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Full text of "Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin"

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ABHANDLUNGEN 


DER 
KÖNIGLICHEN 


AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 
ZU BERLIN. 


1881. 


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ABHANDLUNGEN 


DER 
KÖNIGLICHEN 


AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 


ZU BERLIN. 


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BERLIN. 
VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 


1882 


Buchdruckerei der Königl. Akademie der Wissenschaften (G. Vogt). 


Berlin, Universitäts-Stralse 8. 


4, 06° PP 


Inhalt. 


Neue Statuten der Akademie, eingeführt am 1. April 1881 . . . .98. W— (an). 
Verzeichnifs der im Jahre 1881 stattgehabten Sitzungen der Akademie 

und der darin gelesenen Abhandlungen . . . 2 2 2.2.2... (XLD— (XLIX). 
Nkademischeskreistnapen a WEN): 


Verzeichnils der im Jahre 1381 erfolgten besonderen Geldbewilligun- 
gen aus akademischen Mitteln zur Ausführung oder Unterstützung 
wissenschaftlicher Unternehmungen . . ». » . 2 2 2.2... (LIV)— (Lv). 


Veränderungen im Personalstande der Akademie im Laufe des Jahres 1881 „ (LvD—(Lvm). 


Verzeichnifs der Mitglieder der Akademie am Schlusse des Jahres 1881 „ (LYIM) —(LxvI). 


Abhandlungen. 


Physikalisch-mathematische Klasse. 


Physikalische Abhandlungen. 


VırcHow: Ueber die Weddas von Ceylon und ihre Beziehungen zu 
deneNachbarslämmener IE eAbheTZSsl 143. 


Philosophisch-historische Klasse. 


VAHLEN: Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid . . . . . Abh.I. S. 1—40. 
Waırz: Ueber eine alte Genealogie der Welfen „ 7% „ 115. 
ZELLER: Ueber die Messung psychischer Vorgänge . SEN —li6> 
Bonn: Der Tempel der Athena Polias zu Pergamon . . „IV. „ 1-12. 
Scuorr: Ueber die sprache des volkes Röng oder Leptscha in Sikkim TS l— 5: 
SCHRADER: Die Sargonsstele des Berliner Museums. . . 2... „ VI. „ 1—36. 


Gormus: DierAltäresvon Olympia 2 2 m 2 ua uni „Vi „ 1-43. 


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1. 
Neue Statuten der Akademie, eingeführt am 1. April 1881. 


Wir Wilhelm, 


von Gottes Gnaden 


König von Preussen ete. 


für Uns und Unsere Nachkommen thun kund und geben 
hiermit Allen und Jeden, denen es zu wissen nöthig ist, 
in Gnaden zu vernehmen. 

Nachdem Wir aus einem von Unserem Minister der 
geistlichen, Unterrichts- und Mediemal- Angelegenheiten an 
Uns erstatteten Bericht die Überzeugung gewonnen haben, 
dass die von Unserem in Gott ruhenden Herrn Vater unter 
dem 31. März 1838 für Unsere Akademie der Wissenschaften 


vollzogenen Statuten mehrerer, durch die Erfahrung als noth- 
7 


wendig erwiesener Modificationen und Ergänzungen bedürfen, 
so haben Wir in Berücksichtigung der zu Unserer Kennt- 
niss gebrachten Wünsche und Vorschläge Unserer Akademie 
in Gmaden beschlossen, vom 1. April dieses Jahres ab, die 
vorgedachten Bestimmungen vom 31. März 1838 ausser Kraft 
zu setzen, und für besagte Unsere Akademie als deren un- 


mittelbarer Protector folgende Statuten anzuordnen. 


1. Abschnitt 


Von der Akademie überhaupt. 


1. 
k« ee Akademie der Wissenschaften ist eine Gesellschaft 
von Gelehrten, welche zur Förderung und Erweiterung der allge- 
meinen Wissenschaften, ohne einen bestimmten Lehrzweck, ein- 
gesetzt ist. 
2. Unser Unterrichts-Ministerium hat die Öberaufsicht über 
die Akademie und vertritt dieselbe in allen Rechtsstreitigkeiten. 


$2. 

Die Akademie im weiteren Sinne begreift alle im $ 5 be- 

zeichneten Arten von Mitgliedern, im engeren Sinne wird sie von 

der Gesammtheit der ordentlichen Mitglieder gebildet. Diese be- 

schliesst unter Leitung der Secretare in den Gesammtsitzungen 
über die Angelegenheiten der gesammten Akademie. 


3.8. 

Die Akademie hat die Rechte einer privilegirten Corpora- 
tion, führt ein eigenes Siegel, hat zu ihrem Gebrauch und ihren 
besonderen Zwecken und Bedürfnissen ihre eigenen garantirten Lo- 
cale, besitzt eigenes Vermögen und hat ihr eigenes etatsmässiges 
und garantirtes Einkommen, worüber sie nach Mafsgabe der im 
V. Abschnitte enthaltenen Bestimmungen verfügt. 


Ss 4. 

ı. Für einen Theil ihrer Geschäfte sondert sich die Akademie 
in zwei Klassen, die physikalisch-mathematische und die philoso- 
phisch - historische. 

2. Über diejenigen Angelegenheiten, welche eine Klasse allein 
betreffen, beschliesst diese Klasse, soweit es die nachfolgenden Be- 
stimmungen gestatten, unabhängig von der Gesammt-Akademie in 
den Klassensitzungen. 

3. Zwischen den beiden Klassen findet kein Rangunterschied statt. 


Zweck und 
Stellung der 
Akademie. 


Umfang. 


Allgemeine 
Attribute. 


Klassen. 


Arten der 
Mitglieder. 


Ordentliche 
Mitglieder. 


Stellen für or- 
dentliche Mit- 
glieder. 


VI 


I. Abschnitt. 


Von den Mitgliedern der Akademie. 


ı. Die Akademie besteht aus 1) ordentlichen Mitgliedern, 
2) auswärtigen Mitgliedern, 3) Ehrenmitgliedern, 4) correspon- 
direnden Mitgliedern. Die Ehrenmitglieder sind nicht den einzel- 
nen Klassen zugetheilt; die übrigen Mitglieder werden für eine 
bestimmte Klasse ernannt und können nicht beiden Klassen zu- 
gleich angehören. 

2. Die Anciennetät der ordentlichen und auswärtigen Mitglieder 
richtet sich nach der Zeit ihrer Wahl. 


8 6. 


Ordentliche Mitglieder können nur solche sein, die entweder 
in Berlin selbst oder an einem Orte wohnen, dessen Lage und 
Verbindung mit der Hauptstadt die Erfüllung der akademischen 
Pflichten gestattet. Die Bezeichnung dieser Orte erfolgt durch 
reslementarische Bestimmung. Verlegt ein ordentliches Mitglied 
seinen Wohnsitz an einen Ort, der nicht zu der angegebenen Ka- 
tegorie gehört, so geht es in die Zahl der Ehrenmitglieder über. 


ST. 

ı. Jede Klasse hat siebenundzwanzig Stellen für ordentliche 
Mitglieder. Eine Anzahl dieser Stellen wird reglementarisch ein- 
zelnen Fächern zugetheilt; die übrigen bleiben allen Gelehrten 
zugänglich, deren wissenschaftliche Thätigkeit in das Gebiet der 
Klasse fällt. 

2. Die Akademie kann erledigte Stellen offen lassen; doch ist 
die möglichst vollständige Besetzung der Fachstellen durch die 
Zwecke der Akademie geboten. 


Von den Mitgliedern der Akademie. VII 


3. Bei Erledigung einer Fachstelle hat die Klasse darüber zu 
befinden, ob eines der ordentlichen Mitglieder sich dafür eignet. 
Ist dies der Fall, so rückt das Mitglied in die Stelle ein. 


Ss 8. 

ı. Anträge auf Besetzung von Stellen können nur von ordent- 
lichen Mitgliedern der betreffenden Klasse ausgehen. Ein solcher 
Antrag, in dem lediglich die zu besetzende Stelle zu bezeichnen 
ist, muss schriftlich in einer ordentlichen Klassensitzung eingereicht 
werden. Der vorsitzende Klassensecretar verliest denselben und 
theilt ihn alsdann auch schriftlich den ordentlichen Mitgliedern 
der Klasse mit. Die Verhandlung darüber findet in der nächsten 
ordentlichen Klassensitzung statt. 

2. Bis zum Beginn der Verhandlung kann jedes ordentliche 
Mitglied der Klasse einen Wahlvorschlag für die zu besetzende 
Stelle dem vorsitzenden Klassensecretar schriftlich einreichen. Ein 
solcher Vorschlag, welcher durch Darlegung der Qualification des 
Vorgeschlagenen motivirt sein muss, wird noch in derselben Sitzung 
vom Vorsitzenden der Klasse mitgetheilt und zur Verhandlung ge- 
stell. Die Entscheidung erfolgt in der nächsten ordentlichen 
Sitzung, wofern die Klasse nicht für diese Entscheidung eine an- 
dere ordentliche Sitzung bestimmt oder eine ausserordentliche 
Sitzung ansetzt. Diese darf jedoch nicht eher als acht Tage nach 
der Sitzung stattfinden, in welcher die Mittheilung des Wahlvor- 
schlages erfolgt ist. 

89. 

Ein von der Klasse angenommener Wahlvorschlag wird dem 
vorsitzenden Secretar zugefertigt und von diesem in der nächsten 
ordentlichen Sitzung der Gesammt-Akademie mitgetheilt. Diese 
verhandelt und entscheidet darüber in der darauf folgenden ordent- 
lichen Sitzung, wofern sie nicht für die Verhandlung und Entschei- 
dung eine andere ordentliche Sitzung bestimmt oder eine ausser- 
ordentliche Sitzung ansetzt. Diese darf jedoch nicht eher als acht 
Tage nach der Sitzung stattfinden, in welcher die Mittheilung des 
Wahlvorschlages erfolgt ist. 


Anträge auf 
Besetzung 
derselben. 


Wahlvor- 
schläge. Be- 
handlung der- 
selben in der 

Klasse. 


Behandlung 
der Wahl- 
vorschläge in 
der Gesammt- 
Akademie. 


Wahlvor- 
schläge mit 
Gehalts- 


anträgen. 


Zurück- 
ziehung der 
Wahlvor- 


schläge. 


Einladungen. 


Abstimmung 
über den ein- 
zelnen Wahl- 


vorschlag. 


Vorverfahren, 
falls mehrere 
Wahlvor- 
schläge vor- 


liegen. 


(VIII) ll. Asscanıtt. 


$ 10. 


Bei einem Wahlvorschlage, mit welchem ein Gehaltsantrag 
verbunden ist, muss jeder Verhandlung der Klasse wie der Ge- 
sammt-Akademie eine Berathung des Geldverwendungs-Ausschusses 
gemäss den Vorschriften des $ 49 vorausgehen. 


Bo: 
Die Zurückziehung eines Wahlvorschlags ist bis zum Be- 
sinn der Kugelung zulässig. 


Se 
Zu jeder Sitzung, in welcher über einen Wahlvorschlag ver- 
handelt oder entschieden werden soll, wird besonders eingeladen. 


$ 13. 


Sowohl die Klasse als auch die Gesammt-Akademie ent- 
scheidet über einen Wahlvorschlag durch Kugelung. Der Wahl- 
vorschlag ist angenommen, wenn die absolute Mehrheit aller ordent- 
lichen und der etwa an der Sitzung theilnehmenden auswärtigen 
Mitglieder ıhm zugestimmt hat, anderenfalls abgelehnt. Sind in der 
Sitzung nicht so viel Mitglieder anwesend, so ist die Abstimmung 
bis zu einer anderen ordentlichen oder ausserordentlichen Sitzung 
zu vertagen. Auch aus anderen Gründen kann eine Vertagung 
beschlossen werden. Doch darf dıe Abstimmung über einen Wahl- 
vorschlag überhaupt nicht mehr als zweimal vertagt werden. Sind 
auch in der Sitzung, in welcher hiernach eine weitere Vertagung 
unzulässig ist, nicht so viel Mitglieder anwesend, als für die An- 
nahme des Wahlvorschlages erfordert werden, so ist die Wahl- 
angelegenheit ebenso als beendet anzusehen, wie wenn der Wahl- 
vorschlag zurückgezogen worden wäre. 


$ 14. 

1. Liegen für eine Stelle oder für mehrere gleichartige Stel- 
len (vgl. $ 7) mehrere Wahlvorschläge in einer Klassensitzung zur 
Abstimmung vor, so darf doch über nicht mehr ballotirt werden, 
als Stellen frei sind. Ist nur eine Stelle frei, so wird durch 


Von den Mitgliedern der Akademie. (IX) 


Zettel-Abstimmung nach dem im $ 25, Absatz 2 vorgeschriebenen 
Verfahren entschieden, über welchen Wahlvorschlag ballotirt wer- 
den soll; sind mehrere Stellen frei, so wird durch wiederholte An- 
wendung desselben Verfahrens vor Beginn der Kugelung bestimmt, 
über welche Wahlvorschläge zu ballotiren und welche Reihenfolge 
dabei zu beobachten ist. 

2. Wahlvorschläge für verschiedenartige Stellen sind nach einan- 
der in einer reglementarisch festzusetzenden Reihenfolge zu erledigen. 

3. In Gesammtsitzungen hat der Vorsitzende die Wahlvorschläge 
nach der in der Klasse beobachteten Folge und, wenn Vorschläge 
von beiden Klassen vorliegen, diejenigen seiner Klasse zuerst zur 
Abstimmung zu stellen. 

4. Auf Wahlvorschläge, mit denen Gehaltsanträge verbunden 
sind (vgl. $ 19, Abs. 2 u. 5), finden die vorstehenden Bestimmungen 
keine Anwendung. Die Abstimmung darüber erfolst, falls noch 
Wahlvorschläge ohne Gehaltsanträge vorliegen, erst wenn diese 
erledigt und die betreffenden Stellen nicht dadurch besetzt worden 
sind. Liegen in einer Sitzung sowohl Wahlvorschläge mit Anträgen 
auf Bewilligung von besonderen Fachgehalten (vgl. $ 19 Abs. 2) 
vor als auch solche mit Anträgen auf Bewilligung von besonderen 
persönlichen Gehalten (vgl. $ 19 Abs. 3), so sind die ersteren vor 
den letzteren und unter einander in der durch die obigen Bestim- 
mungen (vgl. Abs. 1, 2, 3) sich ergebenden Reihenfolge zu erledi- 
gen. Liegen mehrere Wahlvorschläge mit Gehaltsanträgen der letz- 
teren Art vor, so wird sowohl in der Klasse als auch in der Ge- 
sammt-Akademie vor Beginn der Kugelung durch Zettelabstimmung 
nach dem im $ 25, Absatz 2 vorgeschriebenen Verfahren bestimmt, 
über welchen Vorschlag oder, falls mehrere angenommen werden 
können, über welche Vorschläge zu ballotiren und welche Reihen- 
folge dabei zu beobachten ist. 


$ 15. 

Die geschehene Wahl eines ordentlichen Mitgliedes unter- 
liest Unserer Bestätigung und ist dem vorgeordneten Ministerium 
behufs Einholung derselben anzuzeigen. 


Bestätigung 


der Wahl. 


(X) ll. Asscasırmt. 


$ 16. 
Ernennung Wenn ein Gelehrter, der nicht in Berlin oder einem nach 
auswärsWoh- g 6 peglementarisch damit gleichgestellten Orte wohnt, zum ordent- 


nender zu or- 


dentlichen lichen Mitgliede der Akademie ernannt wird, so hat er Behufs Ein- 
Mitgliedern. tritts in die Akademie seine Übersiedelung innerhalb sechs Monaten 
nach Bestätigung seiner Wahl zu bewirken. Hat er innerhalb dieser 
Frist seinen Wohnsitz nicht nach Berlin verlegt, so geht er in die 
Zahl der Ehrenmitglieder über. Die Frist kann durch Beschluss 


der Akademie im einzelnen Falle verlängert werden. 


Sn17: 
Rechte und 1. Die ordentlichen Mitglieder sind berechtigt und verpflichtet, 
Pflichten der „n den Arbeiten der Akademie theilzunehmen; sie haben Sitz und 


ordentlichen 


Mitglieder in Stimme sowohl ın der Gesammt-Akademie als auch in ihrer Klasse 


Bezug auf die und sind befugt, den Sitzungen der anderen Klasse beizuwohnen 
akademische 


“2... und deren Protokolle einzusehen. 
Thätigkeit. 


2. Wer fünfundzwanzig Jahre lang ordentliches Mitglied ge- 
wesen ist oder das siebzigste Lebensjahr überschritten hat, ist, 
wenn er eine diesfallsige Erklärung abgibt, von der Verpflichtung, 
die im $ 33 Absatz 3 bestimmten wissenschaftlichen Vorträge zu 
halten, entbunden. 


SUB, 


Rechte der Die ordentlichen Mitglieder der Akademie haben das Recht 
ordentlichen auf die Benutzung aller Unserer öffentlichen der Wissenschaft und 
Ar Kunst gewidmeten Institute und Sammlungen, und zwar in der 
Akademie. grössten nach den bestehenden Vorschriften zulässigen Ausdehnung. 
Sie haben ausserdem die Befugniss, bei der hiesigen sowie bei jeder 
anderen preussischen Universität Vorlesungen zu halten, und ge- 
niessen dabei gleiche Rechte mit den Professoren nach Mafsgabe 
der Universitäts-Statuten, haben sich aber auch nach deren auf 


die Vorlesungen bezüglichen Festsetzungen zu richten. 


Von den Mitgliedern der Akademie. (X) 


SE1O: 

ı. Jede der vierundfünfzig Stellen für ordentliche Mitglieder 
ist mit einem Jahresgehalt von Neunhundert Mark dotirt. In den 
Bezug dieses Gehalts treten die Mitglieder nach der Anciennetät 
($ 5 Abs. 2), sobald ein solches verfügbar wird. 

2. Für zwei ordentliche Mitglieder der physikalisch-mathemati- 
schen Klasse und zwar für einen Botaniker und einen Chemiker, 
so wie für zwei ordentliche Mitglieder der philosophisch-historischen 
Klasse, welche Philologen oder Historiker sein müssen, sind neben 
den gewöhnlichen Jahresgehalten besondere Gehalte ausgeworfen. 
Mit dem Gehalte des Chemikers ist das Recht auf die Amtswohnung 
in dem dazu bestimmten Hause der Akademie und auf Benutzung 
der übrigen Räume desselben zu wissenschaftlichen Zwecken ver- 
knüpft, sofern sich die Akademie nicht einzelne Räume zu ander- 
weitiger Benutzung vorbehält. Ein solches besonderes Fachgehalt 
wird dem betreffenden Mitgliede für die Verwaltung eines beson- 
deren Amts, namentlich einer Lehrstelle oder der Direetion eines 
wissenschaftlichen Instituts als freiwilliger Zuschuss zu den wissen- 
schaftlichen Staatszwecken auf völlig freien Beschluss der Akademie 
gegeben und verbleibt demselben nur so lange, als es das beson- 
dere Amt verwaltet; zur Zahlung einer Pension nach Niederlegung 
dieses Amts ist die Akademie nicht verpflichtet. 

3. Die Akademie kann ausserdem aus den ihr dazu gewährten 
Fonds ordentlichen Mitgliedern ein besonderes persönliches Gehalt 
auf die Dauer ihrer Eigenschaft als ordentliches Mitglied oder auf 
eine anderweit zu bestimmende Zeitdauer bewilligen. 

4. Die Bewilligung beider Arten von besonderen Gehalten kann 
auch schon bei der Wahl erfolgen, wenn mit dem Wahlvorschlag ein 
dahin gehender Antrag verbunden worden ist (vgl. $ 10), und bedarf 
in allen Fällen der Zustimmung des vorgeordneten Ministeriums. 

5. Der Wittwe eines verstorbenen ordentlichen Mitgliedes oder, 
wenn eine Wittwe nicht hinterblieben ist, den ehelichen Nach- 
kommen wird für das ganze akademische Gehalt, welches der Ver- 
storbene zuletzt bezogen hat, ein Gnadenjahr von dem ersten Tage 
des dem Ableben zunächst folgenden Monats an bewillist. 

B+ 


Stellen- 
Gehalte. 


Besondere 
Fachgehalte. 


Besondere 
persönliche 


Gehalte. 


Bewilligung 
der besonde- 
ren Gehalte. 


Gnadenjahr. 


Auswärtige 
Mitglieder. 


Ehrenmit- 


glieder. 


(x) II. Apscantrr. 


8.20. 

ı. Auswärtige Mitglieder können nur solche sein, die nicht in 
Berlin oder einem nach $ 6 reglementarisch damit gleichgestellten 
Orte wohnen. 

2. Jede Klasse hat zehn Stellen für auswärtige Mitglieder. Es 
steht der Akademie frei, erledigte Stellen offen zu lassen. Für 
Anträge auf Besetzung derselben sowie für das weitere Verfahren 
in Bezug auf Vorschlag, Wahl und Bestätigung der auswärtigen 
Mitglieder sind die in den $$ 8, 9 und 11 bis 15 festgesetzten 
Bestimmungen malsgebend. 

3. Die auswärtigen Mitglieder haben alle in den $$ 17 und 18 
den ordentlichen Mitgliedern beigelegten Rechte. Bei zeitweiliger 
Anwesenheit in Berlin erhalten sie, wenn sie beim vorsitzenden 
Secretar das Verlangen stellen, alle Einladungs- und Umlaufs- 
Schreiben ebenso wie die ordentlichen Mitglieder. 

4. Verlegt ein auswärtiges Mitglied seinen Wohnsitz nach Berlin 
oder eimem reglementarisch gleichgestellten Orte, so wird es mit 
der ihm nach $ 5 zustehenden Ancıiennetät unter die ordentlichen 
Mitglieder aufgenommen und rückt, wenn eine der im $ 7 fest- 
gesetzten Stellen erledigt ist oder erledigt wird, in dieselbe ein, 
sofern dies eine nach dem Urtheil der Klasse für ihn geeignete 
Fachstelle ist (vgl. $ 7 Absatz 5) oder eine derjenigen Stellen, 
welche keinem besonderen Fache vorbehalten sind. Lehnt das 
Mitglied die Aufnahme unter die ordentlichen Mitglieder ab, so 
tritt es in die Reihe der Ehrenmitglieder. 


$ 21. 

ı. Zu Ehrenmitgliedern können hiesige Gelehrte ernannt wer- 
den, welche bei sonst vorhandener Qualification deswegen nicht zu 
ordentlichen Mitgliedern erwählt werden können, weil sie nicht in 
der Lage sind, die damit verbundenen Pflichten zu erfüllen. 

2. Zu Ehrenmitgliedern können ferner Hiesige und Auswärtige 
gewählt werden, welche sich durch Interesse für wissenschaftliche 
Forschungen auszeichnen und geeignet erscheinen, dieses Interesse 
durch Förderung der Bestrebungen der Akademie zu bethätigen. 


Von den Mitgliedern der Akademie. (XI) 


3. Die Anzahl der Ehrenmitglieder ist keiner Beschränkung 
unterworfen. Ein Vorschlag zur Wahl ist von einem oder mehre- 
ren ordentlichen Mitgliedern in einer ordentlichen Sitzung ihrer 
Klasse schriftlich und motivirt einzureichen und alsdann nach den 
im $ 8 Absatz 2, und in den $$ 9, 11, 12, 13 gegebenen Vorschriften 
zu behandeln. Wenn in einer und derselben Sitzung über ver- 
schiedene Wahlvorschläge abzustimmen ist, so geschieht dies nach 
alphabetischer Ordnung. Die Wahl eines Ehrenmitgliedes unterliegt 
Unserer Bestätigung und ist dem vorgeordneten Ministerium behufs 
Einholung derselben anzuzeigen. 

4. Die Ehrenmitglieder sind berechtigt, an den öffentlichen 
Sitzungen als Akademiker theilzunehmen, und die hiesigen werden 
dazu jedesmal besonders eingeladen. Die Ehrenmitglieder können 
auch jeder anderen Gesammtsitzung beiwohnen, darin wissen- 
schaftliche Mittheilungen machen und an den geschäftlichen Ver- 
handlungen mit berathender Stimme sich betheiligen. 


$ 22. 

ı. Zu correspondirenden Mitgliedern können Gelehrte erwählt 
werden, welche nicht in Berlin oder einem nach $ 6 reglemen- 
tarısch damit gleichgestellten Orte wohnen. Wenn sie später da- 
hin übersiedeln, so behalten sie ihre Eigenschaft als correspondi- 
rende Mitglieder bei. 

2. Jede Klasse hat hundert, reglementarisch einzelnen Fächern 
zugetheilte Stellen für correspondirende Mitglieder. Es steht der 
Akademie frei, erledigte Stellen offen zu lassen. Für Anträge auf 
Besetzung derselben sowie für das weitere Verfahren in Bezug auf 
Vorschlag und Wahl der correspondirenden Mitglieder selten die 
in den $$ 8, 9, 11, 12, 13 enthaltenen Bestimmungen und diejenigen 
des $ 14 mit der Malssgabe, dass, wenn die Anzahl der in einer 
Klassensitzung für gleichartige Stellen vorliegenden Wahlvorschläge 
nicht grösser als die der zu besetzenden Stellen ist, nach alpha- 
betischer Ordnung ballotirt wird, falls nicht einer der Antragsteller 


dagegen Widerspruch erhebt. 


Correspondi- 
rende Mitglie- 


der. 


Aus- 
schliessung 
der 


Mitglieder. 


(XIV) ll. AgBscanımt. 


3. Die correspondirenden Mitglieder sind berechtigt, an den 
öffentlichen Sitzungen als Akademiker theilzunehmen, auch jeder 
anderen Gesammtsitzung so wie jeder Sitzung ihrer Klasse beizu- 
wohnen und darin wissenschaftliche Mittheilungen zu machen. Bei 
den geschäftlichen Verhandlungen dürfen sie zugegen sein, haben 
aber hierbei weder eine berathende noch eine beschliessende Stimme. 


$ 23. 

Die Akademie hat die Befugniss, auf schriftlichen und mo- 
tivirten Antrag eines ordentlichen Mitgliedes oder auf Grund der 
Mittheilung einer Staatsbehörde ein Mitglied auszuschliessen: doch 
kann dies nur in einer eigens dazu anberaumten Sitzung unter Zu- 
stimmung der absoluten Mehrheit aller ordentlichen und der etwa 
an der Sitzung theilnehmenden auswärtigen Mitglieder geschehen. 
Von der Ausschliessung eines ordentlichen, auswärtigen oder Ehren- 
mitgliedes ist Uns dureh Vermittelung des vorgeordneten Ministe- 
rıums Anzeige zu machen. 


(XV) 


II. Abschnitt. 


Von den Secretaren und den 
Beamten der Akademie. 


$ 24. 

ı. Die Akademie hat vier beständige Secretare, je zwei aus 
jeder Klasse. 

2. Die Secretarstellen werden auf Lebenszeit verliehen und sind 
mit einem etatsmässigen Gehalt von Achtzehnhundert Mark ver- 
bunden, auf welches die im $ 19 für das Gnadenjahr gegebenen 
Bestimmungen Anwendung finden. 

3. Die Amts-Anciennetät der Secretare richtet sich nach der 
Zeit, wo sie zu Secretaren erwählt sind, und nach dieser rangiren 
sie, abgesehen von dem jedesmaligen Vorsitzenden, bei feierlichen 
Repräsentationen und bei der Unterzeichnung von Ausfertigungen. 

4. Jeder Secretar führt ein Amtssiegel. 


$ 25. 

ı. Jede der beiden Klassen wählt den aus ihrer Mitte zu be- 
stellenden Secretar für sich allein. Der Wahltag wird in einer 
Sitzung, zu welcher besonders einzuladen ist, durch Klassenbeschluss 
festgesetzt. Zu der Sitzung, in welcher die Wahlhandlung erfol- 
gen soll, muss eingeladen werden. 

2. Die Wahl wird von den Anwesenden durch verdeckte, un- 
unterschriebene Stimmzettel vollzogen; die Entscheidung erfolgt 
durch absolute Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen. Stellt 
bei einer Wahl eine absolute Mehrheit sich nicht heraus, so wird 
derjenige, welcher die wenigsten Stimmen hat, oder wenn dies 
mehrere sind, einer derselben, welcher durch das Loos zu bestim- 
men ist, aus der Zahl der Candidaten ausgeschieden und eine neue 
Wahl vorgenommen, bei welcher nur auf die übrigen Namen lau- 
tende Stimmzettel gültig sind. In dieser Weise wird fortgefahren, 


Die 
Secretare. 


Wahl der- 
selben. 


Functionen 
der Secretare. 


Der 
vorsitzende 


Secretar. 


(XV) Ill. ABscanıtt. 


bis einer der Candidaten die absolute Mehrheit oder jeder von 
zwei Candidaten die Hälfte aller abgegebenen gültigen Stimmen 
erhalten hat. Im letzteren Falle entscheidet das Loos. 

3. Die geschehene Wahl unterliegt Unserer Bestätigung und 
ist dem vorgeordneten Ministerium behufs Einholung derselben 
anzuzeigen. 

$ 26. 

1. Die Secretare haben die Geschäfte der Akademie zu leiten 
und ihre Beschlüsse auszuführen. Sie berathen und beschliessen 
als Collegium über die ihnen obliegenden Geschäfte und können 
einzelne derselben unter sich vertheilen. 

2. Im Vorsitz und der damit verbundenen Leitung der Ge- 
schäfte der Gesammt-Akademie wechseln die Secretare von vier 
zu vier Monaten und zwar, wenn nicht durch Übereinkunft eine 
andere Reihenfolge festgesetzt wird, nach derjenigen ihrer Ancienne- 
tät im Amt. In Behinderungsfällen tritt für den vorsitzenden Se- 
cretar der in der Amts-Anciennetät nächstvorhergehende Secretar 
ein. Sind alle vier Secretare verhindert, so übernimmt das der 
Anciennetät nach erste von den übrigen ordentlichen Mitgliedern, 
welches sich dazu bereit erklärt, die Leitung der Geschäfte. 


8.27. 

ı. Der geschäftsleitende Secretar der Akademie wird der vor- 
sitzende Secretar genannt. Er führt das grosse Siegel der Aka- 
demie und hat die Oberaufsicht über die Beamten und die Re- 
gistratur. Er beruft die Mitglieder zu ausserordentlichen Sitzun- 
gen sowie die Secretare zu den Sitzungen des Secretariats, erlässt 
alle Einladungen, führt in den Sitzungen der Gesammt-Akademie 
und des Secretariats den Vorsitz, hat bei allen mündlichen Ab- 
stimmungen für den Fall der Stimmengleichheit eine entscheidende 
Stimme, unterzeichnet die Protokolle und sorgt für die Ausführung 
der gefassten Beschlüsse. Er führt die Correspondenz der Aka- 
demie, eröffnet alle an die Gesammt-Akademie und das Secretariat 
eingehenden Schreiben, lest dieselben vor und veranlasst deren 
weitere geschäftliche Behandlung. Er ist für die Beobachtung der 


Von den Secretaren und den Beamten der Akademie. (xvin 


Statuten verantwortlich und daher auch befugt, nöthigenfalls den 
Beistand des vorgeordneten Ministeriums nachzusuchen. Bei Nieder- 
legung seiner viermonatlichen Amtsführung hat er mit Zuziehung 
des Archivars seinem Nachfolger ein Verzeichniss der unerledigten 
Gegenstände zu übergeben. 

2. Nur der vorsitzende Secretar, in Behinderungsfällen sein 
Vertreter, ist befugt, Rechtsgeschäfte im Namen der Akademie vor- 
zunehmen, und wird als solcher erforderlichenfalls durch eine Be- 
scheinigung des vorgeordneten Ministeriums legitimirt. Zur Em- 
pfangnahme von Geldern ist jedoch nach $45 auch die Kasse 
des Ministeriums ermächtigt. 


$ 28. 

ı. Im Vorsitz und der damit verbundenen Leitung der Ge- 
schäfte der einzelnen Klassen wechseln die beiden derselben Klasse 
angehörigen Secretare von vier zu vier Monaten oder nach Über- 
einkunft. 

2. Der geschäftsleitende Secretar der Klasse wird der vor- 
sitzende Klassensecretar genannt. Er hat in Bezug auf die Ange- 
legenheiten der Klasse alle Pflichten und Befugnisse, welche nach 
$ 27 dem vorsitzenden Secretar in Bezug auf die Angelegenheiten 
der Gesammtakademie zukommen. 

3. In Behinderungsfällen wird der vorsitzende Klassensecretar 
von dem anderen vertreten; ist auch dieser verhindert, so tritt das 
der Anciennetät nach erste von den übrigen ordentlichen Mitsglie- 
dern der Klasse ein, welches sich dazu bereit erklärt. 


8 29. 

Der vorsitzende Secretar kann, wenn er eine Berathung zur 
Vorbereitung eines Geschäfts oder zur Ausführung eines Beschlusses 
nöthig findet, oder wenn er glaubt, dass das Secretariat auf eigene 
Verantwortung schleunig handeln müsse, die Secretare zu einer 
Sitzung versammeln. Auch kann jeder der anderen Secretare unter 
Angabe der Gründe den Zusammentritt des Secretariats verlangen. 
Jeder Secretar, der sich bei einem in diesen Sitzungen gefassten 

c 


Der vorsitzen- 
de Klassen- 


secretar. 


Sitzungen 
des 
Secretariats. 


Die Aus- 
fertigungen, 
welche im Na- 
men der Aka- 
demie oder 
einer Klasse 


erfolgen. 


Beamte 
der 


Akademie. 


(xvIm) Ill. Asschsrrr. 


Beschlusse in der Minderheit befunden hat, ist berechtigt ein Se- 
paratvotum zu den Acten beilegen oder einem schriftlichen Be- 
richte beifügen zu lassen, wenn er in der Sitzung selbst dies zu 
thun sich vorbehalten hat. Über die Verhandlungen des Secreta- 
riats braucht kein Gesammtprotokoll aufgenommen zu werden; 
doch ist jeder einzelne Beschluss gehörigen Orts besonders zu 
vermerken. 


$ 30. 

ı. Die Concepte zu bedeutenderen im Namen der Akademie 
zu erlassenden Schreiben legt der vorsitzende Secretar den übri- 
gen in einer Versammlung oder mittels Umlaufs vor. Bei ein- 
tretender Meinungsverschiedenheit entscheidet die Mehrheit, im 
Falle der Stimmengleichheit der vorsitzende Secretar. Die Con- 
cepte zu bedeutenderen im Namen einer Klasse zu erlassenden 
Schreiben legt der vorsitzende Klassensecretar dem anderen zur 
Kenntnissnahme und Begutachtung vor. 

2. Sämmtliche Ausfertigungen werden vom geschäftsleitenden 
Secretar, die, welche für das vorgeordnete Ministerium bestimmt 
sind, von allen Secretaren unterzeichnet. An Uns gerichtete Im- 
medıiat-Vorstellungen werden ebenfalls von allen Secretaren oder, 
wenn die Akademie dies beschliesst, von sämmtlichen ordent- 
lichen Mitgliedern unterschrieben. Die Unterschrift des geschäfts- 
leitenden Secretars erfolgt stets an erster Stelle (vgl. $ 24). 


881: 

1. Die etatsmässig besoldeten Beamten der Akademie (gegen- 
wärtig ein Archivar, welcher die Bureau- und Rechnungsgeschäfte 
versieht und die Bibliothek sowie sämmtliches Inventar der Aka- 
demie verwaltet, ein Canzlist, ein Castellan und ein Bote) werden 
auf Vorschlag des Secretariats in einer Gesammtsitzung, zu der 
besonders einzuladen ist, durch mündliche Abstimmung auf Lebens- 
zeit oder auf eine anderweit zu bestimmende Zeitdauer gewählt. 
Die Wahl bedarf der Bestätigung des vorgeordneten Ministeriums. 
Jedes Amt wird nach einer reglementarisch festgesetzten Instruc- 


Von den Secretaren und den Beamten der Akademie. (XIX) 


tion verwaltet; die Beamten haben sich ausserdem nach den An- 
weisungen des vorsitzenden Secretars zu richten. 

2. In Betreff des Gehalts verstorbener Beamten der Akademie 
sind die für Unsere Beamten überhaupt gültigen Bestimmungen 
massgebend. 


(AXX) 


IV. Abschnitt. 


Von den Sitzungen, Arbeiten und 
Schriften der Akademie. 


592, 
Von An den Sitzungen der Akademie nehmen die Mitglieder nach 

len Si ven - B > . rn . 
“en St20D8®N Massgabe ihrer im II. Abschnitte festgesetzten Berechtigungen An- 
überhaupt. 7 = f BR = = 
theil. Während der wissenschaftlichen Verhandlungen ist auch 


anderen Personen, die von einem Mitgliede eingeführt und dem 


geschäftsleitenden Secretar vorgestellt sind, die Anwesenheit ge- 
stattet. 
$ 33. 
Ordentliche ı. Die Akademie hält ihre ordentlichen Sitzungen wöchentlich 
A Donnerstags und zwar abwechselnd vereint und in Klassen geson- 
dert. Die Folge der ordentlichen Sitzungen muss auch bei jeder 
durch die Festsitzungen und Ferien nach den $$ 38, 39 bedingten 
Unterbrechung eine derartige sein, dass zwischen je zwei Sitzungs- 
tagen der Gesammt-Akademie ein Donnerstag liest, an dem beide 
Klassen ihre Sitzungen halten. 
Liste der 2. Diesen Bestimmungen gemäss werden zu Ende jedes Jahres 
Szungstage die Sitzungstage für die nächsten fünfzehn Monate vom Secretariat 
festgestellt und den ordentlichen Mitgliedern bekannt gemacht. 

Regelmässige 3. In jeder ordentlichen Sitzung wird von einem der ordent- 
N lichen Mitglieder ein wissenschaftlicher Vortrag gehalten. Die 
“ Reihenfolge bestimmt sich nach der Anciennetät; in der aufzu- 
stellenden Liste der Sitzungstage (vgl. Absatz 2) ist bei jedem 
einzelnen auch der Name des zum Vortrage verpflichteten Mit- 
sliedes mit zu vermerken. Falls Mitglieder mit einander für den 
einzelnen Fall ihre Stellen in der Reihenfolge tauschen, hat der- 
jenige, welcher sich vertreten lässt, den geschäftsleitenden Secretar 


von der Stellvertretung in Kenntniss zu setzen. 


Von den Sitzungen, Arbeiten und Schriften der Akademie. (XxX1) 


4. Nach Beendigung des wissenschaftlichen Vortrages Seitens 
des hierzu verpflichteten Mitgliedes steht es auch anderen Mitgliedern 
frei, wissenschaftliche Mittheilungen oder Bemerkungen zu machen 
und überhaupt in irgend welcher Weise wissenschaftliche Gegen- 
stände zur Sprache zu bringen. 

5. Zuletzt werden die geschäftlichen Angelegenheiten erledigt. 


$ 34. 

ı. Ausserordentliche Gesammtsitzungen sind nach Ermessen des 
vorsitzenden Secretars oder auf Beschluss der Gesammt-Akademie, 
ausserordentliche Klassensitzungen nach Ermessen des vorsitzenden 
Klassensecretars oder auf Beschluss der Klasse abzuhalten. 

2. Zu jeder ausserordentlichen Sitzung hat der geschäftsleitende 
Secretar die Mitglieder einzuladen. 

3. Beruft der vorsitzende Secretar eine ausserordentliche Sitzung 
der Gesammt-Akademie auf einen Zeitpunkt, wo eine Klassensitzung 
ansteht, so wird diese bis nach Schluss der Gesammtsitzung auf- 


geschoben. 


3. 


os 


€ 


072 


1. Der geschäftsleitende Secretar kann auch abgesehen von 
den Fällen, in welchen es statutenmässig vorgeschrieben ist 
(vgl. $$ 12, 25, 31, 34, 47, 49, 53), zu einer Sitzung besonders 
einladen. Der Gegenstand, durch welchen die Einladung veran- 
lasst wird, ist dabei im Allgemeinen zu bezeichnen. 

2. Jede Einladung muss an alle ordentlichen Mitglieder (vgl. 
auch $ 20, Absatz 3) und in einer reglementarisch näher zu be- 
stimmenden Weise so ergehen, dass die Behändigung festgestellt 


werden kann. 


$ 36. 
ı. Der Vorsitzende bestimmt die Reihenfolge der geschäftlichen 
Vorlagen und Verhandlungen, unbeschadet des Rechts der Versamm- 


lung Änderungen zu beschliessen. 


Sonstige 
wissenschaft- 
liche Mit- 
theilungen. 


Geschäfts-An- 
gelegenheiten. 


Ausserordent- 
liche Sitzun- 


gen. 


Einladungen 
zu den 


Sitzungen. 


Reihenfolge 
der Verhand- 


lungen. 


Geschäftliche 
Anträge und 
deren Be- 


handlung. 


Abstimmung 
über 
Geschäfts- 
angelegen- 


heiten. 


Protokolle. 


Commissarien 
und Com- 


missionen, 


Öffentliche 
Sitzungen. 


(XXI) IV. Agscanttr. 


2. Jedes ordentliche Mitglied kann einen geschäftlichen Antrag 
stellen, muss ihn aber, wenn es der Vorsitzende verlangt, schrift- 
lich einreichen. Der Antrag wird, je nachdem der Vorsitzende 
oder auch die Versammlung darüber bestimmt, sogleich oder in 
einer folgenden Sitzung zur Verhandlung gestellt. 

3. Abgesehen von den Fällen, für welche ausdrücklich andere 
Vorschriften gegeben sind, wird über Geschäftsangelegenheiten 
mündlich abgestimmt und durch absolute Stimmenmehrheit ent- 
schieden. Jeder, der sich dabei in der Minderheit befunden hat, 
kann verlangen, dass ein bezüglicher Vermerk in das Protokoll 
aufgenommen werde; auch steht jedem stimmfähigen Mitgliede das 
Recht zu, ein Separatvotum zu den Acten beilegen oder einem 
beschlossenen Berichte beifügen zu lassen, wenn es in der Sitzung 
selbst dies zu thun sich vorbehalten hat. Vertretung Abwesender 
ist bei Abstimmungen unzulässig. 

4. Das Protokoll einer jeden Sitzung ist in der nächsten 
ordentlichen Sitzung zur Genehmigung vorzulegen. 


$ 37. 

Die Gesammt-Akademie kann dem Secretariat oder einer 
der Klassen einen Gegenstand zur Berichterstattung oder zur ent- 
scheidenden Erledigung überweisen. Auch kann die Gesammt- 
Akademie und jede der beiden Klassen für ein bestimmtes Ge- 
schäft wie zur Berichterstattung über einen wissenschaftlichen 
oder geschäftlichen Gegenstand einen einzelnen Commissar be- 
stellen oder eine Commission niedersetzen. Die Wahl von Com- 
missarien und Commissions-Mitgliedern erfolgt durch mündliche 
oder, falls ein Mitglied darauf anträgt, durch geheime Abstimmung 
mittels des im $ 25, Absatz 2, vorgeschriebenen Verfahrens. 


S 88. 
1. Die Gesammt-Akademie hält jährlich drei öffentliche Sitzun- 
gen, die eine zum Andenken an Leibniz, als ersten Präsidenten 
der hiesigen Societät der Wissenschaften, am 1. Juli, falls dieser 


Von den Sitzungen, Arbeiten und Schriften der Akademie. (XXIN) 


auf einen Donnerstag fällt, oder am nächstliegenden Donnerstage, 
die andere zur Feier der Geburt Friedrichs II. als Erneuerers der 
Akademie, am 24. Januar, falls dieser auf einen Donnerstag fällt, 
oder am nächstliegenden Donnerstage, die dritte am Geburtstage 
des regierenden Königs, falls dieser auf einen Donnerstag fällt, 
oder am nächstliegenden Donnerstage. 

2. In diesen Sitzungen führen die Secretare abwechselnd nach 
einer besonderen, reglementarisch bestimmten Reihenfolge den Vor- 
sitz, und es bleibt dem jedesmaligen Vorsitzenden überlassen, einen 
Festvortrag zu halten oder die Sitzung nur mit einleitenden Worten 
zu eröffnen. 

3. In der dem Andenken von Leibniz gewidmeten Sitzung 
halten die seit dem letzten Leibniztage eingetretenen ordentlichen 
Mitglieder ihre Antrittsreden, von welchen jede von einem der 
Seeretare beantwortet wird; auch werden in dieser Sitzung die 
von der Akademie beschlossenen Gedächtnissreden auf verstorbene 
Mitglieder gehalten. 

4. Ferner erfolgt in den öffentlichen Sitzungen nach näheren 
reglementarischen Festsetzungen die Verkündung der Beschlüsse 
bezüglich der Ertheilung von Preisen, die Mittheilung von Jahres- 
berichten über die Personalveränderungen und sonstigen Ereignisse 
in der Akademie, über die Arbeiten und Unternehmungen derselben 
und über die mit der Akademie in Verbindung stehenden wissen- 
schaftlichen Unternehmungen und Stiftungen. 

5. Überdies können in den öffentlichen Sitzungen nach Be- 
schluss der Akademie von ordentlichen Mitgliedern noch wissen- 
schaftliche Abhandlungen gelesen werden und zwar auch solche, 
die bereits in einer ordentlichen Sitzung vorgetragen worden sind. 

6. Für jede öffentliche Sitzung ist das Programm von dem 
Secretar, welcher darin den Vorsitz zu führen hat, so zeitig fest- 
zustellen, dass es mindestens drei Wochen vorher der Gesammt- 
Akademie zur Genehmigung vorgelegt werden kann. 

7. An den Tagen, an welchen die öffentlichen Sitzungen gehal- 
ten werden, findet keine ordentliche Sitzung statt. 


Ferien. 


Wissenschaft- 
liche Unter- 
nehmungen 

und Preiser- 


theilungen. 


Sitzungsbe- 
richte und 
Denkschrif- 


ten. 


(XXIV) IV. Asscanıtm. 


$ 59. 

Die Ferien der Akademie beginnen mit dem ersten August 
und dauern elf Wochen. Festferien sind die Charwoche, der 
Himmelfahrtstag, die Pfingstwoche und die beiden Wochen, inner- 
halb welcher das Weihnachts- und Neujahrsfest fallen. 


$ 40. 


Die Akademie hat ihrer im $ 1 angegebenen Bestimmung 
zufolge wissenschaftliche Unternehmungen ihrer Mitglieder oder 
anderer Gelehrter zu fördern, insonderheit solche, für welche die 
gemeinsame Thätigkeit verschiedener Gelehrten nöthig erscheint, 
sowie solche, welche durch ihren Umfang, ihre Dauer oder ihre 
Kostspieligkeit das Eintreten der Akademie erfordern. Ferner ge- 
hört es gemäss der Bestimmung der Akademie zu ihren Aufgaben, 
rein wissenschaftlichen Zwecken gewidmete Stiftungen zu ver- 
walten oder bei deren Verwaltung mitzuwirken, so wie endlich 
durch Ertheilung von Preisen Forschungen auf bestimmten Ge- 
bieten anzuregen oder zu begünstigen. Die für die Ertheilung 
von Preisen massgebenden Grundsätze und Vorschriften sind re- 
slementarisch festzustellen. 


$ 41. 

ı. Die Akademie gibt Sitzungsberichte und Denkschriften her- 
aus, deren Redaction das Secretariat gemäss einem von demselben 
zu entwerfenden und von der Gesammt-Akademie festzustellenden 
Reglement besorgt. Die ordentlichen und auswärtigen Mitglieder 
erhalten von dem Jahre ihres Eintritts an Exemplare derselben. 

2. Für die Aufnahme einer wissenschaftlichen Mittheilung oder 
Abhandlung in die akademischen Publicationen bedarf es einer 
ausdrücklichen Genehmigung der Akademie oder einer der Klassen. 
Ein darauf gerichteter Antrag kann, sobald das Manuseript druck- 
fertig vorliegt, sowohl in einer Gesammtsitzung als auch in einer 
Klassensitzung gestellt und sogleich zur Abstimmung gebracht wer- 
den. Wenn in Hinsicht auf den erforderlichen Kostenaufwand oder 


in irgend welcher anderen Beziehung eine nähere Erwägung ange- 
“ 


Von den Sitzungen, Arbeiten und Schriften der Akademie. (XXV) 


messen erscheint, kann eine Vorberathung durch das Secretariat 
oder durch eine Commission oder, falls der Antrag in der Ge- 
sammt-Akademie eingebracht ist, die Verweisung an eine der bei- 
den Klassen beschlossen werden (vgl. $ 37). Über jeden Antrag 
auf Veröffentlichung in den Schriften der Akademie sowie über 
dessen geschäftliche Behandlung kann der Vorsitzende geheim ab- 
stimmen lassen, und er ist dazu verpflichtet, sobald eines der an- 
wesenden Mitglieder es verlangt. 


Grund- und 
Capital- Ver- 
mögen der 


Akademie. 


Das 
sonstige be- 
wegliche Ver- 
mögen der 


Akademie. 


(xXVI) 


V. Abschnitt. 


Von dem Vermögen der Akademie, 
von ihrem Einkommen und von 
dessen Verwendung. 


ı. Verfügungen der Akademie über ihr Grund- und Capital- 
Vermögen bedürfen der Zustimmung des vorgeordneten Ministeriums. 
Durch die ministerielle Genehmigung eines auf die Vornahme eines 
Rechtsgeschäftes gerichteten Beschlusses der Akademie wird der 
nach $ 27 Abs. 2 befugte Vertreter der Akademie ermächtigt, das- 
selbe im Namen der Akademie abzuschliessen. 

2. Das vorgeordnete Ministerium bewahrt die der Akademie ge- 
hörigen Gelder, geldwerthen Papiere und Documente auf. 

3. Soweit die Akademie ihre Grundstücke nach $ 19 Abs. 2 zu 
wissenschaftlichen Staatszwecken zur Verfügung stellt, hat sie zu 
Bau- und Reparaturkosten nichts beizutragen. 


$ 43. 

1. Verfügungen der Akademie über Exemplare ihrer Druck- 
schriften, über Werke, die ihr überreicht oder überschickt werden, 
sowie über einzelne Stücke ihrer Sammlungen und ihres Inventars 
bedürfen der im $ 42 vorgeschriebenen ministeriellen Genehmigung 
nicht. Bezügliche Anträge sind nach den allgemeinen für geschäft- 
liche Anträge überhaupt geltenden Bestimmungen (vgl. $ 36) zu 
behandeln und zu erledigen. Diejenigen der Akademie zugegange- 
nen Werke, welche sie nicht ihrer eigenen Bibliothek einverleibt 
oder zu anderer Verwendung bestimmt, sind an Unsere grosse 
Bibliothek abzugeben. 

2. Derjenige Theil des Vermögens der Akademie, welcher im 
Inventar und Betriebscapital ihrer Druckerei besteht, wird als „Ver- 


mögen der akademischen Druckerei“ getrennt von dem übrigen 


Von dem Vermögen der Akademie. (XXVı 


Vermögen der Akademie verwaltet, und es wird darüber besonders 
Buch und Rechnung geführt. Die oberste Leitung des Betriebes 
und der Geschäfte der Druckerei, sowie die Verfügung über das 
Vermögen derselben steht dem Seeretariat zu, welches nach aussen 
durch den vorsitzenden Secretar allein vertreten wird. Doch be- 
darf es zu einem Übergang der Betriebsleitung an Andere, zur 
Verpachtung und zum Verkauf der Druckerei, ebenso wie zur Über- 
tragung von Fonds aus dem Vermögen derselben in das übrige 
Vermögen der Akademie und umgekehrt eines nach den Vorschrif- 
ten des $ 49 gefassten und vom vorgeordneten Ministerium ge- 
nehmigten Beschlusses. 


$ 44. 


ı. Die regelmässigen jährlichen Einnahmen der Akademie be- 
stehen: 1) ın dem Ertrage ihres Vermögens, 2) in der Dotation 
von 62229 Mark, welche ihr gegen Einziehung der früheren Ein- 
künfte aus den von des Königs Friedrich Wilhelm III. Majestät 
mittels Cabinetsordre vom 16. August 1809 für die wissenschaft- 
lichen Anstalten ausgesetzten Fonds als Jahresrente verliehen wor- 
den ist, 3) in dem ihr aus allgemeinen Staatsfonds bewilligten 
Bedürfniss-Zuschusse, und 4) ihrem eigenen Erwerb. 

2. Die Verwendung der Einnahmen erfolgt 1) zu Besoldungen 
und Remunerationen gemäss $ 50, 2) zur Ertheilung von Preisen, 
zur Herausgabe der akademischen Schriften, zur Erhaltung und 
Vermehrung der Bibliothek und der sonstigen Sammlungen der Aka- 
demie, zur Bestreitnng aller Arten von Amts- und Hausbedürfnissen, 
der Kosten für Heizung, Beleuchtung und bauliche Einrichtungen 
gemäss $51, und 3) zu wissenschaftlichen Zwecken im Allgemeinen 
gemäss $ 52. So weit hierbei für die von den einzelnen Klassen 
vertretenen Interessen besonders zu sorgen ist, sollen dieselben 
möglichst in gleichem Mafse berücksichtigt werden. 

3. Was von den Einnahmen früherer Jahre nach Bestreitung 
der Ausgaben übrig ist, verbleibt der Akademie und kann wie die 
Einnahmen des laufenden Jahres verwendet oder auch capitalisirt 
werden. 

D* 


Einnahmen 
der Akademie. 


Verwendung 
derselben. 


Einnahme- 
Überschüsse. 


Kasse der 


Akademie, 


Ein- 


zahlungen. 


Aus- 


zahlungen. 


Etat der 
Akademie. 


Der Geld- 
verwendungs- 
ausschuss 
und dessen 
Abtheilungen. 


Wahl der 
Mitglieder und 
Stellvertreter. 


(XXVIM) V. ABSCHNITT. 


$ 45. 

ı. Die Kasse der Akademie wird von den Kassenbeamten des 
vorgeordneten Ministeriums verwaltet. 

2. Die Kasse des letzteren ist ermächtigt, für die Akademie 
die Erträge der aufbewahrten Fonds und andere Forderungen ein- 
zuziehen, sowie überhaupt Gelder in Empfang zu nehmen und dar- 
über zu quittiren. 

3. In dem Etat der Akademie ($ 46) wird bestimmt, welche 
Zahlungen die Kasse auf Anweisung des Secretariats aus den dafür 
ausgeworfenen Summen zu leisten habe. Alle übrigen Zahlungen, 
mit Ausnahme der schon feststehenden etatsmässigen persönlichen 
Gehalte und fixirten Remunerationen werden von dem vorgeord- 
neten Ministerium auf den entsprechenden Antrag der Akademie 
zur Zahlung angewiesen. 

$ 46. 

ı. Der Einnahme- und Ausgabe-Etat der Akademie wird zu 
einer von dem vorgeordneten Ministerium zu bestimmenden Zeit für 
eine Periode von drei Jahren vom Geldverwendungs-Ausschuss ent- 
worfen, durch Beschluss der Gesammt-Akademie genehmigt und 
alsdann dem vorgeordneten Ministerium zur Feststellung eingereicht. 

2. Das Etatsjahr der Akademie fällt mit dem des Staats zu- 
sammen. 

$ 47. 

1. Der Geldverwendungs-Ausschuss besteht aus zwei, den ein- 
zelnen Klassen zugehörigen Abtheilungen. 

2. Jede Abtheilung besteht aus fünf Mitgliedern und drei Stell- 
vertretern derselben. Zu den Mitgliedern gehören von Amtswegen 
die beiden Secretare. Die drei anderen Mitglieder und die Stell- 
vertreter werden nach einander einzeln von der betreffenden Klasse 
aus ihrer Mitte durch Zettel-Abstimmung nach dem im $ 25 Abs. 2 
vorgeschriebenen Verfahren in einer reglementarisch festgesetzten 
Klassensitzung gewählt. Die Wahlen erfolgen für die Etats-Periode; 
tritt im Laufe derselben eine Vacanz ein, so ist alsbald für den 
Rest der Etats-Periode eine Ersatzwahl vorzunehmen. Zu jeder 
Sitzung, in welcher für den Geldverwendungs-Ausschuss gewählt 
werden soll, muss besonders eingeladen werden. 


nn 


ar | a  ERAERERE DEI Da 


Von dem Vermögen der Akademie. (XXIX) 


3. Im Falle der Behinderung von Mitgliedern des Geldverwen- Bestimmun- 

e R n c 2 sen über die 

dungs-Ausschusses wird die gleiche Anzahl ihrer Stellvertreter nach & - 
> o Zuziehung der 
der Reihenfolge, in welcher sie dazu gewählt sind, zur Theilnahme Steivertreter. 


an den Geschäften zugezogen. 


$ 48. 


1. Der Geldverwendungs-Ausschuss hat alle auf das Vermögen, Geschäfte des 


4 ; F } Bet alskenrute 
die Einnahmen oder die Ausgaben der Akademie bezüglichen Vor-  W 


lagen für die Gesammt-Akademie vorzuberathen, welche ihm vom Pe 
vorsitzenden Secretar zugehen. Ebenso liest den einzelnen Ab- 
theilungen des Geldverwendungs-Ausschusses die Vorberathung aller 
auf Geldverwendung bezüglichen Vorlagen für die Verhandlungen 
in der betreffenden Klasse ob. 

2. Die Geschäfte des Geldverwendungs-Ausschusses leitet der Sitzungen 


© ı S zu N n und Verhand- 
vorsitzende und in Behinderungsfällen der ıhn vertretende Secretar. 


lungen des 
Er hat bei Abstimmungen für den Fall der Stimmengleichheit eine Gen 
entscheidende Stimme und ernennt Protokollführer und Bericht- Be 
erstatter. Zur Beschlussfähigkeit des Geldverwendungs-Ausschusses en 
ist die Anwesenheit von je drei Mitgliedern jeder Abtheilung er- 
forderlich. Bei den Verhandlungen dürfen auch die nicht dazu 
einberufenen Stellvertreter gegenwärtig sein. 

3. Die Geschäfte jeder einzelnen Abtheilung des Geldverwen- Sitzungen und 


Verhand- 


dungs-Ausschusses leitet der vorsitzende und in dessen Behinderung nsen der 
- 


der andere Klassensecretar. Er hat in Bezug auf dieselben alle einzemen Ab- 
Pflichten und Befugnisse, welche dem vorsitzenden Secretar in "eilungen. 
Bezug auf die Geschäfte des ganzen Geldverwendungs-Ausschusses 
zukommen. Falls beide Secretare verhindert sind, vertritt sie das- 

jenige anwesende Mitolied, welches in der Reihenfolge der Wahl 

(vgl. $ 47) voransteht. Zur Beschlussfähigkeit einer Abtheilung des 
Geldverwendungs-Ausschusses ist die Anwesenheit von vier Mit- 

gliedern erforderlich. Bei den Verhandlungen dürfen auch die nicht 

dazu einberufenen Stellvertreter, sowie die Mitglieder und Stell- 
vertreter der anderen Abtheilung gegenwärtig sein. 


Zuziehung 
anderer Mit- 


glieder. 


Einladungen 
zu den 


Sitzungen. 


Vermögens- 
oder Geld- 
Angelegen- 
heiten be- 
treffende An- 


träge. 


Behandlung 
derselben in 


den Klassen. 


Behandlung 
derselben in 
der Gesammt- 


Akademie. 


(XXX) V. ABSCHNITT. 


4. Der Geldverwendungs-Ausschuss sowie eine Abtheilung des- 
selben kann jedes ordentliche Mitglied der Akademie auffordern, 
entweder persönlich in den Sitzungen oder schriftlich über Gegen- 
stände, die zur Berathung vorliegen, Auskunft zu ertheilen oder 
Gutachten abzugeben, ebenso auch die Gesammt- Akademie oder 
die Klassen auffordern, eine Commission von Sachverständigen zur 
Erstattung eines Gutachtens zu bestellen. 

5. Jede Einladung zu einer Sitzung des Geldverwendungs-Aus- 
schusses oder einer Abtheilung desselben muss so erfolgen, dass 
die Behändigung festgestellt werden kann (vgl. $ 35). 


$ 49. 

ı. Ein Antrag, welcher sich auf das Vermögen, auf die Ein- 
nahmen oder auf die Ausgaben der Akademie bezieht, ist schriftlich 
und motivirt dem vorsitzenden Secretar oder, wenn er zunächst in 
einer Klasse zur Verhandlung kommen soll (vgl. auch $ 52, Abs. 2), 
dem vorsitzenden Rlassensecretar einzureichen und in der nächsten 
ordentlichen Sitzung vorzulegen. Die Gesammt-Akademie kann den 
Antrag an eine der Klassen abgeben. 

2. Die Klasse überweist jede derartige Vorlage unmittelbar ihrer 
Abtheilung des Geldverwendungs - Ausschusses (vgl. $ 48, Abs. 1) 
und tritt erst in einer anderen Sitzung auf Grund des von der Ab- 
theilung schriftlich und motivirt zu erstattenden Berichts in eine 
materielle Verhandlung darüber ein. Beschliesst sie, den Antras 
zu dem ihrigen zu machen, so wird derselbe nebst Motiven durch 
Protokollauszug dem vorsitzenden Secretar zugefertist und von die- 
sem in der nächsten ordentlichen Sitzung der Gesammt-Akademie 
mitgetheilt. Falls der Antrag auf Geldbewilligung zu wissenschaft- 
lichen Zwecken gerichtet ist, kann die Klasse denselben auf die ihr 
überwiesenen Fonds (vel. $ 52, Abs. 2) übernehmen. 

3. Die Gesammt-Akademie überweist jeden Antrag, der nicht 
an eine Klasse abgegeben wird, sowie jeden, der von einer der 
Klassen an sie gelangt ist, unmittelbar an den Geldverwendungs- 
Ausschuss (vgl. $ 48, Abs. 1): sie verhandelt und beschliesst darüber 
erst in einer folgenden Sitzung auf Grund eines von dem Geldver- 
wendungs-Ausschuss schriftlich und motivirt zu erstattenden Berichts. 


Von dem Vermögen der Akademue. (XXXI) 


4. Sowohl in der Klasse als auch in der Gesammt -Akademie 
ist zur Annahme eines Antrages auf Geldbewilligung erforderlich, 
dass die zustimmende Mehrheit (vgl. $ 36, Abs. 3) mehr als ein 
Drittel aller ordentlichen und der etwa an der Sitzung theilneh- 
menden auswärtigen Mitglieder in sich vereinigt. 

5. Zu allen Sitzungen, in denen über Vermögens- oder Geld- 
angelegenheiten verhandelt oder entschieden werden soll, muss be- 
sonders eingeladen werden. Über jeden auf solche Angelegenheiten 
bezüglichen Antrag, sowie über dessen geschäftliche Behandlung 
kann der Vorsitzende geheim abstimmen lassen, und er ıst dazu 
verpflichtet, sobald eines der anwesenden Mitglieder es verlangt. 


$ 50. 

ı. Für die Verwendung akademischer Fonds zu Besoldungen 
und Remunerationen ($ 44, Abs. 2, Nr. 1) gelten ‚folgende Be- 
stimmungen: 

2. Der Geldverwendungs-Ausschuss hat dafür zu sorgen, dass 
für jedes Mitglied das ihm zustehende Stellengehalt ($ 19, Abs. 1) 
zur gehörigen Zeit bei dem vorgeordneten Ministerium zur Anwei- 
sun& beantragt werde. 

3. Ein besonderes Fachgehalt, sowie ein besonderes persön- 
liches Gehalt (vgl. $19, Abs. 2 und 3) kann einem ordentlichen 
Mitgliede nur auf einen aus der Mitte der betreffenden Klasse her- 
vorgegangenen Antrag bewilligt werden. Der Antrag ist vorher 
in einer ordentlichen Klassensitzung schriftlich anzumelden. Die 
Anmeldung muss den Namen des Mitgliedes, für welches die Be- 
willigung erfolgen soll, sowie die Bezeichnung des Fachgehaltes 
oder, falls ein besonderes persönliches Gehalt bewilligt werden soll, 
die beantragte Summe enthalten. Eine solche Anmeldung wird 
durch den vorsitzenden Klassensecretar noch in der Sitzung selbst 
und alsdann auch schriftlich den ordentlichen Mitgliedern der Klasse 
mitgetheilt. Jedes derselben ist befugt, Anträge auf Bewilligung 
von Mitglieder-Gehalten, welche mit dem angemeldeten gleichartig 
sind, in der nächsten ordentlichen Klassensitzung schriftlich einzu- 
reichen. Diese Anträge, welche mit Motiven versehen sein müssen, 


Abstimmung 
über Geld- 
bewilligungs- 


Anträge. 


Einladungen 
zu den 
Sitzungen. 
Art und 
Weise der Ab- 


stimmung. 


Stellen- 
gehalte. 


Bewilligun- 
gen besonde- 
rer Gehalte 
für ordent- 
liche Mit- 
glieder. 


Gehalts- 
anträge bei 
Wahlvor- 


schlägen. 


Gehalts-Be- 
willigungen 
für künftig in 
die Akademie 
eintretende 
auswärtige 
Mitglieder. 


Gehalts-Be- 
willigungen 
für Beamte. 


Verwendun- 
gen durch 
den vorsitzen- 


den Secretar. 


Anträge auf 
Verwendung 
der für wissen- 
schaftliche 
Zwecke im 
Allgemeinen 
ausgesetzten 


Fonds. 


Vertheilung 
von Fonds an 
die einzelnen 
Klassen. Ver- 
wendung der- 


selben. 


(XXX) V. ABSCHNITT. 


werden in derselben Sitzung der Klasse mitgetheilt und von da ab 
so behandelt, wie es in den $$ 8 bis 14 für Wahlvorschläge mit 
Gehaltsanträgen angeordnet ist. Bei der Verhandlung und Ab- 
stimmung über einen Gehaltsantrag für ein ordentliches Mitglied 
ist dessen Anwesenheit unzulässig. 

4. Gehaltsanträge, welche mit Wahlvorschlägen verbunden sind, 
werden mit diesen zugleich erledigt, so dass die Abstimmung über 
den Wahlvorschlag in der Klasse wie in der Gesammt- Akademie 
auch über die dabei beantragte Gehaltsbewilligung entscheidet. 

5. Auswärtigen Mitgliedern können besondere Gehalte, für den 
Fall, dass sie als ordentliche Mitglieder eintreten (vgl. $ 20, Abs. 4), 
im Voraus bewilligt werden. Bezügliche Anträge sind dem vor- 
sitzenden Secretar einzureichen und alsdann lediglich nach den all- 
gemeinen Vorschriften des $ 49 zu behandeln. 

6. Anträge, welche sich auf die Gehalte von Beamten beziehen, 
sowie Anträge auf Remunerationen derselben, sind dem vorsitzen- 
den Secretar einzureichen, und alsdann nach den Bestimmungen 
des $ 49 zu behandeln. 


J 


$ 51. 
Diejenigen Fonds, welche im Etat für die im $ 44, Abs. 2 
unter Nr. 2 aufgeführten Zwecke ausgesetzt sind, werden im Ein- 
zelnen nach Anordnungen des vorsitzenden Secretars verwendet. 


8.52. 

ı. Die Verwendung der Fonds, welche im Etat für wissen- 
schaftliche Zwecke im Allgemeinen (vgl. $ 44, Abs. 2, Nr. 3) aus- 
gesetzt sind, erfolgt im Einzelnen auf Grund besonderer Beschlüsse 
der Gesammt-Akademie, resp. (vgl. Abs. 2) der Klassen. Für die 
Einbringung und weitere Behandlung bezüglicher Anträge sind die 
Vorschriften des $ 49 malsgebend. 

2. Theilbeträge von den bezeichneten Fonds können von der 
Gesammt-Akademie auf Vorschlag des Geldverwendungs-Ausschusses 
den einzelnen Klassen überwiesen werden. Anträge auf Verwen- 
dung solcher Fonds, über welche eine Klasse selbständig verfügen 
kann, werden innerhalb derselben nach den im $ 49 enthaltenen 


Von dem Vermögen der Akademie. (XXXIN) 


Bestimmungen behandelt. Die Klassenbeschlüsse sind in solchen 
Fällen entscheidend und werden der Gesammt-Akademie nur zur 
Kenntnissnahme und weiteren Veranlassung mitgetheilt. 

3. Über Anträge, welche nicht als dringlich bezeichnet und 
anerkannt sind, wird, um eine vergleichende Beurtheilung derselben 
zu ermöglichen, in gewissen reglementarisch festgesetzten Sitzungen 
abgestimmt; dabei sind jedoch solche, die nicht mindestens vier 
Wochen vorher eingereicht worden sind, von der Abstimmung aus- 
zuschliessen. Die Entscheidung darüber, ob ein Antrag als dring- 
lich anzuerkennen sei, erfolgt in derselben Weise wie die materielle 
Entscheidung. 


Dringliche 
und nicht 
dringliche An- 


trage. 


(XXXIV) 


VI Abschnitt. 


Von den reglementarischen 
Bestimmungen. 


$ 53. 

1. Über die Benutzung der einzelnen Räumlichkeiten, welche 
der Akademie zur Verfügung stehen ($ 3 und $ 19, Abs. 2) sollen 
reglementarische Bestimmungen erlassen werden, welche von dem 
Secretariat zu entwerfen und von der Gesammt-Akademie festzu- 
stellen sind. 

2. Von den reglementarischen Bestimmungen, deren Erlass 
schon in früheren Paragraphen vorgesehen ist, sind diejenigen, 
durch welche eine Anzahl von Stellen für ordentliche Mitglieder 
($ 7, Abs.1) und die sämmtlichen Stellen für correspondirende Mit- 
glieder ($ 22, Abs. 2) einzelnen Fächern zugetheilt und nach einer 
für die Wahlen ($14, Abs. 2) malsgebenden Reihenfolge geordnet 
werden, von den betreffenden Klassen in ordentlichen Sitzungen, 
zu denen besonders eingeladen wird, festzusetzen und der Ge- 
sammt- Akademie mitzutheilen. 

3. Die übrigen in diesen Statuten vorbehaltenen reglementari- 
schen Bestimmungen, betreffend: 


1) die als Wohnorte ordentlicher Mitglieder mit Berlin 
gleichzustellenden Orte ($ 6), 

2) die Instruction der Beamten ($ 31), 

3) das Verfahren bei den Einladungen ($ 35), 

4) die öffentlichen Sitzungen ($ 38, Abs. 2 und 4), 

5) die Ertheilung von Preisen ($ 40), 

6) die Redaetion der Sitzungsberichte und Denkschriften 


u EEE 5 


Von den reglementarıschen Bestimmungen. (XXXV) 


7) die Sitzungen, in denen die Mitglieder des Geldver- 
wendungs-Ausschusses zu wählen sind ($ 47, Abs. 2), 
und diejenigen, in denen über nicht dringliche Anträge 
auf Verwendung akademischer Fonds zu wissenschaft- 
lichen Zwecken abzustimmen ist ($ 52, Abs. 5), 

sind von der Gesammt-Akademie in ordentlichen Sitzungen, zu 
denen besonders eingeladen wird, festzustellen. Die unter 1, 2 
und 5 aufgeführten reglementarischen Bestimmungen sind dem vor- 
geordneten Ministerium zur Bestätigung einzureichen. 


E* 


(XXXVI) 


VI. Abschnitt. 


UÜbergangsbestimmungen. 


$ 54. 

ı. Jedem einzelnen der jetzigen ordentlichen Mitglieder bleibt 
auf Grund der bisherigen Statuten das Recht vorbehalten, nach 
fünfundzwanzigjähriger Mitgliedschaft gemäss $ 18 derselben die 
Befreiung von allen akademischen Verpflichtungen beanspruchen 
und gemäss $ 8 seinen Wohnsitz ausserhalb Berlin verlegen zu 
können, ohne dass dadurch seine Eigenschaft als ordentliches Mit- 
glied und sein durch $ 22 der bisherigen Statuten begründeter An- 
spruch auf das gewöhnliche akademische Gehalt aufgehoben wird. 

2. Bisher bereits von der Akademie bewilliste besondere aka- 
demische Gehalte, welche nicht zu den in $19, Abs. 2 aufgeführten 
vier besonderen Fachgehalten gehören, verbleiben den Inhabern, so 
lange dieselben ordentliche Mitglieder der Akademie sind. 


Dess zu Urkund haben Wir diese Statuten höchst- 
eigenhändig vollzogen und mit Unserm Königlichen Insiegel 
bedrucken lassen. So geschehen und gegeben zu Berlin, 


den 28. März 1881. 


Wilhelm. 


(L. 8.) 


von Puttkamer. 


a nn u 


_ | ———— 


Übersicht des Inhalts. (XXXV) 


Übersicht des Inhalts. 


I. Abschnitt. Von der Akademie überhaupt. 


Paragraph Seite 
I ZweölsundıStellun® der Akademie "2 nenn mn 
DE UT FAT ee en le ee 16 DO 
3. Allgemeine N Me Feat ae 1 Mega reger. 312 A 
PR KIEREONe Mel So a ae 105 Vier ige Ser Sr; 


II. Abschnitt. Von den Mitgliedern der Akademie. 


De Ateneider Mitsleder um. ee 
6 SOrdentliche?Mitelieder' eat ea ae ne 6 
7. Stellen für ordentliche Mitglieder 


6 
8,ı. Anträge auf Besetzung der Stellen . or Q 
8,2.  Wahlvorschläge. Behandlung derselben in der Klasse . . . . 7 
9. Behandlung der Wahlvorschläge in der Gesammt- Akademie 7 
BI) 


10. Wahlvorschläge mit Gehaltsanträgen 


11. . Zurüekziehung: der WWahlvorschlägelli u ar Saal EIER. 18 
RD Binladımvent 0 an AREENSHEIERE SONO TPEREREITETEN FERN 2 8 
13. Abstimmung über den einzelnen Wahlvorschlag . . ......8 
14. Vorverfahren, falls mehrere Wahlvorschläge vorliegen . . .. 8 
In aBestähkung der aWahle. 2.02.23 Blauang Aal. Br 059 
16. Ernennung auswärts Wohnender zu ordentlichen Mitgliedern . .. 10 


17. Rechte und Pflichten der ordentlichen Mitglieder in Bezug auf 


die akademische. Thätigkeit "I. 2.2. en nenn. s10 

18. Rechte der ordentlichen Mitglieder ausserhalb der Akademie . . 10 
IURT- 4 Stellenschalter rem 2.8 „IR 2 USE SERUESEN ENDE RER rl 
TomSsE BesonderenBlachgehaltern u ken...) ARHBEEBREEe RES eilt 
19, 3. - Besondere persönliche ‚Gehalte . .. . » 2. „2. 2... 0.0.11 
19,4. Bewilligung der besonderen Gehalte . . » » 2... . 11 


Ton Enadenfaht Wer. a Pia. ee . ll 


(XXXVIN) Übersicht des Inhalts. 


Paragraph 


20. 


26. 


29. 


sl. 


IV. Abschnitt. 


Auswärtige Mitglieder 
Ehrenmitglieder 
Correspondirende Mitglieder 


Ausschliessung der Mitglieder 


Abschnitt. Von den Secretaren und den 
der Akademie. 

Die Secretare . 

Wahl derselben 

Functionen der Secretare . 

Der vorsitzende Secretar 

Der vorsitzende Klassensecretar . 


Sitzungen des Secretariats 


Seite 


12 
12 
15 
14 


Beamten 


15 
15 
16 
16 
17 


17 


Die Ausfertigungen, welche im Namen der Akademie oder einer 


Klasse erfolgen 


Beamte der Akademie 


der Akademie. 


Von den Sitzungen überhaupt 

Ordentliche Sitzungen. Sitzungstage 

Liste der Sitzungstage . 

Regelmässige wissenschaftliche Vorträge . 
Sonstige wissenschaftliche Mittheilungen . 
Geschäftsangelegenheiten 

Ausserordentliche Sitzungen 

Einladungen zu den Sitzungen 

Reihenfolge der Verhandlungen . Sen 
Geschäftliche Anträge und deren Behandlung 
Abstimmung über Geschäftsangelegenheiten . 
Protokolle 

Commissarien und Commissionen 

Öffentliche Sitzungen 

Ferien 

Wissenschaftliche Unternehmungen und Preisertheilungen 


Sitzungsberichte und Denkschriften . 


15 
18 


Von den Sitzungen, Arbeiten und Schriften 


20 
20 


u 


Übersicht des Inhalts. (XXXIX) 


V. Abschnitt. Von dem Vermögen der Akademie, von 
ihrem Einkommen und von dessen Verwendung. 


Paragraph Seite 
42. Grund- und Capitalvermögen der Akademie. . . 2.2..2.2..36 
43. Das sonstige bewegliche Vermögen der Akademie. . 2 2.....26 

Aa Einnahmen. der Akademien ren 

am Vier.wendungsderselbeneeug tn 

44,3. Einnahme-Überschüsse . 27 

AnStser KrasremdergAkalemien ee 2 

45,2. Einzahlungen 28 

AEESEENUSZahlunden A ale es Vyrd 
AnmrbitamtdersAlkcademier., eu De ee ee 28 

47,1. Der Geldverwendungs-Ausschuss und dessen Abtheilungen. . . 28 

47,2. Wahl der Mitglieder und Stellvertreter . -. 2 2 2 2 2.2..238 

47,3. Bestimmungen über die Zuziehung der Stellvertreter. . . . ...29 

48,1. Geschäfte des Geldverwendung-Ausschusses. . . 2 2..2....29 


48,2. Sitzungen und Verhandlungen des Geldverwendungs- Ausschusses 29 


48,3. Sitzungen und Verhandlungen der einzelnen Abtheilungen . . . 29 
ASS Zuziehunslanderer Mütchieden 0 2 0 EEE 2830 
48,5 Einladungen) zurden Sitzungen nn nn 72.%0 
49,1. Vermögens- oder Geldangelegenheiten betreffende Anträge. . . 30 
49, 2. Behandlung derselben in den Klassen. . . . 2. 2 .2.2..2...80 
49, 3. Behandlung derselben in der Gesammt-Akademie . . . ......30 
49,4. Abstimmung über Geldbewilligungs-Anträge . . . 2... 981 


49, 5. Einladungen zu den Sitzungen. Art und Weise der Abstimmung . 31 


Olga Stellenzehaltessukere.s Re aan te rer ra te res 
50, 3. Bewilligungen besonderer Gehalte für ordentliche Mitglieder . . 31 
50,4. Gehaltsanträge bei Wahlvorschlägen . - » 2 2 2.2.2..2...832 


50, 5. Gehalts-Bewilligungen für künftig in die Akademie eintretende aus- 


wärtısem NL )eder Bene ERLERNEN. 32 
50,7... Gehalte. Bewillisungentün, Beamter. va sl ua nr. 32 
51. Verwendungen durch den vorsitzenden Secretar . . ........32 


52,1. Anträge auf Verwendung der für wissenschaftliche Zwecke im 
Allgemeinen ausgesetzten Fonds. 

52,2. Vertheilung von Fonds an die einzelnen Klassen. Verwendung 
Genselbennf sp a er a en 1.32 


52,3. Dringliche und nicht dringliche Anträge. . » 2 2... 2..2..833 


VI. ‚Abschnitt. ’Non | 


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(XLI) 


u 


Verzeichnifs der im Jahre 1881 stattgehabten Sitzungen 
der Akademie und der darin gelesenen Abhandlungen. 


Oeffentliche Sitzungen. 


Sitzung am 27. Januar zur Feier des Jahrestages 
König Friedrichs Il. 

Hr. Auwers eröffnete die Sitzung mit einer Festrede, welche 
die Schilderung des Verhältnisses Friedrichs des Grofsen zu den 
mathematischen Wissenschaften überhaupt, und im Besondern der 
Pflege der praktischen Astronomie in Preufsen unter seiner Regie- 
rung zum Gegenstand hatte. 

Derselbe berichtete ferner über die im Jahre 1880 im Per- 
sonalstande der Akademie eingetretenen Veränderungen. Alsdann 
trug Hr. du Bois-Reymond als Vorsitzender des Curatoriums der 
Humboldt- Stiftung für Naturforschung und Reisen den statuten- 
mälsigen Jahresbericht vor, welcher im Monatsbericht abgedruckt ist. 

Zum Schlufs las Hr. Droysen eine Abhandlung über das 
Project einer preulsischen Flotte vom Jahre 1751. 


(XL) 


. Sitzung am 24. März zur Feier des Geburtsfestes 
Sr. Majestät des Kaisers und Königs. 

Hr. Mommsen eröffnete die Sitzung mit einer Festrede, in 
welcher er eine Parallele zwischen dem römischen Prineipat und der 
gegenwärtigen Monarchie zog und einen Rückblick auf die Ereig- 
nisse des vergangenen Jahres warf. Dieselbe ist im Monatsbericht 
abgedruckt. 

Hr. Curtius erstattete alsdann Bericht über die grölseren 
wissenschaftlichen Unternehmungen der philosophisch - historischen 
Klasse, in welchem von der Weiterführung der griechischen und 
der lateinischen Inschriftensammlung, der Palaeographie der rö- 
mischen Quadratschrift, der Ausgabe der griechischen Commenta- 
toren des Aristoteles, den Arbeiten des mit der Akademie verbun- 
denen Archaeologischen Instituts und der Herausgabe der politischen 
Correspondenz König Friedrichs Il. sowie der Staatsschriften aus 


seiner Regierungszeit, Rechenschaft abgelegt wurde. 


Sitzung am 30. Juni zur Feier des Leibniz’schen Jahrestages. 


Hr. Curtius eröffnete die Sitzung mit einem Vortrage, in 
welchem er an Leibniz’ ägyptisches Projeet anknüpfend, von der 
allmählich fortschreitenden Wiederentdeckung des Bodens der alten 
Geschichte und von der Betheiligung der verschiedenen Nationen 
Europas an dieser Aufgabe eine Uebersicht gab. Dann berichtete 
er über die Bopp-Stiftung, deren Jahresbetrag dielsmal dem Dr. 
Karl Geldner in Tübingen zur Unterstützung seimer Zendstudien 
verliehen worden ist. Hr. Mommsen verkündete den Erfolg der 
akademischen Preisbewerbung, und Hr. Waitz trug den Jahresbe- 
richt über die unter seiner Leitung stehenden Monumenta Germa- 
niae historica vor. Die Vorträge dieser Sitzung finden sich sämmt- 


lich ausführlich im Monatsbericht. 


(XLIN) 


Gesammtsitzungen der Akademie. 


Januar 6. Droysen, Projeet zu einer preulsischen Flotte 1751. 
(M. B.) 
Januar 13. Roth, petrographische Beiträge. (M.B.) 

B. Baginsky, über die Schwindelerschemungen nach 
Ohr-Verletzungen. Vorgelegt von du Bois-Rey- 
mond. (M.B.) 

H. Bruns, Bemerkungen über den Lichtwechsel der 
Sterne vom Algoltypus. Vorgelegt von Auwers. 
(M.B.) 

Januar 20. Weber, über neue Erwerbungen der Königl. Biblio- 
thek an indischen Handschriften. 

M. Westermaier, Beiträge zur Kenntnils des mecha- 
nischen Gewebesystems. Vorgelegt von Schwen- 
dener. (M.DB.) 

Februar 3. Pringsheim, zur Kritik der bisherigen Grundlagen 
der Assimilationstheorie der Pflanzen. (M.B.) 

J. M. Hildebrandt, magnetische Beobachtungen auf 
Madagascar, berechnet von Dr. O. Kersten. Vor- 
gelest von Virchow. (M.B.) 

Februar 10. Websky, über die Ableitung des krystallographischen 
Transformations-Symbols. (M. B.) 

E. Sachau, eme dreisprachige Inschrift aus Zebed. 
Vorgelegt von Dillmann. (M.B.) 


(XLIV) 


Februar 17. Helmholtz, über die auf das Innere magnetisch 
oder dielektrisch polarisirter Körper wirkenden 
Kräfte (M.B.) 
A. Christiani, experimentelle Beiträge zur Physio- 
logie des Kaninchenhirnes und seiner Nerven. 
Vorgelegt von du Bois-Reymond. (M.B.) 
Februar 24. Kuhn, Fortsetzung seiner Abhandlung über Zwerge 
als Lichtwesen. 
März 3. Zeller, über die Messung physischer Vorgänge. (Abh.) 
März 10. Duncker, über die Schlacht von Marathon. 
W. Zopf, über den genetischen Zusammenhang von 
Spaltpilzformen. Vorgelegt von Pringsheim. (M.B.) 
März 17. v. Sybel, über die Stammtafel der Amaler. 
März 31. Virchow, über die Weddas von Ceylon und ihre Be- 
ziehungen zu den Nachbarstämmen. (Abh.) 
H. Bücking, vorläufiger Bericht über die geologische 
Untersuchung von Olympia. Vorgelegt von Bey- 
rich. (M.B.) 
Lepsius, über die Wiedereröffnung zweier ägyptischer 
Pyramiden, nach Mittheilungen von Prof. Brugsch. 
(M.B.) 
April 7. Vahlen, Beiträge zur Berichtigung der Elegien des Pro- 
pertius. (M.B.) 
April 28. Waitz, über Herman von Torma und die Geschicht- 
schreibung der Stadt. 
Mai 12. G. Kirchhoff, über die Leitungsfähigkeit der Metalle für 
Wärme und Elektricität. 
C. Jirecek, Beiträge zur antiken Geographie und Epi- 
graphik von Bulgarien und Rumelien. Vorgelegt 
von Mommsen. (M.B.) 


(XLV) 


Juni 2. Schrader, über die Sargonsstele des Königlichen Mu- 
seums. (Abh.) 
Juni 23. Siemens, Beiträge zur Theorie des Elektromagnetis- 
mus. (M.B.) 
Juli 14. Schwendener, über Bau und Mechanik der Spaltöff- 
nungen. (M.B.) 
Juli 28. Conze, über die Zeit der Erbauung des grolsen Altars 
zu Pergamon. (M.B.) 
E. Goldstein, über den Zusammenhang zwischen Gas- 
dichte und Schichtintervall m Geilsler’schen Röh- 
ren. Vorgelegt von Helmholtz. (M.B.) 
October 27. Dillmann, über das Kalenderwesen der Israeliten 
vor dem babylonischen Exil. (M.B.) 
Lepsius, Bericht über den Fortgang der von E. 
. Naville unternommenen Herausgabe des Theba- 
nischen Todtenbuches. (M.B.) 
November 10. Roth, zur Geologie der Umgebung von Neapel. (M. B.) 
November 24. Eiehler, über die weiblichen Blüthen der Coni- 
ferenKt (36) 
M. Westermaier, Beiträge zur vergleichenden Ana- 
tomie der Pflanzen. Vorgel. von Schwendener.(M.B.) 
December 8. Schott, über die Röng oder Leptscha in Sikkim, 
mit besonderer Beziehung auf ihre Sprache. (AbA.) 
Virchow, über Funde in kaukasischen Gräbern. 
December 22. du Bois-Reymond, über die bisherigen Ergeb- 
nisse der von Hrn. Prof. Gustav Fritsch zur wei- 
teren Erforschung der elektrischen Organe der 
Fische unternommenen Reise. (M.B.) 
Kronecker, zur Theorie der elliptischen Functio- 


nen. (M.B.) 


(XLVI) 


Sitzungen der physikalisch-mathematisehen Klasse, 


Januar 24. Rammelsberg, experimentelle Grundlagen zur Theorie 

der Amalgamation. (M.B.) 
H. Kronecker & S. Meltzer, über den Schluckmecha- 
nismus und dessen nervöse Hemmungen. Vorge- 
legt von du Bois-Reymond. (M.B.) 
Februar 21. Reichert, über das Gefäls-System der Leber. 
Weierstrals, zur Functionenlehre. (Nachtrag.) (M. B.) 
Virchow, über die ethnologische Bedeutung des Os 
malare bipartitum. (JM. B.) 

März 11. Kronecker, Entwickelungen aus der Theorie der alge- 
braischen Gleichungen. 

. Hofmann, über die Einwirkung der Wärme auf die Am- 
moniumbasen. (M.B.) — Beiträge zur Kenntnils 
des Piperidins. (M. 2.) 

April'21. Hofmann, Beiträge zur Kenntnils des Coniins. (M.B.) 

Burmeister, Bericht über ein Skelet von Sceelidotherium 
leptocephalum. (NM. BD.) 

Th. Weyl, Beobachtungen über Zusammensetzung und 
Stoffwechsel des elektrischen Organs von Torpedo. 
Vorgelegt von du Bois-Reymond. (M.B.) 

K. Brandt, Untersuchungen an Radiolarien. Vorgelegt 
von du Bois-Reymond. (M.B.) 

Mai 5. Auwers, Resultate der vierjährigen meteorologischen Beob- 
achtungen auf dem Potsdamer Observatorium und 
ihrer Vergleichung mit den gleichzeitigen Berliner 
Beobachtungen. 


N 


(XLVII) 


Mai 19. Munk, über die Hörsphären der Grolshimmrinde. (M.B.) 
Peters, über die Chiropterengattung Mormopterus und 
die dahin gehörigen Arten. (M.B.) 
Juni 16. Pringsheim, über die primären Wirkungen des Lichtes 
auf die Vegetation. (M.B.) 
Kronecker, zur Theorie der Elimination einer Variabeln 
aus zwei algebraischen Gleichungen. (M.B.) 
Juli 7. Websky, über die Interpretation der empirischen Octaid- 
Symbole auf Rationalität. (M.B.) 
Hofmann, zur Geschichte der Pyridnbasen. (M.B.) 
E. Goldstein, über die Reflexion elektrischer Strahlen. 
(M.Bb.) — Ueber den Einfluls der Kathodenform 
auf die Vertheilung des Phosphorescenzlichtes Geils- 
ler’scher Röhren. Vorgelegt von Helmholtz. (M.B.) 
Ewald, über das Erdbeben von Chios. (M.B.) 
voth, über das Erdbeben von San Miguel. (M.B.) 
Juli 21. Helmholtz, weitere Studien über Polarisation des Platins. 
November 3. Helmholtz, über galvanische Polarisation des Queck- 
silbers und darauf bezügliche neue Versuche des 
Hrn. A. Koenig. (M.B.) 

Bauer, über eine Methode, die Brechungscoöfficien- 
ten emaxiger Krystalle zu bestimmen, und über 
die Brechungscoöfficienten des Brueits. Vorgelegt 
von Websky. (M.B.) 

Virchow, über mikronesische Schädel. (M.B.) 

November 17. Websky, über das Vorkommen von Phenakit in 
der Schweiz. (M.B.) 

December 1. Schwendener, über das Winden der Pflanzen. 
(M.B.) 


December 15. Munk, zur Physiologie der Grofshirnrinde. 


(XLVIM) 


Sitzungen der philosophisch- historischen Klasse. 


Januar 10. Mommsen, über die Geschichte der Legio III Augusta. 
Zachariae von Lingenthal, über eine lateinische 
Uebersetzung von Buch 53 der Basiliken. (M. B.) 


Februar 7. Duncker, über die Hufen der Spartiaten. (M.B.) 
März 7. Vahlen, über die Anfänge der Heroiden des Ovid. (AdA.) 
April 21. Waitz, über eime alte Genealogie der Welfen. (Abh.) 


Mai 5. Schrader, über Ladanum und Palme auf den assyrischen 
Monumenten. (M. B.) 
Dillmann, über eine neuentdeckte punische Inschrift. 


(M.B.) 


\ 
Mai 19. Schott, über die sogenannten Zaubersprüche der Finnen. 


(M. B.) 


Juni 16. Dillmann, über Baal mit dem weiblichen Artikel (# Baar). 
(M. B.) 
Zachariae von Lingenthal, Papyrusblätter vom Sinai- 
Kloster mit Bruchstücken griechisch - römischer 
Jurisprudenz. (M.B.) 
Imhoof-Blumer, die euböische Silberwährung. (M. B.) 
Olshausen, Forschungen auf dem Gebiete eränischer 


Sprachkunde. (MM. B.) 


(XLIX) 


Juli 7. Bohn, der Tempel der Athena Polias zu Athen. Vorgelegt 
von Conze. (Abh.) 
Zobel de Zangroniz, über die antike Numismatik Hispa- 
niens. Vorgelegt von Mommsen. (M.B.) 
Juli 21. v. Sybel, über Talleyrand’s Politik gegen Deutschland. 
October 20. Kiepert, über Pegolotti’s vorderasiatisches Itinerar. 
November 3. A. Kirchhoff, über die Reste einer aus Aegypten 
stammenden Handschrift des Euripides. (M.B.) 
November 17. Mommsen, über Ammiani Geographica. 
December 1. Weber, über die heilige Litteratur der Dschaina. 
December 15. Curtius, über die Mantik in Olympia. (Abh.) 
Bühler, über ein altes kürzlich im Panjäb gefun- 
denes SanskritMss. Mit Bemerkungen von Weber. 
(M.B.) 


Die mit M.B. bezeichneten Vorträge sind in den Monatsberichten, die mit 
Abh. in den Abhandlungen aus dem Jahre 1881 abgedruckt. Die übrigen sind in 
den akademischen Schriften nicht mitgetheilt. 


(L) 
IM. 


Akademische Preisfragen. 


Preisaufgabe der philosophisch-historischen Klasse vom Jahre 1878. 


In der öffentlichen Sitzung am Leibniztage des Jahres 1878 
war gemäls den Vorschriften der früheren Statuten von der phi- 
losophisch -historischen Klasse die folgende Preisaufgabe gestellt 
worden: 

Es sind die sämmtlichen bei Schriftstellern und auf Inschrif- 

ten erhaltenen Zeugnisse über das Zollwesen der römischen 

Kaiserzeit zusammenzustellen und danach die einzelnen Zoll- 

linien und Zollgebiete, ferner die Verwaltungsnormen des 

Zollwesens, insonderheit die Competenz der einzelnen Zoll- 

beamtenklassen und das Verhältnils der Zollpächter zu den 

kaiserlichen Controlebehörden nach Möglichkeit klarzulegen. 
Es sind in Bewerbung um diesen Preis rechtzeitig zwei Schriften 
eingegangen mit den Motti: 
1) Wo die Könige baun, haben die Kärrner zu thun; 
2) Cura non deesset, si qua ad verum via inqwirentem ferret. 

In Betreff des rechtlichen Fundaments stellt die Abhandlung I 
den leitenden Grundgedanken richtig an die Spitze, während II sich 
darüber schwankend und zum Theil irrend (insonderheit mit Ver- 
wechselung der res publicae und der res nullius) einführt. Damit 
hängt auch die bessere Methode der ersteren Schrift zusammen. 
In den Schluflsabschnitten ist hier ein achtbarer Versuch gemacht 
die Gesammtheit der Zollinstitutionen zu erfassen, die Stellung der 
Zolleinkünfte in dem Finanzsystem überhaupt und insbesondere 
die Theilung der Geschäfte zwischen der kaiserlichen Oberleitung 


und den Pachtgesellschaften zu bestimmen, ferner die Frage zu 


(LI) 


beantworten, inwiefern Stückzölle oder Werthzölle vorgekommen 
sind und welche Normen hierbei obgewaltet haben. Neben man- 
chem Unsicheren und Bedenklichen begegnen hier gute und wei- 
terführende Beobachtungen, zum Beispiel die Anknüpfung des con- 
trascriptor an den &vrıygapeis des Ptolemäerstaates. — Die zweite 
Abhandlung dagegen führt die Zollinstitutionen lediglich in örtli- 
cher Folge auf und gibt aufserhalb derselben nur nachträglich 
einige local nicht wohl unterzubringende Paralipomena. Es muls 
anerkannt werden, dafs jeder römische Zolldistriet, ähnlich wie jede 
Staatsprovinz, Seine eigenen Gesetze -und seine eigene Geschichte 
hat und dafs die Gefahr des irrigen Generalisirens hier bei zusam- 
menfassender Behandlung eine sehr grolse ist. Aber dennoch ist 
das Generalisiren in jeder Weise unvermeidlich. Es muls die 
Grenze gezogen werden zwischen den Reichszöllen und den gleich- 
artigen muniecipalen Abgaben, wie das rotarium; zwischen den Zöl- 
len und den wenigstens in Rom vorkommenden dem Oectroi ana- 
logen Abgaben. Es muls die Frage, inwiefern der Zoll auf dem 
Export oder dem Import lag, wenigstens insoweit beantwortet wer- 
den, dafs die einschlagenden Zeugnisse zusammengestellt werden, 
wenn auch vielleicht ein allgemeines System in dieser Hinsicht 
nicht bestanden hat oder doch nicht für uns erkennbar ist. Es 
muls die Verwaltungsorganisation dargelegt werden, die etwaige 
directe Hebung, resp. die Controle der Regierung, die Verdingung, 
die Hebungsnormen, die Verwaltung mit ihren socä, magistri, pro- 
magistri, contrascriptores, dispensatores, vilici, arcarü, so dals für je- 
des einzelne Institut übersichtlich vorliegt, was wir davon wissen, 
und einigermaalsen ermessen werden kann, wie weit hier allge- 
meine Normen bestanden haben und erkennbar sind. Zu allem 
diesem liefert die zweite Abhandlung wohl das Material; aber für 


die Zusammenfassung ist hier nicht das Nöthige geschehen. 


bz 


(LI) 


Auf der anderen Seite ist die Überlegenheit der Abhand- 
lung II unbestreitbar. Das Material für die Verwaltungsorganisa- 
tion ist in der ersten in bei weitem geringerer Fülle und mit weit 
geringerer Beherrschung der inschriftlichen wie der schriftstelleri- 
schen Zeugnisse zusammengestellt als in der zweiten. Überall 
zeigt sich in dieser eigene emdringende Untersuchung, die man- 
che bisher übersehene Notiz aus Steinen oder Büchern zuerst an 
ihre rechte Stelle bringt. Die ganz entscheidende Frage, ob die 
Reichszölle lediglich an den Grenzen der Reichszolldistriete oder 
auch an innerhalb derselben gezogenen Linien erhoben worden 
sind, ist in der Abhandlung I kurzweg im letzteren Sinne entschie- 
den; die Abhandlung II dagegen prüft mit grolser Schärfe die für 
die zweite Alternative in Betracht kommenden Daten und verneint 
sie mit gutem Grund im Allgemeinen, während einzelne Abwei- 
chungen für Aegypten und namentlich für Dacien in scharfsinni- 
ger Weise erklärt werden. Während die erste Arbeit sich den 
Specialdaten gegenüber im Allgemeinen receptiv verhält und nur 
versucht sie zu registriren und das Facit daraus zu ziehen, wird 
in der zweiten jede einzelne Aufstellung mit emer zuweilen allzu 
grolsen Bedenklichkeit nachgeprüft und die Bausteine durchgängig 
zurechtgelegt, wenn auch das Gebäude selbst unvollendet er- 
scheint. 

In Erwägung dieser Momente ertheilt die Akademie der 
zweiten mit dem Motto Cura non deesset bezeichneten den Preis, 
indem sie dem Verfasser anempfiehlt für den Fall der Veröffent- 
lichung das Schema in dem oben bezeichneten Sinn umzugestal- 
ten. Der unter I aufgeführten Arbeit wird, mit Rücksicht darauf, 
dals wenn sie allein vorläge, sie des Preises würdig erscheinen 


würde, gleichzeitig das Accessit zuerkannt. 


(LI) 


Die Eröffnung des versiegelten Zettels der mit dem Preis 
gekrönten Abhandlung ergab Hm. Dr. Hermann Dessau, z. Zt. 
in Rom, als Verfasser. Dem Verfasser der anderen wird es anheim- 
gestellt, seinen Namen zum Zweck der Bekanntmachung desselben 
in den Monatsberichten der Akademie mitzutheilen. 


Preisaufgabe der physikalisch-mathematischen Klasse vom Jahre 


1875 bez. 1878. 


Auf die zuerst am Leibniztage des Jahres 1875 gestellte und 
im Jahre 1878 erneuert gestellte Preisfrage: 


„In welchen Verbindungen findet sich der Kalk im Blute 
der Säugethiere und der Vögel? und wie geschieht der 
chemische Niederschlag seiner Salze in die Gewebe, na- 
mentlich in die Knochen?“ 


ist der Akademie keine Antwort zugegangen. 


Die Preisfrage ist hiermit zurückgezogen. 


(LIV) 


IM: 


Verzeichnils der im Jahre 1881 erfolgten besonderen Geld- 
bewilligungen aus akademischen Mitteln zur Ausführung 
oder Unterstützung wissenschaftlicher Unternehmungen. 


4500 Mark 


3000 


1500 


4500 


500 


3100 


2000 


1200 


” 


dem Mitgliede der Akademie Hrn. A. Kirchhoff zur 
Fortsetzung des Corpus Inseriptionum Graecarum. 
dem Mitgliede der Akademie Hrn. Mommsen zur 
Herstellung von Supplementen zum Corpus Inseriptio- 
num Latinarum. 

demselben zur Fortführung der Prosopographie der 
römischen Kaiserzeit. 

den Mitgliedern der Akademie HHrn. Zeller, Bo- 
nitz und Vahlen zur Fortsetzung der Arbeiten für 
eine kritische Ausgabe der griechischen Commentatoren 
des Aristoteles. 

den Mitgliedern der Akademie HHın. Droysen, 
Duncker und v. Sybel zur Fortsetzung der Heraus- 
gabe der politischen Correspondenz Friedrich’s I. 
denselben zur weiteren Vorbereitung der Heraus- 
gabe der Staatsschriften aus der Regierungszeit Frie- 
drich’s Il. 

dem Mitgliede der Akademie Hrn. Weierstrals zur 
Herausgabe der Schriften Jacobi’. 

dem Mitgliede der Akademie Hrn. Roth zum Ab- 
schlufs seiner Untersuchungen über den Vesuv. 

dem Hrn. Professor Hübner in Charlottenburg als 
Jahreszuschuls zu den aus allgemeinen Staatsfonds für 
die Palaeographie der römischen Quadratschrift bewil- 


ligten Mitteln. 


u no 


1000 Mark 


2000 


4500 


1200 


700 


1000 


2000 


600 


300 


600 


b)) 


>] 


” 


” 


(LV) 


dem Hrn. Professor Dr. Hartmann m Berlin als 
fernerer Zuschuls zur Herausgabe seines Werkes über 
den Gorilla. 

dem Hrn. Dr. von Heldreich in Athen zur Heraus- 
gabe einer Flora graeca classica. 

dem Hrn. Professor Dr. Graff im Aschaffenburg zur 
Herausgabe seines mit Unterstützung der Akademie 
bearbeiteten Werkes über die Turbellarien. 

dem Hrn. Professor Dr. Dohrn in Neapel zur Her- 
ausgabe der Jahresberichte der zoologischen Station in 
Neapel über die Fortschritte der Zoologie im Jahre 1879. 
dem Hın. Professor Dr. Dames in Berlin zur Unter- 
suchung der Stembrüche in Pikermi bei Athen. 
dem Hrn. Dr. Eugen Goldstein m Berlin als fer- 
nere Unterstützung zu Untersuchungen über das elek- 
trische Licht. 

dem Hrm. Professor Dr. Schmitz in Bonn zu Unter- 
suchungen über Fructification der Florideen. 

dem Hın. Dr. von Pflugk-Harttung m Tübingen zu 
Forschungen in italiänischen Archiven, päpstliche Ur- 
kunden betreffend. 

dem Hrn. A. Krause in Tripolis zu Untersuchungen 
über africanische Sprachen. 

der Hahn’schen Buchhandlung in Hannover zur 
Herausgabe der tironischen Noten. 

dem Hın. Dr. Hinrichs in Berlin zur Vergleichung 
einer Nibelungenhandschrift in Wien. 

dem Hrn. Professor Dr. Oldenberg in Berlin als fer- 
nere Unterstützung zur Herausgabe des Vinaya Pitaka, 


für den dritten Band. 


(LVI) 


Y. 


Veränderungen im Personalstande der Akademie im Laufe 
des Jahres 1881. 


Gewählt wurden: 

Hr. Hans Landolt, als ordentliches Mitglied der physikalisch - ma- 
thematischen Klasse, am 28. Juli, bestätigt durch Königl. 
Cabinetsordre vom 15. August 1881; 


AlelfiEobler als ordentliche Mitglieder der phi- 


losophisch-historischen Klasse, am 
Wilhelm Wattenbach ! 
” | 

J 


6 28. Juli, bestätigt durch Königl. Ca- 
„ Hermann Diels £ 7 5 
binetsordre vom 15. August 1881; 
zu correspondirenden Mitgliedern der physikalisch-mathe- 
matischen Klasse: 

Hr. Eugenio Beltrami in Pavia am 6. Januar 1881, 

„ Enrico Betti in Pisa am 6. Januar 1881, 

„ Francesco Brioschi in Mailand am 6. Januar 1881, 

„ Lazarus Fuchs in Heidelberg am 6. Januar 1881, 

„ Heinrich Schroeter in Breslau am 6. Januar 1881, 

„ Heinrich Wild in St. Petersburg am 6. Januar 1881, 

„ Franz Ritter von Hauer in Wien am 3. März 1881, 

„ Theodor Kjerulf in Christiania am 3. März 1881, 

„ Ferdinand Freiherr von Richthofen m Bonn am 3. März 

1881, 
„ Gustav Tschermak in Wien am 3. März 1881. 


gu FR. Win: 


Dr 


(LVII) 


Gestorben sind: 


das ordentliche Mitglied der philosophisch - historischen 
Klasse 
Adalbert Kuhn am 5. Mai 1881; 


die correspondirenden Mitglieder der physikalisch - mathe- 


matischen Klasse 


. Henri Sainte-Claire Deville in Paris am 1. Juli 1881, 


Heinrich Eduard Heine in Halle am 24. October 1881; 


die correspondirenden Mitglieder der philosophisch-histori- 


schen Klasse 


“ Jacob Bernays in Bonn am 26. Mai 1881, 


Bernhard Dorn in St. Petersburg am 31. Mai 1881, 
Theodor Benfey in Göttingen am 26. Juni 1881, 
Hermann Lotze in Berlin am 1. Juli 1881, 
Theodor Bergk in Bonn am 20. Juli 1881, 
Ferdinand Keller in Zürich am 21. Juli 1881. 


(LVM) 


v1. 


Verzeiehniss 


der 


Mitglieder der Akademie der Wissenschaften 


am Schlusse des Jahres 1881. 


I. Beständige Secretare. 


Hr. du Bois- Reymond, Secr. der phys.-math. Klasse. 
- Curtius, Secer. der phil.-hist. Klasse. 

- Mommsen, Secr. der phil.-hist. Klasse. 

- Auwers, Secr. der phys.-math. Klasse. 


II. Ordentliche Mitglieder 


der physikalisch-mathematischen der philosophisch-historischen Datum der Königlichen 
Klasse. Klasse. Bestätigung. 
mn Sn 2 


Hr. Leopold v. Ranke . . . 1832 Febr. 13. 
- Wilhelm Schott . . . . 1841 März 9. 


EI IGotRalyRHOgen en SAD ın28: 
9 Po® Theophel Raele.. » » she ec, Sa BA UHITZR: 
- Richard Lepsius . . . . 1850 Mai 18. 

- Emil. dw. Bois-Reymond . .. 2.0 era enenalıe ie, 1857 März 5. 
= + Walhelm. Poters, 2 aa ee ee lsoles Märzea: 
- Heinrich Kiepert . . . . 1853 Juli 25. 

= HeummBanst Beymiche 2 20 en ea: 
=. Jul VRR ERBOLGEN ver u ke en RT a u ASS Amen! 
= Karl! Emear. Rammelsberg 2 SE 8er Aue: 
— Elnnet, Eduand. Kummer 22 raeaalDer id: 
- Karl Weierstra/s . » . .»..- DEE NoyzlR 


- Albrecht Weber . . . „ 1857 Aug. 24. 


(LIX) 


der physikalisch-mathematischen der philosophisch-historischen Datum der Königlichen 


Klasse. Klasse. Bestätigung. 


u 


Hr. Theodor Mommsen . . . 1858 April 27. 
RITTER. „Ad 1859 April 4. 

- Justus Olshausen . . . . 1860 März 7. 
- Adolf Kirchof . . . . 1860 März 7. 
RAR 1L.1 50 WRBRS 7% »1ERalD.2 8 

- Ernst Curtius . . . . . 1862 März 3. 
- Karl Müllenhof . . . . 1864 Febr. 3. 
-lAugıäWelh: Hofmann. ı 0 = a 2.00 nu) au 8 Marı27. 


Hr. Karl Bogislaus Reichert 


- Leopold Kronecker 


= Arthur Aumers nn nur ABTEI AELS. 
- Joh. Gust. Droysen . . . 1867 Febr. 9. 
ENTER ENT EEE NE MN Mer Aprilm22: 


- Hermann Bonitz . . . . 1867 Dee. 27. 
- _Nathanael Prengeheam. u ad 0 2.2.0. 0.1868 Aug. 17. 
Br Gustav Robert Kurchhof: - NM... » 2. 2.2.0... .1870 März 19. 
- Hermann Helmholtz . na ARE ERS un. 
-ı Eduard Zeller. . . . . 1872 Dec. 9. 
= Mas Duncker . .,.. . . 1873 Mai 14. 
= Werner Siemens -» 2 0 nn ee Rau DeEuH22. 
- Rudolph Virchow . ae en ae in in .ell80dr  Deel 22. 
- Johannes Vahlen . . . . 1874 Dee. 16. 
RG er ante 222.2. 18Xor April" 3. 
ee are Man. 
- Eberhard Schradee . . . 1875 Juni 14. 
- Heinrich von Sybel . . . 1875 Dec. 20. 
- August Dillmann. . . . 1877 März 28. 
- Alexander Conze . ». » . 1877 April 23. 
= Simon" Sohiwendener » nn na a a nn A rg ee. 
— Hermann Munk » = 2 20. 20000, Et Mrz LO 
- August Wilhelm Eichler en RR TE 10. 
=, ‚Adolj; Tobler I. m ESP AUFAL 9: 


- Martin Websky 


- Wilhelm Wattenbach . . 1881 Ausg. 15. 
- Hermann Diels . . . . 1881 Ausg. 15. 
Hanser DI ee ug... 


(LX) 


III. Auswärtige Mitglieder 


der physikalisch-mathematischen Klasse. 


Hr. 


Sir 


Hr. 


Friedr. Wöhler in Göttingen 

Franz Neumann in Königs- 
beit Al. u 

Robert Wilhelm Bunsen ın 
Heidelberg 


Wilhelm Weber in Göttingen . 


Hermann Kopp in Heidel- 
berg ee R 


Joseph Liowville in Paris . 


Charles Darwin ın Down 
bei London. f 
Richard Owen in London 
George Biddell Airy in 
Blackheath bei London . 
Jean- Baptiste Dumas in 

Baris: - 


der philosophisch-historischen Klasse. 


Sir Henry Rawlinson in 
London 


Hr. Franz Ritter v. Miklosich 


in Wien . 
- Lebrecht Fleischer ın 


Leipzig . 


- (Giovanni Battista de Rossi 


in Rom . 


- August Friedrich Pott ın 


Halle a. S.. 


Datum der Königl. 
Bestätigung. 


1850 Mai 18. 
1855 Aug. 15. 


1858 Aug. 18. 
1862 März 3. 


1862 März 24. 
1863 Juli 11. 


1874 April 20. 
1874 Mai 13. 


1875 Juli 9. 
1876 März 15. 


1877 Aug. 17. 


1878 Dee. 2. 
1878 Dee. 2. 


1879 Febr. 8. 


1880 Aug. 16. 


(LXI) 


IV. Ehren-Mitglieder. 


Datum der Königlichen 
Bestätigung. 


ErPpeters Meman ın Basel » » » 2 2 2 un... 1845 März 8. 
- Peter von Tschichatschef m Florenz . . . 1853 Aug. 22. 
- Graf Rudolph von Stillfried-Rattonitz in Benin. 1854 Juli 22. 
Sir Zdward Sabine n London . . ..... . 1855 Aug. 15. 
Hr. Graf Helmuth v. Molike in Berlin. . . . . . 1860 Juni 2. 
Don Baldassare Boncompagni n Rom. . . . . .. 1862 Juli 21. 
Hr. Johann Jakob Baeyer in Berlin. . . . . . . 1865 Mai 27. 


Georg Hanssen in Göttingen. . . . » . . . 1869 April. 
Julius Friedlaender in Berlin . . . . . . ... 1875 Febr. 10 
Carl Johann Malmsten m Upsala. . . . . . 1880 Dee. 15. 


(LXII) 


V. Correspondirende Mitglieder, 


Physikalisch-mathematische Klasse. 


Hr. Hermann Abich in Wien 


Eugenio Beltrami ın Pavia . 

P. J. van Beneden ın Löwen 

George Bentham in Kew 

Enrico Betti ın Pisa RENTE 
Theodor Ludwig Bischof in München 
Jean-Baptiste Boussingault in Paris . 
Francesco Brioschi in Mailand 

Ole Jacob Broch in Christiania . 
Ernst von Brücke in Wien . 2 
Hermann Burmeister in Buenos Ayres . 
Auguste Cahours in Paris 

Arthur Cayley in Cambridge . 

Michel- Eugene Chevreul in Paris 
Elvein Bruno Christofel in Strafsburg 
Rudolph Clausius in Bonn . 

James Dana in New Haven . 

Anton De Bary in Stralsburg 
Alphonse De Candolle in Genf 


Ernst Heinrich Karl von Dechen in Bonn . 


Richard Dedekind in Braunschweig 
Franz Cornelius Donders in Utrecht . 
Gustav Theodor Fechner in Leipzig . 
Lowis-Hippolyte Fizeau in Paris 
Edward Frankland ın London 
Lazarus Fuchs in Heidelberg . 
Heinrich Robert Göppert in Breslau 
Asa Gray in Cambridge, N. America 


Datum der Wahl. 
— Ve 


1858 Oct. 14. 
1881 Jan. 6. 
1855 Juli 26. 
1855 Juli 26. 
1881 Jan. 6. 
1854 April 27. 
1856 April 24. 
1881 Jan. 6. 
1876 Febr. 3. 
1854 April 27. 
1874 April 16. 
1867 Dee. 19. 
1866 Juli 26. 
1834 Juni 5. 
1868 April 2. 
1876 März 30. 
1855 Juli 26. 
1878 Dee. 12. 
1874 April 16. 
1842 Febr. 3. 
1880 März 11. 
1373 April 3. 
1841 März 25. 
1863 Aug. 6. 
1875 Nov. 18. 
1881 Jan. 6. 
1839 Juni 6. 
1855 Juli 26. 


Er 


Franz von Hauer ın Wien . Ä 
Friedrich Gustav Jacob Henle ın Göttingen e 
Charles Hermite ın Paris 

Joseph Dalton Hooker in Kew 


. Thomas Huxley in London 


Joseph Hyrtl in Wien 

August KekulE ın Bonn . 

Theodor Kjerulf in Christiania 

Albert von Kölliker in Würzburg . 

August Kundt in Stralsburg . 

Rudolph Lipschitz in Bonn. 8 

Sven Ludvig Loven in Stockholm . 

Karl Ludwig in Leipzig 

Charles Marignac in Genf . 

Henri Milne Edwards m Paris . : 

J. @. Mulder ın Bennekom bei Wegerkigen 
Karl Nägeli in München 

Eduard Pflüger in Bonn 

Joseph Plateau ın Gent . > 
Friedrich August von (Quenstedt ın inbinzen. 
Georg Quincke in Heidelberg 

Gerhard vom Rath in Bonn 

Ferdinand von Richthofen in Bonn 
Ferdinand Römer in Breslau . 

Georg Rosenhain in Königsberg. 

George Salmon in Dublin . 

Arcangelo Scacchi in Neapel . Bar 
Ernst Christian Julius Schering ın Gainesn 
Giovanni Virginio Schiaparelli in Mailand 
Ludwig Schläfli in Bern. 

Hermann Schlegel in Leiden 

Heinrich Schröter in Breslau . 

Theodor Schwann ın Lüttich . 

Philipp Ludwig Seidel in München i 
Karl Theodor Ernst von Siebold in München 
Henry J. Stephen Smith in Oxford 

Japetus Steenstrup in Kopenhagen . 

George Gabriel Stokes in Cambridge . 

Otto Struve in Pulkowa . 


(LXIM) 


Datum der Wahl. 


1881 
1873 
1859 
1854 
1865 
1857 
1875 
1881 
1875 
1879 
1872 
1875 
1864 
1865 
1847 
1845 
1874 
1873 
1869 
1868 
1879 
1871 
1881 
1869 
1859 
1875 
1872 
1875 
1879 
1873 
1865 
1881 
1854 
1863 
1841 
1880 
1859 
1859 
1868 


März 3. 
April 3. 
Aus. 11. 
Juni 1. 
Aus. 3. 
Jan. 15. 
Nov. 18. 
März 3. 
April 3. 
März 13. 
April 18. 
Juli 8. 
Oct. 27. 
März 30. 
April 15. 
Jan. 23. 
April 16. 
Apnil 3. 
April 29. 
April 2. 
März 13. 
Juli 13. 
März 3. 
Juni 3. 
Aug. 11. 
Juni 
April 18 : 
Juli 8 

Oct. 23. 
Juni 12. 
Nov. 13 
Jan. 6. 
Apnil 17. 
Juli 16. 
März 15. 
April 15. 
Juli. 11. 
April 7. 
April 2 


(LXIV) 


Hr. 


Sir 
Hr. 


Bernhard Studer in Bern 

James Joseph Sylvester in Baltimore . 
William Thomson in Glasgow 

August Töpler in Dresden . i 
Pafnutij; Tschebyschew in St. ee 
Gustav Tschermak in Wien 

Lowis-Rene Tulasne ın Paris . 


Gustav Wiedemann in Leipzig 
Heinrich Wild in St. Petersburg 


Alexander William Wilkamson ın London . 


August Winnecke in Stralsburg 
Adolphe Würtz m Paris . 


Philosophisch-historische Klasse. 


. Theodor Aufrecht in Bonn . 


George Bancroft in Washington . 
Samuel Birch in London 

Otto Boehtlingk in Jena . : 
Heinrich Brugsch in Charlotfonbere 5 
Heinrich Brunn in München . 

Georg Bühler in Wien 

Giuseppe Canale in Genua 

Antonio Maria Ceriani in stand 
Alexander Cunningham in London 
Georg Curtius in Leipzig . 

Leopold Delisle in Paris 5 
Lorenz Diefenbach in Darmstadt 
Wilhelm Dindorf in Leipzig . 

Emile Egger ın Paris . 

Petros Eustratiades in Athen . 
Giuseppe Fiorelli in Rom . ! 
Karl Immanuel Gerhardt in Eisleben. 
Wilhelm von Güesebrecht in München 


Datum der Wahl. 
— m —— ——— 


1845 Jan. 13. 
1866 Juli 26. 
1871 Juli 13. 
1879 März 13. 
1871 Juli 13. 
1881 März 3. 
1869 April 29. 
1879 März 13. 
1881 Jan. 6. 
1875 Nov. 18. 
1879 Oct. 23. 
1859 März 10. 


1864 Febr. 11. 
1845 Febr. 27 
1851 April 10. 
1855 Mai 10. 
1873 Febr. 13. 
1866 Juli 26. 
1878 April 11. 
1862 März 13. 
1869 Nov. 4 
1875 Juni 17. 
1869 Nov. 4. 
1867 Apnil 11. 
18617 Janmal: 
1846 Dee. 17. 
1867 April 11. 
1870 Nov. 3. 
1865 Jan. 12 
1861 Jan. 31 
1859 Juni 30. 


. Konrad Gislason in Kopenhagen 


Graf Giambattista Carlo Giuhari in va 


Aureliano Fernandez Guerra y Orbe in Madrid. 


Karl Halm ın München . 

Friedrich Wilh. Karl Hegel in Eilhngeih 
Emil Heitz in Stralsburg 

Wilhelm Henzen in Rom 

Broer Emil Hildebrand in Stoskiinmn 
Paul Hunfalvy in Pesth.. : 
Ferdinand Imhoof- Blumer in Wihtertlür 
Vatroslav Jagit in St. Petersburg . 
Willem Jonckbloet im Haag 

Franz Kielhorn in Poonah 

Ulrich Koehler in Athen 

Sigismund Wilhelm Koelle in T:andank 
Stephanos Kumanudes m Athen 
Konrad Leemans ın Leiden 

Adrien de Longperier in Paris 

Elias Lönnrot in Helsingfors . 

Giacomo Lumbroso in Rom : 
Johann Nicolas Madvig ın Bopahkägen 
Henri Martin ın Rennes 

Giulio Minervini in Neapel 

Ludvig Müller in Kopenhagen 

Max Müller in Oxford 

John Mwir in Edinburgh 

August Nauck in St. Petersburg 
Charles Newton in London 

Theodor Nöldeke ın Stralsburg . 
Julius Oppert in Paris 

Karl von Prantl ın München 

Rizo Rangabe in Berlin . 

Felix Ravaisson ın Paris 

Adolphe Regnier ın Paris 

Ernest Renan ın Paris 

Leon Renier in Paris . 


Alfred von Reumont in Burscheid) bei Aachen 


Georg Rosen in Detmold 
Rudolph Roth in Tübingen 


Datum der Wahl. 


1854 
1867 
1861 

1870 
1876 
1871 

1853 
1845 
1873 
1879 
1880 
1864 
1380 
1870 
1855 
1870 
1844 
1857 
1850 
1874 
1836 
1855 
1852 
1866 
1865 
1870 
1861 
1861 
1878 
1862 
1874 

1851 

1847 
1867 
1859 
1859 
1554 
1858 
1861 


März 2. 
April 11. 
Mai 30. 
Jan. 13. 
April 6. 
Juli 20 
Juni 16. 
Febr. 27 
Febr. 13 
Juni 19. 
Dee. 16. 
Febr. 11 
Dee. 16. 
Nov. 3. 
Mai 10. 
Nov. 3. 
Mai 9. 
Juli 30. 
April 25. 
Nov. 3. 
Juni 23. 
Mai 10. 
Juni 17. 
Juli 26. 
Jan. 12. 
Nov. 3. 
Mai 30. 
Jan. 31. 
Febr. 14. 
März 13. 
Febr. 12. 
April 10. 
Juni 10. 
Jan. 17. 
Juni 30. 
Juni 30. 
Juni 15. 
März 25. 
Jan. 31. 
d 


(LXVI) 


. Eugene de Roziöre in Paris 


Hermann Sauppe in Göttingen . 


Arnold Schäfer in Bonn 


Adolph Friedr. Heinr. Schaumann in Hannover 


Wilhelm Scherer in Berlin . 

Theodor Sickel in Wien . 

Friedrich Spiegel in Erlangen . 

Aloys Sprenger in Heidelberg 

Adolf Friedrich Stenzler m Breslau 

Ludolf Stephani in St. Petersburg 

Theodore Hersant de la Vellemargue in Adi 
Louis Vivien de Saint- Martin in Versailles . 
Matthias de Vries in Leiden . 

William Waddington in Paris 

Natalis de Wailly in Paris 

Friedrich Wieseler in Göttingen . 

Wilham Dwight Whitney in New Hayeh 
Jean-Joseph-Marie- Antoine de Witte mn Paris . 
William Wright in Cambridge 

Ferdinand Wüstenfeld in Göttingen : 

K. E. Zachariae von Lingenthal in Branchen 


Datum der Wahl. 


I 


1864 Febr. 11. 
1861 Jan. 31. 
1874 Febr. 12. 
1861 Jan. 31. 
1875 April 8. 
1876 April 6. 
1862 März 13. 
1858 März 25. 
1566 Febr. 15. 
1875 Juni 17. 
1851 April 10. 
1867 April 11. 
1861 Jan. 31. 
1866 Febr. 15. 
1858 März 25. 
1879 Febr. 27. 
1873 Febr. 13. 
1845 Febr. 27. 
1868 Nov. 5. 
1879 Febr. 27. 
1866 Juli 26. 


PHYSIKALISCHE 


ABHANDLUNGEN 


KÖNIGLICHEN 


AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 
ZU BERLIN. 


AUS DEM JAHRE 


BERLIN. 
VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 


1882. 


BUCHDRUCKEREI DER KÖNIGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN (G. VOGT). 


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Ueber die Weddas von Ceylon und ihre Beziehungen 


zu den Nachbarstämmen. 


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i Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 31. März 1881. 
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IL dem bunten Gemisch von Völkerstämmen, welche die Insel 
Ceylon bewohnen, ist in der Betrachtung der Ethnographen schon seit 
langer Zeit ein Stamm besonders hervorgetreten, der der Weddas!) 
(Vaeddas, Veddas, Veddahs, Vaddahs, Vaidahs, Beddas, Bedas), weil er 
durch den niederen Stand seiner geistigen Entwickelung und durch die 
Mängel seiner körperlichen Bildung am meisten der Vermuthung Raum 
bot, dafs in ıhm ein Rest der Urbevölkerung sich erhalten habe. Gegen- 
wärtig, wo nach allen Nachrichten der Bestand desselben sich so schnell 
vermindert, dafs wahrscheinlich in nicht ferner Zeit seine letzten Glieder 
aus der Zahl der Lebenden verschwunden sein werden, knüpft sich noch das 
besondere Interesse an die Untersuchung, dafs es gilt, für die Nachwelt 
wenigstens ein sicheres Bild seiner Eigenthümlichkeit zu retten. Dazu 
genügt das vorhandene Material keineswegs, und die Aufgabe der nach- 
stehenden Erörterungen wird es daher sein, nicht nur zu sammeln, was 
gegenwärtig zu erreichen war, sondern auch die Lücken zu bezeichnen, welche 
nur durch weitere Localforschung ausgefüllt werden können. Hoffentlich 
wird dadurch die Anregung gegeben werden, so schnell als möglich alle 
Mittel anzusetzen, um die nöthige Vervollständigung der Thatsachen her- 
beizuschaffen. 


1) Ich folge in der Schreibung des Namens dem neuesten Berichterstatter, Hrn. 
Hartshorne. 


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4 Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Die Weddas bewohnen, wenigstens schon seit Jahrhunderten, 
ein besonderes Gebiet in dem östlichen oder genauer südöstlichen 
Theile der Insel. Schon Robert Knox!), welcher die ersten genaueren 
Nachrichten über sie im Jahre 1681 geliefert hat, versetzt sie in die 
Wälder von Bintan (Bintenne). John Davy?) läfst sie in dem ersten 
Drittel dieses Jahrhunderts die weiten Wälder auf der Südostseite der 
Insel, zwischen dem Gebirge nnd der See, bewohnen, hauptsächlich die 
wilden und ungesunden Landstriche, welche Weddahratte von Bintenney 
und Mahaveddahratte von Ouva genannt würden. Diese betrachteten sie 
als das ihnen eigene Gebiet. Im Ganzen dürfte diese Abgrenzung 
auch noch heute zutreffen. Sir Emerson Tennent?) und Hr. Bertram 
F. Hartshornet) geben an, dafs sich das Wedda-Land in einer Länge 
von etwa 90 und einer Breite von 40 englischen Meilen von den Hügeln 
der Distrikte Ouvah und Medamahanuwara gegen Osten bis zur Seeküste 
erstrecke, und Hr. Pridham?°), der die Fläche auf nahezu 1500 Quadrat- 
meilen (engl.) schätzt, bezeichnet die Grenzen noch genauer so, dafs er 
im Osten Baticalo, im Süden die Distrikte von Mahagampattoo und Ouva, 
im Westen und Südwesten die Gebirge von Kandy, im Norden den Flufs 
Mahavelle-Ganga angiebt. Hr. John Bailey) berichtet, dafs die meisten 
wirklichen Weddas in den Distrikten von Batticaloa und Badulla, und 
zwar besonders in dem ersteren, wohnen, wobei jedoch zu bemerken ist, 
dafs nach der neueren Eintheilung des Landes ein Theil von Bintenne zu 
dem Distrikt Badulla, der gröfsere zu dem Distrikt Batticaloa geschlagen 


1) Robert Knox. An historical relation of the Island of Ceylon in the East 
Indies. London 1817. p. 9, 122. (Neue Ausgabe, abgedruckt in Philalethes The 
history of Ceylon from the earliest period to the year MDCCCXV. London 1817.) 

2) John Davy. An account of the interior of Ceylon and of its inhabitants, 
with travels in that island. London 1821. p. 115—116. 

%) James Emerson Tennent. Ceylon. An account of the island, physical, histo- 
rical and topographical.e. London 1359. Vol. II. p. 437. ; 

*) Hartshorne in The Fortnightly Review. London 1876. New Series. Vol. 
XIX. p. 406, 411. 

°) Charles Pridham. An historical, political and statistical account of Ceylon 
and its dependencies. London 1849. Vol. I. p. 452. 

6) Bailey in: Transactions of the Ethnologieal Society. London 1863. New 
Series. Vol. II. p. 278. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 5 


ist!). Die „wildere“ Abtheilung des Stammes lebe in dem durch Schön- 
heit ausgezeichneten Distrikt von Nilgala und in den Wäldern von 
Bintenne. 

Indefs sprechen vielerlei Zeugnisse dafür, dafs in nicht zu ferner 
Zeit die Weddas über ein weit gröfseres Gebiet verbreitet waren. Der 
Name Wedda-Land (Weddirata, Veddah Ratta) haftete noch zur Zeit des 
Hrn. Bailey (1863) an ausgedehnten Bezirken im Nordosten der Kandy-Berge, 
welche aber nicht mehr von Weddas, sondern von Sinhalesen (Wanniahs) 
bewohnt wurden. Auch die Bezeichnung Mahaveddahratt& (grofses Wedda- 
Land) scheint einen etwas dehnbaren Begriff zu haben. Davy, der es 
an einer Stelle nach Ouva verlegt, rechnet ihm an einer anderen Stelle?) 
auch das ausgedehnte Niederland zu, in welchem der sogenannte „See“ 
von Bintenne liegt. Hr. Pridham, der freilich nicht selbst in Ceylon 
war, setzt das Mahaveddahratte nach Wellass€ und einem Theil von Ouvah. 
Indefs dies sind mehr untergeordnete Anhaltspunkte. Wichtiger sind 
einzelne ältere Angaben. 

So erzählt Cordiner?), nachdem er die eigentlichen Weddas er- 
wähnt hat: Another race, of a similar description, formerly existed in the 
district of the Wanny, bordering on the province of Jaffnapatam. They are 
now, in some degree, civilized. Sie sprächen Malabar und hielten sich 
zur brahminischen Religion. An einer anderen Stelle*) giebt er geradezu 
an, bei der Ankunft der Portugiesen hätten die „Bedahs“ im Norden, die 
Cingalesen im Süden gewohnt. Diese Angabe würde darthun, dafs die 
Weddas früher viel weiter nach Norden hinaufreichten. Aber auch nach 
Süden und selbst nach Südwesten hin wird ihre frühere Anwesenheit 
bezeugt. Schon Knox>5) erzählt, dafs um Hourly, die entfernteste Be- 
sitzung des Königs von Kandy, zahlreiche Weddas, jedoch gezähmte 
(pretty tame) lebten, und Valentijn®) nennt aufser Vintana und Hoerli 


1) Bailey 1. c. p. 281 note. 

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%3) James Cordiner. A description of Ceylon. London 1807. Vol. I. p. 91. 

*) Ebendaselbst. p. 137. 

DEIRSToxS lc nSgR2. 

%) Francois Valentijn. Oud en Nieuw Oost-Indie. Dordr. en Amsterdam 1726. 
Deel V. Ceylon p. 49. 


6 VırcHow: DÜeber die Weddas von Ceylon 


noch einen Bezirk der Bedas nördlicher als Trincomale. Bergk, der 
Uebersetzer des Werkes von Pereival!), erwähnt, dafs nach einer An- 
gabe von van Goens bei Salmon die Bedahs fast das ganze Land 
zwischen dem „Gebirge“ Candukarre im Westen und Passere im Norden 
inne hätten, und Percival selbst?) rechnet zu ihnen nicht nur diejenigen, 
welche an den Bezirk Jaffnapatam stofsen, sondern auch die Stämme, 
welche die westlichen und südwestlichen Theile der Insel zwischen dem 
Adamspik und den Corles Raygam und Pasdam bewohnen. 

In Bezug auf diese Angaben bemerke ich, dafs Bergk’s Ansicht 
von der Lage der angeführten Bezirke irrig ist, wie ein Blick auf die, m 
dem von ihm übersetzten Buche enthaltene Karte von A. Arrowsmith?) 
ihn belehrt haben würde. Der Bezirk Canducarre liegt, auch nach der von 
J. Mawman (1816) veröffentlichten Karte von Ceylon, welche der neuen 
Ausgabe von Knox beigegeben ist, im Osten der Insel, SSW von Batticaloa, 
so gut wie das unmittelbar nördlich daran stossende Passera, welches ein 
Bezirk von Ouva in der Nähe von Badulla ist*). Darnach würde also das 
Land „zwischen Candukarre und Passere“ das eigentliche Wedda-Gebiet sein. 
Dagegen liegen die Corles Raygam und Pasdam (oder Pasdum) an der West- 
küste, südlich von Colombo, in der Nähe von Saffragam, südwestlich vom 
Adamspik. Hr. Bailey?), zu dessen Zeit dort freilich keine Weddas mehr 
lebten, vermuthet, dafs Saffragam (mit altem Namen Habara gamowa) 
ursprünglich Land der Weddas (der Habaras, Barbaren) war, und er bringt 
dafür allerlei noch existirende Ortsbezeichnungen vor. Auch findet er, 
dafs in einem sinhalesischen, vor etwa 400 Jahren verfafsten Gedicht, 
Pirawi Sandese oder die Botschaft der Taube, in den Bezirken unter dem 
Adamspik geradezu Weddas genannt werden. Möglicherweise waren dies 
nur vereinzelte, zerstreut im Gebirge wohnende Abtheilungen. Dafs das 
Wedda-Gebiet sich noch vor 400 Jahren in continuirlicher Weise bis auf 


1) Robert Percival. Beschreibung von der Insel Ceylon, übersetzt von J. A. Bergk. 
Leipzig 1803. S. 337 Anm. 

2) Robert Perceival. An account of the Island of Ceylon, containing its history, 
geography, natural history, with the manners and customs of its various inhabitants. 
Edit. 2. London 1805. p. 74, 234. 

3) Die Karte bei Tennent ist von John Arrowsmith. 

SDavyyalr cp Als Raritdihta malnesnen abe 

5) Bailey l. c. p. 313 note. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 7 


die Westseite des Gebirges oder gar bis zur Westküste erstreckt habe, ist 
höchst unwahrscheinlich, da schon Hiuen Thsang, ein chinesischer Geo- 
graph, der im 7. Jahrhundert unserer Zeitrechnung Indien bereiste, 
berichtet, dafs die Yakkhos sich in die Südostecke von Ceylon zurückgezogen 
hätten!). Dagegen mag es richtig sein, wie auch Sir Tennent annimmt, 
dafs noch unter der holländischen Herrschaft in geringer Entfernung von 
der Halbinsel Jaffna im Norden, in dem sogenannten Wanny, Weddas in 
srölserer Zahl, aber halbeivilisirt zu finden waren. Auf die Frage, ob in 
ältester Zeit die Weddas die ganze Insel bewohnten, werde ich später 
zurückkommen. 

Das jetzige Wedda-Land umfalst ein verhältnifsmäfsig flaches, 
nirgends mehr als 200 Fufs über dem Meeresspiegel erhabenes Wald- 
gebiet von lieblichem, häufig parkartigem Aussehen. Wie es scheint, 
wechselt die Beschaffenheit des Bodens, indem feuchte uud ungesunde 
Niederungen mit niedrigen, felsigen Hügeln abwechseln. So nennt der 
Rev. J. Gillings?) die Gegend von Bintenne sehr felsig (extremely rocky) 
und trocken. Wenn jedoch Hr. Friedr. Müller?) die Weddas in die 
„Gebirge“ des östlichen Ceylon versetzt, so ist dies ein Mifsverständnils. 
Alle neueren Nachrichten beschränken ihre Wohnsitze auf das Vorland, 
welches die centralen Gebirge von der Seeküste scheidet, schlielsen sie 
jedoch von diesen Gebirgen selbst aus. Allerdings unterschied Sir 
Tennentt) die schon etwas mehr der Cultur genäherten Dorf- und 
Küstenstämme von den wilden „Rock oder Galle Veddahs“. Wenn man jedoch 
auch seinen Versuch, diese „Galle-vedda“ mit einem alten Stamm der Gallas, 
der die Gegend des heutigen Galle im Süden bewohnt haben möchte, zu 
identifieiren, zurückweist und den felsigen Charakter der von dem wil- 
desten Theile des Stammes bewohnten Gebiete als Grund der offenbar 
von den Fremden eingeführten Benennung zugesteht, so folgt daraus 
keineswegs, dafs die Rock Veddahs Gebirgsbewohner sind. Schon seit 
Jahrhunderten sind vielmehr die eigentlichen Gebirgsbewohner, die Leute 


1) Tennentl. ce. I. p. 372 note. 

2) The Journal of the Ceylon Branch of the Royal Asiat. Soc. Colombo 1853. p. 89. 

3) Reise der österr. Fregatte Noyara. Anthropologischer Theil. Abth. III. Ethno- 
graphie. Wien 1868. S. 139. 

*#) Tennent |. c. II. p. 439—44. 


8 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


des Mayaratta, Sinhalesen. Auch Sir Tennent versetzte die Rock Ved- 
dahs, die nach ihm in 5 Clans oder Jagdabtheilungen zerfallen sollten, 
in die Wälder von Bintenne, während er die auf höchstens 140 Familien 
veranschlagten Village Veddahs in 9 kleinen Gemeinden um die Lagunen- 
Distrikte von Batticaloca und die etwa 4—-500 Individuen starken Coast 
Veddahs in den Jungles zwischen Batticaloca und Trincomalie, haupt- 
sächlich um Eraoor und an der Küste bis zur Venloos Bay hin wohnen 
liefs. Hr. Hartshorne verwirft diese Eintheilung ganz; er will nur 
Kel& Weddo (Jungle-Weddas) und Gan Weddo (halbeivilisirte Dorf-Weddas) 
unterscheiden; nur die ersteren verdienten die besondere Aufmerksamkeit 
der Ethnologen. 

Wenn man die Karte von Ceylon studirt, so sieht man sofort, dafs 
Bintenne, diese uralte Hauptstadt, welche nach Sir Tennent!) mit dem 
Maagrammon des Ptolemaeos identisch sem soll, genau auf der östlichen 
Grenze des Gebirges gegen das Vorland gelegen ist. Der Mahawelli- 
Ganga, der gröfste Strom der Insel, bricht hier aus einem Hügellande 
(hill-country) hervor, hinter welchem sich westwärts die Gebirge von 
Kandy und Ouvah erheben?); ostwärts schliefsen sich fruchtbare Ebenen 
mit Sumpfland und weiten Wäldern an, zwischen welchen hie und da niedrigere 
Hügel auftauchen. Sir Tennent?) schildert im saftigen Farben dieses 
schöne Land, das er auf dem Wege von Bintenne nach Batticaloa (an 
der Ostküste) durchzog und in welchem die eigentliche Heimath der 
Weddas liest. Sehr anschaulich beschreibt übrigens schon Knox*) das 
Land von Bintenne, welches er von Weitem, von der Höhe des Gebirges aus, 
erschaute. Er sagt: it seems to be smooth land, and not much hilly; the 
great river runneth through the midst of it. It is all over covered with 
mighty woods and abundant of deer; but much subject to dry weather 
and sickness. In these woods is a sort of wild people inhabiting. 


1) Tennent 1. ec. I. p. 536. Note 2. Er stützt sich darauf, dafs der alte 
Name von Bintenne Maha-yangana oder Maha- welligam lautete, und er behauptet, dals 
damit nicht etwa Mahagam gemeint sein könne. Letzteres hatte Christ. Lassen (De 
Taprobane insula veteribus cognita. Diss. pro aditu muneris prof. ordin. Bonnae 1542, 
p. 23.) angenommen. 

2) John Davy l.ıe. p.1377.0 Pl.13, 14: 

S) Dennentilee Ip Aol. 

S)ERnosElr eaped: 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 9 


Die wilden Weddas leben hier in gröfster Abgeschlossenheit, so- 
wohl gegen ihre allophylen Nachbarn, als gegen ihre eivilisirteren Stamm- 
verwandten, ohne feste Wohnsitze, aber doch auf anerkanntem Eigenthum, 
meist in kleinen Gruppen oder rein familienweise. Nur selten zeigen sie 
sich aufserhalb ihrer Grenzen, um ihre geringen Bedürfnifse, besonders 
an eisernem Geräth (Aexten und Pfeilspitzen), gegen Honig, Wachs, Häute 
oder Fleisch von Wild einzutauschen. Meist ziehen sie sich scheu vor 
jeder Berührung zurück und selbst ihren kleinen Tauschhandel betrieben 
sie früher!) nicht direkt, sondern in der Art, dafs sie ihre Waaren und 
rohe Modelle dessen, was sie dafür eintauschen wollten, an einem Platze 
niederlesten und später die Tauschartikel heimlich abholten. So erklärt 
es sich, dafs die Schätzungen über ihre gegenwärtige Anzahl sehr schwan- 
ken. Cordiner (1807) sprach sehr unbestimmt von „nicht vielen Tausend“ 
(not many thousands in number). Während jedoch schon Sir Tennent?) 
im Jahre 1859 die damalige Schätzung von 8000 für übertrieben ansah, gab 
Hr. Bailey 1863 die Zahl der Weddas im Distrikt Batticaloa auf nur 
250, in Nilgala auf 72 (in 1858) und in Bintenne auf 364 (in 1856), im 
Ganzen also auf 586 an. Hr. Hartshorne hält diese Angabe für wahr- 
scheinlich zu klein. Dafür spricht allerdings eine Mittheilung des Rev. 
Gillings®), wonach bei dem Census von 1849 im Bezirk von Bintenne 


1) Hr. Hartshorne (l. ec. p. 409) giebt an, dafs dieser geheimnifsvolle Handel, 
auf welchen noch Sir E. Tennent so grolsen Werth legte, nicht mehr getrieben werde. 
Die erste Angabe darüber findet sich schon bei Knox (l. ce. p. 123). Frühere Autoren, 
welche von dem „heimlichen Handel“ sprechen, beziehen sich, soweit ich ersehe, nicht 
mit Sicherheit auf die Weddas allein, sondern auf die Ceylonesen überhaupt. Die Stelle 
des Plinius (Natur. hist. Lib. VI. 24. Edit. Bipont.) scheint mir, trotz der Einwände 
von Sir Tennent (l. e. I. p. 571. note 1), nicht einmal sicher auf Ceylonesen zu beziehen 
zu sein, da darin der Handel nicht im Innern des Landes, sondern draufsen, auf der Grenze 
der Serae, weitab auf dem Continent, also mehr eine Eigenthümlichkeit der Serae, als der 
Ceylonesen geschildert wird. Indefs kommt auf die Auslegung dieser Stelle wenig an, 
da chinesische Autoren, z. B. Fa Hian im 3. Jahrhundert, dieser Art von heimlichem 
Handel auch auf der Insel selbst Erwähnung thun. Die gleichzeitige Anführung von 
Dämonen könnte allerdings für Weddas sprechen, indels zeigt eine Erzählung des ara- 
bischen Geographen Albyruni (1030 nach Chr.), dals auch zu seiner Zeit der heimliche 
Handel noch an der Küste selbst stattfand. Man mülste also annehmen, dafs im 11. Jahr- 
hundert die Weddas Küstenhandel getrieben hätten, was nicht wahrscheinlich ist. 

2) Tennentl. ce. II. p. 444. 

3) Gillings 1. c. p. 33. 

Phys. Kl. 1581. Abbh. 1. 


DD 


10 Vırcmow: Ueber die Weddas von Üeylon 


allein eine Gesammtbevölkerung von 1538 Personen vorhanden war, zur 
Hälfte aus Sinhalesen, zur anderen aus Weddas bestehend. Jeden- 
falls liefsen die Anführungen des Hrn. Bailey keinen Zweifel darüber, 
dafs der Nachwuchs sehr geringfügig, die Vernichtung des ganzen Stammes 
also nahe bevorstehend sei. Denn er fand!) in Nilgala unter 72 Personen 
50 Erwachsene und nur 22 Kinder (in einer Familie auf 9, in einer 
anderen auf 8 Erwachsene je 1 Kind), und von den 50 Erwachsenen 
waren nur 14 über 50 Jahre und einer dem Anschein nach über 70 Jahre 
alt. Unter 308 Leuten von Bintenne wurden 175 Erwachsene und 133 
Kinder gezählt, in einer isolirten Horde 22 Erwachsene und 4 Kinder. 
Dabei wird besonders bezeugt, dafs nirgends Anzeichen von dem Bestehen 
der Sitte des Kindermordes unter ihnen wahrgenommen sind. 

In neuester Zeit scheint der Prozefs der Vernichtung schneller vor- 
geschritten zu sein. Nach einer Notiz des Rev. S. Somanader, eines 
Missionars in Batticaloa, welehe ich durch die Güte des Direktors des 
Museums in Colombo, Mr. A. Haly, erhielt, würde es überhaupt kaum 
noch Weddas von reinem Blut mehr geben; er nennt sie a race now 
almost entirely extinet. Ob diese Aussage nur für einen bestimmten 
Distrikt oder allgemein gelten soll, und ob die Vernichtung mehr durch 
fortschreitendes Aussterben oder durch Vermischung mit anderen Stämmen 
herbeigeführt ist, vermag ich aus der mir gewordenen Mittheilung nicht 
zu ersehen. Jedenfalls bleibt uns ferner stehenden Menschen nichts 
anderes übrig, als dasjenige zusammenzuhalten, was uns von solchen 
Beobachtern überliefert ist, welche Gelegenheit hatten, mit lebenden 
Weddas in deren Heimathsbezirk zu verkehren. Unter diesen sind vor 
Allen zu nennen: Dr. John Davy, Sir Emerson Tennent, der Rev. 
Gillings, Mr. Bailey und Mr. Hartshorne. Dabei tritt freilich ein 
eigenthümlicher Umstand sehr hinderlich hervor, der nehmlich, dafs jeder 
spätere Autor die Angaben seiner Vorgänger als ungenau bezeichnet. So 
polemisirt Hr. Bailey?) in härtester Weise gegen Sir Emerson Tennent, 


1) Bailey l. c. p. 296. 

2) Bailey 1. ec. p. 279. Note. His (Tennent’s) account is in some important 
instances defective, and even inaccurate. He glances casually at those tribes which are in 
the wildest state, touching with preeision none of their peculiarities, and dwells in detail 
upon those only, which, from long association with the Singalese and Tamil races, have 
lost much of their originality. Of the ancient aborigines he has compiled much that is 
curious. Of the existing Veddahs he has little given us besides an epitome of former notices. 


und ihre Bezienmgen zu den Nachbarstämmen. 11 


und Hr. Hartshorne!), der ihm darin beitritt, bestreitet wiederum die 
Zuverläfsigkeit des Berichts von Bailey. Und doch war dieser Jahre 
lang in Ceylon und seine Stellung, zuerst als Verwaltungsbeamter in dem 
Distrikt von Badulla, später als Principal Assistant Colonial Seeretary von 
Ceylon, gab ihm genügende Gelegenheit, die Weddas zu studiren. Ueber- 
dies betont er auf das Aengstlichste und mehrmals, dafs seine Angaben 
sich durchaus auf persönliche, oft wiederholte und streng geprüfte Beobach- 
tungen stützen. Wie mir scheint, ist auch der Widerspruch zwischen den 
Herren Bailey und Hartshorne in der That nicht so grofs, wie der 
letztere es ausdrückt. Ich finde, dafs der Zeitraum von mehr als 20 
Jahren, der zwischen den beiderseitigen Berichten liegst, den Einflufs der 
von allen Seiten eindringenden Cultureinflüsse auf das vorher fast ganz 
abgeschlossene Völkchen in sehr merkbarer Weise hervortreten läfst, und 
dafs sich daraus in ganz natürlicher Weise erklärt, wie gewisse Sitten und 
Gebräuche verschwinden und andere auftreten. Ich bin daher sehr geneigt, 
das Zeugnils des älteren Beobachters für seine Zeit höher zu veran- 
schlagen, als der jüngere Beobachter zugestehen will. Gegen Beide glaube 
ich aber ihren bedeutenden Vorgänger, Sir Tennent, in Schutz nehmen 
zu müssen. Seine Darstellung trägt durchweg den Charakter srofser 
Nüchternheit und Objectivität, und seine Einzelangaben entfernen sich von 
denen seiner Nachfolger, namentlich der nächsten, in Hauptstücken fast gar 
nicht. Man wird ihm die Gerechtigkeit nicht versagen können, dafs er 
zuerst Licht über diese Verhältnisse verbreitet hat. 

Immerhin ist es sehr mifslich, unter solchen Umständen aus der 
Ferne zu entscheiden, wo die Fehler liegen und was als Wahrheit anzu- 
nehmen ist. Es bleibt eben nichts übrig, als sich auf das zu beschränken, 
worin die Zeitfolge der sich verändernden Sitte deutlich zu erkennen ist, 
oder worin die verschiedenen Beobachter einig sind. Glücklicherweise ist 
dies genügend, um ein Bild von den Hauptcharakteren des Volkes zu ent- 
werfen. Die gröfste Schwierigkeit dabei liegt in dem Umstande, dafs 
nicht wenige der Reisenden, welche über die Weddas handeln, trotz längeren 


» 

1) Hartshorne ]. c. p. 406. They (the Weddas) have been described by Sir 
Emerson Tennent and by Mr. Bailey; but, interesting as their accounts are, the latter 
has suffered grievously from misprints, and the value of the former is impaired by the 


eircumstance, that its materials were not the fruit of original research. 


12 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Aufenthalts auf der Insel keine derselben zu sehen bekommen haben, also 
nur vom Hörensagen erzählen, und dafs andere wenigstens nicht die 
eigentlich wilden Familien angetroffen haben. Schon Knox, der 
keinen einzigen Wedda sah!) und doch die Abbildung eines solchen 
lieferte, unterschied eine „zahmere Sorte“, welche in einer Art von Ab- 
hängigkeit von dem König von Kandy standen, und eine „wildere“, welche 
kamba Vaddahs genannt würden?). Davy?), der Dorf- und Wald- 
Weddas (village Weddahs and forest Weddahs) von einander trennte, 
scheint nur die ersteren gesehen zu haben, aber nach seinen Informationen 
glaubte er annehmen zu dürfen, dafs beide zu derselben Rasse gehörten. 
Das haben auch die späteren Beobachter durchweg anerkannt. Man wird 
daher für die Untersuchung der physischen Verhältnisse ohne Bedenken 
beide Gruppen vereinigen können, soweit nicht wirkliche Mischungen an- 
gegeben sind, dagegen muls man bei der Betrachtung der socialen und 
psychischen Verhältnisse beide Gruppen streng auseinander halten. Natür- 
lich haben in letzterer Beziehung eigentlich nur die Wald- oder Jungle- 
Weddas Interesse, und ich werde daher hauptsächlich von ihnen sprechen; 
trotzdem wird man die Dorf-Weddas nicht ganz bei Seite lassen dürfen, 
da ihre Ansiedelung und Civilisirung doch nur sehr unvollkommen ge- 
lungen ist. 

Thatsache ist vielmehr, dafs alle Versuche, die Weddas zur Sefs- 
haftigkeit und zu einer höheren Cultur zu bringen, in noch höherem 
Maafse gescheitert sind, als die Versuche, den Australiern eine eigentliche 
Civilisation beizubringen. Regierungsbeamte und Missionare sind unter 
ihnen thätig gewesen, viele Jahre lang, aber ihre Erfolge waren ganz 
äufserliche. Der Rev. Gillings giebt an, dafs bis 1844 in Bintenne 163 
Männer, 48 Weiber und 85 Kinder getauft wurden; seitdem sehr wenige, 
und er fügt hinzu: but almost all of these have gone back again to their 
former habits and follies. What they formerly heard they have forgotten. 
Die Weddas sind eben wesentlich nomadisirende Heiden‘ geblieben, und 
zwar Heiden ohne irgend eine ausgebildete Religionsform. „Es 


I) Knossl-zeup:7123. 
2) Ebendas. p. 126. 
3) Dayy; l&se.2p-116, 2118: 


EEE 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 13 


ist ein Haufen Freigeister“, sagte Wolf!), „die dem Antrieb ihres bösen 
und wilden Naturels folgen.“ Ob sie überhaupt Vorstellungen von Gott 
oder göttlichen Wesen besitzen, ist mindestens sehr zweifelhaft. Das 
Einzige, was allerdings bezeugt wird, ist ein niederer Dämonendienst, 
der hie und da die Form eines Ahnencultus annimmt. Wenn Hr. 
Tylor?) dies als Animismus bezeichnet und defshalb „ihre Religion“ mit 
derjenigen der rohen indischen Stämme übereinstimmen läfst, so mufs 
man wenigstens nicht übersehen, dafs diese „Religion“ nahezu auf der 
Grenze des Nihilismus steht. Gillings sagt: They believe the souls of 
their departed relations to be devils who have power to hurt them, and 
therefore they perform ceremonies to them at regular seasons, and espe- 
cially when they are sick. Etwas ausführlicher schildern Bailey und 
Hartshorne diese Verhältnisse. 

Der erstere?) unterscheidet die Zustände, wie sie sich in Bintenne 
gestaltet hatten, von denen der wilderen Bevölkerung von Nilgala. Dort 
habe man schon seit längerer Zeit die Todten begraben und betrauert; 
hier habe man damit eben erst angefangen. Früher warf man den Todten 
in das Jungle*) oder man liefs ihn, wo er starb. Man bedeckte den 
Körper mit Laub, legte ihm einen schweren Stein auf die Brust und 
suchte dann eine andere Höhle auf, indem man diejenige, wo der Tod 
eingetreten war, dem Geist des Verstorbenen überliefs. Dieser Geist 
(yakkoon) wacht über das Wohlergehen der Hinterbliebenen. Darum sind 
sowohl die Geister der Vorfahren, als die der Kinder gute Geister (nehya 
yakkoon); sie kommen zu ihren Angehörigen in der Krankheit, besuchen 
sie in Träumen und geben ihnen Fleisch auf der Jagd. In jeder Noth 
rufen die Weddas diese Geister an, namentlich die Geister der Kinder 
(bilindoo yakkoon oder witera yakkoon). Unter den Ahnen scheinen sie 
der Grofs-Grofsmutter (maha kiri amma) den Vorzug zu geben, jedoch 
ist Hr. Bailey nicht sicher, ob dieser Vorzug im guten Sinne zu nehmen 
sei. Die Geister werden unter Tanz (um einen aufgepflanzten Pfeil) und 


1) Joh. Chr. Wolf, Reise nach Zeilan. Berlin u. Stettin 1782. Th. I. S. 168. 

2) Edward B. Tylor, Die Anfänge der Cultur, übersetzt von Spengel u. 
Poske. Leipzig 1873. Bd. 1. S. 51. 

3) Bailey l. c. p. 296, 301. 

Su Dayyalıc p. 1. 


14 VırcHuow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Gesängen angerufen. Die Schilderung, welche Sir Tennent!) davon 
giebt, erinnert fast an die Gebräuche der Schamanen. Zuweilen, bei der 
Zurüstung der Jagd, wird dem Geiste ein Stück Fleisch von dem erlesten 
Wilde versprochen. Andermal kochen sie eine Speise und stellen sie in 
das trockene Bett eines Flusses oder an einen anderen verborgenen Ort, 
rufen die Seele des Ahnen, tanzen um die Speise und bringen ihre Zau- 
berformel vor. 

Auch Sir Tennent berichtet, dafs die Todten nicht begraben, 
sondern einfach in den Jungles mit Laub und Strauch bedeckt würden. 
Dagegen wufste der Secretär der Öeylon branch of the Royal Asiatic 
Society?) schon 1853 davon zu erzählen, dafs sie die Todten in Matten 
einwickelten und begrüben, und Hr. Hartshorne?) kennt nur noch das 
Begraben. Wenn einer gestorben ist, so hüllen sie ihn in die Haut eines 
Thieres und machen mit ihren Aexten oder zugespitzten Stöcken ein Grab. 
Frauen dürfen dabei nicht zugegen sein. Beigaben werden nicht in das 
Grab gethan. Ist dasselbe geschlossen, so besuchen sie es nie wieder. 
Dem Geiste des Verstorbenen, der nun ein yakko geworden ist, wird ein 
Opfer in der Art gebracht, dals man unter Anrufung des Geistes Fleisch 
vom Wandura oder Talagoya (Iguana) mit Honig und efsbaren Wurzeln 
zusammen brät und es dann unter die Anwesenden vertheilt, welche es 
aufessen. 

Das Wort yakko (yakkho) bezeichnet nach Turnour*) eine Art 
von Dämonen, jedoch heifsen auch die Dämonen-Anbeter yakkhos und 
yakkhinis. Er leitet es von der Wurzel yaja, Opferbringen, ab. Mit 
Recht hat dieses Wort seit Langem die Aufmerksamkeit der Forscher 


1) When sick, they send for devil dancers to drive away the evil spirit, who is 
believed to infliet the disease. The dance is executed in front of an offering of some- 
thing eatable, placed on a tripod of sticks, the dancer having his head and girdle decorated 
with green leaves. At first he shuffles with his feet to a plaintive air, but by degrees he 
works himself into a state of great exeitement and action, accompanied by moans and 
screams, and during this paroxysm, he professes to be inspired with instructions for the 
eure of the patient. (Tennent Il. p. 442.) 

2) Journ. R. As. Soc. Ceylon Branch 1853. p. 89. 

3) Hartshorne |. c. p. 415. 

*) The Mahäwanso, edited by George Turnour. Ceylon 1837. Vol. I. Index 
and Glossary. p. 30. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 15 


erregt, da in dem grolsen Geschichtswerke Ceylons, dem Mahawanso, die 
älteste Bevölkerung der Insel mit demselben Namen belegt wird. Als 
Wijayo, der Begründer der ersten bekannten Dynastie Ceylons, im 
Jahre 543 v. Chr., dem Jahre von Gotama Buddhas Tod, auf der Nord- 
westküste, wie angenommen wird, in der Gegend von Putlam!) landete, 
traf er schon einen organisirten Yakkho-Staat?); ja von Gotama Buddha 
selbst wird erzählt, dafs er nach Lankä, einer Ansiedelung der Yakkhos, 
kam®). Man wird daraus wohl kaum mit Sir Emerson Tennent*) und 
Anderen ohne Weiteres schliefsen dürfen, dafs das Volk der Nordwestküste, 
welchem der Name der Yakkhos beigelegt wurde, mit den heutigen 
Weddas identisch war, und dafs bis zur Zeit Wijayo’s eine homogene 
Urbevölkerung die Insel bewohnte, aber man wird auch wohl nicht fehl gehen, 
wenn man annimmt, dafs in frühester Zeit fast die ganze Bevölkerung dem- 
selben Yakkho-Dienst zugewendet war, wie er jetzt noch bei den Weddas 
und nur bei ihnen gefunden wird. Denn die Sinhalesen sind Buddhisten, 
die Moors und die Mehrzahl der Tamilen Mahomedaner. 

Auch der Umstand spricht gegen eine Bewohnung der ganzen Insel 
durch Weddas, dafs die alte Sage von Königen, Prinzessinnen und Städten 
(z. B. Lankäpura) der Yakkhos zu erzählen weils, während bei den Weddas 
der neueren Zeit von alle dem keine Spur aufgefunden ist. Wie sie keinen 
Gott, keinen Priester, und keinen Tempel haben, so behelfen sie sich auch 
ohne König, ohne Häuptlinge und ohne Städte, ja sogar ohne Häuser. 
Wenigstens gilt dies von der „wilderen Abtheilung“. Man mülste eine 
so tiefe Degradation der heutigen Weddas von der alten Yakkho-Zeit her 
annehmen, dafs sie in der That beispiellos sowohl in der Geschichte, als 
in der Ethnologie dastehen würde. Selbst für denjenigen, der, wie ich, 
die Möglichkeit selbst einer starken intellektuellen und physischen Degra- 


!) Hr. Brodie (Journ. R. Asiat. Society, Ceylon Branch 1853. p. 48) giebt 
an, dafs der Ort der ersten Ansiedelung (Tambapanni) noch jetzt Tammena Adawesa 
heilse und 6—8 engl. Meilen östl. von Putlam liege. Von dem Worte Tambapanni wird 
die griechische Bezeichnung der Insel, Taprobane, abgeleitet (Tennent ]. e. Vol. I. 
p- 525. note 1.). 

?) Mahäwanso p. 48—49. 

®) Ebendas. p. 2. Lankä filled by yakkhos, and therefore the settlement of the 
yakkhos. (Lanka ist ein alter Name von Ceylon.) 

4) Tennent ]. ce. II. p. 438. 


16 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


dation ganzer Stämme anerkennt, würde es doch ein gewaltiger Schritt 
sein, zuzulassen, dafs ein Stamm, der sein Gebiet nicht wechselte, 
und in nächster Nachbarschaft mit verhältnifsmäfsig hoch 
eivilisirten Stämmen lebt, in wenig mehr als zwei Jahrtausenden so 
tief herabsinken könne. Die weitere Darstellung wird allerdings ergeben, 
dafs man bei den Weddas die Frage der Deteriorirung nicht umgehen 
kann, aber ich möchte schon hier aussprechen, dafs ich mich nicht dafür 
entscheiden kann, ihren Verfall aus einem organisirten Yakkho- Staat 
zuzugestehen. 

Keine einzige Thatsache spricht dafür, dafs Wijayo mit seiner 
Gefolgschaft aus dem Thal des Ganges der erste Fremde war, welcher 
nach Ceylon kam. Im Gegentheil, schon die Sage von der Ankunft des 
Gotama Buddha deutet auf frühere Ankömmlinge. Nicht minder geschieht 
dies in der alten Ueberlieferung des Ramayana. Lassen!) erklärte ge- 
radezu, man müsse in der Sage von Rama „die Erinnerung an einen 
früheren Versuch sehen, die Insel von Indien aus zu colonisiren.“ Die 
Nordwestküste Ceylons liegt der Küste Coromandel so nahe und die Nach- 
barschaft der Adams Bridge ist auch später so anhaltend der Landungsplatz 
für Eindringlinge aus Vorderindien gewesen, dals man sich vielmehr 
wundern mülste, wenn gleich die erste Einwanderung in so entlegener 
Zeit durch die Geschichte fixirt worden wäre. Fand Wijayo auf der 
Insel schon eine Art von politischer Organisation vor, so wird auch schon 
vor ihm eine fremde Occupation angenommen werden dürfen, und die 
Zeit, in welcher auch der ganze Norden der grofsen Insel Wedda-Land 
war, mufls dann um ein gutes Stück weiter zurückverlegt werden. In 
historischer Zeit hat eine Occupation nach der andern vom Norden und 
Westen her stattgefunden und die reinere Bevölkerung ist gegen den Süden 
und Osten zurückgeschoben worden. Aber auch von dieser reineren 
Bevölkerung wird nur zum Theil zugestanden werden können, dafs sie 
den ursprünglichen Typus unverfälscht erhalten habe. 

Der erste Besuch des Gotama Buddha auf der Insel fand nach 
dem Mahawanso?) in Maheyangano statt. Dieser Ort ist allerdings gerade 


1) Christian Lassen. Indische Alterthumskunde. Bonn 1847. Bd. I. S. 198. 
?) Mahäwanso p. 3. cap. I. Introduction p. XXIV. Glossary p. 16. 


2 


und ıhre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 17 


im heutigen Wedda-Land bei Bintenne zu suchen, wo nachmals von den 
Königen Devenepia-Tissa (307 v. Chr.) und Dutthagämini (164 v. Chr.) 
eine Dägoba errichtet wurde!). Nach den Yakkhos, in deren Mitte der 
Buddha hier erschien, besuchte er bei einer zweiten Gelegenheit Nägadipo, 
den Ort der Nagas, d. h. der Schlangen-Anbeter?), von dem man an- 
nimmt, dals er den Norden und Westen der Insel bezeichnen soll; jeden- 
falls ist sowohl von Anwohnern des Oceans, als auch von Berg-Nagas die 
Rede; es wird ein Naga-König von Kalyäani (in der Nähe von Colombo) 
erwähnt u. s. w. Sir Tennent?) vergleicht diesen Götzendienst mit dem 
der rakshas unter den dravidischen Stämmen Vorderindiens, wahrschein- 
lich mit vielem Recht, aber er übersieht, dafs, wenn überhaupt diesen 
mythologischen Traditionen ein Werth beigelegt werden soll, daraus eine 
Mehrheit von Stämmen oder doch mindestens eine Zweispältigkeit der 
uralten Bevölkerung hergeleitet werden mülste. Und es ist nicht ohne 
Werth, dafs die Schilderungen des Naga-Staates in diesen ältesten Mythen 
uns das Bild einer viel vollkommeneren Organisation entfalten, als es 
durch die Erzählungen über die Yakkhos geschieht. Trotzdem wird man 
wohl darauf verzichten müssen, diese Mythen als Grundlage der ethnolo- 
gischen Betrachtung zu benutzen und daraus einen hoch entwickelten 
Wedda-Staat der prähistorischen Zeit aufzubauen. Waren die Weddas 
von Bintenne schon vor Wijayo Buddhisten, so wäre ihre spätere Religions- 
losigkeit, ihre überwiegend thierische Nahrung und so vieles Andere 
kaum erklärlich. 

Noch bis in die jüngste Zeit waren die Weddas ein nomadisi- 
rendes, halb troglodytisches Jägervolk. Wie schon erwähnt, lebten 
sie in geringer Zahl auf einem verhältnifsmälsig ausgedehnten Waldgebiet, 
welches ohne eigentliche Abgrenzungen, jedoch unter Anerkennung einer 
Art von traditionellen Familienansprüchen, unter kleinen, verwandtschaft- 
lich zusammengehörigen Gruppen vertheilt war. Jede Familie hatte ihr 
besonderes Jagdgebiet, in welchem ihr Vorrecht anerkannt wurde. Darin 
suchten sie Honig und Bienenwachs, gruben efsbare Wurzeln, jagten das 


1) Tennent |. ce. II. p. 420. 
2) Mahawanso p. 4. Glossary p. 13. 
>, Bennentl..cy 1.9328. 


Phys. Kl. 1881. Abh. |. 3 


18 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Wild und stellten den Vögeln und Fischen nach. Von irgend einer Art 
von Anbau, sei es von Garten-, sei es von Ackerbau, war nicht die Rede. 
Sie besalsen kein gezähmtes Hausthier aufser dem Hunde, und es kann 
selbst in Bezug auf diesen die Frage aufgeworfen werden, ob sie ihn nicht 
erst später angenommen haben, denn die Art unterscheidet sich nach 
Bailey!) in nichts von der gewöhnlichen Landrasse Ceylon’s. Auch scheinen 
die Hunde noch mehr, als zur Jagd?), zur persönlichen Bewachung erzogen 
zu sein. Sir John Lubbock®) legt Gewicht darauf, dafs sie Jagdbüffel 
besalsen, welche so angelernt waren, dafs der Jäger sie an einem um ein 
Horn gelegten Stricke lenkte und sich, hinter ihnen verborgen, an das Wild 
schlich, allen Hr. Bailey*) erklärt ausdrücklich, dafs diese von ihm 
allerdings in Bintenne constatirte Sitte über die ganze Insel verbreitet sei; 
es darf den Weddas daher wohl kaum ein Anspruch auf diese Erfindung 
zugeschrieben werden. 

Ihr Jagdgeräth ist so einfach, wie möglich. Es besteht aus einem 
starken, 6 Fufs langen Bogen und 2—3 Pfeilen von 34 Fufs Länge, deren 
Spitze aus Eisen gearbeitet ist. Das Spannen des Bogens wird allerseits 
als sehr schwierig beschrieben: Sir Tennent?) liefs daher die Weddas 
in halb liegender Stellung unter Benutzung des linken Fulses den Bogen 
spannen und gab eine Abbildung davon nach einem, in Ebenholz ge- 
schnitzten Modell eines eingebornen Holzschneiders. Die späteren Be- 
schreiber konnten von dem Fortbestehen eines solchen Gebrauches nichts 
erfahren; sie lassen den Bogen mit dem linken Arm spannen und leiten 
von dieser Uebung die ungewöhnliche Kraft und Entwickelung dieses Arms ab. 

Aulser eisernen Pfeilspitzen besitzen die Weddas noch, jedoch vor- 
zugsweise zu dem Zweck, Honig und Wachs aus hohlen Bäumen heraus- 
zuhauen, eine eiserne Axt, selten zwei, eine grölsere und eine kleinere. 
Diese Eisengeräthe erlangen sie durch Tausch von ihren Nachbarn; ihre 
einzige Thätigkeit besteht darin, die Pfeilspitzen durch Klopfen für ihre be- 


1) Bailey l. c. p. 286. 

2) Davy (l. ec. p. 117) sagt geradezu, sie gebrauchten die Hunde nicht zur 
Jagd, es sei denn auf Talagoya (Inguana). 

3) John Lubbock. Prehistorie times. London 1878. 4, Edit. p. 448. 

4) Bailey ]. c. p. 288. 

5) Tennent l. c. Vol. I. p. 499. Note 7. Vol. IH. p. 439. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 19 


sondere Zwecke zuzuschlagen. Aber selbst diese Stücke sind selten und 
werden als kostbare Erbstücke in der Familie aufbewahrt; ja zuweilen 
haben sie nur Pfeilspitzen aus zugeschärftem und mit Vogelfedern besetz- 
tem Holz. Hr. Hartshorne!) macht bei Anführung dieser Verhältnisse 
die interessante Angabe, dafs das Wort galrekki, gala, womit sie die Axt 
bezeichnen, im Sinhalesischen Stein oder Fels bedeutet, und er sieht daher 
mit Recht darin eine Erinnerung an eine frühere Zeit, wo steinerne Waffen 
unter den Weddas im Gebrauche waren. Freilich ist es mir nicht be- 
kannt, dafs in Ceylon Steingeräthe gefunden worden sind, indefs ersehe 
ich auch nirgends, dafs darnach gesucht worden ist. Es wäre vielleicht 
eine sehr dankbare Aufgabe, die Höhlen, in denen nach Hrn. Bailey 
noch jetzt Gebeine der Todten vorkommen sollen, auf ihren sonstigen 
Inhalt genauer zu durchforschen. 

Ihre Nahrung ist fast ausschliefslich eine thierische?). Wie 
die Buddhisten, schliefsen sie das Fleisch des Rindes vom Genuls aus; 
ebenso (nach Sir Tennent und Mr. Bailey) das des Elephanten, des 
Bären, des Leoparden, des Schakals und des Huhns. Dagegen essen sie 
das Fleisch aller übrigen Vögel, des ceylonesischen Elchs (Samba deer, Rusa 
Aristotelis), des Hirsches (Axis maculata), des Affen, des Schweins, des 
Leguan und des Pengolin (Manis pentadactylos). Letzteres gilt als das 
beste. Unter den Fischen ziehen sie den Aal vor. Alle Nahrung wird 
gekocht. Da sie jedoch kein Thongeräth besitzen, so ist die Zubereitung 
des Fleisches eine sehr rohe. Wolf?) behauptete sogar, sie älsen das 
Fleisch ungekocht. Gegenwärtig scheint dies wenigstens nicht die Regel 
zu sein: sie kochen und braten das Fleisch. Feuer erzeugen sie in der 
im Osten gebräuchlichen Weise, indem sie ein zugespitztes Holz gegen 
die Aushöhlung eines anderen Holzstückes, das sie zwischen den Fülsen 
halten, setzen und dasselbe wirbelnd drehen*). Sie benutzen dazu das 
Holz desselben Baums, des Welanbaums (Pterospermum suberifolium), aus 


1) Hartshorne l. ce. p. 408. 

?) In the choice of their food, both classes (Rock V. and Village V.) are almost 
omnivorous, no carrion or vermin being too repulsive for their appetite. Tennent II. p. 
439. — Their food being only flesh. Knox p. 123. 

3), Wolf a.a. O. S. 117. 

*) Eine ausführliche Beschreibung bei Sir E, Tennent |. ce. II. p. 451. 


3* 


20 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


welchem auch die Bogen gemacht werden. Jedoch scheint neuerlich auch 
die Sitte des Feuerreibens aufser Gebrauch zu kommen; mindestens be- 
hauptet Hr. Hartshorne, dafs sie jetzt Flint und den Stahl ihrer 
Aexte oder Pfeilspitzen dazu benutzen. Besondere Genufsmittel sind unter 
ihnen unbekannt; weder Betel, noch Tabak!) sind im Gebrauch. Sie 
trinken nur Wasser und kauen eine Rindenart. Selbst Salz war ihnen, 
wie Hr. Hartshorne?) berichtet, unbekannt; als es ihnen aber gereicht 
wurde, gefiel es ihnen sehr. 

Nur an einzelnen Orten, wo europäische Einwirkung erkennbar ist, 
wird eine roheste Art von Ackerbau betrieben, wie sie übrigens noch 
heutigen Tages in der Troas und in Spanien üblich ist. Kleine Strecken 
(chena) des Jungle werden niedergebrannt, dann bestellt und dann wieder 
auf 5—10—15 Jahre sich selbst überlassen®). Mit dieser, gar nicht in 
Betracht kommenden Ausnahme ist ihre ganze Existenz auf den Ertrag 
der Jagd gestellt. Das allgemeine Anerkenntnifs dafür zeigt sich in ihrem 
Namen, der nach der fast einstimmigen Annahme Jäger (hunter, archer, 
one who shoots) bedeutet. Ich werde darauf zurückkommen. Vorläufig 
wollte ich nur hervorheben, dafs in den Gebräuchen der Weddas nichts 
gelegen ist, was andeutete, dafs sie sich in irgend einer Zeit über 
den Zustand eines rohen Jägervolks hinaus entwickelt haben. 

Ja, sie haben nicht einmal den ersten Grad der Sefshaftigkeit 
erreicht). Obwohl sie bei ungünstigerer Witterung die natürlichen Höhlen 
des Landes oder einfache, aus Baumzweigen und Rinde zusammengestellte 
Hütten) benutzen, so scheint dies doch nirgends in dauernder Weise 


1) In der Abbildung bei Knox wird der Wedda allerdings mit einer brennenden 
Pfeife abgebildet, aber dies war eine freie Erfindung des Künstlers. 

2) Hartshorne l. c. p. 413. 

3) Bailey 1. c. p. 282. 

*#) Knox (l. e. p. 123) sagt von ihnen: they have no towns nor houses, only 
live by the waters under a tree, with some boughs eut, and laid round about them, to 
give notice when any wild beast come near, which they may heer by their rustling and 
trampling upon them. Er sah solche Plätze auf seiner Flucht aus der fast 20jährigen 
Gefangenschaft. 

5) Sir Tennent (l. c. II. p. 439) spricht auch davon, dafs sie zuweilen auf 
Gerüsten schliefen, welche sie in den Bäumen bereiten. Das würde auf Gebräuche hin- 
weisen, wie sie Hr. F. Jagor (Zeitschr. für Ethnologie 1879. Verhandl. der Berliner 
anthropol. Gesellsch. S. 79. Taf. IX.) von den Kanikars in Vorderindien berichtet. Da- 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 21 


geschehen zu sein. Im Gegentheil, beständiger Wechsel des Ortes inner- 
halb ihres Jagdgebiets war die Regel. Daher beschränkt sich ihre Ge- 
selligkeit, ja ihr Gedankenkreis wesentlich auf die nächsten Angehörigen, 
deren Zahl oft sehr klein ist und vielleicht nur 4—5 Personen beträgt. 
Aller Anreiz zu höheren Genüssen und Ansprüchen fällt damit von selbst 
fort. Ehrgeiz, Eifersucht, Liebe zum Putz kommen gar nicht zur Ent- 
wickelung. Aber auch ein Bedürfnifs zu angespannter Geistesthätigkeit 
tritt nicht hervor. So erklärt sich, wie mir scheint, in natürlicher Weise 
eine Reihe von Eigenthümlichkeiten, ja zum Theil von widersprechenden 
Sonderbarkeiten. 

Von einem so wilden und niederen Volksstamme könnte man 
vielleicht erwarten, dafs er die Fremden überfallen, die Nachbarn bedrohen, 
selbst entfernteren Abtheilungen des Stammes kriegerisch entgegentreten 
werde. Von älteren Erzählungen und von vereinzelten Fällen, die ganz 
aufser Betracht bleiben können, abgesehen, ist die Sitte der Weddas eine 
durchaus friedliche. Auch den Schritt vom Jäger zum Krieger 
haben sie nicht gemacht. Sie sind friedfertig unter sich und gegen 
die Anderen, so lange man sie in Ruhe läfst. Sie halten das Eigenthum 
heilig und sind treu und wahrheitsliebend. In dem Maalse, als ihr Leben 
sich auf den Kreis der Familie beschränkt, ist auch das Familiengefühl 
stärker entwickelt. Ehebruch und Polygamie werden nur da erwähnt!), 
wo man den Versuch gemacht hat, sie zu civilisiren. Während unter 
ihren Nachbarn, den sinhalesischen Kandiern, Ehebruch und Polyandrie?) 
so allgemein waren, dafs die englische Regierung im Jahre 1859 ein be- 
sonderes Gesetz dagegen erlassen mulste, war eheliche Treue und Mono- 
gamie, sowie Liebe zu den Kindern unter den Weddas selbstverständliche 
Sitte. Hr. Bailey®) führt die sehr charakteristische Aeuflserung eines 
Kandiers über sie an: sie sind, sagte derselbe, just wie die Wanduras. 


gegen behauptet Hr. Hartshorne, sie seien schlechte Kletterer und besäfsen keine beson- 
dere Fähigkeit, mit den Fülsen zu greifen. Percival (l.c. p. 338) dagegen berichtet das 
gerade Gegentheil: sie sprängen mit grolser Geschicklichkeit auf Bäume und schliefen darauf. 

1) Gillings ]. c. p. 86. 

2) Tennent]. e. II. p. 428. 

3) Bailey l. e. p. 293. 


22 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Und doch sind die Weiber nichts weniger als anziehend, und 
nicht einmal durch Schmuck ausgezeichnet oder auch nur reinlich. Vom 
Waschen des Körpers ist keine Rede. They are the most ordinary spe- 
cimens of the sex I ever saw, sagt Bailey. Beide Geschlechter gehen fast 
nackt. In früherer Zeit trugen sie Stücke von Baumrinde (Riti-tree, An- 
tiaris innoxia oder A. saccadora); später setzten sie an deren Stelle kleine 
Fetzen von Zeug, die durch eine Schnur um den Leib festgehalten wer- 
den. Die Weiber unterschieden sich nur dadurch, dafs sie runde Pflöcke 
von Elfenbein in den durchbohrten Ohrläppchen trugen!). Hr. Hart- 
shorne?) dagegen sah schon bei beiden Geschlechtern Zierrathen in 
den Ohren, namentlich Perlen oder, was besonders beliebt war, leere 
Patronenkapseln. Offenbar sind diefs ganz moderne Neuerungen; man 
wird ohne Weiteres annehmen dürfen, dafs vor nicht langer Zeit die völ- 
lise oder höchstens durch die Bedeckung der Schamtheile gemilderte, 
schmucklose Nacktheit Regel war. 

Wenn trotzdem weder Polygynie noch Polyandrie beobachtet ist, 
so mag sich diels aus der geringen Dichtigkeit des Volkes und aus der 
Vereinsamung der Familien erklären. Vielleicht darf man auf dieselbe 
Weise auch die andere, am meisten auffällige Sitte deuten, welche von 
verschiedenen Reisenden bezeugt ist, nehmlich die Heirath mit der 
Schwester. Und zwar die Heirath mit einer jüngeren Schwester, wäh- 
read die mit der älteren für unzüchtig gilt. Nach Hrn. Hartshorne®) 
wäre sogar die Ehe mit einer Tochter zulässig, indefs wird es sich hier 
wahrscheinlich um thatsächliche und nicht um rechtliche Verhältnisse 
handeln. Knox*) erzählt auch von einem Könige von Kandy, der mit 
seiner Tochter ein Kind hatte, aber keiner seiner Unterthanen scheint 
diels für ein zulässiges Verhältnifs gehalten zu haben. Bailey) ist ge- 
neigt, in der Schwesterehe ein altes Ueberlebsel zu sehen. Er erinnert 
daran, dafs schon Wijayo, der Begründer der Sihala-Dynastie, aus einer 
Schwesterehe in Indien hervorgegangen sei, und dafs hinwiederum der 


1) Bailey p. 284. 

?2) Hartshorne p. 409. 
3) Derselbe 1. ce. p. 416. 
AERO cap: 

5) Bailey l.c. p. 310. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 23 


Sohn Jiwahalto, den er mit einer Yakkho-Prinzessin in Üeylon er- 
zeugt hatte, seine Schwester heirathete und der Ahnherr eines besonde- 
ren Stammes, der Pulindah, wurde. Nachher sei dieser Gebrauch auch 
in den sinhalesischen Königsfamilien geübt worden!). Man kann zuge- 
stehen, dafs diese Anführungen recht bemerkenswerth sind, aber schwer- 
lich sind die alten Mythen als sichere historische Thatsachen anzusehen. 
Sie scheinen mir nur zu beweisen, dafs ein Gebrauch, der auch in Per- 
sien und in Aegypten bestand, in Ceylon frühzeitig zur Duldung gelangte; 
der Grund wird überall derselbe gewesen sein, in den Königshäusern, 
wie bei den nackten Weddas: der Mangel an geeigneten Weibern oder an 
Weibern überhaupt. Jedenfalls ist es nicht Unkeuschheit oder Zuchtlosig- 
keit, welche die Weddas zu einem solchen Ehebündnifs führt. Bei der ge- 
wöhnlichen Eheschliefsung entscheidet der Wille der Eltern der Braut, 
welche selbst keine Wahl hat. Das einzige Ceremoniell dabei besteht in 
der Darbringung von Nahrung für die Eltern Seitens des werbenden 
Mannes. Wenn unter solchen Verhältnissen die Ehen dauernd und treu 
gehalten werden, so spricht diefs sicherlich für die Güte des Herzens bei 
einem so wilden Stamme. 

Dagegen lassen die Nachrichten der verschiedenen Beobachter er- 
kennen, dafs eine besondere Tiefe des Gefühls bei den Weddas nicht 
zur Erscheinung kommt. Vielmehr deuten alle Beschreibungen auf eine 
gewisse mürrische Indolenz, welche nur durch die Liebe zu dem Gewohn- 
ten gelegentlich durchbrochen wird. Am bemerkenswerthesten erscheint 
in dieser Beziehung eine Beobachtung des Hrn. Hartshorne?), für 
welche er eine Reihe von Thatsachen beiträgt, ich meine die Unfähig- 
keit der Weddas zum Lachen. Während sie weinen können, lachen 
sie nicht nur nicht, sondern sie mifsachten auch diejenigen, welche lachen. 
Meines Wissens ist etwas ähnliches von keinem andern Volksstamm be- 
richtet worden; wir kennen den lachlosen Zustand nur bei gewissen 
Idioten. 

In intellektueller Hinsicht scheinen die Weddas in der That sehr 


1) Sir E. Tennent (II. p. 459) eitirt als Gewährsmann dafür Valentijn l. c. 


cap. IV. p. 63. 
2) Hartshorne l.c. p. 410. 


94 Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon 


niedrig zu stehen. Nach Hrn. Hartshorne!) können sie überhaupt 
nicht zählen, haben auch keine Zahlworte und brauchen die Finger nicht 
zum Zählen. Hr. Bailey?) geht nicht ganz so weit; er sagt, sie zähl- 
ten mit Schwierigkeit an den Fingern, aber er giebt in seinem Vocabular 
kein Zahlwort und er erzählt, dafs es schwer sei, einem Wedda etwas 
klar zu machen, was über den nächsten Tag hinausgehe. Der Reverend 
Gillings?) sagt, sie könnten nur bis zu einer sehr beschränkten Aus- 
dehnung (only to a very limited extent) zählen. Davy *) giebt an, sie 
hätten kaum (hardly) eine Kenntnifs von Zahlen und könnten nicht 
über fünf zählen; Sir Tennent°) geht noch einen kleinen Schritt wei- 
ter, indem er sich so ausdrückt, dafs sie unfähig seien, über fünf „an 
ihren Fingern“ zu zählen. Auch das ist recht wenig, zumal wenn 
man erwägt, dafs die milderen Angaben sich auf die „zahmere Sorte“ be- 
ziehen. Hr. Hartshorne®) bestreitet ebenso, dafs ihre Sprache ein Wort 
für eine Farbenbezeichnung enthalte; sie besäfsen weder eine Vorliebe für 


t) Hartshorne p. 413. They are wholly unable to count or to comprehend 
the ideas of one, or two, or three, nor do they even use their fingers for this pur- 
pose; and the chief diffieulty in obtaining any information from them arose from their 
inability to form any but the most simple mental synthesis, and from their very defeetive 
power of memory. Bei einer anderen Gelegenheit behauptete Hr. Hartshorne sogar, 
die Weddas hätten keine Idee von dem Unterschiede zwischen Eins und Zwei (Journ. of 
the Anthropol. Institute of Great Britain and Ireland. 1878. Vol. VII. p. 468). 

2) Bailey: l.e. pr298: 

3) Gillings 1. ce. p. 88. 

*) Davy l.ce. p. 118. An dieser Stelle ist die Rede von „Dorf-Weddas*“. 
Prichard (Researches into the physical history of mankind. London 1344. 3!" Edit. 
Vol. IV. p. 193), welcher dasselbe anführt, berichtet, dafs die Beschreibung des Dr. Davy 
sich auf eine grolse Schaar (party) von Vaddahs beziehe, welche er während seines Be- 
suches in Kandy gesehen habe; die Leute seien nach ihren Angaben aus der Gegend des 
Sees von Bintenne gekommen, wo etwas Korn (a little grain) gebaut werde. Ich be- 
zweifle die Richtigkeit dieser Mittheilung nicht, die von grofser Wichtigkeit für die Be- 
urtheilung des Werthes der Angabe über die intellektuellen Fähigkeiten der Leute ist. 
Aber sie ist aus einer Schrift des Dr. Davy geschöpft, die mir nicht zugänglich ist; 
Prichard eitirt dieselbe unter dem Titel: History of the Island of Ceylon. In dem 
Account of the interior of Ceylon steht nichts davon, obwohl der Besuch in Kandy aus- 
führlich (p. 364, sq.) geschildert ist. 

5) Tennentl.c. II. p. 443. 

°) Hartshorne l.c. p. 409. 


ER 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 25 


lebhafte Farben, noch eine Schätzung der Farbenunterschiede. Er klagt 
endlich über ihren Mangel an Gedächtnils und ihre Unfähigkeit, allge- 
meine Ideen zu bilden. Sir Tennent sagt, sie haben keine Idee von 
Zeit und Raum, keine Worte für Stunden, Tage und Jahre, — keine 
Spiele, keine Vergnügungen, keine Musik. Freilich gilt auch diese Bemer- 
kung in voller Ausdehnung nur für die wilde „Sorte“; von den Dorf- 
Weddas erzählt Davy!), dafs sie eine „rohe Art von Gesang“ während 
eines in plumper Weise ausgeführten Tanzes hätten hören lassen. Nimmt 
man dazu die Fruchtlosigkeit aller Erziehungsversuche, die man mit ihnen 
gemacht hat, so wird man gezwungen, die Inferiorität der Rasse zuzuge- 
stehen. Selbst wenn sich ergeben sollte, dafs einige der mitgetheilten 
Beobachtungen zu exclusiv sind, würde sich das Gesammturtheil nicht 
ändern. 

Es sieht wie ein Widerspruch aus, dafs sie sich, wie Hr. Hart- 
shorne?) berichtet, als über ihre Nachbarn erhaben betrachten. Indels 
findet sich dieser Widerspruch auch sonst: beschränkte Personen über- 
schätzen ihre Fähigkeiten nicht selten. Sonderbarer klingt es, wenn die 
verschiedensten Berichterstatter anführen, dafs die Weddas auch von ihren 
Nachbarn als Glieder einer hohen, ja der königlichen Kaste angesehen 
werden. Sollen sie doch in früherer Zeit den König von Kandy hura 
d. h. Vetter haben anreden dürfen. Da sie selbst unter sich keine Kasten- 
unterschiede kennen, so ist diefs allerdings recht auffällig. Man hat das 
als einen Beweis für die Richtigkeit der Tradition angesehen, dafs sie 
von königlichem Blut seien oder gar, wie Mr. Bailey®) annimmt, von 
König Wijayo selbst abstammten, aber wo sollten dann die Nachkommen 
jenes Yakkho-Volkes geblieben sein, welches Wijayo bei seiner Ankunft 
auf der Insel antraf? Keine der anderen, so zahlreich vertretenen Rassen 
Ceylon’s läfst sich mit dieser Urbevölkerung in eine nähere Beziehung 
bringen. 

Die ältesten Berichterstatter, welche sich ausführlicher über das 
Kastenwesen auf der Insel Ceylon auslassen, stimmen darin überein, dafs 


1) Davy l.c. p. 118. Vgl. oben S. 13—14. 
2) Hartshorne, p. 412. 
3) Bailey l.c. p. 312. 
Phys. Kl. 1881. Abh.]l. 4 


36 Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon 


die Weddas einer höheren Kaste zugerechnet wurden. Davy!), welcher 
diesen Punkt besonders eingehend behandelt, erzählt, dafs die Mehrzahl der 
Sinhalesen der Kaste der Landbauer, der sogenannten Goewanse oder, wie 
sie im Niederland hiefsen, der Vellalas zugetheilt würde, und dafs dazu auch 
die Weddas gehörten. Philalethes?) hat dieselbe Angabe. Er erklärt, 
das Wort Gowi sei sinhalesisch, Vellalas malabarisch; zu dieser Kaste ge- 
hörten die Wanne-Weddas, von denen es zwei Sorten gebe: eine, welche 
Blätter auf dem Körper trügen, und eine, welche Baumrinde, durch be- 
sondere Zubereitung weich gemacht, benutzten. Dafs die neueren Be- 
obachter dieses Verhältnifs weniger berühren, erklärt sich wohl aus dem 
Umstande, dafs in letzter Zeit das Kastenwesen unter den Sinhalesen sehr 
an Bedeutung verloren hat, wie denn auch schon früher die beiden ober- 
sten Kasten, die königliche und die brahmanische, nicht vertreten 
waren. Vielleicht erklärt sich aus diesem Umstande auch der sonder- 
bare Gebrauch, dafs die Weddas, die doch nur der dritten Sammtkaste 
angehören, mit den Königen selbst in Verbindung gebracht wurden. Noch 
im Jahre 1853 bemerkte der Secretär des Ceylon-Zweiges der Asiatie 
Society in einer Note?), dafs die Weddas von Bintenne und von der See- 
küste sich als Glieder einer sehr hohen Kaste betrachteten und sich 
Veddah Vellalas nannten. Aus dem Mitgetheilten geht hervor, dafs die 
Bezeichnung Vellalas, die sich übrigens auch in Vorderindien findet, nur 
eine hierarchische Bedeutung hat, dafs sie aber in Bezug auf Verwandt- 
schaft und Ableitung der Stämme gänzlich unbrauchbar ist. 

Eine andere Bezeichnung verdient hier besonders erwähnt zu wer- 
den, da sie sehr geeignet ist, Verwirrung hervorzubringen. Es ist diefs 
der Name Dodda (Dade) Weddahs, welcher einer Abtheilung der Su- 
dra- (Kshoodra-) Kaste, also einer der untersten Rangklassen gegeben 
wird: Jäger, welche die wildesten Theile der Gebirgsregion bewohnen ®). 


ER el, 

2) Philalethes l.c. p. 332. Der Name Philalethes ist ein Pseudonym; wie 
Sir Tennent 1. e. Introduetion p. XX. Note 5 vermuthet, birgt sich darunter der Rev. 
G. Bisset. Dieser war gleichzeitig mit Dr. Davy in Ceylon; letzterer erwähnt seiner 
Person ]. ec. p. 372, sq. 

3) Journal Ceylon Branch of the R. Asiatie Society. 1853. p. 89. 

4) Davy l.c.p. 112, 127. Philalethes ]. c. p. 334. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 27 


Knox!) erzählt, die Niedrigsten der Niedrigen seien Bettler, welehe von 
Dodda veddahs d. h. Jägern abstammten; sie hätten die Aufgabe gehabt, 
dem Könige von Kandy Wild zu liefern. Als sie aber statt des Wildes 
Menschenfleisch gebracht hätten, habe der König sie ausgestolsen und zu 
Bettlern gemacht. Die ausführliche Beschreibung, welche er von ihnen 
liefert, lehrt, dafs er eine der out-casts meint. Davy führt zwei Arten 
davon an: die Gattaroo und dieRhodees oder Gasmundo, welche er 
mit den Zigeunern vergleicht. Letztere werden jetzt gewöhnlich Rodi- 
yas genannt. Von ihnen erzählt Tennent?) dieselbe Geschichte, wie 
Knox von den Dodda veddahs, und sagt, eine „Legende“ erkläre sie für 
einen Zweig der Weddas. Eine genauere Beschreibung von ihnen hat 
Mr. Chitty?) geliefert. Er nennt sie eine besondere und eigenartige 
Rasse, entweder hervorgegangen aus einer Colonie wandernder Horden 
aus Indien, oder der Ueberrest der Urbevölkerung, gemischt mit sinhalesi- 
schen Frauen von hoher Kaste, welche von dem Könige mit dem Ver- 
lust der Kaste bestraft wurden. Sie lebten nur im Innern, nicht zahl- 
reich, im Ganzen vielleicht nicht über 1000, zerstreut, oder in besonderen, 
von den sinhalesischen entfernten „Aussatz“-Dörfern (Kuppayams). In 
den Seven Korles unterscheide man zwei Abtheilungen: die Tirringa Rodı 
und die Halpagny Rodi. Sie seien robuster und athletischer, als die Sin- 
halesen, die Frauen häufig hübsch. Beide Geschlechter lassen das Haar 
in voller Länge wachsen und schlingen es in einen Knoten. Sie leben 
von der Jagd und gebrauchen Bogen und Pfeile, wie die Weddas; 
auch darin nähern sie sich diesen, dafs sie ihre Todten, in Matten ge- 
wickelt, begraben. Obwohl Buddhisten, opfern sie dem Garro Yakko und 
dem Weddi Yakko. Sie sprechen sinhalesisch, besitzen aber eigenthüm- 
liche Worte, die Mr. Chitty für alte Ueberlebsel hält. Die Darstellung 
von Sir Tennent stimmt damit überein; er besuchte ein Rodiya-Dorf, 
welches auf dem Pafs zwischen Kandy und dem Mahawelliganga liegt, und 
giebt ein Bild mit einer Gruppe dieser Leute. Wie er nachweist, wer- 


I Konoxıl-esp. 139. 
2 Nennent lsc-nl.2p 187. 


3) Simon Casie Chitty. Journ. of the Ceylon branch of the R. Asiat Soc. 
Colombo 1853. p. 171. 


4* 


38 Vırcnow: Ueber die Weddas von Ceylon 


den Rodiyas im Rajavali schon 204 vor Chr. und im Mahawanso 589 
nach Chr. erwähnt. Seiner Meinung nach ist der körperliche Unterschied 
von den Weddas sehr grofs und er ist daher geneigt, sie von der indi- 
schen Küste, und zwar aus Chandala-Blut, abzuleiten. Uebrigens giebt es 
ihrer nur in den Kandy-Distrikten. Obwohl sie den Cagots und Caqueux 
der Pyrenäen vergleichbar seien, so gebe es doch zwei „Rassen von 
outcasts“ in Ceylon, welche selbst von den Rodiyas verabscheut würden, 
nehmlich die Ambetteyos (Barbiere) und die Hanomoreyos (Betelbüchsen- 
macher) in Ouva. 

Die Existenz dieser outcasts ist von nicht geringem Werthe für 
die Deutung der Stellung der Weddas innerhalb so verwickelter Volksver- 
hältnisse. Wären die Weddas, wie manche vermuthet haben, ursprünglich 
Ausgestolsene gewesen, so würden sie sicherlich noch heutigen Tags outcasts 
sein, so gut wie die Rodiyas es nunmehr seit mindestens zwei Jahrtausen- 
den sind. Wären sie, wie die Araber, die sogenannten Moormen, nach- 
träglich eingewandert, so würden sie nicht in die relativ hohe Kaste der 
Vellalas gesetzt sein, denn die Moormen sind in keiner Kaste, wenngleich 
den Caraw& (Fischern), einer Unterabtheilung der Sudras, „attachirt“!). 
Unzweifelhaft mufs also ein Gefühl ursprünglichen Zusammenhanges 
unter den Sinhalesen lebendig geblieben sein, welches trotz des religiösen 
und physischen Gegensatzes die Zugehörigkeit der Weddas zu den socialen 
Ordnungen des Buddhismus anerkannte. Bei den Rodiyas haben die 
Jahrtausende nicht genügt, um sie zu der Degradation herab zu bringen, 
welcher die Weddas schon verfallen waren, als Knox von ihnen hörte, 
und welche am stärksten in dem Ausspruche von Davy ausgedrückt ist: 
the forest Weddahs, — — being rather solitary anımals than social, 
and resembling more beasts of prey, in their habits, than men. Wir 
werden noch sehen, welches die Hindernisse sind, dafs sich dıe Weddas 
nicht ohne Weiteres als „wilde Sinhalesen“ auffassen lassen, und wie es 
gekommen ist, dafs eine grofse Zahl der unmittelbaren Beobachter den 
Ursprung derselben auf der Küste von Malabar gesucht hat. Diese Er- 
örterung wird zweckmäfsiger einer späteren Stelle vorbehalten, wenn wir 
die physischen Eigenschaften der verschiedenen, in Betracht kommenden 


D)=Dayyal.e p.li0. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 29 


Stämme besprochen haben werden. Hier dürfte es sich empfehlen, zu- 
nächst die historischen und linguistischen Bemerkungen beizubringen, 
welche das Verhältnifs der eigentlichen Culturstämme der Insel betreffen. 

Das natürliche Einwanderungsgebiet ist ‚wie gesagt, der Nordwesten 
der Insel, welcher der vorderindischen Halbinsel am nächsten liest. Hier 
hat sich in der That eine tamilische Bevölkerung festgesetzt, deren 
Zusammenhang mit den Dravidiern Indien’s zweifellos erscheint. Die Ge- 
schichte Ceylon’s meldet schon sehr früh von Einfällen dravidischer Hor- 
den. Im Mahäwanso heifsen diese Leute Damilos. Da nach dem Zeug- 
nis des zuverlässigen Childers!) das Wort Dämila im Pali mit Drävida 
im Sanskrit identisch ist, so wird man unbedenklich alle Erzählungen 
des Mahäwanso, wo von Damilos die Rede ist, auf Dravidier beziehen 
können. Die englischen Localschriftsteller nennen sie gewöhnlich Tamils 
oder Malabars, jedoch warnt Sir Tennent?) wiederholt davor, damit 
nicht den Begriff zu verbinden, als habe es sich nur um Bewohner der 
eigentlichen Malabar-Küste gehandelt. Ursprünglich hätten sie vielmehr 
zu einem der frühest organisirten Staaten in Südindien, dem Königreiche 
Pandya gehört, welches den gröfsten Theil der Coromandel-Küste bis 
nach Canara an der Westküste und südlich bis an die See umfafste, und 
von welchem neuerlich nur der kleine Staat der Nains von Madura übrig 
geblieben sei. Später ergossen sich, gleichfalls unter dem Namen der Ma- 
labars, Horden von allen Theilen der Halbinsel, auch von der Coroman- 
del-Küste bis nördlich von Cuttack und Orissa über die Insel. 

Schon um das Jahr 237 v. Chr. wird ein Einfall der Damilos im 
Norden berichtet), welcher eine 22jährige Herrschaft derselben begrün- 
det. Kaum waren sie überwunden, als schon unter dem nächsten Könige 
aus der Sihala-Dynastie, Asela (um 215) wiederum ein Damilo, aus 
dem Stamme Uju im Chöla-Lande*), sich der Herrschaft bemäch- 


1) R. C. Childers Notes on the Sinhalese Language. Journ. of the Royal 
Asiatie Society 1875. Lond. Vol. VIII. p. 133. Note. 

?2) Tennentl.e. I. p. 353. 394. 

3) The Mahawanso Chap. XXI. edit. by Turnour p. 127. Man vergl. ebend. 
Appendix. Sovereigns of Ceylon p. LXI. 

*) Nach Turnour Mahawanso Glossary p. 5 heilst Chöla sinhalesisch Soli 
(Sollee) und umfalste wahrscheinlich Mysore und Tanjore. 


30 Vırcmow: Ueber die Weddas won Ceylon 


tigte!) und 44 Jahre regierte. Obwohl regelmäfsig zurückgeworfen, wieder- 
holten die Damilos ihre Einfälle immer von Neuem. Unter der Regierung 
des Königs Mihinda (1023—1054 nach Chr.) hatte sich die fremde Be- 
völkerung auf der Insel schon so vermehrt, dafs sie das Uebergewicht 
über die eingeborne erlangte, und bei einer neuen Invasion der Leute 
von Sollee wurde der König gefangen und das Land für längere Zeit 
unterworfen?). Von Malabar strömten immer neue Zuzüge herein und 
erst nach schweren Kämpfen ward die Fremdherrschaft gebrochen. Aber 
schon im Beginn des 13. Jahrhunderts fielen die Cholas wieder in das 
Land ein?). Diefsmal kamen die Eroberer jedoch von viel ferneren 
Orten, nehmlich von Kalinga, dem Theile des Dekkan, der jetzt Nord 
Circars heifst*). Ihr Führer Maagha unterwarf unter gräulichen Ver- 
wüstungen das ganze Land bis zum Süden hin und ward König von 
Ceylon im Jahre 1211. Später gelang es den sinhalesischen Fürsten, 
allmählich die Provinzen Rohuno (Rohuna) ım Süden und Mayaratta 
in dem gebirgigen Centrum wiederzugewinnen, aber der Norden des Lan- 
des, die Provinz Pihiti oder Rajaratta, das alte Königsland, blieb bis zum 
Mahawelliganga in den Händen der Tamilen und wurde nach und nach 
gänzlich und dauernd dravidisirt. Nur ein Theil dieser Bevölkerung, die 
Mookwas°’), welche ım Nordwesten an der Küste, nördlich von 
Chilaw, wohnen, hat die christliche Religion angenommen ®). — 

Auf demselben Wege, jedoch in friedlicher Weise, sind zahlreiche 
mohamedanische Araber, die seit der portugiesischen Zeit sogenannten 
Moors oder Moormen’), eingewandert. Sir A. Johnston setzte ihre Ankunft 
in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts und leitete sie von dem Hause Haslum 


1) Mahäwanso p. 128. 

?) Ebendaselbst p. LXIV. 

>») A. de Silva Ekanäyaka. Journ. R. Asiat. Soc. 1376. Vol. VIII. p. 297. 

2) Tennent lc. p.Al2. 

°?) Ein ähnliches Wort (Mokua) ist in Madagascar gebräuchlich, um eingewanderte 
Afrikaner zu bezeichnen (Verhandl. der Berliner anthropol. Gesellschaft 1880. S. 190. 
Zeitschr. für Ethnol. Bd. XII). Hier ist es auf einen Negerstamm der östlichen Küste 
Africa’s zu beziehen, welcher diesen Namen trägt (Monatsberichte der Akademie 1880. 
S. 1017). Möglicherweise ist die Übereinstimmung der Namen eine blofs zufällige. 

6) A. O. Brodie Journ. of the Ceylon Br. of the R. Asiat. Soc. 1853. p. 50. 

7) Derselbe p. 40. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 3l 


ab, dessen Mitglieder durch den Kalıfen Abdul Melek Ben Merwen vertrieben 
wurden und sich zum Theil ın Südindien, zum Theil in Malacca ansiedelten. 
Allein die sorgfältigen Ausführungen von Sir Tennent!) haben darge- 
than, dafs Niederlassungen von Arabern schon in sehr früher Zeit auf 
der Insel nachzuweisen sind. Läfst man auch eine sehr dunkle Stelle des 
Plinius bei Seite, so scheint doch kein Zweifel darüber zu sein, dafs minde- 
stens seit dem ersten, sicher seit dem 6ten Jahrhundert nach Christo ein 
ausgedehnter Handelsverkehr von Persien und Arabien aus nach Ceylon 
betrieben wurde und dafs schon seit dieser Zeit manche dieser „Mauren“, wie 
die Portugiesen sie später nannten, im Lande blieben. Sir Tennent hält 
die jetzigen Moormen für Nachkommen der Einwanderer aus Ehen mit 
Eingebornen. Hr. Pridham?) zerlegt die Moors genealogisch in zwei 
Gruppen. Die eine derselben führt er auf alte Einwanderungen von Ara- 
bern zurück, welche sich in Indien einheimische Weiber genommen und 
mit ihnen Kinder gezeugt hatten; von der anderen, welche er Indo-Moors 
nennt und von welchen eine gröfsere Anzahl sich in späterer Zeit in den 
Distrikten Chilaw und Putlam niedergelassen haben soll, giebt er keine 
genetischen Erklärungen, nur widerspricht er der Meinung des Hrn. Casie 
Chitty, dafs sie aus einer Vermischung einer uralten hindostanischen 
Bevölkerung, der Sonahars, mit Arabern und anderen Mohamedanern 
hevorgegangen sei. Jedenfalls erkennt jedoch auch Hr. Pridham an, dafs 
gegenwärtig kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen mehr bestehe. 
Sie sind jetzt, zum Theil in besonderen Dörfern, weithin über die Insel 
zerstreut und vermitteln hauptsächlich den kaufmännischen Verkehr, 
auch mit den Weddas. — 

In verhältnifsmälsig kleiner Zahl, jedoch an vielen Orten zerstreut 
finden sich Malayen auf der Insel, wie es scheint, durchweg von mo- 
hamedanischer Religion. Nach der Darstellung des Hrn. Pridham?) 
stammen sie hauptsächlich von den kleinen Rajas und deren Gefolgschaft, 
welche die Holländer hierher von Java, Malacca und Sumatra verbannten 
und welche später von den Engländern in ihre einheimischen Regimenter 


1) Tennent l.e. I. p. 546, 555, 607. 
2), Bridham ]5cHLs ps 410. 
3) Derselbe 1. c. I. p. 482. 


32 Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon 


aufgenommen wurden. Wichtiger würde es sein, wenn die Ansicht!) 
richtig wäre, dafs die ursprüngliche Bevölkerung der Insel eine malayische 
gewesen sei. Dieselbe stützt sich namentlich auf die allerdings sehr be- 
merkenswerthe Thatsache, dafs sich die Sinhalesen doppelter Canoes oder 
Boote mit Auslegern bedienen, wie sie in allen von Malayen bewohnten 
oder besiedelten Gebieten, also westlich von der indischen und arabi- 
schen Küste nur in Madagascar, im Gebrauch sind. Indefs ist diefs auch der 
einzige Anhaltspunkt für die Annahmen einer ethnischen Verwandtschaft. 

Natürlich sind in den letzten Jahrhunderten Europäer der ver- 
schiedensten Nationen, namentlich Portugiesen, Holländer und Engländer, 
hinzugekommen, jedoch haben sie für unsere Betrachtung keinen Werth. 
Dasselbe gilt von den afrikanischen Negern und den Parsis, von denen 
die ersteren erst neuerlich eingeführt, die letzteren zu verschiedener Zeit, 
aber in unbedeutender Zahl eingewandert sind. 

Die südliche Hälfte der Insel, die alte Provinz Rohuna, und das 
centrale Maya-Land sind noch gegenwärtig von Sinhalesen?) bewohnt, 
jene von verhältnilsmäfsig reinblütigen Sinhalesen, dieses von den stellen- 
weise etwas mehr gemischten Kandiern, welche als die nächsten Nach- 
barn der Weddas schon mehrfach erwähnt sind. Die ethnologische Stel- 
lung der Sinhalesen ist bis jetzt hauptsächlich nach linguistischen Merk- 
malen erörtert worden. Ihre Sprache ist seit Rask °) längere Zeit als 
eine dravidische betrachtet worden. Lassen*) hat für diese Auffassung 
seine grolse Autorität eingesetzt; er betrachtete „das Volk der Sinhalesen 
seiner Sprache nach als zu der grofsen Familie der Dekhanischen Stämme“ 
gehörig. Noch neuerlichst erklärt Hr. Friedrich Müller?) das Sinha- 
lesische für ein, mit indischen Elementen freilich stark versetztes, den 
Dravida-Sprachen verwandtes Idiom, welches jedoch genealogisch davon 
verschieden und insofern unabhängig entwickelt sei. Er hält daher die 
Bevölkerung für ein Gemisch der Urbewohner, welche mit den Dravidas 


1) Tennent l.c. I. p. 327. II. p. 103 (Abbildung). 

?) Ich folge in der Schreibung dieses Namens (statt Singhalesen oder Cinga- 
lesen) den Erläuterungen von Childers |. ce. p. 37. 

3) Rask Singalesisk Skriftlaere. Kolombo 1321. (eitirt von Lassen), 

*) Christ. Lassen Indische Alterthamskunde I. S. 199, 303. 

5) Fr. Müller Allgemeine Ethnographie. Wien 1879. S. 466, 477. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 33 


eines Stammes zu sein schienen, mit eingewanderten Indern!). Die gerade 
entgegengesetzte, in der neueren Zeit immer mehr zur Anerkennung ge- 
langende Auffassung vertreten d’Alwis?) und Childers?), die beide in 
der Civilverwaltung der Insel beschäftigt waren. Childers, dessen gründ- 
liche Kenntnifs der indischen Sprachen allgemein anerkannt ist, trennt 
das heutige Sinhalesisch von dem alten Elu, von dem es allerdings ab- 
stamme, von dem es sich jedoch durch die ungeheure Aufnahme von, 
zum Theil unveränderten Sanskritwörtern unterscheide, wie das heutige 
Englisch vom alten Angelsächsisch. Der Name Elu selbst ist nach ihm 
identisch mit dem, übrigens dem Sanskrit entlehnten, von den Ungebilde- 
ten Hingala ausgesprochenen Worte Sinhala, wie die Sinhalesen selbst sich 
nennen; es steht für ein älteres Hela oder Helu, und diefs wieder für 
ein noch älteres Sela, welches uns zu dem Palı von Sihala zurückleite. Die 
alte Tradition, wonach Wijayo, der Gründer der Sihala-Dynastie, von Läla. 
einem Distrikt von Magadha (Behar) in Indien, gekommen sei, stimme 
sehr gut mit dem Umstande, dafs nach einer anderen Tradition Palı ur- 
sprünglich ein Magadba-Dialekt war. Pali und Sinhalesisch seien so nahe 
verwandt, dafs man auf den ersten Blick fast glauben könne, das letztere 
stamme von dem ersteren ab; bei genauerer Betrachtung ergebe sich aber, 
dafs Palı, worin die Lehren des Buddha geschrieben wurden, nur den 
Dialekt des einen Distrikts von Magadha darstelle, Sinhala dagegen den 
Dialekt eines anderen Distriktes von Magadha uns erhalten habe. Sinha- 
lesisch sei daher eine der einheimischen arischen (sanskriti- 
schen) Sprachen Indiens und sehr alt. Denn es sei ganz identisch 
mit dem Elu des 5ten und 6ten Jahrhunderts nach Christo, wie es sich 
übrigens schon in der Felsinschrift von Mahintale aus dem 2ten bis 
3ten Jahrhundert finde. Die frühe Fixirung der Sprache erkläre sich 
dadurch, dafs Mahinda schon am Anfange des 3ten Jahrhunderts vor 
Christo ein buddhistisches Werk aus dem Palı in das Sinhalesische über- 
setzte und das letztere dadurch zur Schriftsprache machte. 


1) Reise der Novara, a.a. ©. S. 139. 
2) James d’Alwis. On the origin of the Sing. Language. Journal of the Cey- 
lon Branch R. Asiat. Soc. 1867— 70. 
3) Journal ofthe Royal Asiat. Soe. New Series. London 1875. Vol. VII. p. 35. 
1876. Vol. VIIL p. 131. 
Phys. Kl. 1881. Abh.l1. 5 


34 Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Wie sich dazu die Wedda-Sprache stellt, ist noch in hohem 
Maalse dunkel. In Ceylon selbst ist die Meinung, dafs sie ein gebrochenes 
oder verdorbenes Sinhalesisch sei, schon lange verbreitet!). Auch Hr. 
Bailey?) hat sich ihr angeschlossen, obwohl er die Weddas als Abkömm- 
linge einer alten tamilischen Bevölkerung betrachtet. Aber er fand in 
ihrer Sprache zahlreiche Hindu-Worte; namentlich entsprachen viele Per- 
sonen-Namen der Weddas den Namen von Göttern oder Göttinnen der 
Hindus. Er war daher geneigt, eine frühe Mischung der Weddas mit 
Sanskrit sprechenden Indern anzunehmen. Hr. Max Müller?) bestätigte 
die Häufigkeit der Sanskritworte in der Weddasprache; mehr als die Hälfte 
der Wedda-Worte sei, gleich dem Sinhalesischen selbst, reine Corruption 
von Sanskrit. Auch Hr. Edward T. Tylor®), welcher das Sinhalesische 
als eine arische Sprache betrachtet, hält die Wedda-Sprache für einen 
sinhalesischen Dialekt, jedoch mit beigemischten dravidischen (Telugu-) 
Worten. Daher findet er einen auffälligen Widerspruch, indem ein wahr- 
scheinlich nicht-arischer, eingeborner Stamm eine arische Sprache rede. 
Das sei ein ganz einziger Fall in der Ethnologie. Später?) wiederholt er 
seine These in folgenden Worten: „Sowohl Legende wie Sprache machen 
eine Beimischung von arischem Blute in Begleitung von arischer Sprache 
wahrscheinlich, während die körperlichen Charaktere erkennen lassen, dafs 
die Veddarasse hauptsächlich dem eingebornen vor-arischen Typus 
angehört.“ 

Neuerlich hat wiederum Hr. Hartshorne®), im geraden Gegensatze 


1) Knox |. e. p. 122. Mr. Justice Starke. Journ. of the Ceylon Br. R. A. 
S. 1853. p. 80. Gillings. Ebendas. p. 84. 

2) Bailey 1. c. p. 297, 305, 309. Er hebt besonders hervor, dals der soge- 
nannte Elch von Ceylon (Rusa Aristotelis) in der Wedda-Sprache gawra heilst, was an 
den Gaur (Bos gaurus) von Hindostan erinnere. Freilich heifst auch der Pengolin (Manis 
pentadactylos) gal gawra. 

3) Max Müller. Address to the first meeting of the Aryan section of the 
Oriental Congress of 18374, eitirt von Childers l. e. Vol. VIII. p. 131 note. 

*) Journal of the Ethnologiceal Society of London. 1870. New Ser. Vol. II. p. 96. 

5) Edward B. Tylor. Die Anfänge der Cultur. Deutsch von Spengel u. Poske. 
Leipzig 1873. Bd. I. S. 51. 

6) Hartshorne l. e. p. 417. Besides the words which indieate an affinity 
with Sinhalese, there are others which are allied with Pali and with Sanskrit, and an 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 35 


zu Hrn. Tylor, die völlige Abwesenheit eines bestimmt dravidischen 
Elementes in der Wedda-Sprache behauptet, und nur Beziehungen dersel- 
ben zu dem Sinhalesischen, dem Pali und dem Sanskrit zugestanden. 
Umgekehrt bestreitet Hr. Cust!) jede Beimischung von Pali oder Sans- 
krit, und hält die Wedda-Sprache einfach für einen Dialekt des Sinha- 
lesischen, welches er, wie die anderen Autoren, für eine arische Sprache 
ansieht. 

Bei dieser Differenz der linguistischen Ansichten läfst sich leider 
von dieser Seite nur wenig für die Auffassung der phylogenetischen 
Stellung der Weddas gewinnen. Vielmehr steigert sich dadurch nur das 
käthselhafte in dem Auftreten eines an sich so merkwürdigen Volkes, 
und das rein anthropologische Interesse tritt noch mehr in den Vor- 
dergrund. 

Soviel wir bis jetzt wissen, trägt das Volk, wie so viele andere, 
einen ihm von aufsen beigelegten Namen. Nur Hr. Hartshorne behauptet 
nach einer, von ihm an Childers?) gemachten Mittheilung, dafs es sich 
selbst diesen Namen (gesprochen vaeddä) beilege. Die gewöhnliche An- 
gabe lautet gerade umgekehrt. Die Bezeichnung Wedda oder eine 
ähnliche (Vedda, Veda, Vedan, Vaidan, Beda, Bedan u. s. w.) ist, wie 
letzthin Hr. F. Jagor?) in einer umfassenden Zusammenstellung gezeigt 
hat, in Indien ungemein verbreitet. Eine ganze Reihe kleinerer Stämme, 
die weit von einander entfernt wohnen und wahrscheinlich zum Theil 
nicht das Mindeste mit einander zu thun haben, werden ganz gleich oder 
doch ganz ähnlich bezeichnet. Der Uebersetzer von Percival’s Werk, 


important residue of doubtful origin; but it is worthy of remark that from beginning to 
end the vocabulary is characterized by an absence of any distinetly Dravidian element, 
and that it appears to bear no resemblance whatever to the language spoken by the 
Yakkas of East Nipal. A similarity may indeed be traced here and there between a 
Wedda word and the equivalent for the same idea in modern Tamil, Malayalam, or 
Telegu, but the cases in which comparison is possible are so rare that these apparent 
coineidences may be fairly considered to be merely fortuitous. 

1) Rob. Cust. A sketch of the modern languages of East India. London 
1878. p. 63. 

2) Childersl. ce. Vol. VII. p. 131. 

®) Verhandlungen der Berliner anthropologischen Gesellschaft vom 17. Mai 1379. 
S. 172. Zeitschr. für Ethnologie. Bd. XI. 


36 VırcHow: Ueber die Weddas von ÜCeylon 


Bergk!), erinnert daran, dafs es sogar in Sumatra und Borneo Bedahs 
gebe. Gleichviel, ob das Wort von dem Sanskrit (Vyädha, Jäger) oder 
dem Tamil (Vedan, Jäger, Waldbewohner) herstammt, soviel scheint 
sicher zu sein, dafs es sich überall, wo es nicht in Zusammensetzungen, 
z. B. in dem früher angeführten Dodda-Wedda, gebraucht wird, auf 
Aboriginer oder wilde Rassen bezieht. Insofern steht es, wie Hr. Bailey?) 
bemerkt, den nur literarisch gebrauchten Worten Habara (Barbar) und 
Vannacharakiya (Jäger) gleich. Dr. Max Müller, der als die richtige 
Schreibung Vaeddä oder ursprünglich Vaedi (vaediminissa = Wedda Volk) 
angiebt, ist mit der Ableitung von vyädhah ganz einverstanden, und 
Childers definirt daher die Weddas als „wilde Sinhalesen.“ 

Wie lange der Name im Gebrauch ist, läfst sich bis jetzt nicht 
ausmachen. Aus den Werken der abendländischen Schriftsteller ist bis 
jetzt nur eine ältere Stelle aufgefunden, welche wahrscheinlich den Namen 
der Weddas in verstümmelter Form aufbewahrt hat. In einem, dem 
Bischof Palladius von Helenopolis in Bithynien (7 410), vielleicht 
fälschlich zugeschriebenen Werke®), welches die Reise eines Mannes von 
Theben in Aegypten nach Ceylon schildert, heilst es: eisı de zul ei BıSrades 
dvSgwrdgia noroßd, Meravorepara, drapra nal arrcrgige. Sir Tennent*) 
liest nach einer anderen Ausgabe Bırades, indefs würde Bı$rzdes dem Worte 
Wedda noch näher kommen. Da auch die weitere Beschreibung?) recht 
gut auf die Weddas palst, so darf wohl angenommen werden, dafs hier 
der Name zum ersten Male dem Abendlande überliefert wurde. Früher 
hören wir nur, dafs Megasthenes zu Alexander’'s Zeit Palaeogonen auf 
der Insel kannte®), was nach Sir Tennent?) Pali-Putra (Söhne der Palı) 


1). Percival a. a.:O. S. 335. 

2), Bailey]. .csp.1297. 

3) IarAudıov megı rav rns Tvöıds za av Bewyudvav. Palladius. De gentibus 
Indiae et Bragmanibus. London 1668. p. 5. 

4) Tennent I. p. 538. note 2. II. p. 438. note 6. 

°) Tennent giebt nEyarorsharc statt des meravozedare der von mir eitirten 
Ausgabe; obwohl ersteres vielleicht besser palst, mufs ich doch bemerken, dals die bei- 
gefügte lateinische Uebersetzung in der Ausgabe von 1668 capite nigro lautet. 

6) Plinius. Natur. hist. Lib. VI. cap. 24. 

7) Tennent I. p. 529. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 37 


bedeuten, nach Lassen!) dagegen sich auf die Räxasas oder Riesen 
beziehen soll. Im ersten Falle würde es mehr die Sinhalesen, im letzteren 
dagegen die Weddas (freilich nicht im Sinne von Riesen) treffen. Auch die 
inländischen Schriftsteller gebrauchen den Namen der Weddas erst spät. 

Hr. Hartshorne?) ceitirt freilich aus einer alten Ola (einem, 
mit einem Stylus auf Palmblätter geschriebenen Buche), welche in dem 
Besitze eines Häuptlings der Kandier war, dafs König Dutthagämini (160 
vor Chr.) an dem von ihm gebauten Tempel Kataragama Dewale Weddas 
als Diener des Gottes Skanda anstellte und zwar wegen der Reinheit 
ihrer Kaste. Da indefs das Alter der Ola nicht bekannt ist, so läfst sich 
aus dieser Notiz kein sicherer Schlufs machen. Nur der Umstand, dals 
auch hier wieder die Reinheit der Kaste betont wird, mufs uns vorsichtig 
machen, in den Weddas ein Mischvolk zu sehen. Wenn man erwägt, 
seit wie langer Zeit und mit welcher skrupulösen Sorgfalt die indischen 
Völker das Kastenwesen ausgebildet und bewahrt haben, so erscheint die 
Thatsache, dafs sie die Einheit und Reinheit eines so wilden 
Stammes ohne Ausnahme anerkannt haben, sicherlich von grolser 
Bedeutung. 

In der That bezeugen alle Beobachter die einheitliche Beschaffen- 
heit der Weddas. Die verschiedenen Namen, welche man einzelnen 
Abtheilungen derselben beigelest hat, beziehen sich nicht auf Stammes- 
verschiedenheiten, sondern auf geographische und topographische Unter- 
schiede?). So unterscheiden die Tamilen die Manalkadu oder Sandy- 
jungle Weddas von den Cholaikkadu Weddas, d. h. die an der Seeküste 
wohnenden, welche Chena-Land bauen und Tamil sprechen, von den noch 
nomadisirenden, welche ganz von jenen verschieden seien, noch etwas von ihrer 
ursprünglichen Barbarei bewahrt haben und die mehr abgelegenen Theile 
des Bintenne-Distrikts bewohnen®). Jedenfalls ist diese Verschiedenheit 
nicht so zu verstehen, dafs typische Unterschiede der Stämme beständen. 

Aus dem Mitgetheilten ergiebt sich, dafs bis jetzt zwei Haupt- 
ansichten sich gegenüber stehen, welche sich vorzugsweise auf linguistische 


1) Lassen. De Taprobane insula p. 9. 
2) Hartshorne ]l. c. p. 414. 

3) Derselbe 1. c. p. 406. 

#) Derselbe 1. c. p. 411. 


38 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


und nur zum Theil auf rein anthropologische Beobachtungen stützen. 
Nach der einen wären die Weddas nächste Verwandte der Dravidas, nach 
der andern ein Glied der grofsen arischen Familie. In beiden Fällen 
müfsten sie von dem Festlande herübergewandert sein, nur im ersteren 
sehr viel früher, als im zweiten. Für eine solche Ueberwanderung finde 
ich nur eine einzige Conjektur erwähnt. Der Rev. Gillings!) führt die 
Erzählung an, dafs die Weddas ursprünglich einen Theil einer sinhalesischen 
Gemeinschaft (community) bildeten, welche an der Küste von Indien wohnte, 
und dafs sie von da in einer sehr frühen Zeit wegen gewisser Verge- 
hen (for certain offences) auf die Insel herübergebracht seien, bevor die 
Sinhalesen als Volk die Küsten Ceylons betraten. Aber nirgends ist 
gesagt, dafs eine solche sinhalesische Gemeinschaft irgendwo an der indischen 
Küste bestanden habe. Auch mülste die Wedda-Sprache, wenn eine so 
frühzeitige Abtrennung derselben von einem gemeinsamen arischen Stamme 
stattgefunden hätte, gewisse Besonderheiten bewahrt haben, welche einer 
älteren Zeit der Bildung angehörten, und auch davon ist nichts bekannt. 

Sehr viel einfacher würde die Erklärung sein, wenn man annehmen 
dürfte, dafs die Weddas ein ursprünglich dravidischer Stamm oder wenig- 
stens den Dravidas nahe verwandt oder, wenn von ihnen verschieden, 
doch ein wildes Aboriginervolk waren und dafs sie erst nachträglich durch 
die arischen Eroberer ihre jetzige Sprache erhalten hätten. Mit einer 
solchen Annahme würde sich die von so grofsen Autoritäten vertheidigte 
Identität dieser Sprache mit dem Sinhalesischen ohne Zwang vertragen. 
Aber es läfst sich nicht leugnen, dafs es schwer ist, sich vorzustellen, wie 
der Prozefs der Sinhalisirung sprachlich sich vollzogen haben soll, während 
die ganze Form des Lebens, die Sitten und Gebräuche völlig unverändert 
blieben. 

Mit dem von Childers gewählten Namen der wilden Sinhalesen 
ist wenig gewonnen. Soll das bedeuten „Wilde mit sinhalesischer Sprache“, 
so wird nur eine Thatsache, aber keine Erklärung gegeben. Soll es da- 
gegen heifsen „verwilderte Sinhalesen“, so würden wir mit unseren Er- 
klärungen auf irgend eine Zeit nach Wijayo zurückgeworfen, und wir 
müfsten die ganz aulserhalb aller Erfahrung stehende Hypothese hinzu- 


1) Journ. Ceylon Branch R. Asiat. Soc. 1853 p. 34. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 39 


fügen, gegen welche ich mich schon vorher erklärt habe, dafs die Weddas 
von einem Zustande höherer Civilisation, wie er offenbar bei den Sinha- 
lesen bestanden hat, auf die niedrigste Stufe menschlicher Existenz zurück- 
gesunken seien. Religion, politische Organisation, bürgerliche Gesellschaft, 
alle Künste und Gewohnheiten des sefshaften Lebens mülsten verloren, 
ja vergessen worden sein, und zwar in nächster Nähe, ja in direktem 
Contakt mit Bevölkerungen, welche eine reiche und lange Geschichte 
durchgemacht haben. Eine solche Erniedrigung liefse sich nicht denken, 
ohne dafs man zugleich eine gewaltige physische Entartung nachwiese. 

Von welcher Seite wir auch das Problem betrachten, immer kommen 
wir zu der Erkenntnils, dals die Linguistik nur als ein Hülfsmittel der 
Untersuchung verwendet werden darf, und dafs vielmehr, wenn überhaupt 
eine Lösung gefunden werden kann, dies nur auf dem Wege der physi- 
schen Anthropologie möglich sein wird. Was ich in dieser Beziehung 
beibringen kann, ist keineswegs ausreichend, um die volle Lösung herbei- 
zuführen, aber es wird vielleicht dazu beitragen, die Möglichkeiten der 
Deutung auf ein geringeres Maals zurückzubringen und damit die definitive 
Entscheidung vorzubereiten. Zugleich hoffe ich, dafs diese Erörterungen 
neue Arbeiten, namentlich auf der Insel selbst, hervorrufen werden, damit 
wenn möglich noch in letzter Stunde alle Anstrengung daran gesetzt 
werde, die Reste des absterbenden Volkes auf das Genaueste zu 
beschreiben. 

Die bisherigen Ermittelungen über die physischen Eigenthüm- 
lichkeiten der Weddas ergeben Folgendes: 

Schon die Beschreibung der BıSr«des (Bırades) liefert recht charak- 
teristische Züge. Die Hauptstelle ist vorher mitgetheilt worden: Kleinheit 
und Schwäche des Körpers, schwarze Farbe (oder scheinbare Gröfse) des 
Kopfes, lange, ungeschorene, glatte Haare!). Dazu kommt noch die 
weitere Angabe, dafs das Volk das kleinste (ravv nuıngorarov zai adgavertarev) 


1) Die schlechte lateinische Bearbeitung, welehe dem heiligen Ambrosius zuge- 
schrieben wird, lautet in dem, der oben eitirten Ausgabe des Palladius beigefügten Abdrucke 
(S. Ambrosius de moribus Brachmanorum p. 59): Nam et ipsos exiguos homunculos 
esse et grandia quaedam capita asserit habere cum leyibus et detonsis capillis. Hier ist 
also wieder die Lesart neyarozepar« vorausgesetzt. 


40 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


sei, in Felshöhlen (ArStvors aryAaicıs) wohne und sehr geschickt im Klettern 
über Abhänge sei. 

Knox hat, wie gleichfalls schon angeführt, auf seiner Flucht durch 
die Wälder des Weddaratte keine Menschen, sondern nur leere Wohnplätze 
gesehen, und die in seinem Buche enthaltene Abbildung giebt daher 
einen Mann, der sich von den sonst darin abgebildeten Sinhalesen nur 
durch seine kürzere und mehr gedrungene Gestalt unterscheidet; nament- 
lich trägt derselbe Bart und Kopfhaar ganz wie die Sinhalesen, letzteres 
in einen Knoten am Hinterkopfe zusammengefafst. 

Perceival!) sah 1798 gefangene Weddas in Colombo. Nach 
seiner Darstellung seien. die Weddas heller (fairer in complexion, 
die deutsche Uebersetzung hat „schöner“), als die übrigen Ceylonesen, 
von einem ins Kupferfarbene fallenden Colorit, auffallend gut gebaut, 
sie trügen lange Bärte und hätten ihr Haar oben auf dem Wirbel dicht 
zusammengebogen. 

Valentijn?) sagt, die Bedas oder Wedas seien eine Art von 
wilden Buschmenschen und die ältesten Einwohner der Insel: zwart van 
Verwe, brandend van Oogen, niet groot van Gestalte, maar gezet en rad 
van Lieden. 

Auf diese sehr allgemein gehaltenen Angaben folgte endlich durch 
John Davy?) die erste, bestimmt auf Autopsie beruhende, naturwissen- 
schaftliche Beschreibung. Er sagt: Such of the village Weddahs that 
Ihave seen, were in general small men, between five feet three and five 
feet five inches high, slender, muscular, and well made; in colour, form, 
and features resembling the Singalese. Their appearance was wild in the 
extreme, and completely savage. Their hair was quite emblematie of 
their forests: it seemed never to have been cut, or combed, or cleaned; 
and was long, bushy, and matted, hanging about their shoulders, and 
shading their face in a very luxuriant and disgusting manner; nor were 
their beards less neglected. 

Sir Emerson Tennent#) giebt folgende Gesammtschilderung von 


1) Pereival]. c. p. 288. Deutsche Uebersetzung S. 337. 
2) Valentijn 1. c. Bl. 49. 

S)eDairy Ieerpe ul6 

4) Tennent |. ce. Vol. II. p. 450. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 41 


den Weddas aus der Gegend von Bintenne: They all presented the same 
characteristics of wretehedness and dejection, — projecting mouths, prominent 
teeth, flattened noses, stunted stature, and the other evidences of the 
physical depravity which is the usual consequence of hunger and ignorance. 
The children were unsightly objects, entirely naked, with misshapen joints, 
huge heads, and protuberant stomachs; — the women, who were apparently 
reluctant to appear, were the most repulsive specimens of humanity I 
have ever seen in any country. 

Pridham!) giebt den Bericht eines Hrn. Bennett, der auf einer 
Jagdpartie auf eine Gruppe von (Dorf-) Weddas stiefs und deren Gast- 
freundschaft genofs. Letzterer sagt von ihnen: They were not more than 
five feet two inches in height, their hands small, but their feet were long 
and flat; hair matted and tied in a bunch at the back of the head, a large 
bushy beard almost covering the face; eyes small, piereing, and constantly 
in motion to the right and left, and their ears seemed almost as restless 
as their eyes. 

Wenden wir uns nach diesen allgemeinen Schilderungen zu dem 
Einzelnen, so stimmen zunächst alle Angaben darin überein, dafs die 
Weddas durchschnittlich von kleiner, um nicht zu sagen, sehr kleiner 
Statur sind. Dr. Davy (in dem Citat von Prichard) sagt über sie: they 
are well made and muscular, but of a spare habit; and in person they 
chiefly differed from the Kandians in the slightness of their limbs, the 
wildness of their looks, and their savage appearance. Gillings erklärt: 
The Veddähs are mostly low in stature, but some of them are strong, 
active men, and most of them appear to be healthy and little subject to 
disease. Die Beschreibung von Bailey?) lautet folgendermaalsen: In 
appearance, the Veddahs differ materially from the Singhalese. They are 
smaller in every respeet, and rather dark, or, more properly, more dusky 
in complexion. They are short, slightly built, yet very active. Though 
far from being museular, their limbs are firmly knot together, and they 
are athletie and eapable of enduring great fatigue. Though spare, they 
are generally in very fair condition, and look more healthy than many 


1) Pridham I. e. I. p. 460. 
2) Bailey Il. ce. p. 282. 
Phys. K1. 1881. Abh. 1. 6 


42 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


of the Singhalese in the adjoining distriets. Er maafs verschiedene von 
ihnen. Der gröfste Mann, der über seine Genossen hoch hervorragte 
(towering), hatte nur 5 Fufs 3 Zoll in der Höhe; es war ein „mehr 
eivilisirter“* Wedda von Bintenne. Der kürzeste, den er sah, maals 4 Fuls 
1 Zoll. Als mittleres Maafs für die Männer betrachtet er 4 Fufs 6 Zoll 
bis 5 Fufls 1 Zoll, für die Weiber 4 Fufs 4 Zoll bis 4 Fufs 8 Zoll. In 
einer Liste von Messungen, die auf seine Veranlassung angestellt waren, 
sind 2 Männer mit 5 Fuls 3 Zoll und einer mit 5 Fufs 3-4 Zoll ange- 
geben; falls diese Messungen richtig seien, so gingen sie seiner Meinung 
nach über das mittlere Maafs hinaus. Unter 14 Weddas von Bintenne 
war der grölste 5 Fuls 3-4 Zoll, der kleinste 4 Fufs 64 Zoll; das Mittel 
betrug 5 Fuls 4 Zoll. Unter 12 Weibern war die gröfste 5 Fuls 24 Zoll, 
die kleinste 4 Fufs 44 Zoll; das Mittel betrug 4 Fuls 9 Zoll. 

Hr. Hartshorne!) giebt nur 2 Messungen von Leuten, die er für 
gute Beispiele des Mittelschlages (fairly average specimens of the race) 
hielt. Der eine von ihnen, Latty, etwa 18 Jahre alt, hatte eine Höhe von 
5 Fufs 44 Zoll; der andere, Bandiey, etwa 25 Jahre alt, maafs 4 Fuls 
113 Zoll. 

Wenn man dies in Metermaafs umrechnet, so ergeben sich folgende 
Extreme: 

der gröfste Mann 1638 Mm., 
der kleinste „ 1245 „ 
Das Mittel nach den Messungen in Bintenne ergab für die 
Männer 15537 Mm. 
Weiber 1448 „ 

Daraus folgt, dafs die Weddas sich den kleinen, um nicht 
zu sagen, den Zwerg-Rassen anschlielsen. 

In Beziehung auf die Einzelheiten des Wuchses bringt die Mehrzahl 
der Beobachter eigentlich keine positiven Thatsachen vor, welche für eine 
unverhältnifsmäfsige oder mangelhafte Ausbildung der einzelnen Regionen 
sprechen. Nur Hr. Hartshorne, der das Aussehen der Weddas als ent- 
schieden nicht-arisch bezeichnet, behauptet, sie hätten kurze Daumen und 


1) Hartshorne ]. c. p. 408. note. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 43 


scharfspitzige Ellenbogen. Es würde sehr erwünscht sein, wenn diese 
Angaben durch neue Beobachtungen sicher gestellt würden. 

Die Hautfarbe der Weddas ist dunkel, nach den meisten Angaben 
dunkler als die ihrer Nachbarn, der Sinhalesen, von denen Dr. Davy 
sagt, dafs ihre Farbe vom lichten Braun bis zum Schwarz (black) varlire. 
Bailey nennt die Farbe dark or more dusky, womit jedenfalls sehr tiefe 
Schattirungen bezeichnet sein sollen. 

Das Kopf- und Barthaar beschreibt Davy als lang und verfilzt 
(matted); es werde niemals geschoren oder gekämmt. Sir Emerson 
Tennent!) sagt: Their long black hair and beards fell down to their 
middle in uncombed locks. Sirr?) berichtet, das Kopf- und Barthaar 
hänge in dichten Mähnen (in redundant tresses) über Schultern nnd Busen 
in verfilzten Massen herab, Bailey nennt den Bart kurz und spärlich; 
das Kopfhaar, welches nicht lockig (curly) sei, falle in wirren ver- 
zottelten Massen (in rusty, tangled masses) über das Gesicht herab und 
lasse den Kopf ganz unverhältnifsmälsig grofs erscheinen. Später be- 
zeichnet er das Haar als wild und zottelig (wild, shagsy). Wenn man 
die Leute sehe, mit ihren zotteligen (rugged), ungekämmten Locken (locks), 
welche das Gesicht halb verdecken, so erfüllten sie vollständig die vorge- 
falste Vorstellung von ganz barbarischen Wilden. Hartshorne?) nennt 
das Kopfhaar grob und flatternd, (coarse, flowing) und hält es für nöthig, 
hinzuzufügen, dafs ihr Körper in keiner Weise behaart (hirsute) und 
durchaus keine Neigung des Haars vorhanden sei, gegen die Ellbogen zu 
eonvergiren und von dem Kinn aus zu divergiren, oder umgekehrt. 

Durch die Güte des Hrn. Bastian sind mir zwei Photographien 
einer Wedda-Gesellschaft zugänglich geworden, welche derselbe in 
Colombo erworben hat. Es sind darauf 3 Männer und 3 Weiber in 
ganzer Gestalt, aber leider in zu geringer Gröfse dargestellt. Wie es 
scheint, war dies dıe Gesellschaft, welche dem Prinzen von Wales bei 
Gelegenheit seines Besuches auf der Insel vorgeführt wurde. Hr. Hart- 
shorne, der freilich nur von 2 Männern und 3 Weibern spricht, ist 


t) Tennent ]. c. Vol. II. p. 449. 
2) H. Ch. Sirr Ceylon and the Cingalese. London 1850. Vol. II. p. 216. 
3) Hartshorne ]l. c. p. 408, 409. 


44 Vırcnow: Ueber die Weddas von Ceylon 


der Meinung, dafs sie aus dem Distrikt von Batticaloa stammten, wo die 
wenigen, noch übrig gebliebenen Weddas, theils durch den Einflufs der 
Missionare, theils durch Heirathen mit Tamilen, manche unterscheidende 
Züge ihres primitiven Zustandes eingebülst hätten. Zwei von den Weibern 
hätten ein recht angenehmes Aeufsere gehabt und eine sei als wirklich 
hübsch (pretty) geschildert worden; die beiden Männer wären als klein 
und affenartig beschrieben worden. Diese Schilderung trifft auf die er- 
wähnten Photographien ziemlich gut zu. 

Obwohl es sich also vielleicht nicht gerade um ganz wilde Weddas 
handelt, so habe ich doch, da es sonst an allen Abbildungen mangelt, 
durch Hrn. Mützel von zweien der Männer und einem Weibe Zeichnun- 
gen anfertigen lassen, nach denen der beifolgende Holzschnitt gemacht ist. 
Man erkennt daran, aulser den verhältnifs- 
mälsig kurzen, unten breiten und am 
Rücken tiefen Nasen, den scheinbar tieflie- 
senden Augen und den vollen Lippen der 
jüngeren Personen, recht gut den Haarwuchs 
und vermag sich ein ungleich lebendigeres 
Bild der Leute zu machen, als irgend eine 
der Beschreibungen giebt. Von Bart ist nur 
bei einem der Männer etwas zu bemerken. 
Dagegen sieht man den kleinen Schamschurz 
der Männer, den grofsen Bogen und die 


Pfeile mit der blattförmigen Spitze, endlich 
die eiserne Axt im Gürtel. 

Was das Haupthaar anbetrifft, so ist dasselbe bei allen 6 Personen 
verhältnifsmäfsig lang, aber offenbar durch den Kamm in gefälligere Form 
gebracht. Die Weiber haben gescheiteltes, glattes, leicht welliges Haar, 
ebenso der eine Mann, bei dem allerdings eine etwas grölsere Unordnung 
in der Frisur besteht. Zwei von den Männern dagegen zeigen gekräu- 
seltes, wenngleich recht langes Haar, welches ganz in der Art, wie es von 
jeher beschrieben worden ist, einen weit abstehenden und bis auf den 
Nacken herabfallenden Busch bildet. Der Kopf erscheint dadurch sehr 
grols, zumal im Verhältnifs zu dem mageren Glieder- und Rumpfbau. 
Es mufs aber besonders bemerkt werden, dals auch das krause Haar 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 45 


nicht etwa Röllchen bildet, wie bei den Negritos, und dafs auch der 
Haarbusch im Ganzen keine Perrücke darstellt, wie die Viti-Leute oder 
die abyssinischen Stämme sie zu tragen pflegen; vielmehr sind die ge- 
kräuselten Haare sehr lang und fallen in einem grofsen Busch bis auf 
den Nacken herab. Von Wollhaar ist demnach gar keine Rede. 
Es ist verhältnifsmäfsig glattes oder einfach welliges, zuweilen 
leicht gekräuseltes, durch Länge ausgezeichnetes Haar, wie es 
schon Palladius in sehr prägnanter Weise bezeichnet: @xapra za! drAcrgnya. 
Dabei ist zu bemerken, dafs er diese „glatthaarigen“ Leute ausdrücklich 
den Indern (?Negern?), welche er $gi£orgxss nennt, gegenüberstellt. 

Von den Augen führt Davy nur an, dafs sie lebhaft, wild und 
ruhelos seien. Bei Valentijn heifsen sie glühend (brandend). Bailey 
nennt sie gut und oft voll. Nur Hr. Bennett giebt an, dafs sie klein 
(d. h. wohl tiefliegend) seien. Ueber ihre Farbe finde ich keine Angabe. 
Immerhin genügen die Anführungen, um darzuthun, dafs die Weddas 
ein dunkler, wenngleich kein rein schwarzer und kein woll- 
haariger (Neger-) Stamm sind. 

Von der Nase sagt Hartshorne, wie Sir Tennent, sie sei flach, 
und von den Lippen, sie seien zuweilen dick. Nehme man dazu ihre 
kurzen Daumen und ihre scharfzugespitzten Ellenbogen, so gebe das 
Merkmale, wodurch sie sich in bemerkenswerthem Grade von den orien- 
talischen Rassen unterscheiden, welche in ihrer Nähe leben. Bailey 
nennt die Nase wohl gebildet (well shaped), obwohl sie zum Flachen 
neige; die Nüstern seien weit; der Mund zuweilen grofs, die Lippen fest, 
aber etwas dick; die Gesichtszüge erträglich regelmälsig. Sir Tennent 
bezeichnet den Mund als heraustretend und die Zähne als vorstehend. 

Bevor ich dieses Bild mit dem anderer Nachbarvölker vergleiche, 
will ich einige craniologische Mittheilungen anschliefsen. Durch einen 
besonderen Glücksfall war ich selbst in der Lage, 3 Wedda-Schädel unter- 
suchen zu können. Ich hatte mich an den deutschen Consul, Hrn. Ph. Freu- 
denberg in Colombo bei seinem Hiersein gewendet, um wenn möglich 
Schädel von Ceylon und speciell von Weddas zu erlangen. Schon unter 
dem 27. Februar v. J. schrieb er mir, dafs ihm dies zwar noch nicht 
möglich gewesen sei, dafs dagegen der Governor und das Comite des Museums 
in Colombo sich bereit erklärt hätten, mir die in letzterem befindlichen 


46 VırcHow: Ueber die Weddas von Üeylon 


Schädel leıhweise für ein halbes Jahr hierherzuschicken. Dieselben kamen 
in der That im Sommer an, begleitet von einer Note des Dr. A. Haly, 
des Direktors des Museums in Colombo. Ich sage allen diesen Herren 
meinen herzlichsten Dank für ihr ungemein liebenswürdiges Entgegen- 
kommen. 

Zunächst gebe ich eine kurze Beschreibung der Schädel: 


1) Der Schädel No. 1. (Taf. I.) 


Hr. Haly bemerkt dazu Folgendes: Presented by W. W. Hume, Govt. Agent 
Southern Province. This skull is said to be that of a Veddah Woman and was found 
at Denilane near Batticaloa, but there seems to be no evidence to shaw that it is a 
Veddah skull. 

Ein sehr glatter und weilser, offenbar weiblicher Schädel von geringer 
Capaeität (1250 Cub.-Cm.), mit stark abgenutzten Zähnen. Ob ein Unterkiefer dazu 
gehört, ist fraglich, denn obwohl die Gelenkfortsätze des einen ziemlich passen, so 
erscheint er doch etwas zu kurz. Er ist daher in der Zeichnung weggelassen. 

Die Schädelkapsel ist lang, schmal und flach, von ausgemacht dolichocephalem 
Index (70, 9). Die Stirn ist ganz steil, aber nicht hoch, ohne stärkere Orbitalwülste, 
dagegen mit starken Tubera; die Glabella wenig vertieft, am Nasenfortsatz ein Rest 
von Stirnnaht, 1 Cm. lang. Die Scheiteleurve erscheint in der Seitenansicht lang, ebenso 
das schmale Hinterhaupt. Die Norma oceipitalis zeigt einen leicht ogivalen, jedoch im 
Ganzen gerundeten und nach unten sich verschmälernden Umrifs. An der hohen und 
spitz zulaufenden Hinterhauptsschuppe ist keine deutliche Protuberantia externa, dagegen 
finden sich starke Cerebellarwölbungen. 

Die Nähte sind wohl erhalten und ziemlich stark gezackt. Beiderseits tempo- 
rale Schaltknochen: rechts ein ganz trennender, länglicher, mit etwas Stenokrotaphie 
und niedrigem Angulus parietalis; links ein unvollständiger, nur in der hinteren Hälfte 
der Sphenoparietalnaht enthaltener, neben welchem die Spitze der Ala sphenoidealis hoch 
herauftritt, der Angulus pariet. dagegen niedrig ist. Auch im unteren Theil der Lambda- 
naht beiderseits und an der hinteren Seitenfontanelle Schaltknochen. 

In der Unteransicht tritt die Schmalheit und die Länge des Hinterhaupts deutlich 
hervor. Das sehr grofse Foramen oceipitale magnum ist am hinteren Rande verletzt, 
läfst sich jedoch schätzungsweise messen. Die Gelenkhöcker weit nach vorn gestellt und 
ihre Flächen mehr nach aufsen gewendet. Kleine Warzenfortsätze. 

In der Vorderansicht erscheint die Stirn verhältnilsmäfsig breit, das Gesicht 
niedrig und von mälfsiger Breite; Index 83, 1, also chamaeprosop. Die sehr grofsen 
Orbitae sind gleichfalls breit und nach aufsen und unten ausgeweitet, jedoch im Ganzen 
von mehr rundlicher Form; ihr Index beträgt 84,6, ist also mesokonch. Die Wangen- 
beine treten etwas vor und die Fossae caninae sind dem entsprechend sehr tief, dagegen 
liegen die Jochbogen ziemlich eng an. Die Nase setzt oben etwas hoch und schief an 
und ist an ihrer Wurzel schmal, der Rücken etwas eingebogen, die Apertur grols, der 
Index 50, also mesorrhin. Der Oberkiefer ist im Ganzen niedrig, namentlich am 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 47 


Alveolarfortsatz, der schwach prognath ist. Der Gesichtswinkel (Stirn, Nasenstachel, 
Gehöröffnung) milst 32°. Der Gaumen lang und nach hinten breit, die Zahnlinie leicht 
hufeisenförmig und die Zähne, beziehentlich die Zahnhöhlen, besonders vorn, grols. Index 
leptostaphylin, 75. 

Der (fragliche und schon aus diesem Grunde nicht mitgezeichnete) Unterkiefer 
klein und niedrig, die Aeste schräg angesetzt und schwach, namentlich schmal. Die 
Distanz der Kieferwinkel beträgt nur 835 mm, 10 mm weniger, als die untere Frontalbreite. 


2) Der Schädel No. 4. 


Hr. Haly bezeichnet ihn als evidently abnormal und sagt von ihm und von dem 
folgenden (No. 5): were procured by the Revd. S. Somanader, the Veddah Missionary 
at Batticaloa. There is a lower jaw bone, but I do not know to which skull they 
belong. Mr. Somanader guarantees them as being the skulls of absolutely pure blooded 
Veddahs, a race he says now almost entirely extinet. 

Der wahrscheinlich gleichfalls weibliche Schädel ist ohne Gesicht. Vielleicht hat 
dazu ein seniler Unterkiefer mit gänzlich obliterirten Zahnhöhlen, ganz steilen und zarten 
Aesten und Gelenkköpfen, welche durch Arthritis chronica senilis verändert sind, gehört, 
indels macht der Schädel keinen so sehr greisenhaften Eindruck. 

Derselbe ist von ungewöhnlicher Kleinheit: sein Innenraum mifst nur 1025 Cub.- 
Cm., er ist also fast nannocephal. Dabei ist er sehr schief, namentlich links hinten ein- 
gedrückt, dem entsprechend kurz, aber etwas breit und hoch. Der Index beträgt 80,6, 
ist also brachycephal. Der Grund dieser Abnormität ist wahrscheinlich eine künst- 
liche oder zufällige Deformation, denn, obwohl er eine Synostose der unteren 
Kranz- und der Sphenofrontalnaht hat, so liegt die Hauptveränderung doch am Hinter- 
haupt. Die anderen Nähte sind stark zackig. Die Squama oceipitalis sehr hoch und 
der Lambdawinkel spitz; gar keine Protuberantia externa. Tubera an Stirn- und Scheitel- 
beinen stark entwickelt. Stirnwölbung voll. Orbitae, soweit ihre Form erkennbar ist, 
sehr grofs. 


3) Der Schädel No. 5. 


Es ist dies ein männlicher Schädel, leider ebenfalls ohne Gesicht, jedoch sonst 
ganz unverletzt. Seine Capaeität ist beträchtlich gröfser (1360 Cub.-Cm.), als die der 
beiden weiblichen Schädel, jedoch an sich nicht grofs. Die Oberfläche ist mit starken 
Muskelzeichnungen besetzt, namentlich am Hinterhaupt, wo die Facies muscularis squamae 
oecip. sehr tiefe Eindrücke zeigt, die Protuberantia externa ungewöhnlich stark und haken- 
förmig ist und die Linea semieircularis superior einen kräftigen, Vförmig gestalteten 
Vorsprung bildet. Auch die Nasen- und Orbitalwülste sind kräftig, jedoch nicht be- 
sonders grols. 

Die Schädelkapsel ist ausgesprochen dolichocephal, mit einem Index von 73, 
und zeigt in der Seitenansicht eine lange, schön gebogene Curve mit steiler, voller Stirn 
und vollem, stark vortretendem Hinterhaupt. Die Nähte sind gut erhalten, nur die 
unteren Abschnitte der Coronaria und die Sphenofrontalis synostotisch, trotzdem die Schlä- 
fengegend im Ganzen gut gebildet. In der Hinteransicht hat auch dieser Schädel eine 
gerundet-ogivale Form, jedoch mit grölserer Breite der Basis. Die Squama oceipitalis 


48 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


ist hoch und der Lambdawinkel sehr spitz. Die Cerebellarwölbungen grols. An der 
Basis erscheint das Hinterhaupt besonders lang. Die Processus condyloides treten sehr 
stark hervor und haben stark nach auflsen gewendete Gelenkflächen. Die Processus 


mastoides kräftig. 

In der Vorderansicht erscheint die Stirn breit, die Nasenwurzel etwas tief, aber 
schmal, der Nasenrücken aufgerichtet, die Orbita grols und leicht gerundet, die Joch- 
bogen anliegend. 

Obwohl Hr. Haly sagt, es liege kein Beweis vor, dafs der Schädel 
No. 1 ein Wedda-Schädel sei, so sehe ich doch auch keinen Grund, ihn 
nicht als einen solchen zu betrachten. Batticaloa ist, wie aus dem früher 
Mitgetheilten hervorgeht, eine altbekannte Wedda-Gegend, und die Angabe 
des Mr. Hume, dafs es der Schädel emes Wedda-Weibes sei, muls doch 
auf bestimmte Indicien hin gemacht sein. In der That ist es der Schädel 
eines Weibes. Da er auch sonst mit anderen Wedda-Schädeln gut über- 
einstimmt, so trage ich kein Bedenken, ihn als solchen anzuerkennen. 
Der Umstand, dafs er nichts an sich hat, was den gewöhnlichen Vor- 
stellungen von dem Schädel eines „Wilden“ entspricht, kann nicht in das 
Gewicht fallen, da auch die anderen Schädel einen verhältnilsmäfsig zar- 
ten, um nicht zu sagen, eivilisirten Eindruck machen. Es ist dies eine 
Eigenthümlichkeit, welche verschiedenen, unzweifelhaft wilden Bevöl- 
kerungen der östlichen Inselwelt zukommt, und welche namentlich bei 
den Andamanesen, den Negritos der Philippinen und manchen wilden 
Stämmen der vorderindischen Gebirge in gleicher Weise hervortritt. — 
Von den beiden anderen Schädeln ist die Herkunft durch den Missionar 
jener Gegend selbst, Mr. Somanader so bestimmt bezeugt, dafs kein 
Zweifel übrig bleibt. 

Zur Vergleichung kann eine nicht unbeträchtliche Zahl von schein- 
bar gut bestimmten Schädeln herangezogen werden, welche sich in England 
befinden. Davon waren 11 im Besitz des Hrn. Barnard Davis, der 
Notizen darüber in seinem Thesaurus eraniorum, London 1867, p. 130, 
geliefert hat. Unter ihnen sind 4 gleichfalls von Batticaloa, 2 von Badulla 
und 2 von Ouvah. Einige sind defekt und müssen daher für unsere 
Betrachtung ausgeschieden werden. — Andere 9 Wedda-Schädel befinden 
sich in der grofsen anthropologischen Sammlung des Hunter’schen Museums; 
ihre Maafse sind kürzlich von Hrn. W. H. Flower in seinem Oatalogue 
of the specimens illustrating the osteology and dentition of vertebrated 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 49 


animals, contained in the Museum of the Royal College of surgeons of 
England, London 1879, Part I. p. 111, publicirt worden. Unter ihnen 
sind auch diejenigen, welche schon früher Hr. George Busk (Proc. Linn. 
Soc. 1862. Vol. VI. p. 166) beschrieben hat. Von 2 derselben wird ange- 
geben, dafs sie von Nilgala stammen. Die beiden letzteren und der eine von 
Bintenne (Badulla) sind von Hrn. Bailey geliefert. Einer der (männlichen) 
Schädel von Bintenne (No. 675) ist abgebildet m dem Werke der Herren 
de Quatrefages und Hamy (Crania ethnica. Paris 1876—77. Livr. VI. 
Pl. LVIN. Fig. II.—IV.). Bei 2 anderen (No. 681 und 682) wird 
besonders angegeben, dafs sie als authentische Exemplare betrachtet 
würden. 

Im Ganzen können demnach 23 Schädel in Vergleichung genom- 
men werden. Unter ihnen ist aufser dem oben beschriebenen, deformirten 
Schädel (No. 4) aus dem Museum von Colombo noch ein zweiter aus dem 
Hunter’schen Museum (No. 676), einer der Bailey’schen von Bintenne, 
von dem ausdrücklich angeführt wird: It has been unsymmetrically 
distorted by occipital pressure. Diese beiden werden demnach für gewisse 
Betrachtungen ausgeschieden werden müssen. Die übrigen Anomalien, so 
wichtig sie auch sein mögen, können im Grofsen übergangen werden. 
Ich will jedoch kurz darauf hinweisen, dafs nicht nur der von mir be- 
schriebene Schädel No. 1 aus dem Colombo-Museum (Taf. I. Fig. 3) tem- 
porale Abweichungen, namentlich Schaltknochen besitzt, sondern auch der 
von den Herren de Quatrefages und Hamy abgebildete Schädel No. 675 
aus dem Londoner Museum deutliche Stenokrotaphie zeigt. 

Als Gesammtresultat ergiebt sich zunächst, dafs der Wedda- 
Schädel ein ungewöhnlich kleiner ist, und dafs gelegentlich 
genuine Nannocephalie in der Rasse vorkommt. Von dem 
deformirten Schädel aus dem Colombo -Museum (No. 4) habe ich schon 
hervorgehoben, dafs er nur eine Capacität von 1025 Cub.-Ctm. besitze. 
Hr. Flower hat sogar einen noch kleineren ermittelt, den eines erwach- 
senen Frauenzimmers (No. 679), der nur 960 Gub.-Cm. milst und von 
dem er sagt, dals er der kleinste der ganzen Sammlung sei. Dabei ist 
besonders zu bemerken, dafs es sich nicht um eine Mikrocephalie im 
pathologischen Sinne, sondern um Crania justo minora handelt. Um 

Phys. Kl. 1881. Abh. I. 7 


r 


50 


Vırcmow: Ueber die Weddas von Üeylon 


Verwechselungen zu vermeiden, habe ich daher den schon früher von mir 


vorgeschlagenen!) Namen Nannocephalus gewählt. 


Ich gebe in Nachstehendem eine Zusammenstellung der Einzel- 
zahlen, da die eben signalisirte Thatsache von ganz besonderer Wichtig- 


keit für die Rassen - Kenntnifs ist. 


Bei den Schädeln des Hrn. Barnard 


Davis ist in der ersten Colonne das von ihm angegebene Gewicht des 
zur Messung verwendeten Sandes, in der zweiten und dritten Colonne die 
Maafszahlen nach der 


Reduktion des 


Gewichts 


Welcker?) aufgeführt. 
1) Die Angaben des Hrn. B. Davis: 


1) 
6) 
7) 
8) 
9) 
10) 
11) 
12) 


ın 


Gewicht: Männlich: Weiblich: 
64 Unzen 1275 Cub.-Om. —  Cub.-Cm., 
70 as: R — . 

56 ® — = 1115 2 
65 N — N 1295 E) 
64 = — R 1278 e 
s1 Rn. e — u 
Bon R 1175 A 
Da — - 1444 e 
Mittel von 3 männlichen Schädeln 1428 Cub.-Um. 
5 weiblichen N 1261 


” 


br) 


Mittel von 8 Wedda-Schädeln 
2) Die Angaben des Hrn. Flower: 


676 
677 
678 
679 
680 
681 


Männlich: 


Na AN CHb.- Cm. = 


b) 


[> 


b2] 


1225 


b>] 


1323 Cub.-Cm. 


Weiblich: 


Oub.-Cm. 


n 


Unbestimmt: 


Cub.-Cm. 


Tabelle des Hrn. 


!) Virchow. Gesammelte Abhandlungen zur wissenschaftlichen Medicin. 


furt a. M. 1856. 


S. 9 


01. 


2) Archiv für Anthropologie. 


Ba. I. S. 27 


2. 


Frank- 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 51 
No. 682 — 1420 Cub.-Cm. — Cub.-Cm. — Cub.-Cm. 
„683 — y _ ä 1300 r 
Mittel von 4 männlichen Schädeln 1261 Cub-Cm. 
° „ 3 weiblichen 4 IERSMN 
- »„ 2 unbestimmten 5 1267 4 


Mittel von 9 Wedda-Schädeln 1224 Cub.-Cm. 


3) Die Angaben von mir: 


Männlich: Weiblich: 
No.1 -—- Cub.-Cm. 1250 Cub.-Cm. 
kn 1025 h 
la u i 


Mittel von 3 Wedda-Schädeln 1211 Cub.-Cm. 


Daraus berechnet sich für 20 Wedda-Schädel 

ein Mittel von 1261 Cub.-Um. 
und zwar für 8 männliche 

ein Mittel von 1336. A 
und für 10 weibliche 

ein Mittel von 1201 = 

Nur 2 männliche Schädel, nehmlich No.10 bei Hrn. Davis und No.682 
bei Hrn. Flower, erheben sich über 1400: der erstere hat 1614 Cub.-Cm. 
und wird von Hrn. Davis selbst als abnorm grols (abnormally large) 
bezeichnet; der andere hat 1420 Cub.-Cm. Alle übrigen geben geringere 
Maafse, und zwar bewegen sich zwischen 1100 und 1200 Cub.-Cm. 3, 
zwischen 1200 und 1300 Cub.-Cm. 8 derselben. Das oben berechnete 
Mittel von 1261 kann also als ein ziemlich gutes Maafs gelten. 

Die Gröfse der Variation ist dabei besonders bemerkenswerth. 
Nimmt man die beiden Extreme, den weiblichen Schädel von 960 und 
den männlichen von 1614 Oub.-Cm., so erhält man eine Differenz von 
654. Nun mag die sehr verschiedene Art der Messung vielleicht ein 
wenig dazu beitragen, diese Differenz zu erhöhen, aber erheblich kann 
ihr Einflufs nicht sein. 

In einem nahen, jedoch keineswegs einfachen Verhältnisse zu der 
Capacität stehen die Umfangsmaafse. In Bezug auf den Horizontal- 
umfang berechne ich aus den Angaben des Hrn. Barnard Davis im 


53 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Mittel von 3 männlichen Schädeln 19,9 engl. Zoll = 506 mm, im Mittel 
von 8 weiblichen Schädeln 19,0" = 483 mm und im Mittel von 13 Schä- 
deln überhaupt 19,2 Zoll = 488 mm. Aus den Zahlen des Hrn. Flower 
erhalte ich im Mittel von 5 männlichen Schädeln 485, von 2 weiblichen 
454, von 7 Schädeln überhaupt 476 mm. Meine Messungen ergeben für 
3 Schädel ein Mittel von 486 mm, also eine ziemlich verwandte Zahl. Aus 
allen 23 Schädeln berechnet sich ein 
Mittel von 484 mm, 

aus den Schädeln des Hrn. Davis und den meinigen, zusammen 16, allein 
ein Mittel von 487 mm. Das geringste Maafs (448) fand Hr. Flower 
bei dem nannocephalen Mädchen, das höchste (512) bei einem Manne, 
also auch hier eine Differenz der Extreme von 64 mm. Die von mir be- 
schriebenen Schädel erweisen sich auch hier als vollkommen typisch. 

Die Messung des Vertikalumfanges (quer über den Kopf) läfst 
keine genaue Vergleichung zu, da mein Maafs von einem Gehörgange zum 
andern, das von Hrn. Davis von der Basis eines Warzenfortsatzes zur 
Basis des andern genommen ist. Hr. Flower hat überhaupt kein wei- 
teres Umfangsmaals gegeben. Nach meinen Messungen ist der Vertikal- 
umfang verhältnilsmäfsig klein, im Mittel nur 289 mm, also 197 mm 
geringer, als der Horizontalumfang, von dem er nur 59,4 pÜt. beträgt. 
Diese Zahl zeigt die Schmalheit des Schädels in klarster Weise. 

Der an sich schwer zu messende obere Längsumfang (sagittal 
von der Nasenwurzel über den Scheitel zum Hinterhauptsloch) differirt 
nach unseren beiderseitigen Ermittelungen sowohl im Ganzen als in seinen 
einzelnen Theilen. Es beträgt im Mittel 


Davis: Virchow: 
der frontale Längsumfang 124,5 mm, 123 mm, 
der parietale " 124,04.,.% 121 2 
der oceipitale E 114,3, ı, a 


der ganze Sagıttalbogen 365,8 mm, 355 mm, 
365 er 
oder, nach Procenten des ganzen Sagittalbogens berechnet, 
der frontale Längsumfang 34,0 34,6 
der parietale ” 34,7 34,0 
der oceipitale & 51,3 312 
100,0 100.0. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 53 


Zum Mindesten stimmen hier die Zahlen für die Betheiligung der 
Hinterhauptsschuppe an der Bildung des Schädeldaches überein; sie 
zeigen, dafs der Squama ein beträchtlicher Antheil, fast ein Drittel zu- 
kommt, und dies darf wohl als eine charakteristische Erscheinung ange- 
sehen werden. 

Das Verhältnifs des Längsumfanges zum Horizontalumfange weicht 
nur wenig in beiden Messungen von einander ab. Es beträgt bei meinen 
Messungen 73,0, bei Hrn. Davis 74,9, im Gesammtmittel 74,5 pÜt. des 
Horizontalumfanges, gegenüber dem Verhältnifs des Vertikalumfanges ein 
sehr beträchtliches Maals. — 

Ungleich homogener sind die Ergebnisse der Messungen in Bezug 
auf die Kopfform. Der gemittelte Längenbreitenindex ist ausge- 
macht dolichocephal. Er beträgt bei 

Hrn. Davis aus 10 Schädeln 71,3, 
Ju o wer UWE > 71:9, 
mir BE ur, R le); 


im Ganzen aus 20 Schädeln 71,6. 

Hier sind aus der Rechnung ausgelassen die beiden, schon früher 
erwähnten deformirten Schädel, welche einen brachycephalen Index haben: 
der im Londoner Museum besitzt einen Index von 82,9, der aus dem 
Colombo-Museum einen solchen von 80,6. Daran schliefst sich zunächst 
der Schädel eines etwa 18jährigen Mädchens von Batticaloa im Besitze 
des Hrn. Davis (No. 803), den er selbst als ein aberrant example be- 
zeichnet, mit einem Index von 78. Worin bei diesem der Grund der Ver- 
kürzung liest, ist aus der Beschreibung nicht zu entnehmen, da nichts 
weiter von ihm erwähnt ist, als dafs er vor dem Foramen magnum einen 
Processus papillaris (Halbertsma) besitze. 

Möglicherweise sind deformirende Einflüsse bei den weiblichen 
Weddas in gröfserer Ausdehnung, wenngleich in weniger merklicher Weise, 
wirksam gewesen. Wenigstens berechnet sich aus den Zahlen des Hrn. 
Davis, auch nach Auslassung des wahrscheinlich verunstalteten Schädels, 
für die weiblichen Schädel ein höherer Index, als für die männlichen. 
Allein bei Hrn. Flower und mir tritt nach Ausscheidung der deformirten 


Schädel das entgegengesetzte Resultat hervor, nehmlich 


54 Vırcnow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Davis: Flower: Virchow: 
für Männer (3) 69,6 (5) 70,9 (1) 73,0, 
für. Weiber, ‚(6),,21,0:..(1),,69,9 (1).70,9. 

Für das Gesammtmittel der Geschlechter gleicht sich jedoch die 
Differenz aus, indem die geringeren Zahlen von Hrn. Flower und mir 
dazutreten, nehmlich 

für 9 Männer 70,7, 
für 8 Weiber 70,8. 

Jedenfalls befinden sich unter der Zahl von überhaupt 20 Schädeln, 
welche in Rechnung kamen, überhaupt nur 4, welche der Mesocephalie 
(Index von 75,1—80) zugehören. Unter den übrig bleibenden 16 aber 
sind 7, deren Index unter 70 beträgt, die also hyperdolichocephal 
sind. Das Minimum beträgt 66 (Davis). Ganz richtig konnte daher 
Hr. Davis (l. e. p. 132) sagen, dafs die Wedda-Schädel schmaler, als 
die von afrikanischen Negern, zuweilen so schmal, wie die von Neu- 
Caledoniern, seien. 

Das Verhältnifs der einzelnen Schädelabschnitte zu der Gesammt- 
länge (— 100) stellt sich etwas verschieden dar. Bei dem männlichen 
Schädel No. 3 ist die horizontale Länge des Hinterhaupts gröfser und die 
vordere, basilare Länge kleiner, als bei den beiden übrigen. Bezeichnet 
man das Verhältnifs der Hinterhauptslänge zur Gesammtlänge mit «a, das 
der basilaren Länge (vorderer Rand des Foramen magnum bis Nasen- 
wurzel) mit d, so erhält man für den Schädel 

No. 1: No. 2: No. 3: 
a 28,2 27,8 32,4, 
RR) 99,1 48,6. 

Der Kleinheit der Schädel entsprechend, ist die grölste Länge 
durchschnittlich gering; die Dolichocephalie wird weniger durch grolse 
Länge, als vielmehr durch geringe Breite bedingt. Unter sämmtlichen 
Schädeln ist nur ein einziger, männlicher (Davis No. 805), bei dem die 
Länge bis auf 190 mm (7,6 engl. Zoll) steigt. Bei allen übrigen ist sie 
geringer, ja bei der Mehrzahl erreicht sie nicht einmal 180. Die gröfste 
Breite steigt ebenfalls nur bei einem einzigen (Flower No. 683) bis auf 
140 mm; gleich darauf folgt der männliche Schädel aus dem Colombo 
Museum mit 135. Die Mehrzahl aber erreicht nicht einmal 130. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 55 


Um so auffallender ist die verhältnifsmäfsig beträchtliche Höhe. 
Nur zweimal ist die Höhe geringer als die Breite. Bei dem auch sonst 
abweichenden Schädel (Flower No. 683), bei welchem die Breite 140 mm 
erreicht, hat die Höhe nur 135 mm, und bei einem männlichen (Davis 
No. 804), der mannichfaltige Synostosen zeigt und clinocephal gebaut ist, 
bleibt die Höhe (5") um eim Geringes hinter der Breite (5,2”) zurück. 
In allen übrigen Fällen überschreitet das Maafs der Höhe das der Breite, 
und nicht selten um ein Beträchtliches, in einem Falle (Flower No. 680) 
um 14 mm. Die gröfsten Höhenzahlen, 136 und 137 mm, finden sich 
bei je einem männlichen Schädel von Flower und von mir. 

Der Längenhöhenindex ist daher gröfser, als der Längenbrei- 
tenindex. Er berechnet sich, nach Ausscheidung der beiden deformirten 
Schädel, im Mittel für 


Männer: Weiber: 
bei Hrn. Davis (3) 73,6 (016,2, 
"N >». Elower. .(5) 75,0 LOL: 
Am Bye GL) 42,9, 
im Ganzen auf (9) 74,9 (9) 75,3. 
Das Gesammtmittel beträgt 
74,9. 


Man kann daher nicht gerade von einer Hypsicephalie sprechen, 
indefs nähert sich doch die Form diesem Typus. Rechnet man die 
Örthocephalie bis 75 (oder bis 74,9), so fällt der Wedda-Schädel im 
Mittel unter diese Kategorie. 

Die nur von mir gemessene Ohrhöhe (senkrechte Entfernung des 
oberen Randes des äufseren Gehörganges vom Scheitel) ist gleichfalls be- 
trächtlich, namentlich bei dem männlichen Schädel, wo sie 120 mm 
beträgt. In diesem Falle berechnet sich der Ohrhöhenindex auf 64,9, 
während er bei dem weiblichen Schädel (No. 1) nur 60,4 und selbst bei 
dem deformirten (No. 4) nur 63,0 erreicht. — 

Was die Gesichtsbildung anlangt, so finde ich darüber, mit 
Ausnahme der schon beigebrachten Beschreibungen, wenig osteologische 
Unterlagen. Von einzelnen Regionen erwähne ich die Augenhöhlen und 
die Nase. 

Der Orbitalindex betrug in dem einen Falle, der mir überhaupt 


56 Vırcmow: Ueber die Weddas von ( 'eylon 


Gelegenheit zur Messung darbot, 84,6, genau dieselbe Zahl, welche sich 
als Mittel aus den Angaben des Hrn. Flower berechnet. Im Einzelnen 
sind die Schwankungen freilich nicht unerheblich. Denn nach Hrn. Flower 
fallen von 8 Schädeln 2 Indices unter 80, 2 zwischen 80 und 85, und 
4 über 85—91,7. Nach Geschlechtern stellt sich das Verhältnifs so, dafs 
im Mittel aus 4 männlichen Schädeln 85,1, aus 2 weiblichen 84,3 resul- 
tirt, — ein nicht nennenswerther Unterschied. Im Ganzen wird man 
also annehmen können, dafs die Orbitalbildung mesokonch ist. 

Der Nasenindex, den ich auf 50 angab, berechnet sich nach 
7 Fällen bei Hrn. Flower auf 52,2; er ist also mesorrhin, auf der 
Grenze zur Platyrrhinie. Dabei scheint freilich eine nicht unbedeutende 
Geschlechtsdifferenz zu bestehen, indem die beiden, von Hrn. Flower 
aufgeführten weiblichen Schädel platyrrhin (56,1 und 57,8), dagegen unter 
den männlichen Schädeln einer, wenn nicht zwei leptorrhin (46,5 und (?) 
46,7) und nur zwei platyrrhin (54,0 und 54,5) waren. Die gedrückte 
Form der knöchernen Nase ist aus Taf. I. Fig. 3 und der Profilzeichnung 
bei den Herren de Quatrefages und Hamy leicht zu ersehen. Die 
früher mitgetheilten Beschreibungen von Sir E. Tennent, Bailey und 
Hartshorne, welche die Flachheit der Nase betonen, sind damit im 
Einklange, wie denn auch die früher (S. 44) mitgetheilten Abbildungen 
nach Photographien die gedrückte Form der Nasenwurzel und die Breite 
der Nasenflügel deutlich erkennen lassen. 

Das Gesicht im Ganzen scheint durchweg niedrig zu sein. Die 
Vorderansicht des von den Herren de Quatrefages und Hamy abge- 
bildeten Schädels zeigt dies in ausgezeichneter Weise. Ich erhielt einen 
Index (Verhältnifs von ganzer Gesichtshöhe zur Jochbreite) von 83,1. 
Aus den Messungen des Hrn. Barnard Davis berechne ich für 5 Schädel 
im Mittel fast dieselbe Zahl, nehmlich 83,8. Darnach ist also der Typus 
im Ganzen chamaeprosop und zwar, soviel sich bis jetzt übersehen 
läfst, bei den Weibern mehr, als bei den Männern. Denn die Schädel 
des Hrn. Barnard Davis ergeben für 


Männer: Weiber: 
No. 313 88,2 pe 
„ 801 87,5 As 


„ 802 ai. 82,9 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 57 


No. 803 — 80,8 
804 er 80,0 
im Mittel 87,8 812: 


Trotz der Niedrigkeit sind die Gesichter eigentlich nicht breit. Es 
hängt das mit der geringen Vorwölbung der Jochbogen und Wangenbeine 
zusammen, welche schon Hr. Barnard Davis im Gegensatze zu den afri- 
kanischen Rassen hervorgehoben hat. Nur der Londoner Schädel No. 675, 
welchen die Herren de Quatrefages und Hamy abgebildet haben, er- 
scheint verhältnilsmälsig breit, wie es scheint, hauptsächlich wegen der 
starken Entwickelung des Processus zygomaticus des Oberkiefers und der 
dadurch bedingten Grölse des unteren Wangenhöckers. 

Hr. Flower berechnet aufserdem noch den Alveolarindex. Er 
versteht darunter das procentische Verhältnils der „basialveolären Länge“ 
(Entfernung des vorderen Randes des Alveolarfortsatzes vom Hinterhaupts- 
loch) zu der „basinasalen Länge“ (Entfernung der Nasenwurzel vom 
Hinterhauptsloch), letztere — 100 gesetzt. Im Mittel aus 6 Schädeln 
ergiebt sich die Zahl 96,3. Ich erhalte für den weiblichen Schädel aus 
dem Colombo Museum nur 93,4. Nach den Geschlechtern gestalten sich 
die Zahlen des Hrn. Flower ähnlich: 


Männer: Weiber: 

No. 675 983,9 — 
„676 — 95,0 

A: 101,0 zu 

41679 m 96,5 

„680 96,9 — 

‚U 681 97,1 ”" 

im Mittel ga 94,7. 


Darnach könnte es scheinen, als sei die Prognathie der Männer 
grölser, als die der Weiber. Indels wird das Urtheil darüber wohl noch 
vorbehalten werden müssen, da die Einzelzahlen bei beiden Geschlechtern, 
namentlich beim männlichen, erhebliche WVerschiedenheiten ergeben. 
Jedenfalls ist die Prognathie an sich eime sehr geringe, Hr. Barnard 
Davis!) nennt die Wedda-Schädel sogar tolerably orthognathous. 


1) Davis. Thesaurus eran. p. 132. 


Phys. Kl. 1881. Abh. |. 6) 


58 Vırcmow: Üeber die Weddas von Üeylon 


In Betreff der Verhältnisse des übrigen Körpers besitzen wir noch 
einige Angaben des Hrn. Hartshorne über zwei Weddas, welche ich in 
Nachstehendem zusammenstelle, nachdem ich sie in Metermaals über- 
tragen habe: 


Latty, Bandiey, 
etwa 18 Jahreletwa 25 Jahre 

Korperhohe es A Bu Wen Ze a 2 1631,91 1517,59 
Umfang des Kopfes um die Mitte der Sim. . 2 2 2 2 0 22. 514,33 514,33 
Von der Höhe der Stirn bis zum Kinnrande . . . 2 2 2 2020. 168,25 177,80 
Gesichtshreitegtacnosae tace)n ee 133,34 171,42 
Schulter bis Ellbogen Aypkiadı FAN 323,81 
Ellbogen bis Handgelenk . . . . . 219,05 
Handgelenk bis Spitze des Mittelfingers 174,59 
Umfang des Oberarmes um den Biceps rechts 241,28 
= < L. 3443 » links 241,28 

= „ Vorderarmes rechts . 222,22 

= = ei links 222,22 

a der Brust 749,27 
Länge des Oberschenkels 419,07 
Vom Knie bis zum Knöchel 393,67 
Umfang der Wade . 292,07 
Fufssohle 222,22 


Bei einigen dieser Maalse ist es sehr wahrscheinlich, dafs 
Irrthümer untergelaufen sind. Am meisten tritt dies bei dem Oberarm 
(Schulter bis Ellbogen) hervor, der bei dem kleineren Manne um 44 mm 
länger gewesen sein soll, während der ganze Arm bei ihm um fast 13 mm 
kürzer ausfällt. Ebenso erscheint die Gesichtsbreite bei Bandiey, dem 
kleineren Manne, nicht nur um 58 mm grölser, als bei dem viel gröfseren 
Latty, sondern auch absolut von einer unglaublichen Gröfse. Man wird 
daher bei der Benutzung dieser Zahlen sehr vorsichtig sein müssen. 

Ziemlich constant ist das Verhältnils der Länge der Fufssohle zur 
Körperhöhe; jene ist bei Latty 6,7, bei Bandiey 6,8 mal in der Körper- 
höhe enthalten. Dies ist ein ganz entsprechendes Verhältnils. 

Hr. Bennett sagt, die Hände der Weddas seien klein, ihre Füfse 
dagegen lang und platt. Das mag richtig sein, geht aber aus den mit- 
getheilten Maafsen nicht hervor. 

Von den sonstigen Extremitätenmaafsen möchte ich nicht weiter 
sprechen, zumal da bei einzelnen derselben, z. B. der Länge des Ober- 
schenkels, nicht ersichtlich ist, welche Endpunkte gewählt sind. Das 
jedoch geht auch aus diesen Angaben hervor, dafs eine Unverhältnils- 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 59 


mälsigkeit der Theile nicht vorhanden sein dürfte. Von einigem Interesse 
ist nur das Umfangsmaals der Arme. Während sonst gewöhnlich merk- 
liche Unterschiede zwischen dem rechten und linken Arm bestehen, finden 
sich hier beiderseits gleiche Maafse, ja bei Latty ist sogar der Umfang 
des linken Oberarmes um etwas mehr als 3 mm grölser, als der des 
rechten. Es erklärt sich dies aus der, von verschiedenen Beobachtern 
hervorgehobenen Uebung des linken Arms, welcher beim Spannen des 
sehr schweren Bogens ganz besonders angestrengt wird. 

Hr. Barnard Davis!) besitzt in seiner Sammlung den Oberschenkel 
und den Oberarm eines Wedda: jener hat eine Länge von 17,2 Zoll = 
436,38 mm, dieser von 12 Zoll = 304,8 mm. Dies ist offenbar ein recht 
kräftiges Individuum gewesen; die Länge des Oberschenkels übertrifft noch 
die der beiden von Hartshorne gemessenen Männer (425 und 419 mm). 
Dagegen harmonirt die Länge des Oberarms nach Davis wenig mit den 
von Hartshorne angegebenen Maafsen, und auch dies spricht für die 
Ungenauigkeit der von dem letzteren angeordneten Messung. — 


Die Vergleichung der Weddas mit ihren Nachbarn auf der Insel 
wird nicht wenig erschwert durch den Mangel ausreichender Nachrichten 
über das physische Verhalten der letzteren. Auch die besten Beschreiber 
beschränken sich in der Regel auf einige Worte oder betrachten die mehr 
eivilisirten Stämme als genügend bekannt, höchstens dafs sie Vergleichun- 
gen mit continentalen Stämmen Vorderindiens oder mit Europäern an- 
stellen. Auch osteologisches Material ist verhältnilsmäfsig spärlich in den 
europäischen Sammlungen und das vorhandene erscheint mir noch dazu 
als wenig sicher. So habe ich durch die Güte des Hrn. Consul Freu- 
denberg 3 Schädel von Sinhalesen und 3 von Tamilen erhalten, aber bei 
der Untersuchung zeigt ein als sinhalesisch bezeichneter Kinderschädel so 
viel Uebereinstimmung mit den Tamilen, dafs es mir höchst zweifelhaft 
erscheint, ob seine Bestimmung richtig ist. Die Bevölkerungen im Nieder- 
land der Insel haben sich so vielfach durch einander geschoben, dafs nicht 
blofs Mischungen derselben unter einander vorgekommen sind, sondern 
dafs auch Verwechslungen von Schädeln leicht geschehen können. Ich 


1) Davis. Thesaurus craniorum p. 132. 


Se 


60 VırcHow: Ueber die Weddas von Ceylon 


gebe daher die nachstehenden Bemerkungen mit aller Reserve, und haupt- 
sächlich zu dem Zweck, um wo möglich genauere Nachrichten und 
Sendungen von besserem Material zu provociren. Insbesondere mufs ich es 
als ein grolses Desiderat bezeichnen, dafs genügende Photographien, 
namentlich nicht zu kleine Brustbilder (Profil und Vorderansicht), in rich- 
tiger Horizontalstellung aufgenommen werden. 

Bei der Vergleichung kommen hauptsächlich die eigentlichen 
Sinhalesen und die Tamilen in Betracht. Nur beiläufig können die 
Nachkommen eingewanderter Araber (Moors, Moormen) und Malayen, 
noch weniger Chinesen, Birmanen, arische Indier, afrikanische Neger und 
Europäer herangezogen werden. Sowohl der räumlichen Ausbreitung, als 
der Zahl nach sind die beiden ersteren Stämme so sehr vorherrschend, 
dafs, auch ganz abgesehen von ihren fast ausschliefslichen, historischen 
Ansprüchen, sie vorzugsweise berücksichtigt werden müssen. 


1) Die Sinhalesen. 


Sie nehmen im Allgemeinen den Süden und Südwesten des Landes 
ein. Nach Sir Tennent!) sind die Bewohner der Südküste von Galle 
bis Hambantotte die reinsten Sinhalesen. Dieser Theil bildete einen 
wichtigen Abschnitt der alten Provinz Rohuna, welche schon früh von 
Nachkommen der Gefolgschaft Wijayo’s colonisirt wurde; sie hatten 
weder Verkehr, noch Vermischung mit den Malabaren. Leider giebt Sir 
Tennent aber keine wirkliche Beschreibung der Leute. Nur gelegentlich 
spricht er von ihrem Bau und ihren Haaren; was ihn hauptsächlich be- 
schäftigt, ist ihre Neigung zu weibischer Tracht. Dies gilt in erster Linie 
von der Haartracht, von welcher er eine Abbildung liefert. Dieselbe 
komme weder im Innern, noch im Norden oder Osten vor, sondern nur 
an der Südwestküste. Sie lassen das Haupthaar lang wachsen, kämmen 
es A l’imperatrice oben von vorn nach hinten und hinten von unten nach 
oben, bilden daraus eine Rolle (konde) auf dem vortretenden Theil des 
Hinterkopfes, und befestigen das Ganze durch Kämme. Schon Ptole- 
maeos habe von dem langen Haar in Taprobane gesprochen und 
Agathemeros gebe an, dals die Männer in Ceylon ihr Haar unbeschränkt 


1) Tennent l. c. Vol. II. p. 106—12. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 61 


wachsen liefsen und es am Scheitel nach Art der Weiber zusammen- 
bänden. Von den Kindern sagt Sir Tennent, sie seien schön und ihr 
Haar wellig und glänzend (wavy and shining); eine Kindergruppe sehe 
in ihrer Nacktheit aus, wie „lebende Bronzen“. Da auch die Männer 
zarte Züge und schlanke Glieder (delicate features and slender limbs) 
hätten, häufig bartlos seien!) und um die Hüften ein Stück Zeug (comboy), 
wie einen Unterrock, trügen, so sei der Eindruck ein fast weibischer. 
Endlich wird noch eine Notiz aus dem chinesischen Reisebericht des 
Hiuen Thsang beigebracht, worin der Mongole seinem Erstaunen über 
die vortretende Nase durch die Bemerkung Ausdruck verleiht, die Sinha- 
lesen hätten einen Vogelschnabel an einem menschlichen Körper. 

Das ist so ziemlich Alles, was ich über die Sinhalesen bei Sir 
Tennent finde. Die wenigen Sätze, welche Hr. von Schlagintweit?) 
den Bewohnern Ceylons widmet, stimmen damit überein. Etwas deut- 
licher, wenngleich sehr oberflächlich, sind die Anführungen der früheren 
Autoren. Valentijn?) sagt: De cingaleezen zijn niet heel swart, maar 
bruyngeel, lang en open van ooren, niet kloek van Gestalt, door de bank 
wat mager, zeer zwak van Leden, gezwind van licham en vrij vernuftig 
van Geest. Wolf*) erklärte geradezu, die Sinhalesen trügen „schwarze 
Haut“. Percival?) schreibt den Oeylonesen mittlere Statur, ungefähr von 
5 Fufs 7 Zoll zu; die Farbe der Weiber nähere sich dem Gelben. 
Selkirk®) nennt die Augen der Sinhalesen glänzend schwarz (bright black), 
das Haar lang, schwarz und in einen Knoten (cundy) geschlungen. Die 
Innenseite der Hände und Fülse sei weils, der übrige Körper schwarz. 
Die Leute im Innern scheren den Bart selten, wohl aber die an der 
Küste. Sirr?) sagt, die Männer seien über mittelgrofs, etwa 5 Fuls 6 Zoll 
im Mittel und gut proportionirt. Ihre Farbe variıre von hell (elear) 


1) Auch diese Angaben sollen sich schon in der Geschichte von Jambulos bei 
Diodor Lib. 5 cap. 36 finden. 

2) Hermann v. Schlagintweit-Sakünlünski. Reisen in Indien und Hoch- 
asien. Jena 1869. Bd. 1. S. 213. 

3) Valentijn l. e. Bl. 43. 

S)\Wolt a. a. O21.2S.155. 

5) Percival a. a. ©. S. 222. 

6) James Selkirk. Reecollections of Ceylon. London 1844 p. 58. 

MaSiunrgnloic- II. pP 38: 


62 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


gelbbraun bis schwarz. Haare und Augen hätten die Farbe von Eben- 
holz. Die Kandier seien dunkler, kräftiger, besser gewachsen und von 
längerem Kopfbau. Philalethes!), der sich speciell auf Valentijn 
bezieht, sagt, die Farbe der Sinhalesen sei nicht ganz schwarz, sondern 
von einem tiefen Kastanienbraun, unterlaufen (suffused) mit einem gelben 
Ton. Ihre Ohren seien lang und offen, ihr Körper nicht kräftig, son- 
dern schlank und beweglich. 

Ungleich genauer ist die Schilderung, welche Dr. Davy?) giebt. 
Er theilt die „Singhalese race“ in drei grofe Stämme: die eigentlichen 
Singhalesen, die Kandier und die Veddahs. Von den ersteren, die er 
wesentlich nach den Bewohnern des Innern der Insel, den „Hochländern*, 
beschreibt, sagt er, sie seien in Bau, Sprache, Manieren, Sitten, Religion 
und Regierung vollständige Inder. Gleich diesen unterschieden sie sich 
von Europäern weniger in den Zügen, als in geringfügigen Merkmalen 
der Farbe, des Wuchses und der Gestalt. Die Hautfarbe wechsele von 
Lichtbraun bis Schwarz. Auch die Farbe des Haars und der Augen 
varıire, jedoch nicht so oft, wie die der Haut: schwarze Haare und Augen 
seien am gewöhnlichsten, hellbraune (hazel) Augen weniger ungewönlich, 
als braunes Haar, graue Augen und rothes Haar viel mehr ungewöhnlich, 
und hellblaue oder rothe Augen und hellflachsfarbenes Haar von Albinos 
am ungewöhnlichsten. In der Körpergrölse überträfen die Inlands- 
Bewohner die Niederlands-Singhalesen und die meisten Eingebornen der 
Küsten von Coromandel und Malabar, aber sie erreichten nicht die Grölse 
der Europäer. Ihr Mittelmaafs möge etwa 5 Fuls 4—5 Zoll betragen. 
Sie erschienen nett (clean made), mit zierlichen Muskeln und zarten 
Knochen. Für Inder seien sie stämmig (stout) und hätten in der Regel 
eine geräumige Brust und breite Schultern, zumal in den Bergdistrikten, 
wo sie, gleich anderen Hochländern, kürzere, aber starke und sehr mus- 
kulöse Ober- und Unterschenkel hätten. Hände und Fülse seien gewöhn- 


gegenüber den unsrigen unverhältnifsmäfsig klein. Die 


lich sehr klein, ja 
Kopfform sei im Allgemeinen gut, aber vielleicht mehr lang, als bei 
Europäern. Ihre Züge seien gewöhnlich hübsch und anziehend, ihre Mienen 


!) Philalethes I. e. p. 231. 
2) Dassypalz c-2p5 109: 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 63 


intelligent und belebt. Die Natur habe ihnen einen reichlichen Haarwuchs 
verliehen, und sie liefsen denselben im Allgemeinen im Gesicht, wie auf 
dem Kopfe zu einer beträchtlichen Länge fortgehen, da nach ihrer Meinung 
ein Bart das Gesicht nicht entstelle, sondern verschönere. Die Weiber 
seien in der Regel wohlgebildet und gut aussehend, oft hübsch (handsome). 
Ein schönes Weib sollte nach ihrer Meinung folgende Eigenschaften haben: 
„Das Haar üppig, wie der Schweif eines Pfauen, lang, bis zu den Knieen 
reichend und in gefällige Locken (curls) endigend; ihre Augenbrauen 
gleich dem Regenbogen und ihr Auge wie blauer Sapphir oder wie die 
Blumenblätter der blauen Manilla-Blume; ihre Nase wie ein Habichts- 
schnabel und ihre Lippen glänzend (brieht) und roth, wie Korallen oder 
das junge Laub des Eisenbaums; ihre Zähne klein, regelmäfsig und dicht, 
wie die Knospen des Jasmins; ihr Hals voll und rund, wie die Berrigodia; 
ihr Brustkorb gewölbt und ihre Büste fest und kegelförmig, wie die gelbe 
Coeosnuls; ihre Taille eng, so dafs sie mit der Hand umfalst werden 
könne; ihre Hüften breit, ihre Beine nach unten sich verjüngend (tapering), 
ihre Fufssohlen ohne Höhlung und die Oberfläche ihres Körpers weich, 
zart, gerundet, ohne vortretende Knochen und Sehnen. “ 

Davy hat das grolse Verdienst, seinem Werke eine Reihe von 
Abbildungen beigegeben zu haben, welche manche Verhältnifse deutlicher 
illustriren. Auf Pl. 6 findet sich eine colorirte Gruppe von Kandiern nach 
einer Zeichnung des Lieutenant W. Lyttleton, welche namentlich die 
dunkelbraune Hautfarbe der gemeinen Leute neben der helleren, mehr gelb- 
braunen des Disave erkennen läfst. Die Gesichter sind verhältnifsmäfsig 
lang und schmal, die Nasen stark vortretend und gebogen, die Oberlippe 
kurz und die Mundgegend zart. Auf Pl. 4 sind Abbildungen gegeben, 
welche nach Elfenbeinfiguren eines eingebornen Künstlers gezeichnet sind; 
hier sind die Gesichter kürzer und etwas breiter, die Nasen stark vor- 
tretend und gebogen, von fast jüdischem Ausdruck, die Lippen besonders 
der Frauen voller und schwellend, jedoch ohne Andeutung von Pro- 
snathismus. 

Cordiner!) bezeichnet die Sinhalesen als fein gebaut (of a slender 
make), unter Mittelgröfse, mit zarten, aber gutgeformten Gliedern (limbs 


1) Cordiner l.c. p. 94. 


64 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


slight, but well shaped), mit regelmäfsigen Zügen von derselben Form, 
wie Europäer; ihre Farbe zeige verschiedene Schattirungen, sei jedoch 
nicht so dunkel, wie bei den Indern des Continents; die Augen schwarz, 
aber das Weilse derselben auffallend klar, das Haar lang, glatt (smooth) 
und schwarz. Bei den höheren Klassen sei die Hautfarbe so hell, dafs 
sie heller erscheine, als bei brünetten Leuten in England. In allen Klassen 
aber sei die Volarfläche der Hände und Fülse gleichmäfßsig weils. 

Von den Kandiern erzählt Cordiner!), dafs sie von den Sinha- 
lesen nicht mehr verschieden seien, als Bergbewohner anderer Länder von 
der Küstenbevölkerung. Sie seien stämmiger (of a stouter make) und 
heller, aber nicht gröfser (not taller). Ihre Manieren seien weniger abge- 
schliffen und das beständige Tragen eines Bartes steigere die natürliche 
Wildheit ihres Aussehens. 

Wenn man diese Schilderungen mit den vorher mitgetheilten von 
den Weddas zusammenhält, so bleiben eigentlich wenig Differenzpunkte. 
Die Hautfarbe mag bei den letzteren durchschnittlich etwas dunkler sein, 
aber sie varlirt scheinbar in denselben Grenzen. In dieser Beziehung ist 
namentlich das Zeugnis des Dr. Davy von höchster Wichtigkeit. Das 
„Düstere“, was Hr. Bailey von den Weddas betont, ist wenigstens zum 
Theil der mangelhaften Reinlichkeit zuzuschreiben. Ebenso zweifelhaft ist 
es, ob die Haare differiren: stellt man das wohlgepfleste, sorgfältig ge- 
kämmte, glatte und nur an den Enden lockige Haar der Sinhalesen dem 
verwahrlosten, verzottelten, wirren, aber gleichfalls nicht krausen Haar 
der Weddas, welches so weit herabhängt und herumsteht, dafs es den 
Kopf grölser erscheinen läfst, gegenüber, so tritt die Vermuthung nahe, 
dafs mehr die Cultur, als eine ursprüngliche Eigenschaft den Unterschied 
bedingt. Die mittlere Körperhöhe der Sinhalesen scheint etwa dem höch- 
sten Körpermaafs der Weddas zu entsprechen, aber auch jene sind etwas 
kleiner, als „Europäer“. Unter allen aufgeführten Merkmalen ist genau 
genommen nur ein einziges, welches einen grofsen und entscheidenden 
Eindruck auf alle Beobachter gemacht zu haben scheint, nehmlich die 
Form der Nase, von der schon die alten Chinesen berichteten. Während 
sie bei den Sinhalesen weit vortritt, eine Adlerform hat, und wahrschein- 


1) Cordiner]l. ce. p. 131. 


und ihre Bezielnmgen zu den Nachbarstämmen. 65 


lich dem entsprechend schmaler ist, wird sie bei den Weddas als flach 
und mit weiten Nüstern ausgestattet geschildert. Daran schliefsen sich 
die dieken und stärker vorgewölbten Lippen und der grofse Mund der 
Weddas, vielleicht auch die geringere Höhe der Gesichter. Genug, es 
bleiben, wie schon Hr. Hartshorne!) andeutete, eigentlich nur ein 
Paar faciale Kennzeichen als diagnostische stehen. Ob das richtig 
ist, wird die Zukunft vielleicht ergeben, falls noch rechtzeitig genaue 
Beschreibungen und namentlich gröfsere Photographien der Weddas her- 
gestellt werden. Vorläufig können wir jedoch feststellen, dafs auch die 
Sinhalesen zu einer dunklen, vielleicht am besten braun zu 
nennenden, glatthaarıgen und nicht oder nur mälsig prognathen 
Rasse gehören. 

Wie steht es nun mit den osteologischen Merkmalen? Die Literatur 
bietet in dieser Beziehung etwas genauere Anhaltspunkte, jedoch aus- 
schliefslich für Schädel. Auch in diesem Punkte ist es das Verdienst 
von Davy, eine exakte Mittheilung gemacht zu haben. Wie schon 
erwähnt, erklärte er den sinhalesischen Schädel für länger, als den euro- 
päischen. Als Belag dafür gab er auf Pl. III. die Abbildung des Schädels 
eines sinhalesischen Häuptlings aus einer abgelegenen (secluded) Gegend 
des Innern in der Seiten- und Vorderansicht. Derselbe ist lang, mäfsig 
hoch, von stark ansteigender Hinterstirn und weit ausgelegtem Hinterkopf, 
die Seiten bis zur Schläfe hin etwas abgeplattet, die Jochbogen vortretend, 
die Augenhöhlen etwas breit und niedrig, schwach viereckig, jedoch nach 
aulsen und unten ausgeweitet, die Nase schmal, vortretend, mit schwach 
eingebogenem Rücken, niedrigem Gesicht, namentlich niedrigem und wenig 
vortretendem Oberkiefer. 

Eine neuere Beschreibung eines „Cranium Cingalensis“ findet sich 
bei Gerard Sandifort?). Der Schädel sei von van Hassem an Brug- 


1) Hartshorne l. c. p. 409 sagt: The general appearance of the Weddas may 
be described as distinetly non-Aryan. The comparative shortness of their thumbs and 
their sharply-pointed elbows are worthy of remark, as well as their flat noses and in some 
cases thick lips, features which at once distinguish them in a marked degree form the 
oriental races living in their vicinity. 

2) Gerard Sandifort. Tabulae eraniorum diversarum gentium. Lugduni Batav. 
1838 (ef. Mus. anat. Acad. Lugd. Bat. 1827. Vol. III. p. 39. No. DLXXXIV.). 


Phys. Kl. 1881. Abh. 1. 9 


66 Vırcmow: Ueber die Weddas von Üeylon 


mans gegeben worden und befinde sich im anatomischen Museum in 
Leiden. Es wird auch eine gröfsere Zahl von Messungen gegeben, aber 
leider ist die Mehrzahl derselben für unsere Zwecke unbrauchbar. Die 
Capaeität wird auf 39 Unzen Hirse angegeben. Nach der Abbildung ist 
es ein sehr kräftiger Schädel mit hohem, starkem Gesicht, sehr prognath, 
mit grolsen, weit vortretenden Zähnen, grolsem und breitem Unterkiefer, 
sehr langer und hoher, schmaler Nase und niedrigen, sehr schief gestell- 
ten, etwas eckigen Augenhöhlen. Da die Höhe derselben auf 0,031, die 
Breite auf 0,041 angegeben wird, so würde der Orbitalindex 75,6, also 
chamaekonch sein. Die interorbitale Distanz wird mit 0,024 aufgeführt. 
Der Autor selbst beschreibt die Schädelkapsel als oval, mit stark erhöhtem 
Scheitel, an den Seiten sehr abgeflacht, mit wenig vortretenden Tubera, 
das Hinterhaupt oblong und keineswegs kuglig, an den Untertheilen mehr 
platt. Die Augenhöhlen wären oblong in der @ueraxe, die Fissura 
orbitalis posterior weit, die Enden (vertices) der Oberkiefer ausgehöhlt. 
Die Nase schmal, wenig ausgehöhlt (excavatus), an den unteren Rändern 
ausgeschnitten (exsectus) und schräg in den gleichfalls schrägen, nach 
vorn vorspringenden Alveolarfortsatz des Oberkiefers übergehend. Der 
Gaumen stark gewölbt (fornicatum) und oblong. Ich bemerke, dafs seine 
Länge zn 0,059, seine Breite in der Gegend der III. Molaren zu 0,041, 
in der Gegend der Praemolaren zu 0,039 angegeben wird; aus den beiden 
ersten Maafsen würde sich ein Gaumenindex von 69,4, also ein äufserst 
leptostaphylines Maafs berechnen, welches freilich nicht ganz mit meinem 
Maafse, welches in der Gegend der II. Molaren genommen ist, zu ver- 
gleichen ist. Die senkrechte Höhe des Schädels wird zu 0,145, die 
tuberale Parietalbreite zu 0,126, die Jugalbreite zu 0,138, die Kiefer- 
winkeldistanz zu 0,110 angegeben. 

Eine weitere Angabe finde ich in dem Katalog des Museum Vrolik 
in Amsterdam!), wo unter No. 66 der Schädel eines Eingebornen von 
Ceylon aufgeführt wird, den Professor Bernard geliefert hatte. Er wird 
mit dem Uranium Cingalensis von Sandifort verglichen, von dem er sich 
hauptsächlich durch seine weniger prognathen Kiefer unterscheide. Es 
sei ein schöner, kräftiger, dolichocephaler und ein wenig prognather 
Schädel: die Stirn lang, aber wenig hoch, die Seitentheile stark zusammen- 


1) Musee Vrolik. Catalogue par J. L. Dusseau. Amsterdam 1865. p. 22. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 67 


gedrückt, die Wangenbeine stark und alle Muskelansätze beträchtlich ent- 
wickelt. Nach den angegebenen Maalsen berechnet sich ein Längenbreiten- 
index von 72,2, ein Längenhöhenindex von 75 und ein Gaumenindex 
VOonWA3,TE 

Hr. Welcker!) giebt in seinen kraniologischen Tabellen beiläufig 
die gemittelten Indexzahlen für 5 Sinhalesenschädel, ohne jedoch anzu- 
geben, wo sich dieselben befinden. Wahrscheinlich befinden sich darunter 
die eben genannten beiden holländischen Exemplare. Er bestimmt den 
Breitenindex zu 73,4, den Höhenindex zu 77,2. 

Eine gröfsere Zahl sinhalesischer Schädel ist bei Hrn. Barnard 
Davis?) aufgeführt, nehmlich ein ganzes Dutzend. Indefs wird einer 
derselben ausdrücklich einem Mischling von Malabaren und Sinhalesen, 
ein anderer einem Brahminen zugeschrieben, und sie können daher hier 
wohl aufser Betracht bleiben. Von den übrig bleibenden 10 ist je einer 
von Pantura, Kandy, Negombo und Colombo, die anderen sind unbestimmt. 
Die Hälfte wird als männlich, die andere Hälfte als weiblich bezeichnet. 
Einer (No. 982), welcher der Form nach klinocephal genannt wird und 
vor dem Hinterhauptsloche einen Processus papillarıs hat, zeigte nach 
Hrn. Davis „einen Grad von Mikrocephalie“, aber seine Capacität betrug 
1474,6 Cub.-Cm, was nicht gerade für die Zulässigkeit einer solchen 
Deutung spricht. Ich gebe nachstehend eine kurze Zusammenstellung 
der Hauptergebnisse: 


yo Längenbreiten- Längenhöhen- 

De Ma Index | Index 

Nummern der Schädel. 

ö Ohr I Sr ale 5 Q 
315 _ | 1175,7 — 72 — 70 
979 —_ 1394,9 — 74 —_— 78 
980 1235,5 — 76 — 54 — 
981 —_ 1355,1 _ 75 —_ 74 
982 za 1474,6 ja 65 m 72 
933 _ 1494,6 — 70 —_— 80 
954 1673,9 == 75 — 76 a 
1007 1614,1 | = 72 — 70 — 
1008 1693,8 == 73 - 74 == 
1009 1275,4 — 72 u 76 — 
Mittel 14985 | 1378,9 713,6 71,2 76 74,8 

Gesammtmittel (10) | 1438,8 | 72,4 75,4 


!) Archiv für Anthropologie 15866. Bd.I. S. 154, 157. 
?) Jos. Barnard Davis. Thesaurus eraniorum p. 132. 9 


68 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Die gemittelten Indices treffen sehr genau mit den Indices des 
Schädels aus dem Museum Vrolik überein. Die Dolichocephalie ist 
sehr ausgesprochen, wenngleich nicht so stark, wie bei den Weddas; das 
Höhenmaals stimmt ziemlich gut mit dem der Weddas, dagegen ist die 
Capacität sehr viel gröfser. 

Eine ganz abweichende Schilderung von dem Schädel eines Sinha- 
lesen giebt Hr. Zuckerkandl!). Dieser, von der Novara-Expedition 
herstammende, jedoch ohne alle weiteren Angaben über die Provenienz 
beschriebene Schädel hatte eine Capaeität von 1505 Cub.-Cm. und einen 
Längenbreitenindex von 86,1. Er ist also hyperbrachycephal. Man wird 
wohl ohne Weiteres behaupten dürfen, dafs derselbe entweder in hohem 
Maafse pathologisch, oder geradezu verwechselt sein muls. Für letztere 
Annahme spricht der Umstand, dafs die Schneide- und Eckzähne der Ober- 
kiefer flach gefeilt sind, — eine Erscheinung, deren ich bei den Sinhalesen 
nirgends Erwähnung gemacht finde und die stark auf eine malayische 
Herkunft hinweist. Für die Annahme einer pathologischen, vielleicht 
deformirten Bildung sprieht die Angabe, dafs das Cranium asymmetrisch, 
das Stirnbein flach und „rückfliegend“ und die Hinterhauptsschuppe flach- 
gedrückt ist, letzteres in so hohem Grade, dafs die obere Hälfte derselben 
„fast wellenförmig eingesunken ist.“ Man wird daher diesen Schädel 
wohl aus der Vergleichung ausschliefsen können. 

Was meine Schädel angeht, so habe ich schon bemerkt, dafs ein 
als sinhalesisch bezeichneter Kinderschädel sehr wahrscheinlich auszu- 
scheiden ist. Da er jedoch einmal die deutliche Angabe trägt, so werde 
ich ihn hier mit den anderen beschreiben: 


Schädel No. 1. (Taf. II.) 


Ein männlicher, ziemlich grols erscheinender, noch jugendlicher Schädel ohne 
Unterkiefer. Synehondrosis sphenooceipitalis geschlossen, Weisheitszähne ausgetreten, 
Die Vorderzähne sind nachträglich ausgefallen; die restirenden Molaren und I Prämolaren 
sind sehr grofs, an den Kronen nur wenig abgenutzt, dagegen mit einem dicken schwar- 
zen Ueberzug (Betel) versehen, zum Theil schwarz imbibirt und stark abgenutzt. Die 
Muskelansätze kräftig, jedoch die Stirnwülste nicht stark. Die Knochen gelbbraun, glatt, 


glänzend und fest. 


1) Reise der österreichischen Fregatte Novara. Anthropologischer Theil. Erste 
Abtheilung: Cranien der Novara-Sammlung, beschrieben von E. Zuckerkandl. Wien 
1875. S. 24. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 69 


Der Schädel ist in Wirklichkeit kleiner, als er aussieht: er hat nur 1110 Cub.- 
Cm. Capaecität. Der Längenbreitenindex, 71,3, ist stark dolichocephal, der Längen- 
höhenindex, 72,5, orthocephal. 

In der Norma verticalis erscheint das Schädeldach lang und schmal, nach 
hinten und vorne verjüngt, mälsig phaenozyg; die Tubera parietalia breit ausgelegt. 
Der Schädel ist schief (plagiocephal), besonders hinten und unten, wo auf der linken 
Seite, jedoch noch am Parietale, eine schräge Abflachung, rechts dagegen eine stärkere 
Wölbung zu bemerken ist. Vorn ist die Bildung gleichmälsiger, jedoch ist die rechte 
Stirnhälfte etwas schief, der rechte Jochbogen kürzer, als der linke, die Nase steht etwas 
schief nach links und die Gaumennaht weicht in ihrem hinteren Theile ein wenig nach 
links ab. Auch die Pfeilnaht liegt nicht genau median. 

Mancherlei Zeichen prämaturer Synostose sind vorhanden. So jederseits, 
jedoch in gröfserer Ausdehnung links, in der Mitte der Seitentheile der Kranznaht und 
an verschiedenen Punkten der Pfeilnaht, an welcher das rechte Emissarium fehlt und das 
linke sehr klein ist. Die unteren Seitentheile der Kranznaht sind ganz obliterirt, links 
in einer Länge von 30, rechts von nur 22 mm. Die offenen Nähte sind verhältnilsmälsig 
einfach, jedoch haben die Pfeilnaht in ihrem mittleren Theile und die Lambdanaht ver- 
hältnifsmälsig grolse und breite Zaeken. Letztere ist an der Spitze sehr gedrückt und 
seitlich, besonders links, mit einigen Schaltknochen durchsetzt. Jederseits in der Gegend, 
wo sonst die Sutura transversa oceipitis abgeht, ein in das Parietale eingreifender Schalt- 
knochen, links grölser, aber an seinem medialen und oberen Umfange synostotisch. 

In der Seitenansicht erscheint der Schädel lang und niedrig. Die eigentliche 
Stirn ist niedrig, etwas schräg, die Tubera frontalia nur mälsig deutlich, die Hinterstirn 
lang und stark ansteigend.. Die grölste Höhe liegt an der Coronaria; dahinter eine 
leichte Einsenkung. Die senkrechte Höbe fällt einen Finger breit hinter die Coronaria. 
Der hintere Abfall der Scheiteleurve beginnt in der Tuberalbreite und ist sehr lang, die 
Oberschuppe stark ausgewölbt. Die Plana temporalia grols, sie erreichen die Tubera 
parietalia und überschreiten die Lambdanaht. Die vorderen Theile der Schläfengruben 
uneben und feingrubig. Die Squama temporalis jederseits platt und hoch, besonders links. 
Jederseits ein starker Processus frontalis, der nur etwas undeutlich ist wegen der 
ausgedehnten Synostose der Coronaria. Die Ala temporalis niedrig und ganz überlagert 
von dem sehr breiten Fortsatz, der von der Squama temporalis aus rechts ziemlich gleich- 
mälsig, links etwas gezackt, jederseits aber noch vorn zugespitzt verläuft. In Folge davon 
Stenokrotaphie, jedoch liegt die, übrigens recht stark vertiefte Stelle ziemlich weit 
nach unten auf der Fläche der stark eingefalteten Ala, und zwar unmittelbar an der Ver- 
einigungsstelle der Sutura sphenofrontalis, zygomatico-frontalis und sphenozygomatica. Der 
Fortsatz erscheint links mehr zugespitzt, rechts fast trapezoideal. Die Maalse betragen 


rechts: links: 

Länge des Proc. temp. oben 15 mm, 12 mm, 
, nE> unten 10555 Sr 
Breite der Ala tempor. ER, HE, 


In der Norma oceipitalis ist der Schädeleontour nahezu fünfeckig: die Seiten- 
theile fast gerade abfallend, nur unten etwas divergirend, das Dach mit schwach gewölb- 
ten Seitenflächen, die Basis ziemlich gerade. Die Oberschappe stark herausgebogen und 


70 Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon 


seitlich abgeflacht. Keine Protuberantia oceipit. externa. Die Linea semicireularis supe- 
rior et inferior kräftig; Linea suprema sehr schwach. Dagegen findet sich jederseits, 
besonders stark links, ein scharfer und tiefer Absatz der Facies musularis gegen die 
Facies laevis, der in seinem unteren Theile der Richtung der Linea superior folgt, dann 
eine tiefe Einbuchtung in medialer Riehtung macht und nach oben parallel mit der Linea 
suprema, unter derselben ausläuft. Dadurch entsteht jederseits eine lange, vertieft liegende 
Zunge der Faeies laevis, welche bis unter die Sutura transversa reicht. Die Cerebellar- 
gruben mälsig vorgewölbt. Die Facies muscularis mit tieferer Zeichnung. Keine grölseren 
Emissaria mastoidea, dafür aber ein grölseres Gefälsloch jederseits nahe an der Crista 
perpendieularis. 

Das Foramen magnum nach hinten gerundet, nach vorn mehr oval, 31 mm lang, 
26 breit, also Index 83,8. Gelenkhöcker weit vortretend und gebogen. Processus mastoi- 
des schwach, mit tiefer Ineisur. Proc. styloides kräftig. Apophysis basilaris etwas flach 
gestellt. Processus pterygoides mit weit ausgelegter Lamina externa. Tiefe Gelenkgruben 
für den Unterkiefer. 

In der Norma frontalis erscheint der Mittel- und Vorderkopf hoch, die Fontanell- 
gegend erhaben, das Gesicht dagegen niedrig und schmal. Orbitae niedrig, fast vier- 
eckig, Index 76,9, also stark chamaekonch. Fissura sphenomaxillaris nach vorn 
ausgeweitet. Der äufsere Rand der Augenhöhle ist dicht unterhalb der Sutura zygomatico- 
frontalis etwas eingebogen, indem hier der Processus frontalis des Wangenbeins etwas 
nach hinten eingedrückt ist. Die Nase niedrig, oben, wo sie in den breiten Nasenfortsatz 
des Stirnbeins eingreift, schmal, der Rücken eingebogen und etwas gerundet, aber vortretend 
und daher aquilin, die Apertur unten breit, oben schmal, daher dreieckig; Index 57,7, also 
platyrrhin. Fossae caninae voll, Foramina infraorbitalia grofs und besonders das linke 
mit einer rundlichen Vertiefung auf der Fläche der Fossa canina in Verbindung. Alveo- 
larfortsatz kurz, in der Mitte 13 mm lang, schräg vortretend. Alveolen weit. Gaumen 
grols, namentlich lang: Index 75,4, also leptostaphylin. Die Sutura transversa palati 
liegt weit nach vorn, 17 mm vor der Spina nasalis posterior, welche kurz und abgerundet 
ist. Die Zahneurve vorn weit, an den Seiten fast gerade, nur nach hinten leicht eonver- 
girend. Der Gaumen daher lang, von prognather Beschaffenheit und etwas an pithecoide 
Formen sich anschliefsend. Die Wangenbeine haben jederseits eine, von der Sutura 
zygomatico-temporalis hervorspringende „hintere Ritze“, rechts 6, links 5 mm lang und 
3 Foramina zygomatica. Die Tuberositas malaris hat eine mälsige Grölse und gehört 
wesentlich dem Oberkiefer an; die Tuberositas marginalis temporalis, besonders die linke, 
sehr kräftig, und der Knochen unterhalb derselben stark eingebogen. 


Schädel No. 2. 


Ein seniler, ganz zahnloser, wahrscheinlich männlicher Schädel ohne . Unter- 
kiefer von sehr mälsiger Capacität (1200 Cub.-Cm.), aber stark dolicho-orthocephal 
(Längenbreitenindex 70,2, Längenhöhenindex 73,2). 

Er zeigt überall grofse Neigung zu Synostosen: die Sagittalis ist ganz ver- 
striehen, ohne Spur, vorn an der Fontanellgegend ein breiter Vorsprung gegen das 
Stirnbein als Zeichen der frühen Obliteration. Die Emissarien sind vorhanden, aber sehr 
genähert (Distanz 10 mm); das rechte erheblich vergrölsert. Die Coronaria in ihren 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 71 


unteren Theilen rechts in grölserer Ausdehnung obliterirt, links ganz einfach und im 
Verstreichen. Rechts ist auch der hintere Abschnitt der Sphenofrontalis verwachsen; 
die Sphenoparietalis beiderseits undeutlich. Die Lambdoides zeigt an ihrer Spitze Spuren 
von Verwachsung. 

In der Norma verticalis ist der Schädel sehr lang und schmal, vorn stark ge- 
wölbt, hinten verschmälert, mit stark vorspringendem Lambda-Winkel, übrigens phaenozyg. 
Die Tubera sehr breit vortretend, daher etwas klinocephale Form. Rechts am Parie- 
tale dicht hinter der Coronaria ein Paar flache Exostosen. 

In der Norma temporalis sieht der Schädel mehr lang als hoch aus. Die Mitte 
der Scheiteleurve ist flach, ihr frontaler Abschnitt stark gewölbt, der hintere bis zum 
Lambda-Winkel schräg abfallend, dann jedoch an der Oberschuppe stark gewölbt. Hohe, 
bis zu den Scheitelhöckern und der Lambdanaht ansteigende Plana. Squama temporalis 
platt. Alae gegen die Mitte vertieft, besonders die rechte, welche sich nach unten sehr 
verschmälert. An ihrer Spitze nach hinten ein unregelmälsig trapezoides Epiptericum, 
11 lang, 8 hoch, mit zackigen Rändern, welche nach vorn etwas undeutlich sind. Der 
Angulus parietalis sehr kurz und, soweit man bei der Synostose der unteren Coronaria 
und des anstolsenden Theils der Sphenofrontalis beurtheilen kann, bis auf eine Strecke 
von 4 mm von der Berührung mit der Ala ausgeschlossen. 


rechts: links: 
Gerade Breite der Ala sphen. oben 21 mm, 24 mm, 
n = ER „ unten 12% 10 


Die Norma oecipitalis zeigt sehr hohe, gerade Seitentheile mit einfacher, flacher 
Wölbung des Daches und gerader Basis. Lambdoides zackig. Oberschuppe stark aus- 
gewölbt, aber kurz, unten seitlich etwas abgeflacht. Deutliche Linea semieircularis suprema. 
Am oberen Ende der Crista perpendieularis eine stark höckerige Protuberanz. Sehr 
tiefer Absatz unterhalb der Lineae semic. superiores. Grolse Cerebellar-Wölbungen mit 
einer Vertiefung zwischen ihnen. Gut entwickelte Emissaria mastoidea. 

Die Basis cranii lang und nach hinten ausgeschoben. Processus mastoides klein, 
mit tiefer Ineisur. Foramen magnum klein, 31 mm lang, 28 breit; Index 90,3. Stark 
vorspringende Gelenkhöcker. Sehr lange und starke Griffelfortsätze. Auf der Mitte der 
Apophysis basilaris ein schief nach hinten eindringendes grolses Emissarium basilare, 
welchem ein tiefer, unregelmälsig ausgebuchteter Sulcus auf der Fläche des Clivus Blumen- 
bachii entsprieht, der nach oben und links mit dem Sinus cavernosus zusammengehangen 
zu haben scheint. Tiefe und weite Gelenkgruben für den Unterkiefer. Sehr grolse 
Laminae externae an den Flügelfortsätzen, besonders links. Links ein extrem grolses 
Foramen ovale. 

In der Vorderansicht erscheint das Mittelhaupt hoch und breit, das Gesicht zart, 
niedrig und breit. Die Orbitae mehr oval und höher, sowohl nach innen und oben, als 
nach aufsen und unten etwas ausgeweitet, trotzdem leicht viereckig; Index 82,9, also 
mesokonch. Auffallend weite Fissura sphenomaxillaris. Nase sowohl oben als unten 
schmal, Rücken stark vorspringend, in der Mitte eingebogen, leicht aquilin, Index 46, 
also leptorrhin. Die Sutura nasofrontalis springt convex nach oben in den Nasenfort- 
satz des Stirnbeins ein. Spina anterior inferior sehr kräftig und weit vortretend, Crista 
und Septum sehr dick. Am Wangenbein jederseits eine kurze Andeutung einer hinteren 


12 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Ritze, welche jedoch sehr hoch liegt; jederseits 3 kleine Foramina zygomatica. Fossae 
caninae wenig vertieft, dagegen verläuft von dem colossal weiten Foramen infraorbitale 
jederseits, am stärksten ausgebildet links, eine ganz tiefe Rinne bis an den Alveolar- 
fortsatz. Der Zahnrand ganz zahnlos, aber noch einzelne offene Alveolen, besonders 
links in der Gegend der Prämolaren und vordern Molaren; die meisten Alveolen, na- 
mentlich die der Ineisiven, sind ganz verstrichen und der Fortsatz geschwunden, so dals 
die Form des sehr verkleinerten Gaumens unsicher ist. Auffällig ist auch hier die weit 
nach vorn vorgeschobene Lage der Quernaht, 14 mm von dem hinteren Rande 
entfernt. Die Spina nasalis posterior fehlt ganz, statt dessen ein niedriger, doppelter 
Vorsprung, links stärker als rechts. 


Schädel No. 3. 


Ein vielleicht weiblicher Kinderschädel mit noch nicht gewechselten Milchzähnen. 
Die äufseren oberen Schneidezähne liegen noch in ihren Höhlen eingeschlossen. Die 
Sutura ineisiva am Gaumen sehr deutlich. Die Prämolares und Molares I entwickelt 
und sehr grols. Die Prämolares I mit 3 Wurzeln (2 äufseren und 1 inneren), der 
rechte überdies mit einer Schmelzexostose. Die Alveolen der Molares II sind offen, 
sehr weit und leer, aber die Zähne waren wohl noch nicht völlig ausgebrochen. Die 
Oeffnungen der Alveolen der Weisheitszähne liegen noch ganz weit nach oben und rück- 
wärts. Die Synchondrosis sphenooceipitalis klafft sehr breit. Rechts an der Squama 
oceipitalis eine Sutura mendosa in der Richtung der Sutura transversa von 24 mm 
Länge; rechts nur eine schwache Andeutung davon. 

Trotz seiner Jugend ist der Schädel grölser, als die beiden vorhergehenden: 
seine Capaeität beträgt 1250 Cub.-Cm. Dafür ist er mesohypsicephal (Längenbreiten- 
index 76,7, Längenhöhenindex 77,3), also in seiner Form gänzlich abweichend. 

In der Oberansicht erscheint er hinten ganz kurz abgeschnitten und etwas schief, 
in der Gegend der Scheitelhöcker breit ausgewölbt, nach vorn verjüngt, aber doch mehr 
breit. Er ist kaum phaenozyg. Die Nähte sind offen, aber die unteren Theile der 
Kranznaht und der hintere Abschnitt der Sagittalis sehr einfach. Das linke Emissarium 
parietale bis auf einen kaum sichtbaren Punkt verschwunden, das rechte deutlich, aber 
der Naht sehr nahe gerückt. Lambdoides grolszackig, mit Schaltknochen gegen die Spitze 
und in der Nähe der Seitenfontanelle.e Tubera parietalia und frontalia breit vortretend. 

In der Seitenansicht hat der Schädel ganz weibliche Form: die niedrige Stirn 
geht mit schneller Wendung in die lange und flache Scheiteleurve über, von welcher 
hinten ein sehr hoher Abfall mit flacher Wölbung der Oberschuppe stattfindet. Dabei 
erscheint der Schädel hoch. In der rechten Schläfengegend ein sehr grolses Epiptericum, 
25 mm lang, 10 hoch, schief viereckig. Dasselbe unterbricht die Verbindung der Ala mit 
dem Angulus parietalis, auf dessen Kosten es sich hauptsächlich entwickelt hat, voll- 
ständig. Die Ala ist vertieft und zeigt in ihrem mittleren Theil Stenokrotaphie. Dafür 
ist die Pars temporalis des Stirnbeins bombenförmig vorgewölbt. Links sind die Ver- 
hältnisse fast normal, jedoch besteht auch hier die Wölbung der Orbitalportion des Stirn- 
beins, und die Ala greift weiter in die letztere ein. 

rechts: links: 
Breite der Ala oben 13 20, 
- nr Mitte 10 12. 


und ihre Beziehnmgen zu den Nachbarstämmen. 73 


In der Hinteransicht ist der Schädel sehr hoch und breit, die Seitentheile gerade, 
nach unten leicht convergirend, das Dach flach rundlich. Das Hinterhaupt hoch, die 
Oberschuppe fast kuglig vorgewölbt. Keine Protuberanz, Lineae semieirculares schwer 
sichtbar. Cerebellar-Wölbungen sehr ausgebildet, über der Sutura mendosa ein tiefer 
Quer-Eindruck (Einschnürung?), der die kuglige Oberschuppe gleichsam abschliefst und 
an der Lambdanaht am tiefsten ist. 

Die Unteransicht erzeugt den Eindruck der Breite hauptsächlich in der Mastoideal- 
Gegend, während das seitlich eingedrückte und sehr verjüngte Hinterhaupt eher lang 
erscheint. Die Warzenfortsätze klein, mit tiefer Ineisur. Das Foramen magnum sehr 
grols, namentlich lang, und nach hinten in der Mitte des Randes mit einer seeundären 
Ausbuchtung (Andeutung einer Spina bifida oceipitalis?). Jederseits vor derselben 
eine verdickte und mit einer glatten Artikulationsfläche, offenbar zur Aufnahme des Atlas- 
ringes, versehene Stelle. Länge des Foramen (mit der Ausbuchtung) 36, Breite 25 mm. 


In der Vorderansicht erblickt man eine niedrige und breite Stirn mit deutlichen 
Tubera und starkem Nasenfortsatz. Am unteren Theil des letzteren ein kurzer Rest der 
Stirnnaht. Die Orbitae hoch und grofs, in der Richtung nach unten und aulsen diagonal 
erweitert; Index 83,3, also mesokonch. Die Nasenwurzel breit und etwas abgeflacht, 
der Rücken flachgewölbt und kurz, nach unten vorgebogen, die Sutura nasofrontalis flach 
und nur wenig über das Niveau der Sutura maxillo- frontalis vorspringend. Die Apertur 
hoch und dreieckig, mit gerundeten Winkeln; Nasenindex 55,5, also platyrrhin. Alveo- 
larfortsatz gar nicht prognath, aber die Zähne etwas schief vorwärts gerichtet. Gaumen 
kurz und breit, leicht hufeisenförmig, mit grofser (17 mm von vorn nach hinten langer) 
Palatinalplatte; Index 86,8, also brachystaphylin. Die Zahneurve kurz und weit, nach 
hinten divergirend. 


Aus dieser Beschreibung leuchtet von selbst ein, dafs der letzte 
der drei Schädel in Hauptsachen von den beiden anderen abweicht, und 
es ist leicht zu ersehen, dafs diese Abweichung noch sehr viel gröfser 
seworden sein würde, wenn das Kind am Leben geblieben und sich weiter 
entwickelt hätte. Es wird sich später herausstellen, dafs er in denselben 
Hauptsachen den Schädeln der Tamilen sich annähert, wenngleich diese 
unter sich nicht ganz geringe Differenzen darbieten. Ich möchte nun 
nicht so weit gehen, ihn geradezu für einen Tamilen-Schädel zu erklären; 
es wäre ja sehr leicht möglich, dafs er einem Bastarde angehörte, und der 
(schon 8. 67 erwähnte) Umstand, dafs der Schädel No. 316 aus der Sammlung 
des Hrn. B. Davis, welcher bestimmt als der eines Mischlings von Mala- 
baren und Sinhalesen bezeichnet wird, in den Indices fast genau mit 
ihm stimmt (Längenbreitenindex 77, Längenhöhenindex 78), spricht stark 
zu Gunsten einer solchen Annahme. Zum Mindesten empfiehlt es sich 
daher, ihn zunächst von der Betrachtung auszuschlielsen. 

Phys. Kl. 1881. Abh. 1. 10 


74 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Ich will dann aber sogleich hinzufügen, dafs dieselben Gründe 
auch gegen die Zulassung des Schädels No. 980 von Hrn. Davis sprechen. 
Derselbe hat einen Längenbreitenindex von 76 und einen Höhenindex 
von 84, obwohl er einem senilen Individuum mit totalem Schwund der 
Alveolarfortsätze angehörte. Scheidet man ihn sowohl, als meinen Schädel 
No. 3 aus, so bleibt ein verhältnifsmäfsig homogenes Material, welches 
eine hohe Wahrscheinlichkeit bietet, dafs es den typischen Verhältnissen 
entspricht. Zur Unterstützung dieser Ansicht dient der Umstand, dafs 
die Abbildungen, welche Davy, selbst die, welche Sandifort gegeben 
hat, nicht nur mit der von mir auf Taf. Il. gelieferten, sondern auch mit 
den sonstigen Beschreibungen und Messungen in den Hauptstücken über- 
einstimmen. Trotzdem ist leider das vorhandene Material keineswegs 
genügend, um alle Fragen zu entscheiden. Der Mangel der Unterkiefer 
bei allen meinen Schädeln ist ein höchst empfindlicher Verlust, und der 
senile Zustand, sowie die ausgedehnte Synostose des einen der zwei scheinbar 
reinen Schädel (No.2) macht selbst seine Benutzung in Bezug auf alle Punkte, 
in denen er abweicht, zweifelhaft. Auch der dritte, noch übrige Schädel 
(No. 1) ist nicht frei von grofsen, offenbar individuellen Abweichungen, 
denn er zeigt nicht blofs trotz der Jugend seines Trägers gleichfalls schon 
sehr zahlreiche Naht-Verwachsungen, sondern namentlich jederseits einen 
srolsen Processus frontalis squamae temporalis. 

Diese Erörterung ist in hohem Maafse lehrreich, um zu zeigen, 
wie unsicher es ist, auf Grund einzelner oder weniger Schädel Rassen- 
bestimmungen zu machen, und wie nothwendig es ist, namentlich für so 
verwickelte ethnologische Verhältnisse, wie die von Ceylon, ein grölseres, 
historisch oder anamnestisch gut bestimmtes Material zur Stelle zu haben. 
Auch im vorliegenden Falle halte ich mich nur deshalb berechtigt, auf 
die Benutzung der mir zugegangenen Schädel nicht zu verzichten, weil 
in der Vergleichung der aus anderen Sammlungen heranzuziehenden 
Schädelbestimmungen genügende Mittel der Controle gegeben sind. Wir 
können, abgesehen von dem nicht gemessenen, sondern nur abgebildeten 
Schädel aus dem Werke von Davy, sowie von den ohne Einzelangaben von 
Hrn. Welcker aufgeführten 5 Schädeln und von dem nach ganz abwei- 
chenden Maalsmethoden beschriebenen Schädel des Hrn. Sandifort, 12 
Sinhalesen-Schädel in Betracht ziehen, nehmlich einen aus dem Museum 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 75 


Vrolik, 9 aus der Sammlung des Hrn. Davis und 2 in meinem Besitz 
befindliche. Diese würden schon eine recht breite Unterlage für das 
Urtheil abgeben, wenn in den Angaben des Hrn. Davis nicht wichtige 
Zahlen ganz fehlten, wie namentlich die für die Maaflse der Augenhöhlen, 
der Nase und des Gaumens. Meine Arbeit kann daher in mehreren Be- 
ziehungen nur als eine vorbereitende gelten. 

Bei der Betrachtung der Einzelverhältnisse ergiebt sich zunächst, 
dafs der sinhalesische Schädel im Mittel erheblich gröfser ist, 
als der Wedda-Schädel. Wenn man (unter Ausschlufs der 2 zweifel- 
haften) 9 Schädel von Hrn. Davis und 2 von mir zusammennimmt, so 
berechnet sich aus diesen 11 Schädeln 

ein Mittel von 1406 Cub.-Um., 
also ein um 145 Cub.-Om. über das Weddamittel hinausgehendes Maafs. 
Freilich sind auch hier die Schwankungen sehr grofs: die beiden Extreme 
von 1110 und 1694 Cub.-Cm. liefern eine Differenz von 584, fast so 
grols, wie wir sie bei den Weddas antrafen. Indefs zeigt eine Zusammen- 
stellung alsbald, dafs die gröfsere Frequenz bei den Sinhalesen auf viel 
höhere Zahlen fällt: 
Weddas: Sinhalesen: 


901—1000 Oub.-Cm. 1 ) —\| 
or a 
1101-1200 3| 3 | 
120 _ Fa] t) 
1501—1400 & 2 | 2\ 
1401—-1500 a N 2 Ir 
über 1600 R 3 | b) | 
Entsprechend der gröfseren Capacität sind auch die Umfangs- 


maalse bei den Sinhalesen ungleich weiter. 

Zunächst für den Horizontalumfang habe ich in ähnlicher 
Weise, wie für die Weddas, die Zahlen des Hrn. B. Davis in Metermaals 
übertragen. Indem ich auch hier den Schädel No. 980 auslasse, erhalte 
ich im Mittel für 

4 männliche Schädel 552 mm, 


5 weibliche 5 AA, nn 


9 Sinhalesen-Schädel 5ll mm. 


10* 


u | 
© 


Vırcnow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Gegenüber den Wedda-Schädeln des Hrn. Davis beträgt die 
Differenz zu Gunsten der Sinhalesen 26, 11 und 23 mm. Meine beiden 
Schädel, deren geringere Capacität aus den vorher mitgetheilten Zahlen 
erhellt, ergeben auch nur 482 und 493 mm Horizontalumfang, also bei 
dem einen etwas weniger, bei dem andern etwas mehr, als das Mittel 
der von mir gemessenen Colombo-Schädel. 


Dagegen ist der Vertikalumfang (398 und 293 mm) bei meinen 
Sinhalesen gröfser, als das Mittel der Colombo-Schädel (289 mm). Indefs 
hat der eine der letzteren, No. 5, ein höheres Maafs (300 mm). Im Mittel 
beträgt der Vertikalumfang meiner beiden Sinhalesenschädel 192 mm 
weniger als der Horizontalumfang, von welchem er 60,5 pÜt., also etwas 
mehr als bei den Weddas, ausmacht. 

Den sagittalen Längsumfang habe ich für die Schädel des 
Hrn. Davis gleichfalls berechnet. Ich erhalte im Mittel für 

4 männliche Schädel 395 mm, 

5 weibliche n Sure n 

9 Sinhalesen-Schädel 380 mm, 
während meine eigenen Messungen 354 und 365 mm ergeben. Die ent- 
sprechenden Mittel bei den Wedda-Schädeln betrugen 366 (Davis) und 
355 (Virchow) mm. Was die einzelnen Abschnitte des Sagittalbogens 
anlangt, so finde ich folgende Mittel aus den Zahlen des Hrn. Davis: 


Frontaler Parietaler Oceipitaler 
Abschnitt: 
4 männliche Schädel 136 mm, 156 mm, 120 mm, 
5 weibliche F RR laser De 
9 Sinhalesenschädel 132 mm; "133 mm,..115 mm, 


oder, nach Procenten des ganzen Sagittalbogens: 
4 männliche Schädel 34,6 534,6 30,5, 
5 weibliche " sdhuln Bl 297, 
9 Sinhalesenschädel 34,7 57 Uli (8): 
Hier tritt gegenüber den Weddas in sehr charakteristischer Weise 
die gröfsere Betheiligung des Stirnbeins und der Scheitelbeine, namentlich 
die des ersteren, dagegen die geringere Betheiligung der Hinterhaupts- 


schuppe hervor. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. a7 


Bei meinen beiden Schädeln stellen sich die Verhältnisse am gün- 
stigsten für das Mittelhaupt, also mehr nach dem weiblichen Typus der 
Schädel des Hrn. Davıs: 


No.1 33,6 35,3 31,0, 
m en 35,6 30,4. 


Das procentische Verhältnifs des sagittalen Längsumfanges zu dem 
Horizontalumfange beträgt für die Schädel des Hrn. Davis 74,3, für die 
meinigen 73,7, demnach nahezu dieselben Zahlen, wie bei den Weddas. 

In Bezug auf die Kopfform habe ich schon früher (8. 67) die 
Einzelangaben für die Schädel des Hrn. Davis mitgetheilt. Das Ver- 
hältnils für den gemittelten Längenbreitenindex ist danach folgendes: 

Dusseau: 1 Schädel 72,2, 
Davis: 9 n 72,0, 
Venom: 192 “ STE 


ım Ganzen aus 12 Schädeln 71,8. 

Auch dieses ausgezeichnet dolichocephale Maals stimmt fast 
genau mit dem Wedda-Mittel (71,6) überein. Selbst wenn man die 5 
von Hrn. Welcker gemessenen Schädel heranzieht, und dafür den von 
Hrn. Dusseau erwähnten Schädel ausläfst, berechnet sich das Mittel für 
16 Schädel auf nur 72,2. Auf die Geschlechtsdifferenzen will ich keinen 
besonderen Werth lesen, nachdem sich schon bei den Weddas wider- 
sprechende Zahlen ergeben hatten. Ich will nur constatiren, dafs auch 
nach den Angaben des Hrn. Davis die sinhalesischen Weiberköpfe ein 
geringeres Verhältnils (71,2), als die Männer (73,0) zeigen. Dabei muls 
aber erwähnt werden, dafs der schon früher hervorgehobene Schädel 
No. 982, den Hr. Davis aus nicht zu erkennenden Gründen der Mikro- 
cephalie bezüchtigt, einen Index von nur 65 besitzt. Läfst man ihn aus 
der Rechnung, so erhält man für die 4 sinhalesischen Weiberschädel des 
Hrn. Davis einen gemittelten Index von 72,7. 

Besonders bemerkenswerth ist, dals dıe sämmtlichen, in Einzelheiten 
bekannten Sinhalesen-Schädel (den schon mehrfach besprochenen und aus 
den Rechnungen ausgeschiedenen Schädel No. 980 des Hrn. Davis aus- 
genommen) sich innerhalb der Grenzen der Dolichocephalie bewegen, 
während unter 20 Wedda-Schädeln, auch nach Ausscheidung der defor- 
mirten, sich 4 Mesocephalen befanden. Wäre man der Provenienz ganz 


78 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


sicher, so mülste man daraus eigentlich auf eine besondere Gleichmälsig- 
keit der Rasse bei den Sinhalesen schliefsen. 

Was die Verhältnisse der einzelnen Schädeltheile zu der Gesammt- 
länge anbetrifft, so habe ich darüber eine ähnliche Berechnung angestellt, 
wie früher (S. 54) bei den Weddas: 


No..l: No./2: 
Index « 29,7 29,8, 
5 b 55,6 58.9. 


Im Ganzen sind auch diese Maalse etwas grölser, als bei den 
Weddas, indefs doch keineswegs in constanter oder charakteristischer Weise. 

Die absoluten Zahlen für die gröfste Länge und Breite des Schädels 
lauten für die Sinhalesen im Ganzen grölser, als für die Weddas. Ich 
gebe hier zunächst eine Zusammenstellung sämmtlicher Längen-, Breiten- 
und Höhenmaalse für die sinhalesischen Schädel: 


Länge: Breite: Höhe: 
Dusseau 150 mm 130 mm 155 mm. 
Davis--315- 1a 7 + ar 21228,57° 1219, 2 
979° 17158 .2, 4182. - Heyızan 

981: 1192... 182.12. ..129:9°, 
982:.182,8. Su LO Ska > 

983: 180,3, „ 1295, 14485,, 


984: 193,0 „ 144,8, 147,3 
1007: 195,6 „ 142,2, 134,6 

1008: 198,1... „ 144.80 a7). 

1009. 182-8...  AS2sh 77 Ale z 
Virchow L317853 15a 
3 a Ta ae 


Man ersieht daraus, dafs die gröfste Länge bei 3 (mänmlichen) 


n 


Schädeln über 190 mm und nur bei 4 (meist weiblichen) Schädeln unter 
180 mm beträgt. Von den 12 Schädeln haben 7 eine Länge von über 
180 mm. Der sinhalesische Schädel übertrifft demnach den 
Wedda-Schädel an Länge. Ebenso verhält es sich mit der 
sröfsten Breite. Von den 12 Schädeln hat die Hälfte eine Breite von 
über 130 mm, 3 davon sind sogar über 140 breit; nur 5 sind unter 130. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 79 


Was die senkrechte Höhe angeht, so ist dieselbe bei den Sin- 
halesen, wie bei den Weddas, in der Regel gröfser, als die gröfste Breite. 
Nur bei 3 (2 weiblichen und 1 männlichen) Schädeln übertrifft die Breite 
die Höhe; dagegen ist bei 2 (weiblichen) Schädeln die Höhe sehr bedeu- 
tend grölser, als die Breite, nehmlich um je 12,7 und 15,3 mm. In 
3 Fällen erreicht die Höhe ein Maafs über 140, nehmlich einmal 144,8, 
zweimal 147,3 mm. Das ist bedeutend mehr als bei den Weddas. 

Der Längenhöhenindex berechnet sich trotzdem für 


Männer: Weiber: 
Dusseau (1) 75,0 — 
B. Davis (4) 74,0 (5)1,04,8; 
Virchow (2) 72,8 — 
im Ganzen auf (7) 73,8 (5) 74,8. 
Gesammtmittel (12) 74,2. 


Dasselbe bleibt demnach um ein Geringes unter dem Mittel der 
Weddas (74,9) und innerhalb der Orthocephalie. Die von Hrn. 
Welcker angegebene Zahl von 77,2 geht erheblich über die eben 
berechnete hinaus; wenn man sie aber zur Berechnung des Mittels her- 
anzieht und dafür die Angabe von Dusseau ausläfst, so erhält man für 
16 Schädel 75,1, also eine nur minimal über den Wedda-Index hinaus- 
gehende Zahl. 

Der Auricularindex ist gleichfalls kleiner, als bei den Weddas: 
63,5 und 58,5, — im letzteren Falle so gering, wie bei keinem der Weddas. 

Das Gesammtergebnifs in Bezug auf die Bildung der Schädelkapsel 
ist daher, dafs eine grofse Uebereinstimmung in den Verhält- 
nissen zwischen Weddas und Sinhalesen besteht, dals dagegen 
in der Höhe der absoluten Zahlen in der Regel die Sinhalesen 
die Weddas übertreffen. Diese Differenz würde im Mittel noch mehr 
zur Geltung kommen, wenn nicht gerade die beiden, von mir gemessenen 
Schädel eine grolse Mannichfaltigkeit von Störungen erlitten hätten, welche 
auf ihre Entwickelung hindernd eingewirkt haben. Ich verweise defshalb 
auf die Beschreibung; hier erwähne ich nur, dafs es sich dabei um ent- 
schieden praemature Synostosen und um grofse Abweichungen in der 
Schläfengegend, nehmlich in dem einen Falle um Stirnfortsätze der 
Schläfenschuppe und Stenokrotaphie, in dem andern um ein 


80 Vırcmow: Ueber die Weddas von Üeylon 


srolses Epiptericum handelt. Letzteres Verhältnifs fand sich jedoch auch 
bei einem der Wedda-Schädel aus dem Museum von Oolombo, und Steno- 
krotaphie, wie erwähnt (S. 49), zeigte auch ein Wedda-Schädel aus dem 
Londoner Museum. — 

Bei Untersuchung der Gesichtsform folge ich ebenfalls der vorher 
bei den Weddas eingehaltenen Reihenfolge, und beginne mit den Augen- 
höhlen. 

Der Orbitalindex zeigt leider bei den beiden, von mir gemessenen 
Schädeln eine grolse Differenz, welche schwer zu vermitteln ist, indem 
der erste 76,9, der andere 82,9 ergiebt. Somit ist der eine chamae-, 
der andere mesokonch. Letzterer würde demnach mit den Wedda- 
Schädeln mehr übereinstimmen. Indefs mufs ich das Urtheil darüber 
suspendiren, da aulser mir kein anderer Beobachter Orbitalmaalse von 
Sinhalesen verzeichnet oder Angaben über Orbitalformen gemacht hat. 
Ob die mehr zum Viereckigen tendirende Form, welche ich notirt habe, 
Bedeutung hat oder nicht, muls durch fernere Beobachtungen entschie- 
den werden. 

Aehnlich ist es mit dem Nasenindex. Derselbe ist bei dem 
ersten meiner Sinhalesen —= 57,7, also platyrrhin, bei dem andern 
— 46,0, also leptorrhin. Aehnliche Differenzen fanden sich freilich 
auch bei den Wedda-Schädeln, deren Mittel ein mesorrhines Maals 
(52,2) ergab, indefs hätte man gerade nach den Schilderungen der 
Beobachter, welche ich vorher angeführt habe, eine gröfsere Beständigkeit 
der Nasenform erwarten sollen. Die knöcherne Nase der Sinhalesen- 
Schädel ist in der That schmal, vortretend und mit einem leicht aquilinen 
Rücken versehen, und ich habe den Eindruck, als ob die Form, wie sie 
bei dem Schädel No. 2 besteht, die eigentlich typische sei. Auch darf 
ich daran erinnern, dals ich schon früher!) meine Bedenken über eine 
Formel geäufsert habe, welche durch zwei ganz verschiedene, unter ein- 
ander nicht nothwendig verbundene Faktoren, nehmlich die Höhe der Nase 
überhaupt und die Breite der Apertur, bestimmt wird. Indefs verlohnt 


!) Virchow. Beiträge zur physischen Anthropologie der Deutschen, mit beson- 
derer Berücksichtigung der Friesen. Abhandlungen der Akademie. Berlin 1876. 
S. 143, 350. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. s1 


es sich nicht, diese Erörterung hier, bei einem so kleinen Material, fort- 
zusetzen. 

Für die Bestimmung des Gesichtsindex bieten nur 6 von den 
Schädeln des Hrn. Davıs Material, und von diesen sind 5 weibliche. 
Daraus berechne ich folgende Zahlen: 

Schädel: Ganze Gesichtshöhe: Jochbreite: Index: 


No. 315 2 109 mm 1l4 mm 95,6, 
„979 2 Sir. TG Am T.T, 
1 938 2 104 „ 1.7548; 88,8, 
© 989.01 „ylODu«L TO EEE 
9882 iu 5 127% IL, 
„ 1007 & 30yr,, 132 215 98,4. 


Hier zeigt sich ein sehr erheblicher Gegensatz gegen die Weddas. 
Während sich bei diesen als höchstes Maafs für die Männer 88,2 ergab, 
treffen wir bei den Sinhalesen einen männlichen Schädel von 98,4 und 
zwei weiblichen von je 92,1 und 95,6; ein dritter weiblicher Schädel hat 
einen Index von 88,8. Es bleiben also nur zwei weibliche Schädel mit 
niedrigen Maafsen, einer mit 81,6 und einer, der eines Geisteskranken, 
mit 77,7. Während das Gesammtmittel bei den Weddas etwas über 83 
betrug, finde ich für die Sinhalesen 

89,0. 

Erwägt man nun, dafs bei den Weibern in der Regel niedrigere 
Maalse vorkommen und dafs hier von 6 Schädeln 5 weibliche sind, unter 
denen sich noch dazu der ganz abnorm niedrige einer Geisteskranken 
befindet, so kann man als sehr wahrscheinlich annehmen, dafs der sinha- 
lesische Gesichtsindex im Sinne der von Hrn. Kollmann vorgeschlagenen, 
freilich etwas anders berechneten Eintheilung leptoprosop ist. Die 
Kleinheit der Jugaldistanz spricht entschieden zu Gunsten einer solchen 
Annahme. 

Da meinen beiden Schädeln die Unterkiefer fehlen, so kann ich 
keine entsprechende Berechnung anstellen. Ueberdiefs ist der eine von 
ihnen durch Altersveränderungen am Kieferrand so stark verändert, dals 
nicht einmal der Mittelgesichts-Index brauchbar ist. Ich kann daher nur 
einen Wedda-Schädel (No. 1) und einen sinhalesischen in Parallele stellen. 
Nachstehend unter a gebe ich einen Index, der berechnet ist aus dem 


Phys. Kl. 1881. Abh. 1. 11 


82 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Verhältnifs der Höhe des Mittelgesichts (Nasenwurzel bis Alveolarrand) 
zu der Jochbreite, letztere — 100 gesetzt, und einen zweiten b, berechnet 
aus derselben Höhe und der Malarbreite (unteres Ende der Suturae zygo- 


matico-maxillares), letztere = 100 gesetzt: 
a: b: 
Wedda 50,0 70,1, 
Sinhalese 52,6 60,5. 


Daraus ergiebt sich gleichfalls eine geringere Breite des ganzen 
Gesichts bei den Sinhalesen, dagegen eine grölsere des Vordergesichts. 

Der Alveolarindex des Sinhalesen No. 1 zeigt eine verhältnils- 
mälsig hohe Zahl, nehmlich 99, indefs ist der Gesichtswinkel (Öhrloch, 
Nasenstachel, Nasenwurzel) nur 75°, während er bei dem Wedda 82° 
beträgt. 

Was den Gaumen anlangt, so habe ich es leider versäumt, bei 
dem Wedda-Schädel die Maalse zu nehmen. Ich habe jedoch notirt, dafs 
er breit und der Zahnkurve nach hufeisenförmig war. Dem gegenüber 
scheint der sinhalesische Gaumen erheblich verschieden. Nach den Zahlen 
des Hrn. Dusseau berechnet sich ein Gaumenindex von 73,7, nach den 
meinigen für den Schädel No. 1 ein solcher von 75,4. Das ergäbe also 
ein leptostaphylines Maafs. Vergleicht man die beiden Schädel auf 
Taf. I. und Il. unter Fig. 5, so wird die Differenz anschaulich. Ob sie 
jedoch als eine allgemeine anzusehen ist, vermag ich nicht zu sagen. — 

Im Ganzen bestätigt daher die osteologische Untersuchung des 
sinhalesischen Gesichts, was schon aus den physiognomischen Bemerkun- 
gen der einzelnen Berichterstatter hervortrat: das Gesichtsskelet 
der Sinhalesen ist von dem der Weddas weit mehr verschieden, 
als die Schädelkapsel der ersteren von der der letzteren. Es 
zeichnet sich im Ganzen durch gröfsere Schmalheit aus. Dasselbe gilt 
von dem Gaumen und wahrscheinlich von der Nase. Dagegen ist die 
Orbita, wenigstens die meiner Sinhalesen-Schädel keineswegs hoch. Am 
grölsten ist die Unsicherheit in Bezug auf die Kieferbildung. Der von 
mir abgebildete Sinhalesen-Schädel (Taf. 11.) ist ausgemacht prognath, 
mehr als der Wedda-Schädel (Taf. 1.), aber auch mehr, als der Sinhalesen- 
Schädel bei Davy. Dagegen hat sowohl der Wedda-Schädel bei de 
Quatrefages und Hamy, als auch der Sinhalesen-Schädel bei San difort 
einen stark vortretenden Alveolarfortsatz. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 83 


Bevor ich diese Vergleichung weiter fortsetze, wird es zweckmälsig 
sein, die anderen in Betracht kommenden Volksstämme zu besprechen. 


2) Die Tamilen oder Malabaren. 


Wie schon auseinandergesetzt, versteht man unter diesem Namen 
dravidische Einwanderer, welche von sehr verschiedenen Punkten der 
vorderindischen Halbinsel in historischer Zeit, meist mit Waffengewalt 
eindrangen und im Laufe von mehr als zwei Jahrtausenden sich allmählich 
so verdichteten, dafs sie den nördlichen und einen grofsen Abschnitt des 
östlichen Theils der Insel, namentlich an der Küste, fast ausschliefslich 
bevölkerten. Als die Portugiesen, die ersten Pioniere der europäischen 
Civilisation, auf der Insel festen Fufs falsten, war die Herrschaft der 
Malabaren im alten Rajaratta oder Pihiti eine fest begründete. Noch 
Valentijn!) bestimmte ihre Sitze zu seiner Zeit bis an den Fluls Co- 
runda Waye, der, wie es scheint, identisch ist mit dem Koorinda oder 
Kirinde Oya (Zimmtflufs) von Sir Tennent?), einem kleineren Flufse, der 
gegen Südosten bei Mahagan in das Meer mündet. Auch Davy?) bezeichnet 
die nördlichen und östlichen Küstenprovinzen als den Hauptsitz der Mala- 
baren. Pridham#) läfst sie von Batticaloa bis Jaffna im Norden und 
von da bis Putlam im Süden wohnen. Indefs ist dies nicht so zu ver- 
stehen, dafs sie noch jetzt in völliger räumlicher Trennung von den 
Sinhalesen leben. Im Gegentheil finden sie sich in nicht geringer Zahl, 
namentlich in den Städten, mit den andern Rassen gemischt, wie die 
Beschreibung Sir Tennent’s?) von Colombo sehr anschaulich lehrt; in 
dieser Stadt bilden sie einen grofsen Bruchtheil der arbeitenden Bevölke- 
rung. Von besonderem Interesse ist es, dafs sie im Osten nahe Nach- 
barn der Weddas sind. 

In der That nannte Wolf®), der gar keine Aehnlichkeit zwischen 
Malabaren und Sinhalesen fand, die Weddas „eine andere Art Malabaren.* 


1) Valentijn l. e. Bl. 49. 

?) Tennentl. ec. I. p. 41 II. p. 417. 
SL Davyl2c. ps 10% 

*#) Pridham |. c.p. 463. 

SE Teninient l.‘e.sIl. p.2156. 

6) Wolf a.a. ©. I. S. 156, 167. 


84 Vırcnow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Er beschrieb die Malabaren selbst als schwarz, langhaarıg und ohne Waden. 
Sonst finde ich sehr wenige Angaben über ihre physische Eigenthümlich- 
keit. Die meisten Autoren beschränken sich darauf, ihnen einen kräftigeren 
(stouter) Körperbau und gröfsere Activität, als den Sinhalesen, zuzu- 
schreiben!). Hr. Pridham läfst sie das Haar entweder lose zusammen- 
fassen oder in einen kondee auf dem Scheitel oder über dem einen Ohr 
befestigen; zuweilen werde auch der ganze Kopf bis auf eine Locke auf 
dem Scheitel (at the crown) geschoren. Die Kinder der Tamilen be- 
schreibt Sir Tennent?) als ganz nackt, mit glänzendem und dünnem 
(glossy and thin) schwarzem Haar und anmuthigen Gliedern. 

Zu den Tamilen gehören, wie schon angeführt, die Mookwas oder, 
wie sie sich selbst nennen, die Mukuger. Mag man ihnen auch einen 
besonderen Ursprung zuschreiben, wie Pridham?), der sie von den 
Nairs und Mookwas der Malabar-Küste ableitet, so stimmen doch alle 
Beobachter darin überein, dafs sie ihrer physischen Erscheinung nach den 
Tamilen ganz nahe stehen oder eigentlich Tamilen sind. Der Umstand, 
dafs die Mookwas Christen, zum Theil auch Mahomedaner, viele der Tamilen 
dagegen der brahminischen Lehre zugethan sind, hat wohl am meisten 
dazu beigetragen, die ersteren zu einem besonderen Gegenstande der Auf- 
merksamkeit zu machen. 

Bis dahin war nur ein einziger Schädel eines Tamilen oder Mala- 
baren in Europa bekannt. Derselbe befand sich in der Sammlung des 
Hrn. Barnard Davis). Aufserdem war in derselben Sammlung, wie 
schon erwähnt, der Schädel eines Mischlings von Malabaren und Sinha- 
lesen (N. 316). Durch die Sendung des Hrn. Consul Freudenberg 
habe ich 3 Tamilen-Schädel, leider sämmtlich ohne Unterkiefer, erhalten, 
und mit den als Sinhalesen bezeichneten Schädeln ist der eines Kindes 
angekommen, den ich schon beschrieben habe und von dem ich vermuthe, 
dafs er der Dravida-Gruppe angehört. Im engeren Sinne kann demnach 
nur von 4, im weiteren vielleicht von 6 Exemplaren die Rede sein. Die 
ersteren 4 sind als männliche anerkannt, die beiden letzteren dagegen 


1) Selkirk Il. ec. p.68. Pridham l.c. I. p. 465. 
2) Tennent]. c. II. p. 514. 

3) Pridham ]. e. I. p. 466. 

*) Barnard Davis. Thes. cran. p. 154. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 35 


haben so wenig ausgeprägte Geschlechtscharaktere, dafs ihre Bestimmung 
zweifelhaft ist. 
Ich gebe auch hier zunächst eine Detail-Beschreibung der in mei- 


nem Besitz befindlichen Schädel: 


Schädel No. ]. 


Ein noch jugendlicher, scheinbar männlicher Schädel ohne Unterkiefer, bei dem 
sämmtliche Zähne ausgetreten, aber, soweit sie vorhanden (die Schneidezähne, der 
rechte Eckzahn und 3 Prämolaren fehlen), sehr wenig abgeschliffen sind; die Synchon- 
drosis sphenooceipitalis geschlossen. Capacität gering (1155 Cub.-Cm.); Längenbreiten- 
index (72,0) ausgemacht doliehocephal, Längenhöhenindex (79,4) ebenso ausgesprochen 
hypsicephal. 

In der Oberansicht erscheint der Schädel etwas schief, namentlich der linke Scheitel- 
beinhöcker niedriger und flacher, dagegen die linke Hälfte der Hinterhauptsschuppe höher 
und voller, die rechte seitlich abgeplattet, der Lambdawinkel ganz unregelmäfsig, indem der 
rechte Schenkel zunächst in der Fortsetzung der Pfeilnaht steil abfällt, der linke dagegen fast 
horizontal ansetzt. Letzterer enthält überdies im unteren Theil, nahe der Seitenfontanelle, 
lange Schaltknochen. Die Form des Schädels ist überwiegend lang, hauptsächlich durch 
das überwiegend schmale, weit vortretende Hinterhaupt. Vorn ist der Schädel bis zu den 
Tubera parietalia eher breit, am breitesten in der Gegend der letzteren. Nähte vollständig. 
Keine Spur von Emissaria parietalia; in dieser Gegend ist die Pfeilnaht mehr einfach. 
Stark ausgeprägte Phaenozygie. 

In der Seitenansicht überwiegt der Eindruck der Höhe, und, dadurch bedingt, 
auch der der Kürze. Die Stirn ziemlich gerade, Orbitalwülste kaum entwickelt. Die 
Hinterstirn oberhalb der Tubera stark gewölbt und bis kurz vor der Coronaria anstei- 
gend. Der Abfall der Scheiteleurve gegen das Hinterhaupt ist schnell. Hohe, die Tubera 
kreuzende Plana temporalia. Squama temp. platt. Grolse Alae mit ganz kurzen Anguli 
parietales; erstere rechts 35, links 34 Cm. breit. 

Die Norma oeceipitalis zeigt einen hohen, fünfeckigen, oben mehr abgeflachten, 
unten platten Contour mit sehr hohen und senkrechten, nur unten etwas divergirenden 
Seiten. Hohe, nach oben, wie erwähnt, sehr unregelmälsige Squama oceipitalis mit etwas 
comprimirten Seitentheilen; keine Protuberanz, Lineae semicireulares deutlich, scharfe Crista 
perpendicularis, schwache Cerebellar-Wölbungen, kurze Facies museularis. 

In der Norma basilaris erscheint der Schädel breit, namentlich in der Jugal- 
und Mastoidealgegend, dagegen das Hinterhaupt eher schmal und vorspringend. Foramen 
magnum lang oval, etwas schief, 34 mm lang, 26 breit, Index 76,4. Gelenkhöcker nach 
vorn stark vortretend. Warzenfortsätze diek, aber nicht hoch, beiderseits mit starken 
seeundären Anschwellungen am hinteren Umfange, besonders stark auf der linken Seite. 
Griffelfortsätze kräftig. Kiefergelenkgruben sehr tief. Hamulus pterygoideus und Spitze 
der Lamina externa sehr grols. 

Die Vorderansicht läfst den Kopf hoch erscheinen. Stirn voll, Nasenfortsatz sehr 
breit. Orbitae hoch, mit diagonaler Ausweitung nach unten und aufsen, Index 34,4, also 


86 Vırcnuow: Ueber die Weddas von Ceylon 


mesokonch. Fissura orbitalis inferior sehr weit und am Ende buchtig. Nase oben und 
unten schmal, Rücken vortretend, mehr gerundet, Index 48,3, also mesorrhin. Fossa 
canina wenig vertieft. Am Wangenbein jederseits eine hintere obere Ritze und eine 
starke Tuberositas marginalis. Alveolarfortsatz stark prognath, aber nur 15 mm lang, 
mit sehr grolsen Alveolen. Gaumen tief, hinten breit, mit schwach hufeisenförmiger 
Zahneurve, Index 90,0, also brachystaphylin. Horizontalplatte des Os palatinum in 
der Mitte weiter nach vorn vorspringend; kurze Spina nasalis posterior. 


Schädel No. 2. 


Ein seniler, männlicher Schädel ohne Unterkiefer, von geringer, aber doch 
neben den übrigen relativ grölserer Capaeität (1260 Oub.-Cm.), noch dolichocephal 
(74,8) und von mälsiger Höhe (Längenhöhenindex 73,7). Sehr starke Muskelansätze: 
Protuberantia oceipitalis grols, fast hakenförmig, Stirnnasenwulst breit, stark vortretend 
und mit zackigen Spuren der untersten Abschnitte der Stirnnaht. Das rechte Wangenbein 
mit dem anstolsenden Theil des Oberkiefers und Jochbogens fehlt. Die rechte Schädel- 
seite oberflächlich durch Verwitterung erodirt. 

In der Norma vertiealis erscheint der Schädel ziemlich gleichmälsig breitoval, 
mit stärkster Verbreiterung in der Gegend der Tubera parietalia, und leicht phaenozyg. 
Der vorletzte Abschnitt der Pfeilnaht etwas einfach, das linke Emissarium fehlt, das 
rechte liest ganz nahe an der Naht. Die seitlichen unteren Abschnitte der Coronaria und 
Sphenofrontalis obliterirt; beginnende Synostose der Sphenofrontalis. 

In der Norma temporalis sieht man sehr hohe Plana, welche bis über die Tubera 
und bis an die Lambdoides reichen, links in dem hinteren Theil mit einer dicken skle- 
rotischen Fläche, deren Rand sich über die Lambdoides herüberlegt, endigend. Ala breit, 
rechts undeutlich, links 26 mm breit. 

In der Norma oceipitalis ist der scheinbare Durchschnitt nahezu fünfeckig, breit, 
mälsig hoch, mit mehr lachem Dach. Die Squama grols, namentlich breit, der Lambda- 
Winkel etwa 160°. Die Protuberantia sehr kräftig, ebenso die Linea semieircularis 
superior; an der Stelle der L. suprema dagegen ein flacher Wulst. Facies museularis 
stark gezeichnet, Cerebellar-Wölbungen nur schwach entwickelt, die mittleren Theile stark 
vertieft, links neben der Crista perpendicularis zwei Emissarien. 

In der Norma basilaris ist die Breite der mittleren und hinteren Region sehr 
sichtlich. Foramen magnum sehr grols, lang, etwas schief, 33 mm lang, 28 breit, Index 
73,6. Gelenkhöcker weit vortretend; hinter denselben jederseits eine verdickte Stelle des 
Randes, namentlich links, welche einer Artikularfläche des Atlasbogens zu entsprechen 
scheint. Warzenfortsätze kräftig und lang, sehr tiefe Ineisur. Sehr grolse Griffelfortsätze. 
Colossal entwickelte Lamina externa pterygoidea, grolser, aber dünner Hamulus, 
rechts ganz grolses Foramen Civinini. Tiefe Cavitates glenoides. 

In der Norma frontalis sieht der Kopf mäfsig hoch, das Gesicht jedoch niedrig 
aus. Grolse Stirnhöhlen; Nasenwulst vortretend, mit breiten zackigen Resten der Stirn- 
naht. Orbitae hoch und weit, hauptsächlich diagonal nach unten und aulsen ausgebuchtet; 
Index 83,3 mesokonch. Wangenbein zart. Nase oben ganz schmal, mit scharfem, 
nur wenig eingebogenem Rücken; Index 51,1, an der Grenze der Mesorrhinie, Sutura 


und ıhre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 87 


nasofrontalis stärker nach oben gebogen und in den nur mälsig breiten Nasenfortsatz des 
Stirnbeins eingreifend. Fossa canina voll, Foramen infraorbitale klein und flach. Alveo- 
larfortsatz stark prognath: die Seitentheile obliterirt und geschwunden, nur die Mitte 
des Vordertheils noch erhalten und vorspringend.. Gaumen atrophisch. 


Schädel No. 3. (Hierzu Taf. III.) 


Ein männlicher, noch jugendlicher Schädel ohne Unterkiefer. Alle Zähne waren 
ausgebildet, aber leider sind die Schneide-, Eek- und Prämolarzähne sämmtlich nach- 
träglich ausgefallen. Die I Molaren sehr grols und die Spitzen stark abgenutzt; nur die 
Weisheitszähne noch ganz ohne Abnutzungsspuren und klein. Starke Betel-Färbung der 
sämmtlichen vorhandenen Zähne. Sutura sphenooceipitalis geschlossen. Muskelansätze 
kräftig, obwohl die Knochen im Ganzen zart sind. Die Capaeität ist gering, 1200 Cub.- 
Cm. Die Form hypsimesocephal, obwohl auf der Grenze zur Dolichocephalie: Längen- 
breitenindex 75,3, Längenhöhenindex 80,9. Starke Prognathie. 

Oberansicht: kurz, besonders hinten, mälsig breit, phaenozyg. Nähte offen; 
Pfeilnaht in der Gegend der fehlenden Emissarien einfach. 

Seitenansicht: kurz und hoch, die grölste Höhe hinter der Ohrlinie und 2 Finger 
breit hinter der Kranznaht. Stirn steil, stark eingebogen, mit grofsem Orbitalwulst, tiefer 
Glabella und deutlichen Tubera, die Hinterstirn lang und ansteigend, daher die Coronaria 
nach hinten zurückgedrängt. Mittelkopf kurz und stark gebogen. Von der Scheitelhöhe 
an schneller Abfall mit kurzer Wölbung. Hohe, bis zur Lambdoides reichende und hier 
einen dicken Vorsprung bildende Plana temporalia. Schläfenschuppe sehr platt. Rechts 
Stenokrotaphie mit sphenofrontalem Epiptericum. Der Angulus parietalis fehlt 
gänzlich, die Portio orbitalis ossis frontis ist dafür flachrundlich vorgewölbt. Die Ala 
ist fast ganz von der Berührung mit dem Parietale ausgeschlossen; sie stölst nur mit 
einer hinteren Spitze an dasselbe, unter welche sich das Epiptericum einschiebt. Coro- 
naria und Sphenotemporalis verlaufen fast in einer Linie. Sphenofrontalis lang, in einer 
Flucht mit der Squamosa, darin hinten das lanzettförmige, in die Ala eingreifende, 
11 mm lange, 5 hohe Epipterieum. Ala selbst stark in ihrem mittleren Theil eingebogen, 
trotzdem breit. Links Sphenoparietalis kurz, Angulus wenig ausgebildet, so dals die 
Squamosa, die Sphenoparietalis und die Sphenofrontalis fast in einer Linie fortlaufen. 
Ala flach und breit. 


rechts: links: 
Sphenoparietalis 1 mm 7 mm, 
Sphenofrontalis 23 „ 20, 
Breite der Ala 2 2, 15 


Hinteransicht: sehr hoch, Sagittalgegend stark vortretend, nur die eigentliche 
Nahtstelle etwas vertieft. Die Form des scheinbaren Durchschnitts ungefähr fünfeckig, 
jedoch die obere und die seitlichen Flächen schwach gewölbt. Tubera vortretend. Squama 
hoch, Lambdawinkel spitz, Oberschuppe stark gewölbt. Protuberantia klein. Facies 
muscularis grols und im Ganzen gewölbt, dafür die Cerebellarwölbungen schwach. 

Unteransicht: kurz, hinten gerundet. Foramen magnum kurz, 34 mm lang, 29 
breit, Index 85,2. Sehr starke Gelenkhöcker, die weit nach vorn und einander sehr nahe 


88 Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon 


stehen. Warzenfortsätze grols, der linke getheilt, dafür jedoch mit schwächerer 
Ineisur. Tiefe und grofse Unterkiefergruben. 

Vorderansicht: hoch, nach oben mehr gleichmälsig gewölbt. Sehr kräftiger Stirn- 
nasenwulst mit etwas porotischer Oberfläche; in der Mitte desselben ein dichtzackiger 
Rest der Frontalis, zu jeder Seite davon eine blasige Vorwölbung der Stirnhöhlen. Hohe, 
etwas schiefe Orbitae mit gerundetem Dach, Index 86,4, hypsikonch. Vorderer Theil 
der Ineisura sphenomaxillaris weit. Nase oben schmal, Rücken hier fast scharf, etwas 
tiefer eingebogen und mehr gewölbt, ‘Apertur breit und hoch, Index platyrrhin. Spina 
nasalis ant. stark. Fossa canina mälsig vertieft, Foramen infraorbitale abgeplattet. Wangen- 
bein mit stärker vortretendem Wangenhöcker und ganz kurzer hinterer oberer Ritze. 
Alveolarfortsatz niedrig, 14 mm, trotzdem stark prognath wegen der grolsen Alveolen. 
Gaumen sehr breit, Index 87,1, brachystaphylin. Zahncurve nach hinten wenig 
convergirend, jedoch etwas hufeisenförmig. Zähne durchweg sehr grofs. Der vordere Theil 
der Gaumenfläche stark gefüllt, bildet eine schräg abfallende Fläche. Schwache Spina 
nasalis posterior; grolse, 14 mm lange Palatinalplatte. 


Die einzelnen Schädel bieten gewisse Eigenthümlichkeiten, welche 
ihren typischen Werth beeinträchtigen. Namentlich gilt dies von dem 
ersten, welcher einen erheblichen Grad von Plagiocephalie mit grolsen 
Unregelmäfsigkeiten in der Lambdanaht zeigt. Aller Wahrscheinlichkeit 
nach ist die Schiefheit eine Druckwirkung, welche die eine Seite des 
Hinterhauptes betroffen hat, aber es ist schwer zu sagen, ob dieser Druck 
ein arteficieller gewesen ist und ob er erst nach der Geburt eingewirkt 
hat. Die Gröfse der Abweichung in der Configuration der Lambdanaht 
scheint eher auf eime Störung innerhalb des Fötallebens hinzudeuten. 
Indefs fanden wir etwas Aehnliches bei dem Sinhalesen-Schädel No. 1, 
bei dem sogar die Störung bis auf das Gesichtsskelet sich ausdehnte, und 
bei der Vergleichung wird man wohl darüber fortgehen dürfen. 

Auch die abweichende Bildung des Processus pterygoides in dem 
zweiten Falle, wo sich auf der rechten Seite eine Hyperplasie der Lamina 
externa und ein grofses Foramen Civinini fand, ist für die Gesammt- 
betrachtung nicht entscheidend. Etwas erheblicher sind die temporalen 
Abweichungen in dem dritten Falle, wo rechts ein grolses, trennendes 
Epipterieum, links eine Verkürzung des Angulus parietalis vorhanden ist, 
indefs steht dem gleichfalls bei den Sinhalesen Aehnliches gegenüber, indem 
sich bei No. 1 jederseits ein Stirnfortsatz der Schläfenschuppe und bei No. 2 
ein Epiptericum der rechten Seite findet. Es wäre ja recht wünschens- 
werth, Schädel ohne diese mehr individuellen, wenngleich vielleicht in der 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. s9 


Rasse einigermaalsen begünstigten Besonderheiten zu haben, indefs im 
Augenblick sind sie eben nicht zu haben. 

Wenden wir uns nunmehr zu der vergleichenden Betrachtung, so 
ergiebt sich zunächst für die Capaeität der Schädel, dafs sie durchweg 
eine sehr mälsige ist. Am grölsten ist der Schädel aus der Sammlung 
Davis, dessen Rauminhalt 1375 Cub.-Cm. beträgt. Die meinigen haben 
1155, 1160 und 1200 Cub.-Cm. Das ergiebt ein 

Mittel von 1247 Cub.-Cm., 

also etwas weniger als das Mittel der Weddas (1261 Cub.-Cm.) und sehr viel 
weniger als das der Sinhalesen (1406 Öub.-Cm.). Ich möchte dieses Ver- 
hältnils, Angesichts der so geringen Zahl der Tamilen-Schädel, nicht als 
ein maalsgebendes betrachten, aber es zeigt doch, dafs die niedrigen Zahlen 
der Wedda-Schädel nicht als ganz exceptionelle anzusehen sind. Der 
Schädel eines Mischlings aus der Davis-Sammlung hat ein etwas höheres 
Maafs, nehmlich (nach der Reductionstabelle des Hrn. Weleker) 1325 Cub.- 
Cm. Ebenso ist mein zweifelhafter Sinhalesen-Schädel No. 3, obwohl 
einem Kinde angehörig, verhältnilsmälsig geräumig, indem sein Inhalt 
1250 Cub.-Cm. ergiebt. Indels können diese Fälle nicht in die Rechnung 
einbezogen werden. 

Der Horizontalumfang berechnet sich bei dem Schädel der 
Sammlung Davis auf 495 mm; die meinigen messen 477, 490 und 473. 
Das ergiebt ein 

Mittel von 483 mm, 
wenig unterschieden von dem der Weddas und der Sinhalesen, wenngleich 
etwas kleiner als bei den letzteren. Der Mischling No. 316 des Hrn. 
Davis hat nur 475, nicht viel mehr als das sinhalesische (?) Kind mit 
472 mm. 

Der Vertikalumfang übersteigt dagegen constant denje- 
nigen sowohl der Weddas, als der Sinhalesen. Er beträgt bei 
meinen drei Schädeln im Mittel 306 mm gegen 289 bei den Weddas und 
295 bei den Sınhalesen. Dieses Mittel ist um nur 174 mm kleiner, als 
das des Horizontalumfanges der entsprechenden Schädel (480 mm), von 
dem er 63,7 pÜOt. beträgt, gegenüber von 59,4 bei den Weddas und 60,5 
bei den Sinhalesen. Diese Differenz ist sehr bezeichnend. Sie findet sich 
auch bei dem Kinde (Sinhalese No. 3). 

Phys. Kl. 1581. Abh. 1. 12 


90 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Der sagittale Längsumfang des Schädels aus der Sammlung 
Davis milst 353 mm, der der meinigen 359, 351 und 352, also im Mittel 
353 mm, gegen 376 bei den Sinhalesen und 363 bei den Weddas. Öffen- 
bar handelt es sich hier um ein Complementärverhältnifs zu dem Verti- 
kalmaafs. Denn der sagittale Längsumfang beträgt 
bei den Tamilen 75,0 pCt., 
Sinhalesen 743 „ 
Weddas 7 AuDaih, 


br] N 
” >) 
des Horizontalumfanges. 
Bei der Untersuchung über.das Maafs der Betheiligung der ein- 
zelnen Abschnitte des Schädeldaches an dem Gesammt-Längsumfang 
(Scheitelbogen) zeigt sich sofort die auffällige Anomalie des plagiocephalen 
Schädels No. 1 meiner Sammlung, bei welchem eine so auffällige Bevor- 
zugung der mittleren und hinteren Abschnitte an der Gesammtentwicke- 
lung des Schädeldaches hervortritt, dafs eine ganz abnorme Kürzung des 
frontalen Abschnittes daraus folgt. Man wird dies am besten übersehen, 
wenn ich die Zahlen zusammenstelle: 


Frontal: Parietal: Oceipital: 
Davis No. 314 129 mm 122 mm 102 mm, 


Virchow. „ Lo slel2 5 182,4 102 3% 
= RT RT REN 


b>] 


— 3 130%. 1198, 0 600 


DE} 


Mittel 127 mm 124 mm 102 mm, 
Mittel ohne No.1 131 „ 121 „ 99; 
Nach Procenten des ganzen Sagittalbogens berechnet: 


Frontal: Parietal: Oeceipital: 
Davis No.314 36,5 34,5 28,8, 
Virchow ,„, 32,9 36,7 30,6; 
—— = 2 34,1 27,6, 
— 7 a, 2a. 34,6 28,4, 
Mittel 36,0 34,9 28,8, 
Mittel ohne No.1 37,1 34,4 28,2. 


Daraus erhellt, dafs für die nähere Vergleichung der Schädel No. 1 
in dieser Betrachtung ganz ausgeschlossen werden muls. Dagegen nähern 
sich die beiden anderen, schon früher herangezogenen Schädel, nehmlich 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 91 


der des Mischlings No. 316 aus der Sammlung Davis und der des als 
sinhalesisch bezeichneten Kindes No. 3 aus der meinigen, dem Tamil-Typus 
in sehr bestimmter Weise; unter einander stimmen sie so sehr überein, 
dafs der Verdacht, auch der Kinderschädel sei ein tamilischer oder 
wenigstens der eines Blendlings, sehr an Stärke gewinnt. Die Zahlen 
dafür sind folgende: 
Frontal: Parietal:  Oceipital: 
Davis No. 316 122mm 125 mm 104 mm, 
Virchow ,„ BLZIeRg., in, . 103 -, 
oder procentisch 
Davis nalen rt 35,6 2926, 
Virchow „ 3 ...834,6 35,8 29,5. 
Gegenüber den eigentlichen Tamilen tritt demnach die Stirn etwas 
zurück, während Hinterhaupt und Mittelhaupt etwas gewinnen, jedoch 
wird dadurch das tamilische Gesammtverhältnifs wenig geändert. 


Vergleicht man dagegen die Tamilen mit den Weddas (8. 52) und 
den Sinhalesen (S. 76), so zeigt sich ein durchgreifender Gegensatz, 
namentlich in Bezug auf die Betheiligung der Stirn und der Hinterhaupts- 
schuppe an der Entfaltung des Schädeldaches.. Während bei den 
Tamilen der frontale Abschnitt eulminirt, ist bei den Sinha- 
lesen und noch mehr bei den Weddas der oceipitale stark 
entwickelt. Die Blendlinge nähern sich durch die stärkere 
parietale Ausbildung den Sinhalesen. 

Noch viel auffälliger sind die Verschiedenheiten in Betreff der 
Kopfform. Freilich nimmt mein plagiocephaler Tamil-Schädel No. 1 
auch hier eine Ausnahmsstellung ein, indem er wegen seiner auffällig 
geringen Breite (126 mm) einen niedrigen dolichocephalen Index (72,0) 
liefert. Dagegen hat der Schädel aus der Sammlung Davis einen hohen 
mesocephalen Index (79), und von meinen beiden Tamilen steht der eine, 
No. 2, an der oberen Grenze der Dolichocephalie (74,8), der andere, 
No. 3, schon jenseits derselben, in dem Anfange der Mesocephalie (75,3). 
Das Mittel ist 

76,3, 
also mesocephal. Dasselbe Verhältnifs zeigen die beiden Blendlinge: 
der Schädel No. 316 von Davis hat einen Index von 76,7, der Kinder- 


12* 


92 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


schädel aus meiner Sammlung einen solchen von 77,0. Dies ist gegen- 
über der ausgezeichneten Dolichocephalie der Sinhalesen und bis auf 
wenige Ausnahmen auch der Weddas ein sehr wichtiger Befund. 

Die geringere Oceipitalentwickelung der Tamilen-Schädel läfst sich 
auch daraus ersehen, dafs die horizontale Länge des Hinterhauptes im 
Verhältnifs zur Gesammtlänge (a) geringer, dagegen die basilare Länge 
in demselben Verhältnils (b) grölser ist: 

NOMTEN04 2: EN083: 
a 27,4 .23,4 27,0, 
buusrzi 54,1 55,8. 

Die gröfste Länge ist durchweg gering. Sie beträgt bei Davis 
173, bei meinen 3 Schädeln 175, 179 und 170, erreicht also in keinem 
Falle auch nur das mäfsige Maafs von 180 mm. Der Mischling der 
Sammlung Davis hat sogar nur 168 mm, während mein Kinderschädel 
172 mm milst. Die gröfste Breite, welche constant eine parietale ist, 
hat bei dem Schädel des Hrn. Davis 137 mm, bei den meinigen 126, 
134 und 128, bei dem Mischling 130, bei dem Kinderschädel 132 mm, 
ist also durchweg nicht bedeutend. Im Verhältnifs dazu sind die Maafse 
für die aufrechte Höhe recht bemerkenswerth; sie betragen in derselben 
Reihenfolge 132, — 139, 132, 137,5, — 132, — 133. Die gröfste Zahl, 
139, betrifft auch hier den plagiocephalen Schädel No. 1, der aufser Be- 
tracht bleiben muls. Alle übrigen Zahlen sind an sich sehr mälsig, ja im 
Vergleich zu den Sinhalesen klein, übrigens nahezu in den Grenzen der 
Wedda-Zahlen. Von den 3 typischen Tamilen ist bei 2 die Breite gröfser, 
als die Höhe. 

Anders stellt sich die Sache, wenn man die Verhältnifszahlen 
betrachtet. Der Längenhöhenindex beträgt bei Hrn. Davis 76, bei 
meinen 3 Schädeln 79,4, 73,7 und 80,9, bei dem Mischling 78, bei dem 
Kinderschädel 77,3. Darnach berechnet sich für die 3 typischen Tamilen 

ein Mittel von 76,8, 
womit auch die Blendlinge stimmen. Das ist ein ausgemacht hypsi- 
cephales Maafs, ungleich gröfser als das der Weddas (74,9) und das 
der Sinhalesen (74,2). Dasselbe dürfte sich daher den diagnostischen 
Merkmalen anschliefsen. 

Dem entsprechend ist auch der Aurieularindex hoch. Ich fand 
ihn zu 66,3, 63,1 und 68,8, bei dem Kinde zu 67,4. — 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 93 


Während sich bei einer Vergleichung der Schädelkapsel der Weddas 
mit der der Sinhalesen eine grofse Uebereinstimmung ergab, ist bei den 
Tamilen beiden gegenüber eine erhebliche Differenz hervorgetreten. Die 
Schädelkapsel der letzteren ist hypsimesocephal, und selbst da, wo die 
Maafse des Rauminhaltes sehr geringe Verschiedenheiten darboten, fanden 
sich schon in den Umfangsmaalsen grolse Differenzen. Wie sehr letztere 
namentlich bei den sagittalen Umfangsmaalsen und in der Betheilisung 
der einzelnen Abschnitte des Schädeldaches erkennbar werden, ist vorher 
(S. 90) ausführlich dargelegt worden. — 

Betrachten wir nunmehr die Gesichtsform, so ergiebt sich bei 
den Tamilen eine ziemlich regelmäfsige Bildung. 

Der Orbitalindex beträgt 84,4, 83,3 und 86,4, also im Mittel 
84,7, — ein hohes mesokonches Maafs. Auch der Kinderschädel hat 
83,3. Nahezu ähnlich ist der Index der Weddas, dagegen scheint der 
der Sinhalesen niedriger zu sein. Im Ganzen ist die Augenhöhle hoch, 
einmal (bei No. 3) sogar hypsikonch, der obere Rand meist etwas gebo- 
gen und die Diagonale von innen und oben nach unten und aufsen 
verlängert. 

Der Nasenindex ist bei meinen 3 Schädeln 48,8, 51,1 und 53,1, 
im Mittel 51, also an der oberen Grenze der Mesorrhinie. Nur No. 3 
ist platyrrhin. Der Kinderschädel allein giebt ein hohes platyrrhines 
Maals: 55,5. Insofern steht die tamilısche Nase der Wedda-Nase wahr- 
scheinlich näher, als der sinhalesischen. Allein auch hier gewährt der 
Index keine volle Einsicht in die Bildung der Nase. Diese ist in ihrem 
knöchernen Theile durchweg schmal und vortretend, obwohl der Nasen- 
fortsatz des Stirnbeins sehr breit ist. Der Rücken ist wenig eingebogen, 
eher scharf und die Spitze desselben tritt adlerartig vor. Dagegen ist 
die Höhe der Nase durchweg gering. Im Leben dürfte daraus eine nicht 
geringe Verschiedenheit von der Wedda-Nase folgen. 

Die Gesichtsmaalse sind wenig genügend. Nur der Schädel der 
Sammlung Davis hat einen Unterkiefer; bei ihm beträgt der Index 85,7, 
ein mesoprosopes Maals. Von meinen Schädeln scheidet der senile 
(No. 2) wegen des defekten Alveolarfortsatzes aus; die beiden anderen 
haben Mittelgesichtsindices von 51,6 und 53,4. Das Verhältnis der 
Molarbreite zur Mittelgesichtshöhe beträgt 68,8 und 62,3. Das Tamilen- 


94 Vırc#ow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Gesicht steht daher einigermaalsen in der Mitte zwischen dem sinhale- 
sischen und dem Wedda-Gesicht; es ist niedriger, als das erstere, und 
höher, als das zweite. 

Was endlich den Alveolarindex betrifft, so beträgt derselbe 90, 
94,8 und 97,8, also im Mittel 94,2. Der Grad der Prognathie, welche 
bei den Tamilen recht bedeutend ist, läfst sich daraus mit Sicherheit eben 
so wenig erkennen, als aus dem (nasalen) Gesichtswinkel. Die Gröfse, 
namentlich der Schneidezahn-Alveolen, bedingt eine starke Vorschiebung 
des Alveolarfortsatzes. Aber auch die Gaumenbreite ist recht beträcht- 
lich. Es ergiebt sich daher ein Gaumenindex von 90 und von 87,7, 
also brachystaphyline Maafse. Hierin liegt ein sehr auffälliger Gegen- 
satz zu den Sinhalesen. Die Gröfse der Gaumenplatte des Os palatinum 
dagegen bedingt eine gewisse Annäherung an dieselben. — 


3) Die Moors oder Moormen. 


Nach den Erläuterungen, welche ich früher (S. 50) gab, haben 
arabische Niederlassungen zu Handelszwecken schon sehr früh auf Ceylon 
stattgefunden. Noch heutigen Tages ist ein grofser Theil des kleineren 
Handels in den Händen dieser Leute und sie betreiben noch jetzt vielfach 
den Seeverkehr mit dem Festlande. Sir Tennent!) leitet daher ihren 
Beinamen Marak-kala-minım (Seeleute). Indefs giebt es doch auch 
„maurische“* Dörfer und feste Ansiedelungen. Namentlich um Batticaloa 
scheinen sie in ganz ähnlicher Weise, wie im südlichen Spanien, die 
Palmeneultur eingeführt oder wenigstens zu hoher Blüthe gebracht zu 
haben?). Immerhin ist ihre Zahl gering und ihr Einfluls auf die übrige 
Bevölkerung um so weniger hoch anzuschlagen, als ihre Religion eine 
scharfe Trennung bedingt und sie nur selten Mischehen mit Sinhalesen 
und andern Eingebornen eingehen®). Ich wollte sie jedoch um so weniger 
übergehen, als sie in der Kasten-Ordnung in sehr charakteristischer Weise 
eine bestimmte Stellung einnehmen. Wie schon erwähnt (S. 28), sind sie 
der Kshoodrawanse und zwar der Fischerkaste, Carawe, „attachirt.“* 


1) Tennent I. p. 608. 
2) Ebendaselbst II. p. 456—38. 
3) Pridham I. p. 479. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 95 


Leider liegen über ihre physischen Eigenschaften fast gar keine 
“ Beschreibungen vor. Wolf!), der freilich unter dem Namen „schwarze 
Türken“ allerlei Volk zusammenzufassen scheint, sagt, der Mohr sei schwarz, 
aber von starken Gliedmaalsen, dieken Waden und geschornem Haupt. 
Thunberg?) beschreibt sie als grofs von Statur, dunkler als die sonstigen 
Insulaner und gut gekleidet. Pridham?) erklärt sie für die schönste 
Rasse auf der Insel nach den Europäern, von martialischem Aussehen, 
fast durchweg grofs und gut gebildet. Davy sagt: in dress, appearance 
and manners, they differ but little from the Singhalese. 
Soweit ich sehe, ist nur ein einziger „Mohren“-Schädel in Europa 
und zwar im Besitze des Hrn. Barnard Davis). Derselbe, No. 317 
seiner Sammlung, stammt von Colombo. Es ist ein männlicher Schädel 
von 1495 Cub.-Cm. Rauminhalt, also ziemlich geräumig, mit einem Län- 
genbreitenindex von 70, einem Längenhöhenindex von 71 und einem 
Gesichtsindex von 85,7; er ist demnach orthodolichocephal und 
chamaeprosop. 
Eine weitere Vergleichung ist kaum angezeigt, da ein einziger 
Schädel nicht wohl darauf beurtheilt werden kann, ob er den Typus der 


Rasse giebt oder nicht. 


4) Malayen. 


Ueber das Vorkommen zerstreuter malayischer Elemente ist schon 
früher (S. 31) gehandelt worden. Wir besitzen ein Paar Angaben über 
ihr physisches Verhalten. 

Cordiner>) bezeichnet sie gegenüber den anderen Stämmen als 
heller, von einer mehr zum Kupfrigen hinneigenden Hautfarbe, als sie sich 
bei irgend einem der eingebornen Stämme Indiens zeige. Nach Selkirk®) 
sind sie kupferfarben, unter mittelgrofs, haben eine flache Stirn, ein breites 


Dr Wolf’arar 0.212 5.169. 

2) Thunberg Vol. IV. p. 188 eitirt bei Philalethes 1. c. p. 244. 
3) Bridham]. e. 1.9.4792. 

4) Davis. Thesaurus eraniorum p. 134. 

5) Cordiner l.c.p. 143. 

DuSelkirk Iäc-p.7e. 


96 Vırcaow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Gesicht, eine breite, flache Nase und stechende Augen. Pridham!) 
schildert sie ähnlich und nennt sie eine keineswegs angenehme Art von 
Menschen. Sie seien activ, von schwacher, obwohl muskulöser Gestalt. 

In der Sammlung Davis befindet sich ein Malayen-Schädel 
von Colombo. Er ist als männlich bezeichnet. Seine Oapacität beträgt 
1435 Cub.-Cm.; Längenbreitenindex 79, Längenhöhenindex 76, Gesichts- 
index 108. Er ist also hypsimesocephal und leptoprosop. 


Die Frage nach der Herkunft und Verwandtschaft der verschie- 
denen, auf Ceylon neben einander existirenden Stämme hat begreiflicher- 
weise die Besucher der Insel schon sehr früh beschäftigt. Schon Cosmas 
Indicopleustes (f 550 p. Chr.), der unter Justinian lebte, berichtet auf 
Grund der Erzählungen des griechischen Reisenden Sopater, dals die 
Eingebornen von Oeylon verschiedenen Rassen angehörten; er nennt sie 
ausdrücklich allophyl?). Die Chinesen wufsten schon, dafs der Norden 
der Insel von einer anderen Rasse bewohnt werde, als der Süden: jene, 
die Tamilen, verglichen sie mit den Hu (Hoo), einem Volke von Central- 
asien; diese, die Sinhalesen, mit den Liau (Leaou), einem Gebirgsstamme 
in Westchina, dem sie grofse Ohren, lange Augen, ein rothes Gesicht, 
einen schwarzen Körper, feuchte und grobe Hände und Fülse und ein langes 
Leben von 100 Jahren und darüber zuschrieben und der die Haare lang 
und hängend trage, sowohl Männer, wie Weiber?®). 

Sicherlich fanden diese älteren chinesischen Berichterstatter also 
keine Aehnlichkeit zwischen den Sinhalesen und den Chinesen selbst. 
Auch haben sie meines Wissens keine Angabe hinterlassen, aus welcher 
seschlossen werden könnte, dafs jemals eine chinesische Colonisation der 
Insel stattgefunden habe. Alles, was aus ihren Berichten hervorgeht®), 
beschränkt sich auf den Nachweis alter Handels- und Religionsbeziehungen 
und auf eine einmalige kriegerische Unternehmung der Chinesen, indels 


1) Pridham |. c. I. p. 483. 
2) Tennent l. e. I. p. 544. 
3) Aus dem Tu Hiuen bei Tennent I. p. 587. 


#) Tennent l.c.I. p. 533 sq. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 97 


gehen die Berichte nicht über das 4te Jahrhundert unserer Zeitrechnung 
hinaus und die Besiegung eines Königs von Üeylon durch chinesische 
Waffen erfolgte erst im Jahre 1408. Abgesehen von der Erwähnung, 
dafs im Jahre 1266 chinesische Soldaten in den Kriegsdienst des Königs 
Prakrama traten, ist von einem längeren Verweilen oder einer wirklichen 
Niederlassung der Chinesen in Ceylon nirgends die Rede. Nichtsdesto- 
weniger ist der Gedanke, dafs die ursprüngliche Bevölkerung der Insel 
eine chinesische gewesen sei, von dem portugiesischen Schriftsteller 
Ribeyro!) ausgesprochen worden. Auch Knox?) hörte diese Geschichte 
aus dem Munde von Portugiesen, aber er sagt sehr entschieden: But to 
me nothing is more improbable than this story, because this people and 
the Chinese have no agreement nor similitude in their features, nor 
language, nor diet, und er fügt hinzu: it is more probable they came 
from the Malabars; their country lying next, though they do resemble them 
little or nothing. I know no nation in the world do so exactly resemble 
the Chingulays as the people of Europe. Dabei ist zu erinnern, dafs er 
Sinhalesen und Weddas für zusammengehörig ansieht: Of these natives 
there be two sorts, wild and tame. 

Diese, gewils sehr unbefangene Darstellung ist von grofsem Werthe. 
Die Beziehung auf die Malabaren ist, wie man sieht, eine rein speculative; 
in Wirklichkeit leugnet Knox jede Aehnlichkeit der Sinhalesen mit den 
Malabaren, er findet jene vielmehr den Europäern am ähnlichsten. Dies 
ist das erste unzweideutige Zeugnils für den arischen Ursprung der 
Sinhalesen, welcher seitdem von vielen Besuchern angenommen worden 
ist. Davy?) sagt: The pure Singalese of the Interior are completely 
Indians in person, language, manners, customs, religion and government. 
Er läfst es unbestimmt, welche Abtheilung der Indier er im Sinne hat, 
und die Erwähnung der Religion scheint sogar die arısche oder brahmi- 
nische Abtheilung auszuschliefsen. Sicherlich aber dachte er nicht an die 
Bewohner der hinterindischen Halbinsel, die sogenannten Indo-Chinesen. 


I)  Tennentil.,e. L..p.,327 note 2. 
Di Rinoxala cap. 
DEDasıy ].c.p.,109. 


Phys. Kl. 1881. Abh.]. 13 


98 Vırcmow: Ueber die Weddas von Üeylon 


Nur Philalethes!) und Pridham?) unter den neueren Berichterstattern 
sprechen ihre Ueberzeugung von dem chinesischen Ursprung der Sinha- 
lesen aus, beide jedoch nicht aus anthropologischen, sondern aus histo- 
rischen Gründen, der letztere unter Hinweis auf die Rieselwirthschaft und 
den Terrassenbau der Sinhalesen, den er auf China zurückführt. Die 
historischen Gründe sind unerheblich; was dagegen die Rieselwirthschaft 
betrifft, so mag die Erfindung derselben durch die Chinesen unbeanstandet 
sein, indefs hat schon Sir Tennent nachgewiesen, dafs das „Tank- 
System“ in Ceylon tamilischen Ursprunges und von Vorderindien aus im 
4. Jahrhundert unserer Zeitrechnung eingeführt ist. 

Es bedarf nach dem früher Mitgetheilten keines ausführlichen 
Beweises dafür, dafs die physischen Eigenthümlichkeiten weder der Sin- 
halesen, noch der Weddas, namentlich ihr Schädelbau, irgend etwas an 
sich haben, was auf mongolische Verwandtschaft hinweist. Ein so aus- 
gezeichnet dolichocephaler Stamm ist noch nirgends unter Mongolen auf- 
gefunden worden. Was es mit der altchinesischen Geschichte von der 
Aehnlichkeit der Sinhalesen mit den Liau in Westchina auf sich hat, 
vermag ich nicht zu beurtheilen, indefs ist nicht einmal dargethan, dafs 
dieses Volk im engeren Sinne zu den Mongolen zu zählen ist. Man 
könnte dabei an die heutigen Laos (auf der Grenze zwischen China und 
Siam) denken, von denen Gützlaff?) je nach ihrer Complexion weilse 
und schwarze unterschied. Allein nach der Meinung des Hrn. Schott) 
sind vielmehr die Ljaos gemeint, von denen freilich auch nur constatirt, 


1) Philalethes l.c. p. 15. Note f. 

2) Pridham l. ce. 1. p. 21. 

3) Prichard l.c. Third edit. Lond. 1844. Vol. IV. p. 503. 

#4) Hr. Professor Schott theilt mir darüber Folgendes mit: Dasjenige Ljao, 
woran ich zuerst dachte, wird 2 geschrieben und ist der Name eines Flusses im heutigen 
Mandsehulande, nach welchem eine tatarische Dynastie sich benamste, die eine Zeit lang 


Nordcehina besessen hat. 
Ein anderes, und zwar das für uns in Betracht kommende Ljao (dialektisch auch 


lao, lio, liu und weiland sogar lot) schreibt sich ZH: also jenem sehr ähnlich. Dieses 
bedeutet mit zugegebenem ar ja (Backenzahn) „hervorstehende Zähne“ und ist aulser- 
dem für sich allein Name gewisser, sonst nicht näher bestimmter südwestlicher Aus- 
länder 1 [52] 5 si nan ji, wie ich aus dem nach Kaiser Kang-hi betitelten Origi- 


nalwörterbuch ersehe. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 99 


dafs sie „südwestliche Ausländer“, also jedenfalls nicht Chinesen waren. 
Bevor wir über diesen „Südwesten“ nähere Nachrichten haben, wozu jetzt 
glücklicherweise viele Aussicht ist, wird für die physische Beschaffenheit 
der Sinhalesen aus dem angeführten Citat nicht viel gefolgert werden 
können. Indefs will ich nieht verschweigen, dafs eine alte, schon von 
Valentijn erwähnte Tradition die Sihala-Dynastie, von welcher Wijayo 
der Eroberer herstammte, in Tenasserim residiren liefs und den Sinhalesen 
daher eine siamesische Abkunft zuschrieb. Da jedoch die neueren Unter- 
suchungen dahin übereinkommen, sowohl die Dynastie, wie die Sprache 
der Sinhalesen von Magadha, dem heutigen Behar, also mitten aus dem 
Ganges-Land abzuleiten, so liegt kein Bedürfnifs vor, jene Tradition weiter 
zu verfolgen. Ueberdies ist es nicht die Untersuchung über die Herkunft 
der Sinhalesen, welche unser Interesse in erster Linie in Anspruch nimmt, 
sondern die Ergründung der Abstammung der Weddas. 

Selbst für den Fall, dafs man die Weddas, wie einige es aus- 
drücken, als wilde Sinhalesen, oder, wie andere sagen, die Sinhalesen als 
zahme Weddas betrachtet, dals man also beide auf denselben Grundstock 
zurückführt, wird man nicht umhinkönnen, mit den Weddas anzufangen. 
Das Umgekehrte hätte nur dann einen Sinn, wenn man annehmen wollte, 
die Weddas seien von einem Zustande höherer Gesittung auf den Zustand 
niedrigster Rohheit, in welchem sie sich seit Jahrhunderten allen Besuchern 
dargestellt haben, zurückgesunken. Das theoretische Bedenken, welches 
sich einer solchen Annahme entgegenstellt, habe ich schon vorher betont; 
ich will darauf nicht zurückkommen. Aber ich frage, welche Anzeichen 
einer früheren Gesittung hat man denn aufgefunden? Sind irgendwo auf 
der Insel Ueberreste einer höheren Cultur entdeckt worden, welche den 


Der von den Europäern Laos genannte Stamm südlich von Jün-nan heilst bei 
den Chinesen meines Wissens nicht anders als Lao-tschua, aus 2 lao, Greis, und 
tschua, die Pauke schlagen. Der die Pauke rührende Alte ist offenbar blofse Nachbildung 
eines nichtehinesischen Wortes, wie z. B. IR Yin lang-ja, Wolfzähne, die chinesische 
Schreibung von Langka, d. h. des indischen Namens der Insel Ceylon. 

Dem alten Volks- oder Völkernamen Hu, welcher eine unbestimmte Bevölke- 
rung in Central-Asien nördlich von China umfalste, darunter die oft mit den Hunnen ver- 
wechselten und wohl wenigstens dem Namen nach mit diesen identischen Hjün -nu oder 
Hjung-nu, entspricht A, seiner appellativen Bedeutung nach die Halswamme des Ochsen. 


Ein Hu von anderer Schreibung und nationaler Bestimmung ist nicht nachzuweisen. 


13* 


100 VırcHow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Weddas auch nur mit einiger Wahrscheinlichkeit zugeschrieben werden 
könnten? Meines Wissens fehlt es daran gänzlich. Nicht einmal Abfalls- 
haufen (Kjökkenmöddinger), wie sie die benachbarten Andamanen-Inseln 
in so ausgezeichneter Weise darbieten, sind bekannt geworden. Nicht 
einmal Steingeräth, wie es selbst die Australier in mannichfacher Form 
besitzen, ist aufgefunden. Nun wäre es ja denkbar, dafs diese Lücken 
noch durch weitere Nachforschungen ausgefüllt werden könnten, zumal 
da die früher (S. 19) mitgetheilte Bemerkung des Hrn. Hartshorne 
wenigstens für Steinäxte eine gewisse Hoffnung erweckt. Aber was wäre 
damit gewonnen? Doch im besten Falle die Möglichkeit, die Weddas den 
Andamanesen und den Australiern gleich zu stellen, während sie nach 
den bis jetzt vorliegenden Thatsachen entschieden tiefer gestellt werden 
müssen. Ein Volk, das nicht einmal Topfgeschirr besitzt, das aufser dem 
Hunde kein Hausthier kennt, dem auch die einfachsten Formen des 
Acker- und Gartenbaues fremd sind, dem beinahe jede sociale Ordnung 
fehlt, das von seinen eivilisirten Nachbarn nicht einmal den outcasts zu- 
gezählt wird, kann doch unmöglich jemals im Besitze der Mittel gewesen 
sein, welche eine höhere Cultur überhaupt möglich machen. Der Ge- 
danke einer secundären Verwilderung mufs daher definitiv 
aufgegeben werden. 

Der einzige Anhaltspunkt für eine solche Annahme könnte nur die 
Sprache sein. Wie grofs die Abweichung der Meinungen über die Stellung 
der Wedda-Sprache ist, habe ich schon dargelegt (S. 34). Dafs sie in 
ihren Grundlagen kein dravidisches Idiom sei, scheint mir nach den vor- 
liegenden Zeugnissen unzweifelhaft. Eine grofse Zahl von guten Autori- 
täten, darunter die ersten Linguisten, erklären sie vielmehr für einen 
sinhalesischen, d. h. arıschen Dialekt. Ob aber das Sinhalesische selbst 
mit einer der anderen indo-arischen Sprachen übereinstimmt, ist wiederum 
streitig. Allein wenn man es auch mit dem sehr erfahrenen Childers 
für ein alterthümliches Pali, oder vielmehr für einen ursprünglichen 
Schwesterdialekt des Palı nımmt, so wird doch schwerlich jemand daraus 
und noch weniger aus den beigemischten Sanskrit-Worten auf eine Ab- 
leitung auch der Weddas aus dem Ganges- Thal schliefsen wollen. Seit 
Jahrtausenden sind die Weddas ringsum von höher ceultivirten Völkern 
umgeben, und wenn sie sich auch scheu in ihren Wäldern verborgen 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 101 


gehalten haben, so ist doch ein gewisser Verkehr mit den Nachbarn nicht 
ausgeblieben. Da, wo die Tamilen ihnen dauernd nahe rückten, wie in 
der Umgebung von Batticaloa, hat ein Theil der Weddas die tamilische 
Sprache angenommen!). Aber während der längsten Zeit und an den 
meisten Grenzorten waren sie in unmittelbarer Berührung mit Sinhalesen, 
zu deren Königen sie in einer, wenn auch sehr losen Unterthänigkeit 
standen und aus deren Reihen ihnen Häuptlinge gesetzt wurden. Was 
Wunders also, wenn sie mehr und mehr sinhalesische Worte und Formen 
aufnahmen? Die Frage ıst nur, ob neben diesen, wie ich voraussetze, 
recipirten Worten ihre Sprache gar keine eigenthümlichen Elemente 
bewahrt hat. Darauf scheint die Aufmerksamkeit der Sammler von Voca- 
bularien und der vergleichenden Linguisten kaum gerichtet gewesen zu 
sein. Und doch sollten gerade die Worte „von zweifelhaftem Ursprung“, 
wie Hr. Hartshorne sie bezeichnet, am sorgfältigsten gesammelt und 
geprüft werden. Besitzen wir doch bis jetzt nicht einmal eine sichere 
Nachricht darüber, ob die Wedda-Sprache Worte für die Zahlen hat. 
Was nützt es für unsere Untersuchung, wenn Hr. Max Müller mehr als 
die Hälfte der Wedda-Worte (d. h. der aufgezeichneten) für verdorbenes 
Sanskrit erklärt? Wohin gehört dann die andere, wenngleich kleinere Hältte, 
die vielleicht bei grölserer Aufmerksamkeit sich vergröfsern liefse? Darf 
sie den tamilischen Sprachen nicht zugerechnet werden, so könnte sie 
recht wohl specifisch sein. Nichts berechtigt, wie mich dünkt, bis jetzt 
zu einer so einseitigen Bezeichnung, wie die des Hrn. Edward Tylor, der 
die Wedda-Sprache ohne Weiteres eine arische nennt. 

Noch etwas anders würde sich die Sache stellen, wenn man an- 
nehmen dürfte, dafs ursprünglich die Weddas die ganze Insel allein 
bewohnten und dafs sie nicht blofs einfach durch Einwanderer zurückge- 
drängt wurden, sondern sich auch mit diesen vermischten. Von den 
Tamilen, welche erst später einwanderten, läfst sich sagen, dafs sie im 
Norden in der That die alte Bevölkerung verdrängt haben, dafs sie da- 
gegen im Osten sich nicht blofs mit Weddas mischten, sondern auch eine 
wirkliche Tamilisirung von Weddas hervorbrachten. Indefs scheint dies 
für die Hauptsache unerheblich zu sein. Anders ist es mit den Sinhalesen. 


1) Cordiner l.c. I. p. 91. Bailey 1. c. p. 305 note *. 


102 Vırc#ow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Folgen wir den Angaben der einheimischen Annalisten, so ist der Anfang 
der Sinhalesen auf die Gefolgschaft des Königs Wijayo zurückzuführen, 
also auf eine erobernde Einwanderung aus dem Gangesthal. Es wird nicht 
nöthig sein, die Zahl von 700 Leuten aus Magadha (Behar), welche die 
Annalen geben, wörtlich zu nehmen; immerhin wird das Verhältnifs nicht 
wesentlich anders gewesen sein, als etwa das Verhältnifs der Dänen und 
der Normannen in England. Der gröfste Theil der Insel wurde in Felder 
und Gärten eingetheilt und ein patriarchalisches Dorf-System eingeführt, 
welches die Jahrtausende überdauert hat. Eine Reihe von Thatsachen 
spricht dafür, dafs die Urbevölkerung von diesem System nicht ganz aus- 
geschlossen war; schon der Umstand, dafs die Weddas der hohen Kaste 
der Landbauer (Goewans& oder Vellalas) zugerechnet wurden, deutet darauf 
hin, dafs ihnen in der politischen Organisation des Landes früh ein regel- 
mäfsiger Platz gesichert war. Auf einer solchen Grundlage konnte sich 
ein Mischverhältnifs zwischen den Magadha-Leuten und den Eingebornen 
sehr leicht entwickeln, und wenn man als das Resultat dieser Mischung 
die sinhalesische Rasse betrachtet, so würde die Erfahrung so vieler 
anderer Länder, wo ähnliche Mischungen stattfanden, es sehr leicht 
erklären, dafs die Magadha-Leute ihre Sprache, das alte Pali oder Elu, 
zur herrschenden machten, dals dagegen in der physischen Gestaltung das 
eingeborne Element eine dauernde Einwirkung gewann. 


Bei einer solchen Auffassung würden Weddas und Sinhalesen weder 
identisch, noch durch blofse Culturgrade von einander verschieden sein. 
Vielmehr würden die Weddas als Repräsentanten der eingebornen Rasse, 
die Sinhalesen dagegen als ein Mischvolk, hervorgegangen aus der Vereini- 
sung eingewanderter Indier mit Weddas, und daher je nach dem Maals der 
Betheiligung eines jeden der beiden Elemente, in etwas variabler Erscheinung, 
anzusehen sein. In der That scheint mir das die Lösung des anthropo- 
logischen Problems zu sein, welches uns vorliegt, wenigstens soweit die 
Materialien gegenwärtig reichen. Die Iinguistische Schwierigkeit, dafs 
auch die unvermischten Eingebornen die arische Sprache der Eroberer, — 
in welcher Ausdehnung, das mag dahingestellt bleiben, — annahmen, 
ohne dafs sie, soweit ersichtlich ist, dazu gezwungen wurden, erscheint 
mir nicht mehr unüberwindlich, seitdem ich durch eigene Erfahrung fest- 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 103 


gestellt habe!), dafs in den russischen Östseeprovinzen ein Theil der 
finnischen Bevölkerung nach dem andern in unmerklichem, aber unauf- 
haltsamen Fortschritt lettisirt worden ist, der Art, dals die kurische 
Sprache ganz, die livische fast ganz aufgehört hat und nur die estnische 
noch einigen Widerstand leistet. 

Rein anthropologisch betrachtet, sind die Differenzen zwischen den 
Weddas und den Sinhalesen nicht so grols, dals ein zwingender Grund 
bestände, einen absoluten Gegensatz zwischen beiden Stämmen anzu- 
nehmen. Ich will dabei nicht in Abrede stellen, dafs die Zahl der ganz 
sicheren Schädel, welche ich persönlich zur Vergleichung prüfen konnte, 
nicht grols genug ist, um eine definitive Entscheidung herbeizuführen, 
aber sie scheint mir doch auszureichen, um zu ermitteln, ob Verdachts- 
gründe gegen die Richtigkeit der anderweitig gefundenen Formel vor- 
liegen. Solche Verdachtsgründe finde ich in der That nicht. Nachdem 
ich die ihrer Herkunft nach zweifelhaften, sowie die durch besondere 
Deformation abweichenden Schädel mit aller Vorsicht ausgeschieden hatte, 
ist, unter Zuhülfenahme der in auswärtigen Sammlungen vorhandenen 
Schädel, eine so grofse Zahl zur Vergleichung brauchbarer Speeimina 
übriggeblieben, dafs sie vielfach über das hinausgeht, was uns von anderen 
Stämmen zur Verfügung steht. 

Vergleichen wir kurz das Gefundene, so ergiebt sich zunächst, dafs 
sowohl die Weddas, als die Sinhalesen dunkle Stämme sind, deren Haut- 
farbe zwischen Gelbbraun und Schwarz varürt (S. 40, 61). Die Mehrzahl 
der Beobachter beschreibt die Sinhalesen als weniger dunkel, als in der 
Regel kastanienbraun oder braun mit einem gelben Unterton; Pereival 
schreibt den Weibern eine gelbe Farbe zu; Cordiner und Selkirk geben 
an, dafs die Volarfläche der Hände und Fülse „weils“ sei. Von den 
Weddas werden ähnliche Angaben einer so hellen Färbung nicht gemacht; 
die von Pereival gebrachte Erzählung, dafs die Farbe der Weddas 
kupfrig und „heller“ als die der übrigen Ceylonesen sei, steht ganz ver- 
einzelt. Wenn demnach ein nicht unerheblicher quantitativer Unterschied 
in der Hautfarbe zwischen beiden Stämmen besteht, so darf wohl in 


1) Zeitschrift für Ethnologie, Verhandlungen der Berliner anthropologischen 
Gesellschaft. 1878. 


104 Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Betracht gezogen werden, dafs die Weddas ganz nackt, allen Unbilden des 
Wetters und der äufseren Medien ausgesetzt, ohne regelmäfsige Wohnun- 
gen leben und überdies im äufsersten Grade schmutzig sind, — Verhält- 
nisse, welche selbst in unserem Klima und unter sehr viel weniger 
belastenden Umständen genügen, um die Hautfarbe stark zu bräunen. 
Die Sinhalesen dagegen tragen eine bald mehr, bald weniger vollständige 
Bekleidung, wenigstens des Unterkörpers, sie leben in ordentlichen Häusern, 
unter relatin günstigen Verhältnissen, und zeichnen sich vielfach durch 
grolse Sauberkeit aus. Wenn trotzdem sehr dunkle, ja fast schwarze 
Individuen, wie aus den Mittheilungen der Reisenden hervorgeht, unter 
ihnen keineswegs zu den Seltenheiten gehören, so ist dies sicher sehr 
bemerkenswerth. 

Auch die Beschaffenheit des Haars ist offenbar ähnlich, nur dafs 
hier in noch viel höherem Maalse der Einflufs der Cultur hervortritt. 
Während die Weddas sich niemals kämmen, ja vielleicht überhaupt keine 
Einwirkung auf ıhr Haar eintreten lassen, so dafs es von Jahr zu Jahr 
mehr verzottelt, und als ein wirrer, buschiger Wust den Kopf, das Ge- 
sicht und die Schultern bedeckt, so verwenden die Sinhalesen eine ganz 
ungewöhnliche, ja fast weibische Sorgfalt auf die Glättung und den Aufbau 
ihres Kopfputzes. Aber beide Stämme tragen das Haar lang, es ist üppig, 
schwarz, wenig gewellt, und nur bei den Weddas legt es sich in Folge 
seiner Vernachlässigung in vielfach verfitzte, jedoch nicht eigentlich krause 
Mähnen oder Zotteln. Es mag dabei nicht ausgeschlossen sein, dals bei 
einzelnen Individuums eine mehr gekräuselte Beschaffenheit der Haare 
besteht, wie sie der ältere Mann auf der früher (S. 44) mitgetheilten 
Zeichnung zeigt. Indefs ist auch bei ihm das Haar lang und ganz ver- 
schieden von den kurzen Röllchen und dem Wollhaar der eigentlichen 
Neger und der Negritos. Würde es von früh an gekämmt und gereinigt, 
so würde es wahrscheinlich, wie das der Sinhalesen, glänzend, „wie Eben- 
holz“, sein. Das Bild des jungen Mädchens in der Zeichnung scheint 
diese Verschönerung direkt darzubieten. 

Eine sehr bemerkenswerthe Angabe, welche gewissermaalsen das 
umgekehrte Verhältnils betrifft, findet sich bei d’Albertis!). Dieser 


1) L.M. d’Albertis. New Guinea. Lond. 1880. Vol. I. p. 259. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 105 


Reisende hatte für seine Forschungen auf Neu-Guinea in Point de Galle 
zwei Sinhalesen engagirt. Als dieselben die Bekanntschaft der Einge- 
bornen der Yule-Insel (im Papua Golf im Süden von Neu-Guinea) gemacht 
hatten, sagten sie ihm, diese Leute glichen ihren Landsleuten, nur sei die 
Hautfarbe der Sinhalesen viel schwärzer. Als er sie darauf aufmerksam 
machte, dals das Haar der Eingebornen zerfahren (fuzzy, fusselig?) sei, 
erwiderten sie, die Sinhalesen würden auch zerfahrenes Haar 
haben, wenn sie es nicht kämmten und täglich sorgfältig mit 
Oel salbten. Hr. d’Albertis erwähnt dabei, dafs das Haar des einen 
seiner Sinhalesen, der es kurz trug, kraus (crisp), das des andern, der es 
lang trug, glatt (smooth) war; auch stellt er nicht in Abrede, dafs manche 
der Eingebornen dem Typus seiner Sinhalesen glichen. Wenn man diese 
Analogie auch dahingestellt läfst, da sie sich nur auf zwei Personen be- 
zieht, so scheint doch aus der ganz unbefangenen Angabe bestimmt her- 
vorzugehen, dafs das sinhalesische Haar bei einer gewissen Verwilderung 
dem Wedda-Haar ganz nahe kommt. Darin liest offenbar ein starker 
Gegensatz zu der „Schlichthaarigkeit“ der Malayen und Mongolen, und 
die Haplotrichie des Palladius wird nicht in dem Sinne verstanden 
werden dürfen, dafs das Haar der Weddas ohne alle Einschränkung glatt 
zu nennen sei. 

Die Angaben über die Farbe der Iris sind weniger vollständig, 
aber man ersieht doch aus den Schilderungen, dafs sie in der Regel 
dunkel ist. Ueber die Sinhalesen macht Davy genauere Angaben (8. 62); 
daraus geht hervor, dals die Augen gewöhnlich schwarz, seltener hell- 
braun, noch seltener grau und nur bei Albinos hellblond oder roth sind. 
In der poetischen Schilderung einer idealischen Kandy-Schönheit, die oben 
(S. 68) mitgetheilt ist, wird allerdings ein Auge „wie blauer Sapphir oder 
wie die Blumenblätter der blauen Manilla-Blume“ verlangt, aber diese 
Forderung dürfte sich schwerlich auf ein typisches Verhältnifs beziehen. 
Von den Weddas wird nirgends etwas Aehnliches bemerkt und man wird 
daher wohl annehmen können, dafs ihre Iris regelmälsig schwarz oder 
dunkelbraun ist. 

Was die Gröfsenverhältnisse anbetrifft, so sind offenbar beide Rassen 
von mälsiger Statur, eher klein, als grofs zu nennen. Wenn die Körper- 
höhe bei den Weddas (S. 42) ım Mittel bei den Männern 1537, bei den 

Phys. Kl. 18581. Abh. 1. 14 


106 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Weibern 1448 mm beträgt, dagegen bei den Sinhalesen (S. 61) etwa 
1625—1650 mm (bei Männern), so wird man die Bedeutung des geringeren 
Maalses der ersteren um so weniger beanstanden können, als bei ihnen 
Minimalmaafse für die Männer von nur 1245 mm vorkommen. Die Angaben 
über die Sinhalesen sind leider sehr unvollständig; nur darin stimmen 
alle überein, dafs die letzteren kleiner und weniger kräftig, als Europäer, 
seien. Ob hier eine nur relative Differenz zwischen Sinhalesen und Weddas 
vorliegt, ob die letzteren nur in Folge ihres kümmerlichen Lebens im 
Wuchs zurückbleiben oder ob ihre Kleinheit eine typische Eigenthümlichkeit 
der Rasse ist, kann immerhin zweifelhaft erscheinen. Der Umstand, dafs 
der Zwergwuchs nicht constant ist, dafs es vielmehr auch relativ grofse 
Weddas giebt, wie denn der so scrupulöse Hr. Hartshorne einen Mann 
zu 1638 mm maals, könnte zu Gunsten der Annahme angeführt werden, 
dafs der oft zwerghafte Wuchs eine Consequenz lange andauernder, 
ungünstiger Entwickelungsbedingungen sei. Nichtsdestoweniger ist die 
Thatsache allgemein bezeugt, dafs die Weddas einer im Durchschnitt 
kleinen, ja einer der kleinsten überhaupt bekannten Rassen angehören. 
Nimmt man dazu, dafs die Weddaratta überaus reich an Wild ist und 
dafs die Weddas geschickte Jäger und Fischer sind, dafs Honig und 
efsbare Früchte und Wurzeln ihnen in Fülle zu Gebote stehen, so kann 
man nicht sagen, dafs sie, wie die Australier, auf Entbehrung angewiesen 
seien. Wenn sie trotzdem ungleich kleiner, als Australier sind, so wird 
man nicht umhin können, ihre Kleinheit als eine ursprüngliche anzu- 
erkennen. 

In Bezug auf Muskelentwickelung und Körperkraft lauten alle 
Zeugnisse günstig für die Weddas. Trotz einer mehr gracilen, vielleicht 
sogar mageren Gestaltung der Fleischtheile scheinen sie allgemein eine 
grofse Leistungsfähigkeit und eine proportionirte Bildung der Gliedmaalsen 
zu besitzen. Gegenüber den Sinhalesen im Niederland mögen sie sogar 
eine gewisse Superiorität in der Muskelarbeit zeigen, denn nur von den 
Sinhalesen des Gebirges, namentlich von den Kandiern, wird die Körper- 
kraft besonders gerühmt. Die von Hrn. Hartshorne betonte Kürze der 
Daumen und Spitzigkeit der Ellenbogen bei den Weddas dürfte sich viel- 
leicht durch ihre Kleinheit und Magerkeit erklären; jedenfalls würde nur 
die erstere, wenn sie sich als eine unverhältnifsmäfsige durch Messung 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 107 


ergäbe, von Bedeutung sein. Vielleicht liegt hier eine ähnliche Täuschung 
vor, wie bei Hrn. Bennett, der die Länge des Fufses urgirt, während 
die direkte Messung (S. 58) vielmehr eine durchaus proportionirte Gröfse 
dargethan hat. Dagegen mag es richtig sein, dals die Weddas Plattfüfse 
haben. Diese würden aber nicht ausreichen, um ein Rassenmerkmal 
zu bilden. 

Aehnliche Betrachtungen, ja noch viel weniger distinktive, treffen 
zu in Beziehung auf die Gröfse des Kopfes, namentlich in Beziehung auf 
die Capaeität des Schädels. Sowohl die Einzelzahlen, als auch die Mittel 
habe ich früher mitgetheilt, und auch unter einander verglichen (S. 50, 
75). Daraus ging hervor, dafs die Wedda-Schädel durchschnittlich viel 
kleiner, als die Sinhalesen-Schädel sind, ja dafs eine gewisse Zahl von 
ihnen geradezu nannocephal genannt werden kann. Indefs auch die Sin- 
halesen-Schädel haben mir nur einen Rauminhalt von 1406 Cub.-Cm. im 
Mittel geliefert, und unter 11 Exemplaren hatten 3 nur zwischen 1100 
und 1200 Cub.-COm. Erwägt man dem gegenüber, dafs auch unter den 
Wedda-Schädeln ein Paar von 1614 und 1420 Cub.-Cm. Rauminhalt vor- 
kamen, so folgt, die Aechtheit dieser Schädel vorausgesetzt, dafs nicht 
nur die Nannocephalie kein constantes Merkmal ist, sondern dafs selbst 
geräumige Schädel bei Weddas vorkommen. Die Zahlen schieben sich 
eben von beiden Seiten durch einander: das gröfsere Mittel der Sinhalesen 
hindert keineswegs das Vorkommen sehr kleiner Exemplare, und umge- 
kehrt stecken in dem allerdings sehr kleinen Mittel der Weddas auch 
geräumigere Specimina. 

Ich will hier nicht die Umfangsmaalse und die sich daraus berech- 
nenden Verhältnilszahlen noch einmal durchgehen. Es haben sich dabei 
gewisse Differenzen zwischen beiden Stämmen ergeben, indefs werden sich 
dieselben bei den Indices in paralleler Weise darstellen lassen. Nur ein 
Verhältnifs will ich hier noch einmal hervorheben, weil es möglicherweise 
von gröfserer Bedeutung ist. Es ist dies die stärkere Betheiligung des 
Vorder- und Mittelkopfes bei den Sinhalesen, des Hinterhauptes bei den 
Weddas an der Bildung des Schädeldaches (S. 76). Dabei muls ich jedoch 
erwähnen, dafs die (untere) Frontalbreite bei den Wedda-Schädeln aus 
dem Colombo-Museum keineswegs geringer war, als bei meinen 
Sinhalesen. 


14* 


108 Vırcnow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Von besonderem Interesse ist die Vergleichung der Schädelindices. 
Die Mittel für den Längenbreitenindex, welche ich ermittelt habe, sind 
für beide Stämme fast genau identisch: 71,8 für die Sinhalesen, 71,6 für 
die Weddas. Dies ist ein ausgezeichnet dolichocephales Maafs. Wenn 
sich dabei ergab, dafs sämmtliche, zur Untersuchung stehende Sinhalesen- 
Schädel dolichocephal, dagegen unter 20 Wedda-Schädeln 4 mesocephal 
waren, so könnte man auf die Vermuthung kommen, dafs unter den 
letzteren tamilische Verunreinigungen vorgekommen seien. Dies wird sich 
ohne neues und sehr sicheres Material nicht entscheiden lassen. Für 
unsere jetzige Vergleichung ergiebt sich nur, dafs dieses wichtige Ver- 
hältnilsmaals keinen Hinweis darauf enthält, dafs eine tiefgehende Rassen- 
differenz zwischen Sinhalesen und Weddas besteht. Bei beiden ist der 
Schädel lang und schmal, jedoch ist unter den Wedda-Schädeln eine 
gröfsere Zahl, bei welchen die Schmalheit noch bedeutender ist, als bei 
den Sinhalesen. 

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Längenhöhenindex. Derselbe 
ist bei beiden Stämmen orthocephal, bei den Weddas freilich auf der äufser- 
sten Grenze zur Hypsicephalie (74,9), bei den Sinhalesen etwas kleiner 
(74,6). Immerhin mufs man beide Arten von Schädeln zu denen von 
mittlerer Höhe rechnen. In Beziehung auf die absoluten Höhenzahlen 
stellt sich das Verhältnils etwas anders, insofern hier ein gröfseres Maals 
für die Sinhalesen hervortrat, wie die Abbildungen auf Taf. I. und I. 
erkennen lassen. 

Diese Uebereinstimmungen der Hauptindices sind so grols, dals 
sie innerhalb der Grenzen eines einzigen Volksstammes nicht gröfser ge- 
funden werden könnten. Die Configuration der Schädelkapsel darf ab- 
gesehen von der Betheiligung der einzelnen Knochen an derselben, als 
eine identische betrachtet werden. In der That liest auch nach dem 
Zeugnisse der Reisenden der Stammesunterschied mehr in dem Gesicht, 
als in der Schädelkapsel. Vorzugsweise ist es die Gestalt der Nase, 
namentlich die flache Beschaffenheit des Rückens und die Weite der 
Nüstern, sowie die Bildung der Lippen und Kiefer, welche durchweg als 
prognath geschildert werden, worauf die verschiedenen Autoren als auf 
charakteristische Züge des Wedda-Gesichtes hinweisen. Gegenüber der 
sinhalesischen Nase, welche die alten chinesischen Berichterstatter einen 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 109 
I 


Vogelschnabel nennen, und welche in der Beschreibung der Kandy-Schön- 
heit (S. 63) mit dem Habichtschnabel verglichen wird, gegenüber den 
zarteren Lippen und dem orthognathen Kieferbau, welchen die Zeich- 
nungen von Davy erkennen lassen, sind das allerdings recht auffällige 
Unterschiede. 

Die osteologische Untersuchung hat diese, von der Betrachtung 
der Lebenden hergenommenen Angaben in der Hauptsache bestätigt. 
Leider hat sich das in Europa befindliche Schädelmaterial bei der Ver- 
schiedenheit der veröffentlichten Messungen in dieser Beziehung nicht 
vollständig verwerthen lassen, und zwar am wenigsten bei den Sinhalesen, 
bei denen überdies der Umstand sehr störend wirkt, dafs die beiden in 
meinem Besitz befindlichen Schädel, von denen der eine einem jüngeren, 
der andere einem sehr alten Manne angehört hat, grolse individuelle Ver- 
schiedenheiten erkennen lassen. 

Im Allgemeinen ist das sinhalesische Gesichtsskelet schmaler und 
länger, als das der Weddas. Jenes erwies sich als leptoprosop (Index 89), 
dieses als chamaeprosop (Index 83—84). Dem entspricht bei den Sinha- 
lesen ein längerer und schmalerer, bei den Weddas ein kürzerer und 
breiterer Gaumen, dem ein prognather Kieferbau sich anschliefst. In 
letzterer Beziehung ist der Gegensatz der Sinhalesen weniger deutlich, da 
Hr. Barnard Davis keine Angaben in dieser Richtung gemacht hat, und 
von meinen Schädeln der eine (Taf. II.) einen auffällig prognathen, wenn- 
gleich nicht langen Alveolarfortsatz besitzt. Dazu kommt bei den Weddas 
Mesokonchie (84,6) und Mesorrhinie (52), freilich mit manchen indivi- 
duellen Abweichungen, so dafs namentlich bei den Weibern mehr platyr- 
rhine, bei den Männern leptorrhine Formen hervortreten. Gerade hier 
reicht das sinhalesische Material zur Vergleichung nicht aus. Soweit sich 
darüber, freilich mehr vermuthungsweise, sprechen lälst, werde ich darauf 
zurückkommen. Hier will ich nur noch das zusammenfassende Urtheil 
des Hrn. Barnard Davis!) in Bezug auf den Typus der ceylonesischen 
und indischen Bevölkerung anführen: In Ceylon and the plains of India, 
we have found the people (Veddahs as well as the more elevated races), 
as far as our materials extend, characterized by small, narrow, long, and 


1) Davis. Thesaurus eraniorum p. 158, 


110 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


rather tall crania, having prominent nasal bones and well-expressed faces, 
when we refer to the typical skulls. As soon as we ascend the southern 
slope of the Himalayas, we meet with races of a very distinet cranial 
type. Ob dieses Urtheil sich auch auf nicht-arische Stämme Indiens 
beziehen soll, ist nicht deutlich; jedenfalls dürfte es in seiner Allgemein- 
heit nicht ohne Anfechtung bleiben. 


Ziehen wir nun die Tamilen oder Malabaren in die Vergleichung, 
so stolsen wir auf ein viel verbreitetes Vorurtheil, welches freilich erst 
in der neuen Zeit mehr zum Ausdruck gekommen ist. Schon Ribeyrot) 
hatte die Meinung, dals die Sinhalesen aus einer Mischung von Chinesen 
und Malabaren (Gallas) hervorgegangen seien. Auch Knox?), obwohl 
er „wenig oder gar keine Aehnlichkeit‘“ zwischen Malabaren und Sinha- 
lesen fand, hielt aus historischen Gründen eine Verwandtschaft für mög- 
lich. Die neueren Schriftsteller haben die Sinhalesen als Arier meist 
aufser Betrachtung gelassen und sich mehr mit dem dravidischen Ursprung 
der Weddas beschäftigt. Nur Lassen ?°), der die Weddas für den unver- 
ändert gebliebenen Theil der Sinhalesen nahm, führte aus sprachlichen 
Gründen das ganze „Volk der Cingalesen“ auf dekkhanische Stämme 
zurück. Auch Sir Tennent®) bezog sich für die Weddas wesentlich auf 
linguistische und religiöse (wenn man diesen Ausdruck gebrauchen darf) 
Verwandtschaften, welche auf die Völker des Dekkhan hinwiesen; er nahm 
and), dafs die Weddas sich zu den arischen Sinhalesen verhielten, wie die 
Gebirgsstämme Indiens zu den späteren arischen Einwanderern. Er nennt 
namentlich die Koolies in Guzerat, die Bheels in Malva, die Puttooas in 
Outtack, die Khoonds in Gundwana, die Bedas in Mysore und die wilden 
Horden in den Bergen östlich von Bengalen. Hr. Bailey) schlielst sich 
dieser Auffassung an. Er zieht nicht nur die Khonds, die Puttuwas oder 


1) Pridham |. ce. 1. p. 21. 

A)rKnox Ircsp. 122 

3) Lassen, Indische Alterthumskunde I. S. 199. 
4) Tennent l.c. I. p. 328. 

5) Derselbe 1. c. II. p. 438. 

6) Bailey 1. c. p. 307. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 111 


Juanguas, die Pulindas (in Orissa), die Meekirs (in Nord Cachar) u. a. 
heran, sondern er geht bis nach Assam, Tenasserim und Ost-Birma mit 
seinen Vergleichungen. Aber auch seine Beweise sind ganz aus dem 
socialen und religiösen Leben dieser Völkerschaften hergenommen. Ganz 
ohne Specialnachweise ist die Angabe des Hrn. Tagore!), wonach ein 
schon dem Ptolemaeos bekannter Wanderstamm in den nördlichen Thei- 
len Indiens, die Vaidehas, welche später von Tippoo Sahib in Mysore un- 
ter dem Namen der Bedas getroffen seien, sich in seinem wilden (wild and 
savage) Zustande in den Weddas von Öeylon erhalten habe. Hr. Jagor?) 
erwähnt, dafs die Vedas, welche in kleinen Gruppen in den Wäldern von 
Trovancore und Cochin leben, von Einigen für einen Zweig der Weddas 
von Öeylon gehalten würden. So interessant diese Hinweise sind, so 
wenig scheinen sie mir doch zu der Erledigung der Streitfrage beizutragen. 

Anthropologische Vergleichungen haben bis jetzt kaum stattge- 
funden. Auch ich habe nicht die Absicht, die gegenwärtige Untersuchung 
so weit auszudehnen, obwohl mir mancherlei Material dazu vorliegt. 
Einige Beziehungen werde ich allerdings berühren, indefs eine volle Er- 
örterung der in Betracht kommenden Verhältnisse würde eine eigene, weit 
ausgreifende Arbeit erfordern. In erster Linie wird es nöthig sein, die 
Tamilen von Ceylon in Vergleichung zu ziehen, zumal da die historischen 
Nachrichten bis zu den Zeiten Wijayos rückwärts zahlreiche Heirathen 
nicht blofs der Könige, sondern auch ihrer Dienstmannen mit malabarischen 
Frauen melden, ganz abgesehen von den früh beginnenden Einfällen und 
Ansiedelungen tamilischer Horden. 

Trotz der spärlichen Berichte über die physischen Eigenthümlich- 
keiten der Tamilen läfst sich doch nicht bezweifeln, dafs sie gleichfalls 
sehr dunkel, mehr oder weniger „schwarz“ und mit langem, schwarzem 
Haar ausgestattet sind. Im Uebrigen beschränken sich die Angaben auf 
die Betonung ihrer gröfseren Kräftigkeit und Activität. Es bleibt mir 
daher nur das spärliche craniologische Material, welches sich in der 
Sammlung des Hrn. Barnard Davis und der memigen befindet. Dasselbe 


1) Transactions of the Ethnologieal Society of London. New Series. 1863. 
Vol. I. p. 381. 

?) Zeitschrift für Ethnologie 1879. Bd. XI. Verhandl. der Berliner anthrop. 
Gesellsch. S. 167. 


112 Vırcnow: Üeber die Weddas von Ceylon 


ist zu einer endgültigen Beantwortung der Frage von dem ethnologischen 
Verhältnifs der Tamilen zu den beiden andern ceylonesischen Stämmen 
unzureichend, und meine Besprechung kann daher nur unter starken Vor- 
behalten vorgenommen werden. 

Alle diese Schädel sind verhältnifsmäfsig klein und sie würden auf 
nichts weniger, als auf eine kräftige Rasse schliefsen lassen. Wie schon 
angeführt (S. 89), ist die mittlere Capaeität der Tamilen-Schädel 1247 
Cub.-Cm., also noch geringer als das Mittel der Weddas und als das der 
Sinhalesen. Schwerlich wird dies die Zahl sein, welche als die typische 
Stammeszahl anzusehen ist; sie hat meiner Meinung nach nur insofern 
Interesse, als sie zeigt, dals kleine Schädel bei allen Stämmen der Insel 
vorkommen können. Immerhin ist keiner darunter, welcher die Minimal- 
zahl der Weddas erreicht. 

Wesentlich erscheint dagegen der Unterschied in der Kopfform. 
Der tamilische Schädel ist, nach diesen Exemplaren zu urtheilen, hypsi- 
mesocephal, also ganz anders, wie der sinhalesische und der Wedda- 
Schädel. Sein Breitenindex beträgt 76,3, sein Höhenindex 76,8. Dem 
entsprechend ist sein querer Vertikalumfang gröfser, sein sagittaler Längs- 
umfang kleiner. Auch in Bezug auf die Betheiligung der einzelnen 
Knochen an der Bildung des Schädeldaches zeigt sich ein erheblicher 
Unterschied: der Umfang der Hinterhauptsschuppe ist viel kleiner, da- 
gegen der des Stirnbeins bedeutend grölser (S. 90), als bei Sinhalesen, 
und noch mehr ausgesprochen bei Weddas. In der Basilaransicht (Taf. II. 
Fig. 5) ist die grolse Kürze des Hinterhbaupts deutlich. 

Ich mufs danach aussagen, dals die Schädelform der Tamilen, 
soweit sie aus den in Betracht gezogenen Schädeln erkenntlich ist, eine 
Verwandtschaft weder mit den Weddas, noch mit den Sinha- 
lesen anzeigt. 

Die Verhältnisse des Gesichts lassen sich in Kürze in folgende 
Formeln zusammenfassen: Mesokonchie, Mesorrhinie, Mesoprosopie, Pro- 
gnathie und Brachystaphylie. Dadurch entfernt sich das Tamilen- 
Gesicht ganz bestimmt von dem sinhalesischen und nähert 
sich mehr dem Wedda-Gesicht. Aber, wie ich schon erwähnt habe, 
hindert der für die Tamilen (51) und die Weddas (50—52) fast über- 


einstimmende Nasenindex keineswees, dals die erölste Verschiedenheit 
oO") N ’ 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 113 


namentlich in der Bildung des Nasenrückens, stattfindet. Durch die 
gröfsere Schmalheit der knöchernen Nase, sowie durch die vortretende, 
wenig eingebogene, verhältnifsmäfsig scharfe Beschaffenheit des Rückens 
tritt vielmehr eine gewisse Aehnlichkeit mit der sinhalesischen Nase her- 
vor. Am wenigsten wäre es daher gerechtfertigt, die platte 
nnd nach unten breite Nase der Weddas als ein tamilisches 
Erbstück zu bezeichnen. Eine Vergleichung der Gesichtsprofile in 
der Seitenansicht in Fig. 3 meiner 3 Schädeltafeln wird den Unterschied 
in der Nasenbildung leicht erkennen lassen. 

Ich könnte in gleicher Weise auf die Fig. 1 in Bezug auf die 
Bildung der Augenhöhlen und auf Fig. 5 in Bezug auf die Bildung des 
Gaumens verweisen. Indefs scheint es mir, bei der Schwierigkeit, diese 
Verhältnisse in der Zeichnung gleich deutlich zu geben, dafs es das Ver- 
ständnifs wesentlich erleichtern werde, wenn ich die Hauptlinien in ein- 
facher Zusammenstellung in natürlicher Gröfse vorführe. Ich bezwecke 
damit zugleich die Aufmerksamkeit mehr auf diese, bisher etwas vernach- 
lässigten Punkte zu lenken, und für spätere Erörterungen scharf vorge- 
zeichnete Fragen zur Diskussion zu stellen. Denn ich bin zu meinem 
Bedauern nicht in der Lage, eine Verantwortlichkeit für die ethnogno- 
monische Bedeutung meiner Linien zu übernehmen; ich kann nur sagen, 
dafs ich diejenigen Schädel aus den drei Reihen ausgewählt habe, welche 
mir nach reiflicher Prüfung die meiste Garantie dafür zu bieten scheinen, 
dals sie den Stammestypus einigermaalsen sicher wiedergeben. 

Die nächstfolgenden Holzschnitte, bei denen die 3, auf den bei- 
gegebenen Tafeln dargestellten Schädel zu Grunde gelest worden sind, 


Phys. Kl. 1881. Abh. |. 15 


114 VırcHow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Tamil. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 115 


zeigen die äulseren Umrisse der Augenhöhlen und der Nasen. Die Hori- 
zontale, nach welcher die Schädel, auch in den Tafel - Abbildungen, 
orientirt worden sind, ist die sogenannte „deutsche“ Horizontale, welche 
vom tiefsten Punkte des unteren Augenhöhlenrandes zum höchsten Punkte 
des oberen Umfanges des äufseren Ohrloches gezogen wird. Die Differenz 
in der Gestalt des Einganges zur Augenhöhle wird auf diese Weise eben 
so ersichtlich, als die Verschiedenheit in der Entfernung der Augenhöhlen 
von einander und in der Stellung der Ränder des Örbitaleinganges zu 
der Horizontalen. 


Die Maafse und Indices der betreffenden Augenhöhlen sind folgende: 
Breite: Höhe: Index: 


Wedda 39 mm 33 mm 84,6, 
Sinhalse 39 „, S0- 76,9, 
Tamil ST mE; 32 5 36,4. 

Hier erscheint demnach die Wedda-Augenhöhle mesokonch, die 
sinhalesische chamaekonch, die tamilische hypsikonch. Die Differenz 
zwischen den beiden ersteren beruht ausschliefslich auf der geringeren 
Höhe, dagegen unterscheiden sich beide von der tamilischen durch ihre 
gröfsere Breite. 

Mit dieser Verschiedenheit vergesellschaftet sich aber auch eine 
wesentliche Abweichung in der Biegung und dem Verlaufe der Ränder. 
Die Biegung ist am geringsten bei dem Sinhalesen, bei welchem die oberen 
und unteren Ränder nahezu geradlinig und einander parallel verlaufen, 
so dals, da auch der äufsere Rand wenig ausgebogen ist, eine gedrückt 
viereckige Gestalt mit ausgerundeten Ecken herauskommt. Bei dem Wedda, 
wo die Augenhöhlen an sich am gröfsten sind, haben die Ränder eine 
ziemlich gleichmälsige Ausbiegung, so dafs sich die Form des Orbital- 
Einganges der runden nähert; nur ist die Diagonale von oben und innen 
nach aufsen und unten grölser wegen der stärkeren Ausweitung gegen das 
Wangenbein hin. Bei dem Tamilen endlich, bei dem die Höhe dominirt, 
ist der obere Rand flach gewölbt und die Ausweitung gegen das Wangen- 
bein stärker accentuirt; die Form des Orbital-Einganges wird dadurch eine 
mehr schiefovale. 

Zu diesen Verschiedenheiten tritt die wesentlich differente Bildung 
der Stirn-Nasen-Gegend, welche aus folgenden Zahlen ersichtlich ist: 

15” 


116 Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Distanz der äufseren Orbitalränder Wedda: Sinhalese: Tamil: 


(diam. biorbitaire) 95 mm 93 mm 90 mm, 
Distanz der inneren Orbitalränder 

(diam. interorbitaire) ee An 
Untere Breite des Processus nasalıs 

ossis frontis Dag nnd  , 


GeradeLänge der Sutura nasofrontalis 9 „ 3. 2, 

Bei den Tamilen stehen die beiden Orbitae einander am nächsten: 
die Nasenwurzel ist schmal, aber stark vortretend, die Sutura nasofron- 
talıs liegt tief und macht einen mehr geradlinigen horizontalen Verlauf, 
und der Nasenfortsatz des Stirnbeins, obwohl stark vorgewölbt und mit 
Spuren einer sehr gezackten Frontalnaht ausgestattet, ist in seiner (Quer- 
Ausbildung wesentlich beeinträchtigt. Gerade umgekehrt ist die Ent- 
fernung der Orbitae bei dem Wedda am gröfsten: der Nasenfortsatz des 
Stirnbeins, in welchem gleichfalls noch ein Nahtrest der Sutura frontalis 
persistirt, ist breit und voll; die Sutura nasofrontalis, obwohl kurz, springt 
stark nach oben in das Stirnbein in die Höhe und liest daher sehr hoch, 
so dals selbst die Sutura maxillo-frontalis jederseits einen schrägen Verlauf 
nimmt; die Nasenwurzel selbst ist schmal und eingedrückt. Bei den 
Sinhalesen sind die Verhältnisse wiederum verschieden, jedoch denen bei 
dem Wedda ähnlicher: der Nasenfortsatz des Stirnbeins ist noch breiter 
und voller, die Stirnnasennaht mehr gleichmäfsig gekrümmt und nach 
oben ausgreifend, daher höher gestellt, als bei dem Tamilen, die Entfer- 
nung der Orbitae am beträchtlichsten, die Nasenwurzel selbst breiter, als 
bei dem Sinhalesen, aber der Rücken am Ursprung mehr eingebogen, als 
bei dem Tamilen. 

An der Nase ist die Form der Apertur bei dem Tamilen derjenigen 
bei dem Sinhalesen ähnlicher, als der bei dem Wedda. Die erstere hat 
eine Breite von 25, die letztere von 24, die bei dem Sinhalesen von 26 mm. 
So kommt es, dafs die Nase des Tamilen und die des Sinhalesen platyrrhin, 
die des Wedda mesorrhin ist; die Indices lauten 53,1, 57,7, 50,0. Trotz- 
dem ist die Wedda-Nase in ihrem Ansatz mehr abgeflacht und zurück- 
gedrängt, die sinhalesische und tamilische dagegen vortretend, und zwar 
die tamilische mehr, als die sinhalesische. Der Eindruck der grölseren 
Breite der Nasenwurzel bei dem Sinhalesen ist jedoch nur scheinbar; er 
wird dadurch hervorgebracht, dafs die Nasenbeine mehr in das Niveau 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. B17 


der Stirnfortsätze der Oberkiefer zurücktreten und daher der ganze kaum 
zwischen den Augenwinkeln gleichmäfsiger und flacher wird. In Wirk- 
lichkeit ist nicht nur die Nasenwurzel, sondern überhaupt die ganze 
knöcherne Nase des Wedda schmaler, als die der beiden anderen Schädel. 
Ich kann in dieser Beziehung nur von Neuem hervorheben, dafs die Nasen- 
indices, welche auf diese Weise aus dem Verhältnifs zwischen Breite der 
Apertur und Höhe der ganzen Nase genommen werden, kein Bild der 
vortretenden Theile der Nase gewähren. Was die Apertur selbst betrifft, 
so ist sie bei dem Wedda, einigermaalsen dem europäischen Schema ent- 
sprechend, birnförmig, bei den beiden anderen, besonders bei dem Sinha- 
lesen, mehr dreieckig. 

Eine weitere Vergleichung der linearen Begrenzungen mag die 


nachstehende Darstellung der Gaumenbildung ermöglichen: 


RE — 


Famıll 


118 Vırcnow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Ich beginne auch hier mit den Zahlen: 
Länge: Breite: Index: 


Wedda 48mm 36mm 75,0, 
Sinhalese..53.1, n4Orls: old 
Tamil 49, en anii 

Darnach sind die Gaumen des Wedda und des Sinhalesen lepto- 
staphylin, der des Tamilen brachystaphylin. Letzterer weicht in der That 
in der Bildung am meisten ab: seine grolse Breite und Kürze stehen zu 
der Schädelform in einem richtigen Verhältnilse. Ihm zunächst kommt, 
nicht im Index, wohl aber in der Form der Zahncurve, der Wedda-Gaumen, 
der sich am meisten dadurch unterscheidet, dafs die Zahncurve nach 
hinten wiederum etwas zusammengeht und somit eine mehr hufeisenför- 
mige Gestalt annimmt. Gänzlich verschieden von dem Tamilen, jedoch 
auch abweichend von dem Wedda ist der Sinhalese: bei ıhm ist die 
Gaumenplatte ungewöhnlich lang und zugleich beträchtlich breit, somit sehr 
grols, aber die Zahncurve bildet nicht, wie bei den beiden anderen, eine 
mehr gleichmälsige Biegung, sondern die Seitentheile verlaufen mehr 
geradlinig, gestreckt und einander parallel, während die Incisiven-Gegend 
eine mehr flache, breite, nach vorn vorgeschobene Biegung bildet. Auf 
den relativ starken Antheil, welchen das Os palatınum an der Bildung 
der Gaumenplatte bei dem Sinhalesen nimmt, ist schon früher hingewiesen 
worden. Hier kann noch erwähnt werden, dafs die Zähne bei dem 
Sinhalesen am stärksten entwickelt sind und dafs namentlich die I Molaren 
ungewöhnlich grofse Kronen haben. Bei dem Tamilen sind die Alveolen 
der Schneide- und Eckzähne sehr grols; ebenso übertrifft hier der I Molar 
die übrigen bei Weitem an Grölse. — 

Die mitgetheilten Thatsachen in Bezug auf drei der wichtigsten 
Gegenden des Gesichtsskelets dürften genügen, um darzuthun, mit wie 
grolsen Schwierigkeiten die Ergründung der Verwandtschaftsverhältnisse 
der drei Stämme umgeben ist. Nimmt man in hergebrachter Weise die 
Indices als Leitfäden, so erhält man für jede Region eine andere Combi- 
nation. Es stehen sich nehmlich am nächsten 

1) nach dem Orbitalindex der Wedda und der Tamil, 
NR „ Nasenindx ,„ Tamil“. .„ 7, Sinhalese, 
BIC HEN „ Gaumenindex „ Sinhalese„ „ Wedda. 


u u 


| ee 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 119 


Indefs darf man nicht vergessen, dafs hier von jedem Stamme nur 
ein Individuum genommen ist, und dafs schon aus den von mir ange- 
führten Untersuchungen hervorgeht, dafs die gewählten Individuen keines- 
wegs in allen einzelnen Verhältnissen mit dem Mittel ihres Stammes über- 
einstimmen. So ist der Tamil platyrrhin, während das von mir gefundene 
tamilische Mittel mesorrhin war (S. 93). Entspricht dieses Mittel dem 
typischen Stammesverhältnifs, so würde die Tamilen-Nase der Wedda- 
Nase mindestens so nahe stehen, wie der sinhalesischen. Und doch 
unterscheidet sie sich, wie ich des Weiteren dargethan habe, in allen 
anderen Beziehungen sowohl von der Wedda-, als von der Sinhalesen-Nase. 

Bei der geringen Zahl von Schädeln, welche mir direkt zur Ver- 
fügung standen, und dem mehrfach defekten oder sonst zweifelhaften 
Zustande einzelner derselben war ich genöthigt, meine Abbildungen von 
denjenigen herzunehmen, welche die meisten Merkmale regelmälsiger Ent- 
wickelung an sich tragen. Aber ich kann keineswegs behaupten, dafs sie 
in allen Stücken typische Formen darstellen, und dafs meine Darstellung 
vor grolsen Correkturen sicher ist. Darüber kann erst die Zukunft ent- 
scheiden, und meine Arbeit wird ihren Zweck erfüllt haben, wenn sie die 
Herbeiführung neuen und besseren Materials beschleunigt. 

Für jetzt kann ich nur das Eine aussagen, dals, soweit sich bis 
jetzt die physischen Verhältnisse übersehen lassen, eine nähere Ver- 
wandtschaft der Tamilen mit den Weddas eben so wenig her- 
vortritt, als mit den Sinhalesen. 

Damit ist nun freilich die Frage, ob in den Weddas oder den 
Sinhalesen ein dravidisches Element steckt, nicht abgeschlossen. Die 
gegenwärtigen Tamilen auf Ceylon sind keineswegs typische Repräsen- 
tanten aller der Stämme Vorderindiens, welche man gewöhnlich als 
dravidische zusammenfafst. Je weiter man in das Specialstudium der 
letzteren eingedrungen ist, um so mehr Verschiedenheiten unter ihnen 
sind zu Tage getreten, und noch jetzt ist es nicht gelungen, mit Sicher- 
heit nachzuweisen, welche der sogenannten dravidischen Stämme näher 
zusammengehören und welche als die reinsten anzusehen sind. Nun 
wissen wir aber, dafs ım Laufe der Jahrtausende „Malabaren“ von den 
verschiedensten Küstenstrichen der vorderindischen Halbinsel Einfälle und 
Ansiedelungen auf Ceylon versucht und ausgeführt haben, nicht blofs von 


120 VırcHow: Ueber die Weddas von Ceylon 


den nächsten Küstenpunkten aus, sondern auch von ganz nördlichen 
Bezirken (S. 29). Ehe man ein entscheidendes Urtheil ausspricht, mülsten 
alle diese Stämme der Reihe nach verglichen werden. 

Zu einer derartigen Vergleichung ist hier nicht der Ort. Auch 
würde das vorhandene Material dazu nicht ausreichen. Ich will mich 
darauf beschränken, auf die Erörterungen des Hrn. Callamand!) über 
die Maravars hinzuweisen und ein eigenes Beispiel anzuführen. Durch Ver- 
mittelung des Hrn. F. Jagor erhielt ich von Dr. Burnell 3 Schädel 
niederer Kasten von Tanjore, also gerade aus der Gegend, welche dem 
Chöla oder Soli (Sollee) der sinhalesischen Annalen entspricht (S. 29). 
Von diesen 3 ist der eine, welcher durch eine grofse hintere Gaumen- 
spalte ausgezeichnet ist, so abweichend gebildet, dafs er als pathologisch 
ausgeschieden werden mufs. Die beiden anderen dagegen sind sich bis 
auf die allerdings auch ganz verschiedene Gaumenbildung höchst ähnlich, 
wie aus der Aufzählung der Hauptindices hervorgeht: 

Breitenindex 73,3 75,4, 
Höhenindex 76,1 US. 
Orbitalindex 85,3 80,4, 
Nasenindex 51,0,2450;0; 
Gaumenindex 73,0 90,0. 

Genau genommen stimmen nur die Höhen- und die Nasenindices 
gut überein: beide Schädel sind hypsicephal und mesorrhin. Dagegen 
finden sich bei allen anderen Indices Differenzen, welche eine Einordnung 
der beiden Schädel je nach den besonderen, in Betracht gezogenen Ver- 
hältnissen in andere Kategorien nothwendig machen. Der eine ist dolicho- 
cephal, der andere mesocephal, — was ist hier das Typische? Der eine 
ist hypsikonch, der andere mesokonch, der eine leptostaphylin, der andere 
brachystaphylin. Wonach soll hier entschieden werden? 

Freilich kann man sagen, dafs in solchen kleinen Vergleichungen 
der Zufall der Zahlen nicht selten eine höhere Bedeutung erlangt, als 
ihm zukommt. Die Differenz der Breitenindices ist z. B. genau eben so 
grols, nehmlich 2,1, wie die Differenz der Höhenindices, und doch bedingt 
jene eine Zuordnung des einen Schädels zu den Dolichocephalen, des 


1) Revue d’anthropologie. 1878. Ser. I. T.I. p. 607. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 121 


andern zu den Mesocephalen, weil zufällig die Grenzzahl zwischen beiden 
Bezeichnungen 75 ist und diese Zahl zwischen 73,3 und 75,4, den beiden 
Indices, liegt; dagegen hindert die gleichgrofse Differenz der Höhenindices 
nicht, dafs beide Schädel derselben Kategorie, nehmlich den Hypsicephalen, 
zugewiesen werden, da sowohl die Zahl 76,1, als 78,2 innerhalb der 
angenommenen Extreme liegt. Welche dieser Zahlen mehr, welche 
weniger zufällig ist, vermag ich nicht zu entscheiden, und das Berechnen 
eines Mittels aus den 2 Einzelfällen würde zu der Entscheidung nichts 
beitragen. 

Trotzdem kann ich sagen, dafs die Tanjore-Schädel den Tamilen 
von Ceylon verhältnifsmäfsig nahe stehen. Auch bei diesen fand ich nicht 
geringe individuelle Verschiedenheiten, und zwar im Breitenindex genau 
dieselben. Denn der letztere betrug bei den 3 Tamilen-Schädeln 72,0, 74,8 
und 75,3. Im Uebrigen aber sind so viele Analogien zwischen beiden 
Gruppen vorhanden, dafs ich, trotz des abweichenden, pathologischen 
Schädels von Tanjore, die Zusammengehörigkeit der Leute von 
Tanjore mit den heutigen Tamilen von Ceylon für sehr wahr 
scheinlich halte. 

Allein das Königreich Chöla oder Soli war schon im Alterthume 
ein „eivilisirter“ Staat. Neben demselben erscheinen schon früh die wil- 
den Bergstämme der Nilagerris, welche sich in ihren Resten noch bis auf 
die heutige Zeit erhalten haben, namentlich die Kurumbas (Curumbars, 
Kurubas). Sie wurden von den Königen von Chöla unterworfen und 
existiren gegenwärtig nur noch in dürftigen Ueberresten!). Eine Reihe 
von Messungen und sonstigen Untersuchungen über diese Leute verdanken 
wir Hrn. F. Jagor?), darunter auch einige über die halbwild in den 
Wäldern lebenden Naya-Kurumbas. Von letzteren hat derselbe auch ein 
Skelet mitgebracht, welches im Besitz der Berliner anthropologischen 
Gesellschaft ist. Dasselbe gehörte einem Weibe an und zeichnet sich 
durch seine ungewönliche Zartheit und Kleinheit aus. Es hat eine Höhe 
von 1310 mm und der Schädel ergiebt folgende Indexzahlen: 


1) James Wilkinson Breeks. An account of the primitive tribes and monu- 
ments of the Nilagiris. London 1873. p. 55. 
2) Zeitschrift für Ethnologie 1879. Bd. XI. S. 54 folg. 
Phys. Kl. 1881. Abh. 1. 16 


Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon 


— 
LO 
15) 


Breitenindex 74,6, 
Höhenindex 74,6, 
Gesichtsindex 81,8, 
Orbitalindex 91,1, 
Nasenindex 63,8, 
Gaumenindex 64,0. 

Es ist also ein orthodolichocephaler, chamaeprosoper Schädel, der 
hypsikonch, hyperplatyrrhin und leptostaphylin ist. Sein Rauminhalt 
beträgt nur 960 Cub.-Cm., genau dasselbe nannocephale Maafs, welches 
Hr. Flower bei dem kleinsten Wedda-Schädel des Hunter’schen Museums 
ermittelte und welches er für das überhaupt kleinste eines menschlichen 
Schädels in dieser Sammlung erklärt (S. 49). In der That fordert dieses 
Skelet zu Vergleichungen mit den Weddas auf. Die Schädelmaalse zeigen 
eine grolse Uebereinstimmung, während die Tamilen, sowohl von Ceylon, 
als von Tanjore, namentlich im Höhenindex, wesentlich abweichen. Die 
Gesichtsbildung ist von beiden, sowohl von den Weddas, als auch von 
den Tamilen verschieden, jedoch von den Weddas nicht so sehr, dafs eine 
ethnologische Trennung als sicher bezeichnet werden könnte. 

Die Messungen des Hrn. Jagor an Lebenden ergaben im Grofsen 
ähnliche Verhältnisse, obwohl einzelne erhebliche Abweichungen vor- 
kommen, welche nicht wohl mehr aufgeklärt werden können. Bei den 
Naya-Kurumbas fand er durchweg geringe Körperhöhe, und obwohl 
darunter sehr jugendliche Individuen waren, so zeigten doch ältere, hier 
ausschliefslich Weiber, eher noch kleinere Formen. Ich stelle die Zahlen 


kurz zusammen: 


Körperhöhe: Schädelindex: 
19jähriger Mann 1435 mm 69,4, 
l5jähriges Mädchen 1402 mm 71,0, 
25jährige Frau 1345 „ 
5 las $; 1305 „ 82,4, 


Mittel der Frauen 1350 mm. 
Bei den „weniger wilden“ Kurumbas ergaben sich folgende Zahlen: 
Körperhöhe: Schädelindex: 
18jähriger Mann 1492 mm 21,6; 
, 1m bee 73,1, 


23 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 123 
27jähriger Mann 1529 mm 80,2, 
3nlei, n 1593 , 69,8, 
Big R 1589 , Ar 
Mittel der Männer 1529 mm. 
22jährige Frau PAR, 
0 5 » 1410 „ 


Mittel der Frauen 1440 mm. 

Inwieweit der Unterschied in der Körperhöhe ein durchgehender ist, 
läfst sich nicht beurtheilen; jedenfalls sind die Frauen in beiden Stämmen 
nicht nur kleiner, sondern auch absolut klein. Aber man wird auch die 
Kurumbas überhaupt als klein ansehen müssen. Hr. Ross King!) hebt 
in seiner Beschreibung der Aboriginer-Stämme der Nilagerris die Kurumbas 
als ganz besonders verkümmerte Wesen hervor: low in stature, they are 
also ill-made. They are among the most debased types of mankind. 
Die Kopfindices sind in beiden, vorher angeführten Reihen dolichocephal 
und zwar in sehr ausgeprägter Weise. Der Umstand, dafs in jeder Reihe 
ein brachycephaler Kopf vorkommt, ist vielleicht der Erschwerung des 
Messens an Lebenden zuzuschreiben. 

Ich gehe auf diese Erörterung nicht weiter ein. Es lag mir vor- 
läufig nur daran zu zeigen, dafs die Körperbeschaffenheit der Tamilen, auch 
unter Heranziehung derer von der Küste Coromandel, nicht genügt, um 
an ihnen den dravidischen Typus vollständig darzustellen. Dicht neben 
ihnen, im Gebirge Vorderindiens, stofsen wir auf andere Dravidas, welche 
allem Anschein nach wesentlich verschieden sind. Will man also Bezie- 
hungen der Weddas und vielleicht selbst der Sinhalesen mit dravidischen 
Indiern aufsuchen, so wird es gerathen sein, über die Küstenbevölkerung 
hinauszugehen und die Bergstämme mit in Vergleichung zu ziehen. 

Nun ist aber auch damit die Erörterung nicht an ihr Ende ge- 
langt. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind auch die jetzigen Bergstämme 
noch nicht die eigentlichen Aboriginer Vorderindiens. So werden in der 
Tradition neben den Kurumbas als älteste Bewohner von Tondamandalam 
(Madras) die Vedars genannt; von ihnen, soweit es scheint, wird gesagt: 


1) ‚Journal of Anthropology. 1570—71. London p. 46. 


16:2 


124 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


There were then no forts, only huts; no kings, no religion, no civilization, 
no books; men were naked savages; no marriage institutions!). Ich will 
auf den Namen der Vedars, der wahrschemlich gleichfalls Jäger bedeutet, 
kein Gewicht legen, indefs ist die Erwähnung solcher Aboriginer immer- 
hin bemerkenswerth, da auch in dem ältesten indischen Epos, dem 
Ramayana, von Kämpfen Vishnu’s mit fabelhaften Asurs die Rede ist, 
die man sich als die Urbevölkerung Vorderindiens und auch Ceylons zu 
denken hat. Rama selbst, der von Oude stammen soll, führt Krieg gegen 
Rawana, den König von Ceylon (Lanka) und Vertreter des Yakkho- 
und Rakshasas-Dienstes, und überwältigt ihn. Sonderbarerweise hat sich 
bei den Hayas (Vayas, Haius) in Nepal eine Tradition erhalten, dafs sie 
zur Zeit, als Rawana erschlagen wurde, von Ceylon nach dem Dekkhan 
auswanderten und später von da nach Samroanghar und endlich in die 
Berge ihrer jetzigen Heimath kamen?). Dasselbe erzählen die Varalis, 
welche die Berge von Konkan bewohnen ?), von ihrem Stamme. Alle 
diese Ueberlieferungen haben natürlich keinen entscheidenden Werth für 
die Diagnostik der verschiedenen Stämme, aber sie müssen uns davor 
warnen, die Untersuchung über die Aboriginerstämme Ceylons und Indiens 
einfach nach groben linguistischen Merkmalen oder nach den physischen 
Merkmalen einzelner, besser bekannter Stämme abzuschliefsen. Gleichviel, 
ob man die älteste Bevölkerung Ceylons über die schmale Meeresstrecke, 
welche die Insel von Vorderindien trennt, auf Fahrzeugen einwandern 
oder sie schon vor der so oft vermutheten und durch die Fauna 
Ceylons höchst wahrscheinlichen Abtrennung der Insel vom Festlande 
präexistiren läfst, so wird man sich der Ueberzeugung nicht verschlielsen 
können, dafs sie mit indischen Aboriginerstimmen in einer näheren 
Beziehung stehen muls. Ob dieses altdravidische oder noch vordravi- 
dische Stämme waren, läfst sich im Augenblick nicht mit Sicherheit 


bestimmen. 


I) Breeks l. c. p. 55. Prichard l.e. IV. p. 182. 

2) Dalton. Beschreibende Ethnologie von Bengalen, bearbeitet von Oscar Flex. 
Zeitschrift für Ethnologie. 13874. Bd. VI. S. 229. 

3) Louis Rousselet. Tableau des races de l’Inde centrale. Revue d’anthro- 
pologie. Paris 1373. T. II. p. 69. 


ie 


ee 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 125 


Die Ueberlieferungen, soweit sie auch zurückgehen mögen, gewähren 
in dieser Beziehung nur spärliche Aufklärung. Hr. Zimmer!) hat neuer- 
lich aus den vedischen Büchern eine umfassende Darstellung der Völker- 
verhältnisse Indiens in der Vorzeit geliefert, aber sie ergiebt kaum einen 
näheren Anhalt für die Beurtheilung der vorarischen Zustände. Als die 
„hellhäutigen“ Arier vom Penjab aus in das spätere Hindostan einbrachen, 
trafen sie dasselbe von zahlreichen Stämmen der „schwarzen Haut“ 
besetzt. In den Veden werden dieselben mit dem generischen Namen 
der Dasyu oder Dasa bezeichnet. Ein groflser Theil derselben wurde in 
dem Maalse, wie die Eroberer weiter im Gangesthal vordrangen, beider- 
seits in die Berge zurückgeworfen, nördlich in den Himalaya, südlich in 
die Vindhya; die, welche sitzen blieben, wurden als Sudras in die Orga- 
nisation der Arier mit aufgenommen. Nichts steht daher der Annahme 
entgegen, dafs die Bergvölker ım Allgemeinen den Aboriginerstämmen 
angehören. Aber nichts zwingt auch dazu, alle diese Stämme der Dasyu 
für homophyl zu halten. Hat man doch in neuerer Zeit angefangen, 
schon der Sprache nach die Dravidier von den kolarischen Stämmen?) 
zu trennen. Sollte einem so wichtigen linguistischen Gegensatz gegenüber 
eine physische Uebereinstimmung angenommen werden? Am kühnsten 
sind in dieser Beziehung die französischen Anthropologen vorgegangen. 
Hr. Rousselet?) läfst mit grofser Bestimmtheit vor der arischen 
Invasion eine Einwanderung von tibetanischen Stämmen der gelben Rasse 
vom Osten und eine andere von Turaniern vom Westen her erfolgen, 
aber er nimmt vor beiden schon eine Bevölkerung von Negritos an. Aus 
der Vermischung der letzteren mit gelben Stämmen läfst er zunächst 
Protodravidier hervorgehen, und zu diesen rechnet er die Malers, die 
Konds, vielleicht die Gounds; erst, als neu nachrückende Schaaren sich 
wiederum mit diesen Protodravidiern mischten, entstanden nach seiner 
Meinung die eigentlichen Dravidier oder Tamilen. Sie brachten den 
Schlangendienst (Nagas) mit sich. Aus der Einwanderung der Turanier 


1) Heinrich Zimmer. Altindisches Leben. Die Cultur der vedischen Arier. 
Berlin 1879. S. 100 folg. 

2) Dalton. Zeitschrift für Ethnologie a. a. O. S. 252. 

3) Rousselet |. c. p. 55, 279. Pl. III. 


126 Vırcnow: Ueber die Weddas von Ceylon 


dagegen entstanden in der Ebene die Jats, im Gebirge die Bhils, Minas, 
Mhairs. Als letzte Reste der schwarzen Vorbevölkerung betrachtet er die 
zerstreuten Reste einer kleinen, schwarzen Bevölkerung auf den Hoch- 
plateaus des Amarkantak, die unter dem Namen der Djangals, Puttuas 
und Juangas bekannt geworden sind. Sonderbarerweise sind dies gerade 
solche Stämme, welche schon Sir Tennent und Mr. Bailey (8. 110) zur 
Vergleichung mit den Weddas herangezogen hatten. Aber von den 
Juangas (Dschuangs) berichtet Colonel Dalton, dafs sie zu den Kolariern 
gehören, dafs ihr Haar grob und gekräuselt, röthlich braun, ihre Backen- 
knochen vorspringend, das Gesicht platt, die Nase gedrückt, die Stirn 
senkrecht, aber niedrig sei; die Durchschnittshöhe der Männer giebt er 
auf unter 5, die der Frauen auf 4 Fuls 8 Zoll an!). In dieser Schilderung 
sind eben so viel mongolische, als Negrito-Züge enthalten. 

Wenn ich daher immer noch grofse Bedenken gegen die Zulässig- 
keit der Unterscheidungen des Hrn. Rousselet und namentlich gegen die 
Annahme einer wahren Negrito-Rasse in Indien als einer aboriginalen 
hege, so will ich doch dem Gedanken in keiner Weise entgegentreten, 
dafs auch schon die Stämme „der schwarzen Haut“, welche die Arier im 
Gangesthal vorfanden, gemischte waren. Wie viel mongolisches, turani- 
sches oder Negritoblut in ihnen flofs, mufls wohl vor der Hand noch 
dahingestellt bleiben. Aber das ist gewils nicht unwahrscheinlich, dafs 
nicht alle Dasyu Dravidier waren und dafs auch schon vor den Proto- 
dravidiern des Hrn. Rousselet vordravidische Stämme im Lande ge- 
sessen haben. Weder die Mongolen, noch die Turanier geben eine 
genügende Erklärung für die klemwüchsigen Stämme der „schwarzen Haut“, 
auf welche schon die Erzählung des Plinius?) von den, in den Gebirgen 
des Landes der Prasier wohnenden Pygmäen hindeutet. Die Nachrichten, 
welche bis jetzt über dieselben vorliegen, sind leider so mangelhaft, dafs 
sie sich für jede Ansicht verwerthen lassen. Die Herren de Quatrefages 


!) Die Juang-Weiber tragen noch jetzt als Bekleidung nur Baumzweige, welche 
durch einen Gurt zusammengehalten werden. Insofern gleichen sie den Wanne-Weddas 
(oben S. 26). Aber nach den Citaten des Hrn. Jagor (a. a. ©. S. 167) haben auch die 
Weiber der Koragars, einiger Gond-Gruppen und der Chauchwa in Vorderindien nur 
Blätterbekleidung. 

2) Plinius. Natur. hist. Lib. VI. ce. 22. 


GG 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 127 


und Hamy!) haben eine Zusammenstellung der Berichte über die 
„Negritos Indiens“ geliefert, aus welcher sie mit Bestimmtheit folgern, 
dafs an sehr verschiedenen Stellen des Landes noch jetzt wahre Negritos 
vorhanden seien. Ich kann diesen Beweis nicht als genügend erachten, 
wenngleich ich nicht in Abrede stelle, dals die Frage eine discutable ist. 
Meine Bedenken dagegen will ich nur an einem Beispiele kurz erörtern, 
das freilich nicht von Indien, sondern von wahren Negritos der Nachbar- 
schaft hergenommen ist. 

Die sogenannte Negrito- (oder Mincopie-) Rasse, welche in 
verschiedenen, zum Theil sehr zerstreuten Gliedern östliche Nachbar- 
gebiete, namentlich verschiedene Inselgruppen und Theile der Halbinsel 
Malacca bewohnt, zeigt unzweifelhaft durch ihre dunkle Hautfarbe, sowie 
durch die Kleinheit der Statur und namentlich des Kopfes eine auffällige 
Annäherung an Weddas und Kurumbas. Als räumlich nächstes Glied 
sind die kleinen Schwarzen zu erwähnen, welche die Andamanen bewohnen. 
In der That hat Hr. Hartshorne?) auf gewisse Analogien zwischen 
Weddas und Andamanesen hingewiesen. Allein seine Hinweise beziehen 
sich ausschliefslich auf einzelne Gebräuche und Fähigkeiten, z. B. auf den 
(Gebrauch von Bogen und Pfeilen, auf das mangelhafte Zählen; sie berühren 
das physische Gebiet nirgends. Es läfst sich jedoch nicht leugnen, dafs 
die Andamanesen durch die vorher aufgeführten Merkmale auch physisch 
den Weddas nahe stehen. Nach den Messungen des Hrn. F. Jagor?°) 
an Lebenden berechne ich die Körperhöhe der Andamanesen im Mittel von 

17 Männern zu 1488 mm, 
10 Weibern zu 1416'. , 


27 Andamanesen zu 1462 mm. 
Dabei betrug das Minimum bei einem 20jährigen Manne 1350, bei 
einer 24jährigen Frau 1520, das Maximum bei einem 40jährigen Manne 
1636, bei einer 20jährigen Frau 1504 mm. Das sind Verhältnisse, welche 


1) A. de Quatrefages et Ernest T. Hamy. Crania ethnica. Livr. V. p. 189. 

*) Journal of the Anthrop. Institute of Great Britain and Ireland. 1878. Vol. 
VII. p. 468. 

3) Zeitschrift für Ethnologie 1875. Bd. VII. Verhandl. der anthropol. Gesellsch. 
S. 262. Desgl. die englischen Angaben im Journ. Anthropol. Instit. 1. c. p. 437. 


128 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


zum Theil noch unter das für die Weddas gefundene (S. 42) Maafs her- 
untergehen, im Grofsen demselben gleichkommen. Was die Capacität des 
Schädels betrifft, so ist dieselbe durchschnittlich sehr gering: ich kann 
nach Messungen an Andamanesen-Schädeln, welche ich der Güte der 
Herren Macnamara und Man verdanke, mittheilen, dafs dieselben bis 
an, ja noch unter das Maafs von Nannocephalie heruntergehen, welches die 
Weddas und die Kurumbas darbieten. Einer meiner Schädel hat eine 
Capacität von nur 940 Cub.-Cm; ein anderer zeigt 970, ein dritter 
1050 Cub.-Cm. 

So ähnlich diese Zahlen denen der Weddas sind, so grols ist die 
Differenz, welche die Schädelform darbietet. Die Andamanesen sowohl, 
wie die Negritos überhaupt, sind wesentlich brachycephal, und schon dieser 
eine Umstand unterscheidet sie definitiv von allen ceylonesischen Rassen. 
Nimmt man dazu, dafs ihr Haar in Spiralrollen wächst und sich dem 
Wollhaar der eigentlichen Neger anreiht, so fällt jede Möglichkeit einer 
Vereinigung mit den Weddas fort, wenn man nicht annehmen will, 
worauf ich noch zurückkommen werde, dafs klimatische Einflüsse gerade 
das Haar stark beeinflulst haben. Indefs dürfte auch die Hautfarbe 
erhebliche Unterschiede darbieten, da sie von den meisten Bericht- 
erstattern als rein schwarz bei den Andamanesen, dagegen von vielen 
Beobachtern als heller bei den Weddas, ja von dem sehr zuverlässigen 
Davy sogar als der der Sinhalesen ähnlich (S. 40) geschildert wird. 

Noch viel weniger Analogie besteht zwischen Weddas und Austra- 
liern. Könnte man allenfalls hervorheben, dafs das Kopfhaar, vielleicht 
auch das Barthaar der Australier ähnlich beschaffen ıst, wie das der 
Weddas, so lehrt doch ein Blick auf die Schädel und noch mehr auf die 
Skelette der Australier, dafs hier grofse und unverkennbare Gegensätze 
bestehen. Trotzdem hat noch neuerlich Hr. Topinard!) die australische 
Verwandtschaft sowohl der Weddas, als der Bhils, Gonds, Khonds, 
Mundas, Kurumbas u. s. w. sehr bestimmt betont. Ich darf auch in dieser 
Beziehung auf die in ausreichender Zahl beigebrachten Gegengründe seines 
Landsmannes, des Hrn. ÖOallamand?) verweisen. 


!) Paul Topinard. L’anthropologie. Paris 1577, p. 521. 
2) Callamand |. c. p. 624, 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 129 


Ungleich eomplieirter ist die Frage, ob nicht etwa malayische 
Elemente in die Urbevölkerung Ceylons eingetreten sind, wie man aus 
den Schiffseinrichtungen (S. 32) nicht ohne einen .materiellen Grund ge- 
schlossen hat. Der Umstand, dafs die Malayen ihre -Besiedelungen noch 
viel weiter, z. B. bis Madagascar ausgedehnt haben, lest den Gedanken 
nahe, dafs sie auf Ceylon eine Art von Zwischenstation gegründet haben 
könnten. Indefs sind naheliegende physische Merkmale für eine solche 
Verwandtschaft nicht vorhanden, und ich möchte daher um so weniger 
auf eine weitere Besprechung dieser Möglichkeit eingehen, als der vielfach 
vermuthete Zusammenhang der Malayen mit altindischen Bevölkerungen 
ohnehin eine derartige Untersuchung in schwerster Weise belastet. Die 
einzige neuere Angabe über eine physische Aehnlichkeit zwischen Sinhalesen 
und Malayen, welche ich finde, ist von einem amerikanischen Missionar 
in China, Mr. Williams!), der bei den ersteren a Malay expression of 
countenance bemerkt zu haben glaubte. 

Thatsächlich werden wir durch die voraufgehenden Erörterungen 
als nachgewiesen ansehen dürfen: 

1) dafs zwischen Weddas und Sinhalesen vielfache Aehnlichkeiten 
bestehen, und dals die Entstehung der sinhalesischen Rasse aus 
einem Gemisch von Weddas und indischen Einwanderern sowohl 
aus historischen, als auch aus anthropologischen Gründen die 
Wahrscheinlichkeit für sich hat; 

2) dafs sowohl die Weddas, als die Sinhalesen sich in Hauptstücken 
sowohl von den Tamilen Ceylons, als von denen von Tanjore 
(Chöla) unterscheiden; 

3) dals dagegen unter den Resten der älteren dravidischen oder viel- 
leicht schon vordravidischen Stämme Vorderindiens sich noch jetzt 
Analogien mit den Weddas nachweisen lassen. 


1) United States Exploring Expedition during the years 1855 —42. Vol. IX. 
Pickering. The races of man. Philadelphia 1545. p.- 136. 
Phys. Kl. 1851. Abh. 1. 17 


130 VırcHmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Sind nun die Weddas in dem Zustande dieser altdravidischen oder 
vordravidischen Bevölkerung stehen geblieben? oder sind sie in ihrer 
Isolirung in einen Zustand niederer Art versunken, als derjenige war, den 
sie ursprünglich einnahmen? Mit anderen Worten, sind sie ethnologisch 
zu verwerthen, um das Bild dieser uralten Periode neu auszumalen, 
oder nicht? 

An früheren Stellen (S. 15, 28, 99) habe ich dargelegt, warum es 
nicht anzunehmen ist, dals die Weddas jemals in einem Zustande höherer 
Civilisation sich befunden haben. Wollte man trotz der, wie mir scheint, 
zwingenden Gründe, welche zu dieser Auffassung führen, doch annehmen, 
sie seien vermöge ihrer ungünstigen äulseren Lebensverhältnisse nach und 
nach körperlich herabgekommen, und der niedere, geistige Zustand, in 
dem sie sich jetzt befinden, sei die Folge der verschlechterten körper- 
lichen Einrichtung, so müfste man sich vorstellen, sie seien ein patho- 
logischer Stamm. Die Kleinheit und Zartheit ihres Knochenbaues, 
vor Allem die geringe Gröfse ihres Schädels und die daraus abzuleitende 
Kleinheit ihres Gehirns könnte in der That die Hypothese nahe legen, 
sie seien eine Art von Öretinen oder Mikrocephalen. 

Unzweifelhaft mufs das Gehirn der Weddas sehr klein sein. Eine 
direkte Bestimmung desselben besitzen wir nicht, und eine Berechnung 
ist sehr unsicher. Hr. v. Bischoff!) hat die Ungenauigkeit der vor- 
geschlagenen Methode, das Hirngewicht nachträglich aus dem Maafs der 
Schädeleapacität zu berechnen, ausführlich nachgewiesen. Indefs kann man 
der Methode einen wenigstens approximativen Werth beilegen, und ich will 
nachstehend einige solche Berechnungen aufstellen. Die erste ist nach 
der Methode des Hrn. Barnard Davis, der für die Hirnhäute, Gefälse 
u.s. w. 15 pCt. von der Zahl für die Schädelcapaeität m Abzug bringt 
und den Rest als Hirngewicht anspricht. Die zweite ist nach den Be- 
stimmungen des Hrn. v. Bischoff, welcher ermittelte, dafs die Capaeität 
des trockenen Schädels bei Männern um 11,9, bei Weibern um 8,8 pCt. 
Cubikcentimeter grölser sei, als das Gewicht des Gehirns an Grammen 
betrage. Darnach wäre das Hirngewicht der Weddas 


1) Theodor L. W. v. Bischoff. Das Hirngewicht des Menschen. München 1880. S. 66. 


Te een a EEE 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 131 


nach der Methode von Davis: nach den Bestimmungen von Bischoff: 
bei Männern 1136 Gramm 1177 Gramm, 
„ Weibern 1021 " 1105 R 
im Mittel 1072 Gramm, 
bei No. 679 Flower 816 kn 875 Gramm. 


Diese Zahlen, so ungenau sie auch sein mögen, bezeichnen doch 
einen höchst auffälligen Gegensatz gegen die Gehirnverhältnisse der Cultur- 
Rassen, ja die Zahlen für das nannocephale Mädchen sind so klein, dafs 
man allen Grund hat zu fragen, ob dies noch physiologische Verhältnisse 
seien. Nimmt man dazu die scheinbar so geringe Befähigung der Weddas 
zu geistiger Entwickelung, die fast vollständige Abwesenheit aller idealen 
Richtungen des Denkens, die Unfähigkeit zum Zählen und noch mehr 
zum Rechnen, den Mangel des Farbensinns, so liegt die Frage scheinbar 
nahe, ob dies nicht schon Mikrocephalie im pathologischen Sinne sei. 
Wir können diese Frage bestimmt verneinen: so wenig der kleine Wedda- 
Schädel ein Mikrocephalen-Schädel im technischen Sinne dieses Wortes 
ist, so wenig entspricht das geistige Wesen der Weddas dem geistigen 
Zustande der Mikrocephalen. Die Individualität der Weddas ist auch in 
psychischer Beziehung bis zur völligen Selbständigkeit entwickelt. Soweit 
ihre Bedürfnisse es erfordern, haben sie ihre Fähigkeiten ausgebildet und 
sind sie im Stande, den ererbten Gewohnheiten gemäls für sich selbst 
und die Ihrigen zu sorgen. Sie gründen ihren Familienstand, sie wahren 
ihr freilich sehr unbestimmt begrenztes Eigenthum, sie schaffen sich, zum 
Theil mit grofser Anstrengung und Schlauheit, die nöthige Nahrung, sie 
verkehren selbst, soweit sie es nicht umgehen können, mit Nachbarn und 
Fremden nach Art freier und sich selbst bestimmender Menschen. Genug, 
sie unterscheiden sich in allen Hauptstücken von wahren Mikrocephalen. 

Hr. Bailey!) bezeugt ausdrücklich, dafs Wahnsinn und Blödsinn 
(madness and idiocy) unter den Weddas selten sind, namentlich der letztere. 
Sie hätten allerdings die Meinung, dafs, wenn einer den andern verfluche, 
der Verfluchte wahnsinnig werde, — eine Meinung, die auch unter den 
Sinhalesen herrsche, welche die Verfluchung als Kata waha (bösen Mund 


132 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


oder Gift des Mundes) bezeichneten. Aber Wahnsinn sei durchaus nicht 
gewöhnlich. Dies Zeugnils ist doppelt bemerkenswerth, da Hr. Bailey 
den Gedanken erörtert, dafs möglicherweise in Folge der Heirathen unter 
Blutsverwandten aufser krüppelhaftem Wuchs Geisteskrankheiten, Idiotie 
und Epilepsie auftreten könnten. Aber er findet davon nichts und er 
begnüst sich daher, den Mangel an zahlreicher Nachkommenschaft und 
das Hinsterben der Rasse auf die genannte Ursache zu beziehen, — eine 
Erklärung, welche mit Rücksicht auf die zahlreichen ungünstigen Lebens- 
verhältnisse des Stammes, wenigstens in ihrer Allgemeinheit, beanstandet 
werden könnte. 

Wahre Mikrocephalie im pathologischen Sinne kommt auch unter 
indischen Stämmen vor. Eines der merkwürdigsten Beispiele, welches 
man kennt, wurde der Berliner anthropologischen Gesellschaft von Dr. 
J. Wilson!) mitgetheilt. Es betrifft eine „Sekte“ von Fakirs, welche 
den Dienst im Tempel Shadowla bei Gujrat im Punjab verrichten, und 
welche zu den Sonni-Mahomedanern gehören. Man nennt sie ihrer 
abnormen Köpfe wegen Chuas oder Chuhas (Ratten sc.-köpfe). Von einem 
derselben hat Hr. Wilson einige Maaflse mitgetheilt, deren Ausführung 
nicht ganz zweifelsfrei angegeben ist, die aber doch auf alle Fälle sehr 
viel kleinere Verhältnisse anzeigen, als sie bei Weddas vorkommen. Nach 
ihm beträgt bei einem männlichen Chua 

der Diagonalumfang des Kopfes (gemessen 

über Kinn und Hinterkopf vor den O&tren) 19 Zoll = 482 mm, 

der Horizontalumfang (über Hinterkopf, 


Öhren und Stirnhöhlen) 17. ehe 
der Vertikalumfang (quer von einem Ohr- 
loch zum andern) Su eat 


Vergleicht man diese Zahlen mit denen der Weddas (S. 51 


55), SO 
wird der Unterschied sofort deutlich. Bei dem Chua beträgt der Diagonal- 
umfang weniger, als der Horizontalumfang bei dem Wedda-Schädel No. 1, 
obwohl letzterer nicht „über die Stirnhöhlen“, sondern oberhalb derselben 
und natürlich ohne bedeckende Weichtheile gemessen ist. Obwohl Dr. 


1) Zeitschrift für Ethnologie 1879. Bd. XI. Verhandl. der anthropologischen 
Gesellschaft. S. 237. — 1880. Bd. XII. Verhandl. S. 12. 


nn EEE En a a 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 133 


Johnston die Impotenz dieser Leute behauptet, so hat sich die Sekte 
doch seit dem 16. Jahrhundert in beiden Geschlechtern fortgepflanzt, und 
zwar zum Theil so stark, dafs ihre Zahl in der zweiten Hälfte des 
17. Jahrhundert hundert Köpfe erreichte. Der Tempel wird heimlich von 
Weibern besucht, welche ihrer Unfruchtbarkeit wegen eine Nacht darin 
zubringen und ihre Erstgebornen im Voraus dem Tempeldienst weihen; 
Morgens „finden sie einen Chua an ihrer Seite, was die Conception be- 
günstigen und Chuas erzeugen soll.“ Es wird wohl gestattet sein, eine 
andere Interpretation zu machen und eine direkte Vererbung anzunehmen, 
wobei weniger impotente Individuen, als Dr. Johnston sah, mitwirken; 
auf alle Fälle illustrirt dieses Beispiel sehr gut den Unterschied von 
Mikrocephalie und Nannocephalie. 

Es darf daher ohne Anstand angenommen werden, dafs ein eigent- 
lich krankhaftes Verhältnis, das an sich ja recht wohl erblich sein 
könnte, die mangelhafte körperliche und geistige Entwickelung der Weddas 
nicht bedingt, dafs dieselbe vielmehr als eine Rasseneigenthümlichkeit 
aufzufassen ist. Damit soll in keiner Weise ausgeschlossen werden, dafs 
günstige äulsere Umstände, namentlich der Ernährung, eine bessere Ent- 
wiekelung nach sich ziehen mögen, so dafs der Körperbau gröfser und 
kräftiger, Schädel- und Hirnbildung vollständiger werden. In der That 
kommen bei den Weddas solche Fälle vor, wie durch die früher (S. 42, 50) 
aufgeführten Beispiele bewiesen wird. Ein Mann von 1638 mm Höhe 
geht weit über das Mittel hinaus, und wenn man den einen Schädel aus 
der Sammlung Davis (S. 50), der eine Capacität von 1614 Qub.-Cm. be- 
sitzt, auch als eine Art von Abnormität betrachten könnte, so ist doch 
auch der andere aus der Sammlung des College of surgeons mit 1420 
Cub.-Cm, seine Aechtheit vorausgesetzt, ein ganz beachtenswerthes Stück. 

Man könnte daraus folgern, dafs die Sinhalesen eivilisirte Weddas 
seien, welche nur ihrem besseren Leben die Vorzüge ihrer physischen 
Entwickelung verdanken. Die Insel Ceylon steht seit alter Zeit in dem 
Rufe, sehr günstige Bedingungen für das Leben der Menschen darzubieten, 
und sich durch die Langlebigkeit ihrer Bewohner auszuzeichnen. In 
Taprobanem, heifst es bei Palladius!), ubi gens est Macrobiorum, namque 


1) Palladius 1. c. p. 3. ef. Plinius. Nat. historia. Lib. VI. c. 24. Vitam 
hominum centum annis modicam. 


134 Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon 


eximia coeli temperie ... ad aetatem 150 annorum senes durant. Der 
heilige Ambrosius übersetzt die margeßıcı sogar durch Beati. Indefs 
Klima und äufsere Verhältnisse kommen auch den Weddas zu Gute, und 
wenn sie sich in den besonderen Bedingungen des Lebens einigermaafsen 
den Rodiyas nähern, so ist doch schon erwähnt (8. 27), dafs letztere 
nirgend in eine ähnliche physische Degradation gerathen sind, wie die 
Weddas. Niemand wird aber in Abrede stellen, dafs beide bei guter 
Pflege zu ungleich besseren Zuständen der körperlichen Entwickelung 
gelangen würden !). 

Trotz dieser Möglichkeit einer vollkommeneren Entwickelung 
ist doch thatsächlich der Weddastamm, wie in alten Zeiten, ein 
kleinwüchsiger, ja man kann ihn unbedenklich zu den kleinsten der 
lebenden Menschenstämme zählen und in diesem, nicht gerade strengen 
Sinne einen Zwergstamm nennen. Weiter spricht dafür, dafs derartige 
Stämme in Indien weithin verbreitet waren. Auf die Naya-Kurumbas 
habe ich schon hingewiesen (S. 121). Aber auch sonst sind Leute von 
kleiner Statur und kleinen Köpfen keine Seltenheit. Schon die Sinhalesen 
und die Tamilen von Ceylon haben uns Beispiele dafür dargeboten. Hr. 
v. Bischoff?) erwähnt das Hirn eines Indiers aus Bukkur von 1660 mm 
Höhe, welches nur 973 Gramm wog; er eitirt gleichzeitig eine Beobach- 
tung von Peacock, der bei einem Eingebornen gemischten Ursprungs 
von Bombay ein Gehirn von 1006 Gramm fand, während freilich 
Clapham das Hirngewicht eines Bengalesen zu 1531 Gramm bestimmte. 
In der Sammlung der Berliner anthropologischen Gesellschaft ist der 
Schädel eines Poleyar mit nur 1040 Cub.-Om Capacität; der eines jungen 
Vorderindiers aus der Kaste der Oelhändler hat 1150, der seiner Mutter 
1100 Cub.-Cm. Von den Schädeln von Tanjore, die ich erwähnte (S. 120), 
hat der eine 1200, der andere 1255 Cub.-Cm. 

Die Nannocephalie der Weddas, so wenig sie pathologisch ist, 
zwingt uns also in keiner Weise, behufs Aufsuchung von Analogien über 
das Gebiet der indischen Ethnologie hinauszugehen. Möglicherweise war 


1) Davy (l. e. p. 107) berichtet, dafs unter den Sinhalesen mehr Männer, als 
Weiber seien; in den Fischerorten, wo die Ernährung eine bessere sei, finde dagegen, 
wie in Europa, das Umgekehrte statt. 

2) v. Bischoff a. a. ©. S. 83. 


Te N. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 135 


Indien in ältester Zeit von einer verwandten Urbevölkerung bewohnt. 
Aber so wenig man aus solchen, mehr oder weniger zwerghaften Abori- 
ginern durch progressive Entwickelung die heutigen Hindus hervorgehen 
lassen wird, so wenig würde eine derartige Erklärung auf das Verhältnifs 
der Weddas zu den Sinhalesen passen. Wie sie nicht durch regressive 
Degeneration aus Sinhalesen hervorgegangen sind, so haben sie sich 
sicherlich nicht durch einfach progressive Evolution zu Sinhalesen umge- 
staltet. Gegen einen solchen einfachen Zusammenhang sprechen nament- 
lich die Unterschiede im Gesichtsbau, welche alle Beobachter gleichmälsig 
bezeugen. 

Gerade der Gesichtsbau ist es, welcher schon die älteren Reisenden 
veranlafste, die Sinhalesen mit den Europäern zusammenzustellen. Schon 
Knox, wie ich erwähnte (S. 97), war der Meinung, dafs kein Volk in 
der Welt so genau den Sinhalesen gleiche, als das Volk von Europa. 
Cordiner spricht sich eben so bestimmt aus (S. 64), indem er ausdrück- 
lich auf die Züge (features), also auf das Gesicht verweist. Wenn ein 
so feiner Beobachter, wie John Davy, statt dessen sagte (S. 97), die 
Sinhalesen seien ganz und gar Indier, so kann mit allen diesen Bezeich- 
nungen doch nur der gemeinsame arische Charakter der Gesichts- 
bildung bezeichnet sein. Bei Davy ist dies um so weniger zweifelhaft, 
als er ausdrücklich die „asiatische“ Form des sinhalesischen Schädels 
(d.h. der Schädelkapsel) hervorhob. Wenn gerade umgekehrt fast alle 
Beobachter dem Wedda-Gesicht einen fremdartigen, am häufigsten einen 
dravidischen Typus zuschreiben, so erhellt, dafs die genealogische Unter- 
suchung gerade das Gesicht zu einem Hauptgegenstande der Betrachtung 
machen mufs. Gehen wir nun auf die historischen Angaben zurück, so 
wird wohl kein Zweifel darüber sein können, dafs das sinhalesische 
Gesicht aus arischem Gebiet des indischen Continents einge- 
führt ist. Sowohl das Ramayana, als die Wijayo-Sage bieten dafür 
unmittelbare Anknüpfungen. Indefs bringt die letztere zugleich eine ernste 
Warnung, nieht zu einseitig in dieser Auffassung zu sein, denn sie spricht 
sofort auch von einem Import tamilischer Weiber von Mabar, welche dem 
König Wijayo selbst und seinen Begleitern verheirathet wurden. 

Ist meine Auffassung richtig, sind die Weddas eine einfache, 
die Sinhalesen eine gemischte Rasse, so können wir die Frage 


136 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon 


aufser Betracht lassen, inwieweit die ceylonesischen Medien, namentlich 
Klima, Boden und Nahrung, bestimmend auf die Körperbildung eingewirkt 
haben. Nur einige Thatsachen möchte ich kurz berühren, deren Kenntnifs 
nicht ohne Bedeutung für diese Frage ist. Schon in der alten Schrift, 
welche dem Palladius zugeschrieben wird, heifst es von den Schafen auf 
Taprobane: Oves illis erinitae omnesque absque lana, lae suppeditant 
ubertim, latis caudis conspiciendae (rAarsias E&yovra cüpas). Sir Tennent!) 
hat anderthalb Jahrtausende später dieselbe Beobachtung in Jaffna ge- 
macht: die dortigen Schafe hatten statt der Wolle langes Haar, wie 
Ziegen. Ein ähnlicher Einflufs des Klimas auf die Behaarung des Schafes 
ist auch von anderen Orten bezeugt?). Andererseits wird von den 
„eingebornen“ Katzen Ceylons behauptet, dafs sie ein „niederes“ Aussehen 
haben; sie seien klein, mit dicht anliegendem Haar, kleinem Kopf, zurück- 
tretender Stirn, aber grolsen und spitzen Ohren®). Jemand, der eine 
ähnliche Einwirkung des Klimas auf die Menschen annähme, könnte 
daraus schliefsen, dafs auch die Menschen, namentlich die am längsten 
die Insel bewohnenden Aboriginer, einer ähnlichen Veränderung unter- 
legen wären, dafs z. B. das Haar ursprünglich wollig, der Kopf und die 
Statur grölser u. s. w. gewesen seien. So könnte man Annäherungen an 
wollhaarige Schwarze, an Andamanesen und Negritos, an Melanesier und 
selbst an Afrikaner suchen. Ehe man so grofse Veränderungen zuläfst, 
müssen die Thatsachen sicher gestellt werden. Die Geschichte von den 
„eingebornen“ Katzen verdient an sich eine genauere Prüfung; vorläufig 
beruht sie auf einer ganz solitären Beobachtung eines Botanikers, des 
Mr. Thwaites. Die Metamorphose der Schafe dagegen scheint durch die 


1) Tennent l.e. II. p.531. The finest sheep in Ceylon are reared upon the 
dry plains which overlie the limestone and coral rock, on the northern and western 
coasts. These sheep, instead of being conted with wool, are covered with long hair, 
resembling that of goats, and the horny callosities that defend their knees, and which 
arise from their habit of kneeling down to crop the short herbage, serve to distinguish 
the Jaffna flocks from those of the other portions of the island. Dafs diese Schafe Fett- 
schwänze haben, finde ich nicht erwähnt. 

2) Charles Darwin. Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der 
Domestikation. Aus dem Englischen von V. Carus. Stuttg. 1868. Bd. I. S. 122. 
Bad. II. S. 369. 

3) Ebendas. Bd.I. S. 57. 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 137 


Existenz zweier, zeitlich so weit auseinander liegender und ganz unabhän- 
giger Zeugnisse sicher gestellt, aber sie beschränkt sich nach den Mittheilun- 
gen des Sir Tennent auf ein verhältnifsmäfsig kleines Gebiet im äufsersten 
Norden. Es scheint mir daher, dafs man eine Anwendung dieser, aus 
der Geschichte der domestieirten Thiere hergenommenen Erfahrungen auf 
die Wilden Ceylons so lange beanstanden sollte, bis nicht aus bestimmten 
Thatsachen erwiesen wird, dafs die letzteren in älterer Zeit eine andere 
Beschaffenheit besessen haben. Der gegenwärtige Zustand der Behaarung 
entspricht offenbar der Haplotrichie des Palladius und mufs mindestens 
schon vor anderthalb Jahrtausenden vorhanden gewesen sein. 

Jedenfalls weist uns die thatsächliche Untersuchung zunächst nur 
auf die wilden oder halbwilden Stämme Indiens hin, um die Herkunft 
der Weddas genealogisch zu verfolgen. Ist diese einmal festgestellt, so 
wird für die Conjektural-Anthropologie noch Raum genug bleiben. Schon 
jetzt hat die Speculation sehr weite Grenzen angenommen. Hr. Hyde 
Clarke!) bringt die Kolarier und andere vorderindische Stämme mit den 
Negern Afrikas in Verbindung; Colonel Kincaid?) stellt die Bhils zu 
den Mongolen, und Hr. Keane?) streicht die Malayen ganz aus der Reihe 
der selbständigen Rassen und läfst Kaukasier in vorhistorischer Zeit nicht 
blofs nach Hinterindien, sondern sogar bis nach Polynesien vordringen. 
Es mag nützlich sein, dafs solche Fragen rechtzeitig gestellt werden, 
zumal in einer Zeit, wo das schnelle Verschwinden der wilden Rassen 
eine gewisse Hastigkeit in die Untersuchung bringt. Aber nachdem die 
Aufmerksamkeit durch die Fragestellung erregt ist, muls doch auch wieder 
daran gemahnt werden, dafs die Thatsachen in gröfserer Ausdehnung 
erhoben werden sollten, ehe man bestimmte Schlüsse zieht. Und so muls 
vor Allem die Forderung betont werden, dafs die Ethnologie Indiens mit 
aller Anstrengung in der gründlichsten Erforschung der Stämme der 
„schwarzen Haut“ ausgebaut werden mufs. Da ein Theil der Dasyu in 
die Sudras überging und somit in das Kastensystem der Hindus aufge- 


1) The Journal of the Anthropological Institute of Great Britain and Ireland. 
1878. Vol. VII. p. 49. 


2) Ebendaselbst 1880. Vol. IX. p. 406. 
3) Ebendaselbst 1380. Vol. IX. p. 258. 


Phys. Kl. 1881. Abh.]l. 18 


138 Vırcnow: Ueber die Weddas von Ceylon 


nommen wurde, wie die Weddas in das der Sinhalesen, so ist es nicht 
einmal möglich, die physische Anthropologie der Hindus und der Sinhalesen 
zum Abschlufs zu bringen, ehe man nicht die offenbar sehr zusammen- 
gesetzte Gruppe der Dasyu in ihre einzelnen Glieder aufgelöst hat. Ein 
solches Glied sind offenbar auch die Weddas; ihre natürliche Isolirung 
auf einer Insel hat ihnen vielleicht mehr, als den verwandten Festland- 
stämmen, ihren besonderen Charakter bewahrt und sie zu einem Probe- 
objekt für die Zulässigkeit der Theorien über die Abstammung der 
Schwarzen Indiens gemacht. Möge daher der Eifer der Beobachter nicht 
erlahmen, damit noch vor dem völlıgen Erlöschen des schon stark ge- 
lichteten Stammes Sprache und Sitte, leibliches und geistiges Wesen der 
Weddas in allen Einzelheiten festgestellt werde! 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 159 
Maafs-Tabellen. 
I. Schädel- und Gesichtsmaalse. 
Weddas Sinhalesen Tamilen 
I | 1 em 
ol es 5. aa LE No I RER 
Zar ö ö 8 2 ö Sur 
Capacität Cub.-Cm 1250 |1025 1360 | 1110 |1200 1250 | 1155 | 1260 | 1200 
Grölste Länge Mm| 177 165 185 178 a 175 179 | 170 
5 Breite „ | 125,5 | 133 135 127 127 132 126 134 | 128 
ps*) ps: pi. pi. p- Pp- P- 
Senkrechte Höhe „216129 121 137 129 | 132,5 | 133 139 132 | 137,5 
Ohrhöhe =; 107 104 120 113 106 116 116 113 | 117 
Horizontalumfang „ | 485 465 508 482 | 493 472 477 490 | 473 
Querer Verticalumfang »„ | 283 | 286 300 298 | 293 305 305 308 | 305 
Sagittalumfang des Stirnbeins „ | 120 115 134 119 | 124 121 117 134 | 130 
Länge der Pfeilnaht sa L1o 108 140 125 | 130 125 132 120 | 122 
Sagittalumfang der Hinter- 
hauptsschuppe A 109 114 110 | 111 103 110 97 | 100 
Ganzer Sagittalbogen „| 345 332 388 354 | 365 | 349 359 351 | 352 
Stirnbreite (untere) 5 95 91 93 933 92 88 88 | 92 88 
Temporal-Durchmesser „| 107,5 | 110 117 93 | 1083 102 108 115 | 104 
Parietal- 3 (Tubera) „ | 119 | 123 120 122 | 116 123 115 | 120 | 122 
Oceipital- R „| 102 | 100 99 | 103 | 101,5| 103 | 101 | 103 | 95 
Mastoideal- - (Spitze) „ 96 94 103 96 98 93 105 95 93 
3 N (Basis) „ | 110. | 111,5) 122. | 115 | 115 | 111 | 120 | 119 | 112 
Auricular- 5 „ | 100 108 108 97 | 103 95 106 115 | 106 
Horizontale Länge des Hinter- | 
haupts " 50 46 60? 53 54 52 48 42 46 
Entfernung der Nasenwurzel 
vom For. magn. n 92 91 90 99 97 92 100 97 95 
Entfernung der Nasenwurzel | 
vom Öhrloch = 96 94,5 99 102 | 101 95 101 104 | 99 
Entfernung des Nasenstachels 
vom For. magn. 3 81 — = 36 36 83 al 87 38 
Entfernung des Nasenstachels v 
vom Öhrloch RE 95 —_ —_ 105 101 93 102 103 | 101 
Entfernung des Alveolarrandes 
vom For. magn. : 36 _ — 105 32(!) 83 90 92 93 
Entfernung des Alveolarrandes 
vom Öhrloch u 100 _ —_ 100 101(!) 96 107 111 | 107 
Entfern. d. Kinns v. For. magn. „ 92,5 — _ _ —_ — — —_ _ 
R 5, Ohrloch: wall! _ _ —_ — — — _ — 


*) Das Zeichen p bedeutet, dafs die grölste Breite am Parietale, ps, dals sie an den Tubera 
(oben), pi, dals sie an den unteren Theilen ermittelt wurde. 


18* 


140 Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon 


Weddas Sinhalesen Tamilen 
nn. To ———— 
ul 4. d. 18 2. | 23. 1. 2. | 8. 
Q Q ö ö a BR; SE 
Gesichtshöhe A (Nasenwurzel | 
bis Kinn) Mm| 1015| — — — — | 0 == ze = 
Gesichtshöhe B (Nasenwurzel | 
bis Alveolarrand) aan Ta | Summe GE. | 63 
Gesichtsbreite A (jugal) 1 _ 112 120 107 120 _ 118 
4 B (Sut. zyg. max.) „ 87 _ —_ 97,5 \ 87 83 90 _ 101 
Orbita, Höhe lasse — 30 34 30 32 35 32 
» Breite „ 39 11 — — 39 41 36 38 42 37 
Nase, Höhe 5 48 — — 45 öl 36 45 45 47 
„ Breite (Apertur) sb 24 Eu ı 96 23,5 | 20 22 23 25 
Gaumen, Länge x 48 — —_ 53 45(!) 38 49 48()| 49 
R Breite N 36 E= —_ 40 33(l) | 33 36 | 36()| 43 
Kieferwinkel-Distanz & 85 — — = —_ — = — 
Kiefergelenk-Distanz = _ — —_ 85 87 81 30 92 39 
Gesichtswinkel Grade 82 —_ —_— 75 75 76 76 76 75 
II. Berechnete Indices. 
Weddas Sinhalesen Tamilen 
—— | ,——— | -—— _—— 
1. 4. 5. 1. 2. 23. 1% 2. 3. 
Längenbreiten-Index 70,9| 80,6 | 73,0 71,3|  720,2| 76,7 72,0 | 74,8 75,3 
Längenhöhen „ 72,9| 73,3. 74,1 72,51 7392| 7273| 794| 73,7.| 80,9 
Breitenhöhen „ 103,5 | 90,9 | 101,4| 101,5 | 104,3 | 100,7| 110,3. | 98,5 | 107,4 
Auricular f 60,4) 63,0 | 64,9| 63,5) 58,5| 67,4| e6,3| 63,1 | 68,8 
Mittelgesichts „ 50,0 — —_ 52,6 —_ 47,6 51,61 — 53,4 
Orbital f 3 _ 16,9| 82,9| 83,3| 84,4| 83,3.| 86,4 
Nasen a 50,01 — —_ 97,7| 46,0) 55,5|. 48,58 | 51,1 59,1 
Gaumen e 19,0) F — — 75,4| — 86,5] 90,0) — 87,7 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 141 


Erklärung der Tafeln. 


Taf. I. Schädel eines Wedda-Weibes, aus dem Museum von Colombo auf Ceylon (S. 46). 
Taf. II. Schädel eines Sinhalesen (S. 68). 
Taf. III. Schädel eines Tamilen von Ceylon (S. 87). 
Sämmtliche Ansichten sind von Hrn. E. Eyrich nach der geometrischen 
Methode aufgenommen und auf ein Drittheil der natürlichen Gröfse reducirt 


worden. 


142 VırcHow: Üeber die Weddas von Ceylon 


Inhalts-Verzeichnils. 


Das Wedda-Land 
Zahl der Weddas: wilde und Bane 
Dämonendienst, Ahnencultus 
Urbevölkerung von Ceylon (Yakkohs) . 
Ethnologische Beschreibung der Weddas . 
Psychologische Eigenschaften der Weddas 
Kastenwesen auf Ceylon 
Dodda Weddas, Rodiyas 
Tamilische Einwanderung (Malabaren) 
Araber (Moors, Moormen) . 
Malayen und neuere Einwanderer 
Sinhalesen 
Linguistisches : 
Abstammung der Weddas E 
Physische Anthropologie der Weddas 
Körpergrölse 
Hautfarbe, Haar 
Augen, Nase, Gesicht 
Schädel 
Physische Anthropologie der Seanaleren 
Schädel © > 
Physische Anthropologie der Tamilen e 
Schädel : 5 
Physische Anthropologie en Mausnen 
Physische Anthropologie der Malayen . 
Verhältnifs der Stämme zu einander 


Die Frage der chinesischen Abstammung . 


Weddas und Sinhalesen . 

Weddas und Tamilen 
Dravidas von Tanjore Ci) 
Kurumbas 
Vedars, Asurs 


Dasyu, Protodravidier al Prnedrayidier 


Weddas und Negritos 
Andamanesen . 


Seite 


ei: 


94 


110 
120 
121 
123 
124 
125 
127 


und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 


Weddas und Australier . 
Weddas und Malayen 
Mikrocephalie und Nannocephalie 
Variabilität der Rassencharactere 


Die Weddas als ein Glied der „schwarzen Haut“ Indiens . 


Maals-Tabellen 
Erklärung der Tafeln 


145 
Seite 128 
31.129 
= 
156 
eh! 
139 
141 


Abk.d. Berlin. Akad. Physik: Kl. 1881. 


Le) = 
DAR. 


Virchow: Weddas. 


Albor Sch rar SR 


Tafı £ 


Abh.d Berlin. Akad. Physik. Kl. 1881. 


Om Omuchr- em 
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Virchom: Weddas. 


7 
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Tapı I. 


Abh.d. Berlin. Akad. Physik. Kl. 1881. Virckoro: Weddas. Tapı II. 


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Om Bryrich IL. Allıır Schinze Sich. Onst. Dreh 
G 4 


PHILOSOPHISCHE UND HISTORISCHE 


ABHANDLUNGEN 


DER 
KÖNIGLICHEN 


AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 
| ZU BERLIN. 


AUS DEM JAHRE 
1881. 


BERLIN. 
VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. 


1882. 


BUCHDRUCKEREI DER KÖNIGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN (G. VOGT). 


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Inhalt. 


VAHLEN: Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid 

Waırz: Ueber eine alte Genealogie der Welfen 

ZELLER: Ueber die Messung psychischer Vorgänge . 

Boun: Der Tempel der Athena Polias zu Pergamon 

Scnuorrt: Ueber die sprache des volkes Röng oder Leptscha in Sikkim 
ScHRADER: Die Sargonsstele des Berliner Museums . 

Currıus: Die Altäre von Olympia 


.1—40. 
1—15. 
1— 16. 
1—12. 
1— 15. 
1—36. 
1— 43. 


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| 177 


Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 


Von 


H” VAHLEN. 


Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. I. 1 


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Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 7. März 1881. 


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Os: Erstlinge, die Briefe der Heroiden, sind von der Kritik 
gewaltig geschüttelt und gerüttelt worden, und noch kaum hat sich die 
Meinung der Gelehrten gesetzt und ist über das was dem Dichter gehört 
oder ihm abzusprechen ist einigermafsen Einigung erzielt worden. Viel 
hat in diesen Untersuchungen Vorurtheil und Befangenheit in modernem 
und subjectivem Geschmack geschadet, nicht minder, dafs die Untersu- 
chung nicht da angehoben, wo sie nothwendig anheben mulste, die Be- 
schaffenheit der Ueberlieferung einer eindringenden und allseitigen Prüfung 
zu unterziehen. Wenn Herausgeber an ein, zwei alte Handschriften sich 
anschlielsen und einzelne Versreihen und umfangreiche Stücke, die einst 
in den Texten standen, weil sie in jenen fehlen, beseitigen, so haben sie 
zwar eine gewisse Sicherheit des Verfahrens für sich, lassen aber den For- 
scher unbefriedigt, der Auskunft verlangt über die eigenartige Natur dieser 
Ueberlieferung. Diese Seite der Untersuchung hat unlängst Hr. Heinr. 
Stef. Sedlmayer mit Eifer in Angriff genommen, hat sie aber noch nicht 
zu Ende geführt und seine Ermittelungen in einem kritischen Apparate 
ausgelegt!). Auch die Frage, welche ich zum Gegenstande dieser Be- 


!) Prolegomena eritica ad Heroides Ovidianas. Serips. Henr. Steph. Sedlmayer. 
Vindobonae MDCCCLXXVII. Hinzugekommen ist neuerdings (mir erst nach Abschlufs 
meiner Untersuchung, im December 1880, zu Gesicht gekommen) von demselben Hrn. 
Verf. "Kritischer Commentar zu Ovids Heroiden. Wien 1881’; daher ich hierauf im Text 
nur hier und da nachträglich Bezug genommen habe, mehr in einem angehängten Exeurs. 


1% 


4 VSHmEN: 


trachtung gemacht habe, wird von der Unsicherheit der Ueberlieferung 
berührt, und ich würde sie nicht vorgelegt haben, wenn ich nicht über- 
zeugt wäre, dafs der Hauptpunkt auch so sich erledigen lasse und das 
Resultat, zu dem ich gelangt bin, in seinem negativen Theile Bestand 
haben könne, wie immer die Entscheidung über die Ueberlieferung schliefs- 
lich ausfallen möge. 


1. Her. VI. Dido an Aeneas, beginnt mit den Worten 
Sie ubi fata vocant udis abiectus in herbis 
Ad vada Maeandri coneinit albus olor. 
Nec quia te nostra sperem prece posse moveri 
Adloquor (adverso movimus ista deo) 
Sed merita et famam corpusque animumque pudieum 
Cum male perdiderim, perdere verba leve est. 
Der Brief hebt mit einem Vergleich an, läfst aber das, dem er dienen 
sollte, errathen. Lateinische Dichter haben eine doppelte Weise ein Gleich- 
nils einzuführen. Ovid z. B. wenn er den Schwanengesang in folgender 
Form zur Vergleichung verwendet, Met. XIV 430 (von der Canens) 
Illie cum lacrimis ipso modulata dolore 
Verba sono tenui maerens fundebat, ut olım 
Carmina iam moriens canit exsequialia eyenus, 
und Fasti II 110 (vom Arion) 
Reddidit icta suos pollice chorda sonos, 
Flebilibus numeris veluti canentia dura 
Traieetus pinna tempora cantat olor, 
bedient sich beidemal der natürlichen und üblichen Anknüpfung. Wenn 
aber in Seneca’s Medea der Chor im Hymenäus von Jason’s neuer Braut 
singt, 
Haec cum femineo constitit in choro, 
Unius facies praenitet omnibus. 
95 Sie cum sole perit sidereus decor 
Et densi latitant Pleiadum greges 
Cum Phoebe solidum lumine non suo 
Orbem eireuitis cornibus allıgat, 
Ostro sie niveus puniceo color 


or 


Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 


100 Perfusus rubuit, sie nitidum iubar 
Pastor luce nova roseidus aspicit !), 
so wird das Gleichnifs, das mit Ut cum sole angeknüpft werden konnte, 
durch Sie, selbstständig und abgelöst, dem Hauptsatz angeschlossen, wo- 
durch in der Form was Nebensache sein sollte, zur Hauptsache geworden 
ist. Von dieser Weise einen Vergleich einzuführen hat Ovid nicht selten 
Gebrauch gemacht, Met. VIII 191 (vom Dädalus) 
nam ponit in ordine pennas 
A minima coeptas, longam breviore sequente, 
Ut elivo crevisse putes. Sie rustica quondam 
Fistula disparibus paulatim surgit avenis. 
Fast. I 215 
At postquam Fortuna locı caput extulit huius 
Et tetigit summo vertice Roma deos, 
Creverunt et opes et opum furiosa cupido, 
Et cum possideant plurima plura petunt, 
Quaerere ut absumant, absumpta requirere certant, 
Atque ipsae vitiis sunt alimenta vices. 
Sie quibus intumuit suffusa venter ab unda, 
Quo plus sunt potae plus sitiuntur aquae; 
und besonders schön ausgeführt Metam. III 111 von den aus Kadmus 
Drachenzähnen hervorwachsenden Kriegern 
Inde, fide maius, glebae coepere moveri 
Primaque de suleis acies apparuit hastae, 
Tegmina mox capitum pieto nutantia cono, 
Mox umeri pectusque onerataque bracchia telis 
Existunt ereseitque seges clipeata virorum. 
Sie ubı tolluntur festis aulaea theatris 
Surgere signa solent primumque ostendere vultus, 


1) Hr. Leo hat vor V. 99 Ostro sic niveus das Zeichen einer Lücke gesetzt und 
folgende Ergänzung versucht Talem dum iwenis conspieit, en rubor Perfudit subito purpu- 
reas genas. Ich kann nicht einräumen, dafs damit der Gedanke des Dichters getroffen 
sei, der nur den Glanz der Braut schildert (vgl. Properz II 3, 10 ff.), und nicht zugeben, 
dals dem Vergleich Ostro sic niveus u. s. w. der an die Spitze gestellte Satz Haec ... 
praenitet omnibus nicht ebenso gut wie dem ersten Vergleich zur Unterlage dienen könnte. 


6 VAHLEN: 


Cetera paulatim placidoque educta tenore 
Tota patent imoque pedes in margine ponunt. 
Wer noch folgende Stellen, die ich nicht ausschreiben will, in Betracht 
zieht, kann sich leicht überzeugen, wie beliebt diese Weise der Verglei- 
chung dem Ovidius war und wie wirkungsvoll er sie anzuwenden weils, 
Met. I 200. III 568. XV 855. Und im Wesen nicht verschieden sind auch 
Met. IV 331. IX 46, mit welchem letzteren Beispiel man, um des Unter- 
schiedes inne zu werden, Virgil Aen. XII 715 zusammenstellen kann. 
Nicht anders ist der Eingang unseres Briefes gedacht; und wir 
fragen verwundert, warum der Dichter das was nothwendige Unterlage 
der Vergleichung sein mulfste, unausgedrückt gelassen habe. Denn in einer 
so unmotivirten Reticenz kann Niemand ein Zeichen besonderer Kunst oder 
Absicht erblicken wollen. Und ferner, wenn nichts vorherging als das 
Gleichnifs, gerathen wir von Neuem in Verlegenheit bei den folgenden 
Worten Nec quia te nostra sperem prece posse moveri Adloquor, die den 
Vergleich nicht fortsetzen und sonst nichts haben, woran sie angeschlossen 
werden könnten. Beides scheint vielmehr zu verlangen, dafs im Eingang 
des Briefes nicht blofs die Situation der Schreiberin bezeichnet sondern 
auch der Adressat genannt oder angeredet war. Und da wir keinen 
Grund haben, dies doppelte Ungeschick, dafs Sic wie Nec ohne Beziehung 
und Anknüpfung stehen, dem Dichter selbst zuzuschreiben, so schliefsen 
wir auf einen zufälligen Defect in der Ueberlieferung, durch welchen der 
Brief um ein Eingangsdistichon gekürzt worden. Der vollständige Ge- 
dankenausdruck kann etwa folgender gewesen sein: Vernimm, Aeneas, 
der sterbenden Dido letzten Gesang. So singt, wenn die Sterbestunde 
ruft, an den Ufern des Mäandros der Schwan. Und nicht weil ich Wir- 
kung erhoffe, rede ich dich an, sondern nachdem ich Ruf und Ehre ver- 
loren, ist Worte zu verlieren leicht. 
2. Her. XI. Canace an Macareus, fängt mit folgenden Versen an: 
Si qua tamen caecis errabunt scripta lituris, 
Oblitus a dominae caede libellus erit: 
Dextra tenet calamum, strietum tenet altera ferrum, 
Et iacet in gremio charta soluta meo. 
Haec est Aeolidos fratri sceribentis imago, 
Sie videor duro posse placere patri. 


Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 2 


Der neueste Herausgeber, Hr. Al. Riese, hat in dem ersten Distichon 
zwei Abänderungen der Ueberlieferung vorgenommen; er schreibt enabunt 
für errabunt und im zweiten Vers ac für a. Er ändert damit, nicht ohne 
Bewulstsein wie ich glaube, was an sich untadelig ist; denn errare 
heifst "unsicher, undeutlich sein’, welches ein bezeichnendes Wort in diesem 
Satze war, und oblitus a caede ist Ovidischer Redeweise vorzüglich ent- 
sprechend. Aber er bezweckte, wenn ich recht verstehe, durch seine 
Aenderungen der Partikelverbindung S? qua tamen eine Bedeutung abzu- 
gewinnen, welche sie für den Briefeingang passender machen könnte: 
Si qua tamen caecis enabunt seripta lituris 
Oblitus ac dominae caede libellus erit: 
“Wenn doch wenigstens etwas von dem Geschriebenen aus den Lituren 
herausschwimmen und der Brief mit der Schreiberin Blut befleckt sein 
wird, so wisse —. Dals s2? tamen diese Bedeutung haben kann, ist be- 
kannt und die Partikel steht so z. B. Fasti IV 19 5 qua tamen pars te 
de fastis tangere debet, Caesar, in Aprili quo tenearis habes. Aber eine 
befriedigende Gedankenform ist auch so nicht gewonnen; denn nicht “wenn 
nur Etwas lesbar ist’, sondern umgekehrt "wenn vielleicht Etwas unleser- 
lich ist” wäre ein in der hiesigen Situation zu erwartender Gedanke, und 
vollends erscheint die Anknüpfung des zweiten Vordersatzes durch ac an 
den ersten so unbeholfen, dafs man sie dem Ovid auch auf dem Stand- 
punkt, auf dem ihn die Briefe zeigen, nicht wohl zutrauen darf. Hrn. 
Riese’s Aenderungen erreichen also ihren Zweck nicht und ich würde 
ihnen Heinsius’ verwegenen Vorschlag Si qua latent caecis errantia seripta 
lituris vorziehen, wenn ich überall der Meinung wäre, dals dem berech- 
tigten Anstofs an diesem Eingang mit Wortänderungen begegnet werden 
könnte. Aeltere Interpreten haben die analoge Form nicht übersehen, 
in welcher bei Propertius Eleg. 4, 3 — auch ein Heroidenbrief — be- 
ginnt: 
Haec Arethusa suo mittit mandata Lycotae, 
Cum totiens absıs, si potes esse meus. 
Si qua tamen tibi lecturo pars oblita deerit, 
Haeec erit a lacrımis facta litura meis, 
Aut si qua incerto fallet te littera tractu. 
Signa meae dextrae iam morientis erunt. 


8 VAHLEN: 


In soleher Redeform hat tamen nicht einschränkende (doch wenigstens’) 
sondern anreihende Bedeutung (indessen’), verlangt aber auch so immer 
ein allgemeines, an das die Partikel anschliefsen kann, wie Ovid Met. XII 
468 Polyxena sagt — — 
Vos modo, ne Stygios adeam non libera Manes, 
Ite procul, si iusta peto, tactuque viriles 
Virgineo removete manus: acceptior ill, 
Quisquis is est, quem caede mea placare paratis, 
Liber erit sanguis. Si quos tamen ultima nostri 
Verba movent oris, Priami vos filia regis 
Non captiva rogat, genetriei corpus inemptum 
Reddite. 
‘Ich sterbe gern, nur lasset mich frei sterben: wollt ihr jedoch mir eine 
letzte Bitte erfüllen, so gebt meinen Leichnam der Mutter umsonst. Oder 
Fasti IIl 257 
Ferte deae flores: gaudet florentibus herbis 
Haec dea: de tenero cingite flore caput. 
Dieite "tu nobis lucem, Lucina, dedistı', 
Dieite “tu voto parturientis ades.. 
Si qua tamen gravida est, resoluto crine precetur, 
Ut solvat partus molliter illa suos. 
An diese Parallele des Properz, die allein hinreichend ist Abänderungen 
an dem Wortlaut unserer Verse zu widerrathen, hat auch Lehrs von Neuem 
erinnert, und ihm wäre das Richtige kaum verborgen geblieben, wenn ihn 
nicht das Vorurtheil geblendet hätte, dafs in diesen Heroiden alles oder 
fast alles roh, widerwärtig, läppisch, unsinnig u. s. w. sei. Ueber unsern 
Brief schreibt er (Horaz p. COXXXV]) ‘Dafs und warum das erste Di- 
stichon läppisch ist, braucht wol nicht erst gesagt zu werden: übertragen 
aus der natürlichen und unvermeidlichen Situation, dafs einer Weinenden 
die Thränen auf ihr Blatt fallen, während sie schreibt, wie in der mit 
Recht schon als Vorbild bezeichneten Stelle des Properz, ohne welche auch 
wohl in dem wie in einigen andern Episteln abgebrochen beginnenden 
Anfang nicht gerade Zamen, sondern eine etwas klarere Partikel stehen 
würde. Lehrs setzt also den ungeschickten Anfang einem Nachahmer auf 
Rechnung, bei dem es doch nicht minder zu verwundern bliebe, dafs er 


Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 9 


sein klares Vorbild nur halb, statt wie eben so leicht war und eben so 
nahe lag, ganz nachgeformt hätte. Wir werden einfacher schliefsen: weil 
die Worte Si qua tamen — der Anfang des Briefes nicht sein können, so 
fehlt uns der vom Dichter gewollte Anfang und ist ein Distichon verloren 
gegangen, an welches, wie bei Properz, das zweite mit SU qua tamen 
regelrecht anknüpfen konnte. Etwa so: "Canace schreibt an ihren Bruder 
Macareus, und wünscht dafs er das Geschriebene lese. Sollte jedoch 
Einiges in den Schriftzügen unleserlich sein, so wisse, es sind Blutflecken 
von der Schreiberin Hand. Sofort erkennt man, wie unter der Voraus- 
setzung, dafs die beiden Verse, welche jetzt den Anfang bilden, nicht das 
erste sondern das zweite Verspaar waren, kein Buchstabe daran zu ändern, 
nichts überhaupt an Klarheit zu vermissen ist, und sieht nicht ohne Ver- 
wunderung, wie die Kritiker und Interpreten, die aufmerksamen wenig- 
stens (denn viele gehen gedankenlos daran vorüber), sich vergeblich win- 
den und drehen und der sich aufdrängenden Annahme eines Verlustes wie 
geflissentlich aus dem Wege gehen. Den Defect aber halte ich für sicher, 
auch wenn der Brief, der zu den bezeugten gehört, von Ovid nicht her- 
rühren sollte. 
3. Her. XII. Medea an Jason, hat folgenden Anfang: 
At tibi Colchorum (memini) regina vacavi, 
Ars mea cum peteres ut tibi ferret opem. 
Tune quae dispensant mortalia fata sorores 
Debuerant fusos evoluisse meos: 

Tum potui Medea mori bene — 
Den älteren Kritikern ist das Auffällige dieses mit At eingeleiteten Briefes 
nicht entgangen und hat man ein temporales Ut an die Stelle gesetzt, 
an welches Tunc V. 3 anknüpfen sollte. Heinsius hingegen hat in langer 
Anmerkung die Rechtfertigung des überlieferten At übernommen: ia enim 
indignantes aut mirantes exordiebantur plerumque. Ich kann nicht umhin 
seine Beispiele zu mustern, die, wie es den Anschein hat, auf die nach- 
folgenden Herausgeber durchweg überzeugend gewirkt haben. Nur Pro- 
pert. II 21 darf ich übergehen, da heute wohl Niemand geneigt sein wird, 
dem bezeugten Ah quantum de me Panthi tbi pagina finxit Tantum ll 
Pantho ne sit amica Venus die unverbürgte Schreibung At quantum, selbst 
wenn diese ebenso gut wäre, vorzuziehen. Wenig wollen auch die vielen 

Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. 1. 2 


10 VAHLEN: 


Ovidischen Beispiele besagen, in welchen mitten in der Erzählung eines 
Sprechenden Rede mit At eingeführt wird, so dafs der Gegensatz aus dem 
Zusammenhang des Erzählten sich von selbst ergiebt: Met. VIII 273 ff. 


Oenea namque ferunt plenis successibus anni 
Primitias frugum Cereri, sua vina Lyaeo, 
Palladios flavae latices libasse Minervae. 
Coeptus ab agricolis superos pervenit ad omnes 
Ambitiosus honor. Solas sine ture relictas 
Praeteritae cessasse ferunt Latoidos aras. 
Tangıt et ira deos. ‘At non impune feremus 
Quaeque inhonoratae, non et dicemur inultae’ 
Inguit. 
Met. X 724, Venus nachdem sie den in seinem Blute liegenden Adonis 
erblickt, 
Desiluit pariterque sinum pariterque capillos 
Rupit et indignis percussit pectora palmis, 
Questaque cum fatis At non tamen omnia vestri 
Juris erunt’ dieit "luctus monimenta manebunt. 


Met. XII 366 in der Erzählung vom Kampf der Lapithen und Centauren 
Hune procul ut foedo disieetum vulnere Peleus 
Vidit "At inferias, iuvenum gratissime Örantor, 
“Accipe’ ait validoque in Demoleonta lacerto 
Fraxineam misit contentis viribus hastam. 


Fastı II 395, die den Romulus und Remus aussetzenden Diener 
Huc ubi venerunt (neque enim procedere possunt 
Longius) ex illis unus et alter ait: 
“At quam sunt similes: at quam formosus uterque, 
Plus tamen ex illis iste vigoris habet. 


Bei solchen Stellen, denen es leicht ‘wäre eine Reihe ähnlicher aus Meta- 
morphosen und Fasten anzufügen, bedarf es in der That nur, dafs man 
sie in ihrem Zusammenhang betrachtet, um sich zu überzeugen, dafs der 
Adversativpartikel niemals die Beziehung fehlt und es keiner Ergänzung 
bedarf, um sie verständlich zu machen. Nicht anders Virgil Aen. II 535, 
von Polites, Priamus’ Sohn, dem der rasende Pyrrhus nachsetzt, 


Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 11 


Ut tandem ante oculos evasit et ora parentum, 

Coneidit ae multo vitam cum sanguine fudit. 

Hie Priamus, quamquam in media iam morte tenetur, 

Non tamen abstinuit nee voci iraeque pepereit: 

“At tibi pro scelere’ exclamat ‘pro talibus ausis 

Di, si qua est caelo pietas quae talia curet, 

Persolvant grates dignas et praemia reddant. 
Mehr Schein wenigstens hat das Ovidische Gedicht Amor. III 7, das so 
beginnt 

At non formosast, at non bene culta puella, 

At, puto, non votis saepe petita meis. 
Hane tamen in nullos tenui male languidus usus, 
Sed iacul pigro crimen onusque toro. 

(vgl. Priap. 80). Aber verstehe ich recht, so hebt der Dichter gleichsam 
eine stille Betrachtung fortsetzend mit der Selbstfrage an: at non formo- 
sast —, welche die Antwort des Gegentheils in sich selber trägt, und der 
Leser bedarf zum Verständnils keiner Ergänzung (wie sie auch nicht mög- 
lich ist), sondern alles was erforderlich ist bietet das Gedicht selbst dar. 
Aehnlich Horatius Epod. 5, an Canidia, 

‘At o deorum quidquid in caelo resit 

Terras et humanum genus, 

Quid iste fert tumultus, et quid omnium 

Vultus in unum me truces? — 
Darstellung und Composition dieses Gedichtes sind von besonderer Leb- 
haftigkeit. Horaz schlägt nicht den geraden Weg der Erzählung ein, son- 
dern reilst den Leser in medias res, läfst den Knaben, den zum Zweck 
der Zauberkünste der Canidia geraubten, aus seiner verzweifelten Lage 
plötzlich in jene Worte des Eingangs ausbrechen, um hinterher Absicht 
und Umstände grell zu beleuchten. Auch hier, wie in dem Ovidischen 
Gedicht, bedarf at, das Bezug und Gegensatz hat an der Situation, aus 
der die Worte gesprochen werden, keiner Ergänzung. Und so läfst sich, 
was sonst Analoges noch angeführt werden könnte, ohne Schwierigkeit 
erledigen. Nicht so der Anfang unseres Briefes, der aus all jenen Bei- 
spielen seine Rechtfertigung nicht ziehen kann, wofern nicht Jemand 
glaubt, es handele sich lediglich um die Partikel und nicht vielmehr um 

9* 


19 VAHLEN: 


den durch die Partikel eingeführten Gedanken. Denn für diesen ist hier 
eine Beziehung aus dem Briefe selbst nicht zu entnehmen, sondern mufs 
von Aufsen hergeholt werden. Lehrs 8. CCL schlofs aus den Anfangs- 
worten der Epistel: “also Medea hat den Jason zu sich entbieten lassen, 
und er sich entschuldigt mit Geschäften.’ Ich will nicht behaupten, dafs 
die so formulirte Voraussetzung des Briefes dem Gedanken und den Ab- 
sichten des Dichters vollkommen entspricht, aber darin empfand Lehrs 
unstreitig richtig, dafs ein solcher oder ähnlicher Gedanke nothwendig er- 
gänzt werden müsse, um die Worte, mit denen der Brief eröffnet wird, 
verstehen zu können; und auch hier ist es nur aus seinem allgemeinen 
Vorurtheil gegen diese Briefe erklärlich, dafs er nicht sah, eine derartige 
Ergänzung könne der Dichter unmöglich dem Leser überlassen haben, 
sondern der Gedanke müsse, um verstanden zu werden, ausgedrückt ge- 
wesen sein. Nach meiner Meinung würde den Worten des Anfangs Ge- 
nüge geschehen, wenn man den Gedanken ungefähr in folgender Weise 
vervollständigen wollte: ‘Medea schreibt an Jason. Denn dir läfst deine 
königliche Braut keine Zeit für mich. Aber ich habe als Königin der 
Kolcher Zeit für dich gehabt, als du meiner Künste bedurftest So we- 
nigstens würde jedem Wort des Eingangs sein Recht und würde insbe- 
sondere das nicht ohne Absicht gesetzte Üolchorum regina in seinem gan- 
zen Gewicht empfunden. Da es nun nicht glaublich ist, der Dichter habe 
den Gedanken, durch den allein das At tbi vacavı verständlich wird, ver- 
schwiegen, so ist auch hier die Annahme unausweichlich, dafs am Anfang 
des Briefes Ein Distichon, welches zum Ausdruck des erforderlichen Sinnes 
ausreichend war, durch Schuld der Ueberlieferung verloren gegangen. 
4. Her. XVII (16), Helena dem Paris antwortend, hebt so an: 
Nune oculos tua cum violarıt epistula nostros, 
Non rescribendi gloria visa levis. 
Ausus es hospitii temeratis, advena, sacris 
Legitimam nuptae sollieitare fidem. 

Die beiden ersten Verse sind Eingang: mit dem dritten geht Helena in 
die Sache. Wenn die Interpreten diesen Briefen so viel Aufmerksamkeit 
gewidmet hätten, als sie verdienen, wären sie nicht stillschweigend an dem 
an die Spitze gestellten Nunc vorübergegangen. Aber wer nur die Frage 
aufwirft, welchen Sinn die Partikel habe, wird auch um die Antwort nicht 


Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 13 


verlegen sein. Nune (= ut nunc est) kennzeichnet den Gegensatz gegen 
ein anderes, das hätte sein können, sein sollen, während es jetzt (wie die 
Dinge jetzt stehen) nicht so ist!). Ein Beispiel dieses bekannten Ge- 
brauchs der Partikel giebt Virgil Aen. XI 119, 
Aequius huie Turnum fuerat se opponere morti. 
Sı bellum finire manu, si pellere Teucros 
Apparat, his mecum decuit concurrere telis; 
Vixet eui vitam deus aut sua dextra dedisset. 
Nune ite et miseris supponite eivibus isnem, 
und geben die Heroiden selbst XVI (15), 165 
157 Di facerent, pretium magni certaminis esses 
Teque suo posset victor habere toro, 
Ut tulit Hippomenes Schoeneida praemia cursus, 
160 Venit ut in Phrygios Hippodamia sinus, 
Ut ferus Alcides Acheloia cornua fregit, 
Dum petit amplexus, Deianira, tuos, 
Nostra per has leges audacia fortiter isset, 
Teque mei scires esse laboris opus. 
165 Nune mihi nil superest nisi te, formosa, precari 
Ampleetique tuos si patiare pedes. 
Ich nehme Di facerent pretium esses als hypothetischen Vordersatz zu dem 
Nachsatz (163) Nostra per has leges audacia fortiter isset, und habe dem- 
gemäfs, abweichend von Hrn. Riese’s Ausgabe, die Interpunction einge- 
richtet. Den Mangel der hypothetischen Partikel werden Stellen recht- 
fertigen, wie Fast. IV 487 Unaque, pastorem vidisset an arva colentem, Vox 
erat "hac gressus ecqua puella tuht? und VI 113 He aliquis duwenum 
diwisset amantia verba, Reddebat tales protinus ila sonos. Den Dienst aber, 


1) Auch die Griechen gebrauchen ihr vöv ebenso, z. B. in Sophokles Elektra 
& B ° B x a m So N = 
zweimal bald hinter einander, 335 =: #Szvos Außomı, OnAuca av or aureis heova' vüv Ö° Ev 
03 m n [4 5 5 > > - m EN ’ 7 
AaRoıs or TASIV Überaeon doze. 365 zys5 ons ovx eow Fıuns Fuge. oUd av su, swcgwv 
y' ovom. viv EEcv margos mavrwv dgierov mare #erryeIaı, zaA0I v7s mnrgos; und 519 aver- 
’ \ e 7 5 r 6) \ U > ” Q 7 I EI 7 S , 
[aevn EV ws Eoızas av orgehn. oVv yao mager Ayındos 05 5 Emeiy, ds aM Tor Tugaicv 
* > > 
’ 5) > , , n 3 :€ Y >» 3, m N 3 ’ > n . 
y ovaav aisyuvew dbiAous‘ vüv Ö Ws ameor' Exrelvog, oVdev Evroemn Emoü yes: wo aber nicht 
nothwendig scheint, den hypothetischen Gedanken, dem vÜv entgegengesetzt ist, durch 
> 0 ” . . .. . . 
Erreiyev cv noch deutlicher auszudrücken. Aus römischen Dichtern vgl. noch Lucret. VI 570. 


14 VAHLEN: 


den die Partikel Nune versieht, erkennen wir deutlich: “Hätten die Götter 
gegeben, dafs ich um dich kämpfen könnte, wärst du der Preis meiner 
Tapferkeit geworden: Jetzt (wie die Sache jetzt steht) bleibt mir nichts 
übrig, als mich auf das Bitten zu legen’ Ganz in demselben Sinne ist 
Nunc am Anfang unserer Epistel zu nehmen, dies um so mehr, da der 
Inhalt, welchen die Partikel einschliefst, durch die angefügten Worte ocu- 
los tua cum violarıt epistula nostros gleichsam ausgelegt wird. Nach deren 
Anleitung gelingt es leicht, den Gegensatz, welchen Nune zu bezeichnen 
bestimmt war, in einem vollständigen Gedankenausdruck ungefähr in fol- 
sender Weise klar zu legen. 'Es wäre besser gewesen, du hättest nicht 
geschrieben oder ich nicht gelesen. Nun aber dein Brief meine Augen 
verletzt hat, schien nicht zu antworten ein leichter Ruhm. So deutlich 
dieser Gedanke, wie ich meine, aus den dastehenden Worten sich ergiebt, 
so wenig glaublich ist es, Ovid habe nur die Hälfte seines Gedankens, 
nur gerade so viel als ausreichend war, den vollständigen zu errathen, im 
Worte ausdrücken und durch das jetzt beziehungslose Nunc dem Leser 
nur ein Merkzeichen geben wollen. Die Annahme, die ich aus diesem 
Sachverhalt glaube mit Sicherheit schöpfen zu können, dafs auch dieser 
Briefeingang nicht etwa ein stilistisch abgebrochener sondern thatsächlich 
um ein Distichon gekürzter sei, gewinnt noch eine Unterstützung aus dem 
Verhältnils, in welchem unser Brief, der Antwortschreiben ist, zu dem 
Briefe des Paris XVI steht. Denn da letzterer anhebt 
Hanc tibı Priamides mitto, Ledaea, salutem 
Quae tribui sola te mihi dante potest, 

wird dem Briefe der Helena eine entsprechende Anrede nicht gefehlt 
haben. 


In dem Bisherigen hat sich bei vier Briefen der Heroiden aus der 
Erklärung der erhaltenen Anfänge derselben ergeben, dafs dieselben je 
ein Verspaar im Eingang auf dem Wege der Ueberlieferung verloren haben. 
Schlagen wir nun die älteren Editionen auf (denn die neueren Heraus- 
geber wissen nichts mehr davon), so finden wir, dafs diese vier Episteln 
in älterer Zeit thatsächlich mit vollständigeren Anfängen verbreitet waren. 
Ich setze diese ergänzten Anfänge mit unterschiedener Schrift zunächst 
hierher. 


Ueber die Anfänge der Herorden des Onid. 15 


VII. Dido an Aeneas. 
Aceipe, Dardanide, moriturae carmen Elissae: 
Quae legis a nobis ultima verba legıs. 
Sie ubi fata vocant udis abiectus in herbis 
Ad vada Maeandri ceoncinit albus olor. 
Nec quia te nostra sperem prece posse moveri 
Adloquor (adverso movimus ista deo). 
XI. Canace an Macareus. 
Aeolis Aeolidae quam non habet ıpsa salutem 
Mittit et armata verba notata manu. 
Si qua tamen caecis errabunt seripta lituris, 
Oblitus a dominae caede libellus erit: 
Dextra tenet calamum, strictum tenet altera ferrum 
Et iacet in gremio charta soluta meo. 
XII. Medea an Jason. 
Exul inops contempta novo Medea marito 
Dieit: an a regnis tempora nulla vacant? 
At tibi Colehorum (memini) regina vacavı, 
Ars mea cum peteres ut tibi ferret opem. 
XVII (16). Helena an Paris. 
Si mihi quae legi, Pari, non legisse hiceret, 
Servarem mumeros sicut et ante probae. 
Nune oculos tua cum violarit epistula nostros, 
Non resceribendi gloria visa levis. 
Obwohl diese Ergänzungen nicht überall und nicht vollkommen den Ge- 
danken entsprechen, die wir aus den verbreiteten Anfängen glaubten de- 
dueiren zu können, so dürfen wir sie doch zunächst als Beispiele nehmen, 
wie den vermilsten Gedanken eine lateinische Fassung gegeben werden 
konnte. Gegen die Form derselben ist nicht viel und nichts Erhebliches 
einzuwenden, und manches läfst sich durch ähnliche Wendungen bei Ovid 
belegen: VII. Acerpe .. carmen wie Ex Pont. IV 1, 1 Accipe, Pompei, deduc- 
tum carmen ab «llo; vgl. ıbid. 18, 1. II 4, 1. — Ueber Aeolis Aeohidae XI 
s. unten die Bemerkungen zu XII. — Das Spielen mit dem Doppelsinn von 
salus in XI war dem Ovid ungemein beliebt: s. Her. IV 1 und XVI (15) 1; 
Met. IX 530. Ex Pont. I 10, 1. Trist. III 3, 85 ff. V 13, 2. — Exul inops XU 


16 VAHLEN: 


konnte Medea so passend von sich wie die Hecuba sagen Met. XIII 509 modo 
mazima rerum Tot generis natisque potens nuribusque wiroque Nunc trahor 
exul inops. — Novo marito Dieit XI ist wie Adloquor VII 4, vielleicht auch 
mit XX (19) 153 Trbi nos, tibi dieimus (Met. IX 121) zu vergleichen, welche 
der Komödie besonders geläufige Wendung, um Jemanden anzurufen, dals er 
aufmerke, im Munde der Medea nicht unpassend war, die fast wie im ge- 
genwärtigen Zwiegespräch sich Gehör zu verschaffen sucht. — Regms 
ibid. von der königlichen Braut oder der königlichen Familie, wie ich 
glaube verstehen zu müssen, kommt, wenn ich nicht irre, ähnlich auch 
sonst bei Ovid vor und ist schwerlich anzufechten. — An sicut et ante XVII, 
worin et überflüssig zu stehen scheint, wird sich nicht stofsen, wer z. B. 
Met. IX 323 nostrasque domos ut et ante frequentat vergleicht. — Nur ar- 
mata .. mamı XI (wofern das Epitheton nicht in allgemeinerem, dann 
aber bedeutungslosem Sinne genommen wird) ist, weil vorgreifend, nicht 
eben geschickt, und eher geeignet die Anknüpfung von S? qua tamen zu 
erschweren als zu erleichtern. Doch selbst darauf nicht allzugrofses Ge- 
wicht zu legen, kann z. B. eine Stelle rathen, wie Fasti II 587 Jussa re- 
cusantes peragunt LACRIMOSA ministri — FLENT tamen — et geminos in 
loca dussa ferumt. — Im Uebrigen dürfte es schwer sein, aus inneren 
Gründen den Beweis der Unächtheit zu führen, wofern man nicht Meinen 
und Wünschen für Beweisen nimmt. Um so mehr erregt Bedenken, was 
über Herkunft dieser ergänzten Anfänge berichtet wird. Hierüber werden 
Heinsius’ Angaben jetzt durch Hrn. Sedlmayer’s Mittheilungen vervoll- 
ständigt. Aber auch so fehlt viel, dafs über Ursprung und Tradition der- 
selben befriedigende Klarheit erzielt sei. Soviel steht fest, dafs jene er- 
gänzten Verse in der Pariser Handschrift des IX. (Heinsius’ Puteaneus) 
und der Wolfenbütteler des XII. Jahrhunderts fehlen, d. h. in den beiden 
Handschriften, welche man als die Quellen der ächten Ueberlieferung an- 
zusehen pflegt. Von XVII hatte Heinsius angegeben, dafs die beiden er- 
gänzten Verse im Puteaneus am Rande beigeschrieben seien, was neuer- 
dings in Abrede gestellt und damit die einzige Spur ihrer Tradition ver- 
wischt worden ist. Die Verse von XII haben sich bis jetzt nur in einer 
ed. Venet. v. J. 1474 gefunden. Für XI führt Heinsius Excerpta Puteani 
an, über welche nähere Auskunft vermifst wird, und bbri ex mostris 
multi: letzteres hat sich bewährt, indem mehrere Handschriften des XIII 


Ueber die Anfänge der Herorden des Ovid. 17 


XIV. XV. Jahrhunderts diese beiden Verse enthalten. Für die Ergänzung 
von VII nennt Heinsius aufser Excerpta Puteani den liber Regius und cod. 
Lovaniensis, über welche gleichfalls genauere Angaben fehlen; zu diesen 
aber ist neuester Zeit aufser Handschriften des XIII. und XV. Jahrhun- 
derts hinzugekommen der cod. Etonensis, welcher nicht über den siebenten 
Brief hinausreicht, den ergänzten beiden Versen dieser Heroide aber, wenn 
er anders mit Recht dem XI. Jahrhundert zugeschrieben wird, wenigstens 
ein erhebliches Alter vindieirt. — Es leuchtet von selbst ein, wie schwer 
es ist, diese Daten in einem gemeinsamen Urtheil zusammenzufassen, und 
wie sehr dieser Thatbestand der Ueberlieferung darnach angethan ist, 
Zweifel an der Aechtheit dieser ergänzten Verse, sei es aller, sei es der 
Mehrzahl, wach zu rufen. Aber indem wir die Möglichkeit der Fälschung 
einräumen, wollen wir uns andererseits dıe aus den Anfängen der alten 
Ueberlieferung gewonnene Erkenntnifs nicht rauben oder trüben lassen, 
dafs diese, so wie sie sind, von Ovid nicht herrühren können. Denn 
daraus, dafs jene Ergänzungen möglicherweise unächt sind, folgt mit 
Nichten, dafs die in den verläfslichen Handschriften überlieferten Anfänge 
vollständig und unversehrt seien. Vielmehr sind beide Fragen streng von 
einander zu sondern, und ist daraus, dafs man diese durch die Natur der 
Sache gebotene Scheidung unterlassen hat, dem Urtheil die Unbefangen- 
heit benommen worden: denn ich hege die Meinung, dafs ohne die der 
Interpolation geziehenen Ergänzungen heute kaum mehr ein Kritiker an 
die Vollständigkeit jener vier Heroidenanfänge glauben würde und für 
meine Betrachtung kein Stoff übrig geblieben wäre. Man wende nicht 
ein, dals weil vier Briefe mit abgebrochenem Satz und halbem Gedanken 
beginnen, darin Absicht und berechnete Kunst erkannt werden müsse. 
Das Unvernünftige wird dadurch, dafs es verdoppelt oder vervierfacht vor- 
liest, nicht vernünftig. Dagegen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit der 
Annahme, wenn, wo Ein Distichon aus äufserem Anlafls in der Ueberlie- 
ferung verloren ist, dasselbe an derselben Stelle und aus demselben An- 
lafs noch in drei weiteren Fällen anzunehmen Grund gegeben ist. 

Indem wir daher das gewonnene Resultat, dafs die besprochenen 
vier Heroidenbriefe im Eingang je ein Verspaar eingebülst haben, fest- 
halten, richten wir nun den Blick auf die übrigen Episteln unserer Samm- 
lung. Die ersten vier geben zu keinem Zweifel Anlals. 

Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. 1. 3 


18 VAHLEN: 


I. Penelope an Ulixes. 
Hane tua Penelope lento tibi mittit, Ulixe: 
Nil mihi reseribas, at tamen ipse veni. 
II. Phyllis an Demophoon. 
Hospita, Demophoon, tua te Rhodopeia Phyllis 
Ultra promissum tempus abesse queror. 
III. Briseis an Achilles. 
Quam legis a rapta Briseide littera venit, 
Vix bene barbarıca Graeca notata manu. 
Quascumque aspicies lacrimae fecere lituras, 
Sed tamen et lacrimae pondera vocis habent. 
IV. Phaedra an Hippolytus. 
Qua nisi tu dederis caritura est ipsa salute, 
Mittit Amazonio Cressa puella viro. 
Perlege quodeumque est: quid epistula lecta nocebit? 
Te quoque in hac alıquid quod iuvet esse potest. 
Ebenso unbedenklich und für die Manier des Dichters bezeichnend 
scheinen die folgenden. 
X1lI. Laodamia an Protesilaus. 
Mittit, et optat amans quo mittitur ire, salutem 
Haemonis Haemonio Laodamıa viro. 
Aulide te fama est vento retinente morari: 
Ah me cum fugeres, hie ubi ventus erat? 
XIV. Hypermestra an Lynceus. 
Mittit Hypermestra de tot modo fratribus uni 
(Cetera nuptarum erimine turba iacet): 
Clausa domo teneor gravibusque coereita vinclis: 
Est mihi supplieii causa fuisse piam. 
XVI (15). Paris an Helena. 
Hane tibi Priamides mitto, Ledaea, salutem, 
Quae tribui sola te mihi dante potest. 
Eloquar an flammae non est opus indice notae, 
Et plus quam vellem iam meus extat amor? 
XVII (17). Leander an Hero. 


Mittit Abydenus quam mallet ferre salutem, 


er- 


Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 19 


Sı cadat unda maris, Sesta puella, tibi. 
Sı mihi dı faciles et sunt in amore secundi, 
Invitis oculis haee mea verba leges. 
XIX (18). Hero an Leander. 
Quam mihi misisti verbis, Leandre, salutem 
Ut possim missam rebus habere, veni. 
Longa mora est nobis omnis quae gaudia differt; 
denen ich XV. Sappho an Phaon 
Eequid ut aspecta est studiosae littera dextrae, 
Protinus est oculis cognita nostra tuis? 
An nisi legisses auctoris nomina Sapphus, 
Hoc breve nescires unde movetur opus? 
anreihe, ein Ovidischer Weise vollkommen entsprechender Eingang, ohne 
damit hier im Vorbeigehen über die Aechtheit dieses Briefes entscheiden 
zu wollen. Was aber unlängst gegen die Anfänge von XI. XIV. XVII, 
die in ihrer augenfälligen Gleichartigkeit sich gegenseitig stützen, aus 
sprachlichen Gründen vorgebracht worden, wiegt nicht schwer und wäre 
besser unterdrückt geblieben. Viel Ueberlegung wenigstens verräth es 
nicht, dafs als erster Verdächtigungsgrund geltend gemacht wird, diese 
drei Eingänge, weil der Schreibende in dritter Person und ohne Anrede 
sich einführe, seien mehr erzählender Natur. Denn von XVIII welcher die 
Anrede hat (Sesta puella tibr) gilt dies nicht; die Form von XIV aber 
wird milsverstanden, wie sich nachher zeigen wird; und dafs in XIII das 
in römischem Gebrauch übliche Carus Titio salutem poetisch geformt er- 
scheint, hat seine sprechenden Analogien an Ovid’s Briefen aus dem Pon- 
tus (vgl. I 6. III 6. s. die Stellen unten S. 33). Ferner die Wortstellung 
in XIII, wofern man nur richtig interpungirt: Mittit, et optat amans quo 
mattitur dre, salutem, ist nicht zu schelten und hat Parallelen genug bei 
Ovid und anderen Dichtern; und für Aaemonis Haemonio hätte statt auf 
das zweifelhafte Aeolis Aeohidae XI vielmehr auf das ächte Tantahdae Tan- 
talis uxor ero VII 120 verwiesen werden sollen, und wieviel unterscheidet 
sich denn hiervon Amazonio Oressa puella viro IV 2, das unverdächtigt 
steht? Mittit aber in XIV ist nicht etwa Mittit epistulam, wie Hanec tua 
Penelope lento tibi mattit, Uhxe I 1 (d.i. hanc epistulam, denn auch das 
wird seltsam milsdeutet) oder Quam legis X 3, wenn dies richtiger wäre 


9% 
6) 


20 VAHLEN: 


als was im cod. Puteaneus steht Quae legis (s. Ex Ponto IV 2. IV 14), 
sondern Mittit hat bei richtiger Construction und Interpunction sein be- 
stimmtes Object; das Eingangsdistichon steht nämlich nicht für sich, son- 
dern zu verbinden ist Hypermestra mittit fratri: Clausa domo teneor, dies 
nach bekanntem, von Gronov zu Livius (34, 29) erläutertem Sprachge- 
brauch; und nichts konnte für die gegenwärtige Situation angemessener 
sein als das so gefalste Mittit. Was aber sonst gegen diesen Eingang der 
Hypermestra eingewendet wird (auch modo wird unrichtig verstanden, hier 
und v. 73) hätte mit mehr Fug gegen den ganzen Brief gewendet werden 
können, nach Lehrsischer Art; wer dagegen den Brief gelten läfst, entzieht 
sich das Recht, die beiden Eingangsverse zu tadeln. Kurz dies sind alles 
leicht hingeworfene Einwendungen, von deren Unhaltbarkeit sich Hr. Sedl- 
mayer hoffentlich noch rechtzeitig überzeugen wird. Wichtiger ist was 
bei XVII aus den Thatsachen der Ueberlieferung sich ergiebt. Heinsius 
giebt an: “Hi duo versus (Mittit Abydenus — Sesta puella tibi) manı recen- 
tiort in Puteaneo legebantur, pro quibus excerpta Douzae 
(uam cuperem solitas, Hero, tibi ferre per undas 
Accipe Leandri dum venit ipse manum. 
Alter Mentelianus et hos et illos agnoscit, hos tamen posteriori loco;’ wozu 
Burmann noch hinzufügt: In Douzae excerptis alterum distichon priori 
subücitur 
Aptior illa quidem placido dat verbera ponto: 
Est tamen et sensus apta ministra mihi. 

Dals das Distichon Mittit Abydenus — puella tibi im Puteaneus fehlt, 
haben die neueren Angaben über die Handschrift bestätigt: von einer 
Hand des XII. Jahrhunderts, sagt Merkel, sei dasselbe ın spatio a primo 
hbrarıo relicto eingefügt worden. Es fehlt, wie Hr. Sedimayer mittheilt, 
auch in den Schedae Vindobonenses saec. XII, und als älteste Quelle dieses 
Verspaars hat der Guelferbytanus saec. XII zu gelten. Hier haben wir 
also erstlich ein unwidersprechliches Beispiel dafür, dafs ein Eingangs- 
distichon, das man vermifste, gefälscht worden: geformt aber ist das Di- 
stichon der Excerpta Douzae mit Rücksicht und zum Anschlufs an die 
Verse Aptior ılla quidem — ministra mihl, welche in den Texten hinter 
V. 22 stehen, im Puteaneus aber hier von zweiter Hand am Rande nach- 
getragen sind, auch in den Sched. Vindob., wo dafür freier Raum gelassen 


Ueber die Anfänge der Herorden des Ovid. 21 


ist, fehlen, so dafs auch für sie jetzt der älteste Zeuge der genannte Guel- 
ferbytanus ist!). Die andere nicht minder beachtenswerthe Thatsache, 
welche aus den angeführten Daten der Ueberlieferung gewonnen wird, ist 
die, dafs auch im Puteaneus ein Eingangsdistichon vermilst wird, dessen 
Aechtheit und Ursprünglichkeit nicht bezweifelt werden kann. Denn wenn 
man geglaubt hat, die Verse 
Mittit Abydenus quam mallet ferre salutem, 
Si cadat unda maris, Sesta puella, tibi 
auf die Autorität des Puteaneus beseitigen und den Brief mit 
Sı mihi di facıles et sunt in amore secundi, 
Invitis oculis?) haec mea verba leges 
beginnen zu dürfen, so ist dies in meinen Augen auch ein Beweis dafür, 
mit wie wenig Umsicht die Kritiker in diesen Gedichten verfahren. Hätte 
man doch wenigstens consequenter Weise auch das erste Verspaar der Ant- 
wort XIX tilgen sollen, 
Quam mihi misistı verbis, Leandre, salutem 
Ut possim missam rebus habere, veni, 
welches jene Verse deutlich voraussetzt. Da aber letztere von Seiten der 
Ueberlieferung völlig sicher stehen, so gereichen sie jenem wenn auch nur 
vom Guelferbytanus erhaltenen Distichon zur unverwerflichen Stütze. Denn 
daran ist kein Zweifel gestattet, dafs die Eingänge beider Briefe sich ebenso 
entsprechen mulsten, wie die Schlüsse beider einander entsprechen: 
XVII 215 
Cum patietur hiems, remis ego corporis utar, 
Lumen in aspectu tu modo semper habe. 
Interea pro me pernoctat epistula tecum, 
Quam precor ut minima prosequar ipse mora. 


1) Siehe den Excurs 1. 


2) Beiläufig, der Kern des Gedankens liegt in den Worten invitis oculis, die hier 
mit ebenso prägnant zugespitzter Bedeutung stehen, wie Ex Ponto I 9, 4 
Quae mihi de rapto tua venit epistula Celso, 
Protinus est lacrimis umida facta meis. 
Quodque nefas dietu fieri nee posse putavi, 
Invitis oculis littera lecta tua est. 


22 VAHLEN: 


XIX 207 
Spes tamen est fractis vieinae paeis in undis: 
Tum placidas tuto pectore finde vias. 
Interea quoniam nanti freta pervia non sunt, 
Leniat invisas littera missa moras. 
Wer demnach dem cod. Puteaneus so hohen Werth beimifst, dafs nichts 
für ächt anzusehen sei, was dort nicht von erster Hand geschrieben steht 
(ein kritischer Grundsatz, den ich für sehr bedenklich halte), der wird 
dennoch um jener unerläfslichen Uebereinstimmung willen nicht umhin 
können, in XVIII den Verlust eines Eingangsdistichons statuiren zu müssen, 
und würde schwerlich im Stande sein zu erfinden, was diesen Zweck bes- 
ser und angemessener erfüllen könnte, als jenes im Guelferbytanus erhal- 
tene, im Puteaneus wenigstens beigeschriebene Distichon 
Mittit Abydenus quam mallet ferre salutem, 
Sı cadat unda maris, Sesta puella, tibi. 
Denn um auch das noch zu erwähnen, der spielende Gegensatz zwischen 
mittere salutem und ferre salutem, der in XIX durch mittere verbis und 
rebus habere wieder aufgenommen wird, ist dem Ovid nicht minder be- 
liebt (s. Ex Ponto I7. I 2, 3.4. II 5, 5.6) als das zu XI 1 (8.15) 
erwähnte Spiel mit dem Doppelsinn von salus. Indem wir daher mit den 
übrigen Eingängen auch dieses Distichon dem Puteaneus zum Trotz für 
ächt halten, wollen wir zugleich die an den Eingang von XVIII ge- 
knüpfte zwiefache Thatsache, dafs ein ächtes Distichon im Puteaneus ver- 
loren gegangen und an Stelle des vermilsten ein anderes gefälscht worden 
ist, in dem ihr gebührenden Gewicht nach beiden Seiten uns gegenwär- 
tig halten. 

Wir haben sonach zehn Heroiden (ich zähle die Sappho mit), und 
mit den zuerst behandelten vier, bei welchen aus inneren Gründen der 
Verlust eines Eingangsdistichons erwiesen ist, vierzehn, die uns ein gleich- 
artiges Verfahren des Dichters in den Anfängen dieser Briefe erkennen 
lassen. Es erübrigen noch sieben Episteln, von denen zwei ein Paar bil- 
den, bei welchen ein entsprechender Eingang in der besseren Ueberliefe- 
rung vermilst wird, auch nicht mit gleicher Evidenz wie bei jenen vier 
der Beweis eines Defectes aus inneren Gründen erbracht werden kann, 
denen aber doch die in fortschreitender Induction immer deutlicher zu 


Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 23 


Tage tretende Analogie zu Gute kommen darf. Doch prüfen wir sie ein- 
zeln. Zuerst 
VIII. Hermione an Orestes. 
Pyrrhus Achillides animosus imagine patris 
Inclusam contra iusque piumque tenet. 
Quod potui renui, ne non invita tenerer. 
In diesem Eingang ist, wofern mich mein Gefühl nicht täuscht, Inclusam 
tenet, ohne dafs gesagt wird, auf wen es sich bezieht, mindestens hart 
und dem Dichter kaum recht zuzutrauen. Wenn Ovid Met. IV 96 schreibt 
Callida per tenebras versato cardine Thisbe 
Egreditur fallitque suos adopertaque vultum 
Pervenit ad tumulum dietaque sub arbore sedit. 
Audacem faciebat amor, 
so lassen, da Thxsbe eben genannt war, die Worte audacem faciebat ohne 
bezeichnetes Object kein Bedenken. Ebenso würde in unserer Epistel nach 
Nennung der Person Hermione dieit Oresti. Pyrrhus inclusam tenet, gleich- 
gültig ob man inchusam me oder inchısam eam tenet verstehen wollte, ohne 
Anstols sein, ganz so wie in dem Briefe selbst 101 
Pars haec una mihi coniunx bene cessit Orestes: 
Is quoque, ni pro se pugnet, ademptus erit: 
Pyrrhus habet captam reduce et victore parente. 
Oder mit dem anderen Participium ebend. v. 9 
Surdior ille freto elamantem nomen ÖOrestis 
Traxit inornatis in sua tecta comis, 
und XII 63 
Mane erat, et thalamo cara recepta soror, 
Disiectamque comas aversaque in ora lacentem 
Invenit !). 


1) Um kein Mifsverständnifs aufkommen zu lassen, ich stofse mich nicht daran, 
dals dem Partieipium eine Pronominalbestimmung fehlt, sondern nur daran, dafs der Brief 
anfängt: Pyrrhus inclusam tenet, zumal letzteres im Grunde nur Ein Begriff ist. Wollte 
aber Jemand dies damit rechtfertigen, dals der Tenor des Briefes an ein vorangestelltes 
prosaisches Hermione Oresti salutem anschliefse (wie man anderes zu rechtfertigen gesucht 
hat), so ist zu bedenken, dafs Ovid eben in dem Eingangsdistichon seiner poetischen Epi- 
steln den conventionellen Briefanfang zu versifieiren pflegt und dafs es in zahlreichen 


94 VAHLEN: 


Daher der, dem die Ergänzung gehört 
Adloquor Hermione nuper fratremque vwirumque, 
Nune fratrem, nomen comiugıs alter habet. 
Pyrrhus Achillides anımosus imagine patris 
Inclusam contra iusque piumque tenet, 
wie mir scheint, von richtigem Gefühl für angemessene Form geleitet 
war, und tritt, so gefalst, dieser Eingang besonders dem von XIV an 


die Seite 
Mittit Hypermestra de tot modo fratribus uni 


(Cetera nuptarum crimine turba iacet): 
Clausa domo teneor. 

Vgl. XII. Ich will zwar diese Ergänzung selbst, gegen deren Sinn und 
Ausdruck kein Einwand zu erheben ist, nicht als ursprünglich verfechten 
gegenüber einer so spärlichen Ueberlieferung: Heinsius fand die beiden 
Verse in keiner seiner Handschriften, nur in einer nicht näher bezeich- 
neten nachträglich an den Rand gesetzt. Nach Hrn. Sedlmayer’s Angaben 
stehen sie abgesehen von einigen Editionen des XV. Jahrhunderts nur in 
einem cod. Gothanus saec. XIII. Aber das trage ich doch kein Bedenken 
auszusprechen, dafs mit diesen ergänzten Versen dem Dichter kein Unrecht 
geschehen würde, und dafs ich es wenig glaublich finde, Ovid habe seiner 
Gewohnheit untreu diesen Brief eines Briefeingangs, wie ihn doch die 
von ihm gewählte Form »nelusam tenet fast nothwendig verlangte, ent- 
behren lassen. 


Fällen lächerlich wäre, dem poetisch geformten €. T. salutem ein ebensolches in prosai- 
scher Form vorangeschickt zu denken. Dafs das Partieipium im Lateinischen eines Pro- 
nomens nicht bedarf, wenn es aus dem Zusammenhang der Rede sich ergiebt, ist bekannt 
genug (wie Catull. c. 35, 9 si sapiet viam vorabit Quamvis candida milies puella Euntem 
revocet), und ist dies nicht den Dichtern allein gestattet: Schriftsteller wie Livius, Petro- 
nius (auf dessen Gebrauch ich Hermes XV S. 273 f. hinwies), Suetonius, Seneca, Taeitus, 
geben zahlreiche Beispiele. Dahin gehört auch Taeitus Dialog. ce. 3 ut intravimus cubieu- 
lum Materni, sedentem ipsum quem pridie recitaverat librum intra mamus habentem deprehen- 
dimus, wo es ganz gleichgültig ist ob man sedentem et ipsum (ef. Cie. de nat. deor. I 6, 15) 
oder sedentem ipsumque quem schreibt, vielleicht keins von beiden erforderlich war (denn 
die unabhängige Rede war sedens ipsum quem reeitaverat librum intra manus habebat), und 
nur Schopen im Irrthum war, als er in der Meinung, das Pronomen ipsum müsse noth- 
wendig zu dem Participium sedentem gezogen werden, zu schreiben vorschlug sedentem ipsum, 
quemque. Und in ähnlicher Weise wird auch sonst geirrt. 


Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 25 


Noch weniger hoffe ich auf Beistimmung bei folgender Argumenta- 
tion, die sich nicht an die Logik wendet, sondern auf die lebendige Nach- 
empfindung einer stilistischen Form rechnen muß. 

X. Ariadne an Theseus. 
1 Mitius inveni quam te genus omne ferarum: 
Credita non ulli quam tibi peius eram. 
3 Quae legis, ex ıllo, Thesen, tibi littore mitto, 
Unde tuam sine me vela tulere ratem. 
5 In quo me somnusque meus male prodidit et tu, 
Per facinus somnis insidiate meis. 
Dies ist die Versfolge im cod. Puteaneus. Im cod. Guelferbytanus sind die 
Verse Anfangs so geordnet gewesen: 
3 Quae legis, ex illo, Theseu, tibi littore mitto, 
Unde tuam sine me vela tulere ratem. 


or 


In quo me somnusque meus male prodidit et tu, 
Per facinus somnis insidiate meis. 

1 Mitius inveni quam te genus omne ferarum: 

Credita non ulli quam tibi peius eram. 


| 


Tempus erat, vitrea quo primum terra pruina — 
Dann aber sind die beiden Verse 1. 2 hier getilst und von zweiter Hand 
in dem für den Titel freigelassenen Raum an den Anfang des Briefes ge- 
setzt worden. Schwerlich war es Zufall, was dem Distichon 1. 2 den 
Platz hinter V. 6 anwies, eher die Wahrnehmung, dafs dasselbe am An- 
fang zu abgerissen stehe, die Verse 3. 4 dagegen besser für den Anfang 
sich schickten. Aber obwohl dies beides nicht unrichtig überlegt wäre, 
hinter V. 6 stört das Distichon 1. 2 den Zusammenhang, und besser war 
es das Verspaar trotz seiner Abgerissenheit am Anfang zu belassen. Fehlte 
es ganz, würde Niemand es vermissen: denn der Brief konnte mit 3 Quae 
legis ex ıllo Thheseuw beginnen. Aber schwerlich würde auch Jemand zu 
sagen wissen, in welcher Absicht es geformt und hierher gesetzt worden, 
so wenig als Jemand gegen den Ausdruck einen gegründeten Tadel würde 
vorbringen können. Daher an der Aechtheit des Distichon nicht zu zwei- 
feln und dem Anstofs dafs es im Eingang zu abgerissen stehe, in anderer 
Weise zu begegnen sein wird. Nur nicht so, dafs man V.1. 2 Mitius 
inveni quam te — mit dem folgenden Distichon 3. 4 Quae legis — in en- 
Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. 1. 4 


36 VAHLEN: 


gere Verbindung bringe. Denn mit letzterem beginnt vielmehr ein neuer, 
von jenem abgetrennter und zu der weiteren Erzählung überleitender Ge- 
danke. Wohl aber in der Art, dafs ihm selbst ein anderes vorangestellt 
wird. Denn obwohl die Worte Mitius invent! quam te genus omne ferarum: 
credita non ulli quam tibi peius eram einen vollständigen und abgeschlos- 
senen Satz bilden, so meine ich doch zu empfinden, dafs der Gedanke als 
erläuternde Fortsetzung eines anderen gedacht war: “Ariadne schreibt, die 
treulos verlassene, den Thieren preisgegebene, lebt noch: milder als dich 
habe ich selbst die wilden Thiere gefunden. Alte Editionen und einige 
Handschriften bei Heinsius, aus Hrn. Sedlmayer’s Apparat nur zwei Aus- 
gaben des XV. Jahrhunderts haben folgenden Eingang: 
Ila relieta feris etiam nunc, improbe Thesen, 
Vivit: et haec aequa mente tulısse velis: 
Mitius inveni quam te genus omne ferarum: 
Credita non ulli quam tibi peius eram. 
Quae legis, ex illo, Theseu, tibi littore mitto — 
Die Ergänzung selbst, die im Pentameter, wenn ich anders richtig ver- 
stehe, schwächlich und wenig geschickt zu sein scheint, will ich nicht in 
Schutz nehmen: aber die Empfindung, welche dieses Distichon eingegeben, 
theile ich durchaus und hege die Ansicht, dafs auch hier in der besseren 
Ueberlieferung zwei Anfangsverse ähnlichen Inhalts verloren gegangen 
seien, deren Wiederherstellung dem jetzigen Anfangssatz die vermilste 
Unterlage sowie dem ganzen Eingang das der elegischen Dichtungsart so 
wesentliche Gleichgewicht der Gedanken restituiren würde. 
Anders liegt es bei 
V. Oenone an Paris. 
Perlegis an coniunx prohibet nova? Perlege, non est 
Ista Mycenaea littera facta manu: 
Pegasis Oenone Phrygiis celeberrima silvis 
Laesa queror de te si sinis ipsa meo. 
Der Anfang ist abrupt, aber abrupt in einer Weise, die keinen Tadel ver- 
dient. Wäre die Aufmerksamkeit nicht schon auf diesen Punkt gelenkt und 
die Ueberlieferung nicht geeignet, den Zweifel zu schärfen, würde wohl 
Niemand an diesen Eingang ein Bedenken heften, aus dem der Verlust 
eines Distichons nicht zu deduciren ist. Gleichwohl haben nicht blofs 


Ueber die Anfänge der Heroiden des Orid. 27 


Excerpta Puteani und einige jüngere Handschriften eine Ergänzung er- 
halten, sondern dieselbe wird auch überliefert in der Handschrift von 
Eton, d.ı. nächst dem Puteaneus der ältesten, die wir heute kennen. Die 
Ergänzung lautet: 
Nympha suo Parıdi, quammıs suus esse recuset, 
Mittit ab Idaers verba legenda rugıs. 
Perlegis an coniunx prohibet nova? Perlege, non est 
Ista Mycenaea littera facta manu: 
Pegasis Oenone Phrygiis celeberrima silvis 
Laesa queror de te si sinis ipsa meo. 
Niemand möge wähnen, dafs durch diesen Zusatz eine unschöne Wieder- 
holung entstehe. Denn eng zu verbinden sind die Worte Non est sta My- 
cenaea httera facta manu: Oenone laesa queror de te: ‘Lies: denn den 
Brief hat keine Mycenäische Hand geschrieben, deine neue Gattin zurück- 
zufordern, sondern ich Oenone, die Phrygische Nymphe, führe Klage über 
dich). Die Möglichkeit dafs diesem so formulirten Gedanken der andere 
den Briefanfang markirende Satz ‘Die Nymphe sendet von den Idäischen 
Bergen ihrem Paris einen Brief’ voraufgeschickt war, kann unbefangene 
Beurtheilung nicht in Abrede stellen, und würden wir damit einen Ge- 
dankenfortschritt gewinnen vergleichbar dem in dem unverdächtigten Ein- 
sang von IV 
Qua nisi tu dederis caritura est ipsa salute, 
Mittit Amazonio Cressa puella viro. 
Perlege quodeumque est: quid epistula lecta nocebit? 
und ex Ponto II 2 (s. S. 32). Ob man aber einen Verlust statuiren und 
die an sich nicht tadelnswerthe Ergänzung dem Dichter zuschreiben dürfe, 
hängt theils von dem Werthe ab, den man der deutlich erkennbaren Ma- 
nier des Dichters beimilst, andererseits von dem Vertrauen, das man zu 
jener Ueberlieferung glaubt hegen zu können, welche uns, ohne dafs ein 
nöthigender Anlafs zu einer Ergänzung ersichtlich wäre, jenen vervollstän- 
digten Anfang erhalten hat. 
Ein ähnliches Urtheil ist über die Eingänge der noch übrigen vier 
Briefe zu fällen, von denen die zwei ersten (VI. IX) in einem analogen 


1) Siehe Excurs 2. 


38 VAHLEN: 


Verhältnils stehen, so dafs man, was dem einen eingeräumt wird, dem 
andern nicht wohl versagen kann, die beiden letzten (XX. XXT), welche 
Brief und Antwort sind, gleichartige Anfänge verlangen. Ich setze sie 
der Kürze halber gleich mit den erhaltenen Ergänzungen hierher. 
VI. Hypsipyle an Jason. 
Lemnias Hypsipyle, Bacchi genus, Aesone nato 
Dieit, et in verbis pars quota mentis erat. 
Littora Thessaliae reduci tetigisse carina 
Diceris auratae vellere dives ovis. 
Gratulor inecolumi, quantum sinis: hoc tamen ipso 
Debueram scripto certior esse tuo. 
IX. Deianira an Hercules. 
Mittor ad Alciden a coniuge conscia mentis 
Littera, si coniunx Deianira tua est. 
Gratulor Oechaliam titulis accedere nostris, 
Vietorem vietae suceubuisse queror. 
XX (19). Acontius an Oydippe. 
Acecipe, Uydippe, despecti nomen Aconti, 
Ilhus in pomo qui tibi verba dedit. 
Pone metum: nihil hie iterum iurabis amanti: 
Promissam satis est te semel esse mihi. 
Perlege, discedat sie corpore languor ab isto, 
(Qui meus est ulla parte dolere dolor. 
XXI (20). Cydippe an Acontius. 
Littera pervenit tua quo consuevit, Acontı, 
Et paene est oculıs insidiata meıs. 
Pertimui, seriptumque tuum sine murmure legi, 
Iuraret ne quos inscia lingua deos. 
Wenn man von den Ergänzungen absehend die überlieferten Anfänge für 
sich in Betracht zieht, mufs man eingestehen, dafs diese so wie sie sind 
trotz der abrupten Form, namentlich von XX, vom Dichter herrühren 
konnten und zu Vervollständigungen ein drängender Anlafs nicht gerade 
geboten war, so dafs wer darauf beharrt, diese Anfänge seien die ursprüng- 
lichen, aus ihnen selbst nicht widerlegt werden kann. Aber ebenso wird 
wer die ergänzten Verse ohne vorgefalste Meinung prüft, einräumen müs- 


u TEEN Te 


an 


Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 29 


sen, dafs sie sich bequem an die überlieferten Anfänge anfügen und das 
Schroffe der unvermittelten Eingänge in angemessener und gefälliger Weise 
mildern. Nach meinem Gefühl wenigstens steht z. B. XX Pone metum 
besser, wenn Acontius vorher genannt war, ılle qui in pomo verba dedıt, 
letzteres in beabsichtistem Doppelsinn (vgl. XXI 121), und ergäbe das Ganze 
eine Gedankenfolge ungefähr wie Trist. V 2 
Eequid ubi e Ponto nova venit epistula, palles, 
Et tibı sollieita solvitur ılla manu? 
Pone metum: valeo —. 

Auch das ist nicht zu bestreiten, dafs in den Ergänzungen selbst nichts 
enthalten ist, was nicht der Weise Ovid’s entsprechend wäre oder gegrün- 
deten Verdacht erwecken könnte. Denn selbst dafs Heinsius VI ments in- 
est verlangt, ist nicht begründet und wird erat durch den Briefstil gerecht- 
fertigt. Der Ausdruck selbst aber et in verbis pars quota mentis erat hat 
seine Parallelen an XII 89 Haec animum, et quota pars haec sunt, movere 
puellae, und XII 60 et seguitur regni pars quota quemque sur (vgl. XII 184). 
Ueber Dieit s. zu XII (S. 16).— Dals IX die Littera redend eingeführt ist, da- 
mit wird man nicht unpassend zusammenstellen Trist. V 4 Littore ab Euxino 
Nasonis epistula veni (vgl. Ex Pont. 17), und mit Littera conscıa ments 
vergleiche man XVII (16) 265 furtivae conscia mentis Littera. Das Poin- 
tirte des Zusatzes sz contunx Deranira tua est aber hat Analogien an V 4; 
Trist. V 13, 2; Ex Ponto I 3; 1 10. — Ueber Accıpe XX s. zu VII (S. 15), 
und mit XXI Littera pervenit tua vel. Ex Ponto IV 8; quo consuevit aber 
und paene insidiata est ist nicht unpassend und im Hinblick auf die Lit- 
tera in pomo gesagt (vgl. V. 55 u. 110). — So ist auch hier die Entschei- 
dung von der Ueberlieferung abhängig gemacht, und auch hier fällt es 
einigermalsen in das Gewicht, dafs die ergänzten Verse von VI (aufser in 
den Excerpta Puteani) in dem cod. Etonensis stehen, der, so weit er eben 
reicht, immer auch die Ergänzungen enthält, von V, VI, VII, und damit 
der Annahme die Möglichkeit eröffnet, dafs sein Zeugnils, wäre es erhal- 
ten, auch den übrigen vervollständigten Anfängen wenigstens ein beträcht- 
liches Alter sichern würde. Wer aber diesem Zeugen zu Liebe den er- 
gänzten Anfang von VI sich gefallen liefse, würde der hervorgehobenen 
Aehnlichkeit wegen den von IX nicht verwerfen wollen, obwohl für diesen 
jetzt kein anderer Zeuge als Excerpta Puteani, cod. Regius und Editionen 


30 VAHLEN: 


des XV. Jahrhunderts namhaft gemacht wird. Auch für die Ergänzungen 
von XX und XXI treten jetzt nur Handschriften des XIII. XIV. XV. Jahr- 
hunderts und einige Editionen des XV. ein. Doch darf zu Gunsten dieser 
beiden den Briefeharakter besser ausdrückenden Ergänzungen noch auf 
die gleichfalls den Briefstil genau einhaltenden und einander vollkommen 
entsprechenden Schlüsse beider hingewiesen werden, die zusammen mit 
jenen vervollständigten Anfängen mir eine angemessenere Umrahmung bei- 
der Briefe abzugeben scheinen, als sie jetzt haben. Die Schlufsverse 
aber lauten 
XX. Longior infirmum ne lasset epistula corpus, 
Ölausaque consueto sit sıbı fine, vale. 
XXI. Jam satis invalidos calamo lassavimus artus 
Et manus officium longius aegra negat. 
Quid nisi quod cupio me iam coniungere tecum 
Restat ut adscribat littera nostra 'vale’, 
Schlufsformeln, denen man den Schlufs des Briefes Trist. III 3, 85 an die 
Seite setzen kann: 
Scribere plura libet, sed vox mihi fessa loquendo 
Dictandi vires siccaque lingua negat. 
Accipe supremo dietum mihi forsitan ore, 
Quod tibi qui mittit non habet ipse "vale'. 
Hiernach kann auch Hrn. Dilthey’s Verfahren nicht befriedigen, der die 
Schlufsverse von XX als Interpolation markirt, während er den Schlufs 
von XXI bestehen läfst. Aber wie man auch über diese letzte Epistel 
der Sammlung, welche im Puteaneus bei V. 12 abbricht, und deren Fort- 
setzung nur in jüngeren Handschriften erhalten ist, urtheilen mag, die 
Schlufsverse derselben fordern für XX den analogen Schlufs, dem hier 
auch nicht einmal von Seiten der Ueberlieferung ein Bedenken entgegen 
steht (vgl. XIV 131; XVII (16), 266; X 140). 

Doch wie die Ueberlieferung nun einmal ist, mehr als die Mög- 
lichkeit, dafs auch diesen vier Heroidenbriefen ein Eingangsdistichon ver- 
loren gegangen sei, wage ich nicht zu behaupten, diese aber spreche ich aus 
nicht ohne Rücksicht darauf, dafs ich einen solchen Verlust für vier Briefe 
als erwiesen, für zwei weitere als wahrscheinlich gemacht betrachte, sowie 
im Hinblick darauf, dafs die überwiegende Gewohnheit des Dichters mehr 


Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. sl 


für als gegen derartige Briefeingänge spricht. Und um letzteres noch 
näher darzuthun, wird es nicht unnützlich sein, unsere Betrachtung über 
die Heroiden hinweg noch auf andere Dichtungen Ovid’s zu erstrecken. 

Wir besitzen aufser der Sammlung noch einen Ovidischen Heroiden- 
brief, den bei Erörterungen über jene nicht aufser Acht zu lassen, aus 
vielen Gründen geboten ist. Es ist der Brief der Byblis an ihren Bruder 
Caunus, Met. IX 520 ff., der obwohl als Theil der Erzählung kürzer ge- 
halten als die selbstständigen Briefe der Sammlung, dennoch in manchem 
Betracht Analogien bietet zu jenen. Ich begnüge mich den Anfang hier- 
her zu setzen: 

Sceripta soror fuerat: visum est delere sororem 

Verbaque correctis incidere talıa ceris: 

530 “Quam nisi tu dederis non est habitura salutem, 

Hane tibi mittit amans: pudet, a pudet edere nomen. 

Et si quid cupiam quaeris, sine nomine vellem 

Posset agi mea causa meo, nec cognita Byblis 

Ante forem quam spes votorum certa fuisset. 
Auf die in diesen Briefeingängen beliebte Doppelverwendung von salus habe 
ich zu Her. XI (S. 15) hingewiesen. Für unseren Zweck aber ist nament- 
lich zu beachten, dafs der conventionelle Briefanfang nicht fehlt und ob- 
wohl dies hier zu besonderem Effeet verwerthet ist, so erkennt man doch, 
sich im Eingang zu nennen, erschien der Schreiberin als das natürliche 
und gebotene. 

Aber Ovid hat in der letzten Epoche seines Lebens so viele Briefe 
geschrieben, dafs wer in dieser Gattung seine Manier (und bei keinem 
Dichter galt die Manier so viel) kennen lernen will, auch diese nicht darf 
unberücksichtigt lassen. Obwohl die wichtigsten in. Betracht kommenden 
Briefeingänge schon im Lauf der Erörterung verwerthet sind, erscheint 
es doch für unsere Beweisführung nicht unräthlich, sie hier der Reihe 
nach aufzuführen. 

Ex Ponto 

b4 Naso Tomitanae iam non novus incola terrae 
Hoc tibi de Getico littore mittit opus. 


12 Maxime — 
Forsitan haec a quo mittatur epistula quaeras 


32 VAHLEN: 


Quisque loquar tecum certior esse velis: 
Ei mihi: quid faciam? vereor ne nomine lecto 
Durus et aversa cetera mente legas. 
13 Hane tibı Naso tuus mittit, Rufine, salutem, 
(Qui miser est, ulli si suus esse potest. 
15 Ille tuos quondam non ultimus inter amicos, 
Ut sua verba legas, Maxime, Naso rogat. 
I7 Littera pro verbis tibi, Messaline, salutem 
(uam legis a saevis attulit usque Getis. 
Indieat auctorem locus? an nisi nomine lecto 
Haec me Nasonem seribere verba latet? 


18 A tibı dileeto missam Nasone salutem 
Accipe, pars anımae magna, Severe, meae. 
710 Naso suo profugus mittit tibi, Flacce, salutem, 
Mittere rem si quis qua caret ipse potest. 
II 2 Ille domus vestrae primis venerator ab annis 
Pulsus ad Euxini Naso sinistra freti 
Mittit ab indomitis hanc, Messaline, salutem, 
(uam solitus praesens est tibi ferre, Getis. 
Eı mihi, si lecto vultus tibı nomine non est 
Qui fuit et dubites cetera perlegere. 
Perlege, nec mecum pariter mea verba relega: 
Urbe licet vestra versibus esse meis. 
II 4 Accipe colloquium gelido Nasonis ab Histro, 
Attice, iudiecio non dubitande meo. 
115 Condita disparibus numeris ego Naso Salano 
Praeposita misi verba salute meo. 
Quae rata sit cupio, rebusque ut comprobet omen 
Te precor a salvo possit, amice, legi!). 


1) Hier ist mir die Kritik der neuesten Herausgeber unverständlich, von denen 
der eine (Korn) quae rata sit cupio, res atque ut comprobet omen, Te precor, der andere 
(Riese) quae rata sit cupio. rebusque ut comprober, omen Te precor edirt, während die 
Handschriften, die beste, rebusque comprobet omen, die übrigen dies mit dem unentbehr- 
lichen ut darbieten. Ich construire Quae (salus) rata sit cupio et ut ea rebus comprobet 
omen, precor ut a te salvo legi possit: "ich beginne meinen Brief mit einem Heilgruls und 


Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 33 


II 6 Carmine Graeeinum, qui praesens voce solebat, 
Tristis ab Euxinis Naso salutat aquis. 
Exulis haee vox est: praebet mihi littera linguam, 
Et si non liceat sceribere, mutus ero. 
1% Esse salutatum vult te mea littera primum 
A male pacatis, Attice, missa Getis. 
Proxima subsequitur, quid agas, audire voluntas!), 
Et si quidquid agis sit tibi cura mei. 
II 10 Eequid ab impressae cognoscis imagine cerae 
Haec tibı Nasonem scribere verba, Macer? 
Auctorisque sul si non est anulus index, 
Cognitane est nostra littera facta manu? 
Dale Hoe tibi, Rufe, brevi properatum tempore mittit 
Naso, parum faustae conditor Artis, opus. 
III 2 Quam legis a nobis missam tibi, Cotta, salutem, 
Missa sit ut vere perveniatque precor. 
III 3 Si vacat exiguum profugo dare tempus amico, 
OÖ sidus Fabiae, Maxime, gentis ades, 
Dum tibi quae vidı refero — 
III 4 Haec tibi non vanam portantia verba salutem 
Naso Tomitana mittit ab urbe tuus. 


115 Quam legis, unde tibi mittatur epistula, quaeris? 
Hine ubi caeruleis iungitur Hister aquıs. 
Ut regio dieta est, succurrere debet et auctor, 
Laesus ab ingenio Naso poeta suo. 


damit der im Worte ausgesprochene durch die That das gute Omen dieses Anfangs be- 
währe, wünsche ich, dafs du meinen Heilgrufs heil lesen mögest.. Rebus ‘durch die That’ 
schlielst den Gegensatz verbis in sich, hier wie Her. XIX (18), 1 Quam mihi misisti verbis, 
Leandre, salutem Ut possim missam rebus habere, veni, und wie Griechisch Aoyas — Eoyaıs 
ebenso im Gebrauch war wie Aoyu — Eoyu. 

1) Beide Herausgeber ediren voluptas mit der besten Handschrift, während die 
ganze Schaar der übrigen voluntas giebt. Das dünkt mich die Reverenz vor einer guten 
Handschrift zu weit getrieben. Denn voluptas giebt keinen Sinn, voluntas den besten: "das 
erste ist mein Grufls (salus), das zweite mein Wunsch (voluntas) zu erfahren, wie es dir 
geht und ob du meiner eingedenk bist.’ 


Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. I. b) 


34 VAHLEN: 


Qui tibi, quam mallet praesens adferre salutem, 
Mittit ab hirsutis, Maxime Cotta, Getis. 
III 6 Naso suo, posuit nomen cui paene, sodali 
Mittit ab Euxinis hoc breve carmen aquis. 


IVı Accipe, Pompei, deduetum carmen ab illo 
Debitor est vitae qui tibi, Sexte, suae. 
IV 2 Quod legis, o vates magnorum maxime regum, 
Venit ab intonsis usque, Severe, Getis. 
IV 5 Ite, leves elegi, doctas ad consulis aures 
Verbaque honorato ferte legenda viro. 
IV 6 Quam legis, ex illis tibi venit epistula, Brute, 
Nasonem nolles in quibus esse locis. 
IV 8 Littera sera quidem, studiis exculte Suilli, 
Huc tua pervenit sed mihi grata tamen. 
IV 9 Unde licet, non unde iuvet, Graecine, salutem 
Mittit ab Euxinis hanc tıbı Naso vadis. 
IV ı1 Gallio, erimen erit vix excusabile nobis, 
Carmine te nomen non habuisse meo. 
IV 12 Quo minus in nostris ponaris, amice, libellis 
Nominis effieitur condicione tuı. 
IV 13 OÖ mihi non dubios inter memorande sodales 
Quique quod es vere Care vocaris, ave. 
Unde saluteris, color hie tibi protinus index 
Et structura mei carminis esse potest. 
IV 14  Haee tibi mittuntur, quem sum modo carmine questus 
Non aptum numeris nomen habere meis. 
Selbst in den Tristien, obwohl die in diesen fünf Büchern enthaltenen Elegien 
nur zum kleinsten Theile wirkliche Briefe sind oder sein sollen, begegnen 
wir da, wo eigentliche Briefe beabsichtigt sind, auch wieder den gleicharti- 
gen Eingangsformen, wie um Ill 3, das früher schon erwähnt, zu übergehen, 
417 Vade salutatum subito perarata Perillam 
Littera, sermonis fida ministra mei. 
NA Quam legis ex illa tibi venit epistula terra, 
Latus ubi aequoreis addıtur Ister aquis. 


nn eg ne a nn ne 


Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 35 


V13 Hane tuus e Getico mittit tibi Naso salutem, 
Mittere si quisquam quo caret ipse potest. 
Wer aus diesen zahlreichen Beispielen, welche die Heroiden selbst und die 
übrigen Briefsammlungen darbieten, Ovid’s Weise den Brief eines Brief- 
eingangs nicht entbehren zu lassen, sich zu heller Anschauung gebracht 
und auch das nicht unbeachtet gelassen hat, wie sehr hier abrupte Rede- 
form seiner Gewohnheit entgegen war, der wird, denke ich, um so mehr 
den Gedanken von sich weisen, er habe einige Heroidenbriefe statt mit 
ganzen und vollständigen mit halben und abgerissenen Gedanken und Sätzen 
eröffnet, und wird es der Wahrscheinlichkeit entsprechend finden, dafs er 
diese Episteln auch da mit einem den Briefeharakter anzeigenden Eingangs- 
distichon werde versehen haben, wo ein solches heute fehlt und der strenge 
Beweis eines Verlustes aus den überlieferten Anfängen nicht geführt werden 
kann. Ob die sporadisch in Quellen von verschiedenem Werth und Alter 
erhaltenen Ergänzungen, deren Unächtheit aus inneren Gründen nicht zu 
erweisen ist, als ächt und ursprünglich anzusehen sind, ist eine Frage 
der Ueberlieferung, die vielleicht überhaupt nicht mehr, sicherlich nicht 
bei unserer gegenwärtigen Kenntnis der Ueberlieferung mit Bestimmtheit 
beantwortet werden kann. Und mein Zweck war es nicht sowohl den He- 
roiden Ergänzungen zu gewinnen als zu bekannten und anerkannten De- 
feeten einen neuen aufzuweisen. Die einundzwanzig Heroidenbriefe, die 
Ovid schwerlich jemals in einem oder mehreren Büchern vereinigt hatte, 
stammen aus einem verstümmelten Urexemplar, in welchem XXI bei v. 12 
abbrach, in XVI (Paris an Helena) in der Mitte ein erhebliches Stück, an 
funfzehnter Stelle der von Ovid geschriebene Brief der Sappho, und wie 
ich hinzufüge, dıe Eingangsdistichen mehrerer Briefe (letztere vermuthlich 
weil der Raum zu kalligraphischer Ausführung der Anfangsverse freigelassen 
war) fehlten. Aus diesem unvollständigen Exemplar sind die Heroiden, 
wie sie waren, ohne Markirung der Lücken in den Puteaneus abgeschrieben 
und durch seine Vermittelung verbreitet worden. Ob neben ihm eine an- 
dere alte Ueberlieferung hergegangen, aus welcher die Ergänzungen stam- 
men, das ist es, was ich unentschieden lasse, aber wie man auch darüber 
urtheilen mag, dafs Ovid einige seiner Heroiden ohne Anfang habe anfangen 
lassen, wird man künftig, wie ich hoffe, ebenso wenig glauben, wie, dafs 


er Her. XXI bei V. 12 abgebrochen habe. 


36 VAHLEN: 


Exeurs zu 8. 21. 


Ob das Distichon XVII 23. 24, das ich in seinem Zusammenhang 
hersetzen will, 
Talıbus exiguo dietis mihi murmure verbis, 
20 Cetera cum charta dextra locuta mea est. 
At quanto mallem quam seriberet illa nataret 
Meque per adsuetas sedula ferret aquas. 
23 Aptior ılla quidem placido dare verbera ponto: 
24 Est tamen et sensus apta ministra mei. 
worauf dann mit V. 25 
Septima nox agitur — 
die Erzählung eingeleitet wird, ächt sei oder nicht, diese Frage kann ich 
für meinen Zweck unentschieden lassen, will aber doch nicht unterlassen, 
anzumerken, dafs meines Erachtens der Ausdruck untadelig ist (mit sensus 
apta ministra mei von der schreibenden Hand vgl. Trist. III 7, 2 hittera 
sermonis fida ministra mei), dals die beiden Verse dem Zusammenhang 
sich ebenso wohl anschmiegen, wie sie dem Gedanken und der Stimmung 
des Schreibenden entsprechend sind, und endlich dafs der Umstand, dafs 
das Verspaar im cod. Putean. von zweiter Hand an den Rand gesetzt ist, 
in meinen Augen allein nicht schwer genug wiegt, um es zu verwerfen. 
Ueberhaupt verlangen die im Context der Heroiden in jener Handschrift 
fehlenden. und anderweitig ergänzten Verse eine besondere Untersuchung, 
bei der sich, wie ich glaube, herausstellen wird, dafs man auch in dieser 
Hinsicht zu der Unversehrtheit der Pariser Handschrift zu grofses und un- 
berechtigtes Vertrauen hegt. Ich will hier nur beispielsweise einiges er- 
wähnen, das vielleicht auch für meine Behandlung der Anfänge von eini- 
sem Nutzen ist. 
Hermione in der Gewalt des Pyrrhus, der sie dem Örestes geraubt, 
schreibt an Orestes VIII 15 
15 At tu, cura mei si te pia tangit, Öreste, 
Iniice non timidas in tua iura manus. 


Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 37 


An sı quis rapiat stabulis armenta reclusis, 
Arma feras, rapta coniuge lentus eris? 
Sit socer exemplo nuptae repetitor ademptae 
20 Nupta foret Paridi mater ut ante fuit. 
Die Verse 19. 20 hat Hr. Riese so abgeändert, 
Sis (socer exemplo est) nuptae repetitor ademptae: 
Nupta foret, Paridi mater ut ante fuit? 
aber mit seinen Aenderungen nur einen unverständlichen Ausdruck gewon- 
nen. Denn nupta foret, von der Hermione, wenn ich recht verstehe, hätte 
wenigstens Orest! oder raptori mupta foret heilsen müssen, damit ut Paridi 
mater sich passend anschliefsen konnte, und auch dann noch wäre weder 
‚foret genügend noch ante am Platz. Die hypothetische Frageform aber, 
die hier völlig unfafsbar ıst, kann nicht durch die anders gearteten und 
lichtvollen Stellen Amor. II 7, 25. Ars. II 699 gerechtfertigt werden. Wer 
unbefangen zusieht, findet, dafs beide Verse, wie sie überliefert sind, einen 
deutlichen und unanfechtbaren Sinn und Ausdruck ergeben: nur fehlt dem 
Gedanken des Pentameter der Vordersatz, der nicht entbehrt werden kann. 
Die Lücke also zwischen beiden Versen wird nicht zu bestreiten sein; und 
wirklich geben ein paar Handschriften des XIV. und XV. Jahrhunderts 
und einige alte Ausgaben folgende Abfolge: 
19 Sit socer exemplo, nuptae repetitor ademptae, 
Cui pia militiae causa puella fuit. 
St socer ignavus vidua stertisset in aula, 
20 Nupta foret Paridi mater ut ante fuit. 
Sofort ıst helle Klarheit verbreitet und jedem Wort der alten Ueberliefe- 
rung sein volles Recht geworden. Die Lücke also und dafs mit jener Er- 
gänzung der Gedanke des Dichters richtig wiedergegeben wird, sollte kein 
besonnener Kritiker bestreiten. Aber die Macht des Vorurtheils, über die 
ich im Text meiner Untersuchung mich ausgesprochen, wirkt auch hier 
verblendend. Weil man jenen beiden ergänzten Versen aus Gründen der 
Ueberlieferung glaubt mifstrauen zu sollen, sträubt man sich auch gegen 
die unausweichliche Annahme des Defectes und ersinnt lieber unhaltbares 
und verkehrtes. Aber mögen jene beiden Verse, deren Form trotz stertis- 
set nicht zu tadeln ist, auf conjecturaler Ergänzung beruhen, so ist die 
Conjecetur nicht schlecht, trifft auch in der Hauptsache das Richtige, und 


38 VAHLEN: 


es geschieht dem Dichter damit sicherlich weniger Unrecht, als mit Hrn. 
Riese’s Aenderungen oder Hrn. Sedlmayer’s Erklärung. 
V1 95 schreibt Dido, einst die Gemahlin des Sychäus, jetzt von 
Aeneas, nachdem sie ihm ihre Frauenehre geopfert, verlassen: 
Exige, laese pudor, poenas violate Sychei 
Ad quas (me miseram) plena pudoris eo. 
So vwiolate Sychei die beiden alten Handschriften Puteaneus und Guelferby- 
tanus, und mit dieser unverständlichen Lesung haben sich die älteren Kri- 
tiker und Erklärer weidlich abgequält. Die neuesten Herausgeber aber 
schreiben umbraeque Sychaei, und Hr. Riese hält nicht einmal für noth- 
wendig, anzumerken, dafs dieses umbraeque nichts ist als ein Einfall. Und 
es ist kein guter. Wer die überlieferten Worte ohne Vorurtheil betrachtet, 
wird leicht auf den Gedanken geführt, dafs die Stelle lückenhaft sei und 
dafs zwischen wolate und Sychaei ein paar Verse ausgefallen, in denen auch 
der Begriff enthalten war, an welchen ad quas sich anschlols. So bieten 
denn auch cod. Regius des Heinsius und ein Treviranus saec. XIII statt 
der zwei Verse folgende vier: 
Exige, laese pudor, poenas, violatague lecti 
Zura nec ad cineres fama retenta meos 
Vosque mei manes animaeque cinisque Sychaei 
Ad quas (me miseram) plena pudoris eo. 
Mir scheint nicht zweifelhaft, dafs die Lücke richtig angesetzt ist, in einer 
Weise, die auch den Anlafs des Defectes ersichtlich macht; und wie der 
Gedanke richtig getroffen, so ist auch an der Form der Ergänzung nichts 
Erhebliches auszusetzen (nec patris Anchisae cinerem manesve revelli sagt 
Virgil Aen. IV 427 (vgl. IV 34) und manes elicerent animas responsa da- 
turas Horatius Sat.1, 8,29). Aber mag die Ergänzung herrühren, von wem 
sie wolle, dem, der sie erfand, macht sie alle Ehre, und unsere Kritiker 
hätte sie wenigstens aufmerksam machen können, die Art und den Sitz 
der Verderbnifs der alten Ueberlieferung richtig zu erkennen. 


Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 39 


Exeurs zu 8. 27. 


Recht unüberlegt hat unlängst Krit. Comm. S. 21 Hr. Sedlmayer 
über das Distichon V, 3. 4 geurtheilt, 
Pegasis Oenone Phrygiis celeberrima silvis 
Laesa queror de te si sinis ipsa meo, 
das er für ein untergeschobenes erklärt. Aber pegasıs kann dafür keinen 
Grund abgeben. Man hat in älterer und wieder in neuerer Zeit an Pe- 
dasıs gedacht, das nicht unpassend war, aber auch singulär wäre. Aber 
wer wollte behaupten, dafs Ovid nicht pegasis (das als nom. propr. einer 
Nymphe bezeugt ist) habe zur Bezeichnung der fontana nympha (fontana 
numina Naiades Met. XIV 327) bilden oder anwenden können, und edita 
de magno flumine nympha nennt sich Oenone selbst V. 10. Wer von Grie- 
chen oder Römern hat die Musen Mnemonides (von Mvyucvn) genannt aulser 
Ovid (Met. V 268.280)? Der ganze Ausdruck aber pegasıs Oenone Phry- 
güs celeberrima siluis ist genau geformt wie Naıs Amalthea Cretaea nobilis 
Ida Fast. V 115, und dafs Phrygüs c. silvis im Gegensatz gegen das voraus 
gegangene Mycenaea mamı steht, bemerke ich im Text. Ferner ıpsa soll 
ein Fliekwort sein, ein Urtheil, das wenig Vertrautheit mit Ovid’s Sprache 
und Art bekundet. Haupt (Opp. 2, 186) hatte, als er die griechische Wort- 
stellung &=’ aures aurs besprach (zu den prosaischen Beispielen, die er 
bringt, kann noch gefügt werden r. Ül. p. 33, 16 ra aures aurod ducw), 
nicht unterlassen, auf eine ähnliche Art der Wortstellung bei Ovid hinzu- 
weisen. Er zählt folgende Beispiele auf: 
Am. 1, 7,26 Et valuı poenam fortis in ipse meam 
Ars am. 3, 668 Mittor et indicio prodor ab ipse meo 
Ibis 403 quem reddere vitam 
Urbe Coronides vidit ab ipse sua 
584 Et laesus lingua Battus ab ipse sua 
Ex Ponto 3, 3, 46 Diseipulo perii solus ab ipse meo 
Heroid. IX 96 Fertilis et damnis dives ab ipsa suis 
XI 18 Ut caderet cultu eultor ab ipse suo 
XIII 116 Languida laetitia solvar ab ipsa mea. 


40 VAHLEN: Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 


Diese Beispiele hatte bereits Heinsius zu Heroid. IX 96 zusammengestellt. 
Ich füge hinzu (aufser Virg. Aen. XII 639 oculos ante ıpse meos u. IV 233) 
Fast. V 551 Ultor ad ipse suos caelo descendit honores. 
Die Beispiele aus den Heroiden betrachtet Haupt nur als Nachahmungen 
der Ovidischen Art, wiewohl man eine so einzige Liebhaberei in lateini- 
scher Poesie nicht ungern demselben Dichter zuschreiben möchte. Auch 
darin kann ich Haupt nicht beistimmen, wenn er meint, der oder die 
Dichter seien nur durch die Bequemlichkeit des Versmalses zu dieser Wort- 
stellung veranlafst worden: sie dient vielmehr ersichtlich demselben Zweck, 
wie die entsprechenden griechischen Beispiele, durch die Aneinanderrückung 
der verschiedenen Pronomina den in ihnen liegenden Gegensatz zu schärfen. 
Und denselben Dienst thut »psa an unserer Stelle, obwohl hier eine Ver- 
schränkung der Wortstellung nicht einmal vorliegt. Denn zusammen gehört 
queror de te ipsa meo, ganz so hier, wie V. 134 poteras falli legibus ipse 
tus, und oftmals sonst. Nichts unbegründeter also als dieses zpsa zu tadeln. 
Aber auch s? sinis wird nicht gewürdigt. Denn warum sollte dies nach 
VI3 quantum sinis geformt sein? Hat doch s sinis hier seinen guten Sinn: 
queror de te, qwi si sinis meus es. Und auch das gehört zur Manier des 
Ovid, solch pointirte Bedingungssätze zwischenzuschieben, worauf S. 29 
hingewiesen ward. Ich rechne dahin auch X 75, welches Beispiel angeführt 
sei, um es vor Hrn. Riese’s Verbesserung zu schützen: 
Cum mihi dicebas ‘per ego ipsa pericula iuro 
Te fore, dum nostrum vivet uterque, meam. 
Vivimus et non sum, Theseu, tua, si modo vivit 
Femina periuri fraude sepulta viri. 

Denn Hr. Riese schreibt tua (s? modo vivis), Femina, was keinen Sinn giebt. 
Ariadne sagt “Wir leben beide und ich bin nicht dein, wenn anders leben 
heifsen kann ein Weib, das durch die Treulosigkeit des Mannes begraben 
ist” Auch hierüber urtheilt Hr. Sedimayer seltsam. — Ueber die Oenone 
bemerke ich noch, dafs auch an anderen Stellen die neueste Kritik diese 
Epistel mehr geschädigt als gefördert hat: denn welchen Sinn hat 154 
Nec deus, wenn man die Verse 151. 152 ausstreicht, und auch die Verse 
140 —145 sind, richtig verstanden, weder "abscheulich’ noch neptr. 


Ueber eine alte Genealogie der Welfen. 


Von 


B-SWATTZ. 


Philos.-histor. Kl. 1881. Abh.I. 1 


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Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 21. April 1881. E22 


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D.: Codex der Münchener Bibliothek Nr. 21563 (Weihenstephan 
63) enthält eine kurze Genealogie oder Geschichte der Welfen, die bis- 
her für einen Auszug der bekannten Historia Welforum Weingartensis (zu- 
letzt herausgegeben von Weiland, SS. XXI, S. 454) gehalten worden !) 
und deshalb wohl ungedruckt geblieben ist. Im vorigen Herbst von 
Hrn. Bibliotheksecretär Dr. W. Meyer mit gewohnter Gefälligkeit auf 
die Handschrift aufmerksam gemacht, begann ich eine Abschrift, die, da 
die Zeit sehr kurz gemelsen war, Prof. Wattenbach die Güte hatte zu 
Ende zu führen. Als ich das Stück hier genauer untersuchte, stellte sich 
allerdings sofort der engste Zusammenhang mit jener Historia heraus; 
aber ebenso bald fing ich an zu zweifeln, ob wir wirklich nur einen 
Auszug vor uns haben, und je länger ich mich mit demselben be- 
schäftigte, je mehr befestigte sich mir die Meinung, dafs nicht eine Ab- 
leitung, sondern vielmehr die Grundlage der Historia hier erhalten ist. 

Diese Annahme werde ich versuchen etwas näher zu begründen 
und zugleich den Text mittheilen, der später auch in die Monumenta 
Germaniae historica aufzunehmen sein wird. 

Was zunächst den Gedanken nahe legen muls, ist der Schlufs. Die 
Historia, nach Weilands Ausführung, mit welcher Giesebrecht ganz über- 


. 1) Oefele, Geschichte der Grafen von Andechs S. 11. 


4 WAITz: 


einstimmt, um d..J. 1170 geschrieben, ist bis Heinrich den Löwen fortgeführt 
und behandelt einen Theil seiner Geschichte, ausführlicher die seines 
Oheims Welf und dessen gleichnamigen Sohnes bis zu dem Tode des letz- 
tern im J. 1167. Die Genealogie dagegen geht nicht über Heinrich den Stolzen 
und Welf hinaus, erwähnt bei beiden weder der Nachkommenschaft noch 
der Vermählung, bei Heinrich auch nicht der herzoglichen Würde, die er 
1126 nach dem Tode des Vaters empfing. Ein dritter Sohn Konrad, 
der in diesem Jahre, noch vor dem Vater, starb, wird gar nicht genannt. 
Es würde wohl zu viel gefolgert sein, wenn man hiernach die Abfalsung 
gerade in dieses Jahr (zwischen 17. März und 21. December) setzen 
wollte; dafs die Bezeichnung Heinrichs als "dux’ fehlt, mag auch um so 
weniger hoch angeschlagen werden, da sie sich bei dem Vater gleichfalls 
nicht findet. Dagegen scheint es mir kaum denkbar, dafs der Heirath mit 
der Tochter König Lothars 1127 nicht gedacht sein sollte, wenn sie damals 
bereits stattgefunden, oder dafs gar schon der junge Heinrich (der Löwe) 
geboren (1129). Interessiert sich auch der Autor mehr für die Schwäbi- 
sche Linie, bei der ganzen Tendenz des Aufsatzes mülste es als un- 
begreiflich erscheinen, wenn der Verbindung mit dem neuen Königs- 
hause nicht Erwähnung gethan wäre. Ebensowenig ist dann von den vier 
Schwestern und ihren Ehen, von Welfs Vermählung am Anfang der 
30er Jahre (Adler, H. Welf VI. S. 104) die Rede. Und dafs man nicht 
sage, es habe dazu nur an Raum gefehlt, wenigstens in dieser Hand- 
schrift bleibt fast eine halbe Seite leer, und kann die Aufzeichnung hier 
auch keineswegs als original gelten — das verbieten ebenso wohl einige 
auffallende Schreibfehler, wie das Alter des Codex, der unter Abt Altum 
von Weihenstephan 1182— 1197 geschrieben ist —, so fehlt doch jeder 
Grund, um für die Vorlage etwas der Art anzunehmen. 

Wenden wir uns von dem Schluss zu dem Anfang, so komme 
ich da zu dem gleichen Resultat. Der Verfasser der Historia, der eine 
förmliche Geschichte des Hauses schreiben will, beginnt mit der Er- 
klärung: Generaciones principum nostrorum summa diligentia investigantes 
ac multum in diversis chronieis et historis sive antiquis privilegiis que- 
rendo laborantes, nullum nominatim ante Guelfonem comitem, qui tem- 
pore Karoli Magni fuerat, invenire poteramus; oder wie es wohl ur- 
sprünglich hiefs (Giesebrecht, SB. der Münch. Akad. 1870, S. 555): 


Ueber eine alte Genealogie der Welfen. 5 


Guelfonem comitem, qui t. K. M. f., nominatim invenimus. Er meint 
den Welf, dessen Tochter Judith Karls Sohn Ludwig d. Fr. heirathete. 
Von diesem weils aber unsere Genealogie absolut nichts. Sollte ein 
Epitomator, der für manches kleine Detail nachher Raum hatte, sich diesen 
erlauchten Anfang des Hauses, von dem er handelt, haben entgehen 
lassen? Das scheint mir ganz undenkbar. Vollends undenkbar, dafs er 
statt dessen eine ganz falsche Nachricht eingeschoben hätte. Er beginnt 
den Stammbaum ein Glied später mit einem Eticho, den die Historia wahr- 
scheinlich ganz willkürlich zu dem Bruder der Judith, also Sohn des 
ersten Welf macht, und legt ihm eine Tochter Hildisarda bei, die Luduwieus 
Balbus imperator accepit uxorem’. Es hat weder eine solche Hildegard 
(aufser der Gemahlin Karl d. Gr., die hier nicht in Frage kommen kann) 
im Karolingischen Hause, noch einen Kaiser Luduwicus Balbus gegeben. 
Öhne Zweifel liegt eine ganz entstellte Ueberlieferung von der Verbindung 
einer Welfin mit einem Kaiser Ludwig zu grunde. Dass sie falsch sei, 
konnte der gelehrte Mönch von Weingarten in den von ihm benutzten 
Chroniken und Historien leicht finden und die Nachricht beseitigen; das 
Richtige steht auch schon in der andern Aufzeichnung über den Stamm 
der Welfen, beim Annalista Saxo 1126 (SS. VI, S. 764), von der es frei- 
lich zweifelhaft ist, ob der Autor der Historia sie benutzte, die jedenfalls 
dem der Genealogie unbekannt war. Sie unterscheidet sich von beiden 
dadurch, dafs sie Eticho und Welf als Namen desselben Mannes erklärt, 
dem sie dann sofort einen Sohn Heinrich zuschreibt. Ebenso die Genea- 
logie ihrem Eticho, die Historia dem Eticho, Sohn des Welt. 

Es ist klar, dafs der Annaliısta so den Heinrich bis in die Karo- 
lingische Zeit hinaufrückt, auch die Historia ihm als Enkel jenes alten 
Welf eine frühe Zeit anweist, während die Zeit des Eticho in der Ge- 
nealogie mehr unbestimmt bleibt und also auch sein Sohn sich eher den 
späteren Gliedern des Stammbaumes anschliesst. Ich will übrigens die 
Bedenken, welche neuerdings besonders Meyer von Knonau gegen die 
Richtigkeit desselben geltend gemacht hat (Forschungen z. D. G. XI, 
S.79) und die im übrigen auch für diese Genealogie gelten, nicht weiter 
anfechten; sie treffen aber diese immer etwas weniger als den, wie ich 
meine, später zurechtgemachten Bericht der Historia. 


6 WAaıtz: 


Ich verweile zunächst noch bei der Abweichung in dem Anfang 
des Stammbaums. Indem die Historia hier einen Welf hat, beschäftigt 
sie sich auch ganz consequent gleich mit dem Ursprung des Namens. 
Die Genealogie kommt erst bedeutend später dazu, indem sie den Enkel 
Heinrichs, der ım 11. Jahrhundert lebte, als den ersten Welf erklärt. 
Die Historia sagt dann, einige leiteten den Namen von dem Römer Catilina 
ab, andere wülsten eine Geschichte zu erzählen wie das deutsche Wort 
“welf” (catulus) zu dem Namen Anlass gegeben, und fügt hinzu: Alü 
utrumque verum esse conieiunt. Dieunt enim, primo quidem, ut modo 
audistis, inventum esse, set deinde multo tempore refutatum et quasi in 
oblivionem tradıtum, denuo sie per imperatorem renovatum. Gerade das 
berichtet die Genealogie: Quod nomen quamvis a Romano nobilissimo Oa- 
tilina in hanc prosapiam sanguinis ratione descendit, a posterioribus ur- 
banıtatıs causa refutatum, sub hoc igitur renovatum dieitur. Soll man 
annehmen, dafs hier ein Epitomator von drei Meinungen gerade die dritte 
sich angeeignet hat? Weist nicht vielmehr das “Ali utrumque verum 
esse conieiunt direct auf diesen Bericht hin? Und wenn man dann die 
Geschichte von dem Kaiser bei beiden vergleicht, so kann es schwerlich 
einen Augenblick zweifelhaft sein, welche Fassung die ursprüngliche ist. 
Nach der Genealogie sagt der Kaiser spöttisch, da der Vater die Nach- 
richt von der Geburt des Sohnes erhalten: “Um des Welfen willen eilt 
ihr nach Haus‘, und jener antwortet: “Du hast einen Namen gegeben der 
bleiben soll. In der Historia fragt jener ebenso, aber der Vater 
erwidert: ‘Den Namen, den ihr dem Kinde gegeben, den: sollt ihr nach- 
her völliger ihm geben; wenn Gott nicht anderes zu bestimmen gut findet, 
sollt ihr ihn unter diesem Namen aus der Taufe heben‘. Dort, meine ich, 
die prägnante, volksthümliche Ueberlieferung; hier die kirchlich zurecht- 
gemachte Erzählung. 

Ich könnte glauben hiermit die Sache erledigt zu haben, wenn 
bei fast völliger Uebereinstimmung in den Nachrichten nicht einige Ab- 
weichungen sich fänden, die einer Erörterung bedürfen. 

Von der Tochter eines Grafen Cuno von Oehningen, dessen ver- 
wandtschaftliche Verhältnisse wenig im Klaren liegen (vgl. Meyer von 
Knonau, im Anz. für Schweiz. Gesch. 1870 Nr. 1), heisst es, dals sie 
einem comes de Andhese’ vermählt war. Statt dessen sagt die Historia: 


Ueber eine alte Genealogie der Welfen. 7 


comes de ‘Diezon’. Nun ist Diefsen und Andechs allerdings die Be- 
zeichnung desselben Grafenhauses; aber jene die ältere, und es könnte 
daher scheinen, das der Text, welcher diese bietet, den Anspruch auf 
gröfsere Ursprünglichkeit hätte. Doch war in der Zeit, wo wir die Ab- 
fassung der Genealogie annehmen, die Bezeichnung von Andechs die ganz 
allgemeine, auch nicht erst seit der Gründung des Klosters Diefsen im 
J. 1132, wie Riezler (Gesch. Baierns I, S. 855) sagt, sondern, wie die 
Urkunden zeigen (s. die Regesten bei Oefele, Geschichte der Grafen von 
Andechs S. 112 ff.) seit ungefähr 1100. Es wird also wohl nur Diefsen 
eingesetzt sein, weil der Autor der Historia wulste, dafs für die Zeit um 
die es sich handelt jener Name noch nicht zutreffend war. — Ich mag bei 
der Gelegenheit bemerken, dafs unter dieser Tochter Cunos keine andere 
verstanden sein kann, als die Gemahlin Friedrich (II) Kunizza, der in 
den Aufzeichnungen von Diefsen (SS. XVII, S. 329) ebenso wie hier Otto 
d. Gr. zum Grofsvater gegeben wird und die im J. 1020 gestorben sein soll, 
was man sicher nicht mit Oefele (S. 14) in 1120 ändern darf; hier an die 
Frau eines andern Friedrich (I) zu denken, ist gewiss gar kein Grund. 

Als Schwester der Kunizza wird in den Notae Diefsenses Rich- 
gardis, die Stifterin von Ebersberg, genannt. Im Chron. Eberspergense aber 
heisst dieselbe Schwester des Markgrafen Markward von Kärnten (SS. XX, 
S. 12), Richlindis dagegen, die Frau von Udalrichs Sohn Adalbero, die 
in kinderloser Ehe lebten, filia Rudolfi Suevi (S. 13), und es ist daher 
ohne Zweifel nur eine Verwechslung, wenn in der Genealogie die Tochter 
Rudolfs Richarda genannt und zur Stifterin von Ebersberg, aufserdem 
Geissenfelds und Küebachs gemacht wird. Denselben Irrtbum theilt die 
Historia, nur dafs sie den Grafen statt der Frau die Gründungen vor- 
nehmen lälst. Offenbar ward Richardis aber als die angesehen welche 
vorzugsweise die Stiftung veranlafst hatte: nach dem Chron. Ebersperg. 
ist ihr eine himmlische Erscheinung zutheil geworden: und in der Diefsener 
Aufzeichnung heifst sie sancta’. Genau ist jedenfalls auch die Erzählung 
der Historia nicht; denn nicht der Gemahl der Welfin Richlindis, sondern 
sein Bruder Eberhard gründete Geissenfeld, während Küebach allerdings 
dem Adelbero verdankt zu werden scheint (vgl. Hirsch, Jahrb. Heinrich Il. 
Bd. U, 8. 236). 


8 WAaAıITz: 


Die Ableitung der Richgarda von Otto dem Grofsen durch eine 
Tochter, die den Grafen Cuno, Vater von des Welfen Rudolf Gemahlin Ida, 
geheirathet, ist ebensowenig wie die der Kunizza in den Diefsener Auf- 
zeichnungen als historisch zu betrachten. Man mag bemerken, dafs die 
Genealogie den Namen dieser Tochter verschweigt, während die Historia 
sie Richlindis nennt, eine Benennung die, wie wir eben sahen, der 
Enkelin zukam. Da es eine solche Tochter Ottos nie gegeben, so kann man 
sagen, dafs der Irrthum der Genealogie geringer ist als der der Historia, 
die vielleicht, weil ja nicht selten Enkelkinder nach den Grofseltern be- 
nannt wurden, den Namen, den sie vorfand, willkürlich mit der be- 
rühmten Ahnfrau in Verbindung brachte. Was die Sache selbst betrifft, 
so scheint mir nicht zweifelhaft, dafs die Ueberlieferung den Welfen Cuno 
mit dem bekannten Schwiegersohn Ottos Herzog Konrad oder Cuno ver- 
wechselt hat. Was aber über die Nachkommenschaft gesagt wird, liegt 
sehr im Dunkeln, enthält gewils auch grofse Irrthümer, wenngleich ich 
nicht ohne weiteres alles für so reines Gebilde der Phantasie erklären 
möchte, wie es Meyer von Knonau gethan (Forschungen a. a. O.). 

Etwas weniger unrichtig ist zunächst wieder die Genealogie, wenn 
sie den einen Sohn nennt “Egebertum marchionem de Stadin’, während 
die Historia jedenfalls nicht glücklich amplificierend sagt: marchiam illam 
que est in finibus Saxonie versus Danos Stadin nominatam obtinuit; 
denn bekanntlich gab es keine Mark Stade und hatten die Grafen von 
Stade nicht die Mark gegen die Dänen, sondern die Slavische Nordmark inne. 
Dafs es unter ihnen keinen Ekbert gab, ist gewils genug: es scheint eine 
Verwechslung mit dem Braunschweiger Markgrafen von Meilsen vor- 
zuliegen, an den schon Eecard dachte (Orr. Guelf. II, S. 214), der dann 
freilich keinen Cuno zum Vater und nicht die drei hier genannten Brüder 
und Schwestern hatte, die unterzubringen allerdings vergebliche Mühe 
sein dürfte. Scheidt (a. a. OÖ. Anm.) hat dagegen an den Eebertus, 
Sohn der Ida von Elstorpe, gedacht, den der Graf Udo von Stade er- 
schlug und dessen Mutter 'nobilis femina de Suevia nata’ heilst. Man 
könnte anführen, dafs ihr Vater ein Graf Liudolf war, wie hier ein 
Bruder heifst, ihre Tochter Oda einen Rufsischen König heirathete, was 
hier von ihrer Schwester behauptet wird (vgl. Krause, Forschungen XV, 
S.639 #.), endlich noch an den Stiefvater des Liudolf, den König 


Ueber eine alte Genealogie der Welfen. g 


Konrad II. erinnern. Doch wäre so jedenfalls nur eine ganz verwirrte 
Kunde zu dem Autor der Genealogie gedrungen. Die Historia wiederholt 
einfach ihre Angaben. Die beiden Schriften decken sich hier vollständig; 
von einem Vorrang der einen oder andern kann nicht die Rede sein. 

Dasselbe gilt theilweise von einer Nachricht, die man auch wenig- 
stens angezweifelt hat: dafs aus einer unehelichen Verbindung eines Bru- 
ders des Grafen Rudolf, Eticho wie der Grofsvater genannt, mit einer 
Ministerialin die Familien von Hezilescella, Ustera, Ramphtiswilare (Rapreh- 
teswillare) stammen. Die erste hält Meyer von Knonau (a. a. O.) jeden- 
falls mit Unrecht für ein Geschöpf der Phantasie des Mönchs von 
Weingarten; denn nach dem Traditionsbuch des Klosters (Archiv VI, 
S. 491) schenkte im J. 1083 "quedam nobilis matrona Gisila nomine de 
Hezilescella’ dem Kloster Altorf ihr Erbgut “Hieinchoven nuncupatum 
ultra Danubium in pede Alpium situm’, was ja nicht blos die Existenz 
der Familie beweist, sondern auch eine Beziehung zu dem Welfischen 
Familienkloster wahrscheinlich macht. — Uebrigens weichen dann die 
beiden Darstellungen auffallend von einander ab. Nach der Historia (e.5) 
hat der Eticho nur eine Tochter, die der Oheim Rudolf, wohl als Haupt 
der Familie, frei läfst und mit reichen Gütern einem Edlen in Chur- 
walchen vermählt und die dann die Stammutter der genannten Familien 
wird. Dagegen sagt die Genealogie: Eticho habe mit seiner Frau Söhne 
und Töchter erzeugt und der Bruder jene sammt den Kindern frei- 
gelassen; von diesen stammten die drei Familien. Was richtiger — wenn 
überhaupt eins richtig ist —, läfst sich natürlich jetzt nicht ermitteln. 
Aber den Eindruck einer mehr ursprünglichen Ueberlieferung macht 
wenigstens mir die Erzählung der Genealogie, obschon — vielleicht kann 
man auch sagen weil — sie von dem "quidam nobilis de Retia Curiensi’ 
und den larga praedia’, die als Mitgift gegeben, nichts weils. 

Es ist aber eine Stelle, die man am ersten geneigt sein wird 
gegen die Selbständigkeit der Genealogie anzuführen. Von jenem noch 
halb der Sage angehörigen Heinrich, der mit an der Spitze des Stammes 
steht, sagt sie ganz kurz: imperatori hominium facit, und fügt hinzu: 
pater in Ambergov 12 monachos instituit. Es scheint das nur ein dürftiger 
Auszug aus jener bekannten Erzählung der Historia zu sein, dafs Heinrich 
ohne Wissen des Vaters dem Kaiser 'hominium et subjectionem fecit’ 

Philos.- histor. Kl. 1881. Abh. Il. 2 


10 WaıItz: 


und dafür ein grofses Lehn in Baiern empfing, der Vater aber, der die 
alte Freiheit des Geschlechtes dadurch geschändet hielt, mit 12 Begleitern 
‘ad villam que dieitur Ambirgou’ sich zurückzog, hier eine 'cella’ für 
Mönche begründete und dann sammt seinen 12 Begleitern in derselben 
begraben ward. Ich will auch nicht in Abrede nehmen, dafs der Autor 
der Genealogie diese Geschichte gekannt und auf sie hingedeutet hat, wie 
sie denn mit einigen Abweichungen auch in dem Bericht des Annalista 
Saxo vorkommt; aber dafs er seine kurze Notiz aus der Historia ge- 
nommen, scheint mir, abgesehen von allem andern was dagegen spricht, 
auch deshalb bedenklich anzunehmen, weil die Historia gar nicht von 
12 Mönchen spricht, sondern den alten Eticho mit jenen mythischen 
12 Begleitern, die überall in den Heldensagen auftauchen (D. VG. I, S. 488), 
in die Wildnis gehen läfst. Ebenso die Erzählung beim Ann. Saxo, die 
dann die weitere Geschichte von dem Erwerb des Landes mit dem 
goldenen Pflug hinzufügt und so zeigt, wie diese Sage in verschiedener 
Ausführung verbreitet war und also von dem Verfafser der Historia 
leicht der kurzen Andeutung der Genealogie substituiert werden konnte. 

Die Genealogie fährt fort, Heinrich habe die Mönche nach Alten- 
münster, von da nach Weingarten übertragen, ‘et dominas inde, que ibi 
erant, in Altenmünster transposuit'. Nur das Erste nımmt die Historia 
auf, statt des Zweiten läfst sie Heinrich zu Altorf ein Nonnenkloster 
gründen, und berichtet mehrere Capitel später, dafs Welf im 11. Jahr- 
hundert die Mönche von Altenmünster nach Altorf, die Nonnen von hier 
dorthin übertragen habe; und noch später, dafs ein gleichnamiger Sohn 
Weingarten gebaut und das Kloster von Altorf dahin verlegt. Dafs diese 
Angaben grofsen Bedenken unterliegen, ist schon öfter bemerkt (s. zuletzt 
Weiland S. 454 N.: Riezler I, S. 455); nach dem Bericht des wenig 
jüngeren Hermann von Reichenau hat vielmehr die Wittwe des ersten 
Welf Irmingard im J. 1036 in Altorf Nonnen an die Stelle von cleriei 
gesetzt; dann mufs die Verlegung derselben nach Altenmünster jedenfalls 
später erfolgt, Weingarten noch später erbaut sein, was man mit dem 
Brand von Altorf zusammenbringt, den Hermann 1053 berichtet. 
Sicher ist also die Erzählung der Genealogie falsch. Aber es scheint 
mir unmöglich, dafs sie aus der der Historia gemacht, entstellt sein 
kann, während der spätere Verfafser wohl den Irrthum einsehen und ver- 


Ueber eine alte Genealogie der Welfen. 11 


suchen konnte ihn zu verbessern, ohne dabei doch das Richtige zu er- 
reichen. Der Autor der Genealogie nimmt, dafs ich so sage, überall den 
Standpunkt einer naiven Wiedergabe der Tradition ein, während in der 
Historia eine mehr gelehrte Ueberarbeitung entgegentritt, die bald mehr 
bald minder glücklich ihre Aufgabe löst. Jener braucht deshalb auch 
von Anfang an den späteren Namen Weingarten, wo diese noch von Altorf 
spricht. 

Und wenigstens unmittelbar daneben hat die Genealogie offenbar 
das Ursprüngliche erhalten. Sie nennt die Frau des Heinrich Atha, die 
Historia (ce. 5) dagegen Beata. Spricht an sich die gröfsere Wahrschein- 
lichkeit für den Deutschen Namen, so erhält er eine bestimmte Be- 
stätigung durch das Traditionsbuch des Klosters (Archiv VI, S. 490), wo 
dieselbe Ata genannt wird !). Die Bezeichnung “de Hohinwarte’ (so 
die älteste Handschrift nach Giesebrechts Mittheilung, SB. der Münch. 
Akad. 1870, S. 558), die die Historia hinzufügt, ist nicht weiter zu be- 
legen. — Bemerkenswerth ist auch die Verschiedenheit in der Benennung 
des Gemahls von Welfs Tochter Kunizza, die den Markgrafen Azzo aus 
dem Hause Este heirathete und damit das jüngere Welfische Haus be- 
gründete. In der Historia (ce. 10) als "Azzo ditissimus marchio Italiae’ 
bezeichnet, heifst er in der Genealogie kurz "marchio Etius’, eine Form 
die an Este erklingt, die aber auch aus Atho entstanden sein kann. 

Beide Erzählungen berichten, dafs er zur Mitgift die curtis Elisina 
in der Lombardei erhalten, die durch Imiza (Irmengard), die Gemahlin 
Welfs (II), an die Familie gekommen sein soll. Diese wird auch in 
beiden Berichten nach der Grafschaft Gleiberg benannt, obschon diese 
erst ein Bruder derselben durch Heirath erlangte; die Historia fügt hin- 
zu: de gente Salica, eine Bezeichnung, die auch sonst von dieser Luxem- 
burgischen Familie gebraucht wird (vgl. VG.V, S. 164 N.); die Genea- 
logie hat ‘Salice und eine Lücke nach dem Wort, die man, wenn auch 
nicht ganz sicher, mit 'gentis’ ausfüllen mag. — Anstos haben die Worte der 
Historia erregt: ‘Per eam habemus’ u. s. w., da die Güter Elisina und 
Moringen (Mehring in Baiern), die genannt werden, nicht im Besitz 


1) Diese Form hat deshalb auch schon Stälin, Wirt. Gesch. I, S. 556, in den 


Stammbaum aufgenommen. 


12 WaıtTz: 


-_ 


des Klosters Weingarten waren, auf das man jenes "habemus’ hier be- 
ziehen mülste. 

Von der Italischen Besitzung hat dieses schon Weiland bemerkt 
(S. 460 N.). Mit Mehring verhält es sich ebenso. Im Jahre 1078 dem 
Herzog Welf wegen seiner Empörung gegen Heinrich IV. abgesprochen, 
ward es von dem König an das Bisthum Augsburg geschenkt (Mon. 
B. XXIX, 1, S. 202; Stumpf Nr. 2812), kam aber ohne Zweifel nach der 
Aussöhnung Welfs mit dem König ebenso wie das Herzogthum an jenen 
zurück; 100 Jahre später, 1172, verfügte Welf (VI) über einen Theil des- 
selben zu Gunsten des Klosters S. Udalrich und Afra zu Augsburg (Mon. 
B. XXII, S. 185). Zu der Zeit als die Historia geschrieben, war es un- 
zweifelhaft im Besitz des Welfischen Hauses !). An Weingarten ist also 
hier in der That nicht zu denken: einen so ganz unbegründeten An- 
spruch kann ein Mönch des Klosters unmöglich beiläufig erhoben haben. 

Derselbe Ausdruck findet sich aber nun auch in der Genealogie 
und ist nach unserer Annahme einfach aus dieser in die Historia hin- 
übergenommen. Dort aber wird er nicht dieselbe Bedeutung haben wie 
hier. Denn kann darüber kein Zweifel sein, dafs die Historia im Kloster 
Weingarten geschrieben ist, so wird man das von der Genealogie keines- 
wegs bestimmt behaupten können. Weingarten wird dreimal genannt 
ohne direete Andeutung, dafs der Autor zu demselben eine nähere Be- 
ziehung hat. Nur aus einer Stelle könnte man es schliefsen wollen, wo 
es von dem jüngeren Welf aus dem Hause Este heilst: cum tota here- 
ditas ad Sanetum Martinum Wingarten esset destinata, superveniens he- 
reditatem optinuit, was dann in der Historia weiter ausgeführt wird in 
Uebereinstimmung mit der noch ausführlicheren Erzählung in dem Codex 
traditionum (a. a. O. S. 690). Aber wenigstens zwingend scheint mir 
die Stelle nicht. Aulserdem heifst es in der Genealogie ganz am Schlufs: 
Gwelfonem nostrum genuit, was den Eigenthümer oder Herrn des Klosters 
bezeichnen kann, aber sich auch allgemeiner fassen läfst. Es ist daher 
vielleicht eine nicht zu kühne Vermuthung, wenn ich jenes "habemus’ und 
dies 'nostrum’ so deute, dafs hier der Autor nicht sowohl im Namen 


1) Vgl. Riezler, Das Herzogthum Bayern S. 237; auch Frey, Schicksale des 
königlichen Gutes S. ölff. 


Ueber eine alte Genealogie der Welfen. 13 


des Klosters, sondern der Familie spricht, dafs wir es mit einer Auf- 
zeichnung zu thun haben, die für diese verfafst ward, zu der ein Mit- 
glied derselben selbst das Material lieferte, wenn auch eine geistliche Hand 
die Feder führte. 

Allerdings, mufs ich schliefsen, unsere Kenntnis wird durch dies 
Denkmal Welfischer Geschichte nicht bereichert. Wenn es aber von 
Werth ist, die ursprüngliche und einfache Grundlage historischer Ueber- 
lieferung zu kennen, so darf die Genealogia ein nicht ganz geringes 
Interesse in Anspruch nehmen. 


1. Eticho genuit filium Heinricum et filiam Hiltigardam. Hilti- 
gardam Luduwieus Balbus inperator accepit uxorem. Hfeinrieus] inpe- 
ratorı hominium facit; pater in Ambergov 12 monachos instituit et ibi 
obüt. Heinricus monachos Altemunster transtulit, inde eos Wingarten, 
et dominas inde, que ıbi erant, in Altenm[unster] transposuit. 

2. Heinricus Atham duxit uxorem et genuit sanctum Chünradum 
Constantiensem episcopum, Ethichonem et Rüdolfum. 

3. Eticho sine legittimo matrimonio decessit, genuit autem ex 
quadam ministeriali sua, quam postea cum liberis Rüdolfus ob amorem 
fratris libertate donavit, genuit inquam filios et fillas, ex quibus illi de 
Hezilescella, de Ustera, de Ramphteswilaren !) descenderunt. 

4. Rüdolfus uxorem accepit de Oningen Itam nomine, cuius pater 
fuit Chüno nobilissimus comes, mater vero filia Ottonis Magni inperatoris 
fuit?). Is Chüno vero 4 genuit filios, Egebertum marchionem de Stadin, 
Leopaldum, Liutoldum, Chunonem, et 4 filias, quarum una isti Rü- 
dolfo, alıa cuidam ?) de Rinvelden parenti Zaringorum, 3° regi Rugorum, 


!) Ramphtes. wilare Hs. 
2) fuit filia Hs. 
3) quidam Hs. 


14 WaAıItTz: 


4° comiti nupsit de Andhese. Rüdolfus ex sua genuit Heinricum, qui 
apud Lönon in venatione saxo percussus interiit, et Gwelfum huius no- 
minis primum. 

5. Quod nomen quamvis a Romano nobilissimo Catilina in hanc 
prosapiam sanguinis ratione descendit, a posterioribus urbanitatis causa 
refutatum, sub hoe igitur renovatum dieitur, quod puero nato et mun- 
cio rei ad se facto inperator: "Pro catulo‘, ait, ‘qui tibi est natus, domum 
redire festinas. Et ille: ‘Nomen’, inquit, dedistis, quod mutari non de- 
bebit'. 

6. Genuit quoque R[udolfus] ex eadem Ita Richardam, que mo- 
nasterium Ebersperch fundavit, cum filios ex quodam ditissimo Baw[arie] 
comite non haberet. Fundavit quoque Gisenvelt et Chübach; set Ebers- 
perch sepulta 1acet. 

7. Gwelfo uxorem duxit Salice.....!) de Glizperch Imizam 
nomine, Heinrici Noricorum ducis sororem et Frideriei ducis Lotharin- 
gorum et Alberonis Metensis episcopi. Per eam habemus villam Moringen 
et Elisinam eurtem in Longobardia 1100 mansuum sub uno vallo. Hie 
Gwelfo eum Brunone Aug[ustensi] gwerram agens, ipsam cepit et ex- 
ussit ?) eivitatem; et Wingarten sepultus est, uxor eius Altenmunster. 

8. Hie genuit fillam Cunizam; quam marchio Etius cum curte 
Elisina accepit uxorem, et genuit ex ea Gwelfonem; et), patre sine 
filio herede defuncto, cum tota hereditas ad Sanctum Martinum Wingarten 
esset destinata, superveniens #), hereditatem optinuit et primus in Baw[a- 
rıa]l huius nominis dux factus est. 

VENEN GraLeeDIe 5) filiam comitis Flandrie, reginam Anglıe, 
Juditam nomine, et genuit ex ea Gwelfonem et Heinricum ©), unum 
post unum duces Baw[ariel. Gwelfo cum Timone archiepiscopo Hieroso- 
limam ivit et in via obit. 


1) In der Hs. leer. 

?) excussit Hs. 

3) a corr. etz vielleicht qui. 
*) supervenio Hs. 

5) In der Hs. leer. 

%) nomine in der Hs. getilgt. 


Ueber eine alte Genealogie der Welfen. 15 


10. Pro quo Gwelfo maior natu dux effectus Mathilde 1) comi- 
tisse nupsit ex Longoblardia]; set sine liberis obiit. Heinricus, frater 
eius, Wlfihildem, filıam.....?) et Sophie, sororis Cholomanni regis 
Ungarie, duxit, et ex ea Heinricum et Gwelfonem nostrum genuit. 


1) x athilde Hs. 
2) In der Hs. leer. 


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Ueber die Messung psychischer Vorgänge. 


Von 


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Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. III. 1 


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Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 3. März 1881. D 


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A Messung ist Vergleichung zweier Gröfsen, einer bekannten 
und einer unbekannten. Jene bildet den Masstab, diese den Gegenstand, 
der gemessen werden soll; und die Messung besteht darin, dafs festge- 
stellt wird, welchem Vielfachen des Masstabs die Gröfse des Gemessenen 
gleich ist. Alle Gröfsenbestimmungen sind daher an sich selbst blofse 
Verhältnifsbestimmungen: was sie angeben, ist nur das Gröfsenverhält- 
nifs eines Gegenstandes zu demjenigen, an dem er gemessen worden ist. 
Eine absolute Gröfsenbestimmung ist nur unter der Bedingung möglich, 
dafs der für sie verwendete Masstab ein absoluter, d. h. eine genau be- 
srenzte, allgemein bekannte und unveränderliche Gröfse ist; denn dann 
werden sich bei der nach diesem Masstab festgestellten Gröfse alle jeder- 
zeit dasselbe denken. Ein solcher absoluter Masstab ist nun die Zahl 
als das Mafs der diskreten Grölsen, alle Zahlenbestimmungen sind daher 
als solche durchaus genau und unzweideutig. Anders verhält es sich da- 
gegen mit den continuirlichen Gröfsen; und aus diesem Grunde büfsen 
auch die Zahlenbestimmungen bei der Anwendung auf gegebene Gegen- 
stände in demselben Mafse an ihrer Genauigkeit und Zuverlässigkeit ein, 
in dem es zweifelhaft wird, ob das, was als Einheit gezählt wird, wirk- 
lich etwas einheitliches, dem unter der gleichen Benennung mit ihm zu- 
sammengefafsten gleichartiges und von allem andern individuell verschie- 

1® 


4 ZELLER: 


denes sei. Mögen die continuirlichen Gröfsen intensive oder extensive, 
und in dem letzteren Fall Zeit- oder Raumgrölsen sein, so fehlt es uns 
an einem Malse, das für sie ebenso unbedingt gültig wäre, wie für die 
diskreten Gröfsen die Zahl, weil es für keine von ihnen etwas gibt, das 
sich ihrer Messung ebenso unbedingt als Malseinheit zugrunde legen liefse, 
wie der Zählung diskreter Gröfsen die Einzahl. Alle Masstäbe, die wir 
hier anlegen können, sind willkürlich gewählte; wir nehmen aus einer 
stetigen Grölse einen beliebigen Theil derselben heraus: einen Meter, eine 
Sekunde, ein Fufspfund u. s. w., und erklären ibn für die Mafseinheit, 
auf welche wir andere Gröfsen derselben Art zurückführen, mit der wir 
sie zum Zweck ihrer Messung vergleichen wollen. Bei stetigen Gröfsen 
ist daher überhaupt keine absolute, sondern immer nur eine relative 
Mafsbestimmung möglich: jede solche Bestimmung besagt nur, welchem 
Vielfachen einer willkürlich, begrenzten Gröfse die ihrige gleichkommt. 
Nichtsdestoweniger gibt es auch hier ein Mittel, um zu solchen Messun- 
gen zu gelangen, welche für uns den Werth einer absoluten Messung 
haben, indem man sich über möglichst genau bestimmte Masstäbe ver- 
ständigt, deren sich alle ın gleicher Weise bedienen, die daher bei allen 
die gleichen Gröfsenvorstellungen hervorrufen, wie etwa die Länge einer 
geraden Metallstange, oder die Zeit, die ein Pendel von gewisser Länge 
zu einer Schwingung braucht, oder das Gewicht eines aus reinem Wasser 
bestehenden Würfels von einer gewissen Ausdehnung. Aber wie schon 
diese Beispiele zeigen: jeder solche unveränderliche und allgemein an- 
erkannte Masstab muls von Raumgröfsen hergenommen werden, deren 
Mafs sich an gewissen langdauernden, oder in gleicher Beschaffenheit zu 
vervielfältigenden Körpern in einer allgemeingültigen Weise zur Anschau- 
ung bringen läfst. Wir messen die Zeit an dem Raume, den. ein be- 
stimmter Körper bei gleichmälsiger oder gleichmälsig wechselnder Be- 
wegung durchläuft; die Geschwindigkeit der Bewegung an dem Verhält- 
nifs der von verschiedenen Körpern gleichzeitig durchlaufenen Räume; 
die Kraft an der Gröfse der von ihr bewirkten Bewegung. Immer sind 
es schliefslich Raumgrölsen, welche das unveränderliche Element in un- 
sern Messungen bilden, und auf welche wir auch die Zeit- und Kraft- 
malse zurückführen müssen, um sie als einen sich gleichbleibenden Masstab 
verwenden zu können. 


Ueber die Messung psychischer Vorgänge. 5 

Aber wenn auch alle anderen Veränderungen in der Natur sich 

als mechanische Bewegungen oder als Complexe solcher Bewegungen 
auffassen und daher einer genauen Messung an constanten Grölsen unter- 
werfen lassen, so ist diefs doch bei den Bewulstseinserscheinungen als 
solehen nicht der Fall; und sogar wenn man annehmen wollte, die Be- 
wegungen im Gehirn, an die ıhr Eintreten geknüpft ist, seien nicht blos 
ihre Bedingung, sondern auch ihre alleinige Ursache, mülste man doch 
einräumen, dafs sie sich uns selbst nicht als mechanische Bewegungen, 
sondern ausschliefslich als qualitative Veränderungen darstellen, die keiner 
räumlichen Bewegung gleichartig genug sind, um an ihr gemessen werden 
zu können, dafs es für sie kein mechanisches Aequivalent gibt. Wir 
sehen allerdings, dals gewisse Bewulstseinserscheinungen durch äufsere 
Reize, alle durch den Zustand unseres Organismus und die in demselben 
sich vollziehenden Veränderungen bedingt sind; und wenn diese ihre Be- 
dingungen untersucht werden sollen, ist auch die genaue Messung in der- 
selben Weise anwendbar, wie bei jeder anderen physikalischen und phy- 
siologischen Untersuchung. Das gleiche gilt von den Wirkungen, welche 
die psychischen Vorgänge auf den Leib und durch ihn auf die Aulfsen- 
welt ausüben. Aber diese Messung ihrer Bedingungen und ihrer Wir- 
kungen ist etwas anderes, als eine Messung der psychischen Vorgänge 
selbst. An die letzteren läfst sich keiner von den Masstäben anlegen, 
deren wir uns für die Messung der körperlichen Bewegungen bedienen. — 
Jede psychische Thätigkeit füllt allerdings, wie alles Geschehen, eine ge- 
wisse Zeit aus; und so können wir denn auch die Dauer einer stetig 
verlaufenden Reihe von psychischen Thätigkeiten auf die uns geläufigen 
Zeitmalse zurückführen, und wenn sie durch äufsere Reize successiv 
hervorgerufen werden, die Zeit und den Rhythmus ihrer Aufeinander- 
folge nach derjenigen der entsprechenden Reize bestimmen. Aber ihre 
Geschwindigkeit können wir nicht ebenso messen, wie die der mechani- 
schen Bewegungen, weil das Mals, dessen wir uns bei diesen bedienen, 
das Verhältnifs des durchlaufenen Raumes zu der Bewegungszeit, hier 
nicht anwendbar ist und durch keine analoge Bestimmung ersetzt werden 
kann. Denn das einzige, woran etwa gedacht werden könnte, die Zahl 
der in einem gegebenen Zeitraum vollzogenen psychischen Akte, lälst 
sich aus naheliegenden Gründen niemals feststellen; und ebensowenig 


6 ZELLER: 


läfst sich die kürzeste Dauer eines solchen Aktes bestimmen, was man 
vielmehr derartiges versucht hat, beschränkte sich theils auf gewisse 
Sinnesempfindungen, theils war es schon defshalb sehr unsicher, weil 
nicht die Dauer der einfachen Empfindungen, sondern nur die Zeit ge- 
messen werden konnte, welche der Einzelne zu zwei aufeinanderfolgen- 
den Wahrnehmungen, oder zu einer Wahrnehmung und einer durch sie 
veranlalsten Bewegung braucht. — Jede psychische Thätigkeit hat ferner 
eine gewisse Intensität. Aber auch für diese fehlt es uns an dem festen 
Masstab, den wir besitzen müfsten, um ihre absolute Gröfse bestimmen 
zu können. Nicht einmal für die Sinnesempfindungen, wo man diefs noch 
am ehesten erwarten sollte, ist es möglich. Man könnte vielleicht ver- 
suchen, für jede Klasse von Empfindungen den mittleren Werth des 
kleinsten mittelst derselben wahrnehmbaren Reizes als Mafseinheit zu benutzen, 
und die Intensität jeder Empfindung in Vielfachen der ihm entsprechen- 
den eben merklichen Empfindung auszudrücken. Allein für’s erste sind 
diese eben merklichen Empfindungen nichts weniger als allgemein be- 
kannte und anerkannte, feste und unveränderliche Gröfsen, wie sie diefs 
doch sein mülsten, um als gemeinsamer Masstab für alle anderen dienen 
zu können; während sich vielmehr von der Länge eines Meters oder 
dem Gewicht eines Kilogramms jedermann mit leichter Mühe eine genaue 
und übereinstimmende Vorstellung beibringen läfst, würde man sich 
vergeblich bemühen, das gleiche Einverständnifs in Beziehung auf die 
schwächste Licht- oder Tonempfindung herbeizuführen. Sodann hätte 
aber auch die Anwendung dieses Masstabs mit unüberwindlichen Schwie- 
vigkeiten zu kämpfen. Die Aussagen unseres eigenen Bewulstseins über 
das Intensitätsverhältnifs unserer Empfindungen sind viel zu unsicher, 
als dafs sich in irgend einem Fall auf sie allein die Annahme gründen 
liefse, eine gegebene Empfindung habe, beispielsweise, die fünfzigfache 
oder hundertfache Stärke der eben merklichen Empfindungen dieser Klasse, 
Ist aber diese unmittelbare Messung der Empfindungen unthunlich, so 
bliebe nur übrig, sie mittelst der Reize zu messen, durch die sie erregt 
werden, indem man annähme, die Stärke jeder Empfindung verhalte sich 
zu der einer eben merklichen gleichartigen Empfindung, wie die Gröfse 
des Reizes, der sie erregt hat, sich zu der Gröfse des kleinsten wahr- 
nehmbaren Reizes gleicher Art verhält. Allein wir sind durchaus nicht 


Ueber die Messung psychischer Vorgänge. 74 


berechtigt, das Stärkeverhältnifs der Empfindungen dem der äufseren 
Reize proportional zu setzen. Ein bekanntes Gesetz spricht ja vielmehr 
aus, dafs der Empfindungszuwachs nur dem Logarithmus des Reizzuwach- 
ses proportional sei. Wir müssen daher sogar bei den Empfindungen 
darauf verzichten, ihre absolute Stärke auch nur in dem Sinn zu be- 
stimmen, in dem bei Gegenständen der äufseren Wahrnehmung von einer 
absoluten Gröfsenbestimmung gesprochen werden kann. Bei allen an- 
deren psychischen Vorgängen liegt ohnediels am Tage, dafs es uns an 
einem Masstab zur Bestimmung ihrer absoluten Intensität ganz und gar 
fehlt. — Das gleiche gilt aber auch von der Qualität der psychischen 
Vorgänge. Die Messung könnte sich hier nur auf den Grad der Gleich- 
heit oder Ungleichheit, der Uebereinstimmung oder des Gegensatzes zwi- 
schen zwei Bewulstseinserscheinungen beziehen. Aber nach welchem un- 
veränderlichen objektiven Masstab liefse sich dieser bestimmen? Es 
könnte einen solchen, wenn überhaupt, nur für die Sinnesempfindungen 
geben; denn schon die sinnlichen Lust- und Schmerzgefühle richten sich 
keineswegs blos nach der Stärke der gegebenen Reize, die gleichen äufse- 
ren Einwirkungen rufen vielmehr zu verschiedenen Zeiten und bei ver- 
schiedenen Personen oft Gefühle von sehr verschiedener Qualität und 
Intensität hervor. Aber auch im Gebiet der Sinnesempfindungen sind es 
im Grunde nur die Unterschiede der Tonhöhe, für die sich ein objektiver 
Masstab ergibt; denn wenn auch die Qualität der Farbenempfindungen 
von der Schwingungszahl der sie erzeugenden Lichtstrahlen abhängt, so 
kann man doch nicht sagen, dafs sie an derselben gemessen werden 
könne: theils weil uns die Schwingungszahlen der verschiedenfarbigen 
Lichtstrahlen nur annäherungsweise bekannt sind, theils und besonders, 
weil die Farben für unsere eigene Empfindung keine im Verhältnifs der 
Scehwingungszahlen fortschreitende Reihe bilden: das Grün erscheint uns 
dem Roth um nichts ähnlicher, als das Blau oder das Violett, und was 
man gewöhnlich, auf Grund der unmittelbaren Empfindung, für den weite- 
sten Farbenunterschied hält, und in der Logik seit Aristoteles als ste- 
hendes Beispiel des conträren Gegensatzes gebraucht, Weils und Schwarz, 
bezeichnet gar keinen Unterschied der Farbe, sondern nur des Hellig- 
keitsgrades. Etwas anders verhält es sich allerdings in dieser Beziehung 
mit den Tonempfindungen. Wenn die Höhe der Töne mit ihrer Schwin- 


8 ZIELILER: 


gungszahl steigt, so folgt daraus nicht blos im allgemeinen, dafs uns der 
Unterschied zweier Töne hinsichtlich ihrer Höhe um so kleiner erscheint, 
je kleiner, um so grölser, je gröfser der ihrer Schwingungszahlen ist, 
sondern es beruht hierauf auch die Möglichkeit, für die Höhenunterschiede 
der Töne in gewissen constanten Verhältnissen ihrer Schwingungszahlen, 
1:2, 2:3, 3:4 u.s. w. ein festes Mafs zu gewinnen, das sich auf Ton- 
reihen von der verschiedensten absoluten Höhe gleichmäfsig anwenden 
läfst. Das ursprüngliche Mittel zur Messung der Tonhöhe und ihrer Ver- 
hältnisse besteht aber freilich weder in diesem noch in irgend einem an- 
dern künstlichen Verfahren: ihre Messung durch das blofse Gehör ist 
nicht allein um unvordenkliche Zeit früher, als die Kenntnifs der Schwin- 
gungszahlen, sondern sie wird auch von der weit älteren, schon in der 
pythagoreischen Schule ausgeführten Messung der Tonverhältnisse an der 
Länge der tönenden Saiten und von der ihr lange vorangehenden Ein- 
theilung der musikalischen Instrumente schon vorausgesetzt. Was jedoch 
für uns noch wichtiger ist: diese Messung bezieht sich nicht auf die Ton- 
empfindungen als solche, sondern nur auf die Beschaffenheit der Reize, 
durch welche diese Empfindungen hervorgerufen werden; fragt man da- 
gegen, woher wir wissen, dafs die Unterschiede der Empfindung, welche 
wir mit den Namen der musikalischen Intervalle bezeichnen, immer gleich 
grofs seien, dafs z. B. ein Ton von 128 Schwingungen von einem solchen 
von 256 ebenso weit entfernt sei, als dieser von einem Ton, der aus 
512 Schwingungen in der Sekunde besteht, so kann man sich doch nur 
auf die Aussage unseres eigenen Bewulstseins berufen, dem eben die eine 
Entfernung der anderen gleich zu sein scheine. Und fragt man nun 
wieder, worauf diese Aussage sich gründe, und welches Verhältnifs un- 
serer Tonempfindungen mit dem Satz ausgedrückt werden solle, dafs ein 
Ton von einem zweiten ebenso weit entfernt sei, als dieser von einem 
dritten, so wird man kaum umhin können, der Ansicht beizutreten, dals es 
sich hiebei nicht sowohl um eine quantitative Messung, als um eine Ver- 
gleichung hinsichtlich gewisser qualitativer Merkmale handle. Zum Grund- 
mals für die musikalischen Intervalle ist dieser Ansicht nach die Oktave 
defshalb gewählt worden, weil hier die Klangverwandtschaft des höheren 
Tons mit dem Grundton die stärkste und auffälligste ist, indem jener 
die Theiltöne von diesem wiederholt, und ebenso sind die kleineren Inter- 


Ueber die Messung psychischer Vorgänge. 9 


valle um so allgemeiner anerkannt und werden um so sicherer bemerkt, 
je ähnlicher sich nach demselben Masstab der Beurtheilung die Töne sind, 
um deren Vergleichung es sich handelt. Beruht aber auch diese Ver- 
wandtschaft der Töne auf dem Verhältnifs ihrer Schwingungszahlen, so 
ist es doch nicht dieses, unserer Empfindung gänzlich verborgene Ver- 
hältnils, sondern die qualitative Beschaffenheit der Tonempfindungen, auf 
welche die Bestimmung der musikalischen Intervalle sich ursprünglich 
bezieht. 

Alle diese Erörterungen werden nun dem Satz zur Bestätigung 
dienen, dafs die psychischen Vorgänge als solche überhaupt nicht in dem- 
selben Sinn melsbar sind, wie Raum- oder Zeitgröfsen, mechanische 
Bewegungen und Kräfte, weil es für sie an den unveränderlichen Mas- 
stäben fehlt, nach denen die Geschwindigkeit ihres Verlaufs, der Grad 
ihrer Stärke, ihrer Gleichheit oder Ungleichheit bestimmt werden könnte; 
und dafs es auch bei den Sinnesempfindungen immer nur die sie bedin- 
genden äufseren Reize und organischen Processe, aber nicht die Empfin- 
dungen selbst als diese bestimmten Bewulstseinserscheinungen sind, auf 
die alle genaueren Messungen sich beziehen. Die psychischen Vorgänge 
selbst sind uns nur in unserem Selbstbewulstsein gegeben, und können 
daher auch, abgesehen von einigen wenigen Eigenschaften, die sie mit 
jedem zeitlichen Verlauf theilen, nur mit Bewulstseinserscheinungen, also 
mit einander verglichen und an einander gemessen werden. Von welcher 
Malseinheit sollen wir aber hiebei ausgehen? Für mechanische Bewegungen 
und Kräfte läfst sich, wie bereits bemerkt wurde, an körperlichen Gröfsen 
ein Masstab finden; unter den geistigen Vorgängen ist keiner, dessen 
Dauer, Intensität oder Qualität sich so genau abgrenzen und so unver- 
ändert in der Erinnerung festhalten liefse, dafs wir sie als festes Mals 
an alle andern anlegen könnten. Hier sind wir daher weit ausschliefs- 
licher, als bei äufseren Dingen und Vorgängen, auf jene relativen Grölsen- 
bestimmungen beschränkt, mit denen zwar auch bei diesen alle Messung 
beginnt, die aber bei ihnen durch die Ausbildung unveränderlicher Mas- 
stäbe berichtigt und absoluten Bestimmungen angenähert wird. Wenn 
wir zwei gegebene Bewulstseinserscheinungen mit einander vergleichen, 
so ist die erste derselben der Masstab, den wir an die zweite anlegen: 
jede Aussage über ihren Grölsenunterschied spricht nur aus, dafs die eine 

Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. Ill. 2 


10 ZELLER: 


um einen Theil oder ein Vielfaches ihrer selbst über die andere hinaus- 
gehe oder hinter ihr zurückbleibe, sie liefert uns eine blofse Verhältnils- 
bestimmung; und auch wenn wir im Stande wären, dieses Verhältnifs 
genau in bestimmten Zahlenwerthen auszudrücken (wozu in Wirklichkeit 
unsere innere Selbstbeobachtung als solche uns nie in den Stand setzt), 
so erhielten wir damit immer noch keine absolute, sondern erst eine 
relative Gröfsenbestimmung. Wir wülfsten vielleicht, dafs ein Ton die 
doppelte Dauer oder Stärke eines andern gehabt habe, aber wie lange er 
dauerte und wie stark er war, könnten wir nicht angeben. Nun bilden 
sich allerdings aus der Erinnerung an eine grölsere Anzahl gleichartiger 
innerer Vorgänge ebenso, wie diefs bei Gegenständen der äufseren Wahr- 
nehmung der Fall ist, gewisse allgemeine Vorstellungen über ihren durch- 
schnittlichen Verlauf und Charakter; und indem wir diese aus unserer 
bisherigen Erfahrung abstrahirten, als Niederschlag derselben in uns 
zurückgebliebenen Gemeinbilder zur Norm für die Beurtheilung der neu 
auftretenden Bewulstseinserscheinungen machen, gewinnen wir ein Mittel, 
um sie an einer sich einigermalsen gleichbleibenden Gröfse zu messen. 
Wenn wir z. B. sagen, wir haben uns in einem gegebenen Falle gut oder 
schlecht unterhalten, so leitet uns hiebei die Erinnerung an die Art, wie 
wir uns gewöhnlich unterhalten, wir wollen mit dieser Aussage zu 
erkennen geben, dafs der Ablauf unserer Vorstellungen leichter oder 
mühsamer vor sich gegangen, die damit verbundenen Gefühle angenehmer 
oder unbefriedigender, lebhafter oder schwächer gewesen seien, als sie 
diefs durchschnittlich zu sein pflegen. Aber so viel auch die Sicherheit 
unserer Lebensführung durch diese Fixirung gewisser psychischer Durch- 
schnittswerthe gewinnt, so kann doch schon das obige Beispiel darthun, 
wie weit solche nur auf allgemeinen Erinnerungsbildern beruhende Urtheile 
von der Genauigkeit einer wirklichen Messung entfernt, wie relativ die 
Masstäbe sind, die bei denselben in Anwendung gebracht werden, und 
wie unsicher ihre Anwendung selbst ist. Denn es müssen schon sehr 
merkliche Unterschiede vorliegen, wenn wir überhaupt mit Bestimmtheit 
sollen sagen können, dafs wir uns das einemal besser unterhalten haben, 
als das anderemal; auf die Frage vollends, die doch bei jeder wirklichen 
Messung zunächst erledigt werden mülste: um wie viel die eine Unter- 
haltung von der andern an Werth übertroffen worden sei, ist augen- 


Ueber die Messung psychischer Vorgänge. 11 


scheinlich gar keine Antwort möglich. Plato hat in der Republik 
(IX, 587, © fi.) allerdings ausgerechnet, dafs der wahre König 729 mal 
so angenehm lebe, als der Tyrann; aber im Ernste würde ihm wohl 
niemand diesen arithmetischen Scherz nachzumachen versucht sein. 

Diese Relativität aller psychischen Messungen erklärt nun einige 
Erscheinungen, die ich hier noch berühren will. 

Von malsgebender Bedeutung ist sie zunächst für die Gefühle der 
Lust und der Unlust. Die nächste Veranlassung jedes Gefühls liest in 
einer Veränderung unseres Zustandes, welche stark genug ist, um sich 
uns bemerkbar zu machen. Ob aber dieses Gefühl ein angenehmes oder 
ein unangenehmes, ein stärkeres oder schwächeres sein wird, diefs hängt 
lediglich von dem Verhältnifs des Eindrucks, den wir erhalten, zu dem 
Zustand ab, in dem er uns trifft. Derselbe Gegenstand ist nicht selten 
dem einen angenehm, dem andern unangenehm; der gleiche Vorgang ver- 
setzt eine Person in die lebhafteste Erregung, während er eine andere 
kalt läfst. Was in unserem Gefühl als solchem zum Ausdruck kommt, 
ist nicht die objektive Beschaffenheit und der objektive Werth des Gege- 
benen, sondern seine Bedeutung für uns: das Gefühl ist ein angenehmes, 
wenn die Veränderung unseres Zustandes, durch die es erregt wird, mit 
den in unserem Gesammtzustand begründeten Bedingungen unserer Lebens- 
thätigkeit übereinstimmt, und daher diese Thätigkeit fördert; es ist ein 
unangenehmes, wenn sie mit jenen Bedingungen nicht übereinstimmt und 
daher unsere Lebensthätiskeit hemmt oder stört. Und auch hiebei 
handelt es sich nicht um die allgemeinen und dauernden Bedingungen 
unserer Lebensthätiskeit, sondern nur um die in unserem jeweiligen, 
momentanen Zustand begründeten, die thatsächlich mit jenen zwar zu- 
sammenfallen können, aber nicht nothwendig zusammenfallen müssen. 
Unser sinnliches Gefühl belehrt uns darüber, ob eine Speise uns in diesem 
Augenblick zusagt oder nicht, aber nicht darüber, ob sie uns zuträglich 
oder nachtheilig ist; unser intellektuelles Gefühl darüber, ob eine Annahme 
mit unsern Ansichten übereinstimmt oder ihnen widerstreitet, aber für 
sich genommen nicht darüber, ob sie wahr oder falsch ist. Nun setzt 
sich allerdings unser Gesammtzustand in jedem Augenblick aus veränder- 
lichen und unveränderlichen, aus individuellen und aus generischen, zu 
der menschlichen Natur als solcher gehörigen Elementen zusammen; und 


DE 


12 ZELLER: 


so gibt es freilich Dinge, die allen Menschen einen gleichartigen Eindruck 
machen, jedem angenehm oder unangenehm sind. Wir gewinnen ferner 
im Laufe unseres Lebens durch Erfahrung, Unterweisung, Gewöhnung, 
Uebung und Nachdenken Charaktereigenschaften, Neigungen und Ueber- 
zeugungen, welche uns als fester Masstab für die Schätzung des Gegebenen 
dienen; und es ist die Aufgabe aller Bildung und Erziehung, uns auf diesem 
Wege von dem Wechsel der äufseren Eindrücke unabhängig zu machen 
und uns zur Gleichmäfsigkeit und Folgerichtigkeit unseres inneren Lebens 
zu verhelfen: uns dahin zu bringen, dafs nur das Gute unserem sittlichen 
Gefühl zusage, nur das Schöne uns gefalle, nur das Wahre uns wahr 
erscheine. Wäre dieses Ideal in irgend einem Menschen verwirklicht, so 
würde der subjektive und relative Masstab seines Gefühls mit dem objek- 
tiven und absoluten des wissenschaftlichen Urtheils seinem Inhalt nach 
zusammenfallen; und so weit es in dem Einzelnen verwirklicht ist, stimmen 
beide materiell überem. Aber ihrer Form nach unterscheiden sie sich 
selbst in diesem Fall immer noch dadurch, dafs nur das Denken die Dinge 
nach einem absoluten Masstab beurtheilt, unser Gefühl dagegen als solches 
nur ein bestimmtes Verhältnifs des Gegebenen zu unserem subjektiven 
Leben ausdrückt. Wie es auf einen gegebenen Eindruck reagirt, be- 
stimmt sich zunächst immer nach dem inneren Zustand, in dem dieser 
Eindruck uns trifft. Ist dieser unser Zustand so beschaffen, dafs das an 
sich Richtige uns angenehm, das Unrichtige uns unangenehm ist, so wird 
der subjektive Masstab, den wir im Gefühl an das Gegebene anlegen, 
thatsächlich zwar mit dem objektiven übereinstimmen, an sich selbst aber 
ist er ein blos subjektiver und daher ein relativer. Wenn wir uns einer 
Veränderung unseres Zustandes bewulst werden, vergleichen wir den neu 
eintretenden Zustand mit dem bisherigen, dieser bildet den Masstab, nach 
dem wir den Werth des Neuen beurtheilen. War unser bisheriger Zustand 
ein angenehmer, so wird der neue uns nur in dem Malfse gefallen, in dem 
er ihn fortsetzt oder steigert, sofern er ihn dagegen stört oder hemmt, 
wird er zunächst ein unangenehmes Gefühl hervorrufen, gesetzt auch, 
dafs sich dieses in der Folge, wenn wir die Vorzüge des Neuen kennen 
gelernt haben, wieder verliert. War umgekehrt der bisherige Zustand 
ein unangenehmer, so wird uns seine Beseitigung angenehm, seine Fort- 
setzung und Steigerung unangenehm sein. Unser Gefühl mifst den späteren 


Ueber die Messung psychischer Vorgänge. 13 


Zustand an dem früheren, so wie dieser aus dem Zusammentreffen aller 
seiner äulseren und inneren Bedingungen sich für unser eigenes Bewulst- 
sein gestaltet hat. Eben hierauf beruht die bekannte und vielbesprochene 
Wirkung des Contrastes auf das Gefühl. Der gleiche Verlust wirkt 
momentan erschütternder, wenn er uns ahnungslos, vielleicht in der Er- 
wartung des Gegentheils, trifft; dieselbe Freudenbotschaft aufregender, 
wenn wir nicht darauf gehofft haben. Die ergreifendsten tragischen 
Katastrophen sind die, welche über den Helden hereinbrechen, während 
er der Bedrängnils entronnen zu sein meint, wie Wallenstein, oder die 
er selbst dadurch auf sein Haupt herabzieht, dafs er die eigene Schuld 
enthüllt, indem er die fremde verfolgt, wie Oedipus; die durchschlagendste 
komische Wirkung entspringt aus dem Contrast zwischen dem scheinbaren 
Ernst der Lage und ihrer thatsächlichen Harmlosigkeit, zwischen der 
Nichtigkeit einer Sache und dem Pathos, mit dem sie betrieben wird. 
Diese Wirkung des Öontrastes beruht eben darauf, dafs unser Gefühl den 
Masstab für die Würdigung der Dinge zunächst dem Zustand entnimmt, 
aus dem wir in denjenigen übergegangen sind, auf den es sich bezieht. 
Wer einen seiner Angehörigen verliert, hat an sich selbst gleich viel 
verloren, ob er diesen Verlust erwartet hat, oder nicht; wem etwas Glück- 
liches widerfährt, der hat gleich viel gewonnen, ob er es gehofft, oder 
nicht gehofft hat; und nachdem der erste Eindruck vorüber ist, wird man 
sich auch schliefslich in dem einen Fall ebenso verhalten, wie in dem 
andern, die dauernden Wirkungen dessen, was wir erlebt haben, auch die 
psychischen, werden in beiden Fällen die gleichen sein. Wenn trotzdem 
das Unerwartete unser Gefühl um so viel lebhafter errest, als das, was 
wir vorhergesehen haben, so rührt dies lediglich von der Relativität des 
Masstabs her, dessen wir uns in unseren Gefühlen bedienen. 

Nicht anders verhält es sich aber auch mit unseren Sinnesempfin- 
dungen. Auch für diese gilt das Gesetz des Üontrastes. Das Weiss 
erscheint auf schwarzem Grund heller, das Schwarz auf weilsem Grund 
dunkler, jede Farbe neben ihrer Complementärfarbe gesättigter, als wenn 
sie für sich allein betrachtet werden; dieselben Speisen und Getränke 
machen einen verschiedenen Eindruck auf den Geschmack, je nachdem 
man diese oder jene andern vorher genossen hat; ein Stralsengeräusch, 
das die Bewohner einer grolsen Stadt kaum bemerken, kann dem, der an 


14 ZELLER: 


ländliche Stille gewöhnt ist, überlaut vorkommen; und das gleiche wieder- 
holt sich bei allen Arten sinnlicher Eindrücke. Der Grund kann hier 
gleichfalls nur darin liegen, dafs durch den Contrast der Masstab unseres 
Urtheils verändert wird, denn die Empfindungen als solche sind (abge- 
sehen von einzelnen, zu der Allgemeinheit der fraglichen Erscheinung in 
keinem Verhältnifs stehenden Fällen) die gleichen, was für andere 
Empfindungen ihnen auch vorangegangen sind oder neben ihnen hergehen. 
Ein und dasselbe erscheint uns verschieden, je nachdem wir es mit diesem 
oder mit jenem andern Gegenstand vergleichen, weil unsere Vorstellung 
von ihm erst durch diese Vergleichung ihre volle Bestimmtheit erhält, 
und diese Verschiedenheit in der Beurtheilung des gleichen Gegenstandes 
wird um so grösser sein, je weniger wir für dieselbe einen aus früheren 
Erfahrungen abstrahirten constanten Masstab mitbringen, oder einen solchen 
nach .den Umständen des gegebenen Falles anwenden können. 

Nur als ein Specialfall des bisher besprochenen, für alle unmittel- 
baren psychischen Messungen gültigen Gesetzes wird aber auch das schon 
S. 7 berührte Weber’sche Gesetz anzusehen sein. Dieses Gesetz spricht 
bekanntlich aus, dafs der Unterschied zweier qualitativ gleichartiger und 
daher hinsichtlich ihres quantitativen Verhältnisses vergleichbarer Empfin- 
dungen als gleich grofs empfunden werde, so lange ihr Verhältnils sich 
gleich bleibt, welches auch ihre absolute Gröfse sein mag; dafs daher bei 
der Steigerung der äufseren Reize der Empfindungszuwachs nicht dem 
absoluten, sondern dem relativen Reizzuwachs (oder, was dasselbe, dem 
Logarithmus des Reizes) proportional sei. Dieses Gesetz gilt nun aller- 
dings nur innerhalb gewisser, von der absoluten Empfindlichkeit unserer 
Sinne abhängiger, Grenzen, und auch hier nicht ohne Schwankungen, 
welche sich eben daraus erklären, dafs wir nur die Stärke und den 
Stärkezuwachs der äufseren Reize, die der Gehirnreize dagegen so wenig, 
wie die der Empfindungen, direkt messen können. Wenn wir ferner nach 
den Thatsachen fragen, aus denen es abgeleitet ist, so erscheint (abgesehen 
von der Bestimmung der Tonhöhe, bei der es sich nach dem früher 
bemerkten nicht um ein quantitatives, sondern um ein qualitatives Ver- 
hältnifs der Empfindungen handelt) als entscheidend nur die Beobachtung, 
dafs die kleinsten für uns bemerkbaren Intensitätsunterschiede der Empfin- 
dungen, und ebenso die kleinsten wahrnehmbaren Unterschiede der räum- 


Ueber die Messung psychischer Vorgänge. 6) 


lichen Ausdehnung, innerhalb gewisser Grenzen nicht von dem absoluten, 
sondern von dem relativen Verhältnifs der entsprechenden Reize abhängen. 
Dafs es sich aber hiebei nicht um ein specielles, auf den eigenthümlichen 
Bedingungen der Sinnesempfindung beruhendes, sondern um ein allge- 
meines psychologisches Gesetz handelt, mülste uns auch abgesehen von 
den bisherigen Erörterungen schon durch den Umstand wahrscheinlich 
werden, dals dasselbe nicht blos auf die Unterschiede der Licht- und 
Schallstärke, des Druckes, des Gewichts, der Temperatur, sondern auch 
auf die Abschätzung der räumlichen Ausdehnung Anwendung findet. Wenn 
wir zwei horizontale oder vertikale Linien mit einander vergleichen, um 
zu bestimmen, welche von beiden die längere ist, so bilden den Gegen- 
stand dieser Vergleichung nicht zwei Empfindungen, sondern zwei Raum- 
gebilde, die sich uns erst aus einer bestimmten Combination gewisser 
Empfindungen ergeben haben, und die Vergleichung selbst besteht darin, 
dafs wir das uns von der Anschauung der ersten zurückgebliebene 
Erinnerungsbild an das Anschauungsbild der zweiten als Masstab anlegen. 
Zeigt es sich daher, dafs uns, beispielsweise, der Längenunterschied von 
100 Linien und 101 Linien ebenso bemerkbar ist, als der von 100 Zollen 
und 101 Zollen, so folgt daraus nur, dafs jene kleineren Linien ein ebenso 
genaues Bild in uns erzeugt haben, als die gröfseren. Nicht anders wird 
es sich aber auch mit der Vergleichung unserer Empfindungen verhalten: 
je deutlicher sie sind, um so feinere Unterschiede zwischen ihnen und 
andern gleichartigen werden uns noch bemerkbar sein, um so gröfser 
wird, m. A. W., in Beziehung auf diese bestimmte Klasse von Empfindungen 
unsere absolute Unterschiedsempfindlichkeit sein; immer aber wird der 
Grad des Unterschieds zwischen zwei Empfindungen unserem eigenen 
unmittelbaren Bewulstsein sich ebenso grofs darstellen, wie der zwischen 
zwei anderen, wenn die zweite zu der ersten sich ebenso verhält, wie die 
vierte zu der dritten, weil wir für die Bestimmung desselben gar kein 
anderes Mafs haben, als das in dem Verhältnifs der verglichenen Empfin- 
dungen selbst liegende, und daher immer nur sagen können, dafs die 
Empfindung B um so oder so viel Theile oder Vielfache von A, nicht, 
dals sie um so oder so viel Theile oder Vielfache einer dritten, als 
absolutes Mafs an A und B anzulegenden Gröfse, von B differire; weil 
somit alle von uns bemerkten Unterschiede zwischen zwei Empfindungen 


16 ZELLER: 


nur ein bestimmtes Verhältnifs derselben darstellen, und daher auch bei 
der Veränderung ihrer absoluten Grölse uns unverändert erscheinen 
müssen, so lange jenes Verhältnifs sich nicht ändert.!) Es ist aber aller- 
dings möglich, dafs unter gewissen Bedingungen das Verhältnifs der 
Empfindungen selbst sich ändert, während das der äufseren Reize als 
solcher sich gleich bleibt; und eben hierauf möchte ich die scheinbaren 
Abweichungen von dem Weber’schen Gesetz, welche die Erfahrung zeigt, 
zurückführen. 

Es wäre von Interesse, die Richtigkeit der im vorstehenden ent- 
wickelten Auffassung auch noch durch weitere Beobachtungen und Versuche 
zu prüfen, indem z. B. untersucht würde, wie es sich in dieser Beziehung 
mit der Beurtheilung der Farbenunterschiede verhält, welche ebenso, wie 
die der Tonhöhe, qualitativer Art sind; ob für die Beurtheilung der 
zeitlichen Ausdehnung das gleiche Gesetz gilt, wie für die der räumlichen, 
so dafs der Unterschied in der Dauer zweier Vorgänge (etwa zwei auf- 
einanderfolgender Töne von gleichem Klang und gleicher Höhe) gleich 
bemerkbar bliebe, so lange das Verhältnifs der beiderseitigen Dauer sich 
gleich bleibt. Je mehr thatsächliches Material solche Untersuchungen 
liefern, und je schärfer bei ihnen darauf geachtet wird, welcher Art die 
psychischen Vorgänge sind, auf die sie sich beziehen, ob es die Intensität 
oder die Qualität, oder die räumliche und zeitliche Verknüpfung unserer 
Empfindungen ist, um deren Messung es sich handelt, um so sicherer 
werden sie uns darüber unterrichten, ob wir es hier mit physiologischen 
oder mit psychologischen Gesetzen zu thun haben. 


1) Die obige Deutung des Weber’schen Gesetzes, welche mir selbst von Anfang 
an als die wahrscheinlichste erschien, finde ich unter den mir bekannten neueren Dar- 
stellungen am bestimmtesten, wenn auch mit Beschränkung auf die Sinnesempfindungen, von 
Wundt, Physiolog. Psychol. 421 ff. 1. Aufl. ausgesprochen. Weiter vgl. m. G. E. Müller 
zur Grundlegung der Psychophysik 382 ff., wiewohl dieser selbst einer anderen rein 
physiologischen Deutung jenes Gesetzes den Vorzug gibt. 


Der Tempel der Athena Polias zu Pergamon 


von 
H" RICHARD BOHN, 
vorgelegt 


von H"" ALEXANDER COONZE. 


Philos.-histor. Kl. 1881. Abh.IV. 1 


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Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 7. Juli 1881. 


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Beisits bei der von Hrn. Humann angeregten und durchgeführ- 
ten Wiederentdeckung des grofsen Altars auf der Burg zu Pergamon 
lieferte die Ausgrabung und der Abbruch der Festungsmauer zahlreiche 
Bruchstücke, welche darauf hinwiesen, dafs man sich auch dem Heilig- 
thume der Athena Polias, dem ältesten und vornehmsten der Burg, nahe 
befand. 

Zwei Inschriften enthielten die Bestimmung, derzufolge sie einst 
im Hieron der Athena aufgestellt waren. Dieses Hieron konnte nicht 
ohne einen Tempel gedacht werden; denn das auf den Münzen von Per- 
gamon abgebildete alte Idol der Göttin stand gewils unter Dach. Jene 
zwei Inschriften aber waren längst von ihrem ursprünglichen Standorte 
entrückt und in die grofse Festungsmauer verbaut. 

Aufserdem galten acht andre Inschriften einzelnen Priesterinnen 
der Athena Polıas. Vier wiederum gehörten zu grofsen Weihgeschenken; 
als Gottheit, der die Darbringungen galten, erschien Athena entweder 
allein oder neben Zeus, wie sie mit ihm ja auch in den Hochreliefs des 
Altars besonders ausgezeichnet hervortritt. Von den im Umkreise des 
Altarbaus gefundenen Bildwerken stellten ferner eine unbedeutende Mar- 
morstatuette, so wie ein Relieffragment Athena dar. 


12 


4 Rıcnarp Bonn: 


Endlich kam aber aus der grofsen Mauer beim Abbruche eine un- 
kannelirte Säulentrommel 'von Trachyt zum Vorschein und auf ihr eine 
Inschrift, welche die Säule ausdrücklich als eine Weihung an die Trito- 
geneia bezeichnet. Ich lasse diese Inschrift hier in Facsimile folgen. 


Aus diesem erhellt beim Vergleiche mit den übrigen uns überkommenen 
Inschriften, dafs alle für den Wandel der Formen besonders charakte- 
ristischen Buchstaben in ihr erheblich alterthümlicher sind, als die der 
sonst frühesten für uns datirbaren Inschriften der Königszeit, nämlich die 
Attalos des Ersten. Bei der ersten vorläufigen Mittheilung der Inschrift!) 
habe ich zu Anfang das Wort zieva, ergänzt. Dieses kann aber wenigstens 
unmittelbar vor revde nicht gestanden haben; wiederholte Nachverglei- 
chung ergiebt vielmehr ein auf cs endendes Wort. Hierzu ist noch zu 
bemerken, dafs die erste. der drei Schriftzeilen unmittelbar unter dem 
oberen Rande der Säulentrommel steht, so dafs sehr wohl auf der über 
dieser liegenden Trommel der eigentliche Anfang der Inschrift gestanden 
haben kann. Immer bleibt aber die Ergänzung xieva wenigstens dem 
Sinne entsprechend. Nicht ein auf der etwa einzeln stehenden Säule auf- 
gestelltes Anathem kann der Gegenstand der Weihung gewesen sein; denn 
die Säulentrommel giebt sich namentlich durch die tiefe Spur eines Ver- 
schlufses als Theil eines Gebäudes zu erkennen. Wenn man nun eine 
Widmung des ‚ganzen Baus nicht auf eine der Säulen aufgeschrieben 
suchen wird, so bleibt eben nur die Weihung der Säule selbst übrig. 
Weihungen einzelner Theile eines Tempels sind auch sonst bezeugt und 
haben an sich nichts auffallendes. Somit durfte man diese Trachytsäule 


1) Die Ergebnisse der Ausgrabungen zu Pergamon. Aus dem Jahrb. der k. 


preufs. Kunstsammlungen Band I. Separatabdruck S. 75 f. Auf diesen Bericht mufs hier 


überhaupt verwiesen werden. 


Der Tempel der Athena Polias zu Pergamon. 5 


mit einiger Wahrscheinlichkeit als zum Tempel der Athena gehörig an- 
sehen. Nur gewährte ihr Fundort, da sie als Baustück in der grofsen 
Mauer verwandt war, dennoch wiederum keinen direkten Hinweis auf 
den einstigen Standort des Tempels. 

Bei täglich wiederholter Umschau auf der pergamenischen Burg 
glaubten jedoch schon gegen Ende der ersten Ausgrabungscampagne die 
Hrn. Stiller und Bohn einen Platz als den wahrschemlichsten Standort 
des Tempels bezeichnen zu können. Sie faflsten jene hohe Terrainecke 
nördlich oberhalb des Altarbaus ins Auge, welche von dem auf antiken 
Fundamenten ruhenden höchsten türkischen Mauerzuge eingefalst war. 
Machte Hr. Stiller die für einen ausgezeichneten Tempel seines Erach- 
tens besonders geeignete landschaftlich dominirende Lage geltend, so 
glaubte Hr. Bohn, wenn auch einige aus dem Rasenfelde hervorragende 
Säulenstumpfe sich nicht mehr in situ befinden sollten, dennoch in ihnen 
und einzelnen dazu passenden Baugliedern gradezu Reste des Tempels 
vermuthen zu dürfen, und gab der ganzen Annahme auf Tafel II des 
vorläufigen Berichts Ausdruck. Die Säulenstumpfe waren unkannelirt und 
aus dem Trachyt des Burgberges gearbeitet, wie jener mit der Weihin- 
schrift; sie stimmten jedoch in den Maalsen nicht ganz mit ihm überein, 
so dals in so weit über die Zugehörigkeit der Inschriftsäule einiger 
Zweifel blieb. 

Bei allem Umhersuchen nach dem Tempelplatze war eine frühere 
Annahme!) bereits ganz aufgegeben, dafs nämlich der auf allerhöchster 
Höhe der Akropolis in seinen Resten noch ansehnliche Tempel korinthi- 
schen Stils der Athena geheilist gewesen sein könnte; denn bei genauer 
Untersuchung dieser Ruine hatte sich aus den Gründen, welche auf S. 94 
des vorläufigen Berichts kurz zusammengefafst sind, ergeben, dafs der Bau 
dort oben vielmehr das im Jahre 29 v. Chr. errichtete Augusteum war. 

Die Hoffnung bei weiterem Nachsuchen in der Umgegend des 
Altarbaus noch Ergänzungsstücke zu den Skulpturen im Königl. Museum 
zu gewinnen führte im August 1880 zu einer Wiederaufnahme der Ar- 
beiten unter Hrn. Humanns bewährter Leitung. Vom December an trat 
ihm als Architekt Hr. Bohn zur Seite. Weitere historisch-topographische 


1) Abh. der Königl. Akad. der Wissenschaften zu Berlin 1872, S.49. 61. 


6 RıcuAarp Bonus: 


Aufklärung über die Akropolis der Attaliden konnte dabei nicht ausbleiben 
und Nichts durfte in dieser Richtung wichtiger erscheinen, als eine end- 
gültige Antwort auf die Frage nach Lage und Gestalt des Athenatempels 
als des Hauptheilisthums der Burg. 

Am 30. August 1880, wie ich den Berichten des Hrn. Humann 
entnehme, begann die Abräumung des Plateaus, auf dem, wie soeben 
dargelegt ist, vermuthungsweise der Tempel angesetzt wurde. Jene aus 
dem Boden herausragenden Säulenstümpfe erwiesen sich alsbald als auf 
späten Schutt ohne Fundirung aufgesetzt; auch andere ın sıtu befindliche 
Reste, die man dem Tempel hätte zuschreiben können, wollten sich zu- 
nächst durchaus nicht zeigen. Dagegen gab sich im Verlaufe der Auf- 
deckung der ganze Platz als antik gepflastert und im Norden und Osten 
durch eine Säulenhalle umfafst zu erkennen. Geläufiger antiker Weise 
schien es nur zu entsprechen diesen Platz nicht frei, sondern mit einem 
wichtigen Gebäude versehen zu denken, und dals auf einer Brüstung 
der Halle in reicher Zusammenstellung dem Land- und Seekriege ange- 
hörige Waffenstücke aller Art in Relief sich dargestellt zeigten, mulste 
aufs Neue zu der Annahme führen, dafs ein solcher baulicher Mittelpunkt 
des hallenumgebenen Platzes eben der Tempel der Athena Polias, die mit 
Beinamen Nıxy$eges genannt wurde, gewesen sein möchte. Dessen, wie 
einstweilen schien, vollständiges Verschwinden konnte immerhin durch 
fortgesetzte Benutzung des Platzes namentlich zu einem byzantinischen 
Kirchenbau, welcher bei der Aufräumung im Grundrisse hervortrat, er- 
klärt werden. 

Während die Ausgrabung inzwischen auch aufserhalb der Säulen- 
hallen fortgeführt wurde und im Osten derselben den antiken Eingang 
des oberen Burgplateaus, im Norden ein offenbar einst zur Bewohnung 
dienendes Gebäude mit unregelmäfsig zu einander liegenden Gemächern 
freilegte, gelang es endlich am 7. Februar d. J. Hrn. Bohn das Funda- 
ment und von da weiter beobachtend und schliefsend die schon früher 
in diesem Sinne ins Auge gefalsten Werkstücke eines dorischen Tempels 
als zu demselben gehörig zu erkennen. Dieser Tempel kann sowohl an 
sich, als nach Allem bereits sonst in Anschlag gebrachten und nach dem, 
was die Ausgrabungscampagne 1880/81 an neuen Fundstücken geliefert 
hat, nur der gesuchte Tempel der Athena Polias sein. 


Der Tempel der Athena Polias zu Pergamon. Y; 


Ich lege der Königl. Akademie die Entdeckung des Hrn. Bohn 
in seiner eignen Aufzeichnung als erste Mittheilung vor. Eine eingehen- 
dere Publikation bleibt dem in Vorbereitung begriffenen Werke über die 
Alterthümer von Pergamon vorbehalten. 

Conze. 


D.: Ausgrabungen der zweiten Campagne hatten auf dem Pla- 
teau nördlich des Altars bereits an manchen Stellen den gewachsenen 
Felsen freigelegt, an anderen zeigte sich hochalter Schutt als Füllmaterial, 
ein Zeichen, dafs dort niemals Fundamente gewesen. Bei genauerer Be- 
trachtung aber lenkten in dem westlichen Theile des Platzes einige zu- 
sammenhängende, direkt auf den Felsen gestreckte Platten meine Aufmerk- 
samkeit auf sich, die aus einem Material bestanden, wie es die Burg 
selbst liefert. Sie laufen in einer mit den übrigen Baulichkeiten diver- 
girenden, aber dem Westrande des Plateaus parallelen Richtung. Unmittel- 
bar nach einem Regen liefs aber die hellere Färbung der schneller trock- 
nenden, weil nur in dünner Schicht darauf lagernden Erde eine wenn 
auch unterbrochene Fortsetzung dieser Platten in südlicher Richtung er- 
kennen, namentlich aber auch zwischen ihnen und dem Westrande noch 
eine zweite Plattenreihe bemerkbar werden. 

Die in Folge dessen sofort begonnene sorgfältigere Reinigung dieses 
Abschnittes ergab zunächst, dafs wir hier die Reste von zwei parallelen 
eirca 1,35 Meter breiten Mauern vor uns hatten, deren von einander ab- 
gekehrte Seiten fluchtrecht waren, während die Innencontouren unregel- 
mälsige Linienführung zeigten. Dieser Umstand legte den Gedanken nahe, 
dafs beide Mauern zu einem Tempelstereobat gehören könnten. Beim 
weiteren Fortschritt der Grabungen, und nachdem der den nördlichen 
Theil deckende Rest einer byzantinischen Kirche abgebrochen war, kam 
denn auch die Krepis in ihrer Gesammtheit zu Tage, wie sie auf 
Blatt II, No. 1 dargestellt ist. Nördlich, östlich und südlich nur theil- 
weise noch in einer direkt auf den dazu geebneten Fels gestreckten Platte 
erhalten, westlich bei fallendem Terrain, noch bis zu vier Schichten 


8 Rıcuarp Bonn: 


hinabreichend. Die Dimensionen bestimmen sich auf 13,02 Meter Breite 
bei 22,53 Länge. Die Längsaxe weicht nur um 5° östlich von der Süd- 
Nord-Linie ab. Die Orientirung ist also nordsüdlich, wie auch bei der 
Rekonstruktion des grofsen Altars angenommen worden ist, auf dessen 
Anlage also die Richtung des Tempels nicht ohne Einfluls gewesen sein 
dürfte. 

In dem so umschlossenen Areal trat durchweg der gewachsene 
Fels auf und schien anfänglich für jede weitere Erkenntnifs zu versagen. 
Erst die minutiöseste Reinigung liels einige für die Eintheilung entschei- 
dende Anhaltspunkte gewinnen: zunächst Reste der Fundirung für die 
westliche Cellawand, nördlich einige Platten, südlich nur unbearbeitete 
Blöcke zur Ausgleichung des unebenen Terrains, an letztere anschliefsend 
eine mittlere Quertheilung; sodann symmetrisch zu beiden Axen nahe der 
Nord- resp. Südfront je zwei Felsbearbeitungen, welche auf die sorgfälti- 
gere Fundirung einer Stütze hinweisen, also die Stellung der Säulen im 
Pronaos und Opisthodomus ergeben !). 

War somit die Disposition als die eines Peripteraltempels im All- 
gemeinen gegeben, so versagten die geringen Reste jedoch irgend einen 
Schlufs auf die Gestaltung des Aufbaus vollständig. Aufklärung hierüber 
konnte nur durch die vergleichende Messung sämmtlicher in der Umge- 
bung auf dem Tempelplateau und an dessen Hängen südlich und westlich 
verstreuten Bauglieder gewonnen werden. Dafs die schon im Vorjahr ver- 
muthungsweise als Theile des Athenatempels angesehenen Stücke wirklich 
zu ihm gehörten, bestätigten die Fundumstände sowohl, wie namentlich 
die Beobachtung, dals die ermittelte Triglyphenaxe von 0,79 Meter in 
der Eintheilung der Fundamentplinthen wiederkehrte. 

Nachstehend gebe ich eine kurze Erläuterung zu dem auf Blatt III, 
dargestellten System des Aufbaus, so weit es sich mit Sicherheit bestim- 
men liefs. 

Der Tempel war durch zwei Stufen von je 0,24 Meter Höhe über 
das ihn umgebende Niveau des Peribolus emporgehoben. Auf der Mitte 
jeder dritten von denjenigen Platten, welche die Oberstufe bildeten, stan- 
den die Säulen, je sechs in der Front, zehn in den Längsseiten; ihre 


1) Die auf dem Plane dargestellten oblongen Eintiefungen sind in den Fels ge- 
arbeitete Gräber aus byzantinischer Zeit. 


Der Tempel der Athena Polias zu Pergamon. 9 


Axweite beträgt 2,37 Meter, der untere Durchmesser 0,755, der obere 
0,605 Meter. Sie bestehen mit Ausschlufs des Capitäls aus je fünf Trom- 
meln, und die Gesammthöhe von 5,25 konnte deshalb genau bestimmt 
werden, weil die entsprechenden Trommeln jeder Säule gleich hoch sind 
und zwar in aufsteigender Folge 1,248 1,120 0,961 0,876 0,750; hierzu 
kommt das Capitäl von 0,295 Höhe mit dreitheiliger Riemchenfessel, 
kleinem aber strammem Echinus und niedrigem Abakus. Während an 
demselben die zwanzig Oanneluren angearbeitet erscheinen, sind die Trom- 
meln glatt. Man muls also annehmen, dafs sie die letzte Vollendung 
nicht erhalten haben. Der Contour zeist eine schwache Entasis. 

Der Architrav, 0,480 hoch, besteht aus zwei neben einander liegen- 
den Blöcken, der äufsere glatt mit niedrigem Abacus und Tropfenresula, 
je einer halben an beiden Enden und dazwischen zwei ganzen; also ein 
direkter Beweis für dreitriglyphisches System. Das Innenstück ist nie- 
driger und hat zwei Fascien, auf welchen, aus einem besonderen Block 
gearbeitet und auf den dazu ausgefalzten Architrav übergreifend, ein 
Kyma mit Abacus ruht. 

Das Triglyphon 0,535 hoch, besteht aus einzelnen Blöcken, deren 
jeder eine Triglyphe von 0,310 Breite mit anschliefsender Metope um- 
falst. Das Relief ist gering, die Glyphen sind oben rund geschlossen. 

Darauf ruht das Geison, welches in guter dorischer Formenbildung 
verhältnilsmäfsig wenig Höhe (0,208) bei knapper Ausladung zeist. 

Für die weitere Gliederfolge versagen die Funde; wohl ist es 
wahrscheinlich, dafs einige unweit gefundene schlichte Akroterien die 
obere freie Endigung der Längsfronten bildeten, doch mulste von Darstel- 
lung derselben in der Zeichnung Abstand genommen werden, da nament- 
lich auch die Art ihrer Verbindung mit dem Geison fraglich erscheint. 

Die Cella erhob sich mit einer Stufe von 0,29 Meter über das 
Niveau des Pteron. Ist auch ihre Disposition nicht durchweg sicher, 
so erscheint doch die Gestaltung des Pronaos und Opisthodomus zweifel- 
los: je zwei Säulen zwischen Anten. Welche Trommeln zu den Säulen 
des Pronaos und Opisthodomos gehören, konnte Anfangs nicht fest be- 
stimmt werden; doch ergab sich schliefslich nach Material, Technik 
und Maafsstab, so wie aus dem Funde einer zweiten zugehörigen Trom- 
mel, dafs die oben S. 4 erwähnte Säule mit der Weihimschrift in der 

Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. IV. 2 


10 Rıcuarp Bonn: 


That dahin gehören wird. Die Anten sind mit einer der Front zugewen- 
deten Stirn und zwei anschliefsenden Schmalseiten gebildet und zwar als 
vertikale Pfosten abwechselnd mit Plinthen, welche in die Wand einbin- 
den. Gekrönt wird die Cellawand durch einen der Innenseite des Ar- 
chitravs entsprechend profilirten Block. Für die Rekonstruktion der wahr- 
scheinlich aus Holz hergestellten Pterondecke, der Giebelneigung und des 
Dachgerüstes fehlt jeder nähere Anhalt. 

Eine Thür ist durch die in Fragmenten vorhandene einfach profi- 
lirte Umrahmung mit krönendem Gesims bezeugt. Da einige Reste vor 
der gesicherten mittleren Trennungswand etwa als Theile der Fundirung 
einer aufgestellten Statue gedeutet werden können, so wird der Stand- 
punkt der Thür, was auch nach ihrer Formengebung wahrscheinlich ist, 
nur zwischen Pronaos, bezüglich Opisthodomus und Cella angenommen 
werden können. 

Zahlreiche seitliche Dübellöcher in den Säulen bekunden, dafs ein 
theils fester, theils beweglicher Verschlufs des Pteron vorhanden war. 
Unmittelbar vor der Südfront läfst die erweiterte Felsbearbeitung sich als 
Stelle für einen Altar deuten, womit eine daneben befindliche noch jetzt 
erhaltene Cisterne zum Wasserschöpfen in Verbindung gedacht werden 
könnte. Vor der Südwestecke fand sich der Rest eines vertikalen Ab- 
fallrohres aus Thon. 

Ich füge noch einige Bemerkungen über die Technik hinzu. Das 
Fundament zeigt exakten Fugenschlufs; sämmtliche Plinthen waren durch 
Klammerbänder und zwar aus Holz verbunden, die jetzt allerdings durch 
die eingedrungene Erdfeuchtigkeit vollständig verwittert sind; nur die 
Eekplatten sind durch noch vorhandene schmale Eisenklammern, sowie 
durch Vertikaldübel gehalten. Die Form der Holzklammer war annähernd 
stets die gleiche und zwar, wie aus dem noch gut erhaltenen Umrifs der 
Bettungen hervorgeht, in medio 0,23 lang, doppelschwalbenschwanzförmig, 
in der Fuge 0,045, an den Enden 0,065 breit, bei 0,030 Tiefe. Beson- 
dere Erwähnung verdient, dafs die in der Unterfläche befindlichen Eintie- 
fungen an den oberen Stylobatplinthen durch dünne Vertikalröhren mit 
der Oberfläche verbunden sind, was wohl nur dazu dienen konnte, das 
Vergufsmaterial, statt wie sonst seitlich, von oben einzuführen. Die Säu- 
lentrommeln haben einen Dübel in der Mitte mit seitlichem Gufskanal. 


Der Tempel der Athena Polhias zu Pergamon. al 


Als Maafseinheit ist dem gesammten Bau der Philetairische Fufs 
— 0,34994 zu Grunde gelegt; beispielsweise sei nur die Frontbreite, in 
der obersten Stufe gemessen, mit 12,250 — 35’, die Säulenhöhe mit 
5,25 — 15’, die Gebälkhöhe 1,22 — 3}’ erwähnt. 

Um zum Schlufs auch auf die Benennung des Tempels als den der 
Athena Polias näher einzugehen, darf zunächst die Lage nicht unbeachtet 
bleiben (siehe den Situationsplan Taf. I). Sie ist besonders ausgezeichnet, 
nicht auf dem höchsten Gipfel, sondern auf der zunächst unterhalb des- 
selben gelegenen, aber weit vorspringenden Kuppe, wie wir einen solchen 
für Anblick und Aussicht gleich günstigen Standpunkt mit feinem künst-- 
lerischen Gefühl auch sonst wohl — ich erinnere nur an den Appollo- 
tempel bei Phigalia — gewählt finden. Als der Tempel gegründet wurde, 
war man in der Wahl des Bauplatzes noch nicht beschränkt. Wenn auch 
dieser Zeitpunkt nicht genau bestimmbar ist, so fällt er doch sicher vor 
die Königszeit. Denn hier bildet noch nicht Marmor, sondern der schlichte 
Stein, wie ihn der Burgfelsen selbst liefert, das Baumaterial, hier herrscht 
Holzverdübelung vor, hier zeigt sich strikte Gebundenheit in den Stofs- 
fugen bis in die Fundamente hinab und die Details sind streng gezeich- 
net: Alles Dinge, welche der Königszeit, wie die durch unsere Ausgrabun- 
gen wiedergewonnenen Denkmäler beweisen, schon vollständig fremd sind. 

Gehört die oben erwähnte Säule mit der Widmungsinschrift wirk- 
lich zum Tempel, so tritt der palaeographische Beweis für das Alter des 
Baues zu den andern hinzu, und die Benennung des Tempels ist dann 
an ihm selbst gegeben. 

Aber auch abgesehen davon lassen die Fundstücke in und um das 
Heiligthum die Athena in Bildwerk und Inschrift als die Tempelgöttin 
hervortreten. Die letzte Ausgrabungscampagne hat in unmittelbarer Um- 
gebung des Tempels zwei Athena-Statuen und ein Relief geliefert, auf 
welchem letzteren in ornamental symmetrischer Anordnung zwei Stiere 
vor dem Idole der Athena Polias von Löwen zerrissen werden. Ferner sind 
mehrere inschriftliche Weihungen an Athena namentlich von plastischen Stif- 
tungen der Könige auf und unterhalb des Plateaus gefunden worden. Sie 
alle mögen ihre Aufstellung rings um den Tempel, namentlich nördlich 
und östlich, gehabt haben, wo sich ein weiter plattenbelegter Platz aus- 
dehnt. Abgeschlossen war dieser an den gedachten Seiten durch eine erst 


I* 


12 Rıcn. Boun: Der Tempel der Athena Pohas zu Pergamon. 


in der Königszeit hinzugefügte doppelgeschossige Halle, zweischiffig im 
Norden, einschifig im Osten. Die beifolgende Skizze zeigt das System, 
dessen Verwandtschaft mit dem der 
Halle Attalos des Zweiten in Athen 
augenschemlich ist. Auf den unteren 


dorischen Säulen, bei denen in Hö- 
henverhältnifs und Formengebung der 
Einflufs des Athenatempels offenbar 


erscheint, ruht ein dorisches Gebälk; 


das Obergeschofs hat ionisch canne- 


lirte Säulen. Dafs diese auch Capitäle 


gleicher Ordnung getragen haben, kann 


nach einem in diesem Sinne gebilde- 
ten Pfeilercapitäl nur als sehr wahr- 
scheinlich hingestellt werden, da sonst 
nichts gefunden wurde, was dahin pas- 
sen könnte. Das obere Gebälk endlich 


zeist ein Gemisch von ionischen und 
dorischen Kunstformen. 
Dafs aber ein älteres Heilisthum 


zur Königszeit in solcher Weise mit 


einem reichen Hallenschmuck umge- 


ben wurde, beweist unzweifelhaft die 


1.100 hohe Bedeutung, welche dasselbe fort- 
dauernd besals. Und was in diesem Zusammenhange noch besonders auf 
die Athena Nikephoros als Göttin des Platzes hindeutet, sind die Reliefs, 
welche die Schranke zwischen den Säulen des Obergeschosses bildeten und 
mit Abbildungen der mannigfaltigsten Waffen und Kriegsgeräthe vollstän- 
dig ausgefüllt sind, eine sprechende Erinnerung an die Siege der perga- 
menischen Könige. 

Endlich läfst auch der Hauptrest der auf dem unteren Architrav 
befindlichen Weihinschrift .. AI in Anbetracht der Fundstelle am öst- 
lichen Ende der Nordstoa die Ergänzung AOHNAI POAIA]JAI als Schluls 
der Weihinschrift zu. 


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Über die sprache des volkes Röng 


oder Leptscha in Sikkim 


H" W. SCHOTT. 


Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. V. 1 


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Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 8. Dec 1881. 


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Wohnsitz dieses völkchens oder seiner überbleibsel ist die im nor- 
den an Tibet stoszende kleine alpenlandschaft Siıkkım zwischen Bütän im 
osten und Nepäl im westen. Von den Gürka’s nach unterwerfung des 
letzteren landes unterjocht, wurden die Röng (wie sie sich selbst nennen) 
in den ersten jahrzehnten unseres jahrhunderts durch die indobritische 
regirung wieder befreit, und die Briten gründeten in Dordscheling (tibe- 
tisch "jawelenort‘), der erquickendsten sommerfrische des ganzen Hima- 
laja, ein sogenanntes sanatarium welches 1835 an die Compagnie abge- 
treten ward. 

Nach oberst Mainwaring’s (vom bengalischen Stabskörper) einlei- 
tung zu dem von ihm bearbeiteten ersten lehrbuche des Röng (Caleutta 
1876), welchem ein wörterbuch nachfolgen soll, sind oder waren wenig- 
stens die Leptscha ein harmloses naturvolk von einfachem gottesbegriff 
und einfachster lebensweise. Der aus Tibet ihnen aufgedrungene Lamais- 
mus soll ihren heimischen glauben geschädigt haben ohne ihn zu ver- 
drängen. 

Über die zeit ihrer einwanderung aus norden kann herr M., der, 
von dem gesichtstypus des volkes geleitet oder verleitet, dessen ursitze 
bis nach der Mongolei und Mandschurei hinauf rücken möchte, genauere 
kunde nicht geben. Man will nur wissen dass die Röng eine lange pe- 
riode hindurch unter vier auf einander folgenden oberhäuptern, deren 
erstes etwa im 15°” jahrh. u. z. regirte, ruhig und zufrieden lebten. Nach 


1* 


+ W. Scuort: Über die sprache des volkes 


des vierten häuptlings ableben bemeisterte sich ein Tibeter der herrschaft. 
Dieser sowohl als seine nachfolger vermischten sich mit töchtern des lan- 
des und verschafften dem Lamaismus eingang. Die fremden mönche stif- 
teten klöster, zerstörten angeblich handschriftliche urkunden des volkes 
und übersetzten eines ihrer eignen heiligen bücher unter dem titel Ta schi 
sung (s. w. u.) in die landessprache. 

Ein verfall in jeder hinsicht begann, wie herr M. behauptet, erst 
durch europäische einwirkung, besonders seitdem Campbell (Lord Clyde) 
fremden stämmen ohne unterschied der bildung und gesittung in Sikkim 
unterkunft verschaffte. Der verfasser hat das beinahe erdrückte völkchen 
von so liebenswürdigen seiten kennen gelernt, dass ihr schicksal ihm bis 
zur erbitterung gegen seine eignen stammesgenossen zu herzen geht. 
Ihre sprache als solche ist schon gegenstand seiner vorliebe und be- 
wunderung. !) 

Das vorerwähnte, durch tibetische mönche dem Röng angeeignete 
buch muss der beschreibung nach eine sammlung legenden sein deren 
held ein zum geistlichen oberhaupte beförderter Bödhiszattwa ist, viel- 
leicht der Dalai-lama selber. 7a schi sung soll in der Röngsprache ‘des 
Allsehers (Allwissers) geschichte heissen.?) Die schlauen mönche bedien- 
ten sich der jedem Leptscha geläufigen bezeichnung des undurchschaut 
alles durchschauenden wesens, um ihr werk den bekehrten desto glaub- 
und ehrwürdiger zu machen. 

Die Röngsprache wird mit einer buchstabenschrift geschrieben 
welche indischen ursprung verkündet. Wann und woher diese schrift 
nach Sikkim gekommen erfährt man nicht. Zu den dargestellten lauten 
der sprache gehört das den Tibetern wie den Hindu gänzlich fehlende f, 
dem / und r unmittelbar folgen können z. b. flet waschen, fram fürchten. 
Die sprache selbst wird aus bequemlichkeit den einsilbigen und unver- 
änderlichen zugezählt, obgleich sie sehr viele mehrsilbige wörter aufweist 


!) Beim schreiben derselben vertausche ich die englische art mit der deutschen. 

*) ‚Schi heisst allerdings ‘sehen’, aber auch 'existiren‘, woher schim a being. Was 
aber das vorgesetzte ta in dieser verbindung bedeutet ist mir unklar. Ein ta-schö der 
Tibeter (geschrieben bkra-schisz) propitious, lucky, welches mit zugegebenem ma mutter 
den namen einer weiblichen gottheit und mit /hun-po den des berühmten klosterpalastes 
bildet, gehört nicht hierher. 


Röng oder Leptscha in Sikkim. 5 


und obgleich ausdrücke für grammatische verhältnisse der ihnen voran- 
gehenden wurzel oft etwas hinzufügen. 

‚Die wortstellung entspricht ganz der des Tibetischen d. h. auch 
im Röng folgt das verbum ohne ausnahme seinem objeete, der positiv 
den steigerungsgraden, artikel, adjectiv, zahlwort folgen dem substantive, 
und statt der praepositionen giebt es nur postpositionen. Was aber den 
wortschatz betrifft, so wird die sprache im groszen und ganzen von der 
tibetischen wesentlich verschieden bleiben bevor neue schachte der laut- 
wandlung eröffnet sind. 

Probe sei vorläufig ein kleines dietum (seite 128) das herr M. aus- 
drücklich als dem Ta-schi-sung entlehnt bezeichnet: 

Tschho ma mat na gang, muk ndm hang man-po, won hang 
ma nun ne. 

Wenn man nicht religion übt, so kommt man ausser 
dem orte abgeschiedener (verdammter?) geister an keinen 
anderen.!) 

Wo ein wort der Röngsprache mit einem tibetischen von gleicher 
oder verwandter bedeutung sich lautlich deckt, trägt es häufigst das ge- 
präge der entlehnung, nur ausnahmsweise unverkennbarer urverwandt- 
schaft die übrigens auch im verhältnisse zu gewissen sprachen des landes 
Nepäl, der meisten bekannten idiome Hinterindiens und der sprache Chinas 
(wobeı besonders die südlichen dialecte letzterer und veraltete wortformen 
in betracht kommen) sich deutlich kund giebt. 

Vor allem gehören hierher die meisten grundzahlwörter von eins 
bis zehn, in welchen überhaupt eine reihe ursprachen beider Indien (dies- 
seit und jenseit des Ganges) wesentlich zusammenstimmen. Das ursprüng- 
liche wort für diese oder jene zahl erscheint aber bald in nackter ein- 
silbigkeit, bald gleichsam verstecken spielend vor oder hinter einer auch 


1) Wörtlich: Religion nicht machen (üben) nicht wenn, abgeschiedne geister ort ausser 
anderer ort nicht ist nicht. Tschho ist das tibetische tschhos2 oder tschhö religion als lehre 
und in ausübung; mdt heisst machen, ausüben; ma vor und na oder ne hinter dem was 
verneint wird sind zwei verneinungen die einander stützen statt eine bejahung zu erzeugen, 
zwischen ihnen wird ni sein und haben zu rin. ljäng heisst ort. Muk-nam übersetzt herr 
M. mit ‘departed spirits. Wenn man-pd ausgenommen, ausser (nach seite 128) auf mat in 
der bedeutung ‘to become, to acquire zurückgeht, so ist mir der weg mindestens dunkel. 


6 W. Sonort: Über die sprache des volkes 


einsilbigen aber unerklärten zugabe welche dem wesentlichen stücke einige- 
mal sich einkörpert und es dann beinahe verschwinden lässt. 

Gehen wir nun ins einzelne, mit benutzung der fleissigen wörter- 
sammlungen Hodgson’s in seinen ‘Aborigines of India‘ (Cale. 1847). 

Eins heisst in der Leptschasprache kat, in zwei Naga-sprachen des 
Barmanenreiches khatu (ob chatu?) und katang. Kehrt vielleicht abge- 
kürzt wieder in ‚den zusammensetzungen ka-kjak sieben, ka-ku acht, 
ka-t zehn. 

Zwei ist Rat und Ri, doch letzteres nur in hu nr er zwei d. h. beide. 
Im Barmanischen entspricht das derbere natsch, im Tibetischen #zsz und 
m. Mi, ji und reines 7 sind die südchinesischen formen während das ar 
der Kassiasprache dem dumpfen nordehinesischen or oder ür sehr nahe 
wo nicht gleich kommen muss.!) Die stämme Bodo und Dhimäl (im 
nördlichen Bengalen) sprechen ne, dem aber bei ersterem die silbe man 
untrennbar vorhergeht und beim anderen die silbe /ong untrennbar nach- 
folgt. Der stamm Bähing in Nepäl hat die seltsame form mksı (ob 
ni + ksı?). 

Drei heisst sam. Diesem zunächst kommen: chinesisch sam, im 
norden sän, in Fu-tscheu sang; siamisch säm; Bähing sam; tibetisch 
sum, barman. sung und thong; Naga sam und säm mit vortretendem lan- 
gen d; Singpho (im Barmanenreich) süm mit ma vorher; Bodo tham (vgl. 
barman. thong) mit man vorher; Dhimäl süm mit long dahinter. Vgl. 
man-ne und Ae-long für zwei. 

Vier ist im Röng nur fa-h. Nagasprachen: phä-le, be-h, me-I, in 
einem dialecte sogar pazr, dessen zr (ob /r?) einen mittelton zwischen 7 
und gelindem s darstellen mag. Dem dre der Bodosprache muss bie 
— bele zu grunde liegen. Barmanisch noch reines /@!?) 

Fünf nur fa-ngo; Naga: ba-ngd und pu-ngu; Sing-pho: ma-nga; 
Miri: ö-ngo. Ohne vorsetzlinge: chinesisch „gi, wi, und “; Bähing no; 
tibet. nga; siamisch ha. 


1) Grammatik und wörterbuch der Kassiasprache von von der Gabelentz. 1858. 
W. Schott: die Kassiasprache im nordöstlichen Indien. 1359. 

2) Hier lassen uns das tibet. & (b&), siamische sö und chines. s2y unter sich zu- 
sammenhaltend im stiche. 


Röng oder Leptscha in Sikkim. 7 


Sechs nur ta-rak. Das praefix ta, auch the.kehrt wieder in dem 
ta-rok, the-lok zweier Nagasprachen; eine dritte hat i in i-rök. Die Kassia- 
sprache bietet uns ein praefix hin: hin-riu. Das krü des Singpho ist 
wohl ein verschobenes ruk; tibetisch rug; das khjok der Barmanen statt 
krok? Siamisch hok. Chinesisch im süden Juk, lok, lak, im norden du. 

Zu sieben und acht (ka-kjyak, ka-ku) fehlt jede parallele. Dagegen 
erinnert ka-kjöt neun, nach abzug des vorsetzlings, wieder lebhaft an die 
chines. formen güt, gu, ku, kiu, gau, an das gu der Tibeter, gyhut des Ba- 
hing, k&o der Siamer, kö der Barmanen. Auch die Naga sprechen ku 
und khu, aber nicht ohne vorgeschobenes a, tse oder i. Ganz absonder- 
lich wegen doppelanhangs erscheint das küu-hä-long der Dhimäl, Die Miri 
sprechen nicht minder rätselhaft zwei durch nang getrennte ko: ko- 
nang-ko. 

Das wesentliche stück des wortes für zehn (ka-ti), also ti kehrt 
deutlich genug wieder im Naga tschr, chines. schi, se u. s. w., Singpho si, 
barman. ischhe, tibet. ischu. Das tsch” der Naga wird durch i einge- 
führt: +-tschn. 

Wir machen also mit folgenden parasiten an der reinen zahlwurzel 
bekanntschaft: d am Nagaworte d-sam drei; d in den Nagawörtern i-rök 
sechs, -ihu neun und t-tschi zehn; & in dem ä-ngo der Miri; ka an den 
Röngwörtern für 7, 8, 9 und 10; hin am Kassiaworte hıin-rih 6; sı (oder 
ksi?) am Bähingworte nıksi 2; ta und the an Nagaformen für 6; long an 
ne-long zwei und sum-long drei der Bodo und Dhimäl; eingeschobenes 
nang im ko-nang-ko der Miri; ha—-long ım Ku-ha-long der Dhimal; ma 
in ma-sim drei und ma-nga fünf (Singpho); man in man-tham drei (Bodo); 
pu in pu-ng& und ba in ba-ngd fünf (Naga); me, pha, pa, fa, be und rei- 
nes b an formen für die zahl vier. 

Das persönliche fürwort erster person bietet uns die Röngsprache 
in den formen 96 und ka. Die erste derselben kehrt wieder im Bähing. 
Ferner entsprechen ihr das ngo der Miri und ngö, «wo des Chinesischen. 
Die andere form berührt sich stärker mit dem nga der Tibeter, nga der 
Barmanen, ngai der Singpho, ni der Naga. Die dritte person hu, aus 
deren einklang mit der bekannten semitischen ich keine folgerung zie- 
hen will, gehört in gleiche reihe mit dem v des Kassia, dem /ho der Ti- 
beter und den chinesischen gestaltungen kun, gu, khoıi, khi. 


8 W. Scnorr: Über die sprache des volkes 


Zu den aus Tibet eingeschleppten wörtern oder phrasen gehören 
vor allem die von herren M. sogenannten 'honorary words’ welche er 
neben entsprechenden ‘ordinary words’ (s. 133—135) verzeichnet. Aus- 
nahmsweise sind jedoch beide ausdrücke, was herr M. übersieht, der einen 
sprache so erbeigentümlich wie der anderen: das ehrenwerte Zschan für 
auge z. b. ist allerdings rein tibetisch, aber auf das minder ehrbare mıg 
oder mik (chinesisch mok, muk, mi) machen beide gleichen anspruch. 

Ein Al in der bedeutung zwei ist oben erwähnt. Dasselbe nr be- 
deutet unter mehrerem anderen auch sonne und tag: so bei den Tibetern, 
meist mit der gefälligen zugabe ma: ni-ma,!) den Khasiern wo es ng? und 
sngi lautet, und in zahlreichen chinesischen gestaltungen wie niet, nat, it, 
jät, mi, &, &, i! Die Leptschasprache besitzt es gleichfalls, aber wie 
verschämt geborgen hinter einer für uns bedeutungslosen vorsilbe sa oder 
suk: sa-ni, suk-Nt. 

Das nor der Leptscha für ohr ıst deshalb merkwürdig, weil es 
einer parung des südchimesischen A mit dem nordchinesischen orh, wrh, 
welches letztere wie eine dumpfe oder am gaumen stecken bleibende form 
unseres deutschen wortes ohr sich ausnimmt, überaus ähnlich sieht. ?) 
Man könnte annehmen, Nor sei eine urgestalt und so auseinander gegan- 
gen dass den Südchinesen die erste und den Nordchinesen die zweite 
hälfte verblieb. Den tiefer sich einschachtenden sprachvergleicher dürften 
jedoch die beiden gleichberechtigten rein tibetischen wörter für ohr, nan 
und rna, ebenfalls zu nor führen. 

Andere zu denken gebende wörter der Röngsprache sind die nur 
im anlautenden p sich berührenden pa-no könig und pun-di königin. Das 
letztere geht vielleicht auf eine verschiebung des sanskritischen patnı uxor 
zurück. Dem ersteren am nächsten bietet sich das tibetische pon-po herr, 
oberhaupt, fürst, dessen stamm pon mit dem slawischen pan, ban und 
littauischen pon, z. b. in pönas herr, pondtis herr junker, ponawöt herr 


1) Wenn herr M. auf s. 10 vermutet, ind‘, der name des letzten, den laut ang dar- 
stellenden buchstaben der Leptschaschrift, sei aus den tibetischen worten ni sonne und 
slawa mond entstanden, so muss ihm indu, ein sanskritischer name des mondes vorge- 
schwebt haben. Wir haben also hier ein vielleicht ‘unparalleled’ beispiel von zusammen- 
schweissung eines tibetischen kernwortes mit einem sanskritischen. 

2) Kein europäisches r ist den Chinesen mundrechter als z. b. das Berlinische! 


Röng oder Leptscha in Sıkkım. 9 


sein, überraschend gleich lautet. Mag hier der zufall gespielt haben, in 
jedem falle irrt aber herr M. wenn er pa-no so abteilt wie ich es nach 
ihm schreibe und das pa hier als bloszen vorsetzling betrachtet, wie es 
ihm bei /a-wa mond mit dem /a begegnet, denn das /a dieses wortes 
(tibetisch /la) ist ganz unbestreitbar die hauptwurzel.!) 

In manchem worte berührt das Röng sich mehr mit dem Chine- 
sischen als mit anderen urverwandten sprachen. Dahin gehört z. b. fük 
tun, chin. {E tsok, tsak, tso; khu können, 17] khöo; ju regen (pluvia), 

| Jü; mong traum (tibet. rmang), BE mong, mung, mäng; kom silber 
da seld, 2 kom im süden und ken im norden Chinas: metall, gold 
und geld; ong kind, == Jong, sg, ang; wi blut, m hät, hjüe, hjie; buk 
schlagen, ir pok, pö; rıı alt, 3Z- lau; g6 charity, 4 ng6, hjau (piety); 
mak sterben, HE mok, mak, mö; ngan sitzen, ruhen, Z£ ngan ruhe; 
schi sehen, in scht; schi sein (esse), FE schi; gen affair, business, 
kjen, kin, ken; schl wer, was? #4 schü; daher schri-mat welches ding, 
was? offenbar das chinesische u 39 schü wü, im dialeete von Canton 
schü mat, denn das zweite wort (sache, ding) lautet in diesem oo. mat. 

No weib und nu muhme, tante erinnern zunächst an Kim L, nu 
weib, mädchen, und IuR nal zitze, milch, mutter, gattin, gnädige frau; 
ferner an die tibetischen wörter nu-ma zitze und Aa-ma oder Na-mo 
hausmutter. Ein dem weiblichen geschlechte angeeignetes n oder % mit 
einfachem sowohl als doppeltem vocalischen nachlaut erstreckt aber seine 
herrschaft unermesslich weit über das uns vorliegende sprachengebiet hin- 
aus: wir begesnen ihm auf den entferntesten tundern der Samojeden wie 
an Ungarns äusserster grenze gegen Deutschland, vom ne, ne, nd, nei der 
nördlichen polarwelt bis zum nej (no) von Buda-Pest.?) 


1) nt das n von pano durchaus dem kernwort entziehen will, der mag auf das 
chinesische = =] pd unumschränkter herrscher sich berufen. 
?) Bedenklich wäre en hierherziehung der mongolischen wörter naidschi und naid- 


Phys. Kl. 1851. Abh. V. 2 


10 W. Scrorr: Über die sprache des volkes 


Betrachten wir nun eine auswahl grammatischer eigentümlichkeiten 
der Röngsprache. 

Eine ansehnliche rolle spielen die teils trennbaren teils untrenn- 
baren vorsetzlinge (prefixes) ohne nachweisbare selbständige bedeutung. 

Dagegen fehlt jede spur von modification wurzelhafter con- 
sonantischer anlaute welche doch im verbum der Tibeter zeiten und 
arten (in heissender art zuweilen mit veränderung des stammvocals) zu 
unterscheiden pflegt und wobei gewisse nur consonantische vorsetzlinge 
einwirken. 

Bei aufzählung der untrennbaren 'prefixes' vergreift der verf. sich 
zweifelsohne in einigen fällen, indem er zum praefixe erniedrigt was die 
wurzel selbst ist. Das sa von sa-hör stern, sa-gor fels, sa-nöng schnee 
mag dieses subalterne amt unbehelligt verwalten, mit dem pa von pa-no 
und /a von la-wa z. b. (s. o.) verhält sichs gewiss anders. Das num von 
num-prüm altes weib und dem rätselhaften num-schim-no mensch hat die 
selbständige bedeutung 'geschaffenes ding‘, wirkt also in beiden offenbar 
zur bestimmung des begriffes. Da das zweite wort auf no weib ausgeht, 
so scheint der begriff ‘mensch’ hier aus beiden geschlechtern mit vortre- 
tendem ‘geschöpf’ gleichsam aufgebaut. !) 

Der trennbaren vorsetzlinge sind viel weniger. Zu diesen gehören 
beispielsweise ein langes d, wie in d-ka neben ka hand, «-fo neben Jo 
zahn, ein sa in sa-tsuk neben tsuk sonne, ein fa in ta-sö neben sö gestern. 


schiner, obgleich Kowalewski das erstere mit genossin, freundin übersetzt, das andere weib, 
frauenzimmer bedeutet, und obgleich z. b. suomi-finnische wörter wie neitsy, neiti, neito 
und wieder naise (nainen) für mädchen, weib, gattin auffallend anklingen. Aber nach 
Zwick im westmongol. wörterbuche ist naidschi freund überhaupt, nicht freundin allein, 
naidschiner ehegattin, und so werden wir hier an ein kernwort für einigkeit, gleichge- 
stimmtheit, harmonie der gefühle, daher verträglichkeit hingewiesen wie es uns sonst in 
den mongol. kernwörtern naisz, nair, auch nei und descendenten vielfach begegnet. Auch 
erklärt Kowalewski selbst 'naidschi barichw schlechthin durch freund nehmen, sich befreun- 
den (noapyanmsen). Analog ist nökür freund, gefährte, dann ehegatte (im munde sei- 


ner frau). 


1) So schiebt der Tibeter seinen wörtern für mann und weib das wort für mensch 
überhaupt voran: szkje-mtho (tsche-mto) mensch-mann, szkje-ma (tsche-ma) mensch-weib. 


Röng oder Leptscha in Sikkım. al 


Tsuk ıst offenbar das ächtere Röngwort für den himmelskörper dessen an- 
derer, in sa-At steckender name, wie wir oben gesehen, dem tibetischen 
namen gleich lautet; der vorsetzling sa kann aber in beiden das tibetische 
sa (gsa) planet sein welches die Tibeter selber ihrem #r-ma sonne und 
sla-wa mond zuweilen missbräuchlich vorsetzen. 

Es giebt aber auch ein untrennbares d, dasjenige nämlich welches 
nennwörter und nebenwörter bildend verbalwurzeln vortritt. So entsteht 
aus Zschör sauer sein (tibet. szAjur, tschur) d-tschör sauer, aus nok schwarz 
sein d-nok schwarz (tibet. nay), d-nok mat schw. machen, schwärzen. 

Als dritte gattung praefixen werden wenige veränderliche aufge- 
führt, z. b. kum-bjong neben pum-bjong wolke, tuk-mo neben kut-mo dieb- 
stahl. Ist aber fuk oder kut hier wirklich praefix und nicht vielmehr 
kernwort und mo blosze zugabe? 

Nachsetzlinge sind ausser angehängtem, einen letzten eonsonanten 
schärfenden @ gewisse einfache consonantische laute die einer verbalwurzel 
an ende sich anschmiegen als bildeten sie mit ihr ein untrennbares gan- 
zes. So ist Akk-a rufe der imperativ von "ik rufen, dängng-a laufe, von 
däng laufen.!) Andere beispiele dieses @ in gewissen adverbialen aus- 
drücken, s. w. u. 

Von eonsonanten dienen Z, m und n als nachsetzlinge. So schiebt 
man ?zwischen die wurzel und ein den täter anzeigendes bo, desgleichen zwi- 
schen zwei verbalwurzeln von denen die zweite ein zulassen oder milderes 
heissen ausdrückt: di kommen, dit-bo a comer, dit-kön mag er kommen!?) 
Viel beliebter ist m oder n in dieser eigenschaft: $ sehen, sim-kön mag 
er sehen, söm-khu sehen können, jd wissen, verstehen, Jdm-bo prudens. 
An gewissen verben entscheidet der sprachgebrauch für »: dji geben, 
bjin-kön, li sprechen, /in-khu sprechen können. 

Wenn das durch vortretendes «4 zum nomen gewordene verbum 


1) Beiläufig bemerke ich, dass noch ein o hinterher zum vollständigen imperativ ge- 
hört, also Kikka-o u. Ss. w. 


?) Als radicaler schlussconsonant assimilirt sich ? dem w der partieipialen zugabe: 


maät-wung doing z. b. wird mat-tung. 


12 W. Scuorr: Über die sprache des volkes 


auf einen vocal ausgeht so wird ebenfalls m, auch n oder ? der wurzel 
angehängt: rjü gut sein, d-rjüm der gute, kri bitter sein, d-krim bitter. 
N oder t geben in solchem falle öfter substantivische bedeutung: dju 
kämpfen, d-djut krieg, schlacht, hri heiss sein, a-hrum heiss, aber d-hriun 
hitze. 

Die verneinung bezeichnet ma vor dem verbum und gleichbedeu- 
tendes na, ne (in der heissenden art num, nun) hinter demselben.!) Das 
n von na, ne geht gern, den vorhergehenden consonanten schärfend, in 
demselben unter. Dasselbe kann ein erstesmal ohne seinen vocal an die 
wurzel treten und dann noch selbständig mit seinem vocale nachfolgen 
z.b. khu fähig sein, können, ma khu-n oder ma khun ne not to be able. 
Nach einem vocale verdrängt es das w der participien bildenden zugabe 
wung: mat-tung (statt mät-wung) doing, ma mät-tung (statt ma mdt na 
wung) not doing. 

Läugnet die verneinung einen durch zwei einander syonyme oder 
den begriff umschreibende verbalwurzeln ausgedrückten zustand, so schiebt 
sich ma zwischen beide: mik-krap augen schliessen, schlafen, statt des 
gemeinen fum: mik ma krap ne er schläft nicht, sak-tsching denken: sak 
ma tsching ne denkt nicht; den-ri glauben, den ma ri ne glaubt nicht. 

Veränderung des wurzelvocals kann, wenn ein wort, den zustand 
unserem ohre gleichsam malend zweimal nach einander ausgesprochen 
wird, bei der wiederholung eintreten. Beide male geschieht dies mit 
schärfung des endeonsonanten und nachtönendem a oder statt dessen mit 
dem adverbien bildenden nachsetzwörtchen la, z. b. lak-ka lok-ka unstät, 
flüchtig, hrjap-pa hrjöp-pa locker, schlaf; fuk-fjek-la zerrieben ; tum-tom- 
/a aufgeschwollen. Sehr ähnliche wortbildungen hat man im Mongoli- 
schen, Türkischen, Magyarischen, und selbst unser Deutsch hat sein 
bimmel-bammel, klipp-klapp, vermimpeln und vermampeln u. s. w. auf- 
zuweisen. 


1) Ausdruck der negation durch einen lippenlaut oder n vor dem selbstlauter hat 
das Röng gemein mit dem Chinesischen (pu, mu, mo, wu, ue), dem Tibetischen (ma, mi), 
dem Türkischen im verbum (ma, mä), dem Mongolischen im verneinenden imperativ (bu, 


bü), und unserem ganzen arischen geschlechte (na, ne, me, mi). 


Röng oder Leptscha in Sikkim. 13 


Etwas in der ganzen sprachenclasse wohl einzig dastehendes ist 
bezeichnung der verursachung durch hinter dem consonantischen an- 
fang eingeschobenes 7: pok to cast down, to depose, pjok to cause to 
cast down, thör to escape, thjör to cause to escape. Ein schlieszendes 
ng wird in solchen fällen 2: däng to run, djädn to fling away, hröng to 
ascend, hrön to cause to ascend. 

Als nachsetzwörter welche ihrem gebrauche nach den casus ari- 
scher sprachen analog sind, kann man die folgenden bezeichnen: 


sa, ka, mum oder m allein, nun. 


Sa ist das ‘mit’ des werkzeugs und der begleitung, dann zeichen des 
angehörens und dem genitiv zunächst: dan sa ngot messer mit 
schneiden; go ho sa ma bam na scho ich du mit (mit dir) nicht 
bleiben (wohnen, leben) werde. Za-jo sa ma bam mam sünde 
mit nicht bleibet, lebt nicht in sünden,!) pa-no sa phoröng könig 
für palast, königsburg. ?) 


Mum erinnert in seiner verkürzung an die wahrscheinliche urform der 
altaischen partikel zu bezeichnung des unmittelbaren, oft auch 
in unserem sinne mittelbaren objectes: hu-m bji ihn begabt er, 
ihm giebt er, ho mum li dich spricht er an, zu dir spricht 
er.) 


Ka bezeichnet ein räumliches und zeitliches insein (locativ), das mittel- 
bare object (wie im Tatar-türkischen), und ein streben oder 
absicht: hu ma di-nung ka ho nong khu er nicht kommend in 
(wann) du gehen können, d. h. kommt er nicht, so kannst du 


sehen; schu ka wozu? 


1) Man sehe das oben über den ausdruck der verneinung gesagte. 
2) pho-röng ist das tibetische pho-brang. 


3) Vgl. meine Altaischen studien, heft 5, s. 10 ff. 


14 W. Scnort: Über die sprache des volkes 


Nun entspricht unserem aus, durch, von, und steht wie das gleich- 
deutige tibetische Ayisz, gjisz (tschi, dschi) sehr oft als zeichen des logisch 
gefassten subjeetes; es scheint besonders angebracht wenn ein ganzer 
vom nachfolgenden verbum regirter satz zwischen beide sich einschiebt. 
Hier ein par längere beispiele von denen das zweite dem buche Ta-schi 
sung (s. oben) entlehnt scheint: 


Hu ma-rö re gum to num 
er mensch der ist wen durch 


a-djut ka gje-fat. 
schlacht in siegen. 


Er ist's der im kampfe gesiest hat. 


Hu nun hu-ju-ka kasu a-mle-m 
er durch ihnen mein antlitz 

ik sa-thala ma schi na scho 
wieder jemals nicht sehen werdet 
yang |. 

so sprach. 


Er spricht zu ihnen (sagt ihnen): ihr werdet mein antlitz nie wieder 
sehen. 


Ma-ro jän-bo nun bong kjang 
Mensch verständig durch mundwinkel 
Yu ren mik kjang Yu ren 

zucken aus, augenwinkel zucken aus 


Röng oder Leptscha in Sıkkım. 15 


schi wang jd scho 
sehend verstehen wird. 


Ein verständiger sieht am zucken des mund- und augenwinkels was der 
andere meint. 


d j f r Kunde er } j 
nah oh hucnı Br win m. 


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Die 
Sargonsstele des Berliner Museums. 
Von 


H" SCHRADER. 


Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. VI. 1 


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Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 2. Jani 1881. 


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IB» schwarze Stele des Königs Sargon von Assyrien (722—705 v. Chr.), 
welche sich im hiesigen Königl. Museum befindet, ist mit ihrer Inschrift 
bereits wiederholt der Gegenstand wissenschaftlicher Behandlung gewesen. 
Nachdem schon im J. 1850 H. Rawlinson bei einer Durchreise die Ber- 
liner Stele als eine solche König Sargons erkannt und bezeichnet hatte!), 
hat derselbe unter der Assistenz von George Smith im III. Bande des 
englischen Inschriftenwerkes pl. 11 den Text herausgegeben, und der letz- 
tere hat alsdann in der Zeitschrift für ägyptische Sprache und Alterthums- 
kunde Jahrg. 1871 S. 68 ff. unter Beifügung einer Transseription des 
Textes eine gewissenhaft gefertigte Übersetzung der Inschrift gegeben. 
Mit derselben hält die drei Jahre später erschienene Übersetzung M&- 
nant’s (Annales des rois d’Assyrie, Paris 1874 p. 206—8), der einst mit 
Oppert zusammen den Grund zum Verständnifs der Sargonsinschriften 
gelegt hatte, den Vergleich nicht aus. Aber auch die Übersetzung G. 
Smith’s bedarf wie desselben Textesedition in mehreren Punkten der Be- 
richtisung und Verbesserung, und dazu dürfte eine etwas eingehendere 
Untersuchung über Ursprung, Zweck und nähere Beschaffenheit des Mo- 
numentes wünschbar sein. Vielleicht kann das Nachfolgende in etwas die 
Lücke ausfüllen. 


1) Athenaeum 1850 Nr. 1166. Vgl. L. Rofs, Reisen auf den griechischen In- 
seln IV, 87 Anm. 6, sowie des Verfassers „Keilinschriften und Geschichtsforschung‘“, 
Giefsen 1878 S. 245. 


4 SCHRADER: 


Über die Art und die Zeit der Auffindung des Monuments, sowie 
über den Fundort, als welcher bei den Engländern aus einem noch nicht 
aufgeklärten Grunde Idalium auf Oypern, in der Mitte der Insel, silt, 
habe ich mich an der Hand der mir durch Herrn Dielitz vom K. Museum 
aus den Acten gemachten Mittheilungen bereits früher ausgesprochen 
(s. Keilinschriften und Geschichtsforschung, 1878 S. 245 fle.). Der Stein 
ward von Prof. L. Rofs im Spätjahr 1845 bei dem heutigen Larnaka auf 
Cypern, unter den Ruinen des alten Kition in einem Schutthaufen gefun- 
den, den Rofs als westlich von dem Teiche, dem Salzsee, dem Reste des 
alten Hafens, zwischen Larnaka und Marine, der jetzigen Hafenstadt, sich 
erhebend beschreibt. Ob dieses die ursprüngliche Stelle war, wo einst 
das Monument aufgestellt ward, ist freilich damit nicht gesagt. Durch 
Rofs wird nämlich dieser Schutthaufen für mittelalterlich erklärt, wenn- 
auch aus antikem Material erbaut. Der Stein kann somit erst später und 
von einer andern Localität hierher verbracht worden sein. Es wird die- 
ses sogar bis zu einem gewissen Grade wahrscheinlich, wenn man erwägt, 
dafs die Stele nur zu einem Theile, nämlich nach ihrem vorderen Theile 
noch erhalten ist; der hintere Theil derselben ist augenscheinlich abge- 
sägt und zwar, als die die Seitenflächen bedeckende Keilschrift bereits 
eingegraben war. Das ursprüngliche Monument war im Querdurchschnitt 
nahezu quadratisch. Die Wegsägung des hinteren Theiles ward vermuth- 
lich vorgenommen, als man das Monument zu baulichen Zwecken ander- 
weit verwenden wollte. Ich mufs dabei jedoch bemerken, dafs es bei 
dieser Verwendung des Steines zu baulichen Zwecken nicht sowohl auf 
den erhaltenen und uns beschäftigenden vorderen Theil der Stele, denn 
vielmehr lediglich auf das bis jetzt nicht wiedergefundene erheblich dün- 
nere hintere Stück abgesehen gewesen zu sein scheint. Wenigstens finde 
ich keinerlei Spur, die darauf hindeutete, dafs der erhaltene Rest des 
Steins jemals in eine Mauer oder Wand eingelassen, in diese eingemauert 
gewesen war; die Beschädigungen aber, die das Relief erlitten, können 
auf mancherlei andere Ursachen zurückgehen. Wie immer es sich indels 
mit diesem ursprünglichen Aufstellungsorte verhalten möge, daran kann 
kein Zweifel sein, dafs das Monument irgendwie im Stadtgebiete des alten 
Kition seinen Platz erhalten hatte, ein Umstand, dessen Wichtigkeit in 
historischer Beziehung des Näheren ins Licht zu setzen nicht nöthig ist. 


Die Sargonsstele des Berliner Museums. 5 


Die Höhe der Stele!) beträgt bis zur Spitze des Bogens 1,50+0,59 M. 
= 2,09 M.; seine Breite 0,68 M.; die der Seitenflächen je 0,32 resp. 33 M. 
(die Seitenflächen sind auf den beiden Seiten nicht ganz gleichmäfsig 
breit weggenommen). 

Da die erhaltene Stele lediglich die (gröfsere) Hälfte des ursprüng- 
lichen Monuments repräsentirt, das Gestein selber — nach J. Roth ist es 
Gabbro (Euphotide) — ein sehr festes und relativ schweres ist, so kann 
die Frage entstehen, ob es eine Wahrscheinlichkeit für sich habe, dafs 
die Stele wirklich in Assyrien gearbeitet und durch Mesopotamien und 
über das Meer nach Öypern geschafft sei oder aber vielleicht in Cypern 
selber durch einen dorthin gesandten Künstler hergestellt ward? — Im 
Hinblick auf das nicht unbeträchtliche Gewicht des Monuments in seiner 
ursprünglichen Gestalt, sowie in Anbetracht des Umstandes, dafs Gabbro 
nach Gaudry gemäfs einer gütigen Mittheilung Roth’s in Cypern an- 
steht, könnte man geneigt sein, Herstellung des Monuments auf Oypern 
selber, natürlich durch einen dorthin entsandten assyrischen Künstler, an- 
zunehmen; und dafs assyrische Künstler — fern von der Heimath — 
auch sonst derartige Sculpturen ausführten, ist bekannt. Ich begnüge 
mich, an das Relief Asarhaddon’s sammt Inschrift an der Felsenstrafse 
bei Beirut, an der Mündung des Nahr-el-Kelb, und die sonst dort in 
Keilschrift angebrachten Inschriften zu erinnern. Auch der Wortlaut der 
Stelle der Inschrift, in welcher der König von der Anfertigung und Auf- 
stellung der Stele redet, legst kein entscheidendes Veto gegen eine solche 
Annahme der Herstellung des Monuments in Öypern ein: der König sagt 
lediglich, dafs er die Stele mit seinem Bilde habe anfertigen, mit der In- 
schrift versehen und in einem der Thäler des „Landes Jatnan“ d. ı. Cy- 
perns habe aufstellen lassen (Col. II (IV), 43—53). Natürlich können diese 
Worte mit Rücksicht auf die künftige Bestimmung des Monuments be- 
reits in Niniveh selber gewählt und eingemeilselt sein; es ist diese An- 
nahme sogar die nächstliegende, zumal wenn man auf den Schlufs der 
Inschrift blickt, wo „von den Göttern“ die Rede ist, die da na tıdmtiı 
"rapastiv „in der weiten See“ wohnen und die den etwaigen Zerstörer des Mo- 


1) Eine bildliche Darstellung der Reliefseite derselben habe ich in Riehm’s 
HWBA. 1374a gegeben. 


6 SCHRADER: 


numents verfluchen möchten (Z. 66 ff.); dieses ist augenscheinlich vom Stand- 
punkte in Niniveh aus gedacht und geredet. Aber es hindert doch auch 
nichts anzunehmen, dafs der oder die die eyprischen Gesandten zurückbeglei- 
tenden assyrischen Künstler das Ooncept zu der Inschrift und die Vor- 
lage für das Relief von Niniveh mitnahmen, wie das ja in irgend einer 
Weise z. B. für Bild und Inschrift Asarhaddon’s an der Felswand 
bei Beirut sowieso anzunehmen ist. Anderseits darf freilich auch wie- 
derum nicht verkannt werden, dafs auch der Annahme der Anfertigung 
des Monuments in Niniveh selber und seiner Herüberschaffung nach 
Cypern eigentlich nichts Durchschlagendes entgegengestellt werden kann. 
Gewils wird der Transport eines solchen gewaltigen Steinblocks durch 
die mesopotamische Wüste seine Schwierigkeit gehabt haben; aber auf 
den Wegen, auf denen die Heere Assurs mit Sack und Pack hinzogen, 
auf denen die Assyrer von den Bergen des Libanon und des Amanus die 
Cedernbalken nach Niniveh transportirten, werden diese selben Assyrer, 
die dazu die Stier- und Löwencolosse fortzubewegen verstanden, vor der 
Überführung eines solehen Monuments bis an die Meeresküste und von 
da übers Meer nach Cypern nicht zurückgeschreckt sein. Entscheidend 
könnte vielleicht werden, wenn sich über die geognostische Herkunft des 
Steines des Monuments Sicheres ausmachen liefse, darüber nämlich ob, da 
Gabbro in Cypern sicher ansteht (s. o.), das Nichtvorkommen dessel- 
ben in Armenien und den die assyrischen Ebenen umgrenzenden Gebirgen 
sich constatiren liefse. Darüber aber gerade scheint sich bis jetzt nichts 
Sicheres ausfindig machen zu lassen. Herr Dr. Arzruni, ein mit der 
geognostischen Natur Nord-West-Asiens, insbes. Armeniens wıe Wenige 
vertrauter Gelehrter, an den ich mich in Abwesenheit des Herrn Roth 
wandte, vermochte mir über die petrographische Natur der Gegend um 
Mosul Sicheres nieht mitzutheilen. Er schreibt mir: „Tehichatscheff, der 
allein sich eingehender mit der Geologie Kleinasiens beschäftigt hat und 
dessen Belegstücke im Besitze unseres Museums sind, ist nicht soweit 
nach SO. vorgedrungen und thut der Sie interressirenden Gegend keine 
Erwähnung. Von Gabbro-ähnlichen Gesteinen giebt er blofs solche bei 
Göksün und Korkun-Su in Cappadocien an (Geologie de l’Asie Mi- 
neure I, 438. 455. 466)*.1) — Bei dieser Lage der Dinge wird man sich 


1) Nachschrift. Constatirt scheint bis jetzt und zwar für Nordostsyrien, näher 


Die Sargonsstele des Berliner Museums. 7 


bezüglich der ursprünglichen Anfertigung des Denkmals, ob in Niniveh 
oder in Cypern, wohl bis auf Weiteres noch bei einem Non liquet be- 
ruhigen müssen. Nämlich, um auch das noch anzufügen, aus der Be- 
schaffenheit sowohl der Seulptur als der Schrift des Denkmals lälst 
sich darüber, ob dadurch eine Herstellung des Monuments in Niniveh viel- 
leicht fraglich gemacht werden könnte, nichts aussagen. Sculptur und 
Inschrift tragen durchaus heimisch -assyrischen Typus, so eigenthümlich 
es sich im Übrigen gerade mit der Beschaffenheit der Schrift dieser In- 
schrift verhält. Und das führt uns auf etwas Weiteres. 

Unsere Inschrift ist, wie wir zeigen werden, die älteste derjenigen 
Sargonsinschriften, welche jenen eigenthümlich archaistisch gehaltenen 
Schrifttypus aufweisen, welchen die sogen. Khorsäbädinschriften, näher 
die Palast-Inschriften von Dür-Sarukin bieten. Die beträchtlich ältere 
Nimrüdinschrift (Lay. 33. 34), welche (s. das Nähere unten) jedenfalls 
noch aus der Zeit vor der Eroberung Babylons im J. 710 stammt, ist in 
dem gewöhnlichen ninivitischen Cursiv geschrieben. Dies kann nicht zu- 
fällig sein und wir werden schwerlich fehl gehen, wenn wir die Wahl 
des archaisirenden Schrifttypus eben mit jenem Ereignisse der Eroberung, 
Babylons durch den Assyrer in Zusammenhang bringen. Die überwun- 
dene chaldäische Königin der Städte übte bereits auf Sargon einen ähn- 
lichen, fascinirenden Einflufs aus, wie später auf Alexander. In Babylon 
nun aber wurden, so weit wir wissen, alle Steininschriften in archaisti- 
scher Keilschrift eingegraben, auch die Zeichen der Stempel der babylo- 
nischen Backsteine zeigen die archaistische Form. Die babylonische Öur- 
sivschrift war für die gewöhnlichen Thoninschriften (Oylinder und Täfel- 
chen) reservirt. In Niniveh hatte man dagegen das Cursiv seit lange 
auch auf Steininschriften: Obelisken, Platten, Statuen u. s. w. in Anwen- 
dung gebracht; nur ganz vereinzelt begegnen wir in späterer Zeit einer 
in archaistischen Zeichen eingemeifselten Inschrift, z. B. auf der Stele 
Samsi-Ramman’s im 9. Jahrhundert. Die Steininschriften Asurnafsirha- 
bals, Salmanassar’s II, Rammanirar’s III und Tiglath-Pileser’s II sind in ge- 


wöhnlichem, ninivitischem Cursiv eingemeifselt; und so auch noch die aus 


die Gegend südöstlich von Aleppo, das Vorkommen von Basalt zu sein, selber allerdings, 
wie Gabbro, ein plutonisches Gestein. S. Ed. Sachau in Monatsberr. 1881 S. 172; 
J. Roth ebenda 190. 


8 SCHRADER: 


Sargons erster Zeit d. h. aus der Zeit vor der Eroberung Babylons stam- 
mende Inschrift des Nordwestpalastes zu Nimrüd, wo Sargon während 
der ersten Zeit seiner Regierung residirte (Lay. 33 flg.).!) Wie wenig 
geläufig den Steinmetzen oder Inschriftverfertigern diese archaisirende 
Schrift war, kann man gerade bei unserer Inschrift sehen, wo Col. I (ID) 
Z. 4 statt des archaistischen Gotteszeichens 8X in den Wörtern «di rabütı 
das gewöhnliche cursive Zeichen »>] auftritt (wie übrigens auch gleich 
an der Spitze der Frontinschrift! s. u. —); sonst fast durchgängig das ent- 
sprechende archaistische Zeichen (beide in derselben Zeile z. B. II, 18. 261). 
Für mu erscheint in der Regel das archaistische Zeichen; aber wie Col. IL (IV), 
21, so kommt noch in der 5. Zeile vom Ende dem Tafelschreiber das entspre- 
chende eursive Zeichen in den Meifsel; das Zeichen für a erscheint wiederholt 


An 
regelrecht in der archaistischen Form T T, aber daneben doch auch wie- 
derholt in der ninivitisch-cursiven Yf (vgl. hierzu die unmittelbar auf 
einander folgenden Zeilen Col. II (IV), 21.22 u. ö). Dasselbe gilt von 


den Zeichen EITE neben ET; «JEE neben LI; >-T neben »-T-Y 


u.a. m. (7T tritt, soweit ich sehe, immer nur in dieser cursiven Form 
auf). Die Khorsäbädinschriften Sargons sind in dieser Beziehung er- 
heblich consequenter. Man wird so auf den Schlufs geführt, dafs diese 
Inschrift eine der ersten Inschriften Sargons nach der Eroberung Ba- 
bylons sei und irgendwie noch in die Zeit vor der Aufsetzung der 
Khorsäbädinschriften d. ı. aber noch in die Zeit vor der Vollendung 
des Prachtpalastes von Dür-Sarukin falle. Dazu endlich trifft die Auf- 
setzung der Inschrift, wie bereits oben bemerkt ward, in die Zeit, 
nachdem, wie wir der Inschrift selber (Col. II (IV) 28 ff.) entnehmen, 
die eyprischen Abgesandten nach Babylon gekommen waren, um dem 


1) Das Alter dieser Inschrift bezw. die Zeit ihrer Abfassung lälst sich auf ne- 
gativem Wege, wie ich beiläufig bemerken will, ziemlich genau bestimmen. Die letzten 
Ereignisse nämlich, deren in derselben Erwähnung geschieht, sind die in das 5. Jahr 
Sargons — 717 fallende Eroberung Karkemisch’s (Z. 10. 22) und die in das 6. Jahr = 
716 desselben treffende Unterjochung des Landes Karalla Z. 12 (der für das 9. Jahr — 
713 berichtete Aufstand der Karalläer gegen die von Sargon eingesetzten assyrischen Statt- 
halter kann unter keinen Unständen gemeint sein). Die Inschrift wird nach diesen Er- 
eignissen, frühestens somit noch 716 oder 715 aufgesetzt sein; spätestens fällt ander- 
seits ihre Abfassung in die Zeit noch vor der Eroberung Babylons im Jahre 710. 


Die Sargonsstele des Berliner Museums. 9 


Grofskönige ihre Huldigung darzubringen. Dafs aber diese Huldigung 
und das Ereignifs der Eroberung Babylons nicht aufser ursächlichem 
Zusammenhange stehen, bedarf keiner Erörterung. Schliefslich berichten 
die Annalen Sargons (Botta 91, 3—10) das Eintreffen der eyprischen 
Gesandten in Babylon ganz ausdrücklich für des Königs 13. Jahr, d. ı. 
aber für das Jahr 709. In die Zeit bald nachher wird auch die Anfer- 
tigung des Monuments fallen. Anderseits kann die Inschrift und somit 
das Denkmal selber auch nicht aus erheblich späterer Zeit stammen. 
Wie schon die allgemeine Lage der Dinge eine Anfertigung derselben 
nicht zu lange nach dem Eintreffen der cyprischen Gesandten in Babylon 
vermuthen läfst, die sei es den Stein ursprünglich als Geschenk des Königs 
mit zurücknehmen sollten, sei es nach dem heimgebrachten assyrischen 
Modell in Cypern demnächst die Herrichtung der Stele ihrerseits veran- 
lalsten, und das Gleiche nicht minder aus dem Umstande sich schliefsen läfst, 
dafs der König in dieser Inschrift das Ereignifs der Eroberung Babylons 
mit besonderer Ausführlichkeit und Geflissentlichkeit berichtet, welches somit 
gewissermalsen als das letzte grofse Hauptereignifs noch in frischer Erin- 
nerung war, so führt anderseits auf die gleiche Ansicht auch die ausdrück- 
liche Angabe auf unserer Stele Col. II (IV), 18— 22, dafs der König „vom 
Beginn seiner Herrschaft bis zum 3. Jahre“ den (babylonischen) Gotthei- 
ten: dem Bel und der Zirbänit, dem Nebo und der Tasmit, Geschenke 
dargebracht habe. „Bis zum 3. Jahre“ heifst es hier. Diese Aussage 
kann befremden und hat befremdet. Von wo ab ist hier gezählt? — 
und welcher „Anfang der Herrschaft“ ist in Aussicht genommen? — 
Man könnte — redet ja doch ein Assyrerkönig! — an den Regierungs- 
antritt Sargons als König von Assyrien und an sein 3. Jahr als assyri- 
scher Herrscher denken. Dafs diese Annahme mit dem Inhalte der Aus- 
sage des Textes Vs. 18—22 in absolut unvereinbarem Widerspruch steht, 
bedarf keiner Erörterung: erst seit 710/709 d.ı. seit dem 12., bezw. 13. 
Jahre seines ninivitischen Königthums drang ja Sargon überall in der 
hier vorausgesetzten Weise in Babylonien ein. So hat denn J. Menant 
kurzer Hand die Zahl II in die andere XI verwandelt, auf diese Weise 
das XI. Regierungsjahr (natürlich nicht campagne!) als Jahr der Aufsetzung 
der Inschrift der Stele gewinnend (Annales des R. A. (1864) p. 206. 208), 
offenbar in der Meinung, dafs die eyprischen Könige in diesem Jahre nach 
Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. VI. 2 


10 SCHRADER: 


Babylon gekommen seien. Nun aber ergiebt sich aus Botta 91, 3—10, 
verglichen mit den Parallelstellen, dafs dieses Jahr nicht das XI., sondern 
das XIII. Jahr des Königs war: die Änderung XI hätte wenigstens einer 
solchen in XIII Platz machen sollen. Beide Änderungen aber wären 
trotzalledem monumental gleich verwerflich: die Stele bietet klar und 
deutlich die Zeichen YJf d. i. IH: nur von einem „dritten“ Jahre 
des Königs ist in der Inschrift die Rede. Was für ein „drittes Jahr“ ist 
dann aber hier gemeint, wenn das dritte Jahr des Königs als König von 
Assur-Niniveh nicht in Aussicht genommen sein kann? — Schon die Aus- 
drucksweise: Tf (TER TI 8 «X = a-di III Sandti hätte auf die Spur 
führen können. Wenn auf assyrischen Königsinschriften von Regenten- 
jahren eines Assyrerkönigs d. h. von Jahren des Königs als König von 
Assur sonst die Rede ist, erscheint, auch bei Sargon, als Wort für dieses 
Regentenjahr das Wort „Ta palü, also z. B. ina Il. pali-ja; ina III. pali-ja 
ete. In unserer Inschrift nun aber begegnen wir an Stelle dieses »=Ta 
dem Ideogramme für „Jahr“ satt, nämlich ». Letzteres ist nun die 
gewöhnliche Bezeichnung des Regierungsjahres in Babylon und dieselbe 
erscheint auch auf assyrischen privaten Thontäfelchen aus der Zeit Sar- 
gons. Auf öffentlichen Monumenten sind es lediglich Babylonierkö- 
nige, die so von einem „AL — Sattu anstatt von einem „Ta — palü 
reden. Wenn wir nun in unserer Inschrift, d. i. aber auf einem öffent- 
lichen assyrischen Monumente, einer solchen Zählung nach Sandt! „Jahren“ 
statt nach pali „Regierungsjahren“ begegnen, so muls das einen besonde- 
ren Grund haben, einen Grund, den wir füglich nur in dem Umstande 
sehen können, dafs die Zählung, die wir hier haben, eben nicht eine assy- 
rische, denn vielmehr eine babylonische ist, d. h. aber in diesem Falle, 
dafs dieselbe sich nicht auf die Jahre des Sargon als „König von As- 
syrien“, denn vielmehr auf solche desselben als „König von Babylon“ 
bezieht. Die „Schenkungen“ an babylonische Städte, von denen an der 
betr. Stelle der Inschrift die Rede ist als solchen, die während des ersten 
bis dritten Regierungsjahres seitens des Königs gemacht wurden, beziehen 
sich auf die Zeit vom 1. bis 3. Jahr des „Königs von Babylon“ d. ı. 
aber auf die Zeit vom 13.—15. Jahr desselben als „König von Assyrien*“ 
— 709 —707 v. Chr. (s. KAT!, 333). In diesem Jahre 707 wird die In- 
schrift aufgesetzt sein. Da nun bis zu diesem selben 15. Regierungsjahre 


Die Sargonsstele des Berliner Museums. 11 


d. i. 707 auch die grofsen Prunkinschriften ausdrücklich in ihrer Darstel- 
lung, wenigstens der kriegerischen Thaten des Königs, sich erstrecken 
wollen (Khors. 23; für die Annalen s. KAT!. 266), so leuchtet ein, dafs 
auch unsere Inschrift schliefslich etwa um dieselbe Zeit entworfen ist, 
wie die Inschriften des Palastes von Khorsäbäd. Immerhin läfst die von 
der der übrigen Prunkinschriften Sargons: der grofsen Khorsäbädinschrift, 
der Stierinschriften, der Inschriften des paves des portes, der weiteren der 
revers des plaques etc. erheblich abweichende Anlage der Inschrift; der 
Schrifttypus mit den tastenden Versuchen des Tafelschreibers, den augen- 
scheinlich ihm anbefohlenen, ihm aber noch ungewohnten archaistischen 
Typus in die Schreibweise einzuführen (s. 0.); dazu die Zählweise nach 
Jahren des Königs ausschliefslich als König von Babylon, nicht 
zugleich als „König von Assyrien“ (s. vorhin); endlich, was hier ent- 
scheidend ist, das gänzliche Stillschweigen über den sei es unternomme- 
nen sei es vollendeten Palastbau von Dür-Sarukin, darauf schliefsen, dafs 
die Ausführung derselben noch vor diejenige der Khorsäbädinschriften 
fällt, welche zu einander wieder in einem näheren Verhältnifs stehen, 
als unsere Inschrift zu diesen letzteren. Wahrscheinlich wurden — be- 
achte die ın den „Bemerkungen“ beigezogenen wörtlich übereinstimmen- 
den, theilweis geradezu identischen Passagen!) unserer Inschrift einerseits, 
der grofsen Prunkinschrift von Khorsäbäd anderseits — die Khorsäbädin- 
schriften überhaupt unter Zugrundelegung dieser unserer Inschrift (oder 
einer im Wesentlichen mit ihr übereinstimmenden) entworfen und durch 
die Hinzufügung insbesondere des Berichts über den Palastbau erweitert. 
Unsere Inschrift ward mit Rücksicht auf das letzte grofse Hauptereignils, 
die Eroberung Babylons, abgefalst, auf das hin ja unzweifelhaft eben die 
eyprischen Gesandten nach Babylon gekommen waren, wie denn der Be- 
schluls der Anfertigung des Denkmals vermuthlich noch während der Zeit 


!) Beachtung verdient in dieser Hinsicht gerade auch der für uns hier wichtige 
Abschnitt, in welchem (Khors. 144) von dem „III. Jahre“ der Herrschaft des Königs die 
Rede ist. Diese Aussage ist in der Khorsäbädinschrift, die ja (Z. 23) nach Jahren des 
Königs von Assyrien rechnet, einfach unverständlich. Dieselbe wird verständlich ledig- 
lich durch die Cyprus-Stele, welche ausschliefslich nach Jahren des Königs als Königs 
von Babylon d. i. aber „Sargons, des Kaisers“ zählt. Der betr. Abschnitt der Khorsä- 
bädinschrift ist gedankenloser Abklatsch der betr. Partie der Inschrift von Cypern oder 
einer anderen der Art. 

9% 


p7 


12 SCHRADER: 


der Anwesenheit der eyprischen Gesandten am Hofe des Königs zu Ba- 
bylon gefafst ward. Beiläufig sei bei diesem Anlals noch angemerkt, dafs 
der Plan der Erbauung eines Prachtpalastes und der Gründung einer Re- 
sidenz zu Khorsäbäd-Dür-Sarukin mit dem Ereignisse der Eroberung Ba- 
bylons und der Niederwerfung Chaldäa’s vermuthlich auch seinerseits in 
einem ursachlichen Zusammenhange stehen wird. Der Prachtpalast zu 
Khorsäbäd sollte der Kaiserpalast werden, der auch äulserlich in seiner 
grandiosen Anlage und glänzenden Ausführung ein redendes Zeugnils 
wäre der durch die Eroberung Babylon’s neu gewonnenen Machtstellung 


Assyriens. 


Wenden wir uns nunmehr zu der Inschrift selber, so sind uns 
von derselben erhalten lediglich die Inschrifttheile der beiden Seitenflä- 
chen, soweit sie nicht zugleich auf dem weggesägten Stücke standen, und dazu 
derjenige Theil derselben, welcher auf der Front- oder Reliefseite, von der 
Mitte an abwärts, eingemeilselt war, der aber bis auf wenige unzusammen- 
hängende Reste gänzlich vernichtet ist. @. Smith hat nun die Vermu- 
thung ausgesprochen (a. a. O. 68), dafs der unversehrte Stein noch eine 
vierte, jetzt völlig verlorene Columne enthielt, welche einst den „Raum 
zwischen den beiden Seitencolumnen“ ausfüllte. Es leidet wohl kaum einen 
Zweifel, dafs Smith der Ansicht war, dafs diese zwischen der ersten und 
zweiten Seitencolumne einzuschiebende Columne ihren Platz auf der jetzt 
weggesägten Rückseite des Monuments hatte, wie dieses in ganz ähnlicher 
Weise bei den Stelen Asurnalsirhabal’s, Salmanassar’s II (Karch), sowie 
insbesondere bei der Stele Samsi-Rammän’s der Fall war. Die Richtig- 
keit seiner Vermuthung steht für uns, obgleich Smith selber seine An- 
sicht nicht näher begründet hat, aufser Frage. Abgesehen von den nam- 
haft gemachten Analogien ergiebt sich dieses aus einer Vergleichung des 
Inhalts der zweiten Seiteneolumne mit dem der ersten einerseits, mit dem 
Tenor der Berichte der übrigen Sargonsinschriften, insbesondere der An- 
nalen und der grofsen Khorsäbäd-Prunkinschrift anderseits. Nachdem am 
Schlusse der vorigen (ersten Seiten-) Columne Z. 51—65 sehr ausführlich 
die Niederwerfung Hamath’s, die Gefangenfortführung des Königs und 
vieler Hamathenser, sowie die Ansiedelung von Assyrern in Hamath be- 
richtet ist, ein Bericht, der mit den Worten: „meinen Statthalter ... setzte 


Die Sargonsstele des Berliner Museums. 13 


ich über sie und die Leistung von Tribut legte ich ihnen auf“ in sich 
völlig abschliefst, beginnt die erste Zeile der zweiten Seitencolumne mit 
den Worten: „[in Babylon], der Veste des Herrn der Götter, — — zog 
ich ein“ (1—3), eine Notiz, die in dieser Unvermitteltheit unter keinen 
Umständen an das am Ende der ersten Columne Berichtete sich ange- 
schlossen haben kann. Die Angabe setzt mit Nothwendigkeit den Bericht 
über den Kampf gegen Merodoch-Baladan, seine Besiegung, die Erobe- 
rung Babylons selber voraus: dieses muls vorher erzählt gewesen sein; 
es kann dieses nur in einer verlorengegangenen, eben jener hinteren, 
III. Columne berichtet gewesen sein. Bei einem Berichte ferner von der 
Ausführlichkeit, wie der unsrige, ist es ganz unmöglich, dafs so wichtige 
Ereignisse und Kriegsthaten, wie die Expedition gegen Gargamis-Karke- 
misch, die Eroberung Asdod’s, die Schlacht bei Raphia und die Gefangen- 
nahme Hanünu’s von Gaza u. s. w., von der Eroberung Samaria’s gar 
nicht zu reden, sollten in der Inschrift völlig übergangen sein. Wie sehr 
dieser Verlust einer ganzen und grolsen Columne der Inschrift zu be- 
klagen, bedarf zumal bei dem mannigfach Eigenartigen, das sonst ent- 
schieden die Inschrift in Inhalt und Form bietet, keiner Auseinander- 
setzung. 

Ich gebe nunmehr eine Umschrift des Textes der Inschrift, gemäfs 
der von mir in meiner Publication: „Assyrisches Syllabar“ u. s. w. 
Berlin 1880. 4. befolgten Art der Transeription, eine Übersetzung bei- 
fügend, sowie einige exegetisch-kritische Bemerkungen anschliefsend; be- 
schränke mich dabei aber auf die beiden Seitencolumnen, die sich, 
abgesehen von den je am Anfang oder Ende der Zeilen fehlenden Zei- 
chen, allein in einem überwiegend lesbaren Zustande befinden. Die hin- 
tere, mittlere Columne der Hauptinschrift ist, wie bemerkt, sowieso ret- 
tungslos verloren, und bezüglich der über den unteren Theil des Reliefs 
hinlaufenden, arg beschädigten und theilweis völlig vernichteten Inschrift 
bemerke ich lediglich, dafs, wie schon Smith vermuthete, dieselbe eine An- 
rufung der Götter enthielt, ähnlich dem Eingange der Obeliskinschrift Sal- 
manassar’s, der Stele Samsi-Rammän’s u. a. m. Von einer Reproducirung aber 
oder auch nur Restauration dieses Theiles der Inschrift kann keine Rede sein. 
In Folge des Umstandes, dafs die Inschrift auch über den erhaben gearbeite- 
ten Körper der Figur hin eingegraben war, des Theiles der Stele, der durch 


14 SCHRADER: 


die Ungunst der Zeit weitaus am meisten gelitten hat, ist der ganze mitt- 
lere Theil der Zeilen dieses Eingangs der Inschrift bis zur 11. Zeile völlig 
und von der 12. Zeile an so gut wie völlig vernichtet. Einigermafsen 
lesbar sind lediglich diejenigen Zeichen, welche in der geschützten Ver- 
tiefung zwischen Figur und Stelenrand ihren Platz gefunden hatten. Was 
ich in dieser Hinsicht noch habe herausbringen können, ist dieses. 

Die Inschrift begann auf der Frontseite sicher Z. 1 mit den Zeichen 
»>T»>yyr d. i. mit dem Gottesnamen Asur, dem Namen des assyrischen 
Öbergottes. Am Schlusse der Zeile bieten sich noch lesbar dar die Zei- 
chen Yy HF > 7, die sich leicht zu »>T] TYy FH >T [<IET] d. i. Anun- 
naki ergänzen. Z. 2 hebt an mit EP CT d. i. a-Kd, und bietet am 
Schlusse lesbar -Y »% ) d. i. mätätı. Z. 3 beginnt mit »>T «dd. i. 
„Gott Sin“ (Mondgott); der Ausgang der Zeile bietet (JET \ d. i. irsi-tiv 
„(der) Erde“. Z. 4 beginnt mit dem Zeichen Sn, am Ende steht 
sicher £T; was folgt, ist unsicher. Die Eingangszeichen der 5. Zeile sind ver- 
muthlich »— ZYJYT ; am Ausgange derselben ist ein HH: noch einigermalsen 
sicher zu erkennen; das schliefsende Zeichen könnte ein 17 sein; es er- 
scheint auch Z. 6. Der Eingang von Z. 6 bietet deutlich den Namen des 
Sonnengottes »>-T £]. Z.7 sicher En; Schlufs undeutlich. Z. 8 viel- 
leicht £1- 1077 — pi. $a; Ausgang undeutlich. Z.9 am Beginn das Gottes- 
zeichen; Schlufs Y%y. Z. 10 am Beginn wohl >>] ; rechts ist Z. 10 
noch deutlich das Zeichen 2 zu sehen. Z. 11 bietet einigermalsen 
lesbar ein gEYIF (9; Schluls 54. Von hier an hört die Öorrespon- 
denz der Zeilenanfänge und Zeilenenden auf, da die Keule, die der König 
in der Hand hält, auf der rechten Seite des Beschauers den Raum für 
Zeichen zu sehr beengte. Auf der linken Seite ist am Beginn der Z. 12 
nichts Sicheres mehr zu erkennen; in der Mitte stand vielleicht ein 
zIy 2£T- ]. Alsdann folgt Z. 13 ein unverständliches (2 — zur, das 
aber vielleicht auch das Zeichen »+4 d. ıi. mu vgl. Col. 1 AI) Z.5 v. u. 
sein könnte; Z. 14 vielleicht ein sa m endlich Z. 15 begegnen wir 
noch dem unverkennbaren Gottesideogramm 8%. — Rechts ist Z. 16 
noch sicher zu erkennen ein EP Tr; Z. 17 ein »TJAL; Z. 18 ein 
m EI?) Sr; Z. 19 ganz deutlich ein >T]1r MT «IE: 7.20 ziem- 
lich deutlich ein > mit doppeltem 91T & 0); Z- 21 ein wm El.oer} 
7.22 vielleicht: „4 w 2 =]; Z.23 sicher ein (ET -. irsi-tv; 2. 24 


Die Sargonsstele des Berliner ‚Museums. 15 


wm ; 2.25 Ende (Mitte unsicher) das Zeichen Elaye-; endlich Z. 26 die 
Zeiahbn > 75 »-\ und Z. 27 in der Mitte w PT; am Schlufs vielleicht 
ein (JEJ. Auf dem unteren Theile der über die Figur selber hinlaufenden In- 
schrift kann man noch deutlich sehen, wie die Richtung der Zeilen war, auch 
hier und da noch die Reste der Buchstaben constatiren, ohne dafs indels 


an irgend eine Herstellung der Zeilen, kaum etlicher Zeichen, hinter einander 
(doch s. Z. 21) zu denken wäre. Trotzdem kann über Inhalt und Absicht 
des Ganzen der Frontinschrift kein Zweifel sein. Die Anrufung hinter ein- 
ander des Asur, Sin, Samas, assyrischer Gottheiten; nicht minder die 
zweimalige Erwähnung der Anunnaki, dazu das ıdu Marduk ... il rabüti 2.21, 
das wiederholte irsitiv, „der Erde“, was sich zu einem pakıd kıissat Samı 
u irsitiv, auch einem $ar irsitiv (Salmanassarinschr.) oder sonst sich leicht 
ergänzt, geben bei Vergleichung der ähnlichen Anfänge der grofsen In- 
schriften Asurnalsirhabals und Salmanassars an dıe Hand, dafs wir es mit 
einer Anrufung und Glorification der assyrischen Hauptgottheiten, bezw. 
der von dem Grofskönige für besonders heilig erachteten Götter zu thun 
haben. Von diesem Eingange ist die eigentliche Inschrift, welche mit der 
ersten, rechten Seitencolumne beginnt, durchaus unabhängig: die letztere be- 
ginnt völlig neu und ohne irgend auf diesen Eingang Rücksicht zu nehmen. 

Wir bezeichnen die Columnen, indem wir den Nummern der bei- 
den, abgesehen von den Anfängen bezw. Ausgängen der Zeilen, jetzt 
noch vollständig erhaltenen Seitencolumnen I u. II die ihnen ursprünglich 
zukommenden Zahlen II u. IV in Klammer beifügen; also: I (ID); II (IV). 
Die Relief-Inschrift bezeichnen wir durch ein in Klammer beigefügtes (I). 

Wir lassen nun zuvörderst eine Wiedergabe der Relief-Inschrift (I) 
in ihrer wenn auch noch so trümmerhaft uns überkommenen Gestalt fol- 
gen, und zwar indem wir gleichzeitig wenigstens annähernd ein Bild der 
Inschrift nach ihrer ursprünglichen äufseren Form geben. Zur Erläute- 
rung bemerke ich, dafs die durch lichte Schraffirung bezeichnete Mittel- 
fläche den vernichteten, über die erhaben gearbeitete Figur des Königs 
hinlaufenden Theil der Inschrift repräsentirt und dafs der rechts von oben 
hineinragende schmale, unbeschriebene Streif den vom König in der lin- 
ken Hand gehaltenen, oben mit einem Knopf versehenen (auf dem Monu- 
menten beiläufig arg zugerichteten) Streitkolben andeutet. 


Die Relief-Inschrift (I) lautet: 


16 SCHRADER: 


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3 I dddrserseirneerterrerreiertt OL. 
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| = FI 


EELEERIIEELLEELLODEELLDEILEREEEEELENEN 
FO wi=E = mann. 


Die Sargonsstele des Berliner Museums. 17 


Die 


Inschrift der Seiten - Columnen. 


Text und Übersetzung. 


Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. VI. 3 


18 SCHRADER: 


Text.') 
Col. L.(M). 


1. Sar-ukin Sarru rabu-u [sarru dan-nu) 

2. Sar kıssatı sar mat Assur sakkanak [Bab-ılu) 
3. $ar mät Sumiri u Akkadı $ar kıb-ralt arba-ti] 
4. mi-gir ih rabütı a(?)-[...sa] 

5. Asur Nabü [Marduk] 

6. Sarru-ut la Sa-na-an u-sad-I[i- mu-Su-ma] 

7. zi-kir Sumi-ja [nin’- ku) - 
83. u-St-su-u a-na rı-[Sı-V-t] 

9. 5a Sıpar Nipur Bab-[rvdu] 

10. za-nin-us-su-un V-(tip-pu-sa] 

11. Sa sabi ki-tin-ni mal-ba-[su-u] 

12. hi-bil-ta-Su-nu a-|dan-ma] 

13. u-Sa-as'--Si-ik mus-sik-kı Ür Dür-[il) 

14. Uru-Ki, Arku-KI, I’r-[tu- Kl] 

15. La-ar-sa-K]I, Kul-[unu- KT) 

16. Ki-sik- KI Ür Ni-vit-(idu) La-[gu-da] 

17. u-Sap-pih misi-[Su-un] 

ıs. za-ku-ut BAL. BI. KI u vr [Har-ra-nı] 

19. Sa ul-tu ümi ru-[ku-t) 

20. im-ma-Su-ma ki-tin-nu-su-un [ba-dıl-ta] 


21. u-Ür as-ru-[us-su-un]. 

22. Ina tukul-t ih rabüti lu at-|tal-lak-ma] 
23. msi ndr mar-ra-u Ü-[h-t) 

24. a-di ndr mar-ra-ti Sap-[ki-ti) 

2. ki-.\-is-ık'al......)] 


1) Bei der Drucklegung sowohl des transeribirten Textes und der Übersetzung, 
als auch der angeschlossenen Bemerkungen ist die inzwischen erschienene bezügliche Li- 
teratur thunlichst berücksichtigt. 


Die Sargonsstele des Berliner Museums. 19 


Übersetzung. 


Col. I(ID. 


Sargon, der grolse König, [der mächtige König], 

König der Völkerschaar, König von Assyrien, Herr [von Babylon], 

König von Sumir und Akkad, König der [vier] Gegenden, 

der Erhörung findet bei den grofsen Göttern ..., [dem] 

Asur, Nebo, [Merodach] 

die Herrschaft ohne Gleichen über[gaben und] 

die Nennung meines [ruhmwürdigen] Namens 

herausführten wider die [Schlechtigkeit], 

der Sipar, Nipur, Baby[lon] 

wiederher[stellte], 

der den Leuten des Vertrags, wie viel [immer ihrer sind], 

ihre Schäden ersetzt. 

Ich machte botmäfsig’ die Städte Durfilu], 

Ur, Erech, I{rid], 

Larsa, Kul[lunu], 

Kisik, die Stadt der Wohnung des Gottes La[guda], 

führte [ihre] Bewohner fort. 

Die Gesetze der Stadt Asur und der Stadt [Harran], 

welche seit [fernen] Tagen 

in Vergessenheit gerathen waren, und ihre [in Abgang gekommenen] 
Verträge 

stellte ich [wieder] her. 

In Verehrung der srofsen Götter wahrlich wandle [ich einher]; so 

[unterjochte ich] die Bewohner der o[beren] See 

bis zur [unteren] See, 


RER 


SCHRADER: 


ul-tı mät Mu-us-ri a-di mät ... 
u-Sak-ni-3a SÜ-pu-U-a u-[par-ri-ru) 
Ül-lat Hum-ba-ni-ga-as avi’! [mät I'lamiı) 
u-ab-bid mät Kar-al-la, mät...... 

Ür Ki-Sl-si-im Ür [Har- har] 

mät Ma-da-ai mät Tl-[h-pi) 

la Ü-zi-bu pi-ri-[.....]. 

Nisi mät Hat-ti ki-Sid-[t ka-t-ja] 
ki-rib-Sun u-SÜ-Si-ba avi! Su-[ut(?)-sak- ja] 
a-na Saknu-u-u VÜl-su-nu as-[kun-ma] 
u-Sal-di-da si-[ru-us’-Su-"un] 

u-Sak-nı$ mät Man-na-[ai ..... 

mät An-di-a mät Zi-klir-tu) 

Ur-za-na $ar Ü'r Mu-sa-sir a-[di... 

(hi) Hal-di-a (ih) Ba-ag-bar-Yu vh-Su] 
a-na Sal-la-ti am-[nu-ma] 

[mät] Ur-ar-tu a-na pad [gim-ri-Sa] 
..Sa-as. . !-$a-a nak-la-ba Pia 

... msi] a-sib hb-3u a-na ar-[du-t}] 
-mi(d]-da si-bit-tu u... 

[di)-ik-t Ur-sa-a mät [Urta-av!)] 

[ina] sad U-$a-us’?) Sadi-i mar-si [a-duk] 
ta-ha-zi dan-nu Ü-[mur-ma ...) 

ina katd ram-ni-$u ina patri parzilli [Sib-bi-su] 
na-pis-ta-su u-[kat-t] 

mät A-ma-at-tu a-na pad [gim-ri-sa] 
a-bu-bis as-pu-[un]. 

(Ih) Ja-u-bi--di Sa[r-ra-Su-un] 

a-di kim-t-Su awel mun-tah-s[k- Su] 

Sal-lat mäti-su ka-mu-us-[su] 


1) Geschrieben stand, wie G. Smith richtig vermuthet, das ideographische mät 


Akkad-ai im Sinne von mdt Urtai = mät Urartai. S. darüber KGF. 30; vgl. Khors. 31 
und dazu Oppert. Für ein ausgeschriebenes mdt Ur-ar-ta-ai war auch auf der ver- 
stümmelten Columne kein Raum. 


2) U-$a-nit? Sam-Sa-us? Sam-sa-nit? 


Die Sargonsstele des Berliner Museums. 21 


von Ägypten bis zum Lande [. . .] 

unterwarf ich mir. [Ich zerbrach] 

die Heeresmacht des Humbanigas, des [Elamiters], 

knechtete das Land Karalla, das Land... .. 

die Stadt Kisisim, die Stadt [Charchar), 

das Land Medien, das Land Tflip]: 

ich liefs keine pirr.... übrig. 

Die Bewohner des Landes Chatti, die Beute [meiner Hände), 
siedelte ich in ıhrer Mitte an; meinen Statthalter 

setz[te ich] zur Verwaltung für sie ein, 

installirte ich [über sie]. 

Ich unterjochte die Mann[äer, ..... .], 

das Land Andia, das Land Zik[irtu]. 

Urzana, den König der Stadt Musasir, sam[mt .... .], 

den Gott Chaldia, den Gott Bagbar[tu, seine Götter], 
rechnete ich zur Beute [und] 

das Land Urartu nach seinem [ganzen] Gebiete 

Ä HAnde (2) 

die Bewohner, die darinnen salsen, in Knecht[schaft] 
brachtevieh.(?); Sieben Mr. 9 

der Mannschaften des Ursä, des [Urtäers], 

[tödtete ich] auf dem Gebirge Usaus (?), unzugänglichen Bergen; 
die gewaltige Schlacht sah [er], 

mit eigener Hand mit dem eisernen Schwerte [seines Gürtels] 
nahm er sich das Leben. 

Das Land Amattu nach seinem ganzen Gebiete 

warf ich gleich einer Sturmfluth nieder. 

Jahubrdi, [ihren] König, 


54. sammt seiner Familie, [seinen] Soldaten, 


55. 


die Gefangenen seines Landes, gefes[selt], 


m [9 


SCHRADER: 


a-na mät Assur all-ka-a] 

III. ©. narkabäti VI. ©. bat-[hal-l) 

na-as is ka-ba-bi is as-ma-[ri-%) 

i-na hb-bi-Su-nu ak-[sur-ma] 

Üh ki-sir Sarru-t-ja u-[rad-di) 

VI. M. III. C. avi! Assur-ai bil..... 

ina ki-rıb mät Ha-am-ma-t u-[sÜ-sib-ma] 
av! Su-ut-sak-ja avi’! [Sakmiti-ja) 
Üh-Su-nu as-kun-ma bil-tu ma-[da-tu) 
u-kin Üh-su-[un]. 


Col. II (IV). 


[a-na Bäb-i]lu ma-haz bl ik 

i-na Ü-W]- is hb-bi u nu-mur pa-ni 

[ha-dıs]) Ü-ru-um-ma 

[katä bil rabi)-Ü Marduk as-bat-ma 
fu-Sal-Tii-ma u-ru-uh Bit- Id- ki-tı 

[7. ©. L. IV. biläti XXVI ma-na VI SU huräst 
[bir-Su-u] I. M. VIII C. IV bilat! XAX ma-na 
[kaspi], bi-lat iri madi, par-zil-k 

[sa la] i-su-u ni-ba-su-un, 

[aban KA, aban) Ukni, aban PI, aban Mus-gir 
[aban .... abaln Muh-ri(?), II di-gil aban PI 
eh ] sa ni-ba la d-su-u 

[ubulti ta-kıl]-tu lubulti ar-ga-ma-nu 

[ubulti) bir-mi u KUM 

Bit ]-nu is Ör-nu ıs Sur-man 

[ka-Na ri-ık-ki bi-ib-lat sad Ha-ma-ni 

[sa Ü-ry-su-un ta-a-bu 

[a-na] Bilu u Zir-bäni-t Nabü 

[u Tas-mi'|-tuw u ih a-Si-bu-ut 

Ima-ha-zr]) mät Sumi’ri u Akkadı 

fultu vis] Sarru-t-ja a-di III Sandtı 


u =} 


Die Sargonsstele des Berliner Museums. 


[führte] ich nach dem Lande Assur ab. 

300 Wagen, 600 Reit[pferde,] 

Schild und Spee[re] tragend, 

nahm ich unter ihnen [vorweg und] 

[fügte] ich meinem königlichen Antheile hinzu. 
6300 Assyrer, [Besitzer von . .. .], 

[siedelte] ich inmitten des Landes Hammatu an; 
meinen Statthalter, [meine Beamten?] 

setzte ich über sie und Abgabe (und) Trilbut] 
legte ich ihnen auf. 


Col. II (IV). 


[In Baby]lon, der Veste des Herrn der Götter, 


[in dem Frohlo]cken des Herzens und unter Leuchten des Antlitzes 


[freudig] zog ich ein und 


[die beiden Hände des] grofsen [Herrn], des Merodoch, ergriff ich und 
machte zu einem Heilspfade den Weg zum Tempel Iakiti. 


154 Talente, 26 Minen, 6 SU Gold, 

birsü (2), 1804 Talente, 20 Minen 

[Silbers], Tribut, bestehend in vielem Erz, in Eisen, 
dessen (Menge) [nicht zu] zählen war, 

[Ka-Steine], Ukni-Steine, Pi-Steine, Musgir-Steine, 
... . Muchrü(?)-Steine, 2 dıgıl Pi-Steine, 
Bee ] die nicht zu zählen, 


[Gewänder] von violettem und Gewänder von rothem Purpur, 


[Gewänder] von Birmi' und KUM, 

Kahn ]» Cedernholz, Surmanholz, 

[jegliches] Grün, Erzeugnils des Amanusgebirges, 
deren [Wald] ein guter, 

[dem Gotte] Bel und der Zirbänit, dem Nebo 


[und der Tasmi]t, sowie den Göttern, welche wohnen in 


[den Städten] von Sumi’r und Akkad, 
[von Beginn] meiner Herrschaft bis zum 3. Jahre 


94 SCHRADER: 


22. [u-ka]-i-Sa ki-sa-a-ü. 

23. [U-pi-V-r]i Sar Dil-mun KI sa ma-lak XXX kas-bu 
94. [ira kabal tiäm]-tv Sa ni-pi-ih sam-si 
25. [Ama nüni Sit)- ku-nu nar-ba-su 

2». [da-na-an] Asur Nabü Marduk 

27. [S-miÜ)-ma 18-pu-ra ar-du-tav; 

23. [w VII Sarra]-ni Sa mät Ja- na-gi-r 

29. [5a mät At)- na-na $a ma-lak VII ü-mı 
0. [-na kabal] täm-tv V-rıb sam-$i 

31. [St-ku-nu]-ma ni-sa-at su-bat-sun 

32. [5a ul-ti) dmi ruküti si-bit mät Assur 
a na ina Sarra-ni abütl-ja 


34. [a-h-kut] mah-ri ma-am-man 
35. [la is-mJu-u zi-kir mäti-Su-un 
36. Pp-Sit ina) ki-rib mät Kal-di u mät Hat-u 


37. [-Hb-bu]-su i-na kabal tiäm-tiv 

33. [ru-kis is ]- mu-ma lib-bu-Su-un ü-ru-ku 
39. [hat-tu ik-Su-)da-Su-un. Hurasu u kaspu 

10. [u-nu-ut is) KAL is KU mi-sir-ti mäti-Su-un 
11. [a-na ki-rib Bab)- iu a-di mah-ri-ja 

22. [u-bi- lu-num-ma) u-na-si-ku Sı'pd-ja. 

43. [Ina ü-mi’-$u-]ma (aban) nara u-Sl-pis-ma 


u: RR ik rabüt bi-ja 

a ] ki-rib-Su; sa-lam sarru-t-ja 
4. [.. . .a-n]a baläti-ja ma-har-Su-un ul- 212. 
a7. TERER! ] sa 8-tu si-ü sam-sı 


as. [a-di Ü-rib] Sam-Si ina tukul-t Asur, 
49. [Nabi) Marduk ih tik-W-ja 

50. [a-na m]-ir bi-Iu-ü-ja u-sak-m-su 
51. [al-tu]-ra si-ru-us-su, 

Ne ] ba-iÜ hur-ri Sadi-v 

53. [....] -7 (Pl) mät At-na-na ul-zız. 


[>] 
[sb 


Die Sargonsstele des Berliner Museums. 


[brachte] ich an Geschenken dar. 

[Upr]ri, König von Dilmun, welcher 30 Kaspu 

[inmitten des Mee]res des Aufsangs der Sonne, 

[einem Fische gleich] den Wohnsitz aufgeschlagen hatte, 

[vernahm] von der [Machtstärke] Asur’s, Nebo’s, Merodach’s, 

und sandte Unterwerfung. 

[Auch die 7 Kö]nige des Landes Jah, einer Gegend 

[des Landes At]nan, welche eine Wegstrecke von 7 Tagen 

[inmitten] des Meeres des Untergangs der Sonne 

[wohnen] und deren Wohnsitz nısat, 

[deren] Landesnamen [seit] fernen Tagen, (seit) der Gründung Assyriens 

.... . unter den Königen, meinen Vätern, 

die da vor mir [wandelten], Niemand 

vernommen hatte: 

sie hatten von den Thaten, (welche) ich inmitten des Landes Kaldı 
und des Chattilandes 

verrichtet] hatte, mitten im Meere 

[in der Ferne] vernommen, ihr Muth verliefs (sie), 

[Furcht er]griff sie. Gold, Silber, 

[Geräthe aus] KAL-Holz, aus KU-Holz, den Schatz ihres Landes, 

[nach] Babylon zu mir 

[brachten sie und] külsten meine Füfse. 

[In jenen Tagen] liefs ich eine Steintafel anfertigen, 

[. - =. . .] der grofsen Götter, meiner Herren, 

F - » -.. .] auf derselben; mein königliches "Bild 

[liefs ich fertigen; zu] meinem Leben richtete ich es auf. 

[Die Länder (?)], welche ich vom Aufgang der Sonne 

[bis zum Untergang] der Sonne im Dienste Asur’s, 

[Nebo’s,] Merodach’s, der Götter meines Vertrauens, 

[dem Jo]che meiner Herrschaft unterworfen hatte, 


[schrieb] ich darauf; 


[In..... .]-da-«d Schluchten der Berge 
"-......] des Landes Atnan richtete ich (es) auf. 


Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. VI. 4 


SCHRADER: 


[Sa ina tuklat) ii rabüt bili-ja 

[- -- . .] $Su-un ki-ni at-tal-la- ku-ma 
sa-nin-su] la v-su-u 

[ana Sarra-ni] habli-ja sa-t-is !-zib. 
[I-na ar-)kat u-mi rubü arku-u 
[mu-sar-ra]-ai k-mur-ma hl-ta-si 
[da-na-an’) il rabüti hit-ta-id-ma 
[aban nard’) Ip-Su-us ni-ka-a lik-kı. 
[Sa .....] u-nak-kar a-Sar- su 
[-.......]-Air (aban) nard-ja 

Berk. .]-ıb sit-ri Sumi-ja: 

[ll rabü]ti ma-la ina (aban) nari 
[an-mi-i sulm-su-nu na-bu-u u al 
[a-si-bu-Jut ki-rib ham-tiv rapas’- iv 
[ar-rat Ii-ru-ru-su-ma sum-su zÜr- Su 
[-na mälti k-hal-h-ku 


[-.......] P7-Ü-mu ina sunuk bubüti(?) hu-Sah-hi 


De ..) W-bit [lu] Dibbar-ra 
=. AP RHdrU nr 


-na pan] nakrıi-su ka-mıs h-SÜ-si-bu-su-ma 
[i-na pan) Und-Su mät-su hs-tap- par. 


Die Sargonsstele des Berliner Museums. 27 


[Ich, der ich in der Verehrung] der grofsen Götter, meiner Herren, 
[in Gemäflsheit ihrer] festen [Satzung?] einherwandle, 

[der ich einen Nebenbuhler] nicht habe, 

[den Könilgen, meinen Söhnen, für die Zukunft es hinterliefs. 
[In der Ferne] der Tage, der Grofse, der Ferne, 

möge sehen meine [Schriftzeilen] und /itası; 

[die Macht?] der grolsen Götter möge der verherrlichen und 
[die Tafel?] er reinigen, Trankopfer ausgielsen. 

Wer ihren (der Stele) Standort ändert, 

meine Tafel [vernichtet ?], 

[auslöscht?] die Schrift meines Namens: 

[die grofsen Götter] allzumal, deren Namen auf [dieser] Tafel 
verkündet sind, und die Götter, 

welche inmitten des weiten Meeres [wohn]en, 

mögen fluchend ihn verfluchen und seinen Namen, seinen Samen 
[im Lande] vertilgen. 

[Anstatt mit?] Gnade mit Nahrungsmangel‘, Noth, 

[2 2 8 E]ladBat e)udae: Pest, 

Bee ahgs-il, senekBewohner. 

[Angesichts seines] Feindes mögen sie gefesselt ihn dasitzen lassen; 
[vor] seinen Augen möge sein Land zerbrochen werden. 


A 


38 SCHRADER: 


Bemerkungen. 


Zu Col.I (I). 


Vs. 1. Sarukin geschr. Sar-ukin. Ich bemerke in Ergänzung und 
Präcisirung meiner Ausführung vom J. 1872 (s. Die Ass.-Bab. Keilinschrr. 
S. 158 ff.), einmal, dafs, wie ich in meiner Nachschrift ebend. S. 162 be- 
reits anmerken konnte, die verbale Auflösung des Ideogramms @/. NA 
— DU als ukin!) durch die bereits dort angezogenen Stellen aus den nach 
Regierungsjahren Sargon’s datirten Thontäfelchen gewährleistet und als die 
einzig zulässige an die Hand gegeben wird; sodann aber, dafs wohl kein Grund 
vorliegt, das substantivische Ideogramm für „König“, welches wir im Ace. 
stehend zu denken haben, als Sarra oder $arr zu transeribiren. Wie 
schon die uns einmal begegnende durchaus phonetische Schreibung Sa-ru- 
ki-na (mit unregelmälsigem Zischlaute, worüber ebend. 160 Anm.) an die 
Hand giebt, hat der Assyrer einfach Sarukin, beziehungsw. Sarukın ge- 
sprochen, was ohnehin zu dem hebräischen 7'570, auch und zwar gemäss 
correcter masorethischer Punctation (Frz. Del.; B. Stade) 7172 (mit Raphe 
des 5), faktisch stimmt.?) Analog ist die Wiedergabe des babylonischen 
(Nirgal) -Sar-usur durch "zn7® >37 Jer. 39, 3. 13; vgl. das einfache "xx 7W 
2. Kön. 19, 37; Jes. 37, 38 und dazu beidemal das Sagar@g der LXX (Jer. 
39 ist der betr. Name in der griech. Version völlig verderbt). Die auf- 
fällige Wiedergabe des assyrischen vw ebenfalls durch w in "zu"w als Na- 
men eines Assyrers, wofür man — vergl. j77° — ein "075 erwarten 
sollte, erklärt sich wohl am einfachsten aus der verhältnilsmäfsig späten 
Redaction des betreffenden ohnehin aus dem Königsbuche erst in das B. 
Jesaja herübergenommenen Abschnitts der Königsbücher. Zu der Zeit 
war eben die babylonische Aussprache dieses Namens mit dem breiten 
Zischlaute durch die Babylonier selber den Hebräern bekannt und mund- 


1) Für ukin als Impft. Pa. von > s. P. Haupt, sum. Familiengess. I S. 58 
Anm. 8. 

°) Ob aus dieser Thatsache weitere Schlüsse zu ziehen, ist eine andere Frage. 
S. darüber G. Hoffmann, Auszüge aus syr. Akten pers. Märtyrer. Lpz. 18850 S. 183. 


Die Sargonsstele des Berliner Museums. 29 


gerecht geworden, wie sowohl das angeführte "sa7& =57> als auch das 
danielische 28W52 — BDfVl-sar-usur, sogar auch "saWn>2 — Baläta-su- 
usur beweisen (den im B. Jesaja bereits seit Alters gebrauchten Namen 
des Assyrers 77370 liefs man wie die Namen der übrigen Assyrerkönige in 
dieser Hinsicht unverändert). Lediglich in parenthesi sei noch angemerkt, 
dals natürlich die Punktation des letzten der aufgeführten babylonischen 
Namen bei den Masorethen als "zswv>2 (mit Ssere im Beginn der Sylbe) 
lediglich auf einen Schlufs ex analogia zurückgeht: man hielt eben das 
>= dieses, begreiflicherweise unverstandenen, babylonischen Namens für das 
gleiche >=2 wie dasjenige des Namens Belsazar d. i. für den Gottesnamen 
Bel. Noch weiter gingen in der Uniformirung der beiden Namen die grie- 
chischen Übersetzer, die für beide gleicherweise BaArarap d. i. das cor- 
rumpirte Beltesassar des masorethischen Textes substituiren. Ebenso und 
danach die Vulgata: Baltassar. Erst Luther kehrte mit seinen differenzi- 
renden Aussprachen Belsazar und Beltsazar zu der ursprünglichen 
Scheidung der Namen, wie sie in dem ÜÖonsonantentext des A. T. noch 
klar vorliest und auch noch in der masor. Punktation zu Tage tritt, zu- 
rück. — Für die Aussprache des Namens Sargon ist übrigens den LXX 
nichts zu entnehmen: der Name, den sie Jes. 20 bietet, ist augenscheinlich 
ein völlig verstümmelter. 

2. sar kıssati sar mät Assur. Der assyrısche Text transeribirt 
sich in Oursiv: „Ep ] «( “ »>%Y DT, wonach III R. 11. 1, 2 zu 
berichtigen ist. 

sakkanaku ist von Anderen und mir selber in der Regel durch 
„Statthalter“ übersetzt, indem dabei an ein von dem W. sakan abgeleite- 
tes Substantiv, an ein in der Bildung erweitertes sakan, saknı „Statthal- 
ter“ hebraisirt als 7x0, gedacht ward. Indefs abgesehen von der Schwie- 
rigkeit die Endung ak, akku in diesem Falle befriedigend zu erklären, 
würde die Bedeutung „Statthalter“ weder zu Stellen wie Bors. 1, 6 sakka- 
nakı la a-nd-hu, noch zu den bezüglichen Stellen der Inschriften assy- 
rischer Könige, insbesondere Sargons stimmen, die sich besonders gern 
als sakkanak Babrlu tituliren. Ein Assyrerkönig, Sargon eingeschlossen 
(vgl. die Gylinderinschrift I R. 36 init.), bezeichnet sich wohl als saknu 
„Statthalter“ irgend eines Gottes, des (alten) Bel u. s. f.; aber 
„Statthalter“ einer Stadt oder eines Landes würde sich ein Assy- 


30 SCHRADER: 


rerkönig niemals genannt haben, Dazu wechselt das hier in Betracht 
kommende Ideogramm &= >>] NT. NIT auf den Asarhaddonbacksteinen 
einfach mit dem Königsideogramm = Sarru s. I Rawl. 48 Nr. 5. 6 einer- 
seits, Nr. 7 und 9 anderseits. Gewils hat demgemäls F. Delitzsch neuer- 
dings mit weit mehr Recht die allgemeinere Bedeutung: „Machthaber“, 
„Oberherr“ statuirt (Ass. Lesest. 2. A. Schriftt. 242). Dazu stimmt auch 
die ideogrammatische Bezeichnung. Bekanntlich bedeutet &= im Assyr. 
s’pu = „Fuls“ und 7 zikaru „Bursch“, aber auch ardu „Sklav*. Aus 
„Fufs“ und „Sklav“ setzt sich ächt orientalisch der Begriff des „Macht- 
habers“ zusammen: man denke nur an die bekannten bildlichen Darstel- 
lungen auf den Reliefs des Assyrers Asurnafsirpal’s und des Persers Da- 
rius (Behistun), beide den König darstellend, wie er den Fuls auf den 
Nacken des Unterworfenen setzt! Vgl. auch die bekannte Phrase in der 
Standardinschrift (Z. 4) und sonst: mu-kab-bi-is kisad ai-bi-su d. 1. „(der 
König), der seinen Fuls setzt auf den Nacken seines Feindes*, Nun aber 
erklären die Syllabaren das Ideogramm bezw. akkadische Wort NI wei- 
ter sowohl durch !muku d. ı. „Macht“ als durch gasru d. ı. (vgl. das 
Adj. gisru!) dasselbe (Haupt ASKT. p. 30. 29 Nro. 669. 668). Der (avı’l) 
NT. NIT ist hiernach „der Machthaber über Sklaven oder Unterworfene*“, 
und der Sinn des Ideogramms allerdines gerade entgegengesetzt demjenigen, 
den ihm Opp. J. A.V1,2 1863 p.485 glaubte zueignen zu sollen — derselbe, der 
gerade zu dem richtigen Verständnisse desselben den Weg gebahnt hatte —, 
indem er meinte: „e’est done un ideogramme qui a un sens des plus hum- 
bles“. Auf der richtigen Spur war ich bereits 1872, als ich KAT!. S. 210 
dem Worte den Begriff „Lehnsherr“ vindieirte. — Wie schon oben an- 
gedeutet ist der Name schwerlich semitischen Ursprungs. Es kommt 
hinzu, dafs wir der Bildung mit auslautendem aku (bezw. akku) auch sonst 
gar nicht so selten bei akkadischen Wörtern begegnen. Erwägen wir 
nun, dafs in der Sylbe $ak sehr wohl das bekannte sak d.i. „Haupt“, 
„Fürst“ stecken kann (für den Wechsel von s und 5 zwischen Babylo- 
nisch und Assyrisch vgl. babyl. hursanis‘ gegenüber assyr. hursanis u. a.m.), 
so würden wir für Sak-kan-ak(kyu etwa die Bedeutung „Haupt“, „Häupt- 
ling“ im Sinne von „Oberherr“ gewinnen. Vgl. zu den akkadischen Bil- 
dungen auf akku Lotz TP. 176. — G. Smith’s „highpriest“ läfst sich nicht 
rechtfertigen. 


Die Sargonsstele des Berliner Museums. 31 


3. Über die Bedeutung der Bezeichnungen mät Sumi'ri und mät 
Akkadı s. KGF. 296. 533 flg.; F. Del. Paradies 196 ff. 

4. migir, eigtl. „Gehorsam“, dann abstr. pro coner. „der Gehor- 
same“, „der Diener“. — Am Schlufs lieft Sm. 3a [rk]. Allein das erste 
Zeichen ist sicher kein w: eher ein Y; und ein : vor einem nachfol- 
senden vu Asur u. s. w. wäre seltsam. 

7. Für die Ergänzung mnku s. Khors. 5 sammt Parallelen. S. 
weiter DMG. XXVIII 126 fle. S. hier auch für Vs. 8. 9. 

12. adan-ma wörtl. „(Ghre Schäden ihnen) wiedergab.“ Dieser 
Sinn wird durch das parallele mausallimu der Cylinderinschr. Z. 4 an 
die Hand gegeben. S. hierzu Oppert im Journ. Asiat. VI, 2. 1863 
p. 488, der freilich a-rıb gelesen und „je combattis les transgressions 
des hommes soumis & des lois respectables“ übersetzt wissen will. 

13. Für usassıik mussikki (2 — mussikki?) s. ZDMG. XXVII, 129; 
vgl. aber inzwischen auch V. R. 10, 92! — Für die hier und V. 14 nam- 
haft gemachten babylonischen Städte s. Del. PD. 220 ff. 250 ff. KAT?. 
IS H. 129 fg. 135 ff. 

15. Über Kullunu] = Zirlab s. Del. Par. 225 fig. — Über Kı- 
sık und Nivit-Laguda ebend. 231. 

17—21. Vgl. hierzu ZDMG. a. a. O. 129 fe. 

23flg. Über ndr marratu „Meerstrom“ u. s. w. s. „die Namen der 
Meere“ S. 176 und vgl. ebend. 173. 

26. Über mät Musri. = „Ägypten“ an dieser Stelle s. KGF. 252. 

27. Die bereits von Smith vorgeschlagene Ergänzung u-[par-rı-r«] 
Vllatsu nach Stellen wie IR. 39 col. III, 53; DIR. 29 Nr. IL 9 u. a.m. 
Vgl. KAT! 212. 224. 288. 

36. usaldıda R. 7&. Wörtlich: „ich machte sie gewaltig über sie“. 

46. S. S.20 Ann... 

49. Für die Ergänzung Sıbbısu (Rawl.-Smith) s. IR. 7. IX, C. 4. 

51. Über (mit) Amattu = (mät) Hammatu „Hamäth“ Z.57 s.KAT?. 
106 Anm. — (ana pad) gimrisa. So nach Stellen wie Khors. 88. Rawl.- 


G 


[ep] 


Smith mit männlichem Suffix: gimri-su — weniger correkt, aber nicht 
unmöglich s. IR. 35 Nr. I Z. 10. 
55. kamüt „gefesselt“. S. Del. bei Haupt, sum. Familiengesetze 


I, 75 und vgl. Lotz, Tigl. Pil. 148. 


32 SCHRADER: 


59. aksur R. 27 1) „zusammennehmen“, 2) „wegnehmen“. Vgl. 
für den Bedeutungsübergang hebr. zo8 und s. Lotz 137; KAT?. 9. Zur 
Ergänzung vgl. Botta 145, I fin. u. a. St. 


Zu Col. II (IV). 


Vs.2. /ls 727 „Jubel“ „Frohlocken“. Die Ergänzung nach Stellen 
wie Khors. 140 u. a. Ob die Wurzel y>> oder >», ist aus den mir 
gegenwärtigen Stellen mit Sicherheit nicht zu ersehen. 

3—10. Für die Ergänzungen s. Khors. 141 flg. Vgl. Rawl.-Smith. 

6. Über SU = ein Sechstel der Mine —= 10 Schekel (vgl. Khors. 
141) s. meine Bemerkungen in der Ägypt. Zeitschr. 1878, S. 112 fe. 

13. Für die Ergänzung s. Khors. 142. 

15. Über akkad. $urman —= assyr. Surmi'nu ($urmini) —= aram. 
W.o@a sau s. Monatsberichte 1881 (5. Mai) S. 421. 

16. Für die Ergänzung ist Khors. 143 zu vergleichen. Aıkkr (sie!) 
R. 778 = hebr. 7”, vgl. das hebr. 777">2 Gen. 1, 30; 9,3, welches unserm kala 
rikkt völlig entsprechen würde; für die Bildung s. Ew. $. 153b; Olsh. $. 1514. 
Vorab sind hier unter dem „Grün allerlei Art“ des Amanus die verschie- 
denen immergrünen Pinusarten desselben zu verstehen (V. 15). Bekanntlich 
steht auch das hebr. #77 zugleich vom „Grün“ der Bäume. — Statt des 
Sad Ha-ma-ni unserer Stelle bietet die Parallelstelle der Khorsäbädinschrift 
das correctere $ad Ha-ma-a-m. Zu vgl. KGF. 191. — Über bibil, biblat 
(Plur. fem.?) — „Erzeugnisse“ s. Del. bei Lotz, TP: 95. 

17. [rk-su-nu. Die Ergänzung nach Khors. 143. Irit wird unter 
Vergleich von ürsit — hebr. "8 von Oppert scharfsinnig mit hebr. > 
„Wald“ zusammengestellt (J. A. VI, 3. 1864 p. 264). 

20. Über mahäzu „Stadt“, „Burg“ = syima s. Lotz, TP. 109. 

21. Wörtlich so Khors. 144. — Der hier in Aussicht genommene 
„Beginn der Herrschaft“ des Königs ist seine Herrschaft über Babylon. 
S. darüber oben S. 10; ebenso ist das „3. Jahr“ das dritte Jahr seiner 
Herrschaft als „König von Babylon“. Anders Oppert, der zu dieser 
Stelle J. A. VI, 3 1864 p. 265 bemerkt: „Nous voyons la raison de cette 
fivation chronologique dans le fait resultant des eponymes, que Sargon regna 


Die Sargonsstele des Berliner Museums. 35 


3 ans avec un roi que nous nommons Ninip-touya. Arrive a Tewercice 
absolu du powvorr, ıl enumere ce quil avalt deja fait, pendant qwil par- 
tageait le tröne avec un autre prince“. — 

22. Über die Redensart: ukarsa kisät! s. Del. bei Lotz 100. Vol. 
die Parallelstelle Khors. 144, wo natürlich ebenfalls u-ka-r-sa (nicht 
u-ka-li!) zu lesen ist. 

25—42. Zu den Ergänzungen vgl. die Khorsäbädinschr. 144— 149. 

23. Über Dilmun s. Del. PD. 178f. 229. 

24. Sanıpıh samsı „des Aufgangs der Sonne“. Gemeint ist natürlich, 
wie der Zusammenhang an die Hand giebt, der persische Meerbusen. Dieser 
selbe Meerbusen heifst an anderen Stellen „das grofse Meer des Aufgangs 
der Sonne“ (hämtw rabitw Sa sit Samsı); auch wohl „das untere Meer 
des Aufgangs der Sonne“ (kamtuv Saplitu Sa sit Samsi) s. unsere Abhdleg. 
„die Namen der Meere in den assyrischen Inschriften“ (A. d. W. 1876 
(1877) S. 174). Ebenso stellt Rammannirar IR. 35 Nr. 3 (Lay. 70) dem 
„grofsen Meere des Unterganges der Sonne* die kadmtuv rabitu Sa napah 
samsı d. i. „das grofse Meer des Aufgangs der Sonne“ gegenüber (ebend. 
177). Es leuchtet ein, dafs nıpıh, napah nur (die Gegend nach) Sonnen- 
aufgang, also den Osten bezeichnen kann. Damit’ erledigt sich die 
wohl neuerdings aufgestellte Vermuthung, dass nıpık samsı den „Süden“, 
die Gegend „nach Mittag zu“ bezeichne. — Über die Bedeutung der W. 
napah vgl. noch 11 R. 35, 4—9 e. f. und dazu Lotz 83. 

25. sıtkunu (so lies gemäfs Khors. 144) Perf. Ifte., scheint hier, 
wie ıstakan u. Ss. w., nur active Bedeutung haben zu können. Doch vgl. 
zu Vs. 31. — narbäsu R. 727%. Lesung und Ableitung schon richtig bei 
Oppert zu Khors. 144; nur ist dieses 727 nicht als „etre ä la piste* zu 
interpretiren und narbasu nicht durch latebrae zu übersetzen. 

29. [mät Atjnana. So ergänze gemäls Z. 53. Sonst überwiegend 
mät Jatnana. 8. das Nähere hierüber, sowie über den Distriet ındt Ia 
KGF. 242. 243 ff. (mät Atnana übrigens auch in den Annalen Botta 91, 3). 

31. [Sitkumu]. So liegt es am nächsten mit G. Smith gemäfs der 
Parallelstelle in der Khorsäbädinschrift zu ergänzen. In diesem Falle 
aber drängt sich ebenfalls als nächste Construction auf, das Relati- 
vum auf das nachdrucksvoll voraufgestellte persönliche: „die sieben 

Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. VI. 5 


34 SCHRADER: 


Könige des Landes Jah“ zu beziehen, demgemäls — vgl. zu Vs. 25 — 
zu übersetzen: „welche (ihren Wohnsitz) inmitten des westlichen Meeres 
.. aufgeschlagen haben“. Man müfste in diesem Falle aus dem nach- 
folgenden Subatsun „ihren Wohnsitz“ den entsprechenden Accusativ zu 
dem Verbum sitkumı dem Sinne nach voraufnehmen. Andernfalls wäre 
sitkunu passivisch im Sinne von „belegen“, „angesiedelt“ zu fassen und 


zu übersetzen sei es: „welche (die Könige) — angesiedelt sind“, sei es: 
„deren Wohnsitz — belegen ist“, in welchem Falle man aber — auf $u- 
bat-sun bezüglich — nicht ein sitkunu, denn vielmehr ein sıtkunat er- 


wartete, was freilich nach Oppert, les inseriptions de Dour-Sarkayan 
p. 5, 39 sich in der That einmal findet. — Nisat ist dunkel. An eine Wur- 
zel ©: „elever“* kann nicht gedacht werden. Del. PD. 291, der „ent- 
fernt“ übersetzt, dachte wohl an eine Wurzel >02, wovon nısät (wie Del. 
transeribirt) vielleicht ein Perf. Nif. sein könnte. Aber die Bedeutung? — 

32. sıbit mät As$ur. Für sabätu #22 in der hier durch den Zu- 
sammenhang an die Hand gegebenen Bedeutung vgl. die in den histori- 
schen Inschriften häufige Redensart ana 13$utl asbat „von Neuem grün- 
dete ich“ wechselnd mit der andern: ana issut! abni „von Neuem erbaute 
ich“. Die Lesung ist — gegen G. Smith — paläographisch eine unzwei- 
felhafte. Mit Recht übersetzt demgemäfs Oppert in Records of the Past 
VI 23: „(from) the constitution of Assyria*. Derselbe ergänzt den An- 
fang der folgenden Zeile zu [a-di mu-an]-na „bis jetzt“. — Für die 
schwierige Parallelstelle Khors. 145 flg., vgl. 110 flg., vgl. Del. PD. 291g. 
einerseits, Opp. l. c. 22 anderseits. 

38. Für itruku R. SS s. schon Oppert |. ce. 377. 

39. [hattu iksu]-da, eine wohl zweifellos richtige Ergänzung G. 
Smith’s. Vgl. die Parallele imnasunüti hattu Khors. 148 einerseits, das 
ittapiksu hattu Botta 150, 3 anderseits. 

46. ana balätija „zu meinem Leben“. So ergänze ich zuversicht- 
lich nach Analogie von Stellen wie I. Rawl.2 Nr. 53 Z.12 u.a. m. Für 
TI.LA —= balätu s. ABK. 134. — Für die Form ulziz s. Pognon, inscrip- 
tion de Bavian. Par. 1879 p. 198. 

48 ff. Die durch die Parallelen in allem Wesentlichen an die Hand 
gegebenen Ergänzungen bereits bei Rawlinson-Smith. 


Die Sargonsstele des Berliner Museums. 35 


52. Für die Aussprache hurru (nicht harru) — ar. > (vgl. auch 
hebr. m), s. Lotz 115 und vgl. für den Lautwerth kur des Zeichens den 
Wechsel von am-hur mit am-hu-ru, u. Ss. w. 

57. satıs Adv. von sat—=nax R. xın —= hebr. am», 

59. dıltası — verstehe ich nicht. 

60.  Kttand d. 1. Ktta’id = ne» Nif. R. me. VR.1;9. 

61—74. Vgl. die Parallelen Tigl. Pil. I col. VIII, 50 f£.; II R. 41. 
II, 13 ff.; 43. III, 23 £. 


66. Für die assyr. Redensart: „seinen Namen verkünden“ im Sinne 


von „genannt werden“ vgl. KAT?. S.5 Z. 13 fie. 

68. Für Smith’s Ergänzung s. Tigl. Pil. VII, 76; DIR. 41. 
M..15; 43. II, 55. 

70. Vgl. Tigl. Pil. col. VIII, 85, welche Stelle auch die muthmafs- 
liche Auflösung des Ideogramms für den Begriff: „Mangel-Nahrung“ an 
die Hand giebt (zu dbubütu „Nahrung“ vgl. Höllenf. Ist. Av. 8). Dalfs 
sunuk bubüt! nicht als zwei verschiedene Ausdrücke für denselben Be- 
griff „Mangel“, bezw. „Hungersnoth“ zu nehmen sind (Lotz u. A.), er- 
giebt sich, abgesehen von bubütu, dessen Bedeutung „Nahrung“ nicht ohne 
Weiteres in ihr Gegentheil zu verkehren ist (der Fall II R. 17 22d = 
Haupt, ASKT. 89, 22 liest anders), aus Asurnafsirhabal, Monol. Schlufs 
IR. 27, 94 fle.., wo in den Worten su-un-ka bu-bu-ta u ni-ip-pal(?) 
u hu-Sa-ah-ha drei Glieder des Satzes unterschieden werden und sunka 
bubüta als ein Glied erscheint. Die Nichtbezeichnung des Statusconstructus 
an letzterer Stelle kann schwerlich einen Gegengrund abgeben ABK. 230. — 
husahhu = husähu (nicht husuhhu!) ist eine Bildung wie hurasu „Gold* = 
hebr. 7777 (ABK. 210) u. a. m. Sonst vgl. Haupt in NGGW. 1880 8.516 flg. 

71. Für den Pestgott Dibbarra s. G. Smith, Chaldäische Gene- 
Bis. ıD. A. Lpz.. 18768. 110 ff. 

73. kamis Adv. „gefesselt“. S. zu Col. I(ID), 55. 

74. Ifta. R. »2W. Das Verbum steht hier in dem aus dem A.T. 
bekannten übertragenen und allgemeineren Sinne von „vernichten“, „ver- 


wüsten“, „dem Untergange weihen“. 


36 SCHRADER: Die Sargonsstele des Berliner Museums. 


Zusatz. 


Zu 8.30 Z.5 v.u. Hinter: u. a. m. füge hinzu: dazu handelt es 


sich in dem in Rede stehenden Falle noch aufserdem um Semitisirung 
eines fremden, nichtsemitischen Wortes. Vgl. KAT?. 8.5. 2.27 f. 


Verbesserungen des Drucks. 


Seite 13 Zeile 7 anstatt Merodoch lies Merodach 
30 11 


n n 


Asurnalsirpal's lies Asurnalsirpal 


UM ALDMIARE Syllabaren lies Syllabare. 


In meiner Abhandlung: „Zur Kritik der Inschriften Tiglath-Pileser’s II, des Asar- 
haddon und des Asurbanipal“ (Abhdlg. VIII der Philos.-histor. Kl. 1579) Taf. I: 


Z. 1 anstatt „Im lies nis 
23 a naar Gera Kr 


Berichtigung. 


In Abhandl. VI der philosophisch-historischen Klasse 1881 S. 19 
Z. 6 lies: 


4. der willfährige Diener der grofsen Götter u. s. w. 


S. die Bemerkung z. d. St. auf S. 31 ebendaselbst. 


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Altäre von Olympia. 


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Vorgelegt in der Akademie der Wissenschaften am 2. Dec. 1880 und 15. Dec. 


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Mi ist gewohnt, Olympia nur als Schauplatz der nationalen Fest- 
lichkeiten in das Auge zu fassen. Es hat aber auch für den von den Fest- 
spielen unabhängigen Cultus eine hervorragende Bedeutung, weil es kei- 
nen Ort im alten Griechenland giebt, wo unsers Wissens so viel Cultus- 
stätten auf engem Raume neben einander lagen und wo wir von densel- 
ben eine so genaue Kenntnifs haben. Denn Pausanias beginnt V 14, 4 
mit den Worten: dege du EreAYunev nal ra eis amavras Ev "OAuumia reis Bw- 
#ovs, mit denen er an einen ihm besonders wichtigen Gegenstand heran- 
tritt und sich zu einem vollständigen Bericht verpflichtet, eine Aufzäh- 
lung der Altäre innerhalb und aufserhalb der Altis, wie sie ihm auf dem 
Rundgang, dem der Text genau folgt (suursgworrei), von einem sachkundigen 
Führer gezeigt waren, und zwar nicht so, wie sie örtlich neben einander 
lagen (zara aroiyev Ns idgurews!)), sondern nach der Reihenfolge, in welcher 
nach Satzung der Eleer an ihnen geopfert wurde (zara rafw zu yv ci 
Melcı Svav Em av Quuav vouiZourw), so dafs dieser Abschnitt eine Art 
Ritualbuch für Olympia ist, eine in ihrer Art einzige Urkunde für das 
griechische Sacralwesen. Die Altarperiegese kreuzt also mehrfach die 
anderen Wanderungen des Periegeten; da es aber häufig vorkam, dafs 
die durch den Cultus mit einander verbundenen Altäre auch räumlich 
benachbart waren, versäumte Pausanıas es nicht, wenn ein besonders 
srolser Abstand zwischen zwei nach einander genannten Altären vorhan- 
den war (wie zwischen den Altären der Themis und des Zeus Kataibates), 
seine Leser ausdrücklich darauf aufmerksam zu machen, dafs sie aus der 
Reihenfolge keine topographischen Schlüsse machen möchten: eine Gewis- 


1) V 14,10. 


4 CURTIUS: 


senhaftigkeit, welche wohl geeignet ist das Vertrauen zu seiner Führung 
zu erhöhen. 

Aufserdem läfst er es aber auch an mancherlei die Lage betreffen- 
den Andeutungen nicht fehlen, um dem topographischen Gesichtspunkte 
seines Werks Rechnung zu tragen, und so gering auch die Zahl der Al- 
täre ist, die wir in Fundamenten nachweisen können!), so wird es bei 
unserer jetzigen Terrainkenntnils doch gelingen, uns Olympia in seinen 
Gottesdiensten deutlicher zu veranschaulichen. Die chaotische Menge 
der Cultusplätze läfst sich doch übersichtlicher ordnen und deshalb ver- 
dient die Altarperiegese eine eingehendere Beachtung. Eine Übersicht 
ihres Inhalts giebt die angehängte Tabelle. 

Wir unterscheiden zunächst die wirklichen Altäre von den schein- 
baren, d. h. von solchen, welche ihrer Form wegen Altäre genannt wur- 
den, aber nicht zum Opfer dienten. So stand in der Altis neben dem 
Eingang zum Stadion ein Postament in Altarform, auf welchem die Trom- 
peter wie die Herolde standen, wenn sie vor dem versammelten Volke 
ihre Wettkämpfe hielten (V 22, 1). So war der Taraxippos am Südrande 
des Hippodroms seiner Form nach ein Rundaltar (sxru« Bwuov megubegoüs 
VI 20, 15). 

Auch zu Denksteinen wurde die Altarforın von den Eleern benutzt, 
wie die Altäre bezeugen, welche sie im Ammonion weihten als Denkmä- 
ler ihrer alten Verbindung mit dem libyschen Heiligthum (V 15, 11). 
Denn auf denselben waren die Fragen geschrieben, welche man an den 
Zeus Ammon gerichtet hatte, sowie die darauf ertheilten Antworten. 

Bei den Altären, die Opferaltäre waren, beginnen wir mit den äus- 
serlichen Gesichtspunkten. 

Die Gröfse ist nur bei einem Altar der Altıs überliefert, der durch 
Umfang und Höhe eine Merkwürdigkeit von Hellas war, dem Brandopfer- 
altar des olympischen Zeus, welcher, als ein Mittelpunkt des heidnischen 
Cultus gewifs absichtlich zerstört worden ist, so dals sich von seinem 
steinernen Stufenbau nichts erhalten hat. Um so wichtiger war es, dafs 
nach langem Suchen im vierten Jahre unserer Ausgrabung der elliptische, 


1) Es sind die in ‘Olympia und Umgegend’ Berlin 1882 Blatt 3 mit A bezeich- 
neten Stellen denen $. 26f. noch einige andere angereiht werden. 


Die Altäre von Olympia. 5 


aus Flufskieseln gebildete Ring zum Vorschein kam in der Mitte der 
Altis, die uralte Umgränzung des heiligen Platzes, auf dem im Laufe von 
Jahrhunderten immer prächtiger und höher, mit einem Unterbau von 
125 Fufs Umfang, der Altar seinen aus Opferresten anwachsenden Gipfel 
22Fufs hoch emporhob, alle anderen Altäre weit überragend, der König der 
Altis, wie ja der Zeusaltar auf der heiligen Höhe Arkadiens von Pindar 
der König des Lykaion genannt wird!). Darum wird der ‘grolse Altar’ 
von Pausanias auch schon vor der Altarperiegese besonders angeführt, 
um später in der Reihe noch einmal genannt zu werden. 

Es war das Kennzeichen einer altheiligen Opferstätte, dafs Menschen- 
hand möglichst wenig daran gemacht hatte. Daher der Aufbau aus zu- 
sammengelesenen Felsstücken, wie wir ihn auf alten Altarzeichnungen sehen; 
daher auch bei dem Zeusaltare der Ring unbehauener Steine ?). Die Gott- 
gefälligkeit einer Opferstätte sollte darauf beruhen, dafs dieselbe ohne 
künstliche Vorrichtung gleichsam naturwüchsig und wie von selbst sich 
gestaltete, nämlich aus den Überresten, welche vom Brandopfer an Ort 
und Stelle zurückblieben und sorgfältig gesammelt wurden. So waren 
auch unter den olympischen Götteraltären die Aschenaltäre ausgezeichnet, 
an welche sich die Wundersage knüpfte, dafs nur das den Göttern be- 
sonders wohlgefällige Alpheioswasser die Eigenschaft besitze, sich so mit 
der Opferasche zu mischen, dafs sich daraus ein fester Teig zur stetigen 
Aufhöhung der Altäre bildete?). Die Höhe derselben war also keine 
willkürlich bestimmte, sondern eine geschichtlich gewordene, ein Denk- 
mal und Mafsstab für das Alter des Dienstes und den pflichttreuen Eifer 
der Gemeinde. Solche Aschenaltäre waren unter den 69 olympischen vier, der 
grofse des Zeus (19), der der Hestia (1), der Hera (24) und der Gaia (32). 
Bei den übrigen Altären wird nur ausnahmsweise eine besondere Be- 
schaffenheit oder Gestalt bezeichnet; so die längliche Gestalt bei dem der 
Moiren (Bunos Erıunzns 48). Die Götteraltäre hatten alle einen stufen- 


1) Ol. XIH, 107. 

2) Vgl. Attische Studien I, S. 89, Abh. der K. Ges. der Wissensch. in Göttingen, 
hist.-phil. Kl. XI. Altar aus Felsstücken: Arch. Zeitg. 1845 S. 163. 

3) So finden wir auch auf Abbildungen von Altären die Oberfläche so gezeichnet, 
dafs sie nicht künstlich geebnet erscheint, sondern eine mehr zufällige Form zeigt. Vgl. das 
Relief Torlonia bei Roma vecchia an der Via Appia gefunden. Abguls im Berl. Mus. n. 246D. 


6 OÖURTIDS: 


artigen Unterbau; nur der der Artemis (8) zeichnete sich dadurch aus, 
dafs er eine pyramidale Form hatte (igeua dvnawv eis Uber), indem die 
vier Seiten desselben sich allmählich nach oben zusammenneigten: eine 
Zurichtung, welche an den rampenartigen Aufgang erinnert, den man 
über dem Stufenbau des Artemisaltars in Patrai herstellte, um auf schrä- 
gen Flächen die Opferthiere hinanzutreiben (Paus. VII 18, 11).— Die Altäre 
lagen frei innerhalb der Altis oder sie waren von einer besonderen Ein- 
fassung umgeben, wie der des Zeus Kataibates (34) mit seinem Zaune 
(beayua), dessen er des Blitzmals wegen nicht entbehren konnte!). Sie 
waren dem allgemeinen Cultus zugänglich, oder sie waren besonderen 
Personen zu bestimmten Zwecken vorbehalten, wie der Erganealtar der 
Phaidrynten (6). 

Die Altäre gehörten entweder dem ganzen Heiligthume an, oder 
sie waren mit bestimmten Gebäuden und Räumlichkeiten verbunden; so 
der Hestiaaltar mit dem Prytaneion, der Zeusaltar (17) mit dem Palaste des 
Oinomaos, der bis auf geringe Überreste verschwunden war, während der 
Altar, an dem der alte König seinem Zeus Herkeios geopfert haben sollte, 
noch vorhanden war; er war das Denkmal der Gründung des Königs- 
hauses, während der des Zeus Keraunios (18) daneben an das Gewitter 
erinnerte, welches dem Hause ein Ende gemacht hatte. So gehörte der 
Zwölfgötteraltar (38) zu der Werkstätte des Pheidias und seiner Nachkommen, 
um die verschiedenartigen Kunstarbeiten, wenn sie religiöser Art waren, mit 
Anrufung der Gottheit, auf welche sie sich bezogen, beginnen zu können. 
Die Altäre des Hermes Enagonios und des Kairos (29 und 30) gehörten 
zum Stadion; am Eingange zu dem Schnabel (&ußerev) des Hippodroms 
standen (r7 uev — r7 de V 15, 6) die Altäre des Ares Hippios und Athene 
Hippia (55, 56) symmetrisch aufgestellt; ebenso entsprechen sich Poseidon 
und Hera (52, 53) mit gleichen Beiwörtern. So sind auch den Dioskuren 
nebst der Tyche und dem Moiragetas wie den Moiren, mit Rücksicht auf 
die Rennspiele, die Altäre errichtet worden. Diese gehörten also zur Aus- 
stattung der grolsen Anlagen, während andere daselbst schon früher ge- 
standen haben mögen, wie die benachbarten Altäre von Pan und Aphro- 


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1) Pollux IX 41: Zummuere)" ourws wvonagero, eis @ zurarandeıe Qeros eE ovpavou" 


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megieıgy DET de TER EUNUTIK alavusre dveiro. Weleker, Gr. Götterl. IT, 190. 


Die Altäre von Olympia. 7 


dite (58, 59) und der Nymphai Akmenai (59), die wohl an den zur Trän- 
kung der Renner dienenden Becken verehrt wurden. Wir haben noch 
eine andere Gruppe von Gottheiten, deren Beiwörter einen topographi- 
schen Anhalt geben: Artemis Agoraia, Zeus Agoraios (42, 44). Ihre Al- 
täre standen auf dem centralen Platze, welcher den grofsen Brandopfer- 
altar umgab. Um aber an den Opferhandlungen den Festgesandten, den 
Beamten und anderen hervorragenden Personen die Theilnahme an einem 
ausgezeichneten Platze zu sichern, diente, wie eine Art Tribüne, die ‘Proe- 
dria‘, deren Lage vor der Echohalle, dem grofsen Altar gegenüber, am 
Östrande der Agora mit Wahrscheinlichkeit nachgewiesen worden ist, und 
es palst durchaus, wenn den Marktgötteraltären sich in der Altarreihe 
Apollon Pythios (45) anschliefst; denn dessen Altar wird von Pausanias 
vor der Proedria angesetzt. 

Der Phaidryntenaltar lag wahrscheinlich in der Nähe des Goldelfen- 
beinbildes, weil mit einem Opfer an ihm die technische Arbeit begonnen 
wurde, welche in der grofsen Bauhütte nicht gemacht werden konnte (V 14,5). 

Durch ihre Beziehungen zu bestimmten Lokalitäten werden ein- 
zelne Altäre als verhältnilsmäfsig junge Stiftungen erkannt; so diejenigen, 
welche der Ausbildung der Agonistik ihre Entstehung verdanken; sie unter- 
scheiden sich von denen, welche Pausanias zu dem alten Stamm der Altäre 
(ei rarcı) rechnet. Einzelne waren unter priesterlicher Autorität von 
Privatpersonen als Weihgeschenke gestiftet, wie der des Dionysos (46). 

Es gab Altäre mit Inschriften, die den Namen der Gottheit anga- 
ben oder blols ein Epitheton, wie ‘Moiragetas’. Bei anderen konnte man 
über den Inhaber zweifelhaft sein. Den bei dem sikyonischen Schatzhaus 
gelegenen eigneten die Einen dem Kureten Herakles, die Andern dem 
Sohne der Alkmene zu. Auch die Altäre der Brüder des Herakles (13— 
16) gehörten in sofern zu den problematischen, als man an zweiter Stelle 
zwischen Idas und Akesidas schwankte; dies war, wie es scheint, nur 
eine Verschiedenheit der Lesung. Diese ÖOpferstätte der ‘Brüder’ muls 
eine Gruppe von vier Altären gewesen sein, da einer von ihnen als ein 
Altar für sich erwähnt wird; sie standen wohl auf gemeinsamer Basis, 
wie etwa die Altäre in Pompeji vor der SOEcke des Cerestempels!). Auf 
Altar 21 wurde Nike neben Zeus verehrt. 


1) Nissen, Pompejanische Studien, S. 35. 


8 Currtivs: 


Von besonderer Wichtigkeit waren aber für Olympia diejenigen 
Altäre, an welchen je zwei Gottheiten (&v zow& &9° Eves Buuod) geopfert 
wurde, indem jede ihren eigenen besonderen Öpferplatz hatte. Nach 
alter Überlieferung hatte Herakles die sechs Doppelaltäre gestiftet, die zu 
den charakteristischen Eigenthümlichkeiten der Altis gehörten!). Drei der- 
selben sind in der Reihenfolge bei Pausanias erhalten: Artemis und Al- 
pheios (4), Hermes und Apollon, Dionysos und die Chariten (25. 35); von 
dem vierten Doppelaltar ist die Dedication nur in verstümmelter Form 
kenntlich: Athena Laoitis (5); sie ist von Buttmann glücklich ergänzt: 
Hera Laoitis und Athena Laoitis. Zwei Götterpaare sind ausgefallen in 
der Lücke, an welcher der Anfang der Altarperiegese leidet; man hat sie 
nach cap. 24, 1, wie ich glaube, dem Sinne nach richtig: Kronos und Rhea, 
Zeus Laoitas und Poseidon Laoitas hergestellt?). 

Diese Doppelaltäre waren ihrer Einrichtung nach verschieden von 
den gemeinsamen Altären, wie sie z. B. neuerdings am Südabhange der 
Akropolis gefunden sind, länglichte Steine mit einer Reihe von Escharen 
in der Deckplatte, welchen die verschiedenen Dedicationsinschriften an 
der Vorderseite des Steins entsprechen (Mittheilungen des Deutschen In- 
stituts in Athen Il 216) oder der im Fels ausgemeiflselte Opfertisch der 
hymettischen Nymphengrotte (Atlas von Athen T. VID. Es waren viel- 
mehr gesonderte Altarwürfel, wie wir annehmen müssen, da zwischen 
je zwei Altären der Seo ouußwnca ein dritter eingeschoben werden 
konnte, wie z. B. der Musenaltar zwischen Dionysos und den Chariten (35). 
Die Einrichtung der sechs Doppelaltäre beruht auf einem lokalen Götter- 
cyklus, dem Ergebnisse einer amphiktyonischen Vereinbarung. Die Mo- 
tive, welche der Paarung der olympischen Altargötter zu Grunde lagen, 
sind nur an einer Stelle von Pausanias angedeutet, wo es sich um Arte- 
mis und Alpheios handelt. 

Auch unter den Einzelaltären lassen sich gewisse Nachbargruppen 
erkennen, und zwar nicht blofs solche, die sich an Örtlichkeiten, wie Hip- 


!) Pind. Ol. V,5 mit den Scholien und Böckh Expl. p. 147 Apollod. II, 7, 2. 
?) Also die ganze Stelle (V 14,4) ist mit I. Bekker zu lesen: rair« de emı &vos Awnod 
Kocvw Sousı zu ‘Pia: eirc Auoırg Al zur Hosadavı Acoıra' emı Ö8 Evog Bunod zu urn 


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ZuSEsTnREV N DUSIR" TEURER Ho Aacrıdı Svousı zur Acoırıdı ASyve, 


Die Altäre von Olympia. 9 


podrom und Stadion, anschliefsen. So finden wir den Moiragetas und 
die Moiren neben einander (47, 48); so zwei Hypsistos- (50, 51), zwei 
Athenaaltäre (6, 7) neben einander. Hier waren es also den Göttern ge- 
weihte Räume, wo sich die Altäre aneinander reihten. So bildete auch 
der Heraklesaltar mit dem der Brüder eine Gruppe (12—16); so die 
Altäre aller Götter (23). An einer Stelle zählt Pausanias fünf Altäre auf, 
deren Reihe mit dem des Kladeos (62) hinter dem Heraion schliefst und zwei 
Artemis- wie zwei Apolloaltäre enthält. Häufig werden auch die nach 
der Folge des Opferdienstes an einander gereihten Altäre durch Aysıer, 
magd, era, &befns als örtlich benachbart bezeichnet. 

Andererseits stehen auch weit von einander entlegene Altäre mit 
einander in liturgischem Zusammenhange. So folgt auf Gaia und Themis, 
die wir westlich von der Altıs anzusetzen Ursache haben, Zeus Kataiba- 
tes (34) neben dem grolsen Brandopferaltar, ein Sprung, der sich da- 
durch erklärt, dafs der Sitz des Orakels von Themis und Gaia hierher 
verpflanzt worden ist. 

So lassen sich wohl hie und da Motive der Opferordnung erken- 
nen; im Allgemeinen aber wird es unmöglich bleiben, sie zu erklären. 
Auf keinen Fall ist es die Anciennität, welche der Folge zu Grunde liegt. 
Denn inmitten derselben werden einzelne angeführt, die nicht zu den al- 
ten (ei raAaı) gehören und die von Privaten gestiftet sind. Eine ge- 
wisse Systematik des Dienstes glauben wir darin zu erkennen, dafs der 
Rundgang, welcher jeden Monat an den 69 Altären gemacht wird, mit 
der Hestia beginnt, der zgwg« Acı@9s, wie sie Sophokles nennt (Fragm. 
650), und im Prytaneion, dem Sitze der Hestia, abschlielst. 

Ganz Olympia war Jahrhunderte lang ein Heiligthum ohne Tem- 
pel, ein grofser Altarplatz, ähnlichen gottesdienstlichen Plätzen vergleich- 
bar, die uns auf klassischem Boden bekannt sind; so die Terrasse bei 
Argos, der ausgedehnte Bezirk (Revge» zal Beßyrer @Accs) mit zahlreichen 
Oultusstätten, die auch um Zeus gruppirt waren, ein Sammelort der Um- 
wohner (Aasv xw@ges), eine zewoßwmia mit ihren &gar reruSec, ein Fayes 


1) Vgl. Attische Studien in den Abhandlungen der Gött. Ges. der Wiss. XI. 
Histor.-phil. Klasse S. 91, wo die topographischen Bezeichnungen aus Aeschylos zusam- 
mengestellt sind. 


Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. VII. 2 


10 ÖURTILUS% 


dyuviwv Zewv, wo das Epitheton mit der Agonistik nichts zu thun hat, die 
auch in Olympia erst das später Hinzukommende war. Denn @yav be- 
zeichnet nach epischem Sprachgebrauch eine suvaywyn Sewv. Eine solche 
zcweß@wnie habe ich in der Terrasse des Zeus Hypsistos in Athen nach- 
zuweisen gesucht; eine solche war auch die Altis von Olympia vor der 
Stadt der Pisäer, wie die der Argiver aulserhalb Argos. 

Wie aber die argivische Götterterrasse nicht blofs ein Platz der 
Wallfahrten und Opferdienste war, sondern auch ein Platz, wo öffentliche 
Angelegenheiten berathen und unter Vorsitz des Staatsoberhaupts Beschlüsse 
gefalst wurden!), so finden wir auch in der Altis nicht blofs heilige 
Gründungen, sondern auch die Spuren eines Herrscherpalastes, wo der 
Landeskönig dem Zeus als seinem Hausgotte opfert; so stehen bürger- 
liches und gottesdienstliches Gemeindeleben im engsten Zusammenhange. 

Die Altäre waren aber nicht blofs Opferplätze, sondern auch Nie- 
derlagen von Weihegaben; denn man schmückte sie nicht nur vorüber- 
gehend mit Laubgewinden, Blumen und Bändern, sondern man liefs als Er- 
innerungszeichen Geschenke zurück, Geräthe und Figuren aus Thon und 
Erz, welche, wie wir es neuerdings an den altkorinthischen Thontäfelchen 
kennen gelernt haben, an den umherstehenden Bäumen aufgehängt oder 
auf den Altarstufen niedergelegt wurden. 

Die massenhafte Auffindung dieser Weihegaben gehört zu den merk- 
würdigsten Ergebnissen unserer Ausgrabungen in Betreff der Gottesdienste 
von Olympial). Die Altäre selbst (die in byzantinischer Zeit gewils mit 
besonderem Eifer zerstört wurden) sind bis auf geringe Spuren verschwun- 
den, aber in breiten Lagen haben sich die Schichten der Opferasche er- 
halten, tief unter dem Niveau der Bauten, welche für das geschichtliche 
Olympia charakteristisch waren. Die aus der Aschenschicht hervorgezoge- 
nen Fundstücke, einzeln betrachtet so unscheinbar, geringfügig und werth- 
los, gehören dennoch zu denen, die uns in ihrer Art am Meisten über- 
raschen mufsten, und sie sind in ihrer Gesammtheit ein ganz unschätz- 
bares Material zur Geschichte von Olympia. Wir können uns Olympia 


1) Daher rguuve rorews: (Attische Studien $. 92 = 40) der Platz, wo das Staats- 
schiff die entscheidende Lenkung erhält. Über «ywv $. 91 (39). 
2) A. Furtwängler, Die Bronzefunde von Ol. Abh. d. K. Ak. der Wiss. 1830. 


Die Altäre von Olympia. 11 


jetzt in einem ältern Zustande veranschaulichen, als es die Alten selbst 
kannten, ein Olympia ohne Tempel, ohne Statuen, ohne Nationalfest, ohne 
hellenische Kunst, als einen Hain mit Altären, und von diesen Altären 
können wir aus den massenhaften Überresten ältester Pietät diejenigen er- 
kennen, welche in hervorragender Weise von der umwohnenden Landbe- 
völkerung geehrt wurden. Das war der grolse Zeusaltar (9), der Altar 
vor der Westseite des Metroon, der auch durch die dort gefundenen me- 
tallenen Schallbecken als der Göttermutter gehörig (28) erkannt worden); 
drittens der Altar vor der Ostseite des Heraion, viertens der vor der 
Südseite, von dem sich die Fundschicht von Votivgegenständen unter die 
Fundamente des Heraion hinzieht (wahrscheinlich der Aschenaltar der 
Hera N. 24); endlich die unter dem Bauschutt des Zeustempels nachge- 
wiesenen Opferstätten, deren Centrum vor der Südhalle des Tempels ge- 
legen haben muls. ; 

So sehr sich nun Olympia seit jener, wir können sagen, vorhisto- 
rischen Zeit umgewandelt hat, der Cultus ist immer derselbe geblieben, 
ein von Bild und Gotteshaus unabhängiger Altardienst, wie sich aus Pau- 
sanias ergiebt, welcher die Altardienste sorgfältig aufzeichnet ohne eines 
Tempeldienstes zu gedenken, und die Beschreibung der beiden Haupttem- 
pel von der der Gottesdienste vollständig getrennt hat. 

Allerdings folgen in dem lückenhaften und verderbten Texte auf 
Hestia Opferdienste an einer oder an mehreren Stellen innerhalb des Zeus- 
tempels. Diese Opferplätze haben aber ohne Zweifel auf der Tempel- 
terrasse bestanden, ehe der Tempel gebaut war, der ja eine verhältnifsmä- 
[sig sehr späte Gründung war und, soviel wir wissen, keinem ältern Ge- 
bäude gefolgt ist. 

"Wir müssen voraussetzen, dafs der Tempel des Zeus auf einem 
Platze erbaut worden ist, der seit Gründung der Panegyris eine hervor- 
ragende Bedeutung gehabt und wohl schon seit älterer Zeit zur Vertheilung 
der Preise gedient hat. Dieser Platz war durch Altäre geweiht, die bei 
dem Tempelbau nicht beseitigt werden durften. Man wird also bei Auf- 
höhung der Terrasse auch die alten Opferplätze an alter Stelle auf dem 
erhöhten Boden hergestellt haben, so dafs sie nun in dem hypäthralen 


1) Furtwängler a. a. ©. 8.533. 


9* 


12 ÖUrRTIVS: 


Raume ihre Stätte fanden. Die Opferdienste daselbst folgten unmittel- 
bar auf den der Hestia; die Beschreibung derselben läfst sich im Texte 
des Pausanias nicht mit Sicherheit herstellen; die Vulgate ivres ist sinn- 
los; ich schlage vor Suovres Em rüv Awuav rWv Evros Tod ver und dann, 
mit Buttmann: Kecvw xzai ‘Peg, eira Aacir@ Au xal Meredavı Aaora: &mı d8 
ives Bwusd za aurm naserryuev A Iuria. 

Von den Opferdiensten dieser in den Zeustempel aufgenommenen 
Altargruppe sind im Bauschutte des Tempels die Spuren zu Tage ge- 
kommen. Der ursprüngliche Zeusdienst aber, der an dem grolsen Brand- 
opferaltar inmitten der Altis seine Stätte hatte, steht mit dem Zeustempel 
in keinerlei örtlicher oder liturgischer Beziehung. 

In Betreff des Heraion läfst sich nachweisen, dafs der Tempel 
ebenfalls mit seiner Terrasse auf einem durch Altardienst geweihten Platze 
nachträglich erbaut worden ist. Der ganze Bau ist auf engem Raum 
zwischen Altar und dem Rande der Felshöhe eingeklemmt, so dafs der 
Weg auf die Höhe durch die Westhalle des Tempels hindurch führte; der 
Tempel hatte gar keine freie area, so dals ein feierliches Umwandeln des- 
selben ganz unmöglich war. Der Zugang war von Süden, also von der- 
selben Seite, auf welcher der Altar stand, von dem sich die ihm gespen- 
deten Weihegaben in tiefen Bodenschichten unter dem Stufenbau des 
Tempels gefunden haben. 

Die Ausstattung des Innern ist in zwei bestimmt getrennten Epo- 
chen erfolst, einer früheren, welche nur durch ganz alterthümliche Kunst- 
werke vertreten war, und einer viel späteren. Von der ersteren nennt 
Pausanias eine thronende Hera mit einem daneben stehenden bärtigen 
Zeus mit Helm!), eine Gruppe, die wir uns in der Mitte der schmalen 
Rückwand des Tempelhauses zu denken haben, das Werk eines Künstlers, 
dessen Name in den verdorbenen Wörtern eoya drr@ steckt.?) Es folgen 
die Horen und Themis, als Mutter ihnen beigesellt; diese das Werk des 
Lakedämoniers Dorykleidas, die Horen von Smilis, dem Aegineten. Dann 
die fünf Hesperiden von Theokles, dem Lakedämonier, und die behelmte 


1) V 17,1. Einen dritten Namen hier einZuschieben ist kein genügender Grund. 
Vgl. Franz, Berl. Jahrbücher für wiss. Kritik 1841 S. 223. 
?) So urteilen auch I. Bekker und Brunn, Künstlergesch. I, 47. 


Die Altäre von Olympia. 13 


Athena von Dorykleidas’ Bruder (Medon oder Dontas). Dann vier Bil- 
der, einerseits Kora und Demeter, einander gegenüber sitzend, anderer- 
seits Apollon und Artemis einander gegenüber stehend. Endlich wie- 
derum vier Gestalten, Leto, Tyche, Dionysos und die geflügelte Nike. 
Ihre Meister waren unbekannt, aber auch sie, wie Pausanias meldet, of- 
fenbar sehr alt, und die aufgezählten Bildwerke, fährt er fort, sind von 
Gold und Elfenbein. | 

Diese Sculpturen haben lange Zeit allein das Tempelhaus gefüllt, 
bis in einer viel späteren Zeit zwei andere Bildwerke dazu kamen, die 
sich wieder einander entsprechen, der Hermes des Praxiteles mit dem 
Dionysoskinde und die eherne Aphrodite des Kleon mit einem vor ihr 
sitzenden Eros. 

Bei keinem Tempel des Alterthums ist der Inhalt so genau inven- 
tarisirt uns überliefert. Es müssen hier besonders sorgfältige Aufzeich- 
nungen vorgelegen haben, die sich auch auf die für den Tempel beschäf- 
tigten Künstler und ihren geschichtlichen Zusammenhang erstreckten. In 
der älteren Abtheilung waren lauter Werke einer Schule, der Schule des 
Dipoinos und Skyllis. Es ist die aus Kreta stammende Schule der Pla- 
stik, deren besondere Virtuosität in der Bildschnitzerei lag. Diese Tech- 
nik der @yaruara eüfc« hat in Lakedämon besondere Pflege gefunden; es 
sind auch meist lakedämonische Künstler, Dorykleidas und sein Bruder, 
dessen Namen unsicher ist; ebenso Theokles und vielleicht auch der Vierte, 
dessen Namen in dem verdorbenen «rA@ steckt. Dadurch wird die Zeit 
der Ausführung im Allgemeinen gesichert; denn Dipoinos und Skyllis 
Schüler können nicht vor der Mitte des sechsten Jahrhunderts als Mei- 
ster thätig gewesen sein. Dies war aber die Zeit, da Sparta auf der 
Höhe seines Einflusses stand, wo es für den damals modernen Putzstil, 
die polychrome Bildschnitzerei, das Gold aus Lydien bezog. 

Mit dieser Austattung bezeugte Sparta in Olympia seinen Einflufs 
und sühnte die Gewaltthätiskeit, mit der es in die Landesverhältnisse 
eingegriffen und die Ehre der alten Landesgöttin beeinträchtigt hatte. 
Das ganze Heraion war ein Kunstmuseum mit genau geführten Inventa- 
rien, und Pausanias kommt nur auf den Tempel zu sprechen, um das in 
demselben Aufbewahrte nach der Reihe aufzuführen. Es war lange Zeit 
das einzige Schatzhaus in der Altis, wo auch Korinth seine Gaben nie- 


14 Currtıvus; 


derlegte. Auch die Säulen des Peristyls sind, namentlich nach Süden, 
der alten Vorderseite, mit tiefen und breiten Einschnitten versehen, die 
zur Aufnahme geweihter Tafeln dienten; das ganze Innere des Tempel- 
hauses mit seinen einander gegenüber liegenden Bildkapellen scheint zur 
Aufnahme von Weihgeschenken eingerichtet. 

Von dem dritten Tempelgebäude der Altis, dem Metroon, ist es 
vollkommen deutlich, dafs der benachbarte Altardienst der Tempelgrün- 
dung lange vorhergegangen ist; zwei Schichten von Aschenerde liegen 
unter der Unterkante des Tempels.!) 


Ein besonderes Interesse nehmen die Altäre in Anspruch, welche 
sich auf die Mantik beziehen, der Aschenaltar der Ge nebst dem Altare 
der Themis und des Zeus Kataibates (N. 33 und 34). 

Strabo p. 350 unterscheidet zwei Perioden des nationalen Ansehens 
von Olympia und zwei verschiedene Grundlagen desselben. Die erste 
war das Orakel, die zweite, nachdem dasselbe an Bedeutung verloren hatte, 
die Panegsyris und der Wettkampf. 

Auch die Mantik in Olympia hat ihre Geschichte. 

Das älteste Manteion war ein Erdorakel, Gaia ist die Urprophe- 
tin, welche auch den Göttern weissagt?). Bodenrisse, Erdspalten, feuchte 
Grotten sind es, aus denen die Dünste aufstiegen, welchen man die auf- 
regende Kraft zuschrieb. In Delphi sind noch Spuren des Conflikts zwi- 
schen der älteren und der jüngeren Mantik erhalten?) und es waren gewils 
örtliche Legenden, auf welche sich Euripides bezieht, wenn er Zeus von 
Apollon anrufen läfst, er möge die Sterblichen aus der Abhängigkeit von 
nächtlichen Orakeln erlösen®). 

Durch ganz Hellas verbreitet finden wir Stätten des Erdorakels, 
die sich an den Namen der Gaia, Chthon, Demeter anschliefsen; auch 


1) Furtwängler a. a. ©. S.10. 

?) Bouche-Leclereg Histoire de la divination II, 251. 
3) A. Mommsen, Delphica p. 21. 161. 

*) Iphigen. Taur. 1270. 


Die Altäre von Olympia. 15 


die Nyx, welche in Megara Orakel spendet (Paus. 1, 40. 6) ist dasselbe We- 
sen, da die nächtige Tiefe für Erdorakel charakteristisch ist. 

Die Stätten der tellurischen Mantik pflegten ihrer Natur nach so 
gelegen zu sein, dals man daselbst der Erdtiefe näher zu sein glaubte. 
Bei Aigeira (Paus. VlI 25,13) stieg die Priesterin der Gaia eÜpUTTegVes als Pro- 
phetin zur Tiefe hinunter; in Patrai holten sich die Orakelsuchenden selbst 
in der Tiefe der Demetergrotte aus dem dortigen Quellspiegel die Zeichen 
der Zukunft (Paus. VII 21, 12). Auch das Heilisthum der Demeter Cha- 
myne (VI 21,1) im Olympia war mit einem Zugange zum Hades verbun- 
den. Im Olympieion zu Athen knüpfte sich der Gaiadienst an einen Erd- 
spalt, den tiefst gelegenen Punkt der Umgegend, wo die letzten Wellen 
der Fluth sich verlaufen haben sollten (Paus. 118,7). Die Tieflage des 
spartanischen Gaiaheilisthums erhellt daraus, dafs über demselben ein 
Apolloheilisthum errichtet war (III 12,8). Auch der Name ro Taryrrev 1) 
zeugt von dem Alter des Dienstes, und ebenso alterthümlich ist die Be- 
nennung des Gaiaheilisthums bei Bura (VII 25, 13): ö Taics, wo ein uraltes 
Xoanon der Eurysternos vorhanden war.?) Daran reiht sich die Stätte 
in Olympia: mi r& Taiw zurounew Qwues Ts nal oromov Em Tw aroum 
@euıdes Owuss versiyraı (V 14, 10). Wir können hier aus den angeführten 
Analogien also zuerst den Namen in der Form Taics d. h. 6 yalos roros 
und aufserdem das hohe Alter des Dienstes erweisen. Dasselbe wird für 
Olympia noch dadurch bezeugt, dafs der Gaiaaltar einer der vier Aschen- 
altäre war. 

Diese Orakelstätten, die Denkmäler vorzeitlicher Religion, sind 
nicht isolirt geblieben; sie wurden mit den olympischen Gottheiten in 
Zusammenhang gebracht, vor Allem mit Zeus, dem als zarußarns die 
Erdspaltung zugeschrieben wurde. Das Gaiaorakel wurde Zeusorakel und 
als solches in die Altis verpflanzt. Der Kataibatesaltar stand neben dem 
grofsen Brandopferheerde, und dafs hier auch ein Erdspalt vorhanden 
war, geht schon daraus hervor, dafs derselbe wie ein Blitzmal von einer 
Schranke (Peayua) umgeben war. Der ursprüngliche Zusammenhang mit 


1) Vielleicht (nach Analogie von orrw —= c#rw) soviel wie T7s snz0c, Terrae saep- 
tum. Andere Lesart: D&ssrrov (von seßesSa: nach Analogie von Seoserrov?). 
2) Peloponnesos I 471. 


16 CuUrRTIvS: 


dem Gaios wird aber dadurch bezeugt, dafs der elischen Opferordnung 
zufolge immer erst am Altar der Gaia und dann an dem des Kataibates 
geopfert wurde. Während also in Delphi auch nach dem Siege Apollons 
das Erdorakel thatsächlich als solches fortbestand, wurde in Olympia die 
chthonische Mantik wesentlich zur Pyromantie; der grofse Altar wurde 
das Manteion, der offizielle Sitz der olympischen Weissagung. Das Opfern 
am Zeusaltar galt schon als eine Frage an den Gott. Deshalb wurde 
König Agis garnicht zum Opfer zugelassen («@Sures driASev), weil es 
verboten war: un Konnrnaader Ic "Erryvas Ed “Erryvav.1) 

Nachdem das Orakel in die Mitte der Altis verlegt war, blieb der 
ursprüngliche Orakelsitz dennoch in Ehren, wie die Periegese des Pau- 
sanias bezeugt, und von ihm lernen wir auch, wie die Überleitung des 
ehthonischen Orakels in eine höhere Sphäre hier wie bei den Delphiern 
durch die Göttin Themis erfolgte. Während sonst aber Themis und Gaia 
ganz in einander übergehen, waren die Öulte hier benachbart, aber be- 
stimmt geschieden; der Themisaltar stand &ri red övonalouevov srowiov und 
war schon dadurch, dafs er kein Aschenaltar war, als der jüngere neben 
dem Graiaaltare bezeichnet. 

Das chthonische Orakel hat sich in Olympia an Zeus angeschlos- 
sen, wie anderswo an Apollo. Wie in Delphi die Erdspalte in den py- 
thischen Tempelraum aufgenommen wurde, so wurde in Sparta das Ga- 
septon eine Art Krypte des Apolloheiligthums?). Auch in Olympia ist 
der Einflufs der apollinischen Religion sehr deutlich zu erkennen. Apol- 
lon ist als Thermios der Gesetzgeber von Olympia gewesen, hier aber hat 
kein Conflikt stattgefunden, wie in Delphi; hier ist das Orakel nicht von 
Gaia-Themis durch Zeus an Apollo übergegangen, sondern es hat die 
Hebung der Mantik auf eine höhere Stufe hellenischer Weissagung da- 
durch stattgefunden, dafs Prophetengeschlechter, die von Apollo ihr Amt 
herleiteten, die Mantik in Olympia übernahmen. Apollon giebt seinem 
Sohne lIamos mit dem Seherblicke zugleich das Ehrenamt Zuyvos Er axgo- 
Tarw Rwus.3) Das Gaiaorakel wird also apollinisch wie in Delphi, aber 


1) Xenoph. Hellen. II 2, 23. 
2) III, 12, 8: Deoymrov iegov 
S)Pındar Ol. VI.270! 


EERER RER ER 
Tys’ ’Amorruv de Urea aUroU töguran, 


Die Altäre von Olympia. 17 


Zeus bleibt wie in Dodona der eigentliche Orakelgott, dessen Zeichen die 
Jamiden deuten. Nur diese werden bei Pindar genannt, während Pau- 
sanıas neben ihnen die Klytiaden nennt. Mit Pindar stimmt Herodot 
IX 33, 2: Tırausvos ’HAeios nal yeveos rev Tauıdewv Kiurıadys. Der Text Hero- 
dots ist von Valekenaer angefochten, weil die Klytiaden zu den Melam- 
podiden gerechnet werden, und Böckh hat dies Bedenken wieder aufge- 
nommen; man hat eö KAvrıadys oder 9 KAurıadys lesen wollen oder auch 
Kiuri@öns für eine ‚Glosse erklärt. Der Text ist aber wohl bezeugt und 
ohne Zweifel richtig. Wir müssen nur eine zwiefache Überlieferung an- 
erkennen. Nach der einen gingen die Stammbäume beider Prophetenge- 
schlechter neben einander her, nach der anderen wurden auch die Kly- 
tiaden auf Jamos als den gemeinsamen Patriarchen der olympischen Man- 
tik zurückgeführt. 

Beide Geschlechter sind peloponnesische. Die Eurotasnymphe Pi- 
tane gebar dem Poseidon die Euadne, die, in Arkadien aufgezogen, am 
Alpheios von Apollon Mutter des Jamos ward. Die Klytiaden sind Ab- 
kömmlinge des Amphiaraos. Mit der Ausbildung des peloponnesischen 
Staatensystems hängt auch die Organisation einer peloponnesischen Man- 
tik zusammen. Die Herakliden in Messenien!) und in Korinth?) benutz- 
ten die elische Prophetenschule, und je mehr Sparta die Leitung der Halb- 
inselstaaten in seine Hand nahm, um so mehr ehrte man dort die Seher 
von Elis, errichtete ihnen Denkmäler in der Stadt (uvgu« reis E£ "Haudes 
navresı Il 12, 8, wo der Jamidenname wieder als Gesamtname dient) 
und machte Tisamenos zum Bürger. Man that Alles, um sich der elischen 
Mantik, die eine Macht im Peloponnes war, zu versichern und um dem 
vorzubeugen, was später eintrat, dafs nämlich diese Macht sich bei inneren 
Zerwürfnissen auf die Seite der Particularisten stelle und gegen den Vor- 
ort Partei nehme. 

Während also in Delphi die Mantik dem Priesterthum durchaus 
untergeordnet wurde, haben in Olympia mantische Geschlechter eine selb- 
ständige Bedeutung behauptet; sie sind aber in ein priesterliches Colle- 
gium aufgenommen und einer Corporation eingegliedert worden, von der 


1) Kresphontes und Eumantis: Paus. IV 16,1. 
2) Böckh zu Pind. Ol. VI, 71 p. 153. 


Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. VII. B) 


18 OURTIUS: 


wir voraussetzen können, dafs sie nach gemeinsamen Grundsätzen han- 
delte und gleiche Interessen vertrat. 

Auf Grund des Pausanias und der grofsen Menge olympischer In- 
schriften, deren Sammlung und Revision noch nicht vollendet ist, haben 
wir jetzt eine so vollständige Übersicht der geistlichen Ämter in Olympia, 
wie sie uns sonst nirgends vorliegt; wir erkennen die ganze Organisation 
eines geistlichen Consistoriums. Die Spondophoren warten des heiligen 
Rechts, die Kleiduchen haben die Tempelhut, die Manteis üben und leh- 
ren die Kunst der Weissagung; für Opferdienst und Feste sorgen die 
Tagesopferer (zaInuegoSurng), die Auleten, die Tänzer (Erismovdoognrrai), 
die Weinschenken und Köche; der Baumeister (rreyavenos oder apyxırexrwv) 
sorgt für die Baulichkeiten, der Förster (Zurevs) für die Forsten, die das 
zum Opfern vorgeschriebene Holz liefern. Dem ganzen Collegium präsi- 
diren die Theekolen, welche einen Grammateus zur Seite haben. 

Man erkennt, dafs hier eine Ordnung vorliegt, welche von einem 
herrschenden Punkte aus eingerichtet worden ist. Die einzelnen Oulte 
sind alle in einen olympischen Gesamtdienst aufgegangen; ein Zeusprie- 
sterthum wird nur als Ehrenposten erwähnt. Von Elis mufs diese Orga- 
nisation ausgegangen sein. Olympia war die sacrale Vorstadt von Elıs, 
wie Eleusis von Athen; alles Religiöse geschah daselbst im Namen der 
Landeshauptstadt: ei "HAea Seusı, und wir dürfen voraussetzen, dafs diese 
Einrichtung sich von der Zeit herschreibt, da Elis nach dem Synoikismos 
als die einzige Stadt der Landschaft auftrat. 

Seitdem waren die Pfründen und Würden des olympischen Heilig- 
thums ein Privilesium des elischen Stadtadels, welchem auch die lami- 
den eingeordnet waren, die Einzigen, die als Geschlecht fortbestanden und 
dureb_Adoption bis in die spätesten Zeiten erhalten wurden; sie werden 
auch in Olympia selbst ihren Sitz behalten haben. Die andern Beamten, 
wenigstens die Vornehmeren derselben, denken wir uns in Elıs wohnhaft, 
von wo aus diejenigen, welche dort Dienst hatten, für die Zeit desselben 
nach Olympia gingen, wo sie wie eine priesterliche Garnison den täg- 
lichen Götterdienst besorgten, bis sie von einer anderen Mannschaft ab- 
gelöst wurden!). 


1) Vgl. Dittenberger Archäol. Zeitung XXXVII, S. 59. 


Die Altäre von Olympia. 19 


Bei dieser Einriehtung müssen also auch Gebäude vorhanden ge- 
wesen sein, die zur Aufnahme der dienstthuenden Beamten sowie zur 
Besorgung der gemeinsamen Geschäfte dienten. Die Lage dieser Lo- 
kale kann im Allgemeinen nicht zweifelhaft sein; denn die Fragmente 
der geistlichen Personallisten sind sämtlich im Westen der Altis aufge- 
funden; hier finden sich auch Gruppen von Bauanlagen, welche nach ihren 
Grundrissen für solche Zwecke geeignet waren. 

Zunächst sind es zwei quadratische Bauanlagen, jede mit einem ge- 
räumigen Hofe in der Mitte. Die kleinere, westlich gelegene, auf Tafel II 
im Grundrifs dargestellte, ist der ältere Bau, ein Bau aus guter helleni- 
scher Zeit. Er enthält acht Gemächer; vier derselben öffnen sich nach 
dem Brunnenhofe; die vier Eckzimmer stehen durch Thüren mit den an- 
deren in Verbindung. Der Haupteingang war in der Mitte der Südseite. 

Um mehr Raum zu schaffen, ist östlich ein dreitheiliger Vorbau 
angelegt, welcher auch noch hellenischer Zeit angehört. 

Dieselbe Anlage wiederholt sich in dem östlich anliegenden, dop- 
pelt so grofsen Bau römischer Epoche mit einem umsäulten Binnenhofe, 
von dem die Thüren nach den an den vier Seiten herumliegenden Ge- 
mächern führen. Dieser zweite Bau ist eine geräumigere Wiederholung des 
ersten, dessen Anlage man bei dem Neubau möglichst geschont hat, und 
es läfst sich nach meinem Urteil für die beiden quadratischen Gebäude, 
die vielleicht auch noch obere Gemächer hatten, kaum ein anderer 
Zweck voraussetzen, als dafs es Wohnräume für Amtscollegien waren, 
»cwoßıe, Wohngebäude, welche an Klöster erinnern, deren Zellen um einen 
Brunnenhof gruppirt sind. 

Das gröfsere Quadrat, welches von den Überresten des spätrömi- 
schen Baus eingenommen wird, stammt aber seiner Raumanlage nach aus 
einer viel älteren Zeit. Das erkennen wir daraus, dafs eine alte Wasserlei- 
tung den äufseren Rand in Osten und Süden genau umzieht. Es mufs also 
ein alter Bezirk von gleicher Gröfse hier gelegen haben, vielleicht ein 
Gartenbezirk, der zu der ältern Priesterwohnung gehörte und dann als 
Bauplatz für die Erweiterung derselben benutzt wurde, so dafs die Garten- 
anlage auf den inneren Hof beschränkt wurde. Vertiefungen im Boden, 
welche zu Pflanzungen gedient zu haben scheinen, haben sich in dem 
gepflasterten Hofe des kleineren Quadrats gefunden. 


30 CuURTIUS: 


Die geistlichen Beamten mufsten aber auch einen Versammlungs- 
raum haben, wo unter Vorsitz des Theekolos die Sitzungen des Oollegiums 
stattfanden und wo das Archiv war, das von dem Grammateus verwaltet 
und auch von Privaten benutzt wurde, um Dokumente zu deponiren, wie 
wir aus der Analogie von Chalia schliefsen dürfen.!) Wir werden also 
den Sitz des Theokolos oder Theekolos, den sogenannten Theekoleon, 
den Pausanias V 15, 8 als ein namhaftes Gebäude in Olympia anführt, 
im Westen von der Altis suchen, wo die priesterlichen Beamten ihr Quar- 
tier hatten und durch die nahen Pforten der Westmauer täglich die Altıs 
betraten, um dort der regelmäfsigen Opferdienste zu warten. Wir müs- 
sen uns also die Centralstelle dieses geistlichen Collegiums als ein Gebäude 
denken, welches einen ansehnlichen Versammlungsraum hatte und einen 
gewissen festlichen Charakter an sich trug. Denn wir können voraus- 
setzen, dafs hier die Festschmäuse gehalten wurden, welche bei priester- 
lichen Genossenschaften nirgends fehlen, bei denen die unter den stän- 
digen Würdenträgern genannten Mundschenk und Küchenmeister ihre Pflicht 
thaten, und zu denen auch die auswärtigen Festgesandten, namentlich die 
das Orakel befragenden, hinzugezogen wurden. Als ein zu gastlicher Auf- 
nahme bestimmtes Gebäude mufste also der Theekoleon charakterisirt 
sein, und diese Voraussetzungen erfüllen sich, wie mir scheint, in vorzüg- 
lichem Grade bei der byzantinischen Kirche, deren östlicher Vorraum 
durch eine ganz ungewöhnlich breite Thür (4, 50) ausgezeichnet ist. Sie 
ist ein antikes Gebäude der besten Zeit, deren Backsteinwände auf treff- 
lich gearbeiteten Porosquadern ruhen. Es war kein Tempel, aber ein zu 
öffentlichen Zwecken bestimmter, monumentaler Bau, ein Prachtbau, des- 
sen Hauptbestandtheil ein 100 Fufs tiefer Saal war, wo ce. hundert Personen 
sich feierlich versammeln konnten, mit zwiefacher Säulenreihe, durch hohes 
Seitenlicht erhellt, mit einem Vorraum, der zum Empfang der Festgäste 
bestimmt scheint. 

War hier in alter Zeit das Centrum der priesterlichen Verwaltung, 
so begreift sich auch, wie man in byzantinischer Zeit darauf kam, hier 
die christlichen Gottesdienste einzurichten. Kein olympisches Gebäude 


1) C. Inser. Gr. 1607: r@s wvas 70 avriygacov purassovrı ci Seororcı roV "Amor- 


Auvos‘ Theokolen mit Grammateus an der Spitze eines Synedrion in Dyme: n. 1543. 


Die Altäre von Olympia. 21 


war von Anfang an zu einem Versammlungs- und Gemeindehause mehr 
geeignet. 

Nördlich von der byzantinischen Kirche und westlich von dem äl- 
tern der beiden quadratischen Gebäude, von letzterem durch eine schmale 
Gasse getrennt, findet sich eine alte Bauanlage, die in jeder Hinsicht un- 
sere besondere Aufmerksamkeit erregt. Den Kern bildet ein kreisförmi- 
ger Raum, von einem polygonalen Ring mächtiger Porosquadern eingefafst. 
Dieser Ring ist von einem Quadrat gleich hoher Steinplatten umgeben, 
an das sich im Westen wie im Süden ein Vorbau anschlofs. Der Stein- 
ring hat einen Durchmesser von 8 Meter; an seinem innern Rande auf 
der südlichen Seite stand der Heroenaltar, von dem wir den sanzen Bau 
als Heroon bezeichnet haben (Ausgrabungen von Olympia V S. 38). 

Dieser Fund gehört zu den merkwürdigsten unter den kleineren 
Ergebnissen unserer olympischen Ausgrabungen und verdient, weil er ein- 
zig in seiner Art ist, wohl eine genauere Beschreibung und Darstellung. 
Es ist das an seinem ursprünglichen Standort wohl erhaltene Denkmal 
eines alten Gottesdienstes; ein vierseitiger Altar aus Erde geformt, an den 
drei sichtbaren Seiten mit Kalkputz bekleidet, oben mit einer Ziegelplatte, 
0,57 hoch, 0,38 breit, ohne Stufen auf dem Boden stehend, also eine 
echte Eschara, (Eryaga — Ev9a opayızloumı rols narw, un Eyeura Uos dAX 
mi ns y9s oösa im Gegensatz zu den une &r Ara ulwurva: Qwuci 
inomedor oVd” Ex AYwv meromueva!). 

Der Altar ist ein Brandopferaltar gewesen, wie die deutliche Brand- 
stätte auf der oberen Fläche zeigt; auch finden sich unten Aschen- und 
Kohlenreste. An beiden Seiten bemerkte man die Reste von Opfergüssen, 
welche hier herabgeflossen waren. 

An den Rändern des Altarwürfels konnte man sehen, dafs etwa 
zwölf Putzschichten, eine über der anderen, salsen; es hatte also von Zeit 
zu Zeit ein neuer Überzug stattgefunden, indem man weilse Tünche mit 
dem Pinsel auftrug?). 

Da sich bei genauerer Untersuchung auch noch Spuren von Malerei 


1) Schol. Eur. Phoen. 274. 234 Nitzsch Odyssee III 60. 


2) Vgl. calce linere, calce uda dealbare in C. I. Lat. I n. 577 II 18 und das 
Verbot des Überweilsens eines Altars n. 5712 hanc aram nequis DEALB. 


22 CURTIUS: 


und Schrift erkennen liefsen, konnten wir nicht anstehen, die Vorderseite 
des Altars wie einen Palimpsest zu behandeln und eine Schicht nach der 
andern vorsichtig abzulösen. Von jeder Schicht wurde durch Hrn. Gräf 
eine genaue Durchzeichnung angefertigt; demselben verdanke ich auch die 
farbige Skizze des Altars auf Tafel 1. Die Durchzeichnungen sind, pho- 
tographisch auf + verkleinert, in Holzschnitt wiedergegeben. 


Die oberste Schicht trug die Inschrift 


HPOLO P 


mit den in Farben wohl erhaltenen Verzierungen. Es sind zwei von den 
Seitenflächen her nach vorn zusammengebogene Blattzweige. Die Stengel 
sind braun, die Blätter grün. Man sieht, dafs erst die Stengel gemalt 
sind, dann die Blätter, beide aus freier Hand. Siehe Tafel 1 Fig. 1. 


Auf der nächsten Lage war die Schrift flüchtiger: 


Die Altäre von Olympia. 23 


Die vierte durch eine Blume, welche die Mitte einnimmt; es ist 
eine weit geöffnete Rose mit einer äulseren und einer inneren Blattreihe, 
die äulsere roth, die innere gelb; das Braungelbe bezeichnet den Stempel. 


2ESS 
= I 4 


Die Rosenschicht ist auf Tafel I Fig. 2 dargestellt. 


Es folgen nach einander: 


24 Curtıuvs: 


Schicht 8: 


Schicht 9 zeichnet sich durch die Pluralform aus; Vorder- und 
Seitenflächen waren hier ohne Malerei. 


Schicht 11: 


 Hfmoy' Ä 


Die Blattzweige sind zu flüchtig gezeichnet, als dals sie botanisch 
zu bestimmen und als Kennzeichen des im Rundbau verehrten Heros zu 
benutzen wären. 

Über Heroeneultus in Olympia sind wir, von Pelops abgesehen, 
nicht durch schriftliche Überlieferung unterrichtet. Von zwei Geschlech- 
tern aber wissen wir, dafs sie mit den Priestern zusammen hier ım We- 
sten der Altis ansäfsig waren, und dafs sie einen Ahneneultus hatten, 
welcher bald auf einen, bald auf zwei Heroen zurückgeführt wurde — 
das waren die Jamiden und die Klytiaden. Auf diese Weise würde sich am 
einfachsten der seltsame Umstand erklären, dafs derselbe Altar einem 
und mehreren Heroen gelten konnte, wie die Inschriften bezeugen. 

Fassen wir nun das Gebäude in’s Auge, an dessen innerem Rande 
& und dem 


oO 


der Altar stand, so zeugt schon dieser Platz von der Bedeutun 
Alter des Heroendienstes, der hier gepflegt wurde. Der Steinring um- 


Die Altäre von Olympia. 25 


schlofs offenbar eine besonders heilige Stätte; er gleicht einem festen Ein- 
schluls ($g«yue), mit welchem man geweihte Plätze einhegte, die unnah- 
bar waren und unter freiem Himmel liegen mufsten (wie der Erdschlund 
beim Zeus Kataibates S. 6). Ein fester Boden hat sich im Innern 
nicht gefunden, sondern ein trichterförmiges Loch (oben 2,40, unten 1,70 
lichtes Mafs), das in byzantinischer Zeit als Kalkofen benutzt worden ist. 
Im Innern des Rings zeigte sich gelbliche Thonerde, wie sie sich nur im 
Kronion findet. Wenn dieselbe von dem Sitz des ältesten Landeseultus 
hergebracht ist, so wird dadurch eine enge religiöse Verbindung mit dem- 
selben und ein hohes Alter dieser Cultusstätte bewiesen. 

Ich glaube es daher als eine nicht unbegründete Vermuthung aus- 
sprechen zu dürfen, dafs dieser Steinring der alte Gaios ist, den wir, 
wie oben bemerkt, an einer tiefgelesenen Stelle vorauszusetzen haben, 
der Ursitz der Mantik in Olympia, und dafs an seinem Rande lamos, der 
Stammvater der dortigen Propheten, seinen Heroendienst hatte, dem ein 
zweiter Prophet aus dem Stamm der Melampodiden ebenbürtig an die 
Seite gestellt wurde (S. 17). Es war der Ahnencultus des Doppel- 
seschlechts, welcher durch Adoption bis in die späte Kaiserzeit erhal- 
ten blieb. 

Ist diese Vermuthung richtig, so werden auch die Vorbauten nach 
Westen und Süden, welche von dem (Quadrat ausgehen, in welches der 
alte Steinring, der Kern des Ganzen, eingehegt ist, mit der Mantik zu- 
sammenhängen. Der Westbau war die Eingangshalle, wo die sich melde- 
ten, die Orakel begehrten; der südliche Vorbau läfst sich nieht mit Sicher- 
heit im Grundrifs herstellen. Man hat in demselben die Basis eines 
Altars zu erkennen geglaubt. War es ein heiliger Raum, wie der un- 
mittelbare Anschlufs an den Centralbau voraussetzen läfst, so würden wir 
darin das Heiligthum der Themis erkennen, die bei dem Erdspalt des 
Gaios (Emi Fo0 dvouagouevov areulev) ihren Altar hatte. Diese heiligen Stätten 
mulsten mit dem Heroenaltar der Prophetenfamilien einen gemeinsamen 
Platz haben, und ich wülste nicht, an welcher anderen Stelle wir sie su- 
chen sollten. 

Hier war der Schwerpunkt des religiösen Olympia, ehe es ein 
agonistischer Centralpunkt wurde; hier blieben die Sehergeschlechter thä- 
tig, auch nachdem sie in das Priestercollegium eingeordnet waren, das 

Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. VII. 4 


236 OCURTIUS: 


im Westen der Altis seine Geschäfte besorgte, seine Feste feierte und 
seine Ehrendenkmäler erhielt. Nördlich von der Kirche sind die Basen 
von Ehrenstatuen geistlicher Würdenträger gefunden (Arch. Zeitung 
XXXV, 96). 

Der Altar im Rundbau wird von Pausanias nicht erwähnt; er ge- 
hörte ja auch ganz dem Geschlechtscultus an. Aber auch den berühm- 
testen aller Heroenaltäre Olympias übergeht der Perieget, den Altar im 
Pelopion, den von Herakles gegründeten, wo Pelops die „herrlichen Brand- 
opfer genofs an seinem umwandelten Grabhügel unfern des vielbesuchten 
Zeusaltars“!). Man hat südlich von dem Erdhügel, der in seinen Über- 
resten noch zu erkennen ist, Reste von Asche und Kohle im Boden ge- 
funden und auf die Altarstätte geschlossen, wo das Jahresopfer des 
schwarzen Widders von den Beamten dargebracht wurde. In den Oy- 
klus der priesterlichen Opfer gehörte dieser Altar nicht und deshalb wird 
er im Register der Altäre nicht aufgeführt. 

Von den der Reihe nach aufgezählten können wir aufser dem He- 
raklesaltar neben dem Schatzhause von Sikyon (N. 31), dem Zeus- und 
Heraaltar vielleicht noch einen an alter Stelle nachweisen. Es ist der 
Nymphenaltar (N. 41) an dem Hinterhause des Zeustempels. Derselbe 
bedurfte zum Nymphendienste und zur Pflege des Kranzbaums, der &ai« 
zarrısrepavos, eines ergiebigen Wasserzuflusses, und wir finden eine 
alte, der Altismauer parallel laufende, Thonröhrenleitung vom Kronion- 
fulse in gerader Richtung auf einen Platz gerichtet, der hinter dem Tem- 
pel am Rande der Tempelterrasse liegt und die Spuren einer alten Grün- 
dung nebst zwei benachbarten Bassins zeigt. Wurzelte hier in ausgetief- 
tem Boden der auch seines Alters wegen berühmte Kotinos, so können 
wir daraus die Ansicht beglaubigen, dafs vor dem Bau des Tempels 
und der Tempelterrasse derselbe Platz zur Vertheilung der Siegespreise 
benutzt worden ist (S. 11). 

Ein zweiter Altar, dessen Lage wir vielleicht nachweisen können, 
ist der des Zeus Horkios im Buleuterion. Wenn nämlich dies Gebäude 
mit grofser Wahrscheinlichkeit in der grofsen, dreitheiligen Bauanlage 


. > e N - ’ , 
1) Pind. Ol. I, 90: ev inazougiens ayAacisı Wenızren, "AAdeod mogu #2uTeic, ruußor 


[} 1 7 , x 65 
aschimorov EX, uv moruEevurarw Tap« Bun. 


Die Altäre von Olympia. 27 


südlich unterhalb der Tempelterrasse erkannt worden ist, so liegt die 
Vermuthung sehr nahe, dafs in dem quadratischen Mittelbau, der mit 
den beiden Langhäusern nicht unmittelbar zusammenhängt und in seiner 
ganzen Anlage den Eindruck einer mit der Religion zusammenhängenden 
Einfriedigung, eines unbedeckten Temenos von selbständiger Bedeu- 
tung macht, der heilige Bezirk zu erkennen sei, in dessen Mitte das 
Bild des Zeus Horkios gestanden hat, vor welchem die Athleten und 
die Beamten auf die olympischen Satzungen im Buleuterion vereidigt 
wurden (Paus. V 24,9). Dazu bedurfte es eines eingehesten Ver- 
sammlungsraumes, dazu bedurfte es eines Altars, um die Eidopfer 
zu vollziehen. Es ist also sehr wahrscheinlich, dafs die Fundamente 
inmitten des quadratischen Bezirks, die man auch auf eine Dach- 
stützung bezogen hat, den Standort des Zeus Horkios bezeichnen 
(vgl. Ausgrabungen von Ol. IV, S. 45). Der hier befindliche Altar ge- 
hörte nicht zu dem grofsen Altareyklus, weil er nur bei ganz besonderen 
Gelegenheiten benutzt wurde. — Endlich können wir noch eine, bei Pau- 
sanıas nicht erwähnte Altarstelle nachweisen, nämlich in dem Gemache, 
welches neben dem östlichen Eingange an der Südseite der Palästra lag. 
(Siehe den Grundrifs auf Tafel II, welcher die Ostecke der Südfront dar- 
stellt.) Man trat von der Eingangshalle, die im Innern mit Sitzbänken 
umgeben war, links in einen quadratischen Raum, an dessen West- 
wand, dem Eintretenden gegenüber, das Fundament eines Altars steht, 
von dessen Benutzung der mit Aschen- und Kohlenresten durchsetzte 
Boden zeugt (Ausgrabungen V, 40). Es liegt die Vermuthung nahe, dafs 
die zur Theilnahme an den Übungen sich meldenden Jünglinge hier auf 
die Gesetze des Gymnasions vereidigt wurden. Es ist auch für die bau- 
liche Einrichtung griechischer Altäre nicht ohne Interesse, dafs wir deut- 
lich das Beispiel eines an die Wand gelehnten, nicht umwandelbaren Opfer- 
altars haben. Vgl. unten 8. 42. 

Wenn die monumentalen Überreste olympischer Altäre im Gan- 
zen so geringfügig sind, so erklärt sich dies aus verschiedenen Gründen. 
Erstens sind die Opferstätten des Alterthums, an denen die Pietät der 
Alten am längsten festhielt, mit Absicht zerstört worden; zweitens wa- 
ren die Gründungen selbst von Anfang an bescheiden und gerade an den 
heiligsten Plätzen absichtlich kunstlos. Auch bei dem Altar nördlich vom 

4* 


38 GURTIUS: 


Pelopion (S. 26), einem der heiligsten Plätze, fanden sich nach Dörp- 
feld’s Untersuchungen zusammengesuchte Feldsteine und formlose Mergel- 
kalkbrocken. Dazu kommen, um die ursprünglichen Gründungen unkennt- 
lich zu machen, die vielfachen Umbauten, welche durch die fortschrei- 
tende Veränderung der Niveauverhältnisse nothwendig wurden. So ist 
auch das, was jetzt vom Heraklesaltar bei der Exedra sichtbar ist, der 
Überrest eines späteren Baus, und von dem Altar im Westen des Metroon 
liegen die Erdschichten mit den alten Votivbildern unter der Sohle der 
jetzt sichtbaren Fundamente. 

Die sichersten, urkundlichen Zeugnisse des Altardienstes bleiben 
die Aschen- und Kohlenreste, an manchen Stellen, wie beim Pelopsaltar, 
die einzigen übrigen Zeugnisse, und je nachdem sie mit Votivgegenständen 
angefüllt sind oder nicht, zeugen sie noch heute von der Bedeutung 
des Altardienstes. Diese unterirdischen Überreste, zu denen auch die 
alten Wasserleitungen gehören, sind die sichersten und lehrreichsten Weg- 
weiser für die Religionsgeschichte und Topographie von Olympia. 


Die vorstehenden Untersuchungen sind nur ein erster Versuch, die 
noch wenig bearbeiteten Gebiete der gottesdienstlichen Alterthümer Olym- 
pia’s schärfer in das Auge zu fassen. 

Was wir an andern Orten in Hellas von Gottesdiensten kennen, 
knüpft sich immer an Stadtgeschichte an und kommt, wie ein dunkler 
Hintergrund, von dem politischen Treiben des Tages überdeckt, nur hie 
und da gelegentlich zum Vorschein. Hier hat schon 100 Jahre vor der 
Schlacht bei Salamis alle Geschichte aufgehört. Hier finden wir keine 
Bürgergemeinde ansäfsig; hier giebt es keine Wohnquartiere einer städti- 
schen Bevölkerung, keine Verkehrstrafsen der lebenden, keine Friedhöfe 
der vorangegangenen Generationen. Die Welle, welche in jedem fünften 
Jahre eine Menschenmenge, so grols wie die Bevölkerung einer ansehn- 
lichen Stadt, zu Festspiel und Jahrmarkt zusammenführte, flofs vorüber. 
Das grofse Thor der Altis wurde geschlossen, und es blieb keine andere 


Die Altäre von Olympra. 99 


Bevölkerung zurück, als die priesterliche mit ihrem Dienerpersonal; keine 
Fremden kamen, als die, welche die Merkwürdigkeiten sehen und das 
Orakel befragen wollten; keine Thätigkeit herrschte, als der Opferdienst, 
welcher in einförmigem Kreislaufe Tag für Tag an den Altären pflicht- 
mäfsıg wahrgenommen wurde. 

Das Wesen des antiken Cultus hat sich also ungestört ausge- 
bildet und in grofser Reinheit erhalten; wir können auch die verschie- 
denen Gottesdienste, welche nach einander in Hellas Geltung gewonnen 
haben, hier deutlicher als anderswo erkennen, wie sie sich über einander 
abgelagert und neben einander gestaltet haben. Darum ist Pausanias’ Be- 
schreibung des gottesdienstlichen Olympia eine so wichtige Urkunde für 
griechische Cultus- und Oulturgeschichte. 

Versuchen wir uns die verschiedenen Schichten des religiösen Le- 
bens in ihrer geschichtlichen Folge zu veranschaulichen, so liegen zu 
Grunde diejenigen Culte, welche wir aller Orten als die ältesten und au- 
tochthonen ansehen dürfen, die der Landesflüsse und Quellnymphen, ohne 
welche wir uns die im Lande zerstreute Urbevölkerung nicht denken 
können. 

Das geschichtliche Leben beginnt mit überseeischen Zuwanderun- 
sen, für welche das Mündungsland des grölsten Flusses der Halbinsel 
eine besondere Anziehung haben mulste. Sie sind durch Gottesdienste 
bezeugt, welche nicht im Lande einheimisch sind, vor allen durch den 
Dienst des Kronos, der nach dem Volksglauben der Hellenen Repräsen- 
tant ihrer frühesten Vorzeit ist. Nirgends ist er deutlicher bezeugt als in 
Olympia. Von ihm trägt die herrschende Höhe ihren geschichtlichen 
Namen. Sein weitschauender Gipfel ist die älteste Opferstelle, einer der 
heiligen Berggipfelaltare (£ri r7 axg@ 7 dvwrarw roü öpous Paus. VIII 38,7), 
sein Fuls der Baugrund der ältesten Heilisthümer; seine Erde wurde an 
andere Stellen übertragen, die man mit ihm in Verbindung setzen wollte 
(S. 25). Der unstät wandernde, listig verschlagen («yxvAcunrss!)) und 
doch getäuschte Kronos, dessen Sagen mit barbarischen Opferbräuchen 
verwachsen sind, ist unverkennbar ein Vertreter des semitischen Seevolks, 


1) Vgl. die entsprechenden Züge bei Sisyphos, Palamedes, Atlas (Mittheilungen 
des Ath. Instituts I, 211). 


30 CGURTIUS: 


das gewils auch diese Küsten aufgesucht hat. Davon zeugen der Jar- 
danos und andere schon besprochene Spuren des Alterthums. 

Dann wurde Kreta der Kreuzpunkt, welcher durch den Kronos- 
dienst einerseits mit den Syrern und Solymern, andererseits mit Hellas 
in Verbindung steht. In Kreta wurde der phönikische Kronos mit dem 
hellenischen Zeus verwoben, und als Ausgangspunkt olympischer Gottes- 
dienste wird es durch den orgiastischen Cultus der Göttermutter, durch 
die idäische Grotte im Kronion!), durch die Person des Klymenos, durch 
Kureten und Korybanten reichlich bezeugt. Es folgen die Einwirkungen 
anderer Seevölker. Von der karischen Küste stammt der Dienst des Zeus 
Areios (in Hoplitengestalt?), der Poseidondienst, die Endymionsage; ioni- 
schen Einflufs bezeugt der benachbarte Dienst ionischer Nymphen°). 

Das ist der Inhalt der vorhistorischen Zeit, welche nur in Sagen 
und Culten nachklingt; die Zeit der Abhängigkeit des unteren Alpheios- 
thals von überseeischen Inseln und Küsten, die Zeit vor Beginn der con- 
tinentalen Wanderungen und Umwälzungen im diesseitigen Griechenland. 

Von dieser Periode zeugen auch die Fundstücke in den untersten 
Schichten des Altısbodens, die ältesten der Votivgegenstände, welche hier 
eben so gefunden worden sind, wie in den Heilisthümern von Idalion 
und Golgos. Ferner die Symbole der karischen Doppelaxt, die Kymbeln 
der Rhea u. a.*) 

Einheimische Geschichte beginnt mit den Gauverbindungen an bei- 
den Ufern des Alpheios. Die Muttergöttin am Kronionfufse wird als Hera 
eine amphiktyonische Göttin; für ihr Bild wird von den umliegenden Ge- 
meinden der Peplos gewoben; das alte Erdorakel gab dem Bundesorte eine 
höhere Bedeutung, und wenn uns überliefert wird, dafs acht Jahre nach 
Oxylos’ Ankunft der Heratempel von den Skilluntiern erbaut worden sei°), 
so liegt dieser Überlieferung wohl die Ansicht zu Grunde, dafs man den 
von Norden vordringenden Fremdlingen gegenüber die Gemeinschaft der 


1) Böckh Explic. Pind. p. 150. 

?) Welcker Gr. Götterl. II 24. 

3) Peloponnesos II 72. 

4) Furtwängler, a. a. O. S. 32£. 
B)EBauseV, 16. 


oO 


Die Altäre von Olympia. Sl 


in Triphylien und Pisatis umher wohnenden Gemeinde zu befestigen 
bestrebt war!). 

Mit den Aetolern ziehen Achäer ein. Jene brachten wahrschein- 
lich ihren Artemisdienst in das Land; diese, das Gefolge des Agorios aus 
Helike, waren für die weitere Entwickelung von Olympia von eingreifen- 
dem Einflusse. Denn sie bringen, als Orestes Nachkommen, den Dienst 
des Pelops und schütten des Ahnherrn Grabhügel zwischen Kronion und 
Alpheios auf. Die Altis wird nach Süden erweitert und auch Zeus, 
der hier als Kataibates verehrt war und als Zeus Areios der Hausgott des 
Oinomaos war, erhält nun neben Pelops, dem Ersten der Heroen, als Göt- 
terkönig eine neue Bedeutung. Der Brandopferaltar des Zeus erhebt sich 
inmitten der Altis; auf ihn wird jetzt von der Landesgöttin Hera die 
Herrschaft übertragen; die Festlokale der Heräen werden für die neue 
Feier eingerichtet. Die Gründung des olympischen Festes wird von Epho- 
ros den Achäern zugeschrieben und die herrschende Stellung, welche ihre 
Geschlechter hier eingenommen haben, erhellt auch daraus, dafs am Al- 
tare des Pelops bis in die späteste Zeit die jährlichen Beamten von Olym- 
pia noch alterthümliche Todtenopfer darbrachten?). 

Die achäischen Einrichtungen gingen in die Hände der elischen 
Adelsgeschlechter über?), welche mit den Herakliden in Sparta verbunden 
sind. Ihr Vertreter ist Herakles, der nun als Heros neben dem älteren 
Gotte (dem Parastates) in die Geschichte von Olympia eintritt. Er er- 
neuert die Pelopsfeier und macht aus dem nachbarlichen Landesfeste eine 
peloponnesische Panegyris. Das ist die letzte der Entwicklungsstufen, 
die Epoche des dorischen Einflusses. Von ihm zeugen die dorischen Hym- 
nen im olympischen Ritus, von ihm die Einführung des Apollodienstes 
und der apollinischen Mantık*) und die Beziehungen des peloponnesischen 
Heilisthums zu Nordgriechenland, dem alten Wohnsitze der Dorier. Von 


1) Peloponnesos II 47. 
S SC u 7 e 5 u y R 
2) Paus. V 13, 2: Svousw airw zur wÜv erı ol zur Eros Tas Apyds Exy,ovres' TO 
SEE ’ 
de lepelov Errı za0G MEAaS. 
5 > 
GI ” - x ’ x x > ’ 
3) IeoaraeQeiv, meldet Ephoros bei Strabo 357, (rous AirwAovs) zaı rnv erımersiav 
me n N = 
FoU iegod, nv Eiyov 08 "Ayaıcı. 


#) Vgl. Olympia und Delphi, Hermes XIV, 137. 


32 OURTIUS: 


den Hyperboreern bringt Herakles den Kotinos an den Alpheios und 
vielleicht trat damit erst die Übertragung der Namen Olympos und Ossa 
auf die Höhen von Pisa und des Namens Olympia auf die Flufsebene ein. 
Wie in der nordischen Heimath des dorischen Stamms wurde jetzt auch 
hier ein Zwölfgöttereyklus gegründet, die Stiftung desselben Herakles, 
und zwar wurden dabei die älteren Überlieferungen des Orts in merk- 
würdiger Weise berücksichtigt, so dals der Landesflufs neben der Arte- 
mis, dafs Kronos und Rhea an den Doppelaltären des Herakles ihre Ver- 
ehrung fanden. 

Diese Satzungen, die mit der Gründung des peloponnesischen Staa- 
tensystems zusammenhangen, sind alle Zeit unverändert geblieben, wäh- 
rend Alles, was mit der Agonistik zusammenhängt, den mannigfaltigsten 
Neuerungen unterlag. Im Cultus von Olympia hat sich das alte Her- 
kommen besonders fest erhalten, und zugleich ist hier, als an einem Orte 
von centralen Ansehen Manches ausgebildet, was auch für die Hellenen 
auswärts malsgebend wurde. So spricht Plato (Politeia IX, p. 585) von 
einer eigenthümlichen Spendeform, die man "OAuurızas arevdev nannte. 
Ebenso gab es für religiöse Enthaltsamkeit in Olympia besondere, strenge 
Formen («yırrevew 7% vouw ra "HAciuv Paus. VI 20,2). Charakteristisch ist 
auch die strenge und scharfe Normirung der Malse in Allem, was zum 
Gottesdienste gehört. So war Pelops, dem Heros, das Temenos gerade auf 
die Hälfte der Länge des Zeustempels bemessen (Paus. V 13, 1). Hundert 
Fufs als hieratisches Mals finden wir bei dem quadratischen Bau des Pryta- 
neion, bei dem von mir sogenannten Theekoleon, bei der Krypte des 
Stadions und als durchschnittliches Breitenmafs bei dem Stadion. Es 
wurde also nach dem hergebrachten Brauch das hieratische Mafs auch 
auf solche Anlagen angewendet, welche an und für sich keine sacrale Be- 
deutung hatten. Mit der Reform von Olympia, welche sich an Herakles 
Namen anschliefst, sollen durch seinen Schritt auch die Mafse in Olympia 
geregelt worden sein, und, während wir früher nur vom Stadion wuls- 
ten, dals es neu vermessen worden sei, seit es aus der Bestimmung für 
die Heräen in den Dienst bei dem Zeusfeste überging!), können wir jetzt 


1) Gellius I, 1. Paus. V 16, 3: adaıgousıw aurcıs (d. h. den Jungfrauen der Hera) 
Es Tov dacmov To0 sradiov 79 Errov merırre. Dies verkürzte Stadion war aber das ur- 


Die Altäre von Olympia. 33 


nach Dörpfelds Untersuchungen auch im Tempelbau den olympischen 
Fufs genau von dem unterscheiden, der dem Bau des Heraion zu 
Grunde lag. 

Auch die Breite der Wege mufs genau normirt gewesen sein, denn 
das Wort äyvıe wird als Mafsbestimmung benutzt (dyviev dierrnze Paus. 
V 15,2). Typische Dimensionen gehen durch Alles hindurch, was näher 
oder ferner zum Gottesdienste in Beziehung steht, auch bei den heiligen 
Geräthen und deren Nachbildungen. So bei den Votivdreifüfsen, auf de- 
ren fest normirte Proportionen (Durchmesser des Kessels gleich Höhe der 
Fülse) Furtwängler aufmerksam gemacht hat!). 

Das Festhalten am Gegebenen zeigt sich auf allen Gebieten. Die 
zahllosen Votivbilder in Thon und Erz wiederholen dieselben kunstlosen 
Formen, und ebenso bleiben die Kunstformen stereotyp, wie es an den 
Profilen der Simen und anderen Baugliedern von unsern Architekten 
häufig beobachtet worden ist. In der Sprache wurde das Provinzielle und 
Alterthümliche festgehalten (z. B. @yuı@ für arevwres Paus. V 15,2) und Nie- 
mand konnte einen so langen Fortbestand des Aeoliısmus voraussetzen, wie 
es die Inschriftfunde in überraschender Weise gelehrt haben. Zeugt doch 
auch der Heroenaltar wieder von dem zähen Festhalten am Rhotacis- 
mus. Unter dem Einflufs der dorischen Staaten wurden dorische Hymnen 
eingeführt; sie wurden aber nur im Prytaneion gesungen, dem Mittelpunkt 
staatlicher Verwaltung, und auch hier waren es immer dieselben alten 
Weisen, deren Urheber, wie Pausanias ausdrücklich bemerkt (V 15, 12), 
nicht genannt werden. Alles Persönliche sollte im Cultus zurücktreten. 

Zu den charakteristischen Zügen der Alterthümlichkeit gehört auch 
der Reliquiendienst, wie er sich z. B. an die Gebeine des Pelops anschlofs, 
deren Hut den Nachkommen des Damarmenos (der sie im euböischen Meer 
aufgefischt hatte) als erbliches Ehrenrecht übertragen war (V 13, 5), und 
ebenso die mancherlei Wundersagen, welche sich an den olympischen 
Altardienst anschlossen; so die Sage von der einzigartigen Beschaffenheit 
des Alpheioswassers (S. 5), von den Raubvögeln, welche keinen Altar 


sprünglich das zu dem Festlokale der Landesgöttin gehörige, bis zur Einrichtung der 
Zeusfeste. Vgl. über die olympischen Malse Dörpfeld Ausgrabungen III, 20. V, 37. 
DER a OST. 


Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. VII. B) 


34 OURTIUS: 


schonten mit Ausnahme des grofsen Brandopferaltars der Altis (V 14, 1), 
von den Stechmücken, welche durch das dem Zeus Apomyios dargebrachte 
Opfer jenseits des Alpheios gebannt wurden, um den heiligen Dienst nicht 
zu stören (V 14, 1), ebenso die Sage von der Trübung der Arethusa wäh- 
rend der olympischen Festzeit u. A. 

Auch die Mantik, welche ihre Bedeutung in Olympia nie verloren 
hat ((Orvuria dermew' araSeias Pind. Ol. VIIIL), verharrte in gewissen alter- 
thümlichen Formen. Die chthonische Mantik ist nie erloschen. Auch die 
von Apollo eingesetzte Mantik ist immer Zeichenorakel geblieben, und, 
wie uns das Standbild des lamiden Thrasybulos lehrt, dem eine Eidechse 
die Schulter hinaufkroch und ein Hund mit aufgeschnittenem Leibe zur 
Seite lag (Paus. VI 2,4), ist die Eingeweideschau an den Opferthieren im- 
mer in Übung geblieben. Die beiden Sehergeschlechter, welche die alte 
Tradition erhielten, hatten innerhalb des Priestercollegiums eine ausge- 
zeichnete Stellung. Sie waren in allen Angelegenheiten des heiligen Rechts 
die Sachverständigen und mit den politischen Vorständen zusammen die 
Aufsichtsbehörde, welche jeder Entweihung der Altäre vorzubeugen und 
alle Unreinen von denselben fern zu halten hatte (Arch. Zeitung XXXVILU 
S. 119). Sie ordneten den Festkalender und hatten bei dem liturgischen 
Ceremoniell die Jahrestage zu beachten (PvAafavres rrv Evarıy Eri dera 
rov ’EAadiev unvos V 13, 11). 

Das Merkwürdigste bleibt immer die in Olympia deutlicher als 
sonst bezeugte Autonomie der Altäre, neben denen die Tempel als Luxus- 
bauten erscheinen, welche für den Gottesdienst völlig entbehrlich sind. 
Die Altäre und Altargruppen sind von der vorgeschichtlichen Zeit an die 
geschichtlichen Urkunden für die allmähliche Entwickelung des olympi- 
schen Cultus. Das Kronion ist immer der Mittelpunkt geblieben, nach 
welehem ganz Olympia bezeichnet wurde; denn so sind Pindars Worte 
zu verstehen: ixovro d’ unbyAcio merguv arılarsv Koovicv (Ol. VI, 64). Der 
heilige Berg ist, wie es scheint, von der Altis nie durch eine Mauer abge- 
schieden gewesen, wenn auch der Bergaltar, an welchem als ein Über- 
rest pisäischer Vorzeit die Basilai in der Tag- und Nachtgleiche des Früh- 
lings opferten, und das Eileithyiaheilisthum daselbst mit dem mystischen 
Dienste des Sosipolis, des alten genius loci, in den Cyklus der olympi- 


schen Altardienste nicht aufgenommen waren. 


Die Altäre von Olympra. 35 


Nirgends ist auch so deutlich wie hier Herakles als Gott, Parasta- 
tes, der älteste der Daktylen, von dem späteren Heroen im Dienste zu 
unterscheiden. Seine alte Opferstätte am Fufse des Kronion ist, wie die 
Fundamente bei der Exedra zeigen, an alter Stelle erhöht und dann aus 
einem Rundbau (der noch heute den Kern der Ruine bildet) in einen 
viereckigen umgemodelt worden. Hier ist auch der Standort noch zu er- 
kennen, so dafs der Opfernde nach Osten schaute. Wenn man also auch 
bei diesem Altar zweifelte, ob er dem ältern Herakles, dem phönikisch- 
kretischen Gotte, oder dem. Sohne der Alkmene geweiht gewesen sei 
(V 14, 9), so spricht die Orientirung für den Gottesdienst. 

Die vorhellenischen Culte, welche Hellas mit dem Morgenlande 
verbinden, sind aber nicht nur in den Altären bezeugt. Vielmehr sind 
aus den Tiefen der Altis neuerdings auch Denkmäler wieder an das Licht 
gezogen, welche den Zusammenhang mit der assyrisch-phönikischen Welt 
zweifellos bezeugen, Reliefstreifen, Schalen mit punischer Schrift, und jene 
decorativen Flügelgestalten, welche an den ältesten Bronzen, den Kesseln 
aus Blech, angebracht waren, Figuren mit assyrischem Gesichtstypus, mit 
assyrischen Symbolen, ganz so, wie sie einerseits in Präneste, anderer- 
seits in Armenien gefunden werden. Es sind handgreifliche Zeugnisse 
des phönikischen Küstenverkehrs, mit welchem auch hier die Landesge- 
schichte begonnen hat, und beglaubigen die Überlieferung von den auf 
dem Kronion und am Fufse desselben errichteten Altären!). 

Vom Kronion rückten die Altäre immer weiter in die Ebene hin- 
unter. Kronos, oben allein, am Bergfulse mit der Muttergöttin gepaart, 
wird unten in den Zwölfkreis der Olympier aufgenommen; so treu ist 
man hier dem geschichtlich Überlieferten geblieben. Andererseits ist der 
religiöse Particularismus der griechischen Städte, deren Götterdienste in 
einzelnen Culten zu gipfeln pflegten, hier nie zur Herrschaft gekommen. 
In der Achäerzeit wurde freilich die Altis das Haus des Zeus und die 
Priesterschaft sein Hausgesinde (sizeraı red Aus Paus. V 13, 5). Die Altis 
hatte ihren Hausherd mit ewiger Flamme, und die vom Hestia- zum Zeus- 
altare übertragene Asche war der symbolische Ausdruck für die Einheit 
des idealen Hausstandes. Innerhalb des Zeusbezirks waren aber alle Culte 


1) Furtwängler in der Arch. Zeitung XXXVII S. 180. 


36 OURTIUS: 


der Hellenen gleich berechtigt, sie wurden alle von denselben Händen 
bedient. Die jungen und die älteren Götter waren mehr als anderswo 
gleichberechtigte Hausgenossen und diesen amphiktyonischen Charakter 
zu pflegen lag in dem wohlverstandenen Interesse der Eleer. 

In besonderem Sinne amphiktyonisch waren die sechs Doppelaltäre, 
die deshalb auch für die Siegesfeier eine hervorragende Bedeutung hatten!). 
An ihnen opferten die Sieger, wie es Böckh zu Pindars fünfter olympi- 
schen Ode von Psaumis nachgewiesen hat. 

Eine andere, jüngere Gruppe bildeten die Altäre von rein agonisti- 
scher Geltung, wie die des Hermes Enagonios, des Kairos, der Tyche 
und der Hippioi. Ein symbolischer Ausdruck für den nationalen Gedan- 
ken, welchen Olympia vertrat, war der Altar der Concordia ((Ousveie), der 
sich an volksthümliche Bräuche anschlofs?) und wieder für viele andere 
Orte vorbildlich geworden ist. Im Sinne dieser Stiftung sind die ‘olym- 
pischen Reden’ entstanden, wie die des Lysias. 

Endlich die Altäre ausländischer Gottheiten d.h. solcher, welche 
nicht in der Vorzeit der Hellenen sich eingebürgert haben. Denn, wenn 
Olympia auch strenger national war als Delphi, so verschmähte es doch 
die Verbindungen mit dem Auslande nicht, am wenigsten die mit Libyen 
(S. 4), wie Hera Ammonia und Hermes Parammon bezeugen (Paus. 
V.35,chl). 

So sind die Altäre von Olympia ein Archiv der Geschiehte, weil 
die Denkmäler der verschiedensten Epochen der Volksgeschichte hier voll- 
ständiger als anderswo nebeneinander fortbestanden haben. Die Vorzeit, 
welche im städtischen Leben vergessen wurde, hat sich hier um so treuer 
im Gedächtnifs erhalten, je weniger eine politisch bewegte Gegenwart die 
Aufmerksamkeit fesselte und Neuerungen der Gottesdienste veranlalste. 

Um noch anderer Züge des Alterthümlichen in Olympia zu 
gedenken, erinnere ich an die Aschenaltäre, die unsers Wissens nir- 
gends so zahlreich und angesehen waren wie hier, an die Grundlegung 
der Altäre mit losen Feldsteinen, an die massenhafte Darbringung primi- 


1) Darauf bezieht sich wohl das mir noch räthselhafte Beiwort Acoıras und 
Accır!s, dem vielleicht die Bedeutung der ‘Volksammler’ beiwohnt. 
2) Xenophon Memor. IV 4, 168 ravreyoT Zv 7 ‘ErAadı vouos zeiraı FoUs morITas 


> ’ e , 
OJAVUVCEL OJKOVONTEI,. 


Die Altäre von Olympia. 37 


tiver Votivgaben an den Stufen der Altäre. Besonders merkwürdig ist 
dabei die Abwesenheit aller Zeichen von Idololatrie. Furtwängler hat 
schon (a. a. 0.28, 32) darauf hingewiesen, dafs kein einziges altes Idol 
von Zeus oder Hera im Altisboden gefunden worden ist: eine Thatsache, 
die reinen Altardienst, den bildlosen Cultus in Olympia, deutlich bezeugt. 
Ja, wir sind trotz des massenhaften Materials von Fundstücken bis jetzt 
noch aufser Stande, uns von der Gestalt der alten Landesgottheit, welcher 
der Peplos gewoben wurde, und von dem Orte, wo sie gestanden hat, 
eine sichere Vorstellung zu machen !). 

Auch die Opfergebräuche haben sich in Olympia besonders alter- 
thümlich erhalten: Svousw dpxatev rıva rgerov (V 15, 10). Rauchopfer mit 
Gerste und Honig war die herkömmliche Darbringung. An den drei Al- 
tären (denen der Nymphen, der Despoina und aller Götter) wurden nur 
weinlose Spenden dargebracht. Für alle Brandopfer war das Ceremoniell 
so streng geordnet, dafs Gemeinden wie Privatpersonen verpflichtet wa- 
ren, sich das vorgeschriebene Brennholz in abgemessenen Stücken von 
dem olympischen Holzverwalter zu verschaffen. 

Die strenge Handhabung des heiligen Rechts in Olympia kannten 
wir schon aus dem Prozefs gegen den Erzstier, an dem ein Knabe sich 
verletzt hatte (Paus. V 27, 10) u. a. Zügen. Jetzt erkennen wir die 
strengen Ordnungen des heiligen Rechts aus den neu gefundenen Bronze- 
tafeln, so weit das Verständnils derselben bis jetzt gelungen ist, die 
strenge Zucht in Geldbufsen und Körperstrafen so wie die Excom- 
munication von Altar und Mantik. In nächster Beziehung zum Opfer- 
dienst stehen die religiösen Ordnungen, welche den Mifsbrauch des Altars 
ahnden, und wie es in Olympia verboten war, dafs hellenische Staaten 
wider einander am Hochaltare des Zeus Orakel begehren sollten (S. 16), 
so war es auch verpönt, Opfer darzubringen, die einem Volksgenossen zum 
Schaden gereichen sollten. Das ist das zarıagavew (in dem Sinne von 
zarsvysSai) nach der Erklärung von Ahrens in der olympischen Inschrift 
n. 362 — Inseriptiones Gr. Antiquissimae n. 112; Rheinisches Museum 
XXXV, S. 578. Ist diese Deutung richtig, so schliefst sich hier an die 


1) Dafs Herakles der Gott in Olympia bildlich verehrt worden sei, könnte man 
aus der Geschichte von Daidalos schlielsen, bei Apollodor II, 6. Die Erwähnung von 


Pisa ist sehr merkwürdig. 


38 CURTIUS: 


äufsere Zucht eine ethische Norm von tiefem Sinne, der Grundsatz, dafs 
ein Opfer nur dann wohlgefällig sein könne, wenn es arglos und mit 
reinem Gewissen dargebracht werde. 

Wo so viel Wissen von allen Seiten zusammenströmte, wurde die 
Autbewahrung der Tradition unwillkürlich ein besonderer Gegenstand der 
Aufmerksamkeit. So war es auch eine Art von Reliquiendienst, wenn 
man die eine alterschwache Holzsäule des Königspalastes, mit Klammern 
rings umfalst, unter einem von vier Säulen getragenen Sehirmdache mit 
ängstlicher Sorgfalt aufrecht zu erhalten suchte. 

Endlich gehört zu den Zügen des alterthümlichen Wesens das streng 
geordnete System geistlicher Ämter, wie es uns hier vorliegt und das 
auch Pausanias so merkwürdig erschien, dafs er genau darüber berichtet 
(V 15, 10) in fast vollkommener Übereinstimmung mit den jetzt gefun- 
denen Urkunden. Wir finden hier eine Organisation geistlicher Würden, 
einen Fortbestand uralter Sehergeschlechter, eine Verbindung von Priester- 
thum mit städtischem Patriziat, dessen Söhne sich in diesen Ämtern fol- 
gen, eine hierarchische Stufenfolge der Ämter, wie sie uns sonst nirgends in 
Griechenland überliefert ist, und so führen uns die Studien über Olym- 
pia, welche jetzt erst begonnen haben, des neu gewonnenen Materials 
allmählich Herr zu werden, zu neuen Anschauungen des höheren Alter- 
thums und ergänzen unsere Kenntnils hellenischer Culturgeschichte auch 
auf den Gebieten, für welehe wir am wenigsten Aufklärung erwartet hat- 
ten. In dem stillen Olympia, das Jahr aus Jahr ein seiner Altardienste 
wahrnahm, dem Olympia @vev rAs mavnyupews (Paus. V 13, 10) lernen wir 
das Volksleben von einer Seite kennen, wie es uns in der griechischen 
Staatengeschichte am wenigsten vor Augen tritt. 


Die Altäre von Olympia. 39 


Übersicht der Altäre nach der Reihenfolge der Opfer. 


1. Hestia 


(Aschenaltar im Prytaneion). 


2. Zeus Olympios, 


im Zeustempel. 


3°» (Kronos und Rhea). 


aub. : : : 
4°" (Zeus Laoitas, Poseidon Laoitas). 


5°" (Hera Laoitis, Athena Laoitis). 


6. Ergane 
(Phädryntenaltar). 


7. Athena. 

8. Artemis. 

9°» Alpheios und Artemis, 
10.  Alpheios. 

11. Hephaistos 


(= Zeus Areios) Oinomaosaltar. 
12. Herakles 
Parastates. 
15—16 Heraklesbrüder. 
Epimedes. 
Idas (Akesidas). 
Paionaios. 
Iasos. 
17. Zeus Herkeios. 
18. Zeus Keraunios. 
19. Zeus 


Aschenaltar. 


20. Altar der unbekannten Götter. 


21. Zeus Katharsios 
und Nike. 


22. Zeus Chthonios. 
23. Altäre aller Götter. 
24. Hera Olympia 
des Klymenos (Aschenaltar). 
25°" Apollon, Hermes. 
26. Homonoia. 
27. Athena. 
28. Göttermutter. 
29. Hermes Enagonios. 
30. Kairos. 


öl. Herakles 


bei dem Schatzhause der Si- 


kyonier. 
32. Ge 

Aschenaltar auf dem Gaios. 
33. Themis 

bei dem “Stomion’. 


34. Zeus Kataibates 
eingezäunt bei dem grolsen Aschen- 


altar. 


35°" Dionysos, Charites 


bei dem Pelopion. 


40 


Musenaltar 
zwischen ihnen. 


Nymphenaltar. 


Aller Götter Altar im Ergasterion. 


Aphrodite. 
Horen. 
Nymphai 
Kallistephanoi. 
Artemis Agoraia. 
Despoina. 
Zeus Agoraios. 
Apollon Pythios 
vor der Proedria. 


Dionysos. 


(Zeus) Moiragetas. 


Moıiraı. 

Hermes. 

Zeus Hypsistos. 
Zeus Hypsistos. 


Poseidon 
Hippios. 


Hera Hippia. 


CuUrRTIUS: 


61. 


69. 


Dioskurenaltar. 
Ares Hippios. 
Athena Hippia. 
Tyche Agathe. 
Pan: 
Aphrodite. 


Nymphai Akmenai. 


Artemis. 


Kladeos 


hinter dem Heraion. 
Artemis. 
Apollon. 
Artemis Kokkoka. 
Apollon 


Thermios. 


Pan 


Nm nn nm 


im 
Embolon. 


im Gemach vor dem Theekoleon. 


Artemis Agrotera 


vor dem Prytaneion. 


Pan 


im Prytaneion. 


Die Altäre von Olympia. 41 


Erklärung der Tafeln. 


Beide Tafeln verdanke ich der Künstlerhand des Bauführers Herrn P. Graef, 
der mich bei der Untersuchung des Heroenaltars auf das Freundlichste unterstützt und — 
von Olympia nach Neu-Ruppin versetzt — mir auf meine Bitte die Zeichnungen über- 
sandt hat. Er selbst hat in Band V der Ausgrabungen S. 38 über unsern Fund berichtet. 
Als ich Anfang April 1580 nach Olympia kam, stand der formlose Erdklumpen in einer 
dunkeln Ecke unseres Magazins und erst allmählich wurden wir seiner Bedeutung inne. 
Vgl. Arch. Zeitung XXXVIH S. 113. 


Von der Farbenskizze, die den Anblick des Originals treu wiedergiebt, zeigt 
Figur 1 die oberste Schicht der Vorderseite des Heroenaltars und Figur 2 die vierte, 
dieselbe, welche S. 23 in Umrifs dargestellt ist. Dem oben Gesagten füge ich nur noch 
hinzu, dafs das Naturtreue, welches sich in der flüchtigen Malerei nachweisen läfst, we- 
sentlich auf der richtigen Unterscheidung der drei Organe (Blätter, Staubfäden und Stem- 
pel) sich beschränkt, die ja auch in der Regel verschiedene Farben haben. Sonst ist selbst 
das Charakteristische einer Rose keineswegs mit Sicherheit gegeben. Es ist, wenn auch 
eine Blume in natürlicher Gestalt, doch schon eine stilisirte.. Gewils aber ist die Rose, 
der herkömmliche Grabschmuck bei Griechen und Römern (Bötticher Baumkultus S. 457) 
auch für ein Heroenmal das passendste Symbol. 

Was die Zweige betrifft, so hatten wir den Eindruck, wie es auch Herr Graef 
S. 39 ausgesprochen hat, dals die Blattform auf den meisten Schichten dem Lorbeerty- 
pus näher steht, als dem des Ölbaums. 


Taf. II stellt die Gruppe der drei Gebäude im Westen der Altis dar, die ich 
S. 19 ff. in ihrem Zusammenhange nachzuweisen gesucht habe: Links Gaios mit Eingangs- 
halle und Themisheiligthum, rechts Wohngebäude des Priestercollegiums, unten (südlich) 
Theekoleon. Die jüngere Anlage rechts vom Wohngebäude (als Bezirk aus alter Zeit 
S. 19) mag ursprünglich zur Aufnahme der Unterbeamten gedient haben, wie sie dem 
Forstverwalter, dem Baumeister, dem Oberkoch und den anderen Mitgliedern des geist- 
lichen Synedriums nicht fehlen konnten. Es muls hier eine grolse Menge von Hierodulen 
gewesen sein und wir finden in Zusammenhang mit der Hierodulie auch hier das Institut der 
manumissio sacra, wovon die Inschrift in der Arch. Zeitung n. 225 (Inser. antiquissimae 
552) zeugt. In Karnasion, das auch eine Altis war wie der innere Raum von Olympia, fin- 
den wir auch ein Synedrion von Priestern, auch einen Grammateus der Synedroi und eine 
grolse Anzahl von isoo: unter strenger Zucht. Vgl. Arch. Ztg. XV, 253*. — Hallen, die 
einen offenen Bezirk einschlossen und zur Unterbringung des Dienstpersonals benutzt 
wurden, werden bei dem Heiligthum der Athena Kranaia bei Elateia erwähnt, wo die zu- 
sammenliegenden Wohnungen der höheren und niederen Beamten am genauesten angege- 
ben werden: sro«i 2 eisı zur oiarrsıs did rWv aroWv, 2vSe oizolaıw os Tv Seov Segumrevsw 
RaRSisryze zur @AA0ıS zur Marırre ru LegwuEvu. (Paus. X 34,7). 


Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. VII. 6 


43 CURTIUS: 


Das Innere des Steinrings ist durch die Aulage des Kalkofens (S. 25) so um- 
gewühlt worden, dafs sich nicht mehr constatiren läfst, ob die 0,5 tiefe Schicht von 
Kronionerde damals durehstochen worden ist oder ob hier eine in die Tiefe gehende Öf- 
nung vorhanden war. Sicher aber ist, dafs von einem alten Boden aus Stein oder Estrich 
keine Spur gefunden worden ist. 


Da man bei der byzantinischen Kirche auch an die Werkstätte des Pheidias ge- 
dacht hat, so bemerke ich, dafs diese nach meiner Ansicht am anderen Ende von der 
Altis gelegen hat, unweit des Leonidaion; ein umfangreiches, vielgetheiltes Gebäude mit 
besonderen Ateliers für alle Zweige des antiken Kunsthandwerks, wahrscheinlich um einen 
Mittelhof gruppirt, auf dem der Zwölfgötteraltar stand. Hier wurde stückweise gearbeitet 
(wie man dem Pausanias ausdrücklich sagte: z«>° Exaorov ro) ayaruaros 6 ®. Evraude 
sigyagero V 15, 1), was im Tempel erst zu einem Ganzen zusammengesetzt wurde. Im 
Tempelhause empfing Pheidias nach der Legende (Paus. V 11, 9) die Gewifsheit des glück- 
lichen Erfolgs. 


Unten auf Taf. II ist von dem grofsen quadratischen Gebäude der Palästra die 
Südostecke im Grundrils dargestellt. Die Südfront der Palästra war in ganzer Breite 
durch eine Mauer geschlossen, hinter welcher die Räume lagen, wo die Epheben sich aus- 
kleideten und zu den Übungen vorbereiteten. Die Eingänge lagen an den Ecken. Auf 
der Ostecke trat man durch ein Portal in die Eingangshalle, deren Wände rechts und 
dem Portal gegenüber mit Sitzbänken ausgestattet waren. Links trat man in den $. 27 
beschriebenen Altarraum, in welchem, wie ich vermuthe, die neu eintretenden Epheben, 
einzeln oder gruppenweise, auf die bei den Übungen im Gymnasion geltenden Gesetze 
verpflichtet wurden. Es ist wahrscheinlich, dafs der Cultus, dessen Stätte hier nachge- 
wiesen ist, dem Herakles galt als dem nationalen Vorbilde gymnastischer Tüchtigkeit. 


Die Altäre von Olympra. 


Inhaltsverzeichnils. 


Altarperiegese des Pausanias . 
Formen, Arten, Gruppen der Altäre 
Olympia ein Altarplatz . 

Die Mantik in Olympia 


Wohn- und Versammlungsräume 36 Pristerollgiung > 


Rundbau und Heroenaltar . 

Pelops-, Nymphen- und andere Altäre- 

Der olympische Cultus in geschichtlicher Übersicht 
Das religiöse Olympia e 

Die Altäre als geschichtliche Uckaoden 

Der alterthümliche Charakter von Olympia . 
Übersicht der Altäre 

Erklärung der Tafeln 


Sa 
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ao! 
„21—26 
„26 — 28 
(28.232 
„32—35 
„35—36 
„36— 38 
„39 —40 

41—42 


ABH.D.KGL.AKAD.D,WISS, 1882 TAFEL I 


HEROEN-ALTAR 


SCHICHT IV 


P. GRAEF AUFGEN. U. GEZ! 


RA I 0 ‘ 


'ABH D. KGL. AKAD. D. WISS. 1882. TAFEL I. 


OLYMPIA 


PRIESTERLICHE GEBAEUDE IM WESTEN DER ALTIS 


STRASSE 


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SUED-OST-EINGANG DER PALAESTRA 
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