen nicht unkenntlich gemacht.
Il. Die Hauptformen der Schädeldeformation.
I. Aus primär-dolichocephaler beziehungsweise mesocephaler Form der noch un-
deformierten Köpfe gehen hervor:
Lang-Flachköpfe.
Ungefähr dem, was R. Virchow als künstliche Langköpfe, Dolichocephali artificiales,
Langköpfe, Longheads bezeichnete, entsprechend.
N2rt Nr. 2 Nr. 3.
Occipital-frontale Deformation.
Annühernd im R. Virchowschen Sinne, d.h. die Deformation betrifft am Hinter-
haupt im wesentlichen die Oberschuppe des Hinterhauptbeins und die, namentlich der
Lambdaspitze anliegenden Partien der Scheitelbeine. Die Abflachungen der beiden Stirn-
beinseiten sind gut ausgebildet:
Nr. 5 aus Pachacamác NT Nr. 8 Nr. 10 aus Pachacamae.
Parallel-Schäde!.
Eine extreme Form der occipital-frontalen Deformation. Die Oberschuppe und
die Unterschuppe des Hinterhauptbeins, letztere zum größten Teil, sind in eine Ebene
flachgelegt, welche dem schief nach hinten geneigten Stirnbein sehr annähernd parallel
verläuft. Nur die Spitzenpartie der Oberschuppe, die Lambdaspitze, ist gegen den Scheitel
aufgebogen.
Nr. 4 Nr. 6 N20;
An die Dolichoiden schließen sich an die Nummern 15 (?) und die im allgemeinen
nur wenig deformierten Schädel 30, 31, 32. Auch Nr. 13 gehört dem Längenbreiten-
645
verhältnis nach hierher, obwohl er sich sonst sehr wesentlich unterscheidet. Nr. 13 stammt
aus Pachacamáe, Nr. 31 und 32, letzterer schwer pathologisch, aus Ancon.
II. Aus primär-brachycephaler Form der noch undeformierten Köpfe gehen hervor:
Occipital-frontale Deformation.
Mit deutlich ausgesprochener frontaler Deformation und Deformation der Ober-
schuppe des Hinterhauptbeins:
Nr. 14 Nr. 15 Nr. 28 Nr. 29 Nr. 34.
Ebenso aber mit Deformation der Ober- und Unterschuppe des Hinterhauptbeins.
Nr. 27 ausgesprochene ,Kuchenform* Nr. 17 Pachacamác.
Die frontale Deformation gering, hauptsächlich besteht occipitale Deformation der
Oberschuppe des Hinterhauptbeins:
Nr. 11 Pachacamáe Nr. 12 Nr. 16 Nr. 18 Pachacamäc Nr. 19
Nr. 20 Nr. 22 Pachacamác Nr. 28 Nr. 24 Pachacamäc INTIC25-
Nr. 26 Ancon Nr. 36 Pachacamác.
Nr. 26 zeichnet sich durch besondere Niedrigkeit aus.
Schädel mit zweigelapptem Hinterhaupt:
Nr. 21 Pachacamäe, erste Spuren der Lappung. Nr. 33 Pachacamäc, extrem
ausgesprochene Lappung. Nr. 35.
Die Stirndeformation ist, wie gesagt, bei allen Schädeln, bei einigen aber nur
in Spuren, nachweisbar.
Die aus primär dolichocephaler oder mesocephaler Form hervorgegangenen
deformierten Schädel zeigen alle die typische, frontale Abplattung in stärkerem Grade;
nur der auch sonst aus dieser Reihe herausfallende Schädel Nr. 13 schwach.
Von den aus primär brachycephaler Form hervorgegangenen Schädel weisen
höhere Grade der Stirndeformation auf: Nrr. 17, 21, 24, 28, 29, 33, 34, 35. Hier reihen
sich auch die ,Übergangsformen* Nr. 14 und 15 sowie Nr. 22 und 27 an.
III. Die typischen unveränderten Schädelformen der Altperuaner
von Ancon und Pachacamac.
Die primär dolichocephalen oder mesocephalen Schädel der Gaffronschen Samm-
lung, an welche sich auch der einzige Langkopf der Sammlung I. K. H. Prinzessin
Therese anreiht, unterscheiden sich von den primär brachycephalen Formen typisch.
Die Unterschiede sind so groß, daß man sie als rassenhafte Differenzen betrachten könnte.
Ich will sie zunächst als Dolichocephale und Brachycephale von Ancon und Pachacamäc
bezeichnen.
Die Dolichocephalen stellen einen feinen Typus dar,
die Brachycephalen einen groben Typus.
646
I. Feiner Schädeltypus.
Abbildung Taf. 7, Fig. 1 und Tafel 8, Fig. 1, 2, 3.
Relativ wenig deformiert darf Schädel Nr. 8 als typischer Vertreter des feinen, primär
dolichocephalen Typus gelten, ebenso Nr. 10.
Der Schädel, leider ohne Unterkiefer, stammt Gaffrons Angabe nach, aus Pacha-
camäc, er gehörte einem vollkommen erwachsenen Individuum an. Das Geschlecht ist
nicht mit voller Sicherheit zu bestimmen, doch wahrscheinlich männlich. Der Schädel ist
im ganzen relativ leicht und zart. Die stark abgeflachte Stirn schmal, stark nach hinten
geneigt. Das Gesicht erscheint mit den gut angelegten Wangenbeinen und Jochbogen
schmal, der Alveolarfortsatz des Oberkiefers relativ lang und entsprechend schmal mit
schwacher, aber deutlicher alveolarer Prognathie. Das Gesicht mit der Fossa canina gut
modelliert. Die weiten Augenhöhlen sind im ganzen scharf umrandet. Augenbrauenbogen
fehlen. An Stelle der Glabella ein ganz schwacher flacher Stirnnasenwulst, welcher sich
über die Nasenwurzel nur in ganz geringem Grade vorwölbt. Der Nasenfortsatz des Stirn-
beins bemerkenswert lang. Die Nasenwurzel ist frei, d. h. nicht unter die Stirn eingesenkt,
breit-flach gewölbt. Die Nasenbeine sind breit, das Nasendach in der Mitte hoch und
entschieden aquilin. Die Apertura piriformis ist ziemlich schmal, der Unterrand derselben
nahezu scharf gerandet oder nur ganz schwach abgerundet, ohne Pränasalgruben, Ulmen-
blatt-fórmig. Der vordere Nasenstachel scharf und gut ausgebildet. An dem feinen
relativ schmalen Gesicht imponieren am meisten die weit offenen Augenhöhlen und die
große, freie Adlernase. Die Schädelbasis ist schmal, ebenso die Pars basilaris des Hinter-
hauptbeins, die Zitzenfortsätze klein und schwach wie auch das Relief der Muskelansatz-
fläche an der Hinterhauptsschuppe.
Diese Beschreibung paßt mit geringen Modifikationen auf alle erwachsenen Schädel
dieser Gruppe: bei Nr. 2, 5 und 9 sind Jochbeine und Jochbogen noch stärker angelest,
das Gesicht erscheint dadurch noch schmaler; bei Nr. 7 und 8 sind die Jochbeinpartien
etwas mehr ausladend; bei Nr. 8 ist der Alveolarfortsatz etwas deutlicher prognath.
Die Schädel Nr. 1, 3, 5 sind kindlich, sie übertreiben gewissermaßen den feinen
Typus der Erwachsenen.
Über Geschlechtsverschiedenheiten soll unten einiges beigebracht werden.
IL Grober Typus.
Abbildung Tafel 7, Fig. 2 und Tafel 9, Fig. 1, 2, 3.
1l. Männliche Form.
Die wahrscheinlich primär brachycephale Urform dieser Schädelgruppe wird durch
den männlichen Schädel Nr. 11, ebenfalls nach Gaffrons Angabe aus Pachacamac stam-
mend wie Nr. 10 der Vertreter des feinen Typus, gut repräsentiert. Der Schädel ist
schwer und massig. Der Oberkiefer grob geformt im ganzen und speziell der Alveolar-
fortsatz kurz, breit. Das breite Gesicht und die Fossa canina nur mäßig profiliert. Die
Wangenbeine groß und massig, stark vorspringend; die Jochbogen, namentlich am Joch-
beinfortsatz des Schläfenbeins stärker ausgewölbt. Unter der breiten, ziemlich gewölbten
Stirn sind die mehr viereckigen Augenhöhlen auffallend grob umrandet. Die stark vor-
springenden und geschweiften Augenbrauenbogen bilden auf beiden Seiten nahezu einen
vollkommenen Torus supraorbitalis. Der kurze Nasenfortsatz des Stirnbeins wulstet sich,
I
#
647
unter der gut ausgebildeten breiten Glabella, stark nach vorne. Darunter ist die Nasen-
wurzel tief eingesenkt. Das Nasendach ist etwas kurz, aber schön gewölbt und stark
aquilin vorspringend. Die Apertura piriformis ist lang, oben schmal, unten sich ziemlich
stark verbreiternd, der Unterrand mit mächtigen Prünasalgruben; der vordere Nasenstachel
kräftig. Die Schädelbasis fällt durch bedeutende Breitentwickelung im ganzen auf, die
Pars basilaris des Hinterhauptbeins kurz und bemerkenswert breit. Die Warzenfortsütze
groß und sehr kräftig; die Muskelansatzflüiche an der Hinterhauptschuppe gut profiliert
mit mäßigem Torus oceipitalis. — Die Unterkiefer des groben Typus sind massig mit gut
ausgebildetem Kinn.
2. Weibliche Form.
Während es mir bisher nicht gelungen ist, bei dem feinen Typus mit voller Sicherheit
männliche und weibliche Formen zu unterscheiden, wobei der Mangel von Unterkiefern
besonders hindernd ist, gelingt das bei dem groben Typus.
Der Schädel Nr. 22 repräsentiert recht gut die weibliche Form des groben Typus.
Der Schädel ist, obwohl im Allgemeinen der groben männlichen Form entsprechend,
leichter und im ganzen feiner. Die ausladenden Wangenbeine und Jochbogen lassen das
Gesicht breit erscheinen; es ist wegen des ziemlich kurzen, prognathen Alveolarfortsatzes
selbst kurz, aber trotzdem mit der Fossa canina relativ gut profiliert. Die Stirn ist breit,
die Unterstirn ziemlich geneigt, die Stirnhöcker schwach. Die Oberstirn wölbt sich relativ
elegant zum Scheitel. In der Mitte der Unterstirn zeigt sich ein flacher Stirnnasenwulst,
welcher sich rechts und links in breite Ansätze zu Augenbrauenbogen fortsetzt, wodurch
eine Andeutung einer Glabellareinbuchtung entsteht. Die Augenhóhlen sind weit, etwas
eckig, nicht grob unrandet. Die Nasenwurzel ist wenig eingesenkt, breit gewölbt, das
Nasendach im ganzen stark aquilin vorspringend. Die mäßig weite Apertura piriformis
schief, ziemlich scharf umrandet mit gut ausgebildetem vorderen Nasenstachel. Die
Schädelbasis ist im ganzen breit, ebenso die Pars basilaris des Hinterhauptbeins; der
Gaumen breit und tief. Die Zitzenfortsätze und das Muskelansatz-Relief am Hinterhaupt
schwächer als bei der männlichen Form.
Nr. 16 ist ebenfalls wahrscheinlich eine typisch-weibliche Form. Möglicherweise
könnte der Schädel aber auch eine Übergangsform oder Zwischenform zwischen dem groben
und feinen Typus darstellen, freilich dem ersteren weit mehr als dem zweiten angenähert.
Das Schädeldach ist im ganzen schön gewölbt. Die Unterstirn steigt ziemlich gerade an,
die Stirnhöcker sind deutlich. In der Mitte der Unterstirn zeigt sich ein flacher Stirn-
nasenwulst, welcher nach rechts und links in Anlagen von Augenbrauenbogen übergeht.
Die Oberstirn und der Scheitel sind elegant gewölbt. Die Augenhöhlen sind nicht grob
umrandet; die Form ihres Eingangs mehr eckig, weit. Nasenwurzel breit-flach gewölbt
unter dem Stirnnasenfortsatz nicht eingezogen. Das Nasendach stark, wohl aquilin, vor-
springend. Die Apertura piriformis weit, an ihrem Grunde mit flach abgerundetem Rande.
Wangenbeine und Jochbogen nicht bemerkenswert ausladend. Der Alveolarfortsatz ist kurz
aber nicht sehr breit. Die Schädelbasis ist im ganzen breit, die Pars basilaris des Hinter-
hauptbeins breit und kurz; Gaumen tief, länger. Der Unterkiefer ist kräftig mit schönem,
gut entwickeltem Kinn. — Was sich als Übergang darstellt, sind der relative Mangel
der Augenbrauenbogen und die geringe Ausladung der Wangenbeine und der Jochbrücke.
648
In entschiedenster Weise stellt Schädel Nr. 13 (s. unten) einen Übergang zwischen
beiden Typen dar, sodaß er als dolichocephale Form des groben Typus bezeichnet werden darf.
3. Kindliche Form (in der Periode des Zahnwechsels).
Am besten repräsentiert der Schädel Nr. 36 die kindliche Form des groben Typus.
Das Schädeldach ist im ganzen schön gerundet. Die Unterstirn steigt senkrecht an, ohne
Augenbrauenbogen dagegen mit flachem Stirnnasenwulst. Die Stirnhöcker sind stark aus-
gebildet. Die Oberstirn und die vordere Scheitelpartie erscheinen elegant gewölbt. Die
scharf umrandeten Augenhöhlen sind weit und gerundet. Das Nasendach im ganzen breit-
flach gewölbt. Die Nasenwurzel unter dem Stirnnasenwulst nicht eingezogen. Wangen-
bein und Jochbogen noch kindlich angelegt. Gesicht und Fossa canina flach; Alveolar-
fortsatz des Oberkiefers noch kurz aber der Gaumen tief und breit. Die Schädelbasis im
ganzen breit, die Pars basilaris des Hinterhauptbeins auffallend breit und kurz, was im
Allgemeinen für den groben Typus ganz charakteristiseh ist. Der Unterkiefer ist für das
jugendliche Alter bemerkenswert massiv, mit gut ausgebildetem Kinn.
4. Schädelform der Neugeborenen.
Die Schüdel des 1. mumifizierten Neugeborenen und des 2. Kopfes eines ebenfalls
wahrscheinlich ausgetragenen Kindes und 3. die Mumie einer Frühgeburt sind in die
vorstehenden Tabellen nicht aufgenommen. Die Schüdelknochen sind zum Teil gegen
einander verschoben, so dass die gewonnenen Maße nicht vollkommen sicher sind.
1. Das Neugeborene Nr. l, welches als vertrocknete Mumie in gestreckter Kórper-
haltung relativ wohl erhalten ist, gehört durch seine auffallend breiten, gewissermaßen in
der Sagittalrichtung gestreckten Scheitelbeine und die Form des Hinterhaupts zweifellos
zu einer mesocephalen oder dolichocephalen Schädelgruppe. Auch die Maße sprechen dafür.
Größte Länge des Schädels 99
„ Breite (zwischen 74 und 77) = 75,5 mm.
Danach berechnet sich der Längenbreiten-Index zu 74,7 resp. 77,7, im Mittel
75,8 — ein mesocephales vielleicht sogar dolichocephales Maß.
An der Hinterhauptsschuppe zeigt sich beiderseits eine weit einschneidende Sutura
mendosa, rechts 17, links 19 mm lang.
2. Der mumifizierte Kopf des Neugeborenen Nr. 2 hat eine rundliche, entschieden
brachicephale Gestalt mit gut gewölbter Schuppe des Hinterhauptbeins,
Größte Länge des Schädels 91
1 Breite , L 78
Danach berechnet sich der Längenbreiten-Index zu 85 ein relativ stark brachy-
cephales Maß.
3. Die mumifizierte Frühgeburt Nr. 3 ist im ganzen erhalten, die Beinchen im
Knie gebeugt und an den Leib angezogen, die gebeugten Arme an die Brust angelegt,
die Händchen rechts und links an dem Gesicht angelest. Die kleine Mumie könnte ihrer
geringen Größe und ihrer Haltung nach eine noch ungeborene Frucht im Mutterleibe
gewesen sein. Da das Gesichtchen aber mit roter Farbe (Zinnober?) bemalt ist, wird es
als eine Frühgeburt zu bezeichnen sein.
649
Auch der Schädel dieser Frucht macht durch seine rundliche Gestalt den Eindruck
ausgesprochener Brachycephalie. Die Maße bestätigen das:
Größte Länge des Schädels 81
„| "Breite, ^. e 67
Daraus berechnet sich der Längenbreiten-Index zu 82,71, ein entschieden brachy-
cephales Maß.
Diese kleine Mumie hat ein vollkommenes Os Incae. Bemerkenswert erscheint,
daß der Unterrand des Inkaknochens nicht wie bei älteren Kindern und Erwachsenen
gerade sondern „amorbogennarbig“ gekrümmt verläuft, er sendet in der Mitte eine Spitze,
Schneppe, nach unten. Rechts ist noch eine Os Incae laterale dextrum von dem sonst
einheitlichen Os Incae abgespalten, der Unterrand des ersteren mißt 16 mm.
Auch bei den noch Ungeborenen und Neugeborenen unserer Totenfelder
treten uns sonach zwei typisch verschiedene Schädelformen entgegen
1. eine zur Dolichocephalie neigende Mesocephalie — meinem feinen
Typus und
2. eine relativ hochgradige Brachycephalie meinem groben Typus ent-
sprechend. —
Dem feinen Typus gehören an die erwachsenen und alten Schädel der Nrr. 1, 2, 3,
4, 5 (Pachacamäe); 7, 8, 9, 10 (Pachacamác).
Die jugendliche Form repräsentiert der Schädel Nr. 37.
Die kindliche Form repräsentieren die Schädel Nrr. 30, 31 (Ancon); 32 (Ancon,
krank).
Übergangsformen mögen darstellen die Schädel Nr. 14 und 15.
Dem groben Typus gehören an die erwachsenen und alten männlichen Schädel
Nr. 11 (Pachacamäe), 23, 26 (Ancon) und 29
als ganz besonders typisch, dann weiter die
Nrr. 16, 19, 20, 21 (Pachacamác), 24 (Pachacamäc), 25, 28.
Die weibliche Form des erwachsenen groben Typus — vielleicht zum Teil Übergangs-
formen yom groben zum feinen Typus — repräsentieren die Schädel:
Nrr. 12, 18 (Pachacamác), 22 (Pachacamäc) und 27.
Die jugendliche Form stellt dar der Schädel Nr. 17 (Pachacamae).
Die kindliche Form repräsentieren die Schädel Nr. 53 (Pachacamác), 34, 35 und
36 (Pachacamaec).
Schädel Nr. 13.
Eine besondere Beschreibung verlangt der Schädel Nr. 13, welcher mit der Schwere
und Grobheit des im allgemeinen brachycephalen, groben Typus, die Dolichocephalie des
feinen Typus verbindet.
Er erscheint, wie gesagt, als eine dolichocephale Form des groben Typus.
Auch dieser Schädel stammt nach Gaffrons Bezeichnung von dem Fundplatz Pacha-
camäc. Er macht auf den ersten Blick einen auffallend groben Eindruck, schwer und
massig. Die Augenbrauenbogen treten sehr stark, beinahe wulstartig vor und vereinigen
sich unter der Glabellareinbuchtung über der Nase zu einem mächtig vorspringenden
650
Wulst, der sich zwischen die oberen Augenhöhlenränder einschiebt. Darunter ist die
Nasenwurzel entsprechend tief eingesetzt. Dies und die im ganzen grob umrandeten weiten
Augenhóhlen, die groben, stark vortretenden Wangenbeine mit den ausgewölbten Joch-
bogen, das dadurch verbreiterte Gesicht mit dem kurzen prognathen Alveolarrand; der breit
abgeflachte Unterrand der sonst relativ gut geformten Apertura piriformis mit dem namentlich
in seiner rechten Hälfte mangelhaft ausgebildeten vorderen Nasenstachel — Alles das zu-
sammen verleiht dem Schädel geradezu einen wilden Ausdruck. Die genannten Bildungen,
auch die groben Zitzenfortsätze und das stark entwickelte Muskelrelief der Hinterhaupts-
schuppe, durch welche er sich von den übrigen dolichocephalen Schädeln des feinen Typus
typisch unterscheidet, reihen den Schädel trotz seiner gestreckten Form ebenso typisch
dem brachycephalen groben Typus an. —
So sehr verschieden der feine und der grobe Typus erscheinen, so haben doch beide,
wie die Fundumstände und Fundorte ergeben, an den gleichen Orten nebeneinander gelebt.
Weitaus zahlreicher als der feine scheint nach unseren Sammlungen der grobe Typus
unter den Alt-Peruanern von Ancon und Pachacamác vertreten gewesen zu sein.
Unter den 33 Schädeln, welche Prinzessin Therese gesammelt hat, ist 1 typisches
Exemplar des feinen Typus, der Langkopf Nr. 33 (18) von Ancon. Seinem von dem der
übrigen Schädel so auffallend abweichenden, feinen Typus entsprechend habe ich ihn in
meiner ersten Publikation wohl fälschlich als einen weiblichen Schädel beschrieben.
Unter den 37 Schädeln der Gaffronschen Sammlung sind wieder zwei, Nr. 31 und 32,
als aus Ancon stammend bezeichnet, welche beide dem feinen Typus angehören.
Aber der feine Typus findet sich auch unter den Schädeln von Pachacamäc. In der
Gaffronschen Sammlung sind von diesem Fundplatz direkt bezeichnet die dem feinen
Typus angehörenden Schädel Nr. 5 und 10.
Im ganzen beträgt die Anzahl der Schädel des feinen Typus in der Gesamtreihe
aller 70 Schädel 14, wozu noch 2 , Übergangsformen* kommen. Diesen 14 resp. 16 stehen
54 Schädel des groben Typus gegenüber, oder in Prozenten ausgedrückt:
feiner Typus 23 Prozent
dd
grober „
Der Gedanke würde danach vielleicht nahe liegen, den feinen Typus für den der herr-
schenden aristokratischen Kaste, den groben Typus für den des Volkes zu halten.
Dieser Gedankengang wäre der gleiche, zu welchen betreffs der Schädel der alten
Peruaner Gräberfelder ein so ausgezeichneter Kenner wie Dr. J. J. Tschudi durch seine
eingehenden Untersuchungen: Über die Ureinwohner von Peru!) gelangt ist.
Von seinen vor so langer Zeit schon für Peru aufgestellten „drei scharf geschiedenen
Formen von Scháüdeln* stimmt nach Abbildung und Beschreibung die erste und zweite
Form mit meinem groben. und feinen Typus überein.) Tschudi hat, wie ich, ver-
sucht, die normale Urform der Schädel, abgesehen von der Deformation, zu finden.
1) J. J. Tschudi: Joh. Müllers Archiv für Anatomie und Physiologie, 1844, II, S. 98—109 mit
2 Tafeln.
2) Die dritte Form S. 100 und Abbildung Tafel V, 1 ist durch einen so stark deformierten Schädel
reprüsentiert, daB ich bis jetzt dessen Zugehórigkeit zu einem meiner Typen nicht zu bestimmen vermochte.
651
Obwohl die gut gelungenen Abbildungen Tschudis für sich schon genügen, diese
Übereinstimmung zu konstatieren, so soll doch auch seine Schädelbeschreibung hier wort-
getreu wiederholt werden (l. c., S. 99):
„Erste Form“: „Der Schädel von vorn gesehen, stellt eine abgestutzte Pyramide dar,
deren Basis nach oben gekehrt ist. Der Gesichtsteil ist klein, die Augenhöhlen queroval.
Der Oberkiefer fällt perpendikular ab. Die Jochfortsätze des Stirnbeins sind beinahe senk-
recht nach unten gerichtet und kurz. Die Augenbrauenbogen schwach entwickelt. Die
Wölbung des Stirnbeins von der Glabella an ist sanft, beinahe senkrecht bis zu den Augen-
brauenbogen und von da bis zur Kronnaht allmählich sich neigend. Die Stirnhöcker sind
deutlich ausgeprägt. Die Parietalerhabenheiten der Scheitelbeine sind stark hervortretend,
so daß sie die seitlich am meisten vorragenden Punkte des Schädels bilden. Nach den
Seiten und nach hinten gehen die Seitenwandbeine fast perpendikulär zur Verbindung
mit den Ossa temporalia und dem Os occipitis. Die hintere Wand des Hinterkopfes fällt
senkrecht bis zur Linea semieireularis superior ab, und biegt sich dann allmählich schief
nach innen und unten zum Foramen magnum.*
Die Abbildung Tschudis (unsere Fig. 1) zeigt einen kurzen brachycephalen
Schádel meiner jugendlichen oder weiblichen Form des groben Typus entsprechend,
mit kurzem Gesicht und kurzem Alveolarfortsatz.
„Zweite Form“: „Der Schädel von vorn gesehen, ist oval, von der Seite stellt er ein
ziemlich regelmäßiges, etwas gestrecktes Gewölbe dar. Der Gesichtsteil ist groß. Die Augen-
höhlen sind mehr viereckig, der vertikale Durchmesser ist gleich dem queren. Der Ober-
kiefer fällt schief ab. Die Jochfortsätze des Stirnbeins sind sehr stark nach außen gerichtet
und kurz. Der Nasenfortsatz des Stirnbeins ist sehr breit und konvex. Das Stirnbein
Abh.d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 84
652
wölbt sich von der Glabella an, unter ziemlich regelmäßiger, aber stärkerer Neigung als
bei der vorhergehenden Form nach hinten. Die Augenbrauenbogen sind verwischt; die
Stirnhöcker unmerklich. Die Ossa parietalia neigen sich schon von ihrer Verbindung mit
dem Stirnbein nach hinten und unten. Die Scheitelbeinhöcker liegen tief und sind wenig
ausgeprägt, so daß sie nicht mehr den größten Querdurchmesser des Kopfes bilden; derselbe
geht von der oberen Wurzel des Jochbeinfortsatzes des einen Schläfenbeins zu der des
anderen. Der Schuppenteil des Os occipitis steigt von der Lambdanaht ungefähr einen
Zoll senkrecht nach unten ab und biegt sich dann plötzlich sehr stark nach vorn um, und
setzt sich so mit einer sehr schwachen Neigung zum Horizonte zum Foramen magnum fort.*
7 Wr P e
e
Die Abbildung der zweiten Form (unsere Fig. 2) zeigt einen langgestreckten dolicho-
cephalen Schädel mit „großem“, d. h. hier hohem Gesicht mit langem Alveolarfortsatz,
weiten hohen Augenhöhlen und langer Nase. Besonders charakteristisch sind: das Fehlen
der Augenbrauenbogen und der konvexe „Nasenfortsatz des Stirnbeins“, d. h. der Stirn-
nasenwulst an Stelle der Augenbrauenbogen. Tschudis zweiter Form entspricht mein
feiner Typus.
Da ich, wie gesagt, die „dritte Form? Tschudis unter meinem Material nicht kon-
statieren kann, sollen hier nur die noch immer beherzigenswerten Bemerkungen, welche
der Forscher über die beiden ersten Formen nach seinen jetzt ca. 70 Jahre zurück-
liegenden Beobachtungen an Ort und Stelle gemacht hat, im Wortlaut mitgeteilt und so
der unverdienten Vergessenheit entrissen werden. 1. c., S. 102:
653
Die geographische Verbreitung der beiden ersten Formen, welche Tschudi
als „Rasse* bezeichnet, war seiner Darstellung nach folgende:
„Die erste (mein brachycephaler grober Typus) nahm die ganze Küstenregion
ein, welche nach Norden von Despoblado de Tumbez, nach Süden von der ausgedehnten
Sandwüste von Atacama, nach Westen vom Stillen Ozean und nach Osten vom mächtigen
Zuge der Küstenkordillera begrenzt ist. Tschudi nennt diese Rasse den Stamm der
Chinchas nach der Nation, welche den Küstenstrich zwischen 10 und 14° südl. Breite
inne hatte. Die Schädel dieses Stammes werden am häufigsten nach Europa gebracht, da
man sie in der Umgegend von fast allen Seehäfen auf meilenlangen Flächen nur von einer
dünnen Schicht von Flugsand bedeckt findet.“
„Die zweite Rasse (mein dolichocephaler feiner Typus) bewohnte ursprüng-
lich das ausgedehnte 12000 Fuß über das Meer erhabene peru-bolivianische Plateau südlich
vom Gebirgsknoten von Arangara. Tschudi bezeichnet sie mit D’Orbigny als den
Stamm der Aymaras; von ihm aus ging die Dynastie der Inkas, welche im Verlauf
von wenigen Jahrhunderten alle übrigen Stämme unter ihr Joch brachte.“
Aus Tschudis Beschreibung (l.c., S. 104, 105) der Schädel der „jetzigen Indianer
von dem Teil von Peru, welcher früher unter spanischer Herrschaft stand, und die sich
noch frei von einer Mischung mit Weißen und Negern gehalten haben“, geht hervor, daß
sich eine meinem groben Typus ähnliche Form bei dem größten Teil der Schädel der
jetzigen Indianer findet. Ihre Schädelform sei „viereckig“, d. h. doch wohl brachycephal,
„der Gesichtsteil stark entwickelt; der Oberkiefer ziemlich schief abstehend; die Augenhöhlen
viereckig“. „Der Nasenfortsatz des Stirnbeins ist stark konvex und fällt perpendikulär ab;
der obere Orbitalrand ist wulstig aufgeworfen.* Die Verschiedenheiten in den Formen
der jetzigen Indianerschädel wurden von Tschudi aus einer Mischung seiner „Rassen“
erklärt, wobei die eine oder die andere stärker oder weniger stark hervortreten könne. —
Ich möchte bezweifeln, ob ein heutiger Ethnologe und Kenner der betreffenden Ge-
biete und ihrer Bewohner etwas mehr Zutreffendes als das, was Tschudi als Resultat seiner
Forschungen formuliert hat, wird sagen können. Jedenfalls ist es eine lohnende Aufgabe
der Lokalforschung, Tschudis Ergebnisse mit allem Ernste nachzuprüfen.
Man hat bis in die neueste Zeit herein Tschudis Angaben verkannt, ich darf wohl
sagen, man hat, namentlich von Seite der Kraniologen, dem verdienten Manne unrecht getan.
Ganz allgemein ist bisher die Meinung verbreitet, daß Tschudi die Behauptung
aufgestellt habe, die wunderlich deformierten Altperuaner-Schädel entsprächen normalen
Rasseformen; er habe die Wirkung der Deformation vollkommen verkannt und das Produkt
der künstlichen Schädelplastik für natürliche Formen gehalten.
Diese unrichtige Beurteilung erklärt sich im wesentlichen daraus, daß Tschudi es wie
ich gewagt hatte, einer dogmatisch festgestellten Ansicht ausschlaggebender Autoritäten
in Beziehung auf das Wesen der peruanischen Schädeldeformation mit Entschiedenheit ent-
gegenzutreten. Da seine Schädelbeschreibungen, noch vor der Retziusschen Ära der
Kraniologie veröffentlicht, noch nichts von Brachy- und Dolichocephalie, von Ortho- oder
Prognathie berichten konnten, waren sie um so leichter gering zu schätzen.
Tschudi leugnete keineswegs die an vielen Schädeln der altperuanischen Totenfelder
sich zeigenden Deformitäten, aber er suchte, und wie wir gesehen haben mit Glück, nach
den von diesen nicht vollkommen verdeckten Urformen der Schüdelbildung. Dabei ging
84*
654
er, wie auch ich das getan habe, auf die kindlichen und Neugeborenen-Schädel, ja auf
die Schädel ungeborener Früchte zurück. Nicht die Deformationen, sondern die undefor-
mierten Urformen der Schädel erklärt er für erblich und rassenhaft.
l. c., S. 106 wirft er die Frage auf, ob die verschiedenen ,Schüdelbildungen* (speziell
seine erste Form — mein brachycephaler grober Typus und seine zweite Form = mein
dolichocephaler feiner Typus!) „vorzüglich durch mechanischen Druck bedingt seien oder
nicht“. — „Es ist hinreichend bekannt, daß die meisten Physiologen diese abnormen
Formen ausschließlich einer festanliegenden Umhüllung des Schädels durch
Binden und Schienen zugeschrieben haben, um so mehr, da ein solches Verfahren bei
anderen Nationen nachgewiesen ist, ja sogar für den Chinchastamm in Peru, nach Kirchen-
gesetzen aus den ersten Zeiten der spanischen Herrschaft zu urteilen, mit Gewißheit ange-
nommen werden kann.“
„Dieser Annahme muß ich mich aber durchaus widersetzen. Die Materialien,
welche bis jetzt gedient haben, eine solche Hypothese zu verteidigen, sind noch viel zu
ungenügend gewesen, denn sie bestanden nur aus Schädeln, die alten Individuen angehört
haben. Erst in neuester Zeit wurden zwei Kindermumien nach England gebracht, welche
nach der Beschreibung, die Dr. Bellamy davon gibt, zu urteilen, dem Stamm der Aymaras
angehörten. Die beiden Schädel zeigen (bei Kindern von kaum einem Jahre) ganz die
nümliche Form, wie die erwachsenen Individuen. Bei neugeborenen und ungeborenen
Kindern habe ich dasselbe beobachtet. Bei keiner der sehr vielen, vollständig
konservierten Kindermumien (sechs davon habe ich nach Europa gebracht), die ich
auch mit den vollständig erhaltenen Kleidungsstücken untersucht habe,
konnte ich jemals die geringste Anzeige eines Drückungsapparates um den
Kopf finden.“
„Ich kann mit Bestimmtheit angeben, erstens: daß der Stamm der Chinchas in
einigen Dörfern der Küste sowohl in Nord-Peru als auch in den Tälern der Provinz Yauyos
rein vorkommt; zweitens: daß der Stamm der Aymaras in den Hochtälern des südlichen
Peru noch häufig unverändert getroffen wird“ — — „bei denen auch nicht die
leiseste Andeutung eines Einhüllens oder Drücken des Kopfes der neugebo-
renen Kinder stattfindet‘.
Daß Tschudi die mechanischen Ursachen für die Deformitäten der Altperuaner-
Schädel keineswegs verkennt, ergibt sich aus seinen Ausführungen 1. c., S. 102, 103:
Die Schädel der Chinchaform „zeigen mehrere Varietäten, welche aber durch Kunst
hervorgebracht sind und sogar nach den Lokalitäten abweichen. Man findet nämlich den
Hinterhauptteil entweder nach der rechten oder nach der linken Seite stark abgeplattet,
so daß die Wölbung des einen Seitenwandbeins ganz verschwindet, während die andere
stark hervortritt. Bei anderen aber ist der ganze Schuppenteil des Hinterhauptbeins
gleichmäßig gerade gedrückt, so daß die Scheitelbeinhöcker sich sehr stark entwickeln“.
„Daß diese Abnormitäten durch mechanische Einwirkungen hervor-
gebracht sind, unterliegt keinem Zweifel mehr. Wenn auch auf den ersten Anblick
diese Mi&bildung zu dem Schluß leiten könnte, daß die oben beschriebene viereckige Schädel-
form“ (nach unserer Bezeichnung die Brachycephalie) „bloß durch den Druck hervor-
1) Von der dritten Form muß ich, wie oben angegeben, absehen.
655
gebracht sei, so wird durch die Vergleichung einer großen Anzahl Schädel leicht die
typische Form herausgefunden. Bei Kindern, die noch nicht einem mißbildenden Druck
durch Bänder und Schienen ausgesetzt gewesen sind, nämlich bei ausgetragenem, aber noch
nicht geborenem Fötus, welche man ziemlich häufig auf den ausgedehnten Begräbnisplätzen
der alten Indianer findet, zeigt sich schon die nämliche viereckige“ (brachycephale) „Form.
Das nämliche gilt auch für die beiden folgenden Rassen, von denen ich ebenfalls Kinder-
schädel aus dem Fötuszustande zu beobachten Gelegenheit hatte“.
Meine Ergebnisse stimmen in allem wesentlichen mit denen Tschudis überein,
nur ist es mir bisher noch nicht gelungen, seine „dritte Schädelform“ unter unserem
Material aufzufinden.
Haupttabelle
der 37 altperuanischen Schädel
von Ancon und Pachacamäc
aus der Gaffronschen Sammlung.
Z6» OU 95 19-2
ws 02 05 0 02 02 C2
E 3 3 [$2 |8:| 2 |:,|.; "EE | alus
A E 9 o 2 om |535| & Eee! 8 5 n .' za
| 3$ |3a| à | 8. 3 2522 2505, | 5 5
= Herkunft e ccc Ed = 2 eed sec SE SEE S Eso
d |4$ E 8|9 285|9s| 5 |93$ 3&6 32| 8 | 3 |33 43
5 Uus em S9|m e [7] n á 3 {7}
= 162 | 150,5 | 122 | 106 | 127 |64 465/109 | 112) 1161337, 88 | 76 93
1025 168 | 119,5| 116 | 100 | 106 |67 |462|111|106| 115/332, 83 | 84 95
|1020 1173 | 118 125 |.106 | 113 |67 |464|118 121| 113 |352| 84,5] 85° | 86
an 167 | 1345| 118 | 106 | 116 |66 |489|112 | 113 | 116 |341| 92 | 80 96
| Pachacamäc | 1130 165 | 121 122 | 109 | 110 |64 |462|113| 124 113.| 350 | 82 | 82 94
| — |160 |125 | 138 | 115 | 97 [66 |465|114, 95| 125334 88 |(86) | 92
|1840 |179 | 182 140 | 114 | 113 | 72 |508|126|120| 115|361| 86 | 93 |102
‚1330 |183 | 196 137 | 114 | 115 77,5 510 123] 138] 112/373 | 89 | 94 | 97
|1170 |174 | 1245| 136 | 114 | 108 |69 ,499 124,116, 116 356| 76 | 96 | 101
| Pachacamäc |1165 |167 | 127,5| 134 | 112 | 107 | 66 |485|121|123| 110 |354| 85 | 82 93
Pachacamáe |1270 |172 | 147 | 145 | 116 98 |73 |513|122|121| 192|365| 99 100 | 114
|1175 |163 | 139 182 | 113 94 |77 |486|122|114| 106|342| 96 | 95 |103
Pachacamác | 1190 |177 | 181 | 145 114 | 104 |80 /|507,|125|127| 191|373|100 107 |102
Pachaeamáe | — 151 | 151 | 138
Pachacamáe | — |161,| 155 | 141 | 116 | 89 |70
510|117|122| 101|340| 91 | 94,5/(108)
| I
Pachacamáe | 1170 |155 | 142 | 1835 | 114 90 | 71
Pachacamäc 1125 |149 | 142 129 | 108 88.69 ,480|115|111| 112
1300 |160 | 141 | 149 | 124 | 92 |77 |496 113|130| 117
| | | |D—M—— | |
Pachacamäc |1130 |145 | 147 133 | 112 86 |70 |477|106| 207 313 | 92 | 87 |108
494|110|129|114 |353| 92 | 98 |108
Ancon 1265 |170 | 145 | 188 | ıiı | 100 |80 |518| 112 | 118|117 |347| 99 | 97 |109
1130 |i58- 147 | 198 | 11a | 96 |64 |513|111| 95 105 |911| 92 | 86 |107
| 1040 | 139 Be 197 | 115 | 79 |65 |465|101|120| 99 |320| 92 | 87 |101
1225 |153 | 163 | 127 | 108 90 |71 |511|109,103| 95 |307| 93 | 93 | 106
| | |
Kinderschädel: | | | |
1105 154 | 122 125 | 106 101 |55,5| 448 | 119 | 111 | 105 | 335 80,5. 77 79
| | | | 49-475 |
Ancon 1035(?) 162 | 118 | 128 | 103 | 105 |60 |446|109|110|124 |343| 79 |(82) | 84
Ancon(krank) 1095(?) 158 |(118) 126 | 105 102 | 57 | 445 | — ! — | — (340) 91 | 78 82
Pachacamäc 1015 137 154 | 117 | 101 81157 |475| 95| 90|106 |291| 90 | 79 97
= 140 | 142 | 124 | 103 89 |56 | 443| 99|100|105 |304| 87 | 80 85
990(?) 142 147 114,5] 93,5; 92 |56 | 498 92, 98/100 |290| 80 ;(76)| 85
Pachaeamáe |1190 |145 | 145 | 138,5| 1125| 88 |58 |460|114| 96|115 |325| 86 | 99
1180 1159 | 184 | 130 | 109 93 |58 |464|115/100| 121 |336| 86 | 87 92
Mumienschüdel Nr. 38 (Ancon) gr. L. 182, gr. Br. 138. L.-Br.-Index 75,82.
ES E Ins le I] 2 2 & | Es ES Indices
= = 9 | xz dm = zz, - z 9 2
E ics rH Selle ss ss cu s ar: oH = |
és$s| 8. | 3$ 3|3 $|3 8$, 3 E 88 |8P 3 | 8| 58 | $ | 8. 2
je OUI SCR ee e on ERE S d
|
| | 50,00
— 56 85 |36 19,6| 48 72,19 75,15 | (61,79) | 97,22/41,72| 81,39
| | | 54,83
— [63,5 116 37 |86 20,5. 49 69,04. 63,09 | (71,38) 102,79/49,71| 68,37
Ie el | | | 53,97
115% 36 |36 22,5, 44 | 72,25 65,32 | (72,28) |100,00/50,56| 79,54
| | 50,00
— 55 37 |36 20 |43 | 70,65 69,46 | (62,50) |102,79145,45| 86,05
| | | 48,11
— [51 33 |38 19 |44 | 72,62 65,47 | (64,96) 100,00,44,29| S1,81
| 50,00
— 57 30,5| 35 21 |48 83,18 60,63 | (68,67) | 87,15,51,22| 72,92
ER | | 48,40
— ‚60,5 125 35 |39 21,5 53 78,21 63,13 (61,11) | 97,22)46,74| 79,24
| | | 55,28
— 68 39 137 23 | 58 74,86 62,84 | (69,39) 105,41/50,00| 68,96
| | 53,26
— |65 39 |39 22,5) 51 | 78,16 60,92 | (71,43) 100,00 49,38| 74,51
| | 56,97
101/65 34 |36 23 [51 80,24 64,07 | (69,89) | 94,44|52,27| 70,59
| | 46,95
0161, 181 |107 |33 |42 24,5 50 84,29 56,98 (57,48) | 78,57/51,58| 94,00
| | 48,86
109/64 | 34 |40 27 | 59 80,98 57,67 | (67,37) | 85,00/50,94| 77,96
| | 47,79
— [65 36 42 | 25 58. 81,01 58,10 | (62,50) | 85,71/46,29| 79,31
| | | 54,76
107/69 34 |39 | 27,5) 56 84,77 56,75 | (68,32) | 87,18/53,99| 78,57
| | | S
| | 50,00
— |61 35 |35 |26 |(40) 90,15 — |(64,98) |100,00/53,06 (87,50)
| | 55,15
109 75 35 |42 28 | 58 86,42 53,08 | (71,43) | 83,33/51,85| 81,04
| | 48,82
169 37,5| 38,5 21 | 43 91,39 57,61|(69,66) | 94,81,45,69| 97,68
| 52,97
— |69 196 |41 25 e 87,36 54,46 | (73,51); 87,82/54,35, —
| | 49,95
109/66 34 |39 28 |51 85,12 64,63 | (67,35) 87,18.46,00, 78,43
| | | 52,91
11171 35,5 42 | 25 | 56 83,64 60,00 | (65,74) | 84,52.48,08| 76,78
| | 49,04
109 64 33 |42 24 | 55 87,09 58,07 | (59,81) | 78,57,53,33| 76,36
49,23
— [64 32,5 40 [95 | 52 | 86,58 59,06 | (64,65) | 81,25/52,83| 92,31
| 50,97
—( 33 |44 27,5| 54 93,13 57,50 | (66,34) | 75,00/51,88| 75,00
| 48,98
— 62 36 |43 25 | 50 | 95,17 59,31 | (63,92) | 83,72 48,08| 78,00
| | 50,77
— 66 32; |42 | 25 | 55 ' 98,10 53,16 | (66,66) | 76,1948,08| 75,55
51,49
123 69 37 40 25 |58 | 81,18 58,82 | (66,34) | 92,50 44,64] 74,14
| | 50,56
113 68 38,5| 42 23 | 48 | 77,85 60,76 | (68,69) | 91,67 44,23 100,00
| | 47,97
102 63 32 |42 22,5 46 | 98,53 56,84 | (65,63) | 76,19 45,92) 86,95
| 53,33
109 72 38 144 24 |51 | 83,01 58,82 | (76,59) | 86,36.47,06| 76,47
86/53 132 |31 19 | 38 81,17 65,58 | 54,56 |103,22 47,50, 81,58
— 149 31 |31 20 |38|8 79,01 64,82 | 51,04 100,00 54,05) 89,47
— |46 33 |87 (20 |36 |3 79,75 64,56 | 49,99 | 89,19 54,05| 100,00
— 152 33 135 18 |40|8 86,93 59,13 | 48,15 | 94,31142,11| 83,75
8751 32 |32 18 |38|8 | 88,57 63,57 | 48,65 |100,00/50,00! 89,47
— 48 21,5| 34 17 |—| | 80,63 64,79| 48,48 | 92,65 50,00) —
95 50 34 |40 20,5| 39 |3 | 95,52 60,69 | 42,73 | 85,0051,25| 92,31
— 150 (32 |35 |18,5| 41 34 849 || 84,28 |81,76 | 6 58,49 | (50,00) | 91,43/47,43| 82,95
sub
1. Einleitung: Die Schädel der Gaffronschen Sammlung SUME:
2. Allgemeine Beschreibung der Schädel: : DD
1. Die Längenbreitenverhältnisse der Schädel |. . . 0. . ,. . . D TB -
2. Làngenhóhenindex . : : : & 3 . 5 $ Hors : aos BEES
3. Der lunenraum des Hirnschädels u... I8 0 MD P ROI HUIUS ARCU Go ME
3. Einzelbeschreibung der 57 Schädel der Gaffronschen Sammlung: Wis.
I. Künstliche Kurzkópfe ; ; ; G UR : * : ; : ; a B5
II. Künstliche Langkópfe D HIM IE Es Beh
E 4. Schlußbetrachtungen: c EN
I. Die Methoden der Schädeldeformation . : : : B : : ; H 22002:
II. Die Hauptformen der Schädeldeformation : PNE . : . à se 016440
]IIL. Die typischen, unveränderten Schädelformen der Altperuaner von Ancon und NI
Pachacamäc : 0 etie. HIST ous [est HI CEN TG
Haupttabelle der Altperuanischen Schádel : : : 9 : : spi RR EE 656 à na
Tafel 1.
Schädel Nr. 1.
Zu Seite 567.
Vira
Pros
(n
Zu Seite 619.
Tafel 2,
Schädel Nr. 97.
dA
A M
ER
Tafel 3,
Schädel Nr. 28.
Zu Seite 621.
Tafel 4.
Schädel Nr. 32,
1
Fie.
Zu Seite 629.
Tafel 5,
Schädel Nr. 35.
Zu Seite 635.
Tafel 6,
Schädel Nr. 35.
Zu Seite 635.
Zu Seite 646.
Fig. 1. Schädel Nr. 8.
Fig. 2. Schädel Nr. 11 Pachacamác.
Tafel S.
Schädel Nr. 8. s. auch Tafel 7 Fig. 1.
Zu Seite 646.
M t
P
Tafel 9,
Schädel Nr. 11 aus Pachacamäc
s. auch Tafel 7 Fig. 2
rn
Zu Seite 646/647.
Handlirschia Gelasii nov. gen. et spec.
aus dem Schaumkalk Frankens.
Von
Otto M. Reis.
Mit 1 Tafel.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 85
2909qa-I9. gos vor rteslox) Y
Durch das freundliche Vertrauen des Herrn Paters Gelasius Kraus vom
Gymnasium zu Münnerstadt wurde mir ein im Schaumkalk daselbst gefun-
denes, ihm überbrachtes und von ihm mit richtigem Gefühl als Seltenheit
aufbewahrtes Fossil zur Deutung und Bestimmung überlassen; obwohl ein
Fragment, ist das Fossil bei seinem sonst ganz vorzüglichen Erhaltungszustand
der Oberfläche in vielen Einzelheiten in mehr als nur einer Hinsicht von An-
ziehung und von Wichtigkeit Wenn nun auch seine systematische Einord-
nung und die anatomische Deutung der Nerven nicht geringe, aber doch wohl
überwindliche Schwierigkeiten bieten, so besteht, wie aus Nachfolgendem her-
vorgehen wird, eine vielfache sachliche Verpflichtung, sich eingehendst mit
dem sehr interessanten Objekt zu beschäftigen.
Ich benenne die Gattung, die durch dieses Fossil gekennzeichnet wird,
nach dem Verfasser des höchst verdienstvollen Werks, des Handbuchs der
„Fossilen Insekten“, Anton Handlirsch in Wien !); die Art sei dem früheren
Besitzer des Stückes, Herrn Pater Gelasius Kraus, der es mit Zustimmung
seiner Vorgesetzten der Palaeontologischen Sammlung des Staates in München
überlassen hat, dankbarst zugeeignet.
I. Übersicht über den Erhaltungszustand.
Das in Fig. 1 im Abguß dargestellte Fragment sieht im Original (Fig. 2)
etwa aus wie das Stück einer Schwanzflosse eines Fisches, dessen axial ver-
dickte Strahlen durch feinste Längsfurchen von einander geschieden, sich doch
zu einer enggeschlossenen Fläche zusammenlegen; diese Strahlen, kónnte man
meinen, seien für sich aus einer Anzahl ebenso durch feinste Furchen sepa-
rierter Querglieder in Form von plattig-schuppenartigen Gebilden zusammen-
gesetzt.
1) Vgl. Die fossilen Insekten ete. Leipzig, Engelmann 1906—1908, ein Werk, welches den Palae-
ontologen ermöglicht, nunmehr selbständig wichtige entomologische Gegenstände zu bearbeiten.
85*
662
Der diese Formen zeigende flache Körper liegt nun wie ein selbständiges
Petrefakt auf der bräunlichen, luckig-porösen Schaumkalkunterlage auf; seine
Substanz sieht in ihrer dichten, glatten und jeder Skulptur, jeder Porenaus-
mündung etc. entbehrenden Oberfläche, endlich in ihrer dunkelgrauschwarzen
Farbe aber durchaus nicht wie „Knochen“ aus! — Bei näherem, Zusehen er-
kennt man auch, daß die fragliche Versteinerungsmasse über den völlig un-
verletzten Teil des Hinterrandes hinausreicht und daß die allerdings nur
schmal erhaltenen Bruchflächen außerhalb des Bereiches der organischen Form
ganz genau die gleiche Beschaffenheit haben wie jene innerhalb. Die mikro-
skopische Prüfung der Masse ergab nun auch, daß sie nicht organischen
Ursprungs ist, sondern aus einem sehr fein sedimentierten Kalk besteht.
Somit ist das Formenbild die Folge eines Abdrucks im Schlamm,
der eine Lage sehr gleichmäßigen und feinkörnigen Kalkes erzeugte, wie
solche in beiden Schaumkalkbänken als dünne Einlagerungen nicht selten
sind. Die relativ dünne Kalklage ist um den vorliegenden Fossilabdruck
herum, teils bei der Absprengung im Steinbruchbetrieb, teils, wie noch er-
kenntlich, durch Präparation weggeschafft worden.
An Stelle des oben skizzierten Bildes zeigt nun der hergestellte Abguß
als Positiv ein Netz von feinen erhöhten Leistchen, die in faltenartigen Längs-
erhöhungen und -vertiefungen längs- und quergestellt sind; sie bilden eine
ziemlich regelmäßige, nach einer sehr gut ausgeprägten Randlinie hingerich-
tete und dort feinstens endigende Verzweigung.
Hiermit hat man nun das Relief des regelmäßigen Faltenflügels . eines
Insektes mit Längs- und Queradern und einer deutlichen Aufwölbung der die
Adermaschen verbindenden Flügelmembran (vgl. Fig. 1).
2. Allgemeine Charakteristik des Geäders.
Zuvörderst sei bemerkt, daß die eigentlichen, als Längsadern zu deutenden
fadenartigen Linien in ihrer Dicke in keinem Verhältnis stehen zu der Tiefe
der konkaven Einfaltungen, daß die Queräderchen im Verhältnis zu den zwischen
den aufgeblähten Membranfacetten liegenden Vertiefungen stärker sind, als
die Längsadern zu den konkaven Falten. Andererseits erscheinen die Rücken
der sämtlichen konvexen Falten, in deren Mitte die Adern verlaufen, noch
für sich verbreitert und „versteift“. Alles dies spricht dafür, daß nicht die
Adern die eigentlichen Stützen des Flügels sind, sondern daß diese durch die
Faltungen und Verstärkungen der Flügelmembran geschaffen sind, welche
allerdings den Verlauf der Adern einhalten (über Einzelheiten vgl. unten).
663
So gleichmäßig fein die Ader- und Faltenverzweigungen auf den linear-
gestreckten Hinterrand des Flügels auslaufen, so zeigen sich doch im Innern
des Geäders und Faltenwerks in der Richtung nach der leider nicht erhaltenen
Flügelwurzel hin stärkere Unterschiede. — Es fallen insbesondere zwei recht
breite konkave Falten auf, deren Tiefenaxe mit der eigentlichen Ader beson-
ders bei der hinteren von beiden stark nach vorne verschoben ist; es ent-
steht hierdurch in ihr ein vorderes schmales und ein hinteres breiteres Längen-
segment mit Queräderchen. — Die hinter der letzteren herziehende konvex
liegende Ader läuft in beiden Fällen in ununterbrochener, schwach nach vorne
konvexer Bogenlinie nach dem Hinterrand. Die zunächst dahinter folgenden
Längsadern sind nun zu dieser Stammader oder Stammfalte als wirkliche Ver-
zweigungen oder zweigartige Angliederungen zugeordnet und laufen nun, nur
etwas steiler, in ähnlicher Konvexität nach dem Hinterrand. Während nun
alle an diesem auslaufenden, noch so schwachen Fältchen, wirkliche Gabel-
abzweigungen sind, können die innerhalb der äußersten Abzweigungen an
den beiden Hauptstämmen selbst sich anschließenden Längsfalten nur „zweig-
artig“ genannt werden; sie konvergieren im Sinne einer Abzweigung nach dem
Hauptstamm, haben aber kein Auslaufen ihrer Faltenfirste auf dem First
der Stammesfalte. Wenn so diese Teilfalten morphologisch nur zweigartige
Falteneinschaltungen sind, so sieht man doch wie sie nach innen, hinten
oder auch außen zu in wirkliche Faltenverzweigungen, zuletzt sogar in
gleichwertige Faltengabelungen übergehen; die „Einschaltung“ ist somit wohl
aus der „Verzweigung“ abzuleiten. Entsprechend unserer obigen Bemerkung,
daß die Faltenbildung sich an die Aderung halte, ist nun in dieser Hinsicht zu
betonen, daß die eigentliche Ader in nahezu sämtlichen Fällen im Sinne einer
unveränderten Verzweigung nach der Hauptader sich einbiegt und in sie ein-
mündet, so daß man bezüglich der Falteneinschaltung nur von einer sich
steigernden „Abdrängung“ der Seitenfalten von der Hauptfalte sprechen kann,
die wohl als eine Folge der Verstärkung dieser letzteren anzusehen ist.
Als Begleiterscheinung dieser Abdrängung können auch die hier auf-
tretenden, oft eigenartig verzerrten und verzogenen Membranzellen betrachtet
werden, welche Umbildung sich sogar durch die wirklich noch bestehende
Aderabzweigung auf die jenseitige Fläche der Stammesfalte fortsetzt und er-
kannt werden kann; hier zeigen sich unregelmäßige Aderteilungen und Ana-
stomosen in den Queradern, das heißt unregelmäßige Einschaltungen und
Teilungen der Membranzellen.
Wirkliche Längsschaltadern, d.h. solche, welche von einer richtigen
Querader möglichst rechtwinkelig so abstoßen, daß kein Teilstück dieser nach |
664
Richtung oder Stärke als Stammesfortsetzung der Längsader gelten kann,
liegen bei unserem Fossil nur in den konkaven Falten und entspringen meist
von einer verzerrt rhombisch oder auch trapezoidisch gestalteten Winkelzelle,
welche im Scheitelraum einer wirklichen Konvexen-Verzweigung gelegen ist.
Trotzdem also die reichgegliederten Aderkomplexe auch wirkliche Ein-
schaltungen aufweisen, so sind diese doch durch tatsächliche Verzweigungen
derart eingeschlossen und zusammengefaßt, daß die natürlichen Adereinheiten
sofort ins Auge springen, was für deren Deutung von größter Wichtigkeit ist.
3. Deutung des Nervengeäders.
Als Costa bezeichne ich jene dicke Ader am oberen Rande des Flügel-
torsos, welche auf einer flachkonvexen Auffaltung liegt, deren Außenhälfte
sehr schmal ist (vgl. c in Fig. 3); es zeigt sich hier umgekehrt mit einer Ver-
ringerung der Konvexität eine Verdickung der eigentlichen Ader, welche nun
die stärkste des ganzen Fossilrestes ist. — Daß hier der Vorderrand des
Flügels sehr nahe liegt, geht schon daraus hervor, daß die hinter der Ader
folgenden Transversalnerven, die in ziemlicher Stärke nach der Flügelwurzel
geneigt entwickelt sind, breit auseinanderstehen; hiermit zusammen hängt eine
starke Spannung der Membran an dieser Stelle und die Entwickelung einer
vorderen schwächeren und hinteren stärkeren ,Begleitleiste"^, welche sich an
die benachbarten Längsadern engstens anlegt. An den Verlauf der Quernerven
legt sich ebenso von beiden Seiten her eine feine Kantenerhebung an, welche
vorne und hinten zusammengeschlossen den Nerven selbst nicht mehr in der
entstandenen Vertiefung herausblicken läßt; auf eine ähnliche Tatsache kommen
wir unten zurück! Auf der Außenseite der Costa macht sich ein sehr schmaler,
wie rundlich vertiefter Saum bemerkbar, an dessen Außenrand eine sehr feine
Längskante (Ader?) verläuft; es scheint dies ein Analogon des sehr wohl er-
haltenen Hinterrands des Flügels zu sein, welcher einen ebenso nach oben
umgebogenen Verdickungssaum mit einer Längsader trägt (vgl. unten).
Als Subcosta (sc, II) halte ich den nächsten Längsnerv, an welchen sich
der oben erwähnte feine Zwillingsfaden anfügt; sie läge in einer flachkonkaven
Falte, deren eine (vordere) Muldenfläche das oben erwähnte schwach costo-
anal gewölbte, großzellige Längsband bildet, deren andere Fläche aber eine
größere Anzahl schmälerer, schon stark aufgeblähter Membranzellen trägt;
das Verhältnis zwischen beiden ist 5:8 Zellen auf die gleiche Länge.
Die letzterwähnte Fläche ist zugleich die Vorderfläche einer sehr starken
und breiten Auffaltung, welche ich als dem Radius (r, III) angehörig deute, deren
665
Hinterfläche bis zum Flügelrand erhalten ist; die ganze distaie Verzweigung
fehlt bis auf einige schwache periphere Reste. Was von dem der Flügel-
wurzel genäherten Teile vorliegt, zeigt deutlichst den Beginn einer Zweiteilung,
nicht nur in zwei Faltungsfirsten, von welchen der hintere, schmälere schärfer
und höher ist, sondern auch in einer auf eine Einschaltung von zwei Längs-
adern hinauslaufenden Aderteilung und Zellvermehrung. Dies und die Winkel-
größe des Gabel weisen im Verein mit der schon nicht unbeträchtlichen Ent-
fernung der Gabelungsstelle von der vermutlichen Spitze des Flügels auf eine
nicht geringe Verzweigung in dem Sektor, welcher zwischen dem vorderen und
hinteren Gabelarm gelegen ist; vor letzterem, welcher in ununterbrochener,
nach hinten verzweigungsloser Bogenlinie nach dem Hinterrand zieht, be-
merkt man hier noch drei nach vorne, d. h. nach diesem Sektor-Innenraum
zu gerichtete, kleinere Zweige, wie wir sie in vollständiger Erhaltung an
dem nächsten Sektor gleich besprechen werden.
Das Zwischengeäder gibt in dem erhaltenen Teil des Winkelraums von
Radius und Radius sector zu einigen Bemerkungen Anlaf; im Scheitel ist die
Aderung noch etwas undeutlich. Es lassen sich, soweit die Querzellen den
Gabelungswinkel noch einheitlich überbrücken, am Fossil selbst eigenartige
kleine und flache trichterartige Vertiefungen inmitten der Zellmembranen
erkennen, welche in der Mitte eine noch kleinere Pustel tragen; im Positiv
erscheinen kleine warzige Erhebungen mit einem kleinen Loch.
Solche Wärzchen werden auch bei den Palaeodictyopteren Homoioptera und
Rhabdoptilus (vel. Handlirsch, l.c. Taf. X Fig. 19 und Taf. XI Fig. 1— 2)
erwähnt; es sind dies Gattungen, bei denen das Quergeäder nicht wie sonst
kleinzellig ist. Man darf wohl hieraus auf einen Besatz mit kleinen Schutz-
oder Schmuckgebilden schließen (vgl. unten Näheres), wohl auch darauf, daß
man es mit der Oberseite eines Flügels zu tun hat.!)
Nach außen von dieser Region mit den Wärzchen setzt mit der Ver-
breiterung des Winkelraumes auch eine Teilung der Querzellen ein; hiermit
erkennt man den Beginn einer vorderen konvexen und einer hinteren kon-
kaven Längsschaltader.
Die Queradern der Hinterfläche der Rad.-sect.-falte sind ebenso dicht
gestellt und gestaltet wie jene der Vorderfläche, soweit sie erhalten ist; nach
der konvex zum Hinterrand gerichteten Umbiegung der Ader zu werden die
Membranzellen, die hier auf dem Stamme senkrecht stehen, etwas breiter.
!) Nach dieser Seite waren also die Zellmembranen konvex aufgebläht und der Hinterrand des
Flügels emporgebogen. Diese Orientierung wird auch dadurch bestätigt, daß einer der konkaven Falten
am hinteren Flügelrand ein einspringender Winkel entspricht (vgl. S. 666).
666
Als Medialis (m) ergibt sich darnach der gesamte Komplex von der
zunächst konkav liegenden Ader (IV) bis zu der durch eine noch etwas breitere
Einfaltung bezeichneten konkav liegenden Ader (VI), deren Auslaufen auf den
Hinterrand durch eine schwache Einziehung daselbst (einspringenden Winkel)
gekennzeichnet ist; es ist der Komplex, der aus der großen mittleren Gabelung
eines starken einheitlichen Stammes am Bruchrand des Fragments entspringt.
Der vordere Aderzweig hat einen ununterbrochenen Bogenlinienverlauf,
auf welchen vom Hinterrand her sechs Abzweigungen auslaufen, welche
weniger dem Aderkonnex als der Falte nach als „Einschaltungen“ zu bezeichnen
wären; von diesen bleibt eine, die zweite von außen, einfach, drei weitere teilen
sich einmal, die hinterste zweimal, und zwar alle erst dem Rande genähert;
diese Endzweige bilden am Rande ein gleichmäßiges Auslaufen feiner Fältchen,
welche sich natürlich verschmälern und verflachen.
Der hintere Aderzweig der Medialis gabelt sich ungefähr in der Mitte;
sein vorderer Gabelarm zeigt vier einseitig nach hinten gerichtete Abzwei-
gungen, durch welche die Bogenlinie des Stammes geringe Knieabbiegungen
erhält; sein hinterer Gabelarm teilt sich nun 2—3 mal in fast gleichmäßigen
Verzweigungen (die dritte findet an der hintersten Verzweigung statt), durch
welche sowohl vorne wie hinten die Bogenlinie der Adern durch stumpf-
winkelige Achselbuchten unterbrochen ist.
Wie diese Verzweigungskomplexe von zwei Hauptachsen von m abgehen, so
sind sie auch in auffälliger Weise von einander getrennt durch eine von dem
Gabelscheitel bis zum Flügelrand laufende, in breiter Einfaltung konkav liegende
Ader. Diese Ader, die nach dem Rand zu sich verdünnt und dort durch die
auslaufenden Queräderchen zickzackförmig geknickt ist, erscheint als die typischste
,Schaltader^ des erhaltenen Teils des Flügels. Sie entspringt etwa von der
siebten der unpaaren Queradern im Winkel der Hauptgabelung; diese Querader
erhält so durch die Angliederung der Schaltader einen nach innen stumpf-
winkeligen Knick (die Membranzelle wird fünfeckig). Dieser Knick ist auch bei
den übrigen mehr peripher liegenden Schaltadern nur etwas weniger stumpf-
winkelig; da aber hier die Abzweigung meist schon von der ersten Querader im
Gabelungswinkel stattfindet, so entsteht eine verzerrt rhombische Winkelzelle.
An den erwähnten „falschen“ Einschaltungen bzw. den eingeschalteten
Zweigfalten ist diese Winkelzelle meist verlängert und verzerrt, welche Un-
regelmäßigkeit auch an den Zellen auf der anderen Seite der Abzweigung zu
bemerken ist. Auffällig ist auch, daß alle jene nach hinten gelegenen Abzwei-
gungen sich auch in etwas unregelmäßigen Abteilungen und Aderverzweigungen
der Querzellen vor den betreffenden Stämmen oder Stämmchen kundgeben.
667
Es ist noch übrig, einiges über das distale Geäder bis zum Flügel-
rande zu sagen, was zugleich auch für den noch nicht im einzelnen gedeuteten
Teil des Hauptgeäders zu gelten hätte.
Die Queräderchen sind in den konkaven Längsfalten durch die Längs-
schaltadern in zwei ungleichbreite Reihen (Längssegmente) gestellt, da jene
nicht ganz in die Mitte der Konkavität, sondern etwas nach vorne verschoben
sind; die im allgemeinen kürzeren vorderen Äderchen (bzw. Membranzellen)
stehen senkrecht auf ihren zugehörigen vorderen Stämmchen, während die
meist längeren hinteren sich mehr parallel der Körperachse oder senkrecht
zum Flügelhinterrand zu stellen streben. Die Membranzellen sind ausnahmslos
durch verhältnismäßig dichten Stand der Queräderchen stark querverlängert
und immer nach außen (oben) gebläht (vel. S. 665 Anm.); dies gilt sogar für
für die kleinsten, mehr quadratisch gestalteten zunächst des Hinterrandes.
Wir haben oben erwähnt, daß die Hauptaderstämme eine breite Ver-
steifung aufweisen, welche darin besteht, daß zugleich mit einer steileren
Aufbiegung der seitlichen Faltenfläche eine Verbreiterung des Rückens der Falte
eintritt (Fig. 5—7); diese ist nicht etwa die Folge irgend eines späteren Druck-
vorgangs, sondern ist als ursprünglich durch eine (auch bei rezenten Flügeln
beobachtete) mit ihr eintretende f-förmige seitliche Ausbiegung des queren Ader-
verlaufs gekennzeichnet. Gegen den Rand des Flügels ist auch in den konkaven
Fältchen eine solche durch die Flügelmembran verursachte schwache Versteifung
zu bemerken, so daß eine gewisse, wenn auch nicht vollständige Gleichmäßigkeit
auch hier ausgedrückt ist. Eine Ungleichbeit in den konvexen und konkaven
Falten zeigt sich aber hier doch darin, daß die ersteren statt einer Aderkon-
vexitát auf dem breiten Aderrücken eine entsprechende feine Rinne (Fig. 7)
aufweisen, die sich im Negativ des fossilen Objekts an einem feinen medial
gelegenen Wulststreifchen zu erkennen gibt. Die Erscheinung ist im Negativ des
Originals besser zu studieren als im Positiv der künstlichen Abgüsse, welche
die wie in Erz gegossene Feinheit des Fossils nicht wiedergeben können.
Diese an allen auf den Hinterrand auslaufenden Adern gleichmäßige
Merkwürdigkeit verlangt eine gesonderte Ableitung und Deutung, weil auch am
Vorderrand und am Postkostalfeld Ähnliches beobachtet wurde. Die erwähnte
Versteifung äußert sich in einem entweder nach vorne oder auch nach hinten
etwas über die Membranfelder überhängenden Rand, so daß zwischen der
mittleren Ader und dem Versteifungsteil eine Senke entsteht; diese Senke
vertieft und verbreitert sich z. B. auf der Vorderseite der Hauptfalte von m
nach dem Flügelrand zu und rückt mehr und mehr nach der eigentlichen
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 86
668
Ader, welche sich verdünnt und zuletzt verschwindet; so zeigt sich endlich
auf allen randlichen Verzweigungen und konkaven Einschaltungsfältchen eine
mediane Rinne, welche an dem Randnerven abstößt. Wie nun dieser Sammel-
randnerv die Vereinigung sämtlicher erhabenen Nerven der konkaven Falten
ist, so scheint auch eine Einigung aller jener auf ihn auslaufenden Rinnen
dadurch gegeben zu sein, daß der gesamte hintere Flügelrand sich nach
oben umbiegt, wodurch jener Sammelnerv also in einer nach oben offenen
Randrinne liegt; es ist dies eine analoge, lediglich durch die Flügelmembran
gebildete Versteifungsvorrrichtung des Flügelrandes.
Das beschriebene Verschwinden der konvex liegenden Ader ist vielleicht
dadurch unterstützt, daß die Ader hier auf der Unterseite des Flügels stärker
vortritt, wie ja ein völlige Kongruenz der oberen und unteren Flügelplatte
durchaus nicht die Regel ist. Auch am postkostalen Längsband wurde (S. 664)
ein ähnliches stellenweises Verschwinden der eigentlichen Quernerven
erwähnt.
Hinter der oben beschriebenen Verzweigung von m liegt in der konkaven
Falte eine Ader (VI), welche morphologisch völlig jener (IV) gleichwertig ist,
welche hinter rs den Beginn der Medialis bezeichnet; es ist dies der vordere
ungeteilte Ast des Cubitus, hinter welchen die Hauptfalte des Cubitus sich
erhebt; auf diesen laufen nun genau so von hinten außen her die Verzwei-
gungen des Cubitus aus wie auf der vorderen Hauptfalte der Medialis die
zugehörigen Zweige. Die Hauptfalte des Cubitus hat auch den gleichen "unge-
knickten, konvex nach vorne gebogenen Verlauf, den breiten Versteifungsrücken,
auf welchem die eigentliche Ader nur einen recht geringen Raum einnimmt.
Der dachförmige Abfall der Falte nach vorne ist ebenso flacher und viel
breiter als der viel steilere hintere Abfall. Die Trennung dieses Faltenkom-
plexes vom vorhergehenden ist ungleich auffälliger als die der Medialis
vom Radius.
Von vier vorderen zweigartigen Falteneinschaltungen auf der Hinterseite
des Faltenstammes ist die hinterste auch der Aderverbindung nach eher eine
Einschaltung (Fig. 5) zu nennen. Wie die beiden unvollständigen dahinter
folgenden Adern zu deuten sind, ob die erste sich noch mit dem Hauptstamm
verbindet, ob die zweite schon den Beginn der Analis kennzeichnet, das ist
leider nicht zu entscheiden; jedenfalls ist noch mit einem nicht unbeträcht-
lichen Teil des Flügels nach der Wurzel zu hier ebenso zu rechnen, wie am
distalen Ende des Fragments nach der Flügelspitze zu.
Bemerkenswert ist die nach hinten eintretende Verflachung der Fal-
tungen und die hiemit auftretende Verringerung der Längenunterschiede der
669
mehr in medial gelegener konkaver Längsader zusammentreffenden Membran-
zellen. Auffällig ist die starke Verbreiterung der hintersten konkaven Falte,
deren Làngsader schon möglicherweise ein vorderer ungeteilter Zweig (VIII)
der Analis ist.
Die distalen Partien des Flügels verhalten sich hier wie bei der Medialis;
auf den Rand stoßen auch hier ziemlich gleichmäßig verlängerte Zellen
nahezu senkrecht auf. Überall zeigt sich auch die erwähnte Rinne.
Die mechanischen Momente in der Adergestaltung.
In der bei Insektenflügeln ja weit verbreiteten, aber bei Handlirschia
besonders stark ausgeprägten alternierenden Längsfaltung der Flügelmembran
nach konvex und konkav liegenden Adern tut sich nicht nur eine sagittale
(costo-anale) Verschmälerung des Flügels kund, sondern es kann darin auch
eine Verstárkung im Zusammenhalt des Adernetzes in Hinsicht auf eine etwas
ausgreifende Verlàngerung des Flügels erkannt werden. Es zeigt sich hierin
das gleiche mechanische Prinzip, das die Faltung und Nervatur der Blattflächen
der Pflanzen beherrscht. Man erinnere sich, daß ein in Längsfalten gelegtes
Papier als improvisierter Fächer zum Luftfächeln gegen quere Abknickungen
viel besser gesichert ist als ein flaches ungefaltetes Blatt, dem man andernfalls
eine starke nach unten konkave Wölbung geben müßte; letztere wird indessen
beim Insektenflügel auch erstrebt und äußert sich auch bei Handlirschia.
Für Handlirschia ist nun besonders zu betonen, daß die eigentlichen
Adern an einer Faltenverstàrkung sehr geringen oder keinen Anteil haben,
daß dagegen die Membran des Flügels eine besondere Rolle bei der Versteifung
und Verbreiterung der konvexen Falten spielt, dadurch daß in den im Sinne
einer nach unten konkaven Krümmung an und für sich steif aufgeblähten
einzelnen Zellenmembranen die einfache Aufblähung in den nebeneinander-
liegenden Zellen streifenweise unterbrochen ist und so durch verminderte Auf-
blähung und gemeinsame Änderung des Neigungswinkels zu seiten der Adern
eine summarische Kantenwölbung oder Biegung ohne irgend welche Beteiligung
der Adern selbst hervorgerufen wird. Zu diesen Versteifungen, die wir schon
erwähnten, gehört auch die 8.667 ausführlich behandelte Tatsache, daß der
Innenrand der Versteifungsbänder (bzw. der Membranen selbst) gegen die Ader
sich emporhebt und mehr nach dem Hinterrand zu von beiden Seiten nach
innen vorrückt, so daß gegen den hinteren Flügelrand hin an der Stelle des
erhabenen Aderfadens auf dem Faltenfirst eine feine mediane Rinne auftritt.
Eine weitere Erscheinung dieser Verstärkungstendenz ist die verdickte Empor-
86*
670
biegung des hinteren Flügelrandes, in der wie in einer Halbrinne die Rand-
sammelader verläuft. !)
Zum Verständnis dieser Differenzierungen ist die Annahme berechtigt, daß
die Flügelmembran schon an und für sich zäh und dickhäutig oder perga-
mentartig gewesen, daß sie zu zonaren oder streifigen Verstärkungen geeignet
und geneigt war; dies wäre eine allgemeine mechanische Vorbereitung des
Flügels zur Widerstandsfestigkeit, neben welcher aber auch noch speziellere
Eigenheiten in der Architektur des Faltenbaus von Interesse sind.
Wir sehen in erster Linie die stärksten Faltenerhebungen zwar nicht
unmittelbar, aber naturgemäß doch nahe am Vorderrand des Flügels zusam-
mengedrängt; wir sehen hiermit zusammenhängend in costo-analer Querlinie
(senkrecht zum Hinterrand) mit verhältnismäßig geringerer Faltungshöhe
auch breitere konkave Längsfelder auftreten; hier erreichen die Falten eine
stärkere Konvexität erst mit der Annäherung an die Flügelwurzel.
Bei den vorderen konvexen Falten erkennt man eine flachere Vorderseite
und eine steilere Hinterseite; erstere ist breiter, letztere schmäler. Dies läßt
sich auch dadurch kennzeichnen, daß man sagt: je eine konkav liegende
Ader sei fast senkrecht unter die konvexe Ader wie zu deren
eigenem Schutz weiter nach vorne verschoben. Die Queradern bzw.
deren Zellen der steilen Fläche stehen offenbar zur Stütze der tiefen Falten-
ader auf der versteiften konvexen Ader senkrecht, während jene der flacher
nach vorne geneigten Faltenflächen sich mehr in der Flugrichtung und senk-
recht zum Hinterrand einstellen; erstere Stellung ist eine Sicherung gegen die
beim Flug auf die Flügelfläche von unten her möglichen Verbiegungseinwir-
kungen; letztere Einstellung sichert die konvexen Längsadern gegen Ver-
biegungen vom Vorderrand her. — Alle diese Verschiedenheiten zwischen
Vorder- und Hinterseite der Falten gleichen sich nach dem Hinterrand und
nach der Analregion aus.
In der Gabelung des Radialkomplexes zeigt sich indessen gegenüber jener
dahinterliegenden der Medialis schon deutlich die Beeinflussung durch die Nähe
des Vorderrandes des Flügels, da die vordere Gabelfalte jenes breiter und stumpf-
kantiger als die hintere wird, wobei sie sich auch etwas nach vorne senkt.
Mit dieser bemerkbaren Neigung (Gefälle) der äußeren Flügeloberfläche
nach dem Vorderrand zu stimmt auch die ganz geringe Aufbiegung von der
Subeosta nach der Costa, woselbst die Queraderung für die Randlage in hohem
1) Ähnliches zeigen die Queradern des Costal-Subcostalfeldes; auf gleichen Zweck hinaus laufen
auch die „Begleitleisten“ der Costa, Subeosta und des erhaltenen proximalen Teiles der Tiefenader hinter
dem Radius sector und jener hinter der Medialis, allerdings bei der letzteren in sehr zarter Entwickelung.
671
Maße charakteristisch ist, wie auch eine Verdickung der Costalader selbst in
umgekehrtem Verhältnis zur Verringerung der Auffaltung hiemit übereinstimmt. |
Wenn so der Vorderrand des Flügels zum Durchschneiden der Luft wohl
eingerichtet und gestärkt ist, so wirkt in gleichem Sinne die Verflachung der
breiteren Vorderflächen aller konvexen Längsfalten halbkeilartig; in diesem
Sinne sind auch zur Verringerung der Widerstände auf diesen flacheren und
breiteren Flächen die stark verlängerten, aber ziemlich dicht gestellten Adern
und Zellen in der Flugrichtung eingestellt. Dagegen mag durch die Wider-
stànde an den steilen Flächen der Falten von der vorderen Unterfläche der
Flügel her eine Einwirkung zu drehenden Bewegungen gegeben sein (vgl.
unten S. 671). Hierbei zeigt sich auch die Konkavität der unteren Fiügelfläche.
In der Tendenz dieser gesamten Ausgestaltung liegt auch die Verstärkung
des vorderen konvexen Zweiges der Medialis und des Cubitus; an diesen in
ununterbrochener, bogenartig gespannter Krümmung verlaufenden Stammfalten
fehlen alle Verzweigungen nach vorne, während die letzten und hintersten
Verzweigungen der hinteren Gabelfalte der Medialis sich fast gleichmäßig nach
vorne und hinten vorspringend gabeln.
Wenn sich so in allen Einzelheiten eine gleichheitliche Differenzierung in
der Orientierung nach vorne bzw. hinten zur Frleichterung der Flugtätigkeit
und zur Stärkung eines verlängerten und verschmälerten Flügels zu erkennen
gibt, so stimmt hiermit die ganz außergewöhnliche Streckung des Hinterrandes
selbst. Nirgends findet sich bei Schnellfliegern im Tierreich eine rundlich
konvexe. Ausbiegung des Hinterrands des Flugorgans; bei solchen findet sich
vielmehr die Hauptwirkung auf die konvexe Vorderrandgestaltung gelegt; der
Hinterrand ist deswegen gestreckt oder gar konkav eingebuchtet; er hat keine
eigene Funktion. — Bei Betrachtung der Faltenlinien von Handlirschia kommt
man zu der Ansicht, daß der Hinterrand wohl auch konkav gestaltet wäre,
wenn ihm nicht durch eine besondere Versteifung noch eine Funktion, die der
Sicherung des Längszusammenhangs der verdünnten Hinterregion des Flügels,
gegeben worden wäre. So laufen auch die randlichsten Zellen in gleichmäßig
verlängerter Form senkrecht auf diesen „gespannten“ Hinterrand aus.
Zwischen ähnlich gesichertem Vorderrand und Hinterrand erheben sich so
die Hauptfalten zu einer nach unten gewendeten Konkavität, welche Konkavität
das postcostale Band in Gesamtheit und alle Zellmembranen im kleinen nach-
ahmen. Wenn ich auch dies im Sinne der Stärkung gegen quere Abbiegungen
(vgl. oben S. 669) auffasse, so will ich nicht verkennen, daß im einzelnen
durch die besondere Ausgestaltung der Falten (vgl. Redtenbacher) auch
eine gewisse Drehung des Flügels um seine Längsachse möglich sein wird.
672
Da nun im allgemeinen jede Fortbewegungsmöglichkeit auf der tatsächlich
gewordenen Überwindung von vorhandenen Bewegungswiderständen beruht, so
sind jene Verstärkungsvorrichtungen die wichtigsten, welche mit der zum
Zweck der Überwindung jener dienlichsten Form auch zugleich die höchste
Sicherung gegen die dabei möglichen Schäden verbinden, wie bei Handlirschia.
Morphologische und physiologische Kennzeichnung der Architektur des Flügels.
Wir sehen im Gesamtbild des Faltenwurfs des erhaltenen Flügels und in
seinen Einzelheiten eine Neigung, die Hauptverstärkung des Baus nach vorne
zu verlegen und die nächstliegenden Teile daran von hintenher zweigartig
anzugliedern, die Angliederungen von der Vorderseite her aber vollständig
auszuscheiden; die Bezeichnung eines solchen Flügelbaus würde man nach dem
naheliegenden Vergleich mit der Terminologie bei Fischflossen als uniserial
wählen müssen, die Lage der Achse wäre propterygial, die Lage der Ver-
zweigung wäre postaxial zu nennen. Ein großer Teil der Insektenflügel ist
nach Aderung und Faltung uniserial gebaut und zwar mit propterygialer
Flügelachse, welche in der Hauptsache summarisch durch Costa, Subcosta und
Radius gebildet wäre. Der Insektenflügel ist nun eine völlige Einheit, während
die Fischflosse aus zwei Teilen verschiedener Entstehung besteht: aus einem
reichlicher und für sich beweglichen, äußeren Strahlenskelet und einem inneren
mehr als Ganzes bewegten Trägerskelet, die sich aber beide zu einheitlicher
Wirkung zusammensetzen. In der überwiegenden Zahl der Fälle ist die Achse
des Innenskelets bei den Fischen metapterygial, wenn auch in einer ebenso
überwiegenden Masse die mechanische Achse des sog. äußeren Skelets sich
gleichzeitig zu propterygialer Lage (besonders bei Fischen mit knöchernem
Außenskelet) entwickelt; dies gilt nicht nur für die Flosse im ganzen, sondern
auch für mehr oder weniger selbständige Einzelkomplexe von Strahlen im
Innenbau des Flossenlappens.
Gleichzeitig propterygiale und metapterygiale Achsenbildung in dem
mechanischen Stützsystem der Flügelfläche haben auch manche Insekten-
gruppen, wie z. B. manche Neuropteriden (wo der Radius sector sich sehr stark
verbreitert und Medialis und Cubitus eine hintenliegende Achse bilden) oder
manche Mantoideen, wo die Hinterflügel deutlichst zwei dynamische Achsen
im Geäder besitzen.
Die Neuropteriden zeigen auch den Übergang zu völlig biserialem Typus,
da sich hier stellenweise eine starke, nach dem Vorderrand gerichtete (praeaxiale)
Verästelung von der Subcosta aus entwickelt und die erwähnte metapterygiale
675
Achsenbildung verschwindet, d. h. ihre Zweigbildung jener postaxialen des
Radius sector gleichgestellt wird. Bei Verlängerung des Hinterflügels zeigt
sich hier (vgl. Handlirsch l.c. Taf. V Fig. 14) rein biserialer Bau. Solche
Anordnung der Adern zeigen auch gewisse Locustoideen, Grylloideen, Blattoideen
Wels Handhirschg len TafıE Eie78,.9,2105,Tar-ıl Big: ZN 1114-2 Tat,
Fig. 1, 2); es ist von fossilen Formen einstweilen abgesehen.
Einen entschiedenen Schritt zu rein metapterygialer Achse macht z. B.
der Vorderflügel der Phasmidengattung Phyllum!) siccifolium L. (vgl. auch
Handlirsch l.c. Taf. I Fig. 23).
Wir sehen nun bei geologisch alten Insektentypen, bei den Palaeodicty-
opteren wohl propterygiale dynamische Achse für den ganzen Flügel, für die
einzelnen Aderverzweigungen für sich aber, nicht zu verkennen, noch praeaxiale
Abzweigungen. Bedenkt man nun, daß bei einer nicht geringen Zahl von
Palaedictyopteren der Radius eher wie ein praeaxialer Zweig der Radialgruppe
aussieht und von dieser weg die Subcosta zwar nicht als tatsächlicher Zweig,
jedoch in Fiederdivergenz auf den Vorderrand ausläuft (vgl. z. B. Handlirsch
lc. Taf. IX Fig. 6; Taf. X Fig.13; Taf. XI Fig.1l) und daß die ebenso alten
Protoblattiden (vgl. l.c. Taf. XV Fig. 16—22) ganz entschieden biseriale Ader-
anordnung besitzen, so kónnte die Frage aufgeworfen werden, ob auch bei dem
Pterygium der geflügelten Insekten der biserialen Aufreihung des ursprünglich
in einer Reihe gleichwertiger Trachealelemente veranlagten Organes jene
Bedeutung zuzuschreiben sei, welche ein nicht geringer Teil von Ichthyologen
und Anatomen der biserialen Flosse der Fische als einen ,Archypterygium*
zu erkennen möchte; dies könnte auch vom Flügelbau der Handlirschia dadurch
gestützt werden, da sich hier ein Extrem propterygialer Achsenbildung und
postaxialer Fiederung als eine doch offenbar sekundäre und differenziertere
Ausstattung kundgibt.
In Übereinstimmung mit einer von ihm über den biserialen Bau mancher
Fischflossen gegebenen Deutung hat nun der Verfasser auch über das Auf-
treten uniserialer und biserialer Fiederung an den Trachealanhängen lebender
und fossiler Ephemeridenlarven?) sich dahin ausgesprochen, daß der uniseriale
1) Brogniart, Faune entom. de Commentry, 1873, Taf. XXVI Fig. 6.
2) Vgl. Abhandlungen der Senckenb. Naturf. Ges. Bd. XX S. 124 etc. und Rech. géol. le long du
chemin de fer de Sibérie, 29. Livr., S. 37. Letztere Abhandlung: Über. eine Binnenfauna der Fischschiefer
in Transbaikalien, deren Druck schon längere Zeit (1906) abgeschlossen wurde, ist erst im Juni 1909
erschienen; ich konnte daher auch den inzwischen erschienenen größten Teil des Werkes von Handlirsch
nicht berücksichtigen, das insbesondere bezüglich der von mir l. c. S. 30 Anm., angeschnittenen Punkte
vielfach klärende Ausführungen und Tatsachen beibringt. Daß übrigens zur Entwickelung der Flügel und
Tracheenatmung für das ursprünglich halb amphibiotisch lebende „Protentomon“ eine durch besondere
674
und biseriale Bau dieser auch als Beihilfsorgane der Bewegung dienenden
segmentalen Anhänge phylogenetisch gleichwertige Abwandlungen eines Urzu-
standes wären, welche eher physiologisch und biologisch als anatomisch und
phylogenetisch verstanden werden sollten; es wurde dargetan, daß der biseriale
Bau nicht archipterygial genannt werden dürfe, wohl aber palaeopterygial
sei, d. h. in älteren Formationen unter geringer differenzierten Wasserverhält-
nissen bei älteren Typen bestimmter Körpergestaltung und Bewegungsarten
vor dem uniserialen vorwiege. Hiefür sei auch auf die von A. Handlirsch !)
bekannt gemachten permischen Ephemeridenlarven verwiesen, deren Tracheen-
kiemen auch biserial gefiedert sind, bei denen nun wie bei lebenden Epheme-
ridenlarven dann auch die biseriale Fiederung an allen drei Schwanzfäden zu
beobachten ist.
Bei lebenden Larven läßt sich nun auch erkennen, daß biserial gefiederte
Anhänge bei Larven geringerer Beweglichkeit, uniserial gefiederte mit propte-
rygialer Achse bei Larven mit schneller und lebhafter Schwimmfähigkeit zu
beobachten ist, wie auch sonst bei vielen niederen Tieren biseriale oder
,crossopterygoide* Fiederung von Bewegungsorganen oder Kórperanhàngen die
„Schwebeformen“ charakterisieren. Überall läßt sich auch erkennen, daß der
Typus der Fiederung sich dann bei allen Anhängen ähnlicher Funktion wieder-
holt; so fällt, wenn wir auf die Fische zurückgreifen, ebenfalls auf, daß mit
biserial gefiederten oder stark crossopterygoiden Schwebe- oder Gleichge-
wichtssteuerflossen in den paarigen Extremitäten auch meist Homo- (Diphyo-)
cerkie im Bau der Schwanzflosse auftritt. ?)
Wenn wir diese Erórterungen auf Handlirschia anwenden, so können wir
diese Gattung jedenfalls als einen Schnellflieger und nicht als einen Schwebe-
erdgeschichtliche Umstände erzwungene Auswanderung aus dem Wasser und ein zeitlich ausschließlicher
Aufenthalt auf dem trockenen Lande, worauf bei Ephemeriden etc. wieder eine Rückkehr der Larven ins
Wasser erfolgt sein dürfte, nötig war, das möchte ich ebenso für zu begründen halten, wie Handlirsch
zur Erklärung der Holometabolie klimatische Anpassung annimmt, welche besonders nach der permischen
Eiszeit tiefereifende faunistische Unterschiede hervorbrachte. Handlirsch hält auch die Phryganiden-
larven mit guten Gründen für sekundäre Wasserbewohner (l.c. S. 1253). Diese Rückkehr ins Wasser mag
zu verschiedenen Zeiten und mit verschieden starkem Erfolg bei verschiedenen Typen vor sich gegangen
sein; ebenso wie die Anpassung, welche zur Holometabolie führt, polyphyletisch eintreten und ver-
schiedenen Grad der Vollkommenheit erreichen konnte (vgl. l. c. S. 1249).
! Handlirsch, Mém. Akad. Petersburg, XVI, 1904 und „Fossile Insekten“, S. 387, Taf. XXXVI
Fig. 1719; hier zeigen sich nach Handlirsch auch archaistische Merkmale im Kiemenbesatz!
2) Umgekehrt sind sog. Heterocerkie und propterygial verstärkte paarige Flossen miteinander
vergesellschaftet; diese sind lebhaft und stoßweise durchschneidenden Bewegungen zu dienen geeignet,
seien sie nun propulsatorisch oder lediglich steuernd oder beides zugleich. Gestreckt homo (diphyo)cerke
Schwanzflossen zeigen aber das entgegengesetzte Extrem, das der langsam schlängelnden Bewegung, zu
welcher biseriale paarige Flossen mehr das Schwebe-Gleichgewicht erhaltend beihelfen mögen.
675
füeger kennzeichnen; propterygiale Lage, Verteilung und Verstärkung der
Aderstämme sprechen ebenso hiefür wie der in ganz extremer Weise und
sonderbar gestreckte Hinterrand.
Es ist somit auch anzunehmen, daß der fehlende Teil des Flügelgeäders
und auch die ganze Flügelform eine dieser Charakteristik entsprechende Gestal-
tung haben wird; dies ist uns zu einem Restaurationsversuch behilflich,
worüber noch einige Worte erlaubt seien.
Nach unsern eben gegebenen Deutungen enthält das in Rede stehende
Flügelfragment die 4 bzw. 5 Hauptfelder des aus 5 bzw. 6 Hauptfeldern
bestehendeu Baus des Insektenflügels; hierzu ist folgendes zu bemerken:
Wie man annehmen kann, daß der widerstandsfáhigste und der den
beiden Seitenenden am entferntesten liegende mittlere Teil des Flügels sich
am ehesten erhalten haben dürfte, so kann auch vorausgesetzt werden, daß
bei der seltenen Schönheit der erhaltenen Einzelheiten auch der wichtigste
Abschnitt quer durch den mittleren bis proximalen Flügel uns vorliege.
Die Deutung, die wir im Vorhergehenden durchführten, läßt auch nur
über den äußersten Teil des Vorderrands und über die Analregion mehr oder
weniger kleine Zweifel übrig.
Nachdem wir uns nun über Flügelform, über den Typus des Geäders
"vergewissert haben, wird es bei der auffällig regelmäßigen Wiederkehr gleich-
artiger Verzweigungsverhältnisse in 2—3 Adersystemen auch möglich sein,
sich über den nicht mehr erhaltenen Rest des Flügels eine, wenn auch sub-
jektive Vorstellung zu bilden. Zu derartigen zusammenfassenden Rekonstruk-
tionsversuchen haben auch moderne Entomologen um so eher gegriffen, wenn
es sich dabei nicht so sehr um den Vertreter einer Art, sondern um isolierte
Funde von Gattungs- oder Familientypen handelt, besonders aus Formations-
gebieten oder Schichtkomplexen mit seltenen Funden, die daher eine um so
wichtigere Rolle im Zusammenschluß unserer Kenntnisse spielen müssen.
Das gegebene Bild, Fig. 3, zeigt in dem hell gehaltenen restaurierten Teil
die denkbar einfachste Vorstellung von einem Flügeltypus, der durch den
Handlirschia-Rest repräsentiert sein kann.
Einzelheiten werden nun noch durch das nachfolgende Kapitel erörtert
werden. Es sei nur noch bezüglich der physiologischen Kennzeichnung be-
merkt, daß, wenn auch nach Redtenbacher und Brongniart die Ent-
wickelung zu höchster Flugtüchtigkeit sich in einer bis zum Verschwinden
von konkaver und konvexer Lage der Nerven, ja bis zur Reduktion von Nerven
sich steigernden Vereinfachung des Flügelbaues äußert, schon auch eine wohl-
Abh.d.II.Kl.d.K.Ak.d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 87
676
ausgeprägte Bestandsdifferenzierung der Nerven an und für sich (ohne Reduk-
tion) im Sinne der Hebung des Flugvermögens nach Brongniart einwirkt.
Schon das sonst nicht gar häufig bis in die kleinsten Verzweigungen durch-
geführte äußerst strenge Alternieren der Längsfalten bei Handlirschia darf in
dieser Hinsicht angeführt werden, ganz abgesehen von der gleichzeitig nach
vorne und nach der Flügelwurzel erkennbaren verschiedenen Wertung der
Vorder- und Hinterseiten der Längsfalten, von der Verschiedenheit in der Auf-
blähung der Zellmembranen etc., was alles auf einen einheitlichen Grund-
zug der Architektur des Geädernetzes hinweist und eines ohne das andere
als etwas Unvollkommenes erscheinen ließe.
Wenn wir nun die äußeren Anzeichen der höchsten Flugfähigkeit, wie
wir sie bei lebenden Fliegern zu beobachten Gelegenheit haben, bei diesem so
alten Typus weder erreicht finden, noch als erreicht voraussetzen dürfen, so
ist hiermit doch die Möglichkeit einer außerordentlichen Flugfáhigkeit nicht
ausgeschlossen. Man darf hierbei nicht außer acht lassen, daß die andere Seite
des Flugvermögens, die virtuelle Seite, die Leistungsfähigkeit eines Typus in
dem äußeren Bau der Flügel gar nicht unmittelbar zum Ausdruck kommt,
bei Fossilien daher über Zahl der Flügelschläge, über ihre Amplitude und über
Ausdauer im Fluge alle Anzeichen fehlen. — Hier darf aber ins Feld ge-
führt werden, daß das alles in günstigstem Umfang vorausgesetzt
werden darf, wenn im Bau des Flügels eine bis ins kleinste gehende
Ausprägung für solche dem Flug vorteilhafte Momente und der Aus-
scheidung aller ihm nachteiligen Gestaltungen bemerkt wird; denn das deutet
sicher auf eine starke Inanspruchnahme. Zum Schluß sei angeführt, daß
Handlirschia einen Flügeltypus repräsentiert, der jenem entgegengesetzt ist,
den z. B. Brongniart als fächerförmigen bezeichnet, der in breiter und kurzer
Ausbildung, mehr als Fallschirm dienend, bei Typen geringerer Flugfähigkeit
vorkomme (vgl. l.c., 1893, S. 235).
Unter fossilen Formen kommt nun dem Typus der Schnellflieger jedenfalls
der der Megasecopteriden besonders bezüglich des regelmäßigen Faltenalte-
rierens, der Flügelform, des merkwürdig gestreckten Hinterrandes sehr nahe;
dieser bis in die Region der Analader linear fortgesetzte Hinterrand ver-
langt bei einem verhältnismäßig schmalen und langen Flügel eine stielförmige
Basis des Flügels wie sie auch bei lebenden Odonaten und häufiger bei Dip-
teren zu beobachten ist. Die Megasecopteriden zeigen aber bezüglich Hand-
lirschia im Innern der Flügelkonstruktion sehr verschiedenartige Merkmale:
das Fehlen jeglicher Schaltadern und eine bis in die Flügelmitte reichende
basale Verschmelzung in den vorderen Hauptadern. Hierin sind wieder die
677
mit den Megasecopteriden von Handlirsch in nähere Verwandtschaft gebrachten
Panorpaten ursprünglicher und zeigen in der Anordnung der hohen Adern
viele Ähnlichkeiten mit Handlirschia. Ein Unterschied in der Flügelform der
Megasecopteriden scheint mir gegenüber Handlirschia hervorgehoben werden
zu müssen; die Einbiegung des analen Teils des Hinterrandes zum Flügel-
„stiel“ nimmt bei jenen oft über die Hälfte der Flügellänge ein; ich vermute,
daß dieser Teil bei Handlirschia relativ beträchtlich kürzer ist. Diese Ähn-
lichkeit mit dem Megasecopteridenflügel ist natürlich eine Konvergenz; sie
darf aber deswegen betont werden, weil man daraus entnehmen kann, daß auch
bei Insektenflügeln ähnliche Wirkungen, ähnliche mechanische Momente bei
sehr verschiedenem inneren Bau erreicht werden können, so daß die Annahme
nicht gerade zwingend ist, daß gleiche mechanische Ziele notwendig auch auf
eine völlige Kongruenz des inneren Baues hinwirken müssen; die Merkmale des
letzteren müssen daher systematisch einen höheren Wert beanspruchen.
Wenn die Megasecopteriden nun nach Brongniarts Auffassung in Flügel-
form und Reduktion des Geäders sicher gute Flieger gewesen sind, so darf
das verhältnismäßig viel reichere Geäder von Handlirschia zu dem der Megase-
copteriden nicht in Gegensatz gestellt werden, denn es wird darauf ankommen,
von welchen Ausgangsgruppen aus die „Differenzierung“ stattfindet. Im Gegen-
teil dürfte geschlossen werden, daß Handlirschia auf Urformen mit reichster
Entwickelung an Aderverzweigungen und an Schaltadern zurückzuführen sei,
und so die bemerkbaren Reduktionen und Differenzierungen als Kennzeichen
hoher Flugtüchtigkeit in sich schließe.
4. Beziehung zwischen Adern und Falten bei den Pterygogenen.
Wir erwähnten oben, daß bei Handlirschia die Subcosta in einer konkaven
Falte gelegen sei; dies würde nicht nur mit dem gewöhnlichen Verhalten bei
lebenden Pterygogenen stimmen, sondern auch mit dem bei fossilen Formen,
da, wo es sicher möglich ist, Ober- und Unterfläche der Flügel zu unter-
scheiden. Ich erwähne hier besonders z. B. Brongniarts Mischoptera aus
dem Karbon (Faune entom. terr. prim., Taf. XXIX und XXX), Lambroptychia (l. c.,
Taf. XXXV Fig. 7), Microdictya (Taf. XXXIX Fig. 1) oder auch Joh. Walthers
Kaligramma Haeckeli in Jenaische Denkschriften, Festschr. Haeckel, Taf. VIII.
Unter den konkav liegenden Nerven ist die Subcosta die konstanteste
und zeigt bei ihrer Erhaltung gewisse Vorbeugungsmaßregeln, daß diese kon-
kave Falte beim Flug nicht nach hinten zusammengedrückt wird. Nach
Redtenbacher ist daher die Subcosta entweder nach dem Radius zurück-
87*
678
geschoben und teils fest der Länge nach auf große Strecken mit ihm ver-
wachsen oder sie ist durch zahlreiche oder verstärkte Transversaladern mit
Radius und Costa verbunden (Bändchen der Odonaten).
Fossile Odonaten zeigen hier zwischen Costa und Subcosta näher den Flügel-
wurzel zwei etwas divergierende verstärkte Quernerven (vgl. z. B. Deich-
müller, Mitt. a. d. K. min. geol. Mus. Dresden 1886, Taf. III Fig. 4), welche
über die Costa hinaus bis zum Radius reichen; es sind dies Homologien mit
der ,nodalen* Endigung der Subcosta, deren quere Verstärkung auch bis zum
Radius reicht, sich hier noch den Radius sector angliedert und ihn so sehr
verschiebt, daß er als postaxialer Zweig der Mediana betrachtet werden
kónnte; da aber jenem Verlauf auch die Entwickelung der radialen Tracheen-
verzweigung folgt, so kann hieran nach Redtenbacher, Comstock und
Needham kein Zweifel bestehen (vgl. auch S. 682?)).
In Übereinstimmung mit diesen marginalen Kennzeichen sehen wir bei
Handlirschia die Subcosta in einer flacheren konkaven Falte und von der
Costa (I nach Redtenbacher) durch ein schwach costo-anal gewólbtes Feld mit
breit auseinanderstehenden stárkeren Queradern getrennt, deren Membranzellen
fast gespannt und nicht wie alle übrigen stark nach unten konkav (nach oben
gebläht) sind. Als besondere Merkwürdigkeit gilt hier auch, daß die ganz
regelmäßig, aber schwach costo-anal (transversal) gewólbte Membran nach den
die Zellen umgrenzenden Adern randlich fein leistenartig verdickt empor-
geworfen ist, so daß einerseits die Queradern selbst rückgebildet sind, wenig-
stens nicht einmal mehr in ihrem mittleren Verlauf und zwar in neuent-
standener schlitzfórmigen Furche erscheinen, während andererseits neben
der Costa und der Subcosta bzw. eine dünne und eine dickere Längsleiste
als Begleitleiste auftreten. Eine ähnliche Längsleiste verläuft präcostal und
dürfte mit der leistenartigen Aufbiegung des Hinterrands des Flügels gleich-
bedeutend sein (vgl. S. 667—668).
Hierdurch scheint also die Deutung der Subcostalfalte (II nach Redten-
bacher) wohl über allen Zweifel erhoben zu sein. Hiermit ist aber auch die
Deutung der konkaven Falte als die des Radius (III nach Redtenbacher) von
selbst gegeben, welche hier, wie dies schon Kliver (Palaeontogr. XXII, S. 260)
auch von der alten Dictyoneura erwähnt, die höchst gelegene Falte der Flügel-
fläche ist (vgl. unten); es kann die in ihren Anfängen vorhandene Gabelung
mit den sich im Winkel andeutenden drei Einschaltungen (eine mittlere kon-
vexe und zwei konkave) nur dem Radius und dem Radius sector angehóren,
welche gegen den Flügelrand hin ein nicht unbedeutendes Verzweigungsfeld
entwickeln müssen. Der ganze Radialkomplex würde bis zu einer konkav-
679
liegenden Längsader reichen, mit welcher wir oben die Beschreibung der
Medialis eingeleitet haben.
Da uns die Abzweigungsart und -stelle dieser tiefen Ader nicht bekannt
ist und ihre nähere Kenntnis voraussichtlich so leicht durch neue Funde nicht
erwartet werden kann, so ist es notwendig, hier nach anderen Kennzeichen
zur Feststellung der Zugehörigkeit dieser tiefen Ader zu suchen.
Die nächste nach hinten auf die Subcosta folgende Tiefenader (konkav
liegende Ader) ist die. von Redtenbacher mit IV bezeichnete Ader (Ortho-
pteren) oder vielmehr Falte mit Resten von der Längsader (Neuropteren) !);
an diesen Resten oder an der sie fortsetzenden oder vertretenden Tiefenlinie
stoßen die Queräderchen völlig ab und überkreuzen sie nicht (vgl. Brongniart,
l.c. S. 382). Solche Falten können also nicht einfach als regellose Bildungen
innerhalb der die eigentlichen Adern querverbindenden Membranzellen betrachtet
werden, sondern sind Bildungen zwischen den Zellen, also den Längsadern
homolog. Die mechanische Notwendigkeit erhält also allem Anschein nach
die Tiefenfalte selbst da, wo (durch die offenbar den Zerrungen zu sehr ex-
ponierte Lage der Tracheenzweige) diese zur Reduktion kommen, daher auch
die Längsadern selbst zum Verschwinden neigen. — In die bestehenden Tiefen-
falten können dann wieder benachbarte Höhenfalten ganz oder teilweise in eine
Tiefenfalte hereinbezogen werden, wie wir ja andererseits oben auch erwähnten,
daß bei Handlirschia die Tiefenader besonders von vorneher durch ihre nach
vorne verschobene Lage und die Stellung der queren Nerven gestützt werde.
— Es ist dann sehr schwer, über die Provenienz eines Tiefennerven selbst bei
lebenden Pterygogenen Klarheit zu schaffen, ob es ein solcher primärer ist
oder ob er nachträglich in diese Tiefenlage gekommen ist. Man vergleiche
hierzu die Verschiedenheit der Auffassungen z. B. bezüglich jener Ader, welche
Redtenbacher bei den Odonaten als den’ Nerven IV ansieht, der nach
Handlirsch nur ein Zweig der Medialis ist.
Wenn man nun bei Handlirschia den vor der Medialis (V) und den hinter
ihr liegenden Tiefennerven nach Redtenbacher mit IV bzw. VI?) bezeichnete,
so könnte darin eingeschlossen sein, daß sich, da diese Nerven hier in guter
und vollkommener Aderentwickelung vorliegen, hier ein älterer kompleterer
Zustand des Faltenbaus ausdrücke.
1) Solehe Strünke reduzierter Längsadern lassen auch fossile Odonaten an der Subcosta bei dem
„Nodus“ recht wohl wiedererkennen.
2) Ich erinnere auch hier daran, daß diesem Tiefennerven auch in der Tat ein einspringender
Winkel am Hinterrand entspricht! ;
680
In dieser Hinsicht — der Frage der Entstehung und Wertung
der Falten — wären nun auch die älteren Typen der Insekten zu befragen,
als deren Urformen Handlirsch die Palaeodictyopteren ansieht.
Bei ihnen ist eine Längsfaltung schon deutlich zu beobachten, doch ist sie
nicht in großer Regelmäßigkeit der Alternation und daher in geringer Vielheit
der Falten vorhanden; es alternieren ganze Aderkomplexe! Ziemlich
konstant ist die Tiefenlage der Subcosta und die Höhenlage des Radius selbst;
doch wird betont, daß die Oberfläche zunächst des Flügelvorderrandes nach
der Höhe des Radius im gesamten ein gleichmäßiges Emporsteigen habe und
dort eine höchste Lage im Flügel einnehme, d. h. daß dessen Unterfläche eine
starke Konkavität zeige (vgl. Dictioneurula gracilis Kliver spec., Palaeontogr.,
Bd. XXXII, wo die Unterfläche des Flügels beschrieben wird). Der äußere
Zweig des Radius sector ist fast regelmäßig konvex, wo die Formerhaltung
des Flügels gut ist, die hinteren Verzweigungen sind dagegen konkav; das
Gleiche gilt von den äußeren Zweigen der Medialis und des Cubitus und bzw.
‘von ihren hinteren Verzweigungen (vgl. z. B. Microdictya Vaillanti Brongniart,
l c, Taf. 23 Fig. 1; Haplophlebium Barnesü Scudder, ].c., Fig. 4; Gegenemene
sinuosa Kliver sp. Palaeontogr. Bd. XXIX, Taf. 35 Fig. 41); Dictyoneura nigra
Kliver Palaeontogr. Bd. XXIX, Taf. 35 Fig. 5; Dictyoneurula gracilis Kliver
sp. Palaeontogr. XXXII, 1886, Taf. XIV Fig. 7; Breyeria Borinensis de Borre,
Handlirsch, Mém. du Mus. royal. hist. nat. Belg., T. III, 1904, Taf. III
Fig. 9 [Aspekt der Unterflàche]?) und ebenda Anthracentomon latipenne Hand-
lirsch, Taf. I Fig. 6). — Die Anal-Hauptader scheint bei Palaeodictyopteren
konkav zu liegen. Neben der oben erwähnten Wólbung der Vorderrandregion
zeigt sich auch gelegentlich eine starke Wólbung der Analregion und fast
überall eine gleichsinnige Wólbung der kleinen Membranfelder, was einem
Vorwalten der Konkavitäten an der Unterfläche der Flügel ent-
spricht (vgl. oben Seite 669).
Was nun die Protorthopteren nach Handlirschs Fassung betrifft,
so scheinen ziemlich regelmäßig Costa und Radius konvex und alle übrigen
Adern konkav zu liegen. Auch bei den Protoblattoiden etc. zeigt sich in der
propterygialen Region ein Alternieren zwischen Rand, Subcosta und Radius,
wobei allerdings schon in der äußeren Verzweigungsregion der Subcosta konvex
liegende Adern beginnen, ebenso wie auch die Verzweigungen des Radius, des
1) Hier ist in beiden Fällen die Unterfläche des Flügels abgebildet.
2) Der Aspekt der Unterfläche kann auch hervorgerufen sein durch den Abdruck der Oberseite
im Gestein, nicht nur durch die Vorlage der Unterfläche selbst.
681
Radius sector, der Mediana konvex liegen können; konstant ist hier unter den
tiefen Falten, wie die Subcosta so auch die tiefe Ader VIII, welche die Grenze
des Analkomplexes gegen den Cubitus bildet.
Bei diesen Gruppen alternieren also ganze Aderkomplexe, wobei eine
gewisse Gesetzmáüfigkeit nicht zu verkennen ist. — Gleichzeitig mit ihnen
treten aber nun in Flügelform, Làngs- und Queraderung schon stärker diffe-
renzierte, zum Teil reduzierte und zweifellos abgeleitete Gruppen auf, die
Megasecopteren und Protodonaten nach Brongniart, deren Stellung im großen
und deren systematische Klärung bis in die Gattungsmerkmale hinein durch
die auch hier grundlegende Arbeit A. Handlirschs nun schärfer gegeben
ist. Sie zeigen regelmäßigere Einzelnalternation der Nerven.
Wenn wir die Megasecopteren kurz anführen, so ist da besonders
zu erwähnen, daß hier (unter Zugrundelegung der morphologischen Deutungen
Brongniarts und Handlirschs) alle vorderen Zweige der Hauptadern hoch
liegen und nach hinten zu in die dominierende Radialader einmünden, daß
die hinteren Zweige einschließlich des Radius sector tief liegen; das sind im
ganzen die Verhältnisse von Palaeodictyopteren; die regelmäßige Alternation
der einzelnen Falten nach dem Rande erscheint also hier durch Reduktion
der hinteren Verzweigung hervorgebracht.
Die Protodonaten zeigen nun schon so regelmäßige und reich verteilte
Faltenalternation wie die lebenden Odonaten; gleichzeitig treten schon bei
ihnen teils massenhaft die Schaltadern auf, welche gleichmäßig an hohen und
tiefen Fältchen der Peripherie teilnehmen. Da nun hier auch noch reichliche
Aderverzweigungen zu bemerken sind, so können auch an den hohen Falten
„Abdrängungen“ von Zweigen stattfinden, was auch noch eher für die tiefen
Adern gelten muß. Es ist auch die Möglichkeit, daß tiefe Zweige aus dem
Verzweigungssystem abgetrennt werden, viel naheliegender.
So fällt bei Protagrion, Meganeura und bei der von Handlirsch mit
großem Recht von Meganeura abgetrennten Meganeurula zwischen den Verzwei-
gungen der Mediana und des Cubitus eine nach Brongniärts Abbildung, 1. c.,
Taf. XLI Fig. 1, tiefliegende, frei bis zur Flügelwurzel reichende, starke Ader
auf, welche Brongniart mit VIII bezeichnet, die ich aber unter Zugrunde-
legung der zutreffenden Nervendeutungen Handlirschs mit VI bezeichnen
möchte. Ein vor der Medialis liegender tiefer Nerv verbindet sich bei Mega-
neura weiter nach hinten reichend als ein davorliegender gleichfalls tiefer
(Brongniarts VI) mit dem Radius; ich halte ihn für den Nerven IV, der bei
Protagrion gleichzeitig mit dem weiter rückwärts reichenden davorliegenden
Radius sector als Schaltader von einer Querader abgeht, aber eine schiefe
682
Làngsverbindung nach der Medialis zu hat; er ist aber bei Meganeurula (weiter
nach vorne verdrängt) durch eine schwächere Schaltader repräsentiert, am
hinteren Flügelrand aber doch durch eine Einbuchtung als wichtigerer Tiefen-
nerv gekennzeichnet. Ein kleiner Unterschied in meiner Auffassung des Geäders
gegenüber jener Handlirschs besteht nur darin, daß es mir nach vor-
stehendem berechtigter erscheint, diese Nerven eher zu dem nach vorne
liegenden Komplex zu rechnen, von welchem sie abzustammen scheinen, da.
sämtliche Verzweigungen und Anschaltungen auf der Hinterseite der Haupt-
nerven stattfinden oder von hinten her im Sinne einer engeren Zugehörigkeit
nach ihnen konvergieren; hier zeigt sich eben ein nicht zu verkennender
propterygialer Bau der Adergruppierung.
Die oben gegebene Kennzeichnung der wechselnden Entwickelung der
Tiefenader IV ist nicht ohne Zusammenhang mit den benachbarten Aderwand-
lungen, insofern nämlich einerseits die Medialis mit dem Radiusstamm selbst
verwächst oder sich an ihn sehr eng anlegt, wie dies in deutlicher Unter-
ordnung bei Meganeura der Fall ist; hier hat der bei Meganeurula und Prota-
grion abgedrängte, von einem Quernerven entspringende, als selbständige Schalt-
ader entwickelte Radius sector sich mit der Medialis vereinigt, wobei so die
sich dem Radius eng anordnende Medialis selbst den vom Radius losgelösten
Radius sector aufnimmt.!) — Es ist selbstverständlich, daß derartige Ausbil-
dungen bei wechselnder Flügelform auch auf den tiefen Nerven IV rückwirken
müssen, je nachdem der wichtigere Radius sector im Kampf um den Platz
den seinen behauptet.
Bei dem Protodonaten Paralogus, der sich an Meganeura anschließt, ist
der propterygiale Teil des Flügels reduzierter als bei Meganeura, der Radius
sector ist auf zwei Adern zurückgesetzt, wobei umgekehrt der tiefe Nerv IV,
wenn auch nicht an Länge, doch an Dignität gewinnt.
Es ist klar, daß bei solchen Entwickelungen der Nerv IV bei den vor-
handenen Protodonatenfamilien nicht die Länge von VI gewinnen oder behaupten
kann; in letzter Linie ist daran die Ausbildung einer im proximalen Abschnitt
starken propterygialen dynamischen Achse des Flügels schuld, welche aus fünf
eng gedrängten, nahezu parallelen Stämmen gebildet ist, wodurch der Schnitt-
punkt zwischen Radius und Radius sector gleichzeitig stark nach innen ver-
1| Es zeigt sich hier etwas Ähnliches wie bei der Bildung der von Comstock und Needham
sog. Brücke der typischen Odonaten, bei denen die Raumverringerung im proximalen Teil des Flügels und
die konservierte bzw. noch reichere Aderentwickelung im distalen Teil zu der „Kreuzung“ der Medialis
durch den Radius sector führt, welche dann durch die „Brücke“ von der Medialis her gestützt wird (S. 678).
683
schoben erscheint und endlich Radius sector vom Radius getrennt wird (Pro-
tagrion, Meganeurula, Paralogus und Hinterflügel von Meganeura).
Nur der Vorderflügel von Meganeura zeigt noch die Verbindung des
Radius sector mit dem Radiusstamm und die geringste Verschiebung dieses
Schnittpunktes nach der Flügelwurzel zu, so daß dieser nur wenig mehr proximal-
wärts von der Hauptgabelung der Medialis gelegen ist; hierbei zeigt sich auch,
daß die dahinterliegende tiefe Ader IV noch in den Radius einmündet, von
welchem Komplex sie offenbar abzuleiten ist.
Daß die eben besprochenen Verhältnisse wirklich ursprüngliche sind, das
geht daraus hervor, daß nicht nur die gleichzeitig lebenden Protephemeriden
keine solche sagittalen Differenzen in der Lage der beiden wichtigen „radialen“
und „medialen“ Verzweigungsstellen haben, daß die an alte carbonische Typen
anschließenden Panorpaten, ebenso wie die gleichfalls nicht phyletisch jungen
Phryganiden die Verzweigungsstelle zwischen Radius und Radius sector und die
erste Gabelung der Medialis in nachbarlicher Gegenstellung zeigen, sondern
auch die Palaeodictyopteren dieses Lageverhältnis trotz aller kleineren Varia-
tionen beizubehalten bestrebt sind.
Wir kommen also bezüglich der tiefen Nerven VI und besonders IV zu
der Anschauung, daß diese tiefen Nerven bei abgeleiteten Typen da ent-
stehen, wenn eine regelmäßige Aderfalten-Alternation vom Flügelrande her nach
der Flügelwurzel vordringt, und wenn dies besonders vor einer propterygial
verstärkten Vorderrandader der einzelnen Haupt-Aderkomplexe stattfindet, so
daß je eine diesen gehobenen Vorderrandnerven entsprechende ununterbrochene
Falte vor ihnen geschaffen wird, in deren Tiefe dann entweder eine Schalt-
ader!) vom Aufenrande her oder ein Zweig des vorhergehenden Aderkom-
plexes losgelóst und distal-proximal fortschreitend weitergeführt wird. Es ist
ganz natürlich, daf bei der Durchführung der Faltenalternation die vor jedem
erhobenen vordersten Hauptnerv der einzelnen Aderkomplexe liegende summa-
rische Vertiefung, wie solche die Palaeodictyopteren zeigen, durch eine Haupt-
tiefenader bezeichnet ist. Das hóchste Stadium der Alternation wird dann das
sein, daß vor dieser Tiefenader der hinterste Hauptnerv des vorhergehenden
Aderkomplexes oder je die nach hinten gelegenen Zweigteile als einer einheit-
lichen hohen Grenzfalte angehórend ausgestaltet werden.
1) Ein Blick auf die Tiefenadern an den den Vorderflügeln hierin so ungleichen Hinterflügeln der
Phasmiden, Locustiden, Acrididen, Fulgoriden, Grylliden zeigt, daß hier bei den stark faltbaren Neu-
bildungen hinter der Tiefenfalte VIII die Tiefenadern durch Schaltadern gebildet sind; die breite Fücher-
entfaltung scheint mir überhaupt mehr durch „Schaltadern“ möglich Zu sein, während „Verzweigungen“
der starren Lángenentwickelung des Flügels dienlicher sind.
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. ; 88
684
Dieser Fall ist offenbar bei dem in jeder Hinsicht höchst regelmäßigen
Flügelbau von Handlirschia gegeben. Wie weit die tiefe Ader IV sich nach
der Wurzel zu fortsetzt, das ist leider nicht erhalten, die tiefe Ader VI scheint
aber eine ganz ähnliche Erstreckung gehabt zu haben wie die gleiche bei
Protodonaten; IV geht aber in ungleich regelmäßigerer Weise als tiefe Ader
zwischen den sehr primitiv und stark bewahrten, nachbarlich gegenüber-
gestellten und beiderseits hohen Hauptverzweigungsstellen des Radial- und
Medialkomplexes hindurch und läßt noch auf eine gewisse Längenerstreckung
selbständigen Tiefenverlaufs nach der Wurzel zu schließen.
Abgesehen von den tiefen Adern, welche, soweit ihr proximales Ende zu
beobachten ist, samt und sonders Schaltadern, also Neubildungen sind, ergibt
das entweder an und für sich (primär) hohe oder durch die eingeschalteten
Tiefenadern nach dem Prinzip der Alternation auch relativ und sekundär als
gehoben zu erachtende, konvex liegende Geäder das Bild der Aderver-
teilung eines Palaeodictyopterenflügels mit sonst wenig auffal-
lender Differenzierung in Einzelheiten. In diesem Bild herrscht
auch noch die Aderverzweigung sehr vor; dies ist ein gleichfalls primitives
Merkmal, das auch für mehrere der alten Protodonaten gilt, trotzdem bei
ihnen gelegentlich (Meganeurula und Protagrion) sogar der Radius sector von
einer kleinen Querader als Schaltbildung entspringt. Es äußert sich aber
überhaupt hier der unregelmäßige Wechsel einer in der Umbildung und in
außerordentlicher Proliferation begriffenen Gruppe, welcher auch die größten
Insekten angehören. Das Verständnis der Entwickelung des Geäders dieser
Gruppe liefert auch wohl den Schlüssel für die Auffassung bei Handlirschia.
Systematische Zugehörigkeit der Gattung Handlirschia.
Um dieser Frage noch etwas näher zu treten, müssen wir prüfen, ob
nicht der außerordentlich prägnante Ausdruck der mechanischen Funktionen
des Flügels in dem vorliegenden Maße gerade für gewisse Gruppen charakte-
ristisch ist, ob er auf Handlirschia vererbt sein könne oder ob er als eine
Erwerbung gelten kann, welche andere Merkmale verschleiert oder beschränkt
hat, die dann im eigentlichen Sinne systematisch verwertbar wären.
Wir stellten fest, daß die großzügige Einfachheit des nach dem Hinter-
rand sich konvex umbiegenden Geäders an die Palaeodictyopteren erinnert,
bei welchen, wie ebenfalls ausgeführt wurde, eine einfache Verstärkung des
Adernwechsels durch konkave und konvexe Lage einzelner Hauptzweige deut-
lich erhalten ist. Ebenfalls unverkennbar ist bei Palaeodictyopteren eine propte-
685
rygiale Betonung der vorderen Aderzweige, wenn auch recht oft vereinzelte
Aderverzweigungen von einem zwar mehr nach vorne orientierten Haupt-
stàmmchen abzweigen und bogig nach vorne vorspringen. Etwas Derartiges
sehen wir allerdings auch noch bei Handlirschia, aber nur an den hinteren
und äußersten Verzweigungen der einzelnen Sektoren. —. Es ist gewiß auf-
fällig, welche große Ähnlichkeit der Verzweigungsvorgang besonders der wich-
tigen, konvex liegenden Adern von Handlirschia z. B. mit Flügeln von Hadro-
neura bohemica Now. (Handl. l.c., Taf. V Fig. 14) oder mit denen verschiedener
Arten von Becquerelia (Handl. 1. c, Taf. XI Fig. 22— 25) oder mit Epithete
Meunieri Brongn. spec. (vgl. Handlirsch Taf. XI Fig. 19) besitzt.
Dies gilt nun allerdings für die konvex liegenden Adern, bei welchen sich
aber schon ein weiteres Moment bemerkbar macht; wie ausführlich beschrieben
wurde, ist in den meisten Fällen die Abzweigung der Ader selbst noch normal.
Die Faltenbildung ist eine Einschaltung und die Wirkung der letzteren äußert
sich schließlich auch in einer Abdrängung der Seitenadern von dem Haupt-
stamm durch unregelmäßigere Schaltzellen; ganz entschiedene Schaltadern
sind aber alle konkav liegenden Längsadern im Innern eines jeden Kom-
plexes. Durch die höchst regelmäßige Anordnung der Membranzellen in den
erwähnten zwei Richtungen wird der Abzweigungszusammenhang einerseits
ebenso ganz unterdrückt als die Entstehung neuer Schaltlängsadern aus einem
in primitiverem Zustand regellosen Adernetz (Palaeodictyopteren) andererseits
ermöglicht. . ;
Dies verweist mit Entschiedenheit auf die Odonaten oder Plectopteren
(Handl), welche letzteren nicht in erster Linie in Betracht kommen. Die oben-
erwähnten mechanischen Momente der Zweig,abdràngung* können nun allein
den Odonatentypus nicht bei Handlirschia voll hervorgebracht haben, sie
konnten aber jedenfalls die Neigung zur Bildung selbständiger Schaltadern aus
den längsorientierten Äderchen des Zwischengeäders unterstützen. Es ist kein
Zweifel, daß gleiche Tendenz der gesamten Flügelgestaltung, ähnliche Längs-
verzweigung und ähnliche Ausbildung des Quergeäders bei Palaeodictyopteren
auch ohne Aufgabe des strengen Verzweigungsmodus (vgl. auch z. B. Handl.
l. c, Taf. V Fig. 19, Rhabdoptilus Edwardsi Brongn. bezüglich des Quergeäders
und Taf. VII Fig. 10 Polycreagra elegans Handl. bezüglich der Làngsverzwei-
gung) stattfindet. Die „Einschaltungen“ bei Handlirschia behalten also dadurch,
daß sie überhaupt eintreten mußten, für diese Gattung ihre systematische
Bedeutung, wenn wir auch nicht aus dem Auge lassen dürfen, daß in eben
dem Maße als im Flügelbau durch die Ausprägung mechanischer Zweck-
gestaltung die „Einschaltung“ gehoben wird, auch der ältere Modus der
88*
636
„Verzweigung“ gedrückt wird, d. h. unverhältnismäßig in systematischer
Hinsicht verliert.
Wenn wir nun die Odonaten in der Zusammenfassung, wie sie Hand-
lirsch gibt, mit Handlirschia vergleichen, so dürfen wir im allgemeinen
darauf hinweisen, wie bei unserem Fragment die reichlicher durch Einschal-
tungen gegliederte periphere Hinterregion sich ebensowohl abhebt gegen die
sparsam und elementar gegliederten Mittel- bis Vorderregion der lebende Ver-
treter der Gruppe. Bei speziellem Vergleich wird man aber zugestehen, daß
der Komplex, den wir der Medialis zugeteilt haben, bei Odonaten weder auf
den Cubitus noch auf die Analis bezogen werden kónnte. ]
Wenn wir nun zusehen, wie sich der Vergleich der mittleren bis vorderen,
dem Radius und der Medialis angehórigen Mittelregion des Odonatenflügels
mit den wenigen wichtigeren Verzweigungen mit jenen von Handlirschia stellt,
so kann für die lebenden und fossilen Odonaten folgendes ausgesagt werden:
— bei keinem findet sich das Verhältnis, daß eine mediale, vom Flügelrand
ununterbrochen bis in die Nàhe einer Hauptgabelungsstelle zurückreichende Làngs-
schaltader eines reichlich zerteilten Hauptaderkomplexes (Medialis oder Radius
sector) unmittelbar vor sich nach dem Vorderand zu eine ähnlich gestaltete
und gleichwertige Gabelungsstelle eines nächsten vorderen Komplexes aufweist,
welche wieder eine gleichartig gelegene Hauptschaltader nach außen verlaufen
läßt; — dieses Verhältnis ist nirgends zu beobachten, an welcher beliebigen
Stelle des Flügels man auch den Vergleich ansetzen möge.
Von den Odonaten (Handl. em.) schließt auch die bei Handlirschia noch
vorwaltende reichliche Verzweigung in der hinteren peripheren Region aus,
woselbst bei jenen hauptsächlich Schaltsektoren zu beobachten sind.
Das zuletzt erwähnte Verhältnis von Aderteilungen und Einschaltungen
ist aber bei Protodonaten in mehreren Fällen noch deutlich, nicht nur bei
Meganeura (Vorderflügel), sondern auch bei Protagrion, wo die tiefe Ader IV
sich wie bei Meganeura (Hinterfüügel) mit der Medialis nach hinten innen zu
vereinigt.
Wie nach Handlirsch die drei Protodonaten-Familien des Karbon bei
lebhaften Hinweisen zu den Odonaten doch auch noch zu den Palaeodictyopteren
deutlichste Beziehungen haben, so würde dies auch für Handlirschia gelten.
Es ist kein Zweifel, daß die wechselnden Verschmelzungen nach der Basis des
Flügels zu, bei Protodonaten die Einfachheit der Palaeodictyopteren-artigen
Verzweigung unterdrückt; die Erhaltung dieser läßt aber andererseits darauf
schließen, daß bei Handlirschia die basale Verschmelzung noch nicht so weit
687
vorgeschritten oder auf einen kurzen Flügelstiel beschränkt ist, was auch durch
das Weitschichtige in der Adersetzung deutlich erscheint. Dies wird zweifel-
los durch die Flügelform bedingt, da ich glaube, daß diese sich der der Me-
gasecopteren einerseits, jener der kurzgestielten Odonatenflügel andererseits an-
schließt; die Flügelform ist auch bei Protodonaten recht wechselnd.
Die Membranwärzchen bei Handlirschia und ihre mutmassliche Bedeutung.
Was neben den eben dargelegten Eigenschaften des Geäders dem Flügel
von Handlirschia eine Eigenstellung verschafft, das ist die Tatsache, daß in
der Medial- und besonders der Radialgabelung eine Anzahl von Zellmembranen
eigenartige Wärzchen oder wohlabgegrenzte Skulpturflecken tragen, wie man
dies bei Homoioptera Brongn. und Rhabdoptilus Brongn. (vgl. l.c, Hand-
lirsch bzw. S. 91 Taf. VI und S.88 Taf. X), also auch bei den Palaeo-
dictyopteren kennt, wie aber derartiges bei Protodonaten oder Odonaten nicht
bekannt ist. Leider sind die Angaben über diese Dinge nicht ausführlicher
gehalten; nach Brongniart sind es bei Homoioptera helle runde Fleckchen
auf dunkelm Grund, bei Ahabdoptilus sind es zum Teil solche runde Fleckchen
inmitten der Membranzellen, zum Teil nach hinten zugespitzte pigmentierte
Flecken, welche sich unmittelbar an die Adern anschließen; Handlirsch
nennt diese Bildungen Wärzchen. Der Größe nach stimmen sie mit den
Wärzchen bei Handlirschia überein.
Die kleineren-Vertiefungen, die bei Handlirschia in der Mitte der Wärzchen
zu sehen sind, die auf eine Kommunikation nach innen hindeuten, erinnern
z. B. an den Becher zur Befestigung der Schuppen in der Flügelhaut der
Lepidopteren im allgemeinen, wobei auch daran zu erinnern ist, daß es Neuro-
pteren (z. B. Phryganiden) mit beschuppten Flügeln gibt. Spezialisierte Typen
der Flügelschuppen sind bei Lepidopteren nur die sog. Duftschuppen. „Häufig
steht eine große Zahl von Duftschuppen dicht beieinander, so daß sie
schon mit bloßem Auge als „Duftflecken“ auffallen und in noch höherem
Grade ist dies der Fall, wenn die Schuppen haarförmig verlängert sind und
sich zu großen Duftbüscheln vereinigen“ (K. Lampert, Großschmetterlinge
Mitteleuropas, 1907, 8. 11). Bei den Tagfaltern finden sich die Dufteinrich-
tungen auf der Hinterseite der Vorderflügel oder der Vorderseite der Hinter-
tlügel (zwischen Costal- und Subcostalader) hie und da auch auf beide Flügel
in ganzer Oberfläche verteilt; sie sind gegen Verdunstung unter gewöhnlichen
Umständen dadurch geschützt, daß die Flügel mit der Außenfläche zusammen-
geklappt werden.
688
Bei Handlirschia wäre gegenüber den erwähnten Palaeodictyopteriden —
falls unsere Deutung Annahme fände — eine Differenzierung eingetreten und
zwar eine Beschränkung auf den Gabelungszwischenraum des Radius und der
Medialis (woselbst sie aber nicht so deutlich sind wie im Winkel zwischen
Radius und Radius sector) Dann wäre aber auch unser Flügel der eines
männlichen Individuums. — Man muß aber die Verhältnisse der Lepidopteren
bezüglich der Lage der Duftflecken nicht auch auf Handlirschia übertragen
wollen und die Flügel wegen der vorderen Lage der hypothetischen Duftmerk-
male zu einem Hinterflügel stempeln. Man darf auch nicht mit Notwendigkeit
schließen, daß die Flügel wie bei gewissen Odonaten zusammenlegbar waren,
um jene Organe zu schützen; im erster Linie ist deren Lage in den Winkeln
der tiefen Falte schon ein gewisser Schutz; sie liegen hier den stärksten
Teilen der Stammverzweigung nahe. — Als ein Moment ihres-Schutzes gegen
Verdunstungsverluste im besondern sowie des der weichen Teile des Flügelinnern
im ganzen sei auch an die sicher dicke, pergamentartige Verstärkung der
Flügelmembran erinnert, welche, soviel ich beurteilen kann, ganz einzigartige,
an verschiedener Stelle und in verschiedener Weise auftretende Begleitver-
stärkungen der Aderverlaufs sich herausbilden ließ.
An die Verstärkung der Membran etwa eines Vorderflügels zu einer Art
Flügeldecke kann dabei nicht wohl gedacht werden, da mit der Funktion
eines Deckflügels z. B. die reiche Gliederung des Geäders in Länge und Quere,
jene der Falten, das stärkstens ausgeprägte Relief und die bis ins kleinste
deutliche mechanische Konstruktion des Flügels als Flugorgan, nicht zum
mindesten auch die Anzeichen der Emporbiegung des Hinterrandes durchaus
nicht vereinbar sind.
Es scheint die starke Flügelmembran darnach mehr ein Teil der Ein-
richtung zur Flugförderung und der Flügelfestigkeit gewesen zu sein, wie
andererseits auch eine zu weitgehende Verdünnung der Zellmembran in Hinsicht
auf die zwischen der oberen und unteren Flügelplatte befindlichen Weichteile
und die Versorgung der Duftorgane nicht eintreten durfte. Vielleicht brauchte
eine Gewichtserleichterung der Flügel auch nicht in Hinsicht auf die physio-
logische Leistungsfähigkeit und die Art der Flügelbewegung stattzufinden.
Kennzeichnung der Aderumbildungen bei Handlirschia.
Die am Schlusse des vorigen Kapitels berührten Eigenheiten der Membran-
verstärkung veranlassen, alles Hierhergehörige nochmals kurz zu einer Schluß-
folgerung zusammenzufassen.
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A a mnn
689
Das ausgeprägte regelmäßige Alternieren der Falten im Sinne der Festigung
der langgestreckten und costo-anal etwas gewólbten Flügelflàche wird unter-
stützt durch die gleichsinnige konvexe Aufwólbung der Membranfacetten, so
daß die Queräderchen durchwegs konkav liegen; sie ist nur möglich durch
eine ziemlich starre Beschaffenheit der Flügelmembran, welche einen Teil der
Flügelfestigung zu übernehmen geeignet ist. Aus dieser Eigenschaft folgert
nun die Móglichkeit der breiten Rückenversteifungen der konvexen Falten,
jener feinen, von den Membranen gebildeten Begleitleistchen der tiefliegenden
Längsadern, jener des Vorder- und Hinterrandes, endlich der schief von innen
und oben nach außen und unten durch die Facetten des proximalen Cubitus
ziehenden Fältelungen (Fig. 1 rechts).
Wenn nun zwar die erwähnten Längsbegleitleisten die Längsadern zu
unterstützen scheinen, so fällt doch auf, daß die Adern selbst auf den Ver-
steifungsrücken sehr schmal sind, als ob sie durch Ablösung der mechanischen
Funktionen reduziert seien.
Diese Wirkung scheint sich besonders bei den Queräderchen zu äußern,
die oft ganz undeutlich und etwas abgelenkt werden, wenn sie auf die Ver-
steifungsrücken auftreffen.
Ganz verschwinden ja die Queradern im Costal-Subcostalfeld und in den
quer zum Hinterrand sich umbiegenden Endstücken der Längsadern und sind
in beiden Fällen ersetzt durch ein Paar von den Membranen gebildeten fein-
kantigen Begleitleistehen. Wenn auch die Ader als Verstärkung der Zellmembran
in der Tat äußerlich verschwindet, so könnte doch eingewendet werden, daß
sie nur versenkt oder versteckt sei und daß die beiderseitigen von einander
getrennten Leistenkanten gerade ihr Vorhandensein erweisen. Nun ist aber
von lebenden Gruppen bekannt, daß konkave Falten bestehen, die ihre Ader
zum Teil oder ganz verloren haben, und daß Quernerven auf die Tiefenlinie
der Falte auslaufen können und abbrechen, als ob die Aderröhre noch bestände.
Analoges läge hier vor; ich bin überzeugt, — auch das Auge erkennt nichts
von einer versenkten Ader — daß in den erwähnten Fällen die Ader wirklich
fehlt. Da nun bei der nicht nur lokalisierten, sondern ganz allgemeinen Mem-
branversteifung das eigentliche Adersystem auf die feinsten Linien beschränkt
ist, so darf angenommen werden, daß es nur noch zum speziellen Schutz des
Tracheenverlaufes dient, und endlich, daß da, wo die Adern fehlen, auch
der Tracheenzug reduziert wurde.
Nach der vorhandenen Literatur zu urteilen, scheinen nun wohl die
Hauptadersysteme dem Tracheenverlauf zu entsprechen, Falten und Adern aber
auch eine gewisse Selbständigkeit der Entwickelung einschlagen zu können,
690
welcher der Tracheenverlauf folgen kann oder auch nicht. Dies scheint bei
Handlirschia einzutreffen; der Tracheenverlauf scheint sich reduziert zu haben,
aber die ursprünglich größere Ausdehnung der Flügelfläche sich so gut, als
es bei solcher Reduktion möglich ist, erhalten und selbständig gesichert zu
haben. Dabei mußte aber eine große Leistungsfähigkeit der Individuen vor-
handen sein, da der Flügel nicht nur relativ schwerer wurde, sondern auch
tatsächliche Substanzvermehrung eintrat, welche gleichzeitig das Flügelwerkzeug
im einzelnen feinstens umzugestalten gestattete.
Die Ursache der geschilderten Umwandlung mag in klimatischen Be-
dingungen zu suchen sein, worüber Näheres im folgenden Kapitel folgt.
Geologisches und Biologisches.
Ort und Zeit des Vorkommens des durch den Flügel uns überlieferten
Insektes sind in gleicher Weise interessant wie seine Gestaltung und seine
Klassifizierung.
Es stammt aus dem Mesozoikum, in dem nach Handlirsch |.c., S. 1319,
durchwegs fremde Gattungen und vielfach unserer heutigen Insektenfauna
fremde Familien auftreten. Es ist auch die insektenärmste Formationsgruppe
des Mesozoikums, aus dem das Fossil stammt, besonders wenn man den
mächtigen Aufbau des Buntsandsteins, Muschelkalks und Keupers in Betracht
zieht; Handlirsch erwähnt nur ganz wenige sichere Megalopterenreste aus
dem Buntsandstein, hauptsächlich Käferflügel aus der Lettenkohle, dem Keuper
und Rhaet; somit wäre Handlirschia das erste Insekt aus dem Muschel-
kalk, zum mindesten aus dem unteren Muschelkalk. !)
Unter voller Berücksichtigung der Unvollständigkeit unserer palaeonto-
logischen Überlieferung kommt Handlirsch l c. 8.1168 zu dem Schluß,
daß direkt oder indirekt die Verarmung an Insekten in Perm und Trias auf
die permische Eiszeit zurückzuführen sei. Die mageren Jahre des Perm haben
aber nicht nur den Bestand der Insektenfauna beeinflußt, sie haben damit
auch nach Handlirsch einen tiefen Einschnitt in der Entwickelung der
Insekten verursacht, „insofern die bisher festgestellten Arten fast alle zu den
holometabolen, also zu den wohl klimatisch angepaßten Formen gehören“. —
„Durch Kühle und Dürre mag die üppige, aber nur einem feuchten, milden
Klima angepaßte primäre?) Insektenfauna stark dezimiert worden sein, und
1) Vel. Handlirseh 1. c., S. 398, Zeile 8.
?) Das Auftreten der hypothetisch als Duftflecken gedeuteten Flecken bei Palaeodictyopteren über
die ganze Fläche der nicht zusammenfaltbaren Flügel ohne weitere Sicherung kann in feuchtem warmen
Klima wohl angenommen werden.
691
nur an einzelnen klimatisch günstigeren Orten mögen die anpassungsfähigsten
Formen der Vernichtung entgangen sein“ (vgl. unten $8. 693—694).
Unsere obige Auseinandersetzung über die mechanischen Vorrichtungen
im Flügelbau von Handlirschia, die von der Flügelform bis in die Wölbung
der kleinsten Membranfelder und in die Membranstárke selbst zu verfolgen ist,
läßt uns ein wohl differenziertes Insekt auch in anderer Beziehung erwarten.
Die Ausführungen zum Schluß der beiden letzten Kapitel könnten gut mit
Trockenheit und Dürre, mit stürmischen Windverhältnissen in der Umgebung
einer vom tiefen und offenen Meere etwas abgesetzten großen Bucht oder
eines Binnenmeeres in Verein gebracht werden, dessen Absätze unmittelbar
über der Fundbank in die gips- und salzführenden Schichten des mittleren
Muschelkalks übergehen.
Ein in jeder Hinsicht gestärkter und geschützter Typus könnte dann
trotz reduktiver Anzeichen auch zum Teil die Körpergröße bewahren, welche
seine Vorfahren oder deren nähere Anverwandten im Carbon — wahre Riesen
der Insektenwelt — auszeichnet (Meganeura hat eine Flügelspannweite von
über 60 cm); so wäre Handlirschia zwar beträchtlich kleiner, aber das Riesen-
verhältnis zu den übrigen Insekten wäre geblieben, da alle von verschiedensten
Orten bekannten triassischen Formen, insbesondere die der unteren bis mittleren
Trias, durchschnittlich dagegen recht kümmerliche Tierchen sind.
Handlirsch weist nun darauf hin, daß weitgehende Transgressionen des
Meeres „die Landgebiete der Triaszeit auf das östliche Nordamerika, Südafrika,
Argentinien und das nördliche Europa beschränken.“ Von dem letzteren und
von Nordamerika leitet Handlirsch nun die Entwickelung der mesozoischen
Insektenfauna ab. Die Lage des Fundorts von Handlirschia an der nordöst-
lichen Grenze der geschlossenen Muschelkalkplatte Unterfrankens ist immerhin
den nordöstlichen und nordwestlichen vor und zur Triaszeit zum großen Teil
als Kontinente bestehenden älteren Formationsgebieten gleich fern oder gleich
nahe gelegen, weit gegriffen ca. 70 km, von dem vermutlichen Zug des süd-
lichen vindelieischen Kontingents dagegen mindestens 100 km.
Wie kommt nun dieser Insektenrest, der bei der Einbettung jedenfalls
viel vollständiger war, in die wohlberechnete Mitte der Triasenge zwischen
Spessart und Thüringer Wald? Es ist nicht wahrscheinlich, daß ihn Strömungen
dahin führten; der Anschauung wird vielmehr das zum Vorbild dienen müssen,
was Joh. Walther für die Insekten des lithographischen Schiefers in seinen
interessanten Ausführungen mit Recht geltend macht: ,Man gewinnt den
Eindruck, daß von einem reichbesiedelten Festland durch Stürme gerade die
Abh. d. II. Kl. d. K. Ak. d. Wiss. XXIII. Bd. III. Abt. 89
692
guten Flieger am weitesten vom Lande weggetragen werden könnten.“!) Es
ist natürlich, daß gute und kühne Flieger, welche zum Teil als fleischfressende
Räuber zur Zeit der Ebbe am Meeresstrande reichliche Nahrung finden und
sich zu weit hinauswagen, leicht in die Meereswüste verweht werden können;
es ist dies ja auch ein Grund der Dezimierung aller großflügeligen Insekten
und der schließlich häufiger eintretenden Flügelreduktion in insularen Gebieten
nicht nur des Ozeans sondern auch der stürmischen Hochgebirge. Was Joh.
Walther daher für Kaligramma Haeckei und von ihm aus allgemein geo-
logisch schließt, das dürfte auch für Handlirschia geschlossen werden: daß die
Gattung von einem größeren, wohl etwas insektenreicheren Festland stamme
und daß sie keinesfalls durch Strömungen an den Ort der Einbettung verfrachtet
worden sei, daß sie vielmehr an einer seichten Stelle oder an einer vorüber-
gehend vom Wasser nicht belaufenen Schlammbank festklebte, vom Schlamm
überdeckt und so verewigt wurde. Ist aber etwas Derartiges nun in der Mitte
der Muschelkalk- (Wellenkalk-) verbreitung denkbar? Diese Frage muß bejaht
werden, insbesondere für den Schaumkalk, in dem der Fund gemacht wurde.
Der Verfasser hat bei der Besprechung der Gesteinsfolge dreier Bohrprofile
auf Steinsalz in Unterfranken auf eigentümliche Erscheinungen in den Bohr-
kernen des Schaumkalkes von Bergrheinfeld aufmerksam gemacht und es ist
hinzuzufügen, daß dies für den Schaumkalk Frankens überhaupt gilt. An
diesem im mittleren Innern der Muschelkalkverbreitung liegenden Orte zeigte
sich also der Schaumkalk in der Tiefe von gleicher Beschaffenheit wie im
westlichen Zutageausstreichen der Formation, das jedenfalls dem alten Ufer
sehr viel näher liegt; trotzdem finden sich hier (vgl. Geogn. Jahreshefte XII,
1901, S. 118) die Anzeichen einer außerordentlichen Verflachung des Meeres-
bodens und der Brandungswirkung über einem rasch erhärteten, unmittelbar
vorher abgelagerten Meeresboden, auf welchem sich autochthon ein lebhaftes
organisches Leben mariner Organismen entfaltete. Obwohl nun überall im
Schaumkalke selbst sich die Anzeichen ausgiebiger Strömungslagerung?) erkennen
lassen, so ist natürlich, daß ein Insektenrest von dieser Schönheit der Ober-
flàchenerhaltung nicht erst nach làngerem Liegen im strómenden Wasser zur
Fossilisation gelangt sein konnte; er mußte von außen in den sich während
des Wachstums der Schaumkalkbànke hie und da bildenden feineren Schlamm-
einschaltungen, die stets in gewissem Umfange wieder der Zerstórung anheim-
fielen, hereingekommen sein; er konnte etwa nach làngerem Windkampf
1) Haeckel-Festschrift, S. 185 und 188.
2) Sehiefe Lagerung innerhalb der Bänke und großzügige Wellenskulptur auf deren ausgeebneter
Oberfläche!
693
ermattet sich auf eine aufragende Schlammbank niedergelassen haben und so
von einer Sturzwelle überspült und begraben worden sein. Es mußte sich aber
auch die wieder unter Wasser gesetzte geringe Schlammlage rasch erhärten.
In dieser Beziehung erinnere ich auch an die von E. Philippi im Schaum-
kalk von Jena und anderwàrts gemachten Beobachtungen über die durch
rasche Erhártung konservierten Kriech- und Schleppspuren.
Diese Darlegungen dienen auch — abgesehen von der Feststellung der
hierhergehörigen biologischen Umstände — dazu, verständlicher zu machen,
was oben behauptet wurde, daß nämlich bei so sehr spezifizierten Umständen
der Erhaltungsmöglichkeit keine oder sehr geringe Aussicht besteht, daß bald
ein ergänzender Fund unsere Kenntnis von Handlirschia bereichern könne,
besonders wenn man bedenkt, daß der Schaumkalk sich an allen Orten seiner
Verbreitung in einem lebhaften Abbau zu technischen Zwecken schon seit
langer Zeit befand, seine marine Conchylienfauna aber sehr wohl bekannt ist.
Die Auffindung dieses Flügels ist einer jener seltenen Funde, welche bis zuletzt
einer ganzen Kombination von Glückszufällen zu verdanken ist, welche solche
Fossilien auf lange Zeit als Unica wertschätzen läßt.
Aus diesem Grunde scheint es mir daher auch notwendig, das Fossil auch
in dem unvollständigen Zustand seiner Auffindung so erschöpfend wie möglich
zu behandeln, seine Restauration zu versuchen, welche für fossile Insekten
auch bei noch mangelhafterer Erhaltung erst noch kürzlich in vielfacher Weise
in Angriff genommen wurde.
Nachtrag zu Seite 690—691: Bezüglich der Darstellungen Handlirschs
über die wohl durch eine permische Eiszeit erfolgte Unterbrechung in der Ent-
wickelung der Insektenwelt, deren Folgen sich in einer Dezimierung und
Typenänderung in der triadischen Fauna bemerkbar mache, hat neuerdings
J. Schuster bei Gelegenheit der Bearbeitung einer von mir im Donnersberg-
gebiet der Rheinpfalz gefundenen Flora des oberen Oberrotliegenden sich dahin
geäußert, daß er direkte Einwirkungen einer entschiedenen klimatischen
Änderung bezüglich der Wärmeverhältnisse nicht folgern könne; es gehe
vielmehr das Klima scheinbar allmählich aus einem feuchten warmen in ein
trockenes warmes über. Unter den gehäuften Pflanzenresten des einen Fund-
ortes, an welchem sich u. A. die Einwanderung einer Art der in dem Zechstein
schon auftretenden, doch hauptsächlich mesozoischen Gattung Ullmannia bemerk-
bar macht, entdeckte er auch den Rest eines Blattidenflügels, den Handlirsch
als Procopoblatta Schusteri beschreibt, wobei auf gewisse mesozoische Ausbil-
694
dungen hingewiesen wird.!) Jedenfalls stimmen die Äußerungen beider Forscher
darin überein, daß in den Gebieten des europäischen Perm sich die Folgen
einer allmählich einbrechenden Trockenheit bemerkbar machen, durch welche
zunächst eine Auslese der Flora nach den morphologischen Kennzeichen der
Trocken- oder Windtypen der Blattbildung geschieht. Vielleicht wäre der
Einbruch der trockenen und dürren Epoche am Fundort jener Flora stärker
bemerkbar, wenn nicht durch die Effusion zahlreicher submariner Laven warme
Feuchtigkeit genug in der Umgebung der kleineren insularen Kontinental-
gebiete geschaffen worden wäre, was vielleicht auch allgemeinere Bedeutung
für die Gebiete des europäischen Perm haben könnte,
1) Geogn. Jahreshefte XX, 1907, S. 236—240.
Tafelerklärung.
Fig. 1. Darstellung des Flügelrestes von Handlirschia Gelasii in 3maliger Vergrößerung. Die Poren
in der oberen Aderverzweigung werden als „Duftporen“ gedeutet (S. 687).
2. Photographische Aufnahme des Flügelrestes in etwas über Naturgröße; die Länge des gestreckten
Hinterrandes beträgt in Wirklichkeit 49 mm; die größte Höhe des Flügels an seiner vollstän-
digsten Stelle senkrecht zum Hinterrand gemessen beträgt 22 mm. a
am
Fig. 3. Restauration des Flügels (S. 675) mit Einzeichnung der gebrüuchlichsten Adersignaturen, der
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q
L2
erhalten gebliebene Teil ist getönt. Die Adern auf den hohen Falten sind durchgezogen, jene
in den tiefen Falten sind gestrichelt (S. 664—669).
Fig. 4. Darstellung des Costal-Subcostalbandes in etwa 8-maliger Vergrößerung; es zeigt die aufgeworfenen
Seitenränder der Membranfelder und das Verschwinden der Queradern zwischen jenem (S. 664).
Fig. 5. Darstellung der fünftletzten Abzweiguug des Cubitus nach hinten, welcher Zweig eine große
Selbstündigkeit von der Hauptader erlangt hat (ca. 6mal vergr.; dies Bild zeigt auch die Ver-
steifung des Rückens der hohen Falten, auf denen die Adern selbst einen kleinen Raum einnehmen
(S. 663 und S. 666).
Fig. 6. Ähnliche Darstellung der drittletzten Verzweigung des Radius nach hinten (vgl. zu Fig. 3).
Fig. 7. Darstellung des Auslaufens der Zweige auf den Hinterrand (ca. 6 mal vergr.); dies Bild zeigt das
Verschwinden der Adern auf den versteiften Rücken der hohen Falten und die Vertretung durch
Furchen. was auch auf dem versteiften Hinterrand zu erkennen ist (vgl. zu Fig. 4 und S. 667/668).
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