en P —
a ch
ee nn naeh
RER LE geRe
j
4
3
®
F
ABHANDLUNGEN
DER
KÖNIGLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
1881.
/IDWIRTAV AHA" PA
WERT j R E
Re Bi
v-
AR
E , PS den Di 1Zz ä .
I NIMIGAHA: RZ
u
u
=
1 Dome BE
ABHANDLUNGEN
DER
KÖNIGLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
AUS DEM JAHRE
Aue
T m Oct
Na 17 1892
> SA
% „o®*
Sonn DerS
BERLIN.
VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
1882
Buchdruckerei der Königl. Akademie der Wissenschaften (G. Vogt).
Berlin, Universitäts-Stralse 8.
4, 06° PP
Inhalt.
Neue Statuten der Akademie, eingeführt am 1. April 1881 . . . .98. W— (an).
Verzeichnifs der im Jahre 1881 stattgehabten Sitzungen der Akademie
und der darin gelesenen Abhandlungen . . . 2 2 2.2.2... (XLD— (XLIX).
Nkademischeskreistnapen a WEN):
Verzeichnils der im Jahre 1381 erfolgten besonderen Geldbewilligun-
gen aus akademischen Mitteln zur Ausführung oder Unterstützung
wissenschaftlicher Unternehmungen . . ». » . 2 2 2.2... (LIV)— (Lv).
Veränderungen im Personalstande der Akademie im Laufe des Jahres 1881 „ (LvD—(Lvm).
Verzeichnifs der Mitglieder der Akademie am Schlusse des Jahres 1881 „ (LYIM) —(LxvI).
Abhandlungen.
Physikalisch-mathematische Klasse.
Physikalische Abhandlungen.
VırcHow: Ueber die Weddas von Ceylon und ihre Beziehungen zu
deneNachbarslämmener IE eAbheTZSsl 143.
Philosophisch-historische Klasse.
VAHLEN: Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid . . . . . Abh.I. S. 1—40.
Waırz: Ueber eine alte Genealogie der Welfen „ 7% „ 115.
ZELLER: Ueber die Messung psychischer Vorgänge . SEN —li6>
Bonn: Der Tempel der Athena Polias zu Pergamon . . „IV. „ 1-12.
Scuorr: Ueber die sprache des volkes Röng oder Leptscha in Sikkim TS l— 5:
SCHRADER: Die Sargonsstele des Berliner Museums. . . 2... „ VI. „ 1—36.
Gormus: DierAltäresvon Olympia 2 2 m 2 ua uni „Vi „ 1-43.
KA
Ale
ei I
1555 BEN? % ie mühe. Pre F
a
.= I har Al: enann Er TER ee As alu) wi
ih % . f Img na u 2 re j
RT ee angpetehen ä mkn nr?
sale rehee muynıe > 81 WR an i alias u
een o rind ui ish mein ni ar
F .; Rn vonderrmiin! IN ndrtilitninns a en
int - wrindi a nl wlan elf wii nr}
u
+. Aa ren null wu + klei ol i
un“ } nd er aha el wär
1 fr £
DSEIRUADE TFT, a
e.
TH Er FTP
2 7 : j mad. ah »igalasın ar ee are I
j Re. date vater ee Pre ankk
u j una ET BEINE 17 Inge te e
z 1 nd Hehe na DE pTZ 1 le a ren 4nE77
P - 2 wa: Tee » vuatedysınE- wich er
» “| un WG u 4
mark, non, Kahl «line wa
.
1.
Neue Statuten der Akademie, eingeführt am 1. April 1881.
Wir Wilhelm,
von Gottes Gnaden
König von Preussen ete.
für Uns und Unsere Nachkommen thun kund und geben
hiermit Allen und Jeden, denen es zu wissen nöthig ist,
in Gnaden zu vernehmen.
Nachdem Wir aus einem von Unserem Minister der
geistlichen, Unterrichts- und Mediemal- Angelegenheiten an
Uns erstatteten Bericht die Überzeugung gewonnen haben,
dass die von Unserem in Gott ruhenden Herrn Vater unter
dem 31. März 1838 für Unsere Akademie der Wissenschaften
vollzogenen Statuten mehrerer, durch die Erfahrung als noth-
7
wendig erwiesener Modificationen und Ergänzungen bedürfen,
so haben Wir in Berücksichtigung der zu Unserer Kennt-
niss gebrachten Wünsche und Vorschläge Unserer Akademie
in Gmaden beschlossen, vom 1. April dieses Jahres ab, die
vorgedachten Bestimmungen vom 31. März 1838 ausser Kraft
zu setzen, und für besagte Unsere Akademie als deren un-
mittelbarer Protector folgende Statuten anzuordnen.
1. Abschnitt
Von der Akademie überhaupt.
1.
k« ee Akademie der Wissenschaften ist eine Gesellschaft
von Gelehrten, welche zur Förderung und Erweiterung der allge-
meinen Wissenschaften, ohne einen bestimmten Lehrzweck, ein-
gesetzt ist.
2. Unser Unterrichts-Ministerium hat die Öberaufsicht über
die Akademie und vertritt dieselbe in allen Rechtsstreitigkeiten.
$2.
Die Akademie im weiteren Sinne begreift alle im $ 5 be-
zeichneten Arten von Mitgliedern, im engeren Sinne wird sie von
der Gesammtheit der ordentlichen Mitglieder gebildet. Diese be-
schliesst unter Leitung der Secretare in den Gesammtsitzungen
über die Angelegenheiten der gesammten Akademie.
3.8.
Die Akademie hat die Rechte einer privilegirten Corpora-
tion, führt ein eigenes Siegel, hat zu ihrem Gebrauch und ihren
besonderen Zwecken und Bedürfnissen ihre eigenen garantirten Lo-
cale, besitzt eigenes Vermögen und hat ihr eigenes etatsmässiges
und garantirtes Einkommen, worüber sie nach Mafsgabe der im
V. Abschnitte enthaltenen Bestimmungen verfügt.
Ss 4.
ı. Für einen Theil ihrer Geschäfte sondert sich die Akademie
in zwei Klassen, die physikalisch-mathematische und die philoso-
phisch - historische.
2. Über diejenigen Angelegenheiten, welche eine Klasse allein
betreffen, beschliesst diese Klasse, soweit es die nachfolgenden Be-
stimmungen gestatten, unabhängig von der Gesammt-Akademie in
den Klassensitzungen.
3. Zwischen den beiden Klassen findet kein Rangunterschied statt.
Zweck und
Stellung der
Akademie.
Umfang.
Allgemeine
Attribute.
Klassen.
Arten der
Mitglieder.
Ordentliche
Mitglieder.
Stellen für or-
dentliche Mit-
glieder.
VI
I. Abschnitt.
Von den Mitgliedern der Akademie.
ı. Die Akademie besteht aus 1) ordentlichen Mitgliedern,
2) auswärtigen Mitgliedern, 3) Ehrenmitgliedern, 4) correspon-
direnden Mitgliedern. Die Ehrenmitglieder sind nicht den einzel-
nen Klassen zugetheilt; die übrigen Mitglieder werden für eine
bestimmte Klasse ernannt und können nicht beiden Klassen zu-
gleich angehören.
2. Die Anciennetät der ordentlichen und auswärtigen Mitglieder
richtet sich nach der Zeit ihrer Wahl.
8 6.
Ordentliche Mitglieder können nur solche sein, die entweder
in Berlin selbst oder an einem Orte wohnen, dessen Lage und
Verbindung mit der Hauptstadt die Erfüllung der akademischen
Pflichten gestattet. Die Bezeichnung dieser Orte erfolgt durch
reslementarische Bestimmung. Verlegt ein ordentliches Mitglied
seinen Wohnsitz an einen Ort, der nicht zu der angegebenen Ka-
tegorie gehört, so geht es in die Zahl der Ehrenmitglieder über.
ST.
ı. Jede Klasse hat siebenundzwanzig Stellen für ordentliche
Mitglieder. Eine Anzahl dieser Stellen wird reglementarisch ein-
zelnen Fächern zugetheilt; die übrigen bleiben allen Gelehrten
zugänglich, deren wissenschaftliche Thätigkeit in das Gebiet der
Klasse fällt.
2. Die Akademie kann erledigte Stellen offen lassen; doch ist
die möglichst vollständige Besetzung der Fachstellen durch die
Zwecke der Akademie geboten.
Von den Mitgliedern der Akademie. VII
3. Bei Erledigung einer Fachstelle hat die Klasse darüber zu
befinden, ob eines der ordentlichen Mitglieder sich dafür eignet.
Ist dies der Fall, so rückt das Mitglied in die Stelle ein.
Ss 8.
ı. Anträge auf Besetzung von Stellen können nur von ordent-
lichen Mitgliedern der betreffenden Klasse ausgehen. Ein solcher
Antrag, in dem lediglich die zu besetzende Stelle zu bezeichnen
ist, muss schriftlich in einer ordentlichen Klassensitzung eingereicht
werden. Der vorsitzende Klassensecretar verliest denselben und
theilt ihn alsdann auch schriftlich den ordentlichen Mitgliedern
der Klasse mit. Die Verhandlung darüber findet in der nächsten
ordentlichen Klassensitzung statt.
2. Bis zum Beginn der Verhandlung kann jedes ordentliche
Mitglied der Klasse einen Wahlvorschlag für die zu besetzende
Stelle dem vorsitzenden Klassensecretar schriftlich einreichen. Ein
solcher Vorschlag, welcher durch Darlegung der Qualification des
Vorgeschlagenen motivirt sein muss, wird noch in derselben Sitzung
vom Vorsitzenden der Klasse mitgetheilt und zur Verhandlung ge-
stell. Die Entscheidung erfolgt in der nächsten ordentlichen
Sitzung, wofern die Klasse nicht für diese Entscheidung eine an-
dere ordentliche Sitzung bestimmt oder eine ausserordentliche
Sitzung ansetzt. Diese darf jedoch nicht eher als acht Tage nach
der Sitzung stattfinden, in welcher die Mittheilung des Wahlvor-
schlages erfolgt ist.
89.
Ein von der Klasse angenommener Wahlvorschlag wird dem
vorsitzenden Secretar zugefertigt und von diesem in der nächsten
ordentlichen Sitzung der Gesammt-Akademie mitgetheilt. Diese
verhandelt und entscheidet darüber in der darauf folgenden ordent-
lichen Sitzung, wofern sie nicht für die Verhandlung und Entschei-
dung eine andere ordentliche Sitzung bestimmt oder eine ausser-
ordentliche Sitzung ansetzt. Diese darf jedoch nicht eher als acht
Tage nach der Sitzung stattfinden, in welcher die Mittheilung des
Wahlvorschlages erfolgt ist.
Anträge auf
Besetzung
derselben.
Wahlvor-
schläge. Be-
handlung der-
selben in der
Klasse.
Behandlung
der Wahl-
vorschläge in
der Gesammt-
Akademie.
Wahlvor-
schläge mit
Gehalts-
anträgen.
Zurück-
ziehung der
Wahlvor-
schläge.
Einladungen.
Abstimmung
über den ein-
zelnen Wahl-
vorschlag.
Vorverfahren,
falls mehrere
Wahlvor-
schläge vor-
liegen.
(VIII) ll. Asscanıtt.
$ 10.
Bei einem Wahlvorschlage, mit welchem ein Gehaltsantrag
verbunden ist, muss jeder Verhandlung der Klasse wie der Ge-
sammt-Akademie eine Berathung des Geldverwendungs-Ausschusses
gemäss den Vorschriften des $ 49 vorausgehen.
Bo:
Die Zurückziehung eines Wahlvorschlags ist bis zum Be-
sinn der Kugelung zulässig.
Se
Zu jeder Sitzung, in welcher über einen Wahlvorschlag ver-
handelt oder entschieden werden soll, wird besonders eingeladen.
$ 13.
Sowohl die Klasse als auch die Gesammt-Akademie ent-
scheidet über einen Wahlvorschlag durch Kugelung. Der Wahl-
vorschlag ist angenommen, wenn die absolute Mehrheit aller ordent-
lichen und der etwa an der Sitzung theilnehmenden auswärtigen
Mitglieder ıhm zugestimmt hat, anderenfalls abgelehnt. Sind in der
Sitzung nicht so viel Mitglieder anwesend, so ist die Abstimmung
bis zu einer anderen ordentlichen oder ausserordentlichen Sitzung
zu vertagen. Auch aus anderen Gründen kann eine Vertagung
beschlossen werden. Doch darf dıe Abstimmung über einen Wahl-
vorschlag überhaupt nicht mehr als zweimal vertagt werden. Sind
auch in der Sitzung, in welcher hiernach eine weitere Vertagung
unzulässig ist, nicht so viel Mitglieder anwesend, als für die An-
nahme des Wahlvorschlages erfordert werden, so ist die Wahl-
angelegenheit ebenso als beendet anzusehen, wie wenn der Wahl-
vorschlag zurückgezogen worden wäre.
$ 14.
1. Liegen für eine Stelle oder für mehrere gleichartige Stel-
len (vgl. $ 7) mehrere Wahlvorschläge in einer Klassensitzung zur
Abstimmung vor, so darf doch über nicht mehr ballotirt werden,
als Stellen frei sind. Ist nur eine Stelle frei, so wird durch
Von den Mitgliedern der Akademie. (IX)
Zettel-Abstimmung nach dem im $ 25, Absatz 2 vorgeschriebenen
Verfahren entschieden, über welchen Wahlvorschlag ballotirt wer-
den soll; sind mehrere Stellen frei, so wird durch wiederholte An-
wendung desselben Verfahrens vor Beginn der Kugelung bestimmt,
über welche Wahlvorschläge zu ballotiren und welche Reihenfolge
dabei zu beobachten ist.
2. Wahlvorschläge für verschiedenartige Stellen sind nach einan-
der in einer reglementarisch festzusetzenden Reihenfolge zu erledigen.
3. In Gesammtsitzungen hat der Vorsitzende die Wahlvorschläge
nach der in der Klasse beobachteten Folge und, wenn Vorschläge
von beiden Klassen vorliegen, diejenigen seiner Klasse zuerst zur
Abstimmung zu stellen.
4. Auf Wahlvorschläge, mit denen Gehaltsanträge verbunden
sind (vgl. $ 19, Abs. 2 u. 5), finden die vorstehenden Bestimmungen
keine Anwendung. Die Abstimmung darüber erfolst, falls noch
Wahlvorschläge ohne Gehaltsanträge vorliegen, erst wenn diese
erledigt und die betreffenden Stellen nicht dadurch besetzt worden
sind. Liegen in einer Sitzung sowohl Wahlvorschläge mit Anträgen
auf Bewilligung von besonderen Fachgehalten (vgl. $ 19 Abs. 2)
vor als auch solche mit Anträgen auf Bewilligung von besonderen
persönlichen Gehalten (vgl. $ 19 Abs. 3), so sind die ersteren vor
den letzteren und unter einander in der durch die obigen Bestim-
mungen (vgl. Abs. 1, 2, 3) sich ergebenden Reihenfolge zu erledi-
gen. Liegen mehrere Wahlvorschläge mit Gehaltsanträgen der letz-
teren Art vor, so wird sowohl in der Klasse als auch in der Ge-
sammt-Akademie vor Beginn der Kugelung durch Zettelabstimmung
nach dem im $ 25, Absatz 2 vorgeschriebenen Verfahren bestimmt,
über welchen Vorschlag oder, falls mehrere angenommen werden
können, über welche Vorschläge zu ballotiren und welche Reihen-
folge dabei zu beobachten ist.
$ 15.
Die geschehene Wahl eines ordentlichen Mitgliedes unter-
liest Unserer Bestätigung und ist dem vorgeordneten Ministerium
behufs Einholung derselben anzuzeigen.
Bestätigung
der Wahl.
(X) ll. Asscasırmt.
$ 16.
Ernennung Wenn ein Gelehrter, der nicht in Berlin oder einem nach
auswärsWoh- g 6 peglementarisch damit gleichgestellten Orte wohnt, zum ordent-
nender zu or-
dentlichen lichen Mitgliede der Akademie ernannt wird, so hat er Behufs Ein-
Mitgliedern. tritts in die Akademie seine Übersiedelung innerhalb sechs Monaten
nach Bestätigung seiner Wahl zu bewirken. Hat er innerhalb dieser
Frist seinen Wohnsitz nicht nach Berlin verlegt, so geht er in die
Zahl der Ehrenmitglieder über. Die Frist kann durch Beschluss
der Akademie im einzelnen Falle verlängert werden.
Sn17:
Rechte und 1. Die ordentlichen Mitglieder sind berechtigt und verpflichtet,
Pflichten der „n den Arbeiten der Akademie theilzunehmen; sie haben Sitz und
ordentlichen
Mitglieder in Stimme sowohl ın der Gesammt-Akademie als auch in ihrer Klasse
Bezug auf die und sind befugt, den Sitzungen der anderen Klasse beizuwohnen
akademische
“2... und deren Protokolle einzusehen.
Thätigkeit.
2. Wer fünfundzwanzig Jahre lang ordentliches Mitglied ge-
wesen ist oder das siebzigste Lebensjahr überschritten hat, ist,
wenn er eine diesfallsige Erklärung abgibt, von der Verpflichtung,
die im $ 33 Absatz 3 bestimmten wissenschaftlichen Vorträge zu
halten, entbunden.
SUB,
Rechte der Die ordentlichen Mitglieder der Akademie haben das Recht
ordentlichen auf die Benutzung aller Unserer öffentlichen der Wissenschaft und
Ar Kunst gewidmeten Institute und Sammlungen, und zwar in der
Akademie. grössten nach den bestehenden Vorschriften zulässigen Ausdehnung.
Sie haben ausserdem die Befugniss, bei der hiesigen sowie bei jeder
anderen preussischen Universität Vorlesungen zu halten, und ge-
niessen dabei gleiche Rechte mit den Professoren nach Mafsgabe
der Universitäts-Statuten, haben sich aber auch nach deren auf
die Vorlesungen bezüglichen Festsetzungen zu richten.
Von den Mitgliedern der Akademie. (X)
SE1O:
ı. Jede der vierundfünfzig Stellen für ordentliche Mitglieder
ist mit einem Jahresgehalt von Neunhundert Mark dotirt. In den
Bezug dieses Gehalts treten die Mitglieder nach der Anciennetät
($ 5 Abs. 2), sobald ein solches verfügbar wird.
2. Für zwei ordentliche Mitglieder der physikalisch-mathemati-
schen Klasse und zwar für einen Botaniker und einen Chemiker,
so wie für zwei ordentliche Mitglieder der philosophisch-historischen
Klasse, welche Philologen oder Historiker sein müssen, sind neben
den gewöhnlichen Jahresgehalten besondere Gehalte ausgeworfen.
Mit dem Gehalte des Chemikers ist das Recht auf die Amtswohnung
in dem dazu bestimmten Hause der Akademie und auf Benutzung
der übrigen Räume desselben zu wissenschaftlichen Zwecken ver-
knüpft, sofern sich die Akademie nicht einzelne Räume zu ander-
weitiger Benutzung vorbehält. Ein solches besonderes Fachgehalt
wird dem betreffenden Mitgliede für die Verwaltung eines beson-
deren Amts, namentlich einer Lehrstelle oder der Direetion eines
wissenschaftlichen Instituts als freiwilliger Zuschuss zu den wissen-
schaftlichen Staatszwecken auf völlig freien Beschluss der Akademie
gegeben und verbleibt demselben nur so lange, als es das beson-
dere Amt verwaltet; zur Zahlung einer Pension nach Niederlegung
dieses Amts ist die Akademie nicht verpflichtet.
3. Die Akademie kann ausserdem aus den ihr dazu gewährten
Fonds ordentlichen Mitgliedern ein besonderes persönliches Gehalt
auf die Dauer ihrer Eigenschaft als ordentliches Mitglied oder auf
eine anderweit zu bestimmende Zeitdauer bewilligen.
4. Die Bewilligung beider Arten von besonderen Gehalten kann
auch schon bei der Wahl erfolgen, wenn mit dem Wahlvorschlag ein
dahin gehender Antrag verbunden worden ist (vgl. $ 10), und bedarf
in allen Fällen der Zustimmung des vorgeordneten Ministeriums.
5. Der Wittwe eines verstorbenen ordentlichen Mitgliedes oder,
wenn eine Wittwe nicht hinterblieben ist, den ehelichen Nach-
kommen wird für das ganze akademische Gehalt, welches der Ver-
storbene zuletzt bezogen hat, ein Gnadenjahr von dem ersten Tage
des dem Ableben zunächst folgenden Monats an bewillist.
B+
Stellen-
Gehalte.
Besondere
Fachgehalte.
Besondere
persönliche
Gehalte.
Bewilligung
der besonde-
ren Gehalte.
Gnadenjahr.
Auswärtige
Mitglieder.
Ehrenmit-
glieder.
(x) II. Apscantrr.
8.20.
ı. Auswärtige Mitglieder können nur solche sein, die nicht in
Berlin oder einem nach $ 6 reglementarisch damit gleichgestellten
Orte wohnen.
2. Jede Klasse hat zehn Stellen für auswärtige Mitglieder. Es
steht der Akademie frei, erledigte Stellen offen zu lassen. Für
Anträge auf Besetzung derselben sowie für das weitere Verfahren
in Bezug auf Vorschlag, Wahl und Bestätigung der auswärtigen
Mitglieder sind die in den $$ 8, 9 und 11 bis 15 festgesetzten
Bestimmungen malsgebend.
3. Die auswärtigen Mitglieder haben alle in den $$ 17 und 18
den ordentlichen Mitgliedern beigelegten Rechte. Bei zeitweiliger
Anwesenheit in Berlin erhalten sie, wenn sie beim vorsitzenden
Secretar das Verlangen stellen, alle Einladungs- und Umlaufs-
Schreiben ebenso wie die ordentlichen Mitglieder.
4. Verlegt ein auswärtiges Mitglied seinen Wohnsitz nach Berlin
oder eimem reglementarisch gleichgestellten Orte, so wird es mit
der ihm nach $ 5 zustehenden Ancıiennetät unter die ordentlichen
Mitglieder aufgenommen und rückt, wenn eine der im $ 7 fest-
gesetzten Stellen erledigt ist oder erledigt wird, in dieselbe ein,
sofern dies eine nach dem Urtheil der Klasse für ihn geeignete
Fachstelle ist (vgl. $ 7 Absatz 5) oder eine derjenigen Stellen,
welche keinem besonderen Fache vorbehalten sind. Lehnt das
Mitglied die Aufnahme unter die ordentlichen Mitglieder ab, so
tritt es in die Reihe der Ehrenmitglieder.
$ 21.
ı. Zu Ehrenmitgliedern können hiesige Gelehrte ernannt wer-
den, welche bei sonst vorhandener Qualification deswegen nicht zu
ordentlichen Mitgliedern erwählt werden können, weil sie nicht in
der Lage sind, die damit verbundenen Pflichten zu erfüllen.
2. Zu Ehrenmitgliedern können ferner Hiesige und Auswärtige
gewählt werden, welche sich durch Interesse für wissenschaftliche
Forschungen auszeichnen und geeignet erscheinen, dieses Interesse
durch Förderung der Bestrebungen der Akademie zu bethätigen.
Von den Mitgliedern der Akademie. (XI)
3. Die Anzahl der Ehrenmitglieder ist keiner Beschränkung
unterworfen. Ein Vorschlag zur Wahl ist von einem oder mehre-
ren ordentlichen Mitgliedern in einer ordentlichen Sitzung ihrer
Klasse schriftlich und motivirt einzureichen und alsdann nach den
im $ 8 Absatz 2, und in den $$ 9, 11, 12, 13 gegebenen Vorschriften
zu behandeln. Wenn in einer und derselben Sitzung über ver-
schiedene Wahlvorschläge abzustimmen ist, so geschieht dies nach
alphabetischer Ordnung. Die Wahl eines Ehrenmitgliedes unterliegt
Unserer Bestätigung und ist dem vorgeordneten Ministerium behufs
Einholung derselben anzuzeigen.
4. Die Ehrenmitglieder sind berechtigt, an den öffentlichen
Sitzungen als Akademiker theilzunehmen, und die hiesigen werden
dazu jedesmal besonders eingeladen. Die Ehrenmitglieder können
auch jeder anderen Gesammtsitzung beiwohnen, darin wissen-
schaftliche Mittheilungen machen und an den geschäftlichen Ver-
handlungen mit berathender Stimme sich betheiligen.
$ 22.
ı. Zu correspondirenden Mitgliedern können Gelehrte erwählt
werden, welche nicht in Berlin oder einem nach $ 6 reglemen-
tarısch damit gleichgestellten Orte wohnen. Wenn sie später da-
hin übersiedeln, so behalten sie ihre Eigenschaft als correspondi-
rende Mitglieder bei.
2. Jede Klasse hat hundert, reglementarisch einzelnen Fächern
zugetheilte Stellen für correspondirende Mitglieder. Es steht der
Akademie frei, erledigte Stellen offen zu lassen. Für Anträge auf
Besetzung derselben sowie für das weitere Verfahren in Bezug auf
Vorschlag und Wahl der correspondirenden Mitglieder selten die
in den $$ 8, 9, 11, 12, 13 enthaltenen Bestimmungen und diejenigen
des $ 14 mit der Malssgabe, dass, wenn die Anzahl der in einer
Klassensitzung für gleichartige Stellen vorliegenden Wahlvorschläge
nicht grösser als die der zu besetzenden Stellen ist, nach alpha-
betischer Ordnung ballotirt wird, falls nicht einer der Antragsteller
dagegen Widerspruch erhebt.
Correspondi-
rende Mitglie-
der.
Aus-
schliessung
der
Mitglieder.
(XIV) ll. AgBscanımt.
3. Die correspondirenden Mitglieder sind berechtigt, an den
öffentlichen Sitzungen als Akademiker theilzunehmen, auch jeder
anderen Gesammtsitzung so wie jeder Sitzung ihrer Klasse beizu-
wohnen und darin wissenschaftliche Mittheilungen zu machen. Bei
den geschäftlichen Verhandlungen dürfen sie zugegen sein, haben
aber hierbei weder eine berathende noch eine beschliessende Stimme.
$ 23.
Die Akademie hat die Befugniss, auf schriftlichen und mo-
tivirten Antrag eines ordentlichen Mitgliedes oder auf Grund der
Mittheilung einer Staatsbehörde ein Mitglied auszuschliessen: doch
kann dies nur in einer eigens dazu anberaumten Sitzung unter Zu-
stimmung der absoluten Mehrheit aller ordentlichen und der etwa
an der Sitzung theilnehmenden auswärtigen Mitglieder geschehen.
Von der Ausschliessung eines ordentlichen, auswärtigen oder Ehren-
mitgliedes ist Uns dureh Vermittelung des vorgeordneten Ministe-
rıums Anzeige zu machen.
(XV)
II. Abschnitt.
Von den Secretaren und den
Beamten der Akademie.
$ 24.
ı. Die Akademie hat vier beständige Secretare, je zwei aus
jeder Klasse.
2. Die Secretarstellen werden auf Lebenszeit verliehen und sind
mit einem etatsmässigen Gehalt von Achtzehnhundert Mark ver-
bunden, auf welches die im $ 19 für das Gnadenjahr gegebenen
Bestimmungen Anwendung finden.
3. Die Amts-Anciennetät der Secretare richtet sich nach der
Zeit, wo sie zu Secretaren erwählt sind, und nach dieser rangiren
sie, abgesehen von dem jedesmaligen Vorsitzenden, bei feierlichen
Repräsentationen und bei der Unterzeichnung von Ausfertigungen.
4. Jeder Secretar führt ein Amtssiegel.
$ 25.
ı. Jede der beiden Klassen wählt den aus ihrer Mitte zu be-
stellenden Secretar für sich allein. Der Wahltag wird in einer
Sitzung, zu welcher besonders einzuladen ist, durch Klassenbeschluss
festgesetzt. Zu der Sitzung, in welcher die Wahlhandlung erfol-
gen soll, muss eingeladen werden.
2. Die Wahl wird von den Anwesenden durch verdeckte, un-
unterschriebene Stimmzettel vollzogen; die Entscheidung erfolgt
durch absolute Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen. Stellt
bei einer Wahl eine absolute Mehrheit sich nicht heraus, so wird
derjenige, welcher die wenigsten Stimmen hat, oder wenn dies
mehrere sind, einer derselben, welcher durch das Loos zu bestim-
men ist, aus der Zahl der Candidaten ausgeschieden und eine neue
Wahl vorgenommen, bei welcher nur auf die übrigen Namen lau-
tende Stimmzettel gültig sind. In dieser Weise wird fortgefahren,
Die
Secretare.
Wahl der-
selben.
Functionen
der Secretare.
Der
vorsitzende
Secretar.
(XV) Ill. ABscanıtt.
bis einer der Candidaten die absolute Mehrheit oder jeder von
zwei Candidaten die Hälfte aller abgegebenen gültigen Stimmen
erhalten hat. Im letzteren Falle entscheidet das Loos.
3. Die geschehene Wahl unterliegt Unserer Bestätigung und
ist dem vorgeordneten Ministerium behufs Einholung derselben
anzuzeigen.
$ 26.
1. Die Secretare haben die Geschäfte der Akademie zu leiten
und ihre Beschlüsse auszuführen. Sie berathen und beschliessen
als Collegium über die ihnen obliegenden Geschäfte und können
einzelne derselben unter sich vertheilen.
2. Im Vorsitz und der damit verbundenen Leitung der Ge-
schäfte der Gesammt-Akademie wechseln die Secretare von vier
zu vier Monaten und zwar, wenn nicht durch Übereinkunft eine
andere Reihenfolge festgesetzt wird, nach derjenigen ihrer Ancienne-
tät im Amt. In Behinderungsfällen tritt für den vorsitzenden Se-
cretar der in der Amts-Anciennetät nächstvorhergehende Secretar
ein. Sind alle vier Secretare verhindert, so übernimmt das der
Anciennetät nach erste von den übrigen ordentlichen Mitgliedern,
welches sich dazu bereit erklärt, die Leitung der Geschäfte.
8.27.
ı. Der geschäftsleitende Secretar der Akademie wird der vor-
sitzende Secretar genannt. Er führt das grosse Siegel der Aka-
demie und hat die Oberaufsicht über die Beamten und die Re-
gistratur. Er beruft die Mitglieder zu ausserordentlichen Sitzun-
gen sowie die Secretare zu den Sitzungen des Secretariats, erlässt
alle Einladungen, führt in den Sitzungen der Gesammt-Akademie
und des Secretariats den Vorsitz, hat bei allen mündlichen Ab-
stimmungen für den Fall der Stimmengleichheit eine entscheidende
Stimme, unterzeichnet die Protokolle und sorgt für die Ausführung
der gefassten Beschlüsse. Er führt die Correspondenz der Aka-
demie, eröffnet alle an die Gesammt-Akademie und das Secretariat
eingehenden Schreiben, lest dieselben vor und veranlasst deren
weitere geschäftliche Behandlung. Er ist für die Beobachtung der
Von den Secretaren und den Beamten der Akademie. (xvin
Statuten verantwortlich und daher auch befugt, nöthigenfalls den
Beistand des vorgeordneten Ministeriums nachzusuchen. Bei Nieder-
legung seiner viermonatlichen Amtsführung hat er mit Zuziehung
des Archivars seinem Nachfolger ein Verzeichniss der unerledigten
Gegenstände zu übergeben.
2. Nur der vorsitzende Secretar, in Behinderungsfällen sein
Vertreter, ist befugt, Rechtsgeschäfte im Namen der Akademie vor-
zunehmen, und wird als solcher erforderlichenfalls durch eine Be-
scheinigung des vorgeordneten Ministeriums legitimirt. Zur Em-
pfangnahme von Geldern ist jedoch nach $45 auch die Kasse
des Ministeriums ermächtigt.
$ 28.
ı. Im Vorsitz und der damit verbundenen Leitung der Ge-
schäfte der einzelnen Klassen wechseln die beiden derselben Klasse
angehörigen Secretare von vier zu vier Monaten oder nach Über-
einkunft.
2. Der geschäftsleitende Secretar der Klasse wird der vor-
sitzende Klassensecretar genannt. Er hat in Bezug auf die Ange-
legenheiten der Klasse alle Pflichten und Befugnisse, welche nach
$ 27 dem vorsitzenden Secretar in Bezug auf die Angelegenheiten
der Gesammtakademie zukommen.
3. In Behinderungsfällen wird der vorsitzende Klassensecretar
von dem anderen vertreten; ist auch dieser verhindert, so tritt das
der Anciennetät nach erste von den übrigen ordentlichen Mitsglie-
dern der Klasse ein, welches sich dazu bereit erklärt.
8 29.
Der vorsitzende Secretar kann, wenn er eine Berathung zur
Vorbereitung eines Geschäfts oder zur Ausführung eines Beschlusses
nöthig findet, oder wenn er glaubt, dass das Secretariat auf eigene
Verantwortung schleunig handeln müsse, die Secretare zu einer
Sitzung versammeln. Auch kann jeder der anderen Secretare unter
Angabe der Gründe den Zusammentritt des Secretariats verlangen.
Jeder Secretar, der sich bei einem in diesen Sitzungen gefassten
c
Der vorsitzen-
de Klassen-
secretar.
Sitzungen
des
Secretariats.
Die Aus-
fertigungen,
welche im Na-
men der Aka-
demie oder
einer Klasse
erfolgen.
Beamte
der
Akademie.
(xvIm) Ill. Asschsrrr.
Beschlusse in der Minderheit befunden hat, ist berechtigt ein Se-
paratvotum zu den Acten beilegen oder einem schriftlichen Be-
richte beifügen zu lassen, wenn er in der Sitzung selbst dies zu
thun sich vorbehalten hat. Über die Verhandlungen des Secreta-
riats braucht kein Gesammtprotokoll aufgenommen zu werden;
doch ist jeder einzelne Beschluss gehörigen Orts besonders zu
vermerken.
$ 30.
ı. Die Concepte zu bedeutenderen im Namen der Akademie
zu erlassenden Schreiben legt der vorsitzende Secretar den übri-
gen in einer Versammlung oder mittels Umlaufs vor. Bei ein-
tretender Meinungsverschiedenheit entscheidet die Mehrheit, im
Falle der Stimmengleichheit der vorsitzende Secretar. Die Con-
cepte zu bedeutenderen im Namen einer Klasse zu erlassenden
Schreiben legt der vorsitzende Klassensecretar dem anderen zur
Kenntnissnahme und Begutachtung vor.
2. Sämmtliche Ausfertigungen werden vom geschäftsleitenden
Secretar, die, welche für das vorgeordnete Ministerium bestimmt
sind, von allen Secretaren unterzeichnet. An Uns gerichtete Im-
medıiat-Vorstellungen werden ebenfalls von allen Secretaren oder,
wenn die Akademie dies beschliesst, von sämmtlichen ordent-
lichen Mitgliedern unterschrieben. Die Unterschrift des geschäfts-
leitenden Secretars erfolgt stets an erster Stelle (vgl. $ 24).
881:
1. Die etatsmässig besoldeten Beamten der Akademie (gegen-
wärtig ein Archivar, welcher die Bureau- und Rechnungsgeschäfte
versieht und die Bibliothek sowie sämmtliches Inventar der Aka-
demie verwaltet, ein Canzlist, ein Castellan und ein Bote) werden
auf Vorschlag des Secretariats in einer Gesammtsitzung, zu der
besonders einzuladen ist, durch mündliche Abstimmung auf Lebens-
zeit oder auf eine anderweit zu bestimmende Zeitdauer gewählt.
Die Wahl bedarf der Bestätigung des vorgeordneten Ministeriums.
Jedes Amt wird nach einer reglementarisch festgesetzten Instruc-
Von den Secretaren und den Beamten der Akademie. (XIX)
tion verwaltet; die Beamten haben sich ausserdem nach den An-
weisungen des vorsitzenden Secretars zu richten.
2. In Betreff des Gehalts verstorbener Beamten der Akademie
sind die für Unsere Beamten überhaupt gültigen Bestimmungen
massgebend.
(AXX)
IV. Abschnitt.
Von den Sitzungen, Arbeiten und
Schriften der Akademie.
592,
Von An den Sitzungen der Akademie nehmen die Mitglieder nach
len Si ven - B > . rn .
“en St20D8®N Massgabe ihrer im II. Abschnitte festgesetzten Berechtigungen An-
überhaupt. 7 = f BR = =
theil. Während der wissenschaftlichen Verhandlungen ist auch
anderen Personen, die von einem Mitgliede eingeführt und dem
geschäftsleitenden Secretar vorgestellt sind, die Anwesenheit ge-
stattet.
$ 33.
Ordentliche ı. Die Akademie hält ihre ordentlichen Sitzungen wöchentlich
A Donnerstags und zwar abwechselnd vereint und in Klassen geson-
dert. Die Folge der ordentlichen Sitzungen muss auch bei jeder
durch die Festsitzungen und Ferien nach den $$ 38, 39 bedingten
Unterbrechung eine derartige sein, dass zwischen je zwei Sitzungs-
tagen der Gesammt-Akademie ein Donnerstag liest, an dem beide
Klassen ihre Sitzungen halten.
Liste der 2. Diesen Bestimmungen gemäss werden zu Ende jedes Jahres
Szungstage die Sitzungstage für die nächsten fünfzehn Monate vom Secretariat
festgestellt und den ordentlichen Mitgliedern bekannt gemacht.
Regelmässige 3. In jeder ordentlichen Sitzung wird von einem der ordent-
N lichen Mitglieder ein wissenschaftlicher Vortrag gehalten. Die
“ Reihenfolge bestimmt sich nach der Anciennetät; in der aufzu-
stellenden Liste der Sitzungstage (vgl. Absatz 2) ist bei jedem
einzelnen auch der Name des zum Vortrage verpflichteten Mit-
sliedes mit zu vermerken. Falls Mitglieder mit einander für den
einzelnen Fall ihre Stellen in der Reihenfolge tauschen, hat der-
jenige, welcher sich vertreten lässt, den geschäftsleitenden Secretar
von der Stellvertretung in Kenntniss zu setzen.
Von den Sitzungen, Arbeiten und Schriften der Akademie. (XxX1)
4. Nach Beendigung des wissenschaftlichen Vortrages Seitens
des hierzu verpflichteten Mitgliedes steht es auch anderen Mitgliedern
frei, wissenschaftliche Mittheilungen oder Bemerkungen zu machen
und überhaupt in irgend welcher Weise wissenschaftliche Gegen-
stände zur Sprache zu bringen.
5. Zuletzt werden die geschäftlichen Angelegenheiten erledigt.
$ 34.
ı. Ausserordentliche Gesammtsitzungen sind nach Ermessen des
vorsitzenden Secretars oder auf Beschluss der Gesammt-Akademie,
ausserordentliche Klassensitzungen nach Ermessen des vorsitzenden
Klassensecretars oder auf Beschluss der Klasse abzuhalten.
2. Zu jeder ausserordentlichen Sitzung hat der geschäftsleitende
Secretar die Mitglieder einzuladen.
3. Beruft der vorsitzende Secretar eine ausserordentliche Sitzung
der Gesammt-Akademie auf einen Zeitpunkt, wo eine Klassensitzung
ansteht, so wird diese bis nach Schluss der Gesammtsitzung auf-
geschoben.
3.
os
€
072
1. Der geschäftsleitende Secretar kann auch abgesehen von
den Fällen, in welchen es statutenmässig vorgeschrieben ist
(vgl. $$ 12, 25, 31, 34, 47, 49, 53), zu einer Sitzung besonders
einladen. Der Gegenstand, durch welchen die Einladung veran-
lasst wird, ist dabei im Allgemeinen zu bezeichnen.
2. Jede Einladung muss an alle ordentlichen Mitglieder (vgl.
auch $ 20, Absatz 3) und in einer reglementarisch näher zu be-
stimmenden Weise so ergehen, dass die Behändigung festgestellt
werden kann.
$ 36.
ı. Der Vorsitzende bestimmt die Reihenfolge der geschäftlichen
Vorlagen und Verhandlungen, unbeschadet des Rechts der Versamm-
lung Änderungen zu beschliessen.
Sonstige
wissenschaft-
liche Mit-
theilungen.
Geschäfts-An-
gelegenheiten.
Ausserordent-
liche Sitzun-
gen.
Einladungen
zu den
Sitzungen.
Reihenfolge
der Verhand-
lungen.
Geschäftliche
Anträge und
deren Be-
handlung.
Abstimmung
über
Geschäfts-
angelegen-
heiten.
Protokolle.
Commissarien
und Com-
missionen,
Öffentliche
Sitzungen.
(XXI) IV. Agscanttr.
2. Jedes ordentliche Mitglied kann einen geschäftlichen Antrag
stellen, muss ihn aber, wenn es der Vorsitzende verlangt, schrift-
lich einreichen. Der Antrag wird, je nachdem der Vorsitzende
oder auch die Versammlung darüber bestimmt, sogleich oder in
einer folgenden Sitzung zur Verhandlung gestellt.
3. Abgesehen von den Fällen, für welche ausdrücklich andere
Vorschriften gegeben sind, wird über Geschäftsangelegenheiten
mündlich abgestimmt und durch absolute Stimmenmehrheit ent-
schieden. Jeder, der sich dabei in der Minderheit befunden hat,
kann verlangen, dass ein bezüglicher Vermerk in das Protokoll
aufgenommen werde; auch steht jedem stimmfähigen Mitgliede das
Recht zu, ein Separatvotum zu den Acten beilegen oder einem
beschlossenen Berichte beifügen zu lassen, wenn es in der Sitzung
selbst dies zu thun sich vorbehalten hat. Vertretung Abwesender
ist bei Abstimmungen unzulässig.
4. Das Protokoll einer jeden Sitzung ist in der nächsten
ordentlichen Sitzung zur Genehmigung vorzulegen.
$ 37.
Die Gesammt-Akademie kann dem Secretariat oder einer
der Klassen einen Gegenstand zur Berichterstattung oder zur ent-
scheidenden Erledigung überweisen. Auch kann die Gesammt-
Akademie und jede der beiden Klassen für ein bestimmtes Ge-
schäft wie zur Berichterstattung über einen wissenschaftlichen
oder geschäftlichen Gegenstand einen einzelnen Commissar be-
stellen oder eine Commission niedersetzen. Die Wahl von Com-
missarien und Commissions-Mitgliedern erfolgt durch mündliche
oder, falls ein Mitglied darauf anträgt, durch geheime Abstimmung
mittels des im $ 25, Absatz 2, vorgeschriebenen Verfahrens.
S 88.
1. Die Gesammt-Akademie hält jährlich drei öffentliche Sitzun-
gen, die eine zum Andenken an Leibniz, als ersten Präsidenten
der hiesigen Societät der Wissenschaften, am 1. Juli, falls dieser
Von den Sitzungen, Arbeiten und Schriften der Akademie. (XXIN)
auf einen Donnerstag fällt, oder am nächstliegenden Donnerstage,
die andere zur Feier der Geburt Friedrichs II. als Erneuerers der
Akademie, am 24. Januar, falls dieser auf einen Donnerstag fällt,
oder am nächstliegenden Donnerstage, die dritte am Geburtstage
des regierenden Königs, falls dieser auf einen Donnerstag fällt,
oder am nächstliegenden Donnerstage.
2. In diesen Sitzungen führen die Secretare abwechselnd nach
einer besonderen, reglementarisch bestimmten Reihenfolge den Vor-
sitz, und es bleibt dem jedesmaligen Vorsitzenden überlassen, einen
Festvortrag zu halten oder die Sitzung nur mit einleitenden Worten
zu eröffnen.
3. In der dem Andenken von Leibniz gewidmeten Sitzung
halten die seit dem letzten Leibniztage eingetretenen ordentlichen
Mitglieder ihre Antrittsreden, von welchen jede von einem der
Seeretare beantwortet wird; auch werden in dieser Sitzung die
von der Akademie beschlossenen Gedächtnissreden auf verstorbene
Mitglieder gehalten.
4. Ferner erfolgt in den öffentlichen Sitzungen nach näheren
reglementarischen Festsetzungen die Verkündung der Beschlüsse
bezüglich der Ertheilung von Preisen, die Mittheilung von Jahres-
berichten über die Personalveränderungen und sonstigen Ereignisse
in der Akademie, über die Arbeiten und Unternehmungen derselben
und über die mit der Akademie in Verbindung stehenden wissen-
schaftlichen Unternehmungen und Stiftungen.
5. Überdies können in den öffentlichen Sitzungen nach Be-
schluss der Akademie von ordentlichen Mitgliedern noch wissen-
schaftliche Abhandlungen gelesen werden und zwar auch solche,
die bereits in einer ordentlichen Sitzung vorgetragen worden sind.
6. Für jede öffentliche Sitzung ist das Programm von dem
Secretar, welcher darin den Vorsitz zu führen hat, so zeitig fest-
zustellen, dass es mindestens drei Wochen vorher der Gesammt-
Akademie zur Genehmigung vorgelegt werden kann.
7. An den Tagen, an welchen die öffentlichen Sitzungen gehal-
ten werden, findet keine ordentliche Sitzung statt.
Ferien.
Wissenschaft-
liche Unter-
nehmungen
und Preiser-
theilungen.
Sitzungsbe-
richte und
Denkschrif-
ten.
(XXIV) IV. Asscanıtm.
$ 59.
Die Ferien der Akademie beginnen mit dem ersten August
und dauern elf Wochen. Festferien sind die Charwoche, der
Himmelfahrtstag, die Pfingstwoche und die beiden Wochen, inner-
halb welcher das Weihnachts- und Neujahrsfest fallen.
$ 40.
Die Akademie hat ihrer im $ 1 angegebenen Bestimmung
zufolge wissenschaftliche Unternehmungen ihrer Mitglieder oder
anderer Gelehrter zu fördern, insonderheit solche, für welche die
gemeinsame Thätigkeit verschiedener Gelehrten nöthig erscheint,
sowie solche, welche durch ihren Umfang, ihre Dauer oder ihre
Kostspieligkeit das Eintreten der Akademie erfordern. Ferner ge-
hört es gemäss der Bestimmung der Akademie zu ihren Aufgaben,
rein wissenschaftlichen Zwecken gewidmete Stiftungen zu ver-
walten oder bei deren Verwaltung mitzuwirken, so wie endlich
durch Ertheilung von Preisen Forschungen auf bestimmten Ge-
bieten anzuregen oder zu begünstigen. Die für die Ertheilung
von Preisen massgebenden Grundsätze und Vorschriften sind re-
slementarisch festzustellen.
$ 41.
ı. Die Akademie gibt Sitzungsberichte und Denkschriften her-
aus, deren Redaction das Secretariat gemäss einem von demselben
zu entwerfenden und von der Gesammt-Akademie festzustellenden
Reglement besorgt. Die ordentlichen und auswärtigen Mitglieder
erhalten von dem Jahre ihres Eintritts an Exemplare derselben.
2. Für die Aufnahme einer wissenschaftlichen Mittheilung oder
Abhandlung in die akademischen Publicationen bedarf es einer
ausdrücklichen Genehmigung der Akademie oder einer der Klassen.
Ein darauf gerichteter Antrag kann, sobald das Manuseript druck-
fertig vorliegt, sowohl in einer Gesammtsitzung als auch in einer
Klassensitzung gestellt und sogleich zur Abstimmung gebracht wer-
den. Wenn in Hinsicht auf den erforderlichen Kostenaufwand oder
in irgend welcher anderen Beziehung eine nähere Erwägung ange-
“
Von den Sitzungen, Arbeiten und Schriften der Akademie. (XXV)
messen erscheint, kann eine Vorberathung durch das Secretariat
oder durch eine Commission oder, falls der Antrag in der Ge-
sammt-Akademie eingebracht ist, die Verweisung an eine der bei-
den Klassen beschlossen werden (vgl. $ 37). Über jeden Antrag
auf Veröffentlichung in den Schriften der Akademie sowie über
dessen geschäftliche Behandlung kann der Vorsitzende geheim ab-
stimmen lassen, und er ist dazu verpflichtet, sobald eines der an-
wesenden Mitglieder es verlangt.
Grund- und
Capital- Ver-
mögen der
Akademie.
Das
sonstige be-
wegliche Ver-
mögen der
Akademie.
(xXVI)
V. Abschnitt.
Von dem Vermögen der Akademie,
von ihrem Einkommen und von
dessen Verwendung.
ı. Verfügungen der Akademie über ihr Grund- und Capital-
Vermögen bedürfen der Zustimmung des vorgeordneten Ministeriums.
Durch die ministerielle Genehmigung eines auf die Vornahme eines
Rechtsgeschäftes gerichteten Beschlusses der Akademie wird der
nach $ 27 Abs. 2 befugte Vertreter der Akademie ermächtigt, das-
selbe im Namen der Akademie abzuschliessen.
2. Das vorgeordnete Ministerium bewahrt die der Akademie ge-
hörigen Gelder, geldwerthen Papiere und Documente auf.
3. Soweit die Akademie ihre Grundstücke nach $ 19 Abs. 2 zu
wissenschaftlichen Staatszwecken zur Verfügung stellt, hat sie zu
Bau- und Reparaturkosten nichts beizutragen.
$ 43.
1. Verfügungen der Akademie über Exemplare ihrer Druck-
schriften, über Werke, die ihr überreicht oder überschickt werden,
sowie über einzelne Stücke ihrer Sammlungen und ihres Inventars
bedürfen der im $ 42 vorgeschriebenen ministeriellen Genehmigung
nicht. Bezügliche Anträge sind nach den allgemeinen für geschäft-
liche Anträge überhaupt geltenden Bestimmungen (vgl. $ 36) zu
behandeln und zu erledigen. Diejenigen der Akademie zugegange-
nen Werke, welche sie nicht ihrer eigenen Bibliothek einverleibt
oder zu anderer Verwendung bestimmt, sind an Unsere grosse
Bibliothek abzugeben.
2. Derjenige Theil des Vermögens der Akademie, welcher im
Inventar und Betriebscapital ihrer Druckerei besteht, wird als „Ver-
mögen der akademischen Druckerei“ getrennt von dem übrigen
Von dem Vermögen der Akademie. (XXVı
Vermögen der Akademie verwaltet, und es wird darüber besonders
Buch und Rechnung geführt. Die oberste Leitung des Betriebes
und der Geschäfte der Druckerei, sowie die Verfügung über das
Vermögen derselben steht dem Seeretariat zu, welches nach aussen
durch den vorsitzenden Secretar allein vertreten wird. Doch be-
darf es zu einem Übergang der Betriebsleitung an Andere, zur
Verpachtung und zum Verkauf der Druckerei, ebenso wie zur Über-
tragung von Fonds aus dem Vermögen derselben in das übrige
Vermögen der Akademie und umgekehrt eines nach den Vorschrif-
ten des $ 49 gefassten und vom vorgeordneten Ministerium ge-
nehmigten Beschlusses.
$ 44.
ı. Die regelmässigen jährlichen Einnahmen der Akademie be-
stehen: 1) ın dem Ertrage ihres Vermögens, 2) in der Dotation
von 62229 Mark, welche ihr gegen Einziehung der früheren Ein-
künfte aus den von des Königs Friedrich Wilhelm III. Majestät
mittels Cabinetsordre vom 16. August 1809 für die wissenschaft-
lichen Anstalten ausgesetzten Fonds als Jahresrente verliehen wor-
den ist, 3) in dem ihr aus allgemeinen Staatsfonds bewilligten
Bedürfniss-Zuschusse, und 4) ihrem eigenen Erwerb.
2. Die Verwendung der Einnahmen erfolgt 1) zu Besoldungen
und Remunerationen gemäss $ 50, 2) zur Ertheilung von Preisen,
zur Herausgabe der akademischen Schriften, zur Erhaltung und
Vermehrung der Bibliothek und der sonstigen Sammlungen der Aka-
demie, zur Bestreitnng aller Arten von Amts- und Hausbedürfnissen,
der Kosten für Heizung, Beleuchtung und bauliche Einrichtungen
gemäss $51, und 3) zu wissenschaftlichen Zwecken im Allgemeinen
gemäss $ 52. So weit hierbei für die von den einzelnen Klassen
vertretenen Interessen besonders zu sorgen ist, sollen dieselben
möglichst in gleichem Mafse berücksichtigt werden.
3. Was von den Einnahmen früherer Jahre nach Bestreitung
der Ausgaben übrig ist, verbleibt der Akademie und kann wie die
Einnahmen des laufenden Jahres verwendet oder auch capitalisirt
werden.
D*
Einnahmen
der Akademie.
Verwendung
derselben.
Einnahme-
Überschüsse.
Kasse der
Akademie,
Ein-
zahlungen.
Aus-
zahlungen.
Etat der
Akademie.
Der Geld-
verwendungs-
ausschuss
und dessen
Abtheilungen.
Wahl der
Mitglieder und
Stellvertreter.
(XXVIM) V. ABSCHNITT.
$ 45.
ı. Die Kasse der Akademie wird von den Kassenbeamten des
vorgeordneten Ministeriums verwaltet.
2. Die Kasse des letzteren ist ermächtigt, für die Akademie
die Erträge der aufbewahrten Fonds und andere Forderungen ein-
zuziehen, sowie überhaupt Gelder in Empfang zu nehmen und dar-
über zu quittiren.
3. In dem Etat der Akademie ($ 46) wird bestimmt, welche
Zahlungen die Kasse auf Anweisung des Secretariats aus den dafür
ausgeworfenen Summen zu leisten habe. Alle übrigen Zahlungen,
mit Ausnahme der schon feststehenden etatsmässigen persönlichen
Gehalte und fixirten Remunerationen werden von dem vorgeord-
neten Ministerium auf den entsprechenden Antrag der Akademie
zur Zahlung angewiesen.
$ 46.
ı. Der Einnahme- und Ausgabe-Etat der Akademie wird zu
einer von dem vorgeordneten Ministerium zu bestimmenden Zeit für
eine Periode von drei Jahren vom Geldverwendungs-Ausschuss ent-
worfen, durch Beschluss der Gesammt-Akademie genehmigt und
alsdann dem vorgeordneten Ministerium zur Feststellung eingereicht.
2. Das Etatsjahr der Akademie fällt mit dem des Staats zu-
sammen.
$ 47.
1. Der Geldverwendungs-Ausschuss besteht aus zwei, den ein-
zelnen Klassen zugehörigen Abtheilungen.
2. Jede Abtheilung besteht aus fünf Mitgliedern und drei Stell-
vertretern derselben. Zu den Mitgliedern gehören von Amtswegen
die beiden Secretare. Die drei anderen Mitglieder und die Stell-
vertreter werden nach einander einzeln von der betreffenden Klasse
aus ihrer Mitte durch Zettel-Abstimmung nach dem im $ 25 Abs. 2
vorgeschriebenen Verfahren in einer reglementarisch festgesetzten
Klassensitzung gewählt. Die Wahlen erfolgen für die Etats-Periode;
tritt im Laufe derselben eine Vacanz ein, so ist alsbald für den
Rest der Etats-Periode eine Ersatzwahl vorzunehmen. Zu jeder
Sitzung, in welcher für den Geldverwendungs-Ausschuss gewählt
werden soll, muss besonders eingeladen werden.
nn
ar | a ERAERERE DEI Da
Von dem Vermögen der Akademie. (XXIX)
3. Im Falle der Behinderung von Mitgliedern des Geldverwen- Bestimmun-
e R n c 2 sen über die
dungs-Ausschusses wird die gleiche Anzahl ihrer Stellvertreter nach & -
> o Zuziehung der
der Reihenfolge, in welcher sie dazu gewählt sind, zur Theilnahme Steivertreter.
an den Geschäften zugezogen.
$ 48.
1. Der Geldverwendungs-Ausschuss hat alle auf das Vermögen, Geschäfte des
4 ; F } Bet alskenrute
die Einnahmen oder die Ausgaben der Akademie bezüglichen Vor- W
lagen für die Gesammt-Akademie vorzuberathen, welche ihm vom Pe
vorsitzenden Secretar zugehen. Ebenso liest den einzelnen Ab-
theilungen des Geldverwendungs-Ausschusses die Vorberathung aller
auf Geldverwendung bezüglichen Vorlagen für die Verhandlungen
in der betreffenden Klasse ob.
2. Die Geschäfte des Geldverwendungs-Ausschusses leitet der Sitzungen
© ı S zu N n und Verhand-
vorsitzende und in Behinderungsfällen der ıhn vertretende Secretar.
lungen des
Er hat bei Abstimmungen für den Fall der Stimmengleichheit eine Gen
entscheidende Stimme und ernennt Protokollführer und Bericht- Be
erstatter. Zur Beschlussfähigkeit des Geldverwendungs-Ausschusses en
ist die Anwesenheit von je drei Mitgliedern jeder Abtheilung er-
forderlich. Bei den Verhandlungen dürfen auch die nicht dazu
einberufenen Stellvertreter gegenwärtig sein.
3. Die Geschäfte jeder einzelnen Abtheilung des Geldverwen- Sitzungen und
Verhand-
dungs-Ausschusses leitet der vorsitzende und in dessen Behinderung nsen der
-
der andere Klassensecretar. Er hat in Bezug auf dieselben alle einzemen Ab-
Pflichten und Befugnisse, welche dem vorsitzenden Secretar in "eilungen.
Bezug auf die Geschäfte des ganzen Geldverwendungs-Ausschusses
zukommen. Falls beide Secretare verhindert sind, vertritt sie das-
jenige anwesende Mitolied, welches in der Reihenfolge der Wahl
(vgl. $ 47) voransteht. Zur Beschlussfähigkeit einer Abtheilung des
Geldverwendungs-Ausschusses ist die Anwesenheit von vier Mit-
gliedern erforderlich. Bei den Verhandlungen dürfen auch die nicht
dazu einberufenen Stellvertreter, sowie die Mitglieder und Stell-
vertreter der anderen Abtheilung gegenwärtig sein.
Zuziehung
anderer Mit-
glieder.
Einladungen
zu den
Sitzungen.
Vermögens-
oder Geld-
Angelegen-
heiten be-
treffende An-
träge.
Behandlung
derselben in
den Klassen.
Behandlung
derselben in
der Gesammt-
Akademie.
(XXX) V. ABSCHNITT.
4. Der Geldverwendungs-Ausschuss sowie eine Abtheilung des-
selben kann jedes ordentliche Mitglied der Akademie auffordern,
entweder persönlich in den Sitzungen oder schriftlich über Gegen-
stände, die zur Berathung vorliegen, Auskunft zu ertheilen oder
Gutachten abzugeben, ebenso auch die Gesammt- Akademie oder
die Klassen auffordern, eine Commission von Sachverständigen zur
Erstattung eines Gutachtens zu bestellen.
5. Jede Einladung zu einer Sitzung des Geldverwendungs-Aus-
schusses oder einer Abtheilung desselben muss so erfolgen, dass
die Behändigung festgestellt werden kann (vgl. $ 35).
$ 49.
ı. Ein Antrag, welcher sich auf das Vermögen, auf die Ein-
nahmen oder auf die Ausgaben der Akademie bezieht, ist schriftlich
und motivirt dem vorsitzenden Secretar oder, wenn er zunächst in
einer Klasse zur Verhandlung kommen soll (vgl. auch $ 52, Abs. 2),
dem vorsitzenden Rlassensecretar einzureichen und in der nächsten
ordentlichen Sitzung vorzulegen. Die Gesammt-Akademie kann den
Antrag an eine der Klassen abgeben.
2. Die Klasse überweist jede derartige Vorlage unmittelbar ihrer
Abtheilung des Geldverwendungs - Ausschusses (vgl. $ 48, Abs. 1)
und tritt erst in einer anderen Sitzung auf Grund des von der Ab-
theilung schriftlich und motivirt zu erstattenden Berichts in eine
materielle Verhandlung darüber ein. Beschliesst sie, den Antras
zu dem ihrigen zu machen, so wird derselbe nebst Motiven durch
Protokollauszug dem vorsitzenden Secretar zugefertist und von die-
sem in der nächsten ordentlichen Sitzung der Gesammt-Akademie
mitgetheilt. Falls der Antrag auf Geldbewilligung zu wissenschaft-
lichen Zwecken gerichtet ist, kann die Klasse denselben auf die ihr
überwiesenen Fonds (vel. $ 52, Abs. 2) übernehmen.
3. Die Gesammt-Akademie überweist jeden Antrag, der nicht
an eine Klasse abgegeben wird, sowie jeden, der von einer der
Klassen an sie gelangt ist, unmittelbar an den Geldverwendungs-
Ausschuss (vgl. $ 48, Abs. 1): sie verhandelt und beschliesst darüber
erst in einer folgenden Sitzung auf Grund eines von dem Geldver-
wendungs-Ausschuss schriftlich und motivirt zu erstattenden Berichts.
Von dem Vermögen der Akademue. (XXXI)
4. Sowohl in der Klasse als auch in der Gesammt -Akademie
ist zur Annahme eines Antrages auf Geldbewilligung erforderlich,
dass die zustimmende Mehrheit (vgl. $ 36, Abs. 3) mehr als ein
Drittel aller ordentlichen und der etwa an der Sitzung theilneh-
menden auswärtigen Mitglieder in sich vereinigt.
5. Zu allen Sitzungen, in denen über Vermögens- oder Geld-
angelegenheiten verhandelt oder entschieden werden soll, muss be-
sonders eingeladen werden. Über jeden auf solche Angelegenheiten
bezüglichen Antrag, sowie über dessen geschäftliche Behandlung
kann der Vorsitzende geheim abstimmen lassen, und er ıst dazu
verpflichtet, sobald eines der anwesenden Mitglieder es verlangt.
$ 50.
ı. Für die Verwendung akademischer Fonds zu Besoldungen
und Remunerationen ($ 44, Abs. 2, Nr. 1) gelten ‚folgende Be-
stimmungen:
2. Der Geldverwendungs-Ausschuss hat dafür zu sorgen, dass
für jedes Mitglied das ihm zustehende Stellengehalt ($ 19, Abs. 1)
zur gehörigen Zeit bei dem vorgeordneten Ministerium zur Anwei-
sun& beantragt werde.
3. Ein besonderes Fachgehalt, sowie ein besonderes persön-
liches Gehalt (vgl. $19, Abs. 2 und 3) kann einem ordentlichen
Mitgliede nur auf einen aus der Mitte der betreffenden Klasse her-
vorgegangenen Antrag bewilligt werden. Der Antrag ist vorher
in einer ordentlichen Klassensitzung schriftlich anzumelden. Die
Anmeldung muss den Namen des Mitgliedes, für welches die Be-
willigung erfolgen soll, sowie die Bezeichnung des Fachgehaltes
oder, falls ein besonderes persönliches Gehalt bewilligt werden soll,
die beantragte Summe enthalten. Eine solche Anmeldung wird
durch den vorsitzenden Klassensecretar noch in der Sitzung selbst
und alsdann auch schriftlich den ordentlichen Mitgliedern der Klasse
mitgetheilt. Jedes derselben ist befugt, Anträge auf Bewilligung
von Mitglieder-Gehalten, welche mit dem angemeldeten gleichartig
sind, in der nächsten ordentlichen Klassensitzung schriftlich einzu-
reichen. Diese Anträge, welche mit Motiven versehen sein müssen,
Abstimmung
über Geld-
bewilligungs-
Anträge.
Einladungen
zu den
Sitzungen.
Art und
Weise der Ab-
stimmung.
Stellen-
gehalte.
Bewilligun-
gen besonde-
rer Gehalte
für ordent-
liche Mit-
glieder.
Gehalts-
anträge bei
Wahlvor-
schlägen.
Gehalts-Be-
willigungen
für künftig in
die Akademie
eintretende
auswärtige
Mitglieder.
Gehalts-Be-
willigungen
für Beamte.
Verwendun-
gen durch
den vorsitzen-
den Secretar.
Anträge auf
Verwendung
der für wissen-
schaftliche
Zwecke im
Allgemeinen
ausgesetzten
Fonds.
Vertheilung
von Fonds an
die einzelnen
Klassen. Ver-
wendung der-
selben.
(XXX) V. ABSCHNITT.
werden in derselben Sitzung der Klasse mitgetheilt und von da ab
so behandelt, wie es in den $$ 8 bis 14 für Wahlvorschläge mit
Gehaltsanträgen angeordnet ist. Bei der Verhandlung und Ab-
stimmung über einen Gehaltsantrag für ein ordentliches Mitglied
ist dessen Anwesenheit unzulässig.
4. Gehaltsanträge, welche mit Wahlvorschlägen verbunden sind,
werden mit diesen zugleich erledigt, so dass die Abstimmung über
den Wahlvorschlag in der Klasse wie in der Gesammt- Akademie
auch über die dabei beantragte Gehaltsbewilligung entscheidet.
5. Auswärtigen Mitgliedern können besondere Gehalte, für den
Fall, dass sie als ordentliche Mitglieder eintreten (vgl. $ 20, Abs. 4),
im Voraus bewilligt werden. Bezügliche Anträge sind dem vor-
sitzenden Secretar einzureichen und alsdann lediglich nach den all-
gemeinen Vorschriften des $ 49 zu behandeln.
6. Anträge, welche sich auf die Gehalte von Beamten beziehen,
sowie Anträge auf Remunerationen derselben, sind dem vorsitzen-
den Secretar einzureichen, und alsdann nach den Bestimmungen
des $ 49 zu behandeln.
J
$ 51.
Diejenigen Fonds, welche im Etat für die im $ 44, Abs. 2
unter Nr. 2 aufgeführten Zwecke ausgesetzt sind, werden im Ein-
zelnen nach Anordnungen des vorsitzenden Secretars verwendet.
8.52.
ı. Die Verwendung der Fonds, welche im Etat für wissen-
schaftliche Zwecke im Allgemeinen (vgl. $ 44, Abs. 2, Nr. 3) aus-
gesetzt sind, erfolgt im Einzelnen auf Grund besonderer Beschlüsse
der Gesammt-Akademie, resp. (vgl. Abs. 2) der Klassen. Für die
Einbringung und weitere Behandlung bezüglicher Anträge sind die
Vorschriften des $ 49 malsgebend.
2. Theilbeträge von den bezeichneten Fonds können von der
Gesammt-Akademie auf Vorschlag des Geldverwendungs-Ausschusses
den einzelnen Klassen überwiesen werden. Anträge auf Verwen-
dung solcher Fonds, über welche eine Klasse selbständig verfügen
kann, werden innerhalb derselben nach den im $ 49 enthaltenen
Von dem Vermögen der Akademie. (XXXIN)
Bestimmungen behandelt. Die Klassenbeschlüsse sind in solchen
Fällen entscheidend und werden der Gesammt-Akademie nur zur
Kenntnissnahme und weiteren Veranlassung mitgetheilt.
3. Über Anträge, welche nicht als dringlich bezeichnet und
anerkannt sind, wird, um eine vergleichende Beurtheilung derselben
zu ermöglichen, in gewissen reglementarisch festgesetzten Sitzungen
abgestimmt; dabei sind jedoch solche, die nicht mindestens vier
Wochen vorher eingereicht worden sind, von der Abstimmung aus-
zuschliessen. Die Entscheidung darüber, ob ein Antrag als dring-
lich anzuerkennen sei, erfolgt in derselben Weise wie die materielle
Entscheidung.
Dringliche
und nicht
dringliche An-
trage.
(XXXIV)
VI Abschnitt.
Von den reglementarischen
Bestimmungen.
$ 53.
1. Über die Benutzung der einzelnen Räumlichkeiten, welche
der Akademie zur Verfügung stehen ($ 3 und $ 19, Abs. 2) sollen
reglementarische Bestimmungen erlassen werden, welche von dem
Secretariat zu entwerfen und von der Gesammt-Akademie festzu-
stellen sind.
2. Von den reglementarischen Bestimmungen, deren Erlass
schon in früheren Paragraphen vorgesehen ist, sind diejenigen,
durch welche eine Anzahl von Stellen für ordentliche Mitglieder
($ 7, Abs.1) und die sämmtlichen Stellen für correspondirende Mit-
glieder ($ 22, Abs. 2) einzelnen Fächern zugetheilt und nach einer
für die Wahlen ($14, Abs. 2) malsgebenden Reihenfolge geordnet
werden, von den betreffenden Klassen in ordentlichen Sitzungen,
zu denen besonders eingeladen wird, festzusetzen und der Ge-
sammt- Akademie mitzutheilen.
3. Die übrigen in diesen Statuten vorbehaltenen reglementari-
schen Bestimmungen, betreffend:
1) die als Wohnorte ordentlicher Mitglieder mit Berlin
gleichzustellenden Orte ($ 6),
2) die Instruction der Beamten ($ 31),
3) das Verfahren bei den Einladungen ($ 35),
4) die öffentlichen Sitzungen ($ 38, Abs. 2 und 4),
5) die Ertheilung von Preisen ($ 40),
6) die Redaetion der Sitzungsberichte und Denkschriften
u EEE 5
Von den reglementarıschen Bestimmungen. (XXXV)
7) die Sitzungen, in denen die Mitglieder des Geldver-
wendungs-Ausschusses zu wählen sind ($ 47, Abs. 2),
und diejenigen, in denen über nicht dringliche Anträge
auf Verwendung akademischer Fonds zu wissenschaft-
lichen Zwecken abzustimmen ist ($ 52, Abs. 5),
sind von der Gesammt-Akademie in ordentlichen Sitzungen, zu
denen besonders eingeladen wird, festzustellen. Die unter 1, 2
und 5 aufgeführten reglementarischen Bestimmungen sind dem vor-
geordneten Ministerium zur Bestätigung einzureichen.
E*
(XXXVI)
VI. Abschnitt.
UÜbergangsbestimmungen.
$ 54.
ı. Jedem einzelnen der jetzigen ordentlichen Mitglieder bleibt
auf Grund der bisherigen Statuten das Recht vorbehalten, nach
fünfundzwanzigjähriger Mitgliedschaft gemäss $ 18 derselben die
Befreiung von allen akademischen Verpflichtungen beanspruchen
und gemäss $ 8 seinen Wohnsitz ausserhalb Berlin verlegen zu
können, ohne dass dadurch seine Eigenschaft als ordentliches Mit-
glied und sein durch $ 22 der bisherigen Statuten begründeter An-
spruch auf das gewöhnliche akademische Gehalt aufgehoben wird.
2. Bisher bereits von der Akademie bewilliste besondere aka-
demische Gehalte, welche nicht zu den in $19, Abs. 2 aufgeführten
vier besonderen Fachgehalten gehören, verbleiben den Inhabern, so
lange dieselben ordentliche Mitglieder der Akademie sind.
Dess zu Urkund haben Wir diese Statuten höchst-
eigenhändig vollzogen und mit Unserm Königlichen Insiegel
bedrucken lassen. So geschehen und gegeben zu Berlin,
den 28. März 1881.
Wilhelm.
(L. 8.)
von Puttkamer.
a nn u
_ | ————
Übersicht des Inhalts. (XXXV)
Übersicht des Inhalts.
I. Abschnitt. Von der Akademie überhaupt.
Paragraph Seite
I ZweölsundıStellun® der Akademie "2 nenn mn
DE UT FAT ee en le ee 16 DO
3. Allgemeine N Me Feat ae 1 Mega reger. 312 A
PR KIEREONe Mel So a ae 105 Vier ige Ser Sr;
II. Abschnitt. Von den Mitgliedern der Akademie.
De Ateneider Mitsleder um. ee
6 SOrdentliche?Mitelieder' eat ea ae ne 6
7. Stellen für ordentliche Mitglieder
6
8,ı. Anträge auf Besetzung der Stellen . or Q
8,2. Wahlvorschläge. Behandlung derselben in der Klasse . . . . 7
9. Behandlung der Wahlvorschläge in der Gesammt- Akademie 7
BI)
10. Wahlvorschläge mit Gehaltsanträgen
11. . Zurüekziehung: der WWahlvorschlägelli u ar Saal EIER. 18
RD Binladımvent 0 an AREENSHEIERE SONO TPEREREITETEN FERN 2 8
13. Abstimmung über den einzelnen Wahlvorschlag . . ......8
14. Vorverfahren, falls mehrere Wahlvorschläge vorliegen . . .. 8
In aBestähkung der aWahle. 2.02.23 Blauang Aal. Br 059
16. Ernennung auswärts Wohnender zu ordentlichen Mitgliedern . .. 10
17. Rechte und Pflichten der ordentlichen Mitglieder in Bezug auf
die akademische. Thätigkeit "I. 2.2. en nenn. s10
18. Rechte der ordentlichen Mitglieder ausserhalb der Akademie . . 10
IURT- 4 Stellenschalter rem 2.8 „IR 2 USE SERUESEN ENDE RER rl
TomSsE BesonderenBlachgehaltern u ken...) ARHBEEBREEe RES eilt
19, 3. - Besondere persönliche ‚Gehalte . .. . » 2. „2. 2... 0.0.11
19,4. Bewilligung der besonderen Gehalte . . » » 2... . 11
Ton Enadenfaht Wer. a Pia. ee . ll
(XXXVIN) Übersicht des Inhalts.
Paragraph
20.
26.
29.
sl.
IV. Abschnitt.
Auswärtige Mitglieder
Ehrenmitglieder
Correspondirende Mitglieder
Ausschliessung der Mitglieder
Abschnitt. Von den Secretaren und den
der Akademie.
Die Secretare .
Wahl derselben
Functionen der Secretare .
Der vorsitzende Secretar
Der vorsitzende Klassensecretar .
Sitzungen des Secretariats
Seite
12
12
15
14
Beamten
15
15
16
16
17
17
Die Ausfertigungen, welche im Namen der Akademie oder einer
Klasse erfolgen
Beamte der Akademie
der Akademie.
Von den Sitzungen überhaupt
Ordentliche Sitzungen. Sitzungstage
Liste der Sitzungstage .
Regelmässige wissenschaftliche Vorträge .
Sonstige wissenschaftliche Mittheilungen .
Geschäftsangelegenheiten
Ausserordentliche Sitzungen
Einladungen zu den Sitzungen
Reihenfolge der Verhandlungen . Sen
Geschäftliche Anträge und deren Behandlung
Abstimmung über Geschäftsangelegenheiten .
Protokolle
Commissarien und Commissionen
Öffentliche Sitzungen
Ferien
Wissenschaftliche Unternehmungen und Preisertheilungen
Sitzungsberichte und Denkschriften .
15
18
Von den Sitzungen, Arbeiten und Schriften
20
20
u
Übersicht des Inhalts. (XXXIX)
V. Abschnitt. Von dem Vermögen der Akademie, von
ihrem Einkommen und von dessen Verwendung.
Paragraph Seite
42. Grund- und Capitalvermögen der Akademie. . . 2.2..2.2..36
43. Das sonstige bewegliche Vermögen der Akademie. . 2 2.....26
Aa Einnahmen. der Akademien ren
am Vier.wendungsderselbeneeug tn
44,3. Einnahme-Überschüsse . 27
AnStser KrasremdergAkalemien ee 2
45,2. Einzahlungen 28
AEESEENUSZahlunden A ale es Vyrd
AnmrbitamtdersAlkcademier., eu De ee ee 28
47,1. Der Geldverwendungs-Ausschuss und dessen Abtheilungen. . . 28
47,2. Wahl der Mitglieder und Stellvertreter . -. 2 2 2 2 2.2..238
47,3. Bestimmungen über die Zuziehung der Stellvertreter. . . . ...29
48,1. Geschäfte des Geldverwendung-Ausschusses. . . 2 2..2....29
48,2. Sitzungen und Verhandlungen des Geldverwendungs- Ausschusses 29
48,3. Sitzungen und Verhandlungen der einzelnen Abtheilungen . . . 29
ASS Zuziehunslanderer Mütchieden 0 2 0 EEE 2830
48,5 Einladungen) zurden Sitzungen nn nn 72.%0
49,1. Vermögens- oder Geldangelegenheiten betreffende Anträge. . . 30
49, 2. Behandlung derselben in den Klassen. . . . 2. 2 .2.2..2...80
49, 3. Behandlung derselben in der Gesammt-Akademie . . . ......30
49,4. Abstimmung über Geldbewilligungs-Anträge . . . 2... 981
49, 5. Einladungen zu den Sitzungen. Art und Weise der Abstimmung . 31
Olga Stellenzehaltessukere.s Re aan te rer ra te res
50, 3. Bewilligungen besonderer Gehalte für ordentliche Mitglieder . . 31
50,4. Gehaltsanträge bei Wahlvorschlägen . - » 2 2 2.2.2..2...832
50, 5. Gehalts-Bewilligungen für künftig in die Akademie eintretende aus-
wärtısem NL )eder Bene ERLERNEN. 32
50,7... Gehalte. Bewillisungentün, Beamter. va sl ua nr. 32
51. Verwendungen durch den vorsitzenden Secretar . . ........32
52,1. Anträge auf Verwendung der für wissenschaftliche Zwecke im
Allgemeinen ausgesetzten Fonds.
52,2. Vertheilung von Fonds an die einzelnen Klassen. Verwendung
Genselbennf sp a er a en 1.32
52,3. Dringliche und nicht dringliche Anträge. . » 2 2... 2..2..833
VI. ‚Abschnitt. ’Non |
Faagaph arg? 1aaBahr
53. ee
Par £ ek
EINE? ide
Ida
Am Pop!
BE En
bat
’
« AN
P De > =
A Yols
r Ir r
Br
.
(XLI)
u
Verzeichnifs der im Jahre 1881 stattgehabten Sitzungen
der Akademie und der darin gelesenen Abhandlungen.
Oeffentliche Sitzungen.
Sitzung am 27. Januar zur Feier des Jahrestages
König Friedrichs Il.
Hr. Auwers eröffnete die Sitzung mit einer Festrede, welche
die Schilderung des Verhältnisses Friedrichs des Grofsen zu den
mathematischen Wissenschaften überhaupt, und im Besondern der
Pflege der praktischen Astronomie in Preufsen unter seiner Regie-
rung zum Gegenstand hatte.
Derselbe berichtete ferner über die im Jahre 1880 im Per-
sonalstande der Akademie eingetretenen Veränderungen. Alsdann
trug Hr. du Bois-Reymond als Vorsitzender des Curatoriums der
Humboldt- Stiftung für Naturforschung und Reisen den statuten-
mälsigen Jahresbericht vor, welcher im Monatsbericht abgedruckt ist.
Zum Schlufs las Hr. Droysen eine Abhandlung über das
Project einer preulsischen Flotte vom Jahre 1751.
(XL)
. Sitzung am 24. März zur Feier des Geburtsfestes
Sr. Majestät des Kaisers und Königs.
Hr. Mommsen eröffnete die Sitzung mit einer Festrede, in
welcher er eine Parallele zwischen dem römischen Prineipat und der
gegenwärtigen Monarchie zog und einen Rückblick auf die Ereig-
nisse des vergangenen Jahres warf. Dieselbe ist im Monatsbericht
abgedruckt.
Hr. Curtius erstattete alsdann Bericht über die grölseren
wissenschaftlichen Unternehmungen der philosophisch - historischen
Klasse, in welchem von der Weiterführung der griechischen und
der lateinischen Inschriftensammlung, der Palaeographie der rö-
mischen Quadratschrift, der Ausgabe der griechischen Commenta-
toren des Aristoteles, den Arbeiten des mit der Akademie verbun-
denen Archaeologischen Instituts und der Herausgabe der politischen
Correspondenz König Friedrichs Il. sowie der Staatsschriften aus
seiner Regierungszeit, Rechenschaft abgelegt wurde.
Sitzung am 30. Juni zur Feier des Leibniz’schen Jahrestages.
Hr. Curtius eröffnete die Sitzung mit einem Vortrage, in
welchem er an Leibniz’ ägyptisches Projeet anknüpfend, von der
allmählich fortschreitenden Wiederentdeckung des Bodens der alten
Geschichte und von der Betheiligung der verschiedenen Nationen
Europas an dieser Aufgabe eine Uebersicht gab. Dann berichtete
er über die Bopp-Stiftung, deren Jahresbetrag dielsmal dem Dr.
Karl Geldner in Tübingen zur Unterstützung seimer Zendstudien
verliehen worden ist. Hr. Mommsen verkündete den Erfolg der
akademischen Preisbewerbung, und Hr. Waitz trug den Jahresbe-
richt über die unter seiner Leitung stehenden Monumenta Germa-
niae historica vor. Die Vorträge dieser Sitzung finden sich sämmt-
lich ausführlich im Monatsbericht.
(XLIN)
Gesammtsitzungen der Akademie.
Januar 6. Droysen, Projeet zu einer preulsischen Flotte 1751.
(M. B.)
Januar 13. Roth, petrographische Beiträge. (M.B.)
B. Baginsky, über die Schwindelerschemungen nach
Ohr-Verletzungen. Vorgelegt von du Bois-Rey-
mond. (M.B.)
H. Bruns, Bemerkungen über den Lichtwechsel der
Sterne vom Algoltypus. Vorgelegt von Auwers.
(M.B.)
Januar 20. Weber, über neue Erwerbungen der Königl. Biblio-
thek an indischen Handschriften.
M. Westermaier, Beiträge zur Kenntnils des mecha-
nischen Gewebesystems. Vorgelegt von Schwen-
dener. (M.DB.)
Februar 3. Pringsheim, zur Kritik der bisherigen Grundlagen
der Assimilationstheorie der Pflanzen. (M.B.)
J. M. Hildebrandt, magnetische Beobachtungen auf
Madagascar, berechnet von Dr. O. Kersten. Vor-
gelest von Virchow. (M.B.)
Februar 10. Websky, über die Ableitung des krystallographischen
Transformations-Symbols. (M. B.)
E. Sachau, eme dreisprachige Inschrift aus Zebed.
Vorgelegt von Dillmann. (M.B.)
(XLIV)
Februar 17. Helmholtz, über die auf das Innere magnetisch
oder dielektrisch polarisirter Körper wirkenden
Kräfte (M.B.)
A. Christiani, experimentelle Beiträge zur Physio-
logie des Kaninchenhirnes und seiner Nerven.
Vorgelegt von du Bois-Reymond. (M.B.)
Februar 24. Kuhn, Fortsetzung seiner Abhandlung über Zwerge
als Lichtwesen.
März 3. Zeller, über die Messung physischer Vorgänge. (Abh.)
März 10. Duncker, über die Schlacht von Marathon.
W. Zopf, über den genetischen Zusammenhang von
Spaltpilzformen. Vorgelegt von Pringsheim. (M.B.)
März 17. v. Sybel, über die Stammtafel der Amaler.
März 31. Virchow, über die Weddas von Ceylon und ihre Be-
ziehungen zu den Nachbarstämmen. (Abh.)
H. Bücking, vorläufiger Bericht über die geologische
Untersuchung von Olympia. Vorgelegt von Bey-
rich. (M.B.)
Lepsius, über die Wiedereröffnung zweier ägyptischer
Pyramiden, nach Mittheilungen von Prof. Brugsch.
(M.B.)
April 7. Vahlen, Beiträge zur Berichtigung der Elegien des Pro-
pertius. (M.B.)
April 28. Waitz, über Herman von Torma und die Geschicht-
schreibung der Stadt.
Mai 12. G. Kirchhoff, über die Leitungsfähigkeit der Metalle für
Wärme und Elektricität.
C. Jirecek, Beiträge zur antiken Geographie und Epi-
graphik von Bulgarien und Rumelien. Vorgelegt
von Mommsen. (M.B.)
(XLV)
Juni 2. Schrader, über die Sargonsstele des Königlichen Mu-
seums. (Abh.)
Juni 23. Siemens, Beiträge zur Theorie des Elektromagnetis-
mus. (M.B.)
Juli 14. Schwendener, über Bau und Mechanik der Spaltöff-
nungen. (M.B.)
Juli 28. Conze, über die Zeit der Erbauung des grolsen Altars
zu Pergamon. (M.B.)
E. Goldstein, über den Zusammenhang zwischen Gas-
dichte und Schichtintervall m Geilsler’schen Röh-
ren. Vorgelegt von Helmholtz. (M.B.)
October 27. Dillmann, über das Kalenderwesen der Israeliten
vor dem babylonischen Exil. (M.B.)
Lepsius, Bericht über den Fortgang der von E.
. Naville unternommenen Herausgabe des Theba-
nischen Todtenbuches. (M.B.)
November 10. Roth, zur Geologie der Umgebung von Neapel. (M. B.)
November 24. Eiehler, über die weiblichen Blüthen der Coni-
ferenKt (36)
M. Westermaier, Beiträge zur vergleichenden Ana-
tomie der Pflanzen. Vorgel. von Schwendener.(M.B.)
December 8. Schott, über die Röng oder Leptscha in Sikkim,
mit besonderer Beziehung auf ihre Sprache. (AbA.)
Virchow, über Funde in kaukasischen Gräbern.
December 22. du Bois-Reymond, über die bisherigen Ergeb-
nisse der von Hrn. Prof. Gustav Fritsch zur wei-
teren Erforschung der elektrischen Organe der
Fische unternommenen Reise. (M.B.)
Kronecker, zur Theorie der elliptischen Functio-
nen. (M.B.)
(XLVI)
Sitzungen der physikalisch-mathematisehen Klasse,
Januar 24. Rammelsberg, experimentelle Grundlagen zur Theorie
der Amalgamation. (M.B.)
H. Kronecker & S. Meltzer, über den Schluckmecha-
nismus und dessen nervöse Hemmungen. Vorge-
legt von du Bois-Reymond. (M.B.)
Februar 21. Reichert, über das Gefäls-System der Leber.
Weierstrals, zur Functionenlehre. (Nachtrag.) (M. B.)
Virchow, über die ethnologische Bedeutung des Os
malare bipartitum. (JM. B.)
März 11. Kronecker, Entwickelungen aus der Theorie der alge-
braischen Gleichungen.
. Hofmann, über die Einwirkung der Wärme auf die Am-
moniumbasen. (M.B.) — Beiträge zur Kenntnils
des Piperidins. (M. 2.)
April'21. Hofmann, Beiträge zur Kenntnils des Coniins. (M.B.)
Burmeister, Bericht über ein Skelet von Sceelidotherium
leptocephalum. (NM. BD.)
Th. Weyl, Beobachtungen über Zusammensetzung und
Stoffwechsel des elektrischen Organs von Torpedo.
Vorgelegt von du Bois-Reymond. (M.B.)
K. Brandt, Untersuchungen an Radiolarien. Vorgelegt
von du Bois-Reymond. (M.B.)
Mai 5. Auwers, Resultate der vierjährigen meteorologischen Beob-
achtungen auf dem Potsdamer Observatorium und
ihrer Vergleichung mit den gleichzeitigen Berliner
Beobachtungen.
N
(XLVII)
Mai 19. Munk, über die Hörsphären der Grolshimmrinde. (M.B.)
Peters, über die Chiropterengattung Mormopterus und
die dahin gehörigen Arten. (M.B.)
Juni 16. Pringsheim, über die primären Wirkungen des Lichtes
auf die Vegetation. (M.B.)
Kronecker, zur Theorie der Elimination einer Variabeln
aus zwei algebraischen Gleichungen. (M.B.)
Juli 7. Websky, über die Interpretation der empirischen Octaid-
Symbole auf Rationalität. (M.B.)
Hofmann, zur Geschichte der Pyridnbasen. (M.B.)
E. Goldstein, über die Reflexion elektrischer Strahlen.
(M.Bb.) — Ueber den Einfluls der Kathodenform
auf die Vertheilung des Phosphorescenzlichtes Geils-
ler’scher Röhren. Vorgelegt von Helmholtz. (M.B.)
Ewald, über das Erdbeben von Chios. (M.B.)
voth, über das Erdbeben von San Miguel. (M.B.)
Juli 21. Helmholtz, weitere Studien über Polarisation des Platins.
November 3. Helmholtz, über galvanische Polarisation des Queck-
silbers und darauf bezügliche neue Versuche des
Hrn. A. Koenig. (M.B.)
Bauer, über eine Methode, die Brechungscoöfficien-
ten emaxiger Krystalle zu bestimmen, und über
die Brechungscoöfficienten des Brueits. Vorgelegt
von Websky. (M.B.)
Virchow, über mikronesische Schädel. (M.B.)
November 17. Websky, über das Vorkommen von Phenakit in
der Schweiz. (M.B.)
December 1. Schwendener, über das Winden der Pflanzen.
(M.B.)
December 15. Munk, zur Physiologie der Grofshirnrinde.
(XLVIM)
Sitzungen der philosophisch- historischen Klasse.
Januar 10. Mommsen, über die Geschichte der Legio III Augusta.
Zachariae von Lingenthal, über eine lateinische
Uebersetzung von Buch 53 der Basiliken. (M. B.)
Februar 7. Duncker, über die Hufen der Spartiaten. (M.B.)
März 7. Vahlen, über die Anfänge der Heroiden des Ovid. (AdA.)
April 21. Waitz, über eime alte Genealogie der Welfen. (Abh.)
Mai 5. Schrader, über Ladanum und Palme auf den assyrischen
Monumenten. (M. B.)
Dillmann, über eine neuentdeckte punische Inschrift.
(M.B.)
\
Mai 19. Schott, über die sogenannten Zaubersprüche der Finnen.
(M. B.)
Juni 16. Dillmann, über Baal mit dem weiblichen Artikel (# Baar).
(M. B.)
Zachariae von Lingenthal, Papyrusblätter vom Sinai-
Kloster mit Bruchstücken griechisch - römischer
Jurisprudenz. (M.B.)
Imhoof-Blumer, die euböische Silberwährung. (M. B.)
Olshausen, Forschungen auf dem Gebiete eränischer
Sprachkunde. (MM. B.)
(XLIX)
Juli 7. Bohn, der Tempel der Athena Polias zu Athen. Vorgelegt
von Conze. (Abh.)
Zobel de Zangroniz, über die antike Numismatik Hispa-
niens. Vorgelegt von Mommsen. (M.B.)
Juli 21. v. Sybel, über Talleyrand’s Politik gegen Deutschland.
October 20. Kiepert, über Pegolotti’s vorderasiatisches Itinerar.
November 3. A. Kirchhoff, über die Reste einer aus Aegypten
stammenden Handschrift des Euripides. (M.B.)
November 17. Mommsen, über Ammiani Geographica.
December 1. Weber, über die heilige Litteratur der Dschaina.
December 15. Curtius, über die Mantik in Olympia. (Abh.)
Bühler, über ein altes kürzlich im Panjäb gefun-
denes SanskritMss. Mit Bemerkungen von Weber.
(M.B.)
Die mit M.B. bezeichneten Vorträge sind in den Monatsberichten, die mit
Abh. in den Abhandlungen aus dem Jahre 1881 abgedruckt. Die übrigen sind in
den akademischen Schriften nicht mitgetheilt.
(L)
IM.
Akademische Preisfragen.
Preisaufgabe der philosophisch-historischen Klasse vom Jahre 1878.
In der öffentlichen Sitzung am Leibniztage des Jahres 1878
war gemäls den Vorschriften der früheren Statuten von der phi-
losophisch -historischen Klasse die folgende Preisaufgabe gestellt
worden:
Es sind die sämmtlichen bei Schriftstellern und auf Inschrif-
ten erhaltenen Zeugnisse über das Zollwesen der römischen
Kaiserzeit zusammenzustellen und danach die einzelnen Zoll-
linien und Zollgebiete, ferner die Verwaltungsnormen des
Zollwesens, insonderheit die Competenz der einzelnen Zoll-
beamtenklassen und das Verhältnils der Zollpächter zu den
kaiserlichen Controlebehörden nach Möglichkeit klarzulegen.
Es sind in Bewerbung um diesen Preis rechtzeitig zwei Schriften
eingegangen mit den Motti:
1) Wo die Könige baun, haben die Kärrner zu thun;
2) Cura non deesset, si qua ad verum via inqwirentem ferret.
In Betreff des rechtlichen Fundaments stellt die Abhandlung I
den leitenden Grundgedanken richtig an die Spitze, während II sich
darüber schwankend und zum Theil irrend (insonderheit mit Ver-
wechselung der res publicae und der res nullius) einführt. Damit
hängt auch die bessere Methode der ersteren Schrift zusammen.
In den Schluflsabschnitten ist hier ein achtbarer Versuch gemacht
die Gesammtheit der Zollinstitutionen zu erfassen, die Stellung der
Zolleinkünfte in dem Finanzsystem überhaupt und insbesondere
die Theilung der Geschäfte zwischen der kaiserlichen Oberleitung
und den Pachtgesellschaften zu bestimmen, ferner die Frage zu
(LI)
beantworten, inwiefern Stückzölle oder Werthzölle vorgekommen
sind und welche Normen hierbei obgewaltet haben. Neben man-
chem Unsicheren und Bedenklichen begegnen hier gute und wei-
terführende Beobachtungen, zum Beispiel die Anknüpfung des con-
trascriptor an den &vrıygapeis des Ptolemäerstaates. — Die zweite
Abhandlung dagegen führt die Zollinstitutionen lediglich in örtli-
cher Folge auf und gibt aufserhalb derselben nur nachträglich
einige local nicht wohl unterzubringende Paralipomena. Es muls
anerkannt werden, dafs jeder römische Zolldistriet, ähnlich wie jede
Staatsprovinz, Seine eigenen Gesetze -und seine eigene Geschichte
hat und dafs die Gefahr des irrigen Generalisirens hier bei zusam-
menfassender Behandlung eine sehr grolse ist. Aber dennoch ist
das Generalisiren in jeder Weise unvermeidlich. Es muls die
Grenze gezogen werden zwischen den Reichszöllen und den gleich-
artigen muniecipalen Abgaben, wie das rotarium; zwischen den Zöl-
len und den wenigstens in Rom vorkommenden dem Oectroi ana-
logen Abgaben. Es muls die Frage, inwiefern der Zoll auf dem
Export oder dem Import lag, wenigstens insoweit beantwortet wer-
den, dafs die einschlagenden Zeugnisse zusammengestellt werden,
wenn auch vielleicht ein allgemeines System in dieser Hinsicht
nicht bestanden hat oder doch nicht für uns erkennbar ist. Es
muls die Verwaltungsorganisation dargelegt werden, die etwaige
directe Hebung, resp. die Controle der Regierung, die Verdingung,
die Hebungsnormen, die Verwaltung mit ihren socä, magistri, pro-
magistri, contrascriptores, dispensatores, vilici, arcarü, so dals für je-
des einzelne Institut übersichtlich vorliegt, was wir davon wissen,
und einigermaalsen ermessen werden kann, wie weit hier allge-
meine Normen bestanden haben und erkennbar sind. Zu allem
diesem liefert die zweite Abhandlung wohl das Material; aber für
die Zusammenfassung ist hier nicht das Nöthige geschehen.
bz
(LI)
Auf der anderen Seite ist die Überlegenheit der Abhand-
lung II unbestreitbar. Das Material für die Verwaltungsorganisa-
tion ist in der ersten in bei weitem geringerer Fülle und mit weit
geringerer Beherrschung der inschriftlichen wie der schriftstelleri-
schen Zeugnisse zusammengestellt als in der zweiten. Überall
zeigt sich in dieser eigene emdringende Untersuchung, die man-
che bisher übersehene Notiz aus Steinen oder Büchern zuerst an
ihre rechte Stelle bringt. Die ganz entscheidende Frage, ob die
Reichszölle lediglich an den Grenzen der Reichszolldistriete oder
auch an innerhalb derselben gezogenen Linien erhoben worden
sind, ist in der Abhandlung I kurzweg im letzteren Sinne entschie-
den; die Abhandlung II dagegen prüft mit grolser Schärfe die für
die zweite Alternative in Betracht kommenden Daten und verneint
sie mit gutem Grund im Allgemeinen, während einzelne Abwei-
chungen für Aegypten und namentlich für Dacien in scharfsinni-
ger Weise erklärt werden. Während die erste Arbeit sich den
Specialdaten gegenüber im Allgemeinen receptiv verhält und nur
versucht sie zu registriren und das Facit daraus zu ziehen, wird
in der zweiten jede einzelne Aufstellung mit emer zuweilen allzu
grolsen Bedenklichkeit nachgeprüft und die Bausteine durchgängig
zurechtgelegt, wenn auch das Gebäude selbst unvollendet er-
scheint.
In Erwägung dieser Momente ertheilt die Akademie der
zweiten mit dem Motto Cura non deesset bezeichneten den Preis,
indem sie dem Verfasser anempfiehlt für den Fall der Veröffent-
lichung das Schema in dem oben bezeichneten Sinn umzugestal-
ten. Der unter I aufgeführten Arbeit wird, mit Rücksicht darauf,
dals wenn sie allein vorläge, sie des Preises würdig erscheinen
würde, gleichzeitig das Accessit zuerkannt.
(LI)
Die Eröffnung des versiegelten Zettels der mit dem Preis
gekrönten Abhandlung ergab Hm. Dr. Hermann Dessau, z. Zt.
in Rom, als Verfasser. Dem Verfasser der anderen wird es anheim-
gestellt, seinen Namen zum Zweck der Bekanntmachung desselben
in den Monatsberichten der Akademie mitzutheilen.
Preisaufgabe der physikalisch-mathematischen Klasse vom Jahre
1875 bez. 1878.
Auf die zuerst am Leibniztage des Jahres 1875 gestellte und
im Jahre 1878 erneuert gestellte Preisfrage:
„In welchen Verbindungen findet sich der Kalk im Blute
der Säugethiere und der Vögel? und wie geschieht der
chemische Niederschlag seiner Salze in die Gewebe, na-
mentlich in die Knochen?“
ist der Akademie keine Antwort zugegangen.
Die Preisfrage ist hiermit zurückgezogen.
(LIV)
IM:
Verzeichnils der im Jahre 1881 erfolgten besonderen Geld-
bewilligungen aus akademischen Mitteln zur Ausführung
oder Unterstützung wissenschaftlicher Unternehmungen.
4500 Mark
3000
1500
4500
500
3100
2000
1200
”
dem Mitgliede der Akademie Hrn. A. Kirchhoff zur
Fortsetzung des Corpus Inseriptionum Graecarum.
dem Mitgliede der Akademie Hrn. Mommsen zur
Herstellung von Supplementen zum Corpus Inseriptio-
num Latinarum.
demselben zur Fortführung der Prosopographie der
römischen Kaiserzeit.
den Mitgliedern der Akademie HHrn. Zeller, Bo-
nitz und Vahlen zur Fortsetzung der Arbeiten für
eine kritische Ausgabe der griechischen Commentatoren
des Aristoteles.
den Mitgliedern der Akademie HHın. Droysen,
Duncker und v. Sybel zur Fortsetzung der Heraus-
gabe der politischen Correspondenz Friedrich’s I.
denselben zur weiteren Vorbereitung der Heraus-
gabe der Staatsschriften aus der Regierungszeit Frie-
drich’s Il.
dem Mitgliede der Akademie Hrn. Weierstrals zur
Herausgabe der Schriften Jacobi’.
dem Mitgliede der Akademie Hrn. Roth zum Ab-
schlufs seiner Untersuchungen über den Vesuv.
dem Hrn. Professor Hübner in Charlottenburg als
Jahreszuschuls zu den aus allgemeinen Staatsfonds für
die Palaeographie der römischen Quadratschrift bewil-
ligten Mitteln.
u no
1000 Mark
2000
4500
1200
700
1000
2000
600
300
600
b))
>]
”
”
(LV)
dem Hrn. Professor Dr. Hartmann m Berlin als
fernerer Zuschuls zur Herausgabe seines Werkes über
den Gorilla.
dem Hrn. Dr. von Heldreich in Athen zur Heraus-
gabe einer Flora graeca classica.
dem Hrn. Professor Dr. Graff im Aschaffenburg zur
Herausgabe seines mit Unterstützung der Akademie
bearbeiteten Werkes über die Turbellarien.
dem Hrn. Professor Dr. Dohrn in Neapel zur Her-
ausgabe der Jahresberichte der zoologischen Station in
Neapel über die Fortschritte der Zoologie im Jahre 1879.
dem Hın. Professor Dr. Dames in Berlin zur Unter-
suchung der Stembrüche in Pikermi bei Athen.
dem Hrn. Dr. Eugen Goldstein m Berlin als fer-
nere Unterstützung zu Untersuchungen über das elek-
trische Licht.
dem Hrm. Professor Dr. Schmitz in Bonn zu Unter-
suchungen über Fructification der Florideen.
dem Hın. Dr. von Pflugk-Harttung m Tübingen zu
Forschungen in italiänischen Archiven, päpstliche Ur-
kunden betreffend.
dem Hrn. A. Krause in Tripolis zu Untersuchungen
über africanische Sprachen.
der Hahn’schen Buchhandlung in Hannover zur
Herausgabe der tironischen Noten.
dem Hın. Dr. Hinrichs in Berlin zur Vergleichung
einer Nibelungenhandschrift in Wien.
dem Hrn. Professor Dr. Oldenberg in Berlin als fer-
nere Unterstützung zur Herausgabe des Vinaya Pitaka,
für den dritten Band.
(LVI)
Y.
Veränderungen im Personalstande der Akademie im Laufe
des Jahres 1881.
Gewählt wurden:
Hr. Hans Landolt, als ordentliches Mitglied der physikalisch - ma-
thematischen Klasse, am 28. Juli, bestätigt durch Königl.
Cabinetsordre vom 15. August 1881;
AlelfiEobler als ordentliche Mitglieder der phi-
losophisch-historischen Klasse, am
Wilhelm Wattenbach !
” |
J
6 28. Juli, bestätigt durch Königl. Ca-
„ Hermann Diels £ 7 5
binetsordre vom 15. August 1881;
zu correspondirenden Mitgliedern der physikalisch-mathe-
matischen Klasse:
Hr. Eugenio Beltrami in Pavia am 6. Januar 1881,
„ Enrico Betti in Pisa am 6. Januar 1881,
„ Francesco Brioschi in Mailand am 6. Januar 1881,
„ Lazarus Fuchs in Heidelberg am 6. Januar 1881,
„ Heinrich Schroeter in Breslau am 6. Januar 1881,
„ Heinrich Wild in St. Petersburg am 6. Januar 1881,
„ Franz Ritter von Hauer in Wien am 3. März 1881,
„ Theodor Kjerulf in Christiania am 3. März 1881,
„ Ferdinand Freiherr von Richthofen m Bonn am 3. März
1881,
„ Gustav Tschermak in Wien am 3. März 1881.
gu FR. Win:
Dr
(LVII)
Gestorben sind:
das ordentliche Mitglied der philosophisch - historischen
Klasse
Adalbert Kuhn am 5. Mai 1881;
die correspondirenden Mitglieder der physikalisch - mathe-
matischen Klasse
. Henri Sainte-Claire Deville in Paris am 1. Juli 1881,
Heinrich Eduard Heine in Halle am 24. October 1881;
die correspondirenden Mitglieder der philosophisch-histori-
schen Klasse
“ Jacob Bernays in Bonn am 26. Mai 1881,
Bernhard Dorn in St. Petersburg am 31. Mai 1881,
Theodor Benfey in Göttingen am 26. Juni 1881,
Hermann Lotze in Berlin am 1. Juli 1881,
Theodor Bergk in Bonn am 20. Juli 1881,
Ferdinand Keller in Zürich am 21. Juli 1881.
(LVM)
v1.
Verzeiehniss
der
Mitglieder der Akademie der Wissenschaften
am Schlusse des Jahres 1881.
I. Beständige Secretare.
Hr. du Bois- Reymond, Secr. der phys.-math. Klasse.
- Curtius, Secer. der phil.-hist. Klasse.
- Mommsen, Secr. der phil.-hist. Klasse.
- Auwers, Secr. der phys.-math. Klasse.
II. Ordentliche Mitglieder
der physikalisch-mathematischen der philosophisch-historischen Datum der Königlichen
Klasse. Klasse. Bestätigung.
mn Sn 2
Hr. Leopold v. Ranke . . . 1832 Febr. 13.
- Wilhelm Schott . . . . 1841 März 9.
EI IGotRalyRHOgen en SAD ın28:
9 Po® Theophel Raele.. » » she ec, Sa BA UHITZR:
- Richard Lepsius . . . . 1850 Mai 18.
- Emil. dw. Bois-Reymond . .. 2.0 era enenalıe ie, 1857 März 5.
= + Walhelm. Poters, 2 aa ee ee lsoles Märzea:
- Heinrich Kiepert . . . . 1853 Juli 25.
= HeummBanst Beymiche 2 20 en ea:
=. Jul VRR ERBOLGEN ver u ke en RT a u ASS Amen!
= Karl! Emear. Rammelsberg 2 SE 8er Aue:
— Elnnet, Eduand. Kummer 22 raeaalDer id:
- Karl Weierstra/s . » . .»..- DEE NoyzlR
- Albrecht Weber . . . „ 1857 Aug. 24.
(LIX)
der physikalisch-mathematischen der philosophisch-historischen Datum der Königlichen
Klasse. Klasse. Bestätigung.
u
Hr. Theodor Mommsen . . . 1858 April 27.
RITTER. „Ad 1859 April 4.
- Justus Olshausen . . . . 1860 März 7.
- Adolf Kirchof . . . . 1860 März 7.
RAR 1L.1 50 WRBRS 7% »1ERalD.2 8
- Ernst Curtius . . . . . 1862 März 3.
- Karl Müllenhof . . . . 1864 Febr. 3.
-lAugıäWelh: Hofmann. ı 0 = a 2.00 nu) au 8 Marı27.
Hr. Karl Bogislaus Reichert
- Leopold Kronecker
= Arthur Aumers nn nur ABTEI AELS.
- Joh. Gust. Droysen . . . 1867 Febr. 9.
ENTER ENT EEE NE MN Mer Aprilm22:
- Hermann Bonitz . . . . 1867 Dee. 27.
- _Nathanael Prengeheam. u ad 0 2.2.0. 0.1868 Aug. 17.
Br Gustav Robert Kurchhof: - NM... » 2. 2.2.0... .1870 März 19.
- Hermann Helmholtz . na ARE ERS un.
-ı Eduard Zeller. . . . . 1872 Dec. 9.
= Mas Duncker . .,.. . . 1873 Mai 14.
= Werner Siemens -» 2 0 nn ee Rau DeEuH22.
- Rudolph Virchow . ae en ae in in .ell80dr Deel 22.
- Johannes Vahlen . . . . 1874 Dee. 16.
RG er ante 222.2. 18Xor April" 3.
ee are Man.
- Eberhard Schradee . . . 1875 Juni 14.
- Heinrich von Sybel . . . 1875 Dec. 20.
- August Dillmann. . . . 1877 März 28.
- Alexander Conze . ». » . 1877 April 23.
= Simon" Sohiwendener » nn na a a nn A rg ee.
— Hermann Munk » = 2 20. 20000, Et Mrz LO
- August Wilhelm Eichler en RR TE 10.
=, ‚Adolj; Tobler I. m ESP AUFAL 9:
- Martin Websky
- Wilhelm Wattenbach . . 1881 Ausg. 15.
- Hermann Diels . . . . 1881 Ausg. 15.
Hanser DI ee ug...
(LX)
III. Auswärtige Mitglieder
der physikalisch-mathematischen Klasse.
Hr.
Sir
Hr.
Friedr. Wöhler in Göttingen
Franz Neumann in Königs-
beit Al. u
Robert Wilhelm Bunsen ın
Heidelberg
Wilhelm Weber in Göttingen .
Hermann Kopp in Heidel-
berg ee R
Joseph Liowville in Paris .
Charles Darwin ın Down
bei London. f
Richard Owen in London
George Biddell Airy in
Blackheath bei London .
Jean- Baptiste Dumas in
Baris: -
der philosophisch-historischen Klasse.
Sir Henry Rawlinson in
London
Hr. Franz Ritter v. Miklosich
in Wien .
- Lebrecht Fleischer ın
Leipzig .
- (Giovanni Battista de Rossi
in Rom .
- August Friedrich Pott ın
Halle a. S..
Datum der Königl.
Bestätigung.
1850 Mai 18.
1855 Aug. 15.
1858 Aug. 18.
1862 März 3.
1862 März 24.
1863 Juli 11.
1874 April 20.
1874 Mai 13.
1875 Juli 9.
1876 März 15.
1877 Aug. 17.
1878 Dee. 2.
1878 Dee. 2.
1879 Febr. 8.
1880 Aug. 16.
(LXI)
IV. Ehren-Mitglieder.
Datum der Königlichen
Bestätigung.
ErPpeters Meman ın Basel » » » 2 2 2 un... 1845 März 8.
- Peter von Tschichatschef m Florenz . . . 1853 Aug. 22.
- Graf Rudolph von Stillfried-Rattonitz in Benin. 1854 Juli 22.
Sir Zdward Sabine n London . . ..... . 1855 Aug. 15.
Hr. Graf Helmuth v. Molike in Berlin. . . . . . 1860 Juni 2.
Don Baldassare Boncompagni n Rom. . . . . .. 1862 Juli 21.
Hr. Johann Jakob Baeyer in Berlin. . . . . . . 1865 Mai 27.
Georg Hanssen in Göttingen. . . . » . . . 1869 April.
Julius Friedlaender in Berlin . . . . . . ... 1875 Febr. 10
Carl Johann Malmsten m Upsala. . . . . . 1880 Dee. 15.
(LXII)
V. Correspondirende Mitglieder,
Physikalisch-mathematische Klasse.
Hr. Hermann Abich in Wien
Eugenio Beltrami ın Pavia .
P. J. van Beneden ın Löwen
George Bentham in Kew
Enrico Betti ın Pisa RENTE
Theodor Ludwig Bischof in München
Jean-Baptiste Boussingault in Paris .
Francesco Brioschi in Mailand
Ole Jacob Broch in Christiania .
Ernst von Brücke in Wien . 2
Hermann Burmeister in Buenos Ayres .
Auguste Cahours in Paris
Arthur Cayley in Cambridge .
Michel- Eugene Chevreul in Paris
Elvein Bruno Christofel in Strafsburg
Rudolph Clausius in Bonn .
James Dana in New Haven .
Anton De Bary in Stralsburg
Alphonse De Candolle in Genf
Ernst Heinrich Karl von Dechen in Bonn .
Richard Dedekind in Braunschweig
Franz Cornelius Donders in Utrecht .
Gustav Theodor Fechner in Leipzig .
Lowis-Hippolyte Fizeau in Paris
Edward Frankland ın London
Lazarus Fuchs in Heidelberg .
Heinrich Robert Göppert in Breslau
Asa Gray in Cambridge, N. America
Datum der Wahl.
— Ve
1858 Oct. 14.
1881 Jan. 6.
1855 Juli 26.
1855 Juli 26.
1881 Jan. 6.
1854 April 27.
1856 April 24.
1881 Jan. 6.
1876 Febr. 3.
1854 April 27.
1874 April 16.
1867 Dee. 19.
1866 Juli 26.
1834 Juni 5.
1868 April 2.
1876 März 30.
1855 Juli 26.
1878 Dee. 12.
1874 April 16.
1842 Febr. 3.
1880 März 11.
1373 April 3.
1841 März 25.
1863 Aug. 6.
1875 Nov. 18.
1881 Jan. 6.
1839 Juni 6.
1855 Juli 26.
Er
Franz von Hauer ın Wien . Ä
Friedrich Gustav Jacob Henle ın Göttingen e
Charles Hermite ın Paris
Joseph Dalton Hooker in Kew
. Thomas Huxley in London
Joseph Hyrtl in Wien
August KekulE ın Bonn .
Theodor Kjerulf in Christiania
Albert von Kölliker in Würzburg .
August Kundt in Stralsburg .
Rudolph Lipschitz in Bonn. 8
Sven Ludvig Loven in Stockholm .
Karl Ludwig in Leipzig
Charles Marignac in Genf .
Henri Milne Edwards m Paris . :
J. @. Mulder ın Bennekom bei Wegerkigen
Karl Nägeli in München
Eduard Pflüger in Bonn
Joseph Plateau ın Gent . >
Friedrich August von (Quenstedt ın inbinzen.
Georg Quincke in Heidelberg
Gerhard vom Rath in Bonn
Ferdinand von Richthofen in Bonn
Ferdinand Römer in Breslau .
Georg Rosenhain in Königsberg.
George Salmon in Dublin .
Arcangelo Scacchi in Neapel . Bar
Ernst Christian Julius Schering ın Gainesn
Giovanni Virginio Schiaparelli in Mailand
Ludwig Schläfli in Bern.
Hermann Schlegel in Leiden
Heinrich Schröter in Breslau .
Theodor Schwann ın Lüttich .
Philipp Ludwig Seidel in München i
Karl Theodor Ernst von Siebold in München
Henry J. Stephen Smith in Oxford
Japetus Steenstrup in Kopenhagen .
George Gabriel Stokes in Cambridge .
Otto Struve in Pulkowa .
(LXIM)
Datum der Wahl.
1881
1873
1859
1854
1865
1857
1875
1881
1875
1879
1872
1875
1864
1865
1847
1845
1874
1873
1869
1868
1879
1871
1881
1869
1859
1875
1872
1875
1879
1873
1865
1881
1854
1863
1841
1880
1859
1859
1868
März 3.
April 3.
Aus. 11.
Juni 1.
Aus. 3.
Jan. 15.
Nov. 18.
März 3.
April 3.
März 13.
April 18.
Juli 8.
Oct. 27.
März 30.
April 15.
Jan. 23.
April 16.
Apnil 3.
April 29.
April 2.
März 13.
Juli 13.
März 3.
Juni 3.
Aug. 11.
Juni
April 18 :
Juli 8
Oct. 23.
Juni 12.
Nov. 13
Jan. 6.
Apnil 17.
Juli 16.
März 15.
April 15.
Juli. 11.
April 7.
April 2
(LXIV)
Hr.
Sir
Hr.
Bernhard Studer in Bern
James Joseph Sylvester in Baltimore .
William Thomson in Glasgow
August Töpler in Dresden . i
Pafnutij; Tschebyschew in St. ee
Gustav Tschermak in Wien
Lowis-Rene Tulasne ın Paris .
Gustav Wiedemann in Leipzig
Heinrich Wild in St. Petersburg
Alexander William Wilkamson ın London .
August Winnecke in Stralsburg
Adolphe Würtz m Paris .
Philosophisch-historische Klasse.
. Theodor Aufrecht in Bonn .
George Bancroft in Washington .
Samuel Birch in London
Otto Boehtlingk in Jena . :
Heinrich Brugsch in Charlotfonbere 5
Heinrich Brunn in München .
Georg Bühler in Wien
Giuseppe Canale in Genua
Antonio Maria Ceriani in stand
Alexander Cunningham in London
Georg Curtius in Leipzig .
Leopold Delisle in Paris 5
Lorenz Diefenbach in Darmstadt
Wilhelm Dindorf in Leipzig .
Emile Egger ın Paris .
Petros Eustratiades in Athen .
Giuseppe Fiorelli in Rom . !
Karl Immanuel Gerhardt in Eisleben.
Wilhelm von Güesebrecht in München
Datum der Wahl.
— m —— ———
1845 Jan. 13.
1866 Juli 26.
1871 Juli 13.
1879 März 13.
1871 Juli 13.
1881 März 3.
1869 April 29.
1879 März 13.
1881 Jan. 6.
1875 Nov. 18.
1879 Oct. 23.
1859 März 10.
1864 Febr. 11.
1845 Febr. 27
1851 April 10.
1855 Mai 10.
1873 Febr. 13.
1866 Juli 26.
1878 April 11.
1862 März 13.
1869 Nov. 4
1875 Juni 17.
1869 Nov. 4.
1867 Apnil 11.
18617 Janmal:
1846 Dee. 17.
1867 April 11.
1870 Nov. 3.
1865 Jan. 12
1861 Jan. 31
1859 Juni 30.
. Konrad Gislason in Kopenhagen
Graf Giambattista Carlo Giuhari in va
Aureliano Fernandez Guerra y Orbe in Madrid.
Karl Halm ın München .
Friedrich Wilh. Karl Hegel in Eilhngeih
Emil Heitz in Stralsburg
Wilhelm Henzen in Rom
Broer Emil Hildebrand in Stoskiinmn
Paul Hunfalvy in Pesth.. :
Ferdinand Imhoof- Blumer in Wihtertlür
Vatroslav Jagit in St. Petersburg .
Willem Jonckbloet im Haag
Franz Kielhorn in Poonah
Ulrich Koehler in Athen
Sigismund Wilhelm Koelle in T:andank
Stephanos Kumanudes m Athen
Konrad Leemans ın Leiden
Adrien de Longperier in Paris
Elias Lönnrot in Helsingfors .
Giacomo Lumbroso in Rom :
Johann Nicolas Madvig ın Bopahkägen
Henri Martin ın Rennes
Giulio Minervini in Neapel
Ludvig Müller in Kopenhagen
Max Müller in Oxford
John Mwir in Edinburgh
August Nauck in St. Petersburg
Charles Newton in London
Theodor Nöldeke ın Stralsburg .
Julius Oppert in Paris
Karl von Prantl ın München
Rizo Rangabe in Berlin .
Felix Ravaisson ın Paris
Adolphe Regnier ın Paris
Ernest Renan ın Paris
Leon Renier in Paris .
Alfred von Reumont in Burscheid) bei Aachen
Georg Rosen in Detmold
Rudolph Roth in Tübingen
Datum der Wahl.
1854
1867
1861
1870
1876
1871
1853
1845
1873
1879
1880
1864
1380
1870
1855
1870
1844
1857
1850
1874
1836
1855
1852
1866
1865
1870
1861
1861
1878
1862
1874
1851
1847
1867
1859
1859
1554
1858
1861
März 2.
April 11.
Mai 30.
Jan. 13.
April 6.
Juli 20
Juni 16.
Febr. 27
Febr. 13
Juni 19.
Dee. 16.
Febr. 11
Dee. 16.
Nov. 3.
Mai 10.
Nov. 3.
Mai 9.
Juli 30.
April 25.
Nov. 3.
Juni 23.
Mai 10.
Juni 17.
Juli 26.
Jan. 12.
Nov. 3.
Mai 30.
Jan. 31.
Febr. 14.
März 13.
Febr. 12.
April 10.
Juni 10.
Jan. 17.
Juni 30.
Juni 30.
Juni 15.
März 25.
Jan. 31.
d
(LXVI)
. Eugene de Roziöre in Paris
Hermann Sauppe in Göttingen .
Arnold Schäfer in Bonn
Adolph Friedr. Heinr. Schaumann in Hannover
Wilhelm Scherer in Berlin .
Theodor Sickel in Wien .
Friedrich Spiegel in Erlangen .
Aloys Sprenger in Heidelberg
Adolf Friedrich Stenzler m Breslau
Ludolf Stephani in St. Petersburg
Theodore Hersant de la Vellemargue in Adi
Louis Vivien de Saint- Martin in Versailles .
Matthias de Vries in Leiden .
William Waddington in Paris
Natalis de Wailly in Paris
Friedrich Wieseler in Göttingen .
Wilham Dwight Whitney in New Hayeh
Jean-Joseph-Marie- Antoine de Witte mn Paris .
William Wright in Cambridge
Ferdinand Wüstenfeld in Göttingen :
K. E. Zachariae von Lingenthal in Branchen
Datum der Wahl.
I
1864 Febr. 11.
1861 Jan. 31.
1874 Febr. 12.
1861 Jan. 31.
1875 April 8.
1876 April 6.
1862 März 13.
1858 März 25.
1566 Febr. 15.
1875 Juni 17.
1851 April 10.
1867 April 11.
1861 Jan. 31.
1866 Febr. 15.
1858 März 25.
1879 Febr. 27.
1873 Febr. 13.
1845 Febr. 27.
1868 Nov. 5.
1879 Febr. 27.
1866 Juli 26.
PHYSIKALISCHE
ABHANDLUNGEN
KÖNIGLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
ZU BERLIN.
AUS DEM JAHRE
BERLIN.
VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
1882.
BUCHDRUCKEREI DER KÖNIGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN (G. VOGT).
PR FR FAOY |
AITTEHIENHEANE ANE aum: Aaaan
KANEKCE N 2 wi
Ver Ri
Pr
\»
5
RCHOW: Ueber die Weddas von Ceylon und ihre Beziehungen zu ’
‚den Nachbarstäimmen . » 2... 0.0.0. INCH Sul 149%
EEE u EL a
“u alas] se
Bri—1.7.1 Mia. Ri
” . ..
ea. 7 7 F I
Ins anfal) mern Wahn per
. ‘ U Rs
u
Ueber die Weddas von Ceylon und ihre Beziehungen
zu den Nachbarstämmen.
Von
H VERCHOW:
Phys. Kl. 1581. Abh.]1. 1
sosdeissdt suli bau wahre Iinor zuckhr W oib 4
% none. auch
o u
4
i Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 31. März 1881.
’ -,.WOHDHLV "HR
“
r
er R
% 7 >
[)
“
i ld Ar NA
.
y
IL dem bunten Gemisch von Völkerstämmen, welche die Insel
Ceylon bewohnen, ist in der Betrachtung der Ethnographen schon seit
langer Zeit ein Stamm besonders hervorgetreten, der der Weddas!)
(Vaeddas, Veddas, Veddahs, Vaddahs, Vaidahs, Beddas, Bedas), weil er
durch den niederen Stand seiner geistigen Entwickelung und durch die
Mängel seiner körperlichen Bildung am meisten der Vermuthung Raum
bot, dafs in ıhm ein Rest der Urbevölkerung sich erhalten habe. Gegen-
wärtig, wo nach allen Nachrichten der Bestand desselben sich so schnell
vermindert, dafs wahrscheinlich in nicht ferner Zeit seine letzten Glieder
aus der Zahl der Lebenden verschwunden sein werden, knüpft sich noch das
besondere Interesse an die Untersuchung, dafs es gilt, für die Nachwelt
wenigstens ein sicheres Bild seiner Eigenthümlichkeit zu retten. Dazu
genügt das vorhandene Material keineswegs, und die Aufgabe der nach-
stehenden Erörterungen wird es daher sein, nicht nur zu sammeln, was
gegenwärtig zu erreichen war, sondern auch die Lücken zu bezeichnen, welche
nur durch weitere Localforschung ausgefüllt werden können. Hoffentlich
wird dadurch die Anregung gegeben werden, so schnell als möglich alle
Mittel anzusetzen, um die nöthige Vervollständigung der Thatsachen her-
beizuschaffen.
1) Ich folge in der Schreibung des Namens dem neuesten Berichterstatter, Hrn.
Hartshorne.
ts
4 Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon
Die Weddas bewohnen, wenigstens schon seit Jahrhunderten,
ein besonderes Gebiet in dem östlichen oder genauer südöstlichen
Theile der Insel. Schon Robert Knox!), welcher die ersten genaueren
Nachrichten über sie im Jahre 1681 geliefert hat, versetzt sie in die
Wälder von Bintan (Bintenne). John Davy?) läfst sie in dem ersten
Drittel dieses Jahrhunderts die weiten Wälder auf der Südostseite der
Insel, zwischen dem Gebirge nnd der See, bewohnen, hauptsächlich die
wilden und ungesunden Landstriche, welche Weddahratte von Bintenney
und Mahaveddahratte von Ouva genannt würden. Diese betrachteten sie
als das ihnen eigene Gebiet. Im Ganzen dürfte diese Abgrenzung
auch noch heute zutreffen. Sir Emerson Tennent?) und Hr. Bertram
F. Hartshornet) geben an, dafs sich das Wedda-Land in einer Länge
von etwa 90 und einer Breite von 40 englischen Meilen von den Hügeln
der Distrikte Ouvah und Medamahanuwara gegen Osten bis zur Seeküste
erstrecke, und Hr. Pridham?°), der die Fläche auf nahezu 1500 Quadrat-
meilen (engl.) schätzt, bezeichnet die Grenzen noch genauer so, dafs er
im Osten Baticalo, im Süden die Distrikte von Mahagampattoo und Ouva,
im Westen und Südwesten die Gebirge von Kandy, im Norden den Flufs
Mahavelle-Ganga angiebt. Hr. John Bailey) berichtet, dafs die meisten
wirklichen Weddas in den Distrikten von Batticaloa und Badulla, und
zwar besonders in dem ersteren, wohnen, wobei jedoch zu bemerken ist,
dafs nach der neueren Eintheilung des Landes ein Theil von Bintenne zu
dem Distrikt Badulla, der gröfsere zu dem Distrikt Batticaloa geschlagen
1) Robert Knox. An historical relation of the Island of Ceylon in the East
Indies. London 1817. p. 9, 122. (Neue Ausgabe, abgedruckt in Philalethes The
history of Ceylon from the earliest period to the year MDCCCXV. London 1817.)
2) John Davy. An account of the interior of Ceylon and of its inhabitants,
with travels in that island. London 1821. p. 115—116.
%) James Emerson Tennent. Ceylon. An account of the island, physical, histo-
rical and topographical.e. London 1359. Vol. II. p. 437. ;
*) Hartshorne in The Fortnightly Review. London 1876. New Series. Vol.
XIX. p. 406, 411.
°) Charles Pridham. An historical, political and statistical account of Ceylon
and its dependencies. London 1849. Vol. I. p. 452.
6) Bailey in: Transactions of the Ethnologieal Society. London 1863. New
Series. Vol. II. p. 278.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 5
ist!). Die „wildere“ Abtheilung des Stammes lebe in dem durch Schön-
heit ausgezeichneten Distrikt von Nilgala und in den Wäldern von
Bintenne.
Indefs sprechen vielerlei Zeugnisse dafür, dafs in nicht zu ferner
Zeit die Weddas über ein weit gröfseres Gebiet verbreitet waren. Der
Name Wedda-Land (Weddirata, Veddah Ratta) haftete noch zur Zeit des
Hrn. Bailey (1863) an ausgedehnten Bezirken im Nordosten der Kandy-Berge,
welche aber nicht mehr von Weddas, sondern von Sinhalesen (Wanniahs)
bewohnt wurden. Auch die Bezeichnung Mahaveddahratt& (grofses Wedda-
Land) scheint einen etwas dehnbaren Begriff zu haben. Davy, der es
an einer Stelle nach Ouva verlegt, rechnet ihm an einer anderen Stelle?)
auch das ausgedehnte Niederland zu, in welchem der sogenannte „See“
von Bintenne liegt. Hr. Pridham, der freilich nicht selbst in Ceylon
war, setzt das Mahaveddahratte nach Wellass€ und einem Theil von Ouvah.
Indefs dies sind mehr untergeordnete Anhaltspunkte. Wichtiger sind
einzelne ältere Angaben.
So erzählt Cordiner?), nachdem er die eigentlichen Weddas er-
wähnt hat: Another race, of a similar description, formerly existed in the
district of the Wanny, bordering on the province of Jaffnapatam. They are
now, in some degree, civilized. Sie sprächen Malabar und hielten sich
zur brahminischen Religion. An einer anderen Stelle*) giebt er geradezu
an, bei der Ankunft der Portugiesen hätten die „Bedahs“ im Norden, die
Cingalesen im Süden gewohnt. Diese Angabe würde darthun, dafs die
Weddas früher viel weiter nach Norden hinaufreichten. Aber auch nach
Süden und selbst nach Südwesten hin wird ihre frühere Anwesenheit
bezeugt. Schon Knox>5) erzählt, dafs um Hourly, die entfernteste Be-
sitzung des Königs von Kandy, zahlreiche Weddas, jedoch gezähmte
(pretty tame) lebten, und Valentijn®) nennt aufser Vintana und Hoerli
1) Bailey 1. c. p. 281 note.
a), Day e-Apm37%7%
%3) James Cordiner. A description of Ceylon. London 1807. Vol. I. p. 91.
*) Ebendaselbst. p. 137.
DEIRSToxS lc nSgR2.
%) Francois Valentijn. Oud en Nieuw Oost-Indie. Dordr. en Amsterdam 1726.
Deel V. Ceylon p. 49.
6 VırcHow: DÜeber die Weddas von Ceylon
noch einen Bezirk der Bedas nördlicher als Trincomale. Bergk, der
Uebersetzer des Werkes von Pereival!), erwähnt, dafs nach einer An-
gabe von van Goens bei Salmon die Bedahs fast das ganze Land
zwischen dem „Gebirge“ Candukarre im Westen und Passere im Norden
inne hätten, und Percival selbst?) rechnet zu ihnen nicht nur diejenigen,
welche an den Bezirk Jaffnapatam stofsen, sondern auch die Stämme,
welche die westlichen und südwestlichen Theile der Insel zwischen dem
Adamspik und den Corles Raygam und Pasdam bewohnen.
In Bezug auf diese Angaben bemerke ich, dafs Bergk’s Ansicht
von der Lage der angeführten Bezirke irrig ist, wie ein Blick auf die, m
dem von ihm übersetzten Buche enthaltene Karte von A. Arrowsmith?)
ihn belehrt haben würde. Der Bezirk Canducarre liegt, auch nach der von
J. Mawman (1816) veröffentlichten Karte von Ceylon, welche der neuen
Ausgabe von Knox beigegeben ist, im Osten der Insel, SSW von Batticaloa,
so gut wie das unmittelbar nördlich daran stossende Passera, welches ein
Bezirk von Ouva in der Nähe von Badulla ist*). Darnach würde also das
Land „zwischen Candukarre und Passere“ das eigentliche Wedda-Gebiet sein.
Dagegen liegen die Corles Raygam und Pasdam (oder Pasdum) an der West-
küste, südlich von Colombo, in der Nähe von Saffragam, südwestlich vom
Adamspik. Hr. Bailey?), zu dessen Zeit dort freilich keine Weddas mehr
lebten, vermuthet, dafs Saffragam (mit altem Namen Habara gamowa)
ursprünglich Land der Weddas (der Habaras, Barbaren) war, und er bringt
dafür allerlei noch existirende Ortsbezeichnungen vor. Auch findet er,
dafs in einem sinhalesischen, vor etwa 400 Jahren verfafsten Gedicht,
Pirawi Sandese oder die Botschaft der Taube, in den Bezirken unter dem
Adamspik geradezu Weddas genannt werden. Möglicherweise waren dies
nur vereinzelte, zerstreut im Gebirge wohnende Abtheilungen. Dafs das
Wedda-Gebiet sich noch vor 400 Jahren in continuirlicher Weise bis auf
1) Robert Percival. Beschreibung von der Insel Ceylon, übersetzt von J. A. Bergk.
Leipzig 1803. S. 337 Anm.
2) Robert Perceival. An account of the Island of Ceylon, containing its history,
geography, natural history, with the manners and customs of its various inhabitants.
Edit. 2. London 1805. p. 74, 234.
3) Die Karte bei Tennent ist von John Arrowsmith.
SDavyyalr cp Als Raritdihta malnesnen abe
5) Bailey l. c. p. 313 note.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 7
die Westseite des Gebirges oder gar bis zur Westküste erstreckt habe, ist
höchst unwahrscheinlich, da schon Hiuen Thsang, ein chinesischer Geo-
graph, der im 7. Jahrhundert unserer Zeitrechnung Indien bereiste,
berichtet, dafs die Yakkhos sich in die Südostecke von Ceylon zurückgezogen
hätten!). Dagegen mag es richtig sein, wie auch Sir Tennent annimmt,
dafs noch unter der holländischen Herrschaft in geringer Entfernung von
der Halbinsel Jaffna im Norden, in dem sogenannten Wanny, Weddas in
srölserer Zahl, aber halbeivilisirt zu finden waren. Auf die Frage, ob in
ältester Zeit die Weddas die ganze Insel bewohnten, werde ich später
zurückkommen.
Das jetzige Wedda-Land umfalst ein verhältnifsmäfsig flaches,
nirgends mehr als 200 Fufs über dem Meeresspiegel erhabenes Wald-
gebiet von lieblichem, häufig parkartigem Aussehen. Wie es scheint,
wechselt die Beschaffenheit des Bodens, indem feuchte uud ungesunde
Niederungen mit niedrigen, felsigen Hügeln abwechseln. So nennt der
Rev. J. Gillings?) die Gegend von Bintenne sehr felsig (extremely rocky)
und trocken. Wenn jedoch Hr. Friedr. Müller?) die Weddas in die
„Gebirge“ des östlichen Ceylon versetzt, so ist dies ein Mifsverständnils.
Alle neueren Nachrichten beschränken ihre Wohnsitze auf das Vorland,
welches die centralen Gebirge von der Seeküste scheidet, schlielsen sie
jedoch von diesen Gebirgen selbst aus. Allerdings unterschied Sir
Tennentt) die schon etwas mehr der Cultur genäherten Dorf- und
Küstenstämme von den wilden „Rock oder Galle Veddahs“. Wenn man jedoch
auch seinen Versuch, diese „Galle-vedda“ mit einem alten Stamm der Gallas,
der die Gegend des heutigen Galle im Süden bewohnt haben möchte, zu
identifieiren, zurückweist und den felsigen Charakter der von dem wil-
desten Theile des Stammes bewohnten Gebiete als Grund der offenbar
von den Fremden eingeführten Benennung zugesteht, so folgt daraus
keineswegs, dafs die Rock Veddahs Gebirgsbewohner sind. Schon seit
Jahrhunderten sind vielmehr die eigentlichen Gebirgsbewohner, die Leute
1) Tennentl. ce. I. p. 372 note.
2) The Journal of the Ceylon Branch of the Royal Asiat. Soc. Colombo 1853. p. 89.
3) Reise der österr. Fregatte Noyara. Anthropologischer Theil. Abth. III. Ethno-
graphie. Wien 1868. S. 139.
*#) Tennent |. c. II. p. 439—44.
8 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
des Mayaratta, Sinhalesen. Auch Sir Tennent versetzte die Rock Ved-
dahs, die nach ihm in 5 Clans oder Jagdabtheilungen zerfallen sollten,
in die Wälder von Bintenne, während er die auf höchstens 140 Familien
veranschlagten Village Veddahs in 9 kleinen Gemeinden um die Lagunen-
Distrikte von Batticaloca und die etwa 4—-500 Individuen starken Coast
Veddahs in den Jungles zwischen Batticaloca und Trincomalie, haupt-
sächlich um Eraoor und an der Küste bis zur Venloos Bay hin wohnen
liefs. Hr. Hartshorne verwirft diese Eintheilung ganz; er will nur
Kel& Weddo (Jungle-Weddas) und Gan Weddo (halbeivilisirte Dorf-Weddas)
unterscheiden; nur die ersteren verdienten die besondere Aufmerksamkeit
der Ethnologen.
Wenn man die Karte von Ceylon studirt, so sieht man sofort, dafs
Bintenne, diese uralte Hauptstadt, welche nach Sir Tennent!) mit dem
Maagrammon des Ptolemaeos identisch sem soll, genau auf der östlichen
Grenze des Gebirges gegen das Vorland gelegen ist. Der Mahawelli-
Ganga, der gröfste Strom der Insel, bricht hier aus einem Hügellande
(hill-country) hervor, hinter welchem sich westwärts die Gebirge von
Kandy und Ouvah erheben?); ostwärts schliefsen sich fruchtbare Ebenen
mit Sumpfland und weiten Wäldern an, zwischen welchen hie und da niedrigere
Hügel auftauchen. Sir Tennent?) schildert im saftigen Farben dieses
schöne Land, das er auf dem Wege von Bintenne nach Batticaloa (an
der Ostküste) durchzog und in welchem die eigentliche Heimath der
Weddas liest. Sehr anschaulich beschreibt übrigens schon Knox*) das
Land von Bintenne, welches er von Weitem, von der Höhe des Gebirges aus,
erschaute. Er sagt: it seems to be smooth land, and not much hilly; the
great river runneth through the midst of it. It is all over covered with
mighty woods and abundant of deer; but much subject to dry weather
and sickness. In these woods is a sort of wild people inhabiting.
1) Tennent 1. ec. I. p. 536. Note 2. Er stützt sich darauf, dafs der alte
Name von Bintenne Maha-yangana oder Maha- welligam lautete, und er behauptet, dals
damit nicht etwa Mahagam gemeint sein könne. Letzteres hatte Christ. Lassen (De
Taprobane insula veteribus cognita. Diss. pro aditu muneris prof. ordin. Bonnae 1542,
p. 23.) angenommen.
2) John Davy l.ıe. p.1377.0 Pl.13, 14:
S) Dennentilee Ip Aol.
S)ERnosElr eaped:
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 9
Die wilden Weddas leben hier in gröfster Abgeschlossenheit, so-
wohl gegen ihre allophylen Nachbarn, als gegen ihre eivilisirteren Stamm-
verwandten, ohne feste Wohnsitze, aber doch auf anerkanntem Eigenthum,
meist in kleinen Gruppen oder rein familienweise. Nur selten zeigen sie
sich aufserhalb ihrer Grenzen, um ihre geringen Bedürfnifse, besonders
an eisernem Geräth (Aexten und Pfeilspitzen), gegen Honig, Wachs, Häute
oder Fleisch von Wild einzutauschen. Meist ziehen sie sich scheu vor
jeder Berührung zurück und selbst ihren kleinen Tauschhandel betrieben
sie früher!) nicht direkt, sondern in der Art, dafs sie ihre Waaren und
rohe Modelle dessen, was sie dafür eintauschen wollten, an einem Platze
niederlesten und später die Tauschartikel heimlich abholten. So erklärt
es sich, dafs die Schätzungen über ihre gegenwärtige Anzahl sehr schwan-
ken. Cordiner (1807) sprach sehr unbestimmt von „nicht vielen Tausend“
(not many thousands in number). Während jedoch schon Sir Tennent?)
im Jahre 1859 die damalige Schätzung von 8000 für übertrieben ansah, gab
Hr. Bailey 1863 die Zahl der Weddas im Distrikt Batticaloa auf nur
250, in Nilgala auf 72 (in 1858) und in Bintenne auf 364 (in 1856), im
Ganzen also auf 586 an. Hr. Hartshorne hält diese Angabe für wahr-
scheinlich zu klein. Dafür spricht allerdings eine Mittheilung des Rev.
Gillings®), wonach bei dem Census von 1849 im Bezirk von Bintenne
1) Hr. Hartshorne (l. ec. p. 409) giebt an, dafs dieser geheimnifsvolle Handel,
auf welchen noch Sir E. Tennent so grolsen Werth legte, nicht mehr getrieben werde.
Die erste Angabe darüber findet sich schon bei Knox (l. ce. p. 123). Frühere Autoren,
welche von dem „heimlichen Handel“ sprechen, beziehen sich, soweit ich ersehe, nicht
mit Sicherheit auf die Weddas allein, sondern auf die Ceylonesen überhaupt. Die Stelle
des Plinius (Natur. hist. Lib. VI. 24. Edit. Bipont.) scheint mir, trotz der Einwände
von Sir Tennent (l. e. I. p. 571. note 1), nicht einmal sicher auf Ceylonesen zu beziehen
zu sein, da darin der Handel nicht im Innern des Landes, sondern draufsen, auf der Grenze
der Serae, weitab auf dem Continent, also mehr eine Eigenthümlichkeit der Serae, als der
Ceylonesen geschildert wird. Indefs kommt auf die Auslegung dieser Stelle wenig an,
da chinesische Autoren, z. B. Fa Hian im 3. Jahrhundert, dieser Art von heimlichem
Handel auch auf der Insel selbst Erwähnung thun. Die gleichzeitige Anführung von
Dämonen könnte allerdings für Weddas sprechen, indels zeigt eine Erzählung des ara-
bischen Geographen Albyruni (1030 nach Chr.), dals auch zu seiner Zeit der heimliche
Handel noch an der Küste selbst stattfand. Man mülste also annehmen, dafs im 11. Jahr-
hundert die Weddas Küstenhandel getrieben hätten, was nicht wahrscheinlich ist.
2) Tennentl. ce. II. p. 444.
3) Gillings 1. c. p. 33.
Phys. Kl. 1581. Abbh. 1.
DD
10 Vırcmow: Ueber die Weddas von Üeylon
allein eine Gesammtbevölkerung von 1538 Personen vorhanden war, zur
Hälfte aus Sinhalesen, zur anderen aus Weddas bestehend. Jeden-
falls liefsen die Anführungen des Hrn. Bailey keinen Zweifel darüber,
dafs der Nachwuchs sehr geringfügig, die Vernichtung des ganzen Stammes
also nahe bevorstehend sei. Denn er fand!) in Nilgala unter 72 Personen
50 Erwachsene und nur 22 Kinder (in einer Familie auf 9, in einer
anderen auf 8 Erwachsene je 1 Kind), und von den 50 Erwachsenen
waren nur 14 über 50 Jahre und einer dem Anschein nach über 70 Jahre
alt. Unter 308 Leuten von Bintenne wurden 175 Erwachsene und 133
Kinder gezählt, in einer isolirten Horde 22 Erwachsene und 4 Kinder.
Dabei wird besonders bezeugt, dafs nirgends Anzeichen von dem Bestehen
der Sitte des Kindermordes unter ihnen wahrgenommen sind.
In neuester Zeit scheint der Prozefs der Vernichtung schneller vor-
geschritten zu sein. Nach einer Notiz des Rev. S. Somanader, eines
Missionars in Batticaloa, welehe ich durch die Güte des Direktors des
Museums in Colombo, Mr. A. Haly, erhielt, würde es überhaupt kaum
noch Weddas von reinem Blut mehr geben; er nennt sie a race now
almost entirely extinet. Ob diese Aussage nur für einen bestimmten
Distrikt oder allgemein gelten soll, und ob die Vernichtung mehr durch
fortschreitendes Aussterben oder durch Vermischung mit anderen Stämmen
herbeigeführt ist, vermag ich aus der mir gewordenen Mittheilung nicht
zu ersehen. Jedenfalls bleibt uns ferner stehenden Menschen nichts
anderes übrig, als dasjenige zusammenzuhalten, was uns von solchen
Beobachtern überliefert ist, welche Gelegenheit hatten, mit lebenden
Weddas in deren Heimathsbezirk zu verkehren. Unter diesen sind vor
Allen zu nennen: Dr. John Davy, Sir Emerson Tennent, der Rev.
Gillings, Mr. Bailey und Mr. Hartshorne. Dabei tritt freilich ein
eigenthümlicher Umstand sehr hinderlich hervor, der nehmlich, dafs jeder
spätere Autor die Angaben seiner Vorgänger als ungenau bezeichnet. So
polemisirt Hr. Bailey?) in härtester Weise gegen Sir Emerson Tennent,
1) Bailey l. c. p. 296.
2) Bailey 1. ec. p. 279. Note. His (Tennent’s) account is in some important
instances defective, and even inaccurate. He glances casually at those tribes which are in
the wildest state, touching with preeision none of their peculiarities, and dwells in detail
upon those only, which, from long association with the Singalese and Tamil races, have
lost much of their originality. Of the ancient aborigines he has compiled much that is
curious. Of the existing Veddahs he has little given us besides an epitome of former notices.
und ihre Bezienmgen zu den Nachbarstämmen. 11
und Hr. Hartshorne!), der ihm darin beitritt, bestreitet wiederum die
Zuverläfsigkeit des Berichts von Bailey. Und doch war dieser Jahre
lang in Ceylon und seine Stellung, zuerst als Verwaltungsbeamter in dem
Distrikt von Badulla, später als Principal Assistant Colonial Seeretary von
Ceylon, gab ihm genügende Gelegenheit, die Weddas zu studiren. Ueber-
dies betont er auf das Aengstlichste und mehrmals, dafs seine Angaben
sich durchaus auf persönliche, oft wiederholte und streng geprüfte Beobach-
tungen stützen. Wie mir scheint, ist auch der Widerspruch zwischen den
Herren Bailey und Hartshorne in der That nicht so grofs, wie der
letztere es ausdrückt. Ich finde, dafs der Zeitraum von mehr als 20
Jahren, der zwischen den beiderseitigen Berichten liegst, den Einflufs der
von allen Seiten eindringenden Cultureinflüsse auf das vorher fast ganz
abgeschlossene Völkchen in sehr merkbarer Weise hervortreten läfst, und
dafs sich daraus in ganz natürlicher Weise erklärt, wie gewisse Sitten und
Gebräuche verschwinden und andere auftreten. Ich bin daher sehr geneigt,
das Zeugnils des älteren Beobachters für seine Zeit höher zu veran-
schlagen, als der jüngere Beobachter zugestehen will. Gegen Beide glaube
ich aber ihren bedeutenden Vorgänger, Sir Tennent, in Schutz nehmen
zu müssen. Seine Darstellung trägt durchweg den Charakter srofser
Nüchternheit und Objectivität, und seine Einzelangaben entfernen sich von
denen seiner Nachfolger, namentlich der nächsten, in Hauptstücken fast gar
nicht. Man wird ihm die Gerechtigkeit nicht versagen können, dafs er
zuerst Licht über diese Verhältnisse verbreitet hat.
Immerhin ist es sehr mifslich, unter solchen Umständen aus der
Ferne zu entscheiden, wo die Fehler liegen und was als Wahrheit anzu-
nehmen ist. Es bleibt eben nichts übrig, als sich auf das zu beschränken,
worin die Zeitfolge der sich verändernden Sitte deutlich zu erkennen ist,
oder worin die verschiedenen Beobachter einig sind. Glücklicherweise ist
dies genügend, um ein Bild von den Hauptcharakteren des Volkes zu ent-
werfen. Die gröfste Schwierigkeit dabei liegt in dem Umstande, dafs
nicht wenige der Reisenden, welche über die Weddas handeln, trotz längeren
»
1) Hartshorne ]. c. p. 406. They (the Weddas) have been described by Sir
Emerson Tennent and by Mr. Bailey; but, interesting as their accounts are, the latter
has suffered grievously from misprints, and the value of the former is impaired by the
eircumstance, that its materials were not the fruit of original research.
12 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
Aufenthalts auf der Insel keine derselben zu sehen bekommen haben, also
nur vom Hörensagen erzählen, und dafs andere wenigstens nicht die
eigentlich wilden Familien angetroffen haben. Schon Knox, der
keinen einzigen Wedda sah!) und doch die Abbildung eines solchen
lieferte, unterschied eine „zahmere Sorte“, welche in einer Art von Ab-
hängigkeit von dem König von Kandy standen, und eine „wildere“, welche
kamba Vaddahs genannt würden?). Davy?), der Dorf- und Wald-
Weddas (village Weddahs and forest Weddahs) von einander trennte,
scheint nur die ersteren gesehen zu haben, aber nach seinen Informationen
glaubte er annehmen zu dürfen, dafs beide zu derselben Rasse gehörten.
Das haben auch die späteren Beobachter durchweg anerkannt. Man wird
daher für die Untersuchung der physischen Verhältnisse ohne Bedenken
beide Gruppen vereinigen können, soweit nicht wirkliche Mischungen an-
gegeben sind, dagegen muls man bei der Betrachtung der socialen und
psychischen Verhältnisse beide Gruppen streng auseinander halten. Natür-
lich haben in letzterer Beziehung eigentlich nur die Wald- oder Jungle-
Weddas Interesse, und ich werde daher hauptsächlich von ihnen sprechen;
trotzdem wird man die Dorf-Weddas nicht ganz bei Seite lassen dürfen,
da ihre Ansiedelung und Civilisirung doch nur sehr unvollkommen ge-
lungen ist.
Thatsache ist vielmehr, dafs alle Versuche, die Weddas zur Sefs-
haftigkeit und zu einer höheren Cultur zu bringen, in noch höherem
Maafse gescheitert sind, als die Versuche, den Australiern eine eigentliche
Civilisation beizubringen. Regierungsbeamte und Missionare sind unter
ihnen thätig gewesen, viele Jahre lang, aber ihre Erfolge waren ganz
äufserliche. Der Rev. Gillings giebt an, dafs bis 1844 in Bintenne 163
Männer, 48 Weiber und 85 Kinder getauft wurden; seitdem sehr wenige,
und er fügt hinzu: but almost all of these have gone back again to their
former habits and follies. What they formerly heard they have forgotten.
Die Weddas sind eben wesentlich nomadisirende Heiden‘ geblieben, und
zwar Heiden ohne irgend eine ausgebildete Religionsform. „Es
I) Knossl-zeup:7123.
2) Ebendas. p. 126.
3) Dayy; l&se.2p-116, 2118:
EEE
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 13
ist ein Haufen Freigeister“, sagte Wolf!), „die dem Antrieb ihres bösen
und wilden Naturels folgen.“ Ob sie überhaupt Vorstellungen von Gott
oder göttlichen Wesen besitzen, ist mindestens sehr zweifelhaft. Das
Einzige, was allerdings bezeugt wird, ist ein niederer Dämonendienst,
der hie und da die Form eines Ahnencultus annimmt. Wenn Hr.
Tylor?) dies als Animismus bezeichnet und defshalb „ihre Religion“ mit
derjenigen der rohen indischen Stämme übereinstimmen läfst, so mufs
man wenigstens nicht übersehen, dafs diese „Religion“ nahezu auf der
Grenze des Nihilismus steht. Gillings sagt: They believe the souls of
their departed relations to be devils who have power to hurt them, and
therefore they perform ceremonies to them at regular seasons, and espe-
cially when they are sick. Etwas ausführlicher schildern Bailey und
Hartshorne diese Verhältnisse.
Der erstere?) unterscheidet die Zustände, wie sie sich in Bintenne
gestaltet hatten, von denen der wilderen Bevölkerung von Nilgala. Dort
habe man schon seit längerer Zeit die Todten begraben und betrauert;
hier habe man damit eben erst angefangen. Früher warf man den Todten
in das Jungle*) oder man liefs ihn, wo er starb. Man bedeckte den
Körper mit Laub, legte ihm einen schweren Stein auf die Brust und
suchte dann eine andere Höhle auf, indem man diejenige, wo der Tod
eingetreten war, dem Geist des Verstorbenen überliefs. Dieser Geist
(yakkoon) wacht über das Wohlergehen der Hinterbliebenen. Darum sind
sowohl die Geister der Vorfahren, als die der Kinder gute Geister (nehya
yakkoon); sie kommen zu ihren Angehörigen in der Krankheit, besuchen
sie in Träumen und geben ihnen Fleisch auf der Jagd. In jeder Noth
rufen die Weddas diese Geister an, namentlich die Geister der Kinder
(bilindoo yakkoon oder witera yakkoon). Unter den Ahnen scheinen sie
der Grofs-Grofsmutter (maha kiri amma) den Vorzug zu geben, jedoch
ist Hr. Bailey nicht sicher, ob dieser Vorzug im guten Sinne zu nehmen
sei. Die Geister werden unter Tanz (um einen aufgepflanzten Pfeil) und
1) Joh. Chr. Wolf, Reise nach Zeilan. Berlin u. Stettin 1782. Th. I. S. 168.
2) Edward B. Tylor, Die Anfänge der Cultur, übersetzt von Spengel u.
Poske. Leipzig 1873. Bd. 1. S. 51.
3) Bailey l. c. p. 296, 301.
Su Dayyalıc p. 1.
14 VırcHuow: Ueber die Weddas von Ceylon
Gesängen angerufen. Die Schilderung, welche Sir Tennent!) davon
giebt, erinnert fast an die Gebräuche der Schamanen. Zuweilen, bei der
Zurüstung der Jagd, wird dem Geiste ein Stück Fleisch von dem erlesten
Wilde versprochen. Andermal kochen sie eine Speise und stellen sie in
das trockene Bett eines Flusses oder an einen anderen verborgenen Ort,
rufen die Seele des Ahnen, tanzen um die Speise und bringen ihre Zau-
berformel vor.
Auch Sir Tennent berichtet, dafs die Todten nicht begraben,
sondern einfach in den Jungles mit Laub und Strauch bedeckt würden.
Dagegen wufste der Secretär der Öeylon branch of the Royal Asiatic
Society?) schon 1853 davon zu erzählen, dafs sie die Todten in Matten
einwickelten und begrüben, und Hr. Hartshorne?) kennt nur noch das
Begraben. Wenn einer gestorben ist, so hüllen sie ihn in die Haut eines
Thieres und machen mit ihren Aexten oder zugespitzten Stöcken ein Grab.
Frauen dürfen dabei nicht zugegen sein. Beigaben werden nicht in das
Grab gethan. Ist dasselbe geschlossen, so besuchen sie es nie wieder.
Dem Geiste des Verstorbenen, der nun ein yakko geworden ist, wird ein
Opfer in der Art gebracht, dals man unter Anrufung des Geistes Fleisch
vom Wandura oder Talagoya (Iguana) mit Honig und efsbaren Wurzeln
zusammen brät und es dann unter die Anwesenden vertheilt, welche es
aufessen.
Das Wort yakko (yakkho) bezeichnet nach Turnour*) eine Art
von Dämonen, jedoch heifsen auch die Dämonen-Anbeter yakkhos und
yakkhinis. Er leitet es von der Wurzel yaja, Opferbringen, ab. Mit
Recht hat dieses Wort seit Langem die Aufmerksamkeit der Forscher
1) When sick, they send for devil dancers to drive away the evil spirit, who is
believed to infliet the disease. The dance is executed in front of an offering of some-
thing eatable, placed on a tripod of sticks, the dancer having his head and girdle decorated
with green leaves. At first he shuffles with his feet to a plaintive air, but by degrees he
works himself into a state of great exeitement and action, accompanied by moans and
screams, and during this paroxysm, he professes to be inspired with instructions for the
eure of the patient. (Tennent Il. p. 442.)
2) Journ. R. As. Soc. Ceylon Branch 1853. p. 89.
3) Hartshorne |. c. p. 415.
*) The Mahäwanso, edited by George Turnour. Ceylon 1837. Vol. I. Index
and Glossary. p. 30.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 15
erregt, da in dem grolsen Geschichtswerke Ceylons, dem Mahawanso, die
älteste Bevölkerung der Insel mit demselben Namen belegt wird. Als
Wijayo, der Begründer der ersten bekannten Dynastie Ceylons, im
Jahre 543 v. Chr., dem Jahre von Gotama Buddhas Tod, auf der Nord-
westküste, wie angenommen wird, in der Gegend von Putlam!) landete,
traf er schon einen organisirten Yakkho-Staat?); ja von Gotama Buddha
selbst wird erzählt, dafs er nach Lankä, einer Ansiedelung der Yakkhos,
kam®). Man wird daraus wohl kaum mit Sir Emerson Tennent*) und
Anderen ohne Weiteres schliefsen dürfen, dafs das Volk der Nordwestküste,
welchem der Name der Yakkhos beigelegt wurde, mit den heutigen
Weddas identisch war, und dafs bis zur Zeit Wijayo’s eine homogene
Urbevölkerung die Insel bewohnte, aber man wird auch wohl nicht fehl gehen,
wenn man annimmt, dafs in frühester Zeit fast die ganze Bevölkerung dem-
selben Yakkho-Dienst zugewendet war, wie er jetzt noch bei den Weddas
und nur bei ihnen gefunden wird. Denn die Sinhalesen sind Buddhisten,
die Moors und die Mehrzahl der Tamilen Mahomedaner.
Auch der Umstand spricht gegen eine Bewohnung der ganzen Insel
durch Weddas, dafs die alte Sage von Königen, Prinzessinnen und Städten
(z. B. Lankäpura) der Yakkhos zu erzählen weils, während bei den Weddas
der neueren Zeit von alle dem keine Spur aufgefunden ist. Wie sie keinen
Gott, keinen Priester, und keinen Tempel haben, so behelfen sie sich auch
ohne König, ohne Häuptlinge und ohne Städte, ja sogar ohne Häuser.
Wenigstens gilt dies von der „wilderen Abtheilung“. Man mülste eine
so tiefe Degradation der heutigen Weddas von der alten Yakkho-Zeit her
annehmen, dafs sie in der That beispiellos sowohl in der Geschichte, als
in der Ethnologie dastehen würde. Selbst für denjenigen, der, wie ich,
die Möglichkeit selbst einer starken intellektuellen und physischen Degra-
!) Hr. Brodie (Journ. R. Asiat. Society, Ceylon Branch 1853. p. 48) giebt
an, dafs der Ort der ersten Ansiedelung (Tambapanni) noch jetzt Tammena Adawesa
heilse und 6—8 engl. Meilen östl. von Putlam liege. Von dem Worte Tambapanni wird
die griechische Bezeichnung der Insel, Taprobane, abgeleitet (Tennent ]. e. Vol. I.
p- 525. note 1.).
?) Mahäwanso p. 48—49.
®) Ebendas. p. 2. Lankä filled by yakkhos, and therefore the settlement of the
yakkhos. (Lanka ist ein alter Name von Ceylon.)
4) Tennent ]. ce. II. p. 438.
16 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
dation ganzer Stämme anerkennt, würde es doch ein gewaltiger Schritt
sein, zuzulassen, dafs ein Stamm, der sein Gebiet nicht wechselte,
und in nächster Nachbarschaft mit verhältnifsmäfsig hoch
eivilisirten Stämmen lebt, in wenig mehr als zwei Jahrtausenden so
tief herabsinken könne. Die weitere Darstellung wird allerdings ergeben,
dafs man bei den Weddas die Frage der Deteriorirung nicht umgehen
kann, aber ich möchte schon hier aussprechen, dafs ich mich nicht dafür
entscheiden kann, ihren Verfall aus einem organisirten Yakkho- Staat
zuzugestehen.
Keine einzige Thatsache spricht dafür, dafs Wijayo mit seiner
Gefolgschaft aus dem Thal des Ganges der erste Fremde war, welcher
nach Ceylon kam. Im Gegentheil, schon die Sage von der Ankunft des
Gotama Buddha deutet auf frühere Ankömmlinge. Nicht minder geschieht
dies in der alten Ueberlieferung des Ramayana. Lassen!) erklärte ge-
radezu, man müsse in der Sage von Rama „die Erinnerung an einen
früheren Versuch sehen, die Insel von Indien aus zu colonisiren.“ Die
Nordwestküste Ceylons liegt der Küste Coromandel so nahe und die Nach-
barschaft der Adams Bridge ist auch später so anhaltend der Landungsplatz
für Eindringlinge aus Vorderindien gewesen, dals man sich vielmehr
wundern mülste, wenn gleich die erste Einwanderung in so entlegener
Zeit durch die Geschichte fixirt worden wäre. Fand Wijayo auf der
Insel schon eine Art von politischer Organisation vor, so wird auch schon
vor ihm eine fremde Occupation angenommen werden dürfen, und die
Zeit, in welcher auch der ganze Norden der grofsen Insel Wedda-Land
war, mufls dann um ein gutes Stück weiter zurückverlegt werden. In
historischer Zeit hat eine Occupation nach der andern vom Norden und
Westen her stattgefunden und die reinere Bevölkerung ist gegen den Süden
und Osten zurückgeschoben worden. Aber auch von dieser reineren
Bevölkerung wird nur zum Theil zugestanden werden können, dafs sie
den ursprünglichen Typus unverfälscht erhalten habe.
Der erste Besuch des Gotama Buddha auf der Insel fand nach
dem Mahawanso?) in Maheyangano statt. Dieser Ort ist allerdings gerade
1) Christian Lassen. Indische Alterthumskunde. Bonn 1847. Bd. I. S. 198.
?) Mahäwanso p. 3. cap. I. Introduction p. XXIV. Glossary p. 16.
2
und ıhre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 17
im heutigen Wedda-Land bei Bintenne zu suchen, wo nachmals von den
Königen Devenepia-Tissa (307 v. Chr.) und Dutthagämini (164 v. Chr.)
eine Dägoba errichtet wurde!). Nach den Yakkhos, in deren Mitte der
Buddha hier erschien, besuchte er bei einer zweiten Gelegenheit Nägadipo,
den Ort der Nagas, d. h. der Schlangen-Anbeter?), von dem man an-
nimmt, dals er den Norden und Westen der Insel bezeichnen soll; jeden-
falls ist sowohl von Anwohnern des Oceans, als auch von Berg-Nagas die
Rede; es wird ein Naga-König von Kalyäani (in der Nähe von Colombo)
erwähnt u. s. w. Sir Tennent?) vergleicht diesen Götzendienst mit dem
der rakshas unter den dravidischen Stämmen Vorderindiens, wahrschein-
lich mit vielem Recht, aber er übersieht, dafs, wenn überhaupt diesen
mythologischen Traditionen ein Werth beigelegt werden soll, daraus eine
Mehrheit von Stämmen oder doch mindestens eine Zweispältigkeit der
uralten Bevölkerung hergeleitet werden mülste. Und es ist nicht ohne
Werth, dafs die Schilderungen des Naga-Staates in diesen ältesten Mythen
uns das Bild einer viel vollkommeneren Organisation entfalten, als es
durch die Erzählungen über die Yakkhos geschieht. Trotzdem wird man
wohl darauf verzichten müssen, diese Mythen als Grundlage der ethnolo-
gischen Betrachtung zu benutzen und daraus einen hoch entwickelten
Wedda-Staat der prähistorischen Zeit aufzubauen. Waren die Weddas
von Bintenne schon vor Wijayo Buddhisten, so wäre ihre spätere Religions-
losigkeit, ihre überwiegend thierische Nahrung und so vieles Andere
kaum erklärlich.
Noch bis in die jüngste Zeit waren die Weddas ein nomadisi-
rendes, halb troglodytisches Jägervolk. Wie schon erwähnt, lebten
sie in geringer Zahl auf einem verhältnifsmälsig ausgedehnten Waldgebiet,
welches ohne eigentliche Abgrenzungen, jedoch unter Anerkennung einer
Art von traditionellen Familienansprüchen, unter kleinen, verwandtschaft-
lich zusammengehörigen Gruppen vertheilt war. Jede Familie hatte ihr
besonderes Jagdgebiet, in welchem ihr Vorrecht anerkannt wurde. Darin
suchten sie Honig und Bienenwachs, gruben efsbare Wurzeln, jagten das
1) Tennent |. ce. II. p. 420.
2) Mahawanso p. 4. Glossary p. 13.
>, Bennentl..cy 1.9328.
Phys. Kl. 1881. Abh. |. 3
18 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
Wild und stellten den Vögeln und Fischen nach. Von irgend einer Art
von Anbau, sei es von Garten-, sei es von Ackerbau, war nicht die Rede.
Sie besalsen kein gezähmtes Hausthier aufser dem Hunde, und es kann
selbst in Bezug auf diesen die Frage aufgeworfen werden, ob sie ihn nicht
erst später angenommen haben, denn die Art unterscheidet sich nach
Bailey!) in nichts von der gewöhnlichen Landrasse Ceylon’s. Auch scheinen
die Hunde noch mehr, als zur Jagd?), zur persönlichen Bewachung erzogen
zu sein. Sir John Lubbock®) legt Gewicht darauf, dafs sie Jagdbüffel
besalsen, welche so angelernt waren, dafs der Jäger sie an einem um ein
Horn gelegten Stricke lenkte und sich, hinter ihnen verborgen, an das Wild
schlich, allen Hr. Bailey*) erklärt ausdrücklich, dafs diese von ihm
allerdings in Bintenne constatirte Sitte über die ganze Insel verbreitet sei;
es darf den Weddas daher wohl kaum ein Anspruch auf diese Erfindung
zugeschrieben werden.
Ihr Jagdgeräth ist so einfach, wie möglich. Es besteht aus einem
starken, 6 Fufs langen Bogen und 2—3 Pfeilen von 34 Fufs Länge, deren
Spitze aus Eisen gearbeitet ist. Das Spannen des Bogens wird allerseits
als sehr schwierig beschrieben: Sir Tennent?) liefs daher die Weddas
in halb liegender Stellung unter Benutzung des linken Fulses den Bogen
spannen und gab eine Abbildung davon nach einem, in Ebenholz ge-
schnitzten Modell eines eingebornen Holzschneiders. Die späteren Be-
schreiber konnten von dem Fortbestehen eines solchen Gebrauches nichts
erfahren; sie lassen den Bogen mit dem linken Arm spannen und leiten
von dieser Uebung die ungewöhnliche Kraft und Entwickelung dieses Arms ab.
Aulser eisernen Pfeilspitzen besitzen die Weddas noch, jedoch vor-
zugsweise zu dem Zweck, Honig und Wachs aus hohlen Bäumen heraus-
zuhauen, eine eiserne Axt, selten zwei, eine grölsere und eine kleinere.
Diese Eisengeräthe erlangen sie durch Tausch von ihren Nachbarn; ihre
einzige Thätigkeit besteht darin, die Pfeilspitzen durch Klopfen für ihre be-
1) Bailey l. c. p. 286.
2) Davy (l. ec. p. 117) sagt geradezu, sie gebrauchten die Hunde nicht zur
Jagd, es sei denn auf Talagoya (Inguana).
3) John Lubbock. Prehistorie times. London 1878. 4, Edit. p. 448.
4) Bailey ]. c. p. 288.
5) Tennent l. c. Vol. I. p. 499. Note 7. Vol. IH. p. 439.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 19
sondere Zwecke zuzuschlagen. Aber selbst diese Stücke sind selten und
werden als kostbare Erbstücke in der Familie aufbewahrt; ja zuweilen
haben sie nur Pfeilspitzen aus zugeschärftem und mit Vogelfedern besetz-
tem Holz. Hr. Hartshorne!) macht bei Anführung dieser Verhältnisse
die interessante Angabe, dafs das Wort galrekki, gala, womit sie die Axt
bezeichnen, im Sinhalesischen Stein oder Fels bedeutet, und er sieht daher
mit Recht darin eine Erinnerung an eine frühere Zeit, wo steinerne Waffen
unter den Weddas im Gebrauche waren. Freilich ist es mir nicht be-
kannt, dafs in Ceylon Steingeräthe gefunden worden sind, indefs ersehe
ich auch nirgends, dafs darnach gesucht worden ist. Es wäre vielleicht
eine sehr dankbare Aufgabe, die Höhlen, in denen nach Hrn. Bailey
noch jetzt Gebeine der Todten vorkommen sollen, auf ihren sonstigen
Inhalt genauer zu durchforschen.
Ihre Nahrung ist fast ausschliefslich eine thierische?). Wie
die Buddhisten, schliefsen sie das Fleisch des Rindes vom Genuls aus;
ebenso (nach Sir Tennent und Mr. Bailey) das des Elephanten, des
Bären, des Leoparden, des Schakals und des Huhns. Dagegen essen sie
das Fleisch aller übrigen Vögel, des ceylonesischen Elchs (Samba deer, Rusa
Aristotelis), des Hirsches (Axis maculata), des Affen, des Schweins, des
Leguan und des Pengolin (Manis pentadactylos). Letzteres gilt als das
beste. Unter den Fischen ziehen sie den Aal vor. Alle Nahrung wird
gekocht. Da sie jedoch kein Thongeräth besitzen, so ist die Zubereitung
des Fleisches eine sehr rohe. Wolf?) behauptete sogar, sie älsen das
Fleisch ungekocht. Gegenwärtig scheint dies wenigstens nicht die Regel
zu sein: sie kochen und braten das Fleisch. Feuer erzeugen sie in der
im Osten gebräuchlichen Weise, indem sie ein zugespitztes Holz gegen
die Aushöhlung eines anderen Holzstückes, das sie zwischen den Fülsen
halten, setzen und dasselbe wirbelnd drehen*). Sie benutzen dazu das
Holz desselben Baums, des Welanbaums (Pterospermum suberifolium), aus
1) Hartshorne l. ce. p. 408.
?) In the choice of their food, both classes (Rock V. and Village V.) are almost
omnivorous, no carrion or vermin being too repulsive for their appetite. Tennent II. p.
439. — Their food being only flesh. Knox p. 123.
3), Wolf a.a. O. S. 117.
*) Eine ausführliche Beschreibung bei Sir E, Tennent |. ce. II. p. 451.
3*
20 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
welchem auch die Bogen gemacht werden. Jedoch scheint neuerlich auch
die Sitte des Feuerreibens aufser Gebrauch zu kommen; mindestens be-
hauptet Hr. Hartshorne, dafs sie jetzt Flint und den Stahl ihrer
Aexte oder Pfeilspitzen dazu benutzen. Besondere Genufsmittel sind unter
ihnen unbekannt; weder Betel, noch Tabak!) sind im Gebrauch. Sie
trinken nur Wasser und kauen eine Rindenart. Selbst Salz war ihnen,
wie Hr. Hartshorne?) berichtet, unbekannt; als es ihnen aber gereicht
wurde, gefiel es ihnen sehr.
Nur an einzelnen Orten, wo europäische Einwirkung erkennbar ist,
wird eine roheste Art von Ackerbau betrieben, wie sie übrigens noch
heutigen Tages in der Troas und in Spanien üblich ist. Kleine Strecken
(chena) des Jungle werden niedergebrannt, dann bestellt und dann wieder
auf 5—10—15 Jahre sich selbst überlassen®). Mit dieser, gar nicht in
Betracht kommenden Ausnahme ist ihre ganze Existenz auf den Ertrag
der Jagd gestellt. Das allgemeine Anerkenntnifs dafür zeigt sich in ihrem
Namen, der nach der fast einstimmigen Annahme Jäger (hunter, archer,
one who shoots) bedeutet. Ich werde darauf zurückkommen. Vorläufig
wollte ich nur hervorheben, dafs in den Gebräuchen der Weddas nichts
gelegen ist, was andeutete, dafs sie sich in irgend einer Zeit über
den Zustand eines rohen Jägervolks hinaus entwickelt haben.
Ja, sie haben nicht einmal den ersten Grad der Sefshaftigkeit
erreicht). Obwohl sie bei ungünstigerer Witterung die natürlichen Höhlen
des Landes oder einfache, aus Baumzweigen und Rinde zusammengestellte
Hütten) benutzen, so scheint dies doch nirgends in dauernder Weise
1) In der Abbildung bei Knox wird der Wedda allerdings mit einer brennenden
Pfeife abgebildet, aber dies war eine freie Erfindung des Künstlers.
2) Hartshorne l. c. p. 413.
3) Bailey 1. c. p. 282.
*#) Knox (l. e. p. 123) sagt von ihnen: they have no towns nor houses, only
live by the waters under a tree, with some boughs eut, and laid round about them, to
give notice when any wild beast come near, which they may heer by their rustling and
trampling upon them. Er sah solche Plätze auf seiner Flucht aus der fast 20jährigen
Gefangenschaft.
5) Sir Tennent (l. c. II. p. 439) spricht auch davon, dafs sie zuweilen auf
Gerüsten schliefen, welche sie in den Bäumen bereiten. Das würde auf Gebräuche hin-
weisen, wie sie Hr. F. Jagor (Zeitschr. für Ethnologie 1879. Verhandl. der Berliner
anthropol. Gesellsch. S. 79. Taf. IX.) von den Kanikars in Vorderindien berichtet. Da-
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 21
geschehen zu sein. Im Gegentheil, beständiger Wechsel des Ortes inner-
halb ihres Jagdgebiets war die Regel. Daher beschränkt sich ihre Ge-
selligkeit, ja ihr Gedankenkreis wesentlich auf die nächsten Angehörigen,
deren Zahl oft sehr klein ist und vielleicht nur 4—5 Personen beträgt.
Aller Anreiz zu höheren Genüssen und Ansprüchen fällt damit von selbst
fort. Ehrgeiz, Eifersucht, Liebe zum Putz kommen gar nicht zur Ent-
wickelung. Aber auch ein Bedürfnifs zu angespannter Geistesthätigkeit
tritt nicht hervor. So erklärt sich, wie mir scheint, in natürlicher Weise
eine Reihe von Eigenthümlichkeiten, ja zum Theil von widersprechenden
Sonderbarkeiten.
Von einem so wilden und niederen Volksstamme könnte man
vielleicht erwarten, dafs er die Fremden überfallen, die Nachbarn bedrohen,
selbst entfernteren Abtheilungen des Stammes kriegerisch entgegentreten
werde. Von älteren Erzählungen und von vereinzelten Fällen, die ganz
aufser Betracht bleiben können, abgesehen, ist die Sitte der Weddas eine
durchaus friedliche. Auch den Schritt vom Jäger zum Krieger
haben sie nicht gemacht. Sie sind friedfertig unter sich und gegen
die Anderen, so lange man sie in Ruhe läfst. Sie halten das Eigenthum
heilig und sind treu und wahrheitsliebend. In dem Maalse, als ihr Leben
sich auf den Kreis der Familie beschränkt, ist auch das Familiengefühl
stärker entwickelt. Ehebruch und Polygamie werden nur da erwähnt!),
wo man den Versuch gemacht hat, sie zu civilisiren. Während unter
ihren Nachbarn, den sinhalesischen Kandiern, Ehebruch und Polyandrie?)
so allgemein waren, dafs die englische Regierung im Jahre 1859 ein be-
sonderes Gesetz dagegen erlassen mulste, war eheliche Treue und Mono-
gamie, sowie Liebe zu den Kindern unter den Weddas selbstverständliche
Sitte. Hr. Bailey®) führt die sehr charakteristische Aeuflserung eines
Kandiers über sie an: sie sind, sagte derselbe, just wie die Wanduras.
gegen behauptet Hr. Hartshorne, sie seien schlechte Kletterer und besäfsen keine beson-
dere Fähigkeit, mit den Fülsen zu greifen. Percival (l.c. p. 338) dagegen berichtet das
gerade Gegentheil: sie sprängen mit grolser Geschicklichkeit auf Bäume und schliefen darauf.
1) Gillings ]. c. p. 86.
2) Tennent]. e. II. p. 428.
3) Bailey l. e. p. 293.
22 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
Und doch sind die Weiber nichts weniger als anziehend, und
nicht einmal durch Schmuck ausgezeichnet oder auch nur reinlich. Vom
Waschen des Körpers ist keine Rede. They are the most ordinary spe-
cimens of the sex I ever saw, sagt Bailey. Beide Geschlechter gehen fast
nackt. In früherer Zeit trugen sie Stücke von Baumrinde (Riti-tree, An-
tiaris innoxia oder A. saccadora); später setzten sie an deren Stelle kleine
Fetzen von Zeug, die durch eine Schnur um den Leib festgehalten wer-
den. Die Weiber unterschieden sich nur dadurch, dafs sie runde Pflöcke
von Elfenbein in den durchbohrten Ohrläppchen trugen!). Hr. Hart-
shorne?) dagegen sah schon bei beiden Geschlechtern Zierrathen in
den Ohren, namentlich Perlen oder, was besonders beliebt war, leere
Patronenkapseln. Offenbar sind diefs ganz moderne Neuerungen; man
wird ohne Weiteres annehmen dürfen, dafs vor nicht langer Zeit die völ-
lise oder höchstens durch die Bedeckung der Schamtheile gemilderte,
schmucklose Nacktheit Regel war.
Wenn trotzdem weder Polygynie noch Polyandrie beobachtet ist,
so mag sich diels aus der geringen Dichtigkeit des Volkes und aus der
Vereinsamung der Familien erklären. Vielleicht darf man auf dieselbe
Weise auch die andere, am meisten auffällige Sitte deuten, welche von
verschiedenen Reisenden bezeugt ist, nehmlich die Heirath mit der
Schwester. Und zwar die Heirath mit einer jüngeren Schwester, wäh-
read die mit der älteren für unzüchtig gilt. Nach Hrn. Hartshorne®)
wäre sogar die Ehe mit einer Tochter zulässig, indefs wird es sich hier
wahrscheinlich um thatsächliche und nicht um rechtliche Verhältnisse
handeln. Knox*) erzählt auch von einem Könige von Kandy, der mit
seiner Tochter ein Kind hatte, aber keiner seiner Unterthanen scheint
diels für ein zulässiges Verhältnifs gehalten zu haben. Bailey) ist ge-
neigt, in der Schwesterehe ein altes Ueberlebsel zu sehen. Er erinnert
daran, dafs schon Wijayo, der Begründer der Sihala-Dynastie, aus einer
Schwesterehe in Indien hervorgegangen sei, und dafs hinwiederum der
1) Bailey p. 284.
?2) Hartshorne p. 409.
3) Derselbe 1. ce. p. 416.
AERO cap:
5) Bailey l.c. p. 310.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 23
Sohn Jiwahalto, den er mit einer Yakkho-Prinzessin in Üeylon er-
zeugt hatte, seine Schwester heirathete und der Ahnherr eines besonde-
ren Stammes, der Pulindah, wurde. Nachher sei dieser Gebrauch auch
in den sinhalesischen Königsfamilien geübt worden!). Man kann zuge-
stehen, dafs diese Anführungen recht bemerkenswerth sind, aber schwer-
lich sind die alten Mythen als sichere historische Thatsachen anzusehen.
Sie scheinen mir nur zu beweisen, dafs ein Gebrauch, der auch in Per-
sien und in Aegypten bestand, in Ceylon frühzeitig zur Duldung gelangte;
der Grund wird überall derselbe gewesen sein, in den Königshäusern,
wie bei den nackten Weddas: der Mangel an geeigneten Weibern oder an
Weibern überhaupt. Jedenfalls ist es nicht Unkeuschheit oder Zuchtlosig-
keit, welche die Weddas zu einem solchen Ehebündnifs führt. Bei der ge-
wöhnlichen Eheschliefsung entscheidet der Wille der Eltern der Braut,
welche selbst keine Wahl hat. Das einzige Ceremoniell dabei besteht in
der Darbringung von Nahrung für die Eltern Seitens des werbenden
Mannes. Wenn unter solchen Verhältnissen die Ehen dauernd und treu
gehalten werden, so spricht diefs sicherlich für die Güte des Herzens bei
einem so wilden Stamme.
Dagegen lassen die Nachrichten der verschiedenen Beobachter er-
kennen, dafs eine besondere Tiefe des Gefühls bei den Weddas nicht
zur Erscheinung kommt. Vielmehr deuten alle Beschreibungen auf eine
gewisse mürrische Indolenz, welche nur durch die Liebe zu dem Gewohn-
ten gelegentlich durchbrochen wird. Am bemerkenswerthesten erscheint
in dieser Beziehung eine Beobachtung des Hrn. Hartshorne?), für
welche er eine Reihe von Thatsachen beiträgt, ich meine die Unfähig-
keit der Weddas zum Lachen. Während sie weinen können, lachen
sie nicht nur nicht, sondern sie mifsachten auch diejenigen, welche lachen.
Meines Wissens ist etwas ähnliches von keinem andern Volksstamm be-
richtet worden; wir kennen den lachlosen Zustand nur bei gewissen
Idioten.
In intellektueller Hinsicht scheinen die Weddas in der That sehr
1) Sir E. Tennent (II. p. 459) eitirt als Gewährsmann dafür Valentijn l. c.
cap. IV. p. 63.
2) Hartshorne l.c. p. 410.
94 Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon
niedrig zu stehen. Nach Hrn. Hartshorne!) können sie überhaupt
nicht zählen, haben auch keine Zahlworte und brauchen die Finger nicht
zum Zählen. Hr. Bailey?) geht nicht ganz so weit; er sagt, sie zähl-
ten mit Schwierigkeit an den Fingern, aber er giebt in seinem Vocabular
kein Zahlwort und er erzählt, dafs es schwer sei, einem Wedda etwas
klar zu machen, was über den nächsten Tag hinausgehe. Der Reverend
Gillings?) sagt, sie könnten nur bis zu einer sehr beschränkten Aus-
dehnung (only to a very limited extent) zählen. Davy *) giebt an, sie
hätten kaum (hardly) eine Kenntnifs von Zahlen und könnten nicht
über fünf zählen; Sir Tennent°) geht noch einen kleinen Schritt wei-
ter, indem er sich so ausdrückt, dafs sie unfähig seien, über fünf „an
ihren Fingern“ zu zählen. Auch das ist recht wenig, zumal wenn
man erwägt, dafs die milderen Angaben sich auf die „zahmere Sorte“ be-
ziehen. Hr. Hartshorne®) bestreitet ebenso, dafs ihre Sprache ein Wort
für eine Farbenbezeichnung enthalte; sie besäfsen weder eine Vorliebe für
t) Hartshorne p. 413. They are wholly unable to count or to comprehend
the ideas of one, or two, or three, nor do they even use their fingers for this pur-
pose; and the chief diffieulty in obtaining any information from them arose from their
inability to form any but the most simple mental synthesis, and from their very defeetive
power of memory. Bei einer anderen Gelegenheit behauptete Hr. Hartshorne sogar,
die Weddas hätten keine Idee von dem Unterschiede zwischen Eins und Zwei (Journ. of
the Anthropol. Institute of Great Britain and Ireland. 1878. Vol. VII. p. 468).
2) Bailey: l.e. pr298:
3) Gillings 1. ce. p. 88.
*) Davy l.ce. p. 118. An dieser Stelle ist die Rede von „Dorf-Weddas*“.
Prichard (Researches into the physical history of mankind. London 1344. 3!" Edit.
Vol. IV. p. 193), welcher dasselbe anführt, berichtet, dafs die Beschreibung des Dr. Davy
sich auf eine grolse Schaar (party) von Vaddahs beziehe, welche er während seines Be-
suches in Kandy gesehen habe; die Leute seien nach ihren Angaben aus der Gegend des
Sees von Bintenne gekommen, wo etwas Korn (a little grain) gebaut werde. Ich be-
zweifle die Richtigkeit dieser Mittheilung nicht, die von grofser Wichtigkeit für die Be-
urtheilung des Werthes der Angabe über die intellektuellen Fähigkeiten der Leute ist.
Aber sie ist aus einer Schrift des Dr. Davy geschöpft, die mir nicht zugänglich ist;
Prichard eitirt dieselbe unter dem Titel: History of the Island of Ceylon. In dem
Account of the interior of Ceylon steht nichts davon, obwohl der Besuch in Kandy aus-
führlich (p. 364, sq.) geschildert ist.
5) Tennentl.c. II. p. 443.
°) Hartshorne l.c. p. 409.
ER
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 25
lebhafte Farben, noch eine Schätzung der Farbenunterschiede. Er klagt
endlich über ihren Mangel an Gedächtnils und ihre Unfähigkeit, allge-
meine Ideen zu bilden. Sir Tennent sagt, sie haben keine Idee von
Zeit und Raum, keine Worte für Stunden, Tage und Jahre, — keine
Spiele, keine Vergnügungen, keine Musik. Freilich gilt auch diese Bemer-
kung in voller Ausdehnung nur für die wilde „Sorte“; von den Dorf-
Weddas erzählt Davy!), dafs sie eine „rohe Art von Gesang“ während
eines in plumper Weise ausgeführten Tanzes hätten hören lassen. Nimmt
man dazu die Fruchtlosigkeit aller Erziehungsversuche, die man mit ihnen
gemacht hat, so wird man gezwungen, die Inferiorität der Rasse zuzuge-
stehen. Selbst wenn sich ergeben sollte, dafs einige der mitgetheilten
Beobachtungen zu exclusiv sind, würde sich das Gesammturtheil nicht
ändern.
Es sieht wie ein Widerspruch aus, dafs sie sich, wie Hr. Hart-
shorne?) berichtet, als über ihre Nachbarn erhaben betrachten. Indels
findet sich dieser Widerspruch auch sonst: beschränkte Personen über-
schätzen ihre Fähigkeiten nicht selten. Sonderbarer klingt es, wenn die
verschiedensten Berichterstatter anführen, dafs die Weddas auch von ihren
Nachbarn als Glieder einer hohen, ja der königlichen Kaste angesehen
werden. Sollen sie doch in früherer Zeit den König von Kandy hura
d. h. Vetter haben anreden dürfen. Da sie selbst unter sich keine Kasten-
unterschiede kennen, so ist diefs allerdings recht auffällig. Man hat das
als einen Beweis für die Richtigkeit der Tradition angesehen, dafs sie
von königlichem Blut seien oder gar, wie Mr. Bailey®) annimmt, von
König Wijayo selbst abstammten, aber wo sollten dann die Nachkommen
jenes Yakkho-Volkes geblieben sein, welches Wijayo bei seiner Ankunft
auf der Insel antraf? Keine der anderen, so zahlreich vertretenen Rassen
Ceylon’s läfst sich mit dieser Urbevölkerung in eine nähere Beziehung
bringen.
Die ältesten Berichterstatter, welche sich ausführlicher über das
Kastenwesen auf der Insel Ceylon auslassen, stimmen darin überein, dafs
1) Davy l.c. p. 118. Vgl. oben S. 13—14.
2) Hartshorne, p. 412.
3) Bailey l.c. p. 312.
Phys. Kl. 1881. Abh.]l. 4
36 Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon
die Weddas einer höheren Kaste zugerechnet wurden. Davy!), welcher
diesen Punkt besonders eingehend behandelt, erzählt, dafs die Mehrzahl der
Sinhalesen der Kaste der Landbauer, der sogenannten Goewanse oder, wie
sie im Niederland hiefsen, der Vellalas zugetheilt würde, und dafs dazu auch
die Weddas gehörten. Philalethes?) hat dieselbe Angabe. Er erklärt,
das Wort Gowi sei sinhalesisch, Vellalas malabarisch; zu dieser Kaste ge-
hörten die Wanne-Weddas, von denen es zwei Sorten gebe: eine, welche
Blätter auf dem Körper trügen, und eine, welche Baumrinde, durch be-
sondere Zubereitung weich gemacht, benutzten. Dafs die neueren Be-
obachter dieses Verhältnifs weniger berühren, erklärt sich wohl aus dem
Umstande, dafs in letzter Zeit das Kastenwesen unter den Sinhalesen sehr
an Bedeutung verloren hat, wie denn auch schon früher die beiden ober-
sten Kasten, die königliche und die brahmanische, nicht vertreten
waren. Vielleicht erklärt sich aus diesem Umstande auch der sonder-
bare Gebrauch, dafs die Weddas, die doch nur der dritten Sammtkaste
angehören, mit den Königen selbst in Verbindung gebracht wurden. Noch
im Jahre 1853 bemerkte der Secretär des Ceylon-Zweiges der Asiatie
Society in einer Note?), dafs die Weddas von Bintenne und von der See-
küste sich als Glieder einer sehr hohen Kaste betrachteten und sich
Veddah Vellalas nannten. Aus dem Mitgetheilten geht hervor, dafs die
Bezeichnung Vellalas, die sich übrigens auch in Vorderindien findet, nur
eine hierarchische Bedeutung hat, dafs sie aber in Bezug auf Verwandt-
schaft und Ableitung der Stämme gänzlich unbrauchbar ist.
Eine andere Bezeichnung verdient hier besonders erwähnt zu wer-
den, da sie sehr geeignet ist, Verwirrung hervorzubringen. Es ist diefs
der Name Dodda (Dade) Weddahs, welcher einer Abtheilung der Su-
dra- (Kshoodra-) Kaste, also einer der untersten Rangklassen gegeben
wird: Jäger, welche die wildesten Theile der Gebirgsregion bewohnen ®).
ER el,
2) Philalethes l.c. p. 332. Der Name Philalethes ist ein Pseudonym; wie
Sir Tennent 1. e. Introduetion p. XX. Note 5 vermuthet, birgt sich darunter der Rev.
G. Bisset. Dieser war gleichzeitig mit Dr. Davy in Ceylon; letzterer erwähnt seiner
Person ]. ec. p. 372, sq.
3) Journal Ceylon Branch of the R. Asiatie Society. 1853. p. 89.
4) Davy l.c.p. 112, 127. Philalethes ]. c. p. 334.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 27
Knox!) erzählt, die Niedrigsten der Niedrigen seien Bettler, welehe von
Dodda veddahs d. h. Jägern abstammten; sie hätten die Aufgabe gehabt,
dem Könige von Kandy Wild zu liefern. Als sie aber statt des Wildes
Menschenfleisch gebracht hätten, habe der König sie ausgestolsen und zu
Bettlern gemacht. Die ausführliche Beschreibung, welche er von ihnen
liefert, lehrt, dafs er eine der out-casts meint. Davy führt zwei Arten
davon an: die Gattaroo und dieRhodees oder Gasmundo, welche er
mit den Zigeunern vergleicht. Letztere werden jetzt gewöhnlich Rodi-
yas genannt. Von ihnen erzählt Tennent?) dieselbe Geschichte, wie
Knox von den Dodda veddahs, und sagt, eine „Legende“ erkläre sie für
einen Zweig der Weddas. Eine genauere Beschreibung von ihnen hat
Mr. Chitty?) geliefert. Er nennt sie eine besondere und eigenartige
Rasse, entweder hervorgegangen aus einer Colonie wandernder Horden
aus Indien, oder der Ueberrest der Urbevölkerung, gemischt mit sinhalesi-
schen Frauen von hoher Kaste, welche von dem Könige mit dem Ver-
lust der Kaste bestraft wurden. Sie lebten nur im Innern, nicht zahl-
reich, im Ganzen vielleicht nicht über 1000, zerstreut, oder in besonderen,
von den sinhalesischen entfernten „Aussatz“-Dörfern (Kuppayams). In
den Seven Korles unterscheide man zwei Abtheilungen: die Tirringa Rodı
und die Halpagny Rodi. Sie seien robuster und athletischer, als die Sin-
halesen, die Frauen häufig hübsch. Beide Geschlechter lassen das Haar
in voller Länge wachsen und schlingen es in einen Knoten. Sie leben
von der Jagd und gebrauchen Bogen und Pfeile, wie die Weddas;
auch darin nähern sie sich diesen, dafs sie ihre Todten, in Matten ge-
wickelt, begraben. Obwohl Buddhisten, opfern sie dem Garro Yakko und
dem Weddi Yakko. Sie sprechen sinhalesisch, besitzen aber eigenthüm-
liche Worte, die Mr. Chitty für alte Ueberlebsel hält. Die Darstellung
von Sir Tennent stimmt damit überein; er besuchte ein Rodiya-Dorf,
welches auf dem Pafs zwischen Kandy und dem Mahawelliganga liegt, und
giebt ein Bild mit einer Gruppe dieser Leute. Wie er nachweist, wer-
I Konoxıl-esp. 139.
2 Nennent lsc-nl.2p 187.
3) Simon Casie Chitty. Journ. of the Ceylon branch of the R. Asiat Soc.
Colombo 1853. p. 171.
4*
38 Vırcnow: Ueber die Weddas von Ceylon
den Rodiyas im Rajavali schon 204 vor Chr. und im Mahawanso 589
nach Chr. erwähnt. Seiner Meinung nach ist der körperliche Unterschied
von den Weddas sehr grofs und er ist daher geneigt, sie von der indi-
schen Küste, und zwar aus Chandala-Blut, abzuleiten. Uebrigens giebt es
ihrer nur in den Kandy-Distrikten. Obwohl sie den Cagots und Caqueux
der Pyrenäen vergleichbar seien, so gebe es doch zwei „Rassen von
outcasts“ in Ceylon, welche selbst von den Rodiyas verabscheut würden,
nehmlich die Ambetteyos (Barbiere) und die Hanomoreyos (Betelbüchsen-
macher) in Ouva.
Die Existenz dieser outcasts ist von nicht geringem Werthe für
die Deutung der Stellung der Weddas innerhalb so verwickelter Volksver-
hältnisse. Wären die Weddas, wie manche vermuthet haben, ursprünglich
Ausgestolsene gewesen, so würden sie sicherlich noch heutigen Tags outcasts
sein, so gut wie die Rodiyas es nunmehr seit mindestens zwei Jahrtausen-
den sind. Wären sie, wie die Araber, die sogenannten Moormen, nach-
träglich eingewandert, so würden sie nicht in die relativ hohe Kaste der
Vellalas gesetzt sein, denn die Moormen sind in keiner Kaste, wenngleich
den Caraw& (Fischern), einer Unterabtheilung der Sudras, „attachirt“!).
Unzweifelhaft mufs also ein Gefühl ursprünglichen Zusammenhanges
unter den Sinhalesen lebendig geblieben sein, welches trotz des religiösen
und physischen Gegensatzes die Zugehörigkeit der Weddas zu den socialen
Ordnungen des Buddhismus anerkannte. Bei den Rodiyas haben die
Jahrtausende nicht genügt, um sie zu der Degradation herab zu bringen,
welcher die Weddas schon verfallen waren, als Knox von ihnen hörte,
und welche am stärksten in dem Ausspruche von Davy ausgedrückt ist:
the forest Weddahs, — — being rather solitary anımals than social,
and resembling more beasts of prey, in their habits, than men. Wir
werden noch sehen, welches die Hindernisse sind, dafs sich dıe Weddas
nicht ohne Weiteres als „wilde Sinhalesen“ auffassen lassen, und wie es
gekommen ist, dafs eine grofse Zahl der unmittelbaren Beobachter den
Ursprung derselben auf der Küste von Malabar gesucht hat. Diese Er-
örterung wird zweckmäfsiger einer späteren Stelle vorbehalten, wenn wir
die physischen Eigenschaften der verschiedenen, in Betracht kommenden
D)=Dayyal.e p.li0.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 29
Stämme besprochen haben werden. Hier dürfte es sich empfehlen, zu-
nächst die historischen und linguistischen Bemerkungen beizubringen,
welche das Verhältnifs der eigentlichen Culturstämme der Insel betreffen.
Das natürliche Einwanderungsgebiet ist ‚wie gesagt, der Nordwesten
der Insel, welcher der vorderindischen Halbinsel am nächsten liest. Hier
hat sich in der That eine tamilische Bevölkerung festgesetzt, deren
Zusammenhang mit den Dravidiern Indien’s zweifellos erscheint. Die Ge-
schichte Ceylon’s meldet schon sehr früh von Einfällen dravidischer Hor-
den. Im Mahäwanso heifsen diese Leute Damilos. Da nach dem Zeug-
nis des zuverlässigen Childers!) das Wort Dämila im Pali mit Drävida
im Sanskrit identisch ist, so wird man unbedenklich alle Erzählungen
des Mahäwanso, wo von Damilos die Rede ist, auf Dravidier beziehen
können. Die englischen Localschriftsteller nennen sie gewöhnlich Tamils
oder Malabars, jedoch warnt Sir Tennent?) wiederholt davor, damit
nicht den Begriff zu verbinden, als habe es sich nur um Bewohner der
eigentlichen Malabar-Küste gehandelt. Ursprünglich hätten sie vielmehr
zu einem der frühest organisirten Staaten in Südindien, dem Königreiche
Pandya gehört, welches den gröfsten Theil der Coromandel-Küste bis
nach Canara an der Westküste und südlich bis an die See umfafste, und
von welchem neuerlich nur der kleine Staat der Nains von Madura übrig
geblieben sei. Später ergossen sich, gleichfalls unter dem Namen der Ma-
labars, Horden von allen Theilen der Halbinsel, auch von der Coroman-
del-Küste bis nördlich von Cuttack und Orissa über die Insel.
Schon um das Jahr 237 v. Chr. wird ein Einfall der Damilos im
Norden berichtet), welcher eine 22jährige Herrschaft derselben begrün-
det. Kaum waren sie überwunden, als schon unter dem nächsten Könige
aus der Sihala-Dynastie, Asela (um 215) wiederum ein Damilo, aus
dem Stamme Uju im Chöla-Lande*), sich der Herrschaft bemäch-
1) R. C. Childers Notes on the Sinhalese Language. Journ. of the Royal
Asiatie Society 1875. Lond. Vol. VIII. p. 133. Note.
?2) Tennentl.e. I. p. 353. 394.
3) The Mahawanso Chap. XXI. edit. by Turnour p. 127. Man vergl. ebend.
Appendix. Sovereigns of Ceylon p. LXI.
*) Nach Turnour Mahawanso Glossary p. 5 heilst Chöla sinhalesisch Soli
(Sollee) und umfalste wahrscheinlich Mysore und Tanjore.
30 Vırcmow: Ueber die Weddas won Ceylon
tigte!) und 44 Jahre regierte. Obwohl regelmäfsig zurückgeworfen, wieder-
holten die Damilos ihre Einfälle immer von Neuem. Unter der Regierung
des Königs Mihinda (1023—1054 nach Chr.) hatte sich die fremde Be-
völkerung auf der Insel schon so vermehrt, dafs sie das Uebergewicht
über die eingeborne erlangte, und bei einer neuen Invasion der Leute
von Sollee wurde der König gefangen und das Land für längere Zeit
unterworfen?). Von Malabar strömten immer neue Zuzüge herein und
erst nach schweren Kämpfen ward die Fremdherrschaft gebrochen. Aber
schon im Beginn des 13. Jahrhunderts fielen die Cholas wieder in das
Land ein?). Diefsmal kamen die Eroberer jedoch von viel ferneren
Orten, nehmlich von Kalinga, dem Theile des Dekkan, der jetzt Nord
Circars heifst*). Ihr Führer Maagha unterwarf unter gräulichen Ver-
wüstungen das ganze Land bis zum Süden hin und ward König von
Ceylon im Jahre 1211. Später gelang es den sinhalesischen Fürsten,
allmählich die Provinzen Rohuno (Rohuna) ım Süden und Mayaratta
in dem gebirgigen Centrum wiederzugewinnen, aber der Norden des Lan-
des, die Provinz Pihiti oder Rajaratta, das alte Königsland, blieb bis zum
Mahawelliganga in den Händen der Tamilen und wurde nach und nach
gänzlich und dauernd dravidisirt. Nur ein Theil dieser Bevölkerung, die
Mookwas°’), welche ım Nordwesten an der Küste, nördlich von
Chilaw, wohnen, hat die christliche Religion angenommen ®). —
Auf demselben Wege, jedoch in friedlicher Weise, sind zahlreiche
mohamedanische Araber, die seit der portugiesischen Zeit sogenannten
Moors oder Moormen’), eingewandert. Sir A. Johnston setzte ihre Ankunft
in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts und leitete sie von dem Hause Haslum
1) Mahäwanso p. 128.
?) Ebendaselbst p. LXIV.
>») A. de Silva Ekanäyaka. Journ. R. Asiat. Soc. 1376. Vol. VIII. p. 297.
2) Tennent lc. p.Al2.
°?) Ein ähnliches Wort (Mokua) ist in Madagascar gebräuchlich, um eingewanderte
Afrikaner zu bezeichnen (Verhandl. der Berliner anthropol. Gesellschaft 1880. S. 190.
Zeitschr. für Ethnol. Bd. XII). Hier ist es auf einen Negerstamm der östlichen Küste
Africa’s zu beziehen, welcher diesen Namen trägt (Monatsberichte der Akademie 1880.
S. 1017). Möglicherweise ist die Übereinstimmung der Namen eine blofs zufällige.
6) A. O. Brodie Journ. of the Ceylon Br. of the R. Asiat. Soc. 1853. p. 50.
7) Derselbe p. 40.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 3l
ab, dessen Mitglieder durch den Kalıfen Abdul Melek Ben Merwen vertrieben
wurden und sich zum Theil ın Südindien, zum Theil in Malacca ansiedelten.
Allein die sorgfältigen Ausführungen von Sir Tennent!) haben darge-
than, dafs Niederlassungen von Arabern schon in sehr früher Zeit auf
der Insel nachzuweisen sind. Läfst man auch eine sehr dunkle Stelle des
Plinius bei Seite, so scheint doch kein Zweifel darüber zu sein, dafs minde-
stens seit dem ersten, sicher seit dem 6ten Jahrhundert nach Christo ein
ausgedehnter Handelsverkehr von Persien und Arabien aus nach Ceylon
betrieben wurde und dafs schon seit dieser Zeit manche dieser „Mauren“, wie
die Portugiesen sie später nannten, im Lande blieben. Sir Tennent hält
die jetzigen Moormen für Nachkommen der Einwanderer aus Ehen mit
Eingebornen. Hr. Pridham?) zerlegt die Moors genealogisch in zwei
Gruppen. Die eine derselben führt er auf alte Einwanderungen von Ara-
bern zurück, welche sich in Indien einheimische Weiber genommen und
mit ihnen Kinder gezeugt hatten; von der anderen, welche er Indo-Moors
nennt und von welchen eine gröfsere Anzahl sich in späterer Zeit in den
Distrikten Chilaw und Putlam niedergelassen haben soll, giebt er keine
genetischen Erklärungen, nur widerspricht er der Meinung des Hrn. Casie
Chitty, dafs sie aus einer Vermischung einer uralten hindostanischen
Bevölkerung, der Sonahars, mit Arabern und anderen Mohamedanern
hevorgegangen sei. Jedenfalls erkennt jedoch auch Hr. Pridham an, dafs
gegenwärtig kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen mehr bestehe.
Sie sind jetzt, zum Theil in besonderen Dörfern, weithin über die Insel
zerstreut und vermitteln hauptsächlich den kaufmännischen Verkehr,
auch mit den Weddas. —
In verhältnifsmälsig kleiner Zahl, jedoch an vielen Orten zerstreut
finden sich Malayen auf der Insel, wie es scheint, durchweg von mo-
hamedanischer Religion. Nach der Darstellung des Hrn. Pridham?)
stammen sie hauptsächlich von den kleinen Rajas und deren Gefolgschaft,
welche die Holländer hierher von Java, Malacca und Sumatra verbannten
und welche später von den Engländern in ihre einheimischen Regimenter
1) Tennent l.e. I. p. 546, 555, 607.
2), Bridham ]5cHLs ps 410.
3) Derselbe 1. c. I. p. 482.
32 Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon
aufgenommen wurden. Wichtiger würde es sein, wenn die Ansicht!)
richtig wäre, dafs die ursprüngliche Bevölkerung der Insel eine malayische
gewesen sei. Dieselbe stützt sich namentlich auf die allerdings sehr be-
merkenswerthe Thatsache, dafs sich die Sinhalesen doppelter Canoes oder
Boote mit Auslegern bedienen, wie sie in allen von Malayen bewohnten
oder besiedelten Gebieten, also westlich von der indischen und arabi-
schen Küste nur in Madagascar, im Gebrauch sind. Indefs ist diefs auch der
einzige Anhaltspunkt für die Annahmen einer ethnischen Verwandtschaft.
Natürlich sind in den letzten Jahrhunderten Europäer der ver-
schiedensten Nationen, namentlich Portugiesen, Holländer und Engländer,
hinzugekommen, jedoch haben sie für unsere Betrachtung keinen Werth.
Dasselbe gilt von den afrikanischen Negern und den Parsis, von denen
die ersteren erst neuerlich eingeführt, die letzteren zu verschiedener Zeit,
aber in unbedeutender Zahl eingewandert sind.
Die südliche Hälfte der Insel, die alte Provinz Rohuna, und das
centrale Maya-Land sind noch gegenwärtig von Sinhalesen?) bewohnt,
jene von verhältnilsmäfsig reinblütigen Sinhalesen, dieses von den stellen-
weise etwas mehr gemischten Kandiern, welche als die nächsten Nach-
barn der Weddas schon mehrfach erwähnt sind. Die ethnologische Stel-
lung der Sinhalesen ist bis jetzt hauptsächlich nach linguistischen Merk-
malen erörtert worden. Ihre Sprache ist seit Rask °) längere Zeit als
eine dravidische betrachtet worden. Lassen*) hat für diese Auffassung
seine grolse Autorität eingesetzt; er betrachtete „das Volk der Sinhalesen
seiner Sprache nach als zu der grofsen Familie der Dekhanischen Stämme“
gehörig. Noch neuerlichst erklärt Hr. Friedrich Müller?) das Sinha-
lesische für ein, mit indischen Elementen freilich stark versetztes, den
Dravida-Sprachen verwandtes Idiom, welches jedoch genealogisch davon
verschieden und insofern unabhängig entwickelt sei. Er hält daher die
Bevölkerung für ein Gemisch der Urbewohner, welche mit den Dravidas
1) Tennent l.c. I. p. 327. II. p. 103 (Abbildung).
?) Ich folge in der Schreibung dieses Namens (statt Singhalesen oder Cinga-
lesen) den Erläuterungen von Childers |. ce. p. 37.
3) Rask Singalesisk Skriftlaere. Kolombo 1321. (eitirt von Lassen),
*) Christ. Lassen Indische Alterthamskunde I. S. 199, 303.
5) Fr. Müller Allgemeine Ethnographie. Wien 1879. S. 466, 477.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 33
eines Stammes zu sein schienen, mit eingewanderten Indern!). Die gerade
entgegengesetzte, in der neueren Zeit immer mehr zur Anerkennung ge-
langende Auffassung vertreten d’Alwis?) und Childers?), die beide in
der Civilverwaltung der Insel beschäftigt waren. Childers, dessen gründ-
liche Kenntnifs der indischen Sprachen allgemein anerkannt ist, trennt
das heutige Sinhalesisch von dem alten Elu, von dem es allerdings ab-
stamme, von dem es sich jedoch durch die ungeheure Aufnahme von,
zum Theil unveränderten Sanskritwörtern unterscheide, wie das heutige
Englisch vom alten Angelsächsisch. Der Name Elu selbst ist nach ihm
identisch mit dem, übrigens dem Sanskrit entlehnten, von den Ungebilde-
ten Hingala ausgesprochenen Worte Sinhala, wie die Sinhalesen selbst sich
nennen; es steht für ein älteres Hela oder Helu, und diefs wieder für
ein noch älteres Sela, welches uns zu dem Palı von Sihala zurückleite. Die
alte Tradition, wonach Wijayo, der Gründer der Sihala-Dynastie, von Läla.
einem Distrikt von Magadha (Behar) in Indien, gekommen sei, stimme
sehr gut mit dem Umstande, dafs nach einer anderen Tradition Palı ur-
sprünglich ein Magadba-Dialekt war. Pali und Sinhalesisch seien so nahe
verwandt, dafs man auf den ersten Blick fast glauben könne, das letztere
stamme von dem ersteren ab; bei genauerer Betrachtung ergebe sich aber,
dafs Palı, worin die Lehren des Buddha geschrieben wurden, nur den
Dialekt des einen Distrikts von Magadha darstelle, Sinhala dagegen den
Dialekt eines anderen Distriktes von Magadha uns erhalten habe. Sinha-
lesisch sei daher eine der einheimischen arischen (sanskriti-
schen) Sprachen Indiens und sehr alt. Denn es sei ganz identisch
mit dem Elu des 5ten und 6ten Jahrhunderts nach Christo, wie es sich
übrigens schon in der Felsinschrift von Mahintale aus dem 2ten bis
3ten Jahrhundert finde. Die frühe Fixirung der Sprache erkläre sich
dadurch, dafs Mahinda schon am Anfange des 3ten Jahrhunderts vor
Christo ein buddhistisches Werk aus dem Palı in das Sinhalesische über-
setzte und das letztere dadurch zur Schriftsprache machte.
1) Reise der Novara, a.a. ©. S. 139.
2) James d’Alwis. On the origin of the Sing. Language. Journal of the Cey-
lon Branch R. Asiat. Soc. 1867— 70.
3) Journal ofthe Royal Asiat. Soe. New Series. London 1875. Vol. VII. p. 35.
1876. Vol. VIIL p. 131.
Phys. Kl. 1881. Abh.l1. 5
34 Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon
Wie sich dazu die Wedda-Sprache stellt, ist noch in hohem
Maalse dunkel. In Ceylon selbst ist die Meinung, dafs sie ein gebrochenes
oder verdorbenes Sinhalesisch sei, schon lange verbreitet!). Auch Hr.
Bailey?) hat sich ihr angeschlossen, obwohl er die Weddas als Abkömm-
linge einer alten tamilischen Bevölkerung betrachtet. Aber er fand in
ihrer Sprache zahlreiche Hindu-Worte; namentlich entsprachen viele Per-
sonen-Namen der Weddas den Namen von Göttern oder Göttinnen der
Hindus. Er war daher geneigt, eine frühe Mischung der Weddas mit
Sanskrit sprechenden Indern anzunehmen. Hr. Max Müller?) bestätigte
die Häufigkeit der Sanskritworte in der Weddasprache; mehr als die Hälfte
der Wedda-Worte sei, gleich dem Sinhalesischen selbst, reine Corruption
von Sanskrit. Auch Hr. Edward T. Tylor®), welcher das Sinhalesische
als eine arische Sprache betrachtet, hält die Wedda-Sprache für einen
sinhalesischen Dialekt, jedoch mit beigemischten dravidischen (Telugu-)
Worten. Daher findet er einen auffälligen Widerspruch, indem ein wahr-
scheinlich nicht-arischer, eingeborner Stamm eine arische Sprache rede.
Das sei ein ganz einziger Fall in der Ethnologie. Später?) wiederholt er
seine These in folgenden Worten: „Sowohl Legende wie Sprache machen
eine Beimischung von arischem Blute in Begleitung von arischer Sprache
wahrscheinlich, während die körperlichen Charaktere erkennen lassen, dafs
die Veddarasse hauptsächlich dem eingebornen vor-arischen Typus
angehört.“
Neuerlich hat wiederum Hr. Hartshorne®), im geraden Gegensatze
1) Knox |. e. p. 122. Mr. Justice Starke. Journ. of the Ceylon Br. R. A.
S. 1853. p. 80. Gillings. Ebendas. p. 84.
2) Bailey 1. c. p. 297, 305, 309. Er hebt besonders hervor, dals der soge-
nannte Elch von Ceylon (Rusa Aristotelis) in der Wedda-Sprache gawra heilst, was an
den Gaur (Bos gaurus) von Hindostan erinnere. Freilich heifst auch der Pengolin (Manis
pentadactylos) gal gawra.
3) Max Müller. Address to the first meeting of the Aryan section of the
Oriental Congress of 18374, eitirt von Childers l. e. Vol. VIII. p. 131 note.
*) Journal of the Ethnologiceal Society of London. 1870. New Ser. Vol. II. p. 96.
5) Edward B. Tylor. Die Anfänge der Cultur. Deutsch von Spengel u. Poske.
Leipzig 1873. Bd. I. S. 51.
6) Hartshorne l. e. p. 417. Besides the words which indieate an affinity
with Sinhalese, there are others which are allied with Pali and with Sanskrit, and an
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 35
zu Hrn. Tylor, die völlige Abwesenheit eines bestimmt dravidischen
Elementes in der Wedda-Sprache behauptet, und nur Beziehungen dersel-
ben zu dem Sinhalesischen, dem Pali und dem Sanskrit zugestanden.
Umgekehrt bestreitet Hr. Cust!) jede Beimischung von Pali oder Sans-
krit, und hält die Wedda-Sprache einfach für einen Dialekt des Sinha-
lesischen, welches er, wie die anderen Autoren, für eine arische Sprache
ansieht.
Bei dieser Differenz der linguistischen Ansichten läfst sich leider
von dieser Seite nur wenig für die Auffassung der phylogenetischen
Stellung der Weddas gewinnen. Vielmehr steigert sich dadurch nur das
käthselhafte in dem Auftreten eines an sich so merkwürdigen Volkes,
und das rein anthropologische Interesse tritt noch mehr in den Vor-
dergrund.
Soviel wir bis jetzt wissen, trägt das Volk, wie so viele andere,
einen ihm von aufsen beigelegten Namen. Nur Hr. Hartshorne behauptet
nach einer, von ihm an Childers?) gemachten Mittheilung, dafs es sich
selbst diesen Namen (gesprochen vaeddä) beilege. Die gewöhnliche An-
gabe lautet gerade umgekehrt. Die Bezeichnung Wedda oder eine
ähnliche (Vedda, Veda, Vedan, Vaidan, Beda, Bedan u. s. w.) ist, wie
letzthin Hr. F. Jagor?) in einer umfassenden Zusammenstellung gezeigt
hat, in Indien ungemein verbreitet. Eine ganze Reihe kleinerer Stämme,
die weit von einander entfernt wohnen und wahrscheinlich zum Theil
nicht das Mindeste mit einander zu thun haben, werden ganz gleich oder
doch ganz ähnlich bezeichnet. Der Uebersetzer von Percival’s Werk,
important residue of doubtful origin; but it is worthy of remark that from beginning to
end the vocabulary is characterized by an absence of any distinetly Dravidian element,
and that it appears to bear no resemblance whatever to the language spoken by the
Yakkas of East Nipal. A similarity may indeed be traced here and there between a
Wedda word and the equivalent for the same idea in modern Tamil, Malayalam, or
Telegu, but the cases in which comparison is possible are so rare that these apparent
coineidences may be fairly considered to be merely fortuitous.
1) Rob. Cust. A sketch of the modern languages of East India. London
1878. p. 63.
2) Childersl. ce. Vol. VII. p. 131.
®) Verhandlungen der Berliner anthropologischen Gesellschaft vom 17. Mai 1379.
S. 172. Zeitschr. für Ethnologie. Bd. XI.
36 VırcHow: Ueber die Weddas von ÜCeylon
Bergk!), erinnert daran, dafs es sogar in Sumatra und Borneo Bedahs
gebe. Gleichviel, ob das Wort von dem Sanskrit (Vyädha, Jäger) oder
dem Tamil (Vedan, Jäger, Waldbewohner) herstammt, soviel scheint
sicher zu sein, dafs es sich überall, wo es nicht in Zusammensetzungen,
z. B. in dem früher angeführten Dodda-Wedda, gebraucht wird, auf
Aboriginer oder wilde Rassen bezieht. Insofern steht es, wie Hr. Bailey?)
bemerkt, den nur literarisch gebrauchten Worten Habara (Barbar) und
Vannacharakiya (Jäger) gleich. Dr. Max Müller, der als die richtige
Schreibung Vaeddä oder ursprünglich Vaedi (vaediminissa = Wedda Volk)
angiebt, ist mit der Ableitung von vyädhah ganz einverstanden, und
Childers definirt daher die Weddas als „wilde Sinhalesen.“
Wie lange der Name im Gebrauch ist, läfst sich bis jetzt nicht
ausmachen. Aus den Werken der abendländischen Schriftsteller ist bis
jetzt nur eine ältere Stelle aufgefunden, welche wahrscheinlich den Namen
der Weddas in verstümmelter Form aufbewahrt hat. In einem, dem
Bischof Palladius von Helenopolis in Bithynien (7 410), vielleicht
fälschlich zugeschriebenen Werke®), welches die Reise eines Mannes von
Theben in Aegypten nach Ceylon schildert, heilst es: eisı de zul ei BıSrades
dvSgwrdgia noroßd, Meravorepara, drapra nal arrcrgige. Sir Tennent*)
liest nach einer anderen Ausgabe Bırades, indefs würde Bı$rzdes dem Worte
Wedda noch näher kommen. Da auch die weitere Beschreibung?) recht
gut auf die Weddas palst, so darf wohl angenommen werden, dafs hier
der Name zum ersten Male dem Abendlande überliefert wurde. Früher
hören wir nur, dafs Megasthenes zu Alexander’'s Zeit Palaeogonen auf
der Insel kannte®), was nach Sir Tennent?) Pali-Putra (Söhne der Palı)
1). Percival a. a.:O. S. 335.
2), Bailey]. .csp.1297.
3) IarAudıov megı rav rns Tvöıds za av Bewyudvav. Palladius. De gentibus
Indiae et Bragmanibus. London 1668. p. 5.
4) Tennent I. p. 538. note 2. II. p. 438. note 6.
°) Tennent giebt nEyarorsharc statt des meravozedare der von mir eitirten
Ausgabe; obwohl ersteres vielleicht besser palst, mufs ich doch bemerken, dals die bei-
gefügte lateinische Uebersetzung in der Ausgabe von 1668 capite nigro lautet.
6) Plinius. Natur. hist. Lib. VI. cap. 24.
7) Tennent I. p. 529.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 37
bedeuten, nach Lassen!) dagegen sich auf die Räxasas oder Riesen
beziehen soll. Im ersten Falle würde es mehr die Sinhalesen, im letzteren
dagegen die Weddas (freilich nicht im Sinne von Riesen) treffen. Auch die
inländischen Schriftsteller gebrauchen den Namen der Weddas erst spät.
Hr. Hartshorne?) ceitirt freilich aus einer alten Ola (einem,
mit einem Stylus auf Palmblätter geschriebenen Buche), welche in dem
Besitze eines Häuptlings der Kandier war, dafs König Dutthagämini (160
vor Chr.) an dem von ihm gebauten Tempel Kataragama Dewale Weddas
als Diener des Gottes Skanda anstellte und zwar wegen der Reinheit
ihrer Kaste. Da indefs das Alter der Ola nicht bekannt ist, so läfst sich
aus dieser Notiz kein sicherer Schlufs machen. Nur der Umstand, dals
auch hier wieder die Reinheit der Kaste betont wird, mufs uns vorsichtig
machen, in den Weddas ein Mischvolk zu sehen. Wenn man erwägt,
seit wie langer Zeit und mit welcher skrupulösen Sorgfalt die indischen
Völker das Kastenwesen ausgebildet und bewahrt haben, so erscheint die
Thatsache, dafs sie die Einheit und Reinheit eines so wilden
Stammes ohne Ausnahme anerkannt haben, sicherlich von grolser
Bedeutung.
In der That bezeugen alle Beobachter die einheitliche Beschaffen-
heit der Weddas. Die verschiedenen Namen, welche man einzelnen
Abtheilungen derselben beigelest hat, beziehen sich nicht auf Stammes-
verschiedenheiten, sondern auf geographische und topographische Unter-
schiede?). So unterscheiden die Tamilen die Manalkadu oder Sandy-
jungle Weddas von den Cholaikkadu Weddas, d. h. die an der Seeküste
wohnenden, welche Chena-Land bauen und Tamil sprechen, von den noch
nomadisirenden, welche ganz von jenen verschieden seien, noch etwas von ihrer
ursprünglichen Barbarei bewahrt haben und die mehr abgelegenen Theile
des Bintenne-Distrikts bewohnen®). Jedenfalls ist diese Verschiedenheit
nicht so zu verstehen, dafs typische Unterschiede der Stämme beständen.
Aus dem Mitgetheilten ergiebt sich, dafs bis jetzt zwei Haupt-
ansichten sich gegenüber stehen, welche sich vorzugsweise auf linguistische
1) Lassen. De Taprobane insula p. 9.
2) Hartshorne ]l. c. p. 414.
3) Derselbe 1. c. p. 406.
#) Derselbe 1. c. p. 411.
38 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
und nur zum Theil auf rein anthropologische Beobachtungen stützen.
Nach der einen wären die Weddas nächste Verwandte der Dravidas, nach
der andern ein Glied der grofsen arischen Familie. In beiden Fällen
müfsten sie von dem Festlande herübergewandert sein, nur im ersteren
sehr viel früher, als im zweiten. Für eine solche Ueberwanderung finde
ich nur eine einzige Conjektur erwähnt. Der Rev. Gillings!) führt die
Erzählung an, dafs die Weddas ursprünglich einen Theil einer sinhalesischen
Gemeinschaft (community) bildeten, welche an der Küste von Indien wohnte,
und dafs sie von da in einer sehr frühen Zeit wegen gewisser Verge-
hen (for certain offences) auf die Insel herübergebracht seien, bevor die
Sinhalesen als Volk die Küsten Ceylons betraten. Aber nirgends ist
gesagt, dafs eine solche sinhalesische Gemeinschaft irgendwo an der indischen
Küste bestanden habe. Auch mülste die Wedda-Sprache, wenn eine so
frühzeitige Abtrennung derselben von einem gemeinsamen arischen Stamme
stattgefunden hätte, gewisse Besonderheiten bewahrt haben, welche einer
älteren Zeit der Bildung angehörten, und auch davon ist nichts bekannt.
Sehr viel einfacher würde die Erklärung sein, wenn man annehmen
dürfte, dafs die Weddas ein ursprünglich dravidischer Stamm oder wenig-
stens den Dravidas nahe verwandt oder, wenn von ihnen verschieden,
doch ein wildes Aboriginervolk waren und dafs sie erst nachträglich durch
die arischen Eroberer ihre jetzige Sprache erhalten hätten. Mit einer
solchen Annahme würde sich die von so grofsen Autoritäten vertheidigte
Identität dieser Sprache mit dem Sinhalesischen ohne Zwang vertragen.
Aber es läfst sich nicht leugnen, dafs es schwer ist, sich vorzustellen, wie
der Prozefs der Sinhalisirung sprachlich sich vollzogen haben soll, während
die ganze Form des Lebens, die Sitten und Gebräuche völlig unverändert
blieben.
Mit dem von Childers gewählten Namen der wilden Sinhalesen
ist wenig gewonnen. Soll das bedeuten „Wilde mit sinhalesischer Sprache“,
so wird nur eine Thatsache, aber keine Erklärung gegeben. Soll es da-
gegen heifsen „verwilderte Sinhalesen“, so würden wir mit unseren Er-
klärungen auf irgend eine Zeit nach Wijayo zurückgeworfen, und wir
müfsten die ganz aulserhalb aller Erfahrung stehende Hypothese hinzu-
1) Journ. Ceylon Branch R. Asiat. Soc. 1853 p. 34.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 39
fügen, gegen welche ich mich schon vorher erklärt habe, dafs die Weddas
von einem Zustande höherer Civilisation, wie er offenbar bei den Sinha-
lesen bestanden hat, auf die niedrigste Stufe menschlicher Existenz zurück-
gesunken seien. Religion, politische Organisation, bürgerliche Gesellschaft,
alle Künste und Gewohnheiten des sefshaften Lebens mülsten verloren,
ja vergessen worden sein, und zwar in nächster Nähe, ja in direktem
Contakt mit Bevölkerungen, welche eine reiche und lange Geschichte
durchgemacht haben. Eine solche Erniedrigung liefse sich nicht denken,
ohne dafs man zugleich eine gewaltige physische Entartung nachwiese.
Von welcher Seite wir auch das Problem betrachten, immer kommen
wir zu der Erkenntnils, dals die Linguistik nur als ein Hülfsmittel der
Untersuchung verwendet werden darf, und dafs vielmehr, wenn überhaupt
eine Lösung gefunden werden kann, dies nur auf dem Wege der physi-
schen Anthropologie möglich sein wird. Was ich in dieser Beziehung
beibringen kann, ist keineswegs ausreichend, um die volle Lösung herbei-
zuführen, aber es wird vielleicht dazu beitragen, die Möglichkeiten der
Deutung auf ein geringeres Maals zurückzubringen und damit die definitive
Entscheidung vorzubereiten. Zugleich hoffe ich, dafs diese Erörterungen
neue Arbeiten, namentlich auf der Insel selbst, hervorrufen werden, damit
wenn möglich noch in letzter Stunde alle Anstrengung daran gesetzt
werde, die Reste des absterbenden Volkes auf das Genaueste zu
beschreiben.
Die bisherigen Ermittelungen über die physischen Eigenthüm-
lichkeiten der Weddas ergeben Folgendes:
Schon die Beschreibung der BıSr«des (Bırades) liefert recht charak-
teristische Züge. Die Hauptstelle ist vorher mitgetheilt worden: Kleinheit
und Schwäche des Körpers, schwarze Farbe (oder scheinbare Gröfse) des
Kopfes, lange, ungeschorene, glatte Haare!). Dazu kommt noch die
weitere Angabe, dafs das Volk das kleinste (ravv nuıngorarov zai adgavertarev)
1) Die schlechte lateinische Bearbeitung, welehe dem heiligen Ambrosius zuge-
schrieben wird, lautet in dem, der oben eitirten Ausgabe des Palladius beigefügten Abdrucke
(S. Ambrosius de moribus Brachmanorum p. 59): Nam et ipsos exiguos homunculos
esse et grandia quaedam capita asserit habere cum leyibus et detonsis capillis. Hier ist
also wieder die Lesart neyarozepar« vorausgesetzt.
40 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
sei, in Felshöhlen (ArStvors aryAaicıs) wohne und sehr geschickt im Klettern
über Abhänge sei.
Knox hat, wie gleichfalls schon angeführt, auf seiner Flucht durch
die Wälder des Weddaratte keine Menschen, sondern nur leere Wohnplätze
gesehen, und die in seinem Buche enthaltene Abbildung giebt daher
einen Mann, der sich von den sonst darin abgebildeten Sinhalesen nur
durch seine kürzere und mehr gedrungene Gestalt unterscheidet; nament-
lich trägt derselbe Bart und Kopfhaar ganz wie die Sinhalesen, letzteres
in einen Knoten am Hinterkopfe zusammengefafst.
Perceival!) sah 1798 gefangene Weddas in Colombo. Nach
seiner Darstellung seien. die Weddas heller (fairer in complexion,
die deutsche Uebersetzung hat „schöner“), als die übrigen Ceylonesen,
von einem ins Kupferfarbene fallenden Colorit, auffallend gut gebaut,
sie trügen lange Bärte und hätten ihr Haar oben auf dem Wirbel dicht
zusammengebogen.
Valentijn?) sagt, die Bedas oder Wedas seien eine Art von
wilden Buschmenschen und die ältesten Einwohner der Insel: zwart van
Verwe, brandend van Oogen, niet groot van Gestalte, maar gezet en rad
van Lieden.
Auf diese sehr allgemein gehaltenen Angaben folgte endlich durch
John Davy?) die erste, bestimmt auf Autopsie beruhende, naturwissen-
schaftliche Beschreibung. Er sagt: Such of the village Weddahs that
Ihave seen, were in general small men, between five feet three and five
feet five inches high, slender, muscular, and well made; in colour, form,
and features resembling the Singalese. Their appearance was wild in the
extreme, and completely savage. Their hair was quite emblematie of
their forests: it seemed never to have been cut, or combed, or cleaned;
and was long, bushy, and matted, hanging about their shoulders, and
shading their face in a very luxuriant and disgusting manner; nor were
their beards less neglected.
Sir Emerson Tennent#) giebt folgende Gesammtschilderung von
1) Pereival]. c. p. 288. Deutsche Uebersetzung S. 337.
2) Valentijn 1. c. Bl. 49.
S)eDairy Ieerpe ul6
4) Tennent |. ce. Vol. II. p. 450.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 41
den Weddas aus der Gegend von Bintenne: They all presented the same
characteristics of wretehedness and dejection, — projecting mouths, prominent
teeth, flattened noses, stunted stature, and the other evidences of the
physical depravity which is the usual consequence of hunger and ignorance.
The children were unsightly objects, entirely naked, with misshapen joints,
huge heads, and protuberant stomachs; — the women, who were apparently
reluctant to appear, were the most repulsive specimens of humanity I
have ever seen in any country.
Pridham!) giebt den Bericht eines Hrn. Bennett, der auf einer
Jagdpartie auf eine Gruppe von (Dorf-) Weddas stiefs und deren Gast-
freundschaft genofs. Letzterer sagt von ihnen: They were not more than
five feet two inches in height, their hands small, but their feet were long
and flat; hair matted and tied in a bunch at the back of the head, a large
bushy beard almost covering the face; eyes small, piereing, and constantly
in motion to the right and left, and their ears seemed almost as restless
as their eyes.
Wenden wir uns nach diesen allgemeinen Schilderungen zu dem
Einzelnen, so stimmen zunächst alle Angaben darin überein, dafs die
Weddas durchschnittlich von kleiner, um nicht zu sagen, sehr kleiner
Statur sind. Dr. Davy (in dem Citat von Prichard) sagt über sie: they
are well made and muscular, but of a spare habit; and in person they
chiefly differed from the Kandians in the slightness of their limbs, the
wildness of their looks, and their savage appearance. Gillings erklärt:
The Veddähs are mostly low in stature, but some of them are strong,
active men, and most of them appear to be healthy and little subject to
disease. Die Beschreibung von Bailey?) lautet folgendermaalsen: In
appearance, the Veddahs differ materially from the Singhalese. They are
smaller in every respeet, and rather dark, or, more properly, more dusky
in complexion. They are short, slightly built, yet very active. Though
far from being museular, their limbs are firmly knot together, and they
are athletie and eapable of enduring great fatigue. Though spare, they
are generally in very fair condition, and look more healthy than many
1) Pridham I. e. I. p. 460.
2) Bailey Il. ce. p. 282.
Phys. K1. 1881. Abh. 1. 6
42 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
of the Singhalese in the adjoining distriets. Er maafs verschiedene von
ihnen. Der gröfste Mann, der über seine Genossen hoch hervorragte
(towering), hatte nur 5 Fufs 3 Zoll in der Höhe; es war ein „mehr
eivilisirter“* Wedda von Bintenne. Der kürzeste, den er sah, maals 4 Fuls
1 Zoll. Als mittleres Maafs für die Männer betrachtet er 4 Fufs 6 Zoll
bis 5 Fufls 1 Zoll, für die Weiber 4 Fufs 4 Zoll bis 4 Fufs 8 Zoll. In
einer Liste von Messungen, die auf seine Veranlassung angestellt waren,
sind 2 Männer mit 5 Fuls 3 Zoll und einer mit 5 Fufs 3-4 Zoll ange-
geben; falls diese Messungen richtig seien, so gingen sie seiner Meinung
nach über das mittlere Maafs hinaus. Unter 14 Weddas von Bintenne
war der grölste 5 Fuls 3-4 Zoll, der kleinste 4 Fufs 64 Zoll; das Mittel
betrug 5 Fuls 4 Zoll. Unter 12 Weibern war die gröfste 5 Fuls 24 Zoll,
die kleinste 4 Fufs 44 Zoll; das Mittel betrug 4 Fuls 9 Zoll.
Hr. Hartshorne!) giebt nur 2 Messungen von Leuten, die er für
gute Beispiele des Mittelschlages (fairly average specimens of the race)
hielt. Der eine von ihnen, Latty, etwa 18 Jahre alt, hatte eine Höhe von
5 Fufs 44 Zoll; der andere, Bandiey, etwa 25 Jahre alt, maafs 4 Fuls
113 Zoll.
Wenn man dies in Metermaafs umrechnet, so ergeben sich folgende
Extreme:
der gröfste Mann 1638 Mm.,
der kleinste „ 1245 „
Das Mittel nach den Messungen in Bintenne ergab für die
Männer 15537 Mm.
Weiber 1448 „
Daraus folgt, dafs die Weddas sich den kleinen, um nicht
zu sagen, den Zwerg-Rassen anschlielsen.
In Beziehung auf die Einzelheiten des Wuchses bringt die Mehrzahl
der Beobachter eigentlich keine positiven Thatsachen vor, welche für eine
unverhältnifsmäfsige oder mangelhafte Ausbildung der einzelnen Regionen
sprechen. Nur Hr. Hartshorne, der das Aussehen der Weddas als ent-
schieden nicht-arisch bezeichnet, behauptet, sie hätten kurze Daumen und
1) Hartshorne ]. c. p. 408. note.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 43
scharfspitzige Ellenbogen. Es würde sehr erwünscht sein, wenn diese
Angaben durch neue Beobachtungen sicher gestellt würden.
Die Hautfarbe der Weddas ist dunkel, nach den meisten Angaben
dunkler als die ihrer Nachbarn, der Sinhalesen, von denen Dr. Davy
sagt, dafs ihre Farbe vom lichten Braun bis zum Schwarz (black) varlire.
Bailey nennt die Farbe dark or more dusky, womit jedenfalls sehr tiefe
Schattirungen bezeichnet sein sollen.
Das Kopf- und Barthaar beschreibt Davy als lang und verfilzt
(matted); es werde niemals geschoren oder gekämmt. Sir Emerson
Tennent!) sagt: Their long black hair and beards fell down to their
middle in uncombed locks. Sirr?) berichtet, das Kopf- und Barthaar
hänge in dichten Mähnen (in redundant tresses) über Schultern nnd Busen
in verfilzten Massen herab, Bailey nennt den Bart kurz und spärlich;
das Kopfhaar, welches nicht lockig (curly) sei, falle in wirren ver-
zottelten Massen (in rusty, tangled masses) über das Gesicht herab und
lasse den Kopf ganz unverhältnifsmälsig grofs erscheinen. Später be-
zeichnet er das Haar als wild und zottelig (wild, shagsy). Wenn man
die Leute sehe, mit ihren zotteligen (rugged), ungekämmten Locken (locks),
welche das Gesicht halb verdecken, so erfüllten sie vollständig die vorge-
falste Vorstellung von ganz barbarischen Wilden. Hartshorne?) nennt
das Kopfhaar grob und flatternd, (coarse, flowing) und hält es für nöthig,
hinzuzufügen, dafs ihr Körper in keiner Weise behaart (hirsute) und
durchaus keine Neigung des Haars vorhanden sei, gegen die Ellbogen zu
eonvergiren und von dem Kinn aus zu divergiren, oder umgekehrt.
Durch die Güte des Hrn. Bastian sind mir zwei Photographien
einer Wedda-Gesellschaft zugänglich geworden, welche derselbe in
Colombo erworben hat. Es sind darauf 3 Männer und 3 Weiber in
ganzer Gestalt, aber leider in zu geringer Gröfse dargestellt. Wie es
scheint, war dies dıe Gesellschaft, welche dem Prinzen von Wales bei
Gelegenheit seines Besuches auf der Insel vorgeführt wurde. Hr. Hart-
shorne, der freilich nur von 2 Männern und 3 Weibern spricht, ist
t) Tennent ]. c. Vol. II. p. 449.
2) H. Ch. Sirr Ceylon and the Cingalese. London 1850. Vol. II. p. 216.
3) Hartshorne ]l. c. p. 408, 409.
44 Vırcnow: Ueber die Weddas von Ceylon
der Meinung, dafs sie aus dem Distrikt von Batticaloa stammten, wo die
wenigen, noch übrig gebliebenen Weddas, theils durch den Einflufs der
Missionare, theils durch Heirathen mit Tamilen, manche unterscheidende
Züge ihres primitiven Zustandes eingebülst hätten. Zwei von den Weibern
hätten ein recht angenehmes Aeufsere gehabt und eine sei als wirklich
hübsch (pretty) geschildert worden; die beiden Männer wären als klein
und affenartig beschrieben worden. Diese Schilderung trifft auf die er-
wähnten Photographien ziemlich gut zu.
Obwohl es sich also vielleicht nicht gerade um ganz wilde Weddas
handelt, so habe ich doch, da es sonst an allen Abbildungen mangelt,
durch Hrn. Mützel von zweien der Männer und einem Weibe Zeichnun-
gen anfertigen lassen, nach denen der beifolgende Holzschnitt gemacht ist.
Man erkennt daran, aulser den verhältnifs-
mälsig kurzen, unten breiten und am
Rücken tiefen Nasen, den scheinbar tieflie-
senden Augen und den vollen Lippen der
jüngeren Personen, recht gut den Haarwuchs
und vermag sich ein ungleich lebendigeres
Bild der Leute zu machen, als irgend eine
der Beschreibungen giebt. Von Bart ist nur
bei einem der Männer etwas zu bemerken.
Dagegen sieht man den kleinen Schamschurz
der Männer, den grofsen Bogen und die
Pfeile mit der blattförmigen Spitze, endlich
die eiserne Axt im Gürtel.
Was das Haupthaar anbetrifft, so ist dasselbe bei allen 6 Personen
verhältnifsmäfsig lang, aber offenbar durch den Kamm in gefälligere Form
gebracht. Die Weiber haben gescheiteltes, glattes, leicht welliges Haar,
ebenso der eine Mann, bei dem allerdings eine etwas grölsere Unordnung
in der Frisur besteht. Zwei von den Männern dagegen zeigen gekräu-
seltes, wenngleich recht langes Haar, welches ganz in der Art, wie es von
jeher beschrieben worden ist, einen weit abstehenden und bis auf den
Nacken herabfallenden Busch bildet. Der Kopf erscheint dadurch sehr
grols, zumal im Verhältnifs zu dem mageren Glieder- und Rumpfbau.
Es mufs aber besonders bemerkt werden, dals auch das krause Haar
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 45
nicht etwa Röllchen bildet, wie bei den Negritos, und dafs auch der
Haarbusch im Ganzen keine Perrücke darstellt, wie die Viti-Leute oder
die abyssinischen Stämme sie zu tragen pflegen; vielmehr sind die ge-
kräuselten Haare sehr lang und fallen in einem grofsen Busch bis auf
den Nacken herab. Von Wollhaar ist demnach gar keine Rede.
Es ist verhältnifsmäfsig glattes oder einfach welliges, zuweilen
leicht gekräuseltes, durch Länge ausgezeichnetes Haar, wie es
schon Palladius in sehr prägnanter Weise bezeichnet: @xapra za! drAcrgnya.
Dabei ist zu bemerken, dafs er diese „glatthaarigen“ Leute ausdrücklich
den Indern (?Negern?), welche er $gi£orgxss nennt, gegenüberstellt.
Von den Augen führt Davy nur an, dafs sie lebhaft, wild und
ruhelos seien. Bei Valentijn heifsen sie glühend (brandend). Bailey
nennt sie gut und oft voll. Nur Hr. Bennett giebt an, dafs sie klein
(d. h. wohl tiefliegend) seien. Ueber ihre Farbe finde ich keine Angabe.
Immerhin genügen die Anführungen, um darzuthun, dafs die Weddas
ein dunkler, wenngleich kein rein schwarzer und kein woll-
haariger (Neger-) Stamm sind.
Von der Nase sagt Hartshorne, wie Sir Tennent, sie sei flach,
und von den Lippen, sie seien zuweilen dick. Nehme man dazu ihre
kurzen Daumen und ihre scharfzugespitzten Ellenbogen, so gebe das
Merkmale, wodurch sie sich in bemerkenswerthem Grade von den orien-
talischen Rassen unterscheiden, welche in ihrer Nähe leben. Bailey
nennt die Nase wohl gebildet (well shaped), obwohl sie zum Flachen
neige; die Nüstern seien weit; der Mund zuweilen grofs, die Lippen fest,
aber etwas dick; die Gesichtszüge erträglich regelmälsig. Sir Tennent
bezeichnet den Mund als heraustretend und die Zähne als vorstehend.
Bevor ich dieses Bild mit dem anderer Nachbarvölker vergleiche,
will ich einige craniologische Mittheilungen anschliefsen. Durch einen
besonderen Glücksfall war ich selbst in der Lage, 3 Wedda-Schädel unter-
suchen zu können. Ich hatte mich an den deutschen Consul, Hrn. Ph. Freu-
denberg in Colombo bei seinem Hiersein gewendet, um wenn möglich
Schädel von Ceylon und speciell von Weddas zu erlangen. Schon unter
dem 27. Februar v. J. schrieb er mir, dafs ihm dies zwar noch nicht
möglich gewesen sei, dafs dagegen der Governor und das Comite des Museums
in Colombo sich bereit erklärt hätten, mir die in letzterem befindlichen
46 VırcHow: Ueber die Weddas von Üeylon
Schädel leıhweise für ein halbes Jahr hierherzuschicken. Dieselben kamen
in der That im Sommer an, begleitet von einer Note des Dr. A. Haly,
des Direktors des Museums in Colombo. Ich sage allen diesen Herren
meinen herzlichsten Dank für ihr ungemein liebenswürdiges Entgegen-
kommen.
Zunächst gebe ich eine kurze Beschreibung der Schädel:
1) Der Schädel No. 1. (Taf. I.)
Hr. Haly bemerkt dazu Folgendes: Presented by W. W. Hume, Govt. Agent
Southern Province. This skull is said to be that of a Veddah Woman and was found
at Denilane near Batticaloa, but there seems to be no evidence to shaw that it is a
Veddah skull.
Ein sehr glatter und weilser, offenbar weiblicher Schädel von geringer
Capaeität (1250 Cub.-Cm.), mit stark abgenutzten Zähnen. Ob ein Unterkiefer dazu
gehört, ist fraglich, denn obwohl die Gelenkfortsätze des einen ziemlich passen, so
erscheint er doch etwas zu kurz. Er ist daher in der Zeichnung weggelassen.
Die Schädelkapsel ist lang, schmal und flach, von ausgemacht dolichocephalem
Index (70, 9). Die Stirn ist ganz steil, aber nicht hoch, ohne stärkere Orbitalwülste,
dagegen mit starken Tubera; die Glabella wenig vertieft, am Nasenfortsatz ein Rest
von Stirnnaht, 1 Cm. lang. Die Scheiteleurve erscheint in der Seitenansicht lang, ebenso
das schmale Hinterhaupt. Die Norma oceipitalis zeigt einen leicht ogivalen, jedoch im
Ganzen gerundeten und nach unten sich verschmälernden Umrifs. An der hohen und
spitz zulaufenden Hinterhauptsschuppe ist keine deutliche Protuberantia externa, dagegen
finden sich starke Cerebellarwölbungen.
Die Nähte sind wohl erhalten und ziemlich stark gezackt. Beiderseits tempo-
rale Schaltknochen: rechts ein ganz trennender, länglicher, mit etwas Stenokrotaphie
und niedrigem Angulus parietalis; links ein unvollständiger, nur in der hinteren Hälfte
der Sphenoparietalnaht enthaltener, neben welchem die Spitze der Ala sphenoidealis hoch
herauftritt, der Angulus pariet. dagegen niedrig ist. Auch im unteren Theil der Lambda-
naht beiderseits und an der hinteren Seitenfontanelle Schaltknochen.
In der Unteransicht tritt die Schmalheit und die Länge des Hinterhaupts deutlich
hervor. Das sehr grofse Foramen oceipitale magnum ist am hinteren Rande verletzt,
läfst sich jedoch schätzungsweise messen. Die Gelenkhöcker weit nach vorn gestellt und
ihre Flächen mehr nach aufsen gewendet. Kleine Warzenfortsätze.
In der Vorderansicht erscheint die Stirn verhältnilsmäfsig breit, das Gesicht
niedrig und von mälfsiger Breite; Index 83, 1, also chamaeprosop. Die sehr grofsen
Orbitae sind gleichfalls breit und nach aufsen und unten ausgeweitet, jedoch im Ganzen
von mehr rundlicher Form; ihr Index beträgt 84,6, ist also mesokonch. Die Wangen-
beine treten etwas vor und die Fossae caninae sind dem entsprechend sehr tief, dagegen
liegen die Jochbogen ziemlich eng an. Die Nase setzt oben etwas hoch und schief an
und ist an ihrer Wurzel schmal, der Rücken etwas eingebogen, die Apertur grols, der
Index 50, also mesorrhin. Der Oberkiefer ist im Ganzen niedrig, namentlich am
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 47
Alveolarfortsatz, der schwach prognath ist. Der Gesichtswinkel (Stirn, Nasenstachel,
Gehöröffnung) milst 32°. Der Gaumen lang und nach hinten breit, die Zahnlinie leicht
hufeisenförmig und die Zähne, beziehentlich die Zahnhöhlen, besonders vorn, grols. Index
leptostaphylin, 75.
Der (fragliche und schon aus diesem Grunde nicht mitgezeichnete) Unterkiefer
klein und niedrig, die Aeste schräg angesetzt und schwach, namentlich schmal. Die
Distanz der Kieferwinkel beträgt nur 835 mm, 10 mm weniger, als die untere Frontalbreite.
2) Der Schädel No. 4.
Hr. Haly bezeichnet ihn als evidently abnormal und sagt von ihm und von dem
folgenden (No. 5): were procured by the Revd. S. Somanader, the Veddah Missionary
at Batticaloa. There is a lower jaw bone, but I do not know to which skull they
belong. Mr. Somanader guarantees them as being the skulls of absolutely pure blooded
Veddahs, a race he says now almost entirely extinet.
Der wahrscheinlich gleichfalls weibliche Schädel ist ohne Gesicht. Vielleicht hat
dazu ein seniler Unterkiefer mit gänzlich obliterirten Zahnhöhlen, ganz steilen und zarten
Aesten und Gelenkköpfen, welche durch Arthritis chronica senilis verändert sind, gehört,
indels macht der Schädel keinen so sehr greisenhaften Eindruck.
Derselbe ist von ungewöhnlicher Kleinheit: sein Innenraum mifst nur 1025 Cub.-
Cm., er ist also fast nannocephal. Dabei ist er sehr schief, namentlich links hinten ein-
gedrückt, dem entsprechend kurz, aber etwas breit und hoch. Der Index beträgt 80,6,
ist also brachycephal. Der Grund dieser Abnormität ist wahrscheinlich eine künst-
liche oder zufällige Deformation, denn, obwohl er eine Synostose der unteren
Kranz- und der Sphenofrontalnaht hat, so liegt die Hauptveränderung doch am Hinter-
haupt. Die anderen Nähte sind stark zackig. Die Squama oceipitalis sehr hoch und
der Lambdawinkel spitz; gar keine Protuberantia externa. Tubera an Stirn- und Scheitel-
beinen stark entwickelt. Stirnwölbung voll. Orbitae, soweit ihre Form erkennbar ist,
sehr grofs.
3) Der Schädel No. 5.
Es ist dies ein männlicher Schädel, leider ebenfalls ohne Gesicht, jedoch sonst
ganz unverletzt. Seine Capaeität ist beträchtlich gröfser (1360 Cub.-Cm.), als die der
beiden weiblichen Schädel, jedoch an sich nicht grofs. Die Oberfläche ist mit starken
Muskelzeichnungen besetzt, namentlich am Hinterhaupt, wo die Facies muscularis squamae
oecip. sehr tiefe Eindrücke zeigt, die Protuberantia externa ungewöhnlich stark und haken-
förmig ist und die Linea semieircularis superior einen kräftigen, Vförmig gestalteten
Vorsprung bildet. Auch die Nasen- und Orbitalwülste sind kräftig, jedoch nicht be-
sonders grols.
Die Schädelkapsel ist ausgesprochen dolichocephal, mit einem Index von 73,
und zeigt in der Seitenansicht eine lange, schön gebogene Curve mit steiler, voller Stirn
und vollem, stark vortretendem Hinterhaupt. Die Nähte sind gut erhalten, nur die
unteren Abschnitte der Coronaria und die Sphenofrontalis synostotisch, trotzdem die Schlä-
fengegend im Ganzen gut gebildet. In der Hinteransicht hat auch dieser Schädel eine
gerundet-ogivale Form, jedoch mit grölserer Breite der Basis. Die Squama oceipitalis
48 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
ist hoch und der Lambdawinkel sehr spitz. Die Cerebellarwölbungen grols. An der
Basis erscheint das Hinterhaupt besonders lang. Die Processus condyloides treten sehr
stark hervor und haben stark nach auflsen gewendete Gelenkflächen. Die Processus
mastoides kräftig.
In der Vorderansicht erscheint die Stirn breit, die Nasenwurzel etwas tief, aber
schmal, der Nasenrücken aufgerichtet, die Orbita grols und leicht gerundet, die Joch-
bogen anliegend.
Obwohl Hr. Haly sagt, es liege kein Beweis vor, dafs der Schädel
No. 1 ein Wedda-Schädel sei, so sehe ich doch auch keinen Grund, ihn
nicht als einen solchen zu betrachten. Batticaloa ist, wie aus dem früher
Mitgetheilten hervorgeht, eine altbekannte Wedda-Gegend, und die Angabe
des Mr. Hume, dafs es der Schädel emes Wedda-Weibes sei, muls doch
auf bestimmte Indicien hin gemacht sein. In der That ist es der Schädel
eines Weibes. Da er auch sonst mit anderen Wedda-Schädeln gut über-
einstimmt, so trage ich kein Bedenken, ihn als solchen anzuerkennen.
Der Umstand, dafs er nichts an sich hat, was den gewöhnlichen Vor-
stellungen von dem Schädel eines „Wilden“ entspricht, kann nicht in das
Gewicht fallen, da auch die anderen Schädel einen verhältnilsmäfsig zar-
ten, um nicht zu sagen, eivilisirten Eindruck machen. Es ist dies eine
Eigenthümlichkeit, welche verschiedenen, unzweifelhaft wilden Bevöl-
kerungen der östlichen Inselwelt zukommt, und welche namentlich bei
den Andamanesen, den Negritos der Philippinen und manchen wilden
Stämmen der vorderindischen Gebirge in gleicher Weise hervortritt. —
Von den beiden anderen Schädeln ist die Herkunft durch den Missionar
jener Gegend selbst, Mr. Somanader so bestimmt bezeugt, dafs kein
Zweifel übrig bleibt.
Zur Vergleichung kann eine nicht unbeträchtliche Zahl von schein-
bar gut bestimmten Schädeln herangezogen werden, welche sich in England
befinden. Davon waren 11 im Besitz des Hrn. Barnard Davis, der
Notizen darüber in seinem Thesaurus eraniorum, London 1867, p. 130,
geliefert hat. Unter ihnen sind 4 gleichfalls von Batticaloa, 2 von Badulla
und 2 von Ouvah. Einige sind defekt und müssen daher für unsere
Betrachtung ausgeschieden werden. — Andere 9 Wedda-Schädel befinden
sich in der grofsen anthropologischen Sammlung des Hunter’schen Museums;
ihre Maafse sind kürzlich von Hrn. W. H. Flower in seinem Oatalogue
of the specimens illustrating the osteology and dentition of vertebrated
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 49
animals, contained in the Museum of the Royal College of surgeons of
England, London 1879, Part I. p. 111, publicirt worden. Unter ihnen
sind auch diejenigen, welche schon früher Hr. George Busk (Proc. Linn.
Soc. 1862. Vol. VI. p. 166) beschrieben hat. Von 2 derselben wird ange-
geben, dafs sie von Nilgala stammen. Die beiden letzteren und der eine von
Bintenne (Badulla) sind von Hrn. Bailey geliefert. Einer der (männlichen)
Schädel von Bintenne (No. 675) ist abgebildet m dem Werke der Herren
de Quatrefages und Hamy (Crania ethnica. Paris 1876—77. Livr. VI.
Pl. LVIN. Fig. II.—IV.). Bei 2 anderen (No. 681 und 682) wird
besonders angegeben, dafs sie als authentische Exemplare betrachtet
würden.
Im Ganzen können demnach 23 Schädel in Vergleichung genom-
men werden. Unter ihnen ist aufser dem oben beschriebenen, deformirten
Schädel (No. 4) aus dem Museum von Colombo noch ein zweiter aus dem
Hunter’schen Museum (No. 676), einer der Bailey’schen von Bintenne,
von dem ausdrücklich angeführt wird: It has been unsymmetrically
distorted by occipital pressure. Diese beiden werden demnach für gewisse
Betrachtungen ausgeschieden werden müssen. Die übrigen Anomalien, so
wichtig sie auch sein mögen, können im Grofsen übergangen werden.
Ich will jedoch kurz darauf hinweisen, dafs nicht nur der von mir be-
schriebene Schädel No. 1 aus dem Colombo-Museum (Taf. I. Fig. 3) tem-
porale Abweichungen, namentlich Schaltknochen besitzt, sondern auch der
von den Herren de Quatrefages und Hamy abgebildete Schädel No. 675
aus dem Londoner Museum deutliche Stenokrotaphie zeigt.
Als Gesammtresultat ergiebt sich zunächst, dafs der Wedda-
Schädel ein ungewöhnlich kleiner ist, und dafs gelegentlich
genuine Nannocephalie in der Rasse vorkommt. Von dem
deformirten Schädel aus dem Colombo -Museum (No. 4) habe ich schon
hervorgehoben, dafs er nur eine Capacität von 1025 Cub.-Ctm. besitze.
Hr. Flower hat sogar einen noch kleineren ermittelt, den eines erwach-
senen Frauenzimmers (No. 679), der nur 960 Gub.-Cm. milst und von
dem er sagt, dals er der kleinste der ganzen Sammlung sei. Dabei ist
besonders zu bemerken, dafs es sich nicht um eine Mikrocephalie im
pathologischen Sinne, sondern um Crania justo minora handelt. Um
Phys. Kl. 1881. Abh. I. 7
r
50
Vırcmow: Ueber die Weddas von Üeylon
Verwechselungen zu vermeiden, habe ich daher den schon früher von mir
vorgeschlagenen!) Namen Nannocephalus gewählt.
Ich gebe in Nachstehendem eine Zusammenstellung der Einzel-
zahlen, da die eben signalisirte Thatsache von ganz besonderer Wichtig-
keit für die Rassen - Kenntnifs ist.
Bei den Schädeln des Hrn. Barnard
Davis ist in der ersten Colonne das von ihm angegebene Gewicht des
zur Messung verwendeten Sandes, in der zweiten und dritten Colonne die
Maafszahlen nach der
Reduktion des
Gewichts
Welcker?) aufgeführt.
1) Die Angaben des Hrn. B. Davis:
1)
6)
7)
8)
9)
10)
11)
12)
ın
Gewicht: Männlich: Weiblich:
64 Unzen 1275 Cub.-Om. — Cub.-Cm.,
70 as: R — .
56 ® — = 1115 2
65 N — N 1295 E)
64 = — R 1278 e
s1 Rn. e — u
Bon R 1175 A
Da — - 1444 e
Mittel von 3 männlichen Schädeln 1428 Cub.-Um.
5 weiblichen N 1261
”
br)
Mittel von 8 Wedda-Schädeln
2) Die Angaben des Hrn. Flower:
676
677
678
679
680
681
Männlich:
Na AN CHb.- Cm. =
b)
[>
b2]
1225
b>]
1323 Cub.-Cm.
Weiblich:
Oub.-Cm.
n
Unbestimmt:
Cub.-Cm.
Tabelle des Hrn.
!) Virchow. Gesammelte Abhandlungen zur wissenschaftlichen Medicin.
furt a. M. 1856.
S. 9
01.
2) Archiv für Anthropologie.
Ba. I. S. 27
2.
Frank-
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 51
No. 682 — 1420 Cub.-Cm. — Cub.-Cm. — Cub.-Cm.
„683 — y _ ä 1300 r
Mittel von 4 männlichen Schädeln 1261 Cub-Cm.
° „ 3 weiblichen 4 IERSMN
- »„ 2 unbestimmten 5 1267 4
Mittel von 9 Wedda-Schädeln 1224 Cub.-Cm.
3) Die Angaben von mir:
Männlich: Weiblich:
No.1 -—- Cub.-Cm. 1250 Cub.-Cm.
kn 1025 h
la u i
Mittel von 3 Wedda-Schädeln 1211 Cub.-Cm.
Daraus berechnet sich für 20 Wedda-Schädel
ein Mittel von 1261 Cub.-Um.
und zwar für 8 männliche
ein Mittel von 1336. A
und für 10 weibliche
ein Mittel von 1201 =
Nur 2 männliche Schädel, nehmlich No.10 bei Hrn. Davis und No.682
bei Hrn. Flower, erheben sich über 1400: der erstere hat 1614 Cub.-Cm.
und wird von Hrn. Davis selbst als abnorm grols (abnormally large)
bezeichnet; der andere hat 1420 Cub.-Cm. Alle übrigen geben geringere
Maafse, und zwar bewegen sich zwischen 1100 und 1200 Cub.-Cm. 3,
zwischen 1200 und 1300 Cub.-Cm. 8 derselben. Das oben berechnete
Mittel von 1261 kann also als ein ziemlich gutes Maafs gelten.
Die Gröfse der Variation ist dabei besonders bemerkenswerth.
Nimmt man die beiden Extreme, den weiblichen Schädel von 960 und
den männlichen von 1614 Oub.-Cm., so erhält man eine Differenz von
654. Nun mag die sehr verschiedene Art der Messung vielleicht ein
wenig dazu beitragen, diese Differenz zu erhöhen, aber erheblich kann
ihr Einflufs nicht sein.
In einem nahen, jedoch keineswegs einfachen Verhältnisse zu der
Capacität stehen die Umfangsmaafse. In Bezug auf den Horizontal-
umfang berechne ich aus den Angaben des Hrn. Barnard Davis im
53 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
Mittel von 3 männlichen Schädeln 19,9 engl. Zoll = 506 mm, im Mittel
von 8 weiblichen Schädeln 19,0" = 483 mm und im Mittel von 13 Schä-
deln überhaupt 19,2 Zoll = 488 mm. Aus den Zahlen des Hrn. Flower
erhalte ich im Mittel von 5 männlichen Schädeln 485, von 2 weiblichen
454, von 7 Schädeln überhaupt 476 mm. Meine Messungen ergeben für
3 Schädel ein Mittel von 486 mm, also eine ziemlich verwandte Zahl. Aus
allen 23 Schädeln berechnet sich ein
Mittel von 484 mm,
aus den Schädeln des Hrn. Davis und den meinigen, zusammen 16, allein
ein Mittel von 487 mm. Das geringste Maafs (448) fand Hr. Flower
bei dem nannocephalen Mädchen, das höchste (512) bei einem Manne,
also auch hier eine Differenz der Extreme von 64 mm. Die von mir be-
schriebenen Schädel erweisen sich auch hier als vollkommen typisch.
Die Messung des Vertikalumfanges (quer über den Kopf) läfst
keine genaue Vergleichung zu, da mein Maafs von einem Gehörgange zum
andern, das von Hrn. Davis von der Basis eines Warzenfortsatzes zur
Basis des andern genommen ist. Hr. Flower hat überhaupt kein wei-
teres Umfangsmaals gegeben. Nach meinen Messungen ist der Vertikal-
umfang verhältnilsmäfsig klein, im Mittel nur 289 mm, also 197 mm
geringer, als der Horizontalumfang, von dem er nur 59,4 pÜt. beträgt.
Diese Zahl zeigt die Schmalheit des Schädels in klarster Weise.
Der an sich schwer zu messende obere Längsumfang (sagittal
von der Nasenwurzel über den Scheitel zum Hinterhauptsloch) differirt
nach unseren beiderseitigen Ermittelungen sowohl im Ganzen als in seinen
einzelnen Theilen. Es beträgt im Mittel
Davis: Virchow:
der frontale Längsumfang 124,5 mm, 123 mm,
der parietale " 124,04.,.% 121 2
der oceipitale E 114,3, ı, a
der ganze Sagıttalbogen 365,8 mm, 355 mm,
365 er
oder, nach Procenten des ganzen Sagittalbogens berechnet,
der frontale Längsumfang 34,0 34,6
der parietale ” 34,7 34,0
der oceipitale & 51,3 312
100,0 100.0.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 53
Zum Mindesten stimmen hier die Zahlen für die Betheiligung der
Hinterhauptsschuppe an der Bildung des Schädeldaches überein; sie
zeigen, dafs der Squama ein beträchtlicher Antheil, fast ein Drittel zu-
kommt, und dies darf wohl als eine charakteristische Erscheinung ange-
sehen werden.
Das Verhältnifs des Längsumfanges zum Horizontalumfange weicht
nur wenig in beiden Messungen von einander ab. Es beträgt bei meinen
Messungen 73,0, bei Hrn. Davis 74,9, im Gesammtmittel 74,5 pÜt. des
Horizontalumfanges, gegenüber dem Verhältnifs des Vertikalumfanges ein
sehr beträchtliches Maals. —
Ungleich homogener sind die Ergebnisse der Messungen in Bezug
auf die Kopfform. Der gemittelte Längenbreitenindex ist ausge-
macht dolichocephal. Er beträgt bei
Hrn. Davis aus 10 Schädeln 71,3,
Ju o wer UWE > 71:9,
mir BE ur, R le);
im Ganzen aus 20 Schädeln 71,6.
Hier sind aus der Rechnung ausgelassen die beiden, schon früher
erwähnten deformirten Schädel, welche einen brachycephalen Index haben:
der im Londoner Museum besitzt einen Index von 82,9, der aus dem
Colombo-Museum einen solchen von 80,6. Daran schliefst sich zunächst
der Schädel eines etwa 18jährigen Mädchens von Batticaloa im Besitze
des Hrn. Davis (No. 803), den er selbst als ein aberrant example be-
zeichnet, mit einem Index von 78. Worin bei diesem der Grund der Ver-
kürzung liest, ist aus der Beschreibung nicht zu entnehmen, da nichts
weiter von ihm erwähnt ist, als dafs er vor dem Foramen magnum einen
Processus papillaris (Halbertsma) besitze.
Möglicherweise sind deformirende Einflüsse bei den weiblichen
Weddas in gröfserer Ausdehnung, wenngleich in weniger merklicher Weise,
wirksam gewesen. Wenigstens berechnet sich aus den Zahlen des Hrn.
Davis, auch nach Auslassung des wahrscheinlich verunstalteten Schädels,
für die weiblichen Schädel ein höherer Index, als für die männlichen.
Allein bei Hrn. Flower und mir tritt nach Ausscheidung der deformirten
Schädel das entgegengesetzte Resultat hervor, nehmlich
54 Vırcnow: Ueber die Weddas von Ceylon
Davis: Flower: Virchow:
für Männer (3) 69,6 (5) 70,9 (1) 73,0,
für. Weiber, ‚(6),,21,0:..(1),,69,9 (1).70,9.
Für das Gesammtmittel der Geschlechter gleicht sich jedoch die
Differenz aus, indem die geringeren Zahlen von Hrn. Flower und mir
dazutreten, nehmlich
für 9 Männer 70,7,
für 8 Weiber 70,8.
Jedenfalls befinden sich unter der Zahl von überhaupt 20 Schädeln,
welche in Rechnung kamen, überhaupt nur 4, welche der Mesocephalie
(Index von 75,1—80) zugehören. Unter den übrig bleibenden 16 aber
sind 7, deren Index unter 70 beträgt, die also hyperdolichocephal
sind. Das Minimum beträgt 66 (Davis). Ganz richtig konnte daher
Hr. Davis (l. e. p. 132) sagen, dafs die Wedda-Schädel schmaler, als
die von afrikanischen Negern, zuweilen so schmal, wie die von Neu-
Caledoniern, seien.
Das Verhältnifs der einzelnen Schädelabschnitte zu der Gesammt-
länge (— 100) stellt sich etwas verschieden dar. Bei dem männlichen
Schädel No. 3 ist die horizontale Länge des Hinterhaupts gröfser und die
vordere, basilare Länge kleiner, als bei den beiden übrigen. Bezeichnet
man das Verhältnifs der Hinterhauptslänge zur Gesammtlänge mit «a, das
der basilaren Länge (vorderer Rand des Foramen magnum bis Nasen-
wurzel) mit d, so erhält man für den Schädel
No. 1: No. 2: No. 3:
a 28,2 27,8 32,4,
RR) 99,1 48,6.
Der Kleinheit der Schädel entsprechend, ist die grölste Länge
durchschnittlich gering; die Dolichocephalie wird weniger durch grolse
Länge, als vielmehr durch geringe Breite bedingt. Unter sämmtlichen
Schädeln ist nur ein einziger, männlicher (Davis No. 805), bei dem die
Länge bis auf 190 mm (7,6 engl. Zoll) steigt. Bei allen übrigen ist sie
geringer, ja bei der Mehrzahl erreicht sie nicht einmal 180. Die gröfste
Breite steigt ebenfalls nur bei einem einzigen (Flower No. 683) bis auf
140 mm; gleich darauf folgt der männliche Schädel aus dem Colombo
Museum mit 135. Die Mehrzahl aber erreicht nicht einmal 130.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 55
Um so auffallender ist die verhältnifsmäfsig beträchtliche Höhe.
Nur zweimal ist die Höhe geringer als die Breite. Bei dem auch sonst
abweichenden Schädel (Flower No. 683), bei welchem die Breite 140 mm
erreicht, hat die Höhe nur 135 mm, und bei einem männlichen (Davis
No. 804), der mannichfaltige Synostosen zeigt und clinocephal gebaut ist,
bleibt die Höhe (5") um eim Geringes hinter der Breite (5,2”) zurück.
In allen übrigen Fällen überschreitet das Maafs der Höhe das der Breite,
und nicht selten um ein Beträchtliches, in einem Falle (Flower No. 680)
um 14 mm. Die gröfsten Höhenzahlen, 136 und 137 mm, finden sich
bei je einem männlichen Schädel von Flower und von mir.
Der Längenhöhenindex ist daher gröfser, als der Längenbrei-
tenindex. Er berechnet sich, nach Ausscheidung der beiden deformirten
Schädel, im Mittel für
Männer: Weiber:
bei Hrn. Davis (3) 73,6 (016,2,
"N >». Elower. .(5) 75,0 LOL:
Am Bye GL) 42,9,
im Ganzen auf (9) 74,9 (9) 75,3.
Das Gesammtmittel beträgt
74,9.
Man kann daher nicht gerade von einer Hypsicephalie sprechen,
indefs nähert sich doch die Form diesem Typus. Rechnet man die
Örthocephalie bis 75 (oder bis 74,9), so fällt der Wedda-Schädel im
Mittel unter diese Kategorie.
Die nur von mir gemessene Ohrhöhe (senkrechte Entfernung des
oberen Randes des äufseren Gehörganges vom Scheitel) ist gleichfalls be-
trächtlich, namentlich bei dem männlichen Schädel, wo sie 120 mm
beträgt. In diesem Falle berechnet sich der Ohrhöhenindex auf 64,9,
während er bei dem weiblichen Schädel (No. 1) nur 60,4 und selbst bei
dem deformirten (No. 4) nur 63,0 erreicht. —
Was die Gesichtsbildung anlangt, so finde ich darüber, mit
Ausnahme der schon beigebrachten Beschreibungen, wenig osteologische
Unterlagen. Von einzelnen Regionen erwähne ich die Augenhöhlen und
die Nase.
Der Orbitalindex betrug in dem einen Falle, der mir überhaupt
56 Vırcmow: Ueber die Weddas von ( 'eylon
Gelegenheit zur Messung darbot, 84,6, genau dieselbe Zahl, welche sich
als Mittel aus den Angaben des Hrn. Flower berechnet. Im Einzelnen
sind die Schwankungen freilich nicht unerheblich. Denn nach Hrn. Flower
fallen von 8 Schädeln 2 Indices unter 80, 2 zwischen 80 und 85, und
4 über 85—91,7. Nach Geschlechtern stellt sich das Verhältnifs so, dafs
im Mittel aus 4 männlichen Schädeln 85,1, aus 2 weiblichen 84,3 resul-
tirt, — ein nicht nennenswerther Unterschied. Im Ganzen wird man
also annehmen können, dafs die Orbitalbildung mesokonch ist.
Der Nasenindex, den ich auf 50 angab, berechnet sich nach
7 Fällen bei Hrn. Flower auf 52,2; er ist also mesorrhin, auf der
Grenze zur Platyrrhinie. Dabei scheint freilich eine nicht unbedeutende
Geschlechtsdifferenz zu bestehen, indem die beiden, von Hrn. Flower
aufgeführten weiblichen Schädel platyrrhin (56,1 und 57,8), dagegen unter
den männlichen Schädeln einer, wenn nicht zwei leptorrhin (46,5 und (?)
46,7) und nur zwei platyrrhin (54,0 und 54,5) waren. Die gedrückte
Form der knöchernen Nase ist aus Taf. I. Fig. 3 und der Profilzeichnung
bei den Herren de Quatrefages und Hamy leicht zu ersehen. Die
früher mitgetheilten Beschreibungen von Sir E. Tennent, Bailey und
Hartshorne, welche die Flachheit der Nase betonen, sind damit im
Einklange, wie denn auch die früher (S. 44) mitgetheilten Abbildungen
nach Photographien die gedrückte Form der Nasenwurzel und die Breite
der Nasenflügel deutlich erkennen lassen.
Das Gesicht im Ganzen scheint durchweg niedrig zu sein. Die
Vorderansicht des von den Herren de Quatrefages und Hamy abge-
bildeten Schädels zeigt dies in ausgezeichneter Weise. Ich erhielt einen
Index (Verhältnifs von ganzer Gesichtshöhe zur Jochbreite) von 83,1.
Aus den Messungen des Hrn. Barnard Davis berechne ich für 5 Schädel
im Mittel fast dieselbe Zahl, nehmlich 83,8. Darnach ist also der Typus
im Ganzen chamaeprosop und zwar, soviel sich bis jetzt übersehen
läfst, bei den Weibern mehr, als bei den Männern. Denn die Schädel
des Hrn. Barnard Davis ergeben für
Männer: Weiber:
No. 313 88,2 pe
„ 801 87,5 As
„ 802 ai. 82,9
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 57
No. 803 — 80,8
804 er 80,0
im Mittel 87,8 812:
Trotz der Niedrigkeit sind die Gesichter eigentlich nicht breit. Es
hängt das mit der geringen Vorwölbung der Jochbogen und Wangenbeine
zusammen, welche schon Hr. Barnard Davis im Gegensatze zu den afri-
kanischen Rassen hervorgehoben hat. Nur der Londoner Schädel No. 675,
welchen die Herren de Quatrefages und Hamy abgebildet haben, er-
scheint verhältnilsmälsig breit, wie es scheint, hauptsächlich wegen der
starken Entwickelung des Processus zygomaticus des Oberkiefers und der
dadurch bedingten Grölse des unteren Wangenhöckers.
Hr. Flower berechnet aufserdem noch den Alveolarindex. Er
versteht darunter das procentische Verhältnils der „basialveolären Länge“
(Entfernung des vorderen Randes des Alveolarfortsatzes vom Hinterhaupts-
loch) zu der „basinasalen Länge“ (Entfernung der Nasenwurzel vom
Hinterhauptsloch), letztere — 100 gesetzt. Im Mittel aus 6 Schädeln
ergiebt sich die Zahl 96,3. Ich erhalte für den weiblichen Schädel aus
dem Colombo Museum nur 93,4. Nach den Geschlechtern gestalten sich
die Zahlen des Hrn. Flower ähnlich:
Männer: Weiber:
No. 675 983,9 —
„676 — 95,0
A: 101,0 zu
41679 m 96,5
„680 96,9 —
‚U 681 97,1 ”"
im Mittel ga 94,7.
Darnach könnte es scheinen, als sei die Prognathie der Männer
grölser, als die der Weiber. Indels wird das Urtheil darüber wohl noch
vorbehalten werden müssen, da die Einzelzahlen bei beiden Geschlechtern,
namentlich beim männlichen, erhebliche WVerschiedenheiten ergeben.
Jedenfalls ist die Prognathie an sich eime sehr geringe, Hr. Barnard
Davis!) nennt die Wedda-Schädel sogar tolerably orthognathous.
1) Davis. Thesaurus eran. p. 132.
Phys. Kl. 1881. Abh. |. 6)
58 Vırcmow: Üeber die Weddas von Üeylon
In Betreff der Verhältnisse des übrigen Körpers besitzen wir noch
einige Angaben des Hrn. Hartshorne über zwei Weddas, welche ich in
Nachstehendem zusammenstelle, nachdem ich sie in Metermaals über-
tragen habe:
Latty, Bandiey,
etwa 18 Jahreletwa 25 Jahre
Korperhohe es A Bu Wen Ze a 2 1631,91 1517,59
Umfang des Kopfes um die Mitte der Sim. . 2 2 2 2 0 22. 514,33 514,33
Von der Höhe der Stirn bis zum Kinnrande . . . 2 2 2 2020. 168,25 177,80
Gesichtshreitegtacnosae tace)n ee 133,34 171,42
Schulter bis Ellbogen Aypkiadı FAN 323,81
Ellbogen bis Handgelenk . . . . . 219,05
Handgelenk bis Spitze des Mittelfingers 174,59
Umfang des Oberarmes um den Biceps rechts 241,28
= < L. 3443 » links 241,28
= „ Vorderarmes rechts . 222,22
= = ei links 222,22
a der Brust 749,27
Länge des Oberschenkels 419,07
Vom Knie bis zum Knöchel 393,67
Umfang der Wade . 292,07
Fufssohle 222,22
Bei einigen dieser Maalse ist es sehr wahrscheinlich, dafs
Irrthümer untergelaufen sind. Am meisten tritt dies bei dem Oberarm
(Schulter bis Ellbogen) hervor, der bei dem kleineren Manne um 44 mm
länger gewesen sein soll, während der ganze Arm bei ihm um fast 13 mm
kürzer ausfällt. Ebenso erscheint die Gesichtsbreite bei Bandiey, dem
kleineren Manne, nicht nur um 58 mm grölser, als bei dem viel gröfseren
Latty, sondern auch absolut von einer unglaublichen Gröfse. Man wird
daher bei der Benutzung dieser Zahlen sehr vorsichtig sein müssen.
Ziemlich constant ist das Verhältnils der Länge der Fufssohle zur
Körperhöhe; jene ist bei Latty 6,7, bei Bandiey 6,8 mal in der Körper-
höhe enthalten. Dies ist ein ganz entsprechendes Verhältnils.
Hr. Bennett sagt, die Hände der Weddas seien klein, ihre Füfse
dagegen lang und platt. Das mag richtig sein, geht aber aus den mit-
getheilten Maafsen nicht hervor.
Von den sonstigen Extremitätenmaafsen möchte ich nicht weiter
sprechen, zumal da bei einzelnen derselben, z. B. der Länge des Ober-
schenkels, nicht ersichtlich ist, welche Endpunkte gewählt sind. Das
jedoch geht auch aus diesen Angaben hervor, dafs eine Unverhältnils-
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 59
mälsigkeit der Theile nicht vorhanden sein dürfte. Von einigem Interesse
ist nur das Umfangsmaals der Arme. Während sonst gewöhnlich merk-
liche Unterschiede zwischen dem rechten und linken Arm bestehen, finden
sich hier beiderseits gleiche Maafse, ja bei Latty ist sogar der Umfang
des linken Oberarmes um etwas mehr als 3 mm grölser, als der des
rechten. Es erklärt sich dies aus der, von verschiedenen Beobachtern
hervorgehobenen Uebung des linken Arms, welcher beim Spannen des
sehr schweren Bogens ganz besonders angestrengt wird.
Hr. Barnard Davis!) besitzt in seiner Sammlung den Oberschenkel
und den Oberarm eines Wedda: jener hat eine Länge von 17,2 Zoll =
436,38 mm, dieser von 12 Zoll = 304,8 mm. Dies ist offenbar ein recht
kräftiges Individuum gewesen; die Länge des Oberschenkels übertrifft noch
die der beiden von Hartshorne gemessenen Männer (425 und 419 mm).
Dagegen harmonirt die Länge des Oberarms nach Davis wenig mit den
von Hartshorne angegebenen Maafsen, und auch dies spricht für die
Ungenauigkeit der von dem letzteren angeordneten Messung. —
Die Vergleichung der Weddas mit ihren Nachbarn auf der Insel
wird nicht wenig erschwert durch den Mangel ausreichender Nachrichten
über das physische Verhalten der letzteren. Auch die besten Beschreiber
beschränken sich in der Regel auf einige Worte oder betrachten die mehr
eivilisirten Stämme als genügend bekannt, höchstens dafs sie Vergleichun-
gen mit continentalen Stämmen Vorderindiens oder mit Europäern an-
stellen. Auch osteologisches Material ist verhältnilsmäfsig spärlich in den
europäischen Sammlungen und das vorhandene erscheint mir noch dazu
als wenig sicher. So habe ich durch die Güte des Hrn. Consul Freu-
denberg 3 Schädel von Sinhalesen und 3 von Tamilen erhalten, aber bei
der Untersuchung zeigt ein als sinhalesisch bezeichneter Kinderschädel so
viel Uebereinstimmung mit den Tamilen, dafs es mir höchst zweifelhaft
erscheint, ob seine Bestimmung richtig ist. Die Bevölkerungen im Nieder-
land der Insel haben sich so vielfach durch einander geschoben, dafs nicht
blofs Mischungen derselben unter einander vorgekommen sind, sondern
dafs auch Verwechslungen von Schädeln leicht geschehen können. Ich
1) Davis. Thesaurus craniorum p. 132.
Se
60 VırcHow: Ueber die Weddas von Ceylon
gebe daher die nachstehenden Bemerkungen mit aller Reserve, und haupt-
sächlich zu dem Zweck, um wo möglich genauere Nachrichten und
Sendungen von besserem Material zu provociren. Insbesondere mufs ich es
als ein grolses Desiderat bezeichnen, dafs genügende Photographien,
namentlich nicht zu kleine Brustbilder (Profil und Vorderansicht), in rich-
tiger Horizontalstellung aufgenommen werden.
Bei der Vergleichung kommen hauptsächlich die eigentlichen
Sinhalesen und die Tamilen in Betracht. Nur beiläufig können die
Nachkommen eingewanderter Araber (Moors, Moormen) und Malayen,
noch weniger Chinesen, Birmanen, arische Indier, afrikanische Neger und
Europäer herangezogen werden. Sowohl der räumlichen Ausbreitung, als
der Zahl nach sind die beiden ersteren Stämme so sehr vorherrschend,
dafs, auch ganz abgesehen von ihren fast ausschliefslichen, historischen
Ansprüchen, sie vorzugsweise berücksichtigt werden müssen.
1) Die Sinhalesen.
Sie nehmen im Allgemeinen den Süden und Südwesten des Landes
ein. Nach Sir Tennent!) sind die Bewohner der Südküste von Galle
bis Hambantotte die reinsten Sinhalesen. Dieser Theil bildete einen
wichtigen Abschnitt der alten Provinz Rohuna, welche schon früh von
Nachkommen der Gefolgschaft Wijayo’s colonisirt wurde; sie hatten
weder Verkehr, noch Vermischung mit den Malabaren. Leider giebt Sir
Tennent aber keine wirkliche Beschreibung der Leute. Nur gelegentlich
spricht er von ihrem Bau und ihren Haaren; was ihn hauptsächlich be-
schäftigt, ist ihre Neigung zu weibischer Tracht. Dies gilt in erster Linie
von der Haartracht, von welcher er eine Abbildung liefert. Dieselbe
komme weder im Innern, noch im Norden oder Osten vor, sondern nur
an der Südwestküste. Sie lassen das Haupthaar lang wachsen, kämmen
es A l’imperatrice oben von vorn nach hinten und hinten von unten nach
oben, bilden daraus eine Rolle (konde) auf dem vortretenden Theil des
Hinterkopfes, und befestigen das Ganze durch Kämme. Schon Ptole-
maeos habe von dem langen Haar in Taprobane gesprochen und
Agathemeros gebe an, dals die Männer in Ceylon ihr Haar unbeschränkt
1) Tennent l. c. Vol. II. p. 106—12.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 61
wachsen liefsen und es am Scheitel nach Art der Weiber zusammen-
bänden. Von den Kindern sagt Sir Tennent, sie seien schön und ihr
Haar wellig und glänzend (wavy and shining); eine Kindergruppe sehe
in ihrer Nacktheit aus, wie „lebende Bronzen“. Da auch die Männer
zarte Züge und schlanke Glieder (delicate features and slender limbs)
hätten, häufig bartlos seien!) und um die Hüften ein Stück Zeug (comboy),
wie einen Unterrock, trügen, so sei der Eindruck ein fast weibischer.
Endlich wird noch eine Notiz aus dem chinesischen Reisebericht des
Hiuen Thsang beigebracht, worin der Mongole seinem Erstaunen über
die vortretende Nase durch die Bemerkung Ausdruck verleiht, die Sinha-
lesen hätten einen Vogelschnabel an einem menschlichen Körper.
Das ist so ziemlich Alles, was ich über die Sinhalesen bei Sir
Tennent finde. Die wenigen Sätze, welche Hr. von Schlagintweit?)
den Bewohnern Ceylons widmet, stimmen damit überein. Etwas deut-
licher, wenngleich sehr oberflächlich, sind die Anführungen der früheren
Autoren. Valentijn?) sagt: De cingaleezen zijn niet heel swart, maar
bruyngeel, lang en open van ooren, niet kloek van Gestalt, door de bank
wat mager, zeer zwak van Leden, gezwind van licham en vrij vernuftig
van Geest. Wolf*) erklärte geradezu, die Sinhalesen trügen „schwarze
Haut“. Percival?) schreibt den Oeylonesen mittlere Statur, ungefähr von
5 Fufs 7 Zoll zu; die Farbe der Weiber nähere sich dem Gelben.
Selkirk®) nennt die Augen der Sinhalesen glänzend schwarz (bright black),
das Haar lang, schwarz und in einen Knoten (cundy) geschlungen. Die
Innenseite der Hände und Fülse sei weils, der übrige Körper schwarz.
Die Leute im Innern scheren den Bart selten, wohl aber die an der
Küste. Sirr?) sagt, die Männer seien über mittelgrofs, etwa 5 Fuls 6 Zoll
im Mittel und gut proportionirt. Ihre Farbe variıre von hell (elear)
1) Auch diese Angaben sollen sich schon in der Geschichte von Jambulos bei
Diodor Lib. 5 cap. 36 finden.
2) Hermann v. Schlagintweit-Sakünlünski. Reisen in Indien und Hoch-
asien. Jena 1869. Bd. 1. S. 213.
3) Valentijn l. e. Bl. 43.
S)\Wolt a. a. O21.2S.155.
5) Percival a. a. ©. S. 222.
6) James Selkirk. Reecollections of Ceylon. London 1844 p. 58.
MaSiunrgnloic- II. pP 38:
62 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
gelbbraun bis schwarz. Haare und Augen hätten die Farbe von Eben-
holz. Die Kandier seien dunkler, kräftiger, besser gewachsen und von
längerem Kopfbau. Philalethes!), der sich speciell auf Valentijn
bezieht, sagt, die Farbe der Sinhalesen sei nicht ganz schwarz, sondern
von einem tiefen Kastanienbraun, unterlaufen (suffused) mit einem gelben
Ton. Ihre Ohren seien lang und offen, ihr Körper nicht kräftig, son-
dern schlank und beweglich.
Ungleich genauer ist die Schilderung, welche Dr. Davy?) giebt.
Er theilt die „Singhalese race“ in drei grofe Stämme: die eigentlichen
Singhalesen, die Kandier und die Veddahs. Von den ersteren, die er
wesentlich nach den Bewohnern des Innern der Insel, den „Hochländern*,
beschreibt, sagt er, sie seien in Bau, Sprache, Manieren, Sitten, Religion
und Regierung vollständige Inder. Gleich diesen unterschieden sie sich
von Europäern weniger in den Zügen, als in geringfügigen Merkmalen
der Farbe, des Wuchses und der Gestalt. Die Hautfarbe wechsele von
Lichtbraun bis Schwarz. Auch die Farbe des Haars und der Augen
varıire, jedoch nicht so oft, wie die der Haut: schwarze Haare und Augen
seien am gewöhnlichsten, hellbraune (hazel) Augen weniger ungewönlich,
als braunes Haar, graue Augen und rothes Haar viel mehr ungewöhnlich,
und hellblaue oder rothe Augen und hellflachsfarbenes Haar von Albinos
am ungewöhnlichsten. In der Körpergrölse überträfen die Inlands-
Bewohner die Niederlands-Singhalesen und die meisten Eingebornen der
Küsten von Coromandel und Malabar, aber sie erreichten nicht die Grölse
der Europäer. Ihr Mittelmaafs möge etwa 5 Fuls 4—5 Zoll betragen.
Sie erschienen nett (clean made), mit zierlichen Muskeln und zarten
Knochen. Für Inder seien sie stämmig (stout) und hätten in der Regel
eine geräumige Brust und breite Schultern, zumal in den Bergdistrikten,
wo sie, gleich anderen Hochländern, kürzere, aber starke und sehr mus-
kulöse Ober- und Unterschenkel hätten. Hände und Fülse seien gewöhn-
gegenüber den unsrigen unverhältnifsmäfsig klein. Die
lich sehr klein, ja
Kopfform sei im Allgemeinen gut, aber vielleicht mehr lang, als bei
Europäern. Ihre Züge seien gewöhnlich hübsch und anziehend, ihre Mienen
!) Philalethes I. e. p. 231.
2) Dassypalz c-2p5 109:
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 63
intelligent und belebt. Die Natur habe ihnen einen reichlichen Haarwuchs
verliehen, und sie liefsen denselben im Allgemeinen im Gesicht, wie auf
dem Kopfe zu einer beträchtlichen Länge fortgehen, da nach ihrer Meinung
ein Bart das Gesicht nicht entstelle, sondern verschönere. Die Weiber
seien in der Regel wohlgebildet und gut aussehend, oft hübsch (handsome).
Ein schönes Weib sollte nach ihrer Meinung folgende Eigenschaften haben:
„Das Haar üppig, wie der Schweif eines Pfauen, lang, bis zu den Knieen
reichend und in gefällige Locken (curls) endigend; ihre Augenbrauen
gleich dem Regenbogen und ihr Auge wie blauer Sapphir oder wie die
Blumenblätter der blauen Manilla-Blume; ihre Nase wie ein Habichts-
schnabel und ihre Lippen glänzend (brieht) und roth, wie Korallen oder
das junge Laub des Eisenbaums; ihre Zähne klein, regelmäfsig und dicht,
wie die Knospen des Jasmins; ihr Hals voll und rund, wie die Berrigodia;
ihr Brustkorb gewölbt und ihre Büste fest und kegelförmig, wie die gelbe
Coeosnuls; ihre Taille eng, so dafs sie mit der Hand umfalst werden
könne; ihre Hüften breit, ihre Beine nach unten sich verjüngend (tapering),
ihre Fufssohlen ohne Höhlung und die Oberfläche ihres Körpers weich,
zart, gerundet, ohne vortretende Knochen und Sehnen. “
Davy hat das grolse Verdienst, seinem Werke eine Reihe von
Abbildungen beigegeben zu haben, welche manche Verhältnifse deutlicher
illustriren. Auf Pl. 6 findet sich eine colorirte Gruppe von Kandiern nach
einer Zeichnung des Lieutenant W. Lyttleton, welche namentlich die
dunkelbraune Hautfarbe der gemeinen Leute neben der helleren, mehr gelb-
braunen des Disave erkennen läfst. Die Gesichter sind verhältnifsmäfsig
lang und schmal, die Nasen stark vortretend und gebogen, die Oberlippe
kurz und die Mundgegend zart. Auf Pl. 4 sind Abbildungen gegeben,
welche nach Elfenbeinfiguren eines eingebornen Künstlers gezeichnet sind;
hier sind die Gesichter kürzer und etwas breiter, die Nasen stark vor-
tretend und gebogen, von fast jüdischem Ausdruck, die Lippen besonders
der Frauen voller und schwellend, jedoch ohne Andeutung von Pro-
snathismus.
Cordiner!) bezeichnet die Sinhalesen als fein gebaut (of a slender
make), unter Mittelgröfse, mit zarten, aber gutgeformten Gliedern (limbs
1) Cordiner l.c. p. 94.
64 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
slight, but well shaped), mit regelmäfsigen Zügen von derselben Form,
wie Europäer; ihre Farbe zeige verschiedene Schattirungen, sei jedoch
nicht so dunkel, wie bei den Indern des Continents; die Augen schwarz,
aber das Weilse derselben auffallend klar, das Haar lang, glatt (smooth)
und schwarz. Bei den höheren Klassen sei die Hautfarbe so hell, dafs
sie heller erscheine, als bei brünetten Leuten in England. In allen Klassen
aber sei die Volarfläche der Hände und Fülse gleichmäfßsig weils.
Von den Kandiern erzählt Cordiner!), dafs sie von den Sinha-
lesen nicht mehr verschieden seien, als Bergbewohner anderer Länder von
der Küstenbevölkerung. Sie seien stämmiger (of a stouter make) und
heller, aber nicht gröfser (not taller). Ihre Manieren seien weniger abge-
schliffen und das beständige Tragen eines Bartes steigere die natürliche
Wildheit ihres Aussehens.
Wenn man diese Schilderungen mit den vorher mitgetheilten von
den Weddas zusammenhält, so bleiben eigentlich wenig Differenzpunkte.
Die Hautfarbe mag bei den letzteren durchschnittlich etwas dunkler sein,
aber sie varlirt scheinbar in denselben Grenzen. In dieser Beziehung ist
namentlich das Zeugnis des Dr. Davy von höchster Wichtigkeit. Das
„Düstere“, was Hr. Bailey von den Weddas betont, ist wenigstens zum
Theil der mangelhaften Reinlichkeit zuzuschreiben. Ebenso zweifelhaft ist
es, ob die Haare differiren: stellt man das wohlgepfleste, sorgfältig ge-
kämmte, glatte und nur an den Enden lockige Haar der Sinhalesen dem
verwahrlosten, verzottelten, wirren, aber gleichfalls nicht krausen Haar
der Weddas, welches so weit herabhängt und herumsteht, dafs es den
Kopf grölser erscheinen läfst, gegenüber, so tritt die Vermuthung nahe,
dafs mehr die Cultur, als eine ursprüngliche Eigenschaft den Unterschied
bedingt. Die mittlere Körperhöhe der Sinhalesen scheint etwa dem höch-
sten Körpermaafs der Weddas zu entsprechen, aber auch jene sind etwas
kleiner, als „Europäer“. Unter allen aufgeführten Merkmalen ist genau
genommen nur ein einziges, welches einen grofsen und entscheidenden
Eindruck auf alle Beobachter gemacht zu haben scheint, nehmlich die
Form der Nase, von der schon die alten Chinesen berichteten. Während
sie bei den Sinhalesen weit vortritt, eine Adlerform hat, und wahrschein-
1) Cordiner]l. ce. p. 131.
und ihre Bezielnmgen zu den Nachbarstämmen. 65
lich dem entsprechend schmaler ist, wird sie bei den Weddas als flach
und mit weiten Nüstern ausgestattet geschildert. Daran schliefsen sich
die dieken und stärker vorgewölbten Lippen und der grofse Mund der
Weddas, vielleicht auch die geringere Höhe der Gesichter. Genug, es
bleiben, wie schon Hr. Hartshorne!) andeutete, eigentlich nur ein
Paar faciale Kennzeichen als diagnostische stehen. Ob das richtig
ist, wird die Zukunft vielleicht ergeben, falls noch rechtzeitig genaue
Beschreibungen und namentlich gröfsere Photographien der Weddas her-
gestellt werden. Vorläufig können wir jedoch feststellen, dafs auch die
Sinhalesen zu einer dunklen, vielleicht am besten braun zu
nennenden, glatthaarıgen und nicht oder nur mälsig prognathen
Rasse gehören.
Wie steht es nun mit den osteologischen Merkmalen? Die Literatur
bietet in dieser Beziehung etwas genauere Anhaltspunkte, jedoch aus-
schliefslich für Schädel. Auch in diesem Punkte ist es das Verdienst
von Davy, eine exakte Mittheilung gemacht zu haben. Wie schon
erwähnt, erklärte er den sinhalesischen Schädel für länger, als den euro-
päischen. Als Belag dafür gab er auf Pl. III. die Abbildung des Schädels
eines sinhalesischen Häuptlings aus einer abgelegenen (secluded) Gegend
des Innern in der Seiten- und Vorderansicht. Derselbe ist lang, mäfsig
hoch, von stark ansteigender Hinterstirn und weit ausgelegtem Hinterkopf,
die Seiten bis zur Schläfe hin etwas abgeplattet, die Jochbogen vortretend,
die Augenhöhlen etwas breit und niedrig, schwach viereckig, jedoch nach
aulsen und unten ausgeweitet, die Nase schmal, vortretend, mit schwach
eingebogenem Rücken, niedrigem Gesicht, namentlich niedrigem und wenig
vortretendem Oberkiefer.
Eine neuere Beschreibung eines „Cranium Cingalensis“ findet sich
bei Gerard Sandifort?). Der Schädel sei von van Hassem an Brug-
1) Hartshorne l. c. p. 409 sagt: The general appearance of the Weddas may
be described as distinetly non-Aryan. The comparative shortness of their thumbs and
their sharply-pointed elbows are worthy of remark, as well as their flat noses and in some
cases thick lips, features which at once distinguish them in a marked degree form the
oriental races living in their vicinity.
2) Gerard Sandifort. Tabulae eraniorum diversarum gentium. Lugduni Batav.
1838 (ef. Mus. anat. Acad. Lugd. Bat. 1827. Vol. III. p. 39. No. DLXXXIV.).
Phys. Kl. 1881. Abh. 1. 9
66 Vırcmow: Ueber die Weddas von Üeylon
mans gegeben worden und befinde sich im anatomischen Museum in
Leiden. Es wird auch eine gröfsere Zahl von Messungen gegeben, aber
leider ist die Mehrzahl derselben für unsere Zwecke unbrauchbar. Die
Capaeität wird auf 39 Unzen Hirse angegeben. Nach der Abbildung ist
es ein sehr kräftiger Schädel mit hohem, starkem Gesicht, sehr prognath,
mit grolsen, weit vortretenden Zähnen, grolsem und breitem Unterkiefer,
sehr langer und hoher, schmaler Nase und niedrigen, sehr schief gestell-
ten, etwas eckigen Augenhöhlen. Da die Höhe derselben auf 0,031, die
Breite auf 0,041 angegeben wird, so würde der Orbitalindex 75,6, also
chamaekonch sein. Die interorbitale Distanz wird mit 0,024 aufgeführt.
Der Autor selbst beschreibt die Schädelkapsel als oval, mit stark erhöhtem
Scheitel, an den Seiten sehr abgeflacht, mit wenig vortretenden Tubera,
das Hinterhaupt oblong und keineswegs kuglig, an den Untertheilen mehr
platt. Die Augenhöhlen wären oblong in der @ueraxe, die Fissura
orbitalis posterior weit, die Enden (vertices) der Oberkiefer ausgehöhlt.
Die Nase schmal, wenig ausgehöhlt (excavatus), an den unteren Rändern
ausgeschnitten (exsectus) und schräg in den gleichfalls schrägen, nach
vorn vorspringenden Alveolarfortsatz des Oberkiefers übergehend. Der
Gaumen stark gewölbt (fornicatum) und oblong. Ich bemerke, dafs seine
Länge zn 0,059, seine Breite in der Gegend der III. Molaren zu 0,041,
in der Gegend der Praemolaren zu 0,039 angegeben wird; aus den beiden
ersten Maafsen würde sich ein Gaumenindex von 69,4, also ein äufserst
leptostaphylines Maafs berechnen, welches freilich nicht ganz mit meinem
Maafse, welches in der Gegend der II. Molaren genommen ist, zu ver-
gleichen ist. Die senkrechte Höhe des Schädels wird zu 0,145, die
tuberale Parietalbreite zu 0,126, die Jugalbreite zu 0,138, die Kiefer-
winkeldistanz zu 0,110 angegeben.
Eine weitere Angabe finde ich in dem Katalog des Museum Vrolik
in Amsterdam!), wo unter No. 66 der Schädel eines Eingebornen von
Ceylon aufgeführt wird, den Professor Bernard geliefert hatte. Er wird
mit dem Uranium Cingalensis von Sandifort verglichen, von dem er sich
hauptsächlich durch seine weniger prognathen Kiefer unterscheide. Es
sei ein schöner, kräftiger, dolichocephaler und ein wenig prognather
Schädel: die Stirn lang, aber wenig hoch, die Seitentheile stark zusammen-
1) Musee Vrolik. Catalogue par J. L. Dusseau. Amsterdam 1865. p. 22.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 67
gedrückt, die Wangenbeine stark und alle Muskelansätze beträchtlich ent-
wickelt. Nach den angegebenen Maalsen berechnet sich ein Längenbreiten-
index von 72,2, ein Längenhöhenindex von 75 und ein Gaumenindex
VOonWA3,TE
Hr. Welcker!) giebt in seinen kraniologischen Tabellen beiläufig
die gemittelten Indexzahlen für 5 Sinhalesenschädel, ohne jedoch anzu-
geben, wo sich dieselben befinden. Wahrscheinlich befinden sich darunter
die eben genannten beiden holländischen Exemplare. Er bestimmt den
Breitenindex zu 73,4, den Höhenindex zu 77,2.
Eine gröfsere Zahl sinhalesischer Schädel ist bei Hrn. Barnard
Davis?) aufgeführt, nehmlich ein ganzes Dutzend. Indefs wird einer
derselben ausdrücklich einem Mischling von Malabaren und Sinhalesen,
ein anderer einem Brahminen zugeschrieben, und sie können daher hier
wohl aufser Betracht bleiben. Von den übrig bleibenden 10 ist je einer
von Pantura, Kandy, Negombo und Colombo, die anderen sind unbestimmt.
Die Hälfte wird als männlich, die andere Hälfte als weiblich bezeichnet.
Einer (No. 982), welcher der Form nach klinocephal genannt wird und
vor dem Hinterhauptsloche einen Processus papillarıs hat, zeigte nach
Hrn. Davis „einen Grad von Mikrocephalie“, aber seine Capacität betrug
1474,6 Cub.-Cm, was nicht gerade für die Zulässigkeit einer solchen
Deutung spricht. Ich gebe nachstehend eine kurze Zusammenstellung
der Hauptergebnisse:
yo Längenbreiten- Längenhöhen-
De Ma Index | Index
Nummern der Schädel.
ö Ohr I Sr ale 5 Q
315 _ | 1175,7 — 72 — 70
979 —_ 1394,9 — 74 —_— 78
980 1235,5 — 76 — 54 —
981 —_ 1355,1 _ 75 —_ 74
982 za 1474,6 ja 65 m 72
933 _ 1494,6 — 70 —_— 80
954 1673,9 == 75 — 76 a
1007 1614,1 | = 72 — 70 —
1008 1693,8 == 73 - 74 ==
1009 1275,4 — 72 u 76 —
Mittel 14985 | 1378,9 713,6 71,2 76 74,8
Gesammtmittel (10) | 1438,8 | 72,4 75,4
!) Archiv für Anthropologie 15866. Bd.I. S. 154, 157.
?) Jos. Barnard Davis. Thesaurus eraniorum p. 132. 9
68 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
Die gemittelten Indices treffen sehr genau mit den Indices des
Schädels aus dem Museum Vrolik überein. Die Dolichocephalie ist
sehr ausgesprochen, wenngleich nicht so stark, wie bei den Weddas; das
Höhenmaals stimmt ziemlich gut mit dem der Weddas, dagegen ist die
Capacität sehr viel gröfser.
Eine ganz abweichende Schilderung von dem Schädel eines Sinha-
lesen giebt Hr. Zuckerkandl!). Dieser, von der Novara-Expedition
herstammende, jedoch ohne alle weiteren Angaben über die Provenienz
beschriebene Schädel hatte eine Capaeität von 1505 Cub.-Cm. und einen
Längenbreitenindex von 86,1. Er ist also hyperbrachycephal. Man wird
wohl ohne Weiteres behaupten dürfen, dafs derselbe entweder in hohem
Maafse pathologisch, oder geradezu verwechselt sein muls. Für letztere
Annahme spricht der Umstand, dafs die Schneide- und Eckzähne der Ober-
kiefer flach gefeilt sind, — eine Erscheinung, deren ich bei den Sinhalesen
nirgends Erwähnung gemacht finde und die stark auf eine malayische
Herkunft hinweist. Für die Annahme einer pathologischen, vielleicht
deformirten Bildung sprieht die Angabe, dafs das Cranium asymmetrisch,
das Stirnbein flach und „rückfliegend“ und die Hinterhauptsschuppe flach-
gedrückt ist, letzteres in so hohem Grade, dafs die obere Hälfte derselben
„fast wellenförmig eingesunken ist.“ Man wird daher diesen Schädel
wohl aus der Vergleichung ausschliefsen können.
Was meine Schädel angeht, so habe ich schon bemerkt, dafs ein
als sinhalesisch bezeichneter Kinderschädel sehr wahrscheinlich auszu-
scheiden ist. Da er jedoch einmal die deutliche Angabe trägt, so werde
ich ihn hier mit den anderen beschreiben:
Schädel No. 1. (Taf. II.)
Ein männlicher, ziemlich grols erscheinender, noch jugendlicher Schädel ohne
Unterkiefer. Synehondrosis sphenooceipitalis geschlossen, Weisheitszähne ausgetreten,
Die Vorderzähne sind nachträglich ausgefallen; die restirenden Molaren und I Prämolaren
sind sehr grofs, an den Kronen nur wenig abgenutzt, dagegen mit einem dicken schwar-
zen Ueberzug (Betel) versehen, zum Theil schwarz imbibirt und stark abgenutzt. Die
Muskelansätze kräftig, jedoch die Stirnwülste nicht stark. Die Knochen gelbbraun, glatt,
glänzend und fest.
1) Reise der österreichischen Fregatte Novara. Anthropologischer Theil. Erste
Abtheilung: Cranien der Novara-Sammlung, beschrieben von E. Zuckerkandl. Wien
1875. S. 24.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 69
Der Schädel ist in Wirklichkeit kleiner, als er aussieht: er hat nur 1110 Cub.-
Cm. Capaecität. Der Längenbreitenindex, 71,3, ist stark dolichocephal, der Längen-
höhenindex, 72,5, orthocephal.
In der Norma verticalis erscheint das Schädeldach lang und schmal, nach
hinten und vorne verjüngt, mälsig phaenozyg; die Tubera parietalia breit ausgelegt.
Der Schädel ist schief (plagiocephal), besonders hinten und unten, wo auf der linken
Seite, jedoch noch am Parietale, eine schräge Abflachung, rechts dagegen eine stärkere
Wölbung zu bemerken ist. Vorn ist die Bildung gleichmälsiger, jedoch ist die rechte
Stirnhälfte etwas schief, der rechte Jochbogen kürzer, als der linke, die Nase steht etwas
schief nach links und die Gaumennaht weicht in ihrem hinteren Theile ein wenig nach
links ab. Auch die Pfeilnaht liegt nicht genau median.
Mancherlei Zeichen prämaturer Synostose sind vorhanden. So jederseits,
jedoch in gröfserer Ausdehnung links, in der Mitte der Seitentheile der Kranznaht und
an verschiedenen Punkten der Pfeilnaht, an welcher das rechte Emissarium fehlt und das
linke sehr klein ist. Die unteren Seitentheile der Kranznaht sind ganz obliterirt, links
in einer Länge von 30, rechts von nur 22 mm. Die offenen Nähte sind verhältnilsmälsig
einfach, jedoch haben die Pfeilnaht in ihrem mittleren Theile und die Lambdanaht ver-
hältnifsmälsig grolse und breite Zaeken. Letztere ist an der Spitze sehr gedrückt und
seitlich, besonders links, mit einigen Schaltknochen durchsetzt. Jederseits in der Gegend,
wo sonst die Sutura transversa oceipitis abgeht, ein in das Parietale eingreifender Schalt-
knochen, links grölser, aber an seinem medialen und oberen Umfange synostotisch.
In der Seitenansicht erscheint der Schädel lang und niedrig. Die eigentliche
Stirn ist niedrig, etwas schräg, die Tubera frontalia nur mälsig deutlich, die Hinterstirn
lang und stark ansteigend.. Die grölste Höhe liegt an der Coronaria; dahinter eine
leichte Einsenkung. Die senkrechte Höbe fällt einen Finger breit hinter die Coronaria.
Der hintere Abfall der Scheiteleurve beginnt in der Tuberalbreite und ist sehr lang, die
Oberschuppe stark ausgewölbt. Die Plana temporalia grols, sie erreichen die Tubera
parietalia und überschreiten die Lambdanaht. Die vorderen Theile der Schläfengruben
uneben und feingrubig. Die Squama temporalis jederseits platt und hoch, besonders links.
Jederseits ein starker Processus frontalis, der nur etwas undeutlich ist wegen der
ausgedehnten Synostose der Coronaria. Die Ala temporalis niedrig und ganz überlagert
von dem sehr breiten Fortsatz, der von der Squama temporalis aus rechts ziemlich gleich-
mälsig, links etwas gezackt, jederseits aber noch vorn zugespitzt verläuft. In Folge davon
Stenokrotaphie, jedoch liegt die, übrigens recht stark vertiefte Stelle ziemlich weit
nach unten auf der Fläche der stark eingefalteten Ala, und zwar unmittelbar an der Ver-
einigungsstelle der Sutura sphenofrontalis, zygomatico-frontalis und sphenozygomatica. Der
Fortsatz erscheint links mehr zugespitzt, rechts fast trapezoideal. Die Maalse betragen
rechts: links:
Länge des Proc. temp. oben 15 mm, 12 mm,
, nE> unten 10555 Sr
Breite der Ala tempor. ER, HE,
In der Norma oceipitalis ist der Schädeleontour nahezu fünfeckig: die Seiten-
theile fast gerade abfallend, nur unten etwas divergirend, das Dach mit schwach gewölb-
ten Seitenflächen, die Basis ziemlich gerade. Die Oberschappe stark herausgebogen und
70 Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon
seitlich abgeflacht. Keine Protuberantia oceipit. externa. Die Linea semicireularis supe-
rior et inferior kräftig; Linea suprema sehr schwach. Dagegen findet sich jederseits,
besonders stark links, ein scharfer und tiefer Absatz der Facies musularis gegen die
Facies laevis, der in seinem unteren Theile der Richtung der Linea superior folgt, dann
eine tiefe Einbuchtung in medialer Riehtung macht und nach oben parallel mit der Linea
suprema, unter derselben ausläuft. Dadurch entsteht jederseits eine lange, vertieft liegende
Zunge der Faeies laevis, welche bis unter die Sutura transversa reicht. Die Cerebellar-
gruben mälsig vorgewölbt. Die Facies muscularis mit tieferer Zeichnung. Keine grölseren
Emissaria mastoidea, dafür aber ein grölseres Gefälsloch jederseits nahe an der Crista
perpendieularis.
Das Foramen magnum nach hinten gerundet, nach vorn mehr oval, 31 mm lang,
26 breit, also Index 83,8. Gelenkhöcker weit vortretend und gebogen. Processus mastoi-
des schwach, mit tiefer Ineisur. Proc. styloides kräftig. Apophysis basilaris etwas flach
gestellt. Processus pterygoides mit weit ausgelegter Lamina externa. Tiefe Gelenkgruben
für den Unterkiefer.
In der Norma frontalis erscheint der Mittel- und Vorderkopf hoch, die Fontanell-
gegend erhaben, das Gesicht dagegen niedrig und schmal. Orbitae niedrig, fast vier-
eckig, Index 76,9, also stark chamaekonch. Fissura sphenomaxillaris nach vorn
ausgeweitet. Der äufsere Rand der Augenhöhle ist dicht unterhalb der Sutura zygomatico-
frontalis etwas eingebogen, indem hier der Processus frontalis des Wangenbeins etwas
nach hinten eingedrückt ist. Die Nase niedrig, oben, wo sie in den breiten Nasenfortsatz
des Stirnbeins eingreift, schmal, der Rücken eingebogen und etwas gerundet, aber vortretend
und daher aquilin, die Apertur unten breit, oben schmal, daher dreieckig; Index 57,7, also
platyrrhin. Fossae caninae voll, Foramina infraorbitalia grofs und besonders das linke
mit einer rundlichen Vertiefung auf der Fläche der Fossa canina in Verbindung. Alveo-
larfortsatz kurz, in der Mitte 13 mm lang, schräg vortretend. Alveolen weit. Gaumen
grols, namentlich lang: Index 75,4, also leptostaphylin. Die Sutura transversa palati
liegt weit nach vorn, 17 mm vor der Spina nasalis posterior, welche kurz und abgerundet
ist. Die Zahneurve vorn weit, an den Seiten fast gerade, nur nach hinten leicht eonver-
girend. Der Gaumen daher lang, von prognather Beschaffenheit und etwas an pithecoide
Formen sich anschliefsend. Die Wangenbeine haben jederseits eine, von der Sutura
zygomatico-temporalis hervorspringende „hintere Ritze“, rechts 6, links 5 mm lang und
3 Foramina zygomatica. Die Tuberositas malaris hat eine mälsige Grölse und gehört
wesentlich dem Oberkiefer an; die Tuberositas marginalis temporalis, besonders die linke,
sehr kräftig, und der Knochen unterhalb derselben stark eingebogen.
Schädel No. 2.
Ein seniler, ganz zahnloser, wahrscheinlich männlicher Schädel ohne . Unter-
kiefer von sehr mälsiger Capacität (1200 Cub.-Cm.), aber stark dolicho-orthocephal
(Längenbreitenindex 70,2, Längenhöhenindex 73,2).
Er zeigt überall grofse Neigung zu Synostosen: die Sagittalis ist ganz ver-
striehen, ohne Spur, vorn an der Fontanellgegend ein breiter Vorsprung gegen das
Stirnbein als Zeichen der frühen Obliteration. Die Emissarien sind vorhanden, aber sehr
genähert (Distanz 10 mm); das rechte erheblich vergrölsert. Die Coronaria in ihren
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 71
unteren Theilen rechts in grölserer Ausdehnung obliterirt, links ganz einfach und im
Verstreichen. Rechts ist auch der hintere Abschnitt der Sphenofrontalis verwachsen;
die Sphenoparietalis beiderseits undeutlich. Die Lambdoides zeigt an ihrer Spitze Spuren
von Verwachsung.
In der Norma verticalis ist der Schädel sehr lang und schmal, vorn stark ge-
wölbt, hinten verschmälert, mit stark vorspringendem Lambda-Winkel, übrigens phaenozyg.
Die Tubera sehr breit vortretend, daher etwas klinocephale Form. Rechts am Parie-
tale dicht hinter der Coronaria ein Paar flache Exostosen.
In der Norma temporalis sieht der Schädel mehr lang als hoch aus. Die Mitte
der Scheiteleurve ist flach, ihr frontaler Abschnitt stark gewölbt, der hintere bis zum
Lambda-Winkel schräg abfallend, dann jedoch an der Oberschuppe stark gewölbt. Hohe,
bis zu den Scheitelhöckern und der Lambdanaht ansteigende Plana. Squama temporalis
platt. Alae gegen die Mitte vertieft, besonders die rechte, welche sich nach unten sehr
verschmälert. An ihrer Spitze nach hinten ein unregelmälsig trapezoides Epiptericum,
11 lang, 8 hoch, mit zackigen Rändern, welche nach vorn etwas undeutlich sind. Der
Angulus parietalis sehr kurz und, soweit man bei der Synostose der unteren Coronaria
und des anstolsenden Theils der Sphenofrontalis beurtheilen kann, bis auf eine Strecke
von 4 mm von der Berührung mit der Ala ausgeschlossen.
rechts: links:
Gerade Breite der Ala sphen. oben 21 mm, 24 mm,
n = ER „ unten 12% 10
Die Norma oecipitalis zeigt sehr hohe, gerade Seitentheile mit einfacher, flacher
Wölbung des Daches und gerader Basis. Lambdoides zackig. Oberschuppe stark aus-
gewölbt, aber kurz, unten seitlich etwas abgeflacht. Deutliche Linea semieircularis suprema.
Am oberen Ende der Crista perpendieularis eine stark höckerige Protuberanz. Sehr
tiefer Absatz unterhalb der Lineae semic. superiores. Grolse Cerebellar-Wölbungen mit
einer Vertiefung zwischen ihnen. Gut entwickelte Emissaria mastoidea.
Die Basis cranii lang und nach hinten ausgeschoben. Processus mastoides klein,
mit tiefer Ineisur. Foramen magnum klein, 31 mm lang, 28 breit; Index 90,3. Stark
vorspringende Gelenkhöcker. Sehr lange und starke Griffelfortsätze. Auf der Mitte der
Apophysis basilaris ein schief nach hinten eindringendes grolses Emissarium basilare,
welchem ein tiefer, unregelmälsig ausgebuchteter Sulcus auf der Fläche des Clivus Blumen-
bachii entsprieht, der nach oben und links mit dem Sinus cavernosus zusammengehangen
zu haben scheint. Tiefe und weite Gelenkgruben für den Unterkiefer. Sehr grolse
Laminae externae an den Flügelfortsätzen, besonders links. Links ein extrem grolses
Foramen ovale.
In der Vorderansicht erscheint das Mittelhaupt hoch und breit, das Gesicht zart,
niedrig und breit. Die Orbitae mehr oval und höher, sowohl nach innen und oben, als
nach aufsen und unten etwas ausgeweitet, trotzdem leicht viereckig; Index 82,9, also
mesokonch. Auffallend weite Fissura sphenomaxillaris. Nase sowohl oben als unten
schmal, Rücken stark vorspringend, in der Mitte eingebogen, leicht aquilin, Index 46,
also leptorrhin. Die Sutura nasofrontalis springt convex nach oben in den Nasenfort-
satz des Stirnbeins ein. Spina anterior inferior sehr kräftig und weit vortretend, Crista
und Septum sehr dick. Am Wangenbein jederseits eine kurze Andeutung einer hinteren
12 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
Ritze, welche jedoch sehr hoch liegt; jederseits 3 kleine Foramina zygomatica. Fossae
caninae wenig vertieft, dagegen verläuft von dem colossal weiten Foramen infraorbitale
jederseits, am stärksten ausgebildet links, eine ganz tiefe Rinne bis an den Alveolar-
fortsatz. Der Zahnrand ganz zahnlos, aber noch einzelne offene Alveolen, besonders
links in der Gegend der Prämolaren und vordern Molaren; die meisten Alveolen, na-
mentlich die der Ineisiven, sind ganz verstrichen und der Fortsatz geschwunden, so dals
die Form des sehr verkleinerten Gaumens unsicher ist. Auffällig ist auch hier die weit
nach vorn vorgeschobene Lage der Quernaht, 14 mm von dem hinteren Rande
entfernt. Die Spina nasalis posterior fehlt ganz, statt dessen ein niedriger, doppelter
Vorsprung, links stärker als rechts.
Schädel No. 3.
Ein vielleicht weiblicher Kinderschädel mit noch nicht gewechselten Milchzähnen.
Die äufseren oberen Schneidezähne liegen noch in ihren Höhlen eingeschlossen. Die
Sutura ineisiva am Gaumen sehr deutlich. Die Prämolares und Molares I entwickelt
und sehr grols. Die Prämolares I mit 3 Wurzeln (2 äufseren und 1 inneren), der
rechte überdies mit einer Schmelzexostose. Die Alveolen der Molares II sind offen,
sehr weit und leer, aber die Zähne waren wohl noch nicht völlig ausgebrochen. Die
Oeffnungen der Alveolen der Weisheitszähne liegen noch ganz weit nach oben und rück-
wärts. Die Synchondrosis sphenooceipitalis klafft sehr breit. Rechts an der Squama
oceipitalis eine Sutura mendosa in der Richtung der Sutura transversa von 24 mm
Länge; rechts nur eine schwache Andeutung davon.
Trotz seiner Jugend ist der Schädel grölser, als die beiden vorhergehenden:
seine Capaeität beträgt 1250 Cub.-Cm. Dafür ist er mesohypsicephal (Längenbreiten-
index 76,7, Längenhöhenindex 77,3), also in seiner Form gänzlich abweichend.
In der Oberansicht erscheint er hinten ganz kurz abgeschnitten und etwas schief,
in der Gegend der Scheitelhöcker breit ausgewölbt, nach vorn verjüngt, aber doch mehr
breit. Er ist kaum phaenozyg. Die Nähte sind offen, aber die unteren Theile der
Kranznaht und der hintere Abschnitt der Sagittalis sehr einfach. Das linke Emissarium
parietale bis auf einen kaum sichtbaren Punkt verschwunden, das rechte deutlich, aber
der Naht sehr nahe gerückt. Lambdoides grolszackig, mit Schaltknochen gegen die Spitze
und in der Nähe der Seitenfontanelle.e Tubera parietalia und frontalia breit vortretend.
In der Seitenansicht hat der Schädel ganz weibliche Form: die niedrige Stirn
geht mit schneller Wendung in die lange und flache Scheiteleurve über, von welcher
hinten ein sehr hoher Abfall mit flacher Wölbung der Oberschuppe stattfindet. Dabei
erscheint der Schädel hoch. In der rechten Schläfengegend ein sehr grolses Epiptericum,
25 mm lang, 10 hoch, schief viereckig. Dasselbe unterbricht die Verbindung der Ala mit
dem Angulus parietalis, auf dessen Kosten es sich hauptsächlich entwickelt hat, voll-
ständig. Die Ala ist vertieft und zeigt in ihrem mittleren Theil Stenokrotaphie. Dafür
ist die Pars temporalis des Stirnbeins bombenförmig vorgewölbt. Links sind die Ver-
hältnisse fast normal, jedoch besteht auch hier die Wölbung der Orbitalportion des Stirn-
beins, und die Ala greift weiter in die letztere ein.
rechts: links:
Breite der Ala oben 13 20,
- nr Mitte 10 12.
und ihre Beziehnmgen zu den Nachbarstämmen. 73
In der Hinteransicht ist der Schädel sehr hoch und breit, die Seitentheile gerade,
nach unten leicht convergirend, das Dach flach rundlich. Das Hinterhaupt hoch, die
Oberschuppe fast kuglig vorgewölbt. Keine Protuberanz, Lineae semieirculares schwer
sichtbar. Cerebellar-Wölbungen sehr ausgebildet, über der Sutura mendosa ein tiefer
Quer-Eindruck (Einschnürung?), der die kuglige Oberschuppe gleichsam abschliefst und
an der Lambdanaht am tiefsten ist.
Die Unteransicht erzeugt den Eindruck der Breite hauptsächlich in der Mastoideal-
Gegend, während das seitlich eingedrückte und sehr verjüngte Hinterhaupt eher lang
erscheint. Die Warzenfortsätze klein, mit tiefer Ineisur. Das Foramen magnum sehr
grols, namentlich lang, und nach hinten in der Mitte des Randes mit einer seeundären
Ausbuchtung (Andeutung einer Spina bifida oceipitalis?). Jederseits vor derselben
eine verdickte und mit einer glatten Artikulationsfläche, offenbar zur Aufnahme des Atlas-
ringes, versehene Stelle. Länge des Foramen (mit der Ausbuchtung) 36, Breite 25 mm.
In der Vorderansicht erblickt man eine niedrige und breite Stirn mit deutlichen
Tubera und starkem Nasenfortsatz. Am unteren Theil des letzteren ein kurzer Rest der
Stirnnaht. Die Orbitae hoch und grofs, in der Richtung nach unten und aulsen diagonal
erweitert; Index 83,3, also mesokonch. Die Nasenwurzel breit und etwas abgeflacht,
der Rücken flachgewölbt und kurz, nach unten vorgebogen, die Sutura nasofrontalis flach
und nur wenig über das Niveau der Sutura maxillo- frontalis vorspringend. Die Apertur
hoch und dreieckig, mit gerundeten Winkeln; Nasenindex 55,5, also platyrrhin. Alveo-
larfortsatz gar nicht prognath, aber die Zähne etwas schief vorwärts gerichtet. Gaumen
kurz und breit, leicht hufeisenförmig, mit grofser (17 mm von vorn nach hinten langer)
Palatinalplatte; Index 86,8, also brachystaphylin. Die Zahneurve kurz und weit, nach
hinten divergirend.
Aus dieser Beschreibung leuchtet von selbst ein, dafs der letzte
der drei Schädel in Hauptsachen von den beiden anderen abweicht, und
es ist leicht zu ersehen, dafs diese Abweichung noch sehr viel gröfser
seworden sein würde, wenn das Kind am Leben geblieben und sich weiter
entwickelt hätte. Es wird sich später herausstellen, dafs er in denselben
Hauptsachen den Schädeln der Tamilen sich annähert, wenngleich diese
unter sich nicht ganz geringe Differenzen darbieten. Ich möchte nun
nicht so weit gehen, ihn geradezu für einen Tamilen-Schädel zu erklären;
es wäre ja sehr leicht möglich, dafs er einem Bastarde angehörte, und der
(schon 8. 67 erwähnte) Umstand, dafs der Schädel No. 316 aus der Sammlung
des Hrn. B. Davis, welcher bestimmt als der eines Mischlings von Mala-
baren und Sinhalesen bezeichnet wird, in den Indices fast genau mit
ihm stimmt (Längenbreitenindex 77, Längenhöhenindex 78), spricht stark
zu Gunsten einer solchen Annahme. Zum Mindesten empfiehlt es sich
daher, ihn zunächst von der Betrachtung auszuschlielsen.
Phys. Kl. 1881. Abh. 1. 10
74 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
Ich will dann aber sogleich hinzufügen, dafs dieselben Gründe
auch gegen die Zulassung des Schädels No. 980 von Hrn. Davis sprechen.
Derselbe hat einen Längenbreitenindex von 76 und einen Höhenindex
von 84, obwohl er einem senilen Individuum mit totalem Schwund der
Alveolarfortsätze angehörte. Scheidet man ihn sowohl, als meinen Schädel
No. 3 aus, so bleibt ein verhältnifsmäfsig homogenes Material, welches
eine hohe Wahrscheinlichkeit bietet, dafs es den typischen Verhältnissen
entspricht. Zur Unterstützung dieser Ansicht dient der Umstand, dafs
die Abbildungen, welche Davy, selbst die, welche Sandifort gegeben
hat, nicht nur mit der von mir auf Taf. Il. gelieferten, sondern auch mit
den sonstigen Beschreibungen und Messungen in den Hauptstücken über-
einstimmen. Trotzdem ist leider das vorhandene Material keineswegs
genügend, um alle Fragen zu entscheiden. Der Mangel der Unterkiefer
bei allen meinen Schädeln ist ein höchst empfindlicher Verlust, und der
senile Zustand, sowie die ausgedehnte Synostose des einen der zwei scheinbar
reinen Schädel (No.2) macht selbst seine Benutzung in Bezug auf alle Punkte,
in denen er abweicht, zweifelhaft. Auch der dritte, noch übrige Schädel
(No. 1) ist nicht frei von grofsen, offenbar individuellen Abweichungen,
denn er zeigt nicht blofs trotz der Jugend seines Trägers gleichfalls schon
sehr zahlreiche Naht-Verwachsungen, sondern namentlich jederseits einen
srolsen Processus frontalis squamae temporalis.
Diese Erörterung ist in hohem Maafse lehrreich, um zu zeigen,
wie unsicher es ist, auf Grund einzelner oder weniger Schädel Rassen-
bestimmungen zu machen, und wie nothwendig es ist, namentlich für so
verwickelte ethnologische Verhältnisse, wie die von Ceylon, ein grölseres,
historisch oder anamnestisch gut bestimmtes Material zur Stelle zu haben.
Auch im vorliegenden Falle halte ich mich nur deshalb berechtigt, auf
die Benutzung der mir zugegangenen Schädel nicht zu verzichten, weil
in der Vergleichung der aus anderen Sammlungen heranzuziehenden
Schädelbestimmungen genügende Mittel der Controle gegeben sind. Wir
können, abgesehen von dem nicht gemessenen, sondern nur abgebildeten
Schädel aus dem Werke von Davy, sowie von den ohne Einzelangaben von
Hrn. Welcker aufgeführten 5 Schädeln und von dem nach ganz abwei-
chenden Maalsmethoden beschriebenen Schädel des Hrn. Sandifort, 12
Sinhalesen-Schädel in Betracht ziehen, nehmlich einen aus dem Museum
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 75
Vrolik, 9 aus der Sammlung des Hrn. Davis und 2 in meinem Besitz
befindliche. Diese würden schon eine recht breite Unterlage für das
Urtheil abgeben, wenn in den Angaben des Hrn. Davis nicht wichtige
Zahlen ganz fehlten, wie namentlich die für die Maaflse der Augenhöhlen,
der Nase und des Gaumens. Meine Arbeit kann daher in mehreren Be-
ziehungen nur als eine vorbereitende gelten.
Bei der Betrachtung der Einzelverhältnisse ergiebt sich zunächst,
dafs der sinhalesische Schädel im Mittel erheblich gröfser ist,
als der Wedda-Schädel. Wenn man (unter Ausschlufs der 2 zweifel-
haften) 9 Schädel von Hrn. Davis und 2 von mir zusammennimmt, so
berechnet sich aus diesen 11 Schädeln
ein Mittel von 1406 Cub.-Um.,
also ein um 145 Cub.-Om. über das Weddamittel hinausgehendes Maafs.
Freilich sind auch hier die Schwankungen sehr grofs: die beiden Extreme
von 1110 und 1694 Cub.-Cm. liefern eine Differenz von 584, fast so
grols, wie wir sie bei den Weddas antrafen. Indefs zeigt eine Zusammen-
stellung alsbald, dafs die gröfsere Frequenz bei den Sinhalesen auf viel
höhere Zahlen fällt:
Weddas: Sinhalesen:
901—1000 Oub.-Cm. 1 ) —\|
or a
1101-1200 3| 3 |
120 _ Fa] t)
1501—1400 & 2 | 2\
1401—-1500 a N 2 Ir
über 1600 R 3 | b) |
Entsprechend der gröfseren Capacität sind auch die Umfangs-
maalse bei den Sinhalesen ungleich weiter.
Zunächst für den Horizontalumfang habe ich in ähnlicher
Weise, wie für die Weddas, die Zahlen des Hrn. B. Davis in Metermaals
übertragen. Indem ich auch hier den Schädel No. 980 auslasse, erhalte
ich im Mittel für
4 männliche Schädel 552 mm,
5 weibliche 5 AA, nn
9 Sinhalesen-Schädel 5ll mm.
10*
u |
©
Vırcnow: Ueber die Weddas von Ceylon
Gegenüber den Wedda-Schädeln des Hrn. Davis beträgt die
Differenz zu Gunsten der Sinhalesen 26, 11 und 23 mm. Meine beiden
Schädel, deren geringere Capacität aus den vorher mitgetheilten Zahlen
erhellt, ergeben auch nur 482 und 493 mm Horizontalumfang, also bei
dem einen etwas weniger, bei dem andern etwas mehr, als das Mittel
der von mir gemessenen Colombo-Schädel.
Dagegen ist der Vertikalumfang (398 und 293 mm) bei meinen
Sinhalesen gröfser, als das Mittel der Colombo-Schädel (289 mm). Indefs
hat der eine der letzteren, No. 5, ein höheres Maafs (300 mm). Im Mittel
beträgt der Vertikalumfang meiner beiden Sinhalesenschädel 192 mm
weniger als der Horizontalumfang, von welchem er 60,5 pÜt., also etwas
mehr als bei den Weddas, ausmacht.
Den sagittalen Längsumfang habe ich für die Schädel des
Hrn. Davis gleichfalls berechnet. Ich erhalte im Mittel für
4 männliche Schädel 395 mm,
5 weibliche n Sure n
9 Sinhalesen-Schädel 380 mm,
während meine eigenen Messungen 354 und 365 mm ergeben. Die ent-
sprechenden Mittel bei den Wedda-Schädeln betrugen 366 (Davis) und
355 (Virchow) mm. Was die einzelnen Abschnitte des Sagittalbogens
anlangt, so finde ich folgende Mittel aus den Zahlen des Hrn. Davis:
Frontaler Parietaler Oceipitaler
Abschnitt:
4 männliche Schädel 136 mm, 156 mm, 120 mm,
5 weibliche F RR laser De
9 Sinhalesenschädel 132 mm; "133 mm,..115 mm,
oder, nach Procenten des ganzen Sagittalbogens:
4 männliche Schädel 34,6 534,6 30,5,
5 weibliche " sdhuln Bl 297,
9 Sinhalesenschädel 34,7 57 Uli (8):
Hier tritt gegenüber den Weddas in sehr charakteristischer Weise
die gröfsere Betheiligung des Stirnbeins und der Scheitelbeine, namentlich
die des ersteren, dagegen die geringere Betheiligung der Hinterhaupts-
schuppe hervor.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. a7
Bei meinen beiden Schädeln stellen sich die Verhältnisse am gün-
stigsten für das Mittelhaupt, also mehr nach dem weiblichen Typus der
Schädel des Hrn. Davıs:
No.1 33,6 35,3 31,0,
m en 35,6 30,4.
Das procentische Verhältnifs des sagittalen Längsumfanges zu dem
Horizontalumfange beträgt für die Schädel des Hrn. Davis 74,3, für die
meinigen 73,7, demnach nahezu dieselben Zahlen, wie bei den Weddas.
In Bezug auf die Kopfform habe ich schon früher (8. 67) die
Einzelangaben für die Schädel des Hrn. Davis mitgetheilt. Das Ver-
hältnils für den gemittelten Längenbreitenindex ist danach folgendes:
Dusseau: 1 Schädel 72,2,
Davis: 9 n 72,0,
Venom: 192 “ STE
ım Ganzen aus 12 Schädeln 71,8.
Auch dieses ausgezeichnet dolichocephale Maals stimmt fast
genau mit dem Wedda-Mittel (71,6) überein. Selbst wenn man die 5
von Hrn. Welcker gemessenen Schädel heranzieht, und dafür den von
Hrn. Dusseau erwähnten Schädel ausläfst, berechnet sich das Mittel für
16 Schädel auf nur 72,2. Auf die Geschlechtsdifferenzen will ich keinen
besonderen Werth lesen, nachdem sich schon bei den Weddas wider-
sprechende Zahlen ergeben hatten. Ich will nur constatiren, dafs auch
nach den Angaben des Hrn. Davis die sinhalesischen Weiberköpfe ein
geringeres Verhältnils (71,2), als die Männer (73,0) zeigen. Dabei muls
aber erwähnt werden, dafs der schon früher hervorgehobene Schädel
No. 982, den Hr. Davis aus nicht zu erkennenden Gründen der Mikro-
cephalie bezüchtigt, einen Index von nur 65 besitzt. Läfst man ihn aus
der Rechnung, so erhält man für die 4 sinhalesischen Weiberschädel des
Hrn. Davis einen gemittelten Index von 72,7.
Besonders bemerkenswerth ist, dals dıe sämmtlichen, in Einzelheiten
bekannten Sinhalesen-Schädel (den schon mehrfach besprochenen und aus
den Rechnungen ausgeschiedenen Schädel No. 980 des Hrn. Davis aus-
genommen) sich innerhalb der Grenzen der Dolichocephalie bewegen,
während unter 20 Wedda-Schädeln, auch nach Ausscheidung der defor-
mirten, sich 4 Mesocephalen befanden. Wäre man der Provenienz ganz
78 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
sicher, so mülste man daraus eigentlich auf eine besondere Gleichmälsig-
keit der Rasse bei den Sinhalesen schliefsen.
Was die Verhältnisse der einzelnen Schädeltheile zu der Gesammt-
länge anbetrifft, so habe ich darüber eine ähnliche Berechnung angestellt,
wie früher (S. 54) bei den Weddas:
No..l: No./2:
Index « 29,7 29,8,
5 b 55,6 58.9.
Im Ganzen sind auch diese Maalse etwas grölser, als bei den
Weddas, indefs doch keineswegs in constanter oder charakteristischer Weise.
Die absoluten Zahlen für die gröfste Länge und Breite des Schädels
lauten für die Sinhalesen im Ganzen grölser, als für die Weddas. Ich
gebe hier zunächst eine Zusammenstellung sämmtlicher Längen-, Breiten-
und Höhenmaalse für die sinhalesischen Schädel:
Länge: Breite: Höhe:
Dusseau 150 mm 130 mm 155 mm.
Davis--315- 1a 7 + ar 21228,57° 1219, 2
979° 17158 .2, 4182. - Heyızan
981: 1192... 182.12. ..129:9°,
982:.182,8. Su LO Ska >
983: 180,3, „ 1295, 14485,,
984: 193,0 „ 144,8, 147,3
1007: 195,6 „ 142,2, 134,6
1008: 198,1... „ 144.80 a7).
1009. 182-8... AS2sh 77 Ale z
Virchow L317853 15a
3 a Ta ae
Man ersieht daraus, dafs die gröfste Länge bei 3 (mänmlichen)
n
Schädeln über 190 mm und nur bei 4 (meist weiblichen) Schädeln unter
180 mm beträgt. Von den 12 Schädeln haben 7 eine Länge von über
180 mm. Der sinhalesische Schädel übertrifft demnach den
Wedda-Schädel an Länge. Ebenso verhält es sich mit der
sröfsten Breite. Von den 12 Schädeln hat die Hälfte eine Breite von
über 130 mm, 3 davon sind sogar über 140 breit; nur 5 sind unter 130.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 79
Was die senkrechte Höhe angeht, so ist dieselbe bei den Sin-
halesen, wie bei den Weddas, in der Regel gröfser, als die gröfste Breite.
Nur bei 3 (2 weiblichen und 1 männlichen) Schädeln übertrifft die Breite
die Höhe; dagegen ist bei 2 (weiblichen) Schädeln die Höhe sehr bedeu-
tend grölser, als die Breite, nehmlich um je 12,7 und 15,3 mm. In
3 Fällen erreicht die Höhe ein Maafs über 140, nehmlich einmal 144,8,
zweimal 147,3 mm. Das ist bedeutend mehr als bei den Weddas.
Der Längenhöhenindex berechnet sich trotzdem für
Männer: Weiber:
Dusseau (1) 75,0 —
B. Davis (4) 74,0 (5)1,04,8;
Virchow (2) 72,8 —
im Ganzen auf (7) 73,8 (5) 74,8.
Gesammtmittel (12) 74,2.
Dasselbe bleibt demnach um ein Geringes unter dem Mittel der
Weddas (74,9) und innerhalb der Orthocephalie. Die von Hrn.
Welcker angegebene Zahl von 77,2 geht erheblich über die eben
berechnete hinaus; wenn man sie aber zur Berechnung des Mittels her-
anzieht und dafür die Angabe von Dusseau ausläfst, so erhält man für
16 Schädel 75,1, also eine nur minimal über den Wedda-Index hinaus-
gehende Zahl.
Der Auricularindex ist gleichfalls kleiner, als bei den Weddas:
63,5 und 58,5, — im letzteren Falle so gering, wie bei keinem der Weddas.
Das Gesammtergebnifs in Bezug auf die Bildung der Schädelkapsel
ist daher, dafs eine grofse Uebereinstimmung in den Verhält-
nissen zwischen Weddas und Sinhalesen besteht, dals dagegen
in der Höhe der absoluten Zahlen in der Regel die Sinhalesen
die Weddas übertreffen. Diese Differenz würde im Mittel noch mehr
zur Geltung kommen, wenn nicht gerade die beiden, von mir gemessenen
Schädel eine grolse Mannichfaltigkeit von Störungen erlitten hätten, welche
auf ihre Entwickelung hindernd eingewirkt haben. Ich verweise defshalb
auf die Beschreibung; hier erwähne ich nur, dafs es sich dabei um ent-
schieden praemature Synostosen und um grofse Abweichungen in der
Schläfengegend, nehmlich in dem einen Falle um Stirnfortsätze der
Schläfenschuppe und Stenokrotaphie, in dem andern um ein
80 Vırcmow: Ueber die Weddas von Üeylon
srolses Epiptericum handelt. Letzteres Verhältnifs fand sich jedoch auch
bei einem der Wedda-Schädel aus dem Museum von Oolombo, und Steno-
krotaphie, wie erwähnt (S. 49), zeigte auch ein Wedda-Schädel aus dem
Londoner Museum. —
Bei Untersuchung der Gesichtsform folge ich ebenfalls der vorher
bei den Weddas eingehaltenen Reihenfolge, und beginne mit den Augen-
höhlen.
Der Orbitalindex zeigt leider bei den beiden, von mir gemessenen
Schädeln eine grolse Differenz, welche schwer zu vermitteln ist, indem
der erste 76,9, der andere 82,9 ergiebt. Somit ist der eine chamae-,
der andere mesokonch. Letzterer würde demnach mit den Wedda-
Schädeln mehr übereinstimmen. Indefs mufs ich das Urtheil darüber
suspendiren, da aulser mir kein anderer Beobachter Orbitalmaalse von
Sinhalesen verzeichnet oder Angaben über Orbitalformen gemacht hat.
Ob die mehr zum Viereckigen tendirende Form, welche ich notirt habe,
Bedeutung hat oder nicht, muls durch fernere Beobachtungen entschie-
den werden.
Aehnlich ist es mit dem Nasenindex. Derselbe ist bei dem
ersten meiner Sinhalesen —= 57,7, also platyrrhin, bei dem andern
— 46,0, also leptorrhin. Aehnliche Differenzen fanden sich freilich
auch bei den Wedda-Schädeln, deren Mittel ein mesorrhines Maals
(52,2) ergab, indefs hätte man gerade nach den Schilderungen der
Beobachter, welche ich vorher angeführt habe, eine gröfsere Beständigkeit
der Nasenform erwarten sollen. Die knöcherne Nase der Sinhalesen-
Schädel ist in der That schmal, vortretend und mit einem leicht aquilinen
Rücken versehen, und ich habe den Eindruck, als ob die Form, wie sie
bei dem Schädel No. 2 besteht, die eigentlich typische sei. Auch darf
ich daran erinnern, dals ich schon früher!) meine Bedenken über eine
Formel geäufsert habe, welche durch zwei ganz verschiedene, unter ein-
ander nicht nothwendig verbundene Faktoren, nehmlich die Höhe der Nase
überhaupt und die Breite der Apertur, bestimmt wird. Indefs verlohnt
!) Virchow. Beiträge zur physischen Anthropologie der Deutschen, mit beson-
derer Berücksichtigung der Friesen. Abhandlungen der Akademie. Berlin 1876.
S. 143, 350.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. s1
es sich nicht, diese Erörterung hier, bei einem so kleinen Material, fort-
zusetzen.
Für die Bestimmung des Gesichtsindex bieten nur 6 von den
Schädeln des Hrn. Davıs Material, und von diesen sind 5 weibliche.
Daraus berechne ich folgende Zahlen:
Schädel: Ganze Gesichtshöhe: Jochbreite: Index:
No. 315 2 109 mm 1l4 mm 95,6,
„979 2 Sir. TG Am T.T,
1 938 2 104 „ 1.7548; 88,8,
© 989.01 „ylODu«L TO EEE
9882 iu 5 127% IL,
„ 1007 & 30yr,, 132 215 98,4.
Hier zeigt sich ein sehr erheblicher Gegensatz gegen die Weddas.
Während sich bei diesen als höchstes Maafs für die Männer 88,2 ergab,
treffen wir bei den Sinhalesen einen männlichen Schädel von 98,4 und
zwei weiblichen von je 92,1 und 95,6; ein dritter weiblicher Schädel hat
einen Index von 88,8. Es bleiben also nur zwei weibliche Schädel mit
niedrigen Maafsen, einer mit 81,6 und einer, der eines Geisteskranken,
mit 77,7. Während das Gesammtmittel bei den Weddas etwas über 83
betrug, finde ich für die Sinhalesen
89,0.
Erwägt man nun, dafs bei den Weibern in der Regel niedrigere
Maalse vorkommen und dafs hier von 6 Schädeln 5 weibliche sind, unter
denen sich noch dazu der ganz abnorm niedrige einer Geisteskranken
befindet, so kann man als sehr wahrscheinlich annehmen, dafs der sinha-
lesische Gesichtsindex im Sinne der von Hrn. Kollmann vorgeschlagenen,
freilich etwas anders berechneten Eintheilung leptoprosop ist. Die
Kleinheit der Jugaldistanz spricht entschieden zu Gunsten einer solchen
Annahme.
Da meinen beiden Schädeln die Unterkiefer fehlen, so kann ich
keine entsprechende Berechnung anstellen. Ueberdiefs ist der eine von
ihnen durch Altersveränderungen am Kieferrand so stark verändert, dals
nicht einmal der Mittelgesichts-Index brauchbar ist. Ich kann daher nur
einen Wedda-Schädel (No. 1) und einen sinhalesischen in Parallele stellen.
Nachstehend unter a gebe ich einen Index, der berechnet ist aus dem
Phys. Kl. 1881. Abh. 1. 11
82 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
Verhältnifs der Höhe des Mittelgesichts (Nasenwurzel bis Alveolarrand)
zu der Jochbreite, letztere — 100 gesetzt, und einen zweiten b, berechnet
aus derselben Höhe und der Malarbreite (unteres Ende der Suturae zygo-
matico-maxillares), letztere = 100 gesetzt:
a: b:
Wedda 50,0 70,1,
Sinhalese 52,6 60,5.
Daraus ergiebt sich gleichfalls eine geringere Breite des ganzen
Gesichts bei den Sinhalesen, dagegen eine grölsere des Vordergesichts.
Der Alveolarindex des Sinhalesen No. 1 zeigt eine verhältnils-
mälsig hohe Zahl, nehmlich 99, indefs ist der Gesichtswinkel (Öhrloch,
Nasenstachel, Nasenwurzel) nur 75°, während er bei dem Wedda 82°
beträgt.
Was den Gaumen anlangt, so habe ich es leider versäumt, bei
dem Wedda-Schädel die Maalse zu nehmen. Ich habe jedoch notirt, dafs
er breit und der Zahnkurve nach hufeisenförmig war. Dem gegenüber
scheint der sinhalesische Gaumen erheblich verschieden. Nach den Zahlen
des Hrn. Dusseau berechnet sich ein Gaumenindex von 73,7, nach den
meinigen für den Schädel No. 1 ein solcher von 75,4. Das ergäbe also
ein leptostaphylines Maafs. Vergleicht man die beiden Schädel auf
Taf. I. und Il. unter Fig. 5, so wird die Differenz anschaulich. Ob sie
jedoch als eine allgemeine anzusehen ist, vermag ich nicht zu sagen. —
Im Ganzen bestätigt daher die osteologische Untersuchung des
sinhalesischen Gesichts, was schon aus den physiognomischen Bemerkun-
gen der einzelnen Berichterstatter hervortrat: das Gesichtsskelet
der Sinhalesen ist von dem der Weddas weit mehr verschieden,
als die Schädelkapsel der ersteren von der der letzteren. Es
zeichnet sich im Ganzen durch gröfsere Schmalheit aus. Dasselbe gilt
von dem Gaumen und wahrscheinlich von der Nase. Dagegen ist die
Orbita, wenigstens die meiner Sinhalesen-Schädel keineswegs hoch. Am
grölsten ist die Unsicherheit in Bezug auf die Kieferbildung. Der von
mir abgebildete Sinhalesen-Schädel (Taf. 11.) ist ausgemacht prognath,
mehr als der Wedda-Schädel (Taf. 1.), aber auch mehr, als der Sinhalesen-
Schädel bei Davy. Dagegen hat sowohl der Wedda-Schädel bei de
Quatrefages und Hamy, als auch der Sinhalesen-Schädel bei San difort
einen stark vortretenden Alveolarfortsatz.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 83
Bevor ich diese Vergleichung weiter fortsetze, wird es zweckmälsig
sein, die anderen in Betracht kommenden Volksstämme zu besprechen.
2) Die Tamilen oder Malabaren.
Wie schon auseinandergesetzt, versteht man unter diesem Namen
dravidische Einwanderer, welche von sehr verschiedenen Punkten der
vorderindischen Halbinsel in historischer Zeit, meist mit Waffengewalt
eindrangen und im Laufe von mehr als zwei Jahrtausenden sich allmählich
so verdichteten, dafs sie den nördlichen und einen grofsen Abschnitt des
östlichen Theils der Insel, namentlich an der Küste, fast ausschliefslich
bevölkerten. Als die Portugiesen, die ersten Pioniere der europäischen
Civilisation, auf der Insel festen Fufs falsten, war die Herrschaft der
Malabaren im alten Rajaratta oder Pihiti eine fest begründete. Noch
Valentijn!) bestimmte ihre Sitze zu seiner Zeit bis an den Fluls Co-
runda Waye, der, wie es scheint, identisch ist mit dem Koorinda oder
Kirinde Oya (Zimmtflufs) von Sir Tennent?), einem kleineren Flufse, der
gegen Südosten bei Mahagan in das Meer mündet. Auch Davy?) bezeichnet
die nördlichen und östlichen Küstenprovinzen als den Hauptsitz der Mala-
baren. Pridham#) läfst sie von Batticaloa bis Jaffna im Norden und
von da bis Putlam im Süden wohnen. Indefs ist dies nicht so zu ver-
stehen, dafs sie noch jetzt in völliger räumlicher Trennung von den
Sinhalesen leben. Im Gegentheil finden sie sich in nicht geringer Zahl,
namentlich in den Städten, mit den andern Rassen gemischt, wie die
Beschreibung Sir Tennent’s?) von Colombo sehr anschaulich lehrt; in
dieser Stadt bilden sie einen grofsen Bruchtheil der arbeitenden Bevölke-
rung. Von besonderem Interesse ist es, dafs sie im Osten nahe Nach-
barn der Weddas sind.
In der That nannte Wolf®), der gar keine Aehnlichkeit zwischen
Malabaren und Sinhalesen fand, die Weddas „eine andere Art Malabaren.*
1) Valentijn l. e. Bl. 49.
?) Tennentl. ec. I. p. 41 II. p. 417.
SL Davyl2c. ps 10%
*#) Pridham |. c.p. 463.
SE Teninient l.‘e.sIl. p.2156.
6) Wolf a.a. ©. I. S. 156, 167.
84 Vırcnow: Ueber die Weddas von Ceylon
Er beschrieb die Malabaren selbst als schwarz, langhaarıg und ohne Waden.
Sonst finde ich sehr wenige Angaben über ihre physische Eigenthümlich-
keit. Die meisten Autoren beschränken sich darauf, ihnen einen kräftigeren
(stouter) Körperbau und gröfsere Activität, als den Sinhalesen, zuzu-
schreiben!). Hr. Pridham läfst sie das Haar entweder lose zusammen-
fassen oder in einen kondee auf dem Scheitel oder über dem einen Ohr
befestigen; zuweilen werde auch der ganze Kopf bis auf eine Locke auf
dem Scheitel (at the crown) geschoren. Die Kinder der Tamilen be-
schreibt Sir Tennent?) als ganz nackt, mit glänzendem und dünnem
(glossy and thin) schwarzem Haar und anmuthigen Gliedern.
Zu den Tamilen gehören, wie schon angeführt, die Mookwas oder,
wie sie sich selbst nennen, die Mukuger. Mag man ihnen auch einen
besonderen Ursprung zuschreiben, wie Pridham?), der sie von den
Nairs und Mookwas der Malabar-Küste ableitet, so stimmen doch alle
Beobachter darin überein, dafs sie ihrer physischen Erscheinung nach den
Tamilen ganz nahe stehen oder eigentlich Tamilen sind. Der Umstand,
dafs die Mookwas Christen, zum Theil auch Mahomedaner, viele der Tamilen
dagegen der brahminischen Lehre zugethan sind, hat wohl am meisten
dazu beigetragen, die ersteren zu einem besonderen Gegenstande der Auf-
merksamkeit zu machen.
Bis dahin war nur ein einziger Schädel eines Tamilen oder Mala-
baren in Europa bekannt. Derselbe befand sich in der Sammlung des
Hrn. Barnard Davis). Aufserdem war in derselben Sammlung, wie
schon erwähnt, der Schädel eines Mischlings von Malabaren und Sinha-
lesen (N. 316). Durch die Sendung des Hrn. Consul Freudenberg
habe ich 3 Tamilen-Schädel, leider sämmtlich ohne Unterkiefer, erhalten,
und mit den als Sinhalesen bezeichneten Schädeln ist der eines Kindes
angekommen, den ich schon beschrieben habe und von dem ich vermuthe,
dafs er der Dravida-Gruppe angehört. Im engeren Sinne kann demnach
nur von 4, im weiteren vielleicht von 6 Exemplaren die Rede sein. Die
ersteren 4 sind als männliche anerkannt, die beiden letzteren dagegen
1) Selkirk Il. ec. p.68. Pridham l.c. I. p. 465.
2) Tennent]. c. II. p. 514.
3) Pridham ]. e. I. p. 466.
*) Barnard Davis. Thes. cran. p. 154.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 35
haben so wenig ausgeprägte Geschlechtscharaktere, dafs ihre Bestimmung
zweifelhaft ist.
Ich gebe auch hier zunächst eine Detail-Beschreibung der in mei-
nem Besitz befindlichen Schädel:
Schädel No. ].
Ein noch jugendlicher, scheinbar männlicher Schädel ohne Unterkiefer, bei dem
sämmtliche Zähne ausgetreten, aber, soweit sie vorhanden (die Schneidezähne, der
rechte Eckzahn und 3 Prämolaren fehlen), sehr wenig abgeschliffen sind; die Synchon-
drosis sphenooceipitalis geschlossen. Capacität gering (1155 Cub.-Cm.); Längenbreiten-
index (72,0) ausgemacht doliehocephal, Längenhöhenindex (79,4) ebenso ausgesprochen
hypsicephal.
In der Oberansicht erscheint der Schädel etwas schief, namentlich der linke Scheitel-
beinhöcker niedriger und flacher, dagegen die linke Hälfte der Hinterhauptsschuppe höher
und voller, die rechte seitlich abgeplattet, der Lambdawinkel ganz unregelmäfsig, indem der
rechte Schenkel zunächst in der Fortsetzung der Pfeilnaht steil abfällt, der linke dagegen fast
horizontal ansetzt. Letzterer enthält überdies im unteren Theil, nahe der Seitenfontanelle,
lange Schaltknochen. Die Form des Schädels ist überwiegend lang, hauptsächlich durch
das überwiegend schmale, weit vortretende Hinterhaupt. Vorn ist der Schädel bis zu den
Tubera parietalia eher breit, am breitesten in der Gegend der letzteren. Nähte vollständig.
Keine Spur von Emissaria parietalia; in dieser Gegend ist die Pfeilnaht mehr einfach.
Stark ausgeprägte Phaenozygie.
In der Seitenansicht überwiegt der Eindruck der Höhe, und, dadurch bedingt,
auch der der Kürze. Die Stirn ziemlich gerade, Orbitalwülste kaum entwickelt. Die
Hinterstirn oberhalb der Tubera stark gewölbt und bis kurz vor der Coronaria anstei-
gend. Der Abfall der Scheiteleurve gegen das Hinterhaupt ist schnell. Hohe, die Tubera
kreuzende Plana temporalia. Squama temp. platt. Grolse Alae mit ganz kurzen Anguli
parietales; erstere rechts 35, links 34 Cm. breit.
Die Norma oeceipitalis zeigt einen hohen, fünfeckigen, oben mehr abgeflachten,
unten platten Contour mit sehr hohen und senkrechten, nur unten etwas divergirenden
Seiten. Hohe, nach oben, wie erwähnt, sehr unregelmälsige Squama oceipitalis mit etwas
comprimirten Seitentheilen; keine Protuberanz, Lineae semicireulares deutlich, scharfe Crista
perpendicularis, schwache Cerebellar-Wölbungen, kurze Facies museularis.
In der Norma basilaris erscheint der Schädel breit, namentlich in der Jugal-
und Mastoidealgegend, dagegen das Hinterhaupt eher schmal und vorspringend. Foramen
magnum lang oval, etwas schief, 34 mm lang, 26 breit, Index 76,4. Gelenkhöcker nach
vorn stark vortretend. Warzenfortsätze diek, aber nicht hoch, beiderseits mit starken
seeundären Anschwellungen am hinteren Umfange, besonders stark auf der linken Seite.
Griffelfortsätze kräftig. Kiefergelenkgruben sehr tief. Hamulus pterygoideus und Spitze
der Lamina externa sehr grols.
Die Vorderansicht läfst den Kopf hoch erscheinen. Stirn voll, Nasenfortsatz sehr
breit. Orbitae hoch, mit diagonaler Ausweitung nach unten und aufsen, Index 34,4, also
86 Vırcnuow: Ueber die Weddas von Ceylon
mesokonch. Fissura orbitalis inferior sehr weit und am Ende buchtig. Nase oben und
unten schmal, Rücken vortretend, mehr gerundet, Index 48,3, also mesorrhin. Fossa
canina wenig vertieft. Am Wangenbein jederseits eine hintere obere Ritze und eine
starke Tuberositas marginalis. Alveolarfortsatz stark prognath, aber nur 15 mm lang,
mit sehr grolsen Alveolen. Gaumen tief, hinten breit, mit schwach hufeisenförmiger
Zahneurve, Index 90,0, also brachystaphylin. Horizontalplatte des Os palatinum in
der Mitte weiter nach vorn vorspringend; kurze Spina nasalis posterior.
Schädel No. 2.
Ein seniler, männlicher Schädel ohne Unterkiefer, von geringer, aber doch
neben den übrigen relativ grölserer Capaeität (1260 Oub.-Cm.), noch dolichocephal
(74,8) und von mälsiger Höhe (Längenhöhenindex 73,7). Sehr starke Muskelansätze:
Protuberantia oceipitalis grols, fast hakenförmig, Stirnnasenwulst breit, stark vortretend
und mit zackigen Spuren der untersten Abschnitte der Stirnnaht. Das rechte Wangenbein
mit dem anstolsenden Theil des Oberkiefers und Jochbogens fehlt. Die rechte Schädel-
seite oberflächlich durch Verwitterung erodirt.
In der Norma vertiealis erscheint der Schädel ziemlich gleichmälsig breitoval,
mit stärkster Verbreiterung in der Gegend der Tubera parietalia, und leicht phaenozyg.
Der vorletzte Abschnitt der Pfeilnaht etwas einfach, das linke Emissarium fehlt, das
rechte liest ganz nahe an der Naht. Die seitlichen unteren Abschnitte der Coronaria und
Sphenofrontalis obliterirt; beginnende Synostose der Sphenofrontalis.
In der Norma temporalis sieht man sehr hohe Plana, welche bis über die Tubera
und bis an die Lambdoides reichen, links in dem hinteren Theil mit einer dicken skle-
rotischen Fläche, deren Rand sich über die Lambdoides herüberlegt, endigend. Ala breit,
rechts undeutlich, links 26 mm breit.
In der Norma oceipitalis ist der scheinbare Durchschnitt nahezu fünfeckig, breit,
mälsig hoch, mit mehr lachem Dach. Die Squama grols, namentlich breit, der Lambda-
Winkel etwa 160°. Die Protuberantia sehr kräftig, ebenso die Linea semieircularis
superior; an der Stelle der L. suprema dagegen ein flacher Wulst. Facies museularis
stark gezeichnet, Cerebellar-Wölbungen nur schwach entwickelt, die mittleren Theile stark
vertieft, links neben der Crista perpendicularis zwei Emissarien.
In der Norma basilaris ist die Breite der mittleren und hinteren Region sehr
sichtlich. Foramen magnum sehr grols, lang, etwas schief, 33 mm lang, 28 breit, Index
73,6. Gelenkhöcker weit vortretend; hinter denselben jederseits eine verdickte Stelle des
Randes, namentlich links, welche einer Artikularfläche des Atlasbogens zu entsprechen
scheint. Warzenfortsätze kräftig und lang, sehr tiefe Ineisur. Sehr grolse Griffelfortsätze.
Colossal entwickelte Lamina externa pterygoidea, grolser, aber dünner Hamulus,
rechts ganz grolses Foramen Civinini. Tiefe Cavitates glenoides.
In der Norma frontalis sieht der Kopf mäfsig hoch, das Gesicht jedoch niedrig
aus. Grolse Stirnhöhlen; Nasenwulst vortretend, mit breiten zackigen Resten der Stirn-
naht. Orbitae hoch und weit, hauptsächlich diagonal nach unten und aulsen ausgebuchtet;
Index 83,3 mesokonch. Wangenbein zart. Nase oben ganz schmal, mit scharfem,
nur wenig eingebogenem Rücken; Index 51,1, an der Grenze der Mesorrhinie, Sutura
und ıhre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 87
nasofrontalis stärker nach oben gebogen und in den nur mälsig breiten Nasenfortsatz des
Stirnbeins eingreifend. Fossa canina voll, Foramen infraorbitale klein und flach. Alveo-
larfortsatz stark prognath: die Seitentheile obliterirt und geschwunden, nur die Mitte
des Vordertheils noch erhalten und vorspringend.. Gaumen atrophisch.
Schädel No. 3. (Hierzu Taf. III.)
Ein männlicher, noch jugendlicher Schädel ohne Unterkiefer. Alle Zähne waren
ausgebildet, aber leider sind die Schneide-, Eek- und Prämolarzähne sämmtlich nach-
träglich ausgefallen. Die I Molaren sehr grols und die Spitzen stark abgenutzt; nur die
Weisheitszähne noch ganz ohne Abnutzungsspuren und klein. Starke Betel-Färbung der
sämmtlichen vorhandenen Zähne. Sutura sphenooceipitalis geschlossen. Muskelansätze
kräftig, obwohl die Knochen im Ganzen zart sind. Die Capaeität ist gering, 1200 Cub.-
Cm. Die Form hypsimesocephal, obwohl auf der Grenze zur Dolichocephalie: Längen-
breitenindex 75,3, Längenhöhenindex 80,9. Starke Prognathie.
Oberansicht: kurz, besonders hinten, mälsig breit, phaenozyg. Nähte offen;
Pfeilnaht in der Gegend der fehlenden Emissarien einfach.
Seitenansicht: kurz und hoch, die grölste Höhe hinter der Ohrlinie und 2 Finger
breit hinter der Kranznaht. Stirn steil, stark eingebogen, mit grofsem Orbitalwulst, tiefer
Glabella und deutlichen Tubera, die Hinterstirn lang und ansteigend, daher die Coronaria
nach hinten zurückgedrängt. Mittelkopf kurz und stark gebogen. Von der Scheitelhöhe
an schneller Abfall mit kurzer Wölbung. Hohe, bis zur Lambdoides reichende und hier
einen dicken Vorsprung bildende Plana temporalia. Schläfenschuppe sehr platt. Rechts
Stenokrotaphie mit sphenofrontalem Epiptericum. Der Angulus parietalis fehlt
gänzlich, die Portio orbitalis ossis frontis ist dafür flachrundlich vorgewölbt. Die Ala
ist fast ganz von der Berührung mit dem Parietale ausgeschlossen; sie stölst nur mit
einer hinteren Spitze an dasselbe, unter welche sich das Epiptericum einschiebt. Coro-
naria und Sphenotemporalis verlaufen fast in einer Linie. Sphenofrontalis lang, in einer
Flucht mit der Squamosa, darin hinten das lanzettförmige, in die Ala eingreifende,
11 mm lange, 5 hohe Epipterieum. Ala selbst stark in ihrem mittleren Theil eingebogen,
trotzdem breit. Links Sphenoparietalis kurz, Angulus wenig ausgebildet, so dals die
Squamosa, die Sphenoparietalis und die Sphenofrontalis fast in einer Linie fortlaufen.
Ala flach und breit.
rechts: links:
Sphenoparietalis 1 mm 7 mm,
Sphenofrontalis 23 „ 20,
Breite der Ala 2 2, 15
Hinteransicht: sehr hoch, Sagittalgegend stark vortretend, nur die eigentliche
Nahtstelle etwas vertieft. Die Form des scheinbaren Durchschnitts ungefähr fünfeckig,
jedoch die obere und die seitlichen Flächen schwach gewölbt. Tubera vortretend. Squama
hoch, Lambdawinkel spitz, Oberschuppe stark gewölbt. Protuberantia klein. Facies
muscularis grols und im Ganzen gewölbt, dafür die Cerebellarwölbungen schwach.
Unteransicht: kurz, hinten gerundet. Foramen magnum kurz, 34 mm lang, 29
breit, Index 85,2. Sehr starke Gelenkhöcker, die weit nach vorn und einander sehr nahe
88 Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon
stehen. Warzenfortsätze grols, der linke getheilt, dafür jedoch mit schwächerer
Ineisur. Tiefe und grofse Unterkiefergruben.
Vorderansicht: hoch, nach oben mehr gleichmälsig gewölbt. Sehr kräftiger Stirn-
nasenwulst mit etwas porotischer Oberfläche; in der Mitte desselben ein dichtzackiger
Rest der Frontalis, zu jeder Seite davon eine blasige Vorwölbung der Stirnhöhlen. Hohe,
etwas schiefe Orbitae mit gerundetem Dach, Index 86,4, hypsikonch. Vorderer Theil
der Ineisura sphenomaxillaris weit. Nase oben schmal, Rücken hier fast scharf, etwas
tiefer eingebogen und mehr gewölbt, ‘Apertur breit und hoch, Index platyrrhin. Spina
nasalis ant. stark. Fossa canina mälsig vertieft, Foramen infraorbitale abgeplattet. Wangen-
bein mit stärker vortretendem Wangenhöcker und ganz kurzer hinterer oberer Ritze.
Alveolarfortsatz niedrig, 14 mm, trotzdem stark prognath wegen der grolsen Alveolen.
Gaumen sehr breit, Index 87,1, brachystaphylin. Zahncurve nach hinten wenig
convergirend, jedoch etwas hufeisenförmig. Zähne durchweg sehr grofs. Der vordere Theil
der Gaumenfläche stark gefüllt, bildet eine schräg abfallende Fläche. Schwache Spina
nasalis posterior; grolse, 14 mm lange Palatinalplatte.
Die einzelnen Schädel bieten gewisse Eigenthümlichkeiten, welche
ihren typischen Werth beeinträchtigen. Namentlich gilt dies von dem
ersten, welcher einen erheblichen Grad von Plagiocephalie mit grolsen
Unregelmäfsigkeiten in der Lambdanaht zeigt. Aller Wahrscheinlichkeit
nach ist die Schiefheit eine Druckwirkung, welche die eine Seite des
Hinterhauptes betroffen hat, aber es ist schwer zu sagen, ob dieser Druck
ein arteficieller gewesen ist und ob er erst nach der Geburt eingewirkt
hat. Die Gröfse der Abweichung in der Configuration der Lambdanaht
scheint eher auf eime Störung innerhalb des Fötallebens hinzudeuten.
Indefs fanden wir etwas Aehnliches bei dem Sinhalesen-Schädel No. 1,
bei dem sogar die Störung bis auf das Gesichtsskelet sich ausdehnte, und
bei der Vergleichung wird man wohl darüber fortgehen dürfen.
Auch die abweichende Bildung des Processus pterygoides in dem
zweiten Falle, wo sich auf der rechten Seite eine Hyperplasie der Lamina
externa und ein grofses Foramen Civinini fand, ist für die Gesammt-
betrachtung nicht entscheidend. Etwas erheblicher sind die temporalen
Abweichungen in dem dritten Falle, wo rechts ein grolses, trennendes
Epipterieum, links eine Verkürzung des Angulus parietalis vorhanden ist,
indefs steht dem gleichfalls bei den Sinhalesen Aehnliches gegenüber, indem
sich bei No. 1 jederseits ein Stirnfortsatz der Schläfenschuppe und bei No. 2
ein Epiptericum der rechten Seite findet. Es wäre ja recht wünschens-
werth, Schädel ohne diese mehr individuellen, wenngleich vielleicht in der
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. s9
Rasse einigermaalsen begünstigten Besonderheiten zu haben, indefs im
Augenblick sind sie eben nicht zu haben.
Wenden wir uns nunmehr zu der vergleichenden Betrachtung, so
ergiebt sich zunächst für die Capaeität der Schädel, dafs sie durchweg
eine sehr mälsige ist. Am grölsten ist der Schädel aus der Sammlung
Davis, dessen Rauminhalt 1375 Cub.-Cm. beträgt. Die meinigen haben
1155, 1160 und 1200 Cub.-Cm. Das ergiebt ein
Mittel von 1247 Cub.-Cm.,
also etwas weniger als das Mittel der Weddas (1261 Cub.-Cm.) und sehr viel
weniger als das der Sinhalesen (1406 Öub.-Cm.). Ich möchte dieses Ver-
hältnils, Angesichts der so geringen Zahl der Tamilen-Schädel, nicht als
ein maalsgebendes betrachten, aber es zeigt doch, dafs die niedrigen Zahlen
der Wedda-Schädel nicht als ganz exceptionelle anzusehen sind. Der
Schädel eines Mischlings aus der Davis-Sammlung hat ein etwas höheres
Maafs, nehmlich (nach der Reductionstabelle des Hrn. Weleker) 1325 Cub.-
Cm. Ebenso ist mein zweifelhafter Sinhalesen-Schädel No. 3, obwohl
einem Kinde angehörig, verhältnilsmälsig geräumig, indem sein Inhalt
1250 Cub.-Cm. ergiebt. Indels können diese Fälle nicht in die Rechnung
einbezogen werden.
Der Horizontalumfang berechnet sich bei dem Schädel der
Sammlung Davis auf 495 mm; die meinigen messen 477, 490 und 473.
Das ergiebt ein
Mittel von 483 mm,
wenig unterschieden von dem der Weddas und der Sinhalesen, wenngleich
etwas kleiner als bei den letzteren. Der Mischling No. 316 des Hrn.
Davis hat nur 475, nicht viel mehr als das sinhalesische (?) Kind mit
472 mm.
Der Vertikalumfang übersteigt dagegen constant denje-
nigen sowohl der Weddas, als der Sinhalesen. Er beträgt bei
meinen drei Schädeln im Mittel 306 mm gegen 289 bei den Weddas und
295 bei den Sınhalesen. Dieses Mittel ist um nur 174 mm kleiner, als
das des Horizontalumfanges der entsprechenden Schädel (480 mm), von
dem er 63,7 pÜOt. beträgt, gegenüber von 59,4 bei den Weddas und 60,5
bei den Sinhalesen. Diese Differenz ist sehr bezeichnend. Sie findet sich
auch bei dem Kinde (Sinhalese No. 3).
Phys. Kl. 1581. Abh. 1. 12
90 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
Der sagittale Längsumfang des Schädels aus der Sammlung
Davis milst 353 mm, der der meinigen 359, 351 und 352, also im Mittel
353 mm, gegen 376 bei den Sinhalesen und 363 bei den Weddas. Öffen-
bar handelt es sich hier um ein Complementärverhältnifs zu dem Verti-
kalmaafs. Denn der sagittale Längsumfang beträgt
bei den Tamilen 75,0 pCt.,
Sinhalesen 743 „
Weddas 7 AuDaih,
br] N
” >)
des Horizontalumfanges.
Bei der Untersuchung über.das Maafs der Betheiligung der ein-
zelnen Abschnitte des Schädeldaches an dem Gesammt-Längsumfang
(Scheitelbogen) zeigt sich sofort die auffällige Anomalie des plagiocephalen
Schädels No. 1 meiner Sammlung, bei welchem eine so auffällige Bevor-
zugung der mittleren und hinteren Abschnitte an der Gesammtentwicke-
lung des Schädeldaches hervortritt, dafs eine ganz abnorme Kürzung des
frontalen Abschnittes daraus folgt. Man wird dies am besten übersehen,
wenn ich die Zahlen zusammenstelle:
Frontal: Parietal: Oceipital:
Davis No. 314 129 mm 122 mm 102 mm,
Virchow. „ Lo slel2 5 182,4 102 3%
= RT RT REN
b>]
— 3 130%. 1198, 0 600
DE}
Mittel 127 mm 124 mm 102 mm,
Mittel ohne No.1 131 „ 121 „ 99;
Nach Procenten des ganzen Sagittalbogens berechnet:
Frontal: Parietal: Oeceipital:
Davis No.314 36,5 34,5 28,8,
Virchow ,„, 32,9 36,7 30,6;
—— = 2 34,1 27,6,
— 7 a, 2a. 34,6 28,4,
Mittel 36,0 34,9 28,8,
Mittel ohne No.1 37,1 34,4 28,2.
Daraus erhellt, dafs für die nähere Vergleichung der Schädel No. 1
in dieser Betrachtung ganz ausgeschlossen werden muls. Dagegen nähern
sich die beiden anderen, schon früher herangezogenen Schädel, nehmlich
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 91
der des Mischlings No. 316 aus der Sammlung Davis und der des als
sinhalesisch bezeichneten Kindes No. 3 aus der meinigen, dem Tamil-Typus
in sehr bestimmter Weise; unter einander stimmen sie so sehr überein,
dafs der Verdacht, auch der Kinderschädel sei ein tamilischer oder
wenigstens der eines Blendlings, sehr an Stärke gewinnt. Die Zahlen
dafür sind folgende:
Frontal: Parietal: Oceipital:
Davis No. 316 122mm 125 mm 104 mm,
Virchow ,„ BLZIeRg., in, . 103 -,
oder procentisch
Davis nalen rt 35,6 2926,
Virchow „ 3 ...834,6 35,8 29,5.
Gegenüber den eigentlichen Tamilen tritt demnach die Stirn etwas
zurück, während Hinterhaupt und Mittelhaupt etwas gewinnen, jedoch
wird dadurch das tamilische Gesammtverhältnifs wenig geändert.
Vergleicht man dagegen die Tamilen mit den Weddas (8. 52) und
den Sinhalesen (S. 76), so zeigt sich ein durchgreifender Gegensatz,
namentlich in Bezug auf die Betheiligung der Stirn und der Hinterhaupts-
schuppe an der Entfaltung des Schädeldaches.. Während bei den
Tamilen der frontale Abschnitt eulminirt, ist bei den Sinha-
lesen und noch mehr bei den Weddas der oceipitale stark
entwickelt. Die Blendlinge nähern sich durch die stärkere
parietale Ausbildung den Sinhalesen.
Noch viel auffälliger sind die Verschiedenheiten in Betreff der
Kopfform. Freilich nimmt mein plagiocephaler Tamil-Schädel No. 1
auch hier eine Ausnahmsstellung ein, indem er wegen seiner auffällig
geringen Breite (126 mm) einen niedrigen dolichocephalen Index (72,0)
liefert. Dagegen hat der Schädel aus der Sammlung Davis einen hohen
mesocephalen Index (79), und von meinen beiden Tamilen steht der eine,
No. 2, an der oberen Grenze der Dolichocephalie (74,8), der andere,
No. 3, schon jenseits derselben, in dem Anfange der Mesocephalie (75,3).
Das Mittel ist
76,3,
also mesocephal. Dasselbe Verhältnifs zeigen die beiden Blendlinge:
der Schädel No. 316 von Davis hat einen Index von 76,7, der Kinder-
12*
92 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
schädel aus meiner Sammlung einen solchen von 77,0. Dies ist gegen-
über der ausgezeichneten Dolichocephalie der Sinhalesen und bis auf
wenige Ausnahmen auch der Weddas ein sehr wichtiger Befund.
Die geringere Oceipitalentwickelung der Tamilen-Schädel läfst sich
auch daraus ersehen, dafs die horizontale Länge des Hinterhauptes im
Verhältnifs zur Gesammtlänge (a) geringer, dagegen die basilare Länge
in demselben Verhältnils (b) grölser ist:
NOMTEN04 2: EN083:
a 27,4 .23,4 27,0,
buusrzi 54,1 55,8.
Die gröfste Länge ist durchweg gering. Sie beträgt bei Davis
173, bei meinen 3 Schädeln 175, 179 und 170, erreicht also in keinem
Falle auch nur das mäfsige Maafs von 180 mm. Der Mischling der
Sammlung Davis hat sogar nur 168 mm, während mein Kinderschädel
172 mm milst. Die gröfste Breite, welche constant eine parietale ist,
hat bei dem Schädel des Hrn. Davis 137 mm, bei den meinigen 126,
134 und 128, bei dem Mischling 130, bei dem Kinderschädel 132 mm,
ist also durchweg nicht bedeutend. Im Verhältnifs dazu sind die Maafse
für die aufrechte Höhe recht bemerkenswerth; sie betragen in derselben
Reihenfolge 132, — 139, 132, 137,5, — 132, — 133. Die gröfste Zahl,
139, betrifft auch hier den plagiocephalen Schädel No. 1, der aufser Be-
tracht bleiben muls. Alle übrigen Zahlen sind an sich sehr mälsig, ja im
Vergleich zu den Sinhalesen klein, übrigens nahezu in den Grenzen der
Wedda-Zahlen. Von den 3 typischen Tamilen ist bei 2 die Breite gröfser,
als die Höhe.
Anders stellt sich die Sache, wenn man die Verhältnifszahlen
betrachtet. Der Längenhöhenindex beträgt bei Hrn. Davis 76, bei
meinen 3 Schädeln 79,4, 73,7 und 80,9, bei dem Mischling 78, bei dem
Kinderschädel 77,3. Darnach berechnet sich für die 3 typischen Tamilen
ein Mittel von 76,8,
womit auch die Blendlinge stimmen. Das ist ein ausgemacht hypsi-
cephales Maafs, ungleich gröfser als das der Weddas (74,9) und das
der Sinhalesen (74,2). Dasselbe dürfte sich daher den diagnostischen
Merkmalen anschliefsen.
Dem entsprechend ist auch der Aurieularindex hoch. Ich fand
ihn zu 66,3, 63,1 und 68,8, bei dem Kinde zu 67,4. —
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 93
Während sich bei einer Vergleichung der Schädelkapsel der Weddas
mit der der Sinhalesen eine grofse Uebereinstimmung ergab, ist bei den
Tamilen beiden gegenüber eine erhebliche Differenz hervorgetreten. Die
Schädelkapsel der letzteren ist hypsimesocephal, und selbst da, wo die
Maafse des Rauminhaltes sehr geringe Verschiedenheiten darboten, fanden
sich schon in den Umfangsmaalsen grolse Differenzen. Wie sehr letztere
namentlich bei den sagittalen Umfangsmaalsen und in der Betheilisung
der einzelnen Abschnitte des Schädeldaches erkennbar werden, ist vorher
(S. 90) ausführlich dargelegt worden. —
Betrachten wir nunmehr die Gesichtsform, so ergiebt sich bei
den Tamilen eine ziemlich regelmäfsige Bildung.
Der Orbitalindex beträgt 84,4, 83,3 und 86,4, also im Mittel
84,7, — ein hohes mesokonches Maafs. Auch der Kinderschädel hat
83,3. Nahezu ähnlich ist der Index der Weddas, dagegen scheint der
der Sinhalesen niedriger zu sein. Im Ganzen ist die Augenhöhle hoch,
einmal (bei No. 3) sogar hypsikonch, der obere Rand meist etwas gebo-
gen und die Diagonale von innen und oben nach unten und aufsen
verlängert.
Der Nasenindex ist bei meinen 3 Schädeln 48,8, 51,1 und 53,1,
im Mittel 51, also an der oberen Grenze der Mesorrhinie. Nur No. 3
ist platyrrhin. Der Kinderschädel allein giebt ein hohes platyrrhines
Maals: 55,5. Insofern steht die tamilısche Nase der Wedda-Nase wahr-
scheinlich näher, als der sinhalesischen. Allein auch hier gewährt der
Index keine volle Einsicht in die Bildung der Nase. Diese ist in ihrem
knöchernen Theile durchweg schmal und vortretend, obwohl der Nasen-
fortsatz des Stirnbeins sehr breit ist. Der Rücken ist wenig eingebogen,
eher scharf und die Spitze desselben tritt adlerartig vor. Dagegen ist
die Höhe der Nase durchweg gering. Im Leben dürfte daraus eine nicht
geringe Verschiedenheit von der Wedda-Nase folgen.
Die Gesichtsmaalse sind wenig genügend. Nur der Schädel der
Sammlung Davis hat einen Unterkiefer; bei ihm beträgt der Index 85,7,
ein mesoprosopes Maals. Von meinen Schädeln scheidet der senile
(No. 2) wegen des defekten Alveolarfortsatzes aus; die beiden anderen
haben Mittelgesichtsindices von 51,6 und 53,4. Das Verhältnis der
Molarbreite zur Mittelgesichtshöhe beträgt 68,8 und 62,3. Das Tamilen-
94 Vırc#ow: Ueber die Weddas von Ceylon
Gesicht steht daher einigermaalsen in der Mitte zwischen dem sinhale-
sischen und dem Wedda-Gesicht; es ist niedriger, als das erstere, und
höher, als das zweite.
Was endlich den Alveolarindex betrifft, so beträgt derselbe 90,
94,8 und 97,8, also im Mittel 94,2. Der Grad der Prognathie, welche
bei den Tamilen recht bedeutend ist, läfst sich daraus mit Sicherheit eben
so wenig erkennen, als aus dem (nasalen) Gesichtswinkel. Die Gröfse,
namentlich der Schneidezahn-Alveolen, bedingt eine starke Vorschiebung
des Alveolarfortsatzes. Aber auch die Gaumenbreite ist recht beträcht-
lich. Es ergiebt sich daher ein Gaumenindex von 90 und von 87,7,
also brachystaphyline Maafse. Hierin liegt ein sehr auffälliger Gegen-
satz zu den Sinhalesen. Die Gröfse der Gaumenplatte des Os palatinum
dagegen bedingt eine gewisse Annäherung an dieselben. —
3) Die Moors oder Moormen.
Nach den Erläuterungen, welche ich früher (S. 50) gab, haben
arabische Niederlassungen zu Handelszwecken schon sehr früh auf Ceylon
stattgefunden. Noch heutigen Tages ist ein grofser Theil des kleineren
Handels in den Händen dieser Leute und sie betreiben noch jetzt vielfach
den Seeverkehr mit dem Festlande. Sir Tennent!) leitet daher ihren
Beinamen Marak-kala-minım (Seeleute). Indefs giebt es doch auch
„maurische“* Dörfer und feste Ansiedelungen. Namentlich um Batticaloa
scheinen sie in ganz ähnlicher Weise, wie im südlichen Spanien, die
Palmeneultur eingeführt oder wenigstens zu hoher Blüthe gebracht zu
haben?). Immerhin ist ihre Zahl gering und ihr Einfluls auf die übrige
Bevölkerung um so weniger hoch anzuschlagen, als ihre Religion eine
scharfe Trennung bedingt und sie nur selten Mischehen mit Sinhalesen
und andern Eingebornen eingehen®). Ich wollte sie jedoch um so weniger
übergehen, als sie in der Kasten-Ordnung in sehr charakteristischer Weise
eine bestimmte Stellung einnehmen. Wie schon erwähnt (S. 28), sind sie
der Kshoodrawanse und zwar der Fischerkaste, Carawe, „attachirt.“*
1) Tennent I. p. 608.
2) Ebendaselbst II. p. 456—38.
3) Pridham I. p. 479.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 95
Leider liegen über ihre physischen Eigenschaften fast gar keine
“ Beschreibungen vor. Wolf!), der freilich unter dem Namen „schwarze
Türken“ allerlei Volk zusammenzufassen scheint, sagt, der Mohr sei schwarz,
aber von starken Gliedmaalsen, dieken Waden und geschornem Haupt.
Thunberg?) beschreibt sie als grofs von Statur, dunkler als die sonstigen
Insulaner und gut gekleidet. Pridham?) erklärt sie für die schönste
Rasse auf der Insel nach den Europäern, von martialischem Aussehen,
fast durchweg grofs und gut gebildet. Davy sagt: in dress, appearance
and manners, they differ but little from the Singhalese.
Soweit ich sehe, ist nur ein einziger „Mohren“-Schädel in Europa
und zwar im Besitze des Hrn. Barnard Davis). Derselbe, No. 317
seiner Sammlung, stammt von Colombo. Es ist ein männlicher Schädel
von 1495 Cub.-Cm. Rauminhalt, also ziemlich geräumig, mit einem Län-
genbreitenindex von 70, einem Längenhöhenindex von 71 und einem
Gesichtsindex von 85,7; er ist demnach orthodolichocephal und
chamaeprosop.
Eine weitere Vergleichung ist kaum angezeigt, da ein einziger
Schädel nicht wohl darauf beurtheilt werden kann, ob er den Typus der
Rasse giebt oder nicht.
4) Malayen.
Ueber das Vorkommen zerstreuter malayischer Elemente ist schon
früher (S. 31) gehandelt worden. Wir besitzen ein Paar Angaben über
ihr physisches Verhalten.
Cordiner>) bezeichnet sie gegenüber den anderen Stämmen als
heller, von einer mehr zum Kupfrigen hinneigenden Hautfarbe, als sie sich
bei irgend einem der eingebornen Stämme Indiens zeige. Nach Selkirk®)
sind sie kupferfarben, unter mittelgrofs, haben eine flache Stirn, ein breites
Dr Wolf’arar 0.212 5.169.
2) Thunberg Vol. IV. p. 188 eitirt bei Philalethes 1. c. p. 244.
3) Bridham]. e. 1.9.4792.
4) Davis. Thesaurus eraniorum p. 134.
5) Cordiner l.c.p. 143.
DuSelkirk Iäc-p.7e.
96 Vırcaow: Ueber die Weddas von Ceylon
Gesicht, eine breite, flache Nase und stechende Augen. Pridham!)
schildert sie ähnlich und nennt sie eine keineswegs angenehme Art von
Menschen. Sie seien activ, von schwacher, obwohl muskulöser Gestalt.
In der Sammlung Davis befindet sich ein Malayen-Schädel
von Colombo. Er ist als männlich bezeichnet. Seine Oapacität beträgt
1435 Cub.-Cm.; Längenbreitenindex 79, Längenhöhenindex 76, Gesichts-
index 108. Er ist also hypsimesocephal und leptoprosop.
Die Frage nach der Herkunft und Verwandtschaft der verschie-
denen, auf Ceylon neben einander existirenden Stämme hat begreiflicher-
weise die Besucher der Insel schon sehr früh beschäftigt. Schon Cosmas
Indicopleustes (f 550 p. Chr.), der unter Justinian lebte, berichtet auf
Grund der Erzählungen des griechischen Reisenden Sopater, dals die
Eingebornen von Oeylon verschiedenen Rassen angehörten; er nennt sie
ausdrücklich allophyl?). Die Chinesen wufsten schon, dafs der Norden
der Insel von einer anderen Rasse bewohnt werde, als der Süden: jene,
die Tamilen, verglichen sie mit den Hu (Hoo), einem Volke von Central-
asien; diese, die Sinhalesen, mit den Liau (Leaou), einem Gebirgsstamme
in Westchina, dem sie grofse Ohren, lange Augen, ein rothes Gesicht,
einen schwarzen Körper, feuchte und grobe Hände und Fülse und ein langes
Leben von 100 Jahren und darüber zuschrieben und der die Haare lang
und hängend trage, sowohl Männer, wie Weiber?®).
Sicherlich fanden diese älteren chinesischen Berichterstatter also
keine Aehnlichkeit zwischen den Sinhalesen und den Chinesen selbst.
Auch haben sie meines Wissens keine Angabe hinterlassen, aus welcher
seschlossen werden könnte, dafs jemals eine chinesische Colonisation der
Insel stattgefunden habe. Alles, was aus ihren Berichten hervorgeht®),
beschränkt sich auf den Nachweis alter Handels- und Religionsbeziehungen
und auf eine einmalige kriegerische Unternehmung der Chinesen, indels
1) Pridham |. c. I. p. 483.
2) Tennent l. e. I. p. 544.
3) Aus dem Tu Hiuen bei Tennent I. p. 587.
#) Tennent l.c.I. p. 533 sq.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 97
gehen die Berichte nicht über das 4te Jahrhundert unserer Zeitrechnung
hinaus und die Besiegung eines Königs von Üeylon durch chinesische
Waffen erfolgte erst im Jahre 1408. Abgesehen von der Erwähnung,
dafs im Jahre 1266 chinesische Soldaten in den Kriegsdienst des Königs
Prakrama traten, ist von einem längeren Verweilen oder einer wirklichen
Niederlassung der Chinesen in Ceylon nirgends die Rede. Nichtsdesto-
weniger ist der Gedanke, dafs die ursprüngliche Bevölkerung der Insel
eine chinesische gewesen sei, von dem portugiesischen Schriftsteller
Ribeyro!) ausgesprochen worden. Auch Knox?) hörte diese Geschichte
aus dem Munde von Portugiesen, aber er sagt sehr entschieden: But to
me nothing is more improbable than this story, because this people and
the Chinese have no agreement nor similitude in their features, nor
language, nor diet, und er fügt hinzu: it is more probable they came
from the Malabars; their country lying next, though they do resemble them
little or nothing. I know no nation in the world do so exactly resemble
the Chingulays as the people of Europe. Dabei ist zu erinnern, dafs er
Sinhalesen und Weddas für zusammengehörig ansieht: Of these natives
there be two sorts, wild and tame.
Diese, gewils sehr unbefangene Darstellung ist von grofsem Werthe.
Die Beziehung auf die Malabaren ist, wie man sieht, eine rein speculative;
in Wirklichkeit leugnet Knox jede Aehnlichkeit der Sinhalesen mit den
Malabaren, er findet jene vielmehr den Europäern am ähnlichsten. Dies
ist das erste unzweideutige Zeugnils für den arischen Ursprung der
Sinhalesen, welcher seitdem von vielen Besuchern angenommen worden
ist. Davy?) sagt: The pure Singalese of the Interior are completely
Indians in person, language, manners, customs, religion and government.
Er läfst es unbestimmt, welche Abtheilung der Indier er im Sinne hat,
und die Erwähnung der Religion scheint sogar die arısche oder brahmi-
nische Abtheilung auszuschliefsen. Sicherlich aber dachte er nicht an die
Bewohner der hinterindischen Halbinsel, die sogenannten Indo-Chinesen.
I) Tennentil.,e. L..p.,327 note 2.
Di Rinoxala cap.
DEDasıy ].c.p.,109.
Phys. Kl. 1881. Abh.]. 13
98 Vırcmow: Ueber die Weddas von Üeylon
Nur Philalethes!) und Pridham?) unter den neueren Berichterstattern
sprechen ihre Ueberzeugung von dem chinesischen Ursprung der Sinha-
lesen aus, beide jedoch nicht aus anthropologischen, sondern aus histo-
rischen Gründen, der letztere unter Hinweis auf die Rieselwirthschaft und
den Terrassenbau der Sinhalesen, den er auf China zurückführt. Die
historischen Gründe sind unerheblich; was dagegen die Rieselwirthschaft
betrifft, so mag die Erfindung derselben durch die Chinesen unbeanstandet
sein, indefs hat schon Sir Tennent nachgewiesen, dafs das „Tank-
System“ in Ceylon tamilischen Ursprunges und von Vorderindien aus im
4. Jahrhundert unserer Zeitrechnung eingeführt ist.
Es bedarf nach dem früher Mitgetheilten keines ausführlichen
Beweises dafür, dafs die physischen Eigenthümlichkeiten weder der Sin-
halesen, noch der Weddas, namentlich ihr Schädelbau, irgend etwas an
sich haben, was auf mongolische Verwandtschaft hinweist. Ein so aus-
gezeichnet dolichocephaler Stamm ist noch nirgends unter Mongolen auf-
gefunden worden. Was es mit der altchinesischen Geschichte von der
Aehnlichkeit der Sinhalesen mit den Liau in Westchina auf sich hat,
vermag ich nicht zu beurtheilen, indefs ist nicht einmal dargethan, dafs
dieses Volk im engeren Sinne zu den Mongolen zu zählen ist. Man
könnte dabei an die heutigen Laos (auf der Grenze zwischen China und
Siam) denken, von denen Gützlaff?) je nach ihrer Complexion weilse
und schwarze unterschied. Allein nach der Meinung des Hrn. Schott)
sind vielmehr die Ljaos gemeint, von denen freilich auch nur constatirt,
1) Philalethes l.c. p. 15. Note f.
2) Pridham l. ce. 1. p. 21.
3) Prichard l.c. Third edit. Lond. 1844. Vol. IV. p. 503.
#4) Hr. Professor Schott theilt mir darüber Folgendes mit: Dasjenige Ljao,
woran ich zuerst dachte, wird 2 geschrieben und ist der Name eines Flusses im heutigen
Mandsehulande, nach welchem eine tatarische Dynastie sich benamste, die eine Zeit lang
Nordcehina besessen hat.
Ein anderes, und zwar das für uns in Betracht kommende Ljao (dialektisch auch
lao, lio, liu und weiland sogar lot) schreibt sich ZH: also jenem sehr ähnlich. Dieses
bedeutet mit zugegebenem ar ja (Backenzahn) „hervorstehende Zähne“ und ist aulser-
dem für sich allein Name gewisser, sonst nicht näher bestimmter südwestlicher Aus-
länder 1 [52] 5 si nan ji, wie ich aus dem nach Kaiser Kang-hi betitelten Origi-
nalwörterbuch ersehe.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 99
dafs sie „südwestliche Ausländer“, also jedenfalls nicht Chinesen waren.
Bevor wir über diesen „Südwesten“ nähere Nachrichten haben, wozu jetzt
glücklicherweise viele Aussicht ist, wird für die physische Beschaffenheit
der Sinhalesen aus dem angeführten Citat nicht viel gefolgert werden
können. Indefs will ich nieht verschweigen, dafs eine alte, schon von
Valentijn erwähnte Tradition die Sihala-Dynastie, von welcher Wijayo
der Eroberer herstammte, in Tenasserim residiren liefs und den Sinhalesen
daher eine siamesische Abkunft zuschrieb. Da jedoch die neueren Unter-
suchungen dahin übereinkommen, sowohl die Dynastie, wie die Sprache
der Sinhalesen von Magadha, dem heutigen Behar, also mitten aus dem
Ganges-Land abzuleiten, so liegt kein Bedürfnifs vor, jene Tradition weiter
zu verfolgen. Ueberdies ist es nicht die Untersuchung über die Herkunft
der Sinhalesen, welche unser Interesse in erster Linie in Anspruch nimmt,
sondern die Ergründung der Abstammung der Weddas.
Selbst für den Fall, dafs man die Weddas, wie einige es aus-
drücken, als wilde Sinhalesen, oder, wie andere sagen, die Sinhalesen als
zahme Weddas betrachtet, dals man also beide auf denselben Grundstock
zurückführt, wird man nicht umhinkönnen, mit den Weddas anzufangen.
Das Umgekehrte hätte nur dann einen Sinn, wenn man annehmen wollte,
die Weddas seien von einem Zustande höherer Gesittung auf den Zustand
niedrigster Rohheit, in welchem sie sich seit Jahrhunderten allen Besuchern
dargestellt haben, zurückgesunken. Das theoretische Bedenken, welches
sich einer solchen Annahme entgegenstellt, habe ich schon vorher betont;
ich will darauf nicht zurückkommen. Aber ich frage, welche Anzeichen
einer früheren Gesittung hat man denn aufgefunden? Sind irgendwo auf
der Insel Ueberreste einer höheren Cultur entdeckt worden, welche den
Der von den Europäern Laos genannte Stamm südlich von Jün-nan heilst bei
den Chinesen meines Wissens nicht anders als Lao-tschua, aus 2 lao, Greis, und
tschua, die Pauke schlagen. Der die Pauke rührende Alte ist offenbar blofse Nachbildung
eines nichtehinesischen Wortes, wie z. B. IR Yin lang-ja, Wolfzähne, die chinesische
Schreibung von Langka, d. h. des indischen Namens der Insel Ceylon.
Dem alten Volks- oder Völkernamen Hu, welcher eine unbestimmte Bevölke-
rung in Central-Asien nördlich von China umfalste, darunter die oft mit den Hunnen ver-
wechselten und wohl wenigstens dem Namen nach mit diesen identischen Hjün -nu oder
Hjung-nu, entspricht A, seiner appellativen Bedeutung nach die Halswamme des Ochsen.
Ein Hu von anderer Schreibung und nationaler Bestimmung ist nicht nachzuweisen.
13*
100 VırcHow: Ueber die Weddas von Ceylon
Weddas auch nur mit einiger Wahrscheinlichkeit zugeschrieben werden
könnten? Meines Wissens fehlt es daran gänzlich. Nicht einmal Abfalls-
haufen (Kjökkenmöddinger), wie sie die benachbarten Andamanen-Inseln
in so ausgezeichneter Weise darbieten, sind bekannt geworden. Nicht
einmal Steingeräth, wie es selbst die Australier in mannichfacher Form
besitzen, ist aufgefunden. Nun wäre es ja denkbar, dafs diese Lücken
noch durch weitere Nachforschungen ausgefüllt werden könnten, zumal
da die früher (S. 19) mitgetheilte Bemerkung des Hrn. Hartshorne
wenigstens für Steinäxte eine gewisse Hoffnung erweckt. Aber was wäre
damit gewonnen? Doch im besten Falle die Möglichkeit, die Weddas den
Andamanesen und den Australiern gleich zu stellen, während sie nach
den bis jetzt vorliegenden Thatsachen entschieden tiefer gestellt werden
müssen. Ein Volk, das nicht einmal Topfgeschirr besitzt, das aufser dem
Hunde kein Hausthier kennt, dem auch die einfachsten Formen des
Acker- und Gartenbaues fremd sind, dem beinahe jede sociale Ordnung
fehlt, das von seinen eivilisirten Nachbarn nicht einmal den outcasts zu-
gezählt wird, kann doch unmöglich jemals im Besitze der Mittel gewesen
sein, welche eine höhere Cultur überhaupt möglich machen. Der Ge-
danke einer secundären Verwilderung mufs daher definitiv
aufgegeben werden.
Der einzige Anhaltspunkt für eine solche Annahme könnte nur die
Sprache sein. Wie grofs die Abweichung der Meinungen über die Stellung
der Wedda-Sprache ist, habe ich schon dargelegt (S. 34). Dafs sie in
ihren Grundlagen kein dravidisches Idiom sei, scheint mir nach den vor-
liegenden Zeugnissen unzweifelhaft. Eine grofse Zahl von guten Autori-
täten, darunter die ersten Linguisten, erklären sie vielmehr für einen
sinhalesischen, d. h. arıschen Dialekt. Ob aber das Sinhalesische selbst
mit einer der anderen indo-arischen Sprachen übereinstimmt, ist wiederum
streitig. Allein wenn man es auch mit dem sehr erfahrenen Childers
für ein alterthümliches Pali, oder vielmehr für einen ursprünglichen
Schwesterdialekt des Palı nımmt, so wird doch schwerlich jemand daraus
und noch weniger aus den beigemischten Sanskrit-Worten auf eine Ab-
leitung auch der Weddas aus dem Ganges- Thal schliefsen wollen. Seit
Jahrtausenden sind die Weddas ringsum von höher ceultivirten Völkern
umgeben, und wenn sie sich auch scheu in ihren Wäldern verborgen
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 101
gehalten haben, so ist doch ein gewisser Verkehr mit den Nachbarn nicht
ausgeblieben. Da, wo die Tamilen ihnen dauernd nahe rückten, wie in
der Umgebung von Batticaloa, hat ein Theil der Weddas die tamilische
Sprache angenommen!). Aber während der längsten Zeit und an den
meisten Grenzorten waren sie in unmittelbarer Berührung mit Sinhalesen,
zu deren Königen sie in einer, wenn auch sehr losen Unterthänigkeit
standen und aus deren Reihen ihnen Häuptlinge gesetzt wurden. Was
Wunders also, wenn sie mehr und mehr sinhalesische Worte und Formen
aufnahmen? Die Frage ıst nur, ob neben diesen, wie ich voraussetze,
recipirten Worten ihre Sprache gar keine eigenthümlichen Elemente
bewahrt hat. Darauf scheint die Aufmerksamkeit der Sammler von Voca-
bularien und der vergleichenden Linguisten kaum gerichtet gewesen zu
sein. Und doch sollten gerade die Worte „von zweifelhaftem Ursprung“,
wie Hr. Hartshorne sie bezeichnet, am sorgfältigsten gesammelt und
geprüft werden. Besitzen wir doch bis jetzt nicht einmal eine sichere
Nachricht darüber, ob die Wedda-Sprache Worte für die Zahlen hat.
Was nützt es für unsere Untersuchung, wenn Hr. Max Müller mehr als
die Hälfte der Wedda-Worte (d. h. der aufgezeichneten) für verdorbenes
Sanskrit erklärt? Wohin gehört dann die andere, wenngleich kleinere Hältte,
die vielleicht bei grölserer Aufmerksamkeit sich vergröfsern liefse? Darf
sie den tamilischen Sprachen nicht zugerechnet werden, so könnte sie
recht wohl specifisch sein. Nichts berechtigt, wie mich dünkt, bis jetzt
zu einer so einseitigen Bezeichnung, wie die des Hrn. Edward Tylor, der
die Wedda-Sprache ohne Weiteres eine arische nennt.
Noch etwas anders würde sich die Sache stellen, wenn man an-
nehmen dürfte, dafs ursprünglich die Weddas die ganze Insel allein
bewohnten und dafs sie nicht blofs einfach durch Einwanderer zurückge-
drängt wurden, sondern sich auch mit diesen vermischten. Von den
Tamilen, welche erst später einwanderten, läfst sich sagen, dafs sie im
Norden in der That die alte Bevölkerung verdrängt haben, dafs sie da-
gegen im Osten sich nicht blofs mit Weddas mischten, sondern auch eine
wirkliche Tamilisirung von Weddas hervorbrachten. Indefs scheint dies
für die Hauptsache unerheblich zu sein. Anders ist es mit den Sinhalesen.
1) Cordiner l.c. I. p. 91. Bailey 1. c. p. 305 note *.
102 Vırc#ow: Ueber die Weddas von Ceylon
Folgen wir den Angaben der einheimischen Annalisten, so ist der Anfang
der Sinhalesen auf die Gefolgschaft des Königs Wijayo zurückzuführen,
also auf eine erobernde Einwanderung aus dem Gangesthal. Es wird nicht
nöthig sein, die Zahl von 700 Leuten aus Magadha (Behar), welche die
Annalen geben, wörtlich zu nehmen; immerhin wird das Verhältnifs nicht
wesentlich anders gewesen sein, als etwa das Verhältnifs der Dänen und
der Normannen in England. Der gröfste Theil der Insel wurde in Felder
und Gärten eingetheilt und ein patriarchalisches Dorf-System eingeführt,
welches die Jahrtausende überdauert hat. Eine Reihe von Thatsachen
spricht dafür, dafs die Urbevölkerung von diesem System nicht ganz aus-
geschlossen war; schon der Umstand, dafs die Weddas der hohen Kaste
der Landbauer (Goewans& oder Vellalas) zugerechnet wurden, deutet darauf
hin, dafs ihnen in der politischen Organisation des Landes früh ein regel-
mäfsiger Platz gesichert war. Auf einer solchen Grundlage konnte sich
ein Mischverhältnifs zwischen den Magadha-Leuten und den Eingebornen
sehr leicht entwickeln, und wenn man als das Resultat dieser Mischung
die sinhalesische Rasse betrachtet, so würde die Erfahrung so vieler
anderer Länder, wo ähnliche Mischungen stattfanden, es sehr leicht
erklären, dafs die Magadha-Leute ihre Sprache, das alte Pali oder Elu,
zur herrschenden machten, dals dagegen in der physischen Gestaltung das
eingeborne Element eine dauernde Einwirkung gewann.
Bei einer solchen Auffassung würden Weddas und Sinhalesen weder
identisch, noch durch blofse Culturgrade von einander verschieden sein.
Vielmehr würden die Weddas als Repräsentanten der eingebornen Rasse,
die Sinhalesen dagegen als ein Mischvolk, hervorgegangen aus der Vereini-
sung eingewanderter Indier mit Weddas, und daher je nach dem Maals der
Betheiligung eines jeden der beiden Elemente, in etwas variabler Erscheinung,
anzusehen sein. In der That scheint mir das die Lösung des anthropo-
logischen Problems zu sein, welches uns vorliegt, wenigstens soweit die
Materialien gegenwärtig reichen. Die Iinguistische Schwierigkeit, dafs
auch die unvermischten Eingebornen die arische Sprache der Eroberer, —
in welcher Ausdehnung, das mag dahingestellt bleiben, — annahmen,
ohne dafs sie, soweit ersichtlich ist, dazu gezwungen wurden, erscheint
mir nicht mehr unüberwindlich, seitdem ich durch eigene Erfahrung fest-
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 103
gestellt habe!), dafs in den russischen Östseeprovinzen ein Theil der
finnischen Bevölkerung nach dem andern in unmerklichem, aber unauf-
haltsamen Fortschritt lettisirt worden ist, der Art, dals die kurische
Sprache ganz, die livische fast ganz aufgehört hat und nur die estnische
noch einigen Widerstand leistet.
Rein anthropologisch betrachtet, sind die Differenzen zwischen den
Weddas und den Sinhalesen nicht so grols, dals ein zwingender Grund
bestände, einen absoluten Gegensatz zwischen beiden Stämmen anzu-
nehmen. Ich will dabei nicht in Abrede stellen, dafs die Zahl der ganz
sicheren Schädel, welche ich persönlich zur Vergleichung prüfen konnte,
nicht grols genug ist, um eine definitive Entscheidung herbeizuführen,
aber sie scheint mir doch auszureichen, um zu ermitteln, ob Verdachts-
gründe gegen die Richtigkeit der anderweitig gefundenen Formel vor-
liegen. Solche Verdachtsgründe finde ich in der That nicht. Nachdem
ich die ihrer Herkunft nach zweifelhaften, sowie die durch besondere
Deformation abweichenden Schädel mit aller Vorsicht ausgeschieden hatte,
ist, unter Zuhülfenahme der in auswärtigen Sammlungen vorhandenen
Schädel, eine so grofse Zahl zur Vergleichung brauchbarer Speeimina
übriggeblieben, dafs sie vielfach über das hinausgeht, was uns von anderen
Stämmen zur Verfügung steht.
Vergleichen wir kurz das Gefundene, so ergiebt sich zunächst, dafs
sowohl die Weddas, als die Sinhalesen dunkle Stämme sind, deren Haut-
farbe zwischen Gelbbraun und Schwarz varürt (S. 40, 61). Die Mehrzahl
der Beobachter beschreibt die Sinhalesen als weniger dunkel, als in der
Regel kastanienbraun oder braun mit einem gelben Unterton; Pereival
schreibt den Weibern eine gelbe Farbe zu; Cordiner und Selkirk geben
an, dafs die Volarfläche der Hände und Fülse „weils“ sei. Von den
Weddas werden ähnliche Angaben einer so hellen Färbung nicht gemacht;
die von Pereival gebrachte Erzählung, dafs die Farbe der Weddas
kupfrig und „heller“ als die der übrigen Ceylonesen sei, steht ganz ver-
einzelt. Wenn demnach ein nicht unerheblicher quantitativer Unterschied
in der Hautfarbe zwischen beiden Stämmen besteht, so darf wohl in
1) Zeitschrift für Ethnologie, Verhandlungen der Berliner anthropologischen
Gesellschaft. 1878.
104 Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon
Betracht gezogen werden, dafs die Weddas ganz nackt, allen Unbilden des
Wetters und der äufseren Medien ausgesetzt, ohne regelmäfsige Wohnun-
gen leben und überdies im äufsersten Grade schmutzig sind, — Verhält-
nisse, welche selbst in unserem Klima und unter sehr viel weniger
belastenden Umständen genügen, um die Hautfarbe stark zu bräunen.
Die Sinhalesen dagegen tragen eine bald mehr, bald weniger vollständige
Bekleidung, wenigstens des Unterkörpers, sie leben in ordentlichen Häusern,
unter relatin günstigen Verhältnissen, und zeichnen sich vielfach durch
grolse Sauberkeit aus. Wenn trotzdem sehr dunkle, ja fast schwarze
Individuen, wie aus den Mittheilungen der Reisenden hervorgeht, unter
ihnen keineswegs zu den Seltenheiten gehören, so ist dies sicher sehr
bemerkenswerth.
Auch die Beschaffenheit des Haars ist offenbar ähnlich, nur dafs
hier in noch viel höherem Maalse der Einflufs der Cultur hervortritt.
Während die Weddas sich niemals kämmen, ja vielleicht überhaupt keine
Einwirkung auf ıhr Haar eintreten lassen, so dafs es von Jahr zu Jahr
mehr verzottelt, und als ein wirrer, buschiger Wust den Kopf, das Ge-
sicht und die Schultern bedeckt, so verwenden die Sinhalesen eine ganz
ungewöhnliche, ja fast weibische Sorgfalt auf die Glättung und den Aufbau
ihres Kopfputzes. Aber beide Stämme tragen das Haar lang, es ist üppig,
schwarz, wenig gewellt, und nur bei den Weddas legt es sich in Folge
seiner Vernachlässigung in vielfach verfitzte, jedoch nicht eigentlich krause
Mähnen oder Zotteln. Es mag dabei nicht ausgeschlossen sein, dals bei
einzelnen Individuums eine mehr gekräuselte Beschaffenheit der Haare
besteht, wie sie der ältere Mann auf der früher (S. 44) mitgetheilten
Zeichnung zeigt. Indefs ist auch bei ihm das Haar lang und ganz ver-
schieden von den kurzen Röllchen und dem Wollhaar der eigentlichen
Neger und der Negritos. Würde es von früh an gekämmt und gereinigt,
so würde es wahrscheinlich, wie das der Sinhalesen, glänzend, „wie Eben-
holz“, sein. Das Bild des jungen Mädchens in der Zeichnung scheint
diese Verschönerung direkt darzubieten.
Eine sehr bemerkenswerthe Angabe, welche gewissermaalsen das
umgekehrte Verhältnils betrifft, findet sich bei d’Albertis!). Dieser
1) L.M. d’Albertis. New Guinea. Lond. 1880. Vol. I. p. 259.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 105
Reisende hatte für seine Forschungen auf Neu-Guinea in Point de Galle
zwei Sinhalesen engagirt. Als dieselben die Bekanntschaft der Einge-
bornen der Yule-Insel (im Papua Golf im Süden von Neu-Guinea) gemacht
hatten, sagten sie ihm, diese Leute glichen ihren Landsleuten, nur sei die
Hautfarbe der Sinhalesen viel schwärzer. Als er sie darauf aufmerksam
machte, dals das Haar der Eingebornen zerfahren (fuzzy, fusselig?) sei,
erwiderten sie, die Sinhalesen würden auch zerfahrenes Haar
haben, wenn sie es nicht kämmten und täglich sorgfältig mit
Oel salbten. Hr. d’Albertis erwähnt dabei, dafs das Haar des einen
seiner Sinhalesen, der es kurz trug, kraus (crisp), das des andern, der es
lang trug, glatt (smooth) war; auch stellt er nicht in Abrede, dafs manche
der Eingebornen dem Typus seiner Sinhalesen glichen. Wenn man diese
Analogie auch dahingestellt läfst, da sie sich nur auf zwei Personen be-
zieht, so scheint doch aus der ganz unbefangenen Angabe bestimmt her-
vorzugehen, dafs das sinhalesische Haar bei einer gewissen Verwilderung
dem Wedda-Haar ganz nahe kommt. Darin liest offenbar ein starker
Gegensatz zu der „Schlichthaarigkeit“ der Malayen und Mongolen, und
die Haplotrichie des Palladius wird nicht in dem Sinne verstanden
werden dürfen, dafs das Haar der Weddas ohne alle Einschränkung glatt
zu nennen sei.
Die Angaben über die Farbe der Iris sind weniger vollständig,
aber man ersieht doch aus den Schilderungen, dafs sie in der Regel
dunkel ist. Ueber die Sinhalesen macht Davy genauere Angaben (8. 62);
daraus geht hervor, dals die Augen gewöhnlich schwarz, seltener hell-
braun, noch seltener grau und nur bei Albinos hellblond oder roth sind.
In der poetischen Schilderung einer idealischen Kandy-Schönheit, die oben
(S. 68) mitgetheilt ist, wird allerdings ein Auge „wie blauer Sapphir oder
wie die Blumenblätter der blauen Manilla-Blume“ verlangt, aber diese
Forderung dürfte sich schwerlich auf ein typisches Verhältnifs beziehen.
Von den Weddas wird nirgends etwas Aehnliches bemerkt und man wird
daher wohl annehmen können, dafs ihre Iris regelmälsig schwarz oder
dunkelbraun ist.
Was die Gröfsenverhältnisse anbetrifft, so sind offenbar beide Rassen
von mälsiger Statur, eher klein, als grofs zu nennen. Wenn die Körper-
höhe bei den Weddas (S. 42) ım Mittel bei den Männern 1537, bei den
Phys. Kl. 18581. Abh. 1. 14
106 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
Weibern 1448 mm beträgt, dagegen bei den Sinhalesen (S. 61) etwa
1625—1650 mm (bei Männern), so wird man die Bedeutung des geringeren
Maalses der ersteren um so weniger beanstanden können, als bei ihnen
Minimalmaafse für die Männer von nur 1245 mm vorkommen. Die Angaben
über die Sinhalesen sind leider sehr unvollständig; nur darin stimmen
alle überein, dafs die letzteren kleiner und weniger kräftig, als Europäer,
seien. Ob hier eine nur relative Differenz zwischen Sinhalesen und Weddas
vorliegt, ob die letzteren nur in Folge ihres kümmerlichen Lebens im
Wuchs zurückbleiben oder ob ihre Kleinheit eine typische Eigenthümlichkeit
der Rasse ist, kann immerhin zweifelhaft erscheinen. Der Umstand, dafs
der Zwergwuchs nicht constant ist, dafs es vielmehr auch relativ grofse
Weddas giebt, wie denn der so scrupulöse Hr. Hartshorne einen Mann
zu 1638 mm maals, könnte zu Gunsten der Annahme angeführt werden,
dafs der oft zwerghafte Wuchs eine Consequenz lange andauernder,
ungünstiger Entwickelungsbedingungen sei. Nichtsdestoweniger ist die
Thatsache allgemein bezeugt, dafs die Weddas einer im Durchschnitt
kleinen, ja einer der kleinsten überhaupt bekannten Rassen angehören.
Nimmt man dazu, dafs die Weddaratta überaus reich an Wild ist und
dafs die Weddas geschickte Jäger und Fischer sind, dafs Honig und
efsbare Früchte und Wurzeln ihnen in Fülle zu Gebote stehen, so kann
man nicht sagen, dafs sie, wie die Australier, auf Entbehrung angewiesen
seien. Wenn sie trotzdem ungleich kleiner, als Australier sind, so wird
man nicht umhin können, ihre Kleinheit als eine ursprüngliche anzu-
erkennen.
In Bezug auf Muskelentwickelung und Körperkraft lauten alle
Zeugnisse günstig für die Weddas. Trotz einer mehr gracilen, vielleicht
sogar mageren Gestaltung der Fleischtheile scheinen sie allgemein eine
grofse Leistungsfähigkeit und eine proportionirte Bildung der Gliedmaalsen
zu besitzen. Gegenüber den Sinhalesen im Niederland mögen sie sogar
eine gewisse Superiorität in der Muskelarbeit zeigen, denn nur von den
Sinhalesen des Gebirges, namentlich von den Kandiern, wird die Körper-
kraft besonders gerühmt. Die von Hrn. Hartshorne betonte Kürze der
Daumen und Spitzigkeit der Ellenbogen bei den Weddas dürfte sich viel-
leicht durch ihre Kleinheit und Magerkeit erklären; jedenfalls würde nur
die erstere, wenn sie sich als eine unverhältnifsmäfsige durch Messung
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 107
ergäbe, von Bedeutung sein. Vielleicht liegt hier eine ähnliche Täuschung
vor, wie bei Hrn. Bennett, der die Länge des Fufses urgirt, während
die direkte Messung (S. 58) vielmehr eine durchaus proportionirte Gröfse
dargethan hat. Dagegen mag es richtig sein, dals die Weddas Plattfüfse
haben. Diese würden aber nicht ausreichen, um ein Rassenmerkmal
zu bilden.
Aehnliche Betrachtungen, ja noch viel weniger distinktive, treffen
zu in Beziehung auf die Gröfse des Kopfes, namentlich in Beziehung auf
die Capaeität des Schädels. Sowohl die Einzelzahlen, als auch die Mittel
habe ich früher mitgetheilt, und auch unter einander verglichen (S. 50,
75). Daraus ging hervor, dafs die Wedda-Schädel durchschnittlich viel
kleiner, als die Sinhalesen-Schädel sind, ja dafs eine gewisse Zahl von
ihnen geradezu nannocephal genannt werden kann. Indefs auch die Sin-
halesen-Schädel haben mir nur einen Rauminhalt von 1406 Cub.-Cm. im
Mittel geliefert, und unter 11 Exemplaren hatten 3 nur zwischen 1100
und 1200 Cub.-COm. Erwägt man dem gegenüber, dafs auch unter den
Wedda-Schädeln ein Paar von 1614 und 1420 Cub.-Cm. Rauminhalt vor-
kamen, so folgt, die Aechtheit dieser Schädel vorausgesetzt, dafs nicht
nur die Nannocephalie kein constantes Merkmal ist, sondern dafs selbst
geräumige Schädel bei Weddas vorkommen. Die Zahlen schieben sich
eben von beiden Seiten durch einander: das gröfsere Mittel der Sinhalesen
hindert keineswegs das Vorkommen sehr kleiner Exemplare, und umge-
kehrt stecken in dem allerdings sehr kleinen Mittel der Weddas auch
geräumigere Specimina.
Ich will hier nicht die Umfangsmaalse und die sich daraus berech-
nenden Verhältnilszahlen noch einmal durchgehen. Es haben sich dabei
gewisse Differenzen zwischen beiden Stämmen ergeben, indefs werden sich
dieselben bei den Indices in paralleler Weise darstellen lassen. Nur ein
Verhältnifs will ich hier noch einmal hervorheben, weil es möglicherweise
von gröfserer Bedeutung ist. Es ist dies die stärkere Betheiligung des
Vorder- und Mittelkopfes bei den Sinhalesen, des Hinterhauptes bei den
Weddas an der Bildung des Schädeldaches (S. 76). Dabei muls ich jedoch
erwähnen, dafs die (untere) Frontalbreite bei den Wedda-Schädeln aus
dem Colombo-Museum keineswegs geringer war, als bei meinen
Sinhalesen.
14*
108 Vırcnow: Ueber die Weddas von Ceylon
Von besonderem Interesse ist die Vergleichung der Schädelindices.
Die Mittel für den Längenbreitenindex, welche ich ermittelt habe, sind
für beide Stämme fast genau identisch: 71,8 für die Sinhalesen, 71,6 für
die Weddas. Dies ist ein ausgezeichnet dolichocephales Maafs. Wenn
sich dabei ergab, dafs sämmtliche, zur Untersuchung stehende Sinhalesen-
Schädel dolichocephal, dagegen unter 20 Wedda-Schädeln 4 mesocephal
waren, so könnte man auf die Vermuthung kommen, dafs unter den
letzteren tamilische Verunreinigungen vorgekommen seien. Dies wird sich
ohne neues und sehr sicheres Material nicht entscheiden lassen. Für
unsere jetzige Vergleichung ergiebt sich nur, dafs dieses wichtige Ver-
hältnilsmaals keinen Hinweis darauf enthält, dafs eine tiefgehende Rassen-
differenz zwischen Sinhalesen und Weddas besteht. Bei beiden ist der
Schädel lang und schmal, jedoch ist unter den Wedda-Schädeln eine
gröfsere Zahl, bei welchen die Schmalheit noch bedeutender ist, als bei
den Sinhalesen.
Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Längenhöhenindex. Derselbe
ist bei beiden Stämmen orthocephal, bei den Weddas freilich auf der äufser-
sten Grenze zur Hypsicephalie (74,9), bei den Sinhalesen etwas kleiner
(74,6). Immerhin mufs man beide Arten von Schädeln zu denen von
mittlerer Höhe rechnen. In Beziehung auf die absoluten Höhenzahlen
stellt sich das Verhältnils etwas anders, insofern hier ein gröfseres Maals
für die Sinhalesen hervortrat, wie die Abbildungen auf Taf. I. und I.
erkennen lassen.
Diese Uebereinstimmungen der Hauptindices sind so grols, dals
sie innerhalb der Grenzen eines einzigen Volksstammes nicht gröfser ge-
funden werden könnten. Die Configuration der Schädelkapsel darf ab-
gesehen von der Betheiligung der einzelnen Knochen an derselben, als
eine identische betrachtet werden. In der That liest auch nach dem
Zeugnisse der Reisenden der Stammesunterschied mehr in dem Gesicht,
als in der Schädelkapsel. Vorzugsweise ist es die Gestalt der Nase,
namentlich die flache Beschaffenheit des Rückens und die Weite der
Nüstern, sowie die Bildung der Lippen und Kiefer, welche durchweg als
prognath geschildert werden, worauf die verschiedenen Autoren als auf
charakteristische Züge des Wedda-Gesichtes hinweisen. Gegenüber der
sinhalesischen Nase, welche die alten chinesischen Berichterstatter einen
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 109
I
Vogelschnabel nennen, und welche in der Beschreibung der Kandy-Schön-
heit (S. 63) mit dem Habichtschnabel verglichen wird, gegenüber den
zarteren Lippen und dem orthognathen Kieferbau, welchen die Zeich-
nungen von Davy erkennen lassen, sind das allerdings recht auffällige
Unterschiede.
Die osteologische Untersuchung hat diese, von der Betrachtung
der Lebenden hergenommenen Angaben in der Hauptsache bestätigt.
Leider hat sich das in Europa befindliche Schädelmaterial bei der Ver-
schiedenheit der veröffentlichten Messungen in dieser Beziehung nicht
vollständig verwerthen lassen, und zwar am wenigsten bei den Sinhalesen,
bei denen überdies der Umstand sehr störend wirkt, dafs die beiden in
meinem Besitz befindlichen Schädel, von denen der eine einem jüngeren,
der andere einem sehr alten Manne angehört hat, grolse individuelle Ver-
schiedenheiten erkennen lassen.
Im Allgemeinen ist das sinhalesische Gesichtsskelet schmaler und
länger, als das der Weddas. Jenes erwies sich als leptoprosop (Index 89),
dieses als chamaeprosop (Index 83—84). Dem entspricht bei den Sinha-
lesen ein längerer und schmalerer, bei den Weddas ein kürzerer und
breiterer Gaumen, dem ein prognather Kieferbau sich anschliefst. In
letzterer Beziehung ist der Gegensatz der Sinhalesen weniger deutlich, da
Hr. Barnard Davis keine Angaben in dieser Richtung gemacht hat, und
von meinen Schädeln der eine (Taf. II.) einen auffällig prognathen, wenn-
gleich nicht langen Alveolarfortsatz besitzt. Dazu kommt bei den Weddas
Mesokonchie (84,6) und Mesorrhinie (52), freilich mit manchen indivi-
duellen Abweichungen, so dafs namentlich bei den Weibern mehr platyr-
rhine, bei den Männern leptorrhine Formen hervortreten. Gerade hier
reicht das sinhalesische Material zur Vergleichung nicht aus. Soweit sich
darüber, freilich mehr vermuthungsweise, sprechen lälst, werde ich darauf
zurückkommen. Hier will ich nur noch das zusammenfassende Urtheil
des Hrn. Barnard Davis!) in Bezug auf den Typus der ceylonesischen
und indischen Bevölkerung anführen: In Ceylon and the plains of India,
we have found the people (Veddahs as well as the more elevated races),
as far as our materials extend, characterized by small, narrow, long, and
1) Davis. Thesaurus eraniorum p. 158,
110 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
rather tall crania, having prominent nasal bones and well-expressed faces,
when we refer to the typical skulls. As soon as we ascend the southern
slope of the Himalayas, we meet with races of a very distinet cranial
type. Ob dieses Urtheil sich auch auf nicht-arische Stämme Indiens
beziehen soll, ist nicht deutlich; jedenfalls dürfte es in seiner Allgemein-
heit nicht ohne Anfechtung bleiben.
Ziehen wir nun die Tamilen oder Malabaren in die Vergleichung,
so stolsen wir auf ein viel verbreitetes Vorurtheil, welches freilich erst
in der neuen Zeit mehr zum Ausdruck gekommen ist. Schon Ribeyrot)
hatte die Meinung, dals die Sinhalesen aus einer Mischung von Chinesen
und Malabaren (Gallas) hervorgegangen seien. Auch Knox?), obwohl
er „wenig oder gar keine Aehnlichkeit‘“ zwischen Malabaren und Sinha-
lesen fand, hielt aus historischen Gründen eine Verwandtschaft für mög-
lich. Die neueren Schriftsteller haben die Sinhalesen als Arier meist
aufser Betrachtung gelassen und sich mehr mit dem dravidischen Ursprung
der Weddas beschäftigt. Nur Lassen ?°), der die Weddas für den unver-
ändert gebliebenen Theil der Sinhalesen nahm, führte aus sprachlichen
Gründen das ganze „Volk der Cingalesen“ auf dekkhanische Stämme
zurück. Auch Sir Tennent®) bezog sich für die Weddas wesentlich auf
linguistische und religiöse (wenn man diesen Ausdruck gebrauchen darf)
Verwandtschaften, welche auf die Völker des Dekkhan hinwiesen; er nahm
and), dafs die Weddas sich zu den arischen Sinhalesen verhielten, wie die
Gebirgsstämme Indiens zu den späteren arischen Einwanderern. Er nennt
namentlich die Koolies in Guzerat, die Bheels in Malva, die Puttooas in
Outtack, die Khoonds in Gundwana, die Bedas in Mysore und die wilden
Horden in den Bergen östlich von Bengalen. Hr. Bailey) schlielst sich
dieser Auffassung an. Er zieht nicht nur die Khonds, die Puttuwas oder
1) Pridham |. ce. 1. p. 21.
A)rKnox Ircsp. 122
3) Lassen, Indische Alterthumskunde I. S. 199.
4) Tennent l.c. I. p. 328.
5) Derselbe 1. c. II. p. 438.
6) Bailey 1. c. p. 307.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 111
Juanguas, die Pulindas (in Orissa), die Meekirs (in Nord Cachar) u. a.
heran, sondern er geht bis nach Assam, Tenasserim und Ost-Birma mit
seinen Vergleichungen. Aber auch seine Beweise sind ganz aus dem
socialen und religiösen Leben dieser Völkerschaften hergenommen. Ganz
ohne Specialnachweise ist die Angabe des Hrn. Tagore!), wonach ein
schon dem Ptolemaeos bekannter Wanderstamm in den nördlichen Thei-
len Indiens, die Vaidehas, welche später von Tippoo Sahib in Mysore un-
ter dem Namen der Bedas getroffen seien, sich in seinem wilden (wild and
savage) Zustande in den Weddas von Öeylon erhalten habe. Hr. Jagor?)
erwähnt, dafs die Vedas, welche in kleinen Gruppen in den Wäldern von
Trovancore und Cochin leben, von Einigen für einen Zweig der Weddas
von Öeylon gehalten würden. So interessant diese Hinweise sind, so
wenig scheinen sie mir doch zu der Erledigung der Streitfrage beizutragen.
Anthropologische Vergleichungen haben bis jetzt kaum stattge-
funden. Auch ich habe nicht die Absicht, die gegenwärtige Untersuchung
so weit auszudehnen, obwohl mir mancherlei Material dazu vorliegt.
Einige Beziehungen werde ich allerdings berühren, indefs eine volle Er-
örterung der in Betracht kommenden Verhältnisse würde eine eigene, weit
ausgreifende Arbeit erfordern. In erster Linie wird es nöthig sein, die
Tamilen von Ceylon in Vergleichung zu ziehen, zumal da die historischen
Nachrichten bis zu den Zeiten Wijayos rückwärts zahlreiche Heirathen
nicht blofs der Könige, sondern auch ihrer Dienstmannen mit malabarischen
Frauen melden, ganz abgesehen von den früh beginnenden Einfällen und
Ansiedelungen tamilischer Horden.
Trotz der spärlichen Berichte über die physischen Eigenthümlich-
keiten der Tamilen läfst sich doch nicht bezweifeln, dafs sie gleichfalls
sehr dunkel, mehr oder weniger „schwarz“ und mit langem, schwarzem
Haar ausgestattet sind. Im Uebrigen beschränken sich die Angaben auf
die Betonung ihrer gröfseren Kräftigkeit und Activität. Es bleibt mir
daher nur das spärliche craniologische Material, welches sich in der
Sammlung des Hrn. Barnard Davis und der memigen befindet. Dasselbe
1) Transactions of the Ethnologieal Society of London. New Series. 1863.
Vol. I. p. 381.
?) Zeitschrift für Ethnologie 1879. Bd. XI. Verhandl. der Berliner anthrop.
Gesellsch. S. 167.
112 Vırcnow: Üeber die Weddas von Ceylon
ist zu einer endgültigen Beantwortung der Frage von dem ethnologischen
Verhältnifs der Tamilen zu den beiden andern ceylonesischen Stämmen
unzureichend, und meine Besprechung kann daher nur unter starken Vor-
behalten vorgenommen werden.
Alle diese Schädel sind verhältnifsmäfsig klein und sie würden auf
nichts weniger, als auf eine kräftige Rasse schliefsen lassen. Wie schon
angeführt (S. 89), ist die mittlere Capaeität der Tamilen-Schädel 1247
Cub.-Cm., also noch geringer als das Mittel der Weddas und als das der
Sinhalesen. Schwerlich wird dies die Zahl sein, welche als die typische
Stammeszahl anzusehen ist; sie hat meiner Meinung nach nur insofern
Interesse, als sie zeigt, dals kleine Schädel bei allen Stämmen der Insel
vorkommen können. Immerhin ist keiner darunter, welcher die Minimal-
zahl der Weddas erreicht.
Wesentlich erscheint dagegen der Unterschied in der Kopfform.
Der tamilische Schädel ist, nach diesen Exemplaren zu urtheilen, hypsi-
mesocephal, also ganz anders, wie der sinhalesische und der Wedda-
Schädel. Sein Breitenindex beträgt 76,3, sein Höhenindex 76,8. Dem
entsprechend ist sein querer Vertikalumfang gröfser, sein sagittaler Längs-
umfang kleiner. Auch in Bezug auf die Betheiligung der einzelnen
Knochen an der Bildung des Schädeldaches zeigt sich ein erheblicher
Unterschied: der Umfang der Hinterhauptsschuppe ist viel kleiner, da-
gegen der des Stirnbeins bedeutend grölser (S. 90), als bei Sinhalesen,
und noch mehr ausgesprochen bei Weddas. In der Basilaransicht (Taf. II.
Fig. 5) ist die grolse Kürze des Hinterhbaupts deutlich.
Ich mufs danach aussagen, dals die Schädelform der Tamilen,
soweit sie aus den in Betracht gezogenen Schädeln erkenntlich ist, eine
Verwandtschaft weder mit den Weddas, noch mit den Sinha-
lesen anzeigt.
Die Verhältnisse des Gesichts lassen sich in Kürze in folgende
Formeln zusammenfassen: Mesokonchie, Mesorrhinie, Mesoprosopie, Pro-
gnathie und Brachystaphylie. Dadurch entfernt sich das Tamilen-
Gesicht ganz bestimmt von dem sinhalesischen und nähert
sich mehr dem Wedda-Gesicht. Aber, wie ich schon erwähnt habe,
hindert der für die Tamilen (51) und die Weddas (50—52) fast über-
einstimmende Nasenindex keineswees, dals die erölste Verschiedenheit
oO") N ’
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 113
namentlich in der Bildung des Nasenrückens, stattfindet. Durch die
gröfsere Schmalheit der knöchernen Nase, sowie durch die vortretende,
wenig eingebogene, verhältnifsmäfsig scharfe Beschaffenheit des Rückens
tritt vielmehr eine gewisse Aehnlichkeit mit der sinhalesischen Nase her-
vor. Am wenigsten wäre es daher gerechtfertigt, die platte
nnd nach unten breite Nase der Weddas als ein tamilisches
Erbstück zu bezeichnen. Eine Vergleichung der Gesichtsprofile in
der Seitenansicht in Fig. 3 meiner 3 Schädeltafeln wird den Unterschied
in der Nasenbildung leicht erkennen lassen.
Ich könnte in gleicher Weise auf die Fig. 1 in Bezug auf die
Bildung der Augenhöhlen und auf Fig. 5 in Bezug auf die Bildung des
Gaumens verweisen. Indefs scheint es mir, bei der Schwierigkeit, diese
Verhältnisse in der Zeichnung gleich deutlich zu geben, dafs es das Ver-
ständnifs wesentlich erleichtern werde, wenn ich die Hauptlinien in ein-
facher Zusammenstellung in natürlicher Gröfse vorführe. Ich bezwecke
damit zugleich die Aufmerksamkeit mehr auf diese, bisher etwas vernach-
lässigten Punkte zu lenken, und für spätere Erörterungen scharf vorge-
zeichnete Fragen zur Diskussion zu stellen. Denn ich bin zu meinem
Bedauern nicht in der Lage, eine Verantwortlichkeit für die ethnogno-
monische Bedeutung meiner Linien zu übernehmen; ich kann nur sagen,
dafs ich diejenigen Schädel aus den drei Reihen ausgewählt habe, welche
mir nach reiflicher Prüfung die meiste Garantie dafür zu bieten scheinen,
dals sie den Stammestypus einigermaalsen sicher wiedergeben.
Die nächstfolgenden Holzschnitte, bei denen die 3, auf den bei-
gegebenen Tafeln dargestellten Schädel zu Grunde gelest worden sind,
Phys. Kl. 1881. Abh. |. 15
114 VırcHow: Ueber die Weddas von Ceylon
Tamil.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 115
zeigen die äulseren Umrisse der Augenhöhlen und der Nasen. Die Hori-
zontale, nach welcher die Schädel, auch in den Tafel - Abbildungen,
orientirt worden sind, ist die sogenannte „deutsche“ Horizontale, welche
vom tiefsten Punkte des unteren Augenhöhlenrandes zum höchsten Punkte
des oberen Umfanges des äufseren Ohrloches gezogen wird. Die Differenz
in der Gestalt des Einganges zur Augenhöhle wird auf diese Weise eben
so ersichtlich, als die Verschiedenheit in der Entfernung der Augenhöhlen
von einander und in der Stellung der Ränder des Örbitaleinganges zu
der Horizontalen.
Die Maafse und Indices der betreffenden Augenhöhlen sind folgende:
Breite: Höhe: Index:
Wedda 39 mm 33 mm 84,6,
Sinhalse 39 „, S0- 76,9,
Tamil ST mE; 32 5 36,4.
Hier erscheint demnach die Wedda-Augenhöhle mesokonch, die
sinhalesische chamaekonch, die tamilische hypsikonch. Die Differenz
zwischen den beiden ersteren beruht ausschliefslich auf der geringeren
Höhe, dagegen unterscheiden sich beide von der tamilischen durch ihre
gröfsere Breite.
Mit dieser Verschiedenheit vergesellschaftet sich aber auch eine
wesentliche Abweichung in der Biegung und dem Verlaufe der Ränder.
Die Biegung ist am geringsten bei dem Sinhalesen, bei welchem die oberen
und unteren Ränder nahezu geradlinig und einander parallel verlaufen,
so dals, da auch der äufsere Rand wenig ausgebogen ist, eine gedrückt
viereckige Gestalt mit ausgerundeten Ecken herauskommt. Bei dem Wedda,
wo die Augenhöhlen an sich am gröfsten sind, haben die Ränder eine
ziemlich gleichmälsige Ausbiegung, so dafs sich die Form des Orbital-
Einganges der runden nähert; nur ist die Diagonale von oben und innen
nach aufsen und unten grölser wegen der stärkeren Ausweitung gegen das
Wangenbein hin. Bei dem Tamilen endlich, bei dem die Höhe dominirt,
ist der obere Rand flach gewölbt und die Ausweitung gegen das Wangen-
bein stärker accentuirt; die Form des Orbital-Einganges wird dadurch eine
mehr schiefovale.
Zu diesen Verschiedenheiten tritt die wesentlich differente Bildung
der Stirn-Nasen-Gegend, welche aus folgenden Zahlen ersichtlich ist:
15”
116 Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon
Distanz der äufseren Orbitalränder Wedda: Sinhalese: Tamil:
(diam. biorbitaire) 95 mm 93 mm 90 mm,
Distanz der inneren Orbitalränder
(diam. interorbitaire) ee An
Untere Breite des Processus nasalıs
ossis frontis Dag nnd ,
GeradeLänge der Sutura nasofrontalis 9 „ 3. 2,
Bei den Tamilen stehen die beiden Orbitae einander am nächsten:
die Nasenwurzel ist schmal, aber stark vortretend, die Sutura nasofron-
talıs liegt tief und macht einen mehr geradlinigen horizontalen Verlauf,
und der Nasenfortsatz des Stirnbeins, obwohl stark vorgewölbt und mit
Spuren einer sehr gezackten Frontalnaht ausgestattet, ist in seiner (Quer-
Ausbildung wesentlich beeinträchtigt. Gerade umgekehrt ist die Ent-
fernung der Orbitae bei dem Wedda am gröfsten: der Nasenfortsatz des
Stirnbeins, in welchem gleichfalls noch ein Nahtrest der Sutura frontalis
persistirt, ist breit und voll; die Sutura nasofrontalis, obwohl kurz, springt
stark nach oben in das Stirnbein in die Höhe und liest daher sehr hoch,
so dals selbst die Sutura maxillo-frontalis jederseits einen schrägen Verlauf
nimmt; die Nasenwurzel selbst ist schmal und eingedrückt. Bei den
Sinhalesen sind die Verhältnisse wiederum verschieden, jedoch denen bei
dem Wedda ähnlicher: der Nasenfortsatz des Stirnbeins ist noch breiter
und voller, die Stirnnasennaht mehr gleichmäfsig gekrümmt und nach
oben ausgreifend, daher höher gestellt, als bei dem Tamilen, die Entfer-
nung der Orbitae am beträchtlichsten, die Nasenwurzel selbst breiter, als
bei dem Sinhalesen, aber der Rücken am Ursprung mehr eingebogen, als
bei dem Tamilen.
An der Nase ist die Form der Apertur bei dem Tamilen derjenigen
bei dem Sinhalesen ähnlicher, als der bei dem Wedda. Die erstere hat
eine Breite von 25, die letztere von 24, die bei dem Sinhalesen von 26 mm.
So kommt es, dafs die Nase des Tamilen und die des Sinhalesen platyrrhin,
die des Wedda mesorrhin ist; die Indices lauten 53,1, 57,7, 50,0. Trotz-
dem ist die Wedda-Nase in ihrem Ansatz mehr abgeflacht und zurück-
gedrängt, die sinhalesische und tamilische dagegen vortretend, und zwar
die tamilische mehr, als die sinhalesische. Der Eindruck der grölseren
Breite der Nasenwurzel bei dem Sinhalesen ist jedoch nur scheinbar; er
wird dadurch hervorgebracht, dafs die Nasenbeine mehr in das Niveau
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. B17
der Stirnfortsätze der Oberkiefer zurücktreten und daher der ganze kaum
zwischen den Augenwinkeln gleichmäfsiger und flacher wird. In Wirk-
lichkeit ist nicht nur die Nasenwurzel, sondern überhaupt die ganze
knöcherne Nase des Wedda schmaler, als die der beiden anderen Schädel.
Ich kann in dieser Beziehung nur von Neuem hervorheben, dafs die Nasen-
indices, welche auf diese Weise aus dem Verhältnifs zwischen Breite der
Apertur und Höhe der ganzen Nase genommen werden, kein Bild der
vortretenden Theile der Nase gewähren. Was die Apertur selbst betrifft,
so ist sie bei dem Wedda, einigermaalsen dem europäischen Schema ent-
sprechend, birnförmig, bei den beiden anderen, besonders bei dem Sinha-
lesen, mehr dreieckig.
Eine weitere Vergleichung der linearen Begrenzungen mag die
nachstehende Darstellung der Gaumenbildung ermöglichen:
RE —
Famıll
118 Vırcnow: Ueber die Weddas von Ceylon
Ich beginne auch hier mit den Zahlen:
Länge: Breite: Index:
Wedda 48mm 36mm 75,0,
Sinhalese..53.1, n4Orls: old
Tamil 49, en anii
Darnach sind die Gaumen des Wedda und des Sinhalesen lepto-
staphylin, der des Tamilen brachystaphylin. Letzterer weicht in der That
in der Bildung am meisten ab: seine grolse Breite und Kürze stehen zu
der Schädelform in einem richtigen Verhältnilse. Ihm zunächst kommt,
nicht im Index, wohl aber in der Form der Zahncurve, der Wedda-Gaumen,
der sich am meisten dadurch unterscheidet, dafs die Zahncurve nach
hinten wiederum etwas zusammengeht und somit eine mehr hufeisenför-
mige Gestalt annimmt. Gänzlich verschieden von dem Tamilen, jedoch
auch abweichend von dem Wedda ist der Sinhalese: bei ıhm ist die
Gaumenplatte ungewöhnlich lang und zugleich beträchtlich breit, somit sehr
grols, aber die Zahncurve bildet nicht, wie bei den beiden anderen, eine
mehr gleichmälsige Biegung, sondern die Seitentheile verlaufen mehr
geradlinig, gestreckt und einander parallel, während die Incisiven-Gegend
eine mehr flache, breite, nach vorn vorgeschobene Biegung bildet. Auf
den relativ starken Antheil, welchen das Os palatınum an der Bildung
der Gaumenplatte bei dem Sinhalesen nimmt, ist schon früher hingewiesen
worden. Hier kann noch erwähnt werden, dafs die Zähne bei dem
Sinhalesen am stärksten entwickelt sind und dafs namentlich die I Molaren
ungewöhnlich grofse Kronen haben. Bei dem Tamilen sind die Alveolen
der Schneide- und Eckzähne sehr grols; ebenso übertrifft hier der I Molar
die übrigen bei Weitem an Grölse. —
Die mitgetheilten Thatsachen in Bezug auf drei der wichtigsten
Gegenden des Gesichtsskelets dürften genügen, um darzuthun, mit wie
grolsen Schwierigkeiten die Ergründung der Verwandtschaftsverhältnisse
der drei Stämme umgeben ist. Nimmt man in hergebrachter Weise die
Indices als Leitfäden, so erhält man für jede Region eine andere Combi-
nation. Es stehen sich nehmlich am nächsten
1) nach dem Orbitalindex der Wedda und der Tamil,
NR „ Nasenindx ,„ Tamil“. .„ 7, Sinhalese,
BIC HEN „ Gaumenindex „ Sinhalese„ „ Wedda.
u u
| ee
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 119
Indefs darf man nicht vergessen, dafs hier von jedem Stamme nur
ein Individuum genommen ist, und dafs schon aus den von mir ange-
führten Untersuchungen hervorgeht, dafs die gewählten Individuen keines-
wegs in allen einzelnen Verhältnissen mit dem Mittel ihres Stammes über-
einstimmen. So ist der Tamil platyrrhin, während das von mir gefundene
tamilische Mittel mesorrhin war (S. 93). Entspricht dieses Mittel dem
typischen Stammesverhältnifs, so würde die Tamilen-Nase der Wedda-
Nase mindestens so nahe stehen, wie der sinhalesischen. Und doch
unterscheidet sie sich, wie ich des Weiteren dargethan habe, in allen
anderen Beziehungen sowohl von der Wedda-, als von der Sinhalesen-Nase.
Bei der geringen Zahl von Schädeln, welche mir direkt zur Ver-
fügung standen, und dem mehrfach defekten oder sonst zweifelhaften
Zustande einzelner derselben war ich genöthigt, meine Abbildungen von
denjenigen herzunehmen, welche die meisten Merkmale regelmälsiger Ent-
wickelung an sich tragen. Aber ich kann keineswegs behaupten, dafs sie
in allen Stücken typische Formen darstellen, und dafs meine Darstellung
vor grolsen Correkturen sicher ist. Darüber kann erst die Zukunft ent-
scheiden, und meine Arbeit wird ihren Zweck erfüllt haben, wenn sie die
Herbeiführung neuen und besseren Materials beschleunigt.
Für jetzt kann ich nur das Eine aussagen, dals, soweit sich bis
jetzt die physischen Verhältnisse übersehen lassen, eine nähere Ver-
wandtschaft der Tamilen mit den Weddas eben so wenig her-
vortritt, als mit den Sinhalesen.
Damit ist nun freilich die Frage, ob in den Weddas oder den
Sinhalesen ein dravidisches Element steckt, nicht abgeschlossen. Die
gegenwärtigen Tamilen auf Ceylon sind keineswegs typische Repräsen-
tanten aller der Stämme Vorderindiens, welche man gewöhnlich als
dravidische zusammenfafst. Je weiter man in das Specialstudium der
letzteren eingedrungen ist, um so mehr Verschiedenheiten unter ihnen
sind zu Tage getreten, und noch jetzt ist es nicht gelungen, mit Sicher-
heit nachzuweisen, welche der sogenannten dravidischen Stämme näher
zusammengehören und welche als die reinsten anzusehen sind. Nun
wissen wir aber, dafs ım Laufe der Jahrtausende „Malabaren“ von den
verschiedensten Küstenstrichen der vorderindischen Halbinsel Einfälle und
Ansiedelungen auf Ceylon versucht und ausgeführt haben, nicht blofs von
120 VırcHow: Ueber die Weddas von Ceylon
den nächsten Küstenpunkten aus, sondern auch von ganz nördlichen
Bezirken (S. 29). Ehe man ein entscheidendes Urtheil ausspricht, mülsten
alle diese Stämme der Reihe nach verglichen werden.
Zu einer derartigen Vergleichung ist hier nicht der Ort. Auch
würde das vorhandene Material dazu nicht ausreichen. Ich will mich
darauf beschränken, auf die Erörterungen des Hrn. Callamand!) über
die Maravars hinzuweisen und ein eigenes Beispiel anzuführen. Durch Ver-
mittelung des Hrn. F. Jagor erhielt ich von Dr. Burnell 3 Schädel
niederer Kasten von Tanjore, also gerade aus der Gegend, welche dem
Chöla oder Soli (Sollee) der sinhalesischen Annalen entspricht (S. 29).
Von diesen 3 ist der eine, welcher durch eine grofse hintere Gaumen-
spalte ausgezeichnet ist, so abweichend gebildet, dafs er als pathologisch
ausgeschieden werden mufs. Die beiden anderen dagegen sind sich bis
auf die allerdings auch ganz verschiedene Gaumenbildung höchst ähnlich,
wie aus der Aufzählung der Hauptindices hervorgeht:
Breitenindex 73,3 75,4,
Höhenindex 76,1 US.
Orbitalindex 85,3 80,4,
Nasenindex 51,0,2450;0;
Gaumenindex 73,0 90,0.
Genau genommen stimmen nur die Höhen- und die Nasenindices
gut überein: beide Schädel sind hypsicephal und mesorrhin. Dagegen
finden sich bei allen anderen Indices Differenzen, welche eine Einordnung
der beiden Schädel je nach den besonderen, in Betracht gezogenen Ver-
hältnissen in andere Kategorien nothwendig machen. Der eine ist dolicho-
cephal, der andere mesocephal, — was ist hier das Typische? Der eine
ist hypsikonch, der andere mesokonch, der eine leptostaphylin, der andere
brachystaphylin. Wonach soll hier entschieden werden?
Freilich kann man sagen, dafs in solchen kleinen Vergleichungen
der Zufall der Zahlen nicht selten eine höhere Bedeutung erlangt, als
ihm zukommt. Die Differenz der Breitenindices ist z. B. genau eben so
grols, nehmlich 2,1, wie die Differenz der Höhenindices, und doch bedingt
jene eine Zuordnung des einen Schädels zu den Dolichocephalen, des
1) Revue d’anthropologie. 1878. Ser. I. T.I. p. 607.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 121
andern zu den Mesocephalen, weil zufällig die Grenzzahl zwischen beiden
Bezeichnungen 75 ist und diese Zahl zwischen 73,3 und 75,4, den beiden
Indices, liegt; dagegen hindert die gleichgrofse Differenz der Höhenindices
nicht, dafs beide Schädel derselben Kategorie, nehmlich den Hypsicephalen,
zugewiesen werden, da sowohl die Zahl 76,1, als 78,2 innerhalb der
angenommenen Extreme liegt. Welche dieser Zahlen mehr, welche
weniger zufällig ist, vermag ich nicht zu entscheiden, und das Berechnen
eines Mittels aus den 2 Einzelfällen würde zu der Entscheidung nichts
beitragen.
Trotzdem kann ich sagen, dafs die Tanjore-Schädel den Tamilen
von Ceylon verhältnifsmäfsig nahe stehen. Auch bei diesen fand ich nicht
geringe individuelle Verschiedenheiten, und zwar im Breitenindex genau
dieselben. Denn der letztere betrug bei den 3 Tamilen-Schädeln 72,0, 74,8
und 75,3. Im Uebrigen aber sind so viele Analogien zwischen beiden
Gruppen vorhanden, dafs ich, trotz des abweichenden, pathologischen
Schädels von Tanjore, die Zusammengehörigkeit der Leute von
Tanjore mit den heutigen Tamilen von Ceylon für sehr wahr
scheinlich halte.
Allein das Königreich Chöla oder Soli war schon im Alterthume
ein „eivilisirter“ Staat. Neben demselben erscheinen schon früh die wil-
den Bergstämme der Nilagerris, welche sich in ihren Resten noch bis auf
die heutige Zeit erhalten haben, namentlich die Kurumbas (Curumbars,
Kurubas). Sie wurden von den Königen von Chöla unterworfen und
existiren gegenwärtig nur noch in dürftigen Ueberresten!). Eine Reihe
von Messungen und sonstigen Untersuchungen über diese Leute verdanken
wir Hrn. F. Jagor?), darunter auch einige über die halbwild in den
Wäldern lebenden Naya-Kurumbas. Von letzteren hat derselbe auch ein
Skelet mitgebracht, welches im Besitz der Berliner anthropologischen
Gesellschaft ist. Dasselbe gehörte einem Weibe an und zeichnet sich
durch seine ungewönliche Zartheit und Kleinheit aus. Es hat eine Höhe
von 1310 mm und der Schädel ergiebt folgende Indexzahlen:
1) James Wilkinson Breeks. An account of the primitive tribes and monu-
ments of the Nilagiris. London 1873. p. 55.
2) Zeitschrift für Ethnologie 1879. Bd. XI. S. 54 folg.
Phys. Kl. 1881. Abh. 1. 16
Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon
—
LO
15)
Breitenindex 74,6,
Höhenindex 74,6,
Gesichtsindex 81,8,
Orbitalindex 91,1,
Nasenindex 63,8,
Gaumenindex 64,0.
Es ist also ein orthodolichocephaler, chamaeprosoper Schädel, der
hypsikonch, hyperplatyrrhin und leptostaphylin ist. Sein Rauminhalt
beträgt nur 960 Cub.-Cm., genau dasselbe nannocephale Maafs, welches
Hr. Flower bei dem kleinsten Wedda-Schädel des Hunter’schen Museums
ermittelte und welches er für das überhaupt kleinste eines menschlichen
Schädels in dieser Sammlung erklärt (S. 49). In der That fordert dieses
Skelet zu Vergleichungen mit den Weddas auf. Die Schädelmaalse zeigen
eine grolse Uebereinstimmung, während die Tamilen, sowohl von Ceylon,
als von Tanjore, namentlich im Höhenindex, wesentlich abweichen. Die
Gesichtsbildung ist von beiden, sowohl von den Weddas, als auch von
den Tamilen verschieden, jedoch von den Weddas nicht so sehr, dafs eine
ethnologische Trennung als sicher bezeichnet werden könnte.
Die Messungen des Hrn. Jagor an Lebenden ergaben im Grofsen
ähnliche Verhältnisse, obwohl einzelne erhebliche Abweichungen vor-
kommen, welche nicht wohl mehr aufgeklärt werden können. Bei den
Naya-Kurumbas fand er durchweg geringe Körperhöhe, und obwohl
darunter sehr jugendliche Individuen waren, so zeigten doch ältere, hier
ausschliefslich Weiber, eher noch kleinere Formen. Ich stelle die Zahlen
kurz zusammen:
Körperhöhe: Schädelindex:
19jähriger Mann 1435 mm 69,4,
l5jähriges Mädchen 1402 mm 71,0,
25jährige Frau 1345 „
5 las $; 1305 „ 82,4,
Mittel der Frauen 1350 mm.
Bei den „weniger wilden“ Kurumbas ergaben sich folgende Zahlen:
Körperhöhe: Schädelindex:
18jähriger Mann 1492 mm 21,6;
, 1m bee 73,1,
23
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 123
27jähriger Mann 1529 mm 80,2,
3nlei, n 1593 , 69,8,
Big R 1589 , Ar
Mittel der Männer 1529 mm.
22jährige Frau PAR,
0 5 » 1410 „
Mittel der Frauen 1440 mm.
Inwieweit der Unterschied in der Körperhöhe ein durchgehender ist,
läfst sich nicht beurtheilen; jedenfalls sind die Frauen in beiden Stämmen
nicht nur kleiner, sondern auch absolut klein. Aber man wird auch die
Kurumbas überhaupt als klein ansehen müssen. Hr. Ross King!) hebt
in seiner Beschreibung der Aboriginer-Stämme der Nilagerris die Kurumbas
als ganz besonders verkümmerte Wesen hervor: low in stature, they are
also ill-made. They are among the most debased types of mankind.
Die Kopfindices sind in beiden, vorher angeführten Reihen dolichocephal
und zwar in sehr ausgeprägter Weise. Der Umstand, dafs in jeder Reihe
ein brachycephaler Kopf vorkommt, ist vielleicht der Erschwerung des
Messens an Lebenden zuzuschreiben.
Ich gehe auf diese Erörterung nicht weiter ein. Es lag mir vor-
läufig nur daran zu zeigen, dafs die Körperbeschaffenheit der Tamilen, auch
unter Heranziehung derer von der Küste Coromandel, nicht genügt, um
an ihnen den dravidischen Typus vollständig darzustellen. Dicht neben
ihnen, im Gebirge Vorderindiens, stofsen wir auf andere Dravidas, welche
allem Anschein nach wesentlich verschieden sind. Will man also Bezie-
hungen der Weddas und vielleicht selbst der Sinhalesen mit dravidischen
Indiern aufsuchen, so wird es gerathen sein, über die Küstenbevölkerung
hinauszugehen und die Bergstämme mit in Vergleichung zu ziehen.
Nun ist aber auch damit die Erörterung nicht an ihr Ende ge-
langt. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind auch die jetzigen Bergstämme
noch nicht die eigentlichen Aboriginer Vorderindiens. So werden in der
Tradition neben den Kurumbas als älteste Bewohner von Tondamandalam
(Madras) die Vedars genannt; von ihnen, soweit es scheint, wird gesagt:
1) ‚Journal of Anthropology. 1570—71. London p. 46.
16:2
124 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
There were then no forts, only huts; no kings, no religion, no civilization,
no books; men were naked savages; no marriage institutions!). Ich will
auf den Namen der Vedars, der wahrschemlich gleichfalls Jäger bedeutet,
kein Gewicht legen, indefs ist die Erwähnung solcher Aboriginer immer-
hin bemerkenswerth, da auch in dem ältesten indischen Epos, dem
Ramayana, von Kämpfen Vishnu’s mit fabelhaften Asurs die Rede ist,
die man sich als die Urbevölkerung Vorderindiens und auch Ceylons zu
denken hat. Rama selbst, der von Oude stammen soll, führt Krieg gegen
Rawana, den König von Ceylon (Lanka) und Vertreter des Yakkho-
und Rakshasas-Dienstes, und überwältigt ihn. Sonderbarerweise hat sich
bei den Hayas (Vayas, Haius) in Nepal eine Tradition erhalten, dafs sie
zur Zeit, als Rawana erschlagen wurde, von Ceylon nach dem Dekkhan
auswanderten und später von da nach Samroanghar und endlich in die
Berge ihrer jetzigen Heimath kamen?). Dasselbe erzählen die Varalis,
welche die Berge von Konkan bewohnen ?), von ihrem Stamme. Alle
diese Ueberlieferungen haben natürlich keinen entscheidenden Werth für
die Diagnostik der verschiedenen Stämme, aber sie müssen uns davor
warnen, die Untersuchung über die Aboriginerstämme Ceylons und Indiens
einfach nach groben linguistischen Merkmalen oder nach den physischen
Merkmalen einzelner, besser bekannter Stämme abzuschliefsen. Gleichviel,
ob man die älteste Bevölkerung Ceylons über die schmale Meeresstrecke,
welche die Insel von Vorderindien trennt, auf Fahrzeugen einwandern
oder sie schon vor der so oft vermutheten und durch die Fauna
Ceylons höchst wahrscheinlichen Abtrennung der Insel vom Festlande
präexistiren läfst, so wird man sich der Ueberzeugung nicht verschlielsen
können, dafs sie mit indischen Aboriginerstimmen in einer näheren
Beziehung stehen muls. Ob dieses altdravidische oder noch vordravi-
dische Stämme waren, läfst sich im Augenblick nicht mit Sicherheit
bestimmen.
I) Breeks l. c. p. 55. Prichard l.e. IV. p. 182.
2) Dalton. Beschreibende Ethnologie von Bengalen, bearbeitet von Oscar Flex.
Zeitschrift für Ethnologie. 13874. Bd. VI. S. 229.
3) Louis Rousselet. Tableau des races de l’Inde centrale. Revue d’anthro-
pologie. Paris 1373. T. II. p. 69.
ie
ee
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 125
Die Ueberlieferungen, soweit sie auch zurückgehen mögen, gewähren
in dieser Beziehung nur spärliche Aufklärung. Hr. Zimmer!) hat neuer-
lich aus den vedischen Büchern eine umfassende Darstellung der Völker-
verhältnisse Indiens in der Vorzeit geliefert, aber sie ergiebt kaum einen
näheren Anhalt für die Beurtheilung der vorarischen Zustände. Als die
„hellhäutigen“ Arier vom Penjab aus in das spätere Hindostan einbrachen,
trafen sie dasselbe von zahlreichen Stämmen der „schwarzen Haut“
besetzt. In den Veden werden dieselben mit dem generischen Namen
der Dasyu oder Dasa bezeichnet. Ein groflser Theil derselben wurde in
dem Maalse, wie die Eroberer weiter im Gangesthal vordrangen, beider-
seits in die Berge zurückgeworfen, nördlich in den Himalaya, südlich in
die Vindhya; die, welche sitzen blieben, wurden als Sudras in die Orga-
nisation der Arier mit aufgenommen. Nichts steht daher der Annahme
entgegen, dafs die Bergvölker ım Allgemeinen den Aboriginerstämmen
angehören. Aber nichts zwingt auch dazu, alle diese Stämme der Dasyu
für homophyl zu halten. Hat man doch in neuerer Zeit angefangen,
schon der Sprache nach die Dravidier von den kolarischen Stämmen?)
zu trennen. Sollte einem so wichtigen linguistischen Gegensatz gegenüber
eine physische Uebereinstimmung angenommen werden? Am kühnsten
sind in dieser Beziehung die französischen Anthropologen vorgegangen.
Hr. Rousselet?) läfst mit grofser Bestimmtheit vor der arischen
Invasion eine Einwanderung von tibetanischen Stämmen der gelben Rasse
vom Osten und eine andere von Turaniern vom Westen her erfolgen,
aber er nimmt vor beiden schon eine Bevölkerung von Negritos an. Aus
der Vermischung der letzteren mit gelben Stämmen läfst er zunächst
Protodravidier hervorgehen, und zu diesen rechnet er die Malers, die
Konds, vielleicht die Gounds; erst, als neu nachrückende Schaaren sich
wiederum mit diesen Protodravidiern mischten, entstanden nach seiner
Meinung die eigentlichen Dravidier oder Tamilen. Sie brachten den
Schlangendienst (Nagas) mit sich. Aus der Einwanderung der Turanier
1) Heinrich Zimmer. Altindisches Leben. Die Cultur der vedischen Arier.
Berlin 1879. S. 100 folg.
2) Dalton. Zeitschrift für Ethnologie a. a. O. S. 252.
3) Rousselet |. c. p. 55, 279. Pl. III.
126 Vırcnow: Ueber die Weddas von Ceylon
dagegen entstanden in der Ebene die Jats, im Gebirge die Bhils, Minas,
Mhairs. Als letzte Reste der schwarzen Vorbevölkerung betrachtet er die
zerstreuten Reste einer kleinen, schwarzen Bevölkerung auf den Hoch-
plateaus des Amarkantak, die unter dem Namen der Djangals, Puttuas
und Juangas bekannt geworden sind. Sonderbarerweise sind dies gerade
solche Stämme, welche schon Sir Tennent und Mr. Bailey (8. 110) zur
Vergleichung mit den Weddas herangezogen hatten. Aber von den
Juangas (Dschuangs) berichtet Colonel Dalton, dafs sie zu den Kolariern
gehören, dafs ihr Haar grob und gekräuselt, röthlich braun, ihre Backen-
knochen vorspringend, das Gesicht platt, die Nase gedrückt, die Stirn
senkrecht, aber niedrig sei; die Durchschnittshöhe der Männer giebt er
auf unter 5, die der Frauen auf 4 Fuls 8 Zoll an!). In dieser Schilderung
sind eben so viel mongolische, als Negrito-Züge enthalten.
Wenn ich daher immer noch grofse Bedenken gegen die Zulässig-
keit der Unterscheidungen des Hrn. Rousselet und namentlich gegen die
Annahme einer wahren Negrito-Rasse in Indien als einer aboriginalen
hege, so will ich doch dem Gedanken in keiner Weise entgegentreten,
dafs auch schon die Stämme „der schwarzen Haut“, welche die Arier im
Gangesthal vorfanden, gemischte waren. Wie viel mongolisches, turani-
sches oder Negritoblut in ihnen flofs, mufls wohl vor der Hand noch
dahingestellt bleiben. Aber das ist gewils nicht unwahrscheinlich, dafs
nicht alle Dasyu Dravidier waren und dafs auch schon vor den Proto-
dravidiern des Hrn. Rousselet vordravidische Stämme im Lande ge-
sessen haben. Weder die Mongolen, noch die Turanier geben eine
genügende Erklärung für die klemwüchsigen Stämme der „schwarzen Haut“,
auf welche schon die Erzählung des Plinius?) von den, in den Gebirgen
des Landes der Prasier wohnenden Pygmäen hindeutet. Die Nachrichten,
welche bis jetzt über dieselben vorliegen, sind leider so mangelhaft, dafs
sie sich für jede Ansicht verwerthen lassen. Die Herren de Quatrefages
!) Die Juang-Weiber tragen noch jetzt als Bekleidung nur Baumzweige, welche
durch einen Gurt zusammengehalten werden. Insofern gleichen sie den Wanne-Weddas
(oben S. 26). Aber nach den Citaten des Hrn. Jagor (a. a. ©. S. 167) haben auch die
Weiber der Koragars, einiger Gond-Gruppen und der Chauchwa in Vorderindien nur
Blätterbekleidung.
2) Plinius. Natur. hist. Lib. VI. ce. 22.
GG
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 127
und Hamy!) haben eine Zusammenstellung der Berichte über die
„Negritos Indiens“ geliefert, aus welcher sie mit Bestimmtheit folgern,
dafs an sehr verschiedenen Stellen des Landes noch jetzt wahre Negritos
vorhanden seien. Ich kann diesen Beweis nicht als genügend erachten,
wenngleich ich nicht in Abrede stelle, dals die Frage eine discutable ist.
Meine Bedenken dagegen will ich nur an einem Beispiele kurz erörtern,
das freilich nicht von Indien, sondern von wahren Negritos der Nachbar-
schaft hergenommen ist.
Die sogenannte Negrito- (oder Mincopie-) Rasse, welche in
verschiedenen, zum Theil sehr zerstreuten Gliedern östliche Nachbar-
gebiete, namentlich verschiedene Inselgruppen und Theile der Halbinsel
Malacca bewohnt, zeigt unzweifelhaft durch ihre dunkle Hautfarbe, sowie
durch die Kleinheit der Statur und namentlich des Kopfes eine auffällige
Annäherung an Weddas und Kurumbas. Als räumlich nächstes Glied
sind die kleinen Schwarzen zu erwähnen, welche die Andamanen bewohnen.
In der That hat Hr. Hartshorne?) auf gewisse Analogien zwischen
Weddas und Andamanesen hingewiesen. Allein seine Hinweise beziehen
sich ausschliefslich auf einzelne Gebräuche und Fähigkeiten, z. B. auf den
(Gebrauch von Bogen und Pfeilen, auf das mangelhafte Zählen; sie berühren
das physische Gebiet nirgends. Es läfst sich jedoch nicht leugnen, dafs
die Andamanesen durch die vorher aufgeführten Merkmale auch physisch
den Weddas nahe stehen. Nach den Messungen des Hrn. F. Jagor?°)
an Lebenden berechne ich die Körperhöhe der Andamanesen im Mittel von
17 Männern zu 1488 mm,
10 Weibern zu 1416'. ,
27 Andamanesen zu 1462 mm.
Dabei betrug das Minimum bei einem 20jährigen Manne 1350, bei
einer 24jährigen Frau 1520, das Maximum bei einem 40jährigen Manne
1636, bei einer 20jährigen Frau 1504 mm. Das sind Verhältnisse, welche
1) A. de Quatrefages et Ernest T. Hamy. Crania ethnica. Livr. V. p. 189.
*) Journal of the Anthrop. Institute of Great Britain and Ireland. 1878. Vol.
VII. p. 468.
3) Zeitschrift für Ethnologie 1875. Bd. VII. Verhandl. der anthropol. Gesellsch.
S. 262. Desgl. die englischen Angaben im Journ. Anthropol. Instit. 1. c. p. 437.
128 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
zum Theil noch unter das für die Weddas gefundene (S. 42) Maafs her-
untergehen, im Grofsen demselben gleichkommen. Was die Capacität des
Schädels betrifft, so ist dieselbe durchschnittlich sehr gering: ich kann
nach Messungen an Andamanesen-Schädeln, welche ich der Güte der
Herren Macnamara und Man verdanke, mittheilen, dafs dieselben bis
an, ja noch unter das Maafs von Nannocephalie heruntergehen, welches die
Weddas und die Kurumbas darbieten. Einer meiner Schädel hat eine
Capacität von nur 940 Cub.-Cm; ein anderer zeigt 970, ein dritter
1050 Cub.-Cm.
So ähnlich diese Zahlen denen der Weddas sind, so grols ist die
Differenz, welche die Schädelform darbietet. Die Andamanesen sowohl,
wie die Negritos überhaupt, sind wesentlich brachycephal, und schon dieser
eine Umstand unterscheidet sie definitiv von allen ceylonesischen Rassen.
Nimmt man dazu, dafs ihr Haar in Spiralrollen wächst und sich dem
Wollhaar der eigentlichen Neger anreiht, so fällt jede Möglichkeit einer
Vereinigung mit den Weddas fort, wenn man nicht annehmen will,
worauf ich noch zurückkommen werde, dafs klimatische Einflüsse gerade
das Haar stark beeinflulst haben. Indefs dürfte auch die Hautfarbe
erhebliche Unterschiede darbieten, da sie von den meisten Bericht-
erstattern als rein schwarz bei den Andamanesen, dagegen von vielen
Beobachtern als heller bei den Weddas, ja von dem sehr zuverlässigen
Davy sogar als der der Sinhalesen ähnlich (S. 40) geschildert wird.
Noch viel weniger Analogie besteht zwischen Weddas und Austra-
liern. Könnte man allenfalls hervorheben, dafs das Kopfhaar, vielleicht
auch das Barthaar der Australier ähnlich beschaffen ıst, wie das der
Weddas, so lehrt doch ein Blick auf die Schädel und noch mehr auf die
Skelette der Australier, dafs hier grofse und unverkennbare Gegensätze
bestehen. Trotzdem hat noch neuerlich Hr. Topinard!) die australische
Verwandtschaft sowohl der Weddas, als der Bhils, Gonds, Khonds,
Mundas, Kurumbas u. s. w. sehr bestimmt betont. Ich darf auch in dieser
Beziehung auf die in ausreichender Zahl beigebrachten Gegengründe seines
Landsmannes, des Hrn. ÖOallamand?) verweisen.
!) Paul Topinard. L’anthropologie. Paris 1577, p. 521.
2) Callamand |. c. p. 624,
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 129
Ungleich eomplieirter ist die Frage, ob nicht etwa malayische
Elemente in die Urbevölkerung Ceylons eingetreten sind, wie man aus
den Schiffseinrichtungen (S. 32) nicht ohne einen .materiellen Grund ge-
schlossen hat. Der Umstand, dafs die Malayen ihre -Besiedelungen noch
viel weiter, z. B. bis Madagascar ausgedehnt haben, lest den Gedanken
nahe, dafs sie auf Ceylon eine Art von Zwischenstation gegründet haben
könnten. Indefs sind naheliegende physische Merkmale für eine solche
Verwandtschaft nicht vorhanden, und ich möchte daher um so weniger
auf eine weitere Besprechung dieser Möglichkeit eingehen, als der vielfach
vermuthete Zusammenhang der Malayen mit altindischen Bevölkerungen
ohnehin eine derartige Untersuchung in schwerster Weise belastet. Die
einzige neuere Angabe über eine physische Aehnlichkeit zwischen Sinhalesen
und Malayen, welche ich finde, ist von einem amerikanischen Missionar
in China, Mr. Williams!), der bei den ersteren a Malay expression of
countenance bemerkt zu haben glaubte.
Thatsächlich werden wir durch die voraufgehenden Erörterungen
als nachgewiesen ansehen dürfen:
1) dafs zwischen Weddas und Sinhalesen vielfache Aehnlichkeiten
bestehen, und dals die Entstehung der sinhalesischen Rasse aus
einem Gemisch von Weddas und indischen Einwanderern sowohl
aus historischen, als auch aus anthropologischen Gründen die
Wahrscheinlichkeit für sich hat;
2) dafs sowohl die Weddas, als die Sinhalesen sich in Hauptstücken
sowohl von den Tamilen Ceylons, als von denen von Tanjore
(Chöla) unterscheiden;
3) dals dagegen unter den Resten der älteren dravidischen oder viel-
leicht schon vordravidischen Stämme Vorderindiens sich noch jetzt
Analogien mit den Weddas nachweisen lassen.
1) United States Exploring Expedition during the years 1855 —42. Vol. IX.
Pickering. The races of man. Philadelphia 1545. p.- 136.
Phys. Kl. 1851. Abh. 1. 17
130 VırcHmow: Ueber die Weddas von Ceylon
Sind nun die Weddas in dem Zustande dieser altdravidischen oder
vordravidischen Bevölkerung stehen geblieben? oder sind sie in ihrer
Isolirung in einen Zustand niederer Art versunken, als derjenige war, den
sie ursprünglich einnahmen? Mit anderen Worten, sind sie ethnologisch
zu verwerthen, um das Bild dieser uralten Periode neu auszumalen,
oder nicht?
An früheren Stellen (S. 15, 28, 99) habe ich dargelegt, warum es
nicht anzunehmen ist, dals die Weddas jemals in einem Zustande höherer
Civilisation sich befunden haben. Wollte man trotz der, wie mir scheint,
zwingenden Gründe, welche zu dieser Auffassung führen, doch annehmen,
sie seien vermöge ihrer ungünstigen äulseren Lebensverhältnisse nach und
nach körperlich herabgekommen, und der niedere, geistige Zustand, in
dem sie sich jetzt befinden, sei die Folge der verschlechterten körper-
lichen Einrichtung, so müfste man sich vorstellen, sie seien ein patho-
logischer Stamm. Die Kleinheit und Zartheit ihres Knochenbaues,
vor Allem die geringe Gröfse ihres Schädels und die daraus abzuleitende
Kleinheit ihres Gehirns könnte in der That die Hypothese nahe legen,
sie seien eine Art von Öretinen oder Mikrocephalen.
Unzweifelhaft mufs das Gehirn der Weddas sehr klein sein. Eine
direkte Bestimmung desselben besitzen wir nicht, und eine Berechnung
ist sehr unsicher. Hr. v. Bischoff!) hat die Ungenauigkeit der vor-
geschlagenen Methode, das Hirngewicht nachträglich aus dem Maafs der
Schädeleapacität zu berechnen, ausführlich nachgewiesen. Indefs kann man
der Methode einen wenigstens approximativen Werth beilegen, und ich will
nachstehend einige solche Berechnungen aufstellen. Die erste ist nach
der Methode des Hrn. Barnard Davis, der für die Hirnhäute, Gefälse
u.s. w. 15 pCt. von der Zahl für die Schädelcapaeität m Abzug bringt
und den Rest als Hirngewicht anspricht. Die zweite ist nach den Be-
stimmungen des Hrn. v. Bischoff, welcher ermittelte, dafs die Capaeität
des trockenen Schädels bei Männern um 11,9, bei Weibern um 8,8 pCt.
Cubikcentimeter grölser sei, als das Gewicht des Gehirns an Grammen
betrage. Darnach wäre das Hirngewicht der Weddas
1) Theodor L. W. v. Bischoff. Das Hirngewicht des Menschen. München 1880. S. 66.
Te een a EEE
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 131
nach der Methode von Davis: nach den Bestimmungen von Bischoff:
bei Männern 1136 Gramm 1177 Gramm,
„ Weibern 1021 " 1105 R
im Mittel 1072 Gramm,
bei No. 679 Flower 816 kn 875 Gramm.
Diese Zahlen, so ungenau sie auch sein mögen, bezeichnen doch
einen höchst auffälligen Gegensatz gegen die Gehirnverhältnisse der Cultur-
Rassen, ja die Zahlen für das nannocephale Mädchen sind so klein, dafs
man allen Grund hat zu fragen, ob dies noch physiologische Verhältnisse
seien. Nimmt man dazu die scheinbar so geringe Befähigung der Weddas
zu geistiger Entwickelung, die fast vollständige Abwesenheit aller idealen
Richtungen des Denkens, die Unfähigkeit zum Zählen und noch mehr
zum Rechnen, den Mangel des Farbensinns, so liegt die Frage scheinbar
nahe, ob dies nicht schon Mikrocephalie im pathologischen Sinne sei.
Wir können diese Frage bestimmt verneinen: so wenig der kleine Wedda-
Schädel ein Mikrocephalen-Schädel im technischen Sinne dieses Wortes
ist, so wenig entspricht das geistige Wesen der Weddas dem geistigen
Zustande der Mikrocephalen. Die Individualität der Weddas ist auch in
psychischer Beziehung bis zur völligen Selbständigkeit entwickelt. Soweit
ihre Bedürfnisse es erfordern, haben sie ihre Fähigkeiten ausgebildet und
sind sie im Stande, den ererbten Gewohnheiten gemäls für sich selbst
und die Ihrigen zu sorgen. Sie gründen ihren Familienstand, sie wahren
ihr freilich sehr unbestimmt begrenztes Eigenthum, sie schaffen sich, zum
Theil mit grofser Anstrengung und Schlauheit, die nöthige Nahrung, sie
verkehren selbst, soweit sie es nicht umgehen können, mit Nachbarn und
Fremden nach Art freier und sich selbst bestimmender Menschen. Genug,
sie unterscheiden sich in allen Hauptstücken von wahren Mikrocephalen.
Hr. Bailey!) bezeugt ausdrücklich, dafs Wahnsinn und Blödsinn
(madness and idiocy) unter den Weddas selten sind, namentlich der letztere.
Sie hätten allerdings die Meinung, dafs, wenn einer den andern verfluche,
der Verfluchte wahnsinnig werde, — eine Meinung, die auch unter den
Sinhalesen herrsche, welche die Verfluchung als Kata waha (bösen Mund
132 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
oder Gift des Mundes) bezeichneten. Aber Wahnsinn sei durchaus nicht
gewöhnlich. Dies Zeugnils ist doppelt bemerkenswerth, da Hr. Bailey
den Gedanken erörtert, dafs möglicherweise in Folge der Heirathen unter
Blutsverwandten aufser krüppelhaftem Wuchs Geisteskrankheiten, Idiotie
und Epilepsie auftreten könnten. Aber er findet davon nichts und er
begnüst sich daher, den Mangel an zahlreicher Nachkommenschaft und
das Hinsterben der Rasse auf die genannte Ursache zu beziehen, — eine
Erklärung, welche mit Rücksicht auf die zahlreichen ungünstigen Lebens-
verhältnisse des Stammes, wenigstens in ihrer Allgemeinheit, beanstandet
werden könnte.
Wahre Mikrocephalie im pathologischen Sinne kommt auch unter
indischen Stämmen vor. Eines der merkwürdigsten Beispiele, welches
man kennt, wurde der Berliner anthropologischen Gesellschaft von Dr.
J. Wilson!) mitgetheilt. Es betrifft eine „Sekte“ von Fakirs, welche
den Dienst im Tempel Shadowla bei Gujrat im Punjab verrichten, und
welche zu den Sonni-Mahomedanern gehören. Man nennt sie ihrer
abnormen Köpfe wegen Chuas oder Chuhas (Ratten sc.-köpfe). Von einem
derselben hat Hr. Wilson einige Maaflse mitgetheilt, deren Ausführung
nicht ganz zweifelsfrei angegeben ist, die aber doch auf alle Fälle sehr
viel kleinere Verhältnisse anzeigen, als sie bei Weddas vorkommen. Nach
ihm beträgt bei einem männlichen Chua
der Diagonalumfang des Kopfes (gemessen
über Kinn und Hinterkopf vor den O&tren) 19 Zoll = 482 mm,
der Horizontalumfang (über Hinterkopf,
Öhren und Stirnhöhlen) 17. ehe
der Vertikalumfang (quer von einem Ohr-
loch zum andern) Su eat
Vergleicht man diese Zahlen mit denen der Weddas (S. 51
55), SO
wird der Unterschied sofort deutlich. Bei dem Chua beträgt der Diagonal-
umfang weniger, als der Horizontalumfang bei dem Wedda-Schädel No. 1,
obwohl letzterer nicht „über die Stirnhöhlen“, sondern oberhalb derselben
und natürlich ohne bedeckende Weichtheile gemessen ist. Obwohl Dr.
1) Zeitschrift für Ethnologie 1879. Bd. XI. Verhandl. der anthropologischen
Gesellschaft. S. 237. — 1880. Bd. XII. Verhandl. S. 12.
nn EEE En a a
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 133
Johnston die Impotenz dieser Leute behauptet, so hat sich die Sekte
doch seit dem 16. Jahrhundert in beiden Geschlechtern fortgepflanzt, und
zwar zum Theil so stark, dafs ihre Zahl in der zweiten Hälfte des
17. Jahrhundert hundert Köpfe erreichte. Der Tempel wird heimlich von
Weibern besucht, welche ihrer Unfruchtbarkeit wegen eine Nacht darin
zubringen und ihre Erstgebornen im Voraus dem Tempeldienst weihen;
Morgens „finden sie einen Chua an ihrer Seite, was die Conception be-
günstigen und Chuas erzeugen soll.“ Es wird wohl gestattet sein, eine
andere Interpretation zu machen und eine direkte Vererbung anzunehmen,
wobei weniger impotente Individuen, als Dr. Johnston sah, mitwirken;
auf alle Fälle illustrirt dieses Beispiel sehr gut den Unterschied von
Mikrocephalie und Nannocephalie.
Es darf daher ohne Anstand angenommen werden, dafs ein eigent-
lich krankhaftes Verhältnis, das an sich ja recht wohl erblich sein
könnte, die mangelhafte körperliche und geistige Entwickelung der Weddas
nicht bedingt, dafs dieselbe vielmehr als eine Rasseneigenthümlichkeit
aufzufassen ist. Damit soll in keiner Weise ausgeschlossen werden, dafs
günstige äulsere Umstände, namentlich der Ernährung, eine bessere Ent-
wiekelung nach sich ziehen mögen, so dafs der Körperbau gröfser und
kräftiger, Schädel- und Hirnbildung vollständiger werden. In der That
kommen bei den Weddas solche Fälle vor, wie durch die früher (S. 42, 50)
aufgeführten Beispiele bewiesen wird. Ein Mann von 1638 mm Höhe
geht weit über das Mittel hinaus, und wenn man den einen Schädel aus
der Sammlung Davis (S. 50), der eine Capacität von 1614 Qub.-Cm. be-
sitzt, auch als eine Art von Abnormität betrachten könnte, so ist doch
auch der andere aus der Sammlung des College of surgeons mit 1420
Cub.-Cm, seine Aechtheit vorausgesetzt, ein ganz beachtenswerthes Stück.
Man könnte daraus folgern, dafs die Sinhalesen eivilisirte Weddas
seien, welche nur ihrem besseren Leben die Vorzüge ihrer physischen
Entwickelung verdanken. Die Insel Ceylon steht seit alter Zeit in dem
Rufe, sehr günstige Bedingungen für das Leben der Menschen darzubieten,
und sich durch die Langlebigkeit ihrer Bewohner auszuzeichnen. In
Taprobanem, heifst es bei Palladius!), ubi gens est Macrobiorum, namque
1) Palladius 1. c. p. 3. ef. Plinius. Nat. historia. Lib. VI. c. 24. Vitam
hominum centum annis modicam.
134 Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon
eximia coeli temperie ... ad aetatem 150 annorum senes durant. Der
heilige Ambrosius übersetzt die margeßıcı sogar durch Beati. Indefs
Klima und äufsere Verhältnisse kommen auch den Weddas zu Gute, und
wenn sie sich in den besonderen Bedingungen des Lebens einigermaafsen
den Rodiyas nähern, so ist doch schon erwähnt (8. 27), dafs letztere
nirgend in eine ähnliche physische Degradation gerathen sind, wie die
Weddas. Niemand wird aber in Abrede stellen, dafs beide bei guter
Pflege zu ungleich besseren Zuständen der körperlichen Entwickelung
gelangen würden !).
Trotz dieser Möglichkeit einer vollkommeneren Entwickelung
ist doch thatsächlich der Weddastamm, wie in alten Zeiten, ein
kleinwüchsiger, ja man kann ihn unbedenklich zu den kleinsten der
lebenden Menschenstämme zählen und in diesem, nicht gerade strengen
Sinne einen Zwergstamm nennen. Weiter spricht dafür, dafs derartige
Stämme in Indien weithin verbreitet waren. Auf die Naya-Kurumbas
habe ich schon hingewiesen (S. 121). Aber auch sonst sind Leute von
kleiner Statur und kleinen Köpfen keine Seltenheit. Schon die Sinhalesen
und die Tamilen von Ceylon haben uns Beispiele dafür dargeboten. Hr.
v. Bischoff?) erwähnt das Hirn eines Indiers aus Bukkur von 1660 mm
Höhe, welches nur 973 Gramm wog; er eitirt gleichzeitig eine Beobach-
tung von Peacock, der bei einem Eingebornen gemischten Ursprungs
von Bombay ein Gehirn von 1006 Gramm fand, während freilich
Clapham das Hirngewicht eines Bengalesen zu 1531 Gramm bestimmte.
In der Sammlung der Berliner anthropologischen Gesellschaft ist der
Schädel eines Poleyar mit nur 1040 Cub.-Om Capacität; der eines jungen
Vorderindiers aus der Kaste der Oelhändler hat 1150, der seiner Mutter
1100 Cub.-Cm. Von den Schädeln von Tanjore, die ich erwähnte (S. 120),
hat der eine 1200, der andere 1255 Cub.-Cm.
Die Nannocephalie der Weddas, so wenig sie pathologisch ist,
zwingt uns also in keiner Weise, behufs Aufsuchung von Analogien über
das Gebiet der indischen Ethnologie hinauszugehen. Möglicherweise war
1) Davy (l. e. p. 107) berichtet, dafs unter den Sinhalesen mehr Männer, als
Weiber seien; in den Fischerorten, wo die Ernährung eine bessere sei, finde dagegen,
wie in Europa, das Umgekehrte statt.
2) v. Bischoff a. a. ©. S. 83.
Te N.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 135
Indien in ältester Zeit von einer verwandten Urbevölkerung bewohnt.
Aber so wenig man aus solchen, mehr oder weniger zwerghaften Abori-
ginern durch progressive Entwickelung die heutigen Hindus hervorgehen
lassen wird, so wenig würde eine derartige Erklärung auf das Verhältnifs
der Weddas zu den Sinhalesen passen. Wie sie nicht durch regressive
Degeneration aus Sinhalesen hervorgegangen sind, so haben sie sich
sicherlich nicht durch einfach progressive Evolution zu Sinhalesen umge-
staltet. Gegen einen solchen einfachen Zusammenhang sprechen nament-
lich die Unterschiede im Gesichtsbau, welche alle Beobachter gleichmälsig
bezeugen.
Gerade der Gesichtsbau ist es, welcher schon die älteren Reisenden
veranlafste, die Sinhalesen mit den Europäern zusammenzustellen. Schon
Knox, wie ich erwähnte (S. 97), war der Meinung, dafs kein Volk in
der Welt so genau den Sinhalesen gleiche, als das Volk von Europa.
Cordiner spricht sich eben so bestimmt aus (S. 64), indem er ausdrück-
lich auf die Züge (features), also auf das Gesicht verweist. Wenn ein
so feiner Beobachter, wie John Davy, statt dessen sagte (S. 97), die
Sinhalesen seien ganz und gar Indier, so kann mit allen diesen Bezeich-
nungen doch nur der gemeinsame arische Charakter der Gesichts-
bildung bezeichnet sein. Bei Davy ist dies um so weniger zweifelhaft,
als er ausdrücklich die „asiatische“ Form des sinhalesischen Schädels
(d.h. der Schädelkapsel) hervorhob. Wenn gerade umgekehrt fast alle
Beobachter dem Wedda-Gesicht einen fremdartigen, am häufigsten einen
dravidischen Typus zuschreiben, so erhellt, dafs die genealogische Unter-
suchung gerade das Gesicht zu einem Hauptgegenstande der Betrachtung
machen mufs. Gehen wir nun auf die historischen Angaben zurück, so
wird wohl kein Zweifel darüber sein können, dafs das sinhalesische
Gesicht aus arischem Gebiet des indischen Continents einge-
führt ist. Sowohl das Ramayana, als die Wijayo-Sage bieten dafür
unmittelbare Anknüpfungen. Indefs bringt die letztere zugleich eine ernste
Warnung, nieht zu einseitig in dieser Auffassung zu sein, denn sie spricht
sofort auch von einem Import tamilischer Weiber von Mabar, welche dem
König Wijayo selbst und seinen Begleitern verheirathet wurden.
Ist meine Auffassung richtig, sind die Weddas eine einfache,
die Sinhalesen eine gemischte Rasse, so können wir die Frage
136 Vırcmow: Ueber die Weddas von Ceylon
aufser Betracht lassen, inwieweit die ceylonesischen Medien, namentlich
Klima, Boden und Nahrung, bestimmend auf die Körperbildung eingewirkt
haben. Nur einige Thatsachen möchte ich kurz berühren, deren Kenntnifs
nicht ohne Bedeutung für diese Frage ist. Schon in der alten Schrift,
welche dem Palladius zugeschrieben wird, heifst es von den Schafen auf
Taprobane: Oves illis erinitae omnesque absque lana, lae suppeditant
ubertim, latis caudis conspiciendae (rAarsias E&yovra cüpas). Sir Tennent!)
hat anderthalb Jahrtausende später dieselbe Beobachtung in Jaffna ge-
macht: die dortigen Schafe hatten statt der Wolle langes Haar, wie
Ziegen. Ein ähnlicher Einflufs des Klimas auf die Behaarung des Schafes
ist auch von anderen Orten bezeugt?). Andererseits wird von den
„eingebornen“ Katzen Ceylons behauptet, dafs sie ein „niederes“ Aussehen
haben; sie seien klein, mit dicht anliegendem Haar, kleinem Kopf, zurück-
tretender Stirn, aber grolsen und spitzen Ohren®). Jemand, der eine
ähnliche Einwirkung des Klimas auf die Menschen annähme, könnte
daraus schliefsen, dafs auch die Menschen, namentlich die am längsten
die Insel bewohnenden Aboriginer, einer ähnlichen Veränderung unter-
legen wären, dafs z. B. das Haar ursprünglich wollig, der Kopf und die
Statur grölser u. s. w. gewesen seien. So könnte man Annäherungen an
wollhaarige Schwarze, an Andamanesen und Negritos, an Melanesier und
selbst an Afrikaner suchen. Ehe man so grofse Veränderungen zuläfst,
müssen die Thatsachen sicher gestellt werden. Die Geschichte von den
„eingebornen“ Katzen verdient an sich eine genauere Prüfung; vorläufig
beruht sie auf einer ganz solitären Beobachtung eines Botanikers, des
Mr. Thwaites. Die Metamorphose der Schafe dagegen scheint durch die
1) Tennent l.e. II. p.531. The finest sheep in Ceylon are reared upon the
dry plains which overlie the limestone and coral rock, on the northern and western
coasts. These sheep, instead of being conted with wool, are covered with long hair,
resembling that of goats, and the horny callosities that defend their knees, and which
arise from their habit of kneeling down to crop the short herbage, serve to distinguish
the Jaffna flocks from those of the other portions of the island. Dafs diese Schafe Fett-
schwänze haben, finde ich nicht erwähnt.
2) Charles Darwin. Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der
Domestikation. Aus dem Englischen von V. Carus. Stuttg. 1868. Bd. I. S. 122.
Bad. II. S. 369.
3) Ebendas. Bd.I. S. 57.
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 137
Existenz zweier, zeitlich so weit auseinander liegender und ganz unabhän-
giger Zeugnisse sicher gestellt, aber sie beschränkt sich nach den Mittheilun-
gen des Sir Tennent auf ein verhältnifsmäfsig kleines Gebiet im äufsersten
Norden. Es scheint mir daher, dafs man eine Anwendung dieser, aus
der Geschichte der domestieirten Thiere hergenommenen Erfahrungen auf
die Wilden Ceylons so lange beanstanden sollte, bis nicht aus bestimmten
Thatsachen erwiesen wird, dafs die letzteren in älterer Zeit eine andere
Beschaffenheit besessen haben. Der gegenwärtige Zustand der Behaarung
entspricht offenbar der Haplotrichie des Palladius und mufs mindestens
schon vor anderthalb Jahrtausenden vorhanden gewesen sein.
Jedenfalls weist uns die thatsächliche Untersuchung zunächst nur
auf die wilden oder halbwilden Stämme Indiens hin, um die Herkunft
der Weddas genealogisch zu verfolgen. Ist diese einmal festgestellt, so
wird für die Conjektural-Anthropologie noch Raum genug bleiben. Schon
jetzt hat die Speculation sehr weite Grenzen angenommen. Hr. Hyde
Clarke!) bringt die Kolarier und andere vorderindische Stämme mit den
Negern Afrikas in Verbindung; Colonel Kincaid?) stellt die Bhils zu
den Mongolen, und Hr. Keane?) streicht die Malayen ganz aus der Reihe
der selbständigen Rassen und läfst Kaukasier in vorhistorischer Zeit nicht
blofs nach Hinterindien, sondern sogar bis nach Polynesien vordringen.
Es mag nützlich sein, dafs solche Fragen rechtzeitig gestellt werden,
zumal in einer Zeit, wo das schnelle Verschwinden der wilden Rassen
eine gewisse Hastigkeit in die Untersuchung bringt. Aber nachdem die
Aufmerksamkeit durch die Fragestellung erregt ist, muls doch auch wieder
daran gemahnt werden, dafs die Thatsachen in gröfserer Ausdehnung
erhoben werden sollten, ehe man bestimmte Schlüsse zieht. Und so muls
vor Allem die Forderung betont werden, dafs die Ethnologie Indiens mit
aller Anstrengung in der gründlichsten Erforschung der Stämme der
„schwarzen Haut“ ausgebaut werden mufs. Da ein Theil der Dasyu in
die Sudras überging und somit in das Kastensystem der Hindus aufge-
1) The Journal of the Anthropological Institute of Great Britain and Ireland.
1878. Vol. VII. p. 49.
2) Ebendaselbst 1880. Vol. IX. p. 406.
3) Ebendaselbst 1380. Vol. IX. p. 258.
Phys. Kl. 1881. Abh.]l. 18
138 Vırcnow: Ueber die Weddas von Ceylon
nommen wurde, wie die Weddas in das der Sinhalesen, so ist es nicht
einmal möglich, die physische Anthropologie der Hindus und der Sinhalesen
zum Abschlufs zu bringen, ehe man nicht die offenbar sehr zusammen-
gesetzte Gruppe der Dasyu in ihre einzelnen Glieder aufgelöst hat. Ein
solches Glied sind offenbar auch die Weddas; ihre natürliche Isolirung
auf einer Insel hat ihnen vielleicht mehr, als den verwandten Festland-
stämmen, ihren besonderen Charakter bewahrt und sie zu einem Probe-
objekt für die Zulässigkeit der Theorien über die Abstammung der
Schwarzen Indiens gemacht. Möge daher der Eifer der Beobachter nicht
erlahmen, damit noch vor dem völlıgen Erlöschen des schon stark ge-
lichteten Stammes Sprache und Sitte, leibliches und geistiges Wesen der
Weddas in allen Einzelheiten festgestellt werde!
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 159
Maafs-Tabellen.
I. Schädel- und Gesichtsmaalse.
Weddas Sinhalesen Tamilen
I | 1 em
ol es 5. aa LE No I RER
Zar ö ö 8 2 ö Sur
Capacität Cub.-Cm 1250 |1025 1360 | 1110 |1200 1250 | 1155 | 1260 | 1200
Grölste Länge Mm| 177 165 185 178 a 175 179 | 170
5 Breite „ | 125,5 | 133 135 127 127 132 126 134 | 128
ps*) ps: pi. pi. p- Pp- P-
Senkrechte Höhe „216129 121 137 129 | 132,5 | 133 139 132 | 137,5
Ohrhöhe =; 107 104 120 113 106 116 116 113 | 117
Horizontalumfang „ | 485 465 508 482 | 493 472 477 490 | 473
Querer Verticalumfang »„ | 283 | 286 300 298 | 293 305 305 308 | 305
Sagittalumfang des Stirnbeins „ | 120 115 134 119 | 124 121 117 134 | 130
Länge der Pfeilnaht sa L1o 108 140 125 | 130 125 132 120 | 122
Sagittalumfang der Hinter-
hauptsschuppe A 109 114 110 | 111 103 110 97 | 100
Ganzer Sagittalbogen „| 345 332 388 354 | 365 | 349 359 351 | 352
Stirnbreite (untere) 5 95 91 93 933 92 88 88 | 92 88
Temporal-Durchmesser „| 107,5 | 110 117 93 | 1083 102 108 115 | 104
Parietal- 3 (Tubera) „ | 119 | 123 120 122 | 116 123 115 | 120 | 122
Oceipital- R „| 102 | 100 99 | 103 | 101,5| 103 | 101 | 103 | 95
Mastoideal- - (Spitze) „ 96 94 103 96 98 93 105 95 93
3 N (Basis) „ | 110. | 111,5) 122. | 115 | 115 | 111 | 120 | 119 | 112
Auricular- 5 „ | 100 108 108 97 | 103 95 106 115 | 106
Horizontale Länge des Hinter- |
haupts " 50 46 60? 53 54 52 48 42 46
Entfernung der Nasenwurzel
vom For. magn. n 92 91 90 99 97 92 100 97 95
Entfernung der Nasenwurzel |
vom Öhrloch = 96 94,5 99 102 | 101 95 101 104 | 99
Entfernung des Nasenstachels
vom For. magn. 3 81 — = 36 36 83 al 87 38
Entfernung des Nasenstachels v
vom Öhrloch RE 95 —_ —_ 105 101 93 102 103 | 101
Entfernung des Alveolarrandes
vom For. magn. : 36 _ — 105 32(!) 83 90 92 93
Entfernung des Alveolarrandes
vom Öhrloch u 100 _ —_ 100 101(!) 96 107 111 | 107
Entfern. d. Kinns v. For. magn. „ 92,5 — _ _ —_ — — —_ _
R 5, Ohrloch: wall! _ _ —_ — — — _ —
*) Das Zeichen p bedeutet, dafs die grölste Breite am Parietale, ps, dals sie an den Tubera
(oben), pi, dals sie an den unteren Theilen ermittelt wurde.
18*
140 Vırcuow: Ueber die Weddas von Ceylon
Weddas Sinhalesen Tamilen
nn. To ————
ul 4. d. 18 2. | 23. 1. 2. | 8.
Q Q ö ö a BR; SE
Gesichtshöhe A (Nasenwurzel |
bis Kinn) Mm| 1015| — — — — | 0 == ze =
Gesichtshöhe B (Nasenwurzel |
bis Alveolarrand) aan Ta | Summe GE. | 63
Gesichtsbreite A (jugal) 1 _ 112 120 107 120 _ 118
4 B (Sut. zyg. max.) „ 87 _ —_ 97,5 \ 87 83 90 _ 101
Orbita, Höhe lasse — 30 34 30 32 35 32
» Breite „ 39 11 — — 39 41 36 38 42 37
Nase, Höhe 5 48 — — 45 öl 36 45 45 47
„ Breite (Apertur) sb 24 Eu ı 96 23,5 | 20 22 23 25
Gaumen, Länge x 48 — —_ 53 45(!) 38 49 48()| 49
R Breite N 36 E= —_ 40 33(l) | 33 36 | 36()| 43
Kieferwinkel-Distanz & 85 — — = —_ — = —
Kiefergelenk-Distanz = _ — —_ 85 87 81 30 92 39
Gesichtswinkel Grade 82 —_ —_— 75 75 76 76 76 75
II. Berechnete Indices.
Weddas Sinhalesen Tamilen
—— | ,——— | -—— _——
1. 4. 5. 1. 2. 23. 1% 2. 3.
Längenbreiten-Index 70,9| 80,6 | 73,0 71,3| 720,2| 76,7 72,0 | 74,8 75,3
Längenhöhen „ 72,9| 73,3. 74,1 72,51 7392| 7273| 794| 73,7.| 80,9
Breitenhöhen „ 103,5 | 90,9 | 101,4| 101,5 | 104,3 | 100,7| 110,3. | 98,5 | 107,4
Auricular f 60,4) 63,0 | 64,9| 63,5) 58,5| 67,4| e6,3| 63,1 | 68,8
Mittelgesichts „ 50,0 — —_ 52,6 —_ 47,6 51,61 — 53,4
Orbital f 3 _ 16,9| 82,9| 83,3| 84,4| 83,3.| 86,4
Nasen a 50,01 — —_ 97,7| 46,0) 55,5|. 48,58 | 51,1 59,1
Gaumen e 19,0) F — — 75,4| — 86,5] 90,0) — 87,7
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen. 141
Erklärung der Tafeln.
Taf. I. Schädel eines Wedda-Weibes, aus dem Museum von Colombo auf Ceylon (S. 46).
Taf. II. Schädel eines Sinhalesen (S. 68).
Taf. III. Schädel eines Tamilen von Ceylon (S. 87).
Sämmtliche Ansichten sind von Hrn. E. Eyrich nach der geometrischen
Methode aufgenommen und auf ein Drittheil der natürlichen Gröfse reducirt
worden.
142 VırcHow: Üeber die Weddas von Ceylon
Inhalts-Verzeichnils.
Das Wedda-Land
Zahl der Weddas: wilde und Bane
Dämonendienst, Ahnencultus
Urbevölkerung von Ceylon (Yakkohs) .
Ethnologische Beschreibung der Weddas .
Psychologische Eigenschaften der Weddas
Kastenwesen auf Ceylon
Dodda Weddas, Rodiyas
Tamilische Einwanderung (Malabaren)
Araber (Moors, Moormen) .
Malayen und neuere Einwanderer
Sinhalesen
Linguistisches :
Abstammung der Weddas E
Physische Anthropologie der Weddas
Körpergrölse
Hautfarbe, Haar
Augen, Nase, Gesicht
Schädel
Physische Anthropologie der Seanaleren
Schädel © >
Physische Anthropologie der Tamilen e
Schädel : 5
Physische Anthropologie en Mausnen
Physische Anthropologie der Malayen .
Verhältnifs der Stämme zu einander
Die Frage der chinesischen Abstammung .
Weddas und Sinhalesen .
Weddas und Tamilen
Dravidas von Tanjore Ci)
Kurumbas
Vedars, Asurs
Dasyu, Protodravidier al Prnedrayidier
Weddas und Negritos
Andamanesen .
Seite
ei:
94
110
120
121
123
124
125
127
und ihre Beziehungen zu den Nachbarstämmen.
Weddas und Australier .
Weddas und Malayen
Mikrocephalie und Nannocephalie
Variabilität der Rassencharactere
Die Weddas als ein Glied der „schwarzen Haut“ Indiens .
Maals-Tabellen
Erklärung der Tafeln
145
Seite 128
31.129
=
156
eh!
139
141
Abk.d. Berlin. Akad. Physik: Kl. 1881.
Le) =
DAR.
Virchow: Weddas.
Albor Sch rar SR
Tafı £
Abh.d Berlin. Akad. Physik. Kl. 1881.
Om Omuchr- em
d
Virchom: Weddas.
7
3 mor
A horn k Ahr Ar
Tapı I.
Abh.d. Berlin. Akad. Physik. Kl. 1881. Virckoro: Weddas. Tapı II.
a EV ? pp u 6} H GMAR..mM-9
Om Bryrich IL. Allıır Schinze Sich. Onst. Dreh
G 4
PHILOSOPHISCHE UND HISTORISCHE
ABHANDLUNGEN
DER
KÖNIGLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
| ZU BERLIN.
AUS DEM JAHRE
1881.
BERLIN.
VERLAG DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
1882.
BUCHDRUCKEREI DER KÖNIGL. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN (G. VOGT).
- DIHAL MA UA |
‚IR8I | |
- BR
B4
j ALIasa
AHTMARPHBBZLT Mad AIMNdAHA" MANOL.IOKOR Ha OadaaT
[2 rw
saal
‚(07 0) EITyANnaHLsarE ua UHAHENK AnROa nd Ka
Inhalt.
VAHLEN: Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid
Waırz: Ueber eine alte Genealogie der Welfen
ZELLER: Ueber die Messung psychischer Vorgänge .
Boun: Der Tempel der Athena Polias zu Pergamon
Scnuorrt: Ueber die sprache des volkes Röng oder Leptscha in Sikkim
ScHRADER: Die Sargonsstele des Berliner Museums .
Currıus: Die Altäre von Olympia
.1—40.
1—15.
1— 16.
1—12.
1— 15.
1—36.
1— 43.
ff)
” ä b4 4 ‚ Kant, if ar I A |
& - J 5 a
Fr } i 1 i£ is nd ln 'anie Dun E77 n
“ j \ ‚ dur ah re EEE N
| nad h Hub Kruait Tach ER
j 2 ’ ee er ee a 20177
I sarah
| 177
Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid.
Von
H” VAHLEN.
Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. I. 1
B 4
5 ’ i j Pa Er
er ‚birO z0b mobile job synfteA Hi ade
D_
Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 7. März 1881.
ER ke ee
Os: Erstlinge, die Briefe der Heroiden, sind von der Kritik
gewaltig geschüttelt und gerüttelt worden, und noch kaum hat sich die
Meinung der Gelehrten gesetzt und ist über das was dem Dichter gehört
oder ihm abzusprechen ist einigermafsen Einigung erzielt worden. Viel
hat in diesen Untersuchungen Vorurtheil und Befangenheit in modernem
und subjectivem Geschmack geschadet, nicht minder, dafs die Untersu-
chung nicht da angehoben, wo sie nothwendig anheben mulste, die Be-
schaffenheit der Ueberlieferung einer eindringenden und allseitigen Prüfung
zu unterziehen. Wenn Herausgeber an ein, zwei alte Handschriften sich
anschlielsen und einzelne Versreihen und umfangreiche Stücke, die einst
in den Texten standen, weil sie in jenen fehlen, beseitigen, so haben sie
zwar eine gewisse Sicherheit des Verfahrens für sich, lassen aber den For-
scher unbefriedigt, der Auskunft verlangt über die eigenartige Natur dieser
Ueberlieferung. Diese Seite der Untersuchung hat unlängst Hr. Heinr.
Stef. Sedlmayer mit Eifer in Angriff genommen, hat sie aber noch nicht
zu Ende geführt und seine Ermittelungen in einem kritischen Apparate
ausgelegt!). Auch die Frage, welche ich zum Gegenstande dieser Be-
!) Prolegomena eritica ad Heroides Ovidianas. Serips. Henr. Steph. Sedlmayer.
Vindobonae MDCCCLXXVII. Hinzugekommen ist neuerdings (mir erst nach Abschlufs
meiner Untersuchung, im December 1880, zu Gesicht gekommen) von demselben Hrn.
Verf. "Kritischer Commentar zu Ovids Heroiden. Wien 1881’; daher ich hierauf im Text
nur hier und da nachträglich Bezug genommen habe, mehr in einem angehängten Exeurs.
1%
4 VSHmEN:
trachtung gemacht habe, wird von der Unsicherheit der Ueberlieferung
berührt, und ich würde sie nicht vorgelegt haben, wenn ich nicht über-
zeugt wäre, dafs der Hauptpunkt auch so sich erledigen lasse und das
Resultat, zu dem ich gelangt bin, in seinem negativen Theile Bestand
haben könne, wie immer die Entscheidung über die Ueberlieferung schliefs-
lich ausfallen möge.
1. Her. VI. Dido an Aeneas, beginnt mit den Worten
Sie ubi fata vocant udis abiectus in herbis
Ad vada Maeandri coneinit albus olor.
Nec quia te nostra sperem prece posse moveri
Adloquor (adverso movimus ista deo)
Sed merita et famam corpusque animumque pudieum
Cum male perdiderim, perdere verba leve est.
Der Brief hebt mit einem Vergleich an, läfst aber das, dem er dienen
sollte, errathen. Lateinische Dichter haben eine doppelte Weise ein Gleich-
nils einzuführen. Ovid z. B. wenn er den Schwanengesang in folgender
Form zur Vergleichung verwendet, Met. XIV 430 (von der Canens)
Illie cum lacrimis ipso modulata dolore
Verba sono tenui maerens fundebat, ut olım
Carmina iam moriens canit exsequialia eyenus,
und Fasti II 110 (vom Arion)
Reddidit icta suos pollice chorda sonos,
Flebilibus numeris veluti canentia dura
Traieetus pinna tempora cantat olor,
bedient sich beidemal der natürlichen und üblichen Anknüpfung. Wenn
aber in Seneca’s Medea der Chor im Hymenäus von Jason’s neuer Braut
singt,
Haec cum femineo constitit in choro,
Unius facies praenitet omnibus.
95 Sie cum sole perit sidereus decor
Et densi latitant Pleiadum greges
Cum Phoebe solidum lumine non suo
Orbem eireuitis cornibus allıgat,
Ostro sie niveus puniceo color
or
Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid.
100 Perfusus rubuit, sie nitidum iubar
Pastor luce nova roseidus aspicit !),
so wird das Gleichnifs, das mit Ut cum sole angeknüpft werden konnte,
durch Sie, selbstständig und abgelöst, dem Hauptsatz angeschlossen, wo-
durch in der Form was Nebensache sein sollte, zur Hauptsache geworden
ist. Von dieser Weise einen Vergleich einzuführen hat Ovid nicht selten
Gebrauch gemacht, Met. VIII 191 (vom Dädalus)
nam ponit in ordine pennas
A minima coeptas, longam breviore sequente,
Ut elivo crevisse putes. Sie rustica quondam
Fistula disparibus paulatim surgit avenis.
Fast. I 215
At postquam Fortuna locı caput extulit huius
Et tetigit summo vertice Roma deos,
Creverunt et opes et opum furiosa cupido,
Et cum possideant plurima plura petunt,
Quaerere ut absumant, absumpta requirere certant,
Atque ipsae vitiis sunt alimenta vices.
Sie quibus intumuit suffusa venter ab unda,
Quo plus sunt potae plus sitiuntur aquae;
und besonders schön ausgeführt Metam. III 111 von den aus Kadmus
Drachenzähnen hervorwachsenden Kriegern
Inde, fide maius, glebae coepere moveri
Primaque de suleis acies apparuit hastae,
Tegmina mox capitum pieto nutantia cono,
Mox umeri pectusque onerataque bracchia telis
Existunt ereseitque seges clipeata virorum.
Sie ubı tolluntur festis aulaea theatris
Surgere signa solent primumque ostendere vultus,
1) Hr. Leo hat vor V. 99 Ostro sic niveus das Zeichen einer Lücke gesetzt und
folgende Ergänzung versucht Talem dum iwenis conspieit, en rubor Perfudit subito purpu-
reas genas. Ich kann nicht einräumen, dafs damit der Gedanke des Dichters getroffen
sei, der nur den Glanz der Braut schildert (vgl. Properz II 3, 10 ff.), und nicht zugeben,
dals dem Vergleich Ostro sic niveus u. s. w. der an die Spitze gestellte Satz Haec ...
praenitet omnibus nicht ebenso gut wie dem ersten Vergleich zur Unterlage dienen könnte.
6 VAHLEN:
Cetera paulatim placidoque educta tenore
Tota patent imoque pedes in margine ponunt.
Wer noch folgende Stellen, die ich nicht ausschreiben will, in Betracht
zieht, kann sich leicht überzeugen, wie beliebt diese Weise der Verglei-
chung dem Ovidius war und wie wirkungsvoll er sie anzuwenden weils,
Met. I 200. III 568. XV 855. Und im Wesen nicht verschieden sind auch
Met. IV 331. IX 46, mit welchem letzteren Beispiel man, um des Unter-
schiedes inne zu werden, Virgil Aen. XII 715 zusammenstellen kann.
Nicht anders ist der Eingang unseres Briefes gedacht; und wir
fragen verwundert, warum der Dichter das was nothwendige Unterlage
der Vergleichung sein mulfste, unausgedrückt gelassen habe. Denn in einer
so unmotivirten Reticenz kann Niemand ein Zeichen besonderer Kunst oder
Absicht erblicken wollen. Und ferner, wenn nichts vorherging als das
Gleichnifs, gerathen wir von Neuem in Verlegenheit bei den folgenden
Worten Nec quia te nostra sperem prece posse moveri Adloquor, die den
Vergleich nicht fortsetzen und sonst nichts haben, woran sie angeschlossen
werden könnten. Beides scheint vielmehr zu verlangen, dafs im Eingang
des Briefes nicht blofs die Situation der Schreiberin bezeichnet sondern
auch der Adressat genannt oder angeredet war. Und da wir keinen
Grund haben, dies doppelte Ungeschick, dafs Sic wie Nec ohne Beziehung
und Anknüpfung stehen, dem Dichter selbst zuzuschreiben, so schliefsen
wir auf einen zufälligen Defect in der Ueberlieferung, durch welchen der
Brief um ein Eingangsdistichon gekürzt worden. Der vollständige Ge-
dankenausdruck kann etwa folgender gewesen sein: Vernimm, Aeneas,
der sterbenden Dido letzten Gesang. So singt, wenn die Sterbestunde
ruft, an den Ufern des Mäandros der Schwan. Und nicht weil ich Wir-
kung erhoffe, rede ich dich an, sondern nachdem ich Ruf und Ehre ver-
loren, ist Worte zu verlieren leicht.
2. Her. XI. Canace an Macareus, fängt mit folgenden Versen an:
Si qua tamen caecis errabunt scripta lituris,
Oblitus a dominae caede libellus erit:
Dextra tenet calamum, strietum tenet altera ferrum,
Et iacet in gremio charta soluta meo.
Haec est Aeolidos fratri sceribentis imago,
Sie videor duro posse placere patri.
Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 2
Der neueste Herausgeber, Hr. Al. Riese, hat in dem ersten Distichon
zwei Abänderungen der Ueberlieferung vorgenommen; er schreibt enabunt
für errabunt und im zweiten Vers ac für a. Er ändert damit, nicht ohne
Bewulstsein wie ich glaube, was an sich untadelig ist; denn errare
heifst "unsicher, undeutlich sein’, welches ein bezeichnendes Wort in diesem
Satze war, und oblitus a caede ist Ovidischer Redeweise vorzüglich ent-
sprechend. Aber er bezweckte, wenn ich recht verstehe, durch seine
Aenderungen der Partikelverbindung S? qua tamen eine Bedeutung abzu-
gewinnen, welche sie für den Briefeingang passender machen könnte:
Si qua tamen caecis enabunt seripta lituris
Oblitus ac dominae caede libellus erit:
“Wenn doch wenigstens etwas von dem Geschriebenen aus den Lituren
herausschwimmen und der Brief mit der Schreiberin Blut befleckt sein
wird, so wisse —. Dals s2? tamen diese Bedeutung haben kann, ist be-
kannt und die Partikel steht so z. B. Fasti IV 19 5 qua tamen pars te
de fastis tangere debet, Caesar, in Aprili quo tenearis habes. Aber eine
befriedigende Gedankenform ist auch so nicht gewonnen; denn nicht “wenn
nur Etwas lesbar ist’, sondern umgekehrt "wenn vielleicht Etwas unleser-
lich ist” wäre ein in der hiesigen Situation zu erwartender Gedanke, und
vollends erscheint die Anknüpfung des zweiten Vordersatzes durch ac an
den ersten so unbeholfen, dafs man sie dem Ovid auch auf dem Stand-
punkt, auf dem ihn die Briefe zeigen, nicht wohl zutrauen darf. Hrn.
Riese’s Aenderungen erreichen also ihren Zweck nicht und ich würde
ihnen Heinsius’ verwegenen Vorschlag Si qua latent caecis errantia seripta
lituris vorziehen, wenn ich überall der Meinung wäre, dals dem berech-
tigten Anstofs an diesem Eingang mit Wortänderungen begegnet werden
könnte. Aeltere Interpreten haben die analoge Form nicht übersehen,
in welcher bei Propertius Eleg. 4, 3 — auch ein Heroidenbrief — be-
ginnt:
Haec Arethusa suo mittit mandata Lycotae,
Cum totiens absıs, si potes esse meus.
Si qua tamen tibi lecturo pars oblita deerit,
Haeec erit a lacrımis facta litura meis,
Aut si qua incerto fallet te littera tractu.
Signa meae dextrae iam morientis erunt.
8 VAHLEN:
In soleher Redeform hat tamen nicht einschränkende (doch wenigstens’)
sondern anreihende Bedeutung (indessen’), verlangt aber auch so immer
ein allgemeines, an das die Partikel anschliefsen kann, wie Ovid Met. XII
468 Polyxena sagt — —
Vos modo, ne Stygios adeam non libera Manes,
Ite procul, si iusta peto, tactuque viriles
Virgineo removete manus: acceptior ill,
Quisquis is est, quem caede mea placare paratis,
Liber erit sanguis. Si quos tamen ultima nostri
Verba movent oris, Priami vos filia regis
Non captiva rogat, genetriei corpus inemptum
Reddite.
‘Ich sterbe gern, nur lasset mich frei sterben: wollt ihr jedoch mir eine
letzte Bitte erfüllen, so gebt meinen Leichnam der Mutter umsonst. Oder
Fasti IIl 257
Ferte deae flores: gaudet florentibus herbis
Haec dea: de tenero cingite flore caput.
Dieite "tu nobis lucem, Lucina, dedistı',
Dieite “tu voto parturientis ades..
Si qua tamen gravida est, resoluto crine precetur,
Ut solvat partus molliter illa suos.
An diese Parallele des Properz, die allein hinreichend ist Abänderungen
an dem Wortlaut unserer Verse zu widerrathen, hat auch Lehrs von Neuem
erinnert, und ihm wäre das Richtige kaum verborgen geblieben, wenn ihn
nicht das Vorurtheil geblendet hätte, dafs in diesen Heroiden alles oder
fast alles roh, widerwärtig, läppisch, unsinnig u. s. w. sei. Ueber unsern
Brief schreibt er (Horaz p. COXXXV]) ‘Dafs und warum das erste Di-
stichon läppisch ist, braucht wol nicht erst gesagt zu werden: übertragen
aus der natürlichen und unvermeidlichen Situation, dafs einer Weinenden
die Thränen auf ihr Blatt fallen, während sie schreibt, wie in der mit
Recht schon als Vorbild bezeichneten Stelle des Properz, ohne welche auch
wohl in dem wie in einigen andern Episteln abgebrochen beginnenden
Anfang nicht gerade Zamen, sondern eine etwas klarere Partikel stehen
würde. Lehrs setzt also den ungeschickten Anfang einem Nachahmer auf
Rechnung, bei dem es doch nicht minder zu verwundern bliebe, dafs er
Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 9
sein klares Vorbild nur halb, statt wie eben so leicht war und eben so
nahe lag, ganz nachgeformt hätte. Wir werden einfacher schliefsen: weil
die Worte Si qua tamen — der Anfang des Briefes nicht sein können, so
fehlt uns der vom Dichter gewollte Anfang und ist ein Distichon verloren
gegangen, an welches, wie bei Properz, das zweite mit SU qua tamen
regelrecht anknüpfen konnte. Etwa so: "Canace schreibt an ihren Bruder
Macareus, und wünscht dafs er das Geschriebene lese. Sollte jedoch
Einiges in den Schriftzügen unleserlich sein, so wisse, es sind Blutflecken
von der Schreiberin Hand. Sofort erkennt man, wie unter der Voraus-
setzung, dafs die beiden Verse, welche jetzt den Anfang bilden, nicht das
erste sondern das zweite Verspaar waren, kein Buchstabe daran zu ändern,
nichts überhaupt an Klarheit zu vermissen ist, und sieht nicht ohne Ver-
wunderung, wie die Kritiker und Interpreten, die aufmerksamen wenig-
stens (denn viele gehen gedankenlos daran vorüber), sich vergeblich win-
den und drehen und der sich aufdrängenden Annahme eines Verlustes wie
geflissentlich aus dem Wege gehen. Den Defect aber halte ich für sicher,
auch wenn der Brief, der zu den bezeugten gehört, von Ovid nicht her-
rühren sollte.
3. Her. XII. Medea an Jason, hat folgenden Anfang:
At tibi Colchorum (memini) regina vacavi,
Ars mea cum peteres ut tibi ferret opem.
Tune quae dispensant mortalia fata sorores
Debuerant fusos evoluisse meos:
Tum potui Medea mori bene —
Den älteren Kritikern ist das Auffällige dieses mit At eingeleiteten Briefes
nicht entgangen und hat man ein temporales Ut an die Stelle gesetzt,
an welches Tunc V. 3 anknüpfen sollte. Heinsius hingegen hat in langer
Anmerkung die Rechtfertigung des überlieferten At übernommen: ia enim
indignantes aut mirantes exordiebantur plerumque. Ich kann nicht umhin
seine Beispiele zu mustern, die, wie es den Anschein hat, auf die nach-
folgenden Herausgeber durchweg überzeugend gewirkt haben. Nur Pro-
pert. II 21 darf ich übergehen, da heute wohl Niemand geneigt sein wird,
dem bezeugten Ah quantum de me Panthi tbi pagina finxit Tantum ll
Pantho ne sit amica Venus die unverbürgte Schreibung At quantum, selbst
wenn diese ebenso gut wäre, vorzuziehen. Wenig wollen auch die vielen
Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. 1. 2
10 VAHLEN:
Ovidischen Beispiele besagen, in welchen mitten in der Erzählung eines
Sprechenden Rede mit At eingeführt wird, so dafs der Gegensatz aus dem
Zusammenhang des Erzählten sich von selbst ergiebt: Met. VIII 273 ff.
Oenea namque ferunt plenis successibus anni
Primitias frugum Cereri, sua vina Lyaeo,
Palladios flavae latices libasse Minervae.
Coeptus ab agricolis superos pervenit ad omnes
Ambitiosus honor. Solas sine ture relictas
Praeteritae cessasse ferunt Latoidos aras.
Tangıt et ira deos. ‘At non impune feremus
Quaeque inhonoratae, non et dicemur inultae’
Inguit.
Met. X 724, Venus nachdem sie den in seinem Blute liegenden Adonis
erblickt,
Desiluit pariterque sinum pariterque capillos
Rupit et indignis percussit pectora palmis,
Questaque cum fatis At non tamen omnia vestri
Juris erunt’ dieit "luctus monimenta manebunt.
Met. XII 366 in der Erzählung vom Kampf der Lapithen und Centauren
Hune procul ut foedo disieetum vulnere Peleus
Vidit "At inferias, iuvenum gratissime Örantor,
“Accipe’ ait validoque in Demoleonta lacerto
Fraxineam misit contentis viribus hastam.
Fastı II 395, die den Romulus und Remus aussetzenden Diener
Huc ubi venerunt (neque enim procedere possunt
Longius) ex illis unus et alter ait:
“At quam sunt similes: at quam formosus uterque,
Plus tamen ex illis iste vigoris habet.
Bei solchen Stellen, denen es leicht ‘wäre eine Reihe ähnlicher aus Meta-
morphosen und Fasten anzufügen, bedarf es in der That nur, dafs man
sie in ihrem Zusammenhang betrachtet, um sich zu überzeugen, dafs der
Adversativpartikel niemals die Beziehung fehlt und es keiner Ergänzung
bedarf, um sie verständlich zu machen. Nicht anders Virgil Aen. II 535,
von Polites, Priamus’ Sohn, dem der rasende Pyrrhus nachsetzt,
Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 11
Ut tandem ante oculos evasit et ora parentum,
Coneidit ae multo vitam cum sanguine fudit.
Hie Priamus, quamquam in media iam morte tenetur,
Non tamen abstinuit nee voci iraeque pepereit:
“At tibi pro scelere’ exclamat ‘pro talibus ausis
Di, si qua est caelo pietas quae talia curet,
Persolvant grates dignas et praemia reddant.
Mehr Schein wenigstens hat das Ovidische Gedicht Amor. III 7, das so
beginnt
At non formosast, at non bene culta puella,
At, puto, non votis saepe petita meis.
Hane tamen in nullos tenui male languidus usus,
Sed iacul pigro crimen onusque toro.
(vgl. Priap. 80). Aber verstehe ich recht, so hebt der Dichter gleichsam
eine stille Betrachtung fortsetzend mit der Selbstfrage an: at non formo-
sast —, welche die Antwort des Gegentheils in sich selber trägt, und der
Leser bedarf zum Verständnils keiner Ergänzung (wie sie auch nicht mög-
lich ist), sondern alles was erforderlich ist bietet das Gedicht selbst dar.
Aehnlich Horatius Epod. 5, an Canidia,
‘At o deorum quidquid in caelo resit
Terras et humanum genus,
Quid iste fert tumultus, et quid omnium
Vultus in unum me truces? —
Darstellung und Composition dieses Gedichtes sind von besonderer Leb-
haftigkeit. Horaz schlägt nicht den geraden Weg der Erzählung ein, son-
dern reilst den Leser in medias res, läfst den Knaben, den zum Zweck
der Zauberkünste der Canidia geraubten, aus seiner verzweifelten Lage
plötzlich in jene Worte des Eingangs ausbrechen, um hinterher Absicht
und Umstände grell zu beleuchten. Auch hier, wie in dem Ovidischen
Gedicht, bedarf at, das Bezug und Gegensatz hat an der Situation, aus
der die Worte gesprochen werden, keiner Ergänzung. Und so läfst sich,
was sonst Analoges noch angeführt werden könnte, ohne Schwierigkeit
erledigen. Nicht so der Anfang unseres Briefes, der aus all jenen Bei-
spielen seine Rechtfertigung nicht ziehen kann, wofern nicht Jemand
glaubt, es handele sich lediglich um die Partikel und nicht vielmehr um
9*
19 VAHLEN:
den durch die Partikel eingeführten Gedanken. Denn für diesen ist hier
eine Beziehung aus dem Briefe selbst nicht zu entnehmen, sondern mufs
von Aufsen hergeholt werden. Lehrs 8. CCL schlofs aus den Anfangs-
worten der Epistel: “also Medea hat den Jason zu sich entbieten lassen,
und er sich entschuldigt mit Geschäften.’ Ich will nicht behaupten, dafs
die so formulirte Voraussetzung des Briefes dem Gedanken und den Ab-
sichten des Dichters vollkommen entspricht, aber darin empfand Lehrs
unstreitig richtig, dafs ein solcher oder ähnlicher Gedanke nothwendig er-
gänzt werden müsse, um die Worte, mit denen der Brief eröffnet wird,
verstehen zu können; und auch hier ist es nur aus seinem allgemeinen
Vorurtheil gegen diese Briefe erklärlich, dafs er nicht sah, eine derartige
Ergänzung könne der Dichter unmöglich dem Leser überlassen haben,
sondern der Gedanke müsse, um verstanden zu werden, ausgedrückt ge-
wesen sein. Nach meiner Meinung würde den Worten des Anfangs Ge-
nüge geschehen, wenn man den Gedanken ungefähr in folgender Weise
vervollständigen wollte: ‘Medea schreibt an Jason. Denn dir läfst deine
königliche Braut keine Zeit für mich. Aber ich habe als Königin der
Kolcher Zeit für dich gehabt, als du meiner Künste bedurftest So we-
nigstens würde jedem Wort des Eingangs sein Recht und würde insbe-
sondere das nicht ohne Absicht gesetzte Üolchorum regina in seinem gan-
zen Gewicht empfunden. Da es nun nicht glaublich ist, der Dichter habe
den Gedanken, durch den allein das At tbi vacavı verständlich wird, ver-
schwiegen, so ist auch hier die Annahme unausweichlich, dafs am Anfang
des Briefes Ein Distichon, welches zum Ausdruck des erforderlichen Sinnes
ausreichend war, durch Schuld der Ueberlieferung verloren gegangen.
4. Her. XVII (16), Helena dem Paris antwortend, hebt so an:
Nune oculos tua cum violarıt epistula nostros,
Non rescribendi gloria visa levis.
Ausus es hospitii temeratis, advena, sacris
Legitimam nuptae sollieitare fidem.
Die beiden ersten Verse sind Eingang: mit dem dritten geht Helena in
die Sache. Wenn die Interpreten diesen Briefen so viel Aufmerksamkeit
gewidmet hätten, als sie verdienen, wären sie nicht stillschweigend an dem
an die Spitze gestellten Nunc vorübergegangen. Aber wer nur die Frage
aufwirft, welchen Sinn die Partikel habe, wird auch um die Antwort nicht
Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 13
verlegen sein. Nune (= ut nunc est) kennzeichnet den Gegensatz gegen
ein anderes, das hätte sein können, sein sollen, während es jetzt (wie die
Dinge jetzt stehen) nicht so ist!). Ein Beispiel dieses bekannten Ge-
brauchs der Partikel giebt Virgil Aen. XI 119,
Aequius huie Turnum fuerat se opponere morti.
Sı bellum finire manu, si pellere Teucros
Apparat, his mecum decuit concurrere telis;
Vixet eui vitam deus aut sua dextra dedisset.
Nune ite et miseris supponite eivibus isnem,
und geben die Heroiden selbst XVI (15), 165
157 Di facerent, pretium magni certaminis esses
Teque suo posset victor habere toro,
Ut tulit Hippomenes Schoeneida praemia cursus,
160 Venit ut in Phrygios Hippodamia sinus,
Ut ferus Alcides Acheloia cornua fregit,
Dum petit amplexus, Deianira, tuos,
Nostra per has leges audacia fortiter isset,
Teque mei scires esse laboris opus.
165 Nune mihi nil superest nisi te, formosa, precari
Ampleetique tuos si patiare pedes.
Ich nehme Di facerent pretium esses als hypothetischen Vordersatz zu dem
Nachsatz (163) Nostra per has leges audacia fortiter isset, und habe dem-
gemäfs, abweichend von Hrn. Riese’s Ausgabe, die Interpunction einge-
richtet. Den Mangel der hypothetischen Partikel werden Stellen recht-
fertigen, wie Fast. IV 487 Unaque, pastorem vidisset an arva colentem, Vox
erat "hac gressus ecqua puella tuht? und VI 113 He aliquis duwenum
diwisset amantia verba, Reddebat tales protinus ila sonos. Den Dienst aber,
1) Auch die Griechen gebrauchen ihr vöv ebenso, z. B. in Sophokles Elektra
& B ° B x a m So N =
zweimal bald hinter einander, 335 =: #Szvos Außomı, OnAuca av or aureis heova' vüv Ö° Ev
03 m n [4 5 5 > > - m EN ’ 7
AaRoıs or TASIV Überaeon doze. 365 zys5 ons ovx eow Fıuns Fuge. oUd av su, swcgwv
y' ovom. viv EEcv margos mavrwv dgierov mare #erryeIaı, zaA0I v7s mnrgos; und 519 aver-
’ \ e 7 5 r 6) \ U > ” Q 7 I EI 7 S ,
[aevn EV ws Eoızas av orgehn. oVv yao mager Ayındos 05 5 Emeiy, ds aM Tor Tugaicv
* > >
’ 5) > , , n 3 :€ Y >» 3, m N 3 ’ > n .
y ovaav aisyuvew dbiAous‘ vüv Ö Ws ameor' Exrelvog, oVdev Evroemn Emoü yes: wo aber nicht
nothwendig scheint, den hypothetischen Gedanken, dem vÜv entgegengesetzt ist, durch
> 0 ” . . .. . .
Erreiyev cv noch deutlicher auszudrücken. Aus römischen Dichtern vgl. noch Lucret. VI 570.
14 VAHLEN:
den die Partikel Nune versieht, erkennen wir deutlich: “Hätten die Götter
gegeben, dafs ich um dich kämpfen könnte, wärst du der Preis meiner
Tapferkeit geworden: Jetzt (wie die Sache jetzt steht) bleibt mir nichts
übrig, als mich auf das Bitten zu legen’ Ganz in demselben Sinne ist
Nunc am Anfang unserer Epistel zu nehmen, dies um so mehr, da der
Inhalt, welchen die Partikel einschliefst, durch die angefügten Worte ocu-
los tua cum violarıt epistula nostros gleichsam ausgelegt wird. Nach deren
Anleitung gelingt es leicht, den Gegensatz, welchen Nune zu bezeichnen
bestimmt war, in einem vollständigen Gedankenausdruck ungefähr in fol-
sender Weise klar zu legen. 'Es wäre besser gewesen, du hättest nicht
geschrieben oder ich nicht gelesen. Nun aber dein Brief meine Augen
verletzt hat, schien nicht zu antworten ein leichter Ruhm. So deutlich
dieser Gedanke, wie ich meine, aus den dastehenden Worten sich ergiebt,
so wenig glaublich ist es, Ovid habe nur die Hälfte seines Gedankens,
nur gerade so viel als ausreichend war, den vollständigen zu errathen, im
Worte ausdrücken und durch das jetzt beziehungslose Nunc dem Leser
nur ein Merkzeichen geben wollen. Die Annahme, die ich aus diesem
Sachverhalt glaube mit Sicherheit schöpfen zu können, dafs auch dieser
Briefeingang nicht etwa ein stilistisch abgebrochener sondern thatsächlich
um ein Distichon gekürzter sei, gewinnt noch eine Unterstützung aus dem
Verhältnils, in welchem unser Brief, der Antwortschreiben ist, zu dem
Briefe des Paris XVI steht. Denn da letzterer anhebt
Hanc tibı Priamides mitto, Ledaea, salutem
Quae tribui sola te mihi dante potest,
wird dem Briefe der Helena eine entsprechende Anrede nicht gefehlt
haben.
In dem Bisherigen hat sich bei vier Briefen der Heroiden aus der
Erklärung der erhaltenen Anfänge derselben ergeben, dafs dieselben je
ein Verspaar im Eingang auf dem Wege der Ueberlieferung verloren haben.
Schlagen wir nun die älteren Editionen auf (denn die neueren Heraus-
geber wissen nichts mehr davon), so finden wir, dafs diese vier Episteln
in älterer Zeit thatsächlich mit vollständigeren Anfängen verbreitet waren.
Ich setze diese ergänzten Anfänge mit unterschiedener Schrift zunächst
hierher.
Ueber die Anfänge der Herorden des Onid. 15
VII. Dido an Aeneas.
Aceipe, Dardanide, moriturae carmen Elissae:
Quae legis a nobis ultima verba legıs.
Sie ubi fata vocant udis abiectus in herbis
Ad vada Maeandri ceoncinit albus olor.
Nec quia te nostra sperem prece posse moveri
Adloquor (adverso movimus ista deo).
XI. Canace an Macareus.
Aeolis Aeolidae quam non habet ıpsa salutem
Mittit et armata verba notata manu.
Si qua tamen caecis errabunt seripta lituris,
Oblitus a dominae caede libellus erit:
Dextra tenet calamum, strictum tenet altera ferrum
Et iacet in gremio charta soluta meo.
XII. Medea an Jason.
Exul inops contempta novo Medea marito
Dieit: an a regnis tempora nulla vacant?
At tibi Colehorum (memini) regina vacavı,
Ars mea cum peteres ut tibi ferret opem.
XVII (16). Helena an Paris.
Si mihi quae legi, Pari, non legisse hiceret,
Servarem mumeros sicut et ante probae.
Nune oculos tua cum violarit epistula nostros,
Non resceribendi gloria visa levis.
Obwohl diese Ergänzungen nicht überall und nicht vollkommen den Ge-
danken entsprechen, die wir aus den verbreiteten Anfängen glaubten de-
dueiren zu können, so dürfen wir sie doch zunächst als Beispiele nehmen,
wie den vermilsten Gedanken eine lateinische Fassung gegeben werden
konnte. Gegen die Form derselben ist nicht viel und nichts Erhebliches
einzuwenden, und manches läfst sich durch ähnliche Wendungen bei Ovid
belegen: VII. Acerpe .. carmen wie Ex Pont. IV 1, 1 Accipe, Pompei, deduc-
tum carmen ab «llo; vgl. ıbid. 18, 1. II 4, 1. — Ueber Aeolis Aeohidae XI
s. unten die Bemerkungen zu XII. — Das Spielen mit dem Doppelsinn von
salus in XI war dem Ovid ungemein beliebt: s. Her. IV 1 und XVI (15) 1;
Met. IX 530. Ex Pont. I 10, 1. Trist. III 3, 85 ff. V 13, 2. — Exul inops XU
16 VAHLEN:
konnte Medea so passend von sich wie die Hecuba sagen Met. XIII 509 modo
mazima rerum Tot generis natisque potens nuribusque wiroque Nunc trahor
exul inops. — Novo marito Dieit XI ist wie Adloquor VII 4, vielleicht auch
mit XX (19) 153 Trbi nos, tibi dieimus (Met. IX 121) zu vergleichen, welche
der Komödie besonders geläufige Wendung, um Jemanden anzurufen, dals er
aufmerke, im Munde der Medea nicht unpassend war, die fast wie im ge-
genwärtigen Zwiegespräch sich Gehör zu verschaffen sucht. — Regms
ibid. von der königlichen Braut oder der königlichen Familie, wie ich
glaube verstehen zu müssen, kommt, wenn ich nicht irre, ähnlich auch
sonst bei Ovid vor und ist schwerlich anzufechten. — An sicut et ante XVII,
worin et überflüssig zu stehen scheint, wird sich nicht stofsen, wer z. B.
Met. IX 323 nostrasque domos ut et ante frequentat vergleicht. — Nur ar-
mata .. mamı XI (wofern das Epitheton nicht in allgemeinerem, dann
aber bedeutungslosem Sinne genommen wird) ist, weil vorgreifend, nicht
eben geschickt, und eher geeignet die Anknüpfung von S? qua tamen zu
erschweren als zu erleichtern. Doch selbst darauf nicht allzugrofses Ge-
wicht zu legen, kann z. B. eine Stelle rathen, wie Fasti II 587 Jussa re-
cusantes peragunt LACRIMOSA ministri — FLENT tamen — et geminos in
loca dussa ferumt. — Im Uebrigen dürfte es schwer sein, aus inneren
Gründen den Beweis der Unächtheit zu führen, wofern man nicht Meinen
und Wünschen für Beweisen nimmt. Um so mehr erregt Bedenken, was
über Herkunft dieser ergänzten Anfänge berichtet wird. Hierüber werden
Heinsius’ Angaben jetzt durch Hrn. Sedlmayer’s Mittheilungen vervoll-
ständigt. Aber auch so fehlt viel, dafs über Ursprung und Tradition der-
selben befriedigende Klarheit erzielt sei. Soviel steht fest, dafs jene er-
gänzten Verse in der Pariser Handschrift des IX. (Heinsius’ Puteaneus)
und der Wolfenbütteler des XII. Jahrhunderts fehlen, d. h. in den beiden
Handschriften, welche man als die Quellen der ächten Ueberlieferung an-
zusehen pflegt. Von XVII hatte Heinsius angegeben, dafs die beiden er-
gänzten Verse im Puteaneus am Rande beigeschrieben seien, was neuer-
dings in Abrede gestellt und damit die einzige Spur ihrer Tradition ver-
wischt worden ist. Die Verse von XII haben sich bis jetzt nur in einer
ed. Venet. v. J. 1474 gefunden. Für XI führt Heinsius Excerpta Puteani
an, über welche nähere Auskunft vermifst wird, und bbri ex mostris
multi: letzteres hat sich bewährt, indem mehrere Handschriften des XIII
Ueber die Anfänge der Herorden des Ovid. 17
XIV. XV. Jahrhunderts diese beiden Verse enthalten. Für die Ergänzung
von VII nennt Heinsius aufser Excerpta Puteani den liber Regius und cod.
Lovaniensis, über welche gleichfalls genauere Angaben fehlen; zu diesen
aber ist neuester Zeit aufser Handschriften des XIII. und XV. Jahrhun-
derts hinzugekommen der cod. Etonensis, welcher nicht über den siebenten
Brief hinausreicht, den ergänzten beiden Versen dieser Heroide aber, wenn
er anders mit Recht dem XI. Jahrhundert zugeschrieben wird, wenigstens
ein erhebliches Alter vindieirt. — Es leuchtet von selbst ein, wie schwer
es ist, diese Daten in einem gemeinsamen Urtheil zusammenzufassen, und
wie sehr dieser Thatbestand der Ueberlieferung darnach angethan ist,
Zweifel an der Aechtheit dieser ergänzten Verse, sei es aller, sei es der
Mehrzahl, wach zu rufen. Aber indem wir die Möglichkeit der Fälschung
einräumen, wollen wir uns andererseits dıe aus den Anfängen der alten
Ueberlieferung gewonnene Erkenntnifs nicht rauben oder trüben lassen,
dafs diese, so wie sie sind, von Ovid nicht herrühren können. Denn
daraus, dafs jene Ergänzungen möglicherweise unächt sind, folgt mit
Nichten, dafs die in den verläfslichen Handschriften überlieferten Anfänge
vollständig und unversehrt seien. Vielmehr sind beide Fragen streng von
einander zu sondern, und ist daraus, dafs man diese durch die Natur der
Sache gebotene Scheidung unterlassen hat, dem Urtheil die Unbefangen-
heit benommen worden: denn ich hege die Meinung, dafs ohne die der
Interpolation geziehenen Ergänzungen heute kaum mehr ein Kritiker an
die Vollständigkeit jener vier Heroidenanfänge glauben würde und für
meine Betrachtung kein Stoff übrig geblieben wäre. Man wende nicht
ein, dals weil vier Briefe mit abgebrochenem Satz und halbem Gedanken
beginnen, darin Absicht und berechnete Kunst erkannt werden müsse.
Das Unvernünftige wird dadurch, dafs es verdoppelt oder vervierfacht vor-
liest, nicht vernünftig. Dagegen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit der
Annahme, wenn, wo Ein Distichon aus äufserem Anlafls in der Ueberlie-
ferung verloren ist, dasselbe an derselben Stelle und aus demselben An-
lafs noch in drei weiteren Fällen anzunehmen Grund gegeben ist.
Indem wir daher das gewonnene Resultat, dafs die besprochenen
vier Heroidenbriefe im Eingang je ein Verspaar eingebülst haben, fest-
halten, richten wir nun den Blick auf die übrigen Episteln unserer Samm-
lung. Die ersten vier geben zu keinem Zweifel Anlals.
Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. 1. 3
18 VAHLEN:
I. Penelope an Ulixes.
Hane tua Penelope lento tibi mittit, Ulixe:
Nil mihi reseribas, at tamen ipse veni.
II. Phyllis an Demophoon.
Hospita, Demophoon, tua te Rhodopeia Phyllis
Ultra promissum tempus abesse queror.
III. Briseis an Achilles.
Quam legis a rapta Briseide littera venit,
Vix bene barbarıca Graeca notata manu.
Quascumque aspicies lacrimae fecere lituras,
Sed tamen et lacrimae pondera vocis habent.
IV. Phaedra an Hippolytus.
Qua nisi tu dederis caritura est ipsa salute,
Mittit Amazonio Cressa puella viro.
Perlege quodeumque est: quid epistula lecta nocebit?
Te quoque in hac alıquid quod iuvet esse potest.
Ebenso unbedenklich und für die Manier des Dichters bezeichnend
scheinen die folgenden.
X1lI. Laodamia an Protesilaus.
Mittit, et optat amans quo mittitur ire, salutem
Haemonis Haemonio Laodamıa viro.
Aulide te fama est vento retinente morari:
Ah me cum fugeres, hie ubi ventus erat?
XIV. Hypermestra an Lynceus.
Mittit Hypermestra de tot modo fratribus uni
(Cetera nuptarum erimine turba iacet):
Clausa domo teneor gravibusque coereita vinclis:
Est mihi supplieii causa fuisse piam.
XVI (15). Paris an Helena.
Hane tibi Priamides mitto, Ledaea, salutem,
Quae tribui sola te mihi dante potest.
Eloquar an flammae non est opus indice notae,
Et plus quam vellem iam meus extat amor?
XVII (17). Leander an Hero.
Mittit Abydenus quam mallet ferre salutem,
er-
Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 19
Sı cadat unda maris, Sesta puella, tibi.
Sı mihi dı faciles et sunt in amore secundi,
Invitis oculis haee mea verba leges.
XIX (18). Hero an Leander.
Quam mihi misisti verbis, Leandre, salutem
Ut possim missam rebus habere, veni.
Longa mora est nobis omnis quae gaudia differt;
denen ich XV. Sappho an Phaon
Eequid ut aspecta est studiosae littera dextrae,
Protinus est oculis cognita nostra tuis?
An nisi legisses auctoris nomina Sapphus,
Hoc breve nescires unde movetur opus?
anreihe, ein Ovidischer Weise vollkommen entsprechender Eingang, ohne
damit hier im Vorbeigehen über die Aechtheit dieses Briefes entscheiden
zu wollen. Was aber unlängst gegen die Anfänge von XI. XIV. XVII,
die in ihrer augenfälligen Gleichartigkeit sich gegenseitig stützen, aus
sprachlichen Gründen vorgebracht worden, wiegt nicht schwer und wäre
besser unterdrückt geblieben. Viel Ueberlegung wenigstens verräth es
nicht, dafs als erster Verdächtigungsgrund geltend gemacht wird, diese
drei Eingänge, weil der Schreibende in dritter Person und ohne Anrede
sich einführe, seien mehr erzählender Natur. Denn von XVIII welcher die
Anrede hat (Sesta puella tibr) gilt dies nicht; die Form von XIV aber
wird milsverstanden, wie sich nachher zeigen wird; und dafs in XIII das
in römischem Gebrauch übliche Carus Titio salutem poetisch geformt er-
scheint, hat seine sprechenden Analogien an Ovid’s Briefen aus dem Pon-
tus (vgl. I 6. III 6. s. die Stellen unten S. 33). Ferner die Wortstellung
in XIII, wofern man nur richtig interpungirt: Mittit, et optat amans quo
mattitur dre, salutem, ist nicht zu schelten und hat Parallelen genug bei
Ovid und anderen Dichtern; und für Aaemonis Haemonio hätte statt auf
das zweifelhafte Aeolis Aeohidae XI vielmehr auf das ächte Tantahdae Tan-
talis uxor ero VII 120 verwiesen werden sollen, und wieviel unterscheidet
sich denn hiervon Amazonio Oressa puella viro IV 2, das unverdächtigt
steht? Mittit aber in XIV ist nicht etwa Mittit epistulam, wie Hanec tua
Penelope lento tibi mattit, Uhxe I 1 (d.i. hanc epistulam, denn auch das
wird seltsam milsdeutet) oder Quam legis X 3, wenn dies richtiger wäre
9%
6)
20 VAHLEN:
als was im cod. Puteaneus steht Quae legis (s. Ex Ponto IV 2. IV 14),
sondern Mittit hat bei richtiger Construction und Interpunction sein be-
stimmtes Object; das Eingangsdistichon steht nämlich nicht für sich, son-
dern zu verbinden ist Hypermestra mittit fratri: Clausa domo teneor, dies
nach bekanntem, von Gronov zu Livius (34, 29) erläutertem Sprachge-
brauch; und nichts konnte für die gegenwärtige Situation angemessener
sein als das so gefalste Mittit. Was aber sonst gegen diesen Eingang der
Hypermestra eingewendet wird (auch modo wird unrichtig verstanden, hier
und v. 73) hätte mit mehr Fug gegen den ganzen Brief gewendet werden
können, nach Lehrsischer Art; wer dagegen den Brief gelten läfst, entzieht
sich das Recht, die beiden Eingangsverse zu tadeln. Kurz dies sind alles
leicht hingeworfene Einwendungen, von deren Unhaltbarkeit sich Hr. Sedl-
mayer hoffentlich noch rechtzeitig überzeugen wird. Wichtiger ist was
bei XVII aus den Thatsachen der Ueberlieferung sich ergiebt. Heinsius
giebt an: “Hi duo versus (Mittit Abydenus — Sesta puella tibi) manı recen-
tiort in Puteaneo legebantur, pro quibus excerpta Douzae
(uam cuperem solitas, Hero, tibi ferre per undas
Accipe Leandri dum venit ipse manum.
Alter Mentelianus et hos et illos agnoscit, hos tamen posteriori loco;’ wozu
Burmann noch hinzufügt: In Douzae excerptis alterum distichon priori
subücitur
Aptior illa quidem placido dat verbera ponto:
Est tamen et sensus apta ministra mihi.
Dals das Distichon Mittit Abydenus — puella tibi im Puteaneus fehlt,
haben die neueren Angaben über die Handschrift bestätigt: von einer
Hand des XII. Jahrhunderts, sagt Merkel, sei dasselbe ın spatio a primo
hbrarıo relicto eingefügt worden. Es fehlt, wie Hr. Sedimayer mittheilt,
auch in den Schedae Vindobonenses saec. XII, und als älteste Quelle dieses
Verspaars hat der Guelferbytanus saec. XII zu gelten. Hier haben wir
also erstlich ein unwidersprechliches Beispiel dafür, dafs ein Eingangs-
distichon, das man vermifste, gefälscht worden: geformt aber ist das Di-
stichon der Excerpta Douzae mit Rücksicht und zum Anschlufs an die
Verse Aptior ılla quidem — ministra mihl, welche in den Texten hinter
V. 22 stehen, im Puteaneus aber hier von zweiter Hand am Rande nach-
getragen sind, auch in den Sched. Vindob., wo dafür freier Raum gelassen
Ueber die Anfänge der Herorden des Ovid. 21
ist, fehlen, so dafs auch für sie jetzt der älteste Zeuge der genannte Guel-
ferbytanus ist!). Die andere nicht minder beachtenswerthe Thatsache,
welche aus den angeführten Daten der Ueberlieferung gewonnen wird, ist
die, dafs auch im Puteaneus ein Eingangsdistichon vermilst wird, dessen
Aechtheit und Ursprünglichkeit nicht bezweifelt werden kann. Denn wenn
man geglaubt hat, die Verse
Mittit Abydenus quam mallet ferre salutem,
Si cadat unda maris, Sesta puella, tibi
auf die Autorität des Puteaneus beseitigen und den Brief mit
Sı mihi di facıles et sunt in amore secundi,
Invitis oculis?) haec mea verba leges
beginnen zu dürfen, so ist dies in meinen Augen auch ein Beweis dafür,
mit wie wenig Umsicht die Kritiker in diesen Gedichten verfahren. Hätte
man doch wenigstens consequenter Weise auch das erste Verspaar der Ant-
wort XIX tilgen sollen,
Quam mihi misistı verbis, Leandre, salutem
Ut possim missam rebus habere, veni,
welches jene Verse deutlich voraussetzt. Da aber letztere von Seiten der
Ueberlieferung völlig sicher stehen, so gereichen sie jenem wenn auch nur
vom Guelferbytanus erhaltenen Distichon zur unverwerflichen Stütze. Denn
daran ist kein Zweifel gestattet, dafs die Eingänge beider Briefe sich ebenso
entsprechen mulsten, wie die Schlüsse beider einander entsprechen:
XVII 215
Cum patietur hiems, remis ego corporis utar,
Lumen in aspectu tu modo semper habe.
Interea pro me pernoctat epistula tecum,
Quam precor ut minima prosequar ipse mora.
1) Siehe den Excurs 1.
2) Beiläufig, der Kern des Gedankens liegt in den Worten invitis oculis, die hier
mit ebenso prägnant zugespitzter Bedeutung stehen, wie Ex Ponto I 9, 4
Quae mihi de rapto tua venit epistula Celso,
Protinus est lacrimis umida facta meis.
Quodque nefas dietu fieri nee posse putavi,
Invitis oculis littera lecta tua est.
22 VAHLEN:
XIX 207
Spes tamen est fractis vieinae paeis in undis:
Tum placidas tuto pectore finde vias.
Interea quoniam nanti freta pervia non sunt,
Leniat invisas littera missa moras.
Wer demnach dem cod. Puteaneus so hohen Werth beimifst, dafs nichts
für ächt anzusehen sei, was dort nicht von erster Hand geschrieben steht
(ein kritischer Grundsatz, den ich für sehr bedenklich halte), der wird
dennoch um jener unerläfslichen Uebereinstimmung willen nicht umhin
können, in XVIII den Verlust eines Eingangsdistichons statuiren zu müssen,
und würde schwerlich im Stande sein zu erfinden, was diesen Zweck bes-
ser und angemessener erfüllen könnte, als jenes im Guelferbytanus erhal-
tene, im Puteaneus wenigstens beigeschriebene Distichon
Mittit Abydenus quam mallet ferre salutem,
Sı cadat unda maris, Sesta puella, tibi.
Denn um auch das noch zu erwähnen, der spielende Gegensatz zwischen
mittere salutem und ferre salutem, der in XIX durch mittere verbis und
rebus habere wieder aufgenommen wird, ist dem Ovid nicht minder be-
liebt (s. Ex Ponto I7. I 2, 3.4. II 5, 5.6) als das zu XI 1 (8.15)
erwähnte Spiel mit dem Doppelsinn von salus. Indem wir daher mit den
übrigen Eingängen auch dieses Distichon dem Puteaneus zum Trotz für
ächt halten, wollen wir zugleich die an den Eingang von XVIII ge-
knüpfte zwiefache Thatsache, dafs ein ächtes Distichon im Puteaneus ver-
loren gegangen und an Stelle des vermilsten ein anderes gefälscht worden
ist, in dem ihr gebührenden Gewicht nach beiden Seiten uns gegenwär-
tig halten.
Wir haben sonach zehn Heroiden (ich zähle die Sappho mit), und
mit den zuerst behandelten vier, bei welchen aus inneren Gründen der
Verlust eines Eingangsdistichons erwiesen ist, vierzehn, die uns ein gleich-
artiges Verfahren des Dichters in den Anfängen dieser Briefe erkennen
lassen. Es erübrigen noch sieben Episteln, von denen zwei ein Paar bil-
den, bei welchen ein entsprechender Eingang in der besseren Ueberliefe-
rung vermilst wird, auch nicht mit gleicher Evidenz wie bei jenen vier
der Beweis eines Defectes aus inneren Gründen erbracht werden kann,
denen aber doch die in fortschreitender Induction immer deutlicher zu
Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 23
Tage tretende Analogie zu Gute kommen darf. Doch prüfen wir sie ein-
zeln. Zuerst
VIII. Hermione an Orestes.
Pyrrhus Achillides animosus imagine patris
Inclusam contra iusque piumque tenet.
Quod potui renui, ne non invita tenerer.
In diesem Eingang ist, wofern mich mein Gefühl nicht täuscht, Inclusam
tenet, ohne dafs gesagt wird, auf wen es sich bezieht, mindestens hart
und dem Dichter kaum recht zuzutrauen. Wenn Ovid Met. IV 96 schreibt
Callida per tenebras versato cardine Thisbe
Egreditur fallitque suos adopertaque vultum
Pervenit ad tumulum dietaque sub arbore sedit.
Audacem faciebat amor,
so lassen, da Thxsbe eben genannt war, die Worte audacem faciebat ohne
bezeichnetes Object kein Bedenken. Ebenso würde in unserer Epistel nach
Nennung der Person Hermione dieit Oresti. Pyrrhus inclusam tenet, gleich-
gültig ob man inchusam me oder inchısam eam tenet verstehen wollte, ohne
Anstols sein, ganz so wie in dem Briefe selbst 101
Pars haec una mihi coniunx bene cessit Orestes:
Is quoque, ni pro se pugnet, ademptus erit:
Pyrrhus habet captam reduce et victore parente.
Oder mit dem anderen Participium ebend. v. 9
Surdior ille freto elamantem nomen ÖOrestis
Traxit inornatis in sua tecta comis,
und XII 63
Mane erat, et thalamo cara recepta soror,
Disiectamque comas aversaque in ora lacentem
Invenit !).
1) Um kein Mifsverständnifs aufkommen zu lassen, ich stofse mich nicht daran,
dals dem Partieipium eine Pronominalbestimmung fehlt, sondern nur daran, dafs der Brief
anfängt: Pyrrhus inclusam tenet, zumal letzteres im Grunde nur Ein Begriff ist. Wollte
aber Jemand dies damit rechtfertigen, dals der Tenor des Briefes an ein vorangestelltes
prosaisches Hermione Oresti salutem anschliefse (wie man anderes zu rechtfertigen gesucht
hat), so ist zu bedenken, dafs Ovid eben in dem Eingangsdistichon seiner poetischen Epi-
steln den conventionellen Briefanfang zu versifieiren pflegt und dafs es in zahlreichen
94 VAHLEN:
Daher der, dem die Ergänzung gehört
Adloquor Hermione nuper fratremque vwirumque,
Nune fratrem, nomen comiugıs alter habet.
Pyrrhus Achillides anımosus imagine patris
Inclusam contra iusque piumque tenet,
wie mir scheint, von richtigem Gefühl für angemessene Form geleitet
war, und tritt, so gefalst, dieser Eingang besonders dem von XIV an
die Seite
Mittit Hypermestra de tot modo fratribus uni
(Cetera nuptarum crimine turba iacet):
Clausa domo teneor.
Vgl. XII. Ich will zwar diese Ergänzung selbst, gegen deren Sinn und
Ausdruck kein Einwand zu erheben ist, nicht als ursprünglich verfechten
gegenüber einer so spärlichen Ueberlieferung: Heinsius fand die beiden
Verse in keiner seiner Handschriften, nur in einer nicht näher bezeich-
neten nachträglich an den Rand gesetzt. Nach Hrn. Sedlmayer’s Angaben
stehen sie abgesehen von einigen Editionen des XV. Jahrhunderts nur in
einem cod. Gothanus saec. XIII. Aber das trage ich doch kein Bedenken
auszusprechen, dafs mit diesen ergänzten Versen dem Dichter kein Unrecht
geschehen würde, und dafs ich es wenig glaublich finde, Ovid habe seiner
Gewohnheit untreu diesen Brief eines Briefeingangs, wie ihn doch die
von ihm gewählte Form »nelusam tenet fast nothwendig verlangte, ent-
behren lassen.
Fällen lächerlich wäre, dem poetisch geformten €. T. salutem ein ebensolches in prosai-
scher Form vorangeschickt zu denken. Dafs das Partieipium im Lateinischen eines Pro-
nomens nicht bedarf, wenn es aus dem Zusammenhang der Rede sich ergiebt, ist bekannt
genug (wie Catull. c. 35, 9 si sapiet viam vorabit Quamvis candida milies puella Euntem
revocet), und ist dies nicht den Dichtern allein gestattet: Schriftsteller wie Livius, Petro-
nius (auf dessen Gebrauch ich Hermes XV S. 273 f. hinwies), Suetonius, Seneca, Taeitus,
geben zahlreiche Beispiele. Dahin gehört auch Taeitus Dialog. ce. 3 ut intravimus cubieu-
lum Materni, sedentem ipsum quem pridie recitaverat librum intra mamus habentem deprehen-
dimus, wo es ganz gleichgültig ist ob man sedentem et ipsum (ef. Cie. de nat. deor. I 6, 15)
oder sedentem ipsumque quem schreibt, vielleicht keins von beiden erforderlich war (denn
die unabhängige Rede war sedens ipsum quem reeitaverat librum intra manus habebat), und
nur Schopen im Irrthum war, als er in der Meinung, das Pronomen ipsum müsse noth-
wendig zu dem Participium sedentem gezogen werden, zu schreiben vorschlug sedentem ipsum,
quemque. Und in ähnlicher Weise wird auch sonst geirrt.
Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 25
Noch weniger hoffe ich auf Beistimmung bei folgender Argumenta-
tion, die sich nicht an die Logik wendet, sondern auf die lebendige Nach-
empfindung einer stilistischen Form rechnen muß.
X. Ariadne an Theseus.
1 Mitius inveni quam te genus omne ferarum:
Credita non ulli quam tibi peius eram.
3 Quae legis, ex ıllo, Thesen, tibi littore mitto,
Unde tuam sine me vela tulere ratem.
5 In quo me somnusque meus male prodidit et tu,
Per facinus somnis insidiate meis.
Dies ist die Versfolge im cod. Puteaneus. Im cod. Guelferbytanus sind die
Verse Anfangs so geordnet gewesen:
3 Quae legis, ex illo, Theseu, tibi littore mitto,
Unde tuam sine me vela tulere ratem.
or
In quo me somnusque meus male prodidit et tu,
Per facinus somnis insidiate meis.
1 Mitius inveni quam te genus omne ferarum:
Credita non ulli quam tibi peius eram.
|
Tempus erat, vitrea quo primum terra pruina —
Dann aber sind die beiden Verse 1. 2 hier getilst und von zweiter Hand
in dem für den Titel freigelassenen Raum an den Anfang des Briefes ge-
setzt worden. Schwerlich war es Zufall, was dem Distichon 1. 2 den
Platz hinter V. 6 anwies, eher die Wahrnehmung, dafs dasselbe am An-
fang zu abgerissen stehe, die Verse 3. 4 dagegen besser für den Anfang
sich schickten. Aber obwohl dies beides nicht unrichtig überlegt wäre,
hinter V. 6 stört das Distichon 1. 2 den Zusammenhang, und besser war
es das Verspaar trotz seiner Abgerissenheit am Anfang zu belassen. Fehlte
es ganz, würde Niemand es vermissen: denn der Brief konnte mit 3 Quae
legis ex ıllo Thheseuw beginnen. Aber schwerlich würde auch Jemand zu
sagen wissen, in welcher Absicht es geformt und hierher gesetzt worden,
so wenig als Jemand gegen den Ausdruck einen gegründeten Tadel würde
vorbringen können. Daher an der Aechtheit des Distichon nicht zu zwei-
feln und dem Anstofs dafs es im Eingang zu abgerissen stehe, in anderer
Weise zu begegnen sein wird. Nur nicht so, dafs man V.1. 2 Mitius
inveni quam te — mit dem folgenden Distichon 3. 4 Quae legis — in en-
Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. 1. 4
36 VAHLEN:
gere Verbindung bringe. Denn mit letzterem beginnt vielmehr ein neuer,
von jenem abgetrennter und zu der weiteren Erzählung überleitender Ge-
danke. Wohl aber in der Art, dafs ihm selbst ein anderes vorangestellt
wird. Denn obwohl die Worte Mitius invent! quam te genus omne ferarum:
credita non ulli quam tibi peius eram einen vollständigen und abgeschlos-
senen Satz bilden, so meine ich doch zu empfinden, dafs der Gedanke als
erläuternde Fortsetzung eines anderen gedacht war: “Ariadne schreibt, die
treulos verlassene, den Thieren preisgegebene, lebt noch: milder als dich
habe ich selbst die wilden Thiere gefunden. Alte Editionen und einige
Handschriften bei Heinsius, aus Hrn. Sedlmayer’s Apparat nur zwei Aus-
gaben des XV. Jahrhunderts haben folgenden Eingang:
Ila relieta feris etiam nunc, improbe Thesen,
Vivit: et haec aequa mente tulısse velis:
Mitius inveni quam te genus omne ferarum:
Credita non ulli quam tibi peius eram.
Quae legis, ex illo, Theseu, tibi littore mitto —
Die Ergänzung selbst, die im Pentameter, wenn ich anders richtig ver-
stehe, schwächlich und wenig geschickt zu sein scheint, will ich nicht in
Schutz nehmen: aber die Empfindung, welche dieses Distichon eingegeben,
theile ich durchaus und hege die Ansicht, dafs auch hier in der besseren
Ueberlieferung zwei Anfangsverse ähnlichen Inhalts verloren gegangen
seien, deren Wiederherstellung dem jetzigen Anfangssatz die vermilste
Unterlage sowie dem ganzen Eingang das der elegischen Dichtungsart so
wesentliche Gleichgewicht der Gedanken restituiren würde.
Anders liegt es bei
V. Oenone an Paris.
Perlegis an coniunx prohibet nova? Perlege, non est
Ista Mycenaea littera facta manu:
Pegasis Oenone Phrygiis celeberrima silvis
Laesa queror de te si sinis ipsa meo.
Der Anfang ist abrupt, aber abrupt in einer Weise, die keinen Tadel ver-
dient. Wäre die Aufmerksamkeit nicht schon auf diesen Punkt gelenkt und
die Ueberlieferung nicht geeignet, den Zweifel zu schärfen, würde wohl
Niemand an diesen Eingang ein Bedenken heften, aus dem der Verlust
eines Distichons nicht zu deduciren ist. Gleichwohl haben nicht blofs
Ueber die Anfänge der Heroiden des Orid. 27
Excerpta Puteani und einige jüngere Handschriften eine Ergänzung er-
halten, sondern dieselbe wird auch überliefert in der Handschrift von
Eton, d.ı. nächst dem Puteaneus der ältesten, die wir heute kennen. Die
Ergänzung lautet:
Nympha suo Parıdi, quammıs suus esse recuset,
Mittit ab Idaers verba legenda rugıs.
Perlegis an coniunx prohibet nova? Perlege, non est
Ista Mycenaea littera facta manu:
Pegasis Oenone Phrygiis celeberrima silvis
Laesa queror de te si sinis ipsa meo.
Niemand möge wähnen, dafs durch diesen Zusatz eine unschöne Wieder-
holung entstehe. Denn eng zu verbinden sind die Worte Non est sta My-
cenaea httera facta manu: Oenone laesa queror de te: ‘Lies: denn den
Brief hat keine Mycenäische Hand geschrieben, deine neue Gattin zurück-
zufordern, sondern ich Oenone, die Phrygische Nymphe, führe Klage über
dich). Die Möglichkeit dafs diesem so formulirten Gedanken der andere
den Briefanfang markirende Satz ‘Die Nymphe sendet von den Idäischen
Bergen ihrem Paris einen Brief’ voraufgeschickt war, kann unbefangene
Beurtheilung nicht in Abrede stellen, und würden wir damit einen Ge-
dankenfortschritt gewinnen vergleichbar dem in dem unverdächtigten Ein-
sang von IV
Qua nisi tu dederis caritura est ipsa salute,
Mittit Amazonio Cressa puella viro.
Perlege quodeumque est: quid epistula lecta nocebit?
und ex Ponto II 2 (s. S. 32). Ob man aber einen Verlust statuiren und
die an sich nicht tadelnswerthe Ergänzung dem Dichter zuschreiben dürfe,
hängt theils von dem Werthe ab, den man der deutlich erkennbaren Ma-
nier des Dichters beimilst, andererseits von dem Vertrauen, das man zu
jener Ueberlieferung glaubt hegen zu können, welche uns, ohne dafs ein
nöthigender Anlafs zu einer Ergänzung ersichtlich wäre, jenen vervollstän-
digten Anfang erhalten hat.
Ein ähnliches Urtheil ist über die Eingänge der noch übrigen vier
Briefe zu fällen, von denen die zwei ersten (VI. IX) in einem analogen
1) Siehe Excurs 2.
38 VAHLEN:
Verhältnils stehen, so dafs man, was dem einen eingeräumt wird, dem
andern nicht wohl versagen kann, die beiden letzten (XX. XXT), welche
Brief und Antwort sind, gleichartige Anfänge verlangen. Ich setze sie
der Kürze halber gleich mit den erhaltenen Ergänzungen hierher.
VI. Hypsipyle an Jason.
Lemnias Hypsipyle, Bacchi genus, Aesone nato
Dieit, et in verbis pars quota mentis erat.
Littora Thessaliae reduci tetigisse carina
Diceris auratae vellere dives ovis.
Gratulor inecolumi, quantum sinis: hoc tamen ipso
Debueram scripto certior esse tuo.
IX. Deianira an Hercules.
Mittor ad Alciden a coniuge conscia mentis
Littera, si coniunx Deianira tua est.
Gratulor Oechaliam titulis accedere nostris,
Vietorem vietae suceubuisse queror.
XX (19). Acontius an Oydippe.
Acecipe, Uydippe, despecti nomen Aconti,
Ilhus in pomo qui tibi verba dedit.
Pone metum: nihil hie iterum iurabis amanti:
Promissam satis est te semel esse mihi.
Perlege, discedat sie corpore languor ab isto,
(Qui meus est ulla parte dolere dolor.
XXI (20). Cydippe an Acontius.
Littera pervenit tua quo consuevit, Acontı,
Et paene est oculıs insidiata meıs.
Pertimui, seriptumque tuum sine murmure legi,
Iuraret ne quos inscia lingua deos.
Wenn man von den Ergänzungen absehend die überlieferten Anfänge für
sich in Betracht zieht, mufs man eingestehen, dafs diese so wie sie sind
trotz der abrupten Form, namentlich von XX, vom Dichter herrühren
konnten und zu Vervollständigungen ein drängender Anlafs nicht gerade
geboten war, so dafs wer darauf beharrt, diese Anfänge seien die ursprüng-
lichen, aus ihnen selbst nicht widerlegt werden kann. Aber ebenso wird
wer die ergänzten Verse ohne vorgefalste Meinung prüft, einräumen müs-
u TEEN Te
an
Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 29
sen, dafs sie sich bequem an die überlieferten Anfänge anfügen und das
Schroffe der unvermittelten Eingänge in angemessener und gefälliger Weise
mildern. Nach meinem Gefühl wenigstens steht z. B. XX Pone metum
besser, wenn Acontius vorher genannt war, ılle qui in pomo verba dedıt,
letzteres in beabsichtistem Doppelsinn (vgl. XXI 121), und ergäbe das Ganze
eine Gedankenfolge ungefähr wie Trist. V 2
Eequid ubi e Ponto nova venit epistula, palles,
Et tibı sollieita solvitur ılla manu?
Pone metum: valeo —.
Auch das ist nicht zu bestreiten, dafs in den Ergänzungen selbst nichts
enthalten ist, was nicht der Weise Ovid’s entsprechend wäre oder gegrün-
deten Verdacht erwecken könnte. Denn selbst dafs Heinsius VI ments in-
est verlangt, ist nicht begründet und wird erat durch den Briefstil gerecht-
fertigt. Der Ausdruck selbst aber et in verbis pars quota mentis erat hat
seine Parallelen an XII 89 Haec animum, et quota pars haec sunt, movere
puellae, und XII 60 et seguitur regni pars quota quemque sur (vgl. XII 184).
Ueber Dieit s. zu XII (S. 16).— Dals IX die Littera redend eingeführt ist, da-
mit wird man nicht unpassend zusammenstellen Trist. V 4 Littore ab Euxino
Nasonis epistula veni (vgl. Ex Pont. 17), und mit Littera conscıa ments
vergleiche man XVII (16) 265 furtivae conscia mentis Littera. Das Poin-
tirte des Zusatzes sz contunx Deranira tua est aber hat Analogien an V 4;
Trist. V 13, 2; Ex Ponto I 3; 1 10. — Ueber Accıpe XX s. zu VII (S. 15),
und mit XXI Littera pervenit tua vel. Ex Ponto IV 8; quo consuevit aber
und paene insidiata est ist nicht unpassend und im Hinblick auf die Lit-
tera in pomo gesagt (vgl. V. 55 u. 110). — So ist auch hier die Entschei-
dung von der Ueberlieferung abhängig gemacht, und auch hier fällt es
einigermalsen in das Gewicht, dafs die ergänzten Verse von VI (aufser in
den Excerpta Puteani) in dem cod. Etonensis stehen, der, so weit er eben
reicht, immer auch die Ergänzungen enthält, von V, VI, VII, und damit
der Annahme die Möglichkeit eröffnet, dafs sein Zeugnils, wäre es erhal-
ten, auch den übrigen vervollständigten Anfängen wenigstens ein beträcht-
liches Alter sichern würde. Wer aber diesem Zeugen zu Liebe den er-
gänzten Anfang von VI sich gefallen liefse, würde der hervorgehobenen
Aehnlichkeit wegen den von IX nicht verwerfen wollen, obwohl für diesen
jetzt kein anderer Zeuge als Excerpta Puteani, cod. Regius und Editionen
30 VAHLEN:
des XV. Jahrhunderts namhaft gemacht wird. Auch für die Ergänzungen
von XX und XXI treten jetzt nur Handschriften des XIII. XIV. XV. Jahr-
hunderts und einige Editionen des XV. ein. Doch darf zu Gunsten dieser
beiden den Briefeharakter besser ausdrückenden Ergänzungen noch auf
die gleichfalls den Briefstil genau einhaltenden und einander vollkommen
entsprechenden Schlüsse beider hingewiesen werden, die zusammen mit
jenen vervollständigten Anfängen mir eine angemessenere Umrahmung bei-
der Briefe abzugeben scheinen, als sie jetzt haben. Die Schlufsverse
aber lauten
XX. Longior infirmum ne lasset epistula corpus,
Ölausaque consueto sit sıbı fine, vale.
XXI. Jam satis invalidos calamo lassavimus artus
Et manus officium longius aegra negat.
Quid nisi quod cupio me iam coniungere tecum
Restat ut adscribat littera nostra 'vale’,
Schlufsformeln, denen man den Schlufs des Briefes Trist. III 3, 85 an die
Seite setzen kann:
Scribere plura libet, sed vox mihi fessa loquendo
Dictandi vires siccaque lingua negat.
Accipe supremo dietum mihi forsitan ore,
Quod tibi qui mittit non habet ipse "vale'.
Hiernach kann auch Hrn. Dilthey’s Verfahren nicht befriedigen, der die
Schlufsverse von XX als Interpolation markirt, während er den Schlufs
von XXI bestehen läfst. Aber wie man auch über diese letzte Epistel
der Sammlung, welche im Puteaneus bei V. 12 abbricht, und deren Fort-
setzung nur in jüngeren Handschriften erhalten ist, urtheilen mag, die
Schlufsverse derselben fordern für XX den analogen Schlufs, dem hier
auch nicht einmal von Seiten der Ueberlieferung ein Bedenken entgegen
steht (vgl. XIV 131; XVII (16), 266; X 140).
Doch wie die Ueberlieferung nun einmal ist, mehr als die Mög-
lichkeit, dafs auch diesen vier Heroidenbriefen ein Eingangsdistichon ver-
loren gegangen sei, wage ich nicht zu behaupten, diese aber spreche ich aus
nicht ohne Rücksicht darauf, dafs ich einen solchen Verlust für vier Briefe
als erwiesen, für zwei weitere als wahrscheinlich gemacht betrachte, sowie
im Hinblick darauf, dafs die überwiegende Gewohnheit des Dichters mehr
Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. sl
für als gegen derartige Briefeingänge spricht. Und um letzteres noch
näher darzuthun, wird es nicht unnützlich sein, unsere Betrachtung über
die Heroiden hinweg noch auf andere Dichtungen Ovid’s zu erstrecken.
Wir besitzen aufser der Sammlung noch einen Ovidischen Heroiden-
brief, den bei Erörterungen über jene nicht aufser Acht zu lassen, aus
vielen Gründen geboten ist. Es ist der Brief der Byblis an ihren Bruder
Caunus, Met. IX 520 ff., der obwohl als Theil der Erzählung kürzer ge-
halten als die selbstständigen Briefe der Sammlung, dennoch in manchem
Betracht Analogien bietet zu jenen. Ich begnüge mich den Anfang hier-
her zu setzen:
Sceripta soror fuerat: visum est delere sororem
Verbaque correctis incidere talıa ceris:
530 “Quam nisi tu dederis non est habitura salutem,
Hane tibi mittit amans: pudet, a pudet edere nomen.
Et si quid cupiam quaeris, sine nomine vellem
Posset agi mea causa meo, nec cognita Byblis
Ante forem quam spes votorum certa fuisset.
Auf die in diesen Briefeingängen beliebte Doppelverwendung von salus habe
ich zu Her. XI (S. 15) hingewiesen. Für unseren Zweck aber ist nament-
lich zu beachten, dafs der conventionelle Briefanfang nicht fehlt und ob-
wohl dies hier zu besonderem Effeet verwerthet ist, so erkennt man doch,
sich im Eingang zu nennen, erschien der Schreiberin als das natürliche
und gebotene.
Aber Ovid hat in der letzten Epoche seines Lebens so viele Briefe
geschrieben, dafs wer in dieser Gattung seine Manier (und bei keinem
Dichter galt die Manier so viel) kennen lernen will, auch diese nicht darf
unberücksichtigt lassen. Obwohl die wichtigsten in. Betracht kommenden
Briefeingänge schon im Lauf der Erörterung verwerthet sind, erscheint
es doch für unsere Beweisführung nicht unräthlich, sie hier der Reihe
nach aufzuführen.
Ex Ponto
b4 Naso Tomitanae iam non novus incola terrae
Hoc tibi de Getico littore mittit opus.
12 Maxime —
Forsitan haec a quo mittatur epistula quaeras
32 VAHLEN:
Quisque loquar tecum certior esse velis:
Ei mihi: quid faciam? vereor ne nomine lecto
Durus et aversa cetera mente legas.
13 Hane tibı Naso tuus mittit, Rufine, salutem,
(Qui miser est, ulli si suus esse potest.
15 Ille tuos quondam non ultimus inter amicos,
Ut sua verba legas, Maxime, Naso rogat.
I7 Littera pro verbis tibi, Messaline, salutem
(uam legis a saevis attulit usque Getis.
Indieat auctorem locus? an nisi nomine lecto
Haec me Nasonem seribere verba latet?
18 A tibı dileeto missam Nasone salutem
Accipe, pars anımae magna, Severe, meae.
710 Naso suo profugus mittit tibi, Flacce, salutem,
Mittere rem si quis qua caret ipse potest.
II 2 Ille domus vestrae primis venerator ab annis
Pulsus ad Euxini Naso sinistra freti
Mittit ab indomitis hanc, Messaline, salutem,
(uam solitus praesens est tibi ferre, Getis.
Eı mihi, si lecto vultus tibı nomine non est
Qui fuit et dubites cetera perlegere.
Perlege, nec mecum pariter mea verba relega:
Urbe licet vestra versibus esse meis.
II 4 Accipe colloquium gelido Nasonis ab Histro,
Attice, iudiecio non dubitande meo.
115 Condita disparibus numeris ego Naso Salano
Praeposita misi verba salute meo.
Quae rata sit cupio, rebusque ut comprobet omen
Te precor a salvo possit, amice, legi!).
1) Hier ist mir die Kritik der neuesten Herausgeber unverständlich, von denen
der eine (Korn) quae rata sit cupio, res atque ut comprobet omen, Te precor, der andere
(Riese) quae rata sit cupio. rebusque ut comprober, omen Te precor edirt, während die
Handschriften, die beste, rebusque comprobet omen, die übrigen dies mit dem unentbehr-
lichen ut darbieten. Ich construire Quae (salus) rata sit cupio et ut ea rebus comprobet
omen, precor ut a te salvo legi possit: "ich beginne meinen Brief mit einem Heilgruls und
Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 33
II 6 Carmine Graeeinum, qui praesens voce solebat,
Tristis ab Euxinis Naso salutat aquis.
Exulis haee vox est: praebet mihi littera linguam,
Et si non liceat sceribere, mutus ero.
1% Esse salutatum vult te mea littera primum
A male pacatis, Attice, missa Getis.
Proxima subsequitur, quid agas, audire voluntas!),
Et si quidquid agis sit tibi cura mei.
II 10 Eequid ab impressae cognoscis imagine cerae
Haec tibı Nasonem scribere verba, Macer?
Auctorisque sul si non est anulus index,
Cognitane est nostra littera facta manu?
Dale Hoe tibi, Rufe, brevi properatum tempore mittit
Naso, parum faustae conditor Artis, opus.
III 2 Quam legis a nobis missam tibi, Cotta, salutem,
Missa sit ut vere perveniatque precor.
III 3 Si vacat exiguum profugo dare tempus amico,
OÖ sidus Fabiae, Maxime, gentis ades,
Dum tibi quae vidı refero —
III 4 Haec tibi non vanam portantia verba salutem
Naso Tomitana mittit ab urbe tuus.
115 Quam legis, unde tibi mittatur epistula, quaeris?
Hine ubi caeruleis iungitur Hister aquıs.
Ut regio dieta est, succurrere debet et auctor,
Laesus ab ingenio Naso poeta suo.
damit der im Worte ausgesprochene durch die That das gute Omen dieses Anfangs be-
währe, wünsche ich, dafs du meinen Heilgrufs heil lesen mögest.. Rebus ‘durch die That’
schlielst den Gegensatz verbis in sich, hier wie Her. XIX (18), 1 Quam mihi misisti verbis,
Leandre, salutem Ut possim missam rebus habere, veni, und wie Griechisch Aoyas — Eoyaıs
ebenso im Gebrauch war wie Aoyu — Eoyu.
1) Beide Herausgeber ediren voluptas mit der besten Handschrift, während die
ganze Schaar der übrigen voluntas giebt. Das dünkt mich die Reverenz vor einer guten
Handschrift zu weit getrieben. Denn voluptas giebt keinen Sinn, voluntas den besten: "das
erste ist mein Grufls (salus), das zweite mein Wunsch (voluntas) zu erfahren, wie es dir
geht und ob du meiner eingedenk bist.’
Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. I. b)
34 VAHLEN:
Qui tibi, quam mallet praesens adferre salutem,
Mittit ab hirsutis, Maxime Cotta, Getis.
III 6 Naso suo, posuit nomen cui paene, sodali
Mittit ab Euxinis hoc breve carmen aquis.
IVı Accipe, Pompei, deduetum carmen ab illo
Debitor est vitae qui tibi, Sexte, suae.
IV 2 Quod legis, o vates magnorum maxime regum,
Venit ab intonsis usque, Severe, Getis.
IV 5 Ite, leves elegi, doctas ad consulis aures
Verbaque honorato ferte legenda viro.
IV 6 Quam legis, ex illis tibi venit epistula, Brute,
Nasonem nolles in quibus esse locis.
IV 8 Littera sera quidem, studiis exculte Suilli,
Huc tua pervenit sed mihi grata tamen.
IV 9 Unde licet, non unde iuvet, Graecine, salutem
Mittit ab Euxinis hanc tıbı Naso vadis.
IV ı1 Gallio, erimen erit vix excusabile nobis,
Carmine te nomen non habuisse meo.
IV 12 Quo minus in nostris ponaris, amice, libellis
Nominis effieitur condicione tuı.
IV 13 OÖ mihi non dubios inter memorande sodales
Quique quod es vere Care vocaris, ave.
Unde saluteris, color hie tibi protinus index
Et structura mei carminis esse potest.
IV 14 Haee tibi mittuntur, quem sum modo carmine questus
Non aptum numeris nomen habere meis.
Selbst in den Tristien, obwohl die in diesen fünf Büchern enthaltenen Elegien
nur zum kleinsten Theile wirkliche Briefe sind oder sein sollen, begegnen
wir da, wo eigentliche Briefe beabsichtigt sind, auch wieder den gleicharti-
gen Eingangsformen, wie um Ill 3, das früher schon erwähnt, zu übergehen,
417 Vade salutatum subito perarata Perillam
Littera, sermonis fida ministra mei.
NA Quam legis ex illa tibi venit epistula terra,
Latus ubi aequoreis addıtur Ister aquis.
nn eg ne a nn ne
Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 35
V13 Hane tuus e Getico mittit tibi Naso salutem,
Mittere si quisquam quo caret ipse potest.
Wer aus diesen zahlreichen Beispielen, welche die Heroiden selbst und die
übrigen Briefsammlungen darbieten, Ovid’s Weise den Brief eines Brief-
eingangs nicht entbehren zu lassen, sich zu heller Anschauung gebracht
und auch das nicht unbeachtet gelassen hat, wie sehr hier abrupte Rede-
form seiner Gewohnheit entgegen war, der wird, denke ich, um so mehr
den Gedanken von sich weisen, er habe einige Heroidenbriefe statt mit
ganzen und vollständigen mit halben und abgerissenen Gedanken und Sätzen
eröffnet, und wird es der Wahrscheinlichkeit entsprechend finden, dafs er
diese Episteln auch da mit einem den Briefeharakter anzeigenden Eingangs-
distichon werde versehen haben, wo ein solches heute fehlt und der strenge
Beweis eines Verlustes aus den überlieferten Anfängen nicht geführt werden
kann. Ob die sporadisch in Quellen von verschiedenem Werth und Alter
erhaltenen Ergänzungen, deren Unächtheit aus inneren Gründen nicht zu
erweisen ist, als ächt und ursprünglich anzusehen sind, ist eine Frage
der Ueberlieferung, die vielleicht überhaupt nicht mehr, sicherlich nicht
bei unserer gegenwärtigen Kenntnis der Ueberlieferung mit Bestimmtheit
beantwortet werden kann. Und mein Zweck war es nicht sowohl den He-
roiden Ergänzungen zu gewinnen als zu bekannten und anerkannten De-
feeten einen neuen aufzuweisen. Die einundzwanzig Heroidenbriefe, die
Ovid schwerlich jemals in einem oder mehreren Büchern vereinigt hatte,
stammen aus einem verstümmelten Urexemplar, in welchem XXI bei v. 12
abbrach, in XVI (Paris an Helena) in der Mitte ein erhebliches Stück, an
funfzehnter Stelle der von Ovid geschriebene Brief der Sappho, und wie
ich hinzufüge, dıe Eingangsdistichen mehrerer Briefe (letztere vermuthlich
weil der Raum zu kalligraphischer Ausführung der Anfangsverse freigelassen
war) fehlten. Aus diesem unvollständigen Exemplar sind die Heroiden,
wie sie waren, ohne Markirung der Lücken in den Puteaneus abgeschrieben
und durch seine Vermittelung verbreitet worden. Ob neben ihm eine an-
dere alte Ueberlieferung hergegangen, aus welcher die Ergänzungen stam-
men, das ist es, was ich unentschieden lasse, aber wie man auch darüber
urtheilen mag, dafs Ovid einige seiner Heroiden ohne Anfang habe anfangen
lassen, wird man künftig, wie ich hoffe, ebenso wenig glauben, wie, dafs
er Her. XXI bei V. 12 abgebrochen habe.
36 VAHLEN:
Exeurs zu 8. 21.
Ob das Distichon XVII 23. 24, das ich in seinem Zusammenhang
hersetzen will,
Talıbus exiguo dietis mihi murmure verbis,
20 Cetera cum charta dextra locuta mea est.
At quanto mallem quam seriberet illa nataret
Meque per adsuetas sedula ferret aquas.
23 Aptior ılla quidem placido dare verbera ponto:
24 Est tamen et sensus apta ministra mei.
worauf dann mit V. 25
Septima nox agitur —
die Erzählung eingeleitet wird, ächt sei oder nicht, diese Frage kann ich
für meinen Zweck unentschieden lassen, will aber doch nicht unterlassen,
anzumerken, dafs meines Erachtens der Ausdruck untadelig ist (mit sensus
apta ministra mei von der schreibenden Hand vgl. Trist. III 7, 2 hittera
sermonis fida ministra mei), dals die beiden Verse dem Zusammenhang
sich ebenso wohl anschmiegen, wie sie dem Gedanken und der Stimmung
des Schreibenden entsprechend sind, und endlich dafs der Umstand, dafs
das Verspaar im cod. Putean. von zweiter Hand an den Rand gesetzt ist,
in meinen Augen allein nicht schwer genug wiegt, um es zu verwerfen.
Ueberhaupt verlangen die im Context der Heroiden in jener Handschrift
fehlenden. und anderweitig ergänzten Verse eine besondere Untersuchung,
bei der sich, wie ich glaube, herausstellen wird, dafs man auch in dieser
Hinsicht zu der Unversehrtheit der Pariser Handschrift zu grofses und un-
berechtigtes Vertrauen hegt. Ich will hier nur beispielsweise einiges er-
wähnen, das vielleicht auch für meine Behandlung der Anfänge von eini-
sem Nutzen ist.
Hermione in der Gewalt des Pyrrhus, der sie dem Örestes geraubt,
schreibt an Orestes VIII 15
15 At tu, cura mei si te pia tangit, Öreste,
Iniice non timidas in tua iura manus.
Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 37
An sı quis rapiat stabulis armenta reclusis,
Arma feras, rapta coniuge lentus eris?
Sit socer exemplo nuptae repetitor ademptae
20 Nupta foret Paridi mater ut ante fuit.
Die Verse 19. 20 hat Hr. Riese so abgeändert,
Sis (socer exemplo est) nuptae repetitor ademptae:
Nupta foret, Paridi mater ut ante fuit?
aber mit seinen Aenderungen nur einen unverständlichen Ausdruck gewon-
nen. Denn nupta foret, von der Hermione, wenn ich recht verstehe, hätte
wenigstens Orest! oder raptori mupta foret heilsen müssen, damit ut Paridi
mater sich passend anschliefsen konnte, und auch dann noch wäre weder
‚foret genügend noch ante am Platz. Die hypothetische Frageform aber,
die hier völlig unfafsbar ıst, kann nicht durch die anders gearteten und
lichtvollen Stellen Amor. II 7, 25. Ars. II 699 gerechtfertigt werden. Wer
unbefangen zusieht, findet, dafs beide Verse, wie sie überliefert sind, einen
deutlichen und unanfechtbaren Sinn und Ausdruck ergeben: nur fehlt dem
Gedanken des Pentameter der Vordersatz, der nicht entbehrt werden kann.
Die Lücke also zwischen beiden Versen wird nicht zu bestreiten sein; und
wirklich geben ein paar Handschriften des XIV. und XV. Jahrhunderts
und einige alte Ausgaben folgende Abfolge:
19 Sit socer exemplo, nuptae repetitor ademptae,
Cui pia militiae causa puella fuit.
St socer ignavus vidua stertisset in aula,
20 Nupta foret Paridi mater ut ante fuit.
Sofort ıst helle Klarheit verbreitet und jedem Wort der alten Ueberliefe-
rung sein volles Recht geworden. Die Lücke also und dafs mit jener Er-
gänzung der Gedanke des Dichters richtig wiedergegeben wird, sollte kein
besonnener Kritiker bestreiten. Aber die Macht des Vorurtheils, über die
ich im Text meiner Untersuchung mich ausgesprochen, wirkt auch hier
verblendend. Weil man jenen beiden ergänzten Versen aus Gründen der
Ueberlieferung glaubt mifstrauen zu sollen, sträubt man sich auch gegen
die unausweichliche Annahme des Defectes und ersinnt lieber unhaltbares
und verkehrtes. Aber mögen jene beiden Verse, deren Form trotz stertis-
set nicht zu tadeln ist, auf conjecturaler Ergänzung beruhen, so ist die
Conjecetur nicht schlecht, trifft auch in der Hauptsache das Richtige, und
38 VAHLEN:
es geschieht dem Dichter damit sicherlich weniger Unrecht, als mit Hrn.
Riese’s Aenderungen oder Hrn. Sedlmayer’s Erklärung.
V1 95 schreibt Dido, einst die Gemahlin des Sychäus, jetzt von
Aeneas, nachdem sie ihm ihre Frauenehre geopfert, verlassen:
Exige, laese pudor, poenas violate Sychei
Ad quas (me miseram) plena pudoris eo.
So vwiolate Sychei die beiden alten Handschriften Puteaneus und Guelferby-
tanus, und mit dieser unverständlichen Lesung haben sich die älteren Kri-
tiker und Erklärer weidlich abgequält. Die neuesten Herausgeber aber
schreiben umbraeque Sychaei, und Hr. Riese hält nicht einmal für noth-
wendig, anzumerken, dafs dieses umbraeque nichts ist als ein Einfall. Und
es ist kein guter. Wer die überlieferten Worte ohne Vorurtheil betrachtet,
wird leicht auf den Gedanken geführt, dafs die Stelle lückenhaft sei und
dafs zwischen wolate und Sychaei ein paar Verse ausgefallen, in denen auch
der Begriff enthalten war, an welchen ad quas sich anschlols. So bieten
denn auch cod. Regius des Heinsius und ein Treviranus saec. XIII statt
der zwei Verse folgende vier:
Exige, laese pudor, poenas, violatague lecti
Zura nec ad cineres fama retenta meos
Vosque mei manes animaeque cinisque Sychaei
Ad quas (me miseram) plena pudoris eo.
Mir scheint nicht zweifelhaft, dafs die Lücke richtig angesetzt ist, in einer
Weise, die auch den Anlafs des Defectes ersichtlich macht; und wie der
Gedanke richtig getroffen, so ist auch an der Form der Ergänzung nichts
Erhebliches auszusetzen (nec patris Anchisae cinerem manesve revelli sagt
Virgil Aen. IV 427 (vgl. IV 34) und manes elicerent animas responsa da-
turas Horatius Sat.1, 8,29). Aber mag die Ergänzung herrühren, von wem
sie wolle, dem, der sie erfand, macht sie alle Ehre, und unsere Kritiker
hätte sie wenigstens aufmerksam machen können, die Art und den Sitz
der Verderbnifs der alten Ueberlieferung richtig zu erkennen.
Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid. 39
Exeurs zu 8. 27.
Recht unüberlegt hat unlängst Krit. Comm. S. 21 Hr. Sedlmayer
über das Distichon V, 3. 4 geurtheilt,
Pegasis Oenone Phrygiis celeberrima silvis
Laesa queror de te si sinis ipsa meo,
das er für ein untergeschobenes erklärt. Aber pegasıs kann dafür keinen
Grund abgeben. Man hat in älterer und wieder in neuerer Zeit an Pe-
dasıs gedacht, das nicht unpassend war, aber auch singulär wäre. Aber
wer wollte behaupten, dafs Ovid nicht pegasis (das als nom. propr. einer
Nymphe bezeugt ist) habe zur Bezeichnung der fontana nympha (fontana
numina Naiades Met. XIV 327) bilden oder anwenden können, und edita
de magno flumine nympha nennt sich Oenone selbst V. 10. Wer von Grie-
chen oder Römern hat die Musen Mnemonides (von Mvyucvn) genannt aulser
Ovid (Met. V 268.280)? Der ganze Ausdruck aber pegasıs Oenone Phry-
güs celeberrima siluis ist genau geformt wie Naıs Amalthea Cretaea nobilis
Ida Fast. V 115, und dafs Phrygüs c. silvis im Gegensatz gegen das voraus
gegangene Mycenaea mamı steht, bemerke ich im Text. Ferner ıpsa soll
ein Fliekwort sein, ein Urtheil, das wenig Vertrautheit mit Ovid’s Sprache
und Art bekundet. Haupt (Opp. 2, 186) hatte, als er die griechische Wort-
stellung &=’ aures aurs besprach (zu den prosaischen Beispielen, die er
bringt, kann noch gefügt werden r. Ül. p. 33, 16 ra aures aurod ducw),
nicht unterlassen, auf eine ähnliche Art der Wortstellung bei Ovid hinzu-
weisen. Er zählt folgende Beispiele auf:
Am. 1, 7,26 Et valuı poenam fortis in ipse meam
Ars am. 3, 668 Mittor et indicio prodor ab ipse meo
Ibis 403 quem reddere vitam
Urbe Coronides vidit ab ipse sua
584 Et laesus lingua Battus ab ipse sua
Ex Ponto 3, 3, 46 Diseipulo perii solus ab ipse meo
Heroid. IX 96 Fertilis et damnis dives ab ipsa suis
XI 18 Ut caderet cultu eultor ab ipse suo
XIII 116 Languida laetitia solvar ab ipsa mea.
40 VAHLEN: Ueber die Anfänge der Heroiden des Ovid.
Diese Beispiele hatte bereits Heinsius zu Heroid. IX 96 zusammengestellt.
Ich füge hinzu (aufser Virg. Aen. XII 639 oculos ante ıpse meos u. IV 233)
Fast. V 551 Ultor ad ipse suos caelo descendit honores.
Die Beispiele aus den Heroiden betrachtet Haupt nur als Nachahmungen
der Ovidischen Art, wiewohl man eine so einzige Liebhaberei in lateini-
scher Poesie nicht ungern demselben Dichter zuschreiben möchte. Auch
darin kann ich Haupt nicht beistimmen, wenn er meint, der oder die
Dichter seien nur durch die Bequemlichkeit des Versmalses zu dieser Wort-
stellung veranlafst worden: sie dient vielmehr ersichtlich demselben Zweck,
wie die entsprechenden griechischen Beispiele, durch die Aneinanderrückung
der verschiedenen Pronomina den in ihnen liegenden Gegensatz zu schärfen.
Und denselben Dienst thut »psa an unserer Stelle, obwohl hier eine Ver-
schränkung der Wortstellung nicht einmal vorliegt. Denn zusammen gehört
queror de te ipsa meo, ganz so hier, wie V. 134 poteras falli legibus ipse
tus, und oftmals sonst. Nichts unbegründeter also als dieses zpsa zu tadeln.
Aber auch s? sinis wird nicht gewürdigt. Denn warum sollte dies nach
VI3 quantum sinis geformt sein? Hat doch s sinis hier seinen guten Sinn:
queror de te, qwi si sinis meus es. Und auch das gehört zur Manier des
Ovid, solch pointirte Bedingungssätze zwischenzuschieben, worauf S. 29
hingewiesen ward. Ich rechne dahin auch X 75, welches Beispiel angeführt
sei, um es vor Hrn. Riese’s Verbesserung zu schützen:
Cum mihi dicebas ‘per ego ipsa pericula iuro
Te fore, dum nostrum vivet uterque, meam.
Vivimus et non sum, Theseu, tua, si modo vivit
Femina periuri fraude sepulta viri.
Denn Hr. Riese schreibt tua (s? modo vivis), Femina, was keinen Sinn giebt.
Ariadne sagt “Wir leben beide und ich bin nicht dein, wenn anders leben
heifsen kann ein Weib, das durch die Treulosigkeit des Mannes begraben
ist” Auch hierüber urtheilt Hr. Sedimayer seltsam. — Ueber die Oenone
bemerke ich noch, dafs auch an anderen Stellen die neueste Kritik diese
Epistel mehr geschädigt als gefördert hat: denn welchen Sinn hat 154
Nec deus, wenn man die Verse 151. 152 ausstreicht, und auch die Verse
140 —145 sind, richtig verstanden, weder "abscheulich’ noch neptr.
Ueber eine alte Genealogie der Welfen.
Von
B-SWATTZ.
Philos.-histor. Kl. 1881. Abh.I. 1
© g s ’
is 2 hand.
ar 7 DE
Berne air A
EB
4 hie
5
Ir 1er a va
“ 2 u
gi h u ven: ”
sans ’ { 19313 3i20insu9 Fr - 23177 3113 dal M
a Li Bi >
. au on vu
———— — us e “ LIZE E
Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 21. April 1881. E22
“o w v
us Das
D.: Codex der Münchener Bibliothek Nr. 21563 (Weihenstephan
63) enthält eine kurze Genealogie oder Geschichte der Welfen, die bis-
her für einen Auszug der bekannten Historia Welforum Weingartensis (zu-
letzt herausgegeben von Weiland, SS. XXI, S. 454) gehalten worden !)
und deshalb wohl ungedruckt geblieben ist. Im vorigen Herbst von
Hrn. Bibliotheksecretär Dr. W. Meyer mit gewohnter Gefälligkeit auf
die Handschrift aufmerksam gemacht, begann ich eine Abschrift, die, da
die Zeit sehr kurz gemelsen war, Prof. Wattenbach die Güte hatte zu
Ende zu führen. Als ich das Stück hier genauer untersuchte, stellte sich
allerdings sofort der engste Zusammenhang mit jener Historia heraus;
aber ebenso bald fing ich an zu zweifeln, ob wir wirklich nur einen
Auszug vor uns haben, und je länger ich mich mit demselben be-
schäftigte, je mehr befestigte sich mir die Meinung, dafs nicht eine Ab-
leitung, sondern vielmehr die Grundlage der Historia hier erhalten ist.
Diese Annahme werde ich versuchen etwas näher zu begründen
und zugleich den Text mittheilen, der später auch in die Monumenta
Germaniae historica aufzunehmen sein wird.
Was zunächst den Gedanken nahe legen muls, ist der Schlufs. Die
Historia, nach Weilands Ausführung, mit welcher Giesebrecht ganz über-
. 1) Oefele, Geschichte der Grafen von Andechs S. 11.
4 WAITz:
einstimmt, um d..J. 1170 geschrieben, ist bis Heinrich den Löwen fortgeführt
und behandelt einen Theil seiner Geschichte, ausführlicher die seines
Oheims Welf und dessen gleichnamigen Sohnes bis zu dem Tode des letz-
tern im J. 1167. Die Genealogie dagegen geht nicht über Heinrich den Stolzen
und Welf hinaus, erwähnt bei beiden weder der Nachkommenschaft noch
der Vermählung, bei Heinrich auch nicht der herzoglichen Würde, die er
1126 nach dem Tode des Vaters empfing. Ein dritter Sohn Konrad,
der in diesem Jahre, noch vor dem Vater, starb, wird gar nicht genannt.
Es würde wohl zu viel gefolgert sein, wenn man hiernach die Abfalsung
gerade in dieses Jahr (zwischen 17. März und 21. December) setzen
wollte; dafs die Bezeichnung Heinrichs als "dux’ fehlt, mag auch um so
weniger hoch angeschlagen werden, da sie sich bei dem Vater gleichfalls
nicht findet. Dagegen scheint es mir kaum denkbar, dafs der Heirath mit
der Tochter König Lothars 1127 nicht gedacht sein sollte, wenn sie damals
bereits stattgefunden, oder dafs gar schon der junge Heinrich (der Löwe)
geboren (1129). Interessiert sich auch der Autor mehr für die Schwäbi-
sche Linie, bei der ganzen Tendenz des Aufsatzes mülste es als un-
begreiflich erscheinen, wenn der Verbindung mit dem neuen Königs-
hause nicht Erwähnung gethan wäre. Ebensowenig ist dann von den vier
Schwestern und ihren Ehen, von Welfs Vermählung am Anfang der
30er Jahre (Adler, H. Welf VI. S. 104) die Rede. Und dafs man nicht
sage, es habe dazu nur an Raum gefehlt, wenigstens in dieser Hand-
schrift bleibt fast eine halbe Seite leer, und kann die Aufzeichnung hier
auch keineswegs als original gelten — das verbieten ebenso wohl einige
auffallende Schreibfehler, wie das Alter des Codex, der unter Abt Altum
von Weihenstephan 1182— 1197 geschrieben ist —, so fehlt doch jeder
Grund, um für die Vorlage etwas der Art anzunehmen.
Wenden wir uns von dem Schluss zu dem Anfang, so komme
ich da zu dem gleichen Resultat. Der Verfasser der Historia, der eine
förmliche Geschichte des Hauses schreiben will, beginnt mit der Er-
klärung: Generaciones principum nostrorum summa diligentia investigantes
ac multum in diversis chronieis et historis sive antiquis privilegiis que-
rendo laborantes, nullum nominatim ante Guelfonem comitem, qui tem-
pore Karoli Magni fuerat, invenire poteramus; oder wie es wohl ur-
sprünglich hiefs (Giesebrecht, SB. der Münch. Akad. 1870, S. 555):
Ueber eine alte Genealogie der Welfen. 5
Guelfonem comitem, qui t. K. M. f., nominatim invenimus. Er meint
den Welf, dessen Tochter Judith Karls Sohn Ludwig d. Fr. heirathete.
Von diesem weils aber unsere Genealogie absolut nichts. Sollte ein
Epitomator, der für manches kleine Detail nachher Raum hatte, sich diesen
erlauchten Anfang des Hauses, von dem er handelt, haben entgehen
lassen? Das scheint mir ganz undenkbar. Vollends undenkbar, dafs er
statt dessen eine ganz falsche Nachricht eingeschoben hätte. Er beginnt
den Stammbaum ein Glied später mit einem Eticho, den die Historia wahr-
scheinlich ganz willkürlich zu dem Bruder der Judith, also Sohn des
ersten Welf macht, und legt ihm eine Tochter Hildisarda bei, die Luduwieus
Balbus imperator accepit uxorem’. Es hat weder eine solche Hildegard
(aufser der Gemahlin Karl d. Gr., die hier nicht in Frage kommen kann)
im Karolingischen Hause, noch einen Kaiser Luduwicus Balbus gegeben.
Öhne Zweifel liegt eine ganz entstellte Ueberlieferung von der Verbindung
einer Welfin mit einem Kaiser Ludwig zu grunde. Dass sie falsch sei,
konnte der gelehrte Mönch von Weingarten in den von ihm benutzten
Chroniken und Historien leicht finden und die Nachricht beseitigen; das
Richtige steht auch schon in der andern Aufzeichnung über den Stamm
der Welfen, beim Annalista Saxo 1126 (SS. VI, S. 764), von der es frei-
lich zweifelhaft ist, ob der Autor der Historia sie benutzte, die jedenfalls
dem der Genealogie unbekannt war. Sie unterscheidet sich von beiden
dadurch, dafs sie Eticho und Welf als Namen desselben Mannes erklärt,
dem sie dann sofort einen Sohn Heinrich zuschreibt. Ebenso die Genea-
logie ihrem Eticho, die Historia dem Eticho, Sohn des Welt.
Es ist klar, dafs der Annaliısta so den Heinrich bis in die Karo-
lingische Zeit hinaufrückt, auch die Historia ihm als Enkel jenes alten
Welf eine frühe Zeit anweist, während die Zeit des Eticho in der Ge-
nealogie mehr unbestimmt bleibt und also auch sein Sohn sich eher den
späteren Gliedern des Stammbaumes anschliesst. Ich will übrigens die
Bedenken, welche neuerdings besonders Meyer von Knonau gegen die
Richtigkeit desselben geltend gemacht hat (Forschungen z. D. G. XI,
S.79) und die im übrigen auch für diese Genealogie gelten, nicht weiter
anfechten; sie treffen aber diese immer etwas weniger als den, wie ich
meine, später zurechtgemachten Bericht der Historia.
6 WAaıtz:
Ich verweile zunächst noch bei der Abweichung in dem Anfang
des Stammbaums. Indem die Historia hier einen Welf hat, beschäftigt
sie sich auch ganz consequent gleich mit dem Ursprung des Namens.
Die Genealogie kommt erst bedeutend später dazu, indem sie den Enkel
Heinrichs, der ım 11. Jahrhundert lebte, als den ersten Welf erklärt.
Die Historia sagt dann, einige leiteten den Namen von dem Römer Catilina
ab, andere wülsten eine Geschichte zu erzählen wie das deutsche Wort
“welf” (catulus) zu dem Namen Anlass gegeben, und fügt hinzu: Alü
utrumque verum esse conieiunt. Dieunt enim, primo quidem, ut modo
audistis, inventum esse, set deinde multo tempore refutatum et quasi in
oblivionem tradıtum, denuo sie per imperatorem renovatum. Gerade das
berichtet die Genealogie: Quod nomen quamvis a Romano nobilissimo Oa-
tilina in hanc prosapiam sanguinis ratione descendit, a posterioribus ur-
banıtatıs causa refutatum, sub hoc igitur renovatum dieitur. Soll man
annehmen, dafs hier ein Epitomator von drei Meinungen gerade die dritte
sich angeeignet hat? Weist nicht vielmehr das “Ali utrumque verum
esse conieiunt direct auf diesen Bericht hin? Und wenn man dann die
Geschichte von dem Kaiser bei beiden vergleicht, so kann es schwerlich
einen Augenblick zweifelhaft sein, welche Fassung die ursprüngliche ist.
Nach der Genealogie sagt der Kaiser spöttisch, da der Vater die Nach-
richt von der Geburt des Sohnes erhalten: “Um des Welfen willen eilt
ihr nach Haus‘, und jener antwortet: “Du hast einen Namen gegeben der
bleiben soll. In der Historia fragt jener ebenso, aber der Vater
erwidert: ‘Den Namen, den ihr dem Kinde gegeben, den: sollt ihr nach-
her völliger ihm geben; wenn Gott nicht anderes zu bestimmen gut findet,
sollt ihr ihn unter diesem Namen aus der Taufe heben‘. Dort, meine ich,
die prägnante, volksthümliche Ueberlieferung; hier die kirchlich zurecht-
gemachte Erzählung.
Ich könnte glauben hiermit die Sache erledigt zu haben, wenn
bei fast völliger Uebereinstimmung in den Nachrichten nicht einige Ab-
weichungen sich fänden, die einer Erörterung bedürfen.
Von der Tochter eines Grafen Cuno von Oehningen, dessen ver-
wandtschaftliche Verhältnisse wenig im Klaren liegen (vgl. Meyer von
Knonau, im Anz. für Schweiz. Gesch. 1870 Nr. 1), heisst es, dals sie
einem comes de Andhese’ vermählt war. Statt dessen sagt die Historia:
Ueber eine alte Genealogie der Welfen. 7
comes de ‘Diezon’. Nun ist Diefsen und Andechs allerdings die Be-
zeichnung desselben Grafenhauses; aber jene die ältere, und es könnte
daher scheinen, das der Text, welcher diese bietet, den Anspruch auf
gröfsere Ursprünglichkeit hätte. Doch war in der Zeit, wo wir die Ab-
fassung der Genealogie annehmen, die Bezeichnung von Andechs die ganz
allgemeine, auch nicht erst seit der Gründung des Klosters Diefsen im
J. 1132, wie Riezler (Gesch. Baierns I, S. 855) sagt, sondern, wie die
Urkunden zeigen (s. die Regesten bei Oefele, Geschichte der Grafen von
Andechs S. 112 ff.) seit ungefähr 1100. Es wird also wohl nur Diefsen
eingesetzt sein, weil der Autor der Historia wulste, dafs für die Zeit um
die es sich handelt jener Name noch nicht zutreffend war. — Ich mag bei
der Gelegenheit bemerken, dafs unter dieser Tochter Cunos keine andere
verstanden sein kann, als die Gemahlin Friedrich (II) Kunizza, der in
den Aufzeichnungen von Diefsen (SS. XVII, S. 329) ebenso wie hier Otto
d. Gr. zum Grofsvater gegeben wird und die im J. 1020 gestorben sein soll,
was man sicher nicht mit Oefele (S. 14) in 1120 ändern darf; hier an die
Frau eines andern Friedrich (I) zu denken, ist gewiss gar kein Grund.
Als Schwester der Kunizza wird in den Notae Diefsenses Rich-
gardis, die Stifterin von Ebersberg, genannt. Im Chron. Eberspergense aber
heisst dieselbe Schwester des Markgrafen Markward von Kärnten (SS. XX,
S. 12), Richlindis dagegen, die Frau von Udalrichs Sohn Adalbero, die
in kinderloser Ehe lebten, filia Rudolfi Suevi (S. 13), und es ist daher
ohne Zweifel nur eine Verwechslung, wenn in der Genealogie die Tochter
Rudolfs Richarda genannt und zur Stifterin von Ebersberg, aufserdem
Geissenfelds und Küebachs gemacht wird. Denselben Irrtbum theilt die
Historia, nur dafs sie den Grafen statt der Frau die Gründungen vor-
nehmen lälst. Offenbar ward Richardis aber als die angesehen welche
vorzugsweise die Stiftung veranlafst hatte: nach dem Chron. Ebersperg.
ist ihr eine himmlische Erscheinung zutheil geworden: und in der Diefsener
Aufzeichnung heifst sie sancta’. Genau ist jedenfalls auch die Erzählung
der Historia nicht; denn nicht der Gemahl der Welfin Richlindis, sondern
sein Bruder Eberhard gründete Geissenfeld, während Küebach allerdings
dem Adelbero verdankt zu werden scheint (vgl. Hirsch, Jahrb. Heinrich Il.
Bd. U, 8. 236).
8 WAaAıITz:
Die Ableitung der Richgarda von Otto dem Grofsen durch eine
Tochter, die den Grafen Cuno, Vater von des Welfen Rudolf Gemahlin Ida,
geheirathet, ist ebensowenig wie die der Kunizza in den Diefsener Auf-
zeichnungen als historisch zu betrachten. Man mag bemerken, dafs die
Genealogie den Namen dieser Tochter verschweigt, während die Historia
sie Richlindis nennt, eine Benennung die, wie wir eben sahen, der
Enkelin zukam. Da es eine solche Tochter Ottos nie gegeben, so kann man
sagen, dafs der Irrthum der Genealogie geringer ist als der der Historia,
die vielleicht, weil ja nicht selten Enkelkinder nach den Grofseltern be-
nannt wurden, den Namen, den sie vorfand, willkürlich mit der be-
rühmten Ahnfrau in Verbindung brachte. Was die Sache selbst betrifft,
so scheint mir nicht zweifelhaft, dafs die Ueberlieferung den Welfen Cuno
mit dem bekannten Schwiegersohn Ottos Herzog Konrad oder Cuno ver-
wechselt hat. Was aber über die Nachkommenschaft gesagt wird, liegt
sehr im Dunkeln, enthält gewils auch grofse Irrthümer, wenngleich ich
nicht ohne weiteres alles für so reines Gebilde der Phantasie erklären
möchte, wie es Meyer von Knonau gethan (Forschungen a. a. O.).
Etwas weniger unrichtig ist zunächst wieder die Genealogie, wenn
sie den einen Sohn nennt “Egebertum marchionem de Stadin’, während
die Historia jedenfalls nicht glücklich amplificierend sagt: marchiam illam
que est in finibus Saxonie versus Danos Stadin nominatam obtinuit;
denn bekanntlich gab es keine Mark Stade und hatten die Grafen von
Stade nicht die Mark gegen die Dänen, sondern die Slavische Nordmark inne.
Dafs es unter ihnen keinen Ekbert gab, ist gewils genug: es scheint eine
Verwechslung mit dem Braunschweiger Markgrafen von Meilsen vor-
zuliegen, an den schon Eecard dachte (Orr. Guelf. II, S. 214), der dann
freilich keinen Cuno zum Vater und nicht die drei hier genannten Brüder
und Schwestern hatte, die unterzubringen allerdings vergebliche Mühe
sein dürfte. Scheidt (a. a. OÖ. Anm.) hat dagegen an den Eebertus,
Sohn der Ida von Elstorpe, gedacht, den der Graf Udo von Stade er-
schlug und dessen Mutter 'nobilis femina de Suevia nata’ heilst. Man
könnte anführen, dafs ihr Vater ein Graf Liudolf war, wie hier ein
Bruder heifst, ihre Tochter Oda einen Rufsischen König heirathete, was
hier von ihrer Schwester behauptet wird (vgl. Krause, Forschungen XV,
S.639 #.), endlich noch an den Stiefvater des Liudolf, den König
Ueber eine alte Genealogie der Welfen. g
Konrad II. erinnern. Doch wäre so jedenfalls nur eine ganz verwirrte
Kunde zu dem Autor der Genealogie gedrungen. Die Historia wiederholt
einfach ihre Angaben. Die beiden Schriften decken sich hier vollständig;
von einem Vorrang der einen oder andern kann nicht die Rede sein.
Dasselbe gilt theilweise von einer Nachricht, die man auch wenig-
stens angezweifelt hat: dafs aus einer unehelichen Verbindung eines Bru-
ders des Grafen Rudolf, Eticho wie der Grofsvater genannt, mit einer
Ministerialin die Familien von Hezilescella, Ustera, Ramphtiswilare (Rapreh-
teswillare) stammen. Die erste hält Meyer von Knonau (a. a. O.) jeden-
falls mit Unrecht für ein Geschöpf der Phantasie des Mönchs von
Weingarten; denn nach dem Traditionsbuch des Klosters (Archiv VI,
S. 491) schenkte im J. 1083 "quedam nobilis matrona Gisila nomine de
Hezilescella’ dem Kloster Altorf ihr Erbgut “Hieinchoven nuncupatum
ultra Danubium in pede Alpium situm’, was ja nicht blos die Existenz
der Familie beweist, sondern auch eine Beziehung zu dem Welfischen
Familienkloster wahrscheinlich macht. — Uebrigens weichen dann die
beiden Darstellungen auffallend von einander ab. Nach der Historia (e.5)
hat der Eticho nur eine Tochter, die der Oheim Rudolf, wohl als Haupt
der Familie, frei läfst und mit reichen Gütern einem Edlen in Chur-
walchen vermählt und die dann die Stammutter der genannten Familien
wird. Dagegen sagt die Genealogie: Eticho habe mit seiner Frau Söhne
und Töchter erzeugt und der Bruder jene sammt den Kindern frei-
gelassen; von diesen stammten die drei Familien. Was richtiger — wenn
überhaupt eins richtig ist —, läfst sich natürlich jetzt nicht ermitteln.
Aber den Eindruck einer mehr ursprünglichen Ueberlieferung macht
wenigstens mir die Erzählung der Genealogie, obschon — vielleicht kann
man auch sagen weil — sie von dem "quidam nobilis de Retia Curiensi’
und den larga praedia’, die als Mitgift gegeben, nichts weils.
Es ist aber eine Stelle, die man am ersten geneigt sein wird
gegen die Selbständigkeit der Genealogie anzuführen. Von jenem noch
halb der Sage angehörigen Heinrich, der mit an der Spitze des Stammes
steht, sagt sie ganz kurz: imperatori hominium facit, und fügt hinzu:
pater in Ambergov 12 monachos instituit. Es scheint das nur ein dürftiger
Auszug aus jener bekannten Erzählung der Historia zu sein, dafs Heinrich
ohne Wissen des Vaters dem Kaiser 'hominium et subjectionem fecit’
Philos.- histor. Kl. 1881. Abh. Il. 2
10 WaıItz:
und dafür ein grofses Lehn in Baiern empfing, der Vater aber, der die
alte Freiheit des Geschlechtes dadurch geschändet hielt, mit 12 Begleitern
‘ad villam que dieitur Ambirgou’ sich zurückzog, hier eine 'cella’ für
Mönche begründete und dann sammt seinen 12 Begleitern in derselben
begraben ward. Ich will auch nicht in Abrede nehmen, dafs der Autor
der Genealogie diese Geschichte gekannt und auf sie hingedeutet hat, wie
sie denn mit einigen Abweichungen auch in dem Bericht des Annalista
Saxo vorkommt; aber dafs er seine kurze Notiz aus der Historia ge-
nommen, scheint mir, abgesehen von allem andern was dagegen spricht,
auch deshalb bedenklich anzunehmen, weil die Historia gar nicht von
12 Mönchen spricht, sondern den alten Eticho mit jenen mythischen
12 Begleitern, die überall in den Heldensagen auftauchen (D. VG. I, S. 488),
in die Wildnis gehen läfst. Ebenso die Erzählung beim Ann. Saxo, die
dann die weitere Geschichte von dem Erwerb des Landes mit dem
goldenen Pflug hinzufügt und so zeigt, wie diese Sage in verschiedener
Ausführung verbreitet war und also von dem Verfafser der Historia
leicht der kurzen Andeutung der Genealogie substituiert werden konnte.
Die Genealogie fährt fort, Heinrich habe die Mönche nach Alten-
münster, von da nach Weingarten übertragen, ‘et dominas inde, que ibi
erant, in Altenmünster transposuit'. Nur das Erste nımmt die Historia
auf, statt des Zweiten läfst sie Heinrich zu Altorf ein Nonnenkloster
gründen, und berichtet mehrere Capitel später, dafs Welf im 11. Jahr-
hundert die Mönche von Altenmünster nach Altorf, die Nonnen von hier
dorthin übertragen habe; und noch später, dafs ein gleichnamiger Sohn
Weingarten gebaut und das Kloster von Altorf dahin verlegt. Dafs diese
Angaben grofsen Bedenken unterliegen, ist schon öfter bemerkt (s. zuletzt
Weiland S. 454 N.: Riezler I, S. 455); nach dem Bericht des wenig
jüngeren Hermann von Reichenau hat vielmehr die Wittwe des ersten
Welf Irmingard im J. 1036 in Altorf Nonnen an die Stelle von cleriei
gesetzt; dann mufs die Verlegung derselben nach Altenmünster jedenfalls
später erfolgt, Weingarten noch später erbaut sein, was man mit dem
Brand von Altorf zusammenbringt, den Hermann 1053 berichtet.
Sicher ist also die Erzählung der Genealogie falsch. Aber es scheint
mir unmöglich, dafs sie aus der der Historia gemacht, entstellt sein
kann, während der spätere Verfafser wohl den Irrthum einsehen und ver-
Ueber eine alte Genealogie der Welfen. 11
suchen konnte ihn zu verbessern, ohne dabei doch das Richtige zu er-
reichen. Der Autor der Genealogie nimmt, dafs ich so sage, überall den
Standpunkt einer naiven Wiedergabe der Tradition ein, während in der
Historia eine mehr gelehrte Ueberarbeitung entgegentritt, die bald mehr
bald minder glücklich ihre Aufgabe löst. Jener braucht deshalb auch
von Anfang an den späteren Namen Weingarten, wo diese noch von Altorf
spricht.
Und wenigstens unmittelbar daneben hat die Genealogie offenbar
das Ursprüngliche erhalten. Sie nennt die Frau des Heinrich Atha, die
Historia (ce. 5) dagegen Beata. Spricht an sich die gröfsere Wahrschein-
lichkeit für den Deutschen Namen, so erhält er eine bestimmte Be-
stätigung durch das Traditionsbuch des Klosters (Archiv VI, S. 490), wo
dieselbe Ata genannt wird !). Die Bezeichnung “de Hohinwarte’ (so
die älteste Handschrift nach Giesebrechts Mittheilung, SB. der Münch.
Akad. 1870, S. 558), die die Historia hinzufügt, ist nicht weiter zu be-
legen. — Bemerkenswerth ist auch die Verschiedenheit in der Benennung
des Gemahls von Welfs Tochter Kunizza, die den Markgrafen Azzo aus
dem Hause Este heirathete und damit das jüngere Welfische Haus be-
gründete. In der Historia (ce. 10) als "Azzo ditissimus marchio Italiae’
bezeichnet, heifst er in der Genealogie kurz "marchio Etius’, eine Form
die an Este erklingt, die aber auch aus Atho entstanden sein kann.
Beide Erzählungen berichten, dafs er zur Mitgift die curtis Elisina
in der Lombardei erhalten, die durch Imiza (Irmengard), die Gemahlin
Welfs (II), an die Familie gekommen sein soll. Diese wird auch in
beiden Berichten nach der Grafschaft Gleiberg benannt, obschon diese
erst ein Bruder derselben durch Heirath erlangte; die Historia fügt hin-
zu: de gente Salica, eine Bezeichnung, die auch sonst von dieser Luxem-
burgischen Familie gebraucht wird (vgl. VG.V, S. 164 N.); die Genea-
logie hat ‘Salice und eine Lücke nach dem Wort, die man, wenn auch
nicht ganz sicher, mit 'gentis’ ausfüllen mag. — Anstos haben die Worte der
Historia erregt: ‘Per eam habemus’ u. s. w., da die Güter Elisina und
Moringen (Mehring in Baiern), die genannt werden, nicht im Besitz
1) Diese Form hat deshalb auch schon Stälin, Wirt. Gesch. I, S. 556, in den
Stammbaum aufgenommen.
12 WaıtTz:
-_
des Klosters Weingarten waren, auf das man jenes "habemus’ hier be-
ziehen mülste.
Von der Italischen Besitzung hat dieses schon Weiland bemerkt
(S. 460 N.). Mit Mehring verhält es sich ebenso. Im Jahre 1078 dem
Herzog Welf wegen seiner Empörung gegen Heinrich IV. abgesprochen,
ward es von dem König an das Bisthum Augsburg geschenkt (Mon.
B. XXIX, 1, S. 202; Stumpf Nr. 2812), kam aber ohne Zweifel nach der
Aussöhnung Welfs mit dem König ebenso wie das Herzogthum an jenen
zurück; 100 Jahre später, 1172, verfügte Welf (VI) über einen Theil des-
selben zu Gunsten des Klosters S. Udalrich und Afra zu Augsburg (Mon.
B. XXII, S. 185). Zu der Zeit als die Historia geschrieben, war es un-
zweifelhaft im Besitz des Welfischen Hauses !). An Weingarten ist also
hier in der That nicht zu denken: einen so ganz unbegründeten An-
spruch kann ein Mönch des Klosters unmöglich beiläufig erhoben haben.
Derselbe Ausdruck findet sich aber nun auch in der Genealogie
und ist nach unserer Annahme einfach aus dieser in die Historia hin-
übergenommen. Dort aber wird er nicht dieselbe Bedeutung haben wie
hier. Denn kann darüber kein Zweifel sein, dafs die Historia im Kloster
Weingarten geschrieben ist, so wird man das von der Genealogie keines-
wegs bestimmt behaupten können. Weingarten wird dreimal genannt
ohne direete Andeutung, dafs der Autor zu demselben eine nähere Be-
ziehung hat. Nur aus einer Stelle könnte man es schliefsen wollen, wo
es von dem jüngeren Welf aus dem Hause Este heilst: cum tota here-
ditas ad Sanetum Martinum Wingarten esset destinata, superveniens he-
reditatem optinuit, was dann in der Historia weiter ausgeführt wird in
Uebereinstimmung mit der noch ausführlicheren Erzählung in dem Codex
traditionum (a. a. O. S. 690). Aber wenigstens zwingend scheint mir
die Stelle nicht. Aulserdem heifst es in der Genealogie ganz am Schlufs:
Gwelfonem nostrum genuit, was den Eigenthümer oder Herrn des Klosters
bezeichnen kann, aber sich auch allgemeiner fassen läfst. Es ist daher
vielleicht eine nicht zu kühne Vermuthung, wenn ich jenes "habemus’ und
dies 'nostrum’ so deute, dafs hier der Autor nicht sowohl im Namen
1) Vgl. Riezler, Das Herzogthum Bayern S. 237; auch Frey, Schicksale des
königlichen Gutes S. ölff.
Ueber eine alte Genealogie der Welfen. 13
des Klosters, sondern der Familie spricht, dafs wir es mit einer Auf-
zeichnung zu thun haben, die für diese verfafst ward, zu der ein Mit-
glied derselben selbst das Material lieferte, wenn auch eine geistliche Hand
die Feder führte.
Allerdings, mufs ich schliefsen, unsere Kenntnis wird durch dies
Denkmal Welfischer Geschichte nicht bereichert. Wenn es aber von
Werth ist, die ursprüngliche und einfache Grundlage historischer Ueber-
lieferung zu kennen, so darf die Genealogia ein nicht ganz geringes
Interesse in Anspruch nehmen.
1. Eticho genuit filium Heinricum et filiam Hiltigardam. Hilti-
gardam Luduwieus Balbus inperator accepit uxorem. Hfeinrieus] inpe-
ratorı hominium facit; pater in Ambergov 12 monachos instituit et ibi
obüt. Heinricus monachos Altemunster transtulit, inde eos Wingarten,
et dominas inde, que ıbi erant, in Altenm[unster] transposuit.
2. Heinricus Atham duxit uxorem et genuit sanctum Chünradum
Constantiensem episcopum, Ethichonem et Rüdolfum.
3. Eticho sine legittimo matrimonio decessit, genuit autem ex
quadam ministeriali sua, quam postea cum liberis Rüdolfus ob amorem
fratris libertate donavit, genuit inquam filios et fillas, ex quibus illi de
Hezilescella, de Ustera, de Ramphteswilaren !) descenderunt.
4. Rüdolfus uxorem accepit de Oningen Itam nomine, cuius pater
fuit Chüno nobilissimus comes, mater vero filia Ottonis Magni inperatoris
fuit?). Is Chüno vero 4 genuit filios, Egebertum marchionem de Stadin,
Leopaldum, Liutoldum, Chunonem, et 4 filias, quarum una isti Rü-
dolfo, alıa cuidam ?) de Rinvelden parenti Zaringorum, 3° regi Rugorum,
!) Ramphtes. wilare Hs.
2) fuit filia Hs.
3) quidam Hs.
14 WaAıItTz:
4° comiti nupsit de Andhese. Rüdolfus ex sua genuit Heinricum, qui
apud Lönon in venatione saxo percussus interiit, et Gwelfum huius no-
minis primum.
5. Quod nomen quamvis a Romano nobilissimo Catilina in hanc
prosapiam sanguinis ratione descendit, a posterioribus urbanitatis causa
refutatum, sub hoe igitur renovatum dieitur, quod puero nato et mun-
cio rei ad se facto inperator: "Pro catulo‘, ait, ‘qui tibi est natus, domum
redire festinas. Et ille: ‘Nomen’, inquit, dedistis, quod mutari non de-
bebit'.
6. Genuit quoque R[udolfus] ex eadem Ita Richardam, que mo-
nasterium Ebersperch fundavit, cum filios ex quodam ditissimo Baw[arie]
comite non haberet. Fundavit quoque Gisenvelt et Chübach; set Ebers-
perch sepulta 1acet.
7. Gwelfo uxorem duxit Salice.....!) de Glizperch Imizam
nomine, Heinrici Noricorum ducis sororem et Frideriei ducis Lotharin-
gorum et Alberonis Metensis episcopi. Per eam habemus villam Moringen
et Elisinam eurtem in Longobardia 1100 mansuum sub uno vallo. Hie
Gwelfo eum Brunone Aug[ustensi] gwerram agens, ipsam cepit et ex-
ussit ?) eivitatem; et Wingarten sepultus est, uxor eius Altenmunster.
8. Hie genuit fillam Cunizam; quam marchio Etius cum curte
Elisina accepit uxorem, et genuit ex ea Gwelfonem; et), patre sine
filio herede defuncto, cum tota hereditas ad Sanctum Martinum Wingarten
esset destinata, superveniens #), hereditatem optinuit et primus in Baw[a-
rıa]l huius nominis dux factus est.
VENEN GraLeeDIe 5) filiam comitis Flandrie, reginam Anglıe,
Juditam nomine, et genuit ex ea Gwelfonem et Heinricum ©), unum
post unum duces Baw[ariel. Gwelfo cum Timone archiepiscopo Hieroso-
limam ivit et in via obit.
1) In der Hs. leer.
?) excussit Hs.
3) a corr. etz vielleicht qui.
*) supervenio Hs.
5) In der Hs. leer.
%) nomine in der Hs. getilgt.
Ueber eine alte Genealogie der Welfen. 15
10. Pro quo Gwelfo maior natu dux effectus Mathilde 1) comi-
tisse nupsit ex Longoblardia]; set sine liberis obiit. Heinricus, frater
eius, Wlfihildem, filıam.....?) et Sophie, sororis Cholomanni regis
Ungarie, duxit, et ex ea Heinricum et Gwelfonem nostrum genuit.
1) x athilde Hs.
2) In der Hs. leer.
I 0 ( aon ‘a EN N } j
Sina u mern an ven an er
NR a ka Ge Men Aa a
FR | | | Mar rar a
h | FE
rs ‚ 5 “rt [ mn i ira og
. | a Ä Ei
. ei ja en er DER a
m 7 AN care
s b A f a Brain -
-
I Pr}
‘
KEN
3
Ueber die Messung psychischer Vorgänge.
Von
H" ZELLER.
Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. III. 1
r Ir Bi {
et
rer V mnahlorag BrroM ab ara
— = we
Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 3. März 1881. D
SHE
A Messung ist Vergleichung zweier Gröfsen, einer bekannten
und einer unbekannten. Jene bildet den Masstab, diese den Gegenstand,
der gemessen werden soll; und die Messung besteht darin, dafs festge-
stellt wird, welchem Vielfachen des Masstabs die Gröfse des Gemessenen
gleich ist. Alle Gröfsenbestimmungen sind daher an sich selbst blofse
Verhältnifsbestimmungen: was sie angeben, ist nur das Gröfsenverhält-
nifs eines Gegenstandes zu demjenigen, an dem er gemessen worden ist.
Eine absolute Gröfsenbestimmung ist nur unter der Bedingung möglich,
dafs der für sie verwendete Masstab ein absoluter, d. h. eine genau be-
srenzte, allgemein bekannte und unveränderliche Gröfse ist; denn dann
werden sich bei der nach diesem Masstab festgestellten Gröfse alle jeder-
zeit dasselbe denken. Ein solcher absoluter Masstab ist nun die Zahl
als das Mafs der diskreten Grölsen, alle Zahlenbestimmungen sind daher
als solche durchaus genau und unzweideutig. Anders verhält es sich da-
gegen mit den continuirlichen Gröfsen; und aus diesem Grunde büfsen
auch die Zahlenbestimmungen bei der Anwendung auf gegebene Gegen-
stände in demselben Mafse an ihrer Genauigkeit und Zuverlässigkeit ein,
in dem es zweifelhaft wird, ob das, was als Einheit gezählt wird, wirk-
lich etwas einheitliches, dem unter der gleichen Benennung mit ihm zu-
sammengefafsten gleichartiges und von allem andern individuell verschie-
1®
4 ZELLER:
denes sei. Mögen die continuirlichen Gröfsen intensive oder extensive,
und in dem letzteren Fall Zeit- oder Raumgrölsen sein, so fehlt es uns
an einem Malse, das für sie ebenso unbedingt gültig wäre, wie für die
diskreten Gröfsen die Zahl, weil es für keine von ihnen etwas gibt, das
sich ihrer Messung ebenso unbedingt als Malseinheit zugrunde legen liefse,
wie der Zählung diskreter Gröfsen die Einzahl. Alle Masstäbe, die wir
hier anlegen können, sind willkürlich gewählte; wir nehmen aus einer
stetigen Grölse einen beliebigen Theil derselben heraus: einen Meter, eine
Sekunde, ein Fufspfund u. s. w., und erklären ibn für die Mafseinheit,
auf welche wir andere Gröfsen derselben Art zurückführen, mit der wir
sie zum Zweck ihrer Messung vergleichen wollen. Bei stetigen Gröfsen
ist daher überhaupt keine absolute, sondern immer nur eine relative
Mafsbestimmung möglich: jede solche Bestimmung besagt nur, welchem
Vielfachen einer willkürlich, begrenzten Gröfse die ihrige gleichkommt.
Nichtsdestoweniger gibt es auch hier ein Mittel, um zu solchen Messun-
gen zu gelangen, welche für uns den Werth einer absoluten Messung
haben, indem man sich über möglichst genau bestimmte Masstäbe ver-
ständigt, deren sich alle ın gleicher Weise bedienen, die daher bei allen
die gleichen Gröfsenvorstellungen hervorrufen, wie etwa die Länge einer
geraden Metallstange, oder die Zeit, die ein Pendel von gewisser Länge
zu einer Schwingung braucht, oder das Gewicht eines aus reinem Wasser
bestehenden Würfels von einer gewissen Ausdehnung. Aber wie schon
diese Beispiele zeigen: jeder solche unveränderliche und allgemein an-
erkannte Masstab muls von Raumgröfsen hergenommen werden, deren
Mafs sich an gewissen langdauernden, oder in gleicher Beschaffenheit zu
vervielfältigenden Körpern in einer allgemeingültigen Weise zur Anschau-
ung bringen läfst. Wir messen die Zeit an dem Raume, den. ein be-
stimmter Körper bei gleichmälsiger oder gleichmälsig wechselnder Be-
wegung durchläuft; die Geschwindigkeit der Bewegung an dem Verhält-
nifs der von verschiedenen Körpern gleichzeitig durchlaufenen Räume;
die Kraft an der Gröfse der von ihr bewirkten Bewegung. Immer sind
es schliefslich Raumgrölsen, welche das unveränderliche Element in un-
sern Messungen bilden, und auf welche wir auch die Zeit- und Kraft-
malse zurückführen müssen, um sie als einen sich gleichbleibenden Masstab
verwenden zu können.
Ueber die Messung psychischer Vorgänge. 5
Aber wenn auch alle anderen Veränderungen in der Natur sich
als mechanische Bewegungen oder als Complexe solcher Bewegungen
auffassen und daher einer genauen Messung an constanten Grölsen unter-
werfen lassen, so ist diefs doch bei den Bewulstseinserscheinungen als
solehen nicht der Fall; und sogar wenn man annehmen wollte, die Be-
wegungen im Gehirn, an die ıhr Eintreten geknüpft ist, seien nicht blos
ihre Bedingung, sondern auch ihre alleinige Ursache, mülste man doch
einräumen, dafs sie sich uns selbst nicht als mechanische Bewegungen,
sondern ausschliefslich als qualitative Veränderungen darstellen, die keiner
räumlichen Bewegung gleichartig genug sind, um an ihr gemessen werden
zu können, dafs es für sie kein mechanisches Aequivalent gibt. Wir
sehen allerdings, dals gewisse Bewulstseinserscheinungen durch äufsere
Reize, alle durch den Zustand unseres Organismus und die in demselben
sich vollziehenden Veränderungen bedingt sind; und wenn diese ihre Be-
dingungen untersucht werden sollen, ist auch die genaue Messung in der-
selben Weise anwendbar, wie bei jeder anderen physikalischen und phy-
siologischen Untersuchung. Das gleiche gilt von den Wirkungen, welche
die psychischen Vorgänge auf den Leib und durch ihn auf die Aulfsen-
welt ausüben. Aber diese Messung ihrer Bedingungen und ihrer Wir-
kungen ist etwas anderes, als eine Messung der psychischen Vorgänge
selbst. An die letzteren läfst sich keiner von den Masstäben anlegen,
deren wir uns für die Messung der körperlichen Bewegungen bedienen. —
Jede psychische Thätigkeit füllt allerdings, wie alles Geschehen, eine ge-
wisse Zeit aus; und so können wir denn auch die Dauer einer stetig
verlaufenden Reihe von psychischen Thätigkeiten auf die uns geläufigen
Zeitmalse zurückführen, und wenn sie durch äufsere Reize successiv
hervorgerufen werden, die Zeit und den Rhythmus ihrer Aufeinander-
folge nach derjenigen der entsprechenden Reize bestimmen. Aber ihre
Geschwindigkeit können wir nicht ebenso messen, wie die der mechani-
schen Bewegungen, weil das Mals, dessen wir uns bei diesen bedienen,
das Verhältnifs des durchlaufenen Raumes zu der Bewegungszeit, hier
nicht anwendbar ist und durch keine analoge Bestimmung ersetzt werden
kann. Denn das einzige, woran etwa gedacht werden könnte, die Zahl
der in einem gegebenen Zeitraum vollzogenen psychischen Akte, lälst
sich aus naheliegenden Gründen niemals feststellen; und ebensowenig
6 ZELLER:
läfst sich die kürzeste Dauer eines solchen Aktes bestimmen, was man
vielmehr derartiges versucht hat, beschränkte sich theils auf gewisse
Sinnesempfindungen, theils war es schon defshalb sehr unsicher, weil
nicht die Dauer der einfachen Empfindungen, sondern nur die Zeit ge-
messen werden konnte, welche der Einzelne zu zwei aufeinanderfolgen-
den Wahrnehmungen, oder zu einer Wahrnehmung und einer durch sie
veranlalsten Bewegung braucht. — Jede psychische Thätigkeit hat ferner
eine gewisse Intensität. Aber auch für diese fehlt es uns an dem festen
Masstab, den wir besitzen müfsten, um ihre absolute Gröfse bestimmen
zu können. Nicht einmal für die Sinnesempfindungen, wo man diefs noch
am ehesten erwarten sollte, ist es möglich. Man könnte vielleicht ver-
suchen, für jede Klasse von Empfindungen den mittleren Werth des
kleinsten mittelst derselben wahrnehmbaren Reizes als Mafseinheit zu benutzen,
und die Intensität jeder Empfindung in Vielfachen der ihm entsprechen-
den eben merklichen Empfindung auszudrücken. Allein für’s erste sind
diese eben merklichen Empfindungen nichts weniger als allgemein be-
kannte und anerkannte, feste und unveränderliche Gröfsen, wie sie diefs
doch sein mülsten, um als gemeinsamer Masstab für alle anderen dienen
zu können; während sich vielmehr von der Länge eines Meters oder
dem Gewicht eines Kilogramms jedermann mit leichter Mühe eine genaue
und übereinstimmende Vorstellung beibringen läfst, würde man sich
vergeblich bemühen, das gleiche Einverständnifs in Beziehung auf die
schwächste Licht- oder Tonempfindung herbeizuführen. Sodann hätte
aber auch die Anwendung dieses Masstabs mit unüberwindlichen Schwie-
vigkeiten zu kämpfen. Die Aussagen unseres eigenen Bewulstseins über
das Intensitätsverhältnifs unserer Empfindungen sind viel zu unsicher,
als dafs sich in irgend einem Fall auf sie allein die Annahme gründen
liefse, eine gegebene Empfindung habe, beispielsweise, die fünfzigfache
oder hundertfache Stärke der eben merklichen Empfindungen dieser Klasse,
Ist aber diese unmittelbare Messung der Empfindungen unthunlich, so
bliebe nur übrig, sie mittelst der Reize zu messen, durch die sie erregt
werden, indem man annähme, die Stärke jeder Empfindung verhalte sich
zu der einer eben merklichen gleichartigen Empfindung, wie die Gröfse
des Reizes, der sie erregt hat, sich zu der Gröfse des kleinsten wahr-
nehmbaren Reizes gleicher Art verhält. Allein wir sind durchaus nicht
Ueber die Messung psychischer Vorgänge. 74
berechtigt, das Stärkeverhältnifs der Empfindungen dem der äufseren
Reize proportional zu setzen. Ein bekanntes Gesetz spricht ja vielmehr
aus, dafs der Empfindungszuwachs nur dem Logarithmus des Reizzuwach-
ses proportional sei. Wir müssen daher sogar bei den Empfindungen
darauf verzichten, ihre absolute Stärke auch nur in dem Sinn zu be-
stimmen, in dem bei Gegenständen der äufseren Wahrnehmung von einer
absoluten Gröfsenbestimmung gesprochen werden kann. Bei allen an-
deren psychischen Vorgängen liegt ohnediels am Tage, dafs es uns an
einem Masstab zur Bestimmung ihrer absoluten Intensität ganz und gar
fehlt. — Das gleiche gilt aber auch von der Qualität der psychischen
Vorgänge. Die Messung könnte sich hier nur auf den Grad der Gleich-
heit oder Ungleichheit, der Uebereinstimmung oder des Gegensatzes zwi-
schen zwei Bewulstseinserscheinungen beziehen. Aber nach welchem un-
veränderlichen objektiven Masstab liefse sich dieser bestimmen? Es
könnte einen solchen, wenn überhaupt, nur für die Sinnesempfindungen
geben; denn schon die sinnlichen Lust- und Schmerzgefühle richten sich
keineswegs blos nach der Stärke der gegebenen Reize, die gleichen äufse-
ren Einwirkungen rufen vielmehr zu verschiedenen Zeiten und bei ver-
schiedenen Personen oft Gefühle von sehr verschiedener Qualität und
Intensität hervor. Aber auch im Gebiet der Sinnesempfindungen sind es
im Grunde nur die Unterschiede der Tonhöhe, für die sich ein objektiver
Masstab ergibt; denn wenn auch die Qualität der Farbenempfindungen
von der Schwingungszahl der sie erzeugenden Lichtstrahlen abhängt, so
kann man doch nicht sagen, dafs sie an derselben gemessen werden
könne: theils weil uns die Schwingungszahlen der verschiedenfarbigen
Lichtstrahlen nur annäherungsweise bekannt sind, theils und besonders,
weil die Farben für unsere eigene Empfindung keine im Verhältnifs der
Scehwingungszahlen fortschreitende Reihe bilden: das Grün erscheint uns
dem Roth um nichts ähnlicher, als das Blau oder das Violett, und was
man gewöhnlich, auf Grund der unmittelbaren Empfindung, für den weite-
sten Farbenunterschied hält, und in der Logik seit Aristoteles als ste-
hendes Beispiel des conträren Gegensatzes gebraucht, Weils und Schwarz,
bezeichnet gar keinen Unterschied der Farbe, sondern nur des Hellig-
keitsgrades. Etwas anders verhält es sich allerdings in dieser Beziehung
mit den Tonempfindungen. Wenn die Höhe der Töne mit ihrer Schwin-
8 ZIELILER:
gungszahl steigt, so folgt daraus nicht blos im allgemeinen, dafs uns der
Unterschied zweier Töne hinsichtlich ihrer Höhe um so kleiner erscheint,
je kleiner, um so grölser, je gröfser der ihrer Schwingungszahlen ist,
sondern es beruht hierauf auch die Möglichkeit, für die Höhenunterschiede
der Töne in gewissen constanten Verhältnissen ihrer Schwingungszahlen,
1:2, 2:3, 3:4 u.s. w. ein festes Mafs zu gewinnen, das sich auf Ton-
reihen von der verschiedensten absoluten Höhe gleichmäfsig anwenden
läfst. Das ursprüngliche Mittel zur Messung der Tonhöhe und ihrer Ver-
hältnisse besteht aber freilich weder in diesem noch in irgend einem an-
dern künstlichen Verfahren: ihre Messung durch das blofse Gehör ist
nicht allein um unvordenkliche Zeit früher, als die Kenntnifs der Schwin-
gungszahlen, sondern sie wird auch von der weit älteren, schon in der
pythagoreischen Schule ausgeführten Messung der Tonverhältnisse an der
Länge der tönenden Saiten und von der ihr lange vorangehenden Ein-
theilung der musikalischen Instrumente schon vorausgesetzt. Was jedoch
für uns noch wichtiger ist: diese Messung bezieht sich nicht auf die Ton-
empfindungen als solche, sondern nur auf die Beschaffenheit der Reize,
durch welche diese Empfindungen hervorgerufen werden; fragt man da-
gegen, woher wir wissen, dafs die Unterschiede der Empfindung, welche
wir mit den Namen der musikalischen Intervalle bezeichnen, immer gleich
grofs seien, dafs z. B. ein Ton von 128 Schwingungen von einem solchen
von 256 ebenso weit entfernt sei, als dieser von einem Ton, der aus
512 Schwingungen in der Sekunde besteht, so kann man sich doch nur
auf die Aussage unseres eigenen Bewulstseins berufen, dem eben die eine
Entfernung der anderen gleich zu sein scheine. Und fragt man nun
wieder, worauf diese Aussage sich gründe, und welches Verhältnifs un-
serer Tonempfindungen mit dem Satz ausgedrückt werden solle, dafs ein
Ton von einem zweiten ebenso weit entfernt sei, als dieser von einem
dritten, so wird man kaum umhin können, der Ansicht beizutreten, dals es
sich hiebei nicht sowohl um eine quantitative Messung, als um eine Ver-
gleichung hinsichtlich gewisser qualitativer Merkmale handle. Zum Grund-
mals für die musikalischen Intervalle ist dieser Ansicht nach die Oktave
defshalb gewählt worden, weil hier die Klangverwandtschaft des höheren
Tons mit dem Grundton die stärkste und auffälligste ist, indem jener
die Theiltöne von diesem wiederholt, und ebenso sind die kleineren Inter-
Ueber die Messung psychischer Vorgänge. 9
valle um so allgemeiner anerkannt und werden um so sicherer bemerkt,
je ähnlicher sich nach demselben Masstab der Beurtheilung die Töne sind,
um deren Vergleichung es sich handelt. Beruht aber auch diese Ver-
wandtschaft der Töne auf dem Verhältnifs ihrer Schwingungszahlen, so
ist es doch nicht dieses, unserer Empfindung gänzlich verborgene Ver-
hältnils, sondern die qualitative Beschaffenheit der Tonempfindungen, auf
welche die Bestimmung der musikalischen Intervalle sich ursprünglich
bezieht.
Alle diese Erörterungen werden nun dem Satz zur Bestätigung
dienen, dafs die psychischen Vorgänge als solche überhaupt nicht in dem-
selben Sinn melsbar sind, wie Raum- oder Zeitgröfsen, mechanische
Bewegungen und Kräfte, weil es für sie an den unveränderlichen Mas-
stäben fehlt, nach denen die Geschwindigkeit ihres Verlaufs, der Grad
ihrer Stärke, ihrer Gleichheit oder Ungleichheit bestimmt werden könnte;
und dafs es auch bei den Sinnesempfindungen immer nur die sie bedin-
genden äufseren Reize und organischen Processe, aber nicht die Empfin-
dungen selbst als diese bestimmten Bewulstseinserscheinungen sind, auf
die alle genaueren Messungen sich beziehen. Die psychischen Vorgänge
selbst sind uns nur in unserem Selbstbewulstsein gegeben, und können
daher auch, abgesehen von einigen wenigen Eigenschaften, die sie mit
jedem zeitlichen Verlauf theilen, nur mit Bewulstseinserscheinungen, also
mit einander verglichen und an einander gemessen werden. Von welcher
Malseinheit sollen wir aber hiebei ausgehen? Für mechanische Bewegungen
und Kräfte läfst sich, wie bereits bemerkt wurde, an körperlichen Gröfsen
ein Masstab finden; unter den geistigen Vorgängen ist keiner, dessen
Dauer, Intensität oder Qualität sich so genau abgrenzen und so unver-
ändert in der Erinnerung festhalten liefse, dafs wir sie als festes Mals
an alle andern anlegen könnten. Hier sind wir daher weit ausschliefs-
licher, als bei äufseren Dingen und Vorgängen, auf jene relativen Grölsen-
bestimmungen beschränkt, mit denen zwar auch bei diesen alle Messung
beginnt, die aber bei ihnen durch die Ausbildung unveränderlicher Mas-
stäbe berichtigt und absoluten Bestimmungen angenähert wird. Wenn
wir zwei gegebene Bewulstseinserscheinungen mit einander vergleichen,
so ist die erste derselben der Masstab, den wir an die zweite anlegen:
jede Aussage über ihren Grölsenunterschied spricht nur aus, dafs die eine
Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. Ill. 2
10 ZELLER:
um einen Theil oder ein Vielfaches ihrer selbst über die andere hinaus-
gehe oder hinter ihr zurückbleibe, sie liefert uns eine blofse Verhältnils-
bestimmung; und auch wenn wir im Stande wären, dieses Verhältnifs
genau in bestimmten Zahlenwerthen auszudrücken (wozu in Wirklichkeit
unsere innere Selbstbeobachtung als solche uns nie in den Stand setzt),
so erhielten wir damit immer noch keine absolute, sondern erst eine
relative Gröfsenbestimmung. Wir wülfsten vielleicht, dafs ein Ton die
doppelte Dauer oder Stärke eines andern gehabt habe, aber wie lange er
dauerte und wie stark er war, könnten wir nicht angeben. Nun bilden
sich allerdings aus der Erinnerung an eine grölsere Anzahl gleichartiger
innerer Vorgänge ebenso, wie diefs bei Gegenständen der äufseren Wahr-
nehmung der Fall ist, gewisse allgemeine Vorstellungen über ihren durch-
schnittlichen Verlauf und Charakter; und indem wir diese aus unserer
bisherigen Erfahrung abstrahirten, als Niederschlag derselben in uns
zurückgebliebenen Gemeinbilder zur Norm für die Beurtheilung der neu
auftretenden Bewulstseinserscheinungen machen, gewinnen wir ein Mittel,
um sie an einer sich einigermalsen gleichbleibenden Gröfse zu messen.
Wenn wir z. B. sagen, wir haben uns in einem gegebenen Falle gut oder
schlecht unterhalten, so leitet uns hiebei die Erinnerung an die Art, wie
wir uns gewöhnlich unterhalten, wir wollen mit dieser Aussage zu
erkennen geben, dafs der Ablauf unserer Vorstellungen leichter oder
mühsamer vor sich gegangen, die damit verbundenen Gefühle angenehmer
oder unbefriedigender, lebhafter oder schwächer gewesen seien, als sie
diefs durchschnittlich zu sein pflegen. Aber so viel auch die Sicherheit
unserer Lebensführung durch diese Fixirung gewisser psychischer Durch-
schnittswerthe gewinnt, so kann doch schon das obige Beispiel darthun,
wie weit solche nur auf allgemeinen Erinnerungsbildern beruhende Urtheile
von der Genauigkeit einer wirklichen Messung entfernt, wie relativ die
Masstäbe sind, die bei denselben in Anwendung gebracht werden, und
wie unsicher ihre Anwendung selbst ist. Denn es müssen schon sehr
merkliche Unterschiede vorliegen, wenn wir überhaupt mit Bestimmtheit
sollen sagen können, dafs wir uns das einemal besser unterhalten haben,
als das anderemal; auf die Frage vollends, die doch bei jeder wirklichen
Messung zunächst erledigt werden mülste: um wie viel die eine Unter-
haltung von der andern an Werth übertroffen worden sei, ist augen-
Ueber die Messung psychischer Vorgänge. 11
scheinlich gar keine Antwort möglich. Plato hat in der Republik
(IX, 587, © fi.) allerdings ausgerechnet, dafs der wahre König 729 mal
so angenehm lebe, als der Tyrann; aber im Ernste würde ihm wohl
niemand diesen arithmetischen Scherz nachzumachen versucht sein.
Diese Relativität aller psychischen Messungen erklärt nun einige
Erscheinungen, die ich hier noch berühren will.
Von malsgebender Bedeutung ist sie zunächst für die Gefühle der
Lust und der Unlust. Die nächste Veranlassung jedes Gefühls liest in
einer Veränderung unseres Zustandes, welche stark genug ist, um sich
uns bemerkbar zu machen. Ob aber dieses Gefühl ein angenehmes oder
ein unangenehmes, ein stärkeres oder schwächeres sein wird, diefs hängt
lediglich von dem Verhältnifs des Eindrucks, den wir erhalten, zu dem
Zustand ab, in dem er uns trifft. Derselbe Gegenstand ist nicht selten
dem einen angenehm, dem andern unangenehm; der gleiche Vorgang ver-
setzt eine Person in die lebhafteste Erregung, während er eine andere
kalt läfst. Was in unserem Gefühl als solchem zum Ausdruck kommt,
ist nicht die objektive Beschaffenheit und der objektive Werth des Gege-
benen, sondern seine Bedeutung für uns: das Gefühl ist ein angenehmes,
wenn die Veränderung unseres Zustandes, durch die es erregt wird, mit
den in unserem Gesammtzustand begründeten Bedingungen unserer Lebens-
thätigkeit übereinstimmt, und daher diese Thätigkeit fördert; es ist ein
unangenehmes, wenn sie mit jenen Bedingungen nicht übereinstimmt und
daher unsere Lebensthätiskeit hemmt oder stört. Und auch hiebei
handelt es sich nicht um die allgemeinen und dauernden Bedingungen
unserer Lebensthätiskeit, sondern nur um die in unserem jeweiligen,
momentanen Zustand begründeten, die thatsächlich mit jenen zwar zu-
sammenfallen können, aber nicht nothwendig zusammenfallen müssen.
Unser sinnliches Gefühl belehrt uns darüber, ob eine Speise uns in diesem
Augenblick zusagt oder nicht, aber nicht darüber, ob sie uns zuträglich
oder nachtheilig ist; unser intellektuelles Gefühl darüber, ob eine Annahme
mit unsern Ansichten übereinstimmt oder ihnen widerstreitet, aber für
sich genommen nicht darüber, ob sie wahr oder falsch ist. Nun setzt
sich allerdings unser Gesammtzustand in jedem Augenblick aus veränder-
lichen und unveränderlichen, aus individuellen und aus generischen, zu
der menschlichen Natur als solcher gehörigen Elementen zusammen; und
DE
12 ZELLER:
so gibt es freilich Dinge, die allen Menschen einen gleichartigen Eindruck
machen, jedem angenehm oder unangenehm sind. Wir gewinnen ferner
im Laufe unseres Lebens durch Erfahrung, Unterweisung, Gewöhnung,
Uebung und Nachdenken Charaktereigenschaften, Neigungen und Ueber-
zeugungen, welche uns als fester Masstab für die Schätzung des Gegebenen
dienen; und es ist die Aufgabe aller Bildung und Erziehung, uns auf diesem
Wege von dem Wechsel der äufseren Eindrücke unabhängig zu machen
und uns zur Gleichmäfsigkeit und Folgerichtigkeit unseres inneren Lebens
zu verhelfen: uns dahin zu bringen, dafs nur das Gute unserem sittlichen
Gefühl zusage, nur das Schöne uns gefalle, nur das Wahre uns wahr
erscheine. Wäre dieses Ideal in irgend einem Menschen verwirklicht, so
würde der subjektive und relative Masstab seines Gefühls mit dem objek-
tiven und absoluten des wissenschaftlichen Urtheils seinem Inhalt nach
zusammenfallen; und so weit es in dem Einzelnen verwirklicht ist, stimmen
beide materiell überem. Aber ihrer Form nach unterscheiden sie sich
selbst in diesem Fall immer noch dadurch, dafs nur das Denken die Dinge
nach einem absoluten Masstab beurtheilt, unser Gefühl dagegen als solches
nur ein bestimmtes Verhältnifs des Gegebenen zu unserem subjektiven
Leben ausdrückt. Wie es auf einen gegebenen Eindruck reagirt, be-
stimmt sich zunächst immer nach dem inneren Zustand, in dem dieser
Eindruck uns trifft. Ist dieser unser Zustand so beschaffen, dafs das an
sich Richtige uns angenehm, das Unrichtige uns unangenehm ist, so wird
der subjektive Masstab, den wir im Gefühl an das Gegebene anlegen,
thatsächlich zwar mit dem objektiven übereinstimmen, an sich selbst aber
ist er ein blos subjektiver und daher ein relativer. Wenn wir uns einer
Veränderung unseres Zustandes bewulst werden, vergleichen wir den neu
eintretenden Zustand mit dem bisherigen, dieser bildet den Masstab, nach
dem wir den Werth des Neuen beurtheilen. War unser bisheriger Zustand
ein angenehmer, so wird der neue uns nur in dem Malfse gefallen, in dem
er ihn fortsetzt oder steigert, sofern er ihn dagegen stört oder hemmt,
wird er zunächst ein unangenehmes Gefühl hervorrufen, gesetzt auch,
dafs sich dieses in der Folge, wenn wir die Vorzüge des Neuen kennen
gelernt haben, wieder verliert. War umgekehrt der bisherige Zustand
ein unangenehmer, so wird uns seine Beseitigung angenehm, seine Fort-
setzung und Steigerung unangenehm sein. Unser Gefühl mifst den späteren
Ueber die Messung psychischer Vorgänge. 13
Zustand an dem früheren, so wie dieser aus dem Zusammentreffen aller
seiner äulseren und inneren Bedingungen sich für unser eigenes Bewulst-
sein gestaltet hat. Eben hierauf beruht die bekannte und vielbesprochene
Wirkung des Contrastes auf das Gefühl. Der gleiche Verlust wirkt
momentan erschütternder, wenn er uns ahnungslos, vielleicht in der Er-
wartung des Gegentheils, trifft; dieselbe Freudenbotschaft aufregender,
wenn wir nicht darauf gehofft haben. Die ergreifendsten tragischen
Katastrophen sind die, welche über den Helden hereinbrechen, während
er der Bedrängnils entronnen zu sein meint, wie Wallenstein, oder die
er selbst dadurch auf sein Haupt herabzieht, dafs er die eigene Schuld
enthüllt, indem er die fremde verfolgt, wie Oedipus; die durchschlagendste
komische Wirkung entspringt aus dem Contrast zwischen dem scheinbaren
Ernst der Lage und ihrer thatsächlichen Harmlosigkeit, zwischen der
Nichtigkeit einer Sache und dem Pathos, mit dem sie betrieben wird.
Diese Wirkung des Öontrastes beruht eben darauf, dafs unser Gefühl den
Masstab für die Würdigung der Dinge zunächst dem Zustand entnimmt,
aus dem wir in denjenigen übergegangen sind, auf den es sich bezieht.
Wer einen seiner Angehörigen verliert, hat an sich selbst gleich viel
verloren, ob er diesen Verlust erwartet hat, oder nicht; wem etwas Glück-
liches widerfährt, der hat gleich viel gewonnen, ob er es gehofft, oder
nicht gehofft hat; und nachdem der erste Eindruck vorüber ist, wird man
sich auch schliefslich in dem einen Fall ebenso verhalten, wie in dem
andern, die dauernden Wirkungen dessen, was wir erlebt haben, auch die
psychischen, werden in beiden Fällen die gleichen sein. Wenn trotzdem
das Unerwartete unser Gefühl um so viel lebhafter errest, als das, was
wir vorhergesehen haben, so rührt dies lediglich von der Relativität des
Masstabs her, dessen wir uns in unseren Gefühlen bedienen.
Nicht anders verhält es sich aber auch mit unseren Sinnesempfin-
dungen. Auch für diese gilt das Gesetz des Üontrastes. Das Weiss
erscheint auf schwarzem Grund heller, das Schwarz auf weilsem Grund
dunkler, jede Farbe neben ihrer Complementärfarbe gesättigter, als wenn
sie für sich allein betrachtet werden; dieselben Speisen und Getränke
machen einen verschiedenen Eindruck auf den Geschmack, je nachdem
man diese oder jene andern vorher genossen hat; ein Stralsengeräusch,
das die Bewohner einer grolsen Stadt kaum bemerken, kann dem, der an
14 ZELLER:
ländliche Stille gewöhnt ist, überlaut vorkommen; und das gleiche wieder-
holt sich bei allen Arten sinnlicher Eindrücke. Der Grund kann hier
gleichfalls nur darin liegen, dafs durch den Contrast der Masstab unseres
Urtheils verändert wird, denn die Empfindungen als solche sind (abge-
sehen von einzelnen, zu der Allgemeinheit der fraglichen Erscheinung in
keinem Verhältnifs stehenden Fällen) die gleichen, was für andere
Empfindungen ihnen auch vorangegangen sind oder neben ihnen hergehen.
Ein und dasselbe erscheint uns verschieden, je nachdem wir es mit diesem
oder mit jenem andern Gegenstand vergleichen, weil unsere Vorstellung
von ihm erst durch diese Vergleichung ihre volle Bestimmtheit erhält,
und diese Verschiedenheit in der Beurtheilung des gleichen Gegenstandes
wird um so grösser sein, je weniger wir für dieselbe einen aus früheren
Erfahrungen abstrahirten constanten Masstab mitbringen, oder einen solchen
nach .den Umständen des gegebenen Falles anwenden können.
Nur als ein Specialfall des bisher besprochenen, für alle unmittel-
baren psychischen Messungen gültigen Gesetzes wird aber auch das schon
S. 7 berührte Weber’sche Gesetz anzusehen sein. Dieses Gesetz spricht
bekanntlich aus, dafs der Unterschied zweier qualitativ gleichartiger und
daher hinsichtlich ihres quantitativen Verhältnisses vergleichbarer Empfin-
dungen als gleich grofs empfunden werde, so lange ihr Verhältnils sich
gleich bleibt, welches auch ihre absolute Gröfse sein mag; dafs daher bei
der Steigerung der äufseren Reize der Empfindungszuwachs nicht dem
absoluten, sondern dem relativen Reizzuwachs (oder, was dasselbe, dem
Logarithmus des Reizes) proportional sei. Dieses Gesetz gilt nun aller-
dings nur innerhalb gewisser, von der absoluten Empfindlichkeit unserer
Sinne abhängiger, Grenzen, und auch hier nicht ohne Schwankungen,
welche sich eben daraus erklären, dafs wir nur die Stärke und den
Stärkezuwachs der äufseren Reize, die der Gehirnreize dagegen so wenig,
wie die der Empfindungen, direkt messen können. Wenn wir ferner nach
den Thatsachen fragen, aus denen es abgeleitet ist, so erscheint (abgesehen
von der Bestimmung der Tonhöhe, bei der es sich nach dem früher
bemerkten nicht um ein quantitatives, sondern um ein qualitatives Ver-
hältnifs der Empfindungen handelt) als entscheidend nur die Beobachtung,
dafs die kleinsten für uns bemerkbaren Intensitätsunterschiede der Empfin-
dungen, und ebenso die kleinsten wahrnehmbaren Unterschiede der räum-
Ueber die Messung psychischer Vorgänge. 6)
lichen Ausdehnung, innerhalb gewisser Grenzen nicht von dem absoluten,
sondern von dem relativen Verhältnifs der entsprechenden Reize abhängen.
Dafs es sich aber hiebei nicht um ein specielles, auf den eigenthümlichen
Bedingungen der Sinnesempfindung beruhendes, sondern um ein allge-
meines psychologisches Gesetz handelt, mülste uns auch abgesehen von
den bisherigen Erörterungen schon durch den Umstand wahrscheinlich
werden, dals dasselbe nicht blos auf die Unterschiede der Licht- und
Schallstärke, des Druckes, des Gewichts, der Temperatur, sondern auch
auf die Abschätzung der räumlichen Ausdehnung Anwendung findet. Wenn
wir zwei horizontale oder vertikale Linien mit einander vergleichen, um
zu bestimmen, welche von beiden die längere ist, so bilden den Gegen-
stand dieser Vergleichung nicht zwei Empfindungen, sondern zwei Raum-
gebilde, die sich uns erst aus einer bestimmten Combination gewisser
Empfindungen ergeben haben, und die Vergleichung selbst besteht darin,
dafs wir das uns von der Anschauung der ersten zurückgebliebene
Erinnerungsbild an das Anschauungsbild der zweiten als Masstab anlegen.
Zeigt es sich daher, dafs uns, beispielsweise, der Längenunterschied von
100 Linien und 101 Linien ebenso bemerkbar ist, als der von 100 Zollen
und 101 Zollen, so folgt daraus nur, dafs jene kleineren Linien ein ebenso
genaues Bild in uns erzeugt haben, als die gröfseren. Nicht anders wird
es sich aber auch mit der Vergleichung unserer Empfindungen verhalten:
je deutlicher sie sind, um so feinere Unterschiede zwischen ihnen und
andern gleichartigen werden uns noch bemerkbar sein, um so gröfser
wird, m. A. W., in Beziehung auf diese bestimmte Klasse von Empfindungen
unsere absolute Unterschiedsempfindlichkeit sein; immer aber wird der
Grad des Unterschieds zwischen zwei Empfindungen unserem eigenen
unmittelbaren Bewulstsein sich ebenso grofs darstellen, wie der zwischen
zwei anderen, wenn die zweite zu der ersten sich ebenso verhält, wie die
vierte zu der dritten, weil wir für die Bestimmung desselben gar kein
anderes Mafs haben, als das in dem Verhältnifs der verglichenen Empfin-
dungen selbst liegende, und daher immer nur sagen können, dafs die
Empfindung B um so oder so viel Theile oder Vielfache von A, nicht,
dals sie um so oder so viel Theile oder Vielfache einer dritten, als
absolutes Mafs an A und B anzulegenden Gröfse, von B differire; weil
somit alle von uns bemerkten Unterschiede zwischen zwei Empfindungen
16 ZELLER:
nur ein bestimmtes Verhältnifs derselben darstellen, und daher auch bei
der Veränderung ihrer absoluten Grölse uns unverändert erscheinen
müssen, so lange jenes Verhältnifs sich nicht ändert.!) Es ist aber aller-
dings möglich, dafs unter gewissen Bedingungen das Verhältnifs der
Empfindungen selbst sich ändert, während das der äufseren Reize als
solcher sich gleich bleibt; und eben hierauf möchte ich die scheinbaren
Abweichungen von dem Weber’schen Gesetz, welche die Erfahrung zeigt,
zurückführen.
Es wäre von Interesse, die Richtigkeit der im vorstehenden ent-
wickelten Auffassung auch noch durch weitere Beobachtungen und Versuche
zu prüfen, indem z. B. untersucht würde, wie es sich in dieser Beziehung
mit der Beurtheilung der Farbenunterschiede verhält, welche ebenso, wie
die der Tonhöhe, qualitativer Art sind; ob für die Beurtheilung der
zeitlichen Ausdehnung das gleiche Gesetz gilt, wie für die der räumlichen,
so dafs der Unterschied in der Dauer zweier Vorgänge (etwa zwei auf-
einanderfolgender Töne von gleichem Klang und gleicher Höhe) gleich
bemerkbar bliebe, so lange das Verhältnifs der beiderseitigen Dauer sich
gleich bleibt. Je mehr thatsächliches Material solche Untersuchungen
liefern, und je schärfer bei ihnen darauf geachtet wird, welcher Art die
psychischen Vorgänge sind, auf die sie sich beziehen, ob es die Intensität
oder die Qualität, oder die räumliche und zeitliche Verknüpfung unserer
Empfindungen ist, um deren Messung es sich handelt, um so sicherer
werden sie uns darüber unterrichten, ob wir es hier mit physiologischen
oder mit psychologischen Gesetzen zu thun haben.
1) Die obige Deutung des Weber’schen Gesetzes, welche mir selbst von Anfang
an als die wahrscheinlichste erschien, finde ich unter den mir bekannten neueren Dar-
stellungen am bestimmtesten, wenn auch mit Beschränkung auf die Sinnesempfindungen, von
Wundt, Physiolog. Psychol. 421 ff. 1. Aufl. ausgesprochen. Weiter vgl. m. G. E. Müller
zur Grundlegung der Psychophysik 382 ff., wiewohl dieser selbst einer anderen rein
physiologischen Deutung jenes Gesetzes den Vorzug gibt.
Der Tempel der Athena Polias zu Pergamon
von
H" RICHARD BOHN,
vorgelegt
von H"" ALEXANDER COONZE.
Philos.-histor. Kl. 1881. Abh.IV. 1
ii
” £ 1 hr
189193 118 20T sa), Tb Joint
se as
Y
he ad
da hr
in A i Tr ka Yd, u
Ba
B ir
“. ya f
7 WIEPEG vr
Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 7. Juli 1881.
= a Bu [4
Beisits bei der von Hrn. Humann angeregten und durchgeführ-
ten Wiederentdeckung des grofsen Altars auf der Burg zu Pergamon
lieferte die Ausgrabung und der Abbruch der Festungsmauer zahlreiche
Bruchstücke, welche darauf hinwiesen, dafs man sich auch dem Heilig-
thume der Athena Polias, dem ältesten und vornehmsten der Burg, nahe
befand.
Zwei Inschriften enthielten die Bestimmung, derzufolge sie einst
im Hieron der Athena aufgestellt waren. Dieses Hieron konnte nicht
ohne einen Tempel gedacht werden; denn das auf den Münzen von Per-
gamon abgebildete alte Idol der Göttin stand gewils unter Dach. Jene
zwei Inschriften aber waren längst von ihrem ursprünglichen Standorte
entrückt und in die grofse Festungsmauer verbaut.
Aufserdem galten acht andre Inschriften einzelnen Priesterinnen
der Athena Polıas. Vier wiederum gehörten zu grofsen Weihgeschenken;
als Gottheit, der die Darbringungen galten, erschien Athena entweder
allein oder neben Zeus, wie sie mit ihm ja auch in den Hochreliefs des
Altars besonders ausgezeichnet hervortritt. Von den im Umkreise des
Altarbaus gefundenen Bildwerken stellten ferner eine unbedeutende Mar-
morstatuette, so wie ein Relieffragment Athena dar.
12
4 Rıcnarp Bonn:
Endlich kam aber aus der grofsen Mauer beim Abbruche eine un-
kannelirte Säulentrommel 'von Trachyt zum Vorschein und auf ihr eine
Inschrift, welche die Säule ausdrücklich als eine Weihung an die Trito-
geneia bezeichnet. Ich lasse diese Inschrift hier in Facsimile folgen.
Aus diesem erhellt beim Vergleiche mit den übrigen uns überkommenen
Inschriften, dafs alle für den Wandel der Formen besonders charakte-
ristischen Buchstaben in ihr erheblich alterthümlicher sind, als die der
sonst frühesten für uns datirbaren Inschriften der Königszeit, nämlich die
Attalos des Ersten. Bei der ersten vorläufigen Mittheilung der Inschrift!)
habe ich zu Anfang das Wort zieva, ergänzt. Dieses kann aber wenigstens
unmittelbar vor revde nicht gestanden haben; wiederholte Nachverglei-
chung ergiebt vielmehr ein auf cs endendes Wort. Hierzu ist noch zu
bemerken, dafs die erste. der drei Schriftzeilen unmittelbar unter dem
oberen Rande der Säulentrommel steht, so dafs sehr wohl auf der über
dieser liegenden Trommel der eigentliche Anfang der Inschrift gestanden
haben kann. Immer bleibt aber die Ergänzung xieva wenigstens dem
Sinne entsprechend. Nicht ein auf der etwa einzeln stehenden Säule auf-
gestelltes Anathem kann der Gegenstand der Weihung gewesen sein; denn
die Säulentrommel giebt sich namentlich durch die tiefe Spur eines Ver-
schlufses als Theil eines Gebäudes zu erkennen. Wenn man nun eine
Widmung des ‚ganzen Baus nicht auf eine der Säulen aufgeschrieben
suchen wird, so bleibt eben nur die Weihung der Säule selbst übrig.
Weihungen einzelner Theile eines Tempels sind auch sonst bezeugt und
haben an sich nichts auffallendes. Somit durfte man diese Trachytsäule
1) Die Ergebnisse der Ausgrabungen zu Pergamon. Aus dem Jahrb. der k.
preufs. Kunstsammlungen Band I. Separatabdruck S. 75 f. Auf diesen Bericht mufs hier
überhaupt verwiesen werden.
Der Tempel der Athena Polias zu Pergamon. 5
mit einiger Wahrscheinlichkeit als zum Tempel der Athena gehörig an-
sehen. Nur gewährte ihr Fundort, da sie als Baustück in der grofsen
Mauer verwandt war, dennoch wiederum keinen direkten Hinweis auf
den einstigen Standort des Tempels.
Bei täglich wiederholter Umschau auf der pergamenischen Burg
glaubten jedoch schon gegen Ende der ersten Ausgrabungscampagne die
Hrn. Stiller und Bohn einen Platz als den wahrschemlichsten Standort
des Tempels bezeichnen zu können. Sie faflsten jene hohe Terrainecke
nördlich oberhalb des Altarbaus ins Auge, welche von dem auf antiken
Fundamenten ruhenden höchsten türkischen Mauerzuge eingefalst war.
Machte Hr. Stiller die für einen ausgezeichneten Tempel seines Erach-
tens besonders geeignete landschaftlich dominirende Lage geltend, so
glaubte Hr. Bohn, wenn auch einige aus dem Rasenfelde hervorragende
Säulenstumpfe sich nicht mehr in situ befinden sollten, dennoch in ihnen
und einzelnen dazu passenden Baugliedern gradezu Reste des Tempels
vermuthen zu dürfen, und gab der ganzen Annahme auf Tafel II des
vorläufigen Berichts Ausdruck. Die Säulenstumpfe waren unkannelirt und
aus dem Trachyt des Burgberges gearbeitet, wie jener mit der Weihin-
schrift; sie stimmten jedoch in den Maalsen nicht ganz mit ihm überein,
so dals in so weit über die Zugehörigkeit der Inschriftsäule einiger
Zweifel blieb.
Bei allem Umhersuchen nach dem Tempelplatze war eine frühere
Annahme!) bereits ganz aufgegeben, dafs nämlich der auf allerhöchster
Höhe der Akropolis in seinen Resten noch ansehnliche Tempel korinthi-
schen Stils der Athena geheilist gewesen sein könnte; denn bei genauer
Untersuchung dieser Ruine hatte sich aus den Gründen, welche auf S. 94
des vorläufigen Berichts kurz zusammengefafst sind, ergeben, dafs der Bau
dort oben vielmehr das im Jahre 29 v. Chr. errichtete Augusteum war.
Die Hoffnung bei weiterem Nachsuchen in der Umgegend des
Altarbaus noch Ergänzungsstücke zu den Skulpturen im Königl. Museum
zu gewinnen führte im August 1880 zu einer Wiederaufnahme der Ar-
beiten unter Hrn. Humanns bewährter Leitung. Vom December an trat
ihm als Architekt Hr. Bohn zur Seite. Weitere historisch-topographische
1) Abh. der Königl. Akad. der Wissenschaften zu Berlin 1872, S.49. 61.
6 RıcuAarp Bonus:
Aufklärung über die Akropolis der Attaliden konnte dabei nicht ausbleiben
und Nichts durfte in dieser Richtung wichtiger erscheinen, als eine end-
gültige Antwort auf die Frage nach Lage und Gestalt des Athenatempels
als des Hauptheilisthums der Burg.
Am 30. August 1880, wie ich den Berichten des Hrn. Humann
entnehme, begann die Abräumung des Plateaus, auf dem, wie soeben
dargelegt ist, vermuthungsweise der Tempel angesetzt wurde. Jene aus
dem Boden herausragenden Säulenstümpfe erwiesen sich alsbald als auf
späten Schutt ohne Fundirung aufgesetzt; auch andere ın sıtu befindliche
Reste, die man dem Tempel hätte zuschreiben können, wollten sich zu-
nächst durchaus nicht zeigen. Dagegen gab sich im Verlaufe der Auf-
deckung der ganze Platz als antik gepflastert und im Norden und Osten
durch eine Säulenhalle umfafst zu erkennen. Geläufiger antiker Weise
schien es nur zu entsprechen diesen Platz nicht frei, sondern mit einem
wichtigen Gebäude versehen zu denken, und dals auf einer Brüstung
der Halle in reicher Zusammenstellung dem Land- und Seekriege ange-
hörige Waffenstücke aller Art in Relief sich dargestellt zeigten, mulste
aufs Neue zu der Annahme führen, dafs ein solcher baulicher Mittelpunkt
des hallenumgebenen Platzes eben der Tempel der Athena Polias, die mit
Beinamen Nıxy$eges genannt wurde, gewesen sein möchte. Dessen, wie
einstweilen schien, vollständiges Verschwinden konnte immerhin durch
fortgesetzte Benutzung des Platzes namentlich zu einem byzantinischen
Kirchenbau, welcher bei der Aufräumung im Grundrisse hervortrat, er-
klärt werden.
Während die Ausgrabung inzwischen auch aufserhalb der Säulen-
hallen fortgeführt wurde und im Osten derselben den antiken Eingang
des oberen Burgplateaus, im Norden ein offenbar einst zur Bewohnung
dienendes Gebäude mit unregelmäfsig zu einander liegenden Gemächern
freilegte, gelang es endlich am 7. Februar d. J. Hrn. Bohn das Funda-
ment und von da weiter beobachtend und schliefsend die schon früher
in diesem Sinne ins Auge gefalsten Werkstücke eines dorischen Tempels
als zu demselben gehörig zu erkennen. Dieser Tempel kann sowohl an
sich, als nach Allem bereits sonst in Anschlag gebrachten und nach dem,
was die Ausgrabungscampagne 1880/81 an neuen Fundstücken geliefert
hat, nur der gesuchte Tempel der Athena Polias sein.
Der Tempel der Athena Polias zu Pergamon. Y;
Ich lege der Königl. Akademie die Entdeckung des Hrn. Bohn
in seiner eignen Aufzeichnung als erste Mittheilung vor. Eine eingehen-
dere Publikation bleibt dem in Vorbereitung begriffenen Werke über die
Alterthümer von Pergamon vorbehalten.
Conze.
D.: Ausgrabungen der zweiten Campagne hatten auf dem Pla-
teau nördlich des Altars bereits an manchen Stellen den gewachsenen
Felsen freigelegt, an anderen zeigte sich hochalter Schutt als Füllmaterial,
ein Zeichen, dafs dort niemals Fundamente gewesen. Bei genauerer Be-
trachtung aber lenkten in dem westlichen Theile des Platzes einige zu-
sammenhängende, direkt auf den Felsen gestreckte Platten meine Aufmerk-
samkeit auf sich, die aus einem Material bestanden, wie es die Burg
selbst liefert. Sie laufen in einer mit den übrigen Baulichkeiten diver-
girenden, aber dem Westrande des Plateaus parallelen Richtung. Unmittel-
bar nach einem Regen liefs aber die hellere Färbung der schneller trock-
nenden, weil nur in dünner Schicht darauf lagernden Erde eine wenn
auch unterbrochene Fortsetzung dieser Platten in südlicher Richtung er-
kennen, namentlich aber auch zwischen ihnen und dem Westrande noch
eine zweite Plattenreihe bemerkbar werden.
Die in Folge dessen sofort begonnene sorgfältigere Reinigung dieses
Abschnittes ergab zunächst, dafs wir hier die Reste von zwei parallelen
eirca 1,35 Meter breiten Mauern vor uns hatten, deren von einander ab-
gekehrte Seiten fluchtrecht waren, während die Innencontouren unregel-
mälsige Linienführung zeigten. Dieser Umstand legte den Gedanken nahe,
dafs beide Mauern zu einem Tempelstereobat gehören könnten. Beim
weiteren Fortschritt der Grabungen, und nachdem der den nördlichen
Theil deckende Rest einer byzantinischen Kirche abgebrochen war, kam
denn auch die Krepis in ihrer Gesammtheit zu Tage, wie sie auf
Blatt II, No. 1 dargestellt ist. Nördlich, östlich und südlich nur theil-
weise noch in einer direkt auf den dazu geebneten Fels gestreckten Platte
erhalten, westlich bei fallendem Terrain, noch bis zu vier Schichten
8 Rıcuarp Bonn:
hinabreichend. Die Dimensionen bestimmen sich auf 13,02 Meter Breite
bei 22,53 Länge. Die Längsaxe weicht nur um 5° östlich von der Süd-
Nord-Linie ab. Die Orientirung ist also nordsüdlich, wie auch bei der
Rekonstruktion des grofsen Altars angenommen worden ist, auf dessen
Anlage also die Richtung des Tempels nicht ohne Einfluls gewesen sein
dürfte.
In dem so umschlossenen Areal trat durchweg der gewachsene
Fels auf und schien anfänglich für jede weitere Erkenntnifs zu versagen.
Erst die minutiöseste Reinigung liels einige für die Eintheilung entschei-
dende Anhaltspunkte gewinnen: zunächst Reste der Fundirung für die
westliche Cellawand, nördlich einige Platten, südlich nur unbearbeitete
Blöcke zur Ausgleichung des unebenen Terrains, an letztere anschliefsend
eine mittlere Quertheilung; sodann symmetrisch zu beiden Axen nahe der
Nord- resp. Südfront je zwei Felsbearbeitungen, welche auf die sorgfälti-
gere Fundirung einer Stütze hinweisen, also die Stellung der Säulen im
Pronaos und Opisthodomus ergeben !).
War somit die Disposition als die eines Peripteraltempels im All-
gemeinen gegeben, so versagten die geringen Reste jedoch irgend einen
Schlufs auf die Gestaltung des Aufbaus vollständig. Aufklärung hierüber
konnte nur durch die vergleichende Messung sämmtlicher in der Umge-
bung auf dem Tempelplateau und an dessen Hängen südlich und westlich
verstreuten Bauglieder gewonnen werden. Dafs die schon im Vorjahr ver-
muthungsweise als Theile des Athenatempels angesehenen Stücke wirklich
zu ihm gehörten, bestätigten die Fundumstände sowohl, wie namentlich
die Beobachtung, dals die ermittelte Triglyphenaxe von 0,79 Meter in
der Eintheilung der Fundamentplinthen wiederkehrte.
Nachstehend gebe ich eine kurze Erläuterung zu dem auf Blatt III,
dargestellten System des Aufbaus, so weit es sich mit Sicherheit bestim-
men liefs.
Der Tempel war durch zwei Stufen von je 0,24 Meter Höhe über
das ihn umgebende Niveau des Peribolus emporgehoben. Auf der Mitte
jeder dritten von denjenigen Platten, welche die Oberstufe bildeten, stan-
den die Säulen, je sechs in der Front, zehn in den Längsseiten; ihre
1) Die auf dem Plane dargestellten oblongen Eintiefungen sind in den Fels ge-
arbeitete Gräber aus byzantinischer Zeit.
Der Tempel der Athena Polias zu Pergamon. 9
Axweite beträgt 2,37 Meter, der untere Durchmesser 0,755, der obere
0,605 Meter. Sie bestehen mit Ausschlufs des Capitäls aus je fünf Trom-
meln, und die Gesammthöhe von 5,25 konnte deshalb genau bestimmt
werden, weil die entsprechenden Trommeln jeder Säule gleich hoch sind
und zwar in aufsteigender Folge 1,248 1,120 0,961 0,876 0,750; hierzu
kommt das Capitäl von 0,295 Höhe mit dreitheiliger Riemchenfessel,
kleinem aber strammem Echinus und niedrigem Abakus. Während an
demselben die zwanzig Oanneluren angearbeitet erscheinen, sind die Trom-
meln glatt. Man muls also annehmen, dafs sie die letzte Vollendung
nicht erhalten haben. Der Contour zeist eine schwache Entasis.
Der Architrav, 0,480 hoch, besteht aus zwei neben einander liegen-
den Blöcken, der äufsere glatt mit niedrigem Abacus und Tropfenresula,
je einer halben an beiden Enden und dazwischen zwei ganzen; also ein
direkter Beweis für dreitriglyphisches System. Das Innenstück ist nie-
driger und hat zwei Fascien, auf welchen, aus einem besonderen Block
gearbeitet und auf den dazu ausgefalzten Architrav übergreifend, ein
Kyma mit Abacus ruht.
Das Triglyphon 0,535 hoch, besteht aus einzelnen Blöcken, deren
jeder eine Triglyphe von 0,310 Breite mit anschliefsender Metope um-
falst. Das Relief ist gering, die Glyphen sind oben rund geschlossen.
Darauf ruht das Geison, welches in guter dorischer Formenbildung
verhältnilsmäfsig wenig Höhe (0,208) bei knapper Ausladung zeist.
Für die weitere Gliederfolge versagen die Funde; wohl ist es
wahrscheinlich, dafs einige unweit gefundene schlichte Akroterien die
obere freie Endigung der Längsfronten bildeten, doch mulste von Darstel-
lung derselben in der Zeichnung Abstand genommen werden, da nament-
lich auch die Art ihrer Verbindung mit dem Geison fraglich erscheint.
Die Cella erhob sich mit einer Stufe von 0,29 Meter über das
Niveau des Pteron. Ist auch ihre Disposition nicht durchweg sicher,
so erscheint doch die Gestaltung des Pronaos und Opisthodomus zweifel-
los: je zwei Säulen zwischen Anten. Welche Trommeln zu den Säulen
des Pronaos und Opisthodomos gehören, konnte Anfangs nicht fest be-
stimmt werden; doch ergab sich schliefslich nach Material, Technik
und Maafsstab, so wie aus dem Funde einer zweiten zugehörigen Trom-
mel, dafs die oben S. 4 erwähnte Säule mit der Weihimschrift in der
Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. IV. 2
10 Rıcuarp Bonn:
That dahin gehören wird. Die Anten sind mit einer der Front zugewen-
deten Stirn und zwei anschliefsenden Schmalseiten gebildet und zwar als
vertikale Pfosten abwechselnd mit Plinthen, welche in die Wand einbin-
den. Gekrönt wird die Cellawand durch einen der Innenseite des Ar-
chitravs entsprechend profilirten Block. Für die Rekonstruktion der wahr-
scheinlich aus Holz hergestellten Pterondecke, der Giebelneigung und des
Dachgerüstes fehlt jeder nähere Anhalt.
Eine Thür ist durch die in Fragmenten vorhandene einfach profi-
lirte Umrahmung mit krönendem Gesims bezeugt. Da einige Reste vor
der gesicherten mittleren Trennungswand etwa als Theile der Fundirung
einer aufgestellten Statue gedeutet werden können, so wird der Stand-
punkt der Thür, was auch nach ihrer Formengebung wahrscheinlich ist,
nur zwischen Pronaos, bezüglich Opisthodomus und Cella angenommen
werden können.
Zahlreiche seitliche Dübellöcher in den Säulen bekunden, dafs ein
theils fester, theils beweglicher Verschlufs des Pteron vorhanden war.
Unmittelbar vor der Südfront läfst die erweiterte Felsbearbeitung sich als
Stelle für einen Altar deuten, womit eine daneben befindliche noch jetzt
erhaltene Cisterne zum Wasserschöpfen in Verbindung gedacht werden
könnte. Vor der Südwestecke fand sich der Rest eines vertikalen Ab-
fallrohres aus Thon.
Ich füge noch einige Bemerkungen über die Technik hinzu. Das
Fundament zeigt exakten Fugenschlufs; sämmtliche Plinthen waren durch
Klammerbänder und zwar aus Holz verbunden, die jetzt allerdings durch
die eingedrungene Erdfeuchtigkeit vollständig verwittert sind; nur die
Eekplatten sind durch noch vorhandene schmale Eisenklammern, sowie
durch Vertikaldübel gehalten. Die Form der Holzklammer war annähernd
stets die gleiche und zwar, wie aus dem noch gut erhaltenen Umrifs der
Bettungen hervorgeht, in medio 0,23 lang, doppelschwalbenschwanzförmig,
in der Fuge 0,045, an den Enden 0,065 breit, bei 0,030 Tiefe. Beson-
dere Erwähnung verdient, dafs die in der Unterfläche befindlichen Eintie-
fungen an den oberen Stylobatplinthen durch dünne Vertikalröhren mit
der Oberfläche verbunden sind, was wohl nur dazu dienen konnte, das
Vergufsmaterial, statt wie sonst seitlich, von oben einzuführen. Die Säu-
lentrommeln haben einen Dübel in der Mitte mit seitlichem Gufskanal.
Der Tempel der Athena Polhias zu Pergamon. al
Als Maafseinheit ist dem gesammten Bau der Philetairische Fufs
— 0,34994 zu Grunde gelegt; beispielsweise sei nur die Frontbreite, in
der obersten Stufe gemessen, mit 12,250 — 35’, die Säulenhöhe mit
5,25 — 15’, die Gebälkhöhe 1,22 — 3}’ erwähnt.
Um zum Schlufs auch auf die Benennung des Tempels als den der
Athena Polias näher einzugehen, darf zunächst die Lage nicht unbeachtet
bleiben (siehe den Situationsplan Taf. I). Sie ist besonders ausgezeichnet,
nicht auf dem höchsten Gipfel, sondern auf der zunächst unterhalb des-
selben gelegenen, aber weit vorspringenden Kuppe, wie wir einen solchen
für Anblick und Aussicht gleich günstigen Standpunkt mit feinem künst--
lerischen Gefühl auch sonst wohl — ich erinnere nur an den Appollo-
tempel bei Phigalia — gewählt finden. Als der Tempel gegründet wurde,
war man in der Wahl des Bauplatzes noch nicht beschränkt. Wenn auch
dieser Zeitpunkt nicht genau bestimmbar ist, so fällt er doch sicher vor
die Königszeit. Denn hier bildet noch nicht Marmor, sondern der schlichte
Stein, wie ihn der Burgfelsen selbst liefert, das Baumaterial, hier herrscht
Holzverdübelung vor, hier zeigt sich strikte Gebundenheit in den Stofs-
fugen bis in die Fundamente hinab und die Details sind streng gezeich-
net: Alles Dinge, welche der Königszeit, wie die durch unsere Ausgrabun-
gen wiedergewonnenen Denkmäler beweisen, schon vollständig fremd sind.
Gehört die oben erwähnte Säule mit der Widmungsinschrift wirk-
lich zum Tempel, so tritt der palaeographische Beweis für das Alter des
Baues zu den andern hinzu, und die Benennung des Tempels ist dann
an ihm selbst gegeben.
Aber auch abgesehen davon lassen die Fundstücke in und um das
Heiligthum die Athena in Bildwerk und Inschrift als die Tempelgöttin
hervortreten. Die letzte Ausgrabungscampagne hat in unmittelbarer Um-
gebung des Tempels zwei Athena-Statuen und ein Relief geliefert, auf
welchem letzteren in ornamental symmetrischer Anordnung zwei Stiere
vor dem Idole der Athena Polias von Löwen zerrissen werden. Ferner sind
mehrere inschriftliche Weihungen an Athena namentlich von plastischen Stif-
tungen der Könige auf und unterhalb des Plateaus gefunden worden. Sie
alle mögen ihre Aufstellung rings um den Tempel, namentlich nördlich
und östlich, gehabt haben, wo sich ein weiter plattenbelegter Platz aus-
dehnt. Abgeschlossen war dieser an den gedachten Seiten durch eine erst
I*
12 Rıcn. Boun: Der Tempel der Athena Pohas zu Pergamon.
in der Königszeit hinzugefügte doppelgeschossige Halle, zweischiffig im
Norden, einschifig im Osten. Die beifolgende Skizze zeigt das System,
dessen Verwandtschaft mit dem der
Halle Attalos des Zweiten in Athen
augenschemlich ist. Auf den unteren
dorischen Säulen, bei denen in Hö-
henverhältnifs und Formengebung der
Einflufs des Athenatempels offenbar
erscheint, ruht ein dorisches Gebälk;
das Obergeschofs hat ionisch canne-
lirte Säulen. Dafs diese auch Capitäle
gleicher Ordnung getragen haben, kann
nach einem in diesem Sinne gebilde-
ten Pfeilercapitäl nur als sehr wahr-
scheinlich hingestellt werden, da sonst
nichts gefunden wurde, was dahin pas-
sen könnte. Das obere Gebälk endlich
zeist ein Gemisch von ionischen und
dorischen Kunstformen.
Dafs aber ein älteres Heilisthum
zur Königszeit in solcher Weise mit
einem reichen Hallenschmuck umge-
ben wurde, beweist unzweifelhaft die
1.100 hohe Bedeutung, welche dasselbe fort-
dauernd besals. Und was in diesem Zusammenhange noch besonders auf
die Athena Nikephoros als Göttin des Platzes hindeutet, sind die Reliefs,
welche die Schranke zwischen den Säulen des Obergeschosses bildeten und
mit Abbildungen der mannigfaltigsten Waffen und Kriegsgeräthe vollstän-
dig ausgefüllt sind, eine sprechende Erinnerung an die Siege der perga-
menischen Könige.
Endlich läfst auch der Hauptrest der auf dem unteren Architrav
befindlichen Weihinschrift .. AI in Anbetracht der Fundstelle am öst-
lichen Ende der Nordstoa die Ergänzung AOHNAI POAIA]JAI als Schluls
der Weihinschrift zu.
*
In, “
4 ZEN
PEN
radırt : Ritter u. Riegel
PR A SE rer
EEK AAEN
Br
‚Abh.d.k.Ak.d.Wiss.188l.
aufg. u.rest v- R.Bohn.
radırt:Ritter ı1 Riegel
1.150
*
N
ir
NT
DE TE ET ze = 2722025222 202 un Bun
I a
u
ES Sl IE ET
De rer ee
ne ee a ee eg -
han re a Bro
D
a Fa a: Zu
H ui
+ .
De ge, N
er’ v
* s +
P
?. j
Abh. dk. Ak. d.Wiss.l8äl:
| WIE, ——— |
DT, E
rest:u.gez, wR.Bohn. : radirt: Ritter uw. Riegel
{Be 2 r 5 EN i
Ada Bar EZ — N, |
iR: N k as Bed, N
MR n
ua K ie
‘
hr u).
D Ä
ie,
Über die sprache des volkes Röng
oder Leptscha in Sikkim
H" W. SCHOTT.
Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. V. 1
2noH asıllor aob adoaıga sih 13dd
®
sriddid ni adoarged 13560
5
Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 8. Dec 1881.
FTOHRDA WW H
NN
rr
er:
fi
H .t .ıida, Sat TA ‚wiuhheT
D
[}
m"
Wohnsitz dieses völkchens oder seiner überbleibsel ist die im nor-
den an Tibet stoszende kleine alpenlandschaft Siıkkım zwischen Bütän im
osten und Nepäl im westen. Von den Gürka’s nach unterwerfung des
letzteren landes unterjocht, wurden die Röng (wie sie sich selbst nennen)
in den ersten jahrzehnten unseres jahrhunderts durch die indobritische
regirung wieder befreit, und die Briten gründeten in Dordscheling (tibe-
tisch "jawelenort‘), der erquickendsten sommerfrische des ganzen Hima-
laja, ein sogenanntes sanatarium welches 1835 an die Compagnie abge-
treten ward.
Nach oberst Mainwaring’s (vom bengalischen Stabskörper) einlei-
tung zu dem von ihm bearbeiteten ersten lehrbuche des Röng (Caleutta
1876), welchem ein wörterbuch nachfolgen soll, sind oder waren wenig-
stens die Leptscha ein harmloses naturvolk von einfachem gottesbegriff
und einfachster lebensweise. Der aus Tibet ihnen aufgedrungene Lamais-
mus soll ihren heimischen glauben geschädigt haben ohne ihn zu ver-
drängen.
Über die zeit ihrer einwanderung aus norden kann herr M., der,
von dem gesichtstypus des volkes geleitet oder verleitet, dessen ursitze
bis nach der Mongolei und Mandschurei hinauf rücken möchte, genauere
kunde nicht geben. Man will nur wissen dass die Röng eine lange pe-
riode hindurch unter vier auf einander folgenden oberhäuptern, deren
erstes etwa im 15°” jahrh. u. z. regirte, ruhig und zufrieden lebten. Nach
1*
+ W. Scuort: Über die sprache des volkes
des vierten häuptlings ableben bemeisterte sich ein Tibeter der herrschaft.
Dieser sowohl als seine nachfolger vermischten sich mit töchtern des lan-
des und verschafften dem Lamaismus eingang. Die fremden mönche stif-
teten klöster, zerstörten angeblich handschriftliche urkunden des volkes
und übersetzten eines ihrer eignen heiligen bücher unter dem titel Ta schi
sung (s. w. u.) in die landessprache.
Ein verfall in jeder hinsicht begann, wie herr M. behauptet, erst
durch europäische einwirkung, besonders seitdem Campbell (Lord Clyde)
fremden stämmen ohne unterschied der bildung und gesittung in Sikkim
unterkunft verschaffte. Der verfasser hat das beinahe erdrückte völkchen
von so liebenswürdigen seiten kennen gelernt, dass ihr schicksal ihm bis
zur erbitterung gegen seine eignen stammesgenossen zu herzen geht.
Ihre sprache als solche ist schon gegenstand seiner vorliebe und be-
wunderung. !)
Das vorerwähnte, durch tibetische mönche dem Röng angeeignete
buch muss der beschreibung nach eine sammlung legenden sein deren
held ein zum geistlichen oberhaupte beförderter Bödhiszattwa ist, viel-
leicht der Dalai-lama selber. 7a schi sung soll in der Röngsprache ‘des
Allsehers (Allwissers) geschichte heissen.?) Die schlauen mönche bedien-
ten sich der jedem Leptscha geläufigen bezeichnung des undurchschaut
alles durchschauenden wesens, um ihr werk den bekehrten desto glaub-
und ehrwürdiger zu machen.
Die Röngsprache wird mit einer buchstabenschrift geschrieben
welche indischen ursprung verkündet. Wann und woher diese schrift
nach Sikkim gekommen erfährt man nicht. Zu den dargestellten lauten
der sprache gehört das den Tibetern wie den Hindu gänzlich fehlende f,
dem / und r unmittelbar folgen können z. b. flet waschen, fram fürchten.
Die sprache selbst wird aus bequemlichkeit den einsilbigen und unver-
änderlichen zugezählt, obgleich sie sehr viele mehrsilbige wörter aufweist
!) Beim schreiben derselben vertausche ich die englische art mit der deutschen.
*) ‚Schi heisst allerdings ‘sehen’, aber auch 'existiren‘, woher schim a being. Was
aber das vorgesetzte ta in dieser verbindung bedeutet ist mir unklar. Ein ta-schö der
Tibeter (geschrieben bkra-schisz) propitious, lucky, welches mit zugegebenem ma mutter
den namen einer weiblichen gottheit und mit /hun-po den des berühmten klosterpalastes
bildet, gehört nicht hierher.
Röng oder Leptscha in Sikkim. 5
und obgleich ausdrücke für grammatische verhältnisse der ihnen voran-
gehenden wurzel oft etwas hinzufügen.
‚Die wortstellung entspricht ganz der des Tibetischen d. h. auch
im Röng folgt das verbum ohne ausnahme seinem objeete, der positiv
den steigerungsgraden, artikel, adjectiv, zahlwort folgen dem substantive,
und statt der praepositionen giebt es nur postpositionen. Was aber den
wortschatz betrifft, so wird die sprache im groszen und ganzen von der
tibetischen wesentlich verschieden bleiben bevor neue schachte der laut-
wandlung eröffnet sind.
Probe sei vorläufig ein kleines dietum (seite 128) das herr M. aus-
drücklich als dem Ta-schi-sung entlehnt bezeichnet:
Tschho ma mat na gang, muk ndm hang man-po, won hang
ma nun ne.
Wenn man nicht religion übt, so kommt man ausser
dem orte abgeschiedener (verdammter?) geister an keinen
anderen.!)
Wo ein wort der Röngsprache mit einem tibetischen von gleicher
oder verwandter bedeutung sich lautlich deckt, trägt es häufigst das ge-
präge der entlehnung, nur ausnahmsweise unverkennbarer urverwandt-
schaft die übrigens auch im verhältnisse zu gewissen sprachen des landes
Nepäl, der meisten bekannten idiome Hinterindiens und der sprache Chinas
(wobeı besonders die südlichen dialecte letzterer und veraltete wortformen
in betracht kommen) sich deutlich kund giebt.
Vor allem gehören hierher die meisten grundzahlwörter von eins
bis zehn, in welchen überhaupt eine reihe ursprachen beider Indien (dies-
seit und jenseit des Ganges) wesentlich zusammenstimmen. Das ursprüng-
liche wort für diese oder jene zahl erscheint aber bald in nackter ein-
silbigkeit, bald gleichsam verstecken spielend vor oder hinter einer auch
1) Wörtlich: Religion nicht machen (üben) nicht wenn, abgeschiedne geister ort ausser
anderer ort nicht ist nicht. Tschho ist das tibetische tschhos2 oder tschhö religion als lehre
und in ausübung; mdt heisst machen, ausüben; ma vor und na oder ne hinter dem was
verneint wird sind zwei verneinungen die einander stützen statt eine bejahung zu erzeugen,
zwischen ihnen wird ni sein und haben zu rin. ljäng heisst ort. Muk-nam übersetzt herr
M. mit ‘departed spirits. Wenn man-pd ausgenommen, ausser (nach seite 128) auf mat in
der bedeutung ‘to become, to acquire zurückgeht, so ist mir der weg mindestens dunkel.
6 W. Sonort: Über die sprache des volkes
einsilbigen aber unerklärten zugabe welche dem wesentlichen stücke einige-
mal sich einkörpert und es dann beinahe verschwinden lässt.
Gehen wir nun ins einzelne, mit benutzung der fleissigen wörter-
sammlungen Hodgson’s in seinen ‘Aborigines of India‘ (Cale. 1847).
Eins heisst in der Leptschasprache kat, in zwei Naga-sprachen des
Barmanenreiches khatu (ob chatu?) und katang. Kehrt vielleicht abge-
kürzt wieder in ‚den zusammensetzungen ka-kjak sieben, ka-ku acht,
ka-t zehn.
Zwei ist Rat und Ri, doch letzteres nur in hu nr er zwei d. h. beide.
Im Barmanischen entspricht das derbere natsch, im Tibetischen #zsz und
m. Mi, ji und reines 7 sind die südchinesischen formen während das ar
der Kassiasprache dem dumpfen nordehinesischen or oder ür sehr nahe
wo nicht gleich kommen muss.!) Die stämme Bodo und Dhimäl (im
nördlichen Bengalen) sprechen ne, dem aber bei ersterem die silbe man
untrennbar vorhergeht und beim anderen die silbe /ong untrennbar nach-
folgt. Der stamm Bähing in Nepäl hat die seltsame form mksı (ob
ni + ksı?).
Drei heisst sam. Diesem zunächst kommen: chinesisch sam, im
norden sän, in Fu-tscheu sang; siamisch säm; Bähing sam; tibetisch
sum, barman. sung und thong; Naga sam und säm mit vortretendem lan-
gen d; Singpho (im Barmanenreich) süm mit ma vorher; Bodo tham (vgl.
barman. thong) mit man vorher; Dhimäl süm mit long dahinter. Vgl.
man-ne und Ae-long für zwei.
Vier ist im Röng nur fa-h. Nagasprachen: phä-le, be-h, me-I, in
einem dialecte sogar pazr, dessen zr (ob /r?) einen mittelton zwischen 7
und gelindem s darstellen mag. Dem dre der Bodosprache muss bie
— bele zu grunde liegen. Barmanisch noch reines /@!?)
Fünf nur fa-ngo; Naga: ba-ngd und pu-ngu; Sing-pho: ma-nga;
Miri: ö-ngo. Ohne vorsetzlinge: chinesisch „gi, wi, und “; Bähing no;
tibet. nga; siamisch ha.
1) Grammatik und wörterbuch der Kassiasprache von von der Gabelentz. 1858.
W. Schott: die Kassiasprache im nordöstlichen Indien. 1359.
2) Hier lassen uns das tibet. & (b&), siamische sö und chines. s2y unter sich zu-
sammenhaltend im stiche.
Röng oder Leptscha in Sikkim. 7
Sechs nur ta-rak. Das praefix ta, auch the.kehrt wieder in dem
ta-rok, the-lok zweier Nagasprachen; eine dritte hat i in i-rök. Die Kassia-
sprache bietet uns ein praefix hin: hin-riu. Das krü des Singpho ist
wohl ein verschobenes ruk; tibetisch rug; das khjok der Barmanen statt
krok? Siamisch hok. Chinesisch im süden Juk, lok, lak, im norden du.
Zu sieben und acht (ka-kjyak, ka-ku) fehlt jede parallele. Dagegen
erinnert ka-kjöt neun, nach abzug des vorsetzlings, wieder lebhaft an die
chines. formen güt, gu, ku, kiu, gau, an das gu der Tibeter, gyhut des Ba-
hing, k&o der Siamer, kö der Barmanen. Auch die Naga sprechen ku
und khu, aber nicht ohne vorgeschobenes a, tse oder i. Ganz absonder-
lich wegen doppelanhangs erscheint das küu-hä-long der Dhimäl, Die Miri
sprechen nicht minder rätselhaft zwei durch nang getrennte ko: ko-
nang-ko.
Das wesentliche stück des wortes für zehn (ka-ti), also ti kehrt
deutlich genug wieder im Naga tschr, chines. schi, se u. s. w., Singpho si,
barman. ischhe, tibet. ischu. Das tsch” der Naga wird durch i einge-
führt: +-tschn.
Wir machen also mit folgenden parasiten an der reinen zahlwurzel
bekanntschaft: d am Nagaworte d-sam drei; d in den Nagawörtern i-rök
sechs, -ihu neun und t-tschi zehn; & in dem ä-ngo der Miri; ka an den
Röngwörtern für 7, 8, 9 und 10; hin am Kassiaworte hıin-rih 6; sı (oder
ksi?) am Bähingworte nıksi 2; ta und the an Nagaformen für 6; long an
ne-long zwei und sum-long drei der Bodo und Dhimäl; eingeschobenes
nang im ko-nang-ko der Miri; ha—-long ım Ku-ha-long der Dhimal; ma
in ma-sim drei und ma-nga fünf (Singpho); man in man-tham drei (Bodo);
pu in pu-ng& und ba in ba-ngd fünf (Naga); me, pha, pa, fa, be und rei-
nes b an formen für die zahl vier.
Das persönliche fürwort erster person bietet uns die Röngsprache
in den formen 96 und ka. Die erste derselben kehrt wieder im Bähing.
Ferner entsprechen ihr das ngo der Miri und ngö, «wo des Chinesischen.
Die andere form berührt sich stärker mit dem nga der Tibeter, nga der
Barmanen, ngai der Singpho, ni der Naga. Die dritte person hu, aus
deren einklang mit der bekannten semitischen ich keine folgerung zie-
hen will, gehört in gleiche reihe mit dem v des Kassia, dem /ho der Ti-
beter und den chinesischen gestaltungen kun, gu, khoıi, khi.
8 W. Scnorr: Über die sprache des volkes
Zu den aus Tibet eingeschleppten wörtern oder phrasen gehören
vor allem die von herren M. sogenannten 'honorary words’ welche er
neben entsprechenden ‘ordinary words’ (s. 133—135) verzeichnet. Aus-
nahmsweise sind jedoch beide ausdrücke, was herr M. übersieht, der einen
sprache so erbeigentümlich wie der anderen: das ehrenwerte Zschan für
auge z. b. ist allerdings rein tibetisch, aber auf das minder ehrbare mıg
oder mik (chinesisch mok, muk, mi) machen beide gleichen anspruch.
Ein Al in der bedeutung zwei ist oben erwähnt. Dasselbe nr be-
deutet unter mehrerem anderen auch sonne und tag: so bei den Tibetern,
meist mit der gefälligen zugabe ma: ni-ma,!) den Khasiern wo es ng? und
sngi lautet, und in zahlreichen chinesischen gestaltungen wie niet, nat, it,
jät, mi, &, &, i! Die Leptschasprache besitzt es gleichfalls, aber wie
verschämt geborgen hinter einer für uns bedeutungslosen vorsilbe sa oder
suk: sa-ni, suk-Nt.
Das nor der Leptscha für ohr ıst deshalb merkwürdig, weil es
einer parung des südchimesischen A mit dem nordchinesischen orh, wrh,
welches letztere wie eine dumpfe oder am gaumen stecken bleibende form
unseres deutschen wortes ohr sich ausnimmt, überaus ähnlich sieht. ?)
Man könnte annehmen, Nor sei eine urgestalt und so auseinander gegan-
gen dass den Südchinesen die erste und den Nordchinesen die zweite
hälfte verblieb. Den tiefer sich einschachtenden sprachvergleicher dürften
jedoch die beiden gleichberechtigten rein tibetischen wörter für ohr, nan
und rna, ebenfalls zu nor führen.
Andere zu denken gebende wörter der Röngsprache sind die nur
im anlautenden p sich berührenden pa-no könig und pun-di königin. Das
letztere geht vielleicht auf eine verschiebung des sanskritischen patnı uxor
zurück. Dem ersteren am nächsten bietet sich das tibetische pon-po herr,
oberhaupt, fürst, dessen stamm pon mit dem slawischen pan, ban und
littauischen pon, z. b. in pönas herr, pondtis herr junker, ponawöt herr
1) Wenn herr M. auf s. 10 vermutet, ind‘, der name des letzten, den laut ang dar-
stellenden buchstaben der Leptschaschrift, sei aus den tibetischen worten ni sonne und
slawa mond entstanden, so muss ihm indu, ein sanskritischer name des mondes vorge-
schwebt haben. Wir haben also hier ein vielleicht ‘unparalleled’ beispiel von zusammen-
schweissung eines tibetischen kernwortes mit einem sanskritischen.
2) Kein europäisches r ist den Chinesen mundrechter als z. b. das Berlinische!
Röng oder Leptscha in Sıkkım. 9
sein, überraschend gleich lautet. Mag hier der zufall gespielt haben, in
jedem falle irrt aber herr M. wenn er pa-no so abteilt wie ich es nach
ihm schreibe und das pa hier als bloszen vorsetzling betrachtet, wie es
ihm bei /a-wa mond mit dem /a begegnet, denn das /a dieses wortes
(tibetisch /la) ist ganz unbestreitbar die hauptwurzel.!)
In manchem worte berührt das Röng sich mehr mit dem Chine-
sischen als mit anderen urverwandten sprachen. Dahin gehört z. b. fük
tun, chin. {E tsok, tsak, tso; khu können, 17] khöo; ju regen (pluvia),
| Jü; mong traum (tibet. rmang), BE mong, mung, mäng; kom silber
da seld, 2 kom im süden und ken im norden Chinas: metall, gold
und geld; ong kind, == Jong, sg, ang; wi blut, m hät, hjüe, hjie; buk
schlagen, ir pok, pö; rıı alt, 3Z- lau; g6 charity, 4 ng6, hjau (piety);
mak sterben, HE mok, mak, mö; ngan sitzen, ruhen, Z£ ngan ruhe;
schi sehen, in scht; schi sein (esse), FE schi; gen affair, business,
kjen, kin, ken; schl wer, was? #4 schü; daher schri-mat welches ding,
was? offenbar das chinesische u 39 schü wü, im dialeete von Canton
schü mat, denn das zweite wort (sache, ding) lautet in diesem oo. mat.
No weib und nu muhme, tante erinnern zunächst an Kim L, nu
weib, mädchen, und IuR nal zitze, milch, mutter, gattin, gnädige frau;
ferner an die tibetischen wörter nu-ma zitze und Aa-ma oder Na-mo
hausmutter. Ein dem weiblichen geschlechte angeeignetes n oder % mit
einfachem sowohl als doppeltem vocalischen nachlaut erstreckt aber seine
herrschaft unermesslich weit über das uns vorliegende sprachengebiet hin-
aus: wir begesnen ihm auf den entferntesten tundern der Samojeden wie
an Ungarns äusserster grenze gegen Deutschland, vom ne, ne, nd, nei der
nördlichen polarwelt bis zum nej (no) von Buda-Pest.?)
1) nt das n von pano durchaus dem kernwort entziehen will, der mag auf das
chinesische = =] pd unumschränkter herrscher sich berufen.
?) Bedenklich wäre en hierherziehung der mongolischen wörter naidschi und naid-
Phys. Kl. 1851. Abh. V. 2
10 W. Scrorr: Über die sprache des volkes
Betrachten wir nun eine auswahl grammatischer eigentümlichkeiten
der Röngsprache.
Eine ansehnliche rolle spielen die teils trennbaren teils untrenn-
baren vorsetzlinge (prefixes) ohne nachweisbare selbständige bedeutung.
Dagegen fehlt jede spur von modification wurzelhafter con-
sonantischer anlaute welche doch im verbum der Tibeter zeiten und
arten (in heissender art zuweilen mit veränderung des stammvocals) zu
unterscheiden pflegt und wobei gewisse nur consonantische vorsetzlinge
einwirken.
Bei aufzählung der untrennbaren 'prefixes' vergreift der verf. sich
zweifelsohne in einigen fällen, indem er zum praefixe erniedrigt was die
wurzel selbst ist. Das sa von sa-hör stern, sa-gor fels, sa-nöng schnee
mag dieses subalterne amt unbehelligt verwalten, mit dem pa von pa-no
und /a von la-wa z. b. (s. o.) verhält sichs gewiss anders. Das num von
num-prüm altes weib und dem rätselhaften num-schim-no mensch hat die
selbständige bedeutung 'geschaffenes ding‘, wirkt also in beiden offenbar
zur bestimmung des begriffes. Da das zweite wort auf no weib ausgeht,
so scheint der begriff ‘mensch’ hier aus beiden geschlechtern mit vortre-
tendem ‘geschöpf’ gleichsam aufgebaut. !)
Der trennbaren vorsetzlinge sind viel weniger. Zu diesen gehören
beispielsweise ein langes d, wie in d-ka neben ka hand, «-fo neben Jo
zahn, ein sa in sa-tsuk neben tsuk sonne, ein fa in ta-sö neben sö gestern.
schiner, obgleich Kowalewski das erstere mit genossin, freundin übersetzt, das andere weib,
frauenzimmer bedeutet, und obgleich z. b. suomi-finnische wörter wie neitsy, neiti, neito
und wieder naise (nainen) für mädchen, weib, gattin auffallend anklingen. Aber nach
Zwick im westmongol. wörterbuche ist naidschi freund überhaupt, nicht freundin allein,
naidschiner ehegattin, und so werden wir hier an ein kernwort für einigkeit, gleichge-
stimmtheit, harmonie der gefühle, daher verträglichkeit hingewiesen wie es uns sonst in
den mongol. kernwörtern naisz, nair, auch nei und descendenten vielfach begegnet. Auch
erklärt Kowalewski selbst 'naidschi barichw schlechthin durch freund nehmen, sich befreun-
den (noapyanmsen). Analog ist nökür freund, gefährte, dann ehegatte (im munde sei-
ner frau).
1) So schiebt der Tibeter seinen wörtern für mann und weib das wort für mensch
überhaupt voran: szkje-mtho (tsche-mto) mensch-mann, szkje-ma (tsche-ma) mensch-weib.
Röng oder Leptscha in Sikkım. al
Tsuk ıst offenbar das ächtere Röngwort für den himmelskörper dessen an-
derer, in sa-At steckender name, wie wir oben gesehen, dem tibetischen
namen gleich lautet; der vorsetzling sa kann aber in beiden das tibetische
sa (gsa) planet sein welches die Tibeter selber ihrem #r-ma sonne und
sla-wa mond zuweilen missbräuchlich vorsetzen.
Es giebt aber auch ein untrennbares d, dasjenige nämlich welches
nennwörter und nebenwörter bildend verbalwurzeln vortritt. So entsteht
aus Zschör sauer sein (tibet. szAjur, tschur) d-tschör sauer, aus nok schwarz
sein d-nok schwarz (tibet. nay), d-nok mat schw. machen, schwärzen.
Als dritte gattung praefixen werden wenige veränderliche aufge-
führt, z. b. kum-bjong neben pum-bjong wolke, tuk-mo neben kut-mo dieb-
stahl. Ist aber fuk oder kut hier wirklich praefix und nicht vielmehr
kernwort und mo blosze zugabe?
Nachsetzlinge sind ausser angehängtem, einen letzten eonsonanten
schärfenden @ gewisse einfache consonantische laute die einer verbalwurzel
an ende sich anschmiegen als bildeten sie mit ihr ein untrennbares gan-
zes. So ist Akk-a rufe der imperativ von "ik rufen, dängng-a laufe, von
däng laufen.!) Andere beispiele dieses @ in gewissen adverbialen aus-
drücken, s. w. u.
Von eonsonanten dienen Z, m und n als nachsetzlinge. So schiebt
man ?zwischen die wurzel und ein den täter anzeigendes bo, desgleichen zwi-
schen zwei verbalwurzeln von denen die zweite ein zulassen oder milderes
heissen ausdrückt: di kommen, dit-bo a comer, dit-kön mag er kommen!?)
Viel beliebter ist m oder n in dieser eigenschaft: $ sehen, sim-kön mag
er sehen, söm-khu sehen können, jd wissen, verstehen, Jdm-bo prudens.
An gewissen verben entscheidet der sprachgebrauch für »: dji geben,
bjin-kön, li sprechen, /in-khu sprechen können.
Wenn das durch vortretendes «4 zum nomen gewordene verbum
1) Beiläufig bemerke ich, dass noch ein o hinterher zum vollständigen imperativ ge-
hört, also Kikka-o u. Ss. w.
?) Als radicaler schlussconsonant assimilirt sich ? dem w der partieipialen zugabe:
maät-wung doing z. b. wird mat-tung.
12 W. Scuorr: Über die sprache des volkes
auf einen vocal ausgeht so wird ebenfalls m, auch n oder ? der wurzel
angehängt: rjü gut sein, d-rjüm der gute, kri bitter sein, d-krim bitter.
N oder t geben in solchem falle öfter substantivische bedeutung: dju
kämpfen, d-djut krieg, schlacht, hri heiss sein, a-hrum heiss, aber d-hriun
hitze.
Die verneinung bezeichnet ma vor dem verbum und gleichbedeu-
tendes na, ne (in der heissenden art num, nun) hinter demselben.!) Das
n von na, ne geht gern, den vorhergehenden consonanten schärfend, in
demselben unter. Dasselbe kann ein erstesmal ohne seinen vocal an die
wurzel treten und dann noch selbständig mit seinem vocale nachfolgen
z.b. khu fähig sein, können, ma khu-n oder ma khun ne not to be able.
Nach einem vocale verdrängt es das w der participien bildenden zugabe
wung: mat-tung (statt mät-wung) doing, ma mät-tung (statt ma mdt na
wung) not doing.
Läugnet die verneinung einen durch zwei einander syonyme oder
den begriff umschreibende verbalwurzeln ausgedrückten zustand, so schiebt
sich ma zwischen beide: mik-krap augen schliessen, schlafen, statt des
gemeinen fum: mik ma krap ne er schläft nicht, sak-tsching denken: sak
ma tsching ne denkt nicht; den-ri glauben, den ma ri ne glaubt nicht.
Veränderung des wurzelvocals kann, wenn ein wort, den zustand
unserem ohre gleichsam malend zweimal nach einander ausgesprochen
wird, bei der wiederholung eintreten. Beide male geschieht dies mit
schärfung des endeonsonanten und nachtönendem a oder statt dessen mit
dem adverbien bildenden nachsetzwörtchen la, z. b. lak-ka lok-ka unstät,
flüchtig, hrjap-pa hrjöp-pa locker, schlaf; fuk-fjek-la zerrieben ; tum-tom-
/a aufgeschwollen. Sehr ähnliche wortbildungen hat man im Mongoli-
schen, Türkischen, Magyarischen, und selbst unser Deutsch hat sein
bimmel-bammel, klipp-klapp, vermimpeln und vermampeln u. s. w. auf-
zuweisen.
1) Ausdruck der negation durch einen lippenlaut oder n vor dem selbstlauter hat
das Röng gemein mit dem Chinesischen (pu, mu, mo, wu, ue), dem Tibetischen (ma, mi),
dem Türkischen im verbum (ma, mä), dem Mongolischen im verneinenden imperativ (bu,
bü), und unserem ganzen arischen geschlechte (na, ne, me, mi).
Röng oder Leptscha in Sikkim. 13
Etwas in der ganzen sprachenclasse wohl einzig dastehendes ist
bezeichnung der verursachung durch hinter dem consonantischen an-
fang eingeschobenes 7: pok to cast down, to depose, pjok to cause to
cast down, thör to escape, thjör to cause to escape. Ein schlieszendes
ng wird in solchen fällen 2: däng to run, djädn to fling away, hröng to
ascend, hrön to cause to ascend.
Als nachsetzwörter welche ihrem gebrauche nach den casus ari-
scher sprachen analog sind, kann man die folgenden bezeichnen:
sa, ka, mum oder m allein, nun.
Sa ist das ‘mit’ des werkzeugs und der begleitung, dann zeichen des
angehörens und dem genitiv zunächst: dan sa ngot messer mit
schneiden; go ho sa ma bam na scho ich du mit (mit dir) nicht
bleiben (wohnen, leben) werde. Za-jo sa ma bam mam sünde
mit nicht bleibet, lebt nicht in sünden,!) pa-no sa phoröng könig
für palast, königsburg. ?)
Mum erinnert in seiner verkürzung an die wahrscheinliche urform der
altaischen partikel zu bezeichnung des unmittelbaren, oft auch
in unserem sinne mittelbaren objectes: hu-m bji ihn begabt er,
ihm giebt er, ho mum li dich spricht er an, zu dir spricht
er.)
Ka bezeichnet ein räumliches und zeitliches insein (locativ), das mittel-
bare object (wie im Tatar-türkischen), und ein streben oder
absicht: hu ma di-nung ka ho nong khu er nicht kommend in
(wann) du gehen können, d. h. kommt er nicht, so kannst du
sehen; schu ka wozu?
1) Man sehe das oben über den ausdruck der verneinung gesagte.
2) pho-röng ist das tibetische pho-brang.
3) Vgl. meine Altaischen studien, heft 5, s. 10 ff.
14 W. Scnort: Über die sprache des volkes
Nun entspricht unserem aus, durch, von, und steht wie das gleich-
deutige tibetische Ayisz, gjisz (tschi, dschi) sehr oft als zeichen des logisch
gefassten subjeetes; es scheint besonders angebracht wenn ein ganzer
vom nachfolgenden verbum regirter satz zwischen beide sich einschiebt.
Hier ein par längere beispiele von denen das zweite dem buche Ta-schi
sung (s. oben) entlehnt scheint:
Hu ma-rö re gum to num
er mensch der ist wen durch
a-djut ka gje-fat.
schlacht in siegen.
Er ist's der im kampfe gesiest hat.
Hu nun hu-ju-ka kasu a-mle-m
er durch ihnen mein antlitz
ik sa-thala ma schi na scho
wieder jemals nicht sehen werdet
yang |.
so sprach.
Er spricht zu ihnen (sagt ihnen): ihr werdet mein antlitz nie wieder
sehen.
Ma-ro jän-bo nun bong kjang
Mensch verständig durch mundwinkel
Yu ren mik kjang Yu ren
zucken aus, augenwinkel zucken aus
Röng oder Leptscha in Sıkkım. 15
schi wang jd scho
sehend verstehen wird.
Ein verständiger sieht am zucken des mund- und augenwinkels was der
andere meint.
d j f r Kunde er } j
nah oh hucnı Br win m.
v
Die
Sargonsstele des Berliner Museums.
Von
H" SCHRADER.
Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. VI. 1
Eu u
5 5
Ei
aa en
Kr er 1,9
1 PT}
Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 2. Jani 1881.
aan Sara >?
i ei er
HArHNN 13
.
o"
Nr
.
-
-
»
,
=
- *
»
IB» schwarze Stele des Königs Sargon von Assyrien (722—705 v. Chr.),
welche sich im hiesigen Königl. Museum befindet, ist mit ihrer Inschrift
bereits wiederholt der Gegenstand wissenschaftlicher Behandlung gewesen.
Nachdem schon im J. 1850 H. Rawlinson bei einer Durchreise die Ber-
liner Stele als eine solche König Sargons erkannt und bezeichnet hatte!),
hat derselbe unter der Assistenz von George Smith im III. Bande des
englischen Inschriftenwerkes pl. 11 den Text herausgegeben, und der letz-
tere hat alsdann in der Zeitschrift für ägyptische Sprache und Alterthums-
kunde Jahrg. 1871 S. 68 ff. unter Beifügung einer Transseription des
Textes eine gewissenhaft gefertigte Übersetzung der Inschrift gegeben.
Mit derselben hält die drei Jahre später erschienene Übersetzung M&-
nant’s (Annales des rois d’Assyrie, Paris 1874 p. 206—8), der einst mit
Oppert zusammen den Grund zum Verständnifs der Sargonsinschriften
gelegt hatte, den Vergleich nicht aus. Aber auch die Übersetzung G.
Smith’s bedarf wie desselben Textesedition in mehreren Punkten der Be-
richtisung und Verbesserung, und dazu dürfte eine etwas eingehendere
Untersuchung über Ursprung, Zweck und nähere Beschaffenheit des Mo-
numentes wünschbar sein. Vielleicht kann das Nachfolgende in etwas die
Lücke ausfüllen.
1) Athenaeum 1850 Nr. 1166. Vgl. L. Rofs, Reisen auf den griechischen In-
seln IV, 87 Anm. 6, sowie des Verfassers „Keilinschriften und Geschichtsforschung‘“,
Giefsen 1878 S. 245.
4 SCHRADER:
Über die Art und die Zeit der Auffindung des Monuments, sowie
über den Fundort, als welcher bei den Engländern aus einem noch nicht
aufgeklärten Grunde Idalium auf Oypern, in der Mitte der Insel, silt,
habe ich mich an der Hand der mir durch Herrn Dielitz vom K. Museum
aus den Acten gemachten Mittheilungen bereits früher ausgesprochen
(s. Keilinschriften und Geschichtsforschung, 1878 S. 245 fle.). Der Stein
ward von Prof. L. Rofs im Spätjahr 1845 bei dem heutigen Larnaka auf
Cypern, unter den Ruinen des alten Kition in einem Schutthaufen gefun-
den, den Rofs als westlich von dem Teiche, dem Salzsee, dem Reste des
alten Hafens, zwischen Larnaka und Marine, der jetzigen Hafenstadt, sich
erhebend beschreibt. Ob dieses die ursprüngliche Stelle war, wo einst
das Monument aufgestellt ward, ist freilich damit nicht gesagt. Durch
Rofs wird nämlich dieser Schutthaufen für mittelalterlich erklärt, wenn-
auch aus antikem Material erbaut. Der Stein kann somit erst später und
von einer andern Localität hierher verbracht worden sein. Es wird die-
ses sogar bis zu einem gewissen Grade wahrscheinlich, wenn man erwägt,
dafs die Stele nur zu einem Theile, nämlich nach ihrem vorderen Theile
noch erhalten ist; der hintere Theil derselben ist augenscheinlich abge-
sägt und zwar, als die die Seitenflächen bedeckende Keilschrift bereits
eingegraben war. Das ursprüngliche Monument war im Querdurchschnitt
nahezu quadratisch. Die Wegsägung des hinteren Theiles ward vermuth-
lich vorgenommen, als man das Monument zu baulichen Zwecken ander-
weit verwenden wollte. Ich mufs dabei jedoch bemerken, dafs es bei
dieser Verwendung des Steines zu baulichen Zwecken nicht sowohl auf
den erhaltenen und uns beschäftigenden vorderen Theil der Stele, denn
vielmehr lediglich auf das bis jetzt nicht wiedergefundene erheblich dün-
nere hintere Stück abgesehen gewesen zu sein scheint. Wenigstens finde
ich keinerlei Spur, die darauf hindeutete, dafs der erhaltene Rest des
Steins jemals in eine Mauer oder Wand eingelassen, in diese eingemauert
gewesen war; die Beschädigungen aber, die das Relief erlitten, können
auf mancherlei andere Ursachen zurückgehen. Wie immer es sich indels
mit diesem ursprünglichen Aufstellungsorte verhalten möge, daran kann
kein Zweifel sein, dafs das Monument irgendwie im Stadtgebiete des alten
Kition seinen Platz erhalten hatte, ein Umstand, dessen Wichtigkeit in
historischer Beziehung des Näheren ins Licht zu setzen nicht nöthig ist.
Die Sargonsstele des Berliner Museums. 5
Die Höhe der Stele!) beträgt bis zur Spitze des Bogens 1,50+0,59 M.
= 2,09 M.; seine Breite 0,68 M.; die der Seitenflächen je 0,32 resp. 33 M.
(die Seitenflächen sind auf den beiden Seiten nicht ganz gleichmäfsig
breit weggenommen).
Da die erhaltene Stele lediglich die (gröfsere) Hälfte des ursprüng-
lichen Monuments repräsentirt, das Gestein selber — nach J. Roth ist es
Gabbro (Euphotide) — ein sehr festes und relativ schweres ist, so kann
die Frage entstehen, ob es eine Wahrscheinlichkeit für sich habe, dafs
die Stele wirklich in Assyrien gearbeitet und durch Mesopotamien und
über das Meer nach Öypern geschafft sei oder aber vielleicht in Cypern
selber durch einen dorthin gesandten Künstler hergestellt ward? — Im
Hinblick auf das nicht unbeträchtliche Gewicht des Monuments in seiner
ursprünglichen Gestalt, sowie in Anbetracht des Umstandes, dafs Gabbro
nach Gaudry gemäfs einer gütigen Mittheilung Roth’s in Cypern an-
steht, könnte man geneigt sein, Herstellung des Monuments auf Oypern
selber, natürlich durch einen dorthin entsandten assyrischen Künstler, an-
zunehmen; und dafs assyrische Künstler — fern von der Heimath —
auch sonst derartige Sculpturen ausführten, ist bekannt. Ich begnüge
mich, an das Relief Asarhaddon’s sammt Inschrift an der Felsenstrafse
bei Beirut, an der Mündung des Nahr-el-Kelb, und die sonst dort in
Keilschrift angebrachten Inschriften zu erinnern. Auch der Wortlaut der
Stelle der Inschrift, in welcher der König von der Anfertigung und Auf-
stellung der Stele redet, legst kein entscheidendes Veto gegen eine solche
Annahme der Herstellung des Monuments in Öypern ein: der König sagt
lediglich, dafs er die Stele mit seinem Bilde habe anfertigen, mit der In-
schrift versehen und in einem der Thäler des „Landes Jatnan“ d. ı. Cy-
perns habe aufstellen lassen (Col. II (IV), 43—53). Natürlich können diese
Worte mit Rücksicht auf die künftige Bestimmung des Monuments be-
reits in Niniveh selber gewählt und eingemeilselt sein; es ist diese An-
nahme sogar die nächstliegende, zumal wenn man auf den Schlufs der
Inschrift blickt, wo „von den Göttern“ die Rede ist, die da na tıdmtiı
"rapastiv „in der weiten See“ wohnen und die den etwaigen Zerstörer des Mo-
1) Eine bildliche Darstellung der Reliefseite derselben habe ich in Riehm’s
HWBA. 1374a gegeben.
6 SCHRADER:
numents verfluchen möchten (Z. 66 ff.); dieses ist augenscheinlich vom Stand-
punkte in Niniveh aus gedacht und geredet. Aber es hindert doch auch
nichts anzunehmen, dafs der oder die die eyprischen Gesandten zurückbeglei-
tenden assyrischen Künstler das Ooncept zu der Inschrift und die Vor-
lage für das Relief von Niniveh mitnahmen, wie das ja in irgend einer
Weise z. B. für Bild und Inschrift Asarhaddon’s an der Felswand
bei Beirut sowieso anzunehmen ist. Anderseits darf freilich auch wie-
derum nicht verkannt werden, dafs auch der Annahme der Anfertigung
des Monuments in Niniveh selber und seiner Herüberschaffung nach
Cypern eigentlich nichts Durchschlagendes entgegengestellt werden kann.
Gewils wird der Transport eines solchen gewaltigen Steinblocks durch
die mesopotamische Wüste seine Schwierigkeit gehabt haben; aber auf
den Wegen, auf denen die Heere Assurs mit Sack und Pack hinzogen,
auf denen die Assyrer von den Bergen des Libanon und des Amanus die
Cedernbalken nach Niniveh transportirten, werden diese selben Assyrer,
die dazu die Stier- und Löwencolosse fortzubewegen verstanden, vor der
Überführung eines solehen Monuments bis an die Meeresküste und von
da übers Meer nach Cypern nicht zurückgeschreckt sein. Entscheidend
könnte vielleicht werden, wenn sich über die geognostische Herkunft des
Steines des Monuments Sicheres ausmachen liefse, darüber nämlich ob, da
Gabbro in Cypern sicher ansteht (s. o.), das Nichtvorkommen dessel-
ben in Armenien und den die assyrischen Ebenen umgrenzenden Gebirgen
sich constatiren liefse. Darüber aber gerade scheint sich bis jetzt nichts
Sicheres ausfindig machen zu lassen. Herr Dr. Arzruni, ein mit der
geognostischen Natur Nord-West-Asiens, insbes. Armeniens wıe Wenige
vertrauter Gelehrter, an den ich mich in Abwesenheit des Herrn Roth
wandte, vermochte mir über die petrographische Natur der Gegend um
Mosul Sicheres nieht mitzutheilen. Er schreibt mir: „Tehichatscheff, der
allein sich eingehender mit der Geologie Kleinasiens beschäftigt hat und
dessen Belegstücke im Besitze unseres Museums sind, ist nicht soweit
nach SO. vorgedrungen und thut der Sie interressirenden Gegend keine
Erwähnung. Von Gabbro-ähnlichen Gesteinen giebt er blofs solche bei
Göksün und Korkun-Su in Cappadocien an (Geologie de l’Asie Mi-
neure I, 438. 455. 466)*.1) — Bei dieser Lage der Dinge wird man sich
1) Nachschrift. Constatirt scheint bis jetzt und zwar für Nordostsyrien, näher
Die Sargonsstele des Berliner Museums. 7
bezüglich der ursprünglichen Anfertigung des Denkmals, ob in Niniveh
oder in Cypern, wohl bis auf Weiteres noch bei einem Non liquet be-
ruhigen müssen. Nämlich, um auch das noch anzufügen, aus der Be-
schaffenheit sowohl der Seulptur als der Schrift des Denkmals lälst
sich darüber, ob dadurch eine Herstellung des Monuments in Niniveh viel-
leicht fraglich gemacht werden könnte, nichts aussagen. Sculptur und
Inschrift tragen durchaus heimisch -assyrischen Typus, so eigenthümlich
es sich im Übrigen gerade mit der Beschaffenheit der Schrift dieser In-
schrift verhält. Und das führt uns auf etwas Weiteres.
Unsere Inschrift ist, wie wir zeigen werden, die älteste derjenigen
Sargonsinschriften, welche jenen eigenthümlich archaistisch gehaltenen
Schrifttypus aufweisen, welchen die sogen. Khorsäbädinschriften, näher
die Palast-Inschriften von Dür-Sarukin bieten. Die beträchtlich ältere
Nimrüdinschrift (Lay. 33. 34), welche (s. das Nähere unten) jedenfalls
noch aus der Zeit vor der Eroberung Babylons im J. 710 stammt, ist in
dem gewöhnlichen ninivitischen Cursiv geschrieben. Dies kann nicht zu-
fällig sein und wir werden schwerlich fehl gehen, wenn wir die Wahl
des archaisirenden Schrifttypus eben mit jenem Ereignisse der Eroberung,
Babylons durch den Assyrer in Zusammenhang bringen. Die überwun-
dene chaldäische Königin der Städte übte bereits auf Sargon einen ähn-
lichen, fascinirenden Einflufs aus, wie später auf Alexander. In Babylon
nun aber wurden, so weit wir wissen, alle Steininschriften in archaisti-
scher Keilschrift eingegraben, auch die Zeichen der Stempel der babylo-
nischen Backsteine zeigen die archaistische Form. Die babylonische Öur-
sivschrift war für die gewöhnlichen Thoninschriften (Oylinder und Täfel-
chen) reservirt. In Niniveh hatte man dagegen das Cursiv seit lange
auch auf Steininschriften: Obelisken, Platten, Statuen u. s. w. in Anwen-
dung gebracht; nur ganz vereinzelt begegnen wir in späterer Zeit einer
in archaistischen Zeichen eingemeifselten Inschrift, z. B. auf der Stele
Samsi-Ramman’s im 9. Jahrhundert. Die Steininschriften Asurnafsirha-
bals, Salmanassar’s II, Rammanirar’s III und Tiglath-Pileser’s II sind in ge-
wöhnlichem, ninivitischem Cursiv eingemeifselt; und so auch noch die aus
die Gegend südöstlich von Aleppo, das Vorkommen von Basalt zu sein, selber allerdings,
wie Gabbro, ein plutonisches Gestein. S. Ed. Sachau in Monatsberr. 1881 S. 172;
J. Roth ebenda 190.
8 SCHRADER:
Sargons erster Zeit d. h. aus der Zeit vor der Eroberung Babylons stam-
mende Inschrift des Nordwestpalastes zu Nimrüd, wo Sargon während
der ersten Zeit seiner Regierung residirte (Lay. 33 flg.).!) Wie wenig
geläufig den Steinmetzen oder Inschriftverfertigern diese archaisirende
Schrift war, kann man gerade bei unserer Inschrift sehen, wo Col. I (ID)
Z. 4 statt des archaistischen Gotteszeichens 8X in den Wörtern «di rabütı
das gewöhnliche cursive Zeichen »>] auftritt (wie übrigens auch gleich
an der Spitze der Frontinschrift! s. u. —); sonst fast durchgängig das ent-
sprechende archaistische Zeichen (beide in derselben Zeile z. B. II, 18. 261).
Für mu erscheint in der Regel das archaistische Zeichen; aber wie Col. IL (IV),
21, so kommt noch in der 5. Zeile vom Ende dem Tafelschreiber das entspre-
chende eursive Zeichen in den Meifsel; das Zeichen für a erscheint wiederholt
An
regelrecht in der archaistischen Form T T, aber daneben doch auch wie-
derholt in der ninivitisch-cursiven Yf (vgl. hierzu die unmittelbar auf
einander folgenden Zeilen Col. II (IV), 21.22 u. ö). Dasselbe gilt von
den Zeichen EITE neben ET; «JEE neben LI; >-T neben »-T-Y
u.a. m. (7T tritt, soweit ich sehe, immer nur in dieser cursiven Form
auf). Die Khorsäbädinschriften Sargons sind in dieser Beziehung er-
heblich consequenter. Man wird so auf den Schlufs geführt, dafs diese
Inschrift eine der ersten Inschriften Sargons nach der Eroberung Ba-
bylons sei und irgendwie noch in die Zeit vor der Aufsetzung der
Khorsäbädinschriften d. ı. aber noch in die Zeit vor der Vollendung
des Prachtpalastes von Dür-Sarukin falle. Dazu endlich trifft die Auf-
setzung der Inschrift, wie bereits oben bemerkt ward, in die Zeit,
nachdem, wie wir der Inschrift selber (Col. II (IV) 28 ff.) entnehmen,
die eyprischen Abgesandten nach Babylon gekommen waren, um dem
1) Das Alter dieser Inschrift bezw. die Zeit ihrer Abfassung lälst sich auf ne-
gativem Wege, wie ich beiläufig bemerken will, ziemlich genau bestimmen. Die letzten
Ereignisse nämlich, deren in derselben Erwähnung geschieht, sind die in das 5. Jahr
Sargons — 717 fallende Eroberung Karkemisch’s (Z. 10. 22) und die in das 6. Jahr =
716 desselben treffende Unterjochung des Landes Karalla Z. 12 (der für das 9. Jahr —
713 berichtete Aufstand der Karalläer gegen die von Sargon eingesetzten assyrischen Statt-
halter kann unter keinen Unständen gemeint sein). Die Inschrift wird nach diesen Er-
eignissen, frühestens somit noch 716 oder 715 aufgesetzt sein; spätestens fällt ander-
seits ihre Abfassung in die Zeit noch vor der Eroberung Babylons im Jahre 710.
Die Sargonsstele des Berliner Museums. 9
Grofskönige ihre Huldigung darzubringen. Dafs aber diese Huldigung
und das Ereignifs der Eroberung Babylons nicht aufser ursächlichem
Zusammenhange stehen, bedarf keiner Erörterung. Schliefslich berichten
die Annalen Sargons (Botta 91, 3—10) das Eintreffen der eyprischen
Gesandten in Babylon ganz ausdrücklich für des Königs 13. Jahr, d. ı.
aber für das Jahr 709. In die Zeit bald nachher wird auch die Anfer-
tigung des Monuments fallen. Anderseits kann die Inschrift und somit
das Denkmal selber auch nicht aus erheblich späterer Zeit stammen.
Wie schon die allgemeine Lage der Dinge eine Anfertigung derselben
nicht zu lange nach dem Eintreffen der cyprischen Gesandten in Babylon
vermuthen läfst, die sei es den Stein ursprünglich als Geschenk des Königs
mit zurücknehmen sollten, sei es nach dem heimgebrachten assyrischen
Modell in Cypern demnächst die Herrichtung der Stele ihrerseits veran-
lalsten, und das Gleiche nicht minder aus dem Umstande sich schliefsen läfst,
dafs der König in dieser Inschrift das Ereignifs der Eroberung Babylons
mit besonderer Ausführlichkeit und Geflissentlichkeit berichtet, welches somit
gewissermalsen als das letzte grofse Hauptereignifs noch in frischer Erin-
nerung war, so führt anderseits auf die gleiche Ansicht auch die ausdrück-
liche Angabe auf unserer Stele Col. II (IV), 18— 22, dafs der König „vom
Beginn seiner Herrschaft bis zum 3. Jahre“ den (babylonischen) Gotthei-
ten: dem Bel und der Zirbänit, dem Nebo und der Tasmit, Geschenke
dargebracht habe. „Bis zum 3. Jahre“ heifst es hier. Diese Aussage
kann befremden und hat befremdet. Von wo ab ist hier gezählt? —
und welcher „Anfang der Herrschaft“ ist in Aussicht genommen? —
Man könnte — redet ja doch ein Assyrerkönig! — an den Regierungs-
antritt Sargons als König von Assyrien und an sein 3. Jahr als assyri-
scher Herrscher denken. Dafs diese Annahme mit dem Inhalte der Aus-
sage des Textes Vs. 18—22 in absolut unvereinbarem Widerspruch steht,
bedarf keiner Erörterung: erst seit 710/709 d.ı. seit dem 12., bezw. 13.
Jahre seines ninivitischen Königthums drang ja Sargon überall in der
hier vorausgesetzten Weise in Babylonien ein. So hat denn J. Menant
kurzer Hand die Zahl II in die andere XI verwandelt, auf diese Weise
das XI. Regierungsjahr (natürlich nicht campagne!) als Jahr der Aufsetzung
der Inschrift der Stele gewinnend (Annales des R. A. (1864) p. 206. 208),
offenbar in der Meinung, dafs die eyprischen Könige in diesem Jahre nach
Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. VI. 2
10 SCHRADER:
Babylon gekommen seien. Nun aber ergiebt sich aus Botta 91, 3—10,
verglichen mit den Parallelstellen, dafs dieses Jahr nicht das XI., sondern
das XIII. Jahr des Königs war: die Änderung XI hätte wenigstens einer
solchen in XIII Platz machen sollen. Beide Änderungen aber wären
trotzalledem monumental gleich verwerflich: die Stele bietet klar und
deutlich die Zeichen YJf d. i. IH: nur von einem „dritten“ Jahre
des Königs ist in der Inschrift die Rede. Was für ein „drittes Jahr“ ist
dann aber hier gemeint, wenn das dritte Jahr des Königs als König von
Assur-Niniveh nicht in Aussicht genommen sein kann? — Schon die Aus-
drucksweise: Tf (TER TI 8 «X = a-di III Sandti hätte auf die Spur
führen können. Wenn auf assyrischen Königsinschriften von Regenten-
jahren eines Assyrerkönigs d. h. von Jahren des Königs als König von
Assur sonst die Rede ist, erscheint, auch bei Sargon, als Wort für dieses
Regentenjahr das Wort „Ta palü, also z. B. ina Il. pali-ja; ina III. pali-ja
ete. In unserer Inschrift nun aber begegnen wir an Stelle dieses »=Ta
dem Ideogramme für „Jahr“ satt, nämlich ». Letzteres ist nun die
gewöhnliche Bezeichnung des Regierungsjahres in Babylon und dieselbe
erscheint auch auf assyrischen privaten Thontäfelchen aus der Zeit Sar-
gons. Auf öffentlichen Monumenten sind es lediglich Babylonierkö-
nige, die so von einem „AL — Sattu anstatt von einem „Ta — palü
reden. Wenn wir nun in unserer Inschrift, d. i. aber auf einem öffent-
lichen assyrischen Monumente, einer solchen Zählung nach Sandt! „Jahren“
statt nach pali „Regierungsjahren“ begegnen, so muls das einen besonde-
ren Grund haben, einen Grund, den wir füglich nur in dem Umstande
sehen können, dafs die Zählung, die wir hier haben, eben nicht eine assy-
rische, denn vielmehr eine babylonische ist, d. h. aber in diesem Falle,
dafs dieselbe sich nicht auf die Jahre des Sargon als „König von As-
syrien“, denn vielmehr auf solche desselben als „König von Babylon“
bezieht. Die „Schenkungen“ an babylonische Städte, von denen an der
betr. Stelle der Inschrift die Rede ist als solchen, die während des ersten
bis dritten Regierungsjahres seitens des Königs gemacht wurden, beziehen
sich auf die Zeit vom 1. bis 3. Jahr des „Königs von Babylon“ d. ı.
aber auf die Zeit vom 13.—15. Jahr desselben als „König von Assyrien*“
— 709 —707 v. Chr. (s. KAT!, 333). In diesem Jahre 707 wird die In-
schrift aufgesetzt sein. Da nun bis zu diesem selben 15. Regierungsjahre
Die Sargonsstele des Berliner Museums. 11
d. i. 707 auch die grofsen Prunkinschriften ausdrücklich in ihrer Darstel-
lung, wenigstens der kriegerischen Thaten des Königs, sich erstrecken
wollen (Khors. 23; für die Annalen s. KAT!. 266), so leuchtet ein, dafs
auch unsere Inschrift schliefslich etwa um dieselbe Zeit entworfen ist,
wie die Inschriften des Palastes von Khorsäbäd. Immerhin läfst die von
der der übrigen Prunkinschriften Sargons: der grofsen Khorsäbädinschrift,
der Stierinschriften, der Inschriften des paves des portes, der weiteren der
revers des plaques etc. erheblich abweichende Anlage der Inschrift; der
Schrifttypus mit den tastenden Versuchen des Tafelschreibers, den augen-
scheinlich ihm anbefohlenen, ihm aber noch ungewohnten archaistischen
Typus in die Schreibweise einzuführen (s. 0.); dazu die Zählweise nach
Jahren des Königs ausschliefslich als König von Babylon, nicht
zugleich als „König von Assyrien“ (s. vorhin); endlich, was hier ent-
scheidend ist, das gänzliche Stillschweigen über den sei es unternomme-
nen sei es vollendeten Palastbau von Dür-Sarukin, darauf schliefsen, dafs
die Ausführung derselben noch vor diejenige der Khorsäbädinschriften
fällt, welche zu einander wieder in einem näheren Verhältnifs stehen,
als unsere Inschrift zu diesen letzteren. Wahrscheinlich wurden — be-
achte die ın den „Bemerkungen“ beigezogenen wörtlich übereinstimmen-
den, theilweis geradezu identischen Passagen!) unserer Inschrift einerseits,
der grofsen Prunkinschrift von Khorsäbäd anderseits — die Khorsäbädin-
schriften überhaupt unter Zugrundelegung dieser unserer Inschrift (oder
einer im Wesentlichen mit ihr übereinstimmenden) entworfen und durch
die Hinzufügung insbesondere des Berichts über den Palastbau erweitert.
Unsere Inschrift ward mit Rücksicht auf das letzte grofse Hauptereignils,
die Eroberung Babylons, abgefalst, auf das hin ja unzweifelhaft eben die
eyprischen Gesandten nach Babylon gekommen waren, wie denn der Be-
schluls der Anfertigung des Denkmals vermuthlich noch während der Zeit
!) Beachtung verdient in dieser Hinsicht gerade auch der für uns hier wichtige
Abschnitt, in welchem (Khors. 144) von dem „III. Jahre“ der Herrschaft des Königs die
Rede ist. Diese Aussage ist in der Khorsäbädinschrift, die ja (Z. 23) nach Jahren des
Königs von Assyrien rechnet, einfach unverständlich. Dieselbe wird verständlich ledig-
lich durch die Cyprus-Stele, welche ausschliefslich nach Jahren des Königs als Königs
von Babylon d. i. aber „Sargons, des Kaisers“ zählt. Der betr. Abschnitt der Khorsä-
bädinschrift ist gedankenloser Abklatsch der betr. Partie der Inschrift von Cypern oder
einer anderen der Art.
9%
p7
12 SCHRADER:
der Anwesenheit der eyprischen Gesandten am Hofe des Königs zu Ba-
bylon gefafst ward. Beiläufig sei bei diesem Anlals noch angemerkt, dafs
der Plan der Erbauung eines Prachtpalastes und der Gründung einer Re-
sidenz zu Khorsäbäd-Dür-Sarukin mit dem Ereignisse der Eroberung Ba-
bylons und der Niederwerfung Chaldäa’s vermuthlich auch seinerseits in
einem ursachlichen Zusammenhange stehen wird. Der Prachtpalast zu
Khorsäbäd sollte der Kaiserpalast werden, der auch äulserlich in seiner
grandiosen Anlage und glänzenden Ausführung ein redendes Zeugnils
wäre der durch die Eroberung Babylon’s neu gewonnenen Machtstellung
Assyriens.
Wenden wir uns nunmehr zu der Inschrift selber, so sind uns
von derselben erhalten lediglich die Inschrifttheile der beiden Seitenflä-
chen, soweit sie nicht zugleich auf dem weggesägten Stücke standen, und dazu
derjenige Theil derselben, welcher auf der Front- oder Reliefseite, von der
Mitte an abwärts, eingemeilselt war, der aber bis auf wenige unzusammen-
hängende Reste gänzlich vernichtet ist. @. Smith hat nun die Vermu-
thung ausgesprochen (a. a. O. 68), dafs der unversehrte Stein noch eine
vierte, jetzt völlig verlorene Columne enthielt, welche einst den „Raum
zwischen den beiden Seitencolumnen“ ausfüllte. Es leidet wohl kaum einen
Zweifel, dafs Smith der Ansicht war, dafs diese zwischen der ersten und
zweiten Seitencolumne einzuschiebende Columne ihren Platz auf der jetzt
weggesägten Rückseite des Monuments hatte, wie dieses in ganz ähnlicher
Weise bei den Stelen Asurnalsirhabal’s, Salmanassar’s II (Karch), sowie
insbesondere bei der Stele Samsi-Rammän’s der Fall war. Die Richtig-
keit seiner Vermuthung steht für uns, obgleich Smith selber seine An-
sicht nicht näher begründet hat, aufser Frage. Abgesehen von den nam-
haft gemachten Analogien ergiebt sich dieses aus einer Vergleichung des
Inhalts der zweiten Seiteneolumne mit dem der ersten einerseits, mit dem
Tenor der Berichte der übrigen Sargonsinschriften, insbesondere der An-
nalen und der grofsen Khorsäbäd-Prunkinschrift anderseits. Nachdem am
Schlusse der vorigen (ersten Seiten-) Columne Z. 51—65 sehr ausführlich
die Niederwerfung Hamath’s, die Gefangenfortführung des Königs und
vieler Hamathenser, sowie die Ansiedelung von Assyrern in Hamath be-
richtet ist, ein Bericht, der mit den Worten: „meinen Statthalter ... setzte
Die Sargonsstele des Berliner Museums. 13
ich über sie und die Leistung von Tribut legte ich ihnen auf“ in sich
völlig abschliefst, beginnt die erste Zeile der zweiten Seitencolumne mit
den Worten: „[in Babylon], der Veste des Herrn der Götter, — — zog
ich ein“ (1—3), eine Notiz, die in dieser Unvermitteltheit unter keinen
Umständen an das am Ende der ersten Columne Berichtete sich ange-
schlossen haben kann. Die Angabe setzt mit Nothwendigkeit den Bericht
über den Kampf gegen Merodoch-Baladan, seine Besiegung, die Erobe-
rung Babylons selber voraus: dieses muls vorher erzählt gewesen sein;
es kann dieses nur in einer verlorengegangenen, eben jener hinteren,
III. Columne berichtet gewesen sein. Bei einem Berichte ferner von der
Ausführlichkeit, wie der unsrige, ist es ganz unmöglich, dafs so wichtige
Ereignisse und Kriegsthaten, wie die Expedition gegen Gargamis-Karke-
misch, die Eroberung Asdod’s, die Schlacht bei Raphia und die Gefangen-
nahme Hanünu’s von Gaza u. s. w., von der Eroberung Samaria’s gar
nicht zu reden, sollten in der Inschrift völlig übergangen sein. Wie sehr
dieser Verlust einer ganzen und grolsen Columne der Inschrift zu be-
klagen, bedarf zumal bei dem mannigfach Eigenartigen, das sonst ent-
schieden die Inschrift in Inhalt und Form bietet, keiner Auseinander-
setzung.
Ich gebe nunmehr eine Umschrift des Textes der Inschrift, gemäfs
der von mir in meiner Publication: „Assyrisches Syllabar“ u. s. w.
Berlin 1880. 4. befolgten Art der Transeription, eine Übersetzung bei-
fügend, sowie einige exegetisch-kritische Bemerkungen anschliefsend; be-
schränke mich dabei aber auf die beiden Seitencolumnen, die sich,
abgesehen von den je am Anfang oder Ende der Zeilen fehlenden Zei-
chen, allein in einem überwiegend lesbaren Zustande befinden. Die hin-
tere, mittlere Columne der Hauptinschrift ist, wie bemerkt, sowieso ret-
tungslos verloren, und bezüglich der über den unteren Theil des Reliefs
hinlaufenden, arg beschädigten und theilweis völlig vernichteten Inschrift
bemerke ich lediglich, dafs, wie schon Smith vermuthete, dieselbe eine An-
rufung der Götter enthielt, ähnlich dem Eingange der Obeliskinschrift Sal-
manassar’s, der Stele Samsi-Rammän’s u. a. m. Von einer Reproducirung aber
oder auch nur Restauration dieses Theiles der Inschrift kann keine Rede sein.
In Folge des Umstandes, dafs die Inschrift auch über den erhaben gearbeite-
ten Körper der Figur hin eingegraben war, des Theiles der Stele, der durch
14 SCHRADER:
die Ungunst der Zeit weitaus am meisten gelitten hat, ist der ganze mitt-
lere Theil der Zeilen dieses Eingangs der Inschrift bis zur 11. Zeile völlig
und von der 12. Zeile an so gut wie völlig vernichtet. Einigermafsen
lesbar sind lediglich diejenigen Zeichen, welche in der geschützten Ver-
tiefung zwischen Figur und Stelenrand ihren Platz gefunden hatten. Was
ich in dieser Hinsicht noch habe herausbringen können, ist dieses.
Die Inschrift begann auf der Frontseite sicher Z. 1 mit den Zeichen
»>T»>yyr d. i. mit dem Gottesnamen Asur, dem Namen des assyrischen
Öbergottes. Am Schlusse der Zeile bieten sich noch lesbar dar die Zei-
chen Yy HF > 7, die sich leicht zu »>T] TYy FH >T [<IET] d. i. Anun-
naki ergänzen. Z. 2 hebt an mit EP CT d. i. a-Kd, und bietet am
Schlusse lesbar -Y »% ) d. i. mätätı. Z. 3 beginnt mit »>T «dd. i.
„Gott Sin“ (Mondgott); der Ausgang der Zeile bietet (JET \ d. i. irsi-tiv
„(der) Erde“. Z. 4 beginnt mit dem Zeichen Sn, am Ende steht
sicher £T; was folgt, ist unsicher. Die Eingangszeichen der 5. Zeile sind ver-
muthlich »— ZYJYT ; am Ausgange derselben ist ein HH: noch einigermalsen
sicher zu erkennen; das schliefsende Zeichen könnte ein 17 sein; es er-
scheint auch Z. 6. Der Eingang von Z. 6 bietet deutlich den Namen des
Sonnengottes »>-T £]. Z.7 sicher En; Schlufs undeutlich. Z. 8 viel-
leicht £1- 1077 — pi. $a; Ausgang undeutlich. Z.9 am Beginn das Gottes-
zeichen; Schlufs Y%y. Z. 10 am Beginn wohl >>] ; rechts ist Z. 10
noch deutlich das Zeichen 2 zu sehen. Z. 11 bietet einigermalsen
lesbar ein gEYIF (9; Schluls 54. Von hier an hört die Öorrespon-
denz der Zeilenanfänge und Zeilenenden auf, da die Keule, die der König
in der Hand hält, auf der rechten Seite des Beschauers den Raum für
Zeichen zu sehr beengte. Auf der linken Seite ist am Beginn der Z. 12
nichts Sicheres mehr zu erkennen; in der Mitte stand vielleicht ein
zIy 2£T- ]. Alsdann folgt Z. 13 ein unverständliches (2 — zur, das
aber vielleicht auch das Zeichen »+4 d. ıi. mu vgl. Col. 1 AI) Z.5 v. u.
sein könnte; Z. 14 vielleicht ein sa m endlich Z. 15 begegnen wir
noch dem unverkennbaren Gottesideogramm 8%. — Rechts ist Z. 16
noch sicher zu erkennen ein EP Tr; Z. 17 ein »TJAL; Z. 18 ein
m EI?) Sr; Z. 19 ganz deutlich ein >T]1r MT «IE: 7.20 ziem-
lich deutlich ein > mit doppeltem 91T & 0); Z- 21 ein wm El.oer}
7.22 vielleicht: „4 w 2 =]; Z.23 sicher ein (ET -. irsi-tv; 2. 24
Die Sargonsstele des Berliner ‚Museums. 15
wm ; 2.25 Ende (Mitte unsicher) das Zeichen Elaye-; endlich Z. 26 die
Zeiahbn > 75 »-\ und Z. 27 in der Mitte w PT; am Schlufs vielleicht
ein (JEJ. Auf dem unteren Theile der über die Figur selber hinlaufenden In-
schrift kann man noch deutlich sehen, wie die Richtung der Zeilen war, auch
hier und da noch die Reste der Buchstaben constatiren, ohne dafs indels
an irgend eine Herstellung der Zeilen, kaum etlicher Zeichen, hinter einander
(doch s. Z. 21) zu denken wäre. Trotzdem kann über Inhalt und Absicht
des Ganzen der Frontinschrift kein Zweifel sein. Die Anrufung hinter ein-
ander des Asur, Sin, Samas, assyrischer Gottheiten; nicht minder die
zweimalige Erwähnung der Anunnaki, dazu das ıdu Marduk ... il rabüti 2.21,
das wiederholte irsitiv, „der Erde“, was sich zu einem pakıd kıissat Samı
u irsitiv, auch einem $ar irsitiv (Salmanassarinschr.) oder sonst sich leicht
ergänzt, geben bei Vergleichung der ähnlichen Anfänge der grofsen In-
schriften Asurnalsirhabals und Salmanassars an dıe Hand, dafs wir es mit
einer Anrufung und Glorification der assyrischen Hauptgottheiten, bezw.
der von dem Grofskönige für besonders heilig erachteten Götter zu thun
haben. Von diesem Eingange ist die eigentliche Inschrift, welche mit der
ersten, rechten Seitencolumne beginnt, durchaus unabhängig: die letztere be-
ginnt völlig neu und ohne irgend auf diesen Eingang Rücksicht zu nehmen.
Wir bezeichnen die Columnen, indem wir den Nummern der bei-
den, abgesehen von den Anfängen bezw. Ausgängen der Zeilen, jetzt
noch vollständig erhaltenen Seitencolumnen I u. II die ihnen ursprünglich
zukommenden Zahlen II u. IV in Klammer beifügen; also: I (ID); II (IV).
Die Relief-Inschrift bezeichnen wir durch ein in Klammer beigefügtes (I).
Wir lassen nun zuvörderst eine Wiedergabe der Relief-Inschrift (I)
in ihrer wenn auch noch so trümmerhaft uns überkommenen Gestalt fol-
gen, und zwar indem wir gleichzeitig wenigstens annähernd ein Bild der
Inschrift nach ihrer ursprünglichen äufseren Form geben. Zur Erläute-
rung bemerke ich, dafs die durch lichte Schraffirung bezeichnete Mittel-
fläche den vernichteten, über die erhaben gearbeitete Figur des Königs
hinlaufenden Theil der Inschrift repräsentirt und dafs der rechts von oben
hineinragende schmale, unbeschriebene Streif den vom König in der lin-
ken Hand gehaltenen, oben mit einem Knopf versehenen (auf dem Monu-
menten beiläufig arg zugerichteten) Streitkolben andeutet.
Die Relief-Inschrift (I) lautet:
16 SCHRADER:
ARE BEE ECT
ı “To ARE: Ur
> m Jr N
3 I dddrserseirneerterrerreiertt OL.
4 Tr III
5 Zn 1 2
6 1 APILITITTTTIEETITILETTIDTTHNINN =Y
7 2 MU an RE «+ FO
9 u PILTITTTLELLTLTLITDTTDLELDLITTTTTINN
10 nr << Z
Sn = AZ)
ir Ines ET ee) >
a1 »=|
13 el 008
WrY /ILILILILLLILLILE Pan
25 Kin ZTIEITEIETTIN
16 TIER TTÄSTTETIETTIIS
>,
17 Bm:
az
\
|
+ (Ill 1 Eat CO III HET EEELILLELTTLILL NET TR ern
u > T >=] EB im an. ER
\3 Fi
| = FI
EELEERIIEELLEELLODEELLDEILEREEEEELENEN
FO wi=E = mann.
Die Sargonsstele des Berliner Museums. 17
Die
Inschrift der Seiten - Columnen.
Text und Übersetzung.
Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. VI. 3
18 SCHRADER:
Text.')
Col. L.(M).
1. Sar-ukin Sarru rabu-u [sarru dan-nu)
2. Sar kıssatı sar mat Assur sakkanak [Bab-ılu)
3. $ar mät Sumiri u Akkadı $ar kıb-ralt arba-ti]
4. mi-gir ih rabütı a(?)-[...sa]
5. Asur Nabü [Marduk]
6. Sarru-ut la Sa-na-an u-sad-I[i- mu-Su-ma]
7. zi-kir Sumi-ja [nin’- ku) -
83. u-St-su-u a-na rı-[Sı-V-t]
9. 5a Sıpar Nipur Bab-[rvdu]
10. za-nin-us-su-un V-(tip-pu-sa]
11. Sa sabi ki-tin-ni mal-ba-[su-u]
12. hi-bil-ta-Su-nu a-|dan-ma]
13. u-Sa-as'--Si-ik mus-sik-kı Ür Dür-[il)
14. Uru-Ki, Arku-KI, I’r-[tu- Kl]
15. La-ar-sa-K]I, Kul-[unu- KT)
16. Ki-sik- KI Ür Ni-vit-(idu) La-[gu-da]
17. u-Sap-pih misi-[Su-un]
ıs. za-ku-ut BAL. BI. KI u vr [Har-ra-nı]
19. Sa ul-tu ümi ru-[ku-t)
20. im-ma-Su-ma ki-tin-nu-su-un [ba-dıl-ta]
21. u-Ür as-ru-[us-su-un].
22. Ina tukul-t ih rabüti lu at-|tal-lak-ma]
23. msi ndr mar-ra-u Ü-[h-t)
24. a-di ndr mar-ra-ti Sap-[ki-ti)
2. ki-.\-is-ık'al......)]
1) Bei der Drucklegung sowohl des transeribirten Textes und der Übersetzung,
als auch der angeschlossenen Bemerkungen ist die inzwischen erschienene bezügliche Li-
teratur thunlichst berücksichtigt.
Die Sargonsstele des Berliner Museums. 19
Übersetzung.
Col. I(ID.
Sargon, der grolse König, [der mächtige König],
König der Völkerschaar, König von Assyrien, Herr [von Babylon],
König von Sumir und Akkad, König der [vier] Gegenden,
der Erhörung findet bei den grofsen Göttern ..., [dem]
Asur, Nebo, [Merodach]
die Herrschaft ohne Gleichen über[gaben und]
die Nennung meines [ruhmwürdigen] Namens
herausführten wider die [Schlechtigkeit],
der Sipar, Nipur, Baby[lon]
wiederher[stellte],
der den Leuten des Vertrags, wie viel [immer ihrer sind],
ihre Schäden ersetzt.
Ich machte botmäfsig’ die Städte Durfilu],
Ur, Erech, I{rid],
Larsa, Kul[lunu],
Kisik, die Stadt der Wohnung des Gottes La[guda],
führte [ihre] Bewohner fort.
Die Gesetze der Stadt Asur und der Stadt [Harran],
welche seit [fernen] Tagen
in Vergessenheit gerathen waren, und ihre [in Abgang gekommenen]
Verträge
stellte ich [wieder] her.
In Verehrung der srofsen Götter wahrlich wandle [ich einher]; so
[unterjochte ich] die Bewohner der o[beren] See
bis zur [unteren] See,
RER
SCHRADER:
ul-tı mät Mu-us-ri a-di mät ...
u-Sak-ni-3a SÜ-pu-U-a u-[par-ri-ru)
Ül-lat Hum-ba-ni-ga-as avi’! [mät I'lamiı)
u-ab-bid mät Kar-al-la, mät......
Ür Ki-Sl-si-im Ür [Har- har]
mät Ma-da-ai mät Tl-[h-pi)
la Ü-zi-bu pi-ri-[.....].
Nisi mät Hat-ti ki-Sid-[t ka-t-ja]
ki-rib-Sun u-SÜ-Si-ba avi! Su-[ut(?)-sak- ja]
a-na Saknu-u-u VÜl-su-nu as-[kun-ma]
u-Sal-di-da si-[ru-us’-Su-"un]
u-Sak-nı$ mät Man-na-[ai .....
mät An-di-a mät Zi-klir-tu)
Ur-za-na $ar Ü'r Mu-sa-sir a-[di...
(hi) Hal-di-a (ih) Ba-ag-bar-Yu vh-Su]
a-na Sal-la-ti am-[nu-ma]
[mät] Ur-ar-tu a-na pad [gim-ri-Sa]
..Sa-as. . !-$a-a nak-la-ba Pia
... msi] a-sib hb-3u a-na ar-[du-t}]
-mi(d]-da si-bit-tu u...
[di)-ik-t Ur-sa-a mät [Urta-av!)]
[ina] sad U-$a-us’?) Sadi-i mar-si [a-duk]
ta-ha-zi dan-nu Ü-[mur-ma ...)
ina katd ram-ni-$u ina patri parzilli [Sib-bi-su]
na-pis-ta-su u-[kat-t]
mät A-ma-at-tu a-na pad [gim-ri-sa]
a-bu-bis as-pu-[un].
(Ih) Ja-u-bi--di Sa[r-ra-Su-un]
a-di kim-t-Su awel mun-tah-s[k- Su]
Sal-lat mäti-su ka-mu-us-[su]
1) Geschrieben stand, wie G. Smith richtig vermuthet, das ideographische mät
Akkad-ai im Sinne von mdt Urtai = mät Urartai. S. darüber KGF. 30; vgl. Khors. 31
und dazu Oppert. Für ein ausgeschriebenes mdt Ur-ar-ta-ai war auch auf der ver-
stümmelten Columne kein Raum.
2) U-$a-nit? Sam-Sa-us? Sam-sa-nit?
Die Sargonsstele des Berliner Museums. 21
von Ägypten bis zum Lande [. . .]
unterwarf ich mir. [Ich zerbrach]
die Heeresmacht des Humbanigas, des [Elamiters],
knechtete das Land Karalla, das Land... ..
die Stadt Kisisim, die Stadt [Charchar),
das Land Medien, das Land Tflip]:
ich liefs keine pirr.... übrig.
Die Bewohner des Landes Chatti, die Beute [meiner Hände),
siedelte ich in ıhrer Mitte an; meinen Statthalter
setz[te ich] zur Verwaltung für sie ein,
installirte ich [über sie].
Ich unterjochte die Mann[äer, ..... .],
das Land Andia, das Land Zik[irtu].
Urzana, den König der Stadt Musasir, sam[mt .... .],
den Gott Chaldia, den Gott Bagbar[tu, seine Götter],
rechnete ich zur Beute [und]
das Land Urartu nach seinem [ganzen] Gebiete
Ä HAnde (2)
die Bewohner, die darinnen salsen, in Knecht[schaft]
brachtevieh.(?); Sieben Mr. 9
der Mannschaften des Ursä, des [Urtäers],
[tödtete ich] auf dem Gebirge Usaus (?), unzugänglichen Bergen;
die gewaltige Schlacht sah [er],
mit eigener Hand mit dem eisernen Schwerte [seines Gürtels]
nahm er sich das Leben.
Das Land Amattu nach seinem ganzen Gebiete
warf ich gleich einer Sturmfluth nieder.
Jahubrdi, [ihren] König,
54. sammt seiner Familie, [seinen] Soldaten,
55.
die Gefangenen seines Landes, gefes[selt],
m [9
SCHRADER:
a-na mät Assur all-ka-a]
III. ©. narkabäti VI. ©. bat-[hal-l)
na-as is ka-ba-bi is as-ma-[ri-%)
i-na hb-bi-Su-nu ak-[sur-ma]
Üh ki-sir Sarru-t-ja u-[rad-di)
VI. M. III. C. avi! Assur-ai bil.....
ina ki-rıb mät Ha-am-ma-t u-[sÜ-sib-ma]
av! Su-ut-sak-ja avi’! [Sakmiti-ja)
Üh-Su-nu as-kun-ma bil-tu ma-[da-tu)
u-kin Üh-su-[un].
Col. II (IV).
[a-na Bäb-i]lu ma-haz bl ik
i-na Ü-W]- is hb-bi u nu-mur pa-ni
[ha-dıs]) Ü-ru-um-ma
[katä bil rabi)-Ü Marduk as-bat-ma
fu-Sal-Tii-ma u-ru-uh Bit- Id- ki-tı
[7. ©. L. IV. biläti XXVI ma-na VI SU huräst
[bir-Su-u] I. M. VIII C. IV bilat! XAX ma-na
[kaspi], bi-lat iri madi, par-zil-k
[sa la] i-su-u ni-ba-su-un,
[aban KA, aban) Ukni, aban PI, aban Mus-gir
[aban .... abaln Muh-ri(?), II di-gil aban PI
eh ] sa ni-ba la d-su-u
[ubulti ta-kıl]-tu lubulti ar-ga-ma-nu
[ubulti) bir-mi u KUM
Bit ]-nu is Ör-nu ıs Sur-man
[ka-Na ri-ık-ki bi-ib-lat sad Ha-ma-ni
[sa Ü-ry-su-un ta-a-bu
[a-na] Bilu u Zir-bäni-t Nabü
[u Tas-mi'|-tuw u ih a-Si-bu-ut
Ima-ha-zr]) mät Sumi’ri u Akkadı
fultu vis] Sarru-t-ja a-di III Sandtı
u =}
Die Sargonsstele des Berliner Museums.
[führte] ich nach dem Lande Assur ab.
300 Wagen, 600 Reit[pferde,]
Schild und Spee[re] tragend,
nahm ich unter ihnen [vorweg und]
[fügte] ich meinem königlichen Antheile hinzu.
6300 Assyrer, [Besitzer von . .. .],
[siedelte] ich inmitten des Landes Hammatu an;
meinen Statthalter, [meine Beamten?]
setzte ich über sie und Abgabe (und) Trilbut]
legte ich ihnen auf.
Col. II (IV).
[In Baby]lon, der Veste des Herrn der Götter,
[in dem Frohlo]cken des Herzens und unter Leuchten des Antlitzes
[freudig] zog ich ein und
[die beiden Hände des] grofsen [Herrn], des Merodoch, ergriff ich und
machte zu einem Heilspfade den Weg zum Tempel Iakiti.
154 Talente, 26 Minen, 6 SU Gold,
birsü (2), 1804 Talente, 20 Minen
[Silbers], Tribut, bestehend in vielem Erz, in Eisen,
dessen (Menge) [nicht zu] zählen war,
[Ka-Steine], Ukni-Steine, Pi-Steine, Musgir-Steine,
... . Muchrü(?)-Steine, 2 dıgıl Pi-Steine,
Bee ] die nicht zu zählen,
[Gewänder] von violettem und Gewänder von rothem Purpur,
[Gewänder] von Birmi' und KUM,
Kahn ]» Cedernholz, Surmanholz,
[jegliches] Grün, Erzeugnils des Amanusgebirges,
deren [Wald] ein guter,
[dem Gotte] Bel und der Zirbänit, dem Nebo
[und der Tasmi]t, sowie den Göttern, welche wohnen in
[den Städten] von Sumi’r und Akkad,
[von Beginn] meiner Herrschaft bis zum 3. Jahre
94 SCHRADER:
22. [u-ka]-i-Sa ki-sa-a-ü.
23. [U-pi-V-r]i Sar Dil-mun KI sa ma-lak XXX kas-bu
94. [ira kabal tiäm]-tv Sa ni-pi-ih sam-si
25. [Ama nüni Sit)- ku-nu nar-ba-su
2». [da-na-an] Asur Nabü Marduk
27. [S-miÜ)-ma 18-pu-ra ar-du-tav;
23. [w VII Sarra]-ni Sa mät Ja- na-gi-r
29. [5a mät At)- na-na $a ma-lak VII ü-mı
0. [-na kabal] täm-tv V-rıb sam-$i
31. [St-ku-nu]-ma ni-sa-at su-bat-sun
32. [5a ul-ti) dmi ruküti si-bit mät Assur
a na ina Sarra-ni abütl-ja
34. [a-h-kut] mah-ri ma-am-man
35. [la is-mJu-u zi-kir mäti-Su-un
36. Pp-Sit ina) ki-rib mät Kal-di u mät Hat-u
37. [-Hb-bu]-su i-na kabal tiäm-tiv
33. [ru-kis is ]- mu-ma lib-bu-Su-un ü-ru-ku
39. [hat-tu ik-Su-)da-Su-un. Hurasu u kaspu
10. [u-nu-ut is) KAL is KU mi-sir-ti mäti-Su-un
11. [a-na ki-rib Bab)- iu a-di mah-ri-ja
22. [u-bi- lu-num-ma) u-na-si-ku Sı'pd-ja.
43. [Ina ü-mi’-$u-]ma (aban) nara u-Sl-pis-ma
u: RR ik rabüt bi-ja
a ] ki-rib-Su; sa-lam sarru-t-ja
4. [.. . .a-n]a baläti-ja ma-har-Su-un ul- 212.
a7. TERER! ] sa 8-tu si-ü sam-sı
as. [a-di Ü-rib] Sam-Si ina tukul-t Asur,
49. [Nabi) Marduk ih tik-W-ja
50. [a-na m]-ir bi-Iu-ü-ja u-sak-m-su
51. [al-tu]-ra si-ru-us-su,
Ne ] ba-iÜ hur-ri Sadi-v
53. [....] -7 (Pl) mät At-na-na ul-zız.
[>]
[sb
Die Sargonsstele des Berliner Museums.
[brachte] ich an Geschenken dar.
[Upr]ri, König von Dilmun, welcher 30 Kaspu
[inmitten des Mee]res des Aufsangs der Sonne,
[einem Fische gleich] den Wohnsitz aufgeschlagen hatte,
[vernahm] von der [Machtstärke] Asur’s, Nebo’s, Merodach’s,
und sandte Unterwerfung.
[Auch die 7 Kö]nige des Landes Jah, einer Gegend
[des Landes At]nan, welche eine Wegstrecke von 7 Tagen
[inmitten] des Meeres des Untergangs der Sonne
[wohnen] und deren Wohnsitz nısat,
[deren] Landesnamen [seit] fernen Tagen, (seit) der Gründung Assyriens
.... . unter den Königen, meinen Vätern,
die da vor mir [wandelten], Niemand
vernommen hatte:
sie hatten von den Thaten, (welche) ich inmitten des Landes Kaldı
und des Chattilandes
verrichtet] hatte, mitten im Meere
[in der Ferne] vernommen, ihr Muth verliefs (sie),
[Furcht er]griff sie. Gold, Silber,
[Geräthe aus] KAL-Holz, aus KU-Holz, den Schatz ihres Landes,
[nach] Babylon zu mir
[brachten sie und] külsten meine Füfse.
[In jenen Tagen] liefs ich eine Steintafel anfertigen,
[. - =. . .] der grofsen Götter, meiner Herren,
F - » -.. .] auf derselben; mein königliches "Bild
[liefs ich fertigen; zu] meinem Leben richtete ich es auf.
[Die Länder (?)], welche ich vom Aufgang der Sonne
[bis zum Untergang] der Sonne im Dienste Asur’s,
[Nebo’s,] Merodach’s, der Götter meines Vertrauens,
[dem Jo]che meiner Herrschaft unterworfen hatte,
[schrieb] ich darauf;
[In..... .]-da-«d Schluchten der Berge
"-......] des Landes Atnan richtete ich (es) auf.
Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. VI. 4
SCHRADER:
[Sa ina tuklat) ii rabüt bili-ja
[- -- . .] $Su-un ki-ni at-tal-la- ku-ma
sa-nin-su] la v-su-u
[ana Sarra-ni] habli-ja sa-t-is !-zib.
[I-na ar-)kat u-mi rubü arku-u
[mu-sar-ra]-ai k-mur-ma hl-ta-si
[da-na-an’) il rabüti hit-ta-id-ma
[aban nard’) Ip-Su-us ni-ka-a lik-kı.
[Sa .....] u-nak-kar a-Sar- su
[-.......]-Air (aban) nard-ja
Berk. .]-ıb sit-ri Sumi-ja:
[ll rabü]ti ma-la ina (aban) nari
[an-mi-i sulm-su-nu na-bu-u u al
[a-si-bu-Jut ki-rib ham-tiv rapas’- iv
[ar-rat Ii-ru-ru-su-ma sum-su zÜr- Su
[-na mälti k-hal-h-ku
[-.......] P7-Ü-mu ina sunuk bubüti(?) hu-Sah-hi
De ..) W-bit [lu] Dibbar-ra
=. AP RHdrU nr
-na pan] nakrıi-su ka-mıs h-SÜ-si-bu-su-ma
[i-na pan) Und-Su mät-su hs-tap- par.
Die Sargonsstele des Berliner Museums. 27
[Ich, der ich in der Verehrung] der grofsen Götter, meiner Herren,
[in Gemäflsheit ihrer] festen [Satzung?] einherwandle,
[der ich einen Nebenbuhler] nicht habe,
[den Könilgen, meinen Söhnen, für die Zukunft es hinterliefs.
[In der Ferne] der Tage, der Grofse, der Ferne,
möge sehen meine [Schriftzeilen] und /itası;
[die Macht?] der grolsen Götter möge der verherrlichen und
[die Tafel?] er reinigen, Trankopfer ausgielsen.
Wer ihren (der Stele) Standort ändert,
meine Tafel [vernichtet ?],
[auslöscht?] die Schrift meines Namens:
[die grofsen Götter] allzumal, deren Namen auf [dieser] Tafel
verkündet sind, und die Götter,
welche inmitten des weiten Meeres [wohn]en,
mögen fluchend ihn verfluchen und seinen Namen, seinen Samen
[im Lande] vertilgen.
[Anstatt mit?] Gnade mit Nahrungsmangel‘, Noth,
[2 2 8 E]ladBat e)udae: Pest,
Bee ahgs-il, senekBewohner.
[Angesichts seines] Feindes mögen sie gefesselt ihn dasitzen lassen;
[vor] seinen Augen möge sein Land zerbrochen werden.
A
38 SCHRADER:
Bemerkungen.
Zu Col.I (I).
Vs. 1. Sarukin geschr. Sar-ukin. Ich bemerke in Ergänzung und
Präcisirung meiner Ausführung vom J. 1872 (s. Die Ass.-Bab. Keilinschrr.
S. 158 ff.), einmal, dafs, wie ich in meiner Nachschrift ebend. S. 162 be-
reits anmerken konnte, die verbale Auflösung des Ideogramms @/. NA
— DU als ukin!) durch die bereits dort angezogenen Stellen aus den nach
Regierungsjahren Sargon’s datirten Thontäfelchen gewährleistet und als die
einzig zulässige an die Hand gegeben wird; sodann aber, dafs wohl kein Grund
vorliegt, das substantivische Ideogramm für „König“, welches wir im Ace.
stehend zu denken haben, als Sarra oder $arr zu transeribiren. Wie
schon die uns einmal begegnende durchaus phonetische Schreibung Sa-ru-
ki-na (mit unregelmälsigem Zischlaute, worüber ebend. 160 Anm.) an die
Hand giebt, hat der Assyrer einfach Sarukin, beziehungsw. Sarukın ge-
sprochen, was ohnehin zu dem hebräischen 7'570, auch und zwar gemäss
correcter masorethischer Punctation (Frz. Del.; B. Stade) 7172 (mit Raphe
des 5), faktisch stimmt.?) Analog ist die Wiedergabe des babylonischen
(Nirgal) -Sar-usur durch "zn7® >37 Jer. 39, 3. 13; vgl. das einfache "xx 7W
2. Kön. 19, 37; Jes. 37, 38 und dazu beidemal das Sagar@g der LXX (Jer.
39 ist der betr. Name in der griech. Version völlig verderbt). Die auf-
fällige Wiedergabe des assyrischen vw ebenfalls durch w in "zu"w als Na-
men eines Assyrers, wofür man — vergl. j77° — ein "075 erwarten
sollte, erklärt sich wohl am einfachsten aus der verhältnilsmäfsig späten
Redaction des betreffenden ohnehin aus dem Königsbuche erst in das B.
Jesaja herübergenommenen Abschnitts der Königsbücher. Zu der Zeit
war eben die babylonische Aussprache dieses Namens mit dem breiten
Zischlaute durch die Babylonier selber den Hebräern bekannt und mund-
1) Für ukin als Impft. Pa. von > s. P. Haupt, sum. Familiengess. I S. 58
Anm. 8.
°) Ob aus dieser Thatsache weitere Schlüsse zu ziehen, ist eine andere Frage.
S. darüber G. Hoffmann, Auszüge aus syr. Akten pers. Märtyrer. Lpz. 18850 S. 183.
Die Sargonsstele des Berliner Museums. 29
gerecht geworden, wie sowohl das angeführte "sa7& =57> als auch das
danielische 28W52 — BDfVl-sar-usur, sogar auch "saWn>2 — Baläta-su-
usur beweisen (den im B. Jesaja bereits seit Alters gebrauchten Namen
des Assyrers 77370 liefs man wie die Namen der übrigen Assyrerkönige in
dieser Hinsicht unverändert). Lediglich in parenthesi sei noch angemerkt,
dals natürlich die Punktation des letzten der aufgeführten babylonischen
Namen bei den Masorethen als "zswv>2 (mit Ssere im Beginn der Sylbe)
lediglich auf einen Schlufs ex analogia zurückgeht: man hielt eben das
>= dieses, begreiflicherweise unverstandenen, babylonischen Namens für das
gleiche >=2 wie dasjenige des Namens Belsazar d. i. für den Gottesnamen
Bel. Noch weiter gingen in der Uniformirung der beiden Namen die grie-
chischen Übersetzer, die für beide gleicherweise BaArarap d. i. das cor-
rumpirte Beltesassar des masorethischen Textes substituiren. Ebenso und
danach die Vulgata: Baltassar. Erst Luther kehrte mit seinen differenzi-
renden Aussprachen Belsazar und Beltsazar zu der ursprünglichen
Scheidung der Namen, wie sie in dem ÜÖonsonantentext des A. T. noch
klar vorliest und auch noch in der masor. Punktation zu Tage tritt, zu-
rück. — Für die Aussprache des Namens Sargon ist übrigens den LXX
nichts zu entnehmen: der Name, den sie Jes. 20 bietet, ist augenscheinlich
ein völlig verstümmelter.
2. sar kıssati sar mät Assur. Der assyrısche Text transeribirt
sich in Oursiv: „Ep ] «( “ »>%Y DT, wonach III R. 11. 1, 2 zu
berichtigen ist.
sakkanaku ist von Anderen und mir selber in der Regel durch
„Statthalter“ übersetzt, indem dabei an ein von dem W. sakan abgeleite-
tes Substantiv, an ein in der Bildung erweitertes sakan, saknı „Statthal-
ter“ hebraisirt als 7x0, gedacht ward. Indefs abgesehen von der Schwie-
rigkeit die Endung ak, akku in diesem Falle befriedigend zu erklären,
würde die Bedeutung „Statthalter“ weder zu Stellen wie Bors. 1, 6 sakka-
nakı la a-nd-hu, noch zu den bezüglichen Stellen der Inschriften assy-
rischer Könige, insbesondere Sargons stimmen, die sich besonders gern
als sakkanak Babrlu tituliren. Ein Assyrerkönig, Sargon eingeschlossen
(vgl. die Gylinderinschrift I R. 36 init.), bezeichnet sich wohl als saknu
„Statthalter“ irgend eines Gottes, des (alten) Bel u. s. f.; aber
„Statthalter“ einer Stadt oder eines Landes würde sich ein Assy-
30 SCHRADER:
rerkönig niemals genannt haben, Dazu wechselt das hier in Betracht
kommende Ideogramm &= >>] NT. NIT auf den Asarhaddonbacksteinen
einfach mit dem Königsideogramm = Sarru s. I Rawl. 48 Nr. 5. 6 einer-
seits, Nr. 7 und 9 anderseits. Gewils hat demgemäls F. Delitzsch neuer-
dings mit weit mehr Recht die allgemeinere Bedeutung: „Machthaber“,
„Oberherr“ statuirt (Ass. Lesest. 2. A. Schriftt. 242). Dazu stimmt auch
die ideogrammatische Bezeichnung. Bekanntlich bedeutet &= im Assyr.
s’pu = „Fuls“ und 7 zikaru „Bursch“, aber auch ardu „Sklav*. Aus
„Fufs“ und „Sklav“ setzt sich ächt orientalisch der Begriff des „Macht-
habers“ zusammen: man denke nur an die bekannten bildlichen Darstel-
lungen auf den Reliefs des Assyrers Asurnafsirpal’s und des Persers Da-
rius (Behistun), beide den König darstellend, wie er den Fuls auf den
Nacken des Unterworfenen setzt! Vgl. auch die bekannte Phrase in der
Standardinschrift (Z. 4) und sonst: mu-kab-bi-is kisad ai-bi-su d. 1. „(der
König), der seinen Fuls setzt auf den Nacken seines Feindes*, Nun aber
erklären die Syllabaren das Ideogramm bezw. akkadische Wort NI wei-
ter sowohl durch !muku d. ı. „Macht“ als durch gasru d. ı. (vgl. das
Adj. gisru!) dasselbe (Haupt ASKT. p. 30. 29 Nro. 669. 668). Der (avı’l)
NT. NIT ist hiernach „der Machthaber über Sklaven oder Unterworfene*“,
und der Sinn des Ideogramms allerdines gerade entgegengesetzt demjenigen,
den ihm Opp. J. A.V1,2 1863 p.485 glaubte zueignen zu sollen — derselbe, der
gerade zu dem richtigen Verständnisse desselben den Weg gebahnt hatte —,
indem er meinte: „e’est done un ideogramme qui a un sens des plus hum-
bles“. Auf der richtigen Spur war ich bereits 1872, als ich KAT!. S. 210
dem Worte den Begriff „Lehnsherr“ vindieirte. — Wie schon oben an-
gedeutet ist der Name schwerlich semitischen Ursprungs. Es kommt
hinzu, dafs wir der Bildung mit auslautendem aku (bezw. akku) auch sonst
gar nicht so selten bei akkadischen Wörtern begegnen. Erwägen wir
nun, dafs in der Sylbe $ak sehr wohl das bekannte sak d.i. „Haupt“,
„Fürst“ stecken kann (für den Wechsel von s und 5 zwischen Babylo-
nisch und Assyrisch vgl. babyl. hursanis‘ gegenüber assyr. hursanis u. a.m.),
so würden wir für Sak-kan-ak(kyu etwa die Bedeutung „Haupt“, „Häupt-
ling“ im Sinne von „Oberherr“ gewinnen. Vgl. zu den akkadischen Bil-
dungen auf akku Lotz TP. 176. — G. Smith’s „highpriest“ läfst sich nicht
rechtfertigen.
Die Sargonsstele des Berliner Museums. 31
3. Über die Bedeutung der Bezeichnungen mät Sumi'ri und mät
Akkadı s. KGF. 296. 533 flg.; F. Del. Paradies 196 ff.
4. migir, eigtl. „Gehorsam“, dann abstr. pro coner. „der Gehor-
same“, „der Diener“. — Am Schlufs lieft Sm. 3a [rk]. Allein das erste
Zeichen ist sicher kein w: eher ein Y; und ein : vor einem nachfol-
senden vu Asur u. s. w. wäre seltsam.
7. Für die Ergänzung mnku s. Khors. 5 sammt Parallelen. S.
weiter DMG. XXVIII 126 fle. S. hier auch für Vs. 8. 9.
12. adan-ma wörtl. „(Ghre Schäden ihnen) wiedergab.“ Dieser
Sinn wird durch das parallele mausallimu der Cylinderinschr. Z. 4 an
die Hand gegeben. S. hierzu Oppert im Journ. Asiat. VI, 2. 1863
p. 488, der freilich a-rıb gelesen und „je combattis les transgressions
des hommes soumis & des lois respectables“ übersetzt wissen will.
13. Für usassıik mussikki (2 — mussikki?) s. ZDMG. XXVII, 129;
vgl. aber inzwischen auch V. R. 10, 92! — Für die hier und V. 14 nam-
haft gemachten babylonischen Städte s. Del. PD. 220 ff. 250 ff. KAT?.
IS H. 129 fg. 135 ff.
15. Über Kullunu] = Zirlab s. Del. Par. 225 fig. — Über Kı-
sık und Nivit-Laguda ebend. 231.
17—21. Vgl. hierzu ZDMG. a. a. O. 129 fe.
23flg. Über ndr marratu „Meerstrom“ u. s. w. s. „die Namen der
Meere“ S. 176 und vgl. ebend. 173.
26. Über mät Musri. = „Ägypten“ an dieser Stelle s. KGF. 252.
27. Die bereits von Smith vorgeschlagene Ergänzung u-[par-rı-r«]
Vllatsu nach Stellen wie IR. 39 col. III, 53; DIR. 29 Nr. IL 9 u. a.m.
Vgl. KAT! 212. 224. 288.
36. usaldıda R. 7&. Wörtlich: „ich machte sie gewaltig über sie“.
46. S. S.20 Ann...
49. Für die Ergänzung Sıbbısu (Rawl.-Smith) s. IR. 7. IX, C. 4.
51. Über (mit) Amattu = (mät) Hammatu „Hamäth“ Z.57 s.KAT?.
106 Anm. — (ana pad) gimrisa. So nach Stellen wie Khors. 88. Rawl.-
G
[ep]
Smith mit männlichem Suffix: gimri-su — weniger correkt, aber nicht
unmöglich s. IR. 35 Nr. I Z. 10.
55. kamüt „gefesselt“. S. Del. bei Haupt, sum. Familiengesetze
I, 75 und vgl. Lotz, Tigl. Pil. 148.
32 SCHRADER:
59. aksur R. 27 1) „zusammennehmen“, 2) „wegnehmen“. Vgl.
für den Bedeutungsübergang hebr. zo8 und s. Lotz 137; KAT?. 9. Zur
Ergänzung vgl. Botta 145, I fin. u. a. St.
Zu Col. II (IV).
Vs.2. /ls 727 „Jubel“ „Frohlocken“. Die Ergänzung nach Stellen
wie Khors. 140 u. a. Ob die Wurzel y>> oder >», ist aus den mir
gegenwärtigen Stellen mit Sicherheit nicht zu ersehen.
3—10. Für die Ergänzungen s. Khors. 141 flg. Vgl. Rawl.-Smith.
6. Über SU = ein Sechstel der Mine —= 10 Schekel (vgl. Khors.
141) s. meine Bemerkungen in der Ägypt. Zeitschr. 1878, S. 112 fe.
13. Für die Ergänzung s. Khors. 142.
15. Über akkad. $urman —= assyr. Surmi'nu ($urmini) —= aram.
W.o@a sau s. Monatsberichte 1881 (5. Mai) S. 421.
16. Für die Ergänzung ist Khors. 143 zu vergleichen. Aıkkr (sie!)
R. 778 = hebr. 7”, vgl. das hebr. 777">2 Gen. 1, 30; 9,3, welches unserm kala
rikkt völlig entsprechen würde; für die Bildung s. Ew. $. 153b; Olsh. $. 1514.
Vorab sind hier unter dem „Grün allerlei Art“ des Amanus die verschie-
denen immergrünen Pinusarten desselben zu verstehen (V. 15). Bekanntlich
steht auch das hebr. #77 zugleich vom „Grün“ der Bäume. — Statt des
Sad Ha-ma-ni unserer Stelle bietet die Parallelstelle der Khorsäbädinschrift
das correctere $ad Ha-ma-a-m. Zu vgl. KGF. 191. — Über bibil, biblat
(Plur. fem.?) — „Erzeugnisse“ s. Del. bei Lotz, TP: 95.
17. [rk-su-nu. Die Ergänzung nach Khors. 143. Irit wird unter
Vergleich von ürsit — hebr. "8 von Oppert scharfsinnig mit hebr. >
„Wald“ zusammengestellt (J. A. VI, 3. 1864 p. 264).
20. Über mahäzu „Stadt“, „Burg“ = syima s. Lotz, TP. 109.
21. Wörtlich so Khors. 144. — Der hier in Aussicht genommene
„Beginn der Herrschaft“ des Königs ist seine Herrschaft über Babylon.
S. darüber oben S. 10; ebenso ist das „3. Jahr“ das dritte Jahr seiner
Herrschaft als „König von Babylon“. Anders Oppert, der zu dieser
Stelle J. A. VI, 3 1864 p. 265 bemerkt: „Nous voyons la raison de cette
fivation chronologique dans le fait resultant des eponymes, que Sargon regna
Die Sargonsstele des Berliner Museums. 35
3 ans avec un roi que nous nommons Ninip-touya. Arrive a Tewercice
absolu du powvorr, ıl enumere ce quil avalt deja fait, pendant qwil par-
tageait le tröne avec un autre prince“. —
22. Über die Redensart: ukarsa kisät! s. Del. bei Lotz 100. Vol.
die Parallelstelle Khors. 144, wo natürlich ebenfalls u-ka-r-sa (nicht
u-ka-li!) zu lesen ist.
25—42. Zu den Ergänzungen vgl. die Khorsäbädinschr. 144— 149.
23. Über Dilmun s. Del. PD. 178f. 229.
24. Sanıpıh samsı „des Aufgangs der Sonne“. Gemeint ist natürlich,
wie der Zusammenhang an die Hand giebt, der persische Meerbusen. Dieser
selbe Meerbusen heifst an anderen Stellen „das grofse Meer des Aufgangs
der Sonne“ (hämtw rabitw Sa sit Samsı); auch wohl „das untere Meer
des Aufgangs der Sonne“ (kamtuv Saplitu Sa sit Samsi) s. unsere Abhdleg.
„die Namen der Meere in den assyrischen Inschriften“ (A. d. W. 1876
(1877) S. 174). Ebenso stellt Rammannirar IR. 35 Nr. 3 (Lay. 70) dem
„grofsen Meere des Unterganges der Sonne* die kadmtuv rabitu Sa napah
samsı d. i. „das grofse Meer des Aufgangs der Sonne“ gegenüber (ebend.
177). Es leuchtet ein, dafs nıpıh, napah nur (die Gegend nach) Sonnen-
aufgang, also den Osten bezeichnen kann. Damit’ erledigt sich die
wohl neuerdings aufgestellte Vermuthung, dass nıpık samsı den „Süden“,
die Gegend „nach Mittag zu“ bezeichne. — Über die Bedeutung der W.
napah vgl. noch 11 R. 35, 4—9 e. f. und dazu Lotz 83.
25. sıtkunu (so lies gemäfs Khors. 144) Perf. Ifte., scheint hier,
wie ıstakan u. Ss. w., nur active Bedeutung haben zu können. Doch vgl.
zu Vs. 31. — narbäsu R. 727%. Lesung und Ableitung schon richtig bei
Oppert zu Khors. 144; nur ist dieses 727 nicht als „etre ä la piste* zu
interpretiren und narbasu nicht durch latebrae zu übersetzen.
29. [mät Atjnana. So ergänze gemäls Z. 53. Sonst überwiegend
mät Jatnana. 8. das Nähere hierüber, sowie über den Distriet ındt Ia
KGF. 242. 243 ff. (mät Atnana übrigens auch in den Annalen Botta 91, 3).
31. [Sitkumu]. So liegt es am nächsten mit G. Smith gemäfs der
Parallelstelle in der Khorsäbädinschrift zu ergänzen. In diesem Falle
aber drängt sich ebenfalls als nächste Construction auf, das Relati-
vum auf das nachdrucksvoll voraufgestellte persönliche: „die sieben
Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. VI. 5
34 SCHRADER:
Könige des Landes Jah“ zu beziehen, demgemäls — vgl. zu Vs. 25 —
zu übersetzen: „welche (ihren Wohnsitz) inmitten des westlichen Meeres
.. aufgeschlagen haben“. Man müfste in diesem Falle aus dem nach-
folgenden Subatsun „ihren Wohnsitz“ den entsprechenden Accusativ zu
dem Verbum sitkumı dem Sinne nach voraufnehmen. Andernfalls wäre
sitkunu passivisch im Sinne von „belegen“, „angesiedelt“ zu fassen und
zu übersetzen sei es: „welche (die Könige) — angesiedelt sind“, sei es:
„deren Wohnsitz — belegen ist“, in welchem Falle man aber — auf $u-
bat-sun bezüglich — nicht ein sitkunu, denn vielmehr ein sıtkunat er-
wartete, was freilich nach Oppert, les inseriptions de Dour-Sarkayan
p. 5, 39 sich in der That einmal findet. — Nisat ist dunkel. An eine Wur-
zel ©: „elever“* kann nicht gedacht werden. Del. PD. 291, der „ent-
fernt“ übersetzt, dachte wohl an eine Wurzel >02, wovon nısät (wie Del.
transeribirt) vielleicht ein Perf. Nif. sein könnte. Aber die Bedeutung? —
32. sıbit mät As$ur. Für sabätu #22 in der hier durch den Zu-
sammenhang an die Hand gegebenen Bedeutung vgl. die in den histori-
schen Inschriften häufige Redensart ana 13$utl asbat „von Neuem grün-
dete ich“ wechselnd mit der andern: ana issut! abni „von Neuem erbaute
ich“. Die Lesung ist — gegen G. Smith — paläographisch eine unzwei-
felhafte. Mit Recht übersetzt demgemäfs Oppert in Records of the Past
VI 23: „(from) the constitution of Assyria*. Derselbe ergänzt den An-
fang der folgenden Zeile zu [a-di mu-an]-na „bis jetzt“. — Für die
schwierige Parallelstelle Khors. 145 flg., vgl. 110 flg., vgl. Del. PD. 291g.
einerseits, Opp. l. c. 22 anderseits.
38. Für itruku R. SS s. schon Oppert |. ce. 377.
39. [hattu iksu]-da, eine wohl zweifellos richtige Ergänzung G.
Smith’s. Vgl. die Parallele imnasunüti hattu Khors. 148 einerseits, das
ittapiksu hattu Botta 150, 3 anderseits.
46. ana balätija „zu meinem Leben“. So ergänze ich zuversicht-
lich nach Analogie von Stellen wie I. Rawl.2 Nr. 53 Z.12 u.a. m. Für
TI.LA —= balätu s. ABK. 134. — Für die Form ulziz s. Pognon, inscrip-
tion de Bavian. Par. 1879 p. 198.
48 ff. Die durch die Parallelen in allem Wesentlichen an die Hand
gegebenen Ergänzungen bereits bei Rawlinson-Smith.
Die Sargonsstele des Berliner Museums. 35
52. Für die Aussprache hurru (nicht harru) — ar. > (vgl. auch
hebr. m), s. Lotz 115 und vgl. für den Lautwerth kur des Zeichens den
Wechsel von am-hur mit am-hu-ru, u. Ss. w.
57. satıs Adv. von sat—=nax R. xın —= hebr. am»,
59. dıltası — verstehe ich nicht.
60. Kttand d. 1. Ktta’id = ne» Nif. R. me. VR.1;9.
61—74. Vgl. die Parallelen Tigl. Pil. I col. VIII, 50 f£.; II R. 41.
II, 13 ff.; 43. III, 23 £.
66. Für die assyr. Redensart: „seinen Namen verkünden“ im Sinne
von „genannt werden“ vgl. KAT?. S.5 Z. 13 fie.
68. Für Smith’s Ergänzung s. Tigl. Pil. VII, 76; DIR. 41.
M..15; 43. II, 55.
70. Vgl. Tigl. Pil. col. VIII, 85, welche Stelle auch die muthmafs-
liche Auflösung des Ideogramms für den Begriff: „Mangel-Nahrung“ an
die Hand giebt (zu dbubütu „Nahrung“ vgl. Höllenf. Ist. Av. 8). Dalfs
sunuk bubüt! nicht als zwei verschiedene Ausdrücke für denselben Be-
griff „Mangel“, bezw. „Hungersnoth“ zu nehmen sind (Lotz u. A.), er-
giebt sich, abgesehen von bubütu, dessen Bedeutung „Nahrung“ nicht ohne
Weiteres in ihr Gegentheil zu verkehren ist (der Fall II R. 17 22d =
Haupt, ASKT. 89, 22 liest anders), aus Asurnafsirhabal, Monol. Schlufs
IR. 27, 94 fle.., wo in den Worten su-un-ka bu-bu-ta u ni-ip-pal(?)
u hu-Sa-ah-ha drei Glieder des Satzes unterschieden werden und sunka
bubüta als ein Glied erscheint. Die Nichtbezeichnung des Statusconstructus
an letzterer Stelle kann schwerlich einen Gegengrund abgeben ABK. 230. —
husahhu = husähu (nicht husuhhu!) ist eine Bildung wie hurasu „Gold* =
hebr. 7777 (ABK. 210) u. a. m. Sonst vgl. Haupt in NGGW. 1880 8.516 flg.
71. Für den Pestgott Dibbarra s. G. Smith, Chaldäische Gene-
Bis. ıD. A. Lpz.. 18768. 110 ff.
73. kamis Adv. „gefesselt“. S. zu Col. I(ID), 55.
74. Ifta. R. »2W. Das Verbum steht hier in dem aus dem A.T.
bekannten übertragenen und allgemeineren Sinne von „vernichten“, „ver-
wüsten“, „dem Untergange weihen“.
36 SCHRADER: Die Sargonsstele des Berliner Museums.
Zusatz.
Zu 8.30 Z.5 v.u. Hinter: u. a. m. füge hinzu: dazu handelt es
sich in dem in Rede stehenden Falle noch aufserdem um Semitisirung
eines fremden, nichtsemitischen Wortes. Vgl. KAT?. 8.5. 2.27 f.
Verbesserungen des Drucks.
Seite 13 Zeile 7 anstatt Merodoch lies Merodach
30 11
n n
Asurnalsirpal's lies Asurnalsirpal
UM ALDMIARE Syllabaren lies Syllabare.
In meiner Abhandlung: „Zur Kritik der Inschriften Tiglath-Pileser’s II, des Asar-
haddon und des Asurbanipal“ (Abhdlg. VIII der Philos.-histor. Kl. 1579) Taf. I:
Z. 1 anstatt „Im lies nis
23 a naar Gera Kr
Berichtigung.
In Abhandl. VI der philosophisch-historischen Klasse 1881 S. 19
Z. 6 lies:
4. der willfährige Diener der grofsen Götter u. s. w.
S. die Bemerkung z. d. St. auf S. 31 ebendaselbst.
j "”
.
Sellin.
Ey r ur y TR f Pr | R 04
sera ori ih IV ine N Re
N A 3 & I Ars DR re ” i ;
' NUDE PR
I, ae so re a a
u au, sahen #
Wo
BR 4
1. £ n [a u NETTER Pre
IK) r& a Li a ‘
=
Sm
le | ie
PHOT. L. HAASE & CO. KÖNIGL. HOF-PHOTOGRAPHEN, BERLIN.
STINTITESEITIIPT
ZA N&E 7 EI: “ SE ST
Tanner Sr
Se EN ISIS ErvS] | EITSFRBE
SELENNE- .
iz TE m
S = TRrS SE <tn BE NER
=
\ N NE ee
nn PHOT. L. HAASE & CO, KÖNIGL. HOF-PHOTOGRAPHEN, BERLIN.
Altäre von Olympia.
ft w a | r un
U
ur j i BUN
N a Von Ärger | 2 Pl
ie. h
..',; ' Es Pr n.,
Aa HU 51: bon DURT: ti u.
Fr ı .
I H"- CURTIUS. Er %
#
F
Abh. VII. 1 H
® u
ur y
CH j
a: . Ar BE:
EN en Ri Me
ie 20
3
>
=
nf |
Sm MAN,
IR
",
rn
_—— - - 0 _ ——- Er Bu
Vorgelegt in der Akademie der Wissenschaften am 2. Dec. 1880 und 15. Dec.
Er ud A 0 ro
Mi ist gewohnt, Olympia nur als Schauplatz der nationalen Fest-
lichkeiten in das Auge zu fassen. Es hat aber auch für den von den Fest-
spielen unabhängigen Cultus eine hervorragende Bedeutung, weil es kei-
nen Ort im alten Griechenland giebt, wo unsers Wissens so viel Cultus-
stätten auf engem Raume neben einander lagen und wo wir von densel-
ben eine so genaue Kenntnifs haben. Denn Pausanias beginnt V 14, 4
mit den Worten: dege du EreAYunev nal ra eis amavras Ev "OAuumia reis Bw-
#ovs, mit denen er an einen ihm besonders wichtigen Gegenstand heran-
tritt und sich zu einem vollständigen Bericht verpflichtet, eine Aufzäh-
lung der Altäre innerhalb und aufserhalb der Altis, wie sie ihm auf dem
Rundgang, dem der Text genau folgt (suursgworrei), von einem sachkundigen
Führer gezeigt waren, und zwar nicht so, wie sie örtlich neben einander
lagen (zara aroiyev Ns idgurews!)), sondern nach der Reihenfolge, in welcher
nach Satzung der Eleer an ihnen geopfert wurde (zara rafw zu yv ci
Melcı Svav Em av Quuav vouiZourw), so dafs dieser Abschnitt eine Art
Ritualbuch für Olympia ist, eine in ihrer Art einzige Urkunde für das
griechische Sacralwesen. Die Altarperiegese kreuzt also mehrfach die
anderen Wanderungen des Periegeten; da es aber häufig vorkam, dafs
die durch den Cultus mit einander verbundenen Altäre auch räumlich
benachbart waren, versäumte Pausanıas es nicht, wenn ein besonders
srolser Abstand zwischen zwei nach einander genannten Altären vorhan-
den war (wie zwischen den Altären der Themis und des Zeus Kataibates),
seine Leser ausdrücklich darauf aufmerksam zu machen, dafs sie aus der
Reihenfolge keine topographischen Schlüsse machen möchten: eine Gewis-
1) V 14,10.
4 CURTIUS:
senhaftigkeit, welche wohl geeignet ist das Vertrauen zu seiner Führung
zu erhöhen.
Aufserdem läfst er es aber auch an mancherlei die Lage betreffen-
den Andeutungen nicht fehlen, um dem topographischen Gesichtspunkte
seines Werks Rechnung zu tragen, und so gering auch die Zahl der Al-
täre ist, die wir in Fundamenten nachweisen können!), so wird es bei
unserer jetzigen Terrainkenntnils doch gelingen, uns Olympia in seinen
Gottesdiensten deutlicher zu veranschaulichen. Die chaotische Menge
der Cultusplätze läfst sich doch übersichtlicher ordnen und deshalb ver-
dient die Altarperiegese eine eingehendere Beachtung. Eine Übersicht
ihres Inhalts giebt die angehängte Tabelle.
Wir unterscheiden zunächst die wirklichen Altäre von den schein-
baren, d. h. von solchen, welche ihrer Form wegen Altäre genannt wur-
den, aber nicht zum Opfer dienten. So stand in der Altis neben dem
Eingang zum Stadion ein Postament in Altarform, auf welchem die Trom-
peter wie die Herolde standen, wenn sie vor dem versammelten Volke
ihre Wettkämpfe hielten (V 22, 1). So war der Taraxippos am Südrande
des Hippodroms seiner Form nach ein Rundaltar (sxru« Bwuov megubegoüs
VI 20, 15).
Auch zu Denksteinen wurde die Altarforın von den Eleern benutzt,
wie die Altäre bezeugen, welche sie im Ammonion weihten als Denkmä-
ler ihrer alten Verbindung mit dem libyschen Heiligthum (V 15, 11).
Denn auf denselben waren die Fragen geschrieben, welche man an den
Zeus Ammon gerichtet hatte, sowie die darauf ertheilten Antworten.
Bei den Altären, die Opferaltäre waren, beginnen wir mit den äus-
serlichen Gesichtspunkten.
Die Gröfse ist nur bei einem Altar der Altıs überliefert, der durch
Umfang und Höhe eine Merkwürdigkeit von Hellas war, dem Brandopfer-
altar des olympischen Zeus, welcher, als ein Mittelpunkt des heidnischen
Cultus gewifs absichtlich zerstört worden ist, so dals sich von seinem
steinernen Stufenbau nichts erhalten hat. Um so wichtiger war es, dafs
nach langem Suchen im vierten Jahre unserer Ausgrabung der elliptische,
1) Es sind die in ‘Olympia und Umgegend’ Berlin 1882 Blatt 3 mit A bezeich-
neten Stellen denen $. 26f. noch einige andere angereiht werden.
Die Altäre von Olympia. 5
aus Flufskieseln gebildete Ring zum Vorschein kam in der Mitte der
Altis, die uralte Umgränzung des heiligen Platzes, auf dem im Laufe von
Jahrhunderten immer prächtiger und höher, mit einem Unterbau von
125 Fufs Umfang, der Altar seinen aus Opferresten anwachsenden Gipfel
22Fufs hoch emporhob, alle anderen Altäre weit überragend, der König der
Altis, wie ja der Zeusaltar auf der heiligen Höhe Arkadiens von Pindar
der König des Lykaion genannt wird!). Darum wird der ‘grolse Altar’
von Pausanias auch schon vor der Altarperiegese besonders angeführt,
um später in der Reihe noch einmal genannt zu werden.
Es war das Kennzeichen einer altheiligen Opferstätte, dafs Menschen-
hand möglichst wenig daran gemacht hatte. Daher der Aufbau aus zu-
sammengelesenen Felsstücken, wie wir ihn auf alten Altarzeichnungen sehen;
daher auch bei dem Zeusaltare der Ring unbehauener Steine ?). Die Gott-
gefälligkeit einer Opferstätte sollte darauf beruhen, dafs dieselbe ohne
künstliche Vorrichtung gleichsam naturwüchsig und wie von selbst sich
gestaltete, nämlich aus den Überresten, welche vom Brandopfer an Ort
und Stelle zurückblieben und sorgfältig gesammelt wurden. So waren
auch unter den olympischen Götteraltären die Aschenaltäre ausgezeichnet,
an welche sich die Wundersage knüpfte, dafs nur das den Göttern be-
sonders wohlgefällige Alpheioswasser die Eigenschaft besitze, sich so mit
der Opferasche zu mischen, dafs sich daraus ein fester Teig zur stetigen
Aufhöhung der Altäre bildete?). Die Höhe derselben war also keine
willkürlich bestimmte, sondern eine geschichtlich gewordene, ein Denk-
mal und Mafsstab für das Alter des Dienstes und den pflichttreuen Eifer
der Gemeinde. Solche Aschenaltäre waren unter den 69 olympischen vier, der
grofse des Zeus (19), der der Hestia (1), der Hera (24) und der Gaia (32).
Bei den übrigen Altären wird nur ausnahmsweise eine besondere Be-
schaffenheit oder Gestalt bezeichnet; so die längliche Gestalt bei dem der
Moiren (Bunos Erıunzns 48). Die Götteraltäre hatten alle einen stufen-
1) Ol. XIH, 107.
2) Vgl. Attische Studien I, S. 89, Abh. der K. Ges. der Wissensch. in Göttingen,
hist.-phil. Kl. XI. Altar aus Felsstücken: Arch. Zeitg. 1845 S. 163.
3) So finden wir auch auf Abbildungen von Altären die Oberfläche so gezeichnet,
dafs sie nicht künstlich geebnet erscheint, sondern eine mehr zufällige Form zeigt. Vgl. das
Relief Torlonia bei Roma vecchia an der Via Appia gefunden. Abguls im Berl. Mus. n. 246D.
6 OÖURTIDS:
artigen Unterbau; nur der der Artemis (8) zeichnete sich dadurch aus,
dafs er eine pyramidale Form hatte (igeua dvnawv eis Uber), indem die
vier Seiten desselben sich allmählich nach oben zusammenneigten: eine
Zurichtung, welche an den rampenartigen Aufgang erinnert, den man
über dem Stufenbau des Artemisaltars in Patrai herstellte, um auf schrä-
gen Flächen die Opferthiere hinanzutreiben (Paus. VII 18, 11).— Die Altäre
lagen frei innerhalb der Altis oder sie waren von einer besonderen Ein-
fassung umgeben, wie der des Zeus Kataibates (34) mit seinem Zaune
(beayua), dessen er des Blitzmals wegen nicht entbehren konnte!). Sie
waren dem allgemeinen Cultus zugänglich, oder sie waren besonderen
Personen zu bestimmten Zwecken vorbehalten, wie der Erganealtar der
Phaidrynten (6).
Die Altäre gehörten entweder dem ganzen Heiligthume an, oder
sie waren mit bestimmten Gebäuden und Räumlichkeiten verbunden; so
der Hestiaaltar mit dem Prytaneion, der Zeusaltar (17) mit dem Palaste des
Oinomaos, der bis auf geringe Überreste verschwunden war, während der
Altar, an dem der alte König seinem Zeus Herkeios geopfert haben sollte,
noch vorhanden war; er war das Denkmal der Gründung des Königs-
hauses, während der des Zeus Keraunios (18) daneben an das Gewitter
erinnerte, welches dem Hause ein Ende gemacht hatte. So gehörte der
Zwölfgötteraltar (38) zu der Werkstätte des Pheidias und seiner Nachkommen,
um die verschiedenartigen Kunstarbeiten, wenn sie religiöser Art waren, mit
Anrufung der Gottheit, auf welche sie sich bezogen, beginnen zu können.
Die Altäre des Hermes Enagonios und des Kairos (29 und 30) gehörten
zum Stadion; am Eingange zu dem Schnabel (&ußerev) des Hippodroms
standen (r7 uev — r7 de V 15, 6) die Altäre des Ares Hippios und Athene
Hippia (55, 56) symmetrisch aufgestellt; ebenso entsprechen sich Poseidon
und Hera (52, 53) mit gleichen Beiwörtern. So sind auch den Dioskuren
nebst der Tyche und dem Moiragetas wie den Moiren, mit Rücksicht auf
die Rennspiele, die Altäre errichtet worden. Diese gehörten also zur Aus-
stattung der grolsen Anlagen, während andere daselbst schon früher ge-
standen haben mögen, wie die benachbarten Altäre von Pan und Aphro-
R e, 5 ern , er A E
1) Pollux IX 41: Zummuere)" ourws wvonagero, eis @ zurarandeıe Qeros eE ovpavou"
(<= x x > FR} ” > m ..
megieıgy DET de TER EUNUTIK alavusre dveiro. Weleker, Gr. Götterl. IT, 190.
Die Altäre von Olympia. 7
dite (58, 59) und der Nymphai Akmenai (59), die wohl an den zur Trän-
kung der Renner dienenden Becken verehrt wurden. Wir haben noch
eine andere Gruppe von Gottheiten, deren Beiwörter einen topographi-
schen Anhalt geben: Artemis Agoraia, Zeus Agoraios (42, 44). Ihre Al-
täre standen auf dem centralen Platze, welcher den grofsen Brandopfer-
altar umgab. Um aber an den Opferhandlungen den Festgesandten, den
Beamten und anderen hervorragenden Personen die Theilnahme an einem
ausgezeichneten Platze zu sichern, diente, wie eine Art Tribüne, die ‘Proe-
dria‘, deren Lage vor der Echohalle, dem grofsen Altar gegenüber, am
Östrande der Agora mit Wahrscheinlichkeit nachgewiesen worden ist, und
es palst durchaus, wenn den Marktgötteraltären sich in der Altarreihe
Apollon Pythios (45) anschliefst; denn dessen Altar wird von Pausanias
vor der Proedria angesetzt.
Der Phaidryntenaltar lag wahrscheinlich in der Nähe des Goldelfen-
beinbildes, weil mit einem Opfer an ihm die technische Arbeit begonnen
wurde, welche in der grofsen Bauhütte nicht gemacht werden konnte (V 14,5).
Durch ihre Beziehungen zu bestimmten Lokalitäten werden ein-
zelne Altäre als verhältnilsmäfsig junge Stiftungen erkannt; so diejenigen,
welche der Ausbildung der Agonistik ihre Entstehung verdanken; sie unter-
scheiden sich von denen, welche Pausanias zu dem alten Stamm der Altäre
(ei rarcı) rechnet. Einzelne waren unter priesterlicher Autorität von
Privatpersonen als Weihgeschenke gestiftet, wie der des Dionysos (46).
Es gab Altäre mit Inschriften, die den Namen der Gottheit anga-
ben oder blols ein Epitheton, wie ‘Moiragetas’. Bei anderen konnte man
über den Inhaber zweifelhaft sein. Den bei dem sikyonischen Schatzhaus
gelegenen eigneten die Einen dem Kureten Herakles, die Andern dem
Sohne der Alkmene zu. Auch die Altäre der Brüder des Herakles (13—
16) gehörten in sofern zu den problematischen, als man an zweiter Stelle
zwischen Idas und Akesidas schwankte; dies war, wie es scheint, nur
eine Verschiedenheit der Lesung. Diese ÖOpferstätte der ‘Brüder’ muls
eine Gruppe von vier Altären gewesen sein, da einer von ihnen als ein
Altar für sich erwähnt wird; sie standen wohl auf gemeinsamer Basis,
wie etwa die Altäre in Pompeji vor der SOEcke des Cerestempels!). Auf
Altar 21 wurde Nike neben Zeus verehrt.
1) Nissen, Pompejanische Studien, S. 35.
8 Currtivs:
Von besonderer Wichtigkeit waren aber für Olympia diejenigen
Altäre, an welchen je zwei Gottheiten (&v zow& &9° Eves Buuod) geopfert
wurde, indem jede ihren eigenen besonderen Öpferplatz hatte. Nach
alter Überlieferung hatte Herakles die sechs Doppelaltäre gestiftet, die zu
den charakteristischen Eigenthümlichkeiten der Altis gehörten!). Drei der-
selben sind in der Reihenfolge bei Pausanias erhalten: Artemis und Al-
pheios (4), Hermes und Apollon, Dionysos und die Chariten (25. 35); von
dem vierten Doppelaltar ist die Dedication nur in verstümmelter Form
kenntlich: Athena Laoitis (5); sie ist von Buttmann glücklich ergänzt:
Hera Laoitis und Athena Laoitis. Zwei Götterpaare sind ausgefallen in
der Lücke, an welcher der Anfang der Altarperiegese leidet; man hat sie
nach cap. 24, 1, wie ich glaube, dem Sinne nach richtig: Kronos und Rhea,
Zeus Laoitas und Poseidon Laoitas hergestellt?).
Diese Doppelaltäre waren ihrer Einrichtung nach verschieden von
den gemeinsamen Altären, wie sie z. B. neuerdings am Südabhange der
Akropolis gefunden sind, länglichte Steine mit einer Reihe von Escharen
in der Deckplatte, welchen die verschiedenen Dedicationsinschriften an
der Vorderseite des Steins entsprechen (Mittheilungen des Deutschen In-
stituts in Athen Il 216) oder der im Fels ausgemeiflselte Opfertisch der
hymettischen Nymphengrotte (Atlas von Athen T. VID. Es waren viel-
mehr gesonderte Altarwürfel, wie wir annehmen müssen, da zwischen
je zwei Altären der Seo ouußwnca ein dritter eingeschoben werden
konnte, wie z. B. der Musenaltar zwischen Dionysos und den Chariten (35).
Die Einrichtung der sechs Doppelaltäre beruht auf einem lokalen Götter-
cyklus, dem Ergebnisse einer amphiktyonischen Vereinbarung. Die Mo-
tive, welche der Paarung der olympischen Altargötter zu Grunde lagen,
sind nur an einer Stelle von Pausanias angedeutet, wo es sich um Arte-
mis und Alpheios handelt.
Auch unter den Einzelaltären lassen sich gewisse Nachbargruppen
erkennen, und zwar nicht blofs solche, die sich an Örtlichkeiten, wie Hip-
!) Pind. Ol. V,5 mit den Scholien und Böckh Expl. p. 147 Apollod. II, 7, 2.
?) Also die ganze Stelle (V 14,4) ist mit I. Bekker zu lesen: rair« de emı &vos Awnod
Kocvw Sousı zu ‘Pia: eirc Auoırg Al zur Hosadavı Acoıra' emı Ö8 Evog Bunod zu urn
’ e nn ! ’ es. , a) x ’ \Y > Er
ZuSEsTnREV N DUSIR" TEURER Ho Aacrıdı Svousı zur Acoırıdı ASyve,
Die Altäre von Olympia. 9
podrom und Stadion, anschliefsen. So finden wir den Moiragetas und
die Moiren neben einander (47, 48); so zwei Hypsistos- (50, 51), zwei
Athenaaltäre (6, 7) neben einander. Hier waren es also den Göttern ge-
weihte Räume, wo sich die Altäre aneinander reihten. So bildete auch
der Heraklesaltar mit dem der Brüder eine Gruppe (12—16); so die
Altäre aller Götter (23). An einer Stelle zählt Pausanias fünf Altäre auf,
deren Reihe mit dem des Kladeos (62) hinter dem Heraion schliefst und zwei
Artemis- wie zwei Apolloaltäre enthält. Häufig werden auch die nach
der Folge des Opferdienstes an einander gereihten Altäre durch Aysıer,
magd, era, &befns als örtlich benachbart bezeichnet.
Andererseits stehen auch weit von einander entlegene Altäre mit
einander in liturgischem Zusammenhange. So folgt auf Gaia und Themis,
die wir westlich von der Altıs anzusetzen Ursache haben, Zeus Kataiba-
tes (34) neben dem grolsen Brandopferaltar, ein Sprung, der sich da-
durch erklärt, dafs der Sitz des Orakels von Themis und Gaia hierher
verpflanzt worden ist.
So lassen sich wohl hie und da Motive der Opferordnung erken-
nen; im Allgemeinen aber wird es unmöglich bleiben, sie zu erklären.
Auf keinen Fall ist es die Anciennität, welche der Folge zu Grunde liegt.
Denn inmitten derselben werden einzelne angeführt, die nicht zu den al-
ten (ei raAaı) gehören und die von Privaten gestiftet sind. Eine ge-
wisse Systematik des Dienstes glauben wir darin zu erkennen, dafs der
Rundgang, welcher jeden Monat an den 69 Altären gemacht wird, mit
der Hestia beginnt, der zgwg« Acı@9s, wie sie Sophokles nennt (Fragm.
650), und im Prytaneion, dem Sitze der Hestia, abschlielst.
Ganz Olympia war Jahrhunderte lang ein Heiligthum ohne Tem-
pel, ein grofser Altarplatz, ähnlichen gottesdienstlichen Plätzen vergleich-
bar, die uns auf klassischem Boden bekannt sind; so die Terrasse bei
Argos, der ausgedehnte Bezirk (Revge» zal Beßyrer @Accs) mit zahlreichen
Oultusstätten, die auch um Zeus gruppirt waren, ein Sammelort der Um-
wohner (Aasv xw@ges), eine zewoßwmia mit ihren &gar reruSec, ein Fayes
1) Vgl. Attische Studien in den Abhandlungen der Gött. Ges. der Wiss. XI.
Histor.-phil. Klasse S. 91, wo die topographischen Bezeichnungen aus Aeschylos zusam-
mengestellt sind.
Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. VII. 2
10 ÖURTILUS%
dyuviwv Zewv, wo das Epitheton mit der Agonistik nichts zu thun hat, die
auch in Olympia erst das später Hinzukommende war. Denn @yav be-
zeichnet nach epischem Sprachgebrauch eine suvaywyn Sewv. Eine solche
zcweß@wnie habe ich in der Terrasse des Zeus Hypsistos in Athen nach-
zuweisen gesucht; eine solche war auch die Altis von Olympia vor der
Stadt der Pisäer, wie die der Argiver aulserhalb Argos.
Wie aber die argivische Götterterrasse nicht blofs ein Platz der
Wallfahrten und Opferdienste war, sondern auch ein Platz, wo öffentliche
Angelegenheiten berathen und unter Vorsitz des Staatsoberhaupts Beschlüsse
gefalst wurden!), so finden wir auch in der Altis nicht blofs heilige
Gründungen, sondern auch die Spuren eines Herrscherpalastes, wo der
Landeskönig dem Zeus als seinem Hausgotte opfert; so stehen bürger-
liches und gottesdienstliches Gemeindeleben im engsten Zusammenhange.
Die Altäre waren aber nicht blofs Opferplätze, sondern auch Nie-
derlagen von Weihegaben; denn man schmückte sie nicht nur vorüber-
gehend mit Laubgewinden, Blumen und Bändern, sondern man liefs als Er-
innerungszeichen Geschenke zurück, Geräthe und Figuren aus Thon und
Erz, welche, wie wir es neuerdings an den altkorinthischen Thontäfelchen
kennen gelernt haben, an den umherstehenden Bäumen aufgehängt oder
auf den Altarstufen niedergelegt wurden.
Die massenhafte Auffindung dieser Weihegaben gehört zu den merk-
würdigsten Ergebnissen unserer Ausgrabungen in Betreff der Gottesdienste
von Olympial). Die Altäre selbst (die in byzantinischer Zeit gewils mit
besonderem Eifer zerstört wurden) sind bis auf geringe Spuren verschwun-
den, aber in breiten Lagen haben sich die Schichten der Opferasche er-
halten, tief unter dem Niveau der Bauten, welche für das geschichtliche
Olympia charakteristisch waren. Die aus der Aschenschicht hervorgezoge-
nen Fundstücke, einzeln betrachtet so unscheinbar, geringfügig und werth-
los, gehören dennoch zu denen, die uns in ihrer Art am Meisten über-
raschen mufsten, und sie sind in ihrer Gesammtheit ein ganz unschätz-
bares Material zur Geschichte von Olympia. Wir können uns Olympia
1) Daher rguuve rorews: (Attische Studien $. 92 = 40) der Platz, wo das Staats-
schiff die entscheidende Lenkung erhält. Über «ywv $. 91 (39).
2) A. Furtwängler, Die Bronzefunde von Ol. Abh. d. K. Ak. der Wiss. 1830.
Die Altäre von Olympia. 11
jetzt in einem ältern Zustande veranschaulichen, als es die Alten selbst
kannten, ein Olympia ohne Tempel, ohne Statuen, ohne Nationalfest, ohne
hellenische Kunst, als einen Hain mit Altären, und von diesen Altären
können wir aus den massenhaften Überresten ältester Pietät diejenigen er-
kennen, welche in hervorragender Weise von der umwohnenden Landbe-
völkerung geehrt wurden. Das war der grolse Zeusaltar (9), der Altar
vor der Westseite des Metroon, der auch durch die dort gefundenen me-
tallenen Schallbecken als der Göttermutter gehörig (28) erkannt worden);
drittens der Altar vor der Ostseite des Heraion, viertens der vor der
Südseite, von dem sich die Fundschicht von Votivgegenständen unter die
Fundamente des Heraion hinzieht (wahrscheinlich der Aschenaltar der
Hera N. 24); endlich die unter dem Bauschutt des Zeustempels nachge-
wiesenen Opferstätten, deren Centrum vor der Südhalle des Tempels ge-
legen haben muls. ;
So sehr sich nun Olympia seit jener, wir können sagen, vorhisto-
rischen Zeit umgewandelt hat, der Cultus ist immer derselbe geblieben,
ein von Bild und Gotteshaus unabhängiger Altardienst, wie sich aus Pau-
sanias ergiebt, welcher die Altardienste sorgfältig aufzeichnet ohne eines
Tempeldienstes zu gedenken, und die Beschreibung der beiden Haupttem-
pel von der der Gottesdienste vollständig getrennt hat.
Allerdings folgen in dem lückenhaften und verderbten Texte auf
Hestia Opferdienste an einer oder an mehreren Stellen innerhalb des Zeus-
tempels. Diese Opferplätze haben aber ohne Zweifel auf der Tempel-
terrasse bestanden, ehe der Tempel gebaut war, der ja eine verhältnifsmä-
[sig sehr späte Gründung war und, soviel wir wissen, keinem ältern Ge-
bäude gefolgt ist.
"Wir müssen voraussetzen, dafs der Tempel des Zeus auf einem
Platze erbaut worden ist, der seit Gründung der Panegyris eine hervor-
ragende Bedeutung gehabt und wohl schon seit älterer Zeit zur Vertheilung
der Preise gedient hat. Dieser Platz war durch Altäre geweiht, die bei
dem Tempelbau nicht beseitigt werden durften. Man wird also bei Auf-
höhung der Terrasse auch die alten Opferplätze an alter Stelle auf dem
erhöhten Boden hergestellt haben, so dafs sie nun in dem hypäthralen
1) Furtwängler a. a. ©. 8.533.
9*
12 ÖUrRTIVS:
Raume ihre Stätte fanden. Die Opferdienste daselbst folgten unmittel-
bar auf den der Hestia; die Beschreibung derselben läfst sich im Texte
des Pausanias nicht mit Sicherheit herstellen; die Vulgate ivres ist sinn-
los; ich schlage vor Suovres Em rüv Awuav rWv Evros Tod ver und dann,
mit Buttmann: Kecvw xzai ‘Peg, eira Aacir@ Au xal Meredavı Aaora: &mı d8
ives Bwusd za aurm naserryuev A Iuria.
Von den Opferdiensten dieser in den Zeustempel aufgenommenen
Altargruppe sind im Bauschutte des Tempels die Spuren zu Tage ge-
kommen. Der ursprüngliche Zeusdienst aber, der an dem grolsen Brand-
opferaltar inmitten der Altis seine Stätte hatte, steht mit dem Zeustempel
in keinerlei örtlicher oder liturgischer Beziehung.
In Betreff des Heraion läfst sich nachweisen, dafs der Tempel
ebenfalls mit seiner Terrasse auf einem durch Altardienst geweihten Platze
nachträglich erbaut worden ist. Der ganze Bau ist auf engem Raum
zwischen Altar und dem Rande der Felshöhe eingeklemmt, so dafs der
Weg auf die Höhe durch die Westhalle des Tempels hindurch führte; der
Tempel hatte gar keine freie area, so dals ein feierliches Umwandeln des-
selben ganz unmöglich war. Der Zugang war von Süden, also von der-
selben Seite, auf welcher der Altar stand, von dem sich die ihm gespen-
deten Weihegaben in tiefen Bodenschichten unter dem Stufenbau des
Tempels gefunden haben.
Die Ausstattung des Innern ist in zwei bestimmt getrennten Epo-
chen erfolst, einer früheren, welche nur durch ganz alterthümliche Kunst-
werke vertreten war, und einer viel späteren. Von der ersteren nennt
Pausanias eine thronende Hera mit einem daneben stehenden bärtigen
Zeus mit Helm!), eine Gruppe, die wir uns in der Mitte der schmalen
Rückwand des Tempelhauses zu denken haben, das Werk eines Künstlers,
dessen Name in den verdorbenen Wörtern eoya drr@ steckt.?) Es folgen
die Horen und Themis, als Mutter ihnen beigesellt; diese das Werk des
Lakedämoniers Dorykleidas, die Horen von Smilis, dem Aegineten. Dann
die fünf Hesperiden von Theokles, dem Lakedämonier, und die behelmte
1) V 17,1. Einen dritten Namen hier einZuschieben ist kein genügender Grund.
Vgl. Franz, Berl. Jahrbücher für wiss. Kritik 1841 S. 223.
?) So urteilen auch I. Bekker und Brunn, Künstlergesch. I, 47.
Die Altäre von Olympia. 13
Athena von Dorykleidas’ Bruder (Medon oder Dontas). Dann vier Bil-
der, einerseits Kora und Demeter, einander gegenüber sitzend, anderer-
seits Apollon und Artemis einander gegenüber stehend. Endlich wie-
derum vier Gestalten, Leto, Tyche, Dionysos und die geflügelte Nike.
Ihre Meister waren unbekannt, aber auch sie, wie Pausanias meldet, of-
fenbar sehr alt, und die aufgezählten Bildwerke, fährt er fort, sind von
Gold und Elfenbein. |
Diese Sculpturen haben lange Zeit allein das Tempelhaus gefüllt,
bis in einer viel späteren Zeit zwei andere Bildwerke dazu kamen, die
sich wieder einander entsprechen, der Hermes des Praxiteles mit dem
Dionysoskinde und die eherne Aphrodite des Kleon mit einem vor ihr
sitzenden Eros.
Bei keinem Tempel des Alterthums ist der Inhalt so genau inven-
tarisirt uns überliefert. Es müssen hier besonders sorgfältige Aufzeich-
nungen vorgelegen haben, die sich auch auf die für den Tempel beschäf-
tigten Künstler und ihren geschichtlichen Zusammenhang erstreckten. In
der älteren Abtheilung waren lauter Werke einer Schule, der Schule des
Dipoinos und Skyllis. Es ist die aus Kreta stammende Schule der Pla-
stik, deren besondere Virtuosität in der Bildschnitzerei lag. Diese Tech-
nik der @yaruara eüfc« hat in Lakedämon besondere Pflege gefunden; es
sind auch meist lakedämonische Künstler, Dorykleidas und sein Bruder,
dessen Namen unsicher ist; ebenso Theokles und vielleicht auch der Vierte,
dessen Namen in dem verdorbenen «rA@ steckt. Dadurch wird die Zeit
der Ausführung im Allgemeinen gesichert; denn Dipoinos und Skyllis
Schüler können nicht vor der Mitte des sechsten Jahrhunderts als Mei-
ster thätig gewesen sein. Dies war aber die Zeit, da Sparta auf der
Höhe seines Einflusses stand, wo es für den damals modernen Putzstil,
die polychrome Bildschnitzerei, das Gold aus Lydien bezog.
Mit dieser Austattung bezeugte Sparta in Olympia seinen Einflufs
und sühnte die Gewaltthätiskeit, mit der es in die Landesverhältnisse
eingegriffen und die Ehre der alten Landesgöttin beeinträchtigt hatte.
Das ganze Heraion war ein Kunstmuseum mit genau geführten Inventa-
rien, und Pausanias kommt nur auf den Tempel zu sprechen, um das in
demselben Aufbewahrte nach der Reihe aufzuführen. Es war lange Zeit
das einzige Schatzhaus in der Altis, wo auch Korinth seine Gaben nie-
14 Currtıvus;
derlegte. Auch die Säulen des Peristyls sind, namentlich nach Süden,
der alten Vorderseite, mit tiefen und breiten Einschnitten versehen, die
zur Aufnahme geweihter Tafeln dienten; das ganze Innere des Tempel-
hauses mit seinen einander gegenüber liegenden Bildkapellen scheint zur
Aufnahme von Weihgeschenken eingerichtet.
Von dem dritten Tempelgebäude der Altis, dem Metroon, ist es
vollkommen deutlich, dafs der benachbarte Altardienst der Tempelgrün-
dung lange vorhergegangen ist; zwei Schichten von Aschenerde liegen
unter der Unterkante des Tempels.!)
Ein besonderes Interesse nehmen die Altäre in Anspruch, welche
sich auf die Mantik beziehen, der Aschenaltar der Ge nebst dem Altare
der Themis und des Zeus Kataibates (N. 33 und 34).
Strabo p. 350 unterscheidet zwei Perioden des nationalen Ansehens
von Olympia und zwei verschiedene Grundlagen desselben. Die erste
war das Orakel, die zweite, nachdem dasselbe an Bedeutung verloren hatte,
die Panegsyris und der Wettkampf.
Auch die Mantik in Olympia hat ihre Geschichte.
Das älteste Manteion war ein Erdorakel, Gaia ist die Urprophe-
tin, welche auch den Göttern weissagt?). Bodenrisse, Erdspalten, feuchte
Grotten sind es, aus denen die Dünste aufstiegen, welchen man die auf-
regende Kraft zuschrieb. In Delphi sind noch Spuren des Conflikts zwi-
schen der älteren und der jüngeren Mantik erhalten?) und es waren gewils
örtliche Legenden, auf welche sich Euripides bezieht, wenn er Zeus von
Apollon anrufen läfst, er möge die Sterblichen aus der Abhängigkeit von
nächtlichen Orakeln erlösen®).
Durch ganz Hellas verbreitet finden wir Stätten des Erdorakels,
die sich an den Namen der Gaia, Chthon, Demeter anschliefsen; auch
1) Furtwängler a. a. ©. S.10.
?) Bouche-Leclereg Histoire de la divination II, 251.
3) A. Mommsen, Delphica p. 21. 161.
*) Iphigen. Taur. 1270.
Die Altäre von Olympia. 15
die Nyx, welche in Megara Orakel spendet (Paus. 1, 40. 6) ist dasselbe We-
sen, da die nächtige Tiefe für Erdorakel charakteristisch ist.
Die Stätten der tellurischen Mantik pflegten ihrer Natur nach so
gelegen zu sein, dals man daselbst der Erdtiefe näher zu sein glaubte.
Bei Aigeira (Paus. VlI 25,13) stieg die Priesterin der Gaia eÜpUTTegVes als Pro-
phetin zur Tiefe hinunter; in Patrai holten sich die Orakelsuchenden selbst
in der Tiefe der Demetergrotte aus dem dortigen Quellspiegel die Zeichen
der Zukunft (Paus. VII 21, 12). Auch das Heilisthum der Demeter Cha-
myne (VI 21,1) im Olympia war mit einem Zugange zum Hades verbun-
den. Im Olympieion zu Athen knüpfte sich der Gaiadienst an einen Erd-
spalt, den tiefst gelegenen Punkt der Umgegend, wo die letzten Wellen
der Fluth sich verlaufen haben sollten (Paus. 118,7). Die Tieflage des
spartanischen Gaiaheilisthums erhellt daraus, dafs über demselben ein
Apolloheilisthum errichtet war (III 12,8). Auch der Name ro Taryrrev 1)
zeugt von dem Alter des Dienstes, und ebenso alterthümlich ist die Be-
nennung des Gaiaheilisthums bei Bura (VII 25, 13): ö Taics, wo ein uraltes
Xoanon der Eurysternos vorhanden war.?) Daran reiht sich die Stätte
in Olympia: mi r& Taiw zurounew Qwues Ts nal oromov Em Tw aroum
@euıdes Owuss versiyraı (V 14, 10). Wir können hier aus den angeführten
Analogien also zuerst den Namen in der Form Taics d. h. 6 yalos roros
und aufserdem das hohe Alter des Dienstes erweisen. Dasselbe wird für
Olympia noch dadurch bezeugt, dafs der Gaiaaltar einer der vier Aschen-
altäre war.
Diese Orakelstätten, die Denkmäler vorzeitlicher Religion, sind
nicht isolirt geblieben; sie wurden mit den olympischen Gottheiten in
Zusammenhang gebracht, vor Allem mit Zeus, dem als zarußarns die
Erdspaltung zugeschrieben wurde. Das Gaiaorakel wurde Zeusorakel und
als solches in die Altis verpflanzt. Der Kataibatesaltar stand neben dem
grofsen Brandopferheerde, und dafs hier auch ein Erdspalt vorhanden
war, geht schon daraus hervor, dafs derselbe wie ein Blitzmal von einer
Schranke (Peayua) umgeben war. Der ursprüngliche Zusammenhang mit
1) Vielleicht (nach Analogie von orrw —= c#rw) soviel wie T7s snz0c, Terrae saep-
tum. Andere Lesart: D&ssrrov (von seßesSa: nach Analogie von Seoserrov?).
2) Peloponnesos I 471.
16 CuUrRTIvS:
dem Gaios wird aber dadurch bezeugt, dafs der elischen Opferordnung
zufolge immer erst am Altar der Gaia und dann an dem des Kataibates
geopfert wurde. Während also in Delphi auch nach dem Siege Apollons
das Erdorakel thatsächlich als solches fortbestand, wurde in Olympia die
chthonische Mantik wesentlich zur Pyromantie; der grofse Altar wurde
das Manteion, der offizielle Sitz der olympischen Weissagung. Das Opfern
am Zeusaltar galt schon als eine Frage an den Gott. Deshalb wurde
König Agis garnicht zum Opfer zugelassen («@Sures driASev), weil es
verboten war: un Konnrnaader Ic "Erryvas Ed “Erryvav.1)
Nachdem das Orakel in die Mitte der Altis verlegt war, blieb der
ursprüngliche Orakelsitz dennoch in Ehren, wie die Periegese des Pau-
sanias bezeugt, und von ihm lernen wir auch, wie die Überleitung des
ehthonischen Orakels in eine höhere Sphäre hier wie bei den Delphiern
durch die Göttin Themis erfolgte. Während sonst aber Themis und Gaia
ganz in einander übergehen, waren die Öulte hier benachbart, aber be-
stimmt geschieden; der Themisaltar stand &ri red övonalouevov srowiov und
war schon dadurch, dafs er kein Aschenaltar war, als der jüngere neben
dem Graiaaltare bezeichnet.
Das chthonische Orakel hat sich in Olympia an Zeus angeschlos-
sen, wie anderswo an Apollo. Wie in Delphi die Erdspalte in den py-
thischen Tempelraum aufgenommen wurde, so wurde in Sparta das Ga-
septon eine Art Krypte des Apolloheiligthums?). Auch in Olympia ist
der Einflufs der apollinischen Religion sehr deutlich zu erkennen. Apol-
lon ist als Thermios der Gesetzgeber von Olympia gewesen, hier aber hat
kein Conflikt stattgefunden, wie in Delphi; hier ist das Orakel nicht von
Gaia-Themis durch Zeus an Apollo übergegangen, sondern es hat die
Hebung der Mantik auf eine höhere Stufe hellenischer Weissagung da-
durch stattgefunden, dafs Prophetengeschlechter, die von Apollo ihr Amt
herleiteten, die Mantik in Olympia übernahmen. Apollon giebt seinem
Sohne lIamos mit dem Seherblicke zugleich das Ehrenamt Zuyvos Er axgo-
Tarw Rwus.3) Das Gaiaorakel wird also apollinisch wie in Delphi, aber
1) Xenoph. Hellen. II 2, 23.
2) III, 12, 8: Deoymrov iegov
S)Pındar Ol. VI.270!
EERER RER ER
Tys’ ’Amorruv de Urea aUroU töguran,
Die Altäre von Olympia. 17
Zeus bleibt wie in Dodona der eigentliche Orakelgott, dessen Zeichen die
Jamiden deuten. Nur diese werden bei Pindar genannt, während Pau-
sanıas neben ihnen die Klytiaden nennt. Mit Pindar stimmt Herodot
IX 33, 2: Tırausvos ’HAeios nal yeveos rev Tauıdewv Kiurıadys. Der Text Hero-
dots ist von Valekenaer angefochten, weil die Klytiaden zu den Melam-
podiden gerechnet werden, und Böckh hat dies Bedenken wieder aufge-
nommen; man hat eö KAvrıadys oder 9 KAurıadys lesen wollen oder auch
Kiuri@öns für eine ‚Glosse erklärt. Der Text ist aber wohl bezeugt und
ohne Zweifel richtig. Wir müssen nur eine zwiefache Überlieferung an-
erkennen. Nach der einen gingen die Stammbäume beider Prophetenge-
schlechter neben einander her, nach der anderen wurden auch die Kly-
tiaden auf Jamos als den gemeinsamen Patriarchen der olympischen Man-
tik zurückgeführt.
Beide Geschlechter sind peloponnesische. Die Eurotasnymphe Pi-
tane gebar dem Poseidon die Euadne, die, in Arkadien aufgezogen, am
Alpheios von Apollon Mutter des Jamos ward. Die Klytiaden sind Ab-
kömmlinge des Amphiaraos. Mit der Ausbildung des peloponnesischen
Staatensystems hängt auch die Organisation einer peloponnesischen Man-
tik zusammen. Die Herakliden in Messenien!) und in Korinth?) benutz-
ten die elische Prophetenschule, und je mehr Sparta die Leitung der Halb-
inselstaaten in seine Hand nahm, um so mehr ehrte man dort die Seher
von Elis, errichtete ihnen Denkmäler in der Stadt (uvgu« reis E£ "Haudes
navresı Il 12, 8, wo der Jamidenname wieder als Gesamtname dient)
und machte Tisamenos zum Bürger. Man that Alles, um sich der elischen
Mantik, die eine Macht im Peloponnes war, zu versichern und um dem
vorzubeugen, was später eintrat, dafs nämlich diese Macht sich bei inneren
Zerwürfnissen auf die Seite der Particularisten stelle und gegen den Vor-
ort Partei nehme.
Während also in Delphi die Mantik dem Priesterthum durchaus
untergeordnet wurde, haben in Olympia mantische Geschlechter eine selb-
ständige Bedeutung behauptet; sie sind aber in ein priesterliches Colle-
gium aufgenommen und einer Corporation eingegliedert worden, von der
1) Kresphontes und Eumantis: Paus. IV 16,1.
2) Böckh zu Pind. Ol. VI, 71 p. 153.
Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. VII. B)
18 OURTIUS:
wir voraussetzen können, dafs sie nach gemeinsamen Grundsätzen han-
delte und gleiche Interessen vertrat.
Auf Grund des Pausanias und der grofsen Menge olympischer In-
schriften, deren Sammlung und Revision noch nicht vollendet ist, haben
wir jetzt eine so vollständige Übersicht der geistlichen Ämter in Olympia,
wie sie uns sonst nirgends vorliegt; wir erkennen die ganze Organisation
eines geistlichen Consistoriums. Die Spondophoren warten des heiligen
Rechts, die Kleiduchen haben die Tempelhut, die Manteis üben und leh-
ren die Kunst der Weissagung; für Opferdienst und Feste sorgen die
Tagesopferer (zaInuegoSurng), die Auleten, die Tänzer (Erismovdoognrrai),
die Weinschenken und Köche; der Baumeister (rreyavenos oder apyxırexrwv)
sorgt für die Baulichkeiten, der Förster (Zurevs) für die Forsten, die das
zum Opfern vorgeschriebene Holz liefern. Dem ganzen Collegium präsi-
diren die Theekolen, welche einen Grammateus zur Seite haben.
Man erkennt, dafs hier eine Ordnung vorliegt, welche von einem
herrschenden Punkte aus eingerichtet worden ist. Die einzelnen Oulte
sind alle in einen olympischen Gesamtdienst aufgegangen; ein Zeusprie-
sterthum wird nur als Ehrenposten erwähnt. Von Elis mufs diese Orga-
nisation ausgegangen sein. Olympia war die sacrale Vorstadt von Elıs,
wie Eleusis von Athen; alles Religiöse geschah daselbst im Namen der
Landeshauptstadt: ei "HAea Seusı, und wir dürfen voraussetzen, dafs diese
Einrichtung sich von der Zeit herschreibt, da Elis nach dem Synoikismos
als die einzige Stadt der Landschaft auftrat.
Seitdem waren die Pfründen und Würden des olympischen Heilig-
thums ein Privilesium des elischen Stadtadels, welchem auch die lami-
den eingeordnet waren, die Einzigen, die als Geschlecht fortbestanden und
dureb_Adoption bis in die spätesten Zeiten erhalten wurden; sie werden
auch in Olympia selbst ihren Sitz behalten haben. Die andern Beamten,
wenigstens die Vornehmeren derselben, denken wir uns in Elıs wohnhaft,
von wo aus diejenigen, welche dort Dienst hatten, für die Zeit desselben
nach Olympia gingen, wo sie wie eine priesterliche Garnison den täg-
lichen Götterdienst besorgten, bis sie von einer anderen Mannschaft ab-
gelöst wurden!).
1) Vgl. Dittenberger Archäol. Zeitung XXXVII, S. 59.
Die Altäre von Olympia. 19
Bei dieser Einriehtung müssen also auch Gebäude vorhanden ge-
wesen sein, die zur Aufnahme der dienstthuenden Beamten sowie zur
Besorgung der gemeinsamen Geschäfte dienten. Die Lage dieser Lo-
kale kann im Allgemeinen nicht zweifelhaft sein; denn die Fragmente
der geistlichen Personallisten sind sämtlich im Westen der Altis aufge-
funden; hier finden sich auch Gruppen von Bauanlagen, welche nach ihren
Grundrissen für solche Zwecke geeignet waren.
Zunächst sind es zwei quadratische Bauanlagen, jede mit einem ge-
räumigen Hofe in der Mitte. Die kleinere, westlich gelegene, auf Tafel II
im Grundrifs dargestellte, ist der ältere Bau, ein Bau aus guter helleni-
scher Zeit. Er enthält acht Gemächer; vier derselben öffnen sich nach
dem Brunnenhofe; die vier Eckzimmer stehen durch Thüren mit den an-
deren in Verbindung. Der Haupteingang war in der Mitte der Südseite.
Um mehr Raum zu schaffen, ist östlich ein dreitheiliger Vorbau
angelegt, welcher auch noch hellenischer Zeit angehört.
Dieselbe Anlage wiederholt sich in dem östlich anliegenden, dop-
pelt so grofsen Bau römischer Epoche mit einem umsäulten Binnenhofe,
von dem die Thüren nach den an den vier Seiten herumliegenden Ge-
mächern führen. Dieser zweite Bau ist eine geräumigere Wiederholung des
ersten, dessen Anlage man bei dem Neubau möglichst geschont hat, und
es läfst sich nach meinem Urteil für die beiden quadratischen Gebäude,
die vielleicht auch noch obere Gemächer hatten, kaum ein anderer
Zweck voraussetzen, als dafs es Wohnräume für Amtscollegien waren,
»cwoßıe, Wohngebäude, welche an Klöster erinnern, deren Zellen um einen
Brunnenhof gruppirt sind.
Das gröfsere Quadrat, welches von den Überresten des spätrömi-
schen Baus eingenommen wird, stammt aber seiner Raumanlage nach aus
einer viel älteren Zeit. Das erkennen wir daraus, dafs eine alte Wasserlei-
tung den äufseren Rand in Osten und Süden genau umzieht. Es mufs also
ein alter Bezirk von gleicher Gröfse hier gelegen haben, vielleicht ein
Gartenbezirk, der zu der ältern Priesterwohnung gehörte und dann als
Bauplatz für die Erweiterung derselben benutzt wurde, so dafs die Garten-
anlage auf den inneren Hof beschränkt wurde. Vertiefungen im Boden,
welche zu Pflanzungen gedient zu haben scheinen, haben sich in dem
gepflasterten Hofe des kleineren Quadrats gefunden.
30 CuURTIUS:
Die geistlichen Beamten mufsten aber auch einen Versammlungs-
raum haben, wo unter Vorsitz des Theekolos die Sitzungen des Oollegiums
stattfanden und wo das Archiv war, das von dem Grammateus verwaltet
und auch von Privaten benutzt wurde, um Dokumente zu deponiren, wie
wir aus der Analogie von Chalia schliefsen dürfen.!) Wir werden also
den Sitz des Theokolos oder Theekolos, den sogenannten Theekoleon,
den Pausanias V 15, 8 als ein namhaftes Gebäude in Olympia anführt,
im Westen von der Altis suchen, wo die priesterlichen Beamten ihr Quar-
tier hatten und durch die nahen Pforten der Westmauer täglich die Altıs
betraten, um dort der regelmäfsigen Opferdienste zu warten. Wir müs-
sen uns also die Centralstelle dieses geistlichen Collegiums als ein Gebäude
denken, welches einen ansehnlichen Versammlungsraum hatte und einen
gewissen festlichen Charakter an sich trug. Denn wir können voraus-
setzen, dafs hier die Festschmäuse gehalten wurden, welche bei priester-
lichen Genossenschaften nirgends fehlen, bei denen die unter den stän-
digen Würdenträgern genannten Mundschenk und Küchenmeister ihre Pflicht
thaten, und zu denen auch die auswärtigen Festgesandten, namentlich die
das Orakel befragenden, hinzugezogen wurden. Als ein zu gastlicher Auf-
nahme bestimmtes Gebäude mufste also der Theekoleon charakterisirt
sein, und diese Voraussetzungen erfüllen sich, wie mir scheint, in vorzüg-
lichem Grade bei der byzantinischen Kirche, deren östlicher Vorraum
durch eine ganz ungewöhnlich breite Thür (4, 50) ausgezeichnet ist. Sie
ist ein antikes Gebäude der besten Zeit, deren Backsteinwände auf treff-
lich gearbeiteten Porosquadern ruhen. Es war kein Tempel, aber ein zu
öffentlichen Zwecken bestimmter, monumentaler Bau, ein Prachtbau, des-
sen Hauptbestandtheil ein 100 Fufs tiefer Saal war, wo ce. hundert Personen
sich feierlich versammeln konnten, mit zwiefacher Säulenreihe, durch hohes
Seitenlicht erhellt, mit einem Vorraum, der zum Empfang der Festgäste
bestimmt scheint.
War hier in alter Zeit das Centrum der priesterlichen Verwaltung,
so begreift sich auch, wie man in byzantinischer Zeit darauf kam, hier
die christlichen Gottesdienste einzurichten. Kein olympisches Gebäude
1) C. Inser. Gr. 1607: r@s wvas 70 avriygacov purassovrı ci Seororcı roV "Amor-
Auvos‘ Theokolen mit Grammateus an der Spitze eines Synedrion in Dyme: n. 1543.
Die Altäre von Olympia. 21
war von Anfang an zu einem Versammlungs- und Gemeindehause mehr
geeignet.
Nördlich von der byzantinischen Kirche und westlich von dem äl-
tern der beiden quadratischen Gebäude, von letzterem durch eine schmale
Gasse getrennt, findet sich eine alte Bauanlage, die in jeder Hinsicht un-
sere besondere Aufmerksamkeit erregt. Den Kern bildet ein kreisförmi-
ger Raum, von einem polygonalen Ring mächtiger Porosquadern eingefafst.
Dieser Ring ist von einem Quadrat gleich hoher Steinplatten umgeben,
an das sich im Westen wie im Süden ein Vorbau anschlofs. Der Stein-
ring hat einen Durchmesser von 8 Meter; an seinem innern Rande auf
der südlichen Seite stand der Heroenaltar, von dem wir den sanzen Bau
als Heroon bezeichnet haben (Ausgrabungen von Olympia V S. 38).
Dieser Fund gehört zu den merkwürdigsten unter den kleineren
Ergebnissen unserer olympischen Ausgrabungen und verdient, weil er ein-
zig in seiner Art ist, wohl eine genauere Beschreibung und Darstellung.
Es ist das an seinem ursprünglichen Standort wohl erhaltene Denkmal
eines alten Gottesdienstes; ein vierseitiger Altar aus Erde geformt, an den
drei sichtbaren Seiten mit Kalkputz bekleidet, oben mit einer Ziegelplatte,
0,57 hoch, 0,38 breit, ohne Stufen auf dem Boden stehend, also eine
echte Eschara, (Eryaga — Ev9a opayızloumı rols narw, un Eyeura Uos dAX
mi ns y9s oösa im Gegensatz zu den une &r Ara ulwurva: Qwuci
inomedor oVd” Ex AYwv meromueva!).
Der Altar ist ein Brandopferaltar gewesen, wie die deutliche Brand-
stätte auf der oberen Fläche zeigt; auch finden sich unten Aschen- und
Kohlenreste. An beiden Seiten bemerkte man die Reste von Opfergüssen,
welche hier herabgeflossen waren.
An den Rändern des Altarwürfels konnte man sehen, dafs etwa
zwölf Putzschichten, eine über der anderen, salsen; es hatte also von Zeit
zu Zeit ein neuer Überzug stattgefunden, indem man weilse Tünche mit
dem Pinsel auftrug?).
Da sich bei genauerer Untersuchung auch noch Spuren von Malerei
1) Schol. Eur. Phoen. 274. 234 Nitzsch Odyssee III 60.
2) Vgl. calce linere, calce uda dealbare in C. I. Lat. I n. 577 II 18 und das
Verbot des Überweilsens eines Altars n. 5712 hanc aram nequis DEALB.
22 CURTIUS:
und Schrift erkennen liefsen, konnten wir nicht anstehen, die Vorderseite
des Altars wie einen Palimpsest zu behandeln und eine Schicht nach der
andern vorsichtig abzulösen. Von jeder Schicht wurde durch Hrn. Gräf
eine genaue Durchzeichnung angefertigt; demselben verdanke ich auch die
farbige Skizze des Altars auf Tafel 1. Die Durchzeichnungen sind, pho-
tographisch auf + verkleinert, in Holzschnitt wiedergegeben.
Die oberste Schicht trug die Inschrift
HPOLO P
mit den in Farben wohl erhaltenen Verzierungen. Es sind zwei von den
Seitenflächen her nach vorn zusammengebogene Blattzweige. Die Stengel
sind braun, die Blätter grün. Man sieht, dafs erst die Stengel gemalt
sind, dann die Blätter, beide aus freier Hand. Siehe Tafel 1 Fig. 1.
Auf der nächsten Lage war die Schrift flüchtiger:
Die Altäre von Olympia. 23
Die vierte durch eine Blume, welche die Mitte einnimmt; es ist
eine weit geöffnete Rose mit einer äulseren und einer inneren Blattreihe,
die äulsere roth, die innere gelb; das Braungelbe bezeichnet den Stempel.
2ESS
= I 4
Die Rosenschicht ist auf Tafel I Fig. 2 dargestellt.
Es folgen nach einander:
24 Curtıuvs:
Schicht 8:
Schicht 9 zeichnet sich durch die Pluralform aus; Vorder- und
Seitenflächen waren hier ohne Malerei.
Schicht 11:
Hfmoy' Ä
Die Blattzweige sind zu flüchtig gezeichnet, als dals sie botanisch
zu bestimmen und als Kennzeichen des im Rundbau verehrten Heros zu
benutzen wären.
Über Heroeneultus in Olympia sind wir, von Pelops abgesehen,
nicht durch schriftliche Überlieferung unterrichtet. Von zwei Geschlech-
tern aber wissen wir, dafs sie mit den Priestern zusammen hier ım We-
sten der Altis ansäfsig waren, und dafs sie einen Ahneneultus hatten,
welcher bald auf einen, bald auf zwei Heroen zurückgeführt wurde —
das waren die Jamiden und die Klytiaden. Auf diese Weise würde sich am
einfachsten der seltsame Umstand erklären, dafs derselbe Altar einem
und mehreren Heroen gelten konnte, wie die Inschriften bezeugen.
Fassen wir nun das Gebäude in’s Auge, an dessen innerem Rande
& und dem
oO
der Altar stand, so zeugt schon dieser Platz von der Bedeutun
Alter des Heroendienstes, der hier gepflegt wurde. Der Steinring um-
Die Altäre von Olympia. 25
schlofs offenbar eine besonders heilige Stätte; er gleicht einem festen Ein-
schluls ($g«yue), mit welchem man geweihte Plätze einhegte, die unnah-
bar waren und unter freiem Himmel liegen mufsten (wie der Erdschlund
beim Zeus Kataibates S. 6). Ein fester Boden hat sich im Innern
nicht gefunden, sondern ein trichterförmiges Loch (oben 2,40, unten 1,70
lichtes Mafs), das in byzantinischer Zeit als Kalkofen benutzt worden ist.
Im Innern des Rings zeigte sich gelbliche Thonerde, wie sie sich nur im
Kronion findet. Wenn dieselbe von dem Sitz des ältesten Landeseultus
hergebracht ist, so wird dadurch eine enge religiöse Verbindung mit dem-
selben und ein hohes Alter dieser Cultusstätte bewiesen.
Ich glaube es daher als eine nicht unbegründete Vermuthung aus-
sprechen zu dürfen, dafs dieser Steinring der alte Gaios ist, den wir,
wie oben bemerkt, an einer tiefgelesenen Stelle vorauszusetzen haben,
der Ursitz der Mantik in Olympia, und dafs an seinem Rande lamos, der
Stammvater der dortigen Propheten, seinen Heroendienst hatte, dem ein
zweiter Prophet aus dem Stamm der Melampodiden ebenbürtig an die
Seite gestellt wurde (S. 17). Es war der Ahnencultus des Doppel-
seschlechts, welcher durch Adoption bis in die späte Kaiserzeit erhal-
ten blieb.
Ist diese Vermuthung richtig, so werden auch die Vorbauten nach
Westen und Süden, welche von dem (Quadrat ausgehen, in welches der
alte Steinring, der Kern des Ganzen, eingehegt ist, mit der Mantik zu-
sammenhängen. Der Westbau war die Eingangshalle, wo die sich melde-
ten, die Orakel begehrten; der südliche Vorbau läfst sich nieht mit Sicher-
heit im Grundrifs herstellen. Man hat in demselben die Basis eines
Altars zu erkennen geglaubt. War es ein heiliger Raum, wie der un-
mittelbare Anschlufs an den Centralbau voraussetzen läfst, so würden wir
darin das Heiligthum der Themis erkennen, die bei dem Erdspalt des
Gaios (Emi Fo0 dvouagouevov areulev) ihren Altar hatte. Diese heiligen Stätten
mulsten mit dem Heroenaltar der Prophetenfamilien einen gemeinsamen
Platz haben, und ich wülste nicht, an welcher anderen Stelle wir sie su-
chen sollten.
Hier war der Schwerpunkt des religiösen Olympia, ehe es ein
agonistischer Centralpunkt wurde; hier blieben die Sehergeschlechter thä-
tig, auch nachdem sie in das Priestercollegium eingeordnet waren, das
Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. VII. 4
236 OCURTIUS:
im Westen der Altis seine Geschäfte besorgte, seine Feste feierte und
seine Ehrendenkmäler erhielt. Nördlich von der Kirche sind die Basen
von Ehrenstatuen geistlicher Würdenträger gefunden (Arch. Zeitung
XXXV, 96).
Der Altar im Rundbau wird von Pausanias nicht erwähnt; er ge-
hörte ja auch ganz dem Geschlechtscultus an. Aber auch den berühm-
testen aller Heroenaltäre Olympias übergeht der Perieget, den Altar im
Pelopion, den von Herakles gegründeten, wo Pelops die „herrlichen Brand-
opfer genofs an seinem umwandelten Grabhügel unfern des vielbesuchten
Zeusaltars“!). Man hat südlich von dem Erdhügel, der in seinen Über-
resten noch zu erkennen ist, Reste von Asche und Kohle im Boden ge-
funden und auf die Altarstätte geschlossen, wo das Jahresopfer des
schwarzen Widders von den Beamten dargebracht wurde. In den Oy-
klus der priesterlichen Opfer gehörte dieser Altar nicht und deshalb wird
er im Register der Altäre nicht aufgeführt.
Von den der Reihe nach aufgezählten können wir aufser dem He-
raklesaltar neben dem Schatzhause von Sikyon (N. 31), dem Zeus- und
Heraaltar vielleicht noch einen an alter Stelle nachweisen. Es ist der
Nymphenaltar (N. 41) an dem Hinterhause des Zeustempels. Derselbe
bedurfte zum Nymphendienste und zur Pflege des Kranzbaums, der &ai«
zarrısrepavos, eines ergiebigen Wasserzuflusses, und wir finden eine
alte, der Altismauer parallel laufende, Thonröhrenleitung vom Kronion-
fulse in gerader Richtung auf einen Platz gerichtet, der hinter dem Tem-
pel am Rande der Tempelterrasse liegt und die Spuren einer alten Grün-
dung nebst zwei benachbarten Bassins zeigt. Wurzelte hier in ausgetief-
tem Boden der auch seines Alters wegen berühmte Kotinos, so können
wir daraus die Ansicht beglaubigen, dafs vor dem Bau des Tempels
und der Tempelterrasse derselbe Platz zur Vertheilung der Siegespreise
benutzt worden ist (S. 11).
Ein zweiter Altar, dessen Lage wir vielleicht nachweisen können,
ist der des Zeus Horkios im Buleuterion. Wenn nämlich dies Gebäude
mit grofser Wahrscheinlichkeit in der grofsen, dreitheiligen Bauanlage
. > e N - ’ ,
1) Pind. Ol. I, 90: ev inazougiens ayAacisı Wenızren, "AAdeod mogu #2uTeic, ruußor
[} 1 7 , x 65
aschimorov EX, uv moruEevurarw Tap« Bun.
Die Altäre von Olympia. 27
südlich unterhalb der Tempelterrasse erkannt worden ist, so liegt die
Vermuthung sehr nahe, dafs in dem quadratischen Mittelbau, der mit
den beiden Langhäusern nicht unmittelbar zusammenhängt und in seiner
ganzen Anlage den Eindruck einer mit der Religion zusammenhängenden
Einfriedigung, eines unbedeckten Temenos von selbständiger Bedeu-
tung macht, der heilige Bezirk zu erkennen sei, in dessen Mitte das
Bild des Zeus Horkios gestanden hat, vor welchem die Athleten und
die Beamten auf die olympischen Satzungen im Buleuterion vereidigt
wurden (Paus. V 24,9). Dazu bedurfte es eines eingehesten Ver-
sammlungsraumes, dazu bedurfte es eines Altars, um die Eidopfer
zu vollziehen. Es ist also sehr wahrscheinlich, dafs die Fundamente
inmitten des quadratischen Bezirks, die man auch auf eine Dach-
stützung bezogen hat, den Standort des Zeus Horkios bezeichnen
(vgl. Ausgrabungen von Ol. IV, S. 45). Der hier befindliche Altar ge-
hörte nicht zu dem grofsen Altareyklus, weil er nur bei ganz besonderen
Gelegenheiten benutzt wurde. — Endlich können wir noch eine, bei Pau-
sanıas nicht erwähnte Altarstelle nachweisen, nämlich in dem Gemache,
welches neben dem östlichen Eingange an der Südseite der Palästra lag.
(Siehe den Grundrifs auf Tafel II, welcher die Ostecke der Südfront dar-
stellt.) Man trat von der Eingangshalle, die im Innern mit Sitzbänken
umgeben war, links in einen quadratischen Raum, an dessen West-
wand, dem Eintretenden gegenüber, das Fundament eines Altars steht,
von dessen Benutzung der mit Aschen- und Kohlenresten durchsetzte
Boden zeugt (Ausgrabungen V, 40). Es liegt die Vermuthung nahe, dafs
die zur Theilnahme an den Übungen sich meldenden Jünglinge hier auf
die Gesetze des Gymnasions vereidigt wurden. Es ist auch für die bau-
liche Einrichtung griechischer Altäre nicht ohne Interesse, dafs wir deut-
lich das Beispiel eines an die Wand gelehnten, nicht umwandelbaren Opfer-
altars haben. Vgl. unten 8. 42.
Wenn die monumentalen Überreste olympischer Altäre im Gan-
zen so geringfügig sind, so erklärt sich dies aus verschiedenen Gründen.
Erstens sind die Opferstätten des Alterthums, an denen die Pietät der
Alten am längsten festhielt, mit Absicht zerstört worden; zweitens wa-
ren die Gründungen selbst von Anfang an bescheiden und gerade an den
heiligsten Plätzen absichtlich kunstlos. Auch bei dem Altar nördlich vom
4*
38 GURTIUS:
Pelopion (S. 26), einem der heiligsten Plätze, fanden sich nach Dörp-
feld’s Untersuchungen zusammengesuchte Feldsteine und formlose Mergel-
kalkbrocken. Dazu kommen, um die ursprünglichen Gründungen unkennt-
lich zu machen, die vielfachen Umbauten, welche durch die fortschrei-
tende Veränderung der Niveauverhältnisse nothwendig wurden. So ist
auch das, was jetzt vom Heraklesaltar bei der Exedra sichtbar ist, der
Überrest eines späteren Baus, und von dem Altar im Westen des Metroon
liegen die Erdschichten mit den alten Votivbildern unter der Sohle der
jetzt sichtbaren Fundamente.
Die sichersten, urkundlichen Zeugnisse des Altardienstes bleiben
die Aschen- und Kohlenreste, an manchen Stellen, wie beim Pelopsaltar,
die einzigen übrigen Zeugnisse, und je nachdem sie mit Votivgegenständen
angefüllt sind oder nicht, zeugen sie noch heute von der Bedeutung
des Altardienstes. Diese unterirdischen Überreste, zu denen auch die
alten Wasserleitungen gehören, sind die sichersten und lehrreichsten Weg-
weiser für die Religionsgeschichte und Topographie von Olympia.
Die vorstehenden Untersuchungen sind nur ein erster Versuch, die
noch wenig bearbeiteten Gebiete der gottesdienstlichen Alterthümer Olym-
pia’s schärfer in das Auge zu fassen.
Was wir an andern Orten in Hellas von Gottesdiensten kennen,
knüpft sich immer an Stadtgeschichte an und kommt, wie ein dunkler
Hintergrund, von dem politischen Treiben des Tages überdeckt, nur hie
und da gelegentlich zum Vorschein. Hier hat schon 100 Jahre vor der
Schlacht bei Salamis alle Geschichte aufgehört. Hier finden wir keine
Bürgergemeinde ansäfsig; hier giebt es keine Wohnquartiere einer städti-
schen Bevölkerung, keine Verkehrstrafsen der lebenden, keine Friedhöfe
der vorangegangenen Generationen. Die Welle, welche in jedem fünften
Jahre eine Menschenmenge, so grols wie die Bevölkerung einer ansehn-
lichen Stadt, zu Festspiel und Jahrmarkt zusammenführte, flofs vorüber.
Das grofse Thor der Altis wurde geschlossen, und es blieb keine andere
Die Altäre von Olympra. 99
Bevölkerung zurück, als die priesterliche mit ihrem Dienerpersonal; keine
Fremden kamen, als die, welche die Merkwürdigkeiten sehen und das
Orakel befragen wollten; keine Thätigkeit herrschte, als der Opferdienst,
welcher in einförmigem Kreislaufe Tag für Tag an den Altären pflicht-
mäfsıg wahrgenommen wurde.
Das Wesen des antiken Cultus hat sich also ungestört ausge-
bildet und in grofser Reinheit erhalten; wir können auch die verschie-
denen Gottesdienste, welche nach einander in Hellas Geltung gewonnen
haben, hier deutlicher als anderswo erkennen, wie sie sich über einander
abgelagert und neben einander gestaltet haben. Darum ist Pausanias’ Be-
schreibung des gottesdienstlichen Olympia eine so wichtige Urkunde für
griechische Cultus- und Oulturgeschichte.
Versuchen wir uns die verschiedenen Schichten des religiösen Le-
bens in ihrer geschichtlichen Folge zu veranschaulichen, so liegen zu
Grunde diejenigen Culte, welche wir aller Orten als die ältesten und au-
tochthonen ansehen dürfen, die der Landesflüsse und Quellnymphen, ohne
welche wir uns die im Lande zerstreute Urbevölkerung nicht denken
können.
Das geschichtliche Leben beginnt mit überseeischen Zuwanderun-
sen, für welche das Mündungsland des grölsten Flusses der Halbinsel
eine besondere Anziehung haben mulste. Sie sind durch Gottesdienste
bezeugt, welche nicht im Lande einheimisch sind, vor allen durch den
Dienst des Kronos, der nach dem Volksglauben der Hellenen Repräsen-
tant ihrer frühesten Vorzeit ist. Nirgends ist er deutlicher bezeugt als in
Olympia. Von ihm trägt die herrschende Höhe ihren geschichtlichen
Namen. Sein weitschauender Gipfel ist die älteste Opferstelle, einer der
heiligen Berggipfelaltare (£ri r7 axg@ 7 dvwrarw roü öpous Paus. VIII 38,7),
sein Fuls der Baugrund der ältesten Heilisthümer; seine Erde wurde an
andere Stellen übertragen, die man mit ihm in Verbindung setzen wollte
(S. 25). Der unstät wandernde, listig verschlagen («yxvAcunrss!)) und
doch getäuschte Kronos, dessen Sagen mit barbarischen Opferbräuchen
verwachsen sind, ist unverkennbar ein Vertreter des semitischen Seevolks,
1) Vgl. die entsprechenden Züge bei Sisyphos, Palamedes, Atlas (Mittheilungen
des Ath. Instituts I, 211).
30 CGURTIUS:
das gewils auch diese Küsten aufgesucht hat. Davon zeugen der Jar-
danos und andere schon besprochene Spuren des Alterthums.
Dann wurde Kreta der Kreuzpunkt, welcher durch den Kronos-
dienst einerseits mit den Syrern und Solymern, andererseits mit Hellas
in Verbindung steht. In Kreta wurde der phönikische Kronos mit dem
hellenischen Zeus verwoben, und als Ausgangspunkt olympischer Gottes-
dienste wird es durch den orgiastischen Cultus der Göttermutter, durch
die idäische Grotte im Kronion!), durch die Person des Klymenos, durch
Kureten und Korybanten reichlich bezeugt. Es folgen die Einwirkungen
anderer Seevölker. Von der karischen Küste stammt der Dienst des Zeus
Areios (in Hoplitengestalt?), der Poseidondienst, die Endymionsage; ioni-
schen Einflufs bezeugt der benachbarte Dienst ionischer Nymphen°).
Das ist der Inhalt der vorhistorischen Zeit, welche nur in Sagen
und Culten nachklingt; die Zeit der Abhängigkeit des unteren Alpheios-
thals von überseeischen Inseln und Küsten, die Zeit vor Beginn der con-
tinentalen Wanderungen und Umwälzungen im diesseitigen Griechenland.
Von dieser Periode zeugen auch die Fundstücke in den untersten
Schichten des Altısbodens, die ältesten der Votivgegenstände, welche hier
eben so gefunden worden sind, wie in den Heilisthümern von Idalion
und Golgos. Ferner die Symbole der karischen Doppelaxt, die Kymbeln
der Rhea u. a.*)
Einheimische Geschichte beginnt mit den Gauverbindungen an bei-
den Ufern des Alpheios. Die Muttergöttin am Kronionfufse wird als Hera
eine amphiktyonische Göttin; für ihr Bild wird von den umliegenden Ge-
meinden der Peplos gewoben; das alte Erdorakel gab dem Bundesorte eine
höhere Bedeutung, und wenn uns überliefert wird, dafs acht Jahre nach
Oxylos’ Ankunft der Heratempel von den Skilluntiern erbaut worden sei°),
so liegt dieser Überlieferung wohl die Ansicht zu Grunde, dafs man den
von Norden vordringenden Fremdlingen gegenüber die Gemeinschaft der
1) Böckh Explic. Pind. p. 150.
?) Welcker Gr. Götterl. II 24.
3) Peloponnesos II 72.
4) Furtwängler, a. a. O. S. 32£.
B)EBauseV, 16.
oO
Die Altäre von Olympia. Sl
in Triphylien und Pisatis umher wohnenden Gemeinde zu befestigen
bestrebt war!).
Mit den Aetolern ziehen Achäer ein. Jene brachten wahrschein-
lich ihren Artemisdienst in das Land; diese, das Gefolge des Agorios aus
Helike, waren für die weitere Entwickelung von Olympia von eingreifen-
dem Einflusse. Denn sie bringen, als Orestes Nachkommen, den Dienst
des Pelops und schütten des Ahnherrn Grabhügel zwischen Kronion und
Alpheios auf. Die Altis wird nach Süden erweitert und auch Zeus,
der hier als Kataibates verehrt war und als Zeus Areios der Hausgott des
Oinomaos war, erhält nun neben Pelops, dem Ersten der Heroen, als Göt-
terkönig eine neue Bedeutung. Der Brandopferaltar des Zeus erhebt sich
inmitten der Altis; auf ihn wird jetzt von der Landesgöttin Hera die
Herrschaft übertragen; die Festlokale der Heräen werden für die neue
Feier eingerichtet. Die Gründung des olympischen Festes wird von Epho-
ros den Achäern zugeschrieben und die herrschende Stellung, welche ihre
Geschlechter hier eingenommen haben, erhellt auch daraus, dafs am Al-
tare des Pelops bis in die späteste Zeit die jährlichen Beamten von Olym-
pia noch alterthümliche Todtenopfer darbrachten?).
Die achäischen Einrichtungen gingen in die Hände der elischen
Adelsgeschlechter über?), welche mit den Herakliden in Sparta verbunden
sind. Ihr Vertreter ist Herakles, der nun als Heros neben dem älteren
Gotte (dem Parastates) in die Geschichte von Olympia eintritt. Er er-
neuert die Pelopsfeier und macht aus dem nachbarlichen Landesfeste eine
peloponnesische Panegyris. Das ist die letzte der Entwicklungsstufen,
die Epoche des dorischen Einflusses. Von ihm zeugen die dorischen Hym-
nen im olympischen Ritus, von ihm die Einführung des Apollodienstes
und der apollinischen Mantık*) und die Beziehungen des peloponnesischen
Heilisthums zu Nordgriechenland, dem alten Wohnsitze der Dorier. Von
1) Peloponnesos II 47.
S SC u 7 e 5 u y R
2) Paus. V 13, 2: Svousw airw zur wÜv erı ol zur Eros Tas Apyds Exy,ovres' TO
SEE ’
de lepelov Errı za0G MEAaS.
5 >
GI ” - x ’ x x > ’
3) IeoaraeQeiv, meldet Ephoros bei Strabo 357, (rous AirwAovs) zaı rnv erımersiav
me n N =
FoU iegod, nv Eiyov 08 "Ayaıcı.
#) Vgl. Olympia und Delphi, Hermes XIV, 137.
32 OURTIUS:
den Hyperboreern bringt Herakles den Kotinos an den Alpheios und
vielleicht trat damit erst die Übertragung der Namen Olympos und Ossa
auf die Höhen von Pisa und des Namens Olympia auf die Flufsebene ein.
Wie in der nordischen Heimath des dorischen Stamms wurde jetzt auch
hier ein Zwölfgöttereyklus gegründet, die Stiftung desselben Herakles,
und zwar wurden dabei die älteren Überlieferungen des Orts in merk-
würdiger Weise berücksichtigt, so dals der Landesflufs neben der Arte-
mis, dafs Kronos und Rhea an den Doppelaltären des Herakles ihre Ver-
ehrung fanden.
Diese Satzungen, die mit der Gründung des peloponnesischen Staa-
tensystems zusammenhangen, sind alle Zeit unverändert geblieben, wäh-
rend Alles, was mit der Agonistik zusammenhängt, den mannigfaltigsten
Neuerungen unterlag. Im Cultus von Olympia hat sich das alte Her-
kommen besonders fest erhalten, und zugleich ist hier, als an einem Orte
von centralen Ansehen Manches ausgebildet, was auch für die Hellenen
auswärts malsgebend wurde. So spricht Plato (Politeia IX, p. 585) von
einer eigenthümlichen Spendeform, die man "OAuurızas arevdev nannte.
Ebenso gab es für religiöse Enthaltsamkeit in Olympia besondere, strenge
Formen («yırrevew 7% vouw ra "HAciuv Paus. VI 20,2). Charakteristisch ist
auch die strenge und scharfe Normirung der Malse in Allem, was zum
Gottesdienste gehört. So war Pelops, dem Heros, das Temenos gerade auf
die Hälfte der Länge des Zeustempels bemessen (Paus. V 13, 1). Hundert
Fufs als hieratisches Mals finden wir bei dem quadratischen Bau des Pryta-
neion, bei dem von mir sogenannten Theekoleon, bei der Krypte des
Stadions und als durchschnittliches Breitenmafs bei dem Stadion. Es
wurde also nach dem hergebrachten Brauch das hieratische Mafs auch
auf solche Anlagen angewendet, welche an und für sich keine sacrale Be-
deutung hatten. Mit der Reform von Olympia, welche sich an Herakles
Namen anschliefst, sollen durch seinen Schritt auch die Mafse in Olympia
geregelt worden sein, und, während wir früher nur vom Stadion wuls-
ten, dals es neu vermessen worden sei, seit es aus der Bestimmung für
die Heräen in den Dienst bei dem Zeusfeste überging!), können wir jetzt
1) Gellius I, 1. Paus. V 16, 3: adaıgousıw aurcıs (d. h. den Jungfrauen der Hera)
Es Tov dacmov To0 sradiov 79 Errov merırre. Dies verkürzte Stadion war aber das ur-
Die Altäre von Olympia. 33
nach Dörpfelds Untersuchungen auch im Tempelbau den olympischen
Fufs genau von dem unterscheiden, der dem Bau des Heraion zu
Grunde lag.
Auch die Breite der Wege mufs genau normirt gewesen sein, denn
das Wort äyvıe wird als Mafsbestimmung benutzt (dyviev dierrnze Paus.
V 15,2). Typische Dimensionen gehen durch Alles hindurch, was näher
oder ferner zum Gottesdienste in Beziehung steht, auch bei den heiligen
Geräthen und deren Nachbildungen. So bei den Votivdreifüfsen, auf de-
ren fest normirte Proportionen (Durchmesser des Kessels gleich Höhe der
Fülse) Furtwängler aufmerksam gemacht hat!).
Das Festhalten am Gegebenen zeigt sich auf allen Gebieten. Die
zahllosen Votivbilder in Thon und Erz wiederholen dieselben kunstlosen
Formen, und ebenso bleiben die Kunstformen stereotyp, wie es an den
Profilen der Simen und anderen Baugliedern von unsern Architekten
häufig beobachtet worden ist. In der Sprache wurde das Provinzielle und
Alterthümliche festgehalten (z. B. @yuı@ für arevwres Paus. V 15,2) und Nie-
mand konnte einen so langen Fortbestand des Aeoliısmus voraussetzen, wie
es die Inschriftfunde in überraschender Weise gelehrt haben. Zeugt doch
auch der Heroenaltar wieder von dem zähen Festhalten am Rhotacis-
mus. Unter dem Einflufs der dorischen Staaten wurden dorische Hymnen
eingeführt; sie wurden aber nur im Prytaneion gesungen, dem Mittelpunkt
staatlicher Verwaltung, und auch hier waren es immer dieselben alten
Weisen, deren Urheber, wie Pausanias ausdrücklich bemerkt (V 15, 12),
nicht genannt werden. Alles Persönliche sollte im Cultus zurücktreten.
Zu den charakteristischen Zügen der Alterthümlichkeit gehört auch
der Reliquiendienst, wie er sich z. B. an die Gebeine des Pelops anschlofs,
deren Hut den Nachkommen des Damarmenos (der sie im euböischen Meer
aufgefischt hatte) als erbliches Ehrenrecht übertragen war (V 13, 5), und
ebenso die mancherlei Wundersagen, welche sich an den olympischen
Altardienst anschlossen; so die Sage von der einzigartigen Beschaffenheit
des Alpheioswassers (S. 5), von den Raubvögeln, welche keinen Altar
sprünglich das zu dem Festlokale der Landesgöttin gehörige, bis zur Einrichtung der
Zeusfeste. Vgl. über die olympischen Malse Dörpfeld Ausgrabungen III, 20. V, 37.
DER a OST.
Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. VII. B)
34 OURTIUS:
schonten mit Ausnahme des grofsen Brandopferaltars der Altis (V 14, 1),
von den Stechmücken, welche durch das dem Zeus Apomyios dargebrachte
Opfer jenseits des Alpheios gebannt wurden, um den heiligen Dienst nicht
zu stören (V 14, 1), ebenso die Sage von der Trübung der Arethusa wäh-
rend der olympischen Festzeit u. A.
Auch die Mantik, welche ihre Bedeutung in Olympia nie verloren
hat ((Orvuria dermew' araSeias Pind. Ol. VIIIL), verharrte in gewissen alter-
thümlichen Formen. Die chthonische Mantik ist nie erloschen. Auch die
von Apollo eingesetzte Mantik ist immer Zeichenorakel geblieben, und,
wie uns das Standbild des lamiden Thrasybulos lehrt, dem eine Eidechse
die Schulter hinaufkroch und ein Hund mit aufgeschnittenem Leibe zur
Seite lag (Paus. VI 2,4), ist die Eingeweideschau an den Opferthieren im-
mer in Übung geblieben. Die beiden Sehergeschlechter, welche die alte
Tradition erhielten, hatten innerhalb des Priestercollegiums eine ausge-
zeichnete Stellung. Sie waren in allen Angelegenheiten des heiligen Rechts
die Sachverständigen und mit den politischen Vorständen zusammen die
Aufsichtsbehörde, welche jeder Entweihung der Altäre vorzubeugen und
alle Unreinen von denselben fern zu halten hatte (Arch. Zeitung XXXVILU
S. 119). Sie ordneten den Festkalender und hatten bei dem liturgischen
Ceremoniell die Jahrestage zu beachten (PvAafavres rrv Evarıy Eri dera
rov ’EAadiev unvos V 13, 11).
Das Merkwürdigste bleibt immer die in Olympia deutlicher als
sonst bezeugte Autonomie der Altäre, neben denen die Tempel als Luxus-
bauten erscheinen, welche für den Gottesdienst völlig entbehrlich sind.
Die Altäre und Altargruppen sind von der vorgeschichtlichen Zeit an die
geschichtlichen Urkunden für die allmähliche Entwickelung des olympi-
schen Cultus. Das Kronion ist immer der Mittelpunkt geblieben, nach
welehem ganz Olympia bezeichnet wurde; denn so sind Pindars Worte
zu verstehen: ixovro d’ unbyAcio merguv arılarsv Koovicv (Ol. VI, 64). Der
heilige Berg ist, wie es scheint, von der Altis nie durch eine Mauer abge-
schieden gewesen, wenn auch der Bergaltar, an welchem als ein Über-
rest pisäischer Vorzeit die Basilai in der Tag- und Nachtgleiche des Früh-
lings opferten, und das Eileithyiaheilisthum daselbst mit dem mystischen
Dienste des Sosipolis, des alten genius loci, in den Cyklus der olympi-
schen Altardienste nicht aufgenommen waren.
Die Altäre von Olympra. 35
Nirgends ist auch so deutlich wie hier Herakles als Gott, Parasta-
tes, der älteste der Daktylen, von dem späteren Heroen im Dienste zu
unterscheiden. Seine alte Opferstätte am Fufse des Kronion ist, wie die
Fundamente bei der Exedra zeigen, an alter Stelle erhöht und dann aus
einem Rundbau (der noch heute den Kern der Ruine bildet) in einen
viereckigen umgemodelt worden. Hier ist auch der Standort noch zu er-
kennen, so dafs der Opfernde nach Osten schaute. Wenn man also auch
bei diesem Altar zweifelte, ob er dem ältern Herakles, dem phönikisch-
kretischen Gotte, oder dem. Sohne der Alkmene geweiht gewesen sei
(V 14, 9), so spricht die Orientirung für den Gottesdienst.
Die vorhellenischen Culte, welche Hellas mit dem Morgenlande
verbinden, sind aber nicht nur in den Altären bezeugt. Vielmehr sind
aus den Tiefen der Altis neuerdings auch Denkmäler wieder an das Licht
gezogen, welche den Zusammenhang mit der assyrisch-phönikischen Welt
zweifellos bezeugen, Reliefstreifen, Schalen mit punischer Schrift, und jene
decorativen Flügelgestalten, welche an den ältesten Bronzen, den Kesseln
aus Blech, angebracht waren, Figuren mit assyrischem Gesichtstypus, mit
assyrischen Symbolen, ganz so, wie sie einerseits in Präneste, anderer-
seits in Armenien gefunden werden. Es sind handgreifliche Zeugnisse
des phönikischen Küstenverkehrs, mit welchem auch hier die Landesge-
schichte begonnen hat, und beglaubigen die Überlieferung von den auf
dem Kronion und am Fufse desselben errichteten Altären!).
Vom Kronion rückten die Altäre immer weiter in die Ebene hin-
unter. Kronos, oben allein, am Bergfulse mit der Muttergöttin gepaart,
wird unten in den Zwölfkreis der Olympier aufgenommen; so treu ist
man hier dem geschichtlich Überlieferten geblieben. Andererseits ist der
religiöse Particularismus der griechischen Städte, deren Götterdienste in
einzelnen Culten zu gipfeln pflegten, hier nie zur Herrschaft gekommen.
In der Achäerzeit wurde freilich die Altis das Haus des Zeus und die
Priesterschaft sein Hausgesinde (sizeraı red Aus Paus. V 13, 5). Die Altis
hatte ihren Hausherd mit ewiger Flamme, und die vom Hestia- zum Zeus-
altare übertragene Asche war der symbolische Ausdruck für die Einheit
des idealen Hausstandes. Innerhalb des Zeusbezirks waren aber alle Culte
1) Furtwängler in der Arch. Zeitung XXXVII S. 180.
36 OURTIUS:
der Hellenen gleich berechtigt, sie wurden alle von denselben Händen
bedient. Die jungen und die älteren Götter waren mehr als anderswo
gleichberechtigte Hausgenossen und diesen amphiktyonischen Charakter
zu pflegen lag in dem wohlverstandenen Interesse der Eleer.
In besonderem Sinne amphiktyonisch waren die sechs Doppelaltäre,
die deshalb auch für die Siegesfeier eine hervorragende Bedeutung hatten!).
An ihnen opferten die Sieger, wie es Böckh zu Pindars fünfter olympi-
schen Ode von Psaumis nachgewiesen hat.
Eine andere, jüngere Gruppe bildeten die Altäre von rein agonisti-
scher Geltung, wie die des Hermes Enagonios, des Kairos, der Tyche
und der Hippioi. Ein symbolischer Ausdruck für den nationalen Gedan-
ken, welchen Olympia vertrat, war der Altar der Concordia ((Ousveie), der
sich an volksthümliche Bräuche anschlofs?) und wieder für viele andere
Orte vorbildlich geworden ist. Im Sinne dieser Stiftung sind die ‘olym-
pischen Reden’ entstanden, wie die des Lysias.
Endlich die Altäre ausländischer Gottheiten d.h. solcher, welche
nicht in der Vorzeit der Hellenen sich eingebürgert haben. Denn, wenn
Olympia auch strenger national war als Delphi, so verschmähte es doch
die Verbindungen mit dem Auslande nicht, am wenigsten die mit Libyen
(S. 4), wie Hera Ammonia und Hermes Parammon bezeugen (Paus.
V.35,chl).
So sind die Altäre von Olympia ein Archiv der Geschiehte, weil
die Denkmäler der verschiedensten Epochen der Volksgeschichte hier voll-
ständiger als anderswo nebeneinander fortbestanden haben. Die Vorzeit,
welche im städtischen Leben vergessen wurde, hat sich hier um so treuer
im Gedächtnifs erhalten, je weniger eine politisch bewegte Gegenwart die
Aufmerksamkeit fesselte und Neuerungen der Gottesdienste veranlalste.
Um noch anderer Züge des Alterthümlichen in Olympia zu
gedenken, erinnere ich an die Aschenaltäre, die unsers Wissens nir-
gends so zahlreich und angesehen waren wie hier, an die Grundlegung
der Altäre mit losen Feldsteinen, an die massenhafte Darbringung primi-
1) Darauf bezieht sich wohl das mir noch räthselhafte Beiwort Acoıras und
Accır!s, dem vielleicht die Bedeutung der ‘Volksammler’ beiwohnt.
2) Xenophon Memor. IV 4, 168 ravreyoT Zv 7 ‘ErAadı vouos zeiraı FoUs morITas
> ’ e ,
OJAVUVCEL OJKOVONTEI,.
Die Altäre von Olympia. 37
tiver Votivgaben an den Stufen der Altäre. Besonders merkwürdig ist
dabei die Abwesenheit aller Zeichen von Idololatrie. Furtwängler hat
schon (a. a. 0.28, 32) darauf hingewiesen, dafs kein einziges altes Idol
von Zeus oder Hera im Altisboden gefunden worden ist: eine Thatsache,
die reinen Altardienst, den bildlosen Cultus in Olympia, deutlich bezeugt.
Ja, wir sind trotz des massenhaften Materials von Fundstücken bis jetzt
noch aufser Stande, uns von der Gestalt der alten Landesgottheit, welcher
der Peplos gewoben wurde, und von dem Orte, wo sie gestanden hat,
eine sichere Vorstellung zu machen !).
Auch die Opfergebräuche haben sich in Olympia besonders alter-
thümlich erhalten: Svousw dpxatev rıva rgerov (V 15, 10). Rauchopfer mit
Gerste und Honig war die herkömmliche Darbringung. An den drei Al-
tären (denen der Nymphen, der Despoina und aller Götter) wurden nur
weinlose Spenden dargebracht. Für alle Brandopfer war das Ceremoniell
so streng geordnet, dafs Gemeinden wie Privatpersonen verpflichtet wa-
ren, sich das vorgeschriebene Brennholz in abgemessenen Stücken von
dem olympischen Holzverwalter zu verschaffen.
Die strenge Handhabung des heiligen Rechts in Olympia kannten
wir schon aus dem Prozefs gegen den Erzstier, an dem ein Knabe sich
verletzt hatte (Paus. V 27, 10) u. a. Zügen. Jetzt erkennen wir die
strengen Ordnungen des heiligen Rechts aus den neu gefundenen Bronze-
tafeln, so weit das Verständnils derselben bis jetzt gelungen ist, die
strenge Zucht in Geldbufsen und Körperstrafen so wie die Excom-
munication von Altar und Mantik. In nächster Beziehung zum Opfer-
dienst stehen die religiösen Ordnungen, welche den Mifsbrauch des Altars
ahnden, und wie es in Olympia verboten war, dafs hellenische Staaten
wider einander am Hochaltare des Zeus Orakel begehren sollten (S. 16),
so war es auch verpönt, Opfer darzubringen, die einem Volksgenossen zum
Schaden gereichen sollten. Das ist das zarıagavew (in dem Sinne von
zarsvysSai) nach der Erklärung von Ahrens in der olympischen Inschrift
n. 362 — Inseriptiones Gr. Antiquissimae n. 112; Rheinisches Museum
XXXV, S. 578. Ist diese Deutung richtig, so schliefst sich hier an die
1) Dafs Herakles der Gott in Olympia bildlich verehrt worden sei, könnte man
aus der Geschichte von Daidalos schlielsen, bei Apollodor II, 6. Die Erwähnung von
Pisa ist sehr merkwürdig.
38 CURTIUS:
äufsere Zucht eine ethische Norm von tiefem Sinne, der Grundsatz, dafs
ein Opfer nur dann wohlgefällig sein könne, wenn es arglos und mit
reinem Gewissen dargebracht werde.
Wo so viel Wissen von allen Seiten zusammenströmte, wurde die
Autbewahrung der Tradition unwillkürlich ein besonderer Gegenstand der
Aufmerksamkeit. So war es auch eine Art von Reliquiendienst, wenn
man die eine alterschwache Holzsäule des Königspalastes, mit Klammern
rings umfalst, unter einem von vier Säulen getragenen Sehirmdache mit
ängstlicher Sorgfalt aufrecht zu erhalten suchte.
Endlich gehört zu den Zügen des alterthümlichen Wesens das streng
geordnete System geistlicher Ämter, wie es uns hier vorliegt und das
auch Pausanias so merkwürdig erschien, dafs er genau darüber berichtet
(V 15, 10) in fast vollkommener Übereinstimmung mit den jetzt gefun-
denen Urkunden. Wir finden hier eine Organisation geistlicher Würden,
einen Fortbestand uralter Sehergeschlechter, eine Verbindung von Priester-
thum mit städtischem Patriziat, dessen Söhne sich in diesen Ämtern fol-
gen, eine hierarchische Stufenfolge der Ämter, wie sie uns sonst nirgends in
Griechenland überliefert ist, und so führen uns die Studien über Olym-
pia, welche jetzt erst begonnen haben, des neu gewonnenen Materials
allmählich Herr zu werden, zu neuen Anschauungen des höheren Alter-
thums und ergänzen unsere Kenntnils hellenischer Culturgeschichte auch
auf den Gebieten, für welehe wir am wenigsten Aufklärung erwartet hat-
ten. In dem stillen Olympia, das Jahr aus Jahr ein seiner Altardienste
wahrnahm, dem Olympia @vev rAs mavnyupews (Paus. V 13, 10) lernen wir
das Volksleben von einer Seite kennen, wie es uns in der griechischen
Staatengeschichte am wenigsten vor Augen tritt.
Die Altäre von Olympia. 39
Übersicht der Altäre nach der Reihenfolge der Opfer.
1. Hestia
(Aschenaltar im Prytaneion).
2. Zeus Olympios,
im Zeustempel.
3°» (Kronos und Rhea).
aub. : : :
4°" (Zeus Laoitas, Poseidon Laoitas).
5°" (Hera Laoitis, Athena Laoitis).
6. Ergane
(Phädryntenaltar).
7. Athena.
8. Artemis.
9°» Alpheios und Artemis,
10. Alpheios.
11. Hephaistos
(= Zeus Areios) Oinomaosaltar.
12. Herakles
Parastates.
15—16 Heraklesbrüder.
Epimedes.
Idas (Akesidas).
Paionaios.
Iasos.
17. Zeus Herkeios.
18. Zeus Keraunios.
19. Zeus
Aschenaltar.
20. Altar der unbekannten Götter.
21. Zeus Katharsios
und Nike.
22. Zeus Chthonios.
23. Altäre aller Götter.
24. Hera Olympia
des Klymenos (Aschenaltar).
25°" Apollon, Hermes.
26. Homonoia.
27. Athena.
28. Göttermutter.
29. Hermes Enagonios.
30. Kairos.
öl. Herakles
bei dem Schatzhause der Si-
kyonier.
32. Ge
Aschenaltar auf dem Gaios.
33. Themis
bei dem “Stomion’.
34. Zeus Kataibates
eingezäunt bei dem grolsen Aschen-
altar.
35°" Dionysos, Charites
bei dem Pelopion.
40
Musenaltar
zwischen ihnen.
Nymphenaltar.
Aller Götter Altar im Ergasterion.
Aphrodite.
Horen.
Nymphai
Kallistephanoi.
Artemis Agoraia.
Despoina.
Zeus Agoraios.
Apollon Pythios
vor der Proedria.
Dionysos.
(Zeus) Moiragetas.
Moıiraı.
Hermes.
Zeus Hypsistos.
Zeus Hypsistos.
Poseidon
Hippios.
Hera Hippia.
CuUrRTIUS:
61.
69.
Dioskurenaltar.
Ares Hippios.
Athena Hippia.
Tyche Agathe.
Pan:
Aphrodite.
Nymphai Akmenai.
Artemis.
Kladeos
hinter dem Heraion.
Artemis.
Apollon.
Artemis Kokkoka.
Apollon
Thermios.
Pan
Nm nn nm
im
Embolon.
im Gemach vor dem Theekoleon.
Artemis Agrotera
vor dem Prytaneion.
Pan
im Prytaneion.
Die Altäre von Olympia. 41
Erklärung der Tafeln.
Beide Tafeln verdanke ich der Künstlerhand des Bauführers Herrn P. Graef,
der mich bei der Untersuchung des Heroenaltars auf das Freundlichste unterstützt und —
von Olympia nach Neu-Ruppin versetzt — mir auf meine Bitte die Zeichnungen über-
sandt hat. Er selbst hat in Band V der Ausgrabungen S. 38 über unsern Fund berichtet.
Als ich Anfang April 1580 nach Olympia kam, stand der formlose Erdklumpen in einer
dunkeln Ecke unseres Magazins und erst allmählich wurden wir seiner Bedeutung inne.
Vgl. Arch. Zeitung XXXVIH S. 113.
Von der Farbenskizze, die den Anblick des Originals treu wiedergiebt, zeigt
Figur 1 die oberste Schicht der Vorderseite des Heroenaltars und Figur 2 die vierte,
dieselbe, welche S. 23 in Umrifs dargestellt ist. Dem oben Gesagten füge ich nur noch
hinzu, dafs das Naturtreue, welches sich in der flüchtigen Malerei nachweisen läfst, we-
sentlich auf der richtigen Unterscheidung der drei Organe (Blätter, Staubfäden und Stem-
pel) sich beschränkt, die ja auch in der Regel verschiedene Farben haben. Sonst ist selbst
das Charakteristische einer Rose keineswegs mit Sicherheit gegeben. Es ist, wenn auch
eine Blume in natürlicher Gestalt, doch schon eine stilisirte.. Gewils aber ist die Rose,
der herkömmliche Grabschmuck bei Griechen und Römern (Bötticher Baumkultus S. 457)
auch für ein Heroenmal das passendste Symbol.
Was die Zweige betrifft, so hatten wir den Eindruck, wie es auch Herr Graef
S. 39 ausgesprochen hat, dals die Blattform auf den meisten Schichten dem Lorbeerty-
pus näher steht, als dem des Ölbaums.
Taf. II stellt die Gruppe der drei Gebäude im Westen der Altis dar, die ich
S. 19 ff. in ihrem Zusammenhange nachzuweisen gesucht habe: Links Gaios mit Eingangs-
halle und Themisheiligthum, rechts Wohngebäude des Priestercollegiums, unten (südlich)
Theekoleon. Die jüngere Anlage rechts vom Wohngebäude (als Bezirk aus alter Zeit
S. 19) mag ursprünglich zur Aufnahme der Unterbeamten gedient haben, wie sie dem
Forstverwalter, dem Baumeister, dem Oberkoch und den anderen Mitgliedern des geist-
lichen Synedriums nicht fehlen konnten. Es muls hier eine grolse Menge von Hierodulen
gewesen sein und wir finden in Zusammenhang mit der Hierodulie auch hier das Institut der
manumissio sacra, wovon die Inschrift in der Arch. Zeitung n. 225 (Inser. antiquissimae
552) zeugt. In Karnasion, das auch eine Altis war wie der innere Raum von Olympia, fin-
den wir auch ein Synedrion von Priestern, auch einen Grammateus der Synedroi und eine
grolse Anzahl von isoo: unter strenger Zucht. Vgl. Arch. Ztg. XV, 253*. — Hallen, die
einen offenen Bezirk einschlossen und zur Unterbringung des Dienstpersonals benutzt
wurden, werden bei dem Heiligthum der Athena Kranaia bei Elateia erwähnt, wo die zu-
sammenliegenden Wohnungen der höheren und niederen Beamten am genauesten angege-
ben werden: sro«i 2 eisı zur oiarrsıs did rWv aroWv, 2vSe oizolaıw os Tv Seov Segumrevsw
RaRSisryze zur @AA0ıS zur Marırre ru LegwuEvu. (Paus. X 34,7).
Philos.-histor. Kl. 1881. Abh. VII. 6
43 CURTIUS:
Das Innere des Steinrings ist durch die Aulage des Kalkofens (S. 25) so um-
gewühlt worden, dafs sich nicht mehr constatiren läfst, ob die 0,5 tiefe Schicht von
Kronionerde damals durehstochen worden ist oder ob hier eine in die Tiefe gehende Öf-
nung vorhanden war. Sicher aber ist, dafs von einem alten Boden aus Stein oder Estrich
keine Spur gefunden worden ist.
Da man bei der byzantinischen Kirche auch an die Werkstätte des Pheidias ge-
dacht hat, so bemerke ich, dafs diese nach meiner Ansicht am anderen Ende von der
Altis gelegen hat, unweit des Leonidaion; ein umfangreiches, vielgetheiltes Gebäude mit
besonderen Ateliers für alle Zweige des antiken Kunsthandwerks, wahrscheinlich um einen
Mittelhof gruppirt, auf dem der Zwölfgötteraltar stand. Hier wurde stückweise gearbeitet
(wie man dem Pausanias ausdrücklich sagte: z«>° Exaorov ro) ayaruaros 6 ®. Evraude
sigyagero V 15, 1), was im Tempel erst zu einem Ganzen zusammengesetzt wurde. Im
Tempelhause empfing Pheidias nach der Legende (Paus. V 11, 9) die Gewifsheit des glück-
lichen Erfolgs.
Unten auf Taf. II ist von dem grofsen quadratischen Gebäude der Palästra die
Südostecke im Grundrils dargestellt. Die Südfront der Palästra war in ganzer Breite
durch eine Mauer geschlossen, hinter welcher die Räume lagen, wo die Epheben sich aus-
kleideten und zu den Übungen vorbereiteten. Die Eingänge lagen an den Ecken. Auf
der Ostecke trat man durch ein Portal in die Eingangshalle, deren Wände rechts und
dem Portal gegenüber mit Sitzbänken ausgestattet waren. Links trat man in den $. 27
beschriebenen Altarraum, in welchem, wie ich vermuthe, die neu eintretenden Epheben,
einzeln oder gruppenweise, auf die bei den Übungen im Gymnasion geltenden Gesetze
verpflichtet wurden. Es ist wahrscheinlich, dafs der Cultus, dessen Stätte hier nachge-
wiesen ist, dem Herakles galt als dem nationalen Vorbilde gymnastischer Tüchtigkeit.
Die Altäre von Olympra.
Inhaltsverzeichnils.
Altarperiegese des Pausanias .
Formen, Arten, Gruppen der Altäre
Olympia ein Altarplatz .
Die Mantik in Olympia
Wohn- und Versammlungsräume 36 Pristerollgiung >
Rundbau und Heroenaltar .
Pelops-, Nymphen- und andere Altäre-
Der olympische Cultus in geschichtlicher Übersicht
Das religiöse Olympia e
Die Altäre als geschichtliche Uckaoden
Der alterthümliche Charakter von Olympia .
Übersicht der Altäre
Erklärung der Tafeln
Sa
nue2g
9a
ne
ao!
„21—26
„26 — 28
(28.232
„32—35
„35—36
„36— 38
„39 —40
41—42
ABH.D.KGL.AKAD.D,WISS, 1882 TAFEL I
HEROEN-ALTAR
SCHICHT IV
P. GRAEF AUFGEN. U. GEZ!
RA I 0 ‘
'ABH D. KGL. AKAD. D. WISS. 1882. TAFEL I.
OLYMPIA
PRIESTERLICHE GEBAEUDE IM WESTEN DER ALTIS
STRASSE
GASSE
7a \ ! Be
_
| . PA METZ
\- 1
GE REEL A
4 I, G
W
|
SUED-OST-EINGANG DER PALAESTRA
eg a a a ®
ef & ® ® m
0 5 o 15 20 25 METER
a ie a En
1:300
P GRAEF AUFGEN. U.GEZ. Lith.Instu.Steindr v.W.Greve K$l Hoflilh. Berlin
e@ @ ®
®
ches
Ehe,
3