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Full text of "Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaft, Philosophisch-Historische Klasse"

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ABHANDLUNGEN 


DER 


KÖNIGLICH  PREUSSISCHEN 

AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


1911. 

PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE  CLASSE. 


ABHANDLUNGEN 

Cder 

KÖNIGLICH  PREUSSISCHEN  N 

AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN,  %. 


JAHRGANG  1911. 

PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE  CLASSE. 


MIT  54  TAFELN. 


BERLIN  1911. 

VERLAG  DER  KÖNIGLICHEN  AKAt)EMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


IN  COMMISSION   BEI  GEORG  REIMER. 


Berlin,  gedruckt  in  der  Reichsdruckerei. 

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Inhalt. 


öffentliche  Sitzungen S.  vii— viii. 

Verzeichnifs  der  im  Jahre  1911  gelesenen  Abhandlungen S.  viii -xvi. 

Bericht  über  den  Erfolg  der  Preisausschreibungen  für  1911  und  neue 

Preisausschreibung S.  xvii  — xviii. 

Verzeichnifs  der  im  Jahre  1911  erfolgten  besonderen  Geldbewilligungen 
aus  akademischen  Mitteln  zur  Ausführung  wissenschaftlicher  Un- 
ternehmungen    S.  xviii  — XXI. 

Verzeichnifs  der  im  Jahre  1911  erschienenen  im  Auftrage  oder  mit 
Unterstützung  der  Akademie  bearbeiteten  oder  herausgegebenen 
Werke S.  xxi  — xxiv. 

Veränderungen  im  Personalstande  der  Akademie  im  Laufe  des  Jahres 

1911 S.  XXIV— XXVI. 

Verzeichnifs  der  Mitglieder  der  Akademie  am  Schlüsse  des  Jahres  1911 
nebst  den  Verzeichnissen  der  Inhaber  der  Helmholtz-  und  der 
Leibniz-Medaille  und  der  Beamten  der  Akademie S.  xxvii  — xxxiv. 


Schulze,  W.:    Gedächtnifsrede  auf  Heinrich  Zimmer Ged. Red.  I.  S.  1—19. 


Abhandlungen. 

Erman:  Hymnen  an  das  Diadem  der  Pharaonen.     .     .     .     .     .     .     .     Abh.  I.       S.  1— 58. 

Morf:  Zur  sprachlichen  Gliederung  Frankreichs.     (Mit  4  Tafeln)  .     .     Abh.  II.     S.  1—37. 


Anhang. 

Abhandlungen  nicht  zur  Akademie  gehöriger  Gelehrter. 

Th.  Wiegand:  Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  die  von  den  König- 
lichen Museen  in  Milet  und  Didyma  unternommenen  Ausgrabungen. 

(Mit  13  Tafeln  und  16  Textbildern)      .^ Abh.  I.       S.  1-71. 

C.  Thulin:   Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum. 

(Mit  7  Tafeln) Abh.  II.     S.  1-102.1/ 

H.Junker:    Der  Auszug  der  Hathor-Tefnut  aus  Nubien Abh.  III.    S.  1— 89. 


VI 

F.  Frhr.  Hiller  VON  Gaertringen  und  H.  La  r  te  rm  ann:  Arka- 
dische Forschungen.    (Mit  13  Tafeln  und  16  Abbildungen  im  Text)     Abh.  IV".    S.  1-43. 

Th.  Wiegand:  Erster  vorläufiger  Bericht  über  die  von  den  König- 
lichen Museen  unternommenen  Ausgrabungen  in  Samos.  (Mit 
]    Plan  und  7  Textbildern) Abh.  V.     S.  1-24. 

A.  VON  Le  Coq:  Türkische  Manichaica  aus  Chotscho.  I.    (Mit  4  Tafeln)     Abh.  VI.    S.  1-61. 

M.  VAN  Berchem:    Die  muslimischen  Inschriften  von  Pergamon,    (Mit 

12  Tafeln) Abh.  VII.  8.  1-23. 


Jahr  1911. 


Öffentliche  Sitzungen. 

Sitzung  am  26.  Januar  zur  Feier  des  Geburtsfestes  Seiner 
Majestät    des    Kaisers    und    Königs    und    des    Jahrestages 

König  Friedrich's  11. 

Der  an  diesem  Tage  Vorsitzende  Secretar  Hr.  Vahlen  eröffnete 
die  Sitzung  mit  einer  kurzen  auf  die  Doppelfeier  des  Tages  bezüg- 
lichen Ansprache.  Darauf  hielt  Hr.  Nernst  den  wissenschafthchen 
Festvortrag:  über  neuere  Probleme  der  Wärmetheorie.  Weiter 
wurde  verkündet,  dafs  die  Akademie  ihrem  ordentlichen  Mitglied 
Hrn.  Jakob  Heinrich  van't  Hoff  die  Helmholtz-Medaille  verliehen 
habe.  Nach  der  Mittheilung,  dafs  im  laufenden  Jahre  die  Dr.  Carl 
Güttler-Stiftung  in  Wirksamkeit  trete,  wurden  im  Auszuge  die 
Jahresberichte  über  die  wissenschaftlichen  Unternehmungen  der 
Akademie  und  über  die  ihr  angegliederten  Stiftungen  und  Institute 
erstattet,  welche  im  Sitzungsbericht  im  Wortlaut  abgedruckt  sind. 
Zum  Schlufs  folgte  der  Bericht  über  die  seit  dem  letzten  Friedrichs- 
Tage  (27.  Januar  1910)  in  dem  Personalstande  der  Akademie  ein- 
getretenen Veränderungen. 

Sitzung  am  29.  Juni  zur  Feier  des  Leibnizischen  Jahrestages. 

Hr.  Waldeyer,  als  Vorsitzender  Secretar,  eröffnete  die  Sitzung 
mit  einer  kurzen  Ansprache.      \ 

Daraufhielten  die  seit  dem  letzten  Leibniz-Tage  (30.  Juni  1910) 
neu  eingetretenen  Mitglieder  der  philosophisch-historischen  Classe 


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HH.  Morf  und  Wolf f'lin  ihre  Antrittsreden,  die  von  dem  beständi- 
gen Secretar  Hrn.  Diels  beantwortet  wurden.  Es  folgten  Gedächt- 
nifsreden  auf  Richard  Lepsius  von  Hrn.  p]rman,  auf  Adolf 
Tobler  von  Hrn.  Morf,  auf  Heinrich  Zimmer  von  Hrn.  Wil- 
helm Schulze  und  auf  Jakob  Heinrich  van't  Hoff  von  Hrn. 
Fischer. 

Alsdann  wurde  verkündigt,  dafs  die  Akademie  eine  Anzahl 
von  Leibniz-Medaillen  verliehen  habe,  und  zwar  in  Gold  dem 
Geheimen  Hofrath  Professor  Dr.  Hans  Meyer  in  Leipzig,  in  Silber 
dem  Gustos  am  Geologisch-Palaeontologischen  Institut  und  Museum 
der  Universität  Berlin  Dr.  Werner  Janensch,  dem  Kaufmann 
Hans  Osten,  z.  Zt.  in  Montevideo,  und  dem  Oberbibliothekar  an 
der  Universitäts-Bibliothek  in  Marburg  Prof  Dr.  Georg  Wenker. 

Schhefshch  erfolgten  Mittheilungen  betreffend  das  Preisaus- 
schreiben aus  dem  Cothenius'schen  Legat  für  1911,  welches  unver- 
ändert für  1914  erneuert  wurde,  den  Preis  der  Graf  Loubat-Stif- 
tung  und  das  Stipendium  der  Eduard  Gerhard-Stiftung. 


Verzeichnifs  der  im  Jahre  1911  gelesenen  Abhandlungen. 

Physik  und  Chemie. 

Nernst,  Untersuchungen  über  die  specifische  Wärme  bei  tiefen 
Temperaturen.  ÜI.     (G.  S.  23.  Febr.;  S.  B.  9.  März.) 

Lindemann,  F.  A.,  Untersuchungen  über  die  specifische  Wärme 
bei  tiefen  Temperaturen.  IV.  Vorgelegt  von  Nernst.  (G.  S. 
23.  Febr.;  S.  B.  9.  März.) 

Rubens  und  Prof.  0.  von  Baeyer,  über  eine  äufserst  langwellige 
Strahlung  des  Quecksilberdampfs.     (Gl.  16.  März;  S.  B.) 


IX 


N  ernst  und  P\  A.  Linde  mann,  Untersuchungen  über  die  speci- 
fische  Wärme  bei  tiefen  Temperaturen.  V.  (G.  S.  6.  April; 
S.  B.  27.  April.) 

Kurlbaum,  Prof.  F.,  Messung  der  Sonnentemperatur.  Vorgelegt 
von  Rubens.    (G.  S.  11.  Mai;  S.  B.) 

Fischer  und  Dr.  H.  Scheibler,  zur  Kenntnifs  der  Walden'schen 
Umkehrung.  VI.     (Gl.  18.  Mai;  S.  B.) 

Rubens  und  Prof.  0.  von  Baeyer,  über  die  Energievertheilung 
der  von  der  Quarzquecksilberlampe  ausgesandten  langwelli- 
gen Strahlung.     (Gl.  15.  Juni;  S,  B.) 

Planck,  zur  Hypothese  der  Quantenemission.    (G.  S.  13.  Juli;  S.  B.) 

Warburg,  über  den  Energieumsatz  bei  photochemischen  Vorgängen 
in  Gasen.     (Gl.  20.  JuU;  S.  B.) 

Wien,  Bestimmung  der  mittleren  freien  Weglänge  der  Kanal- 
strahlen.    (G.  S.  27.  JuU;  S.  B.) 


Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie. 

Meyer,  Prof.  R.  J.,  über  einen  scandiumreichen  Orthit  aus  Finn- 
land und  den  Vorgang  seiner  Verwitterung.  Vorgelegt  von 
Liebisch.     (G.  S.  23.  März;  S.  B.) 

Liebisch,  über  den  Schichtenbau  und  die  elektrischen  Eigen- 
schaften des  Zinnerzes.     (Cl.  30.  März;  S.  B.) 

Schwietring,  Dr.  F.,  über  den  Polarisationswinkel  der  durchsichti- 
gen inactiven  Krystalle.  Vorgelegt  von  Liebisch.  (Cl.  30.  März; 
S,  B,) 

Tornquist,  Prof.  A.,  die  Tektonik  des  tieferen  Untergrundes  Nord- 
deutschlands. Vorgelegt  von  Branca.  (Cl.  6.  JuU;  S.B,  27.  JuU.) 

Frech,  Prof.  F.,  und  Dr.  C.  Renz,  Ki^eide  und  Trias  im  Kiona-  und 
Oetagebiet  (Mittelgriechenland).  Vorgelegt  von  Branca.  (Cl. 
2.  Nov.;  S.B,  7.  Dec.) 

b 


Branca,  über  die  bisherigen  Ergebnisse  der  Tendaguru-Expedition 
in  Deutsch-Ostafrica.     (G.  S.  23.  Nov.) 

Botanik  und  Zoologie. 
Engler  und  Dr.  K.  Krause,  über  den  anatomischen  Bau  der  baum- 
artigen Cyperacee  Schoenodendron  Bücheri  Engl,  aus  Kamerun. 
(Cl.  4.  Mai;  Ahk) 

Anatomie  und  Physiologie,  Pathologie. 

Morgenroth,  Prof.  J.,  und  Dr.  L.  Halberstaedter,  über  die  Be- 
einflussung der  experimentellen  Trypanosomeninfection  durch 
Chinin  und  Chinin derivate.  Vorgelegt  von  Orth.  (Cl.  12.  Jan.; 
S.  B.) 

Neiding,  Dr.  M.,  über  die  Kerne  des  Diencephalon  bei  einigen 
Säugethieren.  Vorgelegt  von  Waldey er.  (G.S.  23.Febr.;  ^46^.) 

Rubner,  Verluste  und  Wiedererneuerung  im  Lebensprocefs.  (Cl. 
2.  März;  *S.  B.  20.  April.) 

Orth,  über  Atrophie  der  Harnkanälchen.     (Cl.  16.  März;  S.  B.) 

Isenschmid,  Dr.  R.,  zur  Kenntnifs  der  Grol'shirnrinde  der  Maus. 
Vorgelegt  von  Waldey  er.     (Cl.  16.  März;  Äbh.) 

Roth  ig,  Dr.  P.,  Zellanordnungen  und  Faserzüge  im  Vorderhirn  von 
Siren  lacertina.  Vorgelegt  von  Waldey  er.  (G.S.  23.März;  ^6ä.) 

Munk,  Weiteres  zur  Anatomie  und  Physiologie  der  Grofshirnrinde. 
(Cl.  20.  April.) 

Waldey  er,  Gehirn  und  Skelet  einer  16  jährigen  Mikrocephalin. 
(G.  S.  27.  April.) 

Agadschanianz,  Dr.  K.,  über  die  Kerne  des  menschlichen  Klein- 
hirns.   Vorgelegt  von  Waldeyer.     (Cl.  18.  Mai;  Äbh.) 

0.  Hertw^ig,  Mesothoriumversuche  an  thierischen  Keimzellen,  ein 
experimenteller  Bew^eis  für  die  Idioplasmanatur  der  Kern- 
substanzen.   Dritte  Mittheilung.     (Cl.  6.  Juh;  S.  B.  19.  Oct.) 


XI 

Astronomie,  Geographie  und  Geophysik. 

Helmert,  über  die  Genauigkeit  der  Dimensionen  des  Hayford'schen 

ErdeUipsoids.     (Gl.  12.  Jan.;  S.  B.) 
Struve,  über  die  Vortheile  der  Anwendung  eines  Reversionsprismas 

bei  Doppelsternmessungen.     (G.  S.  19.  Jan.;  S.  B.) 
Penck,    über    einige    verwickelte   Hebungserscheinungen.      (G.  S. 

1.  Juni.) 

Helmert,   die  Erfahrungsgrundlagen    der  Lehre   vom   allgemeinen 
Gleichgewichtszustande  der  Massen  in  der  Erdkruste.     (Gl. 

2.  Nov.) 

Struve,    über   die   Lage    der  Marsachse    und   die   Constanten  im 
Marssystem.     (Cl.  30.  Nov.;  S.  B.) 

Mathematik. 

Frobenius,    über    den   Rang    einer    Matrix.      (Cl.  12.  Jan.;  S.  B.) 
Peters,  Prof.  J.,  Tafel  einundzwanzigstelliger  Werthe  der  Functionen 
Sinus  und  Cosinus.    Vorgelegt  von  Auwers.     (G.  S.  19.  Jan.; 
Äbh.) 
Frobenius,  über  den  Rang  einer  Matrix.  IL     (Cl.  2.  Febr.;  S.  B.) 
Bieberbach,   Dr.  L.,   über   einen    Satz   des  Hrn.  C.  Jordan   in   der 
Theorie  der  endlichen  Gruppen  linearer  Substitutionen.   Vor- 
gelegt von  Frobenius.     (Cl.  16.  Febr.;  S.  B.  23.  Febr.) 
Frobenius,  über  den  von  L.  Bieberbach  gefundenen  Beweis  eines 

Satzes  von  C.  Jordan.     (G.  S.  23.  Febr.;  S.  B.) 
Frobenius,  über  unitäre  Matrizen.     (G.  S.  23.  März;  S.  B.) 
Caratheodory,  Prof  C,  und  Prof  E.  Landau,  Beiträge  zur  Con- 
vergenz    von    Functionenfolgen.      Vorgelegt    von    Schottky. 
(Cl.  20.  April;  S.  B.  18.  Mai.) 
Scliur,  Prof  L,  über  Gruppen  periodischer  linearer  Substitutionen. 
Vorgelegt  von  Frobenius.     (G.  S.  I.Juni;  .S.  7^.) 


XII 


Schwarz,  Bestimmung  aller  reellen  und  nicht  reellen  Minimal- 
flächen, welche  eine  (oder  mehr  als  eine)  Schaar  von  Curven 
zweiten  Grades  enthalten.     (Cl.  15.  Juni.) 

Frobenius,  über  die  unzerlegbaren  discreten  Bewegungsgruppen. 
(Cl.  15.  Juni;  S.  B.) 

Lichtenstein,  Dr.  L.,  Beweis  des  Satzes,  dafs  jedes  hinreichend 
kleine,  im  wesenthchen  stetig  gekrümmte,  singularitätenfreie 
Flächenstück  auf  einen  Theil  einer  Ebene  zusammenhängend 
und  in  den  kleinsten  Theilen  ähnlich  abgebildet  werden  kann. 
Vorgelegt  von  Schwarz.    (Cl.  15.  Juni;  Abh.) 

Frobenius,  gruppentheoretische  Ableitung  der  32  Krystallclassen. 
(G.  S.  22.  Juni;  *S.  B) 

Schottky,  über  das  Euler'sche  Drehungsproblem.  (G.  S.  26.  Oct.; 
S.  B.) 

Schottky,  über  die  vier  Jacobi'schen  Theta.    (G.  S.  26.  Oct;  S.B,) 

Mechanik  und  Technik. 

Zimmermann,  über  die  Bedeutung  von  Untersuchungen  über  die 
Knickfestigkeit  elastischer  Stäbe  für  die  Praxis.    (Cl.  2.  Febr.) 

Martens,  über  die  technische  Prüfung  des  Kautschuks  und  der 
Ballonstoffe  im  Königlichen  Materialprüfungsamt  zu  Grofs- 
Lichterfelde.    (Cl.  16.  Febr.;  S.  B.  16.  März.) 

Müller -Breslau,  über  excentrisch  gedrückte  Rahmenstäbe.  (Cl. 
16.  Nov.) 

K  Ott  er,  Prof  E.,  über  den  Grenzfall,  in  welchem  ein  ebenes  Fach- 
werk von  n  Knotenpunkten  und  2/2  —  3  Stäben  oder  ein 
räumliches  Fachwerk  von  /?  Knotenpunkten  und  3/? — 6  Stäben 
nicht  mehr  statisch  bestimmt  ist.  Vorgelegt  von  Müller-Bres- 
lau.    (G.S.  23.  Nov.;  Ahh.  1912.) 

Zimmermann,  über  den  Luftwiderstand  sich  drehender  Körper. 
(Cl.  U.Dec.) 


Xlil 


Martens,  über  die  Messung  grofser  Kräfte  im  Materialprüfungs- 
wesen.    (G.S.  21.Dec.;  S.  B.) 

Philosophie. 

Stumpf,  über  die  Bedeutung  des  Ahnlichkeitsverhältnisses  bei  der 
mechanischen  Reproduction  der  Vorstellungen.    (Cl.  2.  März.) 

Geschichte  des  Alterthums. 

Meister,  Prof  R.,  kyprische  Sylla  barin  Schriften  in  nichtgriechischer 
Sprache.  Vorgelegt  von  E.Meyer.  (G.S.  19.  Jan.;  S.  B. 
9.  Febr.) 

Dressel,  über  die  Medaillonprägung  in  der  römischen  Kaiserzeit 
und  über  die  Entwicklung  und  Bedeutung  der  Medaillon- 
sammlung des  Berliner  Münzcabinets.    (G.  S.  1 1 .  Mai.) 

Meister,  Prof  R.,  Inschriften  aus  Rantidi  in  Kypros.  Vorgelegt 
von  V.  Wilamo witz-Moellendorff.    (G.  S.  1 1 .  Mai;  8.  ß.  1 .  Juni.) 

Frhr.  Hiller  von  Gaertringen,  Prof  F.,  und  Dr.  H.  Lattermann, 
arkadische  Forschungen.  Vorgelegt  von  v.  Wilamo witz- 
MoellendorfF.    (G.  S.  22.  Juni;  Äbh.) 

E.  Meyer,  über  einige  Probleme  der  ältesten  Geschichte  des 
Aegaeischen  Meeres.     (Cl.  6.  Juli.) 

von  Wilamowitz-Moellendorff  und  Dr.  F.  Zucker,  zwei  Edicte 
des  Germanicus  auf  einem  Papyrus  des  Berliner  Museums. 
(G.S.  13.JuK;  S.B.  27.  Juli.) 

Mittlere  und  neuere  Geschichte. 

Mordtmann,  Dr.  J.,  über  das  türkische  Fürstengeschlecht  der  Ka- 
rasi  in  Mysien.    Vorgelegt  von  Sachau.    (Cl.  12.  Jan.;  S.  B) 

Dilthey,  über  die  Entstehung  der  historischen  Weltanschauung 
Niebuhr's  in  seiner  Jugendzeit.     (Cl.  1 6.  Febr.) 


XIV 


Kos  er,  über  die  politische  Haltung  des  Grafen  Adam  Schwarzen- 
berg  im  ersten  Regierungsjahrzelmt  des  Kurfürsten  Georg 
Wilhelm  von  Brandenburg.     (Gl.  30.  März.) 

Lenz,  über  die  Anfänge  des  Ministeriums  Eichhorn  und  die  Ber- 
liner Universität.     (G.  S.  6.  April.) 

Schäfer,  über  die  materiellen  Kräfte  des  schwedischen  Staats- 
wesens zur  Zeit  von  Gustav  Adolfs  Regierungsantritt.  (G.S. 
22.  Juni.) 

Kos  er,  Friedrich  der  Grofse  im  Urtheil  der  Reformzeit  (1807  — 
1813).     (Gl.  14.Dec.) 

Kirch  engeschichte. 

Harnack,  das  hohe  Lied  des  Apostels  Paulus  von  der  Liebe 
(I.  Kor.  1 3)  und  seine  religionsgeschichtliche  Bedeutung.  (G.  S. 
9.  Febr.;  S.  B.) 

von  Wilamowitz-Moellendorff,  ein  Stück  aus  dem  Ancoratus 
des  Epiphanios.    (G.  S.  27.  Juli;  *S.  B.) 

Staats  Wissenschaft. 

von  Schmoller,  die  Bevölkerungsbewegung  der  deutschen  Städte 
von  ihrem  Ursprung  bis  ins  19.  Jahrhundert.    (Gl.  2.  Febr.) 

Allgemeine,  deutsche  und  andere  neuere  Philologie. 

Schmidt,  dramatische  Entwürfe  Ludwig  Uhland's.    (G.S.  9. März.) 
Burdach,  die  älteste  Gestalt  des  West-östlichen  Divans.    Zweite 

Untersuchung.     (Gl.  18.  Mai.) 
Roethe,   über  die  mhd.  »Farbendeutung«.     (Gl.  15.  Juni.) 
W.  Schulze,  über  den  Zusammenhang  der  indogermanischen  Prae- 

sensbildung  mit  der  nominalen  Stammbildung.    (Gl.  20.  Juh.) 


XV 


Brandl,  über  die  älteste  Shakespearebiogiaphie,  von  Rowe  1709. 

(G.  S.  27.  Juli.) 
Heus  1er,   zum   isländischen  Fehdewesen   in  den  Geschichten  des 

12.  und   13.  Jahrhunderts.     (Cl.  2.  Nov.) 
Morf,  zur  sprachlichen  Gliederung  Frankreichs.    (Cl.  30. Nov.;  Ähh.) 

Classische  Philologie. 

Thulin,  Dr.  C,  die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Roma- 
norum.    Vorgelegt  von  Diels.     (Cl.  16.  März;  Äbh.) 

von  Wilamowitz-Moellendorff,  über  die  Wespen  des  Aristo- 
phanes.    I.    (Cl.  20.  April;  .S.  B.) 

von  Wilamowitz-Moellendorff,  über  die  Wespen  des  Aristo- 
phanes.    IL    (Cl.  4.  Mai;  .S.  B.) 

Wellmann,  Prof  M.,  über  eine  spätorphische  Schrift  medicinischen 
Inhalts.     Vorgelegt  von  Diels.     (Cl.  19.  Oct.;  S,  B.) 

Heeg,  Dr.  J.,  über  ein  angebliches  Dioklescitat.  Vorgelegt  von 
Diels.     (G.  S.  23.  Nov.;  S.  B.) 

Archaeologie,  Kunstwissenschaft. 
Wiegand,  Dr.  Th.,  siebenter  vorläufiger  Bericht  über  die  von  den 

Königlichen  Museen  in  Milet  und  Didyma  unternommenen 

Ausgrabungen.     Vorgelegt  von   Conze.     (Cl.  2.  Febr.;   Äbh.) 
Wiegand,   Dr.  Th.,   erster   vorläufiger  Bericht   über   die   von   den 

KönigUchen  Museen  unternommenen  Ausgrabungen  in  Samos. 

Vorgelegt  von  Conze.     (G.  S.  13.  JuU;  Äbh.) 
Wölfflin,   über   das  Problem   des   Stils   in   der  bildenden  Kunst. 

(G.  S.  7.  Dec.) 

Orientalische  Philologie. 
S ach  au,   über  den    Papyrus  6   der   Elephantine-Sammlung.     (Cl. 
12.  Jan.) 


XVI 


Erman,  Denksteine  aus  der  thebanischen  Gräberstadt.  (Gl.  16.  März; 
S.  B.  30.  Nov.) 

Lüders,  das  Säriputraprakarana,  ein  Drama  des  Asvaghosa.  (Cl. 
16.  März;  S.  B.  30.  März.) 

Kluge,  Dr.  Th.,  Bericht  über  photographische  Aufnahmen  alt- 
georgischer Handschriften.  Vorgelegt  von  W.  Schulze.  (Cl. 
16.  März;  S.  B.) 

Jacobi,  zur  Frühgeschichte  der  indischen  Philosophie.  (G.  S. 
22.  Juni;  S,  B.  13.  Juli.) 

Müller,  soghdische  Studien.     (Cl.  19.  Oct.) 

von  Le  Coq,  Dr.  A.,  türkische  Manichaica  aus  Chotscho.  I.  Vor- 
gelegt von  Müller.     (Cl.  19.  Oct;  Äbh.) 

E.  Meyer,  zu  den  aramäischen  Papyri  von  Elephantine.  (G.  S. 
26.  Oct;  S,B.  23.  Nov.) 

Jacobi,  Cultur-,  Sprach-  und  Litter arhistorisches  aus  dem  Kautillya. 
(Cl.  2.  Nov.;  S.  B.  9.  Nov.) 

Lüders,  Dichtung  und  Cult  im  alten  Indien.     (Cl.  16.  Nov.) 

Littmann,  Prof  E.,  die  Inschriften  des  Königs  Kalumu.  Vor- 
gelegt von  E.  Meyer.     (Cl.  16.  Nov.;  S.  B.) 

van  Berchem,  Dr.  M.,  die  muslimischen  Inschriften  von  Pergamon. 
Vorgelegt  von  Sachau.     (G.  S.  23.  Nov.;  Ahh.) 

Brockelmann,  Prof  C,  zu  den  Inschriften  des  Königs  Kalumu. 
Vorgelegt  von  Sachau.     (G.  S.  21.  Dec;  S,  B.) 

Americanistik. 

Sei  er,  die  Stuckfagade  von  Acanceh  in  Yucatan.  (G.  S.  9.  Nov.; 
S.  B.  23.  Nov.) 


XVII 


Bericht  über  den  Erfolg  der  Preisausschreibungen  für  1911 
und  neue  Preisausschreibung. 

Preisausschreiben  aus  dem  Cothenius' sehen  Legat 

Die  Akademie  hat  in  der  Lei bniz- Sitzung  des  Jahres  1908 
folgende  Preisaufgabe  aus  dem  Cothenius'schen  Legat  ausge- 
schrieben : 

»Der  Entvvickelungsgang  einer  oder  einiger  Ustilagineen 
soll  möglichst  lückenlos  verfolgt  und  dargestellt  werden,  wo- 
bei besonders  auf  die  Überwinterung  der  Sporen  und  Mycelien 
Rücksicht  zu  nehmen  ist.  Wenn  irgend  möglich,  sind  der  Ab- 
handlung Praeparate,  welche  die  Frage  entscheiden,  beizu- 
legen. « 

Bewerbungsschriften,  welche  bis  zum  SLDecember  1910  er- 
wartet wurden,  sind  nicht  eingelaufen;  die  Akademie  hat  darauf- 
hin beschlossen,  die  Aufgabe  unverändert  zu  erneuern. 

Der  ausgesetzte  Preis  beträgt  zweitausend  Mark. 

Die  Bewerbungsschriften  können  in  deutscher,  lateinischer, 
französischer,  engüscher  oder  italienischer  Sprache  abgefafst  sein. 
Schriften,  die  in  störender  Weise  unleserlich  geschrieben  sind, 
können  durch  Beschlufs  der  zuständigen  Classe  von  der  Bewer- 
bung ausgeschlossen  werden. 

Jede  Bewerbungsschrift  ist  mit  einem  Spruchwort  zu  bezeich- 
nen, und  dieses  auf  einem  beizufügenden  versiegelten,  innerlich 
den  Namen  und  die  Adresse  des  Verfassers  angebenden  Zettel 
äufserlich  zu  wiederholen.  Schriften,  welche  den  Namen  des  Ver- 
fassers nennen  oder  deuthch  ergeben,  werden  von  der  Bewerbung 
ausgeschlossen.  Zurückziehung  einer  eingelieferten  Preisschrift  ist 
nicht  gestattet. 


XVIIl 


Die  Bewerbuiigsschriften  sind  bis  zum  31.  December  1913 
im  Bureau  der  Akademie,  Berlin  W  35,  Potsdamer  Strafse  120, 
einzuliefern.  Die  Verkündigung  des  Urtheils  erfolgt  in  der  Leibniz- 
Sitzung  des  Jahres  1914. 

Sämmtliche  bei  der  Akademie  zum  Behuf  der  Preis bew erbung 
eingegangene  Arbeiten  nebst  den  dazu  gehörigen  Zetteln  werden 
ein  Jahr  lang  von  dem  Tage  der  Urtheilsverkündigung  ab  von 
der  Akademie  für  die  Verfasser  aufbewahrt.  Nach  Ablauf  der  be- 
zeichneten P'rist  steht  es  der  Akademie  frei,  die  nicht  abgeforderten 
Schriften  und  Zettel  zu  vernichten. 

Preis  der  Graf  Loubat-Stiftung. 
Die  Akademie  hat  auf  Vorschlag  ihrer  Commission  für  die  Graf 
Loubat-Stiftung  beschlossen,  den  für  dieses  Jahr  ausgeschriebenen 
Preis  derselben  von  3000  Mark  Hrn.  Albert  Bernhard  Faust, 
Assistant  Professor  an  der  Cornell  University  zu  Ithaca,  N.  Y.  für 
sein  zweibändiges  Werk  »The  German  Element  in  the  United 
States«,  Boston  und  New  York  1909,  zuzuerkennen. 


Verzeichnifs  der  im  Jahre  1911  erfolgten  besonderen  Geldbe- 
willigungen aus  akademischen  Mitteln  zur  Ausführung  wissen- 
schaftlicher Unternehmungen. 

Es  wurden  im  Laufe  des  Jahres   1911   bewilhgt: 
2300  Mark  dem   Mitghed    der  Akademie   Hrn.  Engler   zur   Fort- 
führung der  Herausgabe  des   »Pflanzenreich«. 
7650      »      dem   Mitglied   der  Akademie  Hrn.  F.  E.  Schulze  zur 
Fortführung  des  Unternehmens   »Das  Tierreich«. 


XIX 


7000  Mark  Demselben  als  Zuschufs  zu  den  Kosten  des  Drucks 
eines  »Nomenciator  animalium  generum  et  subgene- 
rum « . 

6000  »  dem  Mitglied  der  Akademie  Hm.  Kos  er  zur  Fort- 
führung der  Herausgabe  der  Politischen  CoiTespondenz 
Fiiedrich's  des  Grofsen. 

5000  »  dem  Mitglied  der  Akademie  Hrn.  von  Wilamowitz- 
Moellendorff  zur  Fortführung  der  Sammlung  der 
gi'iechischen  Inschriften. 

4000  »  der  Deutschen  Commission  der  Akademie  zur  Fort- 
führung ihrer  Unternehmungen. 

1000  »  zur  F()rderung  des  Unternehmens  des  Thesaurus 
linguae  Latinae  über  den  etatsmäfsigen  Beitrag  von 
5000  Mark  hinaus. 

1500  »  zur  Bearbeitung  der  hieroglyphischen  Inschriften  der 
griechisch-römischen  Epoche  für  das  Wörterbuch  der 
aegyptischen  Sprache. 
500  »  zu  der  von  den  cartellirten  deutschen  Akademien  unter- 
nommenen Herausgabe  der  mittelalterlichen  Bibliotheks- 
kataloge. 

1760  »  dem  Mitglied  der  Akademie  Hrn.  Rubens  zur  Fort- 
führung seiner  Untersuchungen  auf  dem  Gebiete  der 
langwelligen  Strahlung. 
500  »  dem  Mitglied  der  Akademie  Hrn.  von  Wilamowitz- 
Moellendorff  zur  Anfertigung  von  Photographien  Plu- 
tarchischer  Handschriften. 

7500  »  zur  Herausgabe  des  von  dem  verstorbenen  Mitghed  der 
Akademie  Adolf  Tobler  hinterlassenen  altfranzösischen 
Wörterbuchs. 

5000  »  dem  correspondirenden  Mitglied  der  Akademie  Hrn. 
Voigt  in   Göttingen   zur  Beschaffung  von  Apparaten 


XX 

behufs  Untersuchung  der  Gesetze  der  compUcirten  Typen 
des  Zeeman-EfFectes. 
1500  Frcs.  der  Biologischen  Station  in  Roseoff  gegen  Einräumung 
eines  von  der  Akademie  zu  vergebenden  Arbeitsplatzes 
für  die  Dauer  eines  Jahres. 
1000  Mark  dem  von  dem  zweiten  Deutschen  Kalitage  eingesetzten 
Comite  zur   wissenschaftlichen  Erforschung   der  nord- 
deutschen Kalisalzlager. 
1000      »      als  Beihülfe  zu  den  Kosten  der  Herausgabe  einer  Samm- 
lung aller  in  der  Literatur  vorkommenden  physikalisch- 
chemischen Constanten. 

500  »  Hrn.  Prof  Dr.  Richard  Börnstein  in  Berlin  zur  Be- 
arbeitung der  4.  Auflage  des  Werkes  Landolt-Börnstein, 
Physikalisch-chemische  Tabellen. 

800  »  Hrn.  Prof.  Dr.  Erich  von  Drygalski  in  München  zu 
Arbeiten  für  die  Vollendung  des  Chinawerkes  von  Fer- 
dinand von  Richthofen. 

600  »  Hrn.  Prof  Dr.  Julius  Franz  in  Breslau  zur  Fortsetzung 
seiner  Arbeit  an  der  Bestimmung  der  Coordinaten  lu- 
narer  Objecte. 

300  »  Hrn.  Dr.  Victor  Franz  in  Frankfurt  a.  M.  zu  Unter- 
suchungen über  Fischwanderungen. 

750  »  Hrn.  Prof.  Dr.  Friedrich  Frhrn.  von  Huene  in  Tübin- 
gen zu  einer  Reise  nach  Nordamerica  behufs  Studien 
über  fossile  Reptilien. 

800  »  Hrn.  Prof  Dr.  J  o  h  a  n  n  K  o  e  n  i g  s  b  e  r  g  e  r  in  Freiburg  i.  Br. 
zur  Fortsetzung  seiner  Untersuchungen  über  Emission 
und  Absorption  des  Lichts. 

400  »  Hrn.  Dr.  Paul  Victor  Neugebauer  in  Berlin  zur  Be- 
rechnung von  Sterntafeln  zur  astronomischen  Chrono- 
logie. 


XXI 

700  Mark  Hrn.  Prof.  Dr.  Heinricli  Poll  in  Berlin  zur  Fortsetzung 
seiner  Studien  über  Kreuzung  und  Vererbung. 

500  »  Hrn.  Prof.  Dr.  Otto  Ruff  in  Danzig  zu  Untersuchungen 
über  das  Osmium. 

900  »  Hrn.  Prof  Dr.  Gustav  Tornier  in  Berlin  zu  Unter- 
suchungen über  den  Bau  der  palaeontologischen  Dino- 
saurier. 

700  »  Hrn.  Dr.  Hermann  Beckh  in  Berlin  zur  Drucklegung 
seiner  kritischen  Ausgabe  der  buddhistischen  Spruch- 
sammlung Udänavarga. 
1800  »  Hrn.  Pfarrer  a.D.  Dr.  Heinrich  Hagenmeyer  in  Bödig- 
heim  (Baden)  als  Beitrag  zu  den  Kosten  der  Druck- 
legung einer  Ausgabe  der  Ilistoria  Hierosolymitana  Ful- 
cher's  von  Chartres. 
1500      »      Hrn.  Dr.  Richard  Hamann  in  Steglitz  zu  Forschungen 

über  den  Backsteinbau  der  Mark  Brandenburg. 
1200      »      Hrn.  Privatdocenten  Dr.  Hugo   Prinz   in  Breslau   zur 
Drucklegung    seiner   Arbeit    »Astralsymbole   im   alten 
Orient«. 

300  »  Hrn.  Prof  Dr.  Heinrich  Schäfer  in  Berlin  zur  Fort- 
setzung seiner  nubischen  Studien. 

750  »  Hrn.  Prof  Dr.  Georg  Thiele  in  Marburg  zur  Bearbei- 
tung von  Ausgaben  des  Martialis  und  des  Phaedrus. 


Verzeichnifs  der  im  Jahre  1911  erschienenen  im  Auftrage 

oder  mit  Unterstützung  der  Akademie  bearbeiteten  oder 

herausgegebenen  Werke. 

Das  Pflanzenreich.  Regni  vegetabiUs  conspectus.  Im  Auftrage 
der  Königl.  preufs.  Akademie  der  Wissenschaften  hrsg.  von 
A.  Engler.    Heft  47-51.    Leipzig  1911. 


XXll 


Das  Tierreich.  Eine  Zusammenstellung  und  Kennzeichnung  der 
rezenten  Tierformen.  Begründet  von  der  Deutschen  Zoolo- 
gischen Gesellschaft.  Im  Auftrage  der  Königl.  Preuß.  Aka- 
demie der  Wissenschaften  zu  Berlin  hrsg.  von  Franz  Eilhard 
Schulze.    Lief  26— 29.    Berlin  1911. 

Acta  Borussica.  Denkmäler  der  Preußischen  Staatsverwaltung  im 
18.  Jahrhundert.  Hrsg.  von  der  Königlichen  Akademie  der 
Wissenschaften.  Die  einzelnen  Gebiete  der  Verwaltung: 
Handels-,  Zoll-  und  Akzisepolitik.  Bd.  1.  —  Münzwesen. 
Beschreibender  Teil.     Heft  3.     Berlin   1911. 

Kant 's  gesammehe  Schriften.  Hrsg.  von  der  Königlich  Preußischen 
Akademie  der  Wissenschaften.  Bd.  3  (Neudruck).  Bd.  4 
(Neudruck).     Bd.  14.     Berlin   1911. 

Deutsche  Texte  des  Mittelalters  hrsg.  von  der  Könighch  Preußi- 
schen Akademie  der  Wissenschaften.  Bd.  1 9.  Die  poetische 
Bearbeitung  des  Buches  Daniel.     Berhn   1911. 

Wielands  Gesammelte  Schriften.  Hrsg.  von  der  Deutschen  Kom- 
mission der  Königlich  Preußischen  Akademie  der  Wissen- 
schaften.   Abt.  1,  Bd.  7.     Abt.  2,  Bd.  3.     Berhn  1911. 

Thesaurus  linguae  Latinae  editus  auctoritate  et  consilio  Academia- 
rum  quinque  Germanicarum  Berolinensis  Gottingensis  Lip- 
siensis  Monacensis  Vindobonensis.  Vol.  3,  Fase.  8.  Vol.  5, 
Fase.  3.     Lipsiae  1911. 

Ergebnisse  der  Plankton-Expedition  der  Humboldt-Stiftung.  Bd.  2. 
Fe:  Schiemenz,  Paulus.  Die  Heteropoden.  He:  von  Ritter- 
Zahony,  Rudolf.  Die  Chätognathen.  Bd.  3.  Lc:  Rhumbler, 
Ludwig.  Die  Foraminiferen  (Thalamophoren).  Tl.  1.  Lh: 
Die  Tripyleen  Radiolarien.  11.  Borgert,  A.  Cliallengeridae. 
Bd.  5.  0:  Hensen,  V.  Das  Leben  im  Ozean  nach  Zählungen 
seiner  Bewohner.     Kiel  und  Leipzig  1911. 


XXIII 


M.  Tulli  Ciceronis  Paradoxa  Stoicorum,  Academicomm  reliquiae  cum 
Lucullo,  Tiinaeus,  de  natura  deorum,  de  divinatione,  de  fato 
ed.  Otto  Piasberg.     Fase.  2.     Lipsiae   1911. 

Die  griechischen  christlichen  Schriftsteller  der  ersten  drei  Jahr- 
hunderte. Hrsg.  von  der  Kirchenväter-Commission  der  Königl. 
Preufsischen  Akademie  der  Wissenschaften.  Bd.  19:  Theo- 
doret,  Kirchengeschichte.  Bd.  20:  Eusebius.  Bd.  5.  Leip- 
zig  1911. 

Philipp son,  Alfred.  Reisen  und  Forschungen  im  westlichen 
Kleinasien.  Heft  2.  Gotha  1911.  (Ergänzungsheft  N.  172 
zu   »Petermanns  Mitteilungen«.) 

Selenka,  M.  Lenore,  und  Blanckenhorn,  Max.  Die  Pithecan- 
thropus-Schichten  auf  Java.  Geologische  und  paläonto- 
logische Ergebnisse  der  Trinil-Expedition  (1907   und  1908). 

Adickes,  Erich.  Untersuchungen  zu  Kants  physischer  Geographie. 
Tübingen   1911. 

An  ding,  E.  Sechsstellige  Tafeln  der  Bessel'schen  Funktionen 
imaginären  Argumentes.     Leipzig   1911. 

Ascherson,  Paul,  und  Graebner,  Paul.  Synopsis  der  mittel- 
europäischen Flora.     Lief.  71 — 74.     Leipzig  1911. 

Bauschin ger,  J.,  und  Peters,  J.  Logarithmisch-trigonometrische 
Tafeln  mit  acht  Dezimalstellen.     Bd.  2.     Leipzig  1911. 

Beckh,  Hermann,  üdänavarga.  Eine  Sammlung  buddhistischer 
Sprüche  in  tibetischer  Sprache.     Berlin   1911. 

Leonhardi  Euleri  opera  omnia.  Sub  auspiciis  Societatis  Scientiarum 
naturalium  Helveticae  edenda  cur.  Ferdinand  Rudio,  Adolf 
Krazer,  Paul  Stäckel.  Ser.  I:  Vol.  1.  Ser.  III:  Vol.  3.  Lip- 
siae et  Berolini   1911. 

Fischer,  Albert.  Das  deutsche  evangelische  Kirchenlied  des 
17.  Jahrhunderts.  Vollendet  und  hrsg.  von  W.  Tümpel. 
Bd.  5.     Gütersloh  1911. 


XXIV 


Glück,  Hugo.  Biologische  und  morphologische  Untersuchungen 
über  Wasser-  und  Sumpfgewächse.     Tl.  3.     Jena  1911. 

Libanii  opeia  rec.  Richardus  Foerster.  Vol.  6.  Lipsiael911.  (Biblio- 
theca  Script.  Graec.  et  Roman.  Teubneriana.) 

Schulthefs,  Friedrich.  Kaiila  und  Dimna,  syrisch  und  deutsch. 
I.    IL     Berlin   1911. 

Unger,  Rudolf.  Hamann  und  die  Aufklärung.  Bd.  1.  2.  Jena 
1911. 

Die  Vegetation  der  Erde.  Sammlung  pflanzengeographischer  Mono- 
graphien hrsg.  von  A.  Engler  und  0.  Drude.  XL  Adamovic, 
Lujo.  Die  Vegetationsverhältnisse  der  Balkanländer.  XII. 
Weberbauer,  A.  Die  Pflanzenwelt  der  peruanischen  Anden. 
XIII.  Harshberger,  John  W.  Phytogeographic  Survey  of 
North  America.     Leipzig  1909  — 11. 


Veränderungen  im  Personalstande  der  Akademie  im  Laufe  des 

Jahres  1911. 

Es  wurden  gewählt: 

zu   ordentlichen  Mitgliedern   der   physikalisch-mathematischen 
Classe: 

Hr.  Gottlieb  Haberlandt,  bisher  correspondirendes  Mitglied,  be- 
stätigt durch  K.  Cabinetsordre  vom  3.  Juli  1911, 
))    Gustav  Hellmann,  bestätigt  durch  K .  Cabinetsordre  vom  2 .  De- 
cember  1911; 


XXV 


Hr.  Heinrich  Morf 
»    Heinrich  Wölftlin 


zu  ordentUchen  Mitgliedern  der  philosophisch-historischen  Classe: 

bestätigt  durch  K.  Cabinetsordre  vom  1 4.De- 

cember  1910   [in  der  Liste  für  1910  ver- 

sehentUch  fehlend], 

))    Kuno  Meyer,  bestätigt  dui'ch  K. Cabinetsordre  vom  3.Juh  191 1, 
»    Benno  Erdmann,  bisher  correspondirendes  Mitglied,  bestätigt 
durch  K.  Cabinetsordre  vom  25.  JuH  1911; 

zum  correspondirenden  Mitglied  der  physikalisch-mathematischen 
Classe : 

Hr.  Camillo  Golgi  in  Pavia  am  21.  December  1911; 

zu  correspondirenden  Mitgliedern  der  philosophisch-historischen 
Classe: 

Hr.  Jacob  Wackernagel  in  Göttingen  am  19.  Januar  1911, 

»  Hermann  Jacobi  in  Bonn  am  9.  Februar  1911, 

')  Franz  Cumont  in  Brüssel 

»  James  George  Frazer  in  Cambridge,  England 

»  Adolf  Wilhelm  in  Wien 

»  Axel  Olrik  in  Kopenhagen 

»  Paul  Vinogradoff  in  Oxford  am  22.  Juni  1911. 

Der  beständige  Secretar  Hr.  Vahlen  legte  dieses  Amt  mit  dem 
30.  September  1911  nieder;  zu  seinem  Nachfolger  v^ählte  die  phi- 
losophisch-historische Classe  Hrn.  Roethe,  dessen  Wahl  durch  K. 
Cabinetsordre  vom  29.  August  1911  bestätigt  wurde. 

Gestorben  sind: 
das  ordentliche  Mitghed  der  phy'^ikahsch-mathematischen  Classe: 
Hr.  Jakob  Heinrich  van't  Hoff  am   I.März  1911; 


am 

27.  April 

1911, 


XXVI 


die  ordentlichen  Mitglieder  der  philosophisch-historischen  Classe: 
Hr.  Reinhard  Kekule  von  Stradonitz  am  22.  März  1911, 
))    Wilhelm  Dilthey  am   l.October  1911, 
»    Johannes  Vahlen  am  30.  November  1911; 

das  ausvs^ärtige  Mitglied  der  physikaUsch-mathematischen  Classe : 
Sir  Joseph  Dalton  Hooker  in  Sunningdale  am  lO.December  1911; 

die  correspondirenden  Mitglieder  der  physikahsch-mathemati- 
schen  Classe: 

Hr.  Albert  Ladenburg  in  Breslau  am   15.  August  1911, 
))    Michel  Levy  in  Paris  am  25.  September  1911; 

die  correspondirenden  MitgUeder  der  philosophisch-historischen 
Classe: 

Hr.  Wilhelm  Wilmanns  in  Bonn  am  29.  Januar  1911, 
»    Emile  Levasseur  in  Paris  am   10.  JuH  1911, 
»    Anton  E.  Schönbach  in  Graz  am  25.  August  1911, 
»    Gustav  Gröber  in  Strafsburg  am  5.  November  1911. 


XXVII 


Verzeichnifs  der  Mitglieder  der  Akademie  am  Schlüsse  des 

Jahres  19U 

nebst   den  Verzeichnissen   der  Inhaber  der  Helmholtz-   und    der  Leibniz-Medaille 

und  der  Beamten  der  Akademie. 


I.    Beständige  Secretare. 

Gewählt  von  der  Datum  der  Königlichen 

Bestätigung 

Hr.  Äuwers phys.-math.  Classe 1878  April  10. 

-  Diels phil.-hist.            -        1895  Nov.  27. 

-  Wcddeyer phys.-math.        -        1896   Jan.    20. 

-  Roethe phil.-hist.            -        1911  Aug.   29, 


II.    Ordentliche  Mitglieder. 

Physikalisch-inathematische  CUsse  Phaosophisch-historische  Claase  ^**"°BMWti°°i^"*'*'^° 

Hr.  Arthur  Auwers 1866  Aug.    18. 

Hr.  Alexander  Conze      ....  1877  April  23. 

-  Simon  Schwendener 1879  Juli     13. 

-  Hermann  Munk 1880  März  10. 

-  Hermann  Diels 1881  Aug.    15. 

-  Wilhelm  Waldeyei^ 1884  Febr.  18. 

Heinrich  Brunner    ....  1884  April    9. 

-  Franz  Eilhard  Schulze 1884  Juni    21. 

-  Otto  Hirschfeld 1885  März    9. 

-  Eduard  Sachau 1887  Jan.    24. 

-  Gustav  von  Schmoller  .     .     .  1887  Jan.    24. 

-  Adolf  Engler 1890  Jan.    29. 

-  Adolf  Harnack 1890  Febr.  10. 

Hermann  Amandtis  Schwarz 1892  Dec.    19. 

-  Georg  Frobenius 1893  Jan.     14. 

-  Emü  Fischer 1893  Febr.    6. 

-  Oskar  Hertwig 1893  April  17. 

V     Max  Planck 1894  Juni    11. 

-  Karl'Stympf 1895  Febr.  18. 

-  Erich  Schmidt 1895  Febr.  18. 

-  Adolf  Erman 1895  Febr.  18. 

d* 


XKVIII 

Physikaliach-tnathematische  Clasec  Philosophisch-historische  Classe  ^**'"BesTäri''"n^'*''*'*" 

Hr.  Emil  Warburg 1895  Aug.  13. 

Hr.  Reinhold  Kose,- 1896  Juli  12. 

-  Max  Lenz 1896  Dec.  14. 

Ulrich  von  WUamowiiz- 

MoeUendorff 1899  Aug.  2. 

-  WUhelm  Branca 1899  Dec.  18. 

-  Robert  Hehnert 1900  Jan.  31. 

-  Heinrich  Müller -Breslau 1901  Jan.  14. 

-  Heinrich  Dressel      ....  1902  Mai  9. 

-  Konrad  Burdach      ....  1902  Mai  9. 
Friedrich  Schottky 1903  Jan.  5. 

-  Gustav  Roethe 1903  Jan.  5. 

-  Dietrich  Schäfer 1903  Aug.  4. 

-  Eduard  Meyer 1903  Aug.  4. 

-  WUhelm  Schulze      ....  1903  Nov.  16. 

-  Alois  Brandt 1904  April    3. 

-  Hermann  Struve 1904  Aug.  29. 

-  Hermann  Zimmermann 1904  Aug.  29. 

-  Adolf  Martern 1904  Aug.  29. 

-  Walther  Nernst 1905  Nov.  24. 

-  Max  Rubner 1906  Dec.  2. 

-  Johannes  Orth 1906  Dec.  2. 

-  AUyrecht  Penck 1906  Dec.  2. 

-  Friedrich  Müller     ....  1906  Dec.  24. 

-  Andreas  Heusler     ....  1907  Aug.  8. 

-  Heinrich  Rubens 1907  Aug.  8. 

-  Theodor  lAebisch 1908  Aug.  3. 

-  Eduard  Seier 1908  Aug.  24. 

-  Heinrich  Lüders      ....  1909  Aug.  5. 

-  Heinrich  Morf 1910  Dec.  14. 

-  Heinrich  Wölfflin     .     .     .     .  1910  Dec.  14. 

-  Gottlieb  Haberlandt 1911  Juli  3. 

-  Kuno  Meyer 1911  Juli  3. 

Benno  Erdm^nn     .     .     .     .  1911  Juli  25. 

Gustav  Helhnann 1911  Dec.  2. 


XXIX 

in.    Auswältige  Mitglieder. 

Phy«ikali8ch-inathein»ü»ehe  ClMse                                 Philosophbch-hiatorische  Classe  Datum  der  Königlichen 

Bestätigung 

Hr.  J7ieodorNöldeke in  StT&khuTg  1900   März      5. 

-  Friedrich   Imhoof- Blumer   in 

Winterthur 1900  März     5. 

-  Pasquale  Villari  in  Florenz  .  1900   März     5. 
Hr.   MZ/jg/m  M«or/ in  Münster  i.  W 1900  März     5. 

-  Eduard  Suess  in  Wien 1900  März     5. 

-  Adolf  von  Baeyer  in  München 1905   Aug.     12. 

-  Vatroslav  von  Jagic  in  Wien  1908   Sept.    25. 

-  PanagiotisKabbadias  in  Athen  1908  Sept.    25. 
Lord  Rayleigh  in  Witliam,   Essex 1910  April     6. 


IV.    Ehrenmitglieder. 

'-'  Datum  der  Königlieben 

Bestätigung 

Earl  of  Crawford  and  Balcarres  in  Haigh  Hall,  Wigan     ....  1883   Juli      30. 

Hr.  Max  Lehnann  in  Göttingen 1887  Jan.     24. 

Htigo  Graf  von  und  zu  Lerchenfeld  in  Berlin 1900   März      5. 

Hr.  Micliard  Schöne  in  Grunewald  bei  Berlin 1900  März      5. 

Frau  Eli^e  Wentzel  geb.  Heckmann  in  Berlin 1900   März      5. 

Hr.  Konrad  von  Siudt  in  Hannover 1900   März    17. 

-     Andrew  Dickson  White  in  Ithaca,  N.  Y 1900  Dec.     12. 

Rochus  Frhr.  von  LUiencron  in  Coblenz 1901    Jan.     14. 

Bernhard  Fürst  von  Bülow  in  Rom 1910   Jan.     31. 


XXX 


V.    Correspondirende  Mitglieder. 

Physikalisch-mathematische    Classe.  Datum  der  Wahl 

Hr.  Ernst  Wilhelm  Benecke  in  Strafsburg 1900   Febr.    8. 

-  Letois  Boss  in  Albany,  N.  Y 1910  Oct.    27. 

-  Oskar  Brefeld  in  Charlottenburg 1899   Jan.     19. 

-  Heinrich  Bruns  in  Leipzig 1906   Jan.     11. 

-  Otto  Bütschli  in  Heidelberg 1897  März  11. 

-  Karl  Chun  in  Leipzig 1900   Jan,    18. 

-  Giacomo  Ciamician  in  Bologna 1909  Oct.     28. 

-  Gaston  Darbottx  in  Paris 1897   Febr.  11. 

Sir  George  Howard  Darwin  in  Cambridge 1908   Juni    25. 

Hr.  William  Morris  Davis  in  Cambridge,  Mass 1910   Juli     28. 

-  Richard  Dedekind  in  Braunschweig 1880   März  11. 

-  Nils  Christof  er  Duner  in  Upsala 1900   Febr.  22. 

-  Ernst  Ehlers  in  Göttingen 1897   Jan.    21. 

Roland  Baron  Eötvös  in  Ofen-Pest 1910  Jan.      6. 

Hr.  Max  Fürbringer  in  Heidelberg 1900   Febr.  22. 

Sir  Archibald  Geikie  in  Haslemere,  Surrey 1889  Febr.  21. 

-  David  Gill  in  London 1890   Juni      5. 

Hr.  Camillo  Golgi  in  Pavia 1911    Dec.    21. 

-  Paul  Gordan  in  Erlangen 1900  Febr.  22. 

-  Karl  Graebe  in  Frankfurt  a.  M 1907   Juni    13. 

-  Ludwig  von  Graff  in  Graz 1900   Febr.    8. 

-  Julius  von  Hann  in  Wien 1889   Febr.  21. 

-  Victcyr  Hensen  in  Kiel 1898  Febr.  24. 

-  Richard  von  Hertwig  in  München 1898   April  28. 

Sir    Victor  Horsley  in  London 1910  Juli     28. 

Hr.  Adolf  von  Koenen  in  Göttingen 1904   Mai       5. 

-  Leo  Koenigsbei^ger  in  Heidelberg 1893   Mai       4. 

-  Williehn  Kömer  in  Mailand 1909   Jan.      7. 

-  Friedrich  Küstner  in  Bonn 1910   Oct.    27. 

-  Henri  Le  Chatelier  in  Paris 1905   Dec.    14. 

-  Philipp  Lenard  in  Heidelberg 1909  Jan.    21. 

Gabriel  Lippmann  in  Paris 1900   Febr.  22. 

-  Hendrik  Antoon  Lorentz  in  Leiden 1905   Mai       4, 

-  Hubert  Ludwig  in  Bonn 1898   Juli     14. 

-  Felix  Marchand  in  Leipzig 1910   Juli     28. 

-  Friedrich  Merkel  in  Göttingen 1910   Juli     28. 


XXXI 

Datum  der  Wahl 

Hr.  Franz  Mertens  in  Wien 1900  Febr.  22. 

-  Henrik  Mohn  in  Christiania 1900  Febr.  22. 

-  Alfred  Gabriel  Nathorst  in  Stockholm 1900  Febr.    8. 

-  Karl  Netimann  in  Leipzig 1893    Mai       4. 

-  Maa  Noether  in  Erlangen 1896   Jan.    30. 

-  Wilhelm  Ostwald  in  Grofs-Bothen,  Kgr.  Sachsen 1905   Jan.     12. 

-  Wilhelm  Pfeffer  in  Leipzig 1889    Dec.    19. 

-  Emile  Picard  in  Paris 1898   Febr.  24. 

-  Edward  Charles  Pickering  in  Cambridge,  Mass- 1906   Jan.     11. 

-  Henri  Poincare  in  Paris 1896   Jan.    30. 

-  Georg  Quincke  in  Heidelberg 1879   März  13. 

-  Jjudwig  Radlkofer  in  München 1900  Febr.    8. 

Sir   William  Ramsay  in  London 1896   Oct.    29. 

Hr.  Gustaf  Retzius  in  Stockholm 1893   Juni      1. 

Tlieodore  William  Richards  in  Cambridge,  Mass 1909  Oct.     28. 

-  Wilhelm  Konrad  Röntgen  in  München 1896   März  12. 

Heinrich  Rosenbusch  in  Heidelberg 1887   Oct.    20. 

-  Georg   Ossian  Sars  in  Christiania 1898  Febr.  24. 

-  Oswald  Schmiedeberg  in  Strafsburg 1910  Juli     28. 

-  Gustav  Schwalbe  in  Strafsburg 1910  Juli     28. 

-  Hugo  von  Seeliger  in  München 1906  Jan.     11. 

Hermann  Graf  zu  Sohns -Laubach  in  Strafsburg 1899   Juni      8. 

Bb*.  Johann  Wilhelm  Spengel  in  Giefsen 1900   Jan.     18. 

-  Eduard  Strasburger  in  Bonn 1889   Dec.    19. 

-  Johannes  Striwer  in  Rom 1900   Febr.    8. 

Sir  Joseph  John  Thomson  in  Cambridge 1910  Juli     28. 

Hr.  August  Toepler  in  Dresden 1879  März  13. 

-  Gustav  von  Tschermak  in  Wien 1881    März     3. 

Sir   William  Turner  in  Edinburg 1898   März  10. 

Hr.  Woldemar  Voigt  in  Göttingen 1900  März     8. 

-  Johannes  Diderik  van  der  Waah  in  Amsterdam 1900   Febr.  22. 

-  Otto  Wallach  in  Göttingen 1907   Juni    13. 

-  Eugeniu^  Warming  in  Kopenhagen 1899  Jan.     19. 

-  Heinrich  Weber  in  Strafsburg 1896   Jan.    30. 

-  August  Weismann  in  Freiburg  i.  Br 1897   März  11. 

-  Wilhelm  Wien  in  Würzburg 1910   Juli     14. 

-  Jidvus  von  Wiesner  in  Wien ^ 1899  Juni      8. 

-  Ferdinand  Zirkel  in  Bonn 1887   Oct.    20. 


XXXIl 

Philosophisch-historische   Classe.  Datum  der  Wahl 


Hr.  Karl  von  Amira  in  München 1900   Jan.  18. 

-  Ernst  Immanuel  Bekker  in  Heidelberg 1897   Juli  29. 

-  Friedrich  von  Bezold  in  Bonn 1907   Febr.  14. 

-  Ewigen  Bormann  in  Wien 1902   Juli  24. 

-  Emile  Boviroux  in  Paris 1908  Febr.  27. 

-  James  Henry  Breasted  in  Chicago 1907   Juni  13. 

Ingram  Bywater  in  London 1887   Nov.  17. 

-  Reni  Cagnat  in  Paris 1904   Nov.  3. 

-  Arthur  Chuquet  in  Villemomble  (Seine) 1907  Febr.  14. 

Franz  Cumoni  in  Brüssel 1911  April  27, 

-  Samuel  Rolles  Driver  in  Oxford 1910   Dec.  8. 

-  Louis  Duchesne  in  Rom 1 893   Juli  20. 

-  JuUus  Euting  in  Strafsburg 1907   Juni  13. 

-  Panl  Foucart  in  Paria 1884   Juli  17. 

-  James  George  Frazer  in  Cambridge 1911  April  27. 

-  Wilhelm  Fröhner  in  Paris 1910   Juni  23. 

-  Perey  Gardner  in  Oxford 1908   Oct.  29. 

-  Ignaz  Goldziher  in  Ofen-Pest 1910   Dec.  8. 

Theodor  Gomperz  in  Wien 1893   Oct.  19. 

-  Francis  LleweUyn  Griffith  in  Oxford 1900   Jan.  18. 

Tgnazio  Guidi  in  Rom 1904   Dec.  15. 

Georgias  N.  Hatzidakis  in  Athen 1900   Jan.  18. 

-  Albert  Hanck  in  Leipzig 1900   Jan.  18. 

-  Bemard  Haussotdlier  in  Paris 1907   Mai  2. 

-  Barclay  Vincent  Head  in  London 1908   Oct.  29. 

-  Johan  Litdvig  Heiberg  in  Kopenhagen 1896   März  12. 

-  Karl  Theodor  von  Heigel  in  München 1904  Nov.  3. 

Antoine  HSron  de  Villefosse  in  Paris 1893    Febr.  2. 

-  Lion  Heuzey  in  Paris 1900   Jan.  18. 

-  Harald  Hjärne  in  Upsala 1909  Febr.  25. 

-  Maurice  Holleaua  in  Athen 1909  Febr.  25. 

-  Edvard  Holm  in  Kopenhagen 1904  Nov.  3. 

-  Thiophile  Homolle  in  Paris 1887   Nov.  17. 

Christian  Hülsen  in  Florenz 1907   Mai  2. 

-  Hermann  Jacobi  in  Bonn 1911  Febr.  9. 

-  Adolf  Jülicher  in  Marburg 1906   Nov.  1. 

-  Karl  Justi  in  Bonn 1893   Nov.  30. 

-  Frederic  George  Kenyon  in  London 1900  Jan.  18. 

-  Georg  Friedrich  Knapp  in  Strafsburg 1893   Dec.  14. 

-  Ba^il  T^atyschew  in  St.  Petersburg 1891    Juni  4. 


XXXIM 

Datum  der  Wahl 

Hr.  Friedrich  Leo  in  Göttingen 1906    Nov.      1. 

-  August  Leskien  in  Leipzig 1900   Jan.    18. 

-  Friedrich  Loofs  in  Halle  a.  S 1 904   Nov.     3. 

-  Giacomo  Lumhroso  in  Rom 1874   Nov.   12. 

-  Arnold  Luschin  voji  Ebengreuth  in  Graz 1904   Juli     21. 

-  John  Pentkmd  Mahaffy  in  Dublin 1900  Jan.     18. 

-  Gaston  Maspero  in  Paris 1897  Juli     15. 

-  Wilhelm  Meyer-Lübke  in  Wien 1905   Juli       6, 

-  Ludwig  Mitteis  in  Leipzig 1905   Febr.  16. 

-  Gabriel  Monod  in  Versailles 1907   Febr.  14. 

-  Heinrich  Nissen  in  Bonn 1900  Jan.     18. 

-  Axel  Olrik  in  Kopenhagen 1911   April  27. 

-  Georges  Perrot  in  Paris 1884   Juli     17. 

-  Edmond  Pottier  in  Paris 1908  Oct.    29. 

-  Franz  IVaetorius  in  Breslau 1910   Dec.      8. 

-  Wilhelm  Radioff  in  St.  Petersburg 1895   Jan.    10. 

-  Pix)  Bajna  in  Florenz 1909  März  11. 

-  Moriz  Ritter  in  Bonn 1907   Febr.  14. 

-  Karl  Robert  in  Halle  a.  S 1907  Mai       2. 

-  Richard  Schroeder  in  Heidelberg 1900  Jan.     18. 

-  Eduard  Schwartz  in  Freiburg  i.  Br 1907   Mai       2. 

-  Emile  Setiart  in  Paris 1900   Jan.     18. 

-  Eduard  Sievers  in  Leipzig 1900   Jan.     18. 

-  Henry  Sweet  in  Oxford 1901    Juni      6. 

Sir  Edward  Maunde  Thompson  in  London 1895   Mai       2. 

Hr.  Villielm  Thomsen  in  Kopenhagen 1900   Jan.     18. 

-  Paul  Vinogradoff  m  Oxford 1911  Juni    22, 

-  Girolamo  Vitelli  in  Florenz 1897   Juli     15. 

-  Jakob   Wackernagel  in  Göttingen 1911    Jan.     19. 

-  Julius  Wellhausen  in  Göttingen 1900   Jan.     18. 

-  Adolf  Wilhelm  in  Wien 1911  April  27. 

-  Ludvig  Wimmer  in  Kopenhagen 1891    Juni      4. 

-  Wilhelm  Windelband  in  Heidelberg 1903   Febr.    5. 

-  Wilhelm  Wandt  in  Leipzig 1900  Jan,     18, 


XXXIV 

Inhaber  der  Helmholtz-Medaille. 

Hr.  Santiago  Ramön  y  Cajal  in  Madrid  (1904). 

-  Emil  Fischer  in  Berlin  (1908). 
X'erstorhene  Inhaber: 

Einil  du  Bois-Reymond  (Berlin,  1892). 

Karl  Weierstrafs  (Berlin,   1892). 

Robert  Bimsen  (Heidelberg,   1892). 

Lord  Kelvin  (Netherhall,  Largs,  1892). 

Rudolf  Virchow  (Berlin,  1898). 

Sir  George   Gabriel  Stokes  (Cambridge,   1900). 

Henri  Becquerel  (Paris,   1906). 

Jakob  Heinrich  vant  Hoff  (Berlin,    1910). 

Inhaber  der  Leibniz-Medailie. 

a.    Der  Medaille   in    Gold. 
Hr.  James  Simon  in  Berlin  (1907). 

-  Emest  Solvay  in  Brüssel  (1909). 

-  Henry  T.  von  Böttinger  in  Elberfeld  (1909), 
Joseph  Florimond  Duc  de  Louhat  in  Paris  (1910). 
Hr.  Hans  Meyer  in  Leipzig  (1911). 

b.    Der   Medaille   in   Silber. 
Hr.  Karl  Alexander  von  Martius  in  Berlin  (1907). 

-  A.  F.  Lindemann  in  Sidinouth,  England  (1907). 

-  Johannes  BoUe  in  Berlin  (1910). 
Karl  Zeumer  in  Berlin  (1910). 

-  Albert  von  Le  Coq  in  Berlin  (1910). 

-  Johannes  Jlberg  in  Würzen  (1910). 

-  Max  Wellmann  in  Potsdam  (1910). 

-  Robert  Koldewey  in  Babylon  (1910). 
Gerhard  Hessenberg  in  Breslau  (1910). 
Werner  Janensch  in  Berlin  (1911). 
Hans  Osten  in  Leipzig  (1911). 
V'^erstorbeiier  Inhaber  der  Medaille  in  Silber: 

Georg  Wenker  (Marburg,  1911). 


Beamte  der  Akademie. 

Bibliothekar  und  Archivar  der  Akademie:  Dr.  Köhnke. 

Archivar  und  Bibliothekar  der  Deutschen  Commission:  Dr.  Behrend. 

Wissenschaftliche  Beamte:  Dr.  Dessau,  Prof.  —  Dr.  Harms,  Prof.  —  Dr.  von  Fritze.  — 

Dr.  Karl  Schmidt,  Prof.  —  Dr.  Frhr.  Hiller  von  Gaertringen,  Prof.  —  Dr.  Ritter. 

—  Dr.  Apstein,  Prof. 


Gedächtnisrede  auf  Heinrich  Zimmer. 

Von 

H"^  WILHELM  SCHULZE. 


PhiL-hist  Klasse.    1911.    Gedächtnisr.  I. 


Gehalten  in  der  öffentlichen  Sitzung  am  29.  Juni  1911. 
Zum  Druck  eingereicht  am  gleichen  Tage,  ausgegeben  am  31.  August  1911. 


xleinrich  Zimmer  ist  am  ii.  Dezember  1851  in  Castellaun  auf  dem 
Hunsrück  geboren,  in  ländlichen  Verhältnissen,  denen  er  die  Gabe  leben- 
diger Anschauimg  und  den  offenen,  allen  Realitäten  der  Welt  aufgeschlosse- 
nen Blick  verdanken  mag.  Als  'Schulhalter'  im  nahegelegenen  Hasselbach 
hat  er  seine  Laufbahn  begonnen,  die  ihn  zum  Range  eines  Neubegründers 
der  keltischen  Philologie  emporführen  sollte.  Erst  als  Neunzehnjähriger 
ist  er,  getrieben  von  einem  lebhaften  Verlangen  nach  höherer  wissenschaft- 
licher Ausbildung,  aus  dem  Lehrerseminar  in  Neuwied  übergetreten  in  das 
Gymnasium  zu  Kreuznach,  wo  er,  dem  Schulziel  bald  vorauseilend  und 
auf  selbstgewählten  Wegen  seine  geistige  Entwicklung  fördernd,  an  Homer, 
Aeschylus  und  Sophocles,  aber  auch  schon  an  altgermanischen  Sprachstudien 
seinen  rastlosen  Eifer  übte  und  sich  zu  selbständiger  Arbeit  erzog.  Mit 
dem  Herbste  1873  erfolgte  der  Übergang  an  die  Universität  Straßburg. 
Dort  hat  ihn,  nach  kurzem  Schwanken,  die  unvergleichliche  Wirkung,  die 
von  Wilhelm  Scherers  Persönlichkeit  und  Lehre  ausging,  in  ihren  Bann 
gezogen  und  für  das  Studium  der  Germanistik  und  der  indogermanischen 
Sprachwissenschaft  gewonnen.  Wie  ein  in  seine  Zukunft  vorausdeutendes 
Omen  erscheint  es  dem  rückwärts  gewandten  Blick,  daß  eine  Vorlesung 
über  die  Germania  des  Tacitus  den  Lernbegierigen  in  das  Universitäts- 
studium einführte,  und  gern  malt  man  sich  aus,  wie  die  lebendigen  Worte 
des  Interpreten  in  die  Seele  des  empfänglichen  Hörers  ein  Bild  nicht  bloß 
des  deutschen  Altertums,  sondern  auch  seines  Wiedererweckers,  Karl 
Müllenhoffs,  unverlierbar  einprägten.  Denn  wie  kaum  ein  zweites  fordert 
dieses  Buch,  das  die  Vorfielt  unseres  Volkes  aus  geschichtslosem  Dunkel 
emporhebt,  zu  vollem  Verständnis  die  souverän  den  Doppelstoff  der  Wörter 
und  der   Sachen  meisternde   Personalunion   von  Historie   und  Grammatik, 


4  W.  Schulze: 

wie  sie  sich  in  der  Lebensarbeit  MüUenhoffs  vorbildlich  verkörpert.  In 
dieser  seltenen  Durchdringung  sprachlicher  und  geschichtlicher  Forschung, 
in  der  kein  Teil  dem  anderen  dient,  sondern  beide  in  einer  höheren  Ein- 
heit verschmelzen,  liegt  auch  Zimmers  eigenste  Stärke  und  seine  unzer- 
störbare Bedeutung  fiir  die  werdende  keltische  Philologie:  kein  Wunder, 
daß  er  noch  in  späteren  Jahren  beim  Schreiben  am  liebsten  an  Müllenhoff 
als  den  stillen  Teilnehmer  und  unbestechlichen  Richter  seiner  Forschung 
dachte.  Auch  zu  Jacob  Grimms  Deutscher  Grammatik,  der  unerschöpf- 
lichen Schatzkammer  genialer  Sprachbeobachtung,  gewann  Zimmer  durch 
Scherer  sofort  eine  Art  persönlichen  Verhältnisses,  als  er  Anfang  1874 
seinem  Lehrer  bei  der  Vorbereitung  und  Korrektur  des  'neuen  vermehrten 
Abdrucks'  hilfreich  an  die  Hand  ging. 

Merkwürdig  rasch  wandelte  sich,  unter  dem  anspornenden  Zureden 
Scherers,  der  offenbar  mit  Bedacht  die  Entwicklung  eines  ungewöhn- 
lichen Talentes  beschleunigte,  der  lernende  Student  in  einen  Forscher  und 
Schriftsteller  von  schnellwachsender  Reife,  dessen  sicheres  Auftreten  blut- 
wenig vom  Anfanger  verriet,  dessen  überall  aus  der  Quelle  schöpfende, 
von  klugem  Urteil  geleitete  Untersuchung  alsbald  das  Ohr  der  Fachge- 
nossen gewann,  hier  und  da  wohl  auch  durch  die  Bestimmtheit  des  Tones 
und  die  Offenheit  der  Kritik  es  reizte.  Die  erste  Rezension,  über  Ficks 
Vergleichendes  Wörterbuch  HP  (Anzeiger  fiir  Deutsches  Altertum  1,1), 
trägt  das  Datum  des  10.  März  1875  (eben  hatte  der  Verfasser  sein  drittes 
Semester  vollendet),  und  noch  vor  Ablauf  des  Jahres  erschien,  durch  eine 
Vorrede  Scherers  eingeleitet,  das  erste,  umfangreiche  Buch  über  die 
'Nominalsuffixe  A  und  A  in  den  germanischen  Sprachen',  eine  von  der 
philosophischen  Fakultät  am  i .  Mai  1875  gekrönte  Preisschrift,  deren  Aus- 
arbeitung das  zweite  und  dritte  Universitätssemester  in  Anspruch  genommen 
hatte.  Und  als  Zimmer  im  Winter  1875  auf  1876  eine  neue,  vortrefflich 
gelungene  Untersuchung  über  die  ethnische  Gliederung  der  Germanen, 
'Ostgermanisch  und  Westgermanisch'  (Zeitschrift  fiir  Deutsches  Altertum 
19,  1876,  393 — 462),  seinem  Lehrer  Scherer  im  Manuskript  abgeschlossen 
vorlegte,  drängte  ihn  dieser  zu  sofortiger  Promotion  und  erwirkte  von 
der  Fakultät  einen  Beschluß,  dem  Bewerber  in  Anerkennung  seiner  bereits 
erwiesenen  literarischen  Bewährung  die  übliche  Forderung  dreijährigen  Stu- 
diums nachzulassen.  Am  Schlüsse  des  föinften  Semesters,  15.  März  1876, 
erfolgte  die  Promotion. 


Gedächtnisrede  auf  Heinrich  Zimmer.  5 

Aber  schon  vor  dem  Erscheinen  des  größeren  Buches,  das  gleich  als 
Vorläufer  einer  die  Arbeit  Jacob  Grimms  im  2.  Bande  der  Deutschen 
Grammatik  nach  langer  Pause  wiederaufnehmenden  und  fortfuhrenden  Stamm- 
bildungslehre aller  germanischen  Sprachen  gedacht  war,  hatte  Zimmer  eine 
Studie  zur  indogermanischen  Mythologie,  über  Tarjanya  Fiörgyn,  Väta 
Wödan'  (Zeitschrift  für  Deutsches  Altertum  19,  1876,  164 — 181),  geschrie- 
ben, die  den  ruhelos  Vorwärtsstrebenden  auf  dem  Wege  zu  neuen,  ent- 
legeneren Zielen  zeigte.  Am  Ende  dieses  Weges  steht,  die  erste  Periode 
seiner  Forschung  weithin  sichtbar  abschließend,  das  'Altindische  Leben', 
dessen  ursprünglicher  (im  Spätsommer  und  Herbst  1876  vollendeter,  wesent- 
lich auf  den  Materialien  des  Rigveda  aufgebauter)  Fassung  am  1.  Mai  1877 
der  Preis  der  Straßburger  Max-Müller-Stiftung  zufiel.  Nach  fast  vollstän- 
diger Umarbeitung  in  den  Herbstferien  des  Jahres  1877,  deren  Ziel  die 
systematische  Ausbeutung  aller  vedischen  Saihhitä  war,  erschien  die  mittler- 
weile auch  von  dem  vierten  Internationalen  Orientalistenkongreß  in  Florenz 
durch  einen  italienischen  Staatspreis  ausgezeichnete  Schrift  1879  als  Buch, 
das  zum  ersten  Male  den  ältesten  indischen  Quellen  ein  anschauliches  Ge- 
samtbild der  Kultur  im  Zeitalter  der  vedischen  Arier  nachzuzeichnen  unter- 
nahm. An  des  Tacitus  Germania  knüpfen,  gewiß  nicht  zufallig,  die  ersten 
Sätze  der  Vorrede  an,  und  durch  das  ganze  Buch  zieht  sich  fortlaufend  der 
Vergleich  altindischen  und  altgermanischen  Lebens  (vgl.  dazu  Anzeiger  fiir 
Deutsches  Altertum  2,   296). 

In  das  Studium  indischer  Sprachen  und  Literaturen  hatte  Zimmer 
einer  seiner  Straßburger  Lehrer,  Siegfried  Goldschmidt,  eingeführt,  dem 
er  zeitlebens  eine  dankbare  Erinnerung  bewahrt  hat.  Aber  neben  ihn  trat 
als  Erzieher  zum  philologischen  Verständnisse  der  ältesten  Denkmäler,  zu- 
nächst durch  die  in  spröde  Wörterbuchartikel  gebannte  Kraft  seiner  Inter- 
pretenkunst, dann  —  in  Tübingen,  wohin  Zimmer  1876  für  ein  Sommer- 
semester übersiedelte  —  auch  durch  persönliche  Unterweisung  Rudolf 
Roth,  der  der  Wissenschaft  als  Erster  die  verschütteten  Zugänge  zu  den 
Rätseln  der  Vedendichtung  wiedereröffnet  hatte.  Auch  Roths  Avestä- 
interpretation,  an  der  Zimmer  in  Tübingen  teilnahm,  wird  seiner  Dar- 
stellung des  'Altindischen  Lebens'  zugute  gekommen  sein. 

Zwei  Straßburger  Preisaufgaben  mit  weit  auseinander  liegenden  Zielen 
haben  so  der  wissenschaftlichen  Arbeit  Zimmers  schon  während  der  ersten 
Studiensemester  Richtung   und  Inhalt   gegeben.      Daß   er  fast  gleichzeitig 


6  W.  Schulze: 

mit  entschlossener  Hand  nach  beiden  Kränzen  langte  und  auf  Grund  sorg- 
samster und  umsichtigster  Vorbereitung  mit  Ehren  beide  errang,  wird 
immer  ein  Ruhmestitel  seines  stählernen  Willens  und  seiner  unbezwing- 
lichen  Schafienslust,  aber  auch  seiner  sicheren  Orientierungsgabe  und  seiner 
alle  Schwierigkeiten  spielend  überwindenden,  auch  das  Fremdai'tige  mit 
raschem  Verständnisse  ergreifenden  Geisteskraft  bleiben,  zugleich  ein  Denk- 
mal seiner  eigentümlichen  Doppelbegabung,  die  den  Abstraktionen  der 
Grammatik  wie  den  wechselnden  Gestaltungen  des  Volkslebens  mit  gleicher 
Liebe  und  Energie  nachzusinnen  vermochte. 

Es  ist  natürlich,  daß,  trotz  aller  Unabhängigkeit  der  Entscheidung 
im  einzelnen,  in  diesen  frühesten,  einander  kreuzenden  oder  ohne  Pause 
ablösenden  Arbeiten  der  Einfluß  seiner  Lehrer  stark  hervortritt.  In  den 
sprachwissenschaftlichen  Untersuchungen  hat  Seh  er  er  unbestritten  die 
Führung,  der  Autor  des  die  jüngste  Phase  in  der  Entwicklung  der  indo- 
germanischen Sprachforschung  einleitenden  Buches  'Zur  Geschichte  der 
deutschen  Sprache',  das  wie  seine  Vorlesungen  in  verschwenderischer  Fülle 
Anregungen  und  Gedankenkeime  nach  allen  Seiten  ausstreute.  Dem  Bilde 
des  altindischen  Lebens  gibt  Roths  Auffassung  des  Veda  die  besondere 
Farbe,  beherrscht  Ton  und  Stimmung  in  der  Schilderung  »jenes  frischen 
jugendlichen  Volkes,  das  stark  war  im  Vertrauen  auf  seine  Götter«,  hinter 
dessen  Schicksalen  und  Kämpfen  im  Lande  der  'fünf  Ströme'  sich  unmittel- 
bar fast  der  Blick  in  die  den  Schriftdenkmälern  vorausliegende  Frühzeit 
der  indogermanischen  Stämme  aufzutun  schien  (Anzeiger  fiir  deutsches 
Altertum  2,  289).  Aber  trotz  allen  Tributes,  den  die  Anpassungsfähigkeit 
der  Jugend  den  Lehrern  und  Vorbildern  der  eigenen  Arbeit  —  und  welchen 
Vorbildern!  —  zollt,  spürt  man  die  rasch  reifende  Selbständigkeit,  spürt 
man  in  jedem  Zuge  die  strenge  Selbstzucht  des  von  der  Natur  für  die 
wissenschaftliche  Forschung  vorausbestimmten  Mannes,  der  mit  eilig  zu- 
sammengerafftem oder  auf  begangenen  Pfaden  bequem  aufgelesenem  Material 
zu  arbeiten  verschmäht,  der,  selbst  wo  er  irrt  oder  versagt,  niemals  seine 
Arbeit  unnütz  vertut,  sondern  überall  dem  über  ihn  hinausschreitenden 
Nachfolger  den  Weg  bereitet. 

Seit  dem  Wintersemester  1876/77  finden  wir  Zimmer  in  Berlin,  wo  er 
in  Beziehungen  tritt  zu  Müllenhoff  und  Albrecht  Weber,  zu  Johannes 
Schmidt,  Sachau  und  Jagic,  in  dessen  Umgange  sich  sein  Interesse  för 
die  bisher  kaum  ernstlich  betriebenen  slavischen  Sprachen  zu  beleben  beginnt 


Gedächtnisrede  auf  Heinrich  Zimmer.  7 

(vgl.  Archiv  för  slavische  Philologie  2,  1877,  338.  669).  Aber  folgenreicher 
wird  die  hier  mit  leidenschaftlichem  Eifer  ins  Werk  gesetzte,  mit  syste- 
matischem Vorbedacht  auf  volle  und  dauernde  Aneignung  des  gewaltigen 
Stoffes  angelegte  Durcharbeitung  der  in  ihrer  herben  Strenge  und  wort- 
kargen Sicherheit  nur  den  Starken  und  Selbständigen  anziehenden  Gramma- 
tica  Celtica,  der  monumentalen  Wegweisung  aller  Keltologie,  durch  die 
einst  Caspar  Zeuss  die  keltischen  Sprachen,  mit  einem  Schlage  die  trüben 
Nebel  der  Ignoranz  und  der  Phantastik  zerteilend,  ins  helle  Tageslicht  der 
Wissenschaft  gestellt  hatte.  Nun  erst  gewinnen  die  Anregungen  des  letzten 
Straßburger  Semesters,  in  dem  Zimmer  bei  dem  eben  aus  Heidelberg  be- 
rufenen Windisch  eine  Vorlesung  über  irische  Grammatik  gehört  hatte, 
feste  Gestalt  und  dauernde  Wirkung:  Zeuss  und  Ebel,  der  Schöpfer  und 
der  Erneuerer  der  Clrammatica  Celtica,  zeigen  ihm  seine  wahre  Lebensaufgabe, 
für  die  alles  Bisherige  nur  ein  Praeludium  gewesen  sein  sollte.  Er  hat  sie 
mit  der  ftir  sein  Wesen  bezeichnenden  raschen  Entschlossenheit  und  ziel- 
sicheren Konsequenz  alsbald  ergriffen  und  seine  Arbeit  ganz  auf  sie  ein- 
gestellt, als  die  Veröffentlichung  des  'Altindischen  Lebens'  ihn  definitiv 
freigab.  Zugleich  mit  der  ersten  Probe  seiner  keltischen  Studien  (Zeit- 
schrift för  vergleichende  Sprachforschung  24,  201)  hat  er  noch  eine  kleine, 
aber  fördernde  Untersuchung  'Zur  Paligrammatik'  (ebenda  220,  April  1877) 
dem  Druck  übergeben;  seitdem  konzentriert  sich,  von  ein  paar  Rezensionen 
abgesehen,  seine  fruchtbare  und  vielseitige,  immer  von  großen  Gesichts- 
punkten beherrschte  Schriftstellerei  ausschließlich  auf  das  Kelten  tum,  freilich 
auf  das  Keltentum  in  allen  seinen  Verzweigungen,  auf  die  Gesamtheit  seiner 
nationalen  Lebensäußerungen  und  seiner  geschichtlichen  Bedingtheiten. 

Fast  mit  allen  Zweigen  des  indogermanischen  Sprachstammes  war  er,  als 
Schüler  und  Student,  vertraut  geworden,  auf  mehreren  Gebieten  hatte  er  sich 
in  selbständiger  Foi-schung  bewährt;  aber  er  besaß  die  Gabe,  entschlossen 
hinter  sich  zu  werfen,  was  er  als  Hemmung  des  Vorwärtsschreitens  empfand, 
und  sich  dem  neuergriffenen  Stoffe  mit  ganzer  Seele  zu  ergeben.  Nur  die 
akademische  Lehrtätigkeit,  die  er  im  Sommersemester  1878  als  Berliner  Pri- 
vatdozent begann  —  natürlich  mit  einem  Kolleg  über  irische  Grammatik  — , 
erhielt  die  Verbindung  mit  dem  Veda  und  dem  Avesta,  mit  indischer  und 
iranischer  Grammatik  lebendig;  die  germanische  Sprachwissenschaft,  in  der 
er  sich  doch  die  literarischen  Sporen  verdient,  hat  in  den  Kreis  seiner  Vor- 
lesungen keine  Aufnahme  mehr  gefunden. 


8  W.  Schulze: 

Die  Herbstferien  der  Jahre  1878  und  iSBo  führten  ihn  nach  England 
und  Irland,  um  die  Handschriftenschätze  der  dortigen  Bibliotheken  und  zu- 
gleich Art  und  Sprache  des  irischen  Volkes  aus  eigener  Anschauung  kennen 
zu  lernen.  Im  Britischen  Museum  und  auf  der  Bodleiana,  in  den  Biblio- 
theken des  Trinity  College,  der  Royal  Irish  Academy  und  des  Franzis- 
kanerkonventes zu  Dublin  hat  er  das  literarische  Vermächtnis  des  irischen 
Mittelalters  in  all  seiner  Fülle  und  formlosen  Buntheit,  kollationierend  und 
exzerpierend,  auf  sich  wirken  lassen,  die  Schauplätze  der  alten  irischen 
Heldensage  offenen  Auges  durchwandert,  wochenlang  unter  der  irischen 
Landbevölkerung  des  Westens  gelebt,  überall  mit  dem  Volke  in  seiner  Sprache 
redend  und  mit  aufmerksamer  Beobachtung  alle  Äußerungen  seines  mate- 
riellen, religiösen  und  nationalen  Lebens  begleitend. 

Seit  dem  Frühjahr  1880  trägt  sich  Zimmer  mit  der  Absicht  einer 
Neugestaltung  der  Grammatica  Celtica.  Die  Arbeit  der  nächsten  Jahre  steht 
unter  dem  Zeichen  gewissenhafter  Vorbereitung  für  diese  große  Aufgabe, 
die  bald  durch  den  Plan  eines  vergleichenden  Wörterbuches  des  altirischen 
Sprachschatzes  erweitert  wird  (Göttingische  Gelehrte  Anzeigen  1882,687). 
Beides  Ist  nicht  bis  zur  Ausführung  gediehen.  Äußere  Zufälligkeiten  und 
der  Gang  seiner  Studien  führten  Zimmer  auch  diesmal  ganz  andere  Wege 
(Zeitschrift  fiir  Celtische  Philologie  6,  460). 

Die  Sammlung  der  über  viele  Handschriften  des  Kontinents  verstreuten 
altirischen  Glossen,  auf  denen  allein  eine  sichere  Darstellung  der  ältesten 
Grammatik  aufgebaut  werden  kann,  war  die  erste  auch  fiir  Zimmers  weitere 
Arbeit  folgenreiche  Frucht  dieser  Vorbereitung  (Glossae  Hibernicae  1881). 
Denn  die  Beschäftigung  mit  den  Kodizes,  ihren  Schreibern  und  wechselnden 
Besitzern,  ihrem  literarischen  Inhalte  gab  den  entscheidenden  Anstoß,  der 
fiir  die  Kultur  des  Abendlandes  in  den  Jahrhunderten  7,  8,  9  bedeutungs- 
vollen Wirksamkeit  der  irischen  Missionare,  Klostergründer  und  Schulhäupter 
in  Frankreich,  Deutschland  und  Oberitalien  im  Zusammenhange  nachzugehen 
(Preußische  Jahrbücher  59,  1887,  27),  und  fährte  zwei  Jahrzehnte  später  zu 
den  ftir  die  Patristik  noch  mehr  als  ftir  die  irische  Kirchengeschichte  wich- 
tigen Entdeckungen  Zimmers  über  die  handschriftlichen  Schicksale  des 
halbverschollenen  Pelagiuskommentars  zu  den  Paulinischen  Briefen. 

Wenige  Monate  nach  den  Glossae  Hibernicae  erschien  das  erste  Heft 
der  'Keltischen  Studien'  (1881),  zugleich  eine  Streitschrift  und  ein  Pro- 
gramm, im  Tone  von  selten  gehörter  Schärfe  und  durch  keine  Rücksicht 


Gedächtnisrede  auf  Heinrich  Zimmer.  9 

gemilderter  Schonungslosigkeit.  Es  geht  um  die  auf  noch  wüstem  Gebiete 
dringlichste  Frage,  wie  man  Texte  aus  mittelirischen,  oft  verwahrlosten  Hand- 
schriften edieren,  kritisch,  exegetisch,  lexikographisch  behandeln  soll.  Der 
Schüler  Scherers  und  Müllenhoffs  läßt  mit  Recht  von  den  strengen 
Forderungen  der  Methode  nichts  abdingen,  aber  über  all  den  Unzulänglich- 
keiten und  Halbheiten,  die  er  mit  fruchtbarer,  in  die  Tiefe  dringender  und 
in  die  Weite  schauender  Kritik  aufdeckt,  verliert  sein  Auge  das  rechte 
Maß  für  das  Nützliche  und  Fördernde,  das  in  einer  Periode  tastender  An- 
fänge auch  minder  gelungenen  Leistungen  innewohnen  mag.  Den  wuch- 
tigen Hieben  des  unerwarteten  Angriffs  antwortete,  begreiflich  genug,  ein 
mißtöniges  Echo.  Von  dem  Gekränkten  erwartet  niemand  die  Gelassenheit 
gerecht  abwägenden  Urteils.  Wer  aber  heute  nach  einem  Menschenalter 
als  Unbeteiligter  die  Akten  des  Streites  ohne  Voreingenommenheit  aufschlägt, 
braucht  mit  dem  Bekenntnisse  nicht  zurückzuhalten,  daß  die  'Keltischen 
Studien'  eine  Aufrüttelung  und  Gewissensschärfung  bedeuten,  die  der  Kelto- 
logie  jener  Tage  in  Deutschland  und  Frankreich  dringend  not  tat.  Die 
konzentrischen  Gegenangriffe  der  Getroffenen  richteten  sich  wohlweislich  fast 
nur  gegen  die  Außenwerke  der  von  Zimmer  gehaltenen  Stellung;  seine 
Hauptposition  erwies  sich  eben  doch  als  zu  fest  gegründet  und  zu  gut  be- 
wehrt und  spottete  der  Angreifer  (Göttingische  Gelehrte  Anzeigen  1 882,  673). 
Aber  die  Resonanz  williger  Anerkennung  blieb  fortan  Zimmers  Arbeiten 
aus  den  Kreisen  der  nächsten  Fachgenossen  versagt.  Es  war  eine  Einsam- 
keit um  ihn,  die  den  von  seiner  Forschung,  selbst  ihren  Irrtümern,  nach 
allen  Richtungen  ausstrahlenden  Anregungen  einen  Teil  ihrer  natürlichen 
Wirkungskraft,  wenigstens  für  die  Gegenwart,  rauben  mußte. 

In  den  programmatischen  Forderungen,  die  das  erste  Heft  der  Kelti- 
schen Studien  aufstellt  und  an  Probestücken  der  Forschung  gleich  praktisch 
exemplifiziert,  kündigen  sich  fast  alle  Aufgaben  einer  ihres  Namens  würdigen 
irischen  Philologie  vernehmlich  an.  Wie  strebt  doch  in  diesem  Kopfe  alles 
nach  Zusammenhang!  Keine  Tatsache,  kein  Zeugnis,  das  in  seiner  zufälligen 
Isoliertheit  verharrte  und  nicht  nach  seinem  Platze  in  der  Folge  der  Ge- 
schehnisse, in  der  Kette  der  Überlieferung  suchte!  Die  Geschichte  dieser 
Überlieferung  wird  zum  Hebel  der  Kritik  und  zu  einem  Mittel  historischer 
Erhellung  versunkener  Zeiten.  Die  in  Ihichtigen  Strichen  gezeichnete  Ent- 
wicklung der  einheimischen  irischen  Lexikographie  gibt  dem  modernen  Be- 
nutzer erst  den  rechten  Maßstab  för,  die  Verwendbarkeit  des  von  ihr  ge- 

Phil.-hist.  Klasse.    1911.    Gedächtnisr.  I.  2 


10  W.  Schulze: 

häuften  Stoffes.  Die  Kontrastierung  der  paar  in  Irland  selbst  erhaltenen 
alten  Kodizes  mit  der  Fülle  des  kontinentalen  Bestandes  an  Handschriften 
irischer  Provenienz  illustriert  anschaulich  das  Elend  der  Vikingerzeit,  deren 
Stürme  seit  795  über  Irlands  Klöster  und  Schulen  dahingegangen,  die  Blüte 
der  alten  Kultur  niedergebrochen  und  ihre  Träger,  die  Mönche  und  Ge- 
lehrten, übers  Meer  gescheucht  haben.  Die  aufmerksame  Betrachtung  der 
großen  Sammelhandschriften,  die  seit  dem  Ausgange  des  1 1 .  Jahrhunderts 
die  Trümmer  der  Überlieferung  in  sich  aufzunehmen  beginnen,  wird  lehr- 
reich filr  die  geschichtliche  Erkenntnis  der  Fundamente,  auf  denen  sich, 
unter  gewandelten  Verhältnissen,  die  Renaissance  der  irischen  Literatur  voll- 
zieht, in  deren  entstellendem  Spiegel  wir  allein  das  vielfach  getrübte  Bild 
der  echten  Heldensage  aus  heidnischer  Vorzeit  anzuschauen  vermögen.  Die 
lebendigen  Laute  der  modernen  Volkssprache  müssen  helfen,  das  nur  schein- 
tote Schriftbild  der  alten  Handschriften  für  unser  Ohr  wieder  klingend  zu 
machen.  Sprach-  und  Literaturgeschichte,  Kirchen-  und  Profangeschichte 
müssen  einander  in  die  Hand  arbeiten,  um  die  irische  Philologie  zu  schaffen, 
deren  Bild  hinter  all  der  vernichtenden,  in  Wahrheit  aufbauenden  Kritik 
der  'Keltischen  Studien'  in  deutlichen  Umrissen  emporsteigt. 

Zwanzig  Jahre  rüstiger  Kraft  und  schaffensfroher  Arbeit  hat  ihm  das 
Schicksal  noch  vergönnt,  diese  Umrisse  auszufiillen  und  vom  Zentrum  der 
irischen  Philologie  aus  das  weite  Gesamtreich  des  Keltentums  in  Ver- 
gangenheit und  Gegenwart  seiner  Forschung  zu  erobern.  Während  dieser 
zwanzig  Jahre,  deren  gleichmäßiger  Ablauf  fast  nur  durch  Reisen  nach 
der  Bretagne,  Irland  (1883.  1885)  und  Wales  (1899)  unterbrochen  wurde, 
hat  er  der  Universität  Greifswald  angehört  (seit  Ostern  1881),  an  allen 
Aufgaben  und  Fragen  des  akademischen  Lebens  in  Senat  und  Konzil  mit 
schnell  erworbenem  und  dauerndem  Einflüsse  beteiligt  und  den  Ausbau 
seiner  Institutionen  als  Dekan  und  Rektor  (1891/92)  tatkräftig  fördernd. 
Mit  der  Geschichte  dieser  Hochschule,  deren  Ruhm  er  als  Forscher  und 
Lehrer  gemehrt,  wird  das  Gedächtnis  seines  Wirkens  dauernd  verknüpft 
bleiben.  Auch  in  dem  Bilde,  das  ich  von  ihm  in  der  Seele  bewahre,  ge- 
hört beides  untrennbar  zusammen.  Dort  in  der  stillen  Ostseestadt,  wohin 
der  Ruf  seines  Namens  mich  gezogen,  hab  ich  ihn  kennen  gelernt,  zuerst 
als  Student  im  Sommer  1883,  in  der  Vollkraft  des  Lebens,  in  stetigem 
Anstiege  zu  den  Höhen  seiner  Leistung,  in  der  schmucklos  sachlichen, 
durch  den  Eindruck  der  Persönlichkeit  gehobenen  Wirkung  seines  Unter- 


Gedächtnisrede  auf  Heinrich  Zimmer,  \\ 

richts,  in  der  ungestümen  Leidenschaftlichkeit  des  ihn  verzehrenden  Ar- 
beitsdranges, aber  auch  in  der  geselligen  Fröhlichkeit  und  frischen  ür- 
sprünglichkeit  seines  lebhaften  Wesens,  die  schon  die  Kommilitonen  der 
Studentenzeit  an  ihm  zu  rühmen  wußten.  Das  Wilhelm  Scherer  ge- 
widmete Buch  'Über  altirische  Betonung  und  Verskunst'  hab  ich  Anfang 
1884,  als  Teilnehmer  einer  in  der  Wohnung  gehaltenen  Vorlesung  über 
irische  Grammatik,  entstehen  sehen,  in  sechswöchiger,  buchstäblich  un- 
unterbrochener Arbeit,  die  die  Nacht  zum  Tage  machte.  Es  bedeutete 
für  ihn  die  Befreiung  von  einem  Problem,  das  ihn  schon  lange  verfolgt 
hatte  (Zeitschrift  für  vergleichende  Sprachforschung  24,  542.  Beiträge  zur 
Kunde  der  indogermanischen  Sprachen  3,  327.  Glossae  Hibemicae  lv. 
Keltische  Studien  i,  122.  Deutsche  Literaturzeitung  1881,  924.  Güterbock, 
Bemerkungen  über  die  lateinischen  Lehnwörter  im  Irischen  1882,  3.  10),  fttr 
die  Wissenschaft  aber  nicht  mehr  und  nicht  weniger  als  die  Grundlegung 
eines  wirklichen  Verständnisses  aller  irischen  Sprachgeschichte.  Daß  un- 
abhängig von  Zimmer  auch  Thurneysen  die  Erkenntnis  der  Akzent- 
gesetze aufgegangen  ist,  die  die  Gestaltung  des  proteusartig  verwandlungs- 
fähigen irischen  Verbums  beherrschen,  mindert  den  Ruhm  der  Entdeckung 
für  keinen  von  beiden:  immer  wird  sie  unter  die  glänzendsten  Erfolge 
gezählt  werden,  die  der  sprachgeschichtlichen  Forschung  des  19,  Jahr- 
hunderts gelungen  sind.  Wie  durch  die  Kraft  eines  Zauberwortes  löst  sie 
tausend  Rätsel  (gibt  freilich,  wie  jeder  wichtige  P>kenntnisfortschritt,  auch 
neue  Rätsel  auf),  wandelt  das  Chaos  in  Ordnung  und  zwingt  die  beunruhi- 
gende Willkür  der  Erscheinungen  unter  die  Herrschaft  eines  hinter  den 
Dingen  sichtbar  werdenden  Gesetzes. 

Während  der  ersten  Jahre  dominiert  noch  in  Zimmers  keltologischen 
Arbeiten  das  grammatisch-lexikographische  Interesse,  da  er,  wie  sich 's  ge- 
bührt, von  exaktem,  grammatisch  gesichertem  Wortverständnis  zu  den  höheren 
Aufgaben  der  literarischen  und  historischen  Forschung  vorwärtsschreitet.  In 
langer  Reihe  zieren  seine  Aufsätze,  die  nicht  immer  abschließend,  aber  immer 
voll  entscheidender  Anregungen,  fast  alle  Seiten  des  Sprachlebens  berühren 
—  Etymologie  und  Wortgeschichte,  Namenkunde  und  Wortbildung,  Formen- 
lehre und  Syntax,  Geschichte  der  Laute  und  ihrer  graphischen  Bezeichnung, 
mundartliche  Variation  und  schriftsprachliche  Fixierung  — ,  die  Bände  der 
Kuhn  sehen  Zeitschrift  (24 — 36,  Keltische  Studien  i— 17»  aus  den  Jahren 
1877 — JS99),   später   auch  der  Zeitschrift  fiir  Gel  tische  Philologie  (i — 3, 


12  W.   Schulze: 

1897 — 1901).  Mag  man  im  einzelnen  noch  so  oft  zweifeln  und  anstoßen, 
der  Eindruck  des  Ganzen  bleibt  imponierend,  weil  m?m  je  länger,  je  stärker 
hinter  dem  geringfügigsten  Detail  die  lebendige  Kraft  einer  geschlossenen, 
Kleines  wie  Großes,  Nahes  und  Fernes  in  ihren  Dienst  zwingenden  Konzep- 
tion zu  spüren  bekommt.  Die  Idee  der  pankeltischen  Philologie,  getragen 
von  stets  bereiter,  scheinbar  müheloser  Beherrschung  alles  Stofflichen,  gibt 
jeder  einzelnen  Frage  Zusammenhang  und  Hintergrund.  Überall  zeigen  die 
grammatischen  Deduktionen  über  Wortgebrauch  und  Etymologie  die  durch 
keinen  Bücherstaub  gebleichte  Farbe  unmittelbarer  Anschauung,  der  An- 
schauung gegenwärtigen  und  vergangenen  Lebens,  der  die  Erinnerung  an 
irische  Baueriisitte  ebenso  selbstverständlich  wie  die  Kenntnis  mittelalter- 
licher Beichtpraxis  zu  einem  Mittel  des  philologischen  Verständnisses  wird. 
Und  wie  wirksam  weiß  Zimmer  umgekehrt  den  Wandel  der  Zeiten  und  An- 
schauungen, den  Gegensatz  der  unabhängigen  irischen  Kirche  und  der  unter 
die  Herrschaft  Roms  gebeugten  an  der  Bedeutungsgeschichte  etwa  des 
Wortes  crahud  zu  demonstrieren,  das  zuerst  fides,  religio,  dann  Kasteiung 
und  Abtötung  bedeutet  (Zeitschrift  für  Deutsches  Altertum   33,  303)! 

Da  Zimmers  Plan  eines  durch  das  wichtigste  mittelirische  Material 
erweitert>Cn  Altirischen  Wörterbuches  mit  Ascolis  Arbeiten  und  Zukunfts- 
dispositionen kollidierte,  erfolgt  um  die  Mitte  der  achtziger  Jahre  eine  eht' 
schiedenere  Hinwendung  zu  literargeschichtlichen  Forschungen,  die  durch 
die  umfängliche  Studie  'Über  den  kompilatorischen  Charakter  der  irischen 
Sageritexte  itn  sogenannten  Lebor  na  hUidre'  (Zeitschrift  für  vergleichende 
Sprachforschung  28,467 — 689:  18.  Okt.  1886)  eingeleitet  wurden.  Immer 
wieder  hat  er  die  bedeutendsten  Dokumente  der  irischen  Heldensage  mit  vor- 
geschritteneren Studenten  oder  jüngeren,  meist  ausländischen  Gelehrten,  die 
zur  Förderung  ihrer  keltischen  Studien  seinen  Unterricht  suchten,  manches 
Mal  unter  Drangabe  seiner  Ferienmuße,  durchgearbeitet  und  war  dabei  zu 
«inei'  Gesamtauffassung  ihrer  Überlieferungsgesbhichte  gelangt,  die  den  Hin- 
tergrund abgibt  für  die  großen  Untersuchungen'  über  nordgermanische  Ein- 
flüsse auf  irisdie  Sagenbildung  und  Sagenträditioh  (Zeitschrift  für  Deutsches 
Altertum  32,  1888,  und  35,  1891  ;  vgl.  aucli  Göttingische  Gelehrte  Anzeigen 
•1887,  185).  Hiier  wird  die  Sage,  deren  Entwickelung  » von  den  ältesten  Auf- 
Eeichnungefi  bi«  In  die  romanz;enhaften  Erzählungen,  die  heutigen  Tages  im 
Westen  und  Süderi  Irlands  umgehen«'  schon  früh  s6in  Interesse  in  Anspruch 
genommen  (Deutsche  Literaturzeitung  1881,  201),  zu  einem  »Spiegel  irischer 


Gedächtnisrede  auf  Heinrich  Zimmer.  IB 

Geschichte«,  in  dem  sich  alle  Erlebnisse  und  Eindmcke  wechselnder  Zeiten 
reflektieren.  Die  Wurzeln  des  älteren  Sagenkreises,  dessen  Held  Cuchulinn, 
dessen  Heimat  Nordirland  ist,  reichen  noch  in  die  heidnische  Vorzeit  der  Insel 
zurück,  wenn  auch  die  abschließende  Gestaltung  erst  nach  der  vollzogenen 
Christianisierung  erfolgt  sein  kann,  freilich  noch  unter  der  Herrschaft  des 
alten,  von  Rom  unabhängigen  Christentums,  dem  die  unduldsame  und  zelotische 
Unterdrückung  heidnischen  Wesens  auch  in  der  Literatur  unbekannt  war.  Die 
Eindrücke  der  Vikingerzeit  bilden  hier  nur  einen  fremden  Einschlag  in  das 
ursprüngliche  Gewebe  der  Sage,  den  die  kritische  Forschung  wohl  zu  er- 
kennen, wenn  auch  nicht  mehr  glatt  herauszutrennen  vermag.  Ganz  anders 
die  Süd  irische  Sage,  die  sich  um  die  Gestalten  Finns  und  Ossians  gruppiert. 
Aus  ihr  glaubt  Zimmers  Ohr  den  unmittelbaren  Nachhall  jener  verhäng- 
nisvollen Zeit  herauszuhören,  da  nordgermanische  Krieger  das  Reich  des 
Schreckens  und  der  Gewalttat  in  Irland  aufgerichtet  hatten.  Und  seine 
kombinationsfrohe  Gelehrsamkeit  ruht  nicht,  bis  sie  auch  das  historische 
Urbild  des  Sagenhelden  in  der  Person  eines  Vikingerhäuptlings  Caittil  Find 
aus  der  Mitte  des  9.  Jahrhunderts  entdeckt  hat  —  oder  entdeckt  zu  haben 
glaubt.  Denn  wie  weit  die  J]rgebnisse  dieser  in  alle  Winkel  der  Über- 
lieferung hineinleuchtenden,  allen  Problemen  energisch  zu  Leibe  gehenden 
Untersuchung  sich  vor  der  Kritik  der  Zukunft  bewähren  mögen,  wage  ich 
nicht  vorauszusagen.  Aber  auch  vor  diesem  Forum  wird,  denk'  ich,  ihrem 
Verfasser  das  Verdienst  ungeschmälert  bleiben,  große  Fragen  in  einem 
großen  Sinne  aufgeworfen  und  mit  unerschrockener  Konsequenz  zu  Ende 
gedacht  zu  haben.  Wer  hat  wie  Zimmer  die  Sehranken  insularer  Ab- 
geschlossenheit, hinter  denen  das  Leben  Irlands  im  Mittelalter  wie  in  der 
Römerzeit  sich  zu  verstecken  schien,  niedergerissen  und  die  Bewohner  der 
grünen  Insel  mitten  hinein  in  die  Zusammenhänge  der  europäischen  Kultur- 
geschichte gestellt?  Er  hat  sie  uns  aber  nicht  bloß  als  Empfangende  ge- 
schildert, sondern  auch  als  Gebende.  Auf  allen  Wegen  hat  er  die  Söhne 
dieser  wanderlustigsten  Nation  mit  seiner  die  wohlabgesteckten  Grenzen 
der  Einzeldisziplinen  wagemutig  überspringenden  Forschung  begleitet,  die 
Sendboten  des  irischen  Christentums  und  der  in  ihm  gepflegten,  den  Zu- 
sammenhang init  dem  Altertum  wahrenden  Kultur,  die  unter  den  Angel- 
sachsen und  auf  dem  Kontinent  zu  Kloster-  und  Schulgründern  wurden 
(Neues  Archiv  für  ältere  Deutsche  Geschichtskunde  17,  1892,  209),  die 
weltflüclitigen  Anachoreteri,   die  auf '  den  Inseln  ^  des  höhen  Nordens,   von 


14  W.  Schulze: 

den  germanischen  Piraten  immer  weiter  hinaufgetrieben,  die  Einsamkeit 
suchten  und  von  denen  die  erste  Kunde  über  die  Färöer-Inseln  und  Island 
ins  Frankenreich  gelangte  (Sitzungsber.  d.  Berl.  Akad.  d.  Wiss.  1891,  279). 
In  der  Studie  über  Brendans  Meerfahrt  (Zeitschrift  för  Deutsches  Alter- 
tum 33,  1888,  129.  257)  versucht  er  die  Wurzeln  eines  beliebten  mittel- 
alterlichen Erzählungsstoffes  in  der  irischen  Profanliteratur  und  im  irischen 
Volksglauben  bloßzulegen  und  seine  Eigenart  aus  der  seit  den  ältesten  Zeiten 
für  das  irische  Denken  charakteristischen  »Freude  an  dem  seltsam  über- 
triebenen Wunderbaren«  zu  erklären.  Auch  in  den  Streit  der  Romanisten 
über  die  Quellen  und  Vorgeschichte  der  Arthussagen  hat  er  mit  Unter- 
suchungen von  unvergleichlicher  Gelehrsamkeit  und  Spürkraft  eingegriffen, 
deren  Ziel  auch  hier  die  Aufrollung  der  ganzen  Sagen ent Wicklung  war, 
von  den  Anfängen  an,  die,  echte  Heldensage,  aus  den  Kämpfen  des  5.  und 
6.  Jahrhunderts  zwischen  den  britannischen  Inselkelten  und  den  angel- 
sächsischen Eroberern  geboren  werden,  bis  zu  ihrer  Einmündung  in  die  alt- 
französische Epik,  an  die  der  alte,  inzwischen  romantisch  umgeformte  Sagen- 
stoff durch  französisch  redende  Bretonen  vermittelt  wird,  deren  Ahnen  einst, 
aus  der  alten  Inselheimat  vor  der  Übermacht  der  Germanen  weichend,  mit 
ihrer  noch  heute  lebendigen  Sprache  auch  die  sagenhafte  Erinnerung  jener 
Kämpfe  auf  den  Kontinent  herübergerettet  hatten  (Zeitschrift  für  franzö- 
sische Sprache  und  Literatur  12,  1890,  231  ;  13,  1891,  i.  Göttingische  Ge- 
lehrte Anzeigen  1890,488.  785).  Nur  gelegentlich  hat  Zimmer  auch  der 
Geschichte  der  literarischen  Formen  und  den  in  ihr  sich  manifestierenden 
ethnischen  und  kulturellen  Zusammenhängen  Beachtung  geschenkt,  hat  etwa 
den  Einfluß  Vergils  auf  die  Komposition  des  irischen  Imram  Maelduin,  Meer- 
fahrt des  Maelduin,  untersucht  (Zeitschrift  fär  Deutsches  Altertum  'J^t,, 
326 — 331  ;  vgl.  Sitzungsber.  d.  Berl.  Akad.  d.  Wiss.  1906,  367),  auf  die  Be- 
deutung des  germanischen  Heldenliedes  fär  die  Balladenform  der  Finn- 
(Ossian-)  Sage  hingewiesen  oder  (nach  Todd)  den  Sagaerzähler  Islands  mit 
dem  irischen  scelide,  dem  Träger  der  epischen  Überlieferung  in  ihrer  alt- 
keltischen Form  (Prosa  untermischt  mit  Versen),  in  Verbindung  gebracht 
(ebenda  35,  32.  35).  Auch  seiner  wiederholten  Beschäftigung  mit  dem 
wunderlichen  Gewächse  der  Hisperica  famina,  von  denen  Verbindungsfäden 
in  die  altirische  Literatur  hinüberlaufen,  darf  hier  gedacht  werden  (Nen- 
nius  vindicatus  291.  Nachrichten  der  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu 
Göttingen  1895,  117.      Sitzungsber.    d.   Berl.    Akad.  d.  Wiss.  1910,  1031). 


Gedächtnisrede  auf  Heinrich  Zimmer.  |§ 

Im  ganzen  indess  hat  ihn,  von  der  Sprache  abgesehen,  an  den  Erzeugnissen 
keltischer  Literaturen  das  Stoflfliche  immer  lebhafter  interessiert  als  die  Form. 

Von  dem  tapferen  Führer  der  Briten  gegen  Angeln  und  Sachsen,  dem 
dux  bellorum  Arthur,  meldet  die  Historia  Brittonum  des  Nennius,  deren 
verworrenen  Inhalt  Zimmer  in  verschiedenen  Anläufen,  äußeren  Anregungen 
Mfillenhoffs  (i 880/81)  und  Theodor  Mommsens  (1892)  folgend,  für  die 
geschichtliche  Forschung  benutzbar  zu  machen  mit  seltener,  keine  Schwierig- 
keit umgehender  Energie  bemüht  gewesen  ist.  Für  die  Ausgabe  in  den 
Chronica  minora  hat  er  den  irischen  Zweig  der  Überlieferung  bearbeitet,  in 
seinem  Nennius  vindicatus  (1893)  allen  Problemen  der  Analyse  und  Quellen- 
forschung eine  tiefschürfende  Untersuchung  zuteil  werden  lassen,  voll  reichen 
Ertrages  fär  die  Geschichte  der  keltischen  Literaturen,  der  Völkerbeziehungen 
und  Kulturzusammenhänge  auf  den  britischen  Inseln.  Eine  starke  Kraft 
konstruktiver  Phantasie  sehen  wir  am  Werk,  aus  den  vielfach  zerschlagenen 
und  durcheinandergeworfenen  Trümmern  der  Überlieferung  einen  in  sich 
lückenlos  geschlossenen  Bau  wieder  aufzurichten.  Bis  in  alle  Einzelheiten 
wird  die  Geschichte  des  Buches,  durch  alle  Phasen  seines  wechselvollen 
Schicksals,  rekonstruiert  und  nacherzählt,  wobei  es  denn  freilich  nicht  hat 
ausbleiben  können,  daß  die  Tragfähigkeit  der  die  Rekonstruktion  stützenden 
Kombinationen  zuweilen  überschätzt  und  die  Zusammenfügung  der  aneinander- 
passenden  Werkstücke  verfehlt  worden  ist.  Doch  als  Theodor  Mommsen 
an  einem  entscheidenden  Punkte  den  Nachweis  erbrachte,  daß  das  Zeugnis 
einer  von  Zimmer  nicht  ausreichend  gewerteten  wichtigen  Handschrift  die 
Grundlagen  der  Rekonstruktion  verschiebe,  bekannte  er  zugleich:  'Zu  den 
Verdiensten,  die  der  geschichtlichen  Forschung  durch  mich  erwachsen  sind, 
werde  ich  immer  dasjenige  zählen,  daß  Heinrich  Zimmers  Nennius  vindi- 
catus vielleicht  nicht  erschienen  wäre,  wenn  nicht  meine  durch  die  Arbeiten 
för  die  Monumenta  Germaniae  historica  veranlaßten  Anfragen  und  Wünsche 
diesem  Werke  zmn  Hebel  geworden  wären.  Denn  darüber  wird  kaum  eine 
Meinungsverschiedenheit  bestehen,  daß  dies  Buch  uns  den  geschichtlichen 
Horizont  erweitert  und  in  dem  Kreis  derjenigen  Forschung,  die  von  dem 
untergehenden  Römerstaat  zu  den  Anfängen  der  Neuzeit  die  Brücke  finden 
möchte,  die  Zweige  des  Keltentums  zu  rechter  Geltung  gebracht  hat'  (Neues 
Archiv  19,  285). 

Das  niemals  aussetzende  Studium  der  irischen  Heldensage  führte  einen 
Forscher    wie  Zimmer,   der  jedes  Problem  in  seinem  Kerne  zu  erfassen 


16  W.  Schulze: 

gewöhnt  war,  mit  Notwendigkeit  auf  die  Fragen,  wieweit  sich  in  ihr 
die  Zustände  des  Entstehungszeitalters  ungetrübt  reflektieren  und  welches 
Bild  urkeltischen  Heidentums  wir  dahinter  ahnend  zu  erkennen  vermögen. 
So.  lehrte  das  Beispiel  seiner  Untersuchung  über  Iren  und  Nordgermanen 
die  späten  Niederschläge  der  Vikingerzeit  auszusondern  und  die  geschiclit- 
liche  Anschauung  der  Anfänge  irischen  Volkstums  von  ihrem  die  Wahr- 
heit entstellenden  Einflüsse  freizumachen.  Bedeutungsvoller  noch  war  die 
Antwort,  die  Zimmer  der  zweiten  Frage  gefunden  hat.  Aus  wiederholten 
Andeutungen  läßt  sich  erkennen,  daß  ihn,  der  vom  germanischen  und  indi- 
schen Altertum  her  an  die  irische  Heldensage  herangetreten  war,  die  hier  der 
Frau  zugewiesene  Stellung  und  Rolle  als  etwas  abstoßend  Fremdartiges  be- 
rührt und  zugleich  wissenschaftlich  beunruhigt  hat.  Der  Nachweis  mutter- 
rechtlicher Erbfolge  und  mutterrechtlicher  Zustände  bei  den  Pikten,  den  stamme 
fremden  Vorgängern  der  Kelten  im  Besitze  der  britischen  Inseln,  löste  die 
Aporie  durch  die  glaubhafte  Voraussetzung  einer  Bluts-  und  Kulturmischung 
und  verpflichtete  die  Sprach-  und  Geschichtsforschung  zu  neuen  Aufgaben, 
deren  fernes  Ziel  die  methodische  Sonderung  der  in  Sprache  und  Sitte  über- 
einander gelagerten  Schichten  urzeitlichen  und  indogermanischen  Charakters 
sein  muß  (Zeitschrift  der  Savigny-Stiftung  für  Rechtsgeschichte  15,  1894, 
Roman.  Abt.  209.  Sitzungsber.  d.  Berl.  Akad.  d.  Wiss.  1 909, 84.  1911,1  74). 
Allzeit  ist  in  Zimmer  ein  starkes  Interesse  an  den  politischen  Fragen 
der  Gegenwart  lebendig  gewesen,  das  ihn  gelegentlich  selbst  zu  persön- 
lichem Eintreten  in  die  Wahlkämpfe  seiner  neuen  Heimat  gedrängt  hat. 
So  verbindet  sich  denn  auch  politisches  und  historisches  Interesse,  zugleicli 
mitfiihlendes  Verständnis  fär  alle  Regungen  nationalen  Lebens  und  unbe- 
fangen nüchterne  Abschätzung  der  realen  Bedingungen  des  Erfolges  in  der 
planmäßigen,  auch  die  Zeugnisse  der  einheimischen  Tagespresse  ausbeu- 
tenden Aufmerksamkeit,  mit  der  er  die  fortschreitende  Selbstbesinnung 
der  modernen  Kelten  in  Irland  und  Schottland,  im  englischen  Wales  und 
in  der  französischen  Bretagne,  das  Wiedererstarken  ihrer  nationalen  Sprache, 
das  Erwachen  pankeltischer  Verbrüderungsideen  und  die  unausbleibliche 
Rückwirkung  dieser  Bewegung  auf  die  innere  Politik,  vor  allem  Englands, 
verfolgt  hat;  In  einer  Reihe  umfassender  Vorträge  hat  er  die  einzelnen 
Phasen  dieser  Entwicklung  auf  der  Grundlage  ihrer  geschichtlichen  Vor- 
aussetzungen anschaulich  geschildert)  auch  ihr  seJir  verschieden  geartetes 
inneres  Verhältnis  zu  protestantischer  Gemeindefrömmigkeit   und  römisch- 


Gedächtnisrede  auf  Heinrich  Zimmer.  17 

katholischer  Weltpolitik  wirksam  beleuchtet  (Preußische  Jahrbücher  Bd. 
92/93,  1898.  99,  1900.  Randglossen  eines  Keltisten  zum  Schulstreik  in 
Posen- Westpreußen  und  zur  Ostmarkenfrage  1907). 

Früh  hatte  er  begriffen,  daß  auch  das  philologische  Verständnis  alt- 
und  mittelirischer  Literaturdenkmäler  ohne  persönliche  Vertrautheit  mit 
der  Geschiclite  des  irischen  Christentums,  seiner  Theologie  und  kirch- 
lichen Institutionen  nicht  wohl  zu  erreichen  sei,  und  daraus  in  seiner  reso- 
luten, die  eigene  Arbeit  allen  Forderungen  des  neuen  Stoffes  schnell  an- 
passenden Art  sofort  die  praktischen  Konsequenzen  gezogen  durch  die  Aus- 
dehnung seiner  Studien  auf  kirchenhistorisches  Gebiet  (Keltische  Studien 
1,7.  24.  Zeitschrift  fär  vergleichende  Sprachforschung  32,  187.  Sitzungs- 
berichte der  Berliner  Akademie  1909,  399).  Wie  vortrefflich  er  die  unver- 
drossen betriebene  Lektüre  der  Acta  Sanctorum  für  alle  Seiten  seiner  viel- 
seitigen Forschung  zu  nützen  verstand,  lernt  man  vielleicht  am  besten 
aus  der  eingehenden  Besprechung,  die  er  in  den  Göttingischen  Gelehrten 
Anzeigen  1891,  153  einer  unzulänglichen  Ausgabe  lateinischer  Heiligenleben 
irischen  Ursprungs  gewidmet  hat.  Die  Gestalt  des  heiligen  Patrick,  dessen 
von  wuchernder  Legendenbildung  umsponnenes  Bild  die  geschichtlichen 
Anfange  des  irischen  Christentums  mehr  zu  verdunkeln  als  aufzuhellen 
scheint,  hat  Zimmers  Arbeit  zu  wiederholten  Malen  intensiv  beschäftigt 
(Zeitschrift  fiir  Deutsches  Altertum  35,  55.  Nennius  vindicatus  146.  208). 
Eine  kritische  Prüfung  der  Überlieferung  f[ihrte  ihn  zu  dem  die  traditio- 
nelle Auffassung  umstürzenden  Ergebnis,  daß  die  den  Heiligen  mit  der 
Gloriole  des  Irenaposteis  schmückende  Legende  aus  unbeabsichtigter  Kon- 
fusion und  bewußter  Fälschung  —  im  Interesse  des  erzbischöflichen  Stuhles 
von  Armagh  und  zur  Beglaubigung  seiner  Ansprüche  auf  den  Primat  Ir- 
lands —  entstanden  sei.  An  lebhaftem  Widerspruch  gegen  diese  kühne  These 
hat  es  freilich  nicht  gefehlt.  Doch  als  die  Redaktion  der  'Realenzyklopädie 
für  protestantische  Theologie'  eine  knappe  historische  Darstellung  der  'Kel- 
tischen Kirche  in  Britannien  und  Irland'  brauchte,  fiel  die  Aufgabe  ganz 
von  selbst  an  Zimmer,  der  schon  für  den  2.  Band  die  keltischen  Bibel- 
übersetzungen behandelt  hatte,  nicht  an  einen  zünftigen  Kirchenhistoriker 
(Bd.  10,  204  dritter  Auflage).  Die  Ausfährv^ng  der  im  Frühjahr  1899  über- 
nommenen Arbeit  veranlaßte  ihn  zur  Wiederaufnahme  älterer  Studien  über 
den  Pelagiuskommentar  zu  den  Paulinischen  Briefen  und  seine  Schicksale 
in  Irland,    deren   Anfänge   bis   in    die   Zeit   der  Vorbereitung   der   Glossae 

Phil.-hisL  Klasse.    1911.    Gedächtnisr.  1.  3 


18  W.  Schulze: 

Hibernicae  (1881)  zurückreichen.  Durch  systematische  Verfolgung  und 
scharfsinnige  Verknüpfung  aller  Spuren,  die  die  Benutzung  dieses  Kommen- 
tars in  irischen  Handschriften  der  Insel  und  des  Kontinents,  auch  in  alten 
Handschriftenkatalogen  der  von  irischen  Mönchen  besuchten  Klöster  hinter- 
lassen hat,  ist  es  Zimmer  nicht  nur  gelungen,  ganz  neue  Materialien  fär 
die  Rekonstruktion  des  ursprünglichen  Werkes  zu  erschließen,  er  hat  auch 
in  seinem  Buche  Telagius  in  Irland.  Texte  und  Untersuchungen  zur  pa- 
tristischen  Literatur'  (1901)  die  Rekonstruktion  selbst  in  Angriff  genommen 
und  die  Geschichte  der  Überlieferung  aufgehellt.  Voller  klang  nun  der  Dank 
der  Theologen  als  je  die  Zustimmung  oder  Anerkennung  der  nächsten  Mit- 
arbeiter. 'Die  Kirchengeschichte,  schrieb  damals  Jülich  er,  die  neutestament- 
liche  Wissenschaft,  die  Geschichte  der  Kultur  im  Ausgange  des  Altertums 
haben  wahrlich  Grund  zu  freudiger  Dankbarkeit,  und  bewunderungswürdig 
erscheint  der  Sprachforscher,  den  die  Menge  und  Schwierigkeit  der  Arbeiten 
in  seinen  Spezialfächern  nicht  abhält,  die  Patristiker  beinahe  zu  beschämen 
durch  eine  Monographie,  die  ebenso  durch  die  Masse  neuen  Stoffs  wie 
durch  die  Exaktheit  der  Methode  und  durch  die  Vertrautheit  mit  aUem 
Handwerkszeug  imponiert'  (Göttingische  Gelehrte  Anzeigen  1902,  281). 

Es  war  der  letzte  große  und  unumstrittene  Erfolg,  der  Zimmers  wissen- 
schaftlicher Arbeit  beschieden  sein  sollte.  Mit  rücksichtsloser  Anspannung 
aller  Kräfte  hatte  er  den  Abschluß  der  Untersuchung  beschleunigt,  da  schon 
die  Übersiedlung  nach  Berlin  (Herbst  1 901)  unmittelbar  bevorstand,  in  die 
eigens  für  ihn  geschaffene  erste  deutsche  Professur  für  keltische  Philologie, 
in  eine  Stellung  von  neuen,  wie  alle  Beteiligten  hofften,  reicheren  Wirkungs- 
möglichkeiten. Doch  die  Summe  körperlicher  Leistungsfähigkeit,  die  die 
Natur  dem  Einzelnen  zuzumessen  scheint,  war  durch  die  Leidenschaft  der 
Arbeit,  die  von  früher  Jugend  her  sein  ganzes  Leben  beherrscht  hatte,  vor- 
zeitig erschöpft  worden.  Die  alte  Kraft  und  Frische  eines  schier  unver- 
wüstlichen Wesens  schien  von  ihm  gewichen  zu  sein.  Der  Tod  Johannes 
Schmidts  und  Albrecht  Webers,  die,  einst  seine  Lehrer,  jetzt  seine 
nächsten  Fakultätsgenossen  hätten  werden  sollen,  warf  seine  Schatten  gleich 
auf  den  Beginn  der  Berliner  Wirksamkeit.  Nach  kurzem  Anlauf  mußte 
Zimmer  jeder  Tätigkeit  auf  Jahre  entsagen.  Die  Feuersbrunst,  der  im 
Sommer  1 903  seine  Bibliothek  zum  Raube  wurde,  zerstörte  zugleich  die 
Frucht  fiinfundzwanzigjähriger  Mühen,  die  Fülle  der  daheim  oder  in  der 
Fremde  zusammengebrachten  Kollationen,   die  reichen  grammatischen  und 


Gedächtnisrede  auf  Heinrich  Zimmer.  19 

lexikalischen  Sammlungen,  aber  sie  offenbarte  ihm  auch  die  werktätige  Liebe 
seiner  Schüler,  Freunde,  Kollegen,  in  deren  vorderster  Reihe  der  [greise 
Theodor  Mommsen  stand,  und  ließ  uns  alle  staunend  erkennen,  indem 
sie  ihn  der  selbstgeschaffenen  Hilfsmittel  der  Forschung  grausam  beraubte, 
wie  unabhängig  von  allen  äußeren  Arbeitsbehelfen,  fast  körperhaft  lebendig 
sich  das  Bild  einer  allumfassenden  keltischen  Philologie  seinem  Denken  und 
Anschauen  eingegraben  hatte.  Denn  dies  vor  allem  sichert  seinem  Namen 
den  Nachruhm  und  seiner  Arbeit  die  in  ferne  Zukunft  reichende  Wirkung, 
viel  mehr  noch  als  die  wahrlich  große  Summe  aller  Einzelleistungen,  daß 
eine  ganze  Disziplin  in  seinem  Kopfe  zum  ersten  Male  sich  der  Weite  ihres 
Gebietes,  der  Vielgestaltigkeit  und  Bedeutung  ihrer  Aufgaben  und  zugleich 
ihrer  notwendigen  inneren  Einheit  in  Klarheit  bewußt  geworden  ist.  Seit 
seiner  um  Jahre  verspäteten  akademischen  Antrittsrede  vom  30.  Juni  1904 
schien  in  langsamer  Rückkehr  der  Arbeitskraft  auch  die  Arbeitsfreudigkeit 
früherer  Tage  zu  neuem  Fluge  wieder  die  Schwingen  regen  zu  wollen. 
Noch  einmal  führte  er  uns  —  in  einer  Reihe  großer  Abhandlungen  aus 
den  Jahren  1906 -1909  —  durch  alle  Stätten  seiner  Lebensarbeit,  rührte 
an  alle  Seiten  einer  fast  unabsehbaren  Überlieferung  und  zeigte  in  lebendig 
angeschauten  Bildern  die  immer  großen  Ziele  seiner  vom  Einzelnen  zum 
Ganzen  strebenden  Forschung,  noch  einmal  faßte  er  den  Ertrag  »jahrelanger, 
immer  erneuter,  unverwandter  Beschauung  der  Geschichte«  zusammen,  um  in 
kräftigen,  sicheren  Umrissen  ein  Gesamtbild  des  Keltentums,  seiner  Sprachen 
und  Literaturen,  vor  uns  hinzustellen  (Die  Kultur  der  Gegenwart,  Teil  I, 
Abteilung  XI  i,  1909).  Aber  was  den  Freunden  als  hoffnungsvoller  Anfang 
einer  neuen  Schaffensperiode  erscheinen  mochte,  ist  in  Wahrheit  sein  Ver- 
mächtnis geworden.  Die  Kraft  zur  Arbeit  und  zum  Leben,  das  ihm  zu  allen 
Zeiten  mit  Arbeit  gleichbedeutend  gewesen,  war  aufgezehrt.  Am  29.  Juli 
19 10  ist  er  von  uns  gegangen,  das  Dunkel  der  Todesnacht  mit  den  Worten 
des  Aiax  grüßend: 

CKÖTOC     EMÖN     <t>ÄOC, 

ePSBOC     S     «AeNNÖTATON     ü)C     GMOI. 


Hymnen  an  das  Diadem  der  Pharaonen. 

Aus  einem  Papyrus  der  Sammlung  Golenischeif 

herausgegeben 

von 

H™  ADOLF  ERMAN. 


Phil.-hist.  Klasse.   1911.   Abh.  L 


Vorgelegt  in  der  Sitzung  der  phil.-hist.  Klasse  am  6.  Februar  1908. 
Zum  Druck  eingereicht  am   1.  September  1911,  ausgegeben  am  16.  November  1911. 


Einleitung. 

Der  Papyrus,  den  ich  hier  mitteile \  gehört  zu  den  Schätzen,  die  Wäldern ar 
Golenischeff  für  die  Wissenschaft  gesammelt  hat^  Seiner  nie  versagenden 
Güte  verdanke  ich  es,  daß  ich  ihn  hier  veröft'entlichen  kann ;  obgleich  er 
selbst  sich  schon  mit  dem  Texte  beschäftigt  hatte,  überließ  er  ihn  mir 
doch  auf  das  bereitwilligste  zur  Bearbeitung  und  gestattete  mir  seinerzeit, 
ihn  bis  zum  Abschlüsse  dieser  Arbeit  in  Berlin  zu  bewahren.  Ks  ist  mir 
ein  Bedürfnis,  ihm  auch  an  dieser  Stelle  dafür  zu  danken. 

Herkunft  und  Entstehung  des  Papyrus. 

Während  Hr.  Golenischeff  die  anderen  Hauptstücke  seiner  Samm- 
lung, wie  den  Reisebericht  des  Wenamon  oder  das  Glossar,  in  Ägypten 
selbst  erworben  hat,  ist  ihm  dieser  Papyrus  vor  Jahren  aus  russischem 
Privatbesitze  zugekommen,  und  es  fehlt  somit  an  jeder  Nachricht  über 
seine  Auffindung.  Aus  seiner  tadellosen  Erhaltung  wird  man  aber  schließen 
dürfen,  daß  er  die  Jahrtausende  in  einem  Grabe  überdauert  hat  und  da 
die  Texte,  die  er  enthält,  für  den  Tempel  des  Sobk  von  Krokodilopolis 
bestimmt  sind,  so  wird  er  aus  der  Heimat  dieses  Krokodilgottes,  dem  Fai- 
jume,  stammen.  Irgendein  Priester  des  Sobk,  der  in  einer  der  Nekropolen 
des  alten  Krokodilopolis  bestattet  wurde,  wird  das  Buch,  aus  dem  er  einst 
im  Tempel  gesungen  hatte,  mit  sich  ins  Grab  genommen  haben. 

Auch  das  Alter  des  Papyrus  läßt  sich  mit  Sicherheit  feststellen.  Wer 
seine  Schriftformen  vergleicht,  wie  sie  jetzt  im  ersten  Bande  von  Möllers 


^    Als  Bezeichnung  für  ihn  schlage  ich  vor  VRitual  Golenischeff« ;   so  haben  wir  ihn 
))ei  den  Wörterbucharbeiten  zitiert. 

'■^    Seit  ich  dies  schrieb,  ist  der  Papyrus  mit  der  Sanunlung  Golenischeff  in  den  Besitz 
dos  russischen  Staates  übergegangen. 

1* 


E  R  M  A  N  : 


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Hymnen  an  das  Diadem  der  Pharaonen. 

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Hieratischer  Paläographie  zusammengestellt  sind,  sieht  ohne  weiteres,  daß 
der  Papyrus  Golenischeff  ein  Genosse  des  Mathematischen  Handbuchs  des 
Westcar  und  des  Ebers  ist;  nach  Möller  steht  er  zwischen  den  beiden 
letzteren.  Der  Papyrus  stammt  also  aus  dem  Ende  der  Hyksoszeit,  d.  h. 
etwa  aus  dem  1 7 .  Jahrhundert  v.  Chr.  Der  Papyrus  ist  ein  schmaler  Streifen 
feiner  Qualität  von  7.1  cm  Höhe,  der  heute  noch  etwa  5.72  m  in  der  Länge 
mißt.  Er  ist  aus  15  Blättern  zusammengeklebt,  die  meist  39 — 42^  cm 
messen'.     Nur  die  Vorderseite  (Horizontalfasern)  ist  beschrieben. 

Wie  aus  der  vorstehenden  Schriftprobe  ersichtlich  ist,  haben  drei  ver- 
schiedene Hände  an  diesem  Buch  gearbeitet: 


Erste  Hand  S.  1,1 
Zweite  Hand  7,  i- 
Dritte  Hand  15,  2- 


-7,  I    (die  Lieder  a  und  h). 
15,  I    (die  Lieder  c.  d.  e.  f). 
-20,  3   (die  Lieder  g.  h.  i.  k). 


Die  Handschrift  ist  also  allmählich  entstanden  dadurcli,  daß  man  das 
ursprüngliche  kleine  Buch  zweimal  erweitert  hat.  Und  zwar  dürften  diese 
beiden  Erweiterungen  nicht  derselben  Quelle  entnommen  sein,  denn  sonst 
würde  schwerlich  der  Schluß  von  Lied  c  auch  als  Schluß  von  Lied  g  wieder- 
kehren. Auch  an  eine  weitere  dritte  Ergänzung  muß  noch  gedacht  worden 
sein,  denn  sonst  würde  man  den  Papyrus  hinter  S.  20  abgeschnitten  haben, 
während  man  daran  noch  ein  leeres  Stück  Papier  von  mindestens  i.iom 
belassen  hat. 

Übrigens  sind  an  zwei  Stellen  (5,  3  und  13,  2)  Schreibfehler  mit  roter 
Tinte  verbessert  worden,  was  angesichts  der  sonstigen  Gleichgültigkeit  der 
ägyptischen  Schreiber  immerhin  fär  eine  gewisse  Hoclischätzung  dieser 
Handschrift  spricht.  Diese  Hochschätzung  liat  sie  dann  freilich  auch  nicht 
vor  dem  Schicksal  bewahrt,  das  so  viele  Papyrus  betroffen  hat;  man  hat 
das  leere  Papier  an  ihrem  Ende  zu  einer  geschäftlichen  Niederschrift  be- 
nutzt. Eine  vierte  Hand  hat  nämlich  die  merkwürdige  Liste  von  Barbaren- 
namen daraufgesetzt,  die  ich  mit  gütiger  Erlaubnis  des  Hrn.  Golenischeff 
im  Anhange  mitteile. 


*  Die  einzelnen  Blätter  messen  von  links  nach  rechts:  39.  39^.  39.  35.  41.  41^.  41. 
40.  41^.  42.  42.  42^.  37-^.  42,  sind  also  zuerst  kürzer  als  nachher.  Vielleicht  hat  der  Schreiher 
der  ersten  Hand  nur  einen  Papyrus  gehabt,  der  aus  den  vier  ersten  Blättern  bestand,  von 
denen  er  drei  und  ein  halbes  (S.  i — 7,  i)  beschrieb.  Der  Schreiber  der  zweiten  Hand  Aer- 
längerte  dann  für  seine  Arbeit  die  liollc  und  nahm  dazu  etwas  längere  Blätter. 


Hymnen  an  das  Diadem  der  Pharaonen.  7 

Bestimmung  und  Alter  der  Lieder. 

Die  zehn  Hymnen,  die  in  diesem  Papyrus  zusammengestellt  sind,  be- 
handeln alle  den  gleichen  Gegenstand.  Sie  verherrlichen  das  vielgestaltige 
Diadem,  das  schrecklich  an  der  Stirn  des  Sonnengottes  und  an  der  Stirn 
der  irdischen  Könige  prangt  und  ihren  Feinden  Verderben  bringt.  Wie 
diese  Vorstellung  sich  entwickelt  hat  und  wie  sie  im  einzelnen  ausgebildet 
ist,  ist  unten  (S.  1 1  ff.)  ausgeführt;  hier  sei  nur  daran  noch  erinnert,  daß  auch 
andere  heilige  Wesen,  wenn  sie  als  Könige  gedacht  werden,  mit  dieser 
Schlange  gekrönt  erscheinen. 

Ein  solcher  Fall  liegt  in  unserm  Papyrus  vor;  die  Kronen,  die  in 
seinen  Liedern  gefeiert  werden,  befinden  sich  auf  dem  Haupte  eines  be- 
stimmten Gottes,  des  ^^^^^"^^^^^  J  '^  O'*^^?!  »des  Sobk  von 
Sdt,  des  zu  aS^^  verehrten  Horus«,  d.  h.  des  Gottes,  den  man  in  dem  Heilig- 
tume  von  Krokodilopolis  verehrte.  In  diesem  alten  Riesentempel  hat  man 
also  unsere  Lieder  gesungen,  wenn  man  das  Diadem,  das  den  Gott  krönte 
und  schützte,  preisen  wollte. 

Aber  so  fest  dies  auch  steht,  nicht  minder  fest  stellt,  daß  diese  Ver- 
wendung nicht  die  ursprüngliche  sein  kann ;  die  Lieder  sind  nicht  für  den 
Sobk  verfaßt,  denn  abgesehen  von  seinem  Namen,  enthält  keines  irgend 
etwas,  was  sich  auf  diesen  Gott  bezöge.  Wo  immer  sein  Name  im  Texte 
steht,  kann  man  ebensogut  auch  jeden  andern  dafür  einsetzen,  ohne  den 
Sinn  zu  stören.  Und  wer  dies  tut  und  den  Sobk  durch  ein  N.  N.  ersetzt, 
der  sieht  dann  auch  leicht,  wer  dieser  N.  N.  eigentlich  ist:  es  ist  über- 
haupt kein  Gott,  sondern  der  König  von  Ägypten.  Unsere  Lieder  feiern 
ursprünglich  das  Diadem  des  Pharao,  seine  Helferin  im  Kriege,  und  erst 
Priester,  die  ihren  Gott  nach  dem  Muster  der  irdischen  Könige  zurecht- 
stutzten ^  haben  sie  auch  für  den  Kultus  des  Gottes  benutzt.  Im  ganzen 
haben  sie  den  überkommenen  Text  dabei  beibehalten,  nur  wo  die  Menschen 
als  Untertanen  oder  Unterworfene  genannt  waren,  haben  sie  diese  zuweilen 
—  nicht  immer  —  durch  die  »Götter«  ersetzt.  Ich  stelle  im  folgenden 
zusammen,  was  bei  den  einzelnen  Lied^n  noch  deren  ursprüngliche  Be- 
stimmung zeigt  und  was  in  ihnen  an  mutmaßlichen  Änderungen  vorkommt. 


'    Das  kommt  in  Ägypten  ja   schon  sehr  früh  vor,  vgl.  meine  Reh'gion',  S.  45. 


g  J]  R  M  A  N  : 

a)  Verehrung  der  Weißen,  d.h.  der  Krone  des  Königs  von  Ober- 
ägypten : 

Gibj  daß  N.  N.  durch  dich  die  beiden  Länder  eroherej  daß  er  Macht  über 
sie  habe  (i,  4).  Das  paßt  fiir  den  alten  König  eines  Kinzelreiches,  aber  nicht 
für  einen  Gott. 

Ebenda  augenscheinlich  eine  Änderung: 

Gib,  daß  die  Götter  sich  verneigend  zu  ihm  kommen  (1,5);  es  hieß  ur- 
sprünglich gewiß  di£  Menschen, 

b)  Verehrung  der  Zauberreichen  von  Unterägypten,  d.h.  der 
unterägyptischen  Krone, 

Sie  hat  etwas  mit  den  neun  Bogen  zu  tun  (3,  5),  d.  Ii.  mit  den  tra- 
ditionellen Feinden  Ägyptens. 

Sie  ist  die  Schlange  des  Menschenleiiers  (4,  4),  d.  h.  sie  leitet  den  irdi- 
schen König  im  iCampfe. 

Sie  leitet  die  neun  BogeUj  sie  befehligt  die  neun  Bogen  (6,  3). 

r)  Verehrung  der  Schlange: 

Du  befriedigst  ihm  alle  Länder 

in  Oberägypten  und  im  Nordlandj, 

im  Westen  und  im  Osten. 

Du  sperrst  ihm  die  Herzen  aller  Fremdländer  ein^, 

der  südUcheUj  nördlichenj 

westlichenj  östliclien  zusammen  (9,  2), 

die  üblichen  Ausdrücke,  mit  denen  mfin  die  Macht  des  Königs  über  Unter- 
tanen und  Feinde  beschreibt. 

Ebenda  eine  sichere  Änderung: 

die  Götter  fürchten  sich  vor  dir^ 

die  Toten  fallen  vor  dir  auf  ihr  Antlitz  (9,  i), 

wo  die  Parallelstelle  (16,  3) 

die  Götter  fürchten  sich  vor  dii^^ 

die  Fremdvölker  fallen  vor  dir  auf  ihr  Antlitz^ 

die  neun  Bogen  neigen  dir  ihr  Hauptj 

noch  einen  Teil  der  ursprünglichen  Fassung  erhalten  liat. 


Hymnen  an  das  Biadeni  der  Pharaonen,  9 

d)  Verehrung  der  Doppelkrone: 

Die  die  beiden  Länder  eroberte^ 

die  am  Haupte  des  N.  N.  wuchsj 

damit  er  die  beiden  Länder  erobere^, 

gibj  daß  er  mächtig  sei  unter  den  Göttern  (11,5), 

der  Anfang  sicher  auf  den  König  bezüglich ;  die  Götter  werden  wieder  statt 
der  Menschen  eingesetzt  sein. 

e)  Spruch  beim  Aufsetzen  der  Doppelkrone,  bezieht  sich  über- 
haupt klar  auf  einen  irdischen  König;  seinen  Feinden  werden  Wunden  ge- 
schlagen. 

/)  Verehrung  der  roten  Krone: 

Alle  G Otter j  die  südlichen^  nördlichen,  icestlichenj,  östlichen_, 

ihr  die  ganze  Neimheitj 

ihr  Begleiter  des  N.  N.j 

freuet  euch  über  diesen  König  N.  N. 

Der  König  ist  mit  j^^rj)?  dem  alten  Titel  der  unterägyptischen  Herr- 
scher, bezeichnet;   es  ist  einfacli  ein  Lied  zur  Krönung. 
g)  Verehrung  der  Schlange. 
Vgl.   außer  der  bei  c  schon  angeführten  Stelle  noch: 

du  sperrst  die  Herzen  aller  Fremdländer  ein  für  N.  N.j 
die  südlichen^  nördlichen^  westlichen^  östlichen  (16,  5), 

was  ebenfalls  einer  bei  c  zitierten  Stelle  entspricht. 

h)  Nur  eine  Herzählung  von  Namen  des  Diademes,    ohne  Titel. 

i)  Verehrung  der  dndnjt: 

Gibj  daß  N.  N.  Macht  habe  über  seine  Feinde^ 

indem  sein  Verwunden  (d.  h.  seine  Heldenkraft)  in  ihren  Herzen  ist; 

lasse  die  Götter  hinter  ihm  hergehen  (19,  3). 
Die  ersten  Zeilen  gehen  auf  den  irdischen  König,  in  der  letzten  sind 
die   Götter  gewiß  eine  Änderung. 
k)  Verehrung  der  wnwniot: 

Setze  die  Freude  über  N.  N.  unter  die  Götter  (20,  2), 

dürfte  ebenfalls  auf  einer  Änderung  beruhen. 

PMl.-hist.  Klasse.    1911.    Abh.  I.  2 


10  E  R  M  A  N  : 

Unsere  Lieder  stammen  also  ursprünglich  nicht  aus  dem  Tempel,  son- 
dern aus  dem  Paläste  des  Königs,  wo  ja  die  Kronen  und  Diademe  auch 
eines  Kultus  genossen';  sie  sollen  die  Krone  gnädig  stimmen,  <hiß  sie  dem 
Herrscher,  der  sie  trägt,  Macht  und  Sieg  verleihe.  Und  in  der  Tat  können 
wir  wenigstens  das  eine  dieser  Lieder  anderswo  noch  in  seiner  ur- 
sprünglichen Verwendung  nachweisen.  Unter  der  Königin  Hatschepsut  Imt 
der  Hohepriester  Hapu-seneb  einen  Teil  unseres  I^iedes  /;  zu  einem  Gebete 
verwendet,  das  er  an  die  Kriegsgöttin  Mut-Sechmet  richtet",  damit  sie  die 
Königin  gegen  die  schütze,  «die  sie  hassen«;  diese  Kriegsgöttin  ist  aber, 
wie  die  ihr  dabei  gegebenen  Namen  zeigen,  nach  damaliger  Auffassung  keine 
andere  als  unser  Diadem. 

Wenn  man  dann  diese  Lieder  auch  da  benutzt,  wo  man  gar  nicht  die 
Krone  des  Königs  feiert,  sondern,  wie  in  unserm  Falle,  die  eines  beliebigen 
Gottes,  der  weder  Feinde  zu  besiegen  hat  noch  Länder  erobern  soll,  so 
wird  man  dies  schwei-lich  als  einen  Widersinn  empfunden  haben.  Denn 
alle  ägyptischen  Kulte  beeinflussen  einander  ja  bekanntlich  in  dieser  äußer- 
lichen Weise,  und  niemand  nimmt  Anstoß  daran,  daß  man  im  Rituale  vom 
Osiris  sagt,  was  eigentlich  für  Re  bestimmt  ist,  oder  daß  man  Hathor  so 
feiert,  als  sei  sie  die  Isis. 

Fragen  wir  uns  nun  nach  dem  Alter  unserer  Lieder,  so  darf  man 
von  vornherein  schon  für  ihren  Kern  ein  höheres  Alter  annehmen,  denn 
die  Schaffung  aller  Kultformen  liegt  ja  in  Ägypten  sehr  weit  zurück.  Und 
diese  Annahme  bestätigt  sich  denn  auch  bei  genauerem  Zusehen.  Man  be- 
achte, daß  das  Horusauge  in  a  noch  wirklich  das  Auge  des  Sonnengottes 
ist  und  geradezu  für  die  Sonne  eintritt.  Man  bedenke,  wie  wenig  auf  die 
Osirissage  angespielt  ist,  die  die  gewöhnlichen  Ritualtexte  so  ganz  beherrscht; 
mir  ist  an  solchen  Anspielungen  überhaupt  nur  aufgefallen : 

c:  gerechtfertigt  (rnJ'^-hrw)  ist  Horus  vor  der  Neunheit  (lo,  5), 

/:  Isis  freut  sich  über  Horus  in  Chemmis  (15,1), 

(/:  die  Genossen  des  Seth  (15,  3), 

k:  das  Wort  mf^-hrw  vom  Triumph  des  Königs  (20,  3). 

Wenn    dann  weiter   der  König   in  /  schlechtweg  \^'^3  (14,  5) 

heißt,  so  deutet  dieser  Titel  des  unterägyptischen  Herrschers  geradezu  auf 

'    Priester  der   Kronen:  Brit.  Mus.  574  (jius  deni   niittlercii  ileicJi). 
'''    IJrk.  IV,  479. 


Hymnen  an  das  Diadem  der  Pharaonen.  11 

die  Verhältnisse  der  Urzeit;  ebenso  wird  wohl  auch  in  ^  (i  i,  5)  angenommen, 
daß  der  König  sich  die  beiden  Ägypten  gewinnen  muß.  Audi  spraclilicli 
zeigen  die  Texte,  wie  an  den  betreffenden  Stellen  hervorgehoben  ist,  trotz 
äußerer  Überarbeitung  ja  noch  Spuren  hohen  Alters. 

Auf  der  andern  Seite  beachte  man.  daß,  wie  unten  (S.  18.  20)  ange- 
führt ist,  unsere  Texte  doch  bei  den  Morgenliedern  den  Pyramidentexten 
gegenüber  jüngere  Fassungen  zu  haben  scheinen. 

Aus  dem,  was  unten  über  die  Anschauungen  der  einzelnen  Texte 
dargelegt  ist  (S.  14.  15),  ergibt  sich  ferner,  daß  sie  zwar  insgesamt  älter  als 
das  thebanische  Königtum  und  älter  als  die  Popuhu-ität  der  Sage  von  dem 
Hathor-Sonnenauge  sein  werden,  daß  sie  aber  untereinander  docli  merklicli 
abweichen.  Sie  werden  also  nicht  alle  der  gleichen  Zeit  angehören.  Natür- 
lich muß  man  aber  bei  alledem  sich  gegenwärtig  halten,  daß  Lieder  dieser 
Art  durch  ihren  Gebrauch  ständigen  Änderungen  ausgesetzt  sind,  so  daß 
sogar  das  Alte  in  ihnen  jünger  erscheinen  kann  als  das  Neuere. 

Die  (jöttin  der  Hymnen. 

Das  heilige  Wesen,  das  alle  unsere  Hymnen  feiern,  ist  im  Grunde  die 
Krone  der  Könige.  Aber  bekanntlich  ist  die  Krone  der  Pharaonen  so  viel- 
gestaltig, und  es  ist  so  vieles  in  sie  hineingeheimnißt  worden,  daß  der  Leser, 
der  diese  Lieder  liest,  wohl  glauben  könnte,  es  sei  von  allem  andern  liier 
die  Rede  als  von  ihr.  Es  ist  daher  nötig,  hier  zunächst  einmal  kurz  die  Lage 
der  Sache  zu  skizzieren. 

Der  ägyptische  Herrscher  trägt  bekanntlich  eine  Schlange  an  der  Stirn, 
von  der  man  glaubt,  daß  sie  ihm  im  Kampfe  seine  Feinde  vernichtet.  Diese 
Schlange  hat  ihr  himmlisches  Vorbild  bei  dem  Sonnengotte,  der  überhaupt 
als  Vorbild  des  Königtumes  gilt;  auch  um  seinen  Scheitel  oder  um  seine 
Sonnenscheibe  ringelt  sie  sich,  um  Feuer  gegen  seine  Feinde  zu  speien'. 

Diese  einfache  Vorstellung  hat  sich  nun  aber  durch  Sage  und  Poesie 
in  merkwürdiger  Weise  umgestaltet. 

Zunächst  mischt  sich  die  uralte  Anschauung  hinein,  daß  der  Gott, 
der  im  Himmel  herrscht,  und  der  alt  Horus  heißt,  zwei  leuchtende  Augen 

^  Wie  dies  Verhältnis  zwischen  Sonnengott  und  König  in  Wirklichkeit  entstanden  ist, 
ob  man  den  König  nacli  dem  Gotte  gestaltet  hat  oder  ob  der  Gott  seine  Züge  von  dem 
irdischen  Herrscher  erhalten  hat,  darüber  ^vird  man  zur  Zeit  besser  noch  nicht  urteilen. 

.1* 


12  Erman: 

hat,  deren  eines,  die  feurige  Sonne,  natürlich  auch  die  Feinde  des  Gottes, 
die  Wolken,  verbrennt  und  verjagt.  Ihm  wird  die  Schlange  gleichgesetzt, 
und  das  »Auge  des  Horus«  und  seine  Schlange  gelten,  so  weit  hinauf 
unsere  Kenntnis  reicht,  geradezu  als  ein  Wesen.  Und  die  Phantasie  des 
Volkes  bildet  dann  eine  Sage  aus,  die  zeigen  soll,  wie  dieses  widersinnige 
Verhältnis  entstanden  ist;  es  wird  oft  auf  sie  angespielt  —  auch  in  unseren 
Hymnen  — ,  aber  in  extenso  ist  sie  uns  meines  Wissens  nur  einmal  und  in 
einer  trüben  Quelle  überliefert.  Das  Apophisbuch,  das  Budge  aus  dem 
Papyrus  eines  Zminis  veröffentlicht  hat\  enthält  in  doppelter  Fassung  eine 
ältere  Erzählung  der  ägyptischen  Kosmogonie.  Daraus  sieht  man  —  so- 
weit sich  der  verderbte  und  konfuse  Text  verstehen  läßt  — ,  daß  Schu 
und  Tefnet,  die  Re  durch  Ausspeien  erschaffen  hatte,  dem  Gotte  dabei  im 
Himmelsozean  verloren  gegangen  waren.  Da  sandte  er  sein  Auge  nach 
ihnen  aus  und  es  brachte  sie  wieder  zurück.  Aber  inzwischen  war  dem 
Gotte  ein  anderes  Auge  gewachsen  und,  erzählt  er,  das  Auge  »war  wütend 
gegen  mich,  als  es  wiederkam  und  fand,  daß  ich  ein  anderes  an  seiner 
Stelle  gemacht  hatte«".    Da  setzte  Re  es  als  ^^     Pn»  als   »die  leuchtende« 

Schlange  vorn  auf  sich   »und  es  beherrscht  das  ganze  Land«. 

Eine  andere  Sage,  die  sich  herausbildete,  als  man  das  Sonnenauge 
und  die  Schlange  gleich  der  Hathor  setzte,  kann  hier  beiseite  bleiben,  da 
sie  sich  mit  den  Vorstellungen  unserer  Hymnen  nicht  berührt^. 

Auf  das  andere  Auge  des  Horus,  den  verschwindenden  und  wieder- 
kommenden Mond,  geht  natürlich  die  Sage  von  einem  Horusauge,  das  von 
Setli  geraubt  und  von  Thoth  wiedergebracht  und  geheilt  wurde;  sie  ist 
schon  den  Pyramidentexten  und  dem  ältesten  Totenbuche  bekannt  und  hat 
ihrerseits  dann  dasjenige  »Horusauge«  erzeugt,  das  der  Horus  der  OsLris- 
sage  seinem  Vater  schenkt.  Da  nun  das  Sonnenauge  einer  Schlange  gleich- 
gesetzt war,  so  war  es  nur  billig,  daß  auch  dem  Mondauge  die  gleiche 
Ehre  widerfuhr;  wie  diese  Sache  gestaltet  war,  ahnen  wir  nicht,  aber 
auch  sie  liegt  schon  unverkennbar  in  den  Pyramidentexten  vor:  neben  der 

(1         o|X<c=r>^v  O    »der    Schlange,    die    (als   Auge)    aus    Re    hervorging« 

(1091),   steht  die  (j^^  ji^S^P^f]^(]  f^^  »die  Schlange,  die  aus 

'    Budge,  Papyrus  of  Nesiainsu,  aus  Vol.  LIl  der  Arcliaeologia. 
*    Variante:   »daß  ein  anderes  in  seiner  Stelle  gewachsen  war«. 
^    Vgl.  nteine  Religion',  S.  34,  Anm.  10. 


Hymnen  an  das  Diadem  der  Pharaonen.  13 

Setli  hervorging,  die  geraubte  und  wiedergebrachte«  (1459)  und  neben 
^ler  ^^^^^"[j~^^0    "^^^'  Schlange   auf  dem  Scheitel  des  Re«   (1568) 

steht  die  (]^^^(]-[-Q\/p^  ^  ^  »die  Scldange  auf  dem  Scheitel  des  Seth« 
(979)'.  So  haben  wir  also  zwei  Augen  und  zwei  Sclüangen,  und  da 
das  Mondauge  ja  seinem  Herrn  Horus  »wiedergebracht«  war,  so  können 
auch  beide  bei  einem  Gotte  sein;  Atuni  hat  nacli  Totb.  17,  17  und  der 
Glosse   zwei   Schlangen   und   zwei  Augen    und   Pyr.  1287    erliält   ein  Gott 

^tS '^S^  B\ß\^~^  "<leine  beiden  Augen  als  deine  beiden  Schlangen « . 


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Neben  der  Zweiheit  von  Sonne  imd  Mond  gibt  es  nun  aber  noch 
eine  zweite  für  den  Ägypter,  die  von  Oberägypten  und  Unterägypten,  deren 
Unterscliiede  in  Religion  und  Königtum  früh  mit  Behagen  schematisiert 
Avorden  sind.  Da  lag  es  zunächst  nahe,  jene  beiden  Schlangen  des  Gottes 
nun  ihrerseits  der  Schlange  des  oberägyptischen  Königs  und  der  Schlange 
des  unterägyptischen  Herrschers  gleichzusetzen,  den  beiden  Diademen,  die 
man  die  » Zauberreichen « -  nennt.  So  haben  wir  schon  in  den  Pyramiden- 
texten (Pyr.  1832)  <c:^^2>-^  ^  ^^^o?4V^3l^  » das  Auge  kam  aus 
deinem  Haupte  hervor  als  die  oberägyptische  Zauberreiche«,  d.  h.  als  das 
Diadem  von  Oberägypten. 

Sind  so  die  Schlangendiademe  gleich  den  Horusaugen,  so  müssen  dies 
auch  die  anderen  Kronen  sein,  die  »weiße«  von  Oberägypten  und  die  »rote« 
oder  »grüne«  von  Unterägypten.  Ich  bin  niclit  ganz  sicher,  ob  auch  diese 
Identifikation  schon  in  den  Pyramidentexten  vorkommt';  unseren  Hymnen 
ist  sie  jedenfalls  schon  ganz  geläufig. 

Aber  auch  damit  ist  die  Vermischung  noch  nicht  zu  Ende.  P]s  gibt 
ja  doch  in  jeder  der  beiden  alten  Hauptstädte  eine  Göttin,  die  als  Schützerin 

des  Königtumes  gilt,    den  Geier  Nechbet  .1-  J|  ^    K^  ^^^*'  Oberägypten  und 

die  Schlange  Buto  \c^\)r.   für  Unterägypten.     Auch  diese  beiden  hat  man 

'  Nach  unserm  Hymnus  i  konnte  man  denken,  daß  die  Schlange  des  Seth  einmal 
füf  Ohci'ägypten  in  Anspruch  genonnnen  wurde. 

'^  Diese  übliche  Übersetzung  ist  wohl  eigentlich  nicht  genau;  X  j  j  scheint  mir  die 
äbernatürliche  göttliche  Kraft  zu  sein,  die  auch  außerhalb  des  Zaul)Crs  wii-kt. 

^    Pyr.  1459  — 1460  ist  jedenfalls  nah  daran. 


14  K  R  M  A  N  : 

den  beiden  Schlangen,  Augen,  Kronen  gleichgesetzt',  und  so  haben  wir  denn 
schon  in  sehr  früher  Zeit  die  schönen  Gleichungen: 


Sonne 
Mond 


=  Ilorusaugen  =  Schlangen  des  Sonnengottes  =  Schlangen 
des  Königs  =  Kronen  von  Ober-  und  Unterägypten  =:  Nech- 
bet  und  Buto. 


Die  letzte  Gleichsetzung  mit  den  beiden  Schutzgöttinnen  hat  dann 
wieder  zu  einer  neuen  Entwicklung  geführt.  Denn  zwischen  diesen  beiden 
Göttinnen  und  anderen  Göttinnen  v,ne  Bast,  Sechmet,  Mut  besteht  ein  alter 
Zusammenhang,  von  dem  wir  hier  nicht  untersuchen  woUcii,  was  daran 
ursprünglich  und  was  sekundär  ist.  Jedenfalls  müssen  nun  auch  diese 
Göttinnen  es  sich  gefallen  lassen,  mit  in  den  großen  Rattenkönig  hinein- 
bezogen zu  werden.  In  der  späten  ägyptischen  Religion  umfaßt  er  sogar 
Isis,  Mut  und  Hathor,  so  daß  schließlich  ziemlich  jede  Göttin  gleich  den 
Augen,  Schlangen  und  Kronen  ist. 

Es  schien  mir  nötig,  diesen  Gang  der  Entwicklung  hier  kurz  darzu- 
legen, damit  wir  daraufhin  nun  den  Standpunkt  unserer  Hymnen  beurteilen 
können.     Er  ist  folgender: 

/  begnügt   sich    damit,    die  Krone  von  Unterägypten  zu  feiern,    ohne 

des  Horusauges  usw.  zu  gedenken.    Ob  die  Schreibung  /fj   für  hi 

etwa  gewählt  ist,  damit  man  bei  der  Krone  auch  an  die  Göttin  Neith  denken 
soll,  stehe  dahin. 

Verhältnismäßig  einfache  Anschauungen  herrschen  in  a,  d,  g,  L  h,  die 
nur  Krone,  Schlange  und  Auge  durcheinander  mischen.    Und  zwar  handelt 

a  von  der  Krone  von  Oberägypten,  die  es  dem  Horusauge  gleich- 
setzt: dieses  Auge  schildert  er  als  Sonne; 

d  von  den  beiden  Kronen,  die  es  als  »w^eiße«  Krone  und  Horus- 
auge anredet,  dann  aber  auch  passender  als  die  «beiden  Augen«; 

fj  von  der  Schlange  itfl,  gleich   dem  Horusauge; 

i  von  der  dndnjt  als  dem  «geraubten«  und  »wiedergebrachten« 
Auge,  also  dem  Monde; 

k  von  der  wnwnt  als  Schlange,  die  ebenfalls  »geraubt«  und  »wieder- 
gebracht«  heißt,  also  als  das  Mondauije  gilt. 


?5' 


^    In  den  Pyramiden  kenne  ich  nocli  keinen  Bole 


Hymnen  an  das  Diadem  ({rr   riKirnoiirn.  1 5 

Die  Hymnen  c,  e,  h  niisolien  Göttinnen  hinein,  lassen  aber  das  Au^c 
aus  dem  Spiel: 

c,  das  die  Schlange  feiert,  setzt  sie  zunächst  der  Schutzgöttin  Buto 
gleich,  die  ja  als  Schlange  gebildet  wird:   sodann  der  schlangen- 
gestaltigen  Renen-utet  und  der  Skorpionsgötthi  Selchis: 
e,  an  die  beiden  Kronen  gerichtet,  vergleicht  sie  den  Schutzgöttinnen 
Buto   vmd   Nechbet,    sowie   den    beiden    ?/?r/-(löttinnen    und   den 
beiden    «Töchtern«   des  Gottes  —  was   wohl  nur  andere  Namen 
für  die  Schutzgöttinnen  sind; 
//,  an  die  Krone  von  Oberägvpten,  feiert  sie  als  Schutzgöttin  Nech- 
bet und  als  Göttin  Mut  und  beiden  entsprechend  auch  als  Geier; 
sodann  als  Schlange  in  allerlei  Benennungen. 
Die  volle  Verwirrung   bietet   endlich   h,    ein  Lied   an   die   Krone   von 
Unterägypten.      Sie  ist  das  Horusauge  und  sie  ist  die  Schlange,    die    den 
König  im  Kampfe  leitet,  sie  ist  die  Schutzgöttin  Buto,  und  weiter  ist  sie 
die  Bast  aus  dem   Delta,   die  Sechmet,  die  Menhit  u.  a.  m. 

Eines  fällt  bei  alledem  auf:  unter  allen  Göttinnen,  die  in  diesen  Hymnen 
genannt  werden,  fehlt  gerade  diejenige,  an  die  Avir  heut  zunächst  denken, 
wenn  vom  Auge  der  Sonne  die  Rede  ist,  das  seine  Feinde  vernichtet,  die 
Hathor;  nur  b  nennt  wenigstens  ihre  Verwandten,  die  Sechmet  und  Bast. 
Daraus  folgt  doch  wohl,  daß  unsere  Hymnen  älter  sind  als  die  vSage  von 
Hathor,   wie  sie  uns  in  der   »Destruction  des  hommes«   vorliegt. 

Wenn  weiter  die  Mut  in  h  nur  nebenbei  an  14.  Stelle  genannt  ist, 
so  ist  das  ein  Zeichen,  daß  das  Lied  aus  einer  Zeit  stammt,  der  die  Ge- 
mahlin des  Amon  noch   wenig  galt. 

Im  ganzen  werden  danach  die  Hymnen  a,  d,  g,  /,  Je  als  ursprünglichere 
gelten  dürfen,  während  b  den  jüngsten  Charakter  trägt.  Auf  Unterägypten 
gehen  b  und  /,  auf  Oberägypten  a,  cj,  h,  i,  k,  die  keinerlei  Hinweis  auf 
Dinge  des  Delta  enthalten. 

Die  Morgenlieder  und  der  Vortrag  der  Hymnen. 

Von  den  zehn  Texten,  die  unsere  Handschrift  aufweist,  sind  neun 
-yc"^^  '  ^^''  ^^•^^'  I^obpreisungen,  HymnenNj^,  und  nur  eine,  e,  ist  ein  ,  ?•/, 
d.  h.   ein  Spruch.     Die  Versuchung   liegt   daher   nahe,    dieses  Material   zu 

^  h  würde,  wenn  es  einen  Titel  hätte,  auch  dwi  heißen,  da  es  ja  ein  j^enaiu.s  Sc-itcu- 
.stück  zu  den  mit  dwi  bezeichneten  Stücken  b  und  c  bildet. 


1 6  E  R  M  A  N  : 

einer  Untersucliung  der  Form  dieser  Plymiien  zu  benutzen.  Indessen  ist 
es  ein  böses  Geschäft,  Gedichte  so  zu  untersuchen,  von  denen  man  nichts 
als  die  Konsonanten  kennt  und  deren  Verszeilen  überdies  nicht  abgeteilt 
sind,  und  so  wollen  wir  uns  hier  nur  mit  einer  besonderen  Art  dieser  Lieder 
befassen,  die  ein  festes  Schema  hat,  das  uns  zur  Richtschnur  dienen  kann. 
Es  sind  dies  die  Lieder  der  Form 

^  ^^^^1\  f^^f'  fn  htp  du  erwachst  in  Frieden, 

'TI  ^s>- ^"^"^  1\  rs  d^ri  m  htp  die  Rote  erwacht  in  Frieden, 

"i  o        \\\  rswtt  htptj         dein  Erwachen  ist  friedlich, 

die  unsere  Handschrift  in  vier  vollständigen  Beispielen  (/;,  c,  g,  h)  bietet  luid 
die  überdies  in  ihr  zu  den  Anfängen  von  d  und  k  benutzt  sind.  Auch 
sonst  sind  Lieder  dieser  Art  oft  belegt  und  den  verschiedensten  Göttern 
gewidmet.  Ich  kenne  im  ganzen  folgende  Beispiele,  die  Texten  aller  Zeiten 
angehören : 

1.  an   den   Sonnengott:    Pyr.  1478    (4  Strophen   als  Anfang  eines 
Textes),  vgl.  auch  Pyr.  1 5 1 8  ; 

2.  an  Harsaphes  von  Herakleopolis :   Mar.  Mon.  div.  21  (4  Strophen 
als  Anfang  einer  ic\  betitelten  Inschrift  des  u.R.); 

3.  an  Ptah:  Pap.  Berlin  3048,  3,  3 ff.  (9  Strophen  mitten  im  Hymnus 
an  Ptah); 

4.  an  Amon  Re  und  Re: 

a)  Amonsritual  Berlin  13,  1 1  ff.  (7  Strophen  inmitten  eines  Hymnus), 

b)  Pap.  Berlin  3049,  4,  i  ff .  (9  Strophen), 

c)  LD.  III  236a  (Dyn.  20)  (4  Strophen), 

d)  Brugsch,  Oase  15   (i  Strophe  als  Anßmg  eines  Hymnus), 

e)  nur  eine  Strophe  als  Hymnenanfang,  Amonsritual  Berlin  16,  i  ; 
ib.  17,  I, 

f)  nur   eine  Strophe   als   Schluß   eines   Hymnus,   Mission  V,  359 
(Dyn.  18), 

g)  Inschrift   im  Grabe   des  Cha-em-het,    eine   Strophe   mitten   im 
Hymnus ; 


Hymnen  an  das  Diadejn  der  Pharaonen.  17 

5.  an  Osiris: 

a)  Mar.    Dend.  IV,  55))  (5  Strophen), 

b)  Pyi'-  1502  (eine  Strophe  inmitten  eines  Textes;  »du  erwachst 
in  Frieden«  usw.,  sagt  Re  zu  dem  vom  Tode  erwachenden 
Osiris) ; 

6.  an  Horus  von  Edfu:  Rochem.  Edfou  I  141!'.   (84  Strophen); 

7.  an  Hathorvon  Dendera:  Dum.  Temp.  Inschr.  30  (13  Strophen); 

8.  an  die  Krone  und  ihr  verwandte  Göttinnen: 

a)  unser  Papyrus:  c  (Schlange)  =  Urk.  IV,  479  (Mut), 
1) — d)  unser  Papyrus  b,  g,  h, 
e — f)  nur  eine  Strophe  als  Hymnenanfang:  unser  Papyrus  d  und  k\ 

9.  an  die  Kleidergöttin  Tait:  Pyr.  56; 

10.  an  den  himmlischen  Fährmann:  Pyr.  383; 

11.  an  den  Weihrauch,  der  beim  Räuchern  wie  eine  erwachende 
(lottheit  angeredet  wird.  So  ungern  man  einen  solchen  Widersinn  zugeben 
wird,  so  ist  doch  kein  Zweifel  daran  möglich,  da  wir  drei  Belege  in  Ritual- 
texten dafür  haben:  Abydos  Ritual,  tabl.  26  (Kap.  11);  Mar.  Dend.  IV, 
46a;  Mar.  Dend.  IV,  56a. 

Wie  man  sieht,  wird  in  diesen  letzten  Fällen  die  Formel  »du  erwachst« 
gebraucht,  wo  sie  gar  nicht  hingehört,  denn  die  Tait  und  der  Fährmann 
werden  ja  nur  gerufen,  um  dem  Toten  Kleider  und  Schiff  zu  geben,  und 
der  Weihrauch  soll  ja  nur  brennen.  Das  beweist,  daß  diese  Formel  der 
uralten  Zeit,  die  die  Ritualformeln  gescliaffen  hat,  sehr  geläufig  gewesen 
ist,  so  sehr,  daß  man  sie  nun  auch  per  nefas  benutzte.  Auch  im  neuen 
Reiche  noch  war  sie,  wie  die  obige  Liste  zeigt,  eine  sehr  beliebte  Form 
der  religiösen  Poesie  und  auch  die  Priester  der  griechischen  Zeit  haben 
sie  nicht  vergessen.  So  gibt  es  denn  im  neuen  Reiche  auch  einen  eigenen 
Ausdruck  für  ihr  Hersagen,   der  in  dem  Hymnus  Pap.  Berlin  3049,  3,  4ff. 

vorkommt:  » sie  (die  Götter)  ß         9 SA  Preisen  deinen  Namen,       ] 

sie  verehren  deinen  Ka«  usw.  Und  es  hat  sich  sogar  eine  besondere  Art 
der  Schreibung  für  sie  herausgebildet,  bei  der  man  die  eigentliche  Formel 
nur  einmal  ausschreibt  und  die  variierenden  Bestandteile  der  verschiedenen 
Strophen  tabellenartig  dahintersetzt.  Unser  Papyrus  zeigt  diese  Schreib- 
PhiL-hist.  Klasse.    1911.   Abh.  I.  3 


18  K  R  M  A  N  : 

art  in  y,  sie  kehrt  ähnlich  wieder  Vü\).  Berlin  3049,  4,  iff.;  Pap.  Berlin 
3048,  3,  3 ff.;  Amonsritual  Berlin  13,  1 1  ff . ;  Rochem.  Pxlfou  I,  1411'.;  Dum. 
Temp.-Inschr.  30  und  wohl  auch  Brugsch,  Große  Oase  15. 

Trotz  dieser  vielfachen  A^crwendung  dieses  Liedes  im  Kultus  sind  sich 
die  Ägypter  doch  immer  noch  dessen  bewußt  geblieben,  daß  es  eigentlich  nichts 
anderes  war,  als  ein  Morgenlied.  So  schließen  sich  in  Dendera  unmittelbar 
daran  die  Verse  ^^^  1  (1  (^  ^^  P  »früh  sind  die  Götter  auf,  um  sie  zu  preisen, 
die  Herrliche,  die  aus  dem  Ozean  aufgeht«,  und  fast  genau  der  gleiche 
Zusatz  findet  sich  in  Edfu.  Im  Pap.  Berlin  3049,  3,  8  aber  heißt  es:  «bei 
deinem  Aufgang,    o  Re,   musizieren   die  Göttinnen  und  preisen  die  Größe 

deiner  Liebe  .  .  .  P'^^^'l  -^P  ^^^'^^'^4  1  '^^^  wecken  dich  auf  mit 
(?  lies  m?)  Lobpreis  .  .  .  denn  du  bist  ihr  Schöpfer«  :  daran  schließt  sich 
dann  unmittelbar  das  oben  unter  4  b  aufgeführte  Lied.  Es  gehört  nicht  viel 
Phantasie  dazu,  aus  dieser  Stelle  den  ursprünglichen  Gebraucli  eines  solchen 
Morgenliedes  zu  schließen:  die  Göttinnen,  die  hier  damit  ihren  erwachenden 
Herrn,  den  Sonnengott,  begrüßen,  sind  gewiß  nur  die  himmlischen  Abbilder 
der  irdischen  Frauen,  die  so  den  erwachenden  König  begrüßen.    Unser  Lied 

Du  erwachst  in  Frieden, 
N.  N.   erwacht  in  Frieden, 
dein  Erwachen  ist  friedlich 

wird  einst  das  Morgenlied  gewesen  sein,  das  in  der  Urzeit  Ägyptens  in 
der  Wohnung  des  Herrschers  angestimmt  wurde.  Von  da  aus  Avird  es  dann 
auf  Götter  übertragen  sein,  die  man  am  Morgen  verehrte,  vor  aUem  also 
auf  den  Sonnengott  bei  seinem  Aufgange  ^ 

Ein  liied,  das  so  viel  in  Gebrauch  gewesen  ist,  wie  das  unsere,  muß 
natürlich  auch  starke  Veränderungen  erfahren  haben.  In  der  Tat  findet 
es  sich  in  mehreren  Fassungen: 

A)  ohne  die  Zeile  riwtk  htptj.  So  stets  in  den  Pyramidentexten,  so 
daß  man  geneigt  sein  könnte,  diese  Fassung  für  die  ältere  zu  halten.  Es 
kommen  folgende  Varianten  vor,  wobei  ich  die  verschiedenen  Namen  und 
Epitheta  eines  Gottes,  mit  denen  variiert  wird,  mit  N.  i ,  N.  2  usw.  bezeichne. 


'  Da  auch  das  morgendliche  Gebet  zur  Sonne  eine  große  Rolle  in  Ägj^iten  spielt, 
.so  liegt  der  \'ordac'ht  nahe,  daß  das  Verbuni  >^^^  ^  fJw^  »verehren«  \(m  dwS  »Moi-gen« 
abgeleitet  ist  und  ursprünghch  das  Morgengebet  bezeichnete. 


Hymnen  an  das  Diadem  der  Pharaonen.  19 

a)  r^k  m  htp  Du  erwachst  in  Frieden, 

ri  N.  1  m   htp  N.  i    erwacht  in  Frieden, 

r^  N.  2  m   htp  N.  2   erwacht  in  Frieden, 

N.  3  m  htp  N.  3   in  Frieden, 

iV.  4  m  htp  N.  4  in  Frieden. 

(Pyr.  56.) 

1))  rsk  m  htp  Du  erwachst  in  Frieden, 

N.  7  m  htp  N.  I    in  Frieden. 

rkk  m  htp  Du  erwachst  in   Fried <'n, 

N.  2  m.  htp  N.  2   in  Frieden 
usw.  usw. 

(Pyr.  1478;    15  18.) 

c)  rsk  m  htp  du  erwachst  in  Frieden, 

N,  1  m  htp  N.  I   in  Frieden, 

N.  2  m  htp  N.  2   in  Frieden, 

N,  3  m  htp  N.  3   in  Frieden 
usw.  usw. 

(Pyr.  383.) 

B)  Mit  rswtk  htptj  am  Schluß  jeder  Stroplie 

r^k  m  htp  Du  erwachst  in  Frieden, 

nv  N.  1  m  htp  N.  i    erwacht  in  Frieden, 

rswtk  htptj  dein  Erwachen  ist  friedlich. 

rsk  m  htp  Du  erwachst  in  Frieden, 

rs  N.  2  m  htp  N.  2   erwacht  in  Frieden, 

rswtk  htptj  dein  Erwachen  ist  friedlich 
usw.  usw. 

Die  gewöhnliche  Form,  wie  sie  in  unsern  Liedern,  in  dem  Ritual  des 
Räucherns,  in  den  Inschriften  des  n.  R.  und  Mar.  Dend.  IV,  55  (an  Osiris) 
vorliegt.  Dabei  wird  zuweilen  eine  Zeile  fortgelassen,  so  in  unserm  Liede  h, 
das  von  2,  4  bis  3,  5  die  dritte  Zeile  übergelit,  die  es  doch  vorher  und  nach- 
her hat.  Statt  rswtk  htptj  kommt  in  h  und  c  auch  rswt  hik  htptj  »das  Er- 
waclien  deiner  Seele  ist  friedlich«  vor,  und  zwar  steht  dies,  wie  an  seiner 
Stelle  gezeigt  werden  wird,  ursprünglich  im  Schlußverse. 


20  Erman: 

C)  Mit  rs  hü  htpiw,  wns  wohl  rs  tw  htptj  sein  soll,  als  erste  Zeile 

a)  rs  tw  htpiw  Erwache  friedlich! 

rsk  m  htp  du  erwachst  in  Frieden, 

rs  N.  1  m  htp  N.  i    erwacht  in  Frieden. 

rs  tw  htptw  Erwache  friedlich! 

rsk  m  Idp  du  erwachst  in  Frieden, 

rs  N.  2  m  hip  N.  2   erwacht  in  Frieden 
usw.  usw. 

(Amonsritual  Berlin  13,  iift".,  Berliner  Hymnen  aus  Dyn.  22.) 

b)  r^  tw  htptw  Erwache  friedlich! 

rsk  nfr  m  htp      du  erwachst  schön  in  Frieden, 
rS  N.  7  7n  <^nh     N.  i    erwacht  in  Leben, 

dann   nach   einem   Zwischenvers    (die  Götter   sind   früh   auf,    dich    zu  ver- 
ehren usw.)  die  eigentlichen  Strophen  im  alten  Schema 

rs  N.  1  m  htp     N.  i    erwacht  in  Frieden, 
rswtk  htptj  dein  Erwachen  ist  friedlich. 

rS  N.  2  m  htp     N.  2   erwacht  in  Frieden, 
rswtk  htptj  dein  Erwachen  ist  friedlich 

usw.  usw. 

(Rochem.  Edfou  I  i4ff.,  ähnlich  Dum.  Temp.-Inschr.  30  in  Dendera.) 

Zu  diesen  Änderungen  im  Schema  tritt  dann  noch  in  den  späteren 
Beispielen  eine  Änderung,  die  eigentlich  viel  tiefer  in  das  Wesen  des  Liedes 
einschneidet:  der  einfache  Name,  der  an  den  mit  N.  bezeichneten  Stellen 
steht,  wird   durch  Zusätze  immer  mehr  verlängert.     Man  vergleiche  z.  B. 

Pyramide7itexte :  einfache  Namen  wie  ©  Re,  J]-<2>-  Osiris  oder  kurze  Zu- 

sammensetzungen  wie  "^^tko  »östlicher  liorus«,  (1-jk  |l  „  »der  von  Ndjt« ; 
unsere  Hymnen:  meist  wie  die  Pyramidentexte,  daneben  aber  auch 
schon  längere  Epitheta,  wie  z.  B.  "^^Sr)^  |  ^P^'CZ?  ^f  Dn  »die  Kopferhe- 
bende, mit  weiter  Kehle«  (8,1)  oder  "^^Qfl^  J-[[-|^^'===^^ J  ''^li^ 
Leiterin,  die  an  der  Stirn  des  Horus  ist«   (4,  i); 


Amonsritual  Berlin  (Dyn.  22):    neben   kurzen  wie  fö '^^  »Fürst  (?)  der 
Länder«   oder  \  ^^i^-^    "der  sich  selbst  baute«  so  lang  ausgesponnene 


Hymnm  an  das  Diadem  der  Pharaonen.  21 


-  -  :™ikr^-p^?^:^ivvr7^,k? 


r^NV'Ar^ 


^in\  I  I   "^^^"'   ^^   ^^^   ^^^  Götter  sich  verneigend  kommen,  der  Herr 
der  Furcht,  groß  an  Ruhm  im  Herzen  aller  Menschen«; 

Ptahhymnus  (Dyn.  22,    Pap.  Berlin  3048,  3,  3  ff.):   neben  ö  ^  ^Äö  ^ 

Ifls^mi^liT^   "'^^^^''  cler  Väter  aller  Götter«  Zeilen  wie  PJt^VI^I 
^  I  Wl,   ,   ,       J       l  ^  ^  ^^  ! '^^^^^        5]^''^—-    "der   die    Ewigkeit   und 


die  Unendlichkeit  durchschreitet,  der  Herr  der  Lebenskraft,  der  Speisen  gibt 
dem,  dem  er  will«. 

Diese  Erweiterungen  sind  für  unsere  Vorstellungen  von  ägyptischer 
Metrik  von  großem  Interesse.  Wir  können  uns  ja  mit  annähernder  Sicher- 
heit ein  Bild  von  dem  metrischen  Bau  unseres  Liedes  machen;  in  normaler 
Fassung   wird  es  etwa  so  gelautet  haben: 

r^ji-s^f     ^m     h-Lt^'p 

r^j^k     m^nh-j^i     ^m     h^t-p 

r  ^j^  sw  -'-  ;^/     h^  t^pt^j, 

also  hatte  es  in  der  ersten  und  dritten  Zeile  je  2  Hebungen,  in  der 
zweiten  eigentlich  3,  von  denen  die  mittlere  auf  den  Namen  fällt.  Und 
an  die  Stelle  dieser  einen  mittleren  Hebung  des  zweiten  Verses  treten  nun, 
Avie  man  aus  den  obigen  Beispielen  sieht, 

in  den  Pyramidentexten  auch   2   Hebungen, 
in  unseren  Hymnen  wahrscheinlich  bis  zu  4  Hebungen^ 
im  Amonsritual  von   2  Hebungen  bis  zu  8  oder  9, 
im  Ptahhymnus  von  3  oder  4  Hebungen  bis  zu  6  oder  7. 

An  ähnlichen  auffälligen  Tatsachen  fehlt  es  ja  auch  sonst  nicht  in 
der  ägyptischen  Poesie.  Ich  erinnere  z.  B.  daran,  daß  man  in  Hymnen 
an  den  König  ungeniert  dessen  Titulatur  einfügt,  obgleich  diese  doch  ge- 
wiß nicht  auf  metrischen  Bau  berechnet  war  oder  an  die  Art,  wie  in  vni- 


Sern  Hymnen  das  lange  -^^^W    ^     \\  ^.rjj  ^  if^,^^      ^^^  ^^^  kurzen  Verse 
eingeschoben    wird    (z.  B.    in   a   oder   in  /).      Das   alles    ist   nur  möglich, 

'    Natiii-lich  sind  diese  Zahlen  nur  annähernde  Schätziinij-en. 


22  E  R  M  A  N  : 

wenn  überhaupt  kein  straffer  Versbau  vorlag:  man  muß  diese  Hymnen 
so  liergesagt  und  gesungen  liaben,  daß  man  zwisclien  die  Hauptworte,  auf 
denen  Betonung  und  Melodie  lagen,  ad  libitum  variierend  minder  betonte 
Worte  einfügen  konnte;  es  war  also  kein  strenger  Gesang,  sondern  ein 
Kantilenieren,  wie  etwa  heute  beim  Koranlesen.  Und  damit  beantwortet 
sich  nun  auch  sclion  halb  die  Frage  nach  dem  Vortrag  dieser  Hymnen 
und  der  ähnlichen  religiösen  Texte.  Sie  werden  weder  in  unserer  Weise 
gesprochen  noch  in  unserer  Weise  gesungen  worden  sein;  man  wird  sie 
ebenso  halb  singend  vorgetragen  haben,  wie  man  es  heute  in  der  Moschee 
tut,  und  je  nach  dem  Charakter  der  Handlung  wird  mehr  das  Sprechen 
oder  das  Singen  überwogen  haben.  Wenn  z.  B.  unter  dem  »Lobpreis  der 
Neith«   (/unseres  Papyrus)  steht        llfl,   .©INI   »viermal  zu  sprechen«,  so 

heißt  das  gCAviß,  daß  dieser  kurze  Text  herzusagen  ist.  Dagegen  wird 
eines  der  obenbesprochenen  Morgenlieder  beim  Kultus  im  Amonstempel 
nach  dem  Bilde  LD.  III  236  a  vorgetragen  von  zwei  Sängern,  die  sich  mit 
Harfe  und  Leier  begleiten,  und  einem  Flötisten^  und  im  allgemeinen  wird  man 
Lieder,  Avie  sie  uns  hier  beschäftigen,  meist  in  den  Tempeln  gesungen  haben. 

Text  und  Übersetzung, 
a.  An  die  Krone  von  Oberägypten. 

rOi  .6.0  ,  tk    lic  '^ 


'i-'fm,f,kj,i,p  M7Pkfäf 


n  I  c^ 


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iMpr^'^i^i  ra^^^,-^,k.^t:-  P-- 


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SIC         1 


'■    Der   cliivorsteliende  Hohepriester   räuchert   und  übergibt  das  Opfer.     \\'er  dennocl»  M 

annehmen    wollte,    daß  auch    dieses   Lied    zu    dem    gehört,    was    er  vorträgt,    müßte    in   den  ^ 

INIusikanten    die  Begleitung    seh(>n,   was  auch  so  ein  Singen  des  Textes  \oraussetzen  würde. 


Hymnen  an  das  Diadem  der  P/taraonen.  23 

1.  Dcas  fehlende   /wsaaa  in  unklaren  Spuren  erhalten. 

2.  Die  Ligatur  ^^,    die  eigentlicli  ^^~^  ist,  aber  auch  für 
vorkommt;   vgl.  Möller,  Paläographie  I  510B. 


Lobpreis  der  Weißen. 
Verehrung  dir,  du  Auge  des  Horus, 

weißes,  großes,  über  dessen  Schönheit  die  Neiudieit  jauchzt, 
wenn  es  aufgeht  im  östlichen  Horizonte. 

Es  preisen  dich  die  in  den  Erhobenen  (?)  des  Schu  sind, 

die  herniedersteigen  im  westlichen  Horizonte, 

wenn  du  glänzen  gelassen  wirst  für  die  Bewohner  der  Unterwelt. 

Gib,  daß  Sobk  die  beiden  Länder  durch  dich  erobere, 
daß  er  Macht  über  sie  habe. 

Gib,  daß  die  Götter  sich  neigend  zu  ihm  kommen,  zu  Sobk, 
du  bist  (ja)  die  Herrin  der  Kronen. 

Die  ersten  beiden  Strophen  identifizieren  die  weiße  Krone  von  Ober- 
ägypten mit  der  Sonne,  die  am  Tage  die  Götter  verehren  und  nachts  die 
Toten.    Die   »Erhobenen  (?)  des  Schule   sind  dabei  als  die  Stelle  genannt, 
wo  die  Sonne  im  Westen  versinkt.    Die  beiden  letzten  Strophen  enthalten 
ein  Gebet  um  Beistand  im  Kampfe;  ganz  Ägypten  soll  die  «Weiße«   dem 
König  unterwerfen  und  ihm  die  h^^io  verleihen,  über  die  sie  zu  verfügen  hat. 
Man  beachte  den  Strophenbau  3.  3.  2.  2,  wobei  ungeniert  der 
lange  Königsname    eingeschol)en    wird,    entsprechend   dem    oben 
S.  2  I    ausgeführten.  —  twt  ist  das  alte  fwt,  das  hier  für  die  alte 
weibliche  Form   hnt  steht";    vgl.   dasselbe   20,3    in  Ic  und   19,3 
in    /.      Dabei    ist   der   Schluß    von   k  auch    im    Satzbau   unserer 
Stelle  ähnlich. 


^  Die  übliche  Übersetzung  -Stützen  des  Schu«  ist,  wie  mii*  Hr.  Grapow  bemerkt, 
nicht  haltbar.  \ 

^  Ich  verdanke  Set  he  den  Hinweis,  daß  twt  für  fmt  auch  in  den  Inschriften  dci- 
Hatschepsut  vorkommt  (üi-k.  IV  222,10;  229,12:  228,15:  343,10)  imd  ebenda  auv\i  sivt 
lur  das  weibhchc  stt  steht  (ebenda   221,  14:   257,9.  11;  258,  12). 


24 


K  R  M  A  N 


b.  An  die  Krone  von  ünterägypten. 


2,1 


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N  Zl 


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[8]^ 


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Hymnen  an  das  Diadem  der  Fharaone7b. 


25 


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5,1 

o  o  G 


l-^l\lhl. 


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llTf=o]^ 


Phil.-hist.  Klasse.    1911.    Abh.  I. 


26 


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7, 1  '^^^x  ^ 


Ol  I     I     I    o 


[lo]  Das  AAA/vvA  in  s/^ri  a^^vam  mrt  ist  nur  ein  kleiner  Strich. 
[  1 3]  Hinter  ^/m/  das  Zeichen  Möller,  Paläogr.  1  106,  das  unsere 
Handschrift  6,5  für  A — q  braucht.  P]s  ist  rot  durchgestrichen, 
also  getilgt.      [15]    Das  A  ist  etwas  anders  gestaltet  als  in   3,  i 

(=  Möller,  1  266),  es  gleicht  eher  dem  ]\.     Trotzdem    wird  die 


Hymnen  an  das  Diadem,  der  Pharaonen.  27 

Lesung  so  richtig  sein.  [  1 6]  Hinter  nfrw  scheint  ein  kleines 
vom  Schreiber  verwischtes  Zeichen  gestanden  zu  haben.  [19]  Das 
^  in  wd^  mdw  könnte  auch  o  sein. 

b.  Verehrung  der  Zauberreichen  von  ünterägypten. 
[1]  Du  erwachst  in  Frieden, 

die  Zavherreiche  erwacht  in  Frieden, 
dein  Erwachen   ist  friedlich. 

[2]  Du  erwachst  in  Frieden, 

die  Königin  erwacht  in  Frieden, 
dein  Erwachen  ist  friedlich. 

[3]  Du  erwaclist  in  Frieden, 
die  Rote  erwacht  in  Frieden, 
dein  Erwachen  ist  friedlich. 

[4]  Du  erwachst  in  Frieden, 

die  Krone  nt  erwacht  in  Frieden, 
dein  Erwachen  ist  friedlieli. 

[5]  Du  erwachst  in  Frieden, 
Buto  erwacht  in  Frieden, 

die  in  Dpw  ist,  die  Herrin  des  pr-wr,  die  im  pr-nsr  ist, 
die  den  Kopf  des  Horus  des  Ostens  ausschmückt, 
die  dem  Sobk  zugeteilt  ist, 
die  unversehrte  reine  (?), 
das  Horusauge,  das  vielfarbige  zu  Ht-wr-klw. 

[6]  Du  erwachst  in  Frieden, 
Nesret  erwacht  in   Frieden. 

fy]  Du  erwachst  in  Frieden, 
Sechmet  erwacht  in  Frieden. 

[8]  Du  erAvachst  in  Frieden, 
Bastet  erwacht  in  Frieden. 

[9]  Du  erwachst  in  Frieden, 
Menhit  erwacht  in  Frieden. 
....  ist  auf  deinem  Munde, 
und  ....  auf  deinen  Lippen. 


28  Erman: 

Wenn   du  gehst,  so  gehen  die  neun  Bogen  fort; 

du  durchziehst  deine  Felder, 

du  <^^m-wtt,  die  du  deinen  Weg  bahnst  in  .... 

[loj  Du  erwachst  in  Frieden, 

die  Leitende^  die  an  der  Stirn  des  Horus  ist,  erwacht  in  Frieden, 

das  Erwachen  deiner  Seele  ist  friedlich. 

Hoch  ist  deine  Gestalt,  Heiße,   .... 

Mächtige,  Starke,  Flammengerüstete, 

Herrin  des  Himmels,  Herrscherin  der  beiden  Länder, 

Auge  des  Horus  und  seine  Leiterin, 

Hkn-wtt,  Herrin  der  Ewigkeit. 

Feurige,  Rote,  deren  Flamme  schmerzt, 

du  Schlange  des  Menschenleiters, 

Herrin  der  Flamme,  Brennende, 

Fressende,  Feurige  (?),  die  du  tausende  .... 

[ii]  Du  erwachst  in  Frieden, 

Soi/iis  (?)  erwacht  in  Frieden, 
dein  Erwachen  ist  friedlich. 

[12]  Du  erAvachst  in  Frieden, 

die  Herrin  von  ^^bs  erwacht  in  Frieden, 
dein  Erwachen  ist  friedlich. 

[13]  Du  erwachst  in  Frieden, 

die   Tijtt,  die  da  ....   erwacht  in  Frieden, 
das  Erwachen  deiner  Seele  ist  friedlich. 

[14]  Du  erwachst  in  Frieden, 

die  von  Buto  erwacht  in  Frieden, 
dein  Erwachen  ist  friedlich. 

[15]  Du  erwachst  in  Frieden, 

die  ISmjt  erwacht  in  Frieden, 
dein  Erwachen  ist  friedlich. 

[16]  Du  erwachst  in  Frieden, 

die  Rmn-wtt  erwacht  in  Frieden, 

das  Erwachen  deiner  Seele  ist  friedlich. 


Hymnen  an  das  Diadem  der  PMracmen.  29 

[17]  Wie  schön  ist  dieses  Horusauge, 
mit  den  vielen  Krümmungen, 
das  am  Kopf  des  Sohk  leuchtet. 

[18]  Wie  schön  ist  Sobk, 

der  mit  der  Grünen  glänzt, 

der  schön  ist  durch  sein  großes  Auge, 

das  unter  seiner  Braue  liegt. 

[19]  Es  leitet  die  neun  Bogen, 
es  befehligt  die  neun  Bogen, 
es  jagt  die  Gestalten  (?)  des  Seth,  die  im  Dunkeln  sind,  heraus. 

[20]  Es  schlägt  Wunden. 

Seine  Röte  ist  unter  seinen  Feinden  —  in  seinem  Namen   »Rote«, 
und  (sein)  Grünen  ist  (für?)  seinen  Horus,  —  in  seinem  Namen  »Grüne«. 

[21]  Schütze  den  Sobk, 
vor  allem  (Bösen). 

Zum  Vergleich  mit  der  Aufzählung  unseres  Textes  gebe  ich  zunächst 
eine  sehr  äJmliche  Liste,  die  in  einem  Ritualtext  beim  Räuchern  vor  der 
Schlange  dient  (Libro  dei  funerali  Taf.  66;  Text  II  88  ff. ;  vgl.  Champ. 
Not.  I  523  und  Luksor,  Kammer  der  Mut  am  ersten  Pylon  --  Rec.  16,  53): 

^^ciß^p,.    die  Zauberreiche,  vgl.  Strophe  [i]; 

||1  (j  op^  ^^"^  "^  '^  '^  '"H"'  die  Buto  vom  Großhaus  und  Feuerhaus,  vgl.  [5] ; 

§®^  die  Sechmet,  vgl.  [7]; 

^  -^1],^  die  Mrt  (Schlange),  vgl.  [6]; 

|(l[lo^  D^©  die  Buto  von  Pe  und  Dep,  vgl.  [5]; 

■Ä3Ö^  die  Wnwt  (fehlt); 

,a   die  Menhit,  vgl.  [9]; 


iPPn  ^Of— 1^^  die in  Ht-wrt-hw,   die  Stadt  ist  in 

[5]  genannt; 


30  E  tt  M  A  N  : 


A/W\AA 

o     die  vom  Südtempel  (fehlt); 


'wvwv   Jie  vom  Nordtempel  (fehlt); 


/WV\AA 


^  üüOri    die  Herrin  von  SMt  (fehlt)' 


c>  "a 


I  JPPa    ^^^  Herrin   von  Wb^,  vgl.  [lo]; 

n.   die  Herrin  von  ///p^  (fehlt) ^ 

g(]()oy^  die   T^ß,  vgl.  [13]; 

8  AAAAAA  f^   j]  ^   ^^::^__  die  Lei  ihrem  Vater  .......   vgl.  [13]. 

A   o  <:rr>  — H — 

Ich  gehe  nun  den  Text  Strophen  weise  durch. 

[i]  wrt-hkhc  mit  ß    determiniert  als  Name  der  roten  Krone,  Pyr.  194; 

die  wrt-hhw  »von  Oberägypten«  als  Name  der  weißen  Krone,  Pyr.  1832, 
Edfu  I  56;  von  beiden  Kronen,  Urk.  IV  288.  Oft  auch  von  den  Schlangen 
und  Göttinnen  gebraucht. 

[2]  Man  beachte,  daß  die  »Königin«  hier  genau  so  geschrieben  ist  wie 
sonst  der  König;  das  gleiche  findet  sich  auch  Pyr.  824.  781,  und  vielleicht 
wurde  eben  das  eine  Wort  für  König  und  Königin  gebraucht, 

[4]  Die  Krone  nt  ist  hier  und  in  /  so  geschrieben  und  determiniert, 
daß  man  auch  an  die  Göttin  Neith  denken  könnte;   gemeint  ist  aber  die 

Krone,  A^gl.  z.B.  Pyr.  194,  wo  Y  ,  ^^~^\)n,   ^5?   >  (   ^L  so  wie 

in  unserm  Texte  parallel  gebraucht  sind. 

[5]  Die  obige  Liste  unterscheidet  die  Buto  der  beiden  Heiligtümer^ 
von  der  Buto  der  Stadt,  was  unser  Lied  nicht  tut.  —  Worauf  es  geht,  daß 
Buto  den  Horus  des  Ostens  ausschmückt,  weiß  ich  nicht.  —  Das  fpt  n  S.wdU 
b^Ict  berulit  aufstellen  aus  dem  Ritual,  wie  »ich  briiiQ-e  dir  das  Horusauge, 


'    Vgl.  aber  in  c  (Ö.  38). 

^    Daß  diese  Hatlior  in  unserm  Text  fehlt,  ist  wohl  ein  Zeichen  seines  Alters. 

rn  1 I 

^   Daß  das  ^J"^  dasselbe  ist,  was  sonst  .^v.       heißt,  hat  schon  Schiaparelli,  Libro  dei 
ü  ^^=f 

iunerali  11  88,  bemerkt.     Daß  beide  Heiligtümer  ursprünglich  der  Büto  eignen,  sieht  man  z.B. 

aus  Palermostein,  Rs.  2.  ^. 


Hymnen  an  das  Diadem  de?'  Pharaonen.  Hl 

1(J  ^^  .v^t^J  '^^'Ä'^  (P  ^^^^  überweise  es  dir  reiii(?)«  (Berliner  Amoiis- 
ritual  32,  2);  /;/^  wird  außer  vom  Horusauge  auch  von  der  Sonne  und  von 
reinen  Kleidern  gebraucht. 

[6]  Nsrt,  die  später  als  nsrt  »Flamme«  gefaßt  und  als  feuerspeiende 
Sclilange  gebildet  wird,  ist,  wie  es  Totenb.  ed,  Nav.  71,  5  heißt,  nSntj 
«gräßlich«,  wird  also  als  Kriegsgöttin  gedacht.  Auch  Pyr.  194  gilt  sie  als 
unterägyptisch. 

[9]  Menhit  wird  im  Ritual  von  Abydos  Kap.  8  mit  einem  Löwen  ge- 
schrieben, als  sei  sie  ein  Seitenstück  zur  Sechmet,  aber  nach  der  gewöhn- 
lichen Auffassung  ist  es  ein  Name  der  Schlange  des  Königs^;  sie  ist  »groß 
an  Schrecken«  (Mar.  Dend.  IV  78),  wirft  Feuer  gegen  die  Feinde  (ib.  III 
77c,  d)  und  schützt  den  König  im  Kampfe  (LD.  III  126a).  Es  ist  also  eine 
Kriegsgöttin"',  und  ohne  Zweifel  drücken  dies  auch  die  .Beiworte  aus,  die 
ihr  hier  gegeben  werden.  Das  idw  (das  nicht  mit  dem  weiblichen  Worte 
für  Tau  verwechselt  werden  darf)  findet  sich  sonst  fast  nur  in  dem  Aus- 
drucke: »ein  Jahr  des  idw<^  (Sinuhe  45;  LD.  II  1503),  d.  h.  ein  Jahr,  wo 
Sechmet  besonders  fürchterlich  ist;  überall  ist  es  mit  dem  Himmel  oder 
dem  regnenden  Himmel  geschrieben,  was  freilich  auch  von  i^dt  »Tau«  ent- 
lehnt sein  kann.  Auch  mnh  ist  unbekannt,  denn  an  7nnh  »Wachs«  wird 
man  nicht  denken  wollen^.  Soll  das  Ganze  etwa  heißen,  daß  die  Göttin 
vor  Wut  »Schaum«  vor  dem  Munde  und  »Geifer«  auf  den  Lippen  hat^?    Der 

Paralleltext  Urk.  IV  480  hat  ebenso  (1  c^^^  ^=^®'7^o'^^§\.f^n°£=5. 

^  1  JlMlMll  /vwwv  X  I  I  I   I  I  I      o 

—  Das  nächste  schildert,  daß  die  Feinde  l)ei  ihrem  Nahen  lliehen ;  statt 
des  ersten  §m''  »gehen«  erwartet  man  ein  Wort  für  kommen,  aber  das 
hätte  ja  die  stilistische  Feinheit  des  Verses  verdorben.  —  Die  »Felder« 
gehören  ihr  wohl,  weil  sie  sie  kämpfend  durchzieht.  —  Bei  <^^in-wtt  denkt 
man  an  einen  der  mit  wtt  gebildeten  Schlangennamen,  und  in  dem  <^}m  könnte, 
worauf  das  Determinativ  führt,  der  Pflanzenname  '^^  ^^^  stecken. 
Auch  <:=^>§        ^^  ist  eine  Pflanze  (Pap.  med.  Berlin  7,  7)  und  dh^^t  könnten 

A-^ fli  I  I  

*  So  auf  den  Kairiner  Särgen  des  m.  R.  parallel  zu  j)  und  (1<=>;  sodann  Maj-. 
Dend.  I  13   »auf  dem  Haupte  des  Königs«. 

^  Ob  der  Name  mit  ww/t   »Schlächter«   zusannnenhängtl' 

'  Hängt  es  mit  der  Göttin  mnhjt  und  dem  Schlächter  mnh  zusannnen? 

*  Dann  wäre  ein   »Jahr  des  tdw^^   ein  Jahr,  wo  Sechmet  schäumt,  d.  h.  grinunig  rast. 
5  Man  beachte,  daß  der  Text  sm  noch  als  Verbum  HI  inf.  behandelt. 


32  E  R  M  A  N  : 

deren  Früchte  sein,  aber  was  soll  das  alles?     Der  Paralleltcxt  Urk.  IV  480 

sie                                                  sie                                    sie  sie    sie 

,y^A^  J\   ^ä^\     I     I 0_S^1l         IM         D      Xolll  A 0       Jrill 

nur  zeigt,  daß  er  aucli  nichts  mehr  davon  verstand. 

[10]  Hier  wird  die  Krone  als  die  Schlange  an  der  Stirn  des  Herrschers 
gedacht,  die  ihn  im  Kampfe  »leitet«'';   der  gleiche  Ausdruck  und  Gedanke 

auch  Pyr.  396.  —  Das  ^^^^psD«  möchte  man  in  rk/jt  »brennende«  verbessern; 
auch  sU  wird  verderbt  sein.  —  Zu  spd (n?)  nsrt  vgl.  H  Al  ^  c^y  '* 
»llammengerüstet«  als  Name  einer  Tür  (Amduat  IV  48).  —  Man  beachte, 
daß  die  Handschrift  hier  nebeneinander  s§mji  und  ssmwtf  schreibt,  wohl 
entsprechend  der  verschiedenen  Betonung:  s^sSjiij-^t  aber  s^S^mio~t^f;  in 
der  betonten  Silbe  Avar  das  alte  w  erhalten,  in  der  unbetonten  war  es  zu  / 
geworden.  Vgl.  die  ähnliche  Erscheinung  Gramm. ^  §  188  Anm.  und  die 
irgendwie  auch  dazugehörige  Sprache  des  Westcar,  §  35  Anm.  —  In  hkn-wtt 
wird  man  einen  der  Schlangennamen  auf  wtt  zu  erkennen  haben;  vgl.  die 
Bemerkung  zu  [13].  —  htt  wird  als  weibl.  Adj.  htjt  zu  ht  »Feuer«  zu  fassen 
sein;  der  Ausdruck  mr-nsrt  »mit  schmerzender  Flamme«  findet  sich  auch 
sonst".  —  Mit  dem  s^tnw-7vnU  »Menschenleiter«  ist  natürlich  der  König  ge- 
meint. —  (1(]^|1  ist  die  alte  Schreibung  für  nr^\.  (jll^fl  *<ii^  fressende 
(Flamme) « ;  das  Wort  kommt  oft  als  Feuer  vor,  das  Feinde  verzehrt,  als 
eine  Göttin  Totenb.  ed.  Leps.  164,  4.  —  w/w^i  ist  nur  aus  Amduat  IV  30 
und  aus  Bonomi,  Sarcophagus  2   bekannt.     Der  folgende  Name  läßt  sich 

allenfalls  auch  (j  jl  lesen. 

[11]  Ob  wirklich  der  Stern  Sothis  gemeint  ist?  oder  ist  es  nur  eine 
»ausgerüstete«   Schlange? 

[12]  HM  ist  nach  Brugsch,  Dict.  geogr.  555  eine  Stadt,  wo  Sechmet- 
Buto  verehrt  wird. 

[13]  In  der  oben  (S.  30)  abgedruckten  Liste  ist  an  dieser  Stelle  die  f^ß 
hknt  Jir  itß  genannt.  Unser  Text  hat  in  Ujtt  jedenfalls  das  Alte  bewahrt,  denn 
Pyr.  56  wird  in  der  Tat  von  tijt  eine  t^jit  unterschieden.     Anders  steht  es 

*  Pyr.  2038  nimmt  zwei  simtot  an,  die  natürlich  den  beiden  Kronen  entsprechen; 
Edfu  I  418,  I  wird  s.  vom  »Auge«  gebraucht,  Mar.  Dend.  I  73a  ist  es  ein  Name  der  Hathor 
geworden. 

^  Z.B.  Amduat  IV  25;  LD.  II  Text  183;  Edfu  I  113;  aucii  als  Name  der  8.  Stunde 
der  Nacht  Mar.  Dend.  111  24;  Two  papyri  9, 


Hymnen  an  das  Diadem  der  Pharaonen.  33 

vielleicht  mit  dein  hknt  rht  unseres  Textes,  das  keinen  Sinn  gibt.  Von  den 
bei  Scliiaparelli,  Tibro  dei  funerali  II  90  gegebenen  Varianten  jener  Liste 
stellt  das  hknt  (j<=>^  aus  Biban  el  Moluk  unserer  Lesart  noch  am  nächsten, 
die  andern  haben  hknt  ^  (j  ^  oder  hknt  ^.^"^  ^  \\  '^  .  Nun  weiß 
ich  freilich  nicht,  was  dies  heißt,  aber  eine  Bestätigung  des  Jj^knt  in  cnh 
kr  itß  liegt  doch  darin,  daß  es  in  der  Tat  eine  |  '""^^^PnT"?" ' 


T^Bl  ^^^  ^^'^^"  ^^^^^'  ^^^  77c~d;  ib.  I  52  a).  Im  übrigen  vergleiche 
man  zu  unserm  hkn  die  Schlangen  |^^  (Amduat  I  24)  und  hkn-wtt  (oben  [io|) 
und   vor    allem   Urk.  IV  566:     »du    bist    gekrönt    mit    der    Zauberreichen 

?  "^^^^^z:^  fl  ¥^  P   damit  du  dui'ch  sie «    —   Ursprünglich    war   das 

Morgenlied  wohl  hier  zu  Ende  und  [14 — 16]  sind  ein  späterer  Anhang; 
vgl.  die  Ausfiihrung  zu  c  [iij  (S.  38).  Es  enthielt  also  nur  die  Namen, 
die  auch  in  der  Liste  S.  29.  30  vorkommen. 

[15]  Bei  i^mjt,  wie  wohl  zu  lesen  ist,  darf  man  hier  gewiß  nicht  an 
«angenehme«   denken.     Ob  es  ein  Derivat  eines  Stadtnamens  ist? 

[16]  Rmn-wlt  ist  wieder  einer  der  Schlangennamen  auf  wtt;  wie  aber 
das  Zeichen  des  Thoth  dahinter  kommt,  ahne  ich  nicht. 

[17J  Das  Morgenlied  ist  hier  zu  Ende.  —  Die  h^ht  ist  der  gekrümmte 
Draht  an  der  roten  Krone,  der  auch  an  ihrer  Göttlichkeit  teil  hat;  das 
» viel «  davor  und  den  Plural  verstehe  ich  nicht ;  auch  in  /  [  i  ]  steht  das 
Wort  im  Plural. 

[18]  Die  »Grüne«  ist  in  den  ältesten  Texten  bekanntlich  ein  zweiter 
Name  der  »roten«  Krone  (z.  B.  Pyr.  1459  Yq  ¥  );  hier  ist  sie  als  Auge 
gefaßt,   und  zwar  als  das  leibliche  Auge  des  Königs  selbst. 

[19]  Was  ist  das  (1  gA    vor   s§ms2   und   was   soll    es,    daß  die  Feinde 

hier  »geleitet«  und  »befehligt«  werden?  Sind  sie  etwa  schon  als  ^^p 
als  ägyptische  Söldner  gedacht?  —  Die  sfirnw  des  Seth  sind  seine  Ge- 
nossen, die  Feinde  des  Königs;  daß  diese  Bösen  »im  Dunkel«  hausen,  ist 
bemerkenswert.  \ 

[20]  Der  Vers  spielt  mit  den  beiden  Farben  der  Krone;  »ihr  Rot« 
ist  das  Blut,  das  sie  vergießt,  das  »Grün«  das  Gedeihen  des  Königs.  Aber 
die  Konstruktion  des  Satzes  ist  mir  nicht  klar. 

[21]  Bei  iht  nht  hat  der  Schreiber  dwt  ausgelassen. 
Phil.-hüL  Klasse.   1911.   Abh.  1.  5 


34 


K  R  M  A  N  : 


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c.  An  die  Schlange. 


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Hymnen  an  das  Diadem  der  Pharaonen. 

sie 


35 


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36  Erman: 

[>5]  "^^^''^^^S  ^^-^ftipfl 

I     O  vU  V  AftA/vW     ^AAAA^    ^        ytjt^  — ü      I     I     I    -CTVt         -CT^S'   -iC)   _2r         1        I        I   AAAAAA     I      A'W/.''    A 


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I 


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A    AAA^AA  H 

A/\AV>A  1 


^«    ii,i|\  ''=0)1111  öiii 


[13]  Bei        1^  könnte  das  erste  o  auch  ein  <=>  sein,  das 
zweite  wohl  nicht;  mrrf  ist  wahrscheinlicher  als  mrtj\ 

[14]  Das  Determinativ  von  '^ntjw  ist  so  gestaltet:   UL 
[15]  In    I     O  könnte  das  t  auch  r  sein;  das  runde  Zeichen 
ist   ^J .      Hr.  Grapow  schlug  mir  vor,  in  dem  Worte  eine  alte 
Korruptel  aus  M       »(mit  Flachs)  festbinden«   zu  sehen. 

c.  Verehrung  der  Schlange, 
[i]  Du  erwachst  in  Frieden, 

die  große  Königin  (von  Oberägypten)  erwacht  in  Frieden, 
dein  Erwachen  ist  friedlich. 

[2]  Du  erwachst  in  Frieden, 

die  ScMange,  welche  auf  Sobk  ist,  erwacht  in  Frieden, 
dein  Erwachen  ist  friedlich. 

[3]  Du  erwachst  in  Frieden, 

die  oherägyptische  Schlange  erwacht  in  Frieden, 
dein  Erwachen  ist  friedlich. 

[4]  Du  erwachst  in  Frieden, 

die  unteräyyptische  Schlange  erwacht  in  Frieden, 
dein  Erwachen  ist  friedlich. 

[5]  Du  erwachst  in  Frieden, 

die  Rnn-wtt  erwacht  in  Frieden, 
dein  Erwachen  ist  friedlich. 


Hymnen  an  das  Diadem  der  Pharaonen.  37 

[6]  Du  erwachst  in  Frieden, 

die  Buto  mit  den  prächtigen  beiden  Fingern  (?)   erwacht  in  Frieden, 
dein  Erwachen  ist  friedlich. 

[7]  Du  erwachst  in  Frieden, 

die  kopferhehende^  weithalsiye  erwacht  in  Frieden, 
dein  Erwachen  ist  friedlich. 

[8]  Du  erwachst  in  Frieden, 
Selket  erwacht  in  Frieden, 
dein  Erwachen  ist  friedlich. 

[9]  Du  erwachst  in  Frieden, 

die  s§nt,  die  den  Papyrusstengel  fesselt,   erwacht  in  Frieden, 
dein  Erwachen  ist  friedlich. 

[10]  Du  erwachst  in  Frieden, 

die  an  der  Spitze  ihres  Feldes  steht,  erwacht  in  Frieden, 
dein  Erwachen  ist  friedlich. 

[11]  Die  Schlange  erwaclit  friedlich, 

das  Erwachen  deiner  Seele  ist  friedlich. 

[12]  Du  sollst  bleiben  am  Haupte  des  Sobk, 

damit  du  glänzest  an   seiner  Stirn, 

—  in  deinem  Namen   »Zauberreiche«. 

Die  Götter  fiirchten  sich  vor  dir 

und  die  Toten  fallen  vor  dir  auf  ihr  Antlitz. 

Du  befriedigst  ihm  alle  Länder 

in  Oberägypten  und  im  Nordland, 

im  Westen  und  im  Osten. 

Du  sperrst  ihm  die  Herzen  aller  Fremdländer  ein, 

der  südlichen,  nördlichen,  westlichen,  östlichen   zusammen. 

Du   Glänzende,  die  ihren  Vater  schützte, 

schütze  den  Sobk  immerwährend  (?)  vor  den  Feinden. 

\ 
[13]  Du  I^<^-wrf,  Herrin  von  Nechen, 

hochflammend  in  ihrer  Kapelle, 

....  des  Horus,  die(?)  er  liebt, 

Herrin  der  Kronen  in  der  geheimen  Kapelle. 


38  Erman: 

[14]  Du  Schöne  am  Haupte  des  Sobk, 

—  in  deinem  Namen   » Myrrhen « ; 

du  nahmst  deinen  Platz  ein  an  seinem  Scheitel, 

—  in  deinem  Namen  Wpt-tnnt; 

du  stiegst  zu  ihm  auf  an  die  Spitze  seiner  Glieder, 

—  in  diesem  deinem  Namen   »Schlange«. 
Die  Kühle  vorn  an  ihrem  Erzeuger, 

—  in  diesem  ihrem  Namen   «Kühle«. 
Die,  mit  der  er  sein  Herz  erquickte, 

—  in  ihrem  Namen   »Selkis«. 

1 1 5 1  Wie  richtig  (steht)  die  Große,  die  Herrin   des  Glanzes 
an  der  Stirn  ihres  Erzeugers. 

Du die mit  deinen  (?)  Windungen 

auf  den   Schläfen  (?)  dessen,  aus  dem  du  hervorgekommen  bist. 

[16]  Die  Große  wurde  am  Haupte  des  Horus  leuchten  gelassen, 
als  er(?)  vor  der  Neunheit  gerechtfertigt  wurde, 

—  in  seinem  Namen   »Gerechtfertigter«. 

I3.  4]  Dies  Morgenlied,  mit  dem  der  zweite  Schreiber  sein  Werk  be- 
ginnt, ist  paritätisch  auf  Ober-  und  Unterägypten  berechnet,  ebenso  wie 
die  ihm  folgenden  Lieder  d  und  e. 

[5]  Die  rnn-wtt  ist  die  Schlange,  die  später  als  Erntegöttin  gilt. 

[6]  Von  einer  solchen  Buto  ist  meines  Wissens  sonst  nichts  bekannt. 

[7]  »Kopfhebend,  weithalsig«  sind  eine  vortreffliche  Schilderung  der 
Uräusschlange,  die  sich  ja  im  Zorn  aufrichtet  und  den  Hals  aufbläst. 

[9]    Das   männliche  Wort    j    bezeichnet   den    Papyrusstengel,    und   da 

snh   »fesseln«   bedeutet,   so    ist   ohne  Zweifel   an    das  Bild  zu  denken,   bei 
dem  sich  die  Schlange  um  einen  solchen  Stengel  ringelt.    Bei  s^nt  wird  man 

an  das  1      1  o  (1  3  P^   oder  1 1  o  i!  ^  .  1 1  o  D  0  0  ©  denken  müssen, 

das  in  der  oben  S.  30  mitgeteilten  Liste  vorkommt. 

[11]  Der  erste  Vers  ist  ausgelassen.  —  Während  rnhn  ursprünglich 
die  große  Schlange  bezeichnet,  ist  m^nß  ein  Wort  für  die  kleine  Uräus- 
schlange. —  Mit  diesem  Verse  ist  das  eigentliche  Morgenlied  zu  Ende  und 
was  noch  darauf  folgt,  sind  anderswoher  genommene  Zusätze.  Es  wird  daher 
nicht  zufallig  sein,   daß   gerade  hier  in  die  Formel  die   »Seele«    eingefiigt 


Hymnen  an  das  Diadem  der  Pharaonen.  39 

ist.  Es  findet  sich  das  nur  nocli  in  b,  und  zwar  dort  zweimal,  in  |i6] 
also  ebenfalls  am  Ende  des  eigentlichen  Morgenliedes  und  weiter  noch  in 
[13].  Sieht  man  nun  aber  näher  zu,  so  sieht  man,  daß  auch  h  [13]  ein- 
mal ein  Schlußvers  gewesen  sein  dürfte,  denn  mit  der  tijtt  hknt  rht,  die 
in  ihm  genannt  ist,  schließt  ja  auch  die  alte  Aufzählung  von  Namen  der 
Schlange,  die  wir  oben  (S.  29.  30)  mitgeteilt  haben  mid  die  dem  Liede  h 
ebenso  zugrunde  liegt  wie  dem  Ritual  des  Libro  dei  funerali. 

[12]  Diese  Strophe  ist  einem  anderen  Liede  entnommen,  vielleicht 
unserm  g,  dessen  Schluß  sie  bildet  und  in  dem  sie  zum  Teil  sicher  einen 
ursprünglicheren  Wortlaut  bewahrt  hat.  —  mnnt  (g  nur  mnt)  wird  die  em- 
phatische Form  sein ' ;  daß  in  mnt  und  h<^t  nicht  etwa  weibliche  Partizipien 
vorliegen,  zeigt  die  Art,  wie  g  das  c^  hinter  das  Determinativ  setzt.  — 
Was  sich  vor  dem  Herrscher  fürchtet,  sind  nach  unserm  Text:  Götter, 
Tote,  Ägypter,  Fremdländer,  nach  g  sind  es:  Götter,  Fremdvölker,  »Neun- 
Bogen« -Völker,  Fremdländer;  es  liegt  auf  der  Hand,  daß  hier  ursprünglich 
weder  von  Toten  noch  von  Göttern  die  Rede  war,  sondern  nur  von  den 
inneren  und  äußeren  Feinden  des  Königs.  —  Das  iwt  scheint  g  als  Pron.  2 
fem.  zu  fassen.  —  Unklar  bleibt  W\;  ob  etwa  »schütze  ihn,  indem  du 
bleibst,  vor  seinen   Feinden«   für   »schütze  ihn  dauernd«? 

[13I  Die  »Kapelle«  und  was  sonst  Unbekanntes  in  diesem  Vers  vor- 
kommt, werden  Dinge  aus  dem  Kultus  von  Hierakonpolis  sein.  Falls  ich 
/yio  richtig  fasse,  wird  die  dort  verliehene  Krone  von  Oberägypten  gemeint 

sein.  —  Für  das  rätselhafte  dtt  erinnert  mich  Hr.  Grapow  an  ^'l'^fc^^  oilN 
Pyr.  500. 

[ 1 4]  Fünf  Wortspiele  mit  Namen  der  Schlange;  wenn  der  Text  richtig 
ist.  reden  drei  sie  an  und  zwei  werden  von  ihr  ausgesagt.  Das  Ganze 
sind  wohl  Anspielungen  auf  den  Mythus  von  der  Schlange  des  Sonnen- 
gottes,   daher   hier   das  <2>--yj  I   »der   sie   erzeugte«    als   Bezeichnung   des 

Trägers  der  Krone.  —  Daß  die  Schlange  »Myrrhe«  heißt,  kommt  meines 
Wissens  sonst  nicht  vor;  wenn  es  richtig  ist,  so  dürfte  man  der  Schlange 
auch  Wohlgeruch  zugeschrieben  haben.  — ^Wpt-tnnt  ist  sonst  nicht  belegt; 
das  s==5  1  1  ^,  das  sie   »öffnet«,  hat  sonst  mit  Osiris  und  Ptah  zu  tun.  — 


*    Auch   hier  wieder,   wie   in   b  [9],   eine    geminierende   Form   bei   einen»    sonst  zwei- 
radikaligen  Verbum. 


40  E  R  M  A  N  : 

Die  KbJiwt  ist  nach  Pyr.  1180;  Mar.  Deiid.  IV,  75,  eine  Göttin,  die  kühles 
Wasser  bringt;  die  Pyr.  determinieren  sie  mit  ^^.  Wenn  unsere  Schlange 
kühl  ist  an  der  Stirn  ihres  Trägers,  so  hat  man  dabei  gewiß  an  die  na- 
türliche Kälte  eines  Schlangenleibes  zu  denken:  als  sie  sich  um  die  Stirn 
des  Gottes  geringelt  hatte,  erfrischte  ihn  das  und  damit  «erquickte^  er« 
sein  Herz. 

[15]  Die  Stelle  ist  grammatisch  höchst  merkwürdig,  weil  sie  drei- 
mal das  Pronominalsuffix  der  2.  fem.  sing.  schreibt,  eine  Schreibung, 
die  sich  auch  am  Schlüsse  von  d  einmal  findet.  Das  wird  die  ältere  Form 
sein,  die  noch  dem  Pronom.  absei.  % — >^,  gleicht,  aus  dem  das  ge- 

wohnliche  ^ — >  ja  nur  verkürzt  ist.  Gewiß  hat  sie  einst  noch  in  manchem 
Text  gestanden,  aus  dem  sie  die  späteren  Schreiber  getilgt  haben.  —  Das  m/«^ 
ist  mit  m  ]^H  zu  verbinden:  die  Schlange  sitzt  richtig  an  der  Stirn,  d.  h. 
gerade  in  deren  Mitte.  —  snhw,  das  nach  dem  Determinativ  »Flügel«  be- 
deuten muß,  ist  natürlich  gleich  dnfy,  änJi.  Nun  ist  gmht  »Flügel«  in  / 
anscheinend  für  die  Schläfen  gebraucht  und  das  würde  auch  hier  passen: 
die  Schlange  umzieht  das  ganze  Haupt. 

[16]  In  diesem  Anhängsel  des  Liedes  ist  nun  wirklich  auch  Horus, 
der  Sohn  des  Osiris,  noch  hineingebracht;  als  er  im  Streite  obgesiegt 
hatte  und  die  Götter  ihm  das  Königtum  des  Osiris  zubüligten,  da  erhielt 
er  die  Schlange  als  dessen  Abzeichen. 

d.   An  die  Doppelkrone. 


,c^  U 


D 


*  srk  soll  mit  »erquicken«  nicht  genau  wiedergegeben  sein;  es  ist  aber  etwas  Gutes, 
das  man  verschiedenen  Körperteilen  antut  (Kehle,  Nase,  Gesicht,  Glieder;  llerz  wie  in  unserer 
Stelle  Amduat  IV  39/40). 


Hymnen  an  das  Diadem  der  Pharaonen.  41 


AAAA/VN 

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AV\ftAA    A    AAA/^A^ 


J\    AAAAA^ 


SIC 

-<2>-  9v     <?  ?  O 


T,^ 


H   E 


d.   Lobpreis  der  beiden  Mächtigen, 
[i]  Du  erwachst  in  Frieden, 

das  Horusaiige  erwacht  in  Frieden, 

die  Weiße,  die  Mächtige,  die  unter  den  Göttern  ist,  in  Frieden. 
[2]  Die  glücklich  heimkam, 

die  Herrin  der  Macht,   durch  die  Sobk  mächtig  ist, 

die  mit  mächtigem  Herzen  unter  den  Göttern  — 

in  diesem  ihrem  Namen  der   »beiden  Mächtigen«. 

[3]  Sobk,  du  holtest  dir  deine  beiden  Augen, 
das  schwarze,  weiße,  grüne  zusammen, 
die  sich  an  deinem  Diadem  niederlassen. 

[4I  0  Geierschlange,  die  unter  den  Göttern  ist, 
die  das  Geteilte  vollmachte, 
die  die  beiden  Länder  eroberte, 

die  am  Kopfe  des  Sobk  wuchs,   damit  er  die  beiden  Länder  erobere, 
gib,  daß  er  mächtig  sei  unter  den  Göttern. 

[i]  Der  Spruch,  der  die  beiden  Kronen  behandeln  soll,  nennt  hier 
nur  die  »Weiße«  von  Oberägypten,  und  spricht  auch  in  [4]  und  eigentlich 
auch  in  [2]  nur  von  dieser.  Er  ist  offenbar  far  einen  oberägyptischen 
Herrscher  verfaßt,  fär  den  die  rote  Krone  nur  ein  Zuwachs  seiner  Macht 
war.  —  An  Stelle  der  »Götter«,  unter  denen  die  Krone  hier,  in  [2]  und 
Pkil-hist.  Klasse.   1911.    Abh.  I.  6 


42 


E  R  M  A  N 


[4]  mächtig  ist  und  unter  denen  auch  der  König  inäclitig  werden  soll 
([4]),   mag  ursprüngHch  ein  Wort  wie  rhjt  »Menschen«   gestanden  haben, 

[2]  Die  Krone  ist  »glücklich  heimgekommen«  —  das  ist  der  gewöhn- 
liche Ausdruck  für  die  Heimkehr  aus  dem  Kriege  —  und  ihr  Herr  hat 
Macht  durch  sie  errungen. 

[3]  Der  Sinn  ist:  so  erwarb  der  König  die  Doppelkrone,  das  weiße 
und  das  grüne  Auge,  d.  h.  die  weiße  und  die  grüne  (vgl.  oben  S.  33)  Krone. 
Aber  was  soll  dabei  noch  das  »schwarze«?  Es  tritt  ebenso  in  ^  auf,  und 
zwar  heißt  es  da,  daß  es  »in  ihnen  beiden«  ist.  Es  wird  also  der  Aug- 
apfel sein,  dem  die  Ägypter  in  dieser  Kronen-Augen-Schlangenspielerei 
auch  irgendeine  Rolle  zugeteilt  haben.  —  Über  nfr-hU  vgl.  Brugsch,  Wb, 
Suppl.  670.  —  Man  beachte  die  weiblichen  Duale  des  Pseudopart.  auf  ji(l{l. 

[4]  Der  Schlangenname  nr-wtt  ist,  wie  das  Determinativ  zeigt,  von  nrt 
»Geier«  hergeleitet,  bezeichnet  also  die  Schutzgöttin  Nechbet,  die  ja  der 
Buto  zuliebe  oft  auch  als  Schlange  gedacht  wird,  —  Sie  »versieht  das  Ge- 
teilte«, seil,  mit  dem  Fehlenden,  d,  h.  sie  macht  es  voll  (man  könnte  auch 
übersetzen:  sie  vernichtet  das  Geteilte),  denn  sie  hebt  die  einst  von  den 
Göttern  vollzogene  Teilung  Ägyptens  auf  und  gibt  dem  Sieger  die  Hälfte 
des  Unterlegenen.  —  Das  »in  (oder:  aus)  dem  Kopfe  wachsen«  der  Schlange 
findet  sich  auch  in  k  und  spielt  wohl  auf  einen  besonderen  Zug  der  Sage  an. 


e.  Spruch  beim  Aufsetzen  der  Doppelkrone. 


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Hymnen  an  das  Diadem  der  Pharaonen. 


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[3]  k P®B 


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[2]  Der  Schreiber  hatte  das  h^=^  vergessen  und  dann  nach- 
getragen ;   daher  seine  Stellung. 

[3]    Hinter  widt  stand   noch  ein  Zeichen,    das  er  selbst  ge- 

\ 


tilgt  hat 


[4]  2^  kann  man  in  der  Tat  r  dj  lesen,  was  ja  aber  sinn- 


^s>- 


los   wäre.     (Jb   der  Schreiber  ein  seiner  Vorlage  verlesen  liat? 


44  E  R  M  A  N  : 

—  Er  hatte  erst  «~    'v^     geschrieben  und  hat  dies  mit  roter 

Tinte  in  h^^    verbessert. 


[6]   Das    <-°^    ist    seltsam   gemacht,    ist   aber   von   Möller, 
Paläogr.  I  46 1    gewiß  richtig  gedeutet.  —  .s-W  könnte  wohl  aucli 

rs  sein.  —  Hinter  hkri  konnte  der  Schreiber  ein  Zeichen  (wohl  ö) 
nicht  lesen  und  hat  eine  Lücke  gelassen. 

e.  Spruch  vom  Aufsetzen  der  Doppelkrone, 
[i]  o  Sobk! 

Nimm  dir  sie  beide,  die  auf  deinen  Kopf  gesetzt  sind, 

die  Schwarze,  die  in  ihnen  beiden  zusammen  (?)  ist, 

die  Weiße,  die  in  deinem  Auge  ist,  daß  sie  das  Gräßliche  röte. 

[2]  Nimm  dir  sie  und  ihre  Röte  auf  dich, 

(aber)  das  Verwunden  ihrer  Röte  gegen  deine  Feinde. 

[3]  Nimm  dir  sie  auf  dich,  die  Grüne, 

—  in  ihrem  Namen  Buto  von  Pe  und  Dep, 

und  die  Weiße,  die  in  ihnen  beiden  zusammen  (?)  ist, 

die  Weiße,  die  in   deinem  Auge  ist,  daß  sie  das  Grcäßliche  röte, 

[4]  Nimm  sie  dir  die  Beiden  ....   deines  Gesichtes, 
die  Seele  (?)  ihrer  Seelen  auf  dich, 
(aber)  das  Verwunden  ihrer  Seelen  gegen  deine  Feinde. 

[5]  ....   welche  er  mit  seinen  Händen  gemischt  hat, 
Preis  dir  (?),  wenn  sie  zu  dir  kommt, 

—  in  ihrem  Namen    »Weiße«,  die  zu  elKab  ist. 

[6]  Siegele  eine  an  die  andere, 

daß  sie  beide  gebunden  seien  an  deinen  Leib, 

—  in  ihrem  Namen  der  südlichen  und  nördlichen  7«r/-Göttin, 
des  Schu  und  Tefnet,  seiner  beiden  Zierden  (?). 

[7]  Nimm  dir  deine  beiden  Augen,  deine  beiden  Töchter, 
und  nicht  ermangeln  sie  auf  dir, 
und  nicht  ermangelt  dein  Gesicht  deiner  Augen. 


I 


Hymnen  an  das  Diadem  der  Pharaonen.  45 

[i]  Das   J^   ,   das  in  diesem  Text  vorkommt,  kann  nicht   gut  etwas 

anderes  sein  als  das  4>=^  geschriebene  Wort  der  Opferrituale  (Gramm. ^ 
§  384).  —  Über  die   »Schwarze«   vgl.  bei  (/ [3].  —  Der  Text  scheidet  hier 

und  in  [3]  von  jo  die   »weiße«  Krone  ein  '^T^^m  das  »Weiße«  im  Auge; 

in  der  Übersetzung  läßt  sich  das  nicht  wiedergeben.  —  Das  n^nt  »Gräßliches« 
wird  sonst  von  dem  Greuel  des  Gemetzels  gebraucht;  so  wird  die  Stelle  auch 
hier  zu  fassen  sein:   die  Krone,  so  weiß  sie  ist,  läßt   das  Schlachtfeld  in 

Blut  schwimmen.  —  ||s4(|s4  ^^'  ^^^  ^^^^^  ^^^^^^  "^  f^J  ^^^^^^»  ^^^  ^"^  Rätsel. 
In  Ermangelung  einer  besseren  Deutung  möchte  ich  es  dem  in  r;?  [3J  vor- 
kommenden t  )  |(l[j  iwttj  gleichsetzen  und  annehmen,  daß  das  w  durch 
die  folgende  Dualendung  zu  j  geworden  ist. 

[2]  Die  Röte  ist  hier  zuerst  die  Krone  und  dann  das  Blutbad.  Der 
König  erhält  das  Gute  der  Röte,  die  Feinde  das  Böse. 

[3]  Parallelvers  zu  [1],  die  »Grüne«  ist  wieder  die  Krone  von  l'nter- 
ägypten.     Aber  die   weitere  Variierung  verstelle  ich  nicht. 

[4]  Parallelvers  zu  [2],  scheinbar  auf  die  beiden  Kronen  bezüglich, 
die  dann  aber  doch  wieder  als  eine  (sing,  fem.)  auftreten.  —  Die  h?w 
stellen  die  Macht  der  Krone  dar,  aus  der  dem  Könige  die  h?  (was  ist  das 
hier?)  zukommt  und  den  Feinden  die  Wunde.  —  In  tpwk  sind  die  Plural- 
striche zu  streichen. 

[5]  Daß  das  m  hrt  hd  nicht  zum  vorigen  gehört,  sieht  man  daraus, 
daß  unserm  Verse  sonst  das  zum  Wortspiel  nötige  M  fehlen  würde.  Aber 
der  Text  ist  wohl  (wie  überhaupt  in  dem  ganzen  Liede)  in  Unordnung 
und  mir  unverständlich.  —  Was  »gemischt«  ist,  sind  vielleicht  die  beiden 
Kronen,  die  der  König  zu  einer  verbunden  hat.  —  hkn  Irk  ist  ein  auch  in 
andern  Ritualen  üblicher  Anruf  nicht  ganz  klarer  Bedeutung.  Der  Angeredete 
kann  nur  der  König  sein. 

[6]  Das   ^ ü   vor   htm   könnte   das  Imperativpräfix  i  sein,    das   durch 

das  folgende  h  zu  ^  geworden  wäre  (vgl.  Oramm.^  §  127);  htm  hr  .  .  .  »etw. 
an  etwas  ansiegeln«  kommt  auch  Urk.  IV,  808  vor.  —  Was  Schu  und 
Tefnet  hier  sollen  und  wie  sie  grammatisch  unterzubringen  sind,  sehe 
ich  nicht. 


46 


E  R  M  A  N 


f.  An  die  rote  Krone. 


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14,1 


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[i]  w^hi  vielleicht  ^  statt  o 


f.  Verehrung  der  roten  Krone. 

[i]  Die  rote  Krone  eiglänzt  auf  dir,  o  Sobk,  damit  du  geschützt  werdest, 
die  rote  Krone  rngt  hoch  auf  dir,  damit  du  geschützt  werdest. 
Ihre  Krümmungen  sind  vorn  an  dir,   damit  du  geschützt  werdest, 
ihre  Ecken  (?)  sind  an  deinen  Scliläfen  (?),  damit  du  gescliützt  werdest. 


Hymnen  an  das  Diadem  der  Pharaonen.  47 

|2]  Alle  ihr  Götter,  ihr  südlichen,   nör<llicheii,   westlichen,  östlichen, 
ihr  die  ganze  Neunheit, 
die  ihr  folgt  dem  Sobk, 

eure  Seelen  sollen  sich  freuen  über  diesen  König  Sobk, 
wie  Isis  sich  freute  über  ihren  Sohn  Horus, 
als  er  ein  Kind  war  in  Chenimis. 
Viermal  zu  sprechen. 

1 1]  über  das  hier  für  die  rote  Krone  gebrauchte  Wort  nt  vgl.  zu  b  [4]. 
—  Die  erste  Strophe  besteht  aus  vier  gleichgebauten  Versen,  in  deren  erstem 
der  lange  Name  des  Gottes  trotzdem  ungeniert  eingefügt  wird.  —  ^  ist 
ein  Fehler  für  ^^.  —  Über  h^ht  vgl.  zu  6  [17].  —  Über  die  w^ht  wüßte 
ich    nur  folgendes   zu   sagen.     Urk.  IV  200   wird  die  Doppelkrone   so   be- 

sprechen:  \\%[%,^-^M%.^^%i[%^^r^  •■'- 
Hörner  sind  an  deinem  Kopf,  ihre  Krümmung  ist  vorn  an  dir,  ihr  sm^  ist 
an  deiner  Schläfe «(?)' ;  daraus  könnte  man  folgern,  daß  was  dort  sm^  heißt, 
bei  uns  w?ht  heiße,  aber  diese  Folgerung  wäre  kaum  riclitig.  Bis  auf 
weiteres  möchte  ich  vermuten,  daß  die  wH)t  jene  beiden  Zipfel  an  der  Krone 
sind,  die  über  die  Ohren  herübergreifen. 

[2]  Der  König  führt  noch  den  unterägyptischen  Titel,  wie  denn  über- 
haupt nichts  in  diesem  Lied  auf  Oberägypten  deutet.  —  b^g^g  ist  eine  Weiter- 
bildung" von  hkj,  dem  Stammworte  von  gTV.oc?'^  —  Den  Göttern  wird  der 
junge,  neugekrönte  König  vorgestellt,  und  darauf  geht  wohl  auch  das 
»viermal  zu  sprechen«:  nach  jeder  Himmelsgegend  wird  die  große  Kunde 
den  dortigen  Göttern  gemeldet. 

g.  Verehrung  der  Schlange  von  Oberägypten. 


-^A-H'^'^^^^K  ^    8n^\x 


i'iiiT^T-r^:^^  ii':xr,  it ^,ri.^ 


'  über  gmht  kanu  man  aus  der  bekannten  Stelle  Ebers  99,7  nur  folgern,  daß  es 
ein  doppelter,  behaarter  Teil  des  Kopfes  ist.  Es  könnte  also  auch  allgemeiner  die  Seiten 
desselben  bezeichnen. 

^    Vgl.   Gi-amni.3  §  272. 

3    Ib.  §  108. 


48 


E  R  M  A  N 


[2] 

[3] 


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[5]  =.^!:^^\\ 


[6] 


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1 1]  Man   wird        lesen  müssen,  da  diese  Scilla ngenn amen  alle  weiblicli 


sind,  aber  das  Zeichen  sieht  weniger  wie        als  wie  ^  aus. 


In 


ist  das  erste  'wnaaa   etwas  gekrümmt,  doch  ist  wohl  n  gemeint 


Verehrung  der  Sehlange  ttßt. 
|i]  Preis  dir,   du  Horusauge, 

das  die  Köpfe  der  Begleiter  des  Seth   abschnitt. 

[2] sie  bespie  die  Götter  mit  dem,   was  aus  ihr  kam 

—  in  ihrem  Namen   »Herrin  der  xitefkrone«. 


Hymnen  an  das  Diadem  der  Pharaonen.  49 

[3]  Ihre  Kraft  ist  größer  als  die  ihrer  Feinde 

—  in  ihrem  Namen   »Herrin  der  Kraft«. 

[4]  Die  ihre  Furcht  schuf  in  denen,  die  sie  lästerten 

—  in  ihrem  Namen   »Herrin  der  Furcht«. 

[5]  0  Sobk,  du  hast  sie  auf  dein  Haupt  gesetzt, 
damit  du  durch  sie  groß  seiest, 
damit  du  durch  sie  hoch  seiest, 
damit  deine  Kraft  groß  sei  durch  sie 
unter  den  Göttern. 

[6]  Du  bleibst  am  Haupte  des  Sobk 
und  du  glänzest  an  seiner  Stirn 

—  in  diesem  deinem  Namen   »Zauberreiche«. 
Die  Götter  furchten  sich  vor  dir, 

die  fremden  Völker  fallen  vor  dir  aufs  Antlitz 

und  die  neun  Bogen  neigen  dir  das  Haupt 

wegen  deines  Verwundens,  o  Zauberreichc. 

Du  sperrst  dem  Sobk  die  Herzen  aller  Fremdländer  ein, 

der  südlichen,  nördlichen,  westlichen,  östlichen. 

Du  bist  (?)  die  Glänzende,  die  ihren  Vater  schützte. 

Schütze  den  Sobk  immerwährend  (?)  vor  seinen  Feinden, 

du  Zauberreiche  von  Oberägypten. 


Ch 


[i]  Der  Name  itßt  entspricht  gewiß  dem  alten  Osirisnamen  \\ 
\\ '^=t  und  wird  wie   dieser   die   »Sägende«   bedeuten,    weil   sie   eben  den 

Feinden  die  Köpfe  abschnitt.  Man  beachte,  daß  diese  Schlange,  die  nach 
dem  Schluß  als  die  von  Oberägypten  gilt,  hier  schon  gegen  Seth  kämpft. 

[2]  Ob    das  hnds  snn   hierher   gehört,    weiß   ich   nicht;    es   ist   gewiß 
verderbt,    und    die   Stellung   der  Zeichen   zeigt  schon,    daß   der  Schreiber 

nicht  wußte,  wie  er  teilen  sollte.     Klar  ist  erst  wieder  /wnaaa  »speien«, 

das  zum  Wortspiel  mit  der  /(/"-Krone  dient;  was  die  Schlange  spie,  war 
natürlich  Feuer.  Alle  diese  Verse  [i  —  4]  spielen  auf  bestimmte  mytholo- 
gische Ereignisse  an,   die  wir  nicht  kennen. 

[6]  ist  identisch  mit  c  1 1  2]  und  dort  im  einzelnen  besprochen. 
PhiL-hist.  Klasse.    1911.   Abh.  I.  7 


50 


Erman: 


h.  An  die  Schlange. 


18,1 


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14 


15 

Ol 

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16 


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17 

O 
Ol 

J 


18 


^       B^       B^       Bv       ^       Bv       ^ 


^ 


19 


20 

AVvAAA 


O    O   \ 


O        \ 


21 


o    \ 


22 

/VVW\A 

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23 


^      B^      Bi 


24 


25 


I    I    I 

\  d     SIC  (2i 


26 


AA/W\A 
O    O 

PJ 


27 


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28 


AA/VAAA  AA^A/Vv 

Ol  Ol  OiOi 


AAAAAA 


29 


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ok::^ 


Ik       ^      Jk 


Ein  Morgenlied  in  abgekürzter  Schreibung  (vgl.  S.  17.  18);   der  Text 
beschränkt  sich  auf 

»du  erwachst  in  Frieden, 
dein  Erwachen  ist  friedlicli « ; 


Hymnen  an  das  Diadem  der  Pharaonen.  51 

die  zweite  Zeile  (NN.  ervvaclit  in  Frieden)  soll  der  Sänger  mit  den  29  darauf- 
folgenden Namen  selbst  bilden. 

Diese  Namen  sind  zum  guten  Teil  ungewöhnlich;  was  ich  davon  ver- 
stehe, ist: 

I.  Zauberreiche;  —   2.  Weiße;   —  3.  Nechbet;  —  4.  die  die  Bogen 

(vgl.  zu  i)\    —    5.  vgl.    die    Krone  0^/4  Pap.  Berlin  3055,  9,  7, 

Mar.  Dend.  III  8,  Edfull72  u.a.;  —  6.  die  Packende;  —  7.  /m^(?);  —  8.  die 
Schlagende;   —   9.   die  Anstürmende  (vgl.  zu  i);  —    10.  imiwnt  (vgl.  zu  k); 

—  II.  ümüt{?);  —  12.  türäi?y,  ob  für  lor-iütt (?) ;  —  13.  =  6;  —  14.  Mut(?) 
oder  =  22  (?);  —  15.  die  Vereinigende  (seil,  die  beiden  Reiche?);  —  16.  <^b-iütt 
«die  Hornschlange« ;  —  17.  die  mit  großem  ihw,  nach  dem  Determinativ 
eigentlich  ein  Geiername;   —    18.  die  Langarmige;   —    19.  die  im  S^ß  ist; 

—  20.  mn-<^h-hd-ft{?);  —  21.  die  Krone  mj'swf,  die  nach  Pyr.  724  Ober- 
ägypten eignet;  —  22.  der  Geier;  —  23.  =  i";  —  24.  die  zu  Hierakon- 
polis;  —  25.  die  vorn  am  Hause;  —  26.  die  an  der  Spitze  des  Tors;  — 
27.  die  an  der  Spitze  ihres  Wüstentales;  —  28.  die  an  der  Spitze  von 
Oberägypten;  —   29.  die  Östliche. 

Man  sieht,  der  Verfasser  hat  zuletzt  alles  mögliche  zusammengesucht, 
was  es  an  Schlangen  gab,  sogar  die  von  den  Türbekrönungen.  Ob  sie  alle 
wirklich  mit  der  Schlange  des  Diadems  identisch  waren,  können  wir  nicht 
beurteilen. 


1.  An  die  Schlange. 


19,1 


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AAAAAA     AAAAAA 


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Ci 


I        I 


AA/VWA    I  —iL  AAA^WA    A/^/V^A^      I      I     \   i l 


'    wrrt  zu  lesen  ist  nicht  möglich. 

•^    Sollen    diesem    zweiten  icrt-hhiw   etwa   die  Namen   24 — 29  zugefügt  werden,    die  ja 
alle  adjektivische  Form  liaben? 

7* 


52 


E  R  M  A  N 


[2]   n  ^  .7^     ,^^ 


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[4]  t"t' 


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I   I   I 


Verehrung  der  Dndnjt. 

[i]  Komme  zu  Sobk,  du  sein  Auge, 

komme  zu  ihm,  du,  die  ihre  Feinde  zerschnitt 

—  in  diesem  ihrem  Namen  Dndnjt. 

[2]  Die  hervorkam  und  erglänzte  am  Kopfe  ihres  Herren, 
die  sich  mit  ihm  vereinigte,  damit  sie  in  ihm  .... 

—  in  diesem  ihrem  Namen  DmH-pdt. 

[3]  Sobk  hat  sich  sein  Auge  geholt, 

dich,  hinter  der  die  Götter  herjauchzten, 

—  in  diesem  ihrem  Namen,    »Herrscherin  (?)  von  Obercägypten « . 

[4]  Gib,  daß  Sobk  Macht  habe  über  seine  Feinde, 
indem  seine  Heldenkraft  in  ihren  Herzen  ist; 
gib,  daß  die  Götter  hinter  ihm  hergehen  (?). 

[i]  Dndnjt,  das  auch  in  h  vorkam,  wird  etwa  »die  Anstürmende«  be- 
deuten  und  zu  «^^  ^  (im  m.  R.  schon  J\)  geliören;  mit  dn  »schneiden« 

hat  es  gewiß  nichts  zu  tun. 


AA/^AAA  A/vV\.V. 


Hymnen  an  das  Diadem  der  Pharaonen. 


53 


[2]  Da  prt  und  h^^t  perfektische  Partizipien  sind,  werden  diese  Verse, 
wie  ja  ohnehin  anzunehmen  ist,  Anspielungen  auf  Ereignisse  der  Götter- 
sage enthalten.  —  Was  m/A(?)  oder  m/(?)  ist,  ahne  ich  nicht.  —  DmH-pdt 
(auch  in  h)  »die  die  Bogen  .  .  .  .«  ist  ein  Name  der  geiergestaltigen  Nechbet, 
der  in  Edfu  und  Dendera  oft  vorkommt,  aber  auch  schon  in  dem  Sarge 
Kairo  28083   i^-  ^O- 

[3]  Bei  dem  ö  ^X*  denkt  man  unwillkürlich  an  das  uralte  Epitheton 
der  Nechbet,  »die  Unterägypten  schlägt«  (Quibell,  Hierakonpolis  Taf.  38); 
es  wird  aber  wohl  nur  ein  Schreibfehler  für  W     \  sein.  —  Statt  der  Götter 

werden  ursprünglich  die  Menschen  gestanden  haben. 

Das  Lied  hat  wie  a  vier  dreizeilige  Strophen,  deren  letzte  das  Gebet 
ftlr  den  König  enthält. 


k.  An  die  Schlange. 


[.]<-fi^. 


c^  ü 


nT,%i 


o  D 


]\- 


=»=^, 


w 


\\ 


D 


^_^    \/  i_L  'I      L_i         Jj    AA/V^AA 


,20,1.^.  .^^ö\ 


/NA/>A'NA  //  AAAAAA    AA/VAAA    C^ 


[3]  k„(j 


5 


AAA/V\A  ^    "      ^    VV 


/Ci 


«f»        W 


fil' 


l' 


^        I 


2S^ 


Ol 


o     I 


54  Erm  A  N  : 

Verehrung  der  Wnwnwt. 

[ij  Du  erwachst  m  Frieden, 

das  Horusauge  erwacht  in  Frieden, 

die  Wnwnwt,  die  an  seiner  Stirne  ist,  in  Frieden. 

[2]  Die  auf  seinem  Leibe  lief  unter  den  Göttern ! 

die  die  Sobk  herbeibrachte  von  dem,  der  sie  geraubt  hatte, 
—  in  diesem  deinem  Namen  Wnwnwt. 

[3]  Komme  du  zu  vSobk! 

Verbinde  dich  mit  seinem  Fleische, 

wachse  an  seinem  Kopfe, 

nimm  Besitz  von  (?)  seinem  Scheitel. 

[4]  Gib  dem  Sobk  Freude  unter  den  Göttern. 
Du  bist  es,   die  ihm  Triumph  erobert. 

[i]  Die  wnwnwt  kommt  auch  in  A  vor  und  außerdem  Urk.  IV  286.  288 
als  .^so  .^Sij '|T[>^  ^   jip    »zwischen   den  Augenbrauen«    des   Königs   sitzt.    — 

Man  beachte,  daß  das  Morgenlied  hier  die  kürzeste  Form  wie  in  den 
Pyramidentexten  (S.  19)  hat. 

[2]  Die  Schlange  ringelte  sich,  wie  auch  in  ^  [14]  erwähnt  ist,  an 
dem  Leibe  des  Gottes  in  die  Ilöhe^  und  wuchs,  wie  [3]  zeigt,  dann  an 
ihm  fest.     Über   das    »rauben«    und   »wiederbringen«   vgl.  oben  S.  12.  13. 

[4]  Der  letzte  Vers  enthält  wieder  das  Gebet  für  den  König;  es  ist 
ganz  so  gebaut  wie  das  in  a. 


'    Hr.   Grapow  macht  mich  auf  die  Stelle  Rec.  de  Trav.  29,  162   aufmerksam,  wo  in 

einer   Inschrift   des  Tutanchamon  ~^^     _  ^    ^|  a;^      \orkommt;    ob  als  Name  der  Uräus- 
schlänge  ? 


Hymnen  an  das  Diadem  der  Pharaonen.  55 


Anhang. 

Liste  fremder  Personennamen. 

Diese  Liste,  die,  wie  oben  S,  6  unten  bemerkt,  auf  den  leeren  Raum  am 
Ende  unseres  Papyrus  geschrieben  ist,  bietet  in  mehrfaclier  Hinsicht  Inter- 
esse, Einmal  sind  mehr  als  57  Barbarennamen  schon  an  und  fiir  sich 
beachtenswert,   wenn  sie  ein  und  demselben  Volke  angehören  \  und  das  ist 

oftenbar  hier   der  Fall.     Nicht  weniger  als  33  enden  auf  \\   (dabei   10   auf 

<rr>(^   und  5  auf  ^:z:::=6|l),  und  6  beginnen  mit  und  4  davon  mit  ^^'^^  . 

Diese  Namen  sind  weiter  stellenweise  nach  den  Anfangsbuchstaben 
geordnet,  was  bekanntlich  nur  sehr  selten  in  ägyptischen  Texten  vorkommt. 
Sic  sind  weiter  wichtig  als  alte  Proben  der  syllabischen  Schrift,  die  diese 
auf  einer  Stufe  zeigt,  die  uns  sonst  kaum  bekannt  ist.  Und  endlich  sind 
sie  auch  paläographisch  ein  Unikum,  da  ihr  Schreiber  <=>,  o,  g — >,  ci^^" 
und  ^  durchgängig  klar  scheidet",  so  daß  wir  diese  Namen  mit  unge- 
wöhnlicher Sicherheit  lesen  können. 

Ich  gebe  hier  mit  P>laubnis  des  Hrn.  Golenischeff  die  merkwürdige 
Liste,  unter  genauer  Beibehaltung  der  Anordnung  und  Zeichenstellung: 


a 


%Mt    ■•^iPuq^    ■• 


d 


2.    A 


2, 


3^' 


v^ 


3-  %M        3.  \^^^ 


3.     "^  '=>ü^  4-   ^ 


i\f\N\/\r\ 


I     w     I 


4.   z3o[j' 


'    Einen  Anhält  zur  Bestiminnng  dieser  Leiit^  sehe  ich  nicht.     Gewiß  waren  es  aber 
Sklaven,  die  für  den  Tempel  des  Sobk  Land  bebauten  oder  sonst  für  ihn  arbeiteten. 


'^    Sein  <— >  ist 


sein 


^^  oder  ^^ ,  sein  o  ist  ^  oder  ^  ,  sein  g=3  ist    C^m^ 
<=^>  ist  ^^^^  ■<  sein    V>   ist    ^    oder  ^  ,    ^  . 


56 


E  R  M  A  N 


4.  h,mM    ^-  1^ 

5.   ^U^t  ^^ 


5-  ^iö-^ 


s 


TJ\ 


2. 


A 


3-  ö, 


I      I 


4.   ->      5.  1)1)^ 


6.  J. 


:.   |(l^(j^ 


3.  _g^u^ 


— ^  ZI, 


/vwvv\ 


I . 


G 


p4 


<-^-  l^^iH  J=^l- 


Mio 

^^ — —»      n         AAAAy^A 

6-  \öi\' 


Hytnnen  an  das  Diadem  der  Pharaonen. 


57 


1 


■■  Km 


^1 


U\: 


m 


\ — 


6. 


rpv 


Umschreibung^ . 

a 

b 

c 

d 

e 

t-r-t,'      I . 

jj-h-r-j 

I. 

j^-k'ki-j          I.  y/-A:-r-y 

I.  ^/-Ä-Av 

2. 

k-s-k-j 

2. 

k-ri-m            2.  ji-d-n-rj 

2.  m-s-r-k-s 

3- 

t-n-r-j 

3- 

jj-h' 

3.  ji-r-w? 

3.  /y-jfy-/f 

4. 

m-U-jj-h 

4- 

k-r-§ 

4.  ^-/-/ 

4.  m^-njj-nj 

5.  y/--$:-r-y 

5- 

rw-h-j 
f 

5- 

j-wS-t- 

6.  p^-n-jj 
g 

h 

6.  mi-d-j 

I.   la-jj-ri- 

^/ 

I. 

m-^-m-g-^           i . 

s-n-r-t-j 

2.  mj-r-j 

2 . 

r-ri-mj               2 . 

ki-d^-w 

3-   ^^"W 

3- 

rw-ki't-j             3 . 

$-r-t-j 

4-  8^'^-^-jj 

4- 

s-n-r-t                4. 

k^-r^-r^ 

5-  ^-«'-y 

5- 

s-n-k-t                5. 

p-n-Hi?) 

6. 

s-n-jj-k?             6. 

h-w-tj  w^hw  m-nm  (?) 

'  Ich  umschreibe  so,  daß  icli  bei  den  syllabischen  Gruppen,  von  denen  eventuell  nur 
der  Anfangskonsonant  Geltung  hat,  die  beiden  Konsonanten  nicht  durch  einen  Strich  trenne. 
Ein  Tci-ri-ri  ist  also  vielleicht  hier  nur  als  Ttrr^  eiii  rw-k-t-j  nur  als  rktj  zu  fassen.  Ich  be- 
merke  noch    fiir   Fernerstehende,    daß  ji  (1  ^7\    wahrscheinlich    das    anlautende   s  darstellt, 

während  das  im  Auslaut  so  oft  vorkommende  j  (1  hier  fiir  jj  (1  [1  stehen  dürfte,  mit  dem 
es  auch  in  pi-n-j  k2,  p^-n-jj  d  6  zu  wechseln  scheint.  Vgl.  über  die  syllabische  Schrift  des 
neuen  Reichs  Max  Burchardt,  Die  altkananäischen  Fremdwörter  und  Eigennamen  im 
Ägyptischen  I  (Leipzig  1909). 

Phil.-hist.  Klasse.    1911.    Abh.  I.  8 


58 


Erman:    Hymnen  an  das  Diadem  der  PTiaraonen. 


i 

k 

1 

I. 

m-t-j 

I. 

h-r-j 

I. 

m-g-j 

2. 

ri-h-j 

2. 

p^-n-j 

2. 

m.-g-j 

3.  j?-s^-k^-t 

3- 

U-h^-j 

3- 

s-n-r-k 

4- 

ki-m-8^-r-j 

4- 

ß-h^-s-s 

4- 

hsw  .  . 

5- 

ki-r-t 

5- 

U-n-j 

5- 

r-s-r-j 

6. 

IchsS-n^-t 

6. 

s-n-r-h 

6. 

h'-s-w 

c  5.  Der  erste  Teil  des  Namens  (Jw^-t)  sieht  aus  wie  das 
ägyptische  Wort  für   »Kuh«,  was  aber  gewiß  nur  Zufall  ist. 

d  5.    Man  beachte,    daß  der  Schreiber  bei  [pn  hier  und  in 

i  4  den  Strich  fortläßt,  während  er  in  i  3  und  f  4  ihn  setzt.    Ebenso 

behandelt   er  _2^   und  | ),   und   ebenso   läßt   er  bei  IT),  _Jp  ^   \ 

gelegentlich  das  ^^  weg. 

f  5.  Man  könnte  zur  Not  (j  w^  lesen,  was  dann  einen  alten 
ägyptischen  Namen  gäbe. 

h  5.  Ein  ®  scheint  zuerst  gestanden  zu  haben;  der  Schreiber 
hat  daran  geändert,  doch  ist  die  Korrektur  unlesbar. 

h  6.     An  dem   hwtj  vo^hw    ist    alles    völlig    klar;    auch    das 


<#> 


läßt  sich   kaum   anders  lesen,    als  hier  geschehen ;    vor 


allem  hat  das  ^   ganz  die  in  der  Handschrift  sonst  übliche  Form. 
1 4.     Auf  das   völlig  deutliche   hsw  folgte   noch    eine   halb- 
zerstörte Gruppe    ^^p^  ,  die  ich  nicht  zu  deuten  wage. 

1  6.    Das  v^  könnte  wohl  auch  c^  sein. 


Zur  sprachlichen  GUederung  Frankreichs. 


Von 

ir  HEINRICH  MORF 


mi.-Mst.  Klasse.    1911.    Abh.  IL 


Gelesen  in  der  Sitzung  der  phil.-hist.  Klasse  am  30.  November  1911. 
Zum  Druck  eingereicht  am  gleichen  Tage,  ausgegeben  am  30.  Dezember  191 1. 


U  ms  Jahr  1 1 80  kam  ein  junger  Trouvere  des  Nordens  an  den  Hof  zu 
Paris.  Er  stammte  aus  Bethune  im  Artois  und  hieß  Conon.  Conon 
de  Bethune  gehörte  somit  dem  Sprachgebiet  an,  das  wir  heute  etwas 
uneigentlich  das  pikardische  zu  nennen  pflegen\ 

Conon  war  von  einem  artesischen  Meister,  Huon  d'Oisy,  im  Minne- 
sang unterwiesen.  Er  schrieb  seine  Lieder  wie  dieser  im  franzischen  Idiom, 
d.  h.  in  der  Schriftsprache.  Aber  seine  Rede  war  provinziell  gefärbt.  Er 
sprach  mit  »pikardischem«^  Akzent,  und  als  er  seine  Lieder  am  Hofe  vortrug, 
da  begab  es  sich,  daß  die  Franzosen  unter  dem  Vorgang  der  Königinmutter 
Alix  und  ihres  Sohnes,  des  jugendlichen  Philipp  August,  die  Aussprache 
{le  langage,  la  parole)  des  » Pikarden «  als  unfranzisch  tadelten  und  ihn  damit 
kränkten.  Seinen  Ärger  goß  er  in  ein  bekanntes  Lied,  in  dem  er  unter 
anderem  meint: 

Encore  ne  soit  ma  parole  frangoisej 

Si  la  puet  on  bien  entendre  en  frangois. 

Es  ist  nicht  zu  bezweifeln,  daß  der  Dichter  damit  für  seine  Person 
Recht  hatte,  doch  bestehen  zwischen  der  Sprache  des  französischen  Nord- 
ostens (dem  »Pikardischen«)  und  der  der  He-de-France  im  Lautstand,  in 
der  Foraienbildung  und  im  Wortschatz  so  starke  Verschiedenheiten,  daß 
dadurch  das  gegenseitige  Verstehen  gefalirdet  ist.  Diese  nordöstliche  Ecke 
französischen  Sprachgebietes  hat  einen  so  eigenartigen  Sprachtypus,  daß  man 


'  Dieses  Sprachgebiet  dehnt  sich  viel  weiter  nach  Norden  als  die  alte  Provinz  der 
Pikardie  und  umfaßt  auch  Artois  und  Flandern.  Anderseits  scheiden  südliche  Teile  der 
alten  Provinz,  wie  Soissonnais,  Laonnais,  für  die  sprachliche  Benennung  aus. 

X* 


4  M  o  R  F  : 

fiir   dieses  alte   Belgium'    ein    besonderes    Romanisierungszentriun    anzu- 
nehmen hat". 

Von  der  morphologischen  und  lexikalischen  Eigenart  des  Belgo- 
romanischen  soll  hier  nicht  weiter  die  Rede  sein.  In  der  lautlichen 
Sonderentwicklung  sind  drei  Züge  besonders  charakteristisch.  Es  sind  Züge 
lautlicher  Altertümlichkeit.  Das  Belgoromanische  ist  lautlich  konservativer 
als  das  Französische  (Reltoromanische) : 

I.  bewahrt  es  den  ^^-Laut  vor  Nasal  in  geschlossener  Silbe  (lat.  ventu  > 
pik.  re,  infante  >  pik.  i/a  gegenüber  franz.  m,  ajä)\ 

II.  führt  es  das  k  vor  r,  i'^  nur  bis/  (lat.  cervu  >  pik.  /sr,  cinere  > 
pik./£C?r,  pulice  >  pik.  J93// gegenüber  franz.  ser,  sadr,pys)\ 

und  erhält  111.  das  velare  k  vor  lat.  n  (cattu  >  pik.  ka,  carricare  > 
pik.  karke,  ecce  hoc  est  carum>  pik. /e  ktr  gegenüber  franz.  yä,  far^e, 
SE  ßr). 

Um  in  einem  Musterbeispiel  —  das  ja  nicht  geistreich  zu  sein  braucht  — 
die  Phoneme  zu  vereinigen:  Le  veni  couvre  le  chat  de  cendre  lautet  fran- 
zösisch b  vä  kumd  b  fa  db  sädr,  pikardisch  aber:  b  vs  kiwrj  b  ka  dj  fMr\ 
Durch  solche  Lautunterschiede  ist  tatsächlich  das  Verständnis  gefährdet  und 
war  es  auch  schon  im  12.  Jahrhundert,  da  damals  die  Differenz  zwischen 
Franzisch  und  Pikardisch  ungefähr  so  groß  war  wie  heute.  Es  ist  klar, 
daß  ein  Franzose,    der  von  Paris    nach  Norden   reiste    und   nach  wenigen 

'  Zu  diesem  alten  Belgium  gehören  natürlich  auch  die  romanischen  Teile  des 
heutigen  Belgien:  llennegau  und  Wallonie.  Sie  bilden  mit  dem  nordüstUchen  Frankreich, 
dem  »pikardischen«,  zusammen  das  belgoromanische  Sprachgebiet.  Das  »Pikardische - 
ist  also  nur  ein  Teil  —  der  nördliche  und  westliche  riau])tteil  —  des  Belgoromanisehen. 
Wieweit  auch  die  Normandie  belgoromanische  (Grundlage  aufweist,  wird  sich  im  folgenden 
zeigen. 

^  Ich  habe  früher  auf  Augtista  Treverornm  als  dieses  Zentrum  hingedeutet 
{Bulletin  de  dialectoloyie  romane  \^  \^\  freilich  nur  vermutungsweise.  Es  ist  eben  zu  er- 
wägen, daß  Trier  mit  dem.  Nordosten  Galliens  schlechte  Verbindung  hatte:  die  unwirt- 
lichen Ardennen  liegen  dazwischen  —  silva  Ardennua  qvae  ingenti  magniiudhie  per  medios  fines 
Treveroru7n  a  ßtimine  Rheno  ad  initium  Remonim  pertinet  (Ca es.  b.  gall.V,  3,  4).  Davon  soll 
unten  in  anderem  Zusammenhang  noch  gesprochen  werden. 

^  Darunter  subsumiere  ich  auch  die  übrigen  Quellen  des  pik.  /-Lautes  (k%  ''»""ti) 
inid  scheide  auch  nicht  zwischen  An-  und  Inlaut,  da  dies  für  die  Feststellung  der  heutigen 
/-Isophone  belanglos  ist. 

*  Es  kommt  mir  hier  nur  auf  die  drei  Paradigmata  vent,  chat,  cendre  an  \md  ich  sehe 
davon  ab,  den  übrigen  Worten  des  Sätzchens  ausgesprochenere  pikai-dische  Lautung  zu 
geben  (z.B.  die  Artikelform  (e)/<ecce  iste: /A:a,  5  w). 


Zur  sprachliehm  Gliederung  Frankreichs.  5 

Stunden,  etwa  in  Allonne  (Departement  Oise,  südlich  von.  Beaüvais), 
auf  diese  Lautung  stieß,  den  Eindruck  haben  mußte,  vor  einer  andern 
Sprache  zustehen.  Er  konnte  weit  nach  Westen,  Osten  öder  Süden  wan- 
dern, ohne  solch  umfassenden  und  tiefgehenden  Verschiedenheiten  zu  be- 
gegnen. 

Um  das  Verbreitungsgebiet  dieser  drei  lautlichen  Züge  zu  bestimmen, 
lege  ich  die  Karten  des  Atlas  linguistique  de  la  France  von  J.  Gillieron 
und  E.  Edmont  zugrunde\ 

I. 
Lat.  en'^""^>pik.  1. 

Aus  der  Reihe  der  einschlägigen  Wörter,  die  der  A^/ö^  ■  bietet,  wähle 
ich  das  Wort  fente  der  Karte  5  5 1  (franz.  /«/,  pik.  /e/).  Die  west- 
östlich verlaufende  Isophone  des  pikardischen  e  folgt  (vgl,  hier  Karte  I) 
zunächst  der  Grenze  der  Departemente  Somme  und  Seine -Inferieure, 
durchschneidet  dann  südlich  der  Punkte  247,  246,  235,  253  das  Departement 
Oise,  durchquert  das  Departement  Aisne  zwischen  261  und  179,  biegt 
hierauf  nach  Osten  ab,  läßt  Punkt  188  des  Departements  Ardennes  im 
Norden  und  begrenzt  im  weitem  Laufe  die  ganze  Wallonie  mit  Ausnahme 
von  Punkt    i  76-. 

'  Auf  den  zwölf  lelirreichen  Sprachkärtchen,  mit  denen  II.  Suchier  sr'ine  Darstellung 
des  Französischen  und  Vrcncnzalischen  im  ersten  Bande  des  Grundriß  der  romanischen  Phi- 
lologie^ 1888  begleitet  hat,  \\  erden  zwei  der  hier  in  Frage  stehenden  Erscheinungen  dar- 
gestellt: ka — fa  (Karte  IV);  z  —  ä  (Karte  IX).  Diese  Karten  haben,  soviel  ich  sehe,  in  der 
zweiten  Auflage  (1904)  keine  Veränderungen  erfaln-en.  —  Eine  Ergänzung  dieser  Karten 
fih"  das  nördlich  von  Paris  gelegene  Spracligelände  gibt  jiach  Urkunden  des  Dej)artements 
Oise  G.  Krause  in  Behrens"  Zeitschrift  XVllI,  S.  58  (1896),  olme  freilich  den  Versuch 
zu  machen,  seine  Kartenskizze  linguistisch  auszuführen.  - —  Leider  hat  L.  Sütt erlin  seinem 
Beitrag  Zur  Kenntnis  der  heutigen  pikardisch-französischen  Mundarten  in  Z.f.  r.  Ph.  XXVI,  274 
(1902)  gar  keine  Karte  beigege])en.  Das  von  ihm  behandelte  Gebiet,  im  wesentlichen  zwischen 
Amiens  und  Beaüvais  gelegen,  ist  nicht  eigentliches  Grenzgebiet  und  liegt  völlig  innerhalb 
des   »Pikardischen«    (vgl.  Z.f.  r.  Ph.  XXIV,  8.  709). 

'■'  Bei  der  Weitmaschigkeit  des  linguistischen  Netzes  des  Atlas  linguistique  de  la  France 
ist  der  Isophonenführung  breiter  .S})ielraum  gelassen.\  Der  Atlas  läßt  nur  erkennen,  daß  die 
Isophone  zwischen  den  Punkten  279,  267,  257  usw.  einerseits  und  den  Punkten  268, 
258  usw.  anderseits  verläuft,  und  diese  Punkte  stehen  20^ — 30  km  voneinander  ab.  Wo 
innerhalb  dieser  breiten  Zwischenzone  die  Grenze  wirklich  verläuft,  könnte  erst  durch  eine 
örtliche  Detailuntersuchung  bestinunt  werden.  Um  nun  hier  durch  meine  Linienfühnmg 
nichts   vorzutäuschen,   was   wir   nicht   wissen  können,   ziehe  ich  die  isoj>honen  schematiseh 


6  Morf: 

Wenn  man  diese  Isophone,  die  zu  drei  Vierteln  auf  dem  Boden  Frank- 
reichs und  zu  einem  Viertel  auf  belgischem  Boden  verläuft,  an  anderen 
«-Wörtern  des  Atlas  nachprüft,  so  erkennt  man  ein  verschiedenes  Verhalten 
dieser  beiden  Teile,  des  französischen  und  des  belgischen.  Der  belgische 
Verlauf  hat  eine  geringe  Konstanz.  Wohl  verhält  sich  die  Mehrzahl  dieser 
Wörter  wie  fst  (so  z.  B.  vendre^  tendre,  dedans,  seulement,  eile  enfle),  aber  z.  B. 
das  Wort  vent  (Karte  1369)  lautet  va  und  nicht  ve  in  Punkt  185,  gens 
(K.  639)  und  palience  (K.  978):  ja,  pasjas  auch  in  P.  183,  cendre  hat  a  auch 
in  P.  187.  Die  hochfranzösische  Lautung  dringt,  wie  man  sieht,  in  den  bel- 
gischen Provinzen  Luxemburg  und  Namur  vor. 

Die  französische  Strecke  ist  dagegen  recht  konstant.  Ganz  vereinzeltes 
ö,  wie  z.  B.  in  patience  (P.  261),  ist  bedeutungslos.  Auf  der  ganzen  langen 
Strecke  zeigt  sich  eine  einzige  Einbruchstelle,  wo  das  französische  a  in 
pikardisclies  e-Gebiet  mit  mehreren  Wörtern  wie  cendre,  dedans,  tendre,  ein- 
zudringen beginnt:  es  ist  der  der  Hauptstadt  zunächst  gelegene  Punkt  235. 
So  zeigt  diese  a-e-Grenze  auf  französischem  Boden  eine  auffallende  Wider- 
standsßlliigkeit. 

Besonderes  Interesse  erweckt  zunächst  das  pikardisch-normandische 
Stück  dieser  scharfen  Lautgrenze,  vom  Meer  bis  vor  Pontoise  (südlich  von 
P.  246).  Sie  verläuft  völlig  in  der  Richtung  der  Grenze,  die  das  Bistum 
Ronen  von  den  Bistümern  Amiens  und  Beauvais  scheidet'.    Hier  scheint 


möglichst  in  geraden  Linien,  die  dem  Auge  des  Beschauers  immerfort  in  Erinnerung  rufen. 
daß  es  sich  hier  um  eine  Veranschaulichung  handelt,  die  nicht  mehr  sagen  will,  als  sie  sagen 
kann.  Wo  ich  gelegentlich  von  dieser  schematischen  Führung  abzuweichen  scheine,  glaube 
ich  besondere  Gründe  zu  haben,  die  ich  auch  angebe. 

Ein  Ubelstand  beim  Einzeichnen  der  Isophonen  liegt  darin,  daß  aus  dem  Atlas  selbst 
nicht  ersichtlich  ist,  an  welcher  Stelle  die  einzelne  Ortschaft  liegt,  der  die  Punktziffer 
gilt.  Liegt  z.B.  Talmontiers  (P.  248)  nördlich,  westHch,  östlich,  siidlich  der  Ziffer  oder  in 
deren  Raum  selbst?  Die  Isophone  wird  je  nachdem  sich  erheblich  anders  gestalten,  da  es 
sich  bei  dieser  Frage  leicht  um  Distanzen  von  6 — 8  km  im  Quadrat  handeln  kann.  Icli 
habe  deshalb  für  die  örtlichkeiten,  die  bei  dieser  Arbeit  in  Frage  kommen,  die  Lage  genauer 
bestimmt  und  sie  durch  rote  Punkte  möglichst  exakt  anzugeben  versucht.  Zukünftige 
Sprachatlanten  werden  ihre  Brauchbarkeit  erhöhen,  wenn  sie  —  es  kann  ja  auch  in  Schwarz 
geschehen  —  die  Lage  ihrer  Punkte  genau  bezeichnen.  Einen  Punkt,  P  o  n  t  o  i  s  e ,  habe  ich 
zur  leichteren  Orientierung  hinzugefügt.  (P). 

^  Zu  dieser  Bistumsgrenze  vgl.  Karte  V.  Von  Punkt  248  (dem  Dorf  Talmontiers)  kann 
ich  die  kirchliche  Zugehörigkeit  nicht  sicher  bestimmen.  Er  gehört  zum  Departement  Oise, 
liegt  aber  an  dessen  äußerster  Grenze,  so  daß  es  ohne  Lokalkenntnis  zweifelhaft  bleibt,  ol) 


Zur  sprachlichen  Gliederung  Frankreich 


7/i,9. 


also  die  Bistumsgrenze  zugleich  Lautgrenze  zu  sein.  Dieser  Um- 
stand sowie  die  unerschütterte  Schärfe  dieser  Grenze  läßt  auf  ihr  hohes 
Alter  schließen.  Und  wirklich  scheint  in  derNormandie  schon  im  12.  Jahr- 
hundert die  Umbildung  des  e  zu  a  begonnen  zu  haben,  denn  bei 
normandischen  Dichtern  jener  Zeit  begegnen  wir  bekanntlich  nicht  selten 
Reimverbindungen,  die  sich  durch  den  annähernden  Gleichklang  der  beiden 
Nasal  vokale  erklären. 

Wie  der  weitere  Verlauf  der  a-e-Isophone,  von  Pontoise  bis  an  die 
belgische  Grenze  bei  Trelon,  P.  270,  historisch  zu  deuten  ist,  wird  sich 
nachher  zeigen. 

II. 

Lat.  c  +  e  (i)  >  franz.  s,  pik.  /. 

Der  Isophone  / — s  der  Karte  11  liegt  das  Wort  calciare  >  chausser 
=  pik.  kofe  zugrunde,  das  zugleich  auch  den  Nexus  ca  >  pik.  ka,  franz. 
fa  enthält  \ 

Das  Wort  gehört  zu  denen,  die  sich  in  der  konservativen  Lautung- 
verhältnismäßig  gut  gehalten  haben.  Immerhin  fällt  auf,  daß  P.  248  nicht 
/,  sondern  franz.  s  hat,  ebenso  wie  P.  378  und  367.  Andere  Wörter  be- 
zeugen indessen,  daß  auch  diese  drei  Punkte  ursprünglich  /  gehabt  haben. 
So   lautet  pi/f  {=  fr&nz.  puce),  fä  (franz.  cent)  in  P.  378,  367;  pßf  (franz. 


er  zur  Diözese  Rouen  oder  zur  Diözese  Beauvais  zu  rechnen  ist.  Daß  er  nicht  s,  sondern 
ä  hat,  weist  nach  Rouen.     Der  Punkt  wird  uns  später  noch  beschäftigen. 

Es  ist  einem  nicht  ganz  leicht  gemacht,  die  Isophonen  und  die  Bistumsgi*enzen  zu 
vergleichen.  Man  muß  für  die  letzteren  zur  Gallia  christiana  greifen,  deren  Karten  leider 
nicht  immer  die  wünschenswerte  Genauigkeit  haben.  Daß  Gillierons  Atlas,  dessen  Karten- 
bild in  den  Beilagen  reproduziert  ist,  die  departementale  Einteilung  Frankreichs  wiedergibt, 
erleichtert  gewiß  beim  Fehlen  aller  Flußläufe  und  Städtebezeichnung  die  topographische 
Orientierung;  die  geschichtliche  Interpretation  der  Karten  aber  wäre  mehr  gefordert 
worden,  wenn  statt  der  Departementsgrenzen  die  alten  Bistumsgrenzen  eingezeichnet  worden 
wären.  Verfasser  zukünftiger  Sprachatlanten  sollen  es  sich  auf  alle  Fälle  angelegen  sein 
lassen,  für  die  von  ihnen  untersuchten  Ortschaften  nicht  nur  deren  politische,  sondern  auch 
deren  kirchliche  Zugehörigkeit  ausdrücklich  anzugeben. 

^  Neben  franz. /os?,  pik.  kofe  findet  sich  vereiozelt  Tcose,  so  P.  378,  367,  was  wohl  aus 
einer  Kontamination  der  l^eiden  anderen  Formen  zu  erklären  ist.  —  In  P.  297  ist  kose,  das 
dort  neben  kofe  vorkommt,  das  Resultat  einer  örtlichen  Lautentwicklung,  die  altes  inter- 
vokales /■  zu  s  führt,  wie  sich  auch  in  andern  Wörtern  zeigt:  kose  (franz.  chasser)  usw.  und 
die  auch  beim  stimmhaften  Laut  eintritt:  3>  z  (vgl.  köze  auf  Karte  316).  Das  Zeugnis  dieses 
Punktes  spricht  also,  trotz  des  heutigen  .«,  für  alte  pikardische  Lautung. 


8  Morf: 

pieee)  in  P.  367;  avafe  {avancer),  kaje  (chasser),  Ja  [cent)  in  P.  248.  Wir 
dürfen  also  diese  drei  Punkte  zum  alten  /-Gebiet  ziehen  \  Aber  P.  330 
und  356  besitzen  nach  Angabe  des  Atlas  heute  nur  franz.  s. 

Spureii  von  /'  finden  sich  im  Wallonischen.  Kafe  (chasser)  lautet  in 
P.  290  und  291.  Pßf  ihidet  sich  in  P.  291  und  197.  Daß  in  altfranzö- 
sischer Zeit  /  sich  über  die  ganze  Wallonie  ausgedehnt  hat,  wird  dadurch 
wahrscheinlich  gemacht,  daß,  wie  Wilmotte  zeigte,  dieses /im  13.  Jahr- 
hundert sich  an  der  Ostgrenze  dieses  Gebietes,  in  Lie^e  (nördlich  von  P.  194) 
findet  {Romania  XVII,  561). 

Die  Wallonie  gehörte  also  zu  einer  Zeit,  da  das  Französische  bereits 
zum  Ä-Laut  vorgeschritten  war,  noch  zum  Gebiet  des  älteren  /"",  d.  h.  zum 
pikardisch-normandisclien  Gelände,  mit  dem  zusammen  es  das  alte  belgo- 
romanische  Sprachgebiet  bildet. 

Das  ganze  heutige  pikardisch-normandische''  /-Gebiet  ist  durch 
das  Eindringen  des  französischen  s  sehr  bedroht.  Insbesondere  sind  es, 
außer  den  di-ei  eben  genannten  Punkten,  die  Punkte  292,  270,  258,  die 
aujch  bei  verhältnismäßig  widerstandsfähigen  Wörtern  häufig  s  zeigen : 


cendre 

puce 

piece 

faucille     chasser 

p.  292 

sedr 

ptjs 

PPf 

fofij           kafe 

p.  270 

fsdr 

pyj 

pjss 

fosij            kafe 

p.  258 

sedr 

pys 

pjes 

fofij           käse 

[neben  fosijY 

'  Für  den  Verlauf  der  normandischen  Isophone  von  P.  378  bis  P.  248  weiß  ich  keine 
kulturgeschichtliche  Deutung.  Das  westlichste  Stück,  südlich  von  Punkt  378,  367,  läßt  Ein- 
fluß einer  Bistumsgrenze  (Avranches  und  Coutances)  erkennen;  im  weitern  Verlauf 
schneidet  die  Isophone  die  Diözesen  Bayeux  (nördlich  von  P.  356)  und  Seez  (südlich  von 
P-  345)»  scheint  darauf  der  Nordgrenze  der  Diözese  Evreux  zu  folgen  und  durchquert  dann 
die  Diözese  Ronen  (südlich  von  Punkt  249  imd  248). 

^  Ich  ])rauche  hier  vorläufig  die  Bezeichnungen  5-Laut, /-Gebiet  auch  in  Hinsicht  auf 
die  ältere  Zeit^  in  der  nicht  diese  Reibelaute,  sondern  die  entsprechenden  Affrikaten  erklangen. 
^  Auf  die  Zugehörigkeit  der  Normandie  —  wenigstens  ihres  größten  und  bedeutend- 
sten Teils  —  zum  /-Gebiet  soll  hier  noch  ausdrücklich  hingewiesen  werden,  da  gemeiniglich 
dieser /-Laut  nur  »dem  äußersten  Norden«  (Grundriß  1^  j 36)  oder  »dem  I'ikardischen  und 
einem  Teil  -des  wallonischen  ^Sprachgebietes«  (Behrens,  Gramm,  des  Altfranz.  §  134)  zuge- 
sprochen wird.  Demgegenüber  richtig  Meyer-Lübke,  Hist.  Gramm,  der  franz.  Spr.  §  153, 
auch  gegen  Rom.  Gramm.  I  §  406. 

•     *    Solches   Nebeneinander   der   importierten    s-Form    und    der   älteren   bodenständigen 
/-Form  ist  im  Atlas  wiederholt  bezeugt. 


Zur  sprachlichen  Gtieäerung  FrankreicJis.  9 

Die  Verteilung  dieser  sechs  Punkte  292,  270,  248,  258,  367,  378  zeigt, 
daß  die  Gefährdung  des  alten  Lautstandes  an  den  beiden  Extremen  des 
Sprachgeländes,  in  Belgien  und  in  der  Normandie,  stärker  ist  als  im  eigent- 
lichen pikardischen  Kernland. 

Wie  aber  nvich  dieses  Kernland  bereits  von  den  französischen  5- Formen 
durchsetzt  ist,  beweist  die  Lautung  anderer  Wörter,  wie  z.  B.  franz.  cimeiwre, 
l)\k.  flmtjsr,  das  außer  an  den  eben  bezeichneten  sechs  Grenzpunkten  den 
französischen  s-Laut  auch  an  folgenden  weiter  gegen  das  Pikardische  vor- 
geschobenen Punkten  zeigt:  P.  247,  235,  253,  262,  271,  280.  Außerdem 
hat  auch  P.  376  simtjsr. 

Noch  weiter  eingeengt  ist  das /-Gebiet,  wie  Karte  II  zeigt,  bei  dem  Worte 
cerf,  pik.  ßr.  Bei  dem  Worte  cMre  ist  die  /-Form  in  der  ganzen  Normandie, 
mit  Einschluß  der  Inseln,  der  s-Form  gewichen.  Die  pikardische  ¥ ovm.  ßdre^ 
herrscht  nur  im  Pas  de  Calais;  in  den  Departementen  Nord,  Somme 
und  Oise  besteht  sie  nur  in  je  ein  oder  zwei  vereinzelten  Punkten. 

So  wird  sprunghaft  das  alte  /  durch  s  ersetzt,  und  die  Normandie 
wird  wohl  bald  dem  5-Gebiet  anfallen,  wie  das  mit  der  Wallonie  längst 
geschehen  ist.  Aber  zweifellos  ist  der  sprachliche  Verlauf  hier  und  dort 
nicht  der  nämliche.  Die  Wallonie  zeigt  nicht  die  Sprunghaftigkeit  des  nor- 
mandischen  Prozesses,  und  es  erscheint  insbesondere  nicht  glaubhaft,  daß 
ein  so  mächtiger  hochfranzösischer  Einfluß  sich  schon  vor  Jahrhunderten 
in  diesem  entlegenen  Osten  geltend  gemacht  liabe.  Die  Wallonie  scheint 
also  nicht  durch  Sprachmischung,  sondern  durch  einheimischen  Lautwandel 
/  zu  6'  geführt,  d:  h.  eine  Lauttendenz  entwickelt  zu  haben,  wie  sie  sich  an 
einer  andern  peripheren  Stelle  des  belgoromanischen  Gebietes  zeigt  (P.  297, 
vgl.  oben  S.  7  Anm.  i).  An  der  Grenze  gegen  das  Pikardische  hin  haben  sich 
vereinzelt  /-Formen  gehalten  oder  sind  sie  wieder  eingesprengt  worden'". 

So  stellt  sich  uns  das  ursprüngliche  belgoromanische  /-Gebiet  dar: 
es  umfaßt  den  ganzen  Norden.  Sein  Zentrum,  die  »Pikardie«,  ist  flankiert 
von  Wallonie  und  Normandie.    Diese  beiden  Flanken  sind  im  Weichen  oder 

^  .Statt  cidre  hätte  icli  irgendein  anderes  Wort  wie  ce,  cercueil,  cinq,  cire,  ciseau  wählen 
können,  deren  Anlaut  c  feststeht]-  *(Jkei-a- statt  sicera  ist  allerdings  als  Grundform  fiir  die 
Normandie  problematisch.  Doch  ist.daSjKartenhild  y?c?r— 7«/</r  mit  Hinsicht  avd  Zeitschr.f. 
rom.  PMl.  XIX,  72  lehrreich.  • 

2  Daß  dieses  belgoromanische  /-Gebiet  sich  vn-sprünglich  noch  weiter  nach  Süden  er- 
streckte, dafür  spricht  vielleicht  das  Vorkommen  vereinzelter /-Formen  wie  jj/f/*  in  P.  169; 
ßila  (cetui-lä)  P.  261. 

Phil.-hist.  Klasse.    1911.    Abh.  IL  2 


10  Morf: 

schon  gewichen.  Die  Wallonie  hat  längst  in  selbständiger  Lautentwicklung 
f  zu  s  geführt;  die  Normandie  ist  im  Begriff,  die  /-Wörter  durch  5 -Wörter 
zu  ersetzen,  d.  h.  sich  zu  französisieren. 

Der  Atlas  bietet  selbstverständlich  noch  sehr  viele  andere  Wörter,  die 
als  Lautraaterial  fiir  die  Behandlung  des  hier  unter  11.  besprochenen  Phonems 
dienen  könnten.  Die  elf  Paradigmata,  die  ich  hier  herangezogen  habe 
{avancer,  cendre,  cent,  cerf,  chasser,  chausser,  cidre,  cimetiere^  faucÄlle,  piece, 
puce),  reichen  indessen  zur  Bestimmung  des  alten  Verbreitungsgebietes  von 
/  und  s  aus.  Die  pikardische  Entwicklung  strenger  Observanz  verlangt 
fiir  alle  diese  elf  Wörter  den  Laut  /  an  allen  66  Punkten,  welche  durch 
die  schwarzen  Linien  und  Striche  der  Karte  II  eingeschlossen  werden.  Diese 
» lautgesetzliche «  Forderung  erfiillt  sich  bei  keinem  der  Wörter,  und  nur  an 
wenigen  der  66  Orte  ist  sie  bei  allen  elf  Wörtern  durchgeführt.  Das  Ver- 
breitungsgebiet von  /  ist  fiir  jedes  der  elf  Wörter  verschieden,  d.  h.  jedes 
Wort  hat  seine  eigene  Lautgeschichte'. 

Gegen  diese  Erkenntnis,  daß  die  Lautgeschichte  sich  in  Wortgeschichte 
auflöst,  wende  man  nicht  ein,  daß  dies  höchstens  für  moderne  Mundarten 
gelte,  die  in  einem  Zersetzungsprozeß  begrifl'en  seien.  Die  Kräfte,  die  im 
Sprachleben  wirksam  sind,  die  Vorgänge  des  Sprachlebens,  sind  immer  die- 
selben gewesen,  seit  Menschen  sprechen.  Ein  qualitativer  Unterschied  dieser 
Vorgänge  in  alter  und  in  moderner  Zeit  besteht  nicht,  nur  ein  quantita- 
tiver. Gewiß  ist  heute,  da  wir  im  Zeichen  des  Verkehrs  leben,  da  Schul- 
und  Wehrpflicht  sprachliche  Unterschiede  ausgleicht,  die  Zersetzung  der 
Dialekte  stärker  als  in  alter,  verkehrsarmer  und  schulfreier  Zeit.  Aber 
auch  damals  fand  bereits  ein  sprachlicher  Ausgleich  statt,  wanderten  Indi- 
viduen, Gruppen,  Völker  in  friedlichem  oder  kriegerischem  Sinne,  und  mit 
ihnen  wanderten  Sachen  und  Wörter.  Auch  damals  mischten  sich  die  Mund- 
arten, hier  so,  dort  anders.  Sprachmischung  hat  also  immer  bestanden. 
Alle  Sprachen,  auch  alte,  kräftige  Dialekte,  sind  Mischsprachen  und  sind 
es  jederzeit  gewesen.  Es  gibt  keine  reinen  Mundarten,  wie  wir  sie  uns 
etwa  auf  Grund  der  papierenen  » Lautgesetze  «<  zurechtmachen.  Die  Bunt- 
heit dieser  Sprachmischung  erscheint  uns  als  individuelle  Willkür,  da  wii* 
die  kulturellen  Vorgänge,  welche  diese  Mischung  im  einzelnen  bestimmten, 
nicht  rekonstruieren  können. 


*    Z\i  denen,  die  diese  Meinung  mit  alier  Entschiedenheit  vertreten,  gehört  nun  aucli 
Weigand  (Vorwort  zuin  Linguist.  Atlas  des  dakorumänischen  Sprachgebiets,   ^909)- 


2kLr  sprachlichen  Gliederung  Frankreich:.  \\ 

m. 

Lat.  c  +  a  >  franz.  fa^  pik.  ka. 

Auf  Karte  III  ist  das  Verbreitungsgebiet  der  pikardischen  Lautung  k 
an  Stelle  des  französischen  /  mit  Hilfe  des  Wortes  pik.  ka  =  franz.  fa 
(chat)  dargestellt  {Atlas,  Karte  250).  Das  von  dieser  Isophone  begrenzte 
Gebiet  umfaßt  im  Westen  die  normo ndischen  Inseln  und  einen  gi-oßen  Teil 
der  Normandie  (die  südlichsten  Punkte  sind  378,  367,  356,  345,  330,  249, 
248).  Dann  umschließt  die  Linie  die  Punkte  246,  235  und  253  des  De- 
partements Oise,  zieht  nordwestlich  an  P.  261  vorüber  und  wendet  sich, 
südöstlich  von  P.  270,  nach  Norden,  zwischen  P.  292  und  293  einerseits 
und  P.  290  und  291  anderseits,  d.  h.  zwischen  belgischem  Hennegau  und 
der  Wallonie  verlaufend,  die  das  alte  k  aufgegeben  hat. 

Die  große  Ähnlichkeit  dieser  Msophone  mit  der  eben  behandelten 
/-Isophone  springt  ohne  weiteres  in  die  Augen.  Sieht  man  von  den  peri- 
pherischen Punkten  330  und  356  ab',  so  ist  der  Verlauf  beider  Isophonen 
identisch  von  einem  Ende  des  französischen  Sprachgebietes  bis  zum 
andern. 

Diese  Übereinstimmung  der  Verbreitungsgebiete  von  pikardischem  k 
und  /  läßt  ohne  weiteres  auf  einen  Innern  Zusammenhang  zwischen  den 
beiden  Palatalisierungsvorgängen  schließen,  die  sich  an  lat.  ca  und  ce(i) 
knüpfen.  Diesen  Palatalisierungsvorgängen  mag  zunächst  eine  grundsätz- 
liche Bemerkung  gewidmet  sein'. 

Der  Lautwandel,  der  velares^  lat.  k  zu  romanischem/(cattu  >hochfranz. 
chat;  cervu  >  pik.  ßr)  und  s  (cervu  >  hochfranz.  cerf)  gefuhrt  hat,  bedeutet 


'  Es  ist  nicht  zu  vergessen,  daß  hier  nur  mit  dem  Wortmaterial  des  Alias  gearbeitet 
wird,  das,  soviel  ich  sehe,  für  P.  330  und  356  keine /-Formen,  wohl  aber  Är-Formen 
ergibt.  Ein  i*eicheres  nuindartliches  Material  könnte  leicht  auch  fnv  diese  Punkte  Trümmer 
eines  alten  /'  ergeben. 

"  Ich  versuche  in  den  folgenden  Ausführungen  in  der  viel  umstrittenen  Frage  dei' 
«altpration  du  c  latin  dans  les  langues  romanes«  Stellung  zu  nehmen,  ohne  mich  hier  auf  ein- 
gehende Auseinandersetzungen  mit  meinen  Vorgängern  einzulassen,  deren  Auffassungen  ich 
selbstverständlich  reiflich  erwogen  habe.  Ebenso  selbstverständlich  ist,  daß  ich  in  die  hier 
vorgetragene  Interpretation  der  Palatalisierung  von  anlautendem  c  auch  die  Schicksale  des 
inlautenden  c  sowie  die  von  ti  einbeziehe,  was  hier  nun  nicht  ausgeführt  werden  kann.  Ich 
begnüge  mich  im  folgenden  mit  gelegentlichen  Andeutungen. 

*  Ich  brauche  hier  der  Einfachheit  halber  diese  eine  Benennung  liir  den  unalterierten 
Verschlußlaut,  auch  w^enn  sein  Artikulationsgebiet  au  der  Grenze  von  Velum  und  Palatum 

2* 


12  Mokf: 

ein  Verschieben  der  Artikulationsstelle  nach  vorn.  Die  Artilvulationsstell(^ 
von  /  liegt  an  der  Grenze  zwischen  Palatum  und  Alveolen,  die  von  s  an 
den  Alveolen  selbst.  /  ist  ein  palatal- alveolarer,  s  ein  alveolar-dentaler  Laut. 
Dieses  Vorrücken  der  Artikulationsstelle,  das  sich  im  Laufe  der  Jahrhun- 
derte allmählich  vollzogen,  hat  vom  Velum  über  das  Palatum  zu  den 
Alveolen  geführt. 

Es  hat  aber  nicht  nur  eine  Verschiebung  der  Artikulations stelle, 
sondern  auch  eine  Änderung  der  Artikulationsart  stattgefunden:  die  alte 
Explosiva  (k)  ist  zur  Frikativa  geworden  (/,  s).  An  Stelle  des  alten  Ver- 
schlusses ist  die  Enge  getreten.  Diese  Entwicklung  von  Verschlußlaut 
zu  Engelaut  (Reibelaut)  fuhrt  über  die  sogenannten  Affrikaten  (Ver- 
schlußreibelaute; mi-occltisives,  nach  Rousselots  Terminologie):  der  ur- 
sprüngliche Verschluß  erfährt  eine  Lockerung  (Affrikata)  und  unterbleibt 
schließlich  völlig  (Reibelaut). 

So  setzt  sich  der  Lautwandel,  um  den  es  sich  bei  der  sogennnnteii 
Palatalisierung  des  k  handelt,  zusammen  aus  einem  Vorrücken  der  Bildungs- 
stelle und  einer  Lockerung  —  und  schließlich  Aufhebung  — -  des  Verschlusses  \ 

Die  Laute,  die  diese  Lockerung  des  Verschlusses  zeigen  (die  Affrikaten 
oder  mi-occlusives)  sind  von  den  Phonetikern  noch  nicht  ausreichend  unter- 
sucht worden".  Daß  sie  »einheitliche«  Laute  sind,  d.h.  daß  z.B.  der  An- 
laut von  hochitalien.  c-ena  oder  altfranz.  chat  nicht  aus  ^  +  /zusamme]igesetzt, 
sondern  ein  einheitlicher  palatal-alveolarer  Verschlußreibelaut  ist,  steht  für 


(ka)  oder  geradezu  am  Postj)alatiini  liegen  sollte  (ki^,  ki).  Die  Ciauiiieubilder  erweisen 
für  das  moderne  Hochfranzösisch  postpalntale  Bildungsstellen  bei  ä%  ol)  es  vor  ?/,  o, 
o,  e  oder  i  steht,  vgl.  Ronsselot,  Principe^  de phom'tique  experimentale  S.910,  was  Rousselot 
nicht  verhindert,  diesen  postpalatalen  Laut  als  guttural  zu  bezeichnen ! 

^  ITjnbildung  zur  })alatalen  Affrikata  und  spätere  Lösung  des  Verschlusses  vollzieht  sich 
ancli  nn't  dem  lateinischen  Nexus  ti.  Das  alveol«r-dentale  t  wird  vom  palatalen  Vokal  ans 
Präpalatuin  zurückgezogen,  wie  das  velare  Je  vom  palatalen  Vokal  ans  Mediopalatum 
vorgerückt  wird.  Der  l'alatalisierungsvorgang  ist  beim  hintern  ^^'rschlußIaut  (Ar)  ein  Vor- 
rücken ans  Postpalatum,  beim  vordem  Verschlußlaut  {()  ein  Zurückschieben  ans  Pi-äpalatuni. 
Diese  Bewegungsvorgänge  entgegengesetzter  Richtung  sind  prinzipiell  die  nämliche  Sandln'- 
<n'scheinung.  Ln  weitern  ^'erlaul  der  Lautentwickluug  kann  das  präpalatale  ky^  dauernd 
im  Vorsprung  bleil)en  odei-  es  kann  auch  das  postpalatale  k%  mit  ihm  zusammenlalleii,  in 
w^elchem  Falle  dann  lat.  c  +  e  (i)  imd  ti  dasselbe  romanische  Resultat  ergeben,  wie  oft  geiuig. 

^  Ich  habe  das  Desideratum  neulich  im  Arch.f.  d.  Stud.  d.  neuem  Spr,  formuliert  (CXX\'l. 
484  f.). 


Zur  sprachlichen  Gliederung  Frankreichs.  IH 

mich  längst  fest'.  Es  sollten  deshalb  auch  in  der  phonetischen  Schrift 
diese  irreführenden  kombinierten  Notierungen,  wie  /r/^,  (/",  ts  (und  ihre  stimm- 
haften Parallelen  gj,  d^,  dz),  durch  einheitliche  Zeichen  ersetzt  werden.  Wenn 
ich  hier  trotzdem  bei  diesen  Notierungen  bleibe,  so  geschieht  es  deshalb, 
weil  das  Alphabet  der  Association  phonetigue  solche  Zeichen  leider  nicht 
kennt".  Ich  bezeichne  also  mit  /r/,  die  (medio-  oder  prä)palatale,  mit  // 
die  palatal-alveolare,  mit  ts  die  alveolar-dentale  Affrikata\ 

Die  Palatalisierung  von  lat.  k  vor  e,  i  ist  in  fast  allen  romanischen 
Sprachen  eingetreten.  Das  velare  oder  postpalatale  k  ist  durch  den  folgenden, 
der  Palatalreihe  angehörenden  Vokal  ans  Mediopalatum  vorgeschoben,  d.  h. 
eben  assimiliert  worden  (Sandhi).  Es  entstand  ein  mediopalataler  Verschluß, 
und  die  Lautforschung  zeigt,  daß  die  Eigenart  mediopalataler  Verschluß- 

^    Vgl.  Götting.  gel.  Anzeigen  1889,  ''^-  '3  ^^■ 

2  Für  die  paL'itiileii  Affi-ikateii  {/cy^  und  gj)  liat  die  Assoc.  jihon.  allerdings  je  ein  Zeichen 
{c  iMid  y),  nicht  ahei"  für  tf  und  cZj,  ts  und  dz.,  so  daß  der  Parallelisnuis  der  Laiite  in  der 
8cln-if't  völlig  zerstrirt  ist.  Und  diesen  Parallelisnuis  auch  graphisch  vorzuführen  und  für  tlas 
lesende  Auge  festzuhalten,  darauf  inüchte  ich  in  diesen  Darlegungen  nicht  verzichten.  — 
Im  Schöße  der  Assoc.  phon.  finden  gegenwärtig  Erörterungen  über  zweckmäßige  Neubezeicli- 
nung  der  AfiTrikaten  statt  (vgl.  Le  maitre  phonetlque  191 1,  8.125),  die  hoffentlich  zu  einem 
befriedigenden  Ergebnis  luhren  nnd  es  der  romanistischen  Forschung  möglich  machen,  dau- 
ernd bei  dem  Alphabet  zu  l)leil)en. 

■'  ich  verwende  absichtlich  ky^  und  nicht  das  traditionelle  ^%,  denn  nicht  um  einen 
^\'ei'schUiß  handelt  es  sich,  sondern  um  einen  Ä'- Verschluß.  Das  ^Gebiet  erstreckt  sich  von 
den  Alveolen  bis  post  dentes.  Wer  ty^  schreibt,  setzt  das  Zeichen  eines  alveolar-dentalen 
Verschlußlautes  mit  dem  Zeichen  eines  palatalen  Reibelautes  zusanunen  und  alteriert  das 
Bild  der  wirklichen  Artikulation  noch  viel  erheblicher  als  wer  mit  Tc  und  %  innerhalb  der 
palatalen  Zone  bleibt.  —  Übrigens  wäre  es  erwünscht,  diese  palatale  Zone,  die  eine  beträcht- 
liche Ausdehnung  hat,  einzuteilen  und  wenigstens  für  Aledio-  und  für  Präpalatnm  eigene 
Zeichen  zu  haben  für  den  Fall,  daß  der  Beobachter  wirklich  die  beiden  Bildungsgebiete  zu 
unterscheiden  in  der  ]>age  ist.  Hier  mag  es  vorläufig  geniigen,  die  mediopalatale  Affrifcata 
mit  kyf.,  die  präpalatale  mit  kyj  zu  bezeichnen.  Oft  genug  ist  das  Ohr  ja  wirklich  im- 
stande, die  präpalatale  AlFrikata  deutlich  von  der  mediopalatalen,  den  vordem  vom  hintern 
"mouillierten«  Laut  zu  unterscheiden,  und  so  das  A'orrücken  der  Palatalisierung  zu  beobachten. 
Die  Notiei-uugen  des  Atlas  linguistiqne  suchen  sehr  verschiedene  Stadien  des  Palatalisiernngs- 
prozesses  durch  komjjlizierte  Zeichenkombinierung  festzuhalten  und  auszudrücken:  doch  ist  der 
objektive  Wert  dieser  Bezeichnung  flüchtiger  Gehörseindrücke  oft  z\\  eifelhaft,  und  meist  können 
diese  Nuancen  hier  überdies  oluu^  Schaden  vernacKiässigt  werden.  —  Daß  es  auch  zwischen 
präpalatalem  Är%  und  dem  tf.,  ZAvischen  tf  und  ts  Übergangsformen  gibt,  ist  selbstverständ- 
lich: auch  diese  Zwischenformen  der  Artikulation  werden  im  Atlas  durch  Zeichenkombination 
wiedergegeben.  — Von  Nuancen  der  palatalen  Affrikata  sprechen  auch  Salvioni,  Studi  di 
Mologia  romanzaYlll  {i()o\),  S.  31;  Weigand,  Linguistischer  Atlas  des  dalcormnän.  Sprachgebiets 
1909  usw. 


14  Mohf: 

bildung  immer  zu  homorganem  Reibegeräusch  ftibrt,':  der  Verschlußlaut 
wird  an  dieser  Stelle  zur  Affrikata:  k%. 

Diese  älteste  Stufe  der  Entwicklung  ist  romanisch  noch  vorhanden, 
ich  wähle  als  Beispiel  das  Rätoromanische,  das  so  reich  an  Palatalisierungs- 
erscheinungen  ist".  So  heißt  im  Sulzberg,  Cembro,  Predazzo  lat.  cena> 
h/fna.  Daneben  herrscht  aber  auf  dem  rätischen  Gebiet  die  weiter  vor- 
geschobene (/"-Form:  ifena'\  Dabei  ist  indessen  der  Prozeß  nicht  zum  Still- 
stand gekommen:  verschiedene  Orte  sind  darüber  hinaus  bis  zu  tseiw  ge- 
langt (Nonsberg),  und  auch  diese  alveolar-dentale  te-Stufe  ist  nicht  die 
letzte:  das  weitere  Vorrücken  der  Artikulation  hat  schließlich  in  Auronzo, 
Rallo,  Comelico  zur  interdentalen  Aflrikata  3-  geführt:  ^ena. 

Für  diese  Entwicklungsreihe  lat.  k>Ä?x,>{/'>/6'>S-  ist  die  Be- 
zeichnung »Palatalisierungsprozeß«  nicht  mehr  ausreichend.  Nur  die  ersten 
Formen  des  W^andels  erscheinen  als  Palatalisierung  (^^,  tf)\  das  Spätere 
vollzieht  sich  nicht  mehr  am  Palatum,  sondern  an  den  Alveolen,  an  und 
zwischen  den  Zähnen.  Doch  mag,  da  die  Palatalisierung  den  Anstoß  zum 
ganzen  Lautwandel  gegeben  hat,  der  Name  —  pars  pro  toto  —  hier  weiter 
gebraucht  werden*. 

Mit  den  angeführten  Formen  ^,  //",  ts,  S^  ist  aber  der  Reichtum  räti- 
schen Wandels  nicht  erschöpft.  Die  Affrikaten  ^,  tf^  ts  haben  sich  hier 
oder  dort  durch  Aufhebung  des  gelockerten  Verschlusses  zu  Reibelauten 
entwickelt,  und  wir  finden  Formen  wie  yjsna  (Zoldo),  fena  (Münsterthal, 
Forni),  sena  (Rovereto  usw.)^. 

*  Man  vergleiche  das  hochfranzösische  mediopalatale  sogenannte  n  mouille  (ji),  dessen 
Reibegeräusch  j  unter  Umständen  so  stark  ist,  daß  der  Laut  dem  ungeübten  Ohr  geradezu 
als  n  -{-  j  erscheint.  —  Die  zur  Erreichung  eines  mediopalatalen  Verschlusses  erforderliche 
Hebung  des  Zimgenrückens  bedeutet  eine  verhältnismäßig  so  beträchtliche  artiktdatorische 
Arbeit,  daß  Ubergangslaute  und  eine  Lockerung  des  Verschlusses  sich  von  selbst  einstellen. 

'  Die  Beispiele  entnehme  ich  dem  noch  unausgeschöpften  Reichtum  des  §  200  der 
Rätorom.  Grammatik  von  Th.  Gärtner,  Heilbronn  1883. 

^  Ich  vernachlässige  die  Verschiedenheit  der  vokalischen  Entwicklung:  tfeino, 
tfaina  usw. 

*  Warum  an  dem  einen  Orte  die  Entwicklung  nicht  über  die  erste  Stufe  (A'x)  hin- 
auskam, während  anderswo  der  in  Bewegung  geratene  Laut  gleichsam  weiterrollte,  lüer  bis 
zu  S-,  dort  nur  bis  zu  ts  oder  tf  —  dafür  fehlt  uns  jede  Erklärung. 

'•'  Vielleicht  sind  auch  die  Formen  mit  S-  hierher  zu  stellen  und  ist  S-  als  reiner  Reibe- 
laut aufzufassen.  Bei  der  Eigenart  interdentaler  Artikulation  besteht  zwischen  Aflfrikata 
und  Reibelaut  nur  ein  labiler  Unterschied,  so  daß  in  der  nachfolgenden  Tabelle  die  Form 
3  in  der  Reihe  der  Affrikaten  und  in  der  der  Reibelaute  (eingeldammert)  erscheint. 


{ 


Zur  sprachlichen  Gliederung  Frankreichs.  15 

So  stellt  sich  denn  die  ganze  rätische  Reihe  dar  als 

lat.  ce  (cena):  k^  {k%ena)  >  tf  {tfena)    >    ts  [tsena)    >    S-  (^ena) 

'  I  I 

Y  Y  Y 

X  {yßna)  {->■)  p  {Jena)  (-^)  s  (sena)  {-^)  [^  {^ena)\ 

Diese  Tabelle  der  heutigen  rätoromanischen  Ergebnisse  des  Nexus 
c  +  e  (i)  vereinigt  in  sich  die  wesentlichen  Ergebnisse  dieses  Nexus  in  der 
romanischen  Sprachentwicklung  überhaupt.  Die  archaischen  Stufen  k%  aus 
c  +  e  (i)  vermag  ich  im  Romanischen  sonst  nicht  nachzuweisen  ^  Die  übrigen 
Formen  aber  finden  sich  alle  in  der  Romania,  entweder  noch  lebend  oder 
als  einst  vorhanden  erwiesen;  z.  B.: 

%  ~-  frankoprovenzaliseh  (in  einigen  Patois  der  Schweiz;  vgl.  Karte 

cendre,  Punkte  60,  959,  969  und  unten  S.  17), 
tf  =-  hochitalienisch,  rumänisch,  altpikardisch, 
f  z=  toskanisch,  neupikardisch, 

ts  =  altfranzösisch,  altspanisch  und  altportugiesisch, 
s  =  hochfranzösisch,  portugiesisch, 
S-  =  neuspanisch. 

Ja,  es  ist  anzunehmen,  daß  jede  romanische  Sprache  die  Mehrzahl 
dieser  Varietäten  noch  in  ihren  Mundarten  birgt^. 

Während  die  Palatalisierung  und  Vorschiebung  des  k  vor  e  {i)  gemein- 
romanisch und  sehr  alt  ist,  ist  die  Palatalisierung  des  k  vor  a  nur  einzel- 
sprachlich eingetreten  und  späteren  Datums.  Aber  sie  verläuft  in  der  näm- 
lichen Richtung  und  in  den  nämlichen  Etappen  wie  die  erstere. 

Sie  läuft  gleichsam  hinter  ihr  her. 

Lat.  ca  ist  im  Rätischen  über  k%  bis  zu  ^gekommen,  und  jenes  hat 

auch  bereits   seinen  Reibelaut  %  entwickelt.     So  ergibt  lat.  capra  neben 

erhaltenem  kafra: 

k%avra  >  tfavra 

\ 

%evra 


1  Natürlich  ist  auch  ein  direkter  Übergang  vx^n  %  zu  /  zu  s  zu  ^  möglich,  weshalb 
ich  zwischen  diese  Reibelaute  auch  das  Übergangszeichen  (in  Klammern)  setze. 

^  Es  findet  sich  in  lateinischen  Lehnwörtern  im  Albanesischen,  vgl.  Grundr.  d.  rom. 
PJälohgie  I '  S.  1 05 1 . 

•'  Für  das  Italienische  siehe  die  Zusammenstellung  in  Meyer-Lübkes  Itatim.  Qram- 
mati/c,    1890,  §  175- 


16  Morf: 

Die  Stufe  ts  oder  der  Reibelaut/'  (statt  tf)  sind  noch  nicht  erreicht. 

Diese  vier  rätischen  Anlautformen  Ic,  ky^,  %,  (/"kombinieren  sich  in  dem 
Worte  capra  mit  einem  sehr  verschieden  gestalteten  Tonvokal:  das  ä  dieses 
Wortes  ergibt  a,  ao,  au,  e,  su,  e,  o,  ou,  u,  y,  wobei  sich  neben  kavra  {kaura) 
a\^ch  ksvrci  und. neben  7c%svra  auch  kyjivra  findet.  Das  Rätische  zeigt  also 
deutlich,  daß  die  Palatalisierung  des  ka  nicht  \  om  Wandel  des  a'>  e  ab- 
hängig ist:  die  Palatalisierung  kann  bei  unversehrtem  a  eintreten  und  kami 
bei  €  ausbleiben;  d.  h.  a  kann  wie  ein  palataler  Vokal  wirken",  und  e  muß 
eine,  solcht?  Wirkung  nicht  notwendig  zur  Folge  haben. 

Das  Rätische  lehrt  überdies,  daß  der  Ausgangspunkt  der  Palatalisierung 
des  4'  vor  a  die  starke  Silbe  ist:  cäpra  entwickelt  z.  B.  Ay^  früher  als  caprä- 
rius,  das  sein  /»:.  vielfach  bis  heute  bewahrt  hat'.  Natürlich  ist  auch  das 
Schicksal  des  inlautenden  k  vor  a  nicht  notwendig  an  das  des  anlau- 
tenden gebunden:  bücca,  vacca  haben  ihr  k  bewahrt  auf  weitem  grau- 
bündnerischen  Gebiet,  auf  dem  cä  zu  kyjn  geworden  ist. 

So  geben  die  rätischen  Mundarten  uns  manchen  Aufschluß  über  die 
y>alterotion  du  c  laiin i^.  Sie  zeigen  insbesondere,  in  Übereinstimmung 
mit  lautphysiologischen  Tatsachen,  daß  die  »Palatalisierung«  von 
k%  zu  if  und  von  hier  zu  fc  >  S-  fortschreitet  —  daß  tf  eine  ältere 
Stufe  des  Wandels  ist  als  /s*. 

Diese  Erkenntnis  darf  gewiß  nicht  ohne  weiteres  verallgemeinert  und 
auf  ändere  Idiome  übertragen  werden.    Aber  innerhalb  der  Romania  darf 


^  Ich  stütze  mich,  wie  gesagt,  J"if  die  Wörterlisteu  (iar  tu  crs  {Rätor.  Gramm.  §200): 
im  Text  der  Grammatik  erwähnt  Gärtner  aucli  /  als  Ergebnis  von  lat.  k  +  a  (§  87). 

^  Wir  werden  aus  einer  solchen  Wirkimg  des  a  schließen,  daß  es  nicht  völlig  offen 
ist,  sondern  mit  leichter  palatal  gerichteter  Zungenhebung  artikiilieit  wird,  d.  li.  sich  dem 
geschlossenen  a  nähert  öder  ger<rd(>zu  a  ist. 

^  Vgl.  Ascoli,  Sprachtcissensch.  Briefe,  übersetzt  von  B.  (« üterbo  ck,  1887.  8.  181, 
wozu  jetzt  vSalvionis  lonibai'dische  Feststelhnigen  'ni  Stndi  dißl.  romanzaWW  (1901)  8.  1 11'. 
und   Archivio  glottologico  XIV  445. 

*  In  den  Diskussionen  über  die  Frage,  ob  tf  oder  ts  die  ältere  Etappe  der  romani- 
schen Entwicklung  sei,  vermisse  ich  zumeist  eine  bestimmte  Äußerung  über  die  Artikulations- 
stelle der  beiden  Affrikaten.  Daß  die  Artikidationsstelle  von  tf  au  der  Grenze  zwischen 
Palatum  und  Alveolen  liegt  (paJatal-alveolar),  während  die  von  ts  alveolar-dental  ist,  darin 
stinunen  die  Zeugnisse  der  Romanen  von  Ascoli  (c,  Archivio  glott.  I,  8.  XLVI  ff.)  bis 
Rousselot  überein  {Principes  de  p7i07i.  exp.  S.  619).  //'  ist  also  die  zwischen  ky^  und  ts 
liegende  Artikulation;  riu  allmäblicher  Wandel  des  ky^  zu  ts  geht  natürliclierweise  über  die 
Stufe    tf. 


Zur  sprachlichen  Gliederung  Frankreichs.  17 

sie  den  Ansi^ruch  erlieben,  der  Erklärung  der  mächtigen  Entwicklung,  die 
das  velare  k  des  Lateinischen  palatalisiert  hat,  zugrunde  gelegt  zu  werden  \ 
Natürlich  sind  auch  in  diesem  Lautwandel  Regressionen  nicht  ausgeschlossen, 
aber  ihre  Annahme  bedarf  ausdrücklicher  Begründung  (vgl.  Archiv  f.  d.  Shcd. 
d.  neuern  Spr.  CXXIV,  440),  wie  sie  z.B.  Salvioni  {Studidißl.  romanza  VIII, 
1901,  S.  iff.)  für  die  Rückkehr  des  /(%  zu  Ic,  d.  h.  den  Ersatz  des  ein- 
heimischen h^  durch  ein  importiertes  k,  in  den  Dialekten  der  lombardi- 
schen Alpen  gegeben  hat. 

Wenden  wir  uns  zu  Frankreich  zurück. 

Im  heutigen  Frankreich  herrscht  als  Resultat  des  lat,  k  +  e  (i)  durch- 
aus der  alveolare  Reibelaut  .s\  Doch  finden  sich  daneben  sowohl  ältere 
wie  jüngere  Entwicklungsstufen.  Nach  Ausweis  von  Karte  210  (cendre)  des 
Atlas  Unyuistique  ist  vereinzelt  sogar  altes  7,  erhalten"'.  //  findet  sich  in 
Punkt  61  :  es  ist  auf  dem  Übergang  zu  ts.  Dieses  selbst  bietet  der  Punkt  987. 
/  ist,  wie  früher  dargelegt,  noch  heute  der  Laut  des  belgoromanischen 
Gebietes.  Jünger  als  s  ist  3-,  das  in  den  Patois  Savoyens  vorkommt  {^edra). 
Und  endlich  hat  die  Entwicklung  in  Schweiz  und  Savoyen  noch  vorgerück- 
tere Stufen  erreicht:  den  labiodentalen  Reibelaut  /:  fsdra  >  cinere,  den 
bloßen  Reibelaut  h  {hendiv  P.  966)  und  schließlich  die  Schwundstufe  sdra 
(P.  963,  973),  die  also  der  Tabelle  von  S.  15  noch  hinzugefügt  werden 
dürfen. 

So  liegen  die  heutigen  Verhältnisse  für  Jat.  k  +  e  (i)  in  Frankreich  ver- 
hältnismäßig einfach.  Das  Land  erscheint  dreigeteilt:  das  ganze  Zentrum, 
der  Westen  und  der  Süden,  fünf  Sechstel  des  Landes,  haben  s,  ein  nörd- 
licher belgoromanischer  Streifen  (vgl.  Karte  II)  hat  älteres  /  bewahrt^  und 


^  Das  gilt  wohl  unbestritten  liir  das  Italienische  und  sicher  für  das  Rumänische. 
Das  ts  der  Mazedurumänen,  lat.  ciuque  >  tsinis  —  die  davon  ja  den  Namen  Zinzaren 
haben  — ,  ist  jünger  als  das  t/  des  Hochrumänischen  (einet),  vgl.  Grundriß  d.  rom.  Phil.  I, 
S.  446  und  2.  Autl.  8.586  imd  Weigand,  Linguist.  Atlas  des  daJcorumän.  Sprachgebiets  1909, 
Vorrede  S.  20.  Auch  das  Meglenitische  hat  jüngeres  ts.  Zum  Zeugnis  schweizerischer 
Patois  vgl.  Archiv  f.  d.  Stud.  d.  neuern  Sprachen  CXIV,  225;  CXX,  453. 

-  Wenn  es  nicht  ein  Regressionsprodukt  ist,  worüber  nur  urteilen  kann,  wer  die 
betreffenden  Patois  eingehend  kennt.  V 

*  E^s  wird  gegen  die  Auffassung,  daß  altpik.  tf  älter  sei  als  altfranz.  i?,  unter  anderem 
ein  Einwand  erhoben  (vgl.  »Suchier  im  Grundriß  l',  S.  736  und  älmlich  Meyer-Lübke, 
Hist.  Gramm,  der  franz.  Sprache  S.  122),  den  ich  hier  nicht  übergehen  will,  da  er  pi-inzipielle 
Bedeutung  hat.  Es  wird  gesagt,  daß,  wenn  das  Pikardische  in  seinem  stimmlosen  tf,  / 
(caelum  > //■/e/>/?W;  glacia  >  $r/o^9,  ylaf)  eine  ältere  Entwicklungsstufe  festgehalten 
Phil.-hist.  Klasse.   1911.    Abh.  IL  3 


18  Mokf: 

das  frankoprovenzalisclie  Gelände  zeigt  neben  ganz  A^ereinzelten  Archaismen 
(%,  (/",  ts)  die  jüngsten  vorgerücktesten  Ergebnisse  (iS-,  /,  h,  Schwund). 

Ein  viel  komplizierteres  Bild  zeigen  die  Ergebnisse  von  lat.  ka.  Zu- 
nächst ist  hier  der  alte  Verschlußlaut  auf  einem  breiten  nördlichen  (vgl. 
Karte  III)  und  noch  breiteren  südlichen'  Streifen  Landes  erhalten  geblieben. 
Die  beiden  ^a-Gelände  machen  reichlich  den  vierten  Teil  der  ganzen  Gallia 
aus.  Das  dazwischen  liegende  Gebiet  zeigt  zu  mehr  als  der  Hälfte  —  es 
ist  die  nördliche  Hälfte  —  die  Lautung  /.  Das  übrige  Frankreich  hat  auf 
weiten  Strecken  die  dem  /  zunächstliegenden  Entwicklungsstufen  if  oder 
ts,  jenes  älter  und  viel  diffuser  (Wallonie,  Schweiz,  Provence  usw.)  als  dieses, 
das  über  Limousin,  Lyonnais  und  Schweiz  nördlicli  nicht  hinausreicht  und 
also  dem  eigentlich  französischen  Gebiete  abgeht.  Aber  es  fehlen  auch 
die  jüngeren  Stufen  nicht  ganz :  5  findet  sich  im  Perigord  und  S^  in  einem 
großen  Teil  des  Frank oprovenzalischen",  /  ist  an   einem  Punkte  (973)  er- 


hätte, es  dann  auch  die  stimmhafte  Affrikata  (und  Frikativa)  dg,  g  hätte  festhalten  müssen: 
V i c i n u  >  *«?c?jm  >  *wjm ;  placere ':>*pladger  >*plager,  daß  aber  solche  Formen  mit  <%,  5 
nicht  existiei'en. 

Gegen  dieses  Räsonnement  will  ich  mich  nicht  nur  darauf  berufen,  daß  die  j-Formen 
noch  heute  im  Norden  Frankreichs  vorkommen  (vicinu  >- v«ja;  placere  >^9/?j/),  wie  der 
Adas  ünyuistique  zeigt,  und  ihre  Wirlvlichkeit  also  zu  Unrecht  bestritten  wird,  sondern  be- 
sonders auch  darauf,  daß  es  mir  nicht  statthaft  ei'scheint,  der  Sprache  für  ihren  Lautwandel 
einen  solchen  Parallelisnuis  vorzuschreiben.  Ich  darf  daran  erinnern,  daß  ich  schon  seit 
langer  Zeit  (vgl.  Archiv  XCIV  1895,  34^)  meine  schweren  Bedenken  gegen  solche  linguistische 
Beweisführung  ausgesprochen  habe.  Dazu  kommt,  daß  man  hier  durch  das  Postulat  eines 
solchen  Parallelismus  nichts  gewinnt,  da  man  dann  zu  erklären  hat,  warum  das  Altpikar- 
dische nachträglich  die  stimmlose  Affrikata  ts  zurückgeschoben  und  zu  ^gewandelt  hat. 
während  es  die  stimmhafte  dg  unverschoben  ließ  und  so  den  verlangten  Pai'allelismus 
doch  durchbrach. 

tf  und  dg  sind  hinreichend  verschiedene  Laute,  um  in  der  Entwicklung  auseinander- 
gehen zu  können.  Die  Spx-achgeschichte  gibt  Beispiele  genug  dafür,  daß  die  Annalimc 
eines  solchen  Parallelismus  nichts  Zwingendes  hat  und  daß  stinunhafte  und  stinnnlose  Laut- 
[)aare  verschieden  gewandelt  werden.  So  auch  hier:  Die  Entwickhuig  der  stimmlosen 
^Vffrikata  ky  >  tf  blieb  auf  dieser  Stufe  tf  stehen,  auf  der  nun  tf  seinen  Verschluß  einl^üßtc 
und  zu  /  wurde.  Die  stimmhafte  hat  ein  anderes  Schicksal  gehabt.  Sie  hat  als  palatalc 
Affrikata  {gf)  den  vorangehenden  und  den  folgenden  Vokal  »gesteigert«  (z.  B.  in  jjlacerc 
das  a  zu  ai  diphthongiert  und  das  e  zu  i  vungelautet:  plaigjir).  Dann  ist  sie  weiter  geführt 
und  über  dg  hinaus  bis  dz  vorgeschoben  woi-den  und  erst  auf  dieser  Stufe  ihres  \^erschlusses 
verlustig  gegangen. 

*  Vgl.  Suchiers  Karte  V  im  Grundriß  1  mid  P.  Meyers  Bestinunung  dieses  ka- 
Gebietes  auf  Grund  der  Ortsnamen,  Boiyiania  XXIV,  529  imd  XXX,  393. 

^    Wo  es  zum  Teil  mit  3-  <  c  -|-  e  zusammenfällt. 


Zur  spracMkhen   Gliederung  Frankreichs.  \\) 

reicht.  Die  älteste  Stufe  der  Palatalisierung  ky^  findet  sich  an  versprengten 
Punkten  des  belgoromanischen  Gebiets'. 

Aus  dieser  Übersicht  ist  deutlich  zu  erkennen,  daß  die  Palatalisierung 
des  k  vor  a  hinter  der  des  k  vor  e(i)  herläuft.  Wenn  wir  in  der  Palatali- 
sierungsreihe  k  >  ^^  >  (/  >  fe  >  S-  die  Stufe  tf  als  die  Mitte  des  Weges 
bezeichnen  dürfen,  so  hat  der  Prozeß  bei  k  +  e(i)  diese  Mitte  überschritten: 
.s  ist  das  in  ganz  Frankreich  herrscJiende  Produkt  und  der  Ausgangspunkt  k 
ist  gänzlich  geschwunden;  bei  k  +  a  aber  ist  eben  dieses  k  und  daneben 
/  die  herrschende  Form.  Der  Prozeß  k  +  a  hat  seinen  Schwei-punkt  noch 
im  ersten  Teile  des  W^eges. 

Der  Prozeß  selbst  ist,  soweit  wir  sehen,  in  beiden  Fällen,  bei  k  +  e  (i) 
und  bei  k  +  a,  der  nämliche.  Es  werden  dieselben  Stufen  durchlaufen,  die 
mediopalatale  (/«%'),  die  präpalatale  {h^^),  die  palatal-alveolare  {tf),  die  alveo- 
lare {ts)  usw.,  und  es  kann  nicht  befremden,  daß  das  Pikardisch-Norman- 
dische,  wenn  es  einmal  in  der  Palatalisierung  rückständig  ist,  nicht  bloß 
in  dem  einen,  sondern  in  beiden  Prozessen  hinter  dem  Französischen  zurück- 
bleibt und  den  ersten  Prozeß  nur  bis  zur  palatal-alveolaren  Stufe  gefordert, 
den  zweiten  aber  noch  nicht  begonnen  hat,  so  daß  die  Isophonen  von  /und  k, 
wie  Karte  II  und  III  zeigen,  zusammenfallen. 

Noch  nicht  begonnen  —  das  ist  freilich  nicht  im  vollen  Umfang 
zutreffend.  Es  gilt  hier  zunächst,  zwei  Fälle  zu  unterscheiden:  entweder 
ist  a  —  in  lateinischer  gedeckter  Stellung  —  geblieben  cattu  >  ka,  oder 
es  ist  —  in  lateinischer  offener  Silbe  —  zu  e  geworden,  wie  im  Französi- 
schen überhaupt  caru  >  ksr. 

Im  ersteren  Falle  {ka)  ist  das  k  im  Pikardisch-Normandischen  heute 
noch  unversehrt.  Nicht  eine  Spur  von  Palatalisierungsanfängen  {kr^a) 
notiert  der  Atlas.  Und  eine  solche  Palatalisierung  aus  eigener  Kraft  wird 
auch  kaum  noch  eintreten,  denn  in  nicht  allzu  ferner  Zeit  werden  die  fran- 
zösischen /-Formen  das  Gebiet  erobert  haben,  und  das  Pikardisch-Norman- 
dische  wird  vom  k  direkt  zum  /  gelangen,  alle  geschichtlichen  Etappen 
überspringend.  Wie  sehr  es  heute  schon  von  /-Formen  durchsetzt  ist, 
brauche  ich  hier  nicht  durch  besondere  Beispiele  zu  illustrieren.    Jaberg 

'  Der  Iteibelavit  %  ist  mir  uiclit  begegnet.  —  Zum  frankoprov.  st^  das  nicht  aus  ^s- 
umgestellt  ist  —  das  ist  eine  papierene  Vorstellung  —  vgl.  Rousselot,  Princ.  de phon.  exp. 
S.  631.  —  Einmal  finde  ich  die  interdentale  Af fr ikata  S  ausdrücklich  notiert  (Gillieron 
schreibt  ts),  Pmikt  710  (Ivarte  250). 

3* 


20  Morf: 

hat  das  auf  Karte  III  und  IV  seiner  «Sprachgeographie'«  an  acht  Wörtern 
{chausser,  chauffer,  chaud,  chaudiere,  chandelle,  chanter,  champ,  chambre)  dar- 
getan'. Seine  Karten  zeigen,  daß  die  Normandie  heute  schon  selir  stark  zu 
den  französischen  /-Formen  neigt.  Vom  pikardi sehen  Kernhuid  sind  die 
Departements  Nord,  Sommc  und  Oise  ebenfalls  vielfach  zu  französischer 
Lautung  abgefallen,  während  Pas  de  Calais  den  alten  Lautstand  bewahrt 
hat.  Es  zeigen  sich  also  in  der  Verdrängung  des  alten  k  durch  modernes  / 
die  nämlichen  Verhältnisse,  wie  sie  aus  Anlaß  des  Kampfes  zwischen  pik.  / 
und  franz.  s  konstatiert  worden  sind  (oben  S.  9). 

Die  Wallonie,  die  östliche  Flanke  des  belgoromanischen  Gebietes,  hat  nicht 
mehr  k  wie  die  Pikardie,  aber  auch  noch  nicht  /  wie  das  ITochfranzösische. 
Sie  zeigt  neben  der  palatalen  Aflrikata  k'^  vorzüglich  (/':  cattu  >  Ic^cc,  Itr/j, 
tfa  usw.'  Die  Wallonie  ist  also  in  der  Palatalisierung  des  lat.  ka  im  Rück- 
stand gegenüber  Franzien.  Sie  geht  nicht  mit  Franzien,  und  wenn  die  Lütticher 
Urkunden  des  13.  Jahrhunderts  cJiat  und  nicht  cat  schreiben  (Romania  XVII, 
561),  so  spricht  diese  Graphic  zwar  für  eine  anlautende  Affrikata,  beweist 
aber  durchaus  nicht  den  franzisclien  Lautstand  tf.  Im  Lichte  der  heutigen 
Patois,  die  selbst  noch  nicht  alle  bis  zu  tf  gelangt  sind,  wird  man  alt- 
wallonisches eh  wohl  noch  als  rein  medio-  oder  praepalatale  Affrikata  {k%) 
zu  interpretieren  haben. 


'  K.  .Taljerg,  Sprachgeographie,  Beitrag  zum  Verständnis  des  Atlas  ling.  de  la  France^ 
Aarau  1908. 

^  NachJabergs  beiden  Karten  müßte  man  annehmen,  daß  Punkt  248  zum /^Gebiet 
gehört,  da  keine  der  acht  Isophonen  diesen  Punkt  einschließt.  Andere  Wöi-ler  aber,  \\\v 
chat^  chasser  (P.  248:  Ita^  hafe),  erweisen  für  diesen  Punkt  altes  k. 

^  Die  19  cattu -Formen,  welche  der  Atlas  für  das  waHonische  Gebiet  gibt,  zeigen 
ein  Dutzend  Varietäten,  wenn  auch  die  Ideinsten  Nuancen  der  plionetischen  Umschrift  in 
Rechnung  gesetzt  werden.  Ein  großer  Teil  dieser  Spielai'ten  beruht  auf  der  Verschiedenheit 
des  Vokals.     Es  sind  vier  Arten    v^on   langem  a  vertreten:    ottenes  (o),  mittleres  und  ge- 

e 

schlossenes  (a)  und  ein  sehr  geschlossenes,  gegen  a  hin  liegendes  0:  der  ?-Laut  selbst  kommt 
auch  vierfach,  offen  (s)  und  geschlossen  (e),  lang  und  kiuv.,  vor.  Der  Anlaut  tritt  eben- 
falls vierfach  auf:  als  yt^'  (P.  197),  als  Jcy^^  (P.  193,  196,  199,  291),  als  // mit  J-Gleitlaut 
(d.h.  mit  stark  palatalem  Rest)  in  P.  182,  189  usav.  und  als  einfaches  ^  in  P.  185,  198  usw. 
Im  Texte  meiner  Darstellung  vereinfaclie  ich,  hier  wie  anderswo,  diesen  Reichtum  und  gebe 
die  beiden  Endpimkte  der  Reihe  k%  und  tf^  welche  Verlauf  und  Stand  des  Prozesses  aus- 
reichend bestimmen.  —  Der  Umstand,  daß  der  e-Laut  in  diesen  palatalisierten  wallonischeii 
Formen  vor  a  bevorzugt  wird,  ist  leicht  erklärUch;  daß  aber  das  e  nicht  der  Ausgangs- 
punkt und  die  Bedingimg  der  Palatalisierung  ist,  erhellt  aus  den  Formen  Jcyß  (P.  291), 
tfja  (P.t89,  290),  t/a  (P.198). 


Zur  sprachlichen  Gliederung  Frankrekks.  21 

Entwicklungsgeschichtlich  stellt  sich  also  die  Sache  sf)  dar,  daß  in  der 
Behandlung  von  lat.  k  +  a  das  Wallonische  ursprünglich  mit  dem  Pikardisch- 
Normandischen  zurückblieb  und  nicht  mit  dem  Franzischen  zur  Palataii- 
sierung  des  k  schritt.  Später  hat  es  sich  dann  aus  dem  belgoromanisdien 
Verbände  gelöst  und  ist  nachträglich,  und  zwar  schon  vor  dem  13.  Jahr- 
liundert,  in  den  Palatalisierungsprozeß  von  k  +  a  eingetreten. 

p]s  ist  das  nämliche  Verhalten,  das  die  Wallonie  in  der  Behandlung 
des  lat.  k  +  e  (i)  uns  gezeigt  hat. 

So  tritt  auch  hier  deutlich  die  ursprüngliche  Einheit  des  alten 
belgoromanisdien  Sprachgebietes  hervor,  das  Wallonie,  Pikardie' 
und  Nonnandie  umfaßt". 

Die  Nonnandie  gehört  also  wirklich  sprachlich  nicht  zu  Franzien,  wie  einst 
Qc.  Paris  meinte''.  Sie  gehört  durchaus  zur  Pikardie.  Aber  sie  ist  sprach- 
lich und  literarisch  viel  unselbständiger  als  diese  und  früh  unter  den  starken 
Einfluß  von  Franzien  geraten,  während  die  Pikardie  kräftige  Eigenart  be- 
wahrt hat. 

Hat  sich  aber  —  und  damit  komme  ich  zum  zweiten  Fall  —  lat. 
freies  a  zu  e  gewandelt  (caru  >  lar),  dann  ist  dieses  vor  e  stehende  k  auch 
im  Pikardischen  gefährdet  und  erliegt  leicht  einer  Palatalisierung,  die  ich  die 
sekundäre  nennen  will,  denn  auch  sie  ist  jünger  als  die  Palata- 
lisierung im  Franzischen.    Das  zeigt  ein  Blick  auf  den  Atlas  linguistique. 

Einmal  besteht  noch  heute  in  weiten  Gebieten  des  Pikardisch-Norman- 
dischen  das  unversehrte  k*.  Die  Karte  268  belegt  karu  >  ksr  für  das  ganze 
Departement  Pas  de  Calais^,  weist  ^-Formen  auch  für  Nord,  Somme, 


'    Vgl.  S.  3  Anm. 

^  Somit  geben  die  Materialien  des  Atlas  linyvistiqve  iiii  wesentlichen  der  Auffassung 
Jorets  recht  und  die  unsichere,  schwankende  Graphie  der  alten  Handschriften  nuiß  ins 
Licht  dieser  Tatsachen  gerückt  werden  (vgl.  Z.  f.  r.  Ph.  11,  29 4 ff.  inid  Beetz,  C  und  Ch  vor 
latcin.  A  in  alt/r.   Textm,  Dannstadt  1887).     Der  Laut  behält  recht  vor  dem  Buchstaben. 

^  Der  übrigens  Suchiers  Widerspruch  gegenüber  {Bihliotheca  NormannkalW  {\^%$) 
Vorwort)  seine  Behauptung  {llomania  XIV,  598 ff.)  eingeschränkt  hat. 

*  Ich  sage  »unversehrt«,  wenn  der  Atlas  keine  Palatalisierungsspur  verzeichnet,  und 
also  makroskopisch  ein  Wandel  nicht  vorliegt;  Vgl.  Archiv  f.  d.  Stud.  d.  neuern  Sprachen 
CXV,  444. 

^  G.  Paris,  Romania  XXXIII,  327,  schien  diese  sehr  vitale  Form  nicht  zu  kennen.  — 
Ich  weise  hier  auf  die  merkwürdige  Diphthongierung  des  s:  hin,  die  durch  Vorschlag  eines 
geschlossenen  e  {kezr)  entsteht  und  wie  die  Vorstufe  zu  einem  hjsr  aussieht.  Da  würde  ein  ganz 
anderer  Lautwandel  vorliegen  als  in  ksr  >  k%er.  —  Vgl.  indessen  das  seltsame  kctr  (S.  287). 


22  Morf: 

Oise  und  die  normandische  Insel  Aurigny  auf.  Umgeben  ist  dieses 
Ä-Gebiet  von  sekundär  palatalisierten  h/j^r,  hyjjr^  (Nord,  Oise  und  besonders 
Somme,  vgl.  auch  Punkt  395)  und  durchsetzt  ist  es  natürlich  mit  im- 
portierten hochfranzösischen  /-Formen.  So  ist  das  typische  Bild  der  Sprach- 
karte dies:  Im  pikardischen  Kernland  herrscht  noch  heute  k\  dieses  h  ist 
bedrängt  einerseits  durch  eine  einheimische  sekundäre  Palatal isierung  und 
anderseits  durch  die  französischen  /-Formen. 

In  diesem  Kampf  hat  jedes  /ce-Wort  seine  eigene  Geschichte.  CMne 
z.  B.  (Karte  265)  hat  sich  in  seinem  pikardischen  Lautstand  lün^  und  se- 
kundär l^/Jn,  viel  besser  behauptet  als  clier:  es  erfällt  noch  die  ganze  Nor- 
mandie  und  seine  Isophonc  fallt  vom  Ozean  bis  Belgien  mit  der  von  Im 
zusammen,  nur  die  Punkte   330,   262   und   271   bleiben  außerhalb. 

Von  diesen  Lautverhältnissen  föUt  Licht  auf  die  Schreibung  kier,  kief 
usw.,  die  sich  neben  ker  usw.  in  alten  pikardischen  und  (anglo-)norman- 
dischen''  Handschriften  findet:  sie  gibt  diese  sekundäre  pikardisch-norman- 
dische  Palatalisierung  wieder,  die  damals  in  ihren  Anfängen  begriffen,  d.  h. 
noch  mediopalatal  [kr/^]  war  und  für  das  Ohr  stark  nach  k  hin  klang.  So 
ist  diese  sekundäre  pikardisch-normandische  Palatalisierung  vielleicht  nicht 
viel  älter  als  das    1 2 .  Jahrhundert. 

Auch  in  dieser  Palatalisierung  von  k  ■\-  e  ist  das  Wallonische  sicher- 
lich früher  als  das  Pikardische  eingetreten.  Es  kann  dies  auch  aus  dem 
Umstände  geschlossen  werden,  daß  sie  bei  ihm  völlig  durchgeführt  und 
die  Stufe  tf  in  fast  der  Hälfte  der  Fälle  erreicht  ist^.    Seine  Unabhängig- 


^  Neben  dieser  alten  Palatalisationsstufe  h-/^  finde  ich  nur  einmal  eine  vorgerücktere: 
tß  in  S.  279,  wo  das  Wort  also  heute  so  lautet  wie  etwa  im  Franzischen  des  12.  Jahr- 
htmderts:  tj'jsr.  —  An  der  Periphci'ie  des  Gebietes,  im  normandischen  Westen,  finden 
sich  auch  reine  Reibelautformen:    /)>,  ß. 

^  hier  usw.  im  Lambspringer  Alexius^  Oxford  er  Psalter  usw.  sind  nicht  »pikardische, 
Elemente«,  sondern  sind  echtes  normandisches  Eigengewächs.  In»  Nebeneinanderstehen  von 
Jeier^  der,  ker,  eher,  chier  spiegelt  sich  die  Ratlosigkeit  der  Schreiber,  denen  das  lateinische 
Alphabet  für  diesen   »modernen«   Laut  nicht  genügte. 

'  Da  ich  hier  die  Frage  der  pikardischen  Palatalisierung  nur  insoweit  zu  behandeln 
habe,  als  zur  geschichtlichen  Interpretation  der  Mundartengi-enzc  erforderlich  ist,  so  brauche 
ich  auf  die  Alteration  des  k  vor  vortonigem  lat.  a  (caballu,  caminu,  carruca)  sowie 
die  des  nachkonsonantischen  (furca,  branca)  und  des  langen  k  (vacca,  bucca)  nicht 
einzugehen.  Nur  so  viel  sei  gesagt,  daß  sich  Anzeichen  dafür  finden,  daß  auch  in  Gallien 
die  Palatalisieriuig  vor  betontem  d  ihren  Anfang  genonnnen  hat.  Auch  in  vortoniger  Stellung 
palatalisiert  das  Wallonische,    ob    das   a   geblieben   oder   zu  e,  9   geworden:    es   hat  k%ary 


Ziir  sprachlichen  Gliederung  Frankreichs.  23 

keit  von  Franzien  zeigt  das  wallonische  Gebiet  darin,  daß  es  neben  seinen 
k%-  und  //-Formen  keinen  Import  von  /-Formen  aufweist,  der  im  Pikar- 
disch-Normandischen  so  reich  ist. 

Die  zeitliche  Abstufung,  die  sich  für  die  Palatalisierung  von  lat.  k  +  a 
(caru,  cattu  im  Belgo-  und  Keltoromanischen  ergibt,  nachdem  freies  a 
auf  dem  ganzen  Gebiete  zu  e  geworden  {ker,  kat)  ist: 

1.  das  Keltoromanische  palatalisiert:    h/^er  und  kr^at,   während  das 
Belgoromanische  bei  k  bleibt; 

2.  das  Wallonische  palatalisiert:  k%er  und  k%at; 

3.  das  Pikardisch-Normandische  tritt  in  die  Palatalisierung  von  ksr 
>  kr/^er  ein,  während  kat  bleibt. 

Diesen  Zustand  des  Pikardischen  hat  schon  A.  Tobler  fär  das  13.  Jahr- 
hundert erkannt  und  anerkannt.  Seiner  Auffassung  ist  auch  G.  Paris  bei- 
getreten^ und  S.  de  Grave  [Romania  XXX,  103)  vermutet  ihre  Richtigkeit 
auf  Grund  der  Lehnwörter,  die  das  Mittelniederländische  den  Patois  Frank- 
reichs entnommen  hat. 


(carructi)  neben  Är%ery,  während  das  Pikardische  zwar  neben  Jcery  auch  1c%ery  zeigt,  aber 
nur  kanj  und  nicht  Tcyjiry  entwickelt.  Formen  wie  gva  (caballu),  Icms.  (caininu)  an 
Punkten,  wo  sonst  Tc  vor  e  palatalisiert  wird,  beweisen,  daß  hier  die  sekundäre  pikardische 
Palatalisierung  später  ist  als  der  Schwund  des  vortonigen  9.  Da  das  Wallonische  in  diesen 
Wörtern  7f)(^,  //"hat,  so  wird  auch  dadurch  das  höhere  Alter  seiner  »sekundären«  Palatali- 
sierung offenbart.  Das  Verbreitungsgebiet  von  furk^  hrälc^  vah,  buk  ist  wesentlich  das  näm- 
liche wie  das  von  cattu  >/tr?.  Immerhin  finden  sich  einige  Überschreitungen  der  Isophone 
der  Karte  III:  bräk,  buk  hat  sicli  in  der  östlichen  Wallonie  (P.  190  usw.)  gehalten;  vak  in 
der  südlichen  Normandie  (P.  368,  358).  Eine  sekundäre  Palatalisierung  findet  sich  bei  diesem 
einst  vor  a  >-  a  stehenden  und  nun  auslautenden  k  nirgends  im  Pikardisch-Normandischen.  — 
Ein  Wort  mit  ganz  eigenartiger  Entwicklung  des  Anlauts  ist  cane  (Karte  277).  Hier  schritt 
das  ganze  belgoromanische  Gebiet  augenscheinlich  in  gleicher  Weise  früh  ziu*  Palatalisierung. 

'  In  der  Einleitung  zum  Lai  de  Voiselct,  die  jetzt  in  seineu  Legendes  du  moyen  äffe, 
Paris  1904,  S.  272  wiederabgedruckt  ist.  Wenn  Paris  dort  sagt,  daß  das  Nebeneinander 
von  ky^sr  und  kat  von  keinem  der  heutigen  Patois  geboten  werde,  so  stand  ihm  eben  seiner- 
zeit das  Material  des  Atlas  noch  nicht  zur  Verfügung.  —  Die  altfranzösischen  Reime,  um 
die  es  sich  handelt  (vgl.  Tobler,  Li  Bis  dou  vrai  ahtel^,  1884  S.  XXI,  depecies:  pecies  usw.) 
lassen  sich  sehr  wohl  auf  der  Basis  von  d^etßes :  pek%ies  verstehen.  Daß  der  pikardische 
Schreiber  für  die  beiden  Affrikaten  k%  und  tf  die  nämhche  Schreibung  ci  braucht,  ist  nach 
allem  leicht  erklärlich.  —  Die  jüngste  Äußerung  zur  ganzen  Frage  findet  sich  in  Rom.  For- 
schungen XXIX,   118. 


24  Morf: 

IV. 

Auf  Karte  IV  habe  ich  die  drei  Isophonen  (pik.  e,  /,  k)  vereinigt. 

Seitlich  verlaufen  sie  getrennt.  Die  e-Linie  umfaßt  die  Wallonie  und 
scheidet  die  Normandie  aus.  Wir  wissen,  daß  die  Normandie  noch  im 
12.  Jahrhundert  zum  e-Gebiet  gehört  hat,  und  daß  das  Altwallonische  auch 
zum  /-Ä;-Gebiete  zählte,  so  daß  einst  die  blaue  Isophone  auch  die  Normandie 
und  die  rot-schwarze  auch  die  Wallonie  umfaßte.  Von  dieser  alten  Einheit 
des  belgoromanischen  Sprachgebiets  war  oben  die  Rede. 

Hier  fesselt  unser  Auge  das  Mittelstück: 

Auf  einer  Strecke  von  200  km,  von  der  belgischen  Grenze  bei  Trelon 
(Punkt  270),  durch  die  Departemente  Aisne,  Oise  und  Seine  et  Oise 
bis  Gisors  (bei  Punkt  238),  haben  die  drei  Isophonen  den  nämlichen  Ver- 
lauft und  grenzen  das  pikardische  Kernland  gegen  Champagne  und  Ile- 
de-France  ab.  Es  wird  gewiß  nicht  häufig  beobachtet,  daß  Isophonen 
von  solcher  Bedeutung"  auf  eine  so  lange  Strecke  zusammenfallen.  Dieses 
Isophonenbündel  bedeutet  eine  formliche  Abschnürung  des  Pik  ardischen 
vom  Französischen.  Das  Bündel  löst  sich  auf,  westlich,  wo  die  Nor- 
mandie beginnt,  die  sprachlich  wenig  widerstandsfähig  war  und  ist,  und 
östlich,  wo  die  Wallonie  anfangt,  deren  kräftige  sprachliche  Eigenart  eigene 
Wege  ging. 

Zwischen  dem  P'ranzösisch-Champagnischen  einerseits  und  dem  Pikardi- 
schen anderseits  findet  nicht  ein  allmählicher  Übergang  statt,  sondern  die 
Dialekte  stehen  sich  schrofi*  entgegen.  W^ir  erkennen  eine  wirkliche  und 
in  ihrer  Ausdehnung  ungewöhnlich  kräftige  Mundartengrenze. 

Eine  solche  Mundartengrenze  bedeutet  geschichtlich  eine  Verkehrs- 
grenze und  zwingt  den  Linguisten,  nach  einem  alten  wirtschaftlichen  Limes 
zu  graben. 

Wie  ich  früher  gezeigt  habe  {Arch.  f.  d.  Stud.  d.  n.  Spr.  CXV,  462, 
Bulletin  de  dialedoloyie  rom.  I,  10  ff.),  ist  dieser  Limes  in  der  alten  kirch- 
lichen Einteilung  des  Landes  zu  suchen.  Ich  habe  deshalb  auf  Grund  der 
Karten  der  Gallia  Christiana  die  Umrisse  der  nordostfranzösischen  Diözesen 


*  Punkt  261  iiuielit  eine  Ausnahme.  Er  gehört  ziuu  s-,  aber  nicht  zum  /-^-Gebiet. 
Hier  liegt  ein  Problem  örtlicher  Dialektologie  vor,  das  sich  hier  einer  Besprechmig  entzieht. 

^  I).  h.  solche,  hinter  denen  Lauterscheinungen  von  so  charakteristischer  und  so  tief- 
greifender Art  stehen,  daß  sie  etwa   10  Prozent  des  AVortschatzes  in  Mitleidenschaft  ziehen. 


Zur  sprachlkhen  Gliederung  Frankreichs.  25' 

von  Amiens,  Beauvais,  Noyon  und  Cambrai'  auf  Tafel  II  skizziert  und 
dazu  die  Punkte  des  Atlas  lingulstique  eingetragen. 

Die  West-,  Süd-  und  Ostgrenze  der  »pikardischen«  Grrenzbistümer 
Amiens,  Beauvais,  Noyon,  Cambrai,  welche  diese  Bistümer  von  den 
Landschaften  Norm  an  die,  Ile-de-France  und  Champagne  scheidet,  ver- 
läuft so:  vom  Meere,  östlich  von  Eu,  folgt  sie  dem  Flusse  La  Bresle,  der 
heute  die  Departemente  Somme  und  Seine-Inferieure  trennt,  geht  mit 
der  Grenze  des  Departements  Oise  südlich,  hart  an  Gournay,  vorbei,  biegt 
dann  bei  Punkt  248  nach  Südosten  ab  und  trifft,  Chaumont  westlich 
lassend,  etwas  oberhalb  von  Pontoise  auf  die  Oise.  Sie  folgt  nun  der 
Richtung  dieses  Flusses  aufwärts  nach  Nordosten,  doch  in  einer  sehr  cha- 
rakteristischen Weise,  indem  sie  den  Fluß  wiederholt  schneidet.  Zunächst 
überschreitet  sie  die  Oise  vor  L'Isle-Adam  und  bleibt  bis  vor  Verberie 
auf  dem  linken  Ufer,  womit  ein  breiter  Landstreifen,  der  auch  die  Städte 
Beaumont,  Creil,  Pont-Sainte-Maxence  trägt,  zur  Diözese  Beauvais 
gefügt  wird.  Dann  fällt  bis  unterhalb  der  P^inmündung  der  Aisne  die 
Grenze  mit  der  Oise  zusammen,  und  Verberie,  Compiegne,  Choisy 
gehören  also  nicht  zur  Diözese  Beauvais,  soi.dern  zu  Soissons.  Wieder 
schneidet,  unterhalb  Choisy,  die  Grenze  den  Fluß  und  fügt  das  Gelände 
der  Benedektinerabtei  Ourscamp  zum  Bistum  Noyon,  während  Brettigny 
zu  Soissons  gehört.  Westlich  von  La  Fere  verläßt  die  Diözesangrenze 
endgültig  das  Ufer  der  Oise,  bleibt  westlich  vom  Fluß,  zwischen  Hom- 
blieres  und  Ribemont  ungefähr  in  der  Mitte,  wendet  sich  nördlich  von 
Guise  nach  Osten  und  trifft  östlich  von  La  Capelle  auf  die  Landesgrenze. 
Sie  folgt  dieser  Grenze,  welche  zugleich  die  des  Departements  Nord  ist, 
und  verläuft  dann  in  nördlicher  Richtung  durch  belgisches  Land,  bis  sie, 
etwas  nordwestlich  von  Nivelles  und  südwestlich  von  Brüssel,  die  flämisch- 
französische Sprachscheide  erreicht. 

Die  Punkte  des  Atlas  auf  » pikardischem «  Gebiete,  die  dieser  Grenze 
zunächst  liegen,  sind  somit: 

279,  267,  257,  247,  248,  246,  235,  253,  262,. 270,  280,  292,  293. 


1  Der  ümstaud,  daß  Cambrai  mit  Arras  zusammen  bis  1093  imr  ein  Bistum  bildete, 
berührt  weder  die  Karte  noch  die  daran  geknüpften  TTlieHeiiungen,  da  nur  die  äußere,  öst- 
liche Grenze  des  Bistums  ITir  ims  in  Frage  kommt. 

Phil.-hist.  Klasse.    1911.    Ahh.  II.  4 


26  Morf: 

Die  normandisclien,  französischen,  cliampagnischen  und  wallonischen 
Grenzpunkte  aber  sind: 

268,  258,  238,  227,  232,  242,  251,  261,  179,  290,  291. 

Zwischen  diesen  beiden  Punktreihen  verläuft  die  Grenze  der  »pikardi- 
schen«  Bistümer  Amiens,  Oise,  Noyon,  Cambrai,  wobei  im  Druck  die 
Punkte  hervorgehoben  sind,  zwischen  denen  das  Mittelstück  von  Gisors 
bis  Trelon  liegt. 

Dieses  Mittelstück  verläuft  also  in  der  nämlichen  Richtung  und 
auf  dem  nämlichen,  etwa  20  km  breiten  Landstreifen^  wie  die  Grenzen 
der  Bistümer  Beauvais,  Noyon  und  Cambrai.  Die  Koinzidenz  ist  frap- 
pant. Die  charakteristischen  belgoromanischen  Sprachzüge  s,  f,  k  machen 
an  der  Grenze  der  civitates  Bellovacensis,  Noviomensis  und  Camera- 
censis  halt. 

Ob  die  Mundartengrenze  gänzlich  und  in  allem  Detail  mit  der 
Diözesangrenze  zusammenfällt,  das  festzustellen  reicht  das  Material  des 
Atlas  linguistique  nicht  aus.  Das  muß  der  örtlichen  Spezialforschung  über- 
lassen bleiben,  die  hier  eine  lohnende  Aufgabe  findet.  Wenn  der  Atlas 
hier  unsere  Fragen  nicht  beantwortet,  so  bleibt  ihm  doch  das  große  Ver- 
dienst, die  Fragestellung  angeregt,  das  Problem  gestellt,  die  prinzipielle 
Erkenntnis  ermöglicht  und  den  Weg  zur  endgültigen  Lösung  gewiesen  zu 
haben. 

Indessen  gibt  es  ein  Mittel,  um  auch  aus  der  Ferne  die  Lösung  zu 
fördern:  die  Befragung  alter  schriftlicher  Sprachdenkmäler  der  Grenz- 
zone und  der  Ortsnamen  formen.  Aber  beide  Erkenntnisquellen  ergeben 
leider  nicht  so  viel,  als  man  erwarten  möchte. 

Charakteristische  pikardische  Ortsnamen,  wie  Ourscamp,  Caines, 
Carlepont,  Trachy  (Draciacum,  Traciacum),  Chiry  (Ciriacum) 
finden  sich  südlich  von  Noyon,  jenseits  der  Oise,  in  einem  Winkel,  dessen 
Benedektinerabtei,  wie  die  Karte  zeigt,  zum  Bistum  Noyon  gehört:  diese 
Formen  leisten  sicherlich  den  Beweis,  daß  hier  die  Mundartgrenze  mit  der 
Bistumsgrenze  den  Fluß  überschreitet,  und  daß  in  einem  kontrollierbaren 
Detail  die  beiden  Grenzen  zusammenfallen. 

Wenn  man  nun  aber  auf  den  französischen  Karten  nicht  die  alte 
Schreibung  Trachy  sondern  Tracy  findet,   so  stellt  sich  die  Vermutung 


1    Iiiiiiier  mit  Ausnalime  des  einen  Punktes  261,  dessen  pikardisches  s  unerklärt  bleibt. 


Zur  sprachUche7i  Gliederung  Frankreiclis.  27 

ein,  daß,  wie  dieser  Ortsname,  auch  andere  französisiert  worden  sind.  Und 
das  ist  leider  häufig  genug  der  Fall.  Calniacum  liegt  unstreitig  auf  pi- 
kardischem  Gebiet':  die  Nainensform  *Gauny,  die  einst  existiert  haben  muß, 
ist  völlig  verschwunden'^  Und  Chaulnes  (Somme)  nördlich  von  Noyon 
und  so  viele  andere!  Die  Namen  bedeutenderer  Orte  haben  oft  seit  alter 
Zeit  eine  offizielle  Französisierung  erfahren.  Ein  kleines  Caumont  bleibt, 
aber  *Cauny  verschwindet,  und  die  ganze  Misere  dieser  Namenformen  zeigt 
ein  Caumont-les-Chauny  {J)lct.  top.  de  VAisne,  s.  v.). 

Wer  auf  diesem  nordfranzösischen  Gelände  den  Versuch  machen  wollte, 
die  pikardisch-französische  Mundartgrenze  mit  Hilfe  der  Ortsnamenformen 
darzustellen,  würde  den  größten  Täuschungen  ausgesetzt  sein.  Eine  solche 
Arbeit  könnte  nicht  mit  dem  Namenmaterial  der  üblichen  Karten,  sondern 
nur  mit  Hilfe  der  örtlichen  Patoisformen  der  Ortsnamen  —  soweit  sie  noch 
vorhanden  sind!  —  und  mit  einem  gesicherten  Flurnamenmaterial  unter- 
nommen werden.  Daß  auch  die  Namen  ganz  kleiner  Orte  täuschen  können, 
zeigt  Punkt  253  nördlich  von  Noyon:  ein  Dorf  von  kaum  200  Einwohnern. 
Die  offizielle  Fonn  der  Karte  ist  Bussy;  der  Atlas  lehrt  uns  (Karte  2), 
daß  die  ortsübliche  Form  gut  pikardisch  ist:  hyfl  <  Bultiacum. 

Unter  diesen  Umständen  läßt  sich  behaupten,  daß  das  Vorkommen 
französischer  Namenformen  nichts  zugunsten  eines  wirklich  französischen 
Sprach grundes  beweisen;  daß  hingegen  der  pikardisch e  Sprachgrund  min- 
destens so  weit  reicht,  als  das  Vorkommen  pikardischer  Namenformen  fest- 
gestellt werden  kann  —  und  da  stimmen  denn  die  Castres,Cateau, 
Catillon,  Capelle  usw.,  die  sich  westlich  und  nördlich  der  Oise  von 
St-Quentin  bis  Trelon  auf  den  französischen  Karten  finden. 

Daß  die  schriftlichen  Sprachdenkmäler  der  Grenzzone  kaum  entschei- 
dende Bedeutung  haben,  da  auch  sie  mit  franzischen  Graphien  durchsetzt 
sein  werden,  läßt  sich  von  vornherein  annehmen.  G.  Krause  hat  das  Ur- 
kundenmaterial   des  Departements  Oise   auf  ihr  pikardisches  Zeugnis  hin 


^  Chaunys  en  Picardie  sagt  Rjibelais,  der  von  den  berühmten  Possenspielern  des  Ortes 
spricht. 

^  In  dem  Städtchen  selbst,  in  welchem  natüi^ich  das  Patois  erloschen  ist,  ist  keine 
Erinnerung  an  eine  Form  *Cauny  geblieben,  wie  mir  ein  Lehrer  der  Gegend  bezeugt.  Das 
Bktionnaire  topogr.  du  dep.  de  VAisne,  Paris  1871,  zeigt,  daß  seit  dem  13.  Jahrhundert  auch 
in  den  lateinischen  Urkunden  die  .Schreibung  mit  ch  herrscht  (Channiacnm)  und  die  fran- 
zösischen ausnahmslos  ch  haben.  Älteres  castrum  Cauniaci  (1067)  zeugt  vielleicht  von 
pikardischer  Lautung. 

4* 


28 


Morf: 


untersucht\  Er  deutete  die  scli wankenden  Schreibungen  seiner  Quellen 
und  irrte  z.  B.,  wenn  er  Compiegne  für  pikardisch  erklärte;  aber  es  ist 
bemerkenswert,  daß  er  auf  Grund  seines  rein  papierenen  Materials  zu  der 
Auffassung  kommt  (S.  77),  daß  sich  die  Sprachgrenze  des  Pikardischen  gegen 
das  Franzische  nicht  etwa  mit  dem  Laufe  der  Oise  decke,  sondern  daß  «noch 
ziemlich  auf  der  ganzen  Strecke  der  O  i  s  e  in  unserem  Departement  auch  das 
linke  Ufer  in  größerer  oder  geringerer  Breite  als  pikardisch  sprechend  an- 
zusehen« sei.  Das  stimmt  in  überraschenderweise  zu  der  Bistumsgrenze, 
die  von  Verberie  bis  zur  Isle-Adam"'  auch  das  linke  Ufer  der  Oise  ein- 
schließt. Mit  anderen  Worten:  Das  Stück  Ile-de-France,  das  schon  Krause 
als  pikardischer  Mundart  erklärte,  gehört  zur  Diözese  B e a u v a i s .  Die  Ile-de- 
France  ist  in  ihrem  Norden  (Isle-Adam,  Beaumont,  Creil,  Pont-Ste- 
Maxence)  pikardisch,  soweit  die  kirchliche  civitas  Bellovacensis  reicht. 

So  liefern  die  spärlichen  Zeugnisse  der  Ortsnamenformen  (Ourscamp) 
und  der  Urkundengraphien  wenigstens  zwei  charakteristische  Stichproben 
fär  das  wirkliche  Zusammenfallen  von  Sprach-  und  Bistumsgrenze  auf  pi- 
kardisch-franzischem  Gebiet. 

Und  was  hier  festgestellt  werden  konnte,  wird  sich  zweifellos  für  an- 
dere Gegenden  nicht  nur  Galliens,  sondern  der  Romania  überhaupt^  er- 
weisen lassen:  die  uralte  kirchliche  Einteilung  des  Landes  ist  stark  be- 
teiligt an  der  sprachlichen  Gliederung  des  Landes.  — 

Daß  das  Frankoprovenzalische  die  Sprache  der  alten  Bistümer 
Lyon  und  Vienne  sei,  habe  ich  früher  schon  ausgesprochen \    Hier  gebe 

'  Zur  Mundart  des  Dep.  Oise  vgl.  oben  IS.  5.  Heute  wissen  wir,  daß  es  eine  »Mund- 
art des  Dep.  Oise«  nicht  gibt.  Ein  Blick  auf  Karte  III  und  V  zeigt,  daß  der  größte  Teil 
des  Departements  pikardisch  ist  und  daß  die  westliche  Ecke  mit  Chaumont  und  die 
größere  östliche  Ecke  mit  Senlis  und  Compiegne  franzisch  sind. 

*  Durch  diese  Übereinstimmung  von  Krauses  Beobachtung  und  dem  Zeugnis  der 
Karte  V  hielt  ich  mich  für  berechtigt,  die  zwischen  Punkt  235  imd  227  verlaufenden  Iso- 
phonen  auf  Karte  I,  II,  III  bis  in  die  Nähe'  (nördlich)  von  Pont  oise  zu  ziehen,  das  der 
erste  bedeutendere  franzische  Ort  am  Unterlauf  der  Oise  ist. 

•^  Fiu-  das  italienische  Sprachgebiet  (Kanton  Tessin)  hat  C.  Salvioni  schon  vor 
Jahren  (1901)  ein  Beispiel  angeführt  (vgl.  Arch.f.  d.  Stud.  d.  neuern  Spr.  CXXR",  194),  und 
J.  .lud  bestätigt  mir  brieflich  die  konstitutionelle  Bedeutung  der  Diözesangrenzen  in  der 
nnmdartlichen  Gliederung  Norditaliens  und  Rätiens.  Für  Spanien  vgl.  die  im  Bull,  de  dial. 
roff».  I,  22  erwähnte  Studie  von  R.  Menendez  Pidal.  Auch  im  Deutschen  sind  Bistums- 
grenzen als  Sprachgrenzen  erkannt  worden,  vgl.  Archiv  CXI,  45  und  Bulletin  J,  12  f.  imd  103. 

*  Vgl.  Bulletin  de  dialectologie  romane  1,  10  ff.  Da  ist  auch  die  Uiuichtigkeit  der  Karte 
des  (je vöhevsch&A  Grundrisses  hervorgehoben,  auf  deren  Unstimmigkeiten,  wie  ich  jetzt  sehe, 


Zur  ><prachlichen  Gliederung  Frankreichs.  21) 

icli  eine  Karte  dieser  beiden  Bistümer  (Karte  VI).  Icli  lege  dabei  das  Über- 
sichtsblatt des  Atlas  linguistique  zugrunde,  das  wir  Schädel  verdanken  und 
das,  Aveil  die  Flußläufe  und  einige  Städte  eingezeichnet  sind,  die  Orientie- 
rung erleichtert.  Dabei  habe  ich  für  einzelne  Punkte  des  Atlas,  besonders 
für  diejenigen,  die  der  roten  Bistumsgrenze  zunächst  liegen,  die  Lage  ge- 
nauer angegeben  (gel])e  Punkte).  Es  ergibt  sich  daraus,  daß  eine  ganze 
Anzahl  der  von  Gillieron  gewählten  Ortschaften  eine  recht  charakteristi- 
sche Grenzlage  haben,  so  917  und  916,  908,  808,  814,  817,  827,  838,  von 
denen  die  hier  fett  gedruckten  noch  innerhalb  der  Bistumsgrenze  liegen. 
Der  lautlichen  Skizze  habe  ich  die  beiden  Wörter  mercatum  und 
pratum  zugrunde  gelegt'.  Die  provenzalische  Behandlung  des  d  (Er- 
haltung des  a  bzw.  Überführung  zu  o)  ist  durch  blaue  Farbe,  die  fran- 
zösische Behandlung  (Palatalisierung,  d.  h.  Überführung  des  a  zu  e,  i) 
durch  rote  Farbe  bezeichnet.  Zwischen  dem  südlichen  Blau  und  dem  nörd- 
lichen Rot  liegt  ein  Gebiet,  das  Rot  (mercatum  >  ^,  i)  mit  Blau  (pratum 
>  a,  ö)  kombiniert:  eben  das  frankoprovenzalische  Gebiet.  Seine  östliche 
Begrenzung,  von  Morbier  (938),  über  Replonges  (917),  Cours  (908), 
Sail  (808)  bis  St-Nazaire  (838),  fällt,  soweit  es  die  kartographischen 
Hilfsmittel  erkennen  lassen,  völlig  mit  der  Peripherie  der  beiden  Bistümer 
zusammen. 


Gaiichat  80110111903  hingewiesen  hat  (Behrens'  Ze?fecÄrj/Z  XXV^,  121).  An  jener  Stelle 
envähnt  Gauchat  ehie  Reihe  von  Schwierigkeiten,  die  sich  bei  der  Erörterung  der  terri- 
torialen Ausdehnung  des  Frankojjrovenzallschen  ergeben.  Diese  Schwierigkeiten  betreffen 
namentlich  das  östliche  Gebiet  der  Departemente  Jura  und  Doubs.  Hier,  wo  ich  die 
Frage  des  Frankoprovenzalischen  nur  l)eiläufig  behandle,  verzichte  ich  darauf,  diese  SchAvierig- 
keiten  zu  besprechen.  Das  mag  ein  andermal  geschehen.  So  beschränke  ich  mich  denn 
auch  darauf,  den  Zusammenhang  des  Schicksals  von  lat.  ä  mit  dem  Territoi^ium  der  Bis- 
tümer Lyon  und  Vienne  zii  illustrieren,  ohne  andere  lautliche  ^Merkmale  des  TVankopro- 
\ei)zalischen  mit  heranzuziehen  (Schicksal  der  x\uslautvokale,  Akzentverschiebungen  usm'.) 
imd  auf  folgendes  lünzuweisen:  die  scharfe  Westgrenze,  die  das  frankoprovenzalische  Gebiet 
vom  provenzalischen  scheidet,  läßt  darauf  schließen,  daß  hier  im  massif  central  zvfel  »ms  eni- 
gegengesetzten  Richtungen  konunende  Sprachwellen  zusammengestoßen  sind.  Im  Norden 
geht  das  Fi^ankoprovenzalische  allmählich  ins  Französische  über:  die  Nordgrenze  (Franche- 
Comie)  ist  viel  vagei-:  das  Frankoprovenzalische  ist\eben  auf  den  römischen  Straßen  nach 
Norden  gewandert  und  hat  auf  dieser  AVanderung  allmählich  neue  Züge  angenommen  und 
alte  verloi'en. 

'  Man  nuiß,  um  die  mercatum- Formen  des  frankoprovenzalischen  Gebietes  richtig 
zu  interpretieren,  sich  der  Erörterungen  erinnern,  die  einst  über  die  komplexen  Palatali- 
sierungserscheinungen  dieser  Mundart  stattgehabt  haben  (Romania  XVI  263 — 87,  XXVII  27off.). 


30  Morf: 

Die  Übereinstimmung  von  Lautgrenze  und  Bistumsgrenze  ist  an  meh- 
reren Stellen  insbesondere  frappant.  So  bei  Mäcon,  wo  die  benachbarten 
Punkte  917  und  916  getrennt  werden;  bei  Punkt  838,  wo  beide  Grenzen 
die  Isere,  und  bei  Punkt  827,  wo  beide  Grenzen  die  Rhone  (nördlich  von 
Tournon)  schneiden;  bei  Punkt  817  (Riotord),  westlich  von  Annonay, 
das  selbst  noch  zur  Diözese  Vi enne  gehört,  an  dessen  Westgrenze  es  liegt. 
Auch  Punkt  816  fesselt  den  Blick  des  Forschenden.  Er  erinnert  sich,  daß 
Philipon  einst  {Ro?nania  XXII  2)  darauf  hingewiesen  hat,  daß  rmfliience  de 
la  pahtah  sur  l'a  accentue  ne  parait  pas  avoir  franchi  la  Loire,  weil  er  in 
Texten  aus  Saint-Bonnet-le-Chäteau  und  andern  Ortschaften  des  Be- 
zirkes Montbrison  Formen  mit  unversehrtem  a,  d.  h.  mit  provenzalischem 
Lautstand,  fand.  Nun  ist  Punkt  816  des  ^//os  eben  jenes  Saint-Bonnet- 
le-Chäteau,  das  mit  dem  ganzen  Südwestwinkel  des  Departements  Loire 
aus  dem  Bistum  Lyon  herausfällt!  —  Punkt  905,  in  der  Nordwestecke, 
liegt  im  Kanton  Saint-Hoan-le-Chatel,  wo,  wie  schon  Suchier  sagte 
{Grundriß  I  599),    die   ersten  Spuren  des  Frankopro venzalischen  begegnen. 

Im  Osten  bleibt  nun  das  Frankoprovenzalische  nicht  auf  die  beiden 
Bistümer  beschränkt:  nordöstlich  schließt  sich  das  frankoprovenzalische 
Hinterland  der  Schweiz  (936,  937,  939,  40,  51,  52  usw.),  südöstlich  das 
der  Savoyischen  Alpen  an,  vom  Genfer  See  bis  G renoble  und  darüber 
hinaus  \  Inwiefern  die  frankoprovenzalische  Grenze,  die  von  Punkt  938 
ab  sich  nördlich  über  P.  939,  40,  51  bis  52  dahinzieht,  mit  der  Grenze 
zusammenfallt,  welche  das  Bistum  Lausanne  vom  Bistum  Besangon 
scheidet,  soll  hier  nicht  untersucht  werden,  und  ebensowenig  soll  die  Frage 
behandelt  werden,  ob  die  südliche  frankoprovenzalische  Peripherie,  von 
Punkt  838  ab  nach  Italien  zu,  mit  Diözesangrenzen  zusammenfällt.  Mir 
liegt  hier  nur  daran,  die  alten  civitates  Lugdunensis  und  Viennensis 
als  das  frankoprovenzalische  Kernland  aufzuweisen.  Diese  beiden  alten  ci- 
vitates —  und  nicht  das  um  fast  ein  Jahrtausend  jüngere  burgundische 
Reich  —  sind  es,  innerhalb  deren  Grenzen  das  frankoprovenzalische  Idiom 
sich  gebildet  und  bewahrt  hat^. 


^  Ich  notiere  juil"  der  Karte  diesen  rotblanen  Lautstand  der  Schweiz  und  Savoyens 
nur  für  ihr  westliches  Grenzland,  das  also  von  Le  Locle  in  der  Schweiz  (52)  lüsBourü- 
d'Oisans  (950),  südlich  der  Isfere,  sich  erstreckt. 

^  Freilich  ist  auch  das  frankoijrovenzalische  Sprachgebiet  niannigfach  von  Wörterji 
französischen  Lautstandes  durchsetzt.     Man   sehe   z.B.   die   Karte   des  Wortes   conge  {316), 


Zur  sprachlk'hen  Gliederung  Frankreichs.  %\ 

Seither  ist  wiederholt  beobachtet  worden,  daß  sprachliche  und  kirch- 
liche Grenzen  zusammenfallen \  so  zwischen  Conthey  und  Saviese  im 
Wallis  {Archiv  CXXVI,  2 1 4)  zwischen  dem  vosgien  und  dem  saunoLs  in 
Lothringen  (ebenda  CXXIII,  495).  Ein  Bündel  von  etwa  20  Isophonen 
scheidet  hier  scharf  den  »Bergdialekt«  (vosgien)  vom  Patois  der  Ebene 
{saunois),  und  dieses  Bündel  zieht  sich  in  der  Richtung  der  Grenze  dahin, 
die  die  Bistümer  Nancy  und  St-Dic  trennt.  Ein  nicht  weniger  starkes 
Isophonenbündel  liegt  im  Val  d'IUiez  (Schweiz)  zwischen  dem  Haupt- 
dorfe  gleichen  Namens  und  dem  Nachbardorfe  Troistorsents,  wie  Fank- 
h  aus  er  in  seiner  schönen  Arbeit  gezeigt  hat  {Revue  de  dialectologie  romane 
III,  20):  Val  d'IUiez  und  Troistorrents  waren  jahrhundertelang  kirch- 
lich getrennt  zwischen  dem  Bistum  von  Sitten  und  dem  von  Genf  (ebenda 
II,  209). 

P.  Passy  hat  vor  zwanzig  Jahren  in  einer  Studie  über  Vogesendia- 
lekte  {Revue  de  philologie  frangaise  et  provengale^  1892,  S.  149)  darauf  hin- 
gewiesen, daß  Plombieres  vom  Val-d'Ajol  durch  eine  scharfe  Dialekt- 
grenze geschieden  sei,  für  die  eine  Erklärung  sich  weder  in  der  Topo- 
graphie noch  in  der  Geschichte  finden  lasse.  Die  kirchliche  Einteilung 
gibt  diese  Erklärung:  Plombieres  gehört  zum  alten  Bistum  Toul,  Val- 
d'Ajol  zur  Diözese  Besangon. 

Die  sprachliche  Bedeutung  der  Bistümer,  die  wir  jetzt  zu  erkennen 
beginnen,  ist  schon  dem  Mittelalter  nicht  verborgen  geblieben.  So  berufen 
sich  die  Leys  d'amors  auf  die  Diözese  als  maßgebende  sprachliche 
Einheit  und  schreiben  vor,  daß  in  Fällen  zweifelhaften  Sprachgebrauchs 
der  Dichter  sich  an  die  Form  des  Ausdrucks  halten  soll,  die  in  einer 
ganzen  Diözese  {acostumat  cominalmen  per  tota  una  diocezi)  üblich  sei^ 

das  man  so  gern  marche  zur  Seite  stellen  mochte.  Wie  sprunghaft  es  bei  diesen  Wort- 
wanderuugen  zugeht,  zeigt  an  einem  andern  Worte  {nez,  Karte  908)  der  Punkt  809,  der 
durchaus  provenzalisch  ist  und  lur  p  rat  um  auch  joro  aufweist:  für  nasus  hat  er  die  fran- 
zösische Foi'm  ne. 

'  Eine,  wie  es  scheint,  mißglückte  Beobachtimg  dieser  Art  wird  in  Komania  XXXVIII,  150 
von  A.Thomas  abgelohnt. 

^  Monuments  de  la  litt,  romane  ed.  Gatien- Arnx)ult,  Toulouse  1842,  II,  S.  210  und 
passim.  Vgl.  S.  388,  wo  von  den  schwachen  Neubiklungen  wie  dissigui  gesagt  wird,  daß 
sie  allerdings  in  Toulouse  gebräuchlich  seien,  aber  jaciai/sso  que  dins  Tholoza  ...  hom  diga 
aytals  motz,  encaras  no  abasta,  quar  cove  que  per  tota  una  diocezi  sian  acostumat  de,  dire. 
E  quar  per  totz  los  locz  generalmen  que  san  en  la  diocezi  de  Tholoza  hom  no  ditz  aytah  motz, 
per  so  nos  nols  devem  dire. 


32  Mokf: 

V. 

Das  französische  Bistum  hat  nicht  nur  seinen  offiziellen  Namen  (civitas) 
vom  römischen  Verwaltungsbezirk,  sondern  auch  seine  Grenzen  (vgl.  Bull, 
de  dialect.  rornane  I,  13).  Es  hat  diese  Grenzen  ohne  wesentliche  Verschie- 
bungen durch  die  Jahrhunderte  bewahrt  bis  i79o\ 

Der  römische  Verwaltungsbezirk  selbst,  an  dessen  geistliche  Spitze 
seit  dem  IV.  Jahrhundert  der  christliche  Bischof  trat,  beruhte  auf  der  Kon- 
stitution, die  Augustus  den  eroberten  tres  Galliae  einst  verliehen  hatte. 
Diese  administrative  Gliederung  des  weiten  Landes  w^ar  in  den  vier  Jahr- 
hunderten der  Römerherrschaft  ebenfalls   wesentlicli   festgeblieben'. 

Die  französischen  Bistümer  sind  also  —  erst  weltliche,  dann  kircli- 
liche  —  Verwaltungseinheiten,  die  durch  achtzehnhundert  Jahre  ohne  er- 
hebliche Änderungen  bestanden  haben.  Die  Bistumsgrenzen  sind  dem- 
nach Verkehrsgrenzen,  die  während  fast  zweitausend  Jahren 
Frankreich  durchfurcht  haben,  während  die  politischen  Grenzen  un- 
aufhörlich  wankten  und  wechselten. 

Jawohl:  Verkehrsgrenzen.  Man  vergegenwärtige  sich  die  Verkirch- 
lichung  des  Lebens  im  Mittelalter,  um  die  Bedeutung  der  kirchhchen  Zu- 
sammengehörigkeit eines  Gebietes  zu  ermessen,  dessen  Bewohner  in  den 
kleineren  kirchlichen  Zentren  und  in  der  Bischofsstadt  ihrer  civitas  regel- 
mäßig zusammenströmten  und  zusammen  verkehrten.  Der  ganze  Verkehr 
vollzog  sich  in  diesen  Zentren  und  in  der  Metropole,  denn  der  direkte  Aus- 
tausch von  Ort  zu  Ort  wurde  durch  die  ünzulängliclikeit  der  Vizinalwege 
auf  die  großen  Straßen  gedrängt,  die  zu  diesen  Hauptorten  führten.  Geradeso 
wie  heute  die  Hauptstadt  eines  Landes  den  Eisenbahnverkehr  in  die  Linien 
zwingt,  deren  Kopf  sie  bildet,  während  die  Querverbindungen  leiden.  Die 
Kirche  monopolisierte  mit  ihren  Festen  die  kleinen  und  großen  Märkte. 
Die  kirchlichen  Steuern,  die  geistliche  Gerichtsbarkeit  zog  den  Dorfbewohner 


'  Die  Bistüiiif'.r  haben  sich  gelegentlieh  durch  Spaltung  vermehrt,  ohne  daß  die 
äußeren  ürenzen  in  Mitleidenschaft  gezogen  wurden.  Zur  ganzen  Frage  vu;!.  Logn  011 . 
Atlas  hist.  de  la  France,  texte,  S.  l^^if. 

^  Ich  glaube  das  sagen  zu  dürien,  nachdem  mich  Herr  Dr.  W.Bart  hei  (Frank- 
furt a.  M.)  in  freundlicher  Weise  auf  kleinere  Veränderungen  im  Bestand  der  civitates 
aufmerksam  gemacht  hat,  Vjv  seihst  liält  die  Wirkungen  der  neuen  Provinziah'inteilung 
unter  Diokletian  für  ijanz   unbedeutend. 


Zu7'  s'prochlwhen  Gliederung  Frankreichs.  33 

regelmäßig  zur  Stadt  des  bischöflichen  Hofes.  Hier  fand  der  sprachliche 
Austausch  statt. 

Es  scheint  festzustehen,  daß  die  Konstitution,  die  Augustus  den  tres 
Galliae  gab,  auf  der  ethnischen  Gliederung  des  Landes  beruhte,  daß  die 
römischen  civitates  den  gallischen  gentes  entsprachen  und  die  Grenzen 
der  civitates  alte  gallische  Stammesgrenzen  waren'. 

Danach  haben  die  Bistumsgrenzen  Frankreichs  diese  alten  gallischen 
Stammesgrenzen  bis  1790  erhalten,  und  es  würden  somit  in  den  Patois- 
grenzen  des  modernen  Frankreichs,  soweit  sie  nachweislich  mit  Bistums- 
grenzen zusammenfallen,  die  alten  Stammesgrenzen  der  Völkerschaften 
weiterleben,  die  Cäsar  vor  zweitausend  Jahren  unterworfen  hat. 

Ist  es  mir  im  vorangehenden  gelungen,  wahrscheinlich  zu  machen, 
daß  die  scharfe  Sprachgrenze  (das  Isophonenbündel  e,  f,  k),  die  von  Gisors 
bis  Trelon  das  Pikardische  vom  Franzisch-Champagnischen  trennt,  mit  der 
Südgrenze  der  Bistümer  Beauvais,  Noyon  und  Cambrai  zusammen- 
fallt, so  darf  nun  in  dieser  Grenze  die  Südgrenze  der  Bellovaci^,  Viro- 
man du  i  und  Nervii  gesehen  werden. 

Die  weniger  scharf  hervortretende  pikardisch-normandische  West-  und 
pikardiscli-wallonische  Ostgrenze,  die  dort  mit  dem  Bistum  Amiens  und 
hier  mit  dem  von  Cambrai  zusammenzufallen  scheint,  würde  demnach  die 
Westgrenze  der  Ambiani  und  die  Ostgrenze  der  Nervii  bedeuten. 


*    Hr.  Dr.  W.  Rartliel  })estätigt  mir  diese  Auffassung. 

^  Haben  die  Bellovaci  auch  das  südliche  Ufer  der  üise  besessen,  das  zum  Biskim 
Beau\  ais  gehört?  Die  Beantwortimg  dieser  und  ähnlicher  Spezialfragen  wird  von  der  An- 
sicht abhängen,  die  der  Historiker  von  der  Einteilung  des  Landes  durch  Augustus  hat:  Hat 
die  kaiserliche  Konstitution  sich  genau  an  die  Stammesgrenzen  gehalten,  so  wird  die  Frage 
bejaht  werden  müssen.  Sie  ist  erörtert  von  J.  Desnoyers  in  seiner  Topographie  ecclesiastique 
de  la  France  {Armuairp  historiqiie  pour  l'annee  1862  puhlie  par  la  Societe  de  VMstoire  de  France^ 
Paris  1861,  S.  494  ir.).  Im  allgemeinen  werden  Flußläufe  solche  Grenzen  nicht  bilden,  denn 
nur  der  Besitz  beider  Ufer  sichert  die  wirtschaftliche  Ausbeutung  eines  schiffbaren  Wasser- 
laufes. —  Ebenda  (S.  492)  behandelt  .T.  Desnoyers  auch  die  Frage  der  Bedeutung  des 
Namens  Belgium  bei  Cäsar  und  bleibt  bei  der  Auffassung,  daß  Belgium  nur  einen  Teil 
des  Lani'es  der  Belgae  lunfasse.  Heute  wird  indessen  Belgium  allgemein,  soviel  ich 
sehe  {Thesaurus  linguae  Latinae;  Jullian,  Hist.de  la  Gaule  usw.),  als  »Land  der  Belgae« 
gefaßt.  Der  Name  Belgium  hat  hier  gegenüber  Belgica  den  Vorzug,  daß  er  unuiißver- 
ständJich  das  Land  der  Belgae  vor  der  römischen  Okkupation  bezeichnet,  während  mit 
Belgica  vorzüglich  die  römische  Verwaltungsprovinz  gemeint  ist.  Ebenso  mag  für  die  vor- 
römische Celtica  das  von  Livius  verwendete  Celticum  gelten. 

PhÜ.'hist.  Klasse.    1911.    Ahh.  IL  5 


34  Morf: 

Das  ganze  »pikardische«  Sprachgebiet,  das  auf  Karte  VII  als  grüner 
Kern  hervortritt,  ist  also  von  den  Stammesgrenzen  der  Ambiani,  Bello- 
vaci,  Viromandui  und  Nervi i  eingefaßt  und  schließt  auch  die  Atre- 
bates  und  Morini  in  sich. 

Nun  muß  in  diesem  Zusammenhang  auffallen,  daß  durch  die  Sprach- 
grenze der  dreifachen  Isophonen  e,  f,  k  heute  die  Bellovaci,  die  Viro- 
mandui und  die  Nervii  von  den  Suessiones  und  den  Remi  getrennt 
erscheinen,  die  ja  auch  Belgae  waren.  Die  heutige  Sprachgrenze  geht 
also  mitten  durch  das  alte  Belgium: 

Der  südöstliche  Teil  des  alten  Belgium  gehört  heute  nicht  zum  belgo- 
romanischen,  sondern  zum  franzisch-cliampagnischen,  d.  h.  zum  kelto- 
romanischen,  dem  französischen  Idiom.  Und  so  war  es  auch  im 
Mittelalter,  soweit  wir  die  Sprache  dieses  Landesteils  zurückverfolgen  können. 

In  sehr  alter  Zeit  muß  also  das  Land  der  Suessiones^  und  der  Remi 
sich  sprachlich  aus  dem  belgoromanischen  Verbände  gelöst  haben.  Hierin 
liegt  ein  kulturhistorisches  Problem.  In  der  Geschichte  der  Cliampagnc 
muß  seine  Lösung  gesucht  werden.  Vorläufig  mag  hier  auf  die  Charakte- 
ristik hingewiesen  werden,  die  sich  für  die  Remi  einerseits  und  die  Bello- 
vaci anderseits  aus  Cäsars  Schilderung  seiner  Kämpfe  mit  den  Belgae  er- 
gibt. Die  Bellovaci,  die  noch  heute  ihre  sprachliche  Eigenart  bis  in  die 
Ile-de-France  hinein,  bis  vor  die  Tore  der  Stadt  Paris,  behaupten,  sind 
jenes  trotzige  fährende  Volk  der  belgischen  Föderation,  von  dem  es  {fjpll. 
gall. 11,  4,  5)  heißt,  daß  es  virtute  et  auctoritate  et  hominum  numero 
hervorrage,  und  das  an  der  Spitze  des  Widerstands  gegen  das  Römertum 
schritt.  Die  Remi  aber  sind  die  verrömerten  Überläufer,  deren  Land 
nicht  zu  den  nördlichen  Stammesgenossen,  sondern  zu  den  südlichen  Er- 
oberern neigte. 

Jedenfalls  ist  die  Tatsache  zu  konstatieren,  daß  die  Romanisierung 
des  Gebietes  der  Remi  und  der  Suessiones  nicht  aus  der  nämlichen 
Richtung  gekommen  sein  kann  wie  die  der  Nervii,  Viromandui  und 
Bellovaci.  Denn  die  heutigen  Patois  dieser  Gebiete  gehen  nicht  inein- 
ander über,  sondern  prallen  aufeinander.  Es  sind  zwei  Sprachwellen,  die, 
aus  verschiedenen  Himmelsgegenden  kommend,  zusammenstoßen  und  in 
einem  hohen  Wellenkamm  aneinander  aufsteigen. 


'    Suessiones  qui  Remis  erant  attributiv  Hirtius,  b.  (/all.  VIII,  6,  2. 


Zur  spracMirhen  Gliederung  Frankreichs.  35 

Die  Mundarten  der  Champagne  verlieren  sich  allmählich  in  die  Patois 
der  südlichen  Nachbarn,  der  Burgunder.  So  scheint  die  Romanisierung 
der  Remi  einst  von  Süden  gekommen  zu  sein.  Man  hätte,  der  Karte  nach, 
daran  denken  können,  daß  sie  von  Osten,  von  Trier,  ausgegangen  wäre,  das 
durch  eine  Heerstraße  mit  Reims-Soissons  verbunden  war.  Aber  in  diesem 
Falle  hätte  das  Gebiet  seinen  belgoromanischen  Sprach  Charakter  bewahrt. 

Dieser  Sondercharakter  ist  im  nördlichen  Landesteil  der  Nervii,  Viro- 
mandui,  Bellovaci,  Ambiani'  usw.  herrschend  geblieben,  d.  h.  ihre 
sprachliche  Romanisierung  hat  sich  von  einem  eigenen  Zentrum  aus  voll- 
zogen. Sie  kann  nicht  von  Süden  gekommen  sein.  Es  könnte  an  das 
östliche  Trier  gedacht  werden,  wenn  das  Tal  der  Mosel  bessere  Verbin- 
dung mit  der  belgisclien  Tiefebene  besessen  hätte.  Doch  zeigt  ein  Blick 
auf  die  Karte,  daß  der  Straßenzug,  der  vom  Rhein  an  die  Seinemündung, 
von  Köln  über  Tongern,  Bavai,  Cambrai,  Arras,  Amiens,  Beauvais, 
Ronen  nach  Lillebonne  führte,  als  das  eigentliche  Rückgrat  des  belgo- 
romanischen Gebietes  erscheint.  Diese  Straße  brachte  wohl  den  Belgae 
das  sprachliche  Romanentum,  das  sie  dann  so  eigenartig  geprägt,  so  zäh 
festgehalten  haben.  Und  nicht  nur  festgehalten !  Sie  haben  es  auch  weiter- 
gegeben und  es  über  die  Seine  hinaus  nach  Westen  bis  zu  den  Venelli 
getragen.  Wenn  im  Osten  die  Remi  dem  sprachlichen  Belgium  verloren 
gingen,  so  wurden  im  Westen  der  ganze  breite  Küstenstreifen  hinzugewonnen. 

Ich  habe  früher  {Bull,  de  dlalect.  rom.  I,  14  ff.)  zu  zeigen  versucht,  wie 
die  Romanisierung  des  mittleren  Gallien  von  Lugdun  um  ausgegangen, 
Avie  »Lugdunum  zum  sprachlichen  Schicksal  für  Gallien  geworden« 
sei.  Dieses  caput  Galliarum  hat  das  Celticum  romanisiert.  Das  Kelto- 
romanische,  d.  h.  das  Französische,  hat  sich  von  Lugdunum  aus  nach 
Norden  und  nach  Westen  verbreitet.  Nach  Westen:  jener  Heerstraße 
entlang,  die  über  Augustodunum,  Avaricum,  Limonum  nach  Burdi- 
gala  führte  und  die  einen  Querriegel  keltoromanischer  Sprache  von  Ost 
nach  West  durchs  Land  zog  und  das  Vordringen  des  narbonensischen  (d.  i. 

provenzalischen)    und   aquitanischen  (d.  i.  gaskognischen)  Latein  hemmte". 

\ 

'  Es  sind  die  Condrusi  für  den  wallonischen  Osten,  die  Veliocasses  und  Ca- 
letes,  die  nach  Cäsar  auch  Belgae  waren,  für  den  norniandischen  Westen  hinzuzufügen. 

*  Da  auf  Karte  VII  noch  Platz  bleibt,  so  skizziere  ich  dort  den  Verlauf  der  charak- 
teristischen südfranzosischen  Isophonen  und  den  der  via  romana  von  Lyon  nach  Bor- 
deaux und  von  Vienne  nach  Aosta,  um  das  in  Bull.  cle.  dial.  rom.  Gesagte  zu  illustrieren. 


36  Mokf: 

Nach  Norden:  durch  das  Tal  der  Saöne  ins  Tal  der  Seine  und  Marne, 
ins  Belgium  hinein,  wo  nördlich  von  Reims  und  Soissons  das  Kel to- 
romanische auf  das  Belgoromanische  stieß,  das  ihm  anderthalb  Jahrtau- 
sende lang  Widerstand  geleistet  hat  und  erst  heute  zu  weichen  beginnt, 
da  Lugdunum  seine  führende  Rolle  längst  an  Lutetia  Parisiorum  ab- 
gegeben hat. 

So  ist  der  sogenannte  pikardische  Dialekt  Nordfrankreichs  auf  der  eth- 
nischen Grundlage  der  Belgae  erwachsen.  Er  ist  nach  seinem  Ursprung 
belgisch  ausgesprochenes  Latein,  gerade  so  wie  das  Französische  keltisch 
ausgesprochenes  Latein  ist.  Aber  wenn  das  »Pikardische«  in  seinem  Ur- 
sprung belgoromanisch,  d.  h.  die  romanische  Sprache  des  Belgium  ist, 
so  deckt  es  sich  in  seiner  Weiterentwickelung  nicht  mit  dem  Gebiet  dieses 
Belgium.  Die  Entwicklung  eines  Idioms,  seine  Ausbreitung,  seine  Be- 
schränkung, sein  Zurückweichen  ist  nicht  durch  die  Grenzen  des  alten 
Volkstums  gegeben,  das  einst  die  Grundlage  gebildet  hat,  sondern  ist  durch 
die  Kulturverhältnisse,  besonders  durch  den  Verkehr  bedingt.  Die  Grenzen 
jenes  Volkstums  brauchen  Sprachgrenzen  weder  zu  werden  nocli  zu  bleiben. 
Sie  werden  und  bleiben  Sprachgrenzen  nur  insoweit  als  sie 
Verkehrsgrenzen  sind. 

Nur  insoweit  die  Stammesgrenzen  der  Belgae  durch  die  römische 
Einteilung  des  Landes  in  civitates  und  durch  die  christliche  Einteilung 
in  Bistümer  zu  dauernden  Verkehrsgrenzen  geworden  sind,  haben  sich  ihre 
Spuren  bis  auf  den  heutigen  Tag  erhalten.  Früh  aber  ist  im  Südosten 
die  Grenze  des  belgischen  Volkstums  sprachlich  dadurch  paralysiert  worden, 
daß  der  Verkehr  des  Stammes  der  Remi  nach  dem  römischen  Süden,  nach 
Lugdunum  hin,  gravitierte. 

Auf  Grund  der  drei  Völker  der  tres  Galliae:  der  Belgae,  Celtae 
und  Aquitani,  haben  sich  drei  romanische  Idiome,  drei  Mundarten:  das 
«Pikardische«',  das  »Französische«  und  das  »Gaskognische«  gebildet  und 
auf  den  viae  romanae  sich  im  Lande  ausgebreitet.  Diese  Straßenzüge 
haben  das  Land  sprachlich  im  Großen  gegliedert".  Die  Einteilung  in  ci- 
vitates, die  von  der  Kirche  aufgenommen  wurde,  hat  dann  im  Laufe 
der  Jahrhunderte  diese  Gliederung  detailliert  und  im  einzelnen  festgemacht. 

^    D.  h.  das  Pikardisch  -  Normandisch -Wallonische. 

^  Dabei  fallen  die  Sprachgebiete  durchaus  nicht  mit  den  drei  römischen  Provinzen 
Belgica,  Lugduneusis,  Aquitania  zusammen. 


Zur  8j)rüchl'idien  Gliederung  Frankreichs.  37 

Obwohl  der  Einfluß  des  Zentralfranzösischen,  des  Frjiiizisclien,  seit  dem 
1 2 .  Jahrhundert  die  anderen  Mundarten  bedrängt,  so  gilt  spraclilich  trotz 
alledem  noch  lieute  das  Wort  Cäsars:  Gallia  est  omnis  divisa  in 
partes  tres\ 

Ich  kehre  zu  meinem  Ausgangspunkt  zurück,  zu  Conon  de  Bethune, 
der  die  Bedrängnis,  die  das  Französische  den  andern  Landessprachen  schuf,  an 
sich  selbst  schon  vor  mehr  als  700  Jahren  so  bitter  erfahren  hat.  Er  war  aus 
dem  Artois  wohl  über  Amiens,  Beauvais  und  Pontoise  nach  Paris  ge- 
kommen". Pontoise  war  die  nördliclie  Eingangspforte  der  lle-de-France, 
gleichsam  ein  Außenwerk  der  Stadt  Paris.  Schon  das  Itinerarium  Antonini 
(bei  Desjardins,  Geographie  de  la  Gaule  romaine  IV,  36)  verzeichnet  diese 
Furt  der  Oise  {Briva  Isarae),  und  zwar  als  den  einzigen  Ort,  an  welchem 
zur  Römerzeit  vom  Norden  her  das  Gebiet  von  Lutetia  Straßenzufuhr 
hatte.  So  verknüpfte  sich  der  Name  dieser  Zugangsstelle  mit  dem  der 
Hauptstadt  Paris  in  Vorstellung  und  Rede  und  mit  einem  Scherzwort,  das 
unter  ähnlichen  Verhältnissen  sich  auch  anderswo  findet,  sagt  im  15.  Jahr- 
hundert Villon  von  sich:  7ie  ä  Paris  empres  Pontoise.  »Von  Pontoise 
sein«  heißt  gleiclisam  aus  der  Ile-de-France  stammen,  ein  Frani'ais  de 
France  sein,  fast:  ein  Hauptstädter  sein.  Das  kann  sich  auf  den  eleganten 
Zuschnitt  der  Kleidung  beziehen:  Pour  sa  rohe  qu' il  vit  franchoisej  Li  sambla 
nes  devers  Pontoise  {Jeh.  et  Blonde  2633);  bezieht  sich  aber  besonders  auf  die 
Sprache,  den  Akzent.  Von  der  lieblichen  Tochter  des  Grafen  von  Oxford 
heißt  es :  U7i  peu  paroit  a  son  langage  Que  ne  fu  pas  nee  a  Pontoise  (ebenda 
358)  und  Conon  sagt  zur  Entschuldigung  seines  Akzentes  und  der  mots 
d' Artois,  mit  denen  er  in  seinen  Gedichten  gegen  den  höfischen  Sprach- 
gebrauch verstoße'^: 

Car  je  ne  Jiii  pos  norriz  a  Pontoise. 


^  Als  viertes  kommt  das  Romanische  der  Narbonensis  hinzu  mid  auch  die  Ur- 
geschichte dieses  »pi-ovenzahschen«  Idioms  verdiente  genauere  Untersuchung.  —  Nachdem 
hier  die  Entwickhmgsgeschichte  des  ßelgoromanischen  und  im  Bulletin  de  dial.  rom.  I  die 
des  Keltoromanischen  skizziert  worden  ist,  geziemt  es  sich,  daran  zu  erinnern,  daß  Tappo- 
1  e  t  durch  seine  Beobachtungen  und  Mitteilungen  (vgl.  Arch.  f.  d.  Siud.  d.  neuern  Spr.  CXV, 
461)  die  Aufhellung  der  Geschichte  des  Aquitanoroinknischen  vorbereitet  hat. 

2  Wenn  er  nicht  mit  seiner  Gönnerin,  der  Gräfin  Marie,    aus  Troyes  herüberkam. 

3  Damit  gebe  ich  den  Sinn  des  Verses :  Et  se  je  sui  outrageus  del  trover  wieder  (vgl. 
Arch.  f.  d.  Stud.  d.  neuern  Spr.  CXXVI,   291). 


Phil.-hist.  Klasse.    1911.    Ahh.  II. 


I 


ANHANG. 


ABHANDLUNGEN  NICHT  ZUR  AKADEMIE  GEHÖRIGER 

GELEHRTER. 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  die  von  den  König- 
lichen Museen  in  Milet  und  Didyma  unternommenen 

Ausgrabungen. 


Von 


Direktor  Dr.  THEODOR  WIEGAN  D 

in  Konstantinopel. 


Phil.-hist.  Klasse.    1911.    Anliang.    Abh.  I. 


Vorgelegt  von  Hrn.  Conze  in  der  Sitzung  der  phil.-hist.  Klasse  am  2.  Februar  1911. 
Zum  Druck  verordnet  am  23.  Februar  1911,  ausgegeben  am  31.  März.  1911. 


JJurch  die  Arbeiten  der  drei  Jahre  1908  bis  Ende  19 10  ist  die  große  Aus- 
grabung zu  Milet  nach  elfjähriger  Dauer  ihrem  praktischen  Abschluß  nahe- 
geführt worden.  Doch  wird  das  wissenschaftliche  Studium  an  Ort  und 
Stelle  noch  mehrere  Jahre  in  Anspruch  nehmen  und  zuweilen  kleinere,  er- 
gänzende Untersuchungen  erfordern,  z.  B.  zur  Aufklärung  der  Straßenzüge. 
Die  Freilegung  des  Apollotempels  zu  Didyma  wird  mit  allen  verfügbaren 
Mitteln  fortgesetzt. 

Während  der  letzten  drei  Jahre  hat  wiederum  Hubert  Knackfuß 
als  Architekt  seine  Kraft  und  Erfahrung  hingebend  zur  Verfügung  gestellt 
und  namentlich  in  Didyma,  wo  ihm  viele  Monate  lang  die  ungemein  schwie- 
rigen Freilegungsarbeiten  anvertraut  waren,  das  Werk  gefördert.  Mit  ihm 
wirkten  Hr.  Regierungsbauführer  Fritz  Krischen  aus  Berlin  und  Hr. 
Diplomingenieur  Armin  von  Gerkan  aus  Riga;  dazu  kam  im  Herbst  19 10 
als  architektonischer  Volontär  Hr.  Manfred  Bühlmann  aus  München.  Hr. 
Krischen  schied  in  diesem  Jahre  zu  anderweitigen  Studienzwecken  vor- 
läufig aus,  nachdem  er  für  eine  seiner  Arbeiten  den  Berliner  Schinkelpreis 
erhalten  hatte.  Archäologischen  Beistand  leistete  im  Herbst  1 908  und  1 909 
Hr.  Prof.  Dr.  Erich  Pernice  aus  Greifs wald,  der  namentlich  die  Beobach- 
tungen in  der  Nekropole  übernahm;  im  Jahre  19 10  trat  Hr.  Dr.  Martin 
Schede  aus  Magdeburg  als  archäologischer  Hilfsarbeiter  ein. 

Mit  tiefem  Schmerz  beklagen  wir  das  Hinscheiden  des  der  Station  derKgl. 
Museen  zu  Konstantinopel  beigegebenen  Direktorialassistenten  Dr.  Georg 
Kawerau,  welcher  am  13.  April  1909  einem  längeren  Leiden  erlag;  wir 
werden  ihm  das  dankbarste  Andenken  bewahren.  Die  von  ihm  fertig 
hinterlassene  Arbeit  über  die  Architektur  des  Delphinion  von  Milet  befin- 
det sich  im  Druck. 

1* 


4  Tu.   Wiegand: 

An  die  Stelle  des  uns  ebenfalls  durch  den  Tod  allzufrüli  entrissenen 
Hauptmanns  Walter  von  Marees  trat  der  Hauptmann  im  Großen  Gene- 
ralstab Hr.  Karl  Lyncker,  welcher  die  mit  besonderen  Mitteln  aus  dem 
Allerhöchsten  Dispositionsfonds  begonnene  Aufnahme  des  Latmosgebirges  und 
der  ionischen  Landschaft  weiterführte;  auch  verdanken  wir  Hrn.  Lyncker 
die  Aufnahmen  der  Stadtlage  von  Myus  und  Herakleia  am  Latmos,  welche 
im  Zusammenhang  mit  den  dort  angestellten  Forschungen  später  im  Milet- 
werke  publiziert  werden  sollen. 

A.  Milet. 
I.  Die  prähistorische  Siedelung. 

Der  Kiliktepe  ist  ein  50  — 100  m  hoher  Ausläufer  der  südlich  von 
Milet  liegenden  Kalksteinberggruppe,  an  welcher  der  heutige  Weg  nach 
Akköi  vorbeifährt  (vgl.  die  Karte  der  milesischen  Halbinsel,  Milet  Heft  I). 
Vor  einigen  Jahren  hatte  der  Kaiserlich  Ottomanische  Regierungskommissar 
Hr.  E.  Meimaroglou  kleine,  glatte  Steinbeile  von  schwarzer  Farbe  dort  auf- 
gelesen und  uns  nahegelegt,  hier  eine  Grabung  zu  veranstalten.  Diese 
fand  im  Herbst  1909  unter  E.  Pernices  Aufsicht  statt. 

Das  Plateau  des  Hügels  fällt  nach  Süden  steil  ab;  hier  führt  ein  tiefes 
Rinnsal  vorbei;  im  Westen  hängt  der  Hügel  mit  der  Gebirgsmasse  zu- 
sammen. Im  ganzen  war  die  Lage  für  eine  verteidigungsfähige  Anlage, 
die  vermutlich  mehrere  Steinringe  hatte,  recht  günstig.  Gleich  am  ersten 
Tag  wurden  in  einem  Graben  i  2  Steinbeile  verschiedener  Größe  und  Form 
gefunden,  auch  eine  Pfeilspitze  und  zahlreiche  Splitter  aus  Obsidian  sowie 
eine  große  Anzahl  grober  handgemachter  Tonscherben,  darunter  eine  mit 
Zickzackmuster,  das  in  roter  Farbe  auf  den  schwarz  angeschmauchten  Grund 
gesetzt  war.  Zwei  Meter  unter  der  heutigen  Oberfläche  deutete  eine  Aschen- 
schicht über  dem  Felsljoden  eine  Wohngrube  an,  die  südlich  von  einer 
80 — 90  cm  dicken  Mauer  aus  kleinen  Steinen  begrenzt  war.  Auch  ein 
zweiter  Graben  südlich  davon  ergab  zahlreiche  Reste  von  Steinbeilen,  Obsi- 
dian und  Scherben,  darunter  solche  mit  Schnürösenhenkeln.  Ein  Graben 
nördlich  lieferte  dasselbe  Resultat,  außerdem  drei  Wohnplätze  mit  Stein- 
mauerresten. Das  Vorhandensein  einer  ausgedehnten  Siedelung  neolithi- 
scher  Periode  ist  damit  erwiesen.  Sehr  wichtig  ist,  daß  sich  unter  dem 
Scherbenmaterial  zwei  griechisch-geometrische  Fragmente  gefunden  haben. 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Bidyrna.         5 

Die  Siedelung  und  ihre  Kultur  reichte  also  bis  in  die  Zeit  nach  der  frühe- 
sten milesischen  Stadtgründung  durch  kretische  Einwanderer  hinab.  Denn 
diese  brachten  » spätmykenische «  Gefäße  mit,  denen  die  geometrische  Ware 
erst  in  einem  längeren  Abstand  folgte. 

IL  Die  archaische  Stadt. 

Im  vorigen  Bericht^  ist  der  Kalabaktepe  (s.  Plan,  Taf.  I  links  unten) 
als  der  Träger  einer  bedeutenden,  befestigten  Anlage  geschildert  worden, 
die  ich  als  den  südlichsten  Teil  der  archaischen  Stadt  vor  494  bezeichnet 
habe.  Es  blieb  aber  noch  nachzuweisen,  daß  die  Ebene,  welche  zwischen 
dem  Kalabaktepe  und  dem  hellenistischen  Mauergürtel  liegt,  ebenfalls  einen 
Teil  der  vorpersischen  Stadt  berge,  und  daß  diese  das  Verbindungsglied 
zwischen  Kalabaktepe  und  der  übrigen  archaischen  Stadt  sei,  deren  Spuren 
wir  innerhalb  des  hellenistischen  Gürtels  vielfach  feststellen  konnten.  Dieser 
Nachweis  ist  jetzt  erbracht.  In  den  beiden  Herbstkampagnen  1908  und 
1909  ergab  die  von  Erich  Pernice  geführte  Grabung  nicht  nur  das  Vor- 
handensein einer  Fülle  von  archaischen  Hausmauern  in  der  genannten  Ge- 
gend, sondern  auch  eine  archaische  Straße,  welche  in  der  Richtung  vom 
Athenatempel  zu  dem  östlichen  Aufgang  des  Kalabaktepe  (von  Norden)  ver- 
lief. Die  Breite  des  geschotterten  Straßendammes  betrug  2,60  m,  die  der 
beiden  seitlichen  Gangsteige  80  cm.  Diese  sind  aus  Kalksteinplatten  von 
etwa  50:70  cm  Größe  gebildet.  Im  ganzen  wurden  sieben  parallele  Gräben 
in  mäßigen  Abständen  in  einem  Gebiet  von  etwa  350  m  Länge  gezogen. 
Sämtliche  Gräben  waren  3  m  breit  und  gingen  bis  auf  das  Grundwasser. 
Das  Gebiet  erwies  sich  im  Westen  als  tief  und  erdig,  die  archaischen 
Mauern  zeigten  sich  unberührt,  oft  bis  nahe  unter  die  Oberfläche  (70  cm) 
reichend.  Im  Osten  war  der  Boden  felsig  und  ansteigend,  infolgedessen 
nahmen  nach  dieser  Richtung,  etwa  nach  der  Gegend  der  heutigen  tür- 
kischen Wasserleitung  zu,  die  archaischen  Mauern  immer  mehr  ab;  ihr 
Material  ist  schon  in  alter  Zeit  weggeschleppt  worden.  Dieser  Zustand 
trat  namentlich  deutlich  hervor,  als  wir  einen  350  m  langen  Graben  von 
der  türkischen  Wasserleitung  ab  bis  zum  einstigen  Strande  zogen;  letzterer 
zeigte  sich  in  Gestalt  von  Meersand  schichten,  auf  welchen  die  westlichsten 


^    Sechster  voiläufiger  Bericht  usw.,  Anhang  zu  den  Abhandlungen  der  Berl.  Akad.  d. 
Wiss.   1908  S.S. 


6  Th.   Wiegand: 

archaischen  Mauern  standen.  Mit  diesem  großen  Graben  hofften  wir  die 
einstige  Breitenausdehnung  der  archaischen  Stadt  an  jener  Stelle  zu  er- 
mitteln, auch  vielleicht  eine  östliche  wehrfähige  Abschlußmauer  zu  finden. 
Indessen  haben  fünf  weitere  große  parallele  Gräben  in  einer  Gesamtlänge 
von  220  m,  die  wir  außerdem  noch  östlich  der  türkischen  Wasserleitung 
bis  auf  den  Grundwasserstand  herabführten  —  manche  davon  bis  zu  6  m 
Tiefe  — ,  den  Verlauf  der  archaischen  Stadtmauer  nicht  ergeben ;  sie  scheint 
also  völlig  abgeräumt  worden  zu  sein.  Aus  dem  völligen  Fehlen  auch  der 
archaischen  Hausmauern  in  jenen  fünf  Gräben  durfte  aber  auch  der  Schluß 
gezogen  werden,  daß  sich  die  vorpersische  Stadt  vom  Kalabaktepe  ab  in 
Gestalt  eines  etwa  ^/^  km  breiten  Uferstreifens  längs  der  Westküste  der  Mile- 
sischen  Halbinsel  hinzog.  Zugleich  wurde  aus  der  fast  völligen  Abwesen- 
heit »mykenischer«  Scherben  klar,  daß  auch  diese  Stadtpartie,  ganz  wie 
der  Kalabaktepe  selbst,  nicht  zu  der  von  den  ersten  Ansiedlern  bevorzugten 
Lage  gehört  hat;  diese  befand  sich  vielmehr  beim  Theaterhafen  und  dem 
Athenatempel  (s.  Sechster  Bericht  S.  8  u.  9).  Erst  im  7.  Jahrhundert  v.  Chr. 
ist  die  Stadt  so  weit  herausgewachsen.  Die  Hauptmasse  der  dortigen 
Scherben  stammte  wiederum  wie  am  Kalabaktepe  von  »milesischer«  und 
Fikelluraware,  daneben  erschien  Geometrisches  sj)ärlich.  Zahlreich  dagegen 
waren  attische  Scherben:  jedoch  fand  sich  keine,  die  später  als  der  Anfang 
des  5.  Jahrhunderts  gewesen  wäre.  Als  Beispiel  erwähne  ich  den  Boden 
einer  attisch  sf.  Schale,  einen  Jüngling  mit  Halteren  darstellend,  mit  der  Lieb- 
lingsinschrift AeAr[poc  kaaöc;  es  ist  die  Zeit  des  ausgehenden  6.  Jahrhunderts, 
der  Vasenmaler  Euphronios  und  Kachrylion,  die  damit  bezeichnet  wird. 

Aus  dem  Gesamtbefund  ergab  sich  somit,  daß  der  ganze  Stadtteil  dem 
Perserbrand  zum  Opfer  gefallen  und  später  nie  wieder  besiedelt  worden  ist. 

In  der  Gegend  östlich  vom  Katsartepe,  wo  wir  zuvor  archaische  und 
hellenistisch-römische  Grabfunde  gemacht  hatten,  stießen  wir  bei  der  Suche 
weiter  östlich  weder  auf  Gräber  noch  auf  den  heiligen  Weg  (den  wir  zu 
schneiden  gehofft  hatten),  trotzdem  ein  300  m  langer  Graben  von  3  m  Breite 
bis  auf  den  gewachsenen  Boden  gezogen  wurde. 

III.  Die  hellenistische  Stadtmauer. 
Die  Aufgrabung  derselben  wurde  namentlich  im  Südosten  der  Stadt  mit 
so  gutem  Erfolg  fortgesetzt,  daß  ein  ununterbrochenes  Stück  von  mehr  als 
220  m  Länge  hinzugewonnen  wurde,  in  welchem  zwei  starke  Tore  liegen, 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Didyma.        7 

beiderseits  mit  Türmen  geschützt ;  davon  ist  namentlich  das  östliche  mächtig 
und  wegen  seiner  großen  Ähnlichkeit  mit  dem  sogenannten  heiligen  Tor 
bemerkenswert  (Fig.  i).  Es  gehört  vermutlich  der  älteren  hellenistischen 
Zeit  an.  Hier  wie  dort  finden  wir  das  Tor  zunächst  seitlich  eingefaßt  von 
zwei  Pyrgidien,  welche  den  Wachen  zum  Aufenthalt  gedient  haben.  Der 
Torverschluß  läßt  sich  bis  in  die  Einzelheiten  feststellen.  Daim  folgen 
die  äußeren  großen  Türme,  der  östliche  etwa  7  "/a  m  im  Quadrat,  der  west- 
liche sogar   12^/2  m  breit  und  polygonal  ausgestaltet.    Die  Stadtmauerdicke 


I»°n- 


östliches  Tor  der  helleiiistisclien  Stadtuiauer. 

beträgt  an  jener  Stelle  etwa  4,80  m.  Vor  der  südlichen  Wachenkammer 
fand  sich  ein  großer  hellenistischer  Löwe  auf  einer  archaischen  Rundbasis 
(Durchmesser  95  cm);  diese  trug  in  Buchstaben  des  ersten  vorchristlichen 
Jahrhunderts  folgende,  für  die  Topographie  Milets  wertvolle  Weihung  (Buch- 
stabenhöhe 2 — 3  cm): 

BiAPHC   BiÄPOY   enicTAxAcAC 

T09     NA09     TOY    "AnÖAACONOC 

TOY     AlAYM^COC     KAI     TCIXÖN     k[aI 

n^prwN    KAI   THC   nepi   t6n    kagic- 

5     TÖN     AIAAGNA     AC*AaAaC    ■'AnÖA[A(»)NI 

AiAYMeT  KAI  ■Apt^miai   TTY[eeiH   kai 

Tü)l     AHMCü     lAPYCATO     TÖN 
BCÜMÖN. 


Tu.  Wieg  AND 


i^ 


P-i 


Die  Aufstellung  des  Löwen  auf  dem  gar 
nicht  zu  ihm  passenden  Altar  ist  offenbar 
zur  Zeit  der  trajanischen  Niveauerhöhung 
erfolgt.  Die  Verwendung  der  Marmorlöwen 
als  Wappen  und  Grenzzeichen  Milets  haben 
wir  öfters  beobachtet  —  ich  erinnere  an  die 
Einfahrt  in  die  Bucht  zwisclien  dem  Theater- 
hügel und  dem  Humeitepe,  die  wir  deshalb 
Löwenbucht  nannten. 

Weiterhin  haben  die  mit  umfassenden 
Nachgrabungen  verbundenen  Aufnahmen 
A.  von  Gerkans  das  wichtige  Resultat  er- 
geben, daß  der  am  tiefsten  gelegene  und 
bei  einem  feindlichen  Angriff  am  meisten 
gefährdete  Stadtmauerteil  zwischen  dem 
heiligen  Tor  und  der  Südwestspitze  der 
Stadtmauer  mit  sieben  quadratischen  Tür- 
men von  lo  m  Seitenlänge  verstärkt  war. 
Fig.  2  stellt  die  Mitte  jenes  Mauerzuges  dar, 
der  im  ganzen  aus  acht  Kurtinen  bestand. 
Am  östlichsten  Turm  dieser  Abbildung 
(unten)  bemerkt  man  eine  Treppenrampe, 
die  auf  den  Wehrgang  führte,  dessen  Durch- 
schnittshöhe etwa  8,80  m  (=  20  attischen 
Ellen)  betrug.  Am  oberen  (westlichsten) 
Turme  derselben  Abbildung  bemerkt  man 
ebenfalls  eine  Rampe,  jedoch  ohne  Treppen- 
stufen, als  einfache  Schräge  behandelt,  auf 
der  man  schweres  Material  emporziehen 
konnte.  Die  mittlere  Kurtine  ist  regelmäßig 
ohne  Rampe  erbaut,  so  daß  also  zwei  Kur- 
tinen jedesmal  durch  eine  Rampe  bedient 
wurden.  Die  Verbindung  zwischen  diesen 
erfolgte  in  verschiedener  Weise,  da  die  Pfor- 
ten verschieden  ausgebildet  sind :  bald  waren 
es,  wie  von  Gerkan  beim  mittleren  Turm 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgraimngen  in  Milet  und  Didyma.        9 

der  Figur  2  annimmt,  Übervvölbun,i»en,  l)ald  Holzbrücken,  die  rasch  entfernt 
werden  konnten.  Jeder  Turm  hatte  zwei  Gescliosse,  das  untere  massiv, 
das  obere  wohl  durchgängig  als  Geschützstand  eingoriclitet,  wie  man  es 
jetzt  noch  z.  B.  an  der  Lysimachischen  Stadtmauer  von  Ephesus  beobachten 
kann.  SolcJie  Geschützstände  glaubt  von  Gerkan  vereinzelt  auch  innerhalb 
der  Kurtinen  (Fig.  2   ganz  unten)  annehmen  zu  dürfen. 

Auch  am  äußersten  Südwestende  der  Stadtmauer  fand  sich  noch  ein 
bisher  unbekanntes  Tor;  es  ist  jedoch  bis  auf  Sockelschwellenhöhe  abge- 
broclien,  läßt  nur  nocli  den  profilierten  Sockel  erkennen  und  scheint  der 
späteren  hellenistischen  Epoche  anzugehören. 

Ein  späthellenistisches  Grabepigramm  fand  sich  nahe  der  hellenistischen 
Stadtmauer  (luv.  Nr.  1273,  rechteckiger  Marmorblock,  Hölie  29  cm,  Breite 
94  cm,   Buchstabenhöhe  2  cm): 

ZcünYPON     6l<t>IKPÄT0YC     Yn'   eWOTc     CT^PNOICI     KPY<t>^NTA 
fPOYPü)     AAKPYTÖM     MHTPI     AinÖNTA     nÖSON. 

IV.  Die  hellenistische  Straßeneinteilung  (Taf.  I). 

Wenn  man  die  im  vorigen  Berichte  veröffentlichte  Planskizze  der  Stadt 
(Abh.  d.  Berl.  Akad.  d.  Wiss.  Anh.  1908,  Taf.  III)  mit  der  jetzt  herausgege- 
benen vergleicht,  so  zeigt  sich  in  der  Erkenntnis  der  Straßeneinteilung 
ein  entscheidender  Fortschritt.  Dieser  Gewinn  ist  durch  systematisches 
Suchen  der  Straßenkreuzungen  mittels  Aufgrabung  erzielt  worden.  Es  muß 
jedoch  bemerkt  werden,  daß  auf  der  neuen  Planskizze  die  Straßen  der 
Deutlichkeit  halber  etwas  breiter  als  in  Wirklichkeit  gezeichnet  werden 
mußten,  wie  dies  auch  bei  allen  modernen  Stadtplänen  geschieht;  die  Skizze 
kann  daher  nicht  zur  Grundlage  exakter  Messungen  benutzt  werden. 

Es  ergab  sicli,  daß  der  normale  Abstand  der  Längsstraßen  vonein-, 
ander  rund  29  m  beträgt,  so  daß  man  mit  Bestimmtheit  annehmen  darf, 
es  seien  als  Normalmaß  100  Fuß  zu  29,6  cm  —  also  ein  Plethron  — 
für  die  Insulabreite  zugrunde  gelegt.  Die  Länge  einer  Insula  beträgt  etwa 
55,50  m  oder  175  Fuß  =  13/4  Plethron;  di^se  Länge  pflegt  jedoch  noch 
einmal  in  nicht  gleichmäßiger  Art  von  Querstraßen  durchschnitten  zu  sein, 
je  nachdem  es  das  Gelände  erforderte.  Die  Straßenbreite  beträgt  normaler- 
weise 10  Ellen  (4,40 — 50  m).  Vergleicht  man  die  Maße  der  normalen  mile- 
sischen  Insula  mit  denen  anderer  antiker  Städte,   so  ergibt  sich,  daß  das 

Phil.-hist.  Klasse.  1911.    Anhang.    Ähh.  J.  2 


10 


Tu.   Wieg  AND 


6 

CO 


fs^l 


^-i^ 


o 


Fig3. 
-•o6''c9^  — 


■Sz'Gzi-- 


-9i.'fin 


q1'<^-z,i 


-^7;6'n^ 


■jirarLfa- 


^l-h'^l^f — o  ^'zz — ^ 


Südmarkt,  älterer  Zustand;  rechts  die  Halle  Autioclios'  I. 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milel  und  Didr/ma.      1 1 


^ 


Fig.  4. 


^9 


bs).- 


*'-hP- 


< 


Siidiiiarkt,  späterer  Uml)au;  oben  rechts  das  Markttor. 


12  Th.   Wieg  and: 

langgestreckte  milesische  Verhältnis  von  loo  zu  175  Fuß  oder  4  zu  7 
sich  sehr  erheblich  von  dem  zu  Priene  (120  zu  160  Fuß  oder  3  zu  4) 
unterscheidet,  ebenso  von  dem  zu  Alexandria  (1000  zu  1 200  Fuß  oder  5 
zu  6). 

Daß  wir  liiermit  auch  die  Straßeneinteilung  der  Hippodamischen  Zeit 
gefunden  haben,  ist  nicht  anzunehmen.  Nach  verschiedenen  Spuren  zu  ur- 
teilen, scheint  die  Stadt  des  5.  Jahrhunderts  eine  entschiedener  nach  Nor- 
den laufende  (lesamtrichtung  gehabt  zu  haben  als  diese  hellenistische,  die 
vielleicht  erst  nach   der  makedonischen  Eroberung  angelegt  wurde. 

V.  Markt  und  Hallenanlagen. 

Zu  den  großen  Fortschritten  in  der  Erkenntnis  des  Stadtl)ildes  gehört 
auch  die  Feststellung  der  Südgrenze  des  hellenistischen  Südmarktes,  mit 
welcher  wir  nun  sämtliche  Maße  dieser  Riesenanlage  gewonnen  haben.  Es 
zeigt  sich,  daß  sie  den  größten  bisher  aufgedeckten  hellenistischen  Markt, 
den  von  Magnesia  am  Mäander  (Magnesia  S.  107  Taf.  II  und  III),  um  mehr 
als  6000  Quadratmeter  übertrifft.  Es  scheiden  sich  bei  dieser  Anlage 
mehrere  Bauepochen.  Das  älteste  Gebäude  scheint  die  190  m  lange,  nach 
Westen  geöffnete  dorische  einschiffige  Halle  gewesen  zu  sein  (Fig.  3),  die 
mit  einer  dreifachen  Reihe  von  Kammern  ausgestattet  ist:  davon  öffnet 
sich  die  östliche  Reihe  nach  einer  an  der  Ostseite  vorbeiführenden  Straße;  es 
darf  vermutet  werden,  daß  wir  mit  diesem  Bauwerk,  aus  dessen  78  Läden 
und  Magazinen  eine  reiche  Miete  gezogen  werden  konnte,  die  großartige  Stif- 
tung des  Königs  Antiochus  I.  Soter  gefunden  haben,  deren  Einkünfte  für 
das  Didymeion  bestimmt  waren  und  über  welche  das  von  B.  llaussoullier 
in  Didyma  entdeckte  Ehrendekret  ( Haussoullier,  Etudes  sur  l'histoire 
de  Milet  et  du  Didymeion  S.  34  ff.)  berichtet.  Auch  die  übrigen  zwei- 
schiffigen  Hallen  waren  im  dorischen  Stil  erbaut,  die  Innensäulen  ionisch 
mit  glattem  Schaft.  Ursi)rünglich  Waren  die  drei  Eingänge  dieses  Marktes 
ganz  schmucklos,  im  Norden  hat  man  später  einen  Torbau  mit  zwei  Säu- 
len eingefügt. 

Große  Veränderungen  sind  in  späthellenistischer  Zeit,  vermutlich  im 
I .  Jahrhundert  v.  Chr.  erfolgt.  An  der  Gegenüberstellung  der  beiden  Pläne 
Fig.  3  und  4  ersieht  man,  daß  damals  die  Antiochoshalle  in  eine  zwei- 
schiffige  Anlage  umgewandelt  wurde,  so  daß  dieses  System  nun  den  gan- 
zen  Markt    einheitlich    beherrschte.      Der  Südeingang   wurde    l)is    auf  eine 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Didyma.      13 


Fig.  5. 


kleine  Pforte  geschlossen,  der  dem  Rathaus  und  dem  Löwenhafen  zunäclist 
gelegene  Nordeingang  aber  mit  jenem  glänzenden  Prachttor  ausgestattet, 
das  ich  schon  früher  kurz  beschrieben  habe  (Fünfter  Bericht,  Sitzungsber. 
d.  Berl.  Akad.  d.  Wiss.  1906  S.  256,  vgl.  Jahrb.  d.  Inst.,  Anz.  1906,  Bei- 
lage zu  S.  21). 

Daß  der  Markt  viele  Einzelmonumente  getragen  hat,  ist  an  sich  wahr- 
scheinlich und  läßt  sich  auch  aus  den  Funden  erschließen,  die  schon  früher 
in  den  benachbarten  Teilen  der  justini- 
anischen  Stadtmauer    gemacht   wurden. 

Vor  allem  erwähne  ich  die  Teile 
eines  von  Knackfuß  wieder  zusammen- 
gestellten, überaus  zierlichen  und  feinen 
IIallenl)aues  korinthischen  Stils  aus  Mar- 
mor, welchen  der  Demos  der  Milesier 
dem  König  Antiochos  IL  und  seiner  Ge- 
mahlin Laodike  gewidmet  hat  —  denn 
den  frühen  guten  Formen  nach  kann 
der  Bau  nur  der  ältesten  Fürstin  dieses 
Namens  zugeteilt  werden.  Von  der  Weih- 
inschrift des  Architravs  ist  nur  erhalten 

.  .  .  MlJAHCIÜN    und    ...  KAI     BACIAICCHJl     AaOAI- 

KHi,  obwohl  fünf  Interkolumnien  des  Baues 
gesichert  sind.  Die  Auffindung  eines 
korinthischen  Bauwerks  aus  der  ersten 
Plälfte  des  3.  Jahrhunderts  v.  Chr.  ist 
natürlich   für   die   Architekturgeschichte 

von  großem  Wert.  Die  Säulen  hatten  attische  Basen,  der  Schaft  war  unten 
49  cm  dick,  und  die  Kapitelle  zeigen  eine  eigenartig  zarte,  von  den  späte- 
ren Typen  ganz  abweichende  Form ;  fär  die  Entwicklung  des  korinthischen 
Stils  sind  sie  daher  von  größtem  Interesse  (Fig.  5).  Über  dem  Architrav 
(zwei  Faszien  und  Eierstab)  folgte  sogleich  der  Zahnschnitt,  darüber  Hänge- 
platte  mit  Rankensima  und  Löwenköpfen. \  Es  ist  wichtig,  daß  bei  diesem 
frühkorinthischen  Bau  das  später  kanonisch  gewordene  Konsolengesims 
noch  ganz  fehlt;  es  ist  also  ein  akzidentielles  Element.  Auch  die  Kassetten- 
decke ist  erhalten;  sie  ist  in  rautenförmige  kleine  Felder  eingeteilt  und 
liegt  auf  Innenarchitraven,  die  mit  lesbischem  Kyma  abschließen.     In  den 


Kiipitell  des  Laodikebaues. 


14  Th.   Wieg  AN]): 

Rauten  sind  Rosetten  auf  blauem  Grund  gemalt;  das  die  Grundfläche  um- 
fassende Kyma  zeigt  einen  aufgemalten  Eierstab  auf  rotem  Grund.  Offenbar 
stand  dieses  feine  Gebäude  an  einer  der  verkehrsrreichsten  Stellen  der  Stadt, 
und  vermutlich  haben  wir  in  ihm  Teile  eines  Denkmals  wiedergefunden,  wel- 
ches die  Milesier  aus  Dank  für  die  Befreiung  ihrer  Stadt  vom  Tyrannen 
Timarchos  nacli  259  dem  eeöc  Antioxoc  (261  —  246)  und  seiner  Stief- 
schwester-Gattin Laodike  errichteten. 

Westlich  des  Südmarktes  läuft  eine  schmale  Gasse,  die  in  späterer 
Zeit  von  einer  öffentlichen  Latrine  versperrt  worden  ist,  welche  für  50  Per- 
sonen zu  gleiclier  Zeit  Platz  hatte.  Jenseits  dieser  Straße  liaben  wir  die 
Fundamente  und  Reste  vom  Oberbau  einer  gewaltigen  zweischiff  igen 
Hallenanlage  hellenistischer  Zeit  aus  Marmor  gefunden,  deren  Länge 
163,36  m,  die  Breite  13,37  m  beträgt.  Die  südliche  Schmalseite  liegt  in 
einer  Flucht  mit  der  Straße,  welche  von  Westen  her  in  die  Mitte  des 
Marktes  führte.  Auch  hier  hat  Knack  fuß  die  Architektur  des  Oberbaues 
zusammengefunden,  wie  sie  in  Fig.  6  dargestellt  ist;  an  der  Halbsäulen- 
verteilung  auf  hohem  Sockel  und  an  der  Bildung  der  Kapitelle  mit  pla- 
stischem Eierstabechinus  offenbart  sich  die  große  Verwandtschaft  mit  den 
Schmuckformen  des  Rathauses,  nur  daß  dessen  Triglyphenfries  hier  fehlt; 
den  technischen  Kennzeichen  nach  ist  der  Bau  jünger  als  das  Rathaus 
und  somit  von  ihm  beeinflußt.  Im  alten  Verbände  erhalten  ist  eigentlich 
nur  das  kellerartige  Untergeschoß,  dessen  Innenstützen  unten  aus  quadra- 
tischen, unverputzten  Marmor-  oder  Brecciablöcken  bestand,  oben  aus  Porös. 
Die  westliche  Langseite  ist  bis  unter  die  Schwellhöhe  zerstört,  der  an- 
stehende Felsboden  liegt  in  jener  Höhe  frei;  hier  können  die  Hauptzu- 
gänge gewesen  sein.  Sicher  geschlossen  waren  im  Obergeschoß  die  ganze 
östliche  Langseite  und  die  südliche  Schmalseite;  infolge  tiefer  Zerstörung 
ist  der  Zustand  der  nördlichen  Schmalseite  unbekannt.  Das  Ganze  muß 
ein  großes  Magazin,  wahrscheinlich  ein  städtischer  Getreidespeicher 
gewesen  sein,  wie  er  zu  den  wesentlichsten  Einrichtungen  einer  befestigten 
Stadt  gehörte.  Welche  Rolle  die  Getreideverteilung  schon  im  Zeitalter  des 
Hellenismus  in  den  griechischen  Emporien  gespielt  hat,  hat  uns  das  Gesetz 
zur  Verteilung  von  Brotkorn  auf  Samos  wieder  gezeigt  (Sitzungsber.  d. 
Berl.  Akad.  d.  Wiss.  1904,  S.  917),  und  eine  milesische  Urkunde,  auf  die 
ich  später  zurückkommen  werde,  wird  es  von  neuem  zeigen.  Für  den 
speicherartigen  Charakter  des  Gebäudes  ist  besonders  beweisend,  daß  die 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Bidyma.      15 

inneren  Stützpfeiler  des  Untergeschosses  nach  der  Art  ihrer  Bearbeitung 
nur  Holzstützen  getragen  haben  können.  Entsprechend  dem  profanen  Ge- 
brauch des  Bauwerks  hatte  es  an  den  Schmalseiten  keinen  Giebelschmuck, 
sondern  ein  abgewalmtes  Satteldach.  Als  der  Bau  durch  Brand  zugrunde 
ging  und  in  trajanischer  Zeit  repariert  wurde,  störte  seine  Länge  den  Stadt- 
plan derartig,  daß  man  quer  durch  ihn  die  an  der  Südseite  des  Rathauses 

Fig.  6. 


zjcm 


\^oI-\. 


SüdiVoiit  (Schnialsf'ite)  dei-  großen  Getreidehallc  neben  dem  Serapistempel. 

vorbeiführende  Straße  legte,  so  daß  nun  zwei  Hallen,  eine  kürzere  und 
eine  längere,  entstanden.  In  noch  späterer  Zeit  wurde  zwischen  dem  Keller- 
geschoß und  dem  Südmarkt  eine  direkte  Verbindung  durch  eine  Tür  her- 
gestellt. 


VI.  Heiligtüiher. 

Wahrscheinlich  hat  der  Innenraum  des  Südmarktes  einen  Tempel  des 
römischen  Volkes  und  der  Roma  getragen.  Von  der  Architektur  hat 
sich   bis  jetzt   freilich  nur  ein  großes  Stück  der  Ante  nachweisen  lassen, 


16  Th.   Wieg  and: 

dieses  aber  überliefert  uns  den  Teil  einer  Kultinschrift  (Inv.  Nr.  1250a 
und  b,  erste  Abschrift  von  Pernice;  gefunden  in  der  Justiniansmauer  am 
Markt,  Höhe  110  cm,  Breite  53  cm,  Durchmesser  66  cm.  Buchstabenhöhe 
1,5  —  2  cm;  rote  Farbe  in  den  Buchstaben  vielfach  erhalten): 


Linke   Seitenfläche: 
ArAeH   T^xH.    ""O   npiAMeNOc  thn 

tePWCYNHN     TOY     AHMOY     TOY    ""Pü)- 
MAICÜN     KAI     THC    ""PdOMHC     l^Pewfc) 

AnorpArei    nAPAXPHMA   npöc 

5     TOYC     TAMIAC     KAI     BACIAgTc     AN- 
APA     MH     NGCibTePON     GTÖN     stKOCI  " 

Ö   AG   AnorpA<t)eic   lePHcejAi   eth 

TPIA     KAI     MHNAC     OKTCJ     APXONTOC 

MHNÖc   MeTAreiTNitoNOC   TOY   eni 

10     CTG^ANH't'ÖPOY     KPATINOY     H     AAAON 
nAP^IGTAI     TÖN     lePHCÖweNON     AN- 
e'   GAYTOY,     KATA     TAV'TA    TGAeceeiC     All 

TeAeciOYPrw    kai   ahtgtai   hapa   toy 

TAMIOY     eTOYC     GKÄCTOY     TO?     MHNOC 
15    TOY    Taypgconoc    THI    NOYMHNIA    APA- 
XAAAC     eiAKOCIAC     KAI     GYCei     TW     Al^- 
Mü)    TÖN    '^PCOAAAICON     Ka]     THI    ""PtiÖMH     TH     MGN 
NOYMHNIA     TO?     TAYPeWNOC     MHNOC 
lePeTON     T^AGION,     TH     AG     ENAeKÄTHI 
20     TG?     A'Y'TOY     MHNÖC     eYCTCOCAN     Ol     61- 
CIÖNTGC     eiC     THN     APXHN     TYMNACl- 
APXOI     MGTÄ     TW-N     64>HBa)N     IGPGToN     TG- 
AGION     Tü)l     AHMü)l     Tü)l    ""PcOMaIuN     KAI 
TH    ""PdOMH,     ÖMOlCaC     AG     KAI     Ol     63EIÖNTGC 
25     TyJmNACIAPXOI     eY^TWCAN     MGTA 
TÖN     GAYTÖN     G3EG<t>HBa)N     IGPGToN 
T^AGl]0N     KAI     AIAÖTCOCAN     GKÄT6[po]| 
TCü     tcPG?    TA     r^PH<(l)    TA     rGrPAMAA[^NA 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Didyma.      1 7 

Vorderfläche: 

KAI     eiC     TAAAk     AeA^MATA     MGRIZCON     CKAC- 
TOIC     TA     KAehlKONTA     AOAA,     TieeiC     KAI     GIC     A- 
NÄeeCIN     ABAA,     OnAA     nOAeMICTHPIA     MH 
eAÄCü)     TPIÖN     eXONTA     KAI     TI^N     enirPA<t>HN 

5   TOY   agaAmatoc,    noio'y'AAeNOc   jfiu    gnao- 

3E0TÄTHN     nePI     TOYTCON     CnOYA^N     AKOAO^- 

ecoc  TH   To9   Ai^AAOY   [npöjc  TÖ   seToN   ev'ce- 

BGIA     KAI     TH    UPOC    '"Pü)[mA1o]  YC     G'Y'XAPiCTIA " 

CYNeniMeAeTceAi   [ag   mgtJa  toy   lepewi   kai 

lo     CYNAlOIKeTN     KAI     TOYC     rYMNAClÄPXOYC     TÖN 

NecoN,   bncoc   oi   XrwNec   uc   eni<j>AN^CTA- 

TOI     riNCüNTAI"     TH     AG     ÖrAOH     ANOM^NOY     T09 

A'Y'TOY     MHNÖC     Tie^Tü)     ATCONA     GN     TH     HAIAl- 

KH     nAAAlCTPA     AANnAAOC     TG     KaI     TÖN     AA- 
15     ACüN     ÄeAHMATü)N     TKtN     nP^nOYCAN     nOIO'Y'- 

MGNOC     XeAOeGCIAN.       CYNGniMGAGTcGAl     A^ 

MGTA     TOYTOY     KAI     CYNAIOIKGTn     TON     ATUNA 

TO'V'C     nAIAONÖMOYC,     THN     A^     TÖN     bnA(i)N     A- 

NÄeGCIN     TGINGCGAI     TÖN     Tie6M^N(i)N     GN     TOTc 
2o    ""PCJMAIOIC     KATA     MGN     TÖ     OAPON     GN     TÖ     TYMNACI- 

ü)     TÖN     N^CON,     GHAN     A^     CYNTGAGCGH     TO    IgpÖN 

THC    TÖMHC,     GN     TÖl    ""PcaMAlO).       9yGTü)     A^     KAI     Ö     16- 

PGWC     6KACT0Y     MHNÖC    TH     NOYMHNIA    TÖ     Ahl- 

MO)     TÖ    ""PCOMAICON     KAI     TH    ""PÖMH     I6PH0N     T^- 
25     AGION,     AABÖN     ÜAPA     TOY     nPYTANG^ONTOC 

TAMIOY     GIC    THN     GYCIAN     APAXmAc     A^KA,     TOY 

AG     GaPTHAIÖNOC     AAHNÖC    TH     GBAOMH     GY^- 

Tü)     Ö     AICYMNHTHC    TÖ     AHMO)    TÖ    ''PcOMAI- 

Ü)N     KAI     TH    '"PÖMH     IGPGToN     T^AGION     BOTkÖN, 
30     KAI     AIAÖTÜ)<(l)     TGPH     TÖ     IGPGT    Va     AlATGTAfM^- 

NA,     GY^TC0<I>    A^     KAI     TG?     MGTArGITNIÖNOC 

TH     AWAGKÄTH     KATA     TA?TA     KAI     TA     T^PH     Al- 

AÖTCO<(l)*     GAN     AG     Ö     GGOC     nPIHTAI     ThIN     AICY- 

MNHT^N,     GY^TCÜCAN     Ol     HPOC^TAIPOI 

Phil.-hist.  Klasse.    1911.    Anhang.    Abh.  I.  ^ 


18  Th.   Wieg  and: 

35     TO?     eeOY     GN     eKAT^PA     HMGPA     IGPHON     T^- 

ACION     Ka]     tA     r^PH     AIAÖTCOCAN     TW     lePcT 

TA     TeTATM^NA.       ToY     AG     MHNOC     TOY     Boi- 

AJPOMICONOC     TH     OKTWKAIAGKÄTH     GY- 

^t]ü)CAN     Ol     neNTHKONTA     APXONTeC    tePH- 
40     ON     [TGAeijON     YIKÖN     KAI     AIAÖTCOCAN     T^PH     t[Ö 

iGPeij      -      -      - 

Die  Inschrift  gewährt  einen  tiefen  Einblick  in  das  energische  politische 
Bestreben  der  Römer  des  letzten  vorchristlichen  Jahrhunderts,  dem  Genius 
ihres  Volkes  in  religiöser  und  pädagogischer  Hinsicht  Achtung  zu  ver- 
schaffen. Daher  der  Bau  eines  ''PwmaTon,  dem  die  Einrichtung  des  Kultes 
schon  vorausgegangen  war.  Auf  das  heranwachsende  Geschlecht  ist  es 
besonders  abgesehen ;  daher  das  Gymnasiarchenopfer  bei  Beginn  ihres  Amtes 
im  Beisein  der  neuen  Epheben  und  beim  Abtreten  vom  Amt  im  Beisein 
der  Abiturienten  am  1 1 .  Taureon  (daß  das  Schuljahr  im  Juli  endete,  lernen 
wir  hier  nebenbei);  deshalb  das  enge  Zusammenwirken  des  Priestertums 
mit  der  Schule  in  der  Vorbereitung  der  Kampfspiele  zum  Romafest,  wo 
Kriegswaffen  mit  der  Aufschrift  des  Anlasses  die  Prämien  waren  und  Fackel- 
läufe für  die  jüngeren  Knaben  vorgesehen  sind.  In  alledem  tritt  Rom  auch 
da  an  die  Stelle  der  hellenistischen  Fürsten  wie  Antiochos  Theos,  Attalos 
und  Eumenes  IL  von  Pergamon,  deren  Heroenopfer,  Ehrenschmaus  und 
Prachtparade  in  Vergessenheit  zu  bringen  nur  erwünscht  war.  Aber  auch 
von  den  städtischen  Beamten  wird  strikte  Betätigung  durch  Opfer  ver- 
langt; dabei  erfahren  wir  zum  erstenmal  von  den  »50  Archonten«.  Die 
Inschrift  fällt  also  in  die  Zeit  nach  78  V.  Chr.,  wo  Milet  seine  volle  Frei- 
heit nicht  besaß,  und  wo  die  aus  dem  SC.  de  Asclepiade  bekannten  Zu- 
stände herrschten  (IGI.  951,  Z.  19,  vgl.  Brandis  b.  Pauly-Wissowa  II, 
S.  1541);  hier  sehen  wir,  daß  ein  fanfzigköpfiger  Beamtenkörper  dem  Rat 
und  dem  Demos  in  der  Führung  voranging;  die  ganze  Freiheit  hat  Milet 
wohl  erst  von  Antonius,  39  v.  Chr.,  zurückerhalten,  wie  Rehm  aus  den 
Delphinioninschriften  schließt,  weil  es  sich  von  dem  die  karische  Land- 
schaft okkupierenden  Labienus  ferngehalten  hatte. 

Ich  füge  hier  gleich  bei,  was  seit  1907  an  religiösen  Urkunden  sonst 
noch  hinzugekommen  ist:  Neu  ist  der  Kult  des  Apollon  Aykhoc  (Inv. 
Nr.  1104),  wozu  in  Didyma  Artemis  Lykeia  tritt  (Did.  Inv.  Nr.  180).     Zum 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Biäyma.       1 9 

Flg.  7. 


Grundriß  dos  Serapistenipel.s. 

Kult  Aiöc  eAniACON  gesellt  sich  jener  der  eAniAWN -XrAewN  (Inv.  Nr.  1298). 
Der  städtische  Kuretenkult  hatte  auch  in  Didyma  seinen  Altar  (Did.  Inv. 
Nr.  176),  wo  auch  Aphrodite  mit  der  Epiklesis  Katallakteria  heimisch  war. 
(Did.  Inv.  Nr.  177,  Höhe  60,5  cm,  Breite  39  cm,  Durchmesser  41  cm,  Buch- 
stabenhöhe 1,5  — 1,8  cm) : 

GeÖAOTOC    AAeiÄNAPOY 

nPO«HTeY(0N 
7\<t>P0AITH     KaTAAAAKTHPIAI. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  aber  ist  die  Auffindung  des  städtischen 
Serapeion,  auf  das  einzelne  Inschriftenfunde  sclion  vorher  hingedeutet 
hatten,  ohne  daß  man  seine  Lage  hätte  ermitteln  können  (vgl.  Fünfter 
Bericlit,  Sitzungsber.  d.  Berl.  Akad.  d.  Wiss.  1906,  S.  257).  Jetzt  hat  sich 
der  Bau  zwischen  der  soeben  beschriebenen  Getreidehalle  und  den  west- 
lich davon  gelegenen  Faustinathermen  gefunden,  dicht  beim  Markt,  wie 
es  Vitruv  für  Serapis  und  Isis  (II  7,  S.  30,  10,  Rose)  verlangt  (Fig.  7). 
Der  Pronaos  springt  in  den  Platz,  den  man  hier  ziemlich  geräumig  vor- 
aussetzen wird,  5  m  vor.  Der  Grundriß  zeigt  drei  Schiffe  mit  ionischen, 
glatten  Marmorsäulen  —  die  attischen  Basen  stehen  zum  Teil  noch  in  situ, 


20 


Tu.   Wiegan  I) 


CO 


■f. 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Didyma.      21 


Fig.  9. 

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ionische  Kapitelle  sind  in  der  Nälie  gefunden.  An  der  Stelle  der  Nord- 
wand, wo  man  die  Kultbasis  erwarten  sollte,  steht  ein  Podium,  das  innen 
hohl  war  und  einen  Zugang-  von  der  Ostseite  gehabt  zu  haben  scJieint. 
Dies  ganze  Podium  ist  ein  späterer  Einbau,  dessen  äußere  seitliche  Mauern 
vielleicht  so  hoch  geführt  waren,  daß  das  Ganze  einen  Naiskos  bilden  mochte. 
Die  Architektur  des  marmornen  Pronaos  hat  sich  dad\irch  lange  er- 
halten, daß  er  in  den  Zug  der  justinianischen  Stadtmauer  einl)ezogen  war, 
der  dann  einem  furchtbaren  Erdbeben  zum  Opfer  fiel.  Über  die  zu  Boden 
geworfenen  Trümmer  führte  später 
eine  seldschukkisclie  Straße.  Erhalten 
ist  der  an  drei  Seiten  herumgehende 
Stufenbau  des  Pronaos  mit  fünf  Stufen, 
ferner  liegt  die  Tempelschwelle  noch 
in  ihrer  ursprünglichen  Lage.  Von  den 
vier  glatten  Säulenschäften  des  Pro- 
naos sind  die  meisten  Stücke  vorhan- 
den, ein  Schaft  ist  sogar  vollständig. 
Die  Kapitelle  waren  kompositer  Ord- 
nung, wie  die  erhaltene  Pfeilerbekrö- 
nung bewies.  Das  Gebälk  ist  fast  voll- 
ständig gefunden  und  konnte  wieder 
zusammengefügt  werden,  wie  es  Fig.  8 
darstellt.  Die  Formen  zeigen  die  Tra- 
dition des  zweiten  nachchristlichen 
Jahrhunderts,  doch  sind  die  niedrigen 

Faszien  des  Architravs  sowie  das  zwar  immer  noch  sehr  wirksame,  aber  ver- 
wilderte Rankenwerk  des  Frieses  und  die  Profile  der  Gesimse  Zeichen  einer 
viel  späteren  Entstehung.  Erhöht  wird  dieser  Eindruck  durch  plumpe  Arbeit 
im  einzelnen,  z.  B.  der  die  Mitte  des  Giebelfeldes  einnehmenden  Reliefbüste 
des  Serapis-Helios.  Namentlich  tritt  er  aber  beim  Kassettenschmuck  des 
Pronaos  zutage,  der  die  Büsten  des  Poseidon  und  Hermes,  der  Athena  und 
Artemis,  des  Herakles,  der  Musen  und  des  Didymeischen  Apollo  zeigt.  Nur 
die  letztere  ist  mit  sichtlicher  Sorgfalt  und  offenbar  aus  der  Vorstellung  des 
gesehenen  Kanachosvorbildes  gearbeitet,  so  daß  sie  uns  in  der  Er- 
kenntnis jener  Schöpfung  wieder  ein  Stückchen  weiterbringt  (Fig.  9).  Für 
die  Anordnung  der  Haare  ist  es  zuverlässiger  als  das  milesische  Theaterrelief 


Kassetteiifragmciit  mit  der  Büste  des 
Kauachos-Apollo. 


22  Th.  WiE(iAND: 

(R.  Kekule  von  Stradonitz,  Sitzungsber.  d.  Berl.  Akad.  d.  Wiss.  1904, 
S.  797)  mit  seinem  späten  Kopfputz  und  seiner  gar  zu  groben  Behandlung. 
Wir  sehen  hier  die  Stirn  mit  drei  Reihen  kurzer  Locken  umgeben,  darüber  ein 
doppeltes  Schmuckband,  das  auf  dem  Scheitel  geknotet  ist.  Auch  die  drei 
langen  Locken  über  den  Schultern  sind  sorgfältiger  und  archaischen  Gewohn- 
heiten entsprechender  wiedergegeben  als  auf  dem  Theaterrelief.  Dieselben 
hochgeschwungenen  Brauenpartien,  welche  die  von  Kekule  in  erster  Linie 
zum  Vergleich  herangezogene  Bronze  des  Louvre  so  deutlich  überliefert 
(a.  a.  0.  796;  Kalkmann,  Arch.  Jahrb.  VII,  Taf.  4),  bemerken  wir  auch  hier. 
Auch  wird  es  kein  Zufall  sein,  daß  bei  beiden  das  Auge  in  seinem  äußeren 
Winkel  sehr  lang  gezogen  ist.  Wenn  auch  im  ganzen  der  Kopf  der  Kassette 
weit  entfernt  ist,  den  archaischen  Eindruck  des  Kanachosapoll  unverfälscht 
zu  vermitteln,  wenn  namentlicli  der  Gesichtsumriß  ein  allzu  modernes, 
längliches  Oval  zeigt,  so  erinnert  doch  wieder  der  strenge  Ausdruck  des 
Mundes  mit  der  sehr  markierten  Teilung  der  Oberlippe  an  das  Altertüm- 
liche des  Vorbildes. 

Die  Entstehung  des  Serapistempels  im  3.  Jahrhundert  ist  auch  durch 
den  Charakter  der  Weihinschrift  des  Architravs  gesichert  (Buchstabenformen: 
WHY):  ■'lo^A.  Ayphaioc  MeNeKAHC   eew   enHKÖo)  CAPÄniAi   ev'XHN    kai   th   rAYKYT[ÄTH 

nATPJlAI     TÖ     (so)     nPÖNAON     C^M     nANTl     TW     KOCMü)     GK     TÖN     lAICüN. 

Bei  dieser  späten  Datierung  gewinnt  der  singulare  Grundriß  großes 
Interesse  für  die  Frage  nach  der  Entstehung  der  flachgedeckten  dreischiffigen 
Kirchen  der  frühchristlichen  Epoche.  Wir  sehen,  daß  die  ausgehende  Heiden- 
zeit sich  bereits  des  von  den  altchristlichen  Baumeistern  bevorzugten  Grund- 
risses bedient  hat  und  daß  ihn  letztere  nur  leicht  zu  verändern  brauchten. 

VII.  Das  römische  Heroon  an  der  heiligen  Straße  bei  den  Faustinathermen. 
Dieser  neuentdeckte,  46  m  lange,  28m  breite  Komplex  (Fig.  i  o)  füllt 
den  Raum  zwischen  vier  Straßenlinien,  von  denen  die  östliche  in  Ver- 
längerung des  heiligen  Weges  von  Didyma  nach  der  Löwenbucht  verläuft. 
Es  handelt  sich  um  einen  großen  Säulenhof  mit  Eingang  vermutlich  von 
Norden,  in  welchem  ursprünglich  kein  Innenbau  stand,  der  vielmehr  nur 
an  der  Südseite  fünf  Kammern  hatte;  die  mittlere  war  eine  breite,  sich 
mit  zwei  Säulen  nach  dem  Peristyl  öffnende  Exedra,  die  sich  mit  dem 
Ephebeum  der  Gymnasien  vergleichen  läßt.  An  ein  solches  wirklich  zu 
denken,  liegt  ja  nahe,   doch  ist  es  auffällig,   daß  drei  der  fünf  Räume  sich 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Didyma.      23 

Fig.  10. 


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Grundriß  des  lüjinischen  Heroon  an  der  heiligen  Straße  bei  den  Faustinathernicn. 


24  Th.   Wiegand: 

nach  der  südlich  vorbeiführenden  Straße,  also  in  entgegengesetzter  Rich- 
tung, öffnen.  Es  könnte  angenommen  werden,  daß  die  zwei  der  Exedra 
benachbarten  Räume  aus  praktischen  Gründen  als  Läden  eingerichtet  wurden. 
Der  dritte  Raum  an  der  Südwestecke  war  nur  Durchgang,  und  hierfür 
bilden  die  Palästrazugänge  der  römischen  Caracalla-  und  Diocletiansthermen 
Analogien.  Es  mag  sich  also  ursprünglich  auch  hier  um  eine  kleine 
Palästra  handeln,  ähnlich  der  sogenannten  Curia  Isiaca  zu  Pompeji,  Over- 
beck-Mau,  Pompei"  S.  150.  Das  Peristyl  mißt  im  Lichten  18,21  :  30,95  m, 
es  hatte  38  korinthische  Säulen,  deren  glatte  Schafte  aus  grauem  Granit 
bestehen,  die  zwei  Exedrasäulen  brachten  die  Zahl  der  Stützen  auf  40. 
Die  Säulensockel  waren  altarförmig,  das  Gebälk  zeigt  einen  sogenannten 
Pfeifenfries  und  Zahnschnittgesimse  von  -so  vorzüglicher  Arbeit,  daß  man 
nicht  unterhalb  der  hadrianischen  Ära  datieren  möchte.  Das  Gebälk  der 
Exedra  (Architrav,  Zahnschnittgesims,  aber  kein  Fries)  ist  jedesmal  aus 
einem  Block  gearbeitet. 

In  späterer  Zeit  erhielt  die  Mitte  des  Hofes  einen  nach  der  Ostseite 
zu  verschobenen,  quadratischen  Grab  bau,  der  die  Wirkung  des  feinen 
Peristyls  vollständig  vernichten  mußte  und  eines  der  eklatantesten  Beispiele 
für  den  geschmacklosen  Gräberprunk  späterer  Kaiserzeit  ist.  Wir  fanden 
diesen  Bau  mit  Ziegelschutt  gefüllt,  er  war  also  eingewölbt;  einzelne  trapez- 
förmige Flachziegel  führten  Knackfuß  sogar  zu  der  Annahme,  daß  der 
Bau  mit  einer  Kuppel  gedeckt  war.  Damit  hätten  wir  hier  die  früheste 
in  Kleinasien  nachweisbare  Kuppelbildung.  Das  Innere  des  Raumes  ist 
durch  Blendnischen  mit  Marmorverkleidung  und  Marmorsockel  gegliedert, 
auch  die  Wände  der  Hallen  waren  so  ausgestattet.  Vom  Marmorfußboden 
haben  sich  verschiedenfarbige  Reste  gefunden.  Der  große  Haupteingang 
dieses  Grabgebäudes  lag  in  der  Mitte  der  Nordseite,  ein  westlicher  Neben- 
eingang ist  auffälligerweise  in  eine  Blendnische  gelegt.  Nahe  der  Mitte 
der  Südwand  erhebt  sich  ein  Altaraufbau  auf  zwei  weißen  Marmorstufen 
(3,81:2,40  m).  Über  ihnen  lag  das  untere  Basisglied  aus  schwarzem 
Marmor,  l)estehend  aus  Plinthe  und  Rundstab,  hierauf  kamen  weiße  Marmor- 
orthostaten  von  89  cm  Höhe  und  ein  weißes  Abschlußgesims  (Höhe  32  cm). 
In  der  diesen  Altar  umgebenden  Sturzmasse  fanden  sich  die  Bruchstücke 
eines  reichen  Marmorsarkophags  von  sehr  guter  Arbeit:  ein  Fußprofil  mit 
Mäander,  hierüber  Girlanden,  in  welche  Viktorien  greifen,  sowie  nackte 
männliche  Figuren.     In  den  Zwickeln  unter  den  Girlanden  sind  Seewesen 


Siebenter  vorläuß(jer  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Didyma.      25 


lind  Vögel  dargestellt,  die  an  den 
Früchten  der  Girlanden  picken. 
Fragmente  des  Giebeldaches  zei- 
gen reiche  Eckakroterien.  Nach 
dem  Ausgrabungsbefunde  besteht 
kein  Zweifel,  daß  der  Sarkophag 
auf  dem  altarförmigen  Unterbau 
geruht  hat.  Es  war  also  der  Heros 
selbst,  dessen  sterbliche  Reste  auf 
dem  Opfertisch  seines  Temenos 
niedergelegt  wurden,  gemäß  den 
für  den  Osten  der  antiken  Welt 
so  besonders  typischen  Inschriften 
mit  dem  Beginn:  ö  bumöc  kai  h  en' 
AYTü)  copöc  KTA.  uud  dcm  nach- 
folgenden Namen  des  heroisierten 
Besitzers  (vgl.  ähnlich  Ditten- 
b erger,  Or.GlS.  526);  hier  haben 
wir  dafür  ein  besonders  monu- 
mentales Beispiel.  Da  keinerlei 
Inschrift  gefunden  wurde,  kennen 
wir  den  Inhaber  des  Heroon  nicht. 


VIII.  Das  Stadion. 

Bisher  war  vom  Stadion  nur 
die  etwa  73  m  breite  östliche 
Schmalseite  ausgegraben  worden. 
Die  Parodoswand  war  jederseits 
mit  21,93  m  Breite  ermittelt,  und 
im  Zwischenraum  hatte  sich  ein 
1 6  säuliger,  spätrömischer  Ein- 
gangportikus von  22,75  i^  Breite 
gefunden.  Die  Achsweiten  seiner 
korintliischen  Säulen  betragen 
2,88  m;    nur   die   mittlere  Achs- 

Phü.-Mst.  Klasse.    WH,    Anhang.    Abh.  I. 


^-1 


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26  Tu.   Wieg  and: 

weite  war  breiter  (3,82  m).  Eine  Skizze  des  Grrundrisses  und  des  Arkaden- 
gebälkes ist  Jahrb.  d.  Arch.  Inst.,  Anz.  1906,  Sp.  22  u.  23  gegeben.  Un- 
bekannt blieb  die  Gresamtlänge  der  Bahn  und  der  westliche  Abschluß  des 
Ganzen.  Dieser  ist  im  Herbst  19 10  aufgefunden  worden  und  wird  auf 
Fig.  1 1  veranschaulicht.  Nicht  gebogen,  wie  auf  den  früheren  Plänen  ver- 
mutungsweise angenommen  war,  sondern  geradlinig  schließt  das  Stadion 
mit  besonderen  Parodosmauern  auch  im  Westen  ab  und  läßt  eine  Bahn 
zwischen  den  Wasseruhren  von  rund  185  m  frei.  Denn  sowohl  im  Westen 
als  im  Osten  standen  je  drei  Wasseruhren  in  einer  Reihe  auf  Marmor- 
postamenten. Der  östliche  Abschluß  hat  die  Gestalt  eines  von  zwei  Säulen 
zwischen  zwei  Anten  getragenen  Marmorpropylons  mit  verschließbarer 
Flügeltür,  von  dessen  Vorplatz  aus  sieben  stark  betretene  Stufen  in  die 
Bahn  herabführen.  Hinter  der  Tür  liegt  ein  5,15  m  breiter  Zugang,  der 
weiter  westlich  durch  die  Umfassungsmauer  eines  großen,  in  römischer 
Zeit  veränderten  Bauwerks  begrenzt  wird.  Dieses  war  vermutlich  ein 
Gymnasion,  das  dann,  wie  in  Priene,  mit  der  Bahn  direkt  verbunden  war. 
Das  Propylon  war  ionischen  Stils  und  stammt  aus  bester  hellenistischer 
Zeit,  wie  der  weiter  unten  abgedruckte  Ehrenbeschluß  für  König  Eumenes  IL 
allein  schon  beweist.  Von  den  Architekturteilen  sind  gefunden  zwei  klein- 
asiatisch-ionische Säulenbasen,  einige  untere  Säulen  trommeln,  drei  Stücke 
der  Pilasterkapitelle.  Der  Bau  hat  eine  römische  Reparatur  erfahren,  nament- 
lich sind  alle  Außenarchitrave  ersetzt  worden.  Die  Zalmschnittgesimse  da- 
gegen scheinen  alle  griechisch.  Ein  Fries  wurde  nicht  gefunden.  Die 
Sima  hat  an  der  aufsteigenden  Seite  ein  Palmettenmuster,  an  der  Trauf- 
seite ein  Rankenmuster.  Der  gefundene  Antenblock  mit  der  Inschrift  ge- 
hörte zur  Südante  (an  der  oberen  rechten  Ecke  Bruch,  desgleichen  an  der 
rechten  unteren  Ecke,  Höhe  56  cm,  Breite  67  cm,  größte  Tiefe  des  Blockes 
131,5  cm,  Buchstabenhöhe  2,5  cm.  Die  Schrift  ist  nicht  gut;  auffällig  ist 
die  Verletzung  des  Silbengesetzes  an  den  Zeilenenden): 

■^Gaoig   töi   ai^mcoi  ■    Ol   nPYTÄNeic   KAI   Ol   eiPHMeNOi    eni   th    |^*yaakhi 
e]TnAN  •    eneiAH    baciagyc    Gym^nhc   CYrreNHC   ka[i    <t>\]  - 

AOC     KAI     GYNOYC     KAI     G'Y'ePreTHC     YnAPXCON     THC     nOA- 

ewc   AiA   nporÖNCON    kai    npöc   ahantac   mgn   toyc  ""'Gaah- 

5     NAC     4>IA0AÖia)C     XnÖ     THC     APXHC     AlAKeiMCNOC     KAI 

TAC   nepi   TOYTWN   ÄnoAei3Eeic   «ancpac   ai[a   nÄN- 


Siebenter  vorläufujer  Bericht  ither  Ausyralmngen  in  Milei  und  Didyma.      '11 

7   TCüN    nenoHMGNOc   TÖN    eprcüN    kag'  oti    aT  xe    ka- 

e'   eKÄCTOYC     TÖN     KAIPUN     TeTGAeCM^NAI     KAI 

AI     nAPÄ     TWM     eYePreTHMGNUN     XnHNTHKYTAI     TG!" 

lo     MAI     TW     BACIAeT    THN     nePl     TCON     nPOeiPHWCNCON     BGB- 
AI09CI    niCTIN,     BOYAÖMeNOC    A^    KAI    TA    npoYnApx- 
ONTA     AIA     nPOrÖNCDN     AYTCOI     nPOC     THN     HMeTSPAN     nÖA- 
IN     OIKgTa     KAI     0IAANePCOnA     enAYiHCAl     KAI     THC     e[AY]- 
TOY     nPÖC     TÖ     nAHeOC     AIP^CGCOC     KAAÖN     YnOM[NH]- 

>5     MA     A3EI0N     THC     lAlAC     APeTHC     KAI     TOTc     eniriNo[Me- 
NOIC     YnOAin^CGAl     rPAMATA    {so)    Xn^CTAAKGN     nPOC     T- 
e     THN     BOYAhlN     KAI     TON     AHMON,     Al'   Sn     TÄ     TG     YnÖ     6l[pH- 

NIOY     eM<t)ANICe^NTA     AYTÖI     exe^MGNOC     KAI     THN     n 

nPÖC    TÖN     AHMON     aTpECIN     AIA     TCüN     KATÄ     M^p[oC? 

Dieser  Volksbeschluß  reiht  sich  den  Ehrungen  für  Eumenes  IL  an, 
welche  wir  zum  Teil  schon  durch  seinen  Brief  an  das  koinön  der  lonier 
kennen  gelernt  haben.  (Dittenberger,  Or.  GIS.,  II.  Appendix,  S.  505  ff'., 
Nr.  763:  Sitzungsber.  d.  Berl.  Akad.  d.  Wiss.  1904  III,  S.  14  ff*.);  auch  dort 
erscheint  als  Wortführer  Eirenias  von  Milet,  der  in  Z.  17  der  neuen  Ur- 
kunde wohl  in  Bezug  auf  diese  frühere  Gesandtschaft  angeführt  ist.  Von 
den  dem  Eumenesbrief  vorausgegangenen  Ehrenbeschlüssen  des  Rates  für 
den  König  hat  uns  jetzt  die  Grabung  zu  Didyma  drei  aneinanderpassende 
Fragmente  überliefert  (Did.  Inv.  Nr.  155  und  194a  und  b),  die  am  besten 
hier  gleich  besprochen  werden.  Sie  sind  im  byzantinischen  Festungswerk 
der  Ostfront  des  Tempels  sowie  im  Dorf  und  im  Pronaos  zu  verschiedenen 
Zeiten  ans  Licht  gekommen.  Der  bläuliche  Marmor  war  mindestens  1 10  cm 
hoch,   54  cm  breit  und  17,5  cm  dick,  die  Buchstabenhöhe  beträgt  12  mm. 

/» .  H  N  1// A  ^  I  o 

AhnaiJconoc  thi   gkth   Xnö   [tön   np]ocö[Aü)N 

TÖN     GK     TÖN     AGAü)p]hM^Nü)N     XPHMÄTÜN  '     AGAOXeAl 
THI     bJoYAHI     GA^CGAI     GN     THI     6KKAHCIAI     ANAPAC 
5     A^o],     TOYC     A^     AIPGe^NTAC     nPONOHCAl     OflCJC     KATA- 

CKGJYAcefii    cTtoc   ö    ikanöc    h    Micecoefii    h    uapoxPi 

TOy]     IKANOY     HAI^eOYC     GIC     THN     AIAM^TPHCIN,    YnA 
aIÖCIN     GKACTCOI     TOM     nOAlTÖN     HMIGKTH     Gl     GN     TöFl 


28  Th.   Wieg  and: 

9     MHNI     TCül     AhNAICONI     THI     EKTHI,     GN     Hl     erGNeTO     Ö     BAc[l- 
lo     AGYC     6'Y'M^NHC,     KAI     H     GYC^A     KAI     H     GCTIACIC     CYNTeAe[ceHI 
AieVKPlNOYM^NWN     TÖN     TG     KATÄ     TAC     nOAAnÄC     kTaI 
TAG     eYClAC     KAI     TON     KAGOnAICMON     TÖN     G<OHBa)N 
KAI     TÖN     AAACON     TÖN     AlATGTArweNCON     KATA 
Te]     TÖN     CTG*ANH<}>OPIKÖN     NOMON     KAI     THN     OGPl 
15     IGPeUC^NHC     AIArPA4>HN.       AlPcTceAl     KAI 

g]ic   tön    gihc   xpönon   to?   mhnöc   toy    Taypgü)no[c 

THI     ACOAGKATHI     TOYC     TG     ATOPACONTAC     cTto[n 
H     MICedJCONTAC     THH     nAPOXHN     TOY     IKANOY     HAH- 
eOYC    YnA     AG     TYXHI     TA     nPOGIPHM^NA     THC     nPOc[HK- 
20     oiCHC     ofKONOMIAC.     TOYC     GIPHM^NOYC     ANAPAC 

Gni     THC     KATACKGYHC     TOY     TYMNACIOY     61PHNIAN     61PH- 
Nl]0Y,     ZdbnYPON     'AcKAHniOAWPOY     XnOCYCTH- 
c]aI     gm     MHNI     ApTGMICICüNI     TÖI     6N     TÖI     6NGCTü}t[| 
gJnIAYTÖI    XnÖ    tun    Ö<1>GIAOMGN(jON    gmüdpikön 

25   aJangicdn   taaanta   tpiäkonta   toTc   aipgghcom^- 
noic   gni   thc   ahmociac   tpangzhc   gic   tön    gniay- 

TÖN     TOM     M6TA     TON     AGYTGPON     GGOM     MGTA     MgNG- 
KPÄTHN,     TOYC     A^     XOPHTgTn     ToTc     AIPOYM^NOIC     ANAPÄ- 
CIN     XnÖ     THC     nPOCÖAOY     GIC     TÖN     KATATOPACMÖN     TOY 
30     CITOY,     61IÖNTAC     AG     nAP[AAIA]ÖNAI     TOTc     MG- 
e'   GAYTOYC     TPAnGz[lTAIC        -        -        Cy]m  - 

BÖAAIA     G'Y'AP At]- 

THCAI     TOYC     -         -         - 

IN KATA  \l/l  KJ 

35   tJihm   Micea)[ciN   toy   ci'toy    ka]i    GrrpÄYGceAi    Gfc   tön    [kata- 
AJoroN.    2  B.  leer    '''Ona)[c    ag   thc]    aoiüychc   thphcg(jo[c 

TYrXÄNHI     TA     [6YH4>ICM^NA     KJAI     H     GIC     TOM     BACIA^A 
MnAmH     AIA<J>YAA[xeHI     k]aI     Gtc     TON     Xgi     XPÖNON,     6n[l- 
TNÖCI     AG     KAI     Ol     a[ag]a*OI     AYTOY     BACIAGYC     TG  "7\t- 
40    TAAOC     KAI    "AeHNAlOC     KAI     Ö     YlÖC  ^AtTAAOC    THN     TOY 

AhlMOY     KAI     GN     TOYTOIC     nPOAlPGCIN,     (2  B.    leer)     Ml^     gTnA!     MH- 
GGNI     MHTG     GIÜcTn     MHTG     XNAfNÖNAI     MHTG     nPOecT- 
NAI     MhlTG     XnAPPAYAI     MHTG     GniYH<DICAI,     d)C     AG?    M6- 
TATGeHNAI     TA     XPHMATA     GIC     AAAO     Tl     KAI     MH     YnXpXGlTN 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgralmngen  in  Milet  und  Bidyma.      29 

45     eiC     TÄ     eN     Ttül     YH*ic[MATl]     KATAKeXtOPICM^NA.       'eÄN     a[^ 
TIC     HAPA     TAYTA     nPÄlHI     TPÖnCOI     (oTCül)     OYN,     TÖ     TG     rp[A- 

<t>eN    AKYPON    ec[Ta),    ö   ag    nPAiAC   Ti   TÖN    XneiPH- 

M^NCON     [tGICÄTü)     APAXMAc]     AICXIAIOYC     lePOYC 
t[0Y    "AnGAACONOC     TOY     AIAYMe]eü)C,     ÖMOicüC     A^ 
50  npjÖCTIMON     KAI     TO? 

wem     TA     AIÄ0OPA 

M6NA.     2  B.  leer.     Tö    A^    yh- 

cUICMA     ANATPÄYAI     GIC     CTI^]aHN     AieiNHN     KAI     CTH- 

CAi   es   TAI   lepöi   TOY  'AnÖAAUNOc   t]oy   Aiaym^coc   n[po- 

55  MeNOYC     TOYC   .   . 

kaJtackgyh 

Der  Geburtstag  des  Königs  Eumenes  IL  (geb.  vor  221)  fiel  also  auf 
den  6.  Lenaion  (Januar).  Eine  Spende,  bezahlt  durch  Zinsen  aus  einem 
von  Eumenes  geschenkten  Kapital,  soll  diesen  Festtag  verherrlichen,  an 
dem  jeder  Bürger  6  Hemihekten  =  25^2  Liter  Getreide  bekommt.  Opfer, 
Bewirtung  und  Festparade  der  Epheben  war  selbstverständlich,  und  die 
Ausführungsbestimmungen  dazu  standen  in  der  Dienstanweisung  des  Stepha- 
nephoren  (cTe<i)ANH<»>opiKÖc  nömoc,  Z.  14).  Die  Spende  soll  zur  dauernden  Ein- 
richtung werden,  denn  für  den  Juli  des  folgenden  Jahres,  also  die  Zeit 
gleich  nach  der  Ernte,  soll  die  Getreidekommission  neu  gewählt  werden. 
Eirenias  und  Zopyros,  die  zwei  Kuratoren  des  »Gymnasion«  (Z.  21,  viel- 
leicht war  auch  dies  eine  eumenische  Stiftung?)  sollen  auf  preis  würdigen 
Einkauf  achten  und  zu  diesem  Zweck  im  Monat  April  bereits  von  den 
ewnopiKA  AÄNGiA  (die  also  bis  dahin  eingehen  werden)  30  Talente  an  die 
Leitung  der  öffentlichen  Bank  für  ein  Jahr  überweisen;  von  dem  Zins- 
ertrag soll  der  Getreidekauf  bestritten  werden.  Das  Kapital  wird,  wie 
Z.  30  anzudeuten  scheint,  den  jeweils  nachfolgenden  Bank  Vorstehern  von 
den  abtretenden  übergeben,  den  Schluß  der  Urkunde  bildeten  Bestimmungen 
über  die  ewige  Dauer  des  Beschlusses  und  Verbote  seiner  Aufhebung  bei 
Strafe  von  2  000  Drachmen  für  den  Antragsteller  (Z.  48);  andere  Bußgelder 
sind  aus  dem  Worte  np]öcTiMON  (Z.  50)  zu^erschließen,  aber  nicht  erhalten. 
Endlich  folgen  die  üblichen  Bestimmungen  über  Ausfertigung  und  Auf- 
stellung des  Ganzen  (Z.  53  ff). 

Wenn  man  annimmt,  daß  das  Gymnasion  seine  Gelder  zum  Zinsfuß 
von    10  Prozent  auslieh,  wie  er  in  der  Stiftung  des  Milesiers  Eudemos  er- 


30  Th.    Wieg  and: 

scheint  (Mitte  2.  Jahrhunderts,  vgl.  Ziebarth,  Eudemos  von  Milet,  S.  14), 
so  kamen  1 8  000  Drachmen  Zins  ein.  Den  Preis  eines  Medimnos  Getreide 
kann  man  im  2.  Jahrhundert  v.  Chr.,  da  der  Staat  billig  einkaufte,  mit 
4  Drachmen  annehmen  wie  zu  Priene;  vgl.  v.  Hiller,  Inschr.  v.  Priene, 
Nr.  108,  46  (nach  129  v.  Chr.).  Dann  konnten  9000  Portionen  zu  6  Hemi- 
hekten  gekauft  werden,  und  es  ergäben  sich  ebensoviel  milesische  Bürger. 
Waren  auch  nur  3/^  davon  Getreideempfönger  —  denn  nicht  jeder,  sondern 
vorwiegend  der  ärmere  wird  von  seinem  Recht  Gebrauch  gemacht  haben  — 
so  erhalten  wir  6750  bürgerliche  Haushalte,  die  mit  Einschluß  des  Ge- 
sindes im  Durchschnitt  auf  mindestens  zehn  Köpfe  berechnet  werden  dürfen ; 
das  ergibt  rund  70000  Menschen  ohne  die  Familien  der  Nichtbürger  und 
ohne  die  fluktuierende  Bevölkerung  der  Hafenquartiere  und  der  cynoikiai, 
die  in  der  großen  Handelsstadt  zweifellos  nach  Tausenden  zu  schätzen  ist. 
Man  kommt  damit  auf  einen  Bevölkerungsstand,  wie  ihn  z.  B.  Bremen, 
Köln,  Frankfurt  a.  M.  noch  in  der  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  kaum  hatten, 
und  darf  unter  Zurechnung  der  Landkreise,  jedoch  ohne  die  milesischen 
Inseln,  die  Gesamtzahl  wohl  gegen    100 000  schätzen'. 

IX.  Das  römische  Bad  am  Fuße  des  Humetepe  (Taf.II)  und  die  Faustinathermen 

(Taf.  III). 

Die  nach  Süden  orientierte  Badeanlage  am  Humetepe  ist  der  beste 
bisher  aufgedeckte  Vertreter  einer  Therme  mit  strengem  Haustypus,  wie 
er  durch  die  Peristyle  griechischer  Wohngebäude  und  vor  allem  durch  die 
griechischen  Gymnasien  vorgebildet  war""^.  Die  Anlage  ist  symmetrisch. 
Von  den  Säulenkapitellen  hat  sich  nichts  mehr  gefunden,  dem  Stil  der 
Zeit  nach  sind  in  der  Aufrißzeichnung  von  Gerkans  korinthische  Kom- 
positkapitelle angenommen.  Sämtliche  fünf  Räume  im  Norden  waren  mit 
Hypokausten  versehen  und  wurden  geheizt  von  dem  langen,  schmalen, 
sich  nördlich  anschließenden  Raum  aus,  wo  sich  die  Brandasche  der  drei 
Präfurnien  gefunden  hat.      Diese  heizten  die  drei  mittleren  Räume.     Man 

'  Anders  Beloch,  Bevölkerung  usw.,  S.  228.  der  für  Milet  im  2.  Jahrhundert  v.  Chr. 
nur  von  mehreren  Taiisend  Bürgern  spricht. 

^  tlber  die  Typen  der  Thermen  hat  zusammenfassend  gehandelt  E.  Pfretzschner, 
Die  Grundrißentwicklung  der  römischen  Thermen,  Straßbiirg  1909;  Haustypus:  S.  21  ff.  Die 
literarischen  griechischen  Nachrichten  hat  neuerdings  W.  H.  Chr.  van  Esveld  zusammen- 
gestellt, De  balneis  lavationibusque  Graecorun»,  bes.  S.  142  ff. 


siebenter  vorläußyer  Bericht  über  Ausgrabungen  In  Mllet  und  Dldymu.      31 

kann  sie  also  als  Kaldarien,  die  zwei  äußeren  als  Tepidarien  bezeichnen, 
während  die  südlich  jederseits  vorgelagerten  Kammern  als  zwei  kühle  Räume 
zu  gelten  haben,  von  denen  man  auf  vier  Stufen  zum  kleinen  Kaltbassin 
herabstieg.  Die  von  zwei  Säulen  getragene  Vorhalle  vor  dem  Mittelraum 
war  oft'enhar  das  Apodyterium.  Die  Mitte  des  Hofes  nahm  eine  Wasser- 
kunstanlage ein,  deren  nördlicher  Teil  wohl  ein  langes  Waschbassin  war. 
Das  Peristyl  ist  auf  drei  Seiten  von  Kaufläden  umgeben,  die  sich  nach 
den  Straßen  zu  öflVieten.  In  dieser  Hinsicht  ist  das  Gebäude  mit  den 
drei  Thermen  von  Pompeji  verwandt,  die  überdies  ebenfalls  einen  freien 
Innenhof  aufweisen  (Overbeck-Mau,  Pompei''  S.  200  ff.,  Mau,  Pompei 
in  Leben  und  Kunst  S.  192;  Pfretzschner,  a.  a.  0.  Taf.  III,  4 — 6).  Drei 
schmale  Treppen  führten  zum  Obergeschoß,  wo  sich  vielleicht  nur  niedrige 
Räume  für  das  Personal  befunden  haben.  Der  Raum  zwischen  den  beiden 
schmalen  Treppen  östlich  des  Ilaupteingangs  enthielt  die  Latrine. 

In  später  Zeit  hat  dieses  Gebäude  nicht  mehr  als  Therme  gedient. 
Die  Rauchabzüge  wurden  zugemauert,  die  Hypokausten  zum  Teil  verschüttet, 
Opus  sectile  mit  geometrischen  Mustern  diente  als  Fußboden.  Die  drei 
vorderen  Räume  erhielten  gewöhnliche  Mosaike,  die  so  spät  sind,  daß  ihre 
Rankenbordüre  schon  eine  große  Verwandtschaft  mit  den  großen  früh- 
christlichen Mosaiken  der  Kirche  über  dem  Asklepieion  aufweist  (Sechster 
Bericht,  a.  a.  0.  S.  28).  Erst  in  jener  späten  Zeit  scheint  man  die  an 
der  Südfront  ursprünglich  vorbeilaufende  Straße  durch  einen  großen  Säulen- 
hof ersetzt  zu  haben,  da  dessen  Anlage  große  Nachlässigkeit  verrät. 

Der  im  Sechsten  Bericht  1908  veröffentlichte  Plan  der  Faustina- 
thermen ist  durch  weitere  Grabungen  ganz  überholt.  Der  neue  Plan, 
Taf.  III  (W  ~  Wasserbehälter,  0  =  Heizofen,  B  =  Becken  [alveusj),  zeigt 
vor  allem,  daß  der  Westseite  des  Komplexes  nicht  eine  einfache  lange  Halle, 
sondern  ein  riesenhafter,  fast  quadratischer  Säulenhof  von  25  :  26  Säulen- 
achsen zu  2,50  m  Achsweite  vorgelagert  ist,  dessen  reiche  Marmorarchitektur 
reihenweise  am  Boden  gefunden  wurde,  wohin  sie  durch  Erdbebenkräfte 
geschleudert  worden  war.  Auf  altarförmigen  Basen  stehen  glatte  Schafte, 
Kompositkapitelle,  darüber  korinthisches  Gebälk  mit  Ranken-  und  Blüten- 
fries. Das  Ganze  hat  zum  bedeutendsten  Sclimuck  der  Stadt  gehört;  die 
ungemein  tlotte  und  sichere  Arbeit  muß  von  größter  dekorativer  Wirkung 
gewesen  sein  (Fig.  12).  Reste  von  roten  Farbspuren  wurden  in  den  Kapi- 
tellen festgestellt. 


32 


Tu.     WiEGANJ) 


Fig.  12. 


TIHIIllllT 


J«o» 


SäulciihoC  der  Fau.stinatlioi-incii. 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Didyma.      33 

Ausgezeichnet  erhalten  fanden  wir  einen  an  den  langen  Apodyterion- 
saal  östlich  anschließenden  Raum  mit  Kaltwasserbassin  (B),  zu  dem  man 
auf  fünf  Stufen  herabstieg;  es  hatte  eine  Tiefe  von  1,25  m  und  war,  wie 
auch  die  Treppe  und  der  Umgang,  mit  1 2  mm  dicken  weißen  Marmor- 
platten ausgelegt.     Der  Raum  empfing  Wasser  aus  einer  Zisterne,  die  durch 


Fig.  13. 


Fio-nr  des   Miiiaiidros  in   den  J'iiusriiiiitlu'i'iiK 


Umbau  eines  ehemaligen  quadratischen  Thermensaales  im  Norden  gewonnen 
worden  war;  das  Wasser  entströmte  einem  Marmorsockel  (2,50  m  breit, 
0,50  m  hoch),  der  mit  dem  überlebensgroßen,  Marmorbild  eines  ruhenden 
Flußgottes  (Fig.  13)  geschmückt  war,  natürlich  des  Maiandros,  mit  Füll- 
horn und  Fruchtkranz;  vgl.  z.  B.  Münzen  von  Antiochia  am  Mäander  Cat. 
Br.  M.  Carla,  S.  16  ff.,  pl.  III.  Als  zweiter  Wasserspender  kam  später  auf 
der  Ostseite  ein  etwa  lebensgroßer  Marmorlöwe  hellenistischer  Zeit  hinzu, 
Phil.-hist.  Klasse.    1911.    Anhang.    Ahh.  I.  5 


34  Th.   Wieg  and: 

der  früher  fiir  diesen  Zweck  nicht  bestimmt  war.  Die  Umfassungsmauern 
des  Raumes  sind  bis  zum  Ansatz  des  Tonnengewölbes  erhalten ;  fünf  Türen 
führen  in  diesen  Saal,  der  sechs  Nischen  hat,  nebst  einer  Anzahl  Sitzbänke, 
die  sich  den  Wänden  entlang  ziehen,  jedoch  ursprünglich  ebenfalls  hier 
nicht  gestanden  haben. 

Die  Aufnahme  der  Thermen  hat  nach  Kaweraus  Tode  Hr.  Regierungs- 
bauführer Krischen  übernommen;  insbesondere  hat  er  sein  Augenmerk 
auf  die  Frage  der  Beleuchtung  der  hohen  Säle  gerichtet,  die  ja  für  alle 
großen  Römerbauten  von  Bedeutung  ist.  Hier  wurde  die  Lage  und  Kon- 
struktion der  Fenster  ermittelt,  und  zwar  ließen  sich  drei  Typen  feststellen: 
die  kleinsten  Fenster  haben  etwa  25  qm  Fläche  ergeben.  Der  Gesamtaufbau 
des  Hauptsaales  (Caldarium),  dessen  Höhe  an  den  Schmalwänden  heute 
noch  13  m  beträgt  und  dessen  Scheitelhöhe  im  Gewölbe  einst  23,5  m  be- 
trug, läßt  sich  mit  Sicherheit  feststellen.  Dieser  Hauptsaal  hatte  sechs 
Fenster  zu  25  qm  bei  einer  Grundfläche  von  500  qm.  Da  die  reine  Glas- 
fläche —  denn  Glas  ist  sicher  festgestellt  —  der  sechs  Fenster  75  qm  be- 
trägt, so  ergibt  sich  das  auch  in  moderner  Zeit  für  gut  beleuchtete  Räume 
angewandte  Verhältnis  von  1:7.  Auch  der  Aufbau  der  ül^rigen  Räume 
wird  in  den  wesentlichsten  Zügen  zu  ermitteln  sein.  Die  erlialtenen  Werk- 
stücke geben  sogar  Aufschluß  über  die  Verteilung  der  Abzugsrolire  der  in 
den  Wandtubuli  emporsteigenden  Heizgase. 

Der  Haupteingang  der  Thermen  hat  wahrscheinlich  an  dem  freien 
Platze  gelegen,  welcher  sich  vor  der  Ostseite  des  Stadion  ausbreitete. 
Diese  Gegend  ist  von  türkischen  Dorfhäusern  überbaut,  deren  Beseitigung 
unterbleiben  mußte.  Wir  vermuten,  daß  hier  Säulenhallen  den  äußeren 
Abschluß  nach  Süden  und  Westen  bildeten:  auf  dem  Plan  sind  sie  mit 
einfachen  Linien  angedeutet.  Die  an  die  Spitze  des  Stadion  anstoßende 
Mauer  in  Nord-Süd-Richtung  ist  jedoch  festgestellt. 

X.   Die  frühbyzantinische  Michaelskirche  westlieh  des  Nordmarktes. 

Die  Freilegung  dieser  großen,  im  Herbst  19 10  entdeckten  di-eischiffigen 
Basilika  mit  ihren  zahlreichen  Nebenräumen  ist  noch  nicht  ganz  abge- 
scldossen,  weshalb  auch  von  der  Mitteilung  eines  Planes  abgesehen  werden 
muß.  Jedoch  kann  jetzt  schon  das  Vorhandensein  eines  Atriums  vor  der 
nördlichen  Langseite  hervorgehoben  werden.  Das  Ganze  steht  über  einer 
palastähnlichen  hellenistischen  Hausanlage.    Die  Kapitelle  waren  korintliisch 


Siebenter  vorläufiyer  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Bidyma.      35 

in  mehreren  zum  Teil  wiederverwendeten  Typen,  der  Architrav  ist  mit  einem 
fortlaufenden,  steifen  Pfeifenfries  geschmückt.  Die  Untersuchung  der  Gegend 
der  Ikonostas  ergab,  daß  hier  eine  Marmorbrüstung  mit  offener  Säulen- 
stellung darüber  stand;  in  der  Apsis  fanden  sich  Sitzbänke.  Von  den 
Mosaiken  zeigten  sich  schlichte,  die  Kreuzform  geometrisch  verwendende 
Muster.  Zuletzt  kam  noch  die  Bauinschrift  zutage  (Marmor,  Wandquader, 
Länge  121  cm,  Höhe  23  cm,  Buclistabenhöhe  30  bis  35  mm;  Zeile  5  und  6 
sowie  der  Schluß  von  Zeile  4  fTOY0EO<t>H]  scheinen  auf  Rasur  zu  stehen): 

f  ""Gr^NGTO     nACA     H     «YAOKAAIA  (.90)     TOY     e^KTHPIOY 
APXArr^AOY     MiXAHA,     nPCONOYOYNTOC  {so)    AG     KyPIAKOY 
TOY     XnOTATOY     KAI     TPIC     MAKAPIOTATOY     OIKOYMeN- 
HKOY  {so)     OATPIAPXOY     KAI     '"PoMÄNOY     TOY     eeO*H- 
5     AeCTÄTOY     npeCBC     nPOKOYPÄTOPOC     KAI     eKKAHCieKAIKOY    THC 
MerÄAHC     eKA[HCl]AC     KoYCTANTINOYn     K.       feOPriOY    TOY     AA- 

Nach  diesem  Text  läßt  sich  die  Kirche  mit  Sicherheit  in  das  Ende 
des  6.  Jahrhunderts  datieren.  Denn  Kyriakos,  der  einzige  Patriarch  dieses 
Namens,  saß  von  Ende  595  bis  zum  29.  Oktober  606  auf  dem  Thron.  Die 
anderen  Personen  sind,  wie  Hr.  Prof.  Heisenberg  mir  mitteilt,  nicht  be- 
kannt, »es  müßte  denn  der  letztere  mit  jenem  fecbprioc  identisch  sein,  den 
Maurikios  gegen  Ende  seiner  Regierung  (582 — 602)  als  Gesandten  an 
Chosroes  schickte;  bei  Theophylaktos,  ed.  de  Boor,  S.  282,  19 ff.  heißt  es: 
AiA  TOYTO   ö   AYTOKPÄTcop   Maypikioc   gic   thn  TTepciAA  GieneMYe  npecBYN  fedüPriON, 

bc    THC    TÖN     eCüCON     nÖAeCON    «OPOAOriAC   THN    eniCTACIAN    GK^KTHTO  '    TOYTON    HPAITOÜPIUN 

enAPxoN  XnoKAAOYci  PcümaToi.  Danach  besaß  dieser  Georgios  als  Praefectus 
praetorio  die  Finan /Verwaltung  in  den  kleinasiatischen  Städten  und  wäre 
also  beim  Bau  der  Michaelskirche  in  Milet  als  Geldgeber  in  Betracht  ge- 
kommen, seine  Erwähnung  in  der  Inschrift  also  ganz  passend«. 

B.  Didyma. 
I.   Der  heilige  Weg. 
Im  Jahre  1907   hatten  wir  den  heiligen  Weg  bei  Didyma  in  der  Ge- 
gend  der   archaischen    Sitzbilder   des   Chares   auf  250  Schritte   freigelegt. 
Der  nähere  Befund  ist  im  Sechsten  Bericht  (S.  46)  geschildert.    Nun  galt 

5* 


86  Th.   Wieg  and: 

es,  die  Straße  in  der  Richtung  nach  dem  Tempel  zu  verfolgen;  hierbei 
durfte  man  hoffen,  die  Grenze  des  Asyls  und  den  Beginn  des  kleinen, 
den  Tempel  einst  rings  umgebenden  Städtchens  zu  finden.  In  der  Tat 
hat  sich  dies  und  noch  mehr  feststellen  lassen.  In  einer  Entfernung  von 
etwa  250  m  vom  Tempel  fand  sich  der  letzte  Meilenstein  der  römischen 
Straße,  die  Kaiser  Trajan  vom  heiligen  Tor  zu  Milet  bis  vor  das  heilige 
Tor  zu  Didyma  gebaut  hat.  Die  Inschrift  lautet  (Inv.  Nr.  203,  Kalkstein- 
säule, Höhe  188  cm,  Durchmesser  62  cm,  Buchstabenhöhe   7  cm): 

Ijmp.   Caesar  divi  Nervae 
f.  Nerva  Traianus  Aug. 
Germanicus  pontifex 
max.  trib.  potest.  cos  IUI 
5  viam  fecit 

M.  P  XL 

A'Y'TOKPÄTCJP     KaTcAP 

leer   N^poya  yiöc    Ndp- 
OYA   Tpaianöc   Cgbactöc 

10     rjePMANIKÖC     AHMAPXI- 

k]hC     eiOYClAC,     TÖ     A     YHATOC, 
nATHP     HATPIAOC     ÖAÖN 

igpAn    KATecKe^AceN 
M  lA 

Der  lateinische  und  der  griechische  Text  stimmen  nicht  ganz  überein. 
Z.  8  fehlt  der  griechische  Ausdruck  der  Divinität  Nervas,  während  Z.  12 
nATiHP  nATPiAoc  steht,  was  im  lateinischen  Text  fehlt.  Z.  5  ist  der  Weg 
einfach  als  via  bezeichnet,  Z.  12 — 13  als  öaöc  igpä.  Die  Länge  des  heiligen 
Weges  betrug  somit  fast  genau  zwei  römische  Meilen  oder  16,208  km. 
Das  entspricht  dem  von  mir  angenommenen  Zuge  der  Prozessionsstraße, 
die  südlich  von  Akköi  das  Gebirge  bis  zu  200  m  Höhe  erstieg  und  beim 
Panormoshafen  wieder  die  Strandebene  erreichte  (vgl.  Sitzungsber.  1905, 
S.  547,  dazu  die  Karte  P.  Wilskis,  Milet  I,  Nr.  6— 8).  Die  Trajansin- 
schrift  am  Beginn  des  heiligen  Weges  (Sitzungsber.  d.  Berl.  Akad.  d.  Wiss. 
1900,  S.  106)  konnte  ins  Jahr  100  n.  Chr.  datiert  werden,  dieser  neue 
Text  dagegen  gehört  ins  Jahr  10 1/2,  die  Herstellung  des  ganzen  heiligen 
Weges  hat  also  etwa   1^/2  Jahre  in  Anspruch  genommen. 


Siebenter  vorläufiger  Ber'tcht  über  Ausgrabwigen  in  Milet  und  Didyma.      37 

Gleich  bei  dem  römischen  Meilensteine  fanden  sich  die  Reste  eines 
aus  Mörtelmauern  erbauten,  aber  mit  Marmororthostaten  umkleideten  Tores. 
An  dieser  Stelle  hörten  die  den  heiligen  Weg  bis  dahin  begleitenden  Gräber- 
anlagen auf,  statt  dessen  begannen  die  Hausmauern  der  kcomh  in  der  Rich- 
tung nach  dem  Apollotempel  zu.  Das  Tor  bildete  also  die  Grenze  des  Asyls. 
Zweifellos  stand  an  ihm  die  zweite  Ausfertigung  der  trajanischen  Wegebau- 
inschrift, deren  erste  wir  am  heiligen  Tor  von  Milet  auffanden  (Sitzungsber. 
d.  Berl.  Akad.  d.Wiss.  1900,  S.  106).  Inzwisclien  haben  sich  in  Didyma  und 
Umgebung  noch  mehrere  Bruchstücke  der  zweiten  Ausfertigung  auffinden 
lassen  (Inv.  Nr.  137,  244,  258,  286.    Eine  Reparatur  erwähnt  Inv.  Nr.  1 1 1). 

Sehr  interessant  war  es  nun,  namentlich  auch  im  Hinblick  auf  Strabo, 
S.  634,  die  Straße  bis  zum  Tempel  hin  weiter  zu  verfolgen.  In  engem 
Abstände  (6 — 7  m)  wurden  lange  Parallelgräben  gezogen,  welche  nicht 
nur  die  heilige  Straße,  sondern  auch  die  sie  begleitenden  Hausanlagen 
schnitten,  wobei  das  Vorhandensein  eines  römischen  Warmbades  festge- 
stellt wurde.  Die  Prozessionsstraße  stellte  sich,  je  nälier  zum  Tempel 
hin,  desto  besser  gebaut  heraus.  Der  Fahrdamm  ist  4,80  m  breit,  pro- 
filierte Randsteine  begrenzen  ihn.  Das  Straßenpflaster  besteht  aus  Kalk- 
steinplatten, die  vorwiegend  1 10  cm  im  Quadrat  groß  sind,  seltener  i  25  cm  im 
Quadrat.  Die  Hausmauern  aus  Mörtelwerk  standen  zumeist  noch  i  '/2  m 
hoch,  die  gewöhnliche  Mauerstärke  ist  60  cm.  Die  Breite  der  rechtwink- 
lig auf  die  Prozessionsstraße  mündenden  Seitengassen,  welche  ebenfalls 
gepflastert  sind,  beträgt  4  m.  Ein  Teil  der  Hauptstraße  war  von  Hallen- 
gängen und  Kaufläden  eingefaßt,  weiterhin  nach  dem  Tempel  zu  treten 
aber  die  Mauern  der  Wohngebäude  hart  an  den  Weg.  Soviel  darf  man 
jedenfalls  über  das  Städtchen  sagen,  daß  es  zwar  einen  geschlossenen  Gürtel 
um  das  eigentliche  Heiligtum  bildete,  daß  es  jedoch  in  respektvoller  Ent- 
fernung von  diesem  blieb.  Denn  in  einem  Abstände  von  etwa  100  m  vom 
Tempel  hören  die  llausbauten  auf  Dort  biegt  die  heilige  Straße  stark 
nach  Osten  um  und  verläuft  südlich  der  heutigen  Hauptkirche  des  Dorfes 
Jeronda  in  etwa  60  m  Abstand  vom  Tempel,  annähernd  parallel  zu  die- 
sem auf  die  Weihgeschenkterrasse  im  Osten^des  Apollotempels.  Innerhalb 
dieser  letzten  Zone  muß  der  den  Tempel  umgebende  heilige  Hain  ge- 
legen haben.  Alle  Gräben,  welche  wir  in  diesem  Umkreis  gezogen  haben, 
und  es  waren  deren  sehr  viele,  haben  reinen  Humus  oder  unwesentliche 
nachantike  Mauerreste  ergeben. 


38  Tii-   Wikganb: 

II.  Die  Weihgeschenkterrasse  (Taf.  IV). 

Die  Terrasse  beschreibt  um  die  Ostfront  des  Apollotempels  einen  gro- 
ßen Kreisbogen.  Dieser  ist  an  der  Nordostecke  flach  gestreckt  und  tritt  bis 
auf  4  m  an  die  Tempelecke  heran,  an  der  Südostecke  ist  die  Biegung  und 
der  Abstand  (14  m)  stärker.  Die  Stützmauer  der  Terrasse,  aus  Kalkstein 
in  sorgfältig  glatt  behauenen  Quadern  gefügt,  war  etwa  2^/2  m  hoch.  Der 
von  der  heiligen  Straße  längs  der  Nordseite  herankommende  Pilger  stand 
also,  wenn  er  vor  die  Ostfront  kam,  höher  als  der  Stufenbau  des  Tem- 
pels. Vier  Treppen  von  i^jz  m  Breite  führten  in  den  tieferen  Bezirk  herab. 
In  der  Mitte  der  Ostfront  beträgt  der  Abstand  der  Stützmauer  von  der 
untersten  Tempelstufe  etwa   24  m. 

Es  ist  kein  Zweifel,  daß  diese  Stützmauer  nebst  den  Treppen  der 
archaischen  Periode  des  Heiligtums  angehören,  das  beweist  ein  Blick 
auf  die  wiederaufgebaute  Stelle  mit  ihrem  großen  altionischen  Blattstab  als 
Mauerabschluß  (Fig.  14).  Solche  Glieder  haben  sich  in  verschiedenen  Stücken 
zu  Füßen  der  eingestürzten  Mauerteile  gefunden  (vgl.  Taf.  V,  Vordergrund). 
Auch  die  Terrasse  selbst  hat  sich  als  Trägerin  von  Resten  der  archaischen 
Zeit  erwiesen,  wenn  diese  auch  in  spärlicher  Weise  auf  uns  gelangt  sind; 
ich  erwähne  die  lange,  auf  dem  Plan  (Taf,  IV)  mit  schwarz  ausgefüllten 
Linien  gezeichnete  Halle,  über  deren  Kalksteinfundaniente,  Orthostaten  und 
schwalbenschwanzförmige  Klammern  schon  im  vorigen  Bericht  (S.  34)  Mit- 
teilung gemacht  wurde;  seitdem  ist  ihre  Gesamtausdehnung  auf  34,50  :  7  m 
festgestellt  worden.  Diese  Maße  sind  wegen  der  starken  Zerstörung  und 
Verschiebung  der  Reste  nur  annähernd  genau.  Ferner  stand  ein  archai- 
sches Gebäude  gegenüber  der  Südostecke  des  Tempels.  Es  ist  noch  schlech- 
ter als  das  vorige  erhalten. 

Ich  erwähne  bei  dieser  Gelegenheit,  w^as  sich  sonst  an  archaischen 
Funden,  namentlich  vor  der  Ostfront  neu  ergeben  hat.  Es  sind  Reste  von 
Kolossalfiguren,  z.  B.  ist  eine  Zehe  von  1 6  cm  Länge  vorhanden,  ferner  große 
Fragmente  von  Buckellocken.  Der  Fußrest  einer  anderen  Kolossalgestalt 
zeigt  eine  Zehenlänge  von  9  cm;  es  fanden  sich  ferner  der  Torso  eines  halb- 
lebensgroßen bekleideten  Mannes  und  die  Füße  einer  langbekleideten  lebens- 
großen Figur  mit  roten  Schuhen,  auch  das  Bruchstück  eines  spätarchaischen 
kleinen  Nymphenreliefs,  mit  den  unteren  Partien  zweier  tanzenden  Nymphen 
und  eines  bocksfüßigen  Paus.    Bei  diesem  Anlaß  möchte  ich  die  Vermutung 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  üher  Ausgraimnyen  in  Milet  und  Didyma.      39 

Fig.  14. 


Aii'liai.schc  Stüt/.iiiiuiei-  dci-  Weiliti'e.sc'lienktena.sse  zu  Didyma. 


40  Th.     WiECiAND: 

aussprechen,  daß  das  bekannte  Relief  des  Britischen  Museums  von  Kara- 
kuja  (Brit.  Mus.  Nr.  21,  Rayet  et  Thomas,  Milet  et  le  golfe  latmique 
pl.  27)  nach  der  Form  der  Rückseite  ein  Stück  der  Sima  des  archaischen 
Tempels  von  Didyma  ist.  Von  diesem  Tempel  haben  wir  jetzt  auch 
Fragmente  ionischer  Kapitelle  und  überaus  fein  gearbeitete  Marmordach- 
ziegel gefunden.  Reste  eines  Volutenakroterions  werden  wohl  zu  einem 
kleineren  Gebäude  gehören,  el)enso  Terrakottastirnziegel  mit  Darstellungen 
von  Medusen  und  Lotusblüten. 

Das  epigraphisch  beste  archaische  Stück  ist  der  Rest  einer  Votiv- 
stütze  mit  elf  flachen  Kanellüren,  oben  Ansatz  des  Ilalsprofils,  unten  ge- 
brochen (Höhe   36  cm,  Breite  16  cm,  Buchstabenhöhe   2  —  3  cm): 

^01/>  v\AMIT 
OS  ßT  HM  O 

III.  Das  Stadion  auf  der  Südseite  des  Tempels  (Taf.  V). 

Gegenüber  der  Südostecke  des  Tempels  hört  die  hochgehende  archa- 
ische Stützmauer  bei  einer  Treppe  auf.  Es  setzten  sich  weiter  westlicli 
lange,  gerade  Sitzreihen  aus  Kalkstein  einer  späteren  Epoche  an,  welche 
dem  Tempel  in  15m  Abstand  parallel  laufen  und,  nach  Süden  ansteigend, 
durch  kleine  Treppen  senkrecht  durclisclmitten  wurden.  Das  Profil  der 
Sitzstufen  stellt  eine  einfache  steile  Hohlkehle  dar.  Die  unterste  Stufe 
ließ  sich  noch  etwa  60  m  lang  verfolgen,  die  zweite  10  m,  die  dritte  5  m; 
im  ganzen  müssen  aber  der  Terrainerhebung  nach  mindestens  sieben  Sitz- 
reihen vorhanden  gewesen  sein.  Der  obere  Teil  ist  völlig  abgeräumt.  An 
der  Südseite  des  Tempels  war  also  eine  Bahn  geschaffen,  die  man  bequem 
auf  Stadionlänge  ausdehnen  konnte.  Den  Blick  von  Ost  nach  West  ver- 
deutlicht die  Tafel  V.  Im  Vordergrund  sieht  man  die  archaische  Stütz- 
mauer, eines  ihrer  Krönungsglieder  liegt  am  Boden.  Im  weiteren  Verlauf 
sieht  man  die  Mauer  geradlinig  werden  und  die  drei  untersten  Stadion- 
stufen heraustreten.  Daß  die  Stufen  der  Südseite  des  Tempels  als  Sitz- 
plätze dienten,  beweisen  die  massenhaft  auf  ihnen  eingekratzten  und  ein- 
gemeißelten Inschriften.  Bevor  dieser  Befund  klar  wurde,  hatte  Haus- 
so ullier  noch  annehmen  müssen,  daß  die  Aufschriften  von  Begräbnissen 
herrührten,  die  von  den  Milesiern  des  zweiten  und  dritten  nachchristlichen 
Jahrhunderts  auf  den  Stufen  ihrer  Tempel  vollzogen  worden  seien;   er  wird 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Didyrna.      41 

seine  Annahme  jetzt  gewiß  gern  zugunsten  des  neuen  Befundes  aufgeben. 
Hr.  Dr.  Schede,  welcher  die  Namen  sämtlich  kopiert  hat,  stellte  etwa 
250  verschiedene  Aufschriften  auf  den  südlichen  Tempelstufen  fest,  wäh- 
rend die  Stufen  der  übrigen  Tempelseiten  solche  Aufschriften  nicht  tragen. 
Bald  sind  es  Namen  einzelner,  wie  7\<N)TirÖN0Y  TPArcoAO?,  GeoAcÖPOv  to9 
'eniNiKOY  oder  Oaiapoy  axpi  e<j>HBeYCH,  bald  mehrere,  wie  Gyaöioy  kai  'Gaymogy 
N6OKÖPUN  TÖ  TPiKAiNON  Xnö  "ApTeMcoNoc  npo<j)iHTOY.  Dcr  Ausdruck  tpikainon  far 
Sitzplatz  (mehrerer y)  kommt  siebenmal  vor  (vgl.  dazu  Inschr.  von  Magnesia 
237).  Zahlreiche  Inschriften  werden  mit  nepi  gebildet,  z.  B.  twn  nepi  'eni- 
KPATHN  KAI  Ahmwna,  abcr  zugleich  tun  nepi  <t>iAiAOY,  auch  tön  nepi  Ggoaötoy 
usw.  Häufig  ist  die  Verwendung  der  Formen  mit  amtlicher  Datierung: 
eni  AioreNOYc  äpxontoc  Ioyaioy  ö  TÖnoc  kai  npo*HTOY  Apictgoy.  Das  seltene 
Vorkommen  römischer  Namen  weist  diese  Inschriften  in  die  späthelle- 
nistische Zeit. 

In  jener  Epoche  werden  also  hier  die  Spiele  der  werÄAA  Aiaymgia  ge- 
feiert worden  sein.  Dazu  kommt,  daß  der  Umfang  des  ganzen  Tempels 
zwei  Stadien  (attisch)  beträgt,  der  aiayaoc  konnte  also  einfach  um  den 
Tempel  herum  gemacht  werden.  Nun  läßt  sich  wohl  auch  die  im  vorigen 
Bericht  (S.  45)  noch  unentschieden  gelassene  Frage  des  Weges  der  Fackel- 
läufer Xnö  Bü)MOY  eic  BcoMÖN  entscheiden:  der  Lauf  ging  um  den  Apollotempel. 
Ein  und  derselbe  Altar  war  Ausgangs-  und  Endpunkt. 


IV.  Der  archaische  Altar. 

Während  ich  über  die  Lage  des  späteren  Altars  noch  nichts  angeben 
kann,  da  das  Innere  des  Adyton  noch  nicht  freiliegt  und  außerhalb  des 
Tempels  sich  nichts  aus  hellenistischer  und  römischer  Zeit  in  dieser  Art 
erhalten  hat,  ist  über  die  archaische  Epoche  folgendes  zu  berichten: 
Vor  der  Ostfront  ist  das  große  kreisförmige  Kalksteinfundament  einer 
Opferstätte  gefunden  worden,  das  nach  dem  Material  (harter  Kalkstein) 
und  seiner  sehr  feinen  Bearbeitung  der  archaischen  Epoche  angehört. 
Den  Plan  gibt  Fig.  15  wieder.  Von  Ost^n  und  Westen  führten  zwei 
verschließbare  Pforten  in  den  Kreis,  an  dessen  innerer  Wand  sich  ein 
60  cm  breiter  Plattenumgang  hinzieht.  Die  geringe  Stärke  der  jetzt 
noch  eine  Schicht  hohen  Umfassungsmauer  läßt  mit  Sicherheit  darauf 
schließen,    daß    wir  es  hier   nicht  mit    einer  hochgehenden  Gebäudewand, 

Phil.-hist.  Klasse.  1911.  Anhang.  Abh.  I.  6 


42 


T  H.  Wieg  and: 


sondern  mit  einem  durch  eine  niedrige  Brüstung  umfriedigten  Raum  zu 
tun  haben.  Dieser  hatte  innen  keinerlei  Pflaster.  Seinen  Zweck  verrieten 
uns  Reste  verbrannter  Tierknochen  und  eine  Anzalil  von  bleiernen  Votiv- 
astragalen,    die    zusammen    mit    den   Knochen    und    verschiedenen   Vasen- 


Fig.  15. 


Grundriß  des  archaischen  Aschcnaltars  zu  Didynia. 


Scherben  des  7.  bis  6.  Jahrhunderts  in  diesem  Raum  lagen.  Es  ist  der 
archaische  Aschenaltar,  der  vermutlich  über  die  Perserzerstörung  hinaus 
noch  später  im  Gebrauch  war.  Zu  ihm  gehören  aucli  die  vier  runden 
Kalksteinbasen  an  der  Außenseite,  die  offenbar  Votive  getragen  haben. 
Pausanias  fabelt  von  dem  didymeischen  Altar,  nachdem  er  zuvor  vom 
Zeusaltar  in  der  Altis  gesprochen,  V  13,  11:  ecTi  a^  kai  gn  Aiav'moic  twn 
MiAHCicoN    BcoMÖc,    enoiHeH    Ae    vnö   ""Hpaka^oyc    toy    Ghbaioy,    kaoa    01    Miahicioi 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  iiher  Ausgrabungen  in  Milet  und  Bidyrna.      43 

AeroYCiN,  Xnö  tön  lepeicoN  toy  aYmatoc.  ec  a^  tA  yctcpa  tö  aTma  tön  eYMÄTcoN 
o^K   ec  YneporKON    HYiHKeN   as^tön   wereeoc. 

Den  didymeischen  Altar  erwälint  Pausanias  nicht  nur  aus  mytho- 
logischen Gründen,  sondern  wegen  einer  gewissen  äußeren  Almlichkeit  mit 
dem  olympischen;  nur  sei  der  didymeische  weniger  stattlich.  In  der  Tat 
beträgt  der  Umfang  der  didymeischen  Opferstätte  etwa  80  olympische  Fuß, 
während  der  olympisclie  Zeusaltar  mit  Einschluß  der  Prothysis  125  Fuß 
hatte,  also  ein  Drittel  mehr.  Freilich  betrug  der  innere  Umgang  zu  Olympia 
nur  32  Fuß,  der  zu  Milet  dagegen  über  50  Fuß.  Gemeinsam  ist  ihnen  je 
ein  Zugang  von  den  beiden  entgegengesetzten  Seiten;  das  Innere  haben 
wir  uns  in  Didyma  so  zu  denken,  daß  die  Aufschichtung  der  Reste  nur 
bis  an  den  inneren  Rand  des  Umgangs  reichte  (sonst  hätten  die  Türen  sich 
nicht  nach  innen  öffnen  können),  und  daß  dort  die  Basis  des  kegelförmigen, 
mit  dem  Blut  der  Opfertiere  befestigten  Aschenaufbaues  begann  — ,  denn 
nur  so  kann  die  Nachricht  des  Pausanias  über  das  Blut  der  Opfertiere  ver- 
standen werden.  Es  ist  jener  Kegel,  den  wir  in  kleiner  Nachbildung  auf 
dem  milesischen  Theaterrelief  mit  der  Darstellung  des  Kanacliosapollo  finden 
(R.  Kekule  von  Stradonitz,  a.  a.  0.  S.  797).  Eine  Prothysis  wie  zu 
Olympia  besaß  der  didymeische  Altar  nicht.  Man  opferte  auf  dem  Platz 
zwischen  Tempel  und  Rundbau.  Trotzdem  ist  der  Fund  dieser  Opferstätte 
von  entscheidender  Bedeutung  in  der  noch  immer  gelegentlich  umstrittenen 
Frage  der  F'orm  des  olympischen  Zeusaltars  (s.  bes.  Wern  icke,  Jahrb.  d. 
Inst.  IX,  S.  92 ff.,  auch  Jahrbuch,  Anz.  1901  S.  99  und  loi).  Er  spricht  zu- 
gunsten der  ovalen  Fundamentlage  zwischen  Metroon  und  Zeustempel  im 
Zentrum  der  Altis. 

Der  runde,  in  vorzüglicher  Quadertechnik  erbaute  Brunnen,  welcher 
nördlich  des  archaischen  Altars  gefunden  ist  (gegenüber  der  dritten  F>ont- 
säule  von  Norden  gerechnet)  ist  ein  Werk  hellenistischer  Zeit.  Ob  er  auf 
archaischen  Grundlagen  ruht,  konnte  noch  nicht  festgestellt  werden. 


V.   Der  Apollotempel  (Taf.  IV— XIII). 

Das  ganze  im  Laufe  der  Zeit  mit  Hilfe  großherziger  Altertumsfreunde 
expropriierte  Gelände  in  der  Mitte  des  Dorfes  Jeronda  ist  seit  1908  von 
uns  in  den  Bereich  der  Ausgrabungen  gezogen  worden.  Folgende  Zahlen 
mögen  den  Umfang  der  Arbeiten  vergleichsweise  klarmachen:  Der  Flächen- 


44  In.   Wieg  and: 

Inhalt  der  Arbeitsgebiete  unserer  Vorgänger  0.  Rayet  und  A.  Thomas, 
B.  Haussoullier  und  E.  Pontremoli  betrug  zusammen  2  300qm;  der 
Flächeninhalt  der  heutigen  gesamten  Grabung  beträgt  10650  qm.  Es  sind 
von  uns  also  8  350  qm  neue  Ausgrabungsfläche  hinzugewonnen.  Dieses 
ganze  Gebiet  haben  wir  mit  einer  2  m  dicken  und  bis  zu  5  m  hohen, 
sehr  starken  Trockenmauer  umgeben  (vgl.  Tafel  IV  links,  wo  ein  Teil 
sichtbar  ist,  sowie  den  Hintergrund  von  Fig.  14),  welche  aus  den  zahl- 
reichen formlosen  Bautrümmern  mit  sorgfältiger  Auswahl  zusammengefügt 
ist  und  drei  große  Vorteile  gewährt:  erstens  die  Ersparung  eines  weiten 
und  kostspieligen  Steintransportes,  zweitens  die  rasche  Entlastung  der 
Grabung;  drittens  ist  sie  eine  vorzügliche  Schutzmauer  gegen  das  Ein- 
dringen unbefugter  Dorfbewohner,  deren  Unverstand  und  Roheit  dem 
Tempel  früher  oft  genug  schweren  Schaden  zugefügt  hat  (s.  u.). 

Den  Gang  der  Arbeit  habe  ich  im  Sechsten  Bericht,  S.  32,  program- 
matisch angegeben;  die  weiteren  Fortschritte  mögen  aus  folgenden  Mit- 
teilungen zu  entnehmen  sein: 

Eine  der  Hauptsorgen  war  die  Herrichtung  von  großen  Lagerplätzen, 
wo  die  vom  Trümmerberg  des  Tempels  herabgeholten,  architektonisch  be- 
deutsamen Werkstücke  systematisch  geordnet  aufgestellt  werden  konnten. 
Ihr  Transport  erfolgte  mittels  Erdrampen,  die  dem  Abbau  entsprechend 
immer  mehr  erniedrigt  wurden.  Gleichzeitig  wurde  durch  H.  Knackfuß 
jede  Art  von  Konservierungsarbeit  in  durchgreifender  Weise  vorgenommen, 
und  zwar  überall  da,  wo  die  aus  dem  Trümmerhaufen  emportauchenden 
Wände  neue  Untermauerungen,  Einziehung  von  Eisenträgern  u.  dgl.  er- 
forderten, oder  wo  die  Säulen  unterfangen  und  umbändert  werden  mußten. 
Unzählige  kleinere  abgesplitterte  Fragmente  wurden  mit  feinem  Marmor- 
kitt sofort  wieder  an  ihrer  Bruchstelle  befestigt.  Mittels  Hebewerkzeug 
wurden  die  verworfenen  Tempelstufen  und  sehr  viel  Cellawandblöcke  wieder 
aufgebaut.  Den  Zustand  vor  der  deutschen  Grabung  veranschaulicht  Taf.  VI 
nach  einer  Photographie,  die  Karl  Humann  am  10.  Juni  1891  aufnahm; 
diesen  Anblick  hatte  auch  die  französische  Untersuchung  von  1895/96 
nicht  verändert,  llumanns  Aufnahme  ist  in  der  Richtung  von  Westen  nach 
Osten  gemacht.  Im  Vordergrunde  liegt  also  der  Hauptsaal,  links  unterhalb 
der  Mühle  kommt  eine  Halbsäule  der  Türwand  dieses  Saales  zum  Vorschein. 

Nach  Abräumung  der  Windmühle  über  dem  Mittelsaal  des  Tempels 
hatte  sich  im  Februar  1 908  eine  große  Trümmerschicht  eingestürzter  Wand- 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgralmngen  in  Milet  und  Didyma.      45 

teile  des  Mittelsaales  und  des  Pronaos  gezeigt,  darunter  folgte  eine  größere 
Lage  byzantinischen  Schuttes,  die  sich  gleichmäßig  über  den  Pronaos  und 
den  Mittelsaal  erstreckte.  Aus  diesem  traten  zunächst  die  durch  Feuer 
beschädigten  Stümpfe  der  Pronaossäulen  heraus.  Im  März  1908  zeigte 
sich,  daß  der  Mittelsaal  in  mittelbyzantinischer  Zeit  als  Kastellturm 
ausgebaut  worden  war,  den  wir  nun  abtragen  mußten,  um  in  die  Tiefe 
der  antiken  Epoche  zu  gelangen  und  die  ehemaligen  Türen  wieder  zu  er- 
reichen. Taf.  VII  veranschaulicht  die  Ostmauer  dieses  Kastellturmes,  welche 
das  große  Hauptportal  zwischen  Pronaos  und  Mittelsaal  mit  Ausnahme 
einer  kleinen  Tür  ganz  geschlossen  hatte.  Diese  Festimg,  einst  tö  kactpon 
To9  lepo?  genannt  (CIG.  8836,  vgl.  Haussoullier,  Didymes  S.  16),  um- 
faßte auch  den  Pronaos,  den  es  mit  einer  Querwand  in  der  zweiten  Säulen- 
reihe abschloß;  auch  in  dieser  war  eine  Pforte.  Sie  führte  zum  Zwinger, 
der  durch  eine  bogenförmig  vor  der  Ostfront  herlaufende  Mauer  gebildet 
wurde,  welche  wir  im  März  1908  abtrugen;  dabei  fanden  sich  wertvolle 
hellenistische  Urkunden. 

Im  weiteren  Verlauf  der  Abräumung  zeigte  sich  dann  immer  deut- 
licher, daß  dieses  Kastell  durch  eine  ganz  gewaltige  Feuersbrunst  zugrunde 
gegangen  ist;  starke  Spuren  liinterließ  sie  namentlich  an  der  inneren  Nord- 
wand des  Pronaos. 

Es  zeigte  sich  ferner,  daß  dieses  mittelbyzantinische  Bollwerk  auf  dem 
Schutt  einer  frühbyzantinischen  Festung  stand,  die  ebenfalls  durch 
einen  schweren  Brand  zugrunde  gegangen  war.  Dabei  entstand  über  dem 
antiken  Tempelboden  eine  drei  bis  vier  Meter  hohe  Schuttschicht.  Die 
Ostmauer  dieser  Festung  lag  zwischen  den  östlichen  Frontsäulen;  es  ist 
dieselbe,  welche  die  Expedition  Haussoulliers  schon  1896  bemerkt  hat 
(Didymes  S.  14).  Als  sie  angelegt  wurde,  war  der  Tempel  noch  intakt; 
erst  der  frühbyzantinische  Brand  vernichtete  die  Kassettendecke,  den  oberen 
Teil  der  Pronaossäulen,  die  obersten  Wandteile,  den  gewaltigen  Türsturz 
und  den  darüb erliegenden  kocmo*öpoc. 

Es  ist  äußerst  auffällig,  wie  sorgsam  die  Erbauer  der  ersten  Festung 
noch  den  Tempel  als  Kunstwerk  respektiert^  haben :  die  Profile  wurden 
bei  der  Ummantelung  liebevoll  geschont,  die  den  Anschluß  bildenden 
Festungssteine  wurden  der  Profilform  entsprechend  ausgehauen.  So  macht 
es  fast  den  Eindruck,  als  sei  dieses  früheste  Kastell  aus  einer  eisernen 
Notzeit   heraus   widerwillig   geschaffen,    als   habe   man   gehofft,    dem   Bau 


46  Th.  Wieg  and: 

seine  alte  Pracht  wiederzugeben.  Das  ist  nicht  geschehen.  In  justiniani- 
scher Zeit  war  die  Burg  in  Benutzung,  in  ihrem  Hauptsaal  war  eine  Kirche 
entstanden,  und  zu  ihr  gehört  wohl  der  Kopf  eines  justinianischen  Ediktes, 
dessen  Fortsetzung  hoffentlich  noch  gefunden  wird  (gieb eiförmiges  Kopf- 
stück einer  Stele,  Inv.  Nr.  305,  Breite  94  cm,  Durchmesser  37,5  cm,  Buch- 
stabenhöhe 2,5  cm,  oben  Kreuz  in  der  Mitte,  zur  Seite  oben  je  ein  Pfau, 
unten  je  ein  Feldhuhn) : 

-|-  "ArAeH   T^XH   J^ 

A-Y-TOKFÄTOOP 

KaTcap   A^roYCToc 
Oa'   ^Ioyctinianöc 

NIKHTHC,     TPOneOYXOC 

MencToc,   Xei   ceBACTÖc   A^rei   ^ 

Am  15.  April  1909  waren  die  großen  Pronaostrümmer  im  wesent- 
lichen abgeräumt,  man  befand  sich  auf  der  erwähnten  Schuttschicht  etwa 
4  m  über  dem  Stylobat.  Dort  zeigte  sich  schwarze  Erde  nebst  so  viel 
Mauersteinen  und  Dachziegeln,  daß  auf  byzantinische  Wohngelasse  ge- 
schlossen werden  konnte,  deren  Holzwerk  natürlich  dem  Brande  eine  be- 
deutende Nahrung  verliehen  hatte.  Diese  Schicht  reichte  bis  zum  Stjdobat 
hinab.  Am  19.  April  1909  entdeckten  wir  den  nördlichen  gewölbten  Gang, 
der  vom  Pronaos  unter  dem  Mittelsaal  her  in  das  Adyton  fiihrte,  am 
22.  Mai  kam  der  südliche  Gang  zum  Vorschein,  in  welchem  sich  eine 
byzantinische  Zisterne  eingebaut  fand.  Während  des  Herbstes  und  Winters 
1909/10  erfolgte  die  allmähliche  Ausräumung  des  Pronaos,  des  Mittelsaales 
und  seiner  Treppengehäuse.  Im  April  19 10  kamen,  längst  vermutet  und 
erwartet,  die  beiden  Innensäulen  des  Mittelsaales  zum  Vorschein.  Im  Juni 
waren  die  letzten  Blöcke  aus  den  beiden  Räumen  geschafft  und  die  Sommer- 
kampagne konnte  mit  der  völligen  Säuberung  derselben  abschließen.  Seitdem 
arbeiten  wir  an  der  Freilegung  des  Hauptsaales  und  der  den  Tempel  um- 
gebenden Säulenfluchten.  Das  ganze  äußere  Gebiet  wurde  durch  einen  ge- 
mauerten und  gedeckten  Kanal,  der  nach  Süden  geht,  entwässert. 

Die  Arbeit  war  und  ist  noch  immer  überaus  schwer,  sie  stellt  an 
die  Ausdauer  der  Beteiligten  die  größten  Anforderungen.  Zumeist  wird 
mit  100  möglichst  ausgesuchten  Leuten  gearbeitet,  von  denen  etwa  die 
Hälfte  Griechen,  die  Hälfte  Türken  sind.     Trotz  der  oft  sehr  gefahrlichen 


Siebente/-  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Bidyma.      47 

Situationen  —  galt  es  doch  z.  B.  Blöcke  bis  zu  6  Tonnen  Gewicht  aus 
verklemmten,  schiefen  Lagen  zu  befreien,  auf  schrägen  P:benen  abzutrans- 
portieren, zu  versetzen  oder  auch  Mauern  zu  unterfangen,  deren  zerrüttete 
Fundamente  auf  ihre  Tragkraft  nicht  genügend  geprüft  werden  konnten 
(s.  z.B.  Taf.VIII)  —  hatten  wir  bis  jetzt  doch  nur  einen  einzigen  schwereren 
Unfall  zu  beklagen. 

Nach  einer  vorläufigen  Messung  beträgt  die  Länge  des  Tempels  ohne 
Stufenbau  in  der  oberen  Stylobatkante  109,41  m,  die  Breite  51,13  m. 
Die  genaue  Feststellung  der  Gesamtmasse  kann  erst  nach  vollständiger 
Freilegung  des  westlichen  Stufenbaues  erfolgen. 

Den  Anblick  des  Tempels  während  unserer  Arbeit  im  Jahre  1909, 
von  der  Ostseite  aus  gesehen,  verdeutlicht  Taf.  VII.  Unter  der  einstigen 
Windmühle  ist  die  antike  Querwand  zwischen  Pronaos  und  Mittelsaal  teil- 
weise hervorgetreten,  jedoch  noch  im  Zustande  der  mittelbyzantinischen 
Verbauung,  welche  das  Hauptportal  geschlossen  hatte.  Im  Vordergrund 
bemerkt  man  den  bogenförmigen  Mauerzug  des  Zwingers  derselben  byzan- 
tinischen Epoche.  Die  auf  der  rechten  Ecke  der  Tafel  erscheinenden  Stütz- 
mauern sind  modern  und  jetzt  abgerissen. 

Taf.VIII  zeigt  den  Zustand  der  Ostseite  im  Jahre  1910:  die  Zwinger- 
mauer ist  beseitigt,  der  Pronaos  völlig  ausgeräumt,  das  Hauptportal  frei- 
gelegt, die  Quermauer  des  Pronaos  durch  Untermauerungen  der  vom  Brande 
schadhaften  Stellen  auf  i  1  m  Höhe  konserviert.  Zugleich  läßt  die  Tafel 
den  Eingang  in  den  nördlichen  der  beiden  unterirdischen  Gewölbegänge 
in  der  Querwand  erkennen. 

Betrachten  wir  nun  die  einzelnen  Gebäudeteile.  Im  Pronaos  standen 
zwölf  ionische  Säulen  mit  kanonischen  Basen  ohne  Skulpturenschmuck  und 
mit  entsprechenden  einfachen  Kapitellen;  in  der  später  zu  behandelnden 
Bauinschrift  heißt  er  ausdrücklich  ö  AWAeKÄcTYAoc.  Diese  Säulen  trugen 
eine  reich  dekorierte,  marmorne  Kassettendecke,  deren  System  vollständig 
ermittelt  ist.  Die  innersten  Flächen  der  Kassetten  waren  teilweise  mit 
Göttermasken  dekoriert.  Von  ganz  vorzüglicher  Erhaltung  ist  das  attisch- 
ionische Wand-  und  Antenprofil  mit  oberer  Blättertänie  und  unterem  Flecht- 
band (Taf.  IX).  Das  Wandprofil  zog  sich  sowohl  innen  wie  außen  herum, 
ist  aber  nur  innen  vollständig  ausgemeißelt.  Sehr  wichtig  war  der  Nach- 
weis des  Antenkapitells  in  der  Schuttmasse  des  Dodekastylos.  Es  ist  auf 
drei  Seiten  dekoriert  mit  einem  weiblichen  Flügelwesen,  dessen  Unterteil 


48  Th.   Wieg  and: 

sich  in  Ranken-  und  Blattwerk  auflöst.  Ray  et  und  Thomas  (Milet  et 
le  golfe  Latmique,  Taf.  45)  hatten  dieses  Glied  nicht  richtig  verstanden, 
als  sie  ein  Exemplar  von  einer  der  beiden  westlichen  Ecken  des  Tempels 
fanden.  Sie  sclirieben  es  in  ihrer  Publikation  dem  Naiskos  des  Kanachos- 
kultbildes  im  Innern  des  Hauptsaales  zu,  der  jedoch  auf  reiner  Hypothese 
beruht,  und  erklärten  das  Stück  als  ein  Kapitell  dieses  Naiskos,  was  allein 
schon  wegen  der  enormen  Größe  ausgeschlossen  sein  mußte. 

Ganz  anders  als  es  früher  vermutet  war,  stellte  sich  das  Hauptportal 
dar:  ein  ungeheures  Marmortor,  niemals  verschließbar,  dessen  monolithe 
Schwelle  8  m  lang,  2,12  m  breit  und  1,50  m  hoch  ist  (Taf.  X)  und  an 
deren  Fuß  der  Pronaoswandschmuck  mit  Ornamentweclisel,  aber  mit  dem- 
selben Profil  durchläuft.  Die  Bühnenähnlichkeit  fällt  sofort  auf —  das  Adyton 
beginnt  schon  hier.  Die  Türgewände  hatten  nach  einer  Berechnung  von  Knack- 
fuß jedes  ein  Gewicht  von  mindestens  54  Tonnen.  Sie  sind  mit  drei  Faszien 
dekoriert,  an  deren  Rand  Perlstäbe  laufen ;  ein  Eierstabnmster  mit  Anthemien 
bildet   den   äußeren  Rand.     Alles   dies  ist  sehr  gute  hellenistische  Arbeit. 

Zur  Rechten  und  Linken  dieses  Hauptportals  liegen  die  zwei  kleinen 
Türen  der  gewölbten  Gänge  mit  vorspringenden  Pfeilern  und  feinen  Pflanzen- 
kapitellen; Türsturz  und  Krönung  fehlen  leider.  Die  Decke  über  dem 
Eingang  zeigt  zunächst  horizontale  (quadratische  Kassetten  (Taf.  XI),  geht 
aber  dann  in  ein  mit  der  wimdervollsten  Schärfe  und  Genauigkeit  gear- 
beitetes, nach  unten  sich  senkendes  Marmortonnengewölbe  von  1,16  m 
Breite  über.  Die  Senkung  war  erforderlich,  weil  der  Hauptsaal,  bei  wel- 
chem das  Gewölbe  mündet,  4,50  m  tiefer  liegt  als  der  Dodekastylos.  Die 
Höhe  des  Ganges,  dessen  gerillter  Fußboden  sich  der  Decke  entsprechend 
senkt,  beträgt  etwa  2,50  m.  Unter  dem  Treppengehäuse  des  Mittelsaales 
durch  reicht  die  gewölbte  Partie  bis  zur  Wand  des  Hauptsaales,  wo  ein 
schmaler  zimmerartiger  Vorraum  mit  horizontaler  Decke  beginnt ;  nur  dessen 
Außentür  zeigt  wieder  Bogenform. 

Die  Gewölbetechnik  tritt  hier,  an  einem  ihrer  ältesten  griechischen 
Beispiele,  gleich  in  der  äußersten  technischen  Vollendung  entgegen.  Man 
hat  sogar  die  Schnittlinien  der  Schlußsteine  zu  langen  perspektivischen 
Wirkungen  benutzt.  Senkrechte  und  gewölbte  Teile  sind  oft  aus  ein  und 
demselben  Block  herausgearbeitet. 

Im  Mittelsaal  bilden  die  zwei  bisher  unbekannten  ionischen  Säulen- 
stützen  einen   sehr   wichtigen   Fortschritt   in    der  Erkenntnis.      Mit   ihnen 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Mllet  und  Didyma.      49 


steigt  die  Zahl  der  am  Didy- 
meion  verwendeten  Säulen  auf 
1 20.  Sie  sind  i  ^/a  m  kürzer  als 
die  vSäulen  im  Dodekastylos  und 
deshalb  mit  den  kionickoi  der 
Bauinschriften  zu  identifizieren, 
welche  bisher  keine  befriedigend  e 
Erklärung  gefunden  hatten.  P  o  n  - 
trenioli  hat  angenommen,  daß 
der  Mittelsaal  keine  Stützen,  son- 
dern einen  in  der  Mitte  der  Höhe 
eingezogenen  und  in  zwei  Zim- 
mer geteilten  Plafond  hatte,  auf 
den  man  von  den  Treppen- 
häusern aus  gelangte.  Da  die 
beiden  neugefundenen  Säulen 
aber  dieselbe  Stärke  haben  wie 
die  Pronaossäulen,  so  können 
sie  nicht  niedriger  reichen  als 
diese,  und  der  Plafond  kann  nie- 
mals bestanden  haben. 

In  dem  nördlichen  Treppen- 
gehäuse hatten  Ray  et  und  Tho- 
mas vom  Oberlauf  des  untersten 
Stockwerkes  noch  sieben  intakte 
Stufen  gefunden,  während  wir 
nur  noch  eine  Oberlaufstufe  vor- 
fanden. Nachforschungen  erga- 
ben, daß  bald  nach  dem  Auf- 
bruch Rayets  von  Jeronda  im 
Jahre  1873  —  ein  Wächter 
wurde  nicht  hinterlassen  — , 
ein  gewinnsüchtiger  «Notabler« 
von  Jeronda,  namens  Basilios 
Drossos,  diese  Zerstörung  vor- 
genommen   hat,    indem    er   die 

Fhil-hist.  Klasse.    1911.   Anhang.    Abh.  1 


Fig.  16. 


Tieppeiigehäuse 
des   »Labyrintlios«  zu  Didyma. 
7 


50  Tu.  Wiegand: 

Stufen  mit  Pulverminen  zersprengte,  um  aus  den  Trümmern  kleinere  Bau- 
steine herzurichten  oder  Kalk  zu  brennen.  Das  von  uns  aufgedeckte  süd- 
liche Treppenhaus  ist  glücklicherweise  besser  erhalten.  Taf.  XII  gewährt 
einen  Blick  zunächst  auf  die  beiden  kionickoi,  sodann  im  Hintergrund  auf 
die  Vorderwand  des  südlichen  Treppengeliäuses  mit  seiner  i,8om  breiten 
Tür,  deren  Gewände  in  ganzer  Höhe  erhalten  ist,  so  daß  wir  die  Türhöhe 
auf  4,30  m  bestimmen  können.  Die  schon  im  Sechsten  Bericht  (S.  35)  er- 
wähnte, sogar  mit  ihren  Farbenspuren  erhaltene  Labyrinthosdecke  über  dem 
ersten  Treppenabsatz  möge  Fig.  1 6  verdeutlichen. 

Eine  neue  Erkenntnis  bedeuten  ferner  die  drei  Türen  des  Mittel- 
saales, die  zum  Hauptsaal  herabführen;  unsere  Vorgänger  hatten  hier  nur 
den  mittleren  Zugang  gefunden  und  ihn  als  den  einzigen  angesehen.  Die 
drei  Durchgänge  sind  gleich  breit  (2,10  m),  gleich  hoch  (5,40  m)  und  haben 
die  gleichen  feinen  Profile.  Hier  war  die  Stelle  des  m^ta  e^pcowA  und  der 
kunstreichen,  elfenbeingeschmückten  Flügeltüren,  von  denen  uns  schon  frü- 
her eine  jetzt  im  Britischen  Museum  befindliche  Inschrift  berichtet  hat 
(Anc.  gr.  Inscr.  in  the  Brit.  Mus.  Nr.  921a;  Ilaussoullier,  3Iilet  S.  253  f.). 
Wir  lernen  aus  einer  vor  der  Ostfront  am  7 .  April  1 9 1  o  gefundenen  Inschrift, 
daß  der  König  Ptolemaios  XIV.  (51 — 47  v.  Chr.)  nicht  weniger  als  34  Ele- 
fantenzähne für  das  große  evpwMA  gestiftet  hat  (Inv.  Nr.  276,  Marmor,  Höhe 
42  cm.  Breite  59  cm,  Durchmesser  32  cm.  Buchstabenhöhe  2  cm;  oben 
zum  Teil  gerade,  rechts  Bruch,  links  gerade  Fläche  antik,  unten  spät  ab- 
gearbeitet: 

■'6]ni    CTe<J>ANH<t>Öp[0Y 

TOY     AOKIAAOY,     nPo[<l>HTeYONTOC 

CwnÖAlOC    TO?     Mo[ XPHC- 

THC     KAI     YAPO*6pOC     [ Cw- 

5     nÖAlOC     KAI     Ö     YnOXPHc[THC     0IAO- 
nOIMHN     "AnAPONIK.OY     KAI     o[l     TPAMMA- 
TGTc     KAI     0\     NGCOKÖPOI     KAI     ot     k[aTOI- 

KO?NTec   eNTcoi    iep(j)i    kai   o^   ngo- 

KÖPOl    eCTe<t>ANü)CAN     KAI     eTe[iMH- 

10    CAN     eiKÖN!     rPAfTTHI     eniXP^CCDI     ['l-? 

CaToN     AlOrNHTOY     TAMieYCANT[A 

e-Y-ceBcoc    kai    apianta  tccoc    kai    [ai- 

KAlü)C  e<t>'   OY     KAI     XneCTÄAH 

TCüi   eeui   AcopeA   Ynö    BACiAecoc 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  ü!)er  Ausgrabungen  in  Milet  und  Didyma.      51 

15   TTtoagmaioy   eeoY   ngoy   Aionycoy 
ÖAÖNTec   eAe<j)ÄNT(i)N   AA   Äro- 

NTeC     CTAGMÖN     TÄAANTA     KA 
MNÄC     K,     npeCBeYCÄNTOON 

Z.  3  XPHCTHC  ergänzte  v.  Hiller,  dem  ich  auch  für  andere  \'erbesserungen  zu  Dank 
verpflichtet  bin;  er  bemerkt  mir  dazu:  xpi^cthc  ist  uns  geläufig  für  den  Geldwechsler;  aber 
bei  Hesych  steht:  xphcthc-  ö<j>eiAeTHC-  ö  mantic-  kai  ö  aaneictkic. 

Legt  man  diesen  Angaben  das  kleine  ptolemaische  Talent  unter,  wel- 
ches zugleich  dem  jüngeren  attischen  entspricht' und  welches  das  leichteste 
Gewicht  unter  allen  Talenten  des  Altertums  darstellt,  nämlich  20,473  ^g» 
so  hat  der  König  im  Minimum  482  kg  Elfenbein  geschenkt;  auf  jeden 
Zahn  kommt  das  Durchschnittsgewicht  von  14,4  kg,  während  das  heutige 
Durchschnittsgewicht  afrikanischer  Elefantenzähne  nur  9  kg  beträgt  (Brehm- 
Pechuel-Loesche,  Säugetiere  S.  37).  Auf  jede  der  drei  Flügeltüren  ka- 
men 1603/4  kg  Elfenbein. 

Eine  imposante  Freitreppe  von  16  m  Breite  führte  6  m  tief  zum 
Hauptsaal  herab.  Hier  ist  die  Arbeit  im  Gange.  Die  Füße  der  beiden 
korinthischen  Halbsäulen  sind  wohlerhalten  zum  Vorschein  gekommen  (Taf. 
XIII),  südlich  sind  zwei,  nördlich  fünf  Halbsäulentrommeln  erhalten.  Auch 
die  seitlichen  Pilasterprofile  der  Wand  sind  in  sehr  gutem  Zustande  und 
mit  einer  lichtgelben  Patina  überzogen,  die  dem  Ganzen  eine  vortreffliche, 
warme  Wirkung  verleiht. 

Die  oberste  Stufe  der  großen  Freitreppe  ist  5  5  cm  hoch ;  aus  Bequem- 
lichkeit hat  man  vor  dem  Mitteleingang  die  Höhe  durch  einen  Marmor- 
schemel ausgeglichen,  der  eine  späthellenistische  Zutat  zu  sein  scheint; 
zwischen  Löwenfiißen  zeigt  er  einen  Mittelstreif  mit  der  Darstellung  einer 
Jagd  von  Eroten  auf  wilde  Tiere. 

Im  Augenblick  des  Abschlusses  dieses  Berichtes  werden  die  beiden 
kammerartigen  Vorräume  vor  den  überwölbten  Zugängen  ausgegraben, 
deren  lichte  Breite  1,75  m  beträgt.  Die  Kassettendecke  des  südlichen  Ge- 
maches zeigt  in  der  Mitte  eingesetzte  Marmor^-osetten.  Der  Raum  reicht  bis 
über  den  zweiten  Pfeiler  der  Langwand  in  die  Cella  hinein.  Den  oberen 
inneren  Wandabschluß  bildet  eine  Faszie,  darüber  eine  Kehle  mit  zwei  Plätt- 
chen und  glattem  lesbischen  Kyma  nebst  dessen  Deckplatte.  Den  äuße- 
ren Abschluß  bildet  ein  Deckprofil,  das  sich  an  der  Treppe  in  Oberstufen- 


52  Tn.   Wieg  and: 

höhe  als  Krönung  der  Treppen wange  totläuft.  Neugefundene  Kapitelle 
im  Hauptsaal  bestätigen  die  frühere  Annahme  des  Wechsels  zwischen  Grei- 
fenkapitellen und  Ornamentkapitellen,  und  zwar  in  der  Folge,  daß  an  den 
beiden  östlichen  Ecken  die  Reihe  mit  Greifenkapitellen  eröffnet  wurden. 
Über  den  Bauzustand  des  Hauptsaales  beim  Verlassen  des  Aufbaues  ließ 
sich  soviel  ermitteln,  daß  als  letzte  Werkstücke  die  äußeren  und  inneren 
Architrave  verlegt  waren.  Ein  Werkstück  bewies  mit  Sicherheit,  daß  die 
Pilasterkapitelle  und  die  Säulenkapitelle  des  Pteron  in  gleicher  Höhe  ge- 
legen haben,  da  es  ein  durchbindender  Block  ist,  der  auf  der  Innenseite 
den  oberen  Teil  des  zwischen  den  Pilasterkapitellen  laufenden  Greifen- 
frieses zeigt  und  auf  der  Außenseite  das  Abschlußgesims  der  Wand  trägt. 

Über  den  Verband  der  einzelnen  Werkstücke  unter  sich  bemerkte 
Knack  fuß  im  Tagebuch  vom  22.  März  1909  folgendes:  «Bei  den  Ab- 
räumungsarbeiten  im  Pronaos  haben  sich  zahlreiche  Bronzedübelschuhe  ge- 
funden, teils  lose,  teils  noch  in  den  Säulentrommeln  sitzend,  so  daß  das 
Verdübelungssystem  der  Säulen  hier  sehr  schön  erkennbar  ist.  Im  Mittel- 
punkt sowohl  des  Ober-  als  des  Unterlagers  ist  je  ein  außen  viereckiger, 
innen  runder  Bronzeschuh  eingebleit,  in  welchem  ein  runder,  nach  oben 
und  unten  etwas  konisch  verjüngter  Bronzedollen  sitzt.  Nahe  dem  Rande 
der  Trommeln,  auf  einem  Radius,  der  rechtwinklig  zu  dem  die  beiden 
Wolflöcher  verbindenden  Durchmesser  steht,  sitzt  ein  ähnliches  Dübel- 
system, das  sich  von  dem  in  der  Mitte  nur  dadurch  unterscheidet,  daß 
der  Dollen  und  damit  auch  die  Schuhe  einen  rechteckigen  —  nicht  qua- 
dratischen —  Querschnitt  haben.  Die  Dollen,  runde  wie  viereckige,  sind 
hohl  gegossen  (als  Röhre)  und  im  Innern  mit  Blei  ausgefüllt.  Der  größte 
Durchmesser  eines  runden  DoUens  beträgt  etwa  50  mm.  Der  Zweck,  der 
bei  der  Verwendung  runder  Mitteldollen  verfolgt  wurde,  ist  offensichtlich 
nur  der,  das  Aufeinanderpassen  der  Trommeln  zu  erleichtern,  da  beim 
viereckigen  Mitteldollen  durch  eine  geringfügige  Verdrehung  derselben, 
die  bei  dem  Verziehen  und  Einsetzen  nur  zu  leicht  erfolgen  konnte,  schon 
eine  erhebliche  und  schädliche  Klemmung  des  Randdübels  eintreten  mußte. 
Ähnlich  viereckige,  nur  etwas  schwächere  Bronzedübel  sind  anscheinend  bei 
der  Verdübelung  des  Gebälkes  oder  der  Decke  verwendet  worden ;  dieselben 
haben  jedoch  keine  Schuhe,  sondern  sind  einfach  mit  Blei  vergossen.« 

Wichtige  Veränderungen  gegenüber  den  Annahmen  Pontremolis  haben 
sich  auch  an  den  Figurenkapitellen  der  Ostfront  und  dem  Gebälk  ergeben. 


Siebenter  vorUußger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Didyma.      53 

Pontremoli  hat  die  Stücke  des  nahe  der  Südostecke  von  ihm  gefundenen, 
jetzt  in  Konstantinopel  befindlichen  Kapitells  mit  Göttermasken  (Didymes, 
pl.  VII  ff.)  in  der  Weise  ergänzt,  daß  er  es  als  Krönung  der  zweiten  Front- 
säule von  Süden  benutzte.  Dabei  hatte  er  für  jede  Volute  eine  Büste  so 
angeordnet,  daß  die  beiden  Köpfe  sich  gegenüberstanden  und  anblickten 
(Didymes,  pl.  XVI,  vgl.  pl.  XI).  Jetzt  haben  wir  aber  die  Säule  und  das 
Gebälk  der  Nordostecke  in  unberührter  Fallage  gefunden,  und  es  zeigt  sich, 
daß  Figurenkapitelle  überhaupt  nur  für  die  Ecksäulen  vorhanden  waren 
und  folglich  eine  andere  Ausbildung  gehabt  haben  müssen,  als  Pontremoli 
annimmt.  An  der  Ecke  springt  nämlich  an  Stelle  der  Eckvolute  eine 
gewaltige  Greifenprotome  hervor,  deren  Flügel  auch  an  dem  in  Konstan- 
tinopel befindlichen  Kapitellfragment  erkennbar  sind.  Hierauf  folgt  jedes- 
mal in  der  Mitte  der  beiden  äußeren  Seiten  der  Stierkopf,  sodann  an 
Stelle  der  anderen  Volute  eine  Götterbüste,  so  daß  deren  Kopf  in  der 
Richtung  nach  der  Eckbildung  zu  drohend  in  die  Ferne  blickt.  Das  Ganze 
ist  also  völlig  konsequent  apotropäisch  komponiert.  Von  der  Greifen- 
protome ist  der  Körper  und  der  Hals  gefunden,  der  Kopf  noch  nicht. 
Eine  Bestätigung  für  diese  Anordnung  zeigen  uns  Pfeilerkapitelle  am  Auf- 
gang des  Theaters  zu  Milet.  Auch  hier  findet  sich  eine  Greifenprotome 
als  Eckvolute,  die  andere  Volute  nimmt  die  Büste  eines  bärtigen  Gottes 
ein  (vgl.  Didymes,  S.  174).  Daß  in  der  trajanischen  Zeit  noch  am  Theater 
in  Milet  gearbeitet  wurde,  steht  fest  (vgl.  Dritter  Miletbericht,  Sitzungsber. 
d.  Berl.  Akad.  d.  Wiss.  1904,  S.  83ff.)\ 

Eine  wesentliche  Veränderung  erleidet  ferner  Pontremolis  Anordnung 
des  Gebälkes;  bekanntlich  besteht  der  Fries  aus  einzelnen  Teilstücken, 
welche  abwechselnd  mit  Ranken  und  Medusenmasken  geschmückt  sind. 
Diese  Teilstücke  sind  mit  Hilfe  des  sogenannten  scheitrechten  Bogens  in- 
einandergefügt, so  daß  das  »hängende«  Stück  jedesmal  über  das  Inter- 
i  kolumnium  kommt,  das  »tragende«  jedesmal  über  der  Säule  liegt.  Irr- 
tümlicherweise hat  Pontremoli  den  Schmuck  der  beiden  Kategorien  ver- 
tauscht, wie  eine  Nachprüfung  durch  H.  Knackfuß  ergab.  Die  Medusen 
gehören  nicht  über  die  Kapitelle,  sondern  iv  die  Mitte  über  die  Inter- 
kolumnien,  während  sich  die  Ranken  aus  einer  gemeinsamen  Wurzelknospe 


1  Ich  habe  mich  nicht  überzeugen  können,  daß  die  von  Rayet  im  Theater  von  Milet 
aus  der  byzantinischen  Sperrmauer  gezogene  Weihung  an  Augustus  (Hausso ullier,  Milet 
8.  260)  die  "dedicace  du  theätre«  ist. 


54  Th.   Wieg  and: 

über  dem  Kapitell  regelmäßig  nach  beiden  Seiten  entwickeln.  Dies  ent- 
spricht der  Gewohnheit  des  Altertums  (vgl.  z.  B.  die  Halle  des  Vergilius 
Capito  in  Milet,  Sechster  Bericht,  S.  14,  Fig.  5).  Die  Eckbildung  des 
Frieses  zu  ermitteln,  hatte  Pontremoli  damals  nicht  die  Möglichkeit  und 
hat  deshalb  die  Ecke  lieber  kahl  gelassen  (Didymes,  pl.  XI).  Jetzt  wissen 
wir,  daß  der  Eckschmuck  durch  zwei  einander  von  den  beiden  Seiten  zu- 
strebenden Ranken  gebildet  wurde,  dazwischen  saß  an  der  Kante  noch 
ein  blumenartiges  Gebilde,   das  die  äußerste  Ecke  füllte. 

Nachdem  sich  die  Formen  namentlich  beim  Eckkapitell  in  dieser 
höchst  barocken  Weise  herausgestellt  haben,  halte  ich  es  nicht  mehr  für 
möglich,  sie  der  hellenistischen  oder  auch  nur  der  Bauzeit  Caligulas  zu- 
zuschreiben. Vielmehr  weist  alles  auf  engste  Beziehungen  zu  der  Kunst 
von  Aphrodisias,  trajanischer  und  hadrianischer  Zeit.  Daß  Milet  große 
kaiserliche  Wohltaten  von  Trajan^  empfing,  wissen  wir  ja  längst,  wenn 
dabei  auch  nicht  gesagt  ist,  daß  die  Fürsorge  des  Kaisers  sich  über  den 
heiligen  Weg  hinaus  erstreckte.  Aber  auch  Hadrian,  den  Milet  als  seinen 
KTicTHc  verehrte,  dessen  Bild  es  auf  seine  Münzen  setzte  und  der  ja  selbst 
in  Milet  und  Didyma  gewesen  ist,  kommt  in  Betracht.  Für  seinen  Besuch 
haben  wir  ein  neues  epigraphisches  Zeugnis  gewonnen:  in  einer  im  Pro- 
naos  zu  Didyma  gefundenen  Inschrift  (Inv.  Nr.  350)  wird  ein  Bürger  ge- 
ehrt, weil  er  am  geheiligten  Tage  des  Besuches  des  Kaisers  (igpa  Hr^ePA 
THC  eniAHMiAC  TOY  A^^TOKRÄTOPOc  TpAiANO?  "Aapianoy  Kaicapoc)  das  Öl  gratis  in 
den  Bädern  spenden  ließ. 

Den  Ornamentschmuck  der  Säulenbasen  an  der  Ostfront,  der  mit  seiner 
älteren,  strengeren  Geschmacksrichtung  noch  alle  Beziehungen  zur  helle- 
nistischen Kunst  zeigt,  die  für  die  Zeit  des  lulisch-Claudischen  Herrscher- 
hauses charakteristisch  sind,  die  wir  aber  an  den  Figurenkapitellen  gänz- 
lich vermissen,  wird  man  der  Zeit  des  Gaius  Cäsar  zuschreiben  müssen. 
Es  wird  damit  in  der  Tat  der  von  Haussoullier  (Milet,  S.  277)  stark  be- 
zweifelte Fall  angenommen,  daß  von  allen  Säulen  der  Ostseite  des  Tempels 
die  Frontsäulen  zuletzt  fertig  wurden.  Technische  Unterschiede  in  der  Art 
der  Verlegung  der  Basen  scheinen  dies  zu  bestätigen. 


'  Ihm  war  in  Didyma  ein  besonderer,  reich  mit  Tabernakel  gezierter  Bau  gewidmet. 
M.  Schede  hat  die  Inschrift  jetzt  richtiger  als  frühere  Herausgeber  zusammenstellen  können 
(Inv.  Nr.  334):  "AnÖAACüNi  AiaymcT  'ApTeMiAi  TTysImi  Ahto?,  Ali  kai  aytokpatopi  KA[i]cAPi  Tpa- 
IANÖI  'AaPIANCüI    CeBACTCül    KAI    Ahmcüi   TCüI    AAiahcicon. 


Bkhenter  vorläufiger  Bericht  i'iber  Ausgrabungen  in  Milet  und  Didyma.      55 

VI.  Bauinschriften  und  Sehatzverzeichnisse  des  Tempels. 

A.    Bauinschriften. 

I.  (lefunden  im  Pronaos;  weißlichgrauer  Marmor.    Höhe  3  i  ,5  cm,  Breite 

44  cm,    Durchmesser   19  cm,    Buchstabenhöhe    1,5  cm.     Oben,   rechts   und 

unten  roh  in  später  Zeit  behauen,  links  Bruch.    Buchstabenformen:  N  <  A  "P" . 

neTPiJNOi    A^   Aieoi    kgTntai    eni   je   tön   toixun 

KAI     GN     Ttül     KPHJniACOMATI     TeXPAKÖCIOI     ÖrAOHKONTA,      leer 

Sm     M^TPHMA     nÖAejc     ÖKTAKICXIAIOI     neNTAKÖCIOI     eNeNf^KON[TA 

TieejweNOY   ag   to9   noAÖc   twm   m^n    c*onayacü[n 

5     KAI APAx]mCON     ei,     TÖN     AG     HMinAlNeiCDN      leer 

ü)]c     TOY     nOAÖC     APAXMÜN     TeTTAPa)[N 

a)C    t]o9    nOAÖc    apaxmwn    tpicon     leer 

TljeeW^NCüN     CüC    TO?    nOAÖC      leer 

neTPiN?]a)N   tum   mgn    eni    tön   toix[ü)n 

10 apax]mhc,    tön    a^   gn   töi   XnoAO- 

ncMÖi    TÖN    GPruN ]    6mo9    riN0[NTAI 

GTMI^eHCAN 

IL  Gefunden  im  Dorf  Jeronda  im  Haus  der  Kalymnia.  Bläulicher 
Marmor.  Höhe  21  cm,  Breite  48  cm,  Durchmesser  22  cm.  Buchstabenhöhe 
I  cm.  Linke  Seitenfläche  erhalten,  sonst  Bruch.  Inv.  Nr.  345.  Buchstaben- 
formen :   TT  K  o  N  Ä  . 

.   .   nPÖAOMON 

HMIKYKAIOY 

ÖrAOHKONT[A 

KAI     Gn6A6KH[cAN     odcr    GnGAGKHOHCAN 

5   AYO,   Sn   nÖA[ec 

CAN     AG     KAI     Ol 
TOYC     ÜANT 
T6CC6PAC 

TP6ICHMYC-     (so)      [-        "        "        H- 
10    AAinAINeiA 
t]aAG     KAI     n 
.   .   KONTA- 
.    .   .  ONTA 

leer. 


56  Tu.   Wieg  and: 

Illa.  Gefunden  im  Schutt  des  Mittelsaales  (sog.  xPHCMorpA<j>eToN).  Bläulicher 
Marmor,  gestreift.  Höhe  63  cm,  Breite  oben  71,5  unten  72  cm.  Durch- 
messer 21  cm,  Buclistabenhöhe  12  mm.  Oben  Bruch.  Rechts  und  links 
antike  Seitenfläche.  Unten  beendet,  Rest  eines  abgebrochenen  Zapfens.  Die 
letzten  10  cm  der  Oberfläche  sind  roh  abgearbeitet  in  einer  Tiefe  von  10  cm. 
Buchstabenformen:   ANrio,    Auf  beiden  Seiten  beschrieben  (s.  Illb)  Inv. 

Nr.  291. 

AFo 

>- 1 1  ÖKTü)   r  A 

TOixoY    nAPA[e]YPOY    Kti^cconoc    ka[i 

-    KAI  GK  M^N  THC  eKTjoc,  TÖN  tö  nAxoc  neNeHMinoAiwN  n^Nxe,  Sn  TOM  np(Jj[TON  eni 

5     Tü}]l  nAPAe'Y'PCOI   KAI  TÖN  exÖMGNON   IGPOYC,  TPiTON   MoiPeOY,  T^TAPTON   IGPON,  ri[eMnTON 

MjOAnArÖPOY'   er  ag  thc  gntöc,  tön  tö   nÄxoc  TPiHMinoAiWN   Aio,  töm  npcL)T[oN 

GeOAÖTOY,     TÖN    AG    MoAnATOPGY'     ANTGeHKAN     AG     TOfTOIC     nCTPINOYC     OGNTG,     (p[N 
TÖN    XnÖ   T09   nAPAGYPOY    IGPÖN,    AGYTGPON    CtPATUNOC,    TPITON     KAI    T6TAPT0N    IGp6[n, 

n^wnTON    Ctpätconoc    kai    cni   toy    gypaioy   to?   aabypingoy  gk  thc  gktöc,   tön 
10  TÖ    nÄxoc   nGNeHMinoAiuN   tgccapac,   töaa    hpöton    Xnö   to?   gypaioy   toixo[y 

MoAHArÖPOY,     AG^TGPON     KaAAIKPÄTOY,     TPITOM     MgTAKAGOYC,     TGTAPTON 
MoAnArÖPOY"     ANTGGHKAN     AG     TOYTOIC     nGTPINOYC     Gl,     Sn     TOYC     nPÖTOYC     AYO 
IGPO^C,     TOYC     AG     AOinOYC     CtPATUNOC  *      6GHKAN     AG     KAI     Gnl     TOY     MGCOTOIXOY     TOY 
AABYPINGOY     nGNGHMinOAlOYC     RGNTG,     Sn     TÖM     nPÖTON     AOÖ     TOY     GYPAIOY 

15     KaAAIKPÄTOY,     AGYTGPOM     TTpÖTOY,     TPITON     IGPÖN,     TGTAPTON     6'Y'TYXOY, 

n^MÜTON     IGPÖN"     KaI     tön     AIA0PÄCCONTA     TI^N     ANÄBACIN     TPIHMinÖAlON     NgCüNOC. 
ANTGGHKAN     AG     TOYTOIC     nGTPINOYC    TGCCAPAC,     TOM     nPÖTON     CtPÄTÜNOC, 
TO'Y'C   AG    AOinOYC    IGPO^C,    KAI    TÖN    AIA*PÄCCONTA    CtPÄTCüNOC     GGHKAN    A^    KAI    GN    TÖl 
Aü)AGKÄTü)l     AÖMCOI     AM<t)ICK^nAPNOM     HAPÄ     TÖM     nPOHNGMON     ToTxON     T09     BOPGIOY 

20    M^POYC,  MoAnArÖPOY.     leer   2  B.     Ol  AG  nCPI  "ÄNTinATPON   ÖNTGC  AGKAT^CCGPGC  GGHKAN 
GN     TÖl     NOTIWI     M^PGI     TOY     TPGICKAIAGKATOY     AÖMOY     AIATOIXON     GN     TÖl     TGTTÄPTCOI 
MGTACTYAlü)!     XnÖ     TOY     nPOHNGAAOY     TOIXOV,     TTpÖTOY'     KAI     GK     THC     ^NTOC,     TÖN 
TÖ    nÄxoc    neNGHMinOAlWN,    AIGOYC    AYO,   tön    AG    nPÖC   TÖl    AIATOIXIUI  ■'AcKAHniOAÖPOY 
KAI    TÖN    GN    THI     61HC    nAPACTÄAI    "AcKAHniOAÖPOY '     XnTGGHKAN     AG     TO^TOjC    AiGo[YC 

25     nGTPINOYC  A^O  IGPOYC    GGHKAN  A^  KAI   GN  TÖl  [n]oTIü)I  M^PGI   TOY  TGCCAPGCKAIAeKÄ[TOY 
AÖMOY     TÖN     TG     TCONIaToN     TÖ[n     k]aTA     nPOAOMON     IGPÖN     KAI     GK     THC     GKTÖC,     TÖN 

TÖ   nÄxo]c   rTGNGHM!no[Aiü)N  —  21  bis  22  B.  —  ]töm   npöc   töi 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Didyma.      57 
Illb. 

TPeT]c   lepoYC    ANTeeH[KAN   Ae   to^toic   neipmovc   eniA, 

Sm   weN    n^NTe    lepoYC,   tön    ag    skton      -,   tön    ae    gbaomon 

.    .   _IFON'     TUN     AG     AieCON     Ol     MGM     n?PI    ■AnOAA(«)Nl[oN 
.   .   eneAGKHCAN     tön     TÖ     nAxOC     TPIHMinOAlCüN     A[a)POY, 
5     Ay]o     MGN     TPinOAAC,     n^NTe     A^     TPinOAAC     HMinOAlOY 

t]pIAü)PON,     A-fo     AÖ     TeTPAnOAAC,     TÖN     Ae     TPinOAA     AÜ)P[0Y, 

neNTÄnoAA    HMinoAiOY"    kai    tun    TÖ    nAxoc   neNeAMi[cY 

TOM     MGN     TeTPAnOAA,     TON     AG     TPinOAA     TPIACOPON,     AAAo[n 
TeTPAnOAA     HMinOAlOY,     ÄAAOYC     TPgTc     TPinOAAC     HMinoTAlOY, 

lo  TÖN   AÖ   neNTAnoAA,   aaaon   eiAnoAA'   CYMnAe^pOYC  TPe[Tc 

HaAtOC     TOM     MÖN     TPinOAA,     TÖN     A^     TeTPAHGAA,     AAAON     AinOA[A 
TPIACDPON     KAI     BACAAIaToM     MHKOC     eOTAnCAA,     HaAtOC     TPinOAA 
HMinOAlOY,     nAPAr(i)NIOM     MHKOC     eNNEÄnCAA,     nAATOC     TPinOA[A 

HMinoAiOY.     leer  2  B.     Ol   AG   nepi   Antihatpon   cTeMor   kai    eneACKHCAN 

15     TWNIaTon     TÖr     KATA     nPOAOMON     GIC     AM*ÖTePA     6[l]AnOAA,     AAAON 

tconiaTon    TÖr    kat'  öniceÖAOwoN,    mhkoc   hoacon    gnn^a 

HMinOAlOY,  HaAtOC  eiAnOAA,  GN  AG  TOTc  APMOTc  TPinOAA 
HMinOAlOY  KAI  AlATOixOYC  Gl,  Sn  TÖM  M^N  6K  THC  GKTÖC 
neNTAnOAA     TPIACOPON,     GT     AG     THC     GNTÖC     TpinOAA     AtÖPOY, 

20     TÖN     AG     Gr     MGN     THC     GKTÖC     GlAnOAA     TPIACOPON,     GT     AG     THC     6NTÖ[c 
TPinOAA     AWPOY,     AAAON     GK     THC     GKTÖC     ÜGNtAhCAA     TPIACOPON, 

Gr    AG     THC     GNTÖC     TPinOAA     TPIACOPOY,     a'aAON     6K   THC   GKTÖC   ÜGNTAhCAA   TPiAa)[pON, 
er    AG     THC     GNTÖC     ÜGNTAhCAA     Aü)POY,     AAAOM     MHKOC     nCNTAnOAA     HMinOAlOY, 
HaAtOC    TPinOAA     HMinOAlOY,     ÄAAOM     MHKOC     GK     THC     6KTÖC     GlAnOAA     HMinOAlOY 

25     Gr     AG     THC     GNTÖC     TGTPAnOAA     HMinOAlOY,     AM*ICKenAPNOYC     TPcTc,     CYMnA[GYPOYC 
Gl,     HaAtOC     TGCCAPAC     MÖN     TplnOAAC,     TÖN     AG     TGTPAnOAA     HMinOAlOY,     a'[aA0N 

TPinoAA    HMinoAiOY*    KAI    hapAgypom    mhkoc   tgtpAhoaa    üaAtoc   T[pinOAA 

HAAinOAlOY'     KAI     TÖN     TÖ     HAXOC     neNGHMinOAlüN     AieOYC     gTkOCI     TeCA[PAC, 

Sn     iei     MGN     GlAnOAAC     HMinOAiOY,     T6CAPAC     AG     nCNTAnOAAC     Hm[iCY,     AYO?     AG 

30   GiAnoAAC,    tpgTc   GnTAnoAAC,   t^ccapac   t6tpA>uoaac,   tpgTc   TÖ    [mhkoc 

nCNTAnOAA     ACOPOY,     ÄAAON     TGTPAnOAA     Aü)POY,     TÖN     AG     TPinOAA     A[a)POY, 
aaaon     TGTPAnOAA     HMinOAlOY  '     KAI     TÖN     TÖ     nAxOC    TPIHMinOAlCüN     Aie[oYC 
GIKOCiOKTü),     Sn     GOTA     MGN     TGTPAnOAAC     HMinOAiOY,     TÖN     AG     GlAnOAA 
TPIACOPON,     TPGTc     AG     GnTAnOAAC,     AAAON     TGTPAnOAA     TPIACOPON,     TÖN     AG 
Phil-hist.  Klasse.    1911.    Anhang.    Ahh.  I.  8 


58  Th.   Wiegand: 

35    eiAnoAA   acIjpoy,  a^o    a^   neNTÄnoAAC    tpiacopoyc    kai    eiAnoAAC   ayo, 

tön]     Ae     eNAGKÄnOAA,     ÄAAOM     neNTAHGAA     AdÖPOY,     TON     A^     eiÄnOAA 
HAAinoJAlOY,     n^NTG     AG     TeTPAÜGAAC,     TÖN     AG     nGNTÄnOAA     HMinOAlOY,     AAAo[n 

TPi    oder    AinoAAJ    tpiacopon,    tön    aö    TeTPÄnoAA    [a{Iü]poy     leer. 

Die  Rechnung  wird  nach  Arbeitsgruppen  abgelegt.  Betrachten  wir 
zuerst  den  Text  Illa.  Es  handelt  sich  um  einen  geschlossenen  Rechnungs- 
abschnitt von  Z.  I  bis  20.  Gebaut  wird  an  der  Nordhälfte  des  Tempels 
(Z.  19),  und  zwar  im  Mittelsaal.  Der  Text  beginnt  mit  der  Verlegung  von 
Marmorquadern  und  Kalksteinen  (letztere  im  Innern  der  Mauern)  über  und 
neben  einem  hapägypoc  (aigoc).  Es  kann  dies  ein  Werkstück  an  einer  Seiten- 
tür des  dreiteiligen  m^ta  gypooma  gewesen  sein,  vielleicht  auch  kann  er  zur 
Querwand  zwischen  Dodekastylos  und  Mittelsaal  gehören.  Aus  Z.  18  scheint 
hervorzugehen,  daß  wir  uns  in  der  elften  Bauschicht  der  Mauer  befinden, 
da  die  zwölfte  dort  folgt.  Z.  9  geht  die  Verlegung  der  Quadern  auf  den 
gypaToc  (toTxoc)  toy  AABYPiNeoY  übcr,  d.  i.  die  Eingangswand  zum  nördlichen 
Treppenhaus.  Hierauf  (Z.  1 3)  werden  Steine  verlegt  auf  der  inneren  Scheide- 
wand des  nördlichen  Treppengehäuses  (eni  io9  MecoToixoY  to?  aabypingoy),  wo- 
bei man  einige  Steine  in  der  Höhe  eines  Treppenpodiums  legt,  das  den 
Aufgang  unterbricht  (Z.  16,  AiA<t>pÄccoNTA  ti^n  anäbacin).  Endlich  wird  ein 
Winkelstein  an  der  äußeren  Nordseite  (hapa  töm  npoHNewoN  toTxon  toy  bo- 
peioY  MGPOYc)  verlegt. 

Hierauf  beginnt  die  Rechenschaftsablage  einer  neuen  Gruppe  von  1 4  Ar- 
beitern, tön  nepi  "ANTinATPON.  Diese  hat  auf  der  südlichen  Langwand,  und 
zwar  in  der  dreizehnten  Schicht  des  Hauptsaales  im  vierten  Pfeilerzwischen- 
raum (von  der  Ostseite  ab  gerechnet,  also  an  der  Eingangsseite  in  den 
Hauptsaal),  gearbeitet.  Nach  dem  Prodomos  zu  scheint  schon  eine  Schicht 
mehr  gelegen  zu  haben,  hier  wird  in  der  vierzehnten  Schicht  ein  Winkel- 
stück und  anderes  Material  verlegt  (Z.  25 — 27);  dann  bricht  dieser  Text  ab. 

Der  Abschnitt  der  Rückseite  des  Steines,  III b,  läßt  uns  in  den  ersten 
vierzehn  Zeilen  leider  im  unklaren  darüber,  an  welcher  Stelle  des  Tempels 
die  Steinarbeit  stattfindet.  Mit  Z.  14  beginnt  aber  wieder  die  Arbeits- 
gruppe der  nepi  "ANTinATPON,  welcher  wir  vorhin  schon  begegneten;  sie 
wird  an  derselben  Stelle  weiter  tätig  sein.  Hierauf  folgt  eine  große  An- 
zahl Quadern  der  verschiedensten  Abmessungen,  welche  im  Anschluß  an 
einen  Winkelstein  katä  öniceÖAOMON  (Z.  16)  verlegt  werden  und  deren  Auf- 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Mikt  und  Bidyma.      59 

Zählung  bis  zum  Schluß  der  Urkunde  geht.  Wir  würden  hier  in  Ver- 
legenheit kommen,  da  es  am  Didymeion  einen  Opisthodom  im  gewöhnlichen 
Sinne  des  Wortes,  also  der  Vorhalle  des  Tempels  entsprechend,  nicht  gibt, 
wenn  uns  Haussoulliers  einleuchtende  Erklärung  nicht  gezeigt  hätte,  daß 
der  Ausdruck  hier  lediglich  die  allgemeine  Richtung  andeutet,  in  welcher 
die  Verlegung  stattfindet  (partie  posterieure,  vgl.  Revue  de  philologie  1905, 
S.  261). 

IV.  (befunden  im  Pronaos  nahe  den  östlichen  Frontsäulen,  4  m  über 
dem  Tempelboden,  von  Z,  28  ab  anpassend  an  das  im  VI.  Bericht  S.  39 
publizierte  Fragment  (s.  d.),  das  mit  einigen  nachträglichen  Korrekturen 
hier  wiederholt  wird,  die  einer  Revision  des  Steines  durch  H.  Lattermann 
verdankt  werden. 

Änö   t]hc   tpia[ka]a[oc   to9      -      mhnöc 

GjAPrHAlÖNOC     MHNÖC     nAPeCT[ACAMeN 

]    TÖN    rü)NiAia)N   TCON    eni    toy   I///   [ 

.  .  .  KAtJaTAY^HN    tun    GN    A-Y'ToTc    rACTPCüN    MI/    [ 

5    .  KAI    ANTie^MA[TA,    S]n    nOAGC    CTePGOl    eiAKÖCIOI    A^O    a[cl)pon,    Tiee- 
Aa]^NOY     AG     TOY     nOAÖ[c]     APAXMÜN     TPICJN.       leer   2  B.       riNONTA[l     APAXMAI 

x]iAiAi   ÖKTAKÖciAi   €5   öbgaöc.     Kai   eneKOYAMeN   Ynöcn[eiPON,   OY   nö- 

AeC     AA    TieeM^NOY     a)C     toy     nOAÖC     A    APAXMAI     AA.       KA[Te3E^CAMeN     AE     KAI 
TOYC     TOIXOYC     TOYC     [gJn     Tü)I     nPOAOMUI     TOY     Aü)AeKACT^[AOY     nOAGC 

lo    ej'Y'eYMeTPIKOI     TTYNOS     CDC    tön     HÖAA    AS    UN     riNON^TAI     APAXMAI 

MFTPFO-X.       KaTGI^CAMCN     AG     KAI     TON     G-Y'GYNTHPIaToN     [aIGON?     HÖAGC 
1]N0S    Ü)C     TÖN     nÖAA     A    r[l]NONTAI     APAXMAI     IN  OS.       KaI     Ka[tGI^CAMGN     BAe- 
MiJaAC     A^O     6N     THI     ANABÄCGI     THI     6N     TU!     AA^TCOI     nÖAAC     6V'eYMe[TPIK0'y'C     P 
U)C]     TÖN     nÖAA     A     APAXMAI     P.       KATGrAYYAMGN     A^     KAI     THIN     Cn[GTPAN     THN 

15     Gn]     tu     ACüAGKACT^ACOI     KAI     TI^N     T09     OAO?,     UN     HOAGC     PIO     [uC     TÖN     nÖ- 
Aa]     APAXMUN     A     APAXMAI     YOC.      ""HprACÄMGeA     AG     KAI     THN     Cn[GTPAN     GIC 
t]^N     KATArAY<t>HN     THC     CXOINIAOC     GHI     nOAAC     PZ,     UC    TÖN     nÖAA     A,     APA- 
x]mAI     PZ.       'HprACÄMGeA     AG     KAI     C*ONA^AOYC     IC,     Ü)N     nÖAGC    FT  <l>  Z  A  [  A 
UC     TÖN     nÖAA     APAXMUN     B     APAXMAI     WPKBS.      "'HprACÄMGeA     A^     KAI     TAI- 

20     n]|AN     KAI     KATGfAYYAMGN     ACTPÄPAACN     OY     nOAGC     OZ^TC,     UC     TÖN     [nÖ- 
AA    APAXMUN     r,     APAXMAI     1  A  A  |=  X  ,     KAI     GnGKÖYAMGN     KAI     6MIAt[(I)- 
CAMGN     nAINeON     HC     HOAGC     TT  A  ,     UC     TÖN     nÖAA    A,     APAXMAI     TTA'.       [KaI     6- 
eJl^KAMGN     YnÖCnGIPON     OY     nÖAGC    n..    UC     TÖN     nÖAA    A    APAXMAI     H.. 

8* 


60  Th.   Wiegand: 

24  K]aI     HPrÄCANTO     KAI     KA[T]drAYYA[N     Ke<J>AAAc]     ICONIKAC     A^O,     ÜN     nÖAGC 

r^  r  In       -^  ^  s       j  ,      r 

25  Y]OZ4    ü)C    TON    noAA    apaxm[ü}N    rfX    apaxmaJi    WßTTC-X,    KAI    eCTHC[A- 
WeJN     TÖN     KIONA     XnÖ     THC     BOP^JOY     nAPACTAAOc]     CYN     Ke<t>AAH,     OY     nÖAe[c 
...AS,     CüC     TÖN     nÖAA     A,     Ap[aXMAI KAI     HPrACANTO     Ka[| 

tön]   neTPiNcoN    aigoyc   N    [.  .  .  .   eic  thn   oikoJaomPin   nÖAec   CT[epe- 

01  TTAbUcüc]  tön   noAA  -X  ap[axmai  FT  XAA.     Kai   ÖMAAJiiecoc  thc  eic  tAn   [oiko- 

30     AOMHN     nÖAAC  I.   .   .     d)c]     TON     nÖA[A /X     KAI     nÄ[AI?]N     [aNAKASAP-? 

CeCJC     TOY     SN     MAPÄeHl\  [AATOMiJpY     APAXMAI 


c<i>ONAYAOYC   E ,   Sn   nÖA[ec 

TT  <t>  TT  ,     KAI     TOMHC     KAI     neA[eKHCeü)]c     KPHniAia)[N 


ü)c   TÖN    nÖAA   AC,   apax[mai   ..M]?.     Kai   eneA^K[HCAN    .  .  .   Sn   nö- 

35     AeC    AB,     UC     TÖN     nÖAA     APa[xMü)]n     r,     APAXMAI     SC.       K[aI 

TüJl     eÖAÜI     TÜl     EN     TWI     nPeCB[YTl]Kü)l,     HC     T^SGIKAN     Ol     erAo[riCTAI,     APAXMAC. 

Kai   thc   eiAiP^cecoc   tön    A[ie]ü)N   tön    ck   tön   AM<t>inp[YMNa)N    .... 

KAI   THC    npocArcorfic   thc   a[iaJ    toy   xömatoc   npöc   t[ no- 

AÖN    TTflAZ,     Ü)C     TON     nOAA     X     '///,     APAXMAI     TE       'KAI     Th|c     ArCOTHC     THC     £- 

40   K    TTanöpmoy    eic   tö    igpön    apax[m]ac    P"    kai    thc   Xroorfic   c[*ona^a(jON    E, 
Ke<t)AAÖN    B,   ü)N    nÖAec   »%[...]    ZL,    WC   TOY   noAÖc    [apaxmaJi    [.  .  .  ■    Kai 
XrwrJHC    KAI    CNAPTHicewc   mh[x]anhc   aiköaoy   XnÖ   thc    no[tioy   oapa- 

CTÄAOC     nPÖC     tPiN     APCIN     tön     [c]*0NA^Aü)N    KAI     CTACIN     TOY     K1o[nOC     T09 
TPITOY     XnÖ     THC     BOPeiOY     nAPACT[Ä]AOC     APAXMAI     f     OMOY     O     GICIN     HPHAC- 
45     MGNOI     Ol     ACYKOYPrOl     APAXMAC    Ä  TT  TT  0  /  '     XnhAWTAI     AC     CIC     [aYTOYC, 

etc     TG     TA     ÖYÖNIA     KAI     TÖN     cTto[n]     KAI     TÖN     CIMATICMÖN     KAI     CIC     TIh[n     AIGH- 
riAN     KAI     eiC     TI^N     CTÖMCaCIN     TO?     [c]iAHPOY     KAI     ÖlYNTPA     APAXMAI 

TTOEZX.     TTepieiciN    cn    toic    epro[ijc   apaxmai    MTTßMA        /wr 

■'HprÄCANTO     AÖ     KAI     Ol     AATÖMo[l]     o\    YnÖ     HrO^MCNON     AnOAAAN,     ONTCC 

50    TÖN     XpiewÖN     CYN     YnHPCTAIC     r,IE-     [cJtCMOCAN     KAI     enCACKHCAN     C4>0NAY- 

AOYC  Z,  Sn  nÖAGC  CTCPeOl  TT  O  H,  kai  [Ke<t>]AAHN  lOüNIKHN,  HC  nÖACC  P  O  E  ITl  C,  Sn  ri- 

r  ^  ,  ^  , 

NONTAI     APAXMAI,     ü)C     TOY     nOAÖC    EC,[-]N0X,     KAI     KPHniAIAlKZ,    Ü)N    nOACC'  Y  TT 

%S,    Sc   A  e  ,    APAXMAI    £2B,     KAI    KAAYMMa[ta]   N,    OY   nÖACC   E,    KAI    XnTHPIAIA   SA,    Sn 

nÖAGC   i  A  ,    d)C   TOY    nOAÖC    APAXMÖN    [f,  T]  O  B  '     KAI    TÖN    AAAUN    CPTCüN    Sn    Ol    CrAO- 

B 

55    ncTAi    Xncnhnoxan    eni   tö    NHcanjoieToNj    apaxmac   TTZKEe*    Xnhacotai    a^ 

eic     AYTOYC     etc    Te     TA     ÖYÖNIA     Ka[|     TÖ]n     cTtON     KAI     TÖN     IMATICMÖN     KAI     TA 
Ö5YNTPA     KAI     TA     AOinÄ     AAnANI^[MATjA     APAXMAl     TT  ß  I  '     AOinAi     nePIGICIN 


Sifbenier  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Didyma.      61 

58    eN    TOic    eproic    apaxmai   FTn[-iex.      Omoy    eiciN    HPrACM^NOi     leer 
oY  Te    AeYKOYProi    kai    aatömoi    [apa]xmün    mypiaaac    r     leer 

^  ^  B  Z 

60    KAI    APAXMAC  TT  Y  [•  •]  X      leer 

leer. 

Die  Trennungsstelle  zwischen  dem  neuen  Fragment  (Z.  i — 31)  und 
dem  früher  gefundenen  (Z.  29  —  60)  ist  durch  eine  quer  durchlaufende  Linie 
gekennzeichnet.  Bei  der  Herstellung  des  Textes  hat  Hr.  Haussoullier, 
dem  ich  Abschrift  und  Abklatsch  mitgeteilt  hatte,  in  liebenswürdiger  Weise 
wiederum  seine  höchst  wertvolle  Hilfe  geliehen.  Ihm  verdanken  wir  ins- 
besondere die  teilweise  Herstellung  in  Z.  i  und  2,  12 — 13,  (BAewijAAc), 
Z.  14  (cn[eTpAN),  Z.  29,  30 — 31  sowie  richtige  Ergänzung  der  Zahlzeichen, 
außerdem  eine  Reihe  von  sachlichen  Bemerkungen,  die  im  nachfolgenden 
mit  Anführung  seines  Namens  verwertet  sind. 

Der  Anfang  der  Rechnung  ist  jetzt  fast  vollständig,  denn  sie  beginnt 
mit  dem  Antrittsdatum  der  Behörde  am  dreißigsten  Tage  eines  gewissen 
Monats  und  erwähnt  das  Enddatum  ihrer  Funktion  im  Monat  Thargelion 
(Z.  2).  Hiernach  beginnen  die  einzelnen  Posten,  zunächst  mit  Winkel- 
steinen (rcoNiAToi  Z.  3).  Hierauf  wird  die  Steinmetzarbeit  an  einem  Glied 
des  Tempels  erwähnt,  welches  Ausbauchungen  hatte  (fäctpa  Z.  4),  ein  Aus- 
druck, der  hier  wohl  zum  erstenmal  in  der  Architektursprache  erscheint; 
sodann  folgen,  wie  es  scheint,  wieder  einfachere  Steine  und  der  Abschnitt 
schließt  (Z.  6 — 7)  mit  1806  Dr.  i  Obol.  Das  in  Z.  7  erwähnte  YnöcneiPON 
ist  natürlich  der  mittlere  Teil  der  dreiteiligen  ionischen  Säulenbasis  (nAiN- 
eoc,   YnöcneiPON,   cneTpA). 

Sodann  kommt  ein  Posten  für  die  Glättung  der  Wände  im  npÖAOwoc 
AUAeKACTYAOc  (Z.  9).  Es  bedarf  keines  Hinweises,  daß  hier  die  große  zwölf- 
säulige  Vorhalle  des  Heiligtums  genannt  ist,  die  Z.  15  einfach  den  Namen 
AWAGKACTYAoc  trägt  uud  auch  von  uns  in  Zukunft  ausschließlich  so  be- 
zeichnet werden  wird.  Der  ev'eYNTHPiAToc  (Z.  11)  ist  offenbar  die  unterste, 
glatte  Sockelschicht  der  Wände  des  Dodekastylos,  auf  welchen  die  Speira, 
das  ionische  Fußprofil  der  Wand  sitzt.  Dies  wird  Z.  14  erwähnt,  wo  von 
der  Ausarbeitung  des  cxoinic  die  Rede  ist,  des  unteren,  mit  Flechtband 
gezierten  Wulstbandes  der  Wandspeira  (27),  während  das  obere  wohl  mit 
der  TAiNiA  Z.  20  identisch  ist.  Gleichzeitig  wird  das  Profil  der  großen  Tür  des 
Dodekastylos  hergestellt  (Z.  15).    Die  Astragale  in  Zeile  20  müssen  wohl  an 


62  Tu.   Wieg  and: 

den  Türpfosten  gesessen  haben,  denn  nur  da  finden  sich  solche  Schmuck- 
teile und  auf  sie  könnte  auch  eine  Länge  von  mehr  als  7  7  Fuß  passen. 
Z.  2 1  ist  von  der  Herrichtung  einer  Säulenplinthe  die  Rede,  wozu  auch 
Rötel  gebraucht  wird  (Z.  21).  Spuren  solchen  Rötels  kann  man  auf  den 
Plinthen  der  von  Rayet  nach  dem  Louvre  übergeführten  beiden  Spiren  der 
Ostfront  noch  heute  deutlich  erkennen. 

Auf  diese  Säulenplinthe  wird  das  ynöcneiPON  versetzt  (Z.  23).  Dann 
folgen  zwei  ionische  Kapitelle  sowie  die  Arbeiten  zur  Aufstellung  der  (ersten) 
Säule  nebst  Kapitell  bei  der  Nordante  (die  dritte,  von  dort  gerechnet, 
folgt  Z.  44).     Für  den  Rest  der  Inschrift  verweise  ich  auf  Bericht  VI  S.  39. 

B.    Schatzverzeichnisse. 

I.  Inv.  Nr.  151.  Gefunden  in  der  byzantinischen  Zwingermauer  vor 
der  Ostfront.  Marmor.  Höhe  47  cm,  Breite  57  cm,  Dicke  24  cm,  Buch- 
stabenhöhe oben  14  mm,  von  Z.  i  2  ab  10  — 12  mm.  Rechts  gerader  Schnitt 
antik,  alle  übrigen  Ränder  gebrochen  oder  spät  behauen. 

-     I     XPYCOII 
-     I     ÖAKH,     APAXMAI     eKATÖN 
<t>lÄ]AH     XnAPXI^,     ÖAKH     "ÄAGiAN- 

APeiAi   -      -]    I    ctJiAAH,    Ihn    an^ohkan   Amoptiun 

5  ÖAKh]  "AAGIANAPeiAl  EKATON,  ""HrHClAC 

CaaIaminioc   <J)Iaaac   TPeTc,   Öakih   gkä- 

CTH     APAx]mAI     eKATÖN,     IgnApHC    'ÄNTt^NOPOC     *IÄ- 

AAC     etKJoCI,     ÖAKH     GKÄCTH     MiAHCIAI     GKATÖN.       TaYTA, 

A     ÜAPeAÄBOMeN     nAPÄ     TÖN     TAMIWN,     nAPe[A(iüKA- 
10    MEN     TOTC     TAMIAIC     TOTc     eni     CT6<t>ANH4)ÖPOY 

"AnTI^nJOPOC,    "ApX^AAI    0IA^OY,     9e(I)Pü}l    Ayto<j>ü)ntoc. 

""Gni     CTe4>]ANH<t>ÖP0Y    "ÄNTt^NOPOC     TOY     6'Y'ANAPIAOY,     nPO<t>HTe^ONTOC 

TOY     GeOKPINOY TAMieYÖNTWN     A[e     KAI     nAPG- 

AJPeYÖNTCON     6N     Ttül     ['TejPWI     ApXGAA     t[oY     Oia^OY     GeCOPOY     TOY     A'Y'TO*üi)- 
15     NTOC     TAAG     A[NeT^eH     gJn     THI     [ -        -        "AnOAACü- 

Nl     Tü)l     AlAYM[eT 

M  EN  H  N  EM 

A  I     <t>IAAH     [ --_ ÖA- 

Kh]n     eXOY[cA     APAXMÖN 

Antenor,  Sohn  des  Enondrides,  ist  Stephanephor  im  Jahre  224/23  v.  Chr. 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Didyina.      6H 

IL  Inv.  Nr.  225.  Marmor.  Höhe  und  Breite  19  cm,  Dicke  18  cm, 
Buchstabenhöhe  i  — 1,5  cm.     Rechts  Rand,  sonst  Bruch   na  F. 

"ArXCAA     TOY     0IA]dOY     GeCOPO?     TOY 
A^r'TO^WNTOC    woJil    eiApJMI^NCOI     TCOI      leer 
*|]aAHN     ei     ÖNYXOC 
-  IC     KAI     lAAÄTJA     eiC    THN 

s  -      Gj-Y'e^coNOc    CiNwn^wc 

AAAH    <t>!ÄAH    APTYPA      leer 
"AAeiANAPeiAC     GKATÖN,     AAAH 
I   .   .  \l   .   .    CANTOC      leer 

Diese  beiden  zeitlich  eng  zusammengehörigen  Verzeichnisse  reihen  sich 
in  den  von  Haussoullier  publizierten  Texten  bei  Nr.  2  (Milet  S.  204) 
ein,  da  dort  Antenor  als  Prophet  erscheint  (Z.  2). 

III.  Inv.  Nr.  250.  Marmor.  Höhe  24  cm.  Breite  28  cm,  Dicke  13  cm, 
Buchstabenhöhe  i  cm.     Rechts  Fläche,  sonst  Bruch  na  F. 

a)  Vorderseite:  b)   rechte  Nebenseite: 

-     O  I .  L  /\  H  Z  F  I  ////  TOC    Yno- 

KAi    nAPeApJeYÖNTü)N   TÖN    GN   TÖi  TÄPXOY   I /// ^    [-      -      -      eni- 

tePÄI     [-        -        -]c     OOYABIOC     TOY  rPA<t)i^N     e[xOYCA- 

Twi   7\nÖAAü)Ni  ciAC   Tecce[p  -      -      -     Ap- 

5  -        N    <J>IAAH    AeiA    ÖM<t>AAü)TH  5     TGMIAI    [TTYeeiHI    Ö    AeTnA   -   -   CiONAKTOC 

APAXMAC    ■ÄAeiANAPeiAC  NAKTOC     Y[APiA?        -        -        -         £- 

-  OY   *iAAH    .IL///OT///  nirPA*HN    [exoYCA      -      -      e- 

-  NTA     ÖAKHN     ArOY[cA  KATON     BAP[rYAIHTa)N? 

MOCCIUN  .   .  Y     YAP04>Ö[P0Y 

lo    .  ZO  '^ 

.  Y 

VII.  Orakel  und  Kulte. 
I.    Inv.  Nr.  273.     Gefunden  an  der  Südostecke  des  Tempels.    Marmor. 
Höhe   1 1 1  cm.  Breite  47  cm,  Dicke  38  cm.  Buchstabenhöhe  2  cm.    Altarför- 
mige  Basis,  die  linke  obere  Ecke  ist  abgestoi3en.    Buchstabenformen:  cujym 
also  II — III  s.  p.  Chr. 

"AjrAeH     TYXH. 

""0    npo*HTHC    CO?    Aamianöc    GPü)- 
TA-    eni    (=:  enei)    cn   tu    icpu    coy 


64  Th.   Wieg  and: 

4  KAI   nANe^ü)   nepiBcoMicMu 

5  OYAenü)     ÖPÄ     tAP^MGNON 
BCOMÖN     THC     XriCOTATHC 

C09     AAeA<DHC,     THC     HATPIOY     AYTOY 

eeÄc    CuTiPAC    KÖPHC,   «lAÖeeoN    a^ 

AYTÖN     ÖNTA     AYÜgT    TÖ     TOIOYTON, 
lo        aTtAI     COY,     A^CnOTA     AlAYMGY  "'HaIS 

"^AnoAAON,   eecnicAi    aytü)   hapa 

TÖN     THC     KAPnO<t>ÖPOY 

AAmhtpoc   bwmön    iapyca- 
cgai    bümön    thc   haiaoc   aythc  " 
15  Geöc   exPHCGN  ■ 

CUTIPHC     KOYPHC     TIMHN     nGPIBU- 

MiAA    peze. 
'"0    npo<i>ATHc   COY    Aamianöc   e- 
Pü)TÄ   enl   xPHCMw   cco   eeiw 

2o        en^TPCYAC     AYTÖ     GN     TU     tcPü} 
COY     nePIBCüMICMCO     lAPYCACeAl 
BUMÖN     THC     XriCOTÄTHC     nATPI- 
OY     AYTOY     eeÄC     CCDTIPAC     KÖPHC 
HAPÄ     TÖN     THC     CeBACMlUTÄTHC 

25      KAPnoTPÖ4>OY    Ahmhtpoc    bcomön ; 

aTtAI     COY     KAI     THC     GY^AmOY     KAI     Y- 

MNiKHC   eic   aythin    npocAropcY- 

CeWC     AYTÖN     Ce     NOMOe^THN 

rcN^ceAi.     Geöc    exPHCCN' 

3°        CWTIPAN     KAHZUMCN     Yn'   C'Y'iePOI- 

ci    boaTci    miaixon,   antia   gTnai    [ä]- 

ei     CYN     MHT^PI     AhoT. 

IL  Inv.  Nr.  338.  Auf  der  Insel  Guardalacapa  im  Golfe  von  Didyma 
(Bucht  von  Akbukj),  die  jetzt  nur  von  einem  samischen  Einsiedler  bewohnt 
wird,  hat  sich  folgende  von  M.  Schede  am  i.  Juni  19 10  kopierte  Inschrift 
gefunden  (Höhe  14,5  cm,  Breite  45,3  cm,  Dicke  45,3  cm,  Buchstabenhölie 
I  cm).  Quadratische  Statuenbasis  mit  ovaler,  25,5  cm  langer,  25  cm  tiefer 
Einarbeitung  für  eine  Marmorstatue.     Der  Stein  war  in  die  kleine  Kapelle 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Didyma.      65 

der  Insel   verbaut   und  stammt  jedenfalls  vom  Festlande.     Schöne  Schrift 
des  4.  Jahrhunderts: 

TTaPYü)     ■Ae[HN|AIOY     rYNH     EYXHN 

Ynep  ""GcTiAiHC   XpYCÄNeHi 

Die  zum  Hauptnamen  der  Göttin  gewordene  Epiklesis  Xpycangh  deutet 
offenbar  auf  einen  Aphroditekult,  der  auch  in  Sardes  existierte,  wo  Spiele 
zu  Ehren  der  Göttin  XpYcÄNeiNA  hießen  (CIG  III  5913,33).  Ob  der  Stein 
aus  dem  milesischen  Gebiet  oder  aus  dem  einer  südlicheren  karischen  Stadt 
stammt,  ist  nicht  ganz  sicher;  wahrscheinlicher  ist  das  erstere,  da  der 
kleine  milesische  Ort  Teichiussa  der  Insel  am  nächsten  ist. 

III.  Inv.  Nr.  156.  Gefunden  auf  der  Südseite  des  Tempels,  nahe  der 
Südwestecke.  Marmor.  Höhe  95  cm.  Breite  etwa  75  cm,  Dicke  etwa  75  cm, 
Buchstabenhöhe  2  cm.  Basis,  deren  oberes  Profil  abgearbeitet  ist.  Oben  und 
auf  beiden  Seiten  späte,  rechteckige  Einarbeitungen.    Fußprofil  erhalten. 

AyTOKpAtOPA     TÄTON     Ka]|CAPA     rePMANIKÖ[N 

fePMANiKOY  YtjÖN  eeÖN  ceBACTÖN  H  Necono- 
joi  Ol  nPü)Tü)c  Necüno[iA]cANTec  aytoy  leer 
eni   APxiep^cüc    Fnaioy   OYepriAioY   KAniTUNOC 

5        TOY     MGN     6N     MeiAHTÜI     NAOY     FaIOY     KaICAPOC    TÖ     nPU- 
TON,     THC     A^    "AciAC     TÖ     TPITON,     [eni]     TlBEPIOY    loYAlOY 

Ahmhtpioy    NoMoeeTOY   yioy   MHNoreNOYC,   Xpxiep^coc 

TÖ     Ae^TGPON     KAI     NeCOKÖPOY    TO?     EN     MeiAl^Tü)!     NAO?   H  KAI 
TTpWTOMÄXOY     TO?     rAYKü)NOC    loYAieCOC     TOY     APXINGOKÖP- 
10        OY     KAI     CeBACTON^a)[c]     KAI     CeBACTOAOrOY   H  EK     TÖN     tAI- 
ü)N     AN^eHKAN" 
TTpü)TÖMAX0C     fAYKCONOC    "'lOYAlGYC   H   NgCjON     'ApT^MCÜ- 

Noc   MgiaAcioc   <»>iAorÄToc  h  GeönoMnoc    9eonÖM- 
noY  "AcKAHnioreNHC   FTeprAMHNÖc  h  Ccoxäphc   Cwxäpoyc 
15      'ÄNTioxeYC  H  TTeieiAC   TTYeeoY   Kyzikhnöc  h  Aiokahc 

MoiTA    AnAMGYC   H   rAYKCON     G'Y'ÄPXOY     AaGAIKG^C  H  ""lePOKAHC 

ApTeMiACüPOY    Kaicapgyc  h  Aaim^nhc  Antitönoy  Aapamyt- 

THNÖC  H  TTyAÄAHC     flANTAA^ONTOC     OiAOMNaGYC  H  AcnÄ- 
CIOC    ApICTOKAGOYC    "AAlKAPNACCeYC   H  'ÜAYMniANOC 

20      TTonAiOY  '"lepcoNYMOc   ZmypnaToc  H'''6pMinnoc  ""Gp- 
MinnoY    Capaianöc  h  01  *iaoc^bactoi  h 

rPA4>6NT(»)N     TÖN     ÖNOMAtCON     KATA     KAHPON. 
Phil.-hist.  Klasse.    1911.    Anhang.    Abh.  I.  ^ 


66 


Th.   Wieg  and 


Cn.Vergilius  Capito  ist  derselbe  eniTPonoc  AirynTOY  kai  thc  Aciac,  welcher 
dem  Kaiser  Claudius  s]3äter  das  Balaneion  in  der  Löwenbucht  zu  Milet  ge- 
stiftet hat,  das  identisch  ist  mit  dem  tymnacion  toy  KAnixuNoc  (s.  Sechsten  Be- 
richt S.  12).  Wir  sehen  ihn  hier  einige  Jahre  früher  als  Hohepriester  des 
milesischen  Gaioskultes,  der  im  zweiten  Jahre  besteht  und  zum  Verbände 
des  großen,  über  die  Provinz  sich  ausbreitenden  Philosel)astenkultes  für 
Caligula  gehört :  ihm  sind  bereits  die  Städte  Milet,  Julia  (Gordos,  das  heutige 
Gördes  in  Lydien),  Pergamon,  Antiochia  (Z.  15,  jedenfalls  der  im  Mäandertal 
beim  heutigen  Nasly  liegende  Ort,  wo  auch  die  folgende  Stadt  liegt),  Lao- 
dicea,  Apamea,  Kyzikos,  Kaisareia  (wohl  das  heutige  Kassaba  in  Lydien), 
Adramyttion,  Philomelion,  (Akschehir  auf  der  Hochebene  von  Konia),  Hali- 
karnaß,  Smyrna  und  Sardes  beigetreten.  Wenn  die  von  Dio  Cassius  dem 
Caligula  untergeschobene  AT)sicht,  sich  den  Apollotemi)el  von  Didyma  weihen 
zu  lassen,  wirklich  bestand,  so  ist  ihre  Ausführung  jedenfalls  mißlungen, 
denn  wir  sehen  hier  deutlich,  daß  man  dem  Kaiser  in  Milet  selbst  einen 
besonderen  Tempel  geweiht  hat,  den  die  asiatischen  Philosebasten  gebaut 
und  wold  auch  bezahlt  hatten.  Dios  Satz  (LIX,  28):  fÄToc  a^  gn  th  Acia 
Tu)  eeNei  t^mgnöc  ti  gaytu  eN  MiaAtco  TGMeNicAi  eK^AGYe  ist  das  Wesentliche, 
das  Folgende  ist  übele  Nachrede.  Es  scheint,  als  ob  Caligula  sich  für  die 
Stiftung  dadurch  erkenntlich  zeigte,  daß  er  Gelder  zum  Fortbau  des  Di- 
dymeion  anwies. 

Der  sechssäulige  Tempel,  welcher  auf  milesischen  Münzen  mit  dem 
Kopf  des  Caligula  erscheint  (Head,  Cat.  Brit.  Mus.  lonia  S.  198  Nr.  143), 
ist  natürlich  der  Gaiustempel  in  Milet.  Mit  dieser  Deutung  werden  wir 
des  Bedenkens  überhoben,  das  bestand,  solange  man  in  ihm  das  zehnsäulige 
Didymeion  vermutete. 


VIII.   Phylen  und  Patrien. 

L  Inv.  Nr.  274.  Gefunden  vor  der  Ostfront  des  Tempels.  Bläulicher 
Marmor.  Höhe  45  cm,  Breite  43  cm,  Dicke  22  cm,  Buchstabenhöhe  3  cm. 
Rings  modern  behauen. 

rTpO*HTHC 

AiÖAOToc  "ArAeioY 

*YAHC     0HCeTAOC 
AHMOY     TTaATGUN 
5         KCOTAPXHC     KAI     rYMN[A- 


Siebenter  vorlaufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Bidyma.      67 

6        CIAPXOC     TUN     rVMNA- 
CIÜN     nÄNTCON     KAI 

XrcoNoe^THC,   Texe- 
AeKü)C    THN    npo<»>H- 
lo      TeiAN   eYceB[ü)]c 

Zu  den  in  Milet  bisher  bekannten  drei  attischen  Phylen  Akamantis, 
Oineis  und  Pandionis  tritt  neu  hinzu  die  0HceTc.  Der  Demos  TTaat^wn  ist 
schon  aus  früheren  Urkunden  bekannt,  vgl,  Haussoulli  er,  Demes  et  tribus 
de  Milet,  Rev.  phil.  XXI    1897   S.  39,  wo   TT[AA]Tea)N  zu  ergänzen  ist. 

IL  luv.  Nr.  195.  Gefunden  in  der  byzantinischen  Zwingermauer  vor 
der  Ostfront  des  Tempels.  Späthellenistischer  Marmor.  Höhe  42 — 44  cm. 
Breite  48  cm,  Dicke  14,5  cm,  Buchstabenhöhe  11  — 17  mm.  Oben  und 
unten  abgearbeitet. 

Äptgmiaoc   TTveeiHc   ■v'apo^öpoc   MiNN![cb  "AntA- 
Nopoc,    «DYCi    A^   ''Hpakaitoy   to9    Gv'ANAPIAOY    ka- 

AOYM^NH     BepeNIKH,     MHTPÖC     A^    ''Ha^AC     THC     KAAOYM^- 

M^NHC   BepeNiKHc   THC   Gyahmoy  to?   KAI   AYTO?   npone4>[H 

5        TGYKÖJTOC     KAI     TGTIMHM^NOY     eni     THI     e'Y'CeBe[lAI     61- 
KÖCIN     XPYCaTc     B,     CT6<t)ANH<t>0P0YNT0C     0ü)NTI- 
AOY     T09     0ü)NTIAOY    t(oy)     AiONYCIOY,     nPO*HTeYON- 
TOC     0PACCONIAOY    TO?     0PACü)NIAOY,     AI^MOY     AgPICüN, 
nATPlÄC     0IA(OCTiAü)N,     YnÄPXOYCA     A^     HATPOC     TG- 

lo        TlMHMeNOY     IKÖCI     XPYCaTc     KAI     A^TI^     TGTIMHM^- 

NH     KAI     THC     MHTPÖC     YAPO<t>OPHKYlAC     KAI     TGTIMH- 

MGNHC     IKÖNI     XPYCH     KAI     THC     MHMHC     MOY     (SO)     McNICKHC     THC 

■"GniNIKOY    YAPO<J>OPHKYIAC     KAI     TeTIMHMeNHC     CIKÖNI     XPYCH 

KAI     THC     KAI     nPÖC     HATPÖC     MOY     MHTPÖC     MAMMHC     MOY    ""HaHIAC 

15        THC     G'Y'ANAPIAOY     THC     KAAOYMeNHC     BcPCNIKHC    'Y'APO<}>o[pH- 
KYIAC     TeTIAAHM^NHC     IKÖNI     XPYCHI     CAYTCON     HPOTÄ- 
Ce]l     CYNrCNCüN     nACWN     YAPO<»>OPHKYIü)N,     eO?CA     A^     KAI 
CK     HATPÖC     eNTeeAMMGNHC     iso)     KAI     TÖN     ÜPOrÖNOüN     AYTHC 
■Y'nÄJPXOYCA     AG      KAI     HPÖC     HATPÖC     KAI     HPOC     MHTPÖC    IIIEIIII 

20        ...   .]-     TOY     AnÖ    ■'AnTI^NOPOC,     ÖMOICOC     Ae     KAI     nPÖC     MHTPÖC 
/Z    TOY     XnÖ     G-Y'AHMOY,     eO?CA     A^     ÖMOICOC     KAI     HPÖC 


nATPÖc    k]ai    npöc   mhtpöc   nporÖNWN    e-r'epreTcoN 


9* 


68  Tu.  Wieg  and: 

23        OY     AGAinNlKYlAC     EN     TU     THC     YAPO^OPiAC     [e- 

Tei? jACTOYC     KAI     OIKOYNTAC     MlAHTON     eAeYedPo[YC 

25        nÄNTAC     KAI     TOYC     MOAniKOS'C'     [np](«)TH     KAI     [m]ÖNH     YAPofoO- 
PHICACA  -        -        -  ZT 

Der  Stamm  der  Philostiden  auf  Lcros  ist  hier  (Z.  9)  zum  erstenmal 
erwähnt. 

Eine  neue  Patria  liegt  auch  vor  in  einer  fragmentierten  Inschrift  (hiv. 
Nr.  202),  wo  eine  Artemispri esterin,  Tochter  des  .  .  .  aiaaoy,  geehrt  wird 
—  AAHTPÖc  npöc  nATPÖc  —  AHMOY  TeixieccecoN,  nATPiAC  TTociAGüN.  Es  ist  die 
Gegend  des  Kaps  Posideon  westlich  von  Teichiussa,  dem  heutigen  Karakuja. 

IX.  Ehrungen. 
I.  Die  im  vorigen  Bericht  veröffentlichte  Ehrung  für  die  Königin 
Apame,  welche  für  die  Wiedererbauung  des  Didymeions  von  so  grund- 
legender Bedeutung  ist,  hat  sicli  durch  Auffindung  des  unteren  Endes  ver- 
vollständigen lassen.  Es  fand  sich  beim  archaischen  Rundaltar  vor  der 
Ostfront  (bläulicher  Marmor,  sehr  zerfressen.  Höhe  52  cm,  Breite  etwa 
54,5  cm,  Dicke  i  7  cm.  Buchstabenhöhe  i  cm;  unten  und  ol)en  Bruch,  seitliche 
Flächen  teilweise  erhalten;  Inv.  Nr.  370.  Ich  lasse  den  ganzen  Text  jetzt 
folgen.  Das  neue  Stück  beginnt  mit  Z.  19,  die  vorhergehende  Zeile  scheint 
teilweise  leer  gewesen  zu  sein,  Z.  1 7   fehlt  ganz). 

■^Gaoig   thi    boyahi   kaI   tcüi   ahmwi,   A^koc  AnoAAOAÖT[oY   eTne" 
TTepi   Sn   npoerpÄYATO   eic   tPim   boyaihn    Ahmöaamac  ■ApiFcTeiAOY, 
bncoc  "AnÄMH   h   CeAe^KOY   toy   bacia^coc   tyni^   T[iMHeHi, 

AeAÖXeAl     THI     BOYAHI     KAI     Tü)l     Al^MUI  "     eneiA^I    ■'AnÄ[MH     H     BA- 
5        ClAICCA     nPÖTGPON     TG     nOAAl^N     GYNOIAN     KAI     nPo[eYMlAN 

nAPeixeTO   nepi   Miahciün   to'^c   cTPATeYOM^NOY[c   gyn 

Tü)l     BACIAGT    CgAG^Kü)!,     KAI     NYN     nAPArGNOM^N[ü)N     TWN     HAP'     HMWN 
nPeCBGYTUN,     OYC     MGTGneMYATO     C^A6YKo[c     AIAAGIÖMGNOC 

ÜGPI     THC     OIKOAOWiAC     TOY     NAOY     TOY     6N     A|A^[aAOIC    "AnGAAUNOC,    OY    tPiN 
10        TYX09CAN     CnOYAl^N     ^n[oi6l     tüc]    ■AnTIOXo[c     Ö     nPGCBYTATOC     YlÖC, 

CYM<t>IAOTIMü}N     THI     TO?     nATPOC     CgAGy[k0Y     nGPI     TÖ     6N     AlA^MOIC     16- 
PÖN     [nP0]A!P^[c]6l,     OIKOAOMHC     riNo[M^NHC    THC     KATÄ     nOAlN     CTOAC?   .   . 

AjA  .  .   TÖi    eecüi,  Yna    npoco[Aü)N    Xn'  a-y-thc   agi    riNOM^NUN 

KOCAAHTAI     TÖ     I6PÖN,     A^aFgKTAI     AG    "AnTIOXOC,     OnCOC     OYN     GIACOCIN 


Siehenter  vorläußger  Bericht  über  Ausyrahungen  in  Milet  und  Bidyma.      69 

15      nÄNTec    oTi    ö   ah[moc    ö    Miahcicün 

AeiAN   fe'x[ü)N   aiatgagT  nepi   toyc 

Gni   cTe<t>A- 

NH<t)ÖPOY     TOY    'AnOAAof £1- 

20      KÖNA   es   XnÄCHC   thc   npocÖAOY    [thc   ctoäc?  etwa  14  B.  -   äna- 

rPAYAl     A^     TÖAe     TÖ     YH<}>ICMA     dc     CTHAHN     Aiei[NHN,     ANACTHCAI     A^ 

eic   TÖ    lepÖN    THC  Aptgmiaoc   thc   cn    Aia^moic,    [thin   a^   ctAahn 

KAI     THN     ANArPA*HN     AnOMlCeÖCAl     TOYC    TOIXOnOlO't'C     MH[Ae- 
MIAN     YnePBOAlKHN     nOICYM^NOIC,     TOYC     A^     TAMIAC     YnHPe[THCAI 
25        CK     TÖN     eiC     TA     KATÄ     YH<I>;CMATA     CIPHM^NCON,     ANArPAY[AI 

AG     TÖAC     TÖ     YI^<»>ICMA     KAI     GIC     ACYKOOMA.        ''GniCTÄTAI     THC     [ePfAClAC 
AhMÖAAMAC    ■ApICTCIAOY,     AyKOC    AnOAAOAÖTOY,     ÄPICT[eiAHC 
MlNNlCüNOC    leer. 

Das  früher  gefundene  Fragment  Z.  i  — 16  enthielt  die  Begründung  der 
Ehrung,  das  neue  Stück  bringt  den  Beschluß;  Z.  20  deutet  an,  daß  fiir 
die  Errichtung  des  Apamebildes  ein  bestimmter  Gesamtbetrag  aus  den  »Ein- 
künften« —  doch  wohl  der  Antiochoshalle  (s.  oben  S.  12)  —  genommen 
werden  soll.  Wichtig  ist,  daß  Z.  22  der  Artemiskult  im  Sinne  eines  be- 
sonderen lepÖN  auftritt,  das  also  noch  gesucht  werden  muß.  Vielleicht  liegt 
es  an  der  Stelle  der  heutigen  Dorfkirche. 

IL  Inv.  Nr.  353.  Gefunden  an  der  Nordostseite  des  Pronaos.  Marmor. 
Höhe  54,5  cm.  Breite  10 1  cm,  Dicke  98,5  cm,  Buchstabenhöhe  1,7  cm. 
Statuenbasis,  oben  Standspur.  Vorderseite  geglättet,  soweit  beschrieben, 
sonst  mit  Zahneisen  bearbeitet.     Abschrift  von  M.  Schede. 

BaCIAICCAN     Cj)iAAN 

Bacia^cdc    CcAeYKOY 

Ö     AHMOC     Ö     MiAHCicON     "ApT^MIAI 

Phila,  Tochter  Seleukos'  I.  und  der  Stratonike,  von  Suidas  fälschlich 
eine  Tochter  des  Antipatros  genannt,  wurde  Gemahlin  des  Antigonos  Gonatas 
erst  nach  278  und  ist  Mutter  Demetrius'  II.  ^gl.  die  delische  Statuenbasis 
des  Parthenokles  für  dieselbe  Fürstin,  Löwy,  Inschr.  griechischer  Bildhauer 
S.  109,  Nr.  145. 

IL  Inv.  Nr.  138.  Gefunden  vor  der  Ostfront  des  Tempels.  Marmor. 
Höhe  33  cm,  Breite  95  cm,  Dicke  45  cm,  Buchstabenhöhe  3  cm.     In  zwei 


70  Th.  Wiegand: 

Teile   gebrochen,    rechts  beschädigt.      Oben    Kiiifirbeituiig  für  eine  Bronze- 
statue. 

""0     AHMOC     Ö     MiAHCICON 
MeCCAAAN     TTotTtON     ANeinATON 
TÖN     nATPCONA     THC     nOAGCOC     KAI     G'Y'eP- 
r^THN     APeTHC     eNGKeN     KAI     eV'NOlAC 
eiC     AYTÖN 

M.  Valerius  Messala  Potitus  war  Konsul  im  Jahre  29  v.  Chr.;  vgl, 
J.  Klein,  Fasti  consulares  S.  7.  Von  seinen  Verdiensten  um  Milet  ist  sonst 
nichts  bekannt. 

III.  Inv.  Nr.  182.  Gefunden  an  der  Südostecke  des  Tempels.  Marmor. 
Höhe  87  cm,  Durchmesser  102  cm,  Buchstabenhöhe  3  cm.  Hälfte  einer 
runden,  glatten  Marmorbasis,   oben  und  unten  gerade. 

ArAGHI     TYXHI 

"^AnntON    CABeTNON    enAPXON    AirrnroY    kai 

THC    "AciAC,     enANOPeüTI^N,     TÖN     AAMnPÖTA- 
TON,     H     KPATICTH     KAI     <*)IAOC^BACTOC     BOY- 
5         AH     TÖN     GAYTHC     KAI     THC     nÖAGÜC     eV'CPre- 
THN     eniMCAHCAMeNOY     TOY     AIIO- 
TÄTOY     BOYAÄPXOY     fA.     AyP.    "'0«>eAAIOY    ////// 
MeNOY     TOY    ""O^eAAlOY,     TAAAIOY     TOY     NG- 
ü)C    "AnÖAACONOC     KAI     ATUNOe^TOY     TÖN     MC- 
10        rÄAWN     AlAYMCIWN     KoMMOAeiwN. 

Eine  in  Olympia  gefundene  Inschrift  dieses  Appius  Sabinus  -v-nATiKÖc, 
welche  Purgold,  Arch.  Zeitung  1880,  XXXVIII,  S.  56,  schon  sehr  spät  da- 
tiert hatte,  ist  offenbar  auf  denselben  Beamten  wie  hier  zu  beziehen,  der 
nun  auf  das  Ende  des  2.  Jahrhunderts  n.  Chr.  fixiert  wird.  Über  den  Titel 
enANOPeü)Tf)c  (corrector)  vgl.  Dittenberger,  Or.  (tIS.  II  S.  449  f.,  Nr,  711; 
Magie,  De  Romanorum  iuris  publ.   vocabulis  S.  88. 

IV.  Inv.  Nr,  174.  Gefunden  vor  der  Ostfront  des  Tempels  in  der 
byzantinischen  Zwingermauer.  Weißer  Marmor.  Höhe  56  cm,  Breite  40  cm, 
Durchmesser  8  cm,  Buchstabenhöhe  2,5  cm.  Giebelgekrönte  Platte  mit 
hohen  Akroterien  und  Rundschilddekoration  im  Giebelfeld.  Die  Inschrift 
in  vertieftem  Felde.  Unten  Bruch.  Das  Wort  npo<DATHc  ist  abgekürzt  in  l^. 
Ligaturen  N"  nh,  {<  =:  kai. 


Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Didyma.      71 

"ArAeHl     TYXH 

'Yapo<döpoc  Aptgmi- 

Aoc   TTveiHc   e'Y'ceBHc   Aia. 

A|AIAn[h]     GYrATHP     AlA.     Al- 
5        AIANOY     nPO<»>HTOY     GN     TW     A^TW     GTei, 

♦iAOcö*OY   ctwTkoy,   Tei- 

MHG^NTOC     eN     nOAAoTc 

eeNGCi    boyaaia(i)c   kai    no- 

AlTeiAIC,     KAI     AyP.    AaGIÄN- 

lo      APAC,   eKrÖNH   npöc   mhtpöc 
npo<i>ATOY   Xaiphmonoc  AA[e- 

3EANAP0Y?     c]Te<l>AN[H<t>ÖPOY 

Es  scheint  sich  hier  um  den  berühmten  Verfasser  der  taktikh  eecopiA 
AiAiANOY  Apxiepewc  zu  handeln,  der  nachweislich  die  Werke  eines  stoischen 
(belehrten,  des  Asklepiodotos,  benutzt  hat  und  dessen  Priestertitel  bisher 
für  ein  mißverständliches  Epitheton,  das  eigentlich  nur  dem  Verfasser  der 
Varia  historia,  Claudius  Alianus,  gelte,  gehalten  wurde.  Die  Schrift  des 
Marmors  stimmt  mit  der  Zeit  des  Taktikers  Älian  durchaus  überein  (2.  Jahr- 
hundert n.  Chr.),  der  somit  Milesier  ist. 


•euß.  Akad.  d.  Wissensch. 


Anhang  z.  d.  Phil..hist.  Abh.   1911. 


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Stadtplan. 


Th.  Wiegand:  Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Didyma. 

Taf.  I. 


Prniß.  Akad.  d.  Wissensch 


Anhang  z.  d.  Phil.-hist.  Abh.  1911. 


Thermen  am  Humeitepe 


Tb.  Wiegand:  Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Blilet  und  Didyma. 

Taf.  II. 


K.  Preuß.  Akad.  d.  Wissensch. 


Anhang  z.  d.  Phil.-hist.  Ahh.  1911. 


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Faustinathei-men. 
Th.  Wiegand:  Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Didyma. 

Taf.  III. 


K.  Preuß.  Akad.  d.  WissenscJi. 


ÄnJiang  z.  d.  Phü.-hist  Abh.  1911. 


Grundriß  des  Didymeion  1910. 
Th.  Wiegand:  Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Didyma. 

Taf.  IV. 


K.  Preuß.  Akad.  d.  Wissensch. 


Anhang  z.  d.  Phil.-hist.  Abh.  1911. 


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Anhang  z.  d.  Phil.-hist.  Abh.   1911. 


Th.  Wienand:  Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Didyma. 


Taf.  XI. 


K.  Preuß.  Äkad.  d.  Wissensch^ 


Anhang  z.  d.  PhiL-Mst.  Ahh.  1911. 


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Anhang  z.  d.  Phil-hist.  Abh.   1911, 


Th.  Wiegand:  Siebenter  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Milet  und  Didyma. 

Taf.  xin. 


Die  Haiidschriflen  des  Corpus  agrimensorum 

Romanorum. 


Von 

Dr.  C.  THÜLIN 

in  Malinö. 


Phil.-hist.  Klasse.    WU.    Anhang.    Abk.  IL 


Vorgelegt  von  Hrn.  Di  eis  in  der  Sitzung  der  phil.-hist.  Klasse  am  16.  März  1911. 
Zum  Druck  eingereicht  am  23.  März  1911,  ausgegeben  am  20.  Mai  1911. 


Einleitung. 

»Erst  durch  Lachmanns  unvergleichliche  Arbeit  wurde  die  groma- 
tische  Sammlung  der  Wissenschaft  wiedergewonnen«,  sagt  mit  Recht 
Mommsen,  Hermes  27,  1 14.  Im  Vergleich  mit  allen  vorhergehenden  Aus- 
gaben, die  wesentlich  nur  kritiklose  Abdrucke  von  einzelnen  Handschriften 
mit  einigen  Korrekturen  und  eventuellen  Notizen  über  abweichende  Les- 
arten waren,  bedeutet  die  Textgestaltung  Lachmanns  vom  Jahre  1848 
einen  so  großen  Fortschritt,  daß  es  kaum  zu  verwundern  ist,  wenn  man 
Jahrzehnte  hindurch  seine  Arbeit  fiir  abschließend  hielt  und  seine  Aus- 
gabe über  ein  halbes  Säkulum  maßgebend  und  ohne  Nachfolger  geblieben 
ist.  Und  doch  war  schon  die  handschriftliche  Grundlage  dieser  Ausgabe 
sehr  ungenügend.  Blume,  der  die  Beschreibung  und  Klassifizierung  der 
Hss.  übernommen  hatte',  stellte,  nach  äußeren  Gründen  vier  Klassen  von 
Hss.   auf: 

I.  Arcerianus  A   und  B, 
II,  G(udianus)  und  P(alatinus)  =  Die  Hss.  mit  justinianischem  Recht, 

III.  Die  Trümmerhss.  (E  und  F), 

IV,  Die  Hss.  des  Pseudo-Boethius, 

jedoch  ohne  näher  zu  untersuchen,  in  welchem  Verhältnisse  diese  Klassen 
oder  gar  die  einzelnen  Hss.  innerhalb  dieser  Klassen  zueinander  standen 
(A  zu  B,  P  zu  G,  E  zu  F).  Im  kritischen  Apparat  Lachmanns  haben  auch 
P  vor  G  und  F  vor  E  sehr  mit  Unrecht  zurückstehen  müssen,  und  die  soge- 
nannte IV.  Klasse  ist  nur  durch  schlechte  Hss.  vertreten.     Die  Kollationen 


'■  Blume,  Über  die  Hss.  der  Agrimensoren.  Khein.  Mus.  f.  Jurisprudenz  VU  173  bis 
248,  1835.  —  Über  die  Hss.  und  Ausgaben  der  Agrimensoren.  Schriften  d.  röm.  Feldmesser 
U  3 — 78,  473—476,  Berlin  1852.  Wo  ich  nur  «Blume«  zitiere,  verstehe  ich  immer  diese 
Schrift. 

1* 


4  C.  T  IT  u  L I N : 

selbst,  sogar  die  des  Arcerianus',  lassen  vieles  zu  wünschen  übrig.  Der 
Gebrauch  des  Laehmannschen  Textes  wird  auch  dadurch  erschwert,  daß 
er  darin  auf  keine  Weise  die  Abweichungen  \on  den  Hss.  bezeichnet: 
dem  Leser,  der  nicht  selbst  die  Hss.  genau  kennt,  ist  es  oft  unmöglich, 
die  eigenen  Hypothesen  Lachmanns  von  der  Überlieferung  zu  unter- 
scheiden (z.  B.  in  seinen  Ergänzungen  zu  Frontin  und  Hygin). 

Die  Kritik  gegen  die  Ausgabe  Lachmanns  wurde  erst  in  den  neunziger 
Jahren  von  Mommsen  eröffnet^,  der  im  Hermes  27,  114  und  besonders  in 
den  Bonner  Jahrbüchern  1895,  Heft  96 — 97,  »Die  Interpolationen  des 
gromatisclien  Corpus«,  S.  272 — 292^  das  Bedürfnis  einer  neuen  Ausgabe 
wegen  der  zuweitgehenden  Umstellung  und  Umgestaltung  des  Textes  durch 
Lachmann  hervorhebt  (S.  281),  durch  kritische  Beiträge  zu  Frontin  auf- 
weist, wie  viel  in  dieser  Hinsicht  noch  an  dem  Text  zu  tun  ist,  und  statt 
der  vier  Klassen  Blumes  ein  Stemma  von  nur  zwei"*  Linien  annimmt: 
L  AB  und  EF, 
II.  GP  und  die  Boethiushandschriften. 

Eingehender  ist  die  Kritik  Nik.  Bubnovs  in  der  Appendix  VII  seiner 
großen  Arbeit  »Gerberti,  postea  Silvestri  II  papae  opera  mathematica« 
(972  — 1003),  Berlin  1899,  S.  394 — 553.  Bubnov  hat  das  gesamte  Hand- 
schriftenmaterial des  Corpus  agrimensorum  in  bezug  auf  den  Inhalt  einer 
neuen  Prüfung  unterworfen,  mehrere  neue  Handschriften,  besonders  der 
IV.  Klasse  Blumes,  herangezogen  und  selbst  mit  großer  Ausführlichkeit, 
S.  432 — 493,  ein  neues  Stemma  entworfen.  Wie  Mommsen  nimmt  er  nur 
zwei  Hs. -Klassen  an,  weicht  aber  darin  von  ihm  ab,  daß  er  EF  nicht  der 
ersten,  sondern  der  zweiten  Gruppe  zuteilt: 
I.  (TA  =)  Arcerianus, 

IL  (TB  =)  EF(TBa)  und  GP(TBba)  mit  allen  übrigen  (TBbb). 
Durch    die    genaue    Zergliederung    des    Inhalts    der    unerhört    zerrütteten 
agrimensorischen  Hss.  und  durch  die  Erweiterung  unserer  Kenntnisse  von 
dem   handschriftlichen   Material  sowie   auch   durch   kritische  Ausgabe  der 


*  Eine  ganze  Keihe  von  Fehlern  hat  iächuiten,  der  im  Jahre  1902  den  Are.  kolla- 
tionierte, verzeichnet.     Die  Richtigkeit  seiner  Lesungen  habe  ich  1909  nachgeprüft. 

*  Vgl.  Mortet  BibUotheque  de  l'Ecole   des   chartes  57  (1896)  319  A.  i    »II  y  aurait 
Heu,  croyons-nous,  d'en  donner  une  critique  plus  exacte  et  plus  etendue«. 

'   Jetzt  abgedruckt  in  seinen  Gesammelten  Schriften  VII  464 — 484. 

*  So  schon  Niebuhr  1843,  Kleine  bist,  und  philos.  Schriften  II  88 f.,  jedoch  ohne  EV 
zu  berücksichtigen. 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  liomanoruiu.  5 

bisher  iinedierten  Teile  der  Hss.,  S.  494 — 553,  ]iat  Bubnov  eine  selir 
wichtige  Vorarbeit,  zu  einer  neuen  Recensio  des  Corpus  agrimensorum  ge- 
leistet. Einige  von  Blume,  Lachmann  und  Mommsen  gemachte  Fehler 
hat  er  S.  402  ff.  richtig  dargelegt.  Aber  da  die  Schwäche  des  Blume- 
schen  Stemmas  wie  der  Ausgabe  von  1848  hauptsächlich  darin  lagj'daß 
die  Hss.  ungenügend  untersucht  waren,  konnte  ein  fester  neuer  Grund 
nicht  gelegt  werden  ohne  vollständige,  nicht  nur  inhaltliche,  Neurevidie- 
rung  der  Hss.  Bubnov,  der  meist  auf  die  mehr  oder  weniger  korrekten 
Beschreibungen  der  Hss. -Kataloge  und  private  Mitteilungen  aus  den  Biblio- 
theken, nur  zum  geringen  Teil  auf  Autopsie  baut,  ist  auch  in  vielen  Fällen 
zu  falschen  Resultaten  gekommen.  Wir  werden  sehen,  daß  er  iu  der 
Gruppierung  der  Hss.  P]F  nicht  glücklicher  als  Mommsen  gewesen  ist, 
and  daß  er  auch  die  IV.  Klasse  Blumes,  um  deren  Erforscimng  er  sich 
das  größte  Verdienst  erworben  hat,  zum  Teil  unrichtig  beurteilte,  da  er 
nicht  genügend  beachtete,  daß  sie  Exzerptenhandschriften  sind.  Der  un- 
geschickten sogenannten  Geometrie  des  Boethius',  die  nie  zu  dem  Corpus 
gehört  hat,  hat  er  sogar  einen  Ehrenplatz  in  der  zweiten  Hss. -Klasse 
gegeben,  nur  weil  er  einer  unrichtigen  Angabe  über  die  Bamberger  Hs. 
folgte. 

§  1.  Der  Archetypus. 

Daß  alle  erhaltenen  Handschriften  der  Agrimensoren  von  einem  Arche- 
typus stammen,  wird  teils  durch  viele  gemeinsame  Lücken  und  Glossen, 
teils  und  besonders  durch  die  in  allen  gleich  gestörte  Ordnung  des  Textes 
in  der  Schrift  des  sogenannten  Hyginus  Gromaticus  bewiesen:  ein  Blatt 
des  Archetypus  (La.  192, 17  — 193, 15  =  15  Zeilen  +  zwei  Zeichnungen)  war 
nämlich  versetzt  worden. 

Daß  dieser  Archetypus  nicht  älter  als  etwa  450  sein  kann,  hat 
Mommsen,  Agrim.  II  174"',  festgestellt,  indem  er  dartat,  daß  der  in  den 

^  Ein  Teil  der  Schrift  ist  La.  393 — 412  unter  dem  Titel  Ex  demonstratione  artis  geo- 
metricae  excerpta,  ein  anderer  La.  377 — 392  unter  dem  Titel  [Boethü]  Euclides  abgedruckt, 
große  Stücke  hat  La.  ausgelassen.  Bubnov  i8iff.\gibt  eine  ausführliche  Übersicht  über 
den  ganzen  Inhalt.  Ich  verweise  auf  meine  Behandlung  der  Exzerptenhss.  »Zur  überliefo- 
rungsgesch.  des  Corpus  agrim.  rom.«  Göteborgs  K.  Vetenskaps  och  Vitterhets  Samhälles 
handlingar  (K.V.  V.  S.)  191 1  (abgek.  »Exzerptenhss.«). 

''  =  Hist.  Sehr.  2,  S.  169  f.  Vgl.  auch  Bonner  Jahrbücher  Heft  XCVi— XCVII  1895, 
273  rin  Gesamni.  Schriften  VII  465.     Hermes  18,  173  f.  =  Ges.  Sehr.  V,  167  f. 


6  C.  T  IT  u  L I N  : 

beiden  Hauptklassen  der  Hss.  erhaltene  Liber  Regionum  1  (La.  209 — 239) 
erst  zu  dieser  Zeit  geschrieben  ist.  Da  auch  dieser  Text  im  Arcerianus, 
der  dem  6.  Jahrhundert  angehört,  schon  stark  verderbt  ist,  so  dürfen 
wir  annehmen,  daß  der  Archetypus  auch  nicht  viel  jünger  als  450  ist. 
Bubnov,  a.  a.  0.  405  und  420,  hat  freilich  diese  Zeitgrenze  bis  auf  das 
7.  Jahrhundert  hinaufrücken  wollen,  aber  er  stützt  diese  Bestimmung  nur 
auf  die  Annahme,  daß  einige  Zeilen  bei  Baibus,  die  in  allen  Hss.  vor- 
kommen (La.  94,  4 — 8  narn  mensura  non  tantum  ista  de  qua  loquimur  appel- 
htur^  sed  et  quidquld  pondere  aut  capacitate  aut  anirno  [animi  J V)  fin'dur  men- 
sura(m)  aeque  quam  longitudlnem  appellant),  eine  aus  Isidorus  (7.  Jahrh.)  ge- 
schöpfte Glosse  seien  (Isid.  Orig.  XV  15,  i  Mensura  est  quidquid  pondere  capa- 
citate longitudiTW  altitudine  anirnoque  fin'dur.  Maiores  üaque  orhem  in  partes^  partes 
in  prouimias  etc.  diuiserunt).  Diese  Annahme  ist  zweifellos  falsch,  denn  wer 
die  betreffenden  Worte  bei  Baibus  und  Isidor  in  ihrem  Zusammenhang 
durchliest,  muß  den  Eindruck  bekommen,  daß  sie  bei  Isidor  entlehnt  sind: 
als  Einleitung  zu  seiner  Darstellung  der  Mensurae  agrorwn  stehen  sie  eben- 
so unmotiviert  wie  unvermittelt.  In  der  breiten  Darstellung  des  Baibus 
behaupten  sie  ihren  Platz,  und  der  Übergang  wird  durch  die  folgenden  Worte 
quid  ergo  mensura  sit  de  qua  quaeritur  tractemus  veraiittelt^  Das  sinnlose 
Wort  animo  ist  gewiß  nicht  von  Isidorus  erfunden,  sondern,  wie  Hultsch 
gesehen  hat,  durch  eine  Korruptel  im  Baibus  entstanden:  JV  haben  hier 
animi,  die  übrigen  Hss.  animo\  Hultsch  schreibt  aliqui,  aber  zu  animo  kommt 
man  leichter  von  alio  modo,  besonders  wenn  modo  abgekürzt  geschrieben 
war.  Es  ist  leicht  zu  erklären,  daß  Isidor  das  Wort  longitudine  aus  dem 
Baibustext  quam  longitudlnem  aufgenommen  und  altitudine  hinzugefügt,  da 
der  umfassende  Ausdruck  alio  modo  in  animo  verderbt  war,  aber  schwierig 
zu  verstehen,  weshalb  ein  Glossator  altitudine  ausgelassen  hätte.  Isidor  hat 
also  die  Worte  aus  Baibus  exzerpiert. 


1  Lachmann,  der  die  oben  angeführten  Baibusworte  einklammert,  hätte  entweder 
auch  diese  Worte  mitnehmen  oder  das  Ganze  stehen  lassen  sollen,  wie  Hultsch,  Metrologi- 
corum  scriptorum  reliquiae  II  1 1  getan  hat.  Denn  nicht  nur  sind  die  beiden  Satzanfänge 
Ergo  nequid  usw.  und  Quid  ergo  usw.,  wie  Hultsch  bemerkt,  nebeneinandergestellt  unleidHch, 
sondern  der  Ausdruck  mensura  de  qua  quaeritur  schwebt  in  der  Luft,  wenn  wir  den  Zwischen- 
satz streichen. 


Die  Handseltriftm  des  Corpus  mjrimensorum  Romanorum. 


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§  2.    Ein  altertümliches  Fragment. 

Vielleicht  haben  wir  in  einer  Hs.  des 
lo.  Jahrhunderts  die  Kopie  einiger  Blätter 
aus  einer  Hs.,  die  dem  Archetypus  nahe 
steht: 

Berlin  Ms.  lat.  f.  641  (acc.  1905  188), 
10.  Jahrh.,  Perg.,  25 7 f.  (aus  der  Bibliothek 
des  Carlo  Morbio,  Mailand,  Nr.  379,  am 
24.  Juli  1889  durch  List  &  Francke  in 
Leipzig  versteigert). 

I.  (f.  r  leer)  f.  T- 13^  (14'  leer)  Gro- 
matisches  Bruchstück  in  Majuskeln: 

a)  La.327, 21-331, 7  A185 
bis  190.  Der  Anfang  La. 
327,  4-20  A-E  fehlt; 
Casae  \  b)  La.  325,  12-326,  23  P 
144''- 147'.  Der  Schluß 
La.  326,  24-327,  3  *-n 
fehlt. 

Herausg.  von  Th.  Mommsen,  Monatsber. 
d.  Berl.  Akad.  1861,  1 01 4  ff.  =  Ges.  Sehr. 
VII  451  ff.,  nach  Jaffes  in  Mailand  ge- 
nommener Abschrift  (=  Berlin  Ms.  lat. 
f-4i5)- 

2.  f.  14^—16'  Donatus,  Anfang  einer 
P>klärung  der  Ars  minor  (Minuskel). 

3.  f.  17 "^-2  5  7"^  Isidori  Origines,  Ars 
Donati  (Keil  4,  355.  405),  Glossare,  Catos 
Disticha  u.  a.  (Minuskel). 

Das  gromatische  Fragment  verdient  so- 
wohl wegen  der  Schrift  wie  wegen  des  In- 
halts besonderes  Interesse.  Alles  ist  mit 
eckigen,  langgezogenen  ( 1 1  - 1  2  mm  hohen) 
Majuskeln  ohne  Wortteilung  geschrieben, 
ausgenommen  die  unzialen  Buchstaben,  die 


8  C.   Tiiulin: 

f.  13  um  die  Rundung  der  p  und  c  herumgestellt  und  in  den  vereinzelten 
Korrekturen  f.  2^  svbipso  und  f.  6^'  gama  benutzt  sind.  Ich  gebe  S.  7  die  drei 
ersten  Zeilen  f.  12'' (=  Mo.  Ges.  Sehr.  VII  454,  16-18).  Aus  den  mit  ähn- 
licher Schrift  geschriebenen  Subskriptionen  in  Isidorus  (z.B.  f.  79^,  90"",  134) 
geht  jedoch  hervor,  daß  jenes  Fragment  mit  der  übrigen  Hs.  gleichzeitig 
ist  (10.  Jahrb.).  Es  muß  also,  wie  Mommsen  vermutet,  Kopie  eines  alten 
Fragments  sein,  dessen  Schriftcharakter  der  Schreiber  beibehalten  hat:  an 
Alter  übertraf  gewiß  das  Original  weit  den  Arcerianus.  Die  hier  nach- 
geahmte Schrift  war  die  sogenannte  capitalis  rij^tica.  Die  Imitation  ist  zwar 
ziemlich  plump,  aber  viele  Buchstaben  wird  man  z,  B.  in  dem  Vergilius 
Romanus' Vat.  lat.  3867   (6.  Jahrh.)  ohne  weiteres  wiederkennen  wie 


in  Vergil 


hier 


l\i   IM  KFD 


Besonders  beweisend  sind  die  Buchstaben  B  und  D. 

Der  Text,  dessen  Anfang  und  P]nde  (s.  oben)  schon  in  der  Vorlage  fehlten, 
weil  hier  eine  leere  Seite  vorangeht  und  folgt,  enthält  teils  die  in  A  (I.  Klasse) 
erhaltene  Version  der  Casae  litterarum  mit  lateinischen  Buchstaben  ohne 
Figuren,  teils  die  durch  P  (II.  Klasse)  überlieferte  mit  griechischen  Buch- 
staben, um  welche  Figuren  (Berge,  Flüsse,  Quellen)  gezeichnet  sind.  Merk- 
würdigerweise stimmt  der  Wortlaut  des  letzten  Teils  mit  dem  des  P  (9.  Jahrh.) 
ziemlich  genau  überein,  während  sich  im  ersten  Teil  viele  Abweichungen 
von  der  Überlieferung  in  A  finden,  und  zwar  Abweichungen,  die  meistens 
gleich  VerbesseiTingen  sind'^  Das  Bruchstück  zeigt  uns  also,  teils  wie  gut 
die  Überlieferung  in  P  in  diesem  Stück  ist,  teils  wie  viele  Korruptelen 
auch  in  die  jüngsten  Partien  des  A  schon  eingedrungen  sind.     Ohne  Zweifel 


^  Codices  e  Vaticanis  selecti  photot.  expressi  2.  Roma  1902.  F.  Steffens,  Lat.  Pa- 
läograj^liie  Taf.  19.  Zangemeister  et  Wattenbach,  Exempla  cod.  lat,  Nr.  11.  Vgl.  auch 
Nr.  12  und  15. 

-  Lachmann  verzichtete  ganz  darauf,  den  Text  der  Casae  des  A  zu  heilen.  Unser 
Bruchstück  lehrt  uns,  daß  wir  dieses  scheußliche  Latein  mehr  verstehen  lernen  als  korri- 
gieren müssen. 


Die  HandscJiriften  des  Corpus  agrimensorum  ttomanorum.  9 

war  die  griechische  Serie  weniger  benutzt  und  deshalb  auch  weniger  ver- 
derbt. Ob  sie  auch  jünger  ist  als  die  des  A,  wie  Mommsen,  Bonn.  Jahrb. 
282  f.  =  Ges.  Sehr.  VII  474,  meint,  lasse  ich  dahingestellt.  Mo.  hat  hier 
nicht  genügend  beachtet,  daß  der  Arcerianus  am  Anfang  und  am  Ende  so- 
wie in  der  Mitte  unvollständig  ist,  und  daß  eben  vor  den  Casae  eine  große 
Lücke  von  einem  oder  mehreren  Quaternionen  ist.  Wir  wissen  also  nicht, 
ob  diese  griechische  Reihe  ursprünglich  in  A  fehlte.  Die  Sprache  ist  jeden- 
falls, wie  Mo.  a.  a.  0.  selbst  bemerkt,  weniger  barbarisch  als  die  der  Casae 
in  A,  und  Bubnov  404  bemerkt  dazu  mit  Recht,  daß  Mo.  an  dieser 
Stelle  darin  ein  Zeichen  jüngeren  Alters  sieht,  an  anderen  Stellen  dieses 
Kriterium  als  Beweis  höheren  Alters  anführt. 

Bedenklich  ist  es,  »daß  in  der  griechischen  Reihe  von  den  in  P  feh- 
lenden zHesoYxs-  hier  z  s  o  durch  ungeschickt  aus  der  ersten  Rezension  herüber- 
genommene, vielleicht  erst  dem  letzten  Abschreiber  beizumessende  Plagiate 
ergänzt  worden  sind«  (Mo.,  Monatsber.  1016  =  Ges.  Sehr.  VII  453).  Zu  diesen 
Buchstaben  sind  auch  frei  erfundene  Zeichnungen  hinzugefiigt.  Da  die 
beiden  Rezensionen  also  hier  nicht  nur  nebeneinander  stehen,  sondern  auch 
zusammengearbeitet  sind,  so  wäre  es  denkbar,  daß  das  vorliegende  Frag- 
ment einer  alten  Hs.  der  EF-Klasse  angehört,  die,  wie  unten  gezeigt  wird 
(§12),  aus  den  beiden  Hauptklassen  zusammengebaut  ist.  In  EF  fehlt 
zwar  jede  Spur  der  Casae,  aber  da  sie  beide  fragmentiert  sind,  so  beweist 
das  nicht,  daß  die  Casae  auch  im  Archetypus  der  P]F- Gruppe  fehlten. 
Wahrscheinlich  stecken  in  einer  neuentdeckten  Hs.  aus  Ripoll  bei  Barcelona, 
die  unter  den  Exzerptenhss.  (s.  oben  S.  5  A  i )  besprochen  wird,  zwei  in  der 
EF- Gruppe  einstmals  enthaltene  Rezensionen  der  Casae  in  überarbeiteter 
und  schlecht  überlieferter  Gestalt,  nämlich  die  des  A  185-190  La.  327 
bis  331,7  (also  dieselbe  wie  in  unserem  Fragment)  und  die  des  P  si^'-sö'' 
La.  310-318.  Auch  Cod.  Paris  8812  enthält  diese  beiden  Exzerpte.  Die 
erste  stimmt  zwar  näher  mit  unserem  Fragment  als  mit  dem  Text  des  A 
überein  ^,  aber  die  Abweichungen  sind  doch  so  groß  und  der  Varianten, 
die  sie  mit  A  gemeinsam  hat,  so  viele,  daß  ihre  Quelle  vielmehr  zeitlich 
zwischen  dem  alten  Fragment  und  A  zu  liegen  scheint  (wie  eben  die  eine 

^    Sie  haben  z.B.  nicht  die  Dittographie  des  A  La.  328,  9-10;  nach  ßuuium  in  328,25 
haben  sie  vieles,  was  in  A  fehlt;  dagegen  fehlt  in  ihnen  alles,  was  in  A  nach  238,31    tri/i- 
nium  facit  bis  329,  2  steht  außer  den  Worten  quae  per  campo  -  -per  mediam,  die  in  A  hier- 
her verschlagen  sind,  in  den  beiden  anderen  richtig  nach  posita  {est)  in  V.  28  ihren  Platz  haben. 
Phil.-hist.  Klasse.    1911.   Anhang.    Abh.  II.  2 


10  C.  Thulin: 

Quellenhs.  der  EF- Gruppe) '.  Wahrscheinlich  bleibt  also  die  Annahme,  daß 
in  der  Hs.  Berlin  f.  641  wirklich  die  Abschrift  eines  sehr  altertümlichen 
Fragments  vorliegt.  Wir  werden  unten  bei  der  Besprechung  der  Hs.  Petrarcas 
und  Alciatis  (S.  1 6  und  §  6)  darauf  zurückkommen.  Zu  einer  ganz  sicheren 
Klassifizierung  fehlen  jedoch  immer  noch  Beweise. 


§  3.    Der  Arcerianus. 

AundB  Codex  Arcoi'ianus,  A  und  B,  Wolfeubüttel  Aug.  f.  36,23.    Heine- 

mann  Nr.  2403.  6.  Jahrhundert,  Perg.  154  f.  (Gr.  31^X24!-  cm)  nebst 
einem  Vorsatzblatt  (f.  i )  und  zwei  Umschlägen"  (ff.  123  und  i  5  7  nach  dem 
Katalog)  aus  Pergamenthandschriften  des  14.  Jahrhunderts.  Über  die  vor- 
gebundenen Papierblätter  siehe  0.  v.  Heinemann,  Die  Hss.  der  Herzog- 
lichen Bibliothek  zu  Wolfenbüttel  II  3,  127.  Schöne  Unzialschrift  (Näheres 
darüber  unten  S.  24),  der  erste  Teil  (A)  mit  vielen  sauberen,  kolorierten 
Zeichnungen  l     S.  Taf.  I— IV. 

Diese  Haupthandschrift  des  Corpus  Agrimensorum  besteht  aus  zwei 
verschiedenen,  aber  ungefähr  gleichzeitigen  Hss.,  A  (f.  1-83''  des  Katalogs) 
und  B  (f.  84-156  des  Katalogs)  bei  Lachmann-Blume,  die  zusammen- 
gebunden und  fortlaufend  gezählt  sind,  aber  zum  Teil  dieselben  Schriften 


^    Ich  führe  als  Beispiel  die  Casa  F  an: 

A:  Casa  quae  per  F  nomen  habet  ßnis  habentis  casa  in  monte  posita  ßuuium  transit  limi- 
tem  sextaneum  proximum  habientem. 

Berl.  641:  Casa  quae  per  F  nomen  habet  fines  grandes  habet  et  casa  ipsa  in  montem  posita 
est  ßuuium  transit  limitem  sextaneum  proximum  habientem. 

Cod.  Ripoll  und  Paris  8812:  F  VI.  Fines  ante  se  habet  casa  in  monte  posita  est  ßuuium 
transit  terminum  ad  meridianam  partem  proxime  demonstrat.  In  diesen  Hss.  stehen  immer  nur 
der  Buchstabe  und  die  entsprechende  römische  Ziffer  statt  der  Formel  Casa  quae  per  (A) 
nomen  habet. 

^  Diese  legte  Scriver  um  den  Schluß  der  Hs.,  als  er  ihn  absonderte  und  dem  Pon- 
tanus  übersandte  (s,  unten  §  5). 

'  Literatur  über  den  Are:  F.  A.  Ebert,  Bibl.  Guelferb.  cod.  Graeci  et  Latini  classici, 
Lips.  1827,  p.  5-12,  nr.  20  (saec.  VII).  Blume,  Agrim.  II  6-30  (saec.  VI  vel  VII).  Mommsen, 
ebenda  215-220  =  Ges.  Sehr.  VII  459-463.  M.  Cantor,  Mathem.  Beitr.  zum  Kulturleben 
der  Völker,  Halle  1863,  174.  Die  röni.  Agrim.,  Lips.  1875,  95ff.  Bubnov  427-443  (saec.  VII). 
Reproduktionen  bei  Heinemann  II  3,  124-125,  Bf.  88.  Max  Ihm,  Palaeographia  latina  I, 
Taf.  III  (f.  31'*',  La.  217,  17-219,2)  Text  4  r.nd  Cliatelnin,  Uncialis  scriptiirn,  Paris  1901, 
Tab.  XXIV  (f.  73'),  XXV  (f.i02>-),  Text  45  f.  (saec.  VII). 


Die  Randschriften  des  Coiyus  agrimemorum  Romanorum.  \\ 

enthalten.    Der  letztere  Teil  von  A  f.  41^-83^  hat  nämlich  folgendes  mit  B 
gemeinsam : 

Agenni  Urbici  fragm.  La.   77.  20-90.  21. 
Hygini  (rromatici  Über  La.    166-208] 
Lex  Mamilia  La.   263-266/ 

Über  die  verschiedenen  Zählungen  der  Blätter  siehe  den  Katalog 
Heinemanns  II  3,  i25\  Der  Anfang  von  A  (Bl.  2-16  nach  dem  Katalog 
=  60  Spalten)  und  der  ganze  B  (Bl.  84-1 56  nach  dem  Katalog  =288  Spalten) 
ist  zweispaltig,  das  übrige  einspaltig  (Sp.  61-194)1  Lachmann  rechnet 
nach  Spalten,  und  ich  werde  an  dieser  Zählung  festhalten,  um  Verwechs- 
lung zu  vermeiden.  Wenn  nichts  anderes  angegeben  ist,  beziehen  sich 
meine  Zahlen  (z.B.  A  160  B  33)  immer  auf  seine  Spaltenzählung.  Aber 
da  jetzt  mehrere  Blätter  des  A  fehlen,  so  kann  eine  übersichtliche  Be- 
schreibung dieser  Hs.  nur  dann  erreicht  werden,  wenn  wir  die  richtige 
Zählung,  d.  h.  die  nach  Quaternionen,  die  auch  auf  das  Fehlende  Rück- 
sicht nimmt,  danebenstellen.  Diese  bezeichne  ich  mit  einem  vorgestellten  f , 
die  des  Katalogs  durch  Kat.  Für  B,  der  aus  neun  vollständigen  Quater- 
nionen besteht,  aber  am  Ende  abrupt  abbricht,  genügt  die  Spaltenzählung 
Lachmanns. 


Quaternionen  Zählung 

Zählung  des  Katalogs 

Lachmann 

A  I 

f. 

I  fehlt 

Kat.   I   Vorsatzblatt 

2-7 

2-7 

Spalte  1-24 

8  fehlt 

11 

9-16 

8-15 

25-56 

III 

17 

16 

57-60 

18-23 

17-22 

vSeite     61-72 

24  fehlt 

^  Nach  der  ältesten  Paginierung  mit  römischen  Ziffern  des  16.  Jahrhunderts  standen 
die  Blätter  Kat.  3-6  zwischen  124  und  125,  die  Blätter  66-72  zwischen  91  und  92.  Die 
zweite  Paginierung  mit  arabischen  Ziffern  hat  diese  Blätter  in  richtiger  Ordnung,  andere 
aber  in  Unordnung:  Kat.  79-83  standen  zwischen  15  und  16,  Kat.  66-78  waren  durcheinander- 
geworfen. In  der  dritten,  von  Ebert  und  Blume  berKitzten,  die  schon  der  Abschrift  des 
Arcerius  zugrunde  liegt  (also  nicht  von  Scriver  herrührt),  sind  die  Blätter  Kat.  8-15  und 
16-22,  d.h.  die  Quaternionen  II  und  III,  umgestellt. 

^  A  191  (Kat.  82)  ist  in  eine  breite  und  eine  schmale  Kolumne  geteilt,  nur  weil  neben 
den  in  einer  Kolumne  übersichtlich  aufgeführten  Limites  Platz  noch  übrig  war.  La.  be- 
zeichnet sie  191a  u.   191b. 

2* 


12 


C.   Thulin: 


Quaternionen  Zählung 


A  IV 


V 

VI 

VII 


VIII 
IX 


XI 


XII 


XIII 


25 

26  fehlt 
27-32 
33-40 
41-48 

49-51 
52-54  fehlen 

55-56 

57-64 

65 

Ein  Blatt  fehlte  von 

Anfang  an 

66-71 

72-77 

78  fehlt 

79 

80-83 
84  fehlt 

85 

86  fehlt 

87 

88-95  fehlen,  viel- 
leicht noch  mehr 

96-99 

1 00-101  fehlen 

102 

103  fehlt 


Zählung  des  Katalogs 
Kat.  23 


24-29 
30-37 

38-45 
46-48 

49-50 
51-58 
59 


60-65 
66-71 

72 

73-76 

77 
78 

79-82 
83 


B  I-IX 


84-122     (123  Umschlagblatt) 
124-156  (157  .  ) 


Lachmann 

Seite  73-74 

75-86 
87-102 
103-118 
119-124 

125-128 
129-144 
145-146 


147-158 
159-170 

171-172 
173-180 


183-184 

185-192 

193-194 

Spalte  1-156 

157-288 


Der  erste  Teil  des  Arcerianus  besteht  jetzt  aus  82  Blättern,  die  auf 
12  Quaternionen  verteilt  sind.  Von  96  Blättern  fehlen  also  jetzt  14,  unter 
diesen  sowohl  das  erste  als  das  letzte.  Da  die  Hs.  demnach  am  Anfang 
und  Ende  defekt  ist  und  unglücklicherweise  die  Zahl  der  Quaternionen 
nicht,  wie  in  B  der  Fall  ist,  bezeichnet  ist,  so  fehlt  uns  jede  Möglichkeit, 
die  ursprüngliche  Größe  desselben  auszurechnen.  Daß  im  Innern  nach 
dem  1 1 .  Quaternio  wenigstens  ein  ganzer,  vielleicht  mehrere  Quaternionen 
weggefallen  sind,  ergibt  sich  aus  dem  Zusammenhang  \  Von  sieben  Blättern 
sind   Teile   weggeschnitten   (Kat.  20,  21,  59,60,62,64,73).      Die  Lücken 


*    Reste  davon  sind  noch  in  J  vorhanden  (s.  unten  Nr.  14). 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum,  13 

werde  ich  in  der  folgenden  Übersicht  durch  kleine  Schrift  bezeichnen. 
Einige  von  diesen  sind  jünger  als  die  Abschriften  der  ersten  Hälfte  des 
1 6,  Jahrhunderts:  V{atic.  3132)  und  J(ena  I56)\ 

1.  Gromatisches  Bruchstück.     (M.  Junius  Nipsiis?) 

1-9  (f.  2-4)  La.  291,  13-295,  15   erit  pars  citrata  -  -  remansisse. 

f.  I  fehlt,  das  den  Anfang  dieses  Fragments  enthielt:  La.  290, 17-291, 13  (23  Zeilen 
bei  La.)  Si  in  agro  adsignato  veneris  -  -  in  orientem  crescent.  Vgl.  EF  Nr.  8e,  lo; 
P  Nr.  6b.  Da  eine  Seite  von  A  20  Zeilen  bei  La.  entspricht  und  jene  fehlenden 
23  Zeilen  also  nur  etwas  mehr  als  eine  Seite  in  A  füllten,  so  muß  das  erste  Blatt 
noch  mehr  enthalten  haben.  Aber  wie  viel  hier  noch  ausgefallen  ist,  können  wir 
nicht  entscheiden,  da  die  Quaternionen  ungezählt  sind  und  wir  deshalb  nicht  wissen, 
ob  der  jetzige  erste  Quaternio  auch  ursprünglich  der  erste  war.  Nur  so  viel 
kann  man  aus  den  Hss.  EF  schließen,  daß  auch  in  der  jenen  Hss.  zugrunde  lie- 
genden Hs.  der  A-Klasse  Nypsus  der  zuerst  erwähnte  Autorname  war  (s.  §  12). 
Wahrscheinlich  stand  auch  der  Abschnitt  lAmitis  repositionem  (s.  EF  Nr.  8b,  f,  9b  = 
La.  286, 11-290,  6,  Schluß  fehlt)  einstmals  am  Anfang  des  A. 

2.  Geometrisches  Bruchstück.     (M.  Jiiniiis  JVipsiis?). 

9-18   (f.  4-6)   La.    295,  16-301,  14  poDisMvs.   Mensurarum  genera 

sunt  tria Ut  queramus  singulas  precisuras Der    Schluß 

fehlte  schon  in  der  Vorlage.  Die  hier  folgende  Subskription  m.  ivni 
Nipsi  LiB.  ExPLiciT  bcwclst  dcshalb  nicht,  daß  Nipsus  der  Verfasser 
dieses  Traktats  oder  dieser  beiden  Nr.  1-2  sei,  wie  Lachmann  in 
seiner  Ausgabe  angegeben  hat.  Einen  Titulus  ohne  folgenden  Text 
gibt  A  Nr.  13,  eine  Subscriptio  ohne  vorhergehenden  Text  B  Nr.  6. 
Es  ist  also  möglich,  daß,  wie  Bubnov  428  meint,  die  Schrift  des 
Nipsus  zusammen  mit  dem  Schluß  des  Podismus  ausgefallen  ist. 
Aber  beweisen  können  wir  auch  dies  nicht,  denn  die  von  Bu.  ver- 
mißte entsprechende  Überschrift  M.  Juni  Nipsi  lib.  incipit  kann  sehr 
gut  vor  dem  Anfang  des  A  verloren  gegangen  sein.  Sachlich  ist 
die  Frage  von  geringer  Bedeutung,  da  wir  von  diesem  Nipsus  sonst 
nichts  kennen. 

3.  Epaphroditus  et  Vitrurius  Rufus,  geometrisches  Kompendium,  aus- 
gezogen aus  zwei  verschiedenen  Schriften.  Vgl.  E  Nr.  1 2  und  die  Exzerpten- 
hss.  (N  Nr.  6,  B"  Nr.  3,  Y  cap.  XXIV-XXV). 

18-60    (f.    6'-l']^,    Kat.  6-16').     INCIPIT    APROFIDITI     FELICITER    ET    BETRUBI 

RUFi  ARCKiTECTONis  |    19.  TrigoM  Uortogoui  cJmtetus tot  iv^era  fadunt. 

'    Siehe  Rhein.  Museum  1911   »Humanistische  Handschriften  des  Corpus  agrim.  rom... 


14  C.   Thulin: 

EXP.  LIB.  APROFODITI  ET  BETRUBI  RUFI  ARCKITECTONIS.      AbgedrUCkt  VOIl  CailtOr, 

Die   röm.  Agrim.    1875,  208-215.      Herausgegeben    von    Bubnov 

516-551.    La.  hat  diesen  Text  nicht  aufgenommen. 

f.  8  fehlt.  Die  Lücke,  Bubn.  §  8-1 1,  wird  durch  E  f.  28-29  ^^^  ^^^  Exzerp- 
tenhss.  gefüllt. 

4.  Exzerpte  aus  dem  Handbuch^  des  Julius  Frontinus  (De  agrorum 
qualitate,  De  controversiis,  De  limitibus,  De  arte  mensoria).  Vgl.  P  Nr.  3, 
EF  Nr.  8  acg,  9c. 

60-82  (f.  ly^'-T^o^,  Kat.  i6'-27')  --  La.  i,  1-34,  13.  inc.  iuli  fron- 
tin i  DE  AGRORVM  QVALiTATE  FiLiciTER  |  6i.  Agvorum  qualitütes  sunt  tres  -  -  - 
exegerii  perducere.    iuli  frontonis  lib.  exp.  feliciter. 

f.  24  und  f.  26  fehlen  jetzt,  und  von  f.  21  und  22  (Kat.  20-21 ;  Sj).  67-70)  ist  der 
unterste  Teil  abgeschnitten.  Die  Lücken  La.  22,  9-24, 10  =  20  Zeilen,  27,9-28,9  = 
18  Zeilen  und  19,1-20,2  werden  durch  resp.  FP,  Fund  P  gefüllt,  die  Figuren  15 
und  17  sind  in  den  Abschriften  J Verhalten. 

Lach  mann  hat  S.  26  den  Titel  ex  libro  frontini  secundo  falsch  aus  G  213 
(s.  P  Nr.  6f)  hierhergezogen  (Bu.  4o6f.).  Den  ganzen  Text,  den  er  34,15-58,23 
unter  dem  Titel  Frontini  lib.  II  De  controversiis  agrorum  herausgibt,  hat  er  selbst  aus 
Agennius  Urbicus  La.  59-90  viel  zu  kühn  herauskonstruiert.  S.  Eianos  suec.  1911 
»Kritisches  zu  Frontinus«.     Mo.,  Ges.  Sehr.  VII  470. 

5.  Liber  regiomim  I. 

82-110  (f.  30''-44'',  Kat.  27'-4i')  =  La.  208-228,  2  ;  229,  lobis 
239»  19-  INC.  lib.  avgvsti  caesaris  et  neronis  I  83.  In  provindnm  Lucaniam 
---  distinxit  ac  dechrauii  exp.  feliciter.  Der  Schluß  239,  17-19  ist 
mit  sehr  großen  Kapitalen  gemalt.  Am  oberen  Rand  von  Aiio 
steht  mit  schwarzen  griechischen  Buchstaben  der  Name  AAEABHPen 
nYxenp,  wohl  der  Maler  der  Figuren.    Vgl.  §  5. 

La.  hat  die  Prouincia  Yaleria  228,3-229,9  aus  P  f.  67-68  falsch 
hierhergezogen. 

6.  Hygini  Gromatici  constitutio  limitum  und  daran  angehängt  Lex 
Mamilia. 

1 10-159  (f.  44''-72'",  Kat.  4i'-66)  =  La.  166,  1—208,4  inc.  hygyni 
constitvtio.    Inter  omnes  mensurarum  ritus  -  -  formam  descrihamus. 


*  Agennius  Urbicus  sagt  mit  den  Worten  des  Frontinus  La.  64,11  uno  enim  libro  in- 
stituimus  artificem,  alio  de  arte  disputauimus.  Die  in  A  Nr.  4  erhaltenen  Exzerpte  gehören  zu 
der  Institutio  artißcis  (d.  h.  agrimensoris).  Von  der  anderen  Schrift  des  Frontinus  besitzen 
wir  nur  Fragmente  in  der  Überarbeitung  des  Agennius  (s.  A  Nr.  7,  B  Nr.  1-2). 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  15 

159-161   (f.  72''-73'.  Kat.  66-67)  =  La.  263,  1-266,4  lex  mamilia 

ROSCIA     PEDVCEA    ALIAENA     FABIA    K.   L.  HI.       QuaC     COlonitt daUfinaS    eStO     EXP. 

KYGYNI    GROMATICI    CONSTITVTIO    FELICITER. 

f.  52-54  und  66  fehlen  ganz  (La.  177,4-181,4  und  197,  19-198,20);  von  f.  62 
ist  die  obere  Hälfte  (Sp.  151  die  Figur  195;  Sj).  152  der  Text  La.  202,18-203,6), 
von  f.  64  der  unterste  Teil  weggeschnitten  (Sp.  155  La.  205,14  ein  Wort  und  eine 
Figur,  wie  erhaltene  Spuren  zeigen;  Sp.  156  der  Text  La.  206,14-15  lineariis  -  - 
dimidiö).  Diese  Lücken,  die  durch  BP  gefüllt  werden,  waren  schon  vor  dem  16.  Jahr- 
hundert da:  denn  in  der  Jenaer  Abschrift  wird  der  Text  nach  B,  die  Figuren 
nach  P  ergänzt,  in  der  Vatikanischen  nur  der  Text  197,  19-198,  20  und  206,14-15, 
die  anderen  Lücken  durch  leeren  Raum  bezeichnet. 

Von  den  f.  65  und  67  (Kat.  59  u.  60)  fehlt  jetzt  das  mittlere  Drittel,  da  die 
Figuren  182,  184,  191  und  193  weggeschnitten  sind.  Diese  Figuren  sind  aber  durch 
die  Abschriften  J  V  noch  erhalten.  Wahrscheinlich  hat  erst  Mortaigne  (s.  §  5) 
diese  Lücken  gemacht. 

7.  Bruchstück  von  Ageiini  Lrbici    De  controversiis  agrorum.    Am 
Anfang  das  Bild  des  Feldmessers.     S.  B.  Nr.  i . 

161     (f.    73'«     Kat.  67)     INC.    AGENI    VRBICI    DE    CONTROVERSIIS   AGRORVM. 

162   (f.  73^.  Kat.  67')  Bild  des  Feldmessers'. 

163-179  (f.  74'■-83^  Kat.  68-76)  =  La.  77,  20-90,  21    (cum  per 

omnium   (falsch    für   (ad  luteum  Feroniae)  Agustinorum mentiri 

artifices  coguntur.    ageni  vrbici  lib.  ex?. 

f.  78  fehlt.  Die  Lücke  (La.  83,13-84,16  vgl.  51,7-52,15)  wird  durch  B  ge- 
füllt. In  J  V  wird  der  Text  nach  B  ergänzt.  Von  f.  80  (Kat.  73)  ist  der  untere 
Teil  mit  zwei  Figuren  (La.  86, 15  u.  87,8)  und  dem  Text  La.  86, 14-15  wegge- 
schnitten.    B  ersetzt  den  Verlust  des  Textes,  aber  hat  keine  Figuren^ 

8.  Gromatisches  Exzerpt.    Vgl.  EF  Nr.  9  a. 

179-180  (f.  83.  Kat.  76)  =  La.  285,  1-286,  10.  inc.  fwminis  va- 
RATio.    si  in  agri  quadratura  -  -  erit  laütudo  flumlnis. 

9.  f.  84  fehlt.  In  der  Jenaer  Abschrift  S.  142  (f.  71^)  folgt  hier  die  Subscriptio  Exp. 
fluminis  variatio;  dann  das  Fragment  La.  244, 1-17  Incipit  uh.  Nomina  agrimensorum 
quis  (s  auf  Kasur)  in  quo  officio  militahant  (rot).  Primo  inuenitur  -  -  conmlibus  (fehlt 
in  V);  dann  das  Gesetz  De  sepulchris,  dessen  Anfang  La.  271, 1-12  jetzt  in  A  fehlt: 

Jena  S.  142  Vat.  69'*  de  sepvlchris  Imp.  Tiberius  Caesar  -  -  publica  propter 


1  Fr.  Marx,  Digitis  computans,  Jahrb.  f.  klass.  Phil.  27  Supplementband  1902, 195-201 
meint,  es  sei  ein  Bild  des  Euclid.     Vgl.  §  7  Die  Miniatur>jn. 

2  In  der  Figur  La.  41  A  177  stehen  einige  belanglose  Federübungen  späterer  Schreiber: 
über  dem  Strom  ego  aut  dixi  an  mea  (karol.  Minuskel),  unter  dem  Strom  mi^erere  mih  dn  (lange 
Üitterschrift),  unten  an  der  linken  Ecke  gisebhertus  (diploinat.  Miuusk.)  und  darunter  abis  s 
stux  (karol.  Minuskel;  vgl.  Dlume  10,  Anm.  11).  Die  Buchstaben  tu  des  Wortes  gisebhertus 
sind  jedoch  unsicher.    Vielleicht  ist  zu  teilen  Gisebbe  (d.  i.  Giuseppe)  r  -  -  s. 


16  C.  Thulin: 

10.  De  sepulcliris  (der  Anfang  stand  auf  f.  84).   Vgl.  P  Nr.  2  c. 

181-182    (f.  85.   Kat.  77)   La.  271,  12-272,  23.    testimonium 

in  aedem  Beneris  genetricis. 

11.  f.  86  fehlt.  Blume  24  hat  die  falsche  Vermutung  alisgesprochen:  »Auf  dem 
siebenten  scheint  nur  die  Zeichnung  gestanden  zu  haben,  die  sich  jetzt  fol.  72^  der  Jenaer 
Abschrift  befindet«  (vgl.  Blume  38  »J  fol.  72^  Zeichnung  von  dem  nach  A  182  fehlenden 
Blatte«).  Diese  Zeichnung  ist  nämlich  genau  dieselbe  wie  die  in  A  182  erhaltene  Fig.  210, 
die  zu  De  sepulchris  geholt.  Ein  Exzerpt  aus  den  Digesta  gromatica  stand  gewiß  auf  dein 
fehlenden  Blatt. 

12.  Über  Grenzsteine.     Aus  den  Digesta  gromatica. 

183-184   (f.  87,   Kat.  78)    =   La.  242,  7-243,  17    ratio  militiae  ad- 

siGNATioNis  PRIMA.     TriumuiraUs   lapides  Graccani slgria  sunt  finalia 

consütuta  (La.  Fig.  206)  ratio  limitiae  adsignationis  prima  explicit.  Vgl. 
P  lod.  Lachmann  hat  das  Stück  mit  Unrecht  in  den  Liber  reg.  I 
eingerückt   (Mo.,  Bonn.  Jahrb.  95-96,   281    ~  Ges.  Sehr.  VII  473). 

13.  Der  Titel  der  verlorenen  Geometrie  VaiTOs. 

184  fin.  (f.  87^  fin.  Kat.  78  )  incipit  liber  marci  barronis  de  geometria 
(eo  auf  Rasur)  |  ad  rvfvm  feliciter  silbivm.   Hier  endet  ein  Quaternio. 

f.  89-96  oder  wenigstens  ein  Quaternio  (vielleicht  mehrere)  fehlt  jetzt,  mit  dem 
die  Schrift  Varros  oder  Exzerpte  daraus  verloren  gegangen  ist.  Auf  eine  gro- 
matische  Handschrift,  die  diese  Schrift  noch  enthielt,  bezieht  sich  vielleicht  das 
von  Mommsen,  Agrim.  II  219  =  Ges.  Sehr.  VII  462  zitierte  Zeugnis  von  etwa  1390 
über  eine  Hs.  des  Petrarca,  die  später  nach  Mailand  kam:  librum  M.  Varronis  de 
mensuris  orbis  terrae,  librum  quidem  magnum  in  antiquissima  littera,  in  quo  sunt  quae- 
dam  geometricae  figurae.  Auch  der  falsche  «Boetius«,  der  diese  Schrift  Varros  nach 
Cassiodorus,  De  Geometria  zitert  hat  (s.  La.  393,8-17),  sagt  quae  -  a  Varrone  de 
mensuris  ostenta  sunt  (s.  Migne,  Patrol.  lat.  63,  1359c).  Mo.  meint,  die  jetzt  ver- 
schollene Hs.  des  Mailänders  Alciatius  (s.  S.  6),  die  u.  a.  M.  Vari-o  de  arithmetica 
enthielt,  könnte  recht  wohl  die  Hs.  Petrarcas  sein.  Da  wir  jetzt  das  Mailänder 
Fragment  (oben  S.  7)  einer  uralten  Gromatikerhandschrift  von  ungewöhnlich  großem 
Format  und  sehr  altertümlichen  Lettern  kennen,  so  führen  die  Worte  librum  magnum 
in  antiquissima  littera  ungesucht  den  Gedanken  auf  diese.  Bubnov  glaubt  in 
£28,19-35,23  und  B  156-169  Reste  der  Varronischen  Geometrie  zu  finden.  Diese 
Texte  sind  herausgegeben  von  Bu.  494-508. 

14.  Die  Subscriptio  von  A  Nr.  12  und  der  Titel  Varros,  die  V  ausgelassen  hat 
(Ratio  limitiae  adsignationis  prima  exp.  \  Incipit  liber  Marci  Varronis  de  Geometria  ad  Ruf  um), 
sind  in  J  145  (f.  73'")  nachträglich  zwischen  der  26.  Zeile  und  der  am  unteren  Rand  ge- 
zeichneten Fig.  206,  die  zu  Nr.  12  gehört,  eingetragen.  Die  nächste  Seite  des  J,  146  (f  73^)> 
enthält  folgende  sehr  korrupte  Bruchstücke,  die  in  A  jetzt  fehlen  und  wahrscheinlich  aus 
Resten  von  Blättern,  die  ihren  Platz  hier  gehabt  haben,  stammen : 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Roumnorum.  17 

a)  PROVINCIA  CALABRiA  siue  Cardmis  vel  Decimanos  -  -  ex  litteris  Graecis  (La.  225,  5 
bis  13).  Die  zwei  ersten  Worte"  geliören  nicht  mit  dem  folgenden  Text  zusammen, 
dessen  Anfang  defekt  ist.  La.  hat  diesen  Text  nach  P  Nr.  10 b  mit  Unrecht  in  den 
Liber  regionum  I  aufgenommen  (s.  Mo.,  Agrim.  II  165-167,  Bonn.  Jahrb.  95-96,  281). 

h)  PYRRVS.  Mensurarum  sunt  genera  tria,  rectum  Planum  solidum.  Rectum  .  .  .  (drei 
Zeilen  leer  gelassen);  nach  Bubnov  Fragment  der  Geometrie  des  Pyrrhus  geometra 
(s.  u.).  Aber  vielleicht  ist  Pyrrhics  hier  ebenso  willkürlich  vorangestellt  wie 
Provincia  Calahria  im  Vorhergehenden.  Lachmann  245-6  hat  mit  Unrecht  ein  Stück 
ans  Epaphroditus  und  Vitruvius  (A  55-57)  mit  den  Fragmenten  b  und  c  des  J  ver- 
bunden, weil  dieselben  Worte  Mensurarum  genera  sunt  -  -  rectum  dort  vorkommen 
(Bubnov  549  c.  37).  Der  »Podismus«  (oben  A  Nr.  2)  fängt  mit  ebendiesen 
Worten  an.  Vgl.  auch  Baibus  La.  96,21-97,2.  Es  liegt  nahe,  der  Geometrie 
Varros  Worte  zuzuschreiben,  die  so  wie  diese  Gemeingut  der  röm.  Geometrae  ge- 
worden waren. 

c)  Bruchstück  unbekannter  Herkunft:  iugera  XL  possidet  -  -  restitutus  est  militem 
La.  246,10-23.  Der  letzte  Teil  246,16-23  Ex  commentario  JJrhici  --  militem  ist 
in  J  rot  geschrieben,  war  also  sicher  in  A  mit  großen  Buchstaben  gemalt,  ebenso 
wie  der  Schluß  vom  Liber  regionum  I  La.  239,17-19  et  formas  ciuitatium  --  de- 
clarauit.  Mit  diesem  Bruchstück  endete  wahrscheinlich  ein  neuer  Liber  regionum. 
Vgl.  P  Nr.  10. 

15.  Casae  litterarum  ohne  Über-  und  Unterschrift. 

185-190  (f.  96'-98\  Kat.  79-81')  =  La.  327,  4-331,  7.  Casa 
quae  per  A  nomen  habet  -  -  fines  qua  legis  hoc  habeUs.  Vgl.  S.  7, 
Cod.  Berlin  fol.  641. 

16.  Nomina  agrorum,  limitum,  lapidum  finalium. 

a)    190   (f.  98"",  Kat.  81')  ==  La.  246,  24-247,  20  incipivnt  nomina 

AGRORVM  -  -  EXPLICIVNT    NOMINA    AGRORVM,    FELICITER.       Vgl.    P    Nr.   9. 

h)  191  (f.  99',  Kat.  82)  =  La.  247,  21-  249,  31  incipivnt  nomina 
LiMiTVM.  Limites  orientalis  -  -  Limites  qui  per  antica  et  postica  diuidun- 
tiir  (vgl.  P  Nr.  1 1 ).     Sunt  limites  n.  XXVIIII,  agrorum  n.  XVIIU. 

Dann  mit  großen  Kapitalen  ein  hier  eingeschobenes  Fragment: 
Ideoq.  y>Umes  agro  positus  litem  ut  discerneret  agris»^  (Vergil.  Aen.  XII 
898).    Nam  ante  lobem  limte  non  parebant  qui  diuiderent  agros  (vgl.  P 

Nr.   I  b).         EXP.    NOMINA    LIMITVM. 

C)      192     (f.    99"",    Kat.    82')      EX    LIBRO    BALBI    NOMINA    LAPIDVM    FINALIVM      (mit 

fetten  hohen  Kapitalen).    Kein  Text  fblgt.    Schon  die  Vorlage  war 


'  Bub  11  UV  430  hat  diese  Worte  falsch  erklärt.  Er  meint,  sie  seien  aus  den  Schluß- 
worten des  Varronischen  Titels  feliciter  SUuium  korrumpiert,  da  J  nur  Incipit  -  -  ad  Ku/um 
hat.  Aber  der  Titel  ist  in  .1  unten  S.  145  nachträglich  (wenn  auch  von  der  ersten  Hand)  ein- 
geführt, die  Worte  Provincia  Calahria  stehen  auf  S.  146. 

Phü.-hist.  Klasse.    1911.    Anhang.    Ahh.  Tl.  '^ 


18  C.   Thulin: 

also    defekt.      Nur   die  Hälfte    der  Seite  ist  nachträglich  durch  die 

Zeichnungen   La.  Fig.  207  gefüllt.     Vgl.  EF  Nr.  5    und    »Boetius« 

La.  404-406. 

f.  roo-ioi  fehlen.  Daß  sie,  wie  EF  Nr.  5,  die  Reihe  der  Grenzsteine  mit  Zeichnungen 
enthalten  haben,  soweit  sie  in  der  Vorlage  vorhanden  waren,  dürfen  wir  dai-aus  schließen, 
daß  auf  f.  103  der  letzte  in  der  Reihet  Cippus,  gezeichnet  und  darunter  wie  oben  nach 
den  agri  und  limites  die  Zählung  ßunt  n.  XXXII  geschrieben  ist. 

193  (f.  I02'',  Kat.  83).  Drei  cippi,  die  erste  mit  Inscription;  dar- 
unter: Fiunt  n.  XXXII.  Mit  dieser  Summierung  endet  die  Reihe 
der  lapides  finales,  wie  vorher  die  der  limites  und  agri".  Vor  der 
Subscriptio  ist  aber  genau  wie  bei  jenen  etwas  eingeschoben,  näm- 
lich ein  Bruchstück  des  Catalogus  geometrarum  mit  einem  Zitat  aus 
des  Pyrrhus  Kommentar  zu  Aratus: 

d)  geomelra  Pyrrus  Magnus  (i.  e.  Magnes).  Arestijllydes  (i.  e.  Ari- 
stylli  duo).  Apollonius^ .  Pyrrus  geometra  in  atro  (i.  e.  Arato)  dixü: 
principium  (i^stum  ȧ  iouem  (leg.  ex  love)  indpiamus<^  falsum  dkitj, 
quoniam  ex  iouem  non  ad  {on  a  ausradiert)  iouem  ordinamus  (i.  e. 
quoniam  a  loue,  non  ex  love  ordiamur).  Euclydis  siculus  arismetica 
scribsit  .      exp.  nomina  lapidvm  finalivm  feliciter. 

e)  194    (f.  102'',  Kat.  83')  Zeichnungen  von  Grenzzeichen  La.  Fig. 

208-209  ohne  Text. 

f.  103  fehlt.  Ob  noch  mehr,  muß  eine  offene  Frage  bleiben.  Aber  da  die  zweite  Hand- 
schriftenklasse (P)  besonders  Exzerpte  aus  den  Digesta  gromatica  (s.  §  9)  vor  der  ersten 
voraus  hat,  so  verdient  es  beachtet  zu  werden,  daß  der  letzte  Quaternio  des  A,  der  eben 
Exzerpte  aus  diesen  Digesten  enthält,  nicht  nur  sehr  defekt,  sondern  auch  ohne  Zusammenhang 
mit  dem  vorhergehenden  ist.  Wir  müssen  also  mit  der  Möglichkeit  rechnen,  daß  viele  von 
jenen  Texten,  die  jetzt  nur  in  der  zweiten  Handschriftenfamilie  erhalten  sind,  in  A  selbst 
ausgefallen  sein  können. 

^    Bei  »Boetius«  La.  406  ist  cippus  der  vorletzte. 

^  Die  Erklärung  von  E.  Maass,  Aratea,  Philol.  Untersuchungen.  Heft  XII,  Berlin  1892, 
S.  122  und  von  Fr.  Marx,  Jahrb.  f.  klass.  Phil.  27  Suppl.  1902,  198,  der  die  Worte  mit  den 
folgenden  verbindet  und  Fuerunt  numero  XXXII  geometra (e)  liest,  halte  ich  für  unrichtig  trotz 
der  griechischen  Analogie,  Kaibel  GGF  I  i,  S.  9,  15  thc  ag  n^ac  KOMtpAiAC  rerÖNACi  m^n 
noiHTAi  ia'.  AaEiOAOrcöTATOi  A^  TQ-fTWN  «t^iAtHMCoN  MeNANAPOC  USW.  Hier  wird  geometra  Pyrrus 
durch  das  folgende  Pyrrus  geometra  geschützt. 

^  Die  Lebenszeit  des  TT^ppoc  MArNHC  ist  unbekannt,  die  drei  anderen  gehören  in 
das  3.  Jahrh.  v.  Chr.  (s.  Maass,  Aratea  22,   122,   162). 

*  Fr.  Marx,  a.a.O.  »eine  Notiz,  durch  die  die  Heimat  des  Euclid  als  gesichert  über- 
liefeit  betrachtet  werden  muß«.     Die  Erklärung  Bubnovs  432  ist  verfehlt. 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  19 

B 

Der  zweite  Teil  des  Arcerianus  besteht  jetzt  aus  72  Blättern  in  neun 
vollständigen  Quaternionen,  die  durch  unten  rechts  an  der  letzten  Seite 
jedes  Quaternio  angebrachte  römische  Ziffern  (ohne  q.)  bezeichnet  sind.  Ur- 
sprünglich war  diese  Hs.  doch  größer,  da  der  Text  der  letzten  Seite  gleich 
am  Anfang  der  Schrift  des  Baibus  abbricht.  Da  die  Fortsetzung  dieses  Textes 
in  den  Abschriften  J  und  V  erhalten  ist,  hat  man  Grund  anzunehmen,  daß 
erst  Mortaigne  (s.  S.  33)  für  diesen  Verlust  verantwortlich  ist. 

Der  Text  ist  zweispaltig,  288  Spalten.  Im  Katalog  f.  84-157  sind 
die  beiden  Umschlagblätter  123  und  157  mitgerechnet,  die  Scriver  um 
die  letzte  Hälfte  des  B  legte,  als  er  sie  absonderte  und  dem  Pontanus 
sandte  (s.  S.  34). 

I.  Sp.  1-38  Bruchstücke  des  Ageniiius  ürbiciis  =  A  Nr.  7,  aber 
richtiger  als  in  A  ohne  Überschrift,  da  der  Anfang  fehlt:  Cum  per  omnium 
coguntur.     Acewi  urbici  lib  6xplicit. 

2-   39-91   Bruchstücke  des  Agcniiiiis  ürbicus  und  Hyginus. 

Am  oberen  Rand  von  Sp.  39-40  =  Kat.  f.  84  ist  eine  rote  Überschrift  incipit  lib ////////// 
mit  kleinerer  Schi-ift,  aber  von  der  eisten  Hand  gezeichnet  (Taf.  III).  Da  der  Text  mit  der 
ersten  Zeile  anfängt,  so  ist  es  offenbar,  daß  anfangs  die  Übersclirift  fehlte  und  jene  vom  Schreiber 
nachträglich  gemäß  der  großgeschriebenen  Subscriptio  B91  exp  lIb //////  hier  am  Rand  hin- 
zugefügt worden  ist,  genau  wie  die  Überschrift  B  157  (s.  unten).  Das  Wort  nach  lib  ist  an 
beiden  Stellen  ausradiert  und  in  der  Rasur  der  Überschrift  (etwa  10  Buchstaben)  mit  schwarzen 
Halbkursiven  des  7.-8.  Jahrhunderts  der  Name  Sinplicixxs  (us  sogleich  wieder  getilgt)  einge- 
tragen, den  der  Koirektor  aus  den  falsch  verstandenen  Worten  der  vorhergehenden  Seite 
nam  et  simplicius  enarrare  condiciones  earum  existimaui  (La.  89,  26)  herausgelesen  hattet  Dieser 
Name  lebte  in  den  Ausgaben  fort,  bis  Lach  mann  ihn  tilgte.  Die  frühen  Abschriften  J  V 
waren  aber  kritischer,  denn  V  bemerkt  dazu  *hoc  additum  aliis  literis  puto  adulierum^  und  J 
S.  107  schreibt  in  der  Überschrift  liber  ageni  vrbici  ii,  in  der  Unterschrift  S.  122  exp.  liber 
AGENi.  Ich  glaube,  daß  J  den  richtigen  Namen  wieder  eingeführt  hat  und  daß  Niebuh r. 
Lachmann,  Blume  und  Mommsen  in  den  zerstreuten  Fragmenten  dieser  Kolumnen  mit 
Recht  den  defekten  Anfang  der  in  den  Kolumnen  1-38  enthaltenen  Schrift  des  Agennius  er- 
kannt haben.  Bubnov  433-435  hält  sie  für  Fragmente  der  von  Agennius  benutzten  Schrift 
des  Frontinus,  hat  aber  keine  gültigen  Beweise  dafür  bringen  können.    Denn  Agennius  hat 


,    r..  ..  ,„.,.,        ^.\ 


Diesen  Ursprung  des  Wortes  erkannte  schon  Rigaltius,  Notae  apud  Goes.  232  und 
249.  Die  Erklärungen  Blumes,  Rhein.  Mus.  f.  Jurispr.  V  375  und  Lachmanns,  Agrim.  H 
120  sind  insofern  falsch,  als  sie  nicht  gesehen  hatten,  daß  Sinplicitts  auf  Rasur  steht  und 
in  der  Unterschrift  der  ursjjrüngliche  Name  gleichfalls  ausradiert  ist.  Der  Korrektor  hat 
den  »richtigeren«  Namen  einführen  wollen,  die  Schlußsilbe  aber  wieder  verwischt,  da  er  fand, 
daß  der  Genitiv  hier  erforderlich  war.     Auch  Bubnov  kennt  diese  Rasuren  nicht. 

3* 


20  C.  Thulin: 

den  Frontin  meistens  wörtlich  zitiert  mit  eigenen  Zusätzen ;  es  ist  also  nicht  zu  verwundern, 
wenn  wir  bei  ihm  Worte  wiederfinden,  die  anderswo  als  Frontinisch  angeführt  werden,  wie 
die  Worte  La.  73,  28-74,  10  si  termini  desint  -  -  in  totum  debet  in  P  50^^  (Nr.  6f)  unter  der 
Rubrik  y>Ex  libro  Frontini  secundo<^  exzerpiert  sind,  und  die  Worte  La.  68,  6  in  illam  quoque 
uelut  exstantium  argumentorum  oportunitas  aptatur  in  wenig  veränderter  Fassung  vom  späten 
Kommentator  des  Frontinus  dem  Fr.  zugeschrieben  werden:  La.  10,  19  m  istis,  ut  uit  Fron- 
tiniis,  velud  instantium  argumentorum  oportunitas  controversialis  aptatur. 

Gegen  jene  Annahme  Bubnovs  gilt  meines  Erwägens  als  der  kräftigste  Beweis  die 
Beobachtung,  daß  in  den  Fragmenten  der  Kol.  39-91  und  in  dem  Bruchstück  Kol.  1-38 
nirgends  dieselbe  Sache  zweimal  erwähnt  wird,  sondern  im  Gegenteil  jene  späteren  Frag- 
mente das  erste  lange  Bruchstück  inhaltlich  ergänzen.  Wie  wäre  es  möglich,  wenn  die 
Kol.  1-38  den  Agennius,  die  Kol.  39-91  Fragmente  der  von  ihm  benutzten  Schrift  des  Fron- 
tinus enthielten? 

Aber  in  diesen  Kolumnen  steht  auch  Kol.  75-83,  ein  Abschnitt,  der  sachlich  wie 
sprachlich  gleich  von  der  Umgebung  sich  unterscheidet  und  dem  Frontin,  wie  Bubnov 
meint,  am  wenigsten  von  allen  bekannten  agrimensorischen  Schriftstellern  zugeschrieben 
werden  könnte.  Lachmann  hat  ihn  mit  Recht  ausgesondert,  aber  isoliert  herausgegeben 
S.  281-284.  In  Eranos  suec.  1910, 185-199  habe  ich  dargetan,  daß  dieser  Abschnitt  den 
erwünschten  Anfang  des  in  den  Kol.  101-129  enthaltenen  größeren  Bruchstücks  des  Hygin 
bildet.  Von  den  übrigen  Hj'^ginusfragmenten  ist  er  nur  durch  das  hierher  verschlagene 
Agenniusstück  der  Kol.  83-91  geschieden,  das  ganz  am  Anfang  vor  den  Kol.  39-43  hätte 
stehen  sollen. 

iNcipiT  LiB  lim II III   {Sinplicms  in  der  Rasur).     S.  Taf.  III  i . 

39-43   (Agennius Urb.)  La.   62,17-64,1      44  Zeilen 

43-46  »    '        »  fl      71,18-72,21  =  34  Zeilen 

46-50  >.  »         »      73,11-74,10  =  33 

50-56  »  »         »      74,16-76,17  =  64       » 

56-59  y>  »  »       76,  19-77,  18  =  31 

Summa  ...      162  Zeilen 

59-64  »  »         >)      65,  14-67,  10  =  49  Zeilen 

64-71  »  »  .)      67,16-70,9^   ==  75 

71-75  »  »         »      64,1-65,12     =40      » 


Summa  ...       164  Zeilen 

15~n   (Hyginus)  La.    283,21-284,17  =  20  Zeilen 
77-83  »  »      281,1-283,21     =64       » 

Summa  ...      84  Zeilen 
83-91   {Agennius Urb.)  La.  59,  4-62,  15      84  Zeilen. 
€xp  LIB  ///////  S.  Taf.  III  2. 

Der  Schluß  ist  defekt. 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  liomanorum.  21 

3.  91-156  vier  Bruchstücke  des  Hyginus  (de  limitibus,  de  agris,  de 
controversiis)  und  vier  des  Siciilus  Flaccns  (de  condicionibus  agrorum), 
die  durcheinandergeworfen  sind,  da  die  Blätter  der  Vorlage  in  Unordnung 
geraten   waren. 

91  INC   ^e    LIMITIB-      HYGINI 

91-97  Hyginus  La.  111,9-113,18     =  62  Zeilen 

97-101    Siculus  Flaccus  »  138,3-139,19     =40      » 

101-129  Hyginus  »  115,15-128,4     =262    » 

129-133  Siculus  Flaccus  «  139,20-141,22^=44     » 

'i-ZZ-'^il         "  »  ''  145,2-146,21     =41      >. 

137-149  Hyginus  »  128,4-133,1       =  104  (36  4- 8 -f  60)  Zeilen 

149-153  Siculus  Flaccus  «  146,21-148,19  =  43  Zeilen 

153-156  Hyginus  »  133,1-134,13     =36      » 

<>6    LIMITIB    HYGIN    6XP    F6LICITeR 

Obgleich  der  Text  des  Siculus  Flaccus  in  P  Nr.  5  fast  vollständig  und  in  richtiger 
Ordnung  überliefert  war,  entdeckte  erst  Lachmann,  Agrim.  11  137,  daß  die  in  Hygin  ein- 
geschalteten Stücke  mit  diesem  Text  des  Siculus  in  P  identisch  wären  und  hierher  ver- 
schlagenen Blättern  der  Vorlage  entsprächen.  Von  den  vier  ungleich  langen  Abschnitten 
(40-44  Z.  La.)  hängen  je  zwei  zusammen,  und  zwischen  ihnen  fehlt  ein  Abschnitt  von 
84  Zeilen  (142,1-145,2),  der  in  P  erhalten  ist.  Die  zwei  langen  Hyginusbruchstücke  sind 
also  in  Siculusblätter  hineingelegt  worden.  Scheinbar  paßte  auch  der  Hyginustext  La.  115, 15 
Quaestorii  autem  dicuntur  usw.  vorzüglich  nach  dem  Text  des  Siculus  138,3-139,19,  in  dem 
die  Occupatorii  agri  behandelt  waren,  die  auch  bei  Hygin  den  Quaestorii  vorhergingen;  und 
auch  der  Anfang  des  nächsten  Siculusabschnittes  La.  139,20  E/rgo  ut  supra  dixi  consuetu- 
dines  regionum  maxime  intuendae  sunt  konnte  dem  Anschein  nach  seinen  richtigen  Platz  nach 
dem  Hyginustext  La.  126-128  haben,  in  dem  dasselbe  oft  gesagt  war  (126,21  quique  con- 
suetudines  fere  per  regiones  suas  hahent.  127,4  ohseruat  suaim)  quaeque  regio  ut  dixi  con- 
suetudinem). 

Den  Text  des  Hyginus  108 ff.  hat  La.  ohne  überzeugende  Beweise  (Agrim.  II  140 f.) 
durch  Auszüge  aus  dem  Commentum  in  Frontinum  [Aggeni  ürbici]  erweitert.  Dagegen 
fanden  wir  oben  Kol.  75-83  ein  Hyginusfragment,  durch  das  die  Abteilung  De  agris  Kol.  101-129 
La.  115,15-123,16  vervollständigt  wird. 

Die  Über-  und  Unterschrift  sind  auch  in  diesen  Kolumnen  91-156  ungenau.  Die 
Überschrift  Inc.  de  limitib.  Hygini  bezieht  sich  nämlich  nur  auf  das  erste  kurze  Bruchstück 
Hygins,  und  die  Unterschrift  ist  danach  falsch  geschaffe^^  ohne  Rücksicht  auf  den  übrigen 
Inhalt  dieser  Kolumnen. 

Hier  folgt  ein  Umschlagblatt,  Kat.  f.  123,  mit  der  Aufschrift  am  unteren  Rand  Sum 
Petri  Scriverij. 


^    Vom  Text  des  Siculus  Flaccus  fehlen  hier  in  B  84  Zeilen  La. 


22  C.  Thulin: 

4.  157-164.  iNcipiT  LIB6R  HYGiNi  GROM^Tici  (obeii  am  Rand  mit  kleinen 
roten  Unzialen). 

Multiplicatio  in  omnemlogon  {leg.polygonon) adicio  partem  XXVI. , . 

Geometrisches  Fragment  ed.  Bubnov  Gerberti  op.  mat.  503-508, 
der  es  dem  Varro  zuschreibt.  Die  falsche  Überschrift  hat  der 
Schreiber  nachträglich  hinzugefügt,  wie  oben  Kol.  39,  dazu  verleitet 
durch  die  Subscriptio  Nr.  6,  die  nach  dem  nächsten  anonymen  Frag- 
ment Nr.  5   folgt,  ohne  dazu  zu  gehören. 

5.  164-207 nunc  papilionum    tensionem   -  -  -   si  vitari  non 

potuerunt.  Fragment  der  dem  Hygin  ohne  Grund  zugeschriebenen  Schrift 
»De  munitionibus  castrorum«  ed.  Lange  1848,  Gemoll  1879,  Domazewski 
1887.  Dieser  Traktat  folgt  in  B  ohne  Unterbrechung  auf  Nr.  4  und  setzt 
nicht  einmal  mit  neuer  Zeile  an.  Aber  der  Anfang  und  Schluß  fehlen, 
weil   in   der  Vorlage   des  B  Blätter   vorn   und   hinten   weggefallen   waren. 

6.         207.       LIB6R    GROMhTICVS    HYGINI    Ze   SIVISIONIB.      ÄGRORVM    6XPLICIT. 

Nur  diese  Unterschrift  ist  erhalten.  Die  Schrift  selbst  war  zu- 
gleich mit  dem  Schluß  der  vorhergehenden  verloren  gegangen.  Die 
Abschriften  J  und  V  haben  mit  Unrecht  versucht,  durch  Änderungen 
die  Subscriptio  auf  Nr,  5  zu  beziehen:  J  schreibt  de  divisionibus 
castrorum,  V  de  municionihus  castrorum. 

7.  207-288.    Hyginus  Grom.  und  Lex  Mamilia  =  A  Nr.  6. 

d)  207.  INC  LiB  HYGINI  gro|maticus.  208-283.  luter  omnes  mensura- 
mm  ritus  -  -  formam  descrihamus  La.  i66,  1-208,4. 

h)  283-287.    Quae  colonia  -  -  -  damnas  esto  La.  263,  1-266,  4. 

288.     LIB6R    HYGINI    GROMATICUS    6XP 

Der  Schluß  der  Überschrift  m^ticus  steht  auf  Rasur.  Ursprünglich  war 
der  Titel  länger  (vgl.  oben  A  Nr.  6)  und  die  vier  ersten  Zeilen  des  Textes 
in  dieser  Kolumne  geschrieben.  Der  Schreiber  selbst  hat  sie  wieder  aus- 
radiert und  mit  der  Kol.  208  den  Text  angefangen.  Er  hat  ferner  die 
Überschrift  der  Lex  Mamilia  ausgelassen,  da  sie  mit  der  Unterschrift  nicht 
zusammen  paßte. 

8.  288.    Der  Anfang  des  Baibus  La.  91,  1-9. 

INC    LIB    BALBI    >\<>    C6LSUM.     eXPOSITIO    CT    RATIO    OMNIUiW    FORMARUM.       JSotUm  eSt 

Omnibus  Celse  -  -  omnia. 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  23 

Die  Fortsetzung  des  Baibus  La.  91,  9-107,  9  tibi  nota cogitaueris  ist  erhalten 

in  den  beiden  Abschriften  J  f.  62-73  und  V  f.  103-110.    In  diesen  folgt  unmittelbar 
darauf  ohne  Interpunktion 

9.  Jf.73  Vf.  iio:  ein  Bruchstück  oder  Auszug  aus  der  Geometrie  des  Frontin:  La. 
107,10-108,8  qualemcumque  rectorum  angulorum  formam normam  facturas.    expLiciT  libcr 

FRONTONIS    PRIMUS. 

Lach  mann  hat  dieses  Fragment  eingeklammert  dem  Baibustext  angehängt.  Aber 
da  die  Überschrift  des  Baibus  in  B  richtig  erhalten  ist,  so  kann  die  Unterschrift  Explicit 
liher  Frontonis  primus  sich  nicht  auf  Baibus  beziehen,  weshalb  Bubnov  mit  Recht  den  Text 
des  Baibus  La.  107, 9  unvollendet  und  ohne  Subscriptio  ausgehen  läßt  und  das  folgende 
gemäß  der  Subscriptio  als  ein  Frontinusfragment  aussondert.  In  der  zweiten  Hs. -Klasse  P  G 
hat  diese  Unterschrift  zu  der  falschen  Überschrift  über  Baibus  lulius  Frontinus  Celso  (s.  P  Nr.  i) 
Anlaß  gegeben,  da  aus  irgendwelchem  Grund  die  ursprüngliche  Überschrift,  wie  in  F  Nr.  i 
der  Fall  ist,  ausgelassen  war.  Man  darf  aber  nicht  glauben,  daß  JV  die  Fortsetzung  nach 
dem  Schluß  des  B  aus  Handschriften  zweiter  Klasse  geschöpft  haben;  denn  die  Abweichungen 
von  den  uns  bekannten  Hss.  dieser  Klasse  sind  viel  zu  groß,  nicht  nur  in  einzelnen  Lesungen, 
sondern  auch  in  längeren  Abschnitten  (z.  B.  94, 12-95,  5;  95»  1^-96,20  und  97,14-98,10 
nur  in  JV).  Außerdem  reicht  der  Text  der  PG  nur  bis  La.  106,8.  Auch  die  Annahme, 
daß  J  V  die  Fortsetzung  des  Baibus  aus  B  geschöpft  haben,  ist  freilich  nicht  ohne  Bedenken. 
In  B  waren  nämlich  keine  Figuren,  in  JV  sind  schlechte  durchgehends  eingetragen,  und 
zwar  öfters  im  freien  Raum,  den  der  Schreiber  von  Anfang  an  im  Text  dafür  gelassen  hatte, 
in  V  nicht  selten  auch  am  Rand.  Sie  stimmen  im  ganzen  so  überein,  daß  man  den  ge- 
meinsamen Ursprung  nicht  bezweifeln  kann,  wenn  sie  auch  beide  (V  öfter  als  J)  nach  freier 
Phantasie  Eigenes  hinzugefügt  haben;  und  da  J  und  V  sonst  voneinander  ganz  unabhängig 
sind,  so  haben  wir  keinen  Grund  zu  vermuten,  daß  es  hier  anders  ist.  Aber  daß  diese 
Figuren  nicht  im  Text  der  Vorlage  standen,  erhellt  schon  daraus,  daß  sie  oft  nicht  nach 
denselben  Textworten  in  J  und  V  eingefügt  werden  und  oft  in  V  am  Rand  stehen.  Ent- 
weder sind  sie  also  einer  anderen  Hs.  als  der  Text  entnommen  oder  sie  waren  in  der  Vor- 
lage am  Rand  nachträglich  gezeichnet.  Einen  Beweis  für  die  letztere  Annahme  sehe  ich  im 
folgenden : 

J  hat  nach  La.  99,12  latitudinem  tantum  modo  (om.  V)  habet,  summitatis ßnes  lineae  (finis 
linea  est  V)  die  Fig.  79  \J/__,  die  als  Fig.  88  (La.  101,11)  hätte  stehen  sollend  Wie 
sie  hierhergekommen  ist,  erklärt  V,  dessen  Text  in  Unordnung  ist:  nach  99,12  folgt  näm- 
lich eben  der  Text  La.  roi,  10-103,  21   Rectus  angulus adiungitur  aut  aequatur  (50  Z.  La.), 

dann  99,12-101,10  (27  Z.  La.)  mit  Wiederholung  der  Worte  tantummodo  habet.  Summitatis 
ünes  lineae  am  Anfang,  schließlich  104,1  Forma  est  etc.  V  versucht  den  Übergang  von  99,12 
lineae  zu  101,10  Eectus  angulus  dadurch  zu  vermitteln,  daß  er  die  Woite  Triplex  est  angulus. 
Hebes  et  acutus  -  -  einschiebt.  J  hat  die  richtige  Ordnung  wiederhergestellt,  aber  die  falsche 
Figur  beweist,  daß  in  der  Vorlage  derselbe  Text  wie  in  V  hier  folgte  und  daß  die  Figur 
dazu  (Fig.  88)  am  Rande  stand. 


i  Die  von  Uudorff-La.  als  88  bezeichnete  Figur  des  J  ist  vom  Korrektor  auf 
Rasur  gezeichnet  (nach  P).  Ursprünglich  stand  hier  A  oder  die  Hälfte  der  Fig.  87  in  P 
(A  A,).  V  hat  an  dieser  Stelle  als  Fig.  79  die  des  P  cnz^ ,  aber  bei  der  Wiederholung  der 
Worte  nach  103,21   die  Figur  \/^,  wohl  eine  Versciilechterung  der  Figur  des  J. 


24  C.   Thulin: 

Die  Figuren  der  JV  stimmen  größtenteils  mit  den  Figuren  der  PG-Klasse  überein, 
wenn  auch  sehr  verschlechtert ',  Aber  da  JV  Figuren  auch  in  den  Stücken  haben,  die  jetzt 
in  PG  fehlen  (La.  97,14-98,10.  106,13-108,8),  so  muß  eine  ältere  und  vollständigere  Hs. 
den  Stoff  zu  den  Bildern  gegeben  haben,  wenn  sie  nicht  an  diesen  Stellen  vom  Zeichner 
frei  erfunden  sind. 

§  4.     Das  Verhältnis  zwischen  A  und  B. 

A  und  B  von  ver-  Trotz  der  auffallenden  äußeren  und  inneren  Übereinstimmungen  zwischen 

schiedeneii  Händen  ^^^  beiden  Hälften  des  Arcerianus,  die  über  ihre  sehr  nahe  Verwandt- 
schaft keinen  Zweifel  übriglassen,  beweisen  doch  mehrere  ausgeprägte 
Unterschiede,  daß  sie  von  verschiedenen  Händen  geschrieben  sind  und 
ursprünglich  zwei  verschiedene  Hss.  waren. 

1.  A  hat  28  Zeilen  auf  jeder  Seite,  B  26. 

2.  In  B  sind  die  Quaternionen  durch  römische  Ziffern  numeriert,  die 
unten  rechts  an  der  letzten  Seite  jedes  Quaternio  angebracht  sind.  In  A 
sind  sie  unnumeriert. 

3.  Die  Schrift  ist  in  A  bräunlich,  in  B  schwarz. 

4.  Die  unziale  Schrift  des  A  ist  zierlicher  und  mit  schöneren  Rundungen 
geformt  als  die  des  B,  die  etwas  eckig  ist.  Auch  mehrere  einzelne  Buch- 
staben findet  man  bei  näherer  Prüfung  verschieden: 

A  schreibt  z.B.    ^       ^     J'     L      N      ^      S 

5 .  Ferner  ist  die  Schrift  des  B  durchgehend  unzial,  nicht  nur  im  Text, 
sondern  auch  in  den  größer  geschriebenen  Rubriken  und  den  klein  über- 
geschriebenen Korrekturen.  In  A  sind  dagegen  außer  der  unzialen  Schrift 
auch  andere  Typen  zu  verzeichnen: 

a)  mehrere  Rubriken,  Über-  und  Unterschriften  sind  mit  Kapitalschrift, 
capitalis  quadrata  oder  rusiica,  geschrieben  z.  B. 

-"■PlloclsPvBllClS 

■^  Rudorff  hat  auf  den  Taf.  9-12  der  Ausgabe  Lachmanns  die  Bilder  des  J  wieder- 
gegeben, aber  dabei  die  vom  Korrektor  nacli  P  eingetragenen  Zeichnungen  von  den  ursj)rüng- 
lichen  nicht  gesondert. 


Ble  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  25 

...  [XrNOMINMIlylllCM 

Auch  im  Text  kommt  diese  Schrift  vor,  wo  der  gedrängte  Raum  es  emp- 
fiehlt, z.  B. 

A190   ^0P1S^/1AT^^  C>li^rQUAGgrNii5 

Diese  kleine  Kapitalschrift  ist  genau  dieselbe  wie   die  Schrift  der  Bilder, 
die  also  vom  Schreiber  des  A  selbst  stammt,  z.  B. 

FiR.x59.     flA\lTIA  Fig.M9.      C;.UlIvJTA(llu5 

b)  am  Schluß  der  Zeilen,  und  zwar  besonders  der  letzten  Zeile  der 
Seite,  benutzt  endlich  der  Schreiber  des  A  oft,  um  Wortteilungen  zu  ver- 
meiden oder  Raum  zu  ersparen,  eine  kleine  kursivähnliche  Schrift, 
die  auf  den  Totaleindruck  der  schönen  Unzialen  sehr  störend  einwirkt,  z.  B. 


A  61   fin.  (La.  4,  i)         »  '^P^i  ^  - 


A  81  (La.  33,  18)        \.C<Zir>Q/lf^^^U/L^^ 

Da  bisher  als  Proben  aus  A  nur  solche  Seiten  zum  Publizieren  gewählt 
sind,  die  die  unziale  Schrift  möglichst  rein  haben  \  so  füge  ich  als  be- 
zeichnendes Beispiel  dieser  Stilmischung  die  zweite  (zweispaltige)  Seite  des 
jetzigen  A  bei,  in  der  die  halbkursive  Schlußschrift  besonders  häufig  ver- 
wandt wird  (Taf.  I).  Eine  Seite  wie  diese  gibt  den  unwiderleglichen  Be- 
weis dafür,  daß  diese  Halbkursive  vom  Schreiber  selbst  herrührt  und  mit 
der  unzialen  Schrift  gleiclizeitig  ist.  Für  den  kritischen  Apparat  ist  es 
wichtig,  dieses  klar  zu  erkennen.  Wenn  jemand  die  letzte  Zeile  der  an- 
geführten Seite  allein  sähe,  so  würde  eü  sicher  sagen,  daß  singulis  von 
anderer  Hand  hinzugefügt  sei.     Lachmann  hat  nicht  selten  solche  falschen 


'    Cliatelain,  Uncialis  scriptura,  Paris  1901,  tab.  XXIV  (f.  73'").   Max.  Ihm,  Palaeo- 
grapliia  latina  I,  Taf.  III  (f.  31"^). 

PhiL-hist.  Klasse.    1911.    Anhang.    Ahh.  II.  4 


26  C.   Thulin: 

Angaben,  z.  B.  wenn  er  zu  169,  10  sagt  »estimio  oin.  pr.  A«  oder  zu  226,  2 
» ces  {add.  sa  cojt.)  A  « ,  während  in  der  Tat  pro  estimio  und  cessn  in  Zeilen- 
enden stehen  und  deshalb  estimio  und  sa  halbkursiv  geschrieben  sind'. 
Für  die  Chronologisierung  der  Hs.  ist  diese  Kursive  von  entscheidender 
Bedeutung  (S.  37). 

6.  Auch  einige  Ligaturen  kommen  in  A  vor,  jedoch  ziemlich  selten 
und  nur  an  den  Zeilenschlüssen: 

ur  i|i  oder  \R,  us  i|  oder  i^,  ut  lT,  ul  l^,  unt  \0 . 
ns  hf  oder  j^ ,  ntjl,  nc  jc. 
as  9{y  ae  ^e. 

In  B  ist  dagegen  ^e-  die  einzige  Ligatur. 

7.  Der  größte  äußere  Unterschied  zwischen  A  und  B  ist  jedoch  der, 
daß  A  Zeichnungen  hat,  B  aber  keine. 

8.  Dadurch  wurde  auch  ein  anderer  Unterschied  bedingt.  Während 
nämlich  B,  weil  ohne  Bilder,  durchgehend  zweispaltig  geschrieben  ist,  ist 
nur  der  Anfang  des  A  1-60  =  f.  2'- 17''  in  zwei  Spalten  geschrieben,  die 
fiir  geometrische  Figuren  Raum  genug  gaben.  Dagegen  eignete  sich  in  der 
Fortsetzung  für  die  großen  gromatischen  Zeichnungen  nur  die  einspaltige 
Schreibung,  an  der  nachher  bis  zum  Ende  festgehalten  wurde,  ausgenommen 
A  191   mit  den  nomina  limitum  (s.  oben  S.  1 1  A  2). 

Als  der  Arcerianus  nach  Rom  kam,  waren  die  beiden  Teile  noch  nicht 
zusammengebunden^.  Volaterranus  erwähnt  nämlich  den  Inhalt  des  B  vor 
dem  des  A  (s.  S.  34),  und  Zanchi  bezeichnet  in  seiner  Abschrift  des  Arcerianus 
Vatic.  3132^  A  als  codex  figuratu>^  aber  B  als  eine  andere  Handschrift  ohne 
Figuren  {alter  codex  ßguras  non  hahebat). 


I 


'  Einmal  hat  der  Schreiber  am  Schluß  der  Zeile  die  kleine  Kapitalschrift  statt  der 
halbkursiven  benutzt,  um  zusammengehörende  Worte  nicht  zu  trennen: 

A  170  (Kat.  f.  71')  *-^  O  C  U 

Sluiv^lNPlCARf 

Lachmann  sagt  hier  falsch  51,7   »siui  uindicare  alia  manu  A«. 

*  Nach  der  ältesten  Paginierung  mit  römischen  Zahlen  des  16.  Jahrhunderts  stand 
noch  ein  Rest  des  Anfangs  von  A,  f.  3-6,  in  B,  wo  jetzt  das  Umschlagblatt  f.  123  gestellt 
ist  (s.  S.  II  Ai). 

^   Siehe  Rhein.  Mus.  1911    »Humanist,  Hss.  des  Corpus  agrim.  rom,«, 


Die  tiandschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanotunt.  27 

Wenn  nun  A  und  B  von  verschiedenen  Händen  geschrieben  und  nur  A  und  ß  nach  ver 
teilweise  desselben  Inhalts  sind,  so  stellt  sich  die  Frage  ein,  ob  sie  doch  ^<=h'«<*e"«"  Vorlagen. 
Abschriften  derselben  Vorlage  sind.  Blume  Agrim.  II  7  hat  diese  Frage 
in  der  Hauptsache  richtig  beantwortet  mit  den  Worten:  Ȇberdies  ist  die 
zweite  Hälfte  nur  zum  Teil  eine  echte  Schwester  der  ersten  (z.  B.  in  der 
Pars  11  des  Agenus),  während  sie  in  anderen  Stücken  offenbar  auf  ein  eigenes 
Original  hinweist. «  Im  Agenniustext  (A  Nr.  7,  B  Nr.  1 )  sind  die  Abweichungen 
ziemlich  selten,  im  Hyginus  Grom.  und  Lex  Mamilia  (A  Nr.  6,  B  Nr.  7)  sehr 
häufig,  wenn  auch  nur  in  Kleinigkeiten,  Aber  die  von  Blume  angeführten 
Beispiele  geben  keine  bündigen  Beweise.  Er  legt  großes  Gewicht  darauf, 
daß  die  Unterschrift  des  Hygin.  Grom.  in  A  Exp.  Hygini  Gromatici  constitutio 
feUciter'  heißt,  in  B  Liher  Hygini  gromaticns  exp.  Aber  oben  sahen  wir,  daß 
die  tJberschrift  dieser  Arbeit  in  B  zum  Teil  auf  Rasur  steht  und  also  zweifel- 
los vom  Schreiber  selbst  umgestaltet  worden  ist.  Eben  in  dieser  Hinsicht 
waltet  B  ziemlich  frei :  die  Überschriften  Nr.  2  Incipit  liher  li/ll/il,  Nr.  4  In- 
cipit  liher  Hygini  Gromatici  hat  er  selbst  nach  den  Subskriptionen,  die 
Unterschrift  Nr.  3  De  limitihus  Hygin  exp.  feliciter  nach  der  Überschrift  ge- 
schaffen. 

Ferner  wenn  auch  die  beiden  Schreiber  von  dem  Inhalt  keinen  rich- 
tigen Begriff  hatten,  sondern  in  Unordnung  geratene  Blätter  ohne  weiteres 
abgeschrieben  und  auch  sonst  oft  »den  gröbsten  Unsinn  buchstäblich  kopiert« 
haben,  so  ist  dadurch  nicht  ausgeschlossen,  daß  sie  einzelne  Wortverkürzun- 
gen und  Randbemerkungen  verschiedenartig  behandelt  haben  können,  wie 
in  den  von  Blume  zitierten  Fällen 

La.   265,  I   d.  ?n.  hoc  est  dummodo  A,  d.  d.  B  (für  dolo  malo) 
264,  5   deinde  falsch  A,  d.  d.  richtig  B. 

Viele  Varianten  wird  man  auch  der  Nachlässigkeit  der  Schreiber  oder  dem 
schlechten  Zustand  des  Originals  zuschreiben  dürfen.  Ich  brauche  nur  auf 
die  Abweichungen  hinzuweisen,  die  uns  in  den  Über-  und  Unterschriften  der- 
selben Stücke  in  A  allein  begegnen :  Aprofiditi  und  Aprofoditi  (Nr.  3),  Fron- 
tini -  -  filiciter  und  Frontonis  -  -  feliciter  (N^.  4),  Hygyni  und  Kygijni  (Nr.  6). 
Aber  solche  Verschreibungen  wie  La.  207,  16  posituram  A,  cohituram  B  (för 
quadrarum  P)  oder  265,  10  hae  cessantemA  ac  testante  B  (für  potestatem  P),  wird 
man  kaum  aus  einem  Original  herleiten.  Völlig  beweisend  ist  meiner  Mei- 
nung nach  die  Divergenz  der  Hss. 

4* 


28  C.   Thulin: 

La.  265,  lo  sedsitertius  decem  millia  B 

ssx  milia  A  (äs-x  P,  Turnebus  richtig  x)\ 

denn  aus  der  Lesung  B''  sedsitertius,  die  nicht  aus  ss  direkt  herzuleiten  ist, 
geht  hervor,   daß  in  seiner  Vorlage  nicht  wie  in  der  A^  ^s  stand,  sondern 
das  ausgeschriebene  sestertiü,  das  B  »verbessern«   wollte:   daß  also  B  eine 
andere  Vorlage  als  A  hatte. 
Konjekturen  Dicscs  Beispiel   ist  fär  B  sehr  bezeichnend.    An  vielen  Konjekturen, 

Auslassungen  und  Zusätzen  erkennen  wir  die  Hand  des  Quasigelehrten, 
der  ohne  rechten  Sinn  fiir  den  Inhalt  einzelnes  zu  verbessern  versucht. 
Den  Anteil  der  Vorlage  und  des  Abschreibers  können  wir  dabei  nicht 
streng  unterscheiden;  daß  aber  der  Abschreiber  nicht  ganz  unselbständig 
war,  erhellt  aus  dem,  was  ich  oben  von  den  Überschriften  angeführt  habe. 

Einige  Konjekturen  und  falsche  Lesungen  in  B  sei  es  erlaul)t  anzuführen: 
La.   168,  10  quaestuarii  (aduarii  A), 

169,  7     itineris  ubi  eo  (itineri  puhlico  A,  B  hat  s  und  p  verwechselt  und  da- 

nach korrigiert), 

170,  2     constitnerunt  {constituentur  A), 
5     aut  specialiter  {auspicaliter  A), 

176,  14  consensione  {congressionem  A), 
177,4     et  congestionum  {congressionum  P,  A  fehlt), 
205?  7    possessor  sie  cluditur  {possessio  concludetur  A,  beides  falsch), 
190,  6     mortiferas  (murtiperas  A,  für  multipedas), 
192,  6     inprobandi  {in  prouantis  A,  für  in  prouinciis). 
In    den    beiden    letzten    Beispielen    sieht    man    besonders    deutlich   den    Versuch,   die 
korrupten  Worte,   die  A  abschreibt,   lesbar  zu   machen,   aber   ohne   Rücksicht  auf  den  Zu- 
sammenhang.   Desgleichen  öfters.    Aus  der  Dittographie  265,7  eitis  «W  A  macht  B  eins  aeris; 
in  265,2  ist  s's.VM.  n.  in  (so  A)   zu  ss  omnino,  fines  zu  fine  sunt  geworden;   in   La.   193,11 
F  eadem  et  G  aus  fe  ad  eg  entstanden  (f.  a.  e.  b.  et  g  A).     In  265,  4  und  8  schreibt  B  statt 
datio  addictio  erst  xx  additio  (A  ratio  adicitio),  dann  dati  ac  dictio  (A  Ydatio  adictiö);  in  263, 10 
magis  praefuit  statt  municipio  praefectura  (A),  während  er  in  264,  10  vorsichtiger  nach  municipii 
das  Wort  fori  ausläßt,   für   welche  A   falsch  munitur  fore  geschrieben   hat.     Im  Archetypus 
waren  diese  Worte  abgekürzt.     In   176,  7  konjiziert  B  res  priuatae  für  r.  p.  p.  r.  {res  p.  p.  r. 
A,  res  publica  pcpuli  romani  E).     Bisweilen   begegnen   uns  jedocii   ganz  sinnlose  Worte  wie 
196,  2  adinpraemente,  das  sicher  nicht  aus  demselben  Original  stammt  wie  das  incrimento  in  A. 
Falsche  Zusätze  sind  in  B  nicht  selten,  meist  in  den  Text  aufgenommene  Randglossen 
oder  Korrekturen:     La.  166,6  rectures  ac  (recture  A);  pulchre  rei  (pulcher  A);   182,3  ^go\ 
190,1  ah  aequali'f    168,13   tineari   suhrundui   suhiunguntur    (ui-spr.   eine    Randrubrik);    281,6 

^  Das  Zeichen  .&&■  wird  häufig  vor  die  Randbemerkungen  gestellt:  wahrscheinlich  war 
die  Zahl  x  im  Text  übergangen  und  mit  jenem  Zeichen  am  Rand  nachgetragen ;  daraus 
entstanden  in  den  Abschriften  s&x,  ss  x,  ss  x  milia  und  schließlich  sestertium  decem  ?nUia. 


Ble  Handschriften  des  Corpus  agrimensoruni  Romanornm.  29 

quo   genere   alii  generum;    193,15    hac    normaliter  paucas  dictauimus  moetas  exigno   et  prolato 

iterum  ferramentu  h.  s.  (—    193,7-8);   264,4  viUg  ~ss  im  (viiig  A):   B    hat   die  Verbesserung 

8SIU1 
aufgenommen,   aber   die   falsche  Zahl  stehen  lassen.     In  seiner  Vorlage  stand  viii ,..     So  hat 

er  oft  die   Zahl   mit   Buchstaben   neben   den   Ziffern   wie  194,16   11^  duo  semis    {\\f^  A).  

Aber  Reste  gemeinsamer  Glossen  begegnen  uns  in  167,17  appellati  a  limo  alii  B  und  a  limo 

a  limo  alii 

appellati  a  lima  A  (im  Archetypus  stand  appellati  a  lima);  174,3  ^^  agrum  uenerunt  de  quo 
agitur  cum  perueniunt  B,  ad  agrum  uenerunt  de  quo  agitur  A  (die  Glosse  uenerunt  hat  in  A 
die  Worte  cum  perueniunt  verdrängt,   ist  aber  in  B  nebst  diesen  in  den  Text  geraten). 

Eine  lange  Dittographie  hat  B  La.  197, 16-17  ceterorum  gtiib.  -  -  fundos  ceterorum  guib.  -  - 
funeros. 

Ausgelassen  sind  in  B  oft  abgekürzte  oder  schwerverständliche  Wörter  wie  La.  173,  i  s.  d. 
u.  k.,  171,3  decimanus  est  in  orientem,  174,18  quemadmodum,  176,11  nam  und  et,  170,15  et, 
186,9  contrarium  B,  sicontrarium  A  für  Ä^^contrarium,  196,14  et  cardinis  maximi,  264,10 
fori,  oft  auch  andere:  170,5  posita,  9  et  quidam  -  -  constaret,  14  et  fecerunt,  172,9  sie, 
173,6-7  sie  --  cludunt  (nach  cludunt),  185,1  ad  Martern  tonum,  a  Marte  deinde,  200,2-4 
tollere  -  -  sortem,  15  soj'tibus.  In  176,5  schreibt  B  culturas  statt  culturae  cohmias,  in  184,15 
emitonion,  wo  die  übrigen  Hs.  interuallum  esse,  quod  Graeci  emitonion  appcllant,  a  Satumo 
haben.  In  La.  265,15  läßt  B  die  Worte  partem  dimidiam  in  publicum  redigito  aus,  aber  fügt 
in  publico  redigito  falsch  in  v.  14  nach  partem  dimidiam  ein.  Die  ausgelassene  Zeile  war  also 
am  Rand  nachgetragen,  und  B  hat  die  Hälfte  davon  an  falscher  Stelle  in  den  Text  auf- 
genommen. Auf  diese  Weise  sind  auch  die  Worte  184,  lo-ir  credamus  ergo  illum  -  -  ante 
oculos  habuisse  irrtümlich  in  den  v.  12  geraten. 

Es  bleibt  zu  entscheiden,  ob  A  und  B  im  Agennius  wirkliche  Schwester- 
handschriften sind,   wie  Blume,  Agrim.  II  7  behauptet. 

In  diesem  kommen  wirklich  A  und  B  einander  sehr  nahe,  und  sogar 

auffallende  Übereinstimmimgen  sind  zu  verzeichnen,  wie: 

La.  47,  12  nihil  deest  Glosse  an  der  Stelle  einer  Zeichnung, 
54,  I     subsiciuorum  subsiciuoj-ufn  Dittographie, 
53?  T3  reb.  p.  (statt  res  p.), 
78,  28  mundi  nach  de  proprietate  (s.  luiten), 
81,  5     manifeste  von  resp.  A  und  B  selbst,  wie  aus  der  Schrift  hervorgeht  (nicht 

etwa  von  einem  gemeinsamen  Korrektor),  über  apparet  geschrieben, 
80,  14  statuit  lis  ähnlicherweise  von  A  selbst  übergeschrieben,  von  B  selbst 

an  dem  Zeilenende  nachgetragen. 

Aber  es  fehlt  nicht  an  Divergenzen  (Auslassungen  und  Versclireibun- 
gen),  wenn  auch  nicht  mit  denen  im  liyginus  zu  vergleichen,  z.B.: 

50,  8     tractatur  B  {tractaret  A), 

53,  16  agitantur  B  {agantur  A), 

23  inuascrunt  B  (inuenerunt  A), 

54,  2     non  minimum  B  {nominum  A), 
88,  20  respicit  om.  A, 

90,  20  mentiri  B  (menti  A). 


30  C.   T  H  u  L I N : 

Der  bedeutendste  Unterschied  tritt  in  den  Rubriken  der  Controuersiae 
liervor,  in  denen  B  überall  die  Buchstaben  mn  hineinfögt: 

78,  28  D€    MN  PROPRI€TATe    MUNil, 

80.  20  De    MN  POSS€SSIONe, 

8 1,3  De    MN  SUBSICIVIS    MN    CONTROVeRSIA. 

82,  7  MN    De  ALLVBIONE    MN    CONTROVERSIA    USW. 

Ich  kann  weder  dem  A  zutrauen,  diese  Buclistaben  von  selbst  aus- 
gelassen, noch  dem  B,  sie  von  selbst  hinzugefögt  zu  haben,  ürsprilnglich 
bezeichneten  sie  wohl,  daß  die  Worte,  über  denen  sie  standen,  miniatis 
litteris  geschrieben  werden  sollten;  sie  sind  sodann  geblieben  und  schließ- 
lich in  den  Text  des  B  gekommen,  obgleich  die  Worte  rot  geschrieben  sind. 
Ob  das  MUNöi  der  AB  nach  de  proprietate  78,  28  aus  einem  solchen 
mißverstandenen  mn  entstanden  ist,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden,  aber 
halte  es  nicht  för  unwahrscheinlich.  Dann  müssen  wir  vermuten,  daß  in 
der  Vorlage  A*  jene  Buchstaben  sonst  schon  gestrichen  waren,  wie  in  B 
zweimal  der  Fall  ist.  Im  ganzen  ist  die  Überlieferung  im  Agennius  viel 
besser  als  im  Hyginus  Grom.,  und  daraus  erklärt  sich  die  relativ  große 
Übereinstimmung  auch  bei  Annahme  verschiedener  Vorlagen. 
A  und  B  «»e-  Die  beiden  Teile  A  und  B  sind  also  zwei  verschiedene  Handschriften 

hörten  iinmer  n^ifc  teilweise  demselben  Inhalt.  Soweit  wir  ihre  Geschichte  kennen,  ge- 
liörten  sie  jedoch  zusammen:  schon  der  Bericht  des  Volaterranus  (s.  S.  34) 
gibt  den  Inhalt  der  beiden  Teile  an,  nur  daß  er  den  Teil  B  vorangehen 
läßt.  An  der  Hand  der  Korrekturen  können  wir  sogar  diese  Zusammen- 
gehörigkeit bis  zimi  ürsprimg  der  Handschriften  verfolgen. 

Korrekturen  in  A. 

A'.  Die  meisten  Korrekturen  in  A  stammen  von  dem  Schreiber  selbst 
(oder  etwa  einem  gleichzeitigen  Korrektor,  dessen  Schrift  der  des  A  ganz 
ähnlich  war);  und  zwar  sind  alle  seine  Schrifttypen  hier  vertreten: 

a)  die  Unzialschrift :  meist  einzelne  Buchstaben, 

h)  die   kursivähnliche   Schrift:    einzelne   Buchstaben    sowie   länger. 

Zusätze,  z.B.  A  67  (La.  12,  1-6), 
c)  die  Schrift  der  Bilder. 
Diese  Korrekturen  sind  fast   alle  Verbesserungen    von  Schreibfehlern 
oder  Nachholung  von  übersprungenen  Worten. 


zu^innien. 


Die  Handschriflm  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  31 

es  I  cjci  i  ^  ^^JpRAÖe  j:i>i  iscor«oicioKe?>i\i:^r' 

seööcj  f^ecjciiöqoiöpeRpLejKcJscjoiBosxn. 
cif-i^es\CRicorsj're?s»ef^  i  okcj  rpcs^VT^e 

iTL^KpsA IA.O  r pRooicjNi  roRixAarvicicooixoio 

W  Eine  zweite  wenig  jüngere  Hand  ist  an  der  halbunzialen  (der 
Schrift  der  Bilder  etwas  ähnlichen)  Schrift  nnd  der  grünlichen  Tinte  er- 
kennbar.     Sie  bringt  auch  falsches. 

k\  Dem  7.-8.  Jahrhundert  gehört  die  schwarze  Kursivschrift,  mit  der 
in  B  der  Name  Sinpticms  geschrieben  ist.  Von  derselben  Hand  seheinen 
zwei  Zeilen  unter  dem  Text  des  Epaphroditus  in  A  58  zu  stammen. 

A*.  Spät  und  belanglos  sind  die  mit  schlecht  nachgeahmten  ünzialen 
gemachten  schwarzen  Korrekturen  über  dem  Text  oder  auf  Rasur  im  Text. 

Korrekturen  in  B. 

B".  Auch  in  B  stammen  die  meisten  und  guten  Korrekturen  von 
dem  Schreiber  selbst,  der  sie  nachtraglich  mit  brauner  Tinte  über  dem 
schwarzbraunen  Text  eingetragen  hat,  sämtlich  mit  der  ihm  eigenen  Cnzial- 
Schrift,  nur  verkleinert. 

Daneben  kommen  auch  Korrekturen  von  A'  und  A*  bisweilen  vor. 
Über  A'  siehe  oben. 

A'.  Wichtig  aber  ist  es,  zu  konstatieren,  daß  wir  auch  die  Hand 
des  A  in  Korrekturen  des  B  erkennen.  An  der  Rückseite  des  ersten  Blattes 
von  B  sind  zwei  vergessene  Zeilen,  La.  47,  18  aüis  Imeamentis  dtscrä^erej 
eomtenient  quidan  mille  iugera,  zweifellos  von  A  selbst  mit  der  eigentüm- 
lichen kursivähnlichen  Schrift  im  unteren  Rande  nachgetragen  (s.  Taf.  11). 
In  einer  anderen  Korrektur  auf  derselben  Seite  discormeniente  (La.  47,  20) 
treten  uns  die  zierlichen  ünzialen  des  A'  \entgegen ;  gleichfalls  in  item 
siquid,  La.  55,  i,  das  von  derselben  Hand  in  A  und  B  übergeschrieben  ist. 

Dagegen  sucht  man  vergebens  in  A  Spuren  von  der  Hand  des  B. 
Es  ist  also  nicht  undenkbar,  daß  der  Teil  B  der  ältere  (der  Buchstabe  p 
hat  in   diesem  Teil   noch   nicht   immer  geschlossene  Rundung;   die  Zier- 


32  C.  Thulin: 

striche  sind  in  A  mehr  entwickelt  als  in  B)  und  A  wie  eine  Fortsetzung 
desselben  ist.  Die  zweikolumnige  Schreibung  im  Anfang  des  A  würde  zu 
dieser  Annahme  gut  stimmen,  und  in  der  ältesten  Nachricht  von  der  Hs. 
wird  ja  der  Inhalt  des  B  vor  dem  des  A  erwähnt  (S.  34).  Der  Zeich- 
nungen wegen  hätte  A  dann  auch  solches,  was  in  B  vorhanden  war, 
wiederholen  müssen.  Daß  im  Archetypus  ebenso  wie  in  B  die  Schrift 
des  Agennius  Urbicus  die  erste  Stelle  einnahm,  scheint  mir  auch  das  Bild 
des  Feldmessers  in  A  an  die  Hand  zu  geben,  das  in  einer  gromatischen 
Sammlung  seinen  geeigneten  Platz  am  Anfang  hat  und  in  A  mit  der 
Schrift  des  Agennius  verbunden  ist:  es  steht  nämlich  zwischen  der  Über- 
schrift und  dem  in  A  Nr.  7   erhaltenen  Bruchstück  des  Agennius. 


§  5.   Die  Greschichte  des  Arcerianus. 

Die  Hs.  selbst  enthält  folgende  Namen  der  Besitzer: 

1.  Auf  der  ersten  Textseite  (Ai.  Kat.  f.  2)  steht  über  der  ersten  Ko- 
lumne mit  roter  Tinte  Et  hie  ex  Bibliotheca  Erasmi  (s.  Nr.  4)'. 

2.  Unten  am  Vorsatzblatte  (Kat.  f.  i),  unterhalb  der  Schrift  des  14.  Jahr- 
hunderts, hat  der  polnische  Geistliche  D.  ä  Lasco  (gest.  1560),  dem  Erasmus 
(gest.  1536)  seine  Bibliothek  für  vierhundert  Gulden  verkaufte"",  mit  rotem 
Stift  seinen  Namen  gezeichnet.  Dann  ist  aber  dieses  Vorsatzblatt  ganz  umge- 
dreht worden,  und,  ohne  den  Namen  Lascos  zu  beachten,  haben  die  folgen- 
den Besitzer  ihre  Namen  darüber  hinweg  geschrieben  (Lachmann  fand  ihn 
deshalb  nicht,  und  Blume  II 16  gibt  den  Platz  falsch  an).  D.  Joh.  a  Lasco 
war  in  seinen  späteren  Lebensjahren  für  die  Reformation  in  Ostfriesland 
sehr  tätig.  Er  starb  in  Polen  1560,  aber  die  Hs.  blieb,  wie  die  folgenden 
Namen  der  Besitzer  zeigen,  in  Holland  (Blume  II  18). 

3.  Gerardus  Mortaigne  (unbekannt).  Noch  zweimal  hat  er  seinen  Namen 
auf  diesem  Vorblatt   verewigt:    im  .  Mittelraum    zwischen   den   beiden  Ko- 


^  Lange,  Gott.  gel.  Anzeig.  1853,  I  Soyff.  bemühte  sich  vergeblich  zu  beweisen,  daß 
diese  Angabe  des  Praedinius  falsch  sei  und  daß  Erasmus  den  Are.  nie  besessen  habe.  Er 
wurde  dazu  verleitet  durch  seine  Annahme,  daß  der  von  Metellus  in  Barber.  164  benutzte 
codex  Galesii  Massae  mit  dem  Are.  identisch  sei.  Aber  diese  Annahme  war  unrichtig;  es 
ist  mir  gelungen,  den  codex  Galesii  zu  identifizieren  (Vat.  3893  s.  Rhein.  Museum  191 1 
»Die  Humanist.  Hss.  des  Corpus«),  und  dieser  enthält  emendierte  Auszüge  aus  der  Abschrift 
Zancliis  (Vatic.  3132)  und  eine  Abschrift  des  F. 

^    Uhnne,  Agrim.  II  16 ff.,  bes.  18  A.  23. 


Die  Handsdtriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  1^3 

lumnen  steht  nämlich  zweimal  zu  lesen  Gerardus  Mortaigne  Bonus  vir.  Daß 
er  die  Hs.  arg  zugerichtet  hat,  beichtet  er  selbst  am  Schlüsse  derselben 
durch  die  Verse: 

Te  mea  rusticitas  lacerauii  et  improbus  error; 
Namque  polonum  te,  sed  mahj,  credideram. 
lam  perge  ad  doctos^  melius  tractandus  ah  Ulis. 
Te  eheu  uellem  nostras  non  tetigisse  manus. 

Die  meisten  Lücken  des  Are.  bestanden  jedoch  schon  vor  Mortaigne. 
Seinen  Anteil  an  der  Zerstörung  weisen  die  vor  ihm  gemachten  Ab- 
schriften J  und  V  aus,  die  über  den  jetzigen  Inhalt  hinaus  folgendes  ent- 
halten : 

in  A  Nr.  4  Frontinus  die  Figuren  15  und  17, 
»    A    »    6  Hyginus  Grom.  die  Figuren  182,  184,  191,  193, 
»    A     »    9  und    14  (s.  oben), 

»    B     «8  imd  9:    die  Fortsetzung   von  Baibus   und  das  Fron- 
tinusbruchstück. 

4.  Regneri  nüc  sü  Predinii  1559.  Von  seiner  Hand  stammt  wahr- 
scheinlich, wie  Blume  II  16  vermutet,  die  Aufschrift  des  ersten  Text- 
blattes Et  hie  ex  hihliotheca  Erasjni,  da  die  Schrift  sowie  die  Tinte  ähnlich 
sind.     Praedinius  ist  in  demselben  Jahre  zu  Groningen  gestorben. 

5.  At  nunc  Joänis  Arcerii  1566.  Arcerius,  dessen  Name  nachher  bei 
der  Handschrift  geblieben  ist,  leistete  eine  Vorarbeit  zur  Ausgabe  der 
Agrimensoren,  jetzt  die  Hs.  Weimar  G  98.  Er  starb  in  Utrecht  1604. 
Sein  Sohn  Sixtus  erbte  zwar  die  Hs.,  aber  aus  seinen  Briefen  geht  hervor, 
daß  sie  nicht  in  seinem  Besitz  gewesen  ist,  da  der  Vater  die  ganze  Hs.  kurz 
vor  seinem  Tode  dem  P.  Scriver  geliehen  hatte  und  Sixtus  trotz  wieder- 
holter Mahnungen  (1605  u.  1616)  sie  bis  zu  seinem  Tode  1623  nicht  zu- 
rückbekamt 

6.  Die  Hs.  blieb  also  bei  P.  Scriver,  der  jedoch  seinen  Namen  denen 
der  rechtmäßigen  Besitzer  vorn  nicht  hinzugefügt  hat.  Dagegen  hat  er  unten 
am  Vorsatzblatte  f.  1 2  3   zu  dem  sog.  Hyginus  de  castrorum  metatione  ge- 

^  JNlolhuysen,  Zur  Geschichte  des  Cod.  Arcerianus.  Zentralblatt  für  Bibliotheks- 
wesen XIX  (1902)  S.  269-271,  nach  Briefen  der  Leidner  Universitätsbibliothek.  In  diesen 
Briefen  handelt  es  sich  immer  um  die  ganze  IIs.  der  Scriptores  rei  agrariae.  Bis  damals 
war  sie  also  nicht  geteilt.     Anders  Blume,  Agrim.  II  21. 

Phil.-hist.  Klasse.    1911.    Anhang.    Abh.  IL  •"> 


34  C.   Thulin: 

schrieben:  Sum  Petri  Scriverij,  gleichfalls  unten  f.  124  Petri  Scriverij.  Da 
wir  wissen,  daß  er  im  Jahre  162 1  den  Schluß  der  Hs.  dem  Jo.  Is.  Pon- 
tanus  zugeschickt  hat\  so  scheint  der  Schluß  Langes^,  daß  Scriver  selbst 
erst  damals  den  Kodex  zerteilt  und  den  Schluß,  den  er  Pontanus  sandte, 
mit  seinem  Namen  versehen  hat,  richtig  zu  sein. 

Im  Jahre  1663  erv/arb  der  Herzog  August  die  Handschrift,  deren 
Teile  wieder  vereinigt  waren,  fiir  die  Wolfenbütteler  Bibliothek,  in  der 
sie  geblieben  ist,  ausgenommen  die  Jahre  1807  bis  18 14,  in  denen  sie  im 
Exil  in  Paris   war. 

Den  Namen  des  Lud.  Miraeus  (Lyon)  hat  Lange  ohne  triftige  Gründe 
in  die  Reihe  der  Besitzer  hineingeführt^.  Dagegen  können  wir  die  Ge- 
schichte der  Hs.  ein  gutes  Stück  über  Erasmus  hinauf  verfolgen. 

Raphaelus  Mapheus  Volaterranus"*,  Kustos  der  Vaticana,  erwähnt  unter 
den  Büchern,  die  von  dem  Amanuensis  des  Kardinals  Merula,  Georgio 
Galbiato,  im  Jahre  1493  zu  Bobbio  gefunden  und  durch  Thomas  Phädrus 
Inghirami  (gest.  15 16)  nach  Rom  geführt  wurden,  eins,  dessen  Inhalt 
allein  zu  dem  des  Arcerianus  stimmt,  nur  daß  die  Schriften  des  B  vor  die 
des  A  gestellt  werden  (s.  oben  S.  26)^  Mit  Recht  bemerkt  Gern  oll  (Her- 
mes X  244-250),  daß  der  Name  des  Vitruvius  und  die  Schrift  des  Hy- 
ginus  de  castrorum  metatione,  die  von  Volaterranus  erwähnt  werden,  in 
keiner  Hs.  der  Agrimensoren  außer  dem  Arcerianus  vor  dem  16.  Jahr- 
hundert erscheinen. 


^    Lange,  Hyginus  Groin.    De  munitionibus  Castrorum,  1848,  S.  4. 
^    A.  a.  0.,  Prol.  S.  17.  Ihm  stimmen  Urs  in,  De  castris  Hygini  Diss.  Ac.  (Helsingf.  1881) 
XXIII  und  Molhuysen,  a.  a.  0.  271,  bei.     Anders  Blume  II  21. 

^    Siehe  Blume  II  19,  Bubnov  440.    Einen  Beweis  dagegen  s.  a.  a.  O.  Rh.  Mus.  191 1. 
*    Commentariorum    urbanorum    IV  f.  56'.     Rom   1506.     Blume  II  11  A.  13.     S.  auch 
Gebhardt,   Ein  Bücherfund  in  Bobbio,  Zentralblatt  für  Bibliothekswesen  V  (1888)  343-362, 
383-431»  Nachtrag  538,  der  hauptsächlich . dieselbe  Bücherliste  wie  die  des  Volaterranus  in 
der  Hs.  Hannover  XLII  1845  gefunden  hat.     Die  Titel,  die  uns  hier  angehen,  sind: 
Agenius  Urbicus  de  Controuersiis  agrorum. 
Higinus  de  Limitibus  agrorum  et  metatione  castrorum, 
Baibus  de  nominibus  mensurarum. 
Vitruuius  de  Exagonis  heptagonis  et  id  genus. 
Frontin  US  de  qualitate  agrorum. 

Caesarum   leges  Agrariae   et  Coloniarum    iura    (de   iure  Coloniarum   et  alluuionibus 
Cod.  Hannov.). 
■'    Siehe  Mommsen,  Agrini.  II  216,1. 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrirnensorum  Romanorum.  35 

Volaterranus  aber  hat  diese  neugefundene  Hs.  nicht  nur  erwähnt, 
sondern  auch  zweimal  in  seiner  Arbeit  zitiert:  im  Buch  i6  librum  quoque 
Gromaticon  appellatum^  nuper  inuentum  (sc.  scripsit  Hyginus).  est  enim  Groma 
ut  ipse  testaiur  ars  loca  stationesque  in  castus  opportune  capiendi  ornandiue  und 
im  Buch  ^o  De  castris  autem  metandis  Hyginus  libellu7u  edidit  nuper  inuentum 

quem  Gromaticum  appellauit.    Est  enim  Groma. si  uitari  non  potuerunt. 

Haec  igitur  ex  Hygino  (s.  Ed.  Turnebi  Ajjpendix,  S.  17-18);  an  der  letzten 
Stelle  führt  er  den  ganzen  Schluß  dieser  Schrift  fast  wörtlich  nach  B  an\ 
Es  ist  also  vollkommen  sicher,  daß  der  Are.  vor  dem  Jahre  1506  nach 
Rom  gekommen  war,  und  die  Herkunft  des  Are.  aus  Bobbio  steht  außer 
jedem  Zweifelt  Da  Volaterranus  im  Jahre  1506  in  seinem  Bericht  über 
den  Bücherfund  von  1493  sagt:  quorum  bona  pars  hü  annis  proxirnis  a  meo 
Municipe  Thoma  Phaedro  -  -  est  aduecta  in  urbem,  so  dürfte  die  Hs.  um  1 500 
nach  Rom  gebracht  worden  sein^.  Die  Zanchische  Abschrift  (V)  ist  dort 
in  den  ersten  Dezennien  des    16.  Jahrhunderts  gemacht. 

Vor  die  obige  Reihe  der  Besitzer  sind  demnach  das  Kloster  Bobbio 
und  Thomas  Phaedrus  Inghirami  zu  stellen. 

Ob  der  Are.  nachher  auch  in  den  Besitz  des  Angelo  Colocci  überge- 
gangen ist,  war  eine  Streitfrage  zwischen  Blume,  Agrim.  II  12fr,,  474- 
476,  der  darauf  bestand,  und  Mommsen,  ebenda  215-219,  der  meinte, 
daß  Erasmus  schon  während  seines  Aufenthalts  in  Italien  1506- 1509  von 
seinem  Freunde*  Inghirami  sie  erworben  hätte.  Blume  baut  besonders 
auf  das  Zeugnis  des  Metellus  Sequanus,  der  in  Randbemerkungen  zu  der 
Vorrede  Gallands  in  einem  Leidner  Exemplar  der  Turnebusschen  Ausgabe 
von  1554  zweimal  schreibt:  Exscripsi  ex  codice  Basilii  Zanchi^,  sumpto  ex 
ColotianOj  Romae.  Die  Hs.  Paris  7229  und  die  Abschrift,  die  Metellus 
in  Rom  im  Jahre  1546  nahm.  Cod.  Barber.  lat.  164  =  IX  33  (Rhein.  Mus. 
191 1,  Die  humanistischen  Hss.)  bestätigen  völlig  die  Annahme  Blumes, 
daß  V(atic.  3132)  mit  dem  Cod.  Zanchi  identisch  ist.     Und  im  Inhaltsver- 


1  Blume,  Agrim.  11  475,  und  Ursin,  a.  a.  0.  S.  VI,  haben  dies  richtig  gegen  Momm- 
sen, Agrim.  II  215,  hervorgehoben.  \ 

^    Über  den  unbegründeten  Zweifel  Chatelains  s.  unten. 

3    Ursin,  a.  a.  0.  S.V. 

*  Die  Bekanntschaft  scheint  ziemlich  flüchtig  gewesen  zu  sein  (Ursin,  a.  a.  O.  XIII, 
zitiert  Th-obaschi,  Storia  della  litteratura  italiana  VII  1,225  »il  celebre  Erasmo,  che  dice 
di  aver  in  Roma  conosciuto  Tommaso,  da  lui  per  error  detto  Pietro«). 


36  C.  Thulin: 

zeichnis  zu  der  barber.  Abschrift  schreibt  Metellus :  Frngmenta  agrimensoriae ; 
ex  Florentino  codice;  et  libro  hasilii  Zanchi  recens  descripto  sed  e  veteri  sumpto. 
Metellus  bezeichnet  also  ohne  Zweifel  in  jener  Notiz  den  Arcerianus  selbst 
als  Colotianus.  Mommsen,  Agrim.  II  215  ff.,  hält  zwar  das  ersterwähnte 
Zeugnis  des  Metellus  fär  falsch,  da  es  so  viele  Jahre  hinter  seiner  Ab- 
schrift liegt  und  er  auch  sonst  in  seinen  späten  Notizen  nicht  immer  zu- 
verlässig ist.  Aber  das  Zeugnis  von  1546  ist  gleichzeitig  mit  der  Abschrift, 
und  seine  Nachschrift  in  P  (s.  §  7)  ist  nicht  so  inkorrekt,  wie  Mo.  meinte. 
Mo.  hat  auch  keinen  Beweis  fär  seine  eigene  Vermutung,  daß  Erasmus 
den  Are.  schon  1509  erworben  habe,  während  Blume  mit  Recht  dagegen 
geltend  macht,  daß  Erasmus  eine  so  ehrwürdige  Hs.  wie  Are.  nicht  un- 
erwähnt und  unbenutzt  gelassen  hätte,  wenn  sie  so  lange  in  seinem  Besitz 
gewesen  wäre.  Blume  nimmt  daher  an,  daß  die  Hs.  dem  Colocci  bei  der 
Plünderung  seines  Gartens  1527  entrissen  wurde  und  dann  erst  in  die 
Hände  des  Erasmus  gekommen  ist,  der  1529-1535  sich  in  Freiburg  auf- 
hielt. Der  Cod.  Zanchi  ist  gewiß  nicht  viel  früher  geschrieben,  da  Z.  1501 
geboren  ist;  wahrscheinlich  im  Auftrage  des  Colocci,  dessen  Hand  ich  in 
Randglossen  zu  erkennen  glaube.  Darüber  imd  über  die  Bemerkung  des 
Colocci  in  Cod.  Vat.  3894  {in  codice  meo  antiquissimo)  s.  Rhein.  Mus.  191 1. 

Schriftheimat  und  Alter  des  Arcerianus. 

Nach  der  obigen  Darstellung  steht  es  fest,  daß  der  Are.  um  die  Wende 
des  15.  und  16.  Jahrhunderts  von  Bobbio  nach  Rom  kam.  Wie  lange  aber 
die  Hs.  dort  gewesen  war,  bleibt  unentschieden.  Die  Annahme  Langes, 
a.  a.  0.  S.  9  und  Blumes  lof.,  daß  Gerbert,  der  spätere  Papst  Silvester  IL, 
sie  schon  im  Jahre  981  im  Kloster  Bobbio  vorgefunden  und  benutzt  habe\ 
hat  Bubnov,  a.  a.  0.  439,  475  f.  durch  den  Beweis,  daß  Gerbert  dort  eine 
ganz  andere  Hs.  benutzte  (s.  cod.  Neapel  VA  13  unter  den  Exzerptenhss.), 
widerlegt.  Damit  soll  nicht  gesagt  werden,  daß  die  Hs.  damals  nicht  in 
Bobbio  war.    Chatelain^  hat  dem  Umstand  großes  Gewicht  zugemessen, 


*  Mit  Blume  gehen  auch  Cantor,  Die  röm.  Agriiuens.  154  und  Heinemann,  Katal. 
128.  Gegen  ihn  äußert  sich  H.  Weißenborn:  Gerbert,  Beitr.  zur  Kenntnis  der  Mathem. 
des  Mittelalters,  Berlin  1888,  47  ff. 

^  Chatelain,  Uncialis  scriptura,  Paris  1901,  Text  46.  Max  Ihm,  Palaeographia 
Latina  I  Taf.  III,  teilt  sein  Bedenken  bezüglich  des  Katal.  Muratoris. 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  37 

daß  der  Are.  weder  im  Bobbienser  Katalog  Muratoris^  aus  dem  lo.  Jahr- 
hundert noch  im  Inveiitarium  Peyrons  1461-  erwähnt  wird.  Aber  es  ist 
doch  nicht  zu  verwundern,  wenn  Peyron  im  Jahre  1461  nicht  ein  Buch 
verzeichnete,  das  erst  1493  »entdeckt«  und  also  aus  seinem  Versteck  hervor- 
gezogen wurde.  Nicht  viel  mehr  bedeutet  es,  daß  Muratori  die  Hs.  nicht 
verzeichnet,  da  wir  wissen,  wie  unvollständig  dieses  Verzeichnis  war^ 
Für  die  Bestimmung  der  Schriftheimat  dieser  Hs.  muß  in  erster  Hand  die 
Schrift  selbst  befragt  werden.  Aber  bei  der  Unzialschrift  ist  die  Ent- 
scheidung unsicherer  als  bei  anderen  Schriftarten.  Nur  so  viel  wage  ich 
zu  sagen,  daß  sehr  nahe  Parallelen  aus  Bobbio  zu  der  Schrift  des  A  sowie 
des  B  aufzuweisen  sind*.  Genauere  Bestimmung  ermöglicht  die  oben  be* 
merkte  Schriftmischung,  und  zwar  besonders  die  kursive  Schrift  der  Zeilen- 
schlüsse und  Korrekturen.  Bis  jetzt  kenne  ich  keinen  entsprechenden  Beleg 
für  diese  Schriftmischung;  aber  den  kursiven  Schrifttypen  des  A  kommen 
einige  Glossen  und  Korrekturen  in  Unzialhss.  des  6.  Jahrhunderts  aus  Corbie 
sehr  nahe:  ich  hebe  besonders  hervor  die  von  Delisle,  Le  cabinet  des 
Manuscrits  de  la  Bibl.  Imp.  PI.  IV  5  (lat.  13368  f.  256^)  und  VI  15  (lat. 
122 14)  publizierten,  die  er  selbst  gleichfalls  dem  6.  Jahrhundert  zuschreibt. 


^    Muratori,  Antiqviit.  Ital.  III  817-824. 

^  Peyron,  M.  Tulli  Ciceronis  orationum  pro  Scauro  fraginenta.  8tuttgartiae  et 
Tubingiae  1824. 

^  Gebhardt,  Zbl.  f.  Bibl,  V  406.  J.  Bick,  Wiener  Palimpseste,  Sit/.ungsber.  d. 
kais.  Akad.  d.  Wiss.  Wien,  Phil.-hist.  Klasse  159,  Abb.  7  (1908)  S.  4  f.  Die  Wiener  Palim- 
pseste 16  u.  17  mit  der  Aufschrift  i?6^r  scü  columbani  di  hobio  ohne  Nummer  sind  in  jenem 
Verzeichnis  nicht  erwähnt.  Mit  dem  Anfang  des  Are.  ist  vielleicht  auch  ein  Zeugnis  von 
seiner  Herkunft  verloren  gegangen.  Gebhardt  meint,  eine  Spur  des  Are.  im  alten  Katalog 
zu  Bobbio  (Abschrift  einer  Hs.  des  lo.  Jahrb.)   gefunden  zu  haben  in  den  Worten  Nr.  620 

Deca librum  et  alias  libros,  die  er  so  ergänzt  He  ca(strorum  meiaümie)  lihrum  usw.    Diese 

Vermutung  ist  aber  höchst  unwahrscheinlich,  da  jener  Titel  nicht  im  Are.  vorhanden  ist, 
sondern  von  Volaterranus  geschaffen  ist.  Im  Are.  lautet  die  Überschrift  Kat.  f.  124'"  Incipit 
Über  Hygini  gromatid,  die  Unterschrift  f.  136'^  Liber  gromaticus  Hygyni  de  diuisimibus  agrorum, 
beide  falsch  auf  das  anonyme  Fragment  über  die  Lager  bezogen. 

*  Mit  A  ist  zu  vergleichen  Chatelain,  Uncialis  scriptura  Taf.  Vllb,  Text  34  (Mi- 
lano  Ambros.  Cod.  C  39.  Die  vier  Evangelien,  6.  Jahr^.);  mit  B  Taf.  VII a  (ebd.  Cod.  D  26 
Prudentius).  Aus  der  Collezime  paleograßca  Bobbiese  Vol.  I  von  Carlo  Cippola  erwähne 
ich  besonders  als  Parallele  zu  A  das  Fragment  der  Arithmetica  Boetii  Tav.  XX  und  kann 
seine  Vermutung,  daß  hier  eine  karolingische  Imitation  vorliegt,  nicht  begründet  finden. 
Aber  große  Ähnlichkeit  mit  resp.  A  und  B  zeigen  auch  die  Hss.  aus  Corbie  (Delisle,  Le 
Cabinet  des  Ms.  de  la  Bibl.  Imp.  PI.  I  6  und  8). 


38  C.   Thulin: 

Vor  allem  sind  jedoch  zu  vergleichen  die  Textrevisionen  des  Bischofs 
Viktor  von  Capua  im  Jahre  546  (Zangemeister  u.  Wattenbach  Exempla 
Nr.  34,  eine  dem  B  sehr  ähnliche  Unzialhs.  des  6.  Jahrhunderts)  und  des 
Dulcitius  von  Aquino  zwischen  570  und  590  (Monum.  palaeogr.  vindo- 
bonensia  I,  Leipzig  19 10  ed.  R.  Beer,  Wien  cod.  2160  Hilarius;  eine  halb- 
unziale  Papyrushs.  des  6.  Jahrh.;  s.  besonders  Taf.  I  und  Text  12,  20 fi*.). 
Denn  ihre  Kursiven  gehören  gewiß  nicht  nur  derselben  Zeitperiode,  son- 
dern auch  demselben  Kulturkreis  wie  die  des  Arcerianus  an.  Alle  Paral- 
lelen fiihren  also  auf  das  6.  Jahrhundert.  Dafär  spricht  auch  die  Beobach- 
tung E.  Nordens,  Einleitung  in  die  Altertumswissenschaft  I  556:  »Nicht- 
christliche Autoren  in  Hss.  sicher  des  7.  Jahrhunderts  sind  ganz  selten, 
wenn  überhaupt  nachzuweisen « \ 

Einen  Anhalt  fär  die  Bestimmung  der  Heimat  gibt  auch  der  am  oberen 
Rand  von  A  iio  (Kat.  41')  mit  griechischen  Buchstaben  geschriebene,  von 
Schulten  zuerst  bemerkte  Name  AAEABHpea  nvKenp,  wohl  der  Maler  der 
Bilder.  Der  Name  Adelbertus  ist  zwar  zu  verbreitet,  um  einen  Schluß 
auf  die  Volksangehörigkeit  zu  gestatten,  aber  die  Form  Adelberto  weist  auf 
Italien. 

Die  Zeichnungen. 

Ein  Kapitel  für  sich  verdienten  die  mit  Unrecht  von  Mommsen  ver- 
achteten Zeichnungen  des  Are,  aber  ihre  Besprechung  muß  aufgespart 
werden,  bis  sie  in  der  neuen  Ausgabe  in  besserer  Reproduktion  als  bei 
Lachmann  vorliegen.  Ich  kann  jedoch  nicht  unterlassen,  schon  hier  zwei 
Bilder  zu  veröffentlichen,  die  fiir  die  Geschichte,  wenn  nicht  des  Arcerianus, 
so  der  ganzen  durch  ihn  repräsentierten  Sammlung  gromatischer  Texte 
von  wesentlicher  Bedeutung  sind.  Sie  sind  nämlich  ausgeprägt  byzantinisch 
und  sprechen  also  dafür,  daß  diese  Sammlung  im  byzantinischen  Gebiet 
entstanden  ist. 

Das  erste  Bild  (Taf.  VI  i)  steht  nach  dem  nur  durch  AB  überlieferten 

Agenniustext  De  locis  sacris  et  religiosis a  priuatis  detineniur    La.  87,  9 

bis  88,  17,  aber  gehört  zu  den  Worten  La.  87,  27  =  57,  i  Nam  et  de  aedihus 

^  Die  Einwendung  Bubnovs,  der  die  Hs.  wegen  des  Inhalts  dern  7.  Jahrhundert  zu- 
schreibt, habe  ich  S.  6  zurückgewiesen.  Chatelain,  Uncialis  scriptura  Text  46  hat  sie  zuletzt 
wegen  der  Schrift  in  das  7.  Jahrhundert  gesetzt.  Aber  bei  der  unzialen  Schrift  lassen  sich  nicht 
genügend  sichere  Merkmale  aufstellen,  um  zu  entscheiden,  ob  eine  Hs.  dem  6.  oder  7.  Jahr- 
hundert angehört;  und  die  sicher  datierten  Parallelen  sprechen  für  das  6. 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  39 

sacris  quae  constitutae  sunt  in  agris  -  -  sicut  in  Africa  inter  Adrumetinos  et  Tysdri- 
tanos  de  aede  Minervae.  Auf  eine  alte  Vorlage  gehen  hier  die  Stadt  mit  ihrem 
Gebiet  mid  der  draußen  liegende  heilige  Bezirk  mit  zwei  Tempeln  zurück. 
Aber  rechts  ist  in  ganz  anderer  Größe  im  Anschluß  zu  dem  im  Text  an- 
geführten Beispiel  de  aede  Minervae  hinzugefLigt  eine  Minerva  in  voller 
Rüstung  mit  erhobenem  Schwert  unter  einem  echt  byzantinischen,  von 
vier  schlanken  Säulen  getragenen  Baldachin.  Reichliches  Material  zum 
Vergleich  bietet  die  letzte  Publikation  der  Serie  Codices  e  vaticanis  selectij 
VIII,  II  menologio  di  Basilio  II,  Cod.  vat.  grec.  1613,  Torino  Frat.  Bocca  1907 
(aus  dem  lo.-i  i.  Jahrh.);  ähnliche  Rundgebäude  findet  man  S.  14,  61, 
198,  358,  365,  aber  ich  weise  besonders  auf  S.  187  hin,  wo  der  Zeichner 
ein  antikes  Heiligtum  genau  wie  hier  wiedergegeben  hat:  eine  Gottheit 
sitzend  in  einem  viersäuligen  runden  Baldachin. 

Das  andere  Bild  (Taf  IV  2)  steht  im  Text  des  A  an  derselben  Stelle, 
wo  P  eine  von  den  wertvollsten  aller  überlieferten  Zeichnungen,  eine  alte 
Flurkarte  (L  a.  Fig.  197a)  bewahrt  hat.  Zur  Erläuterung  des  Textes  trägt 
es  nicht  bei,  aber  die  Kuppeln  der  Mauertürme  und  des  Torturmes  zeugen 
von  starkem  byzantinischen  Einfluß.  Besonders  zu  dem  freistehenden  runden 
Turm  am  Tor  innerhalb  der  Mauern  findet  man  in  der  oben  zitierten 
Publikation  viele  Parallelen,  z.  B.  S.  1 7  und  32;  in  S.  59  ist  ein  solcher 
hoher  Turm  nebst  einer  niedrigeren  Stadtmauer  wie  hier  abgebildet.  Dem 
Innern  dieses  Stadtbildes  entspricht  genau  die  in  Cod.  Basil.  S.  15  ge- 
zeichnete Stadt. 

Diese  Erkenntnis,  die  wir  durch  Zeichnungen  des  P  bestätigt  finden 
werden,  ist  für  die  Quellenuntersuchung  des  gromatischen  Corpus  von  großer 
Tragweite:  es  nötigt  uns  nämlich,  die  neue  Frage  aufzustellen,  ob  nicht 
auch  byzantinische  Texte  in  unsere  Sammlung  hineingekommen  sind.  Aber 
diese  Untersuchung  kann  nicht  aufgenommen  werden,  bevor  der  Grund  da- 
zu durch  die  neue  von  J.  L.  Heiberg  in  Angriff  genommene  Revision  der 
heronischen  Schriften  gelegt  wird. 

§  6.   Eine  verlorene  Hs.'^des  AB-Typus. 

Cod.  Alciati.  Andreas  AI ciati  (1492-1550),  der  bis  1518  in  seiner 
Geburtsstadt  Mailand  tätig  war  und  dann  in  Avignon  (15 18-15 2 2),  Bour- 
ges  (1528),    Pavia,   Milano   und   anderen  Orten   als  Professor   iuris   lehrte, 


40  C.   Thulin: 

(ledizicrte  im  Jahre  1 5  i  7  dem  Präses  des  Senats  zu  Mailand  Joanne  Selva 
Dispunctionum  l.  IV.  Darin  zitiert  er  1.  III c.  15  ein  Stück  aus  Agennius 
Urbicus,  La.  90,  1-2 1,  mit  folgenden  Worten: 

»Quapropter  scienduni  est  mensorum  officium  apud  antiquos  non  solum  in  eo  uersari 
solituin,  ut  agros  nietirentur,  sed  ut  etiain  pronuntiarent:  et  non  de  niensiiris  tantum,  sed 
etiam  de  servitutibus.  Ostendit  id  Agennius  Urbicus  in  üb.  de  constitutionib.  agrorum:  qui 
cum  de  seruitutibus  itineris,  aquae  pluuiae  et  similibus  disseruisset,  subiungit  difßcillimum 
esse  memori  in  eis  plerumque  iudicare.  Sed  et  in  iudicando,  inquit,  mensor  uirum  bonum  et 
iustum  agere  debet,  neque  ulla  ambitione  aut  sordibus  moueri:  seruare  opinionem  et  arti  et  moribus: 
omnisque  illa  artifici  ueritas  custodlenda  est,  exclusis  Ulis  similitudinibus,  quae  fcUsae  pro  ueris 
subijduntur ;  quidam  enim  per  imperitiam,  quidam  per  imprudentiam  peccant:  totum  auiem  hoc  iu- 
dicandi  officium  et  hominem  et  artificem  exigit  egregium.  Erat  aequissimum  et  in  aduocatione 
eandem  fidem  exhiberi  in  controuersia  a  mensoribus:  sed  hoc  possessores  aequo  animo  ferre  non 
possunt.  nam  cum  his  veritas  exposita  est,  adiiersus  synceritatem  artis  eos  facere  cogunt.  multa 
enim  sunt  üi  professione,  quae  generaliter  pro  ueris  afferantur,  multa  quae  specialiter:  quaedam 
quae  argument'is  etiam  mentiri  artifices  cogunt.  et  haec  quidem  ille  de  mensoribus  refert:  quae 
idcirco  libentius  in  medium  attuli,  quoniam  is  auetor  nequaquam  uulgatus  est:  una  tarnen 
cum  Junio  Ni[)SO,  M.  Varrone  de  arithmetica,  et  Balbo  de  colonijs  Latinis,  brevi  in  publicum 
prodibit:  si  modo  per  ocium  milii  licuerit  eos  emendare:  liber  enim  ipse  tarn  abrosis  cha- 
racteribus  est,  ut  uix  legi  possit.« 

Blume,  Agrim.  II  54,  und  Bubnov,  455,  haben  gemeint,  daß  Alciati 
hier  eine  Hs.  der  P]F- Gruppe  zitierte,  und  Blume  hat  sogar  den  Titel 
»Die  Alciatische  Handschriftenfamilie«  über  jene  Hss.  EF  gesetzt.  Aber 
sie  haben  die  zitierten  Worte  nicht  einmal  verglichen,  wahrscheinlich,  weil 
ihnen  Alciati  kurz  vorher  sicher  auf  eine  Hs.  des  F- Typus  hinzuweisen 
schien :  1.  II  6  ut  ex  lunii  Nipsi  commentarlis  alibi  dedaraturus  smn.  Bei  einer 
solchen  Prüfung  stellt  sich  jedoch  heraus,  daß  alles  mit  AB  gut  überein- 
stimmt, aber  keine  einzige  Lesung  Verwandtschaft  mit  EF  aufweist. 

Auch  in  den  Parerga  iuris  I  38  bezieht  sich  Alciati  auf  diese  in  AB 
erhaltene  Schrift  des  Agennius:  »sunt  et  praefecturae  loca  alieni  agri  in 
ueterum  possessorum  inuidiam  proximis  municipiis  assignata:  quae  qui 
diffusius  percipere  uelit,  Agennii  Urbici  de  limitibus  agrorum  commentarios 
consulat«   (vgl.  La.  49,  9  =  80,  3). 

An  sich  würde  nichts  der  Annahme  im  Wege  stehen,  daß  Alciati 
den  Arcerianus  selbst  benutzt  hat.  Denn  der  Name  M.  lunius  Nipsus  ist 
der  erst  erwähnte  Autorname  in  A.  Ex  libro  Balhi  prouinda  Piceni  lesen 
wir  in  A  95  (La.  225,  14),  den  Titel  Indpit  Über  Mard  Barronis  de  geome- 
tria  ad  Rufum  Silbium  in  A  184  (Nr.  13),  und  in  einigen  Seiten  des  A 
ist   die   Schrift   wirklich    so   abgetragen,    daß   man   die  Worte   des  Alciati 


Die  Handschriften  des  Corpus  agnmensorum  Uomanorum.  41 

ahrosis  characteribus  sehr  gut  auf  sie  beziehen  könnte.  Daß  er  de  arithmetka 
statt  de  geometria  schreibt,  bedeutet  nicht  viel,  da  er  in  den  Titeln  sehr 
frei  ist :  wir  sahen  oben  die  Titel  Agennij  Urbici  de  constitutionibus  agrorum 
und  de  Umitibus  agrorum  commentarii  statt  de  controversiis  agr.,  und  unter 
den  Worten  lunii  Nipsi  commentarii  kann  er  recht  wohl  die  Anfangsschriften 
des  A  gemeint  haben. 

Aber  der  Arcerianus  war  damals,  soweit  wir  wissen,  in  Rom,  Alciati 
aber  verfaßte  seine  oben  zitierte  Schrift  in  Mailand.  Dagegen  ist  oben  S.  i6 
die  alte  Hs.  des  Petrarca  erwähnt,  die  später  nach  Mailand  kam  und  in  der 
die  Geometrie  Varros  noch  erhalten  war.  Eine  Lesart  Alciatis  scheint 
auch  von  einer  älteren  Hs.  als  AB  herzurühren.  In  La.  90,  20  liest  er 
nämlich  argumentis  etiam  statt  argumenialiter  coniecturaliter  etiam,  AB,  con- 
iecturaliter  etiam  F.  Wahrscheinlich  ist  coniecturaliter  eine  Glosse,  die  in  AB 
neben  dem  argum.,  in  F  statt  dieses  Wortes  in  den  Text  eingedrungen 
ist.  In  dem  Abschnitt  90,  10-21  zitiert  Alciati  nämlich  sonst  wörtlich 
mit  sehr  geringen  Abweichungen:  90,  10  illa  (illi  AB);  12  imprudentiam 
(inpudentiam  AB,  auaritiam  F);  15  aduocatione  (a-em  AB  falsch);  coniro- 
uersia  (c-am  AB  falsch);  18  eos  facere  cogunt  (facere  cogant  AB  falsch); 
multa  enim  (multa  AB);  afferantur  (off-r  AB).  Ich  glaube  deshalb,  daß 
Mommsen  (s.  S.  16),  obgleich  er  die  Hs.  des  Alciati  nicht  zu  klassifizieren 
wußte,  sie  richtig  mit  der  Hs.  Petrarcas  identifiziert  hat  und  halte  es  för 
nicht  unwahrscheinlich,  daß  die  alte  Vorlage  des  Mailänder  Fragments,  Berlin 
f.  641,  ein  Fragment  derselben  alten  Hs.  gewesen  ist. 

§  7.  Die  Palatinische  Handschriftenfamilie. 

Zu  dieser  Familie  gehören  P  und  G;  außerdem  Teile  von  EF  und  den 
Exzerptenhss. 

Palat.  Vatic.  lat.  1564.  Perg.,  140  Bl.,  Gr.  27,8x19,2  cm,  26  Zeilen 
auf  jeder  Seite.  Schöne  karolingische  Minuskelschrift  aus  der  Mitte  des 
9.  Jahrhunderts.  Rubriken  überwiegend  unzial,  seltener  mit  capitalis  rustica 
geschrieben.  Die  Wortteilung  durcli  Intervalle  ist  durchgefiihrt.  Abkür- 
zungen (außer  bei  einigen  Fachtermini)  und  Ligaturen  sind  fast  ganz  ver- 
mieden (s.  unten:  Die  Schrift).  Sehr  viele  saubere  Zeichnungen,  die  groma- 
tischen  meist  mit  Farben  belegt.  Im  Anfang  fehlt  jetzt  vieles.  Über  den 
Ursprung   dieser   Hs.    wissen   wir    nicht   mehr,    als   daß   Sichard,    der   im 

Phil.-hisL  Klasse.    1911.    Anhang.    Abh.  II.  ti 


42  C.  Thulin: 

Jahre  1528  in  Basel  den  Anfang  von  P  (Nr.  i-4a)  als  Anhang  zum  Codex 
Theodosianus  S.  170-177  herausgab  (die  Lesarten  beweisen  völlige  Identi- 
tät), ihn  Codex  Fuldensis^  nannte.  In  Basel  sind  auch  Korrekturen  nach  P 
(nicht  nach  dem  Druck  Sichards)  in  die  Jenaer  Abschrift  des  Are.  ein- 
getragen. Im  Jahre  1564  hatte  Metellus  Sequanus  den  P  in  Köln  und 
fügte  dabei  erklärenden  Text  zu  den  Bildern  f.  1-4  und  hinten  f.  150 
einen  Brief  an  Jo.  Echtius  (s.S.  56)  hinzu.  Bei  Rigaltius"  16 14  heißt  die 
Hs.  schon  PoJatinus  sc.  Heidelbergensis.  »Im  Jahre  1623  kam  sie  mit  der 
ganzen  Heidelberger  Bibliothek  nach  Rom«  (Blume  47),  wo  sie  nachher 
geblieben  ist.  Unten  am  f.  i ""  steht  die  Notiz  Est  Bibliothecae  Palatinae,  oben 
der  späte  Titel  in  Kapitälchen  Yeterum  aliquot  de  agrimensoria  collectio  (s. 
Taf.  V).  Vgl.  Blume  43-47,  Bubnov  465-467. 
G.  Giidiamis  105.  Wolfenbüttel.  1 1  2  BL,  Perg.,  Gr.  2  7  X  2 1 ,5  cm,  26  Zeilen 

auf  jeder  Seite.  Die  Schrift  ist  der  des  P  sehr  ähnlich,  jedoch  weniger 
zierlich  und  mit  viel  häufigeren  Abkürzungen,  also  gewiß  auch  jünger. 
Dieselben  Zeichnungen  wie  in  P,  aber  ohne  Farben.  Der  Inhalt  ist  gleichfalls, 
wenn  auch  in  anderer  Ordnung  und  mit  Auslassungen,  derselbe  wie  in  P; 
am  Schluß  des  G  ist  jedoch  ein  neuer  Text  hinzugefügt. 

Diese  Hs.  wurde  in  der  Bibliothek  des  Klosters  St-Bertin  zu  St-Omer 
in  Belgien  von  Petrus  Gallandius  und  Turnebus'  gefunden,  die  unmittel- 
bar nach  ihr  die  Ausgabe  von  1554  besorgten \  Später  kam  sie  an  P, 
Scriver,  der  auf  dem  Vorsatzblatt  folgendes  geschrieben  hat: 

Ex  hoc  ipso  codice  Adrianus  Turnebus  Agrimensores  edidit  A"  54. 

Eeperhcs  hie  Gromaticorum  Excerptorum  liber  in  ßnilms  Gallkie  Belgicae. 
Impressusq'  Parisiis  anno  1554  a  Petro  Galandio  et  Had.  Turnebo  Lutetknis 
doctoribuSj  viris  doctissimis. 

Ex  hoc  ipso  codice  expressa  est  Parisiensis  editio. 


^   Cod.  Theod.  1528,  f.  174  marg.   »in  Fuldensi  codice,  quem  sumus  secuti«. 

^  Rig.  Auetores  finium  regundoruin  Paris  1614  Observ.  et  notae  p.  6,  bei  Goes.  p.  210 
»Innocentium  V.  P.  quem  sub  Constantio  Ammianus  Marcellinus  agrimensorem  fuisse  commemo- 
rat,  ex  illustrissimi  principis  Electoris  Palatini  bibliotlieca  eflPormauimus«. 

^  Siehe  die  Vorrede  des  P.  üallandius  zu  der  Turnebusausgabe:  »in  divi  Bertini  apud 
Audomari  PJianum  biblioiheca«,  »huc  transferendos  esse,  inonachis  permittentibus,  duxiinus". 
Blume,  Agrim.  II  42 f. 

*  Blume  43  »was  noch  manche  Spuren,  z.  B.  die  eingestreuten  Kommata  und  viele 
Korrekturen,  erkennen  lassen«. 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Rornanoruni.  43 

Nachher  erwarb  sie  Marquard  Gudius,  nach  dessen  Tod  1689  sie  nach 
Wolfenbüttel  gelangte.  Das  Exil  des  Arcerianus  in  Paris  machte  auch  der 
G  mit. 

Vgl.  Blume  42  f.   47  i  f.    Bubnov  459-465. 

Brüssel   Bibl.    de  Bourgogne  207  (=^10629-10660   de   l'inventaire)    Br. 
f.  36-55.     Perg.,  Gr.  27X  18  cm.     Gedrängte   kleine   Schrift  des    12.  Jahr- 
hunderts   in   zwei  Kolumnen,    70  Zeilen  in  jeder  Kolumne.     Abschrift  des 
P  ohne  Zeichnungen,   wichtig  nur,  weil  sie  auch    den  Text  der  jetzt  ver- 
lorenen Blätter  des  P  enthält. 

Vgl.  P.  Thomas,  Catalogue  des  Manuscrits  de  classiques  lat.  de  la  Bibl. 
royale  de  Bruxelles.     Gandi896.     Blume  47  f. 

Abschrift  von  G  des  16.  Jahrb.:  Paris  Bibl.  nai.  lat.  8679  A  (Cod.  Colb.  2153.  Regius 
3784).  Vollständige  Abschrift  des  G  von  Aggeni  Urbici  Über  diazographus  an  bis  zu  Ende 
mit  Zeichnungen.  Rigaltius,  der  diese  Hs.  benutzt  hat,  bezeugt,  daß  der  Praeses  Parisiensis 
Aemarus  Ranconetus  selbst  den  Text  geschrieben  und  emendiert  und  die  Figuren  ge- 
zeichnet hat  und  daß  die  Hs.  damals  (1614)  dem  Memmius  zugehörte'.  Nach  Rigaltius 
soll  der  Text  des  Ranconetus  auch  für  die  (wenigen)  Emendationen  der  Turnebusedition 
bestimmend  gewesen  sein  (Rigalt.  Not.  bei  Goes.  21  r,  212,  260,  261). 

Die  Schrift. 

P.  Wie  ich  schon  oben  S.  41  bemerkt,  hat  der  Schreiber  des  P  Li- 
gaturen und  Abkürzungen  fast  ganz  vermieden. 

Die  einzigen  Ligaturen  sind  SC,  1^,  »  (abwechselnd  mit  re,  ae  und  f), 
{^  und  im  Versschluß  iT. 

Der  Vokal  u  wird  bisweilen  übergeschrieben,  z.  B.  im  Schlußwort  der 
S.  121'  termins  und  in  dem  mit  Majuskeln  geschriebenen  bobians  (La.  259,  23). 
Abkürzung  durcJi  übergeschriebene  Buchstaben  erscheint  in  der  Beischrift 

zur  Fig.  308   La.,  P  f  114  q  tgoni. 

Nur  einige  Faclitermini  werden  häufig  abgekürzt:  p.  oder  peä  für  pedes ; 
iucji  (iugera),  d^  oder  dec  oder  decum  für  decumanus,  ^^  für  cardo;  ferner 
RP,  aug,  imp,  com,  num  (numero),  sstus,  Datumbezeichnungen  wie  Dat.  V. 
kl  marL  die  sakralen  Abkürz,  di,  söni,  XPiana,  XPS.   Sonst  erscheinen  nur 


'  Blume,  Agrim.  II  31  verwechselte  diese  Abschrift  mit  der  Metellischen  Abschrift 
des  Cod.  Zanchi,  Paris  7229,  die  auch  im  Besitz  des  Memmius  war;  aber  er  korrigierte 
seinen  Irrtum  S.  473.     Er  sagt  nur  dort  falsch,  daß  sie  Exzerpte  aus  G  enthält. 

6* 


44  ^'    T  H  U  L  I  N  : 

q.  (que),  qnm  (quoniam),  i{-us)  fünfmal  (La.  175,  5  tractera^,  257,  12  adriaii^, 
335»  7  significauim^,  349,  24  habmn\,  364,  32  perscribai%) ;  '{-ur)  einmal 
(das  Schlußwort  f.  138^  interpr&ar') ;  -b.  (-bus)  einmal  (La.  350, 10  conuallib.); 
-r^  (-runt)  einmal  (La.  115,19  clauseft);  e  (est)  und  n  (non)  bisweilen  am 
Zeilenschluß:  £81^21  e,  f.  8o'"26  am  Ende  der  Seite  aequüaterü.    Sogar  die 

N  e 

Bezeichnung  von  -m  durch  den  Strich  wird  ziemlich  sparsam  benutzt. 

Nahe  Parallelen  zu  P  findet  man  nur  im  französischen  Kulturgebiet. 
Ich  verweise  besonders  auf  Recueil  de  Facsimiles  a  l'usage  de  l'ecole  des 
chartes,  Paris  1880  Nr.  139,  eine  817-834  in  Saint-Pierre  d'Hautvillers  in 
der  Nähe  von  Reims  geschriebene  Hs.,  und  Handschriften  des  9.  Jahrhunderts 
von  Beda  und  Augustinus,  Bibl.  de  Lyon  391  und  525  im  Album  Paleo- 
graphique  publ.  par  la  Societe  des  chartes,  Paris  1887.  Eine  Probe  der 
Schrift  des  P,  f.  89""  La.  180,  10-15,  g^be  ich  hier  in  halber  Größe: 

po-nmur  cuturfirief^AAciu^rrr  no-npoffunr  epcceciei^- 
nccef\-  Urar^  r^r-mx-nxrrrur-  aum  t^i^tpfxcalarnJLfrV  tnlnx> 
t-e'f^nef" Ad ecuma.no  ynxpcimo.  aZ  }i  ■  c?>nrjef^cju*ircuf>t~^ 

G.  Die  Schrift,  die  karolingische  Minuskel-  sowie  die  Unzialschrift 
und  die  capitalis  rustica,  ist  in  Größe  und  Gestalt  der  des  P  sehr  ähnlich, 
die  jedoch  eleganter  und  sorgfältiger  ist  und  dessen  Seiten  auch  dadurch 
einen  gleichmäßigeren  Eindruck  machen,  daß  Teilungen  der  Worte  (auch 
kleiner  Worte)   auf  zwei  Zeilen  viel  öfter  als  in  G  vorkommen. 

Zu  den  einzelnen  Buchstaben  ist  zu  bemerken  der  Gebrauch  des  offenen 
cc  neben  dem  häufigeren  a.,  das  in  P  immer  benutzt  wird,  des  n  (besonders 
als  Anfangsbuchstabe)  neben  dem  häufigeren  71,  des  3  mit  offener  Rundung 
(gegenüber  dem  geschlossenen  ^  des  P).  Aber  wer  daraus  den  Schluß  ziehen 
wollte,  daß  G  älter  als  P  sei,  würde  den  paläographischen  Kennzeichen  zu- 
viel zuschreiben.  Geschlossenes  g  kommt  z.  B.  schon  in  dem  Cod.  aureus 
Trier,  Stadtbibl.,  Bibelhs.  22  (Ende  8.  Jahrh.)  vor,  und  cc  und  Majuskel  n 
lebten  noch  in  das  1 1 .  Jahrhundert  hinein  in  der  karolingischen  Minuskel 
sporadisch  fort. 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrirnensorum  Romanorum.  45 

Außer  SC,  fV  und  per  werden  die  Ligaturen  it  (rt)  und  ox  (or)  liäufig 
verwendet.     Statt  ler  schreibt  aber  G  e,  häufiger  ae. 

Die  Abkürzungen  sind  noch  verhältnismäßig  selten,  aber  viel  häufiger 
als  in  P. 

Außer  q.  (que)  und  quo  oder  qm  (quoniam)  begegnen  uns,  wenn  auch 
« 
selten,  qä  (quod),  qhiis  (S.  55,  10  vereinzelt  am  Zeilenschluß;  einmal  quib.\ 

a  a 

La.  1 17,  14);   g'  (S.  89,  12  =  La.  380,  29;  aeqlis  S.  90,  5  =  La.  381,  17). 

Geläufig  sind  p  (per),  p  (pro)  und  p  (prae),  vereinzelt  p'  (=  post,  so  P) 
La.  276,  24  =  G  9,  15. 

Neben  -f  (=  -us),  das  nur  am  Zeilenschluß  benutzt  wird  (conlocauimf 
G  149,  23;  constituirnf  G  151,  10;  uolumf  G  16,  12  =  La.  i,  8  vgl.  P), 
kommt  auch  '  vor  (traian'  G  142,  posuim'  G  150,  8),  das  auch  -ur  wie  in  P 
bedeutet  (continet'). 

Das  -m  wird  auch  im  Innern  der  Worte  durch  den  Strich  bezeichnet, 
z.  B.  cömunes  cophendere;  r  (ter)  und  m  (men)  kommen  oft  vor  (z.  B.  rra, 
|>pr,  nom,  llum,  tarn,  monumta);  die  Endung  -runt  wird  einmal  -j^r  (emerr 
La.  14,  14  =  P),  öfter  r  geschrieben  (z.B.  La.  3,  25  duxer).  Außerdem  ver- 
zeichne ich  N  (non),  5  (sunt),  e  (est),  ee  (esse),  eet  (esset),  ss  oder  s^us  (supra- 
scriptus),  oms  (omnes),  nrä  (nostra),  numer  (numero  G  140,  5.  P  hat  num); 
die  sakralen  Abkürzungen  und  Fachtermini  wie  in  P. 

Das  Zeichen  fiir  vel,  t,  erscheint  in  G  147  fin.  =  La.  344,  25.  Nur  im 
Schluß  von  G  werden  die  folgenden  Abkürzungen  verwendet:  h  (haec) 
G  213,  1 1  =  La.  73,  32;  h  (autem)  G  2  10,  10;  7  (est)  oft;  «^  (idest)  G  212,  2 
=  La.  308,  5;  scä  (secundum)  G  207,  12  u.  18  =  La.  303,  23  und  304,  5; 
fempr  (tempore)  G  210,  10. 

Die  duaternionenzählung. 

P.  Der  Palatinus  umfaßt  nach  der  jetzigen  Paginierung  149  Blätter. 
Aber  die  Zahl  23  ist  bei  dieser  Paginierung  übersprungen,  und  8  gezählte 
(mehrere  ungezählte)  weiße  Papierblätter  sind  eingesetzt,  die  den  Blatt- 
verlust am  Anfang  des  A  ungenau  andeuten.  In  der  Tat  fehlen  jetzt  vor 
dem  vierten  Quaternio,  der  f.  29  mit  Siculus  Flaccus  anfängt,  14  Blätter, 
deren  Inhalt  wir  nach  der  Brüsseler  Abschrift  des  12.  Jahrhunderts,  dem 
Druck  Sichards  und  dem  Gudianus  genau  bestimmen  können;  der  An- 
fang des  P  rekonstruiert  sich  also  folgendermaßen; 


46^  C.   Thulin: 

f.  1-4  Miniaturen; 

drei  Blätter  fehlen    =  Gr  1-5,  14  (in  P  stehen  hier  vier  gezählte 

und  zwei  ungezählte  Papierblätter); 

f.  9-13  =  &5»  14-14»  10; 

zehn  Blätter  fehlen  =  G  14,  10  bis  G  31  med.  (in  P  vier  Papier- 
blätter) ; 
f.  18-20  =  G31  med.  bis  36fin. ; 

ein  Blatt  fehlt  =  der  Anfang  des  liberDiazographusG  36  fin.; 

f.  22-28  =  G  37-48,  liber  Diazographus. 

Also  32  Blätter.  Von  diesen  sind  aber  1-4  vorangestellte  Blätter  für 
sich  mit  Miniaturen,  die  weder  in  Br.  noch  in  G  vorhanden  sind;  und 
24-28  mit  dem  Schluß  des  liber  Diazographus  sind  zwei  Doppelblätter. 
Das  übrige  entspricht  drei  Quaternionen  und  das  Ganze  wurde  so  gezählt, 
denn  die  Lage,  die  mit  f.  29  anfängt,  wird  als  die  vierte  bezeichnet  (f.  36'' 
unten  an  der  Mitte  •  q  •  iv)  und  von  dort  an  ist  die  Quaternionenzählung  bis 
zum  Schluß  durchgeführt  (f.  148''  -q-  xviii),  wenn  auch  nicht  vom  Schreiber 
selbst:  die  von  dem  q  des  Textes  abweichende  Form  g  deutet  nämlich  auf 
andere  Hand.  In  diesem  Teil  von  P  fehlen  jetzt  zwei  Blätter  40-41  (Si- 
culus  Flaccus  La.  156,24-160,10  =  Br.  4i'-42''),  an  deren  Stelle  leere 
Blätter  eingesetzt  sind. 

P  bestand  also  vor  dem  Blattverlust  aus  153  Blättern. 
G.  Der  Gudianus  enthält  14  Quaternionen,  die  durch  römische 
Ziffern  ohne  q  bezeichnet  werden.  Die  Zahlen  stehen  etwas  links  von  der 
Mitte  des  unteren  Randes  am  Schluß  jeder  Lage.  Nur  die  dritte  Lage 
mit  dem  liber  Diazographus  ist  unnumeriert.  Das  letzte  unbeschriebene 
Blatt  ist  jetzt  weggeschnitten.  Ferner  ist  S.  126  leer,  auf  S.  48  und  144 
(den  Schlußseiten  der  3.  und  4.  Quaternio)  sind  nur  Bäume  gezeichnet. 
Ich  folge  der  Paginierung  Lachmanns  nach  Seiten. 

Die  Miniaturen  des  vorangestellten  Doppelblattes  in  P. 
i'.    Farbiges  Medaillon  eines  jugendlichen  Imperators  in  Panzer  und 
Mantel.    Taf  V  i . 

Darunter  die  Erklärung  des  Metellus  Sequanns:  Jmperatorv!  tamquam  Agrimensoriae 
supremi  iudicis  ac  principis  efßgies. 

Brustbild  eines  bärtigen  Kaisers  in  Panzer  und  Mantel,  ohne  Farben. 
Taf.  Vi. 


Bie  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  47 

2'.  Neun  im  Kreise  sitzende,  in  bunten  Togas  drapierte  x\länner, 
einige  bärtig,  andere  unbärtig,  mit  Buchrollen  oder  Büchern,  in  eifrigem 
Gespräch,  einer  schreibend.  Der  Präses  ist  durch  einen  über  die  Achseln 
geschlagenen  Mantel  bezeichnet.    Taf.  V2. 

Dazu  oben  die  Erklärung  des  Metellus:  IX  viralis  de  Agrorum  ßnihus  •  s  •  con- 
silij  iudicijque;  typus  - :  —  und  über  dem  Vorsitzenden  Praeses  cmsilij. 

3 '.    Dem  vorhergehenden  ähnliches  Bild.    Taf.  VI  i . 

Dazu  Metellus :  Idem  qui  proximus  superior  •  s  •  consilij  iudicijque  de  ßnihus  et 
controversiis  agrorum;  typus. 

4'.  Alter  bärtiger  Mann  in  Toga,  auf  einem  Sessel  sitzend,  mit  einer 
Schriftrolle  in  der  Linken,  im  Gespräch  mit  einem  thronenden,  diadem- 
geschmückten Kaiser,  dessen  Mantel  mit  einer  kostbaren  Spange  auf  der 
rechten  Schulter  zusammengehalten  wird.    Taf.  VI  2 . 

Beischriften  des  Metellus  Iudex  re/erens  und  Imperator  consultus.  Oben  die  Er- 
kläi'ung  desselben:  Iudex  de  ßnihus  et  controuersiis,  refert  ex  supplicihus  Lihellis,  de 
quihus  Gansulerulus  est  Imperator;  ut  iis  decidendis,  eius  iussd  sequatur  •:  — 

Das  erste  Bild,  das  sicher  ein  antikes  Original  wiedergibt,  ist  bedeutend 
besser  als  die  übrigen,  die  ziemlich  ungeschickt  ausgeführt  und  zweifellos 
von  einem  byzantinischen  Zeichner  umgestaltet  worden  sind,  wenn  sie  auch 
auf  antike  Zeichnungen  zurückgehen.  Die  nächste  Parallele  zu  den  beiden 
Agrimensorenkreisen  geben  die  zwei  Ärztekreise  der  Dioskurideshs. 
von  Konstantinopel  (geschr.  um  das  Jahr  5 1 2),  die  gleichfalls  neben  an- 
deren Miniaturen  vor  dem  Text  stehen:  Karabacek,  De  codicis  Dioscu- 
ridei  Aniciae  lulianae,  nunc  Vindobonensis  Med.  Gr.  I  historia,  forma,  scrip- 
tura,  picturis,  Leyden,  Sijthoff  1906';  S.  358  ff.  (Fol.  2^)  sieben  Bilder 
von  berühmten  Ärzten  und  Botanikern  auf  Goldgrund  in  einem 
breiten  zierlichen  Rahmen;  S.  363  ff.  (Fol.  3^)  ganz  ähnlicher  Kreis,  ein 
Motiv,  das  wohl  auf  antike  Darstellungen  von  Philosophenschulen  zurück- 
geht. Die  Übereinstimmung  zwischen  den  beiden  Agrimensorenkreisen 
des  P  und  den  Ärztekreisen  der  Dioskurideshs.  ist  auffallend:  der  Vor- 
sitzende ist  durch  den  Anzug,  den  Platz  auf  dem  Bilde  und  die  Haltung  in 
ähnlicher  Weise  bezeichnet,  die  übrigen  sind  zu  je  zwei  in  Beziehung  zuein- 
ander gesetzt  und  weisen  in  den  Stellungen  u'nd  Gebärden  viele  Ähnlich- 
keiten auf.  Die  Unterschiede  sind  die,  daß  die  Zahl  in  P  um  zwei  ver- 
mehrt ist,  daß  in  P  der  Rahmen  und  gleichfalls  die  in  der  Dioskurideshs. 


'    ,].  L.  Heiberft-  verdanke  ich  den  Hinweis  auf  diese  Bildei 


48  C.  T  H  u  L I N  : 

außerhalb  des  Rahmens  stehenden  Namen  der  Gelehrten  fehlen.  Aber  eben 
diese  Namen  der  neun  Agrimensoren  sind  in  der  Tat  überliefert.  In  der 
sogenannten  Geometrie  des  Boetius  ist  nämlich  folgendes  Verzeichnis  er- 
halten, La.  403 : 

NOMINA    AGRIMENSORVM 

Igini  Balbi  mensoris 

luli  Frontini  Igini 

Siculi  I  Flacci  Euclidis 

Ageni  |  ürbici  Cassi  Longini 
Marci  |  luni  |  Nipsi 

Es  war  nicht  leicht  zu  erraten,  weder  woher  diese  Reihe  von  neun  Namen 
beiühmter  Agrimensoren  gekommen  war,'  noch  weshalb  Euclides  unter  den 
römischen  Namen  aufgeführt  worden  ist.  Die  griechische  Parallele  gibt 
uns  nun  die  Erklärung:  wie  auf  dem  ersten  Ärztekreis  der  sagenhafte 
Cheiron,  so  fungiert  hier  der  Begründer  der  Geometrie,  Eukleides,  als  Vor- 
sitzender, und  jene  Liste  stammt  aus  diesem  Agrimensorenkreis  einer  Hs., 
in  der  auch  die  Namen  wie  in  der  Dioskurideshs.  ausgeschrieben  waren. 
Noch  einen  Schritt  weiter  dürfen  wir  gehen.  In  P  sind  wie  bei 
Dioskurides  zwei  Kreise.  Wenn  nun  der  eine  die  römischen  Agrimensoren 
enthielt,  so  liegt  es  nahe,  anzunehmen,  daß  der  andere  ihre  griechischen 
Lehrmeister  umfaßte.  Im  Fragment  A  Nr.  i6d  sind  folgende  Namen  ent- 
halten, die  vielleicht  einem  solchen  Kreis  zugehört  haben: 

Geometra  Pyrrus  Magnus 

Arestylli  dno 

Apollonius 

Euclydis  Siculus  arismetica  scripsit 

Der  Name  des  Euclides  konnte  selbstredend  in  diesem  Kreis  nicht  fehlen. 

Hinzufügen  möchte  ich  noch,  daß  auch  die  Miniatur  f.  4**  der  Dios- 
kurideshs., wo  Dioskurides  selbst  auf  einem  schönen  Lehnsessel,  mit  den 
Füßen  auf  einem  Schemel,  sitzt,  es  verdient,  sowohl  mit  dem  Euclidesbild 
des  A  162  (vor  dem  Titelblatte  bei  La.,  besser  reproduziert  im  Katalog 
Heinemanns)  wie  mit  der  vierten  Miniatur  des  P  verglichen  zu  werden. 


Bie  Handschriften  de^  Corpus  ayrimensorum  Romanorum.  49 

Zusammenstellung  des  Inhalts  von  P  und  G. 

(P  fehlt)  I.       a)  Der  Anfang  von  Balbiis  j:xpos.  et  ratio  mensurarum 

0  S.  1-3  (La.  91,  2-95,  4.  B  Nr.  8)  unter  dem  falschen  Namen 

des  Frontinus^    (Forts.  Nr.  12).     luuvs  frontinvs  c€lso 

Notum  est  omnibus  Celse semipedes  VIII  (die  drei 

letzten  Punkte  in  umgeworfener  Ordnung).    Unmittel- 
bar darauf 

h)  Fragment  unbekannter  Quelle^    Vgl.  A  Nr.  i6b. 

Haec  omnis  mensura  diligenter  et  fideliter  exquirenda 
est.  ideoque  monemus  ut  unus  quis  suos  fines  teneat^ 
non  alienos  lacessat.  nam  ideo  ^limes  agro  positus  estj 
ut  litem  discerneret  aruis<^.  nam  ante  lovem  Umites  nmi 
parebantj  qui  diuiderent  agros.  Vicinorum  autem  exempla 
sumitej  de  quibus  pos(s)itis  inculpabiles  proferre  sententias. 
natu  ideo  ager  pedibus  mensuratur^,  ut  ueritas  declaretur. 

EXPLICIT    6PISTOLA    AD    C€LSUM. 

P  f.  9'"-ii'^       2.  Interpolierte  Jurist.  Auszüge   aus   den  Digesta  Gromatica 
(Anfang  fehlt)  (vgl.  Nr.  I  8): 


G3-9 


a)  Aus  dem  Codex  Theodosianus  (a,  438): 

D6     FINIUM     R6G.    IMP.    CONSTANTINUS     -    -    -     Äl'CUdiO     biS     et 

Rufino  sss,  La.  267,  2-270,  3. 

b)     PAVLI    S6NT6NTIARVM    €X    LIBRO     QVINTO,     La.    27O,  4~9- 
C)     D6    S6PULCHRIS,     La.    2  7  I  ,   1-2  7  2  ,    23. 

d)  Novellae  posttheodosianae  tit.  24,  4,  20  (a.  443,  438, 
440),  La.  273-275.  S.  Mo.,  Bonn.  Jahrb.  96-97,  283 
=  Ges.  Sehr.  VII  474. 


'  In  ß  Nr.  8-9  (JV)  folgt  nach  dem  abgebrochenen  Text  des  Baibus  ein  Fragment 
mit  der  Stibscriptio  Explicit  liber  Frontonis  primus.  Daß  der  Name  Frontinus  statt  Baibus 
daher  gekommen  ist,  bemerkt  Mo.,  Bonn.  Jahrb.  96-97,  284  A.  i  =  Ges.  Sehr.  VI!  475  A.  i. 

''    Der   Inhalt  erinnert  stark   an  das  Vegoiafragment  La.  350  f.     Auch   ein  Vers    von 
Virgil:    Aen.  Xll  898  limes  agro  positus,   litem  ut  discerneret  aruis  ist  hier  eingerückt.     Vgl. 
FE  Nr.  3  §9,  wo  die  richtige  Wortstellung  litem  ut  behalten  ist,  wie  in  A  Nr.  \6b. 
Phil.-hht.  Klasse.    1911.    Anhang.    Abh.  IL  7 


1 


50 


Pii'-i3' 

(Schluß  fehlt) 
G9-16 


P  18^-20^ 
(Anfang  fehlt) 

G 16-36 

p  22-28 

(21  fehlt) 

G  36-48 


C.   T  H  u  L I N  : 

e)  Aus    den   Justinianischen    Digesten   tit.  10,  i.     (Aus- 
führlicher unten  Nr.  180.) 

PAULUS  iJBRo  XXIII  AD  6DICTUM  POST  ALiA.  sed  ßt  st  mensor 
-  -  7nercedis.  ixejvi  post  alia.  si  dicantur  -  -  potest,  La.  276, 
24-26.     277,  lO-I  I. 

3.     lULI    FRONTINI    D6    AGRORUM    QUALITATE. 

Agrorum  qualitates  sunt  tres  -  -  noscatur,  La.  1-27,  9. 
VgL  A  Nr.  4,  FE  Nr.  ^a,  c,  y;  gc.  Die  Zeichnungen  sind 
ausgeschlossen,  weil  der  Liber  diazografus  in  Ni-.  4  sie  zu 
ersetzen  schien.    S.  Eranos  XI  l3off*. 

4.  Der  dem  Agennius  falsch  zugeschriebene  Kommentar  zu 
Frontinus  (Mo.,  Ges.  Sehr.  VIT  468-472). 
a)  AGceNi  uRBici.    Suseepimus  qualitates  agrorum  -  -  ariißces 

coguntur,  La.  i,  6-26,  25. 
h)  LiBER  DIAZOGRAFUS.     Dlc  Zcichnungeu  La.,  Fig.  42-67. 


P  29'— 44^  5.     SAeCULI    FI.ACCI    De    CONDICIONIBVS   AGRORVM. 

(40-41  fehlen)  Condiciones  agrorurn  -  -  leges  respiciendne.     explicit  saecvii 

^  49~75  FLAcci  LIBER.   La.  134,  14-165,  24  (Lücke  in  P  156,  24  pro- 

fessi  bis    160,  10  tamquam).     Vgl.  B  Nr.  3. 
Bis  hierher  ist  die  Ordnung  in  P  und  G  gleich.     Aber  von  der  Fort- 
setzung des  P  f.  45-72    ist   der  Anfang  in  G   nach   dem   Schluß   versetzt 
(G  204-215),   das  übrige  fehlt  in  G  außer  dem  Bruchstück  Nr.  80^. 


P45-5i^ 
G  204  med. 
bis  215 

P47'" 


48^ 
48^ 


6.  Auszüge   über  termini  aus  den  Digesta  Gromatica  (Forts. 
Nr.  16),  unter  die  ein  Fragment  (/))  geraten  ist: 

ö)     6X    LIBRIS    DOLABELLAe,     La.   302,    I— 3O4,    7» 

h)  Si  in  agro  assignato  vener is  -  -  in  re  praesenti  .  .  .,  La, 
290,  17-292,  1  (Forts,  fehlt).  Vgl.  A  Nr.  i  (Nypsiis?), 
FE  Nr.  8^,  10. 

C)     ex    LIBRIS    LATINI    DC    TeRMINIBVS,     La.    3O5,    I -3O6,    18. 

d)  Genera  lapidum  finalium,  La.  306,  19-29. 

e)  Auetores  gaivs,  vitalis,  favstvs  et  valerivs,  La.  307 -308. 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  51 

50'  /)  ex    LiBRo  FRONTINI  sEcvNDo.     Si   termini  desint  -  -  -   non 

r/^HLa.  73,  28-74,  10  =  42,  21-43,  13.  Vgl.BNr.2. 
50"^  9)  NAM  ET  LocoRUM  -  -  trißnium  ostendunt  =  La.  74,  1 1-14, 

wie  Mo.,  Ges.  Sehr.  VII  469  A  i  dargelegt  hat,  von  La. 

falsch  mit  dem  vorhergehenden  Exzerpt  verbunden. 
50"^  ^'')  LATiNvs  vp  TOGATvs,  Lr.  309,  1-2  8.    G  endct  mit  309,  25 

aliud  Signum. 

P5r-62'"         7.   Casae  (aus  den  Digesta  gromatica). 

a)     ex    LIBRÖ    XII     INNOCeNTIVS   VP    AVCTOR     D6     LITT6RIS     NOTIS    IVRIS 
6XPONeNt)IS. 

Casa  per  a  nomen  huhens  -  -  -  computatio  limitis,  La. 
310,  1-318,  19. 

56"  fin.  />)  Das  griechische  Alphabet. 

57'  ^"^^^  P^^  >^  <^^ö5   nomen   habens  -  -  territoria  diuidet, 

I^a.  318,  20-325,  10. 

6  r  r)  A  moniicellum  habet  -  -flumen  inferius,  La.  325,12-327,2. 

Griechische  Buchstaben  ohne  Zeichnungen.  Dasselbe 
wird  Nr.  2\b  mit  Zeichnungen  und  Überschrift  wie- 
derholt. 

P62''"^  8.       a)  MENsvRARVM  GEN€RA  svNT  XII  DigituSj,  uncid  -  -  -  uefsus  habet 

G216  pedes  v\\\  <>cxL,  La.  339,  1-19. 

P62''  b)  Erklärung  der  Siegel  für  minutiae  assis,  La.  339,  20 

bis   340,  8. 

P63'"  9.   NOMINA  AGRORVM,  La.  246-247.   Vgl.  A  Nr.  I 6(/. 

P63''-72''        10.  Der  über  rcgioiiiiin  I  (A  Nr.  5)  interpoliert  durch  mehrere 
Exzerpte. 

a)  EX  coMMENTARio  cLAVDii  (Icg.  C.  lulü)  cAESARis.  Lex  agris 
Umitandis  -  -  pars  piceni.  =  Provincia  Tuscia  A  85-95, 
La.  211,  23-225,  3,  aber  mit  Auslassung  von  220,  i  2 
bis  221,  13  und  223^^6-13,  die  in  FE  Nr.  7  vor- 
handen sind. 
66',  21  b)  ACER  ANCHONiTANus  ett  kge  qua  et  florenänus  -  -  ex  litteris 

graecis,  La.  225,  4-13.  Vgl.  A  Nr.  14c/  (fragmentarisch 
erhalten  in  J). 

7* 


52  C.  T  H  u  L I N : 

66^,  5  c)  EX  LiBRo  BALBi  PRoviNciA  picENi  Affev  SpoUtinus  -  -  hl  Piceno 

ßnes  terminantur  =  A  95-97,  La.  225,  14-228,  2.  P 
add.  ita  et  per  Tusciam. 

67'",  10  d)  ITEM  DI  VI  ivLi^  augustei  pro  hac  ratione  -  -  -  -  reliquum 

pro  ut  regio  habet  =  A  Nr.  12,  aber  der  Anfang  fehlt 
hier.  La.  242,  11-243,  17.     Über  Grenzsteine. 

67'',  4  e)  PROVINCIA  vALERiA  Ager  Amiterninus  -  -  -  qua  et  Corßnius, 

La.  228,  3-229,  9. 
68',  9  /)  IN  MAPPA  ALBENsivM  iNVENiuNTVR  HAEC  (in  A  statt  dicscs  Titels 

Provincia  Apulia).    Ager  heclanensis  -  -  iter  populo  non 

debetur,  La.  2 1  o,  4-2 1 1 , 9  =:  A  83-85  Provincia  Apulia 

und  Calabria. 
68",  5  g)  PROVINCIA  D ALMATI ARVM  lu  dtuersos  regiones  -  -  -  ud publicum 

ius  pertinent,  La.  240,  16-242,  6, 

69'",  8  h)     CIVITATES  CAMPANIAE    EX  LIBRO  REGIONUM  AquinUnij  UlUrO  dltCttt 

-  -  distinxit  ac  declaravit,  La.  229,  12-239,  19  =  A  97 
bis  110,  aberLa.  231,  14-18,  233,  lo-i  i  und  238,  10 
bis  14  fehlen. 
Die  vier  letzten  Zeilen  der  Seite  72'   sind  leer. 

Die  Abschnitte/,  a,  c,  h  enthalten  also  den  in  A  82-110  (Nr.  5)  überlieferten 
JAher  regionum  I  fast  vollständig:  nur  der  Anfang,  Prouincia  Lucania  und  I^ou. 
Brittiorum  (La.  209,4-210,2),  ferner  Prouincia  Sicilia  (La.  211,12-21),  einiges  von 
JFVo«.  Tuscia  (La.  220,12-221,13  und  223,6-13)  und  die  Zeilen  231,14-18, 
233,10-11,  238,10-14  fehlen.  Die  dazvvischengestellten  Auszüge  hat  Lachmann 
in  den  Liber  reg.  I  aufgenommen;  Mo.,  Bonn.  Jahrb.  96-97,  281  =  Ges.  Sehr. 
VII  472  und  Bubnov  467  fordern  aber  mit  Recht,  daß  man  diese  Zusätze  des  P 
von  der  Überlieferung  des  A  streng  ausscheidet.  Ich  glaube  mit  Bubnov,  daß 
die  Abschnitte  b,  e,  und  g,  aus  einem  anderen  liber  regionum  stammen,  der  schon 
in  der  Vorlage  des  A  existierte  (Reste  davon  s.  A  Nr.  14a  und  c.  Auch  der  in/ 
untergeschobene  Titel  In  Mappa  Älbensium  inueniuntur  haec  war  einstmals  in  A  vor- 
handen: La.  244,13,  A  Nr.  9).  Der  Autor  des  P  hat  also  diese  beiden  im  Arche- 
typus vorhandenen  libri  regionum  ineinandergearbeitet.  Ein  neuer  liber  regionum, 
der  in  A  nicht  existiert,  eine  spätere  Bearbeitung  des  Hb.  reg.  I,  folgt  in  P  Nr.  19 
und  bildet  dort  den  Schluß  einer  Redaktion  des  Corpus  Agrimensorum, 

Von  hier  an  gehen  P  und  G  wieder  zusammen. 

P73'"''  II.  Limites    und   agri  in   zwei   Kolumnen   nebeneinander   mit 

Gr 75-76  der  Überschrift  nomina  limitvm,  La.  246,  24-249,  29.     Die 

Kolumne  der  agri  ist  in  P  Nr.  9,  die  beiden  in  A  Nr.  16 

und  EF  Nr.  5   enthalten. 


Bk  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Rmnanorum.  53 

'^IZ^-19'        12.  Forts,    des  Baibus   Nim    unter  dem  Titel  incipivnt  g€N€ra 
G  76-85  LiNeAMeNTORVM  Grodus  habet-  -  et  duabus  rectis,  La.  95,5-10, 

96,21-97,13,  98,11-103,11,  103,17-104,6,  104,13 
bis    105,  12,    105,  16-106,8.    Vgl.  B  Nr.  8  (E  Nr.  14). 

P79'"-82'^        13.  EvcLiDis  LiBER  PRiMvs  PunctuTii   est  -  -  aequalia  sunt,     cxplicit 
G  85-90  PROL6GOM6NA,  La.  377, 1-379,  22.  iNcipiT  SCH6MATA  SupeT datom 

rectam  lineam  -  -  quod  oportehat  facere,  La.  380-381,  21 :  die 
Definitionen,  Postulate  und  Axiome  des  ersten  Buches 
Euclids  und  die  drei  ersten  Propositionen  dieses  Buches 
mit  Beweisen. 

P82''-io8''     14.   Hyginus  Gromaticus  (s.  A  Nr.  6,  B  Nr.  7)  unter  dem  fal- 

G  90-  133  sehen     Titel     INC.    KYG€NI  AUGUSTI  LIBCRTI    D6  LIMITIBVS    CONSTITV6NDIS 

(ohne  die  Einleitung  La.  166-167,  2).  Ab  hoc  exemplo  -  - 
forma  describamus,  La.  167,3-208,4.  explicit  lib€r  hygcni  gro- 
MATicvs.  Der  Autor  dieser  Schrift  hat  den  Frontin  (etwa 
40-103)  und  den  Hygin,  der  unter  Trajan  schrieb  (La. 
121,  7),  benutzt.  Der  Bibliothekar  Hyginus  Augusti  libertus 
aber  starb  bald  nach  Augustus.  Die  Subscriptio  ist  die- 
selbe wie  in  B.     Lex  Mamilia  s.  Nr.  i8ö. 

Pio8''-ii2^  15.  Zwei  Auszüge  aus  dem  Hyginns   (B  Nr.  3)  De  limitibus 
G  134-140  und  De  agris  (nicht  De  contro versus,  die  in  Nr.  4  schon 

behandelt  waren),  inc.  eivsoew  Igttur  omnem  sortem  -  -  in 
aequo  sint,  La.  113,  13-18.  Quaestorii  autem  -  -  hae  sunt 
GO'ndiciones agrorum quas cognoscere potui,  La.  115,15-123,17. 
Keine  Subscriptio. 

Pii2''-i2  2'    16.  Auszüge  über  termini  aus  den  Dig.  Grom.  (s.  Nr. 6). 
G  1 40- 157  a)  Litterae  singulares^   quae  in  terminis  provinciae  Tusciae 

scriptae  sunt,  La.  340,  9-22. 

b)  Namen  und  Abbildungen  der  Grenzsteine,  La.  340,  24 
bis  342,  12.    Fig.  270-^15. 

c)  0RDIN6S  FiNiTioNUM  6x  DiuERsis  AvcTORiBvs.  Termini  -  -  dehenty 
La.  342,  13.  P  1 16'"  viTALis  6T  ARCADivs,  La.  343.  P  I  I  7' 

GAIVS  ex  THEODOSIVS,    La.  345.      P    I  I  8'  LATINVS  6T  MYSRONTIVS 
TOGATI    AVGVSTORVM,   La.   347.      P   I  I  8^   ^X   UBRIS   iWAGONlS    6T 


54  C.   Thulin  : 

V6GOIAG,    La.    348.       P    120'"   IDEM    V6GOIA6    ARRVNTI    UeLTVMNO, 

La.  350.      P  120''  ARCADivs  AUGvsTvs,  La.  351.     P  121" 

IT6M    VITALIS,     La.    352.  P     I  2  I  "^     IT€M    FAVSTVS    CT    VALGRIVS, 

La.  353. 
d)  Litterae   singulares   quae    in   diuersis   loeis    inueniurdur, 

I-a.  353. 
P  122'- 124'    17.   De  1VG6RIBVS  M6TIVNDIS.    Küstrenshi  iugerus  -  -  -  -  esse  dicimus, 
G  157-161  La.  354-356. 

P  124'- 127''    18.  Jurist.  Auszüge  (s.  oben  Nr.  2): 

G  161- 167,  5  ö)  FiNivM  R6GVND0RVM.    Paulus  lihro  XXlll nam  illic 

ita  est,  La.  276-280  =  Digest.  lustiii.  tit.  10,  i  (oben 
Nr.  2c). 
h)  L€x  MAMiLiA  ROSCIA  -  -  -  damnüs  esto,  La.  263-266   (s.  A 
Nr.  6,  B  Nr.  7. 

Danacli  sind  in  P   10  Zeilen  leer  gelassen. 

P  i28'-i32''   19.  Liber  regiomim  II,  La.  252-262: 

G  167,5-175  ADRIAN vs  AGGR   Limitibus  manümis  -  -  qua  supra  diximus, 

mit  einer  Nachschrift,  die  aus  Nr.  1  h  (vgl.  auch  Hyginus, 

La.  129,  8f.,    131,3)  genommen  ist: 

Maxime  autem  uicinorum   exempla  sumenda   sunt  ei  con- 

suetudlnes  regionum  intuendae^  ut  secundum  signorurn  ordinem 

atque  ratione  ueritas  dectaretur.    exPLicix. 

In  P  4  Zeilen  leer;  Quat.  XVI  endet  hier. 
Da  die  Nachschrift  in  offenbarer  Beziehung  zu  der  Einleitung  Nr.  i 
steht,  so  ist  nicht  zu  bezweifeln,  daß  mit  dieser  und  dem  abschließenden 
6XPLICIT  eine  Redaktion  des  Corpus  agrim.  endet.  Die  folgenden  Schriften 
bis  zum  Schluß  des  P,  unter  denen  Ratio  limitum  regundorum  der  auctores 
Theodosius  ei  Neuierius  (!),  eine  neue  Bearbeitung  der  casae  (2  1  a)  und  Aus- 
züge aus  Isidor  (22),  sind  also  ein  späterer  Zusatz,  frühestens  des  7.  Jahr- 
hunderts. Dagegen  ist  die  Redaktion,  die  Nr.  1-19  umfaßt,  wahrschein- 
lich älter  als  Isidor. 

P  133'"- 140'"    20.  Auszüge  über  limiies  und  iernuni: 

G  175-189  a)  Litterae  singulares  mit  übergeschriebenen  Erklärungen, 

La.  357. 


Bie  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  55 

b)  iNciPiT  RATIO  LiMiTVM  RecvNsoRVM  fiaec  est  <(-}  auctor  Theo- 
dosius  et  Neuterius  fite,  mit  vielen  Rubriken,  wie  Ex- 
positio  podismi,  De  mensuratione  iugeri,  Expositio  limitum 
uel  terminorum  etc.,  La,  358-366,9. 

21.   Casae  (vgl.  Nr.  7). 

P   140'    fin.  n)     INCIPIT  ET  D€  CASIS    LITTERARVM    MONTIVM    IN    P6c>  V    FAC  P6D€  VNO. 

bis  144''  A  casa   quae  per  A  nomen  habuerit ped.  m.  lviti, 

G  189-196  La.  331.8-338,27. 

P  144"^- 147'  h)  6XPOSIT10  LiTTeRARVM  FiNALivM.   Monticellum  hohet  - ' ßumen 

G  196-201  inferius  =  P  Nr.  7^-,  aber  die  griechischen  Buchstaben 

stehen  hier  verbunden  mit  Zeichnungen,  jedesmal  nach 

dem  dazugehörenden  Text. 

P  148-149''     22.  Isidorus  Orig.  XV cc.  14,  15,  13. 

G  201-203  iT€M  iNTeRPR€TATio  uBi  svpRA.    De  finihus  agrorum  -  -  De  men^ 

suris  agrorum  -  -  De  agris  -  -  La.  366,  10-370,  i. 

P149'  23.  Zwei    korrumpierte   Exzerpte   aus    Hyginus   Grom.   unter 

bis  1 49"^,  2         dem  Titel  oe  limitibvs  constitvcndis  :  A  voCe   (statt  ab  hoc) 

G  203-204  exemplo  -  -  transuersos  appellauerunt  (La.  167,3-8).      omne 

mensure  culus  quadratura  -  -  scarnna  uocauerunt  (La.  206,  15 

bis  207,4). 

Hier  endet  P.  Eine  spätere  Hand  hat  die  letzte  Seite  mit  einem  Ge- 
dicht in  Miniaturschrift  gefüllt:  Versus  Radhodi  sanctae  Traiectensis  aecclesiae 
famuli  De  hirundine. 

Est  mihi  corporeae  specles  aptissima  formae 

Quae  fore  terrigenum  nulli  onerosa  queat. 
Vijc  etenim  digitos  numerat  mensura  quaternns 

Fürmula.  qua  constat  corporis  arta  mei  etc. 

In  G  S.  204-215  folgt  nun  der  Abschnitt  Nr.  6  und  S..  2j6,  mit  der 
der  14.  Quaternio  anfängt,  Nr.  Sj^.  Die  Fortsetzung  dieses  letzten  Qua- 
temio  wird  mit  dem  folgenden  Traktat  ausgefüllt. 

G217-222  indt  NOMINE  PAvcA  D6  MENsv>^!s  secunduTU  geometrkae  dkcipUnae 
rationem  ex  voluminibus  eruditorum  uirorum  excerpta  incipiunt.  Mensura  est 
iuxta  Isidorum  -  -  unam  rastam  efficiunt.  oe  poNoeRiBvs.  Ponderum  pars  minima 
'  -  centum  lihris  constet.  oe  mensyris  in  liqvidis.  Mensurarum  in  liquidis  -  -  sunt 
modia  lx,  L  a.  3  7  i  -  3  7  6 . 


56  C.  Thulin: 

Wie  aus  dieser  Übersicht  hervorgeht,  ist  P  vollständiger  als  G,  in 
dem  auch  die  Ordnungsfolge  zum  Teil  eine  andere  ist.  Der  Inhalt  der 
f.  45'"— 51'  (Nr.  6),  d.  h.  von  dem  6.  Quaternio  an,  ist  im  G  an  den 
Schluß  gestellt  (f.  204-215),  und  was  in  den  folgenden  ff.  5r-72''  des 
P  (Nr.  7-10)  enthalten  ist,  fehlt  in  G,  außer  dem  in  G  S.  216  nachge- 
tragenen Stück  Nr.  8  a.  Wahrscheinlich  waren  in  der  Vorlage  des  G  die 
Quaternionen  mit  dem  Inhalt  von  P  45 '^-72''  aus  ihrem  Platz  verschlagen, 
vielleicht  auch  zum  großen  Teil  verloren  gegangen.  Denn  nachdem  G 
S.  204  med. -2  15  den  Inhalt  von  P  45*^-5  T  angeführt  hat,  bricht  er  mitten 
auf  der  Seite  215  ab,  ohne  die  Schlußworte  La.  309,  25-27,  die  in  P 
auf  neuer  Seite  51''  stehen,  mitzunehmen,  und  zitiert  S.  216  nur  noch  das 
Fragment  Nr.  8  a.  Es  ist  jedoch  denkbar,  daß  die  Auslassung  der  Nr.  7-10 
absichtlich  ist.  Denn  von  den  Casae  (Nr.  7)  waren  schon  zwei  Varianten 
in  G  189-196  (Nr.  21)  vorhanden,  und  zwar  die  eine,  Nr.  21b,  eine  voll- 
ständigere Dublette  von  P  Nr.  7c;  gleichfalls  waren  die  nomina  agrorum 
(Nr.  9)  in  G  7  5  -  7  6  (Nr.  1 1 )  schon  zusammen  mit  den  limites  enthalten ; 
und  der  liber  coloniarum  I  (Nr.  10)  konnte  überflüssig  erscheinen  nach  dem 
in  G  167-175  vorhandenen  neueren  lihe}'  coloniarum  II  (Nr.  19),  der,  wie 
Mommsen  dargelegt  hat,  eine  verschlechternde  Überarbeitung  des  lü)er 
coloniarum  I  ist.  Nur  Nr.  8  b  war  in  keiner  Form  in  G  vorhanden,  aber 
enthält  auch  nichts  Gromatisches. 

Dagegen  enthält  G  nichts,  was  in  P  fehlt,  außer  dem  nachgehängten 
Tractatus  de  mensuriSj  de  ponderümSj  de  mensuris  in  liquidis  G  217-222. 
Aber  der  Titel  [in  dei  nomine!)  sowie  der  Inhalt  {mensurae  in  liquidis)  be- 
weisen, daß  dieser  sehr  häufig  abgeschriebene  Traktat  in  dem  Corpus 
agrimensorum  keinen  rechten  Platz  hat.  In  der  818,  also  sicher  vor  G, 
geschriebenen  Hs.  München  210,  f.  127-128,  kommt  er  ohne  Zusammen- 
hang mit  gromatischen  Texten^  vor,  in  der  Hs.  München  22053  (^^^  Wesso- 
brunner  Hs.)  vom  9.  Jahrhundert  gleichfalls,  aber  schon  stark  interpoliert "^ 

Die  Nachschrift  des  Metellus  Sequanus  in  P  f.  150: 
CL-  viRO  jo-  ECHTio  J.  Metellus  Sequanus  J.  c.     Hie  über  est  editus  Parisiis  per  Ha- 
drianum  Turnebum  oodliv  form,  quarti  folii  una  cum  picturis,  quae  in  hoc  codice  reperiuntur, 
praeterquam  quae  Euclidis  excerptis  inseruntur.    Desunt  autem  Parisiensi  codici  haec  (s.  oben 
P  Nr.  10): 

*    Im  Katalog  (Catal.  cod.  lat.  Bibl.  regiae  Monac.  1   i  ö.  190)  steht  falsch   von   dem 
vorhergehenden  Inhalt  dieser  Hs.   »f.  124  ex  -  -  Gromaticis  p.  185  miitata  esse  videtur«. 
-^    Siehe  Hofmann,  Germaniall  89-95  (Catal.  VII  191). 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  57 

1.  Ex  commentario  Claudii  Caesaris  desumpta.  Incipiunt:  Lex  agris  limitandis  me- 
tiundis.     Finiunt:  hoc  opus  omne  arbitratu.     quaternione  VIll  continent  semipaginam. 

2.  Item  Claudii  Caesaris  et  M.  Antonij  et  M.  Lepidi  fragmentum  de  Coloniis.  Incip. 
Colonia  Florentina.     Fin.  vel  ex  lilteris  graecis.     quat.  VIII  cont.  fol.  3. 

3.  Item  excerpta  ex  libro  Balbi,  Provincia  Piceni.  Inc.  Ager  Spoletinus.  Fin.  ad 
publicum  ius  pertineut.     quat.  VIII  cont.  fol.  2  ^ 

4.  Item  civitates  Campaniae,  ex  libro  Regionum.  Inc.  Aquinum  muro  ducta.  Fin. 
per  diversitates  provinciarum  distiuxit  ac  declaravit.     quat.  IX  cont.  fol.  3. 

Haec  Romae  quoque  ex  Angeli  Colotij  antiquitatum  eruditissimi  uiri  codice  uetustissimo, 
quem  olim  Raphaeli  Volaterrano  legendum,  ut  ipse  Urbanorum  Commentariorum  libro 
XXX  refert,  descripsi.  Erat  autem  et  is  liber  picturis  coloratis,  ut  hie  (sc.  P),  illustratus. 
Sed  hoc  (sc.  P)  antiquior  uidebattir.  Hie  enim  ex  litterarum  forma  et  orthographiae  ratione 
proxime  Caroli  Magni  saeculum  scriptus  est. 

Ex  medicea  Florentina  bibliotheca  descripsi  quoque  M.  Junii  Nypsi  fragmentum,  ad 
huius  etiam  agrimensoriae  scientiam  pertinens,  sed  admodum  corruptum  est. 

Pai'isiensis  codex  nianavit  a  Jo.  Tylio  Angolemensi  Epö  Meldensi;  cui  et  Romae  co- 
dicem  meum  legendum  dedi.  Sed  adhibitus  fuit  alius  vetustus  (sc.  G)  ex  Sancti  Bertini, 
quod  Audomari  fanum  in  Flandris,  bibliotheca,    cui  ut  et  meo 

6.  inerant  Epaphroditi  Viiruvii  Ruffi  Simplicii  Balbi  et  Hygini  de  castris  metandis 
fi-agmenta  sed  vitiosissima. 

Calendis  Quintilibus  oodlxiv  Coloniae  Agrippinae. 

Um  mit  dem  Schluß  anzufangen,  hat  Metellus  hier  nicht,  wie  Blume, 
Mommsen  und  Bubnov  gemeint  haben,  den  unglaublichen  Fehler  be- 
gangen, dem  Cod.  G  und  also  auch  der  Ausgabe  des  Turnebus  die  Schriften 
des  Epaphroditus  und  Vitruuius  Rufus,  Simplicius,  Baibus  und  Hyginus 
de  castris  metandis  zuzuschreiben,  sondern  die  Worte  cui  ut  et  meo  inerant  usw. 
beziehen  sich  auf  Parisiensis  codex,  und  der  Satz  Sed  adhibitus  fuit  -  -  biblio- 
theca steht  parenthetisch.  Seine  Angabe  über  Tilius,  die  er  auch  anders- 
wo wiederholt  hat,  scheint  mit  den  Worten  der  Turnebus  und  Gallandius 
zu  streiten,  die  in  der  Turnebusedition  S.  256  den  Gentianus  Hervetus  als 
Überbringer  dieser  Hs.  (=  Paris  7229,  s.  Rhein.  Mus.  191 1  »Humanist.  Hss. 
des  Corpus«)  erwähnen.  Sie  sagen  aber  nicht,  daß  Hervetus  diese  Hs. 
selbst  geschrieben  habe.    Vgl.  Blume  14  und  ^^. 

Was  er  über  die  Mediceische  Hs.  (=  F)  sagt,  stimmt  mit  seinem 
eigenen  Zeugnis  in  der  Abschrift  (Cod.  Barb.  164,  s.  Rhein.  Mus.,  a.a.O.) 
überein,  nur  daß  er  dort  richtiger  describi  curavimus  statt  descripsimus  sagt. 

Dagegen  ist  seine  Angabe  über  die  Hs.  des  Colotius  erweislich  falsch. 
Wir  wissen  nämlich  durch  Metellus'  eigene  Hs.  (Cod.  Barb.  164),  daß  er 
die  Mediceische  Hs.  F  hat  abschreiben  lassen  und  in  Rom  diese  Abschrift 
mit  Hilfe  des  Cod.  Zanchi  (V)  selbst  ergänzt  und  korrigiert  hat,  besonders 

Phil.-hül.  Klasse.    1911.    Anhang.    Abh.  IL  ^ 


58  C.   T  H  u  L I N  : 

den  über  Regionum,  von  dem  hier  die  Rede  ist  {Hoec  am  Anfang  be- 
zeichnet ja  eben  die  in  P  erhaltenen  Abschnitte  dieser  Schrift).  Wir  wissen 
auch,  daß  er  in  Rom  den  Cod.  Zanchi  (V)  vollständig  abgeschrieben  hat 
(s.  Cod.  Paris  7229),  wahrscheinlich  bei  Colotius.  Diese  Abschriften  aus 
V  und  F  wollte  er  hier  erwähnen,  aber  da  er  den  F  nach  eigener  glaub- 
licher Angabe  bei  Colotius,  der  ihn  wohl  aus  Florenz  geborgt  hatte 
(s.  §  9),  wirklich  selbst  gesehen  hatte,  so  konfundiert  er  nun  zwanzig 
Jahre  nachher  seine  beiden  Quellen  und  setzt  an  die  Stelle  des  V  (Cod. 
Zanchi)  eine  angebliche  alte  Hs.  des  Colotius,  auf  die  er  die  Notiz  des 
Volaterranus  (s.  S.  35)  falsch  bezieht.  Die  Worte  picturis  coloratis  passen 
nur  auf  die  Abschrift  Zanchis  (V)  ein,  während  F  nur  Zeichnungen  mit 
Umrissen  hat.  Bei  der  Angabe  Sed  hoc  antiquior  uidebaiur  schwebte  ihm 
aber  die  Erinnerung  an  F  vor,  von  dem  er  in  Barb.  164  sagt  litteris  alicuhi 
Longohardicis  scripto\ 

Diese  Erklärung  wird  zur  Gewißheit  erhoben,  wenn  wir  die  Fortsetzung 
lesen :  Parisiensis  codex  manauit  a  lo.  Tylio  Angolemensi  Epö  Meldensij,  cui  et 
Romae  codkem  meum  legendum  dedi.  Denn  cod.  Paris  7229  ist  eben  die 
Abschrift  des  Tilius  nach  der  Metellischen  Abschrift  des  V;  die  Worte 
codkem  meum  müssen  sich  demnach  auf  die  ersterwähnte  Abschrift  des 
Metellus  Haec  Romae  quoque  usw.,  nicht  auf  die  zweite  Ex  Medkea  Floren- 
tina usw.  beziehen.  Metellus  wollte  also  sicher  mit  jenen  Worten  seine 
Abschrift  des  V  bezeichnen. 


§8.   a  ist  Abschrift  von  P. 

In  der  Vergleichung  dieser  beiden  Handschriften  hat  die  Blume- 
Lachmannsche  Ausgabe  ihre  größte  Schwäche.  Der  Gudianus  gilt  für 
Lachmann  als  die  Haupthandschrift  dieser  Klasse:  den  Palatinus  kannte 
er  nur  durch  eine  ungenaue  Kollation.  Blume  sagt  11  47:  »einzelne 
Stücke  desselben   habe  ich  in  Rom  vergleichen   können;    doch   bleibt  vor 


*  Schon  Blume,  Agrini.  II  15  und  Mommsen,  ebd.  II  217  haben  gesehen,  daß  diese 
Worte  des  Metellus  nicht  ganz  in  Ordnung  waren,  obgleich  sie  den  Cod.  Barb.  164  nicht 
genügend  kannten.  Bubnov  453  hat  vergeblich  versucht,  sie  zu  verteidigen,  indem  er  sie 
auf  die  von  Volaterranus  erwähnte  Hs.  der  EF-Klasse  bezieht,  obgleich  er  selbst  für  wahr- 
scheinlich hält,  daß  diese  Colotiushs.  mit  der  llorentinischen  identisch  ist.  Metellus  sollte 
also  zweimal  dieselbe  Abschrift  bezeichnen,  erst  ex  Colotiano,  dann  ex  medicea  Florentina  hibl.  I 


Die  HandscJirlften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  59 

allem  noch  eine  treue  Kopie  aller  Zeichnungen  zu  wünschen«.  In  der 
Ausgabe  sind  hauptsächlich  die  Zeichnungen  des  Cr  wiedergegeben. 

Der  im  Jahre  1894  gestorbene  Prof.  Joh.  Schmidt,  der  in  den  Jahren 
1880- 1883  Vorarbeiten  zu  einer  neuen  Ausgabe  der  Gromatici  latini  ge- 
macht hatte,  schreibt  in  seinen  hinterlassenen  Papieren,  die  von  seiner 
Witwe  Hrn.  Prof.  Schulten  und  von  diesem  mir  zur  Verfügung  gestellt 
worden  sind,  über  seine  Kollation  des  Palatinus:  »Ich  habe  ihn  wieder- 
holt sehr  genau  verglichen ;    dabei  ergab  sich,  daß  von  den   beiden 

Schwesterhandschriften  der  Palatinus  die  bei  weitem  vorzüglichere  ist,  die 
in  der  überwiegenden  Zahl  der  Fälle  zugrunde  gelegt  werden  muß.  Von 
besonderer  Wichtigkeit  war  die  Entdeckung,  daß  die  Hs.  in  den  jungen 
rustik  geschriebenen  Abschnitten  von  dem  klassisch  gebildeten  Korrektor 
der  Karolingerzeit  systematisch  ins  Klassische  umkorrigiert  worden  ist. 
So  jedoch,  daß  die  ursprünglich  dastehenden  rustiken  Formen  noch  deut- 
lich durchschimmern  oder  nach  den  analogen  Fällen  mit  Sicherheit  her- 
zustellen sind.  Hiernach  wird  die  neue  recensio  in  vielen  100,  ja  viel- 
leicht über  1000  Formen  von  der  Lachmann  sehen  abweichen.  Von 
Wichtigkeit  sind  auch  die  Zeichnungen  des  Palatinus,  die  vieles  zur  Klar- 
heit bringen,  was  im  Gudianus  unverständlich  war.«  Soweit  Schmidt. 
Wir  werden  im  folgenden  sehen,  daß  er  doch  nicht  weit  genug  gekommen 
war,  um  das  Verhältnis  zwischen  P  und  G  klarzustellen.  Mit  sicheren 
Beweisen  läßt  sich  nämlich  dartun,  daß  P  geradezu  die  Quelle  des  G  ge- 
wesen ist,  wie  schon  Mommsen,  Bonn.  Jahrb.,  Heft  96-97,  S.  272  = 
Ges.  Sehr.  VII  465,  vermutet  hat.  Aus  der  folgenden  Darstellung  wird  je- 
doch zugleich  hervorgehen,  daß  G  keine  direkte  Abschrift  des  P,  sondern 
eine  Abschrift  von  zweiter  Hand  ist. 

I.    In  dem  Abschnitt  De  casis  UUerarum  lesen  wir  La.  332,  26 
in  P  f.  141'",  16    F.  Casa  quae  per.  f.  nomen  ha 

fines  grandes  hahens, 
in  G  S.  191,7  F.  Casa  quae  p.f.  afines  grandes  hahens. 
In  P  stellt  ha-  am  Zeilenende  und  nur  daraus  ist  es  zu  erklären,  daß  die  Fortsetzung  des 
Wortes  -buerit  weggefallen  ist.  Die  Lesung  des  G  aßnes  setzt  aber  ebendiesen  Fehler  vor- 
aus, nur  daß  außerdem  eine  sehr  naheliegende  Konjelstur  gemacht  worden  ist.  Man  hat 
nämlich  nomm  h  ausgelassen,  offenbar  weil  dies  vermeintlich  mit  der  casa  F  nichts  zu  tun 
hatte,  da  erst  in  333,7  die  Worte  »H.  casa  quae  per  h  nomen  habuerit«  folgen. 

Da  es  sehr  unwahrscheinlich  ist,  daß  auch  in  der  Vorlage  des  P  die  Teilung  des 
Wortes  habuerit  auf  zwei  Zeilen  sich  genau  so  traf,  dürfte  es  als  sicher  gelten,  daß  P  selbst 
der  Ausgangspunkt  dieser  Korruptele  ist. 


60  C.  Thulin: 

2.  In  La.  354,  2  steht 

in  P  f.  12  2'",  13  Kastrensis  iugerüs  quadratus, 

in  G  S.  157,  7  Kastrenses  iugerüs  quadratus. 
Es  ist  ohne  weiteres  klar,   daß  die  unvernünftige  Lesart  in  G  auf  die  unvollständig   durch- 
geführte und  mißverstandene  Korrektur  in  P  zurückgeht  (P  selbst  schrieb  Kastrensis  iugerüs). 
Dieser  Fehler  des   G   muß  unbedingt  von   P,    nicht   von   einer  gemeinsamen  Vorlage   aus- 
gegangen sein. 

3.  In  demselben  Abschnitt  De  iugerihus  metiundis  La.  354,18-19  lesen  wir 

in  P  i.  \ 2 2^,1/^  fiunt  per ticae  ^  dccc 


LX 

in  G  S.  i$fi,^  ßunt  perücae  dccc 


LX 

G  hat  also  hier  die  Zahl  M  (1000)  nicht,  wie  Lach  mann  a.  a.  O.  behauptet,  aus- 
gelassen, sondern  falsch  zu  der  Figur  gezogen.  Die  einzige  Erklärung  dieser  Sinnlosigkeit 
gibt  P,  in  dem  die  Spitze  des  Triangels  zufälligerweise  gerade  unter  das  M  des  Textes 
gestellt  ist,  wodurch  der  Schein  geweckt  wurde,  als  gehörte  jenes  Zeichen  zu  der  Figur. 
Auch  dieser  Fehler  des  G  muß  von  P  hervorgegangen  sein,  da  es  nicht  anzunehmen  ist, 
daß  diese  Figur  gleichfalls  in  der  Vorlage  des  P  genau  so  stand. 

Ein  Fehler  ähnlicher  Art  ist  in  den  beiden  Hss.  PG  ersichtlich  in  La.  368,8  porca  est 
quod  in   arando  lxxx  extat,   wo  zxxx  schon   in   den  Text  des  P   eingeschlichen    war,    weil 

LXXX 


die  Figur   XV XV  gerade  über  den  Worten  arando  extat  stand.    Da  dieser  Fehler 

LXXX 

in  der  Exzerptenhs.  München  13084  nicht  vorhanden  ist,  so  Hegt  es  nahe  zu  vermuten,   daß 
der  Exzerptor  einer  älteren  Hs.  als  P  gefolgt  ist. 
4.    In  Hyginus  Grom.  La.  201,4  schreibt 

pioiv,24  L.p.poL.  tu^«»  Lxv/K  I  c.M.c.}:-(/H^  iu5*LxvtT< 
122,23  L.  n  .poL.  iLxc^i  LxvT^^i  -CN  •  c^  -ifxeiuc^-Lxvfp^ 

Nach  dem  iug  hat  P  statt  des  Punktes  das  Abkürzungszeichen  S,  das  erstemal  ziemlich 
groß,  das  zweitemal  ganz  klein;  G  schreibt  demnach  an  der  ersten  Stelle  iug. ^,  an  der 
zweiten  luo.  ,     ,  , 

max.  k&vas  max  karj 

Ähnlicherweise  schreibt  in  La.  358,1  P:  m      k,     G:  m    k. 


GS 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  61 

5.  In  der  Tabelle  La.  309,17-22  schreibt  P  f.  Sf  cc,  ccc,  cccc  immer  so,  daß  ein 
Strich  vom  ersten  c  an  oben  die  c  verbindet  (s.  Taf.  VII  i).  G  S.  215  liest  dies  als  CT 
oder  nur  t,  ctt  oder  tt  und  ttt.  Ferner  schreibt  P  hier  ein  undeutliches  l,  G  gibt  es 
als  c  wieder.  Zu  erinnern  ist  auch  daran,  daß  G  fast  immer  das  Zeichen  oc  (=  m)  des  P 
als  cc  deutet. 

6.  In  La.  334,19  hat  P  oder  der  Korrektor  fluuiu  falsch  in  ßuum  korrigiert;  G 
schreibt  fluü. 

n  n 

7.  In  La.  360,  27  hat  P  demonsirat,  v.  28  demonstrat.  An  der  ersten  Stelle  ist  ein 
sudeliges  n  übergeschrieben,  an  der  zweiten  ein  deutliches;  G  schreibt  demnach  an  der  ersten 
Stelle  demonstrat,  an  der  zweiten  demonstrant,  obgleich  die  Änderung  in  beiden  Fällen  gleich- 
berechtigt ist.     (Taf.  VII  2.) 

8.  In  La.  183,13  hat  P  die  ungewöhnliche  Abkürzung  von  decumanus:  dscum  (sonst 
cfs  oder  dec).     G  schreibt  hier  schlechthin  decum 

9.  Schließlich  stimmt  G  fast  immer,  d.  h,  in  Hunderten  von  Fällen,  mit  den  korrigierten 
Formen  in  P  überein,  wobei  die  Priorität  des  P  häufig  dadurch  außer  Zweifel  gestellt  wird, 
daß  die  ursprünglichen  Lesarten  des  P  mit  denen  des  A  oder  B  identisch  sind ;  z.  B. : 

La.     97, 7     etiam////////    agros    (etiam    auf    Rasur,    metiamur    agros    V),     etiam 
agros  G. 
121,  10  ///ere  (h  eras.,  here  B),  G  aere, 
122,6     prouincia///  (p-am  B),  G  p-a, 
140,  2     termino///  (t-nis  B),  G  t-o, 
145,  18  lacess//ant  (i  eras.:  lacesseant  B),  G  1-sant, 

169,  7     italia///  (italiam  B),  G  i-a, 

170,  i     terra  PAE,  terra  P  corr.,  G, 
182,  12  a  PAB,  ad  P  corr.,  G, 

uan//e  P  (uariae  A,  uarie  richtig  E),  uane  G, 
186,  5     soI//stitialis  (sollst -s  AB),  solst-s  G 
188,  6     inhahitabilejs  ////J/indos  (inhabitare  arabus  (arab.  B)  indos  AB),  inhabita- 

biles  indos  G. 

Eine  Ausnahme  bildet: 

quod 

La.   148,  10    respiciendum  P,  respiciendun»  G. 

Aber  dieses  quod  ist  mit  ganz  anderen  Buchstaben  und  anderer  Tinte  geschrieben  als 
die  übrigen  Korrekturen  in  P,  also  wohl  erst,  nachdem  die  Abschrift  gemacht  war,  einge- 
tragen. So  erklären  sich  auch  die  übrigen  wenigen  Fälle,  in  denen  G  die  ursprünglichen 
Lesungen  des  P  wiedergibt : 

&  ^ 

La.         2,  I  diuisus  assignatus, 

4,  3  ager  est  mensura  conprehensus  est, 
122,  5  hab///&  (er  eras.)  P,  haberet  G, 
177,  7  aliquot  (t  aus  d)  P,  aliquod  G, 
9  antonino  P,  antonino  G. 


62  C.  Thulin: 

Einige  Korrekturen  in  P  sind  undeutlich  und  vielleicht  schon  aus  diesem  Grunde  nicht 
von  G  aufgenommen: 

La.  113,  17  disceptatio  (undeutliches  p  aus  r)  P,  discertatio  G, 

121,  13  ut ///,   122,  IG  libra ///  (i  und  s  halb  ausradiert)  P,  uti  und  libras  G, 

o. 

169,  18  eo  conuertere  P,  eo  conuertere  G.  Das  sinnlose  übergeschriebene 
o  ist  von  Schmidt  richtig  als  ein  Rest  eines  merowingischen  c  er- 
klärt worden  und  beweist  also,  daß  die  Vorlage  des  P  aus  mero- 
wingischer  Zeit  war. 

Aber  anderseits  gibt  es  sichere  Beweise  dafür,  daß  G  nicht  direkte  Abschrift  von 
P  ist,  sondern  Abschrift  einer  Abschrift,  und  zwar  einer,  die  nicht  so  deutlich  und  sauber 
wie  P  selbst  geschrieben  war  und  außerdem  mit  vielen  Abkürzungen: 

In  G  S.169  sind  nach  den  Worten  Castellense  municipium  La.  254,23  fast  zwei  Zeilen 
frei  gelassen.     Dafür  gibt  P  keinen  Anhalt. 

La.  i6o,  17  hat  P  die  Worte  sua  edictis  so  deutlich  getrennt,  daß  die  Lesung  Gs  sriae 
dictis  kaum  daraus  hätten  entstehen  können. 

La.  123,  I  hat  P  pes  earum,  in  v.  3  qiiae  eorum  voll  ausgeschrieben.  Daraus  lassen 
sich  die  Lesungen  Gs  pese  ex  und  quae  e  ex  nicht  herleiten.  Sie  erklären  sich  aber  von 
selbst,  wenn  wir  annehmen,  daß  in  der  Vorlage  eorum  abgekürzt  war:  also  pes  eoif.  und  quae 
eoy,,  denn  ajf,  war  ja  leicht  mit  ex  zu  verwechseln. 

Statt  des  ausgeschriebenen  quam  maxime  des  P  hat  G  einmal  qui  maxime  (La.  306,  12), 
zweimal  quemaxime  (La.  308,4  u.  14),  einmal  qu^maxime  (La.  308,8)  geschrieben.  In  der 
Vorlage  Gs  war  also  quam  mit  Abkürzung  geschrieben. 

Bis  jetzt  haben  die  angeführten  Beispiele  uns  zu  dem  Resultat  geführt,  daß  G  eine 
sekundäre  Abschrift  von  P  ist.  Wir  wollen  nun  sehen,  ob  keine  zwingenden  Gründe  da- 
gegen sprechen. 

Daß  eine  Vergleichung  des  Inhalts  von  P  und  G  nicht  gegen,  sondern  für  eine  solche 
Annahme  spricht,  ist  schon  oben  (S.  56)  dargetan. 

Gibt  denn  G  keine  richtigeren  Lesungen  als  P?  Gewiß  gibt  es  viele  solche,  aber 
keine,  die  sich  nicht  als  Korrekturen  leicht  erklären  lassen. 

Da  G  nur  eine  mittelbare  Abschrift  des  P  ist,  so  dürfen  wir  voraussetzen,  daß  schon 
in  der  Vorlage  Gs  einige  Verbesserungen  gemacht  waren,  wie  es  in  G  selbst  der  Fall  ist. 
Jene  korrigierende  Hand  tritt  uns  sogar  greifbar  entgegen  in  den  Fällen,  in  denen  die  Les- 
arten Gs  sich  als  vermeintliche  Verbesserungen  der  Korruptelen  in  P  entpuppen 

La.   122,7       parallenam  P  — .  B  parellelam  G 

cedant  ius  P  cedentius  G 

inlimitatus  P  in  limitatibus  G 

uni  foco  P  (richtig)  unifico  G 
agromensuram 

(falsch  für  modi  agrum)   P     agrimensuram  G 

quatrifinium  P  qui  trifinium  G 

spatiosas  P  speciosas  G, 

oder  gar   die    übergeschriebene  Korrektur   neben    dem  zu  koi-rigierenden  Wort  in  den  Text 
gekommen  ist,  wie  La.  143,  7  usque  ad  in. 


122, 

7 

143, 

13 

160, 

14 

161, 

16 

205, 

I 

335^ 

15 

21 

Die  Handschriften  des  Coj'pus  agrimensorum  Romanorum.  63 

Die  besseren  Lesarten  in  G  sind  aber  zum  giößten  Teil  Verbesserangen  einfachster 
Art,  wie 

^  statt  e:  La.  9,  5  nominande  (n-e  P);  20,  25  interpretandeque  (i-eque  P);  151,  i  saluc 
(s-e  P);  121, 10  aere  (///ere  P  aus  here  B);  142,  25  congestg  (c-e  P);  196, 17  h^reant  (lie-t  P 
=  AB);  336,  12  coheret  (coherit,  coi  r.  colicret,  P);  353,  10.  20  littere  (1-eP);  369,  10  prae- 
uidium;  11  prede  (preuidium,  prede  P);  379,3  quadrilatere  (q-eP); 

e  statt  f  oder  ae\  279,  27  alieno  (aliaeno  P);  307,  2.  346,  7  cecidimus  (cec-s  P); 

•e  (em),  -ö  (am)  statt  -e,  -a:  10,  5  possessione  (p-e  P);  98,  14  imitatione  (i-e  P);  190,  3 
meridie  (m-e  P  =■  ABE);  200,  16  urnä  (u-a  P);  206,  15  ottine  (o-e  P);  274,  26  fertilitatem 
(f-e  P);  290,  21  scripturä  (s-a  P);  303,  13  sepulturä  (s-a  P);  334,  12  positä  (p-a  P);  346,  2 
sublimitate  (s-e  P);  348,8  terra  (t-a  P);  365,27  ripä  (r-a  P). 

\'ielleicht  stammt  aber  auch  in  einigen  dieser  Beisj)iele  der  kleine  Strich  über  a  und  e 
oder  Haken  unter  e  nicht  von  G,  sondern  erst  von  dem  Korrektor  des  G,  wie  es  z.  B. 
sicher  der  Fall  ist  in  La.  192,  15  neglegentiä  (n-a  P  ==  A). 

Andere  Verbesserungen  sind  nur  Korrekturen  von  flüchtigen  Schreibfehlern: 
La.   25,  10  assumptiuus  (a-tius  P);  100,  5  genera  (genara  P);  138,  6  eiecerunt  (eiceruntP); 
141,6  unguento  (ungento  P);   153,5  recedant  (rec/cedant  P  bei  Teilung  des  Wortes  auf  zwei 
Zeilen);    ^^t,,  xi  et  (et/et  P  gleichfalls  bei  Zeilenwechsel);    202,  8    concessae   (concensae  P); 
380,  19  rectae  (rectae  rectae  P). 

Diese  Verbesserungen  haben  nicht  mehr  Bedeutung  als  diejenigen  orthographischen  Diver- 
genzen, in  welchen  die  Hs.  G  von  P  abweicht.  So  schreibt  G  immer  conditio^,  prouintia  usw. 
(z.B.  sescuntia  123,  10;  iuditia  275,  14;  hifurtium  363,3)  statt  condicio,  prouincia  usw.  des  P, 
immer  quatinus  statt  quatenus,  lii^  statt  hü  (so  öfters  P),  condempnatio  statt  condemnatio  (z.B. 
375,  6),  septemtrio  statt  septentrio,  maceriis  öfters  statt  macheriis  (P).  A'erbesserungen  ähn- 
licher Art  sind:  La.  140,3  sterilibvs;  350,2  sterilitatem  (sterel- P);  162,  7  mfe/%j  (intellegi  P); 
176,  7  acceperant  (accip-  P);  191,  i  inprimemus  (inprem-  P);  350,  11  montpji  (montis  P);  350,  24 
contigerit  (contegerit  P);  363,24  vindicat  (uendicat  P);  191,8  ipsum  (ipsud  P);  ijo,  ^  secuti 
(sequuti  P);  345,  17  iauacrum  (lab-  P);  359,  25  gypsum  (gipsum  P);  368,  12  passus  (passos  P); 
262,  IG  Rubustinus  (Rob-s  P). 

Bedeutender  sind  die  folgenden  Verbesserungen  in  G: 

V 

La.   146,  10  soliH  soluti  P  (soliti  G'). 

23  prae^tari  praestare  P;   aber   in  der  richtigen  Form  wird  das 

Wort  gleich   nachher  wiederholt.    Die  Änderung 
bot  sich  also  von  selbst  dar. 
168,  12  numeres  numens  P  =  BE;  numeres  A. 

178,  14  qm  (quoniam  BE)       quotiens  P;  in  der  Abschrift,  der  G  folgte,  war  das 

Wort  wohl  «abgekürzt  geschrieben. 

254,  28  consuerunt  cenmerunt  P,  vgl.  259,  4. 


1    In  der  Überschrift  zu  Sic.  Flacc.  hat  er  c  in  t  geändert. 
'^    La.  279,  12  hi///  G. 


64 


C.  Thulin 


La.  336,  17  casa  quae  ca^a  «<  P,  vielleicht  richtig.  Wenn  aber  der  Schreiber 

16  mal  vorher  (A-R)  casa  quae  geschrieben  hatte, 
so   brauchte  er  nicht  einmal  nachzudenken,   um 
diese  Änderung  zu  machen. 
334,  28  super  supra  P. 

138,  2     iniustitia  itistitia  P;  der  Sinn  forderte  die  Änderung. 

Besonders  zu  besprechen  sind  die  folgenden  Fälle,  in  denen  Lach  mann  dem  G  mit 
Unrecht  gefolgt  ist: 

La.   160,  13  deficit  G,   defecit  P. 
Mit  dem  folgenden  necesse  fuit  paßt  die  Perfektform  besser  zusammen. 
La.   161,6  und  346,  i  sunt  G,  sint  P. 

167,  6     decimanum  G,    duocimanum  P. 
lo  duodecimanum  G,    duocimanum  P. 
13  duodecimanus  G,    duocimanum  P. 

Daß  duocimanum,  -us  (so  schrieben  schon  Rigaltius  und  Goesius)  die  richtige  Lesung 
ist,  hat  Mommsen  behauptet  (Hermes  27,91  A.  2),  sogar  ohne  zu  wissen,  daß  P  hier  diese 
Form  hat.    Die  Angaben  Lachmanns  a.a.O.  über  P  sind  nämlich  hier,  wie  oft,  unrichtig. 

de 

Daß   die  Formen   des  Wortes   in  G  aus    duocimanum   bzw.  -tts  hervorgegangen   sind,   erhellt 
sowohl  daraus,  daß  er  v.  6  decimanus  schreibt,  wie  daraus,  daß  in  v.  10  u.  13  duo  decimanum 
getrennt  geschrieben  sind.     Wir  haben  also  hier  einen  sicheren  Beweis  dafür,  daß  die  \'or- 
lage  Gs  von  einem  Quasigelehrten  korrigiert  worden  ist. 
La.   175,  7  positi  positi  G,  positi  P  =:  ABE. 

Dem  G  folgend  schrieb  Turnebus:  Quoniam  decumanus  erat  positus,  positi  sunt  deinde 
quinque  limites.  Lachmann  hat  diese  Konjektur  aufgenommen  und  außerdem  Quoniam  in 
Quom  geändert.  Aber  die  Lesung  der  ABEP  Quoniam  decimanus  erat  (da  der  Dec.  schon 
da  war),  scheint  mir  die  richtige  zu  sein,  wo  es  sich  darum  handelt,  von  dem  Dec.  als  Aus- 
gangspunkt limites  zu  ziehen.  Ob  positi  positi  in  G  Dittographie,  der  er  sich  oft  schuldig 
macht,  oder  Änderungsversuch  ist,  lasse  ich  dahingestellt.  Jedenfalls  hat  er  sich  ein  andermal 
erlaubt,  durch  Wiederholung  eine  vermeintliche  Lücke  zu  füllen: 

Die  untere  Hälfte  des  La.  357  wiedergegebenen  Schemas  der  litterae  singulares  sieht 
nämlich  in  den  Hss.  PG  folgendermaßen  aus  (die  übergeschriebenen  Erklärungen  lasse  ich 
der  Kurze  halber  aus): 


P 

G 

R  V 

L  M 

RM 

R  V 

LM 

RM 

Q_P 

V  S 

TV 

Q_P 

VS 

TV 

G  H  I 

G  H 

<H>I 

<S>I 

KM 

Y    P 

RS  I 

R  S 

I  N 

G  P 

H  0 

I  N 

KM 

H  0 

D  0 

V  I 

T  R 

D  0 

Y  P 

T  R 

Q_M 

N  X 

ZA 

Q_M 

ZA 

N  S 

X  P 

M  K 

N  S 

G  P 

M  K 

T  R 

XO 

T  R 

V  I 

XO 

AF 

H  I 

A  F 

N  X 

H  I 

PM 

V  X 

P  M 

X  R 

V  X 

Die  Handschriften  des  Coj'pus  ayrirnensorum  Romanorum.  65 

Der  leere  Raum  in  P  war  dadurch  entstanden,  daß  er  hier  richtig  die  Buchstaben  zu  dreien 
vereinigte  (ghi  und  rsi).  G  stellte  aber  ein  durchgehend  dreikolumniges  Schema  dadurch 
her,  daß  er  h  und  s  vor  dem  vereinzelten  i  wiederholte  und  ferner  die  zweite  und  dritte 
Kolumne  sukzessive  hinaufzog.  Die  eine  Zeile  <s>i  yp  hätte  er  beinahe  vergessen  und  liat  sie 
kleiner  hineingetragen,  nachdem  er  schon  rs  in  geschrieben  hatte. 

Weder  die  Zahl  noch  die  Art  der  besseren  Lesarten  in  G  reicht  hinzu,  lun  das  oben 
gewonnene  Resultat  zu  erschüttern,  daß  G  eine  sekundäre  Abschrift  von  P  ist.  Dann  ist  es 
aber  auch  unsere  Pflicht,  den  ohnedies  schweren  kritischen  Apparat  von  den  vielen  offen- 
baren Fehlern  und  Fluchtigkeiten  des  G  zu  entlasten.  Da  sie  jedoch  für  die  Klassifizierung 
der  Hss.  wichtig  sind  (in  » Exzerptenhss. «  S.  6f.  zeige  ich,  daß  eine  ganze  Grujjpe  von  Ex- 
zerptenhss.  von  G  oder  seiner  Vorlage  stammen),  so  will  ich  sie  hier  zusammenstellen. 

Fehler  in  6,  die  niclit  in  P  vorhanden  sind. 

e  statt  ae:  23,27-28  prestat,  prestare;  dasselbe  Wort  26,3.  135,14.  144,26.  146,23. 
147,16.  179,6.  202,4.  302,10.  308,19;  prebere  165,7;  preterea  144,  27.  155,15.  165,4.18; 
preter377,  2;  prescriptum  23,26.  160,13;  prefecturas  163,21;  presignibus  163,23;  prerupta 
164,19;  sepe  118,9;  ^llß  145,6;  ipse  345,3;  cedendi  152,15;  questorios  152,21.  154,1; 
querenda  347,  24.  357,  29;  misse  347,  26;  ledentur  351,  7;  pertice  354,  13. 

§  oder  ae  statt  e:  maximae  22,26.  139,8;  proximae  348,  29;  propriae  23,  21;  cede- 
batur  23,  11;  ceperant  369,  10. 

ä-  statt  -a  nur  ausnahmsweise:   183,12  qua. 

-o      »      -ö     »  »  164,  10  una;  337, 25  ssta  (P  sstam). 

-e      »      -e     •  »  366, 8  in  Oriente. 

Do{)pelkonsonant:  La.  25,  25  possitione;  162,  2  remissiisse;  176,  10  tran.ssigere;  249,  24 
ipotenus  sales;  337,7  pertranssit;  348,10  Vespassiani;  180,13  littore;  192,13  apperiri;  201,3 
ter/rentio;  256,28  Fallerionensis ;  348,6  sexquippede;  379,4  parrallilae;  103,2.  181,14 
connexio. 

Einfacher  Konsonant  statt  Doppelkonsonant:  6,7  asignatorum;  7,2  asignationibus ; 
135»  13'  275,11  ainisso  (statt  amniisso);  163,2  teritorium;  303,14  cacabos  (caccabos  P). 

Über  -ti-  statt  -ci-,  -mpn-  statt  -mn-,  -mt-  statt  -nt-  s.  oben  S.  63.  Häufig  erscheint 
auch  -np-  statt  -mp-x  118,24  conplecti;  122,16  conperi;  122,11.  164,1.  165,16.  170,4. 
182,13  conpr  - -.  Immer  quatinus  statt  quatenus.  Vgl.  auch  141,3  neclecta  (corr.  G»,  negl. 
P);  338,8  quadrifinalem  (quatr.  P);  256,16  camerinus  (kam.  P). 

Auslassungen  von  Wortern:  La.  156,19  datum;  204,11  k.  k.  ivg  statt  k.  k.  i.  ivg; 
254,13  usque;  279,22  si  (add.  G');  325,15  est;  331,30  contra  (sscr.  G');  336,22  partes 
(sscr.  G');  338,  22  ped.  (sscr.  G');  360,6  si  (sscr.  G');  362,  27  processit  (add.  G')- 

Zusätze:  La.  261,6  et  per  (per  P);  350,  13  et  in  (in  P);  355^2  et  in  alio  dreimal  G 
(in  alio  P);  143,7  usque  ad  in  (usq.  in  P). 

Dittographien :  La.  122,2  sunt  sunt;  120,18  dedecumani  (decumani  P);  187,12  inter 
inter;  368,  12  habet  habet;  362,  24  aad  (ad  P).     ÜberVpositi  positi  La.  175,  7  s.  oben. 

Falsche  Wortteilungen  oder  Wortverbindungen:  La.  160,17  suae  dictis  (sua  edictis  P 
statt  suam  edicit);  163,  2  quas  ueteritoriorum  (quasue  territoriorum  P);  17 7»  5  stipendiae  merita 
(stipendia  e  merita  P);  177,8  inassignata  (in  ass.  P);  307,4  interminatione  (inter  minatione 
P  auch  faKscIi);  336,21   delatus  (de  latus  P);  343,8  intraametra  (intra  ametni  P). 

G  schreibt  immer  cc  statt  ex. 
Phil.-hist.  Klasse.    1911.    Anhang.    Abh.  II.  9 


66 


C.  T  H  u  L I N  : 


Die  übrigen   Fehler  verzeichne  ich  in  Ofdnungsfolge. 


G  La. 


I, 

I 

IVLII 

5 

arcifinii 

5, 

4 

immodirm 

h 

5 

modis  I3j  2  dto 

3 

interchisum 

13. 

7 

signato 

i4> 

6 

itinere,  corr.  G' 

18, 

7 

j)roximis,  corr.  G' 

20, 

10 

possiderit 

20 

subciua 

21, 

10 

RP 

23» 

29 

DE    AQVA    PJ.VVIA    ET   TRANSITV 

26, 

18 

inprudentiani 

43, 

2 

quisi 

99' 

4 

aqualiter,  corr.  G'   . 

13 

plena 

15 

snmmitatum,  corr.  G' 

102, 

20 

aquali 

115, 

19 

a 

citiserunt 

n8, 

I 

sumpserunt 

122, 

7 

parellelam 

123, 

I 

pese  ex  (s.  S.  62) 

3 

quae  e  ex  (s.  S.  62) 

135» 

6 

cohgrendiq. 

10 

quidem 

138, 

8 

ducendi 

23 

cogerunt 

140, 

7 

notatis 

9 

gemmas,  corr.  G 

141, 

5 

conlocabunt,  corr.  G^ 

17 

dirimabantur 

142, 

22 

quam 

143, 

13 

c^dentius 

145, 

18 

lacessant 

148, 

8 

laborant 

21 

firiis 

149' 

15 

saxuosis  fit 

150, 

25 

quasi,  corr.  G' 

152, 

II 

agris 

3 

solidem 

'54, 

9 

conditiones,  corr.  G' 

160, 

14 

in  limitalibiis 

P    IVLI 

arcifini 

in  modum 

modus 

intra  clusum 

assignato 

itineri 

proximal? 

possederit 

subseciua 

FR 

DE    AQ.VAE    PLVVIAE    TRANSITV 

impudentiam 

(juasi 

aequaliter 

plana 

s  -  tium 

aeqali 

clausert 

sumpserant 

parallenam  (=  B) 

pes  eorum 

quae  eorum 

cohercendique 

({uidain 

dicendi 

congerunt 

n-tas 

gammas 

c-bant 

dii-imi-r  (derime-r  B) 

quae 

cedant  ius 

lacess//ant  (i  erasum),  lacesseant  K 

laborent 

fines 

saxuosus  sit 

qui  si 

agn 

soiidum 

condicionis 

inlimitatus  (La.  in  limitationibus) 


Di^  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum,  67 


G  La 

i6i,8 

ut 

V  et 

r6 

unifico,  corr.  G' 

uni  foco 

164,7 

complurimum 

Complurium 

9 

territorium 

territoriorum 

15 

cumpluribus 

complnribns 

25 

significantur,  corr.  G' 

s-ter 

169,9 

pede 

pedum 

171,  16 

tettantum,  corr.  G^ 

tetrantum 

173,5 

intuemur 

intueanjur  (=  B, 

intunmur  A) 

12 

LXXX 

Lxxv  =  AB 

174.  18 

si,  corr.  G' 

sie 

i75»3 

c 

sextum  qiiinqne 

sextum  quemque 

176,4 

autem 

aut 

178,6 

liram 

Urem 

14 

coliae 

coloniae 

179,  I 

muri 

muris 

8 

ciuitatem,  cori*.  G' 

ciuitatü 

182,6 

interualle 

interuallo 

183,4 

quicquid,  corr,  G' 

(juid  quod 

186,  14 

oris,  coiT.  G' 

horis 

188,9 

et 

ait 

16 

occidentique 

occidentisque 

189, 17 

u.  190,6  descrihimus,  coi-r.  G' 

describemns 

8 

duobus,  corr.  G 

duabus 

194,  19 

cardinis 

cardini 

196, 18 

formata,  corr.  G 

forma  ita 

7 

centuris  (=:  B) 

centuriis 

»99,5 

deiiionstrat,  corr.  G 

d-et 

201,4 

s.  oben  S.  60 

204,7 

aeri 

aere 

205,  r 

agrimensuram 

agro    mensuram 
agrum) 

(falsch    l'ih-    nutdi 

206, 14 

duodemis 

duodenis 

207,12 

conprehendinuis,  corr.  G' 

comprehendemus 

247,9 

tesalatus 

tesselatiis 

249,  29 

postocain,  corr.  G' 

posticam 

259,1 

Palestini,  corr.  G' 

P-a 

21 

Alfidenatus 

A-tis 

265,4 

ratio,  corr.  G' 

datio 

271,7 

quadam,  corr.  G* 

^uidam 

6 

a 

ac 

273,  10 

IT6M 

IDGM 

7 

i*e 

dixerit 

16 

san/'//cinms 

276, 19 

re«  scindi,  pr.  G  ressciadi 

rescindi 

r\^ 

9* 


68 


C.  Thülin 


G  La.  278,  20  egerit 

278,  29-279,  5  G  schreibt  im  griechischen 
Text  immer  a  für  a,  oft  a  für  a, 
I  fiir  T  (ion)  und  y  (opitth),  t 
für  r  (optyian). 


P  egerint 


279' 15 

.  ortorum 

hortorum 

29i'5 

inspicias,  corr.  G' 

inspicies 

6 

crescent,  corr.  G' 

crescet 

302,8 

a 

siccauerent 

si  cauarent 

303»  23 

sed,  corr.  scd 

secundum 

305»  ^8 

sap,  corr.  G' 

super 

24 

rotondus,  corr.  G' 

rotundus 

306,2 

qui 

quae 

12 

qui  maxime 

quam  maxime 

307,7 

ipsi 

ipsa 

308,6 

diximus,  corr.  G' 

duximus 

4" 

.  14  quemaxime,  8  qugmaxime 

quam  maxime 

309,  17- 

-22  G  liest  die  Ziffern  fast  durch- 

gehend falsch  (s.S.  61) 

19 

HD  IIID 

IDIID 

24 

compotuni 

computum  (s.  338,  16  P'o 

aus  u) 

326,  24 

colligat,  corr.  G' 

colligit 

33h  19 

sst. 

ssti 

332,  22 

campaneis,  corr.  G 

c-iis 

23 

consequeris,  corr.  G' 

c-aris 

26 

s.  oben  S.  59 

333,4 

ab,  corr.  G' 

ad 

19 

certurium,  corr.  G 

cecturium 

334,  17 

per,  28  super 

super,  28  supra 

335,2 

super,  337,  19  d» 

per 

15  qui  trifinium 

quatrifinium 

21 

speciosas,  corr.  G* 

spatiosas 

336,2 

requiras,  r-es  G' 

requiris,  r-es  corr,  P 

17 

speciosas 

spatiosas 

337»  22 

militem,  corr.  G* 

limitem 

30 

inuenit 

uenit 

33^y  23 

barca,  corr.  G' 

ab  arca 

27 

iiiiLvni  (so  La.  falsch) 

IIILVIII 

348,9 

p  •  I  •  S  •  I  • 

p.  IS/ 

27 

exierit 

exigerit 

349,  10 

conuentia,  corr.  G' 

conuenientia 

350,6 

aliena 

a  linea 

351,5 

efficiimtur 

afficientur 

16 

et  ex  in  fossa  ex 

et  in  fossa  ex 

Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  69 


La.  354,  2 

kastrenses  iugerus  s 

S 

60 

P 

2 

P 

perticas 

7 

qd 

quot 

lO 

iugerus  -  -  iii 

iugerus  -  -  im 

19 

om.  ^  s.  S.  60 

355' 6 

qui 

quae 

8 

lanatus,  corr.  G^ 

lunatus 

357 

Über  das  Schema  s. 

S. 

64. 

360,  17 

cissuram,   18  cissmn 

scissuram,   i8  scissum 

1 1 

massatiuin 

massaticium 

361,  X2 

sine  fine,  corr.  G' 

sine  dubio 

362,  29 

aegraesse 

egressae 

363,7 

decim  anno 

decimanum 

366,  17 

limes 

limites 

377,  2 

puncti 

puncta 

20 

fuguram 

figurain 

378,18 

acut  (acutü  G')  angulum 

acutangulum  (für  acutia-m) 

Der   Korrektor   G%   der   oft   die  Verschreibungen   des  G   zur  Übereinstimmung  mit  P 
korrigiert  hat,  verbessert  nicht  selten  Worte,  die  auch  in  P  unrichtig  sind : 

20,24  curiose  (c-ae  GP),   28  obtmebuntur  (obten-  GP);    113,15   quaeri;    153,16  ob 

b 

(ab  GP);    155,13,  156,25   suscriptum;    192,15  neglegentiä  (— B,  n-a  APG);    204,1  acce- 
perit  (e  aus  i);  254,  6  d(?metiti  (e  aus  i);  259,  13  qua///  (e  ausrad.);  270,  9  relegabuntur  (e  aus  i); 

n  ive 

278,  17  ideoque;  280,  8  permutatus;  291,  2  uti  Oriente;  303,  6  certi  (certe  P,  c-§  G),  14  sunt; 
306,  28  monumentalis  (o  aus  u);  331,  26  viä  (via  GP);  ^t^Ti^  25  exsolutae;  336,  22  in  cohorte; 

b  ig    a 

338,22  ad;    352,2  amecdulas;    353,8  ^titudinem  (alt-m  PG);   357,18  secundt/w  (-um  auf 

p 
Rasur,  secundarium  P);    358,29    apendicis;    366,3  subseciuis   (e  aus  i);    365,12  aqufductos 

(e  aus  i);  369,  25  propriae. 

Aber  er  macht  auch  falsche  Korrekturen,  z.  B. : 

quae  e 

22,25-26  quam  maximae;  24,21  deuia  aus  dmia  (für  cliuia),  186,5  solstitialis;  206,15 

h 
omnis  (omne  G,   o-e  P);    270,1    red///ibitione    (redh-  P);    366,16    ostiorum;    378,18   acut« 

angulum  (acutangulum  P  statt  acutia-). 


§  9.  Die  zweite  Handschriftenklasse  (P)  verglichen  mit  der  ersten  (AB.) 

Etwa  drei  Jahrliuiiderte  liegen  zwischen  i^n  beiden  Haupthandschriften 
des  Corpus  Agrimensorum.  Es  ist  deshalb  nicht  zu  verwundern,  wenn 
viele  neue  Texte  in  P  hinzugekommen,  andere  aber  ausgeschlossen  sind. 
In  P  selbst  haben  wir  sogar  diese  Entwickelung  feststellen  können,  da  mit 
Nr.  19  eine  frühere  Redaktion  zu  Ende  ist  und  der  Schluß  Nr.  20-23,  der 


70 


C.  Thulin 


auch  den  Isidor  (gest.  636)  umfaßt  (7.  Jahrh.),  ein  späterer  Zusatz  ist\  Noch 
in  G  wurde,  wie  oben  gezeigt,  ein  neuer  Text  am  Ende  der  Sammlung 
hinzugefügt,  andere  wurden  ihr  entrissen. 

Während  in  AB  keine  Zeichen  über  das  Jahr  450  hinauf  weisen,  so 
kann  die  Redaktion  P,  wenn  wir  von  jenem  Schluß  absehen,  jedenfalls 
nicht  vor  540  entstanden  sein.  Sicheren  Anhalt  geben  die  Auszüge  aus 
den  im  Jahre  533  publizierten  justinianischen  Digesten  in  Nr.  2  und  18, 
die  wie  Mo.,  Ges.  Sehr.  VII  467,  bemerkt  hat,  auch  nicht  später  als  um 
550  aufgenommen  sein  können,  und  der  Auszug  aus  der  Euklidübersetzung 
des  Boetius  (gest.  525)  in  Nr.  13.  Der  Schluß  kann  erst  im  7.-8.  Jahr- 
hundert hinzugekommen  sein.  Daß  die  Vorlage  des  P  mit  merovingischer 
Schrift  geschrieben  war,  sahen  wir  oben  S.  62. 

Daß  in  P  eine  neue  Redaktion  der  Texte  vorliegt,  tritt  schon  am 
Anfang  hervor,  da  der  Redaktor  die  in  B  (JV)  erhaltene  Schrift  des 
Baibus  zerteilt  und  den  Anfang  als  Einleitung  zu  der  ganzen  Sammlung 
benutzt  hat.  Da  er  die  Teilung  ungeschickt  machte  (La.  91,  2-95,  4),  ohne 
guten  Abschluß  zu  finden,  so  fügte  er  hier  noch  ein  Fragment  (vgl.  Ai6b) 
hinzu,  dem  die  Subscriptio  Explkit  epistoh  ad  Celsum  folgt. 

Obgleich  der  Arcerianus  unvollständig  ist  und  wir  den  ursprünglichen 
Umfang  dieser  Familie  nicht  feststellen  können,  so  ist  es  leicht,  bei  einem 
Vergleich  mit  P  zu  sagen,  in  welcher  Richtung  P  sich  entwickelt  hat. 

1 .  Von  den  geometrischen  Texten  des  Arcerianus  hat  P  nur  den  Baibus 
aufgenommen  (Varro,  der  Podismus,  Epaphroditus  und  Vitruvius  Rufus  fehlen). 
Als  zeitgemäße  Literatur  ist  aber  der  Auszug  aus  dem  i .  Buche  Euklids  dem 
Baibus  hinzugefügt  (Nr.  12-13).  Auch  die  mit  geometrischen  Texten  in  B 
verbundene  Schrift  De  castris  hat  er  ausgelassen,  da  sie  ihm  »für  seine  prak- 
tischen Zwecke  entbehrlich  erschien«   (Mo.,  Ges.  Sehr.  VII  468). 

2.  Dagegen  treten  die  juristischen  Auszüge  stark  hervor  (Nr.  2 
und  1 8),  da  er  mit  ihnen  die  Reihe  der  Schriften  eröffnet.  Nur  De  sepulchris 
und  Lex  Mamilia  waren  in  A  vorhanden.  Das  übrige  hat  wohl  der  Re- 
daktor P  hinzugefügt^    Über  die  Interpolationen  s.  Mo.,  Ges.  Sehr.  VII  474. 

1  Vgl.  Mommsen,  Ges.  Sehr.  Vll  467,  Bonn.  Jahrb.  96-97,  275.  Solange  man  dem 
Gudianus,  nicht  dem  Palatinus  als  Haupths.  folgte,  war  es  nicht  möglich,  die  Isidorusauszüge 
richtig  zu  beurteilen. 

*  Mo.,  Ges.  Sehr.  VII  467,  hat  mit  der  Annahme  operiert,  daß  E  und  A  dieselbe 
Überlieferung  darstellen,  während  es  in  den  Jurist.  Texten  besonders  deutlich  ist,  daß  E 
und  P  zusammengehen;  s.  unten. 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrvmensorum  llornanorum.  71 

Die  Auszüge  in  Nr.  2,  die  zu  Gunsten  der  Mensoren  arg  interpoliert  sind 
(s.  Mo.,  a.  a.  0.),  stammen  gewiß  von  den  Digesta  gromatica  (s.  unten),  der 
gut  überlieferte  Pandektentext  in  Nr.  18  dagegen  direkt  von  den  Justin. 
Digesten.  So  erklärt  es  sich  auch  am  besten,  daß  zum  Teil  derselbe  Text 
zweimal  vorkommt :  Nr.  2  e  wird  nämlich  in    1 8  <^/  wiederholt. 

3.  Von  den  alten  gromatischen  Autoren  des  Arcerianus  hat  P  das 
meiste  beibehalten,  einiges  hat  er  durch  modernere  Texte  ersetzt.  Wir 
finden  also  wieder: 

Frontinus  1-27,9  (nicht  De  limitibus  und  De  arte  mensoria  und  keine 

Zeichnungen) ; 
SiculiLS  Flaccus  vollständiger  als  in  B; 
Hyginus,  aber  nur  de  limitibus  und  de  agris  (nicht  de  coiitro versus, 

da  das  Commentum  Aggeni  diese  zum  Teil  enthielt); 
Hyginus  Gromaticus  vollständig  mit  Figuren  (nur  ohne  die  Einleitung). 

In  A  war  schon  Frontinus  zu  einem  großen  Teil  von  seinem  Kommen- 
tator Agennius  Urbicus  verdrängt  worden.  In  P  muß  auch  Agennius  vor 
dem  späten  christlichen  Schulmeister  weichen,  vor  dessen  elendes  Commen- 
turn  in  Frontinum  (Nr.  4)  der  Name  Aggeni  Urhici  sich  eingeschlichen  hat.  Da 
Zitate  aus  dem  Agennius  und  Hygini  de  controversiis  darin  aufgenommen 
waren,  wurden  diese  Schriften  aus  dem  Corpus  ausgelassen.  Außerdem 
schienen  die  Zeichnungen  in  Frontin  jetzt  überflüssig,  neben  dem  Liber 
diazographus  in  Nr.  4.     Über  den  liber  regionum  I  s.  oben  Nr.  10. 

4.  Der  größte  Zuschuß  von  neuen  Texten  in  P  gehört  der  prak- 
tischen Gromatik  an:  Nr,  6,  7,  8,  16,  17,  20,  21,  23;  und  der  Redaktor 
hat  aus  einer  reichen  Sammlung  geschöpft,  da  er  zweimal  das  1 2 .  Buch 
zitiert  (La.  310,1,  die  Überschrift  über  die  Casae,  und  351,20  simt  in 
libro  XII  auctores  constituerunt).  Diese  Digesta  gromaticn  waren  Sammlungen 
von  Exzerpten  aus  alten  und  neuen  Autoren,  die  speziell  auctores  genannt 
werden,  und  scheinen  neben  dem  Corpus  agrimensorum  fortgelebt  und  sich 
entwickelt  zu  haben.  Aus  dieser  Sammlung  hat  P  z.  B.  das  uralte  Vegoia- 
fragment  (La.  350-351),  d.  h.  eine  Übersetzung  aus  den  etruskischen  Ri- 
tualbüchern, und  ein  Zitat  aus  Frontinus  (La.  73,  28-74,  10  =  42,  2  1-43, 13) 
Ex  libro  Frontini  secundo  (P  Nr.  6  f )  geschöpft.  Auch  die  Brocken  von  Hy- 
ginus Grom.  P  Nr.  23  sind  gewiß  durch  die  Vermittelung  der  Digesta  in 
P  (entstellt)  hineingekommen;  vgl.  das  von  Mo.,  Ges.  Sehr.  VII  473  ange- 


72  C.  Thulin: 

führte  Beispiel;  so  waren  Exzerpte  aus  dem  Corpus  in  die  Digesten  ein- 
geflossen, und  nun  wurde  wiederum  das  Corpus  durch  Texte  aus  den 
Digesten  vermehrt.  Aber  die  meisten  von  diesen  sonst  ganz  unbekannten 
Auetores  zeigen  uns  die  Gromatik  in  tiefem  Verfall.  Einige  charakteristische 
Züge  dieser  Literatur  hat  Mo.,  a.  a.  0.  476  ff.  hervorgezogen. 

Hier  muß  jedoch  daran  erinnert  werden,  daß  A  am  Schluß,  d.  h.  eben 
in  bezug  auf  die  Exzerpte  aus  den  Digesta  gromatica,  sehr  defekt  ist. 
Wir  können  deshalb  nicht  bestimmt  entscheiden,  welche  von  diesen  Texten 
erst  in  die  jüngere  Recensio  aufgenommen  sind  und  welche  schon  im 
Archetypus  vorhanden  waren.  Sicher  ist  nur,  daß  nicht  einmal  das  Wort 
auctor  in  A  überliefert  ist. 

Aus  diesen  Digesta  ex  libro  xii  hat  P  die  weit  ausfährlicJieren  Casae 
geschöpft,  die  an  die  Stelle  der  Casae  des  A  getreten  sind.  Auf  die 
auctores  wird  in  ihnen  häufig  verwiesen. 

Als  Abschluß  Nr.  19  hat  P  einen  neuen  liber  regwnum  gestellt,  der, 
wie  Mo.  nachgewiesen  hat,  hauptsächlich  auf  dem  lib.  reg.  I  gebaut  ist,  aber 
auch  anderes  Material  unbekannter  Quelle  einfügt.  Wahrscheinlich  hat 
der  Redaktor  auch  diese  Schrift  den  Digesta  grom.  entnommen,  da  auch 
in  dieser  Hinweise  auf  die  auctores  vorkommen  (253,  24  sed  et  alia  signa 
quae  in  libris  auctonim  legunturj  255,  16  et  alia  signa  seAmndum  auctorum 
doctrinam). 

Mommsen  meint  hauptsächlich  wegen  der  hinzugefügten  Provinmi 
Dalmatiarum  im  liber  regionum  (Nr.  10^),  daß  die  Recensio  des  P  in  Dal- 
matien  entstanden  ist  (Agrim.  II  166  und  Ges.  Sehr.  VII  467).  Aber  da 
Fragmente  von  den  übrigen  Stücken,  die  P  in  den  liber  regionum  I  Nr.  10 
eingeschoben  hat,  in  A  erhalten  sind,  so  ist  es  nicht  ausgeschlossen,  daß 
auch  diese  Prov.  Dalmatiarum  schon  in  A  vorhanden  war. 

Über  die  Textrevision  des  P  s.  Eranos  suec.  191 1  »Kritisches  zu  Fron- 
tinus«.  Die  von  Schmidt  (S.  59)  berührte  Umkorrigierung  des  Vulgär- 
lateins ins  Klassische  führt  auf  dieselbe  Zeit  wie  die  Schrift. 


§  10.  Die  Handschriften  EF. 

Die  Hss.  EF  geben  ein  Musterbeispiel  einer  zerrütteten  und  korrum- 
pierten Hs.  Nicht  genug,  daß  der  Text  oft  bis  zur  Unkenntlichkeit  ver- 
derbt und  die  Zeichnungen  nicht  selten  zu  sinnlosen  Dekorationen  herab- 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  73 

gesunken  sind.  Der  Archetypus  dieser  Gruppe  war  durch  Blattversetzungen 
so  in  Unordnung  geraten,  daß  die  beiden  erhaltenen  Herkömmlinge  eine 
sonderbare  Mosaik  von  Splittern  darbieten.  Und  doch  —  dies  ist  für  die 
Erhaltung  des  Corpus  agrim.  überhaupt  bezeichnend  —  hat  die  Ausgabe 
Lachmanns  durch  die  Heranziehung  der  früher  unbekannten  Hs.  E  einen 
sehr  großen  Fortschritt  in  der  Ausgestaltung  des  Textes  gemacht,  da  durch 
sie  sowohl  viele  Lücken  gefüllt  als  auch  viele  bessere  Lesarten  angeregt 
wurden.  Aber  Lachmann  und  Blume  haben  weder  den  Inhalt  dieser 
arg  zersplitterten  Hs.  übersichtlich  dargestellt  noch  ihr  Verhältnis  zu  den 
beiden  Haupthss.  AB  und  P  näher  geprüft  und  sind  ihr  deshalb  oft  kritiklos 
gefolgt.  Dazu  kommt,  daß  sie  nach  dem  Wiederauffinden  der  vollstän- 
digeren, aber  jüngeren  Hs.  E  nur  diese  untersucht  und  zitiert  haben.  Den 
älteren  und  besseren  F  kannten  sie  nur  nach  dem  Katalog  Bandinis  und 
ließen  ihn  ungeprüft,  wahrscheinlich,  weil  er  von  Bandini  falsch  in  das 
1 1 .  Jahrhundert  gesetzt  werde ' .  Ja  nicht  einmal  fiir  den  in  E  fehlenden 
Anfang  und  die  verstümmelten  Texte  des  Blattes  E,  S.  16-17,  dessen  rechte 
Hälfte  weggeschnitten  war,  hat  Lachmann  den  F  zu  Rate  gezogen.  Für 
den  Anfang  zitiert  er  nämlich  die  sehr  schlechte  Abschrift  des  F  aus 
Modena,  die  unvollständig  und  ungetreu  von  Muratori  abgedruckt  war 
(s.  Rhein.  Mus.  191 1).  Eine  Stelle  (La.  290,6-16)  gibt  er  mit  den  Lücken 
des  E  wieder,  in  den  übrigen  führt  er  den  gedruckten  Text  Scrivers  an, 
der  freilich  sowohl  E'  wie  eine  Abschrift  des  F  benutzt,  aber  nicht  ohne 
eigene  Änderungen  abgedruckt  hat. 

Florenz,  BibL  Medicco  Laiirentiana,  Pliit.  XXIX,  Cod.  .32,  Perg.  3 2 f. 
=  4  Quaternionen,  Gr.  36,5  X  24  cm,  28  Zeilen  auf  jeder  Seite.  Eingeb. 
Blume  und  Lachmann   setzen   diese  Hs.  nach   Bandini^  falsch  in   das 


^  Blume,  Agrim.  II  57,  »Ihr  speziellerer  Inhalt,  wie  er  früher  von  mir  nach  B an di  ni 
und  Muratoris  Abdruck  der  Modaneser  Handschrift  angegeben  worden  ist  (Rhein.  Mus.  VII 
(1835)  218-221),  hat  jetzt  durch  die  Erfurter  Handschrift  an  Interesse  verloren«.  Lange, 
Gott.  gel.  Anz.  1853  I  501,  »Der  Erfurtensis  aus  dem  11.  Jahrhundert,  durch  den  die  Be- 
nutzung des  gleich  alten  Fiorentinus  überflüssig  geworden  ist«. 

2  Siehe  Blume  II  9  A.io,  Libri  appendiciarii  bibllothecaeScriverianae.  Amstelod.  1663,4, 
Nr.  118,  ...Tul.  Frontinus  Siculus  de  diversis  mensuris  e  Mss.  erutus  a  Pt.  Scriverio«.  Diese 
Exzerpte  stammen  sicher  aus  E,  in  dem  der  Anfang  fehlt,  wesiialb  die  Unterschrift  Juli 
Fro7itini  Siculi  Über  I  expl.  auch  für  den  Titel  bestimmend  wurde. 

8  A.  M.  Bandini  US,  Catalogus  codicum  latinorum  Bibliothecae  Mediceae  Laurentianae, 
Fluren/,   1775,  Tom.  11  47  ff.     Blume,  Rhein.  Mus.  f.  Jurisp.  VII  219. 

PML-hist.  Klasse.    1911.    Anhomj.    Abh.  U.  10 


74  C.    T HU L I N  : 

1 1.  Jahrhundert.  In  der  Tat  geliört  sie  dem  Ende  des  9.  Jahrhunderts  (oder 
spätestens  dem  Anfang  des  10.  Jahrhunderts)  an,  wie  die  Schrift  beweist: 
saubere,  ziemlich  große  karolingische  Minuskel,  fast  ganz  ohne  Abkürzungen 
wie  P,  aber  in  einigen  Buchstaben  altertümlicher  als  die  in  P.  Die  Ober- 
längen sind  merkbarer  als  in  P  oben  verdickt  [b  d  l  h),  ^  hat  offene 
Rundungen,  Majuskel  l^  kommt  ab  und  zu  vor ;  r  ist  in  Ligatur  mit  i  und  a 
geschrieben,  74  und  VOc;  in  dieser  Verbindung  wird  immer  oc  benutzt,  sonst 
unziales  a.  Außerdem  erscheinen  nur  die  Ligaturen  A  und  &,  Die  Haupt- 
titel und  Initialen  werden  mit  roter  Kapital-,  die  übrigen  Titel  und  die 
Anfangslinien  nach  jeder  Figur  mit  roter  Unzialschrift  geschrieben.  Als 
Punkt  steht  in  der  Mitte  der  Buchstabenhöhe  das  Zeichen  >,  dem  immer 
ein  großer  Buchstabe  folgt;  als  Komma  das  Zeichen/.  Sorgfaltige,  aber 
öfters  mißverstandene  und  sinnlose  Linearzeichnungen  mit  Beischrift  in 
Unzialen  (s.Taf  VII4). 

Die  Hs.  scheint  aus  Italien  zu  stammen,  wo  die  kaj^olingische  Schrift 
nicht  so  schnell  durchgeführt  wurde,  sondern  Reste  der  älteren  lange  fort- 
lebten. Große  Ähnlichkeit  zeigt  die  Hs.  Flor.  Laur.  Ashb.  54  vom  Jahre 
895,  s.  Delisle,  Mss.  libri  Laur.  Parigi  1886,  S.  28-32.  Vitelli  e  Paoli, 
Collezione  Fiorentina  di  Facsimili  paleogr.,  Firenze  1897,  tav.  31.  Vgl.  auch 
tav.  1 3  Laur.  49,  9.  Metellus  Sequanus  hat  in  seiner  Abschrift  des  F,  Barber. 
lat.  164  (s.  Rhein.  Mus.  191 1),  diese  Bemerkung  vorausgeschickt:  Hoc 
exemphr  alicuhi  immixtas  fiabet  Utieras  longohardicas.  Sat^lptura  est  in  membranis 
antiquissimis  characterib.  anüquitatem  referentibus  nullis  compendilSj  orthographki 
uetercj  dist'mctionib.  eiusmodl  quas  prior e  hoc  capite  expressimus. 

Vorgebunden  ist  ein  Blatt  mit  der  Aufschrift  des  1 5 .  Jahrhunderts : 
Scripsi  Christophorus  Bartholinus\ 

f.  I  ist  leer. 

f  2^-\f  —  E,  S.  1-13,  18.     Nr.  1-7   s.  unten. 

f.  iS*"  ist  leer.  Ein  pater  noster  ist  von  zweiter  Hand  des  10.  Jahrhunderts  hier  ein- 
getragen. 

f.  18^-25^  =  E,  S.  13,  18-20,8.     Nr.  8  s.  unten. 

f.  26''  leer.    Von  zweiter  Hand  durch  ein  Gedicht  auf  Maria  Magdalena  ausgefüllt: 

Fuit  domini  dilectus  languens  a  Bethania 

Lazarus  beatus  sacris  olim  cum  sororibus, 

Quas  Jesus  aetemtts  amor  diligehat  plurimum, 


^    Dieselbe  Aufschrift  trägt  das  erste  Blatt  des  Plut.  LXVHl  Cod.  27  (Zierschrift  des 
15.  Jahrh.),  in  dessen  Schluß  über  petri  de  medicis  steht. 


Die  Handschriften  des  Corpus  acjrimensorum  Romanorum.  75 

Martha  simul  et  Maria,  felices  per  saecula. 
Haec  Maria  fuit  illa  domini  gratissima, 
Quae  unguenti  preMosi  rore  mixto  baisam i 
Ante  diem  festum  paschae  lihram  nardi  pistici 
Fracto  fudit  alahastro,  corpus  unxit  domini. 


Hunc  quadriduanum  fertur  iacuisse  mortuum, 
Cuius  numeri  figura  sie  datur  intellegi. 

f.  26^-28"  =  E,  S.  20,8-24,  7   Nr.  9  unten. 

Hier  endet  die  ursprüngliche  Hs.  mitten  im  Text  des  Frontinus  vor 
dem  Schluß  der  Seite  ohne  Subscriptio.  Sie  ist  also,  wie  Metellus  Sequanus 
sie  in  seiner  Abschrift  nennt,  ein  -'Wpus  fragmentatumv^.  Die  übrigen  Seiten 
enthalten  von  anderen  Händen  geschriebene  Texte,  die  mit  dem  Corpus 
agrimensorum  nichts  zu  tun  haben,  nämlich: 

f.  29'".  Epistula  Hieronimi  ad  Dardanum  de  generiöus  musicorum  (Oper.  ed.  Venet.  1734, 
Tom.  XI  202). 

£30'.  Die  Rangstufen.  Decanus  suh  centurione.  sub  tribuno  centurio.  tribunus  sub  uicario. 
sub  comite  uicarius.  comes  sub  duce.  dux  sub  patricio.  patricius  sub  rege  uel  imperatore.  consul 
et  proconsul  pene  unum  sunt,  consul  qui  dona  consulat  regis  et  super  quem  unum  annum  donat. 
ne  elatio  subripiat. 

f.  30'".     Genethliacon  Lucani  ad  Oppiam.     Lucani  proprium  diem nunc  adoret. 

f.  31'".  Berechnung  der  Ostern  nach  dem  Mond.  Si  requiras  -  -  -  deduc  triginta.  quod 
remanet  ad  Pascha  pertinet. 

t".  31^  eine  Messe  und  32''  ein  Sündenbekenntnis. 

f.  32'".  Siegel  für  Zahlen,  in  drei  Kolumnen.  Im  fi-eien  Raum  noch  zwei  Bruch- 
stücke: 

Si  scire  cupis  annos  ob  initio  mundi sine  errore  inuenies. 

A  terra  ad  Lunam  tonum  esse  pronuntio  quod  est  CXXV  stadiorum  spatium  -  -  -  milia  CVIIII 
et  CCCLXX.  Vgl.  Censorin.  d.  d.  n.  XIII  3-4.  Das  letzte  Bruchstück  findet  man  in  der 
Exzerptenhs.  Mü.  13084  (y)  f.  66^   Kap.  XXVllI  wieder  (s.  oben  S,  5  Ai). 

Die  Geschichte  des  F. 
Von  der  Geschichte  des  F  vor  dem  1 5 .  Jahrhundert  ist  uns  nichts 
bekannt.  Daß  aber  der  große  Humanist  Angelo  Poliziano  (gest.  1 494  als  Pro- 
fessor in  Florenz)  die  Hs.  benutzt  hat,  gehjt  aus  Zeugnissen  hervor,  die 
ich  zu  der  Überschrift  des  F  hervorziehen  werde.  Im  Jahre  1495  machte 
Crinitus  in  Florenz  eine  Abschrift  der  Hs.  (Cod.  München  756),  wahrschein- 
lich jedoch  nicht  nach  dem  Original,  sondern  nach  einer  Abschrift  des 
Poliziano,  und  in  seinem  1 504  erschienenen  Buch  De  honesta  Disciplina  XXI 

10* 


76  C.  Thulin: 

c.  lO,  XXV  c.  4  hat  er  Auszüge  daraus  veröffentlicht.  Daß  F  zu  der  Bibliot. 
Medicea  gehörte,  bezeugt  erst  Sequanus  ausdrücklich  in  der  Abschrift  Cod. 
Barber.  164,  die  er  im  Jahre  1544  in  Florenz  besorgen  ließ,  f.  33:  Florentiae 
ex  uetusimimo  Mediceae  hihliothecae  codice  lunium  Nypswny  litteris  olicuhi  Longo- 
bardids  scripto  et  hoc  Ipsum  (sed  minus  antiqua  manu)  fragmentum  descrihl  curaui- 
7niis  MDXLIY.  Die  Worte  sed  minus  antiqua  manu,  die  sich  auf  das  später 
geschriebene  Fragment  F  f.  32^"  beziehen,  und  die  Bemerkung  über  die 
Schrift  sowie  die  unten  anzuführende  über  die  Titelworte  De  Umitihus  be- 
weisen, daß  Sequanus  selbst  den  F  gesehen  hat.  Man  muß  deshalb  fär 
richtig  halten,  was  er  selbst  am  Rand  der  Turnebusschen  Ausgabe  der 
Bibliothek  zu  Leiden  darüber  schreibt:  y>Iulii  Frontini  de  Limitihus  agrorum^ 
figuris  illustratus:  ex  Medicea  exscripsi  {=  describi  curavimus  oben).  Colotius 
Romae  habebatj  apud  quem.  uidl<i.  Das  kann  nur  bedeuten,  wie  auch  Blume 
16  und  61  A.  104  und  Bubnov  457  meinen,  daß  Colotius  (Angelo  Colocci, 
gest.  1549)  die  Mediceische  Handschrift  eine  Zeitlang  in  Rom  zum  Stu- 
dium hatte. 

Schwieriger  ist  zu  entscheiden,  ob  es  dieselbe  Handschrift  war,  die 
Colotius  schon  vor  dem  Jahre  1506  dem  Raph.  Volaterranus  zur  Verfügung 
stellte.  In  seinen  in  jenem  Jahre  erschienenen  Commentarii  urbani  lib.  XXX 
f.  357''  schreibt  er:  Mensuras  limitesque  agrorum  nunc  aitingam  ex lul.  Frontino 
et  M.  lunio  Nypso^  quem  figuris  pulcherrime  adornatum  mihi  tradidit  uir  ornatus 
omnisque  vetustatis  studiosissimus  Angelus  Colotius.  Was  er  nach  diesem  Kodex 
anführt  (s.  Blume  1 1),  gehört  alles  zur  Überlieferung  der  Klasse  EF  (Momm- 
sen,  Agrim.  II  2  15  f.  gegen  Blume  12),  und  zwar  stimmen  die  Lesungen, 
wo  F  und  E  verschieden  sind,  durchgehend  mit  F  überein'.  Da  Vol.  keine 
Abschrift,  sondern  nur  ein  Referat  des  Inhalts  gibt  und  sicher  die  kor- 
rupte Vorlage  nach  bestem  Vermögen  verbessert  hat,  so  beweisen  einzelne 
abweichende,    ev.  bessere   Lesarten^  nicht  viel   gegen   die   Annahme,    daß 


^    Besonders  beweisend  sind  die  Namen  der  agri,  die  in  F  und  bei  Volaterranus  in  dieser 
Reihe  und  Gestalt  aufeinander  folgen: 

Neronianus  Podimatus,  Caesarianus  adsignatus,  Nigritis  {ingrius  F)  in  quinquagenos,  Me- 
ridianus  in  XXV; 
in  E:  ingritis  in  quinquagenos  nerionanus  podimatus,  caesarianus  adsignatus,  meridianus  in  XXII. 
^    249,6     roTKÄe  Vol.  richtig,  sumbus  EF; 

249,9     tetragoniYoh,  parare  rogamus  EF  siaXt  parallelogrammus ; 
250,  15  pyramides  Vol.  richtig,  perramus  EF; 
250,7     triusrtini  Y o\.,  tivortinus  EF  statt  tiburtinus; 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  77 

die  von  ihm  benutzte  Hs.  des  Colotius  eben  F  gewesen  ist.  Volaterranus 
sagt  auch  nicht  ausdrücklich,  daß  diese  Hs.  Eigentum  des  Colotius  war.  Das 
behauptet  freilich  Metellus  Sequanus  in  seiner  Nachschrift  zu  dem  Palatinus 
f.  150,  Köln  1564;  aber  eben  diese  Notiz  des  Metellus  ist,  wie  S.  57  ge- 
zeigt wurde,  so  handgreiflich  falsch,  daß  sie  in  dieser  Frage  keine  Beweis- 
kraft haben  darf  Eine  eigene  alte  Hs.  des  F-Typus  bei  Colotius  in  Rom 
wäre  wohl  nicht  so  unbenutzt  und  unbekannt  geblieben,  besonders  wenn 
sie  so  viel  besser  als  F  gewesen  wäre,  wie  man  aus  den  Lesungen  des  Vola- 
terranus schließen  könnte.  Wann  die  Hs.  F  in  die  Mediceische  Bibliothek 
kam,  weiß  ich  nicht';  aber  von  1494  an  wurden  viele  Bücher  aus  der- 
selben zerstreut,  und  in  den  Jahren  1 508-1 522  war  die  ganze  Bibliothek 
in  Rom^ 

Krfiirth  Amplon.  862,  4.  f.  73-96"  =  S.  1-48  bei  Lachmann.  4°.  29 
Zeilen  auf  der  Seite  auf  eingedrucktem  Schema.  »In  mittelgroßer  Minuskel 
des  früheren  1 1.  Jahrhunderts«^  mit  allen  geläufigen  Abkürzungen  dieser 
Zeit.  Außerdem  häufig  /rij  und  -r^  (ma,  na)  und  die  Ligatur  -  /  (us).  Ru- 
briken in  Kapitälchen.  Rote  Kapital-  oder  Unzialbuchstaben  als  Initialen. 
Viele  rote  Figuren  mit  Beischrift  in  Kapitälchen. 

Die  erhaltenen  Blätter  sind  drei  volle  Quaternionen,  von  denen  jedoch 
die  rechte  Hälfte  eines  Blattes  (f.  81  =  S.  16-17  bei  La.)  weggeschnitten 
ist.  Aber  der  Anfang  sowie  das  Ende  der  Handschrift  ist  abrupt.  Am 
Anfang  fehlt,  wenn  wir  nach  F  urteilen,  La.  91-93,  10  Notum  est  omnibus 
Celse  -  -  reversus  und  etwa  eine  Überschrift:  also  42-44  Zeilen  bei  La.,  ent- 
sprechend 2  2  Zeilen  einer  Seite  in  E.  Da  es  nicht  wahrscheinlich  ist,  daß 
vor  dem  vollen  Quaternio  ein  Blatt  mit  einer  leeren  und  einer  nicht  voll- 


250?  5  syginati  Vol.,  symmatus  F,  simmatus  E  (wohl  für  sigmatus).  Ich  weiß  nur 
nicht,  woher  Volaterranus  die  zuletzt  erwähnten  semiiali  mit  der  Erklärung  Id  est  ille  qui  in 
agris  semitas  custodit  Pani  Herculi  et  Cereri  sacer  genommen  hat.  Die  Erklärung  ist  aber 
sicher  hier  frei  eingeschaltet,  wahrscheinlich  auch  das  W^ort  selbst,  das  in  den  Zusammen- 
hang gar  nicht  hineinpaßt. 

1  Wahrscheinlich  zur  Zeit  Petro  de  Medicis,  wie  das  oben  S.  74  A  i  erwähnte  Buch. 
Ursin,  a.a.O.  S.  VIII,  meint,  daß  sie  im  Besitz  d^s  Colotius  bis  zur  Plünderung  seines 
Gartens   1527  war  und  dann  erst  nach  Florenz  kam. 

2  Della  Biblioteca  Mediceo  -  Laurenziana  di  Firenze  (Nicolo  Anziani)  Firenze  1872, 
8  u.  10. 

'  W.  Schum,  Beschreibendes  Verzeichnis  der  amplonianischen  Handschriftensammlung 
zu  Erfurt.     Berlin  1887,  S.  607. 


78  C.   Thulin: 

geschriebenen  Seite  vorangestellt  gewesen  ist,  bleibt  wohl  nur  anzunehmen, 
entweder,  daß  der  Anfang  schon  in  der  Vorlage  fehlte  oder  daß  von  E 
noch  mehr  vorn  weggefallen  ist.  Da  in  F  die  Überschrift  fehlt,  so  haben 
wir  keine  Bürgschaft  dafür,  daß  F  den  ursprünglichen  Anfang  enthält  (s. 
unten  Nr.  16-17).  Die  jetzigen  Anfangsworte  des  E  würden  es  verdienen, 
als  Motto  über  diese  Hs. -Gruppe  gesetzt  zu  werden:  et  multa  uelut  scripta 
folia  et  sparsa  in  ordinem  artis  laturus  recollegi. 

Femer  fehlt  uns  jede  Möglichkeit,  zu  berechnen,  wieviel  am  Ende 
weggefallen  ist.  Außerdem  besteht  kein  Zusammenhang  (wie  Bubnov  450 
falsch  geglaubt  hat)  zwischen  dem  zweiten  und  dritten  Quaternio,  da  der 
zweite  mit  Baibus  106,  1 1  {pluraliter  appellatur.)  ausgeht,  die  dritte  mit  einem 
akephalen  Satz  ansetzt:  S.  33,  i  areae  In  cc.  stadia  viiii  ccxv.  usw.  (s. 
Bubnov  498,  i).  Ob  etwas,  und  wieviel,  hier  fehlt,  läßt  sich  um  so  weniger 
entscheiden,  als  die  Quaternionen  nicht  numeriert  sind.  Da  wir  also  über 
den  ursprünglichen  Umfang  der  Handschrift  nichts  mit  Sicherheit  behaupten 
können  und  schon  die  Vorlage  fragmentiert  war,  so  haben  wir  auch  kein 
Recht,  etwaige  Schlüsse  daraus  zu  ziehen,  daß  ein  Stück  in  E  fehle 
(Mommsen  ist  darin  nicht  vorsichtig  genug  gewesen). 

Diese  Handschrift  war,  nach  allem  zu  urteilen,  dieselbe  wie  der  von 
P.  Scriver  bei  seiner  Ausgabe  von  1607  benutzte  und  später  erworbene 
Codex  Nansianus  membronaceus  (s.  Bubnov  451  f.).  Lachmann  I  27,  16 
nennt  diese  Hs.  mit  Unrecht  Codex  interpolatus  S{criverii),  denn  die  Inter- 
polationen gehören  dem  Scriver  selbst  an.  Aber  der  Text  Scrivers 
verrät,  daß  er  nicht  nur  E,  sondern  auch  (F  oder)  eine  Abschrift  des  F 
benutzt  hat.      Erst  Lachmann  hat  die  Hs.  E  wieder  bekanntgemacht. 


Der  gromatische  Inhalt  von  E  und  F. 

Ff.  2'        Die  Überschrift:  incipit  marci  •  ivni' •  nvpsi  •  liber  primovs 

(E   fehlt)  DE    LIMITIBVS 

Siehe  Taf.  VII  3.  Der  Text  notvm  est  usw.  (s.  u.)  fängt  mit  der  ersten  Zeile 
der  Seite  2'  an.  Also  existierte  ursprünglich  in  F  kein  Titel  und  gewiß  auch  in  seiner 
Vorlage  keiner,  da  in  F  kein  Platz  dafür  gelassen  ist.  Aber  ganz  oben  am  Rand 
steht  nachlässig  mit  Kapitalbuchstaben  geschiüeben  die  obige  Überschrift  und  dar- 
unter mit  ganz  heller  Tinte  und  kleinen  Kapitalen  de  limitibvs.  Die  Schrift  sowie 
der  Platz  dieses  Titels  erlauben  keinen  Zweifel  daran,  daß  er  nachträglich  von  an- 
deren Händen  hinzugefügt  worden  ist,  die  erste  Zeile  jedoch  mit  alter  Tinte.  Diese 
Zeile  ist  nach  dem  Titel  des  zweiten  Buches  incipit  marci  ivni  nypsi  liber  secvndvs 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  79 

(f.  25^)  geschaffen,  ohne  Rücksicht  darauf,  daß  der  Exzeiptor  selbst  sein  erstes  Buch 
so  unterschrieb:  ivli  frontini  sicvli  explicit  liber  primvs  (S.  82).  Bubuov(456) 
hat  mit  Unrecht  jenen  Anfangstitel,  der  auch  in  die  meisten  Abschriften  des  F 
eingedrungen  ist,  für  ursprünglich  gehalten  und  für  seine  Rekonstruktion  des  E  in 
Anspruch  genommen  (446). 

Die  zweite  Zeile  de  limitibvs  scheint  in  humanistischer  Zeit  hinzugefügt  zu 
sein.  Metellus  Sequanus  bemerkt  dazu  im  Jahre  1544  in  seiner  Abschrift  des  V 
(Cod.  Barber.  lat.  164,  s.  S.  76)  »manu  recenti  addita  est  haec  inscriptio  ut  arbitror 
Politiani«  (Angelus  Politianus,  Professor  in  Florenz,  gest.  1494).  Aus  dem  Ausleihe- 
vei'zeichnis  sieht  man,  daß  er  oft  Bücher  aus  der  Mediceischen  Bibliothek  geborgt 
hat;  und  daß  er  sich  auch  mit  dieser  Hs.  beschäftigt  hat,  dürfte  aus  der  Notiz 
hervorgehen,  die  der  Besitzer  des  Cod.  Vatic.  lat.  3894  (wahrscheinlich  Colotius, 
s.  Rh.  Mus.  191 1)  auf  das  Vorblatt  dieser  Hs.  geschrieben:  »M.  Junius  Nypsus  sie 
scribitur  in  codice  meo  antiquissimo.  sie  etiam  scribit  Politianos.  Sed  P.  Crinitus 
lulium  scripsit.«  Aber  in  der  ältesten  datierten  Abschrift  des  F,  die  P.  Crinitus  im 
Jahre  1495  ^"  Florenz  verfertigte  (München  cod.  lat.  756),  heißt  die  Überschrift 
M.  lunii  Nypsi  de  mensuris  ad  Celsum,  ein  Titel,  den  man  aus  den  Worten  des  f.  3'"  ge- 
nommen hat:  Omnium  mensurarum  appellationes  conferamiis tractemus  (La.  94,  3-8), 

bei  denen  die  unzial  geschriebene  alte  Bemerkung  hing  initium  •  incipit  ratio 
MENSURAE  am  Rand  steht.  Wenn  schließlich  Sequanus  in  seiner  obenerwähnten  Ab- 
schrift sagt :  Antonius  Galesius  hunc  librum  inscrihit  M.  lunii  Nypsi  fragmenta  de  pon- 
deribus  et  mensuris  et  Agrimensoria,  so  erhellt  daraus  sowie  auch  aus  vielen  anderen 
Abschriften,  daß  die  Geschichte  des  G  sich  in  späterer  Zeit  wiederholt  hat:  jenes  dem 
G  angehängte  Fragment  über  pondera  und  mensurae  ist  auch  dem  F  einverleibt  worden. 

Ff.  2''-2\25  I.  (Balbus)   La.  91-94,3    (E   nur  93,10-94,3)  NOTVM 

E  (Anfang  fehlt)  EST  OMNIBVS:  |  celsag  pa€N6S  te  stuc)Iorum  nostrorum  manere 

S.  1 ,  1-6  summam Ergo  ne  quid  nos  praeter isse  uideamur.     S. 

Taf.Vn3. 

F  2^25-3'',  14        2.  (Siciiliis  Flaccus)   La.  135,  23-136,  18    (=  22  Zeilen 
E  S.  1,6-17  bei  La.,   entsprechend   einem   Blatt  des  Archetypus). 

F  3',  15-3'',  3  3-     (/)  {Baibus)  La.  94,  3-95,  4  (=  22  Zeilen  bei  La.)  om- 

E  I,  17-27  nium  enim.  mensurarum uncias  nouem  digitos  duo- 

decim  mit  dem  Zusatz: 
b)    Unciae  quadraginta  quattuor.    Digiti  ducenti  quinqua- 
ginta  sex.    In  pede  quadrato  semiped^s  OGto_,  palmi  qua- 
draginta  quattuor^   unciae  milk  sexcenta  uiginti  octo^ 
digiti  quattuor  milia  sexaginta  sex\ 


'  Dies  ist  der  Rest  einer  Glosse,  die  dem  in  E  Nr.  15  erhaltenen,  von  Bubnov  495-503 
(s.  499,  iff.)  herausgegebenen  Text  entnommen  ist  und  in  allen  Hs.-Gruppen  verschiedenartig 
behandelt  ist. 


80  C.   Thulin: 

Danach  folgt  dasselbe  Fragment  wie  oben  in 
PG  Nr.  la,  am  Anfang  etwas  »verbessert«  nach 
der  Art  dieser  Hs. 

c)  Qui  habet  omnem  istam  mensurani  agrormn  diligenter 

ut  ueritas  declaretur.    explicit  praefatio.  (Die  Sub- 

scriptio  fehlt  in  E  und  scheint  in  F  von  zweiter 
Hand  zu  sein.  Vgl.  P :  Explicit  eplstola  ad  Celsum). 
Zu  den  Worten  Nam  ideo  limes  agro  positus  estj,  litem 
ut  dlscerneret  (discederet  E)  aruis  steht  am  Rand 
die  alte  unzial  geschriebene  Bemerkung  gxgmplum 
u€RGiLi  (s.  Verg.  Aen.  XII  898  limes  agro  positus^  litem 
ut  discerneret  aruis).  Dieselbe  Hand  hat  am  Rand 
zu  den  Worten  La.  94,  7  quid  ergo  mensura  sit  - 
trademus.   Mensura  est geschrieben :  hing  initium. 

INCIPIT    RATIO    M€NSURAe. 

Die  Nrn.  1  und  3   entsprechen  P  Nr.  i. 

F  4'"^  4.     EX     CORPORE    THEODOSIANI    LIBRO     SECVNDO    |    TITULO     «>€    FINIUM    Re- 

£2,5-3,  M  GUNsoRUM,  La.  267-270  fin.  (67  Zeilen)  =  P  Nr.  2 ö  und/;. 

Der  Anfang   der   EF   ist   also   derselbe   wie    in  P. 

F  5'"-8''  5.     a)  NOMINA  LAPiDVM  FiNALivM,  La.  249,  I  - 2 50  fln. :    Zeich- 

E  3,  14-4  nungen    mit  unzialer  Beischrift,      explicivnt  nomina 

LAPIDVM  FINALIVM.   Vgl.  A  Nr.  \6c.     Dcu  Text  haben 

nui"  EF  und   »Boetius«. 

F  9'"""'^  b)     INCIPIVNT    NOMINA    LIMITVM,     La.     247,    2  1-249,    3O.      FIUNT 

E4,    1-28  OMN6S    NUMERO  XXXIII.     Vgl.   A    I  6  6.     P  Nr.   II. 

6')     INCIPIVNT  NOMINA  AGRORVM,    La.    246,   24—247,    I9.    FIUNT 

OMN6S  NUMGRo  XVIII.   Vgl.  A  i6<7.  P  Nr.  9   uud  II. 

A,  der  die  agri  vor  die  limites  stellt,  hat  als  Subscriptio  bzw.  Expliciunt  nomina 
agrorum  feliciter  und  Exp.  nomina  limitum  und  vor  dieser  Zeile  die  gemeinsame  Zäh- 
lung sunt  limites  n.  xxvnii,  agrorum  n.  xviii  (also  in  der  Ordnung  der  EF).  In 
P,  der  weder  die  Subskriptionen  noch  die  Zählungen  hat,  stehen  limites  und  agri 
(in  dieser  Ordnung)  nebeneinander  in  zwei  Kolumnen  Nr.  ii,  die  agri  allein  Nr.  9. 
In  EF  ist  die  Ordnungsfolge  der  einzelnen  agri  gestört. 

F  lo""  E4fin.  d)  polvm  collectv  und  das  Bild  des  Himmelsgewölbes. 

F  hat  nur  vier  konzentrische  Kreise,  E  vier  konzentrische  Kreise  mit  8onne, 
Mond  und  zehn  Sternen.    Vgl.  A  Nr.  16  ri  das  Fragment  des  »Catalogus  Arati  inter- 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  81 

pretum«  (E.  Maass,  Aratea,  Berlin  1892;  Philol.  Untersuch.  XII  122;  Bubnov  432). 
Polum  collectum  entspricht  dem  griechischen  Titel  TTöaoy  c^ntaiic  =:  <t>AiN6MeNA,  nnd 
der  Titel  des  Catalogus  ist  01  nepi  toy  nÖAOY  CYNTAiEANTec  (Maass,  a.  a.  0.  123  u.  139, 
Bubnov  447).  Der  Zusammenhang  dieser  Worte  mit  dem  Fragment  A  Nr.  i6rf 
ist  also  unverkennbar.  A  und  E  F  haben  (wie  oben  Nr,  3  h)  von  demselben  Frag- 
ment oder  derselben  Glosse  verschiedene  Teile  bewahrt. 

F  lo'-io^  3  6.  (Agenniiis  ürbiciis)  La.  90,  3-21   (18  Zeilen): 

E5,  i-ii  Aduocatio  praestanda  (rote   Unzialen  in  F)  -  -  metiri 

artifices  coguntur,   der  Schluß   des   in   A  Nr.  7  und  B 
Nr.  I    erhaltenen  Bruchstücks,   aber  ohne  Subscriptio. 

F  10'',  4-1 7""  fin.     7.  iNcipivNT  LiBRi  AGRi  MENsvRAE  (El  Incipif  lH)er  agri  mensurae). 

K  5,  12-13,  18  a)  Fast  der  ganze  über  regioniim  I  des  A  Nr.  5  (Tia. 

209,  1-239,  19)  von  21 1,  24  (d.h.  dem  Anfang  des 
Buches  in  P  Nr.  10)  an,  aber  durch  Blattversetzung 
der  Vorlage  und  willkürliche  Umstellung  in  arge 
Unordnung  gebracht  (s.  La.  S.  IX  die  Tabelle): 
Aueius  ciuiTAS  (La.  220,  8)  -  -  distinxit  ac  dedarauit. 
Von  derProvincia  Piceni  La.  225,  15-228,2  wird 
nur  der  Anfang  ohne  Titel  La.  225,  15-226,  5  hier 
angeführt.  Aber  in  Nr.  19  ist  dieses  Stück  voll- 
ständig abgeschrieben.  Übrigens  fehlen  nur  die 
Zeilen  La.  231,  16-18  und  die  Titel  La.  229,  lo-i  2. 

h)  Ager  Carsolis et  monumenta  velalia  testimonia  La. 

239,  20-240,  6,  ein  sehr  verderbtes  Stück,  das  La. 
falsch  zu  dem  Liber  reg.  I  fiihrt,  Mo.,  Agrim.  II  1 57 
und  Bubnov  mit  Recht  für  eine  Überarbeitung 
der  Worte  La.  254,  10-19  Cassiolis  ager  -  -  et  mo- 
numenta finitur   des  Liber  reg.  II  P  Nr.  19  halten. 

F  18'  leer.  In  F  sind  die  vier  letzten  Zeilen  der  Seite  17^  und 

die  ganze  Seite   18'  leer. 

Fi8''-2  5''  8.   Frontinusfi-agmente  abwechselnd  mit  anderen. 

E  13,   18-20,   8  INCIPIT    MENSVRA    RATIC^ABILIVM    AGRORVM. 

F  1 8^  a)  (Frontinus)  La.  5,  6-6, 4.  In  F  danach  f  Seite  leer; 
F19'-  20,3-23,4  (8  +  30  Z.  +  7  Fig.). 

F  2 o'',  1 4  h)  (Limitis  repositio)  La.  288,4-289,10; 
F2I'',  25  286,15-288,4. 

Phil.-hist.  Klasse.    1911.    Anhany.    Abh.  II.  1 1 


82  C.  Thulin: 

F  2  2^  5  c)  (Frontinus)  La.  27,  8-29,  14  (38  Z.  +  4  Fig.).  Nach 

La.  27,  12  hat  F  eine  halbe  Seite  leer.  Mit  Limüum 
origo  La.  27,  13  fängt  also  ein  neues  Fragment  an ; 
La.  folgt  dem  E,  in  dem  kein  Zwischenraum  war. 

F23'',  13  d)  Geometrisches  Fragment:  Actus  tarnen  in  hase  sunt 

XX similitei^  in  reliquis  pedibus  fuerint  cc  (Figur), 

La.  290,  6—16  fragmentiert  nach  E  herausgegeben. 

F  24'  (?)  Anfang  des  gromatischen  Textes  A  Nr.  i,  P  Nr.  6b: 

Si   in  agro  adsignato  ueneris erit  pars  dextrata, 

La.  290,  17-291,  15  (25  Z.  La.,  Nipsus?). 

F  24^23  /)  (Limitis  repositio)  La.  289,  10-290,6,  Fortsetzung 

von  h. 

F2  5'",  12  g)  (Frontinus)  rectorum  angulorum  ratione exegerd 

perducere  La.  32,  13-34,  13  (42  Zeilen  La.). 

lULI    FRONTINI    SICULI    EXPLICIT    LIBER    PRIMUS. 

INCIPIT-  MARCI  •  IVNI  •  NYPSI  •  LIBER  •  SECVNDVS  : 
FELICITER. 
Diese  Worte  stehen  in  F  unten  am  f.  25^.  Aber  die  ganze  Seite  26"^  ist  leer 
gelassen:  in  der  Vorlage  des  F  gehorte  also  dieser  Titel  des  Nipsus  gewiß  nicht 
mit  den  Texten,  die  in  F  26'^  folgen,  direkt  zusammen,  wie  es  in  E  aussieht  und 
wie  Lachmann  im  Druck  285  nach  E  angegeben  hat.  Wir  wissen  also  nicht,  mit 
welchem  Text  der  Exzerptor  sein  zweites  Buch  angefangen  hat.  Gewiß  mit  einem 
Text,  der  unter  dem  Namen  des  Nipsus  überliefert  war.  Das  war  aber  nicht 
FLVMiNis  VARATio  (s.  A  Nr.  8).  Was  danach  folgt  (Nr.  <)h,  c),  gehört  noch  zusammen 
mit  Nr.  8  Frontinus  und  Limitis  repositio.  Aber  dann  fängt  der  lange  Abschnitt 
Nr.  lo-ii  an,  unter  dem  in  A  die  Subscriptio  M.  luni  Nipsi  lib.  explicit  steht 
(A  Nr.  1-2),   nur  daß  der  Anfang   unter  die  Frontinusfragmente  Nr.  8e  geraten  ist. 

F2  6'"  leer. 

F26''  E  20,  8  9.     a)  DE  FLVMINIS  vARATioNE,  La.  2  85 , 1 -2  86,  I  o  =  A  Nr.  8. 

F27'",  7   E2i,4  h)  LIMITIS  REPosmoNEM,  La.  286,11-15,  der  Anfang  der 

Fragmente  8  b  und  /. 
F27^ii   E2i,7  (^  (Frontinus)  La.23,4-27,8  (35  Z.  +  6  Fig.); 

F28'',i2E22,i6  29,14-30,4  alii  qui  a  monte  monianos. 

Hier  endet  F  2  8"",  1 9  mitten  im  Text  des  Frontinus 

ohne  Subscriptio  vor  dem  Schluß  der  Seite.    Die 
E22,  16-24,7  Fortsetzung  in  E  enthält:  30,5-31,10  (Lücke  im 

Text),  31,12-32,  13   (35Z. +  4Fig.  +  25  Z.) 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  83 

E24,  7-26,3         10.  Fortsetzung  von  Nr.  Se  =  A  Nr.  i  (IVipsus?)  La.  291, 

16-295,  15  (80  Z.). 

E  26, 3-28, 18       II.  (Podismus)  =  A  Nr.  I   und   ein   darin   eingeschobenes 

geometrisches  Bruchstück,  über  das  der  Titel  podismus 
gesetzt  ist: 

a)  La.  295, 1  7-296,  3  Mensurarum  genera maior  est 

recto.    PODISMUS.    (Der  Titel  an  falscher  Stelle.) 

h)  La.  296,4-26    Pes   quadratus  ampfioram  capit 

pedes  quadratos  (22  Z.). 

6')  La.  297,  1-30 1,  14    In   amh(D'igonio  -  -  -  -  sinyuhs 
praecisuras  (86  Z,). 

E  28, 19-30,16     12.  (Epaphroditiis   et  Vitrimus  Rufus)    Trigoni  ortogonii 

catectus  -  -  erit  item  uadum  s.  Bubnov  518-521  c.  i, 
2,  30,  [ein  fremdes  Fragment:  Bubnov  495,  22-496,  6, 
Varro?],  3  ;  [dann  ein  willkürlich  hier  eingefügter  Titel: 

EX    LIBRO    BALBI  •  EX    LIBRO  CAESARIS  •  EX    LEGE  TRIVMVIRALl]  ;  CCntUri- 

arum   omnium  quadratarum  deportio mensurarum 

genera  sunt  in,  Bubnov  548  f.  c.  35-37.  Trigoni  orto- 
goni  linearum  ^  -  fit  xxx  per  pedes  f,  Bubnov  522  f. 

c.  4,  5,  6. 

E  30,  17-31,9       13.  Geometrisches  Fragment:  Ager  c%ineatus fit  xcviii 

erit  per  partes.    Bubnov  496,9-497,20.    Varro? 

E31,  10-32,29    14.  (Balbiis)  La.  104,  3-9  [S.  31,  18-19  Frontin,  25,  1-2] 

103,11-104,2.    104,13-106,11. 
Quatern.  III 

1^33-35,19  15.  Geometrisches  Fragment  (nach  Bubnov  Varro?)  areae 

III  CG.  stadia  viiii  caxvi  -  -  partior  ad  iugera,  Bubnov 
498,  1-503,  17. 

E  35,  17-23  16.  Hos  ego  libros  sortitv^j  ab  asse  coepi^  sed  de  unciis  com- 

putatis  secutus  digiti  rationem  cernerej  cunctis  soluere  ac 
reddere  ueram  rationem.  Discussij  fateor_,  agros  sollertius: 
nonnullus  praedam  promisit_,  sed  nichil  ductus  fidem  itacu- 
are   errorein   ru^ticum  patiens   committere  falsiSj    incerta 

11* 


84  C.  Thulin: 

cupierts  audire.  Libros  in  cuiusdamj  dum  circuo  agroSj, 
inueni  aedem. 

Bubnov  hält  wohl  mit  Recht  diese  nur  halb 
verständlichen  Worte  fiir  die  Erklärung  des  Kompilators, 
der  aus  seinen  Quellenschriften  zwei  Bücher  schuf. 
Ursprünglich  stand  sie  entweder  am  Anfang  oder  am 
Schluß  (s.  Nr.  17). 

E  35,    23  17.     INCIPIT    SICVLI    FLACCI    De    CONc)ICIONIBVS   AGRORVM    ÜBER. 

Mit  den  Titeln  waltet  E  sehr  frei.  Vielleicht  hat  der  Exzerptor  diesen  Titel 
einem  beschädigten  Blatt  entnommen  und  hier  über  die  Schrift  des  Hj'^ginus  Groma- 
ticus  (Nr.  18),  deren  Anfang  in  E  fehlt,  gesetzt.  Aber  da  im  Anfang  des  ersten 
Buches  Nr.  2  ein  Fragment  des  Siculus  Flaccus  erhalten  ist  und  die  Subscriptio 
dieses  Buches  luli  Frontini  SicuU  explicit  liber  primus  auch  seine  Schrift  umfaßt,  so 
erklärt  sich  meiner  Meinung  nach  dieser  unmittelbar  auf  die  Erklärung  des  Exzerp- 
tors  Nr.  16  folgende  Titel  am  leichtesten,  wenn  wir  annehmen,  daß  diese  Erklärung 
ursprünglich  die  Vorrede  war  und  die  Hs.  selbst  mit  dem  Siculus  Flaccus  anfing 
(vgl.  oben  S.  77  f.). 

E  35,  24-40,  I      18.   ^Hyginus    Gromaticus)   Limites  autem   a   limo  -  -  -  - 

placuit  seruari,  La.  167, 17-175, 14  (8  x  18  Zeilen  La. 
und  viele  Figuren  =  ein  Quaternio  des  Archetypus). 
Der  Anfang  und  also  auch  die  Überschrift  (=2x^8 
Zeilen  La.  und  3  Figuren  =  ein  Blatt  des  Archetypus) 
fehlt.     Die  Fortsetzung  s.  Nr.  20. 

19.    a)  Ergänzungen  zu  dem  Liber  regionum  I  oben  Nr.  7a. 

E  40,  2-4  EX   LIBRO    BALBI    PROVINTIA   PICENI. 

40,5-10  Picenensis  id  <'s^  fl</er  (statt  Pinnensis)  limitibus  ma- 

ritimis in  Piceno  fines  terminantur,  La.  227,  12 

bis  228,  2. 

Licet  generaliier  requirendum  est. 

40,  1 1-41,  4  Ager  Spolitanus  -  -  in  Piceno  fines  terminantur,  La. 

225,15-228,  2. 

Oben  in  Nr.  70  hatte  E  von  dem  Abschnitt 
225,  15-228,  2  (Provincia  Piceni)  nur  den  Anfang 
ohne  Titel  225,  15-226,  3  angefahrt.  Hier  kommt 
nun  erst  der  Titel,  dann  der  Schluß,  schließlich 
mit  den  motivierenden  Worten  Uc£t  generaliter  requi- 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  85 

rendum  est^  der  ganze  Abschnitt,  gewiß  nach  einer 
anderen  Hs.,   in   der  er  vollständig  erhalten  war. 

41,5-13  h)  Camerino  muro  ducta terminos  Augusteos,  La. 

240,7-15.  Lachmann  hält  dieses  für  einen  Teil  des 
Liber  reg.  I,  obgleich  es  in  A  nicht  überliefert  ist, 
Mommsen,  Agrim.  II  157  und  Bubnov  45of. 
erklären  es  aber  richtiger  als  überarbeitete  (also 
kritisch  wertlose)  Auszüge  aus  dem  Liber  regio- 
num  II  (PNr.  19,  vgl.  La.  256, 16.  257,1.  258,13. 
252,  8-13)  wie  Nr.  7&. 

£41,14-48,29    20.  (Hygimis  Gromaticus),  Fortsetzung  von  Nr.  18:  La. 

175,15-182,14.  192,17-193,15.  182,14-190,15, 
also  mit  derselben  Blattversetzung  wie  ABP.  Der 
Schluß  des  Hyg.  Grom.,  La.  190,  15-192, 17.  193, 15 
bis  208, 4,  der  etwa  vier  Blätter  des  E  füllen  würde, 
ist  ausgefallen;  wieviel  außerdem,  muß  unentschieden 
bleiben. 

Daß  die  verworrene  Ordnung  der  Bruchstücke  wesentlich  durch  Blatt- 
versetzung der  Vorlage  entstanden  ist,  wird  sogleich  klar,  wenn  wir  die 
erhaltenen  Teile  des  Frontinustextes  durchmustern: 

I,  F  18^  E  13,  18-25        Frontin.  La.  5, 6-6, 4      <         „  r,  .,     t  t- 

r.  .  0'  't  r::^  8  +  30  Zeil.     L  R.  +  4  Flg. 

2.^19^-20^14  £13,26-15,2  »  .    20,3-23,4) 

3.  F  22%5-23^  12         £16,23-17,25  .  .    27,8-29,4      =  38  Zeil.     La. +  3  Fig. 

4.  F25',  12-25^  E19,  10-20,  8  .  -    32,  13-34»  13  -  42    » 

5.  F27^  11-28^  II      £21,7-22,16  .  »    23,4-27,8      =  35    "  "    +6  Fig. 

6.  (F  28^  12-19  £nde)E  22,  16-24,  7  "  »29,  14-31,  10  (Lücke),  31,  12-32,  13 

=  35  Zeil.     La.  +  4  Fig.  +  25  Zeil. 

Aus  dem  Fragment  des  Siculus  Flaccus  FE  Nr.  2  geht  hervor,  daß 
ein  Blatt  des  Archetypus  ohne  Zeichnungen  etwa  22  Zeilen  bei  La.  ent- 
spricht. In  Frontinus  kommen  die  Bilder  verschiedener  Größen  hinzu,  die 
nicht  genau  zu  berechnen  sind;  aber  wir  erkennen  doch  die  gleichmäßigen 
Abschnitte:  z.  B.  haben  sicher  3  und  4  die  vier  Außenblätter,  6  die  vier 
Innenblätter  eines  Quaternio  im  Archetypus  gebildet. 


Bubnov  450  hat  die  richtige  Erklärung  dieser  Worte  gegeben. 


86  0.  Thulin: 

Längere  zusammenhängende  Texte  gibt  es  nur  in  dem  dritten  Quater- 
nio  des  E: 

E  35,  24-40,  I    Hygh).  Grorn.  167,  17-175,  14     :=  8x18  Zeil.     La,  +  viele  Fig.  oder  ein 

Quat.  des  Archet. 
41,14-44,25        .  »       175,  15-182,  14  J 

44,25-45,9  ..  »       192,  17-193,  15  >  r=  drei  Quat.  des  Archet.  (24X18  Zeil. -f  Fig.). 

45,  10-48,  29        ..  »       182,  14-190,  15  ] 

Die  allen  Hss.  gemeinsame  Versetzung  von  192,  17-193,  15  war  schon 
im  Archetypus  da.  Der  Schluß  des  Hyginus  Gromaticus,  etwa  zwei  Quater- 
nionen  des  Archetypus  von  E  entsprechend,  fehlt,  gleichfalls  der  Anfang 
(=2X18  Zeilen  La.  und  3  Figuren),  der  ein  Blatt  des  Archetypus  gefüllt 
haben  mag. 

§  11.  Verlorene  Handschriften  der  EF-Gruppe. 

Zwei  aus  agrimensorischen  Exzerpten  zusammengeflickte  Kompendien, 
die  ich  unter  den  Exzerptenhss.  (s.  oben  S.  5,1)  behandelt  habe,  helfen 
uns  den  Inhalt  dieser  Hs. -Gruppe  zum  Teil  zu  ergänzen,  nämlich  die  so- 
genannte Geometrie  des  »Boetius«,  von  der  La.  unter  dem  Titel  De- 
monstratio artis  geometricae  393—412  Auszüge  abgedruckt  hat,  und  eine 
von  R.  Beer'  in  Barcelona  gefundene  Hs.  des  10.  Jahrhunderts  aus  dem 
Kloster  Ripoll,  u.  a.  eine  Geometrie  des  Gisemundus  enthaltend.  Die 
Exzerpte,  die  wir  mit  der  Überlieferung  in  EF  vergleichen  können,  zeigen 
nämlich  zweifellos,  daß  die  Exzerptoren  Hss.  dieser  Gruppe  benutzt  haben. 
Aber  mehrere  Exzerpte,  die  über  den  jetzigen  Inhalt  der  EF  hinausgehen, 
beweisen,  daß  sie  vollständigere  Exemplare   hatten,  als  wir  nun  besitzen. 

I.  Ergänzungen  aus   »Boetius«. 

In  E  fehlt  der  Schluß  von  Hyginus  Grorn.;  hier  kommen  Zitate  aus 
diesem  Schluß  vor:  La.  206,15-207,2   und   202,16-203,4. 

In  ICF  stimmt  der  Anfang  mit  dem  Anfang  von  P  überein,  aber  er- 
halten ist  nur  der  Text  P  Nr.  1-26;  hier  kommen  auch  Zitate  aus  P  Nr.  2C 
De  sepulchris  vor  (La.  401,  11-13.    409,  25-27). 

'  Rud.  Beer,  Die  Hss.  des  Klosters  Santa  Maria  de  Ripoll  I,  Sitziingsber.  d.  K. 
Akad.  d.  Wiss.,  Wien,  phil.-hist.  Klasse  155,3   1907  S.  6off. 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  87 

In  EF  ist  nur  ein  Fragment  aus  Sic.  Flacc.  (135,  23-136,  18)  auf  fal- 
schem Platz  (EF  Nr.  2)  erhalten.  »Boetius«  zitiert  auch  Sic.  Fl.  140,  11- 19. 
141,  14-17.    156,  15-17. 

Im  Frontinus  der  EF  (Nr.  8ß)  war  ein  Sprung  von  6,  4  zu  20,  3;  bei 
»Boet. «   findet  man  auch  8,  i-io,  3  exzerpiert. 

Von  Agennius  ist  in  EF  (Nr.  6)  nur  der  Schluß  erhalten;  »Boet.«  zitiert 
außerdem  85,24-25   und  86,1-3.9. 

Schließlich  hat  die  Hs.  des  Exzerptors  folgendes  enthalten,  von  dem 
in  EF  nichts  übrig  ist: 

Hyginus  124,3-7.  11-125,1    (BP),  127,4-10  (B); 

Prouincia  Dalmatiarwn  (P). 

2.  Ergänzungen  aus  der  Hs.  RipoU. 

Gisemundus,  der  auf  die  Geometrie  des  »Boetius«  weiterbaute  und 
daneben  eine  agrimensorische  Hs.  und  noch  andere  Schriften  (Boetii  Arith- 
metik, Cassiodorus,  Geographisches)  benutzte,  hat  einer  Hs.  der  EF-Gruppe 
folgendes  entnommen  (kursiv  gedruckt  ist,  was  in  E  F  nicht  erhalten  ist) : 

Frontinus  La.  5, 6-8.  75,/-^.  21,7-22,6.  22,9-23,8.  24,4-12.  26, 
5-27,2.     27,13    17.     28,2-10.     15-17. 

Hyginus  Grom.  La.  180,1-4.  182,8-188,16.  189,4-10.  192,16 
bis  193,  3. 

(Nipsus?)  La.   293,6-9,  11-17.     295,9-15. 

Siculus  Flaccus  La.  145,  ig-21.   146,  2 -ij.   i4'/,2~^,  8-10,  §-6. 

Agennius  Urbicus  La.  8j,  1 1—18. 

Hyginus  La.  ij2,  24-25,  auch  in   »Aggeni«   Commentum  La.  20,  14. 

Casae  Utterarum,  zwei  neue  Versionen,  die  eine  der  Casae  in  A  Nr.  1 5 , 
La.  327-331,  die  andere  der  Casae  in  P  Nr.  70,  La.  310-318.  Diese  beiden 
Texte  sind  auch  in  der  Hs.  Paris  8812  vorhanden,  aus  jenem  Handbuch 
des  Gisemundus  ausgezogen.  In  EF  ist  zwar  keine  Spur  daA'^on  erhalten, 
aber  die  freie  Behandlung  der  libri  Regionum  in  E  beweist,  daß  eine  Über- 
arbeitung der  Casae  einen  Platz  in  dieser  ^s. -Gruppe  verteidigen  würde. 
Vgl.  oben  S.  9f. 

Codex  Goesii  (s.  Bubnov  455)  enthielt  nach  den  Noten  des  Goesius 
S.  142  und  176  unter  dem  Namen  des  Nypsus  teils  Baibus  --  EF  Nr.  i, 
teils  De  fluminis  uaratione  =  EF  Nr.  90,  aber  außerdem  Lex  de  Sepulchris, 


88  C.  Thulin: 

zu  der  Goesius,  Notae  201  f.,  Varianten  des  »Nypsus«  anführt.  Dieses  Stück 
fehlt  in  EF,  aber  bei  »Boetius«  kommen,  wie  oben  erwähnt,  Exzerpte 
daraus  vor  (La.  272,  5-8,  12-14,  ^^  =  4^9?  25-27  und  401,  1 1-13).  Die 
von  Goesius  erwähnten  Varianten  sind: 

La.  271,4  quem  admodum  decumanis  La.]  quae  ad  nonanitum  decu- 
manis  P;    quod  ad  noitum  decumanis  JV.    »Marcus  Junius 
Nypsus:  qui  nonanis  et  undecimanis^   Goes. 
2 7 1 ,  6  compaginantibus]   »Nypsus  compaginationibus<^\ 
16  proximis  aedibus]   »Nypsus  sedibus<i^', 
1 8  tabellarumue]   » Nypsus  -  -  tabularimn « ; 
2  72,6militum  AP]   »Nypsus  limitum«.   richtig; 
15  perennes]   »Nypsus  •■  -  praemissis«^. 

Diese  Lesarten  erscheinen  den  üblichen  Varianten  der  EF  sehr  ähnlich, 
und  die  einzige,  die  zu  dem  Exzerpt  bei  »Boetius«  gehört,  272,  6  limitum, 
steht  auch  bei  ihm  so.  Daß  Goesius  diese  dem  Nypsus  zuschreibt,  kann 
nur  dadurch  erklärt  werden,  daß  er  eine  vollständigere  Hs.  der  EF-Klasse 
gehabt  hat  als  die  beiden  erhaltenen.  Es  ist  sehr  zu  bedauern,  daß  diese 
wieder  spurlos  verschwunden  ist. 

Blume,  Agrim.  II  51  ff.,  hatte  die  Hss.  dieser  Gruppe  auf  zwei  ver- 
lorene Hss.  zurückgeführt:  die  des  Galesius  Massa  und  die  des  Alciati. 
Bubnov  454  hat  richtig  aufgewiesen,  daß  dieses  System  falsch  war,  da 
alles,  was  Blume  von  der  Hs.  des  Massa  herleiten  wollte,  in  der  Tat  von 
dem  Arcerianus  und  der  Z an chi  sehen  Abschrift  des  Are.  stammt.  Im 
Rhein.  Mus.  191 1  »Humanistische  Hss.«  II  Nr.  4  werde  ich  dartun,  daß  die 
Hs.  Massas  nichts  anderes  als  eine  kritische  Abschrift  war,  wohl  Vorarbeit 
zu  der  römischen  Ausgabe  der  Agrimensoren  (1560):  in  Cod.  Vat.  3893 
sind  seine  Bearbeitungen  von  Stücken  aus  V  (Cod.  Zanchi)  erhalten;  durch 
die  (roten)  Korrekturen  des  Sequanus  in  Barber.  1 64  kennen  wir  auch  Massas 
kritische  Bearbeitung  des  F. 

Noch  unglücklicher  war  es,  eine  vermeintliche  Hs.  des  Alciati  an  die 
Spitze  der  Gruppe  EF  zu  stellen  und  diese  Gruppe  «die  alciatische  Familie« 
zu  nennen.  Wir  sahen  nämlich  oben  §  6,  daß  die  von  Alciati  zitierte 
Hs.  mit  dem  Arcerianus  vollständig  übereinstimmte.  Aus  mehreren  wört- 
lichen Zitaten'  geht  mit  voller  Sicherheit  hervor,  daß  Alciati  außerdem  eine 


*   In  Parerg.  iuris  II  4  zitiert  er  z.  B.  das  Coinmentuin,  La.  22,  24-23,  24. 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  89 

dem  P  ähnliche  Hs.  benutzt  hat.  Dagegen  habe  ich  keine  Zitate  aus  einer 
Hs.  der  E F-Grruppe  bei  ihm  gefunden.  Einmal  sagt  er,  wo  von  den  5  Füßen 
der  limites  die  Rede  ist,  Dispunct.  II  6 :  ut  ex  lunii  Nipsi  commentariis  nlibi 
declaraturus  sum.  Aber  das  könnte  sich  auf  die  Schriften  des  A,  unter 
denen  der  Name  des  Nipsus  steht,  beziehen,  ebenso  wie  er  einmal  die 
Schriften  des  Agennius  Agennii  TJrhici  de  Umitibus  agrorum  commentarios  nennt 
(Parerg.  iuris  I  c.  38). 

Über  die  Hs.  des  Colotius  habe  ich  schon  S.  76  gesprochen. 


§  12.  Das  Verhältnis  zwischen  F  und  E. 

Daß  F  mehr  als  ein  Jahrhundert  älter  als  E  ist,  zeigt  die  Schrift. 
An  vielen  Stellen  sind  in  F  die  einzelnen  Fragmente  durch  Zwischenräume, 
ganze  Seiten  oder  Teile  von  Seiten,  geschieden,  während  sie  in  E  überall 
schon  zusammengewachsen  sind.  Wenn  wir  schon  daran  erkennen,  daß 
die  Überlieferung  des  F  ursprünglicher  ist  als  die  in  E,  so  werden  wir 
bei  einer  Untersuchung  des  Textes  eine  ganze  Fülle  von  besseren  Lesarten 
in  F  finden.  Die  Varianten  der  Hss.  EF  nehmen  im  kritischen  Apparat 
wegen  des  korrupten  Zustands  der  Vorlage  einen  so  großen  Raum  ein, 
daß  wir  wenigstens  die  offenbaren  Fehler,  die  nur  in  der  einen  von  den 
beiden  vorhanden  sind,  aussondern  müssen.  Das  Verzeichnis  dieser  Fehler 
wird  den  besten  Beweis  dafür  geben,  daß,  soweit  F  erhalten  ist,  er  die 
Haupths.  ist,  neben  der  E  nur  selten  in  Betracht  kommt.  Es  beweist 
aber  auch,  daß  E  nicht  von  F  stammt,  da  E  bisweilen  in  F  ausgelassene 
Worte  richtig  erhalten  hat.  An  vielen  Stellen  hat  E  versucht  den  Text 
zu  verbessern. 

In  orthographischer  Hinsicht  steht  F  dem  A,  E  dem  G  nahe.  F  schreibt 
z.B.  adsignare,  adßnes,  adplicitum.,  optineri,  inpigerat,  consequutus-,  K  assignare, 
applicitum,  obiineri,  impigerat,  consecutus. 


F?^ontinus. 

La.       5,  8     diuergies  (=  A) 

\ 

E  (dimergies) 

9     antea 

(ante) 

6,  3     in  his 

(his) 

20, 9     uendita  ([iias 

(iiendit  a(|iias) 

1 1  (juein  uis 

(queuis) 

1 1   iiiterposita  ;::=:  A  P 

(interiecta) 

Phil.-hist  Klasse.    1911.    Anhang. 

Abh. 

IL 

12 


90 


F  La. 


C.  Thulin: 

21,3     monte  mutelli 

E  (montem  utelli) 

2  2,  2     (acciperunt  ==  A) 

acceperunt 

4     ultra 

(ow.) 

23,  I     (modum) 

modo 

2     (strumentum) 

instrumentuin 

7     transitu 

(ductu) 

24,  7     diuia  St.  cliuia  = 

P,  deuia  F' 

(deuia) 

9     in  usu  agrorum 

(in  agrorum  usu) 

II  (itineri  debeatur) 

debeatur 

26,  2     molient  =  P  statt  mouent 

(molientur) 

5     condiciones 

(conditione) 

7     pertica 

(perticam) 

9     fine 

(finem) 

27,  I     consunnnamus 

(consumamuvs) 

4     planitiam 

(planitiem) 

6     colligi 

(collegi) 

II  (hererentur) 

mererentur  st.  metiremur 

15  septentrioni  subiacere 

(septentrionis  subiare) 

17  (solet) 

sol  et 

28,  5     fundainento 

(f-ta) 

6     primuin  duos 

(primo  duo) 

8-9  quem  cardineui 

appellauertint 

(quem  uocauerunt  cardineui) 

12  diuidatur 

(diuiditur) 

13-14 

E  om.  quod  dicebant  -  -  uiginti 

29,  8-9  F  om.  paribus  interuallis-dicebant 

15  cinctum 
transuersam 

16  ostiorum 

18  (hü  auincolis) 

30,  3     qui  a  mare 

qui  a  monte 

32,  18  ut  et 

20  compara  (om.-ta) 

(filaxenuere  st.  fila  seu  neruia) 

33,  12  ad 

15  ualles  loca 
20  descendendum 


34. 


conpressiore 


(cunctuni) 
(transuersum) 
(hostiorum) 
hi  ab  incolis 
(quia  mare) 
(quia  monte) 

(ut) 

(comparia) 
(fila  tenuere) 

(om.) 

(loca  uallis) 

(discedendum) 

(conprehensiore) 


F  La.     34.21  rrr  90,3  aduocatio 
35'  7  ^  9O'  H  (exigent) 


Agennius  JJrhicus. 


E  (aduocato) 
exiget  St.  exigit 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Roman 


orum. 


91 


F  La.    94,5     ita  et  =:  J  V  st.  ista  P 
15  passus 
minima 
95,  I     digitos 

4     in  der  Note  discerneret 


Bulbus. 


E  (ita  ut) 
{om.) 
(maxima) 
{om.) 
(discederet) 


Siculm  Flacüas. 

136,3     attingit  (^ttjgjj^ 

5  n.  7  colonos  (colonus) 

15  captos  uictori  („j^tori  captos) 

7     (draccos)  .s^.  Gracchus  (draccus) 


Liber 


regionum  I. 


211,  24  partis 

212,4     duxerit 

singulis 

6     (cardine) 

9     silici  aut 

14  circum 

213,  1-2   (subsiciuum   -  -  quod  om.  V) 
3     pro  dimidia  centuria 

6     a 

8  (dedueumanos) 
II  cccc 

9  (eppidonici) 

214,  I     (limitorum) 

(adstantia)  st.  distantia 
3     foedaturae  st.  Fida  Tuder 

5  saxiales  st.  saxei  alii 
dutrantein  (F'  u  in  o  corr.) 

1 1   cardinibus 

215,3     censita 

6  manent  quae 

8  distant  a  se  in  p.  cccc  vii 

216,  I  pro  modum  (modo  F') 

5  recensita 

8  longe:    id  est  distant  a  se   st.  longi 

distant 

9  a  se 

1 1  estimo  st.  aestimio 

13  appositi  id  est  in  planitia 

14  in,   16  sunt 


\ 


(partibus) 

(dixerit) 

{om.) 

cardine  st.  cardine  m. 

(silicia  ut) 

(circa) 

(pro  dimidietate  centuriae) 

(ad) 

decumanos 

(cccc  n) 

(epodonici) 

limitum 

(astantia) 

(fordaturae) 

(sexiales) 

(durantem) 

(iugeribus    vel    cardinibus)    Glosse 

in  E 
(censa) 
(manentq.) 
om.  E 

(propemodum) 
(recensa) 
(longe  id  est  ante  a  se) 

(se) 

(extimo) 

(oppositi  id  est  in  planicie) 

{om.) 

12* 


92 


C.     T  H  U  L  I  N 


^"  L  a.   217 

5 

218, 

2 

2 

2- 

-3 

3 

6 

6 

13 

219, 

I 

220, 

2 

225, 

16 

a  tribus  uiris 

(agrum)  cV^.  agros 

censiierunt 

gammatos  et   gammatos   st.  g-os   et 

scamnatos 
iuga 

(in  p  dcccc  om.) 
in  der  Glosse  per  riuonim 
(parare  rogamma  Lxxpcs) 

TVRQviNos  st.  Tarquinios 
in  absoluto 


E  (a  tribus  iugeribns) 
(agrorum) 

(consueuerunt  =  226,  2) 
(gammatos) 

(iugera) 

(priuorum) 
(paralelogramma  Lxpc) 

i 

(q  nos) 

(in  obsoluto) 


235, 14;   236,  16;  237,  3;  238, 1  gleichfalls.    Aber  in  236,  2  Y  falsch,  E  richtig; 
und  in  236,  2 1   F  absoluto,  E  soluto  =  A  P. 


221,  7 


II 
12 

223,6 
16 
16 

224,  2 
226,  2 

5 
229,  14 
22 
232,4 
233,3 
7 
7 
16 

17 

234.2 
10 
18 
21 
22 

235.9 
16 
20 

236,5 
7 
21 


ex 

(defectis  =  P) 

(militum) 

et  ne  =  Boet. 

ripaeue  non  =  Boet. 

definitioni  fides 

separando- 

D  CCCC  LX 

diriguntur  st.  dirigunt  cursus 
termini  alii  qui  adstant  in  centurione 

st.  t-i  aliqui  ad  distinctionem 
iussu 

censuerunt  st.  cesserunt 
llumineae  st.    tlaminiae 
(debentur,  230,  22  debentur) 
iussit 
capuensi 
est 

Ceteratim  Arena  st.  Cereatae  Mariana 
familia 

(Frixinonam)  st.  Frusinone 
debetur 
censiri  =  A 
(in  publico) 
uiris 

Labini  st  Lauinia 
Hadriano  =^  P 
triumuirale  =:^  A 
in 

Nuceria 

militibus  st.  iniliti 
Hadriano  in  praecisuris 
(absoluto) 


(OTW,  E) 

(defectus) 

limitum 

(et) 

(ripae  uenit) 

(fides  diffinitioni) 

(superando-) 

(dcccc.  XLX) 

(dirigunt) 

(termalii  qui  astant  in  centurione) 

(iussum) 

(consueuerunt  ^=  218,  2) 

(llumine) 

debetur 

{om.) 

(cupiensia) 

{om.) 

(cetera  timarena) 

(familia.    Familia) 

(Fraxinonam) 

(debetur  p  xii) 

(censeri  =  P) 

in  publicü 

{om.) 

(Libani) 

(Adriano) 

(tri-i) 

{om.) 

(Nouerca  uel  Nuceria) 

{om.) 

(Adriano  iuip  cisuris) 

soluto  =  AP 


Dir  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum. 


93 


La,  237,  2 

Augiistaneis 

6 

(militus) 

239.1 

(a  trium  uiros) 

5 

(deductum) 

12 

ab 

240,  6 

monumenta 

E  (Augusteis) 
militibus 
a  trium  uiris 
deducta 
{om.) 
(momenta) 


247 


5  senestratus 

9  tesselatus 

15  Neronianus 

18  XXV 

19  eonmutatus 

20  fiunt 


Nomina  agrorum. 


(senestatus) 

(tesseltanus) 

(Nerionanus) 

(E  nach  triumiuralis) 

(xx  11) 

(caiotatus) 

(fiuiunt) 


Nomina  limitum. 

247,  I  Anm.  deciinani 

248,  19  ustrenales  st.  Austrinales 
13  subrunciui 

18  moutani 

249,  25  decimani 
30  fiunt 


(deciani) 

(ustrenuales) 

(subcunciui) 

(montini) 

(decimini) 

(finiunt) 


Nomina  lapidum  finalium. 


249,  2     isopleurus 

250,  15  perramus  st.  j)yraniis 

Item  perramus  mitae  praecisae  similis 
28  Augusteus 
1     gammatus 


(isoplerus) 
(per  ramos) 
(om.) 

(Augustus) 
(graramatus) 


Ex  corpore  Theodosiani. 


267 

,  I 

LIBRü 

(libri) 

2 

8 

9 
10 

de  finium  regundorum 
mensor  ire  praecipiatur 
ut 
dominium 

\ 

(diffiniunt  regendorum) 
(mensori  repciatur) 
{om.) 
(dominum) 

12 

definiri 

(diffiniri) 

268 

14 

3 

6 

at  (F  allein  richtig) 
conss  (268,  II  desgl.) 
uoluisse 

(ac) 

{om.) 

(uoluisset) 

94 


C.  Thulin 


F  La.  268,8     expetat  (F  allein  richtig) 

iuris  alieni.     Is  uero  qui  inreptor 
9     fuerit 
18  aliquid 

269,  I     Arcadius  (12  u.  14  desgl.) 

Neotherio 
2     (perscriptione) 
12  notionem  (F  allein  richtig) 

270,  I     obnoxius 
2     nouemb 

6     sua  sponte  — -  P 

4     finales  uel  om.  F  =  P 

8  amissa///  tertia///  portione///  F  =  P 

9  relegantur  pr.  F 


E  (expectat  ==  G) 

(iuris  allen'  qui  inreptor) 

(fuerat) 

{om.) 

(Archadius) 

(Neotherico) 

praescriptione 

(nationem  E,  iudiciuin  P) 

(obnoxios) 

(nouenli) 

(ex  sua  sponte) 

amissa  tercia  portione 
(religantur) 


Fluminis  uaratio. 
285, 9     dictaueris 

8-10  (transferis  und  inpigerat) 
10  (F  Dittographie  von  qui  in  flunien  in- 
pigerat.  deinde   transferis   ferra- 
mentum  et  conprehenso  eo  rigore) 
16  (ab) 

16  soli  §missum 
19  transis  et  st.  transis  ex 
ferramenti 
286,  4     sequutus  eras  st.  secueras 
media  duo 
6  u.  8     exigisti  =  A 

9  (a  tetrantem) 

10  erit  om.  F  {nach  superfuerit) 


(dictaueras) 

transferes  imd  impegerat 

nicht  in  E 


ad 

(solif  missum) 

(transisset) 

(ferramenta) 

(secutus  fueras) 

(medio  dua) 

exegisti 

a  tetrante 

(est  add.  E  nach  latitudo) 


Limitis  repositio. 
286,  14-15  lapide  centuriale 
16  decusate 
19  eidem  lapidi  figis 
22-287,  ^  6*  altera  citra  lapidem. .  Inde 


287,6 
9 


feceris 
interuenerit 

11  reuerteris 

12  cultellabis 
26  (ficto) 

6  (lapidis) 

7  scripturam 
9     ut  puta 


(la-m  cen-m) 
(decus  a  te) 
(eisdem  lapidibus) 
(lapidis  ferrainentum  simililer  Facies : 
Dittographie  aus  der /olgenden  Zeile) 
(faceres) 
(innen  erit) 
(reuerteres) 
(cutellabis) 
fixo 

lapidum 
(scripturartnn) 
(ut  pote) 


Die  Handsc/mflen  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  95 

V  La.  288,  II  lapides  E  (lapidibus  uel  lapides) 

12  (cardines)  cardinis 

13  lapides  (lapidis) 

18  uarationem  in  (uariationeni.    In) 

22  facies  {wn.) 

23  uarasti  (uariasti) 
(deinde  in  aliis  om.  F) 

In  der  Fortsetzung  289-291  ist  E  defekt. 

§  13.  Das  Verhältnis  von  EF  zu  den  beiden  Hauptklassen  AB  und  P. 

über  die  Klassifizierung  der  Hss.  EF  gehen  die  Meinungen  weit  aus- 
einander. Blume  50  bezeichnet  ihren  Inhalt  als  »zerstreute  und  vermengte 
Überbleibsel  einer  größeren  Handschrift  -  -,  welche,  mit  der  zweiten  Hälfte 
des  Arcerianus  und  mit  dem  Gudianus  am  nächsten  verwandt,  vielleicht 
selbst  die  Quelle  von  jener  gewesen  ist«,  jedoch  ohne  diese  Meinung  zu 
motivieren  oder  näher  zu  entwickeln.  Lachmann  hat  in  dem  Text  nicht 
selten,  besonders  im  Liber  regionum  I  die  Überlieferung  des  A  durch  die 
des  E  ergänzen  zu  dürfen  geglaubt.  Mommsen,  Bonn.  Jahrb.  Heft  96-97, 
272  =  Gesamm.  Sehr.  VII  464,  stellt  ohne  Bedenken  E  mit  der  ersten  Klasse 
AB  zusammen,  »da  diese  (E)  von  der  ersten  sich  wesentlich  nur  durch 
die  veränderte  Ordnung  unterscheidet«,  obgleich  er  selbst  wenigstens  in 
betreff  des  Liber  regionum  früher  (Agrim.  II  157)  der  richtigen  Meinung 
war,  daß  dem  Autor  des  E  auch  eine  dem  Pal.  ähnliche  Hs.  vorgelegen 
hat  (s.  E  Nr.  7  6  und  19 5).  Bubnov  endlich  behauptet  im  Gegenteil,  daß 
EF  durchgehend  zu  derselben  Klasse  wie  P  gehören,  da  er  einige  schla- 
gende Übereinstimmungen  gefunden  hat.  Wie  so  verschiedene  Meinungen 
haben  entstehen  können,  werden  wir  gleich  sehen. 

Der  Anfang  von  EF  enthält  nebst  einem  kurzen  Fragment  von  Siculus 
Flaccus  (F  Nr.  2)  genau  den  Anfang  von  P,  nämlich: 

a)  die  Einleitung  zu  Baibus,  dessen  Schrift  ja  in  P  dem  Frontinus 
zugeschrieben  wird,  mit  derselben  Nachschrift  wie  in  P:  also  F  Nr.  i  und 
3  =  P  Nr.  I  a  und  h.  Diese  beiden  Auszüge  stehen  in  P  an  der  Spitze 
offenbar  als  Einleitung  zur  ganzen  Sammlung  mit  der  Subscriptio  Expl. 
epistola  ad  Celsum.  F  (oder  F')  schreibt  mit  richtiger  Auffassung  davon  Ex- 
plicit  praefatio,  während  E  keine  Subscriptio  hat. 

h)  Ex  corpore  Theodosiani  La.  267,  1-270,9:  also  F  Nr.  4  =  P  Nr.  2 
a  und  h. 


96  C.  Thulin: 

Aus  diesem  Anfang  geht  ohne  Zweifel  hervor,  daß  in  diesem  Teil  EF 
und  P  aus  einer  Quelle  geflossen  sind.  Bubnov  hat  nun  diesen  Schluß 
für  den  ganzen  Inhalt  der  Hs.  EF  gelten  lassen,  die  er  demnach  der  zweiten 
Klasse  zuschreibt.  Inwiefern  dieser  Schluß  berechtigt  ist,  wird  sich  aus 
dem  Folgenden  ergeben. 

Der  ganze  Inhalt  der  EF  ist  in  zwei  Bücher  geteilt.  Für  das  erste 
Buch  fehlt  wenigstens  die  Überschrift  in  F  (über  die  später  hinzugeschrie- 
bene s.  oben),  der  ganze  Anfang  in  E;  aber  die  Unterschrift  dieses  Buches 
luli  Frontini  Siculi  liher  I  explic.  gibt  an  die  Hand  sowohl  den  Titel  als 
auch  einen  großen  Teil  des  Inhalts,  Mit  Frontinus  (vielmehr  Baibus  unter 
dem  unrichtigen  Namen  des  Frontinus  gemäß  der  Überlieferung  der  2 .  Klasse) 
fing  dieses  Buch  in  FE  an.  Nach  Exzerpten  über  lapides  finales,  limites 
und  agri,  einem  kurzen,  hierher  verschlagenen  Fragment  aus  Agennius  Ur- 
bicus  und  dem  langen,  in  Unordnung  gebrachten  liber  Regionum  setzt  der 
wirkliche  Frontinustext  ein  mit  dem  Titel  Incipit  mensura  rationahilium 
agrorum,  jetzt  zerrüttet  und  durch  Teile  der  Limitis  reposiiio  (La.  286  ff.) 
und  andere  anonyme  Fragmente  unterbrochen.  Die  Subscriptio  erwähnt 
aber  auch  den  Siculus  (Flaccus),  von  dem  jetzt  in  EF  Nr.  2  nur  ein  Blatt 
des  Archetypus  erhalten  ist:  der  jetzt  in  das  zweite  Buch  dieser  Hss.  ver- 
schlagene Titel  E  Nr.  1 7  Incipit  Siculi  Flacci  de  condicionihus  agrorum  liher 
(der  hier  über  das  Werk  des  Hyginus  Gromaticus,  dessen  Anfang  fehlt, 
gestellt  ist),  gehörte  also  gewiß  zugleich  mit  der  Schrift  selbst  ursprünglich 
zum  ersten  Buch  (s.  S.  84).  Die  Subscriptio  erwähnt  die  beiden  in  diesem 
Buch  vorkommenden  Verfassernamen. 

Das  zweite  Buch  hat  die  Überschrift  Incipit  Marci  luni  Nypsi  liber  II 
feliciter.  Woher  hat  der  Exzerptor  den  Namen  des  Nypsus,  dem  er  so  viel 
zuschreibt?  Die  Antwort  ist  leicht  zu  geben.  Der  Anfang  des  Buches  enthält 
zwar  noch  versetzte  Blätter  des  Frontinus,  der  Limitis  repositio  und  Flu- 
miliis  uaratio  (EF  Nr.  9).  Was  aber  dann  folgt,  ist,  wenn  auch  unvoll- 
ständig erhalten,  gerade  der  Anfang  von  A :  das  Stück  Si  in  agro  adsignato 
ueneris  usw.  (La.  2 90 ff.),  Podismus  mit  der  Subscriptio  M.  luni  Nipsi  lib. 
explicit  und  die  Schrift  der  Epaphroditus  und  Vitruvius  Rufus.  In  A  ist 
M.  Juniüs  Nipsus  der  ersterwähnte  Autor,  und  deshalb  ist  er  wahrscheinlich 
auch  vom  Exzerptor,  der  diese  Hs. -Klasse  EF  schuf,  an  die  Spitze  dieses 
Buches  gestellt.  Wir  kommen  also  hier  zu  dem  Schluß,  daß  in  diesem  Teil 
K  und  A  aus  einer  Quelle  geflossen  sind  und  daß  im  ganzen  die  Klasse  E  F 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  97 

eine  aus  zwei  Handschriften,  einer  der  P-Klasse  und  einer  der  A-Klasse, 
hergestellte  Kxzerptensammlung  ist.  Zu  dieser  Annahme  stimmt  auch  die 
eigene  Erklärung  des  Exzerptors  gut:  E  Nr.  i6  Hos  ego  lihros  sortitus  usw. 
Deshalb  hat  er  die  Sammlung  in  zwei  Bücher  zerlegt. 

Wenn  nun  die  Prüfung  des  Inhalts  zu  einem  solclien  Resultat  geführt 
hat,  so  bleibt  zu  untersuchen,  ob  der  Text  selbst  dieses  bestätigt  oder  nicht. 
Dabei  ist  zu  bedenken,  daß  in  Handschriften,  die  an  Auslassungen,  Ver- 
schreibungen  und  falschen  Änderungen  so  reich  sind  wie  EF,  kleinere 
mit  A  oder  P  gemeinsame  Fehler  nicht  viel  beweisen.  Nur  eine  stark  über- 
wiegende Übereinstimmung  kann  den  Ausschlag  geben.  Ich  fange  mit  dem 
Text  an,  in  dem  wir  eine  solche  leicht  konstatieren  können,  dem  in  allen 
Hss.  überlieferten  sogenannten  Hyginus  Gromaticus  (ABEPG),  und  führe 
beispielsweise  die  Varianten  des   Anfangs  an: 

La.   167,  17   limites  auterri]  add.  a  limo  AE; 

18  cinctum  P,  conclusum  (conclusi  EJ  hoc  est  concinctum  ABE. 
168,  I     prorsos  P,  prorsus  ABE;  2  itenera  AE; 
3     acceperunt  P,  nnmen  acciperunt  ABE; 
6     rationalis  P,  rationaliter  A,  rationabiliter  BE; 

9  nam  P,  suam  A,  sua  BE;  ceteros  P,  ceteras  ABE; 

10  adque,  B,  atque  E,  a  quem  A,  oin.  P; 
linearii  P,  linearis  B,  Uinealis  A,  linealis  E; 

12  quinque  oin.  ABE;  centurias  P,  centuriae  ABE; 
14  subrunciui  P,  add.  subiunguntur  BE,  suhiuntur  A. 

Gegen  alle  diese  Fälle,  in  denen  E  mit  AB  mehr  oder  weniger  übereinstimmt  und  von 
P  abweicht,  können  wir  nur  eine  für  E  und  P  gemeinsame  Variante  aufstellen:  168,4  spec- 
tant  A,  spectabant  B,  expectant  EP;  so  schreiben  E  und  P  sehr  oft,  wie  sie  auch  in  andei'en 
orthographischen  Vai-ianten  oft  von  AB  abweiclien.  Bubnov  443,  der  beweisen  wollte,  daß 
E  durchgehend  zu  der  Gruppe  PG  gehört,  hat  eine  Menge  solcher  und  anderer  Überein- 
stimmungen in  Kleinigkeiten  zwischen  ihnen  angeführt,  ohne  zu  sehen  oder  zu  erwähnen,  daß 
sie  verschwindend  sind  gegenüber  den  Fällen,  in  denen  E  mit  A  oder  B  oder  den  beiden 
übereinstimmt.  Auf  jeder  Seite  wird  man  es  konstatieren  können  (S.  179  z.B.  stimmen  BE 
achtmal,  EG  zweimal;  S.  181  EAB  zehnmal,  EPG  keinmal  überein).  Nur  einmal  begegnet 
uns  eine  größere  Übereinstimmung  zwischen  E  und  GP,  nämlich  La.  190,8,  wo  nach  in 
planitia  notemus  Signum  die  Worte  C:  secundam  similiter  in  planitia  notemus  Signum  übersprungen 
sind.  Die  vielen  gemeinsamen  Worte  laden  aber  hier  besonders  zu  diesem  Fehler  ein;  und 
mit  AB  schreibt  E  hier  signum,  nicht  mit  PG  signo. 

Ich  erwähne  besonders  einige  Beispiele: 

La.   170,4     conprcliendi  ferramento  Wl,  ferrarmntum  c-i  B,  /-o  c-i  P; 
14  in  BG,  ei  A  E. 
PhU.-Ust.  Klasse.   1911.   Anhang.    Ahh.  IL  13 


98  C.  Thulin: 

La.  174,3     ad  agrum  de  quo  agitur  cum  perueniunt  P; 

ad  agrum  uenerunt  de  quo  agitur  cum  perueniunt  B ; 
ad  agrum  uenerunt  de  quo  agitur  A; 
ad  agrum  ueniunt  de  quo  agitur  E. 

In  AE  hat  also  die  Glosse  uenerunt  {ueniunt)  die  Worte  cum  perueniunt 
verdrängt. 
176,  2     publicae  om.  AE;  - 

3    praecibus  AE  statt  P.  R.  ciuibus  (P,  populi  romani  ciuib.  B); 
5     colonias  appellauerunt:  uictorihus  autem  adsignatae  coloniae  his  qui   BP; 
colonias  appellauerunt  uictorihus  autem  adsignatus  (colonias  appellauerunt 

victoribtis  autem  adsignatae)  coloniae  his  qui  A ; 
colonias  appellauerunt  uictorihus  colonias  assignatas  appellauerunt  hi  qui  E. 
Die  Lesung  des  E  ist  aus  der  Dittographie  in  A  hervorgegangen; 
II  gradu  peruenire    P,    gradu  peruenerint    B,    graditer  veniret  A,    grauiter 
uenire  E. 

186,  XI  per  AE,  a  B,  ac?  P; 

13  per  hunc  sol,  Jioc  est  infra,  ire  fertur  et  orhem  BP. 
In  AE  ist  eine  Glosse  in  den  Text  eingedrungen: 
[hoc  est]  per  hunc  sol  [intrare  fertur  id  est]  hoc  eis  infra  ire  fertur  orhem  A ; 
[hoc  est]  per  hunc  sol  [intrare  fertur  id  est]  hoc  eis  fertur  infra  orhem  E. 

187,  3     tetartemorio  P,  cetarmonos  B,  tetrantemorio  A,  tetrantem  monorio  E; 

forte  parte  nostri  et  artemono  ABE  (Glosse),  om.  P; 
7     orhi  de  caelo  uel,   gemeinsame  Glosse  in  AE   (om.  B,  esset  P  richtig). 
193,  14  conspiciemus  ABE  (Glosse),  om.  P. 
Aus   dem  Angeführten   dürfte  hervorgehen,   daß   E  im  Text  des   Hyginus  Grom.  mit 
AB  und  besonders  mit  A  (nicht,  wie  Blume  meinte,  mit  B)  näher  verwandt  ist  als  mit  P. 

Von  dem,  was  ich  wegen  des  Inhalts  einer  Hs.  der  A-Klasse  zuschrei- 
ben wollte,  d,  h.  von  dem  Anfang  des  zweiten  Buches  in  E,  sind  nur  knapp 
sechs  Zeilen,  La.  291,  13 — 292,  i,  in  AEP  gemeinsam  erhalten,  aber  in 
diesen  zeigen  A  und  E  nahe  Verwandtschaft: 

La.  291,  15  sie  scies  te  in  dextrato  et  dtrato  esse  AE,  om.  P; 
16  crescet  P,  om.  AE; 
18  «#  saepe  solet  A,  sicut  solet  sepe  E,  om.  P. 

Dagegen  enthält  das  erste  Buch  der  EF  mit  AB(I)P  gemeinsame  Stücke 
von  Frontinus,  Baibus  und  Nomina  agrorum,  limitum,  die  alle  der  P-Klasse 
näher  stehen  als  der  A-Klasse. 

Frontinus. 

La.  20,  II  qi/em  uis  F,  quamuis  P,  quam  uim  A. 

22,  7  sicut  FP,  et  A.     26,  i  partem  om.  FP. 

27,6  quare]  re  A,  om.  FP;  a  terra  A,  de  terra  FP; 

7  extisiit  A,  exit  FP. 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensormn  Romanorum.  99 

Aber  da  die  Voilage  des  Typus  E F  viel  älter  als  P  gewesen  sein  muß,  so  stimmen  wohl 
bisweilen  EF  mit  A  überein,  weil  P  Änderungen  jimgeren  Datums  hat,  wie  La.  27,8  numerum 
(spatium  falsch  P).  Vgl.  auch  26,  11  curae  A,  cur  ea  quae  E,  cuius  F  (cum  Goes.  La);  27,9 
si  P,  sisi  A,  nisi  E.  Besonders  ist  zu  beachten,  daß  Figuren  zu  diesem  Stück  in  EF  vor- 
handen sind,  in  P  fehlen.  Diese  sind  aber  in  der  P-Klasse  erst  von  dem  Autor  des  Commentum 
in  Frontinum  ausgelassen,  der  sie  durch  den  liber  diazogrqfus  (s.  P  Nr.  4^)  ersetzte,  ebenso 
wie  er  die  Schriften  des  Agennius  und  des  Hyginus  De  controuersiis  durch  Auszüge  in  dem 
Commentum  ersetzte.  Die  Vorlage  der  EF  war  also,  nach  allem  zu  urteilen,  älter  als  das 
Commentum. 

Balbus. 

Entscheidend  sind  die  beiden  großen  Übereinstimmungen  zwischen  EF  und  P:  der 
lange  Zusatz  in  95,4  und  das  Fehlen  der  Glosse  105,12-16  rectarum  -  -  pluriclatera.  Zu 
erwähnen  sind  auch:  <)^,\i  inlaturus  iV,  in  -  -  -  laiunts  E¥V.  12  quod  sint  i\,  quod  siEYV. 
15  modos  et  numeros  JV,  modum  et  numerum  EFP.  104,13  linearum  J,  formarum  EFP. 
19  positae  EP  om.  J  V.  105,  5  formae  EP,  forma  JV.  106,  7  quinque  EP,  duo  J,  dunrum  V 
(II,  statt  V).  94,10  longitudo  finita  J  V,  longitudn  finita  Mensura  est  P,  mensura  finitur  EF: 
Die  Glosse  Mensura  hat  in  EF  das  Wort  longitudo  verdrängt,  während  sie  in  P  nebst  diesen« 
Wort  aufgenommen  ist. 

Wo  EF  von  P  abweichen  und  den  JV  ähnlich  sind,  haben  wir  nur  ausnahmsweise 
eine  richtige  Lesung  in  P:  93,12  si  om.  EFJV,  94,5  ista  P,  ita  et  JVF,  ita  ut  E,  sonst 
Verschreibungen  oder  Änderungen,  die  wohl  jüngeren  Datums  als  der  Achetypus  der  EF 
sind:  94,16  in/ra  (intra  P),  104,14  uno  (unius  P),  18  06  (sub  P),  16  ut  plurimum  E,  in  plu- 
rimum  JV,  usque  P.  106,6  comprehensa  est  JV,  coniprehensa  E,  continetur  P.  105,8  reliquae 
accidentihus  singulis  (om.  \'^),  pluralitates  (pluritates  V)  et  infinitum  JV,  reliqua  ea  colentibus  sin- 
gulis  in  pluribus  et  infinitum  E,  reliqui  ex  multis  in  infinitum  P. 


Libri  regionum. 

Schwieriger  ist  die  Entscheidung  bezüglich  der  Libri  regionum,  weil  der  Aiitor  der 
EF  hier  die  Vorlage  frei  umgestellt  und  wenigstens  zum  Teil  umgearbeitet  hat. 

A  enthält  in  Nr.  5  den  Liber  regionum  I,  La.  207-240  und  in  Nr.  14a,  c  einige  nur 
durch  J  erhaltene  Bruchstücke  eines  anderen  Liber  regionum. 

P  Nr.  10  enthält  diese  beiden  Libri  regionum  so  zusammengearbeitet,  daß  Abschnitte 
aus  dem  ersten  mit  Abschnitten  aus  dem  anderen  (vollständiger  erhalten  als  in  J)  abwechseln; 
ferner  in  Nr.  19  den  Lib.  reg.  II  La.  252-262,  der  eine  spätere  Überarbeitung  des  Liber  I 
ist  (Mo.,  Agrim  11  167 ff.).  Von  dem  Lib.  reg.  1  hat  P  folgendes  ausgelassen:  Prov.  Lucania 
und  Brittiorum  209,1-210,2,  Prov.  SiciUa  211,9-22,  ferner  220,12-221,13.  223,6-13. 
231,14-18.    233,10-11.    238,10-14. 

EF  enthalten  schließlich  in  Nr.  70  und  19a,  wenn  auch  in  anderer  Ordnung,  den 
Liber  reg.  I  des  A  vollständig  außer  dem  Anfang  209,  i-2n^i,  23.  231,16-18  und  229,11-12, 
ferner  in  Nr.  76  und  19  5  überarbeitete  Exzerpte  aus  dem  Liber  reg.  II  des  P,  aber  nichts 
von  den  Stücken,  die  P  in  den  Liber  reg.  I  eingeschoben  hat  (Nr.  10 ö,  d,  e,  g). 

Es  ist  schon  aus  dieser  Übersicht  klar,  daß  die  Vorlage  der  EF  nicht  eine  dem  Pal. 
t^an/  ähnliche  Handschrift  war,  denn  EF  enthalten  auch  Texte,  die  in  P  fehlen.  Aber 
anderseits    fehlt   in    A    der  Liber   reg.  II,  den   der   Autor  der   EF  exzerpiert   hat,   und   ich 


100  C-  Thulin: 

glaube,  daß  dieser  Text  erst  in  der  P-Klasse  in  das  Korpus  Mufgenommen  worden  ist  (s.  oben). 
Vielleicht  sind  also,  wie  Mommsen,  Agrim.  II  157  meinte,  die  beiden  Redaktionen  A  und; 
P  in  EF  zusammengearbeitet.  In  dem  Text  des  Liber  reg.  I  ist  jedoch  die  Übereinstimmung 
mit  P  im  ganzen  größer  als  mit  A.  Ich  bin  deshalb  mehr  geneigt,  eine  ältere  Hs.  der 
P-Klasse,  in  der  der  Liber  reg.  I  vollständiger  erhalten  war,  den  EF  zugrunde  zu  legen. 

Folgende  Auslassungen  sind  gemeinsam  für  EF  und  P  (gegen  A). 

La.  209,  1-2 10,  2  (der  Anfang).  211,9-22.  231,16-18.  212,10  facito.  214,3.  217,13. 
218,3.  221,17.  233,1  und  13  et.  214,7  sz.  215,2  diximus.  218,7  et  pd.  00  gg.  221,14« 
Veiis.  222,6  facit.  225,1  pd.  szz.  226,1  alii.  232,5  olim.  236,9  irippp,  15  uhi  und  est 
(richtig).  237,  2  est. 

In  folgenden  von  A  abweichenden  Lesungen  stimmen  sie  überein: 

La.  212,  14  iusserit  A,  inssero  FP.  213,8  et  A,  et-iL-V,  et  Uli  F.  220,9  deßcientiöns] 
de/icientis  A,  defectis  FP.  232,  2  pro  merito  diuidi  imsit  h,  diuidiiussis  {iussum  F)  est  pro  merito 
FP,  8  fuerat  k,  est  FP.  239,  ro  ab  Augusto  sunt  k,  sunt  ab  Augusto  FP,  227,  14  et  FP,  vel 
A.  227,  14  vel  riparum  FP,  om.  A.  212,  i  et  FP,  om.  A.  213,4  Marci  F,  M.  P,  om.  A.  et 
Marci  item.  213,11-12  intercisiuos  -  -  custodiunt  FF,  auf  falschem  Platz  214,2   A. 

Wo  A  und  EF  gemeinsame  Sache  gegen  P  machen,  sind  wenigstens  in  den  meisten 
Fällen  starke  Neuerungen  zu  erkennen,  die  wohl  der  älteren  Hs.  des  P-Typus,  die  den  EF 
zugrunde  liegt,  noch  fremd  waren. 

Zusätze:  227,5-6  qui  in  modum  arcellae  facti  sunt  (om.  AF),  9-10  sed  sunt  loca  quae 
in  assignationem  non  ueniunt  (om.  AF),  230,6  pro  parte  in  striga  (et  strigas  A  E).    19  eins. 

Änderungen:  213,  15  alius  ab  alio  A,  alius  alio  F,  in  P.  223,  i  quibus  etiam  praeceptum 
est  AF,  his  autem  colonis  praeceptum  ante  fuerat  P.  225,2  ped.  AF,  et  P.  235,4  diuo  lulio 
AF,  luliano  P.    238,18  limitibus  Augusteis  in  nominibus  {omnibus  F)    AF,    mensura  Syllana  P. 

Umstellungen  in  223,4-6  und  226,  3-5  P  (nicht  AF). 

Auslassung  213,5  triurnuiris  rp  A,  tres  impppk  F,  om.  P. 

Das  richtige  enthält  aber  P,  sei  es  ui\sprünglich,  sei  es  korrigiert,  in  215,5  -ST.  ß#  jD] 
cardinis  id  est  decimanaano  et  duodecimano  A,  cardines  id  est  decimanis  et  dudecumanos  (duod.  E) 


i.  e. 


F,  beide  entstanden  aus  cardines  et  duodecimanos.  Der  Fehler  war  also  im  Ai-chetyj>us 
korrigiert. 

217,  I   Coronas  et  ante  nominata]  coi'onium  et  ante  coloroniniaas  nominata  A,  coronium  ante 

colonias 

colonias  nominata  F:  auch  hier  war  also  der  Fehler  korrigiert:  coronium,  und  A  F  haben  die 
Korrektur  mißverstanden. 

214,  I   latere  P,  laterum  AF  vielleicht  richtig.    13  quas  P,  quos  AF. 

220,7  *^''<2  seruant  P  om.  AF,  aber  F  läßt  auch  Coloni  vom  folgenden  Wort  aus  und 
hat  nur  Aveius  statt  Colonia  Veios. 

236,2  Surrentinum  A  F,   Surrentum  P. 

Als  Resultat  der  vorhergehenden  Untersuchung  ergibt  sich,  daß  der 
Autor  der  EF-Gruppe  eine  Hs.  des  A-Typus  (aber  nicht  A  selbst)  und 
eine  des  P-Typus  benutzte  und  daraus  zwei  Bücher  auf  die  Weise  schuf, 
daß  er  in  dem  ersten  hauptsächlich  die  P-Hs.,  in  dem  zweiten  die  A-Hs. 
exzerpierte.      Wie   seine  A-Hs.  vollständiger   als    unser   A  war,   so   unter- 


Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  101 

schied  sich  seine  P-Hs.  bedeutend  von  unserem  viel  jüngeren  P,  in  dem 
wir  oben  zwei  Redaktionen  erkannt  haben:  von  der  letzteren,  dem  Schluß 
von  P,  f.  I33'^-I49'^  ist  in  P]  keine  Spur  vorhanden.  Ob  und  wieweit 
er  in  den  einzelnen  Schriften  seine  beiden  Quellen  zusammengearbeitet 
hat,  muß  dahingestellt  bleiben.  Jedenfalls  repräsentieren  EF  keine  eigene 
Hs. -Klasse:  ihre  Bedeutung  liegt  besonders  darin,  daß  sie  unsere  Über- 
lieferung der  A-  und  P-Klasse  ergänzen,  aber  auch  darin,  daß  sie  unter 
der  ungeheuren  Menge  von  Verschreibungen  und  falschen  Konjekturen 
hie  und  da  alte  gute  Lesungen  geben.  Besonders  frei  ist  die  Behandlung 
der  Über-  und  Unterschriften  und  der  Zeichnungen,  aus  denen  nichts  zu 
holen  ist. 


Pha.-hist.  Klasse.   1911.    Anhang.    Ahh.  II.  ^^ 


102   C.  Thulin:  Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensarum  Romanorum. 


Inhalt. 


Seite 

Einleitung 3 

§  I.     Der  Archetypus 5 

§  2.     Ein  altertümliches  Fragment  (Cod.  Berlin  Lat.  f.  641) 7 

§  3.     Der  Arcerianus  A  und  B 10 

§  4.     Das  Verhältnis  zwischen  A  und  B 24 

§  5.     Die  Geschichte  des  Arcerianus 32 

§  6.     Eine  verlorene  Handschrift  des  AB -Typus 39 

§  7.     Die  Palatinische  Handschriftenfamilie 41 

§  8,     G  ist  Abschrift  von  P 58 

§  9.     Die  zweite  Handschriftenklasse  verglichen  mit  der  ersten 69 

§10.     Die  Handschrift  E  F 72 

§11.     Verlorene  Handschrift  des  EF-Typus 86 

§  12.     Das  Verhältnis  zwischen  F  und  E 89 

§  13.     Das  Verhältnis  von  E  F  zu  den  beiden  Hauptklassen  AB  und  P 95 


A'.  Prcuß.  Akad.  d.  Wissemch. 


Anhang  z.  d.  Phil.-hist.  Abh.    1911. 


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Tinsöicusus-l-^icA 
ASiNcciLisccr>Jici 
O  u  c  eN '  I  ej<  AI  ci  c  e  r 

T^A  B  e B3  ^  ;  esT A 
SCAa>)sJA  1  U SCJUl  vp 

\c  K  j  H  OTSf  N  JS  rj  NTjr^ 
pRAeseiSi  i  röe piiixe 

b  ABeTsi'i'ejN  Jci^AciL. 


Cod.  Arceriauus  A  Sp.  3-4.    Text  S.  25. 
C.  Thulin:  Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.    Taf.  I. 


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K.  Preuß.  Akad.  d.  Wissensch. 


Anhang  z.  d.  Phil.-hist.  Ahh.    1911. 


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Acjnr  ei  T><M  !^coi<Fc  ify<i} 
ArAiLJ[  T  S^l  PMeoöi'rr:! 

Mf^f»  J^eiutcreiiAje^  1 AO 

See>s^pee?c^i3eoM 

PJ  1C>  5»  1  ^  ^ AM  f  |: t':^5  T  c* . ' 
HaI^C  Hi>APPARe  151  I 

ciej^cui  >AcVf  >ror\t:ii 
po33rrn>pfsiio>eef 

3Ae.|h4  rcRLieHnieNÄ  ' 
criTKAecc  vpc>^T|o 
c>ec'LA|iAi:c|n^\tT^c  ivs 
öl  lAecoMSe*^!  IAH  1 


pAirre^^ABCI  MAO  I355eKj 

17eH»^  ecjiHCAi^rrc  i  a 
N  et:  j  •  cicRu  CT  >e^s  epo.s 

IV'R  riAf^AriS^LtACOM 

3eH  ^^c-Ti?  1  eoNi  i  leNP 
TieAcrtt'crxcJti^MiJko 

3ICNlMHi^ORcii|3Ho 
OilHAlAjLoCi^l^CJtJI 

ccici>c(cieef^Ai  ue3 
'~r  I  j  i  lA  1  iift,\c  1 1 Ali:  f  I 

FICIQ.StCMOflilO>l,0 

CAKec|VlfriAHf  I  tiri5^? 

etiersiiTi  iiKbA  lAj^o 
eef<t^rKio3AH^;^i' r<^T^^'' 

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Cod.  Arcerianus  B  Sp.  3-4-    Text  S.  31. 
C.  Thulin:  Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.    Taf.  IL 


K.  Preiiß.  Aknd.  d.  Wissensch. 


Änhariy  z.  d.  Phil.-hist.  Abh.   1911. 


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Arcerianus  B  39.    Text  S.  20. 


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Arcerianus  B  91.    Text  S.  20  f. 


C.  Thulin:  Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.  Taf.  UI. 


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K.  Preuß.  Akad.  d.  Wissensch. 


Anhang  z.  d.  Phil.-hist.  Abh.  1911. 


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Arcerianus  A  176  (La.  88,  17   Fig.  40;  s.  S.  38). 


Arcerianus  A  154  (La.  204,  15   Fig.  197;  s.  S.  39). 
C.  Thulin:  Die  Handschriften  des  Corpus  agrimensorum  Romanorum.   Taf.  IV. 


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K.  Preuß.  Akad.  d.  Wüsensch. 


Anhang  z.  d.  Phil.-hist.  Ahh.  1911. 


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Anhang  z.  d.  Phil.-hist.  Abh.   1911. 


K.  Preu/3.  Akad.  d.  Wvisensch. 


Anhang  z.  d.  Phü.-hist.  Ahh.  1911. 


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Der  Auszug  der  Hathor-Tefhut  aus  Nubien. 


Von 

Prof.  Dr.  HERMANN  JUNKER 

in  Wien. 


Phil.-hist.Klas.se.    1911.    Anhang.    Abk.  III. 


I 


Vorgelegt  von  Hrn.  Kr  man  in  der  Sitzung  der  phil.-hist.  Klasse  am  20.  October  1910. 
Zun»  Druck  veroi-dnet  am  gleichen  Tage,  ausgegeben  am   15.  Juli   1911. 


LJrugscli  litit  in  seinen  »Sieben  Jahren  der  Hungersnot«  S.  49II'.  und  im 
Dictionnaire  Geograpliique  S.  850  ff.  einige  kurze  Inscliriften  aus  Philä 
angeführt,  nach  denen  Sehu  und  Tefnut  aus  Kns-i  in  Nubien  nach  Snm-t 
eingewandert  seien;  neuerdings  hat  Aylward  M.  Blackman  in  dem 
Januarheft  19 10  der  Proeeedings  auf  diese  Texte  nochmals  hingewiesen'. 
Tatsächlich  aber  bilden  die  angefahrten  und  andere  weit  lehrreichere 
Texte  aus  Philä"  nur  die  örtliche  Überlieferung  einer  alten  Legende,  die 
wir  in  fast  allen  Tempeln  der  griechisch-römischen  Zeit,  jedesmal  mit 
(h'tlicher  Färbung,  wiederfinden.  Einmal  richtig  erkannt,  zeigt  sie  uns 
ihre  Spuren  allenthalben,  erschließt  uns  das  Verständnis  für  manche  Riten 
und   läßt  viele  Inschriften    erst   in   ihrer   eigentlichen  Bedeutung   erfassen. 


I.  Teil. 
1.  Der  Inhalt  der  Legende. 

Zunäclist  sei  eine  allgemeine  Übersicht  über  die  Legende  gegeben, 
wie  sie  sich  aus  den  verschiedenen  Überlieferungen  der  einzelnen  Tempel 
rekonstruieren  läßt,  unter  möglichster  Anlehnung  an  die  Texte  und  Riten ; 
die  wörtlich  oder  fast  wörtlich  zitierten  Stellen  sind  dabei  gesperrt  gedruckt. 

Die  Legende  versetzt  uns  in  die  Zeit,  in  der  der  Sonnengott  nocli 
auf  Erden  lebte  und  die  Herrschaft  in  Ägypten  führte.     Damals  hauste  in 

^    Vgl,  auch  Brugsch,  Thes.  500;  Diction.  geogr.  S.  211. 

2  Die  Texte  von  Philä  und  den  unternubischen  Tempeln  sind  durch  die  Expeditionen 
1908  — 1910  zugänglich  gemacht  und  wurden  mit  Erlaubnis  der  Kgl.  Akademie  der  Wissen- 
schaften zu  Berlin  für  die  vorliegende  Arbeit  benutzt. 

1* 


4  H.Junker: 

Biügm  \Kns-t\,  d.  i.  im  Wüstengel )iet  östlich  vom  obernubischen  Nil,  seine 
Tochter  Tefnut.  Sie  wird  als  wilde  Löwin  geschildert,  die  die  Wadis 
durchstreift,  vom  Blut  ihrer  Opfer  gerötet,  die  in  steter  Wut  ihren 
Feinden  nachsetzt,  sie  niederwirft,  ihr  Fleisch  frißt  und  ihr  Blut 
schlürft.  Aus  ihren  Augen  sprühte  Feuer,  Feuer  war  der  Hauch 
ihres  Mundes,  und  ihr  Herz  brannte  vor  Zorn.  Sie  hatte  ihre  Wüste 
nie  verlassen   und  kannte  Ägypten  nicht. 

Nun  hatte  Re  den  Wunsch,  sie  in  seiner  Nähe  anzusiedeln.  Soviel 
sich  erkennen  läßt,  bewog  ihn  dazu  ein  doppelter  Grund.  Einmal  wird 
hervorgehoben,  daß  Tefnut  seine  Tochter  sei,  aus  ihm  hervorge- 
gangen, die  sein  Herz  liebte,  bei  deren  Anblick  er  jubelt,  die 
nun  zu  ihrem  Vater  gebracht  werden  soll.  Dann  aber  wird  ein  prak- 
tischer Grund  angeführt.  Sie  hatte  so  viele  Proben  ihrer  Kraft  gegeben, 
daß  er  sie  als  seine  Beschützerin  wählte,  die  die  Feinde  ihres  Vaters 
niederwerfen  und  seine  Glieder  schirmen  solle. 

Re  betraut  Schu  und  Thot  mit  der  Ausführung  seines  Planes.  Ersterer 
war  der  Bruder  der  Göttin,  ein  Löwe  von  gewaltiger  Kraft,  mit  lautem 
Gebrüll,  mit  starken  Pranken;  er  hatte  sich  längst  von  seiner  Schwester 
getrennt  und  sich  in  Ägypten  angesiedelt \  Als  Re  in  Bedrängnis  geriet 
und  sich  vor  seinen  Feinden  verbergen  mußte,  war  Schu  als  sein 
Beschützer  aufgetreten  und  hatte  die  Widersacher  zweimal  zu  Boden 
geworfen.  Wohl  wegen  dieser  Beweise  seiner  Treue  war  er  für  die 
Sendung  ausersehen  worden,  und  dann,  weil  er  als  Bruder  am  geeignetsten 
schien,  die  Göttin  zu  überreden.  Vielleicht  hatte  er  auch  aus  freien  Stücken 
sich  erboten,  denn  es  war  auch  sein  persönlicher  Wunsch,  Tefnut  nach 
Ägypten  zu  bringen.  Wenn  wir  sehen,  wie  er  später  als  der  Gemahl 
[shn)  der  Göttin  auftritt,  wie  er  ihr  treuer  Genosse  genannt  wird  und 
diesen  Titel  als  Beinamen  erhält,  wie  Tefnut  bei  ihm  bleibt  und  nicht 
von  ihm  weicht  an  allen  Orten,  so  müssen  wir  annehmen,  daß  es 
zugleich  sein  ursprünglicher  Plan  war,  sie  für  sich  zu  gewinnen  und  heim- 
zuführen. 

Thot  wird  ihm  mitgegeben,  damit  er  durch  seine  magischen  Sprüche 
die  Göttin  überrede,  denn  man  wußte  wohl,  daß  es  ohne  Zauberkünste 
nicht  möglich  sei,  sie  zum  Verlassen  ihrer  Heimat  zu  bewegen.    Die  beiden 


'    So  wenigstens  nach  einer  Version. 


Der  Auszug  der  Hatkor-Tefnut  aus  Nuhiefi.  5 

Götter  verwandeln  sich  in  Affen,  vielleicht  weil  die  Göttin  in  der  Wüste  mit 
dieser  Erscheinung  vertraut  war,  und  machen  sich  auf  den  Weg  nach  Nubien. 
Schu  durchstreift  die  Wadis  von  Knst  und  findet  die  Schwester  in 
Bwgm.  Die  Szene,  die  sich  nun  abspielte,  ist  uns  in  einer  Darstellung  er- 
halten. Da  steht  die  Löwin,  grimmig  mit  erhobenem  Schweif,  und  vor  ihr 
Thot  als  Pavian,  die  beiden  Hände  zum  Preis  hoch  erhoben,  imd  redet 
ihr  zu,  um  sie  zu  besänftigen.  Wenn  wir  auch  den  genauen  Wortlaut 
seiner  schönen  friedbringenden  Reden  nicht  wissen,  so  ist  uns  doch 
ihr  Inhalt  im  einzelnen  erkennbar.  Er  redet  ihr  von  den  Schönheiten,  die 
sie  im  Lande  ihres  Vaters  schauen  und  genießen  soll,  vom  Nil  Ägyptens 
und  allen  Wundern  von  timrj\  er  rät  ihr,  mitzukommen  und  selbst  zu 
sehen  und  dann  für  immer  f^t-t  den  Rücken  zu  kehren.  Ihre  Wüste 
soll  sie  mit  einem  Wunderland  vertauschen  mit  breitem  Strom,  grünen 
Fluren,  mit  Städten  und  Dörfern.  Dort  werde  man  ihr  Tempel  bauen,  in 
denen  die  Menschen  sie  verehren.  Dort  brauche  sie  nicht  mehr  auf  Raub- 
zügen Nahrung  zu  suchen;  Gazellen,  Antilopen,  Steinböcke  und 
alles  Getier,  das  in  der  Wüste  lebt,  soll  täglich  auf  ihren  Altären 
geopfert  werden;  täglich  werde  man  ihr  Wein  reichen,  damit  sie  sich  daran 
berausche,  einen  Trank,  der  alle  Trauer  aus  ihrem  Herzen  ver- 
scheuche; Musik,  Gesang  und  Tanz  sollen  nie  vor  ihr  aufhören. 

Thot  hat  sich  dabei  gewiß  nicht  mit  einer  theoretischen  Schilderung 
begnügt;  damals  reichte  er  ihr  wohl  zum  erstenmal  den  mwiü-Krug,  ließ 
ihr  Gazellen  bringen  und  vor  ihr  musizieren.  Dann  holte  er  das  magische 
wnsh  hervor,  das  sie  so  gern  sieht,  reicht  es  ihr  hin  und  rezitiert 
seine  Zauberformeln  dabei. 

Schu  wird  ihr  ähnlich  zugeredet  und  sie  eingeladen  haben,  mit  ihm 
zu  ziehen  und  an  seiner  Seite  zu  bleiben. 

Den  vereinten  Bemühungen  kann  Tefnut  nicht  widerstehen;  ihr  Zorn 
legt  sich,  und  sie  ist  bereit,  mit  nach  Ägypten  zu  ziehen.  Da  umarmt 
Schu  sie  freudig,  und  man  bricht  von  Bwgm  auf.  Ein  froher  Zug  setzt 
sich  in  Bewegung.  Die  einheimischen  Sänger,  Bese  und  Paviane,  begleiten 
die  Götthi  zu  ihrer  neuen  Heimat.  Schu^  selbst  ergreift  die  Laute  und 
tanzt  vor  seiner  Schwester  her,  um  sie  in  Frieden  heimzubringen. 
Thot  weicht  nicht  von  ihrer  Seite  und  wird  nicht  müde,  seine  besänfti- 
genden Worte  zu  wiederholen,  damit  sie  auf  dem  Wege  nicht  wankel- 
mütig werde. 


6  H.  Junker: 

So  langt  man  bei  Philä  an  der  Grenze  Ägyptens  an.  Nicht  wie  eine 
wilde  Löwin,  sanft  wie  eine  Gazelle  steigt  sie  dort  vom  Wüsten- 
gebirge herab  und  sieht  hier  zum  erstenmal  die  Herrlichkeiten  des  Landes, 
von  denen  Thot  geredet  hatte. 

Schnell  verbreitet  sich  die  Kunde  von  Tefnuts  Ankunft  im  Lande. 
Singende  Frauen,  mit  Sistren  und  Tamburin,  die  Haare  mit  Blumen  be- 
kränzt, kommen  ihr  entgegen;  Priester  stimmen  zu  Harfe  und  Flöte  Will- 
kommlieder an;  Gazellen  werden  auf  den  Schultern  herbeigetragen,  Wein- 
krüge und  Blumensträuße  dargereicht;  man  salbt  sie  mit  Myrrhe  und  setzt 
einen  Kranz  auf  ihr  Haupt.  Auf  dem  Abaton  kühlt  Schu  ihre  Glut, 
und  sie  reinigt  ihre  Glieder  im  Wasser  der  heiligen  Insel.  Da 
wandelt  sich  die  Löwin  in  eine  holde  Frau  mit  leuchtenden  Augen 
und  frohem  Angesicht,  mit  Locken  und  Brüsten,  die  Herrin  der 
Frauen,    glänzend   in    ihrer   Schönheit,   mit   fürstlicher   Gestalt. 

Re,  ihr  Vater  erblickt  sie,  jubelnd  schließt  er  sie  in  seine  Arme 
und  ruft:  Ich  umarme  dich,  o  Herrin  der  Frauen,  meine  Toch- 
ter, die  aus  mir  hervorgegangen  ist. 

In  Philä,  ihrem  ersten  Halteplatz,  erhält  sie  ein  Heiligtum  nel)en 
ihrer  Schwester  Isis,  an  deren  Seite  sie  weilen  soll,  um  mit  ihrer  Macht 
die  heilige  Insel  zu  schirmen  und  die  Feinde  ihres  Bruders  Osiris 
fernzuhalten,  dessen  Mysterien  hier  gefeiert  werden. 

Dann  steigt  sie  zu  Schiff,  um  nilabwärts  zu  fahren.  Neun  Tage  scheint 
ihre  Reise  gedauert  zu  haben,  oder  an  neun  Stellen  hat  sie  gehalten,  denn 
bei  den  Erinnerungsfestlichkeiten  werden  immer  neun  Fahrten  erwähnt. 
Überall,  wo  das  Schiff  anlegt,  wiederholt  sich  der  festliche  Empfang,  wie 
er  ihr  beim  Eintritt  in  das  Land  bereitet  worden  war.  Sie  nahen  zu- 
nächst Ombos,  der  Stätte,  an  der  ihr  Bruder  Schu  seine  Heldentaten 
verrichtet  hatte,  indem  er  Re  zweimal  vor  seinen  Feinden  rettete.  Da 
sprach  Thot  zu  Tefnut:  »Hier  wird  es  dir  gut  sein  bei  deinem 
Bruder  Schu«;  sie  landet,  und  fortan  nennt  man  sie  hier:  «die  gute 
Schwester«.  Die  Empfangsszene  ist  uns  auf  einem  Tempelrelief  wieder- 
gegeben: die  Göttin  hat  auf  einem  Thronsitz  Platz  genommen;  vor  ihr 
steht  Schu  und  preist  sie,  neben  ihm  Thot  und  reicht  ihr  das  wnsh. 
Re  breitet  hinter  ihr  seine  Arme  aus,  und  Tnn  bringt  ihr  Amulette;  sie 
alle  sind  bemüht,  sie  zu  erheitern  und  ihr  den  Aufenthalt  angenehm  zu 
machen. 


Der  Auszug  der  Hatibor -Tefnut  aus  Nuhien.  7 

In  Kdfii  begrüßt  sie  Honis,  der  einst  in  Piint  ihr  Nachbar  gewesen 
war;  die  Frauen  der  Stadt  singen,  tanzen  und  hüpfen  aus  Freude 
über  ihre  Ankunft;  dann  fährt  sie  weiter  nach  P]lkab.  Ferner  macht 
sie  in  Ksneh  halt;  die  Götter  der  Stadt  waren  ihr  entgegengefoliren;  alle 
Welt  feierte  einen  frohen  Tag,  und  jubelnd  zieht  sie  in  die  Stadt 
ihres  Vaters  ein.  i]in  besonders  feierlicher  Empfang  wurde  ihr  bereitet, 
als  sie  in  Dendera  anlegte;  hier  ist  ihr  Herzenssitz,  die  Stätte  der 
Tefnut,  der  Ort,  den  Tefnut  liebt,  von  dem  Thot  sagte,  daß  Freude 
darin  herrsche,  an  dem  man  ihr  immerdar  den  Weinkrug  reicht, 
vor  allen  anderen  Göttinnen. 

Auch  in  Athribis  scheint  sie  angehalten  und  einen  Ruheplatz  gefunden 
zu  haben,  wie  die  mangelhaften  Inschriftreste  noch  erkennen  lassen. 

So  war  denn  Tefnut-Hathor  in  den  Tempeln  Ägyptens  heimisch  ge- 
worden; die  blutdürstige  Löwin  war  gezähmt  und  freundlich  gestimmt. 
Neben  ihrem  Bruder  Schu  hat  sie  in  den  Heiligtümern  Platz  genommen, 
sclienkt  ihm  einen  Sohn,  und  zu  dreien  erscheinen  sie  bei  frohen  Fest- 
zügen und  lassen  vor  sich  spielen  und  singen. 

Aber  das  friedliche  Wesen  haftet  ihr  nur  äußerlich  an,  ihre  Natur 
war  nicht  gewandelt,  ihre  ungebändigte  Kraft  hat  sie  nicht  verloren.  Das 
ist  zur  Auffassung  der  Doppelnatur  in  der  Göttin  von  größter  Wichtigkeit, 
und  nur  so  lassen  sich  die  merkwürdigen  Gegensätze  bei  der  Schilderung 
ihres   Wesens  verstehen. 

Nie  darf  man  aufhören,  die  alten  betörenden  Lieder  vor  ihr  zu  singen, 
vor  ihr  zu  tanzen  und  sie  mit  Musik  zu  erheitern.  Thots  Aufgabe  nimmt 
kein  Ende.  Alltäglich  muß  er  sie  besänftigen,  seine  Zaubersprüche 
müssen  stets  ihren  Ohren  klingen,  um  den  alten  Grimm  nicht  aufkommen 
zu  lassen;  der  Wein  darf  nicht  ausgehen,  sieben  tnf-t-KriXge  sind  ihr 
tägliches  Quantum. 

Das  ist  die  Göttin,  die  lacht  und  zürnt,  Sechmet  im  Grimm  [nSn], 
Bast  in  der  Freude  [A^p],  die  Göttin,  deren  Herz  süß  und  heiter  ist 
und  in  Zorn  entbrennt  [nsn  ib,  ^h  ib],  deren  Augen  hell  und 
froh  dreinschauen  [wbh  mr-tj]  und  dani^blutunterlaufen  [hrs-t]  und 
grimmig  [näd  br]  ihre  Opfer  anblicken  und  Feuer  auf  sie  schleu- 
dern. Sie  ist  die  Herrin  der  Frauen  und  die  Führerin  der  furcht- 
baren ^wy-Dämonen,  sie  kann  keine  Stunde  den  Wein  entbehren 
und  freut  sich,  das  Blut  ihrer  Feinde  zu  schlürfen:  man  brennt 


8 


H.  Junker 


ihr  süßen  Weihrauch  und  erfreut  sie  durch  den  Qualm  ilirer 
Feueropfer;  sie  schmückt  ihr  Haupt  mit  Blumenltränzen  und  rötet  sich 
mit  dem  Blut  ihrer  Feinde;  man  singt  ihr  frohe  Lieder,  führt  ihr 
heitere  Tänze  auf  und  zittert  vor  ihr,  wenn  sie  mit  feurigem  Hauch 
die  Berge  sengt. 

Ja,  selbst  in  ihrer  Zufriedenheit  kann  sie  das  Ungebändigte  ihrer 
Natur  nicht  verleugnen,  denn  zufrieden  ist  sie  nur  im  Rausch,  l)ei  wilden 
Tänzen  und  blutigen  Opfern,  und  wir  sehen,  wie  ihr  Kult  in  Orgien  ausartet. 

Re  hatte  die  Göttin  kommen  lassen,  um  bei  ihr  Hilfe  gegen  seine 
Feinde  zu  finden,  und  sie  hat  sich  tatsächlich  nach  ilirer  Ansiedelung  in 
Ägypten  als  Beschützerin  ihres  Vaters  bewährt.  Sie  verbarg  ihn  vor 
seinen  Widersacliern,  warf  seine  Gegner  nieder  und  verbrannte 
sie  mit  der  Flamme  ihrer  Augen.  Da  sie  diese  Taten  wohl  nicht  in 
ihrer  Zufriedenheit  vollbracht  haben  wird,  muß  man  annehmen,  daß  far 
diese  Zeit  die  Besänftigung  eingestellt  wurde  und  ihre  alte  Wildlieit  wieder- 
kehrte, bis  nach  Vernichtung  der  Feinde  Thot  und  Sclm  ihr  Amt  wieder 
ausübten. 

Von  Re  selbst  war  nun  für  alle  Zeiten  bestimmt  worden,  daß  der 
Tag,  an  dem  seine  Tochter  aus  Bwgm  kam,  feierlich  begangen  werde; 
und  so  wiederholte  sich  Jahr  für  Jahr  dramatiscli  der  festliche  Einzug  so, 
wie  er  in  der  Urzeit  stattgefunden  hatte. 

In  Philä  bildet  sich  der  Zug  zum  Kiosk,  um  die  Göttin  in  Empfang 
zu  nehmen.  Dort  landet  sie  in  ihrer  Barke  und  zieht  dann  die  heilige 
Straße  entlang,  ihrem  Heim  im  Osten  der  Insel  zu.  Alles,  was  sich  damals 
begeben  hatte,  wiederholt  sich  jetzt.  Man  reicht  ihr  das  wn^h,  windet 
ihr  den  Kranz,  reicht  ihr  den  Trank  und  schmückt  sie  mit  Amuletten. 
Die  Prozession  eröfliien  lautenspielende  Affen,  ihnen  folgen  Bese,  die  das 
Tamburin  schlagen  und  Laute  spielen;  dann  kommen  Gabenträger  mit 
Blumen  und  Gazellen,  endlich  Priester  mit  Harfen  und  Flöten.  Den  Zug 
begleiten  Schu  und  Thot,  um  das  Bild  der  Göttin  bemüht.  Frohe  Weisen 
(erklingen,  Lieder,  die  Tefnut  in  ihrem  neuen  Heim  bewillkommnen: 
«Lauter  Jubel  herrscht  an  ihrem  Heiligtum,  Philä  freut  sich, 
denn  Hathor  tritt  ein,  sie  kommt  von  Bwgm  gezogen,  betet  sie 
an,  wenn  sie  in  ihrem  Hause  ruht.«  Die  Frauen  schlagen  das  Tam- 
burin und  rufen  Heil  und  Willkommen:  Hathor  kommt  zu  ihrem 
Hause;  o  wie  süß  ist  es,  wenn  sie  sich  naht. 


Der  Auszug  der  Halhor -Tefnut  aus  Nul)ien.  9- 

In  Dendera,  Edfu  und  Esneli  beginnen  die  Feierliclikeiten  am  19.  [17.] 
Tybi.  Frohe  Feste  feiern  die  Erinnerung  an  die  Landung  der  Göttin. 
Neun  Tage  werden  große  Wasserfahrten  veranstaltet,  und  unter  Opfern 
und  Libationen  zieht  die  Göttin  in  ihrer  Barke  auf  dem  Strom  den  Weg, 
auf  dem  sie  einst  gefahren  war. 

Aber  nicht  nur  an  diesem  Tag  und  in  diesem  Zusammenhang  ist  die 
Erinnerung  an  die  Ankunft  bewalirt;  es  ist  erstaunlich,  wie  die  Legende 
den  ganzen  Kult  durchdrungen  hat.  Titel  und  Namen  der  Göttin  spielen 
allenthalben  darauf  an ;  man  macht  einzelne  Momente  der  Sage  zum  Gegen- 
stand eines  Festes  oder  besonderer  Zeremonien.  Tanzt  der  König  vor 
Tefnut,  so  ist  er  das  Abbild  des  Sc  hu,  der  beim  Auszug  aus  Nubien 
vor  ihr  hüpfte;  reicht  er  Blumen,  rasselt  er  mit  den  Klappern,  spendet 
er  Wein,  so  erinnert  alles  den  Priester  an  die  Szene  der  Entführung. 

So  wurde  täglich  im  Kult  das  Andenken  an  die  Ankunft  der  Lieb- 
lingsgöttin erneuert,  von  der  Ptr<^  des  Dogson-Papyrus  beim  Gelage  in 
ihrem  Tempel  auf  Philä  bekannte:  »Der  Tefnut  (Hathor)  kommt  doch 
keine  gleich.« 


In  der  vorstehenden  Übersicht  sind  die  verschiedenen  Züge  aus  allen 
in  Frage  kommenden  Tempeln  zu  einem  einheitlichen  Bild  zusammen- 
gefaßt worden.  Nun  lassen  sich  aber  fast  überall  örtliche  Verschieden- 
heiten feststellen.  Es  galt  bei  jedem  Heiligtum,  das  eine  der  Gestalten 
der  Hathor  oder  eine  verwandte  Göttin  verehrte,  ilie  Legende  anzupassen 
und  sie  so  zu  gestalten,  als  habe  sie  eine  besondere  örtliche  Beziehung. 
Das  Ergebnis  dieses  Unternehmens  wird  unten  ausführlich  bei  den  ein- 
zelnen Tempeln  besprochen;  hier  sei  es  kurz  zusammengefaßt. 

In  Philä  war  die  Tefnut-Hathor  die  Heldin  der  Sage.  In  ihrem 
Tempel  und  in  den  Liedern  wird  sie  meist  einfachhin  Hathor  genannt, 
in  den  anderen  Darstellungen  mehr  Tefnut,  und  der  gemeine  Mann  rief  sie 
ebenfalls  bei  diesem  Namen  an.  Nach  der  offiziellen  Auffassung  war  sie 
Tefnut  in  der  Gestalt  der  Hathor.  ^iußerdem  wird  die  Göttin  der 
Flammengöttin  wps-t  angeglichen,  die  aber  wiederum  nur  eine  örtliclie 
Form  der  Tefnut  ist. 

In  Ombos  ist  es  die  Schwester  des  Haroeris-Schu,  die  t>'  sn-t  nfr-t- 
Tefnut,    die   aus  Kns-t  kam,    in  Esneh    verehrt   man    sie   als  rnnhj-t,   eine 

Phil.-hist.  Klasse.    1911.   Anhang.    Abh.  III.  2 


10 


H.  Junker: 


örtliche  Gestalt  der  Genossin  des  Schu.  Kdfii  und  Dendera  ])esaßen  eine 
echte  Hathor. 

Trotz  dieser  Verschiedenheiten  lassen  sich  wiederum  die  Rezensionen 
in  Gruppen  zusammenstellen;  es  ergeben  sich  dabei  als  verwandt:  Dendera, 
Edfu  und  Esneh  einerseits  und  Ombos,  Philä  samt  den  nubischen  Tempeln 
anderseits. 

Die  drei  erstgenannten  Tempel  haben  zur  Erinnerung  an  die  Ankunft 
der  Göttin  einen  Periplus  von  neun  Fahrten  zwischen  dem  ig.Tybi  und 
4.Mechir.  Der  Text,  der  die  Feierlichkeiten  mythologisch  begründet,  ist 
in  Edfu  und  Dendera  beinahe  wörtlich  derselbe  und  vielleicht  von  Edfu 
übernommen. 

Die  andere  Gruppe  hängt  ebenso  eng  zusammen.  Die  nubischen 
Tempel  sind  vollkommen  von  Philä  abhängig  und  geben  bloß  die  dortige 
Überlieferung  wieder,  Dakke  allein  ausgenommen,  das  seines  Hauptgottes 
wegen,  der  bei  der  Plntfiihrung  eine  Rolle  spielte,  sich  eingehender  mit 
der  Legende  beschäftigt.  Ombos  zeigt  in  den  Ausdrücken,  die  das  Kommen 
der  Göttin  schildern,  in  den  Darstellungen  der  U  m-t  ??//■•/- Tefnut  und 
ihrer  Begleiter  auf  der  Reise  enge  Verwandtschaft  mit  der  Tradition  von 
Philae  und  Nubien ;  zudem  findet  sich  die  Rezension  von  Ombos  auf  einigen 
Darstellungen  in  Philae  einfach  übernommen. 

Daß  die  beiden  großen  Gruppen  wieder  auf  ein  und  dieselbe  Legende 
zurückgehen,  ist  zweifellos.  In  beiden  wird  die  Hathor  aus  ßiog?n  entführt; 
sie  wird  bewogen,  *S/-^  zu  verlassen,  ein  Jubelfest  feiert  ihre  Ankunft,  Schu 
tanzt  in  Esneh  und  Dendera  vor  ihr,  wie  er  es  nach  der  Erzählung  Philäs 
beim  Auszug  aus  Nubien  tat.  Thot,  die  heiligen  Affen,  das  Land  I{7is-t 
als  Aufenthaltsort  der  Göttin  finden  wir  in  Dendera,  Ombos  und  Philä  usw. 
Für  das  Nähere  sei  auf  die  Texte  der  einzelnen  Tempel  verwiesen,  die 
unten  erörtert  werden. 


2.  Alter  der  Legende. 

Alle  hier  fiir  die  Legende  verwerteten  Texte  gehören  der  griechisch- 
römischen Epoche  an,  so  daß  wir  für  positive  Zeugnisse  auf  eine  ziem- 
lich späte  Zeit  angewiesen  sind.  Es  fragt  sich  nun,  ob  die  Entstehung 
des  Mythus  ebenfalls  in  diese  Periode  fallt  oder  weiter  zurück  zu  da- 
tieren ist. 


Der  Auszug  der  Hathor-Tefnut  aus  Nubien.  11 

Bei  dem  konservativen  Charakter  der  damaligen  Priester  ist  es  von 
vornherein  unwahrscheinlich,  daß  sie  eine  ihnen  selbst  als  neu  bekannte 
Sage  in  ihr  System  aufgenommen,  geschweige  denn  in  solchem  Umfange 
verwertet  hätten. 

In  Dendera  und  Edfu  wird  die  Einführung  eines  der  Hauptfeste  auf 
die  Legende  zurückgeführt,  in  Ombos  ist  die  Entstehung  des  Heiligtums 
mit  ihr  in  Verbindung  gebracht,  Philä  könnte  man  sich  ohne  dieselbe  gar 
nicht  denken ;  die  Namen  der  Heiligtümer,  die  Titel  der  Götter,  Prozessionen 
und  Zeremonien  sind  überall  mit  ihr  verknüpft. 

Das  kann  nicht  über  Nacht  so  geworden  sein;  dahinter  muß  eine 
lange  Tradition  liegen,  die  von  den  Ptolemäern  als  zum  alten  Bestand  ge- 
hörig betrachtet  wurde.  Wie  alt  sie  aber  tatsächlich  ist,  kann  man  gar 
nicht  sagen,  vielleicht  wirklich  uralt,  nur  sonst  nicht  überliefert,  vielleicht 
auch  im  neuen  Reich  erst  entstanden. 

Es  lassen  sich  freilich  einige  Stellen  früherer  Zeit  anführen,  die  An- 
deutungen zu  enthalten  scheinen.  Im  Mut-Ritual  Pap.  Berl.  3053,  17,  9  ff. 
wird  die  Göttin  mit  Sechmet  identifiziert,  und  es  heißt  von  ihr': 


\    °§  J  (lfly^<=>'"^^?  ^  "^ — ""^     Ptah  kommt,  dich  zu  erhei- 
oX^)iS  oD     Xo\i   I   ip=^  tern,ounsereHerrin, Her- 
rin des  Himmels  .  .  . 


-^"rr^   ^    AWq^-^.^^     Ich  fand  dich  sitzen  auf  dem 


(9  _^  i^  U  I  -M^  _  _  ^Qj^  Punt. 


ra^^^TÖ^' 


Man  tanzt  dir. 


11  Horus  [der  Ältere]  singt  dir. 

"(1~^\\^'^^^^   ^   n^^'^  Die  Wadibewohner  [kommen] 


l^  ^^!^i^ 


^ö^1k    ßnjili  mit  jungen  Gazellen  zu  dir. 


^    Nach  dem  Wörterbuche  i.  Berlin. 


12  H.  Junker: 

Ebenda  steht   19,3!!*.: 

JK.^(9  a^=>R  m    f\(\f\  J\  Wie  schön  ist  es,  wenn  [du?'J 

6<=:>\\oDloOÖ)iH^o  gnädig  List,  Shrn-t,    wenn 

du  kommst. 

lj^^£)^'wwsA  Zürne  nicht  gegen  uns! 

-  (E  '=^=  Wie  schön  ist  es(?),  wenn  du(?) 


o 


o  D 


gnädig  bist. 


Aber  das  kann  alles  ebensogut  von  der  Natur  der  betreffenden  Göttin 
gesagt  sein,  von  ihrer  Heimat  in  Punt,  von  ihrer  Vorliebe  für  Tanz  und 
Gesang,  von  ihrer  Wut  und  ihrer  Fröhlichkeit;  wäre  die  Sage  zu  derselben 
Zeit  belegt,  so  könnte  man  mit  Recht  überall  Anspielungen  sehen,  so  aber 
ergibt  sich  mit  Sicherheit  nur,  daß  die  Voraussetzungen  für  die  Entstehung 
einer  solchen  Legende  schon  früher  bestanden. 

3.  Vergleich  mit  verwandten  Legenden. 

a.    Hathor  kommt  mit  Horus  aus  Punt. 

Von  der  Sage  der  Entführung  der  Hathor  aus  dem  Ostlande  ist  zu 
trennen  eine  andere  Legende,  die  Hathor  als  Falkenweibchen  aus  Punt 
fliegen  läßt.  Es  liegt  ihr  gewiß  die  Auffassung  zugrunde,  daß,  wie  der 
Sonnengott  von  Edfu  im  Osten  aufgeht,  d.  i.  aus  dem  Ostland  kommt,  so 
auch  Hathor  als  seine  Partnerin  in  gleicher  Gestalt  von  dort  komme.  Dem- 
entsprechend ist  die  Sage  hauptsächlich  in  Edfu  vertreten  und  sonst  nur 
noch  in  Dendera,  in  gegenseitiger  Abhängigkeit. 

I.  Zunächst  ist  Horus  der  heilige  Sperber,  der  aus  dem  Südostland(^ 
fliegt.     Eine  häufigere  Formel  lautet: 

Rochem.,  Edfou  I,  95: 

o'o  Der   heilige  Falke,    der   aus 


n 


dem  Gotteslande  kam. 


Ebenda  I,  248: 

^'^^  .  .  .  "^^  ^  Fjl  Horus  von  Edfu,  der  heilige 

Sperber, 

~  0  J]  Ipro.  ^  » Wie  schon  ist    es ,    o 

Shm-t,  wenn  du  gnädig  bist,  o  nö't,  wenn  du   kommst  und  gnädig  bist». 


Der  Auszug  dsr  Hathor-Tefnut  aus  Nulnen. 


13 


Hl 


Ebenda  I,  132: 


00 


Ebenda  1,271 


^   o 


^ 


der  von  VT^/z  kam,  um  sich 
mit  Edfu  zu  vereinen  als 
Herr  des  Thrones. 

Heiliger  Ojni,  Herrscher  des 
Gotteslandes. 

Heiliger  Falke,  Herrscher 
von  Punt. 

Vgl.  ebenda  1,  139  usw. 

Diese  Titel  des  Horus  werden  nun  einfach  auch  auf  Hathor  übertragen ; 
sie  heißt  LD.  IV,  53b: 

i<    ^^  Heiliges       Falkenweibchen, 

Herrscherin     des     Gottes- 
landes. 
Mar.,  Dend.  II,  20a: 


,0  o 


m 


A 


h 


f^^^ 


P^benda  I,  74a: 


Heiliges       Falkenweibchen, 
Herrin    des   Gotteslandes. 

Heilige     bik-t      Herrin      von 
Punt. 


Vgl.  ebenda  I,  79,   II,  40a;  Rochem.,  Edfou  I,  iio. 

Dann  heißt   sie   in  dieser  Verbindung:    drij-t  und  BJuUj-t,   wie  Plorus 
der  drtj  und  Bhdtj. 

Mar.,  Dend.  IV,  28a: 

i<    '^'^  Sperberweibchen, Herrin  des 

Gotteslandes. 


Ol 


.C^£y] 


Dum.,  Res.  XX,  i 


Bhdtj -t,  Herrin  von  Punt. 
\ 


Statt  Punt  und  Gottesland  tritt  dann  auch  Bw(/m  ein,  und  der  aus 
der  Legende  bekannte  Titel  b^-t  n-t  Bwgm  findet  sich  auch  hier;  daß  hier 
wegen  der  Ähnlichkeit  der  Titel  und  der  Identität  des  Herkunftsortes  eine 
Verschmelzung  vorliegt,    ist   besonders    in   der  Spätzeit   nur  zu  erklärlich. 


X4  H.  Junker: 

Mar.,  Dend.  II,  20a: 

^        ^S  A^'^^  Falkenweibchen,     h^-t     von 


AA/V^A^ 


QyvT) 


Bwgm. 


LD.  IV,  53a: 

^S'^^^'^1^  ^A^iO'-^   ''^^^  von  llwym. 

Mar.,  Dend.  I,  49: 
^5^  ....  %^  PI  ^=1 1^ /l^  S3  Bhdtj-t,  lieilige  hlk-t  in  Bieg  fit. 

Vgl.  ebenda  I,  50b.  5 1  a  usw. 

Dabei  läßt  sich  noch  der  solare  Hintergrund  der  Mythe  erkennen, 
Hathor  kommt  als  Falkenweibchen  vom  Himmel. 

Mar.,  Dend.  III,  32!: 
^P'^.liT^  Sieh,  sie  kommt  vom  Himmel 

^:=iS?l/<^ü^^  als  Bhdtj't  von  Punt. 

2.  Wie  scharf  die  beiden  Legenden  zu  trennen  sind,  erhellt  am  deut- 
lichsten aus  ihrer  Widerspiegelung  im  Ritus.  Zum  Andenken  an  die 
glückliche  Fahrt  und  Ankunft  der  Hathor-Tefnut  wurden  in  Dendera  und 
auch  in  Edfu  die  Wasserfeste  im  Tybi  und  Mechir  begangen;  die  Sage 
von  dem  Herüberfliegen  der  Hathor  als  Falkenweibchen  von  Punt  scheint 
man  dagegen  der  alljährlichen  Besuchsfahrt  der  Gröttin  nach  Edfu  zugrunde 
zu  legen.  Sie  kommt  zum  Heiligtum  des  Horus  am  P'este  intw-s,  so  wie  sie 
einst  als  Genossin  des  Horus  aus  Punt  kam;  das  ist  sicherlich  eine  spätere 
Allegorie  und  Anpassung,  eine  Nachbildung  der  Wasserfahrtlegende,  die 
eine  lokale  Festlichkeit  motivieren  oder  erklären  soll;  wie  wenig  Gewicht 
man  übrigens  auf  diese  Legendenerklärung  legte,  geht  aus  ihrem  verein- 
zelten Vorkommen  in  zwei  parallelen. Denderatexten  hervor;  der  Kalender 
weiß  nichts  von  der  Deutung,  obwohl  er  sonst  alles  im  einzelnen  beschreibt. 

Mar.,  Dend.  III,  7b: 

^^^^i?fw')lTlS^<==>  ®  HT-?-  ^^^  Auge  des  Re  kommt  aus 

ai^üIlD-^        Ol  NT  dem  Gotteslande  zu  ihrer 

Stadt  in  Leben, 

^=OL/n^^^"^  am  Tage  der  Fahrt  nach  Jf6'7^. 


Der  Auszug  der  Hathor -Tefnut  aus  Nutrien.  15 

^^-^n^n  ^^Vf?  ^^^  ^^^""^  ^''"'  Horusgemach 

jedesmal  zu  ihrer  Jahres- 
zeit: 

;^c^  O  o  WO  Qin  am   i.  im   2.  Monat  des  Som- 

I        I        I         O        AAAAA^   ^^^37      i      Jj    (j      I  „- 

mers  am    läge   ^yintiv-.su. 

3-d— ^flnV^IP  ^^'i;;;^'    .um   Gemach   des 

Jtsfyatj,    des    Buntgefieder- 
ten. 
Ebenda : 

'9^'fe^llT^^*='^  Das  Auge  des  Re  kommt  aus 

PuntzumLibationsgemach 
z=z^^^^^  TAAAA/vvC3=](]e^5  •  .  .  an   ihrem    schönen  Fest  der 

-^  ^     o©  Fahrt  nach  Edfu  ..  . 

®1iU^\^öf^0  ^^®    ^^^^^     Neunheit    fährt 

Ihre  Majestät; 

■'"Hill      -i^  n  r»  h  /~\  ^^^^'^'^    1  *?\  A 

^^^<=^cz^UflO^      ,,  1^  sie  landet  an  der  Stadt  Edfu. 

Der  Unterschied  der  Legenden  liegt  zutage,  niclit  um  ein  Hinbringen 
der  Hathor  nach  Ägypten,  sondern  um  den  Besuch  der  Göttin  bei  Horus 
handelt  es  sich;  die  Nennung  von  Punt  und  dem  Gottesland  als  Herkunfts- 
ort weist  auf  die  obengenannten  Titel:  Sperberin  von  Punt  usw.  hin;  daß 
sie  hier  Auge  des  Re  genannt  wird,  verschlägt  nichts,  so  wird  sie  auch 
in  Verbindung  mit  ihren  Titeln  als  btk-t,  drtj-t  betitelt,  vgl.  Mar.,  Dend. 
IV,  28b,  28a  usw. 

3.  Der  Sperbergott  Horus  ist  der  Herr  von  Punt,  aber  man  weiß  in 
Dendera  und  Edfu  wohl,  daß  der  eigentliche  Herrscher  von  Punt  ein  Löwe 
sein  muß.  Die  löwengestaltige  Figur,  die  das  Salbengeföß  in  der  Hand  trägt, 
ist  der  »Große  von  Ä>i6-/,  der  Herrscher  von  Punt«  usw.,  der  seine  Gabe  bringt. 

Dum.,  Temp.  Inschr.  I,  PI.  54: 

n     n-23sX%^^^^^^  '^  Löwe,  Anführer  YonWtn, 

Fürst  von  Kns-t. 


AWW\ 


Rochem.,   Edfou,  I,  235: 


"^^"^  Löwe,  Herrscher  des  Gottes- 


"^    '  '    '^  landes. 


16  H.  Junker: 

Dum.,  Temp.  Inschr.  I,  52: 

-gas zi I    I ^ JL Qd^  Löwe,  Herrscher  von  Punt. 

Ebenso  stammt  der  Löwe  als  Wasserspeier,  Dum.,  Hist.  Inschr.  II,  35b 
(Dendera)  aus  Kns-t: 

öl„S)5-^Ä      f]f]r^^^  Ich   bin   der  Löwe,   mächtig 

•^   o  H       v_.  I  _^[N^  ^^^  Stärke,    in    K7is-t. 

So  muiS  denn  auch  Horus  als  Herr  von  Kiis-t  ein  Löwe  sein,  Rochem., 
J]dfou,  I,  132,  heißt  er: 

f]^<t^  "^    ^  fÄH^^^  Tapferer    Löwe,    Herrscher 

^i^,  des  Gotteslandes, 

-^™^=()'^^'^'^^^^~  der   sich   im  Myrrhental   er- 

geht. 

Bei   der  Übergabe   des  löwengestaltigen  Gefäßes,    ebenda  I,  135,  soll 
Horus  die  Salbe  entgegennehmen: 

'ö"^  ^  Von  den  Armen  deines  Eben- 


^'^'^  bildes. 

Vgl.  ebenso  ebenda  I,  132  usw. 

Auf  diese  doppelte  Eigenschaft  als  Horus  und  Löwe  von  Punt  spielen 
vielleicht  die  Salbgefäße  an,  die  Löwenleib  und  Falkenkopf  tragen.  Man 
sieht,  daß  die  Voraussetzungen  für  die  Legende  von  der  Löwin  in  Krts-t 
sich  auch  hier  bemerkbar  machen. 

b.  Vergleich  mit  der  Legende  von  der  Vernichtung  des 
Menschengeschlechts. 

Es  läßt  sich  nicht  leugnen,  daß  in  der  Legende  von  dem  Auszug  der 
Hathor  sich  Anklänge  an  die  bekannte  Geschichte  aus  dem  Buch  von  der 
Himmelskuh  finden. 

In  beiden  Sagen  ist  es  Hathor,  das  Sonnenauge,  die  wilde  Göttin,  die 
zu  ihrem  Vater  geführt  wird.  Hier  wie  da  wird  Thot  ausersehen,  die  Wut 
der  Göttin  zu  brechen,  wird  die  Göttin  betört,  verliert  sie  ihre  wilde  Natur 
und  wird  zur  Göttin  der  Freude  und  Trunkenheit.  Das  sind  zwar  auf- 
fallende Übereinstimmimgen,  aber  der  Kern  der  Sage  ist  jedesmal  ein  grund- 
verschiedener. 


Der  Auszug  der  Hathor-Tefnut  aus  Nuhien.  17 

Nach  der  Legende  von  der  Entfiilirung-  lebte  Hatlior  in  fernem  Lnnde 
und  kannte  Ägypten  nicht;  Re  läßt  sie  kommen,  aber  nicht  sein  Konflikt 
mit  den  Menschen  ist  der  Grund,  er  will  nur,  daß  die  Göttin  sich  bei  ihm 
ansiedele.  Um  sie  zur  Fahrt  nach  Ägypten  zu  bewegen,  muß  sie  gezähmt 
und  besänftigt  werden;  in  der  »Vernichtung«  kommt  sie  gleich  zu  Re, 
wird  von  ihm  ausgesandt  und  muß  besänftigt  werden,  damit  sie  nicht  alle 
Menschen  zugrunde  richte.  Thot  hat  in  Kris-t  Hathor  vor  allem  durch  seine 
schönen  Reden  milder  gestimmt;  wohl  sehen  wir.  wie  bei  der  Tefnut,  die  aus 
KiiS't  kommt,  Wein  gespendet,  das  7nnw  gereicht  wird,  wie  das  jnnw-hied 
an  dem  Tor  der  Empfangshalle  steht,  aber  der  Rausch  spielt  nur  eine  zweite 
Rolle  bei  der  Besänftigung  in  Nubien  und  wird  nie  eigens  dabei  ange- 
führt', dagegen  wurde  Sechmet  bei  dem  Blutbad,  das  sie  unter  den  Men- 
schen anrichtete,  gerade  durch  den  ^/(//-Trank  hintergangen,  Thot  sprach 
kein  Wort  dabei.  Bei  der  Entfährung  hat  Schu  treu  mitgewirkt,  an  der 
Rettung  des  Menschengeschlechts  durch  Aufhalten  des  Blutbades  hat  er 
keinen  Anteil. 

Man  könnte  freilich  die  beiden  Legenden  auch  folgendermaßen  in  Ein- 
klang bringen;  ob  ein  Ägypter  sich  die  Mühe  je  gegeben  hat,  darf  als 
zweifelhaft  gelten:  Re  ließ  Hathor  zu  sich  kommen,  weil  sie  seine  Tochter 
war,  und  dann  aber,  weil  er  die  Macht  ihres  Schutzes  kannte;  sie  sollte 
seine  Feinde  zu  Boden  werfen.  An  Gelegenheit  sollte  es  ihr  nicht  mangeln ; 
einzelne  Andeutungen  beweisen  das^  z,  B.  Dum.,  Geogr.  III,  66  heißt  die 
Göttin : 
ü^  M^  J^'^^^^^^TpT'  Hathor,  Herrin  von  Dendera, 

Feinden  barg. 
Man  beachte,   daß  Hathor  als  dd-t,  als  die  sie  von  Bwgm  kam,  ihren 
Vater  beschirmte. 


1  Vielleicht  ist  dieser  Zug  aus  der  »Vernichtung«  übernommen  worden,  oder  beide 
Angaben  gehen  darauf  hinaus,  daß  man  die  Göttin  wohl  kannte  und  wußte,  daß  ein  Rausch 
sie  mild  stimme. 

2)    Vgl.  auch  die  Namen  Denderas,  Mar.  I,  i6:  ""^  (Jü  WO^^^'^    |    @    »Haus, 

da  man  Re  schützte-  (Var.:  Osiris  schützte);  ^  ^=^g^  (]  ^  |  r^^  ^^  ^^^ 
(IL/^^  »Haus,  in  dem  Re  weinte,  in  dem  Re  lachte«.  Vgl.  auch  die  Sage  vom 
Schutz  des  Re  in  Ombos  unten  S.  56. 

Phü.-hist.  Klasse.    1911.   Anhang.   Abh.  III.  3 


18 


H.  Junker: 


So  moclite  deiiii  aucli  Rc,  als  die  Menschen  sich  wider  ihn  erhoben, 
die  Rache  seiner  Tochter  übertragen;  das  ship  brauchte  nur  aufzuliören, 
und  sie  stürzte  sich  auf  die  Ungetreuen ;  nachher  liat  sie  denn  Thot  wieder 
in  gute  Laune  versetzt. 

Auf  ein  Ineinandergehen  der  beiden  Sagen  scheint  folgender  merk- 
würdiger Text  hinzuweisen:    Dum.,  Hist.  Inschr.  II,  5 yd,  Dendera: 


I    lo 


SZlö     (^1       I       I 


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o  I  I 


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A' 


SIC.'' 


Heil  dir,  Hathor,  Herrin  von 
Dendera, 

mit  geheimen  Plänen  im 
Nubierlande. 

Herrin  des  Schreckens  an 
der  Spitze  von  hn. 

Trogodytin,  die  wtnw  rich- 
tet. 

Herrin  der  Flamme,  die  das 
Negerland  verbrannte, 

als  Atum  nhs  tat, 

in  diesem  deinem  Namen: 
Negerin. 

Herrin  der  k/d7iw-Ai'£en  un- 
ter den  bntj, 

in  diesem  deinem  Namen  ivtt. 

0  Starke  in  Kns-t, 

als  sie  zürnte  ...  ihr  Vater 
Re, 

in     diesem      deinem     Namen 

Sechmet. 
Es  sandte  dir  Re   sein  Herz 

nach  dir, 

in  diesem  seinem  Namen  hb. 


Der  Auszug  der  Hathor -Tefnut  aus  Nubien.  19 

Die  Inschrift  stellt  eine  Titelreihe  der  Hathor  dar,  aber  mit  deutlicher 
Anlehnung  an  den  Entführungsmytlius;  sie  wütet  in  Nubien  und  verbrennt 
das  Negerland;  die  heiligen  Affen  sind  um  sie,  und  Thot  wird  ihr  nach- 
gesandt. Aber  fremd  ist,  daß  sie  dort  wütet  im  Auftrag  ihres  Vaters;  das 
ist  ein  Zug,  der  an  die  »Vernichtung«  erinnert  und  gewiß  von  ilir  hier 
eingeflochten  wurde,  zumal  eine  solche  Vernichtung  Nubiens  im  Auftrage 
des  Gottes  zu  den  geläufigen  Ansichten  der  Ägypter  paßt. 


4.  Deutungen  der  Legende. 

a.    Hathor  als  Auge  der  Sonne. 

In  der  Legende  wird  die  Göttin  in  allen  ihren  Erscheinungsformen, 
Tefnut,  Sechmet,  Hathor  usw.,  zugleich  als  ^  ,,  Auge  der  Sonne,  bezeich- 
net; ebenso  sendet  bei  der  Vernichtung  der  Menschen  Re  »sein  Auge«  aus. 

I .  Was  Wunder,  wenn  die  Legende  von  der  Göttin  nun  auch  wirklich 
auf  das  Auge  des  Sonnengottes  gedeutet  wird:  Re  hat  sein  Auge  verloren, 
Thot  und  Schu  sind  es,  die  es  ihm  wiederbringen.  Dabei  wird  auf  die 
bekannte  Horussage  angespielt',  nach  der  Seth  das  Auge  ausgerissen  hatte. 
In  Philä,  Phot.  1063  z.B.  bringt  der  König  das  wd^-t-Auge.  Auf  Thronen 
sitzen  Harachte  und  Tefnut,  dahinter  steht  Schu;  der  Spruch  sagt  u.  a. : 


...^"^^'^'^  , *^^  OHarachte,  . . .  nimm  dir  dein 

"^^^  Auge,   das   an   deine  Nase 

getan  ist .  .  . 
_^'^.  .  .  Nimm  dir  das  heilige  Auge, 


o  □ 


u  X  v_^         — H—         ^-^  daß  es  an  deinerStirn  ruhe. 

Aray^ DotO)^^  Jubel  ist  im  Himmel,  Froh- 

'   I    iiHi'         \ — 4A  \>u--j  locken  auf  Erden, 

111  cQd  , Y  und     die    Götter    des    Hori- 

'   '   ''^n         Ji  zontes  sind  in  Entzücken, 

^  n ^^An^^^,^^  ^eil     das    heilige    Auge     an 


seiner  Stirn  leuchtet. 


'    D.  i.  die  in  der  bekannten  Fassung  längst  bestehende  Sage  wird  nach  unserer  Legende 
umgestaltet. 


20  H.  Junker: 

Das  heißt  die  Hauptzüge  der  Legende  in  die  Sprache  des  Sonnenkultes 
übersetzen:  Schu  steht  da,  weil  er  das  heilige  Auge  gebracht;  das  Auge, 
das  sich  nun  mit  Harachte  vereint,  ist  eben  Tefnut,  die  neben  ihm  sitzt; 
sie  ruht  nun  bei  ihm,  und  Himmel  und  Erde  jubeln,  daß  der  Gott  sein 
Auge  wiedergewonnen  hat. 

Phot.  1059  — 1060  wird  dieselbe  Zeremonie  vor  Harendotes  und  Hathor 
verrichtet  und  derselbe  Spruch  rezitiert,  jedoch  werden  einige  Sätze  zuge- 
fügt, die  besonders  wertvoll  sind,  weil  sie  eine  in  der  Entführungslegende 
geläufige  Formel  enthalten: 

Der  König  Ptolemäus, 
"^«^  i\n^^    ^  der  das  hl.  Auge  dem  entriß, 


Ö^!^:Mt=/i 


der  es  geraubt  hatte. 


n  ^J,,_^rjn_^^^  '^   ^5^  der  die  Große  zu  ihrem  Sitze 

-^^<=>^        ^   I  /^.AAA^<:=>s=i  brachte,  die  fern  gewesen. 

sie  ^ 

iS^Äf"'^    I  /       1  n  I  Dein   Angesicht   freute   sich 

DAmii  ^^-^  I  über  seine  Schönheit. 

Ähnlich  heißt  es  Rocliem.,  P^dfou  II,  39,  von  Thot,  der  das  ^g  dar- 
reicht : 

^^^^   ^  2^(^  Der  das  Große,  das  fern  war. 

^<=> — .<=>  A  o  herbeibrachte. 

Nach  dem  Kalender  von  Esneh,  a.  a.  0.,  fand  es  Schu  am  i.  Thot: 

fl   ._    ^       I.    Thot...   Schu    fand    das 


S?"  "^^ß^s^^T^PT^  Horusauge    bei    Seth    und 


'^    X  Itk  ^.^  entriß  es 


In  Ombos  wird  der  Zusammenhang  der  Mythen  dadurch  zum  Aus- 
druck gebracht,  daß  über  der  Empfangsszene  die  Vereinigung  der  beiden 
wd^-tj  dargestellt  ist. 

Vielleicht  haben  Erinnerungen  an  alte  Mythen  bei  der  Verschmelzung 
und  Ausdeutung  mitgewirkt,  so  steht  z.  B.  Pyr.  2091: 

(=iP%^^^^^'^ö^  OSchu,  der  du  dieNut  trägst, 

^       _^,,^^^        ^Q^  ^^^^  j^^^^  ^^^   Horusauge  zum 

^-^'lir'^'^^^    '-^^         ^=^  Himmel  erhoben. 


Der  Auszug  der  Hathor -Tefnut  am  Nuhien.  %\ 

Eine  derartige  Tradition  kann  sehr  wohl  auf  diese  Gestaltung  der 
Legende  Einfluß  gehabt  haben',  und  es  ist  schwer,  überall  das  Ursprüng- 
lichere herauszufinden. 

2.  Das  Kanopusdekret  spielt  auf  eine  Legende  an,  die  sowohl  mit  der 
Sage  vom  Auszug  der  Hathor  aus  Nubien  als  auch  mit  der  vorhin  ge- 
nannten Geschichte  des  Sonnenauges  Verwandtschaft  hat'.  Die  Tochter  Pto- 
lemäus  III.   war  gestorben,  und  sie  sollte  in  den  Himmel  versetzt  werden, 

^2?°^"^^^^1^      ""  ^•^^''   '^^'  '^*  '^^''  Monat, 
^  ^^  in   dem    einst  die  Tochter 

o  des  Re  in  den  Himmel  ein- 

gegangen war; 
.^s^cx:^^    a  c  <^cz>      er    nennt    sie    Auge    des   Re, 


r\  = 


^^ 


mit  ihrem  Namen, 
weil  er  sie  liebte.« 


Und  wie  zur  Erinnerung  an  die  Auffahrt  des  Sonnenauges  alljährlich 
eine  Festfahrt  veranstaltet  wird,  so  soll  es  auch  der  neuen  Göttin  geschehen, 
auch  sie  erhält  eine  Fahrt 

^^^1         Q  jLLLü,  AAAAAA  Qiiii  im  Tybi  vom  17.  Tage  an. 

Das  ist  das  ungefähre  Datum  der  Erinnerungsfahrt  in  Edfu  und  Den- 
dera  und  derselbe  Tag  17  wie  in  Esneh.  Der  Zusammenhang  der  Legenden 
ist  offenkundig;  ihnen  gemeinsam  ist,  daß  die  Vereinigung  des  Re  mit 
seiner  Tochter  gefeiert  wird,  daß  eine  Fahrt  diesen  Tag  im  Monat  Tybi 
feiert.  Es  kann  aber  wohl  kein  Zweifel  sein,  daß  die  Fassung  des  Kano- 
pusdekrets  keine  ursprüngliche  ist,  wir  haben  in  ihr  eine  spätere  Auslegung 
vor  uns,  die  zudem  Züge  aus  dem  Sonnenmythus  aufgenommen  hat. 


^  In  späterer  Zeit  gelten  Sehn  und  Tefnut  auch  als  die  beiden  wdhij,  z.  B.  Theben, 
Al.a,  Miss.V,8:  ^^^^^:z=:^-  •  '  ß  ^  5^  ü^  |  3fl  ^  il  *  ^^"«"^•°^'*^^«  '49/50  = 
fr   Q    / \\  ^\  y    o    / ^^  .    Nach  Pap.  mag.  Harris  7.  i  sitzt  Schu  im  Auge  des  Re; 

vgl.  dazu  die  Darstellung  in  Ombos  (S.  294  Nr.  941),  bei  der  Schu  als  Löwe  in  der  Sonnen- 
scheibe steht. 

^    Vgl.  Brugsch,  Thes.  S.  505. 


22 


H.  Junker 


b.  Tefnut  und  das  Mondauge. 
Schwieriger  noch  sind  die  Deutungen  der  Legende  auf  den  Mondkult, 
z.  B.  in  den  sonderlichen  Anspielungen  in  dem  ht-bbk.t^  in  Edfu,  dem  Ge- 
mach, das  dem  Mondkult  geweiht  ist.  Dort  finden  wir  Hathor-Tefnut 
wieder  als  Schützerin  der  geheimnisvollen  Mondsymbole,  und  zwar  wie  in 
der  Legende,  als  shn-t  des  Schu": 


Rochem.  I,  256: 


^^Öö  oflü^  © 


Rochem.,  Edfou  I,  252: 


M^i 


A/VA/VAA  Ci 


^ 


ö^oÖC^o  © 


P,^§()ß-1=Di 


o 

n 


Mht,  Tefnut  in  Edfu, 

die   den    heiligen  Obelisken 
mit  ihrem  Bruder  schützt. 

Hathor,  Herrin  von  Dendera, 

Tefnut  in  Edfu, 
die  den  Schu  im  Beingemach 

umarmt. 


Dann  werden  ebendort  drei  Affen  dargestellt,  die  an  ihrer  Schulter 
das  heilige  Auge  '^g  aufgezeichnet  haben ;  die  zwei  ersten  Affen  sind  Schu 
und  Thot,  die  uns  auch  in  unserem  Mythus  als  Affen  begegneten. 

Schu,  Sohn  des  Re  im  »Bein- 


H^Z 


□j^i 


//w 


^ 


j 


n 


<-°^ 


Ebenda  I,  276 


o 


gemach« , 
an  einem  Ort   mit  'Istn  ver- 
eint. 

die  heiligen  hntj-Kii^w^  die 
den  Gott  schützen, 

die  kfdnw,  die  das  Beinge- 
mach verherrlichen, 

Schu  in  seiner  Form,  Thot 
in  seiner  Gestalt. 


'      I   j        ^   wird   mit  dem  Bein  determiniert,   das   irgendein  Mondsymbol   sein   muß; 

docli  wird  aucli     I    1       J^^  damit    in   Zusammenhang    stehen.     Vgl.  Piehl,    Inscr.  II,  131, 

Rochem.,  Edfou  I,  62  usw. 

*    Ausdrücklich  sei  darauf  liingewiesen,  daß  das  keine  allgemein  gebräuchliche  Wendung  ist. 


Der  Auszug  der  Hathor-Tefnut  aus  Nuhien. 


23 


Nun    steht   mitten    unter   den  Titeln,    die   die  vernichtende  Tätigkeit 
der  Hathor  in  Nubien  rühmen,  auch  der  folgende: 

'  Herrin  der  kfdnw  unter  den 

bntj-Mien 
in  diesem  deinem  Namen:  wtt 


A-VNAAA 

D  W 


-    sie? 


Jf.^ 


(2 


OO 


Und  dieses  wttodev  wnsh  wird  auch  sonst  in  Philä,  Dendera  usw.  gern  der 
Sechmet-Tefnut-Hathor  gereicht  und  gilt  als  eines  der  Besänftigungsmittel. 
Nun  zeigen  u.  a.  die  Philätexte,  daß  auch  dieses  Symbol  auf  das  Mond- 
auge gedeutet  wird;  so  1434—37  vgl.  143:  vor  Isis  und  Hathor,  aber  ur- 
sprünglich nur  für  letztere: 


'^W\ 


^- 


(5 


J^^ 


^1 


^®'^^ 


(2^  o 


O    — » 


Darreichen  des  wtt  und  re- 
zitieren: 

Das  »Lebende  Auge«  lebt, 
seine  Pupille  ist  heil, 

sein  dfd  ist  an  seinem  Platz. 

Das  lod^-t  ist  heil,  und  es 
fehlt  nichts  an  ihm. 

Das  »Herrliche«  ist  herrlich, 
und  dein  Herz  freut  sich 
darüber. 

»Der  das  wtt  seiner  Mutter, 
der  wsr-t,  reicht, 

der  Ihre  Majestät  nach  dem 
Zorne  froh  stimmt, 

der  alle  böse  Laune,  die  in 
ihrem  Herzen  war,  ver- 
scheucht. 

Mag  nun  dieser  Zug  im  Mondkult  von  der  Legende  ausgegangen  oder 
umgekehrt  die  Zeremonie  in  sie  aufgenommen  worden  sein,  ein  Zusammen- 
hang, eine  gegenseitige  Beeinflussung  liegt  sicher  vor,  aber  eine  genügende 
Erklärung  finde  ich  dafür  nicht \ 


a c 


Der  König  heißt  u.  a. 

0 


a — 0^ 


S!P 


5   ^=^ 


o 


r~Yrn 


I    I    I  ö     I 


'  Aus  dieser  Verschmelzung  ist  auch  die  wunderliche  Darstellung  Mar.,  Dend.  IV,  44 
zu  erkläreii,  wo  Thot,  der  das  heilige  Auge  ausgestattet  hat,  dasselbe  zusammen  mit  Sehn 
zum  Hiuunel  erhebt;  das  Auge  wird  dabei  ausdrücklich  als  Osii-is  bezeichnet. 


24  H.  Junker: 

5.  Die  Heimat  der  Löwengöttin. 

Als  Herkunftsort  der  Hathor  werden  angegeben:  Kns-t  (Philä,  nubische 
Tempel,  Esneli,  Komombo),  tit-t  (Philä,  Dendera,  Edfu),  Bwgm  (Philä,  Ko- 
mombo,   Edfu,   Dendera,  Elkab),   //  st  (Philä  und  nubische  Tempel). 

a)  Über  Kns-t  hat  Brugsch,  Sieben  Jahre  usw.  S.  46  ff.  geschrieben, 
jedoch  bedürfen  seine  Aufstellungen  verschiedener  Modifikationen. 

Es  sei  zunächst  darauf  hingewiesen,  daß  ein  Kns-t  schon  in  den  Pyra- 
midentexten eine  Rolle  spielt;  z.  B.  1541    (W.  B.): 
^ — °  A^ »'^^^— ^A   ^  Du  durchziehst  den  See  von 

^ r-i  _  und    fällst    nieder    auf    der 

Ostseite  des  Himmels. 


.  TK    AA/V\AA    []   f^ 


Pyr.  I  2 1  ist  die  Rede  von  einem  »großen  Stier,  der  Kns-t  schlägt«. 
Das  ist  nach  der  Sonnenlitanei  Re  selbst,  der  »Stier  von  Kns-t<^  oder  auch 
bloß  kns-tj  heißt'.  Vielleicht  mag  gerade  dieses  Vorkommen  als  heiliges 
Land  in  den  uralten  Texten  der  Grund  sein,  daß  man  von  den  vielen  Be- 
zeichnungen der  Gegend  gern  Kns-t  als  Heimatsland  der  Göttin  bezeichnete. 

Greifbar  wird  uns  das  Land  erst  in  der  Liste  Thutmosis'  III.,  wo  Kns-t 
unter  den  eroberten  Landschaften  des  Südens  neben  Punt,  wtn  usw.  auf- 
gezählt wird  (vgl.  Brugsch,  a.  a.  0.   S.  48). 

Diese  Verbindung  mit  Punt  ist  denn  auch  später  zu  erkennen :  der  Löwe 
von  Punt  ist  zugleich  der  Herr  von  Kns-t;  der  König  als  Beherrscher  von 
Punt  bringt  die  Großen  von  Kns-t  usw.,  und  in  unserer  Legende  wird  Arens- 
nuphis,  der  Tefnut  aus  Kns-t  bringt,    »Neger,  Herr  von  Punt«   genannt. 

Bezeichnend  fiir  die  Auffassung  der  Lage  von  Kns-t,  Punt  usw.  ist 
Mar.,  Dend.  I,  23,  das  auch  Brugsch,  a.  a.  0.  erwähnt,  wo  der  König  beim 
»Aufrichten  des  Holzes«  vor  Min  zu  diesem  spricht,  indem  er  ihm  die 
Negerfärsten  zuführt : 

^   ö /wvw.  f  I    ><    Q^_^^o  jß|j    bringe    dir    die    großen 

Jl^-^z^\h\\  I  l(2-^c.£^^  Fürsten  von  Kns-t, 

I  AN^'^1  J,5.^x,^^  diese  KmHf  von  Punt. 

■^  fK    ö    rji^   "l    ijz^io'^^  Ich  führe  dir  zu  o.  ä.  die  Tro- 

^ji  i-v_^ui  w  I — II         I 1  godyten  von  *!>/•/. 

^    Grab  17,  131;  156,38;  vgl.  Lacau,  Rec.  29,  153  nach  dein  Berliner  Wörterbuch. 
^    So,  nicht  Cim  gelesen. 


Der  Auszug  der  Hathor-Tefnut  aus  Nuhien.  25 

Seine  Titel  lauten  dabei: 
^Q^^  n  \j,  König  der  südlichen  Freind- 

lander, 
^^  ^  £^5  jej.    jie    Fürsten,    die    fern 

sind,  herbeibringt, 


/\AAA/\r\ ' 


i=i     <:ri 


derwirit. 

Kns-t,  Punt,  Si-i,  Nubien,  werden  also  hier,  genau  wie  in  der  Legende, 
als  verwandte  Gebiete  betrachtet  und  allgemein  als  in  der  Ferne  liegend 
bezeichnet,   und  es  ist  vielleicht  kein  Zufall,    daß  sich  derselbe  Ausdruck 

^^  '^  ^-^  hier  wie  dort  findet,  d.  i.  fär  diese  Gegenden  gern  gebraucht 
wird,  wie  z.  B.  auch  Mar,,  Dend.  II,  40a. 

Nach  den  Begriffen  der  Ptolemäer  müssen  diese  Distrikte  im  Südosten 
Ägyptens  gelegen  haben,  dessen  fernste  Bezirke  die  Gottesländer  bilden; 
fär  Süd  vgl.  Rochem.,  Edfou  II,  56: 

I     ^^^IV^ Try^^  Ich  gebe  dir  die  Länder  des 

L^^z=^c^\\\t\  IHH,   .   ,  Südens  Untertan 

^ ^^^^^ ^ 111  ^is   hin  zu  den  Ländern  der 

"""^         '^^^  '   '   '  Götter. 

Ebenso  Rochem.  I,  375  usw.   (vgl.  Naville,  Deir  el  Bahri  258): 

i!^i^^  @\  '=1'=]'=^  Bis  hin  zu  den  Ländern  der 

Rec.  XXIII,  195/96  Karnak:  »Die  Südgrenze  bis  zu  den  idbw  von  Punt.« 

Dagegen  Ost  Rochem.,  Edfou  II,  13: 

y   0^^         ^^^^"=111  Ich  gebe  ihm  den  Osten  bis 

^__Tq:£V£]<=^-"°-  I   I   I  ^^  ^^^  Götterländern, 

^00         0  Dn,^^  den  Westen   bis  da,    wo  die 


Sonne  untergeht. 

Vgl.  dazu  Medinet  Habu  LD.  III,  210:  »Ich  wende  mein  Angesicht 
nach  Osten:   ...  ich  sammle  dir  die  L^knder  von  Punt.« 

Wo  nun  beginnt  das  Land  im  Süden?  Einen  Fingerzeig  gibt  uns 
vielleicht  die  Landschaft  "^^ /^  (^ .  Nach  der  Nomenliste  in  Philä  muß 
sie   kurz  vor  Wadi  Haifa  liegen,    nur  durch    den  Nomos  Itftj-t  davon  ge- 

Fhil-Mst.  Klasse.    1911.    Anhang.    Abh.  III.  4 


26  H.   Junker: 

trennt.  Dieselbe  Landschaft  wird  vielleicht  in  Nr.  49  der  Thutmosisannalen' 
als  das  erste  Gebiet  hinter  Punt  angeführt",  und  Kns-t  erscheint  dort  als 
Nr.  86^.     Ferner  wird  in  den  genannten  Listen  von  Philä  als  südlichster 

Nomos,  hinter  Napata  und  Meroe  ein    ^^  ^  c±£i  angeführt,  was  mit  »Hinter- 

H 

Kns4<^  oder  »Ende  von  Kns-t »^  zu  übersetzen  ist;  das  k  statt  k  ist  zwar 
nicht  häufig,  aber  auch  sonst  zu  belegen,  z.  B.  Phot.  1335: 

o^oJc^i^Qoo  Die   Ehrwürdige,    Mächtige, 

^   *    ^^=-^^^^^  die  aus  Kns-t  kam. 

Danach  ist  Kns-t  ein  Gebiet  das  vielleicht  hinter  dem  zweiten  Katarakt 
beginnt  und  sich  bis  tief  in  den  Süden  erstreckt;  dabei  ist  aber  nicht 
etwa  das  Gebiet  zu  beiden  Seiten  des  Nils  zu  verstehen,  sondern  das  öst- 
liche Wüstengebiet. 

Dem  widerspricht  scheinbar  Zeile  1 1    der  Hungersnotstele;  dort  steht: 


AAAAAA  A/VVAAA 


. K-  r-rrn^^-^^^'lY/ — \^  ^iA     Sein  Wasscr  ist  wild  auf  der 

^^^       H^:_X  I        1<=z>  Südseite, eineSchoinelang. 


? 


0  idflÖ-d-'^^M!^!©  ^^""^  ^^''^'*  zwischen  den 

1^11LEUo_^         hU^  Xns-i-jw      des       Südens 

schirmt .  .  . 

So  wie  der  Text  vorliegt,  scheint  er  nicht  einwandfrei  zu  sein.  Brugsch 
übersetzt:  »Sein  Wasser  ist  gefährlich*  nach  seiner  südlichen  Seite  hin. 
Zur  Abwehr  dient  eine  Mauer  inmitten  der  Kensier  des  Südens (?).«  Das 
ist  grammatisch  unmöglich,  wir  haben  vielmehr  zwei  parallele  Sätze,  von 
denen  der  erste  mit  mw-f,  der  andere  mit  inh  beginnt.  Das  Zeichen  hinter 
"l  I  scheint  s^w  zu  sein,  dahinter  kommt  eine  kleine  Zeichengruppe  mit  einem 
Kreis  (Stadt)  am  Schluß.    Vielleicht  muß  man  daher  wie  oben  übersetzen: 


^    Sethe,  Urkunden  IV,  798. 

*    Aber  diese  Identifikation   ist  nicht  sicher,     Brugsch  will  a.  a.  0.  S.  44  und  45   die 

Schreibung    |-— ,   r^v  als  Verschreibung  von  nhivc  ansehen,   aber  es  gehen  viele  der  Namen 


ra 

auf  ^^-^  aus,  wie  Nr.  227,   255,  256,  257   und  ebenso  Nr.  8:  ^^'^^  \\  Ci£^ ;   aber  wenn 

man  H  I^Jh^  '^'^*  Nr.  74  \\  fv^-^  ,  Var.  (]^^Q>:^,  identifizieren  darf,   wird  chm 

=  nhiw  doch  wahrscheinlich  gemacht. 

^    In  der  Liste  c  aber  als  Nr.  117,  d.  i.  am  Schlüsse. 

*  Brugsch  meint  gefährdet,  d.  i.  Angriffen  ausgesetzt,  was  ganz  ausgeschlossen  ist; 
gemeint  sind  die  Stromschnellen,  deren  Wasser  zornig  ist.    Vgl.  Philae,  Phot.  403. 


Der  Auszug  der  HatJior -Tefnut  aus  Nuhien.  27 

« Eine  Mauer  .  .  .  schirmt  das  .  .  .  Gebiet. «  Aber  wie  kann  diese  Mauer 
zwischen  den  Kns-t-jw  sein?  Doch  nur  so,  daß  nördlich  nacli  Aswan  und 
südlich  nach  Philä  die  Kns-t-jw  wohnen.  Wir  finden  sie  aber  zugleich 
in  Obernubien  bei  Pnubs  und  hinter  Meroe.  Man  müßte  also  annehmen, 
daß  das  ganze  östliche  Wüstengebiet  vom  i .  Katarakt  bis  tief  in  den  Sudan 
den  gemeinsamen  Namen  Kns-t  geföhrt  habe.  Das  ist  sehr  hart  und  sonst 
nicht  zu  belegen'.  Aber  auch  so  sind  Brugsch'  Schlüsse  betreffs  des  Vor- 
dringens der  Blemmyer  und  der  Pazifizierung  der  Kris-t-Jw  nicht  zwingend. 

Vielleicht  bezieht  sich  aber  die  Präposition  imjwtj,  ähnlich  wie  im,  auf 
die  vorhergehenden  Worte:  »Eine  Mauer  ist  mitten  dazwischen«,  denn  tat- 
sächlich zieht  sich  die  Ziegelmauer  von  Mahatta  mitten  im  Kataraktengebiet 
durch  die  östliche  Wüste  hin;  vor  Kns-t  wäre  dann  die  Präposition  r  zu 
ergänzen,  wobei  der  wahre  Zweck  der  Mauer,  gegen  die  südlichen  Wüsten- 
stämme eine  Abwehr  zu  bilden,  treffend  zum  Ausdruck  käme. 

b)  St-t,  das  Kns-t  und  den  anderen  Bezeichnungen  parallel  gebraucht 
wird,  muß  demnach  ebenfalls  eine  Landschaft  im  Südosten  Ägyptens  be- 
zeichnen und  ist  von  *S/-^  Asien  und  von  t>>t-t  Sehel  wohl  zu  unterscheiden. 
In  der  oben  angeführten  Stelle  werden  die  Trogodyten  von  tit-t  den  Be- 
wohnern von  Punt  gleichgesetzt,  Rochem.,  Edfou,  I,  396  heißt  es  von  Min: 


iMJ: 


p^^-  Schöner  Matoi^  aus  Punt, 


y\_\  g)  ^^         *^^^j  du  ergehst  dich  od.  ä.  zu  den 


5(1"=^"=^    0     Q-^ 


&t-tj- 


w. 


|\    (^ '^^^A>^l\   ^^  Man  jubelt  dir  auf  5^^m  zu. 

Also  St-t  parallel  mit  Punt  und  Bwgm  so  wie  in  der  Legende,  nach  der 
Hathor  aus  Bwgm  kommt   und  dabei  Si-t  den  Rücken  kehren  soll. 


1  Als  Parallele   konnte  man  freilich  die  Wandlungen  in  der  Bedeutung  von  ti  st  an- 
führen. 

2  Vgl.  den  Amonshymnus,  Kairo  1,3—4: 

ri    p q     n    jjijL^  AAAAA^       n  "^^^^^   1     (3©  Weiten    Schrittes    an    der    Spitze 

c:^7:\  olllllnlow'^lll     s^\o  d.es  Südlandes. 

^    Diese  Matoi  sitzen  u.  a.,  wie  Schäfer,  Nastesen,  S.  41,  nachweist,  un  Suda,.  in  der 
Wüste  /.wischen  ^^  ^  am  vierten   und  ^,,^11    ^    ®  an.  dritten  Katarakt. 


1   A/W^AA 

4* 


28 


H.   Junker 


Dum.,  Temp.  Inschr.  I,  63  : 
»Es  bringt  dir 


A 


o 

^ 


Der  Si-tJ,  der  aus  /S/-/  gezo- 
gen kommt, 

alle  Spezereien  des  Gottes- 
landes.« 


ICbenso   bringen   nach   Rec.  XXIII,  195/196    die  8t-tj-w  u.  a.    auch  die 
Das  beweist  alles  deutlich,   daß  wir  auch  St-t  im  Süd- 


des 


(%£>£] 


Osten  zu  suchen  haben. 

c)  Bwgm^  bezeiclmet  ein  Gebiet  in  der  Nachbarschaft  von  oder  besser 
wohl  innerhalb  St-t-Kns-t  und  steht  in  Parallelen  mit  Punt  und  dem  Gottes- 
land; die  Bese  kommen  aus  Punt  oder  Bwgin,  die  Kleider-  und  Salben- 
träger sind  »weiten  Schrittes  in  Bwgui«^  und  »große  dd-2v  des  Gotteslandes«. 
Horus  heißt: 

Dum.,  Temp.  Inschr.  I,  55: 


A 


.[i£^< 


m  © 


Dend.,  I,  506  heißt  Hathor: 


^ 


:^' 


-^ss 


Herr  des  Gotteslandes,  Herr- 
scher von  Punt, 

der  das  Wadi  durcheilt  und 
Bwgm  durchzieht. 

b^-t  von  Bwgm, 

die  sich  hinter  Punt  her  er- 
geht. 


Für  eine  genauere  Bestimmung  gibt  uns  vielleicht  Phot.  265  einen 
Hinweis;  danach  scheint  der  Gau  *=^^^  y\^'  südlich  vom  zweiten  Katarakt 
mit  unserer  Legende  in  Verbindung  zu  stehen;  es  heißt  dort:  der  Nil 
»bringt  dir  N.  N.  in  dieser  Gestalt,  (in  der)  es  im  Anfang  geworden,  als  ihre 
Majestät  von  Bwgm  kam,  wobei  Schu  vor  ihr  hertanzte,  gar  schön  (?)«.  Hält 
man  daneben,  daß  der  folgende  Gau  Pnubs  ist,  dessen  Hauptgott  Thot  die 


'  Brugsch,  Dict.  geogr.  sieht  in  Bwgm  die  Gegend  östlich  von  Elkcab  bis  zum  Roten 
Meer,  weil  die  Hathor  von  dort  nach  Elkab  gekommen  sei;  die  Ansicht  erledigt  sich  durch 
die  obenstehenden  Ausführungen  und  geht  zudem  von  der  falschen  Voraussetzung  aus,  als 
stehe  die  Legende  zu  Elkab  in  besonderer  Beziehung. 


Der  Auszug  der  Hathor -Tefnut  aus  Nuhien.  29 

Löwin  entführte,  so  darf  man  vielleicht  annehmen,  daß  etwa  in  der  Hölie 
dieser  Nomen  das  Bergland  Bwgm  gelegen  hat. 

d)  Nur  auf  Philä  und  die  nubischen  Tempel  beschränkt  ist  die  An- 
gabe, daß  Hathor  und  Schu  aus  Nubien  gekommen  seien.  2V  st  ist  dabei 
natürlich  ein  ganz  allgemeiner  Ausdruck  für  die  südlich  gelegenen  Gegen- 
den. Bezeichnend  ist  dabei,  daß  die  Angabe  ijm  U  st  sich  bei  Hathor  selbst 
nur  ganz  vereinzelt  findet,  dagegen  bei  den  Begleitgöttern  um  so  häufiger 
ist,  vielleicht  daß  t^  st  mehr  das  südliche  Niltal  bezeichnet,  wo  z.  B.  Thot 
von  Pnubs  zu  Hause  war,  während  Hathor  aus  dem  Bergland  des  Ostens 
stammte  \ 

e)  Ähnlich  l)ezeichnet  auch  das  ganz  selten  auftretende  t^-nir  allge- 
mein den  Südosten  als  Heimat  der  eingewanderten  Götter;  noch  seltener 
ist  Punt;  Phot.  1562,  wohl  veranlaßt  durch  die  Spende  von  Punt-Myrrhen, 
wird  Schu  angeredet: 


^  , '=^='  \\\  /ü  ?  <^lD  "'"''^  Du  kamst  in  Frieden, 

König,  Herrscher  vonPunt. 


o     ^^ll/II-""  ^ 


m 


»  Lebender  Herr «  im  Gottes- 
land. 

^-— Z^r^lSB.'f-^Sl  Du  kamst  „ach  Ägypten  mit 

deiner  Schwester   leinut 
'ö'/wvws*'!^''^"^^  und    hast    das    Herz    deines 

^^~^  Vaters  Re  erfreut. 

Als  Resultat  ergibt  sich,  daß  der  Heimatort  der  Göttin  im  Südosten 
zu  suchen  ist;  das  ganze  Gebiet,  ungefähr  von  der  Höhe  des  zweiten  Kata- 
rakts nach  dem  Meere  hin,  galt  als  Gottesland  oder  Punt.  Nicht  mit  einbe- 
griffen ist  dabei  das  Niltal,  dessen  Bewohner  auch  von  den  Puntleuten 
usw.  geschieden  werden;  es  handelt  sich  dabei  bloß  um  die  östliche  Wüste, 
so   wie  die  Rassenscheidung  auch  heute  ist. 

In  diesem  großen  Gebiete  lag  die  Landschaft  Kns-t  und  darin  als  Teil 
Bwgm,  vielleicht  nicht  viel  südlicher  als  Pnubs,  aber  in  der  östlichen  Wüste. 
Hier  in  der  Heimat  der  Löwen  war  auch  unsere  Göttin  zu  Hause. 


^  Auf  jeden  Fall  kann  ti-st  in  unserer  Legende  nicht  Nordnubien  bezeichnen  wie  zur 
Zeit  des  Sirenpowet;  vgl.  Gardiner  in  ÄZ.  45,  S.128  und  Blackinan,  a.a.O.  In  Dakke, 
das  doch  selbst  in  Unternubien  liegt,  heißt  es,  Thot  sei  von  ti-st  gekommen  (d.  h.  von  Pnubs). 
Also  kann  es  kaum  vor  dem  zweiten  Katarakt  beginnen. 


30 


II .  Junker: 


IL  Teil. 
1.  Philä. 

a.    Die  eingewanderte  Göttin. 
Die   Hauptmomente    der  Legende    in   Philä   faßt   kurz  Phot.  950   zu- 
sammen: 


Iäj^^ 


i 


isM 


nm 

•^ 


ys 


X      O 


^.AAA^ 


iC:^ 


n: 


Pfj^iTS 


ß.1 


^4 


Hatlior  die  Große,  Herrin 
von  Snni't  .  .  .  Herrliche, 
Heldin, 

die  aus  Kns-t  kam, 

und  in  Snm-i  als  große  Flam- 
mengöttin anlangte. 

Sie  reinigte  ihre  Glieder  auf 
der  reinen  Insel 

und  nahm  Platz  darauf  im- 
merdar; 

Sehu  ist  bei  ihr  und  bereitet 
ihr  Freude,  od.  ä. 

Thot  beruhigt  sie. 


^^t 
^<=> 


^^3  A 


Ol)  Die  Texte  erzählen  uns  dann  zunächst,  daß  Hat  hör  einst  aus 
fernem  Land  zu  ihrem  Vater  nach  Philä  gekommen  sei.  Als  ihr  Heimat- 
land wird  dabei  Bwgm,  Kns-t  oder  St-t  genannt.  Sie  fährt,  was  zu  be- 
merken ist,  die  typischen  Titel  der  Hathorgottheit:  Hathor  die  Große, 
Auge  des  Re  usw.     Phot.  670: 

Hathor  die  Große,  Herrin 
von  Philä, 

Auge  desRe  an  derSpitze  von 
Sn7n-t,  Herrliche,  Heldin, 

die  aus  Kns-t  kam  und  das 
Herz  ihres  Vaters  Re  er- 
freute. 


m 


^ 


a 


o   ^  ^  4    ^ 


T 


II        X^-^^^  c      D  /^AAAA^   — H —      I 


Der  Auszug  der  Hathor -Tefnut  aus  Nuhien.  31 

So  auch  die,  Brugsch,  Sieben  Jahre  usw.,  a.a.O.,  mißverstandene  Stelle 
(Phot.  265):  «Hathor  von  Bigge,  er  bringt  N.  N.  in  di  eser  Gestalt, 
in  der  es  im  Anfang  entstanden  ist, 

^g_  V^ Q  ^  n . ;^cJ  fi^ r^  als  Ihre  Majestät  aus  Bwgrn 

<==>[][]   ^  .^   "^  ^1"— U  I  indem  [e]  Schu  vor  ihr  ging 

<^>        _„_  _H_  ^^^  ihrem  Ka  tanzte  (Phot. 

265). 


Als  Löwengöttin,  Tefnut,  kam  Hathor  nach  Philä,  in  Begleitung  des 
Schu,  Thot  oder  Arensnuphis,  Thot  von  Pnubs  und  ließ  sich  in  dem  kleinen 
östlichen  Tempel  <'-7z-<'^  nieder: 

[^ '^p=:g^--^,,ww^^'i)  "^  .  .  .  Hathor    an    der    Spitze    des 

^  -         'n         ^^n  Rufhauses, 

..•=^^D   ^  On  y^  ^__-'^==^n(x^x£,  Tefnut     ist's,     die     Tochter 

l   ©^e^r^o    I    J\-^  ö  ^j^g  jjg^   ^.g  ^^g  ^^^.^  j^^j^ 

[l(örl^^  zu  diesem  Ort  (Phot.  404). 

Außerdem  nimmt  sie  in  Philä  die  Gestalt  der  Flammengöttin  wps-t 
an.     Phot.  347   aus  der  Beischrift  zu  einer  Weinspende: 

P^x  ^,^— 7:;;:^;;;;;^^  .  .  .  .  Hathor    die    Große,    Herrin 


C^ 


von  Bigge, 


^s=-^__^[]^   \7cjöa^3^  Auge    des    Re,    Herrin    des 

Ol         p=;i^^Mklll  Himmels,     Fürstin     aller 

Götter, 
^  L^      W^i^  t>c\(\i=^r\n  Herrin  von  Spiel  und  Tanz, 


c^ 


7  M^urLSöfi'^^^ 


deren  tägliches  Bedürfnis 
der  Rausch  ist,  immerdar, 

sie  \  , 

<=*==*  ci        <2>-o  (iie   aus  *S/-^  nach  »Auge  des 


0^2)©       O 


Re«   kam 


rj '='_^T^^^'^^Y\/n  ^  und   in  Bigge  als   Flammen- 

JJn  I  .=  [^^  I  _^'*^  göttin  Platz  nahm. 


32' 


H.  Junker 


Diese  Flammengöttin  ist  wiederum  eine  Erscheinungsform  der  Löwen- 
göttin,  wie  der  stark  verderbte  Text  Phot.  57   und   58   zeigt: 

Königin  von  Ober-  und  Un- 
terägypten, Hatlior  die 
Große,  Herrin  von  Bigge, 

Herrliclie,  Heldin,  die  aus 
Kns-t  kam. 


M^^' 


1:^1. 


r\^^ 


o 
^ 


4' 


TY^S 


00  I  I  |_^  I    I  oO 


SIC 


D 


Sie  langte  in  Bigge  an 

als  große  Flammengöttin 

und  weilt  dort  [indem  Feuer 
um  sie  lodert  .  .]. 

Sie   ist    zornig    als   Sechmet 
und  fröhlich  als  Bast". 


/3)  Die  aus  dem  nubischen  Bergland  stammende  Göttin  wird  dann  aus- 
drücklich Tefnut  genannt  und  hat  als  Begleiter  meist  Arensnuphis  und 
Thot  von  Pnubs. 


^     ö     ^  O"^ 


n 


Tefnut,  Tochter  des  Re,   auf 

dem  Abaton; 
Herrliche,     Schöne,     Herrin 

von  Philä, 


'    Phot.  873  hat  die  Variante: 


X       O 


ö       0         H ö  000 

Vgl.  Phot.  148 1  — 1485   und  Phot.  1335. 


Hathor    die   Große  ..,    Herrliche, 
Gewaltige,  die  aus  Kns-t  kam 

und    in   Snm-t   anlangte   als   große 
Flammengöttin. 

Sie  ließ  sich  nieder  in  Philä,  ihrem 
Liebl  ingssitz. 

Herrin    des    roten  Zeugs,    die   das 
ihn  liebt. 


J}  I   f\/x/i 


Der  Auszug  der  Hathor -Tefnut  am  Nublen.  3B 

^  die  aus  Kns-t  iiacli  >Snm-t  kam 


-•*—  ,0m 


in 

Pliot.  996: 


Tefnut 


V 


illP 


ö 


Phot.  16: 


^ 


Phot.  403 : 


IP 


und  dort  sich  niederließ... 
(Phot.  381). 

die    aus    Nublen    mit    ihrem 
Bruder  kam. 

Tefnut,  die  aus  Nubien  nach 

ir-t-R<^  kam, 
die  in  Snrn-t  Platz  nahm'  mit 

ihrem  Bruder. 


^yvs/s/s^ 


.r^'^iO  C^ 


Tefnut,   Tochter  des  Re  auf 

dem  Abaton. 
Sie  kam  aus  Bwgm  mit  ihrem 
Bruder  (Schu). 

Sie  kommt,  wie  Hathor,  lun  iliren  Vater  Re  zu  sehen  und  bei  ihm 
zu  bleiben  und  ihn  zu  scliützen  (Phot.  i  291  flf.).  Tefnut  wird  dann  wiederum 
der  Flammengöttin  angeglichen,  in  die  sie  sich  in  ilirem  neuen  Aufenthalts- 
ort verwandelte,  wie  u.  a.  zwei  Paralleltexte,  die  beide  Titel  der  Tefnut 
darstellen,  zeigen. 


Phot.  1 8 1 


Phot.  63  i 

,0 


W 


in 


Tochter  des  Re,  die  sein 
Herz  liebt,  die  aus  Nubien 
kam. 


Ihr   Sitz    ist   es  [Philae],   an 
dem   sie  (als)'"  Wps-t  weilt 
^      (Var. :  an  dem  sie  weilt  und 
verbrennt). 


'    Erg.  trj-s  is-t-s  m  Snm-t. 
^    Vgl.  oben  Pliot.  950;  873. 
Phil.-hist.  Klasse.    1911.    Änliany.    Abh.  IIL 


34  H.     J  U  N  K  E  R 


ll'v^'A  ^  wenn  sie  zornig  {n§n)  ist. 


-J    I     ^O 


o 


Sie  kam  aus  Bwgm. 


Ferner  wird  Seclimet  als  Löwen-  und  FlMmniengöttin  genannt,   an  da^r 
Tliot  das   Besänftigungswerk  zu  vollbringen  habe.     Pliot.  964 : 

A   0    J\Ji^37^Q^=^;^  ^  Sechmet   die  Große,    Herrin 

lo^SiH)         -3  4         ^=0©  der  Flamme  in  6'«?«-^. 

Lebendige,  die  frißt  [verbrennt] 

was  da  ist, 
bei    der  Thot   weilt,    sie    zu 
beruhigen. 


f^8\^ 


o  D 


Vgl.  Phot.  1040,   II 30,   iioo,  d.i.  in  den  ältesten  Texten.     Dann  ist 
es  Wps-t  selbst,  die  aus  Kns-t  stammt.     Phot.  50: 
^^^_^^.y^^__ppp^  Wpi.^,    Herrin    der   Flamme 

^^^_^ ^^=^-^*—  Herrliche,    Heldin,    die    aus 

'^^^  ^^^^  Kns-t  kam. 


ih^^ 


Schließlich   wird  auch  dem  Auge  des  Re  als  Mut  Knst  und  Bwgm  als 
Heimat  gegeben,  aber  wieder  als  einer  Form  der  Wps-t. 
^-.     o    X  -:s>-^g  \7   ^  ^^37  i^jut  (ijg  Große  .  .  .  Auge  des 

-^^^^         O  I    o  oOllie  111  ^^     Herrin   des  Himmels, 

Herrscherin  aller  Götter, 
D    no    X    ^rnTl^  \7p*'-/dieGroße  im  Flammen- 

O     X   "^ , ^^Q-^  u^-t,  die  Große,  Herrin  von 

%i>'^—^~^'^%^^)X'^^'^  '      rnSfd-t    an     der    Spitze    von 

«o  u  -'^o  ^u  M  ^©  5^^^  (Phot.  380). 

b.    Die  Formen   der  Göttin. 

An  dieser  Stelle  soll  zusammengefaßt  werden,  was  sich  aus  den  In- 
schriften für  die  E]rscheinungsformen  der  fremden  Göttin  ergibt,  weil  ge- 
rade  das   für   die  Auffassung   der   Legende    und  für  den  Kult  von  beson- 


Der  Auszug  der  Hathor-Tefnut  aus  Nubien.  B5 

derer  Wichtigkeit  ist.  Die  Göttin,  die  Thot  einst  aus  Nubien  nach  Philä 
brachte,  ist  Hatlior,  die  Herrin  des  Tempels  auf  der  Ostseite,  des  »Ruf- 
hauses«. Aber  nicht  als  diese  schöne,  liebliche  Göttin  war  sie  gc^kommen, 
sie  hat  sich  erst  hier  darein  verwandelt;  als  Löwin  hatte  sie  in  Km-t  ge- 
herrscht und  darum  tritt  sie  uns  in  dieser  Legende  gerade  als  Tefnut  und 
Sechmet  entgegen;  auch  ihr  Name  Bast  will  sie  als  Löwengöttin  bezeich- 
nen, die  in  ihrer  ^Erscheinung  den  beiden  genannten  Göttinnen  vollkommen 
gleicht  und  ihren  Sitz  ebenfalls  im  Südosten  hat:  »reich  an  Gestalten  im 
Gottesland«   heißt  sie  Phot.  964. 

Der  Name  Tefnut  ist  aber  immer  der  vorherrschende,  und  Tefnut  ist 
die  eigentliche  Form,  aus  der  sich  Hathor  wandelte.  In  der  offiziellen  Be- 
schreibung der  heiligen  Inseln  heißt  es  (Phot.  11 96): 


o   o 


Herrin  yon Snm-i,  ist  darin, 


P. 


Sic 


^  A^ ^\^  '^^  ihrer  (der  Isis)  Seite;  sie 

wehrt  den  Bösen  ab 
n  ^  AAAA.A  jj  .<2^  ^^^  von    dem    Ort,    an    dem    die 

Majestät  des  Osiris  ist. 


Die  Gleichsetzung  der  Hatlior-  und  Löwinnenformen  zeigt  sich,  außer 
in  den  gemeinsameu  Titeln,  wie:  »Tochter  desRe«,  »Auge  des  Re«, 
»Herrin  des  Himmels«,  »Fürstin  aller  Götter«,  Sps-t,  n'sr-t  usw., 
auch  im  Ritus  ganz  deutlich.  Die  typischen  Zeremonien  der  Hathor:  Wein, 
Bier,  Kranz,  um§h,  Sistrum  usw.  werden  ebenso  vor  Tefnut  und  Sechmet  ver- 
richtet; vgl.  Wein:  Phot.  867,  873,  i  i  16  zu  898,  900,  Sistrum  956  zu  923, 
umB  1040,  iioo,  1130  usw. 

Das  gibt  uns  u.  a.  auch  für  die  Auffassung  der  Orgien  einen  Finger- 
zeig, die  im  Papyrus  Dogson  erwähnt  werden.  Sie  wurden  eben  bei  dem 
Heiligtum  auf  der  Ostseite  gehalten,  und  wenn  Ptr<^  in  der  Weinlaune  die 
Tefnut  preist,  so  ist  es  eben  die  Tefnut,  die  sich  in  diesem  Tempel  als 
Hathor  zeigt;  die  Darstellungen,  die  nur  von  Wein,  Musik  und  Gesang  er- 
zählen, passen  treff'lich  dazu.  So  versteht,  man  auch,  wie  der  Lärm  des 
Gelages  die  Seele  des  Osiris  wecken  und  die  Klageweiber  irritieren  konnte; 
denn  nur  wenige  Schritte  westwärts  lag  der  große  Tempel,  auf  dessen 
Dache  hi  den  Osiriskammern  die  Leichenfeierlichkeiten  und  'I'otenwachen 
abgehalten  wurden. 


36  H.  Junker : 

Die  Form  Hatlior-Tefnut  wird  in  Philä  wiederum  einer  anderen  gleich- 
gesetzt, der  Wps-L  Die  Wps-t  ist  eine  Göttin  mit  Menschengesicht,  auf  deren 
Haupt  sich  die  Uräusschlange  aufrichtet.  Wps-t  werden  genannt  Ilathor, 
Phot.  999,  385  und  öfter.  —  Tefnut,  Phot.  353:  Tefnut,  Wps-t,  die 
shn-t  ihres  Bruders  Scliu,  die  an  keinem  Orte  fern  von  ihm  ist. 
—  Sechmet,  Phot.  329.  —  Wps-t  führt  die  Titel  der  genannten  Göttinnen, 
wie  Auge  des  R^,  Herrin  des  Himmels,  Herrin  aller  Götter;  man 
opfert  ihr  wie  ihnen  Wein  und  Bier,  sie  ist  die  Herrin  des  herrlichen 
Trankes  und  der  Herzensfreude,  sie  stammt  aus  der  gleichen  Heimat, 
ist   »reich  an  Festen  im  Gotteslande«   (Phot.  955) \ 

Die  genuine  Identifikation  ist  die  mit  Tefnut,  denn  in  den  rdtesten 
Inschriften  des  Tempels  steht  als  Beischrift  der  Göttin  in  Wp^'-^Gestalt 
[Phot.  10 19,  1076]: 

sie 

-^  '^'^O'^ll^^  Tefnut,    Tochter    des   Re    in 


bnm-t. 

Es  wird  also  Wps-t  in  Philä  eine  ähnliche  Rolle  haben  wie  die  TV  sn-t  nfr-t 
in  Komombo. 

Die  Einladung  nach  Ägypten  war  von  Re  ergangen,  und  um  ihn  zu 
erfreuen  und  zu  schirmen,  hatte  man  die  Göttin  aus  der  Ferne  geliolt;  so 
heißt  es  denn  auch  allenthal])en,  daß  das  »Auge  des  Re«  zu  Re  gebracht 
werde,  daß  sie  den  Feind  des  Vaters  niederstrecken  solle;  daneben  imd 
gewiß  sekundär  hat  sie  die  Rolle  einer  Beschützerin  des  Osiris  oder  eines 
anderen  Gottes;  vgl.  oben  Phot.  1 196;  ferner  1564:  Hatlior  vom  Ruf  hause 
»ist  auf  dem  Haupte  ihres  Sohnes  und  glüht,  um  seine  Feinde  zu  ver- 
brennen, sie  schinnt  ihn  alle  Tage«;    1275:  Tefnut: 

"^   ^     T<=>^  SM ^^    '  ^^'^  ''^*^'''  Angesicht   gegen 

'  IJ^        -^  ^l^j^   Feind    ihres    Sohnes, 

seinen  Widersacher  vernich- 


^^        ^  tend 


'    Das  hindert  freilich  nicht,  daß  Wps-t  a.nc\\  neben  Tefnut  dargestellt  wird  wie  Phot.  1340. 
oder  neben  Sechmet  Phot.  1343. 


Der  Auszug  der  Hathor-Tefnut  aus  Nuhien. 


37 


c.    Die  Begleiter  der  Göttin. 
a.    Schu  und  Arensnuphis. 
Bei   ihrem   Auszug   war   Hathor-Tefnut   von   ihrem    Bruder  Schu   be- 
gleitet, der  sie  bewogen  luitte,   Nubien  zu  verlassen  und  sich  in  Ägypten 
anzusiedeln.     Phot.  56: 


vi  I    I  O^^^^o© 


]^T 


1% 


Die  beliebteste  Formel  ist  Phot.  46 


^§ 


CJ=0 


OÖ 
I    ^ 


Varianten : 
Phot.  888:    -^ 


Schu,  Sohn  des  Re  in  Sn?n-t, 

der    mit     seiner     Schwester 
aus  Nubien  kam. 


Schu,     Sohn    des    Re , 

der  aus  Nubien  kam 

und  das  Auge  des  Re  zu  ihm 
aus  KnS't  brachte. 


ö 

I  I 


d  Ol 


f^^^^ 


Phot.  966:  fiT 


cno 


1 


Ö 

O    (5 


r\^^^0 


% 


Vgl.  Phot.  957,  1340  und  ausführlicher  mit  Zweckangabe  Phot.  1291: 
—  I    j    ö    ^^  Er  brachte  das  Auge  des  Re 


O 


Cl  c^ 


^^9  0? 


aus  KnS't, 
damit    es    den   Feind    seines 
Vaters  Re  niederwerfe. 


Von  seinem  vorhergehenden  Aufentlialt  in  Ägypten  und  seinen  Taten 
dortselbst  wird  nichts  berichtet,  doch  sieht  man  noch,  wie  er  im  Auftrag 
seines  Vaters  nach  Bwgm  auszog  und  die  ferne  Schwester  aufsuchte  und 
heimbrachte.     Phot.  205: 

Schu,    Sohn  des  Re,    großer 
\  Gott  in  Snm-t, 
der  Nubien  durchzog  zu  sei- 
ner Schwester  Tefnut, 
der  die  Ferne   zu  ihrem  Va- 
ter brachte. 


KM 


H C^ 


1 


2^Alt 


38  H.  Junker: 


Phot.  522: 
f?e  ^^11t^='"^T^^'^  Scliu,    Solin  des  Re,   großer 

''^^^'iT^^^^^li  ^J)Q  ^^'1"  nach   Bwgm  kam   liinter 

y\    y  I  I  D^v..^^öÖ  seiner  Schwester  her. 

Er  umarmt  seine  Schwester  und  fülirt  sie  zum  Ahaton,  um  dort  ihre 
Glut  zu  kühlen  (vgl.  Phot.  950:  »sie  reinigte  ihre  Glieder  im  Aba- 
ton  «).      Phot.  1340: 

ö^£=n^n?^ 1'^^^,^/^  Kr    kam    in    Umarmung    mit 

ilH__         I  ö^  (k D±^n         löo^  seiner  Schwester  Tefnut, 

,^— ^n-^^f=)Q  — ,4— Tg^c^/^^^-r  uni    ilii"e   Glut  im  Abaton  zu 

I  r=E      {}         I         f  J©  kühlen. 

Bei  dem  festlichen  Zug  nacli  Ägypten  hatte  er  selbst  zur  Laute  ge- 
griffen und  vielleicht  in  Affengestalt,  wi(^  das  Determinativ  von  fnf  an- 
deutet, muntere  Tänze  vor  Tefnut  aufgeführt.    Vgl.  Phot.  265   und  87. 

Wie  die  anderen  Begleiter  (siehe  unten)  setzt  (ir  s(üne  Erheiterung 
der  Schwester  in  Philä  fort.     Phot.  12  80: 

^^ /wsAA.  n      ^  ^^  ^^^^^  1^ p  Er   erfreut   seine   Schwester 

^  OK^l^^^^ö^^^'^f  ji  Tefnut  im  Abaton. 

Sein  Verdienst  in  dieser  Angelegenheit  galt  als  so  groß,  daß  in  den 
Beiwörtern  seine  anderen  Titel  und  Eigenschaften  ganz  zurückti-etcn. 

Arensnuphis. 
Die  Rolle  des  Schu  ist  des  öfteren  von  seinem  nubischen  Doppel- 
gänger Arensnuphis  übernommen  worden.  Eigentlich  ist  Arensnuphis  nur 
ein  Beiwort  des  Schu,  der  »gute  Genosse«,  vgl.  Griffith  bei  Blackman, 
a.  a.  0.,  ähnlich  wie  shn  »Gemahl«  od.  ä.  Phot.  20.  Doch  später  hat  sich 
dieser  Titel  in  Philä  gerade  mit  dem  nubischen  Schu  verbunden,  so  eng, 
daß  man  diesen  einfach  den  »guten  Geehrten«  nannte  und  so  von  dem 
ägyptischen  Schu  trennte.  Der  Grund  ist  wohl  eben  in  unserer  Legende 
zu  suchen,  in  der  Schu  nur  die  Rolle  des  treuen  Begleiters  der  Tefnut 
spielt.      Diesen  Prozeß  zeigt  uns  u.  a.  Phot.  1295: 

f? t^ iQ ^333  4 -^^ — °<x=>C^'^    ^  »Schu,    Sohn    des    Re,    Held 

_^  vj  r^=u  t>=ij  machtig  an  Kraft, 

"^^I  f).wwv.^^^=r~^\\^  der  gute  Genosse  der  Tefnut 

in  ojim-i. 


Der  Auszug  der  Hathor -Tefnut  aus  Nuhü-n.  39 
Ebenso  Phot.  1 5  1 2  : 

^  ^  l^"^^^  Arensnuphis   an   der   Spitze 

~*^        ^  von  Nubien; 

f\  ^  ^^^x3:  ^  ^^^  ^^^  Grroße,  die  fern  war, 

^                ^  herbeibrachte 

~^^OJ)_^^'^^=^^^_j  und      ihre      Majestät      nach 

c=^m        .:^^>^  ^g^  2orn  besänftigte.« 

Und  deutlicher  noch  Phot.  19: 

(]%^:r=^/ww>A(]*'^^^v^/vwwv  ^  /^nT'^^^^/ Du    bist    der    gute    /unsj-Ge- 

"  nosse   in  Snni't 


ön 


AAAAAA    AAAAAA 


D  W 


/WWvA    ^ >0  AAAA/\A 

AAAAAA  ^^ —  I         ^X 


$$$^^A3 


in    diesem    deinem     Namen 
Arensnuphis. 

Als  Variante  des  Titels  kommt  auch   v^T   irf  nfr   »guter  Genosse«   vor 
(Phot.  1601). 

Wie  sein  ägyptischer  Kollege  ist  der  nubische  Schu  aus  dem  Süden 
gekommen.     Phot.  381: 


Phot.  139  und  813: 


Arensnuphis,  der  große  Gott 
.  .  .  Schu,  Sohn  des  Re, 
der  aus  Nubien  kam. 


Va'  durchzog  Kns-t,  die  Heimat  seiner  Schwester.     Phot.  880: 

flTI^00§rj.\1S^rj^  Arens„uphi,s.,Schu,Soh„des 

Re   mit   den    reinen    Glie- 


2^:££  A/wws '  dern^  auf  dem  Abaton,  der 

KnS't  durchzoff^. 

\ __^ 

^    So  gegen  Brugsch,  Thes.  765,   vgl.  Phot.  353  fjq^<^^- 

2    So,    nicht    »lord    of  ^«5«   Blackman,    a.a.O.;   die  Doppellöwen    sind   Ms   zu    lesen: 
vgl.  die  Doppelstiere  f^nswj  der  Pyr. 


40 


H.  Junker 


In  Bwym  angekommen,  sucht  er  Tefnut   zu   besänftigen.     Phot.  153 


.T.flflfBJ'c^ 


p?^ 


o 


TJ 


e 


Arensnuphis,  der  groQe  sltm, 

Sohn  des  Re,  mächtig  an  Kraft 
an  der  Spitze  von  Nubien, 

der  seine  Schwester  in  Bwym 
besänftigte. 


V ^  c^  ^ 

Genau  so  Phot.  1489. 

Sie  hört  auf  ihren  Bruder,  und   er  bringt   sie  aus  der  Ferne  herbei. 


Phot.  456: 

I 


X 


Phot.  66 


C^i 


Kfpy 


5T 


Phot.  20 


(2  ^^ 


^; 


Arensnuphis,  .  .  .  Schu,  Sohn 
des  Re, 

der  die  Große,   die  fern  war, 
herbeibrachte. 

.  .  .  Der  Sohn  des  Re,  der  die 
Große     nach     Ägypten 
brachte, 

Arensnuphis. 


Der    vor    ihr    her    aus    Kns-t 
zum  Abaton  zo^. 


Dabei  wird  mehr  als  bei  dem  ägyptischen  Schu  hervorgehoben,  daß 
er  als  Bruder  der  grimmigen  Löwin  ein  gewaltiger  Löwe  sei,  und  man 
erkennt  unschwer,  daß  die  anderen  Bezeichnungen  als  Luftgott  usw.  ihm 
nur  ganz  äußerlich  anhaften. 

Phot.  1400: 

^  "^  llJ---5^i^f"5"^T?,  Arensnuphis,    lebendiger 

/^~~~ '^  "^^^^  Löwe,  der  die  Feinde  nie- 

derstreckt. 


'    y   ist  liier  und  oft  in  den  Texten  Philäs  und  Nuhiens  Silbenzeichen  für  hm  wie  x^. 


Der  Auszug  der  Hatkor-Tefnut  aus  Nullen.  41 

Phot.  456: 

>^I^<^<^;_71^  Löwe  des  Südens   mit   kräf- 

tigen Schenkeln. 
Phot.  1 9 : 

5^    ^    ^f^^c^  Löwe,  groß  an  Kraft,  ander 

Spitze  von  Nubien, 
\\d5^ä  x'^^^iM  i^it  Lautem  Gebrüll  und  star- 


Phot.  1 4 1 8  : 


ken  Pranken. 


^^f^lZII^^'©  Lebendiger  Löwe     der    die 

heinde  von  Ägypten  fern- 


Phot.  1554 


hält. 


f^]|r^  Arensnuphis     mit     bleiben- 

^  dem  Sitz, 

i'^^S^  1  ^4^'^crv'^'^  Löwe  des  Südens,  mit  star- 

kem  Schenkel   und  mäch- 
tigem Arm. 

ß.    Thot  und  Thot  von  Pnubs. 

Wichtiger  noch  als  die  Aufgabe  des  Schu- Arensnuphis  ist  die  Rolle 
gewesen,  die  Thot  bei  der  Entführung  der  Hathor  zufiel.  Mit  seinen 
Zaubersprüchen  hat  er  die  Wut  der  Löwin  gebrochen,  und  sie  folgt  ihm 
besänftigt  nach  Philä.  Aber  auch  dort  darf  er  nicht  aufhören,  seine  magi- 
schen Formeln  zu  sprechen,  den  Zaubertrunk  zu  reichen  und  die  anderen 
Besänftigungsmittel  anzuwenden,  sonst  möchte  die  alte  böse  Natur  der 
Göttin  wieder  zum  Ausbruch  kommen.  Und  so  ist  denn  sein  Haupttitel^ 
und  das  ist  für  das  Vorherrschen  der  Legende  von  Wichtigkeit,  nicht  » Herr 
der  Wahrheit«,    «Künstler«   usw.,  sondern  wie  Phot.  448: 

^^  »Thot,    der  die  Feuergöttin 
in  Snm-t  beruhigt.« 

Vgl.  Phot.  179,  829,  833,  964,  1098  usw. 

Diese  Fewergöttin  ist  die  eingewanderte  Löwen-Flammengöttin,  von 
der  es  ebenda  hdßt: 

^□^n^  .  .  .  n  ^^o^ 0  ^  n -^  ~"^ '^ ^  ^^  Die  Wps't,  deren  Majestät  in 

^'^         '  ^^    ^ö^c^^  ,S/im.if  beruhigt  wird.« 

Pldl.-hist.  Klasse.    1911.    AnJuing.    AOL  III.  ^ 


■l 


42  H.  Junker: 

Ausdrücklich  werden  bei  der  Besänftigung  die  guten  Reden  und  schönen 
Aussprüche  erwähnt,  z.  B.  Phot.  843 : 

^'%sfl"^"*~'^flT^^  Thot,  der  die  Flammengöttin 

^     "     ^  mit    seinen    Sprüchen   be- 


^  D<c:z>\\'*  I    I    ^  I 


Phot.  861: 

Phot.  117: 

^<=>  III,         ~^f) 


sänftigt. 

[Thot,]  der  die  Flammen- 
göttin mit  seinen  Zauber- 
sprüchen besänftigt. 

Thot  der  zweimal  Großeusw., 
der  die  nsr-t  beruhigt, 
n  rn  ^"L.  ^O^—^f..^^^  der  die  Tochter  des  Re  mit 

seinen  schonen  iriedbrin- 
genden  Worten   erheitert. 
Genau  so  Phot.  15,  13. 

Die  Titel,  die  sich  auf  sein  Herbeibringen  der  Hathor  beziehen,  sind 
dieselben  wie  die  des  Schu  in  der  gleichen  Rolle.     Phot.  50: 

.    "    ^ Thot,  der  die  Flammengöttin 

'^^^^^  in  Snm-t  besänftigt, 

"=^^^  ö    , '"-^r\y\/i  (1er  das  Auge  des  Re  zu  ihm 

''^''^         ""*""  aus  KnS't  brachte. 


^o^^ 


l 


Vgl.  Phot.  504. 

Hierbei  tritt  er  zuweilen  als  Löwe  auf,  z.  B.  Phot.  1448: 


/^  A  .2, .  .  .  o_  JT^-Sl  Thot,    mit    Leben    versehen 

"*  .  .  .  lebendiger  Löwe, 

I         S'^  *^  "^y  der    die   Bösen    niederwirft. 


"Ö"       I 

und  sonst  öfter 


Thot  von  Pnubs. 


Wie  Arensnuphis  den  Schu,  so  hat  der  Gott  von  Pnubs  den  ägypti- 
schen Thot  des  öfteren  abgelöst,  so  daß  die  Sage  von  Hathor  Schu-Thot 
ins  Nubische  übersetzt  lautet:  Tefnut-Arensnuphis-Thot  von  Pnubs.  Der 
nubische  Thot  trägt  wiederum  dieselben  Titel  wie  sein  Kollege  von  Smun. 


Der  Auszug  der  Hathor-Tefnut  aus  Nubkn.  43 

Phot.  66: 

^ ^jlO'^^i©  ^^'^^   "^''^    Pnubs,    Herr   von 

Philä,  herrlicher  Gott, 


D^(m^^'^r\lo  ^^^'    ^^^   Flammengöttin    auf 

dem  Abaton  beruhigt. 

Phot.  404: 
lolV^_-ji'?^  i^erdasAugedesRezuiiirem 


Vater  Re  brachte. 


Kns-t  brachte. 


Phot.  123: 
Phot.  153: 


D 


^/£/==(^/j  Der   die   Flammengöttin    auf 

dem  Abaton  beruhigt 
H         ^■^"<S=>£5ä^  inid  die  Große,  die  fern  war, 

-/J  <^ >  Vj   AAAAAA         -A  C^  1.11 

heimbrachte. 
Phot.  937: 

QT^:^*=*PPr^1  ^^^'   aus  Nubien  kam  .  .  .  des 

Schu. 

^J=>^T...  Der    die    Starke     in    N.    be- 

ruhigt. 

Auch  er  ist  ein  gewaltiger  Löwe,  Phot.  627: 
I^'^'^'^qJI'A^  .  .  .  Thot  von  Pnubs,  .  .  . 

5^4>^'^  ^;_il^^^  Löwe   des  Südens,   gewaltig 

an  Kraft. 

In  seinen  Sitten  hat  sicii  Thot  von  l^iubs  der  Tefnut  vollkommen 
assimiliert ;  nicht  wie  der  andere  Thot,  der  den  Wein  bloß  für  die  Tochter 
des  Re  mischte  und  die  Kränze  nur  für  sie  wand,  hat  er  selbst  an  diesen 
Dingen  Geschmack  gefunden  und  ist  ein  Held  im  Trinken  geworden,  der 
der  durstigen  Göttin  in  nichts  nachgibt. 

6* 


44  H.  Junker: 

Phot.  1434: 


D   nn         ^-=^0    X    ^YO  Thot    von    Pnubs,     groß    an 

OöJI  _.öWl^llll  Stärke,  der  die  Feinde  nie- 

der  wirft, 
'=S=</=:r  ^    <^4^^i  Herr    des  Weines,    der    viel 

AAAAA^^=zuuo  o  o^'  trinkt. 

Phot.  1489 — 1496  spricht  der  König,  indem  er  Thot  von  Pnubs 
2  Krüge  reicht:  »Nimm  dir  den  herrlichen  Trank,  ...  deine  Nali- 
rung  ist  es,  die  nicht  von  dir  weicht,  trink  davon  alle  Tage, 
daß  dein  Herz  sich  freue  immerdar«,   und  er  selbst  heißt  dort: 


;.T 


^   ^3^  A  Er   ist   der    Herr    der    Trun- 

kenheit  und  Freude, 

(^^  0  1  ^  •  •  •  Thot  von  Pnubs  .  .  . 

Vgl.  Darreichung  des  Palmenkranzes  (Phot.  1448). 

Seine  Gleichstellung  mit  Schu  ist  noch  unerklärt;  ob  seine  häufigste 
Darstellungsart:  Menschenkopf  mit  Onuriskrone  dazu  beigetragen  hat?  Man 
vergleiche  nur  z.  B.  Phot.  1289  mit  1356;  in  der  Darstellung  ist  kein  Unter- 
schied zu  gewahren;  vielleicht  ist  auch  auf  diese  Gleichsetzung  zumckzu- 
führen,  daß  Thot  so  oft  als  Löwe  auftritt. 

d.    Die  Empfangshalle. 

Den  interessantesten  Einblick  in  die  Sage  und  ihre  Nachwirkungen 
im  Ritus  läßt  uns  der  Hathortempel  tun,  der  im  Osten  der  Insel  liegt, 
also  auf  der  Seite,  von  der  Hathor  ankam,  wie  das  Osirisheiligtum  im 
Westen  nach  dem  Abaton  zu  liegt;  von  der  ganzen  Anlage  ist  zwar  nur 
mehr  die  Eingangshalle  und  der  daran  anschließende  Raum  erhalten,  aber 
gerade  erstere  ist  fast  ausschließlich  dem  Andenken  an  Ilathors  Ankunft 
aus  dem  fernen  Berglande  gewidmet. 

Freilich  liegen  die  Anspielungen  nicht  immer  auf  den  ersten  Blick 
offen  da,  und  andere  Titel  und  Legenden  der  Göttin  laufen  mit  unter,  aber 
der  Grundton  bleibt  immer  derselbe:  der  Jubel  über  die  Ankunft  der  mäch- 
tigen Herrin. 

Var.1443:   "^^1   I    ,§])• 


Der  Auszug  der  Hathor -Tefnui  av^  Nuhien.  45 

An  der  Eingangstür  steht  zu  beiden  Seiten  das  Lied  von  der  Berei- 
tung des  Weinkrugs  und  dem  Tanz  des  Königs.  Die  Interkolumnen  ])rin^en 
die  Freudenopfer:  Wein,  Bier,  Siegeskranz,  ivn^b,  Blumen,  Sistren  (Pliot. 
1582  — 1588),  alles  Dinge,  die,  wie  uns  andere  Texte  lehren,  beim  Ein- 
gang der  Hathor  und  bei  der  Erinnerungsfeier  eine  Rolle  spielen.  Auf 
den  Mauerdicken  der  Rückwand  stehen  frohe  Hymnen,  die  deutlich  auf 
die  feierliche  Prozession  Bezug  nehmen  (Phot.  97/98): 

te  '^flt^j--,^  Alk  ^ri!  ^  .  .  .  0  wie  schön  ist  dein  Ange- 

iuioSJl^         (^wHJr^       P(^\\  3i^ht,     wenn     du    einher- 

ziehst    und    fröhlich   bist. 
,^0^^^_-öfe^__j  Dein   Vater    Re    jauchzt   bei 

o     I   Tfw        üni  deinem  Erscheinen. 

0  []  ^  g^  f?  tVI  "f"  R  "^^^=1  ^  Dein  Bruder  Schu  jubelt  vor 

^o^oo<^vgtQ^^  Thot  ist  vor  dir(?),  indem  er 


dir  .  .  .  ruft. 


10 


rt]  P-) [Qi ^  Die    große    Neunheit    ist    in 

^111   o  ^^11      (Afl}  j^bel  und  Preis. 

__j.w..^i^^__  ^^      [Jl^e/n^^  Die  Affen  sind  vor   dir   und 

_-i]   \s  'M\'^^\a.\\Ir  H  l^m  tanzen  deiner  Majestät. 

_[l[l^nlta^ hiS---  ^^^    ^^^^    schlagen    deinem 

ilW^il     ^         •— 'O  Ka  das  Tamburin,   ..  . 

^x%^  ^         'il^fa'lfx     1  0  du   große  Bd-t,   du  b^-t  in 


öl^^=^®)k^ 


Bwgm. 
Q  K  ^f  \J  ^^  Du  bist   die   Herrin   des  Si' 


dii  10^  Strumspieles,    Herrin   des 

mnj-t .  .  . 

Auf  den  Säulen  sind  die  Gabenträger  und  Musikanten  dargestellt,  und 
über  diesen  stehen  die  Eieder,  die  sie  singen,  Einzugslieder  bei  dem  Erinne- 
rungsfest, Jubelhymnen  von  der  Ankunft  der  Herrin  des  Heiligtums. 

Die  Darstellungen  sind  dabei  paarweise  geordnet. 

Erstes  Paar  von  Osten:  Lautespielen d^  Affen.  Der  Affe'  der  süd- 
lichen Säule  singt  u.  a.   (Phot.  92):  

1    Vielleicht   ist   es  Schu   selbst,   denn    bei   ihn,   stehen  noch   folgende  Schriftreste  als 


46  H.  Junker: 

W  ^  nD g__j ^j__^^^^^^  Komm,     steig    herab,     nach 

^     ^  ^®  Ägypten, 


■>P   5=.It^^^AAAAA  ''^''^''^''~^''~  du  Gazelle  der  Wüste 


]J 


O   0-=»         -^    (g 


ö^^^l©  du  Große,  Gewaltige  in  j5?(iym. 

In  der  Beischrift  auf  der  Nordseite  (Pliot.  87)  sind  es  drei  Hatlioren 
und  die  Isis  dazu,  die  aus  dem  Süden  kommen  sollen,  aber  man  sieht 
sofort,  daß  nur  die  Tefnut-Hathor  gemeint  sein  kann.  ».  .  .  in  Frieden, 
Isis  .  .  .  Herrin  des  Abaton,  Hathor,  Große,  Herrin  von  Snm-t, 
Hathor  von  Philä,  Hathor,  Herrin  des  Rufhauses« 

/ '^^         I  / "il^N /^A^Qo  bei  eurem  Kommen  aus  5w;^7/y. 

(^/^Wt'^    ^    ^  A.— ISi  Abaton  und  Philä  sind  voll 


Jubel. 
^  — H—  / /0>  Ganz  Ägypten  frohlockt. 


LH  ©<^"^^' — "O 


p(3  |yAA^AA^^  Schu  tanzt. 

%3^^^W  ^  ^"^         /^^     ^^'^^'    ^^^"^   [ArmeJ   sind    in 

-^Ik-^^^wIm^^   DÖlll^^^^^~~^rÜ©  Preis,     erheitern     sie     am 

Abaton. 

Zweites  Paar  von  Osten:    Bese  mit  der  Laute. 

Auf  der  südlichen  Säule  heißt  es  (Phot.  92): 

^^[^"^^-^   °   n-^^-^Af]    ^  Es  kommt  Hathor   zu  ihrem 

^^flf]  ^^     ,1  0  wie   süß   ist   es,    wenn  sie 


kommt. 

Ein   lautespielender  Bes   steht   auch    auf  der   Rampe  gegenüber   dem 
P]ingang  unter  ein(^r  IIathor(?)-Nische. 

Drittes  Paar   von  Osten:    Bese  mit  Tamburin.      Südlich  (Phot.  91): 
'^Itl        n®   '^    '~''~AAAAA^^   ^  K  Bes,  der  das  Tamburin  seiner 

W     ^   •   ••!    \\l=3PO  O^  TT  •  1,1"      f  1        -1 

Herrin     schlagt     und     ihr 

[c=:^=i]t^    I  ^ :=i  Herz  erfreut  mit  dem,  was 

sie  liebt. 


Der  Auszug  der  HatJior -Tefnut  aus  Nuhien. 


47 


Viertes  Paar  von  Osten:  Priester,  die  (lazellen  auf  den  Schultern 
tragen,  mit  Lotusblumen  geschmückt;  sie  bringen  die  Speise,  die  die  Göttin 
liebte,  als  sie  in  der  Wüste  umherschweifte:  y>yM,  nli,  milid  um  iliren 
Altar  festlich  zu  versehen«. 

Fünftes  Paar  von  Osten:  Harfespielende  Priester.  Der  Harfner  auf 
der  südlichen  Säule  singt  der  Göttin,  wie  das  Jahr  komme  und  die  Scheunen 
fülle,  damit  sie  an  ihrer  neuen  Heimat  Überfluß  habe,  und  lädt  sie  ein 
(Phot.  89): 

a        o    1X3=3  o  00^      t  Komm,  du  Herrin',  und  schau 

^7^0UJÖ^o°A  das  Schöne. 

Sechstes  Paar  von  Osten:  Priester  spielen  die  Flöte,  Der  Hymnus 
auf  der  südlichen  Säule  beginnt  (Phot.  88): 

Lauter  Jubel  war"  am  Fest- 
gemach. 

7=^  j\t ^>^  Das  Rufhaus  war  vollFreude, 


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a 


als  Hathor,    die  Herrin    von 

Hathor,  die  Herrin  vom  Ruf- 
hause, 
ihren  Einzug  darin  hielt, 

Als  sie  von  Btogw.  kam. 

Wein  wurde  ihr  libiert,  Salbe 

gespendet, 
ein   Kranz    von  Gold  um   ilir 

Haupt  gewunden. 


2.  Die  nubischen  Tempel. 

Die  Heiligtümer  von  Philä  nilaufwärts  bi^  Maharraga  liefern  nur  einen 
spärlichen  Ertrag  für  die  Legende;  nicht,  daß  ihnen  dieselbe  unbekannt 
wäre,  sie  findet  sich  im  Gegenteil  überall  wieder,  aber  in  sklavischer  Ab- 


^    Fem.  zu  "soeic. 

2    War  damals  und  ist  jetzt  am  Erinnerungsfest. 


48  H.  Junker: 

hängigkeit  von  Philä.  Arensnnphis,  Tefnut  und  Thot  erscheinen  als  von 
Süden  eingewanderte  Götter,  aber  nicht  etwa  mit  Kultstätte  in  den  be- 
treffenden Tempeln,  sondern  als  Herren  von  Philä  und  Abaton.  So  wenig 
von  lokaler  Färbung  besitzen  die  Namen  und  Titel,  daß  sie  meist  genau 
so  in  Philä  stehen  könnten  und  unser  Verständnis  der  Sage  so  gut  wie 
gar  nicht  fordern.  Immerhin  ist  es  interessant  zu  sehen,  wie  die  Theo- 
logie der  kleinen  nubischen  Tempel  von  dem  Schatze  Philäs  zehrte,  wie 
bei  ihnen  keine  Lokaltradition  der  Sage  bestand,  sondern  diese  in  der 
Fassung  des  Hauptheiligtiims  tale  quäle  übernommen  wurde.  Dann  aber 
erkennen  wir,  welche  Bedeutung  diesem  Mythus  überall  beigemessen  wurde, 
man  mochte  ihn,  so  wenig  wie  den  Osirismythus,  im  eigenen  Tempel 
nicht  missen  und  rechnete  ihn  zum  eisernen  Bestand  der  Tempeltheologie. 
Eine  Ausnahme  bildet  Dakke,  das  als  Lokalgott  den  Thot  von  Pnubs 
verehrte,  der  ja  hei  der  Entfuhrung  der  Göttin  hauptsächlich  beteiligt  war; 
so  war  es  natürlich,  daß  man  in  seinem  zweiten  Heiligtum  dieser  Helden- 
tat geziemend  gedachte  und  die  Legende  eingehender  behandelte  als  die 
Nachbartempel  alle,  deren  Lokalgötter  in  keiner  Beziehung  zu  ihr  standen. 

a.  Bigge. 
Wie  die  Sage  hier  ausgestaltet  war,  läßt  sich  nicht  mit  Sicherheit 
bestimmen,  da  ja  nur  die  Reste  eines  Tempelteiles,  der  Eingangsgebüude, 
stehen  und  wir  nicht  wissen  können,  was  die  zerstörten  Gemächer  ent- 
hielten ;  aber  von  vornherein  ist  bei  der  engen  Verbindung  mit  Philä  keine 
wesentliche  Modifikation  zu  erwarten.  Tatsächlich  zeigen  uns  die  Reste 
dasselbe  Bild,  wie  wir  es  dort  kennen  lernten.  Man  reicht  Hathor  den 
Kranz,  der  Tefnut  das  wti^  Schu  tritt  mit  Tefnut  auf,  Thot  neben  ihm-i: 
die  Titel  stimmen  genau  überein,  z.B.  Bigge,  Phot.  1643: 

^^^^^:37^^V^  ^  Thot,  der  zweimal  Große,  Ge- 

waltige, Herr  von  Seh  num, 
^-3'^  der  die  nsr-t  in  Snm-t  froh- 


H& 


macht. 


Uod  wieder  (vgL  oben  Philä,.  Phot.  448  usw.): 
L=,/T)XZZ^^^ —  "^  „  Der   die   nsr-t  in    HiUH-t    mii 


Vgl.  oben  Philä,  Phot.  86  f 


seinen     herrlichen     Sprü- 
chen frölilicTi   stimmt. 


Dpv  Auszug  der  Hathor -Tefnut  aus  Nuhlen.  49 

b.    Debot. 
Von    den    erlialtenen    Darstellungen    erinnern    zwei    an   <lie    liegende. 
Phot.  1695    preist  Atrachamon    den  Schu,   der  die  Onuriskrone  trägt,   und 
seine  löwenköpfige  Genossin: 

^S^%*'^il  Sahn,  Sohn  des  Re, 

ITII^^-^rllEl©  Arensnuphis   auf  «lern    Aha- 

ton, 


ö 


J^AA.^^^  guter  Gatte'   der  Hathor. 


Bei  der  Göttin: 


AftAAAA 


^  ^37^         U^  oA7/i-^,  die  Große,  Herrin  der 

±1  lamme, 

Tefnut  in  8?im-t, 

die  ihren  Bruder  swSd'   um- 
armt. 


ö    /3  f O 


f>sir:ippi 


Phot.  1691  spendet  Augustus  dem  Tiiot  von  Pnubs,  der  die  Onuris- 
krone  und  das  Zepter  mit  Schlange  und  Skorpionen  trägt,  Wein ;  der  (rott 
wird  dabei  mit  Schu  identifiziert   —  alles  wie  in  Philä. 

.     ..Jt^l  ^   Tl^O  Thot  [von  Pnubs]   ...  Schu, 

bU:  Re, 


ii 


i"—         ßß  •  •  •  der  aus  Kns-t  kam. 

c.  Kalabsche. 
Hier  finden  wir  nur  unsere  bekannten  Götter  wieder:  Arensnuphis, 
den  Löwen  des  Südens  (Phot.  1778)  mit  seiner  Genossin  Tefnut, 
Tochter  des  Re,  .  .  .  Herrin  des  Abaton  (Phot.  1779,  vgl.  Phot.  1870, 
1869),  Thot,  der  die  nsr-t  besänftigt,  Herr  von  ISnm-t,  großer 
Gott  auf  dem  Abaton  (Phot.  18  14)  und  Thot  von  Pnubs,  aber  nur  mit 
allgemeinen  Beiwörtern  (Phot.  1776,  1870),  also  alles  in  allem  nur  eine 
dürftige  Anleihe  bei  Philä. 


^    shn  n/r  ist  dieselbe  Bildung  wie  irj-hms-nfr,   wobei  also  shn  von  shn  »umarmen 
dem  irj  hms  entspricht. 

^    —  Schu;  vgl.  unten  Dakke  Phot.  1939. 
Phil.  hisL  Klasse.    1911.    Anhany.    Abh.  IIL  7 


50  H.  JuN  ker: 

d.  Dendur. 
Die  Beischriften  zu  den  Göttern  sind  so  nichtssagend,  daß  man  nur 
nachträglich  aus  ihnen  ein  Bekanntsein  mit  der  Legende  konstatieren  kann, 
erwähnt  wird  dieselbe  nirgends  ausdrücklich.  Als  Götter  der  Legende 
treten  auf:  Arensnuphis;  ihm  wird  Phot.  1902  Weihrauch  geopfert;  er 
trägt,  wie  immer  hier,  die  Doppelkrone  mit  Sonne: 

OriT^'Ü^ 7''^^'^  Arensnuphis,    großer    Gott, 

^^iVm    i^/^J©  Herr  des  Abaton, 

n  q  J,n^c-7^§S£^  herrlicher     shm,     Herr    von 

Also  nur  der  Gott  von  Philä  ohne  weitere  Zutat;  ebenso  Phot.  1887 
und  1905,  wo  man  ihm  Wein  opfert;  dieselbe  Spende  erhält  er  mit  seiner 
Genossin  Tefnut,  Phot.  1877;  letztere  heißt  einfach: 

^^^O^^^^/^Z:'^  Tefnut,  Tochter  des  Re  auf 

öool  f'U  ©  dem  Abaton\ 

Thot  von  Pnubs,  dem  man  Wein  und  Wahrheit  spendet,  ist  ibis- 
köpfig  oder  trägt  die  Onuriskrone;  er  wird  wie  in  Philä  (s.  oben  S.  43)  auch 
als  Löwe  geschildert,  z.  B.  Phot.  i 

D 

^^^■♦  ö 


AA/VAW    „  1         '  Ü  11    1 


11- 


] 

o 


___^   D    _g^^  Thot   von   Pnubs,    Herr   von 

^-^^=^®  Pselchis, 

D^^^^^  Löwe   des  Südens   mit  star- 

kem Schenkel, 

^  srroßer  Gott,  Herr  von  6'fim-^. 

D.  h.  der  Gott  stammt  aus  Pnubs,  hat  in  Dakke  ein  Heiligtum  und 
ist  der  große  Gott  von  Philä,  wohin  er  eingewandert  ist;  ihm  zur  Seite 
steht  Tefnut  als  Tochter  des  Re  auf  dem  Abaton,  Herrliche,  Schöne, 
Herrin  von  Philä,  Herrscherin  in  Bigge.   Ebenso  Phot.  1898,  vgl.  1894. 

Blackman  hat  in  den  Proceedings  a.  a.  0.  vermutet,  daß  sich  zu  einer 
bestimmten  Zeit  eine  orthodoxere  Richtung  gegen  den  Kult  der  einge- 
wanderten Götter  gerichtet  habe  und  glaubt  in  Dendur  einen  Beweis  ge- 
funden zu  haben: 

'    Phot.    1871     heißt    Arensnuphis     / .     <^  .     Vgl.  Philae,  Phot.  813    5J^ 


T>er  Auszug  der  Hatkor-Tefnut  aus  Nubien.  51 

»After  a  time,  it  would  seem,  an  attempt  was  made  to  conciliate  the 
opposing  factions  by  ideiitifying  Arsenuphis  with  Osiris  and  the  record  of 
tliis  is  preserved  in  the  little  temple  at  Dendür  built  in  the  reign  of 
Augiistiis,  in  which  Tefimt  becomes  the  consort  of  Thot  of  Pnubs 
while  with  Arsenuphis  Isis  is  associated  as  wife  .  .  .  For  proof,  that  tlie 
priests  of  Dendur  Temple  regarded  Arsenuphis  as  a  form  of  Osiris  tlie 
following  scenes  and  texts  should  be  conclusive:  On  the  South  wall,  ex- 
terior,  Seene  I,  the  emperor  adores  Arsenuphis  accompanied  by  Isis.  The 
god  swathed  as  mummy  holds  the  crook  and  flail  and  on  his  head  wears 
the  atef  crown:  he  is  called  j  pj  JÜ^j^^"  "«w.  Dann  führt  er  als 
schlagendstes  Beispiel  eine  Szene  an,  bei  der  der  Name  Arensnuphis  aus- 
radiert und  Osiris  eingesetzt  wurde:  »But  even  this  Identification  seems 
not  to  have  satisfied  the  extreme  party,  for  at  subsequent  date  the  name 
of  Arsenuphis  was  erased  and   rj    i  put  in  its  place.« 

Diese  Erklärung  dürfte  wohl  ganz  unzutreffend  sein;  es  handelt  sich 
ohne  Zweifel  um  eine  Verschreibung  von  n  n  T  Jj  für  rj  =q ,  wobei  das  erste 
gemeinsame  Zeichen  der  Anlaß  war;  die  spätere  Austilgung  von  Arensnuphis 
an  einigen  Stellen  und  das  Einsetzen  von  Osiris  ist  eben  eine  Korrektur, 
wie  solche  auch  in  anderen  Tempeln,  z.  B.  Philä,  im  Titel  des  Horus  nach- 
zuweisen sind.  Warum  sollte  auch  gerade  Arensnuphis  sich  unbeliebt  ge- 
macht liaben?  Warum  ließ  man  Tefnut,  die  Hauptschuldige,  unbehelligt? 
Wie  erklärt  man,  daß  man  einerseits  Arensnuphis  hinter  Osiris  versteckte, 
ihm  anderseits  samt  seiner  durstigen  Genossin  Wein  darreicht  und  ihm 
offen  seinen  ehrlichen  Namen  und  ("harakter  gibt?  Und  vor  allem,  man 
darf  doch  nur  nicht  denken,  daß  die  Theologen  von  Dendur  derartige  Be- 
denken getragen  hätten;  auf  solche  Ideen,  Arensnuphis  durch  Gleichsetzung 
mit  Osiris  zu  retten,  werden  sie  nie  gekommen  sein.  Außerdem  ist  auch 
die  im  Dogsonpapyrus  erwähnte  Tatsache,  von  der  Blackman  ausgeht, 
anders  zu   erklären,  was  an  anderer  Stelle  gezeigt  werden  soll. 

e.    Maharraga.  ^ 
Im    ganzen    sind   nur  Reste   von   zwei  Darstellungen   am  Platze,   von 
denen   die   eine    aber   auf  unsere  Legende   Bezug   nimmt.     Da   reicht   der 
König  dem  Thot  von  Pnubs  das  Feld,  eine  Schenkung  symbolisierend.    Die 
Titel  des  Gottes  lauten  (Phot.  2008): 


52  IT.  J  u  N  K  E  R : 

^°J[1()^---  Thot  von  Pnubs, 

, """    ""  ^  der  aus  Nubien  kam, 

o--.   <3r> V  ö  ^  ^  D ^^^^  Löwe    des  Südens   mit   star- 

>^  t  Hv-^oa  Y^^  Schenkel. 

Hinter   ihm    liat.  Tefnut   gestanden,    wie    die  ersten  Zeiclien   noch   er- 
sehen hissen. 

f.    Dakke. 
a.    Die  Göttin  der  Legende. 
In  den  weitaus  häufigsten  Fcällen  wird  die  aus  Nubien  eingewanderte 
Göttin  Tefnut  genannt,    und    zwar   Tefnut,    deren  Residenz    nunmelir   in 
Philä  liegt  (Phot.  1920): 

sie 

^?   ^ ^  .^3-37  AAAAAA  Q::£i  Tefnut,  Herrin  von  ^nm-t. 

^  ^T— 7  "^^^^  tei  S£}3  Fürstin,   Herrin  von  Philä. 

Vgl.  so  1947,  1934,  1950. 

Sie  wird  dann  der  Hathor  gleichgesetzt  (Phot.  1957):  Tefnut,  Toch- 
ter des  Re  auf  dem  Abaton, 

sie  sie 

<=^'^^^--^^ZZ.^^^3=>-^^  Hathor,    die    Große,    Herrin 
^lÄOo         ^=Q^O    If=^  ^^^   iinm-i,   Auge   des  Re, 

X7   -k-k^zzy  Herrin  des  Himmels,  Fürstin 
^^  ^  ^  '"  aller  Götter. 

Und  der  W'ps-t  von  Philä  (Phot.  1967):   Tefnut,  Tochter  des  Re  ?uif 
dem  Abaton, 

^x  ^^, ^^o©  große      Flammengöttin      auf 

hnm-t. 

Vgl.  Phot.  192 1. 

Sie  kam  aus  dem  Nubierland  (Phot.  19 13): 


^  ^c^«^-Uv^ '^^^^  Tefnut...  Herrin  von  Philä, 

/www  ^^^O-'^^         e.=^© 

sie 


die    aus    dem    Nubierland 
kam. 


Ber  Auszug  (hr  Hathor-Tefnut  aus  Nuhim.  53 

Dann  wird  Z/is-jf  als  ihr  Heimatland  angegeben  (Pliot.  929):  Tefnut, 
Tochter  des  Re  auf  dem   Abaton, 

^^4"^l2©  Ehrwürdige,  Gewaltig«^  die 

aus   Kns-t  kam. 
Sie  verließ  ihr  Land,  um  sich  als  Wp.U  in  Philä  anzusiedeln  (Phot.  192  i): 
Tefnut,  Tochter  des  Re  auf  Abaton  .  .  . 


Q    I,    @  die  aus  Kns-t  kam. 


^P^fe©T}^l  Sie  (od.  ihre  Majestät?)  ging 

"  nach  Snm-t  als   Flammen- 

göttin. 
Sodann  ist  Shjn-t  die  entführte  Göttin   (Phot.  1939): 

ö^^^^^^^^<=>f)l^  ^^m-t  die  Große,  Herrinder 

JB  lamme, 
^^^r^/ AAA/^       ^ö  y       I  leinut   in   iSnm-t,    die   ihren 

Bruder  ^mj/c*  umarmt  . 
Vgl.  Phot.  19 19. 

Endlich  wird  Wps-t  als  Genossin  der  nubischen  Götter  genannt  (Phot. 
1948,  1951.  1958). 

So  erhalten  wir  in  allem  das  Bild  der  Göttin,  wie  es  aus  Philä  be- 
kannt ist,  nur  daß  dort  die  Hathorform  mehr  hervortritt,  während  hier 
die  Tefnut  vorwiegt. 

B.    Die  Begleiter. 
Unter  denen,  die  Hathor  nach  Ägypten  geleiteten,  nimmt  liier,  an  seiner 
Kultstätte,  der  Tliot  von  Pnubs  natürlich  die  erste  Stelle  ein.    Seine  Identi- 
fikation mit  Schu  ist  hier  gewöhnlich.  Sein  geläufigster  Titel  lautet  (Phot.  1 9  2  i ) : 

^^w^D  jn/\^  Thot  von  Pnubs, 

lll^c^^^^^^  großerGott,  Herr  vonDakke, 

g^^OfjT^^  Schu,  Sohn  des  Re,  der  aus 

^      1^  ^  I  -  ®  Nubien  kam. 

Vgl.  Phot.  1913,  1929,  1925. 


^    Vgl.  die  wörtlich  übereinstimmende  Stelle  in  Debot  Phot.  1695. 


54 


H.    JuNKE 


:er 


Dakke. 


Der  Ämzug  der  Hathor -Tefnut  aus  Nubien.  55 

Seltener  tritt  der  gewöhnliche  Thot  auf  (Phot.  1929): 


,^  ^"^  /—  /wwvA  Thot,  der  die  n.sr-t  in  Snin-t 

besänftigt. 

Phot.  1919:    Thot  .  .  .  Herr  von  Schmun  .  .  .  auf  dem  Abaton, 

-H— ^^/ c^  herrlicher  shm,    der  aus  Nu- 

Dien  kam. 
Vgl.  Phot.  1939,  1945. 

Daneben  werden  Schu  und  Arensnuphis  beide  nebeneinander  der  süd- 
liche Löwe  genannt  (Phot.  1951). 


7.    Die  Südostkammer. 

Die  enge  Kammer,  die  östlich  von  dem  letzten  südlichen  Greniach  des 
ursprünglichen  Baus  liegt  \  war  in  besonderer  Weise  dem  Andenken  an 
die  Mitwirkung  Thots  bei  der  Entführung  Hathors  gewidmet. 

Auf  der  Wand  links  vom  Eingang  räuchert  der  König  vor  »Arens- 
nuphis dem  großen  Gott,  Herr  des  Abaton,  Schu,  Sohn  des  Re, 
groß  an  Kraft,  dessen  Schenkel  stark  ist«  und  der  »Tefnut,  Toch- 
ter des  Re  auf  dem  Abaton;  große  Wp§-t,  Herrin  von  Snm-t^^. 
Rechts  wird  Wein  gespendet  vor  »Thot  von  Pnubs,  großer  gewaltiger 
Gott,  der  aus  Nubien  kam,  Löwe  des  Südens,  mit  starkem  Schen- 
kel« und  »Tefnut,  Tochter  des  Re  auf  dem  Abaton;  große  Wps-l, 
Herrin  von  lSnm-t<^. 

Am  wichtigsten  aber  sind  die  Darstellungen  auf  der  Rückwand.  Da 
steht  ein  Affe  mit  erhobenen  Armen,  in  der  Stellung  des  Preisens  vor 
einer  Löwin  "^  mit  erhobenem  Schweife,  die  auf  ihrem  Kopfe  die  Sonne  mit 
Uräus  trägt.     Über  dem  Affen  steht  in  zwei  Vertikalzeilen: 

sie 

lT\^'— §J^0@  'J^hot  von  Pnubs, 

AA/WSA 

X  .  9^  ^ffroßer,  örewaltiger  Gott,  der 

P  ^^^^  [vA^  aus  Nubien  kam. 


^    D.  h.  ohne  den  späten  südlichen  Anbau. 
^    Auch  mit  Löwinnenleib. 


56  H.  Junker: 

Die  Beisclirift  der  Löwin  lautet: 

JY^    '^  "Z^O"^, ^  ^^o '^'^'^'^  Tefiiut,   Toclitcr  des  Rc  auf* 

[Vl'V^  I  'O^^f'Uc,®  dem  Abaton. 

Das  muß  die  Szene  sein,  wie  sie  damals  in  Ikcyni  vor  sich  ging,  die 
Illustration  zur  Entführungslegende,  Tefnut-Hathor  ist  noch  ganz  die  wilde 
Löwin,  so  wie  sie  die  Wüste  durchstreifte,  und  Thot  naht  sich  ihr  wieder 
als  Affe,  mit  dessen  Erscheinung  sie  in  ihrem  Heimatland  vertraut  war;  er 
erhebt  die  Arme  und  begleitet  mit  diesem  Gestus  seine  feierlichen  Reden, 
mit  denen  er  die  Göttin  betörte. 

3.  Komombo. 

a.    Die  Legende  in  der  Geschichte  des  Heiligtums. 

Es  ist  erstaunlich,  wie  groß  die  Nachwirkungen  unserer  Sage  gerade 
in  den  offiziellen  Beschreibungen  des  Tempels  sind.  Die  ganze  Entstehung 
und  der  Ruhm  des  Heiligtums  ist  mit  ihr  aufs  engste  verknüpft;  das  ist 
um  so  bedeutungsvoller,  als  daraus  hervorgeht,  daß  man  die  Legende  fiir 
uralt  ansah  und  daß  sie  tatsächlicli  auch  ziemlich  früh  Eingang  gefunden 
haben  muß,  da  sonst  eine  solche  Verbindung  mit  der  Geschichte  des  Tem- 
pels nicht  gut  denkbar  wäre. 

Der  Inhalt  der  hier  entlialtenen  Anspielungen  ist  kurz  folgender:  Schu 
hatte  an  der  heiligen  Stätte  von  Komombo  zweimal  seinen  Vater  Re  vor 
dem  Verderben  geschützt,  als  »Horus  der  Ältere«  oder  »Horus  der  Held« 
war  er  den  Feinden  entgegengetreten.  Dann  war  er  ausgezogen,  seine 
grimmige  Schwester  herbeizubringen,  damit  sie  sich  mit  ihrem  Vater  ver- 
eine; Thot  unterstützte  ihn  bei  seinem  Werk;  Tefnut  kam  und  wandelte 
sich  hier  in  die  »gute  Schwester«  und  blieb  an  der  Seite  ihres  Bruders. 
S.  67,  Nr.  613': 
h  ^   ^:^ü ^nnT®S  ■     I>iese   Stätte    ist    die    Stätte 


des  Schu  im  Anbeginn. 
A     i~    I  Sein  Vater  Re  kam  zu  ihr 

'?i[^^.=_   ^     '^^Jw^'"  ^^^^  verbarg  sich   [dort]  vor 


^^  seinen  remden, 


'    Meuioires  de  la  Mission,  Komombo.     Die  Texte  sind  zum  großen  Teil  nach  Photo- 
graphien des  Berliner  Wörterbuchs  verglichen. 


Der  Auszug  der  Hathor-Tpfnut  am  Nuhien. 


57 


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als    die    Bösen    kamen,     ihn 
zu  suchen; 

da  wandelte  sich  Schu 

in    den   Tlorus,    den    Helden, 

mit  seinem   Speer. 
ErmacJite  sie  allsogleieh  ',\n 

dieser  Stätte  nieder. 
Res    Herz    freute    sich    dar- 
über, 
über  das  nämlicli,    was    sein 

Sohn  Schu  ihm  getan  liat  te. 
Er  wurde  groß  dadurcli  über 

die  Götter, 
und  gewaltig  über  die  Neun- 

heit. 
N.    nennt    man    den     Namen 

des  Schu 

darum  in  dieser  Stadt. 


-}-^4-:^^|^^^  Dann  kam  Nnion,  hnij - nj 


Phil.-hüL  Klasse.    WH.    Anhany.    Abh.  III. 


ZU    diesem    Gau     als    Löwe, 

stark  an  Kraft, 
um     seinen    Vater    Re     zum 

zweitenmal  zu  schützen. 
Man    nennt    ihn    darum    den 

Helden  o.  ä. 

Es     kam    Tefnut    zu     dieser 
Stätte 

mit  ihrem  Bruder  Schu, 

als  sie  von  Bwynb  kam. 

S i e  1  i e ß  s i c h  n  i e d e r  an  d i e s e i- 
Stätte, 

8 


58 


H.  Junker: 


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AAAAAA    rV    A  I 


J^S^ 


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I        I        I 


0> 


I        I        I 


indem   Re   hei  iJir   und  Tliot 

hinter  ihr  war, 
um  sie  im  Verein  mit  ihrem 

Bruder^  zu  beruhigen. 
Eis    sprach    Thot    zu    dieser 

Göttin: 
«Dir    wird    es    gut    sein    an 

dieser  Stätte.« 
[Darum]  nennt  man  die  Tef- 

nut   an    diesem  Sitze    »die 

gute  Schwester«. 
Geh  und  Nut  sind  an  diesem 

Gau 
an     der    Seite    ihres    Vaters 

und  ihrer  Mutter. 


Ein  ganz  ähnlicher  Text  findet  sich  S.  138,  Nr.  709/710; 


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Diese  Stadt  ist  der  Sitz,  auf 
den  sich  Tefnut  nieder- 
gelassen, 

als  sie  von  Bwgm  kam, 
indem  Re  bei  ihr 

und  Thot  hinter  ihr  war. 

Da  sprach  Thot  zu  dieser 
Göttin: 

»Dir  wird  es  gut  sein  an 
dieser  Stadt.« 

[Darum]  nennt  man  ihren  Na- 
men »die  gute  Schwester« 

bis  auf  den  heutigen  Tag. 


'    D.  i.  Schu  und  Thot  beiuhigen  sie. 

A/ I   -^^rv/^ 


Var. 


Als  sie  aus  Kns-t  kam. 


Der  Auszug  der  Ilathor -Tefnut  am  Nuhien.  59 

«=p*  ^        ,  UiKi  was  diesen  Gau  betrifft, 

^AAA/wvß^^  ■  SO    sprach    [in    ilim]     Re    zu 

Scliu : 

A^'^^^  M\<=>3  "^^^    hast   meine  Foiiidc  ;il)- 

gewehrt. « 
(^AAAAA^^^^  Darum  nennt   man  ilin   [den 

ocliuj    »liaroeris«. 

Daß  hier  die  Sage  von  dem  Schutz  des  Re  durcli  Schu  nachgestellt 
ist,  beruht  auf  einer  Zufälligkeit ;  die  ausführlichere  Rezension  zeigt  deutlich, 
daß  zuerst  die  Heldentaten  des  Haroeris  stattfanden  und  später  Tefnut  ein- 
zog, sonst  hätte  ja  auch  sie  sicher  in  den  Kampf  eingegriffen,  und  Thot 
hätte  auch  Schu  einladen  müssen,  hier  zu  bleiben,  da  er  ja  der  Hauptgott 
der  Kultstätte  ist;  darauf  weisen  ferner  die  offiziellen  Ortsbezeichnungen 
hin,  nach  denen  Komombo  der  Ursitz  des  Schu^  ist,  an  dem  sich  seine 
Schwester  mit  ihm  vereinigte;  als  ihre  Kinder  werden  dabei  Geb  und  Nut 
genannt.      S.  39,  Nr.  578: 

.  ,  .  IÖI  ^^jno  1^  B?  ,c=Q,  [Dieser    Tempel]...    Nnwn 

tot        m    I       (^<=:^  [Schu],    es    ist    sein   Haus 

von  Anbeginn. 

[::]nr:]°./wwvll^^\/~^  Ks     ist     das     Flammenhaus 

*       ^         )Jk^__D   xoO  seiner  Schwester  Wps'./. 

^SES:^  Sie  vereinten  sich  an  diesem 

Gau 
in  ihrem  Namen  N.  und  »die 


o 


ö 


^ 


/vwvAA/wwvv  _Qi^2svjw^^  g^j^^  Schwester«. 


1» 


Ebenso  in  der  Liste  S.  138,  Nr.  709/710: 

(^^__^-iiii^^=^  jyj^j^  gg^g^  yQj^  diesem  Gau: 

C^  iÜ         I    AAAAAA 

_      AAAAAA     p.  I    ^  r 


\      des  Re, 
ön  mit  seinem  Sohne  Geb  dar- 


innen, 


^    Vgl.  oben  Nr.  613. 


60 


H.  Junker 


SAAAAA  /•\ 


I    I 


und  ebenso  Tefnut  mit  ihrer 
Tochter  Nut  .  .  . 

Die  Flamme  des  Re  ist  dar- 
innen und  verjagt  seine 
Feinde\ 

Schu  ist  darinnen  in  seiner 
Gestalt  des  Haroeris, 

Tefnut  ist  darinnen  als  »die 
gute  Schwester«. 


b.    Die  Legende  im  Kult. 

Das  Bild,  das  sich  hier  ergibt,  ist  leider  ein  ganz  unvollständiges; 
denn  von  den  Darstellungen  ist  nur  ein  ganz  geringer  Teil  erhalten;  die 
Kammer,  die  am  meisten  verspricht,  blieb  unvollendet,  und  außerdem  muß 
man  ständig  mit  den  Mängeln  der  Publikation  rechnen.  Trotzdem  können 
wir  die  Spuren  der  Legende  deutlich  erkennen  und  feststellen,  daß  sie  auch 
hier  die  Formeln  und  Titel  durchdrungen  hat. 

Als  Göttertrias  werden  zu  Komombo  in  dem  südlichen  Heiligtum  ver- 
ehrt: Haroeris,   JV  S7i-t  nfr-t  und  P/  nh  thvj  od.  ä.,  vgl.  z.B.: 


S.  II 

Nr.  526 

S.  40 

Nr.  580 

»  20 

»  543 

»  45 

»  590 

»  26 

"  553 

«  87 

,>  637 

»27 

»  554 

»  91 

»  645 

»  33 

..  567/68 

»  300 

»  946  usw 

Haroeris  ist  dabei  nach  der  Auslegung   der  Priester  niemand  anders 

als  Schu  selbst,  der  hier   ^V>,   lR4--^^'v^    usw.  genannt   und   außerdem 

mit  rffih^^  identifiziert  wird,  vgl.   S.  281    Nr.  925   und  öfter. 

»Die  gute  Schwester«  aber  ist  Tefnut,  und  um  zum  Ausdruck  zu 
l)ringen,  daß  es  sich  nur  um  zwei  Erscheinungsformen  einer  Göttin  han- 
delt, sind  die  beiden  Namen  fast  ausnahmslos  in  jeder  Titulatur  der  Göttin 
vertreten,  z.  B.   S.  308,  Nr.  954: 


'    Vgl.   .Tefnut 
iuunei'dar«. 


schirmt  <lie  Glieder  ihres  Vaters  Re  und  wirft  seine  Feinde  nieder 


Uer  Auszug  der  Hathor-Tefnut  aus  Nubien.  61 


nn^to^^         jo^^ 


^Ao(©0^"^ilnS  ^^  *'?i-^w/r.^  Tefnut  auf  dem 

großen  Sitze. 

S.  302: 

'^ISJ^S^'^'^1^©  7^/  ^w./    nfr-t,    Herrin    von 

Ombos, 

(^^J^A-^^^— '?^  'A'efnut,  Diadem  ihres  Vaters 

Re. 

S.  300,  Nr.  946: 

SrSo-^?!^;  ^'  '"■'  "^'■■''  T«fn"t.  Tech 


L.„ ... 

ter  des  Re  in  Ombos.    Vgl. 
S.  281,  Nr.  925   und  öfter. 

Diese  TV  sn-f-nfr-t-Tefmit  ist  die  Herrin  der  Trunkenheit,  die  in  Frieden 
hier  anlangte  mit  Thot  und  Schu  zur  Seite.      S.  320,  Nr.  964^: 

^U^ftZ^^l  °':  ^"t*'  Schwester.  Tefnut, 

die  Herrin  von  Ombos, 

^^W,^^n^®^^=^,^   ©  Herrin  der  Trunkenheit,  die 

alles  schuf  (?),  du  kommst, 
du   kommst  in  Frieden  zu 
deiner  Stadt 
Ferner  ebenda: 

■■■U^l^Ta^ö^  ••/'•',  f"\^'']  "^y^:^"  '" 

J^rieden    kam    zu    diesem 

ihot  besänftigte  Ihre  Ma- 
jestät .  .  . 

Dann  wieder  tritt  die  Löwengöttin  bei  der  Legende  in  den  V^order- 
grund,  die  typische  lllrscheinung  der  Tefnut,  Löwenkopf  mit  Sonnen- 
scheibe; sie  wird  wie  in  Philä  der  Wps-i  gleichgesetzt  und,  was  noch  wich- 
tiger ist,  die  Formel,  mit  der  ihr  Komiken  aus  Kns-t  beschrieben  wird, 
gleicht  der  dort  verwendeten  auffallend. 

'  Westliche  Außenwand  des  Hathortenipels.  Eine  hathorgestaltige  Göttin  sitzt  auf 
dem  Thron  in  einer  Kapelle,  ein   Ivönig  reicht  ilu-  zwei  Krüge  mit  Wein. 


62 


H.  Junker 


ö.:.0 


S.  31,  Nr.  562   neben  Ilaroeris  steht  die  löwenköpfige 

O^T.^ — y  r::^'^  Tefnut,  die  ffute  Schwester 


Herrin  von  Ombos, 
Große     Flammengöttin     bei 
ihrem  Bruder. 


Ausführlich  in  den  Doppeltexten  S.  303,  Nr.  949,  wo  die  Göttin  neben 
Schu-lior  tmJ-c  auftritt  und  S.  309,   Nr.  955: 

Tefnut,  die  Tochter  des  Re, 
Herrin  von  Ombos,  Auge 
des  Re,  Herrin  des  Him- 
mels. 


1     ©O^      I 


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©O  I 


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piiir+ia-p-1 


A/,^^AA    AAAAA/v    f^^^^^ 


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m-H 


i^    AAAAAA. 


Ihre  Majestät  kam  aus  Kns-l 


und  ließ  sich  mit  ihrem 
Bruder  Schu  in  dieser 
Stadt  nieder. 


Daß  die  Legende  eine  lokale  Auffassung  der  Hathorsage  ist,  geht 
außerdem  noch  daraus  hervor,  daß  die  gute  Scliwester  die  charakteristische 
Hathorgestalt  hat;  dann  lautet  das  Götterpaar  S.  88  Nr.  639  ausdrüchlich 
Haroeris-Hathor;  vgl.  ebenso  S.  249,  Nr.  882;  freilich  ist  die  ausdrückliche 
Nennung  des  Namens  Hathor  auffallend  selten,  bedeutend  seltener  z.  B.  als  in 
Philä.  Unerklärt  ist  das  zeitweilige  Auftreten  von  zwei  »guten  Schwestern«, 
wie  S.  302,  oder  einer  7V-i;i-^rt//'- /-Tefnut  neben  einer  Tefnut  bei  derselben 
Darstellung;  sollte  daraus  noch  zu  schließen  sein,  daß  ursprünglich  in 
Ombos  eine  hathorgestaltige  Göttin  verehrt  wurde,  der  man  dann  später 
die  verwandelte  Tefnut  anglich,  ohne  jedoch  die  ursprüngliche  Verschieden- 
heit der  beiden  Gottheiten  verleugnen  zu  können? 

Der  Begleiter  der  eingewanderten  Göttin  hat  zwar  in  Ombos  meist  die 
Sperbergestalt  angenommen,  aber  man  weiß  doch  noch,  daß  er  eigentlich 
ein  Löwe  ist;  neben  dem  oben  zitierten  Text  S.  67,  Nr.  613,  nach  dem  er 
seinen  Vater  zum  zweiten  Male  in  der  Gestalt  eines  starken  Löwen  ge- 
schützt  hat,    ist  vor   allem   die  Darstellung   auf  dem  merkwürdigen  Bilde 


Der  Auszug  der  Hathor-Tefnut  aus  Nubien.  63 

S.  294  zu  vergleichen,  wo  er  als  Löwe  in  der  Sonne  erscheint;  auch  wird 
er  in  seinen  Titeln  ausdrücklich  so  genannt,  z.B.  S.  284,  Nr.  928: 

fn^o^S   "^  IQQ^'^  [Haroeris],      der      auf     dem 

Dache  ,    der   seine    Feinde 
schlägt, 

^)ak    ^    ~^^PJ11M  großer  Löwe,  derdenWider- 

sacher  niederstreckt. 

Seine  Titel,  die  auf  die  Legende  Bezug  nehmen,  sind  zum  Teil  die- 
selben, wie  sie  in  Philä  stehen.     S.  31,  Nr.  562: 


c^ 


Haroeris,   Herr   von  Ombos 


^p^^.wv^^_^^  großer   Gott,    groß    an   Lob^ 

.,  unter  den  Gottern, 


sie? 


j^ 


Pß^^'^T^'^^ii  '^'"'  <^'*'  Gebiete  im  Umkreis 

,1       e  e  I   I    y^  c^^^  der  Berge  [des  Ostens  od.ä.'] 

durchzog 
^-^3j  ?  ,  <^  ^  und  die  Große,  die  fern  war, 

heimbrachte 


sie? 


S.  103,  Nr.  949: 

fa'lOK   '^Jp    ^    ?)(^(^l\/i^^  Schu,    Sohn  des  Re,  Horus, 

m  J>^_^<^UAJ^<^::s^  ^gj.    HqI^^    groß    an    Lob 

unter  den  Göttern, 
'q  ^-r^^  der  die  Große,  die  fern  war, 

heimbrachte. 

c.    Die  Empfangsszene. 

Auf  der  inneren  Umfassungsmauer,  rückwärts  in  der  Mitte  über  der 
merkwürdigen  Darstellung  von  Sobek  und  Schu*  findet  sich  ein  Moment  der 
Legende  ausführlich  dargestellt,  der  Empfang  in  Ombos,  denn  das  allein 
kann  der  Sinn  des  Bildes  (S.  294,  Nr.  941)  sein. 


^  Wasserspeier  in  Löwengestalt. 

^  Ergänze  und  verbessere    ^^  Vir 

^  Vgl.  den  Titel  in  Philä  hns  Kns-t,  «der  Kns-t  durcheilte«. 

*  Die  unter  der  Empfangsszene  stehende  Zeile  gehört  noch  zu  dieser  Darstellung. 


64 


H.     J  U  N  K  E  R 


Komoiiibo. 


Der  Aw^zug  der  Hathor-Tefnut  aus  Nuhien. 


65 


In  der  Mitte  sitzt  die  «gute  Schwester«  in  Hatliorgestalt  auf  dem  Thron, 
an  dem  Ort,  an  dem  sie  sich  mit  ihrem  Bruder  vereinigen  soll,  an  dem 
es  ilir  nach  Thots  Ausspruch  «gut  geht«.  Hinter  dir  steht  Re,  frohen  Her- 
zens über  ihre  Ankunft,  und  breitet  seine  Arme  nach  ihr  aus;  Schu  und 
Thot,  ihre  beiden  Reisegefährten,  stehen  vor  ihr,  der  eine  »Leben«  und 
«Luft«  an  ihre  Nase  haltend,  der  andere  das  Zauber-w^/i^ft  ihr  darreicJiend 
und  dir  den  Willkommengruß  entljietend.  Rechts  in  der  Ecke  bringt  Tnn 
ihr  magischen  Schmuck  und  preist  sie,  daß  sie  nach  Ägypten  gekommen 
ist  und  sich  hier  niedergelassen  hat. 

Die  betreffenden  Beischriften  und  Sprüche  lauten: 

Über  der  Göttin: 


Ck     ,^^  c^ 


IH< 


3^ 


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.f^^' 


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A/VVAAA 

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m  ^ 


(X£\y] 


»L=__ 


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CZCZ] 


über  Re: 


i 

I 


fi^l 


Die  gute  Schwester  Tefnut, 
die  Herrin  von  Ombos. 

Herrscherin  der  Götter  und 
Göttinnen,  Herrliche,  hH\ 
deren  Anblick  so  schön  ist, 

Auge  des  Re  im  Umkreis  der 
Sonne,  Herrliche,  gute 
Gemahlin  ihres  Bruders 
Schu'^; 

sie  kam  aus  Kns-t  mit  ihm, 

sie  vereinten  sich  in  ihrer 
Stadt  in  Freuden. 


Re,   großer   Gott   in   Ombos. 

der  seine  Tochter  preist, 
weil  deren  Macht  so  groß 
ist, 

Jessen  Herz  froh  war,  als 
sie  mit  ihrem  Bruder  kam. 


'    Vgl  den  Namen  der  Bese  z.  B.  Dendera,  unten  S.  86. 

2    Vgl.  Philä  Phot.  20,   wo  Schu  entsprechend   der  sJ^n  n/r  der    »gute  GeniahU   heißt. 

Pkil-hist.  Klasse.    1911.    Anhang.    Abh.  III.  ^ 


66 


H.  Junker: 


W 


f^^J, 


,  \y    AAAAAA 

M  .  I  I 


© 
w 


'^SP 


m 


Seine  Worte: 


über  Schu 


H 


^ 


X 


.m 


über  Thot: 


o 
w 


— "—   I  crz]         / —  1  q 


1  t:    ^      I   AAA/W\     O 


Ö 


1 


Seine  Worte  an  Hatlior 


o  D  I    I   I   2i/D    ^ 


^ 


oX«^ 


Der  sich  mit  ihnen  vereinte 
am  Feste?   ... 

Ihr  Herz  freut  sich  zusam- 
men. 

»Meine  Arme  breite  ich  um 
dich,  o  Herrin  der  Frauen, 

meine  Tochter,  die  aus  mir 
hervorgegangen  ist.« 

Schu,  Sohn  des  Re,  Horus 
der  Held,  groß  an  Lob 
unter  den  Göttern. 

Thot    der   Große,    Herr    von 

Schmun, 
großer     Gott     von     Ombos, 

Richter  der  rhwj,   der  die 

Götter  erfreut, 
guter   Bote,    der    die    Große 

aus  Bwgm  brachte 
und  ihren  Sitz  an  der  Seite 

ihres  Bruders  bereitete, 

dessen  .  .  .  Name  N.  ist. 

Er  bleibt  an  ihrer  [Tefnuts 
und  Schus]  Seite  als  Qons- 
lior,    Herr   des    Amuletts, 

um  ihr  Herz  zu  erfreuen  im- 
merdar. 

Du  kommst  in  Frieden.  .  . 

0  große  Herrin  in  Süd  und 
Nord. 


Der  Auszug  der  Hathor-Tefnut  aus  Nullen.  67 

Über  Vtiih-Tnn: 


A^'vvv^ 

AA/\AAA 


Ptah-J««,  großer  Nun 


|||g^|r^l](j©  Vater  der  Götter,  großer  «Ott 

in  Ombos. 

^'^vwvA  ^ '§<2>-fl  ^1 AAAAAA  J[)er    die   Tefnut    preist    und 

^  "^-^  o  V)  IlL  1     ii  <rz>  T      ri       Oll 

die  Uroße  lobt, 

Pfl^ir^T^I^^'S  '»er  die  Herrin  pries,  als  sie 

nach  Ägypten  kam, 

|ljlTr_^  der    sie    umarmte    an    ihrem 

Sitze. 

"^    'j^O^  ^  Sein  Herz  freute  sich  als  er 

Sie  sah. 
Seine  Worte: 

$.  ^^^ 111  ^  ^^^^    ziere    deinen    Leib    mit 

meinen  Fingern 

^i'^^'^^zzzrii"^  und...  deine    Glieder    mit 


O  (^      w 


meinen  Armen. 


Somit  kann  an  der  Deutung  des  Bildes  kein  Zweifel  sein,  es  stellt 
den  Empfang  der  Göttin  dar,  wie  er  sich  einst  begeben  hat  und  wie  ilni 
vielleiclit  die  jährliche  Erinnerungsfeier  wiederholt. 


d.    Die  Komomborezension  in  Philä. 

Die  Legende  in  der  Auffassung  von  Komombo  findet  sich  auch  in 
Philä  an  mehreren  Stellen  wieder.  Da  treten  Haroeris,  7V  Sn-t  nfr-t  und  ihr 
kleiner  Py  nb  tiwj  auf,  genau  wie  in  ihrem  eigentlichen  Heiligtum.  Man  kann 
diese  Tatsache  nicht  hoch  genug  werten.  Sie  zeigt,  daß  die  Priester  wohl 
wußten,  daß  den  verschiedenen  Legenden  von  der  Einwanderung  einer 
Göttin  aus  Nubien  eine  einzige  Erzählung  zugrunde  lag,  die  in  jedem 
Tempel  in  der  ihm  eigenen  Form  wiedergegeben  wurde,  daß  Ilathor-Schu, 
Tefnut-Arensnuphis,  Haroeris- 2V  sn-t  nfr-t  dieselben  Gottheiten  seien  m  der- 
selben Sage,  daß  nur  ein  Namen-,  aber  kein  Sachunterschied  dabei  bestehe. 
Die  betreffenden  Texte  stehen 


68 


H.   Junker 


PllOt.  I  I  2 


a)    I. 


Phot.  138/139; 


2. 


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Haroeris  hntj 
Ombos. 


Her 


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Scliu,  Sohn  des  Re,  Herr  der 
Götter. 


Die  gute  Schwester  Tefnut, 
Herrin  von  Ombos. 


Auge  des  Re,  die  aus  Knst 
kam. 


Die  große  dd-t  unter  den 
Trogodyten  (?). 

Der  »Herr  der  beiden  Länder« 
das  Kind  .  .  .,  der  Erbe  des 
Schu, 

geboren  von  der  Tefnut. 


Die  2V  m-t  nfr-t  ist  also  als  Tefnut  aus  Kns-t  gekommen  wie  die  Hathor 
von  Philä;  sie  heißt  dd-t  wie  ebendort  und  in  Dendera  (s.  unten)  die  Herrin 
von  Bwym,  und  Haroeris,  ihr  Genosse  in  Ombos,  ist  eben  ihr  Begleiter  Schu. 


4.  Esneh. 

a.    Spuren  der  Legende. 
Da  von  dem  Heiligtum  nur  ein  Teil  zugänglich  ist,  können  die  vor- 
handenen Inschriften  keineswegs  ein  erschöpfendes  Bild  von  der  Tradition 
luid  der  Nachwirkung  der  Sage  geben.     Um   so  wichtiger  ist  es,   daß  wir 


Der  Auszug  der  Hathor-Tefnut  aus  Nuhien. 


69 


in  einem  Genus  von  Texten,  in  dem  sich  am  meisten  die  Auffassung  der 
alten  Legenden  spiegelt,  und  das  uns  am  echtesten  das  lokal  ererbte  Gut 
bewahrt,  in  den  Kalenderangaben,  auf  Schritt  und  Tritt  der  Sage  von  der 
eingewanderten  Göttin  begegnen.  Den  besten  Beweis,  wie  lebendig  und 
mächtig  die  Erinnerung  im  Heiligtum  von  Esneh  fortlebte,  liefert  die  Tat- 
sache, daß  man  sich  nicht  begnügte,  im  allgemeinen  das  Andenken  an  die 
Ankunft  der  Göttin  zu  begehen,  sondern  einzelne  Züge,  charakteristische 
Momente  der  Sage  zum  Gegenstand  besonderer  Feste   und  Riten   machte. 

Setzt  man  dieses  an  sich  so  unscheinbare  Material  zusammen,  so  ge- 
winnt man  ein  ziemlich  genaues  Bild  der  örtlichen  Auffassung  der  Legende. 

Wir  sehen,  wie  das  Horusauge,  wie  die  Göttin  hier  genannt  wird, 
gesucht  und  im  Ostgebirge  gefunden  wird,  wie  Schu  sie  heimbringt  und 
Thot  sie  dabei  unterstützt,  wie  man  der  Göttin  Wein  und  Opfer  spendet, 
sie  zu  beruhigen,  wie  die  Frauen  ihr  musizieren,  wie  sie  neben  Schu  in 
Esneh  bleibt  und  ihm  den  kleinen  Geb  schenkt. 

Im  einzelnen  dienen  folgende  Texte  zur  Rekonstruktion,  die  Brugsch, 
Materiaux,  Taf.  X — XIII  entnommen  sind;  die  Übersetzung,  freilich  zum  Teil 
ganz  unbrauchbar,  findet  sich  in  Brugsch,  Drei  Festkalender  S.  2  2if. 


4.  Paophi; 


^^5:7 


Das  Fest  von  (jmhiwi. 


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Es  wurde  das  Auge  des  Ho- 

rus  .  .  .  seinem  hi'  gefunden 

im  Ostgebirge. 
Die  Göttin   an  diesem  Tage 

ist  die  nh't  ww, 
deren    Abscheu    es    ist,     zu 

hungern  und  zu  dürsten. 
Man    führt    diese    Göttin    in 

Prozession  hinaus  .  .  . 


Um  diesen  Text  richtig  zu  würdigen,  m^ß  man  sich  vor  Augen  halten, 
daß  gmh^ws,  hnw-t  ymhlws  ein  häufiger  Titel  der  Hathor  ist;  so  in  der  offi- 
ziellen Namenliste  Mar.,  Dend.  I,  16,  III,  77 ^  und  bei  der  Tefnut-Standarte 
Mar.,  Dend.  IV,  1 2  und  III,  40,  wo  bezeichnend  die  in  Esneh  verehrte 
■^^g^P    und  )T^^^   gleichgesetzt  wird.     Die  Göttin,   die  damals  ge- 


70  H.  Junker: 

gefunden  wurde  und  nun  zum  Andenken  daran  in  der  Prozession  auszieht, 
wird  hier  als  nh-t  ww  bezeichnet,  d.  i.  die  lokale  Form  der  Löwengöttin;  ihr 
folgender  Titel:  «deren  Abscheu  Hunger  und  Durst  ist«  bezieht  sich  auf 
die  Besänftigungsopfer,  wie  das  unzweifelhaft  aus  dem  Liede  hervorgeht, 
das  bei  der  Darreichung  des  jnnw-KvugGS,,  dessen  Trunk  die  Göttin  be- 
rauschte, gesungen  wurde;  dort  (Mar.,  Dend.  I,  3 1)  heißt  es  von  dem  vor 
Hathor  libierenden,    tanzenden  König,    daß  es   sein  Abscheu   sei,    daß  die 

Göttin  hungre   und  durste     o   ^         Q  \?7  ,   d.  h.  mit  anderen  Worten:    er 

stellt  die  gefräßige,  durstige  Göttin  zufrieden  mit  Speise  und  Trank,  wie 
die  Zeremonie  des  ihtp  shm-t  es  uns  zeigt.  Die  nh-t  ww  ist  also  identisch 
mit  der  Sechmet-Hathor. 

16.  Paophi: 
^^-j-^^^'^rj,  n[?(s'=]  Fest     des     Horusauges,     das 

^^  I  üil  r  Schu   herbeigebracht   hat. 

Vgl.  I.  Pachons: 

Schu  und  Thot  brachten  das 


Iß^l 


~""~  Auge  zu  seinem  Herrn. 


Zur  Erinnerung   an    die  Besänftigung  der  Göttin   wird  als  Zeremonie 
angegeben  shtp  shin-i,  z.  B. 
16.  Payni: 

^_^tiif^onn^^^^^n.=^n   ^   ^  Fest  der  mM//././,  Fest  der  Bast, 
X^^^           -/^^loDlo^l^  Besänftigen    der  Sechmet. 

Vgl.  letzten  Payni    I  r-^  Y     e^  ^ ' 

Das  Fest  am  16.  Payni  wird  für  die  wilde  mnlij4  und  die  frohe  Bast 
zugleich  gefeiert;  die  Vermittlung  zeigt  die  Zeremonie:  durch  das  «Besänf- 
tigen«  wird  eben  aus  der  grimmigen  Löwin  eine  heitere  Göttin. 

Die  Göttin  hat  in  Esneh  neben  ihrem  Bruder  Schu  Platz  genommen, 
und  beide  feiern  gemeinsame  Feste: 

6.  Mechir: 
,-^g^^^_,^2>-^A  ^    ü  Fest  des  Schu,  Fest  des  Ho- 

r     "^         3^^  I  IciV)(^  rusauges,  d.i.  der  Sechmet. 

,^5^>!:^^R(j[l^    X  Y^ü    X    "^==5^  Fest  der  my^y-if.    Die  Göttin 

..^XSH^^^I    lö<c==>o^  j^j^     diesem    Tage     ist    die 

»groß  an  Liebe«. 


Der  Auszug  der  Hathor-Tefnut  aus  Nubien.  71 

I.  Pachoiis: 


fi;:iis^o 


Es  brachten  Schu  und  Tef- 
nut  den  i^^y,  das  Kind,  zur 
Welt, 

^  r^  ^  V  P '"""^  ^^  d.i.  den  Geh,  ihren  geliebten 

öonn. 
I.  Paophi: 

?S??^^^^ß(!^1"^/"J^  Schutz  des  Horusauges;Schu 

I  -'-^  MW  ö  r      I  <:z>  luv)  1  rri   ^      X     •    -L  T 

und  iernut  ziehen  an  die- 
sem Tage  aus, 

<— >r^41- ^  **^"^xA  um     die     Eingeweide     abzu- 

schneiden  (i). 

Dabei  sieht  man  aber  noch,  wie  auch  Sclm  allein  den  Schutz  seines 
Vaters  übernimmt,  also  ohne  seine  Schwester  in  Esneh  weilt,  die  dann 
später  sich  ihm  zugesellte  (19.  Thot): 

^^    °/^ß^T^  Schu,  der  Sohn  des  Re,  tritt 

ein, 
(1  ^^^x^'^^^^/wvaaa'^^TO   ^  um   seinen  Vater   an  diesem 

1 age  zu  . . . 

Einen  ganz  besonders  zu  beachtenden  Beleg  für  den  Zusammenhang 
gewisser  Riten  mit  der  Legende  bietet  die  bekannte  Tanzszene  Lü.  IV,  83, 
für  die  sich  nunmehr  eine  völlig  neue  Auffassung  ergibt. 

Hadrian  tanzt  dort  vor  der  mnhj-t,  der  lokalen  Form  der  Tefnut  in 
Esneh;  in  seinem  Tanz  hat  er  die  Rolle  des  Schu  übernommen,  als  dessen 
lebendes  Abbild  er  darum  bezeichnet  wird.  Daß  diese  Tänze  mit  der  Sage 
in  Verbindung  stehen,  zeigt  uns  Philä,  wo  in  mehreren  Inschriften  erwähnt 
wird,  wie  Schu  bei  dem  Auszug  vor  Hathor  einhergetanzt  sei  (vgl.  Phil. 
Phot.  265,  Phot.  97/98  usw.)  und  wird  ausdrücklich  bei  der  Titulatur  der 
Gröttin  erwähnt^: 

"^^^  ?1Q^f  •  •  •'^^  ^nhj-t.  .  .Tefnut,  die  Große, 

Pi'^^i^ö^I  der  Schu  Tänze  aufführte. 

'    Nach  eigener  Kopie  verglichen;   Esneh,  Voriialle,   hintere  Säulenreihe,   2  von  Süd. 


72 


Bei   der  //h-i-icw: 
Titel  des  Königs: 


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H.   Junker: 

Er  tanzte   vor  ihr  in  Jubel 
als   sie   zu    ihrer  Stadt  kam. 

I li  r  Hm d e r  t n n z t  vor  i 1 1 r . 


Lebendes    Abbild    des    Sehn 

in  Esneh, 
der    der  Löwen göttin    tanzt, 

der  nb't  low, 
der  seine  Herrin  froh  macht 

{i^hlp)    mit    dem,     was    sie 

liebt. 


Der  Spruch  ist  sehr  schlecht  erhalten;   am  Schluß   erkennt  mnn   nocli : 

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ö^jitr 


Ich  tanze  vor  dir  ... 
Ich  bin  Schu,  der  tanzt'. 


b.  Form  der  Göttin. 
Chnrakteristisch  für  Esneh  ist  zunächst  die  Form  der  Göttin  als  Jlorus- 
auge,  während  sie  in  Philä,  Ombos,  Dendera  usw.  als  Auge  des  Re  auf- 
tritt. Dies  Horusauge  wird  ausdrücklich  als  Sechmet  erklärt;  dann  wird 
die  Göttin  Tefnut  genannt  und  alle  diese  Formen  der  Lokalgöttin  mnhj-t 
und  nb-t-ww"-  gleichgesetzt. 

Vgl.  I .  Tybi : 
^_^   o     Q   nQt^QOKn^c.  pgg^  derTefnut,  Prozession 

K_^^l   ö  ^fl\^(2  (2^  ^^^  ,^^^^j^j^^  ^^^^^  nb.t-ww. 

Das  heißt  doch  nur:    am  Fest  der  Tefnut  wird  die  Göttin,    die  ihre 
Gestalt  und  Rolle   übernommen  hat,   gefeiert.     An   keiner  Stelle   wird  die 


'  Eine  andere  Tanzszene  befindet  sich  auf  der  Rückwand,  dritte  Reihe  von  unten, 
zweite  Darstelhuig  von  Nord. 

'^  mnhj-t  und  nb^t-icic  sind  dabei  einmal  identisch,  ein  aiidernirü  zwei  verschiedene  I^r- 
scheinun'i.en. 


Der  Auszug  der  Hathor-Tefnut  aus  Nuhien,  73 

(Jöttin  nusdrückiicli  Hatlior  genannt,  und  das  ist  sehr  bemerkenswert  und  wird 
damit  zusammenhängen,  daß  die  Lokalgöttin, ,  auf  die  die  Sage  übertragen 
wurde,  einen  besonderen  Namen  trug,  ähnlich  der  «guten  Schwester«  in  Ombos. 

Daß  sie  aber  ganz  und  gar  die  Rolle  und  Natur  der  Hathor  in  dieser 
Legende  führt,  ist  unzweifelhaft  (außer  den  oben  angeführten  Keispieh'u 
vgl.  LD.  IV  77,  wo  ihr  der  mnw-Kvng  gereicht  und  der  Hymnus  gesungen 
wird).     Sie  ist  die  Göttin  der  Musik  und  Freude: 

6.  Paophi: 

<^  ^  c\  (2  '"^"^"^  f]  '^  /A§1  I 


"^^         ?^^  "      S^'  ^'^^^  derw/wA/-/;   es  wird   ihr 

von  den  Frauen  das  Tam- 
burin geschlagen. 
LD.  IV  89  heißt  sie: 

T)  '^\\ni=r<==:>9 1  »Herrin     der    Trunkenheit, 

die  gern  einen  frohen  Lag 
feiert.« 

Nicht  hierher  gehörig  sind  dagegen  die  Ha  thorfeste  und  Hymnen,  die 
LD.  IV77  am  24.  Athyr  und  den  folgenden  Tagen  gefeiert  werden;  es 
handelt  sich  dort  um    den  Besuch    der  benachbarten  Hathor  von  Agent. 

c.    Die  Erinnerungsfahrt. 

Den  wichtigsten  Beweis  für  den  Zusammenhang  der  Esnehtradition 
mit  den  anderen  Rezensionen  der  Legende  bilden  die  Vorschriften  für  die 
Wasserfahrten  im  Tybi  und  Mechir.  Genau  wie  in  Edfu  und  Dendera 
werden  hier  bis  zum  Mechir  Fahrten  auf  dem  Strom  unternommen;  die 
Deutung  derselben,  die  hier  nicht  gegeben  wird,  wird  in  den  beiden  anderen 
Heiligtümern  ausdrücklich  angeführt:  es  sollen  Erinnerungsfahrten  sein  an 
die  große  Fahrt,  welche  die  Göttin  einst  unternahm,  als  sie  aus  dem  fernen 
Nubien  nach  Ägypten  kam;  die  völlige  Übereinstimmung  in  den  Feierlich- 
keiten läßt  keinen  Zweifel,  daß  hier  die  gleiche  Legende  zugrunde  liegt, 
zudem  wird  gegen  Schluß  der  Einzug  der  mnhj-t  in  die  Stadt  ihres  Vaters 
genannt  und  ein  großes  Freudenfest  gefeiert.^ 

Ollliv^D         ti^^  17.  Tybi:     Wasserfahrt    der 

mnht. 


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n-^  AAAAAA    AAAAAA    /-^ 


SIC." 


O    __  n  ^2>- ^^37  \u  Q  n  cszi  n  20.  .  .  .    alle  Zeremonien  der 

nn  Hl     A^Aw  ^  dH<^:>iz=i  Flußfahrt  vollziehen 

Phü.-hist.  Klasse.    1911.    Anhang.    Äbh.  III.  ^^ 


74 


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bis  zum   21 


21 


Fahrt  bis  zum  4.  Tag. 


29.  .  .  .  Einzug  in  die  Stadt 
ihres  Vaters. 

I.  Mechir:  Fest  der  Götter 
und  Göttinnen,  alle  Zere- 
monien der  Fahrt  voll- 
ziehen. 

An  ihren  Sitzen  weilen. 

Alle  Leute  sollen  einen 
frohen  Tag  begehen. 


Esneh  ist  somit  der  südlichste  Punkt,  an  dem  die  Erinnerungsfall rt 
stattfand,  die  wir  in  Edfu  und  Dendera  antreffen;  in  Philä  ist  sie  nicht, 
weil  dort  die  Göttin  erst  ägyptischen  Boden  betrat;  in  Komombo  nicht, 
vielleicht,  weil  es  zu  nahe  an  der  Grenze  lag. 


5.  Edfu. 

Die  P^rinnerung  an  die  Legende  wurde  in  Edfu  hauptsächlich  durcli 
die  Festfnhrten  auf  dem  Strom  wachgehalten.  Merkwürdigerweise  stimmt 
der  Passus  aus  dem  Kalender,  in  dem  Ke  die  Feierlichkeiten  zum  ewigen 
Gedächtnis  an  die  Ankunft  seiner  Tochter  stiftet,  wörtlich  mit  der  Dendera- 
rezension  überein,  ist  aber  zum  Teil  mißverstanden  und  verderbt  worden. 
Da  die  Kalendervorschriften  sonst  ziemlich  sorgfältig  bearbeitet  sind,  läßt 
sich  der  Gedanke  nicht  abweisen,  daß  es  sich  um  eine  etwas  verunglückte 
Entlehnung  aus  Dendera  handelt  \ 


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Erster  Monat  der  Winter- 
jahreszeit (Tybi),  Tag  19 
bis   21, 

Fest  der  Wasserfahrt  dieser 
Göttin. 


'    Brugscl),  Drei  Festkalender.    Nach  Photographien  der  Berl.  Akad.  d.  Wiss.  revidiert. 


Der  Auszug  der  Ilathor -Tefnut  aus  Nuh 


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I    I  I  III 


In  Prozession  ausziehen,  auf 
dem  »See«;  darin  verwei- 
len .  .  . 

Alle  Zeremonien  der  Wasser- 
fahrt verrichten. 

Ebenso  tun  am   28.  Tybi 
bis  zum  [4.]  Mechir. 

[Wasserfahrt?]  dieser  Göttin. 

fN-/\/i  Ilir  Vater  Re  hat  sie  ihr  ver- 
anstaltet, als  sie  aus  llwyrn 
kam, 

um  den  Nil  Ägyptens  zu 
sehen* 

samt  allen  Kostbarkeiten 
von  //  7nrj , 

damit  sie  Asien  den  Kücken 
kehre. 

25.  Tybi:  Fest  der  Hathor, 
der  Herrin  von  Dendera; 
das  Herabsteigen  des  drjt{?) 

4.  Mechir:  ein  gar  großes 
Fest. 

Den  Brandaltar  mit  Rinder- 
und Geflügelopfern  ver- 
sehen, 

mit  ghs  m^hd  niL 
\ 

Singen,  tanzen,  hüpfen, 
springen 


'    Vgl.  unten  Dendeia. 


10* 


76 


H.    eTuNKER: 


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sollen  die  Frauen  dieser 
Stadt. 

Und  dann  um  die  8.  Stunde 
[dieses]  Tages  soll  man 
sich  im  Palast  nieder- 
lassen. 


Sonst  sind  in  den  Edfutexten  die  Anspielungen  nur  wenig  und  zer- 
streut erhalten;  so  findet  sich  am  ersten  Tybi  ein  '^X^  _=ü=^  ,  Fest  der 
Trunkenheit  des  Sonnenauges,  mit  dem  das  Fest  der  Tefnut  gleichen 
Datums  in  Esneh  zusammenzustellen  ist;  in  dem  Mammisi'  wird  die  Zere- 
monie des  «Beruhigens  der  t^fim-t«^  gefeiert  usw.  Der  Grund  fiir  diese  Er- 
scheinung liegt  in  dem  Vorherrschen  anderer  Hathorlegenden,  die  zum  'I  eil 
Züge  aus  unserer  Sage  gemeinsam  haben. 


6.  Dendera. 

a.    Die  Erinnerungsfahrt. 
Der   bedeutsamste  Text,    der   uns    in  klaren  Worten   die   Legende   in 
der  Auffassung  von   Dendera  zeigt,  steht  Dum.,  Baugesch.  15  =  Brugsch, 
Thesaurus  S.  501  fi'.: 

»Die  als  Goldene  erstrah- 
lende erstrahlt  im  Sfth 

am  ^/a  +  Vio  +  V30  [=  I9ten] 
des  Monats; 

sie   zieht   in    Freude   einher. 


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indem  ihre  Neunheit  um  sie 
ist. 

Sie  betritt  ihre  Halle  in 
Jubel 

und  ruht  dann  auf  dem  hei- 
ligen ^-Untersatz. 

Sie  steigt  ein  in  Jubel  in 
ihre  Barke. 


'    Chassinat,  Mammisi  in  Memoires  XVI,  S.  71. 


Der  Auszug  der  Hathor-Tefnut  aus  Nubien. 


77 


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Ihr  Vater  Nun,  seine  Arme 
[umfangen  sie']. 

Es  werden  ihr  die  Zeremo- 
nien   der    Fahrt    gemacht, 

nämlich  vom  IV2]  +  Vio  +  V30 
an 

9  Fahrten 

bis    zum   710+V30  des  rkh  tor. 

Das  große  Fest  dieser  Stadt, 

nach  dem,  was  Re  mit  eige- 
nem Munde  gesagt 

zu  seiner  Tochter  dd-t,  die 
sein  Herz  liebt, 

damals,  als  ihre  Majestät  von 
Bwg7n  her  kam, 

damit  sie  den  Nil  Ägyptens 
sehe 

samt  allen  Wundern  von 
tS  mrj, 

damit  sie  st-t  ihren  Rücken 
kehre. 

Es  werden  ihr  Opfer  darge- 
bracht an  allen  guten  Din- 
gen, 

Ochsen  und  Gänse  als  Speise 
der  nsr-t\ 

Dendera  ist  mit  Rauschtrank 
^     begossen, 

mit  guten  Weinen  aus  ihren 
Stätten. 


*    D.  i.  sie  seht  aufs  Wasser. 


78 


H.   Junker : 


Umschrift  des  obenstellenden  Textes: 

whn  lübn-t  m  nh-t  in  äfth  \  m  gs  r  lo  r  30  w  tbd  |  dj-s  ^  m  htp  |  psd-t-s  m 
iwS-^  I  ssp-n-s  hSj-t-s  m  1/^  |  htp-s  m  k^h-s  hr  did?  s  w<^h  |  (^k-s  m  wts-nfr-w  m 
Im-t-tb  I  it-s  nwnw  ^wj-f  \l)l-s\  \  irj-tw  n-s  tp-rd  n  hnj  |  i/«^  Uk  [ys\  r  10  r  30  | 
hnj  r5  rio  |  r  mn  r  10  r  30  w  rkh-wr  |  /</>  f/  ??  nw-t  tn  |  m  c^^Z-w  R<^  m 
r)-f  ds-f  I  n  s?'t-f  dd-t  mrj'i-Üy-f  |  dr  ij  hm-s  7n  hltv  hwym  |  r  rdj-t  m/y-.s'  hf^p 
n  Km-t  I  /^7^''  bis  nb  n  tS-nirj  |  n  mrw-t  rdj-s  sS-i  r  stj-t  |  Iw  irj-tw  n-^  htpw  m 
ih't  nb-t  nfr-t  \  ih  Spd  m  hr-t  nsr-t  |  tS  n  tSrr  ttf-tj  m  äS  \  m  inmtj-w  nfr-w 
nw  ii-wt-m  |. 

Von  solcher  Wichtigkeit  war  das  Fest,  daß  es  Mar.,  Dend.  III,  78  bei 
der  Aufzählung   der  Hauptfeierlichkeiten   nicht  fehlen    durfte  und  als  das 
besondere  Fest  des  Tybi  genannt  wurde: 
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Im  Tybi   das  Fest   der  Was- 
serfahrt dieser  Göttin. 


Genaueres  Detail  enthalten  die  Kalendervorschriften  des  Tempels,  Mar., 
Dend.  1,62: 


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Erster  Monat  der  Winter- 
jahreszeit (Tybi)    19.  Tag: 

Prozession  der  Hathor  samt 
ihrer  Neunheit, 

verweilen  im  Kiosk  auf  dem 
»See«, 

indem  ihr  schönes  Angesicht 
gegen  Norden  gerichtet 
ist. 

Die  Zeremonie  der  Wasser- 
fahrt verrichten. 

Alle  Riten  vornehmen. 

Diese  Göttin  ziehe  mit  ihrer 

Neunheit  einher 
und   verweile   in   der  Halle, 

dem    Säulensaal    dieses 

Tempels. 

Am   20.  Tybi  ebenso  tun; 


Der  Auszug  der  Halhor -Tefnut  aus  Nuhwn. 


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Horus  spende  den  (Toteji| 
der  hl.  Nekropole  Wasser, 

aber  nicht  so  [d.  i.  Wasser- 
spenden] am   21. 

Am   21.  ebenso'. 

Am  28.  ebenso,  am  29.  ebenso. 

Am  30.  ebenso  die  Zeremo- 
nien vom   20. 

Zweiter  Monat  der  Winter- 
zeit(Mechir)  i. Tag  ebenso, 
2.Tagebenso,  3.Tageben- 
so. 

4.  Tag,  beim  Eintritt  der 
dritten   Stunde 

ziehe  diese  Göttin  in  Pro- 
zession aus  und  verweile 
in  der  Halle  auf  dem  See. 

Wenn  die  fünfte  Stunde 
kommt, 

ziehe  die  Hathor,  Herrin  von 

Dendera  aus  und  verweile 

dann  in  ihrem  Hause. 

Im    ersten    Teile    werden    vom    19.  Tybi  bis  4.  Mechir   neun   Fahrten 

?mgegeben;    in    der  Kalenderangabe    ist   dann    von   der   lötägigen  Festzeit 

der  22. — 27.  Tybi  nicht  erAvähnt;  ebenso  haben  nach  dem  Kalender  Kdfiis 

die  Fahrten  vor  dem   29.  Tybi  eine  Unterbrechung  erlitten. 

Was  sich  an  einzelnen  Zügen  aus  den  beiden  Inschriften  gewinnen 
läßt,  sei  kurz  hier  zusammengefaßt:  Die  zugewanderte  Göttin  ist  die 
Tochter  des  Re,  sie  trägt  die  Titel  b^-t  m  Bwgm,  dd-t  wie  in  der  Philä- 
rezension.  Ihr  Heimatland  ist  ^t-t  und  Bicgm,  ebenfalls  wie  in  Philä;  sie 
kannte  den  Nil  und  Ägypten  noch  nicht;  man  bewegt  sie,  dorthin  zu  ziehen, 
indem  man  ihr  von  den  Kostbarkeiten  des  Landes  erzählt  und  sie  beredet. 


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'    D.  i.  die  Wasserfahrt  und  ihre  Zeremonien  verrichten. 


80  H.  Junker: 

ihrem  armen  Lande  den  Rücken  zu  kehren.  Sie  zieht  also  nordwärts  gen 
Ägypten.  i6  Tage  dauert  die  Fahrt,  vom  19.  Tybi  bis  4.  Mechir.  Sie 
landet  u.  a.  in  Dendera.  Ihr  Vater  Re  ist  voller  Freude,  seine  Tochter 
um  sich  zu  haben  und  stiftet  zum  Andenken  an  ihren  Einzug  in  Ägypten 
eine  Erinnerungsfahrt;  bei  derselben  werden  große  Feste  gefeiert,  wobei 
vor  allem  die  Opfer  des  Wüstenwilds  und  Libationen  dargebracht  werden. 

b.    Die  Legende  im  Kult. 

Die  Anspielungen  auf  die  Sage  finden  sich  in  Dendera  überall,  freilich 
nicht  immer  in  den  stereotypen  Formen  wie  in  Philä  und  Komombo,  die 
off'enbar  auch  hierin  eine  Gruppe  für  sich  bilden,  aber  immerhin  deutlich 
genug,  um  erkennen  zu  können,  wie  lebendig  die  Erinnerung  war. 

Man  könnte  freilich  auf  den  ersten  Blick  manche  von  den  Ausdrücken 
und  Zeremonien,  die  hier  angeführt  werden  sollen,  bloß  von  der  eigenen 
Natur  der  Göttin  deuten,  ohne  Bezug  auf  die  Sage  zu  nehmen ;  wenn  man 
aber  einmal  weiß,  wie  dieselbe  fortlebte  und  welche  Bedeutung  man  ihr 
beimaß,  so  gewinnt  man  ein  ganz  anderes  Verständnis  der  betreffenden 
Titel  und  Riten  und  sieht,  daß  ihnen  ein  tieferer  Sinn  zukommt. 

Die  Hathor  in  Dendera  ist  keineswegs  nur  die  gute,  weinfrohe  Göttin, 
die  Göttin  der  Liebe  und  der  Musik,  die  Herrin  der  Frauen,  ebensooft  ist 
sie  die  furchtbare  Göttin,  blutgerötet,  mit  feurigem  Odem,  die  Feinde  zer- 
fleischend, das  Doppelwesen,  wie  es  die  Legende  uns  zeigt.  Und  die  Si- 
stren,  die  vor  ihr  geschüttelt  werden,  die  Tänze,  die  man  vor  ihr  aufführt, 
die  Libationen,  die  man  ihr  spendet,  sollen  nicht  etwa  nur  erheitern,  wie 
man  einer  fröhlichen  Göttin  tut,  sie  sollen  die  bösen  Geister  bannen,  die 
in  ihrer  eigenen  Brust  schlummern,  damit  das  Angesicht  der  Göttin,  auf 
das  Wein,  Musik  und  magische  Lieder  Frohsinn  gezaubert  haben,  nicht 
plötzlich  in  Wut  sich  verzerre,  daß  sie,  statt  mit  der  Halskette  zu  spielen 
und  an  Blumen  zu  riechen,  nicht  plötzlich  wieder  in  ihre  alte  Wildheit 
zurückfalle   und   ein  Blutbad   anrichte,    wie   sie  ehedem  in  fernen  Landen 

getan  hatte. 

cL.    Titel  und  Beiworte. 

Hathor  ist  die  furchtbare  Flammengöttin,  die  7ikr-t^  wie  sie  Thot  in 
Philä  beschwichtigt.     Mar.,  Dend.  III,  18: 

^  *^^  n  [Hathor]    nsr-t,    Herrin    der 

o^.==_4  Glut. 


Der  Auszug  der  Hathor-Tefnut  aus  Nubien. 


81 


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Ebenda  IH,  19 

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I    ^ 


Dum.,  Geogr.  IV,  113: 


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Die  die  Feinde  mit  dem 
Hauch  ihres  Mundes  nie- 
derwirft. 

Du  bist  die  mit  feurigem 
Herzen. 


Ebenda  II,  36 


f|-^jq.fip 


Die     die     Berge     mit     ihrer 
Flamme  sengt  {whd)\ 

Vgl.  Mar.,  Dend.  II,  70^1;  III,  20;  III,  77 e.    Dum.,  Geogr.  Insclir.  III,  64; 
III,  96  und  sonst  äußerst  häufig. 

In  dieser  furchtbaren  Natur  wird  sie  als  Sh?n-t  bezeichnet,  die  sich  des 
Bösen  bemächtigt  {shm)  und  seine  Kumpane  verbrennt.    Mar.,  Dend.  II,  28: 

Du  bist  Shm-t,   die   sich   des 


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II 


Dum.,  Temp.-Inschr.  XXX: 

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Feindes  bemächtigt, 
die    fressende   Flamme,    die 
seine  Kumpane  verbrennt. 


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Herrin     des     ins,     vom    Blut 
jenes  Bösen  benetzt. 

Als  Sh?n't  ist  sie  die  Herrin  des  Wadi,  Fürstin  des  Gotteslandes,  d.  i. 


der  südöstlichen  Wüste.     Mar.,  Dend.  I,  25: 

o'C)     O        I    S/wwvs  f^^^ 

Ebenda  III,  47 : 


Die  großeShm-t  auf  dem  Tale. 


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Auge    des    Re,     Herrin    von 

Punt,  Herrin  der  Götter 
an    der    Spitze    des    Gottes- 
\    landes  ...  67*^^-^  die  Große. 


Zugleich  ist  SJim't  wiederum  die  Bast  (s.  Philä). 


'   Vgl.  die  ähnlichen  Titel  in  Philä. 
^    Vgl.  zu  in-t  Dum.,  Tenip.-Inschr.  I,  55. 
Phil.-hist  Klasse.    1911.    Anhang.    Ahh.  III. 


11 


82 


H.  Junker 


Ebenda  I,  52a; 


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Auge  des  Re,  Shm-t,  Bast. 


Und  Bast  ist  die  nsr-t  und  Hathor.     Mar.,  Dendera  III,  22b: 

Bast,  Auge  des  Re,  Hatlior, 
nsr-t,  Heldin. 


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Mar.,  Dend.  III,  jid: 


Hathor  die  Große,  Herrin 
von  Dendera,  Bast,  große 
7isr-t. 

Ebenso  wird  Hatlior  der  Tefnut  gleichgesetzt,  »vor  der  sich  die  Götter 
furchten«,  ebenda  II,  15a,  und  die  wiederum  die  liebliche  Göttin  der  Frauen 
ist  (vgl.  Komombo).     Ebenda  I,  25: 


Hathor,  Herrin  von  Dendera, 
Tefnut,  Herrin  der  Frauen. 


Als  Heimat  dieser  Hathor -Tefnut  wird  Biüym  bezeichnet,  das  auch  in 
dem  Text  der  Erinnerungsfahrt  genannt  ist.    Dum.,  Geogr.  Inschr.  III,  65: 

<2  „/^oo  Hathor,  Herrin  von  Dendera, 


Tefnut,  Herrin  von  Bwgm. 

Vgl.   Dum.,  Geogr.  Inschr.  III,  78;  IV,  118,    121,    123   usw. 

Hathor  wird  in  Philä  als  die  eingewanderte  Göttin  Wps-t  genannt, 
ebenso  heißt  sie  in  Dendera. 

Der  Festtext  nennt  sie  dd-t,  als  sie  aus  Nubien  kam,  sowie  die  Philä- 
texte  (Phot.  97/98  und  112,  138/139).  Denselben  Namen  führt  sie,  und 
was  noch  wichtiger  ist,  mit  dem  Zusatz:  »an  der  Stätte  der  Tefnut«,  wobei 
der  Zusammenhang  mit  der  Legende  unverkennbar  ist.  Mar.,  Dend.  II,  35a: 

i^if>J   c^     ^   c^  Große  (ifi?-i(  an  der  Stätte  der 

c    m_.o^©  Tefnut. 


Dum.,  Geogr.  Inschr.  III,  94: 


Du  bist  die  dd-t  an  der  Spitze 
der  Stätte  der  Tefnut\ 


'    Mar.,  Dend.  I,  77  heißen  die  kleidertragenden  Götter 


herrlichen  dd  des  Gotteslandes  (Var.:  weiten  Schritts  in  Bwym). 


Der  Auszug  der  Hnthor-Tefnut  aus  NuUen.  8H 

Nachklänge  finden  sich  ferner  in  den  Namen  des  Heiligtums;  der 
Tempel  heißt  (Mar.,   Demi.  I,  i6b): 

'v^ß<2l^  "^      ö    S  Haus    des    Schu     und    Haus 

der   Pefnut. 
Mar.,  Dend.  I,  i6b  und  öfter: 

I    ^^^^^    r^'^O  Haus,  das  Tefnut  liebt. 

rl^'^^'^A^^^  Stätte,  von  der  Thot  sagte: 

ü  n  .^=.  \  ^  — «—  o  o  — »—  TT  •     •  .  ..1 

Hier  ist  man  vergnügt  . 
Man  vergleiche  damit  die  Worte  des  Thot  an  Hathor  in  Komombo: 
»An  diesem  Orte  wird  es  dir  Avohl  sein«;  es  folgen: 

rl'^^^^f^^    ^   "^^^öv,^  Stätte,   da  Hathor  mit  dem 

Wemkrug  auszieht. 
Den  durchschlagendsten  Beweis,  daß  alle  diese  Namen  und  Titel  nach  der 
Legende  zu  deuten  sind,  bringen  zwei  parallele  Inschriften  (LD.  IV,  79  u.  83): 

die  gute  rpj-t,  die  ausnwr/m 

^M'I^^P^?!  ^^^     ^'^     ihrem     Bruder 

Schu,  dem  Sohn  des  Re. 

Die  Variante  setzt  statt  der  Hathor  die  Tefnut  ein: 

^  ^-  •  •  ^^«ST'^^^^cs'l  ^^  Tefnut  die  Große,   die  gute 

rpj-t,   die   aus  Bwgm  kam. 

Somit  sehen  wir,  genau  wie  in  Philä,  die  Hathor  als  Erscheinungs- 
form der  Tefnut,  die  aus  Bwgm  einwanderte,  deren  Begleiter  Schu  der 
Sohn  des  Re  war,  und  diese  Auffassung  müssen  wir  zugrunde  legen,  wenn 
wir  die  oben  zitierten  kurzen   Andeutungen  recht  verstehen  wollen. 

/3.  Riten. 

Aus  der  Sage  ergibt  sich  neues  Licht  für  die  Auffassung  verschiedener 
Zeremonien,  die  man  vor  der  Göttin  verrichtete. 

Wenn  es  z.  B.  beim  Sistrumspielen  h^ißt,  daß  durch  das  Gerassel  der 
Zorn  {nsn)  der  Göttin  gebrochen  und  dieselbe  besänftigt  {htp)  werden  soll. 


^  Mar.,  Dend.  IV,  59a  steht  ein  Schutzgott  mit  Pfeil  und  Bogen  -König  der  Gotter 
an  der  Spitze  von  Bwgrri'^.  Er  spricht:  »Ich  komme  aus  den  ttr.  tj  des  Südens 
und  trete  ein  in  das  ,Haus,  das  Tefnut  liebt'«. 


84 


H.   Junker: 


so  zeigt  das,  daß  Hathor  eine  wilde  Göttin  ist,  die  Löwin,  wenn  sie  zürnt 
(nSn),  die  frohe  Göttin  Bast,  wenn  sie  zufrieden  {htp)  ist;  zugleich  muß 
aber  die  Zeremonie  mit  jener  ersten  Beruhigung  in  Zusammenhang  gebracht 
werden,  die  beim  Auszug  Hathors  aus  Nubien  geschah.  Ein  ähnliches  gilt 
von  der  häufigen  Überreiclmng  des  Weins  und  des  wnSh. 

Für  das   Sistrenklappern  vgl.   Mar.,   Dend.  IV,  14:   Der  Priester, 

Der     den    Grimm     der    nh'-t 


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Ebenda  II,  53b: 


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Vgl.  dazu  Roch.,  Edfu  I,  154: 


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verjagt 
und   den    Zorn   der  nh-t  ver- 
scheucht. 

Der  den  Grimm  der  nb-t  ver- 
jagt, 

die  Wut  der  ?i).s'r-^  vertreibt, 

der  Fröhlichkeit  an  vStelle 
von  Zorn'   setzt. 

Es  spielen  die  Götter  ihr  das 
Sistrum,  es  tanzen  ihr  die 
Göttinnen, 

um  ihren  Grimm  zu  ver- 
treiben. 


Ausführlicher  seien  nur  einige  Riten  erwähnt: 

I.    Das    öfter   genannte  Shtp  ^Jim-t. 

Der  König  überreicht  der  Göttin  Gazellen  und  Gänse  zur  Speise  und 
7  Krüge  zum  Tranke.  Hathor  tritt  hier  als  wilde  Löwengöttin  auf,  auf  deren 
Haupt  die  Schlange  sich  aufrichtet;  sie  heißt  u.a.   (Mar.,  Dend.  III,  19m): 

^  ^     ^O. i^J^  Tefnut,    Tochter   des    Re    in 

Dendera. 
I  .  .  .  Shm-t,  Gewaltige,  Herrin  der 

Dämonen. 


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^     4  '^   ^  r"^^^ 


*    hrs  ist  roter  Stein, 


^ 


blutunterlaufene  Augen,  also  hrs  -—  Zorn,  Wut. 


,  wie  dir  mr-tj  bedeutet  rote  =  grimmige, 


Der  Auszug  der  Hothor-Tefnut  am  Nuhien. 


85 


K-- 


^=^^— 


Flammengöttin,  Gewaltige, 
Hatlior  die  Große,  Herrin 
von  Dendera. 


Also  genau  die  Göttin,  wie  sie  uns  in  Nubien  entgegentritt;  als  Titel 
des  Königs  werden  u.  a.  angegeben  (Mar.,  Dend.  III,  74c): 

Kratt,  der  ...  und  m^td 
opfert,  die  von  der  Wüste 
kommen, 

samt  den   7  /r<t/^z' -Krügen, 


^111  |S=5^..=_  Q 

l-'^    I  I  I   C^  A^^WV\    AVv/VW   I    I   I 


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seinem    täglichen    Quantum 
^.=  rr/vwwv  [({,\.  was  Hatlior  trinkt). 

Das  heißt  er   spendet   ihr  die  Nahrung,    die  sie  in  der  Wüste  hatte, 
und  den  Wein,  der  sie  einst  berauschte.     Mar.,  Dend.  111,  19m: 


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S  o hn  d e  r  ßhm-t,  d e r  s e in  e  H e r- 
rin  zufriedenstellt  mit 
dem,   was  sie  gern  hat, 

der  die  Gewaltige  mit  lau- 
ter Stimme  preist, 

und  ihr  Ka  freut  sich,  wenn 
sie  seine  Sprüche  hört. 

Der  treffliche  Priester,  der 
die  Gerechtigkeit  liebt. 


Bei  der  Überreichung  des  Opfers  wurden  also  Zaubersprüche  rezitiert, 
so  wie  Thot  es  in  Nubien  und  beim  Auszug  tat"\ 

2.  Zieht  die  Göttin  beim  festlichen  Aufzug  einher,  so  bildet  sich  die 
Prozession  gerne  wie  damals,  als  sie  zum  erstenmal  in  Dendera  ein- 
zog: Thot  ruft  seine  besänftigenden  Worte,  Schu  preist  sie,  Re  breitet 
seine  Arme  um  seine  Tochter  aus,    Tnn  schmückt  sie  mit  Amuletten  (vgl. 


^    Wohl  verderbt  aus  pif't. 

^  Bei  anderen  Riten  des  shtp  fehlte  auch  der  Tanz  nicht,  wie  u.a.  der  Hymnus  Mar. 
Dend.  IV  2  zeigt:  »Der  König  besänftigt  {shtp)  dich,  o  Hathor,  Herrin  von  Dendera,  o  sieh 
der  König  tanzt  dii-«  {wrh,  wie  oben  bei  Esneh).  Vgl.  auch  das  Tanzlied  bei  der  Über- 
reichung des  wntr- Kruges,  Mar.  Dend.  I  31. 


86  H.  Junker: 

die  Empfangsszene  in  Komombo)  und  lustige  Bese  tanzen  und  musizieren 
vor  ihr  her  (vgl.  die  Empfangshalle  in  Philä).  Mar.,  Dend.  III,  32  :  Hathor . . . 

P^IP^'l^^^lf^T'"  ^^"^^   V^^^^^    sie,    Thot  loht 

S  1  6  9 

^O-^  fTl  .dzz ®  "^  1  ^  ihr  Vater  Re  begrüßt  sie  od.  ä. 

^^   I  c=il  11         ö^    \  1^1  ^^j^  ^^^    »Spruch  des^'/V«. 

Ähnlich  Mar.,  Dend.  111,67  a: 

^H)  \  -  ■  -  Ptah  schmückt  deinen  Leib, 


d°^'r%"' — °^  "^^  <^Yf>  ^  H  0 '^  Re  hält  seine  Arme  um  dei 

nen  Ka, 


KO 


^"öT^S  |#'^(j(]^|  die  Bese  und  Ä//;"  tanzen  dir. 

Die  Bese,  die  hier  genannt  werden,   stammen  aus  der  näheren  Heimat 
der  Göttin.    LD.  Text.  II,  247: 

öflltl/f'^'i^^T^^^^^  ^^''  8-ute  Bes    an   der  Spitze 

jnM<^=5  '  <===^:^'^^  Bes,  der  aus  i^-st  kam. 

Vgl.  auch  Mar.,  Dend.  III,  67  a;  III,  33a  usw. 

7.  Spuren  der  Legende  in  anderen  Tempeln. 

a.  Elkab. 
So  gering   das  inschriftliche  Material  hier   ist,    genügt   es   doch   zum 
Beweis,   daß    die   Hauptzüge   der  Sage    auch   hier   bekannt  waren   und  zu 
dem   heimischen    Tempel    in    Beziehung   gesetzt   wui'den.      Brugsch,    Dict. 
geogr.  S.  211: 


Tefnut,  Tochter  des  Re, 

At^(2^ .^^', 1®  1]  die  ZU  ihrem  Hause  in  Elkab 

^-^-         —         +öJ  kam 

c^DoT^^^^^^o  und  in  5w^m  ruht{?). 

sie? 

LD.  IV,  68    heißt   sie    ^   ^"^^Q^^^l^  »Tefnut,  Herrin 
in  Bwgm.«^     Die  Tefnut  ist  demnach   in  Bwym   zu  Hause,   aber  sie  verläßt 


Der  Auszug  der  Hathor -Tefnut  aus  Nuhien.  87 

ihr  Land  und  zieht  zu   »ihrem«  Hause  in  Elkab.     Scliu,  der  vSolin  des  Re, 

hatte  sie  geführt ;  er  heißt  ebenda :   /\^^/ »der  die  Große  in  Frie- 

den  brachte«,  d.  i.   der  sie  besänftigte    und  so  nach  Elkab  fahrte.     Thot 
war   sein   Geliilfe    dabei,    er   trägt   (ebenda)    den    uns    geläufigen   Titel   ^ 

^^fSTI'^^'^   »Thot,  der  ihre  Majestät  [d.i.  Tefnutj  ii\  Bioym 
besänftigte  [i/i/p]«. 

Wir  haben  somit  die  Legende  etwa  in  der  Fassung  von  Philä,  nur  daß 
diesmal  Elkab  die  neue  Heimat  der  Göttin  wird.  Brugsch  glaubte,  die 
Göttin  sei  speziell  hierhergekommen  und  suchte  danach  die  Lage  von 
Bwgm  zu  bestimmen.  Aber  wir  haben  es  hier  nur  mit  einer  der  vielen 
örtlichen  Auffassungen  der  einen  Legende  zu  tun. 

b.  Athribis^ 
Der  Zustand  der  Texte  erschwert  leider  das  Verständnis  sehr,  und 
wohl  manche  Zusammenhänge  werden  uns  dadurch  entgehen.  Trotzdem 
lassen  sich  mehrere  Anklänge  an  die  Legende  feststellen.  Sechmet,  »vor 
der  die  Herzen  der  Götter  zittern«,  gilt  hier  als  »Auge  des  Horus  im 
Westen«,  aber  zugleich  wird  als  ihre  eigentliche  Heimat  das  Gottesland 
und  Punt  angegeben,  wo  die  Myrrhenbäume  wachsen,  so  wie  bei  Hathor; 
Taf.  XVI.  Auf  einem  Türsturz,  PI.  XXV,  finden  wir  eine  Göttin  mit  Löwen- 
kopf und  Sonne  zweimal  dargestellt,  Horusauge  und  Tefnut  (?)  genannt. 
Links  steht  Harsiese  vor  ihr,  hinter  diesem  Thot,  und  ein  lod^-t-Auge 
wird  ihr  dargereicht;  rechts  stehen  entsprechend  Horus  mit  der  Sonne 
und   Sehn,    dessen    Titel   dieselben   sind   wie    in    der   Legende:    p(2  | 

^^  <^i=>  Y         •    Es  ist  zweifellos  das  bekannte    A      -^^^^^  ^ 

2^     ,  was  hier  gemeint  ist:   »Schu  der  Große,  .  .  .  der  die  Große,  die 

Ol 

fern   war,    herbeibrachte.     Das  Herz  des  .  .  .  freute  sich  .  .  .«      Die 


Worte,  die  er  an  die  Göttin  richtet,  beginnen  mit  -^*—         »ich   erheitere«  '. 


^    Flinders  Petrie,  Athribis  1908.  \ 

»    Bnigsch  hat  sich  Dict.  geogr.  S.  1154  aus  Krinent  als  Titel  der  LokalgGttin  notiert: 
"^^  (5  I   1   f\>-\/1     »Herrin  von  Bicgni",  was  das  Vorkonuneu  der  Legende  auch  in  diesem 
Tempel  nahelegt. 


88  H.  Junker: 


Inhaltsübersicht. 


I.    Teil.  Seite 

1.  Der  Inhalt  der  Legende 3 

2.  Das  Alter  der  Legende 10 

3.  Vergleich  mit  verwandten  Legenden. 

a.  Vergleich  mit  der  Sage  von  der  Ankunft  des  Horus  und  der  Hathor  von  Punt  12 

b.  Vergleich  mit  der  Legende  von  der  Vernichtung  des  Menschengesclileclits  .     .  IH 

4.  Deutungen  der  Legende. 

a.  Hathor  als  Auge  der  Sonne 19 

b.  Tefnut  als  Mondauge .  22 

5.  Die  Heimat  der  Gottin. 

a.  Kns-t 24 

h.  St-t 27 

c.  Bwgm 28 

ä.  ti  st 29 

e.  ti  nir 29 

II.  Teil. 

Die  Legende  in  den  verschiedenen  Heiligtümern : 

1.  Philä. 

a.  Die  eingewanderte  Göttin 30 

b.  Ihre  Erscheinungsform 34 

c.  Ihre  Begleiter. 

ct.  Schu  und  Arensnuphis 37 

ß.  Thot  und  Thot  von  Pnubs 41 

d.  Die  Empfangshalle 44 

2.  Die  nubischen  Tempel 47 

a.  Bigge 48 

b.  Debot 49 

c.  Kalabsche 49 

d.  Dendnr 50 

e.  Maharraga 51 

f.  Dakke. 

«.  Die  Göttin  der  Legende 52 

ß.  Ihre  Begleiter 53 

7.  Die  Südostkammer 55 


Der  Auszug  der  Hathor-Tefnut  aus  ISuhien.  89 

Seite 

Komoinbo. 

a.  Die  Legende  in  der  Geschichte  des  Heiligtums 56 

b.  Die  Legende  ini  Kult 60 

c.  Die  Empfangsszene 63 

d.  Die  Ombüs-Rezension  in  Philä 67 

Esneh. 

a.  Spuren  der  Legende 68 

b.  Form  der  Göttin 72 

c.  Die  Erinnerungsfahrt 73 

Edfu 74 

Dendera. 

a.  Die  Erinnerungsfahrt 76 

b.  Die  Legende  im  Kult 80 

u.  Titel  und  Beiworte 80 

ß.  Riten 83 

Spuren  der  Legende  in  anderen  Tempeln. 

a.  Elkab 86 

b.  Athribis 87 


Phil.-hist.  Klasse.    1911.    Anhang.    Abh.  111.  12 


^ 


Arkadische  Forschungen. 


Von 


F.  Freiherrn  HILLER  VON  GAERTRINGEN  und  H.  LATTERMANN. 


Phil-Mst.  Klasse.    1911.    Anhang.    Abh.  IV. 


Vorgelegt  von  Hrn.  von  Wilamowitz-Moellendorff  in  der  Gesamtsitzung  am  22.  Juni  1911. 
Zum  Druck  verordnet  am  gleichen  Tage,  ausgegeben  am  17.  August  1911. 


Abb.  1.     Axif  dem  Westgipfel  der  Kylleiie;  im  Hintergründe  die  Berge 
Oryxis  und  Penteleion  (Saiita  mid  Dm>duvana).     Aufnahme  vom  1 8.  Juni  191 1. 


xVuf  den  Inseln  des  Ägäischen  Meeres  gab  es  keine  Arbeit  mehr  zu  ver- 
teilen. Die  ionischen  Kykladen,  die  nördlichen  und  die  südlichen  Spo- 
raden, diese  in  ihrer  Ausdehnung  von  Rhodos  bis  Melos,  jene  von  den 
Dardanellen  bis  Skyros  und  hinauf  bis  zur  thrakischen  Küstenlinie,  endlich 
die  von  äolisch  sprechenden  Griechen  bewohnten  Inseln  waren  einmal  durch- 
gearbeitet und  abgeschlossen,  die  reichen  Früchte  der  delischen  Ausgra- 
bungen, die  von  der  Ecole  fran^aise  von  Jahr  zu  Jahr  mit  steigender 
Kraft,  Sorgfalt  und  Liebe  weitergeführt  werden,  neigten  sich  zur  Reife; 
auf  Kreta  ging  die  Forschung,  nicht  beschränkt  auf  einzelne  Nationen, 
und  nicht  sich  begnügend  mit  den  Resten  der  hellenischen  Kultur,  in 
vielversprechender  Weise  weiter,  so  daß  es  noch  nicht  Zeit  war,  hier 
einen,  wenn  auch  noch  so  vorläufigen,  Abschluß  zu  suchen.  Einige  noch 
ausstehende  Gebiete  aber,  Kos  und  Kalymnos,  Chios  imd  Samos,  sind 
schon  lange  in  festen  Händen,  und  die  Gelehrten  weit  weiß,  von  wem  sie 
dort  die  Erfüllung  ihrer  wohlberechtigten  ^ünsche  zu  verlangen  hat. 

Mittelgriechenland  lag  vor  bis  auf  Delphi ;  für  Attika,  wenigstens  das 
nacheuklidische,  da  für  dieses  einzige  Land  die  Beibehaltung  einer  solchen 
Zeitschranke  gefiel,  war  eine  Erneuerung  des  Köhler-Dittenbergerschen 
Werkes  längst  im  Gange. 


4  F.  Hiller  von   Gaertringen  und  H.  Lattermann: 

So  fiel  der  Blick  auf  den  Peloponnes.  Hier  hatte  Fränkel  die  ganze 
Arbeit  geplant  und,  soweit  es  sich  um  fleißige  Sammlung  und  Ordnung 
der  Literatur  handelt,  auch  schon  bis  auf  seine  Zeit  die  Hauptsache  ge- 
leistet; aus  eigener  Bereisung,  bei  der  freilich  die  Arbeit  an  den  Steinen 
zum  guten  Teile  seinen  jüngeren  Mitarbeitern  zufiel,  ging  der  Band  hervor, 
der  die  Inschriften  der  Argolis  enthält.  Nachdem  Fränkel  und  bald  auch 
H.  von  Prott  gestorben,  übernahm  H.  Kolbe  den  Süden,  Lakonien  und 
Messenien,  und  hat  mittlerweile  auch  schon  den  Druck  weit  gefördert; 
Norden  und  Westen  hatten,  soweit  nicht  Olympia  gesprochen,  noch  so 
gut  wie  ganz  versagt.  So  war  die  gegebene  Aufgabe,  die  die  Akademie 
stellen  konnte  und  auch  gestellt  hat,  das  mittlere  Hochland  der  Pelops- 
insel,  Arkadien. 

An  Zahl  war  der  bisherige  Ertrag  der  dortigen  Inschriften  gering. 
Und  er  war  durch  die  Bemühungen  vieler  zusammengekommen.  Was  die 
Expedition  de  Morce  und  ihre  Fortsetzer,  die  Meister  und  die  Schüler 
der  Ecole  fran^aise  von  Athen,  gerade  hier  geleistet,  für  das  ganze  Land 
und  namentlich  für  Tegea  und  Mantinea,  ist  auch  in  der  Zukunft  schwer 
zu  überbieten;  aber  auch  die  topographische  Leistung  eines  Leake  steht 
einzig  da,  und  England  hat,  neben  der  Ausgrabung  von  Megalopolis,  auf 
die  Reisen  von  Loring  hinzuweisen,  die  im  Leake  sehen  Geiste  durchge- 
führt sind.  Auch  Deutsche  haben  sich  ihren  Anteil  an  der  edlen  Beute 
gesichert,  von  Roß  und  Milchhöfe r  an,  und  Österreich  darf  auf  Lusoi 
hinweisen.  Daneben  aber  verkennt  man  nur  allzu  leicht,  was  die  Herren 
des  Landes  selbst  in  stiller,  selbstloser  Arbeit  getan  haben.  Lykosura 
und  das  Lykaion,  Kotilion  und  das  Panheiligtum  von  Melpeia  haben  grie- 
chische Gelehrte,  Leonardos,  Kuruniotes  u.  a.  erforscht;  den  Tempel 
von  Bassai,  den  Fremde  seines  Schmuckes  beraubt,  hat  Kabbadias  wieder- 
aufgerichtet, Kuruniotes  weiter  untersucht;  das  Museum  von  Tegea  zeugt 
von  dem  Eifer  der  griechischen  archäologischen  Gesellschaft  für  die  Er- 
haltung des  Ausgegrabenen,  wie  auch  dort  gerade  die  neuerwachte  Sammel- 
tätigkeit aus  der  Umgegend  alles  an  Inschriften  und  sonstigen  Resten  ver- 
einigt hat,  was  noch  zu  erlangen  war.  Die  griechischen  Ephoren,  zuletzt 
die  HH.  Arbanitopullos,  Rhomaios  und  Oikonomos,  haben  hier  die 
Arbeit  des  fremden  Reisenden  sehr  erleichtert.  Freilich  sind  auch  sie  an 
die  Schranken  von  Zeit,  Raum  und  Mitteln  gebunden;  es  bleibt  ihnen 
noch  sehr  viel  zu  tun  übrig,  und  sie  können  ihre  übergroße  Aufgabe  nur 


Arkadische  Forschungen.  5 

dann  erfüllen,  wenn  sie  in  jedem  Orte  wenigstens  einen  verständnisvollen 
Gehilfen  heranziehen,  der  aus  Liebe  zur  Sache,  die  ja  die  nationale  ist, 
aufspürt  und  rettet,  was  zu  erhalten  ist,  und  wenn  auch  die  Masse  des 
niederen  Volkes  einsieht,  daß  Altertümer  auch  noch  einen  höheren  Wert 
haben,  als  ihn  ein  Händler  zahlt.  In  dieser  Richtung  winken  der  grie- 
chischen archäologischen  Gesellschaft  noch  schöne  Aufgaben,  bei  deren 
Lösung  zu  helfen,  Pflicht  jedes  verständigen  Reisenden  ist,  der  als  Freund 
und  Verehrer  des  Altertums   und    der  Hellenen   selbst   das  Land   besucht. 

Aufgabe  für  die  Bereisung  war  selbstverständlich,  da  das  Ziel  ein 
Inschriftenkorpus  war,  die  Revision  der  bekannten  und  die  Aufsuchung 
neuer  Inschriften.  Für  die  bekannten  boten  die  vorhandenen  Museen  das 
meiste.  Neue  zu  finden  erwies  sich  als  schwer,  da  ohnehin  die  Zahl  der 
beschriebenen  Steine  gering  ist,  und  da  findige  Führer,  wie  sie  die  Ago- 
giaten  von  Koskinu  und  die  nie  um  ein  Auskunftsmittel  verlegenen  spa- 
nischen Juden  von  Rhodos  stellen,  fehlen,  und  der  Stand  der  eifrigen 
Lokal  antiquare,  wie  schon  angedeutet,  noch  kaum  existiert.  Um  also  den 
Erfolg  der  Reise  nicht  nur  von  der  Inschriftenausbeute  abhängig  zu  machen, 
wurde  schon  von  vornherein  eine  Berücksichtigung  der  Topographie  ge- 
plant und  sind  dafür  von  der  Königlichen  Akademie  besondere  Mittel  gewährt. 
Hr.  Dr.  H.  Lattermann,  damals  Stipendiat  des  Kais.  Archäologischen  In- 
stituts, fand  sich  bereit  und  erhielt  die  Erlaubnis,  sich  uns  anzuschließen, 
und  er  hat  dann  auch  die  Freuden  und  Mühen  unserer  Reise  geteilt,  meh- 
rere Unternehmungen  selbständig  ausgeführt  und  sich  dabei  in  erster  Linie 
zeichnend,  messend,  photographierend,  archäologisch,  topographisch  und 
künstlerisch  betätigt,  aber  auch  in  jeder  sonstigen  Hinsicht,  in  der  es  etwas 
zu  tun  gab.  Ein  großer  Teil  dieses  Berichtes  ist  von  ihm;  bei  den  Zeich- 
nungen erfreuten  wir  uns  mehrfach  der  bewährten  Hilfe  von  Max  Lübke. 

Nachdem  in  der  zweiten  Märzhälfte  ein  Teil  der  athenischen  Arbeit 
(vgl.  den  epigraphischen  Anhang  I  auf  S.  14)  erledigt  war,  wurde  Tripolis 
unser  Hauptquartier,  von  wo  aus  Tegea  mit  seinem  Museum  und  das  ver- 
sumpfte Mantinea  nahe  erreichbar  sind.  In  Tripolis  sitzt  unser  altbewährter 
parisch-naxischer  Mitarbeiter,  der  uns  seinerzeit  auch  die  erste  frohe  Kunde 
von  der  prachtvollen  orchomenischen  Synoikieurkunde  gegeben  hatte,  der 
Gymnasialprofessor  Michael  Krispi;  in  Piali-Tegea  trafen  wir  am  Mu- 
seum den  ehemaligen  Regierungskommissar  für  die  Ausgrabungen  in  Thera 
(1896),  Nikolaos  Grimanis.    Die  Behörden,  der  Oberpräsident  Hr.  Birbilis 


6  F.  Hiller  von  Gaeetringen  und  H.  Lattermann: 

und  der  Provinzialingenieur  (Nomomechanikos)  Hr.  Mpatsas  zeigten  uns 
ihr  Entgegenkommen,  indem  sie  uns  Karten  und  Instrumente  liehen. 
Lattermann  suchte  sich  seine  erste  Sonderaufgabe  in  der  Burg  von 
Nestane  bei  Mantinea,  die  den  abflußlosen  Talkessel  des  Argon  Pedion 
und  die  Übergänge  über  das  Artemision  nach  der  Argolis  beherrscht.  Sie 
wird  eine  gesonderte  Behandlung  finden. 

Für  die  Erträge  der  epigraphischen  Kleinarbeit  ist  das  Korpus  be- 
rufen, dessen  möglichst  baldiges  Erscheinen  durch  überlange  Vorberichte 
zu  verzögern  durchaus  nicht  unseren  Grundsätzen  entspricht.  Als  Proben 
geben  wir  auf  Taf.  XII  Bilder  einiger  wohlbekannter  und  teilweise  doch 
noch  nicht  genug  bekannter  Steine,  auf  deren  einen  weiter  unten  zurück- 
zukommen sein  wird.  Einige  wichtige  Steine  sind  schon  von  Rhomaios 
und  A.  von  Premerstein  abgeschrieben  und  werden  hoffentlich  diesen 
ihre  erste  Veröffentlichung  danken ;  so  ein  altes,  leider  sehr  zerstörtes  Sakral- 
gesetz, wohl  aus  dem  Anfange  des  4.  Jahrhunderts,  schon  Ath.  Mitt,  XXXIV, 
1909,  253  zitiert.  Ein  Bruchstück  gibt  die  Gleichung  der  attischen  und  der 
hadrianischen  Ära,  wobei  also  die  neuerdings  mehrfach  besprochene  Ära 
von  1 1  n.  Chr.  gänzlich  übergangen  wird.  Den  Kopf  zu  dem  langen  Cursus 
bonorum  (Prosopogr.  imp.  r.  III  497,  15),  der  sich  nachweisen  ließ,  wird  auf 
meine  Bitte  Hr.  von  Premerstein  in  den  Österreichischen  Jahresheften 
veröffentlichen.  Aus  Mantinea  sind  die  wichtigsten  Inschriften  der  Fou- 
ger esschen  Ausgrabungen  über  Tripolis  hierher  gebracht  und  dadurch  er- 
halten. 

Bescheidener  ist  die  Galleria  lapidaria  von  Megalopolis.  Und  viele  Steine 
aus  Privatbesitz,  die  die  Engländer  noch  1891  gesehen,  sind  verloren.  Aber 
auch  hinzugekommen  ist  manches,  auch  von  Lykosura  her.  Bemerkenswert 
einige  Stücke  doppelseitig  beschriebener  Beitragslisten,  wo  die  Beiträge 
zum  Teil  nicht  in  Geld,  sondern  als  »Preis  eines  Rindes«  angegeben  werden, 
und  das  nicht  zur  Zeit  Homers,  als  man  die  Königstöchter  mit  Rinder- 
herden freite,  sondern  im  2.  Jahrhundert  v.  Chr.,  wohl  für  den  Mauerbau, 
wo  übrigens  auch  eine  Ära  vorkommt,  die  noch  nicht  sicher  bestimmt  ist, 
schon  aus  Foucart-Le  Bas  bekannt.  Zwei  Steine  konnten  wir  kaufen  und 
dem  Lokalmuseum  schenken,  mit  geringem  Aufwand;  das  erwähne  ich  in 
der  Hoffnung,  Nachahmung  zu  finden. 

Die  Bahnlinie  Athen-Tripolis-Kalamata,  der  Wunsch  nach  Anschauung 
des  gesegneten  Nachbarlandes   und  das  Verlangen  unseres  Messeniers  Hrn. 


Arkadische  Forschungen.  7 

Kolbe  nach  einem  Abklatsche  der  Kultordnung  von  Andania  veranlaß ten 
einen  viertägigen  Abstecher.  Freilich  hat  die  Inschrift  durch  ihre  monu- 
mentale Verwendung  in  den  beiden  Türpfosten  der  Konstantinoskirche, 
die  auch  der  einsichtige  Demarch  bemängelte,  nicht  gewonnen;  mancher 
Schaden  ist  ihr  aus  dieser  Ehre  erwachsen.  Ein  Glück,  daß  hier  die  Epi- 
graphik  schon  ihre  volle  Schuldigkeit  getan  hatte.  Lattermann  fand 
seine  zweite  Sonderaufgabe  in  der  Aufnahme  von  Andania. 

Die  triphylische  Küstenbahn  brachte  uns  nach  Olympia,  dem  Westtor 
Arkadiens.  Hier  begann  die  wahre  griechische  Landreise,  mit  Pferden  und 
Zelten,  wobei  der  alte  Angelis  Kosmopulos  seine  Kunst  als  Anfährer  der 
Agogiaten  von  neuem  bewährte  und  Lattermann  wieder  mehrere  Sonder- 
aufgaben zufielen.  Er  fand  in  Lasion,  auf  bestrittenem  arkadisch-elischen 
Grenzgebiete  (s.  S.  i6  III),  daß  wir  im  Korpus,  wo  nur  die  am  besten  be- 
kannte Zeit  des  Pausanias  zugrunde  gelegt  werden  kann,  leider  wohl  zu 
Elis  rechnen  müssen,  die  ersten  drei  Inschriften,  sepulkral,  aber  aus  bester 
Zeit;  wir  andern  in  Heraia  ebenfalls  einige  neue  Nummern.  Thelphusa 
ergab  nur  Wiederfindung  eines  freilich  recht  guten  Epigramms;  alles  andere 
war  verschwunden.  Psophis  hatte  einen  Marmor  mit  ausradierter  Inschrift, 
bleibt  also  noch  inschriftlos!  Und  das  bei  so  schönen  Mauern  und  Bau- 
resten, die  eine  Ausgrabung  fordern,  für  die  sich  Einheimische  schon 
interessieren.  Für  die  Topographie  bleiben  Polybios  und  sein  Interpret 
Leake  unübertroffen;  der  tiefbeschneite  Erymanthos  gab  der  eindrucksvollen 
Landschaft  den  rechten  Hintergrund.  In  Kieitor,  vielmehr  Kletor,  steht 
das  Relief  des  größten  Arkaders,  Polybios,  in  einer  Mandra,  des  Hauptes 
und  der  Inschrift  beraubt ;  der  Gipsabguß  im  Berliner  Museum  bietet  wissen- 
schaftlich freilich  Ersatz;  aber  die  Erhaltung  auch  des  Stumpfes  ist  Ehren- 
sache der  griechischen  Altertumsverwaltung \  Bei  Methydrion  zwang  uns 
unser  eigenes  archäologisches  Gewissen  zu  einer  kleinen  Ausgrabung,  von 
Angelis,  der  im  nahen  Maguliana  zu  Hause  ist,  und  der  ganzen  Bevölke- 
rung herbeigewünscht.  Geformte  und  bemalte  Ziegel  lagen  herum  und 
wiesen  auf  die  Tempelruine,  die  Leake  noch  viel  vollständiger  gesehen 
hatte;  eine  nahe  Kapelle  ergab    den  AnlaJ3  der  neueren  Zerstörung.     Die 


'  Obiges  ist  geschrieben,  bevor  ich  Studniczkas  schöne  Abhandlung:  Polybios  und 
Damophonl  (Ber.  Sachs.  Ges.  LXIII,  1911,  i.Heft)  erhielt,  deren  Inhalt  zu  dem  Bilde,  das 
ich  mir  von  der  Entwicklung  Arkadiens  im  2.  und  i.  Jahrhundert  gemacht  habe,  vorzüg- 
lich paßt. 


8 


F.  Hiller  von  Gaertringen  und  H.  Lattermann 


Abb.  2.     Runder  Turin  von  Kletor. 


Ausführung  ward  auf  Anfang  Juni  verschoben.  Dann  Demitsana  mit  seinem 
Museum,  das  neben  manchem  Spartanischen  auch  einige  gute  Inedita  aus 
arkadischen  Orten,  Teuthis  und  vielleicht  Heraia,  enthält.  Dann  Gortys, 
Lykaion,  Bassai,  Phigalia,  Ira.  Hier  setzte  wieder  der  Topograph  Latter- 
mann ein,  obwohl  der  Ort  schon  mehrfach  aufgenommen  ist.  Ich  genoß 
mittlerweile  die  musterhafte  Ordnung,  die  Leonardos  in  Lykosura  geschaffen 
hatte,  und  ein  Nachtquartier  unter  dem  Schutze  der  Riesenbilder  der  großen 
Göttinnen.  Der  brave  Phylax,  ebenso  sorgsam  wie  sein  früherer  Herr, 
hatte  eben  zu  einer  Inschrift  ein  anstoßendes  Fragment  gefunden. 

In  Megalopolis  endigte  der  erste  und  begann  nach  kurzer  Unterbrechung 
der  zweite  Ritt.  Über  den  Chelmos  (Aigys?)  durch  das  vielumstrittene 
Grenzgebiet  nach  Sparta,  zurück  nach  Tegea,  wir  im  Wagen,  und  weiter 
nach  Maguliana,  Lattermann  über  einige  Ruinenstätten  der  Skiritis  und 
nochmals  über  Nestane,  mit  einigem  archäologischen  und  epigraphischen 
Ertrage. 

Nun  erfolgte  die  Ausgrabung  des  Tempels  bei  Methydrion  (s.  S.  24); 
daraus  ergab  sich  die  Aufnahme  der  Umgegend  dieses  kleinen  Baues  und 
der  alten  Städte  Methydrion,  Thisoa,  Teuthis.  All  dies  sollte  nur  Vorbe- 
reitung sein  zu  der  kommenden  Aufgabe,  Orchomenos.  Denn  die  genannten 
Orte  gehörten  vor  der  Gründung  von  Megalopolis  zu  ihrem  Gebiet.  Orcho- 
menos' König  aber,  Aristokrates,  war  durch  Sage  und  halbe  Geschichte  ver- 
bunden mit  der  Tradition  vom  zweiten  messenischen  Kriege.  Ira  (vielmehr 
Hira)  und  Andania  konnten  damit  zusammen  ein  Bild  ergeben,  das  die  ört- 
lichen Anknüpfungspunkte   für   Sage   und   Geschichte   lieferte.     In  Orcho- 


Arkadische  Forschungen.  9 

menos  aber  waren  zwar  einzelne  Funde  gemacht,  die  Synoikieinschrift,  die 
Prem  er  stein  in  so  musterhafter  Weise  erläutert,  und  Sprachforscher  wie 
W.  Schulze,  Meister  und  der  uns  eben  viel  zu  früh  entrissene  Solmsen 
zum  Ausgangspunkte  gCAviclitiger  sprachlicher  Erwägungen  gemacht  hatten, 
versprachen  viel;  nachher  trat  sogar  noch  eine  archaische  Skulptur  dazu, 
um  zu  zeigen,  daß  da  ein  jeder  auf  seine  Rechnung  kommen  würde.  Aber 
wir  waren  schon  in  der  zweiten  Dekade  des  Juni:  Gewitterschwüle  und 
Gewitterregen,  lästige  Insekten,  die  Ausdünstungen  der  Sümpfe  im  Norden 
und  Süden,  alles  sprach  gegen  sofortige  Arbeit.  Dazu  mußte  man  sich 
sagen,  daß  halbe  Arbeit  ein  Verbrechen  war;  wer  hier  graben  will,  muß 
Zeit  und  Ruhe  haben.  Man  darf  hier  nicht  bloß  ein  paar  Gräben  ziehen 
und  damit  den  Steinräubern  die  Arbeit  erleichtern,  anständigen  Gelehrten 
sie  verleiden.  Auf  den  Herbst  oder  das  nächste  Frühjahr  zu  warten,  ging 
nicht  an;  denn  es  drängten  andere  Pflichten.  Um  einen  Grund  zu  legen, 
nahm  Lattermann  den  Stadtberg  und  die  Umgegend,  so  genau  es  ging, 
auf.  So  ist  Orchomenos  wenigstens  fär  diesen  unseren  Bericht  das  Rück- 
grat geworden,  wie  es  auch  unsere  Reisepläne  von  Anfang  an  beherrscht 
hatte.  Möchte  es  in  ebenso  gute  Hände  fallen  wie  ein  anderes  Ausgrabungs- 
feld, das  manchen  gereizt  hatte,  bis  es  Kinch  und  Blinkenberg  mit  aller 
erdenklichen  Sorgfalt  vornahmen,  die  Burg  der  Athana  Lindia  auf  Rhodos! 

Die  Reise  näherte  sich  ihrem  Ende.  Der  Schluß,  war  landschaftlich 
noch  schöner  als  die  wilde  Lykaiongegend :  Alea,  sicher  doch  nicht  »die 
Blinde«,  sondern  die  » Zufluchtsstätte «Mes  langen  Tales,  geographisch  und 
für  lange  Perioden  der  Geschichte  zur  Argolis  gehörend,  ebenso  wie  Stym- 
phalos.  Dort  retteten  wir  die  in  drei  Stücke  zerhackte  und  in  die  Pforten 
einer  Haustür  eingemauerte  Stele,  die  Martha  vor  Jahrzehnten  bei  schlechtem 
Lichte  gesehen  hat,  vor  völliger  Vernichtung,  kauften  sie  nach  harten  Über- 
redungskünsten, schickten  sie  acht  Stunden  über  die  Berge  nach  der  nächsten 
Bahnstation,  von  wo  sie  sicher  ins  athenische  Nationalmuseum  gelangte, 
und  hielten  den  Kauf  gegen  die  angeblich  mehr  berechtigten  Verwandten 
der  Besitzerin  aufrecht. 

In  vieler  Beziehung  trifft  jetzt,  nac\  der  neuen  Zerstörung,  die  Schil- 
derung (Bull.  hell.  VII,  1883,  487  f.),  die  jede  Hoffnung  auf  Gewinn   eines 


1    Also  noAEMiCüN  AACH,  wie  Hesiod  die  Ziegenfelle  als  veroY  ÄAeHN  preist  ("GprA  545)- 
Davon  auch  Ort  und  Göttin  bei  Tegea  und  sonst. 

Phü.-hist.  Klasse.    1911.   Anhang.   Abh.  IV.  2 


10  F.  Hiller  von  Gaertringen  und  H.  Lattermann: 

Zusammenhanges  schwinden  macht,  noch  mehr  zu,  als  sie  schon  damals  be- 
rechtigt gewesen  sein  mag,  und  so  lassen  die  Trümmer  eben  wieder  einmal 
erkennen,  was  wir  verloren  haben,  nämlich  überaus  eingehende  Vertrags- 
bestimmungen von  Stymphalos  und  verbündeten  Städten,  über  Recht  und 
Gericht,  Zeugen,  Bürgen  u.  a.  m.;  aber  in  Arkadien  sind  wir  nicht  so  reich 
an  Urkunden,  um  auch  nur  einen  Fetzen  verachten  zu  dürfen,  und  die 
Nennung  von  Demetrias,  die  sofort  an  den  Magnetenbund  und  die  von 
Holleaux  und  Wilhelm  so  glänzend  hergestellten  Beschlüsse  dieses  Bundes 
aus  Kletor  erinnert,  ergibt  doch  einen  bedeutungsvollen  geschichtlichen 
Ausblick.  Daneben  studierte  Lattermann  die  schon  von  K.  0.  Müller^ 
als  höchst  merkwürdig  und  großartig  gepriesenen  Ruinen  von  Stymphalos, 
deren  Lage  im  See  an  Arne  im  Kopaissee  erinnern  mag;  auch  ein  Objekt 
fär  eine  gründliche  Aufnahme,  schon  durch  seine  mächtigen  Felseinarbei- 
tungen. Wie  klein  fühlt  sich  demgegenüber  der  Epigraphiker.  Hier 
möchte  man  wie  Graf  Lanckoronski  in  Pamphylien  einen  ganzen  Stab  von 
geschulten  Technikern  und  Archäologen  haben.  Dieses  Land  kann  man 
gar  nicht  seiner  Bedeutung  voll  entsprechend  aufnehmen  und  mit  all  seinen 
Bergen,  Wässern  und  Mauern  zur  denkbar  klarsten  Anschauung  bringen. 
Das  wäre  die  Hauptaufgabe.  Wir  konnten  sie  nur  streifen;  auch  Latter- 
mann konnte  leider  nicht  mehr  einige  Monate  zugeben,  da  seine  knappe 
Zeit  im  Süden  schon  mehr  als  reichlich  besetzt  war. 

Aus  dem  Gezänk  der  garstigen  Albanesen  von  Kionia  entrückten  uns 
unsere  guten  Pferde  auf  die  Höhen  des  Götterberges.  Atlas  in  der  Sprache 
der  Unsterblichen  genannt,  die  hier  ihren  peloponnesischen  Olymp  hatten, 
Kyllene  »der  hohle  Berg«  bei  den  Hellenen,  Ziria  bei  den  Slawen  schon 
in  frühmittelalterlichen  Schollen.  Unterhalb  der  größeren,  westlichen  Höhe, 
über  dem  nach  Nordosten  zu  sich  senkenden  bewaldeten  Tale,  ist  eine  Höhle, 
von  Griechen  aus  dem  nahen  Trikkala  1871  entdeckt,  von  G.  Hirschfeld 
u.  a.  in  ihrer  Bedeutung  gewürdigt,  in  der  man  die  Hermesgrotte  des  home- 
rischen Hymnos  gesehen  hat.  Namen  sind  darin;  manche  davon  haben 
wir  wiedergefunden.  Bei  dem  unsicheren  Grunde  und  dem  triefenden 
Gestein  dieser  Stalaktitengrotte  ist  es  schwer,  erträgliche  Abklatsche  zu 
machen ;  die  Möglichkeit  aber  schien  sich  zu  ergeben,  die  Namen  der  Be- 

^  Brief  bei  0.  und  E.  Kern,  K,  O.  Müller  356.  Die  einzige  Aufnahme  ist  eine  Skizze 
von  Ernst  Curtius,  im  Poloponnesos  I,  Taf.  IV. 


Arkadische  Forschungen.  \\ 

Sucher  ins  4.  Jahrhundert  v.  Chr.  hinaufzurücken.  Waren  es  Pilger  oder 
Neugierige?  Beides  ist  denkbar,  wie  die  berühmte  Grotte  von  Oliaros, 
heute  Antiparos,  zeigt,  wo  Namen  alter  Gesellschaften,  nach  dem  parischen 
Archon  datiert,  und  zuletzt  der  französische  Gesandte  Nointel  eingehauen 
waren,  oder  wie  die  Goldgrotte  von  Pholegandros,  nur  mit  Kletterkunst- 
stücken vom  Nachen  aus  an  steiler  Felswand  zu  ersteigen,  wo  sich  ein 
Cornelier  mit  seinen  Reisebegleitern  verewigt  hat.  Von  Terrakotten  haben 
wir  keine  mehr  gefunden.  Aber  es  gehört  auch  etwas  dazu,  hier  lange 
zu  verweilen. 

Über  Pheneos,  Nonakris,  Kynaitha  verließen  wir  Arkadien.  Lusoi  sahen 
wir  nicht;  die  Nachricht,  daß  auf  dem  von  den  Österreichern  so  schön  aus- 
gegrabenen Tempel  eine  neue  Kirche  erbaut  worden  sei,  schreckte  uns  ab. 

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denkt  man  so  oft  und  will  sich  doch  die  Freude  an  dem  herrlichen  Lande 
durch  diese  auch  von  der  weisesten  Regierung  schwerlich  ganz  zu  ver- 
hütenden Barbareien  nicht  stören  lassen,  die  doch  schlimmer  sind  als  alle 
Sünden,  die  an  der  unzerstörbaren  Schönheit  der  griechischen  Sprache  be- 
gangen werden  können! 

Von   unserer   nichtepigraphischen    Ausbeute   wird   Lattermann   hier 
einige  Proben  vorlegen ;  anderes  hofft  er  an  anderem  Orte  folgen  zu  lassen. 
Mein  Ziel  war  und  ist  das  Korpus,  so  schwer  es  manchmal  war,  bei  der 
Stange  zu  bleiben  und  sich  nicht  auf  allzuweite  Abwege  einzulassen.    Was 
aber  schon  aus  diesen  Bemerkungen  hervorgeht,  ist  die  Unmöglichkeit  oder 
Torheit,  die  Inschriften  dieses  Landes  rein  für  sich  betrachten  zu  wollen, 
losgelöst  vom  Boden.     Das  Land  und  seine  antiken  Stätten,  für  deren  Be- 
nennung Pausanias  ein  so  unvergleichlich  gutes  Material  liefert,   das  auch 
schon,  soweit  es  ohne  Ausgrabungen  ging,   recht  gut  benutzt,    aber  doch 
noch   nicht    ganz   verwertet    ist,    ist    die   Hauptsache.      Dazu    kommt    die 
literarische  Überlieferung,  auch  abgesehen  vcVn  Pausanias,  Herodot,  Xeno- 
phon,  Polybios,    und  auch  die  Sagen,   die   die  Dichter  behandeln  bis  auf 
Kallimachos  und  herunter  zu  den  Römern.     Antike  und  moderne  Phantasie 
und  Sentimentalität  hat  manche  Züge  hineingetragen,  die  dem  Lande  einen 
Nimbus  bei  denen  verliehen  haben,  die  es  nicht  kennen.     Und  kennt  man 

2* 


12  F.  Hiller  von  Gaertringen  und  H.  Lattermann: 

es,  so  schwindet  der  Nimbus,  soweit  er  schwindelhaft  war;  aber  es  bleibt 
ein  schönes  Land,  das  wert  ist,  von  den  Poeten  aller  Nationen  besungen 
zu  werden.  Für  die  Wissenschaft  aber  bleiben  neben  den  topographischen 
auch  noch  andere  Probleme.  An  einem  habe  ich  mich  selbst  vor  mehr 
als  20  Jahren  mit  ungenügenden  Mitteln  versucht,  es  ist  die  Frage  nach 
der  Entstehung  halb  sagenhafter,  halb  willkürlich  erdichteter  Erzählungen, 
die  an  den  messenischen  Krieg  und  den  erwähnten  König  Aristokrates  an- 
knüpfen. Man  glaubt  die  Enden  zu  finden  in  der  Zeit  der  Restauration 
unter  Polybios  nach  der  Zerstörung  Korinths.  Es  ist  wie  ein  letztes  Abend- 
rot, wo  auch  noch  ein  Künstler  mit  seiner  Familie  auftritt,  Damophon  von 
Messene.  Da  machte  man  für  Andania  ein  erbauliches  Geschichtsbuch,  in 
das  man  etwas  Tyrtaios,  Olympionikenliste,  Myron  von  Priene,  Rhianos 
von  Kreta  und  noch  einiges  andere  hineinarbeitete.  Aristokrates  und  seine 
Vorgänger  waren  da  freilich  Frevler  und  Verräter.  Das  Licht  war  auf 
selten  der  braven  Messenier;  längst  hatte  man  vergessen,  daß  sie  den 
Letzten  der  Hellenen  feige  vergiftet  und  die  reichen  Wohltaten  der  Ar- 
kader mit  Undank  vergolten  hatten. 

Es  darf  hier  vielleicht  noch  auf  ein  anderes  Moment  hingewiesen 
werden,  das  für  die  arkadische  Geschichte  grundlegend  ist,  die  Stammes- 
verfassung. »Der  Staat  ist  der  Stamm«  hat  uns  Wilamowitz  eben  wieder 
eingeschärft;  für  Arkadien  aber  ist  es  besonders  lehrreich  zu  sehen,  wann 
die  Stammverfassung,  die  hier  klar  das  Ursprüngliche  war,  aufgehört  hat. 
Es  geschah  dies  gleichzeitig  mit  dem  Aufgehen  der  letzten  Stämme  in  die 
große  Stadt,  vollzogen  nicht  durch  Epaminondas,  sondern  durch  Pammenes 
von  Theben  im  Jahre  361.  Damals  hörten  die  Stämme  politisch  auf  zu 
existieren;  nur  in  einer  späteren  Abänderung  der  Phylenordnung  von  Mega- 
lopolis,  die  uns  das  große  Theater  kennen  gelehrt  hat,  leben  sie  schein- 
bar wieder  auf;  sonst  sind  Mainalier  und  Parrhasier  auf  das  Reich  der 
Poesie  beschränkt.  Als  wirklicher  Überrest  mögen  die  Elisphasier  bei 
Polybios  und  in  den  Bundesmünzen  der  Achäer  gelten,  im  Mainalon  west- 
lich von  Mantinea,  in  oder  nahe  der  Ebene  Alkimedon,  die  Pausanias  er- 
wähnt; man  würde  sie  gern  mit  dem  homerischen  Enispe  zusammenbringen, 
wie  ja  auch  Enipeus  und  Elipeus  zusammenhängen,  wenn  es  einen  Rück- 
halt in  der  alten  Literatur  hätte,  die  vielmehr  in  eine  andere  Richtung 
weist.  Mit  dieser  einzigen  erkennbaren  Ausnahme  müssen  wir  alle  Stamm- 
bezeichnungen der  Zeit  vor  361    zuschreiben.     Schon  dieser  Gesichtspunkt 


Arkadische  Forschungen. 


13 


hätte  für  die  Zeitbestimmung  einer  Anzahl  olympischer  Siegerstatuen  ge- 
nügt, die  Hyde  bereits  aus  anderen  Gründen  ins  5.  Jahrhundert  verwiesen 
hat;  er  reicht  aber  auch  aus,  die  Frage  nach  dem  Alter  der  Phylarchos- 
inschrift  von  Tegea,  eines  Beschlusses  des  arkadischen  Bundes,  den  die 
Damiorgen  vieler  Stämme  und  Städte  Arkadiens  unterzeichnet  haben,  end- 
gültig mit  Dittenberger,  Swoboda,  Fränkel  und  anderen  dem  4.  Jahr- 
hundert zu  geben;  meiner  Meinung  nach  fällt  er  wenige  Monate  nach  der 
Schlacht  bei  Mantinea  und  dem  darauf  folgenden  athenisch-arkadischen 
Bündnis,  das  die  unmittelbare  Voraussetzung  dazu  darbietet.  Der  Stein, 
den  Foucart  entdeckt  und  Milchhöfe r  noch  als  im  Besitze  des  Christos 
Sabopullos  in  Piali  festgestellt  hat,  soll  jetzt  in  eine  Kirche  bei  Piali, 
Metamorphosis,  350  m  vom  Orte  entfernt,  verbaut  sein.  Die  Schrift  ist 
aber  von  außen  nicht  sichtbar.  Es  ist  auch  eine  Pflicht  der  Altertums- 
verwaltung, dieses  wichtige  Denkmal  der  arkadischen  Geschichte  wieder 
hervorzuziehen  und  dem  Museum  von  Tegea  wiederzugeben,  damit  dort 
nicht  nur  über  die  Schrift,  deren  photographische  Wiedergabe  sehr  er- 
wünscht wäre,  sondern  auch  über  die  Reliefdarstellung  im  Giebel,  »unge- 
flügelte Frau  ein  Tropaion  errichtend«,  geurteilt  werden  kann.  Byzanti- 
nische Kirchenbauten  haben  unendlich  viele  alte  Inschriften  und  Architek- 
turglieder erhalten ;  moderne  nicht  wenige  zerstört.  Gerade  diesen  Bauten 
gegenüber,  bei  denen  der  religiöse  Eifer  der  Landleute  begreiflicherweise 
das  Schönste,  das  sie  haben,  anzuwenden  bereit  ist,  gilt  es  doppelt  und  drei- 
fach auf  der  Hut  zu  sein,  daß  nicht  unschätzbare  Reste  des  Altertums  aus 
Unkenntnis  und  in  frommer  Absicht  zerstört  werden. 


Abb.  3.     Ostniauer  von  Psophis. 


14  F.  Hiller  von  Gaertringen  und  H.  Lattermann 


Epigraphischer  Anhang. 

I.    Athen. 

Die  Revision  im  Nationalniuseum  von  Athen  setzte  Lattermann  nach  seiner  Rück- 
kehr fort.  Sie  war  besonders  ertragreich  für  die  Rückseite  der  großen  tegeatischen  Bau- 
ordnung, deren  Vorhandensein  bisher  nur  durch  gelegenthche  Bemerkungen  in  der  ^«jJHMepic 
ÄPXAlOAoriKH  1898,  254  (Leonardos)  bekanntgeworden  war.  Hr.  Rhomaios,  jetzt  Ej)horos 
von  Lakonien,  einigte  sich  mit  uns  mit  gewohnter  FreundUchkeit  über  die  gemeinsame 
Herausgabe.  Daß  die  Bauurkunde  mit  dem  skopasischen  Tempel  zusammengehört,  der 
selbstredend  nicht  an  einem  Tage  gebaut  ist,  jedenfalls  aber  in  das  4.  Jahrhundert  und 
nicht  bloß  in  die  »vorrömische  Zeit«  (SGDI  1222)  fällt  —  Solmsen,  Inscr.  gr.3  3,  urteilt 
wenigstens:   »saec.  HI  potius  quam  H«  — ,  schien  mir  auf  den  ersten  Blick  ausgemacht. 

Auch  die  für  vSchrift  imd  Dialekt  sehr  wichtigen,  von  Sboronos  sorgfältig  heraus- 
gegebenen imd  scharfsinnig  gedeuteten  »hhaina  eiciTHPiA  toy  eeATPOY  thc  MANTiNeiAC«  (AieeN. 
^<t>.  NOM.  APX.  III,  1900,  197 ff.)  wurden  von  Lattermann  nochmals  verglichen,  nachdem  sich 
schon  C.  Fredrich  für  Fränkel  eines  Teiles  dieser  Arbeit  unterzogen  hatte.  Als  Beispiel 
sei  hier  nur  S.  208,  Nr.  20  =  Tafel  e'  6  hervorgehoben,  wo  wir 

FRI>KIDA^  Fpiyiaac 

ERATIAV  ^ePAxiAY 

nicht  ""GPliiAAC  lesen.  Damit  ist  der  Anlaut  Fp,  den  Prell witz,  Etyni.  Wörterb.^  399,  durch 
die  Zusammenstellung  mit  nhd.  werfen  behauptete  und  G.  Meyer,  Gr.  Gr.3  §  363  Anm.,  noch 
als  Abfall  eines  anlautenden  v  oder  s  voraussetzte,  urkundlich  gesichert;  eine  Parallele  zu 
Fphci  des  Synoikievertrages  von  Orchomenos.  Die  Bezeichnung  des  Y  steht  längst  durch 
die  Münzlegende  von  Psophis  (Kirchhoff,  Studien4  158,  Head,  H.  Num.2453;  Abbildung 
bei  Poole,  Cat.  gr.  coins,  Peloponnesus,  Tafel  XXXVI  20)  fest.  Unmittelbar  auf  Fpiyiaac 
folgt  bei  Sboronos  ein  anderes  schönes  Beispiel  für  F:  FI^FOAA^OS  ==  FicFöaamoc,  das 
uns  freilich  nach  manchen  kretischen  Belegen  für  Ficfoc  =  Tcoc  nicht  mehr  überrascht. 

Alle  diese  Arbeiten  im  Museum  wurden  von  den  HH.  Leonardos  und  vStais  auf  jede 
denkbare  Weise  gefördert. 


IL    Das  Gottesurteil  von  Mantinea,  linke  Kolumne. 

Die  Behandlung  der  für  Sprache,  Recht  und  Kult  gleich  wichtigen  Urkunde  durch 
Homolle,  Baunack,  B.  Keil,  Dittenberger,  Danielsson,  Solmsen  und  noch 
manche  andere  Gelehrte  beruht  auf  der  ersten  Lesung  durch  den  um  Mantinea  und  ganz 
Arkadien  hochverdienten  Forscher  G.  Fougeres,  dem  auch  vmser  Korpus  vielfache  höchst 
wertvolle  Förderung  verdankt,  im  Bull.  hell.  XVI,  1892,  568 ff.  und  Tafel  XIX.  Eine  zweite, 
verbesserte  Lesung  des  Entdeckers  in  seinem  Werke  Mantinee  1898,  523 ff.  ist  von  Bück, 
GreeTc  Dialects  174  ff.,  16  benutzt,  wo  aber  die  Eigennamenliste  übergangen  wird.  Da  ich 
schon  mehrfach  nach  meiner  Lesung  dieses  Dokuments  gefragt  bin,  suche  ich  den  Benutzern 
durch  die  Abbildung  auf  Tafel  XIT  3,  die  auch  auf  H.  Lattermann s  Aufnahme  beruht, 
die  Möglichkeit  zu  geben,  selbst  ein  Urteil  zu  fällen,  und  teile  hier  die  linke  Kohnnne  in 
Umschrift  mit.  Den  scharfen  Zischlaut  V\  gebe  ich  wie  Bück  mit  c,  den  Hauclilaut  mit 
B  wieder. 


Arkadische  Forschungen.  15 

§  I.         [Fo]<t>AeAci  oTAe  in  "Aa^an- 

[CijCYPNOC 

.  9  .  .  ec 

[4>]lA0MeAIAAC 

s    0eö[K]occMoc 
■äpicctömaxoc 
Apomgac 
Ctiahac 

0ÄNIC 

lo   "^Akpantoc 
■ÄntiaaTaac 
Böeic  BecKAAPoc 

GeMANAPOC. 

§  2.         öceoi  AN  XPecTepiON  kakping, 

15    e  rNociAiKA  KPieee  tön  xpeMATON, 

ne    TOIC    FOIKIATAI    TAC    660    eNAI, 
KAFOIKIAC    AACACCGAI    TAC    AN    Oa'    ^ACAC. 

§  3,         ei  ToTc  Fo<t>AeKÖci  eni  to?a'  ÖAiKACAMec 

A  Te  ee6c  kac  oi  aikacctai,  AnYceAOMiN[oc] 

20     TON    XPeMATON    TÖ    AAXOC,    AneXOMINOC 
KA    TÖPPeNTGPON    reNOC    eNAI 
ÄMATA    HANTA    Au^    TO?   lePoT,  YaaON    InAI  • 

ei  a'  aaaa  ci[n]'  ^atoi  ka  tönn[y],  iNMeN<t)ec  eNAi. 

3  [CAKAJec  Foug.  II  7 — 9  verbessert.  |j  10  so  eher  als  "Appantoc;  K  und  R  unterscheiden 
sich  nur  durch  eine  Verbindungslinie.  ||  12  beide  Namen  verbessert:  nicht  TTecKAAPOc! 
Hr.  W.  Schulze  hat  die  Güte,  dazu  zu  bemerken:  »Leider  kann  ich  für  BecKAAPOc  keine 
brauchbare  Analyse  finden.  Wenn  man  einen  Verbalstanun  im  Anfang  sucht,  bleibt  die 
Bildung  des  Anfangsgliedes  sonderbar,  wenn  auch  nicht  ganz  ohne  Beispiel:  öc^painomai  zu 
ÖA-,  baac^hmoc  zu  BAAB-.  Auch  an  <t>eP^CBioc,  was  freilich  selbst  dunkel  ist,  muß  man  denken ; 
aber  helfen  tut  es  auch  nicht  recht.«  So  möchte  man  am  ersten,  im  Hinblick  auf  ÖA-,  an 
sed-  in  ezoMAi,  eAOC  denken;  der  Name  bezeichnet  dann  den,  der  auf  seinem  Landloose 
sitzt  oder  sich  darauf  setzt,  kaäpoc  zu  Bechtel-Fick  S.  171.  ||  13  Man  las  <t»^MANAPoc, 
und  B.  Keil,  der  diese  Zeile  mit  der  nächsten  verband,  die  noch  nicht  richtig  gelesen  war, 
erschloß  daraus  folgerichtig  einen  ionischen  Fremden  4>hmanapoc.  Der  Unterschied  von  O 
und  ®  beruht,  da  beide  aus  einem  dünnen,  ilachen  Kreise  und  einem  dicken,  tiefen,  runden 
Punkte  bestehen,  nur  in  einem  ganz  dünn  eingeritzten  Striche,  der  Z.  13  nicht  vorhanden^ 
Z.  30  möglicherweise,  aber  nicht  sicher,  beabsichtigt  und  wohl  nur  scheinbar  vorhanden  ist. 
So  ziehe  ich  Ge/AANAPOC  vor  und  sehe  darin  mit  Ernst  Sittig,  der  mich  von  dem  Gc; 
danken  an  0e-MANAPOC  (megarisch!)  =  eeö-MANAPOc  abgebracht  hat,  einen  GeM-ANAPOc  = 
GeMiCT-ANAPoc,  mit  einer  Verkürzung  des  Stammes,  wie  sie  'AnoAAO-OANHC  statt  "AnGAACüNO- 
<t>ANHC  in  einwandfreier  Weise  bietet;  an  GeMCON,  den  Vater  des  Thespis,  erinnert  Wila- 
mowitz.  II  14  Nun  erst  hört  die  Liste  derer,  die  [Fo]<t5AeACl,  auf  und  beginnt  der  zweite 
Paragraph,      Bück    hat    noch:    '3<t)[eMA]NAP0C    i4[Fo]<t>Aeoi   an    xpecTePioN    kakping.     '5^[i    ä]n 


^    »Sicher  nicht  0«  bezeugt  Latt ermann. 


16  F.  Hiller  VON  Gaertringen  und  H.  Lattermann: 

öciAi  KAKPie^e  TÖN  XPeMATON,  Nachsatz  wie  wir.  Jetzt  ergibt  sich  der  Sinn:  »filTiNl  (wir 
würden  attisch  sagen  oytinoc)  an  xphcthpion  katakpinhi,  fl  (rNoociAiKH ')  kpighi  tön  xphmatcün«, 
worauf  folgt:  »weTA  tön  oiKeTÖN  thc  eeoY  eTNAi«.  Wir  kannten  rNCüClAiKOC  schon  aus  meh- 
reren Inschriften  von  Kos,  z.  B.  Paton-Hicks,  386,  V.  51  rNWciAlKOC  Nikoctpatoy,  aaatpöc 
A^  Apictoaikac  tac  rNcociAlKCY,  WO  der  Anklang  der  beiden  letzten  Namen  zu  beachten, 
und  als  Urgroßvater  des  berühmten  koischen  Arztes  bei  Suidas:  'InncKPÄTHC  rNCociAiKCY  yiöc, 

nATHP    ""HPAKAeiAA    TOY    HATPÖC    InnCKPATOYC,  lATPÖC  KAI  AYTÖC,  TOY  reNOYC  TÖN  1^CKAH^IAAÖN '^ — , 

werden  uns  aber  freuen,  hier  das  dazugehörige  Abstraktum  zu  gewinnen;  tncüciaika  =  tnuma 
TOY  aikacthpioy;  hier  kommt  tnwciaika  tön  xphmatcon  dem  Begriffe  »gerichtliche  Vermögens- 
konfiskation« gleich.  II  17  kaFoikiac  =  kaFFoikiac  =  kac  FoikIac.  ||  Schluß  wie  Baunak.  || 
18  eAiKACAMec,  nicht  -men.  Die  untere  Hälfte  des  C  ist  noch  deutlich.  Dies  scheint  der 
erste  arkadische  Beleg  für  die  i.  P.  Plur.;  vgl.  Bück?  §  223a  und  138,  3.  ||  19  Das  VV  in 
ÄnYceAOMiN[oc],  für  ÄnYAeA-,  ist  sicher.  ||  22  Zu  dem  auch  aus  Tegea  bezeugten  »home- 
rischen« Worte  AMATA  können  wir  noch  eine  Parallele  anführen.  In  dem  Beschlüsse  von 
Tegea,  den  Fougeres  gefunden  und  seinem  Mitarbeiter  Berard  zur  Veröffentlichung  über- 
lassen (Bull.  hell.  XVI,  1892,  543,4  =  Dittenberger,  Syll.*  465  =  Michel  190),  kann 
man  auf  dem  von  Fougeres  seinerzeit  an  Frank el  übersandten  Abklatsche  eben  noch 
erkennen:  b'nwc  '°  01  AOinol  AefcoNTec  tan  täc  nÖAioc  e[Y] " xapictIan  anapgc  XrAeoi  ri- 
NWNTAi,  nicht  [lAJÖNTec.  Das  Wort  Ae^cei  war  schon  in  den  homerischen  Glossen  bei  Bekker, 
Anecd.  III,  1094  (vgl.  Hoff  mann,  Dial.  I,  103)  als  Eigentümlichkeit  der  KAeiTOPicoN  be- 
zeichnet, weil  es  in  einem  unbekannten  Lokalautor  von  Kletor  vorkam,  den  Zenodot  für  seine 
Paöccai  "OMMPiKAi  (Susemihll  330 ff.)  benutzt  haben  wird.  j|  23  ei  a' aa[ao]  V\ic  [^]atoi  ka- 
TooNN^  schon  Foug.  Mant.  Aber  aaaa  ist  gesichert,  und  das  n  in  cin'  wahrscheinlich,  »ei 
a' AAAA  TINA  ^ÄTAi  KATA  TWNAl,  ^MMeM<t>^c  cTnai«  j  »wenn  etwas  anderes  gegen  diese  Leute  zu- 
gelassen wird  (andere  sie  schädigende  Maßregeln),  soU  es  bescholten  sein«. 

Diese  Bemerkungen  mögen  hier  genügen.  Ihr  Zweck  ist  erfüllt,  wenn  sie  anderen 
Anlaß  zur  Stellungnahme  geben,  damit  die  Kritik  der  Bearbeitung  im  Korpus  zugute  komme. 

III.    Lasion. 

»Als  ich«  — schreibt  mir  Hr.  Lattermann —  »von  Lasion  nordöstlich  nach  Psophis 
ritt,  stieß  ich  nach  etwa  einer  halben  Stunde  auf  einige  große  Kalksteinquadern,  wohl  von  einem 
Wartturm.  Die  Reste  sind  vielleicht  identisch  mit  den  von  Vi  seh  er,  Erinnerungen  S.  475, 
erwähnten :  ,Eine  halbe  Stunde  von  der  Ostseite  soU  nach  Aussage  eines  Bauern  aus  Kumani, 
der  mir  als  Führer  diente,  noch  ein  wohlerhaltener,  einzelner  hellenischer  Turm  liegen, 
welchen  ich  aber  nicht  selbst  gesehen  habe  (Polyb.  V,  102)';  oder  wir  haben  nun  das  zweite 
Glied  einer  Kette  von  Grenztürmen.  —  Übrigens  ist  Vis  eher  s  Beschreibung  von  Lasion 
mustergültig  und  erschöpfend.« 

In  Kumani  schrieb  und  klatschte  Hr.  Lattermann  folgende  drei  aus  dem  alten  Lasion 
stammende  Inschriften  ab  (Häuser  des  Konstantinos  Drubas,  der  Aikaterine,  Witwe  des 
Andreas  Philippopulos  imd   des  Theodoros  Pappalis),   die  wir  hier  mitteilen,  weil  sie  nach 

^    Hierfür   den    entsprechenden  attischen  Ausdruck   einzusetzen   ist   nicht   leicht;   die 
•  Xn6<i>ACic  TOY  AIKACTHPIOY  ist  tatsächHch  eine  aihmgycic  xphmatwn. 

^  Auch  das  delische  Korpus  wird,  wie  ich  Hrn.  Dürrbachs  Mitteilungen  entnehme, 
Belege  für  den  Namen  Tn.  bringen. 


Arkadische  Forschungen.  17 

der   Einteilung    des   Korpus,    die   nur    den   Landesgrenzen    des   Pausanias    folgen   kann,   zu 
p]lis  gehört: 

1.  Stele,  h.  0.335  i"i  1-  °-5o  ^^^-  Prachtschrift  des  4.  Jahrhunderts,  h.  0.025  ni.  AE 
MNOP  S     J2  (mit  sehr  langen  Horizontalen). 

"•InnÖNiKOC  2 KAecüN-fMü),  3'ApictoaaTaac,  4'-'|nneiA.  Darunter  die  Erbauungszeit  des  Hauses: 
28.  MaToc  1888. 

2.  Stele,  oben  und  unten  gebrochen,  1.  0.56  ni,  gr.  II.  0.57  m,  t.  0.14  ni.  Schrift  ein- 
facher, kaum  jünger.   Die  Zeilen  sind  durch  gerauhte  Streifen  in  eleganter  Weise  getrennt.  A,  M. 

MeA  -  -         ^Kaaai--         sc^iaina. 

3.  Stele,  links  Rand,  gr.  L.  0.20  m,  h.  0.40  ui,  t.  0.14  m.  Gute  Schrift  derselben  Zeit 
auch  auf  glatten  Streifen,  darüber  ein  fein  gerauhter  Streifen,  darunter  ebenfalls  rauh. 
H.  0.016  m.     AEMI. 

leNOTIMA. 

iVlle  drei  Denkmäler  von  sehr  guter  Ausführung  und  wohl  sicher  der  arkadischen 
Zeit  angehörig  (vgl.  B.  Niese  im  Genethliakon  für  Carl  Robert  1910,    I2ff.). 

F.  V.  H. 


Phil-hist.  Klasse.    1911.    Anhang.    Abh.  IV. 


OPXOMEN 

ARKADIE 
und  die  duvxeXoOöa 


Abb.  4. 

Abkürzungen.     Moderne   Ortsnamen:    ■'At(cixaaoc).      By(tina).     Ah(mitcana).      KA(AnAKi).      Kap(ytaina) 
Ae(BiAiON).     MA(ro^AiANA).     Ne(MiTCA).     nY(prAKi).     '"Po(yci).     Tpin(oAic).     Xü)(toyca). 

Chausseen. 


Orchomenos  mit  Methydrion,  Thisoa  und  Theuthis.    Kaphyai. 

Von  H.  Lattermann. 

Das  arkadische  Orchomenos  war  noch  nicht  so  untersucht  worden, 
wie  es  seiner  Bedeutung  zukam,  und  eine  zeichnerische  Aufnahme,  ohne 
die  über  die  Aussichten  einer  Grabung  nicht  gut  entschieden  werden  kann, 
fehlte  noch  völlig.    Die  Aufnahme,  die  ich  im  Juni  1 9 1  o  innerhalb  8  Tagen 


F.  Hiller  von  Gaertringen  u.  H.  Lattermann:   Arkad.  Forschungen.     19 

mit  Bandmaß  und  Bussole  anfertigte,  galt  vor  allem  der  älteren  Ansied- 
lung  auf  dem  Kamm  des  936  m  hohen  Berges,  der  sich  in  beherrschender 
Lage  an  der  großen  SN-Straße  von  Sparta  über  Tegea  und  Mantinea  nach 
Stymphalos  und  dem  Isthmus  etwa  300  m  über  den  Ebenen  erhebt.  Schon 
Pausanias  sah  von  dieser  Stadt  nur  mehr  Trümmer;  damals  wurden  die 
sanften  Hänge  im  S  und  SW,  unterhalb  des  alten  Mauerringes,  bewohnt, 
wo  noch  mannigfache  Reste  von  Gebäuden  in  Kalkstein  und  Marmor  zu 
bemerken  sind,  zwischen  den  Dörfern  KaahAki  im  S  und  'Poyci  im  W. 
Darüber  hinaus  umfaßt  die  Aufnahme  einen  Teil  der  nördlichen  Ebene 
und  die  ganze  südliche  bis  zu  ihrem  jetzigen  Hauptort  AesiAiON  und  dem 
niedrigen  Grenzgebirge  gegen  die  Mantinike,  der  Anchisia,  an  deren  nörd- 
lichem Fuß,  auch  den  Mantineern  heilig,  der  Bezirk  der  Artemis  Hymnia 
lag;  ein  großes  Scherbenfeld  in  der  Nachbarschaft  scheint  zu  erweisen, 
daß  hier  (nicht  bei  Agbiaion,  wie  meist  vermutet  wird)  der  Ort  P^lymia 
gelegen  habe,  den  Xenophon  in  der  Erzählung  des  Zuges  des  Lykomedes 
von  Mantinea  gegen  Orchomenos  erwähnt  (Hell.  VI  5,  13).  Die  nördliche 
Ebene,  etwa  10  m  niedriger  als  die  südliche,  war  schon  zu  Pausanias' 
Zeit  versumpft  und  trocknet  auch  heutzutage,  von  einem  kräftigen  Wasser- 
lauf abgesehen,  der  sich  in  eine  Katavothre  ergießt,  erst  Ende  Juni  aus; 
dann  bietet  sie  allerdings  dem  Maisbau  einen  günstigen  Boden.  Von 
dieser  Ebene  besaß  Orchomenos  nur  die  östliche  Hälfte,  in  der  sich  die 
Wege  nach  Pheneos  und  Stymphalos  scheiden;  die  westliche  Hälfte  ge- 
hörte der  Stadt  Kaphyai,  die  sich,  geschützt  durch  den  ihr  Gebiet  durch- 
strömenden Fluß  und  einen  starken  Damm  parallel  zu  diesem  (nicht  quer, 
wie  Gurt  ins  meint),  der  mächtigen  Rivalin  gegenüber  selbständig  zu  halten 
wußte.  Die  ganze  Situation  macht  man  sich  am  besten  von  dem  Gipfel 
des  orchomenischen  Burgberges  klar,  indem  man  die  knappe  und  treffende 
Periegese  des  Pausanias  verfolgt;  im  übrigen  eröffnet  sich  von  dieser  Stelle 
aus,  die  ein  mittelalterlicher  Turm  krönt,  ein  Panorama  von  stiller  Er- 
habenheit und  Geschlossenheit  ohnegleichen,  bestimmt  durch  den  Gegen- 
satz der  großen  Ebenen  und  der  sie  rings  umschließenden  majestätischen 
Gebirgszüge.  \ 

Die  Formation  des  Burgberges  ist  auf  den  bisherigen  Karten  nicht 
richtig  gezeichnet;  er  öffnet  sich  mit  einem  ganz  leichten  Bogen  nach  0, 
und  dieser  Sichelform  paßt  sich  der  Mauerring  an,  eine  einheitliche  An- 
lage aus  der  Zeit  des   Epaminondas,   die   allerdings   manche   spätere  Aus- 


20  F.  Hiller  von  Gaertringen  und  H.  Latter  mann: 

flickung  aufweist.  An  Türmen  sind  noch  gegen  30  zu  erkennen,  zum 
Teil  in  mehreren  Lagen;  die  Kurtinen  sind  weit  schlechter  erhalten.  Tore 
scheinen  nur  zwei  vorhanden  gewesen  zu  sein,  eines  an  der  SO-Ecke,  von 
wo  man  auf  dem  kürzesten  Wege  zu  der  Quelle  unterhalb  Kalpaki  hinab- 
steigt, und  das  andere  in  der  Mitte  der  W- Seite  oberhalb  der  Brücke, 
die  den  Burgberg  mit  dem  etwas  höheren  "A.  'Haiac  verbindet,  auch  dies 
in  der  Nähe  einer  Quelle.  Das  Innere  ist,  namentlich  in  der  südlichen 
Hälfte,  erfüllt  von  Terrassenmauern  verschiedener  Zeit,  deren  keine  mit 
Sicherheit  als  so  altertümlich  zu  bezeichnen  ist,  daß  sie  als  Rest  einer 
älteren  Befestigung  in  Anspruch  genommen  werden  könnte;  anderseits 
lehren  Mauern  in  guter  Quadertechnik  und  Vasenscherben,  daß  man  hier 
oben  bis  tief  in  die  hellenistische  Zeit  hinein  wohnte. 

Von  erheblicher  Bedeutung  dürfte  es  sein,  namentlich  für  die  Frage, 
ob  sich  Ausgrabungen  lohnen,  daß  sich  die  Stätte  der  alten  Agora  sicher 
nachweisen  läßt;  es  ist  ein  dreieckiges  Plateau  mit  der  Spitze  nach  S, 
hier  von  gut  erhaltenen  Terrassenmauern  getragen,  mit  Säulenhallen  und 
Zisternen.  An  dieser  Stelle  ist  im  Jahre  1 906  die  wichtige  Dialekturkunde 
über  einen  Synoikismos  der  Städte  Orchomenos  und  Euaimon  gefunden 
worden,  die  A.  v.  Premerstein  in  den  Athenischen  Mitteilungen  von  1909 
veröffentlicht  hat;  eine  Grabung  an  dieser  Stelle  dürfte  sich  lohnen  und 
u.  a.  durch  die  Auffindung  weiterer  offizieller  Urkunden  unsere  Kenntnis 
des  arkadischen  Dialekts  erheblich  fördern. 

In  den  wechselvollen  Kämpfen  der  hellenistischen  Zeit  war  Orcho- 
menos immer  ein  wichtiger  Stützpunkt  für  strategische  Operationen;  Kleo- 
menes,  dann  Antigonos  Doson  und  Philipp  V.  hielten  es  mit  Zähigkeit  fest, 
da  sie  wußten,  daß  sie  von  hier  aus  einen  großen  Teil  des  Peloponnes  be- 
herrschten. Dem  beschriebenen  Mauerring  muß  ein  älterer  vorausgegangen 
sein,  von  dem  sich  keine  sichere  Spur  mehr  nachweisen  läßt;  aber  aus  Thu- 
kydides  (V  61)  erfahren  wir,  daß  Orchomenos  wenigstens  im  Jahre  418  eine 
Befestigung  besaß,  die  freilich  so  schwach  war,  daß  die  Orchomenier  ihre 
Stadt  ohne  weiteres  übergaben,  als  die  Athener  und  Argeier  anrückten.  Die 
Rivalität  mit  Mantinea  drängte  Orchomenos  seit  alters  zum  Anschluß  an 
Sparta,  und  es  ist  bezeichnend  für  dies  Verhältnis,  daß  im  sogenannten 
zweiten  messenischen  Krieg  die  Messenier  durch  den  Verrat  des  Königs 
Aristokrates  von  Orchomenos  unterlegen  sein  sollen.  Im  übrigen  geht  aus 
dieser  Erzählung  hervor,  daß  das  orchomenische  Reich  damals  weit  nach 


Arkadische  Forschungen.  21 

SW  hinül) ergriff.  Nachdem  aber  nun  im  5.  Jahrhundert  Mantinea  und 
kurz  vor  der  Schlacht  bei  Leuktra  auch  Kletor  um  sich  gegriffen  hatten, 
waren  von  diesen  Besitzungen  nur  noch  die  CYNTeAo9cAi  nÖAeic  im  mittleren 
und  südwestlichen  Arkadien  übriggeblieben  —  Pausanias  (VIII  27,  4)  nennt 
Methydrion,  Thisoa  und  Teuthis  — ,  die  der  mächtigeren  Stadt  tribut- 
pflichtig waren,  bis  die  Gründung  von  Megalopolis,  die  von  Mantinea  im 
Anfange  eifrig  unterstützt  wurde,  die  Macht  von  Orchomenos  brach  und 
die  Bewohner  der  cYNTeAo9cAi  nÖAeic  zur  Teilnahme  an  dem  großen  Synoi- 
kismos  zwang. 

Kaphyai  wahrte  auch  damals  seine  Selbständigkeit,  was  der  Stadt  ge- 
wiß durch  die  Eifersucht  von  Megalopolis-Mantinea  gegen  Orchomenos  er- 
leichtert wurde.  Übrigens  war  die  Lage  von  Kaphyai,  das  z.  B.  Curtius 
nicht  besucht  hat,  umstritten:  die  einen  setzten  es  im  NW,  die  andern  etwa 
'/4  Stunde  entfernt  im  SW  der  Ebene  an.  Tatsache  ist,  daß  sich  an  der 
erstgenannten  Stelle  die  Reste  eines  Mauerringes  mit  Rundtürmen  finden; 
die  Zeit  dieser  Befestigung  dürfte  etwas  später  sein  als  die  des  Mauer- 
ringes von  Orchomenos.  Über  das  Stadtgebiet  ist  eine  Fülle  von  Kalk- 
stein- und  Marmortrümmern,  von  Ziegel-  und  Vasenscherben  verstreut,  und 
im  W,  am  Fuße  des  Gebirges,  entspringt  die  starke  Quelle,  von  der  Pau- 
sanias berichtet.  Im  S  wird  daher  der  i  Stadion  von  Kaphyai  entfernte 
Ort  Kondylea  zu  suchen  sein,  bei  einem  niedrigen,  isolierten  Felsen  von 
etwa  150  Schritt  Umfang,  der  auf  seiner  flachen  W-Hälfte  von  starken 
Mauern  umwehrt  ist,  während  die  andere  Hälfte  noch  einmal  so  hoch  ist 
(etwa  30  m)  und  zahlreiche  Votivnischen  aufweist.  Höchstwahrscheinlich 
war  dieser  merkwürdige  Fels  (Abb.  6)  in  das  Heiligtum  der  Artemis  von 
Kondylea  einbezogen.  Dann  wird  man  geneigt  sein,  das  Heiligtum  der 
Artemis  mit  dem  Beinamen  »vom  Berge  Knakalos«  in  der  entgegengesetzten 
Richtung,  in  den  niedrigen  nördlichen  Vorbergen  zu  suchen.  Als  ich  von 
Pheneos  her  auf  ungewöhnlichem  Wege  nach  Kaphyai  ritt,  bemerkte  ich 
unweit  des  Dorfes  Kato-Agali,  etwas  oberhalb  der  Ebene,  ^j^  Stunde  von 
der  alten  Stadt  entfernt,  ein  sehr  altertümliches  rechteckiges  Mauerwerk 
von  großen,  roh  bearbeiteten  Steinen,  daswielleicht  mit  dem  genannten 
Heiligtum  in  Verbindung  zu  bringen  ist  (Taf.  VIII  3).  In  der  Schlucht,  die 
zu  dieser  Stelle  hinabführt,  ist  das  Gestein  von  auffallend  gelber  Farbe, 
was  zu  der  Bedeutung  des  Namens  Knakalos  (knaköc  =  gelb  wie  der  Saflor) 
gut  passen  würde,  während  die  Farbe  des  isolierten  Felsens  im  S  grau  ist, 


22  F.  Hiller  von  Gtaert ringen  und  H.  Lattermann: 

wie  gegenüber  Curtius  zu  betonen  ist.  Die  Reste  bei  Kato-Agali  waren 
bisher  anscheinend  unbekannt. 

Die  geringe  Neigung  der  ziemlich  breiten  Ebene  von  Kaphyai  nach  0 
zwingt  den  von  0  her  kommenden  Fluß  zur  rechtwinkligen  Umbiegung  nach  S, 
der  Katavothre  zu  (s.  die  Übersichtskarte  S.  1 8),  so  daß  die  Ebene,  wie  mir 
versichert  wurde,  auch  heutzutage  noch  fast  völlig  von  Überschwemmungen 
verschont  bleibt.  Diese  natürlichen  Verhältnisse  sind  für  die  Erklärung  der 
Selbständigkeit  und  Bedeutung  von  Kaphyai  neben  Orchomenos  von  erheb- 
licher Wichtigkeit.  Sie  erweisen  auch  in  Verbindung  mit  der  Lage  der  Stadt 
und  der  Angabe  des  Pausanias,  die  Straße  Orchomenos-Kaphyai  sei  dem  öst- 
lichen Rande  des  Burgberges  gefolgt,  daß  diese  dann  an  der  engsten  Stelle 
Ebene  und  Fluß  überschritten  und  weiterhin  am  nördlichen  Rande  der 
Ebene  sich  hingezogen  habe.  —  Auf  dem  Stadtgebiet  von  Kaphyai  wurde 
die  archaische  Bronzestatuette  eines  adorierenden  Jünglings  (Taf.  XIII  2)  ge- 
funden; sie  steht  in  der  Gebundenheit  der  Haltung,  der  starken  Betonung 
der  Arm-  und  Beinmuskulatur,  der  breiten  Brust  gegenüber  schmalem  Unter- 
körper, der  mangelhaften  Gresichtsbildung,  den  sogenannten  Apollines  nahe. 

Wenn  Orchomenos  nach  Expansion  strebte,  so  schoben  ihm  im  0  und 
NO  die  hohen  rauhen  Gebirge,  im  NW  Kaphyai  mit  seinem  Fluß,  im  S  Man- 
tinea  mit  seiner  reichen  Ebene  einen  Riegel  vor.  Aber  im  SW  lag  hinter 
dem  waldreichen  Mainalon  ein  ärmeres  Land,  erfüllt  von  Gebirgen  mit  tief 
eingeschnittenen  Flußtälern,  das  eine  größere  Ansiedlung  von  selbständiger 
Bedeutung  nicht  aufkommen  ließ.  Hier,  im  Herzen  Arkadiens,  lag  in  looom 
Höhe  Methydrion,  einigermaßen  wichtig  nur  wegen  seiner  Lage.  Wenn 
es  den  Mantineern  in  ihrer  alten  Feindschaft  gegen  Sparta  einmal  gefiel, 
einem  spartanischen  Heere  den  Durchzug  durch  ihre  Ebene  zu  verwehren, 
so  stand  diesem  noch  der  freilich  etwas  beschwerlichere  Umweg  über  Me- 
thydrion offen;  es  konnte  also  Sparta  nur  erwünscht  sein,  wenn  das  ihm 
zugeneigte  Orchomenos  auf  diesen  Platz,  der  die  südnördliche  Parallelstraße 
beherrschte,  seine  starke  Hand  hielt.  Ebenso  günstig  lag  die  Stadt  an 
der  großen  Straße,  die  ostwestlich  den  Peloponnes  durchquerend,  vom 
Isthmus  nach  Olympia  führte.  Auch  heutzutage  wieder  zieht  sich  eine 
große  Chaussee,  die  den  jetzigen  Hauptort  Arkadiens,  Tripolis,  mit  dem 
Westen  verbindet,  unterhalb  Methydrions  vorbei. 

Der  Ort  hatte  seinen  Namen  von  seiner  Lage  zwischen  zwei  kleinen 
Flüssen,  die  im  W  und  0  den  Fuß  des  Stadtberges  bespülen  und  sich  an 


Arkadische  Forschungen.  23 

seinem  N-Fuß  vereinigen,  nachdem  der  wasserreichere  westliche  noch  eben 
einen  kräftigen  Zufluß  (Bach  von  Kopooiyaiä  oder  A^ci)  aufgenommen  hat; 
die  vereinigten  Gewässer  streben  dann  als  Fluß  von  BytIna  in  engem  Tale 
nordwärts  dem  Ladon  zu.  So  hat  die  Lage  von  Methydrion  große  Ähn- 
lichkeit mit  der  unseres  Münden  an  der  Vereinigung  von  Werra  und  Fulda. 
Die  nördlichen  und  westlichen  Hänge  des  Stadtberges  über  der  Chaussee 
und  den  Flüssen  sind  hoch  und  sehr  steil,  und  von  hier  aus  gesehen 
konnte  der  Stadtberg,  abgesehen  von  der  absoluten  Höhe,  sehr  wohl  als 
relativ  hoch  bezeichnet  werden  (vgl.  Roß  ii6).  Sanfter  sind  die  Hänge 
im  0  und  S.  Hier  sind  denn  auch  noch  Reste  von  starken  Türmen  und 
Mauern  zu  erkennen,  die  dem  5.  Jahrhundert  v.  (3hr.  anzugehören  scheinen; 
denn  da  Methydrion  bei  der  Gründung  von  Megalopolis  zu  einer  einfachen 
Kome  dieses  Bundesstaates  herabsank,  so  ist  nicht  gut  anzunehmen,  daß 
es  danach  noch  eine  Befestigung  erhalten  habe,  es  sei  denn  zur  Zeit  der 
Tyrannis  des  Nearchos,  vor  etwa  234  v.  Chr.,  der  aber  vielleicht  nur  die 
älteren  Mauern  auszubessern  brauchte.  Die  Technik  der  Mauern  scheint 
dem  älteren  Ansätze  zu  entsprechen.  Die  schon  von  Natur  geschützten 
Steilhänge  sind  vielleicht  überhaupt  nicht  befestigt  gewesen.  Das  Haupt- 
tor hat  offenbar  im  SO  gelegen,  wo  ein  Sattel  zu  einem  Plateau  mit  dem 
Namen  rTAAAioNeMNiTCA  hinüberleitet,  vielleicht  der  Stätte  des  alten  Schoinus. 
Das  Stadtgebiet  von  Methydrion  selbst  ist,  abgesehen  von  felsigen  Kuppen 
im  N,  leidlich  eben  und  heut  mit  Wein  und  Getreide  bebaut.  Scherben 
von  Ziegeln  und  gewöhnlicher  Topfware  liegen  in  Massen  zu  Tage. 

Pausanias  überliefert  uns  für  die  beiden  Flüsse  von  Methydrion  die 
Namen  Mylaon  und  Maloitas  und  erklärt,  daß  am  Mylaon  ein  Tempel  des 
Poseidon  Hippios  gelegen  habe;  über  dem  Maloitas  aber  habe  sich  das 
Thaumasiongebirge  mit  einer  Grotte  der  Rhea  erhoben.  Tatsächlich  sind 
schon  vor  vielen  Jahren  3  Minuten  südlich  der  Stadt  in  Nähe  des  west- 
lichen Flusses  die  Reste  eines  dorischen  Tempels  bemerkt  worden,  den  die 
Griech.  Archäolog.  Gesellschaft  im  Jahre  1858  oder  1859  (Frazer  Paus.lV363) 
auszugraben  plante.  Wenn  dies  der  Poseidontempel  war,  so  werden  wir 
den  benachbarten  Fluß  den  Mylaon  nentien  dürfen.  Anderseits  liegt 
dann  das  Thaumasion  im  0,  jenseits  des  anderen  Flusses,  d.  h.  des  Maloitas. 
In  der  Tat  berichtet  die  MeevAPiÄc  (S.  78)  von  Papazapheiropulos,  einem 
Geistlichen  aus  Bytina,  daß  in  dem  waldreichen  Höhenzuge,  der  östlich  von 
Methydrion  dem  Mainalon  vorgelagert  ist,  sich  eine  schwer  zugängliche  Grotte 


24  F.  Hiller  von  Gaert ringen  und  H.  Lattermann: 

finde,  die  er  für  die  der  Rhea  hält.  —  Angesichts  des  Rheakultes  ist  es 
nicht  verwunderlich,  daß  auch  ihr  Sohn  Zeus,  dessen  Kultbeiname  Hoplo- 
smios  für  den  Ort  inschriftlich  bezeugt  ist,  in  Methydrion  besondere  Ver- 
ehrung genoß.  Das  bestätigt  auch  die  Bronzestatuette  (Taf.  XIII  i),  die 
unmittelbar  unter  den  Mauern  der  Stadt  gefunden  wurde  und  Zeus  so  dar- 
stellt, wie  er  z.  B.  aus  Olympia  und  Dodona  bekannt  ist,  nur  daß  die  Statuette 
von  Methydrion  ein  Beispiel  roher  Provinzialkunst  ist.  Vielleicht  sind  die 
Trümmer  eines  Tempels  inmitten  des  Stadtbezirks,  von  dem  man  nicht  gut 
sagen  kann,  er  habe  an  dem  einen  oder  andern  Fluß  gelegen,  für  den 
Zeuskult  in  Anspruch  zu  nehmen. 

Auf  der  vorher  genannten  Chaussee  gelangt  man  in  westlicher  Rich- 
tung ansteigend  in  30  Minuten  zu  einer  kleinen  Erweiterung  des  Tales, 
das  der  Bach  Aeci  durchfließt.  Am  westlichen  Ausgang  tritt  eine  steile 
steinige  Kuppe  von  N  her  dicht  an  das  Bachbett  heran;  ihr  gegenüber 
sendet  das  MAAAPA-Gebirge  (seinem  Namen  »das  Kahlköpfige«  widerspre- 
chend) hohe  bewaldete  Vorberge  zum  Bach  hinunter.  An  dieser  engen 
Stelle  zweigt  sich  heute  die  Chaussee  nach  dem  nordwestlich  1350  m  hoch 
gelegenen  Mapo^aiana  von  der  nach  Ahmitcäna  ab,  und  im  Altertum  müssen 
sich  hier  die  Straßen  nach  Olympia  und  Thelphusa  getrennt  haben.  Nahe 
diesem  Dreiweg  nun  hatten  schon  frühere  Reisende  (Leake,  Roß)  in  der 
kleinen  Ebene  —  TTeTPOBOYNi  heißt  heute  die  Flur  —  einen  nach  0  orien- 
tierten Tempel  aus  Kalkstein  gesehen.  Herr  v.  Hiller  ließ  diese  Reste  in 
wenigen  Tagen  freilegen,  und  es  ergaben  sich  die  Fundamente  eines  templum 
in  antis  hellenistischer  Zeit,  das  aber  einen  älteren  Bau  ersetzte.  Die  Maße 
sind  25X50  griechische  Fuß  zu  0,328  m.  Ringsum  kamen  Fragmente  von 
Stirnziegeln  mit  plastischen  Palmetten  und  von  plastisch  verzierten  halbrunden 
First- Akroterien  zutage;  ferner  u.  a.  das  Bruchstück  eines  mit  einem  Stab- 
muster bemalten  lesbischen  Kymas,  wohl  von  dem  älteren  Bau  herrührend. 

Für  die  Zuweisung  des  Tempels  an  eine  bestimmte  Gottheit  gibt  es 
mehrere  Anhaltspunkte.  Zwei  Minuten  westlich  des  Tempels  wurde  dicht 
am  Bach,  wo  der  Abfluß  einer  starken  Quelle  sich  ergießt,  die  merk- 
würdige Bronzegruppe  (Taf.  XIII  3)  gefunden:  auf  einer  Basis  vier  widder- 
artige aufrechte  Gestalten,  die  eng  verbunden  im  Kreise  tanzen.  Der  Gott, 
dem  zu  Ehren  die  Gestalten  tanzen,  kann  nur  Hermes  sein,  der  uralte 
arkadische  Widdergott.  Aber  Hermes  ist  auch  der  Wegegott,  und  recht 
eigentlich  als  dieser  wird  er  hier  am  Dreiweg  verehrt  worden  sein.     Da- 


Arkadische  Forschungen.  25 

fiär  spricht  außer  der  Örtlichkeit  selbst  die  hübsche  Geschichte  Theopomps, 
die  uns  bei  Porphyrios  erhalten  ist  (De  abstin.  11 16):  Ein  reicher  Bürger 
von  Magnesia  in  Kleinasien  reist  nach  Delphi  und  hofft,  das  Orakel  werde 
seine  opferwillige  Götterverehrung  des  höchsten  Lobes  wert  erachten;  aber 
das  Orakel  rät  ihm,  zu  Klearch  von  Methydrion  in  die  Schule  zu  gehen, 
der  trotz  beschränkter  Mittel  auf  das  gewissenhafteste  und  uneigennützigste 
den  Göttern  seinen  Tribut  darbringt;  so  auch  dem  Hermes  und  der  Hekate, 
—  Offenbar  war  diesen  Wegegottheiten  unser  Tempel  geweiht. 

Wir  verfolgen  weiter  die  Straße  nach  Demitsana  über  grüne  Matten 
und  durch  prächtig  bewaldete  Schluchten.  Plötzlich  öffnet  sich  von  einer 
hohen  Straßenkehre  aus  der  Ausblick  in  eine  geräumige  Ebene,  KÄwnoc 
Ahmitcänac  genannt.  Tief  unten  treibt  ein  Waldbach  eine  Mühle  (von 
Kapkaaoy),  jenseits  aber  springt  mit  schmalem  Kamm  ein  hoher  steiler 
Berg  gebietend  in  die  Ebene  hinein:  es  wäre  verwunderlich,  wenn  sich 
auf  und  hinter  diesem  Berge,  der  den  Paß  und  die  fruchtbare  Ebene  be- 
herrscht, keine  alte  Ansiedelung  fände.  Und  doch  sind  so  hervorragende 
Beobachter  wie  Leake,  Roß,  Curtius  ahnungslos  daran  vorübergeritten. 
Oben  aber  haben  sich  in  etwa  1050  m  Höhe  ansehnliche  Reste  einer  ziem- 
lich alten  Befestigung  erhalten  mit  starken  Türmen  und  einem  über  eine 
Rampe  und  eine  Treppe  zugänglichen  Tor.  Die  NS- Achse  der  Befestigung 
mißt  allerdings  nur  1 60  m ;  diese  kann  also  nur  eine  Akropolis  umschlossen 
haben,  an  die  auf  den  rückwärtigen  flachen  Hängen  sich  eine  offene  An- 
siedelung angelehnt  haben  wird;  hier  ist  denn  auch  einmal  von  einem 
Priester  aus  Demitsana  ein  viereckiges  Gebäudefundament  freigelegt  worden. 
Schon  die  französische  Kommission  hat  auf  ihrer  Karte  die  Ruinen  mit 
dem  alten  Thisoa  (nicht  zu  verwechseln  mit  Thisoa  am  Lykaion)  identi- 
fiziert. Rangabe  (Excursion  en  Arcadie  348)  hat  sich  ihr  angeschlossen, 
zweifellos  mit  Recht.  Denn  nach  Pausanias  (VIII  28)  war  dies  Thisoa 
dem  Gebiet  von  Methydrion  benachbart  —  bei  Petrobuni  mag  die  Grenze 
gewesen  sein  —  und  anderseits  lagen  nach  demselben  die  Quellen  des 
Gortynios-Lusios  im  Gebiete  von  Thisoa;  dieser  Fluß  aber  ist  fraglos  der- 
jenige, dessen  stärkste  Quellen  im  nördlichen  Teil  der  Ebene  hegen  und 
der  weiterhin  an  Demitsana  und  dem  alten  Gortys  vorüber  dem  Alpheios 
zuströmt,  einer  der  schönsten  Gebirgsflüsse  Arkadiens. 

So  werden  wir  denn  auch  Teuthis  nicht  wie  Leake  und  Roß  jen- 
seits der  Wasserscheide  von  Lusios-Gortynios  und  Tuthoa,  im  Machtbereich 
Phil -hüt.  Klasse.    1911.   Anhang.   Abh.  IV.  ^ 


26  F.  Hiller  von  Gaertringen   und  H.  Lattermann: 

von  Tlielphusa,  ansetzen,  sondern  weiter  unterhalb  im  Tale  des  Gortynios, 
an  der  Stelle  von  Demitsana.  Hier  ist  auf  jähem  Felsjoch  über  dem  Flusse, 
mitten  zwischen  den  heutigen  Häusern,  ein  Stück  kyklopischer  Mauer  er- 
halten, ein  Zeuge  des  hohen  Alters,  das  Teuthis  zugeschrieben  wird.  Da- 
neben fehlt  es  auch  nicht  an  hoch  erhaltenen  Resten  einer  jüngeren  Be- 
festigung, die  vielleicht  erst  aus  den  späteren  Jahren  des  achäischen  Bundes 
(194 — 146  V.  Chr.)  stammt,  als  Methydrion,  Thisoa  und  Teuthis  für  kurze 
Zeit  ihre  Selbständigkeit  wiedererlangt  hatten. 


Bemerkungen  zu  den  Plänen  und  Abbildungen. 

Ich  beanspruche  nicht,  eine  Geschichte  der  fünf  Orte  zu  geben,  sondern  nur  Er- 
läuterungen zu  meinen  Aufnahmen,  die  im  übrigen  selber  sprechen  müssen.  Auch  enthalte 
ich  mich  im  allgemeinen  des  Versuches,  die  Mauerreste  zeitlich  festzulegen,  da  ich  mir  bewußt 
bin,  daß  dem  eine  sorgfältige  Aufnahme  aller  wesentlichen  Mauerreste  Arkadiens  und  des 
ganzen  Peloponnes  voraufgehen  müßte;  schließlich  durfte  auch  die  Beschreibung  der  zahl- 
reichen Terrassenmauern  von  Orchomenos  im  Rahmen  dieses  Berichtes  nicht  zu  sehr  ins 
einzelne  gehen. 

Abkürzungen  auf  den  Plänen :  Br  :=  Bronzefundstelle,  M  =  Mauer,  Seh  =  Scherben, 
T  =:  Tempel. 

Bei  der  schon  (S.  6)  gedachten  Förderung  unseres  Werkes  handelt  es  sicli  vor  allem 
um  die  Projektkarten  der  (inzwischen  ausgeführten)  Chaussee  "AaconIctaina  (i  130  m)-KAPKAAOY, 
an  der  Methydrion,  der  von  uns  ausgegrabene  Tempel  in  der  Flur  TTeTPOBOYNi  und 
Thisoa  liegen.  Die  Karten  sind  im  Jahre  1889  von  einer  »Mission  frangalse  des  ponts  et 
chaussees«  im  Maßstabe  i  :  2000  aufgenommen  worden  und  geben  in  Schiclitlinien  von  2 
zu  2  m  das  Gelände  zu  selten  der  projektierten  Chausseetrasse,  soweit  es  der  praktische 
Zweck  gebot.  Ich  kopierte  die  in  Betracht  konunenden  Abschnitte  nach  der  Rückkehr 
von  der  Reise  in  Tripolis.  - —  Ferner  nahm  ich  Einsicht  in  eine  von  griechischen  Be- 
amten angefertigte  Projektkarte  der  Chaussee  nach  AeBlAiON,  die  beim  Chani  TTaatca  von 
der  Chaussee  TpinoAlc-KAKOYPi  abzweigt.  Diese  Karte  hat  vor  der  französischen  den  Vor- 
zug, daß  sie  die  modernen  Namen  aller  Berge,  Fluren,  Bäche,  Kirchen  usw.  verzeichnet, 
die  an  der  geplanten  Trasse  liegen  oder  von  ilir  geschnitten  werden.  Es  dürfte  sich  lohnen, 
Teile  solcher  Karten  mit  archäologisch-spracldichem  Kommentar  zu  veröffentlichen. 

Orchomenos  und  Kaphyai. 

S  ituationsjjlan  (Taf.  I). 
Als  Basis  für  meine  Aufnahme  mit  der  Diopterbussole  entnahm  ich  der  französischen 
Karte  die  Entfernung  zwischen  dem  Turm  auf  dem  Burgberg  und  dem  südöstlich  davon 
auf  dem  Trachy.  Die  Schichtlinien  sind  zum  Teil  der  Karte  von  Phil ijjpson  entnommen, 
zum  Teil  beruhen  sie  auf  eigenen  Peilungen,  Skizzen  und  Photographien;  besonders  gilt 
dies    für   den    Burgberg   und   die  westlich    anstoßenden    Höhen.     Die    hellste   braune  Fläche 


Arkadische  Forschungen.  27 

hat  die  Höhe  von  650 — 700111;  Flächen  unter  650111  shid,  weil  im  wesentlichen  eben,  <rrnn 
getönt.  —  Die  bisherigen  Karten  lassen  die  belicrrschende  Lage  des  Burgberges  zwischen 
den  Ebenen  kaum  erkennen;  die  nach  O  offene  Sichelforin  seiner  Kuppe,  die  weit  nach 
N  vorgeschobene  Spitze,  die  Einbuchtung  der  nördlichen  p:i)ene  unterhalb  Rhusi  kouunen 
nicht  zum  Ausdruck. 

Die  Legende  des  antiken  Planes  (in  Steinschrift)  soll  zunächst  eine  Erläuterung  zu 
Pausanias  sein;  außerdem  verzeichnet  sie  alle  antiken  Reste,  die  ich  selbst  gesehen  habe. 
Mittelalterliches  ist  durch  linksgeneigte,  Modernes  durcii  rechtsgeneigte  Kursive  ge- 
kennzeichnet. 

Die  Reste  außerhall)  der  Ringmauer  —  über  deren  Verlauf,  namentlich  im  NW, 
allerdings  bisher  keine  Klarheit  herrschte  —  werden  großenteils  schon  von  früheren  Rei- 
senden erwähnt,  bedurften  aber  noch  der  Lokalisierung  in  einem  Plane.  Sehr  merkwürdig 
ist  nun,  daß  zwei  wichtige  Tempelruinen  am  W-Abhange  des  Burgberges  bisher  nicht  l)e- 
kannt  geworden  sind.  "A.  Ta3EIapxhc  heißen  die  Trümmer  eines  Teinpelchens  von  4.85  X  7.28  m 
(Verhältnis  3  : 4)  mit  dem  Eingaug  wohl  von  W.  Die  Ecken  sind  nocii  leidlich  gut 
erhalten,  besonders  die  SW-Ecke,  wo  fünf  Schichten  regelmäßiger  Kalksteinquadern  mit 
leicht  gebauchten  Stirnflächen  in  situ  liegen  (Höhe  1.28  m,  Schichthöhen  von  unten  nach 
oben  27.5,  25.5,  27,  26,  22  cm);  Quaderlänge  97,  -breite  47  cm;  Mauerstärke  72  cm. 
Vier  Minuten  nördlich  liegt  ein  ähnlicher  Tempelrest  von  4.80  X  6.78  in,  sicher  von  W 
zugänglich.  Am  l)esten  erhalten  ist  seine  NW-Ecke,  wo  auf  regelmäßig  geschnittenen 
Orthostaten  von  64  cm  Höhe  eine  Quaderschicht  von  36  cm  ruht  (Mauerstärke  85  cm). 
Beide  Tempelruinen  liegen  an  einein  Wege,  der  auch  im  Altertum  als  kürzeste  und 
bequemste  Verbindung  der  beiden  Ebenen  nächst  dem  Wege  durch  die  Charadra  seine 
Bedeutung  gehabt  haben  muß.  Anderseits  macht  die  Lage  der  Tempel,  ihre  Orien- 
tierung und  ihre  Kleinheit  wenig  wahrscheinlich,  daß  sie  den  Hau])tgottheiten  Poseidon 
und  Aphrodite  geweiht  waren.  Vielleicht  darf  man  an  Pan  (der  auch  auf  Münzen  vor- 
kommt) und  Hekate  denken.  Von  den  sonstigen  Resten  sei  hervorgehoben  die  Kalk- 
steinmauer  westlich  von  Kalpaki,  in  deren  Nähe  einige  große,  anscheinend  unfertige  Marmor- 
quadern (1.09X1.11X0.31111  [Höhe])  liegen.  Bei  der  Kirche  von  Kalpaki  liegen  noch  zwei 
der  \o\\  I)  od  well  ausgegrabenen  Kajiitelle,  bis  zur  Unkenntlichkeit  zerschlagen;  in  der 
Kirche  selbst  liegen  vor  dem  Ikonostasion  drei  Marinorbalken,  darunter  ein  Türsturz  von 
1.50111  Länge.  —  Schließlich  ist  darauf  hinzuweisen,  daß  die  Kapellenruine  '"Ä.  ''Iuannhc  im 
südöstlichen  Winkel  der  oberen  Ebene  großenteils  aus  Werkstücken  eines  ansehnlichen  Kalk- 
steintempels  besteht;  u.  a.  fällt  eine  Hängeplatte  auf,  die  mit  der  Auflagerfläche  für  das 
Gebälk  nach  vorn  gekehrt  ist  und  1.83x0.69X0.23  (Höhe)  mißt.  Die  Scherben,  die  bis 
zur  TTANAriA  den  Boden  bedecken,  rühren  meist  von  Ziegeln  her;  doch  sah  ich  auch  mehrere 
Webegewichte.  Die  TTANAriA  selbst  zeigt,  soweit  sie  nicht  getüncht  ist,  eine  ganze  Reihe 
großer  Marmorcpiadern,  die  mit  byzantinischen  Ornamenten  überzogen  sind. 

Die  Ortschaft  Elymia  wird  von  Leake  und  Kiepert  unterhalb  Lebidion  am  westlichen 
Wege  nach  Orchomenos  angesetzt;  dort  hat  ersterer  Ruinen  verschiedener  Gebäude  aus 
Quadern  gesehen.  Ich  konnte  davon  nichts  mehr  fi'Wden;  doch  mag  an  jener  Stelle  ein  Ort 
gelegen  haben,  vielleicht  die  aus  dem  Synoikievertrage  bekannte  Gemeinde  der  Euaimnier. 
Aber  Elymia  ist  nach  Xenophons  Erzählung  an  der  Straße  nach  Mantinea  zu  suchen,  und 
das  Scherbenfeld  weist  ja  darauf  hin,  daß  dort  eine  antike  Ortschaft  gelegen  hat;  den  Be- 
wohnern lag  wohl  zugleich  die  Bewachung  des  hochheiligen  Artemistempels  ob. 


28 


F.  HiLLEK  VON  Gaertringen  und  H.  Lattermann: 


Burgplan  (Taf.  II). 

Die  Schichtlinien  im  Abstände  von  lo  zu  lo  m  sind  nur  schätzungsweise  eingetragen 
und  beanspruchen  keine  Genauigkeit.  —  Das  hochstehende  Getreide  (Gerste  und  Weizen), 
besonders  westlich  und  iin  südlichen  Flügel  der  Ringmauer,  mit  dessen  Einernten  während 
meiner  Anwesenheit  (20. — 27.  Juni)  erst  gerade  begonnen  wurde,  erschwerte  sehr  das  Auf- 
finden und  Vermessen  niedriger  Reste;  es  ist  daher  möglich,  daß  mir  ein  paar  unscheinbare, 
zusammenhangslose  Reste  entgangen  sind. 

Die  Ringmauer  paßt  sich  im  allgemeinen  der  Sichelform  des  Berges  an;  im  S,  wo 
der  Abhang  sanfter  ist,  geht  sie  tiefer  hinunter  und  ladet  breiter  aus,  im  N,  wo  der  Berg 
rauher  und  steiler  ist,  steigt  sie  höher  hinauf  und  schließt  sich  enger  zusammen.  Dadurch 
entstehen  zwei  Flügel  mit  verschieden  gerichteten  Längsachsen,  die  zusannnen  rimd  900  m 
messen,  während  die  Flügelbreite  im  N  rund  200,  im  S  rund  250  m  beträgt.  Im  W  sind 
die  beiden  Mauerstrecken  ziemlich  gradlinig  geführt;  eine  weniger  regelmäßige  Linienfülu'ung 
war  im  0  durch  zwei  Rhcvmata  geboten,  ein  tieferes  im  S  und  ein  flacheres  im  N,  zwischen 
denen  sich  die  Mauer,  gerade  gegenüber  dem  W-Tor,  etwas  ausbaucht.  Insgesamt  beträgt 
der  (ebene)  Flächeninlialt  der  Befestigung  rund  20  ha. 

Die  Türme,  die  auf  dem  Plan  nur  gezählt  sind,  soweit  sie  sich  noch  nachweisen 
lassen,  waren  ziemlich  regelmäßig  auf  die  Mauer  verteilt;  sie  sind  viereckig,  springen  im 
allgemeinen  etwa  4  m  vor  die  Kurtinen  vor  und  haben  meist  eine  Frontlänge  von  etwa 
6.50  m  (Turm  i  mißt  9  m);  ihre  Mauern  sind  nur  i  m  stark.  Probeansichten  siehe  Taf.  VII  i.  2; 
ich  habe  die  meisten  Türme,  die  in  mehreren  Lagen  erhalten  sind,  photographiert. 

Die  Kurt  inen  sind  im  S,  wo  der  leichtere  Zugang  eine  größere  Sicherung  erforderte, 
am  kürzesten  mit  etwa  30  m ;  sonst  erreichen  sie  bis  zu  50  m.  Die  Mauerstärke  läßt  sich 
nur  für  Teile  der  inneren  Zweigmauer  im  N  auf  2,42  m  angeben;  sonst  liegt  Erdreich  hinter 
den  niedrigen  Resten,  und  zweifellos  hatten  die  Mauern  in  ihren  unteren  Schichten  teilweise 
die  Funktion  von  Terrassemnauern.  Die  Bedeutung  der  eben  erwähnten  Innenmauer  ist 
nicht  ganz  klar;  höchstwahrscheinlich  ist  sie  jünger  als  die  Ringmauer,  und  vielleicht  stand 
sie  mit  den  (jetzt  nur  wenig  über  den  Boden  ragenden)  Stücken  33  und  34  in  Verbindimg. 

Im  Innern  ist  die  bemerkenswerteste  Anlage  die  alte,  von  Pausanias  genannte  ÄroPA, 
deren  Platz  bisher  nicht  erkannt  worden  war.  Sie  war  im  südlichen  Flügel  auf  einem 
kleinen  Plateau  angelegt,  das  ungefähr  ein  gleichschenkliges  Dreieck  mit  der  Spitze  nach 
S  und  einem  Lot  von  120  m  bildet.  Gegen  N  und  O  war  sie  von  Säulenhallen  begrenzt, 
deren  Fundamente  aus  schönen,  beinahe  regelmäßigen  Kalksteinquadern  zum  Teil  bis  zu 
5  Schichten  =  1.70  m  (Ostfront  von  c)  erhalten  sind;  d  mißt  43.68  X  10.60  m.  Im  S  wird 
das  Plateau  von  den  gut  erhaltenen  Stützmauern  e — g  mnschlossen  (Probe  siehe  Taf.  VII  4). 
Mehrere  Zisternen  (C)  innerhalb  des  Dreiecks  öder  in  der  Nähe  weisen  auch  darauf  hin, 
daß  hier  der  Mittelpunkt  der  älteren  Stadt  zu  suchen  ist.  —  Die  übrigen  Mauern  sind  in 
der  großen  Mehrzahl  als  Terrassenmauern  zu  deuten,  keine  mit  Sicherheit  als  der  Rest 
einer  älteren  Befestigung;  sie  zeigen  meist  die  Technik  von  e — ff,  niu"  selten  sind  kleine 
Stücke  regehnäßigen  Quadermauerwerks,  In  dem  Stück  bei  C^  mündet  die  Zisterne  mitten 
in  der  Mauer.  —  Der  nördliche  Flügel  ist  ärmer  an  bemerkenswerten  Resten.  Über  den 
Rechtecken  a  und  h  erhoben  sich  offenbar  Tempel,  a  mißt  5.75  X  n  m  und  weist  neben 
großen  Orthostaten  kleinere  polygonale  Blöcke  auf;  b  ist  mehr  zerstört,  mißt  5.70  x  7.62  m 
und  hat  1.05  m  starke  Mauern  aus  großen  Polygonen. 


Arkadische  Forschungen. 


29 


Zum  Schutze  der  jüngeren  Stadt  wurde  offenbar  die  mindestens  250  m  lange  Flügel- 
mauer angelegt,  die  von  Turm  i  fast  geradlinig  nach  S  läuft;  die  Reste  erheben  sich  nur 
wenig  über  den  Erdboden. 


Ansichten  der  Türme  26  und  28  (Taf.  VII  1.2). 

Nr.  28:  Frontlänge  7.07  m,  größte  erhaltene  Höhe  2.40  m;  zu  beachten  ist,  daß  die 
unterste  Lagerfuge  fast  horizontal  durchgeht;  Schichthöhe  bis  zu  0.74  m;  größte  Steinlänge 
(2.  Schicht)  1.84  m.  —  Nr.  26:  Frontlänge  6.62  m;  zu  beachten  ist,  daß  die  Lagerfugen  nicht 
genau  horizontal  laufen  und  daß  die  4.  Schicht  verhältnismäßig  sehr  flach  ist.  —  Beide  Türme, 
typisch  für  alle  übrigen,  zeigen  dasselbe  Prinzip  horizontaler  Schichtung,  das  sie  mehr  oder 
weniger  häufig  durchbrechen,  aber  immer  wieder  anstreben  und  durchführen;  sie  gehören 
fraglos  derselben  Zeit  an. 

M  a  u  e  r  p  r  o  b  e  (Taf.  VII  3) . 

Zwischen  den  Türmen  27  und  28.  —  Das  einzige  gut  erhaltene  Stück  einer  Kurtine, 
offenbar  aber  eine  wenig  sorgfältige  Ausbesserung.  Andere  Kurtinenreste  weisen  in  den 
untersten  Schichten  zum  Teil  sehr  große  Steine  auf. 


Stützmauer  der  ÄroPA  (Taf.  VII  4). 
Stück  /  des  Planes.    Größte  Höhe  2.80  m.     Sehr  sorgfältiges  Polygonalmauerwerk. 


Archaischer  Marmortorso  (Taf.  VIII  2  u.  Abb.  5). 
Gefunden  am  17.  Juni  191 1  in  der  Ebene  am  SW-Rande   des  Burgberges  (siehe  den 
Situationsplan) ;  der  zugehörige  Kopf  soll  heimlich  beiseite  geschafft  worden  sein.    Der  Torso 
wurde    auf  meine  Veranlassimg   nach  Lebidion   in    das    Kaphenion   des   Bürgermeisters  Zfic 
gebracht  imd  soll  später  dem  Nationalmuseiun  zu  Athen  über- 
wiesen werden.    Das  rätselhafte  Gebilde  kann  hier  nur  vor- 
gelegt werden;  eine  ausführliche  Besprechung  muß  vorbehalten 
bleiben.     Das  Profil  mißt   in  der  Senkreciiten  etwa  i.io  m. 
Am  Hals  und  am  Beinstumpf  ist  Bruch,  sonst  ist  nur  die  Ober- 
fläche etwas  korrodiert.    Geschlechtsmerkmale  fehlen. 


Ansicht  des  Burgberges  (Taf.  VI  i). 

Aufgenonunen  von  dem  Piuikte,  wo  der  Weg  von  der 
Quelle  bei  Kalpaki  nach  Lebidion  den  Bach  schneidet.  Der 
südliche  Abhang  des  Berges  mit  Kalpaki  zeichnet  sich  also  im 
Profil  ab;  unterhalb  des  Dorfes  kommt  hinter  dem  Profil  die 
stumpfe  Kuppe  des  östlichen  Vorhügels  zum  Vorschein.  Rechts 
der  rauhe  Abhang  des  Trachy.  Über  den  Sattel  der  hohen 
Berge  im  Hintergrunde  gelangt  man  nach  Pheneos.  Im  Westen 
leitet  der  langgestreckte  Rücken  zum  '"'A.  ^Haiac  hinüber. 


Abb.  5.     Profil  des  archaischen 
Torsos  von  Orchomenos. 


30 


F.  Hiller  von  Gaertringen  und  H.  Lattermann: 


Ansicht  der  südlichen  Ebene  (Taf.  VI  2). 

Aufgenommen  vom  westlichen  Ende  des  Dorfes  Kalpaki  aus.  Links  der  Abhang  des 
Tracliy,  lun  den  sich  die  Straße  nach  Mantinca  zieht;  der  weiße  Fleck  am  Fuße  des  Berges 
ist  die  Stelle  des  ccopöc.  Weiter  rechts  steigt  hinter  dem  Trachy  die  Anchisia,  das  Grenz- 
gebirge gegen  die  Mantinike,  auf;  ihm  schließen  sich  die  Vorbei-ge  des  Mainalon  an,  die  die 
El)ene  von  Mantinea  und  eine  schmale  höhere  Vorel)(Mie  (mit  der  Chaussee  nach  Lebidion) 
scheiden.  Das  große  Dorf  Lebidion  liegt  mehr  als  200  m  über  der  P]bene  am  Fuße  des 
Mainalon,  dessen  majestätische  Gipfel  das  übrige  Bild  beherrschen. 

Ansicht  der  engen  Stelle  in  der  nördlichen  Ebene  (Taf.  VIII  1). 

Aufgenommen  am  11.  Juni.  Die  Ebene  ist  hier  nur  etwa  800  m  breit.  Das  über- 
getretene Wasser,  das  die  Ebene  im  0  und  im  W  bis  ah  die  Schwelle  der  kaphyatischen 
Ebene  anfüllte,  fing  erst  Ende  Juni  an  auszutrocknen.  An  dieser  Stelle  muß  die  Straße 
nach  Kajjhyai  auf  einem  Danune  die  Ebene  überquert  haben. 

Blick  auf  den  Südrand  der  Ebene  von  Kaphyai  (von  NO,  Abb.  6). 

Der  dimkle  Höhenrücken  links  gehört  zu  der  Kette,  die  sich  nordwestlich  an  den 
Burgberg  von  Orchomenos  anschließt  und  eine  schnude,  zieirdich  rauhe  Ebene  unterhalb  des 


Abb.  6. 

Mainalon  von  der  großen  Ebene  scheidet.  Der  im  Bilde  sichtbare  Zugang  zu  dieser  (im 
Hintergrunde  auf  halber  Höhe  MnezeN?KOC '  wird  westlich  durch  das  nordwärts  streichende 
KACTANlA-Gebirge  begrenzt,  unterhalb  dessen  sich  im  W  die  fruchtbare  Ebene  von  Aapa 
(»Nasoi«)  mit  dem  Tragos  ausdehnt.  —  Von  dem  dunklen  Hintergrunde  hebt  sich  scharf 
der  niedrige,  im  vermittelt  aus  der  Ebene  aufragende  Fels  ab  (vgl.  den  Bericht  S.  2 1  f.),  der 
nur  ohne  klare  Anschauung  und  ohne  Kenntnis  der  Ringmauer  im  nordwestlichen  Winkel 
der  Ebene  für   die  Akropolis   von  Kaphyai    ausgegeben   werden    konnte.     Seine   starke  Be- 


1    Hier  vereinigten  sich  nach  Leake  III  117  f.  die  Grenzen  von  Kaphyai,  Orchomenos 
und  Methydrion  (Megalopolis). 


Arkadische  Forschungen.  31 

festigung  widerstreitet  nicht  der  Annahme  eines  Heiligtumes,  kann  aber  aucli  damit  erklärt 
werden,  daß  er  gerade  dem  südlichen  Zugang  zu  der  kaphyatischen  Ebene  vorgelagert  ist. 
—  Auf  der  Karte  der  Expedition  de  Moree  steht  hei  dem  Felsen  das  Höhenmaß  643  m. 

Antike  Reste  hei  Katw  "Ataab  (Taf.  VIII3);  Tempel  der  Artemis  Kondyleatis ? 
5X7  Schritt,  Eingang  im  W  (vorn  auf  dei'  Photographie).  Davor  der  moderne  Dorf- 
kirchhof. In  unmittelbarer  Nähe  der  Weg  von  "Anw  "ArAAH  (20  Min.)  nach  Katw  "Apaam 
(2  Min.),  längs  dessen  noch  eine  Menge  großer,  zum  Teil  wohlbearbeiteter  Blöcke  in  den 
Mandren  stecken.  Hr.  Frickenhaus  deutet  die  Reste  auf  einen  antiken  Wartturm;  für 
die  Entscheidung  der  Frage  wäre  es  wichtig,  das  Alter  der  Steineichen  zu  ermitteln,  die 
ein  Wartturm  nicht  geduldet  hätte. 

Bevölkerungszahlen  der  genannten  Orte  nach  der  Zählung  vom  27.  Oktoher  1907 
(amtHche  Schreibungen):  ahmoc  'OpxoMeNOY:  AesiAiON  (Vorort)  2528,  KanaPiaa  1445,  Kaa- 
nÄKi  77,  AAnezeNiKOC  703,  Toyci  55;  ahmoc  Nacwn:  Aapa  (Vorort)  1207,  "Anw  "ArAAH  137, 
Katw  "ArAAM  316,  Xwtoyca  294. 


Methydrion  mit  Petrobuni. 

Plan  von  Methydrion  (Taf  HI). 

Für  die  Darstellung  der  tief  eingeschnittenen  Bachtäler  war  die  Karte  des  Chaussee- 
projekts von  großem  Wert;  hesonders  ist  gegenüber  den  bisherigen  Karten  des  Peloponnes 
darauf  aufmerksam  zu  machen,  daß  der  Fluß  von  Kop<t)OiYAlA  (Aeci)  sich  in  den  Fluß  von 
HYPrAKl  ergießt,  nicht  in  den  von  Bytina,  der  aus  der  Vereinigung  der  Flüsse  von  TTYPrAKi 
und  von  NeMNiTCA  entsteht.  Die  Projektkarte  lieferte  auch  die  Höhenmaße  für  die  Steil- 
hänge des  Stadtgebietes  im  N  und  W. 

Trotz  der  starken  Zerstörung  der  Mauern  kann  über  den  Umfang  des  Stadtgebietes 
kein  Zweifel  sein ;  es  ist,  von  den  felsigen  Ku])pen  im  NW  abgesehen,  ein  leicht  geneigtes 
Plateau  von  ungefähr  1 1  ha  Inhalt,  das  sich  auch  im  O  und  S  mit  scharfen  Rändern  von 
den  flachen  Mulden  der  Rhevmata  abhebt.  Die  von  Natur  schwächste  Stelle,  die  SO-Ecke, 
läßt  auch  heute  noch  erkennen,  daß  sie  besonders  stark  befestigt  war.  Der  dort  teilweise 
erhaltene  Turm  mißt  6.38  X  4.30  m  und  ist  aus  großen  unregelmäßigen,  an  der  Stirn  sorg- 
fältig behauen en  Kalksteinblöcken  aufgeschichtet;  die  Mauerstärke  beträgt  (wie  auch  die 
der  westlichen  anstoßenden  Mauer)  1.15  m;  das  Innere  ist  mit  kleineren  Steinen  ausgefüllt. 
Nördlich  des  Turmes  ist  ein  Mauerstück  noch  6  Schichten  hoch  erhalten.  Der  Mauerrest 
an  der  NO-Ecke,  dessen  Front  nach  W  zeigt  (6  polygonale,  sorgfältig  bearbeitete  Blöcke 
in  einer  Schicht,   5.91  m)  muß  auch  von  einem  Turm  herrühren. 

Jnnerhalb  der  Befestigung  sind  nur  noch  zu\ erkennen:  i.  ein  mächtiger  Trünnner- 
haufen  von  Kalksteinquadern  und  Ziegeln  .'TTANAriA«,  die  Stätte  eines  großen  Tempels,  und 
2.  eine  nur  wenig  über  den  Boden  ragende  Mauerecke  »TTaaati«  (4.10  x  1.02  m)  von  schönen 
kleinen  Kalksteinquadern;  südlich  davon  liegt  noch  eine  vereinzelte  Muschelkalksteinquader. 

Die  Nekropole  der  Stadt  liegt  nach  Aussage  von  Bauern  wenige  Minuten  südwestlich 
der  Stadt  an  einem  kleinen  Bache  links  des  Weges  nach  Pyrgaki. 


32  F.  Hiller  von  Gaertringen  und  H.  Lattermann: 

Mauerprobe  (Taf,  XI  i). 
Südmauer,    Außenseite,    Ph  des   Planes.      Dasselbe   Stück   gibt   in   Zeichnung:    Gell, 
Probestücke  von  Städtemauern,   1831,  XII.     Die  Mauer  ist  hier  1.60  m  dick  und  zeigt  außen 
und  innen  Wangen  von  sehr  sorgfältig   gefügten   großen   Polygonen   mit  kräftiger  Rustika; 
das  Innere  ist  mit  kleinen  Steinen  ausgefüllt. 

Flur   Petrobuni. 

a)  Plan  (Taf.  IV).  Die  Karte  des  Chausseeprojekts  (nur  für  die  Hauptchaussee  Bytina- 
Ahmitcana  und  AArKAAiA)  habe  ich  benutzt,  jedoch  die  Chaussee  so  eingezeichnet,  wie  sie,  mit 
geringen  Abweichungen  von  dem  Projekt,  nach  meiner  Aufnahme  tatsächlich  geführt  worden 
ist;  das  Projekt  zählt  ungefähr  100  m  östlich  des  jetzigen  Kilometersteines  44  das  43. Kilometer. 
Die  Entfernung  von  dem  Chani  unterhalb  Methydrions  bis  zum  Kilometerstein  beträgt  auf 
der  Chaussee  rund  3  km.  Bevor  die  Chaussee  angelegt  worden  war,  führte  die  Straße  zwischen 
der  modernen  Kirche  und  der  Tempelruine  hindurch  (vgl.  Roß,   116). 

Die  Erstreckung  der  kleinen,  mühsam  bestellten  Talerweiterung  beträgt  in  der  0-W- 
Achse  ungefähr  0.750  km.  Der  Bergrücken  im  N  ist  kahl;  der  steile,  steinige  Berg  nördlich 
der  großen  Chausseebrücke,  der  wie  ein  riesiges  Hermaion  annmtet,  hat  der  Flur  den 
Namen  gegeben.  Dagegen  sind  die  Hügel  und  Hänge  im  S,  die  Ausläufer  jles  Madarä- 
gebirges,  wasserreich  und  mit  Tannen  bestanden.  —  Nach  Maguliana  braucht  man  von  der 
Straßengabelung  aus  etwa  i  Stunde.  —  Leake  (II  59)  traf  auf  dem  Wege  nach  Demitsana, 
eine  knappe  Viertelstunde  hinter  dem  Tempel,  auf  antike  Wagenspuren  im  Felsen. 

b)  Panoramen  (Taf.  IX).  Nr.  i  ist  wenig  oberhalb  des  Kilometersteines  44  auf- 
genommen. Die  Kirche  ist  rechts  durch  die  dunkle  Baumgruppe  beinahe  vollständig  ver- 
deckt. Links  davon  ist  die  Ausgrabungsstätte  mit  dem  vereinzelten  Ölbaum  innerhalb  des 
Tempelfundamentes.  Unterhalb  der  steinigen  Kuppe  gewahrt  man  die  Brücke  der  Chaussee 
nach  Maguliana;  das  Dorf  selbst  liegt  hoch  oben  im  Winkel  zwischen  der  Kuppe  und  der 
Bergkette  im  Hintergrund. 

Nr.  2  ist  von  der  Chausseebrücke  über  den  Bach  Aeci  (Fluß  von  Kop*0£Yaia)  aus 
aufgenommen.  Man  sieht  im  Mittelpunkt  die  Kirche  der  TTANAriA  imd  rechts  davon  die  Aus- 
grabungsstätte. Links  hinten  treten  eine  höhere  Kette  von  N  und  eine  niedrigere  von  S 
(hinter  der  Methydrion  liegt)  dicht  zusammen;  dazwischen  winden  sich  Bach  und  Chaussee 
hindurch.  Den  fernen  Hintergrund  bildet  das  hohe  waldreiche  Mainalon,  dem  rechts  des 
Passes  das  Thaumasion  vorgelagert  ist;  über  den  Paß  gelangt  man  nach  Alonistäna. 

Tempel  von  Petrobuni. 

Plan  (Abb.  7)  und  Ansichten  (Taf.  X)  des  Ausgrabungsbefundes;  rekonstruierter 
Grundriß  (Abb.  8).  —  Die  erste  Kimde  von  dem  Tempel  gibt  Leake  (Morea  II  57).  Zu 
seiner  Zeit  stand  noch  ein  Teil  der  Cellawände  aufrecht;  am  besten  erhalten  war  die  SW- 
Ecke.  Identisch  mit  dem  Tempel  ist  das  »große  Fundament  eines  hellenischen  Gebäudes 
mit  umher  zerstreuten  alten  Quadern«,  bei  den  Bauern  »t6  TTaaäti«  genannt,  das  Roß  S.  116 
erwähnt,  ohne  auf  Leake  Bezug  zu   nehmen. 

Ausgegraben  Anfang  Juni  19 10.  Es  fand  sich  ein  ungefähr  doppelt  so  langes  wie 
breites  Fundamentrechteck  nebst  dem  Fundament  für  eine  Quermauer  im  0;  ferner  an  der 
SW-Ecke  das  Fundament  einer  kleinen  Basis.  Eine  im  W  genau  unter  rechtem  Winkel 
anstoßende  Mauer  aus  kleinen  Steinen  ist  wohl  Rest  einer  antiken  Terrassenmauer.  Das 
äußere  Tempelfundament  ist  an  der  N-  und  0-Seite  zum  Teil  ausgebrochen;   die  NO-Ecke 


Arkadische  Forschungen. 


33 


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OT  23456789         TOm 

I"'    I        i        I        i        I        I        !        I        I        I        I        i        I        i        I        I        I        i        I     =1 

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-1:500 

Abb.  7. 


I  ^ 


50  F. 


^6i.  c>.     1 :  300.     Rekonstruierter  Grundriß  des  Tempels  von  Petrobuni. 


ragt  0.5011)  über  die  SO-Ecke  hinaus,  ansclieineiid  ist  sie  verworfen.  Die  Breite  des  Fundaments 
beträgt  1.20 — 1.30  m.  Das  Material  ist  grauer  und  dunkelblauer  Kalkstein  in  buntem  Wechsel, 
wie  aus  der  Zeichnung  ersichtlich  ist.  Die  Steine  sind  seitlich  grob  behauen;  in  der  Front 
liegen  größere,  dahinter  kleinere,  an  der  S-Seite  ziemlich  regelmäßig  ein  Binder  neben  einem 
Läufer,  hinter  den  kleinere  Steine  gepackt  sind.  In  der  Schicht  kommen  kleine  Abtreppungen 
von  Stein  zu  Stein  und  auf  dem  Stein  (an  der  SO-Ecke)  vor;  das  Niveau  der  Zwischen- 
Fkil.-hist.  Klasse.   1911.   Anhang.   Abh.  IV.  5 


34  F.  Hill  ER  von  Gaertringen  und  H.  Lattermann: 

mauer  liegt  etwas  über  dem  der  Umfassungsmaiiei-n.  Einige  größere  Steine  weisen  Stenun- 
löcher  (bis  zu  dreien)  auf. 

An  der  SW-Ecke  hat  sich  ein  Stück  der  Euthynteria  erhalten.  Sie  ist  36  ein  hoch 
und  auf  7.5  cm  sorgfältig  senkrecht  abgefast.  Der  Eckstein  ist  mit  dem  anstoßenden  Stein 
der  W- Seite  durch  eine  schmale  I  I-förmige  Klammer  (Länge  26  cm),  die  noch  in  ihrem 
Bleiverguß  ruht,  verbunden;  nach  der  andern  Seite  hin  ist  nur  noch  das  Loch  für  eine 
solche  Klammer  im  Eckstein  erhalten,  im  Nachbarstein  aber  ausgebrochen.  Die  beiden 
erstgenannten  Steine  haben  je  ein  mit  Blei  vergossenes  Dübelloch  nebst  seinem  Gußkanal. 
Die  Fugen  dieser  Schicht  sind  sorgfältiger  aneinandergepaßt.  Doch  ist  zweifellos,  daß  die 
Euthyntei'ia,  wenigstens  an  dieser  Seite,  nicht  sichtbar  gewesen  sein  kann.  Das  geht  aus 
der  Verwendung  beider  Kalksteinsorten  und  besonders  daraus  hervor,  daß  der  3.  vStein  der 
S-Seite  vorn  eine  leichte  Abtrejipung  zeigt,   über  der  der  Stein  der  nächsten  Schicht  hohl  lag. 

Zugleich  lehrt  aber  diese  Abtreppimg,  daß  der  Stein  von  einem  älteren  Bau  herrühren 
muß.  Zu  ihm  gesellt  sich  dann  der  Fundamentstein  der  NO-Ecke,  der  neben  Stemmloch 
und  Dübelloch  das  Loch  für  eine  I — |-Klannner  aufweist.  Aus  diesem  Befund  dürfen  wir 
schließen,  daß  der  ältere  Bau  in  guter  griechischer  Zeit  errichtet  woi'den  war,  während  der 
jüngere  der  hellenistischen  Zeit  entstammte.  Letzterem  ist  das  Abb.  12  S.  37  gezeichnete  An- 
themion  zuzuschreiljen,  das  Firstakroter  (Abb.  1 1   S.  36)  dagegen  wohl  eher  dem  älteren  Bau. 

Von  den  Steinen  des  Aufbaus  sind  einige  in  die  Kirche  eingemauert,  andere  liegen 
rings  auf  den  Feldern  oder  in  den  Mandren.  Bemerkenswert  ist  vor  allem  ein  schöner 
Orthostat  mit  abgefasten  Rändern  (Breite  des  Handschlages  2.6,  Tiefe  0.7  cm);  Breite  78.5, 
Dicke  38  (vollst.),  größte  Höhe  (oben  gebrochen)  74  cm;  unten  und  seitlich  Anathyrosis. 
Unter  den  einfachen  Wandquadern  ist  besonders  eine  von  64.2  cm  Dicke,  die  hinten  ge- 
brochen   ist,    hervorzuheben;    sie   band   offenbar   durch   die   ganze  Dicke   der  Mauer   durch. 

Von  den  eingeschriebenen  Haupt  maßen  des  Tempels  verringert  sich  für  die  Euthyn- 
teria das  der  Längsseite  um  etwa  10  cm  auf  16.40  m;  in  der  Breitenrichtung  darf  man 
entsprechend  dem  Vorsprung  des  Südfundaments  mehr  abziehen,  imd  zwar  so  viel,  daß 
sich  die  Hälfte  des  Längsmaßes  ergibt:  8.20  m.  Diese  Maße  führen  dann  genau  auf  den 
Fuß  von  0.328  m;  seiner  gehen  50  in  die  Längsseite,  25  in  die  Schmalseite  auf.  —  Die 
Rekonstruktion  des  Grundrisses  als  eines  Tempels  in  antis  kann  nicht  zweifelhaft  sein; 
die  Mauerstärke  wird  auf  3  Fuß  anzvmehmen  sein. 

Anmerkung.  [Das  ist  der  spätere  »abgeminderte  altattische  Fuß«,  der  bei  den  atti- 
schen Baumeistern  herrschend  geblieben  ist,  auch  nachdem  dm-ch  Solon  der  kleinere  Fuß  von 
0.297  m  eingeführt  worden  war  (Jude ich,  Topogr.  von  Athen  8  nach  Dörjjfeld;  vgl.  die 
Übersicht  bei  Nissen,  Handbuch  der  Altertumsw.  I*  835).  Dem  »abgeminderten  solonischen 
Fuß«  von  0.296  m  würde  ein  Tempel  bei  Bachlia  (Eleusis  im  Gebiet  von  Thelphusa?) 
nahekommen,  der  nach  Leonardos  bei  Homolle,  Bull.  hell.  XV,  1891,657,  8.70:5.90  m, 
also  30'  :  20'  zu  0.29  bzw.  0.295  m  mißt;  dem  »makedonischen  Fuß«  von  0.275  m  ent- 
spricht genau  der  Tempel  bei  Dibritsa,  vmweit  Bachlia,  von  16.50 :  5.50  ni  =  60' :  20' 
(Homolle,  a.  a.  0.).  E.  A.  Gardner  rechnet  für  das  Thersilion  und  Theater,  aber  auch 
die  Halle  des  Philippos  in  Megalopolis,  unter  der  Annahme,  daß  sie  runden  Maßen  entsprechen, 
einen  Einheitsfuß  von  etwa  0.308  m  heraus,  der  sich  in  der  Nis senschen  Tabelle  nur  als 
»kleiner  ptolemäischer  Fuß«  (0.30833  m)  findet.  Angesichts  dieser  Zahlen  wird  man  Ju- 
deichs Warnung,  aus  den  Maßen  Schlüsse  auf  die  Entstehungszeit  der  athenischen 
Bauten  zu  ziehen,  in  noch  erhöhtem  Grade  auf  Arkadien  anwenden.  Doch  soll  dies  keine 
Abmahnung,  sondern  nur  ein  Wunsch  sein,  daß  die  metrologischen  Studien  auch  für  Ar- 
kadien noch  vertieft  werden  möchten.  F.  v.  H.l 


Arkadische  Forschungen. 


35 


Abb.  9.     Terrakotten 
vom  Tempel  zu  Petrobuiü. 

Unter  den  auf  Abb.  9  photographierten  Terrakotten  ist  außer  den  Stücken  der  Flrst- 
akrotere  besonders  interessant  das  oben  rechts  aufgestellte  Profilstück  (Zeichnung  Abb.  loa). 
Es  ist  vorn  an  der  Leiste  und  hinten  oben  gebrochen,  desgleichen  an  beiden  Seiten,  sonst  aber 
überall,  auch  hinten,  glatt ;  das  Kyma  ist  mit  einem  schwarzbraunen  Stabmuster  bemalt,  das  zum 
Teil  mit  Ritzlinien  vorgezeichnet  ist.  Das  Stück  scheint  dem  Jüngern  Bau  anzugehören.  —  Roher 
und  v\^ohl  auch  älter  ist  das  merkwürdige  Profilstück  rechts  unten  (Abb.  lob).  Es  besteht  (im 
Gegensatz  zu  100)  aus  grobem,  ziemlich  steinigem  Ton  ohne  Firnis;  oben  und  unten  an  der 


-jo  cn 


-466.  10.     Terrakotten  vom  Tempel  zu  Petrobuni. 


1:4. 


linken  Seite  ist  es  gebrochen,  rechts  und  hinten  ist  es  ebenso  wie  vorn  leidlich  geglättet, 
aber  stark  bestoßen.  —  Mit  dem  großen  Stück  links  weiß  ich  nichts  anzufangen.  Es  weist 
eine  ganze  Reihe  schwarzbraun  gefirnißter  Flächenstückchen  unter  verschiedenen  Winkeln 
auf.  Vielleicht  ist  die  obere  Hälfte  (in  dieser  oder  einer  anderen  Lage)  Rest  eines  pla- 
stischen Schnmckes  auf  der  unteren  Fläche  als  Hintergrund.  —  Links  ist  noch  der  Rest 
eines  Ilachen  Rundstabes  (3  cm  hoch)  angelehnt.  —  Von  den  Eisennägeln  und  -stiften,  mit 
denen  die  Terrakotten  zmn  Teil  befestigt  waren,  haben  sich  mehrere  gefunden. 

Der  Befund  an  Dachziegeln  zeigt,  daß  die  Eindeckung  ursprünglich  nach  dem  ein- 
fachen System  gleichgeformter  Hohl-  und  Deckziegel  erfolgt  war,  an  deren  Stelle  später  die 
flachen  ccoAfiNec  mit  kantigen  KAAYnTHPec  traten. 

5* 


36 


F.  Hiller  von  Gaertringen  und  H.  Lattermann 


An  Einzelfunden  sind  noch  zvi  nennen:  i.  Nahe  der  SO-Ecke  der  TTANAriA  liegt  der 
Eckstein  einer  Basis  oder  eines  Altars  mit  Kymation;  Länge  90,  Breite  79,  Höhe  37  cm 
(an  beiden  Seiten  Bruch;  unten  und  oben  glatt,  oben  Dübel-  und  Stemuilöcher).  —  2.  Der 
Hals  eines  großen  Kessels  aus  dünnem  Bronzeblech;  Durchmesser  50  cm;  Profil.  P. 


Firstakroter  des  Tempels  von  Petrobuni  (Abb.  11). 

Rekonstruktion,  gezeichnet  von  M.  Lübke.  —  Vier  größere  Bruchstücke  von  beiden 
Akroterien.  Das  größte  und  wichtigste  Stück  ist  an  der  Ostseite  gefunden  worden.  Es 
hat  eine  Sehne  (unterhalb  der  Zacken)  von  20.5  cm  bei  einer  Pfeilhöhe  von  3.95  cm;  danach 


Abb.  11.     Firstakroter  des  Tempels  von  Petrobuni. 


betrug  der  Durchmesser  30.52  cm.  In  dem  Blattkranz  zeigt  es  deutliche  Reste  der  Bema- 
hmg;  es  wechseln  rotbraune,  mit  einem  feinen  blauen  Streifen  umrandete  Blätter  mit  blauen 
ab.  Dasselbe  Stück  hat  innen,  6 — 7.2  cm  von  der  Basis  der  Zacken  aus,  einen  nicht  ganz 
konzentrischen  scharfen  Rand,  der  zu  erweisen  scheint,  daß  es  hohl  über  dem  Giebel  ge- 
sessen habe.  Die  Dicke,  von  den  Zacken  aus  allmählich  anschwellend,  beträgt  an  dem 
inneren  Rande  4  cm.  —  Von  diesem  Stück  unterscheiden  sich  die  iibrigen  in  einigen  Punkten. 
Die  Dicke  geht  bis  zu  9  cm.  Die  Zacken  sind  etwas  größer.  Bei  einem  Stück  ist  unter 
dem  Blätterkranz  am  hinteren  Rande  eine  flache  Leiste  von  3  cm  im  Radius  erhalten;  viel- 
leicht war  ihr  eine  unmittelbar  auf  der  Giebelspitze  sitzende  flache  Scheibe  vorgelegt.  Sj)uren 
von  Bemalung  fehlen  an  diesen  Stücken.  —  Natürlich  können  die  Verschiedenheiten  auch 
mit  einer  Erneuerung  des  einen  Akroters  erklärt  werden.  —  Ich  machte  an  Ort  und  Stelle 
Photographie  und  Zeichnung. 


Arkadische  Forschungen. 


37 


Antheinion  des  Tempels  von  Petrobuni  (Abb.  12). 
Rekonstruiert  und  gezeichnet  von  M.  Lübke.  —  Ein  dem  Umfange  nach  vollständiges 
Stück,    dessen  Vorderseite  ganz  verstoßen  ist;  außerdem   11  Bruchstücke.  —  Photographie; 
Pi'ofilzeichnung. 

A 


<  20-7  >  <    3-5    > 

Abb.  12.     Antheinion  des  Tempels  von  Petrobuni. 

Bevölkerungszahlen:  ahmoc  Nym<1)ACIAc:  Vorort  Bytina  1436,  Ngmitca  82,  TTyprAKl 
121;  AHMOC  Myaaontoc:  Vorort  MAro^AiANA  889,  KoP(t>oiYAiA  15;  AHMOC  <t>AAANeoY:  Vorort 
TTiana  761,  'Aaconictaina  386. 

Thisoa  und  Teuthis. 

Plan  von  Thisoa  am  Lusios  (Taf.  V). 
Für  das  Gelände  nördlich  des  Mülübaches  habe  ich  großenteils  die  Karte  des  Chaussee- 
])rojekts  benutzt;  darüber  hinaus,  also  auch  für  den  Burgberg,  waren  eigene  Messungen 
und  Photographien  die  Grundlage.  Die  Chaussee  nach  Demitsana  läuft  westsüdwestlich 
durch  die  Ebene,  die  sich  noch  ein  gut  Stück  südlich  von  ihr  ausdehnt,  und  tritt  dann, 
den  Liisios  überbrückend,  in  eine  enge  Schlucht  ein  (vgl.  S.  41);  etwa  300 — 400  m  jenseits 
des  linken  Planrandes  zweigt  die  Chaussee  nach  Langadia,  nordnordwestlich  die  Ebene 
durchquerend,  ab.  —  Das  Gebäudefundament  R,  100  m  von  der  Akropolis,  hat  vor  Jahren 
der  Priester  Hieronymos  von  Demitsana  freilegen  lassen  und  dabei  die  Bronzenägel  gefunden, 
die  im  Museum  des  Gymnasiums  von  Demitsana  aufbewahrt  werden.  Die  heute  aus  dem 
Boden  ragenden  Steine  können  nicht  mehr  alle  in\gitu  sein;  es  sind  teils  graue,  teils  blaue 
(diese  sorgfältig  bearbeitete)  Kalksteinorthostaten  von  mäßigen  Abmessungen.  —  Rangabe 
(348)  sah  außer  den  Mauern  auch  Gräber  (die  ich  nicht  wiedergefunden  habe);  nicht  weit 
der  Mühle  von  Kapkaaoy  verzeichnet  er  eine  Quelle,  deren  moderner  Name  Aoymgni  an  den 
Lusios  zu  erinnern  scheint.  —  Übrigens  zeichnet  die  französische  Karte  den  Burgberg  nicht 
richtig  (von  0  nach  W  statt  von  S  nach  N)  und  unterdrückt  fast  ganz  die  Ebene, 


38  F.  Hiller  von  Gaektringen  und  H.  Lattermann: 

Blick  auf  den  Burgberg  von  Thisoa  (Taf.  XI  2). 
Aufgenommen  dicht  an  der  scharfen  Straßenkehre  oberhalb  des  Chani.  Mit  Hilfe 
dieser  Aufnahme  läßt  sich  die  Höhe  des  Burgberges  auf  1040 — 1050  m  bestimmen.  Bei  der 
Baiungruppe  auf  dem  Rücken  liegt  die  TTANAriA,  ein  niedriges  offenes  Mauerrechteck.  Links 
im  Vordergrunde  die  Mühle  von  Kapkaaoy.  Rechts  der  KAMnoc  Ahmitcanac  mit  der  Chaussee 
nach  Demitsana  und  dem  breiten  Bett  des  Lusios.  Der  Berg  im  Hintergrunde,  den  Chaussee 
und  Fluß  links  lassen,  heißt  TTAnAAHMOC.  Die  meisten  Berge,  die  die  Ebene  umschließen, 
haben  gut  griechische  Namen  bewahrt,  zu  deren  Lokalisierung  es  allerdings  einer  Spezial- 
karte  bedürfte;  auf  meinem  Lageplan  konnte  ich  außer  einem  weiteren  TTAnAAflMOC  nur 
lePAKOBOYNi  imd  KonPiNÖc  verzeichnen;  sonst  notierte  ich  noch:  zwei 'AeTO<l)CüAlA,  Kontöpaxa, 
KoTCiAOBOYNi,  AefKA,  MvrAAAi^c,  TTaaahkapi,  CiPorrYAÖ. 


Details  der  Befestigung  von  Thisoa. 

a)  Grundrisse  (Abb.  13).  Der  starke  Südturm  ist  außen  noch  1.08  m  hoch  erhalten; 
nach  innen  steigt  der  Boden  beträchtlich,  sodaß  die  ihn  wenig  überragende  NW- Ecke 
12  Schichten  über  der  SW-Ecke  liegt.  Die  Mauern  des  Turmes  sind  in  den  luiteren  Schichten 
1.45  m,  in  den  oberen  1.20  m  dick  und  setzen  sich  aus  Innen-  und  Außen wangen  mit  Füllung 
von  kleinen  Steinen  zusammen;  der  Stein  der  NO -Ecke  mißt  1.25  Länge  X  0.80  Dicke  X 
0.45  m  Höhe.  Die  westliche  Flügelmauer  geht  unter  45°  ab  und  ist  an  der  Ansatzstelle 
noch  2.40  m  hoch.  Die  östliche,  die  unter  weniger  spitzem  Winkel  abgeht,  ist  stark  zer- 
stört, doch  kann  dank  der  Rampe  vmd  der  Treppe  über  die  Lage  des  Tores  kein  Zweifel 
sein,  zumal  in  der  Lücke  zwischen  der  Mauer  und  dem  kleinen  Turm  ein  großer  Türsturz 
liegt  (1.65  m  lang,  aber  gebrochen;  Zapfenloch)  und  weiter  imten  das  Bruchstück  eines  selir 
sorgfältig  bearbeiteten  Pfostensteines  von  noch  1.67  Länge,  0.52  Breite  und  mindestens  0.41  m 
Dicke.  —  Der  NO -Turm  ist  noch  mehrere  Schichten  hoch  trefflich  erhalten.  Sonst  sind 
Mauern  imd  Türme  stark-  zerstört.  Ebenso  die  spärlichen  Mauerzüge  im  Innern.  Auf  der 
kleinen  Anhöhe  nahe  dem  Südturm  liegt  ein  Altarstein  (1.06x0.44,  Höhe  0.30  m),  an  den 
sich  ähnliche  angeschlossen  haben  müssen. 

b)  Mauerprobe  (Taf.  XI  3).  Ansicht  der  äußeren  Westfront  des  Südturms  bis  zur 
Flügelmauer  (die  großen  Blöcke  links).  Das  Gefüge  der  Mauer  ist  offenbar  durch  Abrutsch 
der  Südfront,  wobei  auch  lange  Steine  zerbrachen,  so  gelockert  worden.  Das  Streben  nach 
horizontaler  Schichtung  ist  noch  kein  Beweis,  daß  diese  Mauern  etwa  jünger  als  die  von 
Methydrion  seien. 

Mauern  in  Demitsana  (Teuthis). 
Grundrisse  (Abi).  14)  und  Zeichnungen  nach  Photographien  (Abb.  15.  16). 

Die  Mauern  A  und  B  i.  2  liegen  ungefähr  auf  gleicher  Höhe  am  südlichen  Rande 
des  Rückens,  B  3  am  nördlichen.  Daß  A  und  B  2  trotz  der  verschiedenen  Zeit  die  gleiche 
Orientierung  zeigen,  erklärt  sich  ungezwungen  daraus,  daß  der  Bergrücken  nur  einen 
schmalen  Kamm  mit  steilen  Hängen  hat;  deshalb  ist  es  auch  wahi'scheinlich,  daß  A  in  die 
spätere  Befestigung  einbezogen  war.  Die  Abstände  der  Mauerreste  voneinander  hätte  ich 
nur  durch  umständliche  Messungen  ermitteln  können,  für  die  es  mir  an  Zeit  fehlte. 

A  liegt  zwischen  den  Häusern  fewprioY  K.  Maao-t'xoy  westlich  und  Nikoaaoy  f.  Antco- 
Nonof  aoy  (katacthma  toy  tymnacioy)  östhch.      Auf  einem   60  cm   vorspringenden,    zum  Teil 


ArTcadische  Forschungen. 


39 


OI^OA 


/    NC 


NO -Turm 


S  ^Tii  rm 

und  Tor     / 


-l;SOO 


0  5  -10  15  20  m 

l'i   I   ''M   I    I    I    I    I    '    I    M    I    I    I    I    Ü 


Abb.  13. 


Mauern  in  AHMITZANA(TEYOI^) 


B3 


B1 


> 


0  5  10  15  20m 

lil    I    M    1    I    I    I    I    I    I    M    I    I    I    I    I    y 


B2 


Abb.  U. 


40 


F.   Hiller  von  Gtaertringen  und  H.  Latter  mann 


Abb.  15. 

aus  dem  Felsen  gehauenen  Sockel  erhebt  sich  die  Mauer  aus  namentlich  unten  recht  an- 
sehnlichen, unregelmäßigen  und  grob  zugerichteten  Kalksteinblöcken  (der  größte  mißt  1.70 
X  0.74  m)  noch  in  Höhe  von  2.ro  m. 

Die  Stücke  B  i — 3  gehören,  einer  und  derselben  Zeit  an,  die  sich  durch  das  Streben 
nach  einem  regelmäßigen  Mauerwerk  aus  kleineren  Quadern  kennzeichnet;  die  Horizontale 


^2,  Ö-Su/^ 


Abb.  16. 


in  der  Schichtung,  die  Vertikale  in  den  Stoßfugen  sind  noch  nicht  strikt  durchgeführt.  B  r, 
zwischen  den  Häusern  fecüPriOY  Yapo^ah  westlich  und  AAixaiha  Böboy  östlich,  ist  besonders 
hervorzuheben  wegen  des  in  die  Mauer  eingebundenen  Strebepfeilers;  die  erhaltene  Höhe 
beträgt  3  Schichten  =  1.35  m.  B  2  und  3  sind  offenbar  Reste  von  Türmen.  Die  Ecken 
sind  abgefast.  Die  Höhe  von  B  2  beträgt,  an  der  Ecke  gemessen,  4.30  ni  (10  Schichten), 
die  von  B  3  (7  Schichten)  fehlt  mir.  Genauere  Angaben  über  die  Lage  der  beiden  Reste 
kann  ich  nicht  machen.  —  Für  die  Altei-tümer  von  Demitsana  vgl.  v.  Duhn,  Ath.  Mitt.  HI  79 f. 


Arkadische  Forschungen.  41 

Schlucht  des  Lusios  imterlialb  Demitsana  (Taf.  XI  4). 
Dicht  an  der  Chaussee,  5  Minuten  nördlich  von  Demitsana  aufgenommen.  Links  oben 
die  westlichsten  Häuser  der  Stadt.  Jenseits  gelangt  man  nach  Gortys.  —  Der  Lusios  tritt 
aus  dem  KAMnoc  Ahmitcanac  zunächst  in  eine  enge  hochromantische  Schlucht;  nach  20  Mi- 
nuten öffnet  sich  eine  breitere,  freundliche  Talmulde,  und  erst  wieder  kurz  vor  Demitsana 
treten  die  Felsen  steil  und  rauh  zu  der  großartigen  Enge  zusammen,  oberhalb  der  die  Stadt 
auf  schmalem  ostwestlichen  Rücken  als  ein  Hort  der  Freiheit  der  türkischen  Herrschaft  zu 
trotzen  vermochte. 

Bevölkerungszahlen:  ahmoc  Ahmhtcänac  ^,  Vorort  Ahmhtcana  2  toi:  ahmoc  Aap- 
KAAiwN,  Vorort  AArKAAiA  4649. 

Anhang. 
Drei  Bronzen  aus  Petrobuni,  Methydrion  und  Kaphyai. 

Kleine  Bronzegrupj^e  von  vier  tanzenden  widderartigen  Gestalten  (Taf.  XHI  3). 

Nach  Ermittlung  von  Angelis  Kosmopulos  westlich  des  Tempels  von  Petrobuni  ge- 
funden (Br  des  Planes).  Jetzt  im  Nationahnuseum  zu  Athen,  J.-Nr.  13789.  —  Die  Figuren 
stehen  auf  einer  ungefähr  elliptischen  Basis  mit  Zapfen.  Höhe  der  letzteren  1.7;  Höhe  über 
dem  Zapfen  5.1;  größte  Breite  3.3  cm.  —  Voll. 

Die  Figuren,  roh  im  »Terrakottastil«  geformt,  tanzen  aufrecht  auf  plumpen  gespreizten 
Beinen  im  Kreise.  Die  Arme,  zu  formlosen  Stümpfen  verkümmert,  sind  vom  Körper  weg- 
gestreckt, den  Nachbarn  zu.  Die  schlanken  Leiber  sind  außen  (hinten)  glatt,  innen  zottig- 
rauh. Darauf  sitzen,  ineinandergeschoben,  mächtige  Widderköpfe  mit  weit  geöffneten 
Mäulcrn  und  hervorquillenden  runden  Augen,  die  in  Form  kleiner  flacher  Warzen  aufge- 
tragen sind;  die  Hörner  sind  nur  durch  seitliche  Verdickungen  angedeutet.  Das  männliche 
Geschlecht  ist  kräftig  betont.  —  Durch  die  naive  Auffassung  und  die  mehr  oder  minder 
starke  Neigung  der  Gestalten  in  die  Richtung  der  Drehung  (Verbiegung  scheint  ausge- 
schlossen) wirkt  die  Gi'uj^pe  bei  aller  Roheit  der  Ausführung  höchst  lebendig^.  —  Phot. 
Rohr  er. 

Bronzestatuette  des  Zeus  (Taf.  XHI  i). 

Gefunden  unterhalb  der  Südmauer  von  Methydrion  (Br  des  Planes).  Jetzt  im  National- 
museum zu  Athen,  J.-Nr.  13788.  —  Höhe  7.65;  größte  Breite  5  cm.    Voll. 

LTntersetzte  Figur  in  der  lebhaften  Bewegung  der  bekannten  Zeusstatuetten  von  Dodona 
und  Olympia.  Ziemlich  rohe  Provinzialarbeit.  —  Füße  dick  und  plump;  Zehen  r.  durch 
4,  1.  durch  3  Ritzlinien  markiert.  Der  Hacken  des  rechten  Fußes  ist  etwas  angehoben, 
während   der   linke   Fuß    mit  voller   Sohle   aufsteht.     Beide   Beine    sind    gebeugt.     Waden 

^  Ich  schreibe  Ahmitcana,  was  mir  angemessener  zu  sein  scheint;  vgl.  NeMJTCA,  CreM- 
nItca  u.  dgl. 

^  Über  die  zugrunde  liegenden  Anschauungen  vgl.  zuletzt  S.  Eitrem,  Beiträge 
zur  griechischen  Religionsgeschichte  1,  Der  vordorische  Widdergott,  Christiania  Videnskabs- 
Selskabs-Forh.  1910  Nr.  4;  ferner  Perdrizet,  Hermes  criophore.  Bull.  hell.  XXIII  (1899) 
635   (Lykosura),  XXVII  (1903)  300  ff.  und  Taf.  VII— IX. 

Phil.-hist.  Klasse.  1911.    Anhang.    Ahh.  IV.  6 


42  F.  Hiller  von  Gaert ringen  und  H.  Lattermann: 

plump,  wenig  ausgeprägt;  Kniescheibe  ganz  leicht  angedeutet;  Oberschenkel  verhältnismäßig 
zu  dünn.  Das  männliche  Glied  sehr  kräftig.  Desgleichen  die  Bauchmuskeln.  Oberkörper 
und  Kopf  sind  fast  um  einen  rechten  Winkel  nach  links  gedreht.  Brust  breit,  aber  flach. 
Starke  Rückenlinie,  vom  Gesäß  abgesetzt,  oben  nach  rechts  verlaufend.  Rechter  Oberarm 
vom  Körper  abgestreckt,  Unterarm  etwa  unter  45°  erhoben;  Finger  roh,  zusammengeballt 
und  durchbohrt  (kreisrundes  Loch  mit  schräger  Achse,  Durchm.  3.5  mm),  dicht  hinter  das  Ohr 
geführt.  Linker  Arm  wagerecht,  im  leichten  Bogen  in  die  Richtung  des  linken  Beines  ge- 
führt ;  ziemlich  glatt  imd  ausdruckslos ;  Durchbohrung  wie  bei  der  rechten  Hand,  doch  steht 
die  Achse  beinahe  senkrecht.  Hals  stark  und  kurz.  Gesicht  oval,  sehr  breite,  niedrige 
Stirn.  Der  Nasenrücken  liegt  in  einer  Linie  mit  der  Stirn,  die  Spitze  ist  etwas  aufge- 
worfen. Lippen  breit  und  aufgeworfen.  Schnurr-  und  Vollbart  dm'ch  Ritzlmien  markiert, 
ersterer  durch  dicht  liegende  schräge,  letzterer  durch  senkrechte  in  größerem  Abstände; 
der  Vollbart  ist  vorn  rund  beschnitten.  Augen  geschlitzt,  links  das  untere  Lid  stark  her- 
vortretend. Starke  Brauenknochen.  Ohren  roh  und  formlos.  Kopfhaar  in  kräftig  abge- 
setzter Kappe  geordnet,  vorn  radial  durch  strähnige  Linien  geteilt;  hinten  unter  der  Binde 
ein  glatter  Schopf  bis   zum  Nacken.  —  Phot.  Rolirer. 

Archaische  Bronzestatuette  eines  adorierenden  Jünglings  (Taf.  XIII  2). 

Gefunden  nach  zuverlässiger  Angabe  im  Stadtgebiet  von  Kaphyai,  erworben  in 
Lebidion.  Jetzt  im  Nationalmuseum  zu  Athen,  J.-Nr.  13748.  —  Höhe  8.7;  größte  Breite 
4  cm.     Voll. 

Linkes  Bein  leicht  links  vorgesetzt;  auch  das  rechte  Knie  ganz  wenig  eingeknickt. 
Vorn  sind  die  Beine  ziemlich  kantig,  namentlich  das  reclite.  Waden  verhältnismäßig  sehr 
kräftig.  Zehen  nicht  ausgearbeitet.  Linker  Arm  im  leichten  Bogen  nach  vorn  genommen; 
linke  Hand,  zur  Faust  geballt,  ruht  in  Höhe  der  Scham  auf  dem  Körper.  Recliter  Arm 
genau  seitlich  wie  grüßend  zum  Kopf  erhoben.  Rechte  Hand  dicht  an  die  Schläfe  geführt; 
kleiner  und  Ringfinger  sind  umgelegt,  Daumen  und  die  beiden  übrigen  vorgestreckt.  Schmales 
Handgelenk.  Muskulatur  der  Arme  kräftig  und  leidlich  gut  beobachtet.  Bauch  schmal  imd 
flach,  Brust  breit,  kräftig  hervorgehoben;  sonst  die  Muskulatur  vorn  mangelhaft;  hinten 
starke  breite  Rückenlinie.  Hals  stark,  gedrungen,  Gesicht  voll  und  rund,  bartlos.  Augen 
wie  geschlossen.  Haar  stark,  vorn  in  der  Mitte  gescheitelt,  fällt  über  die  Schläfen  herab; 
oben  glatt;  hinten  desgleichen,  in  Höhe  der  Ohren  eingezogen,  darunter  bis  zum  Nacken 
reichender  glatter  Schopf.  —  Oberfläche  ziemlich  gut  erhalten;  etwas  zersetzt:  der  Körper 
vorn,   das  Gesicht  unten  (Mund  und  Nas.e)  und  hier  und  da  die  Arme.  —  Phot.  Rohr  er. 


ArJcadische  Forschungen. 


43 


Inhalt. 

Seite 

Reisebericht  von  F.  Hiller  von  Gaertringen 3 — 13 

Epigrapliischer  Anhang  von  Demselben   14 — 17 

Athen  S.  14.     Gottesurteil  von  Mantinea  S.  14.     Lasiün  S.  16. 

Orchomenos  mit  Methydrion,  Thisoa  und  Teuthis.    Kaphyai  von  H.  Latt ermann  18 — 26 

Bemerkungen  zu  den  Plänen  und  Abbildungen  von  Demselben 26 — 41 

Orchomenos  und  Kaphyai  S.  26 — 31.     Methydrion  mit  Petrobuni  S.  31 — 37. 

Thisoa  und  Teuthis  S.  37—41. 

Anhang.     Drei  Bronzen   aus  Petrobuni,    Methydrion   und  Kaphyai   von  Demselben  41 — 42 


Verzeichnis  der  Tafeln. 


I.  Situationsplan  von  Orchomenos. 
IL  Burgplan  von  Orchomenos. 

III.  Plan  von  Methydrion. 

IV.  Plan  der  Flur  Petrobuni. 

V.  Plan  von  Thisoa  am  Lusios. 
VI.  Orchomenos. 
VII.  Orchomenos. 


VIII.  Orchomenos.     Kaphyai. 
IX.  Petrobuni. 
X.  Tempel  von  Petrobuni. 
XL  Methydrion.     Thisoa.     Teuthis. 
XII.  Bekannte  arkadische  Inschriften. 
XIII.  Bronzen. 


Pausanias'  Buch  VIH  über  Orchomenos. 

XII  8,    AeineTAi   a^  exi  tön   öawn    h    ec   'OpxoweNÖN,    kag'  hntina  ArxiciA 

Te    ÖPOC     KAI   "ArXICOY    MNHMA    ECTIN    '^T\Ö    TOY    OPOYC   TOTc    nOCIN.  -  -     9-    "  "  HPÖC    AG   TOY 

"ArxicoY  TW  TÄ<t)ü)  epeiniÄ  ecTiN  'A*poaithc  igpo?,  kai  Mantin^con  öpoi  npöc  ""Opxo- 
weNiOYC    KAI    GN   taTc   ArxiciAic   eiciN. 

XIII  I.  GN  Ae  TH  XClOPA  TH  ''O  P  X  0  M  £  N  1  CO  N  GN  APICTEPA  THC  ÖAOY  THC  XnÖ 
■ArXICICON  eN  YnTICO  TOY  ÖPOYC  TÖ  IGPÖN  eCTI  THC  ""YmNIAC  ApT^MIAOC  MGTeCTI  A^ 
AYTOY     KAI     MANTINeYCI     -   - 

2.  "'OpxoMeNioic  Ae  H  npoT^PA  nÖAic  eni  öpoyc  hn  akpa  th  kopy*h,  kai 
XropÄc   Te    KAI   TeixÖN    epeiniA   AeineTAi '    th)n    ac    e*'   hmön    nÖAiN    v-nö   tön    nepi- 

BOAON  OIKOYCI  TO?  APXAIOY  TeixOYC.  G^AC  A^  AV'TÖei  AilA  nHTH  !£,  A<t>'  HC  YAPeY- 
ONTAI,  KAI  rToceiACüNÖC  eCTI  KAI  ■A^POAITHC  ICPA,  AIGOY  AC  TA  ATÄAMATA.  nPOC  AC 
TH  nÖAei  lÖANÖN  eCTIN  THC  ApTCMIAOC  "  YaPYTAI  Ae  eN  KeAPtü  MerÄAH,  KAI  THN  eeÖN 
ÖNOMAZOYCIN    AHO    THC    KCAPOY    KcAPeATIN.        3.     Cü)POI     A^     YnÖ    THN    HOAIN    AIGCON    eiCl 

AiecTHKÖTec   XnÖ    Xaahaoon,    encNHencAN    a^   cn    noA^MO)   necoVciN    Xnapacin   -  - 

4.    ecTi    Ae   XnANTiKPY   THC   nÖAecüc   öpoc  Tpax^.     tö  aö  yacop  tö  gk  to9 

eeOY     AIÄ     XAPÄAPAC      pdON     KOIAHC     MeTAiY     THC     TC     nÖACCOC     KAI     TOY     TpAXeOC     OPOYC 

KÄTeici,  ec  AAAO  ■'OpxoMeNioN  ncAiON,  TÖ  Ae  neAiON  toyto  wereeei  mcn  werA,  tä 
nAeico  ac  ecTiN  ayto?  aimnh.  iönti  aö  ei  ""0  PxoweNO?  kai  ctaaioyc  npocAeÖNTi 
bcoN   TpeTc   H    MÖN    CYeeTA    eni    nÖAiN    Ka^yan    Xrei    üapa    tc    aythn    thn    xapaapan 

KAI  MeTA  TA^THN  EH  XpiCTCPA  HAPÄ  TÖ  YACOP  TÖ  AIMNÄZON  '  H  Ae  CTGPA  TWN  OACON 
AIABANTI  TÖ  YACOP  TÖ  THC  XAPÄAPAC  PeON  YnÖ  TÖ  TPAXY  eCTIN  OPOC.  5.  KATA  AC  THN 
ÖAÖN  TAYTHN  nPUTON  MÖN  MNHMA  eCTIN  'ApiCTOKPATOYC  -  -  MCTÄ  AÖ  TOY  APICTO- 
KPATOYC     TÖN     TÄ<t>ON     nHTAI    T^    GICI    KAAOYMCNAI    TcNcTaI,     KAI    Xnexei    TÖN    ÜHrCON    CTAAIA 

d)c   enTÄ  ""Amiaoc   xcopion    -  - 

XXIII  2.  (eAi^Aü)CA  Ae  eN  tco  aötu  tö  ec  ■'Opxomcnioyc  coc  hpöta  m^n  hapa 
tAn  xapaapan  ecTiN  [h]  eYeeTA,  tö  Xnö  toytoy  a^  eN  Xpictcpa  to9  yaatoc  toy 
aimnazontoc).     eN    ag   tö   ncAicp  tö  Ka^yön   nenoiHTAi  rnc  xöma,    ai'  o?  XneipreTAi 

TÖ  YACOP  TÖ  6K  THC  'OpXOMeNlAC  Ml^  cTnAJ  KA<J)YeYCIN  BAABOC  TH  eNePTÖ.  KATA  Ae 
TÖ  eNTÖC  TO?  XÖMATOC  HAPeieiCIN  YACOP  AAAO,  ÜAI^eei  MCN  OCON  Te  gTnAI  nOTAMON, 
KATePXÖMCNON     AG     eC     XÄCMA    THC   ANeiCIN    AYGIC   HAPÄ    NXCOYC    KAAOYMGNAC     -   -     daraUS 

wird  der  Fluß  Tragos,  der  zum  Ladon  fließt. 


K.  Freuß.  Akad.  d.  Wi^sensch. 


Anhang  z.  d.  Phü.-hist.  Abh.    1911. 


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Eeogr.  Iftti.lnst.u.Steindr.v.Wilheltn  Greve,  Berlin  SW. 


F.  Hiller  von  Gaertringen  und  H.  Lattermann:  Arkadische  Forschungen. 

Taf.  I. 


Akad.  d.  Wissensch. 


Anhang  z.  d.  Phü.-hüt.  Äbh.  1911. 


Veu/8.  AJead.  d.  Wissensch. 


Anhang  z.  d.  Phü.-hist.  Äbh.  1911. 


OI^OA 


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F.  Hiller  von  Gaertringen  nnd  H.  Lattermann:  Arkadische  Forschungen. 

Taf.  V. 


K.  Preuß.  AJcad.  d.  Wissensch. 


Allhang  z.  d.  PhiL-hist.  Abh.  1.911. 


C/D 


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K.  Preuß.  Akad.  d.  Wissensch. 


Anhang  z.  d.  Phil.-hist.  Abh.   1911. 


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K.  Preuß.  Akad.  d.  Wissensch.  Anhang  z.  d.  Phil.-hist.  Abh.  1911. 

ORCHOMENOS.     KAPHYAI 


I.    Blick  von  Orchomenos  nach  Norden. 


2.    Archaischer  Torso  von  Orchomenos. 


3.    Tempel  (der  Artemis  Knakalesia?)  bei  Kaphyai. 

F.  Hiller  von  Gaertringen  und  H.  Lattermann:  Arkadische  Forschungen. 

Taf.  VIII. 


K.  Prmß.  Akad.  d.  Wissensch. 


Anhang  c.  d.  Phil.-hist.  Ähh.  1911. 


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K.  Preuß.  Akad.  d.  Wissensch. 


Anhang  z.  d.  Phil.-Jdst.  Abh.   1911. 


TEMPEL  VON   PETROBUNI 


I.    Ansicht  von  SO. 


2.    Ansicht  von  SW.     Im  Hintergrunde  das  Mainalqn. 


F.  Hiller  von  Gaertringen  und  H.  Lattermann:  Arkadische  Forschungen. 

Taf.  X. 


K.  Preuß.  Akad.  d.  Wissensch. 


.  Anhang  z.  d.  Phil-hist.  Abh.    1911. 


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K.  Preuß.  Akad.  d.  Wissensch. 


Anhang  z.  d.  Phil.-hist.  Abh.    l'Jll. 


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BEKANNTE 
ARKADISCHE  INSCHRIFTEN 


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2.   Mantineia. 
Roehl,  Iniag.3  io6, 


I.    Synoikieurkunde  von  Oi'chomenos. 
Ath.  Mitt.  XXXIV  1909,  240  C. 


3.    Gottesurteil  von  Mantineia.    Fougeres,  Mantinee  524. 

F.  Hill  er  von  Gaertringen  und  H.  Lattermann:  Arkadische  Forschungen. 

Taf.  XII. 


K.  Preuß.  Akad.  d.  Wissensch. 


BRONZEN 


Ajihang  z.  d.  Phil.-Jiist.  Abh.   1011. 


I  a.    Methydrion. 


2  a.    Kaphyai. 


3  a.    Fetrobuiii. 


1  b.    Methydrion. 


2  b.    Kaphyai. 


3  b.    Pctrobuiii. 


F.  Hiller  von  Gaertringen  und  H.  Lattermann:  Arkadische  Forschungen. 

Taf.  XIII. 


Erster  vorläufiger  Bericht  über  die  von  den  Königlichen 
Museen  unternommenen  Ausgrabungen  in  Samos. 

Von 

Direktor  Dr.  THEODOR  WIEGAND 

in  Konstantinopel. 


Phil.-hisi.  Klasse.    1911.    Anhang.    Abh.  V. 


Vorgelegt  von  Hrn.  Conze  in  der  Gesamtsitzung  am  13.  Juli  1911. 
Zum  Druck  verordnet  am  gleichen  Tage,  ausgegeben  am  18.  August  1911. 


Am  2  2.  Mai  1909  richtete  ich  durch  Vermittlung  des  Kaiserlich  Deutschen 
Vizekonsuls  in  Samos,  Hrn.  Aristoteles  Stamatiadis,  an  die  Regierung 
des  Fürstentums  Samos  das  Gesuch  um  die  Erlaubnis  zu  Ausgrabungen  auf 
zehn  Jahre  für  das  Heraion,  die  alte  Stadt  Samos  und  die  heilige  Straße, 
welche  beide  Stätten  verbindet.  Seine  Hoheit  der  Fürst  von  Samos,  An- 
dreas Emm.  Kopasis  Effendi,  überwies  das  Gesuch  bereits  am  folgenden 
Tage  mit  einem  warmen  Empfehlungsschreiben  der  Versammlung  der  Ab- 
geordneten, welche  die  Annahme  votierte;  dieser  Beschluß  wurde  durch  die 
Unterschrift  des  Fürsten  bestätigt  und  als  gesetzliche  Verordnung  im  Regie- 
rungsblatt der  Insel  veröffentlicht.  Auf  Grund  derselben  wurde  zwischen 
dem  Senatorenkollegium  (Ministerrat)  des  Fürstentums  und  mir  am  i .  Okto- 
ber 1909  ein  Vertrag  abgeschlossen,  welcher  u.  a.  den  Beginn  der  Kon- 
zession auf  den  i.  März  19 10  festsetzte.  Dieser  von  der  Abgeordneten- 
versammlung des  Jahres  1 9 1  o  bestätigte  Vertrag  wurde  am  1 1.  Oktober  19 10 
vom  Fürsten  veröffentlicht  (Nomos  Nr.  2349,  Bekanntmachung  der  fürst- 
lichen Kanzlei  Nr.  5901). 

Durch  Erlasse  Seiner  Hoheit  des  Fürsten  Andreas  vom  28.  Dezem- 
ber 1 909  und  3 .  Juli  1 9 1  o  wurde  die  Expropriation  des  zumeist  aus  Weinber- 
gen bestehenden  und  in  kleine  Parzellen  geteilten  Gebietes  am  Heraion  derar- 
tig gefordert,  daß  bis  zum  Beginn  der  Grabung  43491  qm  Land  von  16  ver- 
schiedenen Besitzern  erworben  werden  konnten.  Hierbei  wurde  ich  von 
Hrn.  Vizekonsul  Stamatiadis  in  der  wirksamsten  Weise  unterstützt,  wie  ihm 
überhaupt  lebhafter  Dank  für  seine  Bemühungen  um  das  Zustandekommen 
der  Konzession  gebührt.  Die  erste  große,  für  die  Arbeiten  nötige  Summe 
war  inzwischen  von  einem  Freunde  klassischer  Studien,  Hrn.  Dr.  jur.  Max 
Oechelhäuser  zu  Berlin,  in  dankenswerter  Weise  zur  Verfügung  gestellt 
worden.     Schon  im  Herbst  1909  hatte  ich  das  ganze  Gebiet  am  Heraion 


4  Th.  Wiegand: 

durch  den  Hauptmann  im  Kgl.  Preußischen  Großen  Generalstab  Hrn. 
K.  Lyncker  vermessen  lassen. 

Bevor  ich  die  Ergebnisse  meiner  am  i.  Oktober  1910  begonnenen  Frei- 
legung des  Heratempels  schildere,  ist  es  nötig,  der  Männer  zu  gedenken, 
die  zuvor  schon  versucht  hatten,  dies  Problem  zu  lösen.  Ihre  Bemühun- 
gen sind  sämtlich  daran  gescheitert,  daß  der  Aufwand  von  Zeit  oder  Mitteln 
nicht  im  Verhältniß  zur  Größe  der  Aufgabe  gestanden   hat. 

Im  Jahre  1702  ließ  Tournefort  die  Unterlage  der  einzigen  noch  auf- 
recht stehenden  Säule,  die  dem  Heraion  seinen  heutigen  Namen  h  koaönna 
gegeben  hat  und  die  mit  2  Fuß  Erde  bedeckt  war,  freilegen  (Voyage  dans 
le  Levant,  Paris  1717  I  Kap.  X  S.  420).  Er  versuchte  den  Abstand  zwi- 
schen den  Säulenstellungen  der  beiden  Flanken  zu  messen,  die  er  auf  24  Toisen 
=  48,78  m  angibt.  Auch  ließ  er  einen  eierstabgezierten  Kapitellhals  zeich- 
nen. An  derselben  Stelle  setzte  am  27.  Februar  1853  Victor  Guerin  ein, 
da  die  Basis  der  koaönna  wieder  halb  verschüttet  war.  Er  legte  sie  mit 
7  Sträflingen  und  4  Soldaten  frei,  stellte  aber  schon  am  folgenden  Tage 
die   Grabung   ein   wegen   unverschämter   Forderungen    des    Grundbesitzers. 

Sehr  wichtig  ist  der  Versuch,  den  Karl  Humann  im  Auftrage  J.  K. 
Str^eks  am  Heraion,  leider  mit  wenig  Mitteln,    1862  vornahm. 

Er  stellte  zuerst  die  Gesamtrichtung  des  Tempels  fest  und  sah,  daß 
er  acht  Säulen  in  der  Front  hatte,  die  in  ungleichen  Abständen  angeordnet 
waren.  Er  fand  ferner  die  ersten  Spuren  der  Anten  und  der  Innensäulen 
des  Pronaos,  den  er  mit  zwei  Reihen  zu  vier  Stützen  (statt  fänf)  annahm; 
er  beobachtete  auch  zuerst  einen  Rest  des  älteren  Kalksteintempels  in  den 
Fundamenten.  Diese  erste  archäologische  Arbeit  Karl  Humanns  ist  nie 
publiziert  worden.  Sie  befindet  sich  unter  den  nachgelassenen  Papieren 
Stracks  im  Besitze  der  K.  Technischen  Hochschule  zu  Charlottenburg 
(Mappe  I  "Nr.  XIII  Samos)\  Die  einzige  gedruckte  Erwähnung  dürfte  die 
von  E.  Fabricius  sein  (Sitzungberichte  der  Archäologischen  Gesellschaft 
zu  Berlin  1886/87,  Dezember,  Nr.  2   S.  28). 

Im  Sommer  1879  machte  Paul  Girard  einen  Grabungsversuch  an  der 
Ostseite.  Sein  Plan  (BGH  1880  PL  XII)  ist  unvollständiger  als  derHumanns, 
denn  Girard  hat  die  Anten  nicht  bemerkt,  auch  fehlen  bei  ihm  eine  An- 


*    Für  die  freundliche  Auskunft  darüber  sage   ich  dem   Neffen  J.  K.  Stracks,   Hrn. 
Prof.  H.  Strack,  meinen  verbindlichsten  Dank. 


Erster  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Samos.  5 

zahl  Säulen  des  nördlichen  Innenpteron,  die  bei  Humann  vorhanden  sind. 
Einen  großen  Rückschritt  bedeutet  sein  Plan  aber  besonders  deshalb,  weil 
er  die  Ostfront  mit  sieben  statt  mit  acht  Säulen  zeichnet.  Den  Rest  der 
archaischen  Spira  unter  der  Säule  vor  der  Nordante  hat  G-irard  auch  ge- 
sehen. Wenn  er  aber  gesteht:  J'ai  fait  couper,  pour  mesurer  ce  diametre, 
l'angle  de  la  masse  quadrangulaire  de  tuf  sous  laquelle  la  base  [archaique] 
se  trouve  engagee  — ,  so  muß  man  gegen  eine  derartige  Ausgrabungs-  und 
Meßmethode  noch  schärferen  Protest  einlegen  als  gegen  die  von  unwissen- 
den Bauern  verursachten  Zerstörungen.  Das  Fundament  der  römischen 
Treppe  hat  Girard  durchgraben,  ohne  seine  Bedeutung  zu  erkennen  (a.  a.  0. 
S.  392).  Er  fand  darin  Reste  eines  späten,  kleineren  dorischen  Gebäudes  aus 
Kalkstein,  von  dem  auch  ich  zahlreiche  Bauglieder  neu  gefunden  habe. 

Durch  Gesetz  vom  i.  Mai  1902  (NowoeeciA  thc  Cämoy  S.  iooi  und 
1012  Nr.  1079  und  1080)  erhielt  die  Archäologische  Gesellschaft  zu  Athen 
die  Erlaubnis  zu  Grabungen,  welche  während  einiger  Monate  des  Jahres 
1902  und  1903  durch  die  HH.  P.  Kavvadias  und  Th.  Sophulis  betrieben 
wurden.  Das  einzige,  was  darüber  publiziert  wurde,  steht  in  den  TTpak- 
tikA  thc  en  Aei^NAic  APXAiOAoriKHc  GTAipiAC  1902  (Athcu  1903)  S.  1 1  ff.,  1906 
S.  loff.  Danach  begann  die  erste  Arbeitsperiode  im  September  1902  und 
wurde  mit  Schluß  des  Jahres  beendet.  Als  sehr  große  Schwierigkeiten 
hebt  Kavvadias  hervor  den  weiten  Erdtranspost  bis  zum  Meere,  die  Ver- 
schüttung des  Tempels  und  das  höchst  ungesunde  Klima  infolge  der  ihn 
umgebenden  Sümpfe.  Kavvadias  sagt  dann,  man  habe  die  ganze  Nord- 
seite des  Tempels  aufgedeckt;  er  irrt  sich  dabei  insofern,  als  in  Wirklich- 
keit die  äußere  Säulenreihe  erst  durch  uns  freigelegt  wurde,  wie  auf 
Lynckers  Plan  vor  der  Ausgrabung  zu  ersehen  sein  würde.  Ferner  wurde 
an  der  Ostseite  gearbeitet.  Als  den  von  Pausanias  erwähnten  Aschen- 
altar glaubte  Kavvadias  einen  Baurest  an  der  Nordostecke  ansprechen  zu 
können,  was  ich  bezweifele.    Vor  der  Ostfront  erwähnt  er  dann  noch  aiä- 

4)0PA     KTICMATA    MeTArSNeCT^PCON    XPÖNWN     KAI     M^POC     THC     IGPÄC   ÖA09.       Im  folgCUdcn 

Jahre  glaubt  er  die  Gesamtmaße  des  Tempels  mit  112:56,25  m  angeben 
zu  können  (statt  108,73:  54,68  m),  richtig  stellt  er  24  Säulen  auf  jeder 
Langseite  fest,  auch  erkennt  er  1903,  daß  die  Ostfront  acht  Säulen  hatte, 

»nÖC     OMCOC     eTxGN    Ö    NAÖC    KATÄ   TI^N    AYTIKI^N    nACVPÄN    A^N    eiHKPIBdJeH    AC<J>AAUC   M^XPI 

To9Ae,  AiÖTi  A^N  «AiNeTAi  oTi  KAI  gkeT  gTxcn  öktü)  kionac«.  Zuversichtlichsr 
scheint  sich  Kavvadias  später  in  einem  Vortrag  im  Kais.  Deutschen  Ar- 


6  Th.   Wiegand: 

chäologischen  Institut  ausgesprochen  zu  haben,  daß  die  Hinterfront  eine 
Säule  mehr  als  im  Osten  hatte.  Die  westliche  Querwand  der  Cella  hat 
Kavvadias  ebensowenig  gefunden  wie  die  östliche  —  über  die  erstere 
war  zu  flach  hinweggegraben  worden.  So  blieben  die  Verhältnisse  der 
Cella  und  des  Pronaos  völlig  ungeklärt.  An  der  Südseite  wurde  über- 
haupt nicht  gegraben.  Der  Hauptfehler  der  Ausgrabung  war,  daß  sie  nicht 
tief  genug  in  den  Boden  geführt  wurde,  was  das  Grundwasser  wohl  er- 
laubt hätte,  da  wir  später  fast  drei  Meter  tiefer  dringen  konnten. 

Alle  bisherigen  Grabungen  mit  Einschluß  der  letztgenannten  hatten 
etwa  2/5  der  Oberfläche  des  Heraion  vom  Schutte  befreit,  dazu  war  ein 
größerer  Platz  vor  der  Ostfront  angegraben,  auf  dem  eine  byzantinische 
Kirche  das  hauptsächlichste  Gebäude  ist.  In  diesem  Zustand  befand  sich 
die  inzwischen  wieder  stark  mit  Gestrüpp  verwachsene  und  leider  auch 
unbewachte  Ausgrabungsstätte,  als  die  Ausgrabung  am  i.  Oktober  19 10 
von  mir  mit  dem  bewährten  Aufseher  Athanasios  Apergis  eröffnet  wurde. 
Vom  24.  Oktober  ab  wurde  ich  unterstützt  durch  Hrn.  Dr.  Martin  Schede. 
Als  fürstlicher  Regierungskommissar  wurde  uns  Hr.  Basilios  Theophanidis 
zugeteilt. 

Die  Arbeit  wurde  mit  Hilfe  einer  Kruppschen  Feldbahn  betrieben,  und 
es  wurden  bis  zu  185  Arbeiter  und  —  nach  Landessitte  —  Arbeiterinnen 
verwendet.  Am  17.  Dezember  19 10  war  die  Freilegung  des  Heraion  be- 
endet mit  einem  Aufwand  von  rund  9000  Tagelöhnen.  Im  Januar  wurde 
Hr.  Diplomingenieur  Armin  von  Gerkan  mit  der  Aufnahme  des  Grund- 
risses beauftragt,  die  er,  unterstützt  von  Dr.  Schede,  Anfang  Februar  be- 
endete und  die  ich  als  erstes  wichtiges  Ergebnis  nunmehr  mitteile. 


Der  Boden,  auf  welchem  das  Heraion  errichtet  wurde,  besteht  aus  san- 
dig-erdigem Alluvium. 

Das  Hauptmaterial  des  Tempels  ist  Porös,  der  auf  der  Insel  selbst 
reichlich  ansteht,  und  zwar  ist  in  den  tieferen  Teilen  des  Cellafundamentes 
ein  weicher,  gelblicher  Porös  verwendet,  der  sehr  stark  zu  engen  Schich- 
tungen neigt  und  bei  der  Verwitterung  leicht  in  diesen  bricht.  In  den 
höheren,  zum  Teil  sichtbaren  Teilen  ist  ein  etwas  härterer,  poröser  Kalk- 
stein verwendet,  der  in  trockenem  Zustand  eine  dunklere  Färbung  annimmt. 
Der  namentlich  an  den  äußeren  Säulen  und  gewissen  Schmuckteilen  ver- 


I 


Erster  vorläufiger  Bericht  über  AusgraJmngen  in  Samos.  7 

wendete   Marmor   ist   großkristallinisch,   von   teils   weißer,  teils    bläulicher 
Färbung.     Antike  Marmorbrüche  befinden  sich  an  mehreren  Stellen  der  Insel. 

Der  Tempel  ist  nach  Osten  orientiert,  jedoch  weicht,  nach  v.  Gerkans 
Messungen,  die  Längsachse  des  Tempels  von  der  magnetischen  0-W-Richtung 
um  9°  15'  nach  Norden  ab;  die  Deklination  beträgt  (schätzungsweise,  auf 
Grund  der  Angaben  des  k.  u.  k.  hydrographischen  Amtes  in  Pola^)  für  Milet, 
Smyrna  und  Rhodos)  ungefähr  3°  2'  westlich,  so  daß  die  Abweichung  der 
Tempelachse  von  der  genauen  0-W-Richtung  9°  1 5'  +  3**  2'  =  1 2°  1 7'  beträgt. 

Das  Fundament  der  Cella  (Fig.  i)  besteht  bis  zu  der  obersten  noch 
vorhandenen  Schicht,  welche  zugleich  Euthynteria  ist,  aus  1 3  Lagen,  deren 
Gesamthöhe  2,76  m  beträgt.  Die  Höhe  der  Schichten  schwankt  zwischen 
12  und  23  cm,  nur  die  mittelste,  siebente  Schicht  (von  oben  wie  unten) 
ist  höher  und  enthält  zahlreiche  Werkstücke  des  älteren  Tempels ;  die  übrigen 
Schichten  enthalten  keine  älteren  Werkstücke.  Alle  Schichten  sind  in  der 
Weise  abgetreppt,  daß  Stufen  von  4  bis  1 7  cm  Auftritt  entstehen,  die  durch 
beiderseits  auf  der  Oberfläche  vorgerissene  Linien  scharf  markiert  sind; 
diese  entsprechen  also  der  Breite  der  aufliegenden  Schicht.  An  einzelnen 
Stellen  beobachtete  v.  Gerkan  weitere,  die  Breite  des  Bossenvorsprungs 
der  oberen  Schicht  angebende  Ritzlinien,  »und  wo  die  Kanten  der  Schichten 
nicht  abgestoßen  sind,  findet  sich  bisweilen  ein  drittes  System  von  Linien, 
das  die  ideale  Breite  der  betreffenden  Schicht  angab.  Die  inneren  Seiten 
der  Fundamente  sind  stets  steiler  geböscht  als  die  äußeren«.  Auf  dem 
Plan  ist  die  siebente  Fundamentschicht  als  Fundamentbreite  eingetragen. 
Das  Innere  der  Fundamentmauern  ist  polygonal  gefugt. 

Die  Euthynterie-Schicht  ist  35  cm  hoch,  als  Breite  maß  v.  Gerkan 
2,16 — 2,20  m.  Sie  besteht  aus  großen  Quaderplatten,  die  durch  die  ganze 
Breite  der  Wand  gehen  und  mit  30  —  35  cm  langer  Anathyrose  scharf 
aneinandergefügt  sind,  während  sie  im  Innern  einen  Fugenzwischenraum 
von  etwa  3  cm  haben,  der  mit  kleinen  Porossplittern  gefüllt  war.  Nirgends 
sind  Klammern  verwendet.  Auch  auf  dieser  Schicht  sind  beiderseits  scharfe 
Ritzlinien  aufgetragen,  Avelche  uns  die  Breite  der  aufgehenden  Sockelschicht 
auf  2,156  angeben.  Da  dieses  Maß  für  uns  das  letzte  der  Höhe  nach  er- 
reichbare ist,  so  ist  es  im  Grundriß  als  Wandbreite  verwendet  worden. 


*    Für  die  freundliche  Auskunft  bin   ich   dem  k.  u.  k.  Fregattenkapitän  Hrn.  W.  von 
Keßlitz  lebhaften  Dank  schuldig. 


8 


Th.  Wieg  and: 


Im  Süden  und  Norden,  an  den  Stellen,  wo  die  beiden  Cellaquerw  ände 
auf  die  Langwände  stoßen,  sowie  an  den  beiden  äußeren  Westecken  der 

Fig.l. 


Fundament  der  Cella,  Nordseite. 


Cella  (Opisthodom)  in  der  Richtung  der  Lang  wände  sind  besondere  Fun- 
damentverstärkungen vorgesehen,  welche  als  treppenartige  Vorsprünge  bis 
zur  Euthynteria  emporreichen  und  eine  Gesamtbreite  von  etwa  3  m  haben, 
entsprechend   der  Breite   des  Cellafundamentes  (Fig.  2).     Es  ist  kein  An- 


Erster  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Samos. 


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Phil.-hüt.  Klasse.    1911.    Anhang.    Abh.  V 


10  Th.   Wiegand: 

zeichen  vorhanden,  wonach  diese  Verstärkungen  im  Oberbau  etwa  als  Pfeiler 
hochgegangen  seien,  vielmehr  sprechen  konstruktive  Gründe  im  Aufbau 
gegen  eine  solche  Annahme. 

An  den  südlichen  und  nördlichen  Außenseiten  der  Verstärkungen  be- 
merkt man  in  bestimmten  Abständen  einzelne  kurze  Steinpfeilerchen,  je 
zwei  an  den  Türwand  Verstärkungen  (vgl.  Fig.  2)  und  je  drei  an  der  hin- 
teren Cellaquerwand,  die  früher  niemals  im  fertigen  Bau  sichtbar  waren, 
sondern  nur  bei  der  Anlage  des  Gebäudes  als  sogenannte  »Böcke«  Zweck 
hatten;  letzteren  erkennt  man  am  besten  an  den  Pfeilerchen  der  Cella- 
rückwand:  sie  sind  nach  außen  und  unten  abgeschrägt,  und  diese  Schräge 
war  maßgebend  fär  die  Breite  der  betreffenden  zu  erbauenden  Fundament- 
schicht  der  Cellawand.  Auf  der  Vorderseite  der  Pfeilerchen  stellte  von 
Ger k an  vertikale  Ritzlinien  fest,  welche  die  Sockelbreite  der  Cellarückwand 
angeben.  Er  bemerkt:  »Auf  dem  Mittelpfeiler  ist  die  Wandachse  markiert,  sie 
muß  aber  fehlerhaft  aufgetragen  sein,  denn  sie  liegt  nicht  in  der  Mitte. 
Die  Abweichung  läßt  sich  nicht  durch  einen  äußeren  Wandvorsprung  er- 
klären, denn  auf  dem  ,Bock'  auf  der  Nordseite  liegt  die  Mittellinie  wieder 
näher  zur  äußeren  Ritzlinie.  Diese  , Böcke'  gestatten  ein  genaues  Messen 
der  Cellalänge,  obwohl  auf  dem  Fundament  der  Rückwand  selbst  kein 
Stück  der  obersten  Schicht  vorhanden  ist.« 

Die  östliche  (vordere)  Cellaquerwand  ist  nur  in  ihrer  südlichen  Hälfte 
erhalten,  die  nördliche  ist  durch  Steinräuber  ganz  entfernt  worden.  Nahe 
der  südlichen  Langwand  geht  eine  10  — 16  cm  breite  Fuge  durch  die 
ganze  Mauer,  die  im  Plan  auch  an  der  nördlichen  Hälfte  ergänzt  wurde 
und  —  vielleicht —  wegen  der  verschiedenartigen  Belastung  der  Fundamente 
vorgesehen  war.  Auch  ist  diese  Türwand  nach  von  Gerkans  Messungen 
wenigstens  4,4  cm  stärker  gewesen,  da  die  »Böcke«  an  den  Enden  der  Tür- 
wand dies  anzeigen. 

Die  Frage,  ob  die  Anten  verkröpft  waren  oder,  wie  am  Artemision 
zu  Ephesos,  unverkröpft  durchgingen,  muß  einstweilen  offen  bleiben;  viel- 
leicht entscheidet  dies  die  Auffindung  eines  Antenfragments  bei  weiteren 
Fortschritten  der  Grabung. 

Vom  Cellafußboden  ist  nichts  mehr  gefunden  worden.  Sein  einstiges 
Vorhandensein  wurde  aber  durch  eine  weiße  Schicht  von  Kalksplitterii 
bewiesen,  die  in  derselben  Höhe  verlief  wie  die  Fußbodenplatten  des  Pro- 
naos.     Wir  waren  infolgedessen  dort  ungehindert  in  der  Tiefgrabung  und 


Erster  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Somos.  11 

fanden,  daß  der  ganze  Rauna  mit  einer  1^/2  m  dicken  Schicht  Meersand, 
der  mit  zahlreichen  Kieseln  durchsetzt  war,  aufgeschüttet  worden  ist.  Unter 
diesem  fanden  sich  die  Dachziegel  des  älteren  Tempels  in  dessen  Brand- 
schutt. In  größter  erreichbarer  Tiefe  (etwa  3  m)  fand  sich  ein  mit  Kalk- 
steinplatten bedeckter,  südöstlich  quer  durch  die  Cella  laufender  Entwässe- 
rungskanal, der  vielleicht  noch  älter  ist  als  das  ältere  Heraion,  von  dem 
später  die  Rede  sein  wird. 

Eines  der  wesentlichsten  Ergebnisse  unserer  Grabung  ist  die  Fest- 
stellung der  beiden  Cellaquerwände. 

Durch  die  Auffindung  der  vorderen  Querwand  konnte  zum  ersten- 
mal die  Tiefe  des  Pronaos  und  damit  die  Zahl  der  Pronaossäulen  auf 
2x5  in  dreischiffiger  Anordnung  bestimmt  werden.  Die  Schifie  sind  unter- 
einander gleich,  der  ganze  Pronaos  ist  quadratisch.  Zugleich  ergab  sich 
durch  die  beiden  noch  in  ihrer  ursprünglichen  Lage  verbliebenen  Marmor- 
spiren  die  Höhe  des  Pronaosfußbodens  mit  Sicherheit.  Er  lag  1 7  cm 
höher  als  der  Boden  der  äußeren  östlichen  Säulenstellung.  Eine  größere 
Anzahl  von  Fußbodenplatten  aus  hellem  Kalkstein  zeigen  da,  wo  sie  an 
die  Spirenunterlagen  anstoßen,  entsprechende  runde  Ausschnitte.  Die 
Platten  sind  22  cm  dick  und  teils  rechtwinklig,  teils  schräg  gefugt;  sie 
liegen  auf  der  Füllmasse  des  Pronaos. 

Das  die  Cella  rechtwinklig  umschließende  Fundament  der  inneren 
Säulenreihe  (Fig.  3)  ist  in  seiner  Art  ebenso  einheitlich  wie  das  der  Cella, 
in  der  Bauweise  jedoch  sehr  verschieden,  da  es  aus  kleineren,  außen  be- 
hauenen,  meist  länglich-rechteckigen  Porosplatten  geschichtet  ist.  Die 
Fundamentverstärkungen  der  Cella  stoßen  an  dies  Fundament,  sind  aber 
nicht  damit  verbunden.  Es  ist  auf  beiden  Seiten  abgeböscht,  jedoch  sind 
keine  Abtreppungen  vorhanden,  wie  wir  sie  bei  den  Cellafundamenten 
sahen  (Fig.  4).  Auf  durchgehende  horizontale  Schichtung  wurde  nicht  ge- 
halten, Einklinkungen  und  schräge  Fugen  kommen  öfters  vor,  häufig  werden 
flache  Porossteine  von  besonderer  Länge  verwendet.  Im  inneren  Funda- 
ment sind  solche  Platten  in  polygonaler  Fugung  angewendet,  wobei  Ab- 
spalte als  Füllmittel  kleinerer  Zwischenräume  dienten,  über  dem  unteren 
Fundament  liegen  regelmäßig  übereinander  zwei  etwa  quadratische  Schichten 
von  nahezu  4   qm    Größe,  die  aus  Porös  der  härteren  Sorte  bestehen. 

Einzelne  Unregelmäßigkeiten  in  der  Schichtung  wurden  gelegentlich 
durch  Unterschiebung   von  Bleiplatten  ausgeglichen;   eine  solche,   2 — 3  mm 

2* 


12 


Th.  Wieg  and 


Ö  ^ 


45    a 


Erster  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Samos. 


13 


14  Th.   Wieg  and: 

dick  und  an  einer  Seite  36,5  cm  lang,  mit  der  andern  noch  im  Funda- 
ment steckend,  beobachtete  ich  im  inneren  Südpteron  an  der  Stelle  der 
sechsten  Säule  von  Westen  (zweite  Schicht  vom  Säulenfuß  abwärts).  Dies 
zeigt,  mit  welcher  besonderen  Aufmerksamkeit  man  die  Stellen  fundamen- 
tierte,  an  denen  Säulen  vorgesehen  waren. 

Die  untere  der  beiden  Säulenunterlagenschichten  besteht  aus  4 —  6 
Teilstücken,  die  obere  ist  monolith  und  etwa  50  cm  hoch  (vgl.  Fig.  4); 
ihre  Oberfläche  liegt  nach  von  Gerkans  Messung  32  cm  über  der  Euthyn- 
teria  der  Cella;  dies  ergibt  die  Höhe  der  Basisunterkante  aller  Säulen 
mit  Ausnahme  der  um  eine  Stufe  (17  cm)  höherliegenden  10  Pronaos- 
säulen  (s.  o.). 

Auf  den  beiden  Unterschichten  der  Basis  hat  von  Gerkan  je  ein 
Kreuz  von  Ritzlinien  für  die  Markierung  der  Säulenachsen  festgestellt, 
das  an  vielen  Stellen  jedoch  leider  zu  verschwinden  droht  und  zum  Teil 
bereits  unkenntlich  ist.  Im  Kreuzungspunkt  zeigt  die  oberste  Porosplatte 
den  Zirkel-Einsatzpunkt,  von  dem  aus  eine  den  Umfang  der  Basis  andeu- 
tende, leider  fast  ganz  verschwundene  kreisförmige  Ritzlinie  geschlagen  war. 

»Meist  unabhängig  vom  Linienkreuz«,  sagt  von  Gerkan  in  seiner 
Erläuterung  zum  Plan,  »jedoch  stets  auf  einem  Diameter,  zeigen  beide 
Poroosschichten  flache  Einarbeitungen«  von  14 — 17  cm  Breite.  Sie  dienten 
jedenfalls  zum  Bestimmen  der  Säulenachse  beim  Verlegen  der  nächsten 
Schicht  bzw.  der  Basis.  In  die  Vertiefungen  wurden  vermutlich  Bretter 
geschoben,  auf  denen  der  Diameter  bezeichnet  wurde.  Nach  diesen  Marken 
wurde  darauf  die  Achse  auf  der  zweiten  Schicht  bezeichnet  oder  der  Basis- 
trochilus  zurechtgeschoben.« 

Spuren  eines  Plattenfußbodens,  wie  wir  sie  im  Pronaos  sahen,  sind 
im  äußeren  Säulengang  der  beiden  Langseiten  und  der  Rückseite  nicht 
beobachtet  worden.  Auch  bemerkt  man  an  den  Spirenunterlagen  keine 
Anzeichen  davon,  während  diese  im  Pronaos  deutlich  vorhanden  sind,  da 
die  Platten  unter  die  Spiren  etwas  eingrifien.  An  der  Nordseite  der  drei 
Säulen,  welche  in  der  Verlängerung  der  Nordante  stehen,  bemerkt  man 
in  Höhe  der  Basisunterkante  eine  geradlinige  Orthostatenflucht,  die  einst 
aus  10  oben  mit  schwalbenschwanzförmigen  Klammern  versehenen  Platten 
von  hartem,  löcherigem  Porös  bestand  und  von  der  Ante  bis  an  die  Vorder- 
kante des  Tempels  reichte.  Hier  scheint  sie  nach  Süden  umgebogen  zu 
sein,  um   in   gleicher  Weise  die  ganze  Prostase  einzuschließen  und  an  der 


Erster  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Samos. 


15 


16  Th.  Wiegand: 

Südante  in  entsprechender  Weise  zu  enden.  Doch  ist  an  der  Ostseite 
kein  Stein  davon  erhalten,  während  auf  der  Südseite  die  Pläne  von  Hu- 
mann und  Girard  noch  Platten  überliefern.  Zweifellos  ist  auch  diese  An- 
lage archaisch,  nach  Art  der  2  i  cm  langen,  4,5  cm  breiten,  unten  an  beiden 
Enden  mit  2,5  cm  langem  Dorn  versehenen,  mit  Blei  in  Schwalbenschwanz- 
form vergossenen  Eisenklammern,  die  ganz  ebenso  an  archaischen  Bauten 
zu  Didyma  vorkommen.  Diese  Platten  haben  also  einen  besonderen,  wahr- 
scheinlich gestampften  Fußboden  in  der  Prostase  umrahmt. 

Von  großer  Wichtigkeit  ist  die  Auffindung  von  drei  Perossäulen- 
trommeln  nahe  der  nördlichen  Ante,  bei  der  vierten  Säule  von  Osten  des 
inneren  nördlichen  Pteron.  Sie  liegen  noch  in  alter  Sturzlage  über  dem 
Tempel.  Wir  können  an  ihnen  mit  Sicherheit  feststellen,  daß  der  Tempel 
nicht  nur  Marmor-,  sondern  auch  Porossäulen  besaß.  Die  Säule  kann  in 
der  Prostase  gestanden  haben,  wofiir  auch  eine  später  zu  erwähnende  Ana- 
logie vorhanden  ist.  Die  Höhe  der  obersten  Säulentrommel  beträgt  etwa 
78  cm,  die  mittlere  ist  75  cm  hoch,  der  Durchmesser  beträgt  etwa  145  cm; 
von  der  dritten  Trommel  sind  Reste  vorhanden,  die  nur  eine  Messung  der 
Höhe  (65  cm)  zuließen.  Auf  den  Lagerflächen  sind  die  3  Trommeln  vor- 
züglich geglättet,  ein  Beweis,  daß  sie  tatsächlich  versetzt  waren.  Alle  haben 
schräge  Randkanten,  eine  Zirkellinie  auf  der  oberen  Lagerfläche  zeigt  am 
Rande  die  Lehre  för  die  künftige  Abarbeitung  des  rohen  Mantels,  an  dem 
man  rohe,  senkrechte  Meißellinien  bemerkt.  An  dieser  Säule  ist  also  die 
Kannelierung  nicht  erfolgt.  Wir  haben  aber  im  Schutt  der  Peristasis  eine 
beträchtliche  Anzahl  Fragmente  von  fertigen  Porossäulentrommeln  mit  io- 
nischen Kanneluren  gefunden,  die  zu  den  Porossäulen  des  Tempels  gehört 
haben  müssen  (Kannelurbreite  11  cm,  Stegbreite  12 — 14  mm). 

Wiederum  ganz  verschieden  von  dem  Fundament  der  inneren  Peristase 
und  dem  der  Cella  ist  das  2^/2 — 3  m  dicke  Fundament  der  äußeren  Säulen- 
reihe (Fig.  5),  denn  es  besteht  aus  starken  Porosschichten,  deren  Höhe  an 
der  Ostseite  z.  B.  zwischen  55  und  85  cm  schwankt.  Man  bemerkt  in 
diesem  ganzen  Zug  das  Bestreben  nach  horizontaler  Schichtung,  Einklin- 
kungen kommen  nur  ganz  vereinzelt  vor;  jedoch  finden  sich  größere  Un- 
regelmäßigkeiten an  der  südlichen  Langseite  und  an  den  Stellen,  wo  eine 
Anzahl  von  großen  Porossäulentrommeln  verbaut  sind  (s.  u.).  Sämtliche 
Fundamentsteine  sind  mit  einem  groben  Instrument  rauh  behauen;  dies 
war  eine  Hacke  (cK^nAPNON,  neugr.  CKenÄPNn),  deren  Schneide  mehr  als  5  cm 


Erster  vorläufiger  Bericht  über  Äusgralmngen  in  Samos.  17 

breit  war;  die  Bearbeitung  des  Steines  in  feuchtem  Zustand  ist  sehr  leicht. 
Nach  außen  zeigt  auch  dieses  Fundament  eine  leichte  Böschung.  Auf  der 
Südseite  findet  sich  eine  Eigentümlichkeit  darin,  daß  bei  der  siebenten 
Säule  von  0,  32,30  m  von  der  Südostecke,  ein  Einsprung  von  45 — 50  cm 
in  der  Längslinie  vorhanden  ist  (vgl.  Fig.  5);  von  Gerkan  erklärt  ihn 
so,  daß  es  die  Stelle  sei,  wo  das  Fundament,  das  von  beiden  Ecken  aus 
begonnen  wurde,  zusammenstieß.  Auf  der  Nordseite  war  ursprünglich 
auch  eine  kleine  Abweichung  vorhanden,  die  aber  schwerer  festzustellen 
ist,  da  die  östliche  Fundamenthälfte  mehr  als  40  m  lang  gänzlich  aus- 
gebrochen ist. 

Zahlreiche  Säulentrommeln  aus  Porös,  welche  in  den  Säulenfundamenten 
der  Peristase  verbaut  sind,  gehören  nicht  einem  älteren  Bau  an,  sondern 
zu  dem  hier  beschriebenen  Tempel  selbst,  denn  sie  sind  für  den  älteren 
Tempel  zu  groß,  und  vor  allem:  unfertig.  So  bleibt  nur  die  Annahme, 
daß  es  überschüssiges  Material  war  —  überschüssig  vielleicht,  weil  man 
erst  während  des  Bauens  auf  den  Plan  kam,  den  Säulenkranz  ganz  aus 
Marmor  herzustellen,  wie  dies  die  noch  stehende  Säule  beweist.  Jedoch 
ist  oben  schon  auf  eine  sehr  wichtige  Ausnahme  bei  der  Prostase  in  Ge- 
stalt einer  Porossäule  aufmerksam  gemacht  worden,  und  eine  zweite  Poros- 
säule  in  alter  Fallage,  wie  sie  aus  der  Prostase  gestürzt  ist,  liegt  noch 
unausgegraben  vor  der  Ostfront,  gekrönt  von  einem  Marmorkapitellhals. 
Diese  beiden  Ausnahmen  lassen  eine  für  die  Entwicklung  des  Bauwerks 
wichtige  Vermutung  über  die  Prostase  zu,  von  welcher  beim  Abschnitt  über 
die  Baugeschichte  die  Rede  sein  wird. 

Vor  der  Ostfront  hat  sich  ein  Stück  marmornen  Kapitellhalses  ge- 
funden, das  mit  einem  Anthemienmuster  dekoriert  ist;  es  stammt  nicht 
aus  unseren,  sondern  aus  älteren  Ausgrabungen,  durch  die  auch  eines  der 
sonst  üblichen,  mit  einfachem  Eierstab  gezierten  marmornen  Halsstücke 
(Fig.  i)  zutage  kam;  von  diesen  ergab  unsere  Ausgrabung  bis  jetzt  weitere 
vier  gut  erhaltene  Stücke.  Es  würde  verfrüht  sein,  über  die  Formen  des 
Oberbaues  jetzt  schon  eingehend  zu  handeln.  Nur  so  viel  sei  ausgesprochen, 
daß  die  Nachricht  des  Vitruv  VII  i,  §  12,  der  Tempel  habe  dorische  Formen 
gehabt,  sicher  unrichtig  ist,  da  sich  Resie  großer  Kapitellvoluten  mit  ar- 
chaisch-konvexem Volutengang  bereits  gefunden  haben.  Sie  müssen  eine 
bedeutende  Ausladung  gehabt  haben,  waren  gesondert  gearbeitet  und  auf- 
gelegt. 

Phil.-hist.  Klasse.    1911.    Anhang.    Abh.  V.  3 


18  Th.  Wiegand: 

Die  Säulen  sind  an  den  einzelnen  Teilen  des  Tempels  von  verschie- 
denem Durchmesser.  Während  die  Prostase  einen  unteren  Basisdurchmesser 
von  2,229  (östlich)  bis  2,340  m  (westlich)  hatte,  mit  einem  Kapitellhals- 
durchmesser von  1,614  m,  zeigt  die  Hinterhalle  einen  unteren  Basendurch- 
messer von  1,918 — 1,962  mit  einem  Kapitellhals  von  1,440  m.  Für  die 
Seitenhalle  maß  von  Gerkan  die  aufrechte  Säule  mit  2,176  unterem  Basis- 
durchmesser und  berechnete  (nach  dem  Verhältnis  des  Tempels  von  Ephe- 
sos)  den  Kapitellhals  mit  1,602  m.  Die  geringste  Stärke  hatten  natürlich 
die  Pronaossäulen,  nämlich  1,884 — 5  ^  Basisdurchmesser  und  (berechnet) 
1,350  m  Kapitellhalsdurchmesser. 

Auch  die  Interkolumnien  sind  an  den  verschiedenen  Tempelseiten  ganz 
verschieden.  Entsprechend  der  größten  Säulenstärke  sind  die  Interkolumnien 
an  der  Ostfront  die  breitesten,  und  zwar  vom  Mittelin terkolumnium  aus  in 
paarweise  rhythmischer  Weise.  Den  auffalligen  Umstand,  daß  das  Mittel- 
interkolumnium  schmaler  als  die  beiden  ihm  benachbarten  ist,  fülirt  v.  Ger- 
kan in  sehr  einleuchtender  Weise  darauf  zurück,  daß  man  auf  diese  Weise 
drei  gleichbreite  Pronaosschiffe  erhielt. 

Auf  der  Rückseite  zeigt  sich  die  einzig  dastehende  Tatsache,  daß  hier 
der  Tempel  eine  Säule  mehr  als  an  der  Ostfront  aufweist,  neun  statt  acht. 
Man  darf  dies  wohl  auf  das  Bestreben  zurückführen,  so  riesenhafte  Span- 
nungen wie  im  Osten  —  die  Architrave  waren  dort  bis  zu  8,467  m  lang  -  - 
zu  vermeiden,  und  man  konnte  dies  um  so  mehr  als  die  Cella  an  der  Rück- 
seite weder  einen  Eingang  noch  einen  eigentlichen  Opisthodom  hat.  Audi 
hier  sind  die  Weiten  der  Interkolumnien  rhythmisch  abgestuft:  die  beiden 
mittleren  gleich  (6,377),  die  zwei  seitlich  folgenden  gleichmäßig  nach  außen 
zunehmend,  die  äußersten  wieder  gleichmäßig  abnehmend.  Während  die 
größte  rhythmische  »Hebung«  an  der  Ostfront  vor  den  Seitenschiffen  des 
Pronaos  liegt,  findet  sie  sich  an  der  Westfront  auf  den  äußeren  Flügeln, 
vor  dem  inneren  Säulenumgang  der  Peristase. 

Äußerst  auffällig  ist  das  völlig  negative  Ergebnis  unserer  Suche  nach 
Innenstützen  der  Cella,  welche  man  voraussetzen  möchte  bei  einem  Räume 
von  23m  lichter  Breite.  Daß  die  Fundamente  der  Innenstützen  ganz  ver- 
schwunden seien,  wenn  sie  einst  vorhanden  waren,  ist  nicht  möglich,  da 
die  einst  zur  Füllung  aufgebrachte,  an  entscheidenden  Stellen  ungestörte, 
I  ^jz  m  dicke  Meersandschicht  nirgends  solche  Unterbrechungen  gezeigt  hat, 
während    es    nicht    auffällig   ist,    daß   wir   den  Altar   oder   die   Basis   des 


Erster  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Samos.  19 

Kultbildes  ebenfalls  nicht  fanden,  da  im  W  und  SW  der  Tempel  besonders 
stark  nach  unten  zerstört  ist  und  so  ein  Einzelfundament  leicht  ganz  ver- 
schwinden konnte.  Es  muß  also  bis  auf  weiteres  zugelassen  werden,  daß 
der  jüngere  Heratempel  eine  unbedeckte  Cella  gehabt  haben  könnte,  wie 
der  spätere  Tempel  von  Didyma.  Anderseits  ist  ein  antikes  Dach  von  23  m 
lichter  Spannweite  keineswegs  ganz  ausgeschlossen. 

Für  die  Gesamtmaße  des  Tempels  müssen  wir  uns  noch  genauere 
Mitteilungen  vorbehalten.  Nur  so  viel  sei  festgestellt,  daß  der  Tempel  im 
Verhältnis  von  i  :  2  gebaut  ist,  daß  die  Breite  der  Cella  gleich  der  Hälfte 
der  Gesamtbreite  des  Tempels  ist;  die  Cellalänge  mit  Anten  ist  gleich  drei 
Cellabreiten,  die  Cellalänge  ohne  Anten  ist  gleich  2^/2  lichten  Cellabreiten. 
Die  Breite  der  Front,  in  den  Säulenachsen  gemessen,  ist  52,414  m;  dies 
würde  100  königlichen  ägyptischen  Ellen  entsprechen. 

Über  die  Baugeschichte  des  Tempels  läßt  sich  mit  allem  Vorbehalt 
und  bis  zur  bevorstehenden  genaueren  Untersuchung  der  östlichen  Säulen- 
stellungen durch  V.  Gerkan  vorläufig  nur  die  Vermutung  aufstellen,  daß 
zuerst  die  Cella,  die  Vorhalle  und  deren  Prostase  gebaut  worden  sein  könnten 
und  dann  längere  Zeit  für  sich  bestanden.  Dafür  spricht  das  schlechte, 
f Ulis  tückartige  Verbindungsfundament  zwischen  der  Säule  vor  der  Nord- 
ante  und  ihrer  nördlichen  Nachbarsäule,  dafür  ferner  die  merkwürdige, 
oben  geschilderte  Orthostatenreihe  in  Fußbodenhöhe,  die  von  dem  Anten- 
sockel  ihren  Ausgang  nimmt  und  das  seitliche  Pteron  südlich  wie  nörd- 
lich ausschließt.  Ferner  der  Umstand,  daß  wir  vor  der  Ostfront  die  er- 
wähnte gestürzte  Porossäule  mit  ihrem  Marmorkapitell  in  situ  fanden,  die 
sicher  zur  Prostase  gehört.  Man  müßte  also  schließen,  daß  die  Prostase 
ganz  aus  Porossäulen  mit  Marmorbasen  und  Marmorkapitellen  bestand,  die 
auch  nicht  ersetzt  wurden,  als  die  übrigen  äußeren  Säulenschafte  infolge 
eines  Entschlusses  während  der  Erbauung  der  doppelten  Ringhalle  ganz 
aus  Marmor  statt  aus  Porös  hergestellt  wurden. 

Eine  Zutat  römischer  Zeit  ist  die  dem  Tempel  östlich  vorgelagerte, 
von  früheren  Beobachtern  nicht  erkannte  Treppe  aus  weißem  Marmor;  ihre 
Breite  entspricht  der  Breite  des  Tempels,  in  den  Achsen  gemessen  (52,414  m), 
sie  ist  beiderseits  von  einfach  profilierten  Wangen  (Fig.  6)  eingefaßt.  Die 
nördliche  Wange  war  schon  zum  Teil  bei  den  Grabungen  Kavvadias-So- 
phulis  zum  Vorschein  gekommen.  Die  Hinterfüllung  bestand  aus  großen 
Bachkieseln  des  nahen  Imbrasosflusses,  aus  älteren  Architekturstücken  und 

3* 


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Th.  Wieg  and 


a 
a 


« 


Erster  vorläufiger  Bericht  über  Ausgrabungen  in  Samos, 


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ÖS 


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CO 


Ol 

S 


22  Th.   Wieg  and: 

einigen  Skulpturfragmenten,  die  durch  Mörtel  verbunden  waren.  Vor  der 
Anlegung  dieser  römischen  Treppe  ist  der  Tempel  völlig  stufenlos  gewesen, 
Erdrampen  müssen  die  Stelle  der  Stufen  vertreten  haben,  die  ursprünglich 
sicherlich  geplant  waren.  "^ 

Im  Plane  des  Tempels  sind  nur  Maße  eingetragen,  die  wirklich  ge- 
messen oder  mit  ziemlicher  Sicherheit  berechnet  werden  konnten.  Die  nur 
annähernden  Maße  sind  nicht  eingetragen,  da  sie  sich  mit  genügender  Ge- 
nauigkeit abgreifen  lassen. 

Die  meisten  Glieder  des  älteren  Heratempels  liegen,  wie  schon  er- 
wähnt, in  der  deshalb  besonders  hohen  siebenten  Fundamentschicht  der 
Cella,  des  Pronaos  und  in  einigen  Fundamentteilen  der  Prostase  (vgl.  z.  B. 
Fig.  7).  Sie  bestehen  aus  einem  überaus  feinen,  gelblich  weißen  Kalkstein, 
der  eine  sehr  feine  Bildung  der  Schmuckformen  zuließ.  Im  ganzen  sind  bis 
jetzt  etwa  70  Stücke  der  Basis  (Spira  und  Torus)  von  ausgezeichneter  Arbeit 
beobachtet  worden,  deren  Formen  als  Vorbild  für  die  Basen  des  späteren 
Tempels  gedient  haben,  wobei  letztere  erheblich  vergröbert  wurden.  Der 
Durchmesser  einer  Spira  betrug  1,40 — 1,43  m,  der  eines  Torus  (oben  ge- 
messen, ohne  Auswölbung)  1,33  m.  Danach  könnte  der  ältere  Tempel  nur 
etwa  um  ^/ß  kleiner  gewesen  sein  als  sein  Nachfolger.  Von  den  Säulen- 
schaften  des  älteren  Tempels  sind  ebenfalls  Bruchstücke  gefunden,  zum 
Teil  sind  sie  im  Fundament  des  inneren  Säulenkranzes  verbaut.  Die  Kan- 
neluren  sind  sehr  flach,  an  einer  Stelle  maß  ich  10,6  cm  als  Kannelur- 
breite,  an  einer  anderen  10,8,  an  einer  dritten  11,2  cm.  Sie  stoßen  nach 
dorischer  Art  scharf  zusammen.  Auch  vom  einstigen  Fußboden  sind  Reste 
im  Innern  der  Cella,  2,40  m  tiefer  als  das  Pflaster  des  jüngeren  Tempels 
im  Pronaos,  gefunden  worden;  es  sind  Kalksteinplatten,  über  welchen  der 
alte  Brandschutt  mit  zahlreichen  Ziegeltrümmern  des  Dachbelags,  alle  mit 
braunrotem  Firnißüberzug,  lag.  Der  ältere  Tempel  hat  sicher  ein  voll- 
kommen ausgebildetes  Dach  besessen. 


Bei  der  Frage  nach  den  Baumeistern  des  älteren  und  des  jüngeren 
Tempels  werden  wir  vor  eine  schwierige  Aufgabe  gestellt.  Unsere  wich- 
tigste Quelle  Herodot  III,  60  sagt,  das  Heraion  zu  Samos  sei  der  nhöc  m^- 
ncToc  nÄNTWN  NHÖN  TÖN  hmeTc  tAweN.  Damit  meint  er  den  jüngeren  Riesen- 
bau; von  dem  jetzt   entdeckten  älteren  Tempel   hat  Herodot  nichts  mehr 


Erster  vorläufiger  Bericht  über  Atisgrabungen  in  Samos.  23 

gowul3t.  Wenn  er  also  weiter  fortlährt:  to?  (nho?)  apxit^ktoon  npÖToc  er^- 
NGTo  'PoTkoc  ct)|A^0Y  enixdjpioc,  so  (lenkt  er  sich  Rlioikos  als  Urheber  des 
jüngeren  Tempels,  weiß  aber,  daß  später  noch  ein  anderer  Architekt  an 
demselben  Bau  gearbeitet  hat.  Als  solcher  käme  nur  jener  Theodoros  in 
Betracht,  der  nach  Vitruv  VII,  1,12  ein  Buch  über  das  samische  Heraion 
geschrieben  hat  und  der  nach  Pausanias  (III,  12,  10)  als  Erbauer  der  spar- 
tanischen Skias  zu  gelten  hat. 

Der  Name  des  Erbauers  des  älteren  Heraion  bliebe  dann  ganz  ver- 
schollen. Aber  gerade  dieses  ist  künstlerisch  hochbedeutsam,  gerade  bei 
ihm  sind  die  originellen  Formen  vorgebildet,  die  an  dem  jüngeren  Tempel 
wieder  maßgebend  wurden.  Wenn  wir  die  Größe  der  älteren  Leistung, 
ihre  ganze  Vornehmheit  und  Schönheit  überdenken,  so  drängt  sich  die 
Annahme  auf,  daß  der  ältere  Bau  den  maßgebenden  Meister  gehabt 
hat,  dessen  Name  uns  Herodot  als  npwToc  apxit^ktcon  überliefert.  Das 
jüngere  Heraion  ist  ein  in  den  Schmuckformen  kopierter  vergrößerter 
Ersatzbau  für  den  in  einem  Perserbrand  zerstörten  (Paus.  VII,  5,  4)  be- 
rühmten Vorgänger.  Auf  den  älteren  Bau  müssen  wir  auch  die  Vitruv- 
stelle  über  den  Künstler  Theodoros  beziehen,  denn  er  gilt  als  Zeitgenosse 
des  Kroisos. 

Dem  Pausanias  ist  es  ebenso  gegangen  wie  Herodot.  Auch  er  hatte 
keine  Ahnung  mehr  von  dem  älteren  Bau  und  wundert  sich  daher,  daß 
das  von  ihm  gesehene  Gebäude  »trotz  dem  Brande«  so  stattlich  aussehe.  In 
Wirklichkeit  hat  dieses  jüngere  Gebäude  nicht  die  geringsten  Brand- 
spuren, und  die  Nachricht,  an  sich  wertvoll,  ist  auf  den  älteren  Bau  zu 
beziehen. 

Wann  ist  dieser  zugrunde  gegangen?  Da  in  den  Perserkriegen  und 
im  ionischen  Aufstand  die  Samier  vorwiegend  auf  persischer  Seite  standen, 
so  kann  sich  die  Nachricht  über  den  Brand  nur  auf  die  vorhergehende 
Zeit  der  Verwüstung  der  Insel  nach  dem  Tode  des  Potykrates  durch  den 
Satrapen  Otanes  ums  Jahr  5  i  7  beziehen,  der  nach  dem  Zeugnis  des  Hero- 
dot (III,  147)  auch  die  Heiligkeit  der  Tempel  nicht  geschont  hat. 

Es  mag  Jahre  gedauert  haben,  bis  man  an  die  Wiederherstellung  gehen 
konnte.  Daher  zeigen  manche  Zierteile  des  Neubaues  eine  relativ  junge 
Arbeit,  die  sich  der  Kunstübung  des  5.  Jahrhunderts  nähert;  während  das 
ältere  Heraion  z.  B.  noch  scharf  aneinanderstoßende  Stege  der  Kanneluren 
hatte,  finden  wir  beim  jüngeren  Bau  die  breiten  Stege  der  späteren  ionischen 


24    Th.  Wiegand:  Erster  vorläufiger  BericJit  über  Ausgrabungen  in  Sarnos. 

Säule,  und  während  beim  älteren  Tempel  die  Profile  noch  in  der  für  die 
altionische  Schmuckweise  charakteristischen  Art  weich  und  rundlich  ge- 
bildet sind,  zeigen  sich  am  jüngeren  Bau  zahlreiche  Werkstücke  mit  kantig 
behandelten  Einzelheiten  des  Schmuckes.  So  wird,  soweit  man  bis  jetzt 
urteilen  darf,  der  Neubau  ein  Werk  des  ausgehenden  6.  und  beginnenden 
5.  vorchristlichen  Jahrhunderts  sein.  Er  ist  nie  fertig  geworden,  hatte 
aber  jedenfalls  im   5.  Jahrhundert  noch  eine  längere  Bauzeit. 


Türkische  Manichaica  aus  Ohotscho.  I. 


Von 


A.  VON  LE  COQ. 


PML-kist.  Klasse.    Wll.    Anhang.   Abh.  VI. 


Vorgelegt  von  Hrn.  Müller  in  der  Sitzung  der  phil.-hist.  Klasse  am  19.  Oktober  1911. 
Zum  Druck  verordnet  am  gleichen  Tage,  ausgegeben  am  25.  April  1912. 


Uie  vorliegenden  türkischen  Texte  manichäisch-religiösen  Inhalts  gehören 
zum  Teil  zur  Ausbeute  der  ersten,  zum  Teil  zu  der  der  zweiten  Turfan- 
expedition.  Erstere  hat  Hr.  Prof.  Grünwedel  mir  zur  Verfügung  gestellt, 
wofür  ich  ihm  hier  meinen  Dank  ausspreche;  es  sind  die  Manuskriptbruch- 
stücke T.  M.  1 59,  282  und  T.  Iä,  die  sämtlich  aus  der  buddhistischen  Tempel- 
ruine ot*)  in  Chotscho  (Idiqut-Schähri)  bei  Turfan  stammen. 

Die  vier  größeren  Handschriftenreste  T.  II  D.  171,  172,  173  und  176 
wurden  von  meiner  Expedition  in  einem  Gewölbe  des  nordwestlichen  Teiles 
der  manichäischen  Ruinengruppe  K*)  gefunden;  alle  bisher  in  den  Publi- 
kationen der  Berl.  Akad.  d.  Wiss.  behandelten  türkisch-manichäischen  Schrift- 
und  Miniaturfragmente**)  gehören  zu  diesem  größeren  Fund.  Inhaltlich  ge- 
hören alle  diese  Handschriften  der  religiösen  Literatur  der  Manichäer  an; 
es  sind  Reste  von  Gebeten  (T.  II  D.  1 7 1 )  und  von  durch  Gleichnisse  er- 
läuterten Predigten  und  kosmogonischen  Schilderungen  (Buchrest  T.  II 
D.  173a,  b,  d***).  Das  Buchblatt  T.  II  D.  176  endlich  enthält  eine  grauen- 
erregende, legendenhafte  Erzählung. 

Alle  diese  Manuskripte  sind  Übersetzungen,  und  zwar  anscheinend 
Übersetzungen  aus  dem  Mittelpersischen  oder  Soghdischen.    Die  Übersetzer 

*)  Vgl.  den  Plan  der  Ruinenstadt  Chotscho  (Idiqut-Schähri)  in  A.  Grünwedel,  »Be- 
richt über  archäologische  Arbeiten  in  Idiqutschari«,  Abhandlungen  der  Königl.  Bayer.  Akad. 
d.  Wiss.:  I.Klasse,  XXIV.  Band,   I.Abteilung,  München  1905. 

**)  A.  von  Le  Coq,  Ein  manichäisch-uigurisches  Fragment.  Derselbe,  Ein  christliches 
und  ein  manichäisches  Manuskriptfragment  1909  XL VIII.  Derselbe,  Chuastuanift,  Anhang 
zu  den  Abhandlungen  der  Berl.  Akad.  d.  Wiss.  voi^  Jahre  1910.  Berlin  191 1  (T.  II  D.  178, 
Blatt  III— VI). 

***)  Diese  zusammengehörigen  Buchblätter  sind  in  der  Reihenfolge,  in  der  sie  sich  im 
Augenblick  des  Fundes  darboten,  numeriert  worden;  wahrscheinlich  enthält  aber  Blatt  a* 
den  Schlußhymnus  und  das  Kolophon  des  ganzen  Buches  oder  doch  eines  Abschnittes.  Die 
Blätter  b '  und  c  sind  noch  nicht  publikationsfähig. 


4  A.  VON  Le  Coq  : 

haben  unseres  Erachtens  den  Versuch  einer  wörtlichen  Wiedergabe  so  weit 
getrieben,  daß  die  an  sich  durch  unsere  Unkenntnis  der  Realien  schon  un- 
gemein schwierige  Verdeutschung  durch  die  ungewöhnlichen  Konstruktionen 
noch  wesentlich  erschwert  wird.  Wenn  trotz  mancher  Zweifel  diese  Texte 
heute  schon  der  Öffentlichkeit  übergeben  werden,  so  geschieht  es  einerseits, 
um  anderen,  besonders  Hrn.  V.  Thomsen,  die  Teilnahme  an  ihrem  Stu- 
dium zu  ermöglichen,  anderseits,  weil  wir  mit  anderen  Dingen  sehr  stark 
beschäftigt  sind.  Die  hier  gegebenen  Übersetzungen  machen  keinen  An- 
spruch darauf,  mehr  als  ein  Versuch  zu  sein. 

Von  nicht  unbedeutendem  historischen  Interesse  ist  die  Erwähnung 
des  ulwy  mozaJc  aus  Tocharistan,  den  wir  ßir  den  Mudja  der  Inschrift  von 
Kara-Balgassun  halten  möchten*),  sowie  die  des  Schülers  und  Zeitgenossen  des 
Mani,  Mar  Amu,  des  Mozak,  der  zu  den  frühesten  manichäischen  Sendboten 
gehört.  Wichtig  ist  ferner  das  Datum  im  Kolophon  des  Blattes  T.  II  173a', 
das  einen  Schluß  auf  die  Entstehungszeit  des  betreffenden  Textes  und  zu- 
gleich auf  das  genaue  Datum  des  Todes  des  Mani  zuläßt,  und  endlich  die 
Auffährung  der  Titel  des  türkischen  Fürsten  im  polychromen  Buchblatt 
T.  II  D.  171,  welches  unseres  Erachtens  auch  ein  Kolophon,  und  zwar  das 
eines  Gebetbuches,  sein  dürfte. 

Dieses  Blatt  zeichnet  sich  durch  die  verschwenderische  Verwendung 
zahlreicher  farbiger  Tinten  aus  und  veranschaulicht  dadurch  jene,  den  Mani- 
chäern  eigene  Freude  an  farbiger  Kalligraphie  usw.,  die  den  heiligen 
Augustin  in  so  heftige  Entrüstung  versetzt  hat  (vgl.  F.  W.  K.  Müller  nach 
Flügel,  Handschriftenreste  in  Estrangeloschrift,  Sitzungsber.  IX,  1904,  S.5). 

*)  Vgl.  A.  von  Le  Coq,  Ein  manichäisches  Buchfragment  aus  Chotscho  (in  Fest- 
schrift für  Vilhelm  Thomsen,  Harassowitz,  Leipzig  191 2).  Nach  F.  W.  K.  Müller 
entspricht    das  Wort    mozak    dem    mittelpers.  \  rt%^|\WiA    (Handschriftenreste  II,    S.  79, 

Man.  543)   oder  \fyi|^JdL#<i    (Manuskriptblatt  M  i,   Blatt  III   [noch   unpubliziert])    und   hat 

die  Bedeutung  Lehrer. 


Türkische  Manichaica  aus  Chotscfto.    I. 


T.n  Ü.176. 

(Tafel  I.) 

Fragment  einer  Legende. 

Blatt  1,  Vorderseite. 


k«^T^3C3< 


\riSllAri%  tWCial««^  J^%H2^  ^«iic^ 
,     ft»trtfjt»fvri  r<LtJt%H^^  riJB^iAt^iasac 


korijp  Hn6ä  saqint'i-h 

sah  er  und  so  dachte  er: 

hu  m{ä)ninng  yutuzum  huu  tlp 

»Dies  ist  jemand  aus  meinem  Gefolge«*)  (sagend) 

'icgärü  kirip  ölüg  birlä 

hinein  ging  er,  zu  der  Leiche 

yat'iV)  ..  yrnä  äsrükin  hiUgs{i)zin 

legte  er  sich  ••  Und  als  er  infolge  seines  Rausches 

üöün  ölngüg  qoöup 

und  seiner  Torheit  die  Leiche  umarmte  und 

ovutsuz  bilig  silrüp  ol 

schamloseDinge(Wissen)betrieb,  wurde  erniitjener 

ölügkä  qat'ilt'i'i  kucädükintä 

Leiche  vereinigt;  durch  seine  Anstrengungen 

ötrü  Ölüg  yariltii  ••  ol 

zerplatzte  die  Leiche  ••  Die  in  ihrem 

yarsinöv^  äf öziniäkl-h 

abschreckenden  Körper  befindliche 

qan  Hrinng  ar'iystz  yablaq 

Blut-  und  EiterflOssigkeit  trübe  und  übel 

tasilt'iV)  tokültii  ••  ymä-h 

ward  herausgedrückt  und  verschüttet  ••  Und 

ol  tüzün  är  q{a)may  özi-h 

jener  gerechte  Mann,  an  seinem  ganzen  Körper 

tonii  hastan  adaqa  (lies  adaqqa?)  t{ä)gii 

und  Kleide  von  Kopf  zu  Fuß 

qanqa  Hrinngä  (1.  "irinng-kä?)  ürgänip^) 

mit  Blut  und  Eiter  Oberschwemmt, 


*)    Es  ist  nicht  festgestellt,  ob  das  Wort  yutuz  nur  männliches  Gesinde  bedeutet. 


A.  VON  Le  Coq 


19 


.     f\^<\^M  ^^JlkbJUyri  \»\\^<^a^ 


ovutsuz  hillgin  üöün 

durch  seine  schamlose  Absicht  (?)  (Wissen) 

äsrükün  ogsüz  bolup 

und  durch  seinen  Rausch  sinnlos  geworden, 

kongülingä  nniy  ogrüncülüg 

in  seinem  Herzen:  -ein  übel  sich  freuender*) 

boltum  tip  saqint'i-h  •• 

bin  ich  geworden«  (sagend)  dachte  er. 

ancyima  qan  yafin  y{a)r^udi'i 

So  wie'*)  Blut  (??)  leuchtete  der  Morgen, 

kün  iwydn  ••  ol  tüzün  är 

die  Sonne  ging  auf  ••  Jenes  gerechten  Mannes 

äsrükii  admt'i'i  usinta 

Rausch  (änderte  sich)  verflog,  aus  seinem  Schlaf 


[Ende  der  Vorderseite.] 


Rückseite. 


^«riisäcA*  ^•.Aa^'Usi  Osa^H^rd  ••^«v\«sri 


udunt'n  hirök  hastn  yoqaru 

erwachte  er;  sein  Haupt  hoch 

kötüriip  kirtä  supuryan 

erhebend  ging  er  hinein,  in  des  Stüpa 

*idrä  yatuqin  qoy'in-ta 

Innerem  bei  dem  Sich-Legen  (?)  in  seinem  Busen 

ölüg  yatur  'irinng  qan 

die  Leiche  liegt,  Eiter  und  Blut 

tokülür  tuzä  y'idiyor  k{ä)niü 

fließt  aus,  alles  riecht  (übel):  sich 

özin  kortii  qop  qanqa 

selbst  sah  er;  als  er  ganz  von  Blut 


^j«JCM&l««ri  «    <V%»in^r<V^fs^     bulyanmis  gnystz-kä  (lies  -qa) 

*  hpflflptt.    sir>h    vnn    TTnlniit«rt«it 


befleckt  sich  von  Unlauterkeit 

ürgänmisin  korüp  ötrü-ü 

überschwemmt  sah,  da 

b{ä)linglädn  nrt'iy  qorqut'i-h 

schreckte  er  auf,  gräßliche  Angst  ergriff  ilui, 

uluy  ünün  m{a)ngradvi  t{ä)rkm 

mit  lauter  Stimme  schrie  er,  schnell 


*)    »Ein  am  Bösen  Gefallen  findender.' 


TürkiscJie  Manic/mca  aus  Chotscho.    I.  7 

••^-^^^^  ..    f\%tr-<>>^a^^  #i^^^iki«s^     tultonta^)  tasiqip  täzdü 

aus  dem  .  .  ?  .  .  herausgehend*)  floh  er 

^r^riMxKri  •%^iri  Vf\V«v^*  ^Ö***^     ^^^^  yngürür  ärtü  anda-h 

(so  schnell,  weit)  wie  er  laufen  konnte,  so  war  er  voll 

>    ^^ri  ««^«ri  V^%t.£^iri*  irifi^«sisa4     qosar^)  yarsiyor  ärtü  ol 

Widerwillen  und  Entsetzen.     Jener 

^<V\%n\rii&ait  \t^  V^^  ^{^«.M*     tminöa  gfiy  ton  Mdmisin 
^•^— r|iliri^«yl:dV^^  O^sau-i^-Wtrl     antaq  t{ä)rUn  huiarlayu 

solchermaßen  schnell  zerriß  er  und 

#vW<|!Lfii&^^  ,^..fi.%^H*  rMA^ad  rit;%«vri     üzä  Inöa  y'irt'ip  iasyaru 

mit  Riß  und  Schnitt  (den  tul  ton?)  zerstückend, 

••^Vfv(A*  0^bkrivU.%>^>i.  %»^<V\»rir<aeac     Mmlstli  ^'inöaq  yugürtii 

heraus  warf  er  ihn,  betrübt  eilte, 

r<     W» fw%r<M  t)e\t^  H^  «6  «tAi^i:^     bard'i'i  ••  bir  tusbasmga'') 

ging  (er)  davon.     Einen  seiner  ...?... 

«— ^^ri  ^•^«^ri  ^V^*«vH  9ib  ««ALri^     tägdii  ••  öirü  özin  ol 

traf  er  an  (fand  er)  ••  Sich  selbst  (?) 

^r^%^  <V^i  mr-<  rtW»  f^  H  ^  <V^»\^     tusbasinga  k{ä)misti-h 

in  jenen  seinen  ...?...  stürzte  er; 

.    ^»yri  %%^*^*^jtri  %%^«s*     yunt'ii  ar'it'intn  ol 

er  wusch  und  reinigte  sich,  jener 

[Ende  der  Rückseite.] 

T.n  D.173ai. 

(Tafel  U.) 
Teile  eines  Buches.    Erstes  Doppelblatt.    Größe  28,2  x  25  cm.    Festes,  glattes, 

gelbweißes  Papier. 
Blatt  I,  Vorderseite. 
— <dk^  >^  S9  JtniH9ft%  >iu^d#      quäuy  öl-ürür  ••  t{a)qi  ymä 

er  den  Vogel  tötet  ••  und  wieder 

^4ä\rämM  jö>^  i^M4  ^»ö§ü       4räM       incä  q{a)lt'i  00t  kirn  'iyaddan 

\  so  wie  das  Feuer,  welches  am  Holze 

ßmäötirn  /'^^^t^  _4(«a  ^  Md^ja»      ö-nüp  ••  y-{a)na  'iyacay^)  öriäyür 

entstanden,  wieder  das  Holz  ansteckt 

*)    Das  befleckte  Kleid  abwerfend?!'. 
**)    Obwohl  die  Wörter  dieser  Zeile  nicht  unbekannt  sind,  wage  ich  keine  Übersetzung. 


A.  VON  Le  Coq 


»9 


/ca^  69  Lai4,%ep  ^fma^  ^diu^  ^gua^ 
<%^^^ 4^X^da^^  fd«  69JU4^ 

^^m^^i^g  V^^    ^^^^^^^^^^^    ^^^^^^^^^^      ^^^^^^^^^^ 

<\\^  %nr4€A  ^S^  69  69  /lA,fM4i    Cjm, 

^^§g — 4£dM,  ^ii^  69  jLääiÄMX  -<aAe» 

ULU^  ^fL^  jCy^  69  ^Ö^   WärUäiH^ 

(kdjL^^^^  u«A  69  kia^jon  L&ät^^it^ 

pdÄ4,  ^^^   69  JUMA^     ^^e*  ^^t^^tf 

^^0jt,  6969ßt n\^^m€\j^X  69/Lä0iUe% 
i^äOKP^^  69  p^^iL^p^ 4£äM 


•  •  t{n)q'i  ymä   anöol-ayu   q{a)lt'i  qug'i 

"  Und  wieder,  so  wie  wenn  das  Lamm  (oder) 

bozayu  ät'özi  tägSil-ip  grslan 

das  Kalb,  seinen  Körper  auswechselnd  zum  jangen 

oyti  bör'i  oyti  hol-up  ••  twy- 

Löweu  oder  zum  jungen  Wolf  geworden  ••  geboren 

sar  ••  ol  ö-dün  y-{a)na  k{ä)ntü 

werden  sollte  ••  (und)  dann  wieder  selbst 

sürik/  uduy  quyanuy  al'q{a)nur 

Herdenvieh,  Rinder  (und)  Hasen  auffrißt  (und) 

yoq  qtl-'ir  (-ur?)  ••   ••  t{a)qi  anöol-ayu 

zunichte  macht  ••     ••  und  so 

q{a)lt'i  urd'un  b{a)z^an  %isyaö 

wie  die  den  Amboß  drückende  Zange, 

kirn  k{ä)ntü  ul-'uq  tämirän 

die,  selbst  von  erhabenem  Eisen 

üil-mis*)  ol  ••  y-{a)na  q{a)may  tämiräg 

hergestellt  ••  wieder  alles  Eisen 

k{ä)ntü  yanöar  ••  t{a)qi  inöä  q{a)lt'i 

selbst  durchbricht  ••  und  so  wie 

tonnung  hüi  ••  kirn  kiäi  näng 

des  Rockes  Laus  ••  die,  aus  des  Menschen 

i{ä)ri-smtä  ö-nüp^)  ••  y-{a)na  kifinäng 

Haut  entstanden  ••  wieder  des  Menschen 

qariin  k{ä)ntü  sorar  ••  kl§i  ani 

Blut  selbst  saugt  ••  Wenn  der  Mensch  sie 

körsär  ••  y-{a)na  yarsi-yor  ••  g,mt'i 

sehen  sollte  ••  dann  wird  sie  verscheucht  (?).  Jetzt 

inöä  h{ä)lgürtti  ••  kül  uzä 

also  erläuterte  (erklärte)  er  ••  unter  den  Menschen, 

bis  t{ä)ngri-lärdä  utru  (ötrü?)  bis 

durch  die  fünf  Götter  hindui-ch  (?  ?)  in  den  fünf 

türlüg  'ida  'iyacda  iuyd'i 

Arten  Gewächsen  und  Bäumen  wurden  sie  geboren 


[Ende  der  Vorderseite.] 


*)    Durch  sorgfältige   nachträgliche  Abdeckung  mit  Deckweiß   hat  der  Schreiber  die 

charakteristische   Ausbuchtung   des   ^  auf  der  linken  Seite  hier  besonders  hervorgehoben; 
ebenso  auf  Z.  14  der  Rückseite  im  Worte  tüsünyür. 


Türkische  Manichaica  aus  Chotscho.    I. 


Blatt  I,  Rückseite. 


(Tafel 
S9 


/it^iuuc>>  -iSd«^  ^|V4^  >fte^   Pd^^tM, 

2^  69  69  ß4gH{t0n&4n\ 


Phil'hist.  Klasse.    1911.    Anhang.    Abh.  VI. 


IL) 
ymä  bis  türlüg  'ida  'iyacda 

Und  durch  die  fünf  Arten  Gewächse  und  Bäume 

utru  (öirü?)  hu  ögsüg  ät'özdä 

hindurch  (?)  in  diesem  verstandlosen  Körper 

tuyd'i-lar  ••  anta  gtrü  (?)  uzWi 

wm'den  sie  geboren   ••   darauf,  weil  sie  sich 

uzaqi  özkä  ämgäntükin 

lange  (?)  für  den  Körper  gequält  haben, 

igl-ämäkin  öl-mäkin  ••  qop  yirdä 

erkrankt  und  gestorben  sind,  weil  sie  allerorts 

aciy  ämgak  körtükin  ••  ••  ymä 

bittere  Qualen  erduldet  haben  •• 

irino  küi  oyM  k{ä)ntü  körmiä 

benennt  man  sie  »elende  Menschensöhne«,  infolge 

ötägin  ämgäkin  atayurlar  ••  ymä 

der  von  ihnen  ausgestandenen  Pein  und  Qual  ••  Und 

bir  äklnti-kä  qaryanurlar^°)  al- 

einer  mit  dem  andern  streiten  sie  und  ver- 

qanurlar   ••      t{a)qiL  icin      yoniüsü 

schlingen  sich  (?)  ••  Und    .  •  ?  .  .  *sich  schlagend 

oqi-surlar"yoqyudun  bul-ungur")  (bol?) 

rufen  sie  sich  zu :  durch  *Hungersnot .  •  ?  . . 

is-ig")  k{ä)rgäksiz  y{a)n6al-mLglar 

übel(?)  und  ohne  Ende  sollt  ihr  bedrückt  (?)  werden! 

ootqa  örtänkä  tob'ün  «  ,: 

Auf  Feuer  und  Flammen  herab  (?) 

tüsüngür  atang  qal-anga  {qalang{a)r?)  •• 

möget  ihr  fallen  (??)..?..  .  .  ?  . .  . ,  ?  . . 

t{ä)gl-üg  tag  tip  sögüsür-lär 

*Dergleichen  sagend  beschimpfen  und 

yontüsürlär  ••  bu  qaryantu- 

sötilagen  sie  sich  herum  •  •  dieses  ihr  Verwünschen 

qin  al-qantuqin  käkrä^tükin 

und  Verschlingen  (?)  und  sich  Hassen 

yontüstükin  bil-mäz  kisi  tag      %  ^^ 

und  sich  Schlagen  (?)  gleich  unwissenden  Menschen 

2 


10 


A.  VON  Le  Coq: 


'9  ßUkUMä^ 


^A^>e^>«^ 


utÄji^ 


69  69 


sögiUöä  oy-unöa        saqanur 

wie  Schimpf  und  Betrug  (?)  .  .  ?  .  . 

•  •  ••  k{ä)ntü  inöä  tui-mazlar 

Sie  selbst  so  verstehen  nicht  •• 


[Ende  der  Rückseite.] 


T.  n  D.  173a2. 

Blatt  2,  Vorderseite. 
«2^  >^^^  AM^^^ ^tfiii^    c?a  k^Sinrot)  *2*  huryjin  k{ä)lmaki  nom  c|a 

das  Kommen  des  Burchan  Buch 


_U 


JU 


69   A^ßM*M^^  4»  ß/H4gßßAilie% 


69  69 


1ß^ 


4\A€0^  JU^fJXM^ 


ßi*^i      q{a)may  yidäng^^)  hul-tumuz  ••  ada 

alle  haben  wir gefunden.     Bedrückung 

tüz  bizni  ara  yoq  ••   nmt'i 

und  *  Trug  unter  uns  nicht  ist  ••  Jetzt,  oh  unser 

i/{a)rl-ayyanGud'i  qangamaz^^)  ädgüqil'in- 

gnädiger  Vater!     Oh  unser  gut  handeln- 

6%'7  ••  il-' ig{ä)mäz  sans{a)z  tümän 

der  Fürst!     Zahllose  Myriaden 

y'il  holt'i  siz'intä  ad{a,  'i)r{a,  i)l-tuqda 

Jahre   sind  verflossen,   seit  wir  von  dir  getrennt 

haru  ••  ol  y{a)rl-a'^'qan6uci  körtlä 

worden!     Durch  jenes,  dein  gnädiges,  schönes 

münsüz  y{d)r'uq  körk'üngüzün 

unschuldiges,  lichtes  Antlitz  (Bild) 

ol  kül-üng  iräi  (?)  •  •  s{ä)v  'iglig 

dein  . .  ? (?).  Dein  liebes 

yal-traylt  is'ig  yuz'üngüzän 

leuchtendes,  lebendes  Antlitz 

köröksäyür  hiz^^)  kösäyür  big  •• 

zu  sehen  sehmachten  und  wünschen  wir! 

sizn{ä)ng{?)  küc'üngüzkä  äsänin 

In  deiner  Kraft  ungefährdet 

hardamaz  äsänin  kältämäz  ••  •• 

sind  wir  gegangen,  ungefährdet  sind  wir  gekommen! 

,^A^      ai-duq  isängäz{ä)n  tökäti  is- 

(doch)  die  von  dir  befohlenen  Dinge  ganz 


Türkische  Manic/mca  aus  Chotscho.    I. 


n 


it^>^^  ^  .jiä0ä\äg 


f«^ 


^ddtMäLÜM^ 


[Ende  der  Vorderseite.] 


lädämäg  ••  amt'i  y{a)rl-ayqanöu6t-'i 

haben  wir  nicht  ausgeführt  ••  Jetzt,  oh  mein  gnä- 

il-'ig  t{ä)ngrim  y{ä)rl'[ä)qang  ol 

diger  königlicher  Gott!    Sei  gnädig!    Jenes  dein 

m{ä)ngigü  tökäl-ig  münsüz 

ewig  vollkommenes,  unschuldiges 

öz'üngüzün  körälim  ••  oküs 

Wesen  (Selbst)  wollen  wir  sehen !    Unsere  lange 

ödtä  haru  ämgänmis  ämgäk{ä)- 

Zeit  hindurch  erduldeten  Qua- 

mä^'in  umial-am  m{ä)ngigü  m{ä)ngigü 

len  wollen  wir  vergessen!    Ewig 

säv  'i-ncl-'ig  ögründlüg 

liebevoll,  freudevoll 


Rückseite. 


-2- 


^A^JkßH^  >^f»&^ 


0 


(Titel 
mennigrot) 


ißO^ßd»^  ^M^  S9^ttlA%eP 


69  ^^ß^äLQß^  ^AS£äA 


ßUMäpu^  ßupg. 


69    69  ßä^^äjt 


^-4^- 


^     69    69 


<^  hitil-ti  saki-m{u)n  c^o 

ist  geschrieben  worden  Sakya  Muni 


hol-afim  (1.  -atim)  ••  t{a)qi  ok'üs  türlüg 

wollen  wir  sein!  ••  Ihr  (sie?)  oftmals 

muntay  öt'üglär  öt'üngäi 

solche  Gebete  werdet  (werden)  beten: 

ol  ödkä  ul-'iuy  il-ig 

dann  wird  der  Große  Konig 

m{ä)ngigü  y{a)rl-{a)qanGU(n  körtlä 

sein  ewig  gnädiges  schönes  (Bild) 

körkin  acyai  h{ä)lgürtgäi  •• 

Antlitz  enthüllen  und  zeigen: 

ol  Ödkä  q{a)may  täklirär 

dann  alles  wird  *sich  wenden, 

m{ä)ngigü  ögrüncülüg 

ff^ig  freudevoll, 

s{ä)v'incl-ig  hol-yai-lar  ••  •• 

liebevoll  werdet  (ihr,  sie?)  sein! 

•  •  ••  ymä  m{ä)n  zmtu  m{ä}n^^) 

Ich,  Zimtu  (Zimtu  ?),  ich 

2* 


12 


A.  VON  Le  Coq 


«7 


69    69   ^4/^,4fb^  4£dM 


>^ 


69 


uL 


4&*\MaMi^    <%Meß^^ti\\  ^4ßd^ 


^^ßU  ^na^äUA  .dax  ^p^ 


ol  ädgü  m{ä)ngiJeä  ortuqluyu 

werde  in  dieser  guten  Freude  sein  Genosse 

bol-ayan  m{ä)ngigü  m(a)ngigü  •• 

werden  (?).     Ewig,  ewig 

inöä  holzun  ••  •• 

so  möge  es  sein. 

ytnä  t{ä)ngri  mani  buryßn 

Im  ffinfhundertundzweiund- 

t{ä)ngri  yiri-ngärü  harduqinta 

zwanzigsten  Jahre  »Schwein" 

kin  hü  yyz  artuq'i  äki-i 

nach  dem  (Heim)gang  des  göttlichen 

ofuzunö  lü'yzin  y'il-qa 

Mani  Burchan  in  den  Götterhimmel, 

ötükäntäki  nom  ul-uy^'i 

(hat?)    der   in   OtQicän    wohnende   Gesetzesfurst, 

tökäl  ärdämlig  y{a)rl-ay-qanduG'i 

der  sehr  tugendhafte,  gnädige 

hil-gä  b{ä)g   t{ä)ngri  m{ä)r  niw  mani 

Wissensfarst,  der  götth'che  Mar  Niw  Mani, 

m{a)%i-staka  (lies  M?)  ai-y"in  hu  äki 

dem  (?)  Ma;)^istak  Ai^Tn  *)  diese  beiden  .  .  . 

Rückseite.] 


T.nD.173bi. 

(Tafel  II.) 

Zweites  Doppelblatt. 

Blatt  I,  Vorderseite. 


c|o  ^4i9,4f^  .jagdaiß^m    c?a 


kalmfnrot)        *2*  ö-grünöü  holzuTi  cga 

Freude  möge  sein! 


P^ß^/t^i^-^-^MX^^Ä^ß^  69  ^^0^ 

69  69^,ÖM^  ^  äipendäjf^         tAtfirt^ 


69  ^^M^  pa^fj»^ 


-ep^ 


,ränrrn 


i{ä)sti  ••  äkinti  ymä  %{a)may  t{ä)ngn 

durchstieß  er.  Zum  Zweiten.  Den  ganzen  Götter- 

yirH-n  äsängüsin  hirii  •• 

himmel  (und) sein *Wohlbefindenhater gegeben-  •• 

üöünö  ädgü  nomuy  hirti  •• 

Zum  Dritten.    Das  gute  Gesetz  hat  er  gegeben  •• 


*)    ?  am<yßi/a,  aniynia  usw. 


Türkische  Manichaica  aus  Chotscho.    L 
^di0i0  69  ^^tint\nM  619  Mäia^ 


13 


.juießu^ju^ 


>S§i — «e^^  S9 


ÄjUä, 


jusH  H    •■rt^ 


69        irtMtt^      4räA 


JKl^ 


^''f'$"*^M      jß^^^^^^"^^^ 


»9 


^^ifr^^^Vf       ^^&$'^''M      ^^H      69    69 
m4^44tt\.f\  4<f  ^  dA  rH    ^^   69 


törtünd  q{a)t{ä)y-Ianturdi  s{a)y!an- 

Zum  Vierten.     Zur  Anstrengung,  zur  Hut 

tterdi  ••  udyurt'i  ••  hisind 

und  zur  Nachfolge  veranlaßte  er.    Zum  Fünften. 


[Ende  der  Vorderseite.] 


ongintn  t{ä)ngri  yiri-ngärü 

Auf  seiner  Rechten,  zum  Götterhimmel 

qapay'in  add'i  ••  inöä  q{a)lt'i 

seine  Tür  öffnete  er.     So  wie  das 

suv  'i  'iyac  qapaym^'') 

Wasser  die  Tür  der  Gewächse  und  Bäume 

yirdä  aca  birüröä  ••  --^--,»..- 

auf  der  Erde  öffnet*), 

andoktyuma  yjoUag 

so  auch  Chrostag 

t{ä)ngri  %urin{u)zla  t{ä)ngri-kä  bis 

der  Gott  dem  Gotte  Chormuzta  (und)  den 

t{ä)ngri-kä  qapay'in  ada  birti^^)  • 

fünf  Göttern  seine  Tür  öffnete. 

•  •  ••  ymä  %roMag  p{a)dwa%tag 

Als  Chrostag  (und?)  Padwachtag 

t{ä)ngri  %urm{u)zta  t{ä)ngri-dän 

der  Gott  von  dem  Gotte  Chormuzta  (und) 

t{a)mudan  yo%aru  ayduqta 

von  der  Hölle  in  die  Höhe  gestiegen  war, 

•  •  ol  ödün  wadziwantag 

da  kamen  Wadziwantag,  der  Gott 

t{ä)ngri  ög  t{ä)ngri  t{ä)rkläyü 

und  die  Mutter-Gottheit  (?)  eilends 

k{ä)lti-lär  ••  %urm{u)zta  t{ä)ngrig 

herbei.     Den  Gott  Chormuzta 

t{a)mudan  yoqaru  aqturt'i 

aus  der  Hölle  aufwärts  machten  sie  aufsteigen 

öni\üri\i  ••  t{ä)ngri  yiringärü 

und  herauskommen  und  zum  Götterhimmel 


*)    Möglich,    aber   unw^ahrscheinlicher  ist  die  Übersetzung:    »So  wie  er  die  Tür  des 
Wassers,  der  Gewächse  und  Bäume  usw.« 


n 


Ä.  VON  Le  Coq 


C?3 


Rückseite. 
A&^ — (HääMä^äM  c?o  „eSIigrot)  *2*  qamayn{a)ng  quti  k{ä)ntü  cgo 

von  allem  die  Majestät  er  selber 


jL, 


A£ß^^      itrt^ 


«9 


>Aj^ 


.f^  JUa,1^U,  ^tß^ Md^AdOXi^ 


^. 


^•tf"'ö      ttuattx    _^n  rr  ff  tf|iitirtf< 

/UU4X /Ut, p^flß  ^M^  69 grtitäätix 


drm/HiAAtitrH  j^U±^^>^ 


.^ 


MXl, 


ßt  mgptut^  JLeM^  f&iin&  4(ii\  ^tß^ 


'idt'i  ••  ymä  og  t{ä)ngri  wad- 

sandten  sie  ihn.  UnddieMutter-GottheitundWad- 

ziwantag  t{ä)ngri  ul-a-ar  bis 

ziwantag,  der  Gott,  diese  schieden  die  fünf 

t{ä)ngri-lärig  %ur'm{u)zta  t{ä)ngri-dä 

Götter  von  dem  Gotte  Chorrauzta 

art'i-lar  ••  ymä  yir'ig  t{ä)ngrig 

ab.     Und  (nun)  die  Erde  und  den  Himmel 

y{a)raiyalt  itgäli  anunt'i-lar  ••  •• 

zu  schaffen  und  zu  machen  machten  sie  sich  bereit. 

nng  il-ki  on  qat  kok*) 

TäVl  allererst  den  zehnfältigen  blaxien 

i{ä)ngri-g  gntaq  hir  türgün 

Himmel  solchermaßen  mit  einem  Mal  machten 

yapdi-lar  y{a)ratdi-lar  ••  ••  q{a)lt'i 

sie,  erschufen  sie  ••  gleich  wie  man  einen 

yang'i  yimisl-ik  äv  barq 

neuen  Fruchtgarten  und  Haus  und  Hausrat  her- 

y{a)rat'irca  ••  t{a)qi  q{ä)li'i  'iy  yang'i 

richtet  •  •  auch  gleich  wie  manGewächse  aus  neuem**) 

yirdän  ti-min  örtürürdä 

Erdboden  sogleich  aufsteigen  macht  •• 

•  •  ••   q{a)li'i  oyul  oylan  ärgüsintö, 

gleichwie  ein  männliches  Kind  aus  (jmds.)  *Männer- 

ärüröä  ••  ••   ancolayuma 

kraft  entsteht  ••  so  auch  bei  der  Herrichtung 

Im  yir  suv  on  qat  kok 

dieser  Erde  und  des  zehnfältigen  blauen 

t{ä)ngri  y{a)ratuqta  angar  oyßayur 

Himmels  jenen  (Vorgängen)  vergleichbar  war 


*)    In  Wörtern,  die  ein^  k  enthalten,  wird  der  Vokalö(«)  häufig  durch  a  statt  durch 
wiedergegeben.     Das  Vorkommnis  wird  nicht  überall  in  der  Umschrift  hervorgehoben. 
^       **)    Noch  unbebautem. 

***)    Der  Buchstabe  it  (%,  y)  ist  mit  roter  Tinte  unter  dem  itf  nachgetragen. 


Türkische  Manichaica  aus  Chotscho.    I. 


\i 


i6 


r^^ii^^  Tun   ^"at   ^  ^  >SM^ 

. ^ßäUp^dSk  PA^    ßL^    69    69 


ärtl  ••  ••  ymä  bir  ygrmind 

es  ••  und  elftens  den  Zodiacus 

a%rw:?nay'^)  iti  y{d)raii*)  ••  yiti 

machten  sie,  und  richteten  ihn  her  aus(?)  sieben 

türlüg  ärdämtä  ötrü 

Arten  Tugend. 

•  •  ••   bir  q{a)may  yäklärkä 

••  Die  eine  soll  für  alle  Dämonen 

bay'i  bolzun  ••  il^intii^)**)]  q{a)may 

deren  Fessel  sein  ••  die  zweite  (soll)  allen 


[Ende  der  Rückseite.] 


T.nD.173d. 

(Tafel  II.) 
Vorderseite. 


> 


(tUUM^ 


V'X      ^^H    69    69  JU0ÖadM^ 

^  4\^n^   t^-tt^i       "'%     ^^m    69 

i^4&n^   pdA^     69   ßU0ipß^ 40^4^ 

ßUJ^tjUi  P^pi  ^i^   69  ^4m*ßn^ 


umayai  ••  yma  ogi  qang'i-'i 

wird  (werden)  nicht  können  ••  Seine  Eitern 

antay  ökäk  sav  sözläyü 

werden  so  erinnernde  Worte  nicht  reden 

umayai  kirn  ol  ärn{ä)ng  könglin 

können,  die  jenes  Mannes  Gemüt  er- 

y{ä)r'utsar  •• 

leuchten  könnten 


•  yma  ayt 

Hab  und  Gut  wird 


bar{a)7n  közingä  näng  il-änmägäi 

seinem  Auge  nicht  anhaften  (keinen  Wert  haben) 

•  •  ymä  nädä  oiac'i  ot'in 

Wie  viele  Ärzte  auch  mit  ihren  Kräutern 

birld  k{ä)lsär  ••  ant  otayu 

kommen  sollten  ••  ihn  zu  heilen 

umayai  ••  t{a)qi  q{a)may  qamlar 

werden  sie  nicht  vermögen  ••  Und  alle  Priester 

tirräp  näng  tirgürmägäi 

sich  versammelnd,  werden  nichts  beleben: 

oyul  'YJiz  bir'ü  umayai 

Kinder  zu  geben  werden  sie  nicht  vermögen. 


*)    Lies  itdi  y{a)ratdi. 
*)    Sonst  äkinti. 


16 


A.  VON  Le  Coq: 


^-'-'It-'i        ^^"i        '^^^''^g  69    69 


x6 


»9 


•  •  ••  q{a)Gnang^^)  näng  atn{a)ng 

•■     ••    Wie  auch??  durchaus  nicht  des  Pferdes 

äskäkn{ä)ng  (??)  müy'ü:^i  örmäz 

(und)  des  Esels  Hörn  (?)  entsprießt  (hervorwächst) 

•  •  ancol-ayu  q{a)lti  uzlar 

■•    so  wie  tüchtige  Männer 

ädsiz  näng  is  isläyü 

•  unnütze  Dinge  keineswegs  betreiben 

uniaz  ••  ••  incip  ärli 

können  ••  so  können  Männer 

uzuntonlurylV°)  näöäkä- 

und  Langröckige,  wieviel  auch 

tägi'^)  bis  t{ä)ngri  küöin 

sie  von  der  Kraft  der  fünf  Götter 

yimäsär  ••  näng  ät-Öz 

nicht  essen  sollten*)  nicht  durch  Körper- 

s{ä)vigHn  ovutsuz  isig") 

liebe  schamlose  Handlungen 

sürü  umaz  ••  O'yul  qiz 
begehen  ••  Söhne,  Töchter 


[Ende  der  Vorderseite.] 


Rückseite. 
fd4   99  ,ääßr*ntiA^ ^"^1     ^mt 

1ß^  >fi«v  >tß^  >*#•  ^^^oi^ 


69 


ymä  näng  twyurmaz  ••  ol 

keineswegs  werden  sie  zeugen  ••  Dann 

ö-dün  q{ä)lt'i  t{ä)ngri  küci  as 

wenn  die  Götterkraft  Essen 


darauf  Kinder  werden 


ickü  hol-sar  ••  küdlüg  b{ä)dük 

lind  Trinken  wäre,  stark  und  groß 

hol-ur  ••  gnta  otrü  cr^ul  qiz 

wird   sie   (sc.  azing)  ?  ? 

tw^ar  ••  ol  a^ing""^)  kirn  tastan 

geboren  ••  Jene  deine  Sündenlust,  die  von  außen 

asqa  ickükä  yßtl-ap  ärür 

mit  Speise  und  Getränk  vermischt  ist 

••  ymä  äfözkä  kirür  ••  ol 

"  in  den  Körper  tritt  sie  ein  ••  mit  je- 


*)    =  wenn  sie  nichts  davon  genießen? 


Türkische  Manlehawa  am  Chotscho.    I. 


17 


ya4\,44^    LJL^en  fO^   69    69  junu, 
^^^    69  ßiai^  fti^rto       ir€U 

ä^in^ffirdän     69       69    /^^^^^^t 
LtdM    LäÜLH  .Mt&^    Uä4\,44^ 


idräki  az  birlä  %aial-ur  ••  kirn 

ner  innen  befindlichen  Söndenlust  vereint  sie  sich, 

irkäkli  tisili  äfözlntä 

welche  im  männlichen  und  weiblichen  Körper 

äinlr  •.  ..  ol  ö-dün  azing 

ist  ■•  Dann  wird  deine  Sön- 

incä  kilclüg  hol-ur  ••  q{a)ltt 

denlnst  so  stark  ••  wie 

oot  qurwy  otunguy  küy'i'i- 

wenn  Feuer  trockenes  Brennholz  an- 

güröä  ....  t{a)qi  q{ä)ltt  bcd-aq 

steckt  (brennen  macht)?  ••    ••  und  wie  der  Fisch 

suv  iörä  yiizäröä  ..  q{a)lt'i 

im  Wasser  schwimmt  ■•  wie 

urwy  ämn  yop^üg  yirdä 

Samen  (oder)  Kerne  am  gunstigen  Ort 

örärcä  •.  ..  ancol-ayurna 

aufsprießen,  so  auch 

azmg  ät'öz  icrä  incä 

dehie  Sündenlust  im  Körper  so 

kiwlüg  bol-ur  ..  ol  ö-dün 

stark  wird  ••  Dann  deine 

aztng  k{ä)ntü  Özin  töpödän 

Sündenlust  (den)   eigenen  Körper  vom  Kopf  bis 

adaqn{a)ng  t'iranyaq  udi-nga 

zu  der  Spitze  des  Fußnagels  ..... 


[Ende  der  Rückseite.] 


T.  M.  282. 

(xleichiiisse  aus  einer  Predigt.    Oberer  Teil  eines  Buchblattes  (14,2  x  8,6  cm). 

Graubraunes  weiches  Papier. 
Vorderseite. 

///  f  ^^^  ^  ^f^CCT    ^   "V^^^.  ^^^  ^$'^  ^""i  ^ ^C'^  ^  ^1^^^'^  ^'^  ^^^^^  uzlanyu  äd  Imbnasar  uz  l . . 

wie  wenn  eines  tüchtigen  Menschen  Tüchtigkeit 
[Besitz  nicht  findet  (nichts  erwirbt)  . . 

f"Vr  ^ff^i     j'mi  IUI  ^^  69JLaLa4t  l£M^  4^^¥^      ülnbarca qodur»' k{ä)nt[ü]y7)iäiss{i)zboo^ 

'  '  (und)    er    alle    seine    Geschäfte    niederlegt    und 

[müßig  und  unnütz 

mn.  hist.  Klasse.    1911.    Anhang .    Abh.  VI.  3 


18  A.  vonLeCoq: 

3  /'^"^      ^^^^  ,^  >fi^  ////  <4^f^  ^  ^  ßLomtax      yofiyur  ••  qal\ti\ . . .  kUi  hu  munca  sav{ay 

einhei'geht  ••  so  wie  ein  Mensch  diese  Worte  nich 

4  II III IUI  ^      ^^^1  ß  40i4j[Mn*,  M^0i$iifi    <yk^€^       ad'iru  hilmnsär  u%masar  näny  bi .  . 

zu  unterscheiden  wissen  u.  verstehen  sollte,  etwas . . 

5  dßi4i^yd4tßuic%m^Mdg  IUI  .  •  •  •      ^n  69^AMd^  IUI  ^      s . .  mayai  ••  ymä . . .  lärig  köküzl  q{a)n 

seine  Bmst  den 

6    ,44AM<^^k  •  •    •  IIS^ ^ y  *ö / ^^^' ^1C^      közsüz  täylüg  •  •  h  .  .  uz  az 

Nichtdunkeläugigen  älinelnd  (?  ?) 


'      ////  #*•         (fl 

[Ende  der  Vorderseite.] 

Rückseite. 
/KQßäit^i^A,  S9  h^au,  /tMä^  im lar{a)y   ot  •  otunywy  mm 

[wie  wenn] Feuer  das  Brennholz  etwa 


^&§i      jfdM    II  JU»iA4^JUen  ß/uinie%.  • •  •  •  ■  kuyürür  örtäyür  ••  Incä   q{a)U 

anzündet  und  entflammt  ■•  so  wie 

/ta  III  IUI  lim  g'U^       itiääfpin  xi^t>    <^^,€^      hoza-yu  khn  arslanqa  kddll[ip\  "*)  .  .  w; 

das  Kalb,  welches  vor  dem  Löwen  *enteilt  (?)   ? 

^^k^  A  ^^<       *0  \  "  ßAtä£(liä&£ß  ßji^Aäi^A^      titrätir  hutarlayur  •  •  yinä  quz'i  kirn 

zittern  macht  und  zerreißt  ■•  und  das  Lamm, 

>«4^  .1  ß<UlM(i'WH  /u^  IUI  mm  S  ^X    <^*  Cf^^'Xft      honkä  kädilip  q  .  .  .  jnay  ölürür  ••  taq 

welches  vor  dem  Wolf  *flieht tötet  ••  und  dl« 

L44\^&4^(H    'Kttt^  lllllllllllllllll  m'^^^i^tP  ä0^  III      {y'fnYi  buzyan  [q'isqac  kirn  tä\mirdä  önl 

packende    Zange,     die,     aus    Eisen    entstanden 

\yanc 

[wiedei 

>^i* q{a)U\ 

[das  Eisen  zerkleinert] wif 

[Ende  der  Rückseite.] 


i 


Türkische  Manichalcn  aus  Chotscho.    I. 


19 


T.Ia. 

(Tafel  I.) 

Bruchstück  der  Kosmogonie.  Buchblatt  (22^x15^  cm) 

Steifes  bräunliches  Papier. 

////A 


^ÄlJUft%  //OäLk, 


IUI 


i%     fMp 


IUI 


•  ////  ^ 
////^ 


////  ^ 


«-* 

IIIIJ^II"-  "%IIMII.-.III  ^ 


g'o  m^/  ••  ol  m  yäklärig 

zum  .  .  ?  .  .  stieg  er  herab  ••  jene  drei  Dämoiieii 

anr/jwz-nta  hadV^)  ••  tört 

an  seinen  Zodiacus  band  er  ••  Mit  seinen  vier 

y{a)riiq  kücin  h'irlä  hu  y\ir\ 

leuchtenden  Gewalten  zu  dieser  Erde 

snv-qa  Inti  nhamu  hu\iyjin\c(i 

stieg  er  hinab,  wie  Abamu  Bur^^an 
h 


mmya 


ad 

ha 
h. 


tanu 


ol 


.  jener 

[i\ört 


z  [0]/ 

.  .  .  ist  •. 


der  Gott  Chormuzta 


llll^ 

[Ende  der  Vorderseite.] 


t[{ä)n'\yri  y{a)rl{a)qancuM  kongül-lüy 

war  gutigen  Herzens :  wie  hat  er 

ärli^^)  §mnuy  näcüklätl  ölürdi 

es   gemacht,    (daß)   er   den  Dämon  getötet  hat? 

tlp  sizik  aitsar  in(ä 

wenn  (jemand  dies)  zweifelnd  fragen  sollte, 

kiylnö  hiryll  smnu  öz  tiliu 

(dann)  so  Auskunft  gebe:  der  Dämon,  seine  Spruche 

täyMrüp  qamay  yaklärkä 

verändernd,  zu  allen  bösen  Geistern 

Inöd  tip  tanuqlayu  sav 

so  sprechend  tind  bekimdend  (diese)  Worte 

hirdi  slzlärdä  alm'is  ayu 

sprach:  Das  von  euch  entnonmiene  Gift 

%u^muzta  t{ä)ngrikä  aiyai 

gegen    den    Gott  Chormuzta  werde   ich  spritzen 

7/2[(ä);z]  %urmuzta  t{ä)ngriy  hu 

(werfen) :    den  Gott  Chormuzta   (mit)   diesem  .  . . 


20 


A.  vo  N  Le  Coq 
Rückseite. 


tidi  ••  atuiü  ayusi  öz 

sagte  ei'  ••  das  von  ihm  gespritzte  Gift  sein 

hfiMnya  täydi  ••  töhün 

eigenes  Haupt  traf  ••  nieder 

[/]ws//  tümän  tümän 

fiel  er,  zehntausendfaltig  deiuü- 

y\(i\lcardt  ••  snmu  7n{ä)n  yjirmiizta 

tigte  er  sich  ••  Der  Dämon:  Ich  (werde?)  den 

t{ö)nyr am  .  .  t  tip  .  .  .  . 

Gott  Chormuzta sagend 


nany 

etwas  . 


ya  .  .  t 


yäklär  . 

Dämonen 


ärti  \/är] 

waren  sie  •• 


moi . . 


yldl-lär  ölürdi-lär  äVöz\i\n 

aßen  sie  und  töteten  sie,  er(aber),  mit  dem  Körper 

tamu  önyüninyä  tiUti 

in  der  Hölle  Vorderes  (?)  stürzte  er. 

ol  ödün  yjjtrmvzta  t{ä)nyri 

Da  spaltete  Chornmzta  der  Gott,  indem 

not  t{ö)nyriy  halto-6a  cfitip 

er  den  Feuergott  zur  Axt  machte, 

smnu  hasin  h'idt'i  ol  oq 

des  Dämonen  Haupt;   jenen  P'euer- 

oot  i[d)nyriy  y'dmü  tümän 

gott  auch  einer  siebzig  Myriaden 

hircC')  sönyü  täy  %iUp 

Meilen  (langen)  Lanze  ähnlich  machend 

smnu  baMn  sönyü  hasin\ta^(^) 

das  Haupt  des  Dämonen  mit(?)  derLanzenspitze  . . . 

Rückseite.] 


Türkische  Maninhaica  aus  Chotscho.    1. 


21 


T.  n  K.  2a. 

Aus  Bündel  Nr.  172.    Teil  einer  mythologischen  Schrift.    Oberer  Teil  zweier 
stark  zerstörter  Buchblätter.   Breite  i6f ,  größte  Höhe  i  2  cm.  Grobes,  weiches, 

bräunliches  Papier. 
Blatt  I. 


3    >tß^  f^A^  f^^ttP  P^t»  ®  >^0^^ 

•  •  ////////  MX  ißi^  ^   O  JLä^  ßLOMA 


■D    (Titel)   w^d 


anyi  Htgäöi  tamjlap 

?  .  .     staunend 


^tl4g4t^ 


ol  t'inturo  i{ä)ngri  ••  yll  t{ä)ngrl 

es  ist  der  leise  Luflhauch  •■  der  Wind, 

y{a)ruq  t{ä)ngri  ••  suv  t{ä)ngri  •  ot 

das  Licht  ••  das  Wasser  •  und  das  Feuer 

i{ä)ngri  •  hular  barca  äzrna  t{ä)ngri 

(i.  e.  die  fiinf  Götter)  •  diese  alle  dem  Gott  Äzrua 

üzä  kädiUp  birlä  qat'itip 

(als  Kleider)   angezogen  und   mit   ihm   vereinigt 

ärür-lär"^)  •  hu  hi§  y{a)r[uq  ingri\ 

sind  •  dieser  fünf  Lichtgötter 

s'inlafi  barca 

Körper  alle 

incä 


[Ende  der  Vorderseite.] 

Rückseite. 
?o  ^jfrfi»  ///  ^  ^  (^^,ägcp  jitugänj  c?a  (Titel)  qutluy  bolzun  hu  bl[tig\  Idlsi 

Glücklich  möge  sein  dieser  Schrift  Besitzer . 


<tp 


^Ai0je>.  ^diiu^^A4geß>Q^ 


4^\ 


AH^&4\M\\  ^4JU^  >>i#^#  ^^^^ 

^ÄJC%  >^'   69  ßLXAO^AX  ßÜA^  Uli 

iLiX       ^^^  ^^  A^MJ^ä^^ 

>t^*«**d — «<^  //// 


)HtU40llll 


vidya'^^)  högülänrnäkln  küsin 

durch  sein  Vidya- Weise-Sein  (?),  seinen  Ruhm 

kädin  qama'^  t{ä)ngri  yirintriki 

und  sein  Lob  unter  allen  Göttern  im 

t{ä)ngrilär  üzä  incä  b{ä)lgiirür 

Götterhimmel  also  lasset  er  erscheinen  (und) 

[y{a)\rut'ir  ya§ut'ir  ••  q{a)lt'i  kün 

verbreitet  Licht  und  Glanz  ••  wie  der  Sonnen- 

\ai  tngri^ ?]  {yd)ruqin  qamay  yir 

[undSMond-??Gott]  durch  seinen  Glanz  (unsre)  ganze 

\suv  yrut'ir  hi§  tn]rlüg  tml{t)ylar 

[Erde  erleuchtet,  die  funfj  Arten  Lebewesen 

snclar 


[Ende  der  Rückseite.] 


22 


A.  VON  Le  Coq 


<&  L 


A*m^  ^^A^ 


Blatt  2. 
jf». 


Illl^j^sa  c^o      (Titel)      w{a)%m[an  ma%i\stak  üzä 


^rft|r<rt^ 

////. 


^^»4ß^ 


buUr  lar  ••  «/rm^/  gnw-in^°)  (?) 

finden  sie  ••  Zweitens,  durch  seinen  Geist, 

öz  stnly  ögdir^')  kirn  k{ä)ntü  ol 

sein  körperliches  , .  ? . .  welches  selbst  (besteht  aus) 

tirly  ädgü  soqin\6r\ar  ••  ol  kirn 

jenen  lebendigen  guten  Gedanken  ••  die  aus 

nomqut'i  t{ä)ngri'dän  tuyar-lar  •• 

dem  Gotte  der  Gesetzesmajestät  entstehen  •• 

k{ä)nlü  k{ä)ntü  süsin  .... 

selber  mit  seinem  Heere 

ilGÜn  qam\ay\ 

wegen  aller 

basm 

sein  Haupt 


[Ende  der  Vorderseite.] 


Rückseite. 
//  . . .  jg^%^4^4^   (t%%^^  cga  (Tiu-i)  biUyü  täy intim avz  (?)3') 


««♦ 


/^-i>  >ۧ^^ 


habe  ich  ehrerbietig  geschrieben  .  .  .  ? 

4^11,4^       äzrua  t{ä)ngri  kim  k{a)ntü  ol 

der  Gott  Äzrua,  der  selbst  ist  aller 


ßägitß^ö  ^^^äättit\  Atß^  >*5^^'      qamay  t{ä)ngri  yirintäki  t{ä)ngrilär 

Götter  des  Götterhimmels  älterer 


MM^^^^M4  ^Jf^r^       Mäu 


ning  äcäsi  apasi  süzük 

Bruder  und  ältere  Schwester,  die  lautere  Ma- 


69 


/KOHJk  6S  ha%-      qut  ••  y{ä)ruq  ög  ••  örüng 

jestat  ••  der  lichte  Verstand(?)  (Mutter?)  •  das  reine 

>u^  ßJLa^  S9  f^  //// [kön\gül  -  uduy  saq 

Gemüt 

Illl'^llll .... 


d 


LAä^^y 


.  .  .  küclüg 
.s  yirdävi 


[Ende  der  Rückseite.] 


Türkische  Munichaica  aus  Chotsrho.    L 


23 


T.  n  D.  171. 

(Tafel  II J.) 

Ende(?)  eines  Gebets.     Überschrift  abgerissen.     Größe  35,5  x  20,5  cm. 
Vorderseite,  rechte  Kolonne. 

k[n)ntu  y{a)ruq  t{ä)ngri  mani 

Er  selbst  der  lichte  göttliche  Mani 

huT/ßiL  ärür  •  d\in\tara'^^^) 

Bur^an  ist   •    den  Electas 

n{i)yo§akay  hilgä  hiUgi-n 

den  Auditor  durch  sein  weises  Wissen 


igdür  .  . 

erziehet  er 


nätäg  ymä  köz  ad\aq-qci\ 

und  wie  das  Auge  dem  Fuße 

s{ä)vüg   •    nätäg  ymä  älig 

teuer  ist    •    wie  auch  die  Hand 

ayaz-qa  s{ä)vüg  ärür 

dem  Munde  teuer  ist 


JL^ßJO^ 


ancorayu  (1.  anöol-)  ymä  mungar 

so  jenen 

— 26.    P]s  folgen  achtzehn  ursprünglich  leere  Zeilen,  zum  Teil  mit  später  schlechter  Pinsel- 
schrift nachträglicli  beschrieben  (Transkription  usw.  am  Schluß). 


>^^^4ß^t^ 


mängzäti  ymä  dlntar 

ähnlich  war  er(?):  einem  Electns 

ki$ikä  s{ä)vüg  kongül 

geziemet  sich  ein  liebevolles 

y{a)rahLr   •    nä  üdün 

Gemüt    •    Wenn  jemand  »Warum»  sagen 

tisär  baröa  kUi-lär 

sollte:  alle  Menschen 


^  ju^ßäiA  ^L^^H^  ^11 II IUI 


indä  tiUiyür-lär 

bitten  so:    •    Wenn 


ymd 


birki-ni-g^*)  mnn  h{ä)ca  m{ä)ning 

....  H ...  .  Sünde  und  'Verdorbenheit  in  meinem 

sinimda  söngükümdä 

Körper  und  meinem  Gebein 

.  .  .  ,  j2  bulmadU  ärsär  tip 

.  .  .  nicht  aufgefunden  worden  sein  sollte  (sagend) 


24 


A.  VON  Le  Coq 


Illac^J^. 

patta^  /uäUA  Aii0^i^  IUI  0da^ 
o  JUUu,  L4iPt>  ^!SS*4UH6  ////////  ^ 


Vorderseite,  linke  Kolonne 


ancolayu  ymä  üzüt  üdü\n\ 

so  wird  es  der  Seele  halber 


,äMigil\ 


Lgjj^ 


•^t^Allllll 


Ö  JtA^JLA0(^ ////////  ^ 

4»*V>^^  >Ä>   Q/LAgllll  ftgp 

Atß^  (^Jff^Jü^  ^^ii  IUI  4M 


muns\üz\  b{a)6asiz  ar'ir^  toruy 

angemessen  sein  sünden-  und  feiilerlos  im  lichten 

[orduta?]  turin'ii  h{ä)rgäk  ärür  • 

hellen  [Lichtparadiese]  zu  weilen  (?)    • 

[am/]i'  ymä  inöä  y{a)rltqadi  • 

Jetzt  so  hat  er  (zu  reden)  geruhet   • 

q{a)lt'i  manl  huT/jin  ainari 

Wie  wenn  des  Mani-Burchans,  des  Aman, 

huryßnlar  hr'dü-lör .   hu 

Bur;(^ane  und  Engel •    diese 

ä kälsär-lär  • 

kommen    • 

\ötr\ü  bi$  türlügün  b{ä)l(jülüy 

dann  auf  fünf  Arten  in  Erscheinung 

ho]\ur\la7'  •  bir  yum^aqi-n 

treten  sie  •   Die  eine  ist  durch  seine  Lindheit 

in\pä\  q{ä)lt'i  yjurm{u)zta  t{ä)nyri 

so  wie  des  Gottes  Chormuzta 

bälgüsincä  •  ikl-nü  qad{n)r(m 

Erscheinung  •  Die  zweite  ist  durch  seine  *Sttenge 

ancolayu  q{a)lt'i  wadziw{a)nta 

sowie  es  des  Gottes  Wadziwanta 


'S' 


13—22.  Hier  folgen  neun  in  einer  groben  späten  Hand  nachträglich  eingefüllte  Zeilen  (s.  nnten). 


o  Lc^^ßA^  , ^^g^  ßiatiA,  p^dß 


t{ä)ngri-Gä  •  ücünd  ymä 

Art  ist  •  die  dritte  ist  durch  seine 

hörtlä  körkün  inöä 

schöne  Form,  so 

q{a)lt'i  y{a)ruq  kü-n  t{ä)ngri-cä  • 

wie  es  des  lichten  Sonnengottes  Art  ist  • 

törtünd  bilgä  biligin 

die  vierte  ist  durch  sein  weises  Wissen, 

anöolayu  q{a)lt'i  ölügüg 

so  wie  es  die  Art  des  die  Toten 

twk)lügli  bäg  ai  t{ä)ngri-6ä  • 

belebenden  (?)  Fürsten,   des  Mondgottes,  ist; 


Türkische  Municlmka  aus  Chotscho.    I. 


25 


ymä  büinö  kork 

und  die  fünfte  Art  ist  Form 

rnängiz  tägMrmäk^^) 

und  Aussehen  xu  verändern 

anöolayu   q{a)lt'i   *    uluy       [des  erhabenen 
so  wie  es  die  Art  ist   der  geliebten  Tochter    • 

ilig  i{ü)ngri  yßni  äzrua 

fürstlichen  Gotterkonigs,  des  Gottes 

t{ä)nyri   ning   nmraq  qiz'i  i/{a)ltr{a)yl'i 

Äzrua,  der  glanzstrahlenden 

yaSi-n    t{ä)ngri-Gä  •  to$lst  w{a)hm{a)n 

Blitzesgottin  •  tosis[t]  wahnian 


[Ende  der  Vorderseite.] 


09    69 


Rückseite,  rec 
Überschrift 


im 


J^  II  ^ pal  OK  >^iep  ^i}^iy&^ 


////  ^  ^At£^46  >^  //  ^ 


Phil.-hist.  Klasse.    1911.    Anhang.    Abh.  VI. 


hte  Kolonne, 
zerstört. 

yinä  uluy  ilig  äzrua 

Im  Namen  des  erhabenen  fTirstlichen 

t{ä)ngri  at'i-nga  ••    •• 

Gottes  Äzrua  ••  •• 

ymä  ayazlanmi^  bolt'i  \ulu\y 

Ausgesprochen  wurde  es  mit  großer 

ögrüncün  •  ymä  bitil[miä\ 

Freude  •  niedergeschrieben 

bolt'i  ay'ir  s{ä)üinGi-n   •  ymä 

wurde  es  mit  inniger  Liebe  • 

(imi'i  tökäl  türlüg  itigi-n 

Jetzt  in  höchster  Beflissenheit 

biiilmü  bolt'i  u\l\uy  (??)  yi\r\dä 

wurde  es  geschrieben  an  erlauchtem  Orte  (?) 

uy{a)tmaqi-n  {?)  bu 

durch  sein  Erwecken  (?)  dieses 

t[n]gri?  t{ä)ngridäm  u  .....  . 

göttliche  heilige 

nom   bitig  •   ki7H  ymä  bor  .  .  .  i  .  ok? 

Gesetzbuch  •  welches 

tolu  ärüä  ökM  türlüg 

viele  viele  Arten 

4 


SS 

3 


3 
et 

3/ 


00 

'S- 


26  A.  VON  L 

nir<W\rt4  UtiHäg&A  IUI  IUI  ö.  II 

.jf^i;^  .411*4;^  '^■'V^  OuM^  MJLT 


III  iiu^ybe*  JLiuu,  Ji^ßdeß», 


E    (y  O  Q  : 

.  .  t .  .  \iiz\iitlärig  ud^uru- 

....  die  Seelen  xur  Nachfolge  ver- 

7Ä'  •  kongülüg  advyl'i  yinä 

anlaßt  •  welches  das  Gemüt  öffnet  und 

koküzüij  y{d)rutw^U  köni  kirtü 

die  Brust  erleuchtet;  welches  ein  rechtes  aufrich- 

amjlay    iÖrÜlÜg    ÜC    ÖdkP^)    [zur  Trennung 
tiges  Verständnis,  ehi  orthodoxes,  in  den  drei  Zeiten 

adrtlay  ödürUüg  yurüglüy 

und  zur  Erwähluug  führendes,  (recht)  wandelndes 

tirig  öz  hirikli  y(a)riiq  t{ä)ngri 

lebendiges  Sein  gibt,  das  zum  lichten  (4ötter- 

yiri-ngä  iägürdäcl  •  noMa 

hinnnel  hinführen  wird,    •  (nändich)  das 

tataylayraq  t{ä)ngri-däni  h'dgä 

süßer  denn  der  Unsterblichkeitstraiik  (seiende) 

bUig  •  ymü  •  ädgü  ödkä 

göttliche  Weise  Wissen  •  Und  in  guter  Zeit 

qoluqa  •  ymä  irülüg  ädgü 

und  Periode,  am  *günstigen  guten 

künkä  •  ymä  alqatmU 

Tage  •  im  gesegneten 

aiqa  •  ymä  yigädmii  qutlwi 

Monat  •  und  im  siegreichen  glücklichen 

y'ilqa  •  ymä  ögütmis  nlqatmU 

Jahre  •  in  der  Brust  des  *gelobten  gesegneten 

c{ä)r{i)k  turk  ulus  aiyu  ilas^'') 

kriegerischen  Türkenstammes  (?  ?) 

koküz  iri-niä  •  ymä  yoqaru  qodi 

Kvyn  T(a)las.     Und  oben  imd  unten, 

Ugärü  kirü  at'i  iMUrnls  ymä 

vom  und  Innten  ist  sein  Name  gehört  (?), 

küsi   SOrulmiS    qutluy    Ulu§  [Stannnc. 

sein  Ruhm    erfragt   worden    in    dem   glücklichen 

y{a)raslay  altun  aruyu  ulus 

dem  angesehenen  (?)  Gold-Aruyu-Stamm, 

qaäu  ygänknt  ordu  knt  6igi[l^ 

in  Qasu  (und?)  Y(ä)gänkänt,   ui  Ordu-Känt  und 


Türk'ischf,  Manichtica  aus  ChotscJio.    L 


27 


34 


36 


U7 


ViUCBjdA^  AUäUi^  JV*^^\  ^M^^d^M 


Q  L^^ 


,p£M,  ßU^dd^^  ^4A^ 


^tt^At%  /H^Ö^  ^4rtV^ 4il4i 


hül'iy  nom  qut'i  t{ä)n(jri-iii'n<j 

Tschigil  dei'vStadt,  im  Wohnorte  des  Gottes  der Gc- 

ornangus'i  mrdaspnt  t{ä)nyrl- 

setzesmajestät,  an  der  Heilstätte  der  Mardaspnnt 

lärn{i)?ig  otadtl'iq'i  ar'iy  y{a)ruq 

Götter,  im  Wohnort  der  reinen  lichten 

küclüg  bri§ti-lärn{l)ng 

starken  Engel, 

qonyus'i  ar'iy  toruq  suzük 

in  den  reinen,  klaren,  lichten 


7nam-stunlar  ici-ntä 

Aufenthaltsorten  •  Und 


yma 


qara  huduni  {?  ?)  qutluy  ötmis 

sein  Volk,  die  glucklichen  .  .  ?  .  . 


Rückseite,  linke  Kolonne. 


>^#t«tfP 


^tf^\eß*\ 


^t^ß^aoi 


. ^^  II  ^,4\tt4\m4^mtf  .M^ 

^^^^t^^^^  ^^^^^^^^  ^^^^^^^w  t^^^^^^^ß 


^ 


ita^  ^dd4t  -di^' pa IUI- 


Q  L^äH/mtn^   uinädtgßfin  mnääägM 


ötmis  yigädinU  bri§ti  .... 

.  .  ?  .  .  siegreichen  Engel 

ayaylay  tataylay  atlay  t{ä)ngrl 

den  (?)  ehrwürdigen  süßen  berühmten  göttlichen 

ni{a)r  w{a)yjn{a)n'Xjtary{a)zd  [t]of,-it  (??) 

Mar  Wahnian-Chiar-Yazd-Toyin 

to%rV^)  daqt  uluy  mozak^^) 

den  tocharischen  großen  Mozak 

•  ymä  \a]liun  aryu 

(Vcrbiim  fehlt!)    .  und  des  Königs  des  Altun-Ar}'U- 

....  [?i/]w.i?  qasu  %ani  ordu 

Stanmies  und  (Königs)  \on  Qasu,  des  Fürsten 

cigil  k{ä)nt  ärkligl  uluy  turkdün 

^  onOrdu-Käntund  Tschigil-Känt,  des  großen  '"Hü- 

paMan{a)ki'^'')  cigil  arslan  il  tirgüg 

ters  gegen  die  *Großtürken  Tschigil  Arslan  Il-tirgüg 

glp  huryucan  alp  t{a)iyßn  häg*') 

A^p      Burgucan      Alp      Tarchan      Bäg 

iläntük  ärksintük  oyur'inta  • 

Regierungsantrittes  (?)  wegen  • 

ymä  amVi  bolzun  äsängü-ü 

Jetzt  möge  sein  Wohlsein 


X 


28 


A.  VON  Le  Coq 


i 

ja 


o 


*mri4ä\ 


Q  Li 


/^J^lf   /*<*^|^-|        Lt.^at^L^     {^,4*!(fik        ^•m.m^i^^ 

Ldf^diM^  ( t><<A  tj  ^  4<%4n&\cP 

,  4ft^<t.  4  e^e^ ,  rf|t^<y  e»<t<»  ^^^^^ 


alqis  tüzü  norn  arqas'i-nya 

und  Segen.  Am  Ende  des  vollkoiniiieii  guten  Gebets 

ymä  ögirmäk  s{ä)vi-nmäk 

soll  man  sich  freuen  und  glücklich  sein 

holzun  nom  pa§(ian{a)klorl-n  nzä 

mit  (?)  den  *Hütern  der  Religion. 

ymä  quiadmaq  qwodinaq 

Und  beglückt  und  geehrt 

holzun  tüzü  ödrübräs 

mögen  werden  die  ^ollkommen  auseiwähltcn 


afi'y  dintarlarqa 

reinen  Electi  •  Und 


yma 


yigädrnäk  utmaq  holzun 

den  Sieg  da\onzutragen  möge  i)eschiedcn 

manya  n'yduq  %ar'i  hitgäcl-i  • 

sein  mir,  durch  Aj/duq,  den  alten  (?)  .  .  ?  .  . 

7n{a)r  isoy{a)zd  ma%istak  üzä  • 

Mar  Isoyazd,  den  Ma^istak  • 

kbn  ymä  uluy  grnranmaqi-n 

der  ich  mit  großer  Liebe 

n-yir  kösü§ün  hitidim  • 

und  heißem  Wunsch  dies  geschrieben  habe. 

yazuqda  hosunmar^  holzun  yj^d)mw^  harai 

Von  den  Sünden  befreit  zu  werden  möge  zu- 

s[ä)vug  üzütlüg  n{i)yosaklarqa  • 

fallen  allen  lieben  gewissenhaften  Auditores  • 

ymä  tüzün  barca  ät'özümüz 

Und  vollkommen  alle  un.sere  Körper 

hütünün  qadaqi-n  turzun 

mögen  bleiben  unversehrt  und  stark  (?) 

igsizi-n  adastz'i-n  turalim  [bleiben! 

ohne  Krankheit,  ohne  Bedrückung  wollen  wir  ver- 

ymä  kongülümüz  koküzümüz 

Und  unser  Gemüt  und  unsere  Brust 


*)    Das  Wort  nom  ist  später  (unter  der  Zeile)  hereinkorrigiert  worden. 
**)    Dieses  Wort   ist   später  mit  scharlachroter  Tinte  zwischen  die  Zeilen  geschrieben 
worden. 

***)    Geschrieben  steht  ät^^m^  ^  doch  ist  das  a  augenscheinlich  nur  ein  zusammen- 

gelaufenes u. 


Türkische  Mankhoica  aus  Chotscho.    I. 


2\) 


f^'H» 


Der  hier 
O        eingefaßte 


cVa    .eM^ß^ 


^  Text  ist  ^ 

**      ausgewischt.      ** 


0 


turqaru  hosuSsuzun  qndyuMiz- 

beständig  ohne  Kumiiier  und  ohne  Sorge 

un  turzun  haröa,  ädgü  qtlincqn 

möge  sein!     Zu  allen  guten  Taten 

tökälUg  holatim   •    nziUümüz 

fertig  (bereit)  wollen  wir  sein  •  unsre  Seelen 

qiirtulmaq  boSunmay  yigädittäk 

mögen  befreit  werden,  gereinigt  werden,  den 

utmaq  t{ä)ngrl  yiri-ntä{\)  täkimliy 

Sieg  erringen,  und  der  Erlangung  des  Götterhinnnel.'s 

holzun  V 

würdig  werden  I 

7n{ä)ngign  •:• 

P^wig 

incä  •:• 

so 

holzun  •:• 

möge  es  sein ! 


[Ende  der  Rückseite.] 


Nachträgliche  Zusätze  auf  der  VorderseiteT 
Später  lünzugefügte  Texte  in  grober  Pinselschrift.     Z.  9 — 2  i  und  24 

Rechte  Kolonne. 


26. 


AßM,  ^'dati^M^  ^4A^ 


' — na^joeß^^ 


min  yapyun'''')  iki 

Ich,  Yapgun,  ein 

yaruq  orduya 

an  beide  lichten  Paläste 

k{i)rtg'ün{G)lüg 

glaubender 

n{i)yo§ak  yjai-^^) 

Auditor,  habe  bei  der  Rftckkehi-  aus 

t'in  k{ä)lmiMcl  hu 

ChataT  dieses 

äm{i)g  iki  %<du 

Heiünittel  (?)  zweimal 

o%i{y)u  t{ä)g{i)nti7n 

ehrerbietig  rezitiei-t. 

Mm  7n{iynt{i)n  (mintä?)  kin 

Wer  nach  mir  (sie) 


30 


A.  VON  Lk  Co q  : 


»4 


>6 


I 


* 


/taju^ 


(r/^\li)mv  niiul  alayu  (?  ?) 

rezitieren  sollte,  die  sollen  niirli  zu  noiiiien 

i/{a)rliji)y{a)simlar  (^)  hu  bis 

geruhen  dieser  tunf 

ay'ir  (?)  b{l)tm{i)§  ucün 

in  ernstem  Streben  (??)  Geschriebenen  halber! 

7/azuq-ta{-t{t)n)  (?)  k{l)6irmin  (??) 

Aus  der  Sünde  (?)  flüchte  ich !  (?) 

man-astar  %irz{a) 

Manastar  hirza! 


In  anderer  noch  gröberer  Schrift  (2  Zeilen  tiefer):       -^ 

hasüii  haru  , ,« 

Von  Anfang  an  ^  .g 

atay-ya  tägi 

bis  zu  Ende 


Aß*ö      <f<  >fc<^^ 


^a^ X^t^ttm^       o%it'im  sui 

habe  ich  rezitiert! 

[Ende  der  Pinselschrift.] 


Sündt 


«^ 

— 

^ 

ü 

2: 

n 

«o 

J2 

i-C> 

<D 

hn 

r- 

?   > 

^ 

<>i 

3 

Später  hinzugefügter  Text  in  grober  Qalamschrift.     Z.  13- 
Linke  Kolonne.     Unregelmäßig  auf  die  Zeilen   verteilt. 


22, 


[Ende  der  Qalamschrift.] 


m{ja)n  iki  y{a)ruq 

Ich,  der  an  die  beiden  lichten 

ordu-ya  p{ä)k 

Paläste  fest 

%at'i^  kirtyümlüy 

glaubende 

n{i)yosak  qrslan 

Auditor,  Arslan 

iuängn  hu  iki  yiltiz 

Mängü,  habe  diese  beiden  Wurzel- 

nom-uy  o%iyu  tägintini 

Ritusformeln  ehrerbietig  rezitiert. 

%ayu  yjitlu^-lar  (r/j,z[ar-  (6y//--)?] 

Welclie  Glucklichen  dies  rezitieren  sollten : 

lar  buyanta{\)  uml?naz\im-?] 

in  der  verdienstlichen  Handhnig  (meiner  ?)  sollen  sie 

lar  7n{a)nastar  %irza! 

nicht  vergessen!     Manastar  hirza! 


¥ 


Türhische  Manicfialca  am  Choti^cho.    1.  31 

T.  M.  159. 

Erwähnung'  des  Mozak.    Fragment  von  7  x  7  cm  Größe,  gelblichweißes  Papier. 

Vorderseite. 

J//l////f^ftiCi^^^  ^yO£k«^Sl«s^  \^jÄä//////     [adffa]s{2)z{i)n  tudda8{;i)z(i)n  l)()su[§suzun\ 

ohne  Gefahr  und  BcdiQckinig  ohne  Kummer  und 

.  .  .  //^»»,^:d  ^»\fv^ltUsa<  \^ «'^ ^^x^  W*r~l.     qadyusu2{v)n  qadfhiqin  /mt[üni7i\ 

*  ohne  Sorge  stark  (!')  und  [unversehrt?] 

.  .  .  .     A^\  qj6  ^A»^ ^ fs M  %%'%y.HJaLH\(iilV»     y{a)rl%quinaqn  bolziin   •  •    qop 

sein  Geruhen  möge  sein  ••  In  aller 

///Ii/t^\ »v»»A*v ■Hty<%»y  \%^ti%  jiÜH^levQ^     tuddadda  yafin  klcä  küyü  köz\ädü\ 

Widrigkeit,  Tag  und  Naclit  möge 

lil%^M^%f^^  oa  \^\^^M  »%iji£i\.rui^^^     intmaqlafi'i  bofzim  ..  ökiiä  t[w'lüg] 

er  (uns)  behüten  und  bewachen  ••  Viele  Arten 

•  .  •  .  I//Ixf\f\\     exf^f%fs,t\%H  Vv^^^%fvri     üzütlüy  äl'özlnk(\)  quur .  .  .  . 

seelische  und  körperliche  . .  ?  .  . 

Illlll\  SrjtM.  »»O^O^  VSiv<^»b^»\      qtlindl(i)y  sninu  nuny  q  .  .  .  . 

handelnden  Dämons 

[Ende  der  Vorderseite.] 

Rückseite. 
.  .  .  Ili\^^  ^WUtH»v»^!Lt^  t£^«V^ Jmr%an  i{ä)ngri  %an(i)m(i)z  bög{?)  .  . 

der  Majestät   des   Bur;i(^an  unseres   Götterkönigs 

0;9ai^«V^  %%«!u|.^  Zb  M^Su^%%  ....      [qu]t'inga  •  •  t{ä)ngru  mozak 

der  göttliche  Mozak 

^rt*<v»^*»  .   \.»i  V  •%^lii^*vM ulatn  q{a)m{a.)y  "iki-h 

^  dazu  alle  beiden 

•^vi^v^  i£^^^^  «a  «jt51«M^«JSL ddintarlar  ••  t{ä)ngrikän  qimdul 

Electi  ••  die  erhabenen  Fürstinnen, 

ill^l^\^^^»M»»\^  ^»*^  .4j<A^>X>.»^^ii\V//     .  .  [ta\rqan  tigitlär  Hlcii  Mgälär 

die  Tarqau,  die  Prinzen,  die  Staatsmänner 

/l//xtX,K^  Zb  ua%>itH»y%i^^ t{ä)ngrikämm  ••  bugün  \kl\ 

'  mein  Göttlicher!    Am  heutigen 

ii'»v»jirl  oo>J^^H\JSLriri  Kty \kün\kä  alqatm'ß  aiqa  .  . 

\    [Tage,]  im  gepriesenen  Monat  .  .  . 

[Ende  der  Rückseite.] 


32  A.  VON  Le  Coq  : 


Anhang. 


T.n  D.177. 

(Tafel  IV.) 

Tlöhe  des  Doppelblattes  24  cm,  Breite  13  cm.     Grobes  braunes  Papier. 
Von  Würmern  angegrifi^nes  doppeltes  Buchblatt. 

Seite  I. 


Illl>¥ll^      ^Wi 

sein  Kopf 

•  •  •  •  ////  .Jt^   rflf^ifH       öirü  m{a)r  [atnu  mogak\  .  .  .  Z^) 

darauf  AJar  Aimi,  der  Mozak 

^'H       ^"^  *t       indä  tlp 

so  sagend  

////  ^ß  ■  ■  .  La^  69  ß  ^pg*i      qilsar  ••  man  .  .  .  .  kö 

wenn tut  ••  Ich 

////  Oiu^  ^d^  IJIJIIIl   rttiän^äA   C^^      M  ai-yaru{??)  .  .  .  sini  körü[p\ .  .  . 

.  .  .  nacli  dem  Monde  liin  sein sehend 


mää^  määdfäj  69  ^  null .  .  .  Uiirt^tf^       tamuqa 


.  .  i  •'  qacnang  nang 

nach  der  Hölle  .  .  .  ••    .  .  .  ? ?  .  . 

7  69  .dL^  ^4^  >^.llllllllllll  m      *&^^A       anta  q  .  .  .  [q'il?]yai  s{ä)n  tidi  •• 

da  wirst  du  tuen  (?)  sagte  er  •• 

8  "^f^C^i      ^•^r"^  '  ■  '  '  null  ja»  69      69      •  •  •  •  ö[fy^ü  ol]  wa%sik  k{ä)ntü 

Darauf  jener  Geist  sein  (oder :  durch  sein) 

j      jä€ß[€%  >d^(i#  IUI  '  '  Uli  -auc^  ^t^xt^       aimiä  sav\}n\  ....  y]ilVi  qamay 

selbst  gesprochenes  Wort . . .  machte  (?) ;  da.s  ganze 

K'       -**^-'*^-'j"        CU  g£0diß% ^^.^aX  II IUI      [hu\dun'^  ko7iyü1\t\ä  sörinöin 

Volk  (?)  im  Gemüte  durch  Annehmlichkeit 

"    P^gdß        ^^-JfZ^    0^^  -Jc^  69  ^  UHU  '    .  •  .  .  l  "  in{a)r  amu  mozak  hal'iq- 

...?...    ••    Mar  Amu,  der  Mo/.ak,  in  der  Stadt 

12         '*»  ^ fff^  ^$"0^  J^^'y  (Jf^ü       ^^  an      [i^iVai^^)  tägzinti  Iniäi  qolt'i  •• 

er  herumwandelte,  Almosen  erbat  er  •• 

,3    jlUmdAiß.^  //  .^U^  ////  all       ^"^  !!!!'!!!!      •  •  •  •  ow^/ .  .u  .  .  mad'i  ••  hlr  yayaq^^) 

? ?  .  .    ••    ein?  .  .  ?  .  .  wurde 

M    ■     in  .(ta  II  IUI  A  JL  IUI  HU  ^^  ^>  II  §»      />'o/[/?]i  .•   ö[trü  m{ä)\r  u[mu  7n\ozak 

er  {h%dti  fand  er?)  ••  Darauf  Mar  Amu,  der  Mo/ak, 


Türkische   ManlrJtaicd  aus  Chotscho.    I. 


'^:^ 


.^aaeßd^ßugs^  IUI [t{ä)n\(jriligingärü'') 

seiner  Göttlichkeit  (??)  (Tempel)  entgegen 

///  ^^  IIIIIIII9  ^S^f-^  ^^*^t>  ^  >  im  tP      ha\rd\i  -   kirn   qam{a}y  h San  .  . 

gi"g  er  •■ 


//  ^L^AA,A»  UdÄ^g^ mafUL^  ^4^  II 

IUI  -4^4blr— 5f»  ^  ^  .Äj^JU^IIIIII 
II  lö      ^'r^M      *i  X^^ 

Illlllll4^^^ß^llllllll 

III lim  Mi  .^U^^ ■:'... 

[Ende. 


hirär .?  udurur-lar  är\t\i  ••  olt{ä)nyrl- 

•  ? ?  .  .  .    ••  Der  in  jener  Göttlichiceit 


likdäkl  qnm  m{n)r  amu  mozakka 

(Tempel?)  befindliclie  Zauberer  den  Mai- Amu,  den 

in<Sä  tip  ay'il'i  nä  är  s{ä)n 

Mo/alt,  so  sagend  fiagte :  Was  für  ein  Manu  bist  du  ? 

....  s{ä)n  milüy  kältiny  hizintä  .  .  . 

....  Als  was  fiir  ein  (Mensch)  bist  da  gekommen  ? 

lur   tidi  ••  ••  ymä  m{(i)r  amu 

bei  uns  . .  ?  .  .  sagte  er  ••  Mar  Auiu,  der 

////////      [mozn\k  ol  qamqa  indä  ti[p\ 

Mozak,  jenem  Zauberer  so  sagend 

69  p,  II II II      [tid\l  ••  or[«7|  [din]iarm{ä)ns\izmyärü?  \ 

sprach  ••  Als  reiner  Glaubender  zu  euch  (?) 

•  ••?•••      ....?....  k{ä)ltim  qa 

? bin  icli  gekommen  ...?.,, 


Seite  2. 


'  ui^jKe^ 

3  ^^^   69   Ll0 

4  /iiä^/iiaiillllll  aga 

5  ^  4iätl^tU>  IUI 


kiriü 

t{ä)nyri  bilyä 

.  .  .  tip  ••  amt'i 
ulu\y]  ?[i/ä]ruq  ?  barq 


m{ä)n  ant[a]  olurayit)n 

ich  dort  will  ich  mich  niederlassen, 


69  69  .dii^  IUI  IUI  ^^*i  ^  ^^^%  >tß^      t{fi)nyn  nomin  ynd\(iy'in\  tidi  •  •  •  • 

das  göttliche  Gesetz  will  ich  verbreiten,  sagte  er 


Fhil.-hist.  Klasse.    WH.    Anhang.    Abh.  VI. 


34 


A.  VON  Le  Coq 


II II II II III  jLäLä,  ^tö      *r4U 


I III IUI  ^^H^  Ctß^.ä^ 

^'i.^^  ^^  ^    ^*^n<  es  Mj^ 
fijLA  (m^      äräM  ^(^ ctok  ,^A^ 

Hill  -Cß  (-tß  II i  >«^l «^^«#4«.fl»  jLi# 

UlU^  //////  ^4U,  jö-  III Hill  -^MtÄÄ  (39  SB 

SBSS^ La  lllllllll  Ä  >§^ e^ 

69 II  1>^  Lu§efi  Leß  Uli     n'^xtß^ 

jöuii  jui4  69  JU0i^  ^Äoaan 4^ 

4-MH'«^  ^de*-^A»  Lj^Jt^^  l/l 

II  ^  -e*^fdlr>"«e^-e*  ^u^^i^  ^  III 

^-%gfc»  »    ^  ><»»£» /f^^Ajß  IUI 

lllllll  — Mä^^do^  -3M  -fblr  ^^Aj  ////// 
////////////  €P  >-  ////////  ^¥^  ^^  //////// 


ötrü  ol  qarn  a olayu 

Darauf  jener  Zauberer (?) 

Inda  tip  aidi \t{ä)n^riUy 

so  sagend  sprach Tempel  (?) 

slzingä  holzu{ri\  ....  oluruny 

soll  euer  sein Setze  dich, 

tidi  ••  ötrü  m{ä)r  amu  mozak 

sagte  er  ••  Darauf  Mar  Anni,  der  Mo/ak, 

ol  qamqa  inöä  tip  aid'i  •• 

jenem  Zauberer  so  sprechend  sagte  er  •• 

s{ä)n  üc  yoti  indä  tip  ai- 

Du  erkläre  seine  drei  Wege,  so  redend, 

7«7  hu  t(ä)ngriUg  siz\i'n]gä  ho[/zun] 

(dann)  soll  diese  Gotterschaft  (?)  euer  sein ! 


•  Ötrü  [ol  qa]m  ai 

DaraTif  jener  Zauberer  . 


\an6\olayii 


ü6  yoti  a \i\ip  .  .  .  .  i  ••  •• 

seine  drei  Wege sagend ••  •• 

t{ä)ngriliy  \siziri\gä  holzun  iid\i\  •• 

der  Tempel  (?)  euer  soll  sein,  sagte  er  •• 

nä  üdün  tisär  ••  ol  qam 

(Wemi  jemand  »Warum«  sagen  sollte:)  jener Zan- 

kgngüli-ngä  incä  saqtnt'i  ••  hu 

berer   in   seinem  Herzen   so   dachte  •■  dieser  ist 

[^]r/i>i  yir-lig  är  hu  k{ä)ntü  s{ä)vigi-n 

ein  Mann  aus  andrem  Lande,  er  wird  durch  seine 

[öz]  ölmäk-kä  kirür  manga  o\l] 

Eigenliebe  in  seinen  Tod  gehen ;  mir  wird  jener 


\ki\H  as{t)y  holyai  • 

Mensch  von  Nutzen  sein 


yina 


[ol  ö]dün  m{ä)r  amu  mozak 

Da  ging  (?)  Mar  Anm,  der  Mozak  . 


.  un  hrM[i^ 


ni  hu  .  .  ? 


§^  ^A*  ////////      \k]irip  (?)   ol  . 

und 


[Ende.] 


Türkische  Manlcliaica  aus  Chotscho.    I. 


35 


Seite 


///>  -ef^^^^ 

<»     (S9IIIIII  JU  -OHM /ädft£MX 

III  .CMJa^Jl^ Ä> IllJfJt^  <tttädM,ääA 
yMäsio^  — sdfeS  S9 II  IUI  MJQ%  ßUmio^ 


L 


-«<** — ^11  HIHI  IUI 


/joämtp 


^i^u^uey'  -Cß^  ■»  IUI  /^t^iut^  ßLoitA^M, 


oM^aoi  69  (a^^fk^  Ulli  .e»  ru^     ^^\ 
^^>^  C^0^  LedM  LefU^IIIIJl 


S9    ^ 

i^(S9^ßU^III 

OB      09  ^^t^iO^  ^^  ßLOiUe^  II IUI II 
<S9jU^^tiß(M^^  IUI  M  UaM*^      J^ 

— f*^^  •  •  •  •  ////////  ¥CP  4^  HIHI 
^furn^p  II II II IUI  .^Ma40  09  ßu^  ^;^$^a  // 

>  Hl  Hill  it^  -^««A*»>   <29  JUglUS^  II  f4 

L^  11  4LaM#  ß4$^i^t\  ^4iä^  p(t)t0 

09  Ju^'^jM'itJi^^ aueM^^Ma^llllllli 

Aß^iteM    <rt>  LtuÄxx  Uli  IUI 
<»^«-^?1Ö^gt>  nAtu^ai  uagutä  II II IUI II 


qany'i-n(j\a\ 

seinem  Vater  . 


m{ä)n  hu  b{ä)lgü  k .  . 

Ich  diese  Erscheinung  .... 

y{a)vlaq  Irü  är[ür]  •• 

ein  schlimmes  Omen  ist  es 


az  inäril  bar7nYü^  •  •  hir  ökii\s\ 

Ein  wenig  herabsteigend,  euie  Menge  .... 

muiyaq  kÖr\miA\  ••  ymä  niuviaq 

Hirschkühe  (?)  sah  er    ••    und  diese 

s'iyunuy  ovu\tsuz  hi\lig  üöün 

haben  den  Hirsch  wegen  schamloser  Handlun- 

idärür  ärmis .  .  .  .  bu  h{ä)lgü  körüp 

gen  fortgestoßen  (?)....  Diese  Erscheinung  sah 

ymä  gmy  {ay{i)y)  hu  .  .  .  bolup  ••  ötrü 

er,  böse ?  geworden  ••  darauf 

[qangl^i-nga  (?)  incä  tipän  ai-m'is  •  • 

seinem  Vater  so  sagte  er  ••  [Was 

\nä\  tang  5a[z??]/ar  hu  ••   nä 

für]  erstaunhche  (?)  Worte  sind  dies  ?  •  •  Was 

....  körür  7n{ä)n  timü  ••  •• 

sehe  ich  ?  hat  er  gesagt  ■  •  •  • 

ymä  taqi  nz  i\pÄj\rü  harmü-lar  •• 

Da  noch  ein  wenig  herab  stiegen  sie 

....  tuh  bas an(a 

?  .  .  .  ? dort 

\i?]üsmis-lär  ••  miv snyali 

fielen  sie  (?)  ••  Das  Wasser ?  .  . 

äl .  .  .  mUlar  •  •  ötiii  ol  .  .  .  .  i 

? ••    darauf  jenes  ...?... 

bal{a)q  ätin  yimiSlär  qovy\(i\s^i-n 

Fischfleisch  aßen  sie,  ihren  Eimer 

suv  iörä  k{ä)mÜ7iiislär  •• 

.  \.  ?  .  .  .  in  das  Wasser  warfen  sie    •• 

....  yidinkä(^)  suv  icräki 

.  .  ? ?  .  .  .  die  im  Wasser  lebenden 


.  .  .  .  [t]irilü  quvranu  k{ä)lmülär  •• 

.  ? .  sich  versammelnd  und  vereinigend  kamen  sie 


36 


A.  VON  L  E  C  o  Q  : 


jMoäOö  ßi^i^  ^  ilHIIIIIIIi 
-e0t!lll4f>^lllllllllllillll 
.3  OQO  ^  lllljfdo^  lllllll  i^  lllllilllllllllHI 
^-    /I//I///^M //////// 


bal{a)q  taisl  {tacsi?)  qovqas'i 

der  Fische  .  ? seinen  Eimer 

n?  {a?)  hal{a)qny  tutup 

den  Fisch  ergrilTen  habend 

\q{a)\Ui'^  s{q?)  .  .  l  hu  sac{n)y 


id 


itiuny 


[Ende.] 


Seite  4. 


3      69 


4      6S 


llllllMJUfU 
7    es/ifitau.juiiiiiiiiiiiiiM'^^MUA 


8  JUI4   Sß  /it^iUtA  IUI  IUI  iUtCfi  ^iU^ 

9  IUI  ßLdÄO^  ^  rfoi^  *<f  >r  €^  nmtsä^  >^a^ 
-  II IUI. — iUA^/%0telitiu     jHr%  S9 ^fJ^^ätA 

"  IlHIIIIIIIi II  ^  %^  .jans^  S9  Ä>  ^tiituu. 

12  £ßätj0^tt  .pai  JU14  ^^icf       "'"^ 

U4  69  /ll^itS.  II II IUI  J^    LtAM 


\ta\qv^u  quslar 

die  Hühner 

ic\in\gä  orm'is  ärti  •• 

in  des Innere  hinein  hatte  er  gesetzt  •■ 

....   ol      är  i\^ikiT\n  acrriü  •• 

. .  ?  . .  jener  Mann  [die  Tür?]  öffnete  ••  und 

taqv^u  q'uMlara\^'\^  . .  [m]ärw(?)  öntürmik 

machte  die  Hühner  unten  (?)  herauskommen, 

mangln  aSin  ]pirg\äll  ••  ol  iaqvyu 

um  Komfutter  zu  geben    ••    Unter  jenen 

qu^  ara  l\j'käk  tisl{?)  b]ar  ärinls  •• 

Hühnern  waren  Hähne  und  Hennen  (?)  ■• 

amarl  harca  ....  ärrnls  ••  ol 

der  Amari  (?)  alle ?  .  .  ••  jene 

tl§i  taqiyu-lar  qam{a)yan  onar[hr] 

Hennen  sämtHch  waren  gesund  (??)  ge- 

ärmis  ••  i/mä  irkäki  näiig  \onar\ 

worden  ••  Die  Hähne  darunter  aber  waren  nicht 

ärmis  ••  ••  ötrü  ol  a[mari\ 

gesund  geworden  ••  ••  Darauf  jener  Amari  (?) 

incä  körüp  ol  qua  idisingä 

solches  sehend,  zum  Besitzer  der  Vögel 

indä  ti[p  ay'i]tmtS  ••  nä  lang 

so  redend,  fragte:  ••  Was  für  wunderliche 


Türkische  Manlchaica  aus  ChotscJio.    l.  :|7 

— -Äs-^  ////  JMA //////////  -.*>#      snv (w{i)mdä  ymä 

Worte  [(o/?)  sind  diesPJ  in  meinem  Hause  (!') 

S9  JLOM^  Jt^p  JU^ff^  uamui  llllllljjf^gn       ök[ü§  ta]qiyu  quäkir  bar  ärür  •• 

auch  gibt  es  viele  Hühner  •• 

Jd^i^a^  i%ää%  ijf^i^  S9/Uda^  //jt^ßäCH      irkäk[i]  onar  -  misl  näny  onmaz 

die  Hähne  darunter  werden  gesiuid,  die  Hennen 

Aßtß^'M  -^it^iU^ — M^  M^  <SB>>ÄÄ4      ärti  -  siz{ä)ng{\)  iaqiyu  irkäki 

durchaus  nicht  ••  Eure  Hähne  werden  durch- 

lillj  ßUdo^  ^01^^^  S9  4£ßr*<tA      jfrftfg      näng  onmaz  ^  Misi  onar  .... 

aus   nicht  gesund,    (aber)  die  Hennen  gesunden; 

I Hill II  s,»^  <gg  >Aiat>  r^^^g» '      *^*  H       incä   klginc  Urti  ••   7n{ä)n  [ing]  .... 

so  gab  er  Auskunft  ••  Meine  (?) 

I HIHI II II  -Ä^Ä^  >^^  jö^^  -^  >*<d       taqi-yu-lar(^i)m  nmt'i  %ata{r  oder  /?)  .  . 

Hühner  jetzt     ..?...      ....?.... 

IUI II HIHI II I  M  Q9^&ii^  ,44^4n^   .,^44%       näng  onmaz  ärti  ../..... 

nicht  sind  geheilt  worden  ? 

/////////////  ^  /^  HIHI  ^^^  ^A^JU      ärU(^)  ..  m{ä)n  b{u?)  .  .  .  myC^)  k.  .. 

Ich 

HHHHIHHHHHHIHHHHH  ^^  JU»u^jU^       tanglayur  m{ä)n 

wundere   mich 

HHHHHHHHHHHHHHH  — ^^^-H  ««•  //////     yul  incä 

[Ende.] 

Anmerkung.     In  der  lleproduküon  des  Manuskriptes  T.  11  1).  171   sind  die  fi;riin  f>-e- 
scliriebenen  Z.  i  — 6  der  linken   Kolonne  der  Rückseite  unleserlich  üreblieben. 


38  A.  vonLeCoq: 


Anmerkungen. 

1.  yat'i-'i  lies  ynt-t'i'i,  ynt-di'i^    S.  2,  Z.  3  ya-tuq  lies  yat-tuq^ 

2.  tasil-.  In  diesem  Fragment  steht  konsequent  Aä,  wc  andere  Texte 
ao  haben.  So  hos  i'^  2';  hulyanmis  2';  nr^gänmw  2^;  tas'iq'ip  2";  kädmisin  2'*; 
tasyoru  2'^;  kämistl  2'^  2'°. 

3.  an&finda.  Ein  Kompositum  von  ö^zd?  und  vielleicht  -güncä,  -yima(^), 
das  ich  ebensowenig  wie  die  (untürkische)  Konstruktion  zai  erklären  ver- 
mag; für  wie  Blut  würde  man  einfach  qanca  erwarten*). 

4.  ürgän-.  Vielleicht  vom  selben  Stamm  wie  jßj^^  ürkün,  petit  lac 
forme  par  suite  d'une  inondation  (Samy). 

5.  tulton.    Bei  Radioff,  Wörterbuch  1126:   Trauer- (Witwen-)  Kleid. 

6.  qos-.  Vielleicht  —  osm.  kös-  »Widerwillen  haben«,  Radioff,  Wörter- 
buch I  293. 

7.  tiLsha.  YXn  unbekanntes  Wort.  An  y>stüpa<<  kann  kaum  gedacht 
werden,  da  wir  dieses  indische  Wort  mit   ^supuryanv.   übersetzt  finden. 

8.  'iyac-ay.  In  diesem  Buchfragment  finden  sich  zahlreiche  Beispiele 
des  Auftretens  von  a,  ä  an  Stelle  von  'i,  i.  So  hier  -ay  anstatt  -'iy\  2"  -äy 
fiir  -ig  {tämiräg)\  auf  Z.  1 1  tämirän  für  tämirin  u.  a.  m.  (vgl.  auch  Anm.  14 
und  33). 

Die  Orthographie  ist  altertümlich,  entbehrt  aber  der  Konsequenz;  es 
finden  sich  z.  B.  die  Lettern  ^  ,  >#  und  ^  in  anscheinend  regelloser  Ver- 
wendung. 

9.  Das  Entstehen  von  Läusen  aus  dem  Schweiß  der  menschliclien 
Haut  ist  auch  arabischer  Aberglaube  (vgl.  Burton,  Arabian  Nights,  1894, 
vol.  I,  390  n). 

10.  qaryan-.  Bei  Radioff:  fluchen,  schwören;  vielleicht  mit  qaryas 
quereile  (Pavet)  zusammenhängend.  Der  ganze  Passus  ist  mir  dunkel  ge- 
blieben. 


*)    [Vielleicht   zu  erklären :    anc{a)y-tn-ca    als  Nachbildung   des  soghdischen  vdndann 
vAnU  +  cAnö  =^  so  -f  wie.     F.  W.  K.  Müller.] 


Türkische  Manichaica  ans  Chotscho.    T.  H9 

11.  holungur;  timingür.  Diese  mir  unbekannten,  auch  sonst  nirgends 
wiederkehrenden  Formen  scheinen  Verwünschungsformen  zu  sein. 

12.  isiz.    isiz  yaiiiz,  vgl.  F.  W.  K.  Müller,  Uigurica  II  8.23'^ 

13.  yldäng.  Vielleicht  vidang  zu  lesen  und  dann  ein  mittelpersisches 
Wort  mit  der  Bedeutung  Bedrängnis. 

14.  Auch  hier  finden  wir  eine  Reihe  von  Fällen,  in  denen  a,  ä  ver- 
wendet werden,  wo  wir  sonst  «,  /  zu  finden  pflegen.  So  2^  y{a)?'lay,  qang- 
mnaz',  2^  irig{ä)mäz\  2'^  yüzüngnzän\  2^^  kältämäz,  hardarnoz',  2'^  Mngnz{ä)n; 
2''*  ülädämäz;   2'^  ämgäk{ä)mäzm;   2'^  unitalnm  u.  a.  m. 

15.  köröksäyürbiz.  Ein  Kompositum  aus  zwei  Verben,  nämlich  aus  kör- 
» sehen«   und  Öksä-   «heftig  wünschen«. 

16.  Dieses  Bruclistück  scheint  der  Anfang  des  zu  diesem  Buche  ge- 
liörigen  Kolophons  zu  sein,  denn  Z.  9  —  20  dieser  Seite  enthalten  den 
(chines.?)  '^santii  Zirntu  {Zhntit)  und  ein  Datum;  Zimtu  aber  ist  augenschein- 
lich der  Name  der  Person,  die  die  Kopie  (vielleicht  auch  die  Übersetzung 
des  vorliegenden  Textes  aus  dem  Iranischen?)  besorgt  oder  ilire  Besorgung 
veranlaßt  hat.  Das  Datum  entsprechend  dem  Jahr  795  p.  Chr.,  dürfte  dann 
die  Zeit  der  Entstehung  des  Buches  angeben.  Von  besonderer  Wichtig- 
keit aber  ist  dieser  Text  durch  den  Umstand,  daß  er  ein  festes  Datum 
für  das  Todesjahr  des  Mani  zu  überliefern  scheint. 

Schon  Flügel  hat  die  verschiedenen  Traditionen  zusammengestellt 
(S.  329,  Anm.  276)  und  ist  zu  dem  Schlüsse  gekommen,  daß  die  Hin- 
richtung des  Haeresiarchen  unter  Bahräm  II.  (272 — 276),  und  zwar  in  den 
Jahren  274  oder  275  stattgefunden  haben  muß.  Rechnet  man  die  im  Text 
erwähnten  522  Jahre  zu  den  Flügeischen  Daten  hinzu,  so  erhält  man 
796  oder  797,  da  aber  das  Jahr  795  ein  zyklisches  Jahr  »des  Schweins« 
ist,  scheint  nach  unserem  Fragment  der  Tod  des  Mani  auf  das  Jahr  273 
anzusetzen  zu  sein.  Die  Deutimg  des  Wortes  la^yzin  =  Schwein  geht  auf 
V.  Thomsen  zurück  (Inscriptions  de  l'Orkhon,  S.  1^3,  Nr.  109);  es  ist  ein 
Lehnwort  aus  einer  fremden  Sprache.  (Zu  m{a)r  niw  mani  \g\.  W.  Bang, 
W.Z.K.M.  Bd.  23,  S.  416-417.) 

17.  i   'iyac  qapay'i.     Das  Gleichnis    ist   mir   unverständlich    geblieben. 

18.  Dieses  Fragment  handelt  vom  Ende  des  Kampfes  der  Lichtgötter 
mit  den  Dämonen  der  Finsternis  und  von  der,  diesem  Ereignis  folgenden, 
Erschaffung    des    zehnfältigen    blauen  Himmels,    unserer  (?)    Erde   und   des 


40  A.  VON  Le  Ooq  : 

Zodiakus.  (Die  Lesung  ayjnczn,  sonst  überall  anyjrwzn,  wie  auch  die  Deu- 
tung dieses  Wortes  als  Zodiakus  verdanken   wir  Hrn.  F.  C.  Andreas.) 

In  diesem  Fragment  erscheint  Chormuzta  als  der  eigentliche  Kämpfer; 
der  Gott  (Götter?)  Chrostag  (und?)  Padwachtag  öffnet  ihm  die  Tür  und 
steigt  von  der  Hölle  auf,  während  Chormuzta  selbst  darin  verbleibt  und 
augenscheinlich  nicht  imstande  ist,  aus  eigener  Kraft  zum  Himmel  zurück- 
zukehren. Dann  eilen  Ög-Tängri  und  Wadziwantag-Tängri  herbei, 
»machen  ihn  aus  der  Hölle  aufsteigen  und  herauskommen«  und  bringen  ihn 
in  den  Götterhimmel,  wo  sie  die  fünf  Götter,  d.  i.  seine  fünf  Geschlechter,  die 
ihm  als  Rüstzeug  dienen,  von  ihm  scheiden  und  dann  zur  Erschaffung  des  » zehn- 
faltigen blauen  Himmels,  der  (unserer?)  Erde  und  des  Zodiakus«  schreiten. 
Im  Chuastuanift  dagegen  sahen  wir  zwar  den  Gott  Chormuzta  mit  den 
Dämonen  der  Finsternis  kämpfen,  aber  dort  gerät  anscheinend  nicht  Chor- 
muzta selbst,  sondern  nur  sein  Sohn,  besser  seine  Söhne  bis  tängri  in 
Gefahr,  zu  unterliegen. 

Die  Darstellung  im  Fihrist  ist  abweichend  (F.  S.  88):  »Da  folgte 
ihm  (dem  Urmenschen)  der  König  der  Paradiese  des  Lichts  mit  anderen 
Göttern,  befreite  ihn  und  besiegte  die  Fin.sternis.  Es  heißt  aber  derjenige, 
mit  welchem  der  Lichtkönig  dem  Urmenschen  folgte,  der  Freund  der 
Lichter.  Dieser  stieg  hernieder,  und  der  Urmensch  wurde  von  den  hölli- 
schen Stoffen  zugleich  mit  dem,  was  er  von  den  Geistern  der  Finsternis 
ergriffen  und  versteckt  an  sich  hatte,  befreit.  Alsdann  ....  machten  sich 
die  Fröhlichkeit  und  der  Lebensgeist  auf  den  Weg  zu  der  Grenze, 
blickten  hinab  in  den  Abgrund  dieser  tiefen  Hölle  und  sahen  den  Ur- 
menschen und  die  Engel,  wie  sie  der  Iblis,  die  übermütigen  Dränger  und 
das  finstere  Leben  umgaben.  Und  es  rief,  sagt  Mäni,  der  Lebensgeist 
den  Urmenschen  mit  lauter  Stimme  so  schnell  wie  der  Blitz,  und  der  Ur- 
mensch wurde  ein  anderer  Gott. «  Die  Schwierigkeit  löst  sich,  wenn  man 
Chormuzta  =  Urmensch  setzt:  die  Iranisten  mögen  entscheiden,  ob 
diese  einfache  Lösung  der  Frage  möglich  ist. 

Von  den  anderen  Göttern  ist  Wadziwantag  mit  dem  Lebensgeist 
(spiritus  vivens)  zu  identifizieren;  wer  aber  Chrostag  (und?)  Padwachtag 
ist,  erfahren  wir  aus  dem  Bericht  des  Fihrist  nicht;  vielleicht  ist  er  die 
darin  als  Freund  der  Lichter  erwähnte  Gottheit. 

Der  Lichtgott,  der  mit  dem  Lebensgeist  herabsteigt,  heißt  in  un- 
serem Fragment  Öy  tängri,  wörtlich  entweder  Vers  ta  nd- Gott  oder  Mutter- 


Türkische  ManicMica  aus  Chotscho.    1.  41" 

Gott*),  wäJireml  er  im  Fihrist  die  Fröhlichkeit  heißt.  Schon  Flügel 
wirft  aber  die  Frage  auf  (S.  208,  Anm.  iio):  «Sollte  dieselbe  Potenz  (i.  e. 
die  Fröhlichkeit)  auch  den  Namen  der  Mutter  des  Lebens  führen, 
die  in  den  Acta  disputationis  (S.  10)  genannt  wird?« 

Auch  die  Schilderung  der  Erschaffung  der  Himmel  und  der  Erde  ist 
hier  verschieden  von  der  im  Fihrist  erhaltenen  Tradition,  denn  dort  ist 
die  Rede  von  10  Himmeln  und  8  Erden,  nach  deren  Herstellung  Sonne 
und  Mond  erschaffen  werden:  vom  Zodiakus  ist  im  Fihrist  an  dieser 
Stelle  nichts  erwähnt. 

19.  qaenang.  Das  Wort  kommt  in  der  Inschrift  des  Tonyuqucj  vor, 
es  ist  aber  unmöglich,  sich  auf  Radio ffs  Übersetzung  zu  stützen.  Gemehit 
ist  vielleicht,  daß  die  Priester  ebensowenig  vermögen,  Nachkommenscliaft 
zu  verleihen  als  Pferde  und  P^sel  Hörner  bekommen  können,  doch  ist  mir 
der  Passus  Z.  1 1  — 12   unverständlich  geblieben. 

20.  nrli  nzuntonlwyti.  In  diesem  Zusammenhang  vielleicht  einfach  dem 
wörtlichen  Sinn  von  uzuntonluy  (Langrock)  entsprechend:  Männer  und 
Langröckige,   d.  i.  Weiber. 

21.  näcökätägi.  »Bis  zu  welchem  Grade  auch  sie  sich  des  Genusses 
der  Kraft  der  fünf  Götter  enthalten  sollten.«  Der  Passus  ist  nur  verständ- 
lich, wenn  man  annehmen  darf,  daß  mit  den  Worten  »Kraft  der  fünf 
Götter«  irdische,  mit  Stoffen  der  Finsternis  gemischte  Nahrung,  die  auch 
wieder  Licht,  also  »Gliedei*«  des  Urmenschen  enthält,  gemeint  ist.  Vgl. 
B.  156  (nach  Augustin):  i^nnimaiu.  bonam^  partem  sciUcet  Deij,  pro  meritis  in- 
qutnationis  suae  per  cibos  et  pntum  {as  ickn  S.  1 4.%  in  quibus  antea  colligaia 
estj  venire  in  homiiumy  atque  ita  per  concubiturn  etiam  earn'is  tnnculo  coU 
ligari. « 

22.  orutsnz  iä.  Mit  diesen  Worten  scheint  die  geschlechtliche  Ver- 
mischung gemeint  zu  sein  (B.  136,  Anm.):  »Ebendaher  kann  der  Trieb 
der  Zeugung  und  Fortpflanzung  als  ein  durchaus  materieller  und  fleisch- 
licher nur  dämonischen  Ursprungs  sein,  wie  Manes  in  den  Acta  Kap.  14 
auf  folgende  Weise  zeigt:  Cum  quis  vestrum  carnnlibus  aliisque  cibis  fuerit 
satiatus,  tunc  ei  concupiscentiae  oboritur  incitatio,  ei  ita  generandi  filii  fructus 
augetur,  et  non  ex  virtute  aliqua,  nee  ex  (Hio  ullo  intellectu,  sed  ex  sola  ciborum 
satietate  et  Ubidine  et  fornicatione.<^ 

*)    Man    darf  anneliinen,    daß    dei'   Stainiii  ög  auch  Fröhlichkeit  bedeutet.     Die  Worte 
öyr'ünc  =  Freude,  ngirmäk  =:  sich  ireuen,   weisen   auf  einen  Zusanuneuhang  hin. 
PhU.-hist.  Klasse.    1911.    Anhang.    Abh.Vl.  6 


42  A.  V  ON  Le  CoQ  : 

23.  (iz.  V.hen  jene  ro?t(upisce7itia.  B.  167:  »AVas  Jimii  gewölinlich  die 
böse  Seele  des  manichäisclien  Systems  nennt,  ist  die  concuplscentia,  der  der 
Materie  innewohnende  böse  Geist.« 

24  Mdilip.  Man  kann  hier  kaum  die  gewöhnliche  Bedeutung  von 
käd-  »Kleider  anziehen  oder  tragen«  einsetzen;  vielleicht  ist  vielmehr 
an  den  im  Worte  käz  »schnell,  flüchtig«  erhaltenen  Sinn  zu  denken. 
Nach  W.  Bang  könnte  auch  an  eine  palatale  Nebenform  von  qad'il-  gedacht 
werden  etwa  mit  der  Bedeutung  antreffen. 

25.  Dieses  Bruchstück  behandelt  wiederum  einen  Kampf  des  Lichts 
mit  der  Finsternis,  aber  diese,  recht  grobe  Darstellung  ist  unseres  Wissens 
sonst  nirgendwo  überliefert.  Der  Zodiakus  ist  bereits  erschaffen,  denn  drei 
Dämonen  werden  nach  dieser  Schilderung  an  ihn  gefesselt.  Wer  der  mit 
seinen  »vier  Kräften«  herabsteigende  Gott  ist,  erfahren  wir  nicht,  auch 
der  Name  des  »Abamu  Bur%an«  ist  uns  unbekannt  und  tritt  in  den 
bis  jetzt  gelesenen  Manuskripten  nicht  wieder  auf. 

26.  %urmuzta  t{ä)nyri  i/{a)r/{ii:)qaneHCi  köngüllüg  ärti.  »Der  (irott  Chor- 
muzta  ist  (immer)  ein  gnädig  (gut)gesinnter  gewesen«  —  vgl.  B.  S.  52:  »Da 
er  (Gott)  aber  nichts  hatte,  womit  er  sie  (die  Hyle)  strafen  konnte,  weil 
im  Hause  Gottes  nichts  Böses  ist « 

27.  hirä.    Daher  mongol.  hürä   »Meile«. 

28.  Nach  diesem  Bruchstück  scheint  die  Person  des  Gottes  Äzrua, 
der  als  höchster  Gott  ausdrücklich  erwähnt  wird  (vgl.  S.  25,  Z.  3 1  —  t^-j,), 
wieder  mit  dem  Gott  Chormuzta  und  mit  den  fünf  Göttern  identisch 
zu  sein  (was  allerdings  auf  den  Zeilen  i — 3  der  Rückseite  des  Blattes  II 
dieses  Bruchstückes  durch  die  Worte  äcäsi  apast  erklärt  zu  werden  scheint: 
sie  mögen  bedeuten,  daß  alle  die  anderen  Lichtgötter  eben  nur  Emanationen 
des  einen  großen  strahlenden  Lichtkönigs  und  daher  mit  ihm  identisch 
sind).  Er  nämlich  erscheint  hier  bekleidet  [kädUip)  mit  der  Rüstung  des 
Unnenschen  (den  bekannten  fünf  Geschlechtern,  den  Göttern  t'in  iura  »Ze- 
phyr«,  y'd  »Wind«,  ynruq   »Licht«,  siw   »Wasser«    und  ot  »Feuer«). 

29.  vidya.  Die  Aufnahme  des  Sanskritwortes  in  den  Text  ist  ein 
neuer  Hinweis  auf  die  Enge  der  Beziehungen  zwischen  Buddhismus  und 
Manichäismus. 

30.  griw.    Nach  F.  W.  K.  Müller:    Geist  (mittelpers.). 

3 1 .  ögdir.  Ein  in  vielen  Fragmenten  stets  an  zerstörten  Stellen  auf- 
tretendes, noch  unerklärtes  Wort.     Im   Manuskript   T.  M.  288    findet   sich 


Türkische  Manichairn  aus   Chotscho.    T.  43 

altun  ögdir,    an   anderer  Stelle    kök  ögdlr.    Auch    das  Wort  hityäöi,   hit'Kjüdi 
hat  sich  bisher  der  Deutung  entzogen. 

32.  Es  sei  hier  noch  einmal  auf  die  Überschriften  der  Seiten  auf- 
merksam gemacht:  es  sind  kurze  Sätze,  die  einem  längeren,  oft  über  viele 
Seiten  verteilten  Titel  angehören. 

33.  In  diesem  Manuskript  kehrt  a  für  'i,  nicht  aber  ä  für  i  häufig 
wieder.  So  S.  23,  Z.  2 — 3  dintar-ay  n{t)yosak-ay ;  Z.  7  ayaz;  S.  24,  Z.  1 1  qa- 
d{a)ron  (für  qad{ii)rm?);  S.  25,  Z.  3  ayazlanm'is;  S.  26,  Z.  16  adrtlay,  Z.  19  ta- 
taylayraq;  Z.  29  y{a)rn§lay;  S.  27,  Z.  2  ai/aylay,  tataylay,  atluy  (für  W.  Bangs 
Erklärung  dieser  Erscheinung  vgl.  Bull.  Acad.  Royale  de  Belg.  191  i 
S.  94,   Anm.), 

34.  blrki-ni-y.    Ebenfalls    ein    fremdes  Wort   unbekannter   Bedeutung. 

35.  kork  rnänylz  täcßürmäk.  Die  »wechselnde  Erscheinung«  ist,  nach 
den  unten  aufgeftihrten  Stellen,  die  Eigenschaft  des  Urmenschen,  während 
sie  hier  der  göttlichen  Tochter  des  Äzrua  zugeschrieben  wird.  Vgl. 
B.  S.  63  :  »Sofern  die  Weltschöpfung  nach  jener  Ansicht  ein  Übergang  vom 
an  sich  Seienden,  unwandelbar  in  sich  Bestehenden  /um  Wandelbaren  der 
Erscheinung  ist,  wird  auch  hier  die  aus  Gott  emanierende  kosmogenische 
Potenz,  deren  konkretes  Bild  der  Urmensch  ist,  als  eine  täuschende,  mit 
dem  Wechsel  mannigfaltiger  Formen  und  Grestalten  spielende  dargestellt. 
Das  sind  die  inutahiles  et  mendaces  formae,  in  welchen  der  Urmensch  die  ihn 
bekleidenden,  wie  mit  einem  Körper  umgebenden  Elemente  dem  Volke  der 
Finsternis  erscheinen  läßt  usw.«  Und  ebenda:  »In  diesem  Sinne  täuscht 
auch  jener  Urmensch  die  Mächte  der  Finsternis  durch  den  Wechsel  seiner 
Scheingestalten,  ehe  er  von  ihnen  ergriffen  luid  festgehalten  wird.«  Vgl, 
ferner  B.  S.  55:  -»^Prbnum  hominem  vestrum  cum  suis  hostifms,  in  suae  naturae 
ceritate  7nanentibuSj   mutabili  fallacia  dimicasse  praedicatis. « 

36.  ÜG  öd.    Vgl.   Chuastuanift  S.  32,   Anm.  18. 

3  7 .  aryu  Üas ;  altun  aruyu  ulus.  Die  Wörter  aryu,  aru^u  und  tlas,  viel- 
leicht t{a)las,  sind  mir  unbekannt  und  dürften  Stammes-  oder  Städtonamen 
sein,  vielleicht  ist  unter  t{a)las  die  Stadt  Talas  oder  Taräz  zu  verstehen 
(vgl.  Chavannes,  Documents  sur  les  Tou-Kiue  occidentaux,  Pe- 
tersburg 1903,  S.  361),  sie  lag  unweit  des  heutigen  Ortes  Au lie- ata.  Die 
auf  Z.  30  vorkommenden  Städtenamen  Qasu,  Y(ä)gän-K(ä)nt,  Ordu-K(ä)nt, 
Tschigil-Baliq  scheinen  nach  dem  Westen  hinzudeuten:  Ordu-Känt  war  eine 
Zeitlang   ein    Name    der    Stadt   Kaschgar   (vgl.   Grigoriew   bei   Radioff, 


44  A.  vo  N  Le  'CoQ  : 

Wörterbuch  I,  S.  1075)  und  öiyil  wird  in  Vullers  Lexicon  persico- 
latinum  erwähnt  als  y>nom.  urbis  in  Turkistan,  ouius  incolae  formo&iiate  ei 
arte  sagitlandi  excellent<i.  Vgl.  übrigens  Marquart,  Osteuropäische  und  ost- 
asiatische Streifzüge,  Leipzig  1903,  S.  76  —  77.  Der  Name  Y(ä)gän-K(ä)nt 
endlich  scheint  den  Titel  y{ä)(j(iii,  y{i)gän  zu  enthalten. 

Das  Wort  ^^talas<<-  kommt  im  Reisebericht  des  Marco  Polo  (Yule, 
Marco  Polo,  ed.  Cordier,  London  1903)  auf  S.  2 1 2  ^.  vor,  und  zwar 
in  Verbindung  mit  dem  Worte  ding  in  {cingintalas):  Yule  glaubt  Marco 
Polos  Provinz  Chingintalas  mit  Karachodscha  identifizieren  zu  können. 
Ob  man  cingin  =  cigil  setzen  darf,  wagen  wir  nicht  zu  erörtern ;  vielmehr 
scheint  uns  alles,  auch  die  weiter  unten  (S.  27,  Z.  6 — 9)  auftretende  Titu- 
latur des  Fürsten  nach  Westturkistan  hinzuweisen. 

38.  toyjr'i.  Tocharistan.  Vgl,  S.  29,  Z.  i  2  %/«/ =  Chatai :  ein  Land  usw. 
bezeichnender  Ausdruck  braucht  demnach  den  Namen  der  Völker  nicht 
beigefügt  zu  werden,  wenn  von  den  von  ihnen  bewohnten  Ländern  die  Rede 
ist.  Die  Erwähnung  des  Landes  Chatai  setzt  die  Entstehungsperiode  dieser 
nachträglichen   Aufschrift  in  eine  späte  Zeit. 

39.  mozok  {muzak).  Amtstitel  in  der  manichäischen  Hierarchie  (vgl. 
Festschrift  für  V.  Thomsen,  Harrassowitz  1912).  Der  hier  erwähnte  »große 
Mozak  (Lehrer)«  ist  wahrscheinlich  identisch  mit  Schlegels  Mudja  (Ta- 
mou-che)  der  Inschrift  von  Kara-Balgassun. 

40.  paMank,  pasdan{a)k  {basdank,  baMank).  Ein  mir  unbekanntes,  viel- 
leicht iranisches  Wort. 

41.  qa^u  %am  ordu  cigil  k{ä)nt  ärkligi  uluy  turkdilii  basdanki  öigil  g.rslan 
il  tirgüg  alp  hir^man  alp  t{a)r%a7i  bäg.  Der  Titel  eines  Fürsten,  vielleicht 
im  Westen  (Ferghäna).  Der  Titel  il-tirgüg  dürfte  einer  persischen  Rang- 
bezeichnung entsprechen,  die  auch  ins  Arabische  übernommen  worden  ist 
und  dort  etwa  <5lJ.l  J^j\  oder  iJjall  lautet.  w/w7  turkdün  vielleicht  =  (in 
der  Richtung)  gegen  die  Großtürken  (T'u-küe?). 

Dieses  Blatt  scheint  das  Kolophon  eines  Gebetbuches  zu  enthalten 
und  mag  uns  durch  den  Fürstentitel  eine  Datierung  überliefern:  bei  Cha- 
vannes  (Documents  surles  Tou-Kiue  (Turcs)  occidentaux,  St. -Petersburg  1903, 
S.  147,  149  u.  249)  finden  sich  Angaben  über  Arslan  Tarkan,  roi  deFer- 
ghänah,  nach  denen  dieser  Fürst  um  die  Mitte  des  achten  Jahrhunderts 
regiert  hat. 


Türkische  Manichaica  aus  Chotscho.    I.  45 

Um  diese  Zeit  hörten  die  T'u-küe  auf,  politischen  Einfluß  zu  besitzen. 
Die  Lösung  der  hier  entstehenden  Fragen  müssen  wir  den  Historikern  und 
Sinologen  überlassen. 

42.  Man  kann  auch  Vap-xua  lesen;  dies  wäre  nach  F.W.  K.  Müller 
ein  chinesischer  buddhistischer  Name. 

43.  ?n{a)r  a?nu  mozak.  Hier  finden  wir  den  Namen  des  Mar  Amu, 
eines  Schülers  und  Zeitgenossen  des  Mani  (vgl.  F.  W.  K.  Müller,  Hand- 
schriftenreste II,  S.  30),  der  einer  der  frühesten  manichäischen  Sendboten 
war.  Auch  er  führt  hier  den  Titel  Mozak  (Lehrer),  der  den  höchsten  Rang 
in  der  manichäischen  Hierarchie  bezeichnet  (Flügel,  S.  174;  Keßler,  S.  364; 
Baur,  S.  297). 

44.  yayaq.  Ein  unbekanntes,  bisher  nur  in  diesem  Texte  vorkom- 
mendes Wort. 

45.  t{ä)ngriUg.  Götterschaft,  Göttlichkeit??  Das  Wort  bezeichnet 
vielleicht  nur  den  Ort  der  Verehrung  oder  den  Verkehr  zwischen  Gott 
und  den  Menschen,  die  Ausübung  der  Gottesverehrung,  w'it  t{ä)n- 
yricl  im  Chuastuanift,  in  der  Verbindung  mit  nomöt,  etwa  Prediger  be- 
deuten mag. 


46 


A  .   VON    L  E    C  O  Q 


Wörterliste. 


^^^t  ^"^  grs/anS'",  i8^ 
{agil  g.)  27^ 

ißftt,  glp  27^ 

^^^i    amari  24^   36^ 
36" 

Ji^täj^^   amraq  25^^ 
-  ^AdM^^  nmran-',  -maq 
28'' 


^jtt^       if^4     .(/^^^     '^'/-^2 

JLeß^^  gngar  14'^ 
^iA^ri  ßfityig.  ögjimdülng) 

abamu  [buiyßn] 

£fi''\  apaiäöäa.)  2  2R.^ 
J^dA  dt  (Pferd)  16" 
hd^  at  (Name)  25',  26^ 
-  ,^rfC4  fl»/- ;  -70/  1 9'^ ;  w?«:^ 
20^ 

r//«7    (Fuß)    30^5 


^ 


JLUÖ^ 


atang  qal  nnga(??)  9'"* 
ptfi^äA   otlay  27^ 

-  cu^   ffc-;     -^«    13^;    -a 

I3^  i3";-m?^36^;-7ff/ 

/U£ä^  aö'iy  9^ 
^lß*^''\   aciyti  26'^ 

„^^4   «c?a  («.  /?7^)  10'; 
adn-s'iz  28"^ 

yti^^t^  öc^GT^'  17'°,  23^ 
.  ßLxU^  adir-\  -u  18^ 
f^f^f^^'y    adrtlay   26'^' 

-  f^'^'A  ad{a)r{a)l-  {ad(i)- 

r(i)l-)\   -tuq  10' 

^^^^'\   adin  34'^ 
-^%Aj<iri  ad'in-;    -Vi'i  6"' 

ör- ;  •  -U  1 4^* 
4iu^  ara  36^,  (hiznia.) 


^'''•\    arqn  28'"" 
-^%^«^j>iri  afit'in- ;  -/n"  7"' 

r?n7  (ö.  toruy)  24" 
^7^  i6%    17',    17'°, 
17^  17'^ 


10^ 


artuq  12'^ 
aryw  26^^  27^ 
aruyu  {altun  a.] 


26= 


02:  (wenig)  35',  35" 
.^lu;^   öS  {a.  ickü)  16%  16* 
>i^tt^  as(:i)y  34^" 
y|u4  Ö.S-  {mäng  a.)  36^ 
>lu  -  -«7;   diniar-ay   23% 

23^;    n{i)yoSak-(iy  23% 

233 

07-:  -r/wg'  13'°^ 
«70,2   23^:     ayaz- 
lan-:   -ni'is  25^ 

>irrt\iitf^  ayduq  (von  r/y-?) 
28'^ 

072/  19'^  20' 
«7«  (r/.  bar{a)?n)  i  5^ 
(77«r  25^  28" 
aqtur-\  -t'i  13'' 
{aqtur-  Öntür-) 
fu^  al-\  -ims  19'^ 
„  äa&g4^  altun  26'^,  27  = 
>^i^^>^   alqan-',  -ur  8^ 
9^   -/?;^  9'^ 


Türkische  Manichnira  aus  Chotsrho.    I. 


47 


k^  är  5",  6^  15^ 


.fuifid4t  alq'is  28'^ 

-  äägjgä^      alqat-;      -rnts     M^  34"^  36^ 

26"  {alqatmU  2  6^^  31      .q^u^  argü  14 

R.7) 
4&4ti^   antn  35'^ 
/ft^än   antay  i  5"^ 
O^bii^XHri  rmtaq  y'^ 
livdiiri  anca  7" 
VrivCM^tri  f/^c^Y  {anc{a)' 

y'inca)  6"^ 


(>i  ^  tf\  (i!4    ärdämUg 

12'« 


19' 


-  ^„Mu^A,  anun-\  -t'i  14^ 

>^ß^  ><*     ü-/    t{n)ngri 

24'« 


.     oyKlf^  är^%  27^ 

an%rwzn  \  ^^^^^  ^^^  ^.^^„ 

\      t{ä)ngrl  21^  22',  25^^ 

äsän  10" 


>4W#^rt»    w/-;    -wag'    (y/- 
gädmäk  u.)    28'^,   39" 
ybdA^  00/  7%  9'3,  17'^ 

>tß^  h^^  ool  t{ä)ngri 

20'^    20'^ 

iM4  0^  (Feuer)  2  i  ^ 
Atß^  ybid4    0/    t{ä)ngrl 


2  I 


.2    /, « II 


«/-;   -r/^  34^  34''; 

•^««•^35';  -7'^ 34";  -^% 

io"3 


(ut-\  -sar  19" 

öy«Y-;  -f/Ji-33'^ 
7nU  36'^ 

/tägmäjg^   ayaylay  27^ 

^^trf^i>rf4  ai-y"in{?)  12^° 

>b>4  ä/  35" 

^_*^^Ä^jNvH^*>i  ät'Özlük 
{üzntlüg  ä.)  31*^ 

^rn    äc'ä   2  2  R.  ^     (ä. 
apa) 

du  «r/  17^ 

.  ^tjrv  ^  öV/ä/2  16'^ 


asangu  12,  27 

AM^  äki  12'^ 
>&4^^  äklnti  9^ 
(K^  ä%  23^ 


a^  am  29"^ 

-^w?^  30^ 

^d-^HJ/^  ämgän- ;     -M^  |  /(^^^  ^^  g, 
9^ ;   -mls  11'^  ' 


ybtf*  0/  (Kraut)  15' 

4&n^  ota-;    -yu  15^ 
^fä^m^  otac/i  15*^;  «^ffa- 

tiq  27" 
rä<%.€a€^<%^  ofuzunc, 
12'' 

18' 

->icd4   «^"X)-;    -masar  iS"* 
(6«7,  ^^^-) 

-        i^jirt^    (r/Ja- ;     -ywr 
14- 

->iltf4  0X«■-;-yw2  9'^3o'; 
-5(7r  30'^;     -/im  30"^^; 


Mfjj%A  ämgäkoi^:  {ötäg 
ä.  9«) 

-^«*  ä?;  37'*;  (ä.  /^«r^)  1 4^ 

fvrt  u  6"  ^ 

'  a^  U-:  -mayal  15',  15^, 
I5^  15^°;  -/-//a^  i6^ 
i6^° 


-  (lf<iiiiVirt4  iidyur- :  -dt  1  3^ 

^futntti}m\  n^      udyuruyti 
26^^ 

-  <rrt\rn  udur-',  -ur  T^i^'^ 

yHrtVrtit    Z^(iz^7   2  2  ,  K.  ^ 

_^«v\«vM  udun-\  -tu  6' 


or-\  -mü  36^ 
/ingiüt^ttn^  ortuqluy  i  2 ' 


48 


A.  VON  Le  Coq 


263°,    2f 

^ljbi4  urd-un  8'° 
-y-*^-*^^!    ornan-yu  27^^ 
urwy  17'^ 
vz  i6'3;   WvS'  17' 
>ir<^<rt^    vzaq'i  {vzit'i  u.) 

9'" 
^g0n/fä(f^  ä/f.äm      iizvn- 
tonhvyl'i  16'^ 

uzit'i  {'LI.  uzaq'i) 


JLjta^  ordu  {ikl  yntq  o.)     jLQMda-\  -unynr,  -üni/ilr;     -  Maa^  ör-;  -nr  1  7"';  -niäz 
29'",  30'  hol-     {bul'^')  9";     m-         16'^ 

h^^  JLjia^  ordu  k{ä)nt         9'^  -  kn^itvn  örtür-;  -?7r  14" 

-itiazim  30^  I       18' 

UUg)  5\  6-  (0.  k)  16"  ^  .^^^^    ,5,^,,,..     ,,j, 
-******   OTOfeM^  35'  i       ^^„^  ^^^^  g. 

■y  .r^^ri  üz-;  -ä  7" 

ÖV-;  -Ulis  21  ^\  27'     ^_-    -    ..      ,,    ^. 

^         ^    j  ^?^^  oz  5'%  6^  7"^ 

^-'it**'    ötäcj    {ö.   äm- 
(jäk)  9^ 

07/«^  (07W/  o.)  j       ^  '    /    '   O    »  ^4  5  ^^  5 
14"  I      32',    32^    34^    34'% 

JLoma^  o'yur  27'° 

f4itf4  07W/  8',  9^  15'°, 

(>?.  oylan)  14" 

o(y  (auch)  20'^ 

-  ^äAä^VH    öi'üfi-;    -qäi 
nqi§-\   -ur  9  '^ 


02    19'%     20',     2  2% 


26'' 


ö^  17'^ 
öz  9%  I  r^ 


35',   35'^ 
.^«^iU  w/m  (o/rw?)  8'% 
9%  9',  16^ 
^"'^it'**'  67  liy  I  I ' 


1 1 


ß  4^  fA4,  ul-aar  14'' 

-  Mofut^  olur-;  -uny  34- 


ötükän[öAakl 
norn  ul-uy'i)  12'^ 


üzä2i\  21  R.% 
22  Titel,  28'%  28"' 
<^vi4  w^«  (kiSlil)  8'^ 
h^.iin^  üzilt  24',  29^' 
W^^^jMvri  nziUlüy  {iL 
äfözlük)   3  I  ^ 
<f<y<fcrt{  rf%t4       üziUlmj 
28'^ 


?/6'WW   2  2 


I     rtr^r^^jtf»  ö-gnlncn  i  2 

-ay(2i)«  33^  :  /^^   öt^  j  i3^   1 16^  j  1.8.  j      Titel 

>^t^|U4   w/ws    26^=,    26^',  I       WC   ör/^/  26'^;    ö.   70/w  I  ' — Mngr4nijt%nA    öyrünc- 

27^  I       26'°  j      %  1 1'" 

/ta^4^  ul-uy  1 1^;    w/-  I  .  ^isAAat  ödrül-;     -mü  j  Vj^^^fs«J^vri .'i^^n/zi- 

'W7'«  I  2'^ 
V<m  jtrt^  ?^/-'m7  8" 
-  ^ditt,  o/2-;-«^36'°,  37"^; 

-yw(;2  37'',  37" 
Mäa^  ony  1 3^ 


m/w  6'' 


ihytr4<H£^%ii4    äyrnn- 

Xn-iU-.r,      TT? 


28'' 

.  (i^^<r<A»w   ödürtlüy 

26'^  I      6'?:^/^^  1 1 

.|(t^iM4  oküs  11'^ 


^rfrtV  t%  ö-dün{ödün)  8% 

17'° 


frg<>%i4  öküs   {tolu  ärüä 
ö.)   25" 

«M^  ög  {ö.  qang)  15' 

. — i(Jd4   ög    {y{a)ruq  ö.) 
22  R/ 


Türkische  Manichaica  aus  Chotscho.    I. 
idrä  17"*;    -Ä:/ 


49 


t{ä)ngri  13'^;   0^  ^.  14' 

JUt^paa^  ögdir  22' 

-  ^go%t4  ö^z^/- ;  -mi^  2  6"* 

-  JL^ßUa^  ögir- ;  -z/za^  2  8'^ 

-  }tnfy%^  öl'ür-;   -ür  7', 

18^;  -di  19'° 
J^•^ri  ö%  53,  55,  57, 

I      tf^yM^  ölüg  24""^ 
^%«vri  /m  6'° 

-  ^.M^  Ö-W-;  -wp  73,  8'^ 

-  tM&ävn  öntür- ;  -ü  1 3'° 
{aqtur-  öntür-) ;  -)niä^6^ 

^dvt^  öngü  20" 
J^i;8-,  9',  13«,  14- 

-  dLi4,  «r/-;   -t'i  14' 
P^mMf  'i'yad  {-dan)  7';  (-07) 

7';  13' 

2V- ;  -galt  14^;  -(c?)« 


17« 
.e«Ai4  idkü  i6%  16^ 
^  rftru  icin  9'° 

-  OifiH  /r/ö?r-;   -ür  35^ 
-iti*  M//21  R.Titel;  36'= 

?      10' 
irkäk ^6"^ ,  7,6'' 
^pt-tß'i^  irkakli  17^ 
irü  353 


>att^ 


/?   r^7 


rAMt\t^  irinö  9' 

-  Afu^ßU,  isla-',  yü  16"* 
gäksiz)  9'^ 

/#£U-  iS  17';  '/^5£e  17' 

-  fi^^M  «^^//-;  -/ni^  26'^ 
-^^04  ig{i)d-\  -ür  23* 

ifU  ig{-siz)  28'^ 

-  .^^jjjUi^  igl-ä-;  -mäkg^ 
Aä^^^*,  ikinti  22',  24" 

27« 

11'^;  ilig  25^' 

27äw- ;  -tük  27'° 


-  fi^ui^  itil-;  -mi§  8*= 
I     in^H  itig  25^ 


{iläntük  ärksintük) 

ilän- ;     -mägäi 


15' 
(tt/£ßgH  ilgärü  {i.  kirü) 
26^^ 


Phil.-hist.  Klasse.   1911.   Anhang,    Abh.  VI. 


^|bi4  il-ki  {ang  i.)  14^ 
-.i-^4«4  in-\  -ti  19',  19* 
MittJ4  inöip  16'^ 

-  ^  öa- ;   -^«  1 9' 

^CP  ^(«)ca    (mw«  b.) 
23^'';  h{a)casiz  24' 
>^  ^'ör  36^  37'5 
-««<i2:d  6ar-;  d'i'i  7'^ 

-  J^  ^ar-;   -duq  12"* 

-dui^  haruio^,  1 1 '^,  30'* 

^^Ul^  har{a)7n  (ay'ib.)  1 5^ 

<frfif^  Äarcö  17',  21^ 
21^ 

>iQl^  Wg-    {äv  b.)    14''; 
^»örg'  334 

^^*m49 b{a)zyanS'°;  baz- 

yan  18  R/ 
.    tVM>U:d  bas  5 '3,  6' 

.^1^  /;a£  22^ 

/^^  ba^  20%  20'^  20'' 
>^  bay  15'° 

/HitP  hol{a)q  35'^  36^°; 

bal{a)qay  36" 
UMS§^  balto  20'^ 
ßi^^t^  batiq  32" 
-jtSi^ti^fvZbi     butarla-; 

-yu  7 '5 

-        <yifrfdflp      butarla- ; 

-ywr  18'* 
^  44etwii^  buryudan  27' 
<£ii^fV^  bur%an  3 1  R. ' 

7 


50 


A.  VON  Le  Coq: 


bur%an   lO  Ti- 
tel;     I2'3,     i9\     23% 

'*0\.fCt  boza'^u  8^ ;  hoz- 
ü'yu  i8^ 
/pa0^  bosni-suz  2  g""^  {bo- 

su§  qadyu) 
/$ia^  boo§  {issiz  b.)  17' 

f^-^^C^  bohinmay 
2  8'3,  293' 

>^^  &W5^  iqolmaq)  32" 

-  jt^  öo/-;  -'wp  8^;  -ayan 
{ay'in)  12";    -.-?w7^  12" 

^Ifip  bul-;  -madM  23^"* 
/*g*^^Cr   bul{bol)ungur 

9" 
-^wX  ^A^"*  buhjan- ;  -mfo 

^rfrfffl^  buyan  30^ 
-MOid  SM-;   -a  7'^ 

-  c^  te'-;   -/^  20"* 

i(^  %  24^%  275 

ÄP^-l^  12'^ 

.^ߧ^  bälgü  24" 
-«^^  %y^w  35%  35' 

MOfL^ß^       b{ä)lgülüg 

24^ 

-  ^tigß^  b{d)lgürt- ;    -?r 
21  R.  ^ ;  -c/m  1 1 5 

-j<^lt.»^M  b{ä)linglä- 

{b{a)l'ingla-^)  \  -du  6^ 
>^i^A49  24',  27%  273* 


^rfrt^\y  bütün  {b.  qadaq) 

28^' 
>^<f^y  bör'i  8^ 
^JUiQfi  böri  18^ 

-  ^  4ägCß\»^      bögülän- ; 

-wä7<:  2  I  R. ' 
yb^  fe«Y  8'* 
^rtß^^  bitgäci  2 1  Titel ; 

28"9 

-  ;l^^   ö///-;    -c?/m    28" 

^*&^  bitig  25'° 

-  j^»^^  bitil-;  -mi§  25% 

25^ 
/L^  bir  {b.  öMS)  35* 

-  J^   6iV-;    -wr  13';    -^/ 

I  2%  12^,  13"";  öda  bi- 

rüröä   13^;     0(^0    ft/r^« 

i3";-6f2i4'5;.^27i9"; 

-'w  15'° 

ppßAM^  birikli  26'^ 

^"^  birä  20'^ 

^^-t4.^i^^iy    birki-ni-g 
233. 

j>tSitO:d  5/r/ä  5  3 

6/rfö"  15%  19% 


21 


0:a«stO=i  birök  6' 

>tß^  1ßi0  ^^    t{ä)ngri 
13",  14%  16'^ 

-  jt^   &//-;    -mäsär  18'*; 
-y^/ö^  9'^  (&.  u%maq) 

gälär)  3  i  R.  ^ 


^Yi>T    £ß§^  bilgä  bi- 

lig  23%  24^';    6.  b{ä)g 

12'^ 
^^%M    5/%;     627<^ä    6. 

23%  24''%  26'°;  ovutsuz 

h.  5^  6'%  35^ 
t^<V\^^»M  biligs{i)z  5'' 

fitf^i»rf^^\^  p{a)dwa%- 
tag ;  yjroätag  p.  t{ä)ngri 

«r^A^^  paMan{ä)k{?) 
27%  28'^ 

. ^p  p(ä)Ä  30' 

jitägmt^^^    tataylay  27% 

-ra^  26'^ 
^ääMüg^  iar%an  27^ 
lii\T^  t{a)rqan  31  R.^ 

/pd^  tas  16^ 
«S^4>t!L^:ai^  tasyaru  7'^ 

7" 


^äö  t{a)qi  8%  14'%  15^ 
taqi  i8%  35" 
rtwiiiW^  taq'iyu  36^,  36% 

36^  36%  37'S  37^° 
ißäg^  t{a)las  26^^ 

„Af^  t{a)mu  13'%  13'^; 

tamu  20" 
^liV    -^öw    [bastan)   5'^; 

[tastan)  16^ 

tow^  35'%   36'^ 


Türkische  Manichaica  aus  Chotscho. 


51 


-  ^rftf^  tangla- ;  -yur 
ZT\  -p  2  1  Titel 

-  4^Mnä€^       tanuqla- ; 
-yu  iq''* 

P0Xi^    taisi  (?)     tav&i  (?) 
-t^t  ^w^ ;  -maq-lafi  3  i  ^ 

liÜ^^^  tudda  [stz)  3 1 ',  3 1 ^ 

-  JUa^    tur-]      -mU  243; 

-«/«m  28^^;  -2W71  28'^ 
^ir^^ifr^  turqaru  29'^ 

J<.M fy^fs^  7'^  7^° 

-  ifi!^   /W7- ;    -Äör  8^ ;    -cT/ 

9^;  -ari6^\  -ur-maz  16' 
^JS^f\%  tul  7" 

•^(t^  tolu  {L  ärüs  öküi) 

25" 
\tff,  ton  5 '3,  7",  7 '4 

.^.^^  /o?z  8 '4 

-  Ao^  tut- ;  -mff^  1 0^° 
^-**^  Moy(«>(?)  273 
><re<ltrftflff^   t'irangaq  17^° 
^^t^  -  -/m ;  -/m ;  has-t'in 

30^^;  %tai-t'in  29" 

ifz/ra  t{ä)ngrl  2 1 ' 
yi^Citt^  /w/(«)7  2 1  R/ 

-  ^^  i{ä)rklä-',  -yü 
13'^ 


^o&acV^  t(ä)rkin  6'°,  7'^ 

>i^  ^(öt)n  8 '5 

-^JK^  tö"^-;   -r/«  7" 

>&M^  t{ä)s;   -ti  12' 

tag  9 '5;   /ä^/i^^  18^ 
-Sji?i  %-;  -c?//  7 '9 

-  j.-4;^.£^i4^   tägzin- ;    -// 

32'^ 

■  '•^Ht^^Ä   täg^ür- ;  -möÄ 
253°;    -f/p  I9'3 

-  f^Mt>^   %i//-;    -«p  8^ 

^^^  *  *gl><rö       tägürdäci 
26'' 


29^3 
- ^4^,1^    täg'm- ;      -^/;/z 

(o%«>w  /.)    29'^  30^ 
-  MA^jU^  täkUr- ;  -är  1 1  ^ 
JL^^i^^  tämir   {-an)  8"; 

(-«^)  8" 
^k^#4^  t{ä)ngrv,  äzriia  t. 

2i\  22',  253%  25';  «e 

t.  24'^;  00^^.  20'3,  20'% 

20'^;  ot  t.  21';  ög  (og) 
t.  13^  14';  bist.  13", 
14^;  bis  t.  21^;  p{d)d- 
wachtag  {%rostag  p.)  t. 
13'^;  t'intura  ^.  21'; 
%ro§tagt.iz"°',%.p{ä)d- 
wachtag  t.  13 '3;  x^r- 
m{u)zta  t.  13",  13"^, 
13'',   143,  24'°;   suv  t. 


21";  /«m  t.  24"';  ^/m 
ßi  ^.  21^;  nom  quti  t. 
2  2\  273';  wadziwantag 
13'^,  14';  wadziwaniu 
t.  24'';  y(a)rwg'  /.  21'; 
ya^m  /.  2534;  y//  ^.  2r 

Atß^  t{ä)ngri{Y{\mme\) 
14',  14',  14'' 

>^^  >€ß^  t{ä)ngri%a- 
ni  253%   31  R.' 

^Ai£^t4^    t{ä)ngridäm 

259,  26'9 
^■W<^%VL4.^  t{ä)ngrikän  3 1 

R/;  31  R.' 
- — Mi§ut4ßA^  t{ä)ngrilig 

33'^33'^34^34'^34'' 
^rfr^r^  tob'Hn  9 '3,  /ö- 
/^w/z  20^ 

töpö  I  7  '^ 

türgün ;  ö«r  /. 

14^ 

- — if<yir%^  türlüg  \  bi^ 
türlügün  24^ 

^  gOrf^V^  tüsüngür  9"* 

/^ti^^  /?/.?-;   -^«  2o3,   20" 

(Mf^n^  turk  26'^;  uluy 
turkdün  27^ 

ir<yrt<rir^  törülüg  26'^ 

-tf.JLk^  tüzü  28",  28"^ 
^A^t  ^w^MW  5",  6'°,  28=^5 

7* 


52 


A.  VON  Le  Coq 


i6.     4>i1.^:ll:,.    _^3i 


II";  tomuig  2  9 
■^^>C=*«st  ^o^w/- ;  -^/  5  " ; 

^4ftf^t<H^  tümän  10*,  20^, 
20'' 

-  &4ä^t^  t'tträi- ;  -xr  1 8'* 

mttit^  tirig  22^,  26'^ 
^yitlf^         üriglügli 
(sammelnd?)  24''^ 

-  irgjirifi^  Hj-gür- ;  -mägäi 

■     iteir4rt^   /2r^!7^  27^ 
<y(iri^  tlrlä-',  -p  1  5^ 

-  fiAi^  //r«7-;  -ü  {t.  quv- 
rnnmaq)  35^^ 

^$\0\^  üsili  I  7^ 
>^a^  ti§i  36^  36^ 
W*?,  %Y  i-lär)  31  R. 5 

f^  ^//  19" 

-  4yiö  ^^^«-;  -^«^^  23^' 
m^^^>^  ti-min  14" 

. — tuur  c{ä)r{i)k  26^^ 
^IßLLC' cigil   haliy  2  7  3'; 
d.  y(:(ä)w^  27^;  6".  ars/öTi 

■     -^^^^  %ata{iki%.)2g''^ 

-  £^6*41  %atal-;  -ur  17^; 
-öp  {%atlap)  16^ 

^Ji^^  %{a)tai  29" 

>«^  %ön  28'^ 

%an{qahL%ant)2']^ 


^^%an  {i{ä)ngri%anmz) 
31  R.',  253^ 

.^i^  %ö^w  30^ 

mä^pn§tn  %rostag 

t{ä}ngriis'°;  %•  P{a)d- 
wayjtag  t{ä)ngri  13'^ 

46>,f^  ''^'K  %urm{u)z- 
ta    t{ä)ngri   13",    13'*, 

13'',    I4^   19',   19", 

I9'^  2os  20",  24'° 

>f#<t<tV       dintar    23% 

23%  28'^ 
«ü^«^  ddlntar  31  R/ 

I3^i3'%i3^i7'^22^ 
>iujr  -    -ra^' ;    tatayla'^raq 
26^9 


r^^    -?//W^W    I  l' 

Urt^äägmp  s{a)ylantur-; 
-d'i  13'* 

saqan- ;  -wr  i  o'^ 
sans{a)z  10'* 
5aü  15%  i83,  19^4 
rA\it€^  särinö  32'° 
. — «Aa^  5(a>w^  2  3^  2  3^ 

2  3'^  28^^ 
■     m\tp  s{ä)vig  1 6'^  34'^ 
mtpt%4'%p    s{ä)v'igltg 


10" 


s{ä)vi-n' 


-mäh  2  8 '3 
r4\iip  s{ä}vmd  25' 


sav  t- 


ndl-ig  11  ^°;    s{ä)c'm6l' 
'ig  11^ 

^lAit^  01^  fV>  supuryan  6* 

-  JM^  sor-;   -ar  8'^ 

-  tl^uta^  sorul'\  -niis  26""^ 
..-jua^  suv  if,  17'^;  {ylr 

s.)  14'^ 

^r2  2  I ' 
>%k  5w/  (5.  yazuq)   30'^ 
^to^  ^2^  22^ 

-t*^£^  sür-',  -üp  5^;  -w 
i6'° 

sürü  8^ 

sÖzlä- ;    -y w 

<frti,  rfin>  s?/^wÄ  (5.  qiit) 
22  R.3;   SW2^MÄ  273^ 
/|rg»Kt>  ÄÖ^rws   10'^ 

-  0L^ßua^  sögüs-;  -ür  9'^ 

ifgorftrij^  söngük   {s'in 
s.)  2333 

s?7W/i  35^ 

s«/z2i^;  (s.  söngük) 

ßifULi^  sinl{i)'y  22' 

. — iU  ^4i^       siz{ä)ng  (?) 

^iLi^  siz-lär  19'^ 

if V  ^«^  £2^2j^  19" 

^^A^^p  ^aki-m{u)n  1 1 
Titel 


Türkische  Manichaka  aus  Chotscho.    I. 


53 


-^dß-^  ämnu  19",  20^ 
20'^  20'^  31^ 

^«KlsAyiAl»^  'iöffärü  53 
l^%V%li^  '/r/m^  5'°,  5 '4 
%%v<cSl«blki«  '«'/JzV  {bilgälär) 
31  R.^ 

nogH-,  .oäUM-  -'yaru, 
-yärü;  tasyaru  7'^;  /wr- 
^ßrw  29""';  yoqaru  26'^; 
ilgärü  26'^;  yiringärü 
I2'\  I3^  13'° 

.^  - ,  ..^4»  -  -7W,  -^w ;  or- 
nanyu  27^%  uzlanyu 
17';  g'arf7i<  29'';  gow- 
7?^  27^^;  är^?/  14"; 
äsängü  12^;  &ä7^w  24" 

>i^^'  qapay  13^  13^ 
13"   (i'iyaö  q.  13') 

-  Ma^Ä^/iö4  q{a)t{a)y- 
lantar- ;   -dt  1 3'* 

-i/?  2  I  '^ 
mätärj         q{a)cnang 
16";   qaönang  32^ 

>t!L«#  gö(f(«)r  24" 

><r/\  irg  ^ä;^a^  {bütün  q.) 
28"' 

''^«vlltOM  qadduq  {q. 
bfäün?)   31'' 


(\J\tm  qadyu{-suz)  29'' 

Mj  q{a)ra\  q{a)raköz- 

süz  täglüg  18^ 

^  dgmtit^  qaryan- ;  -wr  9^ ; 

-/w^  9'^ 

^^M   qo^u    (Mni)   27^, 

28^° 

>^|u«  9'a//^  17';  q{a)lt'i 
7";  ancolayu  q.  8%  8^ 
i6'3;  mJä  ^.  8 '3,  137^ 
18';    g'.  -Ja   14^,   14'°, 

14",  17",  17^  ir\ 

24-,   24",   24^^  24'^; 
q.  -sar  16^ 

>d-4(  ?ö^  15',  33''.  33'% 

34%  34",  34^  34'^ 
^ma^  qan  5'°,  ^'\  6'^ 

6%  6\  8'" 
— i(äu#  yaw^  io3,  35' 
,     fk^lsr1C  g'op  6\  9^  3 1^ 

-  \^6rt»     qutad- ;    -mag' 

{qutad-  qivad-)  28'^ 

-  \rt<  gfoc?-;  -wr  17' 
Jtta#  qodi{yoqaru  q.)  2  6'^ 

-  ^rt^lfrtt  qurtul-;    -maq 

293' 

/uUtOit  quruy  17" 
M^da^t  quz'zS*;  quz'iiS* 
-fyMS^r-^  gos-;  -ar  7'^ 

>|al#  ^ws  7',  36%  36S 


-  414»  go/- ;     -/if   (&M.f«-  q.) 

32" 
^rtg   g'o/t^  26" 
»fvvi^^iy  qunöui  31  R/ 

Om^^'  qonyu  27'^ 
-^  rf^lfi^'  quvran-;    -u 
{tirilmäk  q.)  35'^ 

4iii<l<     g'0P7a     35'*; 
qovqa  36'° 
^  4tff ^'  quyan  8^ 

A*4  qiz  2533 

,(iit£rr4n  j^t^'       qil-'indl'iy 

-  \  ^  tt#    qivad- ;     -magf 

{qutad-  qivad-)  28'^ 
-A«^  ^niü  22' 
1^*  Mc?  (^w  ^.)  2  I  R.' 
'Ariane  käd-\  -rnis  7"* 

-  Z     €:^   kädil- ;  -ip  2\^ 

-  i^L^tr  kädil-',    -ip  i8^ 

i85 

ifgJH£»  k{ä)rgäk  24^ 
^dJL^Ußf^ß^       k{ä)rgäksiz 
{is-'iz  k.)  9" 

-  jf^tß^*    käkräi- ;    -^w^ 

-^t>  ^(ä)/-;  -^/ 13'^;  -5är 

-^«  7'%  7" 

-  ^i^^  k{ä)  m  fc^- ;  -/w/i  3  5 ' ' 
«\^.0&a^  k{ä)niü  6^ 


54 


A.  VON  Le  Coq 


)i6 


R. 


,   22%    22%  23%   34'9 

kü  26'^  {h  käd)  21 


-»»\<^  kü- ;  -yü  (k.  kö> 


31^ 
-^^^%«S3i^a4  kötür- ;  -wp  ö"" 

P^i6^  knc;  bis  t{ä)ngri  k. 

16'^;  t{ä)ngrik.  i6^\  tört 

yruq  k.  19^ 
-J<0*j\\  kucä-;    -dük  5^ 
tfsscsc  kor-;   -üp  5%  6^; 

-tu  6^ 

-  Jc^ev  kör- ;  -/w^  9^ ;  -mü 

9^;   -ä7/m  11'^ 

-  4ji^pntiic%    köröksä- ; 

11%  24'^^ 

lilfie»  ^Ör^  10%  11% 
24^"*;   (k.  mängiz)  25^^ 
.^Me^  ^ö^  15^;  köz  235 

>^rt>i.äti<e»  Äö^sw^  {q{a)ra 
k.)  18' 

■•^**$J*^  ^özäd-\  -ü;  kü- 
yü  közädü  3 1  '• 


kösä- 


-yür 


10' 


^P»0aQ%  kösm  28" 

M  14%  14'* 

köküz  18^;    Äo- 
^W2  26'%  26'^ 

*<>*<  £0  küVüngio^ 


>tß^jm^^^e%  kün  t{ä)n- 
gri  24"^ 

M;z  [g«]  t{ä)ngri  21'* 
köni  {k.  kirW)  26''» 
küyür-:   -ür  iS"* 

H^yt»«k  ^/Jä  (yon'w  ^.)  31^ 

-  M^   kir- ;   -wr  1 6' ;    -;/« 
6^;   -ip  53 

^d*^  kirü{ilgärük.)  26^"^ 

günclüg  29'%  30^ 
"CiAJte^  Ä'«Ww  (ytÖ>i/^. )  2  6 '" 
>^(^  ki$i  8'^ 
f-^^ß^  klglnöi<^'%  ^j'^ 
jö^t^   kirn    7%    8",    15% 

16%  17%  18%  18%  22% 

22%  33'7 

kln  12'%  29'^ 
yjLz  (fiär  ^Ke)  15'° 
tUM0Ut  %isyac{qisyaG)^^° 
s,  d\,äm0g  layzm  12'^ 
>*^  -  -/a7;  anglay  26'^; 

adrtlay  26'^;  y{ä)ra§lay 

2  6^5 ;  öfZ/ay  2  7  =" ;  tataylay 

27"";   ayaylay  27^ 
>^  -  -Ä',  -//;  uzuntonluyl'i 

16'^;  äW«  16'^',  irkäkli 

17^;  ^is///  179 
^-  -/«,   -//;   a^«7Ä'26'3; 

udyuruyli  26";    /!>/nM 


26'^;  y{d)ltrayli  io% 
25^^;  y{a)rutuyti  26"*; 
tiriglügli  24^^ 

^  -  -W2Ö ;  ancolayurna 
13%  I4'^  17" 
— <f*^i<^M<jir   m{d)%istak 

12'%  28^° 

w(ö)r  omw  mozak  32""; 
32",  32^  33^  33", 
34'°»  34";  ?woiaÄ  31 
R. ';   mozak  27"* 


y(ö)0(^  28'° 

m{a)r  w{ä)%m{a)n  %iar 

y{ä)zd  273 

,;4Uj|r  -  -Wö'^  {-inäz) ;  g'ffw- 
gamaz  {qang'im'iz)  10^; 
iV  ig{a)mäz{iUgimiz)  1 0% 
ämgäk{ä)7näz  [ämgäki- 
miz)  1 1  '^ 

,^U^  -  -?/z<7.2^;  hardamaz 
[bardimtz)  10'^;  k{ä)Uä- 
mäz  {k{ä)ltimiz)  10";  /s- 
lädämäz  {islädhniz)  10'^ 
JLt^^^^^dA^  man-astar 
%irz  30";  m{a)nastar 
yjrza  30^ 

-ii«ljt*l  m{a)ngra-\  -d'i'i 

>^£jir  warn';  t{ä)ngri  ma- 
ni   bur%an   12'%    23'; 


Türkische  ManMaica  aus  Chotscho. 


t{ä)ngri  7n{a)r  niw  mani 

12'^;  mani  hur%an  24^ 

M  4d&0jk4jjf      manistan 


27 


36 


^^saui^fV»!  mozak  3 1  R,= 

.     <f4.<Mj|r  mozak  27'* 
p^^Ao^  muntw^l  1 1  "^ 
ii^<4.«v»d  munöa  7'%  18^ 
JL^ßdo^  mungar  23^ 
/idm^a^  mui'^aq  35' 

m{a)rdasp{n)nt  t.  27^^ 

mm^  5 ' ;  m{ä)ning  233'; 

W2ßr^^a  28'^   (vgl.  mm) 

■     ^*^  mäng{m.a^)^6^ 

— '■i^'^Ülr  mängzä-\    -ti 

23^^ 

'^^^^  'fnängiz  {körkm.) 

2530 

AM^^  mängi  12^° 
■tf<^^;£jir  m{ä)ngigü  1 1  '^; 


n{i)yoSak  28*"» 
mwj  1 2  '^ 

^«  33'',  35'° 

23^9 

' — «***•  wä%  23%  23' 
ii^U«u  näcä  7" 

.  4<^*<fc^tf rtf4    näcäkätägi 
16'' 

-        ^rtr^4  näcüklä- ;  -^2 
19'°  (^.  ölürdi) 

■  O^tf«  ?zä%  33*° 

■  ^^^4  wäV^^  (fiir  wm^) 
8'^  8'^ 


55 

y{a)rat-',  -yati{y. 
itgäli)  14^;  -di  (ij.  yap- 
di)  14«;  ~ir  14'°;  .(/)i^y 
14";  -di  15'^ 

y{a)ra§'\  -ur  23'^ 
y{a)ra$la'y  26'^ 


^-'^ 


1 1 


19 


4    /?aV2^   I5^    159, 
16",    i6'%    I6'^    16', 

rfiff  *»  Z'/fif^ö    2  I  R. ' 


-     ^* 


\0imti9  wa%§ik  32* 


mrm    {m.    b{a)ca) 
233%-  munsüz  24";  mw/j- 
6%  I O^   II  '^ 
./rttf%fj|r  müt/'üz  16" 
.iP^^A^  /«m  29^;  mm/ 30'^ 

'^««*  ((iy  p.)  26'' 

^^Ltf4  wom  12^,  12'^, 

273^28 
>tßd^  ^&mß[<%^    nom 

qut'i  t{ä)ngt^i  22'* 


25", 

28^3o^33' 


^£ßr0a  w{ä)%m{a)n  252'» 
' — m4H4*n\,f  \  gtf 

wadziwantag  t{ä)ngri 
I3'^  14'';  wadziwanta 
t.  24" 

%^ri.^2iArt%  yablaq  5" 

-  .^*^  yap-;  -d:ii/\^  iy. 

yarat-) 
^  än^g\    yapyun    {vap- 

%ud)  2<f  \ 

\MK%yaU\'{t)ü^'\-{t)ur 

6';  ■'{t)uq  63 

-4«t^  yad-;  -ay(;i)n  7,7,^ 


.%^^XH.%  yarsi-\  -yor  j^^, 

\^^fA%^^xs\%yarsmd'iy^ ' 

/^rAfägttMt,  fit»  y(a)W- 
ayyancuci  lo^;  y(a)r/- 
ayqancuct  i  o^  11  '^, 
12'^;  y{a)rl{ä)qan6udi 
II^  199 

-Mit%  y{a)r'u';    -dii  6'^ 

-  -Ä««*  y{a)rut- ;  -sar  1 5* 

^-%|riirt6<tir^  y{d)rutuyU 
26'* 

>«M<Ä^  y{ayuq  10^ 

>^M«^  y{a)ruq  22^  23' 

>€ß^  ßioitx  y{a)ruq 
t{ä)ngri  2 1 " 

-J^%tli%  yar'il-;   -fi  5^ 
^•^«<l%  yanw  6"^  (^.  A;/döf) 

31^ 
>ib,.4<K^  yo^wg  2  8 '3  {suiy.) 

30^' 
-  >^Md^^M^  yoiw^ ;  -tr  2  i  R/ 

[yarut-  yaSut-) 

>4ß^  •A^t\    ya- 

M'Ti  t{ä)ngri  253* 
jMäutx  yayaq  32^^ 

^ffütfir^  £tf^        yal-trayli 
10^;  y{a)ltr{a)yU  25^3 


5G 


A.  VON  Le  Coq 


iiäii£ä\  yahar- ;  -di  20^ 

4ää\  yana  iS^ 
-u[•>y-(a)7^a7^8^8", 


115    017 


'  t^dUx  yanc-',  -ar  8'^ 
-  ^ärää\  yanöal- ;  -ang  9" 
Aft^^X  yang'i  i^\   14'° 
^u^LSix  y{a)vlaq  35^ 

^ti4mn\  yo%aru  13*^ 
luu  yud{?)  {yoq  y.)  9" 
->ifai^  yofi-\   -yur  18^ 
>«ba^  ^09»  (y.  qilmaq)  8^ 
AVJilE=<«S«  yoqaru  6' 

/tifrfiirt^  yoqaru  13'^ 
f<U  ?/o/(?^6'y.)34",  34'5 

^(■M^^rtm  yum§aq  24^ 


-A.%%  ^«c?-;  -iyor  6^ 

Ji^ßA^ßX    y{ä)gänk{ä)nt 
2  63° 

rd\ß^ßk\  ygrmind  15'^ 

- — iLti^    3/0Ä    I5'^    19% 

I9'^  20^ 

->^  yi-;  -di  20^°;  -mäsär 
16'« 

/llrg^i^im  yitmü  20'^ 

if^<\t^   yidäng   {?vi- 
dang)  10' 

17 '5;  (y.  5Wü)  I4^^  193; 
{t{ä)ngri  y.)  12%  12'*, 
I3^  13%  2iR.%  22 
R.%  26'^ 


y«V-%  34^9 

-  A  £ß\\  yigäd- ;  -mäÄ 
293^;  -mi§  26'3,  27'; 
(y.  utmaq)  28'^ 

P>tß^  §i^    y^V  t{ä)ngri 

2V 

.dt^giS  yiltiz  {nom)  30^ 
if-^^  jH^n    yimisl-ik 

yop'üg  ly^^ 

yurüglüg 
26'' 

yw^  (hundert)   12'^ 
yw^  (yw^  'üngüz)  1  o' 
yWyj-;  -är  17"* 
■t^S;^%  yugür-;   -ür  7"; 

-;/«■  7'^ 
■  jM^rfrt-^  yontüs-;  -ürg'^; 
-ü  9^°;  -^wÄ  9'^ 


Türkische  Manichaica  aus  ChotscJio.    I.  57 


Nachwort. 

Hrn.  Dr.  W.  Radioffs  Nachträge  zum  Chuastuanit  (Chuastuanvt). 

In  letzter  Stunde  geht  mir  die  unter  diesem  Titel  veröffentlichte  Schrift 
des  Hrn.  Dr.  Radioff  zu.  Bei  dem  weitreichenden  Interesse,  welches  jedes 
Originaldokument  aus  der  Literatur  der  Jünger  Manis  nicht  nur  für  Turko- 
logen,  sondern  auch  für  Religionsforscher  hat,  sehe  ich  mich  gezwungen, 
wenigstens  auf  einige  fraglich  erscheinende  Interpretationen  Radioffs  ein- 
zugehen.    Die  Entscheidung  über  andere  überlasse  ich  gern  der  Zukunft. 

Hr.  Radioff  sagt  auf  S. 870,  Bl. 8,  B.  8^  zum  Worte  oylan:  ».  .  .  Dieses 
Wort  ist  hier  am  besten  durch  »Streiter,  Kampfgenossen«  wiederzugeben. 
Zur  Mongolenzeit  hießen  07/art  »die  Prinzen,  welche  Teile  des  Heeres  be- 
fehligten«, im  K.  B.  tritt  es  in  der  Bedeutung  »Diener,  Soldaten«  .  .  .  auf. 
Die  fünf  Götter  sind  hier  die  o-ylan  (die  Streiter)  des  Gottes  Chormuzda 
(des  Urmenschen),  mit  deren  Hilfe  er  die  Dämonen  zu  besiegen  gedachte«. 

Die  Bedeutung  des  Wortes  oylan  in  der  Sprache  unserer  Texte  ist  genau 
dieselbe,  die  Shaw  (Dict.  s.  v.  S^Ji^)  ^ir  die  moderne  Sprache  Ostturkistans 
gibt,  nämlich  » Sohn,  Knabe « ;  vgl.  T.  II  D.  1 7  8  a,  Z.  1 2  ^  dtgm^^  ^^kuu,  oyul 
oylan  ein  männliches  Kind.  Vgl.  ferner  F.  W.  K.  Müller,  Uigurica  1908, 
Anbetung  der  Magier,  S.  5,  Z.  2ff.:  »Zu  der  Zeit  Herodes  der  König 
so  sprechend,  befahl  ihnen  (den  heiligen  drei  Königen):  , Wohlan!  jetzt, 
meine  geliebten  Söhne  (oylan-larim),  wohl  gehet  hin...'«  sowie  ebenda 
S.  9,  Z.  i8ff. :  »Gehet  hin  in  meines  Reiches  Innerem,  soviel  unter  zwei 
Jahren  an  Knaben  (oylan)  (und)  Mädchen  vorhanden  sein  mögen,  sie  ins- 
gesamt tötet!«  Auch  endlich  ebenda  S.  15,  Z.  3ff. :  »Durch  dieser  verdienst- 
vollen guten  Tat  Kraft  mögen  aller  Lebewesen  Kinder  das  Nirväna  erlangen«. 
Diese  Stellen  schließen  eine  Bedeutung  »Streiter«  far  oylan  vollkommen  aus. 

Radioff,  S.  878,  Stein  73.  yüzäd(h)m{i)z  ist  eine  fehlerhafte  Lesung 
des  Hrn.  vonLeCoq.    Im  Text  steht  deutlich  Tiai^DTlb«  wie  in  P.« 

Geschrieben  steht  oaljU^t^vH,  was  mit  uznad{z)m(i)z,  freier,  aber  wohl 
zutreffender  mit  uznäd{i)m{i)z  transkribiert  werden  sollte.    Im  Petersburger 

Phil.-hist.  Klasse.    1911.   Anhang.    Abh.VI.  8 


§a 


A.  VON  Le  Coq: 


Text  (vorausgesetzt,  daß  er  richtig  wiedergegeben  ist)  steht  deutlich,  nicht 
wie  Hr.  Radioff  angibt,  .ä^\  t^,4n^  ,  sondern  vielmehr  ;^^^ -tgr^  .   Der 

Sinn  des  Verbums  üznä-  ist  widersprechen.  Dann  aber  darf  die  fragliche 
Stelle  nicht  so  übersetzt  werden,  wie  Hr.  Radioff  seinerzeit  vorgeschlao-en 
hat,  sondern  die  Übersetzung  muß  wie  unten  angegeben  geändert  werden. 

Radioff,  Chuastuanit    Steins  Khuastuanift  Nunmehr  sich  er- 

(sic)  S.  i6.                               S.  286.  gebender  Sinn. 

»IV.  Zum  Vierten.  Da    64  törfünö  süki-i  t{ä)ngn-h  Viertens.  Wenn  ohne 

wir  gegen  die  Burchane,       yalamc'i-X    bur%anlarqa  es  zu  wissen,  wir  irgend- 

buyanö'i-'i  bögtäci-i  nriy  wie  gegen  die  göttlichen, 

dintarlarqa  Ulmätinnädä  zu  den  Heerscharen  (des 

yaz(i)nt(i)mtz  ärsär  . .  Lichts)   gehörigen    ijala- 

ymä  kirtü  «^örd«*)  Burx,ane,  gegen  die 

t{ä)ngri-i  yahvad'i-i  bur-  verdienstreichen  ..?..**) 

yßn  reinen   Electi   gesündigt 

7°  tipänädgüqUmGt{t)yaray  haben    sollten    ••    wenn 

dintar  tip  hirtkünmäd{i)-  wir  sie  (zwar)  wahre  und 

mi^z  göttliche    yalava&i    Bur- 

ärsär  •  •  t{ä)ngri-i  nomin  %ane  und  gut  handelnde 

söz-  reine     Electi      genannt, 

läsärbiligsiz{i)nuznäd{i)-  ihnen    aber   nicht    ge- 

m{i)z 
ärsär  •  •  nomwy  törüg 
75  yadturmat'in   tidt'im(i)z 
ärsär 
t{ä)ngrim  amfi-'i  usw. 


die  Heerscharen  der  Bo- 
ten Gottes'^,  und  gegen 
die  reinen  Priester",  die 
Wohltäter  und  Helfer '°, 
auch  ohne  es  zu  wissen, 
so  viel  gesündigt  haben, 
da  wir  die  Burchane  die 
wahren  Boten  Gottes  und 
die  Priester  (wohl)  Wohl- 
täter und  rein  genannt, 
haben",  und  da  wir  das 
Wort    Gottes'3   wohl 
hergesagt  haben,  aber 
aus  Unwissenheit  ihm  zu- 
widergehandelt haben"*. 
Da  wir,  anstatt  die  Sat- 
zungen  und  Gesetze  zu 
verbreiten,  (die  Verbrei- 
tung derselben)   verhin- 
derthaben, so  fühlen  wir 
usw.« 


glaubt  haben  sollten, 
und,  wenn  sie  das  Wort 
Gottes  hergesagt,  wi- 
dersprochen haben  soll- 
ten, wenn  wir  den  Glau- 
ben nicht  verbreitet,  son- 
dern behindert  haben 
sollten,  dann,  o  Gott! 
bereuen  wir  jetzt   usw. 


Wenn  Hrn.  Radioffs  Übersetzung  nicht  ganz  verständlich  ist,  liegt 
es  daran,  daß  er 

*)    Wenn   man   die  von   Radi  off  vorgeschlagene  Bedeutung  von  yalavadi  =  BoX^n 
annehmen  darf,  wäre  zu  übersetzen:  die  göttlichen  Boten. 

**)    Bedeutung  von  höktäci  (bökiäkci)  ist  bisher  unermittelt. 


Türkische  Mankhaica  am  Chotscho.    I.  SÖ 

1.  die  auf  -sär  endenden  Formen*)  nicht  als  konditional  erkannt  hat; 

2 .  übersehen  hat,  das  Wort  kirtkünmädimiz  (=  wir  haben  nicht  ge- 
glaubt) zu  übersetzen; 

3.  die  Form  sözläsär  (=  wenn  sie  [das  Wort  Gottes]  hergesagt  haben, 
also  predigten)  nicht  auf  die  Prediger,  sondern  irrtümlich  auf  die 
Gemeinde  bezogen  hat. 

Zj  den  Erörterungen  zurückzukehren:  Hr.  Radi  off  sagt 
«S.  880,  St.  113.  äwäk.  Die  Herbeiziehung  von  äwäk  ist . . .  hinfallig. « 
Hier  mißversteht  mich  Hr.  R.  Im  Qutadyu  Bilig  steht  ^^*-^  ,  was  er 
allerdings  mit  äwäk  transkribiert.  Dies  ist  aber  wohl  nur  eine  irrtümliche 
Lesung,  die  richtiger,  und  dem  hier  vorkommenden  Jut^Osirl  entsprechend, 
durch  äü{i)ng  oder  äv[ä)ng  zu  ersetzen  ist.  Eine  Reedition  des  Q.  B.,  die 
dringend  nötig  ist,  wird  sicher  viele  Leseirrtümer  berichtigen. 

»S.  882,  St.  186.  07-  ...  Der  Stamm  07  {v)  hat  doch  nie  die  Be- 
deutung ,sich  abwenden'  oder  ,to  drift  awayS  sondern  bedeutet  nur  ,auf- 
steigen,  sich  erheben'.« 

Hierzu  vgl.  Radioffs  Wörterbuch  I  S.  142   sub  voce  07: 

1.  (Osm.  Dsch.  0. T.)  sich  erheben,  aufsteigen; 

2.  weiter  fortgehen; 

3.  (Dsch.  0.  T.)  sich  hinneigen,  herabneigen,  herabputschen. 

>>S.  887,  St.  25 1 .  azo.  Die  Lesung  azo  ist . . .  unmöglich,  da  in  keinem 
Türkdialekte  0  auf  a  folgen  kann.« 

Welche  Vokalfolgen  in  dieser  alten  Sprache  möglich  sind,  wird  sich 
erst  aus  unserer,  einige  hundert  Nummern  umfassenden  Sammlung  türki- 
scher Texte  in  der  auch  die  Vokale  genau  wiedergebenden  Brähmischrift 
feststellen  lassen.  Die  Bearbeitung  dieser  Texte  muß  leider  einstweilen 
noch  zurückstehen.  Überdies  erscheint  es  bedenklich,  Gesetze  von  dieser 
Allgemeinheit  aufzustellen.  So  sagt  z.B.  Hr.  Radioff  in  Tisastvustik  I, 
S.  67  mit  Bezug  auf  F.W.  K.  Müllers  Ableitung  des  Verbums  boSyur-  von 
haS  (Uigurica  S.  56)  mißbilligend:  »Ein  solcher  Übergang  a — 0  der  Stamm- 
silbe wäre  alleinstehend  auf  türkischem  Sprachgebiete«.  Diese  Behauptung 
ist  unhaltbar,  denn  ohne  andere  Quellen^  heranzuziehen,  finde  ich  allein  in 
Hrn.  Radioffs  Versuch  eines  Wörterbuchs:  yoäun  far yaä'in  S.443;  yo- 
puq  für  yap'iq  S.  443  ;  yoruq  für  yar'iq  S.  423  ;  qobuq  fär  qalfiq  S.  660;  qo'^un 

*)    Obwohl  dies  schon  längst  durch  F.W.  K.  Mull  er  festgelegt  (Uigurica  1 908,  S.  48). 


60  A.  vonLeCoq: 

för  qayun  S.  5 1  7  ;  qomU  fiir  cpirm  S.  67  i  ;  o^uq  fiir  aSiq  S.  1 1  5  i  ;  tonumaq  fiir 
tanimaq  S.  1 1  77   u.  a.  m. 

»S.  889,  St.  315.  ämgätirhiz.  In  B.  ist  die  betreffende  Stelle  dem  Wort- 
laut nach  unbedingt  falsch  übersetzt.  Nach  dem  vorliegenden  Text  müssen 
die  Dative  zu  äksüglüg  und  yazuqlwy  gezogen  werden.« 

Die  Verbindung  dieses  Verbums  mit  dem  Dativ  ist  fremdartig,  aber 
sie  ist  vorhanden.  Zu  äksüglüg  und  yazuqlw^  dürfen  die  Dative  nicht  ge- 
zogen werden,  denn  der  Satz  St.  äksüglüg  yazuqlw^-lnz  (wir  sind  unvollkommen 
und  sündig !)  ist  durchaus  selbständig,  was  schon  daraus  erhellt,  daß  ja  der 
Schlußpassus  des  Gebets  eingeleitet  wird  (vgl.  St.  308)  durch  eben  dieses : 
*Tängrim  ägsüklüg  yazuqlur^-lnz\i^ 

Zu  den  von  Hrn.  Radioff  auf  S.  896  in  hebräischer  Transkription 
aufgeführten  Verbesserungen  ist  zu  bemerken,  daß  es  sich  zumeist  um  weg- 
gelassene Zeilenfiiller  -/,  -w.  -h  u.  dgl.  handelt  sowie  um  Worte  wie  z.  B. 
y{a)vlaq,  was  nach  Hrn.  Radioff  vielmehr  mit  yvlaq  zu  umschreiben  wäre. 
Auch  schon  von  mir  in  der  Wörterliste  berichtigte  Druckfehler  für  balqduq 
und  oylan  werden  nochmals  verbessert.  Die  Akribie,  mit  der  diese  Dinge 
behandelt  worden  sind*),  vermisse  ich  in  den  Zitaten  aus  meinen  Abhand- 
lungen, die  Hr.  Radioff  öfters  herangezogen  hat  und  die  hier  der  Be- 
richtigung halber  wiedergegeben  werden: 

ZitatS.871  der  Nachträge.  »Nach  Originaltext,  St.  Kh.,  S.  281. 

der  Übersetzung  des  Hrn.v.  L.C.Waren  »o .  .  .  All  the  princes  of  the  demons 
die  princes  of  the  demons,  etc.  united  came,  etc.  united  in  (evil?)  know- 
(sic)  with  (sie)  the  evil  knowledge  and  ledge  (intent)  and  bereft  of  under- 
bereft  of  uiiterstanding  and  sense . . . «         standing  etc. 

*)  In  Hm.  Radioffs  eigenen  Arbeiten  fehlt  sie  ebenfalls,  vergleiche  z.  B.  in  dem 
in  seinen  iiigurischen  Lettern  gedruckten  Text  des  Tiäastvustik  den  fortwährend  auf- 
tretenden Gebrauch  des  Buchstabens  ^  =  i  an  Stelle  von  ^  =  q-  An  aufs  Geratewohl 
herausgegriffenen  Stellen  dieses  Textes  finden  sich  Anomalien  wie  S.  32,  49*,  Z.  i  sadtr  für 
qadir;  2  Mlu  für  qtlu;  8  äal  für  qal;  49*»,  3  iuruy  ßxr  quruy  (transkr.  Jcurvk);  5  sus'i  für  qust 
(n.  b.  j/avi3qu'Sil);  5  su-asi  für  %uasi;  6/7  yasar-sai  für  yasar-qai)',  S.  ^^  50*,  Z.  2  sop  für  qop; 
2  iamay  fui*  qamay,  4  santnasar  für  qanmasar',  5  sitinc  für  qiCinc;  7  sormusta  für  %ormtizta 
(transkr.  Jcormusta)  usw.  usw.:  Fehler,  die  mit  einer  gewissen  Gesetzmäßigkeit  durch  die 
ganze  Ai-beit  gehen  und  beweisen,  daß  Hrn.  Radioffs  Typen  sogar  von  ihrem  Urheber 
nicht  immer  mit  Sicherheit  gelesen  werden.  Folglich  dürften  noch  zahlreiche  Lese-  tmd 
Transkriptionsfehler  in  dieser  wie  in  der  späteren  Arbeit  Kuan-§i-im  Pusar  enthalten 
sein.  Der  Druck  in  Hrn.  Radioffs  Typen  bietet  eben  keinerlei  Gewähr,  daß  der  Original- 
text richtig  gelesen  und  wiedergegeben  worden  ist. 


Türkische  Mankhakn  aus  Chotscho.    1. 


61 


Zitat  S.  874.  »Hr.  v.  L.  C.  sieht 
in  tirnägüli  ein  neues  Verbalsubstan- 
tiv auf  gül  ..." 


Originaltext,  Berl.  Chuast.  S.  31. 
tirnägüli.  Durcli  Anhängung  der  For- 
mationselemente -gü  und  -//  gebil- 
detes, Absicht  oder  Befähigung  aus- 
drückendes Verbalsubstantiv  .  .  . 

Originaltext,  Berl.  Ch.  S.  34.  ... 
an  Stelle  von  kigür-  muß,  scheint  es, 
k{ä)ygür  (fiir  kädgür)  gelesen  werden, 
unter  Voraussetzung  des  schon  voll- 
zogenen Wechsels  von  d  zu  y. 
Endlich  möchte  ich  noch  erwähnen,  daß  man  nicht  von  einem  ksänti 
S.  894)  noch  von  der  vihära  (S.  895)  reden  sollte  (vgl.  Petersburger  Sans- 
krit-Wörterbuch sub  vocibus  ksänti  und  vihära). 


Zitat  S.  8  8  5 .  »  2 .  Ferner  behauptet 
Hr.  V.  L.  (;.,  ich  hätte        ^'^f^Cftf 
kigürsüg  falsch  gelesen,    es   sei   hier 
unbedingt    k{ä)igürsüg   zu  lesen  .  .  .« 


Phü.  hist.  Klasse.    1911.    Anhang.    Abh.  VI. 


K.  Preu/3.  Akad.  d.  Wissmsch. 

Blatt  I,  Rucks,  it f 


T,  HD.  176. 


Anhang  z.  d.  Phil.-hist.  Abh.   1911. 


Blatt  I,  Vorderseite. 


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A.  vonLeOoq:  Türkische  Manichaica  aus  Chotsoho.  I.   Taf.  I. 


K.  Prcuß.  AJcad.  d.  Wissensch. 
Blatt  2,  Vorderseite.  Blatt  i,  Rückseite. 


T.  II  D.  173a. 


Anhang  z.  d.  Phil.-hist.  Abh.    1911. 


Blatt  I,  Vorderseite. 


Blatt  2,  Rückseite. 


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T.  II  173(1. 


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Rückseite. 


1 

2 

3 

4 

5 
6 

7 
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9 

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1 1 

12 

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17 
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19 

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Vorderseite. 


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Blatt  I,  Rückseite. 


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II  D.  173b. 

Blatt  I,  Vorderseite. 


12 

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A.  von  Le  Coq:  Türkische  Maniohaica  aus  Chotseho.  I.   Taf.  H. 


K.  IVeu/S.  Ahad.  d.  Wisserisch. 


Anhang  z.  d.  Phil.-hist.  Abh,   1911. 


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K.  Prcuß.  Akad.  d.  Wissensch. 
Seite  I . 


T.  II  D.  177. 


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Seite  4. 


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Seite  3. 


Seite  2. 


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A.  vonLeCoq:  Türkisehe  Manichaica  aus  Chotseho.  I.   Taf.  IV. 


Die  muslimischen  Inschriften  von  Pergamon. 


Von 

Dr.  Max  van  BERCHEM 

in  Genf. 


Phil-hiat.  Klasse.    1911.    Anhang.    Ahh.  VII. 


Vorgelegt  von  Hrn.  S  ach  au  in  der  Gesanitsitzung  am  23.  November  1911. 
Zum  Druck  eingereicht  am  gleichen  Tage,  ausgegeben  am  1.  April  1912. 


Die  muslimische  Epigraphik  von  Berghama  stellt  sich  einerseits  aus  einigen 
Bauinschriften,  anderseits  aus  einer  größeren  Anzahl  von  Grab  Inschriften 
zusammen.  Aus  verschiedenen  Gründen  schien  es  geboten,  diese  zwei  Arten 
als  gesonderte  Klassen  zu  behandeln  und  die  Inschriften  erst  in  jeder  Klasse 
chronologisch  zu  ordnen.  Damit  wurde  namentlich  bezweckt,  die  historisch 
wichtigeren  Bauinschriften  in  den  Vordergrund  zu  stellen  und  sie  zugleich  aus- 
führlicher zu  behandeln.  Demzufolge  sind  dieselben  in  vollem  Text,  mit  Über- 
setzung und  kurzem  Kommentar,  publiziert  worden,  während  bei  den  ge- 
schichtlich meistens  unbedeutenden  Grabinschriften  eine  kurze  Angabe  des 
Inhaltes  sich  als  genügend  erwies.  Anderseits  schien  es  nicht  ratsam,  die  fiir 
die  paläographischen  Ergebnisse  immerhin  günstige  chronologische  Reihen- 
folge in  weitere  Unterklassen  zu  verteilen. 

Die  erste  Gruppe  besteht  teils  aus  Gründungs-,  teils  aus  Renovierungs- 
inschriften, zuletzt  noch  aus  einem  seltsamen,  die  Verwüstung  bezeugen- 
den Text  (Nr.  1 4),  an  dieser  Stelle  gleichsam  eine  Mahnung  an  die  Vergäng- 
lichkeit alles  Bauschaffens. 

Daß  die  Bauinschriften  in  so  geringer  Anzahl  erscheinen  und  sich 
außerdem  in  bescheidenen  Verhältnissen  bewegen,  erklärt  am  besten  der 
Umstand,  daß  Pergamon  seit  der  türkischen  Eroberung  keine  wesentliche 
Rolle  mehr  gespielt  hat.  Aus  den  spärlichen  Quellen  über  die  Anfange 
der  muslimischen  Herrschaft,  soweit  sie  Geizer  gesammelt  hat',  geht  nicht 
einmal  genau  hervor,  wie  und  wann  Pergamon  den  türkischen  Fürsten  von 
Qarasy  in  die  Hände  fiel.  Der  von  ihm  angeführte  arabische  Weltreisende 
Ibn  Battüta,  der  das  neue  Berghama  um  ^i  3  3  3  besuchte,  fand  es  im  Besitz 
des  Sultan  Yakhshi  Khan".     Nach  den  türkischen  Quellen  war  das  Haupt 


^    Siehe  Geizer,  Pergamon  unter  Byzantinern  und  Osmanen,   ans  dem  An- 
hang- zu  den  Abhandlungen  d.  Berl.  Akad.  d.  Wiss.,   1903. 

^    Siehe  Voyages  d'lbn  Batoutah,  ed.  Defremery,  II,  S.  316. 

1* 


4  MaxvanBerchem: 

der  Qarasy  ein  gewisser  !A.djlän  Beg,  der  im  Jahre  737  (1336 — 1337)  starb 
und  zwei  Söhne  hinterließ.  Der  ältere  folgte  seinem  Vater  in  der  Regierung, 
während  der  jüngere  Tursun  sich  mit  dem  Osmanen  Orkhän  gegen  ihn  ver- 
bündete. Der  erste  verließ  seine  Hauptstadt  Balikesri  und  verschanzte  sich 
in  Berghama  gegen  die  heranziehenden  Osmanen.  Als  ein  Vertrag  zwischen 
beiden  Parteien  in  Aussicht  kam,  wurde  Tursun  durch  einen  Pfeilschuß  ge- 
tötet, oder  auf  Anstiften  seines  Bruders  ermordet,  was  dem  Orkhän  den  ge- 
wünschten Vorwand  für  die   endgültige  Besitznahme  von  Berghama  gab\ 

Mit  der  osmanischen  Eroberung  wird  Berghama  eine  Provinzialstadt 
des  Sandjaq  Khudäwendikiär  (mit  Hauptstadt  Brussa)  und  verliert  jede 
politische  Bedeutung.  Von  nun  an  steigt  die  Stadt  aus  der  alten  Festung 
auf  der  Akropolis  herunter  und  breitet  sich  in  der  Flußniederung  aus,  in 
welcher  alle  die  hier  besprochenen  Denkmäler  zu  finden  sind. 

Trotz  dieser  für  eine  bedeutende  Epigraphik  wenig  günstigen  Ver- 
hältnisse bewahrt  Berghama  eine  der  ältesten  bekannten  osmanischen  In- 
schriften (Nr.  i),  im  Namen  des  Sultan  Muräd  L  Weitere  Sultane  sind  in 
zwei  anderen  Inschriften  genannt  (Nr.  2  und  3).  Dann  beginnt  (Nr.  4  ff.)  die 
Reibe  der  bescheidenen  Bauherren,  die  sich  nur  als  »Pilger«,  höchstens 
als  »Agha«  oder  » Woiwoda«  (Unterpräfekt)  von  Berghama  (Nr.  9,  1 1  und  13) 
kennzeichnen.  Das  Ganze  schließt  die  bereits  erwähnte  Überllutungsinschriffc 
(Nr.  14). 

Dieselben  nüchternen  Verhältnisse  spiegeln  sich  in  den  Grabinschriften 
ab,  in  welchen  neben  einem  Woiwoda  (Nr.  27)  und  dem  Sohn  eines  Agha 
(Nr.  36)  nur  Pilger  und  unbekannte  Männer  und  Frauen,  darunter  einige 
Damen  höheren  Ranges,  verewigt  sind. 

Wichtiger  als  die  historischen  Daten  ist  bei  diesen  Grabstelen  das 
für  die  Kunstgeschichte  gebotene  Material.  Dem  Stile  nach  zerfallen  die- 
selben in  drei  Hauptarten. 

'  Siehe  Geizer,  S.  94;  von  Hammer,  Histoire  de  l'empire  ottoman,  trad. 
Ilellert,  I,  S.  150  ff.;  zuletzt  Mordtmann,  Über  das  türkische  Fürstengeschlecht 
der  Karasi,  in  Sitzungsber.  d.  Berl.  Akad.  d.  Wiss.,  phil.-hist.  Klasse  19 n,  mit  ein- 
gehender Besprechung  der  nicht  genau  übereinstimmenden  griechischen,  türkischen  und 
arabischen  Quellen;  vgl.  auch 'Umari,  Masälik  al-absär,  cod.  3146  der  Bibl.  Aghia  Sofia; 
Munadjdjini  Bashy,  DjämT  al-duwal,  cod.  2412  der  Bibl.  TJunlmi.  Ich  kann  mich 
auf  diese  kurzen  Anführungen  beschränken,  da  Berghama  keine  Inschrift  aus  der  Zeit  der 
JCarasiden  bewahrt  hat, 


Die  rnuslmiischen  Inschriften  von  Pergamon.  5 

Bei  den  älteren,  die  in  das  IX.  (XV.)  und  X.  (XVI.)  Jahrhundert  zurück- 
reichen, sind  die  mit  Inschriften  versehenen  Seiten  in  zwei  Hauptfelder 
verteilt.  Das  obere  Feld  ist  oben  im  Spitzbogen  abgeschnitten  und  mit 
reichen  Ranken  und  Palmetten  in  türkisch-persischem  Stil  ausgefällt.  Dieses 
Dekor  ist  in  flachem  Relief  im  Stein  ausgespart  und  wirkt  in  echt  orientali- 
scher Art  wie  ein  Fayence-  oder  ein  Teppichmuster  (Taf  IV  bis  VII).  An 
beiden  Kanten  stehen  lange  und  dünne  Säulchen  mit  verschiedenartig  ge- 
bildeten Kapitellen,  die  das  untere  Inschriftfeld  umrahmen.  Zuweilen  er- 
scheint an  Stelle  dieser  Säulchen  ein  senkrecht  laufendes  Rankenmuster 
(Taf.  V  Mitte).  An  den  inschriftlosen  Seiten  ist  die  ganze  Fläche  in  ähn- 
licher Weise  oder  mit  dem  bekannten  muslimischen  Motiv  der  an  einer 
Kette  hängenden  Ampel  zwischen  zwei  brennenden  Kerzen  (Taf.  VII  Mitte) 
dekoriert. 

Aus  der  2.  Hälfte  des  XII.  (XVIII.)  Jahrhunderts  stammen  ferner  jene 
großen  Steinkasten  mit  Kopf-  und  Fußstein,  deren  reiche  Dekoration  eine 
merkwürdige  Mischung  fremdartiger  Elemente  aufweist.  Hier  sieht  man 
Reste  des  persisch-türkischen  Stils,  vermengt  mit  Motiven  einerseits  aus 
antiken  Sarkophagen,  anderseits  aus  dem  europäischen  Barockstil  (Taf.  VIII 
links  und  IX  links). 

Dem  Anfang  des  XIII.  (XIX.)  Jahrhunderts  gehört  endlich  eine  Reihe 
von  Grabstelen,  deren  Dekoration  ebenfalls,  jedoch  in  anderer  Weise,  aus 
bunten  Stücken  zusammengesetzt  ist.  Hier  ist  die  Gliederung  ungefähr  die- 
selbe wie  an  den  älteren  Stelen:  ein  oberes  Feld  wird  von  zwei  langen 
Säulchen  getragen,  die  das  untere  Inschriftfeld  umrahmen.  Nur  ist  jenes 
Feld  oben  nicht  im  Spitzbogen  abgeschnitten,  wie  bei  den  älteren  Stelen, 
sondern  meistens  in  zwei  geraden  Linien,  die  einen  stumpfen  Winkel  bilden. 
Neu  sind  ferner  der  Stil  und  die  Behandlung  des  Dekors,  welches  die 
früheren,  durch  Reinheit  ihrer  Linien  und  Harmonie  ihrer  Aufrollungen 
wirkenden  Ranken  und  Palmetten  ersetzt.  Üppige  Rokokoranken  in  euro- 
päischem Geschmack  umgeben  hier  ein  echt  türkisches  Zentralmotiv,  meistens 
Blumensträuße  in  einer  Vase,  Moscheen  oder  Paläste,  von  Zypressen  be- 
schattet. Auch  in  der  veränderten  künstlerischen  Absicht  läßt  sich  Europas 
Einfluß  wahrnehmen.  Dieses  Dekor  wirkt  nicht  mehr  musterartig,  schwarz 
auf  weiß  und  rein  in  der  Fläche,  sondern  gemäldeartig  in  der  Komposition 
und  halb  reliefartig  im  Raum,  mit  allerdings  schwachem,  doch  bewußtem 
Kontrast  von  Licht  und  Schatten  (Taf.  IX  bis  XII).     Dieselbe  Wirkung  üben 


6  Max  van  Berchem: 

auch  andere  Bekrönungen  der  Stele,  wie  das  beliebte  Motiv  eines  Turbans 
(Taf.  Vm  rechts  und  XII  rechts). 

Fasse  ich  nun  beide  Hauptklassen  zusammen,  so  ergeben  sich  noch 
einige  paläographische  und  sprachliche  Beobachtungen. 

Paläographisch  gehören  alle  Pergamoninschriften  zu  der  sogenannten 
Naskhischrift,  mit  welchem  Namen  ich  alle  Varietäten  der  epigraphischen 
Rundschrift  kurzweg  bezeichne.  Die  meisten  Inschriften  sind  mehr  oder 
weniger  stilisiert,  d.  h.  sie  weisen  jene  Buchstabenformen  auf,  die  fiir  die 
Zeit  ihrer  Entstehung  charakteristisch  sind,  und  zwar  für  Kleinasien  im 
allgemeinen.  Irgendwelche  scharf  ausgeprägte  Lokalzüge  könnte  ich  hier 
nicht  nachweisen.  Auffallend  ist,  daß  die  im  Osten  und  Süden  zur  Zeit 
der  Osmanen  sehr  beliebte  Ta'liqschrift  hier  nur  einmal  erscheint  (Nr.  13). 
Mit  der  Epigraphik  des  westlichen  Kleinasiens  bin  ich  noch  zu  wenig  ver- 
traut, um  sagen  zu  können,  ob  dies  ein  reiner  Zufall  ist  oder  einer  lokalen 
Eigentümlichkeit  entspricht.  Übrigens  weisen  mehrere  Inschriften,  nament- 
lich unter  den  älteren,  überhaupt  keinen  Stil  auf;  sie  sind  zwar  rund,  aber 
roh  und  kursiv  geschrieben. 

In  sprachlicher  Hinsicht  ist  zu  bemerken,  daß  sämtliche  Inschriften 
bis  in  die  Mitte  des  XII.  (XVIII.)  Jahrhunderts  in  arabischer  Sprache  ver- 
faßt sind;  freilich  in  einem  recht  formlosen,  zuweilen  auch  fehlerhaften  Ara- 
bisch, jedoch  ohne  Beimischung  von  türkischen  Lehnwörtern.  Diese  Er- 
scheinung hat  nichts  Auffallendes,  da  in  ganz  Kleinasien,  soweit  ich  bis  jetzt 
urteilen  kann,  die  epigraphische  Sprache  bis  in  die  Neuzeit  hinein  das  Ara- 
bische ist.  In  Berghama  wird  diese  Sprache  erst  um  die  Mitte  des  genannten 
Jahrhunderts  durch  das  Türkische  verdrängt  (Nr.  9,  25  und  26),  aber  dann 
auch  gründlich,  da  von  nun  an  rein  arabisch  verfaßte  Inschriften  selten 
sind  (Nr.  11). 

Als  epigraphische  Sprache  spielt  dagegen  das  Persische  keine  Rolle, 
und  auch  diese  Tatsache  wird  nicht  befremden,  wenn  man  bedenkt,  daß 
in  dem  zentralen  und  östlichen  Kleinasien,  also  nach  Persien  zu,  und  zur 
Zeit  der  mit  persischer  Kultur  durchdrungenen  Seldjuken  von  Rum,  das 
Persische  in  der  Epigraphik  nur  ausnahmsweise  erscheint'.  Die  meisten 
muslimischen  Inschriften  sind  religiösen,  architektonischen  oder  rechtlich- 
administrativen, höchstens  noch  militärischen  Inhalts;  das  Persische  aber  ist 

'    Siehe  CIA,  III,  S.  III  f.  der  Einleitung. 


Die  muslimischen  Inschriften  von  Pergamon.  7 

die  Sprache  der  Poesie,  der  Kunst  und  der  feinen  Bildung.  Freilich  genügt 
diese  Erklärung  nicht,  denn  bekanntlicli  war  im  Seldjukenreiche  das  Per- 
sische auch  als  Verwaltungssprache  gebraucht;  hier  kann  ich  aber  auf  diese 
Frage  nicht  näher  eingehen. 

Das  für  die  Bearbeitung  der  Inschriften  dargebotene  Material  besteht 
meistens  aus  Photographien  und  Abklatschen,  die  von  den  Leitern  der  Aus- 
grabungen in  Pergamon  unter  persönlicher  Mitwirkung  von  Hrn.  Mordt- 
mann,  welcher  auch  verschiedene  Kopien  und  Notizen  beigefugt  hat,  aus- 
geftihrt  worden  sind.  Aus  den  vorliegenden  Faksimiles  wurden  nur  jene  in 
Abbildungen  reproduziert,  die  für  die  Geschichte  oder  die  Paläographie  ein 
besonderes  Interesse  zu  haben  scheinen.  Die  nach  den  Abklatschen  an- 
gegebenen Maße  sind  annähernd  richtig.  Eine  streng  konsequente  Tran- 
skription ist  nur  für  die  arabischen  Wörter  und  Eigennamen  angewandt  wor- 
den. Den  HH.  Conze,  Sachau,  Mordtmann,  Hartmann,  Goldziher, 
Khalil  Edhem  und  Ali  Bahgat  bin  ich  für  manchen  willkommenen  Auf- 
schluß zu  Dank  verpflichtet. 

A.    BAUINSCHRIFTEN. 

1.  SULTAN  MURÄD  I.  785  H.  —  An  der  Qoyun-köprü  (Schaf brücke), 
einem  ansehnlichen,  großenteils  aus  antikem  Material  ausgeführten  Bogen- 
bau,  der  sich  auf  dem  Weg  nach  Soma,  etwa  eine  Stunde  von  Berghama 
befindet;  auf  einem  langen,  auf  der  Nordseite  der  Brücke,  zwischen  deren 
beiden  Bogen  eingelassenen  weißen  Marmor.  Zwei  Zeilen  in  schönem,  altem 
Osmanen-Naskhi ;  große  Buchstaben  mit  Punkten  und  Zeichen.  Photogra- 
phie (Taf.  I  oben)  und  Abklatsch  220x60.  Unediert;  nur  in  verkürzter 
Übersetzung  bei  G-elzer,  S.  99,  Nr.  I. 

^  ^^^(2)  ^MS\  jlLLJI  ^o  J  lj^\  U]I^  yj  ^  "'  aU^ (i) 

J  U^  ^\  Up  Jr  Jl  ^  (^)u  <^[4  ^^is  5  Buchstaben]!  a5sL  a^\  j^  jU-jl  J 

Erbaut   und    instand   gesetzt   hat  diese  Bogenbrücke,   zur  Zeit   des   gerechten   Sultan 

Muräd  Beg,    Sohnes  des  Orkhän,   Allah   lasse   ewig  dauern   seine  Herrschaft, k,   Sohn 

des  Falak  al-din,  Allah  verzeihe  ihnen  beiden!     Im  Jahre  785  (1383 — 1384). 


8  Max  van  Bkrchem: 

Sultan  Muräd  regierte  in  den  Jahren  761 — 792  (1360  — 1389).  Aus 
dem  verhältnismäiäig  hohen  Alter  der  Inschrift  erklärt  sich  die  Nüchtern-  { 

heit  der  von  diesem  Herrscher  hier  geführten  Titulatur  im  Vergleich  zu 
den  Osmaneninschriften  späterer  Jahrhunderte  \  In  der  kleinen  Lücke  der 
zweiten  Zeile  stand  wahrscheinlich  der  Name  des  Erbauers,  dessen  Anfang 
und  Ende  die  noch  erhaltenen  Buchstaben  Auf  und  Käf  zu  zeigen  scheinen. 
Das  folgende,  undeutlich  punktierte  ij  möchte  ich  dann  als  ihn  »Sohn«  lesen, 
und  zwar  wegen  des  gleich  darauffolgenden  Beinamens  Falak  aWin.  Ist 
nämlich  der  Dinbeiname  mit  dem  Eigennamen  verbunden,  so  wird  er  stets 
vor  diesen  gesetzt*^.  Nach  dieser  ausnahmslosen  Regel  kann  Falak  al-din 
als  Beiname  nur  auf  den  Vatei*  des  Erbauers  bezogen  werden,  wenn  der 
Eigenname  des  letzteren  richtig  in  der  Lücke  stand. 

2.  SULTAN  BÄYAZID  I.  801  H.  —  Über  der  Eingangstür  zu  der 
großen  Moschee,  die  sich  im  nördlichen  Viertel  der  Unterstadt  erhebt; 
auf  einem  dreieckigen,  von  einem  reich  profilierten  Gesims  umrahmten 
weißen  Marmor.  Drei  Zeilen  in  derselben  Schriftart,  doch  stilistisch  weiter 
ausgebildet;  große  Buchstaben  mit  Punkten  und  Zeichen.  Photographie 
(Taf.  I  unten)  und  Abklatsch  {Taf.  II  oben).  Unediert;  nur  in  verkürzter 
Übersetzung  bei  Geizer,  S.  99,  Nr.  11. 

J^'%}\   jiyU  ^i^\iU2)    (sie)   -^.iLl^  (sie)  ^^^11  .JLp^i    ^Jj^    itjl(i) 

*  «.  » 

^^  jU-  s>';)\i  Jr-UiWlIj  l\'JS\  j^K  *äJ\j  (3)  .»_)^\  (sic)ft\^V\  j^\  JipVl 

Errichtet  hat  diese  edle  Moschee  und  schöne  Kathedrale  der  größte  Sultan  der  Sultane, 
der  Fürst  der  Fürsten  der  Araber  und  Nichtaraber,  der  Helfer  d«r  Krieger  uftd  der  in  d-en 
heiligen  Kampf  Ziehenden,  Bäyazid  Khan,  Sohn  des  Muräd  Khan,  Allah  lasse  ewig  dauern 
seine  Hierrschaft!     Am  Datum  des  Jahres  801  (1398 — 1399)- 

Sultan  Bäyazid  regierte  in  den  Jahren  792 — 805  (1389  — 1402).  Hier 
ist  die  Titulatur  schon  mehr  ausgebildet  als  in  der  vorigen  Inschrift.    Außer 

'  Auf  seinen  Münzen  steht  meistens  »al-sultän  al-'ädil  Muräd  ihn  Orkhän  khallada 
Allah  mulkahu«,  also  wie  hier,  doch  ohne  den  Begtitel;  s.  Lane-Poole,  Catalogue  of 
Ori^otal  coins  in  the  British  Museum,  VIII,  S.  44iff.^  G.  Edhem,  Taqwimi  meskü- 
käti  'Uthmäniyya,  S.  iif. 

*    Siehe  CIA,  I,  ladex  zu   «titres  en  ad-dunya  wad-din«. 


Die  muslimischen  Inschriften  von  Pergamon.  <) 

einigen  zusammengesetzten  Titeln'  trifft  man  den  bei  den  späteren  Osmanen 
so  beliebten  Khäntitel'.  Noch  sei  bemerkt,  daß  diese  Inschrift  die  einzige 
ist,  in  welcher  der  Befehl  zu  einem  Bau  von  dem  Herrscher  unmittelbar 
ausgeht. 

3.  HIBATALLÄH,  UiNTER  SULTAN  MURÄD  IL  835  H.  —  Auf 
einem  Stein  über  dem  Eingang  in  den  Tash-khän  (Steinherberge),  in  der 
Nähe  des  Stadtmarktes.  Zwei  Zeilen  in  derselben  Schriftart;  mittlere  Buch- 
staben mit  Punkten  und  Zeichen.  Abklatsch  (Taf.  II  Mitte).  Unediert; 
nur  in  verkürzter  Übersetzung  bei  Geizer,  S.  100,  Nr.  III. 

<»  ■Jt  >M  ^ 

p:rl)jmt  hat  dieses  Hospiz  liibatalläh,  Sohn  des  Mahmud,  bekannt  als  Prediger,  Allfdi 
vergebe  ihnen  beiden,  zur  Zeit  des  Sultan  der  Sultane  Muräd,  Sohnes  des  Muhammad,  Alläh 
dehne  seinen  Schatten  (Schutz)  ül)er  alle  Muslime  aus!     Im  Jahre  835  (1431  — 1432). 

Das  Wort  ribät  bezeiclmet  ursprünglich  einen  befestigten  Grenzposten 
für  Glaubensstreiter,  später  mit  religiöser  Färbung  eine  Art  Kloster,  auch 
ein  Hospiz,  eine  mansio  oder  eine  ?nutatio.  Der  Grundriß  des  stattlichen 
Baues,  mit  einem  mittleren,  rechteckigen,  von  Hallen  und  Oberstock  um- 
gebenen Hof,  entspricht  einer  bekannten  Anlage  bei  Khanen  in  Vorderasien. 

Sultan  Muräd  IL  regierte  in  den  Jahren  824 — 855   (142  i  —  1451). 

4.  PILGER  HASAN.  839  H.  —  An  der  Moschee  Qurshunlu  Djämi^ 
beim  Qonaq  (Regierungsgebäude);  auf  einem  in  die  Mauer  unter  der  Vor- 


^  Siehe  Geizer  a.a.O.  Auf  weitere  Vergleiche  aus  dem  reichen  Gebiet  der  musli- 
mischen  Titulatur  muß  ich  hier  verzichten. 

^  Auf  den  Münzen  erscheint  dieser  Titel  erst  unmittelbar  naeli  Bäyazid  I.,  nach  den 
bereits  angeführten  numismatischen  Quellen.  Die  Titulatur  auf  Münzen  ist  nicht  nur  ein- 
facher als  jene  in  Inschriften,  und  zwar  aus  Mangel  an  Raum,  sondern  sie  pflegt  ihr  in 
der  Zeit  etwas  nachzugehen,  einerseits,  weil  die  Münzstempel  Jedesmal  geändert  werden 
mußten  (vgl.  J.  A  siatique,  lo*  sei-ie,  IX,  p.  273,  \Anm.  unten;  CTA,  I,  S.  763),  anderseits, 
weil  die  Kanzleien  gewisse  Titelformen,  deren  amtliche  F'ixierung  angestrebt  wurde,  zuerst 
in  den  Inschriften  gleichsam  versuchsweise  anzuwenden  begannen,  bevor  für  sie  in  den 
offiziellen  Münzeninschriften  obligate  Anerkennung  beansprucht  wurde.  Meines  Erachtens 
steht  diese  Erscheinung  in  Zusammenhang  mit  dem  magischen  Ursprung  der  Epigraphik, 
wie  ich  an  .mderer  Stelle  nachzuweisen  versuchen  werde. 

PhiL-hist.  Klasse.    1911.    Anhmuj.    ML  VII.  2 


10  MaxvanBerciiem: 

halle  eingelassenen  Stein.  Zwei  Zeilen  in  derselben  Schriftart;  mittlere 
Buchstaben  mit  einigen  Punkten.  Photographie  (Taf.  II  unten)  und  Ab- 
klatsch 90x40.  Unediert;  nur  in  verkürzter  Übersetzung  bei  Gelzer, 
S.  100,  Nr.  IV. 

J^{2)  är^J^\  4)j  ^j  f}[  r-^^  ^^  j^\  ^\  iJjÜ^  -!^^\  \^  y  (0 

•  A.tlc'lc'j  J^J  ^  *^  Jj^  ^^J  (sie)  j^^  jfi  jjU»  a  (>-^  t/T^^  ^ 


4UI 


Gebaut  hat  diese  gesegnete  Moschee  der  arme,  geringfügige,  der  Barmherzigkeit  seines 
gnadenreichen  Herrn  bedürftige  Pilger  llasan,  Sohn  des  Saty  ^  Allah  verzeilie  ihnen  beiden! 
Im  Monate  Rabi'  1  des  Jahres  839  (September  bis  Oktober  1435). 

Auf  einem  anderen  Stein  unter  derselben  Vorhalle  (Abklatsch  50  x  30) 
stehen  in  großen  Buchstaben  mit  Punkten  die  Worte  ^lUVl  *  *>■  L  »o  du 
(Allah),  dessen  Wohltaten  geheim  sind!«. 

5.  PILGER  AHMAD.  950  H.  —  An  der  Moschee  Assarly  Djämi', 
auf  einem  Stein  über  der  Tür.  Zwei  Zeilen  in  derselben  Schriftart,  doch 
stilistisch  weiter  fortgeschritten;  mittlere  Buchstaben  mit  Punkten  und 
Zeichen.     Abklatsch  62x36  (Taf.  III  unten).     Unediert. 

^  - 

Gebaut  hat  diese  edle  Moschee  der  Pilger  Ahmad,  Sohn  des  Ali,  aus  Verlangen  nach 
dem  Wohlgefallen  Allahs   und  strebend   nach  seinem  Antlitz.     Im  Jahre  950  (1543 — 1544)- 

6.  ANONYM.  957  H.  —  Am  Haus  des  Khodja  (Lehrer),  gegenüber 
der  eben  genannten  Moschee;  auf  einem  dort  in  neuerer  Zeit  vermauerten 
Stein.  Dieser  ist  in  zwei  Stücke  gebrochen  und  die  obere  rechte  Ecke 
fehlt.  Drei  Zeilen  in  kursivem,  aber  regelmäßigem  Naskhi;  kleine  Buch- 
staben mit  Punkten  und  Zeichen.     Abklatsch  42x32.     Unediert. 


^  Je  nach  den  zu  dem  dritten  Buchstaben  ergänzten  Punkten  kann  dieser  Name 
(vgl.  weiter  Nr.  15)  auch  anders  gelesen  werden;  nach  der  Photograpliie  ist  die  Lesung  Safy 
bei  Geiz  er  allenfalls  ausgeschlossen. 


Die  muslimischen  Inschriften  von  Pergamon.  1 1 

\ 
J^\   jU    [etwa   2  Wörter]   j(2)   ^l^   \j^   ^   [etwa  3  Wörter]   (1) 

.<vov  ^U^  1^  j.^  ^->  [^^  •  •]  ^'^.  V  U^3)  ^l3>.  l-L>.l^ 

.  .  .  für  AUäti  einen  dauernden  Bau,  und  ...  im  Paradies  ein  reichliches  Wohlwollen. 
Und  als  er  den  Bau  vollendet  .  .  .  am  Datum:   »Er  hat  gebaut  ein  gutes  Werk.«    957  (1550). 

Das  durch  das  Wort  ta'nkh  »Datum«  eingeführte  Chronogramm  ent- 
spricht richtig  der  in  Zahlzeichen  wiederholten  Jahreszahl.  Auf  welchen 
Bau  sich  dieses  Datum  bezieht,  bleibt  aber  unbekannt,  denn  die  stark  ver- 
stümmelte Inschrift  enthält  weder  einen  Eigennamen,  noch  einen  Hinweis 
auf  irgendein  bestimmtes  Denkmal ;  ja  sie  mag  überhaupt  als  nachträglich 
hier  vermauerte  Spolie  von  einem  anderen  Orte  herrühren. 

7.  PILGER  HASAN.  957  H.  —  Auf  einem  Stein  über  der  Tür  der 
Moschee  Shädirwän  Djämi\  Zwei  Zeilen  in  Osmanen-Naskhi,  stilistisch 
weiter  vorgerückt  als  in  Nr.  5 ;  mittlere,  langgezogene  Buchstaben  mit  Punk- 
ten und  Zeichen.  Photographie  (Taf.  III  Mitte).  Unediert;  nur  in  ver- 
kürzter Übersetzung  bei  Geizer,  S.  loi. 

•<>U*-Jj    jrUJ?"J    fL^  Al*J    J^'Ji-^   ^\^    UL^J    ^W    A^\   »UsJ 

Gebaut  hat  diese  edle  Moschee  und  erhabene  Kathedrale  der  Pilger  Hasan,  Sohn  des 
Pilgers  'Uthmän,  strebend  nach  dem  Gefallen  Allahs  und  aus  Verlangen  nach  seiner  reich- 
lichen Belohnung.     Im  Jahre  957  (1550). 

Seitwärts  steht  eine  Inschrift  aus  dem  Jahre  1305  (1887  — 1888),  die 
sich  auf  eine  Renovierung  der  Moschee  beziehen  soll;  der  volle  Text  liegt 
weder  in  Faksimile  noch  in  Handkopie  vor. 

8.  PILGER  ABD  AL-RAHMÄN.  ^4  H.  —  Über  der  Tür  einer 
Moschee  bei  dem  gegen  den  Günd-dagh^  hin  gelegenen  Dorf  Sudjaqly,  un- 

*  So  heißt  in  der  Volkssprache  das  große  Gebirge  südlich  von  Berghama ;  Jund  Daghy 
auf  der  neuen  Karte  von  R.  Kiepert,  Kleinasien,  Blatt  B  I. 


12 


Max  van  Berchem 


Insclir.  Nr.  b. 


gefähr  zwei  Stunden  südöstlich  von  Berghama.  Drei  Zeilen  in  kursiver  Schrift ; 
kleine  Buchstaben  mit  Punkten  und  Zeichen.    Abklatsch  40x35.    Unediert. 

Gebaut  hat  diese  edle  Kathedrale  der  Pilger  7\bd  al-rahmän,  Sohn  des  Ahmad,  im 
Jahre  994  (1586).     Werk  des  ... 

In  der  dritten  Zeile  sind  die  Buchstaben  viel  kleiner  als  in  den  zwei 
ersten.  Der  Name  des  Baumeisters  ist  ziemlich  deutlich  geschrieben,  doch 
lassen  die  sehr  kleinen  und  etwas  verwitterten  Buchstaben  eine  sichere 
Lesung  kaum  zu;  jedenfalls  scheint  der  Name  türkisch  zu  sein\ 


'  Die  erste  Gruppe  ist  j\  oder  i^\:  die  zweite  ^^  oder  ^  oder  ^,  ohne  Punkt;  die 
dritte  j  oder  j;  die  vierte  sicher  y  xuid  die  fünfte  wahrscheinlich  ein  großes  Damma.  Am 
nächsten  liegt  die  Lesung  yjj^j\  oder  yjy-^\  • 


Die  musliniischsn  Inschriften  von  Peryamon.  13 

9.  WOIWODA  MUHAMMAD  AGHA.  1 1 54  H.  —  An  der Shaitän-köpm 
(Teufelsbrücke),  die  von  Bergliama  gegen  den  Günd-dagli  hin  über  den 
Kaikos  fiihrt  und  sich  in  bösem  Zustand  befindet.  Acht  Zeilen  in  spätem, 
kursivem  Naskhi ;  kleine  Buchstaben  mit  Punkten  und  Zeichen.  Abklatsch 
38x72.     Unediert. 

Diese  acht  Verse  in  türkischer  Sprache  beziehen  sich  auf  eine  Reno- 
vierung der  zerstörten  Landstraße  (Z.  i:  ^\j^  jjj\  lic  ^y  j^  y)  und  der 

eingestürzten  Brücke  (Z.  2:  <Jü1  JjJ^  ^^>.  öJ^  y^  iJaJi  j\  j)  im  Jahre  1 154 

(Z.  5  :  ^b  ^Jjl  ^\z\  ^,^^  J.,  Af  öJ.b^  Ji^  jy^  ^^  Alw)  durch  den  Pilger  Mu- 
hammad Agha,  Nachkomme  des  Pilgers  'üthmän  und  Woiwoda  von  Berghama 

(Z.  6:  ^  ^^yj  ^J^  Ic^  ^  l/T^^  "^^'^  *^^  t/T^)-  ^i^  Jahreszahl  1 154 
(1741 — 1742)  ist  in  der  letzten  Zeile  als  Chronogramm  wiederholt,  soviel 
ich  auf  dem  hier  etwas  defekten  Abklatsch  sehen  kann,  und  wiederum,  dies- 
mal sicher,  in  Zahlzeichen. 

10.  'ÄYISHA.  I  2  I  7  H.  —  An  der  Moschee  Qulaqsiz  Djämi',  an  der 
Hauptstraße  der  Unterstadt,  die  vom  Qonaq  zum  Hauptmarkt  führt.  Da 
von  dieser  unedierten  Inschrift  weder  ein  Faksimile  noch  eine  Handkopie 
vorhanden  ist,  kann  ich  nur  auf  die  verkürzte  Übersetzung  bei  Geiz  er, 
S.  102  verweisen:  »Reparee  par  Ayche  ('Äyisha),  fille  de  Hadji-Mehmed 
(Muhammad),      i  2  i  7   (i  802 — 1 803). 

11.  MUSTAFA  AGHA.  1224  H.  —  Über  der  Tür  der  Moschee  Khar- 
putlu  Djämi',  im  südlichen  Viertel  der  Unterstadt.  Drei  Zeilen  in  unbe- 
stimmter Schriftart.  Nach  einer  Kopie  von  Hrn.  Mordtmann  (vgl.  S.  7); 
kein  Faksimile.     Unediert. 

^(3)  ^y  (j  \c^  ^jla-»^  «.^Ü  ^y  J-i.^)  ^„j^^  JäJiI  ^aä  jj^  Sa{i) 


Gebaut  hat  diese  edle  Moschee  Mustafa  Agha  Kharputhi,    Sohn  des  Murtadä,   (Allah) 
verzeihe  ihnen  beiden!     Im  Jahre   1224,  am   i.  Rabi'  1  (16.  April  1809). 


'    Man  merke  die  von  der  türkischen  Sprache  beeinflußte  Umkehnuig  der  drei  Teile 
des   Datums. 


14  Max  van  Berchem: 

12.  IBRAHIM  NÄSIF.  1229  H.  —  An  der  Moschee  Yeshilli  (oder 
Yeni)  Djämi'  steht  eine  Bauinschrift  im  Namen  des  Ibrahim  Näsif,  Enkels 
des  Qara  'Uthmän-oghlu,  aus  dem  Jahre  1229  (18 14),  nach  einer  kurzen 
Notiz  von  Hrn.  Mordtmann.  Von  diesem  Text  ist  weder  ein  Faksimile 
noch  eine  Kopie  vorhanden,  auch  nicht  von  einer  Inschrift  an  einem  in 
dieser  Moschee  befindlichen  Bronzeleuchter,  welcher  in  demselben  Jahre 
durch   den   Pilger  'ümar,  Sohn  des  'Uthmän,  gestiftet  wurde. 

13.  WOIWODA  MUSTAFA  AGHA.  i  246  H.  — Auf  einem  großen  Stein 
an  der  Moschee  Amir  Sultan  Djämi'.  im  südlichen  Viertel  der  Unterstadt.  Vier 
Zeilen  in  schöner  Ta'liqschrift ;  mittlere  Buchstaben  mit  Punkten  und  Zeichen. 
Abklatsch  190x56.     Unediert. 

Nach  dieser  in   türkischen  Versen  verfaßten  Inschrift   unternahm  der 

Woiwoda  Mustafa  Agha  (Z.  i :  6i_yj  <^\  U^  ^la-^^;»)  diese  stattliche,  vor 
ihm  schon  mehrmals  öde  gewordene  Moschee  selber  instand  zu  setzen 
(Z.  I  —  2 :  v-jJ-^\  j^>  0\S  j^  (JW  >«^W  j»  ij^}  iT^^  ^j^  ^y  '^'-')'  welche 

von  Amir  Sultan  gebaut  worden  war  (Z.  2,  Ende:   jlkL.  ^\  (jL). 

Das  durch  die  Worte  bu  tarikhi  am  Ende  der  3.  Zeile  eingeleitete 
Datum  in  der  4.  Zeile  wird  zweimal  ausgedrückt:  zuerst  durch  ein  Chrono- 
gramm',  dann  durch  die  ihm  entsprechende  Jahreszahl  1246  (1830  —1831) 
in  Zahlzeichen. 

14.  ÜBERSCHWEMMUNG  DES  FLUSSES  BERGHAMA  -  TSHAY. 
1258  H.  —  Bei  den  Gerbern  an  diesem  Fluß;  auf  einem  am  dritten  Haus 
unterhalb  der  großen  Moschee  vermauerten  Stein  aus  weißem  Marmor. 
Fünf  kurze  Zeilen  in  spätem  Naskhi;  kleine  Buchstaben  mit  Punkten  und 
einigen  Zeichen.     Abklatsch   26x40  (Taf.  III  oben).     Unediert. 

(?)  J  iS^(sic)  äA-J\  uP    S/^j(3)  J^^  '^y^  ^.^JO    '\il^(2)  \YoA  Al^(i) 

'  Dieses  ist  enthalten  in  dem  letzten  Halbvers  j^etJU-  ^J^\  iJ-*-««  y  ^  (S'^\  i_— <» 
»Snbhän  (AUäh)  hat  ihm  (dem  Mustafa)  die  Instandsetzung  dieses  Gotteshauses  zuteil  wer- 
den lassen«.  Richtig-  ist  die  Summe  der  Zahlen  werte  der  darin  eTithaltenen  Buchstaben 
gleich   1246. 


Die  muslimischen  Inschriften  von  Pergamon.  15 

Niemals  in  der  Welt  hat  sich  etwas  dieser  (Hochllut)  Ähnliclies  ereignet.  Und  sollte 
es  bereits  vorgekommen  sein,  so  könnte  das  nur  Noahs  Sündllut  gewesen  sein.  Am  lo.  Tage 
des  heiligen  Monats  Ramadan  des  Jahres  1258  (15.  Oktober  1842). 

Nach  der  lokalen  Überlieferung  bezieht  sich  diese  Inschrift  auf  die 
Zerstöning  der  Brücke  Khazandji-köprü  durch  eine  Hochflut  des  Berghama- 
tshay,  des  alten  Selinus. 


B.    GRABINSCHRIFTEN. 

15.  MUHAMMAD.  837  H.  —  Zwei  Grabstelen  auf  dem  kleinen  Fried- 
hof zunächst  am  Qonaq;  darauf  in  arabischer  Sprache  die  Grabinschrift 
des  Muhammad,  Sohnes  des  Pilgers  Hasan,  Sohnes  des  Saty',  gestorben 
im  Jahre  837  (1433 — 1434)-  I^ie  Inschrift  beginnt  an  der  Vorderseite  des 
Kopfsteines  A  (Photographie,  Taf.  IV  links,  und  Abklatsch  34 x  140,  Inschrift 
allein)  und  endigt  an  der  Vorderseite  des  Fußsteines  B  (Photographie,  Taf.  IV 
rechts,  und  Abklatsch  25x1 10,  Inschrift  allein).  Dagegen  scheint  allerdings 
der  Umstand  zu  sprechen,  daß  der  Text  in  B  nicht  ganz  logisch  auf  A  folgt, 
auch  daß  der  Stil  der  Buchstaben  in  A  und  B  nicht  genau  derselbe  ist. 
Aber  die  Sprache  der  Inschrift  ist  so  schlecht  und  die  Ausfuhrung  der  Buch- 
staben so  nachlässig,  daß  dieser  Einwand  gegen  obige  Annahme  kaum  spricht, 
zumal  da  auf  A  nur  der  Anfang  einer  Grabinschrift  zu  lesen  ist,  während 
Eigennamen  und  Datum  nur  in  B  enthalten  sind. 

Die  Rückseite  des  Kopfsteines  A  (Photographie,  Taf  V  links)  hat  eine 
rein  ornamentale  Füllung.  Die  Rückseite  des  Fußsteines  B  (Abklatsch  50  x  190) 
ist  ähnlich  dekoriert. 

16.  YÜSUF.  840  H.  —  Grabstele  auf  dem  großen  Friedhof  am  Wege 
nach  Dikeli  rechts.  An  der  Vorderseite  (Photographie,  Taf.  VII  links,  und 
Abklatsch,  Fragment)  steht  die  nicht  datierte  Grabinschrift  einer  Frau,  deren 
Name  nicht  sicher  zu  lesen  ist^,  und  darunter  in  sehr  kleinen  Buchstaben 

^    Vgl.  die  Inschrift  Nr.  4,  im  Namen  desselben  Hasan,  datiert  839  H. 

^  Dieser  Name  nimmt  das  Ende  der  zweiten  und  die  ganze  di-itte  Zeile  eiii;  die 
Buchstaben  sind  ziemlich  deutlich,  aber  sonderbar  gezeichnet.  Nach  Hrn.  Khalil  Edhem 
kann  der  Name  als  Arun  Zinat  oder  Zainab  gelesen  werden;  die  letzte  Gruppe  bleibt 
rätselhaft. 


16  MaxvanBerchem: 

die  Grabinschrift  des  Yüsuf  (?),  Sohnes  (?)  des  i^j  \  (?),    gestorben  im  Monate 
Djumädä  I  840  (November  bis  Dezember   1436)'. 

Die  Rückseite  (Photographie,  Taf.  VI  Mitte)  ist  rein  ornamental  gefüllt. 

17.  ANONYM.  845  H.  —  Grabstele  auf  dem  kleinen  Friedhof  am 
Qonaq.  An  der  Vorderseite  (Photographie,  Taf.  V  Mitte,  und  Abklatsch 
55x163)  steht  in  arabischer  Sprache  das  Ende  der  Grabinschrift  eines  im 
Jahre  845  (1441  — 1442)  verstorbenen  Unbekannten,  dessen  Namen  in  dem 
nicht  vorhandenen  Anfang  der  Inschrift  enthalten  war;  dieser  stand  ver- 
mutlich auf  einem  verschwundenen  Kopfstein,  so  daß  die  erhaltene  Stele 
den  Fußstein  des  Grabmales  vorstellt. 

Die  Rückseite  (Photographie,  Taf.  V  rechts)  ist  rein  omamental  dekoriert. 

18.  FRAU  NUR.  887  H.  -  Grabstele  auf  dem  großen  Friedhof  am 
Wege  nach  Dikeli  rechts.  An  der  Vorderseite  (Photographie,  Taf.  VI  rechts, 
und  Abklatsch  40X  70)  steht  in  arabischer  Sprache  die  Grabinschrift  der  Frau 

Nur,  Tochter  des  Pilgers  Hamza  ^  b'jf  ^U  CJ^  j3^  ^J*)?    gestorben    im 

Monat  Rabi'  II  des  Jahres  887   (Mai  bis  Juni  1482). 

An  der  Rückseite  (Photographie  und  Abklatsch)  steht  unter  einem 
Ranken-  und  Palmettenmotiv  ein  frommer  Spruch. 

19.  SALIM-SHÄH.  922  H.  —  Grabstele  auf  dem  Nikephorionfried- 
hof,  im  Nordwesten  der  heutigen  Stadt.  An  der  Vorderseite  (Abklatsch 
30x120,  Taf.  VII  rechts)  steht  in  arabischer  Sprache  die  Grabinschrift  der 

Salim-shäh,  Tochter   des   Sälih  {\\a  CJ^  tXz  -rJ^),  gestorben  im  Jahre  922 

(1516— 1517). 

An  der  Rückseite  (Skizze)  eine  zwischen  zwei  Kerzen  hängende  Ampel. 

'  Vielleicht  mi  diese  Inschrift  nachträglich  hinzngefügt;  beträchtlich  älter  scheint  abei- 
die  erste  nicht  zu  sein.     Hinter  iSj\o^  (Punkte  so!)  steckt  vielleicht  eine  Nisba. 

*  Eigentlich  •  >-,  in  diesem  Zusammenhange  wird  aber  ein  mim  zuweilen  ausgelassen 
oder  sehr  klein  geschrieben;  vgl.  das  Wort  j^-^  am  Ende  von  Nr.  7,    Taf.  III  Mitte. 


Dw  muslimischem  Inschriften  von  Pergamon.  17 

20.  H ALIMA.  926  H.  —  Zwei  Grabstelen  auf  demselben  Friedhof. 
An  der  Vorderseite  des  Kopfsteines  (Abklatsch  36x110,  Taf.  VII  links) 
steht  in  arabischer  Sprache  unter  einem  Ranken-  und  Palmettenmotiv  die 

Grabinschrift  derHalima,  Tochter  des Tshalab-wirmish('^j_5  <J^  ^-  <-wi>.), 
gestorben  im  Jahre  926  (1520). 

An    der  Rückseite  (Abklatsch   36x106)   steht   unter  einem    ähnlichen 

Motiv  ein  kurzes  Gebet  (^lli  l)  in  reich  dekoriertem  Wappenstil  wiederholt. 

An  einer  Seite  des  Fußsteines  (Abklatsch  36x76)  ist  eine  an  einer 
Kette  hängende  Ampel  zwischen  zwei  Kerzen  dargestellt. 

21.  AMINA.  940  H.  —  Zwei  Grabstelen  bei  der  Moschee  Abädjilar 
Djämi'.  An  der  Vorder-  und  der  Rückseite  des  Kopfsteines  (Abklatsche 
36x104  und  Fragment)  stehen  in  arabischer  Sprache  die  muslimische 
Glaubensformel  und  fromme  Sprüche  aus  der  Tradition. 

An  der  Vorderseite  des  Fußsteines  (Abklatsch  36x70,  Inschrift  allein) 
steht  in  arabischer  Sprache  die  Grabinschrift  der  Amina,  Tochter  des  Mustafa 

((j^äva/^  C^\  ^^),  gestorben  im  Monat  Shawwäl  des  Jahres  940  (April  bis 

Mai  1534). 

An  der  Rückseite  (Abklatsch  34x92,  Taf.  VII  Mitte)  eine  zwischen  zwei 
Kerzen  hängende  Ampel. 

22.  MUSTAFA.  952  H.  —  Zwei  Grabstelen  bei  der  Moschee  Amir 
Sultan  Djämi'  (vgl.  oben  Nr.  13).  An  einer  Seite  des  Kopfsteines  (Abklatsch 
40x86)  steht  in  arabischer  Sprache  die  Grabinschrift  des  Mustafa,  Sohnes 
des  Muhammad,  gestorben  im  Jahre  952   (1545 — 1546). 

An  einer  Seite  des  Fußsteines  (Abklatsch  36x88)  eine  zwischen  zwei 
Kerzen  hängende  Ampel. 

23.  UMM  KULTHÜM.  i  o  1 2  H.  —  Grabstele  auf  dem  Nikephorionfried- 
hof.   An  einer  Seite  (Abklatsch  45x55)  steht  in  arabischer  Sprache  die  Grab- 

*    über  dem  letzten  Buchstaben  der  unpunktierten  Gruppe   »«i>-   steht  die  Gruppe  <- 
(}ils  defektive  Schreibung  der  Zahl  6  iui  Datum),  darüber  die  punktierte  (iruppe   ,J^J3' 
PhiL-hist.  Klasse.    1911.    Anhang.    Ahh.  VIT.  3 


18  MaxvanBerchem: 

Inschrift  derUmm  RultliGm,  Tochter  des  Saty(?)  Beg  {<tX    ^j\^  CJ^  ^  J^  ^^)-> 
gestorben  im  Jahre  1012   (1603  — 1604). 

24.  MUHAMMAD.  1012  H.  —  Grabsäule  auf  demselben  Friedhofe 
(Photographie,  Taf.  VIII  rechts,  und  Abklatsch  18x40,  Inschrift  allein).  Oben 
an  der  Säule,  unter  der  turbanförmigen  Bekrönung,  steht  in  arabischer 
Sprache  die  Grabinschrift  des  Muhammad,  Sohnes  des  Pilgers  Ramadan  (?), 
gestorben  im  Jahre  1012  (1603 — 1604).  Stil  und  Schrift  sind  genau  die- 
selben wie  in  der  vorigen  Inschrift. 

25.  'ÄYISHA.  1130H.  —  Großer  Steinkasten  mit  zwei  Grabstelen 
auf  demselben  Friedhofe,  gegen  die  Amphitheaterseite  hin.  An  der  Vorder- 
seite des  Kopfsteines  steht  die  ganz  kurze  Grabinschrift  der  'Äyisha^,  ge- 
storben im  Jahre  1 1  30  (17  18).  An  der  Vorderseite  des  Fußsteines  steht 
der  von  jetzt  an  in  den  türkischen  Grabinschriften  regelmäßig  vorkommende 

Spruch  A^^  0>:'t->.jj  »zum  Heil  ihrer  Seele  sei  die  Fätiha  (das  erste  Kapitel 

des  Korans)  gelesen!«. 

Die  beiden  Rückseiten  sind  flach. 

26.  HAFSA.  iiyo  H.  —  Großer  Steinkasten  bei  der  Moschee  Amir 
Sultan  Djämi'  (vgl.  oben  Nr.  13).  Auf  der  einzigen  vorliegenden  Photo- 
graphie (Gesamtansicht,  Taf.  VIII  links)  ist  nur  ein  Teil  der  vielen  Inschriften 
zu  lesen,  die  sich  an  diesem  Grabe  befinden.  An  der  Innenseite  des  Kopf- 
steines steht  in  türkischer  Sprache  die  Grabinschrift  der  Hafsa  (?),  Tochter 
des  Abbäs  (??),  gestorben  im  Jahre  11 70  (1756  — 1757)^- 

An  der  Außenseite*  des  Fußsteines  stehen  die  Glaubensformel,  ein  Koran- 
vers und  ein  Spruch  aus  der  Tradition;  an  den  zwei  sichtbaren  Seiten  des 
Kastens  fromme  Sprüche  in  türkischer  Sprache. 

*  Dieser  undeutliche  Name  dürfte  derselbe  sein  wie  in  Nr.  4  und  15;  nach  dem  Ab- 
klatsch kann  er  auch  als  ,_j  Lc  gelesen  werden. 

*  Nach  der  allein  vorliegenden  Kopie  von  Hrn.  Mordtmann  (vgl.  S.  7)  scheint  ein 
überflüssiges  Alif  mitten  im  Namen  der  Verstorbenen  zu  stehen. 

^  Sowreit  ich  die  Eigennamen  ^y^^  C~>»  (sie)  <kiia>-  und  das  Datum  liinter  einem  auf 
dem  Kasten  liegenden  Dornenbündel  lesen  kann. 

*  Hier  und  bei  Nr.  27  und  40,  wo  Photographien  von  vollständigen  Steinkasten  mit 
ihren  zwei  Stelen  vorhanden  sind,  bezeichne  ich  deren  zwei  Flächen  als  »Außen-  und  Innen- 
seite« statt  der  etwas  zweideutigen  Ausdrücke  »Voi-der-  imd  Rückseite«. 


Die  muslimiscfien  Inschriften  v(m  Peryanion.  19 

27.  WOIWODA  MUHAMJVIAD  AGHA.  1 1 8 1  H.  —  Großer  Steinkasten 
bei  der  Moschee  Qursliimlu  Djämi'  (vgl.  Nr.  4).  Auf  der  Photographie  (Ge- 
samtansicht, Taf.  IX  links)  ist  nur  ein  Teil  der  Inschriften  sichtbar.  An  der 
Innenseite  des  Kopfsteines  (Photographie  und  Abklatsch  36x80)  steht  die 
Grabinschrift  des  Muhammad  Agha,  Woiwoda  von  Berghama  (vgl.  obenNr.  9), 
gestorben  im  Jahre  1181  (1767 — 1768).  Dieser  halb  arabischen,  halb  türki- 
schen Inschrift  schließt  sich  an  der  Außenseite  des  Kopfsteines  eine  andere 
(Abklatsch  30  x  82)  in  türkischer  Sprache  an,  ebenfalls  auf  den  Namen  des 
Muhammad  Agha  und  datiert  im  Monat  Safar  1181    (Juli  1767). 

An  der  Außenseite  des  Fußsteines  (Abklatsch  30x96)  steht  eine  andere 
türkische  Inschrift.     Die  Rückseite  ist  glatt. 

An  den  zwei  sichtbaren  Seiten  des  Kastens  stehen  fromme  Sprüche 
in  arabischer  Sprache. 

28.  UMM  KULTHÖM.  1202H.  —  Grabstele  im  Museum  von  Perga- 
mon.  An  einer  Seite  (Photographie,  Taf.  IX  rechts)  im  oberen  Felde  eine 
Moschee  mit  Minaret  und  Zypresse,  im  Himmel  darüber  Sterne  und  Halb- 
mond, in  Flachrelief  gemeißelt.    Darunter  steht  die  Grabinschrift  der  Umm 

Kulthüm,  Tochter  des  Muhammad  {^^  {s,\q)  (j\  {s\q)^j^)^A  (sie) /»^^), 
gestorben  im  Jahre  1202  (1787 — 1788). 

29.  FÄTIMA.  1 206  H.  —  Grabstele  auf  dem  großen  Friedhof  am 
Weg  nach  Dikeli  rechts  (Photographie,  Taf.  X  links).  Im  oberen  Feld  ein 
reiches  Dekor  im  Barockstil,  bestehend  aus  ausgearteten  Akanthusblättern 
und  einer  Vase  mit  Rosen  und  Tulpen.  Darunter  steht,  in  türkischer 
Sprache  und  auf  sieben  schiefe  Linien  verteilt,  die  Grabinschrift  der  Fätima, 

Gemahlin  des  Pilgers  Husain  Agha  (<Jä?^  4^^^  ^^3^  Vc^  C!)r^  TT^vj 
gestorben  am   21.  Shawwäl  1206  (12.  Juni  1792). 

30.  UMM  HÄNI.  I  207  H.  —  Grabstele  auf  demselben  Friedhof  (Pho- 
tographie, Taf.  X  rechts).  Im  oberen  Feld  ein  reiches  Dekor  im  Barockstil 
wie  bei  Nr.  29.  Darunter  steht,  in  türkischer  Sprache  und  auf  sechs  schiefe 
Zeilen   verteilt,    die   Grabinschrift   der   Umm   Häni,    Schwester  des  Schatz- 

3* 


20  MaxvanBerchem: 

meisters    und    Pilgers    Husain    Agha'    {^ojyti/'  \^\  (j^-~3-  c/T^  "j\JC-A>. 
(sie)  jl«j»  ^  A/»^^),  gestorben  im  Jahre  1207   (1792 — 1793). 

31.  GHILMÄN.  I  207  H.  —  Grabstele  auf  demselben  Friedhof  (Pho- 
tographie, Taf.  XI  links).  Im  oberen  Feld  ein  reiches  Dekor,  ähnlich  wie 
bei  Nr.  29  und  30.  Darunter  steht,  in  türkischer  Sprache  und  auf  sieben 
schiefe  Zeilen  verteilt,  die  Grabinschrift  der  Ghilmän  (?),  Tochter  des  Pilgers 

'Uthmän  Agha  aus  (dem  Dorf)  Turmanlar  (^'^  j^-^=>  \c\  j\c^  c/T^  <]>J^j^ 
jUip  A>»^^),  gestorben  am    i7.Muharram  1207  (4.  September  1792). 

32.  FRAU  KHADIDJA.  i  208  H.  —  Grabstele  auf  demselben  Fried- 
hof (Photographie).  Im  oberen  Feld  ein  reiches  Dekor  im  Barockstil  wie 
bei  Nr.  30  und  3 1 .  Darunter  steht,  in  türkischer  Sprache  und  auf  sieben 
schiefe  Zeilen   verteilt,    die   Grabinschrift   der  Frau  Khadidja,  Tochter  des 

Sulaimän  Agha    (<j'-\3  A^J^  ^y^,y^  1^^  J    ^^  jW-*')^  gestorben  am  23. 
Dhul-hidjdja  1208   (22.  Juli  1794). 

33.  FRAU  ZÄHIDA.  i  2  1 5  H.  —  Grabstele  bei  der  Moschee  Qurshunlu 
Djämi'  (vgl.  oben  Nr.  4.  Photographie,  Taf.  XI  rechts).  Im  oberen  Feld 
ein  prächtiges  Dekor  im  Barockstil,  dessen  Mitte  durch  eine  große,  dreige- 
schossige Moschee  mit  einer  Kuppel  und  zwei  Minareten  eingenommen  ist. 
Darunter  steht  in  reicher  Umrahmung,  in  türkischer  Sprache  und  auf  elf 
schiefe   Zeilen   verteilt,    die   Grabinschrift    der    Frau   Zähida,    Tochter    des 

verstorbenen  Yüsuf  Efendi  ^y-^  i^  ^ 3   ^-^-^^  "-^-^^  Jj^J  Cy^{/^) 
ij-JÄ  oJJfcij),   gestorben  im  Jahre  1215    (1800 — 1801). 

34.  'UTHMÄN  AGHA.  1241  H.  —  Grabstele  bei  der  Moschee  Amir 
Sultan  Djämi'  (vgl.  oben  Nr.  1 3).  Darauf  steht,  nach  einer  Kopie  von  Hrn. 
Mordtmann  (kein  Faksimile),  in  türkischer  Sprache  und  auf  zehn  Zeilen 
verteilt,    die  Grabinschrift  des  Kaffeewirts   'Uthmän  Agha   aus  (der  Stadt) 

*    Vielleicht  derselbe  wie  in  Nr.  29. 

'    Zu  dieser  Sehreibart  vgl.  CIA,  I,  Nr.  172. 


Die  muslimiscJwn  Inschriften  von  Peryamon.  21 

Uluburlu,  gestorben  im  Jahre  1241  (1825  — 1826)  auf  einem  Feldzug,  wäh- 
rend er  in  der  Heeresabteihmg  des  gegenwärtigen  Woiwoda  von  Berghama 
Mustafa  Agha  (vgl.  oben  Nr.  13)  diente: 

•^^  i^  (^  ^^  ^  jj^3  c^(/^  J^-^yJ^^ 

Bei  dieser  Grabstele  stehen  noch  andere  aus  derselben  Zeit,  nament- 
lich eine  mit  der  Grabinschrift  eines  im  Jahre  1245  (1829 — 1830)  ver- 
storbenen Dieners  {tshoqadär)  desselben  Woiwoda  Mustafa  Agha  (nach  An- 
gabe von  Hrn.  Mordtmann), 

35.  KHADIDJA.  1242  H.  —  Grabstele  auf  dem  großen  Friedhof  am 
Wege  nach  Dikeli  rechts  (Photographie,  Taf.  XII  links).  Im  oberen  Feld  ein 
Haus  mit  Zypressen,  im  Himmel  darüber  Sterne  (oder  Blumen).  Darunter  steht, 
in  türkischer  Sprache  und  auf  neun  Zeilen  verteilt,  die  Grabinschrift  der 
Khadidja,  Tochter  des  Pilgers  Ahmad,  Frau  des  Isma'il  Agha,  aus  der  Familie 

«.      -  5. 

Zainal   {J^\  ^U  O*-;  (sie)  Asüai-     Ul  \c\  JupU.^1^  (sie)  d:>\S  J^-^)»  gestorben 

im  Jahre  1242   (1826 — 1827). 

36.  KARAOSMANIDE  MUHAMMAD.  1247H.  —  Grabstele  bei  der 
Moschee  Qurshunlu'  Djämi'  (vgl.  oben  Nr.  4;  Photographie,  Taf.  XII  rechts). 
Die  Bekrönung  bildet  ein  steinerner  Turban  in  schönem  Barockstil.  Darunter 
steht,  in  türkischer  Sprache  und  auf  zwölf  schiefe  Zeilen  verteilt,  die  Grab- 
inschrift  des  Muhammad,    Sohnes   des   Pilgers  'Umar  Agha,    aus   der   Fa- 

milie  des  Qara  'üthmän  {JJr-  \^\  ^^  ^/T^^  (j*^  •••  o:>\j  j\^  öjj  <.^\y^  ^— »), 
gestorben  am  i.  Dj(umädä  I)""  1247   (8.  Oktober  1831). 

37.  MUSTAFA.  1292H.  —  Grabstele  bei  der  Moschee  Kharputlu 
Djämi'  (vgl.  oben  Nr.  1 1).  Darauf  steht,  nach  Angabe  von  Hrn.  Mordtmann 
(kein  Faksimile),  die  Grabinschrift  des  ^ilgers  Mustafa  Kharputlu,  des  Er- 
bauers dieser  Moschee. 

'    Nach  einer  audereu  Angabe  liegt  diese  Stele  auf  dem  Nikephorionfriedhoi". 

*    Ich  lese  hier  r-  «^  ^J  und  nehme  an,  daß  die  Sigle?r  den  ersten  Djumädä  l)ezeichnet. 


22  Max  VAN  Be rohem: 

Die  folgenden,  nicht  datierten  Grabinschriften  sind  nach  dem  Stil 
ihrer  Buchstaben  vermutungsweise  und  annähernd  datiert  und  danach  in 
einer  eigenen  Gruppe  chronologisch  geordnet  worden. 

38.  Grabstele  auf  dem  großen  Friedhof  am  Wege  nach  Dikeli  rechts, 
mit  einer  kurzen  Grabinschrift  in  arabischer  Sprache  (Abklatsch  40x30, 
Inschrift  allein).  Der  in  der  zweiten  Zeile  enthaltene  Name  des  Verstorbenen 
ist  nicht  mit  voller  Sicherheit  zu  lesen,  da  die  Schrift  sehr  roh  bearbeitet 
ist.  Ein  Datum  ist  nicht  vorhanden.  Nach  dem  stillosen,  aber  doch 
archaischen  Duktus  der  Buchstaben  scheint  diese  Inschrift  aus  dem  X.  (XVI.) 
Jahrhundert  zu  stammen. 

39.  Grabstele  auf  dem  Nikephorionfriedhof.  An  einer  Seite  (Ab- 
klatsch 26x20,  Inschrift  allein)  steht  eine  unvollständige  Grabinschrift  in 
arabischer  Sprache,  ohne  Namen,  datiert  aus  dem  Monat  Ramadan  .  .  .  (das 
Jahr  fehlt).  Nach  der  Schrift  stammt  dieses  Fragment  ungefähr  aus  der- 
selben Zeit  wie  Nr.  38. 

40.  Großer  Steinkasten  (Photographie)  auf  dem  Friedhof  bei  der  Moschee 
Qurshunlu  Djämi'  (vgl.  oben  Nr.  4).  An  der  Außenseite  des  Kopfsteines 
(Abklatsch  42x30)  steht  in  halb  arabischer,  halb  türkischer  Sprache  eine 
Grabinschrift,  anscheinend  auf  den  Namen  eines  gewissen  Rustem,  ohne 
weitere  Angaben'. 

An  der  Außenseite  des  Fußsteines  (dieselbe  Photographie  und  Ab- 
klatsch 34x84,  Inschrift  allein)  sowie  an  dem  Kasten  selbst  stehen  weitere 
türkische  Inschriften,  ohne  Eigennamen  und  Datum.  Nach  dem  Stil  der 
Buchstaben  und  des  Dekors  an  dem  Kasten,  die  mit  demjenigen  am  Kasten 
des  Woiwoda  Muhammad  Agha  (Nr.  27)  eng  verwandt  sind,  dürfte  dieses 
Grab  aus  der  zweiten  Hälfte  des  XII.  (XVIII.)  Jahrhunderts  herrühren. 

41.  Grabstele  auf  dem  großen  Friedhof  am  Wege  nach  Dikeli  links. 
An  einer  Seite  (Abklatsch  28X  76,  Inschrift  allein)  steht  in  türkischer  Sprache 
die  Grabinschrift  des  Mustafa,  Sohnes  des  Yüsuf,  ohne  Datum.    Nach  dem 


'    Dieser  Name  steht  in  der  letzten  Zeile:  x^—j  i^jyfJ^  »kann  Rustem  (dem  Tode) 
entweichen  ? « , 


Die  muslimischen  Inschriften  von  Pergamon.  23 

Stil  der  Buchstaben  gehört  sie  dem  Ende  des  XII.  (XVIII.)  oder  dem  Anfang 
des  XIII.  (XIX.)  Jahrhunderts  an. 

42.  Grabstele  auf  demselben  Friedhof.  An  einer  Seite  (Abklatsch 
26x54,  Inschrift  allein)  steht  in  türkischer  Sprache  die  Grabinschrift  des 
Pilgers  Khalil,  ohne  Datum.  Nach  dem  Stil  der  Buchstaben  ist  sie  un- 
geföhr  gleichzeitig  mit  Nr.  4 1 . 


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K.  Preuß.  Äkad.  d.  Wissen  seh 


Anhang  z.  d.  Phil.-hist.  Abh.  1911. 


Inschrift  Nr.  2. 

Max  van  Berchem:  Die  muslimischen  Inschriften  von  Pergamon.   Taf.  I. 


K.  Preu/S.  Akad.  d.  Wissensciu 


Anhang  z.  d.  Phil-hisL  Abh.   1911. 


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Inschrift  Nr.  2. 


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Inschrift  Nr.  4. 


MaxvanBerchem:  Die  muslimischen  Inschriften  von  Perg-amon.   Taf.  II. 


K.  Preuß.  Akad.  d.  Wissemch. 


Anhang  z.  d.  Phil.-hisi.  Abh.  1911. 


Inschrift  Nr.  14. 


Inschrift  Nr.  7. 


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Inschrift  iSr.  5. 

Max  van  Berchem:  Die  muslimisclien  Inschriften  von  Pergamon.   Taf.  III. 


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K.  Preuß.  Mad.  d.  Wissensch. 


Anhang  z.  d.  Phil.-hist.  Abh.  1911. 


Inschrift  Nr.  15  A. 


Inschrift  Nr.  i  q  B. 


Max  van  B  er  ehern:  Die  muslimischen  Inschriften  von  Pergamon.   Taf.  IV. 


K.  Prmß.  Akad.  d.  Wissensch. 


Anhang  z.  d.  Phil.-hist.  Abh.   WH. 


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Anhang  z.  d.  Phil.-hist.  Ahh    191t. 


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Anhang  z.  d.  Phil.-hist.  Ahh.  1911. 


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K.  Preuß.  Akad.  d.  Wissensch. 


Anhang  z.  d.  Phil^hüt,  Abh,  1911. 


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Inschrift  Nr.  29. 


Max  van  Berehem:  Die  muslimischen  Inschriften  von  Pergamon.   Taf.  X. 


K.  Brmfi.  Akad.  d.  Wissensch. 


Anhang  z.  d.  Phü.-hist.  Ahh.  1911. 


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Inschrift  Nr.  31. 


Inschrift  Nr.  33. 

MaxvanBerchem:  Die  muslimischen  Inschriften  von  Pergamon.   Taf.  XI. 


K.  Preuß.  Akad.  d.  Wissensch, 


Anhang  z,  d.  Phil.-hist.  Abh.  1911. 


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Inschrift  Nr.  35. 

Inschrift  Nr.  36. 

Max  van  Berchem:  Die  muslimischen  Inschriften  von  Pergamon.   Taf.  XII. 


BINDING  SECT.      JUN  30  1981 


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1911 


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Akademie  der  Wissenschaften, 
Berlin.  Philosophisch- 
Historische  Klasse 
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