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Full text of "Abhandlungen der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaft, Philosophisch-Historische Klasse"

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ABHANDLUNGEN 

DKH  PRKUSSISCHEN 

AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 


PIIILOSOPHISCi I-HISTORISCHK  KLASSE 


ABHANDLUNGEN 


DER  PREUSSISCHEN 


AKADEMIE  DER  WISSENS(  HAFTE?;!  ^ 


JAHRGANG  1919 

PH  ILOSOPHISCH-HISTORISCHE  KLASSE 


BERLIN   1919 

VKHI.Ad    \WM    AKADKMIK    DKH   WIS.SKXSCIIAFTKN 

IN  KOMMISSION  HKI  DEK 
MKKINK.IN'I.  WlS^KNSdlAtTMCIlKR  \Klil.K(a-l{  \VAI.Ti;i!    UV.    l.HIVTKK    1     (  O, 

VORMAI.« m11|:NS(1IKVKK1.A..>11AMM.I  V,;       .1    ,,l   ITKMA...  VKUl.l,.-,nirllllANI.IIM, 

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Bprlin.  gedniekl   in  der  ReichsdiMickiTci 

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LIBRARY 

743640 

UNIVERSITY  OF  TORONTO 


Inhalt 


öffentliche  Sitzungen S.  vii-    viu 

\'erzeiclinis  der  im  .lahre   1919  gelesenen  Ahliandhiugen S.  ix— xi\ 

Bericht  über  den  Krtolg  der  Preisaiissclireibung  fiir  1920   und  über  eine 

neue   Preisausschreibiuig S.  w-xvii 

Statut  der  Paui-Kieß-Stif'tutig S.  wii-    xix 

Verzeichnis  der  im  Jahre  1919  erfolgten   besonderen  (ieldbewilhgungeii 
aus  akademischen  Mitteln  /.in-  Ausführung  wissensiliaftlieber  Unfei-- 

nehmungen S.  mx      \\i 

Ver/.eichnis  der  im  .labi'e  1919  erschienenen  im  Auftrauf  odei-  mit  l'nler- 

stütznng  der  Akademie   bearljeiteteii   oder  lieiausgegi'lienen  Werke     S.  \\i      \xii 
Veränderungen  im  I'ersonalstandc  der  Akademie  im  Laufe  des  .lalires  1919     S.  xxm     xx)\ 
Verzeichnis  der  Mitglieder  der  Akademie  am  Sclilusse  des  Jahres  I9l9 
nebst  den  Verzeicinn'sseM  der  Inhaber  der  Bividlev-.  der  Helmholtz- 
und   der  Leilmiz-Medaiile  und  der  Beamten  der  Akademie,  sowie 
der  Kommissionen.  .Sliflungs-Kuratorien   usw S.  xx\      xxxvii 


A  I)  li  an  d  I  u  n  goii 

Ni'.    1.      SAeiiAl':     Zur   Ausbreituni;   de^   (  liriNteiilums    in    Asien    .      .      ,  S.   I     -Sil 

2.      r.\Niii.:     Bonifatinsfrageii S.   1  — 11 

;>.      A.  VON    I.K   (' ixy.     I'üi'kische  Manieliaiea  aus  ( 'hi)ls('liii.    II.    (.Mit 

■2  Tafeln) .^..1  —  1.') 

4.  Sri  mpf:    Spinozastiitlien  ....  S.  1—57 

5.  B.ANii:     Vom    Köktürkiselien    zum    <  Ismanisehen.      X'orarbeileii 

zu  einer  vergleichenden  (irammatik   des   1  i'u-ki.schen.    "J.  und 

3.  Mitteilunu S.  I      7!i 

(!.      Bhkssi..*!':    .\us   der   ersten   /eil   t[es  gioLien   ahendliiridiseheii 

Schismas.     (.Mit    1    lafel) .S.  1      3:.' 

7.      K.  Mevek:    Biiichstüeke  der  älteren  l.yrik  Irlands,    lüster   Teil      .^.  I    -7'J 
•S.      Krdmann:     Berkelevs    I'hilos()|)liie    im    Lieble    seines    wissen- 
schaftlichen   Tagebuchs S.  1       LJ-i 

9.      K.  Mevkr:     Die  (iemeinde  des  neuen  Itiindes  im  Lamlr  Dnmas- 

kus.      Kine  jüdi.sche  .Sclnifl   aus  der  .■^^eleukiden/eii      .      .      .      S.  I  -  (JH 

"    10.     .'NAriiAr:    Vom   Klosterbiicli   des   Sabiisti S.  1      4:'> 

-    11.      i)E(iRiior:   I)er'rhn|)a.  das  lieiliüste  lleiliütum  iles  liiiildhismus 

in   «"hina.      (Mit  0  Tafeln) S.   i— Vtt; 

•    1*2.     DiKrs    uikI    K.   Scmra.mm:     Kx/.erpte    aus    l'hiloiis     Mechanik 

B.VII  un<l  \'III  |v  ulüo  fÜMfles  l'.urbl.    f ! rieeliisch  unil  Deutseli      S.  1      ,S4 


JAHR  1919. 


öffentliche  Sitzungen. 

Sitzung  am  'Ili.  Januar  zur  Feior  des  Jahrestages 
König  Friedriclis  11. 
Der  an  diesem  Tage  Vorsitzende  Sekretär  Ilr.  Koctlie  eröflnete  die 
Sitzung  mit  einer  Anspraclie.  Daravif  erstatlete  Hr.  Krnian  einen  eingehen- 
deren Bericht  über  das  akademische  Unternehmen  des  Wörterhuclis  der  ägy]>- 
tischen  Sprache  und  Ilr.  von  Walde yer-IIartz  üher  die  Anthropolden- 
station  auf  Teneriffa.  Es  folgte  der  wissenschaftliche  Festvorti-ag  von  Hrn. 
Rubner:  Der  Aufbau  der  deutschen  Volkskraft  und  die  Wissenscliaften. 
Weiter  machte  der  Vorsitzende  Mitteilung  \on  den  seit  dem  Friedrichs- 
Tage  19l!S  in  der  Akademie  eingetrelenen  Personalveränderungen,  gab  einen 
kurzen  Jahresbericht  nnd  verkündigte  znm  Schlüsse,  daß  die  Akademie  die 
Helmholtz-Medaille  dem  ordentlichen  Professor  an  der  1  iiiversität  München, 
Wirkl.  (Teil.  Rat   von   Röntgen    verliehen    habe. 

Sitzung  am    i{.  Juli   /.ni'   l'cicr  do    I.rihnizisehen   .la  iii  estages. 

Hr.  Planck,  als  Vorsitzender  Srkrcrai'.  (■rr)rtn('te  die  Sitzung  mit  cinci- 
An.sprache. 

Darauf  hielten  die  .seit  dem  letzten  I.eihniz- 1  agc  (4.  .luii  lUlS)  neu 
eingetretenen  Mitglieder  ihre  Anti-ittsredeii.  die  von  <len  beständigen  Se- 
kretaren beantwortet  wurden,  nämlich  ilie  HH.  Fiek.  Krwiderung  von  Hrn. 
von  Waldeyer-Hartz  (i.  Müller,    Krwiderung   \<in    Hrn.  Planck 

Heider  und  Kükenthal.  Krwidernng  von  Hrn.  v(»n  Waldeyer-Hartz 
—  Erh.  Schmidt  und  fara  t  lirndory ,  Krwidcinng  von  Hrn.  Planck. 
Daran  schloß  sicli  die  (Jedäclitnisrcdc  auf  Simon  Sc  h  wendcnei-  von  Hrn. 
Ha  berlandt. 

Sodann  wurden  .Alitteilnngen  geniai-lit  über  die  Prciserteilung  fiir  die 
Akademische  Prei.saufgaiie  für  das  von  Mihiszew.skysche  Legat,  über  den 
Preis  der  (Jraf-Loub;it-.*^tit'tunii  Inr   11I"JI   a\is  dcni  (.rliicte  der  .Amerikanistik. 


Vlll 


über  die  Stiftung  zur  Förderunji'  der  Sinologie,  über  die  Stiftung  zur  För- 
derung der  kirclien-  und  religionsgeschichtlichen  Studien  und  über  das 
Stipendium  der  Eduard-Gerhard-Stiftung. 

Schließlich  wurd*"  verkündigt,  daß  die  Akademie  die  Leibniz-Medaille 
in  Silber  den  HH.  K.  Debes  in  Leipzig,  ('.  Dorn  in  Davos,  Johannes 
Kirchner  in  Berlin -Wilmersdorf,  Edmund  von  Lippmann  in  Halle  a.'S., 
Frhrn.  von  Schrötter  in  Berlin -Wilmersdorf  und  Otto  Wolff  in  Berlin 
und  die  Leibniz-Medaille  in  Gold  dem  (iouverneur  von  Deutsch-Ostafrika. 
Hrn.  Dr.  Heinrich  Schnee,   verliehen   habe. 


IX 


Verzeichnis  der  im  Jahre  1919  gelesenen  Abhandlungen. 

Physik  und  Chemie. 

Lande,  Dr.  A.,  Elektroiien})ahneii  im  Polyederverband.  Vorgelegt  von 
Planck.      (GS.  9.  Jan.;   SB.  30.  Jan.) 

N ernst.  Einige  Folgerungen  aus  der  sogenannten  Entartungstheorie  der 
Gase.     (GS.  13.  Febr.:  Sli.) 

Liebisch  und  Rubens,  über  die  ojjtischen  Eigenschaften  einiger  Kristalle 
im  langwelligen  ultraroten  Spektrum.    1.  Mitteilung.   (Kl.  20.  März;  SB.) 

Einstein,  über  die  Frage:  Spielen  Gravitationsfelder  im  Aufbau  der  ma- 
teriellen Elementarteilchen  eine  wesentliche  Rolle?  (GS.  10.  April;  SB.) 

Beckmann,  über  Signalvorrichtungen,  welche  gestatten,  in  unauffälliger 
Weise  Nachrichten   oi)tisch  zu  übermitteln.      (Kl.  8.  Mai.) 

Beckmann,  Sicherungen  der  Atmungsorgane  gegenüber  schädlichen  Bei- 
mischungen in  der  Luft.     (Kl.  S.  Mai.) 

FÜnstein,  über  eine  Veranscliaiüichung  der  Verhältnisse  im  sphärischen 
Kaum.     (GS.  1.').  Mai.) 

Einstein,  über  die  Feldgleichungen  der  allgemeinen  Relativitätstheorie 
vom  Standpunkte  des  kosmologischen  Problems  und  des  Problems  der 
Konstitution  der  Materie.     (GS.  15.  Mai.) 

Haber,    Beitrag   zur    Kenntnis    der    Metalle.      (Kl.  22.  Mai:   SB.  10.  Juni.) 

Planck,  über  die  Dissoziationswärme  des  Wasserstoffs  nach  dem  Bohr- 
Debyeschen  Modell.     (GS.  3(t.  Okt.;  .S7/.  27.  Nov.) 

Born,  Prof.  Dr.  M.,  und  Stein,  Dr.  0.,  über  die  Obertlächenenergie  der 
Kristalle  und  ihren  Einfluß  auf  die  Kristallgestalt.  Vorgelegt  von 
Einstein.      (GS.  13.  Nov.;   SB.  27.  Nov.). 

Grommer,  Dr.  Jacob,  Beitrag  zum  Energiesatz  in  der  allgemeinen  Rela- 
tivitätstheorie.     V^orgelegt  von   Einstein.      (GS.  13.  Nov.;   SB.) 

Warburg,  über  den  Energieumsatz  bei  photochemischen  Vorgängen.  IX. 
(Kl.  20.  Nov.:  SB.  4.  Dez.) 

Liebisch  und  Riibens,  über  die  optischen  Eigenschaften  einiger  Kristalle 
im  langwelligen  ultraroten  Spektrum.   2.  Mitteilung.   (GS.  27.  Nov. :  SB.) 

Haber,  zweiter  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Metalle.  (GS.  27.  Nov.;  SB. 
1 1 .  Dez.) 


Mineralogie  und  Geologie. 

Liebisch,   über  die  Dispersion  doppeltbrechender  Kristalle  im  ultraroten 
Spektralgebiete.     (Kl.  3.  April.) 

Botanik  und  Zoologie. 

Haberlandt,    zur   Physiologie    der   Zellteilung.      Dritte   Mitteilung:    Über 

Zellteilungen  nach  Plasmolyse.     (GS.  10.  April;  SB.) 
Correns,   über  Vererbungsversuche  mit  buntblättrigen  Sippen.    I.  Capsella 

Bursa  pastoris  chlorina  und  albovariabilis.    (Kl.  IS).  Juni;  SB.  10.  Juli.) 
Heider,    über   die   morphologische  Ableitung  des  Echinodermenstammes. 

(GS.  26.  Juni.) 
Haberlandt,    Zur   Physiologie    der  Zellteilung.     Vierte  Mitteilung:  Über 

Zellteilungen  in  Elodea-Blättern.     (Kl.  24.  Juli;  SB.  31.  Juli.) 
Gorrens,  Vererbungsversuche    mit   buntblättrigen  Sippen.     II.  Vier  neue 

Typen   ])unter  Periklinalchimären.      (Kl.  23.  Okt.;   SB.  6.  Nov.) 
Haberlandt,  über  Zellteilung  nach  Plasmolyse.     (Kl.  6.  Nov.) 

Anatomie  und  Physiologie,   Pathologie. 

Orth,  über  die  ursächliche  Begutachtmig  von  Unfallfolgen.  (Kl.  20.  Febr.) 
Orth,  über  Traumen  und  Nierenerkrankungen.  (Kl.  6.  März;  SB.  20.  März.) 
Fick,   über  die  Entwicklung  der  Gelenkforra.      (GS.  31.  Juli.) 

Astronomie,  Geographie  und  Geophysik. 

Struve,   über  die  Masse  der  Ringe   von  Saturn.      (Kl.  6.  Febr.) 
Penck,  über  die  Gipfeltlur  der  Alpen.      (GS.  13.  März;   SB.  27.  März.) 
Schweydar,    Prof.  Dr.,    zur  P>rklärung   der  Bewegung   der  Rotationspole 

der  Erde.      Vorgelegt  von   Struve.      (Kl.  3.  April;   SB.  10.  April.) 
Hellmann,   über  die  Bewegung  der  Luft   in  den  untersten  Schichten  der 

Atmosphäre.      (Dritte   Abteilung.)      (Kl.  24.  April;   SB.) 
Hellmann,  neue  Untersuchungen  über  Regenverhältnisse  von  Deutschland. 

(Erste  Mitteilung.)     (Kl.  24.  April;  SB.) 
Einstein,    Bemerkung    über   ])eriodische    Schwankvnigen    der    Mondlänge, 

welche  bisher  nach  der  Newtonschen  Mechanik  nicht  erklärbar  schienen. 

(Kl.  24.  April;  SB.) 


XI 

G.  Müller,  über  die  Klassifizierung  der  Fixsternspektren,  über  ihre  Ver- 
teilung am  Himmel  und  über  den  Zusammenhang  zwischen  Spektral- 
typus, Farbe,  Eigenbewegung  und  Helligkeit  der  Sterne.  (Kl. 
24.  Juli.) 

von  Brunn,  Prof.  Dr.  A.,  zu  Hrn.  Einsteins  Bemerkung  über  die  ujiregel- 
mäßigen  'Schwankungen  der  Mondlänge  von  der  genälierten  Periode 
des  Umlaufs  der  Mondknoten.    Vorgelegt  von  Struve.   (Kl.  24.  Juli;  SB.) 

Einstein,   Bemerkung  zu   vorstehender  Notiz.      (Kl.  24.  Juli;   SB.) 

Struve,  über  die  Bestimmung  der  Massen  von  Jupiter  und  Saturn.  (Kl. 
18.  Dez.) 

Mathematik. 

Schottky,   über  ürenzfalle  von  Klassenfunktionen,  die  zu  ebenen  Gebieten 

mit  kreisförmigen   Rändern   gehören.      (Kl.  Ki.  Jan.) 
Caratheodory,  über  den  Wiederkehrsatz  von  Poincare.    (Kl.  10.  Juli:  SB.) 
Schottky,   Thetafunktionen   vom  Gesclileclite  4.      (GS.  11.  Dez.) 

Mechanik. 

Müller-Breslau,  über  Versuelie  zur  P'rforschung  der  elastisclien  Eigen- 
schaften der  Flugzeugholme.      (Kl.  4.  Dez.) 

Philosophie. 

Erdmann,  über  Berkeleys  Philo.sophie  im  Lielite  seines  wissenschaftlichen 
Tagebuchs.     (Kl.  19.  Juni:   AM.) 

Prähistorie. 
Schuchhardt,  über  germaniselie  und  slawische  Ausgrabungen.   (Kl.  (5.  Nov.) 

Geschichte  des   Altertums. 

Schäfer,  Prof.  Dr.  Heinrich,  über  die  Anfänge  der  Reformation  Anie- 
nophis'   IV.      Vorgelegt  von   Krman.      (Kl.  8.  Mai;   SB.  1').  Mai.) 

Norden,  der  Rheinübergang  der  Kimbern  und  die  (ieschichte  eines  kel- 
tischen Kastells   in   der  Schweiz.      (GS.  5.  .luni.) 

Hiller  von  Gaertringen,  voreuklidische  Steine.  Vorgelegt  von  von  Wi- 
lamowitz-Moellendorff.      (Kl.  Kl.  Juli:   SB.  24.  .luli.) 


Xll 

K.  Meyer,  die  (lemeinde  des  neuen  Bundes  im  Lande  Damaskus,  eine 
jüdische  Schrift  aus  der  Seleukidenzeit.     (Kl.  24.  Juli:  Abh.) 

von  Wilamowitz-Moellendorff,  das  Bündnis  zwischen  Sparta  und 
Athen  421    (Thukydides  V.).      (Kl.  4.  Dez.;  SB.) 

Mittlere  und  neuere   Geschichte. 

Schäfer,  über  neue  Karten  zur  Verteilung  des  deutschen  und  [)olnischen 
Volkstums   an   unserer  Ostgrenze.      (Kl.  16.  Jan.) 

Tan  gl,   Bonifatiusfragen.      (Kl.  3.  April;   Ahh.) 

Bresslau,  aus  der  ersten  Zeit  des  großen  abendländischen  Schismas. 
(GS.  5.  Juni:   Abh.) 

Meinecke,  über  die  Lehre  von  den  Interessen  der  Staaten,  die  neben  und 
unabhängig  von  der  allgemeinen  Staatslehre  im  17.  und  18.  Jahrhundert 
geblüht  hat  und  als  Vorstufe  moderner  Geschichtsauffassung  von  Be- 
deutung ist.      (^GS.  IH.  Nov.) 

Kehr,  das  Erzbistum  Magdeburg  und  die  erste  Organisation  der  christ- 
lichen Kirche  in  Polen.      (Kl.  20.  Nov.;   Abh.) 

Tangl,  über  die   Deliberatio   Innocenz'   III.      (Kl.  18.  Dez.;   SB.) 

Kirch  engeschichte. 

Ho  11.  zur  Auslegung  des  2.  Artikels  des  sog.  apostolischen  Symbols.    (GS. 

1).  Jan.;  SB.) 
E.  Meyer,  über  das  Marcusevangelium  und  .seine  Quellen.  (GS.  30.  Jan.) 
S  ach  au,  zur  Ausbreitung  des  Christentums  in  Asien.  (GS.  30.  Jan.;  Abh.) 
von  Harnack,  zur  Abhandlung  des  Hrn.  Holl :  «Zur  Auslegung  des  2.  Ar- 
tikels des  sog.  apostolischen  (Glaubensbekenntnisses«.  (Kl.  9.  Febr.;  SB.) 
Lietzmann,  Prof.  D.  Hans,  die  Urform  des  apostolischen  Glaubensbekennt- 
nisses. Vorgelegt  von  Holl.  (GS.  13.  März:  SB.  '11.  März.) 
S  ach  au,  über  syrische  und  arabische  Literatur,  welche  sich  auf  die  Klöster 

des  christlichen   Orients  bezieht.      (Kl.  22.  Mai;   Abh.) 
K.  Müller,   kritische   Beiträge   1.   und  11.      (GS.  .").  Juni;   SB.  17.  Juli.) 
von   Harnack,    über   1.  Korinth.  14,  32ft'.    und    Rom.  16,  2öff.    nach    der 
ältesten   Überlieferung  und  der  Marcionitischen  Bibel.      (Kl.  19.  Juni: 
N/y.  2().  Juni.) 
Moll,  ülierdie  Entwicklung  von  Luthers  sittlichen  Anschauiuigen.  (Kl.  23.  Okt.) 


Xlll 

Rechts-  und  Staatswissenschaft. 

Seckel,  die  Haftung  des  Sachschuldners  mit  der  geschuldeten  Sache  (prae- 
cise  teneri)  im  römischen  Recht  und  nach  der  Lehre  der  mittelalter- 
lichen Legisten.     (Kl.  8.  Mai.) 

Stutz,   die  Cistercienser   wider  Gratians   Dekret.      (Kl.   10.  Juli.) 

Sering,  über  die  Preisrevolution  seit  dem  Ausbruch  des  Krieges.  (GS. 
17.  Juli;   Abh.) 

Heymann,  über  die  Geschichte   des   Mäklerrechts.      (Kl.  4.  Dez.) 

Allgemeine,   deutsche  und  andere  neuere   Philologie. 

K.  Meyer,  ein  mittelirisclies  Lohgedicht  auf  die  Ui  Echach  von  Ulster. 
(Kl.  16.  Jan.;  SB.  30.  Jan.) 

Urtel,  Prof.  Dr.  H.,  zur  baskischen  Onomatopoesis.  Vorgelegt  von  W.  Schulze. 
(Kl.  16.  Jan.;   SB.  6.  März.) 

W.  Schulze,  Tag  und  Nacht  in  den  indogermanischen  Sprachen.  (Kl.  6.  Febr.) 

Brandl,  über  die  Vorgeschichte  der  Schicksalsschwestern  in  Macbeth. 
(Kl.  20.  Febr.) 

Heusler,  über  altntjrdische  Dichtung  und  Prosa  von  Jtmg  Sigurd.  (Kl. 
6.  März;  SB.  20.  März.) 

K.  Meyer,  ülier  Cormacs  Glossar  nach  der  Handschrift  des  Buches  der 
Ui  Maine.      (Kl.  20.  März:   SB.  3.  April.) 

Lewy,  Dr.  Ernst,  einige  Wohllautsregeln  des  Tscheremissischen.  Vor- 
gelegt  von   W.  .Schulze.      (Kl.  ii.  April;   SB.  S.  Mai.) 

Rogge,  Dr.  Helmuth,  die  Urschrift  von  Adalbert  von  Chamissos  Peter 
Schlemihl.      Vorgelegt    von    Roethe.      ((iS.    in.  April:   SB.  80.  Ain-il.) 

K.  Meyer,  zur  keltischen  Wortkunde  IX,  über  einige  kelti.sche  Orts-  luul 
Völkernamen.      (Kl.  24.  April:   SB.) 

Jacol)Sohn,  Prof  Dr.  H.,  das  Namensystem  bei  den  Osttscheremissen.  Vor- 
gelegt  von   W.  .Schulze.      (Kl.  S.  Mai:   SIL  15.  Mai.) 

K.  Meyer,  über  den  irischen  Totengott  luid  die  Toteninsel.  (Kl.  li».  Juni: 
SB.  2(5.  Juni.) 

K.  Meyer,  Sammlung  von  Bruchstücken  der  älteren  Lyrik  Irlands  mit 
Übersetzung.      I.Teil.     (Kl.  1  0.  Juli. :   /UV/.) 

Schuchardt,    Hugo,   Sprachursprung   I.      (GS.  17.  Juli:   N//.  ."U .  Juli.) 

Schuchardt.    Hugo.    Spraehursprung    II.      (GS.  HO.  Okt.;    .S7^.   1 H.  Nov.) 


XIV 

Klassische  Philologie. 

Degering,  Prof.  Dr.  H.,  über  ein  Bruchstück  einer  Plautushandschrift  des 
4.  Jahrhunderts.  Erster  Teil:  Beschreibung  der  Hs.  Vorgelegt  von 
Norden.     (Kl.  8.  Mai;  SB.  15.  Mai.) 

Degering,  Prof.  Dr.  H.,  über  ein  Bruchstück  einer  Plautushandschrift  des 
4.  Jahrhunderts.  Zweiter  Teil:  Überlieferungsgeschichtliclies.  Vor- 
gelegt von  Norden.      (GS.  15.  Mai;   SB.  5.  Juni.) 

Diels  und  Dr,  E.  Schramm,  Exzerpte  aus  Philons  Mechanik  Buch  VII 
und  VIII,   griechisch   und   deutsch.      (Kl.  2H.  Okt.;   Abh.) 

Kunstwissenschaft    und   Archäologie. 

Schuchhardt,    über    skythische    imd    germanische  Tierornamentik.     (GS. 

30.  April.) 
Goldschmidt,   mittelbyzantinische  Plastik.      (Kl.  24.  Juli.) 

Orientalische  Philologie. 
F.  W.  K.  Müller,  über  koreanische  Lieder.     (GS.  27.  Febr.) 
Jensen,   Prof.  Dr.  P.,   indische  Zaldwörter  in  keilschrifthittitischen  Texten. 

Vorgelegt  von  W.  Schulze.  (Kl.  (>.  März;  SB.  10.  April.) 
Lüders,  über  Asvaghosas  Kalpanämandinikä.  (GS.  27.  März.) 
Bang-Kaup,  vom  Köktürkischen  zum  Osmanischen.    2.  und  3.  Mitteilung. 

(GS.  27.  März;  Abh.) 
Erman,  über  die  Mahnworte   eines  ägyptischen  Propheten.    (Kl.  3.  April: 

SB.  30.  Okt.). 
von  Le  Coq,  Prof.  Dr.  A.,  türkische  Manichaica  aus  Chotscho  IL    Vorgelegt 

von  F.  W.  K.  Müller.     (GS.  30.  April;  Abh.) 
De   Groot,   über  die  Pagoden   in  China,   die  vornehmsten  Heiligtümer  der 

Mahajana-Kirclie.     (Kl.  22.  Mai;  Abh.) 
Jensen,   Prof.  Dr.  P.,   Erschließung  der  aramäischen  Inschriften  von  Assur 

und  Hatra.    Vorgelegt  von  Eduard  Meyer.    (Kl.  (5.  Nov.;  SB.  12.  Dez.) 
Forrer,  Dr.  Emil,  die  acht  Spraclien  der  Boghazköi-Inschriften.    Vorgelegt 

von  Eduard  Meyer.     (Kl.  4.  Dez.;  SB.  18.  Dez.) 

Amerikanistik. 

Sei  er,  über  szenische  Darstellungen  auf  alten  amerikanischen  Mosaiken. 
(Kl.  20.  März.) 


XV 


Bericht  über  den  Erfolg  der  Preisausschreibungen  für  1920  und  neue 

Preisausschreibungen. 

Preisaufgaben  aus  dem  von  Miloszewskyschen  Legat. 

Die  1915  aus  dem  von  Miloszewskyschen  Legat  zum  zweiten  Male, 
damals  mit  dreijähriger  Frist  gestellte  Preisaufgabe  »Geschichte  des  theo- 
retischen Kausalproblems  seit  Descartes  und  Hobbes«  hat  2  Bearbeitungen 
gefunden . 

Die  eine,  imgemein  umfangreiche,  auch  »die  vorhergehenden  Kausal- 
theorien« umfassende  Arbeit  mit  dem  Motto:  »O-t-AeN  rirNexAi  £k  toy  mh 
ÖNToc«  verdient  Anerkennung  des  für  sie  aufgewandten  Fleißes.  Leider 
aber  ist  es  ihrem  Verfasser  so  wenig  wie  dem  Bearbeiter  des  Problems 
vom  Jahre  1915  gelungen,  dem  philosophischen  Gehalt  der  Aufgabe  ge- 
recht zu  werden.  Er  begnügt  sich  mit  einer  zum  Teil  aus  veralteten  se- 
kundären Quellen  geschöpften,  an  Zitaten  überreichen,  kaum  irgendwo  um 
das  Problem  konzentrierten,  vielfach  weit  abschweifenden  Darstellung.  Nur 
da,  wo  physikalisch-mathematische  Kausalfragen  in  Betracht  kommen,  be- 
kundet sich  ein  selbständigeres,  hin  und  wieder  auch  über  Landläufiges 
hinausgehendes  Wissen  und  Urteil.  In  die  Idee  des  theoretische'«  Kausal- 
problems, die  Arten  ihrer  Entfaltung  und  die  Richtung  ihrer  Entwicklung 
einzudringen,  ist  dem  Verfasser  nicht  gelungen :  am  wenigsten  da,  wo  sicli 
seine  Darstellung  der  Problementwicklnng  seit  Kant  nähert  und  diese  zu 
verfolgen  sucht.  Es  fehlt  dem  Verfasser  an  der  philosophischen  Vorbildung, 
welche  allein  die  geforderte  Untersuchung  erfolgreich  machen  konnte.  Die 
Akademie  ist  deshalb  nicht  in  der  Lage,  dem  Verfasser  einen  Preis  zuzu- 
erkennen. 

Einen  wesentlich  anderen  ('harakter  zeigt  die  zweite  Preisarbeit  mit 
dem  Motto:  »O't'a^n  xphma  mAthn  riNexAi,  äaaä  hänta  gk  aötoy  tg  kai  ■r-n'  ANÄrKHC.« 
Was  immer  der  Verfasser  aus  dem  Gebiet  der  neueren  Philosophie  in  den 
Bereich  seiner  spezielleren  Untersuchung  zieht,  ist  aus  den  ersten  Quellen 
geschöpft,  um  die  theoretischen  Kausalprobleme  konzentriert,  selbständig 
durchdacht  und  in  lichtvoller  Darstellung  wiedergegeben.  Deutlich  scheiden 
sich,  abgesehen  von  der  Einleitung  über  die  Vorgeschichte  des  Problems, 
zwei  Teile  der  Arbeit  voneinander:  die  Entwicklung  der  Kausalprobleme  , 
von  Descartes  bis  Kant,  und  von  Jvant  bis  Sigwart.  Mehrfache  Korrek- 
turen erfordert  die  Einleitung.    Vortrefflich  al)er  ist  die  historische  Entwick- 


X\l 

hing  in  der  ersten  Phase  zu  einem  historischen  Cianzen  abgerundet,  so  daß 
kleinere  Lücken,  das  Fehlen  einer  Skizze  der  Problemlage  um  den  Anfang 
des  17.  Jahrhunderts,  speziell  der  kausalen  Naturauffassung  von  Galilei 
und  Kepler,  ferner  von  Crusius'  Kritik  des  Leibnizischen  Satzes  vom  Grunde 
sowie  von  Reids  Begründung  der  Common  sense-Lehre  und  ihrer  Kritik 
durch  Priestley,  ebensowenig  ernstlich  stören  wie  kleinere,  leicht  ausmerz- 
bare Einzelverfehlungen.  Weniger  gelungen  ist  die  Darstellung  der  zweiten 
Entwicklungsphase.  Auch  wenn  zugestanden  wird,  daß  uns  zur  unbe- 
fangenen historischen  Würdigung  der  Problementwicklung  im  19.  Jahrhundert 
noch  die  rechte  historische  Distanz  fehlt,  hätte  der  Verfasser  zu  einem 
volleren  historischen  Verständnis  gelangen  können,  wenn  er  die  metaphy- 
sisch fundierte  Rückbildung  der  Probleme  in  der  spekulativen  Philosophie 
von  Fichte  bis  Hegel  ähnlich  eindringend  behandelt  hätte,  wie  die  Fort- 
bildung bei  Schopenhauer  und  Herbart,  Comte,  St.  Mill,  Feclmer  und  Lotze; 
und  die  Umbildungen  durch  Fries  und  Apelt  sowie  späterhin  durch  Her- 
bert Spencer  niclit  beiseite  gelassen  hätte.  Dennoch  bleibt  so  viel  des 
Gelungenen,  Eindringenden  und  Weiterfährenden,  daß  dem  Verfasser  der 
volle  Preis  in  der  Voraussetzung  zuerkannt  werden  kann,  er  werde  die 
erwähnten  Mängel  vor  der  Drucklegung  in  sorgsamer  Darstellung  beseitigen. 
Die  Eröffnung  des  Umschlags  mit  dem  Motto:  »O'Y'AfeN  xphma  mäthn 
riNexAi,  AAAA  nÄNTA  eK  AÖroY  xe  kai  vn'  ANÄrKHc«  ergab  als  Verfasser:  Frau 
Else  W entscher,  Bonn  a.  Rh. 

I*reis  der  Graf-LoubatStiftuny. 

Nach  dem  Statute  der  von  dem  Grafen  (später  Herzog)  Joseph  Flori- 
mond  de  Loubat  bei  der  Preußischen  Akademie  der  Wissenschaften  be- 
gründeten Preisstiftung  soll  alle  fünf  Jahre  durch  die  Akademie  ein  Preis 
^on  HOOO  Mark  an  diejenige  gedruckte  Schrift  aus  dem  Gebiete  der  ameri- 
kanistischen Studien  erteilt  werden,  die  unter  den  der  Akademie  einge- 
sandten oder  ihr  anderweitig  bekannt  gewordenen  als  die  beste  sich  erweist. 

Die  amerikanistischen  Studien  werden  zum  Zwecke  dieser  Preisbewer- 
bung in  zwei  Gruppen  geteilt:  die  erste  umfaßt  die  präkolumbische  Alter- 
tumskunde von  ganz  Amerika;  die  zweite  begreift  die  Geschichte  von  ganz 
Amerika,  insbesondere  dessen  Kolonisation  und  die  neuere  Geschiclite  bis 
zur  Gegenwart.  Die  Bewerbung  um  den  Preis  und  seine  Zuerkennung  be- 
schränkt sich  jedesmal,  und  zwar  abwechselnd,  auf  die  eine  dieser  beiden 


XVII 


Gruppen  und  Schriften,  die  innerhalb  der  letzten  zehn  Jahre  erschienen 
sind.  Als  Schriftsprache  ist  die  deutsche  und  die  holländische  zugelassen. 
Die  letzte  Preiserteilung  fand  im  Jahre  1916  statt  und  betraf  eine 
Schrift  über  Volks-  und  Altertumskunde  eines  bestimmten  Gebietes  im  nord- 
westlichen Mexiko.  Die  nächste  Preiserteilung  muß  demnach  im  Jahre  1921 
erfolgen,  und  zugelassen  sind  gedruckte  Schriften  über  koloniale  und  neuere 
Geschichte  von  Amerika  bis  zur  Gegenwart.  Die  Bewerbungsschriften 
müssen  bis  zum   1.  März   1921   der  Akademie  eingereicht  sein. 


Paul-Rieß-Stiftung. 

Statut  vom  2.  Okiober  1919. 

Der  am  18.  f^bruar  1903  zu  Berlin  verstorbene  Amtsgerichtsrat  a.  D. 
Dr.  Paul  Rieß  hat  der  Akademie  durch  letztwillige  Verfügung  ein  Kapital 
von  250(t00  3Iark  vermacht  zur  Verwendung  im  Interesse  der  Chemie, 
Physik  und  Astronomie.  Durch  Allerhöchsten  Erlaß  vom  30.  Januar  1905 
ist  der  Akademie  die  landesherrliche  Genehmigung  zur  Annahme  dieser 
Zuwendung,  vorbehaltlich  der  Abfindung  von  hilfsbedürftigen  Verwandten 
des  Erblassers,  erteilt  worden,  und  das  Legat  ist  dann  in  dem  durch  diese 
Abfindungen  auf  240000  Mark  ermäßigten  Betrage  in  ihren  Besitz  über- 
gegangen. In  Wirksamkeit  getreten  ist  die  Stiftung  jedoch  erst  seit  dem 
am  1.  April  1918  erfolgten  Tode  des  Hrn.  Paul  Jüdel,  welcher  durch  eine 
Bestimmung  des  Rießschen  Testamentes  als  lebenslänglicher  Nutznießer 
der  Hinterlassenschaft  eingesetzt  worden  war.  Für  die  Verwaltung  der 
Stiftung  und  die  Verwendung  ihrer  Erträgnisse  hat  die  Akademie  mit  Ge- 
nehmigung des  vorgeordneten  Ministeriums  nachstehendes  Statut  festgestellt. 

§   1- 

Die  Stiftung,    welche    den  Namen  Paul-Rieß-Stiftung   führt,    ist   nach 

dem  Wortlaut  des  Testamentes  dazu  bestimmt,  die  cliemischen,  physikalischen 

und   astronomischen  Wissenschaften    zu   fördern.      Diesen  Zweck   wird  die 

Akademie  zu  verwirklichen  suchen   sowohl  durch  Unterstützung  geplanter 


XV  m 

aussichtsreicher  wissenschaftUcher  Unternehmungen  als  auch  durch  Krönung 
vorliegender  ausgezeichneter  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  drei  genannten 
Wissenschaften.  Die  Zuerteilung  erfolgt  jedes  Jahr  am  Leibniztage  der 
Akademie,  für  eine  einzige  oder  auch  für  mehrere  wissenschaftliche  Arbeiten, 
in  der  Regel  jährlich  abwechselnd  aus  den  Gebieten  der  Chemie.  Physik 
und  Astronomie. 

§  2. 
Das  Kapitalvermögen  der  Stiftung,   welches  unangreifbar  ist,   wird  ge- 
bildet  aus   dem  Stammkapital   und    etwa  künftig   eingehenden    Beiträgen. 
Es  wird  wie  die  übrigen  Gelder  der  Akademie  aufbewahrt  und  verwaltet. 

§   '^- 
Die  Akademie  der  Wissenschaften  führt  durch  ihre  physikalisch-mathe- 
matische Klasse  die  Oberaufsicht  über  die  Stiftung  und  die  Verwaltung  des 
Stiftungsvermögens.     Die  Klasse  hat  daher  auch  die  Entlastung  zu  erteilen, 
soweit  dies  nicht  durch  die  Oberrechnungskammer  geschieht. 

■       §  4. 

Die  Stiftung  selbst  wird  verwaltet  durch  ein  viergliedriges  Kuratorium, 
in  welches  die  physikalisch-mathematische  Klasse  aus  den  Fächern  der 
Chemie,  Physik  und  Astronomie  je  einen  Vertreter  wählt.  Außerdem  gehört 
dem  Kuratorium  als  Vorsitzender  derjenige  der  beiden  Klassensekretare  an, 
welcher  den  genannten  Fächern  am  nächsten  stellt.  Die  Wahlen  gelten  auf 
die  Dauer  von  6  Jahren,  sie  erfolgen  vor  dem  Schlüsse  eines  Kalender- 
jahres, zum  ersten  Male  im  Dezember  1911).  Wenn  ein  Mitglied  des  Kura- 
toriums vor  Ablauf  der  Wahlperiode  ausscheidet,  so  ist  für  die  noch  übrige 
Dauer  derselben  ein  neues   Mitglied  zu  wählen. 

§  5. 
Anfang  Mai  jedes  Jahres  teilt  die  physikalisch-mathematische  Klasse 
dem  Vorsitzenden  des  Kuratoriums  mit,  welche  Summe  am  Leibniztage 
desselben  Jahres  verfügbar  sein  wird.  Dieser  fordert  sodann  dasjenige 
Mitglied  des  Kuratoriums,  für  dessen  Fach  in  diesem  Jahre  die  Stiftung 
in  erster  Linie  bestimmt  ist,  und  zwar  nach  der  in  §  1  namhaft  gemachten 
Reihenfolge,  zu  einem  schriftlichen  Vorschlag  auf.     Auch  jedes  andere  Mit- 


XIX 

glied  des  Kuratoriums  ist  zu  einem  Vorschlag  berechtigt.  Über  alle  vor- 
liegenden Vorschläge  wird  dann  in  einer  Sitzung  des  Kuratoriums  oder 
auch  auf  schriftlichem  Wege  abgestimmt.  Bei  Stimmengleichheit  entscheidet 
die  Stimme  des  Vorsitzenden.  Das  Ergebnis  der  Abstimmung  ist  von  der 
Klasse  zu  bestätigen. 

§  6- 
Falls  in  einem  Jahre  die  verfügbaren  Mittel  der  Stiftung  nicht  voll- 
ständig oder  überhaupt  nicht  für  ihre  satzungsgemäße  Bestimmung  in  An- 
spruch genommen  werden,  so  fließt  die  verfügbare  Summe  in  einen  be- 
sonderen Reservefonds,  welcher  dem  Zwecke  dienen  soll,  in  irgendeinem 
darauffolgenden  Jahre  eine  Bewilligung  zu  ermöglichen,  welche  die  für 
das  betreffende  Jahr  aus  den  Erträgnissen  des  Stiftungskapiials  verfügbare 
Summe  überschreitet.  Die  Bestände  des  Reservefonds  werden  zinstragend 
angelegt  und  durch  die  erzielten  Zinsen  fortlaufend  verstärkt.  Sobald  der 
Reservefonds  die  Höhe  von  20000  Mark  erreicht  hat,  werden  alle  weiteren 
Erübrigungen   sogleich   und  endgültig  dem   Stiftungskapital  zugeführt. 

^  7. 
Änderungen    dieses   Statuts    sind   nur   durch    absolute   Majorität   aller 
ordentlichen  Mitglieder   der  Akademie   und   mit  Genehmigung   des   vorge- 
ordneten Ministeriums  zulässig. 


Verzeichnis  der  im  Jahre  1919  erfolgten  hesonderen  Greldhewilligungen 
aus  akademischen  Mitteln  zur  Ausführung  wissenschaftlicher  Unter- 
nehmungen. 

Es  wurden  im   Laufe  des  Jahres  1919  bewilligt: 
2500  Mark  den  Mitgliedern  der  Akademie  IIH.  Rubens  und  Liebisch  zur 

Herstellung  von  Platten   zur  Untersuchung  von  Kristallen   im 

langwelligen   Spektrum. 
4000      "       zur  Fortführung  des  Unternehmens   »Das  Tierreich«. 
3000      »       zur  Fortführung  der  Arbeiten  am  Nomenciator  aniraalium  ge- 

nerum   et  subgencruni. 


XX 

2300  Mark  dem  Mitglied  der  Akademie  Hrn.  Engler  zur  Fortführung  des 
Werkes   »Das  Pflanzenreich«. 

6000       »       dem  Mitglied  der  Akademie  Hrn.  Hintze  zur  Fortfuhrung  der 

Herausgabe  der  Politischen  Korrespondenz  Friedrichs  des  Großen. 

20000       >'       der  Orientalisclien  Kommission  zur  Fortfülirung  ihrer  Arbeiten. 

4000       >>       der  Deutsclien    Kommission    zur  Fortfühnmg    ihrer  Arbeiten. 

1000      »       für  die  Bearbeitung  des  Thesaurus  linguae  Latinae   (über  den 
planmäßigen  Beitrag   von  5000  Mark  hinaus). 

5000       «       für  das  Wörterbuch   der  ägyptischen  Sprache. 

1500      i>       zur  Bearbeitung  der  hieroglyphischen  Inschriften  der  griechi.sch- 
römisclien  Epoche  für  das  Wörterbuch  der  ägyptischen  Sprache. 

()00()      >'       dem  Mitglied  der  Akademie  Hrn.  Struve  als  außerordentliche 
Zuwendung  für  die    «Geschichte  des   Fixsternhimmels«. 

5000      »       dem  Mitglied  der  Akademie  Hrn.  Engler  zur  Fortführung  des 
Werkes    » Das  Pflanzenreich « . 

2000      "       dem  Mitglied  der  Akademie  Hrn.  Hei  der  zur  Fortführung  des 
Unternehmens   «Das  Tierreich«. 

(iOOll      n       der  akademischen  Kommission  zur  Herausgabe  der  Enzyklo- 
pädie der  mathematischen  Wissenschaften. 

1000      «       dem    Mitglied    der  Akademie   Hrn.  Erdmann   für   die  Kant- 
Kommission. 
200       '     1  dem  Mitglied  der  Akademie  Hrn.  Burdach  für  die  Bearbeitung 
des  Briefwechsels  Laclimann — Brüder  Grimm  durch  Prof.  Leiz- 
mann  (Jena). 

'.U)0{)      "       der    Kommission    für    die    deutsehen    Geschichtsquellen    des 
19.  Jahrhunderts. 
'Mil\      »       der  Sächsischen  Akademie  (Gesellschaft)  der  Wissenschaften  in 

Leipzig  für  die  Teneriffa-Expedition. 
3()7      «       derselben   für  desgleichen. 

1200       »       derselben   zur  Fortsetzimg  des  Poggendorffschen  Handwörter- 
buchs. 

1  2n()      «       Hrn.  Dr.  Ernst  Knoclie  in  Halle  a.  S.  zu  Untersuchungen  über 
die   Biologie   der  Nonnen. 

1  •)!•((      ..       als  Nachbewilligung  für  die  photographisclie  Aufnalime  franzö- 
sischer Handschriften   in  Valenciennes. 


\\l 


5000  Mark  dem  Verlag  des  Jahrbuchs  für  die  Fortschritte  der  Mathematik 

als  Zuschuß  zu  den  Kosten  der  Herausgabe  des  Jahrgangs  19 19. 

800       »       Hrn.  Prof.  Dr.  Hermann  von  Guttenberg  in  Berlin-Dahlem 

für  Untersuchungen  über  den  Einfluß  des  Lichtes  auf  die  IJlatt- 

stellung  der  Pflanzen. 

.">000      ..       Hrn.  Prof.  Dr.  Bodenstein    in    Hannover   zu   Arbeiten    über 
photochemische  Vorgänge. 

1200      ..       Hrn.  Dr.  Walter  in   Gießen   füf  Arbeiten   über  Vererbung. 
1(1000      >•       der  Deutschen  physikalischen  Gesellschaft  als   einmaligen  Zu- 
schuß für  die  physikalische  Berichterstattung. 
Hrn.  Prof.  Dr.  August  Fischer  in  Leipzig  als  zweite  Rate  des 
Zuseliusses  für  sein   arabisches  Wörterbuch. 


800 


Verzeichnis  der  im  Jahre  1919  erschienenen  im  Auftrage  oder  mit  Unter- 
stützung der  Akademie  bearbeiteten  oder  herausgegebenen  Werke. 

Unter nehiimngcn  der  Akddciiiii'  und  ihrer  Stiftunyen. 
Das  Pflanzenreich.    Regni   vegetabilis  conspectus.    Im  Auftrage  der  Preuss. 

Akademie  der  Wissenschaften  hrsg.  von  A.  Engler.    Heft  G8.  ()9.    Leipzig 

1919.    2  Ex. 
Corpus  inscriptionum  Latinaruni  consilio  et  auctoritate  Academiae  Litterarum 

Borussicae    editum.     Vols.  1,    Pars  2,   Fase.  1.    ed.  2.    Berolini  1918. 
Wilhelm  von  Humboldts  Gesammelte  Schriften.    Hrsg.  von  der  Preussischen 

Akademie  der  Wissenschaften.    Bd  15.     Berlin  1918. 
Ibn  Saad.   Biograpliien  Muhammeds,  seiner  Gefährten  und  der  späteren  Träger 

des  Islams  bis  zum  Jahre  2i}0  der  Flucht.    Im  Auftrage  der  Preussischen 

Akademie  der  Wissenschaften  hrsg.  von  Eduard  Sachau.    Bd  7,  Th.  2. 

Leiden  1918. 
Deutsche  Texte  des  Mittelalters  hrsg.  von  der  Preußischen  Akademie    der 

Wissenschaften.     Bd  ."JO.     Paradisus   anime  intelligentis.    Berlin  1919. 

Bopp-Stlftuuy. 
Navahära-  und  Nisiha-Sutta.    Hrsg.  von  Walther  Schubring.    Leipzig  1918. 
(Abhandlungen   für  die  Kunde  des  Morgenlandes.     Bd  15.)     2  Ex. 


XXII 

Dr. -Karl-Güttler- Stiftung. 

Kolsen,  Adolf.    Dichtungen  der  Trobadors.    3.  Heft.    Halle  (Saale)  1919. 
Kolsen,  Adolf.    Zwei  provenzalische  Sirventese  nebst  einer  Anzahl  Einzel- 
strophen.    Halle  1919. 

Savigny-Stiflung. 

Kantorowicz,  Hermann  uifd  Fritz  Schulz.  Thomas  Diplovatatius.  De 
claris  iuris  consultis.  Bd  1 .  Berlin  und  Leipzig  1919.  (Romanistische 
Beiträge  zur  Rechtsgeschichte.     Heft  3.) 

Hermann-und-Elise-geh.-HecJcma'iin  -  WentzelStiflung. 

Texte  und  Untersuchungen  zur  Geschichte  der  altchristlichen  Literatur.  Ar- 
chiv für  die  von  der  Kirchenväter-Commission  der  Preussischen  Aka- 
demie der  Wissenschaften  unternommene  Ausgabe  der  älteren  christlichen 
Schriftsteller.    Reihe  3.    ßd  12,  Heft  3.4.    Bd  13.    Leipzig  1918.  19. 

Beiträge  zur  Flora  von  Papuasien.  Hrsg.  von  C.  Lauterbach.  Serie  6. 
Leipzig  1918.    2  Ex. 

Von  der  Akademie  unterstützte  Werke. 

Bokorny,  Th.     Bindung  des  Formaldehyds  durch  Enzyme.    Berlin  1919. 

Sonderabdr. 
Lange,  Rudolf.     Thesaurus  Japonicus.    Japanisch-Deutsches  Wörterbuch. 

Bd  2.     Berlin  und   Leipzig   1919. 
Schiemann,  Theodor.  '  Geschichte  Russlands   unter  Kaiser  Nikolaus  I. 

Bd  4.     Berlin  1919. 
Schmidt,  Adolf.     Archiv  des  Erdmagnetismus.    Heft  3.    Potsdam  1918. 
Schwenke,  Paul.    Die  Buchbinder  mit  dem  Lautenspieler  und  dem  Knoten. 

1919.    Sonderabdr. 
Schwenke,   Paul.     Altberliner  Bücher  und  Einbände.    1918.    Sonderabdr. 


XXUI 


Veränderungen  im  Personalstande  der  Akademie  im  Laufe 

des  Jahres  1919. 

Es   wurden  gewälilt: 
zum  ordentlichen  Mitglied  der  physikalisch-mathematischen  Klasse: 
Hr.  Konstantin  Caratheodory,   bestätigt  durch  Erlaß  der  preußischen 

Regierung  vom    10.  Februar  1911), 
Hr.  Willy  Kükenthal,  bestätigt  durch  Erlaß  der  preußischen  Regierung 
vom   12.  April  1919: 

zu  korrespondierenden  Mitgliedern  der  physikalisch-mathematischen 
Klasse: 
Hr.  Karl  Engler  in  Karlsruhe 
»     Theodor  Curtius  in  Heidelberg 
Gustav  T  am  mann  in  Göttingen 
»     Hugo  Bücking  in   Heidelberg  am   8.  Januar  1920; 


am   2«.  Juni   1919. 


zum     korrespondierenden    Mitglied     der    philosophisch-historischen 
Klasse: 
Hr.  Willy   Bang-Kaup  in   Frankfurt  a.  M.   am   27.  Februar  1919. 

Der  beständige  Sekretär  Hr.  von  Waldeyer-Hartz  legte  dieses  Amt 
mit  dem  31.  August  1919  nieder;  zu  seinem  Nachfolger  wählte  die  physi- 
kalisch-mathematische Klasse  Hrn.  Rubner,  dessen  Wahl  von  der  Preußischen 
Regienmg  am   1(1.  Mai   1919   bestätigt  wurde. 

Das  ordentliche  Mitglied  der  philosopliisch-historischen  Klasse  Hr. 
Heusler  verlegte  im  Sommer  1919  seinen  Wohnsitz  nach  Basel  und  trat 
gemäß  §  6  der  Statuten  der  Akademie  in  die  Reihe  der  P]lu-enmitglieder  über. 

Gestorben  sind: 
die  ordentlicben  Mitglieder  der  physikalisch-mathematischen  Klasse: 
Hr.  Simon  Schwendener  am   27.  Mai   1919. 
.     Emil  Fischer  am    lä.  Juli    1919: 

das  ordentliche  Mitglied  der  philosophisch-historischen   Klas.se: 
Hr.  Kuno  Mever  am    11.  Oktober  1919; 

•    • 

das   auswärtige    Mitglied    der   physikaliscli-mathematischen    Klasse: 
Lord  Rayleigh   in   London   am   3.  Juli    1919; 


XXIV 

die  korrespondierenden  Mitglieder  der  physikalisch-mathematischen 
Klasse: 
Hr.  Edward  Charles  Pickering  in  Cambridge  (Mass.)  im  Januar  1919, 
»     Roland  Eötvös   in  Budapest  am   8.  April   1919, 
«     Friedrich  Merkel  in  Cöttingen  am   29.  Mai  1919, 
»     Gustav  Retzius  in  Stockholm  am  21.. Mi  1919, 
II     Heinrich   Bruns   in   Leipzig  am   2H.  September  1919, 
»     Woldemar  Voigt  in  Göttingen  am   13.  Dezember  1919. 

Beamte  der  Akademie. 
Ernannt : 
Hr.  Prof.  Dr.  Eduard  Sthamer,  bisher  Assistent  am  Preußischen  Historischen 
Institut  in  Rom,    zum  Bibliothekar  und  Archivar  der  Akademie,    am 
27.  Juni   1919. 

Gestorben : 
Hr.  Prof.  Dr.  Han.s  von  Fritze,  wissenschaftlicher  Beamter,  am  10.  Juli  1919. 


XXV 


Verzeichnis  der  Mitglieder  der  Akademie  am  Schlüsse  des  Jahres  1919 

nebst  den  Verzeichnissen  der  Inhaber  der  Bradley-,  Helmholtz-  und  derLeibniz-Medaille 
und  der  Beamten  der  Akademie,  sowie  der  Kommissionen,  Stiftungs-Kuratorien  usw. 


1.    Beständige  Sekretare 

Gewihlt  von  der  Datum  der  Bestätigung 

Hr.  Diels phil.-hist.  Klasse 1895    Nov.  27 

-  RoeÜie phil.-hist.        -        1911    Aug.   29 

-  PloTick phys.-matli.    -        1912    Juni    19 

-  Riibner phys.-math.    -        1919     Mai     10 


2.    Ordentliche  Mitglieder 

PhysilulUch-n»thcmalUche  Klüse  Philosophisch-Iiistorische  Klasse  Datum  der  Beslätii;ung 

Hr.  Hermann   Diels 1881  Aug.    15 

Hr.  Wühelm  von  Waldey  er -Hartz 1884  Febr.  18 

-  Franz  Eiüiard  Sclmlze 1884  Juni    21 

-  Otto  Hirschfeld 1885  März     9 

-  Eduard  Sachau 1887  Jan.    24 

-  Adolf  Engler 1890  Jan.    29 

-  Adolf  mn  Harnack       .     .     .  1890  Febr.  10 
Hermann  Amandus  Scliwar: 1892  Dez.    19 

-  Oskar  Hertwig 1893  Ai)ril  17 

-  Max  Planck 1894  Juni    11 

-  Carl  Stumpf 1895  Febr.  18 

-  Adolf  Erman 1895  Febr.  18 

-  Emil  Warburg 1895  Aug.    13 

Ulrich  von  Wilamowitz- 

Moellendorff 1899  .\ug.      2 

-  Heinrich  Müller -Breslau 1901  Jan.     14 

-  Heinrich  Dressel      ....  1902  Mai       9 

-  Konrad  Burdach      .     .      .     .  1902  Mai       9 

-  Friedrich  Schottky '903  Jan.      5 

-  (histav  Roethe 1903  Jan.      5 

-  Dietrich  Schüfer 1903  Aug.     4 

-  Eduard  Meyer 1903  Aug.     4 

-  Wilhelm  Schulze       ....  1903  Nov.  16 

-  Ak>i.s  Brandt 1904  April    3 

-  Hermann  Strure '9'^^  -^"g-  ^^ 

d 


XXYI 

Physikalisch-matliematische  Klasse  Plnlcisophisch-hietorischc  KImsc  Datum  der  Bestttigung 

Hr.   Hermann  Zimmermann 1904  Aug.  29 

-  Walter  Nernst 1905  Nov.  24 

-  Max  liubner .  1906  Dez.  2 

-  Johannes  Orth 1906  Dez.  2 

-  Albrecht  Penck 1906  Dez.  2 

Ut.  Friedrich  Müller      ....  1906  Dez.  24 

-  Heinrich  Rubens 1907  Aug.  8 

-  Theodor  Liebisch 1908  Aug.  3 

-  Eduard  Seier 1908  Aug.  24 

-  Heinrich   Lüders      ....  1909  Aug.  5 

-  Heinrich  Morf 1910  Dez.  14 

-  Goltlieb  Haberlundt 1911  Juli  3 

Benno  Erdmann      .  1911  Juli  25 

-  Gustav   Hellmann 1911  Dez.  2 

-  Emü  Seckel 1912  Jan.  4 

-  Johann  Jakob  Maria  de  Groot  1912  Jan.  4 

-  Edtiard  Norden 1912  Juni  14 

-  Karl  Schuchhardt    ....  1912  Juli  9 

-  Ernst  Beckmann 1912  Dez.  11 

-  Albert  Einstein       1913  Nov.  12 

-  Otto  Hintze 1914  Febr.  16 

-  Max  Serinff 1914  März  2 

-  Adolf  Goldschmidt       .     .     .1914  März  2 

-  Vritz  Haber ! 1914  Dez.  16 

-  Karl  Holl 1915  Jan.  12 

-  Friedrich  Meinecke  .     .     .     .  1915  Febr.  15 

-  Karl  Correns 1915  März  22 

-  Hans  Dragendorff  .                .  1916  April  3 

-  Paid  Kehr 1918  März  4 

-  ririch  Stutz 1918  März  4 

-  Ernst  Heymann       .      .      .      .  1918  März  4 

-  Michael  Tangl 1918  März  4 

-  Karl  Heider 1918  Aug.  1 

-  Erhard  Schmidt 1918  Aug.  1 

-  Gustav  Müller 1918  Aug.  1 

-  Rudolf  Fick 1918  Aug.  1 

Konstantin  Caratheodory 1919  Febr.  10 

-  Wrlly  Kükenthal 1919  April  12 


3.  Auswärtige  Mitglieder 


physikalisch-mathematische  Klasse 


Philosophiscli-historische  Klasse 

Hr.  Theodor  Nöldeke  in  Straßburg 
Friedrich    hnhoof-Bhcmer    in 

Winterthur 

Vatroslac  von  Jagii  in  Wien 
Panagiotü  Kabbadias  in  Athen 


xxvii 


Datum  der  Bestätigung 

1900   März     5 

1900  März  5 
1908  Sept.  25 
1908   Sept.   25 


Hugo  Schuchardt  in  Graz  1912   Sept.    15 


4.    Ehrenmitglieder 

Datum  der  Hestätiguiii; 

Hr.  Max  Lehmann  in  Göttingen 1887  Jan.  24 

-  Max  Lenz  in  Hamburg 1896  Dez.  14 

-  WUhelm  Brauen  in   München 1899  Dez.  18 

Ilttgo  Graf  von  und  zu  Lerchei\feld  in  Berlin 1900  März  5 

Hr.  Hichard  Schöne  in  Berlin 1900  März  5 

-  Konrad  von  Studt  in  Berlin 1900  März  17 

-  Andreas  Heusler  in  Basel 1907  Aug.  8 

Bemluird  Fürst  von   BiÜow  in  Klein- Flottbek  bei  Hamburg  .     .     .  1910  Jan.  81 

Hr.  Heinrich  Wölfin  in  München 1910  üez.  14 

-  August  von  Trott  zu  So/z  in  Kassel 1914  März  2 

-  Rudolf  von  Valentini  in   Hameln 1914  März  2 

-  Friedrich  Schmidt  in  Berlin 1914  März  2 

-  Hichard  WUhtätter  in  München 1914  üez.  10 


XXVIIl 

5.    Korrespondierende  Mitglieder 

Physikalisch -mathematische     Klasse  Datom  der  Wahl 

Karl  Frhr.  Auer  von  Wekbach  auf  Schloß  Welsbach  (Kärnten)    .     .  1913  Mai     22 

Hr.  Oskar  Brefeld  in  Berlin 1899  Jan.     19 

-  Otto  Bütschli  in  Heidelberg 1897  März  11 

Giacomo  Ciamician  in  Bologna 1909  Okt.    28 

-  TJieodor  Curt'ms  in  Heidelberg 1919  Juni    2G 

-  William  Morris  Davis  in  Cambridge,   Mass 1910  Juli     28 

-  Ernst  Ehlers  in  Göttingeu 1897  Jan.    21 

-  Karl  Engler  in  Karlsrulie 1919  Juni    2G 

-  Max  Fürbringer  in  Heidelberg 1900  Febr.  22 

Sir   Archibald  Geikie  in  Haslemere,  Surrey 1889  Febr.  21 

Hr.    Karl  von  Goebel  in   München 191 H  Jan.     16 

-  Camillo   Golgi  in  Pavia 1911  Dez.    21 

-  Karl  Graebe  in  Frankfurt  a.  M 1907  Juni    13 

-  Ludwig  von   Graff  in  Graz 1900  Febr.    8 

Julius  Edler  von  Ilann  in  Wien 1889  Febr.  21 

Hr.   Sven  Hedin  in  Stockholm 1918  Xov.    28 

-  Viktor  Mensen  in  Kiel 1898  Febr.  24 

-  Richard  von  Hertwig  in   München 1898  April  28 

-  David  Hilbert  in   Göttingen 1913  Juli     10 

-  Hugo  Hildebrand  Hildebrandsson  in  Uppsala 1917  Mai       3 

-  Emanuel  Kayser  in  München 1917  Juli     19 

-  Felix  Klein  in  Göttingen 1913  Juli     10 

Leo  Koenigsberger  in  Heidelberg 1893  Mai       4 

Wilhelm  Körner  in  Mailand 1909  Jan.       7 

-  Friedrich  Küstner  in  Bonn 1910  Okt.    27 

-  Philipp  T^enard  in  Heidelberg 1909  Jan.    21 

-  Karl  von  lAnde  in  München 1916  Juli       6 

Gabriel  Lippmann  in  Paris 1900  Febr.  22 

Hendrik  Antoon  Lorentz  in  Haariem 1905  Mai       4 

-  Felix  Marchand  in  Leipzig 1910  Juli     28 

-  Franz  Mertens  in  Wien 1900  Febr.  22 

-  Alfred  Gabriel  Nathorst  in  Stockholm 1900  Febr.    8 

Karl  Neutnann  in  Leipzig 1893  Mai       4 

-  Max  Noetlier  in  Erlangen 1896  Jan.    30 

-  Wilhelm  Ostwald  in  Groß-Bothen,  Kgr.  Sachsen 1905  Jan.     12 

-  Wilhelm  Pfeffer  in  Leipzig' 1889  Dez.    19 

-  Georg  Quincke  in  Heidelberg 1879  März  13 

-  Ludwig  Radlkofer  in  München 1900  Febr.    8 

-  T/ieodore  William  Richards  in  Cambridge,   Mass 1909  Okt.    28 


XXIX 

Datum  der  Wahl 

Hr.  Wilhelm  Konrad  Röntgen  in  München 1896     März  12 

-  Wilhelm  Roux  in  Halle  a.  S igjg    Y)qz     14 

-  Georg  Ossian  Sars  in  Christiania 1898    Febr.  24 

-  Oswald  Schmiedeberg  in  Straßburg 1910    Juü     28 

Otto  Schott  in  Jena         1916    Juli       6 

-  Hrigo  von  Seeliger  in   München 1906    Jan      11 

-  Emest  Sohaij  in  Brüssel 1913    jyj^^j     '>2 

-  Johann  Wilhelm  Spengel  in  Gießen 1900    Jan.     18 

-  Gustav  Tammann  in  Göttingen 1919    jy^j    26 

Sir  Joseph  John   Thomson  in  Cambridge 1910    Juli     28 

Hr.  Gusttw  Edler  von   Tsclurmiik  in  Wien 1881     März     3 

-  Hugo  de  Wies  in  Lunteren 1913    jj,„      kj 

-  Johannes  Diderik  van  der  Waals  in  Amsterdam 1900     Febr.  22 

-  Otto  Wallach  in  Göttingen 1907    Juni    ll? 

-  Eugenins  Warming  in  Kopenhagen 1899    Jan.     19 

-  Emil  Wiecherl  in  Göttingen 1912    Febr.    8 

-  WUlielm  Wien   in  Würzburg 1910     Juli      14 

-  Edmund  B.  Wilson  in  New  York 1913     Febr.  20 

PllilosO]llliscll-liistorIsche   Klasse  Datum  der  Wahl 

Hr.  Karl  von  Amira  in  München 1900    Jan.    18 

-  Klemens  Baeumker  in  München 1915     Juli      g 

-  WiUy  Bang-Kaup  in  Dannstadt 1919     Febr.  1.'3 

-  Friedrich  von  Bezold  in  Bonn 1907     Febr.  14 

-  Joseph  Bidez  in  Gent 1914    Juli       9 

-  James  Henry  Breasted  in  ("hicago 1907     Juni    13 

-  Harry  Breßlau  in  Hamburg 1912     Mai       9 

-  Rene  Cagnat  in  Paris 1904     Nov.     3 

-  Arthur  Chuquet  in  Villemombie  (.Seine) 1907     Febr.  14 

-  Fram  Cumont  in  Rom 1911     April  27 

-  Louis  Duchesne  in  Rom 1893    Juli     20 

-  Fran:  Ehrte  in  Rom 1913    Juü     24 

-  Paul  Foucart  in  Paris 1884    Juli     17 

Sir  James  George  Frazer  in  Cambridge 1911     April  27 

Hr.  Wilhelm  Fröhner  in  Paris 1910    Juni    23 

-  Percy  Gardner  in  Oxford 1908    Okt.    29 

-  Ignaz   Goldzilter  in  Budapest 1910    Dez.      8 

-  Francis  Llewellyn  Grifßth  in  Oxford 1900    Jan.     18 

-  fgnazio  Gnidi  in  Rom 1904     Dez.    15 

-  Georgias  N.  Uatzidakh  in  Athen 1900    Jan.     18 


XXX 


Datum  der  Wahl 


Hr.  Bernard  Haiissoullier  in  Paris 1907  IVIai       2 

-  Johan  Ludx;ig  Heiberg  in  Kopenhagen 1896  März  12 

-  Antoine  Heron  de  Villefosse  in  Paris 1893  Febr.    2 

-  Harald  Hjärne  in  Uppsala 1909  Febr.  25 

-  Maurice  Holleaux  in  Versailles 1909  Febr.  25 

-  Cliristian  Hülsen  in  Heidelberg 1907  Mai       2 

-  Hermann  Jacohi  in  Bonn 1911  Febr.    9 

-  Adolf  Jülk/ier  in  Marburg 1906  Nov.      1 

Sir   Frederic  George  Kenyou  in  London 1900  Jan.     18 

Hr.  Georg  Friedrich  Knapp  in  Straßburg 1803  Dez.    14 

-  Axel  Kock  in  Lund 1917  Juli     19 

-  Karl  von  Kraus  in  München 1917  Juli     19 

Basil  Latijschew  in  St.  Petersburg 1891  Juni      4 

-  Friedrich  Loofs  in  Halle  a.  S 1904  Nov.     3 

Giacomo   Lumbroso  in  Rom 1874  Nov.   12 

-  Arnold  Luschin  von  Ebengretilh  in  Graz 1904  Juli     21 

-  John  Penthnd  Mahaffij  in  Dublin 1900  Jan.     18 

-  Wilhelm  Meyer-Lübke  in  Bonn '     .     .     .     .  1905|  Juli        6 

-  Ltidwig  Mitteis  in  Leipzig 1905  Febr.  16 

-  Georg  Elias  Müller  in  Göttingen        1914  Febr.  19 

-  Karl  von  Müller  in  Tübingen 1917  Febr.     1 

-  Samuel  Muller  Frederikzoon  in  Utrecht .  1914  Juli     23 

-  Franz  Praetorius  in  Breslau 1910  Dez.      8 

-  Fio  Rajna  in  Florenz 1909  März  11 

-  Moriz  Ritter  in  Bonn 1907  Febr.  14 

-  Karl  Robert  in  Halle  a.  S 1907  Mai       2 

-  Michael  Rostowzew  in  St.  Petersburg 1914  Juni    18 

-  Edward  Schröder  in  Göttingen 1912  Juli     11 

-  Eduard  Schwartz  in  Straßburg 1907  Mai       2 

-  Bei-nhard  Seuffert  in  Graz 1914  Juni    18 

Eduard  Sievers  in  Leipzig 1900  Jan.    18 

Sir   Edward  Maunde  Thompson  in  London 1895  Mai       2 

Hr.  Vilhelm   Thomsen  in  Kopenhagen 1900  Jan.    18 

-  Ernst  Troeltsch  in  Berlin 1912  Nov.  21 

-  Paul   Vinogradoff  in  Oxford 1911  Juni    22 

Girolamo  Vitelli  in  Florenz 1897  Juli     15 

-  Jakob    Wackernagel  in  Basel 1911  Jan.    19 

-  Adolf  Wilhelm  in  Wien 1911  April  27 

I^udcig  Wimnur  in  Kopeidiageu 1891  Juni      4 

-  Wilhelm  Wundt  in  Leipzig 1900  Jan.     18 


XXXI 


Inhaber  dei-  Bradley-Medaille 

Hr.  Friedrich  Kästner  in  Bonn  (1918) 

Inhaber  der  Helmholtz-Medaille 

Hr.  Santiago  Ramon  Cajal  in   Madrid  (1905) 

-  Max  Planck  in  Berlin  (1915) 

-  Ricliard  von  Hertwiy  in   München  (1917) 

-  Wilhelm  Konrad  Röntgen  in   München  (1919) 

Inhaber  der  Lcibniz-Medaille 

a.     Der  Medaille  in   Gold 
Hr.  James  Simon  in  Berlin  (1907) 

-  Erneut  Solray  in  Brüssel  (1909) 

-  Henry  T.  von  Bötliuger  in  Elberfeld  (1909) 
Joseph  Florimond  Duc  de  I^oubat  in  Paris  (1910) 
Hr.  Hans  Meyer  in  Leipzig  (1911) 

Frl.  EUse  Koenigs  in  Berlin  (1912) 

Hr.  Georg  Scliweinfurth  in  Berlin  (1913) 

-  Otto  von  Schjerniny  in  Berlin  (1916) 

-  Leopold  Koppel  in  Berlin  (1917| 

-  Rudolf  Havenstein  in  Berlin  (1918) 

-  Heinrich  Schnee  in  Berlin  (1919) 

b.     Der  Medaille  in  Silber 
Hr.   Karl  Alexander  von   Martins  in  Berlin  (1907) 

-  Adolf  Friedrich  Lindemann  in  Sidmouth.   England  (1907) 

-  Johannes  Bolle  in  Berlin  (1910) 

-  Albert  von  Le  Coq  in  Berlin  (1910) 
Johannes  llherg  in  Leipzig  (1910) 

-  Max  Wellmann  in  Potsdam  (1910) 

-  Robert  Koldewey  in  Babylon  (1910) 
Gerhard  Hessenberg  in  Breslau  (1910) 
Werner  Janemch  in  Berlin   (1911) 

-  Hans   Osten  in  Leipzig  (1911) 
Robert  Davidsohn  in   München   (1912) 

-  N.  de  Garis  Davies  in  Kairo  (1912) 

-  Edwin  Hennig  in  Tübingen  (1912) 

-  Hugo  Rabe  in  Hannover  (1912) 

-  Josef  Emanuel  Hibsch  in  Tetschen  (1913! 

-  Karl  Richter  in  Berlin  (191.5) 


XXXl] 

Hr.  Hans  Witte  in  Neustrelitz  (1913)  . 

-  Georg  Wolff  in  Frankfurt  a.  M.  (1913) 
Walter  Andrae  in  Assur  (1914) 
Envin  Schramm  in  Dresden  (1914) 

-  Richard  Irvine  Best  in  Dublin  (1914) 
Otto  Baschin  in  Berlin  (1915) 

-  Alhert  Fleck  in  Berlin  (1915) 

-  Jidius  Hirschberg  in  Berlin  (1915) 

-  Hugo  Magnus  in  Berlin  (1915) 

-  E.  Dehes  in  Leipzig  (1919) 

-  C.  Domo  in  Davos  (1919) 
Johannes  Kirchner  in  Berlin  (1919) 
Edmund  von   Lippmaiin  in   Halle  a.  >S.  (1919) 

Freiherr  von  Srhrötter  in  Berlin  (1919) 
Hr.  Otto  Wolf  in  Berlin  (1919) 


Beamte  der  Akademie 

Bibliotliekar  und  Archivar  der  Akademie:    Dr.  Sthamer,  Prof. 

Archivar  und  Bibliothekar  der  Deutschen  Kommission:  Dr.  Behrendt  Prof. 

Wissenschaftliche  Beamte:  Dr.  Dessau,  Prof.  —  Dr.  Harms,  Prof.  —  Dr.  Karl  Schmidt, 
Prof.  —  Dr.  Frhr.  Hiller  von  Gaertringen,  Prof.  —  Dr.  Ritter,  Prof.  —  Dr.  Apstein, 
Prof.  —  Dr.  Paetsch,  Prof.  —  Dr.   Kuhlgatz,  Prof.  -     

Registrator  und  Kalkulator :    Grünheid. 

Hausinspektor  und  Kanzlist: 

Akademiediener:  Hennig.   —  Janisch,  nimmt  die  Geschäfte  des  Hausinspektors  wahr. 

—  Siedmann. 
Ililfsarbeiterin  in  der  Bibliothek:    Frcäulein   Kilian. 
Ililfsarbeiteriii   im  Bureau:  Fräulein  Meyer. 
Hilfsdiener:  Glaeser. 


XXXIII 

Verzeichnis  der  Kommissionen,  Stiftungs-Kuratorien  usw. 

Kommissionen  für  wissenschaftliche  Unternehmungen  der  Akademie. 

Acta  Borussiea. 
Hintze  (geschäftsfuhrendcs  Mitglied).      Meinecke.      Kehr. 

Ägyptologisehe  Kommission. 
Erman.     E.  Meyer.     W.  Scliulze. 

Außerakad.  Mitglieder:  Junker  (Wien).    H.  Schäfer  (Berlin).    Sethe  (Göttin- 
gen).   Spiegelberg  (Straßburg). 

Corpus  inscriptionum  Etruscarum. 
Diels.     Hirschfeld.     W.  Schulze. 

« 

Corpus  inscriptionum  Latinarum  und  Griechische  Münzwerke. 
Hirschfeld  (Vorsitzender,   leitet  die  epigraphischen  Arbeiten).     Dragendorff 
(leitet  die  numismati.schen  Arbeiten).  Diels.  von  Wilamovvitz-Moellen- 
dorfif.     Norden.     Imlioof-Blumer  (Winterthur). 

Corpus  medicorum  Graecorum. 
Diels.      Sacliau.      von  Wilamowitz-Moellendorft". 

Deutsehe  Geschichtsquellen  des  19.  Jahrhunderts. 
Meinecke.    Roethe.    Schäfer.    Hintze.    Sering.    Holl.    Kehr. 

Deutsche  Kommission. 
Roethe  (geschäftsführendes  Mitglied).   Diels.   Burdach.   W.  Schulze.   Morf. 
Hintze.      Kehr.      Schröder  (Göttingen).      Seuflfert  (Graz). 

Dilthey-Kommission. 
Erdmann  (geschäftsfuhrendcs  Mitglied).    Diels.     Stumpf.    Burdach.    Roethe. 
Seckel. 

Geschichte  des  Fixstemhimmels. 
Struve  (gpschäftsfiihrendes  Mitglied).    G.  Müller. 
Außerakad.  Mitglied:    Cohn  (Berlin). 


XXXIV 

Politische  Korrespondenz  Friedrichs  des  Großen. 
Hintze  (geschäftsfülirendes  Mitglied).      Meinecke.      Kehr. 

Fronte  -Ausgabe. 
Diels.      Hirschfeld.      Norden. 

Herausgabe  der  Werke  Wilhelm  von  Humboldts. 
Burdach  (gescliäf'tsführendes  Mitglied),     von  Wilamowitz-Moelleiulorff. 
Meinecke. 

Herausgabe  des  Ibn  Saad. 
Sachau  (geschäftsführendes  Mitglied).    Erman.   W.  Schulze.    F.W.  K.  Müller. 

Inscriptiones  Graecae. 
von  Wilamowitz-Moellendorft'  (Vorsitzender).   Diels.    Hirschfeld.  W.  Schulze. 

Kant -Ausgabe. 
Erdmann  (Vorsitzender).     Diels.     Stumpf.     Roethe.     Meinecke. 
Außerakad.  Mitglied:    Menzer  (Halle). 

Ausgabe  der  griechischen  Kirchenväter, 
von  Harnack  (geschäftsführendes  Mitglied).    Diels.    Hirschfeld.    vonWilamo- 

witz-Moellendorff.      HoU.      Loofs  (Halle).      Jülicher  (Marburg). 
Außerakad.  Mitglied:    Seeck  (Münster),   für  die  Prosopographia  imperii  Ro- 
mani  saec.  IV — \1. 

Leibniz -Ausgabe. 
Erdmann   (geschäftsführendes   Mitglied).     Planck,     von   Harnack.     Stumpf. 
Roethe.     Morf.     Kehr.     Erli.  Schmidt. 

Nomenciator  animalium  generum  et  subgenerum. 
Kükenthal  (geschäftsfülirendes  Mitglied),     von  Waldey er- Hartz.     Heider. 

Orientalische  Kommission. 
E.  Meyer  (geschäftsfülirendes  Mitglied).    Diels.  Sachau.   Erman.  W.  Schulze. 

F.W.  K.  Müller.    Lüders. 
Außerakad.  Mitglied:    Delitzsch  (Berlin). 

„Pflanzenreich". 
Engler  (geschäftsführendes  Mitglied),     von  Waldeyer-Hartz.     Correns. 


XXXV 

Prosopographia  imperii  Romani  saee.  I — HI. 
Hirschfeld.     Dressel. 

Strabo-Ausgabe. 
Diels.     von  Wilamowitz-Moellendorff.     E.  Meyer. 

„Tierreich". 
Kükenthal  (geschäftsftihrendes  Mitglied),    von  Waldeyer-Hartz.     Heider. 

Herausgabe  der  Werke  von  Weierstraß. 
Planck  (ge.schäflsfülirendes  Mitglied).      Schwarz. 

Wörterbuch  der  deutschen  Rechtssprache. 

Roetlie  (geschäftsfuhrendes  Mitglied).     Stutz.     Heymann. 

Außerakad.  Mitglieder:  Frensdorff  (Göttingen),  von  Gierke  (Berlin).  Huber 
(Bern).  Frhr.  von  Künßberg  (Heidelberg).  Frhr.  von  Schwerin  (Frei- 
burg). Frhr.  von  Schwind  (Wien). 


Wissenschaf  täche  Untei'nehnmngen,  die  mit  der  Akademie  in  Verbindung  stehen. 

Corpus  scriptorum  de  musica. 
Vertreter  in  der  General-Kommission:  Stumpf. 

Luther-Ausgabe. 
Vertreter  in  der  Kommission:   von  Harnack.      Burdach. 

Monumenta  Germaniae  historica. 
Von  der  Akademie  gewählte  Mitglieder  derZentral-Direktion:  Schäfer.  Hintze. 

Thesaurus  der  japanischen  Sprache. 
Sachau.     W.Schulze.     F.  W.  K.  Müller. 

Sammlung  deutscher  Volkslieder. 
Vertreter  in  der  Kommission :  Roethe. 

Wörterbuch  der  ägyptischen  Sprache. 
Vertreter  in  der  Kommi-ssion:  Erman. 


XXXVI 


Bei  der  Akademie  errichtete  Stiftungen.  j 

•VI 

Bopp  -  Stiftung.  l 

Vorberatende  Kommission  (1918  Okt.  — 1922  Okt.).  ' 

W.  Schulze  (Vorsitzender).    Lüders  (Stellvertreter  des  Vorsitzenden).   Roethe. 

■i 

Brandl.  i 

Außerakad.  Mitglied:    Brückner  (Berlin).  \ 


Charlotten -Stiftung  für  Philologie. 

Kommission. 

Diels.      Hirsclifeld.     von  Wilamowitz-Moellendorff.    W.  Schulze.      Norden. 

Eduard  -  Gerhard  -  Stiftung. 
Kommission. 
Dragendorif  (Vorsitzender).        Hirschfeld.       von    Wilamowitz-Moellendorff. 
Dressel.     E.  Meyer.      Schuchhardt. 

Humboldt  -  Stiftung. 
Kuratorium  (1917  Jan.  1  —  1920  Dez.  31). 
von  W^aldeyer-Hartz  (Vorsitzender).     Hellmann. 

Außerakad.  Mitglieder:    Der  vorgeordnete  Minister.     Der  Oberbürgermeister 
von  Berlin.     P.  von  Mendelssohn-Bartholdy. 

Akademische  Jubiläumsstiftung  der  Stadt  Berlin. 

Kuratorium   (1917  Jan.  1—1920  Dez.  31). 

Planck  (Vorsitzender),    von  W^aldeyer-Hartz  (Stellvertreter  des  Vorsitzenden). 

Diels.     Hintze. 
Außerakad.  Mitglied:  Der  Oberbürgermeister  von  Berlin. 

Stiftung  zur  Förderung  der  kirchen-  und  religionsgeschiehtliehen  Studien  im 
Rahmen  der  römischen  Kaiserzeit  (saee.  I  —VI). 
Kuratorium  (1913  Nov.— 1923  Nov.). 
Diels  (Vorsitzender),     von  Harnack. 

Außerdem  als  Vertreter  der  theologischen  Fakultäten  der  Universitäten  Ber- 
lin:  HoU,   (ließen:   Krüger,  Marburg:   Jülicher. 


xxxvu 

Graf-Loubat-Stiftung. 

Kommission  (1918  Febr.— 1923  Febr.). 
Sachau.     Seier. 

Albert-Samson-Stiftung. 

Kuratorium  (1917  April  1—1922  März  31). 

von  Waldeyer-Hartz  (Vorsitzender).    Planck  (Stellvertreter  des  Vorsitzenden). 

Rubner.      Orth.      Penck.      Correns.      Stumpf. 

Stiftung  zur  Förderung  der  Sinologie. 
Kuratorium  (1917  Febr.  -1927  Febr.). 
de  Groot  (Vorsitzender).     F.  W.  K.  Müller.     Lüders. 

Hermann-und-EIise-geb.-Heokmann-Wentzel-Süftung' 

Kuratorium  (1915  April  1—1920  März  31). 

Roethe   (Vorsitzender).      Planck   (Stellvertreter   des  Vorsitzenden).      J]rman 

(Schriftführer).      Nernst.      Haberlandt.      von   Harnack. 
Außerakad.  Mitglied:    Der  vorgeordnete  Minister. 

Max-Henoeh-Stiftung. 
Planck  (Vorsitzender).     Schwarz.     Scliottky.     Erh.  Schmidt  (Schriftführer). 
Caratheodory. 

Paul-Rieß-Stiftung. 
Kuratorium  (1920  Jan.  1—1925  Dezember  31). 
Planck.     Beckmann.     Rubens.     Struve. 


ABHANDLUNGEN 

DER  PREUSSISCHEN 

AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

JAHRGANG   1919 
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE  KLASSE 


Nr.1 
ZUR  AUSBREITUNG  DES  CHRISTENTUMS  IN  ASIEN 


VON 


EDUARD  SACHAU 


BERLIN  1919 

VERLAG  DER  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

IN  KOMMISSION  BEI  GEORG  UEIMEK 


Vorgelegt  in  der  üesanitsitzung  ani  30.  Januar  1919. 
Zum  Druck  eingereicht  am  gleichen  Tage,  ausgegeben  am  ö.  April   1919. 


Einleitung. 

J_Jie  kirchengeschiclitliclie  Forschung  liat  im  semitisclien  Westasien  nur 
selten  und  nur  mehr  ausnahmsweise  die  Grenzen  P^dessas,  des  Theaters 
der  Ghristus-Abgar-Legende,  gegen  Osten  hin  überscliritten.  Und  doch  hat 
sich  jenseits  von  Nisibis  und  vom  Tigris  frühzeitig  eine  große,  in  zahl- 
und  volkreiche  liemeinden  und  Provinzen  gegliederte  Christenwelt  aufge- 
baut, die  schon  um  dessen  willen  unser  besonderes  Interesse  beanspruchen 
darf,  daß  sie  nur  selten  in  voller  Freiheit  unter  der  Gunst  aller  Verhältnisse 
wie  die  europäische  Cliristenwelt  seit  Konstantin  sich  entwickeln  durfte, 
ja,  spärlich  gesäte  Zwischenräume  abgerechnet,  stets  staatlicher  Mißgunst 
und  Verfolgung,  dem  Hasse  religiöser  und  völkischer  Majoritäten  die  Stirn 
zu  bieten  genötigt  war  vmd  trotz  alledem  sich  behauptet  und  außerdem 
noch  ihre  Mission,  ihre  Gemeinden  bis  in  weite  Fernen  hinaus  vorgetrieben 
hat.  Nicht  lange  nach  dem  Ende  des  ersten  Jahrtausends  des  Bestehens 
vernichteten  die  mongolischen  und  tatarischen  Völkerstürme  ganze  Provinzen 
des  asiatischen  Christentums,  und  was  die  Not  und  Verfolgung  späterer 
Jahrhunderte  davon  noch  übriggelassen  hat,  ist  verkommen  und  verwildert, 
ist  aber  nach  meiner  Überzeugung  zu  einer  neuen  Lebensblüte  bestimmt, 
wenn  einmal  ein  humaner  Trieb  der  Weltgeschichte  wenigstens  die  ein- 
fachsten Gnmdlagen  bürgerlicher  .Sicherheit  und  ( rerech tigkeit  dort  gelegt 
haben  sollte. 

Ein  liervorragender  V>rtreter  christlichen  Geistes,  Patriarch  Mär  Abhä, 
denkt  sich  die  Bevölkerung  des  Orients  als  aus  vier  Gruppen  bestehend: 
Magiern,  Juden,   Heiden    und  Cliristen'.     Und   was    er   für   seine   Zeit,  das 


'    Synoflicoii  OnViitali-   S.  550,  j.  4  :  S.  561,  S.  9, 


4  S  A  C  H  A  u  : 

sechste  christliche  Jahrhundert,  aussagt,  gilt  in  gleicher  Weise  für  jene 
Zeiten,  in  denen  die  Anhänger  des  neuen  Glaubens  auf  den  Handelswegen 
ihrer  Zeit  zuerst  den  Chäbür  und  den  Tigris  und  damit  die  Grenzen  des 
Parther-  oder  Sasaniden-Reiches  überschritten.  Gab  es  nun  zwischen  dem 
Gedankensystem  der  zoroastrischen  Religion  und  dem,  was  die  ersten  christ- 
lichen Missionare  vortrugen,  Berührungspunkte?  —  In  dem  Kampf  gegen 
die  Sünde  konnten  die  Magier  den  Kampf  gegen  die  Schöpfung  Ahrimans, 
in  dem  Satan,  der  Christus  versucht,  Ahriman  selbst  wiederzuerkennen 
glauben.  Für  die  Lehre  von  der  Auferstehung  und  dem  ewigen  Leben 
bildete  das  Ristächez,  d.  i.  die  Auferstehung  der  Toten',  ein  zoroastrisches 
Gegenstück,  und  wenn  vom  Heiland  eeöc  cuthp  die  Rede  war,  konnten 
die  Magier  an  Saosjans  denken,  den  Sohn  der  jungfräulichen  Eredatfedri, 
der  am  Ende  der  Welt  erscheint  und  mit  seinen  Genossen  die  durch  Sünde 
und  Verwesung  befleckte  Welt  neu  und  die  Leiber  der  Verstorbenen  wieder 
lebendig  macht"'.  Solchen  allenfalls  möglichen  Berührungspunkten  stehen 
andere  Dinge  gegenüber,  in  denen  die  beiden  Religionen  unüberbrückbare 
Gegensätze  bieten.  Die  Magier  konnten  für  die  Leidensgeschichte  Christi 
absolut  kein  Verständnis  haben,  und  da.sjenige  Element  im  Christenwesen, 
das  Männer  wie  Aphraates  vielleicht  am  höchsten  schätzten,  die  Neigung 
zum  Zölibat,  erschien  ihnen  nicht  allein  als  widersinnig,  sondern  auch  als 
staatsgefahrlich.  Für  die  Christen  andererseits  war  das  Opferwesen  in  den 
Pyräen  ein  Greuel  bis  zu  dem  Grade,  daß  ein  christlicher  Fanatiker  sich 
dazu  hinreißen  lassen  konnte,  mitten  im  Frieden  und  in  aller  öfi'entlich- 
keit  einen  solchen  Feueraltar  zu  zerstören,  obwohl  er  wissen  mußte,  daß 
er  damit  sein  Leben  auf  das  Spiel  setzte'.  Die  Heiligiialtung  von  Feuer, 
Erde  und  Wasser  war  den  Christen  ein  Frevel,  die  Schöpfungslehre  des 
zurwanitischen  Magismus,  wie  wir  sie  durch  den  Armenier  Eznik  kennen- 
lernen, ein  Abscheu,  und  nicht  minder  die  volkstümliche,  als  eine  Art 
familiäres  Fürsorgeinstitut  geschätzte  Inzestehe.  Daß  trotz  solcher  Gegen- 
sätze viele  Magier  dem  Christentum  gewonnen  wurden,  dürfen  wir  aus 
den  für  die  persischen  Christengemeinden  verfaßten  Rechtsbüchern  von 
Jesubocht  und  Simeon  entnehmen,  zugleich  aber  auch,  wie  sclnver  ihnen 
dieser  übertritt   geworden   sein   mag,  denn  noch  als  Christen  suchten  sie 


Siehe  Kapitel  31   des  Bundehisch. 
Windischmann,  Zoroastrische  Studien  S.  238. 
HoFf'MANK.  Auszüiie  S.  35. 


Zur  Ausbrrifuiiy  iIcs  Cliristnitinns  in  Asien.  5 

ihre  alten  Eherechtssitten  beizubehalten,  und  gerade  gegen  diese  hatten 
die  fuhrenden  Geister  des  Christentums  den  schwersten  Kampf  zu  füliren'. 
Was  von  den  Kulten  des  asiatischen  Heidentums,  von  dem  Dienst 
ftir  Bei,  Marduk,  Istar,  Nebo,  Sin,  'Uzzä  und  andere  in  den  Jahrhunderten 
nach  Christi  Geburt  noch  übrig  gewesen  sein  mag,  darüber  fehlt  es  in  der 
Literatur  an  zusammenhängenden  Nachrichten.  Diskussionen  zwischen  Be- 
kenneni  des  Christentums  und  heidnischen  Priestern  sind  mir  nicht  be- 
kannt. Von  einer  männlichen  und  einer  weildichen  Mondgottheit  Sin  und 
Sinai  und  anderen  Göttern  ist  die  Rede  im  Ilexaemeroii  des  Immanuel, 
von  'Uzzä  und  Kaukabhtä  in  der  Vita  des  Abraham  von  Kaskar''.  Auch 
werden    Baumkulte    gelegentlich    erwähnt,   so    in    der   Chronik   von  Arbela 

S.52-53-  ■ 

So  fern  das  Christentum  dem  Magisnuis  und  dem  Heidentum,  so  nahe 

stand  es  dem  Judentum,  aus  dem  es  hervorgegangen,  und  daß  in  den 
ältesten  Zeiten  die  wandernden  Christen  den  nächsten  Anschluß  in  jüdischen 
Kreisen  gesucht  und  gefunden  haben,  ist  anzunehmen,  wenn  auch  nicht 
überliefert.  Die  Anweseidieit  von  Juden  in  Edessa  wird  in  der  Abgar-Sage 
vorausgesetzt ',  und  der  Name  des  ersten  Apostels  des  transeuphratensischen 
Christentums  Addai  dürfte  jüdischen  Urspi-ungs  sein,  eine  Abkürzung  von 
einem  Namen  wie  Adoni,tjä,  wie  "cbc  von  n^cbc,  die  Lesart  "''cbl»  Ezra  2,  46 
von  'n^'cbB.  Bekannt  ist  der  tibertritt  des  adiabenischen  Fürstenhauses  zum 
Judentum  unter  Kaiser  ('laudius,  die  Chronik  von  Arbela  berichtet  S.  30.  50 
von  Juden  daselbst,  und  daß  gerade  Babylonien  eine  starke  jüdische  Be- 
völkerung hatte,  harmoniert  mit  der  Tatsaclie,  daß  wohl  in  keinem  Lande 
östlich  vom  Euplirat  das  Cimstentum  sich  so  mächtig  entwickelt  hat  wie 
gerade  in  Baliylonien'.  Nahe  Beziehungen  zwischen  Judentum  und  Christen- 
tum, ein  melirfaches  (Jeben  und  Nehmen  von  geistigen  Gütern  ist  auch 
durch  die  Kritik  der  syrischen  Bibelübersetzung  des  Alten  Testaments  er- 
schlossen  worden.     Die  syrische  Übersetzung  der  Chronik  ist  ein  jüdisches 

'  Sachal-,  Svrisclie  Kechtsbüclier.  Hand  III  S.  366.  367.  ("bei-  den  partliisch-ai-sacidi- 
schen  Magismus  und  sein  Verhältnis  zum  pereisch-sasanidisclien  vgl.  Schneiderwirth,  Die 
Parther  S.  186  ff. 

'  Sachai,  Verzeichnis  der  syri-rhen  Handschriften  di>r  Kgl.  Bibliothek  in  Berlin  Band  I 
S.  211:  Band  II  S.  558:  auch  .Iakoh  von  Sehügh   DMG.  19,  107(1' 

'    BuBKiTi ,   Urchristentum   im   Orient  S.  9. 

'    Siehe  weiter  unten   das  Verzeichnis  der  Bistümer  Babyloiiiens  (S.  26  ff.). 


6  S  A  c  II  A  u  : 

Targum,  das  jüdische  Targum  der  Sprüche  eine  Bearbeitung  der  syrischen 
tTbersetzung,  und  die  syrische  tTbersetzung  des  Pentateuch  ist  ein  Kind 
jüdischer  Gelehrsamkeit,  wahrscheinlich  das  Werk  eines  Gelehrten,  der  vom 
Judentum  zum  Christentum  übergetreten  war.  Sobald  aber  die  syrische 
Nationallit(>ratur  einsetzt,  weiß  sie  von  Juden  und  (Jhristen  nur  als  zwei 
feindlichen  Völkern,  von  den  Juden  nur  als  Beihelfern  und  Urhebern  der 
gegen  die   (Jhristen  gerichteten  Verfolgungen  zu   berichten. 

Die  Missionspredigt  dürfte  durch  die  Einlieit  der  Sprache  im  ganzen 
Kulturgebiet  von  Palästina -Syrien  bis  Babylonien-Mesene  wesentlich  ge- 
fördert worden  sein.  Überall  sprach  man  aramäisch,  und  wenn  auch  in 
etwas  verschiedenen  3Iundarten,  so  mögen  sich  die  Bevölkerungen  doch 
ebensogut  miteinander  verständigt  haben  wie  gegenwärtig  die  Araber  von 
Jerusalem  bis  Basra.  deren  Dialekte  ebenfalls  mancherlei  Verschiedenheiten 
aufweisen. 

Die  Wege,  auf  denen  das  Urchristentum  von  Antiochien  und  Edessa 
ostwärts  gewandert  ist,  dürften  dieselben  sein,  auf  denen  Heere  und  Ka- 
rawanen einherzogen,  denn  in  den  römischen  Kastellen  fanden  letztere 
vermutlich  stets  einigen  Schutz  gegen  die  Beduinen.  Nach  der  Peutinger- 
schen  Tafel,  deren  Straßenzüge  speziell  in  Mesopotamien  dieselben  zu  sein 
scheinen,  welche  Strabo  beschreibt,  führten  zwei  Straßen  von  Antiochien 
an  den  Eluphrat,  eine  südliche,  die  den  Süden  der  Felslandschaft  des  (iebel 
Elakra'  durchschnitt  und  über  P]mma  (n^5  2.  Kön.  18,  34)  und  Calcida  Kaaxic 
nach  Beroea  Aleppo  und  Hierapolis-Membit^  und  von  dort  an  den  Euplirat 
bei  Zeugma  (Geräbis?  Birecik?)  führte,  und  eine  zweite,  welche  die  gras- 
reiche Marsch  um  den  See  von  Antiochien  im  Norden  kreuzte  und  über 
Gindarus  dasselbe  Ziel  erreichte.  In  Mesopotamien  scheinen  nun  die  Ver- 
kehrswege des  Altertums  von  den  heutigen  durchaus  verschieden  gewesen 
zu  sein.  Während  jetzt  und  schon  seit  Jahrhunderten  im  Westen  der  Ver- 
kehr sich  an  den  Euphratlauf  ansclimiegt,  bewegt  er  sich  im  Osten  jen- 
seits des  Tigris  zwischen  (Jebirge  und  Fluß,  vermeidet  also  grundsätzlich 
das  Binnenland  zwischen  den  beiden  großen  Strömen,  weil  dort  der  Beduine 
herrscht.  Anders  lagen  die  Verhältnisse  zur  Zeit  Strabos.  Nadi  ihm 
{XVI  1,27)  zog  man  in  25  Tagen  durch  das  Land  der  Zeltaraber  durch 
die  Steppe  vom  Euphrat  bei  Anthemusia  bis  nach  CKHNAi-Maskene  im 
Norden  Babyloniens,  indem  man  absichtlich  den  Fluß  (den  Euphrat)  ver- 
mied,  weil    auf  beiden  Seiten    dessell)en   Stammesfürsten   saßen,   die  über- 


Zur  Aiisbreitiuiy  des  Chrlstenium.^  in  Ai^ie/i.  7 

mäßigen  Durchgangszoll  erhoben.  Die  entsprechenden  Straßenzüge  der 
Tabula  Peutingeriana  sind  folgende :  Vom  Euphrat  bei  dem  Zeugma  geht 
die  Straße  über  Batnae  im  südlichen  -Seriig  und  Harrän  nach  Ka^s-eFain, 
von  dort  nach  Xisibis  imd  weiter  bis  zu  einem  nicht  lokalisierbaren  Kreuzungs- 
punkt, genannt  Baba',  von  dort  nach  Singäi-  und  Hatra.  Eine  von  Edessa 
ausgehende  Route  führt  ebenfalls  nach  BaV)a,  von  wo  sie  sich  dem  Tigris 
zuzuwenden  scheint.  Eine  zweite  von  Edessa  ausgehende  Route  führt  über 
die  Cliäbür-Quelle  an  den  Lacus  Beberaci  (Chätünijje-See)  nordwestlich  vom 
Ostende  des  Singär-Rückens  und  weiter  ebenfalls  nach  Hatra.  Hier  treffen 
die  beiden  Linien  von  Nisibis  und  Edessa  zusammen  und  führen  weiter 
bis  nach  der  Hauptstadt  Ktesiphon.  Wenngleich  viele  Einzelheiten  in  der 
Deutung  dieser  Straßenzüge  unbekannt  und  unsicher  sind,  immerhin  ist 
soviel  siclier,  daß  sie  Nordmesopotamien  ganz  im  Sinne  Strabos  mitten 
durch  die  Steppen  und  fern  von  den  beiden  Strömen  durchschnitten.  Wenn 
das  Singär-Gebirge  schon  um  die  Zeit  des  DynastiewecJisels  224  n.  Chr.  ein 
christliches  Bistum  gehabt  haben  soll,  wie  die  Chronik  von  Arbela  S.  62 
angibt,  so  liängt  das  vermutlich  damit  zusammen,  daß  diese  sehr  abgelegene, 
ringsum  von  Bed\iinen  eingefaßte  Landschaft  auf  einem  Straßenzuge  des 
Altertums  lag  und  daher  von  dem  normalen  Verkelir  in  Friedenszeiten 
gut  erreicht  werden  konnte. 

Die  folgenden  Blätter  wollen  versuchen,  die  Ausbreitung  des  östlichen 
Christentums',  das  seit  den  Jahren  484,  486  als  das  nestorianische  be- 
zeichnet werden  kann,  vom  Zweistromlande  bis  an  den  Merw-rüd,  den 
Fluß  von  Margiana  in  Fortsetzung  der  Arbeiten  von  Assemani,  Chabot, 
Hoffmann,  Makquart  und  anderen  zu  skizzieren,  wobei  wir  uns  damit  be- 
gnügen müssen,  nachzuweisen,  daß  in  dieser  oder  jeuer  Stadt  oder  Land- 
schaft zu  einer  gewissen  Zeit  ein  Bistum  vorhanden  gewesen  ist,  denn 
statistische  Angaben  darüber,  wie  zahlreich  etwa  die  betreffende  (Gemeinde 
gewesen  sei,  fehlen  durchweg. 

'  Die  arabische  Geoi;raphii'  kennt  i^in  RAb  Sin^är,  das  vielleicht  mit  diesem  Baba 
zu  kombinieren   ist. 

'  Vgl.  Harnack,  Die  Mission  nnd  Ausbreituni;  des  Christentums,  besonders  den  Ab- 
schnitt über  Kdessa,  Band  II  .'"I.  117      127. 


k 


S  A  C  H  A  V  : 


Abkürzungen. 

Syn.  Or.  =  Synodicon  Orientale  ou  Recueil  de  Synodes  Nestoriens  public,  tiuduit  et  annote 
par  J.  B.  Chabot,  Paris  1902. 

Chr.  Seert  =  Histoire    Nestorienne    inedite    (Chronique    de    Seert)    par   Mgr.    Addai  Scher. 
Paris  1907.    1909  (in  der  Patrologia  Orientalis  ed.  üraffin   et  Nau,  tom.  I\'  fasc.  3). 
Premiere  partie  (1)  S.  219 — 312. 
Premiere  partie  (II)  S.  221 — 334. 
Seconde  partie  (I)  S.  99 — 201. 
Chr.  Arbel.  =  Die  Chronik  von  Arbela.    Ein   Beitrag  zur  Kenntnis  des  ältesten  Christentums 
im  Orient.    Von  Eduard  Sachai  .    Berlin  1915.    (Abhandlungen  der  Kgl.  Preuß.  Akademie 
der  Wissenschaften,     .lahrgang  19 15.     Phil.-hist.  Klasse  Nr.  6.) 
Hoffmann  =  Auszüge  aus  den  syrischen  Akten  persischer  Märtyrer.     Leipzig  1880. 
Assemani  =  J.  S.  AssEMAKi,  BibUotheca  orientalis. 
MbS  =  I.  Teil.     Mari  bar  Sulaiman. 

AbM  =  II.  Teil.  Amr  bar  Mari  in  Maris  Amri  et  Slibae  de  patriarchis  Nestorianorum 
commentaria  ed.  H.  Gismondi.     Rom  1897.   1899. 

Tractatus  =  Ebedjesus  ,l»0l»|)O^Oja>  iJOLi»d|>  JJUOA  in  Scriptorum  veterum  nova 
collectio  ed.  Mai.     Rom  1838. 

Tukkäsa  =  Ebedjesus    ^AA^3kX   JiLkS   üQjkaOk^  ,  Manuskript  Chabof. 

Jesudenah  =  Le  livre  de  la  chastete,  par  Jesudenah,  eveque  de  Basra,  publie  et  traduit 
par  J.  B.  Chabot;  in  Ecole  frangaise  de  Rome,  Melanges  d'archeologie  et  d'histoire, 
XVI.  annee,    1896  S.  225!}. 


Zur  Au^sbreituny  des  Christentums  in  Asien. 


Von  den  üuellen. 

Unter  den  Geschiclitsquellen  für  das  transtigritanisclie  Christentum  ist 
die  um  550  verfaßte  Chronik  von  Arbela  zwar  nicht  die  älteste  —  die 
Märtyrerakten,  deren  Sammlung  und  ilrhaltung  wir  dem  Patriarchen  Ahai 
und  dem  Bischof  Märuthä  von  Maiperkat  verdanken,  sind  bedeutend  älter  — , 
aber  besonders  merkwürdig  dadurch,  daß  sie  mancherlei  von  den  älteren 
und  ältesten  Zeiten,  deren  Erinnerung  in  der  Überlieferung  erloschen  ist, 
zu  berichten  weiß.  Sie  schöpft  ihre  Nachrichten  in  letzter  Instanz  wahr- 
scheinlich aus  dem  Archiv  der  Erzbischöfe  von  Arbela  und  der  dortigen 
Lokaltradition.  Sie  verlegt  die  Anfänge  des  adiabenischen  Christentums  in 
die  Generation  vor  Trajans  Partherzug  (116),  gibt  aber  daneben  zu  verstehen, 
daß  gleichzeitig,  wenn  nicht  schon  vorher,  weiter  nördlich  eine  Christen- 
gemeinde vorhanden  gewesen  sei,  nämlich  in  Beth-Zabhdai,  also  in  der  jetzt 
nocJ)  zum  Teil  christlichen  Gegend  um  Gezire  am  Tigris,  wohin  die  Mission 
den  Weg  über  Nisibis  gefunden  haben  mag.  Eine  der  wichtigsten  Nach- 
richten dieser  Chronik'  ist  die,  daß  um  das  Jahr  224,  als  die  parthische 
Dynastie  von  der  persisclien  abgelöst  wurde,  bereits  mehr  als  zwanzig  Ge- 
meinden mit  Bischöfen  an  ihrer  Spitze  vorhanden  waren,  und  daß  auch  in 
den  beiden  größten  Städten  der  Zeit,  Nisibis  und  Ktesiphon,  Christen  lebten, 
aber  noch  ohne  Bischöfe.  Danach  bestanden  christliche  Gemeinden  im  Zen- 
trum von  Mittelmesopotamien  Singär,  im  ganzen  Transtigrislande  v(jn 
Arzanene  über  Zabdicene,  Assyrien,  Adiabene,  Reth  Gannai  l)is  in  den 
Norden  Babyloniens,  in  der  Chaulonitis,  Mesene,  Susiana  und  im  Nordosten 
Arabiens". 

An  zweiter  Stelle  sind  die  Märtyrerakten  zu  erwähnen,  urs])rünglich 
wahrscheinlich  liervorgegangen  aus  den  Reisen  und  Erkundigungen  des; 
Patriarchen  Ahai  (gest.  415)  und  zuerst  nicht  viel  später  schriftlich  fixiert,  aber 
erzählend  von  Ereignissen  des  vorhergegangenen  Jahrhunderts,  den  Zeiten 
der  großen  Verfolgungen   unter  Saj)or  II.   in  den  Jahren  340 — 379.    Wenn 


'   S.  61.  62. 

''  Das  von  der  Chronik  S.  Ö2  erwähuto  Gebiet  Beth  Dailomäji'  mit  der  Liind.schart 
Dailani  am  Kaspisclien  Meer  gleichzusetzen,  erscheint  bedenklich,  l.st  es  vielleicht  der  Name 
eines  (iaues  im  Zagros,  an  den  sich  eine  Erinnerung  in  dem  Dailamistän  j11_«jj  j  Jäküts 
erhalten  hat;' 

Phil.-Iii>.l.  M,l,.    lUIU.    .\r.  I  - 


10  Sa  c  1.  A  u  : 

man  nun  die  Lokalitäten  der  Wirksamkeit  und  der  Martyrien  dieser  Personen 
zusammenstellt,  so  ergibt  sich  ein  geAvisses  Bild  von  der  Verbreitung  des 
Christentums  im  vierten  Jahrhundert,  das  folgende  Orte  und  Landschaften 
umfaßt:  Nisibis,  die  einzelnen  Landschaften  Transtigritaniens,  Nordost-  und 
Südostbabylonien,  die  Chaulonitis,  Mesene  und  Susiana.  F.s  ist  gewiß  nicht 
zufällig,  daß  dies  Verl)reitungsgebiet  mit  demjenigen  übereinstimmt,  das  wir 
aus  der  Chronik  von  Arbela  gewonnen  haben.  Über  letzteres  hinausgehend 
und  den  Fortschritt  der  Mission  in  der  Zeit  von  224  bis  etwa  350  dar- 
stellend, erscheinen  in  den  Märtyrerakten  noch  die  Bistümer  Susa  in  B6th 
Hüzäje  (Elam)  und  das  Urbistum  der  Persis,  Rew-Arda.sir.  Dagegen  scheinen 
die  in  der  Arbela-Chronik  genannten  Gemeinden  von  Arzanene  und  Singär 
in  den  Märtyrerakten   nicht   vorzukommen. 

An  dritter  Stelle  halben  wir  eine  wichtige  Quelle  in  den  Acta  con- 
ciliorum,  deren  Nachrichten  bis  zu  dem  ersten  allgemeinen  Konzil  von  410 
und  seiner  Vorgeschichte  zurückreichen,  und  in  der  zweiten  Hälfte  des 
8.  Jahrhunderts  abbrechen.  Durch  den  Inhalt  der  gefaßten  Beschlüsse,  be- 
sonders aber  durch  ihre  Datierungen,  ihre  Über-  und  Unterschriften  mit  den 
Namen  der  Konzilsteilnehmer  und  ihrer  Diözesen  bilden  sie  eine  unschätz- 
bare Geschichtsquelle,  die  auch  bereits  von  dem  Herausgeber  Chabot  wie 
von  Marquart  in  seinem  Eränsahr  vielfach  benutzt  worden  ist.  Ihre  Samm- 
lung und  Erhaltung  verdanken  wir  dem  um  die  Rechtsliteratur  verdienten 
Patriarchen  Timotheos  (780 — 823),  dessen  hierauf  bezügliche  Tätigkeit  nach 
den  Untersuchungen  des  Herausgebers'  zwischen  die  Jahre  775  —  790  fällt. 
Er  dürfte  bei  seinem  Werke  geleitet  gewesen  sein  von  dem  Bestreben,  den 
Zusammenhalt  der  weithin  zerstreuten  Christenwelt  zu  kräftigen,  sie  zum 
Festhalten  an  der  Säule  des  Katholikats  zu  mahnen,  besonders  solche  Pro- 
vinzen, die  in  zentrifugaler  Bewegung  die  Loslösung  vom  Katholikat  und 
eine  autokephale  Sonderexistenz  angestrebt  hatten,  wie  die  Kirchen  der  Persis 
und  Ostarabiens,  indem  er  ihnen  die  einheitliche  P^ntwicklung  der  Katholikats- 
verfassung  und  ihre  Rückführung  auf  das  apostolische  Zeitalter  an  der  Hand 
der  Akten  nachwies.  Seine  Sammlung  bildet  die  Grundlage  aller  kanonisti- 
schen  Arbeiten  der  späteren  Jahrhunderte,  die  infolge  des  Vordringens  der 
arabischen  Sprache  in  die  christlichen  Volkskreise  meist  in  dieser  Sprache 
abgefaßt  sind.    Sie  sind  minderwertig  gegenüber  der  Leistung  des  Thimotheos 


.1.  B.  CiiAUOT,  Sj'n.  Or.  1902.   S.  13. 


Zur  Ausbiritu/ii/  des  Clirislcntum.'^  in  Asien.  11 

und  geben  sich  als  erleichternde,  abkürzende  Bearbeitungen  mit  manclierlei 
Auslassungen  und  Mißverständnissen   zu  erkennen'. 

Aus  dem  9.  Jahrhundert  stammt  die  (Jollectio  canonum  des  Erzbischofs 
Elias  Gauhari  von  Damaskus,  die  um  893  verfaßt  und  in  der  vatikanischen 
Handschrift  157"  vorhanden  ist,  sowie  die,  wie  es  scheint,  nicht  erhaltene 
Sammlung  des  Bischofs  Gabriel  von  Basra  (884 — 893).  In  dem  Werke  von 
Elias  ist  das  Verzeichnis  aller  Bistümer,  die  zu  den  einzelnen  Kirclien])ro- 
vinzen  gehören,   besonders   wertvoll'. 

Dem  I  I.  Jahrhundert  geliört  der  1043  gestorbene  Abü-alfarag  Abdallah 
Ibn  Altajjib  an,  Sekretär  des  Patriarclien  Elias  1.  in  Bagdad.  Außer  mit 
kanonischem  Recht  hat  er  sich  auch  mit  bürgerlichem  Recht  beschäftigt, 
und  seine  Werke  sind  in  den  Sammlungen  christlich-arabischer  Literatur 
viel  verbreitet.  Seine  Collectio  canonum  ist  im  Vatikanischen  i{!odex  153' 
erhalten.  Auch  von  dem  Patriarclien,  dem  er  zur  Seite  stand,  Elias  I. 
(1028 — 1049)  und  von  dem  Bischof  Elias  Bar  Sinäjä  von  Nisibis  (gest. 
nach  1049)  waren  kanonistische  Ar])eiten  vorlianden,  von  denen  sich  einige 
Reste  in  vatikanischen  Handschriften   nachweisen   lassen  dürften. 

Als  eines  weiteren  Vertreters  derselben  Disziplin  haben  wir  des  13 18 
gestorbenen  Bischofs  Ebedjesu  Bar  Berikhä  (=  Benedikt)  von  Nisibis  zu  ge- 
denken, mit  dem  die  nestorianisch-syrische  Literatur  in  ähnlicher  Weise  wie 
die  jakobitische  mit  Barhebraeus  (gest.  1286)  ein  nicht  unrühmliches  Ende 
nimmt.  Seine  uns  erhaltenen  kanonistischen  und  zivilrechtlichen  Arbeiten 
können  meines  Erächtens  ein  etwas  höheres  Verdienst  für  sich  in  Anspruch 
nehmen  als  diejenigen  seiner  Vorgänger  Elias  Gauhari  und  Ibn  Altajjib. 
Was  wir  von  seinem  Leben  wissen,  läßt  sicli  in  wenige  Worte  zusammen- 
fassen. Er  war  zuerst  Möncli,  dann  Bischof  von  Singär  und  Beth  Arbäje, 
d.  i.  vom  nordöstlichen  Mesopotamien,  und  zuletzt  Erzbischof  von  Nisibis 
und  Armenien,  konsekriert  von  dem  Patriarchen  Jabhalähä  111.  (1282  — 13  18). 
Nach  seinem  berühmten  Catalogus  librorum  (Assemani  III.  I),  der  Hauptquelle 
aller  Kenntnis  von  syrischer  Literatur,  müssen  wir  schließen,  daß  er  eine 
vorzügliche  Bibliothek  besaß,  und  neben  der  syrischen  Sprache  beherrschte 
er  auch  die  arabische.     Das  Jahr,   in  dem  er  Biscliof  von  Singär  wurde,  und 

'  Vgl.  ,1.  GiiDi,  Zeitsclirifl  der  Deutscbeii  niorgenländisclien  üesellschart  B;nid  43,  S.  388. 

'  Scriptorum  vetcrum  nova  collurtio  od.  Mai,  tom.  IV,  Rom  1831,  Codices  Anibici  S.  296. 

•  S.  Assemani  II  458.   459,  über  F^lias  III.  I   513,  über  (iabriel  III.  I   202. 

'  Scriptornm   vi  teriiin   iiova   rollectio  S,  286 


12  S  A  c  H  A  u  : 

dasjenige,  in  dem  er  als  Erzbischof  nach  Nisibis  übersiedelte,  sind  mir 
beide  in  der  Literatur  nicht  begegnet.  Von  seinen  juridischen  Arbeiten  ist 
der  durch  Mais  Ausgabe  bekannt  gewordene  Tractatus'  das  jüngere,  von 
ihm  verfaßt,  als  er  noch  Mönch  war.  Er  ist  später  noch  einmal  zu  diesen 
Studien  zurückgekehrt  und  hat  i  3  1 6,  zwei  Jahre  vor  seinem  Tode,  ein  inhalts- 
verwandtes Werk  verfaßt,  das  zur  Zeit  nur  handscliriftlicli  vorhanden  ist, 
betitelt:  d^ä,^  li*?  ..oaeL^  »Ordnung  kirchlicJier  Entscheidungen"'«.  Aus 
letzterem  entlehne  ich  die  folgende  IS'otiz,  aus  der  die  Stellungnahme  des 
Autors  gegenüber  seiner  Aufgabe  erhellt: 

\d^iN  3>A  ^30^1  ^.op  2^^jM.3wäo  Isoe?  l.*a3b3eo7p  joAoi^Vy.»  Z.<jQ)3aap 
.<^aaa2o  ^^o^  2^2  y,äax  x^p^p  lä^l  \ap  .iäe2p  eörp  o^iäpox  \x  U2 

(Ms.  Bl.  2a)   iJioi  lafiop   :ia.*«a.-a  :s«aj: 

»Weil  ich  das  Buch  Kurzgefaßte  Sammlung  für  die  synodalen 
Canon  es  (d.i.  den  Tractatus)  gemacht  habe,  als  ich  Mönch  war,  war  ich 
nicht  berechtigt,  aus  eigenem  etwas  hineinzutun  und  anzufügen  \  wie  es 
die  richtige  Ordnung  fordert.  Jetzt  aber,  da  ich  durcli  die  Güte  des  Mes- 
sias des  Dienstes  des  Metropolitentlirones  und  der  Hyparchie  von  Söbä 
(d.  i.  Nisibis),  der  Hauptstadt  von  Mesopotamien,  gewürdigt  bin,  habe  ich 
im  Vertrauen  auf  den,  der  da  sagt:  ,Überall,  wo  du  meinen  Namen  er- 
wähnst, werde  icli  zu  dir  kommen  und  dich  segnen'  angefangen,  dies  Bucli 
zu  verfassen.«  Das  Datum  der  Abfassung  ist  in  einer  Schlußnotiz  gegeben: 
>VXd.3>,-3LX  u.äde  ijupja  «.^2  oor  ulp  uoaft^p  Ipir  ^s.  ■nt<^\  ^p  6poüe> 
^^ou^Ap  2^.\.tl3(i62  7  =-  1316)  Laoup  lioLSo  ^xcxXe  lliotsso  >^2  ioju 
2^j^ä:e  (Hds.  Bl.  i6ob). 


'  Tractatus  Kbedjesu  X*JOupa}AOkXO  XxOJjap  ilaoa  in  Scriptorum  nova  colleotio 
t.  X,  Rom  1838. 

''  Über  die  von  mir  benutzte  Handschrift  s.  meine  Syrischen  Rechtsbücher,  Band  III, 
1914,  Einleitung  S.  XXVIII. 

^  Dasselbe  sagt  der  Verfasser  in  der  Einleitung  des  Tractatus  (ed.  Mai  S.  19)  Kol.  2: 
■Indem  ich  nicht  die  Worte  der  Väter  durch  simple  Gedanken  beflecke,  die  ich  aus  Eige- 
nem hinzufüge." 


Zur  Ausbreitung  des  Chr'istentums  in  Asien.  13 

Dies  zweite  Werk  unseres  nisibenischen  Erzbischofs  p]bedjesu,  das 
reiche  Auszüge  aus  der  älteren  Rechtsliteratur  enthält,  soljte  durch  Text- 
ausgabe und  Übersetzung  bekanntgemacht  werden'. 

Aus  syrischem  Geiste  geboren,  aber  in  arabischem  Sprachgewande  in 
die  Welt  gesetzt  sind  die  jüngsten  der  hier  in  Betracht  kommenden  Quellen- 
schriften, die  von  Assemani  ausgeschöpften  Patriarchenchroniken  von  Mdri 
bar  Sulaimän  und  Amr  bar  Mattä,  von  denen  jener  um  i  1 50,  dieser  bald 
nach  1350  schrieb".  Beide  Werke  wie  auch  die  Chronik  von  Seert,  ver- 
faßt nach  1036,  sind  Auszüge  aus  der  ältesten  Geschichtsliteratur  der  öst- 
lichen Syrer,  die  im  7.  uiid  8.  Jahrhundert  entstanden  ist  und  derzeit  als 
verloren  gelten  muß.  Die  Heimat  fast  aller  nestorianischen  Literatur  sind 
die  transtigritanischcn  Landschaften  und  Babylonien,  wa.s  aber  die  Gemein- 
<len  in  Persepolis,  Ispahan,  Rhagä  und  die  weiter  östlichen  in  Margiana 
und  Afghanistan  an  literarischem  Besitz  z.  B.  an  Kirchenbüchern  besessen 
haben  mögen,  ist  bisher  auch  nocli  nicht  einmal  in  den  geringsten  Resten 
wieder  zutage  getreten.  Und  doch  braucht  man  die  Hoffnung  auf  litera- 
rische Funde  aus  diesen  Ländern  nicht  ganz  aufzugeben.  Denn  wenn  alte 
Kirchhöfe  bei  den  Orten  Pischpek  und  Tokmak  im  Tal  des  Tschu  in  der 
bisher  russischen  Provinz  Semirjetseliie  uns  Hunderte  von  christlich-syri- 
schen Grabsteinen  aus  der  Zeit  von  der  Mitte  des  13.  bis  zur  Mitte  des 
14  Jahrhunderts  geliefert  haben,  und  wenn  zu  Kara  Koga  im  westlichen 
China  Stücke  altsyrischer  Kirchenliteratur  aus  ihrem  Sandbett  befreit  worden 
sind^,  dürfen  wir  hoffen,  daß  die  fortschreitende  Erforschung  jener  Länder 
für  die  Studien  künftiger  Tage  aus  den  Trümmerschichten  mongolischer 
und  tatarischer  Verwüstung  auch  solche  Materialien  zutage  fordern  wird, 
welche  eine  Vertiefung  unseres  Wissens  von  den  Schicksalen  des  inner- 
asiatischen Christentums  ermöglichen. 


'  Das  darin  enthaltene  Verzeichnis  der  Metropolitien  und  Bistümer  ist  veröffentlicht 
in  Syn.  Or.  S.  619.  620. 

'  .S.  die  Ausgabe  von  Gismondi,  Rom  1897,  und  die  Untei'suchungen  über  die  Quellen 
und  die  Glaubwürdigkeit  der  Patriarchenchroniken  von  G.  We-stphal  igor. 

'  S.  Chwolson,  Syrisch-ncstorianischc  Grabinschriften,  Petersburg  1890.  1897;  Ko- 
KowzoFK,  Christlich-syrische  Grabinschriften  aus  .\hnalyk  1905:  Kinige  neue  Grabsteine  mit 
christlich-syrischen  Inschriften  1907;  Zur  syriscli-tüi'kisclien  Kjjigraphik  1909,  russisch.  Ferner 
meine  Schrift  Literaturbruchstiiekc  aus  Chinosisch-Turkestan,  .SB.  der  Berliner  Akademie 
der  Wissenschaften   1905.  2,3.  November. 


14  Sachau: 

Von  den  Kirchenprovinzen,  Metropolitien,  Hyparchien. 

Die  Christenwelt  im  Sasanidenreich  wurde  durch  das  Konzil  von  410 
bei  der  Gründung  der  Kirchenverfassung  eingeteilt  in  sechs  Provinzen  oder 
Hyparchien,  deren  Vororte  MHTPonÖAeic  hießen,  weshalb  ihre  Bischöfe,  dem 
Range  nach  Erzbischöfe,  Metropoliten'  genannt  wurden.     Diese  Provinzen 

sind 

1.  Babylonien,  Beth  Armäje,  Vorort  Seleucia, 

2.  Susiana,   Beth  Hüzäje,  Vorort  B6th   Lapat, 

3.  Nordostmesopotamien  und  die  an  das  linke  Tigrisufer  angrenzen- 
den Gebirgsländer,  Beth   'Arbäje,  Vorort  Nisibis, 

4.  Mesene,  Maisän,  Vorort  Perät-Maisän  (Basra), 

5.  Adiabene,  Hedhnjjabh,  Vorort  Arbela  (Irbil), 

6.  Garamaea,  Beth  Garmai,  Vorort  Karkhä  dhe-Beth  Selökh  (Kerkük). 
Diese  Rangordnung,  die  in  der  Folgezeit  stets  unverändert  geblieben 

ist,  hat,  vom  geographischen  Standpunkt  betrachtet,  etwas  durchaus  Sprung- 
haftes und  fordert  eine  Erklä,rung  in  den  hierarchischen  Verhältnissen  der 
Zeit  ihrer  Gründung.  Päpä,  der  erste  Bischof  von  Seleucia,  hatte  sich  in 
schweren  Kämpfen  und  nicht  ohne  Kompromiß  die  Stellung  eines  Ober- 
bischofs mit  dem  Anspruch  auf  das  Recht  der  Konsekration  sämtlicher 
Erzbischöfe  und  Bischöfe  angemaßt  und  zum  großen  Teil  auch  errungen. 
V.v  erhielt  den  heftigsten  Widerstand  aus  Susiana,  vertreten  durch  den 
Bischof  Miles.  Dort  war  das  Christentum  älter  als  in  Seleucia,  Susiana 
hatte  schon  um  224  Bischöfe,  und  bald  darauf  erhielt  es  einen  weiteren 
Zuwachs  christlicher  Bevölkerung  von  den  unter  Sapor  I.  (nach  260)  im 
Lande  angesiedelten  (befangenen  aus  Syrien.  Päpä  war  unter  Beihilfe  eines 
susischen  Bischofs,  des  Haibe'el  von  Susa".  zum  Bischof  geweiht,  und 
nun  sollten  sich  die  Bischöfe  von  Susiana  vor  dem  Neuling  von  Seleucia 
beugen?  Niemals.  Päpä  hat  die  Zustimmung  dieses  Landes  nie  erlangt^. 
Als  dann  beinahe  hundert  Jahre  später  das  erste  allgemeine  Konzil 
in  Seleucia  abgehalten  und  mit  Hilfe  aus  dem  Römerreich  und  nach  west- 
lichem Muster  die  Episkopalverfassung  aufgerichtet  wurde,   stand  wiederum 

■    Arabisch  miträn  oder  maträn,  volkstümlich  gesprochen  inufrdn. 
■'    Chr.  Arbel.  S.  69. 

'■'    Über   die  Rangstelhino;   der  Provinz  Siisiniia   vgl.   aiich    We.stphai..   rntersuchiingen 
li-sw.   .'^.  62- — 64. 


Zur  Ausbreitung  des  Christentums  in  Asien.  15 

Susiana  abseits,  ließ  sich  nicht  vertreten.  Der  Vorort  Beth  Lapat  hatte 
im  Gegensatz  zur  Episkopalverfassung  zwei  (oder  drei)  Bischöfe  gemäß  dem 
älteren  Usus,  konnte  dalier  nach  dem  neuen  Recht  einen  Metropoliten  nicht 
haben.  Wenn  daher  das  Konzil  in  seinem  §  XXI  trotzdem  Susiana  den 
ersten  Rang  nach  Babylonien  zuerkannte,  so  muß  darin  eine  besondere 
Wertschätzung  des  Landes  und  ein  besonderes  Mittel,  es  für  die  neue  Ord- 
nung der  Dinge  zu  gewinnen,  zum  Ausdruck  gekommen  sein.  Ersteres 
kann  darauf  zurückgeführt  werden,  daß  in  seiner  Hauptstadt  zahlreiche 
Martyrien  unter  Sapor  II.  stattgefunden  hatten,  und  letzteres  empfahl  sich 
vielleicht  mit  Rücksicht  auf  den  Umstand,  daß  Beth  Lapat  zeitweilig  Re- 
sidenz des  Königs  der  Könige  war  und  daher  der  Vertreter  der  dortigen 
Christenbevölkerung  unter  Umständen  am  Hofe  einen  Einfluß  auszuüben 
in  der  Lage  war. 

Auf  die  beiden  südlichsten  Provinzen  läßt  die  Rangordnung  gleich  die 
allernördlichste,  B^th  Arbäj^,  folgen.  Wir  dürfen  wohl  annehmen,  daß  der 
Vorort  Nisibis,  der  seit  dem  Joviansfrieden  von  363  beständig  dem  Perser- 
reich angehörte,  durch  seine  Lage  ganz  nahe  der  Grenze  als  Vermittelungs- 
punkt  zwischen  Ost  und  West,  zwischen  dem  Perser-  und  Römerreich  und 
den  Christen  auf  beiden  Seiten  der  Grenze  eine  hervorragende  Bedeutung 
gehabt  hat.  Die  nisibenische  Gemeinde  war  nicht  etwa  durch  ihr  Alter 
liervorragend,  sie  hatte  224  noch  keinen  Bischof,  und  erst  um  300  er- 
scheint Babu  als  ihr  erster  Bischof,  bald  darauf  aber  gewann  sie  hohen 
Ruhm  in  der  ganzen  Christenwelt  durch  die  Tätigkeit  ihres  berufensten 
Bischofs  Jacobus  Nisibenus,  der  auch  am  Konzil  von  Nicäa  teilnahm.  Dies 
mögen  die  Gründe  gewesen  sein,  welche  auf  dem  Konzil  von  410  dahin 
gewirkt  haben,  daß  B6th-Arbäje  in  der  Ordnung  der  Kirchenprovinzen  der 
dritte  Rang  angewiesen  wurde. 

Für  die  Anordnung  der  Reihe 

4.  Mesene, 

5.  Adiabene, 

6.  Garamaea 

wüßte  ich  besondere  Gründe  oder  Rücksichten  nicht  anzuführen,  und  wenig 
harmoniert  mit  der  Voranstellung  von  3Iesene  der  Umstand,  daß  gerade 
Mesene  in  der  kirchengeschichtlichen  tj'^berlieferung  gegen  Adiabene  und 
Garamaea  erheblich  zurücktritt.  Ob  diese  Landschaft  vielleiciil  als  Aus- 
gangspunkt des  Seeverkehrs  und  zugleich  der  christlichen  Mission  nach  der 


Ifi  S  A  C  H  A  u  : 

Persis,  üstarabien,  Oman  und  Indien  eine   die  Binnenlandprovinzeu    über- 
ragende Bedeutung  hatte? 

Die  Kirche  von  Adiabene  war  in  gewissem  Sinne  eine  Mutterkirche 
von  Seleucia,  denn  als  diese  Stadt  noch  ohne  Bischof  war,  hatte  ihr  Arbela 
mehrere  Male  seine  Bischöfe  zu  geistiger  Hilfeleistung  geschickt,  und  mit 
Hilfe  des  Bischofs  von  Arbela  (sowie  desjenigen  von  Susiana)  war  der  erste 
Bischof  von  Seleucia,  Päpä,  eingesetzt  worden'.  Diese  Umstände  mochten 
dem  Throne   von  Arbela  einen  Vorzug  vor  Garamaea  verschafft  haben. 

Die  Oberhäupter  dieser  Stammprovinzen  der  Kirchen  bezeichnen  sich 
in  den  ältesten  Konzilakten  von  410,  420,  424  als  Bischöfe  ihrer  Städte. 
Bischof  von  Nisibis,  von  Arbela  usw.,  obgleich  sie  mehr  waren  als  ge- 
wöhnliche Bischöfe,  vielmehr  Metropoliten  oder  Erzbischöfe.  Erst  vom 
Konzil  von  486  an  ändern  sich  die  Signaturen,  und  erscheint  der  Titel 
Metropolit,  s.  z.  B.  Päpä,  Bischof  von  Beth  Lapat,  Metropolit  von  Beth 
Hüzäje',  und  breitspuriger  im  Konzil  von  544.  s.  z.  B.  Henänä,  Bischof 
von  Arbela,  Metropolit  dieser  Stadt  imd  des  ganzen  Landes  Hedhajjabh^. 

Die  Konzilakten  von  410  setzen  das  Dasein  der  seclis  Stammprovinzen 
zu  jener  Zeit  als  bekannt  voraus,  lehren  uns  aber  nicht,  wann  sie  ent- 
standen sind,  wann  die  regionalen  Kirclien  zu  einer  Verwaltungseinheit 
zusammengefaßt  und  der  Auktorität  eines  zum  Oberbischof  erhöhten  Bischofs 
unterstellt  worden  sind.  Nach  Ibn  Altajjib  und  Ebedjesu  sind  Susiana, 
Beth  'Arbäjö,  Maisän  und  Adiabene  von  dem  obengenannten  Bischof  Päpä 
von  Seleucia  (gest.  326),  Garamaea  von  dem  341  martyrisif'rten  Simeon  Bar 
Sabbä'e,  dem  Nachfolger  Päpäs  gegründet.  Leider  fehlt  es  in  der  übrigen 
Literatur  an  Nachrichten,  die  uns  in  den  Stand  setzen  würden,  diese  für  die 
Geschichte  des  Christentums  bedeutsamen  Entwicklungsknotenpunkte  näher 
zu  beleuchten.  .Daß  Päpä  die  Macht  gehabt  haben  sollte,  so  gewaltig  in 
die  Geschichte  der  genannten  vier  Länder  einzugreifen,  erscheint  wenig 
wahrscheinlich,  wenn  man  erwägt,  einen  wie  schweren,  ja  verzweifelten 
Kampf  er  um  seine  eigene  Stellung  zu  kämpfen  hatte,  und  wie  er  schließ- 
lich sich  nur  durch  einen  Kompromiß  mit  der  Partei  seines  heftigsten 
Gegners   und  Nachfolgers  Simeon  Bar  Sabbä'e    zu   behaupten    vermochte*. 


'  Chr.  Arbel.  S.  33.  64.  67.  69. 

''  Syn.  Or.  S.  306. 

'  Syn.  Or.  S.  350. 

z*  Labourt,  La   rhri.stianisnio  dans  reinpire   Ferse  S.  i8f1'. 


Zur  Ausbreitung  des  Christentums  in  Asien.  17 

Im  besonderen  steht  die  Beliauptung,  daß  Adiabene  durch  Päpä  zum  Erz- 
bistum erhoben  worden  sei,  in  direktem  Gegensatz  zu  der  Nachricht  der 
Chronik  von  Arbela  (S.  84),  wonach  dies  erst  durcli  das  Konzil  von  410 
geschehen  ist.  Die  angebliche  Gründung  des  Erzbistums  Garamaea'  durch 
den  genannten  Simeon  läßt  sich  nicht  verifizieren,  wird  aber  in  der  Bio- 
graphie dieses  sonst  wohl  bekannten  Mannes  mit  keinem  Worte  erwähnt.' 
Meines  Erachtens  hatten  zur  Zeit  von  Päpäs  Anfängen  die  Christen  voll- 
auf zu  tun,  um  sich  von  der  langen  Saporischen  Verfolgung  zu  erholen. 
Als  dann  Päpä  die  ersten  Versuche  machte,  die  Ei)iskopalverfassui)g  des 
Römerreiches  auf  den  Orient  zu  übertragen,  und  diese  Bestrebungen  durch 
das  Konzil  von  410  zu  einem  gewissen  Abschluß  gelangten,  in  diesem 
Zusammenhang  mögen  auch  die  sechs  Mctropolitien  entstanden  sein,  wo- 
bei aber  zu  beachten  ist,  daß  es  bis  410  noch  nicht  gelungen  war,  die 
Episkopal  Verfassung  in  Susiana  durchzuführen,  daß  damals  ein  Metropolit 
von  Susiana  noch  nicht  vorhanden  war',  sondern  erst  in  Zukunft  einge- 
setzt werden  sollte. 

Die  geographische  Ausdehnung  der  sechs  Stamm |)rovinzea  deckt  nun 
keineswegs  die  gesamte  Verbreitung  des  Christentums  zur  Zeit  des  Konzils 
von  410.  Im  Kanon  XXI  seiner  Akten  ist  die  Rede  von  den  Bischöfen 
der  entfernten  Diözesen,  d.  i.  der  Persis,  der  Inseln  (Bahrain),  Betli 
Mädhäj^,  dem  südlichen  Medien  mit  Hulwän,  ITamadän  und  DinaAvar,  Beth 
Räzikäj^,  dem  nördlichen  Medien  um  Rhagae-Rai,  und  den  Gebieten 
von  Abrasahr  d.  i.  Parthieii.  Ihre  Biscliöfe  waren  nicht  anwesend  auf  dem 
Konzil,  es  wird  aber  die  Erwartung  ausges[)rochcn,  daß  sie  noch  kommen 
und  nachträglich  die  Beschlüsse  des  Konzils  unterzeichnen  werden.  Hier- 
nach erstreckten  sich  also  die  christlichen  Gemeinden  um  das  Jahr  410 
bereits  bis  an  die  Ostgrenze  des  heutigen   persischen   Kelches. 

Über  diese  Grenze  hinaus  gelangen  wir  nach  Merw  =  Margiana.  Die 
Persis  und  Merw  werden  in  der  hierarchischen  Ordnung  als  siebente  und 
achte  Metropolitanprovinzen  aufgeführt.  Nach  Ihn  Altajjib  sollen  beide  als 
solche  von  dem  Patriarchen  Isaak  (399 — 410),  nach  Ebedjesu  von  dem 
Patriarchen  Jabhalähä  (d.  i.  Jabhalähä  I.  415  —  420)  eingerichtet  worden  sein. 
Zur  Steuer  dieser  Angaben   wüßte  ich  nur  das  Folgende  anzuführen :   Wenn 


'    Vgl.  den  Streit    zweier  Bistümer    des  Landes    um    den  Metropolitansitz  bei  Hofk- 
MANN  S.  271. 

'    Syn.  Or.  S.  272. 
Fhil.-h.^t.  Alßh.   I9I<>.  Ar.  I.  :i 


\H  •'^  A  c  II  A  r  : 

Isaak  diese  beiden  jVletropolitien  gegnindel  hiitte.  würden  sie  gewiß  in  den 
Akten  seines  Konzils  erwähnt  sein,  was  nicht  der  Fall  ist,  und  daß  er 
diese  Gründung  erst  nach  dem  Konzil  von  410  ausgeführt  habe,  ist  des- 
halb wenig  wahrscheinlich,  weil  er  kurz  darauf,  noch  in  demselben  Jahr 
gestorben  ist.  Von  tatsächlichen  Dingen  ist  zu  erwähnen,  daß  die  Ober- 
hirten dieser  beiden  Länder  sich  in  den  Konzilakten  zum  erstenmal  als 
Metropoliten  bezeichnen,  jener  von  der  Persis  im  Jahre  497,  dieser  von 
3Iargiana  554^  Die  Konzilakten  erwähnen  außer  den  bisher  genannten 
Metropoliten  noch  einen  von  Beth  Katräje  (Ostarabien)  und  einen  von  Herät^. 
Als  jüngere  Kirchenprovinzon  oder  Metropolitien  werden  von  Ibn  Altaj- 

jib  und  Ebedjesu  aufgezählt 

Hulwän, 

Herät, 

Samarkand, 

Indien, 

China, 
von  denen    die    letzten    drei    nur  geringe  Spuren  in   der  Literatur  zurück- 
gelassen haben. 

Ebedjesu  zählt^  Hulwän  als  die  sechste  der  Metropolitien  nach  den 
fünf  Stammprovinzen  Susiana,  Nisibis,  Maisan,  Adiabene  und  Garamaea  und 
berichtet,  daß  diese  sechs  Metropoliten  allein  das  Recht  hätten,  den  Katho- 
likos  zu  wählen.  Unter  dieser  Provinz  Hulwän  verstehe  ich  außer  dem 
südlichen  Medien  die  Gemeinden  an  der  Straße  von  Bagdad  über  Ker- 
mänsäh  nach  Hamadän,  beginnend  mit  der  Stadt  Hulwän,  hier  mit  dem 
biblischen  Halali  identifiziert,  wo  die  Straße  aus  der  babylonischen  Ebene 
in    den   Zagros   eintritt^      Es    ist    nun   nicht   richtig,    w^enn    Ebedjesu    mit 

'    Syn.  Or.  8.314,  ,351. 

-    Chr.  Arbel.  S.  22.  23   und  Syn.  Ür.  S.  423   Nr.  27. 

■'  Tiikk:isä,  Bi.  26b:  2:ss  ^07  .^2aiooilo  v^oXm  «.oja  w»\*.3  ;...;sw.ä^x 
Xa'yxa  aifJiAx^  e2  a.ae;LäaA  e2  >,n'\'n\  ^.\,At  i^  .äoi^?  ^ai  ^  U'a— 2 

.,?.Q«^ON^3    2^.*3A^3    Die   iiußei-en   Metropoliten   aOL^S    k*jOJ  siad    diejenigen   der 

Persis,  von  Damasiiiis  und  die   folgenden   in  der  von   ihm    gegebenen   Reihenfolge  (s.  weiter 
unten  S.  21). 

'  Über  die  einstmalige  Liige  der  Stadt  auf  der  Stelle  der  heutigen  (.Irtschaft  Serpul 
s.  Her/.feld,  Reise  dureh  Luristan  usw.  in  Petermanns  Oeoi^raphischen  Mitteilungen  1907. 
lieft  III   und  IV  S.  s. 


Zur  Aiishn'ituny  des  Cliristfiitiiiiis  in  .l.sv/v/.  llj 

seiner  Anordnung,  welche  der  Persis  und  Margiana  erst  den  7.  und  9.  Rang 
anweist,  sagen  wollte,  daß  die  Metropolitie  Hulwän  älter  sei  als  die  ge- 
nannten beiden,  denn  in  den  Konzilakten  werden  wohl  Bisehöfe  von  Hul- 
wän erwähnt,  aber  von  einer  Metropolitie  dieses  Namens  ist  dort  noch  keine 
Rede.  Immerhin  wird  Ebedjesu  fiir  seine  Zeit  Recht  haben.  Hulwän 
mag  fnihzeitig  durch  seine  Nähe  und  Nachl)arschaft  im  Verhältnis  zur 
Katholikatsprovinz  eine  besondere  Bedeutung  gewonnen  haben,  seine  Ver- 
treter konnten  ohne  Beschwerde  zu  jedem  Konzil  in  Seleucia  eilen,  während 
die  Oberhirten  der  ferneren  Provinzen  oftmals  daran  verhindert  waren. 
Nach  Ebedjesus  Tractatus  VIII,  XV  soll  der  Katliolikos  Jesujabh  Gedda- 
läjä'  II.  (628 — 643)  die  Kirchenprovinz  Hulwän  eingerichtet  haben.  Ihr 
Oberhau[)t  war  z.  H.  bei  der  Wahl  des  Katholikos  Timotheos  im  Jahre  780 
beteiligt'. 

Über  die  Frage  nach  der  Gründung  der  ül)rigeu  vier  Provinzen,  Herät, 
.Samarkand,  Indien,  China,  sclieinen  die  syrischen  Kauonisten  keine  sichere 
Überlieferung  vorgefunden  zu  liabon,  denn  während  Ibn  Altajjib  sie  alle 
zusammen  mit  Hulwän  von  .Jesujabh  II.  (628—643)  gegründet  sein  läßt. 
dürfte  die  Angabe  Ebedjesus.  daß  die  erstgenannten  vier  Provinzen  ent- 
weder vom  Katholikos  Selibhäzekhä  (714 — 728)  oder  von  Aiiai  (410 — 415) 
oder  Silä  (505 — 523)  eingerichtet  seien,  wenig  mehr  als  ein  Verlegenheits- 
raten sein.  In  den  Konzilakten  sowie  in  den  Patriarchenchroniken  von 
Märi  und  Amr  findet  sicii  nichts,  was  zur  AVertnng  dieser  Nachrichten 
dienen   könnte. 

Trotz  mannigfacher  Hemmungen  und  Nöte  hat  das  ('hristent\nn  wie 
unter  Parthern  und  Persern,  so  auch  unter  den  arabischen  (Hialifen  in 
Zeiten  ruhigen  Verkehrs  immer  wieder  Mittel  und  Wege  gefunden  sich 
auszubreiten.  Besonders  günstig  in  dieser  Beziehung  scheint  die  Zeit  dos 
äußerst  rührigen  und  vielseitigen  Katholikos  Timotheos  (780 — 823)  ge- 
wesen zu  sein,  denn  er  berichtet  in  seinen  von  0.  Hraun  herausgegebenen 
Briefen^,  daß  er  für  die  folgenden  Länder  Metrojjoliten  geweiht  habe:  das 

'  Die  Ortschaft  2^Pb\  Jm>-  (Jäküt)  lag  zwei  Tagerei.'-iTi  von  Mo.sul  entfernt  und 
in  B6th  'Arbäje,  gehörig  zum  Gebiet  von  Mosul.  Dies  paßt  einigermaßen  zu  dem  Orte  im 
Singär-Gebirge,  dessen  Namen  icii  al.s  Djeddale  geiiört  habe  {s.  meine  Heise  in  Syrien  und 
Mesopotamien   1883  S.  ,526). 

'    .Syn.  Or.  S.  603,  Anni.  5. 

'    .*<.  Oriens  f'hi-istianus  I,  1 3.S  iV. 


20  S  A  C  H  A  u  : 

Land  der  Türken,  das  Land  der  Tuptäje',  Südarabien,  Medien,  Dailain, 
Ghilän,  Hyrkanien  und  andere  Länder.  Leider  fehlt  es  gänzlich  an  ander- 
weitigen Nachrichten  über  diese  Provinzgründungen.  Wohl  gab  es  in  Medien, 
in  den  Ländern  am  Südufer  des  Kaspischen  Meeres,  im  Lande  der  Türken 
und  in  Südarabien  Christen  und  christliche  Gemeinden,  aber  z.  B.  von 
einer  nestorianischen  Metropolitie  in  Südarabien  ist  nichts  bekannt.  Auch 
ist  zu  bedauern,  daß  Timotlieos  uns  die  Namen  der  anderen  Länder, 
für  die  er  Metropoliten  geweiht  haben  will,  verschweigt.  Vielleicht  darf 
man  auch  mit  der  Möglichkeit  reclnien,  daß  zu  seiner  Zeit  der  Titel  Me- 
tropolit praktisch   kaum  mehr  bedeutete  als  der  Titel   Bischof. 

An  dieser  Stolle  ist  noch  einer  weiteren  bei  Ibn  Altajjit)  vorhandenen 
Nachricht  zu  gedenken,  wonach  derselbe  Timotheos  sechs  Provinzen  ein- 
gerichtet habe,  drei  davon  seien  exstinkt,  drei  noch  (d.  h,  im  ii.  Jahr- 
hundert) vorhanden,  darunter  Armenien  und  Rai  {—■  Beth  Räzikäj^,  das 
nördliche  Medien).  Daß  aber  auch  Armenien  als  selbständige  Kirchen- 
provinz zu  existieren  aufgehört  hat,  lernen  wir  aus  dem  Titel  Ebedjesus  (gest. 
1318),  denn  dieser  lautete  Metropolit  von  Söbä  (Nisibis)  und  Armenien. 
L.etzteres,  oder  wenigstens  ein  Teil  davon,  war  also  zu  irgendeiner  Zeit  mit 
der  Provinz  Beth  Arbäje  =  Nisibis  vereinigt  worden".  Mit  diesem  Bericht 
von  des  Timotheos  Gründungen  berührt  sich  die  Angabe  des  Ebedjesu  im 
Tractatus  VIIL  XV,  wonacli  er  außer  Armenien  und  Syrien  (Jeru.salem? 
Damaskus?)  noch  vier  weitere  Hyparchien  gegründet  liabe,  die  aber  nicht 
mehr  vorhanden  seien  (im  14.  Jahrhundert).  Diese  beiden  Nachrichten  sind 
nicht  miteinander  vereinbar.  Vielleicht  ist  bei  Ibn  Altajjib  neben  Armenien 
und  Rai  die  Llyparchie  Syrien  durch  Versehen  ausgelassen,  denn  beide 
sind  nicht  eingegangen,  sondern  werden  in  den  Hyparchienverzeichnissen 
von  Ebedjesu  im  Tukkäsä  als  Damaskus,  Jerusalem  und  die  Meeresküsten 
und  als  Räzikäje,  d.  i.  Rai,  Kumm  und  Kasan,  sowie  von  Amr  Ibn  Mattä 
als  Jerusalem  und  Rai   noch  aufgeführt. 

Die  Verzeiclinisse  der  Kirchenprovinzen  aus  der  Zeit  nach  Timotheos 
mögen  hier  zur  Übersicht  zusammengestellt  werden. 


'    i^-»ÄOÄ».     Ist  hiermit    der    von  Mas'udi    erwähnte  Türkenslamm    der  Tiibbat    ge- 

1'     S.  MARQrART,    Kn'insalir  S.  235.     Die  bisher   übh'che  Deutung  Tibeter    ist   wenig 
icheinlich. 

■-'    Vgl.  unten   hier  das   Hyparchicn-Vciv.ciHinis    in   Ebedjesus    liikkasa   Nr.  13. 


Zur  Ausbrrituiiy  (d's  Chrlstintunt.^  in  Aslfii.  21 

I.  Verzeichnis    des    Metropoliten    Elias    Gauhari    von    Damaskus, 

verfaßt  um  893. 
I.  Die  Hyparchie  des  Katholikos,  Babylonien.  (rundisäbür  (Gundaisä- 
bür),  d.  i.  Susiana,  Nisibis,  Albasra,  d.i.  Maisäu.  5.  Mosul,  d.i.  die  alte  Pro- 
vinz Adiabene  nach  Übertragung  des  erzbischöflichen  Thrones  von  Arbela 
nach  Mosul.  Bägarmai,  d.  i.  Garamaea.  Syrien.  Rai,  d.  i.  Medien.  Herat. 
10.  Merw.    Armenien.    Samarkand.    Persis.    Rarda  a.    15.   Hulwän. 

II.  Verzeichnis  des  Patriarchatssekretärs  Ibn  Altajjib  (gest.   1043). 

I.  Gundisäbür.  Nisibis.  Basra.  Mosul.  5.  Garamaea.  Persis.  Merw. 
Hulwän.   Herät.     10.   Samarkand.    Indien.   China.    Armenien.    14.   Rai. 

III.  Erstes   Verzeichnis   des  Ebedjesu   (gest.  13 18)   aus   dem   letzten 

Viertel  des    1 3.  Jahrhunderts,   überliefert  im  Tractatus. 

I.  Elam  (Susiana).  Nisibis  Temän  (Mesene)  Athor.  5.  Garamaea. 
Persis.  Merw.  Hulwän.  Herat.  10.  Indien.  Samarkand.  China.  Ar- 
menien.    14.  Syrien 

IV.  Zweites  Verzeichnis  des   Ebedjesu   (gest.  1318)    in   seinem  1316 

verfaßten   T'ikkäsä'. 
i.Elam.    SO)bä.    Perät  Maisän.    Arbel,  Hazzä,  Athor  und  Mosul.    5.  Kar- 
khä  dhe  Beth   Selökh    und   Däkük.     Halah.    d.  i.    Hulwän    und    Ahmedhän. 
Dann  die  äußeren   Metropoliten    aOL^p    iy,Aft*\''>y, iVi: 

7.  Persis   und  die  Meeresinseln   2«S .»'lo «  2X3^J>o  (Bahrain). 

8.  Damaskus,  ,Ieru.salem  und  die  Meereskü.sten  l^Ou  w.'käj(DO  (die  Küsten 
von  Syrien  und  Palästina?). 

9.  Merw   und  Nisäbür. 

10.  Türken. 

II.  Räzikäj^,   d.  i.   Rai,    Kumin   und    Kä.sän. 

12.  Heriwän^,  d.  i.  Her^w  OuSOT  -crp  Iiou'äc  (iemeint  ist  Herät. 
im   Avesta  Hara^va. 

13.  Arrän  und  Alanen.  Der  Tliroii  von  Barda'a  und  Seniklia,  ein 
Teil   von  Armenien. 


Ms.   CHABdT    Bl.    26  «ll. 


22  S  A  c  II  A  u  : 

14.  Die  Inseln  der  Meere  ^UÄsuS  2^3 A,  (Sokotray  Ceilon':')  und  die 
inneren  Metropoliten. 

15.  Die   von  Däbag  und  Sin   und  Mäsin.  •        , 

V.    Das   jüngste    Verzeichnis    von    'Amr    Ihn    Mattä,    geschrieben 

um    1350'. 

I.  Gundisäbür.  Nisibis.  Basra.  Mosul  und  Athor.  5.  Arbela  und 
Hazza.  Garamaea.  Hulwän.  Jerusalem.  Edcssa.  10.  Persis.  Merw.  Herat. 
-^,Ja»(?)  Sin.  15.  Indien.  Barda\  Damaskus.  Rai.  'J'abaristän.  20.  Dailam. 
Samarkand.  Turkistan.  rJi- .  Segestan.  25.  ^Jü'lj  ^^^  '^^  ■  Tankut. 
27.    Kasghar   und  Nawäkath. 

Zu  Nr.  23.  Die  Lesarten  Gismonois  7^  und  nJb-  sind  wenig  glaub- 
würdig, ebensowenig  inM-  bei  Ibn  Khordädbih  S.  \oi,  Anni.  ni.  überall 
ist  zu  lesen  ^izJu>-  Chamlikh.  die  Hauptstadt  der  Ghazaren,  über  deren 
Christentum   ich   auf  Ibn  Fadians   Bericht  bei  Jäküt  II.    irv,  9   verweise. 

Zu  Nr.  25.  Anstatt  jilj  jU-,  d.  i.  Peking,  ist  vielleicht  J-'i.  j'«-  Gän- 
balik  zu  lesen,  d.  i.  Gambalyk,  das  nach  Boniii,  Journal  Asiatique  1900, 
S.  587  ein  dem  Metro])oliten  von  Kasghar  unterstehendes  Bistum  war 
=  Urumtsi. 

Anstatt  ^U!l  ist  wohl  zu  lesen  ^3^^'=  ^-  i-  Hibalik  =  Almalik  bei  Bonin 
a.  a.  0.  S.  586  und  Marquart,  Osteuropäische  und  Ostasiatische  Streifzüge, 
S.  498. 

Zu  Nr.  26.  Tankut,  zu  lesen  Tangut.  Über  dies  Gebiet  s.  Bonin,  a.  a.  O. 
S.  585.  Hauptort  dieses  Landes  war  die  Stadt  Singanfu.  der  Fundort  der 
syrisch-chinesischen  Insclirift  vom  Jahre  781.  S.  auch  Marquart.  Streif- 
züge  S.  88. 

Zu  Nr.  27.  Die  Metropolitie  von  lva.sghar  war  vom  Patriarchen  Elias  III. 
(11  76 — II 90)  eingerichtet,  s.  Barthold,  Zur  Geschichte  des  Christentums 
in   Mittelasien  S.  58. 

Zu  Nawäkäth  am  Issikkul  s.  MARyuARx,  Eränsahr  S.  82,  3  und  Bartholr 
a.  a.  0.   S.  38. 


'    Am    Endo    seiner   Chronik    ed.   Gismondi    S.  126.    Varianten    das.   S.  132    und    Asse- 
MANi  II.  458. 


Zur  Avsbreifuny  dfs  Christentum.^  in  Asien.  23 

Die  Verzeichnisse  II.  und  III.  sind  im  wesentlichen  identisch  und  geben 
uns  den  offiziellen  Umfang  des  nestorianischen  Christentums  zur  Zeit  des 
Patriarchen  Timotheos  (780 — 823),  des  Sammlers  der  Konzilakten.  Auch  I. 
stimmt  damit  überein,  abgesehen  davon,  daß  f>s  durch  die  Erwähnung  von 
Barda'a  das  Vordringen  des  Nestorianismus  in  den  Kaukasus  andeutet. 
Nr.  IV,  das  zweite  Verzeichnis  des  Ebedjesu,  niaehr  mehr  den  P^indruck 
einer  persönlichen  Arbeit  teils  durch  die  Nomenklatur,  teils  auch  dadurch, 
daß  es  die  Verbreitung  durch  den  Seeverkelir  berücksichtigt.  Die  jüngste 
Liste,  Nr.  V,  verfaßt  etwa  100  Jahre  nach  der  Vernichtung  des  Chalifats 
von  Bagdad,  enthält  wiederum  den  alten  offiziellen  Bestandteil,  vermehrt 
durch  mehrere  späterhin  von  der  Mission  erreichte  Gebiete  im  mittleren 
und  östlichen  Asien.   Sie  entstammt  vermutlicli  dem  Archiv  des  Patriarchats. 

In  dem  Wandel  der  Verzeiclinisse  der  Hyparchien  s])iegelt  sich  der 
Wandel  von  Wörtern  und  Dingen.  Die  ältesten  kennen  nur  altaramäische 
Naraensformen  wie  Beth  Hüzäje,  Beth  Räzikäje,  Beth  Arbäje,  Beth  Katräje, 
Hedhajjabh,  Maisän,  Betli  Garmai.  In  der  Folgezeit  treten  an  ihre  Stelle 
biblische  Namen,  die  der  syrischen  Bibelübersetzung  und  den  exegetischen 
Studien  der  Schule  von  Nisibis  entstammen.  Elam  statt  Beth  Hüzäje,  Sobä 
statt  B^th  Arbäje.  Tömän  statt  Maisän,  Athör  statt  Hedhajjabh,  und  in  der 
jüngsten  Periode  nehmen  arabische  Namen  die  Stelle  der  aramäischen  ein, 
Beth  Räzikäje  wird  Rai,  3Iaisän  Ba-sra,  Elam  Gundisäbür,  Athor  Mosul, 
Orhäi  Alruhä.  Neben  dem  Wandel  der  Namen  zeigt  sich  in  diesen  Ver- 
zeichnissen auch  der  Wandel  der  Dinge.  }}ei  Ebedjesu  ist  die  alte  Kirchen- 
provinz Adiabene  noch  eine  Einheit,  im  ersten  Verzeiclinis  als  Athor,  im 
zweiten  als  Arbela-Hazzä-Athor-Mosul  bezeichnet,  dagegen  sind  bei  Amr 
zwei  Provinzen  daraus  geworden,  die  eine  Mosul- Athor,  die  zweite  Arbela- 
Hazzä  genannt.  Wir  müßten  danach  annehmen,  daß  die  Zweiteilung  der 
Provinz  zwischen  der  Zeit  des  Ebedjesu  und  derjenigen  des  Amr  statt- 
gefunden  hat,   also  zwischen    13 16   und  der  Zeit  bald   nach    J350. 


Anhang. 

Im  folgenden  gebe  ich  in  Text  und  Übersetzung  eine  Stelle  aus  Der 
Rechtswissenschaft  des  Christentums  von  Ibn  Altajjib  (s.  oben 
S.  8),  welche  der  vatikanischen  Handschrift  Borgiano  153.  Blatt  iq8b.  ent- 
nommen  ist. 


24  S  A  C  H  A  u  : 

i-VfU!  Jjü^  Jt-    >^J   *— »   il,;ia4s   ^llit  JA.   OJ    l«-.|j   ijlU,!  j^_    jl-^1    J^  J'J 

^\>y\  oyiij  f^i  ^ji  j  oVisii  j^Ai-i  ^uv  ji^j  ^^.  ^y^  o^  1^  ii-vi  Jii> 

o.^"j  Ji-'l^-l  J^<»^1  -* — iri-  jj  (n:^  *^JJ  ^'\J^'  J-^  J  öy^  J*  •^^^1  o-^^  j-^ 

j-yifi'J  jjvJlj  x^lj  jJ_;*-j  J|^/s.j  jlj^  ■^J  '-'fy^}  -^  Jj  -J^-J  ^->^.  '^J^'^ 

\J-__  jl  jl^  is-f  ^J^  '^'  jJb'Wlj  ^jJl j  j^jVI  J;   i^j  OÜ>  <i.'-_.  vUi*  '<!'  C-  Ji'j 

<;V  jjj>^  ^Xj  »J^^'  ^^*  ^^=^^  >^.-r-  ^  ö:^"^'  t>H^  "^^^  -^^  trJ^'^ 

J'/j  iijlkil  iiJLi  j*  ^J'^  (J*J  ^j-t'Tj-'  r^J  J  '-^-J  oU  Ü  a!  JÖI  j'^j  <_iä-l 
j^  yb  (.L-l  "Vlj  o*-»  j^  ^i  J^  3:^'^*  '^  °y~^  V^--'^  äofrLx  ^1  "V^^  c/^  j^^* 
j|_^i  ^Jo^  jlSj  jl^  iüLVl  t^iy  (j^.  ^^  ji^  '-J^-:'  ■'^.  0'  J'  ***  '->j^i  j^. 
Aioj  J^_  jl  ji.'U^  ■w^U'lj  jJirU-l  jjl  j-j,  4^l^_  jl  jl>41i  --i^^^  l>_  |j  -^1  J»j 

Übersetzung. 
» Wenn  die  Diözese  eines  Erzbischofs  ausgedehnt  ist  und  große  Städte 
hat,  kann  der  Patriarch  sie  über  mehrere  Erzbischöfe  verteilen  zum  Nutzen  der 
Behütung  des  Glaubens,  wie  Timotheos  mit  dem  Thron  von  Damaskus  getan 
hat  wegen  der  Verschiedenheit  der  Glaubensansichten  im  I^nde  Syrien.  Der 
Kanon  der  Väter  ermächtigt  den  Patriarchen,  Erzbischöfe  einzusetzen,  wo 
er  will.  Der  Thron  des  Ostens  (Seleucia)  ist  abgeleitet  von  dem  Inhaber 
(des  Thrones)  von  Antiochia,  als  der  Osten  dem  Papa  übergeben  wurde. 
Anordnung  der  Throne  der  Erzbischöfe  nach  der  zeitlichen  Reihen- 
folge ihrer  Wahl  bei  der  Gründung.     Papa  ernannte  (Erzbischöfe)  zuerst  für 

Gundisäbür, 

Nisibis, 

Basra, 

Mosul. 
Zur  Zeit  der   3 1 8  Väter  (des  Konzils   von  Nicäa)   verlangten    die  Garamäer 
von  Simeon   Bar  Sabbä'e  einen   Erzbischof,   den   er  ihnen  auch   gab. 


Zur  Ausbreitung  den  ChrL<itentums  in  Asien. 


zo 


Zur  Zeit  des  Katholikos  Isaak  wurden  die  Erzbistümer  eingerichtet 
in  der  Persis  und  in  Merw. 

Zur  Zeit    der  Jesujabh   (Isö'jabh)   wurden   ?>zbistünier    eingerichtet  in 

Hulvän. 

Herät, 

Samarkand. 

Indien, 

China. 

* 
Timotheos  hat  sechs  Erzbistümer  eingerichtet,  von  denen  drei  erlosclien, 

drei  noch   vorhanden  sind.     Zu  letzteren  gehören 

Armenien  und 
Rai. 

Der  Katholikos  kann,  wenn  der  Thron  eines  Erzbischofs  erloschen  ist, 
ihm  den  Thron  eines  seiner  (des  Erzbischofs)  Bischöfe  verleihen.  So  hat 
der  Katholikos  Sabhrisö',  als  (der  Sitz  des  Erzbiscliofs  von)  Garamäa  ver- 
ödet war,  ihn  auf  den  Thron  von  Sahrazür  gesetzt,  weil  dort  kein  Bischof 
war.  Als  dann  die  Leute  von  Sahrazür  baten,  ihnen  wieder  einen  Bischof 
zu  geben,  wurde  ihm  (dem  früheren  Erzbischof  von  Garamäa)  noch  ein 
Teil  (der  Diözese)  von  Khänigär,  der  nämlich  einen  Bischof  hatte,  unter- 
stellt; als  aber  letzterer  gestorben  war,  gehörte  ihm  das  Ganze  (d.  h.  sowohl 
das  Bistum  Sahrazür  wie  ein  Teil  des  Bistums  von  Khänigär).  So  ge- 
schehen in  den  Tagen  des  (Katholikos)  Sergius. 

Wenn  der  Thron  eines  Bischofs,  der  ursprünglich  Erzl)ischof  war  (•'), 
vakant  ist  und  der  (zuständige)  Erzbischof  aus  Habgier  es  versäumt,  nüt 
Hilfe  der  Gemeinde  einen  andern  (Bischof)  zu  ernennen,  dann  soll  der 
Katholikos  ihn  dazu  antreiben  (1.  <^  statt  <^).  Wenn  er  es  dann  tut, 
ist  es  gut;  tut  er  es  nicht,  so  ernennt  der  Katholikos  eine  geeignete  Person 
und  befreit  sie  (von  der  Oberherrlichkeit)  jenes  Erzbiscliofs  so  lange,  bis 
dieser  sich  bekehrt  und   Buße  tut. 

Wenn  ein  Bischofsthron,  über  den  ein  Erzbischof  zu  verfügen  liat, 
vakant  wird,  wenn  seine  Diözese  in  der  Nähe  des  Erzbischofs  liegt  und 
die  Zahl  seiner  Bewohner  für  einen  Bischof  nicht  ausreicht,  dann  kann 
der  Erzbischof  die  Diözese  in  seine  Verwaltung  nehmen,  nachdem  er  di(> 
Erlaubnis  des  Katholikos  dazu  eingeholt  hat.  Der  Katholikos  kann  überall 
binden   und   lösen   (d.  h.  hat  souveräne  Gewalt).« 

Fhil.-hisl.  Al,l,.    mm.    Nr.  I.  ..  A 


2g  S  A  ('  II  A  i; ; 

Von  den  Bistümern. 

Bei  dem  Versuch  einer  Übersicht  über  die  Bistümer  der  nestorianischen 
Christenwelt  ist  zunächst  das  Augenmerk  darauf  zu  richten,  wann  das  Da- 
sein eines  Bistums  bezeugt  wird,  wann  es  zuerst  auftritt  und  wann  es  noch 
als  bestehend  nachgewiesen  werden  kann,  und  zwar  innerhalb  des  Zeitraums 
von  den  Anfangen  bis  in  die  Zeit  des  Amr  Ibn  Mattä,  d.  i.  bis  in  die  Mitte 
des  14.  Jahrhunderts.  Wir  folgen  in  der  Ordnung  der  Kirchenprovinzen  der 
offiziellen   Reihenfolge,   soweit  es  eine  solche  gab. 


Kirehenprovinz  Babylonien. 

Die  Katholikats-Provinz  hieß  offiziell  B6th-Armäj6,  Aramäer-Land,  Ara- 
mäer-Heim.  Die  Sprache  der  Aramäer  ist  die  Kirchensprache  des  gesamten 
orientalischen  Christentums  geblieben  bis  auf  den  heutigen  Tag  und  bis  in 
die  Grenzen  Chinas,  womit  aber  nicht  ausgeschlossen  war,  daß  man  auch 
Übersetzungen  der  Bibel  in  andere  Sprachen  Asiens  versuchte'.  Wie  lange 
sie  sicli  als  Volkssprache  in  Babylonien  erhalten  hat,  ist  noch  nicht  unter- 
sucht. Beachtenswert  in  diesem  Zusammenhang  ist,  daß  noch  ein  arabischer 
Sprachgelehrter  des  6.  Jahrhunderts  d.  H.,  Algawäliki,  gest.  1145,  ein  Bei- 
spiel der  babylonischen  Bauernsprache-  seiner  Zeit  anführt,  um  sich  darüber 
lustig  zu  machen. 

Bistümer. 

I .  Selcucia  am  Tigris,  das  Bistum  des  obersten  Bischofs  oder  Ka- 
tholikos,  genauer  Selevicia  und  Ktesiphon.  genannt  Mähoze  =  die  Städte- 
arabisch Ahnadä'in,  sasanidisch  Bih-Arda.sir,  arabisiert  zu  Bahurasir.  Das 
Christentum  in  Seleucia-Ktesiplion  geht  bis  in  die  Partherzeit  zurück.  Bald 
nach  dem  Dynastiewechsel  224  wurden  den  Christen  daselbst  von  den  Vor- 
stehern der  älteren  Gemeinde  Arbela  Geistliche  geweiht,  zuletzt  Päpji  (s.  Chr. 
Arbel.  S.  69).    Im  südlichen  Teil    des  Stadtgebietes  von  Seleucia  lag  eine 


'    Wie  sich  aus  einigen  TurfVm-P'unden  ergibt. 

-    Kr  bezeichnet  sie  als  Nabataeisoh  (Mu'arrab  S.  67,  3(1'.)  O^jtäoA    hS»   1jwm3   2-^  = 
J^    ^  0^-5  V   »Keine  P^iircht  vor  dem   Kamel«. 


Zur  Auübrcltv iKj  dfs  Cliristcntiuns  in  Asieit.  27 

Ortschaft,  genannt  Kökhe,  deren  Kirche  die  Zentralkirche  der  uestoriani- 
schen  Christenwelt,  die  Katholikatskirche  war.  In  ihr  mußte  der  neuge- 
wähltc  Katholikos  proklamiert  werden,  und  diese  Sitte  wurde  auch  dann 
noch  beibehalten,  als  der  Katholikos  längst  nicht  mehr  in  Kökhe,  sondern 
in  Bagdad  residierte.  In  der  Kirclie  von  Kokhe  wurden  in  alter  Zeit  die 
großen  Konzilien  abgehalten,  und  dort,  vermutlich  in  einem  Nebenhau  des- 
selben, war  die  Wohnung  des  Patriarchen  des  Ostens  und  ist  es  bis  in 
die  Zeit  der  älteren  Abbasiden  geblieben,  abgesehen  von  einigen  durch  Ver- 
folgungen verursachten  Unterbrechungen.  So  residierte  Patriarch  Henäniso' 
während  der  zweiten  Amtshälfte  seiner  Amtsführung  von  694-701  im 
Jona-Kloster  bei  Mosul,  dessen  I-age  durch  das  heutige  Nebi  Jünus  ange- 
geben sein  dürfte,  und  Patriarch  Abhäll  (742  —  752)  verließ  Seleucia,  wohnte 
eine  Zeitlang  in  Wäsit,  Kilfa  und  I.Iira,  um  schließlich  nach  Seleucia  zurück- 
zukehren. Der  Patriarch  Iso  jabh  aus  Hazza  (850 — 860)  Höh  vor  Mißhand- 
lungen aus  Kökhe  nach  einem  Jakobs-Kloster  In  Bä-'Abhe  im  Gebiet  von 
Mosul  und  im  folgenden  Jahrhundert  lebte  Patriarch  Mär  Man  (987  — 1000) 
eine  gewisse  Zeit  in  Anbär  (heute  Feilüge).  In  den  Zeiten,  als  die  Chalifen 
nicht  in  Bagdad,  sondern  in  Samarrä  residierten  (von  838-883),  sind  die 
Patriarchen  dem  Hofe  vielfach  dorthin  gefolgt. 

Derjenige  Katholikos,  der  zuerst  während  de.s  größten  Teils  seiner  Re- 
gierung außerhalb  von  Kökhe  residiert  zu  haben  scheint,  dürfte  Timotheos  1. 
(780 — 823)  gewe.sen  sein.  Er  wohnte  zuerst  auf  einem  Landgut,  genannt 
Umm-(ia'far,  dann  in  dem  Kloster  Krone  Jesu  (Kelil  Isö  )  in  Bagdad.  Welches 
die  letzte  Katholikos-Proklamation  war,  die  in  Kökhe  stattgefunden  hat,  ist 
mir  nicht  bekannt.  Noch  im  Jahre  1028  wurde  Katholikos  Elias  I.,  nach- 
dem er  in  Bagdad  gewählt  war,  sofort  nach  Kökh^  geführt  und  dort  in 
der  Kirche  proklamiert. 

Die  Verdi-ängung  des  Katholikos  aus  den  Reichszentren  Seleucia  und 
Bagdad,  hauptsächlich  in  der  Richtung  nach  Norden,  ist  ein  Zeichen  des 
Rückganges  des  Christentums,  verdient  aber  auch  Beachtung  für  die  (be- 
schichte der  nestorianischen  Literatur,  denn  das  Patriarchatsarchiv  in  Kökhe 
dürfte  zahlreiche  literarische  Schätze  besessen  haben  und  diese  sind,  wenigstens 
zu  einem  Teil,  durch  die  einzelnen  Etappen'  mit  nach  dem  Norden  gewan- 
dert.   Die  Geschichte  der  weiteren  Entwickelung  und  Wanderung  des  Ka- 

'    I  ?68  verlegte  der  Kntboliko.s  seinen  Sitz  luich  Arbela,  1  27  i  nach  Usni'i  in  Adharbaij^än. 


28  S  A i;  H  A  V  : 

tliolikats,  bis  es  1780  in  Kocanes  bei  Gulamerg-  eine  feste  Heimat  gewonnen 
hat,  verdiente  eine  eingeliende  Untersuchung.  Vgl.  Assemani,  B.  Or.  III.  II 
S.  428.  429. 

2.  Mähözä  Hedhattä  (=-  Neapolis),  arabisöh  Riimijja,  eine  von  Khusrau 
Anösarwän  im  Jalire  540  für  Kriegsgefangene  aus  Antiochien  gegründete  Stadt.^ 
In  den  Konzilakten  erscheint  ein  einziges  Mal  als  Mitglied  des  Josefkonzils 
von  554  ehi  Clodianus,  Bischof-Metropolit  von  Mähoze  Hedhattä,  aber  diese 
Unterschrift  ist  nicht  ohne  Grund  von  ('habot  (Syn.  Or.  S.  366)  angezweifelt, 
denn  es  ist  auffallend,  daß  der  Bischof  einer  neugegründeten  Stadt  sofort 
als  Metropolit-P>zbischof  bezeichnet  wird,  und  außerdem  erwartet  man  an 
der  betreffenden  Stelle  die  Signatur  des  Bischofs-3Ietropoliten  von  R6w- 
Ardasir  oder  desjenigen  \  on  Mesene.  Der  syrische  Text  zeigt  indessen  keine 
Spur  einer  Verderbnis,  es  ist  daher  mit  der  Möglichkeit  zu  rechnen,  daß 
in  der  Erhebung  der  vor  14  Jahren  gegründeten  Stadt  zu  einem  Erzbistum 
eine  Laune  ihres  kaiserlichen  Gründers  zutage  tritt.  Dies  Neu-Antiochien 
lag  nicht  weit  gegen  Süden  von  Ktesij)lion  entfernt.  In  Marjusid-alittilä'  I,  492 
heißt  es:  «Rümijja,  eine  Ortschaft  in  Almadä'in,  verödet«,  womit  wohl  ge- 
sagt sein  soll,  daß  sie  noch  innerhalb  des  großen  Gebietes,  das  die  Doppel- 
stadt Seleucia-Ktesiphon   einmal  eingenommen  hatte,  gelegen   war. 

3.  Elias  Damascenus  (um  893)  erwähnt  in  seinem  Verzeiclmis  der 
zur  Katholikatsprovinz  gehörigen  Bistümer  ein  J*i/*  j_-^  Hercules-Kloster, 
was  verschrieben  ist  für  J»^  j_^  Ezechiel-Kloster.  »Ein  solclies  Kloster 
lag  im  Bezirk  Nu'manijje,  s.  Masüdi,  Murüg  8,  198,  wo  statt  J»^  yJ  zu 
lesen  ist  J'j>  j'-i  und  Ja'kübi  (Bibl.  Geogr.  VII)  321,  21  j-i  O-'LiC!!  oa«  jj 
(>1»lH  ^U)_  ■KJ  (_$  jll  Jiiy- «  (Mitteilung  von  B.  Moritz).  Der  Bezirk  Nu'manijje 
lag  im  Nordosten  Babyloniens  zwischen  dem  Tigris  und  dem  Grenzgebirge. 

4.  Beth-Deräje,  arabisch  Bä-Daräjä,  das  heutige  Bedre  unfern  der 
persischen  Grenze,  nördlich  von  Küt  El'amära,  noch  jetzt  eine  nicht  un- 
bedeutende Ortschaft,  unter  der  türkischen  Regierung  der  Sitz  eines  Mudirs. 
Es  gehörte  in  sasanidischer  Zeit  zur  Landschaft  Nahrawän  (Nihrawän), 
so  genannt  nach  einem  Kanal  dieses  Namens  östlich  vom  Tigris  und  unter- 
halb des  Dijälä.  Die  Landschaft  umfaßte  das  ganze  Gelände  vom  Tigris 
bis  an  die  persischen  Grenzberge  etwa  von  der  Breite  Bagdads  südlich 
bis  über  Beth-Küsäje  (s.  Nr.  5)  hinaus  und  war  eingeteilt  in  fünf  Gaue, 
Ober-,  Mittel-  und  Nieder-Nahrawän,  Beth-Deräje  und  Beth-Kusäj^.  Von 
nnderweitigen  Ortschaften  Nahrawans  erwähnt  Jäküt  IV.  846  die  folgenden: 


Zur  Auftbreituny  deü  Christcn/iniis  in  Asii'ii.  29 

Iskäf,  Gargaräjä,  Alsäfija  und  Dair-Kunnä  (s.  Nr.  6).  Diese  Gegend  sclieint 
frOli  christlich  geworden  zu  sein,  es  ist  zusammen  mit  den  südlicheren 
Diözesen  Mäsabadhän  und  Saimara  das  Missionsgebiet  des  308  martyrisierten 
Pethion'.  In  den  Konzilakten  erscheinen  Biscliöfe  von  Beth-Deräj^  in  den 
Jahren  420  bis  790.  Ein  Bischof  von  Beth-Deräje  war  noch  bei  der  Wahl 
der  Patriarchen  Elias  aus  Karkh-Guddän   im  Jahre  I02  8«beteiligt. 

5.  Beth-Küsäj6,  arabisch  Bä-Kusäjä,  Ürtsciiaft  und  Gau  im  südlichsten 
Teil  der  Landschaft  Nahrawän,  jetzt  nicht  mehr  vorhanden  und  nur  noch 
in  Ruinen  südöstlich  von  Bedre  am  Tschengula-Fluß  nahe  der  persischen 
Grenze  nachweisbar.  In  älteren  Zeiten  scheint  liier  kein  Bistum  vorhanden 
gewesen  zu  sein,  denn  in  den  Konzilakten  wird  ein  solches  niclit  erwähnt, 
aber  M  b  S  berichtet  S.  104,  daß  ein  Bischwf  von  Bä-Kusäjä  —  ebenso 
wie  derjenige  von  Bä-Daräjä  —  im  Jahre  1028  an  der  Wahl  des  Katholikos 
Elias  von  Karkh-Guddän  teilgenommen  habe.  Wegen  Unterstellung  des 
vereinigten  Bistums  Bä-Daräjä  und  Ba-Küsüjä  unter  den  Bischof  von  Kaskar 
s.  weiter  unten  S.  3  i . 

6.  Kunai  uACJb  (Aussprache  ungewiß),  arabisch  Dair-Kunnä  und  Dür- 
Kunnä,  gehört  ebenfalls  zur  Land.schaft  Nahrawän,  16  Farsakh  unterhalb 
von  Bagdad,  nach  Jäküt  (gest.  626/1229)  eine  Meile  ostwärts  vom  Tigris 
gegenüber  Algudaida  entfernt,  während  es  nach  Ibi\  Serapion,  der  nach  945 
sclirieb,  am  Tigris  lag.  Es  galt  als  das  Kloster  des  angeblichen  Apostels 
von  Babylonien  Mär  Märi'  und  war  seinerzeit  eine  berühmte  Kloster.schiüo 
(J^-V  j_^i ,  oy^"^^  Jj^).  Im  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  war  es  verödet, 
aber  immer  noch  Wallfahrtsort  der  Christen  (nach  Maräsid-alittilä'  1,  437, 
verfaßt  von  dem    1338  gestorbenen  Safi-aldin). 

Ein  Bischof  dieses  Ortes  wird  in  den  Konzilakten  nur  ein  einziges 
Mal  in  den  Verhandlungen  des  DädhisA'-Konzils  des  Jahres  424  erwähnt. 
Später  verschwindet  dies  Bistum  und  soll  nach  Assem.vni,  B.  Or.  III.  II  S.  741 
mit  dem  Katholikatsbistum  vereinigt  worden  sein. 

7.  Gokliä,  Gaukai,  eine  babylonische  Landschaft  nahe  den  östlichen 
Grenzbergen,  die  ich  nicht  näher  zu  begrenzen  weiß  (Jäküt  s.  v.  '^yr), 
wird  bei  Thomas  von  Marga  (Book  of  governors  ed.  Budge  II,  564)  als  ein 
Bistum  seiner  Zeit  (um  840)  erwähnt. 


'      HOFFMANN    S.  61. 

'    Siehe  AbM  .S.  i. 


30  S  A  CH  A  u  : 

8.  Zäl)lie,  arabisch  Alzawäbi,  eine  Landschaft  im  östlichen  Babylonien 
auf  dem  Westufer  des  Tigris  zwischen  Bagdad  und  Wäsit,  angrenzend  an 
das  Katholikatsbistum,  mit  dem  Hauptort  Alnu'msinijja,  das  am  Tigris  auf 
halbem  Wege  zwischen  den  genannten  beiden  Städten  lag. 

Zur  Erklärung  der  Pluralform  Zäbhe  bemerkt  Jäküt  II,  903,  »es  gebe 
zwischen  Hagdad*  und  Wäsit  zwei  Kanäle  des  Namens  Zäb,  den  oberen 
bei  Küsän,  der  nach  seiner  Meinung  aus  dem  F.uphrat  abgeleitet  sei  und 
sich  bei  Zurfämija  in  den  Tigris  ergieße;  der  Hauptort  dieser  Gegend  sei 
das  am  Tigris  gelegene  Alnu'mänijja ;  und  den  unteren,  dessen  Gebiet 
sein  Zentrum  habe  in  dem  nahe  bei  Wäsit  gelegenen  Nahr-Säbus.  An 
jedem  dieser  beiden  Zäb  liege  eine  Anzahl  von  Ortschaften«.  Zu  den 
topographischen  Einzelheiten  bemerkt  Jäküt.  daß  Küsän  ein  Gau  und  Kanal' 
zwischen  Alnu'mänijja  und  Wäsit,  daß  Zurfämija  oder  ZurlVmija  eine  große 
Ortschaft  im  Gau  Küsän,  aber  zu  seiner  Zeit  verödet,  und  daß  Nahr-Säbus 
ein  Kanal  sei,  der  eine  Tagereise  oberhalb  von  Wäsit  fließe.  Hierdurch 
ist  die  Südgrenze  des  Bistums  Zäbhe  südwärts  als  über  die  Einmündung 
der  Satt-Elhai  in  den  Tigris  hinausgehend,  wo  es  an  das  Bistum  Kaikar 
stößt,  nachgewiesen. 

Bischöfe  von  Zäbhe  begegnen  in  den  Unterschriften  der  Konzilakten 
in  den  Jahren  420  bis  790.  Zu  späteren  Zeiten  wird  das  Bistum  auch 
nach  seinem  Hauptorte  als  Alnu'mänijja  bezeichnet,  erscheint  zuweilen  ver- 
bunden mit  einem  Bistum  Alnil  und  einmal  außerdem  noch  verbunden 
mit  dem  Bistum  Bä-Daräjä  (s.  Nr.  3)  unter  dem  Katholikos  Elias  11.  Ibn 
Almukli  I  1 1 1  — 1 132  (s.  M  b  S  S.  129).  Es  ist  ein  Zeichen  eines  bedeu- 
tenden Rückganges  des  Christentums  in  jenen  Gegenden,  daß  drei  Bistümer, 
zwei  innerbabylonische  und  ein  nahrawanisches,  unter  einem  einzigen  Bischof 
vereinigt  wurden.  Das  Bistum  Zäbhe  läßt  sich  durch  die  Angaben  der 
Patriarchenchroniken  von  Märi  und  Amr  bis  in  das  F^nde  des  12.  Jahr- 
hunderts nacliweisen.  Späteste  Erwähnung  unter  dem  Katholikos  Elias  III. 
Abü-Halim  11  76— 11 90  bei   A  b  M   S.  65. 

9.  Kaskar,  arabisch  Kaskar,  Landschaft  und  Stadt  im  südöstlichen 
Babylonien,  unter  den  Sasaniden  Khusrau-säpür  genannt.  In  jenen  Zeiten 
scheint  die  Landschaft  die  größten  Teile  von  Süd-  und  Ostbabylonien  so- 
wie auch   von  Mesene  umfaßt  zu  haben   (s.  Jäküt  4,  274;   Maräsid  2,497). 


Die  Manisifl  II.  459  nennen  diesen  WasserlaiiC  JlI!|  ia~ . 


Zur  Ausbi-eitung  des  Christentums  in  Asien.  81 

Üie  Stadt  Kaskax  pflegt  mit  dem  von  Alhaggäg  gegründeten  Wäsit  gleich- 
gesetzt zu  werden;  sie  dürften  nalie  beieinander  gelegen  haben,  denn  sie 
werden  als  zwei  verscliiedene  Ortscliaften  genannt,  Kaskar  und  W<äsit 
(z.  B.  bei  M  b  S  S.  109).  Die  Ruinen  der  Stadt  Wäsit  liegen  in  dem  Winkel 
zwischen  dem  Satt-Elhai  und  dem  Tigris  unfern  der  heutigen  Stadt  Küt-Elhai. 

Das  Christentum  in  Kaskar  ist  durcli  die  Unterschriften  seiner  Bischöfe 
in  den  Konzilakten  der  Jahre  410  bis  790  bezeugt.  Ein  noch  älterer  Bischof 
von  Kaskar  namens  P]bedjesu  wird  in  der  Chronik  von  Seert  I,  236  als 
Zeitgenosse  von  Papa  (gest.  326)  und  Mäni  erwähnt.  Der  Bischof  von  Kaskar 
spielte  in  der  Hierarchie  eine  bedeutende  Rolle,  da  er  der  erste  unter 
den  Bischöfen  der  Katholikatsprovinz  war  und  den  Katholikos  in  Vakanz- 
zeiten zu  vertreten  hatte  (nach  den  Bestimmungen  des  Isaak-Konzils  vom 
Jahre  410,  §  XXI). 

In  den  Akten  des  Henänisö'-Konzils  von  775  wird  mehrfach  ein  Bi- 
schof von  «^äolÜrakli?,  Örekh?  und  Kaskar  augefülirt  (Syn.  Or.  S.  5i6ft'.). 
Wenn,  wie   Chabot   annimmt,    Urakh    dasselbe    ist   wie   das    biblische  !T"is 

■    t 

■■Op^x,  'Opxohi,  die  heutige  Ruinenstätte  Alwarkä,  dann  muß  sie  also  noch 
in  altabbasidischer  Zeit  bewohnt  gewesen  sein.  Daß  dies  in  parthischer 
Zeit  der  Fall  war,  haben  die  Ausgrabungen  gelehrt.  Die  arabischen  Geo- 
graphen bezeichnen  Alwarkä.  als  zum   Gebiet  von   KaAkar  gehörig'. 

In  späteren  Zeiten  begegnet  das  Bistum  Wäsit  einmal  verbunden  mit 
einem  Bistum  Alkubbe  durch  den  Katholikos  Ebedjesu  aus  Karkh-dluddän 
963 — 986  (MbS  S.  92).  Nach  Elias  Damascenus  (Assemani  B.  Or.  III.  II, 
733;  11,458)  war  zu  seiner  Zeit  das  vereinigte  Bistum  Bä-Daräjä  —  Bä- 
Kusäjä  unbesetzt  und  die  Verwaltung  dieser  Gemeinden  dem  Bischof  von 
Ka.skar  übertragen.  Die  späteste  Erwähnung  der  Bistümer  Kaskar  in  den 
Patriarchenchroniken  findet  sich  im  i  3.  Jahrhundert  unter  dem  Katholikat 
des  Makklkhä  II.    1257  — 1265   bei  AbM  S.  69. 

10.  Abdäsi,  als  ein  Bistum  der  Katholikatsprovinz  erwähnt  von  Elias 
Damascenus  (Assemani  II,  458).  Nach  Jaküt  war  Alxlasi  ^_g^■■^^  arabisiert 
aus  t.s*-'^-^',  der  Name  eines  Landgutes  (oder  einer  Burg)  im  Gau  von  Kas- 
kar, zerstört  von  den  Arabern.  Der  Name  sei  aber  dann  als  Bezeichnung 
für   die    umliegende   Kulturlandschaft  geblieben.      Abda.si   wird   bei   Tabari 


'    Das  hier  besprochene  ^So2  ist  daher  verschieden  von  dem  Berge.  Gchirgo  &03o2 
im   Lande  BÄth-Garmai,  s.  Jesudenal.i  S.  231   Nr.  10,  Text  S.  5  Z.  14. 


32  Sachat: 

in  den  Ereignissen  der  Jahre  der  Flucht  145,  200  und  267  erwähnt;  es 
lag  südlich  von  Wäsit  (Tabari  III,  985)  und  ist  den  arabischen  Geographen 
Ja'kübi,  Istakhri,  Ibn  Haukai  und  Mukaddasi  wohlbekannt.  Es  geliörte 
zur  sasanidischen  Provinz  Dasti-Maisän  und  lag  nicht  weit  von  Almadhär 
(Ibn  Roste  S.  94.   95),  vgl.  auch   Ibn  Kliordädbeli  S.TTn,5  ^-^^ ■ 

1 1 .  Alkasr  und  Alnahrawänät.  Dies  Bistum  lag  vermutlich  im  süd- 
lichsten und  südwestlichen  Babylonien,  nicht  weit  von  den  Grenzen  der 
Sumpfregion  Albatä'ili  entfernt.  Die  Form  Nahrawänät  ist  sonst  nur  be- 
kannt als  Bezeichnung  der  drei  Teile  des  Gebietes  Nahrawän  (s.  Jäküt  4, 
846,  20)  östlich  vom  Tigris  und  nördlich  sowie  südlich  der  Breite  von 
Seleucia  (s.  oben  Nr.  4  S.  28).  Das  hier  gemeinte  Nalirawänät  dürfte  da- 
gegen die  Landschaft  am  Nahrawän-Kanal  (Fluß?)  bei  der  Stadt  Nahrawän 
bezeichnen;  beides  lag  südlich  von  Wäsit  (s.  ZDMG.  39,  S.  9.  Z.  5.  6.  24, 
auch  S.  2,  Z.  loft'.j.  Die  Stadt  Alkasr  lag  am  Sürä-Kanal,  zwei  Meilen  von 
Sürä  entfernt  (das.  S.  7.  21). 

Das  Bistum  Alkasr  allein  wird  bezeugt  in  den  Patriarchenchroniken 
im  1 1.  Jahrlmndert  unter  Johannes  IV.  Ibn  Ezechiel  102 1  — 1026,  Elias 
von  Karkh  Guddän  1028  — 1049,  Johannes  VIII.  Ibn  Tii'gbäl  1050— 1057 
und  Ebedjesu  Ibn  Al'ärid.    1074 — 1090. 

Das  Bistum  Alnahrawänät  allein  erscheint  unter  Patriarch  Johannes, 
Ibn  Al'a'rag  900 — 905. 

Das  kombinierte  Bistum  Alka.sr  und  Alnalirawänät  wird  im  11.  und 
12.  Jahrhundert  erwähnt.  Die  Patriarchen  Isö  jabh  Dürkönensis  (102 1  bis 
1026)  und  Johannes  Ibn  Tirgbäl  (1050  — 1057)  waren  Bischöfe  dieses  Bis- 
tums, bevor  sie  zu  Patriarchen  gewählt  wurden.  Letzte  Erwähnung  unter 
Elias  II.   Ibn  Almukli    1 1 1  i  —  i  i  3  2 . 

12.  Niffar  (Nuffar).  In  späten  Zeiten  erscheint  in  den  Patriarchen- 
chroniken ein  Bistum  dieses  Namens,  unter  Joliannes  Ibn  Al'a'rag  900 — 905, 
Mari  Ibn  Tübä  987 — 1000,  Sabhrlso*  Zunbür  1063  — 1072  und  Ebedjesu 
Ibn  Al'ärid  1074 — 1090.  Die  Ortschaft  dieses  Namens  ist  der  durch  die 
Ausgrabungen  bekannt  gewordene  Trümmerberg.  Nach  3Iaräsid  III,  207. 
22  1  lag  er  an  einem  Kanal  Nars,  der  von  dem  Sasaniden  Narses,  Sohn 
des  Bahräm  (293 — 302),   gegraben  und  aus  dem  Euphrat  abgeleitet  war. 

Dies  niittelbabylonische  Bistum  erscheint  an  einer  Stelle  verbunden 
mit  einem  andern  Gebiet  als  ^Ül^  >  Niffar  und  Alnil  bei  MbS  114 
unter  Katholikos  Ebedjesu  Ibn  Al'ärid  (1074       1090).     Über  die  Lage  dieses 


Zur  Aiisbreitung  des  Christentums  in  Asien.  33 

Ortes  sagt  Jäküt  IV,  86 1;  »Alnil,  eine  kleine  Ortschaft  in  der  Marsch  von 
Küfa,  unfern  Hillat-Bani  Mazjad,  durchflössen  von  einem  großen  Kanal, 
der  aus  dem  Euphrat  abgeleitet  ist,  gegraben  von  Alhaggäg  Ibn  Jüsuf  und 
benannt  Nil-Misr.  Nach  anderer  Ansicht  sei  dieser  Kanal  von  Sarät-Gä- 
mäsp  abgeleitet.«  Dieser  Angabe  fügen  die  Maräsid  III,  260  das  P'olgende 
hinzu:  »Er  (der  Nil-Kanal)  ist  die  Hauj^twasserader  des  Bezirks  von  Küsän, 
der  sein  überflüssiges  Wasser  imterhalb  Alnu'mänijja  in  den  Tigris  gießt.« 
Die  Ortschaft  Alnil  dürfte  erhalten  sein  in  dem  heutigen  Alnilijja,  der 
Kanal  in  dem  ausgetrockneten  Satt-Alnil,  vgl.  DMG.  39,  3.  8  und  L.  Mas- 
siGNON,  Mission  en  Mesopotamie  (1907  —  1008)  tom.  I  S.  55  und  die  Tafeln 
I.  51.  52.  Alnil  als  Bistum  grenzte  vermutlich  im  Süden  an  das  Bistum  Niff"ar. 

13.  Alnil,  ein  innerbabylonisches  BLstum,  über  dessen  Lage  s.  unter 
Niffar  (Nr.  1 2),  mit  dem  es  zuzeiten  vereinigt  war.  Es  wird  im  11.  Jahr- 
hundert erwähnt  unter  Elias  aus  Karkh-Guddän  1028  — 1049,  Sabhrisö' 
Zunbür  1063  — 1072  und  Makkikhä  I.  1092  —  i  108.  Unter  letzterem  waren 
einmal  die  drei  Bistümer  Alnil,  Alnu'mänijja,  d.  i.  Zäbhe  und  Bä-Daräjä 
(s.  Nr.  4  und  8)  vereint  (s.  MbS  129). 

Über  die  Ruinen  von  Nilijja  und  den  Kanal  Satt-Alnil,  an  dem  die 
Ortschaft  lag,  s.  Sarre  und  Herzfeld.  Archäologische  Reise  im  Euphrat- 
und  Tigris-Gebiet  S.  233  —  249  und  die  Tafeln  XXXII  bis  XXKIV;  eine  Ab- 
bildung aus  älterer  Zeit  bei  Loftus,  Travels  and  researches  1857  S.  82. 

14.  Hertha  dhe-'['ajjäje,  arabisch  Alhlra,  in  Westbabylonien  südöstlicli 
von  Meshed-Ali.  Über  die  jetzige  Beschafl"en]ieit  des  Platzes,  den  einst- 
mals Hira  einnahm,  s.  B.  Meissner,  Von  Babylon  nach  den  Ruinen  von  Iura 
und  Huarnak  (Sendschriften  der  Deutschon  Orientgesellschaft  Nr.  2,  Leipzig 
1901)  S.  18  und  Massignox,  a.  a.  O.  S.  28.  Während  von  den  Fürsten  Iliras 
erst  einer  der  letzten,  Nu'män  III.  Abi't  Kabüs  unter  Khusrau  Parw^z  (590 
bis  628)  das  Christentum  annahm',  war  in  der  Bevölkerung  das  Christen- 
tum schon  lange  vorher  verbreitet,  und  christliche  Bischöfe  von  Hira  werden 
durch  die  Konzilakten  schon  in  den  Jahren  410—585  und  .später  noch 
790  bezeugt.  Dies  Bistum  bestand  noch  gegen  Ende  des  10.  Jahrhunderts 
unter  Katholikos  Mari  Ibn  '{uhk  (987 — 1000)  s.  AbM  55.  Für  die  Ver- 
breitung des  Christentums   im  Gebiet  von  Hira  zeugen  die  zahlreichen  Klö- 


'    G.  Rothstein,  Die  Dynastie  der  Laljmidon   in   Al-Hii-a.    Berlin    1899,  S.  142;   (Iiiidi. 
<'hronicon  anonymum  S.  16. 

Phil.-hist.  Abh.   101!).   Ar.  1.  :, 


;^4  S  ACH  Ar: 

ster,   die  dort,  vorhanden  gewesen   sind.     S.   die  Aufzählung  bei  Massignon, 

a.  a.  0.  S.  37 — 40. 

15.  Anbär  =  Perozsäpür,  auch  Anbär  und  Hit  genannt  (M  b  S  129), 
das  erstere  auf  der  Ostseite  des  Euphrat.  ungefähr  der  Lage  des  heutigen 
Fellüga  entsprechend,  zugleich  eine  Landschaft,  die  sich  unter  den  Sasa- 
niden  von  Hit  und  Ana  am  Euphrat  quer  über  Land  bis  nach  Katrabbul, 
einem  nördlichen  Vorort  \on  Bagdad  unfern  des  Südendes  des  Dugail- 
Kanals,  erstreckte,  während  Mu'äwija  Hit  und  Ana  vom  Gau  Anbär  trennte 
und  mit  der  Gezire  (Innerbabylonien)  vereinigte  (Jäküt  III,  929).  Außer  dem 
ersten  abbasidischen  Chalifen  Abü-Alabbäs  Alsaffah  residierte  hier  zuzeiten 
auch  Härün  Alrasid.  Als  christliclies  Bistum  ist  Anbär  durch  die  Konzil- 
akten aus  den  Jahren  420—576,  605  und  790  belegt.  In  den  Patriarchen- 
chroniken wird  das  Bistum  Anbär  oft  erwähnt,  allein  zuletzt  unter  d€tm 
Katholikos  Ebedjesu  Ibn  Al'ärid  1074 — 1090,  vereinigt  mit  Hit  unter 
Elias  IL   Ibn   Almukli  iiii  — 1132. 

16.  Alkubba.  Marl  Ibn  Sulaimän  bericlitet  folgendes  (S.  >  ♦  i  Z.  12.  13: 
Übersetzung  S.  92):  »Der  Katholikos  Ebedjesu  aus  Karkh  (iuddän  (963 — 986) 
verband  den  Thron  von  Alkubba  mit  Wäsit  und  setzte  Albawäzig  an  seine 
Stelle.  Das  gehörte  damals  zur  Hyparchie  Beth-Garmai. «  Ich  verstehe 
diese  Stelle  so,  daß  der  Katholikos  das  Bistum  Alkubba  aufhob,  und  die 
Sorge  der  dort  noch  etwa  vorhandenen  Christen  dem  Bischof  von  Alba- 
wäzig übertrug,  der  zugleich  damit  aus  dem  Verbände  der  Eparchie  Belh- 
Garmai  losgelöst  und  in  die   Katholikatsin'ovinz  übertragen  wurde. 

Albawäzig  lag  im  äußersten  Norden  der  Katholikatsprovinz  am  Tigris, 
ebenso  Alkubba  am  Euphrat,  falls  wir  es  mit  Kubbat-Alküfa  identifizieren 
dürfen,  das  nach  Jäküt  IV.  33  eine  Bezeichnung  für  Ort  und  Gegend  AI- 
rahba  am  mittleren  Euphrat  unfern  Majädin  war.  Freilicli  bleibt  dabei  uner- 
klärt, warum  Alkubba  mit  dem  fernen  Wäsit  (Kaskar)  vereinigt  wurde  anstatt 
mit  dem  nächstgelegenen  Bistum  Anbär.  Vielleicht  dürfen  wir  mit  diesem 
Bistum  Alkubba  das  Bistum  Rahba,  das  AbM  57  unter  dem  Katholikos 
Elias  I.  (1028  —  1049)  erwähnt,  identifizieren,  über  Rahba,  jetzt  gesprochen 
Rahaba,  und  Majädin,  s.  meine  Reise  in  Syrien  und  Mesopotamien  S.  282. 
Die  drei  nordba])ylonischen  Bistümer 

Ukbarä. 
Maskin   und 
Alhazira 


Zur  AusbreitutKj  rifs  Chri'<tp)ihniis  in  :\sii')i.  35 

können  als  die  Du^ail-Bistümer  bezeichnet  werden,  da  sie  entweder  am  üiigail 
selbst  oder  jedenfalls  in  seinem  Bewässerungsgebiet  lagen.  Der  Kanal  dieses 
Namens  dürfte  das  Gebiet  von  Takrit  mit  dem  Norden  von  Bagdad  \ev- 
bunden,  also  eine  Landschaft  genährt  haben,  welche  nach  den  heutigen 
Verhältnissen  ihren  Hauptort  in  dem  bekannten  Beled  hat.  Ich  glaube 
nicht  zu  irren  in  der  Annahme,  daß  das  Bistum  'Ukbarä  Bagdad,  das  Bis- 
tum Alhazira  Takrit  am  nächsten  lag.  jenes  das  nördlichste,  dies  das  süd- 
lichste war,  während  das  Bistum  Maskin  eine  nicht  näher  l)estimmbare 
Mittellage  zwischen  beiden  eingenommen  haben  dürfte.  Die  einzelnen  Ort- 
schaften zu  lokalisieren  scheint  mir  unmöglich,  denn  der  Tigris  hat  hier 
vielfach  seinen  Lauf  geändert  und  die  Kanäle  sind  verschwunden,  wenn 
auch   vom  Duijail  vielleicht  noch  hier  und  da  ein  Stück  sorhanden  sein  mag. 

17.  Ukbarä,  .sasanidisch  Buzurksäpür.  nach  Chr.  Scert  II,  221'  von 
Sapor  I.  (241  —  272)  gegründet  und  mit  griechischen  Kriegsgefangenen  Iic- 
völkert,  loFarsab  von  Bagdad  gegen  Norden  entfernt.  Vgl.  Maräsid  11,  270. 
Die  Haiiptorte  in  dem  Bistum  waren  Awänä  ]ao2  und  .Sarifin,  und  diese 
sowie  die  Stadt  Ukbarä  selbst  lagen  so  nahe  beieinander,  daß,  wenn  in 
dem  einen  Orte  der  Gebetsruf  erschallte,  er  in  den  andern  gehört  wurde 
(Jäküt  III,  384). 

In  den  Konzilakten  ist  noch  von  keinem  Bistum  Ukbarä  die  Rode, 
es  erscheint  erst  in  den  Patriarchenchroniken  von  goo  an.  zuerst  unter  dem 
Katholikos  Sergius  (860 — 872).   zuletzt  unter  Sabhrisö' IV.  (1222  — 1225). 

18.  Maskin,  am  Duirail-Kanal  gelegen,  und  ursprünglich  zu  demselben 
Kreise  gehörig,  zu  dem  Awäiui  geliörte,  d.  i.  zu  Ukbarä  (Marä.sid  III,  98). 
Zur  weiteren  Bestimmung  der  Lage  von  Maskin  mag  folgendes  dienen :  Es 
lag  nicht  weit  von  Awänä  am  Duiail  bei  dem  Katholikos-Kloster  J:^''»-'  >'.- 
(Jäküt  4,  529).  Dies  Kloster  lag  westlich  vom  Tigris  in  der  Breite  von 
Harbä,  hart  an  der  Grenze  zwischen  Babylonien  und  dem  Gebiet  von  Takrit 
(das.  II,  650).  Damit  ist  ein  fester  Punkt  gegeben,  denn  Ilarbä"  ist  heutigen 
Tages  noch  als  Ruinenstätte  vorhanden  (s.  meine  Reisenotizen  Am  Euphrat 
und  Tigris,  Leipzig  1900,  S.  83  und  Tafel  III). 


'    Text  verdorben,  statt  -1  ^'^•o-iy'    lios    -^yy—^-^J 

'  Nach  Maräsid  i.  295  lag  Haihä  im  obersteii  l'cil  des  Du;iai  1  -  Gebietes 
iJ^J  i^\  cJ-  Danach  dürfte  dci'  Duy;ail  nicht  weit  nördlich  von  Harba  oder  der  Breiti' 
des  heutigen   Belcd   an."»  dem  Tigris  abgeleitet  gewesen   sein. 


36  S  A  c  H  A  II : 

Ein  Bischof  von  Maskin  wird  unter  dem  Katliolikos  Jöhannän  Ibn 
Al'a'rag  (900 — 905)   erwälint. 

19.  All.iazira  »eine  große  Stadt  im  Gebiet  von  Bagdad  gegen  Takrit 
liin,  zum  Dugail-Gebiet  gehörig«  (Jäküt  2,  292),  »in  der  Nälie  von  Ilarbä« 
(Maräsid  I,  309).  Hiernach  sclieint  es  mir  wahrsclieinlich,  daß  Alhazira 
identisch  ist  mit  jener  ausgedehnten  Ruinenstätte,  die  jetzt  als  Istabulät 
bezeichnet  wird  (s.  meine  Reisenotizen  Am  Euphrat  und  Tigris,  1900,  S.  83 
und  Tafel  III).  Das  Bistum  Alhazira  grenzte  im  Norden  an  dasjenige  von 
Takrit.  Es  wird  unter  dem  Katholikos  Makkikhä  II.  1257  — 1265  erwähnt 
(bei  AbM  69). 

Es  folgen  mehrere  tigritanische  Bistümer,  Tii'liän,  Karm^,  Sennä  und 
Beth-Wäzik. 

20.  Xrihän  oder  Xirhän  mit  dem  Haui)tort  Tegrith  am  Tigris,  arabisch 
Takrit.  Über  die  Grenzen  dieses  Bistums  s.  Hoffmann,  S.  191.  In  den  Konzil- 
akten sind  Bischöfe  dieser  Landschaft  bezeugt  aus  den  Jahren  544 — 790  und 
in  den  Patriarchenchroniken  in  den  folgenden  Jahrhunderten  bis  unter  dem 
Katholikos  Makkikhä  I.  (1092  —  i  108).  Hier  war  es,  wo  das  monophysitische 
Christentum  bald  nach  seinem  Erscheinen  am  Tigris  die  Oberhand  über  das 
nestorianische  gewann. 

21.  Karme,  d.  h.  die  Weinfelder,  eine  Ortschaft  gegenüber  Takrit, 
als  Bischofssitz  bezeugt  in  den  Jahren  486,  497,  554.  Ob  vielleicht  iden- 
tisch mit  dem  Bistum  Tirhän?  — 

2  2  Sennä  oder  Sennä  dhe-Beth  Remmän,  arabisch  Sinn-Bärimmä,  auf 
der  Ostseite  des  Tigris,  nördlich  von  der  Stelle,  ^Y0  der  Tigris  die  Ilamrin- 
Kette  durchbricht  und  etwas  südlieh  von  der  Mündung  des  kleinen  Zäh. 
Bischöfe  dieser  Diözese  erscheinen  in  den  Konzilakten  in  den  Jahren  576  bis 
790,  und  in  der  Patriarchenchronik  des  MbS  112  noch  im  11.  Jahrhundert 
unter  Katholikos  Ebedjesu  Ibn  Al'ärid  (1074— 1090).  Durch  seinen  Amts- 
vorgänger Sabhrisö'  Zunbür  (1063  — 1072)  wurde  das  nördlich  angrenzende 
Bistum  Albawäzig  mit  dem  Bistum  Sinn-Bärimmä  vereinigt  (s.  MbS  i  10.  114). 

Ein  Simeons-Kloster  in  Sennä  wird  erwähnt  bei  Jesudenah,  S.  258  Nr.  67. 

23.  Beth-Wäzik,  arabisch  Albawäzig  am  Tigris,  nördlich  von  der  Ein- 
mündung des  unteren  Zäb  in  den  Tigris.  In  den  Konzilakten  niclit  erwähnt, 
Avohl  aber  in  späteren  Zeiten  unter  Katholikos  Phetion  (731  —  741),  Märi 
Ibn  Tübä  (987  — 1000),  Elias  aus  Karkh  Guddän  (1028 — 1049)  und  noch 
unter  Makkikliä  II.  (1257 — 1265). 


Ziir  Ausbn'ituiiij  di's  Clirisfrutums  in  Asien.  37 

Albawäzig  gehörte  ursprünglicli  zur  H\  parchie  Reth-Garmai,  wurde  dann 
zur  Katholikats-Eparchie  geschlagen,  jedenfalls  vor  893,  denn  Elias  Ganhari 
von  Damaskus  kennt  diesen  Zustand  schon  (Assemani  B.  0.  II,  458). 

Die  folgenden  vier  Bistümer,  24  bis  27,  deren  bedeutendstes  Hulwän 
ist,  liegen  an  der  bekannten  Heerstraße  \on  Bagdad- Hamadän.  Babylon- 
Ekbatana  oder  in  ihrer  Nähe.  Daß  sie  zur  Katliolikats-Provinz  gehörten, 
ist  nirgends  direkt  überliefert,  aber  wahrscheinlich,  denn  zu  der  angren- 
zenden Provinz  Beth-Garinai  gehörten  sie  nicht.  Später  wurde  Hulwän 
durch  den  Katholikos  Isöjabh  Geddäläjä  (628  —  643)  aus  dorn  Verbände 
der  Katholikats-Provinz  ausgeschieden,  zu  einer  neuen  Kirchenprovinz,  der 
achten  neben  Susiana,  Nisibis,  Mesene,  Adiabene,  (Jaraniäa,  Persis  und 
Margiana  erhoben  (s.  oben  S.  14).  F^lias  tiauhari  zählt  Hulwän  als  die 
letzte,  vermutlich  jüngste,  in  seiner  Rangordnung  der  Metropolitien  auf 
(s.  oben  S.  2  i). 

24.  Daskartä  dhe  Malkä,  arabisch  Daskarat-Alnialik,  das  heutige  Eski- 
Bagdad  auf  der  Straße  von  Bagdad  an  die  persische  (Frenze  bei  Khänekin, 
wird  als  Bistum  in  den  Konzilakteu  zweimal  erwähnt,  unter  den  Jahren 
420  und  424,   dann  aber  verschwindet  es  in  der  christlichen  C^berlieferung. 

25.  Hulwän,  begraben  unter  den  Schutthügeln  des  Dorfes  Sarpnl  am 
Flusse  Alwän  an  der  Straße  Bagdad-Hamadan.  erscheint  als  Bistum  in 
den  Konzilakten  in  den  Jahren  554,  585,  605  und  wird  bald  darauf  von 
dem  Katholikos  I.söjal)h  aus  Geddälä  (628 — 643)  zum  Erzbistum  erhoi)en 
(s.  oben  S.  19).  In  den  Patriarchenchronikc^n  ist  ein  Erzl)ischof  von  Hulwän 
nachzuweisen  von  900  unter  Johannes  V.  Il)n  ATaraif  (900  905)  l)is  in  das 
12.  Jahrhundert  unter  Elias  Ihn  Almukli  (i  i  i  i  -  i  132).  Nur  einmal  finden 
wir  Hulwän  mit  Rai,  der  Hauptstadt  von  ()l)ermedien,  zu  einem  Erzbistum 
vereinigt   unter  Eltedjesu   Um   Al'ärici   (1074 — 1090)  (s.  M  b  S  114). 

26.  Baläsfarr',  BoAoreci»oPA,  eine  Ortscliaft  in  der  Nähe  von  IJulwän, 
wird  als  Bistum  in  den  Konzilakteu  der  Jalire  424.  576  bezeugt,  ver- 
schwindet al)er  dann  in  der  Überlieferung.  Der  Katholikos  Sabhrisö'  (596 
liis  604)  l)emühte  sich  um  die  Bekehrung  der  Nomadenstämme  der  Gegend 
von   Baläsfarr  (s.  Labourt,   Le  Christianisme  S.  21  i). 

27.  äuäoUbSS  2«S>i,T  =  die  Gefangenschaft  ((Gefangenenlager)  von 
Belä-sfarr,   wird  ein  einziges  Mal   in  den  Konzilakteu   im  Jahre  424  erwähnt. 


Das  Gebiet  von   Balnifarr  gren/te  an   Bt'lli-tjaniiai,  s.  .lesudenah  S.  256. 


38  S  A  (•  hau: 

Woher  die  Kriegsgefangenen  stammten,  die  diesem  Ort  den  Namen  ge- 
o-eben  haben,  ist  nicht  ü1)erliefert:  vermutlich  waren  es  Christen  aus  dem 
Römerreich,  die  etwa  während  der  vieljährigen  Kriege  Sapors  II.  dort  an- 
gesiedelt waren. 

28.  Über  das  bei  AbM  S.  57  erwähnte  Bistnm  Rahba  s.  oben 
Nr.  16   S.  34. 

Die  Bistümer  Babyloniens  bildeten  gleichsam  einen  Ring  um  das  ganze 
Land;  sie  lagen  an  den  beiden  Strömen  östlich  vom  Tigris,  westlich  vom 
Euphrat,  im  Innern  zwischen  den  beiden  Strömen,  nordwärts  am  tluphrat 
hinauf  bis  in  die  Gegend  von  Mejädin  und  nordöstlich  an  der  Straße 
nach   Hamadän   bis   über  ilulwän   hinaus. 


II. 

Kirchenprovinz  Susiana. 

In  Susiana,  der  heutigen  persischen  Provinz  Khnzistän,  deren  Haupt- 
lebensadern die  beiden  Ströme  Karkhä  und  der  im  Unterlauf  schiffbare 
Kärim  sind,  liat  das  Christentum  frühzeitig  seinen  Einzug  gehalten  und 
sich  weithin  über  das  ganze  Land  verbreitet.  Unter  den  Perserkönigen 
a\is  dem  Hause  Säsän  war  das  Land  in  sieben  traue  eingeteilt,  und  die 
Vororte  von  fünf  dieser  Gaue  waren  Sitze  christliclier  Bischöfe:  Sük-al 
Aliwäz,  Tustar,  Süs,  Gundisäbür  und  Rämhormuz.  Die  Bezeugungen 
dieses  Christentums  von  der  ältesten  Zeit  bis  zum  Jahre  410,  von  wo  an 
wir  durch  die  Konzilakten  über  die  einzelnen  Kirchenprovinzon  während 
mehrerer  Jahrhunderte  sichere  und  fortlaufende  Nachrichten  erhalten, 
sind   folgende: 

Nach  der  Arbela-Chronik  S.  22  gab  es  um  das  Jahr  224  n.  Chr., 
als  die  Herrschaft  von  den  Parthern  auf  die  Perser  überging,  in  Susiana 
schon  zwei  Bistümer.  Beth  Lapat  =  Gundisäbür  und  Hormizd-Ardasir  =;= 
Sük-al  Ahwäz,  jetzt  Ahwäz  genannt. 

Nach  der  Chronik  von  Seert  I,  226  soll  der  Bischof  von  Alahwäz 
den  Mäni  zum  Priester  geweiht  haben.  Da  letzterer  unter  Baliräm  I. 
(273 — 276)  getötet  ist,  so  mag  diese  Weihung  etwa  um  250,  260  n.  Chr. 
stattgefunden  haben. 

An  der  Weihung  des  Päpä  zum  Bischol'  von  Seleucia  (etwa  um  280) 
war  Bischof  l.Iai-Be'el    von    Susa   beteiligt  (Chr.  .Vrbel.  S    6q). 


Zi(r  Audn-eitung  des  Chrhtentuvnn  in  Asien.  H9 

Zur  Zeit,  als  derselbe  sicli  den  Rang  eines  Oberbischofs  über  die  ganze 
Christenwelt  im  Perserreich  zu  erkämpfen  bemüht  war,  tritt  ihm  als  mäch- 
tigster Gegner  seiner  Ansprüche  Bischof  Miles  ijQ>«\jao  von  Susa  entgegen. 
neben  ihm  ein  anderer  susischer  Bischof  Abraham   von  Sustar  (Tustar). 

In  der  großen  Verfolgung  unter  Sapor  II.  fiel  neben  dem  genannten 
Miles  auch  ein  anderer  susischer  Bischof,  Gadja])li  von  Gundisäbür  34 1  n.  Chr. 
der  Kirche  zum  Opfer'.  Susiana  war  das  Ilaupttheater  der  Verfolgungen 
und  Hinrichtungen.  In  dieser  Provinz  sowie  in  ihrem  Stammlande,  der 
Persis,  verweilten  die  älteren  unter  den  Sasaniden,  während  die  späteren, 
nach  Ja'kübi  S.  321  zuerst  der  große  Anösarwan,  ihr  Zentrum  in  Seleucia- 
Ktesiphon  hatten.  Die  Verfolgungsperiode  (340 — 379  und  darüber  hinaus) 
bezeichnet  eine  tiefe  Ebbe  in  der  Entwicklung  des  Christentuiiis,  viele  Bis- 
tümer werden  zeitweilig  unbesetzt  geblieben  sein.  Mit  dem  Anfang  des 
folgenden  Jahrhunderts  beginnt  dann  ein  neuer  Aufstieg  (unter  Jezdegird  I. 
399 — 420),  und  zur  Zeit  der  Verfassungsgründung  durch  die  Konzilien  von 
410  und  420  waren  schon  fünf  susische  Bischöfe  daran  beteiligt. 

Ein  Kloster  des  Malkisö'  in  Elam  s.  im  Klosterverzeichnis  des  Jesudenah 
S.  268  Nr.  98. 

Die  beglaubigten  Bistümer  Susianas  sind   folgende : 

1.  Böth  Lapat  =  Gundisäbür,  Sitz  des  Metropoliten,  der,  wie  bereits 
oben  8.  15  erwähnt,  kirchenrechtlich  den  ersten  Rang  nach  dem  Katholikos 
einnahm.  Die  Stadt  ist  den  arabischen  Geographen  bekannt,  jetzt  aber 
nicht  mehr  vorhanden.  Ihre  einstige  Lage  wird  markiert  durch  die  Ruinen- 
stätte Sähäbäd  zwischen  dem  Trümmerfelde  von  Susa  und  der  heutigen 
Stadt  Tustar".  Die  Konzile,  an  denen  die  Erzbischöfc  von  (iundisäbiir 
teilnahmen,  erstrecken  sicli  über  die  Jalire  410-585  und  bis  790.  In 
späteren  Jalirhunderten  wird  dies  Erzbistum  noch  erwähnt  unter  den  Pa- 
triarchenjohannes Ibn  Ara'rai>  (900 — 905)  und  Märi  Ibn  Tt'hA  (987      1000)'. 

2.  Karkhä  dhe  Lä<len*  oder  Karkhä,  jetzt  nicht  mehr  vorhanden,  al)er 
identifiziert  mit  den  Ruinen  von  Iwäni-Karkli  am  Karkhä-Fluß,  etwas 
weiter  flußaufwärts  als  Susa.  Vielleicht  war  diese  Stadt  noch  erhalten 
in  einem  kleinen  Orte  U-^oder  «j-j>.   der  bei  Istakhri   und  Ibn  Ilaukal  er- 

'  Chr.  Seert  I,  S.  236. 

''  Der  muhammedaiiische  Dynast  .la'kiil)  Ibn  Laitli  Al.saflVir  staib  in  Gundisäbür  879  n.Chr. 

'  A  b  M  48.  55- 

'  Keilschritlliob   Ladinnii. 


40  •'*'  A  <■  11  --^  '*  : 

wähnt  wird,  von  dem  Mukaddasi  51.  405.  408  berichtet,  daß  er  im  Bezirk 
von  Susa  liege.  Die  griechischen  Kriegsgefangenen,  die  unter  Sapor  I.  hier 
angesiedelt  waren,  begruben  die  Gebeine  des  im  Jahre  34 1  martyrisierten 
Katholikos  Simeon  Bar  Sabbä'e  von  Seleucia.  Nach  dem  Verfall  der  Stadt 
(wann?)  wurden  diese  Kolonisten  nach  dem  nahen  Susa  versetzt'.  Die  Be- 
glaubigung  dieses   Bistums   durch   die  Konzilakten   erstreckt   sich   über  die 

Jahre  420 — 605. 

3.  Hormuzd-Ardasir  =  Sük  al  Ahwäz  =  Alahwäz,  jetziger  Hauptort 
der  Landschaft  am  untern  Kärün.  Bis  dahin  geht  vom  Satt-el  Arab  ab 
die  Schiffahrt,  wird  dort  durch  Felsen  im  Flußbett  unterbrochen,  aber  ober- 
halb von  Ahwäz  wiederaufgenommen.  Als  Bistum  durch  die  Konzilakten 
bezeugt  in  den  Jahren   410 — 605. 

4.  Sustera  =  dem   heutigen  Tustar,   als  Bistum  bezeugt  in   den  Jaliren 

410—605. 

5.  Süs  :^  Susa,  bezeugt  in  den  Jahren  410—605.  In  späten  Zeiten 
finde  ich  dies  Bistum  noch  unter  Katholikos  Makkikha  II.  (1257  — 1265) 
erwähnt'. 

6.  Rämhormizd,  heute  Rämhormuz  genannt,  unfern  der  Grenze  der 
Persis,  erscheint  in  den  Konzilakten  nur  dreimal,  in  den  Jahren  544, 
576   und   585. 

Über  die  kirchenreclitliche  Zugehörigkeit  der  beiden  Erzbistümer  des 
Karkhä-Tals,  Mäsabadhän  und  Mihragänkadliak,  finde  ich  aus  älterer  Zeit 
keine  Andeutung.  Da  aber  Elias  Gauhari^  das  letztere  zur  Kirchenprovinz 
Ahwäz-Susiana  rechnet,  so  dürfen  wir  wohl  für  das  erstere  das  gleiche 
annehmen,  da  beide  topographisch  eng  miteinander  zusammenhängen  und 
von  der  übrigen  Welt,  so  auch  von  der  Katholikatsprovinz  durch  hohe 
Gebirgsmauern   getrennt  sind. 

7.  Mäsabadhän  Macasatikh.  Das  unwegsame,  heutigestags  meist  von 
Lür-Stämmen  bewohnte  obere  Stromgebiet  des  KarkliA  und  seiner  Neben- 
flüsse sowie  die  im  Norden  angrenzende  Gebirgslandschaft  bis  zu  der 
Straßenlinic  Kasri  Sirin  llamadän  führt  in  verschiedenen  Teilen  verschiedene 
Landseliaftsnamen.  Von  NW  nach  SO  der  Längenrichtung  der  Gebirgs- 
falten  des  Zagros   folgend   sind    die    folgenden  Landschaften,    meist  durch 

1  Chr.  S(iert  I,  288.  303. 

2  AbM  69. 

'■     ASSEJIANI  II.   S.  458. 


Zur  Ausbreitung  des  Chmtentums  in  Asien.  41 

querriegelartige  Bergfoi-mationen  voneinander  getrennt,  zn  unterscheiden: 
Gilän,  Zarn;i,  Karäzän,  Mäsabadhän,  dieses  vertreten  durcli  die  beiden  Land- 
schaften Zangäwän  und  Sirwän,  scliließlicli  Saimara,  auch  Miluagänkadhak 
oder  Belli  Mihrakäje  genannt,  mit  dem  heutigen  Hauptorte  Ambäri-Saimara 
in  dem  südliclisten  Teil  des  Stromgebiets,  bevor  der  Sainiara-Karkhä  in 
die  susische  Ebene  eintritt'. 

Diese  Gegenden  sind  das  Missionsgebiet  des  hl.  Petliion.  Als  Zeugen 
des  ältesten  Christentums  in  Mäsabadhän  erscheinen  zwei  Bischöfe  in  den 
Konzilakten,  einer  bei  dem  Josefs-Konzil  von  554  und  einer  bei  dem  Ezechiel- 
Konzil  von  576. 

Ein  Kloster,  gegründet  von  Subhhäleniäran  in  Mäsabadhän,  siehe  in 
dem  Klosterverzeichnis  bei  Jesudenah  S.  262  Nr.  79.  YXw  anderes  Kloster 
in  Mäsabadhän,  gegründet  von  Abraham,  das.  S.  282   Nr.  131. 

8.  Saimara-Mihragänkadhak'  Beth  Mihrakäjr.  über  die  Lage  dieses 
Bistums  s.  unter  Nr.  7.  Als  christliches  Gebiet  wird  es  schon  im  Jahre  420 
in  der  Überschrift  der  Konzilakten  dieses  Jahres  erwähnt,  wahrscheinlich 
als  Bistum,  doch  ist  dies  nicht  ausdrücklich  angegeben'.  Zwei  Bischöfe 
von  Saimara  sind  unter  den  Zeichnern  der  Konzilien  von  497,  576  und 
585  mit  Namen  aufgeführt.  Es  ist  zu  beachten,  daß  unter  dem  Jahre  497 
der  Bischof  Abraham  von  B6th  Mihrakäje  an  zwei  anderen  Stellen  als  Bi- 
schof von  Beth  Mihrakäje^  und  Ispahau  bezeichnet  wird,  damals  also 
die  .später  getrennten  Bistümer  vereinigt  gewesen  sein  müssen'.  In  der 
späteren  Tradition  verschwinden  die  beiden  Bistümer  Nr.  7  und  Nr.  8, 
was  jedenfalls  daraus  zu  erklären  ist,  daß  diese  Bergwildnisse  für  den 
großen  babylonisch-susischen  Verkehr  zu  weit  abseits  lagen  und  für  ihn 
nur  schwer  zugänglich  waren.  Vielleicht  hat  erst  die  islamische  Eroberung, 
über  die  Albaladhiirl  307,  308  und  Jäküt  u.  d.W.  O^-^l.  berichten,  dem 
Christentum  im  Karkhä-Gebiet  ein  Ende  bereitet. 

Außer  diesen  durch  die  Konzilakten  bezeugten  Bistümern  werden  noch 
zwei  andere  erwähnt,  die  vermutlich  Susiana  angehören. 


'    Vgl.   E.  Herzfemi,  Reise  durch   I.uristaii,   Arabistan   und   Fars,    in  den   Mitteilungen 
Fetennanns  Band  53  (1907),  S.  49  ff. 

■'    Jäküt  schreibt  Mihrigän  Kadhak   und    Kudhak. 

'    Syn.  Or.  S.  276. 

*    Syn.  Or.  S.  310,  311.  316. 

mi.-hiHt.  Ahh.   HH'.t.  Nr.  I.  li 


42  S  A  c  H  A  i; : 

9.  In  dem  Clironicon  anonymum  (ed.  Guidi  S.  36,  20.  21)  wird  ein 
(Jeorg  Biscliof  von  J^ol  erwälint,  der  zur  Zeit  des  Kalifen  Omar  (634  bis 
644)  von  dem  arabischen  Eroberer  Abu  Müsä  Alas'ari  als  Gesandter  zu 
dem  persischen  Befehlshaber  Hormizdän  geschickt  und  von  diesem  getötet 
wurde.  Die  Kämpfe  fanden  statt  in  Susiana.  Kurz  darauf  eroberten  die 
Araber  Susa  und  plünderten  ein  in  Susa  gelegenes  Schatzhaus,  welches 
das  Haus  Daniels  genannt  wurde.  Es  ist  kaum  möglich,  in  diesem  Zu- 
sammenhang nicht  an  das  bei  Daniel  vorkommende  "'b'S  und  das  griechische 
evAAioc,  den  Fluß  von  Susa  (Karkhä),  zu  denken.  Ob  also  vielleicht  das 
Bistum  Ülai  nur  ein  anderer  Name  für  das  Bistum  Susa  ist,  der,  wie 
z.  B.  der  Name  Söbä  für  Nisibis,  in  den  mit  Bibelexegese  beschäftigten 
Kreisen  syrischer  Kleriker  aufgekommen  war? 

Ein  letztes,  vermutlich  susisches  Bistum,  das  erwähnt  wird,  heißt 
Dair  Mikhräk.  Nach  der  Chronik  von  Seert  I,  221  war  diese  Ortschaft 
von  König  Sapor  I.  in  Mai.sän-Mesene  gegründet,  während  Jäküt  sie  zu 
Susiana  rechnet'.  Bei  Ihn  Roste  S.  187  erscheint  Dair  Mikhrak  in  einem 
Itinerar  zwischen  Wäsit  und  Sük  al  Ahwäz,  1 3  Farsakh  von  ersterem  ent- 
fernt (also  etwa  im  Norden,  Nordwesten  von  Susiana?)\ 

Wo  nun  auch  dies  Mikjiräk-Kloster  gelegen  haben  mag,  ist  es,  wenn 
wir  der  Chronik  von  Seert  glauben  dürfen,  schon  in  alter  sasanidischer 
Zeit  vorhanden  gewesen,  denn  sie  erwähnt  einen  Bischof  Andreas  von 
Mikhräk  unter  den  Gegnern  Päpäs  und  berichtet,  daß  ein  berühmter  Hei- 
liger und  Klostergründer,  Abhdiso',  der  Apostel  von  (Jstarabien,  durch 
den  Katholikos  Tomarsd  (d.  i.  etwa  um  390  n.  (.hr.)  zum  Bischof  von  Dair 
Mikhräk   geweiht  worden  sei  (I.  1  236;   I.  II  311). 

Es  ist  oben  S.  38  darauf  hingewiesen,  daß  die  Provinz  Susiana  in 
sieben  Gaue  eingeteilt  war  und  daß  fünf  derselben  zugleich  als  christliche 
Bistümer  nachgewiesen  werden  konnten.  Ob  auch  die  übrigen  beiden  Gaue, 
deren  Lage  nicht  bekannt  ist.  Nähr  Tirä^  und  »Altmark«  J^l  J>-  christ- 
liche Bewohner  hatten,   ist  zur  Zeit  nicht  zu  erweisen. 


'    Jäküt  2,  695    jt—j^jä-    JL^I   ^  3\j^   J^- 

''■    Vielleicht  identisch  mit  dem  bei  Mukaddasi  134,  13.  15  erwähnten   i»l^l.    Vgl.  auch 
De  Goe.ies  Anmerkung  ixx   Kudäma  225  1. 

^    Nach  Kudiima  242,7   lag  Xahr  Tirä  unfern  von  Almadhär,  und  Almadhär,  der 
Hauptort  des  Gaus  Maisän,  lag  am  Tigi'is.     Ja'kubi  322.  20.  21. 


Zur  Anshri'itung  dex  <7iristnitiii)i.'<  i/i  Aslt'ii.  43 

III. 

Kirehenprovinz  Nisibis,  Beth-'Arbäje. 

Das  Bistum  Nisibis  soll  um  300  von  dem  309  verstorbenen  Bäbü 
eingerichtet  worden  sein,  und  schon  durch  seinen  ersten  Nachfolger.  Jacobus 
Kdessenus,  tritt  es  in  der  Kirchengescliichte  jener  Zeit  bedeutungsvoll  her- 
vor. Nach  der  Chronik  von  Seert  II,  277  soll  er  dem  Konzil  von  Xicäa 
beigewohnt  haben.  Weini  wir  der  (Jhronik  von  Arbela  glauben  dürfen, 
hatte  Nisibis  um  die  Zeit  des  Dynastieweclisels  (226)  zwar  Christen,  aber 
aus  Furcht  vor  den  Heiden  noch  keinen  Bischof,  während  nach  der- 
selben Quelle  in  einem  abgelegenen  Teil  der  späteren  nisibenischen  Kirchen- 
provinz, in  Zabdicene,  der  Gegend  um  Gezire.  schon  um  das  Jahr  100  ein 
Bischof  bezeugt  wird.  Als  Grenzstadt  zwischen  zwei  mächtigen  Reichen, 
bald  römisch,  bald  persisch,  spielte  Nisibis  für  das  östliche  Christentum  eine 
hervorragende  Rolle,  im  5.  Jahrhundert  durch  seinen  Bischof  Barsaumä  (gest. 
zwischen  492  —  495)  und  zur  selben  Zeit  und  später  noch  durch  seine  Schule, 
aus  der  die  meisten  der  fuhrenden  (ieister  jener  Christenwelt  hervorgegangen 
sind..  In  der  Folgezeit  wurde  sie  durch  die  Klosterschule  von  Dair  Kunnä  am 
Tigris  verdrängt  und  ersetzt.  Die  .Vusdehimng  dieser  Provinz  auf  beiden 
Seiten  des  Tigris  war  eine  sehr  große,  die  tO])Ographischen  Einzelheiten 
lassen  sich  aber  in  den  nördlichen-  auch  heute  noch  wenig  bekannten  Ge- 
birgsländern  nicht  alle  und  nicht  mit  der  wünschenswerten  Sicherheit  fest- 
stellen. 

Der  Erzbischof  von  Nisibis  hatte  kirchenrechtlich  die  zweite  Stimme 
bei  der  Wahl  des  Katholikos  in  ."^eleucia.  Im  Mittelalter  liat  er  dies  Recht 
einmal  verloren,  ich  weiß  nicht,  aus  welchem  Grunde;  die  Wiederverleihung 
desselben  erfolgte  unter  dem  Katholikos  Sabhrisö' III.  Zunbür  1063  — 1072'. 
Im  14.  Jahrhundert  führte  Ebedjesu  den  Titel  Erzbischof  von  Nisibis  und 
.Vrmenien  (s.  hier  Bistum  Nr.  9).  Ein  großer  Teil  seiner  Diözese  lag  auf 
armenischem  Volks-  und  Sprachgebiet. 

Bistümer. 
I.   Nisibis.    in    der    Literatur    mit    dem   biblischen   Söbha    identifiziert, 
ist  in  den  Konzilakten   in  den  Jahren  zwischen  410  und  790  bezeugt.     Die 
dortige  Gemeinde  muß  zu  Zeiten  eine  bedeutende  gewesen  sein,  da  sie  einen 


A  b  M  58.  59. 


44  S  A  c  H  A  u  : 

solchen  Prachtbau  auffüliren  konnte,  wie  die  jetzt  unter  dem  Sand-  und 
Schuttfehle  begrabene  Jakobs-Kathedrale.  Im  3Iittelalter  wird  das  christ- 
liche Xisibis  Seite])  erwähnt.  Der  letzte  mir  bekannte  ^letropolit  von  Xisibis 
ist  der  um  die  Literatur  verdiente,  im  Jahre  131 8  gestorbene  Ebedje.su. 
Wann  dies  Erzbistum  sowie  überhaupt  das  nestorianische  Christentum  in 
Nordostmesopotamien  ein  Ende  genommen  hat,  ob  es  die  Mongolen-  und 
Tatarcjistürme  überlebt  hat,   ist  nicht  bekannt. 

2.  Arzon,  Name  der  transtigritanischen  Landschaft  Arzanene  zwisclien 
dem  Batman  Su  und  dem  Bohtan  Su,  und  Xame  seines  Vorortes,  dessen 
Lage  in  einer  Trümmerstätte  am  Jezidkhäne  Su  gefunden  wird.  Dies  Bisümi 
erscheint  in  den  Konzilakten  zwischen  den  Jahren  410  und  585  (vor  585), 
und  die  Chronik  \ on  Seert  erwähnt'  einen  Bischof  Ma'nä  von  Arzon  als 
Zeitgenossen  des  552  gestorbenen  Patriarchen  3Iär  Abhä,  sowie  einen  Iso  jabli 
Bischof  von  Arzon,  der  s[)äter  als  der  erste  dieses  Namens  Katholikos  war 
(582 — 595).  In  späteren  Zeiten"  begegnet  dies  Bistum  im  12.  und  13.  Jahr- 
hundert unter  den  Patriarchen  Barsaumä  i  134  — 11 36,  3Iakkikh;i  II.  1257 
bis  1265  und  Jabh'alähä  Turca  1281  — 1317-  In  einer  nestorianischen  Hand- 
schrift der  Kgl.  Bibliothek  zu  Berlin,  die  vielleicht  im  16.  (15.)  Jahrhundert 
geschrieben  ist,  erscheint  das  Bistum  Arzon  verbunden  mit  demjenigen 
von  Hesnä,  d.  i.  Ilesnä  dhe  Kepe  oder  Hasankef  auf  dem  Westufer  des 
Tigris. 

3.  Ostän  d'Arzon  oder  Arzon  de  Beth  Ostfin,  d.  i.  übersetzt  die  Pro- 
vinz Arzon  oder  Arzon  des  Provinzhauses  oder  des  Hauses  der  Provinz, 
ein  Bistum  unbekannter  Lage,  bezeugt  durch  die  Konzilakten  der  Jahre  410^. 
424,  554.  Die  eigentümliche  Bezeichninig,  ein  Ausdruck  der  sasanidischen 
A>rwaltung,  kommt  unter  den  Angaben  bei  Ibn  Khordädbih  und  Kudäma 
über  diese  Materie  nicht  vor,  und  ist  mir  auch  sonst  in  der  syrischen  Lite- 
ratur nicht  begegnet.  Daß  er  aber  richtig  überliefert  ist,  beweist  sein  von 
Marquart    nachgewiesenes  Vorkommen   im   Armenischen   bei  Faustus    von 


'    II,  155-  187- 

-    M  b  S  130,  131 ;  Ab  M  69,  72. 

^  In  §  21  der  Konzilakten  von  410  (s.  Syn.  Cr.  S.  34,  8.  9)  werden  die  beiden  arzo- 
nischen  Bischöfe  in  fblgendei- Weise  bezeiclinet:  A^IodOXe  ^Ofälo  ,T^**.ttfPr^?  ■iVj^i-T'^ 
■S^-ß>e23  2^.k3\.^  V0932p  3.aa.ttC>d.a2  An  allen  anderen  Stellen  ist  *^^JQ3o23  2i^.Op 
anstatt    ^ÄOQ»o23    2^_0    \x  überliefert. 


Zur  Ausbreitung  des  Christenhuiis  in  Asien.  45 

Byzaiiz'.    Das  Wort  ostäii,   arabiscli  istän  ist  im  Sprachgebrauch  der  ara- 
bischen Geographen  die  sasanidische   Bezeichnung  für  Provinz. 

4.  Kubbe  dhe  Arzon,  als  Bischofssitz  in  den  Konzilakten  nur  einmal 
im  Jahre  790  erwähnt.  Die  Lage  dieses  Bistums  sowie  des  unter  3.  ge- 
nannten, und  ihr  Verhältnis  zu  dem  unter  2.  genannten  Arzon  ist  nicht 
bekannt.  Man  vermißt  in  diesem  Zusammenhang  eine  Beziehung  auf  die 
großen  Städte  jener  Gegend,  Söört  und  Bidlis,  sowie  auf  die  an  Arzanene 
angrenzenden  Provinzen  wie  Kordyene.  Eine  der  letzteren  ist  vielleicht 
unter  O.stän  d'Arzon  (hier  Nr.  3)  gemeint.  Das  Wort  Kul)be  bezeichnet 
die  konische  Form  des  Bauernhauses,  das  in  Syrien,  in  der  Gegend  von 
Höms   beginnend,   weithin  über  die  nordsemitisclien  Länder  verbreitet  ist. 

5.  Beth  Zabhdai  =  Zabdicene,  die  Tigrislandscliaft  mit  Gezire  als 
Hauptort'.  Dies  Bistum  l)estand  scJion  410  und  bestand  noch  zur  Zeit 
des  13 18  gestorbenen  El)edjesu.  An  dem  Konzil  von  497  hat  ein  Bischof 
dieser  Diözese  teilgenommen.  Im  Mittelalter  ist  es  l)ezeugt^,  unter  den 
Patriarchen  El)edje.su  Ibn  Al'ärid  1074  -1090,  Barsaumä  11  34  — 11  36  und 
Jesujabh  V.  Baladensis  11 48  —  1175.  Letzterer  führte,  bevor  er  Katholikos 
wurde,   den  Titel   Bischof  von   (Jezire  und  Bä  Zabdä. 

6.  Kardü,  Gordyene.  Tigrislandschaft  südöstlicii  von  Zabdicene\  Drei 
Inhaber  dieses  Bistums  erscheinen  l)ei  den  Konzilien  der  Jahre  424,  554 
und  605,  und  die  Chronik  von  Seert  erwähnt  II,  187  einen  Bischof  Bai-saumä 
von  Kardü  um  das  Jahr  533.  Erwähnungen  dieses  Bistums  aus  dem  Mittel- 
alter sind  mir  nicht   l)ekannt. 

7.  B^th  ."Moksäj^,  Moxoene.  Wenn  in  dem  heutigen  Namen  des  Ortes 
Möks  südlich  vom  Vän-See  *  der  Name  der  alten  Landschaft  erhalten  ist, 
muß  sie  in  jener  Gegend  um  den  Möks  Su,  einem  Nebenfluß  des  Bohtan 
Cai,  gelegen  haben.  Bischöfe  dieser  Landschaft  nahmen  an  den  Konzilien 
der  Jahre  410  und  424  teil.  Erwähnungen  des  Bistums  aus  dem  3Iittel- 
alter  sind  mir  nicht  bekannt. 


'    Eransabr  S.  24.  169.    Mar^iabi   übersetzt  Das  Hans  der  Dynastie  der  Gegend 
von  Alznik  (Arzanene). 

*    Hartmann,  nubti'iii  .'^.  98.  162. 

'    MbS  114.  130.  131;  AbM  61. 

'    Hartmann,  a.  a.  O.  91. 

-    Nicht  zu   venvechsebi  mit  dem     -.^— =u    bei  ilaUut,  das  weiter  nördlicli   in  Armenien 


in   der  Provinz  Waspurakan  ,j'»-^Ä_ Jl    in  Armenia  HI.  lag  flbn  Khordädbih  93). 


46  S ACH  au: 

8.  Beth  Rehimai,  Rehimena.  nach  Ammiaiius  Marcellinus  XXV,  7,  9 
eine  transtigritanisclie  Landschaft,  als  Bistum  durch  die  Konzilakten  für 
das  Jahr  410  bezeugt  und  als  solches  noch  von  dem  131 8  verstorbenen 
Ebedjesu  erwähnt.  Der  Name  verschwindet  in  der  Folgezeit.  Die  Lage 
der  Landschaft  ist  nicht  überliefert,   doch   s.  Haktmann,   Bohtän   S.  102. 

9.  Armenien  w»ä2,  1  ^^^i  Bischöfe  dieses  Sprengeis  nahmen  teil 
an  den  Konzilien  von  424  und  486.  Daß  dies  Armenien  dem  Metropolit 
von  Nisibis'  unterstellt  war,  ist  nicht  ülierliefert;  daß  es  unter  dem  Erz- 
bischof Ebedjesu  (gest.  i  3  i  8)  mit  Nisibis  vereinigt  war,  ist  bereits  oben  S.  43 
erwähnt. 

10.  Balad,  jetzt  Eski  Mosul  genannt,  (Jrtschaft  am  Westufer  des  Tigris, 
nördlich  von  Mosul.  Die  Konzilakten  erwähnen  Bischöfe  dieses  Sprengeis 
in  den  Jahren  497,  554  und  790,  und  die  Chronik  von  Seert  erwähnt  II,  187 
einen  Bischof  Märi  von  Balad  um  533.  In  den  Nestorianerchroniken  1)6- 
gegnen  wir  Bischöfen  von  Balad  vom  10.  bis  zum  14.  Jahrhundert.  Unter 
dem  Katholikos  Jabhalähä  111.  (1281  — 1317)  ist  der  Bi.schof  von  Balad 
zugleich  Bischof  von  '^jLJ-^W 

11.  Sighär,  Singär,  das  bekannte  Gebirgsland  im  Zentrum  von  Meso- 
potamien, wird  im  Bistümerverzeichnis  des  Ebedjesu  als  zur  Metropolitie 
Nisibis  gehörig  bezeichnet,  und  Ebedjesu  sell)St  war  Bischof  von  Singär, 
bevor  er  Metropolit  von  Nisibis  wurde.  Vgl.  auch  das  Sclireiben  des  Katho- 
likos Sabhrisö'  an  die  Klöster  und  Lauren  in  der  Gegend  von  Singä.r  vom 
Jahre  598  (s.  Syn.  Or.  S.  465).  Die  Chronik  von  Seert'  glaubt  zu  wissen, 
daß  ein  Bischof  Georg  von  Singär  am  Konzil  von  Nicäa  teilgenommen 
habe,  und  erwähnt  einen  Biscliof  Bäbhai  von  Singär  um  das  Jahr  533.  Im 
Mittelalter  begegnen  Bischöfe  dieses  Sprengeis  unter  den  Patriarchen  Märi 
Bar  Tübä  98 7  -  1000  und  Makkikhä  1092  —  i  io8''.  Im  Singär-Gebirge  sind 
Nestorianer  und  Jakobiten  aufeinander  gestoßen.  Wie  es  einen  nestoriani- 
schen  Biscliof  von  Singär  gab,  so  auch  einen  jakobitischen  von  Singär 
und  Kliäbür  (s.  mein  A^erzeichnis  der  syrischen  Handschriften  II,  587. 
I.  Kol.),  und  neben  jakobitischen  Klostern  (s.  das.  IL  558.  586.  760)  auch 
nestorianische   (das.  I,  235   Nr.  28.  48)'. 


'  AbM  72. 

^  II,  277.187. 

■'  AbM  55,  MbS.  118. 

'  .Icsiidcnnli   S.  241    Nr.  29:   S.  251    Nr.  49. 


Zur  Ausbi'eitung  des  Chiistentiims  in  Asien.  47 

12.  Temänün,  arabisch  Thamänin,  eine  Ortschaft  am  Gebel  Giidi,  als 
Bistum  von  Ebedjesu  angeführt.  Erwähnungen  desselben  in  den  Nestorianer- 
chroniken   bezeugen  sein  Dasein  im    ii.  bis  13.  Jahrhundert. 

13.  Kelät,  arabisch  Khilät,  die  jetzige  Stadt  auf  dem  Westufer  des 
Van-Sees.  Als  Bistum  bei  Ebedjesu  und  in  den  Nestorianerchroniken  im 
12.  und    13.  Jahrhundert  erwähnt. 

14.  Harrän.  Bischöfe  von  Harnin  werden  erwähnt  unter  dem  Patri- 
archen Phetion  731  -741,  Timotheos  7S0 — 823  und  Sabhrisö'  II.  832 
bis  836'. 

15.  Amid  =-  Dijärbekr  und 

16.  Res'aina  =  Ra'sel'ain.  Diese  beiden  Bistümer  sind  mir  nur  aus 
dem  Bistümerverzeichnis  des  Ebedjesu   im   Tukkäsä   bekannt. 

17.  0^1*3030  32,  arabisch  Adhrama,  eine  jetzt  verschollene,  den  ara- 
bischen Geographen  bekannte  Ortschaft  auf  der  Straße  von  Mosul  nach  Ni- 
sibis  durch  die  Ebene  zwischen  Tigris,  Singär  und  Nisibis.  S.  das  Itinerar 
bei  Ibn  Khordadbih  S.  68.  Ein  Bischof  von  Adlirama  wird  unter  Patriarch 
Elias  II.    1 1 1 1  —  1 1 3  2   erwähnt ^ 

18.  Mardin,  syrisch  Mard^,  jetzt  der  Vorort  im  nisibenisclien  Mesopo- 
tamien, wird  als  Bistum  nur  selten  erwähnt,  unter  den  Patriarchen  Klias  III., 
Abu  Halim  1176—  11 90  und  Denl.ui  1265  — 1281^. 

19.  Majjäfärikin,  syrisch  Maiperkat,  in  der  Ebene  zwischen  Dijärbekr 
und  dem  Batman  Sü,  als  Bistum  erwähnt  unter  den  Patriarchen  Jabh'alähä  II. 
1199  — 1222,  Makkikhä  II.   1257 — 1265,  Jabh'alähä  III.   1281  — 1317*. 

20.  Hesnä,  jetzt  Hasankef,  am  Tigrisufer  im  Tür  Abdin,  als  Bistum 
erwähnt  unter  den  Patriarchen  Makkikhä  II.  1257 — 1265  und  Jabh'alähä  III. 
1281  —  I3I7^ 

21.  Kemül,  Ortschaft  unbekannter  Lage,  aber  irgendwo  in  der  Nähe  des 
Gebel  Giidi,  als  Bistum  bezeugt  unter  den  Patriarclien  Makkikhä  II.  1257  —  i  265 
und  Denhä  i  265  —  1281''.  Kemül  gehörte  zur  Landschaft  Gordyene,  vgl.  mein 
Verzeichnis   der   syrischen  Handschriften    der  Kgl.  Bibliothek    in    Berlin  I, 


'  AbM  36.  40;  Mb  S.  67. 

»  AbM  60. 

'  AbM  70. 

•  AbM  66.  69.  72. 

»  AbM  69.  72. 

«  AbM  70. 


48  S  A  c  H  A  r  : 

558,  2.  Kol.  opä^a?  ^A^aas  ^o-  -.i»?  lau.?.  Bei  Jäküt  II.  644  hat 
sich  der  alte  Name  in  der  Form  l>I  ^.->   oder  ^\  jj>  erhalten'.' 

22.  Zur  Kirchenprovinz  Nisibis  ist  vielleiclit  auch  das  Bistum  iSj_jJ  J^* 
zu  rechnen,  das  unter  den  Patriarchen  Denhä  i  265  —  i  28  i  und  Jablialähä  III. 
1281  — 1317  erwähnt  wird".  Hoffmann  S.  222,  Anm.  1762,  identifiziert  das 
erstere  mit  Tall  südlich  von  (Tulamerg  und  das  zweite  mit  Berberri  in  der 
Diözese  Gäwar. 

Es  ist  zu  beachten,  daß  dies  Bistümerverzeichnis  clironologisch  in  zwei 
Gruppen,  zu  zerlegen  ist,  nämhch  Nr.  i  — 10,  die  bereits  in  den  unter  dem 
Patriarchen  Timotheos  780 — 823  abgeschlossenen  Konzilakten  erwähnt,  und 
Nr.  II  —  21,  die  dem  Jukkäsä  des  Patriarchen  Ebedjesu  (gest.  13 18)  ent- 
nommen sind. 

IV. 

Kirchenprovinz  Mesene. 

Die  Landschaft  Mesene,  syrisch  Maisän,  arabisch  Maisän,  wird  von  Jäküt 
als  das  weite  Gebiet  zwischen  Basra  und  Wäsit  mit  der  Hauptstadt  Maisän, 
in  dem  das  Ezra-Grab  j_j^  j^  liegt,  erklärt.  Basra  und  Wäsit  (Kaskar)  sind 
bekannte  Punkte,  ebenfalls  das  E/.ra-Grab  am  Tigris  zwisclien  Amära  und 
Kurna.  Topographische  Fragen  über  diese  Landschaft  sind  von  besonderer 
Schwierigkeit  und  werden  es  bleiben,  solange  nicht  eine  streng  wissenschaft- 
liche Untersuchung  gesicherte  Resultate  über  die  Veränderungen  der  Erd- 
oberfläche jener  Gegend  in  historisclier  Zeit  geliefert  hat.  Die  großen  Strom- 
läufe sind  beständigen  Veränderungen  unterworfen,  in  Zeiten  von  Hochfluten 
entstehen  neue  Flußbetten,  während  ältere  eingehen,  entstehen  Seen-  und 
Sumpfgebiete,  und  außerdem  trägt  der  Bau  neuer  Kanäle  sowie  die  Ver- 
sandung älterer  Kanäle  sehr  bedeutend  zur  bunten  Gestaltung  der  Erdober- 
fläche bei.  Eine  Untersuchung  über  die  Sumpfgebiete  —  rJUaJl  —  allein 
nach  den  arabischen  Geographen  würde  vermutlicli  schon  eine  dankenswerte 
Aufklärung  bringen. 

Mesene  war  die  Schiff"ahrtsprovinz  des  orientalischen  Christentums,  von 
seinem  Haupthafenort  ging  Scluffahrt  und  Handel  und  mit  ihm  die  christliche 


Vgl.  Harimann,  Bohtaii  S.  37. 
A  b  M   70.  72. 


Zur  Ausbreitung  des  Christentuins  in  Asien.  49 

Mission  nach  Ostarabien,  Persien,  Indien  und  weiter.  Ebenso  wie  Susiana 
ist  Mesene  altes  Christenland.  Die  Chronik  von  Arbela  erwähnt,  daß  um 
224  n.  Chr.  in  Peräth-Maisän,  d.  i.  Basra,  schon  ein  Bistum  bestand,  und  die 
Chronik  von  Seert  I,  236  weiß  von  einem  Bischof  David  von  Basra  zu  be- 
richten, der  als  Missionar  nach  Indien  gegangen  sei,  erwähnt  außer  diesem 
noch  einen  Bischof  Johannes  von  Maisän,  beide  als  Zeitgenossen  Päpäs 
(um  300). 

Unter  den  Sasaniden  war  Mesene  in  vier  Gaue  eingeteilt,  und  es  hängt 
vielleicht  hiermit  zusammen,  daß  es  auch  vier  Bistümer  hatte.  Die  vier 
Gaue  sind ' : 

Bahman-Ardasir  (=  Basra), 

Maisän,  d.  i.  iS^  (?), 

Dasti  Maisän,  d.  i.  Qbolla, 

Abazkobädh^ 

Ein  Versuch,  die  Lage  und  die  Grenzen  dieser  Gaue  zu  bestimmen, 
wäre  ebenso  aussichtslos,  als  wenn  man  versuchen  wollte  die  Grenzen  von 
Mesene  gegen  Susiana  und  Südbabylonien,  das  Gebiet  von  Kaskar-Wäsit, 
zu  bestimmen.  Sicher  ist  unter  all  diesen  Angaben  und  ihrem  Zubehör 
immer  nur  allein  die  Lage  von  Ba.sra. 

Die  vier  Bistümer  sind  folgende: 

1.  Perät,  Perät  de  Maisän,  Bahmanardasir,  ol_;^l  *^-*^ ,  d.  i.  Basra,  der 
Sitz  des  Metropoliten,  nach  meiner  Ansicht  identisch  mit  der  heutigen  Stadt 
dieses  Namens,  an  einem  vom  Tigris  bei  dem  Zollhause  ausgehenden  Kanal, 
verschieden  von  dem  weiter  landeinwärts  gelegenen,  in  Backsteinruinen 
noch  vorhandenen,  unter  Omar  gegründeten  arabischen  Basra.  Der  Metropolit 
der  Stadt  begegnet  in  den  Unterschriften  der  Konzilakten  von  den  Jahren 
410 — 790.  In  späteren  Jahrhunderten  erscheinen  Metropoliten  von  Basra 
unter  den  Patriarchen  Märi  Ibn  Jübä  987  — 1000,  Sabhrisö'  Zunbür  1063 
bis  1072,  Ebedjesu  Ibn  Al'ärid  1074--  i09o\  Der  Verfasser  des  Buches  der 
Biene  war  ein  Bischof  Salomo  von  Basra  um  1222. 

2.  Karkhä,  Karkhä  dhe  Maisän,  o^  ^J,  soll  ebenso  wie  Basra  eine 
Schöpfung  des  Gründers  der  Sasanidendynastie,  Ardasir,  sein  und  lag  am 

'    Ibn  Khordädbih  V.  5;  Kudäma  tT»,   I4- 
'    Nach  Marquart,  Eränäahr  S.  4  i  ,  Izedkobadh. 
'    A  b  M  55,  Mb  S  HO.  114. 
Pkil.-hi.sl.  Abh.   791!).  Ar.  I.  7 


50  S  A  CH  A  U  : 

Ufer  des  Dugail  (nach  Hamza  S.  iv,  i).  Unter  diesem  Namen  ist  der 
Wasserlauf  zu  verstehen,  der  vom  Kärün  ausgehend  parallel  dem  Satt-al  Arab 
nach  Süden  läuft  und  bei  'Abbädän  in  das  Meer  fällt.  Es  ist  nach  Jäküt 
ein  von  Ardasir  Ibn  Bäbak  gegrabener  Kanal.  Danach  mag  Karkhä  östlich 
von  Basra  nicht  weit  vom  heutigen  Muhammera  entfernt  gelegen  und  eine 
ähnUche  Bedeutung  wie  dieser  Ort  gehabt  haben.  Jäküt  IV,  257  bezeichnet 
Karkh  Mfiisän  auch  als  eine  Gegend  in  Babylonien  (wohl  ungenau),  die 
auch  den  Namen  Asteräbädh  führte.  Die  Stadt  wird  mit  dem  in  den  pal- 
myrenischen  Inschriften  begegnenden  S2n=,  siobcs  t;"  CnAciNov  xäpai  iden- 
tifiziert. Die  Bischöfe  dieses  Ortes  sind  durch  die  Konzilakten  aus  den  Jahren 
410  —  605  bezeugt.  In  späterer  Zeit,  unter  dem  Patriarchen  Johannes  Ibn 
AlVrag  900 — 905,  wird  ein  Bischof  P^bedjesu  von  Maisän  erwähnt,  der 
im  Gegensatz  zum  Metropoliten  von  Basra  als  Bischof  von  Karkh  Maisän 
zu  deuten  sein  dürfte. 

3.  ;iou3  Ä^*3  Beth  Remä  oder  Rimä,  d.  i.  Büffelhausen,  auch  allein 
Remä  genannt.  Derselbe  Name  dürfte  in  dem  j^.J,  der  Chronik  von  Seert  11, 
311,  enthalten  sein,  wo  berichtet  wird,  daß  der  heilige  Abhdisö',  der  Zeit- 
genosse Päpäs  (um  300),  nach  dem  Lande  Maisän  ging  und  dort  öy^j  und 
Umgegend  zum  Christentum  bekehrt  habe.  Daß  das  Wort  auch  bei  Tabari  I, 
830,  13.  14  (s.  NöLDEKE,  Geschichte  der  Perser  und  Araber  usw.  S.  40)  vor- 
kommt, wo  ^j  Rimä  Remä  statt  ^J  zu  lesen  ist,  hat  Marquart  bereits 
gesehen.  Für  die  nähere  Bestimmung  der  Lage  der  Stadt  fehlt  es  an  den 
nötigen  Anhaltspunkten'.  Nach  der  angeführten  TabaristeUe  soll  Remä  von 
Sapor  I.  gegründet  und  persisch  Sädh  Sapor  genannt  worden  sein  und  lag 
in  Maisän,  d.  h.  im  Gau  ■(^y-^  Maisän.  Nun  berichtet  Kudäma  rr«,  15.  16, 
daß  die  vier  Gaue  des  Landes  östlich  vom  Tigris  lagen,  und  zwar  auf 
der  Route  von  Kaskar  (Wäsit)  nach  Ahwäz  (Susiana  oder  Sük-al  Ahwäz?), 
also  vielleicht  in  der  Gegend  am  unteren  Karkhä  oder  zwischen  diesem  und 
dem  Kärün  bei  Sük-al  Ahwäz.  Das  Bistum  Beth  Rema  ist  durch  die  Konzil- 
akten in  den  Jahren  410 — 605  bezeugt.  In  späteren  Schriftstücken  ist  es 
mir  nicht  mehr  begegnet. 


'  Vgl.  De  Goijes  Anmerkung  zu  Ibn  Khordadbih  S.  v  •  6.  Das  rätselhafte  tSr*  durch 
Itj  zu  ersetzen,  scheint  mir  deshalb  bedenklich,  weil  nach  den  arabischen  Geographen  der 
Hauptort  des  Gaues  Maisän  nicht  RrmA   war,  sondern  Almadhar  jlÄLl.  s.  Ibn  Roste  S.  187: 

Lall   ^j      U-   j\Ji\   Oa<_«  jL_u  OA*   J>_;  jl-JJ-i 


Zur  AlusbreituHg  des  Cfirlstentuvis  i)i  Anieti.  51 

4.  Nehargül  ^o\jicrfA  (d.  i.  der  Kanal  Gül),  eine  unbekannte  ürr- 
schaf't,  deren  Bischöfe  in  den  Akten  der  Jahre  410 — 605  erwähnt  werden. 
Auch  erzählt  das  Chronicon  anonyinum  S.  20.  27.  28  von  drei  Bischöfen 
von  Nehargül,  Gabriel,  Sergius  und  Aristos,  die  unter  Cluisrau  Parwez  (590 
bis  628)  und  Jezdegird  III.  (63  i  ff.)  lebten.  Die  arabischen  Geographen  kennen 
nicht  ein  Nehargr'd,  wohl  aber  ein  Nehargur  Jy^jr  •  Ob  beide  Namen  viel- 
leicht dieselbe  Ortschaft  bezeichnen?  Nehargür  wird  als  ein  Tigris-Kanal 
bei  Mas'udi  (ed.  De  Goeje  VllI,  54)  erwähnt,  und  .läküt  bezeichnet  die  Lage 
des  Ortes  als  zwischen   Alahwäz  und  Maisän. 

Schließlich  ist  noch  einer  Stadt  zu  gedenken,  welche  nel)en  Basra  die 
bedeutendste  und   bekannteste  des  ganzen   Landes   war,   der  Stadt 

5.  Obolla  '*^y\  ^y».  denn  bei  AbMS.  tA,  8  wird  ein  Metroi)olit 
Timon  von  Obolla  zur  Zeit  des  Patriarchen  Narses  524 — 535  erwälmi. 
Obolla  war  der  größte  Hafenort  jener  Gegend,  der  in  sich  die  Bedeutung  der 
lieutigen  beiden  Hafenstädte  Basra  und  Mohanimera  vereinigte.  Als  Omars 
Heerführer,  'Utba  Ibn  Ghazwän,  Obolla  eroltert  hatte,  scliriel)  er  an  seinen 
Herrn,  »daß  Obolla  der  Hafenort  für  die  Schiffahrt  nach  Bahrain,  Oman, 
Indien  und  China  sei«.  Wo  aber  lag  Obolla'?  Hierfür  gel)en  die  aral)i.schen 
Geographen  folgende  Zeugnisse : 

1.  Obolla  gehörte  zum  Gebiet  von  Basra.  Mukaddasi  S.  \  N  t.  or.  Basra 
bezog  sein  Trinkwasser  per  Schiff  aus  Obolla.    Mukaddasi  \\\. 

2.  Die  Entfernung  zwischen  Basra  und  Obolla  betrug  4  Farsakh  nach 
Kudäma  \^i,  5,    2  Poststationen -^^'    nach   demselben  \ri. 

3.  Obolla  lag  am  Tigris  (Mukaddasi  >  >  a  '^.^  ^  «^Vl^:  Lstakhri  a  \ ,  15) 
und  zugleich  am  Oitolla-Kanal  <l'Vl  j^  .  dessen  Länge  zwischen  Basra  )ind 
Obolla  4  Farsakli  betrug.    Vgl.  lstakhri  a\,  8.  9:    Jl  iWl  ^   W!  a^  -  ilVIj 

4.  Ob  Obolla  weiter  -stromaufwärts  oder  stromabwärts  lag  als  die 
Mündung  des  Basra-Kanals,  die  heutige  Zollstation.  kann  icii  nicht  ersehen, 
doch  scheint  es  mir,  daß  Obolla  etwas  weiter  nördlich  als  der  Basra-Kanal 
gelegen  hat,  wenn  ich  die  folgende  Stelle  bei  Mukaddasi  w  k  ,  6.7  richtig 
verstehe:  JU-tJl  Ji  j*  i^\  j^  )  -^  '^^^  J*-  ^l-Vlj. 

'     Kl  rTF:R.    F>(lkiin(|p  \I.    102;    Ab]oh.   Oboloh,    Ahalla 


52  S  ACH  au: 

Nach  diesen  Angalien  ist  es  mir  zur  Zeit  das  wahrscheinlichste,  daß 
Obolla  ungefähr  auf  derselben  Stelle  lag  wie  gegenwärtig  die  türkische  Zoll- 
station (s.  Am  Euphrat  jmd  Tigris,  1900,  S.  16 — 19),  indem  ich  annehme, 
daß  die  arabischen  Geographen  bei  der  Angabe  der  P^ntfernung- zwischen 
Basra  und  Obolla  an  das  arabische,  von  Omar  gegründete  Basra,  nicht  an 
die  heutige  Stadt  dieses  Namens  gedacht  haben. 

Sehr  auffallig  ist  die  obenerwähnte  Notiz  des  Amr  Ibn  Mattä  von 
einem  Metropoliten  von  Obolla,  während  in  der  Literatur  weder  vor- 
her noch  nachher  von  einem  solchen  die  Rede  ist.  Es  hat  schwerlich  zwei 
Metropoliten  in  Mesene  gegeben,  aber  auch  nur  von  einem  Bischof  von 
Obolla  ist  sonst  nichts  bekannt.  Das  wahrscheinlichste  dürfte  sein,  daß 
Amrs  Ausdruck  eine  nicht  ganz  genaue  Bezeichnung  fiir  Metropolit  von 
Basra  war. 

Schließlich  sei  noch  erwähnt,  daß  Elias  Ganhari  unter  Maisän  ein  Bistum 
'>\^\  J1C   nennt. 

V. 

Kirchenprovinz  Adiabene'. 

Ueber  das  älteste  Auftreten  des  Christentums  in  Adiabene.  seine  Be- 
ziehungen zu  anderen  Gemeinden  und  im  besonderen  zu  der  Gemeinde  der 
Hauptstadt  Seleucia  bietet  die  Chronik  von  Arbela  wertvolle  Nachrichten. 
Von  den  Bistümern  dieser  Provinz  werden  in  §  XXI  der  Konzilakten  vom 
Jahre  410  die  folgenden  sechs  verzeichnet: 

1.  Arbela,  Sitz  des  Metropoliten,  bezeugt  aus  den  Jahren  410  —  790 
(s.  unten  S.  53)'". 

2.  B6th  Nuhädherä,  Bä  Nuhadrä,  Landschaft  im  nördlichen  Assyrien, 
bezeugt  in  den  Jahren  410  —  790,  und  in  den  Patriarchenchroniken  nocli 
im  12.  und  13.  Jahrhundert  erwähnt. 

3.  Beth  Bäghäs  oder  Bäbeghes,  Hochgebirgslandschaft  im  Wilajet  He- 
khäri,  bezeugt  in  den  Jahren  410 — 605,  auch  noch  im  i  2.  Jahrhundert  unter 
Patriarch  Elias  Ibn  Mukli  11 11  — 1132   erwähnt^ 


'  Für  die  Topographie  dieser  und  der  folgenden  Kirchenprovinz  Beth  Garmai  ver- 
weise ich  besonders  auf  G.  Hoffmann,  Auszug  aus  den  syrischen  Akten  persischer  MärtjTer, 
Leipzig  1880. 

-    Im  Jahre  13 10  ist  das  Christentum  in  Arbela  ausgerottet. 
'    MbS   130. 


Zur  Aasbreitunij  des  Chrktenlums  in  Asie//.  53 

4.  Beth  Däsen,  Däsen,  die  Landscliaft  um  Amedijje,  bezeugt  fiir  den- 
selben Zeitraum  410 — 605,  und  noch  im  13.  und  14.  Jahrhundert  erwähnt 
unt^r  den  Patriarchen  Denhä  1265  —  i  28  i    und  Jabhalähä  III.   i  28  i  —  1317'- 

5.  Remmönin,  unbekannte  Landschaft,  erscheint  nur  ein  einziges  Mal 
als  Bistum  bei  dem  Konzil  von  410. 

6.  Rabarinhesn,  Dabarinos,  wohl  falscli  überlieferte  Namen  eines  der 
Lage  nacli  imbekannten  Bistums,  das  in  den  Jahren  410,  544,  576  und 
605   bezeugt   wird. 

7.  Vielleicht  gehört  zur  Provinz  Adial)ene  auch  das  Bistum  Beth 
Tabhjäthä  und  Kartewäj^,  von  dem  nur  ein  Inhaber  l)ei  Gelegenheit 
des  Konzils   von  585   erwähnt   wird". 

8.  Beth  Billkart,  Beth  Mälikart  wird  al.s  arbelitisclies  Bistum  in  den 
Akten  des  Konzils  von  410  bezeugt.  Armenisch  als  Mahker-tun.  d.  i.  Haus 
Malikert,  nachgewiesen'. 

9.  Ninive,  d.  i.  die  Ortschaft  Nebi  Junus  gegenüber  Mosul.  Drei  Bischöfe 
dieser  Diözese   werden   in  den  Jahren   554,   576,   585   erwähnt. 

10.  Ma'althä,  in  der  Nähe  der  heutigen  Ortschaft  Dehök,  östlich  von 
Simöl,  an  der  Straßenlinie  Mosul-Zäkhö,  als  Bistum  bezeugt  in  den  Jahren 
497 — 605  in  den  Akten  und  späterliin  im  10. —  13.  Jahrhundert  in  den 
Patriarchenchroniken. 

11.  Kephar  Zammäre,  eine  Landschaft  westlich  vom  Tigris,  oberhalb 
der  Khäbör-Mündung,  an  dem  Karawanenwege  von  Mosul  nach  Nisibis*. 
Kin   Bischof  dieser  Diözese   wird   im   Jalire   790  erwähnt. 

12.  "Ain-Sifne,  westlicii  von  Bäviän.  Die  Akten  nennen  einen  Bischof 
dieses  Ortes  im  Jahre   576. 

Die  Metropolitie  Adiabeno  (jder  Arbela  hat  ungeteilt  als  solche  bis 
zum  Jahre  11 90  bestanden.  Dann  spaltete  sie  sich  in  zwei  Teile,  Arbela- 
llazzä  und  3Iosul-Athör '.  Diese  Trennung  hat  von  11 90  bis  gegen  13 16 
gedauert.  In  welcher  Weise  während  dieses  Zeitraums  die  einzelnen  Bis- 
tümer unter  die  beiden  Metropoliten  verteilt  gewesen  sind,  ist  mir  nicht 
bekannt.    Später  hat  darm  eine  Wiedervereinigung  stattgefunden  und  Ebed- 

'  A  b  M  70.  72. 

'  Vgl.  HoFKMANN  207. 

'  Marquart,   P>ansahr  S.  24,   und   Hartmann,  Bolitan  S.  40. 

*  Hartmann,  Bohtan  .S.  40. 

•'  As,SEMANi.  Bil)l.  Or.  HI.  H.  721. 


54  8  A  C  H  A  u  : 

Jesu  fuhrt  in  seinem  1316   geschriebenen  Tukliäsä   die  Provinz   unter  dem 
kombinierten  Namen 

Arbela,  Hazzä.  Mosul  und  Athor  auf.  Hazzä  war  eine  Ortschaft 
in  nächster  Nähe  von  Arbela,  vielleicht  ein  Vorort,  und  Athör  ist  die  aus 
den  Bibelstudien  der  Nestorianer  hervorgegangene  Bezeichnung  für  Assyrien. 
In  dem  von  Ebedjesu  gegebenen  Bistümerverzeichnis  fehlen  von  den  bisher 
genannten  die  6  Nummern  5  — 12,  dagegen  werden  die  Nummern  2 — 4  er- 
wähnt und  hinzugefügt  werden  die  folgenden: 

13.  Margä,  Almarg,  Landschaft  am  Häzir,  um  die  Ebene  Naukur,  nord- 
östlich vom  Gebel  Maklüb.  Die  Akten  erwähnen  einen  Bischof  von  Margä 
im  Jahre  790  und  die  Patriarchenchroniken  unter  dem  Patriarchen  Abra- 
ham III.  905  —  937  '. 

14.  Henäithä,  eine  Landschaft  im  nordassyrischen  Gebirge,  angrenzend 
an  die  Diözese  von  Ma'althä  (hier  Nr.  10),  erwähnt  im  Jahi-e  790,  zuzeiten 
vereinigt  mit  dem   Bistum  Ma'althä  (Nr.  10)'-  und  mit  Hefton '. 

15.  Taimenä,  unbekannte  Landschaft.  Ein  Bischof  derselben  wird  im 
Jahre   790  erwähnt. 

16.  Hedhattä,  Alhaditha,  das  heutige  Hammäm  Ali  am  Tigris,  südlich 
von  Mosul.  Biscliöfe  von  Hedhattä  werden  in  den  Chroniken  im  8.  bis 
12.  Jahrhundert  erwähnt*. 

17.  Hefton,  Hibtvm,  eine  Gebirgslandschaft  am  (Großen  Zäb,  als  Bis- 
tum vereinigt  mit  Henäithä  (Nr.  14)  bei  dem  Konzil  von  790  erwälmt, 
ferner  späterhin  im    10.  bis  13.  Jahrhundert. 

18.  Adharbaigän   (s.  weiter  unten   S.  6i). 

Von  den  folgenden  beiden  Bistümern  ist  nicht  überliefert,  ob  sie  zur 
Kirchenprovinz  Arbela  oder  Mosul  gehörten,  vielleicht  aber  darf  man  sie 
aus  geographischer  Rücksicht  hier  anreihen : 

19.  Betli  Derün,  Bä-Dherün,  eine  Landschaft  am  oberen  Großen  Zäb. 
als  Bistum  erwähnt  im  10.,  13.  und  14.  Jalirhundert".  Die  neuesten  Karten 
zeigen   eine  Ortschaft  Badärün    im  Gau  Schirwän,  nahe  dem  Orte  Kurän, 


AbM  48. 

HOFFMAXN    S.  2  l(i. 

Syn.  Or.  S.  608. 

AbM  36.  37.  55.  7«.  114.  iiH. 

AbM  4S.  60.  72. 


Zur  .\usbreUu/iy  (kf  Clinstentums  in  Asien.  55 

östlich   vom  Bach  Rü  Kutschuk  Su  (Haruna  Tschajy),  einem  Nebentluß  des 
trroßen  Zäb,  nicht  weit  südlich  vom   37.  Breitengrade  entfernt. 

20.  Dast,  Dait  Harir,  eine  Ortschaft  im  Gebirge  zwischen  Arbela  und 
Tebriz,  als  Bistum  erwähnt  unter  Patriarch  Makkikha  II.  1257  — 1265'. 
Eine  Landschaft  Descht  ist  in  den  neuesten  Karten  SSW  von  Urmija  ver- 
zeichnet, im  Norden  begrenzt  von  dem  Gau  Tergäwai-. 

21.  Ö6s,  in  der  Landschaft  Margä.  Ein  Bischof  dieses  Gaus  wird 
im  Jjihre  1282   erwähnt  '\ 

22.  Elias  Gauhari  erwähnt  unter  der  Provinz  Mosul  noch  ein  Bistum 
VV  (Die  Steppe). 

VI. 

Kirchenprovinz  Beth- Garmai,  Garamaea, 

Über  das  frühe  Eindringen  des  Christentums  in  diese  Landschaft 
zwischen  dem  Kleinen  Zäb,  dem  Hamrin-IIöhenzug  »md  dem  mittleren 
Dijälä  geben  die  Akten  der  Märtyrer  von  Karkhä  dhe  Beth  Selökh  ein 
unverdächtiges  Zeugnis.  »Von  der  Zeit  des  Königs  Bäläs  bis  zum  zwan- 
zigsten Jahr  des  Säbhör-Sohnes  Ardser,  welclies  sind  neunzig  Jahre,  war 
Karkhä  ein  gesegneter  Acker  und  kein  Unkraut  darin«'.  Das  zwanzigste 
Jahr  Sapors  L  ist  261.  Neunzig  Jahre  früher  führen  uns  in  die  Regierung 
von  Bäläs,  d.  i.  Vologeses  III.  (148 — 191)  in  das  Jahr  171.  Daß  Karkhä 
dhe  Böth  Selökh  schon  zur  Zeit  des  Dynastiewechsels  einen  Bischof  hatte, 
berichtet  die  Chronik  von  Arbela. 

Die  Akten  des  Konzils  von  410  kennen  sechs  Bistümer  dieser  Provinz: 
I.  Karkhä  dhe  B^th  Selökh,  jetzt  Kerkük  an  der  Straße  von  Arbela 
nach  Bagdad  unfern  des  Kleinen  Zäb,  Sitz  des  Metropoliten.  In  den  Akten 
ist  dies  Erzbistum  bezeugt  zwischen  den  Jahren  410  —  612  und  in  der 
späteren  Literatur  bis  in  das  14.  Jahrhundert,  die  Zeit  des  Patriarchen 
Timotheos  IL,  der  13 18  ordiniert  wurde.  Zu  diesem  Karkhä  nahm  der 
Katholikos  Jesujabh  IL  seine  Zuflucht,  als  im  Jahre  637  die  alte  Papst- 
residenz des  Orients,  Seleucia-Almadä'in,  von  den  Muslimen  erobert  war*. 

'  A  b  M  69. 

-  AbM72;  HoFFMANx.  S.  224. 

'  Hoffmann,  S.  46. 

'  Chronicon  anonvnium  cd.  (iiini.  S.  26. 


5{i  S  A  0  II  A  i: : 

2.  Sahrkart,  Sälikard.  Die  Lage  dieser  Ortschaft  ist  nicht  mehr  fest- 
zustellen, sie  muß  an  der  Straße  von  Täük  nach  Arbela,  nicht  fern  von 
Kerkük,  gelegen  liaben.  Bischöfe  dieser  Diözese  werden  in  den  Konziiakten 
in  den  Jahren  497  -  605  bezeugt.  Einen  Bischof  Narses  von  Sahrkart  soll 
es  bereits  vor  dem  Jahre  412  gegeben  liaben'.  In  den  Patriarchenchroniken 
wird  dies  Bistum   nicht  mehr  erwähnt. 

3.  Lä.som,  arabisch  Läsim,  einige  Kilometer  südwestlich  von  dem 
heutigen  T^-ük',  als  Bistum  durch  die  Konzilakten  bezeugt  zwischen  486 
und   598,   und  später  unter  Patriarch   Henaniso  II.    774 — 778'. 

4.  Mähöze  dh  Arewjin  (Vokalisation  imgewiß),  ein  Bistum  unbekannter 
Lage,  dessen  Bischöfe  in  den  Akten  in  der  Zeit  von  410 — 605  erwähnt 
werden  \ 

5.  Rädhän,  ein  Gau  nördlich  von  Bagdad  zwischen  dem  Azem  und 
dem  Dijälä.  Dies  Bistum  wird  von  den  Konzilakten  des  Jahres  410  §  21 
zu  B6th  Garmai  gerechnet,  während  Elias  Damascenus  es  zur  Katholikats- 
provinz  rechnet.  Bischöfe  dieser  Diözese  werden  in  den  Akten  für  die 
Jahre  410  und  424  bezeugt,  in  den  Chroniken  noch  im  10.  und  11.  Jahr- 
hundert ^ 

6.  Harbath  Geläl,  ein  Bistum  unbekannter  Lage,  als  solches  durch 
die  Akten  bezeugt  in  den  Jahren  424 — 605  und  durch  die  Patriarchen- 
chroniken noch  im    1 1.  Jahrhundert''. 

Ebedjesu  gibt  kein  Verzeichnis  der  Bistümer  der  Provinz  Beth-Garmai, 
sondern  fertigt  sie  ab  mit  der  Bezeichnung:  Metropolitie  Karkha  dhe 
B6th  Selokh  und  Däkük.  Letzterer  Ort,  identisch  mit  dem  heutigen 
Täük  an  der  Straße  Kerkük  Bagdad,  wird  in  den  Konzilakten  als  Bistum 
nicht  erwähnt,  wohl  aber  bei  Elias  Gauhari.     Bei  M  b  S  50.  62.  74   werden 


'    Hoffmann,  S.  270  Anm.  2133. 
*    Hoffmann,  S.  274. 
•'    AbM  28.   27. 

'    Jesudenah  erwähnt  im  Livre  de  la  chastete,  S.  14,  einen    l^OOLCX^I  JOuiäoi^  M.äbM 
wäOXV^   ^^33    ^093i?    2f  a*«b83  als  Verfasser  eines  Buches  über  das  Mönchsleben.    Hier 

ist  v^e9ä23   verschrieben  fiii'  >^j.323,  vrI.  das.  S.  280.     Dieser   Bischof   heißt    auch   Bar 
Sähde  und  Sähdönä. 

"    ISI  b  S  88.   104.   HO. 

'■'    MbS   110.   114. 


Zur  Au.sbreituny  dei<  Christentums  in  Asien.  57 

Dakükä  und  Läsöm  (s.  hier  Nr.  3)  gleichgesetzt.  Amr  Ibn  Mattä  67  erwähnt 
einen  Metropoliten  von  Dakük  unter  dem  Patriarchen  Sabhriso"  IV.  (1222 
bis  1225),  woraus  wir  wohl  nur  soviel  entnehmen  dürfen,  daß  es  eine 
Gemeinde  Dakük,  evtl.  vereinigt  mit  Läsim,  wenn  letztere  Ortschaft  noch 
existierte,  damals  noch  gab. 

7.  Sirzör,  arabisch  Sahrazür,  das  Gebirgsland  zwischen  Arbela  und 
Hamadän,  dessen  Hauptort  Nimräh  hieß,  als  Bistum  von  Assemani,  III.  II.  775 
zu  Adiabene,  von  Hoffmann,  S.  256  zu  Beth  Garmai  gerechnet.  Eni  authen- 
tisches Zeugnis  hierüber  in  der  Literatur  ist  mir  nicht  bekannt.  Die  Konzils- 
akten kennen  Bischöfe  dieser  Diözese  in  den  Jahren  554 — 605,  das  Ghro- 
nicon  anonymuni  erwähnt  einen  Bischof  von  Sirzör  unter  Khusrau  Parwez 
(590 — 628),  und  noch  später  unter  dem  Patriarchen  Märi  Ihn  '[Vibä  (987 
bis  1000)   wird  ein    Bischof  von   Sahrazür  genannt'. 

8.  Khänieär,  eine  Ortschaft  an  der  Straße  von  Bagdad  nach  Arbela 
in  der  Nähe  von  Dakük,  als  Bistum  in  den  Konzilakten  nicht  erwähnt, 
wold  aber  von  den  Patriarchenchroniken  im  9.  Jahrhundert  bezeugt". 

Schließlich  mögen  liier  noch  einige  Ortschaften  erwähnt  werden,  die 
zwar  als  Bistümer  in  den  Akten  bezeugt  sind,  deren  Lage  aber  bisher 
nicht  sicher  hat  nachgewiesen  werden  können. 

9.  iJw»JK  Tehal  (Aussprache  nicht  überliefert),  als  Bistum  in  den  Akten 
bezeugt  für  die  Zeit  von  424 — 605. 

10.  Ar^wän  d'Ebhrä  (d.  i.  Arewän  von  jenseits).  Ein  Bischof  dieses 
Ortes  nalim  an  dem  Konzil  von  424  teil.    S.  hier  Nr.  4. 

11.  «\|»3a3  Burzän  (Aussprache  nicht  überliefert).  Ein  Bischof  dieses 
Ortes  lebte  zur  Zeit  des  Konzils  von   576. 

12.  Daräbhädh,  Ortschaft  unbekannter  Lage,  von  Elias  Damascenus 
als  Bistum   bezeichnet^. 

13.  Pustdar,  ein  Bistum,  über  dessen  Lage  Hoffmann,  S.  261  zu  ver- 
gleichen ist,  wird  im  Jahre  i  i  10  unter  Patriarch  Elias  II.  von  A  1)  M  60 
und  MbS  129   erwähnt. 

Über  B^th  W4zik,  arabisch   Bawäzig,  s.  S.  36. 


'   AbM  55. 
■'   AbM  38.  46. 
'    Hoffmann,  S.  276. 
Plul.hUl.  Ahh.    Htm.    .Ar.  /. 


58  S  A  c  H  A  u  : 

VII. 

Kirchenprovinz  Persis. 

Die  bisher  aufgezählten  sechs  Provinzen  bilden  den  Stamm  des  öst- 
lichen Christentums,  eingerichtet  von  dem  ersten  Konzil  im  Jahre  410.  In 
der  weiteren  Ausbreitung  treten  dann  noch  die  Persis  und  Margiana,  später 
auch  Hulwän  als  kirchenrechtlich  organisierte  Provinzen  oder  Hyparchien 
hervor,  während  es  für  die  übrigen,  vom  Zentrum  Seleucia-Kokhe  weit 
entfernten  Verbreitungsgebiete  nicht  überliefert  ist,  ob  dort  die  Metropolitan- 
verfassung  bestanden  hat  oder  ob  wir  uns  die  einzelnen  christlichen  Gaue 
oder  Ortschaften  als  kirchenrechtlich  autokephale  Gebilde  vorstellen  müssen. 
Über  das  älteste  Auftreten  des  Christentums  in  der  vom  westasiatischen 
Verkehr  so  weit  abgelegenen  Persis  sowie  über  die  älteste  Erwähnung 
dieses  Erzbistums  um  das  Jahr  497  verweise  ich  auf  meine  Schrift  Vom 
Christentum   in   der  Persis    in   den   SB    der  Akademie    vom    27.  Juli  19 16. 

Die  Persis  hatte  sieben  Bistümer: 

1 .  Rew-Ardasir,  arabisch  Resahr,  an  der  Grenze  zwischen  Susiana  und 
der  Persis,  bezeugt  in  den  Konzilakten  zwischen  den  Jahren  424 — 585.  In 
den  Patriarchenchroniken  werden  Metropoliten  der  Persis  im  9.  bis  12.  Jahr- 
hundert' erwähnt. 

2.  Istakhr  —  Persepolis  nordwestlich  vom  Niriz-See,  als  Bistum  in  den 
Akten   nur  einmal  im  Jahre  424  genannt. 

3.  Däräbgird  südöstlich  vom  Niriz-See,  als  ^istum  bezeugt  424  und  554. 

4.  Ardasirkhurra  =  Gör  =  Firüzäbäd  südöstlich  von  Käzenin,  bezeugt 
in   den  Jahren  424  und   540. 

5.  Bih-Säpür,  arabisch  Säbür,  gegenwärtig  bezeichnet  durch  ein  Trüm- 
merfeld im  Nordwesten  der  Stadt  Käzerün.  Ein  Bischof  des  Ortes  wird  in 
den  Akten  nur  einmal   544   erwähnt. 

6.  Maskenä  dhe  Kurdv'i,  Kurdensiedelung  in  nicht  näher  bezeichneten 
Teilen  der  Persis,  die  in  den  Akten  durch  einen  Bischof  im  Jahre  424  ver- 
treten sind. 

7.  Die  Insel  Kis,  der  Südküste  Persiens  vorgelagert.  Die  Akten  er- 
wähnen einen  Bischof  der  Insel  als  Zeitgenossen  des  552  gestorbenen  Katho- 
likos  Mä,r  Abhä. 


AbiM43.55:   M  b  S  87.  89.  g.-,.  gy.  loi.  102.  133:    A1):M6i. 


Zur  Ausbreitung  des  Christentums  in  Asien.  59 

Elias  Gauhari  erwähnt  als  Bistümer  der  Persis  außer  den  hier  aufge- 
führten Nrn.  2.,  3.  und  5.  noch  Schiräz,  Karmän,  jl^-  >^.-^y-'  und  die 
Insel  Socotra  (s.  S.  69). 

VIII. 

Kirchenprovinz  Beth  Katräje  oder  Die  Inseln  =  Ostarabien  und  Bahrain, 

Nach  der  Chronik  von  Arbela  soll  in  diesem  Gebiet  schon  um  224 
ein  Bischof  vorhanden  gewesen  sein.  Die  Chronik  von  Seert  I  II  3 1 1  weiß 
von  einem  Abhdis6'  zu  erzählen,  der  in  Ostarabien  und  Bahrain  missioniert 
und  ein  Kloster  gebaut  habe ;  er  sei  ein  Zeitgenosse  des  Patriarehen  Tomarsä 
(etwa  der  Generation  vor  dem  Patriarchen  Isaak  399 — 410  angehörig)  ge- 
wesen'. Über  die  topographischen  Fragen  verweise  ich  auf  die  Chronik 
von  Arbela  S.  226".  Es  lassen  sich  folgende  sechs  Bistümer  in  Ostarabien 
nachweisen: 

1.  eäopo^o  «.?äi,  zwei  niclit  sicher  nachweisbare  Lokalitäten,  die 
in  den  Konzilakten  von  410  als  Metropolitie  bezeugt  werden. 

2.  D^rin,  Darin,  Ortschaft  auf  der  Insel  Tänlt  vor  der  arabischen  Küste, 
als  Bistum  im  Jahre  585  bezeugt. 

3.  Masmähig,  arabisch  SamAlii«,  Ortschaft  auf  der  Insel  Muharrak. 
Drei  Bischöfe  derselben  werden  in  den  Jahren  410  und   576  erwähnt. 

4.  Hattä,  die  ostarabische  Küste  gegenüber  den  Bahrain-Inseln.  Zwei 
Bischöfe  dieser  Diözese  erscheinen   in  den  Jaliren  576  und  676. 

5.  Heghar,  arabisch  Hagar,  Hauptort  <les  ostarabischen  Binnenlandes, 
in  den  Akten  vertreten  durch  zwei  Bischöfe  in  den  Jahren  576  und  676. 

6.  Mazün,  das  heutige  Oman.  Vier  Bischöfe  dieses  Gebietes  werden 
in  den  Jahren  424,   544,   576   und  676  erwähnt. 

I\. 

Kirchenprovinz  Beth-Mädhäje  =  Medien. 

Medien  ersclieint  als  Christengebiet  in  dem  Titel  des  Katholikos  Jab- 
hälähä  I.  vom  Jahre  420.  Sj)äter  (wann?)  hat  eine  Teilung  der  Provinz  in 
eine  Nord-  und  Südhälfte  stattgefunden,  und  die  letztere  wurde  vom  Katho- 
likos Isöjabh  aus  Geddälä  (628 — 643)   zur  Metropolitie   erhoben   unter  dem 


'    Vgl.  auch  Chronicon  anünymum  S.  31.  32. 


i^Q  S  A  C  II  A  U  : 

Titel  »\Moer2o  sO^  w.<n?  ^Ad^p,  d.  i.  von  Halali,  d.  i.  Hulwän  und 
Ilamadän.  Diese  Nachricht  verdanken  wir  dem  Tractatus  und  Tukkäsä 
des  Ebedjesu  (s.  oben  S.  21).  Die  Nordhälfte  der  Provinz  bestand  zur  Zeit 
Ebedjesus  als  eine  der  Äußeren  Metropolitien  in^3  1  \  Aft*^  >V** 
unter  dem  Titel  ^Xbo  poJOo  -ä  -.«n?  VCUfS?,  d.  i.  der  Räzikener 
(Razikene,  Gegend  von  Rhagae,  unfern  Teheran),  d.  1.  Rai,  Kum  und  Kasan. 

Das  südliche   Medien, 
Bistümer. 

1.  Beth  Madhäje.  Die  Konzilakten  erwähnen  in  den  Jahren  486,  497, 
554  und  605  Bischöfe  von  Medien,  ohne  aber  ihre  Residenz  anzugeben. 
Sie  können  nicht  in  Hamadän  residiert  haben,  denn  in  den  Akten  des 
Konzils  von  554  wird  neben  dem  Bischof  von  Medien  ein  Bischof  von  Ha- 
madän erwähnt.  Wahrscheinlich  war  Hulwän  die  Residenz  dieses  Bischofs, 
später  dann   diejenige  der  Metropoliten. 

2.  Hamadän.  Die  Akten  kennen  nur  einen  Bischof  dieser  Diözese  im 
Jahre  576,  in  den  Patriarchenchroniken  wei-den  Bischöfe  derselben  noch 
unter  Patriarch  Ebedjesu  I.  (963— 9S6)  und  unter  Elias  III.  (11  76  — 1190) 
erwähnt'. 

3.  Ispahän,  vertreten  durch  vier  Bischöfe  in  den  Jahren  424,  497, 
554,  576.  Einmal,  im  Jahre  497'',  erscheint  dies  Bistum  verbunden  mit 
demjenigen  von  Mihrakäje  (s.  oben  S.  41).  Nach  den  Patriarchenchroniken 
bestand   es  noch   im   10.  und   1 2.  Jahrhundert '. 

4.  Nihäwand  (südlich  von  Hamadän,  nordwestlich  von  Burüs'ird).  Ein 
Bischof  dieses  Sprengeis  nahm  teil  an   dem   Konzil   von    790. 

Elias  Gauhari  nennt  als  Bistümer  von  Hidwän:  Aldinawar,  Hamadän, 
Nihäwand  und   Alkara^-.   einen   Gau   im   Gebiet  von   Hamadän*. 

Das  nördliche  Medien. 
Bistümer. 
1 .   Rai,  Rhagae  (s.   die  Ruinen    im    Südosten    von   Teheran),    als    Bis- 
tum bezeugt  durch  die  Konzilakten  von  424,  486,  497  und  544,  als  Metro- 


'  MbS89;  AbM64. 

^  Syn.  Or.  S.  316  Nr.  21. 

^  Ab  M  55.  60;  MbSi29. 

'  Marquari'.  Ei'ansahr  S.  27.  71:  Jäküt  IV.  250. 


Zur  Avsbi-eihim/  des  ClirlstentKins  in  Asim.  61 

politie  im  Jahre  805'.  Die  Chroniken  kennen  noch  einen  Hiscliof  Marcus 
von  Rai  unter  Patriarch  Johannes  IV.  (892 — 898).  In  späterer  Zeit  erscheinen 
dann  die  Bistümer  Rai  und  Hulwän  miteinander  verbunden,  im  i  i .  und 
12.  Jahrhundert". 

2.  Kumm. 

3.  Kä-sän.  Von  diesen  beiden  am  Rande  der  großen  Salzwüste  ge- 
legenen Gemeinden  sind  mir  Bischöfe  nicht  bekannt.  Als  Christengebiete 
werden  sie  nur  in  Kbedjesus  Tukkäsä  angeführt. 

Bei  Jäküt  II,  690  wird  ein  Kloster  namens  Dair  Kardasir  als  zwischen 
Rai  und  Kumm  in  der  Wüste  gelegen  angeführt. 


X. 

Media  Atropatene-Adharbai^än. 

Kbedjesu  rechnet  im  Tukkäsä  (s.  oben  S.  1  2)  .Vdliarbaiirän  zur  Kirchen- 
provinz Arbela-Mosul.  Einer  geographischen  Anordnung  folgend,  stellen  wir 
hier  einige  in  diesem  Lande  und  an  seinen  Grenzen  gelegene  Bistümer  zu- 
sammen, ohne  damit  behaupten  zu  wollen,  daß  sie  eine  kirchenrechtliche 
Einheit,  eine  Hyparchie,  gebildet  hätten. 

1.  Adharbaigän.  Von  den  fünf  Bischöfen  dieses  Landes,  die  zwischen 
den  Jahren  486 — 605  bezeugt  sind,  bezeicimet  sich  der  älteste  als  Bischof 
von  Ganzak  und  Adharbaigän,  woraus  wir  wohl  entnehmen  dürfen, 
daß  die  Stadt  Ganzak,  südlich  vom  heutigen  3Iarägha,  seine  Residenz  ge- 
wesen i.st.  Im  13.  Jahrhundert  erscheint  ein  Erzbischof  von  Adharbaigän 
unter  dem  Patriarchen  Denhä(i265  — 1281)^. 

2.  Paidangarän,  armenisch  Paitakaran,  arabisch  Bailakän,  eine  Land- 
schaft im  Nordosten  von  Adliarbaigän  zwischen  den  Flüssen  Kur  und  Arras, 
ist  in  den  Konzilakten  durch  drei  Bi.schöfe  in  den  Jahren  540,  544  und 
554  bezeugt. 

3.  Salamäs,  westlicli  vom  Nordteil  des  Urmia-Sees,  wird  als  Bistum 
im    13.  Jahrhundert  unter  Patriarch  Jabhalähä  III.  (1281  — 1317)  erwähnt*. 


S.  Syii.  Or.  S.  10  Anm.  2   und   meine  .'syrische   Ueihtsl)iicher  II  S.  57.  55. 
AbM47.  60;  MbS.  114. 
A  b  M  70. 
AbM  72. 


62  S ACH  AU  : 

4.  Urmia,  Urmija,  im  Westen  des  gleichnamigen  Sees,  wird  als  Bistum 
im    II.   und    1 2.  Jahrhundert  genannt'. 

4.  Usnüch,  Usnü  wird  als  Bistum  unter  dem  Patriarchen  Jabhalähä  III. 
I  2 8  I  — -1317  erwähnt". 

5.  Al-Rustäk  in  der  Provinz  Senidinän,  nördlich  von  Räwenduz,  als 
Bistum  erwähnt  unter  demselben  Patriarchenl 

Für  die  Kenntnis  der  heutigen  Bistümer  in  Ädharbaigän  und  im  Zagros, 
die  vom  Patriarchen  Simeon  im  Jahre  1653  aufgezählt  werden*,  finden  sich 
nützliche  Beiträge  in  der  Schrift  von  B.  Dickson,  Journeys  in  Kurdistan, 
im  Journal  of  the  Royal  Geographica!  Society  19 10  April,  vol.  XXXV,  Nr.  4, 
S-'357— 378. 

XI. 

Armenien. 
Armenien  ist  nie  eine  besondere  Kirchenprovinz  der  Nestorianer  ge- 
wesen, Avohl  aber  ein  Bistum.  Als  Christenland  erscheint  es  im  Titel  des 
Katholikos  Jabhalähä  I.  im  Jahre  420,  und  Bischöfe  Armeniens  nahmen  teil 
an  den  Konzilien  der  Jalire  424  und  486,  werden  auch  noch  im  11.  Jahr- 
hundert unter  Patriarch  Ebedjesu  Ibn  Arärid  1074 — 1090  erwähnt^  Daß 
im  14.  Jahrlnnidert  Armenien  mit  Nisibis  vereinigt  war,  ist  bereits  oben 
S.  46  berichtet.  In  welchem  Ort  die  Bischöfe  Armeniens  residiert  haben, 
ist  mir  nicht  bekannt. 

XU. 

Kaukasus. 
Ebedjesu  erwähnt  als  die  siebente  der  Äußeren  Metropolitien 
»Arrän  und  die  Alanen,  der  Thronsitz  des  Gebiets  ist  Barda'ah,  und  Siunik, 
ein  Teil  von  Armenien«.  Arrän  ist  die  Landschaft  im  Südosten  des  Kau- 
kasus um  Barda'ah  am  Terter,  einem  Nebenfluß  des  Kur,  nicht  weit  von 
seiner  Mündung  in  den  letzteren,  entsprechend  einem  Teil  des  heutigen 
Landes  Karabägh.    Siunik,   syrisch  Senikhä,   ist  die  armenische  Provinz  Si- 


!M  b  S  1 14. 129. 130;  A  b  M  60. 

AI)  .AI  72. 

AbM  72. 

S.  AssF.MANi  III.  II.  423   und  Hoffmann  8.  204.  205. 

M  bS    112. 


Zur  Ausbreitung  des  Christentums  in  Asien.  63 

sakan,  nördlich  von  Adharbaigän'.  Die  Alanen  bewohnten  einen  anderen, 
weiter  nördlich  gelegenen  Teil  des  Kaukasus. 

Die  Patriarchenchroniken  erwähnen  Bischöfe  von  Barda'ah  im  lo.  Jahr- 
hundert unter  Patriarch  Johannes  Ibn  Al'a'rag  900 — 905  und  Marl  Ibn  Tübä 
987  —  lOOO". 

In  den  Konzilakten  von  420  wird  im  Titel  des  Katholikos  Jabhalähä  I. 
als  Christenland  auch  Gurzän-Iberien-Georgien  erwähnt,  die  Landschaft 
um  Tiflis.  Gurzän  und  Arrän  bildeten  die  nördlichsten  Provinzen  des  Sa- 
sanidenreiches*.  Bischöfe  dieser  Kaukasussprengel  kommen  in  den  Konzil- 
akten nicht  vor. 

xnr. 

Der  Südrand  des  Kaspisehen  Meeres. 
In  den  Ländern  auf  den  südlichen  Gestaden  des  Kaspisehen  Meeres 
treten  uns  mehrere  Bistümer  entgegen,  von  denen  nicht  überliefert  ist,  ob 
sie  einem  Metropoliten  unterstanden  und  ev.  welchem.  In  dem  Verzeichnis 
von  Ebedjesu  werden  diese  nordpersischen  Bistümer  nicht  oder  nicht  mehr 
aufgeführt. 

1.  Gilän,  die  I^ndschaft  um  den  Sefid  Rüd  mit  dem  heutigen  Haupt- 
orte Reät.     Dies  Bistum    ist  in  den  Konzilakten  vom  Jahre   554  bezeugt. 

2.  Gurgän,  Hyrcania,  die  Südostküste.  Die  Akten  kennen  zwei  Bischöfe 
dieses  Sprengeis  in  den  Jahren  497  und  576,  geben  aber  nicht  an,  wo  sie 
residiert  haben.  Die  Akten  des  Konzils  von  424  sind  unterzeichnet  von 
einem  Domitian 

Ich  bin  geneigt  zu  glauben,  daß  hier  2;s^0lX  verschrieben  ist  für  Us»n3r., 
und  daß  der  Titel  bedeutet 

»Bischof  des  Gefangenenlagers  von  Gurgän«. 
Vgl.  oben  S.  37  unter  den  Bistümern  der  Katholikats-Provinz  das  Gefan- 
genenlager von  Beläsfarr.    Es  ist  wohl  nicht  zufallig,  daß  diese  beiden 
Bezeichnungen  in  dem  gleichen  Zusammenhange  und  in  dem  gleichen  Jahre 


'    Marquart,  KranSahr  S.  120. 
=    A  b  M  48.  55- 


S.   Hoffmann  S.  79  und  Mar^uart  EranSahr  S.  115. 


(54  S  A  c  u  A  u  : 

vorkommen'.  Ob  nun  Gurgän  und  Sebhithä  dlie  üurgän  ein  einziges  Bistum 
bilden  oder  zwei  verschiedene,  ist  nicht  zu  ersehen.  Elias  CTauhari  erwähnt 
Gurgän  als  Bistum  von  Rai. 

3.    Amul.    Die  Akten  kennen  einen  Bischof  Suren   dieses  Sprengeis  im 

Jahre  554. 

XIV. 

Parthien. 
Der  fernste  Osten  des  Sasaniden-Reiches  ist  in  den  ersten  beiden  Kon- 
zilien der  Jahre  410  und  420  durch  die  Länder  von  Abrasahr,  d.  i. 
die  Landschaft,  in  der  Nisapur  liegt,  oder  einen  Teil  von  Parthien  ver- 
treten. In  Ebedjesus  Rangordnung  der  Kirchenprovinzen  vom  Jahre  13 16 
werden  Merw  und  Isisäpür  (Margiana  und  Parthien)  als  die  dritte  der  Äußeren 
Metropolitien   aufgezählt. 

1 .  Abrasahr,  Ni.säpür.  Dieser  Sprengel  war  im  Konzil  von  424  durch  einen 
Bischof  David  vertreten.   Im  Konzil  von  497  erscheint  er  verbunden  mitTüs. 

2.  Tüs,  das  heutige  Meshed.  Ein  Bischof  Samuel  von  Tüs  soll  die 
Wahl  des  Katholikos  Dädhiso'  (421  —  456)  erwirkt  haben'.  Über  die  Ver- 
einigung mit  Abra-sahr  s.  hier  Nr.  i .  Ein  Bischof  von  Tüs  wird  noch  im 
Jahre  1279   erwähnt. 

3.  Abiward,  eine  Stadt  zwischen  Serakhs  und  Nasa,  eine  Tagereise  von 
letzterem  entfernt,  erscheint  zusammen  mit  einer  Ortschaft  Sahrj^eröz^  als 
Bistum  bei  Gelegenheit  des  Konzils  im  Jahre  554. 

XV. 

Margiana. 

Bistümer. 

I .    Merw.   Die  Nachricht  von  der  Einführung  des  Christentums  in  diesem 

Lande  durch  Barsabbä,   zuerst  bekannt  geworden  durch  Märi  Ibn  Sulaimän 

S.  23,  ist  in  ausführlicherer  Fassung  in  der  Chronik  von  Scert  II,  253 — 258, 

veröffentlicht.    Über  Barsabbä^  und   sein   Werk  s.   weiter  unten. 


'  Labourt,  Le  christianisme  eh.  S.  122   Anm.  3. 

■'  Nach  MbS  31;  AbM  17. 

'  Marquart,  Eransahr  73. 

^  llesp.  Barsaba.s  bei   As.semani  III.  IL  i5():  aiicli  S.  245,  Ni\  36. 


Zuv  Ausbreitung  des  Christentums  in  Asien.  65 

In  den  Konzilakten  erscheinen  Bischöfe  von  Merw  zwischen  den  Jahren 
424 — 585.  Ein  Erzbischof  David  von  Merw  hatte  großen  Anteil  an  der  Kir- 
chenspaltung, indem  er  524  die  Wahl  des  Elisaeus  zum  Katholikos  betrieb'. 

Das  Chronicon  Anonymum  S.  28.  29  berichtet  von  einem  Erzbischof 
Elias  von  Merw  als  dem  Missionar  von  Türkenvölkem  zur  Zeit  des  Chalifen 
Omar  (634 — 644),  und  ein  Erzbischof  Elias  von  Merw  war  zugegen  bei  dem 
Tode  des  Katholikos  Jesujabh  III.  im  Jahre  660.  Späterhin  erscheinen  dann 
die  Erzbischöfe  dieser  Provinz  in  allen  Jahrhunderten  vom  7.  bis  zum  i  i  ". 
Ein  Kloster  des  David  Bar  Natura  in  Merw  s.  in  dem  Klosterverzeichnis  bei 
Jesudenali  S.  265  Nr.  87;  ein  Kloster  des  Georg  aus  Merw  in  der  Nähe  von 
Merw,  das.  S.  245  Nr.  36. 

2.  Merw-i-rüdh,  Merw-alnid,  einige  Tagereisen  südlich  von  Merw,  ist 
in  den  Konzilakten  im  Jahre  554  durch  einen  Bischof  vertreten. 

V 

Elias  Gauhari   erwähnt  als  Bistümer  von   Margiana  noch 
(S'^jf-^.    ,_r~^j_-   und   OjjL.J! 
unbekannte  Ortschaften. 

Nach  der  Christianisierungslegende  von  Merw^  hätte  ein  Christ  griechi- 
.scher  Abstammung  in  der  Hauptstadt  Almadä  in  die  Gunst  einer  Prinzessin 
des  sasanidischen  Königshauses  gewonnen.  Nachdem  sie  als  Gemahlin  des 
Markgrafen  von  Merw  dorthin  gekommen  war,  ließ  sie  ihn,  den  Bar  Sabbä, 
nachkommen  (nach  dem  Joviansfrieden  363),  und  dieser  verbreitete  nun  das 
Christentum  in  Stadt  und  Land.  Die  erste  Kirche  wurde  nach  dem  Plan  des 
Kaiserpalastes  von  Ktesiphon  erbaut  und  Ktesiphon  genannt,  womit  zu  kom- 
binieren ist,  daß  noch  im  Mittelalter  ein  Stadtteil  von  Merw  Ktesiphon*  hieß. 

Von  ferneren  Bezeugungen  des  margianischcn  Christentums  ist  folgendes 
zu  erwähnen: 

Ein  Bischof  von  Merw   nahm  an  dem   Konzil  des  Jahres  424  teil. 

Ein  Bischof  Elias  von  Merw  bereitete  um  651.  652  der  Leiche  des 
Sasanidenkönigs  Jezdegird  ein   würdiges  Begräbnis. 


'    Chronik  von  Seert  II,  149;  AbM  22. 

''    AbM  36.  37.  42.  55.    .MbS  62.  77.  97.  99. 

'  In  deutscher  Übersetzung  mitgeteilt  in  den  Abhandlungen  zur  semitischen  Religions- 
kunde und  .Sprachwissenschaft  W.  W.  Grafen  von  Baudissin  zum  26.  September  191 7  überreicht 
(Gießen  19 18)  S.  399 — 409. 

<  jy-J»  jäküt  in,  570. 

Phil-hüt.  Ahh     1!)i;).   Nr.  I.  II 


(5(;;  Saciiau: 

Alberüni'  erwähnt  um  das  Jahr  looo  in  dem  Kalender  der  Christen  seines 
Vaterhmdes  Cliorasmien  (Chiwa)  den  2 1 .  Juni  als  Gedenktag  des  Priesters 
Barsabbä,  »der  etwa  200  Jahre  nach  dem  Messias  das  Christentum  nach 
Merw  brachte«. 

Kirchenprovinz  Herät. 

In  Ebedjesus  beiden  Rangordnungen  der  Kirclienprovinzen  von  etwa 
1300  und  13 16  wird  Herät  als  Metropolitie  erwähnt,  in  der  älteren  mit 
dem  Titel  ouäoT  wOfa  IsoJhef^p,  in  der  jüngeren  als  ou.3073  =  von  Har^w 
(im   Avesta  Haraeva). 

1.  Herät,  als  Bistum  in  den  Akten  bezeugt  in  den  Jahren  424,  486 
und  497.  als  Metropolitie  585,  und  in  den  Patriarchenchroniken  im  9., 
10.  und  11.  Jahrhundert".  Eine  christliche  Kirche  in  der  Nähe  von  Herät 
wird  von  Istakhri  265,  15.  16  und  von  Ibn  Haukai  317,  20  erwähnt.  Ersterer 
schrieb  um  951,  letzterer  um  977. 

2.  Püsang,  arabisch  Büsang  -;  Ghorijän  am  Herirüd  westlich  von  Herät, 
ist  in  den  Akten   im  Jahre  585   durch   einen  Bischof  vertreten. 

3.  Bädhisi,  wahrscheinlich  =  Bädhaglns,  eine  Landschaft  im  Nordwesten 
Afghanistans,  die  mehrfacli  im  Zusammenhang  mit  Herät  und  Püsang  ge- 
nannt wird.  Die  Akten  nennen  einen  Bischof  von  Bädhisi  und  Kädistän 
im  Jahre  585. 

4.  Kädistän,  eine  Ortschaft  in  der  Gegend  von  Herät,  erscheint,  ver- 
bunden mit  Bädhisi,   das  Bistum  im  Jahre  585. 

Elias  Gauhari  erwähnt  Segestan  als  einziges   Bistum   vom   Herät. 

Sakastene. 

Sakastene,  arabisch  Sagistän  oder  Sigistän  (Segestan),  ist  im  Kernteil 
das  Stromgebiet  des  Hilmend  und  seiner  zahlreichen  Nebenflüsse  im  Westen 
Afghanistans.      Es  ist   in  den  Konzilakten  durch    fünf  Bistümer  vertreten. 

I.  Sagistän.  Die  Akten  nennen  zwei  Bischöfe  dieses  Sprengeis  in  den 
Jahren  424,  544  und  576  ohne  nähere  Bezeichnung  ihres  Wohnsitzes.  In 
.späterer  Zeit  erscheint  ein  Bischof  von  Chorasan  und  Sagistän  unter 
dem  Patriarchen  Sal^hrisö'   Zunbür  1063^1072^. 


'    S.   meine  Chronology  f)l'  anciejit   nafion.s  S.  296. 
-    AbM  38.  55:  MbS  114. 
'    M  b  S  1 10. 


Zur  Aii.-ibreUuiiy  d/'S  C/irint/'/ittniis  in  Asiiii.  67 

2.  Fara,  Stadt  im  westlichen  Afghanistan,  am  Fararüd  gelegen,  als 
Bistum   544  bezeugt. 

3.  Käs  -  Chä-sch  am  Cliäschriid  südöstlich  von  Fara,  als  Bistum  be- 
zeugt im  Jahre  544. 

4.  Zerang  (Drangiana)  im  südwestliclien  Afghanistan,  südlich  von  (lu- 
wain,  ebenfalls  als  Bistum  im  Jahre  544  bezeugt.  Durch  Verfügung  des 
Katholikos  Abhä  1.  (540 — 552)  wurden  diese  Sprengel  2,  3  und  4  einem 
und  demselben  Bischof  unterstellt,  gleichfalls  die  im  folgenden  zu  erwäli- 
nenden  Sprengel  5  und  6'. 

5.  Best  =  Bust  am  Hilmend  südlich  von  (Tirlsk.  als  Bistum  im  Jahre  544 
erwälint. 

6.  Rukhwadh  (Arachosien).  vermutlioii  die  Landschaft  in  Südafghani- 
stan um  den  Argand-.Vb  und  um  Kandahar,  als  Bistum  bezeugt  in  dem- 
selben Jahr  544. 

Ein  Stephanuskloster  in  Sege.stan  wird  bei  Jesudenah  S.  282,  Nr.  138 
erwähnt. 

Chusrau  11.  Parw6z,  der  609  Kdessa  eroberte,  soll  viele  seiner  Be- 
wohner, also  Cliristen,   nach   Segestan   und   Chorasan   ver[)tlanzt  haben". 

Wenn  wir  das  Christenttun  weiter  ostwärts  verfolgen  wollen,  treffen 
wir  zunächst  auf  Balkh  oder  Baktra  am  Oxus,  aber  die  hierauf  bezügliche 
Überlieferung  ist  sehr  arm  und  ergibt  wenig  mehr,  als  daß  in  der  be- 
kannten Inschrift  von  Singan-P'u  in  China  781  ein  Presl)yter  Miles  als  aus 
Balkh  stammend  erwälint  wird.  Von  einem  Bi.stum  Balkh  findet  sicli  keine 
Spur*.  Es  wäre  nun  sehr  einladend  weiterhin  den  Wegen  zu  folgen,  auf 
denen  die  nestorianischen  Missionare  einhergezogen  sind,  \\m  in  Pi.spok 
und  Tokmak  im  Flußgebiet  des  Tschu  im  heutigen  Gouvernement  Semir- 
jetschie  chri.stliche  Gemeinden  zu  gründen,  von  deren  Dasein  heute  noeli 
ihre  Kirchhöfe  Kunde  geben,  um  im  fernen  Ostturkestau  ein  Evangelium 
und  ihre  Kircliengesänge  in  eine  der  Landessprachen  zu  übersetzen  und 
um  scldießlicli  bis  in  das  Innere  des  Chinesischen  Reiclies  vorzudringen. 
Vielleicht  bildete  das  bei  Jäküt  III,  234,  8  erwähnte  Christendorf  Tankra 
(Aussprache    ungewiß)    in   der   vermutlicli    im   Nordosten   des   Aral-Sees    zu 

'    Syn.  Or.  343. 

'■'    DüvAL,   Ilistoirc  d'Edesse  .S.  369. 

'  Ein  armenisches  Zeugnis  für  da.s  \'or<lringen  des  Clinstentiiiiis  his  HaktfiiMi  s.  Ini 
MARQrART.   Ostenropnisrho   und   Ostiisiatisrlio   Strpifziige  S,  28^    .\nm.  2. 

:i 


68  S A  CH AU : 

suchenden  Landschaft  Säs  eine  P^tappe  auf  einem  dieser  Wege.  Die  Auf- 
zählung der  östlichsten  Metropolitien  bei  Ebedjesu  (s.  oben  S.  19)  ist  wenig 
lehrreich,  und  wenn  er  die  Erzbistümer  Herat,  Samarkand  und  China  ent- 
weder von  dem  Katholikos  Ahai  410 — 415  oder  von  Silas  505  bis  523 
oder  von  Selibhäzekhä  714 — 728  gegründet  sein  läßt,  so  beweist  das  wohl 
nur,  daß  die  Kirche  seiner  Zeit  von  dem  Ursprünge  des  östlichsten  Christen- 
tums keine  genaue  Kenntnis  mehr  hatte.  Wir  machen  am  Oxus  halt  und 
verweisen  für  das  Christentum  jenseits  von  Oxus  und  Jaxartes  auf  W.  Bart- 
hold, Zur  Geschichte  des  Christentums  in  Mittelasien  bis  zur  mongolischen 
Eroberung.      Deutsch  von   Dr.  R.  Stube,  Tübingen  und  Leipzig  1901'. 

Arabien. 

Über  die  christlichen  Bistümer  von  Ostarabiens,  Balirain  und  Oman 
s.  oben  S.  59. 

In  betreff  der  Christianisierung  von  Nagrän  geben  die  nestorianischen 
Geschichtsschreiber"  folgenden  Bericht:  »Ein  Kaufmann  in  Nagrän  machte 
unter  der  Regierung  Jazdagird  L  (399 — 420)  eine  Geschäftsreise  nach  Kon- 
stantinopel, kehrte  von  dort  durch  das  Perserreich  zurück,  wo  er  nach 
Alhira  kam,  das  Christentum  kennen  lernte  und  annahm.  Von  dort  reiste 
er  in  seine  Heimat  Nagrän  und  verbreitete  daselbst  sowie  auch  in  Himjar 
das  Christentum«.  Die  Patriarchenchroniken  verlegen  diese  Erzählung  un- 
gefähr in  dieselbe  Zeit,  in   das  Patriarcliat  von  Ma'nä  (um  420)'. 

Chusrau  Anosarwän  hat  Jemen  um  das  Jahr  570  durcJi  seinen  Heer- 
führer Vahriz  erobert,  wodurch  die  Möglichkeit  gegeben  war,  daß  sich  Be- 

'  Über  die  Missionstätigkeit  des  Patriarchen  Timotheos  nach  den  Türken,  vgl.  Oriens 
Christianus  I,  309  Anm.  i . 

"  Chr.  Seertl,  TI,  330.  331:  MbS  29:  A  b  ^I  16.  Der  Name  des  Kaulmanns  jL»- 
kann  sowohl  Hannän  wie  Hajjan  gelesen  werden.  Die  arabischen  Nachrichten  iiber  Nagrän 
und  sein  Christentum,  die  abessinischen  Christen  und  die  Kirche  ^— ^  =  ^kkahcia  in  San'ä 
s.  bei  NÖLDEKE,  Geschichte  der  Perser  und  Araber  usw.  S.  lyyflt'.  201. 

''  Chr.  Seert  meldet  II,  144,  daß  unter  dem  Patriarchat  des  Silas  (505 — 523)  llüchtige 
Jakobiten  nach  Hira  geflohen,  von  dort  aber  durch  die  Nestorianer  vertrieben,  und  daß 
einige  von  ihnen  nach  Nagrän  geflohen  seien,  wo  sie  den  Monophysitismus  des  Julianus 
verbreitet  hätten.  Aus  den  Titeln  der  Vertreter  des  nagn'inischen  Christentums,  welche  zu 
Muhammed  kamen,  ergeben  sich  keine  Kückschlüsso  auf  die  Sonderart  ihres  Bekenntnisses. 
S.  Ibn  Saad  I,  II  S.  84.  über  Muhammeds  Verhandlungen  mit  den  Christen  Nagräns  s.  Ihn 
Snad  I  II,  21.     Ein   Kloster  von   Nasiran   wird  bei  Jiiküt  II,  703   ei-wähnt. 


Zur  Aushn'ituny  des  Chrisknämm  in  Asien.  69 

Ziehungen  zwischen  dem  babylonischen  Christentum  und  Nagrän  anknüpften. 
Der  Patriarch  Timotheos  I.  (780  —  823)  scheint  das  südarabische  Christen- 
tum für  nestorianisch  gehalten  zu  haben,  denn  er  setzte  in  Jemen  einen 
Bischof  ein  (Oriens  Christianus  I,  143). 

Weiter  nördlich  in  Arabien  gab  es  zu  Muhammeds  Zeit  christliche 
Gemeinden  in  Diuna,  Aila  und  Tema,  und  ein  Bischof  Johannes  Ibn  Rüba 
von  Aila  verhandelte  mit  Muhammed'.  Über  das  Bekenntnis  dieser  Christen, 
ob  monophysitisch   oder  nestorianisch,   ist  mir  nichts  bekannt. 

Zu  Rakka  (Nicephorium)  am  mittleren  Euphrat  muß  es  einmal  eine 
nestorianische  Gemeinde  gegeben  haben,  denn  der  Patriarch  Makkikhä  (1092 
bis  1108)  weihte  ihr  einen  Bischof'. 

Der  episcopus  Arabum  —  als  solcher  ist  der  724  gestorbene  Georg  in 
der  syrischen  Literatur  bekannt  —  hatte  seinen  Hauptsitz  zu  Knfa-'Äkolä 
in  Westbaby lonien.  Die  Gemeinde  war  monophytisch.  Zu  ihr  gehörten 
außer  den  Leuten  von  Küfa  die  Stämme  Tajj,  Tanükh,  Tha'lab  und  Taghlib. 
Die  Christen  des  Stammes  Taghlib  unterhandelten  mit  Muhammed'.  Die 
Tanükh  wurden  unter  dem  Kalifen  Mahdi  (774  —  784)  gezwungen  den  Islam 
anzunehmen'.        "  , 

Soeotra. 
Das  Christentum  der  Insel  Soeotra  =  Insel  des  Dioskorides  ist  in  den 
Konzilakten  nicht  erwähnt.  Die  älteste  Erwähnung  desselben  findet  sich 
bei  Kosmas  Indikopleustes",  der  auch  weiß,  daß  die  dortigen  Geistlichen 
ihre  Weihen  in  der  Persis  erhalten  hatten  und  aus  der  Persis  ihnen  ge- 
schickt waren  —  kai  kahpiko!  eicm  eK  FTepciAOc  xeiPOxoNOYMeNOi  kai  neMnÖMeNoi 
^N  ToTc  AYTÖei.  Soeotra  war  also  kirchenrechtlich  von  der  Persis  abhängig, 
ebenso  wie  Indien''.   Elias  Gauhari  zählt  Soeotra  zur  llyparchie  Persis  (s.  oben 

'    Ibn   Saad  I  II,  37.     Über  -Muhammeds    Verhandlungen    mit  Christen    vom   Stamme 
Taghlib  s.  Ibn  Saad  I  II,  55:  übei-  ihre  rechtliche  Stellung  im  Islam  s.  Abu  JmsuIVI^*-!  ^'^> 
S.  28.  29.  t-  . 

»    MbSiiS. 

'    Ibn  Saad  I  II  55. 

'  Oriens  Christianus  I,  142;  Bachkhraei;s,  Chron.  Syr.  S.  132.  133  und  .lournal  Asia- 
tique  1900  S.  287. 

'■'    Ed.  Winsion  S.  119. 

"  S.  die  Briefe  des  Katholikos  .lesiijabh  III.  ed.  Duval  S.  182  und  meine  Schrift  Vom 
Christentum   in  der   Persis  S.  17.  18. 


70  8  A  (;  H  A  u  : 

8.  59).  Hinweise  auf  den  Zusammenhang  des  Christentums  auf  Soeotra  mit 
dem  Katliolikos  in  Bagdad  in  späteren  Zeiten  finden  sich  in  den  Patriarchen- 
clirouiken.  Nach  Mb 8  iio  ernannte  der  nestorianische  Patriarch  Sabhrisö' 
Zunbi'ir  1063  —  1072  einen  Bischof  für  Soeotra,  und  bei  A  b  M  72  wird  unter 
dem  Patriarchen  Jabhalähä  III.  i  2  8 1  —  i  3  i  7  ein  Bischof  ^'on  Soeotra  erwähnt. 
Die  beiden  arabischen  Geographen  Alhamdäni  (gest.  3  34  =  944/5  n.  Chr.) 
und  Jäküt  (gest.  626  =  i  227/8)  bericliten  unter  li^r^^*-,  daß  es  dort  zu  ihrer 
Zeit  nocli  Christen  ge1)e.  Im  übrigen  vgl.  W.  (Hermann,  Das  Christentum  auf 
Socotora  in  der  Zeitschrift  für  historische  Tlieologie  Bd.  44  (1874),  8.  227 
bis  258. 

Syrien. 

Syrien  wird  als  nestorianische  Kirchenprovinz  in  den  älteren  Konzils- 
akten nicht  genannt.  Wir  begegnen  erst  im  Jahre  780  einem  Bischof  von 
Damascus,  der  an  der  Wahl  des  Patriarchen  Timotheos  1.  beteiligt  war', 
und  zehn  Jahre  später,  790,  erscheint  ein  Bischof  Sallitä  von  Damascus 
(Syn.  or.  S.  608).  Um  828  wird  ein  Sabhrisö',  später  Patriarch,  zum  Metro- 
politen von  Damascus  geweiht.  Dem  Ende  dieses  Jahrhunderts  gehört  Elias 
Gauhari   an. 

Der  Metropolit  von  Damascus  führte  auch  den  Titel  IsaoLäea  »Der 
Zerstreuten,  der  Diaspora«-.  Nach  den  Patriarchenchroniken  sind  Bischöfe 
von  Damascus  bezeugt  zwischen  780  und  der  Regierung  des  Patriarchen 
Ebedjesu  Ibn  Arärid  1074  — 1090''. 

Nach  Elias  Gauhari  unterstanden  dem  Sitze  von  Damascus  die  fünf 
Bischöfe  von  Aleppo,  Jerusalem,  Manbit;-  (Hierapolis)  Almassisa  (Mopsueste). 
Tarsus   und  Melitenc. 

Bischof  von  Jerusalem  war  Elias  (^auhari,  l)evor  er  893  Metropolit  von 
Damascus  wurde.  Von  dieser  Zeit  an  sind  Bischöfe  von  Jerusalem  bezeugt 
bis  in  die  Regierung  des  Jabhaläliä  III.  Turca  i  28  i  —  131  7.  Der  Patriarch 
Sabhrisö'  Zunbür  1063  -  1072  weihte  einen  Mönch  Henänisö"  zum  Bischof 
von  Jerusalem  und  schickte  ihn  später  zur  Inspektion  der  insulae  maris' 
(Soeotra?  Bahrain?). 

'  MbS  63. 

^  Oriens  Christiaruis  I  307  Aniii. 

'  MbS  115. 

*  MbS   HO. 


Zur  Au.'ibreituiig  (/e.s  Christf^ntwn,^  in  Asir/i.  71 

Für  Aleppo  wird  ein  Bischut'  Ibn  Tuba  oc'weiht  von  demselben  Pa- 
triarchen Sabhrisö'  Zunbür  1063 — 1072'. 

Ägypten. 
Die  Patriarchenchronik  erwähnt  Biscliöfe  Ägyptens  um  987  und  1013". 
An  letzterer  Stelle  wird  berichtet,  daß  damals  die  Christen  in  Ägypten  und 
Jerusalem  von  schwerem  Unglück  betrofi'en.  daß  die  Kirche  in  Jerusalem  zer- 
stört und  nur  wenige  Christen  in  Ägypten  übriggeblieben  seien.  Der  Bischof 
von  Ägypten  wurde  daraufhin  von  dem  Patriarchen  Johannes  Maalthäjä 
in  die  Persis  versetzt^.  In  etwas  jüngerer  Zeit  wird  das  Oberhaupt  des 
ägyptischen  Christentums   als  Metropolit  bezeichnet,  um  1063  und   1092*. 

Indien. 

Über  den  Ursprung  des  indischen  Christentums  gibt  die  Chronik  von 
Seert  II,  236.  292  eine  beachtenswerte  Nachricht.  Danacli  hat  ein  Metro- 
j)olit  von  Basra,  Düdi,  an  der  zweiten  Stelle  David  genannt,  zur  Zeit  des 
Patriarchen  Päpä,  d.  i.  um  300,  seine  Provinz  verlassen,  ist  nach  Indien 
gefahren  und  hat  dort  viel  Volk  zum  Christentum  liekehrt.  Diese  an  und 
für  sich  unverdächtige  Notiz  ist  zweifellos  einem  der  ältesten  syrischen  Ge- 
schichtswerke  aus  dem  7.  oder  8.  Jahrhundert  entnommen''.  Da  aber  die 
Person  dieses  Erzbischofs  Düdi  oder  David  anderweit  nicht  bekannt  ist, 
so  fehlt  es  an   Mitteln  sie   näher  zu  kontrollieren. 

Ein  Bischof  von  Rew-Ardasir,  der  Hauj)tstadt  des  persischen  Christen- 
tums, Ma'nä",  Zeitgenosse  des  Patriarchen  Acacius485 — 495,  der  die  syrische 
Kirchenliteratur  in  das  Persische  übersetzte,  schickte  seine  t^bersetzinigen 
auch  nach  Indien.    So  die  Chr.  Seert  II,  117. 

Bekannt  sind  die  Nachrichten  des  zwischen  520 — 525  reisenden  Kosmas 
Indikopleustes"  über  das  indische  Christentum  mid  seine  kirclienrechtliche 
Abhängigkeit  von  der  Kirclie  des  Persis  (s.  oben   S.  69  unter  Socotra).   Über 


'   MbS  HO. 
'    M  bS  95.  101.  102. 
'MbS  102. 
«    MbS   HO.  118. 

■'    S.  Vom  Christeiitimi   in   dfi-   l-'er.sis  .S.  6 
«    S.  das.  S.  14. 

■    S.  The  Christian  topogi-aphy  cir.   ed.   Winsteui  8.  119  iiml  Notes  S.  ,^45:  auch  Gkr- 
jiANX.   Die  Kirrlie  dov  'rhnmasrhristen.  1877.  S.  135. 


72  SaCHAT!" 

die  Nachrichten  betreffend  die  Einriclitung  der  indischen  Kirchenprovinz 
s.  oben  S.  19;  ferner  Silbernagel,  Verfassung  und  gegenwärtiger  Bestand 
sämtlicher  Kirchen   des  Orients,    2.  Auflage,   Regensburg  1 904,   S.  317. 

Unbekannte  Bistümer. 
Abgesehen  von  mehreren  in  den  Konzilakten  erwähnten  Bistümern, 
die  bei  der  Besprechung  der  einzelnen  Kirchenprovinzen  aufgeführt  sind 
und  die  geographiseli  nicht  fixiert  werden  konnten',  findet  sich  teils  in 
den  Konzilakten,  teils  in  anderen  Quellen  noch  eine  Spreu  von  Bistümern, 
deren  Lokalisierung  künftiger  Forschung  vorbehalten  bleiben  muß.  In  den 
Akten  begegnen  noch  folgende  Namen,  die  als  Bischofssitze  in  den  daneben 
angegebenen  Jahren   bezeugt  sind: 

^:Sd.9\,   ^is^äL\2  410 
äubou.,    ,Tia.S.M  486 
i\ja  is*3  790' 

In  dem  Chronicon  Anonymon  ed.  Guidi  S.  30,  15.  16  wird  unter  der 
Sasaniden-Königin  Börän  630.631  ein  2">y  itr>ni\a  Idkoäk»  »Maruthas  von 
(xusträ«    erwähnt. 

In  der  Chronik  des  Amr  bar  Märi  sind  noch  folgende,  meist  sjjäteren 
Jahrhunderten  angehörige  Bistümer  genannt: 

AbM  38,  7  erwähnt  bei  Gelegenheit  der  Wahl  des  Patriarchen  Narses 
um  524  einen  Jakob,  Metropolit  von  Allan  j!A-c-.  Ich  vermute,  daß 
hier  ein  Fehler  der  Überlieferung  vorliegt.  Ein  Erzbistum  dieses  Namens 
ist  nicht  bekannt,  und  der  altarabische  Stammesname  j%«-  (s.  Ibn  Doreid 
S.  162)   kann  nicht  gemeint  sein. 

Ein  Bistum  Kaimur  _^  erscheint  unter  den  Patriarchen  Barsaumä 
1 1 34 — 1 1 36  und  Elias  111.  1 1  76 — 1 190^.  Nach  den  arabischen  Geographen 
war  Kaimur  eine  Burg  zwischen  Mosul  und  Khilät,   bewohnt  von  Kurden. 

Ein  Bistum  Bädhijäl  wird  unter  Patriarch  Denliä  i  265—  i  281  genannt*. 

Eine  Ortschaft  OJ^j^  erscheint  im  Titel  des  Metropoliten  von  Arbela 
bei  demselben  Patriarchen  Denhä,  s.  Assemani  II,  455:  Metropolit  von  Ar- 
bela, Hazza  und  jj^y'. 

'  S.  z.  B.  oben  S.  57. 

■^  Syn.  Or.   S.  672.  669.  Index. 

^  MbS   130.  131. 

*  AhM  70. 


Zur  Ausbreitung  des  Christentums  in  Asien.  78 

Exkurs. 

Vom  ältesten  östlichsten  Christentum. 

Das  wichtigste  Ereignis  in  der  ältesten  Cxeschichte  des  östlichsten 
Christentums  ist  der  Kampf  um  die  Übertragung  der  Patriarchats-  und 
Episkopatsverfassung  des  römischen  Reiches  auf  den  Orient.  Das  Ergebnis, 
die  von  dem  ersten  allgemeinen  Konzil  des  Jahres  410  gegebene  Kiichen- 
verfassung  ist  für  das  orientalische  Christentum  ein  festes  Rückgrat  ge- 
worden und  hat  es  in  den  Stand  gesetzt,  der  Ungunst  aller  Verhältnisse 
zum  Trotz,  die  Jahrhunderte  bis  auf  die  Gegenwart  zu  überdauern.  Diese 
Kämpfe  erstrecken  sich  über  mehr  als  ein  Jahrhundert,  sie  beginnen  um 
300,  werden  unterbrochen  durch  die  jahrzehntelange  Verfolgung  unter 
Sapor  IL'    und  gehen  mit  dem  Konzil   von   424   ihrem   Ende  entgegen. 

Die  Quellenschriften  über  diese  Dinge,  Märtyrerakten,  Konzilakten, 
Chroniken  sind  recht  trübe,  wie  von  allen  Forschern  auf  diesem  Gebiet, 
Westphal,  O.Braun,  Labourt,  anerkainit  worden  ist;  sie  sind  von  der  Denk- 
und  Schreibweise  einer  späteren  Zeit  gemodelt,  zum  Teil  nach  hierarclii- 
schen  Tendenzen  geändert  und  gefälsclit,  ganz  abgesehen  davon,  daß  zur 
Zeit  ihrer  ersten  Niederschrift  eine  genaue  Kenntnis  der  intimen  Vorgänge 
wohl  nicht  mehr  vorhanden  war.  Immerliin  sind  die  in  jenen  Zeiten  ent- 
standenen Gesetze  genügend  bezeugt  und  bilden  den  Grundstock  aller  gesetz- 
geberischen kanonistischen  Tätigkeit  der  folgenden  Jahrhunderte,  so  daß 
wir  in  ihnen  einen  sicheren  Boden  und  Ausgangspunkt  für  weitere  Studien 
haben.  Diese  älteste  Gesetzgebung  ist  eine  Reform",  sie  will  einen  neuen 
Zustand  begründen  und  einen  älteren  aufheben,  und  gerade  durch  letzteres 
ist  sie  uns  besonders  wichtig.  Denn  dasjenige,  was  sie  aufheben  will,  sind 
die  ältesten  Verhältnisse,  wie  sie  sich  von  den  Urzeiten  an  liier  und  da 
in  verstreuten  Gemeinden  unter  Parther-  und  Perserherrschaft  entwickelt 
hatten,  die  Zustände  der  östlichsten  Urkirche,  über  die  uns  direkte  Nach- 
ricliten  fehlen,  auf  die  jetzt  durch  die  Verbote  jener  Gesetzgebung  einige 
lehrreiche  Schlaglichter  fallen.  Und  die  so  gewonnene  Erkenntnis  gewinnt 
eine  Stütze  und  Bestätigung,   wenn  wir  die  mancherlei   P>eignisse,   welche 

'  Die  Chronik  von  Arbela  bezeichnet  die  Jahre  340 — 351  als  die  Zeit  der  schwersten 
Verfolgung  (S.  80). 

^    2^30d^  *<■  Syn.  Or.  Text  S.  30,  16. 

Pkil.-hist.  Ahh.   IUI!).  Kr.  I.  l(t 


74  S  A  C  11  A  u  : 

uns  die  Chronik  von  Arbela  aus  der  ältesten  Geschichte  der  Kirche  über- 
liefert, zum  Vergleich  heranziehen.  Da  zeigt  sich  dann,  daß  die  aus  den 
(iesetzen,  vielmehr  aus  den  Verboten  des  Konzils  von  410  abzuleitenden 
Zustände  vollständig  übereinstimmen  mit  den  Einzelheiten  der  Chronik. 

Die  Reform  des  Kirchenlebens  ist  nicht  ohne  Kämpfe  vonstatten  ge- 
gangen. Als  charakteristisch  für  die  Kämpfe  dieser  ganzen  Periode  möchte 
ich  zweierlei  hervorheben:  zunächst  die  große  Heftigkeit  der  Anfeindungen, 
die  gegen  die  Bischöfe  von  Seleucia  gerichtet  waren.  Die  Angreifer  ver- 
klagten den  christlichen  Glaubensgenossen  bei  dem  magisclien  König  der 
Könige,  dieser  setzte  seine  Behörden  in  Bewegimg,  der  Verklagte  wurde 
in  das  Gefängnis  geworfen,  mißhandelt,  abgesetzt,  verjagt,  in  das  Elend 
hinausgetrieben,  wobei  wir  uns  gegenwärtig  halten  müssen,  daß  es  sicli 
meistens  um  Männer  höheren  und  höchsten  Lebensalters  handelte.  Dies 
war  das  Schicksal  der  Bischöfe  Isaak  (399 — 410)  und  DädhiscV  (421  bis 
456').  Gedroht  wird  mit  der  Strafe  des  Königs  und  des  Konzils',  und  in 
dem  allerdings  nicht  sehr  zuverlässigen  Berichte  des  Konzils  424  über  Päpä 
wird  erzählt,  daß  Anklageschriften  gegen  ihn  in  den  Provinzen  verbreitet 
worden  seiend 

Zweitens  muß  es  jedem  Kenner  der  syrisclien  Literatur  auffallen,  daß 
im  Zusammenhang  dieser  Kämpfe  niemals  von  dogmatischen  Fragen  und 
Differenzen  die  Rede  ist,  während  diese  Dinge  nicht  lange  darauf  die  Lite- 
ratur überschwemmen.  Es  wird  nicht  um  den  Glauben  gekämpft,  sondern 
fast  ausschließlich  um  die  Besetzung  von  Bistümern,  also  um  Kirchen- 
recht  und  wohl  auch  um  die  Macht.  Die  Angreifenden  sind  schließlich  die 
Unterliegenden ;  es  wird  ihnen  aber  niemals  nachgeworfen,  daß  sie  schlechte 
Christen  gewesen  seien,  daß  etwa  ihr  Glaube  nicht  der  richtige  gewesen 
sei,  sondern  im  Gegenteil  wird  ihnen  ausdrücklich  bezeugt,  daß  sie  vor- 
treffliche Männer  gewesen  seien,  die  ihr  Christentum  durch  den  Märtyrer- 
tod bewiesen.     So  z.  B.  Bischof  Miles  von  Susa,  Päpäs  Hauptgegner*. 

Der  in  Rede  stehende  Kampf  geht  aus  von  dem  Bischof  Päpä  von 
Seleucia.  Die  Berichte  über  diesen  Mann  sind  arm  an  zuverlässigen  Details 
und  lange  nach  den  Ereignissen  geschrieben  und  zurechtgemacht,  der  beste 


Syn.  Or.  S.  293.  2i 
Das.  S.  273. 
Das.  S.  296. 

Svn.  Or.   S.  290. 


Zur  Ansbreituiuj  dci  ('/u-istr/ttmitK  in  Asien.  75 

ist  vielleicht  der  kürzeste  und  einfachste,  derjenige  in  der  ('hronik  von 
Arbela  S.  71.  72.  Tatsache  ist,  daß  Päpä  nach  der  gesamten  Überlieferimg 
der  erste  Bischof  von  Seleucia,  der  ursprünglich  par  inter  pares,  mit  dem 
Anspruch  auftrat,  mehr  zu  sein  als  seine  Kollegen  im  Bischofsamt,  eine 
Art  Oberbischof.  Die  Gemeinde  in  Seleucia  hatte  um  das  Jahr  des  Dynastie- 
wechsels 224  noch  keinen  Bischof,  erst  gegen  Ende  des  Jahrhunderts  (das 
Jahr  ist  nicht  bekannt)  weihte  der  zehnte  Bischof  von  Arbela  im  Verein 
mit  dem  Bischof  von  Susa  der  dortigen  Gemeinde  einen  Bisehof  in  der 
Person  des  Aramäers  Päpä.  Wie  kam  nun  dieser  dazu,  sich  über  die  an- 
deren Bischöfe  der  älteren  Gemeinden,  z.  B.  in  Susiana,  erheben  zu  wollen? 
Ks  trifft  nicht  zu.  wenn  man  seinen  Anspruch  damit  l)egründen  will,  daß 
er  von  allen  Bischöfen  der  nächste  zum  Hof  der  persischen  Könige  ge- 
wesen, also  am  geeignetsten  gewesen  sei,  dort  die  Interessen  der  gesamten 
Christenheit  zu  vertreten,  denn  die  Könige  residierten  damals  noch  nich 
regelmäßig  in  Ktesiphon-Seleucia.  sondern  in  Susiana  und  ihrer  Stamm- 
provinz, der  Persis.  Ich  möchte  eher  annehmen,  daß  Päpä  Kenntnis  be- 
kommen hat  von  der  Stellung  der  Patriarchen  in  der  römisch-christlichen 
Welt,  vielleicht  durch  Bischof  Sa'dä  von  Kdessa',  und  sicher  dürfte  sein, 
daß  er  dort  um  die  Unterstützung  seines  Bestrebens  geworben  hat.  Ob 
aber  in  diesem  Zusammenhang  auch  Konstantin  eine  Rolle  gespielt  hat, 
wie  die  Chronik  von  Arbela  S.  7  i  annimmt,  ist  zu  verneinen,  wenn  Päpä 
die  entscheidende  Synode,  in  der  er  mit  seinem  Ansprucli  hervortrat,  schon  in 
den  Jahren  313.  314  gehalten  hat,  wie  Westphal.  Untersuchungen  S.  83.  84 
annimmt,  immerhin  aber  möglich,  wenn  Päpä  nach  Basheliraeus  334  oder 
nach  dem  (^hr.  Arbel.  S.  75  kurz  vor  329  gestorben  sein  sollte.  Immer- 
hin ist  es  das  wahrscheinlichste,  daß  die  gewaltige  Änderung  in  der  Lage 
des  römischen  Ciiristentums  durch  Konstantin  anregend  und  bestimmend 
auf  Päpä  eingewirkt  hat  und  daß  dieser  Vorgang  die  kräftigste  Stütze  seiner 
Bestrebungen  war.  Worin  im  einzelnen  sein  Programm  bestanden,  welche 
besonderen  Rechtssätze  er  in  der  angeblich  von  ilim  berufenen  Synode  durch- 
zusetzen versucht  hat,  ist  aus  den  vorhandenen  Nachrichten  nicht  zu  er- 
sehen, wahrscheinlich  aber  hat  er  die  Stellung  eines  westlichen  Patriarchen 
und  damit  den  maßgebenden  Einfluß  auf  die  Besetzung  der  provinzialen 
Bistümer  angestrebt.     Und  damit  begegnete  er  heftigem  Widerstand.    Sein 


'    Chr.  Arbel.  .«!.  71. 


7(i  S  ACH  au; 

Bistum  war  eines  der  jüngsten,  er  selbst  war  durch  zwei  provinziale  Bischöfe 
geweiht,  seine  Auffassung  war  eine  fremde,  aus  dem  Westen  importierte, 
und  nun  verlangte  er,  tief  eingreifend  in  die  Interessen  der  einzelnen  (ie- 
meinden,  das  Kecht  mit  autokratischer  MachtvoUkommenlieit  ülier  die  Be- 
setzung der  Bistümer  in  letzter  Instanz  zu  entscheiden.  Peinige  Provinzen 
haben   sich   niemals  Päpäs  und  seiner  Nachfolger  Ansi)ruch   gefügt. 

Die  folgenden  Zeiten  der  Verfolgung  und  einer  Sedis\akanz  in  Seleucia 
von  2  2  Jahren  war  nicht  geeignet,  den  kirchenrechtlichen  Streit  zum  Aus- 
trag zu  bringen,  erst  im  Anfang  des  folgenden  Jahrhunderts  wurde  er  wieder 
aufgenommen  und  zuerst  durch  das  Konzil  von  410  unter  Bischof  Isaak 
(399 — 410)  zum  Abschluß  gebraclit.  Zur  Bekräftigung  dienten  dann  noch 
die  Konzile  von  420  und  424  unter  Jabhalähä  (415 — 420)  und  Dädhiso' 
(421 — 456).  In  der  Folgezeit  verschwindet  dann  dieser  Gegenstand  aus 
den  öffentliclien  Verhandlungen  der  Konzilien  und  macht  anderen  Fragen, 
der  Einführung  der  Christologie  des  Nestorius,  der  Regehing  des  Ehe- 
rechts und  anderen  Dingen  Platz.  Indessen  bis  in  das  neunte  Jalirlmndert 
läßt  sich  nachweisen,  daß  die  Bischöfe  von  Seleucia  nicht  aufgehört  haben, 
sich  um  die  Unterwerfung  der  von  Anfang  an  renitenten  Kirchenprovinzen 
wie  der  Persis   und  Ostarabiens  unter  ihr  Szepter  zu  bemühen. 

Das  Konzil  von  410  hat  die  Bescldüsse  des  Konzils  von  Nicäa  und 
die  westliche  Patriarchal-  und  F'piskopal Verfassung  auf  das  östlichste  Cliristen- 
tum  übertragen.  Wir  geben  im  folgenden  eine  Übersiclit  speziell  über  das- 
jenige,  was   das  Konzil  verbietet. 

§  XIII  verbietet,  daß  das  Abendmahl  nicht  mehr  wie  nach  altem  An- 
denken in  Privathäusern  dargereicht  werden  soll.  Die  ältesten  zerstreuten 
kleinen  Ghristenkonventikel  hielten  sich  verborgen,  und  nur  durch  Zufall 
entdeckte  der  Bischof  von  Beth  Zabhdai,  als  er  mit  einer  Karawane  nach 
Arbela  kam,  daß  dort  eine  kleine  Christengemeinde  vorhanden  war.  Sie 
hatten  keine  Kirche,  ihren  Gottesdienst  mußten  sie  in  einem  ihrer  Häuser 
halten,  erst  der  vierte  Bischof  von  Arbela,  Abraham,  baute  seiner  Gemeinde 
eine  Kirche  (unter  Vologeses  III.  148— 191).  So  die  Chronik  von  Arbela 
S.  43.  48. 

§  XVI  verbietet,  daß  die  Weihung  von  Priestern  und  Diakonen  an 
profanen  Orten  stattfinde.  Darin  dürfte  ebenfalls  ein  Hinweis  auf  jene 
älteren  Zeiten,  in  denen  die  Gemeinden  noch  keine  Kirchen  besaßen,  und 
ihre  Gebräuche  zu   sehen  sein. 


Zur  Ausbreitung  di'S  Christen tiuiis  in  Asien.  77 

Derselbe  Paragraph  verbietet,  daß  junge  Männer,  welche  keine  ge- 
nügende Kenntnis  der  heiligen  Schriften  haben,  ohne  irgendeine  Prüfung 
zu  Priestern  und  Diakonen  geweiht  werden.  Es  mag  in  den  älteren  Zeiten, 
besonders  in  Zeiten  der  Verfolgung,  oft  schwer  gewesen  sein  Männer  zu 
finden,  welche  die  nötige  Bildung  besaßen,  um  den  Gottesdienst  der  Ge- 
meinde  versehen  zu  können. 

§  XIV  verbietet,  daß  mehrere  Chorbischöfe  dem  Bischof  an  die  Seite 
gestellt  werden.  Aus  welchen  ^'erhältnissen  diese  hierdurch  verbotene  ältere 
Sitte  hervorgegangen  ist,  wissen  wir  nicht.  Da  aber  die  Chorbischöfe  (auch 
ISOL^jta  Visitatoren  genannt)  die  Bischöfe  gegenüber  den  Landgemeinden 
vertraten',  so  mag  der  Besuch  der  zerstreuten,  im  schwer  und  nur  in  einem 
kleinen  Teil  des  Jahres  zugänglichen  Zagros  gelegenen  Gemeinden  für  einen 
einzigen  unmöglich,  frühzeitig  der  Anlaß  zur  Bestellung  von  mehreren  Per- 
sonen gewesen  sein.  Dies  gilt  besonders  für  die  Provinzen  Adiabene,  Ga- 
ramäa  und  B^th  Arbäje,  ab(;r  auch  für  Babylonien,  Maisän  und  Susiana, 
denn  hier  bieten  die  Wasserverhältnisse  während  eines  großen  Teils  des 
Jahres  dem   Verkehr  schwer  überwindbare  Hindernisse. 

§  VI.  Das  ältere  östliclie  Christentum  hatte  keine  allgemeine,  in  regel- 
mäßigen Zwischenräumen  wiederkehrende  Synoden.  Daher  die  Einführung 
von  Synoden  alle  zwei  Jahre,  wofiir  sjjäter  im  Konzil  von  497  vier  Jahre 
angesetzt  wurden",  da  der  erstere,  aus  dem  Nicänum  übernommene  Termin 
für  die  Entfernungen  und  sonstigen  Verhältnisse  Asiens  gänzlich  unhalt- 
bar war. 

§  XIII  und  IX.  Die  ältere  P'orm  des  Gottesdienstes  wird  reformiert 
nach  dem  Muster  des  westlichen  (iottesdienstes,  den  Bischof  .Alaruthas  den 
Orientalen  in  der  Kirche  zu  Koklu-Seleucia  vorführt.  Worin  die  Besonder- 
heiten  des  älteren   Kultus   bestanden   haben,   wird   nicht   angegeben. 

§  XIII  und  S.  258.  259.  Die  ältere  Kirche  hatte  keinen  allgemein  gül- 
tigen Kalender  für  die  Fest-  und  Fastentage  und  keine  Behörde,  welche 
allen  Gemeinden  eine  normative  Bestimmung  hierüber  hätte  zugehen  lassen 
können.  Die  Reform  befiehlt  nun  die  Einführung  des  westlichen  Kalenders 
und  räumt  dem  Oberbischof  von  Seleucia  das  Recht  ein,  für  den  Orient 
den   Kalender  zu   bestimmen   und   über  seine   Durchfuhrung  zu  wachen. 


'    Vgl.  Pabisot,   Los  chorev(''(|ue.s  in  der  Revue  de  POrient  C'liivtien  6  (1901)  S.  157.419. 
■■'    .Syn.Or.  .<^.  31.5.    Chr.  .\rbel.  S.  87. 


78  S  A  r  H  A  u  : 

Das  Hauptobjekt  der  Reform  war  die  Einfüliruiig  der  westliclien  Epi- 
skopalverfassiuig.  Sollte  eine  Stadt  mehrere  Bischöfe  haben  oder  nur  einen? 
und  von  wem  sollte  die  Bischofswahl  vorgenommen  und  bestätigt  werden? 

Syn.  or.  S.  258.  Während  in  älteren  Zeiten  es  vorgekommen  sein  muß, 
daß  eine  Stadt  zwei  oder  drei  Bischöfe  hatte,  bestimmt  die  Reform,  daß  von 
da  an  für  eine  Stadt  nur  ein   einziger  Bischof  zulässig  sein   soll. 

§  I.  XI.  XVII  und  S.  258.  Ein  einziger  Bischof  hat  nicht  das  Recht, 
weder  im  Leben  noch  sterbend  einen  Bischof  zu  ernennen,  auch  zwei  Bischöfe 
haben  dies  Reclit  nicht.  Drei  oder  mehr  Bischöfe  oder  andernfalls  ein  F>rz- 
bischof  mit  3 — 5  Bischöfen  (§  XVII  S.  270)  sollen  sich  versammeln  und 
einen  Bischof  wählen.  Der  Gewählte  soll  sich  alsdann  dem  Oberlnschof  und 
Patriarchen  von  Seleucia  präsentieren  und  von  ihm  die  perfectio  1  .\y)OiT 
empfangen,  d.  h.  er  ist  gesetzmäßig  installierter  Bischof  erst  dann,  wenn 
der  Patriarch  seine  Wahl  bestätigt  hat. 

§  XI  verbietet,  daß  ein  Bischof,  die  Grenzen  seines  Bistums  über- 
schreitend, in  einem  anderen  Bistum  Handlungen  vornehme,  die  ihm  nicht 
zustehen.  Durch  ein  so  verbotenes  Benehmen  der  susischen  Bischöfe  von 
B6th  Läpat  imd  Karkhä  waren  nach  §  XXI  S.  272  Ubelstände  entstanden. 
Es  mag  in  älteren  Zeiten  zuweilen  Ungewißheit  und  Streit  über  die  Grenzen 
der  einzelnen  Bistümer  bestanden  haben.  Um  dies  zu  verhüten,  ist  §  XXI 
S.  272.  273  erlassen,  der  uns  die  Verbreitimg  der  östlichsten  Bistümer  um 
das  Jahr  410  zeigt. 

Zu  diesen  normativen  Bestimmungen  stehen  die  Gebräuche  der  älteren 
Kirche  in  einem  geraden  Gegensatz.  Ein  Bischof  weihte  sterl)end  seinen 
Nachfolger.  Abrali-am,  der  vierte  Bischof  von  Arbela,  weiht  seinen  Diakon 
Noah  zum  Nachfolger,  ebenso  der  sechste  Bischof  Al)el  seinen  Diakon 
Ebedhmesihä  (Chr.  Arbel.  S.  48.  58).  In  einem  anderen  Falle  weihte  ein 
Bischof  der  einen  Gemeinde  den  Diakon  einer  ,'inderen  zum  Bischof,  so 
Bischof  Mäzrä  von  Beth  Zabhdai  den  Diakon  Simeon  zum  Bischof  von  Ar- 
bela (a.  a.  O.  S.43).  Ferner  finden  sich  die  Fälle,  daß  zwei  fremde  Bischöfe 
anderen  Gemeinden  Bischöfe  weihen,  so  der  neunte  Bischof  von  Arbela 
Sahlüfä  und  Bischof  .Subhhä-Lis(V  von  Beth  Zabhdai  für  die  Diözesen  von 
Harbath  Geläl  und  Ressönin  (?),  die  Bischöfe  Almdhabhühi  von  Arbela  und 
Ilaibe'el  von  Susa  für  Seleucia  (a.  a.  0.  S.  65.  69).  In  noch  anderen  Fällen 
wählt  die  Gemeinde  selbst  den  Bischof,  während  ihr  durch  das  Konzil 
von  410  jede  Beteiligung  an  der  Biscliofswahl  genommen  wurde.    Gemeinde 


Zur  Ausbreitung  des  Christentums  in  Asien.  79 

und  Geistlichkeit  wählen  den  Abel,  den  sechsten  Bischof  von  Ax'bela,  und 
geleiten  ihn  alsdann  zum  Bischof  Zekhä-Iso"  von  Henäithä,  damit  dieser 
ihn  weihe  (a.  a.  0.  S.  54).  Die  Gemeinde  von  Arhela  wählte  in  Zeiten  der 
Verfolgung  im  geheimen  ilire  Bischöfe  Abraliam  und  Märanzekhä,  den 
ersteren  noch  zu  Lebzeiten  seines  im  Kerker  schmachtenden  Vorgängers 
Johannän  (a.  a.  0.  S.  78.  79). 

Der  Kampf  zwischen  altem  und  neuem  Recht  führte  zu  heftigen  Kon- 
flikten. Die  Konzilakten  berichten  mehrfacli,  wie  unter  dem  alten  System 
Zank  und  Streit  und  Schäden  allerlei  Art  entstanden  seien,  die  nun  durcli 
das  neue  Recht,  »die  Gesetze,  welche  von  den  illustren  Vätern  und  den 
glückseligen  Bischöfen  für  die  katholische  Kirche  im  ganzen  Römerreich 
aufgestellt  und  dort  bis  auf  die  Gegenwart  sorgfältig  beobachtet  worden 
sind«  ',  behoben  werden  sollen.  Also  uralter  einlieimischer  Brauch  gegen 
neues  römisches  Reclit!  Die  Olierbiscliöfe  von  Seleucia  setzen  ihre  Präro- 
gative als  selbstverständlicli  voraus  und  verlangen  strikte  Durchführung 
des  neuen,  von  Päpä  zuerst  angestreiften  Rechtes,  sie  setzen  Biscliöfe,  die 
nacli  lieimischem  Brauch  gewälilt  waren,  ab  und  belegen  sie  mit  dem 
Kirclienbaim,  greifen  damit  tief  in  private  Interessen  ein,  die  Gegner  aber 
bestreiten  die  Zuständigkeit  des  oberbiscliöf liehen  Gerichts  und  halten  sich 
für  durchaus  unschuldig'.  Der  Ansprucli  dieser  orientalischen  Päpste  hat 
sich  im  allgemeinen  durcligesetzt.  Wie  das  bürgerliclie  Recht  Roms  in  den 
Orient  gedrungen  ist'^,  so  ist  avich  das  römische  Kirchenrecht  das  Recht 
der  östlichsten   Kirche  des  Orients  geworden. 


'    Syn.  Or.  S.  280. 

•■'    S.  Syn.  Or.  S.  287. 

'    S.   meine  Syrischen   Rechtsbüclicr  1   Kinleitun;;  .'^.  Vlll.  IX. 


80  Sach  au:   Zur  Ausbreitung  dfs  Christentums  in  Asien. 


Inhaltsverzeichnis. 

Seite 

Einleitung 3 

Von  den  Quellen 9 

Von  den  Kirchenprovinzen 14 

Von  den  Bistümern :   26 

Babylonien 26 

Susiana 38 

Nisibis 43 

Mesene 48 

Adiabene   52 

Garamäa 55 

Persis 58 

Ostarabien 59 

Medien 59 

Atropatene 61 

Armenien 62 

Kaukasus 62 

Siidrand  des  Kaspischen  Meeres 63 

Parthien 64 

Margiana    64 

Herat 66 

Sakastene 66 

Arabien 68 

Socotra 69 

Syrien 70 

Ägypten 71 

Indien 71 

Unbekannte  Bistümer 72 

Exkurs :    Vom  ältesten   östliciisten  Christentum 73 


Berlin.  si^llrucJit  in  der  Ilcichsrlruokerei. 


ABHANDLUNGEN 

DER   PREUSSISCHEN 

t  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

JAHRGANG    1919 
PHILOSÜPHISCH-HISTORISCIIK  KLASSK 


Nk.2 

HON  IFATl  IS  FRAGEN 


VON 


MICH  AI  J.  'rAN<iL 


P)KHL1N    1919 

VKKI,.\(i    DKK  AKADK.MIK    DKK  WISSKNSCll  All  KN 

IN   KllMMISSION   liKI    llKI! 

\  kükim'.im;  \\  issknsiii  m- ri.iriii:!!  \  ki,'i,i:(.i;i!  wai.iii;  in:  (.i,'r\ii;i;  r  lo 

\Oft>f  \I,s  I,  .1  (.(K)  ii)\-^i  iü;  M.IM.V'--:«  Wl'l.i  \'.      .1   t.i   1  li  \|-  \';.  \  1  !;l.\i.'l;i  >  UM  wiMi  \'. 
•  .l.oit'.  l;l  IMI.l;      k\!(l..l    M!I|;N!.i;      \  ^.l  i  i     fuMl* 


Vorgelegt  in  der  Sitzung  der  philosüphisch-historischen  Ivlasse  am  3.  Aj)ril  1919. 
Zum  Druck  eingereicht  am  gleichen    Tage,  ausgegeben  am  7.  Juni    1919. 


Wenige  Wochen  nacli  dem  ersten  Teil  meiner  »Stndien  zur  Neuausgabe 
der  Bonifatiusbriefe«  '  erscliien  eine  Arbeit  IIkinfkii  Boehjiers  »Zur  Ge- 
schichte des  Bonifatius« ",  die  meine  Neuausgabe  der  Briefe  in  den  Epistolae 
selectae  der  Monumenta  Germaniae  gerade  sclion  benutzen,  von  der  sie  l)e- 
gleitenden  Forschung  aber  noch  keine  Kenntnis  nehmen  konnte,  ebenso 
wie  fiir  diese  Boehmers  neue  Ergebnisse  zu  spät  kamen.  Der  daraus  ent- 
sprungene Schaden  ist  auf  beiden  Seiten  nicht  allzu  groß  gewesen,  denn 
die  Sonderziele  unserer  Forsclaing  gehen  sich  fast  ganz  aus  dem  Wege. 
W^as  BoEH.MEK,  die  bisherigen  Gesamtdarstellungen  sowie  Einzelversuche 
weit  überholend,  herausarbeitet,  ist  das  Wirken  des  Bonifatius  in  Hessen. 
Es  geschieht  in  einer  Weise,  auf  die  ich  hier  mit  Nachdruck  aufmerksam 
machen  möchte.  Boeh.mer  führt  zurück  bis  zu  den  geologischen  Grund- 
lagen der  Bodengestaltung,  erörtert  dann  Siedelungsverhtältnisse,  Straßen- 
züge, Kulturzustände,  wertet  die  Hemmnisse  und  Förderungen,  die  dem 
Missionar  daraus  erwuchsen,  und  gestaltet  das  Ganze  zu  einem  lebensvollen 
und  anschaulichen  Bild'. 

Was  wir  einheitlich,  aber,  wie  Boeiimer  rügt,  ungenau  als  »Hessen« 
bezeichnen,  war  damals  keineswegs  ein  Ganzes,  nicht  als  Land  und  nicht 
ethnographisch.  Von  dem  viel  stärker  besiedelten,  zum  Teil  schon  wohl- 
bebauten, dem  Christentum  wenigstens  in  Anfängen  bereits  erschlossenen 
Lahngau   und  der  südlich  an   ihn  sich  reihenden  Wetterau  hebt  sich  scharf 

'    Neues   Arcliiv  40,  ()39--  790. 

'  Zeitschrift  des  Vereins  für  iiessische  (iescliiclite  iiiul  Landeskunde  50  (N.  F.  40). 
171  —  215. 

'  Hs  lügt  sich  reclit  hübsch,  daCi  der  rntcrsuciuinn:  B()f.h>u:bs  zwei  j^aiiz  ähnlich  ge- 
artete Arbeiten,  Georg  Wdi.kf.  Die  geofiraphischen  \'(irausset/,ungen  der  Chattenfeldzüge  des 
Gemianicus  S.  53 — 123,  und  Binoemer,  Zur  Lage  des  Königshofes  in  Bergen  S.  124 — 170, 
vorangehen  und  diesem  Bande  eine  gewisse  (ieschlossenheit  verleihen. 

1* 


4  'I'  A  N  c;  L  : 

;ili  (las  ciqciit liehe  Hessen,  das  noch  nroßenieils  iiiiuirtliehe.  kulturell  rück- 
ständige, rein  heidnisclie  Wald-  und  Sumpfland  im  Tal  der  Eder,  Schwahn 
und  unteren  Fulda'.  Aniöueburi;-  und  Fritzlar  wurden  in  diesen  beiden 
(lebieten  die  Stützpunkte  der  Mission,  bei  deren  Durclifiilirung  den  Boni- 
latins  gerade  die  stärkeren  llcmmung(Mi   im  llesseidand  mächtiger  lockten. 

Die  scharfe  Sclieiching  dieser  Arbeitsgebiete  dient  nun  Boehmer  als 
Hebel,  die  Kritik  an  die  viel  erörterte  Adresse  der  Urkunde  Gregors  III. 
vom  Jahre  738  (Bonifatiiisbriefe  Nr.  43  S.  68)  anzusetzen:  (iregorius  papa  uni- 
versis  optimatibus  et  poi)ulo  provinciaruni  Germaniae,  Thuringis  et  Ilessis, 
Bortharis  et  Nistresis,  Uedreciis  et  Lognais,  Suduodis  et  Graflfeltis  vel  Om- 
nibus in  Orientali  plaga  constitutis.  Ich  stinnne  ihm  vollkommen  zu,  daß 
die  Aufzählung  dieser  Völkerschaften  nicht  dem  Kopf  eines  päpstliclien 
notarius  regionai-ius  entsprungen,  sond<'rn  durch  kiuidigen  Mund,  durcli 
Bonifatius  selbst  anläßlich  seines  damaligen  letzten  Aufenthalts  in  Rom, 
gewiesen  ist.  Icli  stellte  di(>  gleiche  Behauptung  für  die  >- Altsaxones«  in 
Nr.  2 1  auf-  und  nehme  die  gleiche  Herkunft  auch  für  die  Aufzählung 
thüringischer  Großer  in  Nr.  19  und  ostfränkischer  Edler  in  Nr.  83  als 
selbstverständlicli  an.  Aber  die  Wiedergabe  der  germanischen  Namen  stieß 
beim  päpstlichen  Schreiber  anfein  erstes  hartes  Hindernis,  tmd  die  krausen 
Schriftzüge  der  Papstlirkunde  taten  ein  Aveiteres,  um  dem  Kopisten  in  Mainz 
bei  der  F^intragung  in  die  Briefsaninilung  Schwierigkeiten  zu  liereiten  und 
die  schließliche  Überlieferung  der  Namen  zu  einer  recht  unerfreulicJien  zu 
machen.  So  kommt  es,  daß  wir  mühelos  nur  die  Thüringer,  Hessen  und 
Bewohner  des  Grabfelds  erkennen,  trotz  Verderbungen  in  den  »Uedrecii» 
die  Wetterauer  und  in  den  «Ldgnai«  die  Lahngauer  feststellen,  an  den 
»Borthari«  und  »Nistresi«  aber  nur  mit  unsicheren  Deutungen  tasten  imd 
mit  den    »Suduodi«    bis  heute  überhaupt  nichts  anzufangen   wissen. 

BoEHMEK  stellt  weiter  fest,  daß  die  8  Namen  zu  4  Paaren  gegliedert 
sind,  deren  jedes  2  benachbarte  Stämme  umschließt,  deren  Siedelungen 
nach   I^rledigung  der  führend  vorangestellten  Thüringer  und  Hessen  nicht 


'  Der  Lahngau  scheint  übi'iiicns  Ijald  näheren  Anschluß  an  das  nördliche  Hessen  ge- 
runden zu  haben:  schon  liegen  Ende  der  20er  Jahre  des  9.  .lahrfumderts  faßte  man  in  Fulda 
hei  der  Anlage  dei-  (.'hartulare  die  llrknndengrujjpen  aus  dem  Lahn-  und  Hessengau  als 
tiipographischo  Einheit  zusaunnen  und  schied  sie  von  der  ( 'berlieferung  aus  der  Wetterau: 
vgl.  SrENGKL,  Fuklensia,  Arch.  f.  L'rk.-Foi'sch.  7,  16  A.  i. 

-    N.  Ai'ch.  40,  759. 


Bonifatiusfrngi'n.  5 

iiinerliall»  Tliüriiigeiis  iiiul  Hessens,  soiulcni  in  (l<'n  nnmittelbar  anstoßen- 
den Naclibargebieten  zu  'suchen  sind.  Dabei  führt  er  in  der  Deutung  der 
»Borthari  et  Nistresi«  über  die  bislierige  Erkenntnis  hinaus,  indem  er  iur 
die  »Nistresi«  die  von  Dümmler  aufgestelhe  und  auch  von  mir  bevorzugte 
Deutung  auf  die  Bewoliner  des  Gaus  Niftharsi  an  der  Diemel  bestätigt, 
für  die  Bortliari  aber  beide  bisher  versucliten  Feststellungen  ablehnt,  die 
Haucks  auf  die  Anwohner  der  Wohra,  die  als  Zugehörige  des  Lahngaus 
unter  die  in  der  Aufzählung  später  folgenden  »Lognai»  fallen,  imd  die 
Deutung  von  Richthofen,  Dlmmi.er  und  mir  auf  die  Brnkterer  an  der  Lippe 
und  Rulir,  da  diese  fernab  von  der  Naehbarschaft  der  anderen  Stämme 
siedelten  und  da  so  weit  in  säehsisches  (iebiet  hineinreichende  Bezieliungen 
des  Bonifatius  sonst  niclit  bekannt  sind.  Kr  setzt  dafür  die  »Borthari« 
unserer  Liste  gleich  den  »Poratliani  (Parathani)«  in  Arbeos  Vita  Haimhrammi ' 
und  den  im  Kap.  i  i  des  Capitulare  Saxonicum  vom  Jahre  797  genannten 
»Bortrini«".  In  der  Tat  stimmen  die  Angaben  Arbeos.  der  sie  nördliche 
Nachbarn  der  Tln'iringer  nennt ',  die  Scheidung  des  Capitulare  Saxonicum, 
das  den  »Bortrini«  die  »Septentrionales«  gegenüberstellt,  und  unsere  Auf- 
zählung, die  sie  in  die  Nachbarschaft  der  »Nistresi«  und  der  Thüringer 
bringt,  zusammen.  Wir  haben  in  den  »Borthari«  einen  obersächsischen 
Stamm  zu  sehen,  der  westlich  an  die  »Nistresi«,  südlich  an  die  Hessen, 
südöstlich  an  die  Thüringer  grenzte  und  an  der  oberen  Weser  siedelte. 
Der  Vorgang  Boehmkrs  ermöglicht  es  aber  vielleicht  auch,  die  Spur 
der  rätselhaften  »Suduodi«  etwas  schärfer  zu  verfolgen.  Der  Lage  der  ande- 
ren Stämme  nacli  müssen  sie  zwischen  der  Wetterau  und  dem  Grabfeid  zu 
suchen  sein:  Haucks  Deutung  auf  ilie  Bewohner  des  Salagaus  würde  hier 
der  Lage  nacli  entsprechen.  Vielleicht  ist  aber  auch  noch  folgende  Deu- 
tung ins  Auge  zu  fassen.  Von  bekannten  Stützi)unkten  der  Missionstätig- 
keit  des  Bonifatius  ist  in  unserer  Aufzählung  Fritzlar  durch  die  »Hessi«. 
Amöneburg  durch  die  »Lognai«,  F.rfurt  und  (3rdrufl"  durch  die  »Timringi« 
gedeckt;  man  vermißt  von  den  wichtigen  .AIissions])lätzen  und  s[)äter  zum 
Teil  Bischofssitzen  noch  Würzburg,   und   es  scheint  mir  daher  möglich,  die 

'    K(l.  Krusc  H,  M.  (i.  SS.  rpr.  Mcrciv.  4.  513. 

'  M.  (i.  (Japii.  I,  72  und  jetzt  in  cici-  Aiisi;,il)c  der-  l.c-ies  Siixdnuni  cl  'i"liiirinj;unuii 
durch   Frlii'n.  von  Schwerin   in   den    Font,  im-,  (icnn.  nnl.   S.  49. 

^  A.a.O.  .in  partlbu.s  aiiuiliinis  I)nriny;i)ruin»  :  Krisiii  liuttc  dar.nil'liin  die  (iloich- 
setzuiig  mit  den  Brukterern  bereits  stark  bezweifelt. 


6  T  A  N  li  L  : 

»Sudiiodi«    vielleiclit    ;iucli    südlicli   des  (iral)f(dd.s  bis   zum   Maingebiet  um 
Würzburg  zu  suchen. 

Das  Wesentliche  an  dem  Ergebnis  ]5oehmers  ist  aber,  wie  er  selbst 
treffend  hervorhebt,  daß  die  »Nistresi«  und  '.Borthari«  als  säclisische,  den 
Hessen  und  Thüringern  benachbarte  Stämme  festgestellt  und  nach  dem 
Zeugnis  des  Briefes  spätestens  für  die  Zeit  um  738  Beziehungen  des  Boni- 
fjitius  zu  ihnen  und  damit  Anfänge  des  (Christentums  nachgewiesen  sind. 
Bonifatius  hatte  zu  Beginn  meines  AVirkens  gerade  hier  eine  böse  Ecke  vor- 
gefunden: Hessen  und  die  angrenzenden  Sachsenstämnie,  durch  ungebroche- 
nes Heidentum  innerlich  verbunden  und  dabei  die  Sachsen  in  kriegerischen 
Unternehmungen  wie  Siedelungen  gegen  die  schwächeren  Hessen  im  Vor- 
rücken begriffen'.  Wer  die  cJiristliche  Mission  in  Hessen  sichern  wollte, 
der  mußte  daher  trachten,  ihr  auch  bei  den  benachbarten  sächsischen 
Stämmen  Boden  zu  gewinnen.  Ob  solclie  Pläne  des  Bonifatius  sogleich 
mit  den  Anfängen  der  Hessenmission  im  Jahre  722  zusammenfielen,  steht 
dahin;  jedenfalls  sind  sie  wesentlicli  früher  anzusetzen  als  der  ins  Jahr  738 
gehörende  Gedanke  einer  großzügigen  und  allgemeinen  Sachsenmission, 
für  die  Bonifatius  damals  den  Papst  gewann  und  seine  angelsächsisclien 
Landsleute  zur  Beihilfe  warb".  In  diesem  Zusammenliang  erhebt  sich  die 
Frage,  ob  die  so  gewonnene  Erkenntnis  einer  Staffelung  der  Missionsan- 
sätze bei  den  .Sachsen  Einfluß  übt  a\if  die  Einreihung  des  merkwürdigen 
])äpstlichen  Bekehrungsaufrufes,  der  in  allen  früheren  Au.sgaben  Gregor  II. 
zuerkannt  und  von  Jafie  und  Dümmler  zum  Jahre  722  (723)  eingestellt 
war,  während  ich  ihn  für  Gregor  IIb  und  die  Jahre  738  —  739  in  Anspruch 
nehme"'.  Boehmer,  der  meine  abweichende  Einreihung  nicht  beachtet  imd 
die  in  meinen  »Studien  zur  Neuausgabe  der  Bonifatius-Briefe«  nachgeholte  Be- 
weisführung noch  nicht  gekannt  hat,  bleibt  bei  der  alten  Zuweisung  zu 
(iregor  II.  und  bringt  den  Aufruf  tatsäclilich  in  Beziehung  zu  den  ersten 
Missionserfolgen  in  Hessen  im  Jahre  722'.  Demgegenüber  habe  ich  keinen 
(irund,  in  meinem  Ansatz  waid<end  zu  werden.  Der  päpstliche  Aufruf  ge- 
seilt  sich    deutlich    zu  den   Zeugnissen   für  den   s[)äteren,   erweiterten   Mis- 

'      tJoEHMKR    8.    188 190. 

-    Vgl.    den    Anfruf  des    H(ii\il:itin.s    an    die  iVnijel.saclisen    Nr.  46    S.  74   und    X.  Arch. 
40.   7_^8. 

'■'    Nr.  21   S.  35   und  N.  Arcli.  40,  754  -  760. 
'•    S.  190. 


Bonifatinsß'ayrn .  7 

sionsplan  des  Bonifatius,  indem  er  Teilerfo1e;e  —  eben  bei  den  Nistresi  und 
Borthari,  wie  Boehmer  so  hübsch  nachgewiesen  hat  —  bereits  voraussetzt' 
und  indem  er  sich  ausdrückUch  an  das  Gesamtvolk  der  Altsachsen  wendet". 
Das  stellt  den  päpstlichen  Aufruf  in  enge  Wechselbeziehung  zum  Aufruf 
des  Bonifatius  an  die  Angelsachsen,  dessen  Einreihung  zu  738  nicht  zweifel- 
haft sein  kann. 

Aber  Boehmer  knüpft  mit  neuen  Deutungen  auch  noch  aji  andere, 
entsclieidende  Wendepunkte  im  Leben.sgang  des  Bonifatius  an:  hier  kreuzt 
er  zum  Teil  auch  meine  Wege  stärker,  und  hier  muß  ich  ihm  in  eingehen- 
der Nachprüfung  folgen. 

Seinen  ersten  erfolglosen  Missionsversuch  in  Friesland  brach  Winfrid 
nach  kurzer  Zeit  ab,  weilte  717  —  718  wieder  in  der  angelsächsischen  Heimat, 
begab  sich  im  Laufe  des  Jahres  718  nach  Rom,  gewann  das  Vertrauen 
Papst  Gregors  II.  und  wurde  von  diesem  am  15.  Mai  719,  unter  gleich- 
zeitiger Beilegung  des  Namens  Bonifatius,  zum  Missionar  bestallt.  Von 
Rom  begab  er  sich  über  den  Hof  des  Langobardenkcinigs  und  durch  Bayern 
nach  Thüringen,  brach  aber  auf  die  Kunde  von  dem  Tode  des  Fricscii- 
lursten  Radbod  seine  Tätigkeit  wieder  ab  und  ging  abermals  nacli  Frics- 
land,  wo  er  diesmal  mit  dem  Krzbischof  Willibrord  zusammoivvirkte.  \i\\ 
entscheidenden  Augenblick  aber  entzog  er  sich  der  Werbung  WilliI)ror(ls, 
der  ihn  durch  die  Bischofsweihe  dauernd  an  sich  und  die  Friesenmissiou 
zu  fesseln  suchte,  und  begann  nunmehr,  des  päpstlichen  Auftrags  wieder 
eingedenk,  sein  Wirken  in  Hessen  und  Thüringen.  Dies  die  Darstellung, 
die  im  Ansciduß  an  den  Bonifatiusbiographeii  Willi])ald  im  wesentlichen 
übereinstimmend  bisher  allgemein  gegeben  wurde.  Sie  aber  versucht  Boehmer 
nunmehr  umzustoßen  ',  lehnt  Willibalds  Bericht  als  unglaubwürdig  ab  und 
sieht  das  Walten  Winfrids  716 — 721  einheitlich  im  Zeichen  der  Frieseii- 
mi.ssion.  Der  Aufenthalt  in  Thüringen  sei  nur  eine  Kpisode  gewesen,  ver- 
anlaßt durch  den  päpstlichen  Auftrag,  hier  Umschau  zu  halten  und  über 
die  Eindrücke  nach   Rom  zu   berichten \     Ein   weitergehender  Auftrag  zur 


'  Nr.  21,  S.  35:  »et  pro  liis.  (|ui  Vfrlmiii  rxlioi-talidiii.s  fidei  .Icsn  ('liristi  iloniini  riosti-i 
susceperunl  et  qui  adhiit  suscepturi  sunt.« 

'■'    A.  a.  <).:    'Universo  populo  pidviiicii;  AltsaxoMiiiii." 

^    S.  192—199. 

•  S.  192:  »So  ist  es  alli'iii  Ansdiciii  nach  zu  rr'kiäi'en.  dal.i  I'apst,  (ii-efror  11.  den  Kiit- 
schliiß  faßte,  den   angelsäehsisrlieri   Mönch,  der  in    l'rieslaiid   Mission   treiben   wollte,   vorigst 


8  T  A  N  (i  L  : 

Missionstätigkeit   auf  deutscheni   Hoden  östlicli   des  Rheins  sei  vom  Papst 
719   nicht  erteilt,  von  Winfrid   auch   gar  nicht  erbeten   worden. 

Ich  bin  der  letzte,  als  Anwalt  für  die  unbedingte  Zuverlässigkeit  Willibalds 
aufzutreten,  aus  dem  cinfaclien  Grunde,  weil  ich  bei  der  Anfechtung  dieser 
Zuverlässigkeit  geführt  habe.  Ich  habe  den  Bericht  Willibalds  über  das  Todes- 
jahr des  Bonifatius  (755)  als  unhaltbar  erwiesen,  als  erster  seine  Angabe  über 
ein  dreijähriges  Wirken  des  Bonifatius  an  der  Seite  Willibrords  in  Friesland 
widerlegt'  und  als  einziger  mit  der  allseits  gläubig  wiederholten  Schilderung 
vondemausnahmsweisenZugeständnisderschriftliclien  Ablegung de#Bischofs- 

eides  aufgeräumt". 

In  diesem  Fall  aber  würde  ich  Boehmers  neuen  Deutungsversuch  aucli 
dann  ablehnen,  wenn  wir  Willibalds  P)ericht  gar  nicht  besäßen,  da  die  Ur- 
kunden zu  bestimmt  widersprechen:  die  Bestallungsurkunde  des  Bonifatius 
durch  den  Papst  (Nr.  12)  und  der  Brief  des  Bonifatius  an  Bugga,  der  zwar 
verloren,  aber  in  seinem  für  unsere  Frage  in  Betracht  kommenden  Inhalt  durcli 
Buggas  Antwort  (Nr.  15)  ausreichend  gedeckt  ist.  Man  versteht  die  ganze 
anspruchsvolle  Vorbereitung  nicht:  die  Reise  Winfrids  nach  Rom,  den  nionate- 
langen  Aufenthalt,  di(^  Namensänderung  und  feierliche  Bestalhing  durch  den 
Papst,  wenn  es  sicli  niclit  um  mehr  und  anderes  handelte,  als  um  die  Rück- 
kehr ins  alte  friesisclie  Missionsgebiet  und  diesmal  sogar  noch  in  Zusammen- 
arbeit und  Unterordnung  unter  den  Missionserzbiseliof  Willibrord.  Boehmer 
hat  ganz  Recht,  daß  die  Bestallung  kein  bestimmtes  Gebiet  nennt,  .sondern 
sich  noch  ganz  unbestimmt  und  allgemein  ausdrückt  gegenüber  der  bischöf- 
lichen Bestallung,  die  drei  Jahre  später  den  Missionshereich  des  Bonifatius 
mit   »den  Gebieten  Germaniens   östlich  des  Rheinstroms«    umgrenzt.     Aber 


als  Beobachter  oder  apostolischen  Kundschafter  nach  Thüringen  zu  senden.»  S.  194:  -Er 
sohle  sich  nui'  ül)er  die  rehgiösen  Zustände  des  Landes  informieren  und  alsdann  darübei' 
nach  Rom  berichten.« 

'  Ich  freue  micli,  daß  l>oi:ii\ii:n  S.  203 — 206,  jianz  unabhängig  von  mir.  zu  demselben 
Krgcbnis  kommt:  abei"  aus  meiner  (Mierset/.ung  der  üonifatiusbriefe  in  den  »Gescliichts- 
sclii-eibern  der  deutschen  N'orzeit«  92.11  — 12  hätte  ei'  sehen  können,  daß  die  .\rl)eit  bereits 
getan  war.  Die  Erklärung,  die  ich  N.  /Vi-ch.  40,  745  für  den  Irrtum  Willibalds  gab.  daß  ei' 
seine  Zeitangabe  als  Hechonexempel  aus  dem  Vergleich  der  Datiei-ungen  der  ihm  wohllie- 
kaniiten  Urkunden  Nr.  12  und  16  gewann,  oluie  zu  bedenken,  daß  zwischen  der  ereten  Be- 
stallung und  der  liischofsweihe  des  Bonifatius  noch  andere  Dinge  lagen  als  die  Ai-beit  in 
Friesland,  halte  ich  auch  Jetzt  als  die  ungleich  einfachere  und  überzeugende  gegen  die  ge- 
künstelte  von   Hoi;ii.mi;r   aufrecht. 

-    N.  Aldi.  40.  739      74  I . 


Bon  ifatiusfragen .  9 

in  (lieser  Allgemeinheit,  der  Bevollmächtigung  »ad  gcntes  quasciuuiue  infi- 
delitatis  errore  detentas«  greift  sie  docli  entscheidend  über  die  Enge  einer 
besonderen  Friesenraission  hinaus.  Und  der  Schluß  der  Urkunde  mit  der 
Übergabe  einer  eigenen  Dienstbelehrung  und  der  Vollmacht  eigener  und  un- 
mittelbarer Berichterstattung  an  den  Papst  für  den  Missionar',  spricht  er 
nicht  überzeugend  dafür,  daß  Winfrid,  sieh  selbst  überlassen  und  dem  Papst 
allein  imd  unmittelbar  verantwortlich,  in  einen  eigenen  und  selbständigen 
Wirkungsbereich  gestellt  werden  sollte?  Es  war  sonst  nicht  pä[)stlieher 
Brauch,  Priester  über  die  Köpfe  ilirer  Bischöfe  hinweg  derartig  zu  bevoll- 
mächtigen! 

BoEHMER  sieht  einen  schwer<'n  Anstoß  gegen  die  bisherige  Deutung  darin. 
daß  Winfrid  »einem  ihm  vom  Papste  ausdrücklich  erreilten  Bef^lde  bewiißt 
zuwidergehandelt  habe«  und  hält  es  »nach  allem,  was  wir  von  Winfrid 
wissen,  für  ausgeschlossen,  daß  er  eine  so  offenbare  Insubordination  je 
auch  nur  in  Gedanken  hätte  begehen  können'«.  Aber  erstens  konnte  von 
einer  offenen  Übertretung  nicht  die  Rede  sein,  da  der  päpstlidie  Auftrag  in 
seiner  Unbestimmtheit  und  Allgemeinheit  Friesland  nicht  ausschloß;  dann 
aber  hat  Winfrid  in  dem  Schreiben  an  Bugga  die  Ändenmg  seines  Ent- 
schlusses durch  den  Eintritt  außerordentlicher  Ereignisse  ausdrücklich  zu 
rechtfertigen  gesucht:  durch  den  Tod  des  Friesenfürsten  Radbod,  des  schlimm- 
sten Feindes  der  Mission,  und  durch  ein  Traumgesicht,  das  Winfrid  aber- 
mals den  Weg  nach  Friesland  wies.  Deutlich  liest  man  das  Bestreben  her- 
aus, die  Änderung  des  eigenen  Entschlus.ses  und  die  Umgehung  des  päpst- 
lichen Auftrages  durch  das  (ieheiß  eines  Höheren,  durch  die  Berufung  auf 
göttliche  Eingebung,  zu  rechtfertigen.  .\uch  liier  wird  das  Aufgebot  der 
Gründe  unverständlich,  wenn  Winfrid  sich  bis  dahin  kein  anderes  Ziel  ge- 
steckt und  vom  Papste  hatte  vorzeichnen  lassen  als  die  Friesenmissioii. 

So  bleibt  denn  die  bisherige  Auffassung  als  die  unvergleicldicli  wahr- 
scheinlichere bestehen,  daß  Winfrid  718  bereits  mit  dem  festen  Entschluß 
nach  Kom  ging,  sich  ein  neues  und  selbständiges  Arbeitsgebiet  anweisen  zu 
lassen,   und  daß  als  solches  schon  damals  die  mittel-  und  niederdeutschen 

'    Nr.  12,  S.  18:  .I)i.spi|)liti;im  dciiiqiio  saoianioiili.  quam  ad  iiiilianilos  I)eo  praevio  predi- 
tiiros  teuere    slndeas,    ex    (onmila   ol'fitioruri]    sanctae    iinstrae  aposfi)licati    scdis    iiisliiiclioiiis 
tuae  gratia   praeliljata  voliiinus  ut  inleiidas.   (jiiod  voro  actioni  siisccpti'  tit)i  deesse  porspexcris. 
iiobis,   ut   valueii.s,   inliinan-  curalji.s.- 
■'    8.198. 
Phil.-hisl.  Ahh.  191U.  Nr.  2.  2 


]  0  T  A  N  G I. : 

(;('l)iete  ösllidi  des  Rlieins  in  ATissicIit  j>en(iinmeii  und  vom  Papst  zuge- 
wiesen waren,  daß  aber  die  Enttäuschung,  welche  die  erste  Umseliau  in 
Tliüringen  bereitete  und  die  Kunde  Aom  Ableben  Radbods  bei  Winfrid  noch 
einmal  einen  Rückfall  in  die  Bahnen  seines  ersten  Missionsversuchs  vom 
Jahre  716   herbeiführten'. 

Willibalds  P>zählung  aber  von  Art  und  (irund  des  Abbruchs  der  Mit- 
arbeiterschaft des  Bonifatius  bei  Willibrord  gebe  ich  mit  I^oehmer  gern  preis 
und  stehe  nicht  an.  die  eigene  Vermutung,  die  er  an  die  Stelle  setzt',  für 
sehr  beachtenswert  zu  erklären:  daß  es  (Gegensätze  kirchlicher  Anschauung 
und  kirchlichen  Brauches  waren,  die  l)ei  dem  stark  unter  irisch-northum- 
brischem  Einlhiß  stehenden  Willibrord  und  dem  ausschließlich  römisch  be- 
einflußten Bonifatius  aufeinanderstießen  und  eine  Entfremdung  der  beiden 
Männer  herbeiführten.  Die  Priester,  die  später  dem  Bonifatius  in  Thüringen 
feindlieh  entgegentraten',  waren  nicht  Irokelten,  sondern,  wieBoEHMER  gegen- 
über der  älteren  Annahme  überzeugend  hervorhebt,  sicher  Angelsachsen  und 
nach  seiner  erwägenswerten  Vermutung  vielleicht  Willibrord-Scliüler. 

Mit  neuer  Forschung  knüpft  Boehmer  an  die  letzte  Romfahrt  des  Bonifatius 
an,  zunächst  bezüglich  der  ('hronologie,  bei  der  wir  uns  vcm  vornherein  sehr 
nahe  stehen.  Die  nach  Willibalds  Angabe  ungefähr  einjährige  Dauer  dieser 
Reise  verteilt  er  gleich  mir  auf  737 — 738,  sucht  aber  einen  bestimmteren 
Abschlußpunkt  durch  die  ansprechende  Vermutung  zu  gewinnen,  daß  die 
Synode,  deren  Zusammentritt  Bonifatius  vor  seinem  Scheiden  aus  Rom  noch 


'  Vgl.  außer  Hauck  K.  G.  i,  457  fl'.,  Sciim'-rku,  Bonilatius,  S.  35  t'.  iiiul  meine  kurze  Dar- 
stellung, Gesell.  Sehr.  d.  deutselien  Vorzeit  92,  S.  VII  -  VIII.  Ich  glaulje,  daß  Bokumkr  die  geo- 
graphisclien  Kenntnisse  WinlVids  doch  untcrscliätzf,  wcini  er  S.  192  annimmt,  ilaß  Winfrid  bei 
seiner  Komfahrt  718  allem  Anschein  nach  wohl  noch  keine  Ahnung  davon  gehabt  habe,  daß 
es  ii-gendwo  in  der  Welt  eiji  Volk  der  Hessen  gelie.  Solche  Kenntnis  /u  erwerben,  konnte 
ch  on  der  erste  Festlandsautenthalt  im  Jahre  716  Gelegenheit  bieten,  in  dessen  Zeit  beispiels- 
weise die  Freundschaft  Winfrids  mit  dem  Fianken  Xitiiard  lallt.  (Vgl.  X.  Arch.  40.  731  flf.) 
Ob  der  Schluß  des  Briefes  an  Nithard  Ni'.  9.  S.  6:  ..Propterea  si  Dominus  onmipotens  vohierit. 
iit  aliquando  ad  istas  partes  renieans,  sicut  propositum  habeo  perveniam»  ausdrücklich  auf 
eine  beabsichtigte  Wiederkehr  nach  Friesland  oder  allgemeiner  auf  eine  solche  nach  dem 
Festland  zu  beziehen  ist,  nuig  dahingestellt  bleiben.  Boehmfh  wird  ihn.  das  kann  nicht 
geleugnet  werden,  zugnnsten  seiner  Deutung  in   .Vnspruch  nehmen  dürfen. 

2    S.  192  — 193,   A.  4. 

■■  Vitae  Bonifatii  ed.  Lkvison,  S.  s.]-  Die  Namen,  die  Willibald  nennt.  Torchtwine 
und  Eanbercht  und  wohl  auch  Berehthei-e  uiul  Hunraed.  sind,  wie  Bokhmkh  hervorhebt  und 
übrigens  schon  der  Herausgeber  Levison  bemerkte,  unverfälscht  ani;elsäclisisch. 


Bonifatitisfragen.  1 1 

abwarten  wollte,  wahrscheinlich  Mitte  Mai  738  abgehalten  wurde'.  In  der 
Tat  fugt  es  sich  hübsch  zu  der  ausdrücklichen  Bestimmung  des  4.  Kanon 
der  römischen  Synode  von  Ende  743,  daß  Synoden  an  den  Iden  des  Mai 
abgehalten  werden  sollen'",  daß  die  Abfertigung  der  ])ayrischen  Legaten  am 
15.  Mai  716,  die  erste  Bestallung  für  Winfrid  am  15.  Mai  719  erfolgten, 
was  auf  eine  Beziehung  dieser  wichtigen  Urkunden  zu  Synoden  und  auf  eine 
gewisse  Stetigkeit  im  Zusammentritt  dieser  Synoden  um  die  Mitte  Mai  für  die 
erste  Hälfte  des  8.  Jahrhunderts  schließen  lasse.  Für  die  Reise  des  Bonifatius 
würde  sich  daraus  etwa  die   Umgrenzung  Juni  737   bis  Juni  738   ergeben. 

Viel  wichtiger  ist  Boehmers  neue  Auffassung  ül)er  den  Zweck  der  Keisc. 
Das  Erge))nis  der  ungewöhnlich  wiclitigen  Verhandlungen,  die  damals  in  Rom 
geführt  wurden,  ist  iji  den  Urkunden  Ciregors  III.  Nr.  42 — 44  niedergelegt, 
deren  zweite,  Nr.  43,  mit  Boehmers  neuer  Auslegung  an  der  Spitze  dieser  Ab- 
iiandlung besprochen  ist,  deren  erste,  Nr.  42,  eine  neue  allgemeine  Empfehlung 
und  Bevollmächtigung  des  Bonifatius  an  Bisehöl'e  luid  Kh-risei  enthält  und  deren 
dritte,  Nr.  44,  sich  in  gleicher  Sache  au  die  Bischöfe  Bayerns  und  Alamanniens 
wendet.  Daß  den  Worten  in  Rom  die  Tat  in  Deutschland  auf  dem  Fuße 
folgte,  zeigt  die  nächste  Papsturkunde.  Xo.  45,  vom  29.  Oktober  739,  die 
bereits  Bescheid  und  Glückwunsch  enthält  auf  den  Bericht  des  Bonifatius  über 
große  Bekehrungserfolge  bei  den  Sachsen  und  über  die  Neuordnung  und 
EinrichtungderKirclie  in  Bayern.  Neben  großen  undallgemeinenOrganisations- 
fragen,  die  in  Bayern  begannen,  in  Hessen,  üstfranken  und  Thüringen  sich 
fort.setzten  und  zur  Erörtnuny:  der  synodalen  Tätigkeit  auf  deutschem  Boden 
überleiteten,  muß  damals  in  Rom  auch  die  Sachsenmission  erörtert  worden 
sein,  wofür  außer  der  ebengenannten  Stelle  der  Aufruf  des  Bonifatius  an 
.seine  angelsädisischen  Landsleute  (Nr.  46)  und,  wenn  ich  recht  urteile,  die 
gleichzeitige  Saclisenbulle  (iregors  111.   (Nr.  21)  zeugen. 

Im  Verlauf  jener  Verliandlungen  in  Rdui  uuiß  es  dem  Papst  gelungen 
sein,    anders   geartete    Absichten,    mit   denen    Bonifatius    nach    der   ewigen 


'  .S.  1 7 1  u.  172,  Anm.  I5i)iiilatiiisbi-iel'  Nr.  41,  S.  66 :  •Xiuic  auteiii  liic  exspectaiites 
saceixlotuin  concilium  vel  synodus  ccHisiiltuin  ailliuc  ii^iiaraiiiLis,  <[iiaiido  hoc  (ieri  fariat 
apostolicus  puiitifex." 

-  M.  G.  Coiic.  2,13:  -iit...  oiiiiies  cpiscopi,  qiii  Ijuiiis  apnstolicae  setlis  oi-dinatioui 
.subiaceaiit,  qui  propinquo  simt,  annue  Idtis  Ma^ii  iiieiisis  saiictoi-uiii  principuiii  apustoloniiii 
Petri  et  l'auli  limiiiiljus  prao.senteiiliir.  •  ("lier  die  Kiiii-eihiiiig  dieser  Synode  (74,5  .Sej)t.  liis 
I)e/..|  vgl.  meine  Ausnilirnngen  N.  Arcli.  40.  77():  Hokhmi n  mjcIiI.  mocIj  olme  Kenntnis  da- 
von, auch  die.se  Syriode  dem  .Mai  743   /u/nweisen. 

•1* 


12  T  A  N  G  L  : 

Stadt  gekommen  war,  entscheidend  zu  beeinflussen.  Zeuge  hierfür  ist 
Bonifatius  selbst  in  dem  Brief  Nr.  41,  den  er  an  seine  Getreuen  in  Hessen 
über  seine  Aufnahme  bei  Papst  Gregor III.  richtete:  »apostolicus  pontifex  .  .  . 
consilium  et  preceptum  dedit,  ut  iterum  ad  vos  revertamus  et  in  certo 
labore  persistamus« '.  Hauck,  der  als  erster  aus  diesen  Worten  einen  Unter- 
schied zwischen  ursprünglicher  Absicht  des  Bonifatius  und  päpstlicher  Ent- 
sclieidung  scharf  herauslas,  deutete  diese  Absicht  dahin,  daß  Bonifatius 
aus  seiner  Tätigkeit  in  Hessen  und  Thüringen  sicli  zu  lösen  und  ganz  der 
Sachsenmission  zu  widmen  gedaclite'.  IIaucks  Annahme  schien  mir  so 
überzeugend,  daß  ich  sie  gern  aufgrifl'''  und  dem  Papst  das  Verdienst  zu- 
schrieb, seinen  »Germanischen  Legaten«,  wie  sich  Bonifatius  im  gleich- 
zeitigen Aufruf  an  die  Angelsaclisen  erstmalig  nannte,  vnr  allem  mit  Nacli- 
druck  in  seinem  bisherigen  Wirkungskreis  festgehalten  und  daräber  hin- 
aus nur  einer  Ausdehnung  seiner  Tätigkeit  zugestimmt  zu  haben,  der  Mi.ssion 
bei  den  Sachsen,  der  er  nicht  widerspracli,  und  der  Organisation  in  Bayern, 
die  er  ihm  ausdrücklich   auftrug. 

Hier  nun  setzt  Boeiibier  mit  einer  ganz  anderen  Deutung  des  strittigen 
Satzes  ein:  Nach  ihm  war  es  überhaupt  nicht  die  Absiclit  des  Bonifatius. 
wieder  nach  Deutschland  zurückzukeliren.  sondern  er  sei  737  nach  Rom 
gepilgert,  um  in  Rom  zu  bleiben  und  in  der  Stille  eines  römischen  Klosters 
sein  Leben  in  Welttlucht,  Gebet  und  Beschaulichkeit  zu  beschließen.  Als 
Stützen  für  seine  Deutung  führt  er  aus  Briefen  der  unmittelbar  vorangehenden 
Jahre  (Nr.  34  imd  35)  Klagen  des  Bonifatius  über  (ireisentum  und  Ermattung 
( —  er  hatte  eben  den  Sechziger  überschritten  — )  und  das  Beispiel  angel- 
sächsischer Landsleute  an,  die  sich   in   Rom   zur   Ruhe  setzten. 

Ich  will  nicht  leugnen,  daß  diese  Deutung  Boehmers  nicht  nur  manches 
Bestechende  für  sich  hat,  sondern  daß  sie  sich  noch  weiter  ausbauen  läßt. 
Die  kirchenrechtlich  so  anfechtbare  Frage  der  Designation  eines  Nachfolgers, 
die  Bonifatius  während  jenes  Aufenthaltes  ebenfalls  mit  Erfolg  angeschnitten 


'  S.  66.  Der  schon  oben  S.  r  i  Anm.  i  erwähnte  Brief  ist  erst  gi'gen  Ende  des  i-ömischen 
Aulenthalts  des  Bonifatius  und  bereits  nncii  .Ansferligiing  der  l'apsturkunden  Nr.  42 — 44  ge- 
schrieben; deren  Worte  »;id  uceeptuni  hiborem  .  .  .  a  nobis  rst  absohitns..  (Nr.  42.  S.  67)  und 
"(Uim  edocantes  ad  vos.  carissimi,  i'enieancUim  al)Solvinius.  (Nr.  43.  .*^.  68)  haben  auf  den 
Bericht  des  Bonifatius  sichtlich  abgefiu'bt. 

-    Kirch,  (icseh.  Deutschlands.   3. — 4.  Aull..  i,  497  f 

^    (iesch.  .Sehr.  d.  deiitseli.  \'orzeit.  ()2.   Xl\'f. 


Bonifatinftfrugen .  1 

hatte',  erhielte  dann  ja  eine  völlig  veränderte  Beurteilung;  es  würde  sich  dann 
ursprünglich  um  die  unmittelbare  Bestellung  eines  Nachfolgers  für  den  zvi- 
rücktretendenBonifatius  gehandelt  haben.  Bleibt  es  also  künftig  dem  einzelnen 
überlassen,  ob  er  sich  der  neuen  Deutung  anschließen  oder  an  der  Ansicht 
festhalten  soll,  daß  dem  Tatenmenschen  Bonifatius  der  Gedanke  an  solches 
Ausspannen  aus  unentbehrlicher  Tätigkeit  nicht  wohl  zugemutet  werden 
könne? 

So  liilflos  sind  wir  denn  doch  nicht:  die  Entscheidung  fällt  mit 
aller  Sicherheit  durcli  den  Bonifatiusbrief  Nr.  40,  dessen  Kinreihung  da- 
durch feststeht,  daß  zwei  von  den  vier  (betreuen,  an  die  der  oben  schon 
melirfach  genannte  Brief  aus  Rom  vom  Jahre  738  gerichtet  ist,  Tatwin  und 
Wigbert,  in  ihm  mit  der  Leitung  des  Klosters  Fritzlar  betraut  werden. 
Bonifatius  stand  entweder  unmittelbar  vor  dem  Antritt  seiner  Reise  oder 
befand  sich  bereits  auf  ihr,  als  er  die  Nachricht  von  dem  Ableben  des 
Abtes  Wigbert  von  Fritzlar  erhielt.  In  dieser  Lage,  in  der  es  ihm  nicht 
möglich  war,  i)ersönlic]i  einzugreifen,  ordnete  er  durcJi  unser  Schreiben 
die  Führung  der  (ieschäfte  im  Kloster,  von  den  leitenden  Stellungen  (Tatwin 
und  Wigbert)  bis  zu  den  niedrigeren,  dem  Werkmeister  Bernhard  und  dem 
Koch  Sturmi,  dem  späteren  ersten  Abt  von  Fidda.  Er  ermahnt  die  Mönche, 
in  treuer  Wahrung  der  Regel  und  brüderlicher  Liebe  zu  verharren  "US(|ue 
ad  praesentiam  /Y'ivraoms  w>«^rf/i"«  ■'.  Das  lieißt,  Bonifatius  hat  seine  letzte 
Romfahrt  mit  der  festen  Absiclit  der  Rückkehr  nach  Deutscldand  angetreten. 

Wiederliolt  spricht  Boehmer  von  der  Dauer  des  Reiseverkehrs  und 
Nachrichtendienstes  zwi.schen  Deutschland  und  Rom  und  schätzt  diese  für 
die  Zeit  des  Bonifatius  auf  mindestens  zwei  Monate  ein'.  Für  die  viel- 
jährigen und  regen  Beziehungen  des  Bonifatius  zu  Rom  hat  dies  nm'  in- 
sofern  Belang,    ob   wir    uns  den   Nachrichtendienst  als  einigermaßen  rasch 

'    Vergleiche  meint'  .\iisl'üiirungcn   N.  Aicli.  40.   76611'. 

*  Dabei  ist  die  Hezielmnf;  dieses  Briefes  zur  Koinfalirt  737  wie  testf;er;inimt;  das  Zii- 
samiuenfallen  mil  der  nächst  ziivDrlicijeMden  io'ößeien  Reise  des  HoMif'atius.  von  der  wir 
wissen,  dem  ei-sten  längeren  .Vulentlialt  in  IJayern  734  oder  735  (N;ilier(^s  darüber  gleich 
unten  bei  Besprechung  der  Vita  .Sturmi).  ist  ausgeschlossen,  da  Bonifatius  auf  dieser  I{eise 
Sturmi  erst  zum  Schüler  gewann. 

'  So  S.  199:  "Die  Heise  von  .Mainz  bis  lioni  dauerte  damals  mindestens  2  Monate«; 
ähnlich  S.  202  und  203:  »Die  Reise  von  Hessen  nach  Rom.  Zu  der.s(dben  hat  er,  da  er 
die  schon  vom  Jahre  719  her  ihm  vertraute  Route  über  den  großen  St.  Berrdiard  heimtzte. 
mindestens   2  Monate  Kebraueht.- 


14  Tangi,: 

oder  umgekehrt  als  schleppend  vorzustellen  haben:  eine  »Bonifatiusfrage« 
entsteht  daraus  nur  für  741  —  742,  wo  es  sicli  darum  handelt,  ob  zwischen 
der  Weihe  des  Papstes  Zacliarias  (3.  Dezember  741 )  und  dem  Zusammen- 
tritt des  Concilium  Germanicum  (21.  April  742)  ein  dreimaliger  Naclirichten- 
wechsel  Rom-Deutschland  (Verständigung  des  Bonifatius  vom  Pontifikats- 
wechsel  in  Rom,  das  Schreiben  des  Bonifatius  an  den  neuen  Papst  [Nr.  50] 
und  die  Möglichkeit,  daß  Papst  Zacliarias  zu  der  bevorstehenden  Synode 
noch  rechtzeitig  Stellung  nehmen  konnte),  zeitlich  unterzubringen  ist'; 
oder  etwa  für  das  Jahr  744,  wo  es  sich  um  di(>  schwierige  Einreihung 
der  Schreiben  Nr.  57   und  Nr.  58   handelt'. 

Darüber  hinaus  aber  wird  dies  zu  einer  wichtigen  Frag«;  der  mittel- 
alterlichen Geschichte  überhaupt.  P]s  kann  gerade  für  das  Verständnis  der 
politischen  Geschichte  \on  entscheidendem  Wert  sein,  festzustellen,  in 
welchem  zeitlichen  Abstand  Ereignisse  an  einer  Stelle  auf  Entscheidungen 
an  anderen  Orten  Einfluß  geübt  haben  können.  Die  Entscheidung  der 
Frage,  ob  die  zehn  Wochen  Abstand  zwischen  Wahl  imd  Weihe  (jregors  VII. 
zur  Einliolung  der  Einwilligung  König  Heinrichs  IV.  gereicht  haben  können, 
das  Verständnis  von  Entschließungen  Innozenz'  111.  in  der  Frage  des  deutschen 
Thronstreits  hängt,  um  nur  ein  paar  Beispiele  zu  nennen,  davon  ab. 

BoEHMKR  führt  drei  Beispiele  an ':  zunächst  die  Reise  Papst  Stephans  II.  ins 
Frankenreich,  der  von  Rom  bis  Pontliion  (14.  Oktober  753  bis  6.  Janiiar  754) 
nicht  weniger  als  84  Tage  brauchte.  Abei-  diese  Reise  ist  durch  die  Ver- 
handlungen in  Pavia  und  dvirch  einen  längeren  Aufenthalt  in  St.  Maurice 
im  oberen  Rhonetal  imd  durch  einen  weiteren  kürzeren  Aufenthalt  auf 
fränkischem  Boden  unterbrochen.  Brauchbar  sind  hier  nur  die  Angaben  des 
Liber  Pontificalis  über  den  Tag  des  Aufbruchs  aus  Rom  (14.  Oktober)  und 
aus  Pavia  (15.  November)*.  Zieiien  wir  davon  die  Zeit  der  Verhandlungen 
mit  dem  Langobardenkönig  in  Pavia  ab,  die  wir  mit  all  den  Förmlich- 
keiten und  dem  Dazwischentreten  fränkischer  Gesandter  auf  mindestens 
eine  Woche  veranschlagen  können,  so  bhübt  das  Ergel)nis,  daß  Stephan  II. 


'    Vgl.  N.  Arcli.  40,  772 — 776. 

''    Vgl.  N.  Arch.  40,  776—782.  , 

■*    S.  202   A.  I. 

'  Ks  ist  niclit  unwiclitig,  (l:iß  uns  <!i(-  Vitii  SlepliMiii.  l.ili.  I'dniif.  cd.  Dihiiksnk  1.445 
l)is  446.  die  beiden  Ziihlen  in  i\i^v  ungleicli  /nvci'jjissigei'OM  fortlnulenden  ■ragcs/iihluiig.  nicht 
ti;ii-h   i'örnisclicTn    Kalender-  bietet. 


Bonifntiusfragen.  15 

mit  seinem  recht  stattlichen  Gefolge  den  Weg  Rom-Pavia  in  wenig  mehr 
als  drei  Wochen  zurückgelegt  hat:  und  das  genügt  uns  gerade,  um  Boehmers 
zweites  Beispiel  glatt  auszuschalten;  denn  der  Erzbiscliof  Sigerik  von  Ganter- 
bury  blieb  mit  seinen  40  Tagereisen  von  Rom  nach  Pavia,  auf  die  er  ^s 
im  Jahre  990  glücklich  hraclite,  hinter  dem  Papst  um  nahezu  die  Hälfte 
zurück.  So  überaus  aufschlußreich  das  Itinerar  Sigeriks  daher  für  die 
historische  Geographie  ist',  als  Krkenntnismittel  für  die  Reise-  und  Marsch- 
geschwindigkeit des  Mittelalters  fällt  es  ganz  außer  Betracht.  Das  dritte 
Beispiel  aber  ist  nicht  schlüssig,  weil  es  nur  Gesamtabstände,  nicht  die  Maße 
für  die  Einzelleistungen  bringt.  Willibald  erledigte  zAvischen  dem  24.  A])ril 
und  22.  Juli  740  eine  Reise  von  Rom  nach  Bayern,  einen  etwa  zweiwöchigen 
Aufenthalt  bei  Herzog  Odilo,  die  Weiterreise  nach  Eichstätt  und  zwei  kleine 
Reisen  zu   Bonifatius,  der  sich   damals  auf  bayrischem  Boden   aufhielt'. 

Meine  eigenen  Beispiele  leite  ich  durch  zwei  ein,  die  sich  zwar  nicht 
auf  Romreisen,  aber  auf  beschleunigte  Überwindung  größerer  Entfernungen 
bezielien.  Schon  vor  Jahren  habe  ich  auf  die  Schnelligkeit  hingewiesen, 
mit  der  die  Kunde  vom  Tode  des  heiligen  Bonifatius  weitergetragen  sein 
muß,  und  auf  die  sehr  hastige  Jlofreise,  die  daraufhin  I.ul  zu  König  Pii)[)in 
und  zurück  nach  Mainz  antrat  und  für  die  wir  für  etwa  20  Tage  eine 
tägliclie  Üurchsclmittsleistung  von  über  40  km  annehmen  müssen'^.  Ich 
reihe  daran  das  in  der  Literatur  nach  dieser  Seite  noch  nicht  erörterte 
Beispiel  von  der  Verl)reitung  der  I'odesnachricht  Karls  des  Großen  und 
dem  Zug  des  Nachfolgers  nach  der  Pfalz  zu  Aachen.     Als  der  große  Kaiser 

'  \'gl.  ilie  .si.'iif  wiTlvolli'  i;clc-lirt('  Krliliitcnmi;  (liiicli  .1.  .Ii  N(i.  Mitlcil.  d.  Instituts  f. 
österr.  (iescli. -Forsch.  25.  i — 90. 

■'  Von  der  Keise  von  Horii  nacli  Dciilsohliiiul.  die  im  Aiil'tr;ii;c  Kiidi.irds  sriii  Ncitni- 
Uatleicli  mit  den  (iebeincti  dci-  Iloiiigeii  !\larceiliriiis  und  l'ctrus  antrat,  ist  uns  Icidii-  nur 
die  Streekcnlri.stuni;  I'avia  St.  .Manri<  c  bestiniiiit  iilierlicl'ert;  sie  ahei'  war  als  (Iterwindung 
von  210  km  Luftlinie  in  6  lagen  um  so  anselinliciier.  als  sie  den  t'liergang  ül)ei' den  groLV»n 
St.  Bernhard  ein.scldoLv  VgL  Wiiii.  Maiimaki.  Kinhards  Transiatio  SS.  Maroeilini  et  l'etri  in 
kulturgeschiciitlicher  He/.ieljung.  I. 'i'cii.  i'i-ogiainrn  des  (iyinnasiutn  Frideiieianuni  /u  l,anl)acii. 
(irünberg  1884.  M.\TirfAH  gelangt  auf  (irund  weiteiei-  Zeugnisse,  die  sieh  allerdings  auf 
andere  und  mäßig  lange  Strecken  lie/ieiien.  S.  2^  zu  ilein  Krgebnis:  »Füui  Meilen  (37,5  Um) 
täglich  7.iiriiek7.ulegeii.  sclieinl  nach  unseren  Feststellungen,  wenn  sie  i'ibi'rhaupt  einen  solchen 
Schluß  gestatten,  bei  längeren  und  nicht  dur<ii  besondere  Verhältnisse  beeinilußteu  Reisen 
die  durchschnittliche  Leistung  eines  Heiters  daiualigei-  Zeit  gewesen  /.ii  sein,  vorausgesetzt. 
daß  er  eben   die  Reise  auf  ein   und  demselben   Pferd  machte.- 

^    Das  Todesjahr  des  Bonifatius,  Zeitschr.  d.  Ver.  i.  hess.  Gesch.  37  (N.  F.  27).  244. 


]  {]  T  A  N  G  I,  : 

;iiii  Morgen  des  28.  Januar  814  entschlafen  war,  wurde  Ranipo  als  Eilbote 
an  Ludwig  den  Frommen  abgeordnet,  der  damals  in  Doue,  nahe  der  un- 
teren Loire,  Hofhielt.  Die  Luftlinienentfernungen  sind:  Aachen-Paris  345  km, 
Paris-Orleans  i  10  km,  Orleans-Doue  180  km,  insgesamt  635  km.  Rampo 
vollführte  seinen  Boteni-itt  in  Iiöchster  Eile',  wie  wir  annehmen  dürfen 
mit  häufigem  Pferde  Wechsel,  und  kommt  so  nach  Orleans  gesprengt.  Der 
schlaue  Bischof  Theodulf  errät  den  Anlaß  des  hastigen  Rittes,  ordnet  heim- 
lich einen  Eilboten  an  Kaiser  Ludwig  ab  und  bringt  so  Rampo  um  die 
Ehre,  als  erster  die  Trauerkunde  zu  melden.  Alle  anderen  Verbreiter  des 
Ereignisses  aber  —  man  sieht,  daß  es  wetteifernd  geschah  —  hatte  er 
überflogen;  sie  langen  erst  nach  ilmi  der  Reihe  nach  an'.  Das  Verhältnis 
Ludwigs  zu  dem  Hof  des  greisen  Vaters  war  kein  gutes  gewesen;  er  machte 
sich  auf  Widerstand  gefaßt  und  bot  daher  eine  bewaffnete  Gefolgscliaft 
auf,  soweit  er  sie  in  der  Eile  zusammenbringen  konnte.  Der  Umstand, 
daß  er  unmittelbar  vor  Empfang  der  Todesnachricht  zum  2.  Februar  814 
einen  Hoftag  nach  Doue  einberufen  hatte,  mcjchte  dieses  Aufgebot  aus 
dem  Kreise  noch  anwesender  lloftagsteilnelimer  erleichtern.  Am  fünften 
Tage  nach  Eintreffen  der  Meldung  brach  er  mit  Frau,  Kindern,  Gefolg- 
scliaft und  Troß  auf".  Kvwze  Aufentlialte  werden  uns  nur  aus  Orleans  und 
Paris  berichtet.  Nach  dem  Bericht  der  fränkischen  Reiclisannalen  rückte 
Ludwig  der  Fromme  am  30.  Tage  nach  dem  Hinsciieiden  des  Vaters,  also 
am  27.  Februar,  in  Aachen  ein'.     Mochte  Rampo,   dem   Pferdewechsel  und 

'  Den  ciiigehendsteii  liericht  über  das  (tanze  gibt  der  sog.  Asti-Diiomus  in  der  Vita 
Hiiidonuifi  c.  21  M.G.  SS.  2.  618  f..  Daneben,  dicliterisch  ausschniüci-cend,  Krnioldus  Nigelliis: 
M.  (1.  Poet.  lat.  2.  27  V.  91    »nocte  dieijue  volat«. 

*    \'ita  Hlud.  SS.  2.618    "inde  aliinii  atque  alium  liuiiisee  rei  tri.stes  siiscipiens  nuntios-. 

■'  »Tertia  ianique  dies«  minder  glanliwürdig  und  wold  dem  Hexameter  zuliebe  Ennoldus 
Nigellus  11  V.  119. 

''  Ann.  i'egni  Franc,  ed.  KuRzi.  in  SS.  rer.  Germ,  ad  a.  H14  S.  140  »Cuius  i'ei  nuntium 
cum  Hludowicus  filius  eins  in  .A.quitania  apud  'rcixladum  villam.  ubi  et  ipse  tiinc  hibernabat, 
plurimis  defcrentibus  accepisset.  tiicesimo,  postqnam  id  acciderat.  die  Aquisgrani  venit-. 
Das  »postquam  id  acciderat«  kann  sich  wohl  nur  auf  das  große  Ereignis,  den  im  -voran- 
stehenden Satz  lierichteten  'l'od  Rai'ls,  l)eziehen.  So  aucii  von  Simsox.  .lahrbüciier  Ludwigs 
des  Fronmien  1.15  und  Mühlimcher  Heg.  519  (500)  i.  Der  sog.  Astronom  rechnet  die  30  Tage 
zwar-  eist  vom  Aui'ljruch  aus  Aijuitanien  an.  aber  er  benutzt  an  dieser  Stelle  und  von  da 
ab  ständig  bis  829  (üe  Heieiisaimalen  und  zeigt  dabei  die  Gabe,  seine  (,)uelle  wiederholt  zu 
mißdeuten.  Die  Xantener  Annalen  ed.  von  Simson.  SS.  rer.  (ierm.  ad  a.  814  S.  5  berichten 
Ludwigs  Eintreffen  in  Aachen  »mense  Martio«.  eine  kleine  Schiebung,  die  sieb  aus  der 
weiteren   Frist  erklärt,   welche  die   Iviinde   \  0111   Eiutrell'en  des  neuen   Kaisers  erheischte. 


Bonifatiusfrayen.  17 

alle  sonstigen  Förderungen  eines  Königsboten  zustanden  und  den  der  Ehr- 
geiz stachelte,  raschest  und  als  erster  die  Botschaft  zu  überbringen,  in 
noch  so  unermüdlicher  Eile  binnen  wenigen  Tagen  die  635  km  Luftlinie, 
d.  h.  nahe  800  km  wirkliche  Streckenlänge  von  Aaclien  über  Paris-  Orleans 
nach  Doue  durchmessen  haben,  so  l)lieben  für  Ludwigs  Zug  doch  liöchstens 
20  und  mit  Abstricli  der  beiden  Rasttage  1 8  Tage  und  damit  eine  durcii- 
schnittliche  Tagesleistung  von  reichlicli  40  km,  die  aber  in  dem  Maße  höher 
stand  als  die  Luis,  weil  sie  im  Heereszug  mit  wohl  mehreren  Hundert 
Reitern  und  entsprechendem  Troß  und  in  der  Zeit  kurzer  Wintertage  erfolgte. 

Die  Nutzanwendung  auf  das  nhnische  Itinerar  ist  die.  daß  das,  was 
im  Westen  erreicht  wurde,  auch  nach  dem  Süden  hin  möglich  gewesen 
sein  muß.  Wir  finden  sie  bei  einem  Papst  bestätigt,  der  viel  weniger  be- 
dächtig reiste  als  Stephan  II.  und  der  vollends  seine  Boten  zu  höchster  Eih- 
anspornte. 

Nach  dem  Tode  Leos  III.  (i2.Juni  816)  wurde  Stephan  IV.  gewählt  und 
am  2 2.  Juni  geweiiit.  Er  ließ  die  Römer  sofort  dem  Kaiser  Treue  schwören  und 
ordnete  an  den  Hof  Ludwigs  des  Frommen,  der  in  jeneji  Monaten  dauernd  in 
Aachen  weilte,  eine  Gesandtschaft  ab.  die  wegen  der  raschen  Vornahme  der 
Weihe  beruhigende  Erklärungen  al>geben',  \()r  allem  aber  di''  unmittelbar  be- 
vorstehende Reise  des  Papstes  selbst  ankündigen  sollte".  Das  Ergel)nis  dieser 
(Gesandtschaft,  den  Beseheid  ülier  Anerkennung  und  Reise  und  über  Zu- 
sicherung des  (ieleits,  mußte  <ler  Papst  abwarten,  zumal  da  er  dem  Kaiser 
anheimgegeben  hatte,  den  Ort  der  Zusammenkunft  zu  be.stinunen  '.  Noch 
ehe  zwei  Monate  seit  seiner  Weihe  ganz  verstrichen  waren  die  (Jesandtcn 
mußten  unterdessen  in  gewaltiger  Eile  ihre  Aufgabe  gelöst  liaben,    —  brach 

'  Ann.  rcgiii  Fianc.  S.  145  .i|iii  (|iiasi  pid  sua  cDiisccratiinic  irn])Ciatori  suggcicrcnt  ■ . 
Ähnlich    der   A.stronoin    SS.  2.    620     '(iiiae    super    (irdinatione    «'ius    iiiijx'ralori    salisfaccret  ■. 

•'  iianz  itlinh'ch  liatt«;  im  .laiiri'  804  Lt'o  III.  von  Mantua  ans  bei  Karl  dcui  (Jroi.ieii 
zunächst  durch  Boten  anfragen  la.ssi-n.  uh  und  wo  doin  Kaisci-  i-ini;  Zii.saiiiiiicnkunrt  gciicliiii 
.sei.  Die  Anfrage  erreichte  Karl  den  (IroLicn  Mille  Ncjvi'mlier  in  .\a(liiri  iiiiil  zirlte  auf 
ein  Zusaniinentreffi-n  zu  Wi'ilinarhli'ii.  (\iin.  nuni  I'i.iiic.  S.  iii)  und  vnN  Simson.  .lalii- 
biieher  IvarLs  des  (iroßen  2.  3151!'.)  Im  40  Tagen  intiLite  daln-r  dii'  Kiiclvk<!hj'  des  I>(it 
nach  Mantua  und  dii'  I{eis<'  des  I'apstis  erledigt  weiden.  Dir  Zusanimerd<unlt  fand  ii 
Keims  stall,  von  wo  der  I'apst  dann  über-  Itayeiii  nach  Kavenna  /.iiriieligeleitet  wurde.  I)i( 
Wiederkehr  dei'selhen  Ortlirlikeiten  bei  dei'  Keise  Sfe|)lians  l\'.  beweist.  dal.i  iiiaii  8i()  ein 
fach  auf  dn.s  V'orbihl  von  804  zuriickgrilf. 

'     Thegan,    Vita  liludovici  S.'^.  2.   594    "et   dirigens   legatos   stios  ad   siipradictmii   prin 
cipem   nuncians  ei,   ut  libenter  eiun   \  ideie   voluisset   in   bjco.   ubieum(iiie   ei   plaeiiisset   . 

Phil.-hisi.  Mh.   lillii.  Nr.  2.  S 


eil 


18  T  A  N  G  I, : 

er  selbst  von  Rom  auf  und  zog  in  eiliger  Reise  nach  dem  Frankenreich', 
wo  —  wahrscheinlich  am  2.  Oktober  —  zu  Reims  die  feierliche  Begegnung 
mit  Ludwig  dem  Frommen  stattfand',  der  4Tage  später  die  nochmalige  Krönung 
des  Kaisers  durch  den  Papst  (nach  der  Aachener  Selbstkrönung  von  8 1 3) 
folgte;  das  war  der  ebenso  wichtige  wie  für  das  Kaisertum  bedenkliche 
Hauptzweck  der  Reise.  Von  Königsboten  geleitet,  trat  darauf  der  Papst 
die  Heimreise  an,  machte  auf  dieser  den  Umweg  über  Ravenna,  befand  sich 
dort  Anfang  November  und  traf  wenige  Tage  später  wieder  in  Rom  ein. 
Als  er  am  25.  Januar  817  starb,  verzeichneten  die  fränkischen  Reich.sannalen 
seinen  Tod  als  erfolgt  »noch  vor  Ablauf  des  3.  Monats  seit  der  Rückkehr 
nach  Roni«l  Dieser  dritte  Monat  lief,  vom  25.  Januar  zurückgerechnet, 
vom  25.  Oktober  bis  25.  November  816.  Da  die  letzten  Oktobertage  bei 
der  Weite  des  Reiseweges  ausgescidossen  sind,  ki)mmt  für  das  Wieder- 
(Mntreft'en  in  Rom  nur  ein  Novemberdatum,  aber,  dem  Sinne  der  Stelle 
entsprechend,  kein  allzu  spätes,  wohl  nocli  aus  dei-  ersten  Hälfte  des  Monats, 
in  Betracht.  Stephan  IV.  hat  daher  die  Reise  nach  Reims  in  etwa  reich- 
lich 5  V^'^ochen,  die  Rückreise,  und  noch  dazu  auf  dem  recht  beträchtliclien 
Umweg  ül)er  Ravenna,  in  vielleiclit  noch  etwas  kürzerer  Frist  vollführt, 
wälirend  seine  (Jesandten  den  Ritt  von  Rom  nacli  Aachen  in  höchstens 
4   Woclien  bew'ältigt  haben   müssen*. 

Am  7.  Dezember  983  war  Kaiser  Otto  II.  in  Rom  gestorben.    Als  aber 
am  Weilmachtstag  desselben  Jahres  zu  Aachen  die  Königskrönung  an  seinem 


■  Ann.  i-ei;ni  Fnini-.  S.  144  »iiDiuliniKjur  (iiioliiis  post  ronsccratiDneni  siiimi  cNactis 
iiicnsibus   quam  maximis  poterat  itiiieiilnis  ad   iiiipci  alorcni   veniii'  contenclit" . 

-  Über  dt-n  Tag  vgl.  \.  Simson.  .lalirb.  Ludw  igs  di"<  Froiniiit'n  i.  68  A.  i.  Die  (,)uellen 
iirtiiRMi  nur  den  ]\Ionat,  OktolxT.  dcssi-n  /.weite  Hälfte  al)er  außer  Hetracht  bleiV)t,  da  dei' 
Kai.ser  Keims  sclion  verlassen  liatte,  und  die  Zeit  fiir  die  ['nterbringinig  der  Rückreise  des 
Hapstes  nicht  i-eichte.  Als  Kiömingstag  käme  außer  .Sonntag  den  5.  liöchstens  noch  der 
12.  Oktober  in  Betraeiit;  die  ersti^  ( tktoberu  oelie  hat  aber  die  weitaus  größere  Wahrschein- 
lichkeit für  sich,  da  sie  genau  in  der  Mitte  der  Abieisi'  des  i'apstes  \  on  Rom  und  dem 
Wiedereintreffen  daselbst  liegt. 

'    Ann.  regni  Franc.  S.  145  »teitio  postqnam  Roman  veneiat  niense,  sed  nondum  exacto>. 

'  Hotenfahrt  geht  rascher  als  Herrenfahrt:  dieser  Satz  läßt  sich  nicht  nur  aus  diesem 
null  anderen  lioispielon  ableiten,  ihn  machte  sich  auch  der  Dichter  des  Nilielungenliedes 
zu  eigen,  wenn  cv  \\\  guter  Kenntnis  des  höfisclien  Lebens  König  Etzels  Boten,  die  Spiei- 
le,uf(!  Wei-bel  und  Swenimi'l  zui'  Ladung  der  Burgundenkönige  in  12  Tagen  von  Pas.saii 
u.-H'b  Worms,  die  Fürsten  mit  ilirer  (iiM'olgscIialt  in  d<'i'  gleichen  F'rist  aber  nui-  von  Worms 
l>i<   MM    die    Douau    au    t5avei-ns   (ireuze   ir<'laiii;eri    läßt. 


Bonifatinsfracicii.  1 '.) 

kleinen  Söhnlein  vorgenommen  wurde,  da  hatten  die  Erzbis<'höte  Johüini 
von  Ravenna  und  Willigis  von  Mainz  noch  keine  Almung.  daß  sie  den 
Nachfolger  krönten,  sondern  glaubten,  die  feierliche  Handlung  an  dem  v(»i 
den  deutschen  Fürsten  bereits  gewählten  jugendlielien  ^litkönig  !)ei  Lcli- 
zeiten  des  Vaters  zu  vollziehen.  Aber  sehr  bahl  danach  sprengte  der  Bot(^ 
heran  und  zerstörte  die  Festesfreude  durch  die  Trauerkunde'.  Die  Nacli- 
richt  brauchte  daher  von  Rom  nach  Aachen  nur  wenig  mehr  als  i  8  Tage. 
Auch  hier  liaben   wir  es   wie  bei   Ranipo   mit  (iewaltritten   zu   tun. 

Am  22.  April  1073  wurde  Gregor  Vll.  ziun  Papst  gewählt  und  am 
29.  oder  30.  Juni  geweiht.  hi<lerNachholung  der  Priesterweihe,  die  Hildebrand, 
der  bisherige  Archidiakon  der  römischen  Kirche,  sich  erst  erteilen  lassen 
mußte,  kann  der  Grund  für  den  Aufschub  der  Papstkrönung  ni-ht  gelegen 
liaben,  denn  die  Priesterweihe  war  bereits  am  22.  Mai  erfolgt.  Ks  muß 
etwas  anderes  abgewartet  worden  sein,  das  Kintrclfen  der  Bestätigung  duirli 
den  deutschen  König  Heinrich  IV.,  die  Gregor  VII.  nach  dem  Zeugnis  Runizos 
am  Tag  nach  seiner  Wahl  einholte  und  die  (hirch  die  Entsendung  des  italischen 
Kanzlers,  des  Bischofs  Gregor  von  Vercelli,  zur  Krönnngsfeier  tatsächlich 
erfolgte".  Der  deutsche  Hof  hielt  sich  damals  in  Oberdeutschiand  auf.  wo 
am  19.  Mai  ein  Hoftag  zu  Augsburg  stattfand.  Die  reichlich  zwei  ^luiiatc 
vom  23.  April  bis  Ende  Juni  haben  daher  zur  .Xbordiuiiig  einer  päpst- 
lichen Gesandtscliaft  ül)er  die  Brenner.straße  nach  Augsburg  (Rom  Augsbtu-g 
745  km  Luftlinie)  und  zum  Eintreffen  der  königlichen  (iegengesniidtschafi 
in  Rom  gereicht.  Gregor  VII.,  der,  was  wir  nicht  \ergessen  dürfen,  seine 
politische  Laufbahn  damit  begann,  daß  er  als  Begl<'iter  des  abgesetzten 
Papstes  (iregors  VI.  von  Rom  nach  Köln  auf  die  Festung  wanderte  und  da- 
bei unliebsame  Gelegenheit  hatte,  mit  oberitalischcn  und  detusclicii  ^'(■l•kf■lll■s- 
fragen  Bekanntschaft  zu  machen,  hat  diese  Erfahrung  dadurch  ü:enützt.  daß 
er  während  seines  Pontitikats  in  Ausnahmefiillen  ganz  kurzfristige  Ladungen 
deutscher   und   ol)eritalisclier   Bischöfe   zu    nnnischcn    .Synoden    \i>i'nalnn. 


'  Tliietmar  von  .Mer.sil)iiij;.  1\  .  2().  cd.  \\\  w/.v.  S.  04  »iiiox  li-i;;itus  tl'i.^li  rmiiiio  i;ihi,i 
perturbans  gaudia  advciiit>. 

-  Für  dieDateii,  Kinzellicitfii  und  /i'uynis.sr  \f;l.  .Mevkr  vd.n  l\^().^Al  .  .ImIiiIi.  Ileiiiricli.i  l\  . 
2,  208 — 22  1.  Bonizo.s  taLsäcliliclii'  .Viifjahcn  wcihIimi  hestiUiiit  durrh  dm  liiicf  di^  Alilf- 
W'alo  von  St.  Arnulf  in  Metz  (Wattoridi  \'itac  l'ont.  i,  741).  woiiacli  \\u\  driiiscinn  Hol'  in 
der  Tat  Beratungen  iiher  dio  von  einer  S'citi  i-cclil  ^t.-nk  MOürlni  litonr  Aii'-ri^cjniiin^  ( ir'-:;iir>  \  IL 
stattfanden. 

3* 


20  T  A  N  n  I, : 

Am  24.  Jnmiar  1074  zitierto  er  dcji  Patriarchen  Sigeliard  von  A(|uilpja 
und  dessen  Siiffragane  zur  Fastensynode  nacli  Rom'.  Diese  Synode  fand 
am  ersten  Fastensonntag  9.  März  statt".  In  der  Frist  von  6  Wochen  mußte 
dalier  der  Patriarch  verständigt  sein,  selb.st  seine  Suffragane  laden  und  die 
Möglichkeit  haben,  die  Zurüstungen  zur  Reise  zu  treffen  und  diese  au.s- 
zuführen.  Das  war  nur  möglich,  wenn  der  Botenritt  Rom  Aquileja  von 
515  km   Luftlinie  binnen    14  Tagen   erledigt   wurde. 

Am  31.  Januar  1074  zitierte  Gregor  VH.  den  Bischof  Jaromir  von  Prag, 
den  mährischen  Bischof  Johann  und  (Gesandte  des  Böhmenherzogs  Wratislav 
zum  Palmsonntag  (13.  April)  nach  Rom".  iJi.schof  Johann  von  Mähren  er- 
schien nicht,  ebensowenig  ließ  sich  Herzog  Wratislav  vertreten,  aber  Bischof 
Gebhard-Jaromir  von  Prag  fand  sich  tatsächlich  in  Rom  ein\  In  10  Wochen 
hatte  sich   daher  die   Fintfernung  Rom-Prag  zweimal   bewältigen   lassen. 

Am  12.  Dezember  1074  lud  Gregor  VII.  den  Erzbischof  Liemar  von 
Bremen,  am  4.  Dezember  den  Erzbischof  Siegfrid  von  Mainz  und  mehrere 
seiner  Suffragane  zur  Fastensynode  (22. —  28.  Februar  1075)  nach  Rom^. 
Die  beiden  Ladungen  dürften  gemeinsam  durch  ein  und  denselben  Boten 
nacli  Deutschland  überbracht  und  daher  erst  um  die  Mitte  Dezember  von 
Rom  abgegangen  sein.  Dazu  fügt  sich  auch  trefflich  die  Klage  Liemars, 
die  Vorladung  sei  so  spät  in  seine  Hände  gelangt,  daß  ihm  kaum  4  Wochen 
zur  Reise  nach  Rom  zur  Verfügung  gestanden  hätten".  F>  trotzte  der  La- 
dung und  wurde  daher  durch  die  Synode  vom  Amte  suspendiert  und  vom 
/Vbendmahl    ausgeschlossen'.     Der    Mainzer    überkam    die    Aufgabe,    noch 

Eegister  Gregois  VII.  I,  42  in  der  im  Druck  befindlichen  Xeuausgabe  von  Caspar, 
M.  ü.  Epist.  seli^ctae  2,  64. 

■•'    Meyer  von  Knonau,  Jahrb.  2.   ,:;47. 

^    Reg.  I  44.  45,  Casi'ar  S.  67. 

'    Meyer  von  Knonau,  .Tahrb.  2,  357,  A.  67. 

'  Reg.  II  28.  29,  Caspar  S.  160  — 161.  Neuere  Versuche,  die  Zitierung  des  Mainzers 
in  das  Jahr  1073  zu  setzen  und  auf  die  Kasteusynode  vom  .Fahre  1074  zu  beziehen  (so  Meyer 
VON  Knonai-.  Jaiirb.  2.  304 1.),  weist  C.wpar  S.  161,  A.  6  durch  den  Hinweis  der  Stellung 
und  T^berlieferung  des  Schreibens  im  Originah'egister  Gregors  VII.  mit  Recht  zurück  und 
bringt  die  Ansicht  der  Streiter  für  1074  (so  Dietrich  SchXfer.  N.  Arch.  17,  418 ff.)  wieder 
zu  Ehren.  Angesichts  der  Überlieferung  im  Originalregister  will  ich  auch  von  einem  Aus- 
gleichungsversuch der  Tagesangaben    .11.  Idiis.   II.  Nonas«,  der  sonst  naheläge,  absehen. 

'■  Brief  Liemars  an  den  Bischof  Ilezilo  von  Hildesheim,  Sudendorf,  Registrum  i,  8, 
Nr.  5  ..ex  qua  die  date  mihi  sunt  littere.  vix  IUI  septimane  supersunt  ad  eain  septimanam! 
qua  synodus  celebrabitur«. 

'    Reg.  II  52a,  Ca.spar  S.  196. 


Bnnifritiiisfnirirn.  21 

seine  Suflragane  von  Konstanz.  Straßl)urg.  8[)ey('r,  Kamberg,  Augsburg  und 
WOrzburg  zu  verständigen,  und  wir  wissen,  daß  er  sich  wenigstens  bei 
Hermann  von  Bamberg  persönlich  bemühte,  ihn  zur  Folgeleistung  zu  be- 
wegen. Siegfrid  von  Mainz  war  am  12.  April,  dem  Tage  der  Ausfertigung 
der  neuen  und  letzten  Ladung  Hermanns  von  Ramberg,  sicher  in  Rom': 
wie  lange  zuvor  und  ob  schon  zur  Zeit  der  Fastensynode  wissen  wir  nicht; 
jedenfalls  befand  er  sicli  nicht  unter  den  durch  die  Synode  Gemaßregelten. 
während  Werner  von  Straßburg  und  Heinrich  von  Speyer  suspendiert  und 
Hennann  von  Bamberg  mit  gleicher  Strafe  bedroht  wurde,  die  denn  auch 
trotz  seinem  verspäteten  Erscheinen  in  Rom  schließlich  über  ihn  herein- 
brach'. Das  Schreiben  (Jregors  \'I1.  an  Heinrich  IV.  vom  8.  Dezember  1075  ', 
in  dem  der  Papst  schwere  Vorwürfe  gegen  den  deutschen  König  erhob, 
gelangte  am  Neujahrstag  1076  zu  Goslar  in  des  Königs  Hände'.  Heinrich  IV. 
berief  daraufhin  auf  den  Sonntag  Septiiagcsima  (24.  Januar  1076)  die  be- 
rühmte Synode  nacli  Worms.  Die  Erklärung  der  zu  Worms  versammelten 
Bischöfe  und  das  Begleitschreiben  Heinrichs  IV.  sind  nicht  datiert,  aber 
in  ihrer  Einreihung  diircli  die  Zeit  des  Zusammentritts  der  Synode  fest 
umgrenzt.  Die  Überbringung  der  Botschaft  hatten  die  Bischöfe  Huzmann 
von  Speyer  und  Burchard  von  Base!  und  ein  mit  den  italischen  Verhält- 
nissen wohlvertrduter  Graf  ?]berhard  übernommen'.  Die  drei  wiegelten  zu- 
nächst auf  einer  Ver.sammlung  in  Piacenza  <lie  lombardischen  Bischöfe  auf, 
blieben  aber  selbst  hier  zurück  und  schickten  mit  dem  Schreiben  einen 
Parmeser  Kleriker  Roland  und  einen  königlichen  Ministerialen  nach  Rom. 
Zur  Zeit  der  Fastensynode  befanden  sich  die  Schriftstücke  bereits  in  den 
Händen  des  Papstes.  Das  Pmtokoll  dieser  Synode  trägt  nur  .laiiresliezeicii- 
nung";  in  früheren  Schreiben  hatte  aber  der  Papst  wiederholt  auf  die  erste 
Fastenwodie  (14. — 20.  Februar)  geladen,  auch-  Bernold  nennt  die  gleiche 
Zeit,   während   Lambert  von  Her.sfeld  als  den  Tag  der  von   ihm  allein   be- 


'    Cod.  Udalrici   Nr.  44.  eil.  .Iaffk.   Bibl.  ici-.  (ummii.  5,  94. 

-    Reg.  II  76.  ("a.si-ak  S.  231). 

•^  Ficg.  III  10.  Ca.simr  S.  263.  \);\s  l'agcsdatiiiii  lautet  allerdings  »VI.  Idu.s  .lanuarii". 
iTitspräche  also  dein  8.  .laiiuar  1076.  alter  zwingende  saohlielie  Gründe  nötigen  hier  zur  .\n- 
nuhnie  eine.s  Irrtum»-,  der  in  dei'  l'ni.sctz.ung  des  Monatsnamens  bereit.s  bei  den  Iden  statt 
den   Kaienden  gelegen   haben  dürfte  (('A.srAR  S.  263,   A.  i)". 

*    IJernoldi,  Chrttn.  .SS.  5,432   -fjuae  legatio  in   ortavis  Doinini  ad  regem   |ier\enit". 

^    Meyer  von  Kno.nau,  Jahrb.  2,  629  fr. 

"    1075  (nach  stilus  P'lorentinu.s  :      1076)  und  die  zu  1076  stiminonde  Indiktion  Xllll. 


22  'I"  A  N  (;  I. : 

liaupteten  Zitierung  Heinriclis  IV.  den  Montag  in  der  zweiten  Fastenwoclie 
(2  2.  Februar  1076)  nennt'.  Die  Fristen  sind  in  diesem  Fall  besonder.s  knapp; 
denn  die  beiden  Botenfalirten  Rom-CJoslar  und  Worms-Rom  müssen  in 
wenig  mehr  als  je  3  Woclien  erledigt  worden  sein,  und  es  ist  sehr  be- 
zeichnend, daß  gerade  die  Kundgebungen,  die  den  lirucli  zwisclien  König 
und  Papst  lierbeiführten,  von  beiden  Seiten  mit  verdoppelter  Eile  über 
Ajiennin  und  Alpen  getragen   wurden. 

Das  Bild,  das  uns  diese  in  die  .lahre  1073-1076  sich  zusammen- 
drängenden Zeugnisse  entrollen,  ist  ganz  einheitlich:  es  setzt  für  Boten- 
lahrt  und  Reisedauer  zwischen  Korn  und  Mitteldeutschland  die  Zeit  von 
höchstens  einem  Monat  voraus,  von  der  in  besonders  dringenden  Fällen  so- 
gar noch   eingespart  werden  konnte. 

Die  Erklärung  der  staufisch  gesinnten  Fürsten  von  Bamberg-Halle, 
.September  1 201  bis  Januar  1202,  wurde  durch  den  Erzbischof  Eberhard 
von  Salzburg,  den  Markgrafen  Konrad  von  der  Lausitz  und  den  Abt  Eber- 
hard von  Salem  an  Paj)st  Innocenz  III.  überbracht".  Am  22.  Januar  i  202 
war  Markgraf  Konräd  in  Halle  a.  S.  noch  Zeuge  in  einer  Urkunde  Philipps 
von  Schwaben '.  Erzbischof  Eberhard  von  Salzburg  war  auf  dem  Hoftag 
in  Halle  nicht  zugegen,  sondern  weilte  damals  in  Maria-Saal  in  Kärnten* 
und  scheint  auch  in  der  nächsten  Zeit  dort  gebliel)en  zu  sein,  so  daß  er 
als  Führer  der  Gesandtschaft  \'on  den  beiden  anderen  Teilnehmern  erst  in 
Kärnten  eingeholt  werden  mußte,  was  von  Halle  aus  zu  einem  nicht  ganz 
unbeträchtlichen  Umw(\!;'  nötigte.  Vom  13.  und  20  >l;ii'z  1202  datieren  be- 
reits Urkunden,   die  Eberhard  \  011  Salzburg  bei  Innocenz  111.  erwirkt  hatte'. 


'    Zusammenstellung  der  Zeugnisse   bei  Mkver  von   KNtiNAr   2.  632,  A.  25. 
-    Über  das  Zustandekommen  der  Erklärung  vgl.  jetzt  (irnuKii.  Das  Itinerar  des  Königs 
l'liilipp  von  Schwaben,  Berliner  Diss.  191 2.  S.  30  f..   A.  4. 

''      BÖH.lIER-FlCKEU     64. 

■'    Meii.i.rk,  Salzburger   Heg.   S.  172  — 173.   Nr.  15 — 17.  * 

'  Meii.leh  S.  174,  Nr.  21  und  22.  Die  Urkunde  Innocenz"  111.  vom  13.  .März  1202. 
-Mkii.iku  Nr.  20,  .Iaksi  H.  Mon.  bist,  ducal.  Carinth.  4.4.  Nr.  1528.  in  der  Eberhard  von  Salz- 
burg mit  der  Untersuchung  einer  Besitzslörungsklage  des  Klosters  Viktring  in  Kärnten  be- 
traut wird,  bi-auchte  seine  persönliche  Anwesenheit  in  Rom  an  sich  keineswegs  vorauszu- 
setzen: da  aber  die  nächste  eigene  Urkunde  Eberhards  nacli  seiner  Heimkehr  demselben 
Kloster  Viktring  gilt  (Mkim.ki!  Nr.  24).  so  ist  es  höchst  wahrscheinlich,  daß  Eberliard  damals 
die  Vertretung  des  Klosters  in  Rom  führte,  und  daß  daher  auch  schon  die  Urkunde  Innoceni'lll. 
für  Viktring  vom  11.  März  1202  (Jaksch,  Mon.  bist.  duc.  Carinth.  4,  4,  Nr.  1527)  der  persön- 
lichen Fürsprache  Eberhards  verdankt  wurde. 


Bonifativsfragen.  23 

Er  mußte  daher  mittlerweile  schon  Zeit  gefunden  haben,  seine  persönlichen 
Angelegenheiten  an  der  Kurie  zu  betreiben  und  die  Ausstellung  der  Ur- 
kunden durch  die  pä])stliclie  Kanzlei  in  die  Wege  zu  leiten,  also  mindestens 
etwa  seit  Anfang  März  in  l\om  weilen.  Für  die  Keise  Halle -Rom  mit  d<>iii 
Umweg  über  Salzburg-Kärnten  bleiben  daher  höchstens  5  Woclien  verfügbar. 

Im  Jahre  i  203  unternahm  Bischof  Wolfger  von  Passau  eine  recht  be- 
hagliche Romreise,  deren  Tagesleistungen  uns  in  den  nacli  verschiedenen 
Seiten  hin  so  ergiel)igen  Reiserechnungen  Wolfgers  fiir  die  Strecken  Wieiier- 
Neustadt-Rom  und  Rom-Augsburg  genau  verzeichnet  sind'.  Kr  brauchte 
zur  Hinreise  die  Zeit  vom  i .  April  bis  9.  Mai  und  voUfulirte  die  etwas 
straflere  Rückreise  von  Rom  nach  Augsburg  in  genau  einem  Monat  (24.  Mai 
bis  24.  Juni).  Wie  bescheiden  dabei  seine  Tagesleistungen  waren,  ergibt  sich 
daraus,  daß  sie  sich  für  Kärnten  mit  denen  der  V'enusfahrttändelei  Ulrichs 
yon  Lichtenstein  decken',  und  daß  die  Leistung  Rom  Bologna  von  Giraldus 
(.'ambrensis  um  ein  volles  Drittel  geschlagen,  statt  in  9  in  6  Tagen  er- 
ledigt wurde^.  Zur  Hinreise  Bologna-Rom  hatte  Wolfger  vollends  19  Tage 
gebraucht;  die  Sehnsucht,  vor  das  Antlitz  Innocenz"  IIL  treten  zu  können, 
liat  ihn  daher  nicht  verzehrt  1  Ich  iialie  schon  vor  vielen  Jahren  darauf 
hingewiesen,  daß  die  l)eiden  einzigen  stärk<'ren  Tagesleistungen  Wolfgers 
(etwa  60  km)  bezeichnenderweise  der  Überwindung  der  Waldwildnis  des 
Semmerings   und  der   Fellaschlucht  galten. 

Erheblich  höhere  Leistungen  als  der  gemächlich  reisende  VV'olfger  voll- 
führten in  jenen  Jahren  zwei  seiner  bischöflichen  .\mtsgenossen.  Der  Reichs- 
hofkanzler Konrad  hatte  bis  in  ilas  Jahr  1200  den  kirchlichen  Zensuren 
Innocenz"  III.,  denen  er  wegen  des  Übergangs  von  Ilildesheim  nach  Wttrz- 
burg  und  der  Beibelialtung  seines  früheren  Bistums  \  erfalleu  war,  getrotzt, 
bis  der  aus  dem  lieiligen  Lande  auf  dfui  Umweg  über  Rom  iicimkehrendc 
Kardinalerzbischof  Konrad  von  Mainz  ihn  dringend  zur  Nachgiebigkeit 
mahnte:  und  im  gleichen  Siiuie  wirkte  das  Schreiben  Innocenz'  III.  an 
Thiemo   von   Bamberg  vom    26.  Januar  1200  ein,   in   dem   der  Papst   deut- 

'  Alles  ein/.eliif  liei  I.rnwii;.  Ri'isi'-  iiiid  Mniscli^esrli«  indiLtUrMl  inj  12.  und  13.  .Inhi-- 
hinidert  .S.  102-103. 

-  M.  Tanoi..  I);is  Itiiifiar  Herzog  Lccipoldv  \'l.  iiri  .lidjrc  1217.  HlSlter  d.  \'ci'.  I'.  I„iihIi'S- 
kiiiiile  villi    Nif'der-Ostorri'ifli    N.  I'.  32,  q6-  -9H. 

'  Vgl.  iiH'ini-  Bespieeliiiiig  \nii  Liid\\i!f>  Keise-  und  Maisejigescliu  iiulii^keil.  Vlitteil. 
i\.  Ili.Stitllts    f.  listeir.  (ie'-rii.-I'iiiseli.    K).  714. 


24  l'  A  N  G  I.  : 

lieh  durchblicken  ließ,  daß  er  im  Falle  der  Unterwerfung  geneigt  sein 
würde,  Milde  walten  zu  lassen'.  Noch  am  15.  März  1200  finden  wir  Kon- 
rad neben  Thiemo  von  Bamberg  —  das  Sclireiben  vom  26.  Januar  mußte 
mittlerweile  in  spätestens  etwa  Monatsfrist  seinen  Weg  nach  Bamberg  ge- 
funden haben  —  als  Teilnehmer  am  lioftag  zu  Nürnberg'.  Noch  vor  dem 
9.  April  traf  er  in  Rom  ein;  denn  unter  diesem  Datum  konnte  der  Papst 
dem  Domkapitel  von  Ilildesheim  bereits  die  Unterwerfung  Konrads  melden. 
Der  Reichshofkanzler  mußte  dalier  die  Strecke  Nürnberg- Augsburg-Verona- 
Rom  mit  einer  Luftlinienentfernuug  von  870  km  in  rund  drei  Wochen  be- 
wältigt'haben. 

Von  Erzbischof  Albrecht  von  Magdeburg  berichtet  die  Magdeburger 
Schöppenchronik,  daß  er  am  8.  Se])tember  1206  au  einem  Hoftag  K.Phi- 
lipps in  Augsburg  teilnahm  und  am  .Mauritiustag  (22.  September)  in  Rom 
eintraf''.  Die  Zuverlässigkeit  des  Berichtes  vorausgesetzt,  ergäbe  sicli  darr 
aus  eine  selbst  den  guten  Dm-chschnitt  weit  übersteigende  Leistung,  die 
aber  in  einzelnen  Zeugnissen  aus  der  Zeit  Gregors  VII.  ein  Seitenstück  findet*. 

Mit  großer  Schnelligkeit  hat  sicli  die  Nachriclit  \on  der  Ermordung 
Philipps  von  Schwaben  (2i..)uin  1208)  verbreitet;  denn  der  päpstliche 
Kardinallegat  Ugoliuo  von  Ostia  hatte  von  ihr  bereits  9  Tage  später  in 
Mantua   Kunde',    was   bei   der  Entfernung  Bamberg-Mantua    von    530  km 


>  Potth.  942,  Reg.  liinoc.  111.  I.  11.  278  li;ihi/.f.  Kpi.stoliic  liinoc.  111.  i.  527:  »vel  si  mi- 
seiicordia  digiius  extiterit.  secuiuluni  beiiignitatein  apnstolicMe  sedis  illaiii  ciiiii  eo  miseri- 
cordiani  i'aciamus.  ppr  quam  iiervus  ccclcsiasticac  (liscipliiiac  iiiiniiii(>  dissolvatm-" .  Vgl. 
Winkelmann,  Jahrb.  Philipps  von  Sciiualjcii  S.  167  I'..  5121'.  (iniiiKR.  Das  Itiiierar  des 
K.  Philipp  von  Schwaben,  Berliiiev  Diss.  19 12   S.  13. 

-  Böh5ier-Fk:kf.r  ,\i-.  42 :  übet-  das  Itincrai-  Philipps  /.n  Brginn  des  .lalii-es  1200  vgl. 
( ii'  iiiiFu   n.  a.  ().  S.  24. 

'  ("hi'onikeii  der  deutschen  .Städte  7.  131.  Winkelmann,  .lalii  Ijüchcr  Philij)ps  von 
Schwaben  411  A.  3  hält  einen  Reichstag  /.n  Augsburg  am  8.  Sej)tend)er  1206  nach  dem  Itinei-ar 
K.  Philipps  für  unmöglich;  dorn  widerspricht  aber  (iuiiuER.  .1.  a.  O.  S.  48.  Die  Ileerlahrt  gegen 
Otto  IN'.,  in  der  WiNKi:i.5iANN  ein  cntsclieidcndrs  llindei-nis  sah.  war  damals  bereits  beendet. 
Zudem  wird  zum  16.  Oktobei'  durch  eine  ganz  andere  (^)uelle.  die  Krf'urtei'  Petei'schronik, 
ein  lioftag  zu  W'ürzburg  gemehlet.  K.  Philipp  hatte  daher  das  uiederrheinische  (iebiet  auf 
alle  Fälle   verlasseiL 

■*  Diese  Beispiele  beweisi'n  zugleich,  dal.i  11alli;r  din'chaus  im  Rechte  \\ar.  für  die 
Meldung  einei'  wichtigen  Nachricht  von  Krfurt  nach  Koni  die  KriSt  eines  Monats  als  völlig 
ausreichend  (iinznschätzeiL  (Heinrich  \  I.  und  die  römische  Kirche.  Mitteil.  d.  Instituts  f. 
öslerr.  Oesch.-Forsch.  35,  661. 

''    (Ji'i'iuEH,   Itinerar   Phili|)ps   von   Schwaben   S.  59. 


Bonifatiusfrayen .  2  5 

Luftlinie  einen  täglichen  Verbreitungsradiiis  von  60  km  Luftlinie  oder  gegen 
80  km  wirklicher  Entfernung  bedeutet. 

Ein  Romwaller  wie  der  Erzbischof  Odo  von  Ronen,  der  sich  1253 
von  seinen  mehr  als  bescheidenen  Tagesleistungen,  von  denen  10  unter 
20  kni  blieben,  durch  14  Ruhetage  erholte,  scheidet  für  unsere  Zwecke 
natürlich  aus'.  Dagegen  liefert  das  Itinerar  des  isländischen  Abtes  Ni- 
kolaus von  Thingeyrar  einen  recht  achtbaren  und  uns  schon  geläufigen 
Durchschnitt:  Mainz-Basel  S  Tage,  Basel -Aosta  6  Tage,  Aosta-Rom 
1 7  Tage '". 

Ein  Itinerar,  das  uns  Matthäus  Paris  überliefert,  ergibt:  Paris -Cham- 
bery  i  2  Tage,  Chambery-Turin  6  Tage,  Turin-Bologna  9  Tage.  Die  Reilic 
läßt  sich  durch  eine  andere,  an  gleicher  Stelle  überlieferte  nach  Rom  zu 
ergänzen:  Bologna-Imola  i  Tag.  Imola-Lucca  i  Tag,  Lucca-Rom  7  Tage, 
insgesamt  in  mäßigen   Leistungen  Paris-Rom   36  Tage ^. 

Als  Teilnehmer  an  der  Romfahrt  Heinrichs  VH.  wurde  der  Bischof 
Theobald  von  Lüttich  am  26.  Mai  131 2,  dem  Höhepunkt  der  schweren 
Straßenkämpfe  in  Rom,  schwer  verwundet  und  starb  am  29.  Mai'.  So- 
bald Theobalds  Tod  in  Lüttich  bekannt  geworden  war,  beraumten  Dekan 
und  Domkapitel  einen  Tag  für  die  Wahl  eines  mamburnus,  d.  li.  Tempo- 
ralienverwalters  an.  Dem  widersetzte  sich  der  Adel,  da  er  Teilnahme  an 
der  Wahl  beanspruchte.  Die  Wahl  wurde  trotzdem  Sonntag,  den  2.. Juli 
1312  vorgenommen  und  fiel  auf  den  Probst  Arnold  von  Blankenheini, 
während  nach  dem  Herkommen  zu  dieser  Stellung  stets  Laien  gewählt 
worden  waren.  Die  Folge  waren  schwere  Kämpfe,  bei  denen  der  mam- 
burnus erschlagen   wurde'. 

Bringt  man  die  Frist  für  .Vnberaumung  der  Wahl  und  die  Verhand- 
lungen mit  dem  Stiftsadel  in  Abstrich,  so  muß  die  Kunde  vom  Tod  des 
Bi.schofs  Theobald    in   weniger   als   Monatsfrist    nach   Lüttieh    gelangt  sein. 

Die  Appellationsschrift,  welche  die  Kardinäle  am  13.  Mai  1408  aus 
Pisa    erließen,     ging     dem    Grafen    Hermann   11.     von     (Jilli     am     6.   Juni 

'  LuDWKi,   Reise-  und  Mai'scIii.'cschwiriiliLilieit   S.  107  (V. 

■'  Lrnwifi.  a.  ;i.  ().  S.  I20(V. 

'  r.tuwir,,  ;i.  a.  O.  S.  laört". 

'  V'jll.   über   diese   Vorjiäiitre  'lui:i;oui)\  n  s.    (lescliiclifc    dci-  Stadt   Uoin   im    Mittelalter. 

5.  Aufl.  6,55—56. 

*  Vgl.   nKN.\i  X,   Histoire   du   |>;ivs  de   l.ii'uc.   },.  Aull.  S.  jo8. 
Phil.-hisl.  Abh.   IUI!).   Kr.  2.  4 


2()  T  A  N  V.  I, : 

zu\  Wenn  man  bedenkt,  daß  das  Datum  der  Appellationsschrift  iiocli  nicht 
gleichbedeutend  ist  mit  dem  der  Versendung,  so  bleibe]!  für  die  Beförde- 
nmg  von  Pisa   nach   Cilli  walirscheinlicli   weniger  als   3  Woclien. 

Eine  Urkunde  aus  Cambrai  vom  Jahre  1431  trägt  folgende  Datierung: 
»Datum  et  actum  in  camera  ])aramenti  palacii  episcopalis  Cameracensis  anno 
etc.  1431  ind.  IX.  die  Veneris  23.  mensis  Mareii,  apostoliea  sede  ut  fertur 
vacante« '.  Papst  Martin  V.  war  am  20.  Februar  1431  gestorben,  sein  Nach- 
folger Eugen  IV.  wurde  am  3.  März  1431  gewählt  und  am  12.  März  ge- 
weiht. Der  Tod  Martins  V.  war  einen  Monat  später  in  Cambrai  schon  be- 
kannt,  dagegen   noch   nicht   die   Erhebung  des   Nachfolgers. 

Man  sieht,  das  Ergebnis  bleil)t  vom  9.  bis  ins  15.  Jalirlnuidert  das  gleiche, 
weil  die  Vorbedingungen  für  Marsch  luid  Reise  im  wesentliclien  dieselben 
blieben:  Zustand  der  Straßen,  Ritt,  etwaiger  Pferdeersatz,  Rasten  und  Her- 
bergen'. In  all(>n  Fällen,  in  denen  ein  gegebenes  Ziel  olme  Abscliwenken 
und  entbehrliche  Rasten  straffer  festgehalten  wird  —  und  das  trlff't  auf 
Gesandtschaftsreisen  und  Botenfahrten  in  erster  Linie  z\i  -  ,  wird  den  zum 
Teil  reclit  widrigen  äußeren  Umständen  ein  sehr  achtbarer  und  steter  Durch- 
schnittserfolg abgerungen,  der  ein(^  Tagesleistung  von  30  bis  40  km  aiich 
mehrere  Wochen  hindurch  als  guies  und  gesichertes  Flerkommen  erscheinen 
läßt,  bei  außerordentlichen  Anlässen  aber  (Tod  des  Bonifatius,  Karls  d.  Gr., 
Ottos  IL,  Philipps  von  Schwaben,  aber  auch  bei  einzelnen  Bischofsreisen) 
zu   Kraftleistungen   von   ungewöhnlicher  Höhe  ansteigt. 

Die  Anwendung  auf  die  Zeit  des  Bonifatius  ergibt,  daß  die  Annahme 
einer  mindestens  zweimonatigen  Dauer  des  Nachrichtendienstes  viel  zu  zag- 

'    GÜNTHEH,    Zur  Vorgeschichte  (lt>s  Koii/.ils  von    l'isa.   N.  Aivh.  41.643   teilt  jetzt  aus 

eiiK^r  Danziger  llandsehi'ilt  die  bislier  onhekannte  Antwort   des  (Irafi-ii  H'']iii; II.  vom  Cilli 

mit.   die   in   ihrem  Text  ausdrücklich  den    Eniplanatsta;;   rieinit. 

-    Repertorium  (iermanicum.      I'onlitlkat  Kükens   IV.      i.lS.   Nr-.  271. 

•  Das  Bild  ändert  sich  mit  einem  Schlafe,  seit  ein  neresrelte--  l'üstx\eseii  wenigstens 
in  Anlangen  einsetzt  und  ein  geregelte]-  Dienst  der  ( )r<linari|)osteri.  Knriei-e  und  Stafetten 
ausgebildet  wii-d.  (\'gl.  W.  Mimmkmioi  r.  Der  Nachrichtendienst  zwischen  Dentschlan.l  und 
Italien  im  16.  .lahrhurulert,  ISerliner  Diss.  1911.)  Jener  nnühertrolVene  Meisterknriei-.  der  im 
•luni  1545  in  50  Stunden  von  Koni  nach  Trient  zum  Konzil  ritt  (^Iimmknhofk  S.  34)  —  der 
D-Zug  vor  dem  Weltkrieg  brauchte  i6Stu;;den:  .  stellte  wohl  auch  die  Ki-aftleistung  Rauipos 
in  den  Schatten.  Nui-  als  Kuriosuin  Hige  ich  die.ser  Zusammenstellung  noch  an,  daß  l'apst 
Pins  VI.  seine  beriUimte  Reise  Rom  Wien  vom  27.  Februar  bis  22.  >Iärzi782  ausl7ilirte. 
während  Kaiser  .lo.sef  II.  für  seinen  (iegeidjesuch  mit  der  knapperen  Zeit  vom  6.  bis  23.  De- 
zember i  783  langte.  (\'gl.  Sr-iii.irrKK.  Die  Reise  des  Papstes  l'ius  VI.  nach  Wien.  Font.  i-er. 
Anstr.    II.  Abt.   47.  I',.    i.    luid    2.  Hälfte.) 


Bo)dfntiiiiifrfi(jt'ii.  27 

liaft  ist.  Ob  von  Fritzlar,  von  dem  wir  l)eisi)ielH\v('ise  ausgehen  wollen, 
der  längere,  aber  damals  viel  begangenere  Weg  über  den  großen  St.  Bern- 
hard (Fritzlar-Basel  410  km.  Hasel- Aosta  200  km.  Aosta-Rom  600  km 
=  i2iokmLL.)  oder  der  kürzere  über  den  Brenner  (Fritzlar  Augsburg 
330  km,  Augsburg-Verona  335  km.  Verona-Rom  410  ^  1075  ^m  LL.)  ge- 
wählt wurde,  mußte  es  möglicli  sein,  Rom  in  einem  Monat  oder  wenig 
darüber  zu  erreichen.  Bonifatius  selbst  mag  seine  Romreiseii  mehr  nach 
Pilgerart  eingerichtet  und  daher  auf  einen  längeren  Zeitraum  ausgedehnt 
haben.  Auf  ihn  persönlich  mag  wenigstens  teilweise  das  Beispiel  Sigeriks 
von  (.'anterbury  oder  ()(h)s  von  Rnuen  zutreffen.  Reisen,  deren  kurze  Tages- 
strecken und  häutige  Rasten  sich  durch  <len  lk>su(*h  (h'r  auf  dem  Pilger- 
wege liegenden  heiligen  Städten  und  Kirchen  erklären,  bei  Ai)ordnung  von 
Boten  an  den  Pai)St  wird  er  auf  tunlichst  rasche  und  Ablenkungen  vermei- 
dende Erreichung  des  Reiseziels  gesehen   haben. 


War  ich  der  Fnrscliung  von  II.  Bokiimkr  gern  i^efolgt,  weil  sie  auch 
dort,  wii  ich  mich  ihr  nicht  anschließen  konnte,  anregte,  so  gehorche  ich 
lediglich  <lem  Zwange,  wenn  ich  atif  den  AngritV  antworte,  den  F.  .1.  Hkndki. 
jüngst  gegen  die  Vita  Stiirmi  unternommen  hat'.  »Um  etwas  zur  Auf- 
hellung des  Dunkels  beizutragen",  das  über  die  (iründung  und  Frühzeit 
des  Klosters  Fulda  noch  herrsche,  kündigt  er  ^nni'  Untersuchungen  an: 
I.  Die  (jiündung  Fuldas  und  die  Vila  Sturmi.  2.  Die  t'hartuln  St.  Bonifatii. 
3.  Das  unechte  Privileg  des  Papstes  Zacharias  und  die  F.ntsteliuugszeit 
der  Pippin-Fälschung.  4.  Die  Datierung  und  Einreiliung  der  Urkunden 
Nr.  22 — 28  und  das  Todesjahr  des  Hoinfatius.  5.  Karls  des  (iroBen  angeli- 
liche  Verleihung  von  Immuidtät  un<l  Abtwahlreclit.  Die  beiden  ersten 
Untersuchungen  sind  jetzt  veröfl'entlicht.  die  drei  iolgenden  steJH'u  uns 
noch  bevor.  Da  ich  an  dem  Dunkel,  das  über  die  Frühzeit  Fuldas  noch 
herrscht,  einigermaßen  mitschuldig  liiii.  muß  ich  wohl  oder  übel  als  Käm])fer 
auf  den  I*lan  treten:  ich  beschränke  mich  in  der  Abwehr  fast  ganz  auf  die 
erste  Untersucliung  über  die  \'it;!  Sturmi  tuid  hoffe,  den  Lesern  s(dion  dabei 
zu  zeigen,  welches  Lichtes  sii-  xoin  Auflielhuigsverfahren  Bkndi.i.s  gewärtig 
sein  dürfen,  werde  Hrn.  Bendii.  aber  s[)äter  l)ei  den  Urkundenuntersuchungen 
erst  recht  dienen. 

'     Sliidien    zur    iill.eslen   ( icscliiclilf    der    Abtei    l'"ul(l,-i.      Histur.  .liilirlmrli  38,  758 — 772. 


28  '■'  '^  ^' '-  '■  ■• 

Bkndkl  bestreitet  die  VerfasserscliMf't  Ki^ils  ;iii  der  Vita  Sturnii,  nimmt 
ihre  verhältnismäßig  junge  handscliriftliclie  t:i)erlieferung  zum  Anlaß,  ihre 
Entstehung  nicht  in  Karolingerzeit,  sondern  erst  um  die  Mitte  des  i  i .  Jahr- 
hunderts zu  suchen.  Ihre  früheste  Benutzung  gesteht  er  erst  In  der  Vita 
Lulli  des  Lambert,  von  Hersfeld  zu.  Das  Verhältnis  zu  Otlohs  Vita  Bonifatii 
sei  erst  noch  näher  zu  ergründen.  »Schließlich  könnte  Otloh  der  Verfasser 
beider  Viten  sein.«  »Aber  selbst,  wenn  Eigils  Urheberschaft  erwiesen  wäre, 
so  wäre  für  die  Glaubwürdigkeit  seines  Werkes  nicht  viel  gewonnen.  Die 
Schrift  wäre  doch  erst  über  ein  halbes  Jahrhundert  nach  dem  Tode  des 
Bonifatius  entstanden.«  Überhaupt  ist  »das  mittelalterhche  Heiligenleben 
kein  Geschichtswerk,  sondern, eine  Dichtung«.  Die  Folgerungen  sind,  ab- 
gesehen davon,  daß  alle  Einzelheiten  der  Vita  ül)er  die  Gründung  Fuldas 
unglaubwürdig  erscheinen,  die,  daß  Sturmi  überhaupt  nicht  Fuldas  erster 
Abt  gewesen,  sondern  dies  erst  seit  768  geworden  sei,  nachdem  Lid,  der 
die  Abtei  von  Bonifatius  überkam,  zurückgetreten  war  und  Hersfeld  ge- 
gründet hatte.  Die  Geschichte  \  on  der  Einsetzung  Sturmis  durch  Bonifatius 
war  in  Fulda  zu  Beginn  des  9.  Jahrhunderts  noch  gar  nicht  geläufig.  Die 
Zusammenfassung  lautet  endlich  (S.  756):  »Damit  entfällt  jeglicher  Grund, 
an  der  bisherigen  Wertung  der  Vita  Sturnii  als  (ieschiclitsquelle  festzuhalten.« 

Der  Name  Eigils,  der  nach  der  Absetzung  Ratgars  (817)  und  einer 
stürmischen  abtlosen  Zwischenzeit  im  Jahre  818  die  Leitung  des  Klosters 
Fulda  überkam'  und  bis  822  führte,  läßt  sich  aus  der  Urheberschaft  der 
Vita  Sturmi  nicht  einfach  wegstreichen,  wie  etwa  der  spät  und  ganz  un- 
verbürgt zugefügte  Name  Fredegar  aus  der  bekannten  Frankenchronik  oder 
die  Ersetzung  des  »Ego  N.«  durch  »Ego  Lampertus«  beim  Ajinalenwerk 
Lamberts  von  Hersfeld  oder  die  von  anderer  und  späterer  Hand  erfolgte 
Beifügung  »nomine  Ansbertus«  zum  nameidosen  Verfasser  des  Berichtes 
über  den  Kreuzzug  Friedricli  Barbarossas,  sondern  Eigil  fuhrt  sich  an  der 
Spitze  der  Vita  zugleich  als  Verfasser  eines  ausführlichen  Widmungsschrei- 
bens an  die  Nonne  Angiltrud  ein,  der  das  ^'erdienst  der  Anregung  der 
Arbeit  zugesprochen  und  das  fertige  Werk  überreicht  wird.  Hat  daher 
Eigil  Widmung  und  Vita  nicht  verlaßt,  dann  hat  ein  Späterer  seinen  Namen 
mißbraucht,  dann  liegt  hier  nichts  (Geringeres  als  eine  Fälschung  auf  den 
Namen  Eigils  vor. 

'    Vgl.  M.  Tangl,  Die  Urkunde   Ludwigs  d.  Fr.   für  Fulda  vom  4.  Aug.  817,  N.  Arch. 

27,  28ir. 


Bonifdf'nisfrnf/cii .  2  9 

So  hat  das  P'.rgobnis  des  Anj;rifls  I.evison  in  einer  ablehnenden  An- 
zeige zutreffend  bezeichnet,  in  der  er  Bendel  das  Übersehen  wichtigster 
Quellenstellen  nachwies'.  Voran  steht  hier  das  ausdrückliche  Zeugnis  des 
Fuldaer  Mönches  ("andidus.  des  Biographen  P]igils"'.  das  Sturmi  als  ersten 
Abt  und  Gründer  Fuldas  und  Eigil  als  seinen  Biographen  nennt.  Derselbe 
Mönch  Brun  oder  Candidus  hatte,  wie  ich  hinzufügen  kann,  vom  Abt  Eigil 
den  Auftrag  erhalten,  das  Leben  Bauguifs,  des  zweiten  Abtes  von  Fulda, 
darzustellen^.  Dieser  Auftrag  hatte  guten  Sinn,  weil  das  Leben  des  ersten 
Abtes  Stumii  Eigil  selbst  bereits  geschildert  hatte. 

Levison  weist  noch  auf  zwei  weitere  Quellen  hin.  Liudger  schildert 
in  seinem  Leben  (Jregors  von  Utrecht,  der  Quölle,  die  uns  als  Ergänzung 
von  Willibalds  Bonifatiusbiograpliie  unentbehrlich  ist,  Sturmi  als  ersten 
Abt  von  Fulda,  der  die  Waldwildnis  Boclionia  durch  seine  Tätigkeit  in  eine 
blühende  Klostersiedelung  umwandelte  und  ^  ou  seinem  Meister  Bonifatius 
das  Vorrecht  erhielt,  in  seiner  Klo.sterkirche  einst  den  Leiclinam  des  großen 
Missionars  aufzimehnien '.  Auch  dies,  die  Ursprünglichkeit  der  Bestattung 
des  Bonifatius   in   Fulda,   wird   von   Bendkt,  angezweifelt. 

Von  durchschlagender  Wichtigkeit  ist  der  Fuldaer  Abtkatalog,  der  in 
einer  Hand.schrift  des  lo.  Jahrhunderts  überliefert  ist,  aber  anscheinend 
auf  noch  ältere  Vorlage  zurückgeht.  Er  nennt  —  übereinstimmend  mit  der 
Vita  Sturmi  —  744  als  das  (iründungsjahr  Fuldas,  Sturmi  als  ersten  Abt 
und  Gründer  und  rühmt  als  dessen  besondere  Verdienste  die  Erwerbung 
Umstadts  bei  Pippin,  ILimmelburgs  bei  Karl  d.  i'V.  und  die  überaus  nütz- 
liche Leitung  eines  Kanals   der  Fulda  durch  die  Klosteranlagen'.      Dieses 

'    N.  Arcli.   41.  768  11.  1 26. 

-  Vita  Eigilis  alihatis  Fuldciisis  eil.  (i.  Wait/.  M.  li.  .SS.  15,  232  c.  22:  Siinili  iiaiiKiuc 
consilio  atqiic  (l4!voIi()iie  idciii  hoiiac  voliintatis  vir  aniiiviTsarhitn  Styrmcs  primi  ahbati.s 
'•t  fuixlatoris  niDiiastiTi  i  Fuhiae  .  .  .  (■cU^brare  .saiicivit  .  .  .  Li-ctioiieni  (jiioquc  libri 
illius,  quem  de  \  ita  sii  pr-a  d  ict  i  abbatis  e  t  i>ri!;''ie  nion  asteri  i  nuperrime  noiniiiati 
Christi  gratia  iargiente  ci)ni|)o.s  u  it.  fr-ati'ibiis  ad  ineiisam  re<-itare  praccepit. 

"  Vita  Klgilis  r.  i  .SS.  i  5,  223  -ex  eo  igitur  tempore,  quo  nie  venerabilis  pater  Aegil  vitaiii 
Kaugulphi  cart  abbatis  iiostri  iain  de  ei'ga.stulo  corporis  absolui  intima  exhoi-tatione  persuasit 
btteris  explioarc.  Vgl.  auch  die  poctisciie  \'ita  Kigils  M.  G.  I'oetac^  lat.  2.  97.  Die.se  Vita 
Bangulfi   ist  leider  veilorcn. 

•    Vita  Gregorii  abbatis  'Iraieclensis  auclore   Liudgero  c.  5  SS.  15.   72. 

'  Catalogus  abbatuni  Fuldensiiini,  SS.  13,  272:  •.\iino  doniiiii  744  [Hiiiins  pater  el 
fundator  Fuldensis  coenobii  Styrnii  per  annos  36  eundeiu  locum  prudentei-  evexit.  (^)ui 
apud  Pibpinum  Otniuntestat.  apud  Karolum  Hamulunburg  adquisivit;  sed  et  inter  alia  multa 


:}0  Tant.  I,: 

Lob  auf  Sturinis  Walten  ist  aber  nieiits  anderes  als  ein  knapper 
Auszug  aus  den  Kapiteln  20  und  21  der  Vita  Sturm  i.  Ist  jetzt 
noch  (^tloli  in  den  60er  Jahren  des  1 1 .  Jahrhunderts  statt  Eigils  der  Ver- 
fasser der  Vita  Stunni,  die  spätestens  im  10.  Jahrhundert  sclion  ihren 
Benutzer  fand? 

Aber  noch  andere  Zeugnisse  kann  ich  beisteuern.  Die  Beschwerde- 
sclirift  der  Fuldaer  Mönclie  bei  Karl  d.  (ir.  gegen  ihren  Abt  Ratgar  vom 
Jahre  812  spricht  von  Sturmi  als  Bonitatiusschüler  und  erstem  Abt,  gedenkt 
seines  einjährigen  Aufenthalts  in  Montecassiiio  und  beruft  sicli  auf  nocli 
lebende  Zeugen',  also  das  gerade  tiegenteil  von  Bkndkls  Annahme  einer 
Tradition,  die  sich  erst  nach  dem  Anfang  des  9.  Jahrliunderts  gebildet  ha])en 
soll.  Die  gleichen  Dinge  bericlitet  Rudolf  von  Fulda  in  seinem  Leben 
Liobas  und  rühmt  dazu  in  deutliclier  Anspielung  auf  Eigil  Sturmis  edle 
Herkunft".  Offenkundig  aber  tritt  die  Bemitzung  der  \ita  Sturmi  in  der 
Vita  Eigils  des  Mönches  Candidus  zutage',  und  das  Machwerk  des  i  i .  Jahr- 
hunderts erscheint  nun  gar  sclion  zu  den  Zeiten  des  Hrabanus  Maurus 
bekannt  und  benutzt. 

Und  dabei  steht  noch  die  Frage  der  Benutzung  bei  Kudolf  von  Fulda 
aus,  zu  deren  Verständnis  wir  uns  alier  zuvor  der  liandschriftlichen  Über- 
lieferung der  A^ita  zuwenden   müssen. 

Die  Vita  Sturmi  ist  uns  nur  in  jüngeren  Handschriften  erhalten;  sie 
teilt  dieses  Mißgeschick  der  ül)erlieferung  mit  mancher  Chronik  und  vielen 

utilia  parteiii  lluiniuis  Fiildac  iiinnasterid  ynT  iU(iiac(iiii'tuiii  introduxit  taute  iitilitatis.  nl  vix 
vcrliis  explicari   queat:   qiii  per  omiiia   utilis  et  laiulaliilis   i().  Kai.  .lan.  obiit. 

'  l>ibelln.s  siipplex  munachoriim  KiiUlensimn.  M.  (!.  K|)]).  4.  549:  über  flas  .lalir  (8i2| 
Vi;l.  V.  SiMsoN,  .lahrb.  Ludwigs  d.  Fr.  i.  373:  »(,)in'a  priiiius  abbas  iiDSter  Sturmis  in  inonasterio 
sancti  Beiiedicti  per  annum  conversans  luie  postea  rediens  secundum  electionein  sancti 
Uonifacii  babitum  eorum  et  vistituni  diiudicaiitis  nnbis  istum  constituit.  cuius  rei  plures  ad- 
liuc  lestes  supersunt.« 

-  ^'ita  l^eobae  abbatissae  Ilisi-ofesiieiiuensis  aucture  KudoHo  ed.  Watiz.  c.  10 — 11. 
SS.  15.  125 — 126:  »Sturmi  discipulum  suum  virum  geiiere  et  moribus  nobilem« :  vi;'.  Vita 
Sturmi   c.  2.  SS.  2,   366    »nobilibus  et   christianis  pai'ciitibus  j;i'nei-atuS". 

■'  ('an(bdi  N'ita  Eifd;iiis  c.  3  SS.  15,  223  »luterea  igitur  Styi'mi  priiiuis  abbas  et  fundator 
Micinastcrii  K'uldae,  i|ueiii  saiictus  Honitaeius  praece])toi'  eins  heremitaui  suuiu  vocitave 
solebat".  Vgl.  Vita  Sturmi  e.  5  SS.  2,  367  »Honil'acius  .  .  .  eremitaui  suu  m  omni  caritatis 
afTectu  suscepit  c.  6  SS.  2.  368  »Honil'acius  mernor  eremitae  sui  Sturmi«.  ...  »Cumque 
indicatum  sancto  fuisset  episcopo  eremitaui  suum  Stürmern  adfuisse«  und  c.  1 1  S.  370 
»ad  eremum  eremitam  suum  Stürmern  al)ire  sanctus  permisit  episcopus«. 


Bonifativsfragen.  31 

Urkunden,  und  es  wäre  unkritisch,  daraus  allein  einen  Verdachtsgrund  gegen 
eine  solche  Quelle  herzuleiten.     Die  tTberlieferungen  sind  eine  Würzburger 
lls.  vom  Jahre  141 7   (W),   eine  Erlanger  aus   dem   13.  Jahrhundert  (E)   und 
eine  Bamberger  aus  dem    15.  Jahrhundert  (B).     Auf  W  mit  nur  ganz   un- 
zulänglicher Heranziehung   von   E    war   die  Ausgabe    von   G.   H.   Pkrtz    in 
den  Monumenta  Gcrmaniae  aufgebaut.     Sie   gibt   von   den  starken  Verschie- 
denheiten   der  beiden    Hss.    kein    Bild.      Darauf   hat    erst  G.  Richter   auf- 
merksam gemacht',   zugleich  unter  dem  Hinweis,  daß  die  neu  hinzutretende 
Hs.  B  sich  an  die  Seite   von  Y^  stellt,  aber  Ableitung  aus  gemeinsamer  Vor- 
lage  wahrscheinlich   macht:   und  erst  E.  Stengel  hat  aus  dem  Material  und 
den  Beobachtungen   von  Richter  den  Scliluß  gezogen,   daß  uns   die  Vita  in 
zwei  verschiedenen   Fassungen  vorliegt,  einer  ursprünglichen,  gerade  durch 
die  jüngere  Hs.  W  gedeckten   und   einer  späteren  kürzenden  und  ändernden 
Überarbeitung,   die   in  E  und  B  erhalten   ist".     Aus  einer  ganzen  Reihe  von 
Stellen  in  verschiedenen  Werken  Rudolfs  von  Fulda,   der  Vita  Leobae,   dem 
Werk  De   reliquiis  sanctorum,   den  Fuldaer  Annalen   hat  Stengel  den  Nach- 
weis geliefert,   daß   Rudolf  von   Fulda   die   Vita   Sturmi   zweifellos  gekannt 
liat,  und  daß  gerade  die  zweite  Fassung  überall  die  Verbindung  zu  Rudolfs 
Texten  herstellt.     Nicht  jede  der  16  Stellen   ist  hierfür  gleicrh  beweiskräftig, 
aber  das  Gesamtergebnis   ist  so  gesichert,  daß  man  sich  ihm  gar  nicht  ent- 
ziehen   kann.      Daraus    ergibt   sich    der   Schluß,    daß    Rudolf  diese    zweite 
Fassung  entweder  .schon  vorgefunden  oder  selbst  geschalten  haben  muß,  und 
in  diesem  zweiten  Sinne  entscheidet  sich  Stengel.   Ohne  diese  Arbeit  Stengels 
zu  nennen  oder  sicli  mit   ihr  auch   nur  in  wenigen  \V(jrten  auseinanderzu- 
setzen,  hat  Bendel  seine  Anschuldigung  der  Fälschung  der  Vita  Sturmi  im 
I  I.Jahrhundert  ausgesprochen:  dabei  kennt  er  Stengels  Fuldensia  und  weiß 
sie  doclt  sonst  zu  zitieren,   wenn  es  gilt.   Sri:N(;rL  eins  am  Zeuge  zu  flicken  'I 

'  G.  Kiiui'KR,  Die  ei'Stcn  .Aiiirui;;!-  der-  B;ui-  und  Kunstliitiijkeit  dos  Klostei's  Fnhhi. 
Dissertation,  Freiburj;  i.  Br.  1900.  iiiicii  cisrliii-neii  .ds  Verörtentlicliurii;  des  Fuldaer  (icschiclils- 
vereins.  Ich  würde  es  si-iii-  Ijc^nibeii.  w<miii  >ic|]  von  dem  zweil'clioscn  Bcdfiifiiis  der 
Miiniimi-ntii  (iermaniac  nach  ••ini  r  \cnans<;al)c  zu  den  lici  I'tdl'.  (i.  Rk hiei!  in  Fnld,!  seif 
.lahren   voriiandenen    N'orarbeltrn   zu   eiinT  solciien   eine   BriirUe  schlaffen   lieLie. 

-  F.  .SrENGEL.  Fuldensia,  Areh.  f.  I  rk.-i'orsch.  5,  4 1  IT.  Aidiaiif;:  iindoir  vcm  i''nl(la 
lind  die  Vita  Sturmi  S.  141      147. 

^  V'i;l.  Bkndei.s  Be.spri'chnnj;  von  Sikm:ki.s  rrkniidenbiieh  (h-s  Klosters  l'ulda  i.  B. 
erste  Hälfte  in  den  Studien  und  .Miileihinj^pn  zur  (iesch.  d.  lienediktinerordens  nnd  seiner 
Zweite,  N.  F.  6.  372 — .391.  480  509  und  die  Krkläriini:  \')n  vos  dkk  Kdit  und  niii'. 
ebenda  .'">.  639.      .S.  389   beliaupti't  ei-,  S  m:n(;i:i,s   Fuldensia    "anliuiM-ksaui   studiert»    /u   haben! 


32  T  A  N  G  L  : 

Mit  dem  Nachweis,  «laß  Bkndkl  seinen  Anoriff  allzu  leichtfertig  unter- 
nommen, eine  ganze  Reilie  entscheidender  Quellenzeugnisse  übersehen  hat, 
ist  der  Streit  um  die  Vita  Sturmi  eigentlich  schon  entschieden.  Aber  die 
Schönheit  und  Bedeutung  der  Quelle  verdient  es,  ihrer  Erzählung  einmal 
im  Zusammenhang  kritisch  zu  folgen.  Sie  wird  die  Proben,  der  wir  sie 
unterzielien  wollen,  gut  bestehen. 

Kigil,  gleich  seinem  Meister  Bajuvare  von  edler  Herkunft  und  mit 
Sturmi  verwandt,  war  als  Knabe  nach  Fulda  gekommen  und  hatte  über 
20  Jahre  unter  der  Leitung  Sturmis  gestanden'.  Vom  Todesjahr  Sturmis 
(779)  zurückgerechnet,  erfolgte  P^igils  Eintritt  ins  Kloster  wohl  in  der 
zweiten  Hälfte  der  fünfziger  Jahre  des  8.  Jahrhunderts,  als(j  bald  nach 
dem  Tod  des  Bonifatius.  \"on  dieser  Zeit  ab  berichtet  <'r  als  Augenzeuge; 
für  Früheres  und  Wichtigstes,  den  Entwicklungsgang  Sturmis  und  die  Grün- 
dung Fuldas,  beruft  er  sich  auf  die  Mitteilungen  von  Gewälirsmäimern,  unter 
denen  die  aus  Sturmis  eigenem  Mund,  obwolil  er  ihrer  nicht  ausdrücklicli 
gedenkt,  wohl  obenan  gestanden  haben  dürften".  Für  die  Zeit  aber,  wann 
er  seine  eigenen  Erinnerungen  und  die  Mitteilungen  seiner  Gewährsmänner 
aufgezeielmet  hat,  bleibt  zwischen  dem  Tod  Sturmis  (779)  und  Eigils  Abt- 
wahl (8i<S)  ein  weiter  S])ielraum,  dessen  Umgrenzung  (i.  Hlitkr  lii.sher  am 
l)esonnensten  versu«;ht  Jiat'.  Die  Vita  Sturmi  ist  aufgezeichnet  nach  dem 
Jahre  791,  in  dem  Abt  Baugulf  den  Bau  der  neuen  Kirche  l)egonnen  liatte. 
und  anderseits  noch  bei  i-ebzeiten  Karls  des  Großen,  also  vor  dem  28.  Ja- 
nuar 8\^\     HüFFERS  Versuch,  diese  Grenze  nocli   weiter  auf  die  Königszeit 

*  Die  Herkunft  und  Verwaiidtscliaft  berichtet  in  der  Vita  Kiij;ilis  SS.  15.  223  über  das 
Weitere  sein  eigener  Bericht  in  dem  Wi(hiiun!i;ssehreil)en  der  Vita  Sturmi  SS.  2,  366:  »Nani 
et  ego  Eigil  in  discipulatu  illius  phis  ([uam  viginti  annos  conversatus  ei'ani  et  sub  ipsius 
coenobii  disciplina  all   inf'antia    usqne  in   haue  aetalem   ruitritus  et  ernditus  suin. 

'^  »(}ua])ropter  nonnuha  eoruni  (juac  seripsi  vidisse  me  testatus  suni.  :  ihigegen  zuvor: 
»et  ([uemadmodum  a  viris  satis  fidelibus,  immo  vasis  Chi-isti,  illius  viri  principia  et  eon- 
\ersationem  et  l'undamina  praedicti   monastcrii   agnuvi.   luiic   ut   ])c)tni   hbellu   ingessi.« 

■'    Korveyer  Studien  S.  124. 

*  Vita  Stui-ini  c.  20  SS.  2,  375:  »Ipse  \eiv)  Sturmi  .  .  .  <-()e])it  .  .  .  temphuii,  id  est 
ecclesiam,  qimd  tnnc  habebant  ornare«:  \gl.  Annah  Fuhlenses  antiq\iissimi  ed.  Kurzk 
S.  138  ad  a.  791:  ..initiuni  ecclesiae  S.  J5oniiacii«.  Anderseits  S.  375 — 76:  Quam  tradi- 
tionem  (von  liammelburg  duich  Karl  den  (iroßen)  Iralres  gratautes  susci])ientes.  Domino 
pro  illius  iiicolumitaic  ])reces  ni>que  hodie  fundunt.«  Vgl.  den  Libellus  su])plex,  M.  (i.  Epp. 
4.  548  »quod  liceat  nobis  orationuni  .  .  .  modum  teuere,  quem  j)atres  nosli-i  habuerunt. 
pro  anueis  nostris  vivontibus  atque  del'unetis.  id  est  quotidianam  preeem  pro  t.-.  domine 
auguste«.   wahrseheiiilicli   iiei'eits   mit   Anspielung  auf  die   \'ita. 


Bonifnt'utsfrayi-n.  33 

Karls  einzuengen,  weil  stets  nur  vom  »König  Karl«  die  Rede  sei  (also 
vor  Weihnacht  800),  scheint  mir,  da  Sturmis  ganzes  Walten  noch  weit  vor 
Karls  Kaiserzeit  lag,  schon  recht  unsicher,  al)er  immer  noch  eher  berechtigt 
als  Stengels  nicht  näher  begründete  Annahme,  daß  die  Abfassung  umge- 
kehrt gerade  in  die  Kaiserzeit  Karls  falle'.  Denn  nirgends  finden  sich  in 
der  Vita  etwa  feindliche  Spitzen  gegen  die  unbilligen  Anforderungen  des 
harten  Abtes  Ratgar  oder  Anklänge  an  den  Libellus  supplex,  dessen  Ur- 
heberschaft man  ja  ebenfalls  Eigil  zusprechen  wollte'";  und  auch  die  An- 
regung des  Werkes  durch  die  Nonne  Angiltrud  gewinnt  nicht  an  Wahrschein- 
lichkeit,  wenn  man   sie  bis  zu  drei  Jahrzehnten  vom  Tode  Sturmis  abrückt. 

Das  Schwergewicht  liegt  immerhin  ganz  in  den  vieljährigen  immittel- 
baren Beziehungen  des  Biographen  zu  seinem  Helden :  sie  konnten  es  ihm 
ermöglichen,  die  Erinnerungsbilder  auch  nach  Jalirzehnten  im  wesentlichen 
richtig  festzuhalten. 

Der  junge  Sturmi.  aus  edlem  bajuvarischen  Geschlecht  entsi)rossen, 
wurde  von  Bonifatius  anläßlich  eines  längeren  Aufenthalts  in  Bayern  als 
Schüler  gewonnen  und  zunächst  zur  geistlichen  Ausbildung  in  das  Kloster 
Fritzlar  gebracht.  Diese  Nachricht  Eigils  läßt  sich  zeitlich  sehr  wohl 
unterbringen.  Der  erste  Anlaß,  als  Bonifatius  im  Jahre  719  auf  dem  Wege 
von  Rom  nach  Thüringen  Bayern  rasch  durchwanderte,  fällt  ganz  außer 
Betracht.  Um  so  besser  paßt  der  zweite  Aufenthalt,  als  Bonifatius,  noch 
bei  Lebzeiten  <les  Herzogs  Hukbert,  Bayern  in  längerem  Verweilen  predi- 
gend, prüfend  und  Irrlehrer  bekämpfend  durchzog  '.  Den  einzigen  Anhalt, 
die  Regierungszeit  Hukberts  luicli  unten  abzugrenzen,  bietet  eine  Freisinger 
Urkunde,  die  vom  12.  Februar  des  i  2.  Regierungsjalires  seines  Nachfolgers 
Odilo  datiert'.      Da   Herzog  Odilo  am    18.  Januar   748   starb,   muß  die  Ur- 


'    Urk.-Hucli  (1.  Kl.  Fulda    i,  2. 

'  GRE(i()R  KiririKR.  Die  ersten  .^ufüii^i'  dfi-  liaii-  und  KuM.stt;iti^l^(■it  in  Fulda.  Dis.ser- 
tntion,  FreiburR  1900.  S.  lof.  iiiul  danach  ^\"  AirFMiM  ji.  (;i-.scli.-(,)ii(dl('n.  7.  Aull.  i,  25,3,  A.  3. 
Aljer  der  Annahme  Rmhtkrs,  daß  die  Stininiunj;  jener  Kämpfe  nnt  RatRar  auf  die  \'ita 
.Sturmi  liereits  eiiifjewirkt  habe  und  daLi  ans  ihr  -Jone  sozusagen  streng  monastisrlie  Fär- 
bung- sich  erkläre,  die  Kii^il  seinem  Bericht  ül)er  die  Urgeschichte  des  Klosters  gegeben 
hat,  vennag  ich  in   keiner  Weise  zu   folgen. 

^  Willibald  Vita  Botufatii  ed.  I.kvison  S.  351'.  und  mit  anderen  Worten,  aber  gleichem 
.Sinn   Higils  Vita  .Sturmi  e.  2,  .SS.  2,  366. 

*  iirrrKBAi'F.  Die  Traditionen  des  Hoehstilts  F'reising  i,  29  .N'r.  2  "XU  die  mensis 
Februarii  in  loco  nuiicupante  Machinga   anno   XII  Oatiloni   diu'is». 

Phil.-hisl.Abh.  1911).  Nr.  2.  5 


34  Tangl: 

künde  s])ätestens  am  12.  Februar  747  ausgestellt  sein.  Die  Epoche  des 
Regierungsantrittes  Odilos  muß  daher  unbedingt  vor  den  12.  Februar  736 
fallen,  kann  aber  anderseits  auch  nicht  allzuweit  zurückliegen;  denn  Willi- 
bald ordnet  seine  Erzählung  in  dieser  Zeitfolge:  Pontifikatswechsel  in  Rom, 
Begrüßung  des  neuen  Papstes  Gregors  111.  731,  Erhebung  des  Bonifatius 
zum  Missionserzbischof  732,  Gründung  des  Klosters  Fritzlar  (732  —  733), 
Aufenthalt  in  Bayern  unter  Hukbert.  Da  Bonifatius  735  Streit  mit  der 
altfränkischen  Geistlichkeit  führte,  in  dessen  Verlauf  er  in  Rom  Nachfor- 
schungen im  Register  Gregors  I.  anstellen  ließ',  ist  für  dieses  Jahr  seine 
Anwesenlieit  in  Hessen- Thüringen  anzunehmen  und  für  das  Wirken  in 
Bayern   daher   734  am   wahrscheinlichsten'". 

Schon  wenige  Jahre  später  (737)  konnte  Bonifatius  bei  der  Neuordnung 
der  Verhältnisse  im  Kloster  Fritzlar  nach  dem  Tode  des  Aljtes  Wigbert 
den  jungen  Sturmi  zum  Küchenmeister  bestellen '.  Nach  der  Rückkelir  des 
Bonifatius  aus  Rom  (738)  empfing  Sturmi  die  Priesterweihe  und  Avar  darauf 
etwa  3  Jahre  in  der  Mission  tätig'.  Die  Jahre  739 — 742,  auf  die  wir  dabei 
gelangen,  fügen  sich  wieder  trefflich  in  den  Zusammenhang  ein.  Es  ist 
die  Zeit,  da  Bonifatius  den  großzügigen  Versuch  der  Sachsenmission 
unternahm,  zu  der  er  seine  angelsächsische]]  Landsleute  so  eifrig  zur  Mit- 
arbeiterschaft warb  und  bei  der  er  wohl  auch  seinen  bajuvarischen  Jünger 
beschäftigt  haben  wird.  Die  kaum  einjährige  Hersfelder  Episode'  und 
die  Suche  nach  einer  besser  geeigneten  Stätte  schließen  diese  Reihe 
auch  bis  zum  nächsten  festen  Zeitpunkt,  der  Gründung  Fuldas  744,  ge- 
sichert ab. 

F'rfahren  so  Eigils  Angaben  erfrei]licl]e  Bestätigung,  so  muß  anderes 
unwese]itliches  Beiwerk  ebe]iso  bestimmt  preisgegebe]i  worden.  Sturmi  kann 
nicht  als  u]imün(liger  Knabe   von  seinen  Eltern  der  Obhut  des  Missionars 


'    Elp.  Nr.  32 — 34;  über  die   Kiiireiluinj;  zu    735.  S.  55   A.  i. 

^  So  bereits  Fischer,  Uonifatius  S.  272:  Hiezi.kr,  Gesch.  Kaverns  i,  103  »etwa  735-. 
Hauck  I,  496  A.  3  ..Jedenfalls  voi-  736,  vielleicht  im  Siimnier  735«.  Boeiimer  S.  213  ..vor  736.. 

'    Ep.   Nr.  40  (s.   oben  S.  13)    ..Styrme   in   coqnina   Sit». 

''  Vita  Sturmi  c.  3  SS.  2,  366  .. Post  iion  longiini  tciiipüris  preshvter  oninium  voluntate 
onmiiiinque  consensu  servonim  onlinatus  coejjit  mystica  dicta  ('hristi  circumqiiaque  tempo- 
ribus  oportunis  populis  instanter  pi-acdicarc.. . 

■'  Vgl.  über  die  Hiclitigkcit  dei-  Lesart  der  durch  die  WürzlHirger  Hs.  gedeckten 
nrsprüngliciien  Fassung  ..non  iam  anno«  gegenüber  der  von  Pertz  an  dieser  Stelle  bevor- 
zugten Erlanger  IIa.  »nono  iam  anno..  Stenciel,  Fuldensia,  Ai-cb.  f.  l'rk.  Forsch.  5.  142 — 143. 


Bon  ifathisfragen .  3  5 

übergeben  worden  sein'.  Zum  Küchenmeister  in  Fritzlar  kann  Bonifatius 
737  keinen  Unmündigen  bestellt  haben;  und  der  Empfang  der  Priesterweihe 
vollends  setzt  damals  ordnungsmäßig  das  30.  Lebensjahr  voraus".  Sturmi 
muß  seinen  Anschluß  an  Bonifatius  als  etwa  2  5Jä]iriger  junger  Mann  aus 
eigenem  freien  Entschluß  vollzogen  haben.  Eigil  aber  liat  die  Erinnerung 
an  seinen  eigenen  Klostereintritt  »al)  infantia«  zu  Unrecht  auch  auf  seinen 
Meister  Sturmi  übertragen. 

Den  Entschluß  Sturmis,  der  Seelsorgc  zu  entsagen  und  sich  mön- 
chischem Anachoretentum  zu  widmen,  auf  den  das  Mißlingen  der  Sachsen- 
mission vielleicht  nicht  oline  Eintluß  gewesen  war,  billigt  Bonifatius  zwar, 
beschließt  aber,  den  Eifer  des  Asketen  seinen  höhereu  Zielen  dienstbar  zu 
machen.  Sturmis  erste  Wahl  fiel  auf  die  Stätte  des  späteren  Hersfeld,  an  der 
er  sich  in  eilig  und  notdürftig  zureclit  gezimmerten  Hütten  mit  wenigen 
Genossen  einrichtete;  aber  sie  fand  wegen  der  zu  befürchtenden  Gefährdung 
durch  die  nahen  Sachsen  nicht  den  Beifall  des  Erzbischofs  '.  Der  Auftrag, 
fuldaaufwärts  eine  besser  gesicherte  Stelle  ausfindig  zu  machen,  führt  Sturmi 
bei  dem  zweiten  Versuch  in  die  Gegend  vom  Fulda,  die  er  mit  dem  Scharf- 
blick, den  er  bei  Hersfeld  schon  bewährt  hatte,  als  zu  einer  Klostergründung 
in  jeder  Weise  geeignet  erkannte.  Die  lebendige  Schilderung  aller  Einzel- 
heiten dieses  Pfadfindertums  bietet  uns  ein  Kulturbild  für  Zeit  und  Gegend, 
das  wir  uns  aus  der  Reihe  der  Quellenerzeugnisse  doch  nicht  gleichmütig 
streichen  lassen  möchten  und  von  dem  wir  kaum  eine  Einzellieit  preis- 
zugeben brauchen.  Der  endlos  sich  dehnende  Bucheimrwald  ist  der  Wald- 
tiere noch  fast  ungestörte  Heimstätte,  aber  aucli  menschlicher  Siedelung 
nicht  mehr  völlig  fremd    und   von    einem   Straßenzuq;    bereits   durch(|uert*. 

'     Vita   Stiii-iiii  S.  366    "  Tiiiic    cliaii]    pm-r  Stiiriiii   |jrc(atu   parcatiiiri   ,il)  eo  sn.sccptiis« . 

''  \'j\.  die  ZusamiiK'iisti'lliiii^  ilrr  liis  ins  4.  .iahiliuiuliTt  ziiriickrciciiriHlen  Helene 
S.  198,  .V.  I  nielniT  .\ii.sjial)e  der  lloiiiratiiisliriele.  Aul'  eine  AiilVatie  des  lionilatius  inri'statt<'t 
später  I'.  Zacharias  am  4.  Nnveiiiber  751  (S.  198).  in  Aiisiiahineriillcn  die  Wciiic  von  l'iiestern 
und  Diakonen  Inreits  nach  vollindeteni  25.  Lebtiisjalii'  einticlfu  /u  lassen.  \'oi-  d<Mn  Kin- 
treflen  dies<T  päpstlichen  Voihnacht  wird  sieh  dei-  in  solehm  Dingi'n  so  i;e\vissenh;(ft<'  lioni- 
latius sicher  stren;;  an  die   hi'Slehende   N'orsebrifl   ^(ehalten   haljen. 

^  Diese  IJegrilndung  <ler  \'ita  ist  dinclians  uiaiilivviirdiL;  nnd  wird  diiicli  den  Hinweis 
ant  da.s  der  Sachsenjii'en/.i'  noch  nähere  I'ritzlai-  niehl  w  iderhüt.  da  /.wischen  der  (iinndniif^ 
l'Vit/lats  inid  Sturmis  Versnchen  das  WiediTanrield'n  der  Sa(hsetd<äinj)('e  nnd  das  Sciieitern 
des  .Missioiis Versuches  laf^. 

'  Auch  hiei-t'lii-  ist  II.  I!oi-.ii.mkhs  nene  Aiheit  sehr  willUonunen.  die  S.  195  zwei 
.StralSenzüge    von    Maiir/.    nach    Ihiiringen    leststelll :     eiiifii    niirdlielieren.    iler    iini;el'ähf    (h'n 


36  T  A  N  0  L  : 

Die  Wahl  dieses  Geländes  findet  den  vollen  Beifall  des  Erzbischofs; 
und  während  sich  Sturmi  der  Anfechtungen  einzelner  im  Buchenwald  be- 
reits seßhafter  und  um  die  Beeinträchtigung  ihrer  älteren  Rechte  besorgter 
Siedler  zu  erwehren  hat,  begibt  sich  Bonifatius  an  die  Pfalz  des  Major- 
domus  Karlmann,  des  Gebieters  über  die  Osthälfte  des  Frankenreiches, 
um  sich  von  ihm  das  Ödland,  das  es  im  wesentUchen  noch  war,  zum 
Zweck  der  Klostergründung  schenken  zu  lassen'. 

Die  äußere  Form,  in  der  uns  Eigil  diese  Verhandlungen  des  Boni- 
fatius mit  Karlmann  mitteilt,  ist  die  der  mit  »in(iuit«  und  »dicens«  ein- 
geleiteten direkten  Rede,  in  der  er  ganz  gleichartig  schon  zuvor  zur  Be- 
lebung der  Darstellung  die  Wechselreden  zwischen  Bonifatius  und  Sturmi 
in  eigener  und  freier  Erfindung  einflocht.  Hier  aber  steckt  liinter  dieser 
Form  doch  mehr.  Nicht  nur,  daß  uns  die  Tatsache  der  Ausfertigung 
einer  Schenkungsurkunde  Karlmanns  durch  die  unmittelbar  anschließenden 
Worte  der  Vita  ausdrücklich  bezeugt",  und  daß  uns  die  Zuverlässigkeit 
dieses  Zeugnisses  dadurch  verbürgt  ist,  daß  diese  Urkunde  in  Fulda  zu 
Ausgang  des  1 1 .  Jahrhunderts  noch  vorhanden  war,  sind  wir  zur  Annahme 
berechtigt,  daß  uns  Eigil  in  Karlmanns  Rede  zugleich  den  wesentlichen' 
Inhalt  dieser  Urkunde  überliefert  hat  «dicens:  Locus  quidem,  quem  petis, 
et  qui,  ut  asseris,  Eihloha  nuncupatur,  in  rijaa  fluminis  Fuldae,  (juidquid 
in  hac  die  proprium  ibi  videor  habere,  totum  et  integrum  de  iure  meo  in 
ius  Domini  trado,  ita  at  ab  illo  loco  undique  in  circuitu  ab  Oriente  sci- 
licet  et  occidente  a  septemtiione  et  meridie  marclia  per  quatuor  milia 
passuum  tendatur«.  Über  diesen  Text  halte  icli  noch  heute  mit  jedem 
Wort  das  Urteil  aufrecht,  das  ich  über  ihn  vor  genau  20  Jahren  abge- 
geben habe,  «daß  er  für  den  Rechtsinhalt  der  Urkunde  einen  ausreichenden 
imd  selbst  für  gewisse  Schlüsse  auf  Form   und  Fassung  der  Urkunde  einen 

späteren  »langen  Hessen»  entspracli,  von  l'rfurt  über  Kisenacli.  Kreii/J)ei'i.'  a.  d.  Werra,  dem 
Fnldaiibergang  bei  Altnioischen  oder  Melsnngen  über  Trevsa.  Ebsdorl'  nach  Aniöueburg 
und  über  Butzbach  nach  Mainz  und  den  andern,  südlicheren,  den  sogenaiuiten  "Kaufmanns- 
weg« über  Vacha  a.  d.  Werra,  Hersleid.  Fulda,  am  Kand  des  Vogelsberges  auf  die  alte 
Itömerstraße  zu    im  'J'al  der  Nidder  und   über  Hochheim  nach  Mainz. 

'  Die  Phantastik,  die  K.  Ri'iikl,  Die  Franken,  ihr  Kroberungs-  und  Siedelungssysteni 
S.  37 — 60  an  die  Mißdeutung  ui:d  Verzerrung  des  ganzen  »Berichts  der  Vita  Sturmi« 
wandte,  ist  von  Brandi,  Götting.  gel.  Anz.  1908,  40 — 44  schlagend  zurückgewiesen  worden. 

■'  SS.  2,  370  »Porro  rex  ( —  den  Königstitel  ninunt  Eigil  für  die  Hausmaier 
ständig  vorweg  — )   iussit  chartani  suae   traditionis  soribi.  i|uaiii  ipse  propi-ia  manu  firmavit.. 


Bonifatiusfi-ugen.  37 

teilweisen  Anhaltspunkt  gewährt«'.  Das  gilt  vor  allem  von  der  Art  der 
Landzuwendung  im  Umkreis  von  bestimmtem  Durchmesser.  Stengel  hat 
für  diese  Art  von  Schenkung,  die  für  ( )dland  bezeichnend  ist,  Belege  bei- 
gebracht": er  hätte  sie  schon  aus  der  älteren  Zusammenstellung  von  Brandi^ 
etwas  vermehren  können,  und  er  hat  ilas  wichtigste  Beispiel  vergessen : 
In  ganz  gleicher  Weise  wurde  nach  dem  Zeugnis  der  im  Jahre  790  auf- 
gezeichneten, unbedingt  glaubwürdigen  Notitia  Arnonis  zu  Anfang  des 
8.  Jahrhunderts  durch  den  Bayernherzog  Theodo  die  Maxirailianszelle,  das 
heutige  Bischofshofen  im  Pongau,  an  die  Kirclie  von  Salzburg  übergeben : 
»et  Theodo  dux  tradidit  ipsum  locum  ad  sanctum  Petrum  ad  Salzpurch 
monasterium  et  ex  omni  parte  miliarios  111«'.  Aber  nicht  nur  darin  liegt 
die  schlagende  Ähnlichkeit,  sondern  in  der  weiteren  Ausgestaltung,  die 
diese  Schenkung  erfuhr.  An  die  Stelle  der  Flächenangabe  durch  die  un- 
gefähre Größe  des  Durchmessers  setzte  schon  der  zweite  Nachfolger 
Theodos,  Herzog  Odilo,  eine  Umgrenzung:  »dedit  <|UO(iuo  idem  dux  Otilo 
ad  eandem  celiam  sancti  Maximilian!  sursuni  et  versum  per  Salzaha  tlumen 
ex  utraque  ripa  ipsius  lluminis  saltuni  ;id  venatioiiem  at(iue  ad  pascua  pe- 
corum  alpes  et  silvam  a  loco,  cpii  dicitur  Strupe,  et  ad  Purch  et  illas 
alpes,  ubi  Swarzaha  oritur,  et  sie  in  occidentem  et  acjuilonem,  ad  orientem 
et  austrum  uscjue  ad  Stegen«'.  Die  wenigen  Namen  gestatten  trotzdem 
eine  sichere  Deutung'':  Es  sind  genau  die  Grenzen  des  Pongaus,  die  durch 
sie  umschrieben  werden.  Bendei.  hätte  sich  durch  die  Beachtung  dieses 
Falles  das  Ko])fzerbrechen  über  zwei  Dinge  in  der  Fuldaer  Sdicnkung  er- 
sparen   können.      Er    findet    den    Umfang    der   Schenkung    Karlmanns   mit 


'  Die  Fuldaer  Privilc^ienlVattc,  Mitteii.  d.  Instituts  (.  üstfri'.  (ii'sch.-For-.scli.  20.220. 
Prt.i  ok-Hartcng,  Diploiiiati.seh-liistni-iscli<'  Fdrsclniiiiien  S.  235  hfUlai^t  in  dem  seit  di'iu 
12.  .Iiihrliiiiiil<;rt  eiiigeti'eteiH'ii  Verlust  den  Kiiti^aiif;  der  » wicIitiusttMi  idlcr  l'nldiii'r  UrkiiiKle]]-. 
Brandi.  Göttinff.  f^ei.  Aiiz.  1908^'  urteilt  über  die  i^igiistelle.  diil.i  sie  sieh  »wie  eiji  Urkundeii- 
au.sziig"  lese.  Vgl.  Jetzt  den  neuen  re\lid)diiiek  und  die  einf;eliende  iMliiuleruiii;  durcii 
•Stkncki-   Fuldaer  L"rkuiidenl)ucli  i.  2    Nr.  4   und   Fuidonsia,   Arcli.   1'.   l'rK.-Forsel].    5.  77      .S6. 

■■'    Urkundeiddicli   des   Klosters    i'ulda    r.  5. 

'    A.  a.  ().    13  f. 

'     Hai:  riiALER,  .Sal/hnrger   l  ikundenbucli    i.  15. 

'  Salzburger  l'rkundeidiueii  1.31  iilierli<>i"eit  in  den  Hre\es  nntiliae  ans  dem  9.  .lahr- 
hundert. 

''  Vgl.  die  treiriirlien  und  vollkDUunen  ülier/euyenden  Frliiuternngen  von  Kuiakd 
Rirn  rr.R.  Immutiität.  I-andesliolieit  und  Waldsehenkimueu.  Al)liandluugen  /um  histoiiseljen 
Atlas  der'  oslerreieliiselien    AI()eTdiindei'.    Ar-cliiv   I'.   österr.   (tescii.   94.5611', 


38  Tangl: 

ihrem  Durchmesser  von  8—9  Kilometern  für  die  Anfänge  eines' Klosters 
viel  zu  stattlich.  Der  Durchmesser  der  Landsclienkung  an  die  Maximi- 
lianszelle im  Pongau,  mit  deren  Bedeutung  es  Fulda  selbst  in  seinen  An- 
fängen doch  getrost  aufnehmen  konnte,  beträgt  aber  reichlich  das  Drei- 
fache und  stimmt  mit  den  3  Meilen,  unter  denen  hier  bereits  deutsche 
Meilen  zu  verstehen  sind,  weder  nach  der  Länge  noch  nach  der  Breite 
auch  nur  entfernt,  so  daß  die  Abweichungen  des  Fuldaer  Klostergebiets 
von  dem  Normaldurchmesser  der  Karlmann-Schenkung  demgegenüber  als 
sehr  geringfügig  erscheinen. 

Diese  Umgrenzung  fand  dann  im  10.  Jahrhundert,  spätestens  977, 
Aufnahme  in  die  größte  Salzburger  Fälschung  auf  den  Namen  König  Ar- 
nulfs' und  wurde  in  ihr  im  11.  Jahrhundert  erst  noch  weiter  und  gründ- 
lich verfälscht. 

Ganz  ähnlich  erging  es  der  Karlmann-Schenkung  für  Fulda.  Sie  wurde 
in  der  ersten  Hälfte  des  9.  Jahrhunderts  in  die  neue  Form  einer  genauen 
Grenzweisung  gekleidet  und  im  12.  Jahrhundert  durch  den  Mönch  Eberhard 
von  Fulda  zu  einer  Urkunde  des  heiligen  Bonifatius  verfälscht,  in  welchem 
Gewände  sie  als  die  sogenannte  »Chartula  S.  Bonifatii«  überliefert  ist  und 
bis  in  die  jüngste  Zeit  arglos  als  echt,  hingenommen  wurde.  An  diesem 
Urteil,  das  ich  über  diese  Urkunde  längst  gefaßt  hatte,  halte  ich  auch  heute 
fest.  Die  Bemühungen  Stengels'",  die  Fälschung  der  Bonifatius-Urkunde 
bereits  dem  Mönch  Rudolf  von  Fulda  in  der  ersten  Hälfte  des  9.  Jahrhunderts 
zuzuschreiben,  haben  mich  in  keiner  Weise  überzeugt;  denn  die  Fälscliung 
steht  in  untrennbarem  Zusammenhang  mit  einer  andern,  ebenfalls  auf  den 
Namen  des  Bonifatius  unternommenen',  deren  Urhelierscliaft  durch  Eber- 
hard auch  Stengel  nicht  leugnen  kann.  Außerdem  fehlt  sie  in  den  Ful- 
daer Urkundenverzeichnissen  des  1 1.  Jahrlumderts,  und  auch  ein  so  eifriger 
Sucher  nach  Bonifatius-Überlielerung  wie  ( )tloh  hätte  sie  sich,  wenn  sie 
bereits  vorhanden  gewesen  wäre,  für  seine  Bonifatius -Vita  nicht  entgehen 
lassen.  In  dieser  Frage  muß  ieii  daher  den  Bedenken,  die  Bendel  im  zwei- 
ten Teil  seiner  Abhandlung  über  die  Chartula  S.  Bonifatii  vorgebracht  hat, 
wenigstens  teilweise  recht  geben. 


'    Mühlbachei-  Reg.    1850  (1801)  Salzbiiriier  Ui-kundenbucli   2.56  Ni-.  ,^4. 

-    Fuldaer  Uikundenbucli  1,7   Nr.  5,6    und  Kuldeiisi;).  Aich.  f.  l  rk.-Forscl].  5.  54-77. 

'     Fuldacr  l,'rkun(lrril)ii('li  1.21    Ni'.   14. 


Bonifntiiisfragen.  39 

Die  zurückhaltende  Art,  in  der  ieli  mieli  seinerzeit  über  die  Fassung 
des  Urkundenauszugs  geäußert  lial>e,  findet  in  einer  Einzelheit  eine  Be- 
stätigung. Die  Worte  »de  iure  meo  in  ins  Domini  trado«  sucht  man  ver- 
geblich in  anderen  Fuldaer  Urkunden,  wohl  aber  begegnen  sie  abermals 
bei  Eigil  in  seinem  Bericht  über  die  Schenkung  von  Hammelburg  durch 
Karl  den  Großen':  hier  aber  stehen  wir,  da  wir  noch  das  Original  dieser 
Urkunde  besitzen',  aui"  ganz  gesichertem  Boden,  und  wir  erkennen,  daß 
diese  Wendung  auf  Kigil  selbst  und  allein,  nicht  auf  seine  urkundlichen 
Vorlagen  zurückgeht.  Umgekehrt  stimmt  die  Anrede,  die  Eigil  den  Boni- 
fatius  an  Karlmann  halten  läßt,  verblüffend  gut  mit  dem  Briefstil  aus  der 
späteren  Zeit  des  Bonifatius,  liat  beispielsweise  mit  dem  Schreiben  an  Pippin 
Nr.  107  die  kurzen  Sätze  und  den  Wechsel  von  Singular  und  Plural  ge- 
mein und  weist  durch  das  Wort  »inmarcescibilis«  ^  sogar  auf  ganz  be- 
stimmte Spur.  Dies  Wort,  das  dem  klassischen  Latein  noch  fremd  ist,  wird 
erst  im  Kirchenlatein  eingebürgert,  als  auch  dort  sonst  recht  seltene  Vokabel 
vom  angelsächsischen  Modedichter  Aldhelm  gern  gebraucht  und  in  Nach- 
ahmung dieses  Vorbildes  von  Bonifatius,  l)esonders  eifrig  aber  von  Lul  ver- 
wendet\  der  nach  meiner  Annahme  den  Bonifatius  im  letzten  Jahrzehnt 
bei  der  Abfassung  seiner  Briefe  unterstützte'.  Ich  hnlte  es  daher  nicht 
fiir  ausgeschlossen,  daß  den  persönlichen  Verhandlungen  ein  schriftlicher 
Antrag  des  Bonifatius  voranging,  der  in  Eigils  Bericht  in  brauchbarer  Wieder- 
gal)e  vorliegt. 

Als  Zeit  für  das  Einschreiten  des  Bonifatius  liei  Knrhnann  kommt  nur 
das  Jahr  743  in  Betracht.  Die  Vermutung  Stkn^els,  daß  es  sich  an  die 
bezeugte  Anwesenheit  des  Erzbischofs  bei  Hof  anläßlich  der  Synode  von 
Estinnes  anfangs  März   743   anschloß,    ist  immerhin   erwägenswert. 

Ebenso  ist  der  12.  März  744  als  Tag  der  Gründung  Fuldas  gesichert''. 
Die  Angaben  der  Vita  verdienen   hier  volles  Zutrauen   und   finden   für  das 

'  S.  S.  2.  375  "de  iiiif  suo  in  iii.s  Doniini  et  .sancti  Bdiiifarii  ad  coonobiiiin  Fuldae 
tradidit-. 

2    jNI.  (i.  Dii)l.  Karol.  1,  162    DK.  116. 

'    S.  .S.  2,  370  >f|uateniis  voliis  inimarccssibilu  inutui.s  coriiiu  altissiiiii)  lege  .  .  .  inaneat«. 

*    Vgl.  meine  Honitatius-.Stndicii  I.  N.  Arcli. 40.733  inul  die  Aiisüabo  d<'i'  Briefe  .S.  192  A.  i. 

'    N.  .\rcli.  41.  43. 

"  SS.  2,  370  -anno  ineainationis  Cliiisti  septinijii'ntesiino  rinadragesinio  qiiarti),  regnan- 
tibus  in  hac  gente  Franconini  diiobus  IVatribus  Karlomaiino  atqiie  Pippino,  iiidictioiie  XII, 
mense  priino,  duodecinio  die  niensis  eiusdein-. 


40  I   A  N  G  L : 

Jalir  in  den  ältesten  Fnldaer  Annalen  Ik'stätigung.  Auch  die  Fassung  spricht 
dafür,  daß  sie  in  einer  Inschrift  festgehalten  war,  die  Kigil  für  seine  Vita 
übernahm.  Alle  weiteren  Versuche  aber,  aus  dieser  Datierung  und  ihrer 
verderbten  Weiterl)ildung  in  der  Chartula  S.  HoniAitii  Schlüsse  auf  die  Da- 
tierung der  Karlmann-Urkunde  zu   ziehen',   scheinen  mir  aussichtslos. 

]^esonders  mache  ich  nocli  darauf  aufmerksam,  daß  die  Bezeichnung 
des  März  als  «mensis  ])rimus«  eine  spätere  Kntstehung  im  9.  (geschweige 
denn  im  1  i. !)  Jahrhundert  ausscliließt ;  denn  sie  zäldt  neben  der  Fortsetzung 
Fredegars,  dem  Kanon  4  der  Synode  ^-on  Verneuil  vom  Jahre  755  und 
einer  Freisinger  Urkunde  von  765  —  767"  zu  den  jüngsteji  Zeugnissen 
des  der  Merowingerzeit  geläufigen,  im  Karolingerreich  seit  Karl  dem  Großen 
aufgegebenen  Jahresanfangs   vom  i.  März. 

Für  andere  Fragen,  nuf  die  Hendel  ebenfalls  eingeht,  das  Todesjahr 
des  Bonifatius,  den  Streit  Sturmis  mit  Lul,  der  an  der  Balire  des  Heiligen 
schon  wetterleuchtet  und  wenige  Jahre  später  ausbrach,  die  Verbannung 
und  Rückberufung  Sturmis  und  die  Rolle,  die  dabei  das  päpstliche  Eixem- 
tionsprivileg  spielte,  kann  ich  lediglich  auf  meine  früheren  Arbeiten  ver- 
weisen'.  Ich  habe  ihren  Ergebnissen  nichts  hinzuzufügen  und  nichts  ab- 
zustreichen und  k;inn  zur  Willkür  und  (Gewalttätigkeit,  mit  der  Bendel  jetzt 
die  Datierung  ihm  unbeq<iemer  Fuldaer  Privaturkunden  los  zu  werden  suclit, 
nur  den  Kopf  schütteln.  Da  Bendel  diese  Frage  überdies  nocli  besonders 
behandeln   will,   wird  sich  Gelegenheit  finden,  ein  letztes  Wort  zu  sprechen.' 

Seit  jeher  sind  wir  uns  bewußt,  daß  die  Eigenart  der  biographischen 
Literatur  die  historische  Überlieferung  ebenso  willkommen  l)elebt,  wie  sie 
andererseits  durch  ihre  stark  ausgejjrägte  persönliche  Seite  den  Benutzer 
zu  gewisser  Vorsicht  mahnt,  und  daß  bei  den  mittelalterliclien  Heiligen- 
leben infolge  des  er))aulichen  Neben-,  ja  vielfach  Hauptzwecks  dieser  Viten 
noch  weitere  Abstriche  an  ihrer  Verwertbarkeit  als  (leschichtsquellen  von- 
nöten  sind.  Aber  wir  könnten  uns  sehr  glücklieh  schätzen,  wenn  hierbei 
Dichtung  und  Wahrheit  immer  in  so  guter  Mischung  uns  vorgesetzt  würden 
wie  in  Eigils   Vitn   Sturmi. 

'    Stkn(;icl.  Arcli.  f.  Trli. -Forsch.  5,  77 — 86. 

-  Rn  TKRAi  I-,  'rrnditioiiiTi  des  Iloclistif'ts  Frcisiiii;  i.  50  Nr.  22  \()iu  Heniiissieber  falsch 
lail'iii'löst  mit    ...liili  lO"    stntt    »September  10«. 

'  Das  Todesjahr  des  üoiiilatiiis,  /eitsehr.  des  Verenis  I'.  hessiselie  ( ieschichte,  37,  223 
bis  250.  Die  Fuldaer  frivilcgieiifrage.  Mitteilungen  des  Instituts  f.  österr.  Gesch.  Foi-sch.  20, 
192 — 252. 


BonifaHiisfrdgen.  4 1 

Nachtrag.  Die  Forschungen  von  Wolfgang  Riei>l,  Das  Nachrichten- 
wesen des  Altertums  mit  besonderer  Rücksiclit  auf  die  Römer,  Leipzig. 
Teubner,  19 13,  deren  Kenntnis  ich  dem  f'reundlielien  Hinweis  des  Hrn. 
DiELS  A^erdanke,  bringen  eine  volle  Bestätigung  des  Ergebnisses,  das  ich 
für  das  Mittelalter  gewonnen  habe:  30 — 40  km  Tagesleistung  gelten  für 
Märsche,  Nachrichtenverbreitung  und  Botengänge  auch  bei  größeren  Ent- 
fernungen alvS  guter  und  gesiclierter  Durchschnitt,  der  bei  wichtigen  und 
dringenden  Anlässen  häufig  um  das  Doppelte  und  darüber  überschritten 
wird.  Wenn  die  Werte  für  die  Durchschnittsleistungen  wie  für  die  Steige- 
rungen nach  dem  Bild,  das  ich  aus  den  zahlreichen  Belegen  bei  Riepi,  ge- 
wonnen habe,  im  klassischen  Altertum  sogar  etwas  höher  liegen,  so  wird 
dies  wohl  der  besseren  körperlichen  Durchbildung  der  Menschen  und  dem 
günstigeren  Zustand  der  Straßen    verdankt. 


li.rllii.  -.-.Iruc-ki   in   .l.-r  H.iilisiinii-kfr 

Phil.-hist.  Abh.   HnH.   Nr.  2  « 


ABHANDLUNGEN 

DER  PREUSSISCHEN 

AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

JAHRGANG   1919 
PHILOSOPHISCH-  HISTORISCHE  KLASSE 


i  Nr.  3 

I 

TÜRKISCHE  MANKHAICA  AI  S  (  IIOTSCHO.   H 


r 


VON 

Prof.  Dr.  A.  von  LE  COQ 

IN  BERUN 


MIT  2  TAFELN 


BERLIN    1919 

VERLAG  DKR  AKADPIMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 


IN  KOMMISSION  BKl  IIKR 
VEREINIGUNG  WISSENSCHAFTUCHKR  VERLEfiKR  WALTER  DE  (iRUYTER  V.  CO. 

V0RHAL8  G.  J.  ÜÖSCIUJ^'SCMK  VKRLAÜSHANlJLtNG.     J.  lil"  TTKNTAi;.  VKKLA(iSm'CMHANl>Li:NÜ. 
GEORG  EEUJEB.     KARL  J.  TRÜBNEK.     VEIT  U.  COMl'. 


Vorgelebt  von  Hrn.  F.  W.  K.  Müller  in  der  Gesamtsitzung  am  30.  April  1919. 
Zum  Druck   eingereicht  am  gleichen  Tage,  ausgegeben   am   'll.  Juli  1919. 


Die  hier  veröffentlichten  türkischen  manichcäisch-religiösen  Bruchstücke  sind 
zum  Teil,  wie  T.  M.  i8o  und  T.  II  D.  75a,  sehr  stark  verstümmelt;  zum 
Teil,  wie  T.  M.  419,  T.  II  D.  169.  III  un<l  178,  bieten  sie  der  Übersetzung- 
große  Schwierigkeiten  durch  das  Vorkommen  unbekannter  Wörter  an  Stellen, 
deren  Zusammenhang   unterbrochen   ist. 

Ich  kann  daher  nur  den  Versuch  einer  Übersetzung  bieten,  habe  mich 
aber  zur  Veröffentlichung  dieser  Handschriftenreste  entschlossen,  weil  einer- 
seits die  Überwindung  der  erwähnten  Schwierigkeiten  seit  dem  Erscheinen 
meiner  Arbeit  »Manichaica  I«  keiiu'rlei  Fortschritte  gemacht  hat,  anderer- 
seits, weil  ein  befreundeter  Religionsgeschichtler  mich,  des  Inhalts  der 
Bruchstücke  halber,  lebhaft  zu  diesem  Schritt  ermuntert  hat:  es  besteht 
die  Hoffnung,  daß  durch  das  Studium  der  Realien  die  Deutung  erleichtert 
und  gefordert  werden   werde. 

Da  meine  früheren  Versuche  sachlicher  Erklärungen  eine  unfreundliche 
Kritik  in  der  »Theologischen  Literaturzeitung  (191  2)«  erfahren  haben,  sehe 
ich,  obwohl  ich  eine  Berichtigung  veranlaßt  habe  (ebd.  Spalte  732),  davon 
al),  die  vorliegenden  Stücke  anders  als  durch  ihre  Übersetzung  zu  erklären, 
und  beschränke  mich  darauf,  eine  kurze  Zu.sammenfassung  des  Inhalts  zu 
geben. 

Das  stark  zerstörte  Bruchstück  T.  M.  180,  welches,  beiläufig  bemerkt, 
mit  T.  M.  419  zu  der  Ausbeute  der  Ersten  Turfan-Expedition  der  HH. 
GrC'nwekel  und  Hlth  gehört,  entliält  eine  Schilderung  des  Auftretens  des 
»falschen  Mithras«;  ob  es  sich  um  einen  bevorstehenden  Kampf  zwischen 
dem  wahren  Mithras  und  seinem  dämonischen  Nebenbuhler  handelt,  geht 
aus  der  Handschrift  nicht  mit  Sicherheit  hervor. 

Noch  stärker  zerstört  ist  das  zweite  Stück,  T.  II  I)  75a:  es  gehört  wie 
die    übrigen   Handscliriftenrestc    dieser   Arbeit    zu    den    Ergebnissen    mcinei' 

1* 


4  A.  V.  Le  CoQ  : 

ersten  Turfanreise  (Zweite  Turfan-Expedition).  Wichtig  ist  darin  der  Hinweis 
auf  »die  Kinder  (o'ilan)  der  Dämonen,  die  von  den  Himmeln  zur  Erde  nieder- 
gefallen waren«  und  die  Erwähnung  »des  Samens  jener  männlichen  Wesen«. 
Es  ist  ohne  Zweifel  ein  Stück  der  manichäischen  Kosmogonie;  wie  so  häufig 
bei  diesen  Resten,  setzt  die  Zerstörung  gerade  an  der  Stelle  ein,  von  der 
man  Aufschlüsse  erwarten   dürfte. 

Die  übrigen  Bruchstücke  enthalten  Gesänge,  von  denen  einer,  T.  M.  419, 
als  »Lied«  (wörtl.  Melodie,  küg),  die  übrigen  als  »Hymnen«  (bSS,  bäSik,  mittel- 
pers.)  bezeichnet  werden. 

Das  »Lied«  enthält  einen  Lobgesang  auf  eine  manichäische  Gottheit, 
ist  aber  deutlich  nacli  buddhistischem  Muster  verfaßt.  Der  Name  des  tür- 
kischen Verfassers  (?),  des  Fürsten  (tigin)  Aprm-c(jr  wird  wiederholt  erwähnt. 

Von  den  Hymnen  (öäi,  büäk)  befinden  sich  drei  auf  einem  Blatte,  das 
mit  einem  ebensolchen  zweiten  Blatt  zusammen  ein  wohlerhaltenes  Doppel- 
buchblatt bildet.  Dies  zweite  Blatt  enthält  einen  soghdischen  manichäischen 
Text  mit  kurzem  türkischen  Endkolophon  in  »köktürkischen«  Runen;  das 
Buch,  von  dem  noch  weitere  Blattreste  mit  iranischem  Inhalt  gefunden 
worden  sind,  dürfte  ein  liturgisches  Werk  gewesen  sein.  Die  beiden  ersten 
Hymnen  sind  vollständig,  gut  erhalten  und  inhaltlich  einfach :  sie  sind  ge- 
richtet: I  an  »den  Gott  der  Morgenröte«,  II  an  die  »Vier  großherrlichen 
Wesenheiten«.  Der  dritte  Hymnus  ist  der  wichtigste;  er  beschäftigt  sich 
in  der  Hauptsache  mit  dem  Schicksal  der  Seele  nach  dem  Tod  und  schildert 
eine  der  dann  erscheinenden  Schreckgestalten.  Leider  bricht  der  Text  zu 
früh  ab ;   die   Anzahl  der  unerklärten  Wörter  ist  bedeutend. 

Das  letzte  Bruchstück,  ein  durch  Wurmfraß  beschädigtes  Buchblatt 
(ebenfalls  die  Hälfte  eines  Doppelbuchblattes!)  entstammt  gleichfalls  einem 
liturgischen  Werke;  dieses  Buch  enthielt,  neben  mittelpersischen  Hymnen, 
auch  jene  Blätter  des  Bußgebets  der  manichäischen  auditores,  die  auf  Taf.  I 
und  II  des  in  dem  »Anhang  zu  den  Abhandlungen«  veröffentlichten  »Chu- 
astuanift«  wiedergegeben  worden  sind.  Es  scheint  ebenfalls  das  Schicksal 
der  Seele  eines  Gestorbenen  und  das  Erscheinen  einer  Schreckgestalt  zu 
schildern;  leider  fehlt  der  Anfang  und  das   Ende. 


Türkische  Manichaica  aiis  Chotscho.  II. 


T.  M.  180.     (Taf.  1.) 

Stück  aus  der  Mitte  eines  größeren  Buchhlattes.  17'  2x131 '2  cm  groß,  glattes,  dünnes,  gelbliches  Papier. 

Auf  Zeile  15  der  Vorderseite  findet  sich  eine  Korrektur:    die  zu  ändernden  Worte  sind  mit  Deckweiß 

abgedeckt  und  die  Korrektur  oyli  ni  n  in  n  darüber  geschrieben  wurden.    Diese  Art,  Schreibfehler  usw. 

zu  berichtigen,   ist  in   manichäischen  Texten   hiiulig.     Fundort :   Ruine  a. 

Vorderseite. 
Anfang  abgerissen ! 

i    j//ind  äkii   pdr/jl zwei 

a    ///r  0/  bulyjjl  {boly/;/?) .  .  .jener  wird  finden  (sein?) 

3  ...  mitrii  yir  iizä   .  .  Mithra  auf  der  Erde  (oder  auf  der  Krde  des  M.) 

4  biz  ani'i  ködnr  an//g/j'   wir  dieses  '.' ;',  jenes  {.') 

5  biz  ti{y)'ürlär  ••  ati[i)ny  »omii  bari[i.'\  wir.   sagen   sie  ••  Das  Gesetz  und  Wesen  l^')  jenes 

6  sgnyäsmiik  ot  »*  0/  yük  ist  der  Kampf  ••Jenes  Dänionen- 

7  \o\yuti'i  bälgu.iii  mingüsti  Sohnes  Kennzeictien  und  Reittier  {vähana) 

8  ud  bolyai  »»  buu  yir  ü:a  näny  wird  (ein)  Stier  Sein  ••  Auf  dieser  Welt  durchaus 

9  anday  t{ä)v  kür  yälvii  arcii  solchen    Trug,    List,    Zauberei    und    Hexenkunst 

10  yo(f  kirn  ol  timasar  s{u]mTiu  gibt  es   nicht,    die    er    nicht   vermöge  1     Mit  (für) 

des  Dämonen 

11  [k^ücingä  qripny  uyai»m'iticä  Kraft  alles   wird   ei'  voiniögen!     .A.ls() 

12  ...  q(a)m(ay/  budunqa  nomc'iqa  ....  dein  ganzen  Volke  und  dem  Gesetzeslehrer 

13  j//rvu  milrii  buryan  t(ä)ngrii                         .  .  .  Gottes  Sohn,  Mithra  der  Bur^an, 
M    [07]'''  kälgäi  tipän  kig//j/t/  wird   kommen,  sagend, 

15  . .  kirtü  t(ä)ngrii  o^/ii'i  m{ä)n  m{cJ)n  tig^j^      .  .der  wahre  (oder  des  wahren)  Gottes  Sohn  bin 

ich.  ich  .  .  . 

16  ....  'ilig  btidu\nuy\ ....  das   Reich    und  das   V(jlk 

17    d[in]dar ....  electus 

Knde   abgerissen  ! 

R  ü  c  k  s  (;  i  t  e. 
.\nfang  abgcris>>en! 

I    ...  dindarqa   y(ayajl ...  dem  ulechts 

•  I    .  .  .  jjlarning   uluy/i ...  ihrer  groß//  .... 

3  ...  [dt]ndar  bnl'/ai  ••  t(ä)n^gri^  .  .  .  wild  ein  eleiUis  werden.     An  den  göttlichen 

4  HIHIHI  b()gülänmäk  qutuy  [Bui'yan  (;')]  zu  *glauben  wird  er  das  Glück  und 

5  qiv'iy  bulm'is  bolyai  ••  ötrü  Heil   gefunden   haben.      Darauf 

6  ol  yäk  oyuti'i  'igid  mttrt\i]  jener  Dämonensohn,  der  falsche  Mithra, 
j    ol  dindarqa  ' incä  ai'^[i\                                  zu  jenem  elevtus  also   wird  sprechen: 

8    muncada  baru  t{ä)ngrii  ir/utii  Seit  dieser  Zeit  seid   ihr   *hoßend  gewesen, 


6  A.  V.  L  K  C  o  Q  : 

9  mitrii  bur%an  Mlgäi  tipän  sagend,  Gottes  S«jhii,  Mithra   der  Bur%an 

10  küdüglii  ärtii)ng{i):lär  ••  qmfi  m(ä)n  m{ä)n  wird  kommen  ••  Jetzt  ich,  ich  bin 

11  kirtü  t[ä)ngrn  oyulii  gop  bu[(iunuy]  der  wahre  Sohn  Gottes,  das  ganze  Volk  (l*  ?) 
,2  mangrill I  quvradn  y«*«»[c?]//  hat  versammelt;  Verehrung  {?) 

■  3    m(a)nga  yttkünü{n)glär  ••  minü  k[iTfu>]  mir  sollt  ihr  darbringen !  An  mich  sollt  ihr  glauben 

M    [m\itrü  tipän  kir/gümmy('.}  m(a)ng[o]  und  mich  den  wahren  Mithra  nennen! 

IS    [tän]grii  yirin  vi(ä)n  kirtü   t{ä)ng\rii]  Den  Götterhimmel,  ich  des  wahren  Gottes 

,6    ol  mani  mllJH  (Sühn) jenei-  Maui  (P  ?) 

Ende  abgerissen! 

Anmerkungen. 

Vorderseite.     Z.  4.  ködür.     Unbekanntes  Wort. 

Rückseite.  Z.  10.  küdüg/i.  Kin  unbekanntes  Wort,  vicUeidit  eine  Ableitung  auf -(//» 
von  dem  Stamm  kiit-,  küd-.  kiidör-,  hüten,  lauerij,  hoffen.  Z.  i  1  und  12.  Die  sUrke  Ver- 
stümmelung der  Zeilen  verhindeit  eine  zuveilä.ssige  Lesung.  Ob  eine  Form  des  V^erbums 
mangramaq  .brüllen»  oder  vielmehr  des  Zeitwortes  mängärämiik  .herrschen,  verwalten«  ein- 
zusetzen ist,  ist  ebenso  ungew'ß  wie  die  Art  der  Form  selbst.  Z.  16.  Ob  Mani  zu  lesen 
ist  oder  mani  .mich.,  steht  dahin.  Z.  13  zeigt  mini;  zuweilen  wechselt  aber  der  Vokal  in 
derselben  Handschrift. 


T.  II.    D.  75.    (Taf.  I.) 

Durch  Wurmfraß  sehr  beschädigtes  Stück  eines  Buchblutts,   17  X  u  cm  groß,  weißliches  Papier. 

i^indort  Ruine  K.  Halleiibau. 

\'  o  r  d  e  r  s  e  i  t  e. 

1  [snvniiny des  ^\'assers 

2  wräk  y-üräk)  ay(i)rda  .s'/    im  schweren 

3  bu  bis  ay{i)r  larqa diesen   fünf  Schweren    

4    üstälür wii-d   i'rhölit 

5      ,  ,///V'*    ^<'ll I  

6    //«;•  ymä      wieder 

7    Jlaranayin  ymä ich  will wieder 

8    ärksiräyin       icli  \\\\\   kraftlos  sein 

n    , :  iyimi   ' 

'"  qilayin     '  bu ich   will   tuen dies  .  .  . 

"  kiU'i  mint;! seine   Kraft  . 

'=  Jlqonrrns  holmazun       soll   sich   niciit  niederla.sseu 

■3 /7/«7  br)lm\ay\in       ich   will   nicht  sein 

'4  ämyil\k\  kotürmüyin   lip  "       Qual   will   ich   nicht   ertragen,  sagend. 


TürMsche  Manichaica  aus  Chotschn.   II.  7 

"5  r t  t  i/mä  aut'ida  kin  und  nach   diesem: 

■*  [o\i  azing  ymä  ol  qamay  Deine  concupiscentia  wieder  (besteht  aus)  allen  den 

17  [y\äklär  or/lanlari  kim  knklärdän  Dämonensöhnen  (Kindern),  die  von  den  Himmeln 

>'  y[ir]gärü   tüxmülär  ärti  "  ...   zur  Erde  niedergefallen  waren. 

'9  ol  irkäkläming  jener  männlichen   Wesen 

»o  ....  urw/i  II  ymä  ol  tiii  läming  .  .  Samen  «  (und)  wieder  jener  weiblichen  Wesen 

"  erloschen. 

Anfang  und  Ende  zerstört. 

A  n  m  e  r-  k  u  n  p. 

Die  in  ■eckigen  Klammern  stehenden  ersten  5  Zeilen  der  Vorderseite  (die  Schrift  der 
entsprechenden  Zeilen  der  Rückseite  wai-  gänzlich  erloschen!)  sind  nicht  mehr  erhalten,  da 
bei  der  der  V'erglasung  vorhergehenden  Behandlung  das  durch  Wurmfraß  und  .Salzablage- 
rungen sehr  stark  zerstörte  Papier  in  Stücke  zerfiel.  Am  wichtigsten  war  Zeile  t,  mit  der 
Erwähnung  der   -fünf  schweren  (Elemente?)-. 

Die  Rückseite    ist   ebenfalls    stark    zerstört    und   zeigt   nur  bekannte,   nicht  zusanunen- 
hängende  Wörter;  Z.  13   und   14  sind  in   loter  Tusche  geschrieben,  stark  erloschen  und  links 
durch  Wurmfraß  zerstört:  auf  Z.  13  glaube  ich  zu  erkennen: 
tü[kädi  al]tinc  knn  ai  .  .  . 
Ende  das  sechsten  (■')  Sonne  (und)  Mond  .  .  . 
Z.   14    beginnt    mit    nrrltilafi   täijzjlimäk.      Die  Z.  15    und   16    sind    unbeschrieben,    zwischen 
ihnen  steht  chinesisch   ;^tfp  --  Abschnitt  6  (I".  W.  K.  .Mi'm.ek). 

Von  den  übrigen  7  Zeilen  ist  noch  wichtig  die  17.,  die  in  roter  Tusche  die  Worte  trägt 
baslanl'i  yitinr  adam  a'/uni  tiiy///  ■  .  (tur///?)  -^  Anfang  des  siebenten  adam 
arfihi  oder  Anfang  des  07«»  des  siebenten  Adam  (Menschen?). 


T.  M.  419.    (Taf.  II.) 

Durch  Warmfraß  beschädigtes  Buchblatt,  24Xi5V»'""i  groß,  weiches,  wolliges  Papier. 

Fundort:  Ruine  a. 

Vorderseite. 

■  \bailanfi\  apri  ncor  Es  hat  begonnen  das   Lied  des  Aprin-öor  tigin 

"  [ligin  kügi  l]a>/»ullari  bi  liuda  .  ■  .  seine  Veree  6«   tiuda  (tvoda  etc.) 

3  \bä[]giiai  r(ä)ilni  tiyiir  •  .  .  .sein  Kennzeichen  ist  das  Juwel!  heißt  es. 

<  [bä/]ffüsi  r{ä)dni  tiyiir  •  .   .  sein   Kennzeichen   ist  das  .luwel !   heißt  es ! 

5  [rädni]dä  yig  mäning  ädgü  O  du  Trefflicher  im  Juwel,  ilu  mein  guter 

«  \iängr\im  alpim  bägräkim  •  r(ä)dni  da  Gott!   mein  Held!  mein  Füret!   o  du  Trefflicher  im 

:  yig  mäning  t{ä)ngrim  alpim  Juwel,  mein  Gott!  mein   Held! 

«  bägräkim  m»   ••  bilägütOs  yiHi  mein   Fürst!     Ein  *nie    zu   schleifender  scharfer 

(Demant) 


8 


A.  V.  Le  VjOq: 


Donn('i-keil,lif'ißtes!Kin*niezuschleifenderscharfer 

(Demant)   Donnerkeil,  heißt  es!    Du,  im  Demant- 
Donnerkeil  (ntvi?) 

mein  Wissender!  mein  Gerechter!  mein  Strahlen- 
der! 

Im  Demant-vajra  {ötvi?)  du  mein  Wissender!  mein 
Weiser! 
3  yangam  t»   ,»  Mn  t(ä)ngri y(a)ntqintäk      mein  Elefant!     Du   dem  Glanz   des  Sonnengottes 

Gleicher,  mein 

Teurer  (»Busenfreund-)!  mein  Weiser!    Du,  dem 
Glanz  des  Sonnen- 

gottesv  Gleicher,  mein  Teurer!  mein  Weiser! 

Du  mein  schöner,  gerechter  Gott! 

Du   mein   Berühmter!     Du   mein   Sehnen (?)!    Du 
mein  schöner,  gerechter 
8    t{ä)ngrim    buryßn{i)'m    buluncsuzum  *  »       Gott,  du  mein  Burchan !    Du  mein  *  Unerreichbarer 

(niclit  zu  Findender) ! 

\ls  ist  beendet  das  Lied  des  Aprin-i'or  tigin. 


9  r((7)c[/rftJyMr  ••  bilägüsi'n  yitii 

lo  v(a)ii[r  iiyür]  ••  v(a)zirä[a]  ötvi 

"  bitigligim  tüzünüm  y{a)ruqum  •• 

"  t)(p)itrdo  ätni  biligligim  bilyäm 


14  köküzlügüm  bilgäm  ••  kün  i{a)ngri 

■  5  y(a)ruqintäk  köküzlugüm  bilgäm  • 
i6  körtlä  tüzim  l(a)nyrim 

17  külügüm  köziincüm  •  •  körtlä  tüziin 


>9    \l\nkädi  [o]/>r«ncor  ligin   kiigi  " 


Ende  des  Blattes  (?) 


Rückseite. 

■    adruq  özjj verschiedene  .  .  . 

j  yuzlügüm  • du  mein  Ansehnlicher!  ... 

3  adinciy  amraq anderer  geliebter  .... 

4  qmraq  öz//äm geliebtes  .  .  . 

5  ••   ••   qas'inciy'imin  u/j Durch  mein  .   .  ? 

6  qady7trarm(ä)n  qadyurduq empfinde  ich  Sorge,  Sorge  empfunden  habend 

7  qasi  körtläm  qavis[u)ysayurm{ä)n  ersehne  ichVereinigungmitmeinemSchönbrauigenl 

8  »t    »t  öz  qmrayimin  öyürm[ä)n  An  meinen  eigenen  Teuren  denke  ich, 

9  nyü  njljär  m(ä)n  ödü///  /jicän  {üciin ;')       denkend 

10  öz  qmra[yim'in]  opngsäyür  m(ä)n  ••    ••  meinen  eigenen  Geliebten  zu  küssen,  ersehne  ich! 

11  bara[y'i]n  tisär  bac  amraqim  Wenn  ich  gehen  möchte,  mein  .  .  ?  .  .  Lieber! 

12  Äa[r]M  ymä   umaz   m[ä)n  bay{'i)r-saytim  zu  gehen  vermag  ich  nicht,  du  mein  Barmherziger! 

13  ••  ••  kiräyin  tisär  kicigk[iä\m  Wenn  ich  hineingehen  möchte.  Du  mein  Kleiner! 
M  kirn  ymä  umaz  m{a)n  jjkin  y'ipar  hineingehen  kann  ich  nicht!  .  .  .  Du  mein  Moschus- 
15  y'idl{i)y{i)m  ••  ••  y{ä)ruq  t[ä)nyrilär  Duftender!  Durch  der  Liehtgötter  gnädiges  Gebot 
i6   y(ä)rliqapmin  yavas(i)m  birlä  mit  meinem  Sanftmütigen 

>7   yaq'isipan  ad{i)r(i)lmal{f)m  »'   ••  *  Vereinigung  erlangt  habend,  wollen  wir  nicht  ge- 
trennt werden! 


Türkische  Manichaica  atis  Chotscho.  II.  9 

i8  kä^lüg  briitilär  küc  bir'ög  {Ues  birüng?)  Ihr  starken  Engel!  gebet  (mir)  Kraft  (?)I 

i«  közi  q{a)ram  birlä  k[ül]üsüg//l Mit  meinem  Schwarzäugigen  ...  ^  - 

»  kütüsüffin  oluratim  ••  in   *Fröhliehkeit  wollen  wir  uns  setzen! 

ai  [iükä^d\i  aprin\  ior  tigin  ...  Es  hat  geendet  [das  Lied  (?)]  des  Aprin-öor  tigln. 

Ende  des  Blattes  (?). 

Anmerkungen. 

Vorderseite.  Z.  2.  4/  tiuda,  zwei  fremde  (soghdische?)  Wörter.  Z.  9.  dtvi  unbe- 
kanntes Wort.     Z.  6.    bägräk  fürstlichster;  auch  —  festerer,  härterer  (härtester). 

Rückseite.  Z.  5.  qa.s'inciy  unbekannt.  Z.  7  und  10.  -uysa-  {-uqsa-,  -öksä-)  Desiderativ- 
formen  von  qav'ii-  and  öp-  (aus  dem  angefügten,  der  Vokalharmonie  unterworfenen  Verb 
öksä-  zu  erklären ••).  Z.  11.  bac  (bäc?)  unbekannt.  Z.  16.  yrl'iqazunin,  Anwendung  der  Im- 
perativform als  Nomen;  cf.  Bano,  Studien  III,  §8. 


T.  n,   D.  169.    (Taf.  ü.) 

Dies   nnd   die  beiden  folgenden  Stücke  finden  sich  in  der  tiicr  befolgten  Reihenfolge  auf  einem  Blatte 

(16x9.4  cm  groß)   eines  Doppel bucliblatts;   das   andere  Blatt   enthält    soghdische  manichäische  Texte. 

Derbes,  festes,  vergilbtes  Papier.     Fundort:  Gewölbe  des  nordwestlichen  Teils  von  l{uiiie  K. 

•'*■'■  _  I. 

I    Vam  vay'i  nnng  bat  Des  Gottes  Vam^  Hymnus 

»    lang  t{ä)ngri  kälti  •  lang  t{ä)ngri  özi  kältii  •       Der  Gott  der  Morgenröte  ist  gekommen !    Der 

Gott  der  Morgenröte  selbst  ist  gekommen ! 
j    tang  t(ä)ngri  kälti  •  lang  t{ä)ngri  özi  källi  •      (Wiederholung). 
4    lurunglar  qamuy  bäglär  qadailar  •  tang  (an-       Erhebet    euch,    alle  Fürsten    und    Gefährten ! 

grig  Den  Gott  der  Morgenröte  lasset  uns 

s   ögälim  •  körügmä  kün  l(ä)ngri  »siz  bizni         lobpreisen!  Sehender  Sonnengott,  du  uns 
«   kötäding  •  körünügmä  ai  l[ä)ngri  siz  bizni      behüte!     Sichtbarer  Mondgott,  du  uns 
7    qurlyar'ing  •  lang  l{ä)ngri  » y'idtiy  yipartiy »       erlöse!       Gott    der    Morgenröte!      Moschus- 
duftender, 

•   ^{a)ruq  iuy-yaittq  hty  •  lang  t{ä)ngrf  %\>.         leuchtender   •    Gott    der    Morgenröte!      Fünf 
•.■''•       -  .-  ._  lang  (gearteter)  Gott  {oder  Fünf  Götter) 

'    Nach  F.  W.  K.  MÜLLER  ist  dies  Zeichen  eine  soghdische  Ziffer  mit  der  Bedeutung  5. 
Im  Texte  ist  sie  also  bii  (türk. _/"«/{/)  zu  lesen  und  zu  transkribieren. 

Ob  das  Zahlzeichen  aus  den  umnichäischen  Lettern  'ain  &^  und  ye  9  zusammengesetzt 
ist,  erscheint  mir  zweifelhaft. 

'    väm,  soghd. ;  neupers.  ^i,  =1  turnen,  .iplendor  (VuU.);  Steinoass  gibt  die  Bedeutungen 
moming,   dawn,  break   of  day,  lighl,  gplendour.     Im  Türkischen   ist  mir  lang  nur  al,^  Morgen- 
röle  bekannt.     Gut  Türkisch  müßte  der    Titel  wenigstens  lauten  vam  lay'i  uung  baii. 
Phil.-Mst.  Abb.  1919.  Nr.  3.  2 


lö  A.  v.Le  Coq: 

9    t{a)ngri  •  *^'  tany  i(a)ngri  •  yidliy  y'ipartiy      der  Morgenröte !     Fünf  (gearteter)  Gott   der 

Morgenröte !     Duftender, 

lo   y(a)rugluy   yaSuq   Im]   fang   t{ä)nyri   •   tang      leuchtender  üott  der  Morgenröte!     Gott  der 

t{ä)ngri  X    \  Morgenröte  I 

Ende. 
T.  n,  D.  169.    (Taf.  II.) 

n. 

I    J9P(a)7  ro<(a)n  3Mw[a)r  \irifi  nung  baSfa^  Hymnus  (?)     an     die     »Vier     großherrlichen 

Wesenheiten  • " 

'   t{ä)ngri  y[d)ruq  küctüg   bilgä  kä  y(a)lvarar  Vor    Gott,    dem    Lichten,    Starken,   Weisen, 

li'iz  •  •  demütigen  wir  uns  (und) 

3  öt(ü)nür    biz    kün    ai    t{ä)ngri    kä  •  y(a)i'in  beten    zu    ihm.      Den  Sonnen  und  Mondgott, 

t(ä)ngri  den  Lichtgott, 

4  nom     qut'i  •  m{a)rmani    /{ä)risti''    larqa  •  die    Majestät    der    Religion,    die   Engel    des 

qut  qo/ur^  Mar  Mani   beten    [wir]    an! 

5  t[ä)ngrima  •  ät'ötümiiz    ni    közäding  •  üzü-  O  mein  Gott!    LTnseren  Körper  behüte!    Un- 

tümü:  ni  sere  Seele 

6  boSung  •  qiv    qolur    biz  •  y{a)ruq    t(ä)ngri  läutere!    Heil   erflehen    wir!    Für  die  lichten 

lärkä  •  Götter 

7  adasuzin  *    tural'im  •  ögrincUgin  ^  ungefährdet  wollen  wir  leben !  '    In  Freuden 

8  ärälim  •  wollen  wir  sein! 

Ende. 

T.  n,  D.  169.    (Taf.  II.) 

m. 

1  Adinciy    türkcä    baSik  (Ein)  anderer  türkischer  Hymnus. 

2  täzün  bilgä  kisi  lär  tirilärim  •  i(ä)r>gri  ning      Wir  gerechten,  weisen  Menschen  wollen  uns 

versammeln !    Gottes 

'  basta.  In  jedem  der  drei  Hymnen  tritt  eine  andere  Form  des  Lehnwortes  bäiä, 
bä^äh  auf:  in  I  bas,  in  II  basta,  in  IH  baiik  {basig). 

^  Der  dem  Türkischen  fremde  Laut  f  wird  hier  durcli  j^  ,  in  anderen  manichäisch- 
uigurischen  Texten  spätsoghdischer  Schrift  durch     m    wiedergegeben. 

^    Augenscheinlich  ist  hier  das  l'ronomeu  biz  zu  ergänzen. 

*    adasuzin  statt  adasuzun;  ebenso 

^    ÖgrincUgin  statt  ögrünclügün.    Vielleicht  war  der  Schreiber  kein  Türke. 

"    Nämlich :  Gott,  (sein)  Licht,  (seine)  Kraft  (und  seine)  Weisheit.  Vgl.  Flügel  Fihrist  p.  64. 95. 

'    turmaq  hier  vielleicht  im  Sinne  von   »leben«. 


Türkische  Manichaica  aus  Chotscho.  IL  11 

3    bxHgin    biz   iiir/ä/im  m  tört  ili(i  Schrift  (Buch)  wollen   wir  anhören  1   Den  vier 

fürstlichen 

*   t{ü)nfri  lärkä  tapinatim  •  tört  uluy  Göttern    wollen   wir  Verehrung  darbringen! 

Von  den   vier  großen 

5  amgäkdä  qurtulal'im  •  tört  iliy  t{a)ngri  Qualen  wollen  wir  befreit  werden :  (nämlich) 

von  Verleugnungen 

6  lärdä   ta'iiymalar  *  l{ä)ngri   nomin  iuda^pna-      der    vier    Götter:    mangelhaften  Befolgungen 

laT  »  des  Gesetzes  Gottes; 

7  lünäriff  yäklärkä  tapunw/malar  •  tümäniig         Verehrungen    der  finsteren   Dämonen:    zehn- 

tausenden 

8  inW«   qiti'/malar  •  tübinlä  nl'oqma  übler  Handlungen.  Schließlich  auch  muß  man 

9  ötmäki   bar  •  tünärig   t(a)muqn    tuimäki  sterben,  (und)  es  gibt  ein  In-die-finsteie-Hölle- 

lo   bar  •  tümäniig  yäktär  kälir  tit/ür  •  tiimanliy      Stürzen.    (Da)  heißt  es,  kommen  zehntausende 

Dämonen ;  schwarzneblige 

"   yäklär  ayar  tiyür  •  tünärig    liincülii  Dämonen    *schweben  herbei,  heißt   es.     Fin- 

stere  Nacht 

la    basar   tiyür » tunumly  ^    lägir  tiyur  »  tüi  üzä      bedrückt  (den  Gestorbenen),  heißt  es,  *Bedräng- 

nis  befällt  ihn.  heißt  es :  auf  die  Brust  sich 

■  3    oltmp   tültürür  tiyür  •  tänmii    ü:ültär  setzend    macht    sie    ihn    *träumen    heißt   es: 

verirrte  (.^)  Geister 

■4    taitqar   tiyür  »  tardic   täk   ät'ozin  kommen  heraus,  heißt  es:   wie  ein  . . .  ?  .seinen 

Körper 

«5    qodur  tiyür  •  lavari   lur'/tiru  qatir   tiyür  •         legt   er   nieder    (stirbt    er),    heißt    es.     Seine 

Habe  bleibt  zurückgehalten,   heißt  es. 

<6    t(ä)rtrü  Bactiy  qurta  yäk  kälir  ti(y)ür  *  tolitiy      Kine    falsche    (lügnerische),    behaarte,    greise 

Dämonin    kommt,   heißt   es;   der  Hjgel- 

<7    (d)bulit  täk  tonqi  qailiy  •  qatliy  bcana  wölke    gleich    ist    ihr  .  .  ?    mit    Brauen    ver- 

sehen: wie  ein   blutiges  bcann  ? 

i8    täk   q{a)raqi  ti(y)ür»qnxyuq  täk   q(a)ra   hm       ist    ihr  Blick,    heißt   es;    wie   ein  Nagel,  von 

amki  schwarzer  Farbe  ihre   Zitze, 

19   ti(y)ür »  burninta   boz'bntit  önür  h(y)tir  ••       heißt  es;   aus  ihrer  Nase  eine  graue  Wolke 

steigt  hervor,  heißt  es; 

>o   t{a)m'/aqinta    q{a)rn   tülün   tasiqar  ti(y)ür  •       aus  ihrer  Kehle  schwarzer  Rauch  geht  heraus, 

heißt   es : 

»•    tüii  ol  qanrnrj    tümän   yilau  •  yinäri  {.')  ihre  Brust  ist  (besteht)  ganz  aus  zehntausend 

Schlangen ;  ihr  . .  .  :' 

"   ol  yingnä  yilan  »  ärngäki  ol  qamtty  ....       ist  die* Fadenschlange;  ihr  Finger  ist  ganz  ...  . 

Ende  des  Blattes. 


'    Das  über  und  «wischen  die  iBucbstaben  l  und  y  gesetzte  u  ist  eine  alte  Korrektur. 

2* 


12 


A.   V.  Le  COQ 


Anmerkungen. 
Z.  2.  tirilörim.  lies  tirilälim.  '/..  3.  Die  vier  Götter-Könige  oder  -Fürsten  :  wohl  wieder 
•jj'Vl  ^UäuJl,  die  »vier  großherrlichen  Wesenheiten  ■ ,  wie  in  T.  II,  D.  169,  It  Z.  16. 
t(a)rtr'ü,  (in  178  t(a)tT'ü\  lügnerisch,  falsch;  vgl.  mein  Br.  SrmNs  Turfcish  Khuasluani/t,  J.  R.  A.  S., 
1911,  Z.  135,  wo  i[ä)rtrü  und  igdäyü  parallel  stehen,  qurta:  das  folgende  MS.  ähnlichen  In- 
halts (T.  II,  D.  178)  zeigt  die  Form  qurtya.  '/..  17.  ahulil  oder  nbulit:  der  erste  Buchstabe 
wohl  ein  Irrtum  des  Schreibers,  tonqi  [tonuq-i  ?)  und  bcana;  rätselhafte  Wörter,  letzteres  wohl 
eine  Entlehnung.  Ebenso  unerklärt  die  Wörter  iänmü  (lanmii)  Z.  13:  tnrdir  'L.  14;  yinar 
(mnar  :')  Z.  21.  Z.  2  2.  yingnä  kann  auch  yingan.  yinyra,  vingan  usw.,  selbst  vyagra  gelesen 
werden;   die  Übersetzung  ist  entsprechend  unsicher. 


T.  II,  D.  178. 

Blatt   eines   Doppelbuchblattes   mit  abgerundeten   Ecken,    13.5x13.5  cm  groß:    starkes,  bräunlichgelbes 

Papier.     Auf  beiden  Seiten    des    anderen  Blattes   manichäischer   Hymnus   in    mittelpersischer  Sprache. 

Fundort:  Gewölbe  im  nordwestlichen  Teil  der  Ruinengruppe  K. 


I  aUur  tiyüT k{ä)ntü 

a  qilm'iS  qilinci  közünür  t 

3  tiyür  •  yir  suh  qutii  'irtnür 

4  liyür  •  ni  sub  qutii  'iylayur 

5  tiyür  •  't  'iqac  quti  ul[a)yur ' 

6  tiyür  •  könii  buryuq  köiüngü 

7  da  közünüpän  tänmis  üz 

8  ütüg  tuiupaii  »  trazuk 

9  'iiiniä  olyurtur  tiyür  • 

10  <[roi«]Är  aiy[sar?]  q[il]inöi  aitiy 

11  bolur  ['i]rincü  qilmiis 
u  qitinci  'istig  bolur 


Vorderseite. 

sagt,  heißt  es Die  von   ihm  selbst 

getanen  Handlungen  erscheinen,         h- 
heißt  es.    Die  Majestät  der  Erde  und  des  Wassers  wird 

unglücklich, 
heißt  es.  Die  Majestät  des  Feuers  und  des  Wassers  weint, 
heißt    es.      Die    Majestät    der    Gewächse    und    Bäume 

jammert  laut, 
heißt  es.     Der  gerechte  Beamte  hat  ergriflFen 
die  wie  in  einem  Spiegel  erscheinende,  verirrte  See- 
le.   In  der  Wage 
wird  sie  niedergesetzt,  heißt  es. 

Wenn  die  Wage  aufsteigt,  wird  ihre  Handlung .  .  ?     , 
ihre  übel  getane 
Tat  wird  . .  ? 

Ende  der  Seite. 


t{ä)trüv,  sacl{i)y  qurtya  yäk 

kälipänin  tänmii  üzüt 
lärig  tutupanin  •  iünärig 


Rückseite. 

das  Kommen   (Acc.  oder  Instr.)   der  lügnerischen,   be- 
haarten, greisen  Dämonin  (und) 
ihre  Ergreifung  der  verirrten  (irrenden)  See- 
len.    In  die  finstere 


^^d^^ri.     Die  Punktierung  bedeutet  Ausfall  eines  Buchstabens. 


Türkische  ManicAaica  aus  Chotscho.  II. 


13 


4  tamuqa  tartar  tiyür 

;  töpüsin  tongtaru  tiqar 

6  tiyür  •  tamudaqti  yäklär 

7  lutar  tiyür  •  muntrumuntuz 

8  yäklär  k(ä)lir  tiyür  •    min/Jk// 

9  parkan  Urupan  {nrtqtanf) pirkäsäyür 

10  tiyür  •  ö"A*&s 

11  üzüt  anta  körür  tiyür  • 

II  öläm  gut  qolupan  bolmaz  (hHlmazi) 


Hölle  zieht  sie  (sie),  heißt  es: 

auf  ihr  Haupt  einschlagend,  stößt  sie  (sie)  hinein, 

heißt   es.     Die   in    der   Hölle   befindlichen   Dämonen 

ergreifen  (sie),  heißt  es.     Die  .  .  . .  ? 

Dämonen  kommen,  heißt  es  ...  . 


heißt  es.    Viele 

Geister  dort  sieht  sie. 

Um  den  Tod  zu  flehen,  ist  zwecklos.    (Sie  fleht  um 
den  Tod,  findet  [ihn  aber]  nicht.) 

Ende  der  Seite. 


Anmerkungen. 

Vorderseite  Z.  6.  huryuq.  Man  vergleiche  vielleicht  chinesische  Bilder  buddhistischer 
Totengerichts-Szenen.  Z.  lo  und  u.  aifiy  und  istig  unbekannt  Rückseite  Z.  7  muntru- 
muntia  unbekannt     Z.  9  parkan,  pirkäsäyür  unbekannt 


14 


A.  V.  Le  Coy : 


Wörterliste. 


abtdit  [nbul'it?)  s.  bot'it 
a(i{i)r{t)l-  419  R.  '? 
admciy  III,  419  R.  3 
arv'is  180? 
ärhsirä-    75^ 
ärngäk  III" 
ay-   178'° 
äki  180' 
o/;j  419*' 
ämjÄ:  [g)  III' ^ 
02  !(öy)-  III" 
op-ögsä-  419  R.  '° 
«rf  1808 
uruy  75=° 

ÜCÖ    l8o3-8,    ni"7 

ÜSti«   III'3,     1787',     178     R.  »•■' 

-o(u)ysa-,  -ö'(ü)5'Ää- ;  qav'isoysa- 
419  R.'';   öpö^ÄÖ- 419  R.'° 

«7/0«  75'' 

ög-  [ögälim)  I5 

ögrinclig  11' 

o/-;  o/ter-  III'3  (sonst  stets 
nlur-y,  olyur-  178?;  nlur- 
419  R.  »° 

u/(a)-    1785 

ön-  ni'9 

tVArä^  7 5 '9 

irincü   (s.  auch   't)   III^,    178" 

Sac  (Jä<??)4i9  R. "(Lehnwort?) 

-6ar«  [muncada  b.)   180  R.  ^ 

J(W-   III" 

bailan-  75  Anm. 

bay(i)rs(iy  419  R.  " 

ftö^  l4 

bägräk  419*' 

bälgü  4 1 93-  4,   1 80' 

burun  III'9 

6o2  III's 

bngnlän-   180  R.  * 


Äw/ti;  III"-  '9 
6oi  III'S 


6j7ö- 


■gü-süz   4 1 9 


8.5 


buh 


uncsuz  419' 


biliglig  419"-  '^ 

-joan,  -pä«;  Urupan  178  R.  9; 
tutupan  1788,  R.  3;  <j)ja'n 
iSoM.  R.  9M;  qoiupan  178 
R. " ;  Ää/i))än  1 7  8  R.  ^  ^o>«- 
nüpän  178';  yaq'isipan  419 
R.  ■' 

pitkäsä-   178  R.  9 

tapun-  III' 

i!(ä)fr«   178  R.  ' 

<(ö)ri;rK  III'« 

iardic  III'* 

taMy-  III'4-  ^° 

<(ä)»   i8o9 

taysut  419'  -    ' 

-/ö/t  in'4"'8 

tö^-  111'= 

l{a)myaq  III'" 

to»-  II [6 

«n-    (i')    III'3,     178' 

lang  I^  3  ■(■  7-  8.  9-  >o 

tätigri:  langt.  1''°;  ai  t.  1*; 
?n/<r>  huryan  t.  i8o'3;  kürt 
t.  4i9'3'4;  kün  ai  t.  Il3: 
yasin  t.  113 ;  fort  ilig  t.  1113 

t'übintä  III^ 

ft5;5«    178   R.  5 

tütün  III'" 

turyur-  HI's 

türkcä  ITl' 

töi  ni"" 

tö^  III9,   7 5 '8 

ffi/eör-  III'3 

toliliy  III'* 

tumanliy  111'° 

tümänlig  III'- '" 

tünäriy  III'- 9", 


1783 


tüncülä  III" 

tor/ji   {ton{iu)q-i  ?)  III'' 

t'ingtar-    178   R.  5 

tunumluy      (tonvm-;       torum-; 

tiirum-)  III" 
ft-:      <!-5ar  419     R.  '3;      /j.y«r 

llI'°flF.,  4193  ff..   1783  ff. 
/tn/-  III' 

■tiy,-tig;ait>yiTS'°;  'w<»p  178" 
<i!9-    178  R.  5 
-A':      türkcä  III';      közüngücä 

178«-' 
.SffcVVy  III'«,  178  R.^ 
söngiii-   1 80« 
Vrw-    1783 
'ü'/fe-   1784 
'/ji/rf  180  R.  « 
■^jma,      -gmä;       taniyma    III*; 

tudayma  III«;  tapunu^/malW; 

qiiiyma  IIP;      körügmä  Is; 

körühiigmä  I« 
•gärü;  yiigärü   75'* 
kfifiir-  (erti-agen)  75'4 
knriiir    1 8o4 
k'üdüyli  180  R.  '° 
Arür   r8o9 

*or//(7  419'«-",  R.  ' 
közünc  419' 
knzüngv   178« 
^•o'c;  qaram  419   R.  '9 
Arü^  419'-  '9 
*ö*  75" 
köki'nlüg  419'*-  '5 
külüsüg  419  R.  »o 
kiilüg  419'' 
^önt   178« 
*!>-   419   R.  '3- '4 

*!>«     l8o'5,    R.  "-'5 

kim  75''.    180'°. 
frin  {antada  k.)  75'5 


Türkische  Manichaica  aus  Chotscho.  IL 


15 


I 


qadai  \* 

qadyur-  419  R.  * 
qaraq  III'' 
qoiyuq  III'' 
qasinciy  419  R.  s 
qai  419  R.  ^ 
qaitiy  IIl'J 
qami-{u)r/ta-  419  R.  7 
qantiy  IH'' 
90p  180",  R.  " 
j«/;  ot  tub  qul'i  178«;  'i  'iqac 
q.  1785;  yjr  *«i  q.  1788 


5«/  (no»i  j.)  II' 

qut  qiv  180  R.  ■» 

qurta  III'« 

qurtya  178  R.  ■ 

jo/- ;  ju/  qol-lh ;  qiv  qol-  II* 

9»p   (^<  q.)   180   R.  5 

-/ä;  tüncülä 

-ma;  oioqma  IIP 

munca  180  R.  * 

mingü   1 8o7 

ndnj7    1 80' 

y[a)riiqazniiiii   419   R.  '* 


yasuqluq  P 

y(a)iin  Ha 

yaq'ü-  419  R.  '7 

y{a)lvar-  II' 

yä/tii   i8o9 

yanj/a  4i9'3 

yuzlüg  419  R. ' 

ytpar  y'idliy  419  R.  «4'5 

yi'/j'  419'» 

yiSr  4195-7 

y«nar(?)  III" 

yingnä  (?)  III" 


a<iam  75  Anm. 

«K  75'* 

ayun  (ayuni?)  75  Anm. 

ö/M  4I9"'-" 

bai  (für  däjä)  I' 

baita  (für  6öä)  II' 

ioÄiAr  (für  bäiä)  III' 

fi(a)7  II« 

bcana  (pcana)  III'' 

6ni«  419  R.  " 


Lehnwörter. 

bi  tiuda  419* 
j  6«,  soghd.  Ziffer  fiir  I'-» 
I  parkan   178  R.  » 

frazuA:   178«"' 

/luda  419' 

tW  4I9''9,  R.  " 

rädni  4193  «!  * 

roi{a)n  II' 

caif(a)r  II' 

?iri/y  11' 


;  i(u)mnu   180'° 

j  f(ä)risti  Il4 

[  p{a)i»r  4i99'o. 'j 
vay  (vay'i)  I' 
ram  1' 
m(a)r  II* 

fiMtni   [»n(a)r  m.]   11* 
muntrumunlui   178  R.  7 
wii>»    i8o3  '3,  R.  69-4 


- 1 


'.;..  PI'. 


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Berlin,  gedruckt  in  der  Reichsdruckerei. 


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Preuß.  Akad.  d.  Wissensch. 


mi.-hist.  Abh.  i!)i!>.  yr.:;. 


IJücksi'ito. 


T.  M.  180. 


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A.v.  LECoa:  Türkische  Manichaica  aus  Chotscho.  II.    Taf.  I. 


l'reiiß.  Akad.  d.  Wissensc/i. 

K'iii'k-icito. 


T.  M.  41  f>. 


Phil.-hht.  Äbh.    1919.    Ni:  :i. 
\'oi(li'i'S('ite. 


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A.v.  LeCou:  Türkische  Manichaica  aus  Chotcho.  II.    Taf.  II. 


ABHANDLUNGEN 

DER  PREÜSSISCHEN 

AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

JAHRGANG   1919 
PHILOSOPHISCH-HTSTORISCHE  KLASSE 


Nil  4 

SPINOZASTUDIEN 


VON 


C.  STUMPF 


BERLIN   1919 

VERLAG  DER  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

IN  KOMMISSION  BEI  bEU 
VEREINIGUNG  WISSENSCHAFTUCHER  VERLEliER  WALTER  DE  (IRLYTER  I'.  CO. 

VOKKAL.')  O.  J.  OllMUfrNSCHE  VKKLAOSHASDLtJNfi.     J.  «ITTENTA«.  VKRI.AfiSBl  tHHANDLlNi; 
GEOKC  HIlUIEIl.     KARL  J.  TBCBNKB.     VKIT  f.  (  ÜMI'. 


Vorgetragen  in  der  Gesamtsitzung  am  14.  November  1918. 
Zum  Di'uok  eingereicht  am  27.  Mai  1919.  ausgegeben  am  16.  August  1919. 


I.   Der  Parallelismus  der  Modi  innerhalb  der  Attribute 
Ausdehnung  und  Denken. 

I.  Die  Beweisfüliruiig  für  den  Parallelitätssatz   Ktli.  II,  pr.  7. 

Spinoza  gilt  gemeinhin  als  Urheber  der  Lehre  vom  psychophysisehen  Par- 
allelismiis,  wonach  Körperliches  imd  Geistiges  nur  verschiedene  Erscheinungs- 
formen oder  Seiten  einer  und  derselben  Wirklichkeit  sind  luul  ihre  Ver- 
änderungen demgemäß  durchgängig  parallellaufen.  Selbst  ein  Kenner  wie 
Freudenthal  hält  es  nicht  für  nötig,  dieser  Behauptung  Einschränkungen 
beizufügen,  ausgenommen  die,  daß  manches  in  Spinozas  Darstellung  dunkel 
Ideibe'  —  eine  Eigenschaft,  die  man  schließlich  auch  der  heutigen  Lehre 
nicht  abstreiten  kann.  Einzelne  Spinozaforscher  heben  zwai-  wesenthche 
Unterschiede  hervor  (s.  u.),  aber  das  historische  Verständnis  leidet  an  diesem 
Punkte  meines  Erachtens  noch  zu  stark  unter  dem  Hineintragen  gegenwärtiger 
Anschauungen.  Im  folgenden  soll  ausgefiihrt  werden,  daß  der  Parallelismus 
zwischen  den  Modi  der  Ausdehnung  und  des  Denkens,  wie  er  im  siebenten 
Lehrsatz  des  zweiten  Teiles  der  Ethik  behauptet  wird,  eine  alte  Lehre  der 
aristotelisch-scholastischen  Psychologie  zum  Ausdrucke  bringt,  deren  Sinn 
mit  dem  des  gegenwärtigen  Parallelismus  nichts  zu  tun  hat.  Hiermit  soll 
natürlich  nicht  gesagt  sein,  daß  der  Satz  von  Spinoza  ohne  Rücksicht  auf 
das  brennende  Zeitproblcm  des  Zusammenhanges  zwischen  Leib  und  Seele 
aufgestellt  wäre  -  das  Gegenteil  liegt  klar  vor  Augen  — ,  sondern  nur, 
<laß  seine  Lösung  des  Problems  erst  aus  jener  alten  Tradition  verständlich 
werden  kann. 

Spinozas  naturwissenschaftliche  Studien  uild  der  mächtige  Eindruck 
der  jungen  mechanischen  Naturerklärung  hatten  in   ihm  die  Überzeugung 

'  Über  die  Entwickelunft  dor  Lehre  vom  psycliophvsischrn  Pnrallelisrrms  hoi  .Spino/.i. 
Ati-liiv  f.  (I.  )re.s.-mitf  PsycLulogi«'   H<1.  I\.  S.  74  (V. 

1* 


4  S  T  f  :m  1'  F  : 

von  der  geschlossenen  Naturkausalität  begründet,  die  kein  Hineinwirken 
psychischer  Kräfte  dulde.  Sie  war  noch  verstärkt  worden  durch  die  vom 
Okkasionalismus  erhobenen  Einwendungen  gegen  die  Möglichkeit  einer 
Wechselwirkung  zwischen  heterogenen  Substanzen.  Auch  die  Lehre  des 
Descartes  hinsichtlich  der  tierischen  Bewegungen  als  rein  physikalischer  Er- 
scheinungen und  sein  Hinweis  auf  die  Reflexbewegungen,  die  sich  auch 
beim  Menschen  ohne  Zutun  psychischer  Funktionen  vollziehen,  wirkten 
sicherlich  mit.  Spinoza  verweist  gelegentlich  auf  die  mechanischen  Hand- 
lungen der  Schlafwandler  als  Beispiele  rein  physisch  bedingter  und  doch 
zweckmäßiger  Handlungen'.  Insoweit  kann  man  auch  wohl  von  einer  ähn- 
lichen wissenschaftlichen  Sachlage  wie  heute  reden.  Aber  im  Zusammen- 
hange des  zweiten  Teils  der  Ethik  spielen  diese  Dinge  keine  Rolle.  In  der 
Begründung  des  Lehrsatzes  ist  von  irgendwelchen  empirischen  Tatsachen, 
die  durch  diese  Anschauung  allein  oder  besser  erklärt  werden  könnten, 
überhaujjt  nicht  die  Rede. 

Der  Lehrsatz  »Ordo  et  connexio  idearum  idem  est,  ac  ordo  et 
connexio  rerum«  wird  gemäß  der  Anlage  des  ganzen  Werkes  metaphysisch, 
und  zwar  deduktiv  begründet.  Der  Beweis  ist  in  zwei  Zeilen  erledigt  —  unsere 
heutigen  Parallelisten  können's  nicht  so  kurz  machen  —  :  »patet  ex  Ax.  4.  p.  i . 
Nam  cujuscunque  causati  idea  a  cognitioue  causae,  cujus  est  effectus,  de- 
pendet«.  Das  beliebte  Q.  E.  D.  fehlt,  wie  in  ähnlichen  Fällen  kürzester, 
durch  bloße  Rückverweisung  erledigter  Begründungen. 

Um  zu  verstehen,  um  was  es  sich  hier  handelt,  ist  zunächst  daran  zu 
erinnern,  daß  die  negative  Seite  des  Parallelismus,  die  Unmöglichkeit  gegen- 
seitiger Einwirkung  zwischen  zwei  beliebigen  Attributen,  bereits  1, 3  be- 
hauptet und  bewiesen  wurde.  Dieser  Satz  lautete :  » Quae  res  nihil  commune 
inter  se  habent,  earum  una  alterius  causa  esse  non  potest. «  Der  Beweis: 
»Si  nihil  commune  cum  se  invicem  habent,  ergo  (per  Axiom.  5)  nee  per  se 
invicem  possunt  intelligi,  adeoque  (per  Axiom.  4)  una  alterius  causa  esse  non 
potest.   Q.  E.  D.«     Das  4.  Axiom,   worauf  dieser  Beweis  ebenso  wie  der  zu 


'  Kthiea  p.  TU,  prop.  2.  schol.  Im  folgenden  werden  die  Teile  und  Lehrsätze  der  Ethik 
in  der  abgekürzten  Form  III.  2  -  III.  Teil.  2.  Lehrsatz  zitiert.  Der  »Kurze  Traktat-  ist  nach 
Sigwarts  Übersetzung  aus  dem  Holländischen  (1870),  die  Briefe  sind  nach  der  neueren 
Numerierung,  die  übrigen  Werke  nach  der  2.  Gesamtausgabe  von  van  Vloten  und  Land 
(1895)  zitiert. 


Spinozastttdi^n.  5 

II,  7  gestützt  wird,  hat  den  Wortlaut:  »Eflfectus  cognitio  a  cognitione  causae 
dependet,  et  eandem  involvit. « 

Für  den  Beweis  zu  I,  3  ist  das  Entscheidende  der  Zusatz  des  Kausal- 
axioms: et  eandem  involvit.  Der  Begriff  der  Ursache  ist  nach  Spinozas 
rationalistischer  Auffassung  des  Kausalverhältnisses  in  dem  der  Wirkung 
eingeschlossen.  Das  Ursachverhältnis  fallt  ihm  zusammen  mit  dem  des  lo- 
gischen Grundes  zu  seinen  Folgen.  Wie  der  Schlußsatz  nicht  bloß  nach 
den  Prämissen,  sondern  aus  ihnen  erkannt  wird,  seine  Erkenntnis  also  die 
der  Prämissen  einschließt,  so  schließt  die  Erkenntnis  der  Wirkung  die  der 
Ursache  ein.  Daher  auch  der  stets  wiederkehrende  Ausdruck  »sequitur« 
für  »ist  verursacht,  geht  real  hervor«.  Auch  die  Leugnung  der  Realität 
der  Zeit  hängt  damit  zusammen.  Darum  vermag  Sjnnoza  sogar  das  Ver- 
hältnis eines  Attributs  zu  den  darunter  befaßten  einzelnen  Modi  als  Kausal- 
verhältnis zu  fassen;  ist  doch  der  Gattungsbegriff  in  der  Artxmd  im  einzelnen 
Ding  enthalten.  »Res  ideatae  ex  suis  attributis  conse(iuuntur  et  conclu- 
duntur  (11,6,  cor.).  Wir  sind  seit  Hume's  Kritik  an  eine  andere  Auffassung 
der  Kausalität,  zum  mindesten  im  Gebiete  des  Naturerkennens,  gewöhnt. 
Aber  Spinozas  ganzes  Sy.stem  steht  und  fällt  mit  dieser  Fassung,  und  wir 
haben  sie  als  eine  Voraussetzung  seiner  Deduktionen  zugrunde  zu  legen. 

Von  hier  aus  ist  der  Beweis  zu  I,  3  in  der  Tat  einleuclitend.  Denn 
wenn,  nach  der  Voraussetzung  des  Lehrsatzes,  zwei  Dinge  unter  sich  nichts 
gemein  haben,  in  dem  Sinne,  daß  der  Begriff  des  einen  den  des  anderen 
nicht  einschließt,  so  folgt,  daß  keines  die  Ursache  des  anderen  sein  kann. 

Spinoza  spricht  allerdings  in  I,  3  nicht  direkt  von  den  Attributen,  auch 
nicht  von  Substanzen,  sondern  von  res.  Diesen  Ausdruck  gebraucht  er  al)er 
nicht  etwa  im  Sinne  von  körperlichen  Einzeldingen  (wie  später  in  II,  7), 
sondern  in  dem  allerallgemeinsten  Sinne  von  »etwas«,  wofür  auch  wirkeine 
andere  Melirzahlbildung  haben  als  »Dinge«.  Er  wünscht  dem  Satz  die  größt- 
mögliche Allgemeinheit  zu  geben  und  ihn  in  dieser  Form  zu  beweisen. 
Aber  die  nächste  Anwendung,  die  er  von  dem  Lehrsätze  macht  (im  Beweise 
zu  I,  6),  ist  die  auf  Substanzen:  keine  Substanz  kann  eine  andere  hervor- 
bringen. Und  daß  dasselbe  auch  für  Attribute  gilt,  folgt  ohne  weiteres  aus 
der  Definition  des  Attributs  als  dessen,  was  der  Verstand  als  das  Wesen 
der  Substanz  ausmachend  erfaßt,  sowie  aus  dem  Satze  (1, 10).  daß  jedes 
Attribut  für  sich  begriffen  werden  muß.  Daß  endlich  auch  die  Modi  ver- 
schiedener Attribute,  d.  h.  die  luiter  ver-schiedene  Attribute  fallenden  Einzel- 


(i  S  T  ij  Ji  I'  1' : 

dinge  oder  Einzelvorgänge,  nicht  aufeinander  einwirken  können,  folgt  daraus, 
daß  jeder  modus  nur  den  Begriff  des  Attributes,  dem  er  zugeliört,  einschließt'. 
So  können  z.  B.  Leib  und  Seele  nicht  aufeinander  wirken,  da  die  Seele 
unter  das  Attribut  des  Denkens,   der  Leib  unter  das  der  Ausdehnung  fällt. 

Dieses  Negative  also  hat  man  bei  dem  7.  Lelirsatz  des  2.  Teiles  bereits 
als  feststehend  vorauszusetzen.  Er  fügt  nur  das  Positive  hinzu,  daß  inner- 
halb der  Ideen,  d.  li.  der  Modi  des  Attributs  Denken,  dieselbe  (Ordnung  und 
Verknüpfung  stattfindet  wie  innerhalb  der  Dinge,  d.  h.  der  Modi  des  Attributs 
Ausdehnung.  Der  Beweis  stützt  sich  auf  das  bereits  herangezogene  Kausal- 
axiom. Aber  Spinoza  braucht  hier  nur  den  ersten  Teil  des  Axioms,  nicht 
den  Zusatz  »et  eandem  involvit«.  Setzt  man  im  ersten  Teil  des  Axioms 
für  cognitio  idea,  so  ergibt  sich,  daß  die  hlee  der  Wirkung  abhängt  von 
der  Idee  der  Ursache.  Faßt  man  weiter  Ursache  und  Wirkung  unter  den 
allgemeinen  Ausdruck  res,  so  folgt,  daß  die  Ideen  voneinander  nach  der- 
selben Gesetzlichkeit  abhängen   wie  die  Dinge. 

Rein  formell  wäre  also  alles  in  Ordnung.  Der  Sinn  des  Satzes  aber 
wäre  zunächst  nur  der,  daß  unsere  p]rkenntnisse  auseinander  in  derselben 
Ordnung  und  Verknüpfung  hervorgehen  wie  die  Dinge;  uiul  zwar  könnte 
sich  der  Satz  so  verstanden  nur  auf  eine  ideale  Erkenntnis  beziehen,  die 
deduktiv  und  fehlerfrei  von  den  Ursaclien  zu  den  Wirkungen  fortschritte, 
nicht  auf  Schlüsse,  die  sich  empirisch  mit  Hypothesen  und  Fehlgriffen 
nach  und  nach  an  die  Ursachen  herantasten.  In  Spinozas  Ausdrücken:  nur 
auf  die  adäquate,  nicht  auf  die  imaginative  und  konfuse  Erkenntnis. 
Tatsächlich  soll  jedoch  der  Satz  nach  Spinozas  Intention  ganz  allgemein 
Psychisches  und  Physisches  einander  zuordnen  und  wird  in  solch  all- 
gemeinem Sinne  weiterhin  verwendet.  Jeder  Zustand  unseres  Körpers  ist 
nach  der  Fortsetzung  seiner  Darstellung  von  einer  inadäquaten,  konfusen 
Idee  dieses  Zustandes  begleitet,  und  die  inadäquaten  Ideen  folgen  sich  mit 
derselben  Notwendigkeit  wie  die  adäquaten  (II,  36).!  Aber  nicht  bloß  die  Zu- 
stände unseres  Kör2)ers,  sondern  auch  jeder  physische  Zustand  eines  Körpers 
der  Außenwelt  soll  eine  Idee  seiner  selbst  mit  sich  führen  (II,  13  schol.). 
(Gegenüber  einer  solchen  allgemeinen  Verknüpfung  und  Parallelität  der  Ver- 
änderungen bilden   die  Fälle,  wo  es  sich  um  wissenschaftliches  Denken  von 


'    11.6  dem.:   UTiiiiscn.jus(-|ue  jittributi  modi  coneeptnm  sui  atti-ibtiti.  iion  atitem  alterins 
invohuiit. 


Sinnoznstiirlii'n.  7 

der  idealen  deduktiven  Form  handelt  und  unsere  Gedanken  sich  dem  wirk- 
lichen Lauf  der  Dinge  genau  anschmiegen,  verschwindende  Einzelfälle,  aus 
denen  der  Satz  in  seiner  Allgemeinheit  unmöglich  gefolgert  werden  kann. 
Es  bliebe,  wenn  nicht  weitere  Voraussetzungen  dem  Beweise  zu  Hilfe  kommen, 
sehr  wohl  denkbar,  daß  die  Parallelität  sich  auf  diese  Ausnahmefälle  be- 
scliränkte,  daß  hingegen  die  meisten  physischen  Verändenmgen  überhaupt 
ohne  psychische  Begleiterscheinungen  erfolgten  und  daß  die  Vorstellungen 
im  allgemeinen  anderen  Gesetzen  folgten  als  die  Dinge.  Das  stolze  Q.  E.  D. 
würde  nicht  bloß  der  Form  nach  fehlen,  sondern  wäi'e  auch  sachlich  niclit 
am  Platze. 

Hier  greift  nun  das  berühmte  und  liochbedeutsame  Scholion  des  Lehr- 
satzes ein.  Spinoza  erinnert  den  Leser,'  daß  er  hier  vom  göttlichen  In- 
tellekt rede,  und  daß  alles,  was  vom  unendliclien  Intellekt  als  seine  Wesen- 
heit ausmachend  (d.  h.  als  seine  Attribute,  1,  def.  4)  erfaßt  werden  kann, 
nur  zu  einer  einzigen  .'•Substanz  gehöre,  daß  also  die  denkende  und  die 
ausgedehnte  Subst^mz  eine  und  dieselbe  sei,  die  nur  bald  unter  diesem, 
bald  unter  jenem  Attribut  verstanden  werde.  Das  gleiche  gelte  von  den 
Modi  der  Attribute,  also  von  den  einzelnen  Seelen  und  Körpern.  Eine  und 
dieselbe  Substanz  aber  —  so  muß  man  den  King  schließen  —  kann  un- 
möglich zweierlei  oder  gar  (in  Anbetracht  der  unendlich  vielen  Attribute) 
unendlich  vielen  verschiedenen  Gesetzlichkeiten  der  Aufeinanderfolge  uifd 
Vorknü[)fung  ihrer  Zustände   unterliegen. 

Zugleich  wird  durch  dieses  Scholion  der  Parallelitätsgedanke  ungeheuer 
erweitert.  Denn  wenn  die  Berufung  auf  die  Eiidieit  der  Substanz  überhaupt 
lieweiskräftig  ist,  so  gilt  das  Gesetz  der  Parallelität  der  Veränderungen 
niclit  bloß  für  ideae  und  res,  die  Modi  des  Denkens  und  der  Au.sdehiuing 
(und  zwar  uneingeschränkt,  da  auf  Gott  bezogen  alle  Ideen  adäijuat  sind, 
II,  46),  sondern  auch  für  die  Modi  aller  der  unendlich  vielen  .sonstigen 
Attribute  der  göttlichen  Substanz.  Spinoza  versäumt  nicht,  dies  selbst  hervor- 
zulieben.  Der  Lelirsatz  liätte  darum  von  vornherein  in  dieser  allgemeinsten 
Fas.sung  au.sgedrückt  und  im  ersten  Teil  iles  Buches,  der  von  Gott  und 
seinen  Attributen  im  allgemeinen  handelt,  etwa  im  Anschluß  an  den  3.  Lehr- 
satz, vorgetragen  werden  müssen.  Warum  dies  nicht  geschah,  wird  aus 
unseren   weiteren   Ausführungen   hervorgehen 

Zunäclist  leidet  aber  das  Gefüge  der  Beweisführung  nun  wieder  an 
einer  schweren  Lücke.    Denn   wenn  man  überlegt,   was  für   Spinoza    nacli 


8  S  T  u  31  r  1  ; 

seinen  bestimmlen  Erklärungen  der  Begriff  Substanz  bedeutet,  so  büßt  der 
Grundgedanke  des  Scholions  seine  sclieinbar  so  zwingende  Schlußkraft 
wieder  völlig  ein.  Substanz  ist  ja  für  ihn  nicht,  wie  für  die  vorausgehende 
Philosophie,  etwas  die  Attribute  Durchdringendes,  Bedingendes,  Beherr- 
schendes, das  ihre  innere  Einheit  herstellte  und  sie  damit  zu  einem  gleich- 
förmigen Verhalten  zwänge,  sondern  nur  die  Gesamtheit  der  Attribute  selbst. 
«Die  Substanz  besteht  aus  den  Attributen«  heißt  es  immer  wieder:  »Gott 
oder  alle  Attribute  Gottes'«  usw.  Auch  die  Lehre,  daß  jedes  Attribut 
nur  aus  sich  begriffen  wird  und  nichts  mit  anderen  gemein  hat,  führt  zu 
der  Folgerung,  daß  die  Attribute  den  Begriff  der  Substanz  nicht  in  sich 
schließen:  denn  sonst  würden  sie  eben  doch  etwas  gemeinsam  haben. 
Gerade  in  dieser  Fassung  der  Substanz  als  Gesamtheit  der  Attribute  liegt 
eine  der  merkwürdigsten  Unterscheidungslehren  Spinozas  gegenüber  der 
gesamten  aristotelisch-scholastischen  Tradition,  auch  gegenüber  Descartes ;  ein 
Zug,   der  ihn  als  Vorläufer  Humes  und  vieler  Modernen  erscheinen  läßt. 

Hieraus  geht  nun  sclieinbar  hervor,  daß  die  Attribute  bei  Spinoza  gewisser- 
maßen nebeneinander  liegen,  wie  sich  auch  wirklich  Zeller  einmal  aus- 
drückt', jedes  gleichgültig  gegen  die  anderen,  ohne  Wesenszusammenhang 
mit  ihnen,  daß  das  Wort  Substanz  nur  ein  Sammelname  sei,  der  zur  Ab- 
kürzung an  die  Stelle  der  unendlichen  Reihe  der  Attribute  gesetzt  werde. 
Zweifellos  wäre  dann  der  Vorwurf  berechtigt,  daß  Spinozas  Ansicht  über 
Leib  und  Seele  doch  schließlich  auf  einen  krassen  Dualismus  hinauslaufe"' 
und  seine  Lehre  von  den  unendlich  vielen  Attributen  die  Welt  in  unendlich 
viele  unzusammenhängende  Welten  auflöse. 

Wäre  dies  aber  wirklich  die  richtige  Auslegung,  so  würde  nichts  im 
Wege  stehen,  daß  jedes  Attribut  auch  seine  eigene  Gesetzlichkeit  hätte, 
und  daß  die  Ordnung  und  Verknüpfung  der  Modi  ebenso  unendlich  mannigfach 
wäre  wie  die  Attribute  selbst.  Statt  der  zwei  miteinander  gehenden  Uhren 
bei  Geulincx   und  Leibniz   hätten  wir  zwei,   ja  unendlich   viele,    die  recht 


'  I,  def.  6:  substantiam  constantem  infinitis  attributis.  I,  lo  schol.;  constat  infinitis 
attributis.  Ebenso  schon  im  Kuciien  Traktat  S.  i6  und  in  den  Anmerkungen  S.  9  und  47, 
die  jedenfalls  Spinozas  Meinung  wiedergeben,  wenn  sie  auch  vielleicht  nicht  von  ihm  selbst 
herrühren.     Auch  im  Anhange  dieses  Traktats  S.  151  (Zusatz  zum  4.  Lehrsatz). 

^    Geschichte  der  deutschen  Philosophie,   2.  Auflage,  S.  638. 

'  Vgl.  u.  a.  E.  Bkciiku,  Der  Begrifl' des  Attributs  bei  Spinoza  (Abhandlungen  zur  Philo- 
sophie  und   ihrer  Geschichte,  herausgegeben  von  Benno  Erdmann).    1905.  S.  53. 


Spinozastudien.  9 

wohl  im  verschiedensten  Tempo  laufen  könnten.  Dafür  ließe  sich  auch 
noch  anführen,  daß  Spinoza  vor  der  Abfassung  der  Ethik  die  Atti-ibute 
sogar  selbst  als  Substanzen  bezeichnete  und  daß  es  in  dem  Briefe  an 
Simon  de  Vries  vom  Jahre  1663,  also  mitlen  in  der  Abfassungszeit  der 
Ethik,  nach  der  Definition  der  Substanz  heißt:  »Dasselbe  verstehe  ich 
unter  Attribut,  nur  daß  die  Bezeichnung  Attribut  auf  den  Verstand  Bezug 
nimmt,   welcher  der  Substanz   eine   solche    bestimmte   Natur  zuschreibt^« 

Nun  schürft  uns  freilich  Spinoza  immer  wieder,  so  auch  gerade  im 
Scholion  des  7.  Lehrsatzes,  ein,  daß  jedes  Attribut  nur  eine  besondere  Aus- 
drucksweise der  nämlichen  Substanz  sei:  »una  eademque  substantia  per  di- 
versa  attributa  explicatur,  comprehenditur«.  Aber  eben  der  Sinn  dieser 
Formeln,  die  man  doch  unmöglich  mit  K.Thomas''  als  eine  unaufrichtige 
Akkomodation  deuten  kann,  muß  aufgezeigt,  und  es  muß  ihre  Vereinbar- 
keit mit  der  anderen  Formel  dargetan  werden,  wonach  jedes  Attribut  nur 
aus  sich  begriffen  werden  kann.  Dann  erst  kann  man  den  ganzen  Beweis 
des  Parallelismus  als  schlüssig  anerkennen,  als  schlüssig  natürlich  immer 
vom  Standpunkt  und  unter  den  Voraussetzungen  Spinozas.  Denn  nur  um 
eine  immanente  Kritik  kann  es  sich  hier  handeln. 

Alles  läuft  darauf  hinaus,  daß  ein  innerer  Wesenszusammenhang 
zwischen  den  Attributen  bestehen  muß,  infolgedessen  sie  nicht  unver- 
bunden,  sondern  nur  in  engster  Zusammengehörigkeit  innerhalb  einer  und 
derselben  Realität  existieren  können. 

2.  Akt  und  Inhalt  gemäß  aristotelisch-scholastischer  Psychologie. 

Hier  setzt  eine  neue  Quelle  der  spinozistischen  Parallelismuslehre  ein, 
und  zugleich  diejenige,  die  sie  von  der  heutigen  durch  eine  unüberbrück- 
bare Kluft  scheidet.  Es  ist  die  psychologische  Bestimmung  des  Verhält- 
nisses zwischen  Denken  und  Ausdehnung,  wie  sie  vom  10.  Lehrsatz  des 
zweiten  Teiles  an  entwickelt  wird.  Man  muß  Spinoza  gewissermaßen  rück- 
wärts lesen,  d.  h.  das  Frühere  nach  dem  Späteren  deuten.  Erst  die  folgen- 
den Lehrsätze  zeigen,  was  er  mit  den  vorausgehenden  will.  Im  ganzen 
ersten  Teil  spricht  er  überhaupt  von  den  Attributen  nur  prinzipiell 
und  im    allgemeinen.     Im    Scholion    zu  I,  10  erwähnt    er   nebenbei,    daß 


'    Näheres  in  der  sorgfältigen  Arbeit  Bkchers,  besonders  S.  338". 
'    K.  Thomas,  Spinoza  als  Metaphysiker,  1840,  S.  136  ff. 
I'Ml.-ftist.  Abh.  1919.  Nr.  4. 


10  s 


T  U  M  I'  I' 


wir  zwei  davon  kennen,  folgert  im  2.  Korollar  des  14.  Lehrsatzes,  daß  aus- 
gedehntes und  denkenden  Ding  entweder  Attribute  oder  Modi  Gottes  seien, 
behauptet  im  Scholion  des  15.,  im  14.  bewiesen  zu  liaben,  daß  die  Aus- 
dehnung eines  der  Attribute  sei,  führt  im  Beweise  des  21.  Lehrsatzes  Den- 
ken als  Beispiel  eines  Attributs  an  und  setzt  dies  auch  im  Beweis  des 
31.  und  32.  Lelirsatzes  voraus.  Aber  erst  im  IL  Teil  Lehrsatz  i  uild  2 
werden  die  beiden  Attribute  als  solche  dargetan  und  gewissermaßen  offi- 
ziell vorgestellt.  In  der  Erläuterung  des  7.  Lehrsatzes  selbst  sind  sie  gleich- 
wohl immer  noch  bloß  als  Beispiele  benutzt.  Erst  vom  10.  Lehrsatz  an 
werden  sie  der  eigentliche  Gegenstand  der  Darstelhmg.  Der  Weg  vom  All- 
gemeinen zum  Besonderen,  die  synthetische  Methode,  wird  konsequent  fest- 
gehalten. 

Wir  erfahren  jetzt,  der  menschliche  Geist  sei  nidits  anderes  als  die 
Idee  des  menschlichen  Körpers,  der  menschliche  Köri>er  nichts  anderes 
als  das  Objekt  dieser  Idee.  Damit  ist  gesagt,  daß  die  beiden  Attribute  und 
ihre  Modi  nicht  nebeneinander  liegen,  sondern  in  innigster  Wechselbe- 
ziehung zueinander  stehen  und  daß  diese  Beziehung  uns  gegeben  ist. 
Es  bleibt  zwar  dabei,  daß  jedes  der  l)eiden  ohne  das  andere  gedacht  werden 
kann  und  muß;  der  Begritf  des  einen  schließt  den  des  anderen  nicht  als 
Teil  in  sicli  ein.  Aber  sie  bilden  gemeinschaftliche  Glieder  eines  Ganzen 
und   weisen  ihrer  Natur  nach   gegenseitig  aufeinander  hin. 

Es  handelt  sicli  für  Spinoza  um  ein  der  damaligen  Philosophie  allge- 
mein bekanntes  und  geläufiges  Verhältnis:  das  des  Bewußtseinsaktes 
zu  seinem  Inhalt.  In  jedem  Bewußtseinszustand,  wie  er  der  Selb.stwahr- 
nehmung  gegeben  ist,  sind  nach  dieser  alten  Lehre  beide  Elemente  zu  un- 
terscheiden, und  zwar  laufen  die  wesentlichen  Unterschiede  und  Einteilungen 
der  Akte  parallel  denen  der  Inhalte,  da  sie  durch  diese  in  ihrer  Eigenart 
bestimmt  werden,  um  die  Lehre  und  ihren  ICinlluß  zu  verstehen,  muß 
man  auf  die  aristotelisch-scholastische  Philosophie  .zurückgreifen,  die  zu 
Spinozas  Zeiten  noch   in   weitesten  Kreisen  volle  Autorität  genoß. 

Schon  Plato,  für  den  allenthalben  die  Stufenfolge  in  der  \'ollkonimen- 
lieit  des  Seins  sich  mit  der  der  wahrhaften  Erkenntnis  deckt  (die  fast 
nichtseiende  Materie  ist  auch  fast  unerkennbar,  Gott  das  fiejicnov  /uäOtjfia), 
läßt  auch  die  Unterschiede  der  immanenten  Objekte  genau  parallel  gehen 
mit  denen  der  Erkenntnistätigkeiten.  Vgl.  besonders  Kep.  sogdff.,  wo  der 
Untei'schied  der  eTrio-n'-i/ui]  von  der  So^a  durch   den  des  wahrhaft  Seienden 


Splnocasfiiillfii.  1 1 

vom  sinnlich  Einzelnen  und  die  Untereinteilungen  vörjais  —  Siävoiaund  iriaTis 
—  eiKaata  wieder  durch  den  Unterschied  der  direkt  erscliauten  von  den 
l)loß  in  Bildern  gescliauten  (regenständen  begründet  werden.  Ebenso  wird 
im  Theaetet  die  liöhere  von  der  niederen  Erkenntnis  (Walirnehmung)  da- 
durch unterschieden,  daß  diese  auf  das  sinnlich  Einzelne,  jene  auf  die 
Koivd  gerichtet  ist. 

Wie  in  dem  Prinzip  der  Parallelität  von  Sein  und  Erkennbarkeit  (der 
Natur  nach),  so  folgt  Aristoteles  seinem  Lehrer  auch  in  dem  der  Parallelität 
zwischen  Akt  und  immanentem  Gegenstand'.  voeTv  und  ai&ddvearßai  sind  llim 
verschieden,  weil  die  votrrd  (rä  Ka66\ov)  von  den  aloßiiTa  (to.  KciB'eKaaTov) 
verschieden  sind,  obsclion  die  votjTci  für  ihp  nicht  mehr  gesonderten  realen 
(iegcnständen  entsprechen,  sondern  nur  als  Gedankendinge  existieren.  Der 
Unterschied  der  immanenten  Gegenstände  also  bestimmt  den  der  darauf 
gerichteten  Akte. 

Das  Denken  ist  für  Aristoteles  ein  Leiden  durch  das  Intelligible, 
wie  das  Emj)finden  ein  Leiden  durcli  das  Sen.sible.  Der  Verstand  nimmt 
die  intelligiblen  Formen  in  sich  auf,  wie  der  Sinn  die  sensiblen,  wenn 
auch  die  wirkenden  vofjrä  niclit  draußen  existieren,  sondern  in  den  sinn- 
lichen F^inzelvorstelluhgen  der  Möglichkeit  nach  enthalten  sind  und  aus 
ihnen  durch  das  ttoiijtikov  erzeugt  werden. 

Im  (Jebiete  des  Denkens  selbst  ist  jeder  Unterschied  des  (iedachten 
zugleich  einer  des  Denkaktes,  im  Gebiete  des  Empfindens  jeder  Unterschied 
des  Empfundenen  einer  des  Empfindens.  Hören  und  Selien  sind  verschie- 
tlene  Tätigkeiten,  weil  Farben  und  Töne  verschiedene  Iidialtsklassen  sind. 
Aristoteles  schließt  sogar  einmal  (De  anima  426,  a,  ^7),  das  Hören  müsse 
eine  Art  Verhältnis,  etwas  Relatives,  sein,  weil  das  Gehörte,  nämlich  der 
Zusammenklang  {crv/jKfxovia),  ein  Verhältnis  sei,  Klang  und  Hören  aber  so- 
zusagen eins  seien. 

Selbst  die  emotionellen  Akte  unterliegen  diesem  (besetze:  das  sinnliche 
Begeljren  ist  seinem  Wesen  nach  bestimmt  durch  das  r]§v  kcu  Ävirtipov, 
das   höhere   Begehren   durch   da.s   äyaO'ov  Kai  kukov. 

Überall  werden  die  Akte  spezifiziert  durch  die  immanenten 
Objekte. 


'    Am  schärfsten  ha.i  Fr.  Breniano  (Psychologie  des  Aristoteles,  bes.  S.  Soll".,  .S.  iijfl.) 
(h'e  Durchfuhrung  dieses  Prinzips  bei  Aristoteles  aufgezeigt. 

2* 


12  Stumpf: 

Für  Aristoteles  ist  durch  die  Verschiedenheit  der  Akte  weiter  auch 
die  der  Vermögen  gegeben.  Die  Denkfähigkeit  (vovs  Svvdfjiei)  ist  von  der 
Wahrnehmungsfähigkeit  (aloOrjcris  Bwäfiei)  ebenso  verschieden  wie  das  wirk- 
liche Denken  vom  wirklichen  Empfinden.  Doch  reduzieren  sich  hier  die 
Unterschiede:  nicht  jeder  Akt  verlangt  einen  Unterschied  des  Vermögens. 
Das  Vermögen  zu  Entgegengesetztem,  z.  B.  zum  Lieben  und  Hassen,  ist 
das  nämliche.  Ja,  sämtliche  Denkakte  entspringen  nur  dem  einen  Denk- 
vermögen. 

Noch  weiter  erschließt  Aristoteles  aus  den  Hauptunterschieden  der 
Akte  auch  die  der  Subjekte,  den  des  körperlichen  und  geistigen  Teiles 
der  menschlichen  Seele  und  den  der  vegetativen,  sensitiven  und  intellek- 
tiven  Seele.  Hier  geht  also  die  Reduktion  der  Einteilungsglieder  noch 
weiter. 

Auch  nach  der  Seite  des  Objektes  liegt  eine  weitere  Parallelreihe: 
den  Sinnesinhalten  entsprechen  die  Unterschiede  der  wirklichen  Eigen- 
schaften der  Außendinge.  Der  Sinn  erfaßt  die  Formen  der  Dinge  ohne 
den  Stoff  (424,  a,  17  ff. ;  425,  b,  23).  Warm  und  Kalt,  Trocken  und  Feucht, 
die  'i8ia  aio-drjTO.  des  Tastsinnes  sind  zugleich  die  Haupteigenschaften  der 
Körper  (422,  b,  25  ;  423,  b,  26).  Wegen  dieser  Parallelität  meint  Aristoteles 
sogar  unsere  Sinnesqualitäten  als  die  einzig  möglichen  erschließen  zu  können 
(424,  b,  2  2  ff.).  Innerhalb  eines  Sinnes  sind  wieder  die  Empfindungsunter- 
schiede parallel  denen  der  wirklichen  physikalischen  Vorgänge :  ai  Se  8ia(f>opa.i 
Twv  \j/o(f)ovvTWU  ev  TW  KUT  evepyeiav  \l/6(f)U)  SrjXovvrai  (420,3,  26  ff.).  Das 
ö^v  der  Töne  entspricht  den  kleinen,  kurzdauernden,  das  ßapv  den  großen, 
langdauernden  Bewegungen.  Allgemein  ist  die  Energie  der  Wahrnehmung 
und  die  des  Wahrgenommenen  dieselbe,  und  das  Wissen  ist  eins  mit  seinem 
Gegenstande;  darum  entsprechen  die  Einteilungen  des  Wissens  und  der 
Wahrnehmung  denen  ihrer  Gegenstände,  der  möglichen  und  der  wirklichen'. 

Diese  Lehren  sind  mit  der  aristotelischen  Philosophie  überhaupt  auf 
die  Hochscholastik  übergegangen.  So  lehrt  Thomas  von  Aquino  Summa  theol. 
p.  1  qu.  14,  art.  2  :  Intellectus  noster  vel  sensus  informatur  in  actu  per  speciem 
sensibilis   vel  intelligibilis.     Qu.  77  a.  3 :    Oportet    quod    ratio  potentiae  di- 


'  425,b,26;  426,3,15;  431, a,l;  43I,b,2lfF.:  i)  "^v^fi  ra  ovra  irüs  ea-n  irävTa.  ij  yäp 
alcr6t]Ta  ra  ovra  !]  voijTii,  ecm  S'  i)  i'iTTKrTij /jt)  ^ev  rä  eirio-Ti]Tä  ttms,  i;  o'  atirOiims  ra  altrOtiTÖ  .  .  .  TeuveTai 
ovv  1)  im<TTi]iiij  Ken  i]  uiaOtjcris  tis  to  TrpäyfxaTa,  t)  fiiv  Swä/jei  eis  Bvvafieis,  i]  c'evreXeyela  eis  ivre- 
\e^e/as    k.  t.  \. 


Spinozastiidicn.  '  1 3 

versificatur,  ut  diversificatur  ratio  actus.  Ratio  autein  actus  diversificatur 
secundum  diversam  rationem  objecti'.  Die  Einteilung  der  fünf  Sinne,  die 
Besonderheiten  des  menschlichen  Erkennens  gegenüber  dem  höherer  Geister 
u.  s.  f.  werden  aus  diesem  Prinzip  hergeleitet  (qu.  79,  a.  3,  qu.  84,  a.  i,  a.  7). 
Wie  bei  Aristoteles  werden  auch  die  emotionalen  Akte  demselben  Gesetz 
unterstellt,  wobei  als  Objekte  die  erstrebten  Ziele  gelten:  Actus  voluntarii 
speciem  recipiunt  a  fine,  qui  est  voluntatis  objectum  (S.  theol.  II,  qu.  4,  a.  3). 
An  die  Reihe  der  realen  Objekte  schließt  sich  aber  hier  noch  eine 
weitere  an:  die  der  Ideen  im  Geiste  Gottes.  An  der  scholastischen  Ideen- 
lehre ist  Aristoteles  nur  durch  den  allgemeinen  Gedanken  beteiligt,  daß 
die  Ordnung  der  Welt  im  göttlichen  vovs  liege,  wie  die  Ordnung  des  Heeres 
im  Feldherrn  (Met.  XII,  c.  10).  Dagegen  wurde  Piatons  Ideenlehre  von  der 
Scholastik  in  der  neuplatonisch-augustinischen  Umdeutung:  Ideen  =  Ge- 
danken Gottes  übernommen  und  weitergebildet.  Jedes  Einzelding  ist  durch 
eine  Idee  in  (iott  vertreten'.  Aber  nicht  bloß  die  wirklichen,  sondern  auch  alle 
bloß  möglichen  Dinge  haben  ihre  Ideen ;  jene  erkennt  Gott  durch  die  scientia 
visionis  (practica),  diese  durch  die  scientia  simplicis  intelligentiae  (speculativa)^. 
Es  ergibt  sich  so  für  die  Scholastik  folgendes  Schema  paralleler  Reihen^: 
1.  Subjekte.  2.  Vermögen.  3.  Akte.  4.  Inhalte  =  mentale  Ob- 
jekte.    5.  Reale  Objekte.     6.  Ideen  Gottes. 

'  FIbenso  Summa  c.  gentiles  I,  c.  47:  Actus  intellectus,  siciit  et  aliartiin  nniniae  po- 
teatiarum,  secnndum  objecta  distingniintiir.  III,  c.  139/140:  Actu.s  speciem  i'eeij)iuiit  ex  ob- 
jectis  (hier  mit  Beziehung  auf  die  VV'illoii.sakte,  die  durch  die  vorgestellten  Ziele  spezifiziert 
werden).  Und  wieder  ebenso  Quaestioiies  disputatae,  IV.  De  anima,  art.  13:  Potentiae  distin- 
guuntur  per  actus,  et  actus  per  objecta  .  .  .  Actus  ex  objectis  speciem  liahent  (mit  Rück- 
weisung auf  Aristoteles  und  weitläufiger  Hegründung).  (Joudin,  I'liilosi)|)hia  Divi  Thomae 
III.  p.  30  formulieit  das  Gesetz  .so:  Potentiae  animae  speoificantur  ab  aetibus  et  objectis,  ad 
quae  de-stinanlur  a  natura:  ab  actibus  quidem  imniediate,  ab  objectis  vero  niediantibus  actihus. 

-  Summa  theol.  I,  qu.  15,  u.  2:  Unaquaequc  autem  creatura  hab<'t  piopriam  speciem. 
secundum  quod  aliquo  modo  participat  divinae  essentiae  similitudinem.  Sir  igitur  inquantuiii 
Deus  cognoscit  suam  es.sentiam  ....  cogiioscit  eam  ut  propriaui  rationem  et  id(^am  liujus 
creaturae.  Vgl.  qu.  4,  a.  2:  Opoi'tet  omnium  rerum  perfectiones  praeexistere  in  Deo  secundum 
emincntiorem  modimi.  (^u.  14,  a.  6:  <,)Mii!i|uid  ])erfectionis  est  in  (|uafuiii(|ue  creatura,  totuui 
praeexistit  et  continetur  in  Deo  secundum  modum  excellentem.  <^)n.  14,  a.  11:  Dens  cognoscii 
singularia. 

'    Ib.  qu.  14,  a.  9:   qu.  15,  a.  3. 

*  Nocli  eine  weitere  Parallelreihe  bilden  die  lialiitus  (dl«-  aristotelischen  tfeis),  d.  h. 
die  von  den  Akten  zurückbleibenden  Dispositionen,  Neigimgen,  Fertigkeiten  ia  der  Ausübuiin 
bestimmter  Tätigkeiten.     Doch   könmien  diese  hier  nicht  in   Botiacht. 


14  '  S  T  i:  !M  I'  l'  : 

Die  am  stärksten  difFei-enzierte  Reilio  ist  die  letzte  (der  Natur  nach 
erste);  nacli  i  hin  nimmt  die  Giiederzahl  innerhalb  der  Reihen  immer  melir 
ab,  wenn"  auch  i  selbst  bei  den  Scholastikern  außer  den  aristotelischen 
Klassen  noch  die  mehreren  wesens\  erschiedenen  Klassen  der  reinen  Geister 
umfaßt.  Überall  aber  laufen  der  einen  Reihe  bestimmte  Gruppen  der  anderen 
parallel   und  sind  durch  sie  determiniert. 

xVuf  die  Parallelität  von  i  und  3  bezieht  sich  die  häufig  angewandte 
Regel:  »operatio  sequitur  esse«  (die  auch  für  nicht-psycliische  Tätigkeiten 
gilt).  Auf  die  von  4  und  5,  indirekt  auch  \on  3  und  5,  die  Definition  der 
Wahrheit  als    »adaequatio  (conformitas)  rei  et  intellectus'«. 

Von  den  drei  letzten  Reilien  sagte  man  auch,  das  nämliche  Objekt 
sei  im  Geiste  intentionaliter  oder  objectiv,  in  der  Wirklichkeit  formaliter, 
in  Gott  eminenter  - —  Ausdrücke,  die  in  gleichem  Siim  auch  noch  von 
Descartes'  und  dem  jungen  Spinoza '  gebraucht  werden.  Das  mentale  Objekt 
hieß  auch  si)ecies  sensibilis  und  species  intelligibilis  (das  durch  den  Sinn 
und  den  Verstand  aufgenommene  elSos  des  Aristoteles).  Zwisclien  ihm  und 
dem  realen  Objekt  besteht  nach  hochscholastischer,  gleichfalls  auf  Aristoteles 
zurückgehender  Lehre  das  Doppelverliältnis  der  Kausalität  und  der  Ähn- 
lichkeit. Infolgedessen  wird  durch  das  mentale  das  reale  Objekt  wahr- 
genommen und  erkannt.  Das,  worauf  sich  Wahrnehmen  und  Denken  be- 
ziehen, ist  nicht  das  mentale,  sondern  das  reale  Objekt;  die  species  sind 
nur  das,  wodurch,  aber  nicht  das,  was  wir  erkennen.  Erst  wenn  der 
Geist  auf  sich  selbst  reflektiert,  wird  er  diese  sjjccies  gewahr.  So  lehrte 
wenigstens  Thomas*;  aber  der  Punkt  gehörte  zu  den  umstrittenen  der  Schule. 
Es  regen  sich  hier  die  Keime  der  späteren  Untersuchungen  über  die  Erkenntnis 
der  Außenwelt. 

Unter  den  obigen  Parallelismen  ist  der  grundlegende,  für  die  Erkenntnis 
erste  und  zentrale,  der  von  3  und  4  (bzw.  nach  dem  eben  (besagten  3  und  5). 
Dieser  wird  als  direkt  gegeben  betrachtet.  Von  da  werden  nach  beiden 
Seiten  weitere   erscldossen. 


'    Summa  theol.  I,  i]u.  16,  a.  i  und  2. 

'^    Anhang  zu  den   Objectiones  sccundac   (Definition  3  und  4). 

'    Principia   pliiiosophiae   Carte.sianae.  8.  und  9.  Axiom. 

*  S.  besondere  die  wiclitige  Ausführung  Summa  tii.  1.  (|u.  85,  :i.  2.  .\uch  in  der  Gottes- 
nnd  Engellehve  spielen  <lie  species  intelligiliih's  eine  ivolie.  \nl.  i|u.  14.  a.  2  nnd  12:  (in.  s^. 
a.  I   und  2. 


Siiinozdstudlrii.  1 5 

Diesen  Komplex  von  Lelirsätzen  üherliefcrt  die  Spätscliolastik,  abge- 
sehen von  der  kritiscli-nominalistisclien  Schule,  in  der  Hauptsadie  unver- 
ändert weiter.  Auch  Duns  Scotus,  sonst  vielfach  Thomas'  Gegner,  hält  au 
den  Paralielreihen  prinzipiell  fest'.  Sie  bilden  einen  eisernen  Bestand  der 
Lehrbüclier,  ähnlich  wie  die  metaphysischen  Lehren  von  Materie  und  Form, 
von  den  lo  Kategorien,  den  5  Prädikamenten,  den  3  Passiones  entis.  Über 
Kinzellieiten  wird  gestritten:  ob  die  Seelenvermögen  von  der  Substanz  der 
Seele  verschieden  seien,  ob  ein  intellectus  agens  anzunelimen,  ol>  die  Seele 
beim  Wahrnehmen  und  Denken  rein  passiv  sei,  und  so  fort.  Aber  das  (u'uud- 
scheina  bleibt. 

Es  ist  auch  noch  das  nämliche  bei  den  Scholastikern  der  zweiten 
Hälfte  des  16.  und  der  ersten  des  17.  Jahrhunderts,  die  auf  Spinozas  Zeit 
und  wissenschaftliclie  Atmosphäre  von  allergrößtem  Eintluß  waren,  wie  den 
jesuitischen  Kommentatoren  des  Aristoteles  in  (oimbra  oder  Fr.  Toletus  und 
Fr.  Suarez".    Nicht  minder  bei  den  Vertretern  der  Scliolastik  auf  deutschen 


'  Allerdings  mit  einer  Kinscliränkuiig.  wie  sie  seinci'  distitigiiierenden  Alt  entspricht: 
di«,'  Vermögen  seien  nnr  exirinsece.  nicht  intrinsecc  dnrch  die  Akte  und  Objekte  unterschie- 
den. Aristoteles  spreche  nur  von  der  Unterscheidung  a  posteriori  seu  per  nianifestationem. 
In  sich  selbst  .seien  die  Vermögen  überhaupt  nicht  unterschieden,  sondern  identiscii  mit  der 
einheitlichen  Natur  der  Seele,  ((^uaest.  (|nodlil>.  13  art.  3  fin.  Opp.  1891  tl'.  XX\'  p.  507  11'. 
Dazu  die  Ausführungen  des  Kommentators  III  p.  687  IV.  Auch  Stöckl.  Gesell,  d.  Pliilos.  des 
>litU^laltei-s  II.  845   11".) 

''  P.  F'onseca  (einer  derConinibricenses)  ('omni,  in  libros  metaphysicos  Aristoteiis,  1599, 
T.  I.  p.  103:  Kjns  est  actus,  cujus  est  poteutia.  p.  692:  cum  potentia,  quemadmodum  sumit 
speciem  ab  objecto,  sie  et  nnitatem  suniat.  T.  II.  p.  841:  I)i<endiuii,  objecta  esse  mensuras, 
habitus  aiitem  et  poteutia.s  mensurata,  ipiatenus  objecta  suapt"  natura  sunt  normae  ae  regulae 
cogiiltionis  veritatisque.  habitus  autem  et  potentiae  i-egniala. 

Fr.  Toletus.  Conun.  in  tii-s  libms  .\ristotelis  de  aniina.  1600.  I".  68  (|u.  8:  An  potentiae 
et  actus  per  objecta  distingnanlur  et  deliniantui'.  .Aul'  diese  Fi-age  antwortet  Toletus  nach 
.Anfühning  gegnerischer  Einwürfe:  In  hac  re  philosophdrnni  cnnsensns  cii-ca  dno.  in  nno 
autem  discoiflia  est.  ("onveniunt  pi-imo  omnes.  qnod  del'i  r)in  n  I  u  !•  potentiiie  per 
actus  et  objecta  tanquani  pi-r  notiora  nobis  et  ista  sunt  (listin<-tins  potentiarnm  secnnduni 
nos.  Die  schwierige  Frage  sei  nur.  ob  die  <>bjekti>  und  Akte  irgendwie  /iii-  Form  und 
iimeren  Ui-saclie  der  Potenzen  gehörieti.   worin  /.  B.  .Scotus   und    Thomas  anseinaiidergingeM. 

Wie  man  den  allgemein  /.ugesiandenen  (inmdsatz  im  ein/einen  anwandte,  möge  eine 
aufs  (leratewohl  herausgegrifl"ene  Stelle  des  dicken  Bandes  zeigen,  f.  128  wii'd  die  These 
disknticit:  Phantasie  und  sensns  communis  seien  dasselbe,  weil  sie  das  nämliihe  Objekt 
hätten:  diese  Behauptung  wird  dahin  richtiggestellt,  daß  die  Pluintasie  doch  etwas  hinzulüge. 
indem  sie  «la.s  Objekt  auch  in  seiner  .\bwesenlieit  erfas.se.  .Also  sei  das  Objekt  doch  nicht 
ganz  das  nnudiclii-:   das   höln-ri'  X'iMinögcn  erfasse  dns()bjekl   des   niederen,  abei' noch  etwas 


16  S  T  U  M  !•  I- : 

Universitäten,  wie  Scheibler  (Gießen)  und  Martini  (Wittenberg)'.  Alle  diese 
Autoren  werden  von  holländischen  Gelehrten,  von  Fr.  Burgersdijck  und 
dessen  Schüler  Heereboord.  den  Spinoza  einmal  erwähnt,  als  allgemein 
benutzte  und  maßgebende  Quellen  des  philosophischen  Studiums  zitiert*. 
So  fehlt  es  nicht  an  Quellen,  aus  denen  Spinoza  die  Kenntnis  der  ununter- 
brochenen aristotelisch-scholastischen  Tradition  in  Hinsicht  des  Parallelitäts- 
prinzips schöpfen  konnte.  Wenn  sich  auch  in  den  mir  zugänglichen  Schriften 
der  beiden  soeben  genannten  holländischen  Gelehrten  keine  ausdrückliche 
Erwähnung  des  Prinzips  findet,  so  legt  es  doch  Burgersdijck  in  seiner 
Darstellung  der  Psychologie,  die  die  aristotelische  Lehre  mit  nur  wenigen 


darüber  hinaus.  Toletus  will  also  die  Verschiedenheit  der  Phantasievorstellung  von  der  Wahr- 
nehmung verteidigen,  wagt  aber  nicht  das  oberste  Prinzip  für  die  Unterscheidung  der  Fähig- 
keiten zu  bestreiten,  sondern  gibt  ihm  lieber  eine  ziemlich  sophistische  Auslegung. 

Fr.  Suarez  Tract.  de  anima,  Opp.  1856  ft'.  III,  p.  574  f.  (die  Vermögen  spezifiziert 
durch  die  Akte),  p.  578  no.  15:  Actuum  nomine  hie  intelligimus  qualitates  illas,  quibus 
animae  potentiae  attingunt  extrinsece  sua  objecta,  quales  sunt  cognitiones  et  appetitiones  in 
facto  esse....  Actus  immanens,  ut  est  qualitas,  sortitur  speciem  ab  objecto, 
ad  quod  terminatur.  * 

'  Chr.  Scheibler,  Liber  de  anima,  1614,  p.  39  :  Unde  facultates  illae  differant.  Kespon- 
detur  breviter,  quod  inter  se  distinguantur  per  actus  et  objecta.  Actus  vero  sumendi  sunt 
ita  ut  teudunt  ad  objectum  tale  .  .  .  Visiva  ergo  facultas  e  .  g.  differt  ab  auditiva,  quia  illa 
provenit  ab  actu  respiciente  objectum  visibile,  haec  etc.  Atque  hoc  est,  quod  dicitur:  poten- 
tiae per  actus  et  objecta  definiri.  Vgl.  auch  die  Definition  des  Intellekts  p.  399:  quo  res 
intelligibilis  cognoscitur,  sive  apprehenditur  et  judicatur.  An  dieser  Definition  sei  zweierlei 
zu  unterscheiden:  objectum  und  actio. 

Jac.  Martini,  Partitiones  et  quaestiones  metajjhvsicae,  1615,  p,  82  f.  unterscheidet 
Akt  und  Inhalt  als  conceptus  formalis  und  conceptus  objectivus  (wie  wir  »Vorstellung-  im 
Sinne  des  Vorstellens  und  des  Vorgestellten  gebrauchen).  Beide  gehen  abei-  jjarallel.  For- 
fiialis  enlm  conceptus  totam  suam  unitatem  et  rationem  habet  ab  objecto  . .  .  Objecta  enim 
externa  sunt  mensura  nostrao  cognitionis  et  C(jnceptuum  in  anima.  Cum  igitur  conceptus 
objectivus  nihil  alind  sit  quam  objectum  per  (-(joceptum  formalem  apprehensum  et  cogaitum, 
si  formalis  conceptus  est  unus,  quod  etiam  objectivus  sit  unus. 

Aus  desselben  Verfassers  Exercitationes  ntAiles  de  anima,  1606.  sei  nur  die  Unterschei- 
dung des  Velle  uud  Nolle  als  zweierlei  Aktqualitäten  aus  diesem  Gesichtspunkt  hervorge- 
hoben (wie  auch  Chr.  Wolff  Voluntas  und  Noluntas  scheidet) :  Ut  enim  duplex  est  volun- 
tatis  objectum,  ita  et  duplex  datur  actio.  Bonum  igitur  intellectum  est  objectum  quod  vult, 
malum  intellectum  est  objectum  quod  non  vult.  (Exerc.  XVI). 

-  Den  Suarez  nennt  Heereboord  »omnium  metaphysicorum  papa  atque  princeps«. 
Von  dem  Fürsten  Aristoteles  aber  sagt  er:  »Solus  Aristoteles  regnum  hodie  tenet  atque 
obtinet  in  scholis  atque  academiis,  et  ex  eo  ac  connuentationibus  in  eum  hodie  philosophari 
consuevit  Juventus.« 


Spino^astudlfv .  17 

Abweichungen  bis  in  kleine  Einzelheiten  getreu  wiedergibt',  überall  zu- 
grunde. So  z.  B.,  wenn  er  bezäglich  der  dem  sensus  communis  zugeschrie- 
benen Fähigkeiten  (Phantasie,  Gedächtnis,  Urteilskraft)  die  Verschieden- 
heiten der  Objekte  und  Tätigkeiten  nicht  so  groß  findet,  daß  man  darum 
mehrere  verschiedene  (irund vermögen  annehmen  dürfte".  E!r  glaubt  das 
Unterscheiduiigsprinzip  selbst  eben  gerade  wegen  seiner  unbestrittenen  Grel- 
tung  stillschweigend   voraussetzen  zu  dürfen. 

I)aU  das  Friiizij)  auch  heute^ioch  im  alten  Sinne  V'ertii'tung  findet,  möge  ncljcnbei  er- 
wähnt wei-den.  So  hat  Kranz  Brentano,  der  von  Aristoteles  ansging.  die  Uriti'i-scheidung 
der  psychischen  Tätigkeit  (des  Aktes)  von  ihren  immanenten  Objekten  mit  Naclidruck  wieder 
aufgenommen,  sie  als  Hauptunterscheidungsnierkmal  der  psyehischen  gegein'iber  den  physischen 
Phänomenen  tjenutzt  und  die  Verschiedenheiten  dieser  -Beziehung  auf  ein  Objekt«  seiner 
Ginteilung  der  Seelentätigkeiten  zugrunde  gelegt  (Psychologie  vom  fnipirisclien  Standj)unkte 
1874,  .S.  115.  zöoff.l.  Zwischen  dem  immanenten  Gegenstan<l  nnd  dem  daitinC  gerichteten 
Akt  besteht  atich  nach  Bi-entano  eine  durchgängige  Farallelität  voi'  allem  in  Hinsicht  iliivi- 
.Stärke.  In  seiner  Polemikjgegenjdie  Annahme  unltewußter  psychischer  Zustände  heißt  es 
.S.  157:  -Die  Intensität  des  Vorstellens  ist  immer  gleich  der  Intensität,  mit  wi'lclu'r  das  \'or- 
gestellte  erscheint,  d.  h.  sie  ist  gleich  der  Intensität  der  Ki-scheinungen.  welche  den  liilialt 
des  Vorstellens  bilden.  Dies  darf  als  selbstverständlich  gelten  und  wird  danmi  f;ist  ansnaliins- 
los  von  den  P.sychologen  und  Physiologen  entweder  au.sdriicklich  beliau])tet  oder  stillschweigend 
vorausgesetzt."  Ks  verhält  sich  nach  Brentano  ehen.so  mit  d('ni  inneren  Bewußtsein,  d.  li. 
der  Vorsti'lluug.  deren  Gegen.stand  eine  psychische  Tätigkeit  selbst  ist  (der  idea  nientis  des 
.•^pinoza).  Das  Si-ln-n  imd  die  Voi-stelhing  vom  Sehen  sind  i-inaiuler  der  Intensitiit  naeii 
V'leich  (.S.  175  ff.). 

Diese  Lehi-e  hält  Brentano  trotz  mancher  sonstiger  Wandlungen  in  spätei-en  Schril'icMi 
fest.  Untei-s.  z.  Sinnespsychologie  1907.  S.  65:  ..So  gewiß  wir  zwischen  der  eniptindenden 
Tätigkeit  und  dem.  woiauf  sie  gerichtet  ist,  also  zwischen  Kmplinden  und  Hnipfinulenein 
zu  unlei-scheiden  haben  ....  so  unzweifelhaft  ist  es  doch,  daß  die  Intensität  des  Empfindens 
und  des  Kmpfundenen.  die  Intensität  des  sinidichen  Vorstellens  nnd  des  sinnlich  Vorgestellten 
imniei-  und  aufs  genaueste  einander  gleich  sein  müssen.  I.otze  bat  dies,  nachdem  es  von 
gewisser  .^eite  verkannt  worden  war.  neu  und  mit  Nachdruck  hervorgehoben.-  S.  73: 
■  Die  notwendige  tileichheit  der  Intensität  fiir  Km]>tindeti   und   I^nipfundenes  und   iiberbaupt 

'  Collegiom  physicum,  2.  Aufl.  1637:  Disj).  25 — 32.  Im  alphabetischen  Katalog  der 
Berliner  .Staatsbibliothek  i.st  auch  eine  besondere  .Schrift  Burgersdijcks  -De  aninia  huniana 
Lngd.  1628-  angeführt,  die  hier  von  Bedeutung  wäre.  Sie  ist  aber  unter  den  Bestünden 
nicht  aufzufinden  und  hat  sich  auch  in  Holland  nach  Prof.  Ueymans'  Nachforsehungen  nicht 
aiifu-eibcn  lassen.  Hr.  Bibliotheksdirektoi-  .Schwenke  teilt  mii-  mit,  daß  der  'Titel  aus  dem 
alten  Katalog  des  18.  .lahrhunderts  in  den  gegenwärtigen  herübergenonimen  ist  nnd  die 
Schrift  dort  als  Bestandteil  eines  Sammelbandes  juristischer  Disputationen  aufgeführt  war. 
Dieser  .Sammelband  wurde  später  aufgelöst;  weiter  läßt  sich  aber  das  Schicksal  des  Buches 
vorläufig  nicht  verfolgen. 

*    Vgl.  o.  Toletus  über  dieselbe  Fi-age. 
Phil.-hüt.  Abh:  1919.  Nr.  4. 


18  SruMi'f: 

fiir  jede  psychische  Tätigkeit  und  ihr  inneres  Olyekt.  wo  immer  dasselbe  selbst  einer  In- 
tensität teilhaft  ist  .  .  .« 

Aber  nicht  bloß  bezüglich  der  Stärke,  auch  in  anderen  Hinsichten  betont  hier  Brentano 
die  Parallelität.  Ist  das  Empfundene  ausgedehnt,  so  ist  ihm  auch  der  Empfindungsakt  aus- 
gedehnt und  hat  dieselben  Teile  wie  jener.  "Jedem  Teil  des  erfüllten  .Sinnenraumes  ent- 
sjjricht  ein  darauf  bezügUcher  Teil  unseres  Empfindens.«    S.  66. 

Lotze,  auf  den  wir  Brentano  hinweisen  hörten,  hat  (abweichend  von  seiner  eigenen 
früheren  Anschauung)  im  Mikrokosmus,  in  der  Metaphysik  und  den  verötfentlichten  Vor- 
lesungen in  der  Tat  gelehrt,  daß  bei  den  Sinnesempfindungen  sowohl  dem  Inhalt  wie  der 
Tätigkeit  Intensität  zukomme  und  daß  die  Intensitäten  des  Aktes  denen  des  Inhalts  parallel 
gehen.  Bei  den  Vorstellungen  hingegen  hat  er  Stärkeunterschiede  überhaupt  geleugnet. 
Mikrokosmus  I  S.  228  ff.     Metaphysik  S.  519  ff.     Grundzüge  der  Psychologie  S.  16. 

Man  sieht,  wie  bei  diesen  iieivorragenden  neueren  Psychologen  das  alte  Parallelismus- 
prinzip und  die  Sj)ezifikation  der  Akte  durch  die  immanenten  Objekte  sogar  in  einigen 
Beziehungen  noch  spezieller  dui'chgeführt  ist  als  früher.  Seine  Richtigkeit  ist  damit  gewiß 
nicht  erwiesen.    Aber  man  begreift  besser,  daß  es  auch  Spinoza  in  diesem  Lichte  erschien. 

Sogar  bei  einem  Forscher,  der'  die  Trennung  der  Akte  von  den  Inhalten  scharf  be- 
kämpft, Natorp,  findet  sich  dasselbe  Prinzip  ausgesprochen  in  Hinsicht  des  Verhältnisses 
der  Inhalte  zum  Bewußtsein  überhaupt.  Einleitung  in  die  Psychologie  nach  kritischer  Methode. 
1888,  S.  12:  »Die  Bewußtheit  wird  gewissermaßen  bestimmt  durch  die  Bestimmtheit  des 
Inhaltes  .  .  .  Daher  sind  das  fundamental  Bestimmende  eben  die  objektiven  (inhaltlichen) 
P^inheiten.« 

3.  Denkeji  und  Ausdehnung  =  Akt  und  Inhalt. 
Kehren  wir  nun  zu  Spinoza  zurück.  Daß  man  ihn  so  wenig  ohne 
die  Scholastiker,  wie  diese  wieder  ohne  Aristoteles  verstehen  kann,  ist 
heute  anerkannt.  Wenn  noch  Sigwart  meinte,  in  Spinoza  sei  »keine  Spur 
von  Scholastik«  zu  finden,  wenn  Trendelenburg  und  Kuno  Fischer  gleich- 
lautend behaupteten,  er  habe  zwar  viel  gedacht,  aber  wenig  gelesen,  wenn 
Kusse  noch  1886  eine  lange  Abhandlung  über  die  Unterscheidung  von 
esse  und  essentia  bei  Spinoza  schreiben  konnte,  ohne  mit  einem  Worte 
die  das  ganze  Mittelalter  seit  Avicenna  durchziehenden  Verhandlungen  über 
diese  Unterscheidung  zu  erwähnen,  so  hat  Freudenthal  im  Gegenteil  nach- 
gewiesen', daß  Spinoza,  der  zehn  Sprachen  beherrschte,  sogar  ungewöhn- 
lich viel  gelesen  hat  und  von  den  Scholastikern  jedenfalls  Thomas  von 
Aquino  und  eine  Anzahl  Spätscholastiker  aus  dem  Kreise  der  von  Heereboord 
angeführten  —  er  selbst  nennt  sie  in  der  Regel  nur  kollektiv  scholastici, 
metaphysici,   theologi  —  kannte.     Für  jeden,   der   auch   nur   ein    einziges 


'    Spinoza  und  die  Scholastik.     In  der  Festschrift:  Philosophische  Aufsätze,  E.  Zeller 
"Widmet.    1887.  S.  83  ff. 


Spinozastiidien.  1 9 

der  größereu  scholastischen  Systeme  wirklich  kennengelernt  hat,  lag  es 
von  vornherein  zutage,  daß  Spinoza  mit  den  Ausdrücken,  Begriffen  und 
Lehrsätzen  dieser  Epoche  ganz  gesättigt  war  und  nur  in  ihren  Formen 
überhaupt  philosophisch  denken  konnte. 

Aber  das  obige  Schema  erfährt  bei  ihm  eine  gewaltige  Vereinfachung. 
Infolge  seines  pantheistischen  Standpunktes  gibt  es  nur  ein  Subjekt  aller 
Zustände,  Gott.  Die  Seelenvermögen  streiclit  er,  da  das  einzige,  was  wir 
kennen,  doch  nur  die  wirklichen  Akte  seien:  ein  nominalistischer  Zug  innerhalb 
seines  sonst  extremen  Begriffsrealismus'.  Am  anderen  Ende  der  Reihe  fallen 
die  realen  Dinge  und  die  göttlichen  Ideen  in  eins,  da  die  Dinge  nur  als 
Inhalte  des  göttlichen  Denkens  existieren,  ebenso  wie  die  Denkakte  nur  als 
Akte  dieses  Denkens.  Und  so  bleibt  nur  das  zentrale  Mittelstück  des  ganzen 
Schemas:  die  Unterscheidung  der  Akte  von  ihren  immanenten  Objekten, 
aber  auf  Gott  übertragen,  dessen  Modi  sie  sind.  Die  Parallelität  zwischen 
den  Modi  der  Ausdehnung  und  des  Denkens  ist  daher  nichts  anderes  als 
die  der  immanenten  Objekte  und  der  darauf  gerichteten  Akte,  wie  sie  seit 
Aristoteles  gelehrt  wurde. 

Schon  aus  dem  Scholion  des  7.  Lehrsatzes  ergibt  sich  diese  Deutung, 
obgleich  hier  die  beiden  Attribute  nur  als  Beispiele  benutzt  werden.  Einige 
Hebräer,  sagt  Spinoza,  hätten  das  Zusammenfallen  der  Modi  der  Ausdelinung 
und  des  Denkens  in  Gott  bereits  wie  durch  einen  Nebel  gesehen,  wenn 
sie  behaupteten,  Gottes  Intellekt  und  die  von  ihm  gedachten  Dinge  seien 
ein  und  dasselbe.  »Beispielsweise  ist  der  in  der  Natur  existierende  Kreis 
und  die  Vorstellung  des  exi.stierenden  Kreises,  die  gleichfalls  in  Gott 
ist  (quae  etiam  in  Deo  est),  einunddieselbe  Sache,  nur  durch  verschiedene 
Attribute  ausgedrückt.  Deshalb  werden  wir,  mögen  wir  die  Natur  unter 
dem  Attribut  der  Ausdehnung  oder  dem  des  Denkens  oder  sonst  einem 
betrachten,  die  nämliche  Ordnung  und  Verknüpfung  der  Ursachen  und  der 
aufeinanderfolgenden  Dinge  finden.« 

Hieraus  geht  klar  hervor,  daß  die  res,  von  denen  Spinoza  in  seinem 
Lehrsätze  spncht,  die  immanenten  Gegenstände  des  göttlichen  Denkens 
sind.   Ihre  Wirklichkeit  ist  nichts  anderes  als  ihr  Gedachtwerden  durch  Gott. 

'  I,  31  schol.  II,  48  schol.:  demonstratur,  in  Mente  nullam  dari  facultatem  absolutam 
intelligendi,  cupiendi,  amandi  etc.  Unde  sequitur,  ha.s  et  siniile.s  facultates  vcl  prorsus  fictitias, 
vel  nihil  esse  praeter  entia  metaphysica,  sive  universalia,  quae  ex  particularibus  l'ürniare 
solemus. 

3* 


20  Stum.-i-: 

Was  iliin  anderseits  der  Ausdruck  idea  bedeutet,  sagt  die  dritte 
Deiiuition  dieses  Teiles  und  die  ihr  beigefügte  Erläuterung:  »Per  ideam 
intelligo  Mentis  conceptum,  (juem  Mens  format  propterea  quod  res  est 
cogitans.«  Spinoza  fügt  erläuternd  bei:  »Dico  potius  conceptum  (juam 
pcrceptionem',  quia  perceptionis  nomen  indicare  videtur,  Mentem  ab  ob- 
jecto pati:  at  conceptus  actionem  Mentis  exprimere  videtur.«  Er  legt  also 
Gewicht  darauf,  daß  unter  dem  Ausdruck  Idee  eine  Tätigkeit  des  Geistes 
verstanden   werde. 

Zu  dem  Ausdruck  conceptus  selbst,  den  Spinoza  liier  fiir  seine  Meinung 
prägnanter  als  perceptio  findet,  kann  man  vergleichen  die  Definition  des 
.1.  Martini,  Partitiones,  1615,  S.  82:  per  conceptum  form,alem  intelli- 
gimus  ipsum  actum,  quo  intellectus  rem  alicpiam  scni  communem  rationem 
concipit'. 

Daß  also  Spinoza  unter  idea  in  dieser  Definition  und  darum  sich<'r 
auch  in  den  auf  die  Ideen  bezüglichen  Lehrsätzen  ^iY.  dieses  Teiles  nicht  den 
Denkinhalt,  sondern  den  Denkakt  versteht,  scheint  mir  unleugbar.  Er 
nimmt  dabei  sogar  den  Aktbegriff  in  einem  engeren  Sinne  als  die  Aristo- 
teüker.  Für  diese  bedeutete  Akt  nichts  weiter  als  einen  wirklichen  Zustand 
im  Gegensatz  zu  dem  bloß  möglichen,  ganz  im  Siime  der  aristotelischen 
(ersten)  Energie.  Aber  das  Denken  ist  dem  Aristoteles,  wie  das  Empfinden, 
ein  wirklicher  Zustand  des  Leidens  durch  das  Objekt.  Dieses  wirkt  auf 
(las  denkfähige  Subjekt  und  verwandelt  das  bloß  mögliche  in  ein  wirk- 
liches  Denken.    Spinoza  hingegen   schließt  sich  mit  anderen  Schriftstellern 


'  Hiermit  spielt  er  offenbar  auf  die  Definition  von  idea  bei  Descartes  im  .\rihaiig(> 
zu  den  Objectiones  seeiindae  an.  wo  der  Ausdruck  perceptio  gebi-aucht  wii'd:  eine  Definition, 
die  Spinoza  selbst  früher  in  seinen  Principia  philosophiae  Cartesianae.  Def.  II.  wörtlich  wieder- 
holt hatte.  Aber  auch  Descartes  selbst  saj^t  anderwärts  conceptus,  Axioma  X  (bei  Spinoza 
.AxiomaVI):in  onuiis  rei  idea  si  ve  concej)tu  continetur  existentia  etc.  Ebenso  ResponsionesI": 
in  eonmi  oniniuiii.  (|uae  (-larc  et  distinctc  inlelliguntnr,  (^oneeptn  sive  idea  existentiain  pcssi- 
bileni   contineri. 

-  Audi  sonst  u  ird  in  den  Lehrbüchern  dieser  Zeit  viel  von  den  conceptus  gehandelt. 
Der  Ausdruck  gehört  seit  Abälard,  dessen  Begriffslehre  öflers  als  Konzeptualismus  bezeichnet 
wird,  zu  den  Kunstaiisdrückeu  der  Scholastiker,  scheint  aber  zu  systematisch  durchgeffdirter 
Verwendung  erst  in  der  späteren  Zeit  ijelangt  z\i  sein.  Vgl.  u.  a.  P.  Fon.seoa,  Institutionnni 
dialecticanim  libri  octo,  1610,  p.  20. 

Interessant  ist  eine  Erklärung  des  Thomas,  die  die  späteren  scheu  vorbereitet:  (Juan- 
dncunque (intellectus)  acfu  intelligit.  quoddam  intelligibile  foi-mat.  quod  est  quaedam  proles  ipsius 
und«  et  mentis  conceptus  noniinatur  (Declaratio  quorundamarticuloi-um  contra  Graecos  etc.). 


SjniHiZiistitdicil.  21 

seiner  Zeit  der  in  der  skotistisclien  Schule  herrselienden  Lelire  von  der 
Aktivitiit  des  P^rkenntnisvorganges  an'.  Um  so  weniger  also  ist  daran  zu 
denken,  daß  er  l>ei  idea  nur  den  Inhalt  des  Vorstellens  oder  Erkennens 
im   Auge  liätte. 

Worauf  Spinoza  mit  dieser  Lehre  von  der  Aktivität  des  Intellekts 
zuletzt  abzielt,  ergibt  die  Weiterführung  des  Lelirgebäudes  und  seine  Krönung 
durch  die  Theorie  der  Affekte  luid  des  höchsten  Affekts,  des  amor  Dei 
intellectualis.  Das  adäquate  Erkennen  ist  ihm  ein  agerc  (III,  3 :  V,  20  schol.), 
daher  siiul  auch  die  in  solchem  Erkeimen  wurzelnden  Affekte  Tätigkeiten 
(V,  3),  und  das  Erkennen  Gottes  ist  höchste  Lebensbetätigung  (V,  18  dem.: 
quatenus  Deum  cont("mi)lamur,  eatenus  agimus). 

Nur  wenn  man  zugibt,  daß  idea  im  Sinne  der  Tätigkeit  des  Vor- 
stellens oder  Erkennens  gebraucht  wird,  versteht  man  auch  den  voraus- 
gehenden 5.  Lehrsatz,  wonach  das  formale  Sein  der  Ideen  (;ott  zur  Ursache 
hat,  insofern  er  als  denkendes  Wesen  betrachtet  wird.  Im  gleichen  Sinne 
wird  am  .Schlüsse  des  Scholions  zum  48.  Lehrsatz  dieses  Teils  die  Idee 
definiert  als  cogitationis  coneeptus,  und  wird  sie  im  Beweise  des  5.  Lehr- 
.satzes  im  Scholion  zum  49.  modus  cogitandi  genannt.  Auch  betont  Spinoza 
bekanntlich  gegenüber  cartesianischen  Theorien  vom  EinÜusse  des  Willens 
auf  das  Erkennen  sehr,  daß  die  Idee  als  solche  bereits  Zustimmung  oder 
Verwerfung,  Bejahung  oder  Verneinung  in  sich  scldieße  (idea,  quatenus 
idea  est,  aftirmationem  aut  negationem  involvere),  welche  doch  nichts  anderes 
als  Funktionen,  Akte  sind"'*. 


'    Aucb  Suai-ez  hatte  dieser  Lehre  vorsichtig  zugestimmt.    Tr.  de  an.  Opp.  III,  p.  627. 

Im  Kurzen  'l'ral^tat  wird  einmal  (II,  c.  16.  Sigw.  .S.  105)  ganz  aristotelisch  das  Kr- 
kennen  (Verstaan)  ein  bloßes  leiden  genannt.  Dies  wird  daiiin  erläntert.  daß  die  Dinge 
.selbst  (die  vorgestellten  Inhalte!  den  Ausschlag  für  Bejahung  oder  Verneinung  geben.  -Wir 
sind  es  niemals,  die  von  einem  Ding  etwas  bejahen  oder  verneitien.  sondern  das  Ding  selbst 
ist  es.  das  in  uns  etwas  von  sich  bejaht  f)d('r  verneint.-  Dies  stinunt  durchaus  mit  der  Er- 
kenntnislehre der  Kthik  überein:  aber  die  Wendunj^,  daß  das  Krkennen  selbst  darimi  ein 
bloßes  Leiden  sei.  wird  dort  veimieden. 

"■'  Spinoza  lehrt  in  dieser  Hinsicht  .lusdrilcklich  ein  gegensei tiges  Kinschließon  von 
Vorstellen  und  l'rteilen.  Im  Beweise  desselb(^n  Ix'hi-satzes  heißt  es:  Ilaec  ergo  aCfirinalio 
(daß  die  WinkelsMmrae  des  Dreiecks  2  R)  sine  idea  trianguli  nee  esse  nee  coiicipi  potest. 
l'orro  liaec  trianguli  i<lea  haue  «-andeni  ai'finnalioneni  involvere  (lebet.  Diese  Paradoxie  ist 
nur  lösbar,  wenn  man  Statteines  F.insehließens  vielmehr  völlige  Identität  setzt:  wie  er  auch 
selbst  hinzufügt:  adeoqu<'  haec  .-itlinnatio  ad  pssentiani  ideae  Irianeuli  pertinct  ne<'  aliud 
pr.ietr'r  ipsam   est. 


22  S 


TUM  i>  r 


Spinoza  selbst  stand  im  Kurzen  Traktat  hierin  noch  auf  Seite  der 
Aristoteliker,  wenn  er  das  Erkennen  (het  Verstaan)  ein  reines  Leiden 
nannte.  In  der  Ethik  dagegen  macht  er  in  dieser  Hinsicht  einen  scharfen 
vSchnitt  zwischen  dem  Erkennen  und  der  bloßen  Wahrnehmung,  intellectus 
und  imaginatio:  «Intellectus  per  quem  solum  nos  agere  dicimur  —  ima- 
ginatio  per  quam  solum  dicimur  pati«  (V,  40).  Hierin  folgt  ihm,  worauf 
Trendelenburg  hinweist',  Tschirnhaus  in  seiner  Medicina  Mentis,  wenn  er 
auch  Spinoza  aus  P'urcht  nicht  erwähnt:  er  definiert  den  Intellekt  als 
facultas  concipiendi  sub  forma  actionis,  die  imaginatio  aber  als  facultas 
percipiendi   sub  forma  passionis. 

Endlich  führt  auch  folgende  Erwägung  zu  dem  gleichen  ?]rgebnis. 
Die  beiden  Attribute  Ausdehnung  und  Denken,  wie  überhaupt  alle  Attribute, 
sollen  nichts  untereinander  gemein  haben,  daher  ganz  unvergleichbar  sein. 
Handelte  es  sich  aber  bei  idea  und  res  im  siebenten  Lehrsatz  um  den 
Unterschied  der  vorgestellten  von  den  wirklichen  Dingen,  der  vorgestellten 
von  der  wirklichen  Ausdehnung,  so  würde  man  eine  solche  Unvergleich- 
barkeit vom  Standpunkte  Spinozas  wenigstens  entschieden  nicht  behaupten 
können;  denn  auch  die  vorgestellte  Ausdehnung  wäre  Ausdehnung,  ebenso 
wie  das  gedachte  Denken  Denken.  Sie  gestattet  Linien  zu  ziehen.  Gestalten 
zu  konstruieren,  die  ganze  Geometrie  zu  entwickeln.  Es  wäre  der  näm- 
liche Gegenstand,  nur  einmal  im  mentalen,  einmal  im  realen  Sinne  ver- 
standen. Unmöglich  kann  also  Spinoza  unter  den  ideae  und  den  res,  wenn  sie 
unvergleichbar  sein  sollen,  die  erscheinenden  gegenüber  den  wirklichen  Dingen 
verstanden  haben.    Es  bleibt  nur  der  Gegensatz  zwischen  Akt  und  Inhalt. 

Eine  Stelle  aus  der  frühen  Schrift  »De  emendatione  intellectus«  (p.  11) 
betont  den  Unterschied  zwischen  der  Vorstellung  und  dem  Vorgestellten: 
»Der  Kreis  ist  nicht  die  Vorstellung  des  Kreises.  Diese  hat  keine  Peripherie 
und  keinen  Mittelpunkt.«  Da  aber  Spinoza  von  dem  Bewußtseinsinhalt 
(dem  mentalen  Objekt)  hier  ausdrücklich  verlangt,  daß  er  mit  dem  wirk- 
lichen Gegenstand  durchaus  übereinstimmen  müsse  (p.  13),  so  ist  klar, 
daß  auch  da  die  Verschiedenheit  nur  gegenüber  dem  Bewußtseins akt  ver- 
standen sein   kann. 

Daß  Spinoza  im  zweiten  Buche  der  EtJiik  von  dem  gewöhnlichen 
Sprachgebrauch    in  Hinsicht   des  Wortes    idea  prinzipiell    abweicht,  wenn 


'    Historische  Beiträge  zur  Philosophie  Bd.  Ill,  S.  291. 


Spinozastudit'n.  23 

er  ihn  auf  den  Denkakt  bezieht,  scheint  ihm  selbst  nicht  entgangen  zu 
sein;  die  Erläuterung  der  Definition  im  Anfange  des  Teiles  weist  darauf 
Iiin.  Es  war  eine  ähnliche  Umdeutung,  wie  sie  Piaton  im  Sophistes  vor- 
nahm, als  er  den  Ideen  Bewegung  und  Leben  zuerkannte.  Ich  möchte  es 
sogar  niclit  für  unwahrscheinlich  halten,  daß  auf  Spinoza  in  diesem 
Punkte  der  piaton isierende  Jude  Philo,  dem  die  Ideen  zugleich  Kräfte  sind, 
durch  Maimonides'  Vermittlung  eingewirkt  hat,  muß  aber  die  Prüfung  den 
Kennern  dieser  beiden  Autoren  überlassen.  Übrigens  soll  auch  nicht  be- 
hauptet werden,  daß  Spinoza  selbst  diesem  Wortgebrauche  in  der  Ethik 
stets  treu  geblieben  wäre.  Bei  solcher  Umdeutung  eines  uralten  und  auch 
in  seiner  Bedeutung  seit  Jahrhunderten  feststehen<len  Ausdruckes  ist  es 
fast  unvermeidlich,  daß  die  ältere  Bedeutung  gelegentlich  wieder  durch- 
schlägt. Solche  Stellen  würde  ich  also  nicht  als  einen  Einwand  gegen 
die  vorgetragene  Auslegung  des  siebenten  Lehrsatzes  gelten  lassen.  Man 
scliickt  einem  ganzen  Teil  eines  Werkes  nicht  feierlicli  die  Definition  eines 
Ausdruckes,  der  in  diesem  Teil  eine  entscheidende  Rolle  S2)i('lt,  voraus, 
um  sie  dann  bei  der  Anwendung  zu  ignorieren  und  sich  an  eine  Bedeutung 
zu  lialten,  die  man  in  dieser  Definition  offensichtlich  abgelehnt  hat. 

Im  Deutschen  geben  wir  diesen  Begriff  von  idea  am  besten  mit  »Vor- 
stellungs-  oder  Denktätigkeit«  wieder.  Der  Ausdruck  cogitare  hat  bekannt- 
lich bei  Spinoza  wie  bei  Descartes  einen  viel  weiteren  Sinn;  er  bezeichnet 
Bewußtseinstätigkeit  überhaupt,  einschließlich  der  Gefühls-  und  Willensakte. 
Die  ideae  sind  also  eine  besondere  Klasse  der  modi  cogitandi.  Immerhin 
setzen  jene  emotionellen  Bewußtseinszustände  nach  Si)inoza  Ideen  voraus 
und  gründen  sich  auf  solche';  ganz  ebenso  wie  gegenwärtige  Psychologen 
Vorstellungsakte  als  die  Grundlagen  des  Fühlens  und  WoUens  bezeichnen". 

' .  J.Axiom  des  J.Teils.  Ebenso  schon  D«-  intellectus  emendatione  am  Schlüsse  (8.  These), 
und  im  Anhange  des  Kuraen  Traktates. 

'  Vgl.  Ixjsonders  Brentano.  Psychologie,  S.  104  fl".  In  der  F<»nnulieruug  des  IiilialLs- 
vci-zeichnis-ses :  »Die  psychischen  Phänomene  sind  Vorstellungen  oder  imben  Voretelkingepi 
zur  Grundlage.- 

Eben.so  wie  di<jscr  Lehre  der  Vorwurf  des  Intellektu.i  lisnius  mit  l'nreclit  gemacht 
worden  ist,  da  sie  doch  keineswegs  die  eigenartige  Natur  der  emoti<»nellen  Funktionen 
leugnet,  ebenso  unberechtigt  erscheint  mir  dei-selbe  Tadel  gegen  Spinoza.  Baenscli  iiciuil 
dessen  Aflektenlehre  in  seiner  Einleitung  zur  Übersetzung  der  Ethik  S.  XN'IIH'.  »die  iiußei-ste 
Konsequenz  des  Intellektualismus-,  weil  SpiuDza  die  Affekte  selbst  als  lde<;n  lasse.  Aber 
Ideen  sind  eben  doch  nur  die  Grundlage,  nicht  das  darübergebaute  Wesen  dei'  Affekte.  In  der 
Willenslehre  allerdings  nähert  sich  Spinoza  jenem  Standpunkte  stark  durch  die  Behauptung. 


24  S  T  U  M  I'  F  : 

Hiernach  bedeutet  der  Satz  «Ordo  et  cojinexio  idearum  iflem 
rst  ac  ordo  et  connexio  rerum«-:  die  Ordnung  und  Verknüpfung  der 
göttlichen  Vorstellungsakte  ist  die  nämliclie  wie  die  der  gött- 
lichen Vorstellungsinhalte.  Es  ist  der  Parallelitätssatz  der  aris- 
totelischen Psychologie,  übertragen  auf  die  Gottheit,  deren 
Modi  die  einzelnen  Geister  und  Körper   und  ihre  Zustände  sind. 

Auch  darin  folgt  Spinozas  Lehre  der  Tradition,  daß  die  Objekte 
das  Bestimmende  sind,  daß  die  Akte  durch  sie  spezifiziert 
werden.  Denn  überall  sind  es  die  (Gesetzlichkeiten  der  Ausdehnung,  die 
Naturgesetze  der  materiellen  Welt,  die  Spinoza  als  maßgebend  auch  für 
den  Geist  und  das  Denken  betrachtet,  nicht  umgekehrt'.  Seine  Lehre  i.st 
in  dieser  Hinsiclit  durchaus  und  konsequent  naturalistisch,  wenn  sie  aucJi 
nicht  als  Materialismus  bezeichnet  werden  darf,  sofern  ihm  das  (Geistige 
gleich  real  ist  wie  das  Physische'"'. 


daß  die  Ideen  in  sich  selbst  schon  ein  Bejalien  und  Venieinen  und  daß  diese  Akte  Willens- 
f'nnktii)nen  seien,  was  er  in  dem  Satze  zusaininonlaßt:  »\'i>luntas  et  intellectus  ununi  et  ideni 
sunt.«  Kr  gebraucht  hier  den  Ausdruci<  voluntas  mit  Bezugnahme  auf' Descarles' Erkeantnis- 
U;hre  in  einem  ungewöhnlichen,  nichtemotionaien  Sinne  und  konnte  sicli  dies  erlauben, 
nachdem  er  in  die  Definition  des  Intellekts  selbst  schon  ein  aktives  Moment  hineingenommen 
liatte,  ähnlich  wie  Wundt  in  s<'inen  Bogriil'  der  Apperception.  Wird  abei'  Wundts  Lelii-e 
darum  gerade  Voluntarismus  genannt,  so  würde  auch  für  Spinoza  dieser  Ausdruck  zum 
mindesten  so  gut  passen  wie  der  des  Intellektualismus.  Bessei-  aber,  man  sieht  von  solchen 
mehi'deiitigen  Etikettierungen,  wenn  sie  nicht  gleichzeitig  genau  definiert  werden,  ab. 

Im  übrigen  ist  zuzugeben,  daß  Spinoza  Affekte  gelegentlich  auch  dii-ekt  als  Ideen 
bezeichnet,  nicht  bloß  als  auf  Ideen  gründend.  .So  V,  3  dem.:  affectus.  qui  passio  est.  idea 
(!St  conf'usa.  Anderseits  kommt  auch  in  Betracht,  daß  in  der'  Ethik  außer  der  Identifikation 
des  WoUens  mit  den  bejahenden  Urteilen  noch  eine  ganz  andere  Auflassung  des  WoUens 
aufti'itt.  wonach  es  eine  besondere  Form  des  Grundaffektes  der  cupiditas  ist.  ein  eouatus 
(appetitus)  in  suo  esse  perseverare  (111,9.  schol.).  In  diesem  Sinne  steht  der  Wille  neben 
dem  Intellekt  (1,31:  Intellectus  .  .  .  ut  et  voluntas.  cupidita.s,  amor  etc.  I.  32  dem.:  Volunta.s 
«ertus  tantum  cogitandi  modus  est  sicuti  intellectus). 

'  II,  13,  schol. :  Von  jedem  Körper  muß  es  notwendig  in  Gott  eine  Idee  geben,  und 
diese  Ideen  müssen  sich  untereinander  ebenso  untei-scheiden  wie  die  Dinge  selbst  (idea.s 
inter  se.  ut  ipsa  objecta,  diflerre) :  die  eine  nmß  vollkommener  sein  als  die  andei-e,  mehr 
Realität  enthalten  usw.  Fm  dabei'  zu  eikennen,  welcher  Untei schied  zwischen  dem  mensch- 
lichen Geist  und  den  übrigen  Geistern  besteht,  müssen  wir  die  Natur  des  menschlichen 
Körpers  untersuchen.  Je  tauglicher  ein  Köi-jier  ist,  vieles  zugleich  zu  tun  oder  zu  leiden. 
um  so  tauglicher  der  Geist,  vieles  zugleich  wahrzunehmen  usw.    (Geküi-zt.^ 

'•'  Spinoza  wehrt  sich  in  einem  Briefe  an  Oldenburg  (Ep.  73)  ausdrücklich  gegen  die 
ihm  von  gewissen  Leuten  zugeschobene  Lehi;e.  Gott  und  Natur,  worunter  sie  die  körper- 
liche Materie  verständen,  seien  identisch. 


SpinozastudiPTi.  25 

Wir  verstehen  jetzt  auch,  warum  Spinoza  die  Lehre  vom  Parallelis- 
mus der  Modi  innerhalb  der  Attribute  erst  im  zweiten  Teile  »De  Mente« 
bringt.  Er  hätte  sie,  wie  erwähnt,  in  ganz  allgemeiner  Form  nicht  bloß 
für  Leib  und  Seele,  Körperliches  und  (Geistiges,  sondern  fiir  sämtliche 
unendlich  vielen  Attribute,  als  einen  Lehrsatz  der  allgemeinen  Gotteslehre 
aufstellen  müssen;  und  der  beigefugte  Beweis  würde  in  der  Tat,  wenn 
er  überhaupt  zwingend  wäre,  allgemeine  Geltung  haben.  Lehrsatz  und 
Beweis  halten  sich  durchaus  in  der  Sphäre  des  ersten  Teiles  der  Ethik 
»De  Deo«.  Aber  was  Spinoza  vorschwebte,  war  eben  das  psychologische 
Verhältnis  von  Akt  und  Inhalt,  an  welchem  allein  er  den  Parallelismus 
erläutern  konnte,  und  hinsichtlich  dessen  eine  von  niemand  bestrittene 
allgemeine  Überzeugung  bestand,  so  unbestritten,  daß  er  besonders  darauf 
hinzuweisen  für  überflüssig  hielt.  Wie  und  inwiefern  er  sich  dieses  Ver- 
hältnis auf  die  übrigen  uns  unbekannten  Attribute  übertragen  dachte, 
werden  wir  weiter  unten  überlegen. 

Ist  dies  das  Verhältnis  der  beiden  Attribute,  so  erhellt  zugleich,  wie- 
fern Spinoza  dadurch  die  Forderungen  erfüllt  sehen  konnte,  die  er  an  die 
Attribute  überhaupt  stellte:  denn  Akt  und  Inhalt  sind  erstlich  heterogen, 
unvergleichbar,  durchaus  verschiedenen  Begriffsregionen  angehörend,  dis- 
parater als  irgendwelche  Inhalte  untereinander  sein  können;  zweitens  aber 
bilden  sie  gleichwohl  eine  untrennbare  Einheit,  sind  nur  Teilausdrücke 
oder  Seiten  einer  und  derselben  Tatsache,  die  wir  nur  durch  Abstraktion 
voneinander  lösen  können. 

Ob  es  sachlich  unbedingt  richtig  ist,  daß  man  den  Begriff  des  Aktes 
denken  könne,  ohne  irgendwie  auf  den  des  Inhalts  Bezug  zu  nehmen,  ist 
freilich  eine  andere  Frage.  Es  scheint  hier  vielmehr  ähnlich  zu  stehen  wie 
bei  den  Korrelativbegriffen:  größer  und  kleiner,  Vater  und  Kind  u.  dgl., 
die  sich  nach  dem  alten  (von  Brentano  wiederaufgenommenen)  Ausdruck 
in  obliquo  gegenseitig  einscliließen' :  das  Denken  der  Ausdehnung  —  die 
Ausdehnung  Inhalt  des  Denkens.  Aber  jedenfalls  Undet  kein  Einschluß  in 
recto,  d.  h.  in  der  Weise  statt,  daß  der  eine  Begriff  ein  Merkmal  des 
anderen  wäre''. 


'    F.Brentano,  Von  der  Klassifikation  der  psychischen  Phänomene,  191 1,  8.  122 ff.  133. 

'  Gewis.se  Analogien  zu  Spinozas  Auffassung  von  dem  Verhältnis  der  beiden  Attriliutc 
bieten  auch  die  aristotelischen  Kategorien,  die  sämtlich  Seiendes  in  vei'schiedenem  Sinne 
des  Wortes,  unter  verschiedene  höch.ste  Gattungsbegriffe  Fallendes  bedeuten  und  doch  z.u- 
Phil..hist.  Ahh.  1919.  Nr.  4.  4 


26  Stumpf. 

Als  lehrreiche  Bestätigung  für  die  enge  Wechselbeziehung,  in  der  sich 
Spinoza  die  beiden  Attribute  dachte,  kann  noch  der  Brief  an  Schuller  vom 
29,  Juli  1675  herangezogen  werden,  wo  Spinoza  auf  die  Frage  des  Tschirn- 
haus, ob  sich  nicht  ein  positiver  Beweis  geben  lasse,  warum  wir  von  Gott 
nur  diese  zwei  Attribute  erkennen  können,  eine  Art  Deduktion  gibt.  Er 
bezieht  sich  auf  die  Definition  des  Geistes  als  Idee  des  Körpers.  Daraus 
folge,  daß  der  Geist  eben  nur  den  Körper  und  sich  selbst,  Ausdehnung 
und  Denken,  erkenne.  Das  Gedachte  als  solches  habe  Gott  zur  Ursache, 
sofern  er  unter  dem  Attribute  der  Ausdehnung,  das  Denken  als  solches 
Gott,  sofern  er  unter  dem  des  Denkens  betrachtet  werde.  Aus  diesen  beiden 
Attributen  selbst  aber  könnten  keine  anderen  erschlossen  oder  begriffen 
werden.    Also  könnten  wir  nur  diese  beiden  erkennen. 

Der  Kern  dieses  Gedankenganges  ist  die  enge  Wechselbeziehung  der 
beiden  Attribute  unter  dem  Gesichtspmikt  von  Akt  und  Inhalt,  wodurch 
ein  Drittes  nach  der  Natur  der  Sache  ausgeschlossen  erscheint. 

Eine  gewisse  Schwierigkeit  bietet  das  Korollar  des  7.  Lehrsatzes,  aber 
nicht  nur  für  unsere  Auslegung  des  Lehrsatzes,  sondern  für  jede:  »Hinc 
sequitur,  quod  Dei  cogitandi  potentia  aequalis  est  ipsius  actuali  agendi  poten- 
tiae.  Hoc  est,  quicquid  ex  infinita  Dei  natura  sequitur  formaliter,  id  omne 
ex  Dei  idea  eodem  ordine  eademque  connexione  sequitur  in  Deo  objective. « 

Dies  klingt  zunächst,  als  stellte  sich  Spinoza  auf  den  theistischen 
Standpunkt,  nach  dem  die  wirkliche  Welt  aus  Gottes  Gedankenwelt  durch 
Schöpfung  äußerlich  hervorgeht,  ausgenommen,  daß  er  den  Begriff  der  zeit- 
lichen Schöpfung  mit  dem  den  Scholastikern  auch  keineswegs  fremden 
einer  fortlaufenden  Schöpfung  (conservatio  in  esse)  vertauschte.  Aber  so 
kann  es  natürlich  nicht  gemeint  sein.  Gerade  einige  Zeilen  vorher,  im 
Korollar  des  vorangehenden  Lehrsatzes,  an  welches  das  gegenwärtige  offenbar 
anknüpft,  hatte  Spinoza  noch  betont,  daß  das  esse  formale  der  Dinge  nicht 
darum  aus  Gottes  Natur  folge,  weil  Gott  sie  vorher  erkannte,  sondern  daß 
die  Dinge  ebenso  aus  ihren  Attributen  folgen  wie  die  Ideen  aus  dem  Attribut 
des  Denkens.  Unter  dem  «Handeln«  Gottes  kann  er  also  nicht  das  Nach- 
außensetzen  oder   die   transzendente  Verwirklichung  eines  Gedachten  ver- 


sammen  eine  reale  Einheit  bilden  sollen;  ferner  das  mögliche  und  das  wirkliche  Sein  des 
Aristoteles,  von  dem  das  gleiche  gilt:  Aufstellungen,  die  Spinoza  sehr  gilt  bekannt  sein 
mußten,  die  freilich  auch  nicht  von  inneren  Schwierigkeiten  irei  sind  und  die  er  selbst  als 
aufklärende  Analogien  nicht  anerkannt  haben  würde. 


Spinozastudien.  '21 

stehen,  sondern  nur  die  Folge  der  wirklichen  Dinge  selbst,  die  den  Inhalt 
des  göttlichen  Denkens  bilden,  nach  den  ihnen  immanenten  Gesetzen  der 
Ordnung  und  Verknüpfung.  Diese  Abfolge  deckt  sich  nach  seiner  Behauptung 
mit  der  Abfolge  der  göttlichen  Denkakte. 

Es  ist  wieder  ein  Seitenblick  auf  die  Theologie,  der  ihn  hier  leitet; 
und  wenn  er  die  der  alten  Theologie  entnommenen  Ausdrücke  cogitandi  — 
agendi  potentia  gebraucht,  so  bedient  er  sich  ilirer  eigenen  Sprechweise 
und  faßt  neuen  Wein  in  alte  Schläuche.  Eine  potentia  im  alten  Sinne, 
eine  bloße  Möglichkeit  oder  Fähigkeit  des  Denkens  wie  des  Handelns  er- 
kennt er  ja  überhaupt  nicht  an,  schon  beim  Menschen  nicht,  noch  weniger 
bei  der  Gottheit  (s.  o.)  Das  einzig  Auffallende  ist  die  beigefügte  Erläuterung 
(hoc  est  .  .  .),  worin  er  eine  innerhalb  und  eine  außerhalb  des  göttlichen 
Denkens  bestehende  Welt,  ein  esse  objectivum  und  ein  esse  formale  der 
Dinge,  auseinanderzuhalten  und  zu  parallelisieren  scheint.  Er  muß  hier 
die  Ausdrücke,  die  nach  der  Tradition  für  das  Verhältnis  von  4  zu  5  gelten, 
auf  das  Verhältnis  von  3  zu  4  übertragen  haben,  da  tur  ihn  die  FYage  nach 
dem  Verhältnis  des  Psychischen  zum  Physischen  eben  in  die  Frage  nach 
dem  Verhältnis  des  Aktes  zum  Inhalt  übergegangen  war.  Die  Klarheit 
der  Darstellung  wird  allerdings  dadurch  beeinträchtigt. 

Auch  der  folgende  Lelirsatz  8  bedarf  einiger  Erläuterung.  Spinoza 
spricht  hier  von  den  Ideen  nicht  wirklich  existierender  Dinge,  die  nach 
den  Scholastikern  und  noch  nach  Leibniz  außer  denen  der  wirklichen  Dinge 
im  göttlichen  Geiste  befaßt  sein  sollen'.  Auf  Grund  des  7.  Lehrsatzes  könnte 
nämlich  der  Einwand  erhoben  werden,  daß  zu  diesen  Ideen  die  parallele 
Reihe  der  Dinge  fehle.  Diesen  Einwand  vor  Augen,  antwortet  er:  »Die 
Ideen  der  nicht  existierenden  Einzeldinge  oder  Modi  sind  in  Gottes  un- 
endlicher Idee  (seinem  Denken)  ebenso  begriffen  wie  die  formalen  Wesen- 
heiten der  wirklich  existierenden  Dinge  in  den  (bezüglichen)  Attributen 
(iottes«'.    Zum  Beweise  zitiert  er  einfach  das  vorausgeliende  Scholion. 

Wir  dürfen  seine  Meinung  so  verstehen:  diese  Gedanken  des  bloß 
Möglichen  folgen  mit  derselben  Notwendigkeit  aus  dem  Denkattribut,  wie 


'  Vgl.  oben  Thomas  über  die  Scientia  simplicis  intelligentiae  oder  Suarez  Opp.  1, 
203 ff.  über  Gottes  Erkenntnis  des  Xichtseienden,  ja  Unmögliclieii. 

'  Ideae  renim  singularitim.  sive  modorum,  non  cxistentiuni  ita  debent  comprehendi 
in  Dei  infinita  idea,  ac  rerum  singularium  sive  modorum  essentiae  formales  in  Dpi  attril)utis 
coiitinentur. 

4* 


28  S  T  u  M  p  F : 

j 
jeder  beliebige  Modus  aus  seinem  Attribute  folgt.  Das  göttliche  Denken 
produziert  sie  neben  den  Gedanken  der  wirklichen  Dinge.  Aber  auch  sie 
haben  ihre  mentalen  Objekte,  ebenso  wie  andererseits  die  wirklichen  Dinge 
nur  mentale  Objekte  göttlicher  Denkakte  sind.  In  beiden  Fällen  also  die- 
selbe Zweiseitigkeit  von  Akt  und  Inhalt.  Der  Unterschied  ist  ntir,  daß  die 
Denkinhalte  im  letzteren  Falle  auch  das  Merkmal  des  Seins  neben  der  Essenz 
einschließen,  im  ersten  B'alle  nicht. 

Das  Kojollar  dieses  Lehrsatzes,  gleichfalls  sehr  kurz  gefaßt',  bezieht 
sich  offenbar  darauf,  daß  dieselben  Dinge,  die  jetzt  wirklich  sind,  vorher 
unwirklich  war'^n  und  nach  einer  gewissen  Dauer  auch  wieder  unwirklich 
sein  werden.  D^  -aus  könnte  wieder  ein  Einwand  gegen  die  Parallelitäts- 
lehre geschöpft  werden.  Spinoza  will  daher  erläutern,  wie  sich  ein  wirk- 
liches Einzelding  von  beschränkter  Zeitdauer  seines  Daseins  im  unzeitlichen 
Denken  Gottes  darstelle.  Seine  Antwort  läuft  darauf  hinaus,  daß  für  die 
Zeitabschnitte  der  Nichtexistenz  dieselbe  Betrachtungsweise  gelte  wie  für 
Dinge,  die  überhaupt  niemals  wirklich  waren,  sind  und  sein  werden:  es 
ist  eben  das  Merkmal  des  Seins  mit  diesen  Vorstellungsinhalten  nur  unter 
der  Klausel  einer  bestimmten  Zeitdauer  verknüpft.  Das  Sein  im  allgemeinen, 
ohne  Ansehung  irgendeiner  Zeitbestimmtheit,  ist  in  keinem  Begriffe  irgend- 
eines Einzeldinges  enthalten;  nur  die  göttlichen  Attribute  und  ihre  Ge- 
samtheit, die  Substanz,  schließen  dieses  Merkmal  in  sich.  Aber  das  endliche 
Sein  während  einer  bestimmten  Zeitspanne,  das  durare,  denkt  sich  Spinoza 
allerdings  als  Merkmal  eines  wirklichen  Einzeldinges,  mit  dessen  übrigen 
Merkmalen  es  additiv  verknüpft  ist.  In  dieser  Weise  müssen  die  wirk- 
lichen Einzeldinge  von  begrenzter  Zeitdauer  im  Geiste  Gottes  sein. 

4.    Geist  und  Körper  nach  Eth.  II,  pr.  1 1  ff. 
Vollends  erhärtet  wird  die   entwickelte  Auffassung  des  Parallelitäts- 
satzes durch  Spinozas  Lehre  vom  menschlichen  Geist  und  seiner  Erkenntnis 
des  eigenen  Körpers  und  der  Außenwelt,  wie  sie  in  den  Lehrsätzen  1 1  bis  3  2 
niedergelegt  ist.  War  vorher  von  den  Attributen  und  Modi  der  Ausdehnung 


'  Hinc  sequitur,  quod,  quamdiu  res  singulares  non  existunt,  nisi  quatenus  in  Dei 
attributis  comprehenduntur,  earum  esse  objectivum.  sive  ideae,  non  existunt,  nisi  quatenus 
infinita  Dei  idea  existit;  et  ubi  res  singulares  dicuntur  existere,  non  tantum  quatenus  in  Dei 
attributis  comprehenduntur,  sed  quatenus  etiam  dui-are  dicuntur,  earum  ideae  etiam  existentiam, 
per  quam  dui'are  dicuutur,  involvent. 


Spinozastudien.  29 

und  des  Denkens  nur  als  Beispielen  die  Rede,  so  rücken  jetzt  zum  ersten 
Male  diese  beiden  empirisch  bekannten  Attribute  in  direkte  Betrachtung. 
Aber  auch  hier  wieder  immer  vom  Allgemeineren  zum  Besonderen  gehend, 
deduziert  Spinoza  zuerst,  daß  das  wirkliche  Sein  des  menschlichen  Geistes 
in  der  Idee  irgendeines  wirklichen  Dinges  bestehen  müsse  (ii),  dann,  daß 
der  menschliche  Geist  alles  erfassen  müsse,  was  im  Objekte  dieser  Idee, 
also  in  dem  bezüglichen  Dinge,  vor  sich  gehe  (12),  weiter,  daß  dieses 
Objekt  ein  Körper  sein  müsse.  Körper  und  Geist  verhalten  sich  also  zu- 
einander als  Objekt  und  Idee,  als  Inhalt  und  Akt  (13)'. 

Als  eine  beiläufige  Konsequenz  wird  hier  erwähntv  daß  alles,  wenn- 
gleich in  verschiedenem  Grade,  beseelt  sein  müsse,  da-^s  von  jedem  Dinge 
notwendig  in  Gott  eine  Idee,  also  eine  entsprechende  Seele,  geben  müsse. 
Auch  dieser  Schluß  geht  also  durch  Gott  hindurch. 

Nach  Ausfuhnmgen  über  die  Körper  im  allgemeinen  und  den  mensch- 
lichen Körper  im  besonderen  wird  bewiesen  (15),  daß  der  menschliche 
Geist  aus  vielen  Ideen  zusammengesetzt  sei,  wie  der  menschliche  Körper 
aus  vielen  Teilkörpern,  die  nur  durch  die  gemeinschaftliche  Betätigung 
zu  einem  Ganzen  verbunden  sind  (hierzu  auch  die  7.  Definition  dieses 
Teiles  zu  vergleichen).  Unter  dem  menschlichen  Geist  oder  der  Idee  des 
menschlichen  Körpers  versteht  also  Spinoza  die  Summe  oder  die  Gesamtheit 
der  psychischen  Funktionen,  deren  Gegenstände  die  Teile  des  menschlichen 
Körj)ers  sind.  Um  den  Einwand  auszuschließen,  daß  er  hierbei  nur  die 
intellektuellen  Funktionen  berücksichtige,  hat  Spinoza  bereits  im  3.  Axiom 
dieses  Teiles  darauf  verwiesen,  daß  alle  übrigen  Bewußtscinsformen,  wie 
Liebe  oder  Begierde,  sich  auf  Vorstellungen  gründen. 

Die  Existenz  des  eigenen  Körpers  wird  uns  gemeinschaftlich  mit  der 
Existenz  fremder  Körper  gewiß  durch  die  körperlichen  Affektionen,  die 
den  Gegenstand  unserer  Vorstellungen  bilden  (16  bis  19).  Der  menschliche 
Körper  ist  ja  nichts  in  sich  Abgeschlossenes,  sondern  wird  durch  andere 

'  So  sehr  sich  diese  Definition  der  Seele  von  dem  Geiste  der  Aristotelischen  Definition 
entfernt,  ist  doch  selbst  darin  ein  Nachklang  zu  spüren;  denn  wenn  Aristoteles  und  mit  ihm 
die  Scholastiker  seit  Alexander  v.  Haies  die  Seele  als  die  Form  des  organischen  Körpers 
definieren,  Spinoza  aber  als  die  Idee  des  Körpers,  so  könnte  man  sagen,  Spinoza  habe  nur 
die  »erste  Energie«  des  Aristoteles  mit  seiner  -zweiten  Energie-  (woi unter  Aristoteles  be- 
kanntlich das  Tätigsein  verstand)  vertauscht.  Aber  freilich  ist  durch  den  panthoistischen 
Standpunkt  der  Sinn  der  ganzen  Definition  auch  sonst  verändert,  und  ich  glaube  nicht,  daß 
in  diesem  Punkte  wirklich  Aristoteles  die  direkte  Grundlage  gegeben  hat. 


30  Stumpf: 

Körper  fortwährend  in  seinem  Bestand  erhalten,  durch  sie  gewissermaßen 
determiniert  (vgl.  auch  25  dem.).  Gott  hat  also  die  Idee  des  menschlichen 
Körpers  nur,  sofern  er  zugleich  eine  Menge  anderer  Ideen  hat;  somit  er- 
kennt auch  der  menschliche  Geist  den  menschlichen  Körper  nur  durch 
die  Vorstellung  seiner  Aifektionen,  in  denen  die  Vorstellungen  äußerer 
Körper  bereits  enthalten  sind  (19).  Unter  Aflfektionen  versteht  Spinoza 
hier  offenbar  das  Affiziertwerden  (affectiones,  quibus  corpus  afficitur),  wel- 
ches eben  den  Begriff  des  Affizierenden  einschließt.  Er  verwendet  in  diesem 
Zusammenhang  auch  wieder  den  Parallelitätssatz,  bei  dem  aber  (wie  auch 
in  pr.  9  und  20)  »rerum«  bezeichnenderweise  durch  »causarum«  ersetzt 
ist:  er  will  den  integrierenden  Kausalzusammenhang  der  Körperwelt,  hier 
speziell  den  zwischen  unserem  Körper  und  der  Außenwelt  besonders  betonen  \ 
Die  Beweisführung  des  19.  Lehrsatzes  zeigt  wiederum,  wie  der  Par- 
allelitätssatz auf  den  aristotelisch-scholastischen  zurückgeht;  denn  wieder 
liält  es  Spinoza  für  notwendig,  die  göttliche  Erkenntnis  heranzuziehen,  für 

^  Hierzu  vgl.  aucli  die  ausführlicLen  Erörterungen  über  die  Notwendigkeit,  sowohl 
das  Körperliche  als  das  Geistige  als  Teile  des  Natiirganzen  zu  verstehen,  in  dem  Briefe  an 
Oldenburg  vom  20.  November  1665  (ep.  32). 

Mit  Unrecht  findet  Freudenthal  (s.  die  S.  i  erwähnte  .Abhandlung)  in  dem  Ausdruck 
»causarum«  statt  »rerum«  in  pi'.  9,  19,  20  einen  Rückfall  in  die  Wechselwirkungslehre.  So 
unmittelbar  nach  Aufstellung  des  Parallelilätsgesetzes  und  mit  ausdrücklicher  Berufung  darauf 
wäre  ein  solcher  Rückfall  doch  unglaublich.  In  jnanchen  Dingen  lassen  sich  Widersprüche 
bei  Spinoza  nicht  leugnen.  Aber  daß  er  im  Kontext  seines  Parallelitätssatzes  selbst,  ihn 
als  Bew  eismittel  zitierend,  einen  technischen  Ausdruck  so  verstanden  hätte,  daß  er  das  Gesetz 
direkt  aufhebt,  hieße  an  seinem  gesunden  Vei-stande  zweifeln.  Er  nennt,  meine  ich,  die 
res  hier  causae,  weil  die  immanente  Kausalität  der  Naturdinge  sich  uns  so  lückenlos  und 
oifenbar  darstellt,  wie  man  es  von  der  immanenten  Kausalität  des  Geistigen  nicht  entfernt 
behaupten  kann.  Daß  sie  auch  da  vorhanden  sei,  glaubt  er  erst  aus  dem  Parallelitätsgesetz 
selbst  erschließen  zu  müssen.  Für  die  heutige  Parallelismuslehre  steht  es  ja  in  dieser  Be- 
ziehung auch  nicht  anders.  Denkt  man  an  die  Begründung  des  Parallelitätssatzes  durch  das 
4.  Axiom,  das  die  Erkenntnis  der  Wirkimg  in  gleicher'  Weise  von  der  der  Ursache  ab- 
hängen läßt,  wie  die  Wirkung  selbst  von  der  Ursache  abhängt  (s.  o.  S.  4),  so  wird  die 
gegebene  Deutung  noch  einleuchtender.  Sollte  man  aber  trotz  alledem  annehmen,  daß 
Spinoza  hier  unter  causae  die  res  als  Ursachen  der  Ideen  gemeint  hätte,  so  könnte  ich 
es  nur  so  verstehen,  daß  die  Akte  (Ideen)  durch  die  Objekte  determiniert,  spezifiziert  sind. 
Wir  wissen,  daß  das  Kausalverhältnis  für  Spinoza  nichts  anderes  ist  als  ein  logisches  Ab- 
hängigkeitsverhältnis. Daraus  folgt  nun  allerdings  nicht,  daß  jede  logische  Abhängigkeit 
auch  schon  ein  Kausalverhältnis  wäre.  Inmierhin  könnte  man  annehmen,  daß  der  Kausal- 
begriff hier  wirklich  so  weit  gefaßt  sei,  daß  er  mit  dem  der  logischen  Abhängigkeit  zu- 
sammenfiele. Aber  die  Deutung  wäi-e  weit  weniger  wahrscheinlich  und  ungezwungen  wie 
die  obige. 


Spinozash/ffien .  H  1 

die  die  wirklichen  Körper  immanente  Objekte,  die  wirklichen  Geister  aber 
die  zugehörigen  Vorstellungsakte  sind.  Von  da  aus  schließt  er  erst  auf 
das  menschliche  Denken  und  sein  Verhältnis  zur  Außenwelt. 

Von  den  einzelnen  Teilen  unseres  Körpers,  deren  Affektionen  Gegen- 
stände unserer  Vorstellungen  sind,  besitzen  wir  allerdings,  das  betonen  die 
Lehrsätze  24  bis  28,  soweit  nur  die  gewöhnliche,  auf  Wahrnehmung  des 
einzelnen  gründende  p]rkenntnis  in  Betracht  kommt  (quoties  ex  communi 
naturae  ordine  res  percipit,  29  cor.)  keine  adäquate,  sondern  nur  eine  konfuse 
und  verstümmelte  Erkenntnis;  und  dies  gilt  infolgedessen  auch  für  die 
äußeren  Körper  sowie  fär  die  Erkenntnis  des  Geistes,  die  auch  nur  durch 
die  Ideen  der  körperlichen  Affektionen  möglich  ist.  Diese  konfusen  Vor- 
stellungen sind  »gleichsam  Schlußsätze  ohne  Vordersätze«  (28  dem.),  näm- 
lich ohne  Evidenz.  Nur  von  dem,  was  vielen  einzelnen  gemeinsam  ist, 
können  wir,  wie  Spinoza  alsbald  (38  ff.,  III,  3)  ausführt,  adäquate  Erkennt- 
nisse haben. 

Demnach  ist  also  der  menschliche  Körper  als  Ganzes  der  Gegenstand 
des  auf  ihn  gerichteten  Geistes  als  eines  Ganzen,  jeder  Teil  aber  wieder 
Gegenstand  eines  auf  ihn  gerichteten  Vorstellungsaktes.  Die  Leber,  die 
Milz  sind,  um  es  einmal  konkret  zu  machen,  Gegenstände  dunkler,  auf 
diese  Organe  gerichteter  Vorstellungen ;  und  vielleicht  dachte  sich  Spinoza 
dies  bis  ins  kleinste  durchgeführt,  sei  es,  daß  er  aktuell  kleinste  Teile 
anerkannte  oder  die  Teilung  physisch  wie  psychisch  ins  Unendliche  gehen 
ließ.  Der  individuelle  Geist  ist  die  Ge.samtheit  aller  dieser  gleichzeitigen 
Vorstellungsakte,  die  untereinander  in  gleicher  Weise  zusammenhängen  wie 
die  Körperteile.  Spinoza  begnügt  sich  aber  mit  der  Formulierung  der  all- 
gemeinsten Folgerung  aus  seinen  Grundsätzen.  Sie  näher  auszuführen,  wider- 
strebte ihm  wahrscheinlich  darum,  weil  er  auf  diesem  Wege  immer  tiefer 
in  das  Gebiet  unkontrollierbarer  Phantasien  geraten  wäre. 

Selbstverständlich  drängen  sich  gegenüber  dieser  Formulierung  des 
Parallelismus  eine  Menge  kritischer  Fragen  auf,  und  zwar  nicht  nur  vom 
Standpunkte  der  heutigen  Philosophie,  der  diese  Psychologie  und  Erkennt- 
nistheorie äußerst  primitiv  erscheinen  muß,  sondern  auch  von  dem  Spinozas 
selbst,  auf  den  es  hier  allein  ankommt.  Denn  wenn  er  den  menschlichen 
Geist  auch  sich  selbst  imd  seine  Tätigkeiten,  ja  auch  die  göttliche  Wesen- 
heit erkennen  läßt,  so  sind  damit  noch  andere  Bewußtseinsinhalte  als  die 
körperlichen  Vorgänge  zugegeben  und  erscheint  die  Definition  des  mensch- 


32  Stumpf: 

liehen  Geistes  zu  eng.  Vielleicht  hätte  Spinoza  geantwortet,  die  Defini- 
tion müsse  nur  das  enthalten,  was  allgemein  und  immer  dem  Gegenstande 
zukomme,  also  das  Minimum,  das  auch  im  unentwickelten  Zustand  der  mensch- 
lichen Seele  vorhanden  sei,  und  hätte  sich  dabei  auf  den  Vorgang  des 
Aristoteles  berufen,  wenn  dieser  die  menschliche  Seele  als  Form  des  or- 
ganischen Körpers  definiere,  obgleich  er  ihr  einen  immateriellen  Teil  zu- 
erkenne. Wir  wollen  darüber  nicht  weiter  mit  ihm  rechten.  Erkenntnis- 
theoretisch  aber  entsteht,  abgesehen  von  dem  Außenweltsproblem',  sofort 
die  Frage,  wie  es  überhaupt  noch  Täuschungen  und  Irrtümer  geben  könne. 
Spinoza  macht  sich  denn  auch  sogleich,  noch  im  zweiten  Buch,  an  ihre 
Lösung.  Aber  diese  Ausführungen  gehören  zu  dem  dunkelsten  Teile  seiner 
Lehre,  und  der  Zusammenhang  unserer  Betrachtungen  nötigt  uns  nicht, 
darauf  ausführlicher  einzugehen.  Nur  weil  und  insofern  der  Ausdruck 
idea  hier  wieder  eine  große  Rolle  spielt,  sei  einiges  in  dieser  Richtung 
beigefügt. 

5.    Wahrheit  und  Falschheit  nach  Eth.  II,  pr.  320". 

Die  Falschheit  in  unseren  Ideen  ist  fär  Spinoza  nur  eine  »Privation« 
—  dieselbe  Formel,  mit  der  die  Scholastiker  das  Übel  aus  der  gottge- 
schaffenen Welt  hinwegzuschaften  suchten;  der  Begriff  selbst  wieder  nach 
Aristoteles  {aTepijcrts).  Falsch  können  nur  unvollständige,  verstümmelte 
Ideen  sein  (II,  33,  35).  Für  die  Wahrheit  aber  war  zunächst  im  ersten 
Teil  die  alte  Regel  gegeben:  »Idea  vera  debet  cum  suo  ideato  convenire« 
(Ax.  VI).  In  der  4.  Definition  des  2.  Teiles  wird  dann  als  adäquate  Idee 
die  erklärt,  die  alle  inneren  Merkmale  (denominationes  intrinsecas  —  Ter- 
minus der  scholastischen  Logik)  einer  wahren  Idee  an  sich  trage.  In  der 
Erläuterung  dieser  Definition  betont  Spinoza,  er  sage  innere  Merkmale,  um 
das  äußere,  nämlich  die  Übereinstimmung  der  Idee  mit  ihrem  Gegenstande 
auszuschließen.  Er  beweist  im  34.  Lehrsatz  noch  besonders,  daß  jede  adäquate 
Idee  zugleich  wahr  ist,  und  gebraucht  fürderhin  stets  adäquate  und  wahre 
Idee  als  äquipollente  Begriffe.  Von  dem  überlieferten  äußeren  Kriterium 
macht  er  zwar  in  den  Beweisführungen  I,  30,  11,  32  und  sonst  öfters  Ge- 
brauch; aber  es  ist  ihm  nur  eine  Formel  für  die  Tatsache  der  Wahrheit, 
während  der  Sinn  des  Begriffes  selbst  ihm  ein  anderer  geworden  ist. 
Dies  war  ja  auch  die  notwendige  Folge  der  Wandlung,  die  mit  dem  Ver- 
hältnis 4  zu   5   vor  sich  gegangen  war:    früher  war  dieses  charakterisiert 


Spinozastuff ie?i .  33 

durch  die  Doppelbeziehung  der  Kausalität  und  der  Ähnlichkeit  (s.  o.  S.  14); 
die  wahre  Vorstellung  war  ihrem  Inhalte  nach  dem  realen  Objekt  als  ihrer 
Ursache  ähnlich  und  darum  wahr.  Auch  das  Ding  selbst  wurde  wahr  ge- 
nannt, sofern  es  der  göttlichen  Idee  dieses  Dinges,  woraus  es  hervorgegangen, 
ähnlich  war.  Für  Spinoza  gibt  es  aber  weder  das  Kausalitäts  noch  das  Ähn- 
lichkeitsverhältnis zwischen  einem  äußeren  und  einem  mentalen  Objekt,  da 
beides  in  Gott  zusammenfällt.  Also  kann  eine  conformitas  rei  et  intellectus 
nicht  mehr  mit  »Wahrheit«  gemeint  sein.  In  der  Tat  tritt  ein  inneres 
Kriterium  an  die  Stelle.  Es  ist  dasselbe,  das  wir  heute  Evidenz  nennen. 
Die  Frage  nach  der  Definition  und  dem  Kriterium  der  Wahrheit  stand 
im  engen  Zusammenhange  mit  der  ganzen  Entwicklung  Spinozas.  Schon 
in  der  Schrift  von  der  Verbesserung  des  Verstandes  macht  sich  der  neue 
Standpunkt  bemerkbar.  Er  geht  hier  geradezu  davon  aus,  daß  die  wahre 
Vorstellung  von  ihrem  Gegenstande  verschieden  sei  (s.  o.  S.  22).  Von 
der  Vorstellung  als  solcher  (dem  Akt)  könne  man  zwar  ein  Wissen  haben 
und  von  diesem  Wissen  auch  wieder  ein  Wissen;  aber  zur  Gewißheit  über 
irgendeinen  Inhalt  brauchten  wir  dieses  reflektierte  Wissen  nicht.  Sie  sei 
in  und  mit  dem  bewußten  Inhalte  bereits  gegeben.  Somit  bedürfe  die 
Wahrheit  keines  Kennzeichens.  Die  Ausführungen  der  Ethik  II,  3  1  ff.  kommen 
auf  dasselbe  hinaus.  Zunächst  werden  alle  Ideen  in  Gott  als  wahr  erklärt, 
weil  sie  mit  ihren  Ideaten  fibereinstimmen  —  eine  Verbeugung  vor  dem 
altehrwürdigen  äußeren  Kriterium.  Aber  im  Scholion  des  43.  Lehrsatzes 
(in  den  Scholien  erst  erkennt  man  den  lebendigen  Puls  der  (Jedanken 
und  zugleich  gegenüber  der  Starrheit  der  Lehrsätze  und  syllogistischen 
Demonstrationen  noch  zuweilen  das  Ringen  mit  den  Problemen)  erklärt 
Spinoza,  eine  wahre  Vorstellung  haben,  bedeute  nichts  anderes,  als  eine 
Sache  vollkommen  verstehen,  und  ehe  man  wisse,  daß  man  über  eine  Sache 
gewiß  sei,  müsse  man  eben  über  die  Sache  gewiß  sein  — ,  ganz  dasselbe,  was 
wir  soeben  aus  der  Schrift  De  emendatione  int.  hörten.  »Was  kann  es 
Klareres  und  (rewi.sseres  geben,  das  die  Norm  der  Wahrheit  wäre,  als  eine 
wahre  Vorstellung?  Wahrlich,  wie  das  Lieht  sich  selbst  und  die 
Dunkelheit  offenbart,  so  ist  die  Wahrheit  die  Norm  ihrer  selbst 
und  des  Falschen«'.    Auch   hier  also  ist  der  Weisheit  Schluß,  daß  es 

'  Dieselbe  Wenduiig  im  Kui-zen  Traktat,  II,  c.  15,  Sigwart  S.  99,  und  in  dein  Brief 
an  Burgh  (Kp.  76),  worin  Spinoza  diesem  unduldsamen  Konvcrtiti.Mi,  seinem  früheren  Schüler, 
so  wundervoll  den  Text  liest. 

Phil.-hi»t.  Abh.  1919.  i\>.  ^.  5 


34 


1  TUMPF : 


überflüssig  sei,  ein  Kriterium  der  Wahrheit  zu  suchen;  es  liege  einzig  in 
der  unmittelbaren  Evidenz  des  Wahren  in  sich  selbst.  Von  der  Überein- 
stimmung des  Vorstellungsinlialtes  mit  der  Wirklichkeit  ist  nicht  mehr 
die  Rede. 

Spinoza  baut  hier  offenbar  auf  Descartes  weiter,  der  bereits  vollkommene 
Klarheit  und  Deutlichkeit  als  Kennzeichen  der  wahren  Vorstellungen  auf- 
gestellt hatte.  Die  Erkenntnis  bricht  sich  Bahn,  daß  eine  Vergleichung 
der  Vorstellungsinhalte  mit  der  Wirklichkeit  ausgeschlossen  ist,  da  uns 
niemals  etwas  anders  als  in  der  Form  des  Vorstellungsinhaltes  gegeben 
sein  kann.  Ohnedies  waren  das  convenire,  die  conformitas  oder  adaequatio 
von  jeher  recht  mehrdeutige  Formeln  gewesen. 

Soviel  nur,  um  zu  zeigen,  wie  auch  diese  letzten  Ausführungen  des 
2.  Teils,  zu  dem  wir  gewissermaßen  einen  fortlaufenden  Kommentar  ge- 
geben haben,  unserer  Deutung  des  Parallelitätssatzes  zum  mindesten  nicht 
widersprechen. 

6.  Die  spinozistische  und  die  gegenwärtige  Parallelitätslehre. 
Vergleicht  man  mit  der  im  vorigen  erläuterten  Parallelitätslehre  die 
gegenwärtige,  so  springt  der  ganz  prinzipielle  Unterschied  in  die  Augen. 
Der  Parallelismus  im  Sinne  der  gegenwärtigen  Psychophysik,  wie  ihn  Fechner 
zuerst  formuliert  hat,  will  und  kann  vom  wissenschaftlichen  Standpunkte 
nur  als  Hypothese  gelten,  die  zwei  Tatsachengruppen  in  Zusammenhang 
bringt'.  Das  Bewußtsein  mit  seinem  ganzen  Inhalt  steht  auf  der  einen, 
psychischen  Seite,  die  physischen  Vorgänge  auf  der  anderen.  Für  Spinoza 
dagegen  sind  sowohl  die  beiden  Glieder  als  auch  ihr  Verhältnis  zueinander 
dem  Bewußtsein  unmittelbar  gegeben:  die  res  als  die  anschaulichen 
Bewußtseinsinhalte,  die  ideae  als  die  zugehörigen  Bewußtseinsakte,  und 
das  Verhältnis  eben  als  das  des  Inhalts  zum  Akt,  das  in  seiner  Einzig- 
artigkeit selbst  eine  gegebene  Bewußtseinstatsache  bildet.  Sein  Parallelitäts- 
gesetz ist  rein  eine  Angelegenheit  der  deskriptiven  Psychologie  (Husserl 
würde  sagen:  der  Phänomenologie,  da  es  a  priori  durch  »Wesensschauung« 
begründet  wird).    Man  könnte  auch  sagen,  Spinozas  Parallelismus  sei  ein 

'  Vgl.  B.  Erdmann,  Wissenschaftliche  Hypothesen  über  Leib  und  Seele,  und  meinen 
Kongreßvortrag  »Leib  und  Seele«,  Philosophische  Reden  und  Vorträge  (bes.  S.  90 ff.):  zugleich 
Beispiele  für  die  Verschiedenheit  der  schließlichen  Stellungnahme  bei  gleicher  Auffassung 
der  methodischen  Seite, 


Spinozastvdien.  35 

immanenter,  der  heutige  ein  transzendenter,  sofern  nämlich  im  Sinne 
des  heutigen  die  Bewußtseinssphäre  überschritten  und  eine  äußere,  davon 
unabhängige  Welt  postuliert  wird,  deren  Veränderungen  denen  der  Bewußt- 
seinsinhalte parallel  gehen  bzw.  ihre  reale  Unterlage  bilden. 

Die  Außenwelt  selbst  ist  ja  für  die  heutige  Weltansicht,  wenigstens 
für  die  realistische,  genau  betrachtet  aber  auch  für  die  phaenomenalistische 
(Mach,  Ziehen),  wissenschaftlich  gesprochen  eine  Hypothese.  Die  Gehirnvor- 
gänge, als  deren  Innenseite  die  parallelistische  Hypothese  das  Psychische  an- 
sieht, sind  überdies  in  vieler  Beziehung  noch  unbekannt;  und  sogar  über  die 
Definition  der  physischen  Vorgänge  überhaupt  sind  in  der  theoretischen 
Physik  die  Akten  noch  keineswegs  geschlossen.  A  priori  kann  nun  zwischen 
den  beiden  Tatsachengruppen:  der  unmittelbar  gegebenen  des  Bewußtseins 
und  der  erschlossenen  der  physischen  Vorgänge,  jedes  beliebige  Verhältnis 
obwalten,  Wechselwirkung  ebenso  wie  Parallelismus  und  reale  Identität.  Nur 
eben  was  an  Erfahrungen  und  Sclilußfolgerungen  über  die  Gehirnvorgänge 
und  ihre  funktionellen  Beziehungen  zu  den  psychischen  Zuständen  vorliegt, 
das  läßt  sich  nach  der  Meinung  der  Parallclisten  besser  mit  dieser  ihrer 
Auffassung  als  mit  einer  anderen  in  Einklang  bringen. 

Der  heutigen  Parallelitätslehre  hat  man  vielfach  den  Vorwurf  des 
Dualismus  gemacht.  Wenn  kein  Einfluß  herüber  und  hinübergeht,  scheint 
jede  der  beiden  Welten  die  andere  überflüssig  zu  machen.  Die  physische  würde 
gerade  so  verlaufen,  wenn  ihr  psychisches  Aequivalent  gar  nicht  existierte, 
und  umgekehrt.  Die  innere  Notwendigkeit,  die  beide  Erscheinungsgruppen 
miteinander  verbinden  soll,  kann  nicht  aufgezeigt  werden.  Wie  dem  sei: 
gegenüber  Spinoza  ist  dieser  Vorwurf  des  Dualismus  zum  mindesten  für 
die  Attribute  Ausdehnung  und  Denken  unberechtigt.  Sie  liegen  für  ihn 
nicht  unverknüpft  und  beziehungslos  nebeneinander,  sondern  bilden  not- 
wendig ein  Ganzes  und  sind  nur  in  diesem  allerengsten  Verhältnis  zuein- 
ander überhaupt  möglich.  Dies  ist  das  Wesentliche,  das  hier  zu  er- 
weisen war. 

Ausgegangen  ist  Spinoza  freilich  von  der  durch  Descartes'  Weclisel- 
wirkungslehre  gegebenen  Problemstellung,  wie  er  denn  bekanntlich  diese 
Lehre  selbst   noch    im   Kurzen  Traktat  vertritt'.    Aber   das   ursprüngliche 

'  11,  c.  19.  Er  läßt  hier  zwar  Leib 'und  Seele  nicht  direkt  aufeinander,  aber  jedes  von 
beiden  auf  die  •Lebensgeister«  einwirken  und  so  indirekt  auch  das  andere  beeinilussen.  Die 
Lebensgeister  spielen  in  der  Kthik  keine  Rolle  mehr.    Die  heutige  Wechselwirkungstheorie 


36  S  T  u  M  I'  F : 

Problem  hat  sich  ihm  infolge  seiner  metaphysischen  Prämissen  verschoben, 
ebenso  verschoben  wie  das  Problem  der  Außenweltserkenntnis,  wie  es  Des- 
cartes  aufgeworfen  hatte.  Die  Zweifel  an  der  Existenz  der  Außenwelt,  mit 
denen  der  Vater  der  neueren  Philosophie  anhebt,  scheinen  bei  Spinoza 
niemals  Widerhall  gefunden  zu  haben.  Nirgends  tritt  das  Bedürfnis  her- 
vor, sich  in  diesem  Punkte  gegen  den  .Skeptizismus  zu  verteidigen  und 
ihn  zu  überwinden.  Eben  darum  aber,  weil  die  beiden  unter  sich  zusammen- 
hängenden und  die  Entwicklung  der  neueren  Philosophie  beherrschenden 
Probleme  für  Spinoza  so  gut  wie  verschwinden,  hat  er  auch  keinen  Ein- 
fluß auf  die  philosophische  Entwicklung  der  nächstfolgenden  Zeit  gewonnen. 

Mit  dieser  Verschiebung  des  psychophysischen  Grundproblems  hängt 
auch  zusammen,  daß  Spinoza  kein  Interesse  hat  an  der  näheren  Erforschung 
derjenigen  Gebilde  und  Prozesse,  die  wir  heute  als  die  alleinigen  unmittel- 
baren Unterlagen  des  Seelenlebens  zu  betrachten  pflegen,  der  Gebilde  und 
Vorgänge  des  Gehirns.  Das  Gehirn  war  schon  im  Altertum  mehr  als  ein- 
mal als  der  eigentliche  Träger  oder  Vermittler  des  Bewußtseins  in  Anspnich 
genommen'.  Auch  in  der  Spätscholastik  wird  oft  lebhaft  über  seine  Rolle 
bei  den  Sinnesempfindungen  disputiert  (Suarez  u.  a.):  und  bekanntlich  hatte 
Descartes  speziell  die  Zirbeldrüse  als  Sitz  der  Wechselwirkung  vermutet. 
Gegen  diese  Vermutung  polemisiert  Spinoza  einmal  (V,  praef.)  nachdrücklich, 
hat  aber  seinerseits  keinen  Anlaß,  irgendeinem  Teile  des  Körpers  eine 
engere  Beziehung  zum  Seelenleben    als  den  übrigen  Teilen  zuzuerkennen. 

Die  sachliche  Berechtigung  jener  Thesen  der  aristotelisch-scholastischen 
Psychologie,  die  Spinoza  seiner  Parallelismuslehrc  zugrunde  legt,  würde 
allerdings  von  der  heutigen  Psychologie  keineswegs  ein.stimmig  anerkannt 
werden.  Wird  doch  schon  die  Notwendigkeit,  Vorstellungsakte  von  Vor- 
stellungsinhalten zu  scheiden,  von  vielen  bestritten.  Der  Verfasser  selbst 
ist  zwar  für  die  Unterscheidung  von  Erscheinungen  und  psychischen  Funk- 
tionen, die  im  wesentlichen  auf  den  Unterschied  von  Akt  und  Inhalt  hinaus- 
kommt (nur  daß  der  Begrifl"  des  Inhaltes  mehr  umfaßt  als  der  der  Er- 
scheinungen) eingetreten.    Aber  eine  Parallelität  beider  Elemente  schien  mir 


steht  der  des  Traktats  insofern  nahe,  als  auch  sie  ja  keine  unmittelbare  Wechselwirkung 
der  Seele  mit  den  Knochen  und  Muskelbündeln  lehrt.  Sie  sef/.l  nur  an  die  Stelle  der  Lebens- 
geister das  Nervensystem  und  seine  Prozesse.  Abej-  auch  die  Lebensgeister  waren  als  mate- 
rielle Flnida  gedacht. 

'    Vgl.  die  Zusammenstellungen  bei  Soury,  Le  Systeme  nerveux  central  Bd.  I.  und  bei 
Ziehen,  tjber  die  aligenieincn  Bezieluuiüen   zwischen   Gehirn   und  Seelenleben. 


^pinozantudien.  37 

nicht  annehmbar.  Vielmehr  glaubte  ich  die  Unterscheidung  umgekehrt  nur 
auf  eine  innerhalb  gewisser  (Frenzen  unabhängige  Veränderlichkeit  be- 
gründen zu  können',  analog  wie  die  Unterscheidung  von  Attributen  inner- 
halb einer  Gattung  von  Sinnesempfindungen  demselben  Prinzip  der  unab- 
hängigen Veränderung  folgen  muß  und  nur  so  ihre  Berechtigung  hat'.  Liefen 
Aktverschiedenheiten  und  inhaltliche  Verschiedenheiten  durchgängig  parallel, 
so  würde  man  in  der  Tat  fragen  müssen,  was  noch  zu  dieser  Unterscheidung 
überhaupt  berechtige  und  ob  nicht  die  sogenannte  psychische  Welt  mit  Be- 
grifl'en  und  Ausdrücken  der  physischen  beschrieben  werden  könne  oder  umge- 
kehrt, so  wie  es  tatsächlich  die  rein  phänomenalistische,  sensualistische  Psy- 
chologie und  die  spekulative  Naturphilosophie,  jede  in  ihrer  Weise,  anstreben. 

Kann  man  also  Spinoza  auf  Grund  seiner  aristotelisch-scholastischen 
Psychologie  vom  DuaUsmus  freisprechen,  so  kehren  doch  die  Schwierig- 
keiten an  anderer  und  noch  tiefer  liegender  Stelle  wieder. 

Ich  möchte  die  Untei'schcidung  der  gegenwärtigen  Parallelisniuslehre  von  der  Spinoza.s 
nicht  als  etwas  ganz  Neues  in  Anspruch  nehmen.  Nur  die  Rüciiführung  auf  die  aristo- 
telisch-scholastische Psychologie  dürfte  neu  sein.  In»  übrigen  hat  sicli  besonders  Baensch 
die  Klärung  der  Lehre  angelegen  sein  lassen'.  Er  untei'scheidet  liei  Spinoza  einen  drei- 
fachen Parallelisnius,  den  er  als  den  ideellen,  metaphysischen  und  erkenntnistheoretischen 
bezeichnet.  Daß  Ausdehnung  und  Denken  sich  wie  Urbild  und  Abbild  verhalten  und  jeder 
Modus  der  Ausdehnung  sich  in  einem  des  Denkens  "widerspiegeln-  solle  (ideeller  P.),  möchte 
ich  aber  nicht  als  Spinozas  Meinung  anerkennen.  Denn  für  Spinoza  sind  idea  und  res  so 
vollkommen  disparat  wie  die  Attribute  selbst,  deren  Modi  sie  sind.  Den  Parallelismus  im 
Buche  De  .Mente  würde  ich  weder  als  ideellen  noch  als  metaphysischen  oder  erkenntnis- 
theoretischen, sondern  vielmehr  als  psychologischen  bezeichnen.  Daß  freilich  die  alte  Lehre 
von  der  conformitas  erst  allmählich  in  diese  umgebogen  wurde  und  daß  sie  auch  in  der 
P^thik  noch  hereinspielt,  ist  nicht  zu  leugnen. 

Auch  Frau  Prof.  Tumarkin  (Bei-n),  eine  Schülerin  Diltheys,  hat  den  wesentlichen 
Unterschied  zwischen  Spinoza  und  dem  heutigen  Parallelismus  hervorgehoben  *. 

Am  engsten  berührt  sich,  wie  ich  erst  nachträglich  bemerkte,  Hermann  Schwarz  an 
einer  Stelle  seiner  Abhandlung  über  Spinozas  Identitätsphilosophie  ■'  mit  meiner  AutTassung, 
indem  er  idea  uiitDeukakt  übersetzt  und  die  Umdeutung  des  ganzen  Leib-Seele-Problems 
durch  die  Zurückführung  auf  das  Verhältnis  von  Akt  und  Inhalt  richtig  hervorhebt.  Eine 
nähere  Begründung  ist  aber  nicht  beigefügt  und  wohl  darum  die  Deutung  unbeachtet  geblieben. 

'    Erscheinungen  und  psychische  Funktionen.  Abli.  d.  Berliner  Akademie  vom  Jahre  1906. 

'  tTber  den  psychologischen  Ursprung  der  Raumvorstellung,  1873.  S.  i35ff.  Die 
Attribute  der  Gesichtsempfindungen.    .\bh.  d.  Berliner  Akademie  vom  Jahre  191 7. 

'  Die  Entwicklung  des  Seelenbegriffes  hcA  Spinoza  als  Gnmdlage  für  das  Verständnis 
seiner  Lehre  vom  Parallelismus  der  Attribute.  An'h.  f  (iesch.  d.  Philos.,  Bd.  20,  .*>.  332  ff. 
Vgl.  auch  die  Darstellung  in  v.  .\stere  Sammelwerk   »(iroße  Denker-   S.  24. 

*    Spinoza.    8  Vorlesungen,   1908,  S.  50  ff. 

"  In  dem  Sammelwerke  -Philosophische  Abhandlungen,  Max  HeiitV.c  gi-widuift-,  1905, 
S.  242  ff. 


38  Stumpf: 

IL  Die  unzähligen  Attribute. 

Von  hier  aus  empfangt  nun  auch  die  vielbesprochene  Frage  nach  den 
unendlich  vielen  Attributen  Gottes  bei  Spinoza  einiges,  wenn  auch  nicht 
volles  Liclit.  Erregte  schon  die  scheinbare  Juxtaposition  zweier  Attribute 
Bedenken,  so  werden  diese  natürlich  durch  die  Vermehrung  der  Attribute 
nur  gesteigert.  Aus  dem  Dualismus  droht  ein  Pluralismus,  ja  Infinitismus 
zu  werden,  die  Welt  oder  die  Gottheit  in  ein  Aggregat  unendlich  vieler 
Einzelsubstanzen  zu  zerfallen.  Wirklich  sprach  z.  B.  Böhmer  von  einem 
Polykosmismus  Spinozas  —  man  könnte  dann  ebensowohl  Polytheismus  sagen. 
Kuno  Fischer  schließt  seine  ganze  Darstellung  mit  der  Hervorhebung  des 
vollkommenen  Widerspruches  in  bezug  auf  Einheit  und  Vielheit  in  Spinozas 
Lehre.  Becher  gibt  gleichfalls  zu  erkennen,  daß  er  hier  eine  Inkonsequenz 
erblicke:  »Hätten  wir  nur  den  Attributbegrifi^,  so  müßten  wir  beim  Plura- 
lismus stehen  bleiben,  aber  die  göttliche  Einheit  nimmt,  diese  Konsequenz 
beiseite   schiebend,  alle  Attribute  in  sich  auf.« 

Spinoza  definiert  zu  Beginn  der  Ethik  Gott  als  absolut  unendliches 
Wesen,  d.  i.  als  eine  Substanz,  die  aus  unendlich  vielen  Attributen  besteht, 
worunter  jedes  eine  ewige  und  unendliche  Wesenheit  ausdrückt.  Am 
9.  Lehrsatz  des  i.  Teils  sieht  man,  daß  hier  die  scholastische  Definition 
Gottes  als  des  allerrealsten  Wesens  zugrunde  liegt:  »Je  mehr  Realität 
oder  Sein  ein  Ding  hat,  um  so  mehr  Attribute  kommen  ihm  zu.«  Auch  der 
Gedanke,  daß  Gott  außer  der  körperlichen  und  geistigen  Welt  noch  andere 
uns  unbekannte  geschaffen  haben  könnte,  war  von  theistischer  Seite  schon 
ventiliert  worden  (Suarez).  Auf  diese  unendlich  vielen  Attribute,  von  denen 
nur  zwei  uns  bekannt  seien,  kommt  Spinoza  in  allen  metaphysischen  Schriften 
zu  sprechen.  Schon  im  Kurzen  Traktat  wird  die  Lehre  ebenso  vorgetragen 
und  begründet  \  und  noch  in  den  letzten  Lebensjahren  verteidigt  er  sie 
gegen  die  von  Walter  v.  Tschirnhaus  erhobenen  Einwände.  Er  hat  aber 
die  Einwendungen  dieses  scharfsinnigen  Gelehrten,  der  auch  Leibniz  nahe- 
stand, nur  sehr  kurz  beantwortet.     Auch  in  der  Ethik  selbst  schneidet  er 


'  Kurzer  Traktat,  S.  18,  ebenso  S.  9  Anm.  und  S.48  Anm.  (Hier  scheint  Spinoza  oder  der 
Herausgeber  fast  die  Hoffnung  zu  hegen,  daß  wir  allmählich  noch  mehr  als  zwei  Attribute  wirk- 
lich erkennen  würden,  da  er  sich  äußert,  bisher  seien  uns  nur  zwei  bekannt.)  Auch  im 
2.  Kapitel  und  im  Anhang  ist  die  unendliche  Zahl  der  Attribute  betont.  Ebenso  im  Brief 
an  Oldenburg  vom  Jahre   1661   (Ep.  2). 


Spinozastudien.  39 

die  hier  auftauchenden  Fragen  ab.  »Klarer  kann  icli  dies  fiir  jetzt  nicht 
auseinandersetzen  — «,  so  schließt  das  oben  besprochene  berühmte  Scholion 
zu  II,  7.  So  sind  denn  bis  heute  immer  wieder  ähnliche  Bedenken  erhoben 
worden. 

Die  Frage  ist  nun,  ob  auf  Grund  der  Betrachtungen  über  das  Ver- 
hältnis der  beiden  bekannten  Attribute  zueinander  vielleicht  auch  hierüber 
gewisse  aufklärende  Folgerungen  gezogen  werden  können.  Spinoza  selbst  leitet 
dazu  an,  wenn  er  nach  der  Erläuterung  des  Parallelitätssatzes  hinzufugt: 
»Ebenso  verstehe  ich  es  mit  den  übrigen  Attributen.«  A'ergeblich  zw;ir 
wäre  der  Versuch,  streng  beweisbare  Aufstellungen  darüber  zu  machen, 
was  er  mit  den  unendlich  vielen  Attributen  eigentlich  gem'^int  und  wie 
er  ihr  Verhältnis  zueinander  und  ihre  Vereinbarkeit  mit  der  göttlichen 
Einheit  sich  zurechtgelegt  habe.  Es  fehlt  eben  an  zwingenden  Belegen 
aus  seinen  Schriften.  Aber  man  kann  immerhin  fragen,  auf  welche  Weise 
man  aus  seinen  eigenen  Grundbegrilfen  und  Theoremen  heraus  die  Lehre 
nach  dieser  Seite  ergänzen  könnte,  und  kann  versuchen,  sie  sich  dadurch 
gewissermaßen  verständlicher  zu  machen,  als  sie  dem  Urheber  selbst  ge- 
wesen sein  mag,  der  offenbar  bis  zuletzt  über  dieses  Problem  nachgesonnen 
hat.  Der  Sinn  der  folgenden  Untersuchung  kann  also  nur  der  sein,  fest- 
zustellen, was  Spinoza  auf  die  hier  entstehenden  Fragen  von  seinem  Stand- 
punkt aus  hätte  antworten  können  oder  vielleicht  sogar  müssen.  Dem 
Philosophen  muß  es  erlaubt  sein,  in  philosophische  Systeme  noch  etwas 
tiefer  einzudringen,  als  es  die  Akten  an  sich  gestatten.  Hat  doch  schon 
Eduard  Erdmann  geglaubt,  seine  Auffassung  der  Attribute  als  bloßer  Ver- 
standesformen Spinoza  zuschreiben  zu  dürfen,  wenn  er  selbst  kein  ein- 
ziges Zitat  dafür  beibringen  könnte.  »Ich  dürfte  dies,  wie  icIi  auch  sagen 
darf,  daß  jeder  Mensch,  wenn  er  zu  schielen  versucht,  die  Pupille  ver- 
ändern muß,  obgleich  nur  sehr  wenige  Schielende  wissen,  daß  dem  so 
ist.«  Aber  so  schlimm  steht  es,  wie  wir  sehen  werden,  doch  auch  in 
unserem  Falle  nicht. 

Vier  Fragen  sind  hier  vornehmlich  aufzuwerfen : 

1.  Wie  denkt  Spinoza  über  die  Möglichkeit  einer  aktuell  unendlichen 
Zahl  überhaupt? 

2.  Wie  verträgt  sich  die  unendliche  Zahl  der  Attribute  mit  der  be- 
haupteten Einfachheit  Gottes? 


40  Stumpf: 

3.  Was  läßt  sich  unter  den  niclitgegebenen  Attributen  denken?  In 
welcher  Richtung  wären  sie  etwa  zu  suchen? 

4.  Welche  Verhältnisse  können  oder  müssen  zwischen  ihnen  obwalten? 

I.   Möglichkeit  einer  aktuell  unendlichen  Zahl. 

Spinoza  scheint  den  Begriff  einer  aktuell  unendlichen  Zahl  sonst  nicht 
für  zulässig  zu  halten.  Er  spricht  mehrere  Male  darüber  aus  Anlaß  seiner 
Behauptung,  daß  Gott  das  Attribut  der  Ausdehnung  zukomme'.  Seine  Gegner 
hatten  gefolgert:  dann  müsse  er  unendlich  ausgedehnt  sein,  also  unendlich 
viele  Teile  haben,  was  absurd  sei.  Diese  Absurdität  einer  aktuell  unend- 
lichen Zahl  scheint  nun  Spinoza  zuzugeben,  wenn  er  auch  die  gewöhnlichen 
Argumente  der  Peripatetiker  mit  einer  gewissen  Mißachtung  anführt.  Er 
))egegnet  dem  Einwände  vielmehr  dadurch,  daß  die  Ausdehnung,  von  der 
er  hier  spreche,  als  Attribut  Gottes  betrachtet,  überhaupt  keine  Teile  habe. 
Nur  die  einzelnen  Körper  innerhalb  ihrer  könnten  geteilt  werden,  die  Aus- 
dehnung selbst  nicht.  Er  setzt  dabei  oft'enbar  den  engsten  Begriff  von 
»Teilung«  voraus,  nämlich  Teilung  in  selbständig  existierende  Dinge.  Die 
Abschnitte  des  Raumes,  die  wir  unterscheiden,  können  nicht  selbständig 
für  sich  existieren.  Darum  und  insofern  hält  er  sich  berechtigt,  zu  sagen, 
der  Raum  habe  keine  Teile'. 

Spinoza  lehnt  also  hier  nicht  die  aktuell  unendliche  Zahl  ab,  sondern 
die  Teile.  Wenn  er  nun  aber  zugibt,  daß  der  Begriff  der  unendlichen  Zahl 

'  Diese  Lehre  selbst,  die  Ausgedehntheit  Gottes,  erklärt  Spinoza  in  den  Cogitata  ineta- 
physica  noch  für  unmöglich.  Zwar  die  Vollkommenheiten  der  Ausdehnung  müßten  eminenter 
in  Gott  sein,  aber  nicht  ihre  Unvollkommenheiten,  z.  B.  die  Teilbarkeit.  Hier  wird  auch 
noch  behauptet,  daß  wir  Ausdehnung  ohne  Existenz  vorstellen  könnten,  was  später,  wie  für 
alle  Attribute,  geleugnet  wird.  In  De  emendatione  intellectus  (Schluß  Nr.  2,  3)  unterscheidet 
Spinoza  die  Vorstellung  einer  unendlichen  Ausdehnung,  die  der  Verstand  unabhängig  von 
allen  anderen  Vorstellungen  bilde,  und  die  einer  bestimmten  Ausdehnung,  die  ihm  von 
außen  gegeben  werde.  Im  Kurzen  Traktat  verteidigt  er  die  Ausdehnung  als  Attribut  Gottes 
(S.  i9ff.),  und  zwar  bereits  in  ähnliche)-  Weise  wie  in  der  Ethik. 

-  Daß  die  Substanz  (Gott)  unteilbar,  lehrt  die  Ethik  1,  13.  Die  Ausdehnung  Gottes. 
wird  in  der  angegebenen  Weise  im  Scholion  des  15.  Lehrsatzes  verteidigt,  t'ber  die  ^lög- 
lichkeit  des  Unendlichen  und  über  die  doppelte  Ausdehnung  vgl.  auch  den  Brief  an  L.  Meyer 
vom  20.  April  1663  (Ep.  12).  Nicht  uninteressant  sind  Spinozas  Betrachtungen  über  das  un- 
endlich Kleine  und  die  Diskussion  der  zenonischen  Schwierigkeiten  im  2.  Teil  der  Principia 
philosophiae  (.\irtesianae.  pr.  6  schol.  Diese  Dinge  waren  aber  von  den  Spätscholastikern 
noch  viel  eingehender  und  mit  großem  Scharfsinne  diskutiert  worden. 


Spinozastudien.  41 

in  sich  selbst  absurd  sei,  so  würde  dies  auch  für  die  unendlich  vielen 
Attribute  gelten.  Es  kommt  noch  die  Schwierigkeit  hinzu,  daß  er  lehrt, 
alles,  was  in  der  Mehrheit  existiere,  existiere  nicht  durch  sich',  während 
die  Attribute  durch  sich  existieren  sollen. 

Köimte  man  nun  J.  E.  Erdmann  darin  zustimmen,  daß  die  Unterscheidung 
der  Attribute  überhaupt  nur  eine  subjektive  sei,  so  ließe  sich  ihre  unendliche 
Zahl  allenfalls  auch  als  eine  bloß  potentielle  Unendlichkeit  fassen.  Zu- 
gunsten der  Subjektivitätstheorie  könnte  man  hier  sogar  anführen,  daß 
Spinoza  die  Zahl  mit  der  Zeit  und  dem  Maß  zusammen  als  bloße  Modi 
des  Denkens,  genauer  des  sinnlichen  Vorstellens,  erklärt'"'. 

Aber  die  Erdmannsche  Auffassung  ist  schon  bei  Ausdehnung  imd  Denken 
undurchführbar.  Und  was  sollten  vollends  die  unendlich  vielen  sonstigen 
Auffassungsformen?  An  eine  bloß  potentielle  Unendlichkeit  denkt  überdies 
Spinoza  bei  der  Definition  des  allerrealsten  Wesens  sicher  nicht.  Was  ondlicli 
die  Subjektivität  des  Zahlbegriffes  anlangt,  so  würde  eine  logische  Ab- 
surdität doch  auch  in  bloß  subjektiven  Vorstellungsformen  unzulässig  sein. 
Die  unendlicli  vielen  unbekannten  Attribute  müssen  also  doch  wirkliche 
göttliche  Eigenschaften  sein,  die  wir  nur  niclit  näher  kennen. 

Hat  Spinoza  tatsächlich  die  Absurditäten  im  Begriff  einer  unendlichen 
Zahl  als  solche  anerkannt,  so  wüßte  ich  ihn  gegen  den  daraus  wider  seine 
Attributenlehre  folgenden  Einwand  nur  dadurch  zu  verteidigen,  daß  er  die 
unendliche  Zahl  als  eine  Zahl  in  anderem  Sinne  wie  die  endlichen  Zahlen 
(Anzahlen)  gefaßt  habe.  Er  hat  dies  nicht  ausgesprochen,  aber  man  darf 
es  wohl  mit  Wahrscheinlichkeit   als  seine  Meinung  in  Anspruch  nehmen. 

6.  Cantor,  der  in  neuerer  Zeit  diesen  Gedanken  nicht  bloß  gefaßt  und 
ausgesprochen,  sondern  in  weitestem  Umfange  durchgeführt  hat,  nennt  aller- 
dings gerade  die  Lehre  von  den  imendlich  vielen  Attributen  die  Achilles- 
ferse des  spinozistischen  Systems*.  Er  denkt  dabei  an  die  Forderung  der 
absoluten   Unendlichkeit^,    die   Spinoza   aufstellt   (ens   absolute   infinitum 

'    Ep.  34  (an  Huygeiis). 

*  De  intellectus  einendatiune,  5.  Schlußtliese.  Ep.  12  und  50.  In  den  C'ogitiita  ineta- 
physica  heißt  es  einmal  (I,  c.  6)  sogar,  man  könne  genau  genommen  Gott  nur  im  uneigent- 
lichen Sinne  einen  nennen  (sofern  eben  Eins  auch  schon  als  eine  Zahl  gilt).  Ebenso  Ep.  50 
(2.  Juni  1674). 

*  Über  die  verschiedenen  Standpunkte  in  bezug  auf  das  aktuelle  Unendliche.  Zeit- 
schrift f.  Philosophie  Bd.  88,  S.  231. 

*  »Das  Absolute  ist  unvermehrbar  und  daher  mathematisch  undeterminierbar.« 
Phil.-hist.Abh.  1910.  Xr.  4.  6 


42  Stumpf: 

I  (ief.  6),  während  Cautors  transfiiiite  Zahlen  eine  fortwährende  Weiterzeugung 
noch  höherer  Unendlichkeiten  gestatten  und  verlangen.  Sie  sind  sozusagen 
ein  potentiell  aktuelles  Unendliches.  Darum  bliebe  eine  Schwierigkeit  auch 
dann  übrig,  wenn  man  Spinoza  von  dieser  Seite  her  zu  Hilfe  kommen  wollte. 
Aber  wir  dürfen  aucli  daran  noch  erinnern,  daß  Spinozas  Gotteslehre 
einen  stark  mystischen  Anstrich  hat,  daß  er  darin  von  Gif)rdano  Bruno, 
wohl  auch  von  Nicolaus  von  Kues  und  weiter  zurück  von  den  mittelalter- 
lichen und  patristischen  Mystikern  l)eeinflußt  ist,  jedenfalls  sich  mit  ihnen 
in  Übereinstimmung  weiß,  und  daß  den  philosophischen  Mystikern  aller 
Zeiten  Widersprechendes  im  Gottesbegriffe  möglich  schien  (coincidentia 
contradictoriorum  bei  Nicolaus  v.  Kues). 

2.   Die  Vielzahl  der  Attribute  und  die  Einfachheit  Gottes. 

Die  unendliche  Zahl  der  Attribute  also  zugegeben :  wie  verträgt  sie 
sich  mit  der  be]iau])teten  Einfachheit  Gottes? 

Die  Ausleger,  die  immer  wieder  diese  Frage  als  eine  spezielle  Schwierig- 
keit der  spinozistischen  Lehre  behandeln,  scheinen  nicht  zu  wissen  oder  zu 
bedenken,  daß  die  Verträglichkeit  mehrfacher  Attribute  mit  der  Einfachheit 
Gottes  —  das  Problem  ist  ja  das  nämliche,  auch  wenn  nur  eine  endliche 
Zahl  angenommen  wird  —  von  der  gesamten  Scholastik,  mit  besonderer 
Ausführlichkeit  von  der  Spätscholastik,  besprochen  und  unter  ungeheurem 
Aufwand  von  Scharfsinn  und  von  Distinktionen  zu  lösen  Acrsucht  wurde. 
Wirklich  lösbar  ist  die  Frage  natürlich  nur  unter  der  Bedingung,  daß  die 
Unterscheidung  verschiedener  p]igenschaften  in  Gott  als  eine  rein  subjektive 
(distinctio  merae  rationis)  behandelt  wird,  was  fär  die  Attribute  Spinozas 
sicher  nicht  zutrifft. 

Gerade  für  Spinoza  ist  nun  aber  diese  Frage  weniger  brennend  als  für 
seine  Vorgänger.  Er  hat,  was  nicht  bemerkt  zu  werden  pflegt,  in  den 
späteren  Schriften  fast  niemals  die  Einfachheit,  sondern  nur  die  Einheit 
oder  Einzigkeit  Gottes,  diese  allerdings  mit  besonderem  Nachdruck,  be- 
hauptet^  Wo  er  aber  wirklich  in  den  späteren  Schriften  noch  von  der  Ein- 

^    So  in  der  Ethik  I,  14  und  cor.  i:  II.  4. 

Die  Eint'acliheit  wird  behauptet  Principia  philosophiae  Cartesianae  P.  I,  prop.  17:  Deus 
est  ens  simplicissimuni.  Ebenso  in  den  angehängten  Cog.  met.  II,  c.  5.  Dagegen  im  Kurzen 
Traktat  nur  die  Einheit  oder  Einzigkeit:  S.  24  und  27.  An  der  erstei-en  Stelle  werden  die 
Eigenschaften  Gottes  zusammengefaßt,  älmhch  wie  in  der  Etliik  am  Sclilusse  des  i.  Teiles, 
und  wird  ebenso  wie  dort  die  Einzigkeit  hervorgelioben,  aber  nicht  die  Einfachheit.   Be-sonders 


Spinozastudien.  43, 

fachheit  spricht,  wie  in  den  Briefen  an  Huygcns  (Ep.  35,  36,  vgl.  Kurzer 
Traktat  S.  20),  da  zeigen  die  näheren  Ausführungen,  daß  er  in  erster  Linie 
die  Zusammensetzung  Gottes  aus  räumlichen  Teilen  abwehrt,  die  ihm  wegen 
des  Attributs  der  Ausdehnung  vorgeworfen  wurde.  Er  leugnet  nur  die 
physischen  Teile,  in  die  die  Substanz  zerfallen  würde  (Ethik  1,  12,  13  u.  ö.), 
nicht  aber  die  sogenannten  metaphysischen  Teile;  wie  denn  auch  der  öfters 
wiederholte  Ausdruck  der  Ethik  und  anderer  Schriften  (Kurzer  Traktat  S.  16), 
daß  die  Substanz  aus  den  Attributen  bestehe,  ihre  unbedingte  Einfach- 
lieit  ausschließt.  In  den  Cogitata  metaphysica,  einer  der  frühesten  Schriften. 
wird  allerdings  ausdrücklich  die  Einfachheit  in  jedem  Sinne,  auch  liin- 
sichtlich  der  metaphysischen  Teile  (modi),  behauptet.  Aber  diesen  Stand- 
punkt  hat   er   eben  mit   der  Ausbildimg   seiner  Lehre    offenI)ar  verlassen. 

Wenn  man  die  scholastischen  Bezeichnungen  anwendet,  die  Spinoza 
wohlbekannt  waren,  so  würde  bezüglich  der  attributiven  Teile  nicht  von 
einer  distinctio  merae  rationis,  aber  auch  nicht  von  einer  distinctio  realis 
oder  auch  nur  formalis  oder  modalis  (Scotus,  Suarez)  zu  sprechen  sein, 
sondern  von  einer  distinctio  rationis  cum  fundamento  in  re.  Die  Attribute 
sind  zunächst  verschiedene  Begriffe,  unter  denen  wir  Gott  auffassen: 
aber  daß  wir  dies  können  und  müssen,  wurzelt  in  der  göttlichen  Natur 
und  nicht  bloß  in  unserem  Verstände.  Die  Definition  des  Attributes  zu 
Beginn  der  Ethik:  »quod  intellectus  de  substantia  percipit,  tanquam  ejusdem 
essentiam  constituens«  besagt  in  anderen  Worten  das  nämliche.  Spinoza 
nennt  die  Attribute  gelegentlich  geradezu  realiter  distincta'.  Aber  das 
kann  nicht  im  technischen  Sinne  der  Scholastik  gemeint  sein,  sonst  würde 
in  der  Tat  nicht  nur  die  Einfachheit,  sondern  auch  die  Einheit  Gottes 
aufgehoben  und  Polytheismus  an  die  Stelle  gesetzt  sein. 

So  hebt  sich  meines  Erachtens  dieser  Stein  des  Anstoßes  dadurcli,  daß 
Spinoza  die  absolute  Einfachheit  Gottes  gar  nicht  gclelirt  hat. 


V)ezeichnt'nd  ist  auch  eine  Stelle  im  Briefe  au  L.  Meyer  vom  Jahre  1663  (Kp.  12):  »Sequitur 
quod  Substantia  non  multiplex  sed  unica  duntaxat  ejusdem  naturac  cxistat.«  Man  müßte  als 
fiegonsatz  zu  multiplex  envarteu:  simpIex.    .Aber  Spinoza  weicht  dem  Ausdruck  geradezu  aus. 

Es  .scheint  also,  daß  Spinoza  in  der  früheren  Zeit  die  scholastische  Lehre  von  der 
absoluten  Kinfachhcit  Gottes  festhielt,  in  der  späteren  Zi'it  aber  (den  Kurzi'n  Traktiit  rücke 
ich  mit  Freudenthal  entschieden  näher  als  die  übrigen  kleinen  Schriften  an  die  Ethik  heran) 
gerade  mit  Rücksicht  auf  die  Vielheit  der  realen  Attribute  davon  abgi'komnien  ist  und  die 
Einfachheit  nur  in  Hinsicht  der  physischen  Teile  festgehalten  hat. 

'  I,  10  schul.,  wo  er  gleichwohl  die  Einheit  betont  und  ihre  Verträglichkeit  mit  der 
Viellieit  der  Attribute  als  eine  durchaus   klare  Sache  bezeichnet. 

6* 


44  Stumpf: 

3.    Die  unendlich  vielen  Attribute  als  Analoga  von  Denken  und 

Ausdehnung. 

Man  hat  versucht,  etwas  darüber  zu  bestimmen,  was  sich  Spinoza 
etwa  unter  den  unendlich  vielen  nichtgegebenen  Attributen  gedacht  habe. 
Daß  es  ihm  mit  dieser  Lehre  voller  Ernst  gewesen  und  daß  nicht,  wie 
F.  H.  Jacobi  meinte,  eine  bloße  Akkommodation  vorliege,  kann  nicht  be- 
zweifelt werden.  Spätere  Pantheisten  wie  Schelling  und  Hegel  würden 
freilich  nicht  zugegeben  haben,  daß  uns  das  Wesen  des  Absoluten  nur 
zum  unendlich  kleinsten  Teile  bekannt,  daß  es  durch  Natur  und  Geist 
nicht  erschöpft  sei.  Insofern  könnte  man  sagen,  das  Ideal  des  Rationalis- 
mus, die  restlose  Durchdringung  des  Weltganzen  durch  die  Vernunft,  sei 
bei  Spinoza  vielmehr  einem  fast  vollständigen  Verzicht  geopfert.  In  Wirk- 
lichkeit liegt  es  aber  für  ihn  doch  nicht  ganz  so  schlimm ;  wie  sich  weiter 
unten  zeigen  wird. 

Bratuschek,  ein  Schüler  Trendelenburgs,  hat  geglaubt,  die  Natur  der 
unendlich  vielen  Attribute  aus  einer  Stelle  Spinozas  herauslesen  zu  können'. 
Im  20.  bis  22.  Lehrsatz  des  2.  Teiles  der  Ethik  ist  von  der  »idea  mentis« 
die  Rede,  d.  h.  der  Vorstellung,  die  wir  von  unserem  Vorstellungsakte  selbst 
haben,  dem  Selbstbewußtsein.  Da  der  Geist  die  Idee  des  Körpers  ist,  so 
haben  wir  hier,  sagt  Spinoza,  die  Idee  einer  Idee;  und  er  fugt  bei,  daß 
dieses  ins  Unendliche  gehe.  Ja,  es  heißt  auch  ausdrücklich,  daß  die  Idee 
des  Geistes  mit  dem  Geiste  selbst  auf  die  nämliche  Weise  vereinigt  sei 
wie  der  Geist  mit  dem  Körper.  Also  haben  wir  hier,  schließt  Bratuschek, 
die  unendliche  Reihe  der  Attribute,  die  gleichwohl  alle  substantiell  ver- 
einigt   sind   und   deren   Modi   untereinander   durchgängig   parallel  laufen". 


'  »Worin  bestehen  die  unzähligen  Attribute  der  Substanz  bei  Spinoza?«  Philosophische 
Monatshefte  187 1. 

-  Kuno  Fischer  hebt  richtig  hervor,  daß  Spinozas  Wege  sich  hier  von  dem  Sensaa- 
lisnius  trennen,  da  es  sich  bei  dieser  Vorstellung  der  Vorstellung  nicht  um  ein  sinnlich  an- 
schauliches Vorstellen  handeln  könne.  Nur  ist  es  nicht  richtig,  daß  sich  Spinoza  damit  von 
Locke  entfernt  habe,  denn  Locke  ist  eben  auch  nichts  weniger  als  Sensualist,  da  er  die 
reflection  von  der  Sensation  klar  und  bestimmt  scheidet. 

Man  kann  die  idea  mentis  auch  wieder  zum  Beweise  dafür  anführen,  daß  unter  »idea« 
im  2.  Buche  der  Ethik  der  \'orstellungsakt  und  nicht  der  Vorstellungsinhalt  verstanden  ist 
Denn  der  Inhalt  kann  sich  nicht  selbst  zum  Inhalt  haben,  wohl  aber  kann  der  Akt  Inhalt 
eines  neuen  Vorstellungsaktes  werden. 


Spinozastudten.  45 

/ 

Danach  hätten  wir  bei  Spinoza  die  vo^crews  vötjcris  des  Aristoteles  in  un- 
endlicher Vervielfältigung*. 

Aber  die  Deutung  ist  mit  Recht  abgelehnt  worden.  Das  gedachte 
Denken  und  das  denkende  Denken  sind  eben  doch  beide  ein  Denken,  das 
eine  »formaliter«,  das  andere  »objective«.  Es  ergibt  sich  nicht  eine  neue 
Kategorie,  und  Spinoza  selbst  versäumt  nicht,  dies  ausdrücklich  zu  ver- 
merken: »mentis  idea  et  ipsa  mens  una  eademque  est  res,  quae  sub  uno 
eodemque  attributo  nempe  cogitaüonis,  concipitur. «  Wir  hören  ja  auch  immer 
wieder,  daß  der  menschliche  Geist  kein  anderes  Attribut  als  Ausdehnung 
und  Denken  erfasse ;  was  er  doch  täte,  wenn  -die  Idee  der  Idee  ein  neues 
Attribut  bedeutete.  Im  64.  Brief,  wo  Ausdehnung  und  Denken  in  gewissem 
Sinne  deduziert  werden,  fügt  Spinoza  ausdrücklich  hinzu,  daß  aus  diesen 
beiden  kein  anderes  Attribut  erschlossen  oder  begriffen  werden  könne,  was 
doch  nach  dieser  Hypothese  der  Fall  sein  würde.  Endlich  ist  Spinoza 
auch  sicherlich  nicht  der  Meinung  gewesen,  daß  hier  eine  aktuell  un- 
endliche Reihe  vorliege.  Nicht  einmal  an  die  Möglichkeit,  in  der  Reihe 
beliebig  weit  zu  gehen,  scheint  er  zu  denken.  Sie  ist  ihm  vielmehr  schon 
mit  der  idea  mentis  selbst  abgeschlossen.  Er  nennt  diese  die  Form  der 
Vorstellung,  sofern  sie  ohne  Beziehung  auf  den  Gegenstand  betrachtet 
werde.  Damit  will  er  wohl  sagen,  schon  der  primäre  Vorstellungsakt  sei 
außer  auf  den  primären  Gegenstand  auch  auf  sich  selbst  gerichtet  und 
damit  die  Reihe  abgeschnitten;  »denn  eben  damit  —  fahrt  er  fort  — ,  daß 
einer  etwas  weiß,  weiß  er  zugleich,  daß  er  dies  weiß  und  daß  er  weiß, 
daß  er  es  weiß  und  so  weiter  ins  Unendliche^«.  Wenn  Spinoza  das  Ver- 
hältnis zwischen  der  idea  mentis  und  der  mens  dem  Verhältnis  zwischen 
Geist   und  Körper   gleichsetzt,   so   kann   sich   dies   nicht   darauf  beziehen, 

'  Dieselbe  Auffassung  vertritt  Windelband,  Geschichte  der  neueren  Philosophie*  (1907) 
S.  222:  Da  die  idea  mentis  keine  Vertretung  im  Attribut  der  Ausdehnung  habe,  schiene  der 
Parallelismus  der  Attribute  in  Frage  gestellt.  Die  Lösung  dieser  Schwierigkeit  habe  Spinoza 
in  den  letzten  Lebensjahren  im  Briefwechsel  angedeutet.  Die  Attribute  sollten  sich  in  eine 
Reihe  ordnen,  innerhalb  deren  jedesmal  die  Modi  des  vorhergehenden  den  Vorstellungsinhalt 
der  Modi  des  folgenden  Attributs  bilden.  Auf  dem  Grunde  der  körperlichen  Welt  erhebe 
sich  eine  Stufenreihe  von  Welten  von  immer  höherer  Geistigkeit.  Dem  Menschen  falle 
nur  die  Teilnahme  an  den  drei  untersten  Attributen,  Ausdehnung,  Bewußtsein  und  Selbst- 
bewußtsein, zu. 

Auch  A.  Tumarkin  gibt  (Spinoza  S.  57)  eine  Deutung,  die  auf  dasselbe  hinausläuft. 

^  Vgl.  auch  die  Stelle  De  iutellectus  emendatione  S.  1 1  f.,  wo  ein  regressus  in  infinitum 
abgelehnt  wird. 


4(5  Stumpf: 

daß  liier  ein  neues  Attribut  auftrete,  sondern  nur  auf  die  reale  Identität 
der  beiden  Glieder  und  die  Parallelität  ihrer  Veränderungen. 

Muß  es  also  dabei  bleiben,  daß  die  Attribute  in  sich  selbst  unbekannt 
sind,  wie  uns  Spinoza  ja  auch  immer  wieder  versichert,  so  würden  doch 
nähere  Bestimmungen  durch  gewisse  begriffliche  Konstruktionen  gegen  die 
gebotene  Diskretion  nicht  verstoßen.  Wenigstens  über  die  Richtung,  in 
der  die  gesuchten  Attribute  lägen,  könnte  sich  Spinoza  eine  Vorstellung 
gebildet  haben.  So  ließe  sich  z.  B.  daran  denken,  daß  die  Dreizahl  der 
Dimensionen  unseres  Raumes  etwas  Zufalliges  an  sich  hat.  Warum  sollte 
es  nicht  Räume  von  jeder  beliebigen  Dimensionenzahl  geben,  und  zwar 
alle  gleichzeitig  miteinander?  Sie  würden  natürlich  unter  sich  ohne  jede 
räumliche  Beziehung  sein,  da  diese  schon  einen  Raum  voraussetzen  würde, 
wären  also  weder  als  nebeneinander  noch  als  einander  durchdringend  zu 
denken,  aber  sie  wären  zur  Einheit  verknüpft  durch  das  Denkend  Eine 
Unterlage  dafür  iindet  man  allerdings  bei  Spinoza  nicht.  Noch  weniger 
hat  er  natürlich  an  die  unendlich  vielen  möglichen  Räume  von  verschiedenem 
positiven  und  negativen  Krümmungsmaße  gedacht,  von  denen  die  heutige 
Pangeometrie  spricht.  Für  ihn  gibt  es  keinen  evidenteren  Satz,  als  daß 
das  Dreieck  zwei  Rechte  zur  Winkelsumme  habe.  Überdies  ist  diese 
wie  die  vorige  Möglichkeit  durch  die  Konsequenz  des  Systems  geradezu 
ausgeschlossen.  Es  ist  allenthalben  Si)inozas  Überzeugung,  daß  die  Gesetzlich- 
keit, wie  wir  sie  in  der  Natur  finden,  sich  mit  der  Weltgesetzlichkeit 
restlos  decke.  'I'rotz  der  unendlich  vielen  Attribute  gibt  es  nur  eine  Gesetz- 
lichkeit, die  in  jedem  in  gleicher  Weise  und  vollständig  zum  Ausdruck 
kommt.  Gäbe  es  alter  Räume  mit  mehr  als  drei  Dimensionen,  so  gäbe  es 
auch  (iesetzlichkeiten,  die  über  die  dreidimensionalen  hinausgehen.  Und 
wiederum,  gäbe  es  Räume  von  verschiedenem  Krümmungsmaße,  so  gäbe 
es  (>benso  viele  verschiedene  Gesetzlichkeiten. 

Aber  in  anderer  Weise  k(")nnen  wir,  glaube  ich,  Spinozas  Gedanken 
näherkommen.  Seit  Riemann  wird  der  Raum  unter  den  allgemeineren 
Begrill"  der  Mannigfaltigkeit  subsumiert.  Es  gibt  schon  in  unserer  Er- 
fahrung außer  ihm  noch  andere  Mannigfaltigkeiten,  d.  h.  Gattungen  von 
Vorstellungsinhalten,  denen  eine  bestimmte  mathematische  (Gesetzmäßigkeit 

'  Eine  \er\vanclte  Anscli;iuung  hat  F.  Brentano  in  den  letzten  Jahrzehnten  seines 
Lebens  ausgebildet.  Er  läßt  die  iiiehrdiiuensionaleii  Räume  untereinander  durch  das  Null- 
dinieiision.'de,  Geistige  verbunden  sein.     Siehe  C).  Kraus,  Franz  Brentano,  1919.  S.  77. 


SpinQzastvdifn.  47 

innewohnt.  Man  braucht  nur  an  die  Zeitlinio  (wir  meinen  die  phänomenale 
Zeitlinie,  nicht  die  objektive,  die  jetzt  als  vierte  Raumdimension  behandelt 
wird),  an  die  Linie  der  Tonhöhen,  an  die  Intensitätsgrade  der  Empfindungen 
zu  denken,  auf  welche  alle  die  (Geometrie  der  Linie  unverändert  anwendbar 
ist.  Auch  bei  den  Farben  gibt  es  lineare  (^)ualitätonreihen  wie  von  Schwarz 
zu  Weiß,  von  Rot  zu  Gelb.  So  sind  dt>nn  auch  dreidimensionale  Inhalts- 
klassen denkbar,  die  den  stereometrischen  Gesetz<>n  unterlägen  und  die 
darum  ebensogut  wie  die  dreidimensionale  Raumanschauung  uns  ein  konkr<'t 
anschauliches  Bild  der  physikalischen  Vorgänge  darbieten  würden,  wiewohl 
in  der  Erfahrung  tatsächlich  keine  solchen  dreidimensionalen  Inhaltsklassen 
außer  der  Raumvorstellung  selbst  gegeben  sind.  Mag  nun  Spinoza  an 
solche  Analogien  aus  der  Erfahrung  ausdnicklich  gedacht  haben  oder  nicht: 
den  Begrifl' einer  dem  Räume  analogen  ^lannigfaltigkeit  in  abstracto 
muß  er  gehabt  haben,  da  er  die  nichtgegebenen  Attribute  denselben  (ie- 
setzen  wie  die  gegebenen  unterworf<'n  und  doch  inhaltlich  von  ihnen  ver- 
schieden denkt. 

Hier  läge  nun  die  erste  Möglichkeit,  sich  die  imendlich  vielen  Attribute 
und  zugleich  ihren  inneren  Zusammenhang  zurechtzulegen:  alle  diese  Mannig- 
faltigkeiten wären  in  gleicher  Weise  Gegenstände  des  göttlichen  Denkens. 
Dieses  wäre  gleichsam,  um  ein  Lieblingsbild  Spinozas  bei  so  manchen 
Erörterungen  zu  gebrauchen,  das  Zentrum  eines  Kreises,  dessen  Peripherie- 
punkte die  unendlich  vielen  übrigen  Attribute  darstellen  würden.  So  hat 
sich  offenbar  Tschirnhaus  zuletzt  Spinozas  Meinung  vorgestellt.  Er  Avendet 
dagegen  ein,  daß  danach  das  Attribut  des  Denkens  sich  viel  weiter  erstrecken 
würde  als  die  übrigen  Attribute.  Es  würde  eine  ganz  exzeptionelle  Stellung 
einnehmen,  was  der  sonstigen  Gleichstellung  aller  Attribute  nicht  entspräche. 
Spinoza  hat  aber  in  seiner  Antwort  leider  diesen  Punkt  gar  nicht  berührt. 
Vermutlich  teilte  er  Tschirnhaus'  Bedenken  gegen  diese  Auffassung  der 
Lehre,  aber  er  teilte  die  Auffassung  selbst  nicht. 

Nun  läßt  sich  aber  eine  analoge  Verallgemeinerung  des  Begriffes  wie 
beim  Räume  auch  beim  Denkattribut  vornehmen.  Neben  dem  uns  empirisch 
aus  der  Selbstbeobachtung  bekannten  Vorstellen  und  den  Bewußtseinsfunk- 
tionen  überhaupt  (cogitare)  könnten  zahllose  andere  Formen  der  sogenaimten 
immanenten  Existenz  von  Gegenständen  oder  der  intentionalen  Beziehung, 
jenes  undefinierbaren,  aber  allen  Bewußtseinsfunktionen  zukommenden  Ver- 
hältnis.ses  zwischen  Akt  und  Objekt,  bestehen.    Wie  Analoga  für  die  räum- 


48  Stumpf: 

liehe  Ausdehnung,  so  sind  auch  Analoga  für  das  Denken  ein  möglicher 
Begriff.  Und  wie  dort  von  Mannigfaltigkeiten,  so  könnte  hier  etwa,  in  Ver- 
allgemeinerung eines  Spinoza  nicht  unbekannten  scholastischen  Ausdruckes, 
von  Intentionen  gesprochen  werden'.  Wir  hätten  dann  ein  unendliches 
Reich  psychoider  Zustände,  von  denen  die  gegebenen  nur  einen  Einzelfall 
darstellten.)  Spinoza  selbst  statuiert  schon  innerhalb  der  Erfahrungswelt 
weitgreifende  Unterschiede  des  psychischen  Lebens  bei  den  verschiedenen 
Tieren,  Pflanzen  und  unorganischen  Körpern,  welchen  letzteren  er  gleich- 
falls ein  Denken  im  weitesten  Sinne  des  Ausdruckes  zuschreibt.  Von  diesem 
Denken  können  wir  uns  auch  schon  kein  Bild  mehr  machen.  Und  so  lag 
der  Begriff  psychoider  Intentionen,  die  überhaupt  nicht  mehr  unter  das 
Attribut  cogitare  subsumiert  werden  können,  sondern  nur  Analoga  dazu 
darstellen,  durchaus  in  der  Linie  der  Erweiterungen,  an  die  er  gedacht 
haben  kann,  wenn  er  auch  den  Begriff  nicht  mit  diesem  Wort  und  in  dieser 
Weise  förmlich  ausgesprochen  hat. 

Dadurch  ergibt  sich  eine  zweite  Möglichkeit  für  die  Definition  der  un- 
endlich vielen  Attribute,  bei  der  auch  dem  erwähnten  Bedenken  von  Tschirn- 
haus Rechnung  getragen  ist:  Jeder  der  unendlich  vielen  Intentionen  wird 
eine  der  unendlich  vielen  Mannigfaltigkeiten  als  ihr  Gegenstand  zugeordnet 
gedacht.  Wir  erhalten  dann  eine  doppelte  Unendlichkeit  gegenseitig  aufein- 
ander hinweisender,  in  engster  Wesensbeziehung  stehender  Attribute.  Man 
kann  auch  kurz  sagen:  eine  reale  und  eine  ideale  Reihe  von  Attributen,  beide 

'  Der  Ausdruck  findet  sich  nach  Baumgartner  (Überwegs  Grundriß  der  Geschichte 
der  Philosophie  II,  1915,  S.  376)  schon  in  der  lateinischen  Version  der  Schriften  Avicennas, 
die  bereits  die  intentio  prima  und  secunda,  d.  h.  die  Richtung  auf  das  primäre  Objekt,  die 
Sinnesinhalte,  und  auf  das  sekundäre,  die  psychischen  Funktionen  selbst,  unterscheiden. 

Der  nacbskotistische  Scholastiker  Petrus  Aureolus  setzt,  wie  ich  bei  K.  Werner,  Die 
Scholastik  des  späteren  Mittelalters  II,  S.  68  lese,  die  Ausdrücke  intentio  und  forma  schlecht- 
weg für  Akt  und  Inhalt:  »Forma  appellatur  species  rei  coniprehensae,  intentio  vero  species 
comprehensionis« .  Suarez  nennt  die  species  intelligibiles  auch  species  intentionales  (Opp.  HI, 
p.  616:  Quidnam  sunt  species  intentionales). 

Nicht  richtig  übersetzt  L.  Schütz  in  seinem  Thomas-Lexikon  Intentio  mit  »Ähnlichkeit, 
Abbild«.  Der  Satz  des  Thomas :  »Species  recipitur  in  organo  sensus  per  modum  intentionis 
et  non  per  modum  naturalis  fonnae«  bezieht  sich  auf  die  aristotelische  Lehre,  daß  das  Warm- 
werden und  das  Empfinden  der  Wärme,  die  Aufnahme  der  Form  mit  der  Materie  und 
die  ohne  die  Materie,  zu  unterscheiden  sei  (Brentano,  Ps}ch.  d.  Arist.  79 ff.).  »Recipitur  per 
modum  intentionis«  heißt:  die  Foi-m,  z.  B.Wärme,  ist  Gegenstand  eines  psychischen  Aktes, 
einer  psychischen  Beziehung;  oder  Betätigung. 


Spinozastudü'» .  49 

unendlich  und  Punkt  für  Punkt  einander  zugeordnet.  Denken  und 
Ausdehnung,  wie  wir  sie  kennen,  und  alle  ihre  Modi,  also  auch  unser 
Geist  und  Körper,  sind  nur  ein  spezieller  Fall  dieser  allgemeinen  Zu- 
ordnung. 

Dies  scheint  nun  nach  mehreren  Äußerungen  die  eigentliche  Meinung 
Spinozas  gewesen  zu  sein,  und  jvir  dürfen  geradezu  die  Ausdrücke  «idearum« 
und  »rerum«  in  der  Formulierung  des  7.  Lehrsatzes  allgemein  auf  die  Modi 
der  idealen  und  realen  Reihe  in  diesem  Sione  beziehen.  Schon  im  Korollar 
des  vorausgehenden  Lehrsatzes  heißt  es :  » res  ideatae  '.r  suis  attributis  con- 
sequuntur«.  In  diesem  Plural  liegt  offenbar  die  Voraussetzung,  daß  nicht 
bloß  das  Attribut  der  Ausdehnung,  sondern  auch  andere  (eben  alle  »realen« 
Attribute)  ideierte  Dinge  als  ihre  Modi  enthalten.  Res  und  idea  können 
hier  nur  in  verallgemeinertem  Sinne  verstanden  sein.  In  der  Erläuterung 
des  7.  Lehrsatzes  selbst  fügt  Spinoza,  nachdem  dargelegt  ist,  wie  die  Ord- 
nung <Ier  ganzen  Natur  dieselbe  bleibe,  möge  man  sie  unter  dem  Attribut 
des  Denkens  oder  dem  der  Ausdehnung  betrachten,  weil  der  wirkliche  Kreis 
eben  nur  Objekt  der  Vorstellung  des  Kreises  sei,  bedeutsam  hinzu:  Ebenso 
verstehe  ich  es  mit  den  anderen  Attributen  (et  idem  de  aliis  attri- 
butis  intelligo).  Die  beiden  Attribute  gelten  ihm  also  als  Prototype  für 
alle  anderen.  Und  in  der  Antwort  auf  Tschirnhaus'  Bedenken,  warum  der 
Geist  nur  das  Attribut  der  Ausdehnung  begreifen  solle,  erklärt  er  (66.  Brief), 
die  unendlich  vielen  Attribute,  in  denen  ein  und  dasselbe  Ding  im  unend- 
lichen göttlichen  Intellekt  ausgedrückt  sei,  entsprächen  eben  auch  nicht 
einer,  sondern  unendlich  vielen  Ideen,  die  nicht  den  (ieist  eines  einzel- 
nen Dinges,  sondern  unendlich  viele  (Jeister  konstituierten  imd  alle  unter- 
einander keine  gegenseitige  Verknüpfung  hätten.  Wenn  man  dies  beachte, 
bleibe  keine  Schwierigkeit  mehr'. 

Schon  E.  Böhmer  folgerte  aus  dieser  Stelle:  »Inhaltlich  ist  jedes  Attribut 
nur  seiner  Perzeption  (Idee)  bekannt»"'.    Wenn  er  freilich  weiter  schließt: 


'  Ep.  66:  Dicii,  qiiod,  fjuanivis  <inaqiiiie(|ue  n*s  infinitis  iiuidis  exprcssa  sit  in  iiifinito 
Dei  intellectu,  illae  tarnen  infinitae  ideai-,  quibus  expriinitur,  unani  cjindciiKiiie  rci  .singiilaris 
Mentcm  constituere  nequcunt,  sed  infinitas:  quanduque  unatiuaequi'  hiiiuin  infinitanini  idea- 
rum  nullaii>  connexionem  invict^ni   hal)ent. 

Vgl.  schon  im  Anhange  dvs  Kurzen  Traktats  die  merkwürdige  Stelle  S.  i55ff.,  vvn 
von  den  unendlich  vielen  Attributen,  die  ebenso  ei  ne  Seele  haben,  die  Rede  ist. 

'    Spinozana,  Zeitschr.  f.  Philiis.  u.  philos.  Kritik  Bd.  42,  S.  102. 
Phil.-hi$t.  Abh.  19W.  Nr.  4.  7 


50  Stumpf: 

»Die  Substanz  ist  als  das  Gemeinsame  der  Attribute  nur  Abstraktion  .  .  . 
Der  unendliche  Verstand  ist  in  Wirklichkeit  nur  eine  Mehrheit  von  so  vielen 
unendlichen  Intellektionen,  als  es  göttliche  Attribute  gibt  .  .  .  Gott  ist  ein 
Plural  von  Potenzen,  ein  P^lohim«,  und  wenn  er  das  System  als  einen 
Polykosmismus  bezeichnet',  so  werden  wir  jetzt  prüfen  müssen,  wie  Spinoza 
sich  solchen  Folgerungen  hat  entziehen  können. 

4.  Wesensverknüpfung  aller  Attributenpaare. 

Gibt  das  Voranstehende  die  Meinung  Spinozas  oder  wenigstens  die  Ver- 
mutungen, die  er  über  die  Natur  der  unendlich  vielen  Attribute  hegte, 
wieder,  so  ist  damit  zugleich  etwas  über  die  zwischen  ihnen  bestehenden 
Verhältnisse  ausgesagt:  nämlich,  daß  er  je  zwei  unter  ihnen  in  ähnlicher 
Weise  zusammengehörig  dachte  wie  Denken  und  Ausdehnung.  Auch  seine 
Antwort  oder  vielmehr  sein  Nichtantworten  auf  eine  Frage  Tschirnhaus' 
kann  man  hierher  beziehen.  Dieser  legt  ihm  die  Frage  vor,  ob  nicht  auch 
Wesen  mit  drei  oder  vier  Attributen  denkbar  seien,  da  doch  Spinoza  den 
Satz  aufstelle,  daß  ein  Wesen  um  so  mehr  Attribute  haben  müsse,  je  mehr 
Realität  es  habe.  Spinoza  stellt  dies  nicht  direkt  in  Abrede,  sondern  ver- 
weist nur  darauf,  daß  er  eine  solche  Behauptung  nicht  als  Prämisse  brauche 
(63.  und  64.  Brief).  Aber  er  hätte  es  doch  einfach  zugeben  können,  wenn 
es  seiner  Meinung  entsprochen  hätte. 

Daß  damit  die  Frage  nach  dem  gegenseitigen  Verhältnis  der  unend- 
lich vielen  Attribute  erledigt  wäre  und  keine  weiteren  Schwierigkeiten 
blieben,  wird  man  allerdings  nicht  zugeben  können.  Denn  es  fehlt  sozu- 
sagen die  Querverbindung  aller  dieser  unendlich  vielen  Paare.  Wir  er- 
halten statt  der  juxtaponierten  Attribute  zunächst  scheinbar  doch  nur  juxta- 
ponierte  Attributenpaare. 

Aber  hier  könnte  man  auf  mehrfache  Weise  der  Lehre  zu  Hilfe  kommen, 
um  diese  Querverbindungen  herzustellen.  Zuerst  etwa  so:  Jeder  Intention 
sind  zwei  Mannigfaltigkeiten  und  jeder  Mannigfaltigkeit  zwei  Intentionen 
zugeordnet.  Aber  jedes  psychoide  Einzelding  ist  nur  die  Idee  der  Modi 
einer  einzigen  Mannigfaltigkeit,  so  der  menschliche  Geist  die  Idee  der  Modi 
der  Ausdehnung.    Wir  hätten  gleichsam,  um  wieder  das  Symbol  des  Kreises 


Kbenda  S.  121.    Bd.  57,  S.  258. 


SpinozastvAÜen.  51 

zu  benutzen,  folgendes  Bild,  das   nach  beiden  Seiten  ins  Unendliche  fort- 
zusetzen wäre: 


Der  menschlische  Geist  (überhaupt  der  Geist  im  empirischen  Sinn, 
alles  Psychische  in  der  uns  gegebenen  Welt)  samt  seinem  primären  Inhalt 
wäre  durch  einen  dieser  Kreise  definiert.  Alle  übrigen  Ps5'choide  würden 
Analoga  darstellen.  Dieselbe  Idee,  die,  auf  die  Ausdehnung  gerichtet, 
menschlicher  Geist  genannt  wird,  konstituiert,  auf  eine  andere,  uns  un- 
bekannte, Mannigfaltigkeit  gerichtet,  ein  bloßes  Analogon  des  Geistes.  Auf 
die  nämliche  Mannigfaltigkeit  ist  dann  wieder  eine  uns-  unbekannte  In- 
tention gerichtet,  die  wieder  ein  neues  Analogon  darstgllt  usw.  Um  in 
einer  Lieblingswendung  Spinozas  zu  sprechen:  Dieselbe  Intention,  insofern 
(quatenus)  sie  die  Ausdehnung  zum  Objekte  hat,  ist  menschlicher  Geist, 
insofern  aber  die  benachbarte  Mannigfaltigkeit,  ist  sie  nur  ein  Analogon 
davon,  gehört  sie  einem  anderen  Attributenkomplex  an. 

Es  ließe  sich  dies  aber  noch  so  erweitern,  daß  man  jeder  Intention 
sogar  unendlich  viele  Mannigfaltigkeiten  zugeordnet  dächte  und  umgekehrt. 
Das  Denken  würde  dann,  wie  bei  Tschirnhaus'  Fassung,  ein  Mittelpunkt 
sein  für  eine  Peripherie  unzähliger  Manigfaltigkeiten,  unter  denen  die  Aus- 
dehnung eine  wäre,  jede  von  diesen  aber  wieder  ein  Mittelpunkt  für  eine 
Peripherie  unzähliger  Intentionen,  unter  denen  das  Denken  eine  wäre.  Die 
göttlichen  Attribute  wären  dann  ein  Unendliches  höherer  Ordnung.  Der 
Geist  als  die  Idee  der  Modi  der  Ausdehnung  wäre  hier  gegeben  durch 
einen  Radius  eines  dieser  Kreise.  Jeder  andere  Radius  entspräche  einem 
Analogon  dazu,  das  zwei  andere  Attribute  unter  sich  verknüi)fte. 

Für  diese  beiden  Anschauungen  würde  sich  die  durchgängige  Paralle- 
lität der  Veränderungen  innerhalb  der  einzelnen  Attribute  ex  constructione 
ergeben.  Denn  von  einem  einzigen  realen  Attribut,  wie  unserer  Ausdehnung, 
müßte  die  immanente  Gesetzlichkeit  mit  logischerNotwendigkeitauf  das  ideale 
bzw.  die  idealen  Attribute  übergehen,  die  ihm  zugeordnet  sind,  und  wieder 
von  jedem  dieser  Attribute  auf  das  reale  oder  die  realen,  denen  es  zugeordnet 
ist.     Und   so   würde    alles    mit    allem    in  Wesensverbindung   stehen.     Gilt 


52  Stumpf: 

die  Parallelität  auch  nur  innerhalb  eines  Paares,  wie  Ausdehnung  und 
Denken,  und  gehört  jedes  Glied  dieses  Paares  zugleich  einem  benachbarten 
Paar  an,  so  muß  notwendig  die  Ordnung  und  Verknü])fung  der  Modi  auch 
in  diesem  die  nämliche  sein,  und  so  überhaupt.  Damit  erhielte  Spinozas 
Bemerkung  im  Scholion  des  7.  Lehrsatzes:  »et  idem  de  aliis  atributis 
intelligo«   ihre  volle  Rechtfertigung. 

Aber  freilich  :  Positives  wüßte  ich  nicht  dafür  beizubringen,  daß  Spinoza 
sich  das  Verhältnis  in  einer  von  diesen  Weisen  zurechtgelegt  hätte.  Man 
kann  nur  sagen,  daß  solche  Möglichkeiten  in  der  Richtung  seiner  Gedanken 
gelegen  haben  müssen.  Aber  er  selbst  scheint  sich  bewußt  gewesen  zu 
sein,  daß  sein  System  in  dieser  Beziehung  nicht  fertig  geworden  war;  wie 
er  denn  das  Scholion  mit  dem  Bekenntnis  schließt:  nee  im])raesentiarum 
haec  clarius  possum  explicare«.  Vielleicht  lag  seinem  mathematikliebenden 
Geist  auch  der  Gedanke  nicht  fern,  daß  sämtliche  Mannigfaltigkeiten  unter- 
einander und  ebenso  sämtliche  Intentionen  untereinander  nur  Glieder  einer 
unendlichen  Reihe  seien,  in  die  sich  das  Wesen  des  Absoluten  gesetzmäßig 
auseinanderlegt.     Auch  so  wäre  eine  unzerreißbare  Kette  gebildet. 

Die  bloße  Berufung  auf  die  Einheit  der  göttlichen  Substanz  da- 
gegen würde  nur  dann  eine  wirkliche  Gewähr  für  die  einheitUche  Ver- 
knüpfung aller  Attribute  und  für  die  Parallelität  ihrer  Gesetzlichkeiten  be- 
deuten, wenn  die  Substanz  als  etwas  die  Attribute  Durchdringendes  und 
sich  wie  ein  gemeinsames  Band  durch  sie  Hindurchziehendes  gedacht  würde. 
Mit  der  Gleichung:  »Substanz  =  sämtliche  Attribute«  würde  dies  aber 
nicht  stimmen,  und  darum  erschien  es  geboten,  sich  die  Möglichkeiten  zu 
vergegenwärtigen,  die  S])inoza  auch  ohne  Änderung  seines  SubstanzbegrifFes 
gestatten  würden,  an  der  Einheit  Gottes  oder  des  Weltganzen  festzuhalten, 
mögen  sie  ihm  auch  nur  dunkel  vorgeschwebt  haben  und  in  sich  selbst  bei 
weiterer  Verfolgung  wieder  zu  neuen  Schwierigkeiten  fuhren. 

5.  Der  Zentralgedanke  des  Spinozismus. 

Zum  Schlüsse  möge  betont  werden,  wie  sehr  die  identische  Gesetz- 
mäßigkeit der  Veränderungen  innerhalb  der  unendlichen  Vielheit  der 
Attribute  im  Mittelpunkte  der  spinozistischen  Philosophie  steht.  Darin 
allein,  nicht  in  der  absoluten  Einfachheit  der  göttlichen  Natur,  liegt  Spinozas 
Monismus  beschlossen.     Man    kann    beinahe    sagen,    die  einheitliche  Welt- 


Spinozastudien.  5H 

gesetzlichkeit  sei  ihm  die  göttliche  Subst<anz.  Jedenfalls  ist  sie  ihm  unter 
allen   Kigenschaften  <les  göttlichen  Wesens  die  wichtigste. 

Es  war  seine  Überzeugung,  daß  d.'is  Attribut  der  Ausdehnung  und 
die  Kenntnis  seiner  (Jesetzlichkeiten  allein  schon  genüge,  um  daraus  nicht 
bloß  die  (iesetzlichkeit  des  Denkens,  sondern  auch  die  aller  übrigen  uns 
unbekannten  Attribute,  also  die  gesamte  Weltgesetzlichkeit,  zu  erkennen. 
Man  könne,  lelirt  er  nachdrücklich,  aus  jedem  Attribut  die  Substanz  er- 
kennen. Jedes  drücke  ihre  ewige  und  unendliche  Wesenheit  vollständig 
aus.  obgleich  keines  mit  einem  anderen  identisch  sei.  Die  innere  Struk- 
turgesetzlichkeit, auf  die  unsere  Erkenntnis  zielt,  ist  eben  in  allen  die 
gleiche'.  In  diesem  Siime  sagt  er  gelegentlich  auch,  die  Attribute  seien  nur 
verschiedene  Definitionen  der  Substanz. 

Schien  durch  die  unendliche  Vielheit  der  unbekannten  Attribute  der 
liationalismus,  der  eine  erschöpfende  Welterkenntnis  fordert,  preisgegeben. 
so  ist  er  auf  diesem  Wege  für  Spinoza  rehabilitiert  und  mit  ihm  zugleich 
der  Naturalismus,  dem  die  Naturgesetzlichkeit  die  Weltgesetzlichkeit  über- 
haupt bedeutet. 

Nur  dann,  wenn  man  den  wesentlichsten  Charakter  der  göttlichen 
Substanz  und  jedes  einzelnen  Attributs  in  der  einen,  immanenten  Gesetzlich- 
keit sucht,  gewinnt  auch  die  Lehre  von  der  Erkenntnis  sub  specie  aetemitatüf 
ihren  wahren  Sinn.  Spinoza  behauptet,  daß  jede  Vorstellung  eines  einzelnen 
wirklich  existierenden  Körpers  bereits  die  ewige  und  unendliche  Wesen- 
heit Gottes  in  sicli  schließe.  Wir  brauchen  uns  nur  vom  einzelnen  Modus 
zum  Attribut  zu  erheben,  dem  er  angehört,  um  Gott  in  ihm  zu  erkennen. 
Verstände  er  unter  dem  Attribut  der  Ausdehnung  nichts  weiter  als  den 
Allgemeinbegriff  der  allen  Körpern  gemeinsamen  Eigenschaft,  ausgedehnt 
zu  sein,  so  gäbe  es  doch  kaum  eine  wertlosere,  inhaltsärmere  Erkenntnis 
als  diese,  den  leeren  Begriff  des  leeren  Raumes.  Anders  wenn  die  »infinita 
Dei  potentia«.  die  unerschöpfliche  Fülle  der  potentiell  in  der  Ausdehnung 
eingeschlossenen  Gesetzmäßigkeiten,  der  Beziehungen,  Gestalten  und  Ver- 


"  Schon  diese  Identität  der  Gesetze  verbietet  uns,  mit  Kiino  Fiscbei-  die  Attribute  als 
Kräfte  zu  fassen,  wenigstens  als  Kräfte  im  Sinne  der  heutigen  Naturwissenschaft,  da  für  die 
Verschiedenheit  von  Kräften  gerade  die  Verschiedenheit  ihi:er  gesetzlichen  Wirkungsweise 
das  Maßgebende  ist  Aber  es  kommt  natürlich  darauf  an,  was  man  unter  Kräften  vei'steht. 
Sofern  Spinoza  die  Modi  aus  den  Attributen  heivorgehen.  durch  sie  verursachen  läßt,  kann 
uiau  sie  auch  als  Kräfte   bezeichnen,  wie  er  dies  selbst  im  Kurzen  Trakt-it  noch  getan   hat. 


54  Stumpf:- 

änderungen  darunter  verstanden  wird.  Das  Avar  es  doch  auch,  was  unsere 
klassischen  Dichter  und  Schleiermacher  zu  Spinoza  hinzog.  Die  bloße  Sub- 
sumtion aller  Dinge  unter  einunddenselben  leeren  Allgemeinbegriff  hätte 
wenig  Anzielmng  auf  sie  ausgeübt. 

Wie  weit  man  in  solcher  Ausdeutung  der  starren,  immer  in  gleichen 
Ausdrücken  wiederkehrenden  Formeln  seiner  Darstellung  gehen  darf,  ohne 
die  geschichtliche  Wahrheit  zu  verletzen,  kann  allerdings  gefragt  werden, 
wird  sich  aber  niemals  ganz  bestimmt  entscheiden  lassen.  Man  hat  dabei 
namentlich  mit  dem  Umstände  zu  rechnen,  daß  die  Definition  der  Substanz 
als  der  Summe  oder  des  Ganzen  der  Attribute  von  Spinoza  selbst  nicht 
stets  in  diesem  strengen  Sinne  festgehalten  wurde.  Denn  wenn  er  am 
Schlüsse  der  Ethik  den  amor  intellectualis  Dei  als  einen  Teil  der  unend- 
lichen Liebe  bezeichnet,  mit  der  Gott  sich  selbst  liebt,  so  schreibt  er 
Gott  Selbstliebe  und  damit  auch  (zulblge  seiner  Affektenlehre)  Selbst- 
erkenntnis zu.  Dasselbe  hat  man  -aus  anderen  Stellen  gefolgert,  und  kurz 
vor  seinem  Tode  hat  es  Spinoza  in  einem  Brief  an  Oldenburg  (Ep.  75) 
direkt  ausgesprochen.  Dann  muß  also  jene  Gesamtheit  der  Attribute  selbst 
wieder  Gegenstand  eines  darauf  gerichteten  unendlichen  Denkaktes  sein 
und  damit  das  Attribut  des  Denkens  alle  anderen  umspannen  und  durch- 
dringen. Man  kommt  so  doch  zur  Definition  der  Substanz  als  eines  alle 
Attribute  Durchdringenden,  in  allem  sich  Regenden,  allem  immanent  zu- 
grunde Liegenden.  Das  ist  ja  auch  der  eigentliche  Sinn  pantheistischer 
und  panentheistischcr  Weltanschauung,  während  die  Definition  Gottes  als 
der  Gesamtheit  der  Attribute  Gott  und  Welt  einfach  identifiziert  und 
ebensowohl  als  Atheismus  bezeichnet  werden  kann.  Diese  Alternative  hat 
sich  aber  Spinoza  allem  Anscheine  nach  nicht  klar  vorgelegt,  oder  er  ist 
von  der  Grundlegung  bis  zum  Abschlüsse  der  Ethik  unmerklich  aus  der 
einen  zur  anderen  Auffassung  übergegangen.  Die  innere  Folgerichtigkeit 
des  Systems  freilich  mußte  darunter  leiden.  Denn  dieses  kennt  keine 
Substanz  ijebcn  den  Attributen,  kein  Übergewicht  eines  einzelnen  Attributs 
über  die  anderen  und  kein  Erkennen,  das  nicht  in  dem  Attribut  des 
Denkens  schon  inbegriffen  wäre.  Die  Inkonsequenz  ließe  sich  nur  ver- 
meiden oder  vermindern,  wenn  hier  von  Erkenntnis  in  einem  anderen 
Sinne  gesprochen  würde,  als  es  dem  Attribut  Cogitare  entspricht,  was 
aber  wieder  nach  anderen  Richtungen  zu  Unzuträglichkeiten  führen  würde. 


Spinozastudien.  55 

Mit  Sicherheit  geht  aus  dem  Gesamteindruck  seiner  Darstellung  wie 
dem  Wortlaut  und  dem  Tone  vieler  einzelner  Ausführungen  dies  eine 
hervor,  daß  nicht  der  Parallelismus  der  Attribute  an  sich,  auch  nicht  der 
pantheistische  Monismus  an  sich,  sondern  die  Überzeugung  von  der  lui- 
Acrbrüchlichen  Gesetzlichkeit  des  Weltlaufes  einschließlich  aller  mensch- 
lichen Begebenheiten  und  Handlungen,  alles  Denkens  und  Wollens,  Liebens 
und  Ilassens  der  Mittelpimkt  von  Spinozas  Weltanschauung  war.  Sein 
Monismus  verdient  den  Namen,  wie  schließlich  jeder,  nur  sehr  cum  grano 
salis,  sein  Parallclismus  wird  durch  den  erkenntnistheoretischen  Primat  der 
Ausdehnung  eingeschränkt  und  ist  ihm  überhaupt  nur  darum  wiclitig,  weil 
damit  die  ausnahmslose  Naturgesetzlichkeit  der  P>eignisse  von  dem  Attribut 
der  Ausdehnung  auf  alle  übrigen  übergeht.  Die  Notwendigkeit  des  Geschehens 
selbst  al)er  steht  ihm  unbedingt  und  um  ihrer  selbst  willen  fest.  Zu  diesem 
(jedanken  hatte  er  sich  in  der  Jugend  aus  äußeren  und  inneren  Bedräng- 
nissen durchgerungen  und  darin  seinen  Frieden  gefunden.  P>  ward  ihm 
gleichsam  die  p'ormel  für  den  Gleichgewichtszustand  der  menschlichen 
Seele  gegenüber  der  Welt  und  dem  Leben'.  Und  zwar  ist  dies»"  Not- 
wendigkeit für  Spinoza  nicht,  wie  fiir  seinen  ))hiloso])hischen  (Jcgncr  Leibniz 
oder  für  die  Stoa,  deren  l.ehre  und  (ieist  sonst  im  1 7.  Jahrhundert  weit- 
hin nachwirkt',  eine  einsichtige,  von  einer  höchsten  Intelligenz  erkannte 
und  anerkannte,  sondern  (prinzijuell  wenigstens)  eine  blinde.  Wenn  er 
die  Kausalität  mit  der  logischen  Folge  identifiziert,  so  ))edeutet  dies  doch 
nicht,  d?iß  der  Prozeß  der  Bewirkung  ein  Vorgang  des  Schließens  selbst 
wäre,  sondern  nur  daß  ein  Sachverhalt  durch  einen  anderen  in  der  ^Veise 
bedingt  ist,  wie  der  Inhalt   eines  Schlußsatzes   durch    den  der  Prämissen. 


'  Sieheden  Anfang  der  Schrift  Do  intellcctus  einendatione  und  dnzu  P^tli.  V,6:  »(^uatcniis 
Mens  res  omnes  ut  necessarias  inteliigit,  eatenus  majorem  in  afTectus  potentiam  iiaijet,  seii 
minus  ab  iisdem  patitur.« 

Bezeichnend  ist,  daß  im  Kurzen  'I"i-aktat  1,  c.  4  unter  den  i;igensch.T('ten  Gottes  nls 
erste  die  Notwendigkeit  seines  Wirkens  angeführt  und  behandelt  wird.  Dazu  wird  man 
in  der  Scholastik  schwerlich  ein  Soitenstück  finden.  Im  übrigen  sind  Belege  zu  diesem 
Punkt  überflüssig  --  man  müßte  fast  jede  Seite  zitieren. 

''  Hierüber  vgl.  besondere  Diltheys  Ausführungen  im  II.  Bande  seiner  gesannnellen 
Schriften  (1914).  Nach  S.  zSsff".  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  daß  die  Stoa  durch  Vermittlung 
der  niederländischen  Humanisten,  z.  B.  des  Lipsius,  aber  auch  durch  Telesio  und  llobbes 
auf  Spinoza  eingewirkt  hat.  " 


56  Std  M  PF  r 

Es  bedeutet  nicht  ein  Concludere,  sondern  nur  ein  Sequi'.  Nur  durch  die 
blinde  Notwendigkeit  alles  Geschehens  erachtete  er  die  quälende  Frage 
nach  dem  Warum  als  definitiv  abgeschnitten.  Auch  die  r>ehre  von  der 
Selbsterkenntnis  Gottes  vermag  den  prinzipiellen  Ausschluß  der  lebendigen 
Vernunft  aus  den  »Wiu-zeln  aller  Dinge«  nur  scheinbar  zu  mildern.  Denn 
diese  Selbsterkenntnis  ist  eben  nur  die  Selbstsjjiegelung  des  in  sämtlichen 
Attributen  identisch  abrollenden  Weltprozosses,  der  aber  in  keiner  Weise 
aus  ihr  folgt.  Sie  ist  nur  ein  Zuschauen,  nicht  ein  Bewirken".  Vor  allem 
aber:  das  Weltgeschehen  verwirklicht  keinen  Sinn,  Zweck  oder  Wert.  Die 
Welt  ist  ein  System  der  Geometrie,  und  in  der  Geometrie  hat  der  Begriff 
des  Guten  keine  Stelle.  Jede  Art  von  Teleologie,  auch  die  weitherzigste 
wie  die  Lessings,  Herders,  Goethes,  bleibt  grundsätzlich  ausgeschlossen.  In 
diesem  Punkte  gestattet  die  Lehre  S])inozas  nirgends  auch  nur  von  fem 
eine  mildere  Deutimg  oder  Konzession.  Die  unverbrüchliche,  aiif  sich  selbst 
beruhende,  sich  selbst  genügende  Notwendigkeit  alles  Seins  und  (Geschehens 
ist  der  stahlharte  Kern  seiner  Weltanschauung. 


'  Allerdings  gebraucht  Spinoza  einmal  beide  Ausdrücke  in  Verbindung  miteinander. 
II,  6,  cor.:  eodem  modo  eademque  necessitate  res  ideatae  ex  suis  attributis  consequuntur  et 
concluduntur  ac  ideas  ex  attributo  (jogitationis  consequi  ostendimus. 

^  II,  6,  cor.:  Esse  formale  rerum,  quae  modi  non  sunt  cogitandi,  non  sequitur  ideo  ex 
divina  natura,  quia  res  prius  cognovit. 


Spiuoz(istväli')i . 


Inhalt. 


Seit.- 

I.  Der  Parallelisinus  der-  Modi  iniierlialb  der  Attriljiitc   Airsdi-Iinimsf  und   Diiiikcii  ...  3 

1.  Die  Bewei.sfiihruDg  für  den   Parallelitütssat/.   Klli.  II.  pr.  7 3 

2.  Akt  lind  Inhalt  gemäß  ari.stotelisch-scholastischei'  I'sycliologi«'    9 

3.  Denken  und  Au.sdehnung  =  Akt  und   Inhalt 18 

4.  Geist  und  Körper  nach   I"th.  II,  pr.  1 1  tV. 28 

5.  Wahrheit  und  Falschlieit  nach  Kth.  II,  pi-.  32  fV.  32 

6.  Die  spinozistische  und  die  gegenwärtige   I'arallelilätslehre 34 

H.  Die  unzähligen  Attribute 38 

1.  Möglichkeit  einer  aktuell   uni-iidlichen   Zahl 40 

2.  Die  N'ielzah!  dur  Attribute   und  die   l'.intachlieit  (iotte-s    42 

3.  Die  unendlich  vielen  Attribute  als  Analoga  von  Denken   und   Au.sdehnung.  .  44 

4.  VV'esensverkniipfung  aller  Attributetipaare .")() 

5.  Der  Zentralgedanke  des  Spinozismus .'i2 


Hcrlin.  i;fiilni<-kt   in  <I<t   K.-irhsilnickrrn. 

I'hit.-hi»t.  Abh.   IUI!).  Ar.  /. 


ABHANDLUNGEN 

DER  PREUSSISCHEN 

AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

JAHRGANG  1919 
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE  KLASSE 


Nr.  5 
VOM  KOKTÜRKISCHEN  ZUM  OSMANISCHEN 

VORARBKITEN  ZU  EINKR  VERGLEICHENDEN  GRAMMATIK 

DES  TÜRKISCHEN 

2.  MITTEILUNG:    TliKK  KINKiK  SCH  ALLNACHAHMEN  DE  VERBA 

3.  MITTEILUNG:    DAS  FORMANS  -71/   BEI  VERBEN  AUF  -a  USW. 

VON 

W.  HANG 

IN  DARMSTADT 


BKRLIN    1919 

VERLAG  DER  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 


IN  KOMMISSION  BKI  DKK 
VKREINKiUNG  WISSEiNSCHAFTLlCIIER  VERLKCiKIl  WALTER  DE  GRUYTER  U.  CO. 

VOKHAI«  (i.  J.  (i<)S<  HKNSCHK  VERLAIiSIlANIIE.lTN«.     J.  IM' TIKN  TAG.  VKRLAr.SBlIfHHANDI.I'N'^ 
liKOKIi  KKI31KK.     KARI.  J.  TRÜBNKR      VEIT  l'.  roMP. 


Vorgelegt  in  der  Gesamtsitzung  am  27.  März  1919. 
Zum  Druck  eingereicht  am  gleichen  Tage,  ausgegeben  am  20.  August  1919. 


n.  über  einige  schallnachahmende  Verba'. 

W  enn  es  mir  vergönnt  gewesen  wäre,  als  Jüngling  zu  Füßen  des  jungen 
Steinthal  zu  sitzen,  so  hätte  ich  wohl  dieser  Mitteilung  den  jugendlich  kecken 
Untertitel  »ein  glottogonischer  Versuch«  mit  auf  den  Weg  geben  müssen. 
Wie  die  Verhältnisse  liegen,  haben  mir  jegliche  apologetische  Absichten  fern- 
gelegen: mein  Bemühen  galt  nur  den  Formen,  deren  verwirrende  Fülle  zu 
meistern  mir  kaum  auf  den  ersten  Wurf  geglückt  sein  wird.  So  habe  ich  das 
Empfinden,  ich  hätte  gut  getan,  abermals  30  Jahre  zu  warten,  bis  die  alten 
Quellen  reichlicher,  die  neuen  reinlicher  fließen.  Das  aber  wäre  dem  Wüten 
des  Kronos  gleichgekommen:  ich  ziehe  vor,  den  Fachgenossen  gegenüber 
den  Untertitel   »Vorarbeit«    nachdrücklich  hervorzuheben. 

I. 

§  1.    Das  Verbum  öksür-  bedeutet  im  Dschag.  Osm.  Krm.  »husten«,  imll  §  1 
Dschag.  auch   »mit  Krachen  platzen«;  das  kiptsch.  Glossar  vom  Jahre  1245 
hat  für  »husten«  die  Form  j^\,  was  Houtsma  52  öksür-  liest.  Dagegen  finden 
wir  CC60  Ofcur-  »husten«,  lies  öskür-,  dem  das  aderb,  öskür-  entspricht.   Ich 
iialte  öskür-  für  die  ursprünglichere  Aussprache,  aus  der  öksür-  erst  durch    5 


'  Die  Abkürzungen  sind  die  auch  sonst  von  mir  gebrauchten.  Außerdem  bedeuten: 
KDsrn  den  ersten  Teil  meiner  Abhandhing  Vom  Kök  türkisclicn  zum  Osmanischen 
(.\B.\\V  fiiripiyNr.ö);  AtüD  meine  Arbeit  Aus  türkischen  Dialekten  (KeletiSzemle XVIII, 
Budapest  1918,  SS.  7 — j8)  und  BtüW  meine  Beiträge  zur  türkischen  Wortforschung  lo 
(Türän  für  1918,  Budapest  1918,  SS.  289 — 310)  und  ihre  Fortsetzungen,  die  durch  '  bezeich- 
net sind:  Mtü.Spr  meine  Monographien  zur  türkischen  Sprachgeschichte  (SHAW, 
Jahrgang  1918, 12.  Abhandlung);  Pel.  ^=  K. I'ehssier,  Mischär-Tatai-ische  Sprachproben 
(ABAW  ffir  1918  Nr.  18). 

Mit  rkWb  ist  das  kleine  russisch-kirgisische  Wörterbuch,  PyccKo-KHpriiscKifi  C.ioBapb    15 
Kazan  19 10,    gemeint.      Hier   und  da   habe   ich   durch   iWb  angedeutet,    daß   ein  Wort   im 
Wb  fehlf. 

r 


4  Bang: 

II  §1  Metathese  entstanden  ist'.  Dieses  ösknr-  zerlege  ich  in  ös-kür-  und  sehe  in 
ÖS  ein  schallnachahmendes  Element,  während  ich  für  -Mir  auf  die  folgenden 
Paragraphen   verweise. 

Das  Nomen  oksürük  »Husten«  ist  eine  -Ä:-Ableitung,  wie  wir  deren  noch 
5  mehrfach  finden  werden;  es  ist  bisher  im  Osm.  und  Krm.  belegt;  im  Dschag. 
wird  öksüräk  registriert  mit  bemerkenswertem  -ä-. 

§  la.  Ein  nominales  *ös  dürfte  auch  vorliegen  in  schor.  sag.  koib. 
ktsch.  üstä-  »seufzen«  >  küär.  östö-;  letztere  Form  auch  Prob.  II  522  1024 ff. 
in  der  Bedeutung  »ächzen«.  Da  es  außerhalb  dieser  Dialekte  nicht  registriert 
10  ist,  so  muß  es  vorläufig  unentschieden  bleiben,  ob  östä-  das  Ursprüngliche 
ist  oder  ob  es  für  *öslä-  steht  =  »6s  machen« :  vgl.  die  denominalen  -/a-Verba 
in  den  §§  4  ff. 

Hierher  ist  wohl  auch  zu  ziehen:   cuwas.  üshk  »Husten«  <  *öslik  und 
cuwas.  nz9r-  »husten«  <*ö's/r-usw.  (vgl.  §  2  Schluß);  vielleicht  über *r;«r- usw. 
15  wie  gagaus.  usür-,  u'sürük  (Prob.  X  109 12)'". 

§  Ib.  Neben  *ös  scheint  ein  gleichwertiges  *öt  gestanden  zu  haben,  das 
durch  y-Prothese  zu  *yöt  werden  konnte.    Wir  finden: 

I .  Kiptsch.  ötür-  (Houts.  44)  »husten«,  CTitrundet  im  kar.  L.  ätkirik  »Spei- 
chel, Schleim«;  CG  136  yötkür-,  auch  alt.  tel.  dschag.  ostt.    Das  Nomen  yöt- 
ao  kiir  im  Alt.  Tel.     Im  Tob.  yütkür-  und  yiitkürük   »Auswurf,   Schleim   (beim 


'  Durch  Metathese  erkläre  ich  das  auch  sonst  lehrreiche  alt.  tel.  Xeh.  yätkär  »Schlechtig- 
keit, Falschheit,  Versuchung:  der  Teufel",  das  Prob.  137254  in  letzterer  Bedeutung  vor- 
kommt; yätkär  steht  für  *yäktär  und  dies  für  yäklär.  weil  in  den  genannten  Dialekten  -ql-. 
-kl-   zu   -qt-,   -kt-   wird  (vgl.  Prob.  I  1 53  4u  özöktör  »Flüsse«,   s^^spal'iqtar  »Fische«).    Dieses 

»5  yätkär  aber  wird  schon  längst  nicht  mehr  als  Plural  gefühlt;  daher  tritt  die  Adjektivendung 
■l--liy  an:  alt.  yäktärlü,  leb.  yaktärliff  «schlecht,  falsch,  ränkevoll,  vom  Teufel  besessen». 
Daß  die  Erstarrung  nicht  ei'st  jüngeren  Datums  ist,  wissen  wir  aus  dem  manichäischen 
Chuastuanift,  das  schon  yäktärlägün  bietet  (L^Ss;  L5314). 

Wie  hier  -l'iy  an  den  eretarrten  Plural  geti'eten  ist,  so  finden  wir  das  Abstraktformans 

30  -l'iq  bei  erstarrtem  Dativ:  Prob.  IV656U  kickä/ik  kilip  cayirdi  »am  Abend  kommend  schrie 
er«   (vgl.  Türän,  Budapest  1918,  91  ft".).     Sieh  den   Lokativ  in  ondatiq  unten  S.  4618. 

'  Gagaus.  ü-  entsteht:  durch  Kontraktion  in  üt-  »mahlen«  :=  osm.  öyüt-,  ün-  -prahlen« 
=  osm.  öyün-,  üf-  »brüllen«  =  osm.  öy'ür-.  Ein  Kehllaut  ist  auch  verschwunden:  in  usfk  »hoch« 
^  osm.  usw.  yüksäk  (vgl.  Sul.-Kun.  154  öksek\),  usüi   »Waise«  =  osm.  usw.  öksüz,  des  Suffii- 

35  anlauts  wegen  entstimmt  aus  uig.  öy.süz  »mutterlos«.  Unerklärlich  sind  uns  heute:  un  »Wolle, 
Haar«  :=;  yün,  y'äh  usw.  (Dehnung  in  einsilbigem  Wort?),  sowie  usen-  »faulenzen«  =  osm.  üsän- 
(vgl.  schor.  özäii,  kumd.  öiön  »unfolgsam,  nachlässig«?),  das  wohl  durch  -iä-n-  (AtüD  §  i  ff.) 
von  einem  auf  Guttural  auslautenden  Nomen  abzuleiten  sein  wird. 


Vom  Köktnrkm-hen  zum  Oimuinisclicn.  5 

Husten) « ,  kaz.  diütkir-.  Von  *yötiir-  sodann  :  tub.  küär.  yödür-.   Prob.  V  1 8 7  1 582  n  §  ib 
wird  yötkür-  durch  »spucken«  (Blut)  übersetzt.     Im  Schor.  entrundet  öädir-. 

2.  Tar.  dschag.  ostt.  yötcil  »Husten«,   yötäl-   »husten«  :    tar.  tob.  yütäl 
»Husten«    und  das  a-Denominativ  tax.  yütfiln-   »husten«:    kaz.  dzütnl;   balk. 
zötel  und  zötel  et-,  jak.  .sötöl  (Böhtl.  161  a)'.    Ablautend  (?)  tel.  yödi'd  und  das    5 
denominale  yödülda-  <,yödül-lä.    Olme  y-:  Kar.  T.  ötäl  (Wb.  I  1265)  entrun- 
det Kar.  L.  (itnl'\  sowie  sag.  cedil,  &dil-  >  sag.  cidil  cidil-^. 

§  2.  Für  »niesen«  gebrauchen  das  Osm.  und  Krm.  eine  Form  aqsir-, 
dem  das  dschag.  aqsir-  entspricht;  Nomina  sind  aqsir iq,  aqsiriq  und  die  -«-Ab- 
leitung aqs'iriS  »Niesen«.  Aderb,  a^str-,  a-x^stfi'^/j.  Auch  hier  hatte  schon  1° 
das  Kiptsch.  die  Lautfolge  aqsur-  (Houts.  50);  bei  Sul.-Kun. 9  findet  sich: 
»aksirmak  :  eksinnak,  atsa  vurmak*.  —  Niesen« .  Der  Gewährsmann  von  Kunos 
ist  zu  dem  anlautenden  e-  in  dem  sonst  gutturalen  Worte  wohl  durch  Un- 
kenntnis der  folgenden  Formen  gelangt:  osm.  krm.  ansir-,  geschrieben  y^  I. 
ansinq  und  amir-  (fWb.;  wird  I  197  erwähnt)  bei  Hindoglu  geschrieben  -s 
3*y~^*.     tragaus.  ansir-. 


'  Mit  der  progi-es-siven  Rundung  wie  in  Prob.  \'  75  491  yötöUir  »er  hustet-  <,  yötälär.  — 
Was  die  Prothese  von  y-  Ijei  rundem  Vokal  anbetrifft,  so  vgl.:  Kiptscli.  yöräu-  »lernen« 
(Houts.  109:  neben  ögrän-  51)  ^  gagausiscli  yäf-hi-;  dschag.  yöyiis  neben  uig.  dschag.  öffüi 
•  viel«;  kar.  T.  yütc  (=r  gagaus.  yev:  »Haus-)  ;-=  äte  usw.  Das  (iagausische  gebraucht  auch  ju 
son.st  häufig  die  y-Prothese:  yöl-  -sterben -.  y'irdfk  rEnte-  usw.  Vielleicht  liegt  hier  doch 
slawische  Beeinflussung  vor? 

'    Schwierig   Ist  die  Beuiieilung   von   leb.  yö^ö-   -husten-.     Ist   etwa  y-Prothese  anzn- 
nehineii  und  Kürzung^'    1"^  .stünde  dann  yöiri-  für  *oc-ä,  vgl.  sag.  koib.  üstä-  (<  oclä-)  -ächzen, 
röcheln-;  zu  Sc-  »Luftröhre«.    Wie  aber  ist  CC  138  öi'irac  oder  eher-/  (lies  öcAräV)  -Husten-    ^i 
zu   beurteilen?    Hier  scheint  doch  wieder  eine  Basis  *'«'  vorzuliegen,  zu  der  *öv-ä-,  *fk'-k(i- 
gehöieu  würde. 

Ein  solches  denouiinales  Verbuni  auf  -a  scheint  aucli  in  dem  (jaqa-  vorzuliegen,  das 
Pi'ob.  VI  141  10  auftritt  (fW^b.):  mama  qaqap  bir  yötäldi  -die  .\lte  hustete-  ;  zu  *qaq  vgl. 
unten  §  17  8.  3" 

^  Die  Entrundung  im  Schor  und  Sagaischen  ganz'  isoliert  stehend  und  wohl  dnrcli 
ö-  veranlaßt? 

•  Zu  diesem  itntr-  vgl.  den  (Gebrauch  von  jeter  in  jeter  iin  cri,  jet/r  de  hauts  cri.s.  Auf 
türkischem  Gebiete  ist  sal-  verbreitet:  Prob.  III  169  114  obai  ml-  -weh  schreien-  —  obaita-  (!), 
HI  283  1  oibai!  oihai !  »aldi  -sie  januncrte  gewaltig-,  ebend.  '/..  4  nibailadi:  III  99  8,  158  279  aiyai  35 
sat-  -schreien,  brüllen-  =:  0170«^- (!)  in  III  132  78  (zu  aiyai,  aiqai  vgl.  unten  §  7  a).  Prob. 
11292663  qh'ya  sal-  -ausrufen-,  II 345  1458  q'iiya  sal-  -schreien,  rufen-  ( Wb.  jii  *o/-,  q'iiqü 
■sal-,  qiiyi  sal-)  usw.  Prob.  IV  198  nu  läürän  sal-  -Lärm  machen«,  was  auch  die  wörtliche 
Bedeutung  des  osm.  nd'ara  ieur-  -schreien-  (Wb.  I\'  1983)  :=-  kaz.  tiayra  01-  ist:  -Lärm 
schlageu-.    Unklar  ist  mir  Sül.-Kl'n.  144  rn^n»'  ur-   -schwätzen-,  weil  mir  meue  uniiekaunt  ist.    40 


6  Bang: 

II  §2  Auch  dieses  aqsir-  mit  seinen  jüngeren  Varianten  afiMf-  und  ansir-  er- 

kläre ich  durch  Metathese  und  vergleiche  dschag.  asqur-,  asquruq  (Sül.-Kun. 
66  aber  wieder  esyuruk\)  =  *as-qir-.  Da,  wie  wir  noch  mehrfach  beobachten 
werden  (vgl.  die  folgenden  Paragraphen),  neben  -qir,  -kir  usw.  gern  -ir, 
5  -ir  usw.  auftritt',  so  dürfen  wir  eine  Nebenform  *astr-  fordern,  deren  -s-  im 
Sag.  und  Leb.  regelrecht  stimmhaft  geworden  ist:  azir-  »niesen«,  faktitiv 
bar.  az'irt-  <  *as-tr-t-.     Vgl.  §  i  2  a. 

Bei  Walde'  ist  s.  v.  sternuo  {'^  h-z.  etenitter)   der   gedankenreiche  Aufsatz  Grahmonts 
Ononiatopees  et  mots  expressifs  (Revue  des  langues  i'oiiianes  44,  1901)  p.  130  nachzu- 
>o    tragen,   wo  auch  frz.  aUche,  atsc/ii  erwähnt  wird. 

§  3.  Ein  andres  Wort  für  »niesen«  ist:  dschag.  tüdkür-,  fakt.  tüdkürt-, 
nom.  tü^kürük;  bei  Raquette  MSOS  1914  190a  tuckur-,  kaz.  t0ck0r-,  t0dlc0rt-, 
t06k0r0k.  Mit  Übergang  von  -ck-  >  -Sk- :  dschag.  kir.  tüSkür-,  °kürt-,  °kürük. 
Weiter:    tel.  kar.  T.  cückiir-,   auch    CC  136;    dschag.  tar.  cüikür-   sowie   alt. 

'5  mcür-;  balk.  Gi/c%ür-,  kar.  T.  döckür-.  Bei  Sul.-Kun.  51  wird  cMkür-  über- 
setzt durch  atse  etmek,  d.  h.  etwa  »hazzi  machen«,  und  durch  flSMrmak 
(YoussouF  287  »jaillir,  rejaillir,  saillir«).  Wb.  kennt  auch  osm.  sückür-, 
dschag.  sn§kür-;  verdruckt  ist  Wb.  III  15 10  schor.  tutqur-  für  das  richtige 
tuSqur-,  eine  gutturale  Nebenform,  die  durch  die  Annahme  eines  onomato- 

jo  poetischen  Ursprungs  der  ersten  Glieder  viel  von  ihrer  sonstigen  Un- 
erklärlichkeit einbüßt.  Ein  ungebräuchliches  osm.  ttsqir-  »niesen«  erwähnt 
das  Wb.  Ob  es  mundartlich  im  Gebrauch  ist,  konnte  ich  nicht  erfahren. 
Dagegen  ist  das  metathetische  tiqsir-  und  das  davon  abgeleitete  fiqstriq  für 

'  Warum  es,  ganz  allgemein  gesprochen,  so  viele  Wörter  gibt,  deren  zweite  Silbe 
25  in  einem  Teil  der  Mundarten  mit  g-,  l--  anlautet,  während  in  anderen  ^lundarteu  der  Silben- 
anlaut durch  einen  Vokal  gebildet  wird,  ist  eine  der  schwierigsten  Fragen  der  türkischen 
Laut-  und  wohl  auch  Formgeschichte.  Vielfach  werden  wir  in  der  Tat  annehmen  müssen, 
daß  nicht  sowohl  die  Lautlehre  als  viehnehr  die  Formenlehre  im  Spiel  ist;  diese  aber  liegt 
noch  recht  im  argen,  und  die  bis  jetzt  erschlossenen  alten  Quellen  geben  uns  oft  neue 
30  Rätsel  auf,  statt  die  alten  zu  lösen.  Das  gilt  besonders  von  den  Wörtern,  deren  Stammsilbe 
etymologisch  uudeutbar  ist:  kokt,  qulqaq  «Ohr-  :z^  qulyag,  qulaq:  zu  äiäk  -Esel«  — 
das  Wort  hat  schon  eine  ganze  »Literatur-  —  taucht  jetzt  in  einem  manichäischen  Texte 
die   »ältere«   Form  äskäk  auf  (L*  16  12)  usw.  usw. 

Gründe  lautlicher  Art  scheinen  z.  B.  im  Worte  für  »Zange-  zu  wirken;  dasselbe 
35  ist  von  qis-  »pressen«  vermittels  des  Formans  -ya-c,  -'•/u-c  (MtüSpr.  41  13, 42  a)  gebildet: 
L*  8  10  ytßsyac,  CC  96  chexchac,  chescaz,  osm.  usw.  qisqac  alt.  kir.  qisqas,  sag.  qisqas;  kaz.  q'isqic. 
küär.  q'isqiis,  tel.  schor.  q'isq'is,  sag.  q'isq'is;  dschag.  qwqac,  in  dem  -u-  wohl  Rundung  durch  q- 
erfuhr,  sonst  qisac  =^  osm. -l-q'isac  »von  qis+ac'.  Wenn  dies  besagen  soll,  daß  -ac  «c -70c 
entstanden  ist,  wird  man  zustimmen  dürfen.     Im  Jakutischen  lautet  das  \\'ort  kitayas. 


Vom  Köktiirkischen  zum  Osmanischen.  7 

das   »Niesen  mit  geschlossenem  Munde«    (vgl.  auch  Youssouf  1154b)   be-  n§3 
kannt. 

Im  Schordialekt  gibt  es  Kmir-  »schnauben-,  simiriq  •Nasenschleim",  doch  auch  «iwtjr- 

•  niesen«.     Da  s-  aus  c-    entstanden    ist,    so    entspricht    die  Sippe    dem   tel.  cimyir-,    cimir- 

•  schnauben-,  öimyirik,  cimirik  •Nasenschleim«,  wozu  auch  kmd.  ^'im'ir-,  ie\.  cimyir  •schnau-     5 
ben«  und  km6.  fimiriq,  te\.  cimyir'iq  -Nasenschleim-   zu  stellen  sind. 

§  4.  Im  italienischen  Teil  des  CC  liegt  p.  55  tüpknr-  »speien«  vor; 
der  deutsche  Teil  bringt  p.  174  4  die  Nebenform  ti'tkür-,  die  nach  Wh.  III 
1531  auch  vorkommt  im  Osm.  Krm.  Dschag.  Leb.  Tel.  Alt.  Scher.  Kir.  Kkir. 
Tax.  Sag.  Koib.  Ktsch.  Küar.  Dazu  tiiküri'ik  »Speichel«  >  osm.  tiikrilk;  bar.  ■» 
dafür  tiigiirük  und  das  Verbum  tügür-\  Dagegen  liegt  wieder  Schwund 
des  Suffixanlauts  vor  in  ostt.  tüpür-,  tnpnriik'\  Grundlage  des  Wortes  ist 
ein  schallnachahmendes  *tüp  =  osia.  Nif  »das  Geräusch  des  Spuckens«,  zu 
dem  gehören:  dschag.  ostt.  <m/?^/-  »ausspucken«,  dschag. /w/ÄMr- und  dessen 
nominale  Weiterbildungen  tüfkürük,  dschag.  tnfiirdnk  »Wasser,  das  aus  dem  '5 
Munde  fließt«,  discha.g.  tüfilrdäk   »id.«. 

NB.    Zu  np.  fe/"  -Speichel«,  vna.  t'uK  •Speichel-   (Hübschmann.  .\rm.  Gram.  1  449/50) 
sind  W.  ScHULZES  Bemerkungen  in  KZ  45  S.  95  nachzulesen.    Nach  meiner  obigen  Zusammen- 
stellung  kann    onomatopoetische  Herkunft  der  Wörter  wohl  nicht  mehr  bezweifelt  werden. 
Vgl.  GrlrPhil  I  i,  n  unten:  2,  77  und  86;  Hobn  Nr.  390:  Pott,  Ktyni.  Forsch.^  \\  3  S.  13.  i    jo 
bat  kvivA.  tff-kem   -sputare-. 

Osm.  j>ii/ «Geräusch  des  Blasens,  Wehens-   wird  mit  ät-  und  da-  gebraucht;  A&zxi  püflä- 
> blasen,  wehen«. 

Labialer  Auslaut  des  Schallelements  auch  in  mandsch.  cifembi  (spr.  difembi)  <  *6i/-e-n-bi 
und  cifelembi  <,  * iif-e-le-n-bi  -spucken,  ausspucken«.     Anderseits  Guttural  in  oksimbi  -speien,    >5 
ausspucken«. 

§  5.  Beachten  wir  die  Lehren,  die  wir  aus  §  4  ziehen  müssen,  so 
dürfen  wir  aus  den  mundartlichen  Formen  des  Wortes  für  »blasen«  eine 
ältere,  vollere  Form  *üpkür-  zu  *üp  erschließen:  osm.  ?'//  »der  Laut  des 
Blasens«  {üf  tüf  da-  »heftig  blasen«;  Prob.  IV  1174U  qisnin  yüsnnä  ürdü  3° 
iif  tip  »er  blies  dem  Mädchen  ins  Gesicht,  indem  er  ,üf'  machte«)  >  kaz. 
jer/nid. «  {0/  it-  »blasen«);  osm.  ad.  üfnr-  »blasen,  mit  dem  Munde  spritzen, 
prusten«  und  Ableitungen;  iiflä-  »blasen,  heftig  blasen«  {üfür  üfiir  üflä- 
»venter    continuellement«    Youss.  12 10).      Schor.  sag.  koib.  ühür-    »blasen, 


'    Prob.  IT  457  i«4«   steht  tukür-  mit  Dativ  im  Sinne  von   «nach  jem.  speien,  jem.  an-    35 
speien«;  im  selben  Stück  Z.  3410  aber  auch  tügür-. 

'    Vgl.   kaz.  dschag.  yxtqn   »fein-,    uig.  ostt.  yupqa  ~>  osm.  yufqa\   geminiert   alt.  yuqqa^ 
ie\.  i'tiqqa.     Houts.  104  unter  yopqn.     CuwaJ.  «'«%«! 


8  Bang: 

n§5  pusten«,  auch  »bellen«.  Sodann  schor.  ügür-  »blasen«  >  alt.  wr-.  Unter 
diesem  Worte  stellt  Wb.  I  1825  diese  Sippe  zu  dem  gemeintürkischen  ür- 
» blasen,  bellen«  (kom.,  dschag.,  alt.,  tel.  usw.,  kiptsch.  bei  Houtsma  55 
jj\  »hauchen«,  äur-  gedruckt)  >  kaz.  #r-.  Im  Cuwas.  bedeutet  V9r-  (Paa- 
5  soNEN  199)  »blasen,  bellen«,  ebenso  im  Jakut.  ür-  (Böhtl.  49).  Ob  die 
beiden  Sippen  doch  nicht  besser  getrennt  bleiben? 

Wb.  kennt    ein    h&r.  laly'ir-   »bellen«;    Prob.  IV  27  i8  wird    laly'ir-  wohl    besser   durch 
•  winseln«    (wie    ein  Hund)   übersetzt'.     Prob.  IV  181  lu  steht  ügrär  »sie  janunem«;  es  liegt 
wohl  das   »irrtümliche«   -ü-  vor:  üyrär  <.  ügürär. 
10  Das  osm.  ürü-,   das  im  Wb.  durch  »bellen«   wiedergegeben  wird,    übersetzt  Yoüssoüp 

durch   »hurler  d'une  voix  plaintive,  gemir  (chien)«.     Im  Kar.  L.  lautet  das  Wort  yür-. 

§  6.  Im  kaz.  picqir-  liegt  wohl  die  ursprünglichere  Gestalt  des  kaz. 
tel.  piSqir-  »röcheln,  schnaufen«  vor;  in  den  Texten  wird  es  auch  durch 
»pruhtschen«  übersetzt:  1 64  165.  In  den  Texten  des  2.  und  3.  Bandes 
IS  der  Proben  lautet  es  pisqir-  »schnauben«  (II  1 10  764,  267600;  in  i46iou,3u). 
Ähnlich  das  osm.  püskür-  »mit  dem  Munde  spritzen,  speien;  auspru- 
tschen,  herausplatzen,  lachen«  usw.  Diesem  Wort  entspricht  sag.  koib.  püzür- 
(<  *püsür-)  » ausprutschen « . 

Wieder    ein   anderes  Schallwort  bildet   die  Grundlage   des  sag.  koib. 
30  piTfir-  »prutschen,  prusten«  (Prob.  II  3 90 392;  aber  II  3  i  2  305  pirqir-  »rutscht«« 
für  »prustete«  ?). 

§  7.    Wir  wenden    uns  jetzt  zu  einer  Anzahl  von  Verben,  deren  zu- 
sammengesetzte Natur   so  klar  zutage  tritt,  daß   sie   schon   im  Wb. 
erkannt  worden  ist: 
J5  I.   osm.   usw.    hai    »he,   ei,   o«:    osm.   haiqir-    »schreien,    lamentieren«; 

osm.  haiqirtS  »Geschrei«;  dschag.  haiqir  und  haiqir- \  dann  auch  osm.  haila- 
» schreien«  usw. 


'  Zu  'inircaq  »Packsattel«  (vgl.  meine  Bemerkungen  AtüD  25 ff.)  hat  das  Tarantschi 
die  Nebenform  linircaq:   ich  vergleiche  jak.  link'ir  »Geklirr«    und  linlc'ir  gin-   »klirren«,  wozu 

30  dann  sachlich  herbeizuziehen  ist:  Prob.  I  5  Nr.  75  hTir  ciiiir  inircaq  »der  knirrschende, 
knarrende  Packsattel«  und  Prob.V  2351030  inircayi  sayaqtap  »sein  Sattel  klapperte«. 
Das  anlautende  /-  drückt  sowohl  diesem  *ltn  als  dem  obigen  */al  den  Stempel  eines  Schall- 
wortes auf.  Ramstedt  nimmt  KSz  XVI  69  für  liiiircaq  ein  sekundäres  /-  an,  dessen  Existenz 
ich  bezweifle,  bis  sie  mir  nachgewiesen  wird.     Zum  jak.  (ßn-  vgl.  Böhti..  Wb.  62b:  tob  (und 

35  so  häufig  mit  Klangworten)  g'ina  silliäbilä  »er  spie  aus.  so  daß  es  toh  (ein  Laut,  der  den 
fallenden  Speichel  nachahmt)  machte«. 


Vom  KöktiirMschen  zum  Osmaiiischen.  9 

2.  uig.  osm.  usw.  ai.  kaz.  ai-hai,  kir.  o?-7ai  » Ausruf  der  Verwunderung,   II  §  7 
o,  acli«  usw.    Dazu  tel.  kkir.  aiq'ir-  =  kumd.  aiyiY-  »schreien  (bei  der  Treib- 
jagd)« ;    vgl.    besonders    Prob.  V  70 295   aiq'ii--    »brüllen«    (vom  Tiger)    und 

100  1334  (vor  Schmerz). 

3.  osm.  usw.  a  »Ausruf  der  Verwunderung.   0«    usw.    Dazu   «</«/'-  0^^^'-    ' 
kaz.  krm.)    »brüllen«:    »von  a(?)  +  q'ir,  vgl.  ai-q'ir-,  ba-q'ir-,  ca-qir-,  qic-qir-, 
alle  in  der  Bedeutung:  schreien,  vgl.  arvir-,  anir-.  haiqir-«^.    Das  Wort  kommt 
auch   Prob.  Vi 46 182   vor    und    steht    gern    mit    iw/ir-   im    Hendiadyoin:   V 
41  I  1453—4,  380  378  U.SW.     Vgl.   auch   alt.  tel.  osm.  a^ir-. 

Zur  lautlichen  Seite  von    osm.  ad.  krm.  anir-   »schreien  (vom  Esel)«,   >" 
ad.  tob.  anyir-,  osm.  anir-  ist  wohl  §  2  zu  vergleichen,  doch  kann  in  diesem 
Worte  an  auch  ein  Versuch  sein,  die  Stimme  des  Esels    möglichst  genau 
wiederzugeben ' . 

Über  bc^ir-,  baytr-  und  die  anderen   oben   unter   3   genannten  Wörter 
ist  kaum  etwas  zu  .sagen  (vgl.  §  159);  man  kann  jedoch  der  von  Radloff  -5 
aufgeführten  Reihe  u.  a.  noch  hinzufugen: 

4.  osm.  bögür-  y^höyür-  »mugir,  meugler«  (Youss.  95);  osm.  auch  hoyur- 
» brüllen«,  wozu  Wb.  ^--fxiqir-i^  hinzusetzt,  wa«  möglich,  aber  durchaus 
unwahrscheinlich  ist:  wir  haben  es  eben  mit  den  beiden  Schallwörtern 
'bö  und  *bo  zu  tun  ^'> 

5.  dschag.  kkir.  Kar.  T.  ökiir-  »weinen,  jammern,  brüllen,  heulen«; 
osm.  ökür-ökiir  ayla-  »heftig  weinen«  (vgl.  osm.  baytr-f/ayir  bayir-  »brüllen«): 
osm.  ügür-  »brüllen«  (CC  136  nicht  unbedingt  sicher),  osm.  öyiir-.  I,aut- 
gerecht    verengert    kaz.  ükir-    »schreien,    laut   weinen«    usw.  =  tara  ügir- 

» rufen«.     .\uch   dieses  gern   mit  fmqir-   verbunden:    Prob.  V  577  1743  ö^wr///)  >? 
huqinti  »er  brüllte  vor  Schmerzen«:  im  Balk.  wird  es  vom  Schrei  des  Esels 
gesagt.    Entrundet  kar.  L.  äkir-. 


'  Im  Kkir.  steht  neben  raqir-  ein  caüir-,  das  im  Wh.  nur  durch  » wimmern-  übersetzt 
wird,  doch  kommt  Prob.  V  592  58  caftrip  ■.schreiend-,  vom  Berkut  gebraucht,  vor.  Hierzu 
auch  dschag.  canirti  •Geläute«  (bei  Sul.-Ki'n.  39:  rankh-di:  ^ingtrdt  —  das  Klingen).  10 

Im  Mandschu  bedeutet  ang  -Ge-schrei  di-r  Usei  oder  Streitender-,  nng  sembi  ».«chrcieii« : 
sembi  -sagen-  entapricbt  im  Mand.  bei  Schallwörlern  dem  da-  des  Türkisclien  (vj;l.  §8); 
z.B.  hak  gembi  -husten«  (aber  kanff  und  Arfwy  -Husten«,  kenysimbi  "trocljen  husten"),  jir 
jnr  sembi   •  zwitschet n • ,  jVw  -fmht   -.scliwinou..  kaka  kiki  sem'  -lachend«. 

[A.  VON  Le  Cov  teilt   mir   inzwischen    eine  .\nzahl  von  Tiersclireien    mit.   unter  denen    35 
ich  (ur  Qara  -Chödscha  Hanta-  -schreien  (Esel)«  finde:   mit  der  beliebten  A-Prothesi-  fiir  *anla-. 
fiir  weiches  ich  eine  Basis  * aii  iin.setzen  würde.     Weiteres  sieli   unten  .S.  2i.cj. ) 

Phil.-hist.  Ahh.   1UW.  Nr.  .'..  2 


10  Bang: 

ll§7  6.  kaz.  s'izytr-  »pfeifen«  (auch  für  das  Balkarische  belegt  KSz  XV  253). 

im  Kar.  L.  T.  in  der  Bedeutung  »zischen«;  Böhtlingk  39  stellte  schon  dazu 
jak.  isir-^.    Vgl.  krm.  s'isla-  »pfeifen«? 

7.  Das  Verbum  siy'ir-   »pfeifen«   fehlt   im  Wb.     Es  kommt  z.  B.  vor: 
V  Prob.  I  64  181;  11  264 485 ff.,  417  1309;  Z  1287  sMq  »Pfeife«  (cf.  die  Anm.  zur 

Übersetzung)  also  wohl  aus  ''s'iy'inq  über  "'sir'iq,  wozu  s'iy'iriqi  »Pfeife«  usw. 
zu  vergleichen.  Hierher  stelle  ich  auch  tel.  kmd.  s'iyirc'iq  »Grille«,  osm. 
siy'irdziq  »Staar«".  Im  Wb.  ist  noch  kü.är.  siqir-,  s'iqqir-  »pfeifen«  zu  ver- 
gleichen, ob  es  sich  um  Lautgemination  handelt^  oder  ob  zwei  von  Haus 
10  aus  verschiedene  Basen  im  Spiele  sind,  kann  ich  nicht  sagen. 

8.  Osm.  hincqir-  »schnarchen,  den  Schluckauf  haben,  schluchzen«  (Redh. 
»hiccough,  hiccup«);  vgl.  hiöqtr-  {sic)^;  dschag.  incqir-  »weinen,  schluchzen, 
wimmern«  mit  Hinweis  auf  'incqir-,  welches  fehlt.  Zur  selben  Basis  u.  a. 
wohl  kom.  incqa-  oder  incqa-   »kröchzen«  (CC  134).  ; 

15  Da  auch  in  der  Stammsilbe  -nc-  gern  zu  -c-  wird  (vgl.  yanc-,  CC  191  5  =  Ps  24  4  yancti 

=  contrivit,  Sul.-Kun.  99  yano-  =  döw-,  ufalal-,  rizä  ät-;  kaz.  yänic-:  jak.««-  -schlagen-: 
sanc-,  carte-  »stechen«,  kaz.  cänc-,  cänic-,  kur.  cäc-,  bar.  foöfe-  Prob.  IV  43  lou,  5412a,  kir. 
sanS-,  sc^or.  sas-,  sag.  koib.  sas-,  jak.  as-  usw.),  so  dürfte  auch  tel.  icqa-  »ächzen,  .stöhnen«, 
\)&T.  itsqan-,   durch    Metathese    alt.  iqc.a-,   hierher  gehören;    -qa-  wie  in    \i.om.  nckät  zu  *nckä- 

20  (8.525).  Hierher,  als  Lehnwort  (:'),  mong.  inckala-  »gemir,  sanglotter,  pousser  des  cris: 
trembloter«,  während  mong.  incagamui,  burj.  incagänap.  insaganam.  mand.  incamhi  »wiehern- 
wohl  in  in-ca-n-  aufzulösen  sind? 

Zu  einem  Schallwort  *iq  gehören   wohl:  alt.  tel.  iqs'i-   »den  Schlucken 

haben«  %   kir.  gedoppelt  'iqiq  »das  Schnucken«.     Zu  iqsi-  stellt  Paasonen  24 

25  cuwas.    iksü,   J9ksü    »Schlucken,    Hick«'".      Zu   'iqiq    darf   vielleicht    cuwas. 

■    Ganz   sicher   ist    der  Vergleich   allerdings    nicht,  da  jak.  isir-  auch    mit  ostt   izyitr- 
»pfeifen«    zusammenhängen    könnte:    das  AVb.  1  1543  au  erwähnte    izytr-  fehlt,  dagegen    findet 
sich  1391   kir.  üq'ir  »pfeifen,  zischen«,  wo    -.?-  lautgerecht  aus  -s-  entstanden  sein  dürfte,  so 
daß  das  Wort  zu  dschag.   isqir-  =    osm.  isqir-  gehören   würde.     Dazu  dschag.  isqiris   »Pfiff.. 
3°  -    Eine   Übertragung   scheint    vorzuliegen,  wenn    das    kom.  s'iyirc'iq   (CC  130)    wirklich 

•  Taube«  bedeutet. 

'     »Konsonantenschärlung   bei  Schallwort«. 

^    Wb.  stellt   tob.  ifskir-  {-ts-  <  -r)   »aufstoßen,    rülpsen«    zu   'its  <  ic  »das  Innere«, 
worin  ich  ihm  selbstverständlich  nicht  folgi'n   kann.     \gl.  tar.  käkir-,  kir.  kekir-.  ostt.  kikär-, 
35    kaz.  kikir-   »aufstoßen«. 

*    Metathese  im  tel.  i^qi-. 

''•    Zum    Formans    vgl.    knnid.    tub.    qoiiiii-    »wimmern,    stöhnen,  brummen«,   kir.  gi>ls»- 

=  alt.  tel.  leb.  schor.  qinzi-   »heulen,  wimmern,  winseln«   (-ni-  wie  in  \.<^r  alahzi-  »schwanken« 

~-  kir.  alaiida-,  leb.  alanna-,  beide   <  -la-). 

40  Für  -si-   tritt   -Sa-   auf  in    ostt.  y'iiisa-    »winseln«,    vom    Hund   gesagt   (Spr.  94a);    vgl. 

dschag.  yansa-    »schwatzen«    =   bar.   yaiiza-    uig.    d.schag.    yansaq,    bar.    yaiiiaq    »Schwätzer«. 


Vom  KöktnrMschen  zum  Osmanisehen .  11 

r/ßla-    »Schlucken   haben,    hicken«    (Paasonen   i8)  verglichen  werden:   Iqtq  ll  §  7 
>v/ß-\-la. 

9.  Nur  aus  dem  Balkarischen  ist  bis  jetzt  belegt:  maq'ir-  »miauen, 
blöken,  meckern«,  ein  naher  Verwandter  von  Nr.  4.  Zum  stimmlosen  In- 
lautskonsonanten vgl.  balk.  caqir-  »rufen,  schreien«  =^  osm.  myir-  (so  auch  5 
bei  HouTS.  71,  CC  141;  cayur-  bei  Är85  23  in  einem  jüngeren  Stück)  x'ur- 
wie  bay'ir-  y^  bar-  (bei  den  Gagausen  daneben  cir-).  Im  Cuwas.  ist  belegt: 
maGjr-,  nuuura-,  makra-   »weinen,  blöken«;;  vgl.  unten  §  173. 

IL 

§  8.  Wenden  wir  uns  nun  zum  zweiten  Element  all  dieser  Wörter,  so  i» 
könnte  eine  mechanische  Betrachtungsweise  uns  leicht  veranlassen,  auch 
yötkür-  und  yödür-  usw.  in  yötk-ür-  und  yöd-ür-  <  yöt-i'tr-  zu  zerlegen,  wie 
dies  NiK.  OsTROüMow  in  der  Tat  und,  wie  mir  scheint,  mit  Recht  bei  den 
Schall  Wörtern  wie  mirqilda-,  m'ifilda-  versucht  hat,  die  er  in  seiner  Gram,  des 
Kazaner  Dialekts  (Kazan  1876,  S.  36  Nr.  7)  in  tnrrq-'ilda-,  mir-ilda-  auflöst,   's 

Freilich  sind  Onomatopoetika  auf  -7  nicht  unbeliebt:  Prob.  V  285  182-3 
halamn  iinü  barq  ettl\bati  (lies  bai'i)  yergä  yarq  etti  »des  Kindes  Stimme  er- 
schallte, sein  Kopf  fiel  (bei  der  Geburt)  polternd  zur  Erde«  ;  V  415  1582  tarq 
etip  osurdii  »er  ließ  einen  krachenden  Furz« ;  V  457  3003  yürügü  qalq  etti  »sein 
Herz  pochte«  ;  V  558  1105  yerdm  asfi  s'ilq  etti  »die  Unterwelt  erdröhnte« ;  mit  ju 
da-  für  ät-:  Prob.  V  55  i  853  riralas'i  yarq  dep  qaldt  »die  Feuerbrände  sprühten 
knisternd  auf«.  Wb  IV  1827  kir.  su  burq  qitip  qainadi  »das  Wasser  kochte 
mit  Geräusch«  etwa  »bullerte,  blubberte«. 

Gegen  die  Abtrennung  yOtk-iir  scheint  mir  aber  die  ganze  Lautgestalt 
des  Wortes  zu  sprechen :  Schallwörter  auf  -tk  sind  mir  unbekannt,  alle  Schall-  >5 
Wörter  auf  -k  (und  -/  oder  -s)  haben  meines  Wissens  vor  dem  auslautenden 
Konsonanten  -/-  o(^r  -r-'. 

osm.  yania-,  yatiiaq,  balk.  :ania-.  :anidq.  Ferner  Spr.  94b  ija'/Ja-  »wehklagen«  r=  ostt. 
kkir.  qaqia-  (auch  unter  ^qaqsa-  3),  wohl  —  tel.  qaqsi-  •  wimmern,  jammern«,  vgl.  kaz.  iinsi- 
-winseln«.  Ob  hier  alter  Ablaut  oder  nur  neuere  Verderbnis  vorliegt,  ist  schwer  zu  sagen;  3° 
-sa-  darf  vielleicht  mit  dem  in  AtüD  behandelten  zu.saminengestellt  werden,  -si-  111.  E. 
aber  nicht  mit  dem  St3  §  5  besprochenen:  es  scheint  vielmehr  zu  dem  ererbten  Sprachgut 
gerechnet  werden  zu  müssen. 

'    Vgl.  Prob.  I  378  76  aq  carö'in  üiigi  cart  ättt    -die  weiße  Pfostentür  erbebte- ;  1  394  118 
»ari  ädä  tüStu  »er  fiel  klirrend,  dröhnend  zu  Boden« ;  III  146  i  sirt  et-  (ein  wieder  eingerenkter    35 
Knochen)   •knacken-,  vgl.  IV  362  n  sirt  it-,  tnirt  it-  -knacken,  krachen-  (Finger  und  Rippen) 
ad.   part  ät-    -mit  Krachen    zerplatzen«    (vgl.  osm.   patla-);    Prob.  V  122  2073-4  tj'ilt  et-,  kert  et- 

•2* 


12  Bang: 

II  §9  §9.     Ich    würde   also    vorziehen,    den    gutturalen    Konsonanten    zum 

Formans    zu   ziehen    und   sodann  selbstverständlich    mit  dem  ge- 

botenen Zweifel  —  daran  denken,  -qir,  -qur,  -yir,  -yur,  -kir,  -kür,  -gir, 
-gür  mit  dem  gleichlautenden  Formans  der  faktitiven  Verba  zu 
5  identifizieren.  Diese  Annahme  würde  uns  auch  erklären,  warum  das 
faktitive  -qir,  -yur  usw.,  das  in  den  älteren  Phasen  recht  lebendig  war,  heute 
gegen  die  Formantien  -t,  -tur,  -ur  usw.  doch  eher  zurücktritt. 

§  9a.  Sollte  dagegen  der  Guttural  doch  zum  »Thema«  gezogen  werden 
müssen,    so   kann   man  sich  vielleicht   folgendermaßen   mit  ihm  abfinden : 

lu  Basis  ist  bei  allen  diesen  Bildungen  ein  Schallnomen,  das  durch  -iq  zum 
Verbum  wird,  worauf  das  Faktitivzeichen  -ur  antritt.  Denominale  Verba 
auf -ig'  sind  u.  a. :  kär  ».spät,  Abend«  usw.:  ostt.  usw.  käcik-  »sich  verspäten, 
Abend  werden«  >  osm.  gäcik-,  kaz.  klcik-;  köz  »Auge«  :  kir.  usw.  közük-  »die 
Augen   auf  etwas  richten,    mit   bösem   Auge  anschauen;   eine  Erscheinung, 

■  5  Vision  haben«  usw.  >  osm.  guziik-  »zu  sehen  sein«  usw.,  kaz.  küzrik-  »ver- 
hext sein  (durch  das  böse  Auge)«:  yol  »Weg«:  krm.  usw.  yoluq-  »zusammen- 
treffen, auf  etwas  stoßen;  empfangen«  >  kir.  dzolüq-,  kaz.  dzul'iq-:  usw.  usw. 
Bei  Antritt  von  -ur  hätte  dann  die  resultierende  Mittelsilbe  schwinden  können. 
Es  ist  mir  eine  Sippe   bekannt,   die  möglicherweise  so  zu  erklären  ist: 

2o  von  *bilr  kann  abgeleitet  werden:  dschag.  bi'dä-  »mit  dem  Munde  blasen«, 
lies  bülä-  <  *hiirlä-  und  vgl.  tar.  sai-t.  dschag.  pViln-  »blasen,  pusten«  <  *pürl(i-. 
Zu  diesem  *biir,  *pnr  sodann:  krm.  bürük-  »Wasser  aus  dem  Munde  spritzen«, 
tar.  püriik-  »prutschen«  >  kir.  Kar.  T.  hiirk-  »aus  dem  Munde  spritzen,  prut- 
schen,  sprühen  (Regen)«,  sart.  piirk-  »prutschen«;  dschag.  bürkür-  »spritzen« 


25  »blubbern-  und  »knirschen«  (vom  Trinken  und  Kauen);  V^  257  17-6-7  bult  berdi  y'ilt  bernt 
•  er  lasselte,  er  klirrte«  {vgl.  Paasonen  27  filt):  V  450  2779  hört  etip  ciya  ti'dtu  -(der  Kopf 
des  Kindes  bei  der  Geburt)  kam  mit  Getöse  zum  Vorschein«,  vgl.  Z  2781  malt  etip  tüiup 
ija/d'i  »(der  Kopf  resp.  das  Kind)  fiel  poltei'nd  zu  Boden«;  ferner  V^6o  1882  tiirs  dep  tüsö 
qaldi  »er  stieg  rasselnd,  klirrend  vom  Pferde  •  :  gedoppelt  qars  qars  kill-  »laut  lachen,  wiehernd 

j"   lachen«   V^  268  2139,  211  "97  usw. 

Zu  einem  Teile  dieser. Wörter  wenigstens  sind  Weiterbildungen  auf  -ilda-  bekannt: 
qars  (Wb  nur  Dschag.)  »Ton  einer  Explosion,  eines  Schusses,  des  Händeklatschens«;  dazu 
kkir.  qarsüda's-  »sich  gegenseitig  zerren«  (?),  in  den  Texten  dagegen:  Prob.  ^"2692163  qarsildai- 
»rasselnd«   (Pfeil),   272  2371  qarsildat-   »klirren  machen«.     Zu  kürs   zunächst  sag.  kiirslä^  (^g'- 

35  kürilä-)  »krachen«,  dann  tel.  kürsüldä-  »einen  klopfenden  Ton  von  sich  geben«,  kir.  kürsüldö- 
■  schwer  aufatmen«,  Prob.  V  7  4950  kürs  et-  und  kürsüldöt-  vom  Schwirren,  Sausen  des  Pfeiles; 
47-48  tars  fit-  und  tarsitdat-  im  selben  Sinne.  Vgl.  auch  kir.  sirlUda-  »knacken«  zu  *cirt 
(Pi-ob.  III  6  2}.    Vgl.  §  19. 


Varn  Köktilrkischeri  zum  Osinanviclu^ti.  13 

(kir.    bürkiin-   <   *t/nrkiis-    »sich    gegenseitig    bespritzen«),    alt.   tel.   pürkür- n^()i 
r>=p7(rkü-'i,  welches  »prutschen«,  nach  Prob.  I  1601511  »ausspeien«  bedeutet; 
dazu  Prob. IV 596 upwr^/ip  »spuckend«.    Zur  Sippe  gehört  auch  kar.L.birfän- 
<  bürkün-  entrundet  »  bespritzt  werden « ,  wohl  auch  kar.  T.  birk-  » zerstreuen « . 

§  10.     Faktitiva  auf  -qur  usw.  sind   u.  a.  die   folgenden:  yat-  »liegen«     ^ 
bildet  neben  yaür-,  yatfir-  auch  yatijur-  (dschag.),  yatq'ir-  (bar.  Prob.  IV  15  8n); 
ältestes   Beispiel  bis  jetzt  PT  654  yabfur-.  ||  Zu  tar-  haben   wir  heute  turus-, 
turyuz-,  turyus-.  durut-,  durdur-:   im  Osmanischen  noch  durjur-  =  turyur-  bei 
T'  3  I .  II  Von  OS-,  m-  haben  die  ostt.  Mundarten  und  das  Kirgisisclie  jetzt 
ozdur-:  im  Dschag.  besteht  daneben  oz^iur-,  das  .jetzt  in  dem  uig.  Text  bei  w 
PT  6  2  vorliegt.  ||  Ebenso  hat  as-,  az-  die  Faktitiva  asqir-,  azyir-,  azyir-,  azyur-\ 
letzteres  jetzt  auch  im  Uigurischen  belegt  bei  L'  281  19;  osm.  krm.  kaz.  ad. 
azdir-,  schor.  asdr-.  ||  Zu   kör-   haben   wir  körgilz-.  körgiU-,   köryit-  usw.  (vgl. 
meine  St  M  2  5 1 ) ;  im  Uigurischen  finden  wir  jetzt  körkür-  » zeigen «    bei  M " 
19  II   nebeo  dem  gehiiiften  körtkiir- <i  kör-t-kiir  bei  M*  18  3  usw.:   vgl.  das   -^ 
gehäufte   cuwa.s.  k^ixirt-    »zeigen«    (Pa.^sonen  70)  -^  k^(r)-i)ar-t,  =  *körtürt-^ 
usw.  II  So  haben  wir  mit  r-  Schwund '  zu  kir-  das  weitverbreitete  kiyiir-,  neben 
bar.  kirit-   »eintreten  lassen«  (Prob.  IV  25  i;   fWb  ),  tar.  kir.  kirytz-,  dschag. 
kirgiiz-;  girgür-  neben  girdir-  (diese  beide,   wie  es  scheint,  ungebräuchlich).  || 
Zu  bil-  hat  sich   neben  biklir-,  bildi'ir-  im  Kazantatari.schen   ein  biU/ir-  erhal-   =0 
ten,   mit  der  leicht  modifierten  Bedeutung  »sich   zeigen,  sichtbar  sein,  wer- 
den:  bemerkt  werden,  sicli   bemerklich  machen«  (vgl.  Wh  pildir-  unter  2); 
uig.  dschag.  bilgiir-. 

§  11.  Ich  möchte  nun  annehmen,  daß  -qur,  -yi'r  usw.  in  dem  faktitiven 
yatyur-  .sowohl  als  in  dem  Schallverb  b'igür- nichts  andres  als  »machen«  »5 
bedeutet:  yat^iur-  »liegen  machen«,  bögilr-  »bö  machen«^;  es  wäre  also  unser 
Formans  synonym  mit  dem  faktitiven  -f -^  dt-,  it-  »machen«  (Sf  S.  925). 
das  ja  anderseits,  wie  wir  im  §  8  sahen,  bei  Onomatopoeticis  vielfache  Ver- 
wendung findet.  Hier  noch  verschiedenartige  Beispiele:  tiir  (alt.  tel.)  »Ge- 
räusch des  Fliegens«,  ftir  ^/V/«/;  wrtl.  »trrrrr  machend«  =  »schwirrend« :  vgl.   3 


'  Eine  der  schönsten  Faktitivliäut'iingcn,  die  ich  kenne,  ist  das  i-uwaS.  {am-  -saugen":) 
^m»rt-  .säugen«  •<  *äm-iz-t-:  vgl.  zn  am-,  im-  die  Faktitiva:  dschag.  ostt.  kar.  I..  T.  ämi:-. 
kir.  kkir.  emiz-,  sag.  koib.  ktscli.  emis-,  .soj.  tel.  küär.  amts-:  tar.  ämit-:  kir.  emgiz:  kaz.  imt:-, 
tob.  imit-.     Zu  -2,  -s  vgl.  St»  S.  1252. 

'    Vgl.  AtüD  S.  18.  .  3:. 

'    Vgl.  Walde' .s.  V.  wi^/o   .brüllen«;  dort  lut.  mu  und    da.s  gedoppelte   ntulmut  facere. 


14  Bang: 

II §11  Prob.  III  309  lo  dr  etip  üsüp  ketti  »sie  flog  ,tnT'  davon«:  pir  (osm.)  »Ge- 
schwirr«, gedoppelt  pir  pir  ät-:  Prob.  V  319232—3  qaq  eikän  qa'n/a  und  quq 
etkän  quzyun  »krächzender  Rabe  bzw.  Krähe«  :  Saq  »Geklapper«,  gedoppelt 
Saq  Saq  it-  »klappern«  »isw.  usw.  Im  Jakutischen  zu  dem  oben  erwähnten 
5  ImMr  das  Verb  um  VinMr  g'in-  (g'in-  =  »machen«)  »klirren«:  Böhtl.  155  sar 
g'ina  tüs-  »fallen,  so  daß  es  ,sar'  macht«';  vgl.  Prob.  V  555  994  »im«  qil'yan 
iinüm   »meine  Jammerstimme«    (aber  583  1957  qalyanl). 

§  12,  Zugunsten  meiner  Erklärung  könnte  angeführt  werden,  daßSchall- 
verba  von  der  Art  derjenigen,  die  ich  im    i.Teil  dieser  Arbeit  aufgeführt 

10  habe,  im  Cuwasischen  mit  ausgesprochenem,  ja  gehäuftem  Faktitivformans 
erscheinen:  %ardldat-  »schnarchen«,  außer  den  von  Paasonen  34  herbeige- 
zogenen Wörtern  vgl.  tel.  qarqildu-,  qorqilda-,  qorqulda-  »knarren,  schnarchen, 
grunzen«.  Neben  dem  schon  faktitiven  yßrlat-  steht  das  gehäufte  yßrlat- 
tar-   »murren,  schnarchen«.     Dem  kaz.  mirilda-,  m'irq'ilda-  entspricht  cuwas. 

>5  nür'ilDat-   »murmeln,  schnurren  (Katze)«.      Für  kaz.  qitaqla-  gelten  im  öuw. 

sowohl  hdimkla-  a\s>  kdnaklat-  »gackern«.     So  k&z.  p'isq'ilda-,  aber  cuw. /j5i5/- 

nal-    »flüstern«;   kaz.  äartla-  =  cuw.  Sartlaf-   »knallen«;  kaz.  äat'irda-  =  cuw. 

äajßrDat-    »krachen,   knistern«    (vgl.  auch  Paasonen  130);   usw.  usw. 

Im  Altindischen  erscheinen  onoinat.  Bildungen  inei.st  mit  k^-  -machen«  verbunden 
20  (Wackernagel,  Ai.  Gram.  II,  i  S.  7 — 8):  vgl.  besonders  die  Nomina:  ctt-kära-  '\J&rm.',jkaiiat- 
kära-  »Geklingel",  iam-kära-  »Geheul,  Gesumme,  Getöse-  (Prob.IV34i  978  qab'irya  tont  etip  üzüldo 
»krachend  brachen  seine  Kippen-);  W.  Schulze  ftihrt  KZ  45  95  au:  skr.  thtit-kära-  -das 
beim  Aus.spucken  entstehende  Geräusch-  (vgl.  phtit  kf-  »pusten,  kreischen«  bei  Wacker- 
nagel): Walde^  erwähnt  unter  bucca  ein  ai.  huk-kära-   -das  Gebrüll  des   I^öwen-. 

^5  §  12a.   Das  jak.  Wort  für  »niesen«,  'ifirt-  (Böhtl.  §466),  ist  das  einzige 

jak.  Verbum,  das  Böhtlingk  für  den  Auslaut  -rt  anführen  kann  (im  Wrtb.  mit 
-rd).  Es  hat  vollkommen  das  Aussehen  eines  Faktitivs:  iCirt- <^'ifir-t 
(Böhtl.  §  484  3).  Seine  Erklärung  ist  meines  Wissens  bisher  von  niemanden 
versucht  worden.     Erinnern  wir  uns,   daß  oben  §  ib  neben  ös  ein  öt  stand, 

3°  so  liegt  der  Gedanke  nahe,  neben  as  habe  at^  gestanden  und  dieses  at  sei 


'  Das  neue  jakutische  Wb  wird  wohl  Schallwörter  in  größerer  Anzahl  bi'ingen:  was 
mir  an  solchen  bekannt  ist,  sieht  sehr  wenig  »urtürkisch-  aus,  erinnert  eher  an  mong.  und 
mand.  Bildungen  dieser  Art,  über  die  sich  schon  Pon  einmal  ii-gendwo  mit  Recht  sehr 
absprechend  geäußert  hat. 

^  Vgl.  immerhin  dschag.  atsa.  a/se  in  §§  2  und  3:  als  rein  schallmalende  Wörter  be- 
w(^isen  sie  (Veilich  nicht  viel  —  aber  schließlich  nehme  ich  ja  auch  nichts  anderes  an,  als 
daß  at  ein  Schall  wort  sei. 


Vom  KöktnrHoch^n  zum  Oimuinischfin .  15 

die  Grundlage  von  jak.  it-ir-t-:  das  türk.  al-  wird  zu  jak.  'il-  »nehmen«,  yoMl«äi2n 
zu  »U-  »liegen«  usw.   Es  läge  demnach  ein  gehäuftes  Faktitivum  vor.  Selbst- 
verständlich gebe  ich  diesen  Versuch,  dem  Worte  beizukommen,  nicht  für 
wertvoller  aus,  als  er  in  der  Tat  ist;  nur  davon,  daß  wir  uns  einem  Faktiti- 
vum gegenüberbefinden,  glaube  ich  überzeugt  sein  zu  dürfen.  i 

bÖHTLiNGKS  §  185  (vgl.  S.  2o6b!,  in  welchem  er  aus  Sibilanten  entstandene  Jak.  /  be- 
spricht, ist  mii-  bekannt.  Böhti-ingk  vergleicht  z.  B.  osm.  isir-  -beißen«  mit  jak.  it'ir-x  das 
Wort  hat  alle  Allüren  eines  Schallwortes;  ich  erinner«  auch  an  dschag.  tar.  usar-  .furzen". 
Spr.  83a  H-iar-,  JSFOu  XXVI  5  S.  26  tisur-,  osm.  bos.  krm.  ad.  kir.  osur-.  dazu   osm.  osiiniq 

•  FurZ",  osuryan  »Furzer-  (Youss.),  osm.  iisuraq  -Furaer«  =  o.suryaq  in  Jarkend  (JSFOu  I.e.  'o 
S.  43);  Hoi'TS.  49  ftgur-  eher  atur-;  alt.  tel.  leb.  schor.  küär.  sag.  koib.  oci/-;  kaz.  tis'ir-  „=  os'ir-'^ 
(fWb),  kaz.  utr'iq  -Furz«  .,=  osriq"  (fWb),  kaz.  tob.  tum.  tisraq  -Furzer"  :  jak.  ntiiruk  «Furz« 
und  das  denominale  vtnruktä-.  Auch  hier  nehmen  wir  vielleicht  besser  zwei  lautlich  leicht 
differenzierte  Basen,  d.  li.  Schallwörter,  an;  vgl.  z.  H.  ruwas.  pi^zar-  »furzen«,  kaz.  pUildat-, 
kir.  p'isildat-  mit  einer  auf  .Sibilanten  endigenden  Basis,  anderseits  ^  putt  --  »pupp«  in  '5 
JSFOu  I.  c.  S.  41 — 42.  (*ber  die  Wiedergabe  des  akustischen  Eindriick.s  des Verschluß- 
lauts läßt  sich  eben  streiten. 

Wer  glaubt,   mit   einer   einzigen   Basis   auszukonunen,   kann   sich   u.  a.  auf  jak.  tita / 

•  Durst,   Trank"    berufen,   das    zweifellos    dem    ostt.    usaq    »duretig«   :=:  dschag.  osm.   susaq 
{<.**usa-q  oder  eher  *susa-yaq')  entspricht;   Böhtlinok  178b  verglich  schon  ittai-   -durstig   =" 
werden«   mit  susa;  ohne  sich  über  die  Kinzelheiten  auszusprechen,  die  auch  heute  noch  im 
Dunkein  liegen:  tj>r.  f«a-  -dursten-,  Prob.  VI  164  6u  usitdi,  3«  utudiim,  165  4  usuyan  — -  tel.  suzäq 

•  durstig"  <  *Mizayaq  <.  *m.sa-yaq;  MSOS  1914  178a  ussa-,  Spr. €33  ussiir-,  ussar-;  h&XV..  ussdp 
und  susdit   »Durst-  (vgl.  kar.  T.  mitrsap  •durstig«,  suw-iapl'iy^  »Durst«);  usstir-  entspricht  mög- 
licherweise dem   kir.  *i7*t<ra-  <_  "siib-s'iz-ra-  (St  3  1236   .\nm.  2),   wie  al)ei' ist  das  auslautende -/    '5 
im  jak.  utat-  zu  deuten i"     Ist  das  Wort  ein  Faktitivum  {subsat-,  sttxat-  -tränken.)  zu  *utä- 

( vgl.  aio-  »essen-  >-  jak.  asä-i  asat-  -nutern«)  und  entspricht  die.-*  *utä-  dem  tar.  usa-  <;  ussa-'.' 
Da  utoy,  sowohl  «Durst«  als  -Trank •■  bedeutet  (ebenso  kir.  xii,nin).  muß  diese  Erklärung  als 
möglich  gelten,  solange  keine  bessere  gefunden  ist^. 

'  Kürzung  urspnTnglich  kontraktioiislanger  Auslautsilbe,  z.  B.  in  osm.  sann  (türkm.  ?o 
Vamb.  sä/in)  =  alt.  tel.  si/rSn  »kalt,  kühl,  frisch-  «C  tel.  ■täriigiin:  im  Ostt.  «-Umlaut:  tar.  sorün. 
Spr.  92c  sorun,  MSO.S  1914  205a  .löruv.  <.'C  139  fereon  lies  ■■^ärr/'Un.  Küär.  siriigiin,  leb.  schor. 
säräri,  sag.  koib.  ktsch.  srran.  Castrkn  123  siirnn.  Mel.  as.  IX  150  siirori,  fiiriiii  mit  sporadischen] 
ä-Umlaut.  SiL.-KüN.  171  gibt  die  Aussprache  sirin.  die  in  der  Tat  bestanden  haben  muß. 
weil  süron  auf  älteres   *firon  hinweist.  35 

Mong.  seregün.  strigün,  mand.  sn-guicm  (sprich  sergiin.')  .frais,  rafraicliissant..  sind  offen- 
bar von  mong.  seremüi,  serimüi  -s'eveiller.  sc  reveiller.  veiiier...  mand.  sprrmbi  "bemerken-  usw.. 
siTehvn  -wachsam-  zu  trennen:  ob  särägün  einem  älteren  Kultiirkreis  entlehnt  ist,  weiß  ich 
nicht;   vgl.  kir.  taza  aua   -frische   Luft«   (rkWh  26Tb  311)  <  dem  Iran.  bzw.   Aral). 

'■'    Zu  yÜT-  u.sw.   -gehen-    gehört   das  Faktitivum   yüriit-:    im  Jakutischen    besteht    nur    1° 
nrit-   »gehen«,  zu  <lem  Böhtlinok  im  !?  486  S.  291  bemerkt;  ..hier  ist -<  nicht  Kausativaffix". 
Im  Wb  163a  erklärt  er  es  für  ein    Frci|uentativum.   wie  auch  im  !;  488.    Seine  Fret^uentativa 


16  B ANG : 

n§i3  §  13.    In  diesem  Unglücksparagraphen  werde  ich  nun  der  Frage  nach 

der  Herkunft  des  faktitiven  -(fir,  -yur  leider  nicht  ausweichen  können,  ob- 
gleich  ich   nichts  Sicheres   zur  Lösung  derselben   beizubringen  habe. 

Nahe   läge   es,    das   Formans    mit  q'il-    »machen«,   jak.   km-    »machen« 
5   (<  *q'i-l,  bzw.  -n'i)  zu  identifizieren  und  anzunehmen,   das  gleichbedeutende 
-'ir,  -ur  sei  auf  lautlichem  Wege  daraus  gekürzt'. 

Obwohl  diese  Erklärung  in  der  Herleitung  des  faktitiven  -t  <  dem  Ver- 
bum  ät-  »machen«  eine  gewisse  Stütze  finden  würde,  birgt  sie  große  Ge- 
fahren in  sich;   überblicken   wir  nämlich  die  hauptsächlichsten  Faktitiv- 
10  formantien : 

-°e     ■         -t°r  -7°r 

-°z  -t°z  -y°z, 

so  springt  in  die   Augen,   daß  -t°r,   -t°z  aus   -°t  und  -°r  bzw.  aus  -°t  und 

■5  -'^z  zusammengesetzt,  d.  h.  mit  anderen  Worten,  daß  sie  gehäufte  For- 
mantien sind.  A  priori  wird  man  also  geneigt  sein,  auch  in  -y°r  und  -y°z 
gehäufte  Bildungen  zu  vermuten,  obwohl  bei  dieser  Annahme  der  erste  Kom- 
ponent  vorläufig  in  Dunkel  gehüllt  bleibt  (vgl.  die  mongol.  Bildungen  in 
Anm.  i).  ■ 

2c.  Unklar  ist  auch  —  es  wird  gut  sein,   dies  ausdrücklich  zu  erklären  — 

ob  -°r  etwa  aus  -°z  durch  Rhotazismus  entstanden  ist  oder  ob  umgekehrt 
-°z,  etwa  aus  dissimilatorischen  Gründen,  für  ursprünglicheres  -°r  eingetreten 
ist,  wenn  sie  überhaupt  nicht  besser  als  zwei  ganz  verschiedene 
Formantien  aufzufassen   sind. 

25  Die  hohe  Altertümlichkeit  der  beiden  Formen  -°r  und  -y^r  ist  jedenfalls 

nicht  in  Zweifel  zu  ziehen ;   für  erstere  ergibt  sich  dies  auf  das  deutlichste 


oder  Intensiva  auf  -/  unterliegen  aber,  vom  vergleichenden  Standpunkt  aus  beurteilt,  starken 
Zweifein.     Statt  yürüt-  liat  übrigens  Kar.  L.  yüriittür-.  ein  gehäuftes  Faktitiv. 

Eine  andere  Kategorie  von  Wörtern  auf  -/  führt  Böhti.ingk  im  !;  504  auf,  ohne  sich 
über  ihren  Wert  zu  äußern:  hier  tiiiden  wir  u.a.  unser  niat-  und  dann  auch  irät-  .sich 
entfernen«.  Ich  halte  auch  dieses  Verbuin  für  ein  entwei'tetes  Faktitiviun:  i/'irat-,  yirat-.  irat- 
" entfernen«,  aber  v..  B.  rei.  irada  por  »geh  weiter  fort«,  wrtl.  »entfernend  geh«  d.  h.  -ent- 
ferne dich".  Derartige  Faktitiva  verlangen  nach  einer  ausführlicheren  Monographie:  vgl. 
vorläufig  Hommelfestschrift  II  (.MVAG  1917)  290. 

'  Im  Mongolischen  sind  die  Faktitivforniantien  -ga.  -ye.  -Iga.  -Ige  und  -17«/.  gül  (Schmii>t. 
.S.  77)  im  Gebrauch:  letzteres  wird  auf  lautlichem  Wege  im  Burjatischen  -lw  -jul.  von  dem 
aus  sich  eine  Form   *-ul  leicht  entwickeln  könnte. 

-    jVlit  °  bezeichne   ich   hier  den   ablautenden   Vokal. 


Vom  Köktürkiftrhfin  zum  OsmianiscJmi.  17 

neben  anderen  Umständen  aus  dem  Auftreten  des  sog.  »Suffixes«  -s^ir  (vgl.  n§i3 
$  14),  fiir  letztere  wolle  man  auch  die  Schallverba  auf -g'jra-  usw.  (vgl.  §§  1 5ff.) 
im  Auge  behalten. 

§  14.  W.  W.  Rädloff  hat,  soviel  ich  sehe,  die  verbale  Endung  -sur 
stets  für  ein  einheitliches  Klement  gehalten,  am  deutlichsten  wohl  in  den  5 
Altt.  Inschr.  S.  414,  wo  er  »das  Affix  -^7'«  aufführt.  Es  kann  aber  keinen 
Augenblick  bezweifelt  werden,  daß  -s-ur  aus,  dem  kooperativen  -s  und  eben 
unserem  faktitiven  -°r  zusammengesetzt  ist.  Der  Beweis  für  die  Richtigkeit 
dieser  Ansicht  liegt  einmal  in  der  Bedeutung  der  betreiTenden  Zeitwörter, 
dann  aber  in  der  Tatsache,  daß  sich  hier  und  da  neben  Verben  auf  -hir  10 
solche  auf -^ftr  <  -S  und  -fir  nachweisen  lassen;  letztere  sind  für  den  Sprechen- 
den verständlicher,  weil  die  auf  -,^ur  frühzeitig  die  unbetonte  Mittelsilbe  ein- 
gebüßt hatten  (xxx  >  xx  usw.),  wodurch  ihr  etymologischer  Wert  verdun- 
kelt werden  mußte'.  Einige  Beispiele  werden  genügen;  die  Dialekte  werden 
nur  angedeutet.  «5 

1.  yap-  »decken,  bedecken«;  osva.  yaptä-  »berühren,  ankleben,  kleben- 
bleiben«, kaz.  yabiS-  »zusammen  zudecken,  ankleben,  hängenbleiben«,  uig. 
yahiii-,  kii. dzabis-  »klebenbleiben« ;  alt.yapS'ir-  »ankleben,  befestigen«  =  koib. 
yaps'ir-,  ahn-  osm.  yapWü-  »ankleben«,  (\scha.g.  yapuMur-,  k&z.  yabßfir-.  Auch 
HouTS.  104  yapiStur-   »heften»".  ao 

2.  tap-  »finden,  erwerben«  ;' alt.  talnS-  »sich  finden,  sich  vereinigen,  sich 
helfen«;  osm.  tfipisir-(\),  tapi'ir-  »hingelangenlassen,  einhändigen,  über- 
geben«, uig.  tapSur  »übergeben,  hinbringen«,  aber  osm.  tapiM'ir-  »empfehlen, 
zu.stellenla.ssen«  (Youss. :  vieux  mot),  tel.  tabUttr-  »überbringen,  zustellen« 
usw.,  kir.  tabfisttr-  »vereinigen,  versöhnen«  (das  Simplex  tabis-  bedeutet  »sich  ^s 
finden,  sich  treffen;  sich  vereinigen,  sich  versöhnen«!). 

3.  täk-,  täy-,  dni-  »berühren,  treffen,  anrühren«  usw.;  ostt.  ta'giS-  »sich 
treffen:  ein  Geschenk  darreichen;  tauschen,  austauschen«  -  krm.  drigi^- 
» wechseln«,  osm. dd'yü-:  Hovts. däg.yf/r-  » verwech.seln « ,  dschag.  (^/«A-.sV/r-  »wech- 
seln«: osm.  däyiMir-  »verändern,  umtauschen,  umwechseln«,  aber  krm.  da-  30 
gi^tir-  und  ostt.  tägiMür-  »tauschen  lassen«.  Sül.-Kun.  57  dekiUir-  »um- 
wechseln« bzw.  »tauschen«.  Hierher  wohl  auch  Kar.  L.  tiwsiir-  und  Ijiwsir- 
(Wb.  II1814)   »verändern,  verwandeln«. 

'    Zu  den  lautlichen  Vorgängen  vgl.  den  ersten  Anhang  über  yaqii  usw. 
-    ProVj.  I  26571  yafiiir'ip  pa^ti   -er  tWickte  ihn   fest  (oder:  dicht)  /.ii   Hadon-.  3! 

PhiL-hist.  Ahh.   1919.  Nr.  5.  A 


18  Bang: 

II §14  4.  qap-  <  *qab-  »fassen,  anfassen« :  osm.  qawU-  »zusammenkommen,  sich 
vereinigen«,  iiig.  qawii-  (z.  B.  PT  268b)  und  qawuS-;  uig.  qawmr-  »zusammen- 
legen« usw.,  z.  B.  M  22  12:  iliglärin  qawSurup  »die  Hände  (betend)  zusammen- 
legend«, M"  46  71 :  iki  ayalarni  %aw.<<urup iki  uluy  änräklärni  yapsurup 

5    »die  beiden  Handflächen  aneinanderlegend, die  beiden  Daumen  sich 

bedecken  lassend'«:  osm.  qatmidr-  »verbinden,  in  Verbindung  bringen,  zu- 
sammenlegen« (z.  B.  äl  qaunsttr-  »die  Hände  auf  der  Brust  kreuzen,  als 
Zeichen  der  Hochachtung«),  uig.  qawuätur-  (z.  B.  qol  qatmi^tur-  »die  Arme 
über  der  Brust  kreuzen«)^. 

m. 

§  15.  Sprachgeschichtlich  von  großer  Bedeutung,  freilich  auch  schwierig 
zu  beurteilen,  sind  die  zahlreichen  Schallverba  auf  -q'ira  usw.,  von  denen 
ich  einige  hier  zusammenstelle: 

1.  Ostt. purqura-  <  dem  Schallwort  *pur  und  -q'ira;  Bedeutung  »niesen«. 
'5  Wb.  verweist  auf  eine  Form  purqra-,  welche  im  Wb.  fehlt. 

2.  Kir.  barqra-  »laut  sprechen,  schreien«  <  *harqira-:  vgl.  alt.  tel.  par- 
qira-  »knurren«,  parq%ra§-  »zusammen  lärmen«  (von  Vögeln):  kir.  bariqra- 
mit  Einschub.      Hierzu  bars  'Tiger'?? 

3.  Kkir.  qorqura-  »röcheln«  (Prob.  V  2 76  2420  qorqüra-  von  einem  Sterben- 
jo  den) ;  bar.  qory'ira-  » schnarchen « .   YgVkorla-  GC  134»  schnarchen « ,  in  den  Aba- 

kanmundarten  belegt  im  Sinne  von  »murmeln,  rieseln«  (vom  Wasser);  anderseits 
tel.  qorqulda-  »grunzen«  (vom  Schwein),  tel.  qorqilda-  »schnarchen,  knarren«. 

4.  CC  138  sohranirmen  =  ich  truyre  (für  Kuuns  eruyre),  d.  h.  traure; 
dschag.  osm.  soqran-   »sich  beklagen,  weinen«  nach  Vämbery  auch    »brum- 

25  men,  murren«;  Sul.-Kun.  i  73  soätöwotö^:  rriinldanmak,  dudak  alttndan  javai 
javah  söjlenmek  —  »murren,  zwischen  den  Lippen  sprechen«;  <  soq'ira-n-, 
wozu  zu  stellen  ist  das  lautgerecht  verengerte  tob.  suqra-  »unzufrieden  sein, 
sich   beklagen,   murren,  brummen«. 

'    Also  Sj'nonym  von    osm.  däwsir-   -zusammenlegen,  zusammenfalten,  aufhäufen,  ver- 
3"    sammeln»  =  krm.  däwsir-  und  däüsir-  »zusammennehmen,  versammeln«,  die  ich  über  *täwisir-, 
*tägiiir-  mit  tag-   »berühren«   (oben   unter  3)  in  Verbindung   setze. 

-    Die    inschriftlich    belegten  Verba   Jeinsür-   und  yofisur-    (IK6:    vgl.  Thoms.  Anni.  1 1) 
machen   nur  deshalb   auch  heute   noch  Schwierigkeiten,    weil   die  Bedeutung  der  Simplicia 
nicht    durchaus    festsieht.     Thomsens   Analyse    von    yoiisur-    ist  jedenfalls    tadellos;    nur   ist 
35    vielleicht  yohasnr-  zu  lesen   nach  Kr.  627   und  Anm.  i. 


Vom  Köktürkischen  zum  Osrnanlschcn.  19 

5.  Ostt.  Mrqura-  »plätschern«,  zu  osm.  tel.  aar  »der  Ton  des  Murmeins  ll§i: 
des  Wassers«,  z.  B.  .m  sar  aqfi  oder   gedoppelt  sar  sar  aqti   »das  Wasser 
floß  murmelnd«  osm.  auch  mfil  äaril  aqfi.    Vgl.  osm.  safilda-  »rieseln,  couler 
avec   bruit«    (Yoüssoüf),    kaz.  iarqilda-    »laut    lachen«,   sarq'ildap  köl-   »laut 
lachen«.      Sodann    tel.   osm.   kaz.   sarla-    »rieseln,    murmeln;    stark    fließen    5 
(Wasser  aus  einem  Faß):  prasseln  (Butter  auf"  der  Pfanne)«. 

6.  Tel.  dirqira-  »rauschen  (vom  Wasser),  pfeifen«  =  kaz.  öirqira-  »zwit- 
schern (vom  Sperling)«.  Vgl.  kaz.  f'ifilda-  ■'schluchzen  (von  einem  Kinde)«, 
wodurch  hinübergeleitet  wird  zu  kkir.  öirqira-  »wimmern«  (vor  Angst)  in 
Prob.  V  578  1785  usw.  >  kir.  &'irqira-  »wimmern«  (Prob.  III  2  14  1633).  Das  m 
(irundwort  fir  bedeutet  im  Osm.  »eine  Sperlingsart«  :  dazu  tel.  c'iWa-  »zir- 
pen«: gedoppeltes  circir  bedeutet  im  Osm.  »alles  knarrende,  knisternde«, 
dann    »Schwätzer,   Grille«.      Hierher  wohl  ostt.  öirla-    »rufen«. 

7.  Diesem  cir  steht  *i'ir  sehr  nahe,  das  in  den  folgenden  Ableitungen 
weiterlebt:  alt.  tel.  ä'irq'ira-   »rauschen«    osm.  alt.  usw.  i'irla-  »summen  (von   -s 
kochendem  Wasser),  murmeln,    rieseln  (vom  Wasser),    schwirren  (von  der 
Lerche),  zwitschern«;  vgl.  weiter  kaz.  S'irq'ilda-  »laut  schreien,  laut  lachen« 
(vgl.  auch  sart.  osm.  [?]  sirilda-    »murmeln,  rieseln«   usw.). 

8.  Im  Wb.  fehlt  kkir.  Inrqira-;  es  kommt  z.  B.   vor:  Prob.  V  459  3065 
Uirqiraj)  tkip  yatqan  »heftig  weinend«,  580  1842  im  Sinne  von  »poltern«  (von   au 
stürzendem    Fels:    »krachend«):    vgl.  kür.  b'iryilda-    »tönen,    schallen«,   kaz. 

» grunzen « . 

9.  Prob.  VI  464:  qiz  wäqraUlü:  wai  oyn  däp  »das  Mädchen  schrie:  weh, 
ein  Dieb.«   Wb.  hat  dafür  waqra-:  es  ist  aber  klar,  daß  wüqra-  das  Richtigere 
ist:   *wai-qira-^,  für  das  an   der  Parallelstelle  48  7   qiqas  sal-   »schreien«  ge-   "> 
braucht  wird.    Vgl.  hier  wieder:  baq'ir-,  baq'ira-,  baqra-  usw.,  für  welche  man 
an  Zusammensetzung  mit  dem  Ausruf  bai  denken  könnte. 

10.  Schließüch  erwähne  ich  hier  schon  osm .  i^rff-  »brüllen  (von  Kälbern)«, 
das   YoussoüF  505   durch   ujrhnek  umschreibt.      Da  er  daneben   ein   Nomen 
iyrik   »animal   (jui  crie,   qui   mugit«  kennt,   so  muß  neben  igrn-  ein  Verbum  i" 
"igir-  bestanden  haben  oder  mundartlich  noch  bestehen;  igrä-  steht  also  tur 
*igird-.    Dieses  *tgir-  wird  auch  durch  osm.  igirti,  iyirti  »Gebrüll«  verlangt. 

Eine  Form  *iflrä-  ist  bis  heute  meines  Wissens  nicht  belegt" ;  ich  hätte 
dieses  Wort  sonst  auch  im  §  i  7  aufttlhren  können.     Da  aber  dschag.  änrä-, 

'    Erstsilbiges  -ai-  >  -ä-  wie  in  är7  <c  airi   •  Heugabel  ■   u.  dgl.  35 

'    Vgl.  immerhin  Sol.-Kun.  89  inkremek  «trauernd  weinen«. 


2Ö  W.  Bang: 

II §15  kir.  enrä-  »wimmern,  jammern,  schreien,  blöken  «  (Prob.  III  136  19;  403  10) 
virtuell  dieses  *inrä-  vertritt,  so  bitte  ich,  die  Wörter  des  §176  mit  diesem 
zusammenhalten  zu  wollen. 

CC  1345   steht  im  Original:   3t  pgrani&lr  =  der  hu//t  gru/ici[t];    es  ist 
5    also   nicht   mit  aller  Sicherheit   auszumachen,  ob  das  Verbum  igrän-  oder 
'iyran-  lautete;  schov.'iyran-   »knurren  (von  Hunden)«,  vgl.  unten  §177. 

BöHTi.iNGK  fuhrt  jak.  Wörter  auf  -k'irä-  usw.  im  §  471  auf;  dazu  vgl.  seine  Anm.  300: 
•  ^  ist,  wie  BoBRowMKow  (S.  122)  bemerkt,  eine  öfters  wiederkehrende  Kndung  bei  Verben, 
die    einen   lauten,    schneidenden  Ton  bezeichnen.«      Soweit  das  jak.  Material  reiclit,  scheint 
10   es  aus  dem  Mongolischen  zu  stammen. 

§  16.  Die  Beurteilung  des  Verhältnisses  von  -qira  zu  -qir  hängt  offen- 
bar auf  das  Innigste  mit  der  Frage  zusammen,  inwiefern  im  Türkischen 
die  heute  einsilbigen,  konsonantisch  auslautenden  Verbalstämme  aus 
älteren   zweisilbigen,   vokalisch   auslautenden  .entstanden  sind  (Phonetik 

'5  §  281).  Die  saubere  Lösung  dieser  Frage  ist  aber  von  einer  Anzahl  von 
Vorarbeiten  abhängig,  die  mit  der  vorliegenden  Arbeit  in  gar  keinem  Zu- 
sammenhang stehen  (vgl.  vorläufig  meine  MtüSpr.  §  26). 

Die  Bausteine  werden  wir  uns  mühsam  aUer  Ecken  zusammensuchen 
müssen,   ohne   doch   schon  jetzt  hoffen  zu  dürfen,   daß  sie  einen  festgefügten 

20  Bau  ergeben  werden:  dschag.  öksüräk  (§  1)  z.  B.  könnte  auf  *öskürd-  zurück- 
geführt werden,  doch  ist  es  isoliert,  und  ältere  Formen  des  Verbums  fehlen 
uns;   m;m  darf  daher  auch   an   den  Suffixablaut  -ik,  -iik:   -ak  denken. 

Im  Kkir.  kenne  ich  zu  cinir-  »klagen,  jammern,  wimmern«  (Prob.  V 
4492752,  4121481  usw.),  das  Nomen   cminq   (V  356 1613— 14);    Nebenformen 

25  sind :  cinginq  (341  1005),  ci-yir'iq  (4 1  3  1501),  eiyiltq  (505  4634)  und  ciy'iraq  (412  1482). 
Auch    hier  darf  man  vielleicht  ein   Verbum   *eimra-,   *eiyira-  konstruieren? 

§  17.  Auch  bei  der  hier  zu  nennenden  Kategorie  von  Schallwörtem 
spielt  die  im  §  16  erwähnte  Frage  wohl  noch  eine  Rolle.  Im  Wb.  werden 
diese  Verba   olme  Erklärung   ihrer   äußeren   Form    gegeben.      Sie    gehören 

30  offenbar  zum  ältesten  Sprachgut. 

I.  T°  93  münrä-  »to  bellow«  (vom  Maral),  vielleicht  auch  mönrä- z\x 
lesen;  vgl.  kir.  mönrö-  »brüllen«  >  alt.  tel.  leb.  mörö-,  lies  mörö-,  bar.  ?närö-; 
vgl.  Prob.  IX  346  2u  miiräzip-märazip  zu  *müräi-  und  märas-  (vgl.  unten  3). 
Im  Baikar.   heißt   »brüllen«   (Rind)   münnürn-,    im  Kaz.  tn0krä-  und  megffr- 

35  (dies  bei  Paasonen  87  unter  rmiärvat-):  ist  als  Grundform  aller  Formen 
*mü-kiir<'i-,   */iii/-krn-  oder  *mnfi-k>/r(i  usw.   anzusetzen? 


Vom  Köktiirkischen  zum  Osman'iscfwa.  21 

2.  kom.  usw.  mw/lra   »brüllen  (Kuh,    Kamel),  schreien«:  dschag.  auch  n§i7 
munraä-.     Im    Sart.  dafiir    muyra-;  vgl.  tel.  mügta-{?),    das    durch    »brüllen 
(von  der  Kuh,  eigentlich  Muh  sagen)«  übersetzt  wird.     Grundform  *mu-qtra- 
usw.? 

3.  Uig.  usw.  manra-  »blöken;  stöhnen,  ächzen«;  PT  584  »gemir«,  L'  5 
610  »schreien«  (Mensch);  Prob.  II  3722351  manrad'i,  kista'ndi  »wieherte«. 
Prob.  IV  167  10  manara-  (? ? mantfa-)  »blöken«.  Vgl.  die  cuwai.  Formen 
rnakra-,  maGara-,  inaoar-  oben  §  7  9.  doch  vielleicht  auch  kir.  manqüda-  »bfel- 
len«?  Nach  Quellen,  die  fiir  mich  nicht  laufen,  erwähnt  Paasonen  84:  alt. 
maara-,  das  zu  obigem  maüara-  passep  würde.     Grundform  *ma-q'ira-'^^        ■« 

4.  Voih.  kinrä-  »hell  wiehern«  (Prob.  II  408  1008).  Vgl.  schor.  Är/mni-n- 
» brummen,  murren«,  bar.  kcigrän-  »murren« ".  Anderseits  schor.  usw.  känrn-t- 
in  at  kährädip  kistnp  öad'ir  »das  Pferd  wieherte  hell«;  dann  osm.  M^ra- 
» brüllen,  vor  Wut  brüllen,  wütend  sein«,  das  von  Kar.  L.  kükni-,  entrundet 
aus  kökrä-,  zu  trennen   ist.      Grundform   *ki-kird-,   *kd-kird-?  -5 

Ein  Synonym  ist  sag.  sanra-   »hell  wiehern«'. 

5.  \i\T.  afira-  (mit  dem  Zusatz    » vgl.  aMr- » )    »wimmern,  schreien    (von 

kleinen  Kindeni  und  jungem  Vieh)«,  dschag.  anra.^-:  tar.  anraii-    »stöhnen, 

.seufzen«;   kir.  aiiira-,  ancfira-,  afiyra-  (vgl.  Phonetik  §  448)  »=  aüru-»^:   vgl. 

oben   §  7  3  und  Anm.  Grundform  *a-qira-,   *an-qira-? 

Im  Tarantschi  bedeutet  Aany;  -Uselhengst«  (vgl.  oben  S.  936);  ich  leite  da.s  Wort  von 
*angir  oder  *aii-yir  her*  und  erinnere  an  den  "Brüllei--  lyxf-r,':  (vgl.  Wackernagel,  Voces 
variae  animantium'  61;  Dähnhardt,  Natureagen  III  i  S.  187:  Boisac^  683;  Berneker  267). 

'  Wenn  Vämbebv  da.s  nur  von  ihm  Cag.  .Spr.  336  b  aufgeführte  mari-  »briillen  (vom 
Stier)-  selbst  gehört  hat,  .so  ist  es  wohl  als  märi- zw  interpretieren;  das  auslautende -(' wird  25 
dann  aus  einer  geschwächtt'n  Fomi  erschlossen  sein:  märaidur  ^  niäridiir  usw.?  Wenn 
diese  Annahmen  unrichtig  sind,  bleibt  mir  das  Wort  unklar,  man  müßte  denn  auch  hier 
noch  den  Ablaut  -a:  -i  im  verbalen  Auslaut  annehmen  wollen.  .Sul.-Ki'n.  144  hat  mar'i- 
'havla-,  af  af  ät-  —  bellen«  [A.  voNLECog  kennt  mafidl  -muhte  (von  der  Kuh)-,  wo  also 
•a-  kurz  gewesen  sein  muß.  weil  es  Umlaut  erlitten  hat].  30 

'  In  einem  unsrer  ältesten  Texte  (T'  34)  wird  schon  känrän-  gebraucht,  und  zwar  vom 
.Schall  einer  Schelle;  als  Parallelwoi't  yaiira-,  :=.  bar.  yanyur-,  kaz.  yangir-  und  —  mit  selt- 
■samer  Erweiterung  —  kir.  diangiTiq-  "Widerhallen-.  M»  246  ein  i/afiqir-,  dessen  -r-  nicht 
ganz  feststeht. 

'    Das  gewöhnliche  Wort  fiir  -wiehern-  ist  kisnä-,  worüber  der  zweite  Anhang  untei-  4    35 
zu  vergleichen  ist. 

*  Die  beiden  Bestandteile  diases  Wortes  finde  ich  auch  in  dscliag.  afujir,  aiiqur  »eine 
Knteuart-  :=  kir.  kkir.  anyar,    alt.  aüai    •  Wasservogel,   kleiner  als  eine  Ciaus,    mit   ruti^elber 


2'i  W.  Ban«: 

11^,.,  Es   werden   also   wohl   auch   die  Wörter   für    -Hengst"    und    »Wolf-,   mit   denen    ich 

KSz.  XVII  129,  Anin.  2  nichts  Rechtes  anzufangen  wußte,  Schallwörter  sein: 

»Hengst«:    kokt,  ad'fir  (T^  86)  >  aiyir,  bzw.  ast^ir,  aqs'ir;   jak.  at'ir,  das  ich  auf  eine 

Foi-m   ohne  Guttural  zurückführe:  *a(lii;  im  Wolgabulgarischen  *ad'iT  mit  spirantischem  -d-: 

5    daneben  irgendwo   und  -wann   *ayir  ~>   üuwas.  aßr  (aber  z.  B.  -dfy-  in  uig.  qadyu  >  i'uwai. 

'/ivj~/jt    "Sorge«);    balk.  anr,   dessen  -z-  der    Erklärung   bedarf  (Phon.  §§  274,    338   und   St3 

1239  Anm.  4). 

"Wolf«:  kkir.  qarüqir;  bar.  qarsqur;  kir.  qasqir   .=  qaiqir«  (fW^B);  iuwas.  knskar;  wrtl. 
wohl     »der   Heulende«?     Zu    *qars,   einer   Nebenform    von    qars;    dazu    *qarila-    >    cuwai. 
""   icasla-   "Sausen,  brausen,  heulen«  (z.  B.  vom  Walde).     Vgl.  etwa  alt.  usw.  tars  »Knall,  Krach«, 
osm.  tars   »Krach«  :  sag.  tarUa-,  koib.  tarsla-   »dröhnen«,  sag.  taslm-   .lärmen«   usw. 

6.  dschag.  änrä-  (»vgl.  äfiil-,  r'mii-'^  [?]),  kir.  e7ir(i-  »jammern,  weinen, 
wimmern«;  dazu:  dscha.g.  nnrän-  »leise  weinen«,  nnräi-,  Vit.  enrcis-  »zu- 
sammen weinen,  jammern,  winseln«.  Unter  kir.  enkildä-  die  vereinzelt  ge- 
15  bliebene  Bemerkung:  »von  änkil -{- In;  änkil  ist  wahrscheinlich  tonnachah- 
mend, vgl.  eiirä-,  (Uni- f.  Ich  stelle  hierher:  dschag.  ngrän-  »seufzen,  schluch- 
zen« (SuL.-KuN.  81  unter  igranmakl)  und  bitte  oben  §  15  10  nachzulesen. 
Grundform   *n-kirä-,   *i-kirä-? 

Synonym:   dschag.  sj«r«-    »still  weinen,   wimmern«. 

20  7.  kaz.  iV>r«-    »knarren«,    kir.  ifiran-    »stöhnen,  ächzen«   (auch  Prob.  V 

325450),  tel.  'mira-  »brüllen  (von  Kühen)«;  schor.  iyira-,  iyra-  »knarren,  klir- 
ren«, iyran-  »knurren  (von  Hunden)«.  Grundform  t-q'ira?  Neben  *i' dürfte 
*t(/  gestanden   haben,    wozu  oben  §  7  8  zu   vergleichen  ist. 

8.  tel.  qanra-  »hell  klingen  (von  einer  großen  Glocke);  schnattern«; 
J5  .so  aucli  Prob.  II  472  3167  von  der  Gans,  während  V  5741624  das  faktitive 
(f anrät-  in  der  Bedeutung  »rasselnd«  vorkommt.  Vgl.  tel.  qanira-  »läuten, 
einen  läutenden  Ton  von  sich  geben«,  dann  aber  auch  qahqilda-  »läuten, 
klingen  (von  großen  Glocken)«  :  »schreien  (von  Vögeln),  schnattern  von  der 
Gans«.      Doch   auch   kaz.  qaq'ilda-   »schnattern«   (Gans),  Prob.  IV  1413U  qa- 


3°  Brust«,  dschag.  anynr,  anqur  (vgl.  Pavei'  de  Courteille  38).  In  der  Form  anyir  steht  es 
jetzt  in  den  Tubatexten  des  IX.  Bandes  der  Proben  (27  >).  wo  es  Katanoff  durch  »Turpan« 
übersetzt.  Es  handelt  sich  um  die  von  uns  fälschlich  »Rostgans«  genannte  Ente  (Brehm, 
Vögel  1  245),  von  deren  Schrei  Bhkhm  246  sagt:  »Die  Stimme,  die  der  russische  Name 
»Turpan«    klangbildlich  zu  bezeichnen  sucht  [:'],  ist  sehr  stark  und  weittönend.    Ein  vielfach 

35  abwechselnde?,  immer  aber  klangvolles  »Ang«  oder  »Ung«  ist  der  Lockton-.  Die  Jakuten 
nennen  die  Rohrdommel  anir  —  sie  heißt  ja  auch  bei  uns  bos  iaurus,  frz.  butor,  ne.  bittem, 
Rohrbrüller  usw.  Mand.  anggir  niyehe  »eine  Art  Ente«,  mong.  n'iggir  oder  anggir  nogoso  »mac- 
reuse,  anas  nigra';  schallmalend  auch  uiand.  cunggur  niyehe  »eine  Art  wilde  Ente«. 


Vom  Köktiirhif^chen  zum  Osm^nvich^n.  23 

qildai-  vom   krächzenden  Raben.      Die  Basen  *qa,  *qaq,   *qan'   haben   wohin §17 
von  Anfang   an  gleichberechtigt  nebeneinander  gestanden;  vgl.  cuwas.  ka- 
G^lvat-  lind  qaqlat-   »schnattern«. 

Daß  diese  Verba,  wie  Phonetik  S.  243  von  qofira-  und  kirnrä-  lehrt, 
unzerlegbar  seien,  kann  ich  nicht  glauben.  Das  von  mir  vorausgesetzte  5 
*mü-kürä-  konnte  zunächst  zu  *mükrä-,  anderseits  aber  auch  zu  *mügürä-, 
*mügrä-  und  miifirn-  werden.  Überblickt  man  die  vorstehend  gesammelten 
Formen,  so  wird  man  diese  Erklärung  vielleicht  annehmen :  wenigstens  will 
mir  scheinen,  daß  mit  einer  Teilung  *mün-rrf-'  gar  nichts  gewonnen  ist,  und 
daß  sich  auch  gegen  eine  Herleitung  aus  *münür-ä-  gewichtige  Bedenken  10 
geltend  machen  lassen'. 

Die  einzelnen  Ijiutvorgänge  in  diesen  Wörtern  kann  man  zum  Teil  bei 
dem  türkischen  Worte  för  »taub«  verfolgen,  das  etymologisch  unklar  ist 
und  bisher  wohl  stets  als  gegebenes  Ganze  beurteilt  worden  ist:  osm. 
kür.  sayir,  dschag.  sayir  und  sayrayu  <  *say'iroyu  (verbal  sayra-   »taub  sein«    >5 

'  Zu  diesem  te\.  qandira-  •läuten,  klingen  (von  Glocken)«?  \'g\.  t/oiira-  "klingeln, 
läuten-  in  den  Abakanmundarten,  >  alt.  tel.  ^owro-,  kam.  qonran-  -murmeln«  (CC  136)  und 
das  Nomen  »Glocke«  qmlraq,  qonrau,  qonrä,  das  im  Kumd.  al.s  qondra  auftritt  (mit  para.si- 
tischem  -rf-  ?  ?). 

Für    «klingen,   erklingen«    hat  das  Sagaische  noch  .sinra-  und  siiira-f-  ^^  -i:  im  Sch(»r.    m 
dazu   nüdraq    »das  Klingen,   der  Klang,   das  Geklirr«,  von  dem  aus  das  Verbum  xifuiar-  =r 
xinra-  wohl  erst  neu  gebildet  wurde  (:'). 

'  Dem  Formans  -ra  bringe  ich  überhaupt  einigen  Zweifel  entgegen.  Wb.  I  999  wird 
dschag.  osm.  o^a-  »winseln:  leise  wiehern  (von  Pfeiden,  wenn  sie  die  Nähe  des  Wassers 
spüren)«  in  oq+ra  zerlegt  und  auf  nqla-  imd  dort  aufo^to-  verwiesen.  Im  I^b.  liaben  wir  35 
oqran-  »schreien  (vom  jungen  Vieh)-  alt.  nqrim-:  im  Ktsch.  ly/ra-  -laut  wiehern«,  sag. 
oyran-  «wiehern«,  tel.  (r/ron-  »schreien,  brüllen  (von  jungem  Vieh)«.  Fnter  tr-/ra-  wird  nun 
auf  osm.  tel.  (/yur-  «brüllen«  versv lesen.  Da  nun  auch  ein  koib.  lyjura'i-  -laut  wiehern-  be- 
steht, das  auf  *o'/ura-  hindeutet,  so  dürfte  neben  07  eine  Basis  o  anzusetzen  sein,  zu  der 
sowohl  oyur-  als  *o-qura-  zu  stellen  wäre;  *o-qura  wurde  zu  oqra-,  (r/ra  und  (r/ura-n-.  Die  v> 
Stufe  *finra-  ist  bis  jetzt  nicht  belegt. 

'    Bei  kar.  T.  tnüwh-    »schreien,  jammern,    brüllen-    und    der   eiitrundeten  Nebenform 
mivh-  ist   es    nicht    sicher,    ob    sie  auf  *miigrd-   oder  mänrä-   zurückgehen :    vgl.  einerseits 
kiptsch.  dschag.  hügräk  »Niere«  —   sa<r.  pügräk  usw.  >  kar.  T.  bütchk,   anderseits   aber  .limäk 
>  kar.  T.  siiwik  »Knochen«.     Bei   kar.  L.  miwiz  und  kar.  1".  miiwüz  »Hörn-  weiß  man   nicht,    3'i 
ob  sie  auf  münüz  oder  mügüz  zurückzuführen  sind. 

Bei  dem  Nebeneinander  von  -g-,  -u- :  -tr-  handelt  es  sich  selbstredend  ebensowenig 
um  einen  I>autwandel  wie  etwa  in  uig.  dschag.  «mh«A*  -Knochen«  =  dschag.  osm.  «iimi/^, 
ostt.  $üfiür-  «einsaugen«  •=:  dschag.  tar.  .sam'ur-  »schlürfen«,  osm.  -r-amasser  et  tirer  avec-  le 
mufle  (boeuf,  vache  usw.)«,  wo  eine  Lautsubstitution  vorliegt.  t» 


24  W.  Bang: 

"§'7  <  *say'ira-),  tar.  mit  Schwächung  der  Mittelsilbe  myriyu  (Prob.  VI  i  74  yu),  ostt. 

sanrayu  >  kir.  kaz.  balk.  sanrau:  bei  von  Lk  Coq  Spr.  92  b  die  entsprechende 

Kürzung  sayrö^.     Doch  kann    man  auch   say'ir  für  ein   Schallwort'  halten: 

vgl.  die  ablautendo   Doppelung  .say'ir  siy'ir   »butor«   bei  Yoüssoüf,   die  diese 

5  Annahme  geradezu  fordert.     Vgl.  unten  S.  37. 

IV. 

§  18.    Ablautende  Doppelungen  wie  unser  Mingklang,  ritschratsch  liegen 
im   Türkischen   in  großer  Anzähl  vor;    ich    stelle    nur  solche   her,   die  aus 
zweisilbigen  Gliedern  bestehen,   dazu  auch   einige  ohne   Ablaut: 
10  I.  auf  -r. 

Osm.  tafär  tunur  »klappernd«  ;  (nominal  taq,  taqif)  osm.  krm.  taqir  tuqur 
»klopfend«;  (nominal  fiq'ir)  osm.  ttq'ir  fiq'ir  »blubberd«  (beim  Kochen):  (no- 
minal qipir,  qipirdi)  qipir  qipir  »raschelnd«;  osm.  dinffir  nng'ir  »klimpernd«; 
osm.  qadr  qutur  »klappernd«  ;  kkir.  qab'ir-qubur  »das  Grunzen  des  Dachses«; 
15  vgl.  Prob.  V  587  2070  ösi  qtUr  qdnr  etti  »sein  Mund  bibberte,  zitterte«  ;  osm. 
sanir  Sunir  »klirrend,  rasselnd«  :  iapir  Saptr,  Sajnr  äopur  »schmatzend«  (vgl. 
auch   SuL.-KuN.  176);  osm.  sa^'i'?-  saqtr   »klappernd«. 

Eine  Abart  sind  die  entsprechenden  Bildungen  auf  -dir,  wie  z.  B.  dscliag.  salrlir  saldir 
qil-  »klopfen,  klappern«,  kkir.  raldir  cvldvr  sxilä-  »plappern..  Prob.  V  81  697,  kir.  küldür  küldür 

20  hisnät-  »laut  wiehern  lassen-  Prob.  III  201  »tsa  usw.  usw.  Man  könnte  geneigt  sein,  sie  für 
Weiterbildungen  einer  Base  *salt,  *kült  usw.  zu  halten:  dem  scheinen  aber  Bildungen  wie 
schor.  sigdir  sagdir  .das  Klirren«  zu  widersprechen,  die  nicht  zu  dem  Typus  der  -«-Basen 
stimmen;  sie  könnten  ja  aber  Neubildungen  sein?  Relativ  selten  sind  -o-Denominativa  zu 
dieser  Gruppe:    schor.  iigdrat-    »ein    rasselndes  Geräusch   hervorbringen,    zu  *sigd'ira-,    kaz. 

35  cinfira-  »klingen«,  \&\.  sand'ira-,  sandara-  »tönen,  läuten«:  vgl.  innra-  und  te\.  sanla-  <  *iania- 
•  schwirren,  zischen  (Vogel,  Pfeil)«;  vgl.  oben  S.  10  Anm.  6. 

2.   auf  -l. 

Osm.  {vnr  wir,   iinrla-)  mini  urifil  »schnurrendes  Geräusch«;   osm.  {ccrßl, 

mytl-)  cayil  cayil  »murmelnd,   rauschend«:   osm.  {iqU,  iq'tnfi;  vgl.  oben  §  7  8 

3°  S.  10 23)  iq'il  iqil  »das  Geräusch  des  schweren,  unterdrückten  Athmens«  :  osm. 

[tir  tir;  vgl.  tir,  tifil)  tiril  tiril  »bibbernd,  klappernd  (zittern)« ;  Prob.  IV  263  15 


'    Wb.  IV  333  ostt.  saryü  daraus  durch  Metathese. 

^    Vgl.  zum  lat.  surdns   die    von  Thurxeyse.n    im   .\rchiv   für  lat.  Lexikogr.  XIII  SS.  17 

bis  18  zusammengestellten  Etymologien.     Darunter  bestechend  die  Anknüpfung  an  susurrar« 

35    »summen«;   vgl.  kaz.  cj^^ra,/  »taub,  Taubheit«  <  *ro9ro-(j(    zu    osm.  cor/ra-   »das  Geräusch  des 

Koahens  hervorbringen  (vom  Topf,  Kessel  auf  dem  Feuer)«,    krm.  roqraq  .Quelle«,  kar.  T. 

royaraq  (vgl.  osm.  vnqar-   .munneln  beim  Kochen,  vom  Wasser«,  d.  h.  also    »summen»). 


Vom  Köktvrkischen  zum  Osmanischen.  25 

tMngil  tsihgil  it-    »laut   schreien   (Kamel)«,  vgl.  oben   ^  i6:   osm.  {mü'il)  rnü'illl^^i 
mWil  uyu-   »fest  schlafend«    besser  wohl  »schnarchend,  röchelnd«,  vgl.  tel. 
kRz. pi^qir-   »röcheln,  schnaufen«,  sag.  kir.  pisq'ir-  »schnaufen,  schnauben«', 
kir.  ptsilda-  »röcheln«  usw.  (vielleicht  auch  kkir.  toa/i  »heftiges  Schluchzen«?); 
tar.  miiqir-    »schnauben«   u.  dgl.  s 

E^  wäre  nun  von  höchstem  Belang,  zu  wissen,  wie  diese  Formen  zu 
erklären  sind:  haben  wir  aucli  in  der  zweiten  Silbe  ein  schallnachahmen- 
des Element  zu  sehen  (vgl.  etwa  unser  holderdlpolder ,  bimmeldlbammel)  oder 
aber  stehen  wir  ursprünglichen  Gerundien  gegenüber,  die  ihren  Auslaut- 
vokal im  Laufe  der  Zeit  eingebüßt  haben"?  ,o 

Die  Antwort  auf  diese  Frage  wird  man  nur  zweifelnd  geben,  und  zwar 
deshalb,  weil  uns  einmal  die  alten  Texte  fast  ganz  im  Stiche  lassen^,  dann 
aber  auch  weil  verbale  Bildungen,  zu  denen  diese  vorausgesetzten  Gerun- 
dien gehören  könnten,  so  gut  wie  ganz  fehlen. 

Eine  weitere  Frage  ist  sodann  die:   wenn  es  sich  herausstellen  sollte,  15 
daß  -tr  in  taqir  tuqur  lediglich  schallmalend  ist,  ist  es  da  nicht  widersinnig, 
anzunehmen,    das  -tr  von    azir-   »niesen«    (§  2),  tüpür-   »speien«   (§  4)  usw. 
habe  einen  andren  Wert,  habe  eine  begriffliche  Bedeutung?  Ich  muß 
gestehen,  daß  ich  für  meinen  Teil  nichts  Widersinniges  in  der  Annahme 
eines  zweifachen  Wertes  von  -ir  sehen  kann:  denn,  wie  man  auch  schließ-  ^ 
lieh  das  Nebeneinander  von  tüpkiir-,  tüpür-  wird  zu  beurteilen  haben,  die 
Tatsache,  daß  azir-,  tüpür-  usw.  reine  Verbalstämme  sind  und  sich  als  solche 
von  den  mehr  adverbiellen  oder  nominalen  Schallwörtern   wie  taqir  tuqur 
heute  wenigstens  durchaus  unterscheiden,  scheint   mir  diese  Annahme  zu 
rechtfertigen :  ob  deswegen  gerade  meine  §  9  vorgetragene  Vermutung,  das  2% 
-kür   von    tüpkür-    usw.    sei    mit   dem    Faktitivformans   gleichzustellen,    das 
Richtige  triflft,  wird  hierdurch  nicht  berührt. 

'  Im  rkWb.  317  a  s.  v.  xpan*Tb  «schnauben  (vom  Pferd)«  auch  ein  mir  anderweitig 
unbekanntes  kir.  osqur-. 

'  Vgl.  z.  B.  Arä/-,  faktitiv  kätär-  usw.:  hiei-zu  sodann  Xe\.  kädä  «fort«,  t\t.  ie\.  kädärä,  30 
kir.  kedärä  «fort,  beiseite«  =:  alt.  tel.  leb.  schor.  kädäri.  bar.  kidäri  «seitwärts,  beiseite«  ; 
sag.  koib.  kedär  «seitwärts«  (.so  auch  Mel.  a.s.  IX  122;  Castrkn  95b  hat  dafür  das  ursprüng- 
lichere kidSr,  das  er  mit  jak.  An'dr  »fort,  weg«  vergleicht).  Weiteres  vgl.  BtüW  Anm.  34. 
MtüSpr.  24  j«.  Pfl.  .s.  vv.  jana-mt  und  .fift-:  sodann  alt.  tel.  tortifra.  tnitrn  «voll,  gefiillt«  —  kir. 
tottür  «voll,  fett,  korpulent«.   '  35 

'  Ich  kann  heute  nur  auf  M'  24  j  hinweisen,  wo  ein  etymologisch  nicht  durchsichtiges 
(Ufuni  aquru  «leise«   vorkommt. 

PhiL-hitt.  Abh.  1919.  Nr.  5.  4 


26  W.  Bang: 

Il§i8  Bedeutungsvoll  scheint  mir  aber  zu  sein,  daß  von  einer  großen  An- 

zahl von  Schallwörtern  auf  -ir  und  -il,  wie  ich  deren  in  diesem  Paragraphen 
zusammengestellt  habe,  denominale  Verba  vermittels  der  Silbe  -da  gebildet 
werden  (§  19).  Sie  machen  auf  mich  den  Eindruck,  einer  relativ  jungen 
5  Entwicklungsperiode  anzugehören  und  sich  geradezu  massenhaft  nach  einigen 
wenigen  älteren   Vorbildern  gebildet  zu  haben. 

Wb.  führt  -da  auch  bei  solchen  Dialekten,  die  sonst  -//-  und  -rl-  nicht  zu  -W-  und 
-rd-  werden  lassen,  auf  -la  zurück;  wie  ich  glaube,  mit  Unrecht.  Warum  soll  z.  B.  osm. 
(f'idi'irda-    »rascheln,    knirschen«  ^  dschag.  qic'irda-    ein    sekundäres    -d-    entwickelt    haben, 

10  während  beide  Dialekte  in  den  andern  Verben  das  -la  unverändert  lassen:  äyärlä-  »satteln«, 
%at'irla-  »sich  erinnern«  usw.l'  Ist  etwa  -da-  zu  zerlegen  und  -a  das  bekannte  Denomina- 
tivformans, wo  dann  -d-  der  Rest  dei'  Abstrakta  auf  -t  wäre?!'  Vgl.  z.  B.  schor.  KU  »Lärm" 
(<  *suyult  zu  hiq,  .inq-?]  und  kir.  sülda-  (<Z  iüld,  siilf-a)  »lärmen,  rauschen  rasseln«?  Gerade 
ein  Wort,  das,  wie   dieses,  eine  weitere   allgemeine  Bedeutung   hatte,  wäre   als  Vorbild  für 

•5    die  anderen  Verba  sehr  wohl  denkbar. 

§  19.  Aus  der  überaus  gi-oßen  Anzahl  von  Verben  auf  -ilda-  setze  ich 
die  folgenden  her: 

1.  Osm.  mir  «Miauen  der  Katze,  Klageton  der  Tiere,  kläglicher  Aus- 
ruf«, mtj-  mir  nt-\  osm.  m'ifil  mifil söilä-  »murmeln,  undeutlich  reden« :  mtfilda- 

>°  osm.  «murmeln,  murren«,  kaz.  «schnurren  (Katze)»  :  niirqilda-  kaz.  »murren, 
murmeln«,  kir.  »vor  sich  hin  kichern,  leise  lachen«  =  kir.  mtrzüda;  niirla- 
osm.  »schnurren  (Katze),  murmeln«,  tob.  »grunzen«.  NB.  im  rkWb  s.  v. 
XHUKaxb   »schluchzen«  =  mirstlda-. 

2.  Osm.  q'ir   »zwitschern«;    alt.  tel  qtrla-   »schnarchen,  krächzen«,  im 
'5  Tob.  =-  »heiser  sein,  röcheln« ;  kir.  qiftlda-  »heiser  sein,  mit  heiserer  Stimme 

sprechen«,  nach  rkWb  125b  =  Myp.<iHKaTb  «schnurren  (Katze)«.    Vgl.  balk. 
mwulda-,  kaz.  murla-   »schnurren,  spinnen  (Katze)«. 

3.  *gor  usw.;  tel.  qorqilda-  »knarren,  schnarchen «;kkir.g'or^M7'a-  »röcheln«; 
kir.  qoi-qul-  »röcheln« ;  tel.  schor.  qorqulda-  »grunzen  (Schwein)«.  rkWb.  317b 

3°  auch  qorstdda-;  bar.  qoi-y'ira-  «schnarchen«  ;  kom.  qorla-  »schnarchen«  (CC134 
corlarmen  =  td)  dnarke),  in  den  Abakanmundarten   »murmeln,  rieseln«'.    Vgl. 


'  Das  kir.  qorpulda-  (<  qor-p-ul-)  »quabbern  (wie  mit  Wasser  gefiillte  Stiefel  beim 
Gehen)"  ist  wohl  auch  herbeizuziehen:  vgl.  k\r.  SalpUda-  »plätschern«.  Grundlage  derartiger 
Verben  sind  Schallwörter  auf  -p.  die  denen  auf  -q.  -t,  -s  parallel  laufen,  ohne  so  häufig  zu 
sein  \vie  diese.  Dementsprechend  sind  auch  Verba  auf  -pilda-  verhältnismäßig  selten.  Sül.- 
KüN.  45  hat  i'ilpilda-  --  catir  catir  <jontdmaq  .schwätzen«  (vgl.  WTi.):  dazu  ostt.  cilpuUa- 
»plätschern«.  CG  231  lirpilöepölr  =  l)oe  fnatert  (d.h.  »er  schwatzt«).  Kaz.  tirpilda-,  tirbilda- 
■  strampeln«,  wie  Prob.  IV  229  8  und   230  6  lärbildä-,   lärpildä-  -mit  den  Beinen  schlenkern« 


Vom  Köktiirkisrfn'n  zum  Osmanischen.  27 

o^m.Wx.  qurulda-  »schnarchen«  und  »zischen  (Wasser  auf  glQliendem  Eisen)« :  n§i9 
schor.  qurqula-  »glucksen«:  alt.  tel.  qurqulda-  »gackern;   schnattern  (Gans)«, 
tob.  qwryulda-  »krächzen«  (Prob.  V  1232087  kkir.  qurquldat-  »krächzen«);  sart. 
qursullat-  (<,  qur-s-u-l-la-t-)   »knirschen,  krachen,  klopfen«'.     Dann  osm.  ^- 
rvlda-   »das  Geräusch  des  Kochens  von  sich  geben«;  gurgur  »Geräusch  des    ^ 
Kochen.s:  jedes  glucksende,  bullernde  Geräusch«,   verbal  gurla-. 

4.  *tar  usw.  Alt.  tel.  soj.  kir.  tars  »Knall  (Peitsche,  Flinte)«,  kir.  »klopfen- 
des, krachendes  Geräusch«;  tar^il  kir.  =  tors;  sag.  tarsila-  »von  tars -{- la«- 
=  koib.  tarsla-  »dröhnen,  knallen,  klatschen,  knattern« ;  alt.  tel.  leb.  kir.  kkir. 
tarstlda-  »knallen,  knattern«,  bar.  tarsildaq  »Knall«  =  koib.  tarslaq  »Gekrach«.  10 
Prob.  V  58oi8MVom  »prasselnden«  Hagel  gebraucht.  Osm.tar^(!):  sag.  taräa-. 
Vgl.  sag.  fi'r.t  »krachen«,  kir.  »klopfen«:  schor.  firsla-  »krachen,  mit  Knall 
platzen«;  alt.  tel.  kmd.  kir.  firsilda-   »knarren,  krachen«. 

Eine  entsprechende  -/-Bildung  ist  tel.  schor.  Sart  »Gekracii«;  kir.  Sartila- 
»von  Sart  +  la*  »krachend  zerbrechen,  krachen«;  schor.  kaz.  Sartla-,  wozu  -5 
sarla-  im  Tel.  Osm.  Kaz.  zu  vergleichen.  Vgl.  auch  osm.  cafirda-  »brechen«. 
fafirdi  »Geknarr,  Geräusch  des  Platzens«,  mit  welchem  aber  das  kaz.  Sat'irda- 
» klopfen,  knirschen,  krachen,  knistern«  des  Anlauts  wegen  nicht  direkt  ver- 
glichen  werden  darf. 

5.  *diz;  osm.  dizla-  »surren,  leise  klirren«;  osm.  d'izilda-  »summen«,  20 
nominal  d'izilCi,  -d'i  »Gesause,  Gesumme«.  Vgl.  das  isolierte  kir.  'iz'ilda-  »sum- 
men« in  Prob. III  57,  Nr.  5,  Str.  i  i;  84  m;  ostt.  izil-  »viel  reden,  schwatzen«. 
tax.  yizil-  »summen,  sausen«"?«  Man  darfein  näheres  Verhältnis  zwischen 
beiden  Gruppen  vermuten,  weil  anlautendes  urtOrkisches  d-  vor  .schließen- 
dem -z  derselben  Silbe  heute  nicht  überall  als  1/-  erscheint:  besonders  be-  ^s 
achte  kir.  düz  »himdert«  =  j/iiz;  kir.  duz  »Gesicht«  =  j/üz,  Hz:  kir.  düz- 
»schwimmen«  =z  yiiz-,  üz-  (Phonet.  55§  228,  231).     Im  balk.  duldüz  »Stern« 

Derartige  Verba  .sind  ja  überhaupt  oft  aus  der  Kategorie  der  reinen  i^challwörter  hervor- 
gegangen: vgl.  nur.  tir.  tir;  tir'il  tir'il.  tiril  tiril;  osm.  liritdä-  »zittern,  beben«.  Schallwörter 
auf  -p  sind:  kom.  qarp  >krach<  (Rätsel  39  SBA'Wi9i2  349),  krm.  iolp  -klatsch-:  tel.  talp  3° 
•  prr  (beim  Flug)«  und  .\bleitungen :  andere  sind  vorläufig  nur  aus  .\bleitangen  zu  erschließen, 
wie  z.  B.  *qalp  aus  tölös  qalban  -das  Hin-  und  Herschwanken«.  *k'ülp  aus  kkir.  külpiin  «das 
Funkeln  des  .Sonnenlichts,  Glanz.  Schimmer-  (vgl.  kir.  qolpur-  rkWb.  165b  qulpur-  «schillern- 
von  Stoffen)  u.  dgl.  mehr. 

'    Wohl   eher   mit  -o-   in   der   ersten   Silbe:    Sul.-Kuk.  80:    <^urulda-   [d.h.   yßrulda-]    35 
=i  'yfirildamak,  %urnl  yjirul  [-/orul?]  '/urlajup  ujumak,  ujurketi  ho-jazdan  katin  ses  ttmek. 

'    Zur  Form  vgl.  zir,  zirla-,  zirilda-  usw.,  aber  auch   kir.   z'ifil-   «sausen  (vom  Pfeil)-. 

^* 


28  W.  Bang: 

ll§i9  scheint  die   »Regel«   sogar  über  zwei  Silben  hinweg  zu  wirken:   uig.  i/ultuz 
kom.  dschag.  yulduz  usw. 

6.  Osm.  dir  »Sperlingsart«;  cifiq  »Art  Saatkrähe;  Art  Spinnrad;  Drei- 
kreuzer«, cuwas.  t'hrikht-  (<  -U'i-t-)  »knarren,  knirren  (z.  B.  Tür)«  :  kaz.  dürilda- 
5  »schluchzen«;  kaz.  cirqira-  »zwitschern«;  tel.  dirla-  » zirpen «j  osm.  eirlaq 
»Grille;  Schwätzer«,  kar.  L.  T.  eirla%  »Bach«.  Mit  -t:  osm.  dirtlaq  »Grille; 
Häher«,  rirtlaqla-  »zirpen«;  mit  -p:  osm.  dirp-  »sanft  schlagen,  klopfen 
(Herz)«.  Gedoppelt:  o»m.  cirrir  »  Wies  Knisternde,  Knarrende;  Schwätzer; 
Grille«  usw.  Ostt.  cirilla-  »zwitschern,  zirpen«  und  anderes  Wb.  III  2127 
10  bis  2130.  Mit  ^-<  C-:  kir.  üWo-  »schwirren  (Lerche),  zwitschern«:  S'irilda- 
»laut  schreien,  laut  lachen«;  äirtilda-   »klappern,  knippsen«. 

§  20.  Es  mußte  die  Zeit  kommen,  wo  -qilda-  als  Ganzes  gefühlt  wurde; 
ihr  entstammen  Bildungen  wie  Cq'it,  schor.  qitla-)  simb.  qttqilda-  (kaz.  qüaqla-; 
tav.  qafaq    »Hühnerstall«??),   hat.  qotqulda-    »gackern«. 


Vom  Köktürkiscfien  zum  Osmanischeii .  "29 

Erster 

Erster  Anhang.  Anhang 

Zur  Erklärung   von  yaqSi. 

1.  Nicht  vom  einfachen  Verbum  yaq-  »gefallen,  angenehm  sein«  (Wb 
III  23 — 24),  sondern  wieder  vom  Kooperativum  yaqU-  »aller  bien,  convenir, 
6tre  assorti,  s'adapter,  sajuster«  (Youss.)  leite  ich  auch  yaq&'i  »gut,  schön«  5 
ab:  yaqU-'i  >  yaqä'i.  Vgl.  yaqMq  »passend,  gut  sitzend;  bienseance,  conve- 
nance;  beaute,  gräce«.  Es  ist  also  yaqä'i  ein  durch  frühen  Mittelsilbenschwund 
entstelltes  Gerundium;  vgl.  etwa  yara-  »passend  sein,  tauglich  sein,  gefallen« 
und  die  Gerundien  yarai  (<.  *yara-y-a)  »gut,  schön«  \ind  yaramaz  »untaug- 
lich, schlecht«,  dann  yarai-  und  davon  yaraä'iq  »ce  qui  cadre.  qui  convient; 
convenance,  accord«  (Prob.  IV  302  m  yaraiv^mtsu  <  -6a  »wie  es  sich  gehört, 
gehörte«).  Wb  stellt  yaq.^'i  ohne  nähere  Angaben  zu  yaq-,  während  Phonet. 
S.  225   es  zu  den  unzerlegbaren  Wörtern   rechnete. 

2.  Die  Geschichte   von  täkii  ist  offenbar  ganz  ähnlich  verlaufen;  ich 
gehe  aus  von  *täk,  *täk-,  *tän,  tan-,  zu  denen  man  die  folgende  Zusammen-   -s 
Stellung  vergleiche: 

Wb  III  102  I  gibt  das  ostt.  täkis  »glatt,  eben«  mit  Hinweis  auf /öjrts; 
1035  steht  dann  tegis  als  Dschag.,  tegiz  als  Kir.  Ich  halte  -s  für  Entstim- 
mung  von  -z^  und  verweise  noch  auf  kaz.  Üyiz   »gleich,  glatt,  eben«. 

Das  ältere  täkiz  .steht  bei  Sul.-Kun.  185   in  der  Bedeutung  rfw^,  t/ovrw.   ^o 
Ich  möchte  annehmen,  daß  es  aus  *tcikiz<i  gekürzt  ist:  *täk-,  faktitiv  *takiz-, 
Gerundium  *täkizä-. 

Zu  *t(ik-  stelle  ich  sodann  das  Kooperativum  *tnkiS-  und  de.'isen  Gerundium 
*täkiM, das  heute  noch  fortlebt  in  alt.  tel.  leb.  küär.  tar.  täkH » gleich,  gleichmäßig « 
=  kir.  teksi  »eben,  glatt,  gleich«.    Im  CG  198  2  =  Ps.  464  tekei  =  uniformiter.  »5 

Das  hier  vorausgesetzte  *t(ik-  ist  in  der  lautlichen  Variante  *tän-^  wohl 
auch  im  tel.  täfiii  »ununterbrochen,  angrenzend,  gleich,  übereinstimmend« 
zu  finden  (uig.  tänii  ist  bisher  ganz  unsicher;  vgl.  Anm.  zu  QB  92  is);  es 

'    Zu  h   »Spur«   setzt  A.  von  Le  Cog  Spr.  84a  die  ausdrückliche  Angabe  »sprich  «• 
und  das  vulgäre  yäs  neben  yäst   »seine  Spur»;  ebenso  hat  er  83  c  «71»  für  »yi'c  »Mund»  usw.    3° 
usw.    In  Band  VI  der  Proben  gehen  Formen  mit  -c  und  solche  mit  -1  nebeneinander  her: 
•L,  B.  91611  otu*  tfiqus,  aber  toquz  i84uff.,  yüs  >foo»   84,  aber  yüz  1214,   1311  u.  dgl. 

*    Vgl.  osm.  Htiz  <  *titizä,  *ti-tiz-ä  BtüW  Anm.  34. 

'    Vgl.   etwa  tel.  saii   »Uarz»,    alt  tel.  saüis  :^  kiptsch.  saqi:  »Mastix»,  osm.  krm.  saq'iz 
•  Harz«,    wo   im  Osttürkischeo  aus  mii-  unklaren  Gri'mden  der  stimmhafte  (iuttural  auftritt:    3; 
sarfiz,  tar.  ««7t«. 


so     ■  W.  Bang. 

Erster  jst  wohl  ebenfalls  ein  Gerundium  zum  Kooperativum :  *täf>ü-,  *tdnüä>tn?iiS\ 
^"^  Im  Karaimischen  ist  *tänisi  >  tänsi  »gleich«  geworden:  vgl.  lautlich  tänri 
>  kar.  L.  tänri,  töndri  »Gott«   usw. 

Eine  denominale  Ableitung  auf  -Sa-  (AtOD  §  i  flf.)  haben  wir  in  dschag. 
5    täkM'   »ausgleichen«  (vgl.  Pavet  S.  261)  —  tähSä-  (Sul.-Kun.  189,  AtüD  §  i). 
Da«  schon  von  Böhtlingk  (Jak.-Deut.  Wb  94)  zu  tan  verglichene  mong. 
tükSi  wäre  nach  den  obigen  Ausführungen  ein  Lehnwort. 

In  Mem.  Acad.  St.  Petersb.  VII  Ser.  T.  XXXV  Nr.  6  S.  50  a  erwähnt 
Radloff  ein  uig.  täkSin  (fWb),  von  dem  ich  nicht  weiß,  wo  es  belegt  ist; 
tu  wenn  es  besteht,  so  ist  es  wohl  nach  KOsm  §  52  zu  erklären.  Im  Mandschu 
ist  bekannt:  teksin  »gleich,  eben:  gleichgemacht,  geordnet:  wohlgestaltet, 
geschmückt;  Ordnung«  und  die  Ableitungen  teksiken  \mA.  teksüembi  <.  teksi- 
ken,  -le-n-bi. 

3.  Die  verschiedenen  Wörter  für  »Nachbar«  gehören  ebenfalls  zu  dieser 

IS  Kategorie:    kiptsch.  kom.  qon^i'i,   dschag.  qoMi,   balk.  qanSü,  kir.  qonsu,  ad. 

qofiSii,  osm.  qonSu,  qoni-u,  qomSu  (zum  Nasal  vgl.  osm.  sansar,  sansar.  samsar 

»Iltis,  Marder«).      Sämtlich  zu  qon-,  qonui-   »zusammensitzen;  nachbarlich 

leben,  gute  Nachbarschaft  halten«   usw.'. 

Im  Uigurischen    haben  wir  dafür   qoSni,    in    dem    man  Metathese   an- 

jo  nehmen  kann',   wenn  man  nicht  vorzieht,  an  qos-,  qomn-  »sich  vereinigen« 

zu   denken.     Raquette  MSOS  1914  218    gibt  qoiii'i   »a  person  allowed  to 

live  in  «ome  part  of  one's  house«*  und  erst  an  zweiter  Stelle  die  Be- 

'  Vgl.  meine  Erklärung  von  diis  <;  dzTi-a  bei  Pel.  39  unter  j'ift-  und  von  yanai  <. 
yanasa  bei  Pel.  Wer  in  tänii  ein  Verbalnonien  auf  -i  sehen  will,  kann  es  tun,  kommt 
35    aber  auch  so  nicht  um  ein  verbales  *tän-  herum. 

'■'  Castkkn  hat  für  "Nachbar«  korutoge,  wo  -e  das  Possessivpronomen  ist;  Mel.  as.  IX 
124  qondi'iq. 

'    Vgl.  balk.  asyji  und  ayjn  <  yaqsi  »gut«. 

•  Vgl.  balk.  qosul-  »sich  zugesellen,  in  eine  Gesellschaft  kommen«:  das  )L\r.  qogüliis- 
30  (fWb)  <  *5oiM/tti- bedeutet  »sich  vereinigen,  /.usammentun«  in  Pi-ob.  III  256  isu:  dazu  qosii- 
hisü   "Vereinigung«   rkWT3  276aiu. 

Das  Gerundium  des  Simplex,  qoia,  vertritt  unser  »zusammen  mit,  mit«:  Prob.  1  loi 
yiiq,  qozo  parhaid'im  »nein,  zu.sammen  (mit  dir)  werde  ich  nicht  gehen- ;  I  300 no  xänbilä  qoio 
parain  »ich  will  mit  dir  zusammen  gehen»  usw.:  IV  8411  pisninbtlä  qoia  kidinlär  »geht  mit 
35  uns  zusammen  fort-.  Im  Taraiitsclii,  wo  ja  das  -a-Gerundium  überhaupt  im  Verechwindeu 
zu  sein  scheint,  haben  wir  dafür  qostip:  VI  763  bir  munca  kisiyä  qosup  »mit  einigen  Leuten« 
(vgl.  76  10,  77  8u);  90  7  mänl  a-/iterimya  qo.itip  äwätmädT  »er  hat  mich  nicht  mit  meinen  Brüdern 
fortgeschickt«  :  94  man  säm  bir  dhcü(/ä  qohip  äicätäi  »ich  will  Dich  mit  einem  Dew  hin- 
schicken«.    Vgl.  auch  Wb  qoia. 


Vom  Köktiirkischen  zum  Osmanisch^n.  31 

deutung   »neighbour«.    Die  früh  ansässig  gewordenen  ostt.  Stämme  haben  Erster 
alle  dieses  Wort:  ostt.  qosna,  tar.  qoSna,  aber  Prob.  VI  1 5  i  19  yjosna,  Spr.  91a 
XÖina.    Das  auslautende  -a  kann    das  gerundiale  sein  {*qoä-un-a),  wenn  es 
nicht  als  jüngere  Verderbnis  aufzufassen  oder  gar  unter  Einüuß  von  äsnd 
»Freund«    entstanden  ist  (Spr.  81  b  dMtiä:  vgl.  Wb;  Hörn  Nr.  341  np.  äSna    $ 
»bekannt«).    Vamberys  Ansatz  sart.  qosan  ZDMG  44   255  ist  falsch. 

Zu  kör-,  körüi-,  göriiS-  »sich  sehen,  zusammen treflFen ;  in  Verbindung 
stehen,  bekannt  sein«  (vgl.  jak.  körüs-)  stelle  ich  bar.  körSii  (Prob.  IV  28; 
rkWb  279a  körsi  mit  auffallendem  -S-  statt  -.•*-;  Lehnwort?'),  kaz.  kiir.ii, 
küri&i,  wobei  bis  jetzt  nicht  auszumachen  ist,  ob  -i-  alt  oder  junger  Ein-  .0 
schub  ist;  Prob.  IV  254  1311  k1Jr.f1  mit  dem  »irrtümlichen«  -ü-.  Im  alt.  tel. 
leb.  köriiä  »Bekannter,  Freund»  kann  das  Verbalnomen  auf -i4  angenommen 
werden  (so  Wb,  das  es  unter  körüs  »Blick,  Sehen«  aufführt);  ich  ziehe 
vor,  es  aus  *körMi,  *köriiM  abzuleiten.  Prob.  IV  395  i  hu  j/igitnin  bir  küri.^'i  bir 
dttsU  bar  igän!  mit  Possessivum.   Vgl.  tanii   »von  tani  +  i«  =  »Bekannter«.   >5 

Das  Cuwa.sischc  hat  neben  kürzj  noch  nr:,>  in  kiirz,f  arz9  »Nachbarn«. 
Paasonen  denkt  an  afi  »jenseitig«  usw.,  was  mir  bei  einem  nicht  seßhaften 
Nomaden  Volke  kaum  zu  passen  scheint.  Ist  an  är-,  ir-,  öriS-,  iriä-  »er- 
reichen, gelangen,  ankommen,  einholen«  zu  denken?  Der  Begriff"  »Nach- 
bar« ist  für  den  Nomaden,  wie  wir  bei  qan^'i  sahen,  eben  der  »des  am  m 
Abend  zur  selben  Raststelle  Gelangten«^. 

4.  Ist  nun  auch  yorit  (kaz.  auch  qafiS'i  Bal.  II  45)  »gegenüberliegend: 
gegenüberliegende  Stelle,  vis-ä-vis,  gegenüber«  usw.,  balk.  »gegen,  nahe, 
in  der  (^ie)  Nähe«  zu  qarU-  »sich  vermischen«  usw.  zu  stellen?  CC  21 
hat  qurii-  im  Sinne  von  »defendo«;  vgl.  Wb.  II  180  kaz.  qarU-  »sich  ent-  >s 
gegensteilen « .  Die  semasiologischen  Beziehungen,  die  zwischen  diesen  Wörtern 
bestehen   müssen',    werden    erst  dann  ganz  klar  zutage  treten,    wenn  ein- 

'  Vgl.  kir.  ari'in  •Elle,  Arschine-  (rk'Wb4b3a)  für  *arsinx  -ri-  wohl  durch  Einfluß  des 
russ.  apraHHT«;  das  Altaiscbe  hat  hier  -r»-  >  -rc-  werden  lassen  :  ar(!in.   Doch  vgl.  AtüD  1 1  Anm.  2  ? 

'    Aus  dem  Jakutischen  ist  mir  nur  ial  -Nachbar«   bekannt;  vgl.  Böhtl.  29a  und  Wb   3° 
unter  aiV,  sodann  ailda-,  aildai,  ällai  usw.    Vgl.  tnctis.  viciuus,  voisin  Walde'  833- — 4. 

Dagegen  bedeutet  jak.  körxii  nur  -Liebhaber-,  Geliebter,  unerlaubte  heimliche  Liebschart- 
(59b  und  §  284  unter  den  unzerlegbaren  Stämmen):  ich  stelle  es  zu  körüs-  =  koriis-;  das 
im  Jak.  heute  nicht  mehr  lebendige  Gerundium  auf  -i,  -i,  -«,  -ii  hat  sich  nur  in  versteinerten 
Bildungen  erhalten  (vgl.  Böhtl.  §  528).  ?5 

'  Entwicklung  etwa:  Mischang,  (Hand-)Gemenge  (mölee  •<  *mesculata  zu  misceo), 
Gegnerschaft,  Gegenüber  usw. 


32  W.  Bans: 

Erster  mg.!  vduru,  tidura,  udur  usw.  (KÜsm  S.  46)  etymologisch  geklärt  sind.  Be- 
denkt man  ara\  arala-,  aralaS-r.  sich  vermischen;  sich  begegnen,  treffen« 
usw.  {'aralaä  Verbalnomen  oder  <  *nralaia),  so  wird  wahrscheinlich,  daß 
auch  cuwas.  yjiß  »Zwischenraum,  Abstand,  Entfernung«  aus  qar^  ent- 
5  standen  ist'^  [Mit  *qar-  oder  "qari-  operierte  schon  W.  W.  Radloff  im 
QB  161  10  Anm.] 


'  ara  ist,  wie  die  anderen  präpositionalen  Begriffe,  Gerundium  zu  *ar-;  hierzu  aaeli 
das  -/-Abstraktum  ar'it,  das  heute  nur  noch  im  Jakutischen  in  der  Bedeutung  >  Zwischenraum - 
lebendig  ist.     Zu   *ar-  vgl.  *ara-  AtüD  S.  22. 

^  Das  von  Paasonen  aus  Zenker  723  c  angezogeue  ostt.  hioi  »Zwischenraum,  Kluft. 
Schlund«  ist  wohl  mit  Sui-.-Kun.  135  qaui  r=.  qowiu],  ici  bos  otan  —  hohl*  identisch  und  zu 
qoauf,  qoyui  zu  stellen. 


Vmn  Kökti/rkij^ehen  zum  Ostnanischen .  33 

Zweiter  Anhang.  ^™^'**"' 

Anhang 

Verba  auf  -tia  und  Abstrakta  auf  -nc. 
Es  gibt  mehrere  Verba  auf  -na.  die   als   offenbare  Schallwörter  wohl 
einer  älteren  Sprachperiode    angehören    und   deren  Analyse  bisher  meines 
Wissens  nicht  versucht  worden  ist.     Man  wird  auf  den  ersten  Blick  geneigt    5 
sein,  sie  für  Üenominativa  auf  -na  zu  halten.     Es  sind  die  folgenden: 

1.  uig.  kdknn-  QB  i  23  27  mit  Anm.  Bedentung:  » bedrohen,  tadeln,  wider- 
.sprechen«?  Vgl.  uig.  käk,  CC  182  itek  =  odium,  kir.  kek  »Zorn,  Rache« ;  uig. 
käkine  »Antwort«.  Denominale  Bildungen  sind  bar.  krrga-  »drohen«  =  tob. 
kiga-  »drohen«  (dazu  kigäii  »das  Drohen,  die  Drohung«)  =  alt.  tel.  leb.  knkd-  .0 
•  mit  der  Hand  drohen«;  mit  -la:  schor.  käktä-  »tadeln,  eineri  Tadel  aus- 
sprechen«, kir.  kfktd-   »anfeinden,  zanken,  streiten«. 

2.  uig.  üsnä-  »widersprechen«,  von  *//.«.    Es  gibt  in  den  Abakan  Mund- 
arten ein  Nomen  iis  »Rache,  Feindschaft.  Haß«  (vgl.  kdk)  welches  voin  Wb. 
=  Öd  gesetzt  wird:   da  aber  ÖV!  in  diesen  Mundarten  schon  durch  ör  ver-  15 
treten  ist,  so  ist  es  immerhin  möglich,  daß  üs  mit  dem  Grundwort  unseres 
üsnä-  identisch  ist. 

M'  77  17  üzmi-  geschrieben;   85  25  üz  boz  ein  echtes  Hendiadys  (üz  boz 
köftül  »Zerstörungsgesinnung«;  oder   »Haßgesinnung«?). 

Wb.  I  1531    wird    das   regelrecht   entrundete  kar.  L.  isnä-  verglichen,  jo 
leider  ohne  jegliche  weitere   Angaben. 

3.  kom.  dschag.  tar.  krm.  ad.  osm.  nsnä-  »gähnen«,  kir.  esnä-;  dschag. 
kaz.  tob.  bar.  isTid'-.  Zu  '"ds,  *ifi.  Bosn.  dmn-:  alt.  leb.  küär  ästd-,  das  wohl  fiir 
*dsld-  stehen  wird.  Paasonen  erwähnt  bei  cuwas.  anasla-^  »gähnen«  auch 
ein  kaz.  inäski-,  zu  dem  er  ein  Fragezeichen  setzt:  ich  kenne  dieses  Wort  's 
auch  nicht.  Zu  *ds  ferner  auch  das  denominale  schor.  küär.  dzd-  »gähnen« : 
sodann  das  leider  nur  im  Dschagataischen  nacligewiesene  iskd-  (Wb.  s.  v.) 
oder  dskd-. 

Kar.  L.  T.  ydsdld-  mit   dem  vor  -la  häufig  auftretenden  Vokal,  über  den 
ich  an  andrer  Stelle  sprechen  werde,  und  _y-Prothese,  wie  im  gagaus.  yesne-.  3« 
Jak.  ort/-  von  einer  Basis  *dt  oder  os;  vgl.  §  12a. 

4.  dschag.  usw.  kiSnä-  »wiehern«,  alt.  tel.  tö/r/-  »wiehern«  und  »braten«, 
kaz.  kUhiri-.    (^uwa.s.  knien-. 


'    Formell  vgl.  wohl  cuwaS.    s^ttu  »Schnupfen«,  »ytiasla-  »niesen«.    Auch  diese  Wörter 
stehen  allein. 

Phil.-hist.Abh.  1919.  Ar.  .5.  5 


34  W.  Bang: 

Zweiter  yüt  das  Osttfirkische  kennt  A.  von  Le  Coq  q'iäna-  (Spr.  95c),   Raqitettf, 

""^  aber  änamdq  (MSOS  191 4  196).  Der  CG  hat  134  pilki  kp3inC95ir  =  Di  pl)ert  öi 

lopcrten.    Das  komanische  Wort  ist  also  als  kisinn-  anzusetzen.    Ich  glaube 

nun,  daß  Raquettes  cina-  dadurch  entstanden  ist,  daß  die  Gruppe  ki-  pala- 

'  talisiert  wurde:  vgl.  sein  kirmrik  »to  enter«  mit  der  Nebenform  ci{r)mäk  und 
seine  Bemerkungen  im  JSFOu.  XXVI  5  Helsingfors  1909,  S.  26  und  3:  kir- 
md'k  >  (Hrmäk,  Mm  >  nm.  Die  dem  Komanischen  geläufige  Form  kiäind-  wäre 
also  zu  *ciMnä-  geworden  und  dann  zu  *c'Sind-,  *cMtia'-.  Die  sowohl  von  Le 
CoQ  als  Raquette  bekannte  gutturale  Form  beruht  wohl  darauf,  daß  das 

.0  Wort  kaum  anders  als  mit  at  und  aiyir  gebraucht  wird?   Auf  diese  Weise 

könnten  wir  uns   auch   das  soj.  min-   für   min-,  mi'in-   »besteigen«   erklären 

{atqajmiin-,  attnajmin-),  wenn  hier  nicht  der  Einfluß  von  m-  im  Spiele  ist'. 

5.    Allen  Dialekten  ist  qaina-  in  der  Bedeutung   »kochen,  ins  Kochen 

geraten«    bekannt;  das  Wort  bedeutet  aber  auch  noch  »lärmen,  wimmeln«'. 

'5  Ich  stelle  es  zu  alt.  schor.  sag.  qai  »das  Zischen,  der  zischende  Ton,  das 
Brummen«,  auch  »die  gui-gelnden  Töne,  die  beim  Rezitieren  der  Märchen 
hervorgebracht  werden«.  Eine  neuere  denominale  Bildung  ist:  alt.  usw. 
qaila-  »brummen,  summen,  schnarchen;  mit  brummenden  Kehltönen  Mär- 
chen rezitieren«,   im  Tobolskischen  auch   »einen  undeutlichen  Ton  von  sich 

20  geben,  murmeln,  vor  sich  hin  ein  Lied  summen«.  Zu  dieser  Sippe  ist 
wohl  auch  tob.  qay'ir-  »schleifen«,  kir.  kaz.  qaira-  »knirschen  mit  den  Zäh- 
nen«, kir.  kaz.  tel.  schor.  qaira-  »schleifen«  =:  alt.  tel.  leb.  qayira-  »ein  knir- 
schendes Geräusch  von  sich  geben«  zu  stellen.  Die  Ableitungen  qairya, 
qairqas,  qairyas,  qayiryas  bedeuten  »Schleifstein«  u.  dgl.;  vgl.  etwa  lat.frmdo 

>■,  »mit  den  Zähnen  knirschen«,  trans.  »mit  den  Zähnen  zermalmen«  und  z.  B. 
das  verwandte  engl,  grindstone  »Schleifstein«.  Zu  alt.  tel.  leb.  usw.  qiyira- 
mit  -«-  in  der  ersten  Silbe  vgl.  Gombocz  a.  a.  0.  S.  67.  Ist  osm.  qaya^an 
»Schleifstein«  (aber  auch  »Schiefer«)  eine  Ableitung  von  *qai-,  *qaya-,  wie 
ich  deren  in  MtüSpr.  3635  zusammengestellt  habe? 

:  '    Ks  wird   aber  -/-  besondoi-s   voi-   rnl^Liendcni   -m-  j;ern(    zu   -«-:   vgl.   außer  .^tüD  §  2: 

uig.  kir.  kaz.  qim'iz,  dsfhag.  qimiz,  bar.  q'im')\>t.  sag.  koib.  c/kotw  {-?/-  auch  in  den  Lehnwörtern 
rnss.  K-yMbic-b.  ung.  kiimiiz):  dschag.  OT.  tiniau  -.Sclinupfen,  Erkältung-,  kir.  tumaii  -Heiser- 
keit, Schnupfen«,  dann  wohl  auch  all.  htmü  -Seuche,  Fieber«,  wie  schon  CC  138  SumOP  =^ 
Öl  fnuppe  (fWb). 

"  Das  schlecht  belegte  uig.  ^arfna-  -kochen,  wimmeln«  CUT).  II  296)  kann  verglichen 
werden:  leider  ist  uns  die  Lesart  von  B  zu  QB  146  unbekannt  (vgl.  QB  XV  die  Differenz 
zwischen  Text  und   Anmerkung).     Das  dschag.  qatna-  hätt«  wohl  fernzubleiben. 


Vom  Köktiirkischeit  zum  Osinanbcheu.  ä5 

6.  Onomatopoetisch  dürfte  auch  die  Urform  von  kom.  dschag.  tar.  alt.  Zweiter 
tel.  kkir.  kar.  T.  caina-  »kauen«  gewesen  sein;  >  kir.  ^aina-,  balk.  tob.  bar. 
küär.  (!)  tsaina-;  scher,  koib.  sag.  ktsch.  küär.  (!)  taina-.  Die  weitere  Ent- 
wicklung s.  unten  S.  46  Anm.  i .  Eine  prächtige  Vulgärform  überliefert 
HoüTSMAS  Glossar  80:  soina-,  Mina-,  zu  der  sich  die  Ausspraclie  qoi/in,  5 
qdy'in  (wohl  auch  quin)  für  »Seh wieger-«  <  qay'in,  qain  stellt.  Der  treibende 
Faktor  war  zweifellos  der  Nasal,  der  auch  sonst  im  Kiptscliakischen  das 
vorhergehende  -a-  >  -0-  wandeln  konnte;  auch  vor  Liquida  finden  wir  diese 
dialektische  Aussprache,  und  Radloffs  Ausfall  gegen  dieselbe  (Wb.  II  220 
unter  ^qal-)  ist  durch  nichts  zu  rechtfertigen.  10 

Werfen  wir  nun  einen  Blick  auf  die  unter  i  aufgeführten  Formen,  so 
springt  in  die  Augen,  daß  hikinc  in  irgendeiner  Weise  ein  verbales  *käk- 
voraussetzen  läßt  (KSz.  XVII  196). 

Ist   aber   käkinc   zu  *h'ik-   zu  stellen,    so  wird  damit  auch   für  knknä- 
eine  verbale  Herleitung  möglich:  zu  käk-  wurde  das  Verbalnomen  auf  -n  -s 
gebildet  und  an  dieses  *kuldn  trat  das  denominale  Formans  -a;  d.  h. 
käknn-   ist   durch  Mittelsilbenschwund   aus  *käkinä-   entstanden.     Vgl.  (kir. 
j sar  »Gesang«,  *sar-  »*singen«)  tel.  schor.  usw.  sarin  »Gesang«,  dazu  sanna-, 
sarna-   »singen«  (dazu  auch  die  »Streckform«  saira-,  sSra-?).     Ebenso:   *yaS, 
*yas-  >  cuwas.  iii-  »leuchten  (Blitz)  und  dazu  kir.  dzastl  »Donner  und  Blitz«    20 
<  *yaa'l;  uig.  kiptsch.  tob.  yai'in,  leb.yaztn  »Blitz«  >  kaz.  yfWm,  dzcUin  um- 
gelautet, uig.  tob.  ^a^ja-,  k&z.  hau.  yäSno-   »blitzen«,  halk.  zaina-\     Formell 
ist  zu  dieser  Gruppe  zu  vergleichen:   (osm.  kkir.  caq    »Ton  des  Schiagens, 
des  Zusammenstoßes   zweier  Gegenstände«,  daq-  »schlagen;  blitzen«)  osm. 
caqin,    dschag.  caqiti,  tel.  ('ay in    »Blitz«,    tel.  ray'ina-    »blitzen«;    mit  *- <  J-:   ^s 
schor.  ktsch.  iaq-  »Feuer  anschlagen«    [so!J,  Myin  »Funke«  und  die  Neubil- 
dung Sayinna-  <  -la  »Funken  sprühen«. 

Auf  diese  Weise  läßt  sich  dann  auch  höchst  einfach  kom.  kiUmi-  be- 
greifen:  *kiMn  gehört  als  Nomen  zu  *kii-   »wiehern«    u.  dgl.,  von  welchem 
osm.  kiiirdi   »Gewieher«    gebildet  wurde  als  gäbe  es  auch  *kisir,  *kiiirdü-,  30 
die  vielleicht  noch  nachzuweisen  sind". 


'    Nur  im  Osm.  sind  bis  jetzt  belegt:  Vit-,   Hin-,  ii'ila-  -glänzen,  funkeln. :   dazu  dschag. 
ii'iq   •glänzend.  Helle.   Licht«,  iiin,  iUm   »Blitz«,  iina-   -glänzen«.     Bei  Sul.-Kun.  29:  biz  =: 
yildirim,  aiin  caq'in.    Also  auch  hier  die  Anlautvariante  a-:  ya-.  y'i-,  i-'.'  In  yildirim  vermute 
ich  *ycUd'ir-  zu   *yal-   -leuchten«    oder  dgl.,  das  auch  in  uig.  usw.  yal'in  »Flanime«,  tel.  l'alin    35 
auch   »Blitz«   anzunehmen  sein  wird. 

'    Vgl.  (fo/  »krik-krak«;  ('nt'ir/la-   -brechen,   knirschen«,  catird'i   »üeknarr«    usw. 


S6  W.  B  A  N  G : 

Zweiter  [qj  Hinblick  auf  knkinc  »Antwort«    wird  es,  auch  ohne  daß  man  sich 

dadurch  den  Vorwurf  des  Leichtsinns  zuzieht,  erlaubt  sein,  die  folgende 
Frage  zu  stellen:  sind  die  Abstrakta  auf  -nc  wirklich  alle  von  der  re- 
flexiven Verbalform  gebildet  oder  gehn  sie  ursprünglich  zum  Teil  auf 
5  ein  Verbaliiomen  auf  -n  zurück,  an  welches  -d  sekundär'  antrat?  Brockel- 
mann scheint,  wenn  ich  ihn  richtig  verstehe,  ZDMG  70  (1916)  S.  192  schon 
an  diese  Erklärung  gedacht  zu  haben. 

Ob  wir  in  qaina-  und  cainu-  ebenfalls  -a-Denoniinativa  zu  sehn  haben, 
ist  mehr  als  fraglich. 

10  '    Vgl.  BtüW»  §  7   am  Schluß  und  Anm.  17,  wo  ich  die  Abstrakte  wie  aqinti  ebenfalls 

von  dem  Verbalnomen  auf  -n  herleite. 


Ymn  Köktiirkischen  zum  Osmanischen.  37 


in.  Das  Formans  -7«/  bei  Verben  auf  -a  usw.  ni  §  i 

§  1.  Die  Wörter  wie  tat.  say7'iYU  (oben  S.  2312)  sind  zum  Teil  vom 
Wb.  formell  und  lautlich  mißverstanden  worden.  Unter  tar.  ostt.  qariyu 
»blind«  heißt  es:  »von  (jariy-*\  Unter  qariy-  wird  dann  auf  dscliag.  qariq- 
(zur  Bildung  vgl.  oben  §  9a)  verwiesen,  das  »krank  werden  durch  das  Schauen  5 
auf  den  Schnee  (von  den  Augen),  blind  werden,  geblendet  werden» 
bedeutet;  außerdem  wird  auf  uig.  dschag.  qarayu  und  auf  ein  im  Wb.  feh- 
lendes qarö  verwiesen;  zu  diesem  vgl.  jetzt  Spr.  94  b  qdrö  »Blinder«. 

Für  das  tar.  qariyu  haben  wir  also  ebenfalls  Schwächung  von  -a-  in 
der  Mittelsilbe''  anzunehmen ;  sie  sollte  durch  i  wiedergegeben  wei-den,  wie  w 

'    Zu  dschag.  ffl«yrt7»/    > krank*   gibt  Wb.  1  176  die  Erklärung:    .von  ayriq''. 

*  Sie  wird  bestätigt  durch  Raquette,  MSOS  19 14  213b:  yary«  »a  blind  man«  (vgl. 
Prob.  VI  1911»)  und  indirekt  durch  ta.r.gaTuyu  yapalaq  »eine  Eulenart-,  das  im  \\T).  III  262 
unter  iyapalaq  aufgeführt  wird;  hier  ist  das  -«-  des  Inlauts  eine  von  W.  \V.  Rauloff  miß- 
verstandene Trübung  aus  -a-,  die  er  durch  -«-  hätte  umschreiben  müssen;  wäi«  es  ein  -u-,  ■' 
so  hätte  es  «-Umlaut  verursacht.  Das  Wort  für  "Eule-  selbst  ist  wieder  ein  schlagendes 
Beispiel  für  Mittelsilbenschwund  (vgl.  KSz.  XVII  133  fl'.):  schov.  cabanqulaq  und  caba-qulaq, 
koib.  yabä-qulaq,  bar.  yapqutaq  (mit  der  -Erklärung. :  'Von  yap  -f-  qulaq- !).  dschag.  tar.  yapalaq, 
kiptsch.  kom.  tob.  kaz.  krui.  yaiaAir/,  kaz.  auch  cabalaq,  diabaUu],  k\r.  dinpalaq.  Spr.  99c 
yuprulaq  (vgl.  KSz.  XVII  1 23  in  der  Anm.).     Das  erste  Glied  dieser  Wörter  ist  unsicher.         » 

Mittelsilbenschwund  auch  in  schon  carna< -Fledermaus«,  alt.  leb. yaryana/,  kaz.  dschag. 
OT  yarqanal.  alt.  yarü-qariat  unter  iyaru  -gegorbenes  Leder- :  kaz.  diarqanat.  kir.  diaryanat. 
Auch  hier  ist  das  erete  Glied  nicht  über  jeden  etymologischen  Zweifel  erhaben;  vgl.  bar. 
yarisq'i  -Fledermaus-,  osm.  yarata  (Youssouf  auch  yäranä;  vgl.  Houts.  105  yäräsä),  yaras'iq, 
ilsch&g.  yarasiq.  Das  i-uwa^.  »ara-strii  (Paasonen  130.  131)  -Fledennaus-  bedeutet  wörtlich  '5 
•  kahler  Spatz«:  ob  sara  mit  yarü  zusammenhängen  kann,  ist  unsicher:  vgl.  Kamstedt  KSz. 
XV  137.  Nach  Wood,  IF.  XVIII  19,  stelle  ich  noch  her:  an.  ledr-btaka  und  lith.  szikszno- 
spamis  »Fledermaus-,  wörtlich  -Lederflügler-.  In  Selma  Laoeslöfs  En  Herrgärdssägen,  Kap.  7 
fmde  ich:  De  dar  läder lapparna  äro  fru  Sorgs  fdglar;  dieses /dcferfe/)/)  ist  im  Schwedischen 
ein  Synonym  von  flädermux.    Weiteres  bei  Pott,  Zeitschr.  für  Völkerps.  u.  Spr.  1  348.  30 

Lider  hat  BB  XXI  93 — 95  (vgl.  107  ff.)  einige  idg.  Wörter  für  -Leder,  Haut«  u.  dgl. 
mit  Verben  zusammengebracht,  welche  »spalten-  usw.  bedeuten;  so  mag  auch  yarü  (vgl. 
Prob.  I  120  8  yarü  ädäryä  man  urändim  -ich  erlernte  das  Gerben«)  zu  yar-.  dzar-,  car-  -spalten, 
enthülsen«  (Spr.  99a  yära-  -spalten-,  aber  yärma  und  y^inrfr -Splitter- :  vgl.  Prob.  VT  13621 
yarerf?  <;  Yyorarfr  aber  13616  yaryin;  ebenso  I33'5  ün'kni  glip  qoliya  saUdT  -er  steckte  den  35 
Ring  an  den  Finger-  zu  sal-,  sola-)  zu  stellen  sein,  wie  auch  kaz.  yar'i  -Haut  zwischen  den 
F'ingern,  Lederstreifen. ,  yar^aq  (-^-Ableitung  zu  * yarfx-'i)  -kahler  Pelz:   uugegerbtes  Leder: 


38  W.  Bang: 

III  §1  z.B.  in   sa%liyek  »um  zu  bewachen«   (Pioh.  VI  Si  i)  <.  saqlayati,  areda   »in- 
zwischen«  (S 1  i2u)  <  arada,  dann  im  Präsens:  qüimän  usw. 

In  den  Texten  erscheint  für  -i-  jedoch  sehr  häufig  -i-  und  sogar  -f-; 
trotzdem  aber  wird  der  vorhergehende  Vokal  nicht  umgelautet:   883  aji- 
'    5   leriya  <,  ayalartya,    90  3  ayderim,    90  6  ayileriü,    98  8u  ayilerimya,    96  lou  07»- 
lerimm,  96  6  u  ayilerint. 

Hätte  qariyu  irgend  etwas  mit  qariq-  <  *qanq-  zu  tun,  so  müßte  Um- 
laut  eingetreten   sein:  *qeriyu.     Eine  Diskussion  erübrigt  sich  jedoch,    da 
wir  das  ganz  klare  qarayn  >  qärü  ja  neben  qariyu,   besser  qdriyü,   besitzen 
10  [Prob.  VI  I73i6uff.  findet  sich  melirfach  qariyv\. 

Ich  halte  qarayu  für  eine  Ableitung  auf  -yu  von  *qara-,  einem  sonst  un- 
bekannten Denominativum  auf  -o;  es  wird  wohl  zu  qar  »Schnee«  gehören, 
so  daß  *qara-    eigentlich    »schneeblind,   geblendet   sein«    bedeuten  würde'. 
Außer  tar.  sayriyu  <  *sayir-a-yu  zu  *sciyira-  >  sayra-  (Sul.-Kün.  i  64  scrfii- 
■5  ol-,  iMtmä-)  sind  noch  zu  vergleichen: 

I.   uig.  osm.  bos.  q'irayu   »Reif«,    dschag.  qirayu,    qirau  und  qiral;  kir. 

bar.  kaz.  q'irau   kom.  CC  234  kjroo,    schor.  sag.  koib.  q'ira,   ostt.  qirau,   tar. 

qirö;    kumd.  qurä,   alt.  leb.  qurü';   kkir    q'irö  (Prob.  V  2 10 157)   fWb.      Ich 

stelle    das  Wort    zu    *q'ira-    »grau    sein«    von    q'i?-    »grau«;    vgl.   die    kaz. 

ao  Neubildung   qiraulan-    »grau    werden«    von   Bart   und   Pelz^;    dschag.    qiral 

Schwimmhäute  an  den  Füßen  der  Gänse  [Prob.  V  8  58  yaryaq  taman  qas  •  Leder-Sohlen-Gans] ; 
Sämischleder-,  nach  Raquette  MSOS  1914  229a  auch  «leather  (of  sheep  or  goat's  skin)«, 
Prob.  I  4  Nr.  44iyar7a5  ton    »kahler  Pelz- ;   u.a.    Vgl.  Dähnhardt,  Natursagen  III  i  S.  4. 

Im  Osttiirkischeii  ist  das  alte  türkische  Wort  für  »Fledermaus-,  wie  es  scheint,  Ver- 
as gessen  worden;  dafür  tar.  iäpärüii,  Spr.  93b  iäpäräfi,  iäpartik,  MSOS  1913  129b  und  130 
säb-parrak,  1914  206b  säb-pärräk;  alles  —  im  einzelnen  der  Erweiterungen  unsicher  —  zu 
np.  sab-parra.  sappara  GrIrPh.  I  2  7  7  (vgl.  u.  a.  die  türkischen  Erweiterungen  von  np.  pöst. 
pösdn  »Haut,  Fell-  Hörn  Nr.  338:  postäki,  postäk,  postuncäk).  Nach  A.  von  Le  Cog  sagten 
Frauen  und  Kinder  sacqan  (saiqan)  yäpulaq. 
30  1    Mit  kir.  qur,  uig.  osm.  kmi.  kor  »blind-  <  np.  kör  (HCbschmann,  Armen.  Gram.  I  173 

Nr.  322)  wird  man  nicht  operieren  dürfen,  da  das  Wort  unerkläi-t  ist. 

Im  dschag.  qir^/u  (Zenker  697  0;  Wb^i'  7V)  könnte  -AVurzelablaut»  angenommen  werden, 

wenn   das  Wort   besser  oder   außerhalb   des  Dschag.  überliefert   wäi-e.     Katanoff,   der   es 

nach  BuDAGoPF  II  50  zitiert,  meint,  vielleicht  mit  Recht,  es  sei  falsch  vokalisiert  (vgl.  seine 

35    Ausgabe    des  Li  in  3auHcoin.  BocnJMii.  (lIV^1i.I.  hmii.  pyccK.  apxeo.ior.  06m.  Band  XIV,  Petersb. 

1902,  S.  52  Anm.  60). 

'    Zu  -«-  vgl.  KSz.  XVII  120.    Wai'um   aber  -k-  im  Kumd.?    Etwa  Rundung  durch  q- 
wie  in  qusqac   -Zange-    oben  S.  637. 

*    In  Kucä  hörte  A.  von  Le  Cov  yiro   -alt  (Tücher  usw.)«,  was  wohl  hierher  zu  stellen  ist. 


Vom  Köktiirkinchen  zum  Osmanischen.  39 

<  *qira-l  wie  osm.  güzäl,  gagaus.  göznl  <  *közn-l  zu  *közn-  zu  köz;  >  kir.  lUSi 
közöP'. 

2.  dschag.  kiptsch.  qa-iayu  »Striegel«,  osm.  qaSarfi,  kaz.  qaSau.     Synon. 
kkir.  qaäaq,    dschag.  qa^ayuc,  -wuc.     Diese    zu  osm.  qam-   »ein  Pferd  strie- 
geln«.     CC  122:   stregia  ^  chasragu  =  chasrau,   lies  qa^rayti  oder  %aSrctyu,    ' 
usw.;    diese  zu  osm.  qas'ir-   »ein  Pferd  mit  dem  Striegel  reinigen  lassen«, 
von  qaü'i-   »abreiben,  kratzen,  striegeln«.    Vgl.  kaz.  q'iryic  »Striegel«   zu  q'ir- 

•  kratzen « . 

3.  dschag.  oqlayu  »Walze,  Zylinder«  —  osm.  oqlay'i,  dschag.  oqhu,  Sui..- 
KuN.  9  auch  aqlau,  6 1  c%/ar.     Nebenformen  dschag.  oqlaq,  -y.  Wb.  richtig :   ■» 
» von  oqla  +  7« « ,  und  Vergleich  von  kaz.  i'qlau  » Rollholz,  Mangelholz  (zum 
Teig  rollen)«.     Osm.  oqlawa  (\),  kir.  oqtau  <^  oqlau  im  niss.-kir.  Wb.  Kazan 
1910  S.  266  unter  CKajiKa.    Die  lautgerechte  Form  ist  im  Kazanischen  uqlau; 

'    Da.s  jak.  kiria  geht  auf  ein  gekürztes  *qir-/u  zurück  (vgl.  Böhtl.  §§  287,  289,  372). 
Entlehnt  sind  mnng. /rirafftni  (Kow.III  2546)  und  kirrigv,  -gim  (Kow.III  2549)  —  tung.^erm/.  kern/.    1; 
'    Eine   -/-Ableitung    als    Synonym    einei-   -/•-.Ableitung    haben    wir    in    alt.  leb.  yasal 

•  Schmuck«  >  schor.  sag.  «i«a/  von  yaza-,  yasa-:  sag.  auch  cazaif  "Schmuck«  und  schor.  sag. 
cazam  ||  alt.  tel.  leb.  yäpaäl  «das  Gerät.  Werkzeug,  Instrument.  Wafte«  z>i  yäpsä-  »ausrüsten« ; 
schor.  cäpitäl  «Instrument«  usw.,  al  cäpsälX  -Pferdegeschirr«:  kumd.  yä/>,väA-  «Pferdegeschirr«  || 
osm.  cökäl  neben  cökük  »Hefen,  Bodensatz«  zu  iök-  ||  Zu  bultsa-.  bolla-,  molt'a-  gehören  dschag.  »o 
liotdiau  -Frist",  boldzar,  boldial  (vgl.  Svl.-^vh.  bulcar  :  mulrar),  kkir.  boldzul  Prob.  V  2281a, 
^^1l.  bolit>l;  dschag.  auch  boldiai;  koib.  ktsch.  molt'ag,  Castr.  moläa%.  Prob.  IX  371  14  moldiay, 
balk.  bolzäl.  Es  liegen  also  die  Foi-mantien  -y.  -.{,  -/  und  -r  vor.  Warum  wird  Wb.  I  602 
dschag.  ailar  -Mulde,  Trog«  beanstandet,  während  es  vollberechtigt  neben  ailaq.  ailau,  astau 
steht?  Das  tob.  bultsa  «Frist«   wird  wohl  mit  -ä  anzusetzen  sein  (bultsa-  Prob.  IV  3541a).         >5 

Neben  osm.  yular  « Zügeli^ steht  dschag.  dzilau;  Vambkry  ("ag.  Spr.  281b  hat 
ferner  diulau,  diular  «Leitseil  eines  Pferdes«;  die  Wörter  gehören  wohl  zusammen,  sind 
aber  unklar. 

Ein  sekundäres  -/  liegt  offenbar  vor  in  dschag.  kii.  ötkiil  =  kkir.  ötköl  <  *  ötkäl  >  kaz. 
ütJeäl  «Furt«,  schor.  ölküi  -Furt«;  öt-  und  -gä,  -gü,  an  das  dann  -/,  -s  antraten  (-«  <, -t  wie  .1° 
z.B.  in  scher,  usw.  otturyut  »Sitz«,  Prob.  I  61 61  aucli  kiin  ottttrytti  -Sonnenuntergang«,  kar. 
utiry'ic.  kom.  oltvrgw).  Sollte  diese  Analyse  das  Richtige  treffen,  so  würde  das  -/  des  de- 
verbalen -kill  ungefähr  dem  -/äk  des  elienfalls  deverbalen  -kiiHik,  -ijulvq-.  -yulwj  usw.  ent- 
sprechen, das  in  den  Turfanfraginenten  eine  große  Rolle  spielt,  in  den  neueren  Mundarten 
aber  etwas  zurücktritt.  Hierher  würde  ich  auch  yätkil.  piitkiil  (.MtüSpr.  3541,42)  stellen,  35 
während  k\r.  d'imqit  «feucht«  als  denominale  Bildung  zu  dem  -q'il  gehört,  das  ich  BtüW' 
§11  besprochen  habe.  Das  osm.  öngäl  -ent^te.  obstine«  (Youssouf),  das  AVb.  1  12 15  önägiil 
gelesen  wird,  ist  mir  vollkommen  unklar  (vgl.  Wb.  I  12 14  unter  f'mägi  usw.). 

Das  -ä-  von  ütkäl  <.  *  öt-kä-l  würde  sich  folgerichtig  als  Ablaut  wie  in  -yu-v.  -ya-c  er- 
klären (MtüSpr.  42 1«).   Wb.  gibt  anderseits  für  önäyj  usw.  auch  die  Bedeutung  -Rival,  Neben-    >• 
buhler- ;    dieselbe  Bedeutung  soll  osm.  ängäl,  krm.  iirigäl  haben  (vgl.  auch  den  kleinen  Red- 


40  W.  B  A  V  G . 

in§i  dazu  das  sekundäre  uqlavla-   »rollen,  walzen,  mangeln«.     Houtsmas  iiqlayu 
(S.  50)  ist  wohl  besser  mit  0-  zu  lesen'. 

Als  Grundlage  kommt  nur  oq  »Pfeil«  in  Betracht  (in  Anatolien  oq 
a^adzi  »Mangelholz«  Wb.  I  990),  das  im  Osm.  und  Dschag.  auch  »Achse, 
5  Deichsel,  Dachbalken,  perches  qu'on  emploie  dans  ia  convStruction  des  tentes« 
(Zenker  125  c,  Pavet  de  Courteille  68,  Wb.  1.  c.)  bedeutet;  im  heutigen  Ostt. 
ist  oq  im  Sinne  von  » Wagenachse«  belegt  bei  A.  von  Le  Coq  Spr.  83a, 
Raquette  MSOS  1914178b—-  tar.  öq"^.  Es  hat  also  offenbar  zunächst  jedes  rund- 
lich  geschabte  Holz  bezeichnet,  wie  auch  in  dschag.  sapan  oqu  =--  "Sapanm  qulpu 
10  wä  a')iadzi-  Ptluggrif'f«  (Sul.-Kin.  166).     Davon  dann  dschag.  oqla-  »wälzen«. 

4.  Für  »Zunder,  Feuerschwamm«  sind  mehrere  Formen  belegt:  ohne 
Dialektangabe  Wb.  II  434  unter  qabä  zunächst  qobuya,  das  Tarantschi 
sein  muß:  es  weist  w-Umlaut  von  -a-,  und  Verderbnis  des  Suffixes  auf 
(vgl.  KOsm.  17  Anm.  i  ostt.  ücügä  »Gedärm«  <  iMgii;  vgl.  unten  7);  qobur/a 

>5  also  fiir  "qabuya  <  *qabayn  =  uig.  qawayu  M°  10 23.  Hierzu  auch:  sag.  koib. 
qabö  (»von  qap  +  ö« !),  schor.  sag.  qabä,  koib.  töI.  qabü.  Daneben  eine  Kurz- 
form: HouTS.  86  qaw,  CG  90  d)OU,  osm.  qaw,  in  Tebriz  goc  nach  Foy  MSOS 
1904  223;  tur.  kur.  bar.  kir.  ÜT.  qau,  dschag.  V.  qow,  alt.  tel.  kir.  sart.  kaz. 
qü,  soj.  qay  und  qag,  küär.  qog,  tar.  kkir.  qö.   Man  wird  sich  die  Entwicklung 

10  wohl  so  denken  dürfen,  daß  von  einem  Nomen  *qab  ein  Verbum  *qaba-  ge- 


HODSE  unter  rival),  und  es  hat  den  Anschein,  als  hingen  beide  Wörter  irgendwie  zusammen. 
Wie  ist  Viv.  egäs  »feindlich,  Rival,  Gegner«  zu  erklären  (-«  wohl  < -«)? 

Sicher   ist  hier  anzuführen:   ]s.\r.  lekpil   »dunkle   Flecken    auf  dem  Gesicht   oder  dem 
Körper«    metathetisch    im  -Ysepkil  ^  A&chng.  säpkil,    kaz.  sipki/   -Sommersprossen«:   zu    »öp- 
»5    -ausstreuen-   usw. 

Vgl.  den   Anhang  über  die  Wörter  auf  -au/. 

'    Das  im  Wb.  I1017  verglichene  ostt.  071*^  -Rollholz,  Mangelholz-   bleibt   besser  aus 
dem  Spiel,  solange  keine  mundartlichen  Varianten  vorliegen. 

^  Mit  Dehnung  in  einsilbigem  Wort.  So  erkläre  ich  jetzt  auch  tar.  oti  (MtüSpr.  29  le) 
30  in  Prob.  VI  102  I  ol  tasnt  kötüriip  alidiyannin  öin  yoq  -jenen  Stein  aufzuheben  hatte  er  keine 
Kraft".  Dies  ö>i  <  *on  ist  Verbalnomen  auf  -n  zu  o-,  das  bisher  v-  gelesen  wui-de;  o-  be- 
deutet »können,  vermögen«,  *on.  ön  also  fa.st  soviel  wIp  kfic.  Zu  n-  auch  das  Abstraktam 
ui.c  in  der  Touyuquq-lnschrift,  die  mir  leider  eben  nicht  zugängig  ist,  und  M"  3261  in 
imcsuz  särincsiz  ämyäklär  »unerträgliche  Leiden,  gegen  die  es  keine  Abhilfe,  kein  Mittel 
35  gibt«  =  »unheilbar«;  zu  negiertem  w- im  Sinne  von  »nicht  helfen  können-  vgl.  KSz  X^^I 
198 — 199.  —  Gehört  zu  o-  auch  uig.  kiptsch.  dschag.  (ryan,  oyun,  yan  -Gott-  ?  [Vgl.  Radlofp 
QB  zu  183  17].  Zu  oyul  vgl.  den  Anhang  S.  661.  [Oder  ist  gar  ön  nichts  andres  als  eine 
Kontraktion  von  'jyan  =  »*Macht,  *  Kraft  -  ?  Es  würde  dann  auch  o^/nr  (T'  213  unter  XX  VTIl) 
soviel   wie   »vermögend,  mächtig-   bedeuten.] 


Vom  KöktürMschen  zum  Osmanischen.  41 

bildet  wurde,  zu  dem  qawayu  gehört;  daneben  stand  schon  qay\  Auf  eine  in§i 
Etymologie  verzichte  ich,  da  ich  nicht  weiß,  ob  die  Wörter  von  Haus  aus 
den  Feuerschwamm  (Polyporus  fomentarius)  bedeutet  haben;  im  Tölös  be- 
deutet qabü  >Bast  des  Daja-Strauches  der  zum  Anmachen  des  Feuers  ge- 
braucht wird«,  qau  im  Kirgisischen  »das  trockne  vorjährige  Gras«,  nach  5 
VÄMBERY  Cag.  Spr.  320  qow  auch  »faules  Holz«:  die  Bedeutung  »Feuer- 
schwamm, Zunder«  kann  also  etwas  Sekundäres  sein,  vgl.  AtüD.  S.  10;  die 
im  Wb.  qubur-  und  qnwar-  gelesenen  Wörter  werden  wohl  qofnir-  und  qowar- 
auszusprechen  sein  und  -o-  <  -a-  durch  u-  und  tc-Umlaut  zu  erklären  sein. 

5.  Das  Wb.  kennt  ein  bar.  yürgö  »Windel« ;  ohne  Erklänmg.    Ich  lese  10 
es  yürgö  und  leite  es  aus  "yörgägü  ab,  indem    ich    auf  die  Tatsache  hin- 
weise, daß  Wörter  gleicher  oder  ähnlicher  Bedeutung  gern  dieselben  For- 
mantien annehmen.     Neben  tar.  usw.  yörgü-  »einwickeln«  (Prob.  V^I  1895") 
steht  zwar  nur  tar.  yörgäk,  koib.  yörgök  »Windel«  >  schor.  sag.  cörgäk  (das 
Verbuni  i'örgii-,  das  für  das  Dschag.  belegt  ist,  ist  des  anlautenden  ''-  wegen   -5 
wunderlich^),   doch   gibt  es  zu   «Iscliag.   tel.   kkir.  rii/yii-.   koni.  rii/ya/t-,  kaz. 
Ö0lya-,  kir.  Sulya-   »wickeln«    usw.  neben  dschag.  culyaq  »Windel,  Lappen«, 
bar.  tsulyaq   »Schuhheu«    auch    kom.  culyau   »scapinus«    (vgl.  Düc.\nge  s.  v.) 
und  kaz.  delyau,  kkir.  &ulyö  »Kußlappen«,   tel.  ädyü  »Windel«    =^  tob.  tsid- 
yau,  kir.  Milyau  »Fußlappen«  ;  im  Balk.  bedeutet  culyau,  ndyöu  •  eingewickel-  «o 
tes  Paket«:  aUe  aus  *6ulya-yu,  metathetisch  fiir  *&uyla-yu\ 


'    Aus  diesem  yoy  hat  sich  auch  das  Jak.  k'ia  entwickelt;    vgl.  Böhtlinoks   Sammlung 
im  §341   und  aus  §443  ia- <i  scey  »melken«. 

'  Die  Stelle  ist  jedenfalls  nicht  in  Ordnung;  ein  pflügender  Menscii  will  in  seiner 
Gutmütigkeit  einen  Wolf  vor  den  Jägern  veratecken:  i/ube.tTm  .-e/ip  börüni  ynrgäp  yosundurüp  »s 
hir  yärdä  qoidi,  was  übersetzt  wird:  -da  tat  er  ihn  in  seinen  Sack  und  versteckte  ihn  an 
einer  Stelle«.  Wb.  kennt  nach  dieser  Stelle  yuba  »Sack-.  Ich  denke,  daß  yitba.  das  auch 
S.  190  nocli  mehrfach  erwähnt  wird  :=  tar.  fua  »Pelz-  ist  (Wl).  III  628).  für  das  mich 
A.  VOM  Le  Coq  auf  seine  Spr.  89a  verweist  guba.  t)ü*'a  »Pelzrock«  (l^,  li _>»■),  für  das  ei- 
die  nachlässige  Aussprache  yva  kenut  So  ist  denn  alles  in  Ordnung:  der  Bauer  wirft  30 
seinen  Pelz  auf  die  Erde  und  wickelt  den  Wolf  hinein.  Ist  das  Wort  i-uss.  my6a,  äuba 
•  Pelz«  (vgl.  ScHRADEB  IF  XVn29;  vgl.  Ki-LOE"  und  Weioands  unter  .Ioppe)?  Wie  dem 
auch  sei,  für  von  Le  Coqs  gabchu]  hat  das  Wb.  yabduq  usf. 

Für    »Sack«    gebraucht   da.s   Ostt.,   wie   u.  a.    das  Osm.,    ta/yar,   layä'  (Prob.  VI  166  7u; 
KSz  V  161  7ff.:  ttpya,  13  tar/arini,  i;  tayädiki).  Künos  gibt  in  der  Jarkender  Version  tayar,  eben-    35 
so  Kaquette  MSOS  1914   i88a. 

*    In  der  Krim  entrundet  zu  cärgä-:  dazu   Kar.  T.  öärgl-  und   cär§}w   »Windel«.     Vgl. 
auch  Paasonen  183,  185. 

'    Vgl. leb.  <'t/^>  tel.  cü  »WiiKlel,  Umhüllung«,  leb.  cugla-,  tel.  cüla-  »in  Windeln  wickeln«. 
Phil..hi»U  Abh.  1919.  Nr.  5.  6 


42  W.  Bang: 

ni§i  Im  Sag.  und  Koib.  lautet  das  Verbum  sulya-,  das  Nomen  soll  nach  Wb. 

sulya  sein.  Auch  hier  wird  sulyä  das  Bessere  sein  (vgl.  unten  S.  47  Anm.  3). 
Wohl  nur  Druckfehler  ist  es,  wenn  Wb.  I  1057  alt.  tel.  oi-U  »das  Ein- 
wickeln, Windel«  von  »oro  +  yw«  abgeleitet  wird:  vgl.  ora-,  oro-  und  «ro- 
5  und  die  verbreitetere  Ableitung  oraq,  ordg  und  ofig  (von  *ori-?)  »Hülle, 
Windel«.  Ein  zweifacher  Verbalstamm  tritt  auch  zutage  bei  kiptsch.  osm. 
usw.  sar-  »umwickeln«:  osm.  sar^fi  <i  *  sa'n/u  und  kaz.  sari-  »aufwickeln«: 
osm.  krm.  (nicht  kom.)  safiq  »Tuch  oder  Schal,  den  man  um  den  Kopf 
bindet,  Turban « :  oder  *sar-t-q. 

10  Das  schor.  pöln-   »in  Windeln  wickeln»  soll  nach  Wb.  aus  dem  Russi- 

schen stammen  (ne^ieHarb;  vgl.  allerdings  pölönkö),  doch  kommt  tar.  kur. 
hüäü  »Windel«  zweifellos  von  *bilngil,  <  *bälägü:  vgl.  kaz.  bilä-,  kom.  bälä- 
>  kir.  bölö-  gerundet  »in  Windeln  wickeln«.  Cuwas.  pißh-.  Ich  stelle  bdlä- 
zu  bäl  »Kreuz,  Taille«  usw.  und  vgl.  kir.  heldnü  <  *bnl-lä-gii  »der  Strick,  der 

■5  um  die  Jurte  gebunden  wird,  um  dieselbe  zusammenzuhalten« ;  davon  bfl- 
däülä-.     Ein  andres,  ähnlich  lautendes   Wort  siehe  unter  7. 

6.  Es  gibt  ein  zweifellos  auf  onomatopoetischer  Grundlage  erwachsenes 
Zeitwort  dschag.  buzla-  »schreien  (von  jungen  Kamelen)«,  dschag.  bozna-, 
buzna-  »weinen,  jammern,  schreien«,  dschag.  bozla-  »weinen,  jammern,  wim- 

ao  mern,  kläglich  schreien«,  kir.  bozda-  »schreien  (Kamel)«,  alt.  tel.  leb.  pusta- 
» brüllen  (vom  Rindvieh)«,  te\.  schor.  musta-  »brüllen  (in  tiefen  Tönen)«: 
wohl  auch  tel.  postn-  »sich  sehnen,  streben,  bitten,  flehen,  klagen«  (?).  Zum 
Nomen  *buz-^  konstruiere  ich  neben  den  obigen  Verben  das  synonyme  *buza- 
» schreien,  brüllen«  und  stelle  dazu  den  Namen  des  Kalbes  (wrtl.  des  »Brül- 

'5  lers«):  uig.  dschag.  kiptsch.  buzayu,  osm.  buzay'i,  kom.  tob.  kir.  buzau',  balk. 

'  Neben  engl,  to  buzz,  to  whiz.  osm.  f'ia,  ßs,  fü  vgl.  besonders  das  wesensgleiche 
osm.  wiz  »das  Geräusch  des  Summens,  SchnurrenS",  w'iz  ic'iz  "Summend«  (ict>  auch  •schnell« 
=  voizir  wizir),  w'izla-  «summen«,  wizilda-  »summen,  surren,  summend  kochen«,  wtzild'i  «das 
Brimimen,  Summen«. 

3"  '    Im   CC  128   buxau  =  buzau,   193  2   bU30D.     Die   hierher    gehörigen   Wörter  werden 

meist  mit  -v,  -w  geschrieben,  vvei-deii  also  wolil  auch  so  zu  sprechen  sein.  Vgl.  auch  das 
Wort  für  »Kirche«:  1584  gicl)ÖD,  15810  gtd)Ön>  (so  im  CC),  1983  (tI)OD,  iu  dc-m  ich  mit 
KuüN  eine  Zusammensetzung  von  öv,  öw  -Haus«  (162  3,  187  5,  188  9)  erbhcke.  Im  ei-sten 
Teil  wird  kokt.  uig.  y»^  stecken,    entweder    in    der    Bedeutung    -gut,   heilig«    (Kuun),    o3er 

35  allenfalls  in  der  von  »Ober-,  Haupt-«  (St.  532  und  Anm.  3);  vgl.  auch  wohl  kai\  L.  yi% 
kin  »Sonntag«,  wo  wieder  eher  »heilig«  am  Platze  ist.  Im  Balkarischen  heißt  »Sonn- 
tag« Jyü%-  kiin,  wo  iy'i'/^  »Woche-  bedeuten  soll.  Spätere  Vertretung  des  unklar  gewor- 
denen Wortes!' 


Vom  Köktürkischen  zum  Osmanischen.  4H 

buzöu.  kaz.  bezau,  Ifizau,  gagaus.  biizä,  alt.  tel.  kumd.  pozU\  sag.  puzü,  pizä,  iii§i 
pizö^,  kkir.  mM2'ö;  cuwas.  jjSrw.    Auffällend  sind  die  osttürkischen  Formen: 
tar.  mozai,  OT.  muzai;  Spr.  mözüi,   Raquktte  mözai;   im  Tar.  dazu  mozaiöi 
»Kälberhirt«,  aber  mit  Umlaut  mozeyini   »seine  Kälber«   (Prob.  VI  1 1 7  14). 

Weitere    verwandte    Formen    dieses  Wortes   siehe    bei    Gombocz,    Die    bulg. -tiirk.     s 
Lehuwörter    in    der   ungar.  Sprache   (Mem.  .Soc.  Finno-Ougrienne  XXX,   Helsingfors 
191J)  S.  51,  Nr.  32. 

Grzegorzewski  (SWAW,  CXL  VI,  1903,  S.  30 — 32)  will  das  Wort  auf  np.  huz  zurück- 
führen, das  ■caper.  hircus»  bedeutet  (Hörn,  Nr.  213,  awest.  hüza-  bei  Bartholomae,  Altir. 
Wb.  969);  auch  wenn  man  mit  Grzegorzewski  von  einem  deminutiven  buzak,  6«i^A:  ausgeht,  lo 
bleibt  die  Ableitung  vollkommen  unklar.  Wenn  in  diesen  Wörtern  neben  -au,  -aic  auch 
-ou,  -ow  auftritt,  so  liegt  hier  letzten  Grundes  ein  «-.  tc-Umlaut  vor,  wie  anderseits  ai  zu 
äi  umgelautet  werden  kann.  CC.  124  wird  z.  B.  paella  (Dixanok:  sartago;  schon  Klaproth 
Mem.  rel.  ä  l'Asie  III  247  interpretierte  durch  pdete'.)  als  Übersetzung  von  QaglOOU  gegeben; 
CC.  234  sieht  datur  jaoIOD  -e  pl)anne-  =  kir.  rizaulau  »große  Schöpfkelle  aus  Blech  (zum  15 
Kochen)- :  alle  aus  yaylayv,  das  alle  möglichen  Bedeutungen  hatte,  die  nur  durch  die  ge- 
meinsame Basis  yay  -Fett«  zusammengehalten  werden. 

7.  Zu  büä-,  piUi-   »schleifen«'  gehören:  osm.  bilngi,  -yi  »Schleifstein«, 
kiptsch.  bil(iicil(\),  kom.  kir.  bilan,  balk.  bilrü,  bar.  pilnii,  alt.  tel.  pilü  und  das 
mir  zweifelhafte  schor.  pilä  für  zu  erwartendes  *pilfi.    Rundung  nach  6-  in:   «. 
koib.  (Castren),  kkir.  bülö,  sag.  koib.  ktsch.  pülä,  tel.  pülü,  ad.  Kar.  T.  büldw. 

'  In  den  Texten  meines  Wissens  nur  potu  (Prob.  I  64  165,  178  isn  usw.):  aber  64  i6a, 
164  pozüit  »sein  Kalb«  (Akk.)  <i.  pozvzün,  pozüzün.  Die  Entstehung  von  -k-  <;  -uzu-  ist 
Phonet.  §  103  nachzutragen:  so  wird  auch  kokt,  bädvk  •hoch«  im  Küär.  zu  pözük  (Prob.  11 
703  3),  für  welches  Wb.  nur  die  Kontraktion  pok  kennt.  »s 

'    Schwächung  von  -«-  >  -t-,  deren  Bedingungen  eingehender  imtersucht  werden  müssen. 

'    Dieses  Verbum  ist  ein  Denominativ  [bi-lä-)   zu  dem  bisher  b'i  gelesenen  Wort,   das 
zweimal  (M»59  9  4,  71  324)  als  Adjektiv  bei  b'icqu  »Messer«   vorkommt,  also  wohl   -scharf» 
bedeuten  muß;  ich  lese  bx.    Gehört  hierher  osm.  usw.  bi:  -Ahle-  >  bar.  sag.  koib.  pis  -Ahle-, 
bar.  alt.  tel.  -Schneide-  (auch  sag.  in  Prob.  II  76183  oyunüii  pizi  -die  Schneide  seines  Pfeils-)?   3" 
Das  Wort  wäre  dann  vielleicht  ein  Dual  {*bi-z:  vgl.  BtüW  307:  sonst  auch  AtüD  27). 

Bedeutungs-  und  fonngeschichtlich  leliireich  ist  der  Vergleich  dieser  .Sippe  mit  der 
folgenden:  dschag.  osm.  ad.  iti-  -scharf  sein-,  kom.  osm.  krm.  ad.  iti  »scharf,  spitz-,  Kar. 
T.  -Schärfe,  Schneide-,  uig.  itig  dschag.  ad.  ilik  »scharf,  spitz;  schnell,  eilig-  (Spr.  itik 
maü-  -scharf,  schnell  reiten,  gehen-),  tar.  geminiert  i//(X:  (auch  »schnell-  bei  fließen) ;  ebenso  35 
IlAgtETTE.  Mit  ^-Prothese:  uig.  kom.  yiti,  uig.  yitiy.  dschag.  yitik,  küär.  yidig,  koib.  ktsch. 
yidig,  schor.  sag.  ridig  (Mel.  as.  IX  128,  143  ctttig):  alt.  yidu,  tel.  yidu.  Das  uig.  yiti  (jetzt 
auch  M  41 14;  vgl.  QB  XV  zu  177)  muß  Gerundium  zu  einem  Verbum  "it-  sein,  zu  dem 
auch  die  faktiliven  dschag.  irtfir-  und  itkür-  »schleifen-  gehören.  Dagegen  kann  kom.  yiti, 
osm.  iVi  aus  yitig  itig  mit  dem  hier  gesetzlichen  .Schwund  von  -g  cntstandeu  sein.  Neben  *° 
iti-  muß  ferner  *itä-,  *yilä-  bestanden  haben:  zu  letztei'eni  gehört  bar.  yidäü  »scharf- 
(l'rob.  IV  8oi8tt'.)  <  *yitägü.      Soll    hier    angeknüpA    wci'den    küär.     idü    -Kraft-  -C  *idägä, 

6* 


44  W.  B  A  N  G  : 

ni§i  In  Tebriz  bläw,  blöv  nach  Foy  MSOS  1904,  221.     Auch  hier  geht  da«  Ost- 
türkische zum  Teil  seine  eigenen  Wege:    tar.  büäi,  OT  büläi  (Sul.-Kun.  26 
bila'y  und  27  Ulau  sind  wohl  mißverstandene  Lesungen;  Wb.  1764  dschag. 
biläw;  leb.  küär.  pilig  <c*pilik)>  bülf  Spr.  85b. 
5  Ich  glaube,  daß  der  Auslaut  sowohl  von  biläi  als  von  mozai  auf  die 

Endung  -7«!  zurückzutiihren  ist,  die  im  Ablautverhältnis  zu  -yu  steht.  Den- 
selben Lautstand  weisen  auf:  OT  birnilnn-  »sich  einigen«  <*birägül(in-  und 
tar.  üdäi » Dann « ,  wofiir  auch  Raquette  urey  gibt,  entstellt  aus  OT.  icäi  =  dschag. 
i<^ögü  (mit  Nebenformen  wie  kur.  iödgä  >  alt.  /A/,  dschag.  V.  iöäk  >  kir.  iääk 
.0  >  kir.  äVä*');  bar.  ätsäii  (Prob.  IV  54;  Wb.  dafür  ädzäii). 

8.  Etymologisch  unklar  ist  osm.  qilay'i,  qilayu  »Schneide  einer  Klinge 
(Schwert,  Messer)«,  Ich  möchte  es  zu  qil  »Haar«  stellen,  zu  dem  ich  als 
Denominativa  konstruiere:  *qil-a-,  *q'il-i-.  Hierzu  gehören  dann  außer  q'il-a-yu 
u.  a.  noch  dschag.  q'ilau  »scharf  (Säbel),  glänzend  (Helm);  brauchbar,  tüchtig. 


'5  das  möglicherweise  auch  in  den  Eigennamen  Itägä,  Idägä  (Prob.  IV  196«:  27  Nr.  6;  127») 
fortlebt,  der  meines  Wissens  bisher  nur  eine  volksetymologische  Deutung  (Prob.  IV  28)  ge- 
funden hat? 

An  onomatopoetischen  Ursprung  könnte  man  vielleicht  für  alt.  tel.  iar  »Schleif- 
stein" :^  tob.  bar.   tsar   und  carla-,    Isarta-   -schleifen,    wetzen-  <  schor.  «ar/o-,  das  VÄmberv 

30  Cag.  Spr.  274  als  diarla-  fiir  Chiwa  nachwies,  denken,  doch  vergleicht  anderseits  Ramstedt 
KSz  XV  140  np.  can/^  (siehe  Hörn  Nr.  437  besonders  S.  98).  Freilich  ist  zu  bedenken,  daß 
das  entlehnte  Äry„  (vgl.  Wb.  ^cäq,  iarq,  cärk)  nirgends  den  "Schleifstein«  zu  bedeuten 
scheint.     Von  car  ist  abgeleitet  tel.  leb.  kmd.  cary'i  «Schleifstein-. 

'    Für  mozüi  weiß  ich  um  so  weniger,  ob  diese  Erklärung  ausreicht,  als  das  Material 

35  nur  sehr  dürftig  ist;  -ayu  wird  bei  von  Le  Coy  offenbar,  soweit  das  vorUegende  Material 
überhaupt  ein  Urteil  erlaubt,  durch  -ö  vertreten,  während  {-<2yi)  -ägi  zu  -t  wurde:  Spr.  85b 
hxiÜ  "Schleifstein-,  84a  iklla  »alle  beide-:  ähnlich  das  nicht  virirklich  hierher  gehörende 
pkt%  »Handschuh  (Falkenjagd)-  =  tar.  jialäi  ■=.  alt.  päläi  (<■'  Vgl.  tob.  pialai  ■Fausthand- 
schuh«;-').    Das  merkwürdige  biro   »einer-  <i  birägii   ist  nach  einer  ganzen  Anzahl  ähnlicher 

3»  Lautungen  zu  beurteilen,  in  denen  die  gutturale  Suffixform  auch  bei  palatalen  Zahlwörtern 
durchgedrungen  ist  (BtüW=  §§6  und   7   und  Anm.  10  und   n). 

Im  einzelnen  schwierig  sind  özu  kün  »drittletzter  Tag,  heute  vor  drei  Tagen-  und 
ozäql  yiVi  »vorletztes  Jahr«  (Spr.  82c);  letzteres  scheint  aufs  neue  -qi  angenommen  zu 
haben.     Das  kom.  objOD  kotl  (CC.  136)   »ehegestern-   ist   unsicher,   da  der   zweite  Buchstabe 

35  unleserlich  ist;  lies  ozawf^^  und  vgl.  Si'i..-Kun.  160  ozw^  kün  »gätän  gün«;  unter  Einfluß 
von  kün  ist  das  Wort  auch  palatal  ausgesprochen  worden:  Wb.  1301  und  1144.  Vgl.  6«^«» 
und  nbürgün:   umgekehrt  alt.  pasqün  <  tel.  pasqi  kün   »vorgestern«. 

Das  tob.  kölogä  »im  künftigen  .Tahre«  möchte  ich  für  eine  Kontraktion  aus  kilär  y'ilya 
halten,  doch  scheint  dem  das  ostt.  kölürgä  yiti  »nächstes  Jahr«  (Spr.  96a)  zu  widersprechen. 

40    Liegt  Rundung  von  -ä-  >  -ö-  vor  -/-  vor?    Vgl.  KSz  XVII 120 ff. 


Vorn  KöktürkL^chen  zum  Osiruxn'ischen.  45 

tapfer  (Mann)«  auch  »Haarnadel«,  und  qilaula-  »wetzen,  schärfen,  polieren»;  i  §u  l 
besonders  dschag.  yi/öwWb.II  867,  wo  es  »von  qih  abgeleitet  wird,  worunter 
wir  doch  wohl  das  Nomen  zu  verstehen  haben.     Zu  *qili-  dann  wohl  qiM 
»Säbel«    und   seine    verschiedenen  Formen'.     Zu  jak.  Mlan    »die    äußerste 

Spitze   eines  Gegenstandes ;    die    scharfen  Spitzen    der  Haare   eines    5 

Pelzwerkes;  Schneide  eines  Messers  usw.«  vgl.  Böhtlingk  §  334,  344  und 
etwa  kkir.  q'üqan  » Acheln  der  Ähre«  =  alt.  tel.  qilyan.  Das  bar.  q'ilah  »Pferde- 
haar« geht  auf  das  üeminutivuni  *qilaq  »feines  Haar«  zurück,  das  auch  im 
l-uwas.  y^hy^   »Pferdehaar  (vom  Schweif);  Saite«   vorliegt. 

Das  osm.  dschag.  yana  »wetzen,  ein  Messer  abziehen;  wenden,  drehen»  dürfte  ein  la 
Denominativ  zu  yan  »Seite«  sein,  vgl.  besondei-s  yanas-  und  seine  Ableitungen,  worunter  cuwas. 
j^fnaiar  »nebeneinander«.  Als  Gerundium  gehört  zu  yana-  das  tel.  kumd.  yanai  -^  *yanaya 
(Wb.  III  82  »von  yan  -)-  '.'')  »von  der  Seite,  nebenbei«;  im  Kirgisischen  ist  dafiir  diana-  »an 
der  Seite  gehen«,  belegt.  Statt  yana-  auch  die  -!-.\bleitung:  koui.  kuz.  bar.  yani-  »wetzen, 
schleifen;  sich  an  jemand  anhäkeln«  usw.,  auch  »drohen-  (CC  38  ianimieil  aber  ianablm),  '? 
kaz.  kir.  diani-  »(trocken)  auf  einem  Streichriemen  streichen,  schleifen«.  .\ls  Nomen:  yanü 
bar.  »Streichriemen«,  kaz.  »das  Schari'machen,  Wetzen«  und  »Drohung«,  kir.  kaz.  dianü 
•  Streichriemen « . 

Durch  den  Auslaut  ist  der  Anlaut  verändert  worden   in:    tub.  nan   .Seite«;    dazu  tub. 
nanai   »in  die  Seite,  seitwärts,  neben«  ^^  yanai.  20 

Zu   dschag.  yavayan   steht  bei  Sui-.-Kun.  98   die  Erklärung   käskin,    bülülänmis  <  bütu- 
lä-n-  (oben  Nr.  7);  balk.  zaiiiydn  bedeutet  »Drohung,  das  Drohen«. 

Im  Cuwasischen  besteht  j\ina-  -drohen«,  im  Jakutischen  das  lautgesetzlich  entsprechende 
"an-   »drohen-,  in   welchem  -ä-  wohl  Ei-satzdehnung  ist  (''.').    Vgl.  aber  auch  Böhti.ingk  §91: 
Nemeths  Arbeit    in    Nyelvtud.  Közl.  XLIII  kann   ich    leider   nicht  einsehen,   KSzXVi5otf.    "s 
erwähnt  er  sän-  nicht. 

9.  Unregelmäßig  ist  die  Entwicklung  der  Endsilbe  von  kokt,  küdägil, 
osm.  güwäyi  »Schwiegersohn«  (R.\m.stedt  KSz  XVI  81:  vgl.  m.  Bemerkung 
KSz  XVn  199  Anm.  2)  im  Osttürkischen;  der  Grund  dafür  wird  darin  zu 
suchen  .sein,  daß  es  mit  oyul  eine  Einheit  bildet:  tar.  kiiyä  (rful  (Prob.  VI  30 
137 ff.),  =  Tcuy-CTigl  bei  Raquette  MSOS  19 14  222b  —  M  öyul,  küi  öyül 
Spr  96c'.  Die  vom  Wb.  für  das  Tarantschi  aufgoftihrte  F"orin  kilyä  ist 
mir  nicht  bekannt,  wäre  aber  auch  nicht  regelmäßig.  Ebenso  wird  das 
osm.  güwäyi  zu  güvoäi  gekürzt,  das  im  Gagaus.  sogar  als  gimä  erscheint. 
Ich  halte  es  nicht  für  ausgeschlossen,  daß  sich  für  das  Osmanische  noch  35 


'  Im  Balkarischen  bedeutet  qUic  nur  »Rand,  Geländer:  Querholz«.  Zur  Bildung  vgl. 
z.  B.  kiptsch.  tikic  »Stachel«   von  Hk-  (Houtsma  68). 

'  Vgl.  auch,  was  ich  MtüSpr.  lo  37  über  die  Entartung  des  Imperativs  auf  -äi  >  -ä 
sagen  konnte. 


46  VV    Ban«: 

ni§i  eine  ältere  oder  mundartliche  Form  *gnyäwi  =r  kiptsch.  küyägü  usw.  wird 
nachweisen  lassen;  vgl.  ki-rn.  güyäw,  güyü  (SrL.-KuN.  72  güjav  =  gijav\y. 
Das  adherb.  Mlräkän  »Schwiegersohn«  (vgl.  zu  -ü-  Foy  MSOS  VII  229; 
überhaupt  die  dort  angegebene  Literatur  und  Pavet  de  Courteille  466-7) 
5  scheint  Lehnwort  zu  sein  =  mong.  kargen  (Kow.  III  2651;  Plural  kürget), 
burj.  huren,  kvregen  (Castren  213),  tuug.  kuräknn  (Castren  81).  Gehört 
körägän  »schön,  nett«  (Vämbery,  Gag.  Spr.  329b:  »veraltet«)  hierher  oder 
ist  es  eine  Ableitung  auf  -dgan  zu  kör-?  (vgl.  MtüSpr.  §  26;  die  entsprechen- 
den Wörter  auf  -gän,  -kän  Wb.  II  1598  mit  sehr  berechtigtem  Fragezeichen, 

10  sodann  Sul.-Kun.  71,  74).  Zu  körün-  bildet  das  Cuwasische  kurdnaoan  in 
vivdr-k.  »durchsichtig«,  das  eine  junge  Bildung  sein  muß,  weil  -ayan  als 
Ganzes  angetreten  ist. 

Zu  uig.  kündägü  »Eidam«  (bisher  nur  bei  Klaproth  i8b  belegt)  stelle 
ich    sag.  kündägä    »Gefährte,    Genosse«    (-gif-  -gfi)\    es    liegt  also   hier  der 

15  Antritt  eines  Abstraktformans  an  den  Lokativ  vor:  kün,  kündä,  kündägü 
»tägliche  Genossenschaft«.  Vgl.  dschag.  kündälik  »Tagelohn«  >osm.  gü/idälik 
»die  Dauer  eines  Tages,  täglich;  Tagelohn«,  auch  »journee  d'ouvrier« 
(Youssouf)  und  osm.  ondatiq  »der  Zehnte«  (BtüW  §  lob  und  Anm.  37;  vgl. 
oben  S.  431),  aber  a'iMq,  yiltiq  usw.    Vgl.  Pel.  46a  üdägä  usw.  »Hausgenosse«. 

20  10.    Zu  osm.  kösäyi  —  dschag.  kösägü   »Feuerbrand,  Feuerschürer«   zu 

*kösä-  --=-  kir.  kösö-    »das    Feuer    schüren»    usw.    vgl.    meine    Bemerkungen 
KSz  XVII  I  39^ 

II.   CG  225  II  steht  im  Original  mit  aller  wünschenswerten  Deutlich- 
keit faroü  hapncpDir  =  bi  fpiocr  gct  Uf  bitter.     Zu  lesen    ist  sarowm  qainäydir 
^5  oder  qainaydtr.     Ich   konstruiere   ein  *sa?-ayu   zu  *sar,  *sara-.     Nomen   und 
Verbum    scheinen    heute    verschollen    zu    sein,    so    daß    die    ursprüngliche 
Bedeutung   sich    kaum    erraten   läßt.     Die    Ableitimg   auf  -a-yu   aber  liegt 


'    Von    den   mundartlichen    Formen    verdient    hervorgehoben    zu    werden    tum.  kit/äü 
»Schwager,  Bräutigam,  junger  Ehemann«,  das  Prob.  IV 74  auch  für  das  Barabinzische  in  der 

3°  Bedeutung  »Schwager«  vorliegt.  Vgl.  imten  §  3.  An  dem  Übergang  des  -«-  in  -*"-  trägt  -y- 
die  Schuld,  das  ja  überhaupt  ein  Störenl'ried  ist  {tayan-  >  balk.  tiyan-  »sich  stützen-  u.  dgl.). 
Tritt  noch  c-  iiinzu,  so  kann  die  Palatalisation  noch  weiter  gehen:  cayna-  »kauen-  >■  kaz. 
Cäynä-  >  osm.  ciynä-,  cihä-.  So  erklärt  sich  denn  auch  das  sonderbare  osm.  ciwi  .Holznagel, 
Mock,  Keil«;    -w-  ist    Hiatustilger,  *cii  <  cHy,  cüi   entstanden,    wie   <las   Wort    in    anderen 

35    Mundarten  lautet;  tob.  tsiit   »Stift,  Holzstift,  Keil-,  kaz.  ceV  (vgl.  BtüW  3038). 

^    üehört  osm.  küskii.  köskü   »Schüreisen.   (Sul.-Kun.  141  dschag.  küskü  »abgebrannter 
Uolzstumpl'-)  zu  i'iner  Kurzform  *kös-  r=  kösö-  oder  ist  es  durch  Mittelsilbeuschwund  entstanden? 


Vom  Köktiirkhcheii  zum  Oftmanisrhen.  47 

vor  im  tel.  mrU  »das  Sodbrennen«:  im  Wl).  II  iszff.  finden  wir  außerdem  iii§i 
tel.  töiihn  qainap  yat  »ich  habe  Sodbrennen«    und  im  Anschluß  daran  das 
kaz.  sarU  qainti  »es  dreht  sich  das  Herz  mir  im  Leibe  herum«.     Die  ka- 
zantatar.-russ.  Wörterbücher  werden  also  wohl  weiteren  Aufschluß  geben'. 
Im    Kirgis.  bedeutet    »Sodbrennen    haben«    nach  Wb.  II  798    q'idMda-,  das    5 
wie   ein  Schallwort  (§  19)   aussieht. 

12.  Osm.  qazay'i  »Raspel,  Reibeisen«  =  qazint'i  »Raspel.  Kratzeisen« 
gehört  zu  qas-,  qaz-,  qazi-  »graben«,  osm.  qdzi-  auch  »abkratzen,  abschaben, 
rftcler«,  neben  welchem  ich  ein  *qaza-  ansetze. 

13.  Für  »Fußfessel«  kennt  das  Osmanische  hoqayu,  -yi,  boyayt  =  dschag.  m 
hoyjayu,  Süi,.-Kün.  33  auch  htiyayu:  tob.  buyau  =  *buqau,  bitqqU',  die  fehlen; 
Kar.  L.  T.  buyuw  »Kette«,  kir.  btiyau  im  russ.-kir.  Wb.  Kazan  19 10  S.  306a; 
huT.puyau;  kaz.  biyau.  Nebenform  im  Dschagataisehen  }Yw/ß.nr/ja  (Sul.-Kun.  33). 
Bei  Sul.-Kun.  197  steht  unter  tusaq  noch  boqau.  unter  tuinndzil  noch  boya. 
Im  übrigen  sind  *boq,  *boqn-  usw.  unbekannt".  ", 

Neben  dem  genannten  tu^q  steht  kaz.  te.^qu  >  kir.  titsau  <  *tii,iayv, 
zu  tuSa-  >  kir.  tusa-. 

14.  Ganz  unklar  ist  schor.  (?)  qamrur/'i  »Fischotter«  =  bar.  qamnau,  schor. 
qamdU  (verdruckt  für  qamnü),  alt.  tel.  qamdü^;  erweitert  durch  -c  in  ktsch. 
qamnüi  >  sag.  koib    qamnüs  (Mel.  aslat.  IX  i  2  1   qnmnös;  vgl.  Castren  93)^  '" 

'    Gehört  hierher  i'uwa.^- *j^r-  «simckeri',  das  ieli  MtüSpr  zu  sazayan  h(!rangezogen  habeP 

'  Auch  bu/an/u  wird  auf  *6o^,  *botja-  zurückgehen;  vgl.  Lfi  2"] 32  wnanyu  »Wohnort- 
zu  'min,  M'1513  lonatr^/u  »Gewand«  zu  tim.  Es  ist  hier -y?/  an  das  dominale  Verbuxn"  to/z-a-«- 
getreten,  wozu  man  dschag.  tuuanma  »Schmuck,  Pomp-  slullcn  mag;  ornanyii  also  <  onm-a-n-'fi. 

Für  -7M  tritt  -ril  ein  in  dschag.  titiandiil  »Fessel-   bei  Sul.-Kun.  197.  a? 

Zum  Ansatz  *boqa-  vgl.  auch  dschag.  hur/ar  (Sul.-Kun.  33 ;  buya-r  wie  oben  S.  39  36  yitlar 
usw.)  und  das  bei  T'213  unter  XXV  l)esprochene  buqars'i,  dessen  Bildung  (vgl.  MtüSpr.  3843) 
der  Erklärung  hairt.    Vgl.  6j  as. 

'    In  den  Texten,  Prob.  I  154 — 7,  234,  238  nur  qamdv.    Wenn  die  Länge  heute  nicht 
mehr  bestehen  sollte,  so  hat  sie  jedenfalls  einmal  bestanden.    \'gl.  die  Bemerkungen  zu  yürgo.    30 
oben  S.  41  10  und  pozu.  oben  S.  43  jj- 

Um  die  Quanlitätsbezeichnung  der  auslautenden  Silbe  ist  es  überliaupt  oft  übel  bestellt: 
Wb.  .sag.  porca  -eine  Blume-,  aber  Mel.  as.  IX  154  jx/rrö;  Wb.  .sag.  piiriira  •■  nudelartiger  KäsC", 
aber  Mel.  as.  IX  156  pücürS;  Wb.  schor.  It/n  -Grashügelchen-  wohl  zu  steilen  zu  Mel.  as.  IX  134 
l'ilö  »Morasthümpel- (?);  usw.  35 

*  Nebeneinander  der  Suffixe  -7«  und  -'/uc  (<,  -yu-c:  vgl.  Mtü.Spr.  424)  z.  B.  in  dschag. 
ä:i/i    -Leiter-,    osm.    i'nffiic.   -/i    -Strickleiter-;    vgl.    unten   S.  50 15    das  Wor;   für    »Spiegel». 

Zu  diesem  *ö:-  möchte  ich  ein  älteres  *üzä-,  denominal  zu  ü.v  »Oberteil«  (KOsm.  §  46) 
konstruieren  und  sodann  daran  erinnern,  daß  im  Cuwasischen  »Steigbiige!«  11.  ;i.  piixkit'.^'  heifit, 


48  W.  Bang: 

in§i  Es  liegt  wohl  eine  Zusammensetzung  mit  dem  Simplex  tob.  tara.  kaz.  qama 
»Otter«  vor,  das  auch  dem  Kirgisischen  bekannt  ist;  vgl.  Raquette  MSOS 
1914  S.  214   qama    »otter-fur«,   Spr.  94c  qdma    »Art  Fischotter«. 

Da   die  Formantien  -yi,  -yu   und   besonders  -yuc   Nomina  actoris   bil- 
5  den',  so  scheint  der  Name  sich  auf  eine  Tätigkeit  der  Otter  zu  beziehen: 
*qamlayu,  *qamlayuc^. 

Bei  der  unglaublichen  Beweglichkeit  des  Tieres  liegt  es  vielleicht  nahe, 
auf  das  jetzt  in  den  Turfanfunden  wohlbezeugte  Verbum  qamäa-  »sich  be- 
wegen«   hinzuweisen    (T"  224,  L*  41c),    das   ebenfalls    ein    Denominativuin 

10  sein  dürfte  (AtüD  §  i  ff.) '.  Ob  wir  das  zugrunde  liegende  Nomen  mit  qam 
»Schaman«  *  gleichsetzen  dürfen,  weiß  ich  nicht.  Wer  Radloffs  Schilderung 
der  ekstatischen  Tänze  und  Sprünge  dieser  »Zauberer«  im  Gedächtnis  hat 
(Aus  Sibirien,  II,  S.  35  ff.),  wird  die  Anknüpfung  für  möglich  halten,  aber  auch 
zugeben  müssen,  daß  die  Kurzform  qama  dann  noch  unerklärt  ist. 

>5  15.    Das   etymologisch    vereinsamte  osm.  dolaxfi  setze  ich  her,    um  es 

einmal  zur  Diskussion  zu  stellen.  Es  bedeutet  »Kreis,  umkreis«,  beson- 
ders aber  »um,  wegen»  (Wb.  III  17  15;  Nemeth,  Türk.  Gramm.  §  99,  G.  Weil, 
Gramm.  Osm. -Türk.  Spr.  §  93):  Sm-.-KuN.  58  dolayi  »Seite,  Linie;  taub«. 
Ich  möchte  eine  ältere  Form   ^dolaji  annehmen,  die  vielleicht  noch  zu  be- 

20  legen  ist.  Das  osm.  dola-  bedeutet  »umgeben,  einwickeln,  umwickeln« ; 
Ableitungen  sind  u.  a.  dolaS  »verwickelt«,  dolam  »Umdrehung,  das  Umge- 
drehte, das  Umwickelte,  Falte,  der  Kreis  einer  Windung«.  Das  -o-  ist 
offenbar  eine  Kürzung  aus  -ö-,  das  seinerseits  durch  Schwund  eines  Gut- 

das  dem  \ia.z.  basqic  »Treppe.  Leiter«  entspricht:  dürfen  wir  nun  das  gemeintürkische  Wort 
25  für  »Steigbügel"  hier  an.sohließen :'  Uig.  dsc-hag.  üzänyü,  Houts.  üzänü,  -äiigü;  osm.  usw.  üzängi. 
tel.  üzänä,  üzäil).  tar.  äzänffä,  Spi'.  82  c  üzäiigt;  kaz.  özängi,  i'uwaj.  mit  y-Vrothesu  jirana;  da 
das  Wort  etymologisch  isoliert  ist,  so  trat  in  den  Abakandialekten  Verderbnis  ein:  sag. 
koib.  ktsch.  izäni,  so  auch  kui'.  izäna.  bar.  iziingü;  soj.  äzänä,  jak.  isänä.  balk.  ösenni.  Anders 
Ramstedt  KSz  XVI  74. 
3°  '    Um   nicht  mißverstanden  zu  werden,  bemerke  ich,  daß  -■y?,  --/ii  von  Haus  aus  Verbal- 

abstrakte bildet,  die  dann  als  Nominn  ai'tui'is  Verwondnn;;  finden,  .\hnlich  die  Wörter  auf 
-ma,  -mä;  so  ist  z.B.  das  ge  b  rä  ii  <'h  ii  (  he  Wort  iür  »Slotterer«  im  Osniaiiis-chen  kiikäinä 
(vgl.  die  Anm.  i   unten  S.  51   und  den  Schluß  des  Anhangs  .S.  6517). 

-    Die  (iruppe  -ml-  soll  nach  Phonetik  §415  im  Barabinzischen  »ausschließlich-  zu  -mn- 
35    werden.    Warum  gibt  denn  Wb.  für  diese  Mundart  tamtü,  yimlä-? 

^  Vgl.  jak.  yßmsä-  »sich  rühren,  sich  bewegen«  =  %amnä  und  das  .Simplex  %äm- 
» schreiten«,  dessen  Länge  ich  nicht  deuten  kann. 

*  Vgl.  Nemeth  in  KSz.  XIV  (S.  8  des  Separatabzugs),  wozu  die  älteren  Ansichten  Schotts 
in  ZDMG  ^i  544  und  Ki.aproth.  M^m.  rel.  ä  FAsie  IIT  67  Amn.  i   noch  von  Interesse  sind. 


Vom  Köktiirkischen  zum  Osmanischen.  49 

turals  entstanden  war;  vgl.  s^chor.  toglaq  «rund,  kugelrund«  usw.,  dschag.  iu§i 
schor.  to^alaq  »abgerundet«,  tel.  leb.  toyoloq  »kugelrund,  rund;  rundes  Stück 
Holz,  runder  Holzblock,  ein  Knäuel«,  alt.  töloq  »Knäuel«,  kir.  do^alaq  »rund, 
Rad«  und  die  wiederholte  Ableitung:  tel.  to^oloqtn-  <  *toyoloqlo-  »abrunden, 
ein  Knäuel  wickeln«  =  alt.  tüloqlo-.  Das  osni.  dnlay'i  ginge  demnach  auf  s 
eine  Urform  zurück,  die  etwa  ^toyalayt,  -yu  gelautet  hätte';  vgl.  yirmi 
»zwanzig«  <  yigirmi,  quräim   »Blei«    (so  schon  Houts.  89)  =  qoi'ya.hin. 

Auf  ähnliche  Weise  scheint  dschag.  tar.  osm.  tel.  sag.  koib.  ktsch.  tillä-, 
alt.  leb.  kir. /w/ö-  »haaren,  mausern«  entstanden  zu  sein:  ich  möchte  es  zu 
tilg,  tut  »Haar,  Flaum«,  jak.  tu  stellen,  bin  dann  aber  gezwungen,  in  kom.  10 
dschag.  OT.  tar.  alt.  leb.  schor.  sag.  koib.  ktsch.  kir.  kkir.  soj.  tilk,  kaz.  iek 
eine  sekundäre  Entstimmung  im  Auslaut  anzunehmen.  Zu  diesem 
*tügln-  >  tülä-  (sag.  auch  tiilln-\)  gibt  es  u.  a.  bar.  tnläü  »das  Mausern«  = 
alt.  tel.  tiilü  <  *tülägii.  Semantisch  vgl.  kir.  dziindö-  <-/a'  »im  Frühjahr  dem 
Kamel  die  Wolle  abreißen«  =  osm.  y/m///-  »to  deprive  of  wool«,  während  's 
das  neuere  {tükld-,  tiiktn-)  tüklän-,  tiiktfin-  »sich  mit  Haaren,  Federn,  Daunen 
bedecken«  bedeutet,  wie  auch  osm.  iji'mlän-.  Die  sagaische  Mundart  kennt 
auch  külä-  »haaren,  mausern«,  dessen  substituiertes  Ar-  wie  das  in  koib. 
kUä-   »suchen,  bitten«  (Wb.  und  Mel.  as.  IX  134)  =  ^«-  zu  beurteilen  ist''. 

§  2.  Sprachgeschichtlich  von  hohem  Interesse  ist  osm.  oqlawa  (oben  3),  ^c 
das  aus  *oqla-ya  entstanden  ist  (zu  -w-  vgl.  kiptsch.  biläwü  <  bildgü);  es  er- 

'  Bei  SüL.-KüN.  199  steht:  tülej  {tnlaj):  zun,  top.  dolaj.  —  Alles:  wegen.  Wb.  kennt 
dschag.  tolai  -alle,  insgesamt-  ohne  Erklärung:  da  aber  das  identische  tel.  leb.  toloi  durch 
»gefüllt,  ganz,  alle«  iibei-set/t  wird,  so  wird  Radlokf  an  eine  Ableitung  von  tt>l-  gedacht 
haben.  Wie  er  sieh  deren  Zustandekommen  vorgestellt  hat,  ist  scliwer  zu  sagen.  Das  osm.  ^5 
dolai  bedeutet  nach  Wb.  »Umfang,  Umgebung,  rundum-.  Ob  auch  »wegen- :'  Als  Ableitung 
von  *lola-,  (lola-  wären  die  Wörter  Gerundien:  * tolaya  >  tolai. 

'  Vgl.  Phonet.  §  199,  aber  auch  KSz.  XVII  S.  132.  Ist  das  uig.  käi  »schnell,  fliichtig- 
(Wb.  II  1154)  etwa  dem  sonstigen  liiz  gleichzusetzen'.'  Das  \i.a.7..  tiyänäk  »Klette-  erscheint 
im  Cuwaslschen  als  kiotnik,  ohne  sichtbare  psychologische  Gn'inde.  Ks  handelt  sich  in  all  3° 
diesen  Fällen  wohl  um  eine  richtige  Verwechslung  von  Lauten  infolge  von  falscher  Ap- 
perzeption, und  zwar  um  so  mehr,  als  auch  die  umgekehrte  V(!rwecbsluiig  vorkommt:  tiirk. 
käp-,  kep-,  kip-  »trocken  werden-  tritt  im  Cuwaslschen  in  der  Form  tip-  auf.  Beide  Arten 
von  Verwechslung  finden  sich  meines  Wissens  —  die  Fälle  sind  noch  sorgsam  zu  sammeln  — 
nur  im  Wort-  und  Silbenan-  und  -auslaut,  nie  im  Inlaut,  was  inii-  wieder  dafür  zu  .»iprechen  35 
scheint,  daß  sie  auf  Fehlem  in  der  Apperzeption  beruhn.  Fülle  wie  i/äyi  =:;  ijädi  »sieben- 
(Grzegorzewski  in  SWAW,  CXLVI  78  aus  Halitsch)  beruhn  wohl  auf  Hiatustilgeraustausch!' 
Wie  aber  ist  es  zu  erklären,  daß  tigänäk  usw.  im  Balkarischen  durch  ciyana  »Dorn.  Dorn- 
strauch-  usw.  vertreten  wird;' 

Phil.-hist.  Abh.  191D.  Nr.  r,.  7 


50  W.  Bang: 

in  §2  weist  auch  für  diese  Wörter  den  Ablaut  im  Formans  -yu:  -ja,  den  ich  von 
anderen  Fällen  ausgehend  in  den  MtüSpr.  S.  42^  wahrscheinlich  zu  machen 
suchte'.  Dieser  Ablaut  erklärt  uns  nun  auch,  warum  die  hier  behandelten 
Wörter  einmal   kontrahiertes  -ü,  -ö  (<  -ayu),  dann  aber  wieder  -ä  (<  -aya) 

5  haben.  Außer  den  schon  aufgeführten  merke  man:  OT  qonrayu  »(Tlocke'"«, 
CC  234  konkret)  »Schelle«,  bar.  kir.  qonrau,  kaz.  5«V?raM (vgl .  auch  Paasonen  34), 
tara  qunrau,  alt.  qonrü;  anderseits  schor.  qonrä  <  *qonra-ya. 

§  3.  Die  Akzentuation  der  hier  behandelten  Wörter  geht  heute  in  den 
einzelnen  Mundarten  weit  auseinander.    Trotzdem  werden  wir  aus  der  Über- 

'o  einstimmung  in  gagaus.  oqläwa  (Prob.  X  Glossar  76  a),  balk.  culydu  usw.  (dar- 
unter Ä:ym  »Schwiegersohn,  Schwager,  Bräutigam«)  ostt.  Ä/y# schließen  dürfen, 
daß  die  Verbalstämme  auf  -a,  -In  usw.  bei  Antritt  von  -yu  den  Akzent  auf  der 
verbalen  Ableitungssilbe  hatten:  *huzäyu,  *oqldyu.  *bilagü,  *<kilydyu.   Mit  die- 


■    Vgl.  dschag.  qonalya  •Nachtquartier-   (<  *qon-a  alya??:  vgl.  Prob.  IV  321  7a  gorndyi 

»5  al-  »sich  lagern«)  =  tum.  jonaZ-yt  [qunalyi  Prob.  IV  372  is),  dschag.  qonalyu,  Spr.  95 b  jwjo/y« 
»Raststätte«  wie  87c  tnralyü  «Aufenthaltsort-  [<i*tura  alyu??).  Auf  dieselbe  Art  ist  ge- 
bildet: tel.  kir.  ayaly'i  »Ausdruck,  Wendung  in  der  Rede,  Redensart-  =r  dschag.  ayaiyu  »Ton- 
fall, Modulation-,  zu  *ai/a,  Gerundium  von  ai-  »sagen-  und  alyu.  Eine  Ableitung  auf  -ya 
ist  hier  nicht  belegt;  stralya  (vgl.  auch  Sul.-Ki:n.  178)  ist  etymologisch  ganz  unklar.    Neben 

20  scher,  suyalyi  »Tränke,  Wasserstelle,  Luhme-  finde  ich  Prob.  N'  569  1462  kkir.  sualc'i  yär 
»Wasserstelle«;  fWb.  Man  wird  schwerlich  an  einen  Druckfehler  denken  dürfen,  da  das 
Wb.  (ohne  Etymologie)  ein  schor.  qamlci  kennt  im  Sinne  von  »eine  nicht  zugefrorene  Stelle 
im  Eis,  aufgetaute  Stelle  im  Eis«;  mit  Schwund  von  -/- >  tel.  ^oröct  >  schor.  qarari. 
sag.  qaraldii,  ktsch.  qaralyi  (vgl.  Wb.  II  162  auch  qaraiil  usw.):  doch  wohl  zu  qar  »Schnee-; 

25  Das  Wort  für  »Spiegel«  lautet:  inschriftlich  auf  einem  Metallspiegel  küzkü  oder  küx{ü)kü, 

HouTSMA  kiizügü,  kom.  kir.  kar.  \..T .  küzgü  >  kaz.  k'6zgo;mg.  tel  köskü  (uig.  etwa  AräsA:«?), 
tel.  kumd.  küskü  (lies  tob.  für  tel.:'  Vgl.  Mem.  Acad.  St.  Petersb.  XXXV,  Nr.  6,  1887  S.  36b); 
osm.  veraltet  gözgii:  Im  Barabi nzischen  küskä,  wo  auch  auf  küzgi  verwiesen  wird  (fWb.). 
Daneben  die  erweiterten  Formen:  schor.  küxkiis.  küär.  küsküts,  wo  der  Auslaut  aus  -c  ent- 

30  standen  ist.  Herkunft  ist  unbekannt,  Zusammenhang  mit  köz,  kör-  (vgl.  St3i252)  jedenfalls 
wahrscheinlich;  vgl.  tel.  körünäs  »Spiegel-,  alt.  leb.  körnös,  sag.  körnäs  und  cuwas  kuskihi, 
kvs-kaski.  wo  kus  das  Wort  für  »Auge-  ist  (vgl.  unser  Spiegel  <  speculum  zu  lat.  specio 
u.dgl.).  Eine  des  Kiptsch.  wegen  wichtige  Form  közüiiv  zitiert  T' 212  unter  XXII  (nach 
Vkrhitzki!'). 

35  Wir   werden    also    wohl    auch    das    kir.   diaöaya    »die    im    Frühling   geschorene  Schaf- 

wolle« zu  den  folgenden  Wörtern  stellen  dürfen:  Hoütsma  102  yabayti  »rohe  Wolle-,  osm. 
j/apa-yi  »unbearbeitete  Wolle,  Fließ-;  ich  möchte  sie  von  yap-  »bedecken,  herleiten;  vgl. 
osm.  dschag.  yapaq  »Fließ,  Wolle«,  anderseits  *yapiy,  *yabiy>yabü  kaz.  »Zudecken,  Ver- 
decken, Pferdedecke-,  alt.  kkir.   »Deckel-   alt.   »Fensterladen-   (aber  balk.  zabu  »Vorhang-), 

40   tel.   »Dach-   usw. 

Dasselbe  Formans  in  dschag.  V.  anqraii  »Glocke.,  Sul.-Kun.  193  Umrayu.  .Klingel-. 


1 


Vom  Köktiirkischeii  :uin  Osmanlschen.  5] 

ser  Annahme  stimmen  die  weiteren  Schicksale  des  anlautenden  Gutturals  von  HI  §3 
-yu  wohl  überein:   er  schwand  intervokalisch  unter  dem  Einfluß  der  stark 
akzentuierten  vorhergehenden  Silbe.  ^ 

Daneben  muß  sich  jedoch  teilweise  eine  andere  Betonung  breit  gemacht 
haben ;  sie  ging  wahrscheinlich  von  Wörtern  aus,  deren  zugehöriges  Verbuni    5 
in  Vergessenheit  geraten  war:  *biizayü.  *büzay'i>  rnözüi,  nutzai;  "qärayit^  (/d- 
riyii  >  qaryu  und  qdrö\ 

Mit  den  hier  vorausgesetzten  Betonungsschwankungen  bitte  ich  zusam- 
menzuhalten, was  ich  über  den  Akzent  von  qila-män  usw.  (xxx  und  xxx)  ge- 
sagt habe  (BtüW  am  Schluß  des  Anhangs:  MtüSpr.  §  7).  10 

Derartige  Schwankungen  werden  wir  auch  sonst  vielfach  anzunehmen 
haben,  obwohl  Nachweis  im  einzelnen  zunächst  schwierig  ist.  Ich  möchte 
das  an  einem  weitverzweigten  Worte  veranschaulichen:  das  Verbum  köi-, 
fcüi-,  kiw-,  yöl-  bedeutet  »brennen,  verbrennen«;  dazu  ist  zu  stellen:  ktsch. 
küyä  »Ruß«  =  kir.  küyö,  tar.  küä,  bar.  kir.  küö  >  tel.  kö.  Das  sag.  ostt.  köyä  's 
bedeutet  »Ruß,  Kohle«,  auch  »der  verbrannte  Teil  des  Körpers«  ;  Spr.  96c 
kögä-  »Holzkohle  (Ruß)«,  zu  -g-  vgl.  AtüD  2 5 ff.'. 


'  Die  Fomi  jijx '  ^^  *^'^  Vämbi-by,  Cag.  Spr.  247 b,  die  Aiisspractie  buzyu  angibt, 
ist  also  sehr  gut  möglich:  ob  er  sie  selbst  gehört  hat.  ist  eine  andere  Frage. 

Da.s  ostt.  .«oxö   ■Dummkopf-    (Spr.  92  a)   gehört  wohl   zu  der   unklaren    (BtiiW302  6)    ao 
Sippe:    osm.  xaqayi    .Rotz   der    Pferde-     (vgl.  lat.  mentigo    zu    mentum),    koui.  kir.  kaz.  sagau 
•stumm,  schwerfällig  sprechend«   usw.,  kaz.  tob.  sayau  .stotternd,  schlecht  sprechend«,  tel. 
naqü   »eine  Krankheit  im  Ohr«.    Vgl.   kir.  maqau   -der  eine  schwere  Zunge    hat,    utideutlich 
redend«,  aber  kaz.   «nicht  leicht  verstehend,   nnverstiindig,   unaufmerksam«. 

Hier  findet  am  besten  Erwähnung:  osm.  käkägi,  -yt  «Stotterer«  zu  käkä-,  dcnominai  »5 
von  *käk.  Dazu  *käkäg  >  osm.  käkä,  ostt.  käkäk  «Stotterer«  (vgl.  dschag.  tötäk);  osm. 
käkäc  «Stotterer«,  im  Osten  «stumm«.  Spr.  97a  kfkäc,  kekäc  «Stotterer  (der  anstößt)«.' 
RAguETTE  kennt  MSOS  1914222b  das  denominale  ktkäklä-  «to  stammer«.  Wie  ist  koib. 
kiklö,  kSkete,  kikelö  «stotternd«  (Castrkn  94)  zu  erklären'.'  Steckt  in  -lii  etwa  -lä-gü?  Katanoff 
erkennt  nur  ktkto  an  (Mel.  asiat.  IX  123),  so  daß  also  ein  neben  *käk  stehendes  *kik  an-  3° 
zunehmen  wäre:  *kik-lä-gü.  Vgl.  das  onomat.  osm.  kam  küm  söi/ä-  «abgerissen,  stotternd 
reden«. 

Sind  osm.  tätäyi,  tätiyi,  täUdzi  «Stotterer«  noch  irgendwo  mundartlich  in  Gebrauch  i* 
Oder  tätä  (SuL.-KuN.  187)? 

Das  Dschagataische  hatte  ein  pupa-    •murmeln,  stammeln«,  welches  von  Sul.-Kun.  162    a 
durch  pä/läklä-,  päpälä-    übersetz:  wird;    von  pupa-  und  päpälä-  ist  wohl  ohne  weiteres  an- 
zunehmen, daß  sie  onomatopoetischer  Hei'kunft  sind;  dazu  päpä,  päpätji,  päpädzi. 

^  Etymologisch  unklar  ist  mir  das  Wort  für  «Motte«:  Hol  tsma  95  kii/>ä.  tar.  küä; 
kir.  küyö  =  küyä  bei  Ravu  btte  MSOS  1914  222  b  «a  moth«,  Spr.  96c  kuyä  «kleine  schwarze 
Insektenlarve  (fiir  Felle,  Federn  usw.  sehr  verderblich)«;  ha.\\i..  küye  »Motte,  kleiue  Punkte,   «o 


52  \V.  Bang: 

III  §3  Eine -/a- Ableitung  ist  sag.  koib. /tö/«-  »vonÄ:ö-t-/fl«  »schwärzen,  schwarz 

machen  (von  Rauch  und  Ruß)«,  das  wohl  eine  Neubildung  ist,  während 
sag.  koib.  schor.  kölä-  eine  ältere  Form  desselben  Wortes  repräsentiert; 
es  bedeutet   »dunkeln,  indem  man  im  Lichte  steht,  beschatten«  =  tel.  kölö- 

5    »verfinstern,  beschatten,  schwärzen  vom  Rauche,  Ruß«. 

Zu  diesem  Verbum  stelle  ich  nun  das  Wort  für  »Schatten« :  kiptsch. 
schor.  sag.  köläk  (vgl.  alt.  kölök  »vom  Rauch  oder  Ruß  geschwärzt«)  und 
besonders  uig.  kiptsch.  kom.  kar.  T  kölägä,  kar.  L.  entrundet  kälägä,  kaz. 
tara  külägä^.     Ob  hier  eine  Betonung  xxx  je  bestanden  hat  oder  noch  be- 

lo  steht,  kann  ich  nicht  wissen ;  dagegen  hat  die  Betonung  x  x  x  zu  folgenden 
Kurzformen  geführt:  krm.  ad.  kölyä,  krm.  kölyä,  bosn.  külkn,  osm.  yölgä. 

Was  wir  hier  geradezu  mit  Händen  greifen  können,  muß  also  auch 
bei  köln-,  der  alten  Bildung,  vor  sich  gegangen  sein:  *köyäln-,*kv,y(Üä-> 
*köyl(i-,   '  küylä-  >  kölä-.   Vielleicht  liegen  Spuren  dieser  Entwicklung  noch 

■5  im  schor.  küiläk  »Kohle,  Ruß«  vor  uns,  das  doch  wohl  aus  küüä-k  ent- 
standen ist. 

Es  wäre  also  das  osm.  gölgä  durch  zweimalige  Kürzung  aus  *köyälägä 
entstanden. 

§  4.     Schließlich  noch  eine  Bemerkung:   ich  habe  im  vorhergehenden 

jo  mehrfach  denominale  Verba  auf  -a  konstruiert  und  angenommen,  daß  an 
diese  besternten  Verba  das  Sufifix  -y«  angetreten  sei.  Selbstverständ- 
lich kann  man  aber  in  der  Theorie  auch  annehmen,  das  Suffix  sei  all- 
weiche  auf  Haarbänder  gemalt  werden-,  ösm.  (/ügä,  güwä  ••::^  güyä-,  das  fehlt:  dafür  kar.  L. 
güyS,   lies  güyä.     Kaz.  köj/ä:    i'uwas.  k»vä  bei   Paasonen  67,    wo  auch    misch,  kätcä  erwähnt 

»5  wird.  Castri'n  kennt  ohne  Dialektangabe  M  -schwarzes  Insekt,  das  meist  in  den  Jurten 
lebt-.  Steht  mit  diesen  Wörtern  in  Zusammenhang  alt.  tel.  leb.  kör  -Motte«?  Das  alt. 
quya  »Motte«  kenne  ich  leider  nur  aus  dem  WTj.;  guttural  ist  es  möglicherweise  im  An- 
schluß an  ein  stehendes  Epitheton  geworden:  qara  küyä  y>  qara^^küyä  ^  qara ^quya  oA.  A^. 
Wir  dih-feii  solche  Fälle  Enklise  nennen;  vgl.  balk.  dyat  -Schimmel«  --^  aq  at  -weißes  Pferd- 

30  und  sodann  kök  0/ >  kar.  T  kdgfjt,  kar.  L  kögät  »grünes  Gras-.  Das  Wort  für  -Quark- 
scheint  von  Haus  aus  palataL  zu  sein:  Houtsma  105  yiirümräk,  ostt.  irimcik.  kir.  irimiik; 
da  es  aber  fast  immer  mit  aq  verbunden  wird,  so  kennt  das  Kirgisische  auch  die  gutturale 
Aussprache  'irimiiq,  ja  sogar  ayrimsiq  -l^uark-.  Das  dschag.  Wort  für  »Festungsgraben- 
wird  Wb.I  106 1  x-jlcjjl    und  (r_j^j)\  geschrieben    und  hinzugetugt    -von  or-,  während  1229 

35  »von  nrk  +  ?«  steht.  Es  ist  ein  Heudiadyoin:  ör  qar'im  ^  ör^qar'im  ^  öryarim  ^  örgärim. 
bedeutet  also  wrtl.  »Wallgraben";  zu  qar'im  vgl.  die  Hommelfestschrift  U  287. 

'  Weitere  Formen  sind :  tar.  kölänki.  Spr.  96  c  kolängä  (vulg.  kölägä)  >  kir.  kölönkö  <; 
-kä:  krm.  kölätkä.  sag.  koib.  schor.  kölätki,  alt.  leb.  küär.  kötölkä;  bar.  kölötskü,  wofür  Mem. 
Acad.  St.  Petersb.  XXXV  Xr.  6,   1887,  S.  a  köiönkü  auftritt. 


Vom  KöktnrkUichrii  zum  O.omonisr/ifii.  53 

mählich  als  -ayu  empfunden  und  von  den  Verben  auf  -a  und  -la  auf  kon-  m  §4 
sonantisch  auslautende  Verba  übertragen  worden  (vgl.   etwa  unser  -keit, 
in   dem   das  k  von  Wörtern    wie   trürecheit   »Traurigkeit«  >  trürekeit  auch 
bei  Adjektiven  durchdrang,  die  nie  auf -fc,  -ig  usw.  ausgingen  oder  Tisch: 
Tischler,  nach  Sattel:   Sattler:  verbales  -/-   in  klügeln:    Kliigler).  5 

Auch  die  Entscheidung  dieser  Frage  hängt  auf  das  engste  mit  der 
oben  im  §  1 6  berührten  zusammen :  waren  die  Verbalstämme  des  Türkischen 
ursprünglich  ein-  oder  zweisilbig?  Der  Lösung  dieses  Problems  möchte  ich 
in  keiner  Weise  vorgreifen,  kann  aber  anderseits  schon  jetzt  nicht  ver- 
schweigen, daß  gerade  unter  den  Wörtern  auf  -ayu  sich  eines  befindet,  10 
bei  dem  auch  durch  eine  andre  Ableitung  die  ursprüngliche  Zweisilbigkeit 
eines  heute  einsilbigen  Verbums  erwiesen  zu  werden  scheint:  Im  Teleuti- 
schen  gibt  es  ein  Wort  qattait'i  »Geschwür«,  in  welchem  -tt-  die  Gemina- 
tion ist ;  alt.  qadaM  =  leb.  gaday'i,  wonach  wir  hier  Übergang  von  -7-  >  -n- 
hätten.  Ein  Synonym  ist  alt.  qadama  <  qada-ma.  Die  Wörter  sind  bisher  -s 
meines  Wissens  nirgends  erklärt  worden;  ich  möchte  sie  zu  qat-  »fest, 
hart  werden«  stellen.  Zu  diesem  qat-  gehört  nun  einerseits  dschag.  qatqan, 
([ab/an  »stark,  fest,  hart«,  anderseits  dschag.  qatayan  »hart  geworden«  (auch 
•  Verbot,  Hemmung«  :^  qadayan  »ein  strenger  Befehl,  Verbotenes«;  vgl. 
MtüSpr.  §  26).  Auch  hier  liegt  also  *qata-  vor;  die  Form  qafi-,  die  man  ><> 
meiner  Überzeugung  nach  unbedenklich  hätte  konstruieren  dürfen,  ist 
uns  jetzt  durch  W.  Peöhle  für  das  Balkarische  bezeugt  (KSz.  XV  236).  Im 
Osmanischen  soll  qada-  nach  Redhouse    »streng  befehlen«   bedeuten  (Wb.). 

Über   alle    Zweifel    erhal)en    ist    die    vorstehende   Etymologie    freilich 
nicht  I    Zur  Geschichte  des  Dentals  kann  ich  jedoch  u.  a.  auf  die  folgen-  's 
den  Wörter  hinweisen: 

tel.  qattani : qattü  »fest«;  atta-  »benennen«:  qottoq  »Penis«;  sadü  »Handel«  (!), 
alt.  qadani : qattü {\) :  ada-(\);  qottoq (l):  sadü(\), 

leh.  qadayi:  qad'ig;  ada-;  qottoq  (\);  sadig. 

Es    scheint    mir,    daß    diese^r   Liste   gegenüber   die   Zweifel    über   das  30 
alt.  -d-  verstummen  dürfen. 

Schwierig  ist   die  Erklärung  von  osm.  iyägii   »Seite«,  uig.  (?)  dschag. 
osm.  äyägü  »Rippe«'.    Es  wird  wohl  zu  äi-  gehören,  das  im  Osmanischen 

'    HuuTSMA  57  führt   ein  Wort  c!Jll    •  Rippe ■  auf,  das  er  'i'iyäy-  üyiin  liest:  er  verweist 
auf  Pavet  de  Colbtkille  86  yLjl   -les  c6tes>.    Ich  möchte  üyäk,  dyüna  lesen   und  verweise    ^s 
aul   kkir.  üiAüi-   -sich  beugen-  ^=  änkäi-,  eUkäi-,  äüäi-.    Raulokk  W'b.  12 10  las  dschag.  nyägü 


54  W.  B  A  N  G  : 

in  §4  und  Azeri  »biegen»  bedeutet  und  den  folgenden  Wörtern  entspricht:  uig. 
kiptsch.  tar.  küär.  dschag.  sart.  OT.  äg-,  sag.  koib.  ktsch.  eg-,  sag.  koib.  t^-; 
kom.  alt.  tel.  an-,  bar.  in-,  kaz.  kir.  kkir.  tel.  t-.  Darf  ich  hier  eine  Frage 
stellen,  so  wäre  es  diese:  beruhen  beim  Verbum  die  stimmhaften  Aus- 

5  laute  -g  usw.  z.T.  überhaupt  auf  ihrer  ursprünglichen  Inlautstellung? 
Es  hätte  *ägü-,  *ägi-  einerseits  das  Simplex  äg-  geliefert,  anderseits  das 
Faktitivum  *ägär-,  *ägir-.  Zu  diesen  Faktitiven  gehören:  i.  mit  Mittelsilben- 
schwund uig.  osm.  usw.  ägri,  osm.  äiri  »gebogen,  knimm«  als  Gerundia 
(*ägiri,  *ngäri;  Wb.  dagegen  »von  äg-{äk-)  +  ri'^};    2.  mit  Schwund  des  Aus- 

lo  lautsvokals:  sag.  koib.  egir  »höckerig,  bucklig,  krumm«,  sag.  koib.  ktsch. 
egdr  »krumm,  gebogen,  bucklig«  (Wb.  »von  eg  +  är*  ;  zum  Auslautschwund 
faktitiver  Gerundien  bitte  ich  oben  S.  25300".  nachzulesen;  wir  übersetzen  sie 
durch  Adjektiva  u.  dgl.).  Auf  stimmhaften  Guttural  würde  auch  ämgäk  (zu 
ö>w^a-  »gequält,  geplagt  sein«)  »Anstrengung,  Qual«  usw.  —  kir.  enbäk  »zu- 

■5  sammengekrümmt ;  das  Kriechen  auf  allen  Vieren ;  Mühe,  Arbeit«  schließen 

lassen,  das  vom  Wb.  ansprechend  durch  Metathese  aus  *ngmä-  erklärt  wird. 

§  5.    Daß   sich    trotzdem    unter   den   oben   aufgefiihrten  Wörtern  das 

eine  oder  andere  finden  mag,  in  dem  Suffixübertragung  vorliegt,  will  ich 

ausdrücklich    nicht   geleugnet   haben.     Sie   darf  vielleicht    in  dem  Worte 

30  für  »Flechte  (Hautkrankheit)«  angenommen  werden:  *t(imirägü  >  osm.  tä- 
miräyi.  tob.  tämräü,  tel.  tämrü,  kaz.  timräii;  dazu  im  Kirgisischen  tämirntkä^. 
ostt.  tämrätkü,  Raqüette  MSOS  191 4  190a  tmiuirätgu  »eczeme«.  Cuwas.  Hmrt 
»aufgesprungene  Haut«.  Es  gehört  wohl  zu  tnmir  usw.  »Eisen«  und  mag 
ursprünglich  »Rost«   (vgl.  im  Wb.  tat,  tot,  tut  »Rost«  und  die  Ableitungen; 

»5  tob.  tat  auch  »Fleck«;  cuwas.  %ura-tut,  sari-tut  »Sommersprosse,  -flecken«) 
bedeutet  haben ;  daß  das  Grundwort  lautlich  seine  eigenen  Wege  gegangen 
ist  (Raqüette  tumur  »Eisen«  usw.),  ist  selbstverständlich  an  sich  kein  Grund, 
die  oben  zweifelnd  angenommene  Erklärung  zu  verwerfen".  Das  jak.  töbürüön 
beruht  wohl  auf  *töbürön  <  *töhürägün  usw. 

3"  »Rippe",  zu  dem  er  äyägü  verglich.  Er  hat  ebendort  dschag.  öyäk  »die  Bauch-  und  Hals- 
haut des  Eichhörnchens-,  das  Si;l.-Kun.  sonderbarerweise  iiyak  (157)  liest.  Dieses  öyäk  ist 
ein  wohlbekanntes  Wort;  vgl.  Wb.  unter  öyök,  üyäk,  üyök,  iJk,  ük;  die  Bedeutung  ist  über- 
all »Bauchteil  des  Felles«  oder  dgl.  Ob  es  mit  iiyäfiü  zusauimenhängt,  ist  mehr  als  fraglich. 
'    Die  Geschichte  der  Wörter,  die  wie  dieses  enden,  hoffe  ich  noch  einmal  zu  schreiben. 

35  ''    Neben  tämrü  muß  *tämiä  bestanden  haben  oder  noch  bestehen;  es  wurde  zu  *tämrä 

und  dies  durch  Metathese  zu  */ar>nä' :>  schor.  tärbä  »Sommersprosse;  Flechte«;  -mr- "> -rb- 
wie  z.  B.  in  leb.  yurbut  •  Faulbeerbaum,  Traubenkirsche,  prunus  padus«  =  bai-.  yumrut,  küär. 


Vom  Köktürkischen  zum  Osmanisehen.  55 

Zu  büt-  gehört  außer  biltün,  piUnn  usw.  zunächst  dschag.  bütä  »ganz«  in§s 
(SuL.-KuN.  36),  woneben  biUnn  »ganz«  auftritt;  dies  dürfte  auf  *hütägü  zu- 
nickgehen. Das  aufl^allende  uig.  qamarfu  »alle«  M' 65  27  könnte  sich  nach 
diesem  *hiitngii  gemodelt  haben;  daneben  bestehen  uig.  qamay:  kokt,  qatnvy 
>  osm.  7  qamu;  (kokt.?)  uig.  dschag.  qatnuq,  alt.  tel.  leb.  sag.  schor.  qarriiq.  1 
Die  Gesellschaft  ist  fremder  Herkunft  verdächtig:  mp.  hamSk  »ganz,  all«, 
bal.  hamak,  hamuk  »all,  jeder«  bei  Hübschmann,  Armen. Gram. I  177  Nr.  332; 
ein  np.  Abstraktum  hamagi  »Gesamtheit«  erwähnt  Hörn  GrlrPh.  I,  2,  122. 
Zu  uig.  alYuyun,  qamcpfun  vgl.  BtüW  Anm.  18. 

yumurt,  tel.  yimirit  (vgl.  auch  Prob.  I  15411U);  schor.  nibirt,  nimirt,  nuhurt;  im  Abakan  nutnürl,    ■•-•■ 
mumürt  (Castren  104,  130;    Mel.  as.  IX   130,  158  wonach   auch   nimirt),    karagass.    numurut 
(Castren  105);  tub.  nimirt,  kctib.  mumurt;  i'-uwaS.  hmrit:  kaz.  mit  unregelmäßigem  .?-:  hnmort 
(woher  stammt  alt.  tub.  yodro  =  soj.  fodera  Castren  161?). 


56  W.Bang: 

Anhang  Anhang. 

über  die  Abstrakta  auf  -avl. 
Die  türkischen  Nomina  auf  -avl  sind  fast  ausschließlich  termini  technici 
des  Hof-  und  Heerwesens;  es  ist  daher  verständlich,  daß  man  versucht  hat, 

5  dieses  -aul  auf  Wörter  zurückzuführen,  die  in  der  Terminologie  der  genannten 
Verwaltungen  eine  Rolle   spielen    oder  wenigstens   hätten   spielen   können. 
W.  Radloff,  der  sonst  den  Wörtern  auf  -aul  keine  Erklärung  hinzu- 
fügt, setzt  Wb.  I  1457 — 8  zu   dschag.  iräül  (vgl.  unten  2)    die  Bemerkung: 
»aus  ir-\-qol  (bohcko)«,  d.  h.   er  denkt  sich  das  Wort  aus  ir,  är   »Mann« 

io  und  qol  im  Sinne  von  »Armee,  Truppen«  zusammengesetzt.  Zur  Stütze 
dieser  Ansicht  hätte  er  sich  auf  Sul.-Kun.  i  2  i  berufen  können,  wo  qaranl 
(vgl.  unten  i)  durch  askär  qolu  übersetzt  wird,  sowie  auf  die  Tatsache,  daß 
die  Osmanen  nach  Youssouf  dieses  Wort  in  der  dreifachen  Form  qaravl, 
qarayol,   qaraqol  kennen. 

15  V.  Thomsen,  der  in  Det   Kgl.  Danske  Videnskabernes  Selskab,  Hist.- 

filol.  Med.  I  I,  Kopenhagen  191 7  S.  20  boytaoya  des  Goldfundes  von  Nagy- 
Szent-Miklös  erklärt,  denkt  für  -OYA  an  oyiil  »Sohn«;  wie  er  über  sonsti- 
ges -aul  denkt,  ist  mir  nicht  bekannt. 

Ich  selbst   habe   längere  Zeit   hindurch  mündlich    und  brieflich  ohne 

20  Wärme  die  Ansicht  vertreten,  es  könne  in  einem  Teil  der  Wörter  qul 
»Sklave«  vorliegen,  wobei  ich  an  die  Geschichte  der  Hofämter  erinnerte, 
die  schließlich  in  der  Gründung  der  sogenannten  Sklavendynastien  gipfelte; 
ganz  parallel  verlief  der  Aufstieg  unsrer  Ministerialen,  deren  unfreies  Blut 
heute  in  den  Adern  auch  unsrer  erlauchtesten  Geschlechter  rollt.     Schließlich 

25  scheint  in  dem  Titel  (?)  «— ^AyWT'y  im  manichäischen  Mahrnämag  vom 
Jahre  761 — 62  (F.  W.  K.  Müllkr,  Ein  Doppelblatt  aus  einem  manich. 
Hymnenbuch  ABAW  191  2  S.  8  80),  der  1 1  80  yjardhU  umschrieben  wird, 
das  unten  unter  i    besprochene  Wort  vorzuliegen'. 


■    W.  ToMASCHEK,    Kritik   der   ältesten  Nachrichten   über   den  skythischen 

30    Norden  11  39  (SWAW  117  1889)    sagt:    -Hunnische    Einzelstämme    nennt  Jordanes  [Mon. 

Germ.  Hist.  Auct.  ant.  V,  i.  889]  in  größerer  Zahl,  sie  begegnen  sogar  in  der  Liste  der  von 

Ermanrik    unterworfenen    Völker,  z.  B Athaul    (türk.  ataghul    'Schütze',   von    atmaq 

'werfen')".     Die  var.  lect.  sind:   athaul    HPVAXYZ,  azal  L,  athual  B,  athal  0:    vgl.  auch 
MÜLLENHOFFS  Anni.  S.  164  unter  Rogas.     Das  .türk.  ataghul«   ist  natürlich  eine  kühne  Kon- 
ii   struktion  Tomascheks,  gegen  die  Jedoch  vom  rein   sprachlichen  Standpunkt   aus  nichts  ein 
zuwenden  ist. 


Vom  KöktiirMschpn  zum  Osmanischen.  57 

Indem  ich  auf  das  oben  S.  39  29  erklärte  ötkiil  verweise,  schlage  ich  Anhang 
heute    vor,   -aul  auf  -a-yu-l  zurükzufuhren,   wo   -a-    zum  Verbalstamm    zu 
schlagen  ist ;    es  würde  also  auch  von  dieser  Form  das  oben  §§  4  und  5 
zu  -cryw  Bemerkte  gelten,  zu  dem  ja  unser  -n-yu-l  nichts  anderes  als  eine 
sekundäre  Weiterbildung  ist.  5 

Die  diesen  Substantiven  zugrunde  liegenden  Verba  sind,  wie  es  scheint, 
heute  zum  Teil  nicht  mehr  in  Gebrauch,  so  daß  eine  gewisse  Unsicherheit 
bei  der  Interpretation  nicht  geleugnet  werden  kann;  dieselbe  erhöht  sich 
noch  durch  die  auch  anderwärts  zu  konstatierende  Tatsache,  daß  Titel-  und 
WOrdenamen  sich  allmählich  unendlich  weit  von  ihrer  ursprünglichen  Be-  10 
deutung  entfernen.  Was  gerade  die  auf  -yu!  anbetrifft,  so  könnten  sie  zum 
Teil  einer  vortürki sehen,  d.  h.  etwa  der  hunnischen  oder  hephthalitischen 
Hof-  und  Heeresverwaltung  entlehnt  sein:  andere  werden  sich  bei  den 
persischen  und  arabischen  Geschichtsschreibern  nachweisen  lassen. 

1.  Das  heute  noch  verbreitetste  Wort  auf  -yvl,  das  möglicherweise  vor-  15 
bildlich  für  die  anderen  wurde,  ist  *qaraytil  von  qaro-  »in  die  Feme  schauen, 
sehen«  (mong.  karamui  KowAIS^ir;  hnrj.  karnnam  »sehen«  und  »wachen«; 
mand.  karambi  »in  die  Höhe  steigen,  um  etwas  zu. sehen:  sich  umsehen«). 
Dschag.  tel.  bar.  kir  kaz.  tob.  qaraul  »Wache«,  bar.  »Korn  am  Gewehr«, 
Raqüette,  MSOS  191 4  213  qaraul  »a  post  of  Observation,  a  watch«,  tel.  .o 
qarül  »Wache,  Grenzposten«,  kkir.  qaröl  »Korn  der  Flinte«,  tar.  qoröl  (besser 
qorül)  »Wachtposten,  Piquet,  Grenzposten« ':  Abakan  beiCASTREN9i  karöl 
»Visier  an  der  Büchse«  (vgl.  Mel.  as.  IX  1 18);  vgl.  Vullers  II  718,  auch  im  » 

Sinne  von  »Visier«:  Kow.  11832b  karngul  »sentinelle,  garde,  piquet,  coi-jjs- 
de-garde « :  mand.  karun » Vortrab,  Kundschafter,  Vorposten,  Wache «  (<  *karüP.    '5 
einheimische  Bildung  oder  Lehnwort?):  Kow.  833a  karaguUi  »garde,  sen- 
tinelle« =  tung.  kanddin   »Hirt,  Wächter«;  kaz.  tob.  qarauU'i,  kir.  ({uraulS'i 
»Wächter«. 

Für   »Visier«   hat  rkWb.  223a  unter  npHUtJn.  das  ebenfalls  zu  qara- 
gehörende  qaraqS'i  <  qnraqö'i':    dieses    bedeutet   heute    allgemein    »Räuber.   3° 
Dieb«,   wrtl.  aber  ungefähr    »Auflaurer,  Luger«    u.  dgl. ;   gemeint  war  ur- 

'    Prob.  VI  53  Ji   (/oröl,  5319  qaröl;    521a   /anniil   qoröl  rirtäii    »kaiserliche    Poststation. 
Postpiquet". 

'    Das  rkWb.  I.e.  hat  auch  közdöü  »Visier«  <  köz-lä-gü,  vgl.  bai'.  l-i'istöt-   »zielen»,  kai'. 
L.  T.  Aröi/er-  »die  Augen  auf  etwas   richten».  V.ai.  ki'clä-   »schauen,  ausschauen  nach  etwas»:    35 
kaz.  litbäü  <.  *i0hä-gü  zu  tßbä-   »zielen». 

PhiL-hist.  Abk.   1919.  Nr.  .5.  8 


58  W.  B  A  N  G :  ' 

Anhang  spriinglich  der  am  Rande  der  Steppe   auftauchende  Reiter,  der  auf  Beute 
auslugte.    Bildung  wie  yasaqö'i  <  yasa-q-(yi  {vg\.  unten  6). 

Cuwas.  yjural  »Wache«.  %urntz9   »Wächter,  Wache,  Leibwache«. 
Im  Barabinzischen  fungiert  qaraul-  als  Verbum  in  der  Bedeutung  von 
5    »in  die  Ferne  schauen«  ;  kaz.  qarauUa-  »Wache  stehn,  bewachen«  imd  »aufs 
Korn  nehmen,  zielen«. 

Das  Osmanische  hat  nach  Youssouf:  qai'aul,  qarayol  und  qaraqol.    Ob 
das  auffallende  -o-  wie  das  des  Präsens  zu  beurteilen  ist  (MtüSpr)  oder  ob 
hier  psychologische  Gründe   am  Werke    waren,   ist  schwer  zu  sagen :    die 
lo  Aussprache  qaraqol  macht  es   mir  jedoch  sehr  wahrscheinlich,  daß  man  all- 
mählich dazu  kam,  hinter  *qarayul  oder  dem  erhöhten  qara-^ol  eine  Bildung 

wie   qara   qol  zu  wittern    (vgl.  Sul.-Kun.   qaraul  = askär  qol-u),  als 

wäre  es  etwa   »Hauptwache«. 

Im    Balkarischen    ist   Metathese    eingetreten:    qala'ür    »Wache«:    vgl. 
'5  ser bisch -kroat.  Äaräw/o,  Mläura   »Wachtturm-s  kleinruss.  Äa/ö»Mr  »Wacht- 
mann«    (Bernekee  489   s.  v.  karavül).     Anschluß   an   qala,  qalä   »Festung« 
darf  wohl  nicht  einfach  geleugnet  werden. 

Im  Af7anischen  karäwul,  vulg.  karSwal  »advanced  guard  of  an  army; 
a  sentinel,  picquet«    (Raverty  762). 
jo  2.  Dschag.  araul  »Vorposten,  Vorhut,  Vortrab,   Nachtrab«   Wb.  I  249 

»vgl.  qarauh.  Sül.-Kun.  13  u.  a.  mit  der  Übersetzung  q'ilayuz  (Yodss.  auch 
qüauz,  qulayuz,  Wb.  auch  qilawuz,  qulawuz,  qtday'iz,  uig.  qulayuz,  dschag. 
qolauz,  qolawuz  mit  ganz  unwahrscheinlichem  -0-).  Dschag.  äräül  »Vorposten, 
Vorhut«,  mit  h-  und  y-  Prothese  Wb.  I  755  m  Jjli/*  und  J.>ly;  vgl.  Wb.  II 
J5  1784  nach  Redhoüse  osm.  härawul  (sie)  »eine  vorgeschobene  Wache,  Pa- 
trouille«'. Dschag.  «VäM/ Wb.  1  1457  mit  der  Angabe:  »Bb  schreibt  Jjii^ 
und   Jjlj'«. 

Ich  leite  araul  von  ora-  »suchen,  durchstöbern,  visitieren,  inspecter« 

usw.  ab :  *ara-yu-l  >  araul.    Die  übrigen  Formen  sind  aus  dieser  durch  den 

30  Anlautwechsel  a-:  ya-  usw. "  entstanden :  * y araul  >  yäräiil  >  äräül;  *yaraul 

'  Vgl.  Sui..-KüN.  77:  hpraval  =.  •mukkadim,  q'ilayuz  —  vorangehend,  Wegweiser«:  für 
»vorangehend-  ist  »Vorhut«   zu  übersetzen. 

^  Da  Formen  mit  anlautendem  y-  bisher  nicht  nachgewiesen  sind,  ist  es  unsicher,  ob 
auch  das  Wort  für  »Ohrgehänge«  diesen  Wechsel  hat:  asirya,  isirya;  Sül.-Kun.  66  eserya't 
35  HouTS.  49  as'iryaq  zu  as-  »aufhängen«  [?];  sag.  iz'irya;  ostt.  isarya  =  jak.  ifarya;  mit  Schwund 
des  .\nlauts:  alt.  tel.  leb.  schon,  küär.  kir.  kaz.  kar.  L.  T.  .«?r<yo,  so  auch  tob.  und  balk. 


Vom  Köktürkischen  zum  0.mianische/!.  59 

>  yiraul,  i/iratd,  wie  Jj\j_  ja  gelesen  werden  kann.  Ist  diese  Schreibung  Anhang 
aber  palatai  zu  sprechen,  so  ist  anzunehmen,  daß  yirmil  weiter  zu  yiräül, 
iräiil  geworden  wäre.  Es  ist  kaum  anzunehmen,  daß  das  Wort  nicht  mehr 
lebendig  sein  sollte;  aus  einer  neuen  türk.  Mundart  ist  es  aber  meines 
Wissens  noch  nicht  aufgezeichnet  worden;  vgl.  at^.  haräwal  (Raverty  1059):  = 
VuLLERS  hat  unter  den  Bedeutungen  des  Wortes  II  1447  auch  die  von  »running 
footman  « . 

3.  Üschag.  yortarful,  yortaul  »eine  Reiterschar,  die  ausgeschickt  ist, 
Vieh  fortzutreiben  oder  Beute  zu  machen«.  Bei  Sul.-Kün.  weniger  gut  mit 
-U-:  yurtaid  —  *önde  ilgar  ile  giden  suari  —  der  an  der  Spitze  galoppierende  10 
Reiter«.  Das  Wort  gehört  zu  yort-  »schnell  reiten,  traben«:  im  Basch- 
kirischen, wo  -o-  >  -u-  verengert  wird,  lautet  es  heute  yurtUl  und  bedeutet 
»der  Überfall',  Raubzug«. 

Das  Verbum  cup-  bedeutet  in  einer  Anzahl  von  Mundarten  »schnell 
reiten,  galoppieren«,  im  Osmanischen  aber  »courir,  faire  une  incursion«.  -s 
Bedenken  wir  nun  die  Geschichte-  des  baschk.  yurtül,  so  wird  uns  wahr- 
.scheinlich,  daß  das  osm.  capul  für  *rapUl  <,*6apayul  .steht:  »incursion,  ex- 
cursion;  butin;  pillage;  razzia«  !  Durchaus  sicher  wird  diese  Erklärung  durch 
dschag.  capuul  »Angrifl'«  (eine  ziemlich  nichtssagende  Übersetzung;  Wb.  III 
1917 — 191 8  ein  Beleg  aus  Abg.;  das  Verbum  ist  sal-'):  Sul.-Kun.  39  fapatU  w 
»gegen  den  Feind  ziehen,  zur  Beute  machen«  :  Belege  wären  wünschens- 
wert. Im  Kkir.  finden  wir  C(tbül  »das  Schwingen,  Kämpfen,  der  schnelle 
Ritt«,  kir.  SubUl  bedeutet  nur  »Galopp«,  iabüUü   »Estafette«  (<  *('apayulfi). 

Ravf.rty  gibt    fiir  afy.   <^apäiciil  (355)  die   Bedeutungen     »an   advanced 
guard  of  cavalry«,  für  dapa'u  aber   »a  raid,  a  foray,  a  coup  de  main,  an  »s 
inroad« ;    (kipar  bedeutet   »a  royal    mes.senger,  a  Courier«.     Zu  ^apS'o  vgl. 
Vämbery,  Skizzen  aus  Mittelasien  275  »Tschapaos  oder  Raubzöge» ;  <  *6a- 
payu;  dazu   das  sonderbare  dschag.  rapduqi  (Pavet  de  Courteille  271). 

Zum  -a-  der  Mittelsilbe  in  *Aipuyvl  vgl.  das  von  ('apciyan  (MtüSpr.  36  4). 

Auf  kleinen  Beubaelitungcn    wie   der   vurstehenden   werden    wir  aliinäLlich   die  Laut-    3° 
und   Formenlehre   des   Osmanischen  aufbauen   können;    man   sieht   aber,    daß   es   ohne   ein 
gleichzeitiges  Eindringen   in   die  Vorstelluiigswelt   der  Törkvölker   nicht   gehen   wird:   auch 
hier  steht  der  Geist  über  der  Materie,  die  sich  unter  der  Einwirkung  des  Akzents  und  der 
durch  ihn  verursachten  Störungen  nur  allzu  leicht  verändert. 


'    Russ.  Ha6*n.  wird  von  Gioanoff  292  für  das  Tobolskische  durch  yäldirüw.  -ä  wieder-   3; 
gegeben;  zu  yäldir-   •traben  lassen«. 

''    Vgl.  dschag.  tnUm  sal-   ■  plündern*    zu  der  Sippe  tala-. 

8* 


60  W.  Bang: 

Anhang  4.  Dschag.  kütäHl  » der  Proviantaufseher,  eine  militärische  Würde«  Wb. 

nach  Vämbery  328b.    Seine  Quelle  war  wohl  Sül.-Kun.  141  küteül  =  muhafiz, 
hekci.     Zu  hüt-:   *kütägül. 

Das  Balkarische  hat  für  »Wache,  Wächter«  das  auffallende  mege'id;  es  ist 

5  wohl  -ül  von  einem  gutturalen  Wort  wie  qaruul  (balk.  qala'ür)  übertragen.    Der 

erste  Bestandteil  des  Wortes  ist  mir  unklar;  an  dschag.  meryaul  (sie)  bei  Sul.- 

KüN.  145  =  »bahadur,  kahraman,  pehlivan  —  Held«  wird  man  nicht  denken 

wollen,  da  dieses  Wort  selbst  nicht  ganz  klar  ist;  wenigstens  scheint  es  mir 

wenig  oder  nichts  zu  besagen,  daß  das  Wort  für   »Schütze«,  mergän,  nach 

10  Wb.  IV  2094  im  Sagaischen  auch  »schwer,  gewaltig,  stark«  bedeuten  kann. 

Das  Mongolische  hat  zu  manamui  »wachen,  bewachen«  gebildet:  ma- 

nagul  »Wache«,  nach  Kow.III  197  i  auch  »Vogelscheuche«,  managulä  »Hüter, 

Wächter« ;    es  ist  ferner  zu  beachten,    daß  das  mong.  sakigul  (zu  sakimwi) 

nach  Kow.  II  1326  nicht  nur   »gardien,  defenseur«,  sondern  auch   »garde, 

■5  defense«  bedeutet.  Zu  mong  ccigdagul  »garde,  sentinelle«  vergleicht  Kow.  III 

2iiob  dj)\x»-  =  Sül.-Kun.  45  6i7idavul  {Wb.  ändaul)  »nächtliche  Wache  zur 

Prüfung   des  Lagers«;    ccfydavul  wird  S.  37    durch    »Nachtrab    des  Heeres, 

Fußgänger«    übersetzt   und   hierauf  S.  39    unter  öandavul  verwiesen    (vgl. 

Wb.  III  1850)'. 

=Q  Wörter  wie  diese  mögen  die   gutturale  Lautform  auch  bei  palatalem 

Anlautsglied  durchgesetzt  haben  (vgl.  oben  S.  4429). 

Das  afV.  kottwäl  (Raverty  815)    »the  chief  police  officer  of  a  city  or 
town«    dürfte  unser  Wort  sein. 

5.  VON  Hammer,  Goldene  Horde,   242   (und  Anm.  3):    »Die  Beamten, 
=5  die  für   ihre    [der  Abgesandten] Unterkunft  sorgten,    hießen  Je- 

schaghul  oder  Mihmandar  .  .  .<u  S.  658  übersetzt  er  »Quartiermeister  des 
Gesandten«.  Zu  mihmandar  vgl.  Vüllehs  II  1244a;  es  ist  also  *aSayul  zu 
a§a-  zu  stellen,  das  heute  zwar  u.  a.  nur  »essen«  bedeutet,  als  Denominativ 
zu  aä  »Nahrung«  usw.  aber  auch  sehr  wohl  »zu  essen  geben«  meinen 
3°  konnte:  vgl.  aSla-  »zu  essen  geben«  bei  Sul.-Kün.  15;  dazu  auch  aälar 
<*aS-la-r  »ein  zum  Tränken  der  Tiere  am  Bnmnen  befindlicher  Stein«. 
Vgl.  unter  9. 

6.  Osm.  yasaul   »sergent  charge  de  surveiller  la  route  par  oü  devait 
passer  une  escorte«  (Youss.);  dschag.  Sul.-Kün.  102:   Wb.;  v.  Hammer,  1.  c. 


Vgl.  Wb.   unter  ciydaul,  cindaul. 


Vom  iCöktürIHschen  zum  Osmaiiischeii.  61 

658.  Spr.  99a  yascml.  i/iisävi  »Wächter,  Diener«  mit  -u-  <  -0-;  tar.  yosül  Anhang 
Prob.  VI  39  i3u'  («-Umlaut),  yoml  40  gu,  yasöl  40  4,  10,  17;  das  yosaul,  aul' 
welches  im  Wb.  verwiesen  wird,  fehlt;  vgl.  jetzt  die  uig.  Urkunde  von  Le 
CoQS  im  Türän  1918  SS.  456 — 7.  In  literarischem  Text  unter  Einfluß  der 
Vorlage  yasaul  Prob.  VI  i  19  und  136.  Kkir.  yasöl  Prob.  V  198  1973.  Aui§  5 
"yasayul  zu  yasu-  »machen,  schafifen,  herrichten«  :  vgl.  yasaq,  yasaqc'i  (:  qa- 
raqd'i  unter  i)  yusal,  yusuv  usw.      So  schon  von  Le  Coq  1.  c. 

7.  Wb.  IV  587  nach  Vambery  Cag.  Spr.  297  b  sözäiil  (Vambery  sözaul) 
» Verkünder «  mit  der  Definition  aus  Sui,.[-Kun.  173  sözavl  »Ein  mit  dem 
Rücktransport  der  Flüchtlinge  betrauter  Mann«].  Aber  855:  siizäiU  »Offi-  .<= 
zier,  der  die  Nachzügler  und  Flüchtlinge  zu  sammeln  hat«,  oder,  wie  Pavet 
DE  CoüRTEiLLE  355  bcsser  übersetzt,  »espece  d'adjudant  charge  de  forcer 
les  fuyards  ä  rejoindre  leur  corps«  I 

Ich  bezweifle,  daß  Vambery  das  Wort  auf  seinen  Reisen  gehört  hat; 
denn  er  hätte  wohl  eher  sözäiil  für  sein  sözaul  zu  hören  bekommen.    Die  -s 
Bedeutung   »Verkünder«    dürfte  also  auf  Verknüpfung  mit  söz  »Wort«  be- 
ruhen.     Da  das  Wort  demnach  bis  jetzt  nur  auf  Suleiman  beruht,  so  nehme    " 
ich  an,  daß  es  für  *sürdi/l  verschrieben  oder  aus  dieser  Form  von  einem 
Abschreiber  »verbessert«  worden  ist.    Es  würde  also  *snrägiil  zu  sür-,  sürä- 
» treiben,   vor  sich  hertreiben«    zu  stellen  sein   (vgl.  kkir.  siirön  <  *sürägän  » 
»das  Antreiben  der  Pferde  beim  Wettlauf«).    Eine  unerwartete  Bestätigung 
finde  ich  nachträglich  in  dschag.  sürkäül,  sürgäül  (zu  sürkä-,  sürgä-,   einer 
->5:«-Erweiterung  zu  sür-;  vgl.  tutqaul,  tusqaul  unter  1 1);  das  Wort  bedeutet: 
I.  »eine  den  Feind   verfolgende  Truppe«    und   2.  nach  Pavet  de  Courteille 
354:    »troupe  chargee  de  pousser  les  trainards  et  de  les  forcer  ä  rejoindi-e  25 
l'armee«  (vgl.  Wb.  IV  822,  Sdl.-Kun.  175,  Vambery  Öag.  Spr.  297a  sürgeöl). 
Grundform:  *sürkägitl. 

8.  C€  105    steht  placenus  =  np.  tataid  =  kom.  bogaul.     Für  placerivs 
hat  DüCANGE  placenus  scriba,  das  er  durch  publieus,  tahdlio,  frz.  greffier  über-  30 
setzt  und  das  er  aus  den  Statuta  Genuens.  belegt  mit  einer  Stelle:  ronsul 
(lUquis  vel  potestas'  seu  scriba  Placenus.    Für  bogaul  wollte  Blau  ZDMG  XXIX 
1876   584  baqaul  lesen,  das  nacli  Wb.  bedeutet:  dschag.    »ein  Hofbeamter 

'    Die  Übersetzung  ■Unterbeamte.   ist  irreführend;    die  Bedeutung  ist  auch  hier  viel- 
mehr -Torwart«,  wie  z.  B.  Prob.  VI  137  lu:  andin  km  patiiäniü  äiiglgä  käldi,  kälip  i/<uaullarya    35 
aitti  usw. 

'    Vgl.  CC  105  potMtas  =  kom.  yaryuci:  ital.  podegtä. 


62  W.  Ban«: 

Allhang  der  Chansküchc,  im  Range  höher  als  der  Baurtschi«  :  ostt.  »der  Koch«.  Ich 
stelle  dieses  haqaul  zu  baq-  »schauen,  zuschauen,  versuchen:  aufmerksam 
betrachten,  sich  um  etwas  kümmern,  sorgen  für«.  Es  würde  also  haqain 
»den  die  Speisen  unter  seiner  Aufsicht  habenden  Beamten«  bedeuten;  so 
5  auch  wohl  das  dem  np.  in  die  Schuhe  geschobene  tataul  zu  tat-  »probieren, 
kosten,  schmecken«  (vgl.  QB  cap.  37  und  38).  Lautlich  ist  nun  gar  nicht 
daran  zu  denken,  dieses  huqaitl  mit  dem  obigen  bogaul  einfach  gleichzusetzen, 
für  das  schon  W.  \V.  Radloit  auf  Jjd>  »Mundschenk«  hingewiesen  hat 
(Mem.  Ac.  St.Petersb.  VII.  Ser.  Tome  XXXV  Nr.  6  S.  73a,  nach  den  Jarliken 

10  und  Abusqa)  und  das  er  högäül  liest.  Im  Wb.  gibt  er  nur  dschag.  hökäül 
nach  VÄmbery'  im  Sinne  von  »Nachtrab«;  1877  finden  wir  dann  noch 
dschag.  hukäwid  (lies  -ül)  »=:;  Mkäuh,  welches  fehlt.  Sul.-Kun.  24  bekatU 
(sie)    »Vorsteher,  Vorkoster,  Verwalter«. 

VON  Hammer,  Goldene  Horde  235   nennt  die  Truch.se.ssen  (Bukaule), 

"5  über  die  Näheres  bei  Rasideddin  im  Abschnitt  über  die  Bajaut  zu  finden 
sei;    245  nennt  er  den  Bekaul,  den  Truchsessen  oder  Vorkoster  (!):  473  steht 

'  ein  Diplom  für  den  Oberstkriegskommissär  oder  BukaiU. 

Sul.-Kun.  34  finden  wir  bukaul  in  der  Bedeutung  von  »Oberkoch«. 
Wb.  1803  buqawul  »die  im  Hinterhalt  liegenden  Soldaten«,  dann  auch  »eine 

20  Art  Grenzsoldaten,  die  die  Waren  ohne  ZoUstempel  nicht  passieren  lassen«: 
mit  tamyac'i  soviel  als    »Zollwächter,  die  den  Zollstempel  auflegen«. 

Eine  ziemlich  bunte  Gesellschaft,  die  sich  bei  unsdtn  Marschall,  maire, 
lörd,  Steward  usw.  wohl  fühlen  würde.  Zur  etymologischen  Aufhellung  könnte 
man    boquul  durch   Rundung   aus    baqaul   entstanden   sein    lassen,    oder  an 

J5  *boqa-  (oben  S.  47  15,  26)  denken ;  bökänl  könnte  aus  bnkdül  gerundet  sein,  kom. 
bOQQUl  =  bögäiil  zu  *bögä-  gehören,  einem  Verwandten  von  kom.  bögäi-  (in 
(;C  2  3 1  joehöi  bogcpp  barir  mit  schlecht  leserlicher  Interpretation :  l)oe  Q»l)t 
tDO[l]  nn>ß  8Cric[I)tCt]),   das  bisher  isoliert  steht;   dazu   uig.  bögü    »weise«    zu 

*bög-?  Wb.  IV  1301    unter  pögü  die  Anm.,  daß  im  QB  sehr  häufig  bägü  statt 
3°  bögü  geschrieben  werde,   B  überall  ß y.  habe. 

9.  Dschag.  äV7ö?;/ Wb.  IV  1067  »vgl.  Sayawaki'-;  937  kiyawal:  Sul.- 
Kun.  1  77  siyaul^^  teSrifatdzi,  mihmandar.  von  Hammer  1.  c.  461  Anm.  1 5  Schigh- 
uul,  eine  Art  huissler  oder  Gerichtsdiener.  Mel.  as.  III  640  Anm.  7  iayaul: 
»Le  Schagaoul  ä  Boukhara  est  un  dignitaire,  dont  le  devoir  consiste  ä  rece- 


("ag.  Spr.  248  b  bögeöl  » Nachtrab  •. 


Vom  KöktürkiKchpu  zum  Osmanisrhen.  63 

voir  Ips  Ambassadeurs  et  les  etrangers  qui  se  presentent  ä  rEmir«  und  Ver-  Anhang 
weis  auf  XaHüKOBT.,  OnHcanie  ByxapcKaro  XanexBa,  p.  i86.   VÄmbery,  Gag. 
Spr.  304  b. 

Eine  türkische  Etymologie  ist  mir  nicht  bekannt;  das  Mongolische  hat 
.^ngamui  »serrer,  presser,  fouler  aux  jneds«  (Kow.  II  1443a)  =  türk.  bas-,  5 
was  nicht  zu  passen  scheint.  Da  die  Bedeutungen  u.  a.  auch  »Speiseauf- 
seher« und  »celul  qui  accompagne  les  arnhassadeurs«  (Pavet  de  Courteille 
380)  sind,  so  dürfte  ein  Verderbnis'  von  Jeschaghul  {*asayul,  oben  unter  5) 
vorliegen.  Oder  ist  von  einer  Form  'aMyayuI  auszugehen,  in  der  -7a-  durch 
das  häufige  Auftreten  von  -qa-,  -ya-  vor  dem  Formans  -ynl  veranlaßt  sein  .0 
könnte? 

10.  Kir.  sdkstifül  »der  Saksaul«  =  dschag.  •w^'^aw/ (Haloxylon  Ammoden- 
dron  Bunge).  Man  könnte  an  Rlt.  mksdn- <  säk-ft(i-n  »zurückschnellen,  federn; 
biegsam,  elastisch  sein«  denken,  doch  belehrt  uns  Basiner  in  seiner  Na- 
turwiss.  Reise  durch  die  Kirgisensteppe  nach  Chiwa  (Baer-Hel-  15 
mersen,  Beitr.  zur  Kenntnis  des  Russ.  Reiches,  XV,  Petersb.  1848) 
S.  94,  das  Holz  des  Saxaul  sei  von  außerordentlicher  Härte,  zugleich  aber 
auch  so  brüchig,  daß  ein  Mensch  ohne  Schwierigkeit  sogar  ziemlich  dicke 
Äste  abbrechen  könne.  S.  95  sagt  er:  »Im  Chanate  Chiwa  sieht  man  die 
Kohlen  dieses  Holzes  auf  den  meisten  Basars.  Sie  sind  sehr  beliebt,  weil  k 
sie  außerordentlich  lange  glimmen  und  beim  Verbrennen  einen  ange- 
nehmen Geruch  verbreiten«.  Letzteres  nun  doch  wohl  infolge  einer 
gewis.sen  Harzhaltigkeit.  Ich  nehme  also  an,  daß  zu  kiptsch.  .mq'iz  »Mastix, 
Harz«  (vgl.  oben  S.  2934)  ein  Verbum  *saq'iza-  gebildet  wurde,  zu  dem  das 
Abstraktum  *saqizayul  lauten  mußte :  daraus  wurde  *saqsayitl  und  mit  .«-Um-  >; 
laut  .mqsayul  >  mksmil.  C.  A.  Meyer  sagt,  die  Kirgisen  nannten  den  Baum 
Sexugul  (bei  v.  Ledebour.  Reise  durch  das  Altai-Gebirge  und  die 
soongorische  Kirgisen-Steppe,  Berlin  1830,  II  279). 

11.  SüL.-KuN.  198   tiitqanl  —   »geöid,  boyaz,  (lere  ynl,  muyjitereli  derbend 
ve  larik  —  Schlucht,  schmaler  Weg,  gefahr  lieber  Paß  oder  Weg«.   Vgl.  Wb.  III  30 
1487   unter  2. 

Ich  glaube,   daß  das  Wort  in  diesen  Bedeutungen  fotqnul  zu  lesen  und 
daß  es  durch  Metathese  aus  toqtaul  entstanden  ist;  die  Grundform  toqtayul 


'    Ist    etwa    (Ischag.    i'v^aiä  —    'CiyilHon.   qu-i  g^rilnnUji  —  Halsband,    Vogelhalsband" 
(BtüW  302  5)  aus  * ciA-qa^/u-l  entstanden':'  35 


64  W.  B  A  N  G  : 

Anhang  ist  mir  nur  aus  dem  Eigennamen  Toqfayul  Mergcin  Prob.  III  64  ff.  bekannt 
(sein  Gefährte  heißt  Domda'yul  Soqur  zu  tel.  tomdo-  <  *tomda-  »an  einem 
Dinge  Zeichen  machen«),  den  ich  zu  toqta-  stelle:  dazu  u.  a.  kir.  toqtaü 
»das  Anhalten,  der  Aufenthalt«  —  vgl.  besonders  die  Stelle  aus  dem  Babur- 
5  name,  die  Radloff  Wb.  III  1488  folgendermaßen  übersetzt:  »zur  Zeit  des 
Frühgebetes  stiegen  wir  bei  der  Brücke  zu  Pferde;  bis  zum  Tutkaule  (dem 
Platze,  wo  wir  anhielten)  war  durchaus  kein  Schnee,  als  wir  aber  vom  Tut- 
kaule (dem  Platze,  wo  wir  angehalten  hatten)  weitergingen,  war  (überall) 
sehr  hoher  Schnee«.  Die  Entwicklung  war  meines  Erachtens  die  folgende: 
10  Anhalten,  Aufenthalt,  Aufenthalt  auf  der  Paßhöhe,  Paß,  Durchgang,  Schlucht. 
Schon  Pavet  de  Courteille  gibt  die  Bedeutung   »passage«   (p.  222). 

Anderseits  gibt  Sül.-Kun.  192  ein  Wort  toktavul  (toksavul)  in  der  Bedeu- 
tung »Stadtrichter«  ;  Wb.h^at  es  III  1 153  als  toqtaul  »Polizist«  (i  155  toqsavnd). 
In  dieser  Bedeutung  würde  ich  das  Wort  tuqtaul  aussprechen;  es  ist 
15   durch  Metathese  aus  tutqaul  und  *tutqayul  entstanden,   die  von  *tutqu-,   einer 
Erweiterung  von  tut-,  zu  der  auch  tutqaq  <  tutqa-q   »Angriff,   Griff«,  tutqcd 
<  tutqa-l  »Leim«    gehören. 

Neben  toqsavoul  gibt  Wb.  III  12  10  nach  Vamberv  (Cag.  Spr.  262  b)  tns- 
qavl  —  SuL.-KuN.  194:  y>toskavul  =  karaul,  Sahbender  —  Wachtsoldat«.  Ob 
30  toqsaul  oder  tuqsanl,  tosqaul  oder  tusqaid  die  richtige  Aussprache  ist,  weiß 
ich  nicht  bestimmt.  Das  Wort  gehört  wohl  zu  dem  Verbum,  das  Sül.-Kün.  i  94 
tosmak,  Radloff  Wb.  III  1499 — 50  besser  /mä-  liest  (vgl.  die  Ableitungen); 
Wb.  III  1501  gibt  es  denn  auch  nochmals,  und  zwar  diesmal  als  iusqaul 
»Wächter,  Wachtposten  auf  deoi  Weg«. 
»5  VON  Hammer,  Goldene  Horde  241,514.  nennt  die  Wegmauthner  Tetkauii, 

245  Tutkaul. 

12.   Osm.  (wohl   veraltet)   yiW/r/Mw/  »Fasan«,   dschag.   qtn/avoul,  qirqaid, 
kir.   (firyaul.   dschag.   OT.   sart.   qiryuul,  tar.   qiryol  <  *q'irqayul. 

Es  handelt  sich  offenbar  um  eine  schallnachahmende  Bildung,  zu  der 
30  auch  die  mong.  Bezeichnung  des  Fasans  zu  vergleiclien  ist:  goragul  (oder 
gurafful?),  gorgoul.  Zur  Deutung  gibt  es  drei  Möglichkeiten:  das  rauschende, 
schwirrende  Fliegen  des  flugungewohnten  Vogels  oder  sein  Ruf,  den  mein 
Großvater  folgendermaßen  beschrieb:  »lautet  gewöhnlich  Kock,  das  laut, 
hoch,  stark  und  weit  vernehmbar  ist;  beim  Aufbäumen  und  beim  schnellen 
35  Entfliehen  kockkockkock  oder  kockkockkockkeck  oder  beim  letzteren  kack: 
zuweilen  beim  Aufbäumen  ein  starkes  Zick  oder  Tschih  (Tierreich  II  i  83; 


Vom  Köktilrkischen  zum  Osmanischen.  ^         65 

vgl.  Brebm,   Vögel,  II  72).     Die  dritte  Erklärung,    die  ich  för  die    richtige  Anhang 
halte,  gibt  uns  Bbehms  Beschreibung  des  Goldfasans  (1.  c.  76);  er  sagt,  sein 
Ruf  habe  entfernte  Ähnlichkeit  mit  dem  Geräusch  des  Wetzens  einer  Sensen- 
klinge  und  sei  mit  keiner  anderen  Vogelstimme  zu  verwechseln,    freilich 
auch   nicht  genauer  zu  beschreiben.     Die  Grundform   *q'irqayul  läßt  nun   ein    5 
Verbuin  *qirqa-  voraussetzen,   das  offenbar  in  qir-qa-  zu  zerlegen  ist;   es  ist 
heute  vertreten  durch:   osm.  usw.  [qtr-)  q'irq-  »scheren,  abscheren«,   alt.  tel. 
leb.  q'irqi-  »scheren«,  schor.  q'irya-  »abscheren«,  ostt.  qiriq-,  tar.  dschag.  sart. 
qirq-   »scheren«;    eine  Ableitung  ist  ostt.  qiryaq  (-ya-q)    »Wetzstein«'.     Es 
ist  also   wohl   anzunehmen,   daß   *qtrqayul  soviel   wie   »Scherer,    Schleifer,  10 
Wetzer«   bedeutet;  ich  erinnere  an  unseren  Scherenschleifer,  den  land- 
schaftlichen Namen  der  Kohlmeise'.    Im  meng.  tohSigid  »Schwarzspecht«  (zu 
toMimui)  Kow.  III  1795  haben  wir  wrtl.  »Klopfen,  Klopfer«  zu  sehen ■^;.  vgl. 
rkWb.  71b  unter  ^HTeJ'fc:  toquldaq,  tonquldaq  und  sogar  taq-taq;  alt.  tonirtqa. 
Für  »Heimchen«   haben  Osm.  und  Dschag.  nraq  bödzäyi,  nraq  qvMt,  zu  oraq  '5 
»Sichel,  Sense«,   wrtl.  also   »Schnitter«. 

Ergebnis:  Die  Wörter  auf -r/«/  <  a-yu-l  sind  nicht  Nomina  agentis,  für 
die  man  sie  ihrer  Verwendung  nach  halten  könnte,  sondern  Abstrakta  wie 
unser  Wache,  Vorhut,  Mannschaß  usw.*.  Auf  türkischem  Gebiet  stehen  ihnen 
in  dieser  Beziehung  die  Abstrakta  auf  -tiq  am  näclisten  wie  baMq  »Ober-  ^ 
befehl«  und  »Befehlshaber«  >  tel.  paMq  »Stammältester,  Jaisang«,  kir.  dzaq- 
sHtiq  »Güte«  und  »der  Gute«  (Prob.  III  287  Nr.  2);  eine  eigentümliche,  doch 
leicht  verständliche  Begriffsverengerung  haben  die  folgenden  Abstrakta  er- 
fahren: atal'iq  »Vaterschaft«  aber  auch  »Pflegevater«  (CG  142  ataltt)  »Stief- 
vater«), anal'iq  »Mutterschaft«  und  »Pflege-,  Stiefmutter«,  «W/M"  (fWb.)  »Heb-  35 
amme«  (Prob.  IV  143  gff.),  oyiäluq  »Sohnschaft«  und  »Pflege-,  Adoptivsohn«  \ 

'  Vgl.  zur  Bildung:  qairaq  ■Schleifstein- ;  das  ostt.  qhraq  -Wetzstein-  <  *qiyraq  für  qirya^j. 

'  Weiteres   siehe  bei  Slol-viei,   Die  deutschen  Vogelnamen,   XXVIII  und   155. 

'  Mong.  auch  tsondool  »Schwarzspecht-  <  *tsondogul  zu  *twndo-.' 

'  Vgl.  auch  oben  S.  48  Anm.  i  die  Verbalabstrakte  auf  -y'i.  -yu.  -ma.  30 

■'■  Vgl.  mong.  fe>r<%«/  (Kow.  III  1897  a)     »une  reconnaissance ;    un    envoye    pour    faire 

nne  reconnaissance-  mixA  ciimagul,  cinnul  (Kow.  III  2 138 — 9:  -ul  nach  Kow.  für  3  1)  »audi- 
tion,  espion«. 

Für  torcigul  auch   mong.  lorrigur,  wie   denn    überhaupt  -yul  und  -gur  wecliseln.     Ein 
Iteflex   der  mong.  Verhältnisse   ist   der  Wechsel    in   dem  entlehnten  alt.  arcül,  bar.  ardzül  35 
gegen    tel.  arcür   •Tuch,    Beutel-;    vgl.  mong.  orrmut    »essuyer-    usw.  und    nrcigul,    arcigur. 
arcul,  burj.  arvul,  arhil  »mouchoir.  essuie-main:  bourse,  petit  sac-. 

PM.-hut.Abh.  1919.  Nr.  5.  9 


66         ,  W.  Bang: 

Anhang  Was   dicscs    oyul   selbst  anbetrifft,  dem  ich  BtüW  §  8a  von  anderer 

Seite  aus  beizukommen  versuchte,  so  halte  ich  es  jetzt  für  ein  Abstraktum 
auf -7«/  zu  dem  oben  S.  4031  erwähnten  o-  »können,  vermögen,  helfen  können « . 
Es  würde   also   0-7M-/  etwa   »Kraft,    Stärke,    Hilfe,    Schutz«   bedeuten:    die 

5  Geburt  eines  Kindes  bedeutet  in  jedem  Falle  für  die  Familie  des  Nomaden 
einen  Machtzuwachs,  für  die  alternden  Eltern  aber  Hilfe  und  Schutz.  Das 
Wort  oyid  scheint  zunächst  »Kind«  überhaupt  bedeutet  zu  haben  (kokt,  uri 
oylun  »Deine  Söhne«,  qiz  oylun  »Deine  Töchter«  in  IE  24;  uri  auch  in  T' 
59,  L^  117,  QB  109  37;  ufi  oyul  MM  5  3, 5;  M^  20  20  Mnc  uri  känc  qizlar,  wo 

10  känc  dem  osm.  gändz  =  krm.  gnn<^  "jung,  Jugend«,  Abstraktum  auf  -wd?, 
entspricht)  und  ist  vielleicht  zuerst  als  liebkosende  Anrede  gebraucht  worden'. 
Bei  der  durch  die  Verhältnisse  so  sehr  berechtigten  Vorliebe  der  nomadi- 
sierenden Türken  für  den  männlichen  Erben  —  die  unendliche  Zärtlichkeit 
dem  Sohne  gegenüber  ist   allen  Reisenden   aufgefallen  —  erfuhr  es  dann 

15  eine  Einschränkung  auf  diesen,  so  daß  oylum  bald  nur  noch  »mein  Junge« 
bedeutete. 


'    Vgl.  etwa  osm.  gözüm  =r  »mein  Lieber-,   dzanim  =  »mein  Lieber«    und  sogar  rein 

adjektivisch   «lieb«: 


\om  Köktilrkischrn  cum  Osma/mche/i. 


(w 


Wörter-  und  Formenverzeichnis. 

Der  RaumerspariiLS  halber  sind  nicht  alle  mundartlichen  N'arianten.  die  im  Text  vor- 
kummen,  aufgenommen  worden:  dalur  wurde  in  größerem  Maße  die  deutsche  tlbersetzung 
als  Stichwort  hergesetzt. 

Die  Zahlen  beziehen  sieh  nur  auf  Seite  und  Zeile. 


a   95 

a-:  1/a-:  i/'i-  usw.   5830 

-ä  <  -aya  5O4 

-a-  <  -ai-  1935 

-aö,  -yac  638 

ffc?7»r  223 

-070  >  -flf-  5O4 

070/     52av 

ayir-  % 
uyrryu  37  n 
uyrimMq  52m 
-ayu  >  -ö-  44>6 
-ayu  >  -Ü,  -ö  5O4 
-a-yu-l  57» 
ai  9i 

-«/-  >    -ä-     1935 

aiyai  sal-  535 
uiy'ir-  9a 
aü  3I31 
aiqtr-   9^ 
alanzi-  1O38 
-0/7«,  -0/7«  SOmA'. 
(ilyuyun  559 
anal'iq  653s 
-a-n-yu  47aaff. 
awptr  2230 


anir-  9ii 
ankleben  I7i6ff. 
an^'Mr  223° 
ansir-  <  *aqsir-  515 
Anstrengung 
,  a^r  2138 

:  a^r-  9io 

i 

I  a^i'r  223« 

1  a^jfr-  9io 

aftjgar  2I38 
I  a»i7«r  223« 
J  aÄTir-  9ii 
I  a/ira-  21  ■  7 

aiisir-  5m 
,  ftiisiriq   5i5 
I  o^inÄ  36.0 

ag'ir-  9? 
i  aqsir-  5» 

aqstriiq,  -U  69,  ■» 

a^-Mrw  ag'Mr«  2637 

ara  32^ 
I  cra«/  58ao 
t  ar^l  6535 
I  ordör  6536 

ardznl  653S 

ariY  328 


i  -a-r-st  4727 
i  «r^«w  3I29 

arz,^  31 16 

a.yjr7fl  5835 
I  asqur-  62 
!  ÖATld   3I4 
,  aMar  39^4, 6O30 
i  a^t  30..8 
!  «taÄy  6624 
I  atsa,  atse  1435 

atse  et-  616 
I  aufstoßen  IO33, 35 

-aul  56iflF. 

ausspeien  13^ 
;  Auswurf  420 
j  ayalyu  SOi? 
1  azir-  66 
i  a2ir<-   67 

«'/j.f<  3O28 
I  -ci  <  -«/  4538 

-ä-  >  -6-  vor  -/-  4440 

äi-  5333 
I  -dj  >  -ä  453« 
:  eben  29i7 

ächzen   49 

(7^-  542 


(>8 


W.  B  A  N  G : 


egäs  4O22 

egär  54. i 

-ägi  y-  -t  M26 

egir  54io 

ägrän-  22i6 

ägri  548 

äkir-  <  ökür-  9^? 

nmgnh  54i3 

«?(!^fl7  3941 

Enklise  348ff.  (?),  52=8ff. 

entfernen  I632 

a/i-  543 

rar«-  5336 

nhgäl  3941 

änJcäi-  5336 

enkildä-  22 14 

omra-  1934,  22.2 

«Mm/  5823 

Erstarrungen  43«,  46i8 

asM-  3328 

äsnn-  3322 

Esel  631 

Eselhengst  21 21 


äSkäk  633 

äM/  <  ötäl  5? 

ätMrik  <  öT  4.8 
1  (äifedM  44io 

Eule  37.3  ff. 

äyägü  5333,  5430 

äzä-  3326 

6o«  19>7 

baqaul  61 33 
:  haqir-  1926 

baq'ira-  1926 

baqra-  1926 
I  6öir-  <  /^ö7«r-  11 7 
j  öary  11 17 

harqra-  18.6 

Bauch  teil  des  Fells  5433 
;  bädiik  4324 
j  beiseite  2531 
I  6ä^M  6229 
[  bälä-  42.2 

bellen  8i,  7 ;  2l8 
I  benennen  5327 

U  43>7ff. 


biegen  54.  ff. 

bilä-  43i8 

&<7«^i  43i8 

biläl  445 

MrwV  42i2 

biräilän-  Mi 

b'i'n/ilda-  19». 

6«VÄ:-  <  bürk-  134 

birkln-  <  bürkün-  134 

b'irq'ira-  19.9 

ftiVo  4429 

tea/i  264 
I  fe  4329 

1  blasen  Tas,  1220  ff. 
'  blind  373 ff. 

Blitz  35.. ff. 

blöken  lU,  20.,  21 5 

bogavi  61 29 

boldzal  392. 

*6oya-  6225 
!  boqarst  4727 
;  boqaul  6224' 
I  boqayu  47io 


'  Nach  Abschluß  dieser  Arbeit  liatte  Dr.  Theodor  Kluge  die  Güte,  mir  die  erste 
Lieferung  seines  Georgisch-Deutschen  Wörterbuchs  (Leipzig  1919)  zu  senden,  wo  ich  S.  31b 
finde  holcauli  »Polizeipristaw"  und  hok'ouli  »Beamter,  der  die  königl.  Befehle  und  die  Urteile 
der  Richter  vollzog«.  So  steht  denn  also  das  -o-  der  Stammsilbe  jetzt  fest:  ich  lese  auch 
boijars'i  usw.  (oben  4726)  und  ziehe  zu  der  Sippe  *boqa-  ferner  noch:  Sul.-Kun.  34  bukat 
d.  h.  boqat  :^  »sedd  ab,  bend  [np.  blind  bei  Vullers  I  265  b  nicht  nur  vinculvm,  ligamenium  ' 
usw.,  sondern  auch  claustrum  a(|uae,  agger;  vgl.  Wb.  IV  1590]  Damm,  Deich«,  sowie 
boqatla-.  Es  ist  dann  aber  klar,  daß  zu  *bög-,  ^böyä-  (6226)  zu  stellen  sind:  dschag.  hökän, 
hokät  •■Damm«,  kir.  bögö  »Damm,  Sperre»  kir.  bögo-  »versperren«,  kir.  böyöt  »Scheidewand« 
usw.  (rkWb.  180  a  =  n^türiuia  »Wehr«),  ostt.  pl'igä  »Grenzmarke«,  ^wj^ä^  » Flaschenstöpsel" 
(Spr.  86  b).  Die  dschag.  AVörter  sind  wohl  mit  -g-  anzusetzen :  biigän  biigäl  —  ohne  den  doppelten 
Einti-ag  zu  ahnen  hat  Radloff  im  Wb.  IV  1881  bügät  »Danun«  und  bügätlä-  »einen  FlulS 
durch  einen  Damm  sperren« ;  Sul.-Kun.  32  :  böMitlemek  ^=  ahar  sujun  jolunu  bend-u  sedd  etmek. 
haylamak.  kir  (inkmek  [;'].  Aber  ich  kann  nicht  behaupten,  daß  der  Konsonantismus  mir  ganz 
klar  sei;   im  Kaz.   lauten  die  Wörter  gar  bökit   »Pfropfen.  Spunt»    (vgl.  alt.  tel.  pok   »Stöpsel, 


Vom  Köktürkischen  zum  Osmanischen. 


69 


bort  12a6 

boz  (üz  boz)  33i8 
bozyu  51 18 
62^6 


62  lo 
b<'iyii  62^'* 
bögür-  9.7 
bökäi'il  62.0 
böyiir-  9.? 
brennen  51  u 
brüllen   Qjff.,  9:..,  203-,  21., 

222.,  23.8 
brummen  IO37 
Biikaul  62i4 
buk  12^5 
buf/arst  Mn 
buqawul  62i9 
burq  \Uz 
butaul  56i6 
buzayu  42.7  fif. 
buzla-  42i<i 
bur/jiir/jii  47u 
hw^/jir  47>6 
bügräk  2334 
fräto-  122.. 
6«^^  4427,50.. 
^wrA:-  1223 
bürkür-  ]2u 
'  bürkiis-  13. 


I  6r</  55. 
I  &?i/r/  55. 

6m^«m  55i 

-c-  <  -«('-  10.  s 

^abül  5922 

öa-ycUivul  60.; 

(!rt7ü/  rä7«/  2429 

doTÜr-  11 5 

carfur-  lU 
I  iaina-  352  (4632) 

raMr  culdur  24.« 

Äi?}?r-  928 

eap-,  dapa-  59i4 

iapayan  5929 

dapä'o  5926 

i'apaul  59.9 

dapauqi  5928 

<?aj>M/  59i7 

ragfir-  11s 

eaq'ir-  %m 

6ar  44i8 
!  dar-  <'6'a7ir-  lU 
I  dar/  II34 

dar/j  442.  flF. 

da/  3537 

cat'irda-  27.6,  35^; 

dayna-  4632  (352) 

d^'rfiY,  d<pdfi7-  <  *dö"  57 

f^firgä-  <  ('örgi'i-  41 37 


«(^//,  d^rfjY-  <  d^"  <  *cö"  57 

ciya/ta  4938 

öiyaul  65u 

ciydaul  6O35 

cilpilda-  2636 

(Hlpulla-  2636 

cindaul  6O16 

cing'ir  cmig'ir  24.3 
j  cinfira-  2425 
!  dinqrau  504. 
i  (Hmir-  74 
j  dir  19..,  283 
!  dfr-  <  doTiV'-  11 7 
i  djrdir  19.3,  288 
j  dirilda-  198,  284 
I  änlla-  289 
I  (!lrüy  283 

dir/ö-  19.J 
i  (!i;-/o-  285 
i  cirlaq  28? 

(!ir/)-   28; 

dirqtra-  197,  285 

öirtlaq  286 

dirtlaqla-  287 

f'jtü/  4633 

cMkiir-  6.4 

öücür-  615 

Oayaraq  243- 

i'oqar-  243- 


Vei-schluß,  Gefängnis.)  und  6«>»/(7  .Damm,  Sperre".  Semasiologisch  vgl.  ^iyw,  das  im  Alt. 
Tel.  Sag.  Koib.  Ktscli.  •Flußsperre  durch  aufgetiinntes  Kis-.  in  den  drei  letzteren  Dialekten 
auch  . Flußwehr,  bedeutet,  während  es  im  Kir.  -Pfropfen,  Spunt-  meint:  vgl.  bar.  tiy'in- 
dz'iy  .pfropfen-   und  dann  osm.  tiqar,  t'iyac   -Pfropfen«   usw. 

Im  CuwaJ.  lautet  -Stöpsel,  Pfropfen-  pjd.).  im  .lak.  büii  (<  Uigo.').  Formell  kann  bögö  < 
*biigä  kaum  etwas  anderes  als  ein  Gei-undiimi  sein:  vgl.  dschag.  tiya  Wli.  III  1346  und  Sui..- 
KuN.  187. 


70 


W.  Bang 


roqra-  2435 
öoqraq  2436 
6öMl  3920 

(^Ü   4I39 

mg  41 39 

ikd'ia-  41 16 

aulydu  5O10 

(5m/7W  4I19 

duqraq  2435 

Ä'  4634 

Darm  448 

dägSür-  17^9 

däwä'ir-  I829 

dimqil  3936 

-(ii'r  24i8ff. 

d'iz'ilda-  27=0 

cfii^/a-  2730 

dolay'i  4815 

domdcTful  642 

Dorn  4929  0". 

f/r  l4i 

drohen  337  0".,  45.7,  =2  ff. 

Durst,  -ig  ISigff. 

duldüz  2727 

Jm^  2726 

dzanim  66.7 

dzabaya  50(5 

dfi'Ä^  3O23 

diuliq-  I2i7 

Faktitiva  124ff.,  ISsff. 

154.,  16.  ff. 
Fasan  64=7 
Faulbeerbaum  5437 
fein  737 


Fell  (Bauchteil)  5433 

fest  5327 

Feuerbrand,  -schürer  4620 

Feuerschwamm  40.. ff. 

Fischotter  47.8 

Flaum  49io 
,  Flechte  5420  ff. 

Fledermaus  3724 
[  flüstern  14.7 

fort  2530 

Frequentativa  1542 

frisch  1531 

Frist  392. 

Furt  3929 

furzen   lös  ff. 

Fußfessel  47.ofl'. 

Fußlappen  41. 9 

-g-:  -n-:  -w-  2337 

gackern  14.$,  .« 

ganz  55. 

-gä,  -gii  393°,  449,  46.4 

gädik-  12.3 

gähnen  3322 
I  gänc  66.0 
j  gebogen  548 

gerben  3733 

Geschwür  53.3 
j  gichöv  4232 

girö  3839 

glatt  29.7 

Glocke  23.8,  5O5 

göi-  51.4 

gölgä  52.. 

gözgii  5O28 


gözük-  12.5 

gözüm  6617 

Grille  IO7,  19.3,  286,  65.5 

grunzen  14.3,  I820 

gurgur  27$ 

gurla-  276 

gurulda-  274 

gut  295 

-gü,  -gä  3930,  449,  46.4 

-gü-l,  yu-l  3929 

gündälik  46.6 

güzäl  39. 

-70-,   -qa-  63.0,  64.5 

-7a,   -yu  3930,  449,  50. 

-yad,  -ac  638 

-ya-c,  -yu-c  635,  393« 

7a«  4O36 

-yi,  yu  446 

-7t',  yu,  -yur  484 

y'in^a-  1O40 

-yu  37. 

-yu,  -ya  3930,  449,  50. 

-yu,  -yi  446 

-yu,  -yu-c  4736 

-yu-c,  -ya-c  635,  3939 

-yu-l,  -gii-l  3924 

-yuluq,  -gülnk  39^ 

Haar  49.o 

hai  825 

haila-  826 

haiqir-  825 

Handel  5327 

Handschuh  4428 

Äa%«^  2I2.' 


'    A.  VON  Lk  Coq  (Spr.  98  c)  hat  dafür  hnneiäk  wohl  aus  hailgi  äsäk:  vgl.  97  c  mädeiäk 
'Eselstute'  (zu   11p.  mäda  ür  Ir  Phil.  1  2  100,  Hörn  Nr.  956). 


Vom  Köktnrkischen  zum  Osmanischen. 


71 


hatda-  9j3 

hart  53i6 

Harz-  2934,  6324 

Heimchen  65i5 

Hengst  22i 

heraval  5831 

heulen  921, 1O38 

hicqir-  IO12 

h/incqir-  lOn 

Holznagel  4633 

Hom  2335 

husten   3i 

Hülle  425 

-i  <.  -äffi  4426 

-«■-  <  -u-  4326 

-/-  <  -ü-  vor  -y-  463" 

/-  543 

ial  3I30 

icäi  44« 

idägä,  -gil  44? 

tcqa-  IO19 

üür^  4342 

7rf%a  44i5 

ig-  542 

i^'r/j  1932 

igrä-  1928 

igrän-  2O5 

tTüro-,  ifyra-  22ji 

iyran-  206,  2222 

-JÄ,  -MÄ:   -ä'4  20»o 

i'Md  4427 

iÄ*M    IO25 

i'M/tA:  652S 
inöqa-,  'incqa-  IOm 
indqir-,  inrqtr-  lOi«,  ij 
inkremek  1936 


Intensiva  I627 
«n-  543 
;  iwira-  2221 
iüircaq  828 
i'^ro-  2220 
•tm-  >  -ww-  3430 
^nnart-  1331 
-i'y-,  -<Ä--  12iofF. 
■«■q'i/  iqtl  2430 
■^19  IO24 
if^da-  IO19 
iq^-  IO23 
-ir-,  -<r-   64 
irät-  I630 
»rnw/  5826 
irimdik  5231 
irimSik,  ifimA'vi  523-, 
tsaryo  583s 
wir-  IO3 
Mr-  15? 
iskä-  3327 
««/>■-  <  üsnä-  3320 
isyi'  IO36 
is^itr-  lOas 
Ucfir-,  iäqir-  102«, 
/tög'a  44.5 
üi  4333 
iflr-  157 
iRrt-  1425 
»/Mr-  4339 
lÄft/bV-  IO33 
ittür-  4339 
tyä]^!«  533J 
iyirti  1932 
*y»X  4237 
»yrd-  1929 


iijrik  1930 

^2^*7       2722 

izilda-  2721 

iryir-  1O27 

izyur-  IO26 

«Xa/a-  11 1 

jammern   921,  1I29 

Jescliaghul   6024ff. 

ßksii  1O25 

jilt  1226 

junazar  45i2 

kaG<flDat-  232 
;  Äa^/a-  22.0 

kauen  352,  4632 

-A:«-,   -q'a-   525,  "^,  IO14,  19, 
3327,  6I22,  63io,  64i5 

käcik-  12  w 

Mrfff  2530 

kädär  2632 
j  Äwp'ß-  339 

käk  338 
I  käkägi  5I25 
I  käknmä  4832 
1  M^V-  IO34 
'  käknn-  33- 
!  käkrä-  21 13 
I  ÄöAra  <  /tö"  21 15 

tonr  6610 

känrä-  21 12 

känrnn-  2131 

Ä;ap-  4933_ 

Är^r^  II37 

A;«r  4928 

kHihk-  12.3 

kUhiUk  430 

käixikla,  -lat-  14-6 


/z 


W.  B  A  N  c; : 


kign-   33io 
HGzntk  493" 
kijeu  50ii 
kikir-,  kikär-  1O34 
kilä-  =  ft'te-  49i9 
kinrä-  21  n 
kinäür-  I832 
Ä:ip-  4933 
-^«V-,  -5'iy-  64 
-kirä-,  -q'ira-  18. 4 
Kirche  423= 
kiinä-  3332 
Klette  4929 
klingen  2131,2224,232 
klingeln  23i6 
knallen  14i7 
knarren  14i2,  2220 
knistern  14i8 
Knochen  233s 
knurren   206,  2222 
kochen  34it 
Kohle   (Ruß)   51 14 
kö  51 5  5 

kögät,  köyöt  %2y 
köi-  51 13 
kölä-  52 1 
kölägri  528 
kölnhkl  5237 
kölätkä,  -ki  5238 
kölgä,  -yä  52ii 
kölögä  4438 
kölürgci  y'ili  4439 
Ärö'r  3830 


Ä-ör  (Motte)   52>6 

körngän  46? 

Ä;örs?V  3I32 
'  Ä-öriw  31 8 
:  kösägü  4620 

tosÄ//  4636 

köslöt-  5734 
'  közdöii  5734 
!  közlä-  5735 
;  M2o7  392 

közük-  I2i4 
!  közümi  5O33' 
I  krachen  14i8 

kröchzen   IOm 

krumm  54« 

Kumis  343- 
I  kufanaGan  46io 

Miß  51 38 
I  küdägü  45>7 

kühl  153. 

küiläk  52i5 

-M/  3933 
1  külä-  49i8 

küldiir  küldür  24i9 

-külnk,  -quluq  3933 

kiilpöfi  2732 

kündägä,  -gil  4613, 1 4 

künda'/ik  46. b 

-Mr-,  -ywr-  4. 

kvräkän  463 

M«  1234 

kürslä-  1234 

kürsüldä-  1235 


kvrüln-  \2y, 
kürzd  31 16 
^wsM  4636 
kiitnül  60 1 

Myr/     51.5,39 

kiizik-  12.5 

küzügii  5O26 

-/  39.,  .6, 25,  57.,  64.7 

lalyir-   8- 

Lappen  41.7 

Inrbildä-,  -pi/da-  2638 

läuten  2226,23.7 

Knircaq  829 

ÄwÄ'ür  145 

rnarär-,  maeara-  \\% 

makra-  11 8 

wiß/^  1227 

Mangelholz  39.. 

manq'ildd-  21« 

mahni-  21 5 

maqau  51 24 

maqir-  \h 

man-  21 24 

Mastix  2934,6323 

mausern   498 

meckern  lu 

megeül  6O4  (vgl.  ^-y«?«  5O1.) 

meryaul  606 

OT^«^'  540 

miauen  II3 

Metathese  4., 2«, 4024,5435 

mifäda-  11.4,14.4,26.9 

m^rhlixit-  14i5 


'    Vgl.  jetzt    közüngii    in    einem    manichäischen    Hymnus    bei   .\.  von   Le  Coq,  Tnrk. 
M.inich.  aus  Chotseho.   1112«    (AHAW  1919  Nr.  3). 


Vom  KöktiirJäscJien  zum  Osmanischen. 


7H 


mirla-  2622 

niirqäda-  11. 4, 14i4, 26» 

m'irsäda-  26ij 

mirt  11 36 

mürzilda-  26ii 

TWti^ü/  mW«/  25 1 

miäqir-  255 

mit  3O32 

miwiz  2335 

yniwh-  2333 

-;«/-  >  -mw-  4834 

-mr-  >  -r6-  5436 

Motte  51 38 

mozai  44; 

möfirä-  2O31 

WIM«    14« 

mufira-  21 1 

murin-  2637 

murmeln  23i7 

murren  14i4 

murulda-  26^7 

mütirä-  2O31 

mi/wh-  23^. 

miiwüz  2335 

naara  wur-   Sn 

Naclibar  30n 

«a7ra  0r-  539 

-«r  35i2,  363 

-«(?-  >  -^-  10.^ 

Nebenbuhler  394o 

Niere  2334 

niesen  58,  61.,  Mas,  ISm,  3334 

-ft-  :  -g-  :  -w-  2337 

-fiZ-    IO38 

hanai  45j<. 

o-   »können«   4031 

Phil.-hiat.  Mh.  1919.  Nr. 


]  -ö  <  -ayu  4426,  5O4 
!  obai  sol-  534 
j  070«  4O36 
j  oyra-  2326 
!  oyul  66. 
oyulluq  6626 

OyM7J    4O36 

oyur-  23.8 
07«r  4O38 
oyuran-  23.8 
07«As'  4O27 
Ohr  63T 

Ohrgehänge  5834 
oltur^/uö  3932 

ö»   4O29,  37 

ond  4O33 

on&mz  4O34 

ondal'ü/  431,  46.8 

09,   Ö7  4O3, 8 

oqlayu  399 

oqlawn  4920 

oqläwa  50.o 

o^ro-  2324 

omanyu  i^lzi 

osar-  15« 

osqur-  2529 

otturyuä  393. 

0207«  tow  4435 
1  o^^öy/  y«//  4433 

ÖSM  M«   4432 

-ö-  <  -(^i'-  vor  -/-  444" 

öffkät  <  öd-kä-t  5.5 

«>/  732 
;  ö^Mr-  923 

öA:  543^ 

ökiir-   9i> 
5. 


öksiir-   3. 
öksiirnk,  -äk  44, « 
öwij^'i  3940 
önägül  3937 
ön^w/  3937 
0r-  84 
ö"r  5235 
örgärim  5235 
ö.skih'-  34 
öste-   48 

ÖYrt/     56 

ö^^w/  3929 

ötür-   4.8 

öyägil  5336 

öyoÄ  5430 

öyö/«:  5432 
!  Öy/m-  >  Im-  432 
i  öywr-  >  u'r-  433 
I  öywr-  923 

öyilt-~>  rd-  432 
I  özän,  -ön  437 
I  Packsattel     828    " 
I  purqira-  I816 
i  pfirt  II37 

paSqün  Mn 
1  j)a//a-  II37 
i  pälai  4428 

;;e/j  4438 

pälMklä-  51 36 

Pelz   4I28 

Penis  532; 

päfKi  5I37 

pcipälä-  51 36 

pnpäyi    5I37 

pfeifen   10",  4,  28 

pü/ldi  4428 

10 


74 


W. Bang: 


picq'ir-   812 

p'ir,  ptr  p'ir  14i,  = 

ptiyir-,  pirq'ir-  820 

pistlda-  254 

p'iscfir-  825,  253 

pUqilda-  14i5 

pU(fir-  813,  253 

pdZdiBat-  14i6 

porda,  -ö  4733 

j5öA  4325 

j?ö7«-   42  IC. 

pözi'ik  4324 

Prothese  von //-  4i7,  5i7 

prusten  820 

prutschen  814,  is,  18, 20, 1223, 

24,    132 

pupa-  5I35 
purqura-  ISm 
pusten   8i,  I221 
pÜPÜrä,  -ö  4733 
jom/,  püflä-   722,  23 
pw/ö!-  1221 
pürgü-  133 
/jMrA-  1224 
pürkü-  13= 
pürkür-  l3i 
pürük-  1223 
//•-  816 


pütkhl  3935 
püzür-  817 
-7  3923 

-^'a-,    -Aa-  525,  26,  1O14,  19, 
4        3327,  6I22,  63io,  64i5 
qahir-qubvr  24.4 
5'OJ  34i5 
r/ai7o-  34i8 


qaino-  34i3 

qaira-  M^i 

qada-  5223 

qaday'i  53i4 

qadama  53  is 

qadafit  53i4 

qadna-  3435 

qalanr  58m 

qalhan  2732 
I  5'a?w  48io 

qamayu  553 

qamayun  559 

qamiy,  -q  554,  ■^ 

qamnayi  47i8 

qamSa-  48« 

qamuq  555 

qa?ld'ira-  23i6 

qanira-  2226 

qanqilda-  22^i 

qafira-  2224 

gag'  142 
^  gfcga   528 
i  qaqilda-  22>9 
'  qaqlat-   233 

qaqsa-  11 29 
I  qaqä'i-  11 29 
'  qayja-  11 28 

qaräci,  qaracH  < 
i  qarayol  587 
!  qaraldi  5O22 
j  qaralyi  5O24 
I  qaraqct.  -ä'i  573" 
i  qaraqol  58: 
j  qaraul  57 19 
J  qaraul-  585 

qaraulci  57=; 


qarautta-  585 
qaftpi  372 
g-rvrp  2730 
qarqilda-  14i2 
^-ör«  1232,229 
g'ars  (/«rs  1224 
qarsildaS-  1233 
g'ar^i'  31 22 
qarSqir  228 
qaSayu  393 
qa^rayu  39? 
9'a^-,  qata-,  qafi 
qataq  2814 
gfoför  g-M/Mr  24i4 
qatna-  3437 
qattani  53i3 
qawayu  4O15 
qawsur-  I82 
qayayan  3427 
qay'ir-  3421 
qay'ira-  3422 
qaza-fi  477 
g'i&ir  g'a6ür  24i5 
giiJ^a  soZ-  537 
-gü/  3936 
qüayu  44ii 
qäayuz  582. 
-/oi'  50.3    1  g-«:/««   45? 

qilaula-  45 1 

I  giiÄc  453 

!  cßtyan,  -qan  45? 

i  gü?/  II37 

I  9*«^-,  -2ii-  IO37, 38 
g'tjwr  5'jjnr  24i3 
5'fg'a^s  1925 
-^r-,  -fer-  64 


53>. 


Vom  Köktürklsclu^a  zürn  OsinaniscJii'n. 


75 


•qira-,  -kird-  18i4,2Öii 
q'irayu  38i6 
qim/a-  65» 
qiryaul  642« 

(/iryu  (qaryu)  383^ 
qifilda-  26js 
(firla-  26»4 
(/m/i-  65» 
q'itaqla-  14i6, 28i} 
qttla-  2813 
qÜqilda-  2813 
q'ii/ira-  34^6 
qobur-  41« 
707MÄ  32 11 
qolpur-  2733 
qonalya,  -yu  50m,  -5 
qonra-  2Z*,  lo 
qoArayu-  5O5 
qofist-  IO37 
^o/i^i'  30i5 
qorjira-  I820, 263« 
yor/a-  18«.,  2630 
qarpulda-  2632 
qorqUda-  14ij,  18«,  26j8 
qorqul-  2629 
qorqulda-  14ij,  18",  26^9 
qorquru-  18>9, 26>8 
qorsuldu-  2630 
qosülm-  3O19 
qosulusü  3O3'' 
90^/  3O3» 
yoina  31  j 
^o^i'  30>9 
90^-  3029 
^o^/>  3O36 


qotqulda-   28.4 

yowi  32ii 
I  qowar  41 8 
I  qotmUI  32-2 
'  ^-oio  3O33 

Qual  54.4 

Quark  523° 

quhur-  41 8 
.  quloyu~   5822 

qulpur-  2733 

yzf^'    142 

9'Mr  3830 

-^^M/'-,   -Ä"/«"-    4i 

quryulda-  273 

qurqula-  21^ 

qurqulda-  27» 

qurs^llat-  274 

qurSun  49? 

qurulda-  27. 
,  quwar-  41» 
;  y«yö  52»7 

-r  3923 
j  -ra-  2323 
j  Raspel  47? 

Raubzug  598 

Räuber  573« 

Reif  38.6 

Rohrdommel  2236,244 

Rollholz  39.. 

röcheln  8.3,  I8.9,  253 

rufen   II5 

rund  49. 

Ruß  (Kohle)  51.4 

rülpsen  1O33 

-«  <  -^  29i8 

Sack  4I34 


;  saycru  5I22 
j  sayir  23.5 
j  sayir  .nyi?-  244 
'  sayriyu  24. 

sd7rö  243 
I  Saksaul  63.= 
I  sal-,  sola-  3736 

sanc-  10.7 

so/)fo  2934 

sanra-  21.« 

sanrayu  242 

sanrau  242 

suqay'i  51 2. 

.s«</aM  51 2. 

s«yir  .sa^iir  24.7 

Äoz/ij  2934,  6323 

«ay«  5I23 

sar  145,  35.8 

saryü  2432 
,  .sann  35.8 

sartna-  35.8 

samu-  35i8 
:  Saxaul  63.2 
I  saroM  4624 
I  sacayan  472. 
]  sd^ö  51 20 
'  säksäül  63.2 

seÄpiV  4O23 
I  säpkil  4O24 
I  «arm  153° 
I  särindsiz  4O34 
I  särägi'm  153-' 
I  särügün  153. 
I  seufzen   48 
;  säugen  133. 

snürün  sal-   638 
10* 


76 


W.  B  A  \'  c. : 


Schaman  48ii 
scharf  4328 
Schatten  526 
scheren  656 
Schighaul  623= 
schlagen,  zerschlagen  lOi 5 
schleifen  3421,  43i8,  44.9 
Schleifstein  3424,  43i8,  44i8, 

6527 
Schleim   4i9 
schluchzen  lOn,  12,  198 
Schluckauf  lOn,  23 
schnarchen  10ii,14ii,  12,  14, 

I820 
schattern  2224,  283 
schnauben   815,  253,  2s 
schnaufen   813,  263 
Schneide  44ii 
Schnupfen   3334,  343^ 
schön  295 
schreien   825,  26,  92,  26,  1I5, 

18.6 

schwanken  IO38 

schwärzen  52i 

schwatzen  1O41 

Schwätzer  19i3 

Schwiegersohn  4527,  463 

Schüreisen  4636 

-««-  IO37 

sty'ir-  1O4 

s'iy'irctq  IO7,  s,  30 

sty'ir  tq't  106 

■stlq  11 20 

smdar-  232 1 

s'üidraq  2321 

sinra-  2320 


sinrä-  22ic, 

sipMl  4O24 

stq'ir-,  siqqir-  10« 

«^•70  5836 

sirtq  <  *xiyr/'iq  1O5 

s'irit-  1041 

sisla-  1O3 

s'izyir-   lOi 

Sodbrennen   4624 

Sommersprossen  4O24, 5436 

Soimtag  4236 

soqran-  I824 

sörm  1531 

sötöl  5; 

sözäül  61 8 

spalten  5733 

Specht  65.4 

Speichel   4.« 

speien  74  (s.  s])ucken) 

Spiegel  5O25 

spritzen   1224 

spucken   52,  7?,  133 

Star  lOs 

stechen  10. 7 

Steigbügel  4739 

Stotterer  5I25 

stöhnen  IO37 

Striegel  393 

sualßi  5O20 

suyalyi  5O20 

sunas  3334 

suqra-  I827 

sur-  472. 

.mmq  15.9 

sili^kiir-   6.7 

sümiir-  2339 


süMk  2334 

sünür-  2339 

sür-,  sürä-  61 .9 

*mräül  6I18 

sürgä-  61 22 

snryänl  61 22 

sürkä-  61 22 

svrh'iül  61 2  2 

mr&n  61 20 

-i  3923 

-kl-,  -M-  43-,  IO40,  2425, 3O4, 
488 

Sabül,  -&ü  5923 

Sayaul  6233 
!  äayawal  623. 
i  Savarixit-  14i8 

iald'ir  Sald'ir  24.» 

Salptlda-  2633 

iandaru-,  -d'ira-  242; 
,  A^amr  ^/wr  24.6 

äaftra-  2425 
j  Sanza-  2425 
!  Sffjtwr  ^a/>ir  24.6 
I  iajtwr  sopur  24.6 
I  ia^',  iar/  ^r/y  144 
i  iar,  iar  so/-  19^ 

Sartl  sariil  193 

äartldii-  193 

^or/o-  195,27.6 

Sarqilda-  \% 

Sarqura-  19. 

Ä/r/  II35.27.4 

iart'ila-  27.4 
'  Martin-  14.7,27.5 

,iatmia-   14.7,  27.7 

aVA"  <  «'öA*  44.0 


Vom  Köktnrkisclien  zum  Osmani^chen. 


ä'igctir  iagdHr  24= 
S'igdnit-  24m 
äiyaul  6231 
Simir-  li 
sinM-  11j9 
Siralya  50i9 
sirilda-  19i8,  28io 
i'ii-lu-   19i5,28.c. 
^irq'i/da-  19i7 
äirq'ira-  19io,  15 
itrt  Ihs 

iirfilda-  1237,28.. 
Solp  2730 
äamprt  55. » 
iülda-  26.3 
i«//  26.  j 
-^M/-   17. 
fayar  4l3^ 
ta/j?  2730 
tamr  tunur  24.. 
tapSur  17^3 
taq-ta(j  65.« 
toyir  ^M/'  24.. 
tory  11 18 

tors  1237,22.0,27; 
^?m7  27» 
tarsäa-  27« 
tartfüda-  27io 
tariälduq  27io 
tars'ildat-  1237 
tarda-  22..,  27* 
turslaq   27.» 
to/-.v   22..,  27.. 
tarilu-  22..,27i. 
/f<^Ä/-   22m 
tataul  61 J9 


taub  23.3,  2435 
Taube  IO30 
tayan-  4631 
Mfc  2920 
Wte-  3O5 
faM  29.7 
täkSin  30>, 
tämiräyi  542. 

tö«t^  29^7,30. 
W?Wa-  30; 
tö/ß  51 34 
tätäyi,  -iyi  51 33 
m;?  49.9 
Hgdnäk  49^9 
^<A»p  453- 
ß/o,  -ö  4734 
A'mau  343' 
/fp-  49j3 
/iV/ir  ftV/i/*  24. i 
t'iqs'ir-  6^3 
firbilda-  2637 
f/nV  //ri/  243.,  27; 
tirilda-  2729 
tirpild('i-  263; 
firp'Üda-  2637 
/Urs  27.3 
ttrsddu-  21  li 
tirsla-  27  w 
ßsg'ir-  6j. 
ft'ft-:  2933 
%Gn-  46  ji 
fodera  55.3 
toyalaq  49  ^ 
töglaq  49. 
tnyolnqtn-   494 


/o^-,  *to/ö-   49=4 

/o/öi  4923 

töloqlo-   495 

/ö/og  493 
I  totor  2535 
i  tomdo-  64= 

tonanyu  47=3 

tofnrtqa  65.4 
I  tonquldaij  65n 
i  tonrayu  504. 
I  toqsatoul  64.  s 

/oy/ö-   643 

toqtayul  6333 

toqtaul  63ij 

toquldaq  65.4 

tosqaul  64.8 

totqaul  6332 

/06a-   5736 

toftr/«  5736 

Trank  15.9 

Traubenkirsche  5437 

tsingil  tsingil  25. 

Tschapao  59=7 

t'S^riklü-  284 

tuqtuul  64.4 

tiimlyü   50.6 

Turpan   (Rostgans)  223 

/M.S-  642  j 

tuktndzU  47 14 

/«iay  47.4 

tuSqur-  6.9 

*tutqa-   64.5 

tutqaul  6329,  642f, 

tückür-   6.. 

//</■  7.3 

fe/Zri-    7.4 


78 


W. Bang 


tüfilrcnlt,  -dük  7i5,  -6 

tüg  49io 

tügür-  7ii 

tüi  49io 

tiikür-  78 

tülä-  498 

tiiläi  4922 

tüpkiir-   7? 

tnpür-  1x2 

tür  1329 

^wrs  122R 

-M  <  -«7«  5O4 

-u-  >  -i-  4326 

-M-  <  -uzu-  4323 

t^iwr,  vduru  32i 

-<*m-  <  -iVn-  3430 

ufi  667 

wsa^'  15i9 

wtoX  15i8 

-ü-  >  -j-  vor  -y-  4630 

übergeben  1723 

y/ter-   734 

Ü6äi  44« 

üöügä  4O14 

M^i>-  <  ö^«/'-    924 

///  729 

üfür-  723 

%wr-  81 

Tik  5432' 

M^V-  <  öAvVr-  924 

ün-  <  öyün-  432 

M  435 

Mnte'  5336 

Sf-  <  öyür-  433 

ör-  <  ügi(/r-   81 

«?•-   82 


/in<-  810 
iis  33i4,  4738 
wseÄ  <  üksäk  434 

MSZ^^    4i3 

üsnä-  33.3 
5«W-  524 
Mswr-  4i5 
ums  <  ö^«w2  434 
üSän-  436 

M^«i!-     436 

5^  <  öyüt-  432 
wy«^,  //^ö/-  5335,  5432 
üyänü  5335 

«2^    (ÜZ' boZ)    33r8 

üzängü  4825 
M2^i?r-  4i4 
?72g'<  4737 

7<^^M(J    4737 

üznä-  33i8 

rar-  84 

verbrennen,  brennen  SIm 

Visier  57i9,  29 

voll  2534 

Vorhut,    Vorposten    58jo 

-w-  :  -ü-  :  -g-  233? 

Wache  57.9,  27,  6O4 

wai  1923 

Wallgraben   5233 

Walze  399 
i  wäqra-  1924 
\  wechseln  1729 
i  weg  2530 
:  wehklagen  ih» 
I  weinen   921,  IO12,  I824 

wetzen  45i,  10 


Wetzstein    669    (Schleif- 
stein) 

widerhallen  2l3< 

widersprechen  33i3 
I  wiehern  21«i,  .6,  2324,  3332 
I  wimmern    928,  1O13,  37,  3«, 
i       lh9, 199,  2I17,  22i2,  ., 
I  Windel  41io 
j  in  Windeln  wickeln  42.o 

winseln  8»,  IO38, 40,  II3",  23,4 
'  wiril  imril  24»« 
'  mz'dda-  4228 

w'izla-  4228 
■  Wolf  228 

Wolle  (rohe)  5O35 

VMT-    533 

yabayu  5O35 
yana-,  yani-  45io,  u 
yanai  45i2 
yanaS  3O24 
yanr-  IO15 
yanäa-  1O41 
yanra-  2I32 
yapay't  5O37 
yapalaq  37i4 
yapi'ir-  l7is 
yaqS'i  293 
yor-,  yMn/-   3734 
yarai  299 
yärma  3734 
yarg  1I17, 2. 
yarqanat  3722 
yasuqdi  582,  61« 
yasaul  6O33 
yaii'n  3521 
yavlov  43i5 


Vom  Kökti'irkischen  ~vm  Otimanischfn. 


79 


yazal  39i6 

y(igi=^yndi  »sieben« 
ynMärlügnn  4^8 
yähtnrlü  4^6 
ynldir-  5936 
yäldihhr  5935 
yäpsal  39'8 
ytrindi  Zln 
yätknr  4ii 
yntkil  3935 
y«^  4234 
yj:/<  12^5 
//ir«/-   163r 
yirmi  49? 
y/%  4336 
yizü  27j3 
yorfro  55 13 
yoluq-  12i6 
yofiäur-  183» 
yo;•^  59>« 
yortayul  59« 


1  yödö-   5j3 
4936  .  yörf«/  05 

yödiildä-  5« 

yödür-  5i 

yörgö-  41 13 
;  yöYo7,  yö/ff/-   63 

yötki'rr-  <  öT  4ig 

yötkür-   5j 

ytiÄa  41 J5 

yttfor  39ift 

yvmurt  55 10 

yurtül  59i2 

yi/n,  yw«  >  w«  43« 

yünlä-  49.7 

yürgö  41 10 

yürümmk  523- 

ynriit-  154<' 

yürüttür-  162« 

yw/o7  53 


yiitkür-   4» 


-^  >  -Ä  2O19 

^a6?i  5O39 

Zange  63« 

2:*n/-  2737 

ztfildd-  2737 

^jrfe-  2737 

zischen  10^,  «« 

^ÖY(?7  55 

Zunder  40  n 

zusammenlegen  18j,  39 

zusammen  mit  303» 

Zügel  39^6 

Zylinder  399 

-/ßrddat-  \^^^ 

"/jirldt-,  %arlattar-  14ij 

%3^^  459 

yßrulda-  273? 

XMra/  583 

yjandda-  273= 

%Mf<?  324 


Berlin,  gedruckt  in  der  Reichsdruciicrei. 


ABHANDLUNGEN 

DER  PREUSSISCHEN 

AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

JAHRGANG    11)1<) 
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE  KLASSE 


Nr- 6 

AUS  DER  ERSTEN  ZEIT 
DES  GROSSEN  ABENDLÄNDISCHEN  SCHISMAS 

VON 

H.  IJRESSLAU 

IN  HAMBURG 


MIT  1  TAFEL 


BERLIN   1919 

VERLAG  DKR  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

IN  KOMMISSION  BKI  DER 
VEREINIGUNG  WISSENSCHArrLICIlER  VERLEGE«  WALTER  DE  GRUYTER  V.  CO. 

VORMALS  O.  J.  (iÖSI'HEN'SrHF  VERLAUSIIANDLI'NO.     J.  UUTTENTAG.  VEBLAGSBUCHHANDLUNfi. 
KEORG  RKIMER.     KARL  J.  TROBNER.     VEIT  V.  COMP. 


Vorgelegt  in  der  Gesaiatsitzung  am  5.  Juni  1919. 
Zum  Druck  eingereicht  am  gleichen  Tage,  ausgegeben  am  25.  August  1919. 


V  on  der  ungeheueren  Masse  von  Geschäftspapieren,  Briefen,  Protokollen, 
Urkundenkonzepten,  Petitionen  und  Eingaben,  Klage-  und  Verteidigungs- 
schriften, Rechnungen  und  Akten  aller  Art,  die  sich  in  der  Zeit  des  großen 
abendländischen  Schismas  zu  Avignon  in  den  Bureaus  der  päpstlichen  Be- 
hörden und  den  Wohnungen  der  Kardinäle  angesammelt  haben  muß,  ist  nur 
ein  sehr  kleiner  Teil  auf  uns  gekommen.  Nur  die  wichtigsten  Archivalien  der 
päpstlichen  Kanzlei  imd  Kammer  sind  im  Laufe  von  mehr  als  drei  Jahrhun- 
f  derten,  in  der  Zeit  von  141 8  bis  1784,  von  Avignon  nach  Rom  gebracht 
worden  und  uns  dort  erhalten  geblieben ;  die  große  Masse  der  Akten  der 
eigentlichen  Verwaltung,  zumal  der  Papiere,  welche  keine  dauernde,  sondern 
nur  eine  vorübergehende  Bedeutung  hatten,  ist  zum  Teil  wohl  schon  während 
der  Wirren  in  der  letzten  Zeit  des  großen  Schismas,  zum  Teil  in  späteren  Jahr- 
hunderten, als  Avignon  nur  noch  die  Residenz  päpstlicher  Legaten  und  Statt- 
halter war,  unrettbar  verschleudert,  vernichtet  und  verloren  worden. 

Da  ist  es  denn  ein  überaus  glücklicher  Zufall,  daß  ein  freilich  nur  ge- 
ringer, aber  dennoch  höchst  wertvoller  Teil  dieser  Akten  in  neuester  Zeit 
in  unerwarteter  Weise  wieder  zutage  gekommen  ist.  Sie  waren  in  die 
Hände  von  Buchbindern  gekommen,  die  aus  ihrem  starken  Papier  durch 
Zusammenleimen  Pappeinbände  von  Handschriften  herstellten;  zwei  solche 
Handschriften  sind  neuerdings  aufgefunden,  und  durch  sorgfältige  Auflösung 
dieser  Einbanddeckel  sind  die  ursprünglichen  Bestandteile  der  Pappe,  freilich 
nicht  in  ganz  unversehrter  Gestalt,  wiederhergestellt  worden. 

Die  eine  der  beiden  Handschriften  befindet  sich  in  der  Stadtbibliothek 
zu  Reims;  sie  bildete  den  Einbanddeckel  des  Cod.  688  dieser  Bibliothek; 
Henri  Loriquet,  der  den  Katalog  der  Reimser  Handschriften '  verfaßt  hat, 
hat  diesen  Einband  in  seine  Bestandteile  aufgelöst  imd  aus  ihnen,  die 
er    nach    sehr    äußerlicher     Anordnung    zusammengestellt    hat,    die    neue 


Bd.  39  des  Catalogue  gi-iieral  des  manuscrits  des  bibliotheques  piibliiiucs  de  France. 


4  Br esslau: 

Handschrift  n.  775  gebildet.  Über  ihren  Inhalt  hat  U.  Bekliere  in  der 
Revue  Benedictine  24,  456flF.,  25,  19 ff.  ausführlich  gehandelt.  Aber  sein  Be- 
richt über  die  149  Blätter,  aus  denen  die  neue  Handschrift  besteht,  ist 
nicht  frei  von  mancherlei  Irrtümern  und  Mißverständnissen,  und  seine  Wieder- 
gabe der  zum  Teil  für  die  Lehre  von  den  Papsturkunden  sehr  wichtigen  Texte 
ist  so  wenig  erschöpfend,  daß  eine  neue  Edition  ein  dringendes  Bedürfnis  ist. 
Die  zweite  Sammlung  solcher  Stücke,  auf  die  schon  Bekliere  in  einer 
Anmerkung  zu  seiner  Abhandlung  in  dankenswerter  Weise  aufmerksam  ge- 
macht hat',  befand  sich  in  der  Stadtbibliothek  zu  Carpentras;  Herr  Lia- 
BASTKES,  ehemals  Vorsteher  dieser  Büchersammlung,  hat  den  Einbanddeckel, 
aus  dem  er  sie  abgelöst  hat  und  der  schon  lange  von  der  Handschrift, 
die  er  einst  umschlossen  hat,  abgerissen  war,  auf  dem  Boden  einer  Kiste 
mit  wertlosen  Papieren,  die  zur  Vernichtung  bestimmt  waren,  aufgefunden 
und  ihn  durch  sorgsame  Behandlung  mit  lauwarmem  Wasser  in  seine  Be- 
standteile aufgelöst.  Er  hat  dann  in  einer  außerhalb  Frankreichs  wenig 
bekannten  Zeitschrift,  den  in  Aix-en-Provence  erscheinenden  Annales  de  la 
societe  d'etudes  proven<;aIes  i,  168 ff.  von  seinem  Funde  Mitteilung  gemacht 
und  sechs  der  Blätter,  die  am  besten  erhalten  und  am  sichersten  lesbar 
waren,  veröffentlicht".  Demnächst  hat  er  seinen  Fund,  der  89,  also  nicht 
ganz  so  viele  Blätter  wie  die  Reimser  Handschrift  zählt,  an  die  Pariser 
Nationalbibliothek  geschickt,  wo  er  gegenwärtig  als  Cod.  n.  1887  der  Ab- 
teilung Nouvelles  acquisitions  latines  aufbewahrt  wird'.     Ob  aber  auf  diese 

1    A.a.O.  25,47  N.  3. 

'  Es  sind  i.  ein  Brief  des  Infanten  Johann  von  Aragon  an  Clemens  VII.  (1382),  2.  ein 
Brief   Margaretens    von    Burgund,    Flandern    und   Artois    an    den    Kaidinal    von    Embmn, 

3.  ein  Bericht  des  Inquisitors   über  die  Vollstreckung   des  Urteils   gegen   einige  Waldenser, 

4.  eine  Rechnung   über  die  Ausgaben    für  ein   dem  Amadeas   von  Saluzzo  gegebenes  Gast- 
mahl, 5.  ein  Brief  des  Captal  de  Buch,  6.  ein  Brief  Bureaus  de  la  Riviere. 

^  Vgl.  Omont,  Bibliotheque  de  Tecol.'  des  chartes  66.  22.  Während  Liabastres  von 
einer  'Decouverte  de  pieces  manuscrites  du  XIV«  siede  provenant  de  rarcheveche  d'Embrun' 
sprach,  weil  ein  Teil  der  Blätter,  aber  keineswegs  auch  nur  die  Mehrzahl,  mit  der  Person 
des  Kardinals  von  Embrun,  Pierre  II.  d'Ameilh,  irgendwie  im  Zusammenhange  steht,  be- 
zeichnet sie  Omont  als  'Recueil  de  lettres,  suppliques  etc.,  provenant  de  la  chaneellerie  ponti- 
ficale  d'Avignon'.  Diese  Bezeichnung  tiirt't  in  der  Tat  für  einen  größeren  Teil  der  Blätter  zu. 
aber  auch  sie  gilt  keineswegs  für  alle.  Der  Buchbinder,  der  den  Deckel  der  Hs.  von 
Cai-pentras  hergestellt  hat,  hat  ebenso  wie  der,  von  dem  der  Reimser  Einband  verfertigt  ist, 
Papierblätter  der  verschiedensten  Art.  auch  Privat-  und  Kaufmannsbriefe,  die  gar  nicht  aus 
den  Akten  der  päpstlichen  Verwaltungsbehörden  oder  aus  dem  Besitz  von  päpstlichen 
Beamten  stammten,  zusammengeklebt. 


Atui  der  ersten  Zeit  des  großen  abendländischen  Schismas.  5 

Weise  alle  Blätter,  die  Liabastres  von  seinen  Einbanddeckeln  abgelöst  hat, 
nach  Paris  gekommen  sind,  ist  nicht  sicher  zu  sagen.  Henri  Omont  war, 
als  ich  mich  in  Paris  mit  ihm  darüber  unterhielt,  der  Meinung,  daß 
in  Carpentras  noch  weitere  Stücke  zu  finden  sein  würden.  Ich  habe  mir 
dann  bei  einem  Besuch  in  Carpentras  darüber  Gewißheit  zu  verschaffen  ge- 
sucht, aber  damals  war  die  Bibliothek  ohne  Leiter,  und  der  Diener,  den 
ich  befragte,  konnte  mir  ebensowenig  Aufschluß  geben  wie  der  auch  be- 
reits in  den  Ruhestand  getretene  Nachfolger  des  Herrn  Liabastres,  den  ich 
später  in  Avignon  kennen  lernte  und  der  von  dem  ganzen  Funde  keine 
Kenntnis  hatte.  So  muß  denn  die  Aufklärung  dieses  Zweifels  einer  späteren 
Zeit  vorbehalten  bleiben. 

Ich  habe  durch  Omonts  Güte,  dem  ich  dafür  verbindlichsten  Dank  schulde, 
sowohl  die  Reimser  wie  die  Handschrift  von  Carpentras-Paris  längere  Zeit 
in  Straßburg  in  aller  Muße  benutzen  können'  imd  manche  Ergebnisse  ihrer 
Untersuchung  im  zweiten  Band  der  neuen  Auflage  meines  Handbuches  der 
Urkundenlehre  bereits  verwertet.  Ich  beabsichtige,  sobald  ich  die  Zeit  da- 
zu finde,  in  den  Schriften  der  Straßburger  Wissenschaftlichen  Gesellschaft 
Stücke  beider  Handschriften,  die  unmittelbar  mit  der  päpstlichen  Kanzlei 
zusammenhängen  und  für  die  Papstdiplomatik  von  Interesse  sind,  zu  ver- 
öffentlichen. Von  ihnen  sondere  ich  aber,  um  sie  hier  abzudrucken  und 
zu  erläutern,  eine  kleine  Anzahl  von  Stücken  ab,  die  nicht  sowohl  für  die 
Urkundenlehre  als  vielmehr  für  die  politische  und  für  die  Kirchengeschichte 
von  Interesse  sind.  Sie  sind,  soviel  ich  weiß,  sämtlich  bisher  ganz  unbe- 
kannt und  ihrem  Inhalt  und  ihrer  Bedeutung  nach  sehr  verschieden ;  eines 
von  ihnen  ist  von  höchster  Merkwürdigkeit  und  entbehrt  jedes  Seitenstückes 
unter  den  Quellen  für  die  Geschichte  der  ersten  Zeit  des  großen  Schismas; 
ich  setze  es  an  die  letzte  Stelle  und  gebe  einen  Lichtdruck  davon  dieser 
Mitteilung  bei^. 


'  Bei  der  oft  recht  schwierigen  F^ntzifferung  der  stark  beschädigten  Papiere  hat  mir 
mein  Freund  und  Kollege  Archivdirektor  l'rof.  Kaiser  vielfach  Unterstützung  zuteil  werden 
lassen,  wofür  ich  ihm  zu  besonderem  Danke  verbunden  bin. 

'  Andern  Ursprungs  als  die  hier  benutzten  sind  die  Papiere  aus  dem  Nachlaß  des 
Kardinals  Pierre  Gerard,  welche  auf  einem  der  Familie  des  Kardinals  gehörenden  Schlosse 
sioh  bis  auf  unsere  Zeit  erhalten  haben,  dann  von  einem  Herrn  William  Poidebard  er- 
worben und  neuerdings  von  N.  Vai.ois.  La  France  et  le  grand  schisme  d'Occident  II,  439ff. 
besprochen  sind. 


B 


R  E  S  S  h  A  l' 


I. 

Reverendissime  pater  et  domlne!  Per  ea,  que  avidivi,  estimo,  quod 
dieta  cleri  Flandrie  noii  tenebitur  die  prefixa  [et  ideo]  ....  adhuc  expectent 
hie.  Dominus  Burgundie  infra  tres  dies  debct  esse  cum  domino  rege.  Am- 
bassiator  [regis  R.]  ....  dieta  prefixa"  cum  Anglicis,   prout  firmiter  tenetur, 

hie  tenebitur,  quia  Anglici  nichil  in  contrarium  man[daverunt.    Ab] 

Odinetum,  quem  dominus  Burgundie  mittit  ad  dominum  nostrum  et  domi- 
num Biturieensem.    Vestre  reverende  p[aternitati]'' omnipotens  feli- 

eiter  et  votive. 

Scriptum  Parisius  XIII.  Maii. 

Adresse:  Reverendissimo  in  Christo  patri  et  domino  meo  confiden- 
tissimo,  domino  cardinali  Ebredunensi. 

»    dahinter  confix  getilgt.         ''    oder  patemitatis. 

Diesem  kurzen  Briefe,  f.  19  der  Pariser  Handschrift,  ist  darin  eine 
Transkription  Manteyers  beigelegt,  der  noch  einige  Buchstaben  mehr  ge- 
lesen hat,  als  zur  Zeit,  da  ich  die  Handschrift  sah,  lesbar  waren.  Diese  Buch- 
staben sind,  soweit  ich  sie  wiedergebe,  oben  in  eckige  Klammern  einge- 
schlossen. Der  Brief,  dessen  Absender  nicht  bekannt  ist,  ist  am  1 3.  Mai  1379 
geschrieben;  das  Jahr  läßt  sich  aus  dem  Itinerar  des  Herzogs  von  Burgund 
sicher  bestimmen;  Philipp  der  Kühne,  dessen  Ankunft  in  Paris  binnen  drei 
Tagen  erwartet  wurde,  war  in  der  Tat  am  1 5 .  Mai  1379  auf  dem  Wege 
dahin,  traf  am  17.  in  Paris  ein  und  blieb  daselbst  bei  dem  Könige  Karl  V. 
bis  zum  29.  Mai'.  Auch  Bertrand  de  Chanac,  Erzbischof  von  Bourges,  der 
in  unserem  Briefe  genannt  wird,  war  um  dieselbe  Zeit  in  der  Umgebung 
des  Königs".  Demnach  muß  die  von  dem  Grafen  Ludwig  von  Flandern  ein- 
berufene Versammlung  des  flämischen  Klerus,  die  in  unserem  Briefe  als 
noch  bevorstehend  erwähnt  wird  und  auf  der  beschlossen  wurde,  Informa- 
tionen über  die  streitige  Papstwahl  einzuholen  und  zu  diesem  Zwecke  Boten 
nach   auswärtigen    Universitäten,    insbesondere   nach  Bologna,    zu  senden', 


'    p].  E^ETiT,  Itineraires  de  Pliilippe  le  HardI  et  de  Jean  sans  Peur,  ducs  de  Boui^ogne 
(Paris   1888)  S.  144  f. 

^    Valois  I,  132.  N.  5. 

'    Vgl.   Rodulfus  de  Rivo,  ed.  Cbapeaville,  Gesta  epp.  Tung.eus.  111.  32. 


Aus  der  ersten  Zeit  des  großen  abendländischen  Schisinas.  7 

später  stattgefunden  haben,  als  Valois  meint,  der  sie  schon  in  den  März  1379 
setzen  wollte'. 


II. 

Reverendissime  pater  et  domine  mi!  Paternitati  vestre  reverendissime 
presenti  pagina  notum  fiat,  quod  reverendissimi  domini  mei  Albanensis, 
Vivariensis,  sancti  Angeli  cardinales  et  ego  hie  cum  aliis  dominis  cardinalibus 
sumus,  cum  quibus  super  hiis,  pro  quibus  venimus,  consilia  et  coUoquia 
habuimus  diversa.  In  quorum  conclusione  in  terminis  remansimus  satis 
bonis,  non  tamen  talibus,  sicut  remansisse  veUemus.  Et  quia  certus  sum, 
quod  hinc  breviter  discedemus  versus  curiam  profecturi,  egoque  omnia,  in 
quibus  remansimus  invicem,  vestre  paternitati  predicte  explicabo  lacius 
oraculo  vive  vocis,  non  curo  aures  paternitatis  eiusdem  mea  scriptura  gravare. 
Preterea  aliqua  sanctissimo  domino  nostro  scribo  pro[pria  m]anu  mea,  que, 
quia  certus  sum,  quod  omnia  communicabit  vobisciun,  hie  inculcare  omisi, 
alia  non  scribens,  sed  eandem  paternitatem  reverendissimam  conservare 
dignetur  sator  totius  orbis  terre.  Que  mihi  rescribere  dignetur  omnia  sibi 
grata. 

Scriptum  Nicie  die  ultimo  Octobris.  Totus  vester  P.  sancti  Eustacii 

diaconus  cardinalis. 

Adresse:  Reverendissimo  domino  meo  domino  cardinali  Ebredunensi. 

Dieser  Brief,  Blatt  1 1  der  Pariser  Handschrift,  ist  von  der  Hand  eines 
Schreibers  geschrieben;  das  Wort  "ultimo'  in  der  Datierung  und  die  Unter- 
schrift oder  wenigstens  ein  Teil  derselben,  vielleicht  nur  die  Worte  'vester 
P.',  sind  mit  anderer  Tinte  eigenhändig  von  dem  Absender  nachgetragen. 
Der  Absender  ist  der  Kardinal  Petrus  Flandrini  (gestorben  23.  Januar  1381), 
der  Adressat  ist  der  Erzbischof  Petrus  Amelii  von  Embrun,  den  der  Papst 
Clemens  VII.  am  16.  Dezember  1378  noch  in  Fondi,  wo  er  von  den  fran- 
zösischen Kardinälen  am  20.  September  gegen  Urban  VI.  erwählt  worden 
war,  zum  Kardinalpriester  von  S.  Marco  ernannt  hatte.  Der  Brief  ist  am 
31.  Oktober  1380   in  Nizza   geschrieben,    wohin   sich   die   beiden   einzigen 


'  Valots  I,  258.  In  der  von  ihm  N.  3.  4  angeführten,  undatierten  Appellation  muß 
also  die  Angabe,  daß  seit  dem  Tode  Gregors  XI.  noch  nicht  ein  Jahr  verflossen  sei,  un- 
genau sein. 


8  Bresslau: 

noch  überlebenden'  italienischen  Kardinäle,  Petrus  Corsini,  Kardinalbischof 
von  Porto  (genannt  der  Kardinal  von  Florenz)  und  Simon  von  Brossano, 
Kardinalpriester  von  S.  Johannes  und  Paulus  (genannt  der  Kardinal  von 
Mailand),  begeben  hatten.  Sie  waren  bei  der  Wahl  Clemens'  VII.  anwesend, 
hatten  an  ihr  aber  nicht  teilgenommen  und  beobachteten  später  zwischen 
den  beiden  einander  bekämpfenden  Päpsten  eine  Zeitlang  eine  neutrale 
Haltung,  wurden  aber  von  beiden  Parteien  lebhaft  umworben'.  Zu  ihnen 
sandte  Clemens  VII.  im  Herbste  1380  außer  dem  Absender  unseres  Briefes 
die  drei  in  ihm  genannten  Kardinäle  Anglicus  Grimoaldi,  Bischof  von  Albano, 
Petrus  de  Sortenaco,  Presbyter  von  S.  Laurentius  in  Lucina  (genannt  der 
Kardinal  von  Viviers),  und  Guilelmus  Noellet,  Diakon  von  S.  Angelo,  um 
über  den  Anschluß  der  Italiener  an  die  französische  Partei  zu  verhandeln. 
Über  den  Verlauf  der  Verhandlungen  ist  unser  Brief  das  älteste  Zeugnis; 
er  ergibt,  daß  die  avignonesischen  Gesandten  ihren  Zweck  nicht  erreicht 
hatten  und  zur  Abreise  entschlossen  waren.  Sie  haben  dann  am  17.  No- 
vember aus  den  Händen  der  Italiener  deren  bekannte  Denkschrift  über  die 
Wahl  Urbans  VI.  entgegengenommen^;  wann  sie  Nizza  verlassen  haben, 
wissen  wir  nicht;  einer  von  ihnen,  der  Kardinal  von  S.  Angelo,  war  dort 
noch  am  26.  August  1381  anwesend,  als  der  Kardinal  von  Mailand  sich 
endlich,  am  Tage  vor  seinem  Tode,  entschloß,  die  Verwerfung  Urbans  und 
die  Anerkennung  Clemens'  feierlich  zu  erklären*.  Schließlich  folgte,'  vor 
dem  Mai  1386,  auch  der  Kardinal  von  Florenz  dem  Beispiel  seines  Kollegen 
und  trat  zur  avignonesischen  Partei  über. 


'  Von  den  beiden  anderen  Italienern,  die  Urban  VI.  mitgewählt  hatten,  war  Franciscus 
Tibaldeschi,  Kardinalpriesler  von  S.  Sabina  (genannt  der  Kardinal  von  S.  Petrus),  bis  an  seinen 
Tod  (6.  Sept.  1378)  in  der  Obedienz  Urbans  geblieben;  Jacobus  Orsini,  Kardinaldiakon  voi) 
S.  Georgias  ad  velum  aureiim,  war  in  Fondi  bei  der  Wahl  Clemens  VII.  anwesend  ge- 
wesen, aber  ohne  aus  der  Neutralität  herauszutreten  am  13.  oder  14.  Aug.  1379  gestorben; 
sein  letzter  Akt  war  ein  Glaubensbekenntnis  zugunsten  des  Papstes,  den  ein  zukünftiges 
Konzil  anerkennen  würde  (vgl.  Valois,  La  France  et  le  grand  schisme  d'Occident  1,321 
mit  N.  5). 

■■'  Über  die  Verhandlungen  Karls  V.  von  Frankreich  und  Clemens"  VII.  mit  ihnen  vgl. 
Vai.ois  I,  32ift'.,   II.  361. 

'  Vgl.  das  Protokoll  über  seine  Übergabe  bei  Gayet,  Le  grand  schisme  d'Occident 
IIb,  21. 

*    Bulaeus,  Hist.  universitatis  Parisiensis  IV,  586:   vgl.  Vai.ois  a.  a.  O.  II,  361  mit  N.  i.  2. 


Alts  der  ersten  Zeit  des  großen  aliendlündisdien  Schismas.  9 

m. 

Beatissime  pater!  Aliqualiter  peccuniis  denudatus  cum  duobus  meis 
cappelanis  ad  vestram  sacram  curiam  a[cce]ssi,  non  absque  specialibus  causis, 
quas  nullatenus  habebam  referre,  nisi  vestre  piissime  sanctitati  pro  eo,  quod 
aliqualiter  laboraveram  in  aliquibus  partibus  absque  vestris  sanctissimis 
litteris,  tarnen  in  eiusdem  profectum  pariter  et  honorem.  Et  dun"  mendi- 
carem  pluribus  dominis  et  cardinalibus  et  aliis,  nusquam  potui  ad  beatissi- 
mam  presenciam  vestram  habere  ingressum;  ymo  consumpta  paupertate, 
quam  habebam,  coactus  recessi  de  curia  et  ivi  ad  partes  maris  fortuitu, 
ubi  nimium  fui  consumptus.  Veruntamen,  si  adhuc  possem  fidenter  vestram 
beatitudinem  visitare,  non  parcerem  laboribus,  quin  ymo  venirem  et  dare[m] 
operam  cum  dei  adiutorio  fructuosam,  insinuans  namque  me  notum  precipue 
cum  pluribus  baronibus  Alamanie,  presertim  cum  vestre  sanctitatis  fi[l]io 
duce  Leopolde  Austr[ie]  et  cum  nonnullis  comitibus  p[atrie]''  atque  cum 
dominis  Lombardie  et  alibi,  unde,  quando  veni  Avenionem,  habebam  spe- 
cialem tractatum.  Super  quibus  omnibus  humilis  creatura  vestra  episcopus 
Ypon[ensis]°  pluribus,  qui  habebant  refferre,  scripsit.  Quare,  si  utilis  sum 
in  aliquo,  Pisis  moram  stimulatus  ducam,  donec  hie  vester  humilis  et  fidelis 
dominus  archiepiscopus  Smirnensis  michi  aliquid  intimabit. 

Scriptum  apud  villam  Alguerii  Sardinee  XX.  die  mensis  lanuarii  in- 
dictione  III. 

Humilis  servuius  sanctitatis  [vestre] 
Michael  episcopus  Sythiensis. 

Adresse:  Clementis.simo  meritisque  beato  in  Christo  patri  et  domino, 
domino  Clementi  sacrosancte  Romane  et  universalis  ecclesie  summo  pontifici 
atque  vicario''  ....  Jesu  Christi  verissimo. 

»  *o  statt  dum  Hs.  ■>  Ergänzung  zweifelhaft;  auch  p[artis]  paßt  kaum  besser.  "  oder 
Ypori[ensis]  ?         <•    dahinter  ein  nicht  leserliches    Wort,  anscheinend  auf  imi  endend. 

IV. 
Me[m]oriale  f'ratris  lohanni.s  de  Padu[a  o]rdinis  Minoruin"  .  .  . 
Primo  videlicet  idem  fratej  loliannes  ofert  se   iturum   ad  partes  Lom- 
bardie, videlicet  ad  d[ominu]m  de  Mediolano,   ad  dominum  Papie,  ad  do- 
minum Mantuanuni,  Tridentum  et  Tervisium,  ad  dominum  ducem  Austrie, 
ad  dominum  de  Verona,  ad  dominum  Ferariensem.  ad  dominum  Paduan[u]m, 
I'hil.-hiKt.  Abh.  nmt.    Nr.  (i.  2 


10  B  U  E  S  S  L  A  u  : 

ad  dominos  Venetorum,  ad  commune  Ut[in]i  et  portare  ac  predicare  supra 
dictis  dominis  et  communitatibus  declaracionem  factam  in  Fondis  per  do- 
minos cardinales,  declaracionem  Yspanie,  declaracionem  factam  per  dominum 
Mediolanensem  card[inalem].  p]t  ut  predicta  execucioni  mandare  possit, 
petit  supra  dictas  declaraciones  in  publica  vel  autentica  forma. 

Item  petit  litteram  familiaritatis  sive  salvi  conductus. 

Item  petit  litteras  specialis  recommendacionis  ad  supra  dictos  dominos, 
in  quibus  contineatur,  quod  exercere*  possit  officium  per  suum  ordinem 
sibi  commissum,  insuper",  quod  possit  in  suis  territoriis  esse  securus  de 
persona". 

Item  petit,  quod  possit  ire  tempore  necessitatis  sine  habitu  fratrum 
Minorum,  portare  pecuniam  et  ire  sine  socio  absque  apostasie  nota. 

Item  petit,  quod  ista  .fiant  sibi  gratis  pro  deo,  cum  in  magna  pau- 
pertate  positus  sit,  et  quod  amore  dei  sibi  fiat  aliquod  subsidium  pecu- 
niarum,  ut  melius  et  forcius  ista  possit  execucioni  mandare. 

Auf  der  Rückseite   von  dritter  Hand:    Pro  fratre  Minore. 

»  das  Folgende  abgeschnitten.  ^  exerce  Hs.  '  insupei-  - —  persona  von  zweiter  Hand 
mit  anderer  Tinte  nachgetragen. 

Die  beiden,  in  gewisser  Beziehung  an  Erscheinungen  unserer  Zeit  er- 
innernden Schriftstücke  (Blatt  13  und  Blatt  64  der  Pariser  Handschrift),  in 
denen  ein  Bischof  und  ein  Bettelmönch,  die  beide  kein  Geld  haben,  sich 
dem  Papste  von  Avignon  zu  Agitationsreisen  für  seine  Anerkennung  an- 
bieten, seien  hier  wegen  der  Verwandtschaft  ihres  Inhaltes  zusammengestellt, 
obwohl  sie  zeitlich  etwas  auseinander  liegen.  Der  Bischof  Michael  von  Sitia 
auf  Kreta\  der  vorlängst  gänzlich  ohne  Mittel,  aber  von  zwei  Kaplänen 
begleitet  nach  Avignon  kam,  trotz  aller  Bettelei  keinen  Zutritt  zum  Papste 
erlangen  konnte  und  nun  am  20..  Januar  1380  aus  Alghero  auf  Sardinien 
seine  Bitten  schriftlich  vorbringt  (n.  III),  ist  bisher  unbekannt;  Gams"  und 
ihm  folgend  Eubel'  kennen  in  Sitia  fiir  die  in  Betracht  kommende  Zeit  nur 
einen  Bischof  Johann  aus  Siena  (1364)  und  einen  Bischof  Hugo  Varoli 
(1384).     Welchen  Sitz  der  Bischof  gehabt  hat,  der  sich  früher  für  ihn  ver- 


'  Die  Insel  Kreta   stand   unter   der  Herrschaft  Venedigs,   das  nicht  zu  Clemens  VII., 

sondern  zu  Urban  VI.  hielt;  doch  vgl.  Valois  II,  219.  N.  5. 

^  Series  episcopor.  eccl.  catholicae     S.  401. 

'  Hierarchia   catholica  I',  455. 


Aus  (Pr  forsten  Zeit  des  großen  nbendlnndm-Jieu  Schmnas.  1 1 

wandt  liahen  soll,  ist  zweifelhaft,  da  die  Lesung  (Yponensis  oder  Ypori- 
ensis)  unsicher  ist;  aber  weder  ein  Titularbischof  von  Hippo  noch  ein 
Bischof  von  Ivrea,  der  von  Clemens  VII.  ernannt  wäre  und  deshalb  als 
dessen  humilis  creatura  bezeichnet  werden  könnte,  ist  bekannt.  Der 
Erzbischof  von  Smyma,  der  dem  Bittsteller  über  die  Entscheidung  des 
Papstes  Nachricht  geben  soll,  ist  der  1379  von  Clemens  ernannte  Karmeliter- 
mönch Georgius  Dalmatii'. 

Die  Supplik  des  Franziskaners  Johannes  von  Padna  ist  jüngeren 
Datums;  sie  erwähnt  die  'declaratio  Yspanie',  d.  li.  die  Erklärung  vom 
19.  Mai  1381,  durch  welche  der  König  Juan  I.  von  Kastilien  in  Salamanca 
Clemens  VII.  anerkannte,  und  die  oben'  erwähnte  Erklärung  de.^  Kardinals 
von  Mailand  vom  26.  August  1381;  sie  wird  also  aus  dem  Ende  dieses 
Jahres  herröhren.  Um  dieselbe  Zeit,  in  der  zweiten  Hälfte  des  Jalires  1381, 
hat  ein  in  Paris  lebender  Anhänger  Urbans  VI.  ein  Gedicht  in  vierzeiligen 
Strophen  verfaßt,  in  dem  er  die  Partei  des  avignonesischen  Pa|)stes  aufs 
heftigste  bekämpft^.  In  der,  übrigens  recht  dunkel  und  unklar  gefaßten 
46.  Strophe  dieses  Gedichtes*  ist  von  einem  Bettelmönch  die  Rede,  vor 
dem  der  Dichter  nachdrücklich  warnt:  'de  quoy  je  tiens  por  fol,  qui  se  fie 
en  piace'  et  qui  tropt  croit  frere,  (|ui  ])orte  la  besace";  dieser  Mönch  muß 
al.so  in  Frankreich,  vielleicht  gerade  in  Paris,  für  Clemens  VII.  tätig  gewesen 
sein.  Man  könnte  versucht  sein,  hier  an  unseren  Bruder  Johann  von  Padua 
zu  denken,  über  den  wir  sonst  keinerlei  Nachrichten  besitzen:  aber  gerade 
Frankreich  fehlt  unter  den  Ländern,  die  zu  besuchen  er  sich  erboten  hat, 
und  gewiß  sind  noch  manche  andere  Mönche  aus  den  beiden  Bettelorden  für 
den  einen  oder  den  anderen  der  beiden  Gegenpäpste  als  Agitatoren  aufgetreten. 

V. 

.  .  [Reverentissime  pater  et]*  singularissime  domine  mi!  Non  sine  grandi 
cogor  cordis  a[mar]itudine  nunciare,  (^uod,  uti  plurium  Komipetarum  [narra- 


'    EuBEL  a.  a.  O.   I'.  456:   über  f'leincns'  Beziehungen  zu  Sniyrna  vgl.  Valois  II,   224 
mit  N.  I. 

'    S.  S. 

'    Herausg.    von    Paii.  Meykr.    mit    sachlichen    EiläuU rungen    von   Vai.ois,    Romania 
24.    197  fl". 

'    A.  ii.  U.  S.  215. 

•'    über  dies  Wort  vgl.   F.  Mkver,  a.a.O.  S.  200 

2* 


12  Brksslau: 

cione*  cr]edebain  et  tandem  nuncii  domini  ducis  Gerunde  relacione  percepi, 

Anglici  in  Portugalliam  suis**  properarunt [cum  mjultitudine 

armatorum,  [cum]  quibus  dominus  Portugalliae  rex  domino  regi  Castelle 
guerram  inferre  se  parat,  [prout  idem^  njuncius  a  certo  narravit,  asserens 
dictum  dominum  ducem  a  domino  suo  patre  litteras  habuisse,  qui''  a  rege 
Castelle  [de  hac  re  fuit"  infjormatus.  Quid  succedet,  ignoro.  Sed  ego  propere 
ad  videndum,  si  deus  dabit,  quod  eorum  conceptum  valeam  [annuUare'  .  .  .]. 
[Recor]dabitur  dominus  noster,  quod  sepius  dixi  me  de  hoc  dubitare.  Et  nunc 
cognosco  per  effectum,  quod  persona,  que  in  istis  .  .  .  .,  du[bit]ans  hanc 
ligam  dampnabilem  et  exosam  deo  et  mundo  per  me  posse  impediri,  procura- 
vit  per  IUP''  litteras  regis  scribi,   ut  in    Avinione  rcsiderem  nee  inde  rece- 

derem,  nisi  de  regis  speciali  mandato alia  ardua  causa  sie  mihi  cum 

tanta  instancia  scriberetur.  Sed  nunc  intelligo  ex  effectu  eins  artem  [dampjno- 
sam.  Supplico  autem,  stimuletis  sanctissimum  dominum  nostrum  papam, 
ut  super  tanto  negocio  aliqua  consistoria  [teneat]"  ....  in  magno  iudicio, 
vestro  servo  nunciare  velitis,  ut  caucius  me  habere  valeam  in  agendis.  Pater- 
nitatem  [vestram  conservet]  altissimus  longeve  et  feliciter  iuxta  vota. 

Scriptum  in  civitate  Biterensi  die  penultima  Marcii. 

Totus  vester  M.  episcopus  Ulixbonensis. 

Adresse:  Reverentissimo  domino  meo  domino  cardinali  Ebredunensi. 

^    dem  Sinne  nach  ergänzt.         ^    Lesung  zweifelhaft. 

Der  Absender  dieses  Briefes,  Blatt  28  der  Pariser  Handschrift,  dessen 
Textlücken  sich  bis  auf  wenige  kurze  Stellen  dem  Sinne  nach,  wenn  auch 
ohne  Gewähr  für  den  Wortlaut,  ziemlich  sicher  ergänzen  lassen,  ist  (]er 
Bischof  Martin  von  Lissabon,  ein  geborener  Kastilianer',  den  Gregor  XI. 
1373  zum  Bischof  von  Silves  ernannt  und  Clemens  VII.  am  7.  Februar  1379 
von  dort  nach  Lissabon  versetzt  hatte'-.  Er  war  ein  treuer  Anhänger  des 
avignonesischen  Papstes,  und  es  ist  gewiß  zum  guten  Teil  sein  Werk  ge- 
wesen, daß  König  Fernando  von  Portugal,  wahrscheinlich  noch  vor  dem 
Ende  des  Jahres  1379,  zu  Evora  Clemens  VII.  als  den  rechtmäßigen  Papst 
anerkannte^    was   auch   seinen    damals   guten   Beziehungen   zu    Frankreich 


'    Nach  Duarte  Nunez,  Cronica  del  rey  D.  Joäo  I  Kap.  7    (Cronica^  dos  reis  de  Por- 
tugal III,   24)  stammte  ei-  aus  Zainoi'a. 

^    EuBEL,  Hierarchia  catholica  I=,  452.  507. 
*    Vgl.  Valois,   a.  a.  0.  I,  231   mit  N.  4. 


Aus  der  ersten  Zeit  des  großen  abendländisc/ien  Schismas.  1  3 

entsprach.  Im  Jahre  1380  betraute  ihn  der  König  mit  einer  Gesandtschaft 
an  die  Höfe  des  Papstes  und  des  französischen  Königs;  im  Mai  1380  war 
er  in  Avignon  bei  Clemens  A^II.',  verhandelte  hier  auch  mit  dem  Herzog 
Ludwig  von  Anjou^  und  begab  sich  dann  nach  Paris,  wo  er  am  14.  Juli 
vor  König  Karl  V.  und  seinem  Hofe  eine  Rede  hielt,  in  der  er  die  Vor- 
gänge in  Portugal  vor  der  Erklärung  von  Evora  darstellte  und  Karl  auf- 
forderte, die  Einheit  der  Kirche  herzustellen^.  Wenn  er  damals  erklärte, 
daß  sein  Landesherr  aufs  eifrigste  an  diesem  Werke  mitarbeitete,  so  hatte 
er  noch  keine  Ahnung  davon,  daß  Fernando,  einer  der  unzuverlässigsten 
Fürsten,  die  je  in  Portugal  geherrscht  haben*,  eben  in  diesen  Tagen  eine 
vollständige  Schwenkung  in  seiner  Politik  ausgeführt  hatte.  Schon  seit  dem 
Mai  1380  verhandelte  ein  aus  Portugal  verbannter,  nach  England  geflüchteter 
Edelmann  Juan  Femandez  de  Andeiro  dort  mit  dem  Herzog  Johann  von 
Lancaster,  Oheim  König  Richards  IL,  der  auf  (irund  seiner  Heirat  mit 
Konstanze  de  Padilla  Ansprüche  auf  die  kastilianische  Krone  machte,  über 
ein  Bündnis  zwischen  Portugal  und  England:  er  begab  sich  dann  heimlich 
nach  Portugal,  und  am  15.  Juli  1380  genehmigte  König  Fernando  den  Ab- 
schluß eines  Vertrages,  durcli  den  er  sich  verpflichtete,  ein  englisches  Hilfs- 
heer von  1000  Geharnischten  unrl  1000  Bogenschützen,  das  ihm  der  (rraf 
Edmund  von  Cambridge,  Johanns  Bruder,  zum  Kriege  gegen  Kastilien  zuführen 
sollte,  zu  unterhalten  und  seine  Erbtochter  Beatrix  mit  Edmunds  Sohn  Eduard 
zu  vermählen^.  Von  den  Rüstungen  zu  dieser  P^xpedition  erhielt  König  Juan 
von  Kastilien  im  Frühjahr  1381  Kenntnis  und  bereitete  sich  zur  Abwehr  des 
Angriffes  vor;  aus  unserem  Briefe  erfahren  wir,  daß  er  den  König  Pedro  IV. 
von  Aragon  davon  benachrichtigte,  der  dann  diese  Mitteilung  an  seinen  Sohn, 
den  Kronprinzen  Juan,  Herzog  von  Gerona,   weitergab.    Bischof  Martin  von 


'   VAtois  I,  234. 

^    Vgl.  dessen  Briefe  bei  Valois  1,  235   N.  i. 

'  Die  Rede  ist  herausgegeben  vf>n  Vai.ois  in  der  Bibliotheque  de  Tecole  des  chartes  LH 
(1891),  485  ft- 

*    So  schreibt  mit  Recht  Pauli,  Gesch.  Englands  IV,  541. 

'  Die  Urkunden  bei  Ry.mer,  Foedera  VII,  253.  2620*.  Wenn  die  neueren  Schrift- 
steller z.  T.  den  5.  statt  des  15.  Juli  nennen,  so  beruht  das  auf  falscher  Cbersetzung  des 
portugiesischen-  'quinze  dias',  das  schon  b<;i  Rvmer  iniy;  mit  'quinto  die'  wiedergegeben  ist. 
Vgl.  Pauli  a.a.O.  S.  541;  SrHinnMACHEit.  Gesch.  Spaniens  VI,  37;  Si  häi-er.  Gesch.  Por- 
tugals I,  4738".  und  LucE  in  seiner  Ausgabe  des  Froissart  X.  XXII  N.  2.  T'ber  die  englisohen 
Rüstungen  vgl.  be-sonders  I.ite  a.  a.  O.  S.  XXIV  N.  2  bis  XXV  N.  7. 


14  •  B  H  K  S  S  L  A  u  : 

Lissabon,  der  von  Paris  nacli  Avignon  zurückgekehrt  sein  muß,  hatte, 
wie  unser  Brief  lehrt,  schon  durch  Aussagen  von  Rompilgern,  englischen 
oder  portugiesischen,  Nachrichten  erhalten,  die  ihn  einen  solchen,  auch  für 
Clemens  VII.  bedrohlichen  Umschwung  der  portugiesischen  Politik  vermuten 
ließen  und  von  seinen  Vermutungen'  wiederholt  mit  dem  Papst  (das  ist  der 
dominus  noster  oben  S.  12,  Z.  8)  gesprochen;  nun,  im  März  1381,  be- 
stätigte sie  ihm  ein  Bote  des  Herzogs  von  Gerona^,  und  nun  erst  erkannte 
er.  in  welchem  Zusammenhang  ein  wiederholter  Befehl  des  Königs,  er  solle 
Avignon  nicht  ohne  ausdrücklichen  Auftrag  seines  Herrn  verlassen,  mit 
diesen  Dingen  stand:  man  wollte  seine  Einwirkung  gegen  die  veränderte 
Politik  Fernandos  ausschließen^.  Dessenungeachtet  will  der  Bischof,  wie 
er  dem  Kardinal  von  Embrun  schreibt,  noch  einen  Versuch  machen,  die 
Pläne  der  Gegner  zu  vereiteln;  sein  am  30.  März  1381  in  Beziers  ge- 
schriebener Brief  zeigt  ihn  offenbar  auf  dem  Wege  nach  Spanien  und  von 
da  in  die  Heimat.  Hier  aber  war  nichts  mehr  zu  erreichen.  Im  Juli  oder 
August*  landete  der  Graf  von  Cambridge  in  Lissabon;  bald  darauf  sagte 
sich  Fernando  von  Clemens  VII.  los  und  trat  zur  Obedienz  Urbans  VI.  über: 
der  Bischof  von  Lissabon  selbst  mußte  sich  dazu  verstehen,  das  possenhafte 
Beilager  zwischen  den  beiden  Kindern,  Beatriz  von  Portugal  und  Eduard 
von  Cambridge,  einzusegnen^.  Erst  im  August  1382,  als  die  Heere  Kastiliens 
und  Portugals  sich  zwischen  Badajoz  und  Elvas  gegenüberstanden,  fand  er 
die  Möglichkeit,  für  seine  Überzeugung  einzutreten;  nach  Froissarts  wohl 
glaubwürdigem  Bericht"  gehörte  er  zu  den  Männern,  welclie  den  Frieden 
zwischen  beiden  Königen  vermittelten  und  damit  einen  abermaligen  völligen 
Umschlag  der  portugiesischen  Politik  herbeiführten.    Nun  kehrte,  nachdem 


'  dubitare  Z.  8  und  Z.  9  bedeutet  vermuten,  in  welcher  Bedeutung  das  Wort  im 
Mittelalter  oft  begegnet. 

''^  Ist  das  vielleicht  derselbe  Vertraute  des  Herzogs  von  Gerona,  dem  Clemens  Vll. 
am  8.  Juni  1381  ein  Geschenk  bewilligte,  nachdem  er  dem  Papst  einen  Brief  seines  Herrn, 
der  'cerlaines  nouveUes'  enthielt,  überbracht  hatte  P  vi;l.  Valois  U,  212  N.  4.  Das  Datum 
wfürde  nicht  notwendig  dagegen  sprechen;  das  Geschenk  wäre  dem  Boten  bei  seiner  Ver- 
abschiedung zuteil  geworden,   und  diese  könnte   sich   wohl  bis   zum  Juni  verzögert   haben. 

'  Wer  die  'persona'  ist,  die  durch  ihre  'ars  dampnosa'  diesen  Befehl  des  Königs  er- 
wirkt hat,  läßt  sich  nicht  enaten. 

■*  Nach  Nunez,  Cronica  del  rei  Fernando  (Cronicas  II,  319),  am  19.  Juli;  vgl.  aber 
LucE  a.  a.  ü.  S.  XXXIX  N.  i. 

'    Nunez  a.  a.  O.   (Cronicas  11.  321). 

°    Vgl.  Froissart  ed.   Lice   X,  194 ff. 


Aus  der  ersten  Zeit  des  großen  abendländischen  Schismas.  1 5 

die  verhaßten  Engländer  Portugal  hatten  verlassen  müssen,  König  Fernando 
zu  Clemens  VII.  zurück,  und  abermals  wurde  der  Bischof  von  Lissabon  mit 
einem  portugiesischen  Edelmann  als  Gesandter  nach  Avignon  gesandt'.  Er 
hatte  sich  um  Clemens  große  Verdienste  erworben,  die  der  Papst  zu  be- 
lohnen nicht  unterlassen  wollte;  am  23.  Dezember  1383  erhob  er  Martin 
zum  Kardinal;  aber  der  Lohn  ward  keinem  Lebenden  zuteil:  am  6.  Dezember 
bereit«  war  der  Bischof  bei  einem  Aufstand   in   Lissabon  ermordet  worden'. 


VL 

....  Hie  dicitur,  quod  dominus  noster  comes,  qui  est  hie  in  partibus, 
disposuit  revocare  ....  ad  partes  Sabaudie  dominum  principem ;  si  fiet,  ignoro, 
et  nescio,  si  erit  pro  meliori  patrie*.  Dens  [seiet].  Dominus  Galeatius  iam 
pluribus  diebus  mortuus  est.  Eciam  Amedeus'' Gal do- 
minum principem,  die  prima  huius  mensis  mortuus  est  et  sepultus  hiis 
diebus  Ripolis,  ubi  est  dominus  noster  comes  et  dominus  princeps  cum  eo. 
Dominus  dux  Brunsulichel,  [consojrs  regine,  hac  die  Martis  XXIIII.  Augusti" 
p[ra]ndet  cum  domino  meo  comite  Ripolis,  et  .  .  .  [ali]qua  coUoquia  super 
statu  ipsius  ducis  et  pace  tractanda  inter  ipsum  ducem  et  filium  domini 
Galeatii  [conmitem  Vijrtutum.    Dominus  comes,  sicut  dicitur,  intendit  trac- 

tare   pacem   inter  ipsos.    et  si   paux**   non   fiat laborabitur,  quia  ex- 

pectatur",  quod  finaliter 

Adresse:  Nobili  ac  magne  providencie  viro,  domino  lohanni  de  Caponi- 
bus  legum  doctori  fratri  carissimo. 

»   Lesung  nicht  ticAer.  ^  dahinter  scheint  iux  qui  dyn  (dum?  dfis?)  :u  stehen,  was 

ich  nicht  zu  deuten  weiß.  "  dahinter  noch  einmal  aug.  ^  so  statt  pax.  '  expatur  Hs. 

VII.       , 

[Licet]* tuis  virtuosis  et  strenuis  [serviciis*  conjsideratis  tibi 

plurimum  teneamur  personeque  tue [vir]tuti  cuiuscumque  alterius  .... 

lis  de  Italia  honorem,  couimodum  ....  cacionem  totis  nostris  conatibus  affec- 
temus,  nichilominus  [tamen]*  supervenientibus  nobis  nonnuUis  arduis  negociis 
illum  succursum,  [quem]  vellemus'',  tibi  non  possumus  impendere  de  presenti. 
Nobilitatem  tuam  requirimus  et  hortamur,  ut  amplectens  filialiter  nostram 


'    Nufiez  a.  a.  O.  (Cronicas  ü,  350). 

'    Vgl.  Valoi.s  II,  2o8f.  mit  N.  i    auf  S.  209;  Schäfkh  11.  I26ff. 


16  Bresslau: 

bonam  voluntatem  nos  pro  nunc  habeas  excusatos.  Nam  tractu  temporis  et 
cicius,  quam  credas,  dante  deo  de  te  et  negociis  tuis  taliter  faciemus,  quod 
tu  exinde  poteris  merito  contentari.  Insuper  de  hoc,  quod  nobis  scripsisti, 
ut  faceremus,  quod  carissimus  filius  noster  Ludevicus  rex  Sicilie  filium  tuum 
secum  reciperet"  versus  regnum  decenter  conduceret,  significamus  tibi,  quod 
ex  eo,  quia  mors  Karoli  extitit  tarde  scita,  dictus  rex  non  potuit  neque 
potest  sie  repente  disponere  de  suo  transitu  ad  regnum  prelibatum.  Propter 
quod  nos  et  ipse  mittimus  ad  dictum  regnum  dilectum  filium  nobilem  virum 
Ottonem  ducem  Brusvicensem  tamquam  capitaneum  generalem,  qui  statim 
cum  gentibus  et  financiis  decentibus  per  mare  diriget  gressus  suos.  Et 
quia  speramus  in  domino,  quod  in  revolucione  istius  anni  dictus  rex  dis- 
ponet  in  personam'^  ad  dictum  regnum  recedere,  scias,  quod  tunc  dabimus 
ordinem,  quod  dictus  filius  tuus  conducatur  et  secum  vadat  cum  aliqua 
gente  competenti  taliter,  quod  deo  duce  erit  ad  tuum  atque  suum  com- 
modum   et  honorem. 

»  dem  ungefähren  Sinne  nach  ergänzt.  ^  von  hier  an  ist  der  Text  vollständig.  ■=  da- 
hinter fehlt  et  oder  ac.  ^  dahinter  propriam  durchstrichen. 

Die  beiden  Stücke,,  die  vorangehen,  sind  zeitlich  weit  voneinander 
entfernt  und  hier  nur  deshalb  zusammengestellt,  weil  beide  auf  die  merk- 
würdige Persönlichkeit  des  Herzogs  Otto  von  Braunschweig,  Fürsten  von 
Tarent,  seit  1376  Gemahls  der  Königin  Johanna  von  Neapel,  Bezug  haben. 

N.6,  Blatt  22  der  Pariser  Handschrift,  ist  ein  Bruchstück  aus  einem 
langen  Brief  an  einen  Doctor  legum  Johannes  de  Caponibus,  der  in  Avignon 
am  Hofe  Clemens'  VII.  vielleicht  Prokurator  war.  Der  größte  Teil  des  Briefes 
ist  zerstört;  ungefähr  in  der  Mitte  sind  einige  Zeilen  lesbar,  die  sich  auf 
Privatangelegenheiten  des  Adressaten,  einen  beabsichtigten  Hauskauf,  be- 
ziehen und  hier  nicht  wiedergegeben  zu  werden  brauchen.  Die  politischen 
Nachrichten  stehen  gegen  das  Ende  des  Briefes.  Der  Absender  ist  ein  Bruder 
des  Adressaten.  Auf  den  letzteren  bezieht  sich  noch  ein  anderes  Stück 
in  unserer  Handschrift,  Blatt  23,  ein  französisches  Brieffragment  mit  der 
Adresse:  A  nostre  bien  ame  Mons.  Jehan  Capon  docteur  en  loys  und  der 
Datierung:    donnee    a    Rippaille'    le  XX[I]II  jour   d'ao.   das    also  vielleicht 


'  Dfis  ist,  wenn  der  Brief  wirklich  ebenfalls  ins  Jahr  137 8  gehörr,  vielleicht  die 
älteste  Erwähnung  von  Ripaille,  uinvoit  Thonon  am  Genfer  See.  wo  die  Savuyer  ein  Schloß 
besaßen,  das  unter  Amadeas  VIII.,   dem  Gegenpapst  Felix  V..   zu   einer  gewissen  Berühmt- 


Aus  der  ersten  Zeit  des  großen  abendländischen  Schismas.  1 7 

gleichzeitig  mit  iinserem  am  24.  August  1378  geschriebenen  lateinischen 
Briefe  ist;  von  dem  Text  ist  noch  zu  lesen:  vouilliez  traveillier  et  mettre 
paine  et  diligence  a  [ce  que]  briefvement  sentence  soit  donnee  pour  luy .... 
Ob  mit  diesem  Johann  Capon  ein  Georgius  Capon,  anscheinend  ein  Kauf- 
mann in  Avignon  zusammenhängt,  von  dem  in  einigen  anderen  Fragmenten 
derselben  Handschrift  (Blatt  34.  60.  76)  die  Rede  ist,  muß  dahingestellt 
bleiben. 

Unser  Brief  scheint  in  der  Nähe  von  Rivoli  (Prov.  und  Bezirk  Turin) 
geschrieben  zu  sein.  Die  Datierung  auf  Dienstag  24.  August  1378  ist  nach 
Z.  7  sicher;  Galeazzo  Visconti,  dessen  »vor  mehreren  Tagen«  erfolgter  Tod 
Z.  3.  4  erwähnt  wird,  war  am  4.  August  1378  gestorben.  Der  dominus  noster 
(dominus  mens)  comes'  ist  Amadeus  VI.  von  Savoyen,  » der  Grüne  Graf» , 
der  bis  1383  regierte'.  Der  'dominus  princeps'  ist  Amadeus  von  Savoyen- 
Piemont,  Fürst  von  Achaja,  Sohn  des  1367  gestorbenen  Fürsten  Jakob  von 
Achaja,  dem  1369  nach  dem  Tode  seines  Bruders  Philipp  das  Erbe  dieser 
Linie  des  Hauses  Savoyen  zugefallen  war.  Der  Grüne  Graf,  sein  Oberlehns- 
herr, war  auch  sein  Vormund,  hatte  ihn  aber  im  November  1377  aus  der 
Vormundschaft  entlassen  und  in  den  Besitz  seines  Erbes  eingesetzt.  Daß 
er  im  August  1378  wieder  am  Hofe  des  Grünen  Grafen  war,  lehrt  unser 
Brief;  die  Eingangsworte  deuten  an,  daß  letzterer  die  Absicht  hatte,  den 
jungen  Fürsten  aus  Piemont  wieder  nach  Savoyen  zurückzuberufen.  Wer 
der  Z.  4  erwähnte  Amadeus  ist,  der  am  i.  August  1378  verstorben  war,  ist 
bei  dem  hier  lückenhaften  Text  nicht  zu  erraten ;  da  vor  seinem  Namen  der 
Titel  'donainus'  fehlt,  handelt  es  sich  jedenfalls  nicht  um  eine  ftirstliche 
Persönlichkeit.  Die  interessanteste  Nachricht,  die  wir  dem  Briefe  entnehmen, 
ist  die,  daß  Otto  von  Braunschweig"  im  August  1378  gleichfalls  in  Rivoli 


heit  gelangte.  Lecoy  de  la  Marche  konnte  den  Ort  erst  1383  nachweisen,  wie  ich  einer 
Notiz  Deiisles  über  seine  mir  nicht  zugängliche  Schrift  darüber,  Bibliotheque  de  l'ecole  des 
chartes  25(1864),  67,  entnehme.  Mit  Rippulae.  Ripulae,  dem  heutigen  Rivoli,  darf  der 
Name  nicht  verwechselt  werden. 

'    Vgl.  aber  ihn  am  ausführlichsten:  Gabotto,  L'etä  del  Conte  Verde  in  Piemonte  in 
Miscellanea  di  storia  Italiana  Ser.  III,  Bd.  II,  75 — 333. 

'  Nachrichten  üt)er  ihn  sind  zasamniengesteUt  von  J.  Waschow,  Herzog  Otto  v.  Braun- 
schweig, Füi-st  von  Tarent  (Breslau  1876)  und  von  O.  v.  Heinemann,  Aus  der  Vergangenheit 
des  Weifischen  Hauses  (Wolfenbüttel  l88i):  vgl.  auch  Margarf.tbe  Rothbarth,  Urban  VI. 
und  Neapel  (Berlin  u.  Leipzig  1913).  Kine  neue,  kritische  und  das  in  letzter  Zeit  erheblich 
angewachsene  Quellenmaterial  erschöpfende  Biographie  wäre  dringend  erwünscht. 
Phil.-hist.  Ahh.  lUm.    Nr.  6.  3 


18  B  R  K  S  S  I,  A  u  : 

am  Hofe  des  Grafen  Amadeus  von  Savoyen  verweilte.  Im  Juli  war  er  an 
der  Spitze  einer  neapolitanischen  Gesandtschaft  in  Tivoli  bei  Urban  VI.  ge- 
wesen ;  man  hatte  bisher  angenommen,  daß  er  von  da  nach  Neapel  zurück- 
gekehrt sei,  wo  bald  nachher  der  Bruch  zwischen  der  Königin  Johanna  und 
dem  römischen  Papste  sich  vorbereitete.  Jetzt  erfahren  wir,  daß  er  vielmehr 
nach  Oberitalien  gegangen  war,  dort  mindestens  bis  in  die  letzte  Woche 
des  August  blieb ;  und  es  wird  also  um  so  wahrscheinlicher,  was  neuerdings 
bereits  mehrfach  ausgeführt  ist',  daß  die  Quellennachrichten,  welche  den 
Übertritt  der  Königin  Johanna  zur  Partei  der  Kardinäle  und  Clemens'  VII. 
auf  die  Ablehnung  persönlicher  Wünsche  ihres  Gatten  seitens  Urbans  VI. 
zurückführen,  nicht  zutreffen. 

Was  Otto  nach  Oberitalien  rief,  waren  seine  eigenen  Interessen  und  die 
der  seinem  Schutze  anvertrauten  Herren  von  Montferrat.  Durch  das  Testa- 
ment' des  1372  verstorbenen  Markgrafen  Johann  II.  von  Montferrat  war 
Otto  zum  Vormund  seiner  vier  minderjährigen  Söhne  und  zum  Regenten  der 
Markgrafschaft  bis  zu  deon  Zeitpunkt  ernannt,  an  dem  der  älteste  von  ihnen 
das  fünfundzwanzigste  Lebensjahr  vollendet  haben  würde.     Außerdem  war 

• 

ihm  das  Miteigentum  an  der  Herrschaft  über  die  Städte  Asti,  Alba  önd 
Montevico  verliehen,  die  ein  gemeinsames  und  für  alle  Zeit  unteilbares  Besitz- 
tum des  Herzogs  und  der  vier  jungen  Markgrafen  bilden  sollten ;  auch  Kaiser 
Karl  IV.  hatte  1374  ihm  und  den  Markgrafen  gemeinsam  das  Reichsvikariat 
über  die  drei  Städte  und  ihr  Gebiet  verliehen ',  und  König  Wenzel  hatte 
diese  Verleihung  in  gleicher  Weise  bestätigt*.  Nun  hatte  Otto  es  freilich 
nicht  hindern  können,  daß  der  älteste  der  vier  Brüder,  der  Marggraf  Secon- 
dotto,  ein  unbändiger  und  zügelloser  Jüngling,  sich  seinem  Einflüsse  mehr 
und  mehr  entzog;  aber  unmittelbar  in  die  norditalienischen  Dinge  wieder 
einzugreifen,  von  denen  ihn  seine  Vermählung  mit  der  Königin  von  Neapel 
abgelenkt  hatte,  wurde  er  doch  erst  dadurch  veranlaßt,  daß  seine  eigenen 
Rechte  auf  Asti  verletzt  wurden.  Gegen  diese  Stadt  waren  Secondotto,  der 
seit  1377  mit  Violante  Visconti,  der  Witwe  des  Herzogs  Lionel  von  Clarence, 
vermählt  war,  und  sein  Schwager  Giangaleazzo,  Graf  von  Vertus,  Im  Februar 
1378  mit  Heeresmacht  gezogen  und  hatten  sie  zur  Übergabe,  den  Bruder 


Vgl.  Romano,  Archivio  storico  perle  prov.  Napoletane  26, 229ff.:  Rothbarth  S.  laff. 

Mitgeteilt  von  Benvenuto  di  S.  Giorgio,  Müratori,  SS.  23,  566ff. 
BÖHMER-HuiiER,  Regesten  Karls  IV.  n.  5439. 
Benvenuto  di  S.  Olorgii)  n.  ;i.  O.  S.  596. 


Aus  der  rrstfm  Zeit  des  großen  abendländischen  ScfUsmas.  \\) 

Herzog  Ottos,  Balthasar  von  Braunschweig.  der  die  Roclite  des  Herzogs  hier 
vertrat,  zur  Entfernung  aus  der  Stadt  genötigt.  Dann  hatte  aber  der  Vis- 
conti die  Stadt  nicht  etwa  dem  jungen  Markgrafen  überlassen,  sondern 
diesen  zu  einem  Abkommen  gezwungen,  durch  das  Asti  tatsächlich  in  die 
Gewalt  des  Grafen  von  Vertus  kam  und  so  ein  seit  langer  Zeit  verfolgtes 
Ziel  der  mailändischen  Politik  erreicht  wurde.  Der  dadurch  aufs  schwerste  ver- 
letzten Interessen  der  jüngeren  monferratinischen  Markgrafen  nahm  sich 
Amadeus  VI.  von  Savoyen  an,  trat  aber  alsbald  in  Verhandlungen  mit  dem 
Vater  des  Grafen  von  Vertus,  Galeazzo  Visconti,  die  am  4.  März  1378  zum 
Abschluß  eines  Vertrages  führten,  durch  den  sich  (^aleazzo  verpflichtete,  bis 
zum  August  keine  feindseligen  Handlungen  gegen  den  Grafen  von  Savoyen, 
den  Fürsten  von  Achaja  und  Otto  von  Braunschweig  selbst  zu  unternehmen 
oder  durch  seinen  Sohn  unternehmen  zu  lassen'.  Diese  Verhältnisse  waren 
es  offenbar,  die  Otto  von  Braunschweig  veranlaßten,  sich  von  Tivoli  aus  im 
Sommer  1378  an  den  Hof  des  Grafen  von  Savoyen  zu  begeben.  Aus 
unserem  Briefe  erfahren  wir  nun,  daß  Amadeus  von  Savoyen  bemüht  war, 
nach  dem  am  4.  Aug.  1378  erfolgten  Tode  Galeazzos  einen  endgültigen 
Frieden  nicht  nur  für  sich,  sondern  auch  für  seine  Verbündeten,  vor  allem 
Herzog  Otto,  mit  dem  Grafen  von  Vertus  zustande  zu  bringen.  Das  gelang 
ihm  jedoch  nicht.  Am  29.  August  wurde  zwar  in  Pavia  der  volle  Frieden 
zwischen  Galeazzo  und  dem  Grünen  Grafen  geschlossen'^:  aber  der  Herzog 
von  Braunschweig  und  die  Monferratiner  waren  darin  nicht  eingeschlossen; 
vielmehr  blieb  die  Spannung  zwischen  ihnen  bestehen  und  der  Streit  um 
Asti  zunächst  unausgetragen. 

Nicht  lange  nach  diesem  Vertrage,  durch  den  Otto  die  Unterstützung 
des  Savoyers  verlor,  kehrte  der  Herzog  nach  Neaj)el  zurück,  und  erst  der 
Tod  des  Markgrafen  Secondotto,  der  am  16.  Dezember  1378  an  einer  Wunde 
starb,  die  ihm  einige  Tage  zuvor  ein  von  ihm  mißhandelter  Dienstmann 
beigebracht  hatte,  rief  ihn  wieder  nach  Oberitalien.  Die  monferratinische 
Erbschaft  fiel  nun  dem  Markgrafen  Johann  II.  z»i,  der  Otto  als  seinen  Vor- 
mund und  Lande-sverweser  anerkannte,  während  der  nächstjüngere  Bruder 
zu  den  Visconti  hielt  und  anscheinend  am  Hofe  Giangaleazzos  verweilte. 
Der  Braunschweiger  machte  mm  seine  und  seines  Mündels  Ansprüche  auf 
Asti  am  kaiserlichen  Hofe  geltend,  verlangte  auch  dringend  von  Giangaleazzo 

'    Gabotto  a.  a.  f ).  S.  242  fl'. 

'    CiBRARio,  StoHa  della  inonarchin  di  Savoia  III,  25,1.     (Jaboi  ro.  a.  ;i.  O.  S.  246. 

3* 


20  Bkesslau: 

die  Herausgabe  der  Stadt  und  rüstete,  als  sie  verweigert  wurde,  zum  Kampfe 
gegen  ihn;  allein  schon  am  22.  Januar  1379  kam  es  unter  Vermittlung  eines 
Legaten  Clemens'  VII.  zu  einem  Waffenstillstand  bis  Ostern  1381  zwischen 
Otto  und  den  Visconti;  in  der  Zwischenzeit  sollte  der  Streit  um  Asti  durch 
Schiedsspruch  des  Papstes  und  des  Grafen  von  Savoyen  geschlichtet  werden'. 

In  den  Besitz  der  Stadt  sind  Otto  und  Markgraf  Johann,  der  ihm  nach 
Unteritalien  folgte,  nicht  wieder  gelangt.  Am  23.  August  1381*  fiel  der 
Markgraf  in  einer  Schlacht  vor  Neapel  gegen  den  von  Urban  VI.  mit  dem 
Königreich  Neapel  belehnten  Prinzen  Karl  von  Durazzo;  Otto  wurde  ge- 
fangengenommen. Am  Tage  darauf  geriet  auch  seine  Gemahlin  in  die 
Hände  des  Gegners;  sie  kam  im  Jahre  1382  in  der  Gefangenschaft  um'; 
man  glaubte  fast  allgemein,  daß  Karl  sie  habe  ermorden  lassen.  Otto  er- 
langte 1384  —  ob  durch  die  Gnade  Karls  von  Durazzo  oder  durch  einen 
kühnen  Handstreich  seiner  Freunde,  bleibe  dahingestellt  —  seine  Freiheit; 
er  begab  sich  nach  Sizilien,  von  dort  nach  Avignon,  wo  Clemens  VII.  ihn 
gnädig  aufnahm  und  mit  Geldmitteln  reichlich  ausstattete;  er  sollte  1386 
das  Königreich  Neapel  für  den  Herzog  Ludwig  II.  von  Anjou,  den  (Jemens 
1385  noch  als  Knaben  damit  belehnt  hatte  und  für  den  seine  Mutter  Maria 
von  Bretagne  die  Regentschaft  führte,  wiedererobern. 

In  diese  Zeit  gehört  n.  7,  das  zweite  der  oben  abgedruckten  Stücke, 
Blatt  78  der  Pariser  Handschrift,  das  Konzept  zu  einem  Briefe  Clemens'  VII. 
an  einen  vornehmen  Herrn,  dessen  Name  auf  dein  zu  Anfang  verstümmelten 
Blatte  leider  nicht  erhalten  und  auch  anderweit  wohl  nicht  zu  ermitteln 
ist.  Sein  Inhalt  bedarf  im  übrigen  kaum  einer  Erläuterung;  nur  über  die 
Datierung  ist  ein  Wort  zu  sagen.  Der  Brief  ist  nach  dem  Tode  Karls  von 
Durazzo  (24.  Februar  1386)  geschrieben,  der,  wie  es  heißt,  in  Avignon  erst 
spät  bekannt  wurde;  die  Kunde  davon  wird  wohl  erst  im  April,  wenn  nicht 
noch  später,  nach  Avignon  gelangt  sein*.     Die  Unterhandlungen  mit  Otto 


■    Benvenuto  di  S.  Giorgio  a.  a.  O.  S.  600;  vgl.  Gabotto  a,  a.  O.  S.  249. 

^  Die  Angaben  über  das  Datum  schwanken;  den  23.  August  nimmt  Rothbarth  S.  56 
an;  den  25.  Valois  11,   11;  vgl.  aber  S.  11,  N.  5. 

'    Über  das  Datum  vgl.  Valois  II.  51;  Rothbarth  .S.  93  ff. 

*  Mors  Karoli  extitit  tarde  scita,  oben  S.  16  Z.  6.  Schon  am  2.  März  empfing  man 
am  angiovinischen  Hofe  die  Nachricht  'que  Charles  de  Duras  avoit  este  tue  et  occis  le  V.  jour 
du  mois  precedent'  (Journal  de  Jean  Le  Fevre  eveque  de  Chartres  ed  H.  Moranville  I 
[Paris  1887],  245).  Aber  die  Nachricht  war  verfrüht;  Karl  starb  an  den  Wunden,  die  er  am 
7.  Februar  erhalten  hatte  oder  an  einer  später  hinzugekommenen  Vergiftung,  erst  am  24.  Februar. 
Die  Stelle  unseres  Briefes  bezieht  sich   gewiß  auf  die  Kunde  von  seinem  wirklichen  Tode- 


Auf:  der  ersten  Zeit  des  großen  abemllnndv^chen  Schismas.  2 1 

von  Braunschweig  über  die  Übertragung  der  Würde  eines  Generalkapitans 
des  Königreichs  Neapel  zogen  sich  lange  hin,  da  die  Königin-Witwe  Maria 
Bedenken  trug,  die  weitgehenden  Forderungen  des  Herzogs  zu  bewilligen; 
noch  am  lo.  Juli  war  sie  entschlossen,  auf  seine  Sendung  überhaupt  zu  ver- 
zichten', und  entschloß  sich  nur  auf  den  dringenden  Wunsch  des  Papstes, 
die  Verhandlungen  wiederaufzunehmen';  erst  am  3.  Oktober  waren  sie  ab- 
geschlossen und  wurden  die  Urkunden  für  Otto  besiegelt,  deren  erste  be- 
sagte, daß  die  Königin-Regentin  conimet  a  niessire  Otthe  1  office  de  capi- 
tainne  general  du  royaume'"',  am  gleichen  Tage  erhielt  Otto  eine  beträcht- 
liche Geldzahlung  'pro  complemento  VI"  florenorum  auri  de  camera,  quos 
Camera  apostolica  sibi  respondit  pro  domino  rege  Ludovico  ratione  capi- 
taneatus  regni  Sicilie'*.  Vor  diesem  Zeitpunkt  konnte  der  Papst  schwerlich 
sagen  'mittimus  ad  dictum  regnum  dilectum  filium  Ottonem  ducem  Brus- 
vicensem  tamquam  capitaneum  generalem'  (oben  S.  16,  Z.  8),  und  so  werden 
wir  unseren  Brief  nicht  früher  als  in  die  ersten  Tage  des  Oktober  setzen 
dürfen.  Aber  er  wird  auch  nicht  viel  später  geschrieben  sein,  denn  seine 
Abfassung  geht,  wie  die  folgenden  Worte  zeigen,  der  Ausreise  des  Herzogs 
voran;  und  dieser  verließ  am  25.  Oktober  Avignon,  um  sich  in  Aigues 
Mortes  einzuschilTen  \  Die  am  Schluß  des  Briefes  ausgesprochene  Erwartung, 
daß  schon  gegen  das  Ende  des  Jahres  der  junge  König  T.udwig  II.  selbst 
in  sein  Königreich  kommen  werde*',  ist  bekanntlich  nicht  in  Erfüllung  ge- 
gangen, und  erst  im  August  1390  landete  der  Knabe  im  Hafen  von  Neapel. 

VIII. 
Recto. 
■   Ego  nomine  pro  parte  mea  cardinales  tamquam  bone  consciencie  et  deum 
t[imentesj 
et  veritatem  negocii  melius  .scientes  iuxta  c.   »Cupientes«',  ubi  patet, 
quod  non  nocet  parti  .  .  . 


'  Journal  de  .lean  L»;  Fevre  S.  293. 

^  Ebenda  S.  298.  i 

'  Ebenda  S.  320. 

*  Valois  II,   121,  N.  I. 

*  Journal  de  Jean  Le  Fevre  S.  323. 

"  Soviel  ich  sehe,  ist  hier  zum  ersten  Male  von  diesem  Plan  die  Rede;  der  Gedanke  ist 

dann  im  Friihjahr  1387  und  im  September  1388  wieder  erörtert  worden;  vgl.  Valois  II,  141. 

'  Libtr  seitus  decretnl.  I,  Ct,  Jf!   »Cupientes"    (F'rieubeko,  Corp.  iur.  canon.  II,  954). 


22  H  i<  i;,s  s  I,  A  r  : 

Si  due  partes  cardinalium,   qui  fuerunt  Rome  in  conclavi,   dicunt,   [quod] 
noluerunt  eum  facere  papam,   sed  evitare  periculum ",    et  totus   mundus 

diceret  contrarium,  p[ocius] 
5  est  credendum  cardinalibus  probabiliter  asserentibus  quam  aliis  negantibus. 
Sumus  parati  facere  per  legatum   convocari  concilium   et   advocati,  quo 

st[atue-]'' 
tis,  venire  et  ostendere  de  iure  nostro  et  satisfacere  inpugnant[lbus]. 
Sed  (juod   ipse    nobiscum   teneat   concilium,   nunquam    factum   est  inter 

Latinqs, 
quia  iam   subponeretur  in   ecclesia  posse  esse  divisionem  et  duos  habere 

unam  sp[onsam] 
■o  et  facere  eam  adulterari. 

Cardinales  ut  singuli  sunt  testes,  ut  collegium  Alban[ensis] '  et  alii  non 

[presentes] 
sunt  iudices. 
Si  fieret  concilium  auctoritate  communi,  ego'  ecclesiam  mihi  commissam 

facerem  peca[re  et  constit-] 
uerem  in  ea  duo  capita,   et  longe  toUerabilius  est  neutri  duorum  obedire 

quam  ambobus. 
'5  Item  quidquid    nunc   facit  U[rbanus],    tirannice   facit,    sed   tunc   haberet 

consensum  coUegii. 
.    Sed  si  ipse  nominet  bonas  personas,  ego  illis  et  certis  meis  libenter  dabo 

auctoritatem  quam  p  .  .  .'^ 
Quod  inquiratur  veritas^palam  et  publice  per  X.  XX.  etc.  ex  parte  regis, 

non  displicet,   vel  in   concil[io] 
eciam  procur[atoribus]  partis  adverse  auditis. 
Sed    quod   detur   auctoritas    iudicandi:    nequaquam;    propter  cardinales'', 

quia"  laicis  nuUo  modo  vel  per  laicum  depu[tandis,  tan-] 
M  to  minus  scismaticis,  presertim  quia  iudicaretur  de  promotis  et  beneficiatis. 
Rex  recitat   opinionem,    que  deliberata   est  de  concilio;   mictendum   est 

ad  eum  ad  ostende[ndum  non  esse] 
bene  deliberatum. 


'  Anglicus  Grimaldi,  Kardinalbischof  von  AV'ano,  der  mit  fünf  anderen  Kardinälen  bei 
der  Übersiedlung  Gregors  XL  nach  Rom  in  Aviguon  zurückgeblieben  und  dahr  bei  den  Wahlen 
Urbans  VI.  und  Clemens'  VIJ.  nicht  aniresend  gewesen  war. 

^    possum:'  petunt?  poscnntl' 


Aus  der  ersten  Zeit  des  großen  abendländischen  Schismas.  23 

In  quantum  agitur  pro  instruccione  sua,  non  aparet,  quod'  oportet  ex- 

pectare  concilium,   nisi  plus  aperiatis. 
Nam  quoad  dubium    facti  substancialis :    hie    potest    sciri  veritas  melius 

quam  in  concilio. 
>5  Si  concilium  diceret  U[rbanum]  esse  papam,  cardinales  contra  eorum  con- 

sciencias  non  adquiescerent  et  esset  n[ovum  scis-] 
ma. 
Non  agitur  nunc*,  quare  non  sit  tenendum  concilium,  fed  quid  respon- 

dendum. 
Non  deberaus  vereri  refutare    concilium  universale'',  quia  scimus,    quod 

reges  Castelle  et  Arago[num]  si[militer  de  eo] 
sensiunt.    Item  patres  nostri  palam  refutarunt. 
30  Quoad  concilium  illarum  parcium'  placet  [consilium] 

regum,  quod  conveniant  illi,  de  quibus  videbitur,    et  deliberent.     Et  si 

pro  parte  alia  veniant  aliqui,  non  d[isplicet]. 
Quod  detur  potestas  X.  vel  XX.,    hoc  non  dicitur""  inter  regem  et  nos, 

sed  inter  nos  et  U[rbanum],  [qui  fjrustra 
semper    [refu]git    convenire    cum    legatis   nostris    ut    in    Alam[annia]    et 

Arag[onia]  et  prius  [ia]m  in 
Italia;  eciam  rex  Franc[oruml  et  tres  cardinales  et  regina  super  hoc  diu 

laboraverunt. 

"   sed  evitare  periculum  über   der   Zeile  nachgetragen.         ^    Die  Ltsung   der   drei   letzten 
Worte  verdanke  ich  Hm.  Tangl.  "^  folgt  durchstrichen  subicerem.  ^   propter  cardinales 

über  der  Zeile  nachgetragen.  '  folgt  durchstrichen  scisnia.  ^  aparet  quod  «6er  der  Zeile 

nachgetragen.  s  non  agitur  nunc  über  der  Zeile  nachgetragen:  davor  einige  nicht  mehr  lesbare 
Buchstaben  durchstrichen.  •>  univei-sale  über  der  Zeile  nachgetragen.  '  folgt  durchstrichen 
legatus  iam  voluit  habere  prelatos  {oder  prelatis?)  in(?)   regui  Arag.  ^  oder  etwa  datur? 

allerdings  wäre  die  Abkürzung  dr  ungewöhnlich. 


Verso. 
■  Quia  fine  decembris  Florencie  (?)  concilium  etc.  feriatur,  que  (?)  sunt .  .  . 
Si  per  X.  fieri  non  potest,  longe  minus  per  concilium,  sed  X.  extranei 

nesciunt  factum  in  con[clavi]  (?)  .... 
Congregarentur*  prelati  bone  consciencie  etc.  ad  minus  X.  ex 

utraque  parte,  p[er  quos] 
ista  difinirentur. 


24  Bkesslau: 

5  Ab  utraque  parte:    verisimile  est,  quod  quelibet  pars  ponet  suos  X. 

tales  de  [iis,  quibus] 
confidat,  et  sie  non  concordabunt ;  et  quod  adversariis  nos  demus  super 

nos  auctorita[tem,  super] 
ecclesiam  dei  ac  presertim  super  cardinales. 
In  numero  equali:  si  ille  solum  duos  nominaret. 
Difinirentur:    de   beneficio  X   solid,  non    fieret  hoc.      Nee   de  aliquo. 
'o  Si  rex  Castelle  nunquam  obedire  vellet  Clementi,  nunquam  permicteret, 

quod  U[rbano]  [ojbediretur^'. 
Utraque  parte:   veniunt  omnes  adherentes,  igitur  tarde  habebitur  con- 

sensus. 
Sine  uxore  vir  non  posset  litem  matrimonialem  eficaciter  prosequi. 
Difinirentur:   si  illi  dicerent  Urbanum  esse  papam,   illi,   qui  sciunt  con- 

trarium,   [respon-]" 
derent   propter   hoc,    presertim   cardinales,    qui   sciunt   veritatem   et  qui 

[contra] 

15  eos  tenerent  partem  tuciorem. 

Rex  Castelle  non  habet  querere,  nisi  quid  expedit  sibi  ad  salutem. 
Responsio  est  in  piano :   Credere  cardinalibus  eciam  secundum  U[rbanum]. 
Si   dicit,    quod**   aliter   primo   dixerunt,    consideret   causam    et   sequatur 

Alban[ensem]  et  ali[os]. 
In   scimate^  Grecorum    nunquam    fuit   positum   per   ecclesiam  Romanam 

a[liud], 

"°  sed  dati  sunt  negociorum  gestores,  qui  tractarent. 

Sic  dati  sunt  dominus  de  Luna  et  alii  nuncii*^.     Et  si  pars  adversa  [velit] 
mictere  pari  modo*,  licet  non  placeat,  relinqutmus  bene  [placi-] 
to  regis. 

Nunquam  ecclesia  Romana  misit  ad  tractandum  cum  patriarcha  Constan- 
tinopolitano  de  [unione]'' 

n  sua  ad  Romanam  ecclesiam,  sed  bene  exortatorias  et  monitorias  litteras 

[sicut]*" 
super  re  certa. 
Tota  questio  videtur  stare  in  hoc,  utrum  secunda  instruccio  cardinalium 

infringa[t  primam]'' 
vel  reddat  eam   dubiam. 


Ans  der  ersten  Zeit  des  großen  abendländischen  Schismas.  2') 

Duracio  periculi  facit'  nominacionem  Urbani  et  declaracionem  Anania'''  et 

[eleccionem  Cle-]'' 
30  mentis  censeri  simul  factas. 

Ostendere,  quod  materia  non  patitur  aliquam  viarum'  tactarum. 
Secundo,  quod  modus  alius  in  materia  scismatum  certus  est  et  hie  servari 

[debet]\ 
Servatus  est  scilicet  mictendo  personas  instractas,  ut  in  scismate  Grecorum. 

»  garen  über  der  Zeile,  die  hier  durch  ein  Loch  im  Papier  unterbrochen  war;  hinter  con- 
gregarentur  ist  X  durchstrichen.  ^    das  o  von  obediretur  hat  der  Schreiber  ausgelassen. 

"    zwischen  Z.  13  und  14  am  Rande  links:    d,  d.h.  conclnsio.  ^  folgt  ausgestrichen  variant. 

«    so  statt  scismate.  '   dahinter  T,  ein  Paragraphenzeichen.  ?  folgt  durchstrichen  non 

displicet.         •■    so  oder  ähnlich  ist  zu  (rgänzen.         '    folgt  durchsirichenes  c.  ^    oder  decla- 

racio  in  Anania.         '    folgt  durchstrichenes  p. 

Ein  Papierblatt,  f.  5 1  der  Handschrift,  2  2  cm  hoch  und  jetzt  noch 
18,5  cm  breit",  auf  beiden  Seiten  ])eschrieben,  aber  so,  daß  nach  der  Nieder- 
schrift der  Vorderseite  das  Blatt  umgedreht  ist,  so  daß  die  erste  Zeile  der 
Rückseite  der  letzten  der  Vorderseite  entspricht.  Der  rechtsseitige  Rand 
ist  abgeschnitten,  so  daß  am  Ende  der  meisten  Zeilen  etwas  fehlt,  was  in- 
des in  den  meisten  Fällen  mit  Sicherheit  oder  großer  Wahrscheinlichkeit 
zu  ergänzen  ist.  Vorder-  und  Rückseite  sind  von  derselben  Hand  beschrieben. 
Auf  der  Vorderseite  sind  mit  schrägem  Strich  durchstrichen  Z.  i — 7:  Ego 
nomine  —  inpugnantibus ;  Z.  17 — 24:  Quod  inquiratur  —  concilio;  Z.  27  —  34: 
Non  agitur  —  laboraverunt.  Nachträglich  hinzugefügt  ist  Z.  2  von  'iuxta 
Caput'  ab,  Z.  14  von  'et  longe  tollerabilius'  ab.  Auf  der  Rückseite  sind  mit 
schrägem  Strich  durchstrichen :  Z.  5  — 18:  Ab  utraque  parte  —  alios ; 
Z.  27 — 33:  Tota  questio  —  Grecorum.  Durch  wagerechten  Strich  sind  getilgt 
Z.  I  und  8.  Zahlreiche  kleinere  Korrekturen  sind  unter  dem  Text  angegeben. 
Nachträglich  hinzugefugt  sind  wahrscheinlich  Z.  i  und  Z.  18,  vielleicht  auch 
Z.  12.  Die  Unterstreichungen  von  Z.  3  und  4  und  Teilen  der  Zeilen  5,  8,  9, 
II,  13,  die  im  Drucke  durch  Sperrung  ausgezeichnet  sind,  bedeuten  keine 
Tilgung,  wie  unten  ausgeführt  ist. 

Zum  Texte  ist  folgendes  zu  bemerken.  Am  Ende  von  Z.  2  der  Vorder- 
seite scheint  hinter  parti  ein  mit  a  beginnendes  Wort  gestanden  zu  haben. 


'    Die  Erklärung  vom  9.  August  i:i78,  vgl.  Valois  /,  77. 

'    Eine  Abbildung  der  Vorderseite  des  Blattes  ist  dieser  Abhandlung  beigegeben :   sie 
ist  etwas  verkleinert. 

Phii.-hist.  Abh.  nun.  ivv.  n.  4 


26  B  R  E  s  s  L  A  u  : 

Wenn  die  Zeile  ebenso  lang  wie  die  vorangehende  war,  würden  ungefähr 
sechs  Buchstaben  fehlen.  Zur  Ergänzung  bietet  die  angezogene  Dekretale, 
Liber  sextus  I,  6,  i6,  kaum  einen  ausreichenden  Anhalt.  Sie  enthält  u.  a. 
die  Bestimmung,  daß  bei  strittigen  Wahlen  der  Gewählte  und  der  Opponent 
personas  instructas  nach  Rom  senden  sollen,  und  an  diese  Bestimmung 
könnte  gedacht  sein  (vgl.  Z.  3  3  Verso) ;  aber  was  dabei  als  der  Partei  nicht  nach- 
teilig bezeichnet  werden  soll,  vermag  ich  nicht  zu  sagen'.  —  Am  Ende 
von  Z.  16  steht  ein  p,  das  man  zu  petunt,  poscunt  oder  possum  ergänzen 
mag.  —  In  Z.  32  sind  hinter  qui  die  Buchstaben  rustra  wohl  deutlich,  und 
ein  f  davor  sehr  wahrscheinlich,  aber  frustra  paßt  nicht  recht  zu  dem  fol- 
genden refugit.  —  Auf  der  Rückseite  ist  der  Schluß  der  nachträglich  oben 
hinzugefügten  Zeile  i  (s.  darüber  unten)  schwerlich  zu  erraten:  aber  es  ist 
nicht  sicher,  ob  hier  überhaupt  noch  etwas  gestanden  hat.  -  Zweifelhaft  bleibt 
mir  auch  der  vorgeschlagene  Schluß  von  Z.  2 ;  vielleicht  ist  statt  i  con[clavi] 
zu  lesen:  et  con  .  .  .,  aber  dann  weiß  ich  keine  passende  Ergänzung.  Im 
übrigen  sind  die  am  Schlüsse  der  Zeilen  der  Rückseite  vorgenommenen  Er- 
gänzungen zwar  nicht  immer  dem  Wortlaut  nach,  aber  wohl  überall  dem 
Sinne  nach  ausreichend  sicher. 

Für  die  Deutung  und  Beurteilung  des  merkwürdigen  Schriftstückes  sind 
alle  diese  geringfügigen  Zweifel  in  bezug  auf  die  Herstellung  des  Textes 
ohne  Belang.  Daß  wir  eine  eigenhändige  Aufzeichnung  des  Papstes  Cle- 
mens (VII.)  vor  uns  haben,  ist  auf  den  ersten  Blick  klar'.  Es  handelt  sich 
um  eine  Selbstkonsultation,  die  der  Papst  mit  sich  anstellt,  und  wer  sie 
liest,  wird  sofort  an  die  berühmte  Deliberatio  Innocenz'  III.  denken,  die  in 
das  Registrum  super  negotio  imperii  dieses  großen  Hierarchen  aufgenommen 
ist.  Wie  hier  Innocenz  erwägt,  welchem  der  drei  Prätendenten  auf  die 
Kaiserkrone,  Friedrich  II.,  Philipp  von  Schwaben,  Otto  IV.,  die  römische 
Kirche  ihre  Gunst  und  Unterstützung  zuwenden  soll,  und  w4e  er  die  Gründe, 
die  für  und  gegen  jeden  der  drei  geltend  gemacht  Averden  können,  zusammen- 
stellt, so  werden  in  unserer  Aufzeichnung  die  Wege,  die  aus  dem  Schisma 

'    Allenfalls  könnte  man  an    abseutia    denken;  doch  beliiedigt  diese  Ergänzung  wenig. 

"  Paläographisch  würde  sich  der  Beweis  dafür  führen  lassen,  wenn  wir  andere,  um- 
fangreiche eigenhändige  Schriften  des  Papstes  besäßen.  Das  ist  nicht  der  Fall.  Alles,  was 
ich  in  dieser  Beziehung  beibringen  kann,  ist  eine  bisher  ungedruckte  Originalsupplik  mit 
dem  eigenhändigen  Fiatvermerk  Clemens  VII.  (ein  stark  verkleinertes  Faksimile  bietet  neben- 
stehende Abbildung).  Und  von  ihm  kann  ich  nicht  mehr  sagen,  als  daß  er  nicht  gegen 
die  Eigenhändigkeit  unserer  Aufzeichnung  zeugt. 


Aus  der  ersten  Zeit  des  großen  abendländischen  Schismas. 


•21 


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herausfuhren  können,  erörtert  und  Vorschläge  und  Gegenerwägungen  neben- 
einandergestellt. Nur  daß  die  Deliheratio  Innocenz'  III.  die  Form  einer 
gut  disponierten  und  völlig  ausgearbeiteten  Denkschrift  erhalten  hat,  die 
offenbar  zur  Mitteilung  an  Andere,  wahrscheinlich  das  Kardinalkollegium, 
bestimmt  war,  während  in  unserer  Aufzeichnung  wirklich  eine  Art  von 
schriftlichem  Selbstgespräch  vorliegt,  das  wohl  eine  amtliche  Mitteilung  nach 
außenhin  vorbereiten  konnte,  in  der  Gestalt  aber,  wie  es  uns  erhalten  ist, 
gewiß  niemandem  zugänglich  gemacht  werden  und  nur  dem  Papste  selbst 
Klarheit  über  seine  Entschließungen  verschaffen  sollte'. 

Eine  gewisse  Disposition  fehlt  freilich  auch  in  ihr  nicht.  Zunächst  wird 
die  Frage  des  allgemeinen  Konzils  erörtert  (Recto  Zeile  i  —  29)'",  sodann  der 
Vorschlag,  einer  kleinen  Zahl  von  10  oder  20  Männern  die  Vollmacht  der 
Entscheidung  zwischen  den  beiden  Päpsten  zu  übertragen  (Recto  Z.  30—34, 
Verso  Z.  i  — 15);  darauf  folgt  die  Conclusio  (s.  Verso  Note  c),  die  beide 
Wege  ablehnt  und  einen  dritten  bezeichnet,  auf  dem  der  König  von  Kastilien, 
auf  den  die  ganze  Erörterung  abzielt',  für  die  Obedienz  des  Papstes  von 
Avignon  gewonnen  werden  soll. 


'  In  dieser  Hinsicht  kann  also  unsere  Aufzeichnung  eher  als  mit  der  Deliberatio  Inno- 
zenz' III.  mit  den  Selbstkonsultationen  des  berühmten  Staatssekretärs  der  Königin  Elisabeth 
von  England,  William  ("ecil  Lord  Burlcij^h,  verglichen  werden,  über  die  ich  Histor.  Zeitschrift 
52,  295  ff.  gehandelt  habe. 

*  Dazwischen  beziehen  sich  allerdings  Z.  lyff.  schon  auf  den  zweiten  Vorschlag  einer 
partikularen  Vei-sammlung. 

■"  Er  ist  also  offenbar  der  rex  in  /.  21  Recto.  und  die  regina,  ebenda  Z.  34,  ist  seine 
Gemahlin,  s.  unten  S.  28.  N.  4. 

4*  ■ 


28  Brksslau: 

Die  Aufzeichnung  des  Papstes  setzt  eine  Mitteilung  des  Königs  von 
Kastilien  voraus,  auf  die  sie  die  Antwort  vorbereitet'.  Diese  Mitteilung  war 
offenbar  ebenso  disponiert  wie  die  tlberlegung  des  Papstes;  sie  enthielt 
zunächst  den  Vorschlag  der  Berufung  eines  Generalkonzils  auf  Grund  von 
Beratungen,  die  in  Spanien  angestellt  waren',  ein  Vorschlag,  den  der  König 
Juan  —  an  ihn  ist  also  offenbar  zu  denken  —  auch  in  einem  eindring- 
lichen Briefe  an  den  König  Karl  V.  von  Frankreich  vom  20.  September  1379 
gemacht^  und  den  seine  Gemahlin,  die  Königin  Eleonore,  in  einem  wohl 
ungefähr  gleichzeitigen  Briefe''  an  denselben  lebhaft  unterstützt  hat.  Und 
sie  enthielt  weiter,  für  den  Fall,  daß  dieser  Vorschlag  von  Clemens  VII. 
nicht  angenommen  werden  sollte,  den  Antrag,  das  unheilvolle  Schisma  durch 
die  Berufung  eines  Partikularkonzils  zu  beendigen ;  sie  entsprach  also  in  dieser 
Beziehung  ganz  den  Gedanken,  die  der  Erzbischof  von  Toledo,  Pedro  Tenorio, 
im  Sommer  i  3  79  in  seinem  Traktat  an  den  Kardinaldiakon  von  St.  Eustachius, 
Pierre  Flandrin,  diesem  ans  Herz  gelegt  hatte\  Aber  sie  ging  in  diesem 
Teile  weiter,  als  Tenorio  gegangen  war,  und  maclite  Einzelvorschläge,  die 
der  Erzbischof  noch  nicht  vorgetragen  hatte.  Während  Tenorio  sich  darauf 
beschränkt  hatte,  ganz  allgemein  zu  beantragen,  daß  von  beiden  Seiten, 
von  dem  römischen  und  von  dem  avignonesischen  Papst,  Prälaten  oder 
andere  erprobte  und  zu  solchem  Werke  geeignete  Kleriker  bestimmt  werden 
sollten,  die  sich  sorgfältig  und  ernstlich  über  alle  Vorgänge  in  dem  Kon- 
klave von  1378  unterrichten  und  danach  die  Pest  des  Schismas  ausrotten 
sollten'',  sind  die  Vorschläge,  mit  denen  sich  Clemens  VII.  in  unserer  Auf- 

'  Vgl.  Z.  27  Recto:  Non  agitur  nunc,  quare,  non  sit  tenendum  concilium,  sed  quid 
respondendum ;  vgl.  Z.  17   Verso:  responsio  est  in  piano. 

^  Vgl.  Z.  21  Recto:  Rex  recitat  opinionem,  qua  deliberata  est  de  concilio;  dazu  die 
Aufzeichnung  bei  Baluze,  Vitae  paparum  Avenionensium  II,  855 :  unde  reges  Cast.ellae  et 
Aragoniae  deliberaverant,  quod  celebraretur  concilium. 

'    Baluze  II,  882  ff".    Über  das  Datum  vgl.  Vai.ois  I,  205,  N.  5. 

*    Mitgeteilt  von  Valois  I,  205,  N.  3. 

•''  Gedruckt  bei  Martene  et  Durand,  Thesaurus  novus  anecdotorum  II,  io99ff.,  der 
die  Abfassung  ganz  irrig  ins  Jahr  1381  verlegt.  Der  Traktat  Flandrins.  auf  den  Tenorio 
antwortet,  ist  im  März  oder  April  1379  vollendet,  vgl.  Bliemktzrieder,  Literarische  Polemik 
zu  Beginn  des  großen  abendländischen  Schismas  (Wien  1910)  S.  41*;  die  Replik  Flandrins 
auf  die  Antvi^ort  Tenorios  ist  im  Februar  1380  verfaßt  (ebenda  S.  60*  L):  endlich  wird  in 
dem  Briefe  Tenorios  an  den  Kardinal  von  Amiens  vom  21.  September  1379,  Baluze  II,  886, 
auf  die  Versendung  seiner  Schrift  bereits  Bezug  genommen.  Diese  ist  demnach  im  Sommer 
1379  entstanden. 

"    Valois  I,  207. 


Aus  der  ersten  Zeit  des  grojSen  abendläiid'iscJiea  Schismaft.  29 

Zeichnung  in  Z.  17  f.  und  von  Z.  3  2  der  Rectoseite  an  beschäftigt  —  er  hat 
sie  in  Z.  3 — 5,  8  —  9,  i  i.  13  der  Versoseite  durch  Unterstreichung  gekenn- 
zeiclinet  und  im  einzehien  glossiert  und  abgelehnt,  —  erheblich  präziser  for- 
muliert. Zur  Entscheidung  des  Streites  soll  eine  Versammlung  von  Prälaten, 
Männern  guten  Gewissens,  die  in  gleicher  Anzahl,  aber  wenigstens  zehn  von 
jeder  Seite,  von  beiden  Päpsten  ernannt  werden,  Vollmacht  erhalten.  Ob 
auch  Zeit  und  Ort  dieser  Versammlung  bestimmt  vorgeschlagen  waren,  und 
ob  etwa  die  erst  nachträglich  hinzugefügte  erste  Zeile  des  Verso  dahin  zu 
verstehen  ist,  daß  sie  zu  Ende  des  Dezembers  in  Florenz  zusammentreten 
solle,  muß  bei  der  mangelhaften  Erhaltung  des  Wortlauts  dieser  Zeile 
dahingestellt  bleiben. 

Wann  ist  nun  dieser  Vorsclilag  des  Königs  von  Kastilien  gemacht  worden? 
Nach  Z.  2  I  Verso  war  der  Kardinal  Petrus  de  Luna,  der  nachmalige  Papst 
Benedikt  XIII.,  bereits  zum  Nuntius  in  Spanien  ernannt  worden;  diese  Er- 
nennung war  am  18.  Dezember  1378  erfolgt';  doch  hatte  der  Legat  bis 
zum  Tode  des  Königs  Enrique  Trastamare  in  Kastllien  keine  Aiifnahme 
gefunden,  und  da  oflenbar  nicht  Enrique,  sondern  sein  Sohn  Juan  der 
kastilische  König  ist,  von  dem  in  unserer  Aufzeichnung  geredet  wird,  so 
bildet  dessen  Regierungsantritt  im  Mai  1379  einen  terminus  post  ((uem  für 
ihre  Abfassung.  Aber  sie  ist  gewiß  auch  jüngeren  Datums  als  die  Briefe 
der  Königin  Eleonore  und  des  Königs  Juan  an  Karl  V.  von  Frankreich, 
die,  wie  wir  oben  erwähnten^,  im  September  1379  goschiiebcn  sind,  in 
denen  aber  nur  von  einem  Generalkonzil  die  Rede  ist,  und  als  die  im 
Sommer  dieses  Jahres  verfaßte  Schrift  des  Erzbischofs  von  Toledo,  in  der 
zwar  der  Vorschlag  einer  Partikularversammlung  gemacht  wird,  aber  in  so 
viel  unbestimmterer  Form  auftritt.  Anderseits  ist  sie  jedenfalls  älter  als 
die  Versammlung  zu  Medina  del  Campo,  die  der  König  Juan  im  Herbst 
1380  berief,  auf  der  in  Anwesenheit  der  Legaten  beider  Päjiste  über  die 
Frage  des  Schismas  verhandelt  wurde,  und  die  schließlich  im  Mai  1381  zu 
der  Anerkennung  (Jemens'  VII.  durch  den  König  von  Kastilien  führte. 
Innerhalb  der  so  gewonnenen  Zeitgrenzen  von  Ende  Se])tember  1379  bis 
zum  Spätherbst  1380  fällt  nun  die  Absendung  einer  Gesandtschaft  des 
Königs  Juan,  die  sich  nach  Avignou  zu  Clemens  VII.,  nach  Aversa  zu  den 


'    Valois  I.  207. 
»   S.  a8. 


lU)  B  U  K  S  S  L  A  u  : ' 

s 

italienischen  Kardinälen'  und  nach  Rom  an  den  Hof  Urbans  VI.  begab,  um 
Zeugnisse  über  die  Rechtmäßigkeit  der  beiden  Papstwahlen  von  RT)m  und 
Fondi  zu  sammeln;  im  Mai  1380  waren  diese  Gesandten  in  Avignon.  Daß 
sie  in  Rom  noch  einmal  versucht  haben,  Urban  VI.  für  den  Konzilsgedanken 
zu  gewinnen,  ist  bestimmt  bezeugt';  daß  sie  in  Avignon  den  gleichen  Ver- 
such gemacht  haben,  kann  mit  voller  Sicherheit  angenommen  werden^.  So 
erscheint  es  als  sehr  wahrscheinlich,  daß  sie  die  Vorschläge  überbracht  haben, 
über  deren  Beantwortung  Clemens  VII.  in  unserer  Aufzeichnung  seine  Über- 
legung anstellt;  und  zu  dieser  Annahme,  der  zufolge  diese  in  den  Mai  1380 
zu  setzen  wäre*,  scheint  es  ausgezeichnet  zu  passen,  daß  der  Papst  Z.  6 
Recto  sagt:  et  advocati,  quo  statuetis,  venire  und  Z.  23  Recto:  In  quantum 
agitur  pro  instruccione  sua  (d.  h.  des  Königs  von  Kastilien),  non  aparet,  quod 
oportet  expectare  concilium,  nisiplus  aperiatis:  diese  Worte  richtet  der 
Papst  dann  in  Gedanken  an  die  kastilischen  Gesandten,  von  denen  er  weitere 
Eröffnungen  über  die  Absichten  ihres  Herrschers  entgegenzunehmen  be- 
reit ist. 

Unsere  Aufzeichnung  gibt  uns  sonach,  wenn  meine  Vermutung  zutrifft, 
Aufschluß  über  die  Antwort,  die  Clemens  VII.  im  Mai  1380  den  kastilischen 
Gesandten  erteilt  und  über  den  Inhalt  des  Briefes,  den  er  ihnen  an  ihren 
König  mitgegeben  hat'^.  Im  übrigen  bedarf  sie  kaum  einer  ausführlicheren  Er- 
läuterung. Daß  Clemens,  ebenso  wie  seine  Kardinäle,  den  Konzilsgedanken 
in  jeder  Gestalt  ablehnte,  ist  längst  bekannt;  bemerkenswert  sind  indessen 
die  weniger  juristischen  als  kirchenpolitischen  Erwägungen,  mit  denen  er 
seine  Entscheidung  vor  sich  selbst  rechtfertigt.  Im  einzelnen  möchte  ich 
nur  zu  wenigen  Stellen  ein  paar  Bemerkungen  hinzufügen.  In  Zeile  28 f. 
Recto  soll  nicht  etwa  gesagt  werden,  daß  die  Könige  von  Kastilien  und 
Aragon,  wie  der  Papst,  den  Konzilsgedanken  abgelehnt  hätten,  was  ja  der 


'    Siehe  oben  S.  8. 

"  Vgl.  den  Bericht  des  Rodrigo  Bernaldez  bei  Baluze  I,  iioi;  dazu  Bliemetzrieder, 
Das  Generalkonzil  im  großen  abendliindischen  Schisma  (Paderborn   1904)  S.  14  f. 

'    Valois  I,  318  mit  N.  5  gibt  es  als  feststehende  Tatsache. 

*  Gegen  sie  darf  nicht  geltend  gemacht  werden,  daß  es  Z.  34  Recto  heißt:  tres  car- 
dinales  .  .  super  hoc  diu  laboraverunt,  obschon  der  eine  dieser  drei  italienischen  Kardinäle, 
der  Kardinal  Orsini,  bereits  im  August  1379  verstorben  war,  denn  es  ist  hier  von  Bestrebungen 
der  drei  Kardinäle  in  der  Vergangenheit,  in  der  Zeit,  in  der  Orsini  noch  am  Leben  war, 
die  Rede. 

'    Vgl.  \' ALOIS  I,  204. 


Alis  der  ersten  Zeit  des  großen  abendländischen  Schismas.  |-}  1 

Wahrheit  offenbar  widersprechen  würde.  Der  Sinn  des  Satzes  ist,  wie  ich 
glaube,  der:  Wir  brauchen  uns  nicht  (deshalb)  zu  scheuen,  das  Universal- 
konzil abzulehnen,  weil  wir  wissen,  daß  die  Könige  von  Kastilien  und 
Aragon  in  dieser  Beziehung  ähnlich  (d.  h.  übereinstimmend)  denken.  In 
Z.  loVerso  wird  wohl  eine  Mitteilung  der  kastilischen  Gesandten  wieder- 
gegeben: ihr  Sinn  ist  wohl,  daß  der  König  Juan  die  Neutralität,  für  die 
er  sich  in  dem  Schisma  erklärt  hatte,  bis  zur  Entscheidung  im  Konzil 
weiter  festhalten  wolle.  Auch  Z.  1 2  Verso  gibt  wohl  ein  von  seiten  der 
Gesandten  für  die  Notwendigkeit  eines  Konzils  geltend  gemachtes  Argument 
wieder:  wie  der  Papst  selbst  (Z.  9,  10  Recto)  die  Kirche  als  seine  Gattin 
bezeichnet,  so  konnte  auch  die  Ansicht  von  den  Anhängern  des  Konzils- 
gedanken vertreten  werden,  daß  der  zwischen  zwei  Gatten  (den  beiden 
Päpsten)  ausgebrochene  Ehestreit  nicht  ohne  Mitwirkung  der  Gattin,  also 
der  gesamten  Kirche,  entschieden  werden  könne. 


Beilag 


e. 

Oben  S.  26  N.  2  habe  ich  auf  ein  zum  Zwecke  der  Schriftvergleichung 
dieser  Abhandlung  beigegebenes  Faksimile  des  Fragmentes  einer  von  Cle- 
mens VII.  unterzeichneten  Originalsupplik  (f.  86  der  Pariser  Handschrift)  hin- 
gewiesen, das  auch  sonst  willkommen  sein  wird.  Ich  lasse  hier  eine  Tran- 
skription dieses  Stückes  folgen. 

quod  cum  ipse  nuper  de  Quercubrivia  et  frater  Gu[illermiis]  Uate 

de  Brurolliis  dumtaxat prioratus  dicti  ordinis  ac  diocesis  Garnotensis  et 

a  dicto  monasterio  sancti  Petri  dependentes,  quos  tunc  temporis  [obtinjebant 

,  et  racione  permutacionis  huiusmodi  dictus  lohannes  de  Brurolliis  et 

dictus  Guillermus   de    Quercubrivia ipsosque  teneant    et    possideant 

pacifice    et    quiete,    quatenus    permutacionem    predictam    ratam    et   gratam 

habentes reservacionibus  quibuscumque  de  dictis  prioratibus  vel  eorum 

aliquo  forsam  factis  non  obstantibus  eique  conced (absque*  causa  ra- 

cionabili  et  legitima  nequeat  amoveri  constitucionibus  apostolicis  aut  statutis 


'    Die  in  (  )  eingeschlosstnen  Wort/>  xind  in  der  Supplik  gestrichen,  also  vom  Papste  nicht 
(/enfhmigt. 


32      B  R  i:  s  s  I,  A  ir :    Ay.s  de?'  ersten  Zelt  des  großen  ahendländischen  Schismas. 

vel  consuetudinibus  contrariis  (?)ipsius quibuscumque')  non  obstantibus 

cum  aliis  non  obstantibus  et  clausulis  oportunis. 

Fiat  G.' 
Datum   Avinione   V.  idus  Decembris  anno   tercio.* 

Recipe  H.  de  Päd 

In  dorso:   R[egistratum]. 


'  Die  in  (  )  eingesMossenen  Worte  sind  in  der  Supplik  gestrichen,  also  vom  Papste  nicht 
genehmigt. 

^  In  dem  erhaltenen  Teile  dieser  SuppliJc  fehlt  die  übliche  Bitte,  daß  die  Ausfertigung  der 
Urkunde  sine  alia  lectione  erfolgen  solle.  Sie  mag  avf  dem  abgeschnittenen  Teile  des  Blattes 
gestanden  haben. 

'  Die  Datierung  [1380,  Dezember  9)  hat  der  dem  Namen  nach  unbekannte  Datator  (s.  mein 
Handbuch  der  Urkunder/lehre  11'^,  illff.)  eingetragen.  Der  Kecipevermerk  ist  von  der  Hand 
des  Vizekanzlers,  des  Kardinals  von  Pampelona,  hinzugefügt.  Hinter  dem  Reiipevermerk  folgte 
dessen  Namensnnt'Tschri ft,  die  in  anderen  Originalsuppliken  regelmäßig  P.  Päpil  (d.  h.  Pampilo- 
nensis)  tautet. 


Berlin,  gedruckt  in  der  R«ielisdruckerei. 


Preuß.  Akad.  d.  Witsenseh. 


Phü.-hist.  Äbh.   1919.   Nr.  6. 


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Bresslaü:  Aus  der  ersten  Zeit  des  großen  abendländischen  Schismas. 


ABHANDLUNGEN 

DER  PREUSSISCHEN 

AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

JAHRGANG  1919 
PHILOSOPfflSCH-HISTORISCHE  KLASSE 


Nr,  7 
BRUCHSTÜCKE  DER  ÄLTEREN  LYRIK  IRLANDS 

GESAMMELT  UND  MIT  ÜBERSETZUNG  HERAUSGEGEBEN 

VON 

KUNO  MEYER 


ERSTER  TEIL 


BERLIN   1919 

VERLAG  DER  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

IN  KOManSSION  BEI  DER 
VEREINIGUNG  WISSENSCHAFTLICHER  VERLEGER  WALTER  HE  GRUYTER  U.  CO. 

VOBHALS  0.  J.  OÖSCHtaiSCHK  VKRLAGSH.UfDLUNO.    1.  GUTTENTAG,  VEttl.AUSUl  CllHANDLUNG. 
CEORU  BEIMKR.     KARI.  J  TRÖBNEK.     VHT  X.  COMl'. 


Vorgelegt  in  der  Sitzung  der  phil.-hist.  Klasse  am  10.  Juli  1919. 
Zum  Druck  eingereicht  am  gleichen  Tage,  ausgegeben  am  27.  August  1919. 


Vorwort. 

Uie  große  Masse  der  älteren  Lyrik  Irlands  ist  uns,  wie  diejenige  Griechen- 
lands und  Roms,  nur  in  Bruchstücken  erhalten,  welche  sich  als  Zitate  in 
verschiedenartigen  Werken  zerstreut  finden.  Manche  von  ihnen  werden 
als  Belege  in  Glossaren,  andere  in  metrischen  und  grammatischen  Abhand- 
lungen als  Beispiele  angeführt;  wieder  andere  stehen  in  den  Annalen  zum 
Gedächtnis  berühmter  Personen  und  Ereignisse.  Auch  als  Randeinträge  in 
den  Handschriften  finden  wir  sie.  manchmal  mit  Bezug  auf  den  dabei- 
stehenden Text,  öfter  bloße  Einfalle  und  Erinnerungen,  wie  sie  dem  Schrei- 
ber gerade  in  den  Sinn  kamen'. 

Alle  diese  dmecta  mernbra  einer  untergegangenen  großen  und  blühen- 
den Literatur  zu  sammeln,  übersteigt  die  Fähigkeit  des  Einzelnen  und  war 
besonders  jetzt,  wo  dem  Deutschen  der  Zutritt  zu  den  Handschriften  Groß- 
britanniens und  Irlands  auf  ungewisse  Zeit  gesperrt  ist,  nicht  in  Angriff 
zu  nehmen.  So  kann  ich  auch  keine  umfassende  und  planmäßig  angelegte 
Sammlung  bieten,  sondern  nur  das  Ergebnis  einer  langjährigen  Lektüre,  die 
meist  auf  ganz  andere  Zwecke  gerichtet  war.  Vor  allem  aber  mußte  ich  mir 
eine  zeitliche  Grenze  setzen,  da  im  Laufe  der  Jahrhunderte  das  Material 
schier  ins  Uferlose  wächst".  Ich  liefere  also  eine  Auswahl,  bei  der  ich 
besonders  bisher  überhaupt  nicht  oder  unkritiscli  edierte  und  übersetzte 
Stücke  drucke.  Der  Zeit  ihrer  Entstehung  nach  reichen  sie  vom  Anfang 
des  8.  bis  zum  ii.  Jahrhundert,  gehören  also  der  alt-  und  frühmittel- 
irischen  Sprachperiode  an.  Ihr  Inhalt  ist  ungemein  bunt.  Ich  habe  mich 
bemüht,  sie  in  gewisse  Gruppen  zu  zerlegen,  die  aber  nicht  immer  ganz 
reinlich  zu  scheiden  sind. 


'    Einige  der  Vierzeiler,  die  einen  abgeschlossenen  Sinn  geben,  mögen  auch  von  den 
Schreibern  selber  verfaßt  sein. 

'    Davon  geben  die  vielen  Zitate  aus  mittehrischen  Gedichten  in  dem  von  Bkrgin  im 
Supplement  zu  Eriu  veröffentlichten  grammatischen  Traktate  einen  Begriff. 

1* 


4  K.   Meyer: 

In  der  Übersetzung  wird  der  historische  Wert  der  Gedichte'  stärker 
hervortreten  als  der  dichterische,  der  nicht  gering  ist,  von  dem  aber  nur 
eine  ganz  freie  Übertragung  einen  guten  Begriff  geben  könnte.  Die  über- 
wiegende Mehrzahl  rührt  von  Berufsdichtern  her,  von  denen  wir  zwei 
Klassen  zu  unterscheiden  haben,  die  der  hochangesehenen  filid  (studierte 
Dichter,  Kunstdichter,  Hofdichter)  und  die  der  weniger  geachteten  Barden. 
Über  ihre  Rangordnung  und  die  ihnen  zustehenden  Metren  s.  Thurneysen, 
Ir.  Texte  ÜI,   S.  loyff. 

Zum  besseren  Verständnis  hebe  ich  im  einzelnen  hervor,  daß  es  bei 
Gedichten  auf  Personen  u.  a.  darauf  ankam,  den  Namen  des  Gefeierten 
oder  Geschmähten  niemals  zu  wiederholen,  sondern  ihn  mit  immer  neuen,, 
seine  Abkunft,  Rang,  Wohnsitz  usw.  bezeichnenden  Umschreibungen  zu 
nennen".  Was  die  dichterische  Diktion  betriflFt,  so  wäre  besonders  die 
häufige  negative  Ausdrucksweise  zu  erwähnen*,  die  meist  zu  größerer 
Emphase  dienen  soll,  oft  aber  auch  schalkhaft  gemeint  ist;  ferner  der 
Gebrauch  des  Abstraktums,  wo  es  sich  um  eine  persönliche  Beziehung 
handelt,  wie  z.  B.  wenn  a  ithc  mil  etaig  (Nr.  63),  wörtlich  'o  Speisen  von 
Kleiderlaus'  so  viel  besagen  soll  als  'o  du,  der  du  dich  von  Kleiderläusen 
nährst' \  Die  große  Häufung  von  adjektivischen  Attributen  sowie  die  kur- 
zen Einschaltungen  oder  Flicksätzchen  sind  durch  das  Prinzip  der  fort- 
laufenden Alliteration  (Kettenstabreim)  hervorgerufen,  über  das  ich  'Über 
die  älteste  irische  Dichtung'  I  S.  5  gehandelt  habe.  Diese  besondere  Art 
Stabreim  wurde  noch  bis  ins  9.  Jahrhundert  angewandt °. 

Ich  hoffe,  diesem  ersten  Heft  bald  ein  zweites  folgen  zu  lassen,  wel- 
ches Bruchstücke  von  geistlichen  Liedern,  von  Gedichten  auf  besondere 
Ereignisse,  von  solchen,  die  aus  Sagen  stammen,  und  von  Gelegenheits- 
dichtung aller  Art  enthalten  soll. 

'  Ich  mache  besonders  aufmerksam  auf  die  aus  der  WiJdngerzeit  stammenden  Ge- 
dichte mit  ihren  nordischen  Lelinworten  und  Anspielungen  auf  physische  Eigenschaften  und 
Sitten  der  Nordleute. 

''■    Davon  liefert  Nr.  23  ein  besondere  gutes  Beispiel. 

■'  /,.  B.  n7  löig  lobordaim  'kein  Kalb  eines  kranken  Hirsches'  1,  nJt  mess  methchrainn  'du 
bist  keine  Frucht  eines  siechen  Baumes'  33,  usw. 

*  Vgl.  ferner  er(/e  Nr.  23,  rüamna  Nr.  26.  11  Nr.  45,  dthurcvd  Nr.  47,  mesce  ehirmairi 
'^r.62.  ßss  fon  fir  Nr.  65,  diultad  dona  Nr.  78  u.sw.  So  ist  auch  a  marbad  AnchrJst  Cath 
Finntr.  89,  27   zu  verstehen   und  nicht  etwa   in  o  marhaid  abzuändern. 

'"  Mehr  oder  weniger  streng  durchgeführte  Beispiele  sind  Nr.  i,  7,  9,  10,  ii,  14,  17, 
22,  23,  45,  53,  54,  58,  64,  65. 


BrucJistilcke  der  alteren  Lyrik  Irlands. 


Gedichte  auf  Personen. 

A.  Loblieder. 

1. 

Tüarcaib  findbenna  fri  dam  nderca 
dam  ara  flaithcheniul  nechta; 
ni  löig  i  ligiu  lobordaim  laiges 
Leth  nEilim  imm  Sechnasach  saiges. 

Ir.  T.  in  59  §  114,  60  §  119,  97  §  157:  ilighu  lobardam  laides  157  illiuglui  M  leath 
nell  157  leth  neill  M  imosechnasacb  M. 

Es  erhebt  der  Hirsch  fiir  sein  erlauchtes  Herrschergeschlecht  die  lichten 
Spitzen  des  Geweihs  gegen  den  Hirsch  der  Höhle:  kein  Hirschkalb  ist  er, 
das  auf  dem  Lager  eines  siechen  Hirsches  liegt,  er,  welcher  Elims  um 
Sechnasach  gescharte  Hälfte  angreift. 

Bei  der  Lesart  ncilim  im  könnte  man  an  Dittographie  denken  und  deshalb  leth  Null 
vorziehen;  aber  der  Stabreim  bestätigt  die  Lesart  Eilim:  Sechnasach.  Die  dann  mit  saige.s 
einsetzende  Alliteration  geht  vom  Anlaut  der  letzten  Silbe  von  Scchnasach  aus.  Leth  nE/im  =z 
Ulster,  so  nach  dem  fabelhaften  König  Klim  mac  l'onrach  genannt.  S.  CZ.  Vlll  327.  5. 
TuL'RNEvsEN,  Zu  ir.  Hss.  l  84.  denkt  etwa  an  König  Sechnasach  mac  Blathniaic,  gest.  671. 
Wenn  die  Strophe,  die  als  Beispiel  fiir  da.s  Metrum  anamain  (in  §119  larcnmirc  na  hanamna) 
angeführt  wird,  richtig  überliefert  ist,  so  haben  wir  zwei  reimende  Zeilen  von  neun  und 
acht,  und  zwei  von  zehn  und  wieder  neun  Silben,  was  an  ähnliche  kymrisclie  Metren  er- 
innert. Kettenstabreim  außer  im  zweiten  Verse.  —  ni/chta.  Part,  zu  niyim  wasche',  im  Sinne 
von  'rein',  dann   wie  glan  usw.  'glänzend'. 

2. 

Labraid  lüam  na  lergge,        faglaid  fri  füam  fairgge, 
glass  glüairgrinn  fri  gente.       blass  biiainbinn  na  bairddne. 
Ir.  T.  in  40  §35:  fadlaig  /.  faghl.-n'dli  B  fuaim   L  gente  lasbardne  L  na  ryn. 

Labraid,  der  Lotse  des  Schlachtfelds;,  ein  plündernder  Held  l)eim  Meeres- 
tosen,  glänzend  festes  Riegelschloß  gegen  Heiden,  stets  liebliche  schmack- 
hafte Kost  der  Bardenkunst. 

Bezieht  sich,  ebenso  wie  die  nächsten  Strophen,  auf  Labraid  Loingsech,  einen  viellc^ichi 
historischen  König  von  Irland  zur  Zeit  der  Römerherrschafl  in  Britannien. 


6  K.   Meyer: 

3. 

1  Is  la  Labraid,  foroll  fechta,        fri  slüag  sainbress, 

ba  bricht  bladmass,        da  chet  cath  ö  Muir  Icht  sairdess. 

2  Tuirmem  a  deilb  nderscaigthi,        a  dreich  üasna  düisib, 
trenfer  cach  tüis,       glegel  a  gnüis  üasna  gnüisib. 

Ib.  §  36:  forull  L  nicht  L  delb  B  adnech  L  adech  B  uasan  codd.  duis  L  uasan  B. 

1  Labraid  ist  es,  welcher  zweihundert  Heereshaufen  südöstlich  vom 
iktischen  Meere  —  ein  gewaltiger  Heereszug  —  gegen  eine  besonders 
tapfere  Schar  besaß   —  es   war  ein   ruhmeskräftiger  Zauberspruch. 

2  Laßt  uns  seine  erlesene  Gestalt  beschreiben,  sein  Antlitz  leuch- 
tender als  Kleinode,  ein  Kämpe  jeder  Front,  glänzend  weiß  sein  Angesicht 
vor  (allen)  Angesichtern. 

Dies  bezieht  sich  auf  den  Kriegszug  Labraids  an  den  Ärmellsanal  [muir  nicht),  wohl 
eine  Reminiszenz  aus  der  Zeit  der  Pikten-  und  Ireneinfälle  in  das  römische  Britannien,  wo- 
von es  am  Schluß  von  Orgain  Dind  rig  (CZ  HI  8  §  29)  heißt :  riia  ragaib  rige  co  Muir  nicht, 
dia  tue  na  Gaullu  imda  leis  •!•  da  cKet  ar  fichit  cet  Gall  cosna  laignib  lethnaib  'na  lämaib  et  rie 
quibus  Lagin  dicuntur  'als  er  die  Königsherrschaft  bis  an  das  iktische  Meer  ergriff,  als  er 
die  vielen  Gallier  mit  sich  brachte,  nämlich  2  200  Gallier  mit  den  breiten  Lanzen,  nach  denen 
die  Männer  von  Leinster  genannt  werden'.  —  bricht  bladmass.  So  wird  der  Baum  Eo  ßossa 
Dinds.  §  160  bricht  n-eolais  'spell  of  knovvledge'  genannt. 


Fö  sen  dia  ngab  Oengus  Alpain,        Alpu  thulchach  trethantriathach ; 
ruc  do   chaithrih   costud   clärach        cossach  lämach   lethansciathach. 

Ir.  T.  III  33  §  7 :   ngaib  L  chathrachaih  codd.  labach  LL. 

Es  war  eine  günstige  Stunde,  als  Oengus  Alba  in  Besitz  nahm,  Alba, 
das  hnglichte.  voll  mächtiger  Fürsten.  Er  brachte  den  Städten  Krieg  mit 
Brettern,   mit  Füßen   und  Händen   und  breiten  Schilden. 

Die  Strophe  wird  (jriiibne  zugeschrieben  (Grüibni  eees  di  Alpain  •cc-).  dem  fili  König 
Feradachs  von  Schottland  (LL  28736).  Thurneysen,  zu  ir.  Hss.  I  84,  veiTOutet  gewiß  mit 
Recht,  daß  unter  Oengus  der  Bruder  des  ersten  irischen  Eroberei-s  von  Schottland.  Fergus 
Mör,  zu  verstehen  ist.  —  Der  Silbenzahl  wegen  habe  ich  älteres  chaithrib  für  chathrachaih 
eingesetzt.  Vgl.  den  Acc.  PI.  caithrc  C7^  VIII  198  §  18.  —  Außer  der  richtigen  Übersetzung 
des  vieldeutigen  cnstiid  (vgl.  fri  catha  ca>tt>id  Alt.  Dicht.  I  39  §  6)  ist  es  fiuglich,  ob  ruc  do 
nicht  als  rnr  di  'trug  davon'  zu  fassen  ist.  Bei  clärach  ist  wohl  an  einen  Angriff  auf 
Festungen  mit  Planken   und  Holzmasohinen  zu  denken. 


Bruc/istnckf  (In-  älteren   Lyrik  Irlands.  7 

5. 

1  Aed  Bennän       dind  Eoganacht  iar  Lüachair, 

is  mairg  seotu  dianad  ri,  *      ceinmair  tir  dianad  büachail. 

2  A  sciath  in  tan  focrotha,        a  bidbada  fobotha, 
cesu  becän  for  a  muin,        is  ditiu  dond  larmumain. 

Tig.  6i8,  FM  614:  don  codd.  mairg  setaib  T  cenmair  dia  tuathaib  dian  T  lutbotha  M 
cesa  codd.  as  codd.  don  codd. 

1  Aed  Bennän  vom  Stamme  Eogans  westwärts  von  Lüachir,  wehe  den 
Schätzen,  über  die  er  König  ist!  glückselig  das  Land,  dem  er  ein  Hirte  ist! 

2  Wenn  er  seinen  Schild  schüttelt,  so  schreckt  er  seine  Widersacher; 

ist  es  gleich  ein   winziges  Ding  auf  seinem  Nacken,  ist  es  ein  Schutz  fiir 

Westmunster. 

Auf  Aed  Bennän  (mit  den  Helmzinken),  den  619  gestorbenen  König  von  Westmunster. 
—  mairg  mit  dem  Akk.  wie  mairg  ar  mnä,  mairg  ar  maccn,  mairg  ar  süieJ    LL  119b  11. 
« 

6. 

Niamdatli   bennachtan   bailc   Pätraic,        feib   dosbert  for  Ociigus   n-;ni, 

dofessid  for  Cathal  cäingorm,        ruiri  tailc  tren  träeta  däl. 

Ir.  T.  III  41  §43:  bonachtaii  codd  baheilc  L  ba  hilc  H  feb  B  coengomi  L  c'engorni  B 
tren  brath  L  trenbrut  B  treata  B. 

Der  kräftige  glänzende  Schimmer  des  Segens  Patricks,  wie  er  ihn  dem 
herrlichen  Oengus  erteilte,  hat  sich  auf  den  hochberühmten  Cathal  nieder- 
gelassen, —  ein  starker  gewaltiger  Großkönig,  der  Völkerstämme  niederwirft. 

Die  Strophe  bezieht  sich  auf  Cathal  mac  Finguine,  Könif;  von  Munster  (gest.  742), 
der  ein  Nachkomme  von  Üeiigus  mac  Nadfröich  (gest.  490)  durch  dessen  Sohn  Eochaid  war. 
Dieser  Öengus  soll  24  Söhne  und  24  Töchter  gehabt  haben,  von  denen  er  je  zwölf  dem 
Dienst  der  Kirche  weihte  (Tar  ffchtain  do  Pätraic  iarum  adropart  da  mac  die  ocus  da  ingin 
dec  Deo,  qui  omnes  sancH  et  sanctae  sunt  Rl  502,  148a  41).  Der  hier  erwähnte  Segen  Patricks 
ist  wohl  das  bekannte  Gedicht,  welches  anhebt:  Bemlacht  De  fnr  Mtimain  (Trip.  470).  — 
linfesbid  =  do-es-fid,  das  perf.  Prät.  zu  saidim  Pedkrsen  §  803.  Vgl.  d/tessith  Fianaig.  34, 
17;  do/eisid  (-i-  larrtistar)  hrn  occaib  Laws  I  250,  18.  —  Da  das  Metrum  (ollhardne)  offenbar 
das  Schema  8 '-1-7'  hat,  habe  ich  im  vierten  Verse  bräth  ausgelassen. 

7. 

Badbri  cüicid  Erenn  uile,        ard  bara,  brass  bile, 
dobädi  sis,  ni  sid  chena,       cach  rig  acht  Rig  nime. 

LL  37  b  43 :  chuicid  her#n«. 


8  K.   Meyer: 

Der  Schlachtenkönig  der  ganzen  Provinz  von  Irland,  ein  erhabener 
Grimm,  ein  mächtiger  Baum;  jeden  König  vernichtet  er,  —  ohne  das  kein 
Frieden!   —  nur  den  Himmelskönig  nicht. 

Aus  einem  Gedicht  (düan)  Rechtgals  üa  Siadail,  einem  Dichter  des  8.  Jahrhunderts ', 
auf  Öengus  mac  Domnaill,  der  hier  als  König  von  Ulster  bezeichnet  wird.  Denn  cüiied 
Erenn  wird  AU  1096  (II  56)  mit  i'laid  glossiert.  So  wird  Eochaid  mac  Neill  AU  1062  mit 
rt[g]domna  coicid  Erenn  als  Thronfolger  von  Ulster  bezeichnet.  VgL  auch  Ottts  Cbnchobur 
cen  feil  /  i  commus  cöicid  Herenn  LL  355  m.  i.  Doch  ist  mir  ein  König  von  Ulster  des 
Namens  nicht  bekannt.  —  dobädi  zu  di-häid-,  Pedersen  §  660. 

8. 

Öengus  oll       fonn  fri  nath, 
febda  fial,       rian  fri  rath. 

Ir.  T.  III  37   §  22:  fian  L  rian   B. 

Der  mächtige  Öengus,  ein  Thema  für  Lieder,  tugendreich,  freigebig, 
ein  Weg  zur  Gnade. 

Zu  der  übertragenen  Bedeutung  von  fonn  'Boden,  Grund'  vgl.  Äed  fonn  fri  fuilted 
feie  Thes.  II  298,  i,  wörtlich  'Äed,  eine  Grundlage  für  Verbreitung  von  Gastlichkeit'.  Ferner 
fonn  flatha  f  vre  unten  Nr.  19. 

9. 

Bran  Berba  ballglaine,        bärc  thacid  thriüin, 
torc  indlaig  allmaire       a  hiathaib  iüil. 
Ir.  T.  III  14  §  31,  44  §  57  :  tor  ninglaig  H  torc  ilaigh  B  tor  nindlaig  LB''  inniathaibh  B. 

Bran  vom  fleckenreinen  Barrowfluß,  glückhafte  starke  Barke,  ein  Eber, 
der  überseeisches  Gut  aus  heimischen  Gefilden  zerbirst. 

Zum  Gebrauch  von  ball  bei  Gewässern  vgl.  tovd  bän  hallghss  [liallmass),  Anecd.  I  54, 
atd  topiir  ballälainn  tTsana  Lism.  L.  47  38,  wo  nicht  etwa,  wie  Stokes  annimmt,  ein  Eigen- 
name vorliegt.  —  Unter  allmaire  sind  Waffen,  Schmucksachen,  Wein  usw.  aus  Britannien 
oder  dem  Kontinent  zu  verstehen,  die  nach  Ii-land  {Tath  iüil)  gekommen,  von  Bran  im  Kampf 
gewonnen  und  unter  die  Seinen  verteilt  werden  (indlach).  Über  Bran  Berba,  der  795  starb, 
s.  Thurneysen,  Zu  ir.  Hss.  1  8.  80. 

10. 

Bran  find,        fi  drong, 
derg  rind,        ri  glonn. 
Ir.  T.  III  20  §  59,  48  §  81.  85  §  79:  fidh  B  fige  H  gab  rind  H  gab  rim  M  rig  L. 


S.  Thurneysen,  Zu  ir.  Hss.  1  S.  80. 


Bruclistiicke  d^r  älteren   Lyrik  Irlands.  9 

Der  blonde  Bran,   ein  Gift  für  Kriegshaufen,   eine  rote  Speeresspitze, 

ein  tatenreicher  König. 

Vielleicht  auf  den  König  der  Deissi  Bran  Find  (gest.  671).  Vgl.  Sitzungsber.  1915, 
S.  906.  ft  drimg,  einer,  der  wie  Gift  auf  Feindesscharen  wirkt.  Vgl.  cath  cofi  Hib.  Min.  41, 
7   und  unten   Nr.  49  1«  lau  di  nemib. 

11. 

Bran  dond,  din  slüaig,  seol  ngairgge,       garg  rind,  recht  rän  rüad  n-orbbai, 

orb   gäeth,    grian   läech,    län  fairgge,       fäel  crü,   cü  chüan  nad  chorbbai. 

Ir.  T.  III  13  §  26,  42  §  51 :  gairgi  LB'  ga.rrLB''  fairrgi  B  fergi  H  ferga  LB^  faelchru  B 
nochorpa  H  nadcorba  B. 

Bran  der  braune,  ein  Schirm  des  Heeres,  der  rauh  dahinfährt,  grimme 
Speeresspitze,  herrliches  starkes  Recht  der  Erbschaft,  weiser  Erbe,  Sonne 
der  Krieger,  Meer  in  voller  Flut,  blutiger  Wolf,  Wolf  der  Wolfsbrut,  der 
(seine  Ehre)  nicht  besudelt. 

fairgge  (nicht  ferge)  ist  im  Reim  auf  gairgge  die  richtige   Lesart. 

12. 

Di  insi  Med 

ma  dia  ris  Aigli; 

ili  cuile  cossa, 

ili  düissi  Elgge, 

ili  renna  nime, 

ili  tonna  mara: 

liä  däma  Domnaill. 

Ir.  T.  III  35  §  i6:  ilinsi  L  innsi  H  madiarais  L  niadiari  B  /aigli  B  cuili  LB  duile  duis 
elge  L  duile  dais  eilgi  B  ili  düissi  ego  nime  -i-  nad  forelgi  indel  L  neime  -i-  na  foreilgi 
indel  B  duma  L. 

Zahlreich  sind  die  Inseln  Med,  wenn  du  Aigle  erreichst;  zahlreich 
die  Füße  der  Fliege,  zahlreich  die  Schätze  Irlands,  zahlreich  die  Sterne 
des  Himmels,  zahlreich  die  Wogen  des  Meeres :  zahlreicher  sind  die  Gäste 
Domnalls. 

Insi  Mod,  die  Inseln  in  Clew  Bay,  deren,  es  der  Sage  nach  365  gebefi  soll.  —  Aigle, 
gewöhnlich  Crüachän  Aigli  (Mons  Egli)  genannt  (Trip.  112,  27)  oder  Crvachän  Pälraic,  jetzt 
Croaghpatrick,  ein  2510  Fuß  hoher  Berg  am  Südufer  von  Clew  Bay.  —  Elg,  einer  der 
vielen  in  der  Dichtung  gebräuchlichen  Namen  für  Irland. 

PMl.-hist.  Ahh.  1919.  Nr.  7.  2 


10  K.   Meyer: 

13. 

Anmchaid  Osraige  amra,        cäine  fadla  flathrige; 
dreeon  bruthmar  brüithe  elta       mac  Con  Cerca  cathmile. 
Ir.  T.  III  32  §  4:  Anmchad  L  Anaincaid  ö  ossairge  LL  flaithrige  L  dreccon  L. 

Der  ixihmreiche  Anmchaid  von  Ossory,  herrlichster  Aiifteiler  der  Für- 

stenherrschaft;    ein  feuriger  Drache,   der  Kriegerherden  zermahnt,    ist  der 

Sohn  Cü  Cerca's,  der  Schlachtenkämpfer. 

Über  den  Gefeierten,  König  von  Ossoi"y  im  8.  Jahrhundert,  s.  Thurneysen,  Zu  ir. 
Hss.  I  83.  —  elta  {iS)  f.  'Tierherde',  wie  «it,  büar,  Imaile  von  Dichtern  oft  fiir  eine  Krieger- 
schar gebraucht.  —  cathmile,  des  Reimes  wegen  statt  cathmtl  oder  späterem  cathmitid. 

14. 

Dünadach  din  slöig,        sab  catha  in  ciüin, 
cuimnech  rechta  rüaid       ria  sil  buidnech  Briüin. 
Ir.  T.  III  37  §  19:  dunchad  L  cuininith  L  cuimnid  B.  recta  codd. 

Dünadach,  der  Schirm  des  Heeres,    eine  Stütze  der  Schlacht   ist  der 

milde,    eingedenk    des  starken  Gesetzes   an  der  Spitze   des  scharenreichen 

Geschlechtes  Briöns. 

Der  Gefeierte  ist  wahrscheinlich  Dünadach  mac  Scandläin  aus  dem  Geschlechte  des 
Brion  mac  Fiachach  Fidgente,  König  der  Ui  Fidgente,  der  834  siegreich  gegen  die  Wikinger 
Itämpftc  und  835  starb.  S.  Rawl.  B  502,  iS2a  5  und  AU.  —  Meine  Besserung  cuimnech  gibt 
Reim  auf  buidnech. 

15. 

Is  he  Feidilmith  in  ri        diarbo  opair  öenlaithi 

aithrigad  Connacht  cen  chath       ocus  Mide  do  mannrad. 

AU  839,  Ir.  T.  III  17  §  46,  45  §  68 :  dianid  U  diara  B  opair  U  monar  cett.  aenaidhchi  B 
ectrad  rig  H  ardrigi  B  etirrige  L  eitrige  U  muchad  H. 

Das  ist  der  König  Fedilmid,  für  den  es  das  Werk  Eines  Tages  war,  (den 

König  von)  Connacht  ohne  Kampf  zu  entthronen  und  Meath  zu  zerstören. 

Bezieht  sich  auf  Kriegszüge  Königs  Fedilmid  mac  Crimthainn  von  Munster  im 
Jahre  840. 

16. 

Maith  tra  sin,        a  maicc  Chellaig,  a  üi  Brain! 

do  gfüad  chorcra,  do  barr  cass,        do  rose  glass  amal  in  glain, 

nirscara  fri  horddan  n-oll        airet  maras  mong  for  muir. 

Ir.  T.  III  16  §  41:  do  siiil  ghlas  do  bharr  cas  imar  in  snaidh  BM  gloin  H  niscere  B 
niscera  M  inned  marus  H. 


Bruchstücke  der  älteren  Lyrik  Irlands.  11 

So  ist  es  gut,  Sohn  Cellachs,  Enkel  Brans!  deine  rote  Wange,  dein 

krauses  Haupthaar,  dein  Auge  blau  wie  Kristall  —  mögest  du  nicht  von 

großer  Würde  scheiden,  so  lange  Wellenmähnen  auf  dem  Meere  sind! 

Auf  König  Cellach  mac  Brain  von  Leinster  (gest.  848).  —  In  der  Lesart  von  BM  ist 
snaid  wohl  eine  Nebenform  von  snaide  'Schnitzel'. 

17. 

Fiu  mör  do  maith  Mäel  Fäbaill,        inmuin  öenri  ard-älaind, 
etrocht  bass  fo  beun  büabaill,        bude  a  folt  for  find-güalaiiin. 

Ir.  T.  111  19  §  54.  47  §  76:  inian  ri  amhra  B  beind  HLB  mbuabaild  H  a  nm.  B  dar  a 
gualaind  H. 

Vieles  Guten  ist  Mäel  Fäbaill  würdig,  geliebt  ist  der  erhaben  schöne 

junge  König;    eine   glänzende  Hand   um    das  BüfFeltrinkhorn,  mit   gelbem 

Haar  auf  weißer  Schulter. 

Über  zwei  Fürsten  des  Namens  Mäel  Fäbaill,  die  beide  dem  9.  Jahrhundert  angehören, 
s.  Thurnevsen,  Zu  ir.  Hss.  I  S.  81.  —  Zu  benn  bfinbaill  vgl.  unten  Nr.  23  das  Adj.  crrm- 
bSabaltach. 

18. 

Imchomarc  Flainn,  flaith  nomdlig,        bäes  fomrig  nad  ricim  sair 

•   CO  rig  nAssail,  ap  druing  dil       fo  gil  chassail,  fo  chuind  chain. 

Ir.  T.  III  12  §  22,  42  §  47 :  nodlig-ff  bes  L  blaes  ß'  na  raigim  ß  naricim  L  naricind  B'> 
druing  dein  HM  den  B  om.  L  geil  H  co  cell  Jl  om.  ß  cuind  H  chnnd  ß  chunn  caim  B'>. 

Einen  Gruß  an  Flann,  ein  Fürst,  dem  ich  verpflichtet  bin!  Torheit 
ist  es,  die  mich  abhält,  nach  Osten  zu  kommen  zum  Könige  von  Assal, 
dem  Abt  der  lieben  Schar  in   weißem  Mantel,  in  schönem  .... 

Da  As.sal  ein  Sitz  der  Könige  von  Meath  war,  so  ist  wohl  Flann  mar  Mail  Spchnaill, 
Oberkönig  von  Irland  von  878  bis  916  gemeint,  derselbe,  der  in  der  nächsten  Strophe 
Flann  Midi  genannt  wird.  —  Zu  nomdlig  vgl.  äil  riün  descin  rTg  nondlig  Metr.  Dinds.  II  36, 
10.  —  ap  'Abt'  allgemein  für  'Herrecher'.  —  cuind  ist  durch  den  Reim  auf  druing  und 
durch  Alliteration  gesichert,  mir  aber  ein  unbekanntes  Wort.  Wenn  es  fiii-  cuing  stände, 
was  kaum  wahrscheinlich  ist,  wäre  zu  übersetzen  'unter  schönem  Joch'. 

19. 

A  Flaind   locha  linib  säme,        at  fond   flatha  fire, 
is  gnäth  la  Fland,  läthar  n-äne,        bare  sech  a  dine. 

LL  37  b:  fine  —  is  ego. 

2* 


12  K.   Meyer: 

0  Flann  vom  See  mit  Reihen  friedfertiger  Scharen,  du  bist  der  Boden 

wahren  Fürstentums;  die  Herrschaft  über  sein  Geschlecht  hinaus  —  eine 

herrliche  Satzung,  —  ist  Flann  anheimgegeben. 

Statt  la  Fland  ist  vielleicht  do  Fland  zu  lesen,  was  Stabreim  mit  tSthar  geben  würde.  — 
Unter  dem  See  ist  Loch  Uair,  jetzt  Loch  Owel,  in  Westmeath  zu  verstehen.  —  höre  (iä)  f., 
Abstraktum  zu  bar,  das  in  H.  3.  18,  65  a  mit  dem  aus  lat.  maior  [domus)  entlehnten  maoir 
{mair  ib.  633)  glossiert  wird.  Vgl.  bär  Bretan  LL  162a  20  (sie  leg.  Metr.  D.  1  10);  bar  betha 
com  breithemnas  BR  30,  bruthmar  bär  Rl  502,  116''  9  usw. 

/ 

20. 

A  Flaind,  at  lüam  in  gaiscid  grind        co  Maistin  maill, 

at  glan,  at  gäeth,  is  garg  do  rind,        at  läech  a  Flaind. 

Ir.  T.  III  9  §  10,  40  §  37 :  a  hai  laind  at  tualaing  gaiscid  L  a  laind  atri  ualaing  B  os 
mhaisdin  /?. 

O  Flann,    du  bist  ein  Steuermann  der   scharfen  Wafifen    bis  hin  zum 

mächtigen  Maistin,  du  bist  glänzend,  bist  weise,  grimm  ist  die  Spitze  deines 

Speeres,  du  bist  ein  Held,  o  Flann. 

Vielleicht  ist  mit  L  und  Thurkkysen,  Ir.  T.  III  153  at  tualaing  gaiscid  grind'  du  bist  der 
scharfen  Waffen  mächtig'  zu  losen;  doch  gibt  meine  Lesart  Alliteration.  —  mall  als  alli- 
terierendes Beiwort  für  örtlichkeiten  [mag  Cog.  122,  23,  muir  Metr.  D.  III  176,  135)  ist  schwer 
zu  fassen;  auf  keinen  Fall  'tedious',  wie  Stokes,  KC  XX  142,  12  übersetzt,  oder  'lazy',  mit 
GwYNN,  1.  c.    Eher  wohl  'wuchtig,  massig,  groß,  breit'  oder  dgl. 


21. 

Erig  süas,  a  Donnchaid  duinn,        for  Fötlai  forchair  foruill! 

bid  do  chert  ös  chorplai  Chuinn,        a  üi  chöim  chorcrai  Chonaill. 

Ir.  T.  111  17  §  44,  Zu  ir.  Hss.  I  72:  fotla  //  foreair  //  findgaiU  B  findglain  M  uas 
colblai^i?  corpblae  M  coim  H  cain  B. 

Erhebe  dich,  brauner  Donnchad,  über  das  mächtige  hochteure  (?)  Irland! 

Es  herrsche  dein  Gesetz  über  Conns  eigenstes  Gebiet,  du  holder  rotwangiger 

Enkel  Conalls. 

ITber  König  Donnchad  von  Irland  (919 — 944)  s.  Zu  ir.  Hss.  I  81.  Aber  die  darauf- 
folgende Strophe  gehört  nicht,  wie  Thurneysen  annehmen  n)öchte,  zn  dieser.  • —  forchair, 
das  im  Reim  auf  Donnchaid  steht,  ist  ein  mir  unbekanntes  Wort:  ich  habe  es  übersetzt,  als 
wenn  es  ein  Kompositum  von  dem  sonst  nur  als  Suffix  vorkommenden  car  'lieb'  mit  for- 
wärc.  —  corplai  =:  corp-blai,  wie  M  schreibt,  eig.  'Leibland'.  —  Zu  corcra  vgl.  nas  gnüis 
corcorda    LI'  120a  20  und  oben  Nr.  16  do  grüad  chnrcra. 


Bruchstücke  der  älteren  Lyrik  Irlands.  13 

22. 

Amläib  airchingid       ätha  airtheraig       Erenn  iathaige, 
dagri  Duiblinne       dene  düthaige       trene  triathaige. 
Ir.  T.  III  15  §  32  44  §  58:  aircendeach  B  ai-cingid  cett.  deni  tuathaigi  B. 

Olaf,  der  Vorkämpfer  der  östlichen  Furt  des  länderreichen  Irland,  der 

edle  König  von  Dublin,  dem  gewaltigen,  ererbten,  starken,  beherrschenden. 

Es  ist  wohl  Amläib  Cüarän  (Oleifr  Kuarän)  gemeint,  der  945  König  von  Dublin  wurde. 

23. 

Murchad  Maisten, 

macc  rig  Erenn,        erge  Coire 

Breccäin  barrdeirg       dar  brug  mBanba, 

marcach  eich  dein        dorngüalannaig, 

dergaid  gaithlenn,       grib  geratta. 

Gilla  gargmör       ic  guin  idal, 

airsid  Eorpa,        ecne  tuinne, 

töeb  fri  bratt  ngorm,        glan  a  glaissin, 

üa  rig  Chaissil       chombüaballaig, 

cuilen  miadach         min  merfota. 

Ir.  T.  III  72  §  29:  eirn-  M  cathlaind  M  ngrib  ngerfota  H  arsid  HB  re  brat  HB  vi 
brat  M  gglasin  JU. 

Murchad  von  Maistin,  Sohn  des  Königs  von  Irland,  der  sich  wie 
Brecäns  rotschäumender  Meeresstrudel  über  das  Gelände  Irlands  erhebt, 
Reiter  eines  schnellen  Rosses  mit  handbreiter  Schulter,  Speeresröter,  helden- 
hafter Greif,  grimmer  Jüngling,  wenn  es  gilt,  Götzendiener  zu  erschlagen, 
alter  Kriegsheld  Europas,  Lachs  der  Woge,  die  Seite  in  dunkelblauem 
Mantel  von  glänzendem  Waid,  Enkel  des  Königs  von  Cashel,  wo  Trink- 
hörner  kreisen,  ehrenvoller  junger  Wolfshund,  milder,  langgefingerter! 

Trotz  der  genauen  genealogischen  Angaben  ist  es  nicht  klar,  auf  welchen  Murchad 
sich  die  Verse  beziehen.  Thurneysen.  Zu  ir.  Hss.  S.  87  denkt  zweifelnd  an  den  Sohn  Brians 
m.  Cenneilig.  Der  Gefeierte  war  aber  doch  wohl  König  von  Leinster,  da  er  seinen  Sitz  in 
Maistin  in  der  heutigen  Grafschaft  Kildare  hatte.  Wenn  er  Sohn  des  Königs  von  Irland  ge- 
nannt wird,  so  genügt  dazu  vielleicht,  daß  sein  \'ater  Ansprüche  auf  die  Oberherrschaft  hatte. 
In  den  'Illinois  Studies'  1916  .S.  596  habe  ich  an  Murchad  m.  Finn  m.  Mail  niörda  gedacht, 
der  aber  schon  972  fiel.  Vgl.  AU  I  502  Anm.  2.  —  Unter  den  'Götzen anbetern'  sind  die 
heidnischen  Wikinger  gemeint.  Über  diesen  Gebrauch  von  Tdal  s.  Stokes,  RC  XXI  135.  — 
areide  Eorope  auch  RC  XX  44.  6. 


14  K.  Meyek: 

24. 

Murchad  Maisten,        macc  a  äisse  as  ferr  co  n-anmain, 
barr  gecach  glüaises  in  fidbaid,        cetach  Carmain. 

Ir.  T.  III  74  §  35 :  is  feir  HB  gliiaisses  M  fjluasfes  H  gluaisis  B'>. 

Murchad    von   Maistin,    ein   Jängling   von    bester   Seele   unter  seinen 

Altersgenossen,  ein  vielzweigiger  Baumeswipfel,  der  den  Wald  in  Bewegung 

setzt,  der  mit  Hunderten  Carman  bewohnt. 

Bezieht  sich  wohl  auf  denselben  Murchad  wie  das  vorige  und  nächste  Bruchstück. 
Auch  Carman  lag  in  Leinster.  —  Unter  dem  Wald  sind  Kriegeischaren  zu  verstehen.  So 
wird  Fianaig.  lo  §  8  eine  solche  eo-chaill  'Eibenwald'  genannt. 


25. 

A  muinter  Murchada  möir,        frisnä   geib  fid  nä   fiadmöin, 

maidm  for  barngeinlib   cu   Böinn        ro   bar  ngalimeirggib  griansröill; 

sceirdit  broig  snechta  asa  sröin        occaib  dar  Kchtga  imm  iamöin. 

Ii'.  T.  III  69  §  16:  risnach  31  boin  B  ria  B  sgerdid  brocc  M  agaibhther  {sie)  M  iarm- 
hoin  M. 

Ihr  Leute  des  großen  Murchad,  gegen  den  weder  Wald  noch  wilder 
Morast  verfängt,  vor  euren  iiordisclien  Standarten  aus  sonnigem  Atlas 
haben  die  .  .  .  Heiden  bis  an  den  Boyne  eine  Niederlage  erlitten.  Wie  sie  in 
später  Abendstunde  vor  euch  über  das  Echtgagebirge  fliehen,  sprützen 
Schneeflocken  aus  ihrer  Nase. 

Das  Wort  barn  kenne  ich  nur  ;uis  dem  Personennamen  Lug-hamn  Rl  502.  161  a  25 
und  aus  Glossen,  die  es  teils  mit  rrclitairc,  teils  mit  breithem  erklären,  was  hier  nicht  paßt 
Das  in  Contrib.  182  aufgestellte  barn  'quantity'  ist  eine  vox  nihili,  da  barnih  und  bairtie  in 
den  dort  angeführten  Zitaten  zu  bairenn  gehören.  —  Zu  sceirdim  'sprütze'  vgl.  in  diabal  ic 
sceirded  na  n-nifccdh  nadh  Lism.  L.  3713.  Unter  den  Schneeflocken  ist  der  sich  verdichtende 
Atem  der  keuchenden  Flüchtlinge  zu  verstehen.  —  Echtya  (iä)  f.,  das  heute  Slieve  Aughty 
genannte  Gebirge  an  der  Grenze  von   Galway  und  Cläre. 

26. 

Läechri  Bledma,  bress  Berba,        tress  tedma,  tuir  im  Tharbga, 

ri  rorüad,  rüamna  gormga       im  Cholba  soslüag  Sadba. 

Ir.  T.  III  13  §  25,42  §  50:  laechri  berba  bres  bledhma  B^  laecrig  H  laechraid  B  bladma 
B  bereas  B  roruaid  L  ngormgai  H  goimgai  L  colbai  H  soludh  B  soluaig  L  soluaid  B' 
sluaig  sil  sadbai  H  sosluag  cgo.  ■ 


Briutfistnc.ke  der  älteren    Lyrik   Irlands.  15 

Der  Kriegerkönig  von  Bledma,  der  Kämpfer  vom  Berbaüusse,  ein  pest- 
artig verheerender  Ansturm,  Herrscher  rings  um  Tarbga,  blutroter  König, 
rötlicher  Glanz  dunkelblauer  Speere  um  Colba  Sadba  mit  tapferen  Scharen. 

Bledma,  wohl  nicht  verschieden  von  Bladma  und  vielleicht  nur  dem  Reime  mit  ledma 
zuliebe  so  geschrieben.  Doch  s.  Hogan  s.  v.  —  Der  Oi'tsname  Cvlba  ist  wie  colba  Pfeiler' 
ursprünglich  Neutrum.  Vgl.  Cairpre  Colbi  Dinds.  21;  /  Colbu  Hogan  s.  v.  Colba  Sadba  'Sadbs 
Pfeiler  wird  sonst  nicht  erwähnt.  Auch  Taibga  läßt  sich  nicht  genau  lokalisieren.  Doch 
zeigt  die  Erwähnung  des  Flusses  Barrow,  daß  wir  es  mit  Siidleinster  zu  tun  haben.  — 
Meine  Konjektur  soilüag  gi-ündet  sich  auf  das  Voi-kommen  des  Wortes  in  der  nächsten 
Strophe,  wo  es  ebenfalls  im  Reim  mit  rorüad  steht 

27. 

Imchomarc  rorüad  rogda       d'  fir  imdich  soslüag  Sadba, 
a  iath  na  trenfer  tigba       üaim  do  thriath  glegel  Gabla. 
LL  37  c  44 :  sadha  —  2«  do  threnfer  im  vierten  Verse  am  Rande  tnath. 

Einen  flammenden  erlesenen  Gruß  dem  Manne,  der  die  treffliche  Schar 

von  Sadb   beschützt,    von    mir   aus    dem  Lande   der  noch  übrigen  Helden 

dem  glanzvollen  Herrscher  von  Gabla. 

Als  Beispiel  des  metrischen  Fehlers  a  köen  angeführt,  was  sich  wohl  auf  die  Wieder- 
holung des  Binnenreimes  trenfer  bezieht,  der  durch  die  Randbemerkung  wegkorrigiert  wird. 
Fi  reimt  vielmehr  glegel.  —  Die  Ortsnamen  Saab  und  Gabla  sind  beide  bei  Hogan  belegt, 
wenn  auch  ihre  Lage  fraglich  bleibt.  In  einem  von  den  Vier  Meistern  A.  D.  876  zitierten 
Gedicht  wird  König  Aed  Findliath  ri  slegderg  Sadbn  genannt. 

28. 

Nimthorba  gaim,  graif  nimgaib,        cia  gäirit  daim  Dromma  Nö, 
ardomröet  n  Cairrgge  Bläi,        mad  gabtha  gäi  düaine  dö. 

Tr.  T.  111  12  §  21,  42  §46:  ninithorbai  M  nimtorbai  B  gairni  graip  ningaib  M  gairnigip 
niogaib  B  graiph-  B'  nimgeib  L  cid  B  garit  BL  doroma  B  domrasd  B  mad  gaibthe  duan 
do   B  inagabtha   L  niagabthe  M  iiiagabt;ii   B'. 

Der  Winter  stört  mich  nicht,  mich  trifft  kein  Ungemach,  wenn  auch 

die  Hirsche   von  Druim  Nö  schreien:   der  König  von  Carric  Bläi   hat  micli 

empfangen,  die  Liedesspeere  sind  gut  von  ihm  aufgenommen  worden  (haben 

gut  bei  ihm  verfangen). 

Da  Druimm  No  (Nao  AU  640)  in  Leinster  liegt,  wird  wohl  auch  Carraic  Bläi  dort  zu 
suchen  sein.  —  In  torbaim  vermutet  Thürneysen  nach  brieflicher  Mitteilung  ein  Lehnwort 
aus  lat.  turbare.  Die  Wendung  nimthorba  ist  häufig  in  Gedichten,  z.  B.  LB  232  m.,  Anecd.  II 
3,  17;  femer  nTgtorhand  gach  toir  CZ  X  53,  20.  In  LL  262  a  ist  nadattorbad  mit  nachattairmescad 
glossiert.  —  graif  (graiph  B»)  ist  doch  wohl   das   aus    lat.  graphium  entlehnte  Wort  fiir  den 


16  K.  M 


E  Y  Ett: 


Schreibstift,  auch  vielleicht  'Brosche' ',  welches  eine  der  Entlehnungen  mit  unverändertem 
Singular  zu  sein  scheint  (Thurneysen  §  915).  Denn  der  Gen.  lautet  CZ  II  135  §  11  graiph 
[i  cinn  mo  deilge  graiph).  Daneben  kommt  bei  Dichtern  eine  Form  graph  (graf)  vor,  welche 
in  SR  1341  von  der  stechenden  Zunge  der  Schlange  gebraucht  wird  [nathir  rongäel,  garh  a 
graph),  dann  oft  in  allgemeinerem  Sinne  'Verletzung,  Schädigung,  Gefahr'  oder  dgl.,  wie  z.  B. 
Lee.  347  a:  ar  ternam  dün  ascachgraf;  LL  33a  12:  riiac  ramilt  'na  graf  cach  geic;  Betha  Col. 
C.  ed.  O'Kelleher  386,  12:  mtna  olc  tiä  giere  graf.  Diese  letztere  Bedeutung  nehme  ich  für 
unser  graif  an. 

29. 

A  ri  Femin,  fäilte  frim-sa,        a  rith  mara  buirb  tar  brüachaib, 
a  gnüis  roderg,  a  rind  ratha,        a  chomferg  catha  fri  C'rüachain. 
Ir.  T.  III  88  §  103:   bruach  BM  rath  B  coimiearg  h  ri  cruachan  B  ri  cruach  M. 

0  König  von  Femen,  heiße  mich  willkommen,  du  Sturz  des  wilden 
Meeres  über  Küsten,  du  tiefrotes  Antlitz,  du  Stern  der  Gnade,  (fu  Schlachten- 
grimm gegen  Cruachan. 

30. 

Cuim  Chüalann,        cia  'sin  chüiciud  noscongbann? 
Do  Domnall        däilter  in  buiden  büaball! 
Ir.  T.  in  70  §  19  und  §  22 :  isin  cuigeadh  M  coigidh  B. 

Die  Trinkhörner  von  Cüalu,  wer  ist  in  der  Provinz,  der  sie  ergreift? 

Domnall  werde  die  Menge  der  Hörner  zugeteilt! 

Die  Trinkhörner  sind  das  Symbol  der  Königshen-schaft  von  Cüalu.  Vgl.  ein  Gedicht 
in  Anecd.  I  14  über  die  lenna  flatha  Irlands,  wo  auch  coirm  Cüalann  erwähnt  wird.  Unter 
der  Provinz  ist  Leinster  zu  verstehen. 

31. 

Cuir  failti  frimm,  a  ri  Röirenn,        a  lind  bäiti  büaball, 
a  glass  ar  oscaraib  Erenn,        a  chostadaig  Chüalann! 
Ir.  T.  III  73  §  30:  rim  B  rium  ß'  baiti  ff  baite  M  buidi  BB>'. 

Heiß  mich  willkommen,  König  von  Röiriu,  du  Trank,  der  Trinkhörner 

überschwellen  läßt",  du  Riegel  gegen  feindüche  Gäste  Erins,  der  du  Cüalu 

verteidigst. 

In  'Miscellanea  hibernica'  (Illinois  Studies  19 16,  S.  596)  las  ich  lind  buidi,  ohne  zu 
beachten,  daß  bäiti  mit  seinem  Reim  &\ä  fäilti  die  richtige  Lesart  ist  Auch  habe  i«5h  dort 
oscar  nicht  gut  mit  'dunce'  übersetzt,  was  hier  nicht  paßt. 

'    Wenn  es  in  der  Stelle  Trip.  92,  7  dorochair  a  graif  a  hrut  Pätraic  diese  Bedeutung  hat 
"    Wöi'tlich  'ertränkst'. 


Bruchstücke  der  älteren  Lyrik  Irlands.  17 

32. 

Ri  Achaid  Uir  ibardraignig        crathaid  in  lüiii  lethanmerlig, 
ocon  maigin  muiredruimnig       Laigin  ina  lebargemlib. 
Ir.  T.  in  12  §  17:  crathaigh  B  craithig  M. 

Der  König   des   eibendornichten  Acliad  Ur,    weithin   schüttelt   er  die 

.  plündernde  Lanze :  an  der  liocligratigen  (?)  Stätte  sind  Männer  von  Leinster 

in  ihren  Hand-  und  Fußfesseln. 

Der  König  braucht  nur  die  Lanze  zu  schwingen  und  die  Feinde  sind  schon  unter- 
worfen. —  Acha'l  Ur,  jetzt  Freshlbrd  in  dei-  Grafschalt  Kilkenny.  —  crathaid  des  Reimes 
Achaid  wegen  =:  crothaid.  —  Zu  lün  (ä)  f.  'Lanze'  s.  'Death-tales',  Index.  - —  muirf-druimnech 
enthält  wohl  mvire  'Herrscher',  doch  ist  der  Sinn  des  Kompositums  schwer  zu  fassen 
Vielleicht  bezieht  es  sich  auf  einen  Bergi-ücken,  auf  dem  der  Herrschei-sitz  liegt.  —  lebar 
yemel  entspricht  genau  dem  aus  dem  Altengl.  entlehnten  lany-fetir  'Langfessel'. 

33. 

A  Mail  Sechlaind,        nit  mess  methchrainn, 
airgfea  Rechrainn  rebthruimm  rüaid; 
a  chliath  chorrga  thromda  thogda, 
dorrga  thogla  Temra  tüaid. 
Ir.  T.  III  88  §  105:  nid  T  m  B  reacraind  B  thaghdha  M  teghdhai  2'. 

0  Mäel  Sechlainn,  du  bist  keine  Frucht  eines  siechen  Baumes;  du 
wirst  das  kriegerische  kampflustige  Rechru  plündern,  du  wuchtige  erlesene 
Phalanx  spitzer  Speere,  du  grimme  Lanze  der  Zerstörung  Taras  im  Norden. 

Bezieht  sich  wohl  eben  o  wie  die  folgende  Strophe  auf  den  1022  gestorbenen  König 
von  Irland  Mäel  Sechlainn  '.  Zu  nJ  mess  methchrainn  vgl.  m  Ini  crätb  crmfedo  Ciilumb  '('.  war 
kein  Zweig  eines  welken  Baumes'  Rl  502,  122''  26.  —  Rechru  (nn)  f.  ist  der  Name  mehr 
als  eines  Ort«s.  S.  HotiAV.  ünom.  s.  v.  —  durr-tja  zu  doirr  'Zorn,  Grimm',  wovon  neuir. 
ilirrrach,  dorrdha  abgeleitet  sind.  Vgl.  doirr  nä  diuliad  nä  doichell  CZ  IX  486  §  2 ;  cen  dtiirr 
Kr.  V  66,  11;  Metr.  D.  III  60,  81;  GSg.  do  druim  a  doirri'  ib.  56,  41,  und  das  Adj.  doirrech 
'zornig'  in  dem  Eagennamen  Dubän  Doirrech  YBL  325c  2. 

34. 

Mäel  Sechlaind  mac  Domnaill  dathgil,        dorn  i  Tailtin   tulgatänaig, 

daig  nä  daim  crannchor,  nio  chara,        anfud  mara  murbratänaig. 

Ir.  T.  III  71  §  25:  daithgil  T  daithghil  ß  nach  MT  crannchar  B  anfad  BTH  mulbra- 
tanaigb  H. 

'    Die  inittelir.  Form   vom  altii-.  Sechnaill.     Vgl.  unten   Nr.  105  (9.  Jahrhundert). 
PhiL-hist.  Abh.  1919.  Nr.  7.  3 


18  Iv.  Meyer: 

Mael  Sechlainn,    Sohn  des   weißfarbigen  Domnall,   der   die  Faust  auf 

Tailtiu  mit  geflochtener  Brustwehr  legt,   ein  Held  wie  eine  Feuerflamme, 

der  keinen  Loswurf  duldet,  mein  Freund,  Sturm  des  seefischreichen  Meeres. 

Tailtiu,  jetzt  Teltown  in  der  Grafschaft  Meath.  Der  Dichter  will  sagen,  daß  M.  König 
von  Meath  ist.  —  Lies  vielleicht  nad  daim. 

35. 

Ingen  laich  as  luchru  a  Laignib,        nach  len  locht, 
comsolus  eter  a  failgib       is  a  folt. 
Ir.  T.  in  88  §  107 :  luchra  B  lucru  i  M  nis  M. 

Tochter  des  glänzendsten  Kriegers  von  Leinster,  der  kein  Makel  an- 
haftet, gleich  hellschimmernd  in  ihren  Armringen  und  ihrem  Haar. 

36. 

Cuirn  maicc  Donnchada       dlegait  buidechas,        buide  benngella; 
francaig  fognama,        fine  chuindgeda,        santaig  senmeda. 
Ir.  T.  III  91  §  128:  fochama  B  focama  M  fognama  ego. 

Die  Trinkhörner  des  Sohnes  Donnchads  verdienen  Dank,  gelbe  Horn- 

pfänder.    Die  fränkischen  Söldner,  ein  begehrliches  Geschlecht,  sind  gierig 

auf  alten  Met. 

Wie  in  den  ersten  Jahrhundei'ten  aus  Galliern,  so  bildeten  irische  Könige  in  späterei- 
Zeit  ihre  Leibwachen  oft  aus  Franken.  Im  1 1 .  Jahrhundert  dienten  dann  öfters  Wikinger 
als  Söldner  an  irischen  Höfen,  was  u.  a.  aus  einem  Verse  Mac  Liacs  hervorgeht:  a  Goill 
's  a  amais  imda  Q7,  VIII  226  §  18. 

37. 

Snäifid  sruth  na  Müaide  möire       mine  miadaige  meraige 

macc  rig  Clüana  cröine  crine       ciabaige  celaige  cnämaige; 

ricfa  broinn  na  Berba  birda       brogda  bägaige  blöedaige, 

öegaire  bö  Cerna  is  Clidna       is  Cnogba  is  Cäinrige  is  Clärmide. 

Ir.  T.  III  89  §  1 1 7  :  snaidfidh  B  cluaine  M  ciabaigh  B  colaige  B  ciallaighe  T  blaedhaighe  B 
baeglaige  MT  ricfa  abhainn  T  cnodhba  B  cermna  B  caonraige  is   ciarruidhe  is  clarmidhe  T. 

Er  wird  den  Strom  des  großen  sanften  berühmten  wilden  Moy 
durchschwimmen,  der  Sohn  des  Königs  vom  dunkelgelben  verwitterten 
buschigen  .  .  .  knochenerfullten  Clüain. 


Bru<:hstikke  der  älteren  Lyrik  Irlands.  19 

Er  wird  das  Bett  des  Barrowstroms  erreichen,  des  wasserreichen,  ge- 
waltigen, ungestümen,  lärmenden,  der  Hirte  der  Rinder  von  Cerna  und 
Clidna  und  Cnogba  und  Cäinrige  und  des  flächereichen  Meath. 

Müad  (ä)  f.  ist  der  heute  Moy  genannte  Fluß,  der  sich  in  die  Bucht  von  Killala  er- 
gießt. Welcher  Ort  mit  Clüain  gemeint  ist,  .läßt  sich  nicht  bestimmen.  Cerna  und  Cnogba 
werden  auch  sonst  zusammen  genannt.  Ein  Ort  Clidna  ist  mir  in  Meath  oder  Bregia  nicht 
bekannt.  Cäenrige  wird  LL  389b  11  als  zu  den /orsluinti  der  Ui  Briüin  Chüalann  gohöris 
erwähnt.  —  Die  Lesart  von  M  celaige  (statt  ceölaige)  ist  vorzuziehen,  weil  sie  Reim  vmt  vteraigfi 
gibt,  obgleich  ich  das  Wort  nicht  übersetzen  kann.  —  öegaire  bö  wie  (mackail  sWgtkey laich 
Rl  502,  86  a  14. 

38. 

A   Dorchaide  delbdathaig,        a  del  tressa  tromthoraig, 

a  minn  marcslüaig  munchoraig,       a  maicc  charprüaid  Chonchobair. 

Ir.  T.  in  II  §  15.  41  §44:  delchataig  fl  delbcathaigh  Ä  dcil  H  delb  Ä  truthoraig  L 
tromtoraid  B  torthoraig  ff'  tromtura^  U  mic  HB  carpruaid  HB  corpruaid  L  crapcruaidh  /?'. 

Dorchaide,  du  schöngestalter,  Schlachtrute  des  schwergehäuften  Kampfes, 
Diadem  der  halskettengeschmückten  Reiterschar,  leibesstarker  Sohn  Con- 
diobors  I 

Dorchaide  als  Eigenname  auch  Düanaire  Finn  25,  4.  —  munchnraih  fasse  ich  als  ein 
von  *  muin-chor  'Halskette'  abgeleitetes  Adjektiv,  das  TBC  2804  substantiviert  vorliegt  {muin- 
cliorach  n-argait  im  chechtar  n-ät),  wo  LL  fälschlich  mrmchoOrach  liest.  Ein  muinchorach 
mit  ganz  anderer  Bedeutung  findet  sich  Anecd.  III  29,  3  amämdervMar  do  imvg  a  mmäthar 
muinchoirchf  mTairliche,  mo  chäine  cetmuintire  'damit  ich  nicht  durch  die  Erpressung '  ihrer 
betrogenen  übelberatenen  Mutter,  meiner  schönen  Gattin,  geschädigt  werde'.'  Dieses  rnuin- 
chorach    stelle   ich  zu  main  {maoin  FM  866)  "Betrug'  ( Death-tales,  Index)   und  cor  'Vertrag'. 

39. 

Ardn  Ele  airechtach,        cöem  in  cele  coimsercach: 
sochaide  'sa  hoidid  uair       5  chloidera  chrüaid  choimeltach. 

Ir.  T.  III  12  §  18. 

Der  Überkönig  von  Ele,  Haupt  der  Versammlung,  hold  ist  der  liebende 
Gefährte;  viele  liegen  in  kaltem  Tod  durch  sein  hartes  wohlgeheftetes 
Schwert. 

In  Illinois  Studie>  S.  591  habe  ich  mimxerin<h  und  cnime'tach  g<!druckt  und  über- 
.setzt,  ohne  v.n  bedenken,  daß  der  Reim  auf  airechtach  eine  kurze  ei'Ste  Silbe  erfordert. 

'    S.  Laws  Gloss.  s.  v.  frrach. 

'    -derustar.  Konj.  Pass.  zu  di-reg-.   Pedehsen  §  794,  3. 


20  K.   Meyer: 

40. 

Bendacht  üaim  for  P^thni  n-ollguirm,        ingen   Domnaill   däiles  bir, 

ica  n-esbius,  lar  cüairt  chathrach        fo  neim  iiathracli, 

eire  ochtair  cethrair  bachlach       sithchenn  srathrach,  srfiaim  de  mid. 

Ir.  T.  III  72  §  28:  uam  H  uaind  M  neam  B  strathruch  //  sriiamh  T  do  B. 

Segen  von  mir  auf  die  glorreiche  Ethne,  die  Tochter  des  speere- 
verteilenden Domnall,  bei  dei-  ich  nach  einer  Runde  durch  die  Stadt,  wo 
icli  nichts  als  Schlangengift  erhielt,  einen  Metstrom  getrunken  habe,  der 
eine  Last  für  vier  und  zwanzig  langköpfige  Kerle  mit  Packsätteln  ge- 
wesen wäre. 

41. 

Cia  ö  thucais-siu,  a  fir       cerdda,  in  ndelg  n-arcait  gil? 
is  döig  lemm-sa  is  e  macc       düasach  Domnaill  doridnacht. 

Ir.  T.  III  20  §  56 :  tucaisiu  —  in  delg  arcait  —  leam  dorn — . 

Wer  ist's,  von  dem  du  die  Brosche  von  weißem  Silber  erhalten  hast, 
0  Mann  der  Kunst?  Es  will  mir  scheinen,  es  ist  der  freigebige  Domnall, 
der  sie  geschenkt  hat. 

Als  Beispiel  von  debide  docheil  a  chubaid  'debide.  das  seinen  Keim  vei  birgt',  so  ge- 
nannt, wtil  logisch  zusammengehörende  Worte  [fer  cerdda,  mac  Diimnaill)  hier  durch  di-n 
Reim  auseinaiidergerissen  sind.  —  doridnacht  mittelir.  Prät.  Pass..  während  es  im  Altirischeu 
aktiv  ist. 

42. 

Muinter  üi  Chonchobair,        crö  tend  imm  thigerna, 
ruibne  na  roglöire,        ogmöire  ilerda. 

Ir.  T.  III  92   §  136:   6  Conchubar  T  thenn  T  ilarda  M. 

Die  Familie  des  Enkels  Conchobors,  ein  fester  Hag  um  einen  Herrn, 
große  Scharen  des  großen  Ruhmes,  Gelehrte  mancher  Art. 

ogmoir,  eig.  ein  'Ogamist',  ein  in  der  Kenntnis  des  Ogam  Bevi'anderter.  Vgl.  Morann 
mac  Mniti  int  ogmoir  CZ  III  15:  fö  lim  cen  cop  ogmöir  'es  ist  mir  einerlei,  wenn  er  auch 
kein  Ogamgelehrter  ist'  Ir.  T.  III  73   §  31.     Davon  ogmöracht  f.  'Oganikunde'  AU  1328. 

43. 

Ua  Bricc  Bregain,   önd  Licc  Lebair        ticc  i   Temair  toraib, 
muir  dar  Mumain,  daig  nä  dubaig,        traig  dar  tulaig  Tomair. 
Ir.  T.  III  73  §  32:  brecaim  H  ta.r  H. 


Brtichstiwke  der  älteren  Lyrik  Irlands.  21 

Der  Enkel  Brecs  von  Bregon,  vom  Langen  Stein  kommt  er  mit  Kriegs- 
haufen nach  Tara  hinein;  ein  Meer,  das  sich  Ober  Munster  ergießt,  eine 
Flamme,  die  nicht  dunkel  wird,  ein  Fuß,  der  über  Tomars  Hügel  hinweg- 
schreitet. 

Bregon  (Mag  Bregoin)  liegt  in  dem  Femen  genannten  Gebiet  in  Munster.  —  Die  Lage 
von  I>ecc  Lebar  ist  mir  nicht  bekannt.  —  Statt  nä  dnhaig  ist  vielleicht  nad  dubaig  zu  lesen. 
—   Unter  Tomur  ist  das  Gebiet  der  Ui  Thomair  zu  verstehen.    S.  Sitzungsber.  19 1 8  S.  1033. 


44. 

Nert  tar  buidne,        cert  co  cuibde,        fuidle  faidbe, 

troich  do  tbinme,        triall  dar  Tidle,        rigne  imm  Raigne. 
Ir.  T.  III  75  §  37:  faibhdhe  M  troith  M. 

Gewalt,  die  sich  über  Scharen  erstreckt.  Recht  mit  Fug,  ein  schnelles 
Aufräumen,  Vernichtung  von  Todgeweihten,  ein  Marsch  über  die  Grebiete 
von  Tidel,  ein  fester  Griff  um  Raigne. 

Der  Gefeierte  ist  nicht  genannt.  —  fiädte  NIM.  \on  fuidel(l)  (ä)  f.  'Überbleibsel'. 
Vgl.  fuidlp  na  erand  Corm.  §  76.  —  faidbe  scheint  mit  Metathesis  (nr  jaibde  zu  stehen,  NPl. 
\im  fobaid  •!•  lüath  nö  etgaidh  O'Cl.  Vgl.  (eich)  crechfobdi  'beutegeschwinde  Pferde'  Br.  D.  D. 
§51:  ferner  laich  angbaidi  faidbe  (Ir.  Nenn.  75  §  37.  Das  Abstraktum  dazu  fnibde  (iä)  f. 
kommt  Er.  IV  136,  13  vor  [faibde  rath),  wo  eine  Hs.  ebenfalls  die  Metathese  hnt.  —  tinme 
r=  tinbr,  .\b8tr.  zu  to-ind-btn-.  —  Tidel,  Druimm  Tidil,  Cell  Tidil  sind  ebenso  wie  Kaigne 
Ortsnamen.     Hier  liegt  der  API.  vor.  —  rignf  (iä)  f.,  eig.  'Steifheit'. 


45. 

Ri  Raithlind,        rose  maillech,        muir  Manann, 
li  dathphill,       doss  duillech,        delb  canann. 
Ir.  T.  m  96  §  153. 

Der  König  von  Rathlinn,  ein  mildes  Auge,  (wie  das)  Meer  der  Insel 
Man,  schimmernd  wie"  ein  farbenreiches  Roß,  ein  blättergeschmückter  Baum, 
von  Aussehen  und  Gestalt  ein  junger  Wolf. 

Raithlinn  ist  die  Form  des  Gen.  auch  in  Lism.  L.  2143,  wo  es  auf  aiffrinn  reimt.  So 
st  auch  ib.  2124  im  Re'm  mit  maithgrtim  zu  lesen.  Vgl.  ferner  Eoganaiht  Raithlind  Rl.  502, 
149a  und  s.  HoGAN  s.  V.  —  Die  See  um  die  Insel  Man  herum  ist  wegen  ihrer  Klarheit  und 
Durchsichtigkeit  berühmt,  worauf  sich  auch  wohl  die  Bezeichnung  Mutr  Menti  für  die  'Irische 
See'  bezieht. 


22  K.  Meyek: 

46. 

A  öclaig  öic,        nochon  urusa  do  thathäir, 
is  mör  do  nert,        is  acat  atä  cert  Cathäir. 

Ir.  T.  III  75  §  36:  nuclian  H  do  tair  H. 

Du  junger  Krieger,  dich  zu  schmähen  wäre  nicht  leicht;  groß  ist 
deine  Macht,  du  bist  im  Besitze  von  Cathäirs  Rechten. 

Wohl   an   einen  Nachkommen  König  Cathäirs  des  Großen  (4.  Jahrhundert)   gerichtet. 

47. 

Conchobur  cath  merggech  mör       tentech  tren, 
diburcud  d'arm  rindech  rüad        grindech  ger. 
Ir.  T.  III  82  §  60:  diburgad  H  dibrugad  B  dibrugudh  M. 

Conchobor  mit  standartenführenden  großen  feurigen  starken  Schlacht- 
haufen,  der  ein  spitziges  rotes  grimmes  scharfes  Geschoß  schleudert. 

48. 

Rüaidri  Rätha  Broccäin  bricc,        beimm  dobeir  nathair  do  neoch, 
üa  rig  Chairn,  dann  bräthar  Briain,       is  dath  ind  fiaich  for  a  eoch. 

Ir.  T.  III  78  §  48:  dath  f'ola  in  fiaigh  arxochu  M  dathtuirb  ind  tiaich  //  ar  codd. 

Rüadri  vom  bunten  Räith  Broccäin,  ein  Natternstich  für  alle,  Enkel 
des  Königs  von  Carn,  vom  Bruderstamm  Brians,  mit  seinem  raben- 
schwarzen Roß. 

tiber  Räith  Broccäin  s.  Hogan.    Welches  Carn  gemeint  ist,  läßt  sich  nicht  sagen. 

49. 

Gec  ro-äs  a  hOrchaill  Ulad,       üall  co  Her, 

räd  nad  chehd,        is  län  di  nemib  co  nem. 

Ir.  T.  III  20  §  58,  47  §  80:  rofas  HB  hörcaill  H  horcaill  B  radh  B  dal  F  do  fi  dia  L 
neim  HB. 

Ein   Zweig,    der   aus   Orchaill    in  Ulster  erwachsen   ist,  ein  Stolz  bis 

ans  Meer,  eine  Rede,  die  ihr  nicht  verheimlicht,  —  voll  ist  er  von  Giften 

bis  hinauf  zum  Himmel. 

di  nemib,  d.  h.  von  tötlicher  Wii-kung  für  seine  Feinde.  Vgl.^  oben  Nr.  10.  —  tlber 
den  Ortsnamen  Orchaill  s.  unten   Nr.  107. 


BrucMtilcke  lier  älteren  Lyrik  Irlands.  23 

50. 

Miscais  na  ngataige       gaibes  tech  Temra, 
sraigles   na  slataige,        seig  foltfinn  Ferna. 
Ir.  T.  III  74  §  34:  gebas. 

Der  Haß   aller  Diebe,   der   von   Taras   Haus    Besitz  ergreift,   der  die 

Räuber  geißelt,  der  blondhaarige  Habicht  von  Ferna. 

Auf  irgendeinen  Oberkönig  von  Irland.  —  miscais  d.  h.  Gegenstand  des  Hasses.  — 
Der  Reim   Temra:  Ferna  weist  ins  9.  Jahrhundert. 

51. 

Brigit  büadach, 
büaid  na  fine, 
siur  Rig  nime, 
när  in  duine, 
eslind  luige, 

lethan  breö. 
Rosiacht  nöibnem 
mumme  Göidel, 
riar  na  n-öiged, 
öibel  ecnai, 
ingen  Dubthaig, 
duine  üallach,  ^ 

Brigit  büadach, 
bethad  beö. 
Ir.  T.  71  §  36:  aidead  //  aiged  LL  brigid  uallach  ß. 

Die  glorreiche  Brigitta,  der  Ruhm  ihres  Geschlechtes,  Schvi^ester  des 
Himmelskönigs,  hehr  ist  die  Frau,  gefahrvoll  bei  (falschem)  Eidschwur, 
eine  breite  Flamme. 

Sie  hat  den  Himmel  erreicht,  die  Pflegemutter  der  Galen,  den  Fremden 
willfährig,  der  zündende  Funke  der  Weisheit,  die  Tochter  Dubthachs,  eine 
stolze  PYau,  die  glorreiche  Brigitta,   die  Lebendige  des  Lebens. 

52. 

Bairri  breo  bithbüadach, 
büaid  mbetha  brethadbail, 
ruithen  reil  rathamra 


24  K.   Meyer: 

ruithniges  Ebennag, 
lia  lüagmar  lainderda, 

ni  lüad  nach  liüin. 
E5  örda  ilchrothach, 
üaisliu  cach  cäinchumtach, 
aire  ard  ollairbrech 
ernes  cach  n-olladlaic 
do  buidnib  balcBanba, 
barr  broga  Briüin. 
Ir.  T.  III  57  §  107:  mbreatha  B  luagh  B  uaisli  B  nadlaicc  B. 

Barri,  ewig  glorreiche  Flamme,  Ruhmestitel  der  gewaltig  urteilenden 
Welt,  heller  Strahl  wunderbarer  Gnade,  der  Eber's  Ebene  erleuchtet,  glän- 
zender kostbarer  Stein    —   das  ist   keine  Rede   irgendeines  Schwächlings. 

Goldener  vielfarbiger  Lachs,  erhabener  als  jede  schönste  Zierde,  hohes 

Haupt  mächtiger  Mengen,  der  den  Scharen  der  gewaltigen  Banva  jeglichen 

großen  Wunsch  gewährt,  Krone  von  Briöns  Land. 

Auf  den  heil.  Findbarr  von  Cork,  der  von  Briön,  dem  Sohne  Kchaids  Mugmedöin, 
abstammte.  —  Ehermag,  poetische  Bezeichnung  des  Südens  von  Irland  nach  Eber  mac  Miled. 
Zu  ni  lüad  nach  liwn  vgl.  cen  labra  len  Lism.  L.  2137. 

53. 

Descert  Laigen  longphortach,        limtha  a  n-airm  rigni  rüada, 
clanda  finda  Fergusa,        fir  dia  ndernus-sa  düana. 

Ir.    1'.  III  89  §  98:   laigin-demusa. 

Die  Männer  von  Süd-Leinster  mit  seinen  vielen  Lagern,  ihre  harten 
roten  Waffen  sind  geschliffen,  die  echten  Nachkommen  des  Fergus,  Männer, 
für  die  ich   Lieder  gemacht  habe. 

Auf  die  Li  Fergusa,  die  zwischen  dem  LiflFey  und  Wicklow  in  Leinster  saßen. 

54. 

Is  maith  a  thigedus,        is  tenn  a  menma-som, 
is  mor  a  midemnus        ar  met  a  selba-som. 
Ir.  T.  III  92  §  137:  tigedus  B  teand  B  midibas  M  sealbhason  B. 

Gut  ist  seine  Hausführung,  fest  ist  sein  Sinn,  groß  seine  Urteilskraft, 

—   der  Größe  seines  Besitzes   angemessen. 

Zu  iiffCffn.s  s.  Ais!.  M.  s.  v.  —  midemnus  findet  sich  im  GSg.  in  SG.  402.  28:  do  reir  ma 
miiiemnais-s' .  , 


Bruchstücke  der  älteren   Lyrik  Irlands.  25 

55. 

At  maithi  a  tige-som,       at  imdai  a  ithlanda, 

at  möra  a  fine-som,       at  imdai  a  söerchlanda, 

at  süairce  a  saimleptha,        at  läna  a  lethrenna, 

büailte,  it  e  a  tairberta,        at  terca  a  döerchlanda. 

Ir.  T.  ni  92  §  138:  maith  B  imda  B  ad  B  saimlepa  B  samlepdha  31  ad  B  letrenda  B 
atearca  B. 

Gut  sind  ihre  Häuser,  zahlreich  ihre  Tennen,  groß  ihre  Familien,  zahl- 
reich ihre  Edlen,  angenehm  ihre  Betten  fiir  Paare,  voll  ihre  Wagengeschirre, 
ihre  Geschenke  sind  Viehherden,  wenig  zahlreich  ihre  Unedlen. 

saimleptha  im  Reim  mit  tairberta.  Hier  haben  wir  in  saim  das  mit  aind.  samdh,  Xma 
usw.  verwandte  Wort,  das  auch  in  sam-ildänach  vorliegt.  Vgl.  ferner  saim  'Joch'  Corm.  514 
und  1167;  NPl.  deich  samn  -i-  länamtia  Er.  II  4,  12.  —  lethrinn  (auch  Nom  ^/Mn«)  scheint 
'Gurt,  Strang'  zu  bedeuten.  S.  Windisch  TBC.  S.  548  Anm.  2.  Hier  bedeutet  es  wohl  die 
Zugketten  oder  Geschirrtaue,  die  mit  Ochsen  und  Pfei-den  angefüllt  sind. 

56. 

Ni  mö  gräd  Gallbraite 
ri  hüa  Cein  Conchobar 
do  chor  'na  inarad, 

's  e  so  a  fir, 
indä  nodibuirged 
län  glaicce  glasubull 
i  roimse  romessa 
i  medön  ardchaiUe 

üa  Rig  na  rig. 

Ir.  T.  III  95  §145:  inainnarad  B  innainnradh  M  ise  codd.  inarodibi'aiged  B  anda- 
nodibuirged  M  glaslibhall  B  uad  ri  M. 

Gonchobur  vom  Stamme  der  Ui  Chein  liebte  es  um  nichts  mehr, 
Wikingerbeute  in  sein  Gewand  zu  stecken  —  das  ist  die  Wahrheit!  — 
als  wenn  im  Überfluß  der  vollen  Ernte  inmitten  eines  hohen  Waldes  eine 
Handvoll    grauer   Äpfel    vom    König  der   Könige    herabgeschüttelt    wurde. 

Ein  üa  Cein  wird  AU  1096  al.s  König  von  Tir  Ciaräin  (Tirkeeran)  in  der  Grafschaft 
LondondeiTy  genannt  —  Zu  inarad  vgl.  ionaradh  'clothing"  O'R.,  das  Nom.  verb.  zu  maraim.  — 
roinuie  'Überfluß,  P'üUe,  Segen'  (aus  *ro-metse}  auch  Triads  §202,  LI' 91a  2,  0"Dav.  1399. 
Dazu  das  Adj.  roimsech,  z.  B.  rTatt  r/jim-ech  'volle  Flut'  CZ  XI  159  §  166. 

Phil..hUt.  Abh.  1919.  Nr.  7.  4 


'2C)  K.    M  E  Y  E  K  : 

57. 

Ricfat  mo  rainn  ratha  räid       co  hüa  Flainn  flatha  findnäir, 
cnüas  crinmainn  crainn  cartait  mäil,        in  diglaim  daill  do  dingbäil. 
Ir.  T.  111  69  §  10:  cnuas  om.  codd.  crinmaind  (-i-  cnuas)  M  cai-dait  B  cardat  M  ni  3/, 

Meine  Stanzen  der  holden  Rede  werden  zum  Enkel  Flanns,  des  ge- 
segneten hehren  Herrschers,  gelangen;  eine  Ernte  der  Dichtkunst  vom 
Baume,  den  die  Dichter  lieben,  um  die  Nachlese  eines  Blinden  aus  dem 
Felde  zu  schlagen. 

Die  'Nachlese  eines  Blinden'  ist  wohl  auf  einen  Nebenbuhler  in  der  Gunst  des  Königs 
gemünzt. 

58. 

Semplän  sobartach, 
süi  na  sabgaile, 
drüi  derg  donnbuide, 
'  Cü  Rüi  in  rindmaige, 

rigan  na  rön; 
is  e  fiiaramar 
ÖS  a  firglennaib, 
is  daig  didairigen 

in  duine  mör. 

Ir.  T.  111  94  §  144:  Seamblan  B  sobartach  sai  codd.  drai  codd.  curai  B  daidh  B  is 
duine  M. 

Semplän  mit  tapferen  Taten,  ein  Meister  des  Speerkampfs,  ein  roter 
dunkelgelber  Druide,  der  Cü-Röi  des  Schlachtfeldes,  eine  Königin  der  See- 
hunde. Er  ist  es,  den  wir  über  seinen  getreuen  Talschluchten  gefunden 
haben,  —  eine  gewaltig  starke  Flamme  ist  der  große  Mann. 

sobartach,  i.  e.  *  so-bertach.  —  'Dunkelgelb'  wird  sich  auf  die  Haar-,  'rot'  auf  die  Haut- 
farbe beziehen.  —  rind-mag,  wörtl.  'Speerebene'.  —  Cü  Rüi.  der  berühmte  Sagenheld  aus 
Munster. 


Bruchstücke  der  älteren  Lynk  Irlands.  27 

B.    Spott-  und  Schmählieder. 

59. 

A  Domungoirt, 
a  drond  geöid  iarna  gabäil, 
a  gemm  dubgorm  demain, 
a  bachlaig  bäin  imm  brait, 

a  bei  caillige  cäiche, 
a  chonadmairt  chicaraig 
nach  can  ceöl  isin  chamäir, 
a  cliossa  cromma  crebair, 
a  chrüachaigi  lenaim  laic, 

nir  lessaigis  in  säithe. 
Ir.  T.  lU  103  §  200:  a  doma  M  geuidh  M  iarna  gabäil  mn.  B  geaiii  B  connadhmairt  M 
cicaraigh  B  nacan  M  cAruachaidbi  B  cruachaiti  M  niralcssaigis  M. 

Domungort,  du  Höcker  einer  Gans,  die  man  gefangen  hat,  du  schwarz- 
blaues Juwel  von  einem  Teufel,  du  blutleerer  Geselle,  auf  Diebstahl  er- 
picht, du  Lefze  einer  einäugigen  Nonne,  du  gieriges  gefräßiges  Stierkalb, 
das  kein  liebliches  Lied  am  frühen  Morgen  singt,  du  krummbeiniger 
Käfer,  geschwollener  Bauch  eines  schwächlichen  Kindes,  du  hast  die 
Wissenschaft  nie  gefördert! 

Mit  Ausnahme  von  Vera  3/4  hat  die  Strophe  Kettenstabreim.  Man  beachte  die  ver- 
schränkten Reime.  —  Domungoirt,  wohl  absichtlich  statt  Domunyairt,  ein  Wortspiel  mit  goirt 
'hungrig'.  —  Zu  conad  vgl.  conadh  'a  greedy  appetite;  rage,  fury'  O'Bi-.  und  calma  re  conad/i 
a  chrc.fs  AU   1357  (im  Reim  mit  ol/am).  —  hnab  lac  auch  Ir.  I.  III  93  §  141. 

60. 

A  mir  do  duiniu,        a  delb  in  demain, 
a  chir  i   cuiliu,        a  chrebair  chuilig, 

a  athbrö  ichtair,        a  airbe  ibair, 

a  51  iar  n-itaid,       a  inair  uidir! 
Ir.  T.  ni  91  §  127:  duine  B  cuile  B  cuili  M  airbi  M. 

Du  Knirps  von  einem  Menschen,  du  Teufelsgestalt,  du  Kamm  in  der 
Speisekammer,  du  geile  Schmeißfliege,  du  abgenutzter  unterer  Handmühl- 
stein, du  Zaun  aus  Eibenholz,  du  Trunk  über  den  Durst,  du  schmutz- 
farbener  Leibrock! 

4* 


28  K.   Meyer: 

61. 

A  üi  Flannäin,        a  läir  mall, 

a  lethchoss  geöid,  a  glass  chamm       fo  gäir  Gall! 

Ir.  T.  III  I02  §  190:  ailandain  B  ahui  flandain  M  geid  B  glais  cham  B  glas  cham  M. 

Enkel    Flannäns,    du  träge    Stute,    du    einbeinige   Gans,    du   krummer 

Riegel,  wenn  das  Schlachtgeschrei  der  Wikinger  ertönt. 

Die  Lesart  ui  Flannäin  ist  Ulandäin  deswegen  vorzuziehen,  weil  sie  Stabreim  mit  täir 
gibt.  Die  Ui  Flannäin  werden  in  Rawl.  502,  119b  47  als  ein  fwsUnmud  der  üi  Labrada 
erwähnt,  die  in  der  heutigen  Grafschaft  Down  angesiedelt  waren.  —  a  lethchoss  geöid,  wört- 
lich 'du  eines  Bein  einer  Gans'.  —  a  glas  chamm,  Nom.  pro  Voc.  des  Reimes  wegen.  Der 
Dichter  schmäht,  daß  er  dem  Ansturm  der  Wikinger  nicht  wie  ein  festverriegeltes  Schloß 
standhält.  Vgl.  oben  Nr.  2  glass  glüairgrinn  fri  gente.  —  fo  gäir  'beim  Erschallen  des  Schlacht- 
geschreis'. 

62. 

A  brollach  snedach  srethfiar,        a  fiacla  con  ar  cloich  äilig, 
a  üi  Thadcäin,        a  thoUtimpäin,        a  meic  Alcäin,        a  bi   ar  burd 

Arddäin,  a  säibfir! 
Ir.  T.  III  99  §  165:  srathfiar  M  srethar  B  ui  om.  B  mc  B  ardain  B. 

-  Du  lausiger   schiefstreifiger   Busen,    du  Hundegebiß   auf  einem  Stein 

im  Düngerhaufen,   Enkel  Tadgäns,  du  durchlöcherte  Zimbel,  Sohn  Alcäns, 

du  Pech   auf  der  Tafel  von   Ardän,  du  falscher  Mann! 

snedach  =  kymr.  ntddog.  —  In  Anbetracht  der  Regel,  nach  welcher  der  Dichter  Namen, 
Abkunft  und  Wohnort  des  Besungenen  erwähnen  soll,  fasse  ich  Ardän  als  Ortsnamen. 

63. 

A  meic  düir  daill  iflfirnn,  a  thicäill, 

a   graphainn  ar  gairdi  do  gipäin, 

a  geöid  iarna  gabäil, 

a  feöil  tarra  togäin, 

a  ithe  i  mil  etaig,        a  üi  brecaig  Britäin. 

Ii-.  T.  III  103  §  193:  thigaill  B  ar  grapaing  B  ar  grapbaind  ad  gairde  H  gibain  B 
gibbain  M  ghabail  B  i  bhregaigh  B  hui  bregaidh  M. 

Du  harter  blinder  Sohn  der  Hölle,  du  mit  der  dicken  Backe,  du 
Rennreiter  mit  deinem  kurzen  Lumpenkleide,  du  Gans,  die  sich  hat  fangen 
lassen,  Bauchfleisch  eines  Eichliorns,  der  du  dich  von  Kleiderläusen  nährst, 
du  lügnerischer  Sohn   vom  Stamme  Britäns. 


Bruchstücke  der  älteren  Lyrik  Irlands.  29 

ticäill  aus  tiy-gäill.  Vgl.  gäilleavh  jaw,  gum,  cheek'  Dinneen.  —  a  graphainn  u»w., 
wörtlich  'o  Pferderennen  wegen  der  Kürze  deines  Lumpenrocks',  d.  h.  du  siehst  wie  ein 
Jockey  aus  mit  deinem  kurzen  Rock.  Zu  gipän  m.  vgl.  heutiges  giohög  f.  Vag,  fringe'.  — 
Zu  ithe  i  rnJi  etaig  vgl.  Inngad  i  scdtaib  scihair  von  PfeiTerkörnern  speisen'  Aisl.  M.  71,30. 
—  Die  Ui  Brittäin  gehörten  zu  dein  in  der  heutigen  Grafschaft  Carlow  ansässigen  Sil  Meldae. 
S.  Rawl.  502,   ii8b  27. 

64. 

Adastax  lära  i  Uäim,        leccu  phüit  dar  pundainn, 

cenn  crüaid  con  ar  cäirig, 

maite  odar  äilig, 

lue  fri  lüag,        leccu  chüar,       üa  Con  cüan,  ni  cundail. 

Ir.  T.  ni  82  §  64:  phuint  B  puint  M  chairig  M  maidi  B  öilig  H  lue  ri  log  H  luige  re 
log  B  lue  (-i-  luac)  ri  luag  M  ua  chuan  B  conchuan  M.  ^ 

Er  ist  der  Zaum  einer  Stute  in  der  Hand,  die  Seite  eines  Klotzes  (?) 
«her  einer  Garbe,  ein  grausamer  Wolfskopf  auf  einem  Schaf,  ein  schmutz- 
farbener  Knüppel  auf  dem  Misthaufen,  einer  der  seinen  Lohn  mit  Füßen 
tritt,  eine  schiefe  Backe,  der  Sohn  vom  Stamme  Cü  Chüans,  —  er  ist 
nicht  gescheit. 

Sowohl /wtV  (Nom. />o/?)  a\s puint  (Nom. /jon/ ?)  ist  rair  unbekannt.  Ich  nehme  zweifelnd 
ein  wort  püt^  an,  das  vielleicht  aus  altnord.  bütr  'Klotz'  entlehnt  ist.  Oder  wäre  kymr. />ic< 
any.  short  thing'  heranzuziehen?  —  Imge  re  log  (B)  'Eidschwur  vor  dem  Lohn'  scheint 
keinen  Sinn  zu  geben.  —  Die  £7«  Chon  Cüan  gehörten  zu  den  Üi  Choncholmir  (O'Connors), 
s.  RawL  159  b  56.  —  cundail  aus  *cam-dil  =  kymr.  cynnil. 


65. 

Muiredach  mant  capaill  chröin,        cü  dar  cössib, 
carpat  bö  bricce  for  benn,       bei  daim  dona  Dessib. 
Ir.  T.  111  81   §  57:  croin  eodd.  tar  H  beind  H. 

Muiredach,  Kinnbacke  eines  gelbbraunen  Gauls,  ein  Wolf,  der  sich 
Ober  Ferkel  hermacht,  aufgespießter  Gaumen  einer  bunten  Kuh,  (Jchsenmaul 
aus  Dessi. 

mant,  Lehnwort  ans  dem  Kymiischen.  Vgl.  mant  in  merhaill  Ir.  T.  III  100  §  172,  etwa 
'stammelnder  Gaumen';  Corni.  §  897;  Threc  Fragm.  146,  12. 


'    Im  Schottischen  bedeutet  piil  'a  large  buoy,  generally  of  iiifliited  sheepskin'. 


30  K.   Meyer: 

66. 

Methmac  Muiredaig,        mesce  chirmairi,  crossän  liath  ic  linn, 

screpall  ar  feöil  n-aige,        önmit  ar  eoch  mall, 

breccar  claime  i  cinn. 

Ir.  T.  III  84  §  71:  methmc  codd.  aglind  B  feoil  eoinmhe/  ar  eoch  B  brecör  H  brec- 
cor  M  s.  B. 

Der  feiste  Sohn  Muredachs,  trunken  wie  ein  Kammacher,  ein  grau- 
köpfiger Possenreißer  beim  Suff,  ein  Heller,  den  man  für  Kalbsfleisch  zahlt, 
Hansnarr  auf  einem  faulen  Gaul,  gesprenkelter  Aussatz  auf  dem  Kopfe. 

Wenn  methmac  zu  lesen  ist,  wäre  die  Bedeutung  etwa  'dekadenter  Sohn'.  —  cfrmaire 
ist  in  meinen  'Contributions'  unrichtig  mit  'fuller'  übersetzt.  Zu  den  Belegstellen  kommt 
noch:  Triads  §  117;  Three  Fragm.  222,  23;  Betha  C'olm.  §  6.3;  Ir.  T.  III  104  §  27.  —  breccar 
im  Reime  mit  screpall.  Zum  Suffix  vgl.  g/axar  'verdigris'  Thes.  II  417  a;  ferner  lassar,  und 
sijhe  Pedersen  II'SO. 

67. 

Uch,   a  Lorcäin,  isat  lac,        ni  mö  is  räiti  rit,   a  drüith, 

a  choss  diochtäin  riä  (?)  catt,        ocus  corr  dlüith  ina  diaid. 

Ni  geba  tiiaignim  ri  tenn,        a  thamain  chrin  fo  choiss  chäich, 

a  bun  fleda   ar  cüaillib  cell,        a  chäith  lin  i  lladair  fiaich! 

Ir.  T.  III  80  §  54:  isid  lag  BB>>  isat  olc  H  ri  H  tuaignem  BB''  tuaigneim  M  a  cos  BB'> 
caich  H  chaech  BB^  a  lagair  B  a  laghar  B^  illathair  M. 

Wehe,  Lorcän,  du  bist  schlaff!     Mehr  ist  gegen  dich  nicht  zu  sagen, 

du   Narr.      Du   Fuß    eines   Trichters  ....   Katze    und    eine   feiste   Krähe 

hinterdrein.   Du  sollst  nicht  in  den  gewölbten  Himmel  kommen,  wie  sehr  du 

dich  auch  anstrengst,  du  dürrer  Holzklotz,  den  jeder  mit  Füßen  tritt,  du 

Rest  eines  Schmauses  auf  den  Pfählen  von  Kirchen,  du  Spreu  von  Flachs 

in  der  Klaue  eines  Raben! 

riä  ist  mir  unverständlich,  wie  überhaupt  die  ganze  .\nspielung.  —  Da  geba  und  /Wo 
reimen  sollen,  wie  auch  in  Vers  2  und  4  dreifacher  Reim  vorliegt,  i-.t  geba  Konjunktiv. 

68. 

A  drüith.   cid  täi  dom  airbire, 
dia  tue  duit  mnai  co  mbungile? 
Isint  samrud        isaid  tii  do  säith   don  arbur 
is  d'feör  adbul  i  nUrbile. 
Ir.  T.  III  100  §  170:  cid  dai  M  da  tucar  B  da  tncur  JU  mbuinghile  B  do  feor  B  arbhuiie  B, 


ßj~uc/isti"/cke  der  älteren  Lyrik  Irlands.  Hl 

Du  Narr,  was  fallt  dir  ein,  mich  zu  schmähen,  wenn  ich  dir  ein  Weib 
mit  weißem  (4esäß  gebe?  Im  Sommer  sollst  du  dich  an  Korn  satt  essen 
und  an  üppigem  Gras  in  Urbile. 

Meine  Besserungen  htc  und  d'feör  geben  die  nötigen  acht  Silben.  —  Zu  hungik  vgl. 
rin  seist-  barrghlais  buinyhil  Acall.  1545:  aball  harrglas  bungel  Er.  IV  116.  —  Hogan  Onom.  21  a 
hat  einen  Ortsnamen  Airhile,  sch(;int  aber  anzunehmen,  daß  das  V'erschreibung  für  Ard 
Bile  ist. 

69. 

A  fetänaig,       a  chornaire,  a  chleraige, 
a  flss  fon  txr,       a  chriss  cen  sein,  a  scclaige! 
Ii».  T.  III  70  §  18:  feadanaig  BT  chliaraige  BT  fan  B  gan  B. 

Du  Pfeifenspieler,  du  Hornbläser,  du  wandernder  Musikant,  du,   den 

das   ganze  Land   kennt,   du   Gürtel    ohne   Messer,   du  Geschichtenerzähler! 

fetänach  findet  sich  auch  Alex.  Z.  469  mit  nrgänach,  comaire,  cuslennach  usw.  zu- 
sammen. —  cteraige  entspricht  dein  kymr.  cUrddyn,  derfardd. 

/  70. 

Ingen  gobann       ben  na  cerdda, 
gnüis  roglasse       is  rodergga. 

Ir.  T.  III  60  §  1 20 :  in  gobann  codd.  in  cherdda  B.. 

Eines  Schmiedes  Tochter  ist  die  Frau  des  Goldarbeiters,  ein  Gesicht 

von  tiefer  Blässe  und  hoher  Röte. 

Die  Besungene  vereinigt  auf  ihrem  Gesicht  die  Spuren  ihrer  Herkunft  aus  der  Schmiede 
des  Vaters  (rodergge)  und  ihrer  jetzigen  Umgebung,  der  Werkstatt  ihre.s  Mannes  {roglasse). 
Man  beachte  die  kreuzweise  Anordnung.    Zwischen  cerdda  und  rodergga  besteht  Debide-Ri'ini. 

71. 

Düngal  meta  üa  Mail  Inmain, 

athchaillech  ic  imthecht  idraid  otraig, 

Düngal  duine  i  cnuc  ac  creic  a  anma  ar  echtaib, 

ürad  buide  ar  brat  gamna,       glac  duibgeltaig  gortaig. 

It.  T.  in  loi  §  182:  mael  B  otraigh  M  othraidh  B  icrec  B  acreic  JM  ar  achtraibh  M 
uradb  B. 

Düngal  der  Feige,  Enkel  Mael-Inmains,  eine  abgelebte  Nonne,  die  über 
kotiges  Flechtwerk  spaziert;   Düngal,  ein  Mensch,   der  seine  Seele  auf  einem 


32  K.  M 


E  Y  E  R  ; 


Hügel  zu  sclilecliten  Taten  zum  Verkauf  ausbietet,  gelber  Flicken  auf  einem 

Mantel  aus  Kalbsfell,  Faustgriff  eines  hungernden  düsteren  Irren. 

id-rad  (o)  n.  fasse  ich  als  Kollektiv  von  id  'Gerte';  otraig,  GSg.  von  otrach  (o)  n.  'Kot' 
im  Reim  mit  gortaig.  —  Vielleicht  hat  echtaib  der  quantitierenden  Assonanz  wegen  kurzes  e, 
wie  auch  die  Lesart  von  M  zu  zeigen  scheint;  dann  steht  es  vielleicht  fiir  /echtaib.  — 
Zu  ürad  vgl.  ürad  a  brat    the    renewing  of  his  cloaks'  BR  222,  21. 

72. 

Rocüala       ni  tabair  eochu  ar  düana: 

dobeir  am  as  düthaig  dö:        bö. 

If.  T.  m  67  §  3 :  docuala  R  rochuala  BT  nithobaii-  B  nithabair  M  ara  H  indi  B  inni  T 
is  codd.  dual  H  dubhaigh  T. 

Ich  habe  gehört,  daß  er  keine  Pferde  (zum  Lohn)  für  Lieder  gibt. 
Er  gibt  was  ihm  naturgemäß  ist  —   ein  Rind. 

Statt  anl  as  ist  vielleicht  a  n-as  zu  lesen. 

73. 

A  hüi  Scandail,        a  scian  espa, 
a  cherc  usci,        a  choss  escra. 

Ir.  T.  in   102   §  191 :  scandlain  M  ecra  B. 

Enkel  Scandals,  du  unbrauchbares  Messer,  du  Wasserhenne,  du  (Dünn- 
leibiger  wie  der)  Stengel  eines  Trinkgefäßes. 

Ich  kenne  Ui  Scandlain,  aber  keine  Ui  Scandail.  —  Coss  escra  ist  bei  O'Mulc.  §  464 
ebenfalls'  in  übertragenem  Sinne  gebraucht,  und  zwar  zur  Bezeichnung  einer  Landenge.  Eis  heißt 
dort:  Etnr  -i-  tor  eile  •/•  is  mbniig  eite  ar  a  meit,  is  tor  ar  a  airde.  Etur  dano  öndt  as  itur, 
ar  ata  cos  escrar^  a.s  fura  tJagar  "Etar,  d.  i.  tor  eite  (Turm  einer  Viehherde),  d.  h.  er  ist  eine 
Viehlandscliaft  seiner  Größe  nach,  ein  Turm  seiner  Höhe  nach.  Etar  wird  auch  von  (lat.) 
itur  abgeleitet,  denn  es  erstreckt  sich  eine  cos  escrae  von  ihm  aus,  auf  welcher  gegangen 
wird,'  was  sich  auf  die  schmale  Landenge  bezieht,  welche  das  Vorgebirge  Howth  mit  dem 
Festlande  verbindet. 

74. 

A  Dalläin  doburthanaig  digrädaig, 

a  cammäin  chrmlämaig  chonfathmannaig  chüaränaig, 
a  phitig  phaitig  phianänaig, 

a  thiagänaig  etig  aitig  üarlämaig! 

Ir.  T.  III  103  §  198:  digraidhib  B  digradaibh  M  caniain  B  confacmandaigh  B  confach- 
mandigha  M  fitigh  M  tiganaigh  M. 


Britchstiicke  iler  älteren  Lyrik  Irlands.  BB 

Dallän,  du  ehrenberaubter  Unglücksmensch,  du  krummer,  zitterhän- 
diger,  wolfszottiger  Kerl,  Sandalen  träger,  der  du  hinter  Eßsachen  und  Flaschen 
her  bist,  du  Quälgeist  (?),  du  häßlicher,  spaßiger  Beutelträger  mit  kalten 
Händen. 

diyrädaig  im  Reim  auf  chrinlämaig.  —  Zu  fathmamiach  \^.  folt  fochöel  fathmannach 
furri  l"Tr.'  362,  cach  ßnna  fathmainnech  LU  81  a  13:  ferner  fada  fathmunnchäel  a  folt  Coii- 
.\mii.  145.  Wir  haben  es  vielleicht  mit  einem  Lehnwort  aus  altengl.  fa&am  in  der  Be- 
deutung 'ellenlanger  Faden'  zu  tun.  —  pTtech,  Adj.  z\i  pit  'Ration'  im  Reim  mit  etig.  —  paitech 
XU /laift  (ä)  f. 'Flasche'.  Vgl. /)ai«  wi«rfa  LL  Ii7a50,  (iä  ^oÄaiY  yf«a  LB  129  a  35,  Gen.  na  paitte 
LL  117b  2.  —  Zu  pianänach  vgl. /jfanön  Nr.  163.  —  tVagänach,  Ableitung  mit  der  in  diesen 
Gedichten  besonders  beliebten  Doppelendung  -än-ath  von  fiay  (ä)  f.  au,<!  lat.  theca  'Tasche, 
Futteral,  Beutel'. 

75. 

Nirb  ingnad        i   tig  Chrundmäil  cäilfinnach 

salann   for  arän   cen   imm:        is  menand 

rosecc  feöil  a  muintire       amal  seccas  rüsc  imm  chrann. 

Ir.  T.  49  §  89.  Vgl.  102  §  192:  nib  B  nim  Ä'  taig  L  chunnniail  //  crandmail  B  mein 
auu  BB»   mar  seacas  //  rusolainn   L  rus  craind  B. 

Es  war  kein  Wunder,  daß  es  in  dem  rutenborstigen  Hause  Crunnmäels 
Salz  aufs  Brot  gibt  ohne  Butter:  das  Fleisch  seines  Hausgesindes  ist  sicht- 
barlich  zusammengeschrumpft  wie  die  Rinde  um  den  Baum. 

76. 

A   ben   fuil  isin   chuiliu,        in   tabrai  biad  do  duiniu? 

in   tabrai  dam,   a  ben  bfln.        siiill,   loimm,   imm   ocus  arän? 

Atä  form,        meni  tuca  biad  im  dorn, 

bcr-sa  th'enech,  a  ben  bän,        is  indisfet  dorn  deäii. 

Ir.  T.  III  65  §  133,  ib.  S.  182  Anm.:  uil  B'  cuili  Ä'  tabraidh  B'  duine  B'  miiie  B 
thabra  L  berat  B'  henecch  cen  len  //  dodoan  H. 

Frau,  die  du  in  der  Vorratskammer  bist,  gibst  du  einem  Menschen 
zu  essen?  Gibst  du  mir,  u  weiße  Frau,  Speck,  einen  Schluck  Milch,  Butter 
und  Brot? 

Wenn  du  mir  nichts  zu  essen  in  die  Hand  gibst,  so  bin  ich  ent- 
schlossen: ich  werde  deine  Ehre  davontragen,  o  weiße  Frau,  und  es  meinem 
Lehrer  erzählen. 

Zu  atä  form  vgl.  bäi  for  a  menmandaiö  a  marbail  Ilib.  Min.  77  §  5.  —  d^än  kommt 
LL  369  d  57  als  Personenname  vor. 

Phit.-hUt  Abh.  1919.  Nr.  7.  5 


34  K.   31 1;  V  E  K  : 

77. 

Atä  ben  istir,        ni  abraim  a  hainm, 
maidid  essi  a  deilm        amal  chloich  a  tailm. 
RC  XX  158  §  7,  H.  3.  18,  61  la:  nach  abar  aium  R  esti  H. 

Es  ist  eine  Frau  im  Lande,  ihren  Namen  sage  ich  nicht;  ein  crepitus 
bricht  aus  ihr  hervor  wie  ein  Stein  aus  der  Schleuder. 

78. 

Aes  däna  ind  rig  co  rinnib,        cona  cHaraib  ceölbinnib, 
cid  bind  la  cäch  dib  a  od,        ni  choistfem-ni  a  n-airfiteod. 
'  Fei.  XCVI,  O'Mulc.  830  d :  ut  dicitur  aos  dänae  in  rig  co  rinnib  7  rl.  in  F  ceolbinde  F. 

Das  Dichtervolk  des  Königs  mit  Versreimen,  mit  ihren  melodiereichen 
Scharen,  —  obwohl  jeden  von  ihnen  sein  eigener  Gesang  süß  dünkt,  werden 
wir  ihr  Musizieren  nicht  anhören. 

79. 

Goll  Mena  do  muintir  Gräcäin,        Gall  ac  cnüasach   cnö, 

ballän  i  mbi  bainne  lomma,        dallän  Dromnia  Bö. 

Ir.  T.  III  88  §  108:  gragain  B  acnuasach  B  icnuasacb  T  ambi  baindi  loma  B  imbi 
banda  loma  7'  dalla  B  dallan  T. 

Goll   Mena   aus    Gräcäns   Geschlecht,    (wie)    ein  Wikinger,    der   Nüsse 

sammelt;    ein   Krug,    in    dem  (nur)    ein   Tropfen   Milch  ist,   armer  Blinder 

von  Drumbo. 

Min,  Gen.  Me/ia,  ist  ein  mehrfach  vorkommender  Flußname,  wie  der  des  heute  Main 
genannten  Flusses  in  der  Grafschaft  Antrim.  Nach  Norden  weist  auch  Drumbo,  das  nach 
HüOAN  in  der  Nähe  von  Strangford  Loch  zu  suchen  ist.  Muinter  Gräcäm  ist  mir  unbekannt.  - — 
dallän,  im  Anfangsreim  mit  ballän,  in  Anspielung  auf  den  Namen  Goll,  der  "einäugig'  bedeutet. 

80. 

Goll  Mena  'mun  cromgabair,        cerc  i  cill,  crann  eidnenach, 
bert  fleda  for  lomgabail,        lind  dedblenach  drolmänach, 
Brissiud  stüaige  ic  stocairecht,        stiüir  d'fid  lim  long  maUrämach, 
cäinte  büaile  ic  brocairecht,        ben  chamlämach  chomdälach. 

Ir.  T.  ni  89  §115:  dromlanach  T  brisid  B  dof  id  lim  B  dofird  lini  M  stiuirfidh  lim  T. 

Goll  Mena  auf  dem  krummen  Klepper,  wie  eine  Henne  in  der  Kirche, 
ein    efeuumgarnter   Baum,    einer,    der    eine    Speiselast    auf  nackter  Gabel 


BruchsWcke  der  älteren  Lyrik  Trhincls.  35 

trägt,  ein  kümmerliches  Faßgetränk,  einer,  der  beim  Trompeten  die  Hand- 
habe zerbricht,  ein  Steuer  aus  weichem  Holz  langsamrudernder  Schiffe,  der 
Spottvogel  der  Gesellschaft  bei  der  Dachsjagd,  ein  krummarmiges  Weib, 
zu  jedem  Stelldichein  bereit. 

Zu  stüag  (ä)  f.  im  Sinne  von  'a  eircular  handle'  vgl.  Laws  I  134,  4.  —  O'R.  hat 
brocairecht  'thievery';  doch  ist  mir  dais  Wort  sonst  unbekannt. 

81. 

A  hüi  Scelin   scutemail,        a  scol   cille  cinn  ar  chinn, 
a  folt  gobann  gatbeimnig,        a  chorann  maccleirig  minn. 
Ir.  T.  IIT  80  §  56:  screitlin  B  screlin  M  screllin  S*  air  cbind  M. 

Du  närrischer  Enkel  Scelins,  eine  Kirchenschule,  die  sich  unterein- 
ander zankt,  Haar  eines  Schmiedes,  der  Reifen  schlägt,  geschorener  Schopf 
eines  stammelnden  Klosterbuben. 

scutemail,  zu  sentit  -i-  gnnaige  -i-  ax  röi  faitchtsa  fora  mhi,  nö  cöi  fäiihiuda  do  cäch  e  H.  3.  18, 
78  b.  Vgl.  Corm.  §  1194. 

82. 

Find  üa  Buide,        lind  i  mblede, 
diultad  dona,        ichtar  eme. 
Ir.T.  III  86  §90:  bleidhe  M. 

Finn  aus  dem  Geschlecht   der  Ui  Buide,    ein  Trank,   der   im    Becher 

bleibt,  ein  übler  Verneiner,  unteres  Ende  eines  Messerheftes. 

Es  gab  eine  ganze  Reihe  von  Ui  Buidi  genannten  Stämmen  in  verschiedenen  Provinzen 
Irlands.    S.  Hoban,  Onom.  663b  und  den  Index  zum  Faksimile  von  Rawl.  B.  502. 

83. 

A  gilla  duinn   a  Dermaig,        ocata    in   ben   donn   deölaid, 
a  bruig  ar  brut  trebraid,        a  thonn  do  chedlaib   clerig, 
is  tu  in   caileeh   d'Uib  Cellaig,        a  chü   clechtas  ar  cnämaib, 
a  düan  ar  airech  n-ellaig,        a  fertas  äraid  d'Elib. 

Ir.  T.  III  85  §  84:  dermuigh  B  deolaig  B  bruig  ar  brat  B  a  mias  bruind  (-i.  brondaigh)  JV 
dib  B  chleachtus  H  feartais  B 

Du  brauner  Bursche  aus  Derry,  der  das  braune,  armselige  Weib  hat, 
du  Schmutzfleck  auf  einem  Drillichmantel,   du  Welle  von  geistlichen  Melo- 


H6  K.   Meyer: 

dien,    du   bist  der  Hahn  der  Üi  Chellaig,   du   Hund,    der   an   Knochen   ge- 
wöhnt ist,  du  Lied  auf  einen  Packgaul,  du  Leitersprosse  von  Ely. 

hrviy,  Vok.  von  brog,  heute  hrogh,  'filth,  dirt,  rottenness'  Dinneen.  —  Der  Plural  Elib 
bezieht  sich  auf  die  beiden  Ek  genannten  Orte,  FM  TI  692. 

84. 

A  Ui  dinnim  Dergäin,        a  drüith  chäil  ar  chlocthaig, 
a  rand  lern  sech  lecnaib,        a  chertaig  ö  Chorcaig. 
Ir.  T.  III  90  §  119:  Adinnim  B  ahu  M  chlochtaigh  B  a  corcaig  B. 

Du  schäbiger  Sohn  vom  Stamme  Dergäns,  du  dünnleibiger  Narr  auf  einem 

Glockenturm,  du  Körperteil,  der  weichlicher  ist  als  (fleischige)  Backen,  du 

Lumpenkerl  aus  Cork! 

Die  l'i  Dergäin  gehörten  mit  den  Ui  Gumäin  und  Ui  Siläin  chrecöra  zusammen  nach 
Rawl.  502,  125  a  34  zu  den  Ui  Dile  Deogbairi,  die  forsluinti  der  Üi  Lugdach  meic  Thüathail 
Thigich'  waren,  alles  Stämme,  die  bei  Hogan  fehlen.  —  lern  -i-  gach  mäeth  H.  3.  18;  •/•  cach 
teith  Corm.  §  802,   jedes  Weiche ,  nicht  mit  Stokes  'everything  warm".     Vgl.  Um  Nr.  80. 

85. 

Ni  fuilet  a  mäine,        nocho  mö  atä  a  maisse, 
nocho  mor  a  gere,        nocho  dene  acht  braisse. 

Ir.  T.  III  90  §  120:  aocdene  fwrbraise  B. 

Schätze  besitzt  er  nicht:  sein  äußerer  Anstand  ist  um  nichts  größer; 
sein  Witz  ist  auch  nur  klein;  er  tut  nichts  als  renommieren. 

86. 

A  mäelscolb   do  messair, 

a  eclas  crainn,        a  chacc  cuirre  uidre  ittige, 
a  eöin   re  n-ossaib, 

a  fertas  a  broinn  bicire,        a  Brenaindl 
li'.  1'.  III  102  §  189:  measair  B  eglas  B  etighe  B  rendossaibh  B  feartais  B  bicere  M. 

Du  stumpfer  Splitter  von  einem  Trinkgefäß,  du  hölzerner  Magen,  du 

Unrat  eines  dunkelfarbigen  geflügelten  Kranichs,  du  Vogel,  der  vor  Hirschen 

dahinflattert,   du   Stange  aus   dem  Leibe   eines   .  .  .  ,   o  Brenainn! 

eclas  'Magen',  dessen  Gen.  Sg.  ccli.i  Wb  29  a  26  belegt  ist,  scheint  in  der  späteren  Sprache 
weiblich  zu  sein.  —  bicire,  das  auf  it/ige  reimt,  ist  ein  mir  unbekanntes  Wort. 


'    mac  Maini  m.  Nadfraich  m.  Echach  m.  Dünlaing. 


Bmehittücke  der  älteren  Lyrik  Ir/niid«.  37 

87. 

Cindus  atä  hüa  Conaill       ocus  Conn  macc  Cinn-Fäelad? 
Ina  ndernsat  fri  macc  nDubäin,        ni  rob  uräil  a  n-äerad. 
It.  T.  ni  85  §  82 :  dersat  M  tri  nie  dubain  B. 

Wie  steht  es  um  den  Enkel  Conalls  und  Conn,  Cenn-fäelads  Sohn? 
Für  das,  was  sie  dem  Sohne  Dubäns  angetan  haben,  war  es  nötig,  sie 
zu  schmähen. 

88. 

Drüth  (Taileng  cen   intliucht,        sacaird  senoir  ac  süatliad, 

traigle  i  nach  uathad  uidre, 
muccaid   lar  maidm  a  charann,        crossän  machaire  ic  merle, 
upaid  i   salann   suirge. 
Ir.  T.  III  85   §  83 :  cenithucht  -W  sacairt  sacairt   M  tiaigl'-  taebh   .)/  fiiidhre  B  maide  B 
rrosaiii  H  opaidh  fi  aiipaid  M  isanland  M. 

Der  Narr  der  Gailenga  ohne  V^erstand,  (wie  ein)  alter  Priester  beim 
Brotkneten,  ein  Schuhriemen,  in  dem  auch  nicht  die  geringste  blasse  Farbe 
ist,  ein  Schweinehirt,  der  sein  Bein  gebrochen  l)at,  ein  vagabondierender 
Hanswurst  beim  Stibitzen,  ein  Liebeszauber  in  Salz. 

Der   erste  Vers    ist    um    eine    Silbe    zu    kurz.  Es   gab   eine   ganze    Reihe  Gailenga 

genannter  Stämme.  —  sacaird  senöir  mit  vorangestelltem  Genitiv.  —  Zu  traigle  gl.  corrigia, 
Ir.  Gl.  74  vgl.  C'ormac  §  1253.  —  Zu  der  relativen  Konstruktion  i  nach  vgl.  du  nach  slän  acht 
dt  Uthhliadain  Pass.  and  Hom.   .5397.  —  In   meinen  Contr.   ist  cüathnd  zu  streichen. 


C  Totenklag^en. 

•  89. 

Batar  inmuini   in   tri   töib        frisnä  fresciu   aithirrech : 
töibäii   Temro,   töib  Taillten,        töib   Äido  maicc   Ainmirech. 
CS  598,   FM  591,  Tig.  597   (wo  die  Langzeilen  umgestellt  sind):  inniain  ('  inniain  na  7' 
ionmin'ne  tri  M  in  ego  frisnach  freisge   M  tenuach   T  temni   CM  staobh  aodha   M. 

Lieb  waren  die  drei  Seiten,  die  ich  nie  wieder  zu  sehn  erwarte:  die 
traute  Seite  Taras,  Tailtin's  Seite,   die  Seite  Aeds  des  Sohnes  Anmire's. 

Auf  den  Tod  König  Aeds  von  Irland,  der  598  in  der  Schlacht  bei  Dun  Bolg  fiel. 
Die  Verse  werden  seiner  Witwe  in  den  Mund  gelegt.  .Sie  enthalten  ein  Wortspiel  auf 
löih  in  seiner  Anwendung  auf  Ortschaften  (wie  engl,  loitntryside,  riversidi-)  und  auf  den 
menschlichen  Leib  (Flanke).  Vgl.  attreb  ukbit  Timrn  Alt.  Dicht.  I  17  §  4;  Temair  töibgi-l 
Morthimchell  Er.  §  64  usw. 


38  K.   Meyer: 

90. 

1  Roböi  tan        ba  lind  orddain  Loch  da  Dam: 

ni  bu  e  in  loch  ba  horddan,        acht  flaith  Äeda  maicc  Cholggan. 

2  Cuma  dam,        nad  mair  cara  rodomchar, 

ce  be  focher  trillsi  treb        tre  innsi  Locha  da  Dam. 

Tig.  6io,  CS.  609:  ordan  T  ordain  C  nirbo  6  an  flaith  Aedh  C  mar  C  rodomcair  C 
rodumcar  T  cibe  C  trillsib  T  aninnsi  C. 

1  Es  gab  eine  Zeit,  da  war  Loch  da  Dam  ein  Wasser  der  Ehren; 
es  war  nicht  der  See,  der  voller  Ehren  war,  sondern  die  Herrschaft  Aeds, 
des  Sohnes  Colgu's. 

2  Es  ist  mir  gleichgültig,  (jetzt)  da  der  Freund,  der  mich  geliebt  hat, 

nicht  mehr  lebt,  wer  es  auch  sei,  der  durch  die  Insel  von  Loch   da  Dam 

hin  geflochtene  Wohnstätten  errichtet. 

Auf  den  Tod  Aeds  m.  Colggan,  Königs  der  Airgialla  (Oriel)  und  Airthera  (Orior)  im 
.].  610.  Die  Lage  von  Loch  da  Dam  (See  der  beiden  Hirsche),  wo  er  seinen  Inselsitz  hatte, 
ist  unbekannt.  —  Über  trilis  Tlechtwerk'  in  mannigfacher  Bedeutung  s.  Marstrandeb,  CZ 
VII  3650".  Aber  er  ist  im  Irrtum,  wenn  er  trilis  in  Fei.  23.  Apr.  mit  'Schimmer'  übersetzen 
will.  Es  bedeutet,  aufs  Meer  angewandt,  wie  folt  und  mong,  den  Wellenkamm.  Es  steht 
öfters  im  Heim  mit  inis,  z.  B.  Fei.'  90,31:  CZ  XI  156,4:  Three  Fragm.  34.  17. 

91. 

1  Ma  domised-sa  com  thech       üäe  Mescäin  Anfortach, 
usce  dorbach  dombör  dö       fo  bith  gono  Fergusso. 

2  In  tan  doregat  buidne        ceniüil  Chohnäin  sech  Cuilne, 

iarmifoiset  di  suidiu        sil  Mescäin  i  mBlattiniu. 

AU,  Tig.  617:  mai  U  mad  domtisad  immo  teach  T  hua  U  ba  anfartach  T  dober  T  cep 
tan  dochorat  T. 

1  Sollte  der  Enkel  Mescäns,  Anfortach,  zu  mir  nach  meinem  Hause 
kommen,  werde  ich  ihm  wurmiges  Wasser  geben,  weil  er  Fergus  er- 
schlagen hat. 

2  Wenn  die  Scharen  von  Colmäns  Geschlecht  bei  Cuilne  vorbeikommen 

werden,  werden  sie  die  Nachkommen  Mescäns  in  Blatine  darum  zur  Rede  stellen. 

Auf  den  Tod  von  Fergus  mac  Colmäin  Möir  durch  Anfortach  üa  Mescäin  im  J.  6  t 8. 
—  Nach  HoGAN  ist  Blatine  das  heutige  Platten  oder  Platin  südwestlich  von  Drogheda.  Cuilne 
{Cvillne,  Cuille)  ist  dann  irgendwo  in  der  Nähe  zu  sucheo.  Die  öic  Cuillne  stammen  nach 
Raul.  502,  121  b  55  von  Breoda  m.  Echdach  m.  Däiri  Barraig  ab  (vgl.  ib.  Z.  8).  gehören  also 
zu   den  Ui  Bairrche.     Vgl.  ferner  rJ  Crinna  oms  Cuilli  Ir.  T.  111   74  §  ^3. 


Brnclistilcke  der  älteren  Lyrik  Irlands.  H9 

92. 

1  Tonna  mora  mörglana,        griän  rodatoigsetar, 

inna  churchän  flescach  fann       for  Conaing  concoirsetar. 

2  In  ben  rolä  a  moing  find       inna  ehurach  fri  Conaing, 

is  cass  rotibe  a  gen       indiu  fri  bile  Torten. 

Tig.  AU  CS  621:  marii  U  morglan  T  inogalna  V  rodaitigsetai'  C  rodbatoigsetar  U 
rodotoicsitur  1  iri  curach  tlesc  fann  U  tleachadh  find  T  coirsetar  U  condcoseatar  T.  AU 
läßt  die  ivDtnte  Strophe  aug.     mong  T  in  T  for  G  is  ed  T  rotibi  T  bili  T  tortan  TC. 

1  Die  tief  klaren  Wellen  des  Meeres,  (und)  der  Sand  des  Meeresgrundes 
hat  sie  (beide)  zugedeckt :  sie  stürzten  sich  auf  Coning  in  seinem  schwanken 
schwachen  kleinen  Boot. 

2  Das  Weib,   welches  seine  weiße  Haarmähne  gegen  Coning  in  sein 

Boot  geschleudert  hat,  —  eine  gehässige  Lache  hat  sie  heute  gegen  Bile 

Torten  aufgeschlagen. 

Auf  den  Tod  eines  sonst  unbekannten  Conaing  m.  Aedäin  durch  Ertrinken  in  der  See, 
A.D.  622.  Die  Verse  sind  schwierig  zu  deuten.  Ich  fjisse  tonna  und  ffriän  als  Subjekt  und 
beziehe  das  pron.  inf.  -da-  auf  Coning  und  sein  Boot.  Unter  dem  Weib  mit  der  weißen 
Mähne  ist  doch  wohl  das  Meer  zu  verstehen;  doch  bleibt  mir  dann  die  letzte  Zeile  unver- 
ständlich, da  der  Bile  Torten  genannte  Baum  sich  weit  Inlands  in  Meath  befindet.  Vielleicht 
war  dort  Coiiings  Heimat.  So  lacht  auch  die  Morrigan.  wenn  Bluttaten  geschehen.  Fian. 
16  §42:  dreman  in  caisgen  tibes. 

93. 

Docelat       mör  n-amra  ind  arteni 
bite  for  ligiu  Marcäin        maicc  Äeda  maicc  Marteni. 
Conn.  §  26:  dochelit  B  lige  codd. 

Viel  Wunderbares  bedecken  die  Steinchen,  welche  auf  dem  Grabe 
Marcäns,  des  Sohnes  Aeds,  des  Sohnes  Martenes,  sind. 

Wird  König  Güaire  von  Aidne  (gest.  663  oder  666)  zugeschi-ieben.  O'Donovan  meinte 
(Corm.  Tr.  S.  4),  daß  die  Strophe  sich  auf  einen  650  gefallenen  König  der  Ui  Maine 
namens  Marcän  beziehe.  Dieser  war  aber  ein  Sohn  Tommäns.  S.  CS  650,  Tig.  652.  Ein 
Marcän  m.  Äeda  wird  Itawl.  502,  152  a  39  erwähnt,  er  war  aber  ein  Enkel  Fiachras. 

94. 

Ni  cumma  a  n-inmaine,        cetu  cummai  a  feba, 
fötän  forsngenair  Cellach       ocus  inti  forsmbeba. 
H.  I.  8  (AU),  fol.  24a:  aainmhaine  —  fosngenair. 


40  K.   MEvrn: 

Nicht   gleich    teuer    sind    sie    (uns),    obgleich    ihre  Wunderkräfte    die 

gleichen  sind:  die  Scholle,    auf  der  Cellach    geboren  ward    und  diejenige, 

auf  der  er  starb. 

Bezieht  sich  wohl  auf  den  Tod  Cellachs  niac  Säräin,  Abtes  von  Othan  Mör  (Fahan) 
in  Inishowen.     S.  AU  657. 

95. 

Grüaire:    Cian   ö   thibi  do  gäiri.        is  ar  n-aire   fri   döini. 

atchiu  for  indaib  t'abrat        is   tind  galgat  nochöini. 
Ornait:    Dethbir  dam  ceni  antais        adäm  abrait  di  breissi, 

ni  bad  fäilid  Laidgnen  clam       cid  e  maras  tarm  eissi. 

Corm.  §  726  und  180:  H.  3.  18,  64  c  und  633:  tibe  C  gaire  C  daine  C  nocbaine  C  in- 
mabrat  HH^  abra  C  ba  C  niatfailtc  H  nifaghadh  fäilti  i?'  mara  7/  marus  H'  maras  C  (fl*) 
marad  C  {B). 

Güaire :  Lang  ist's  her,  seit  du  gelacht  hast,  —  wir  geben  auf  Leute 
acht,  —  ich  sehe  es  an  deinen  Augenwimpern,  schmerzlich  ist  der  Ver- 
lust, den  du  beklagst. 

(Jrnait:   Es   wäre  nur  recht,  wenn  meine  Wimpern  nie  aufhörten  von 

Tränen   zu   tropfen :   (denn   auch)  Laidgnen  der  Aussätzige  würde  nicht  froh 

sein,   wenn   er  es   wäre,   der   mich  überlebte. 

Ein  Zwiegespräch  zwischen  König  Uüaire  von  Aidne  und  Ornait,  Pflegegeschwister 
des  hier  betrauerten  Laidgnen  Clam  oder  Lobor  (L.  des  Aussätzigen),  den  ich  'King  and 
Hermit'  S.  9  ebenso  wie  O'Donovan,  Corm.  Tr.  S.  26,  mit  Laidgnen,  dem  Sohne  von  Bäith 
Bannach  von  Clonfert-Mulloe  identifiziert  habe,  und  zwar  aus  folgenden  Gründen.  Bei  der 
Aufzählung  seiner  Pflegegeschwistei'  in  'King  and  Hermit'  §  4  nennt  Marbän  einen  Laidgnen 
mit  Ailirän  zusammen  und  fügt  hinzu  atä  cechtar  de  fri\a\dän  "sie  sind  beide  an  der  Arbeit. 
in  §  5  nennt  er  denselben  dann  Laidgnen  lobor.  Da  Ailirän  der  665  gestorbene  Geistliche 
und  Gelehrte  von  Clüain  Iraird  (Clonard)  mit  dem  Beinamen  sapiens  (ir.  ind  ecnai)  ist,  der 
\'erfasser  einer  leider  verlorenen  Rhetorica  genannten  Schrift',  so  beziehe  ich  dän  auf  geistige 
und  .schriftstellerische  Arbeit.  Auch  Laidgnen  mac  Bäith  führte  den  Beinamen  sapiens  und 
war  der  Verfasser  eines  Auszugs  von  Gi'egors  Moralia  ^.  Dazu  kommt,  daß  das  Todesjahr 
dieses  Laidgnen  (661)  für  die  Datierung  der  obigen  Strophen  gut  paßt.  Denn  schon  ein 
paar  Jahre  darauf  starb  König  Güaire  selbst.  Es  wäre  doch  seltsam,  wenn  wir  zwei  Geist- 
liche dieses  immerhin  seltenen  Namens^  annehmen  müßten,  die  beide  um  dieselbe  Zeit  ge- 
storben wären. 

'  Die  Rhetorica  Aterani  existierte  noch  im  1 2.  Jahrhundert  im  Kloster  St.  Florian. 
S.  MANrrius,  Gesch.  d.  lat.  Lit.  des  Mittelalter^s  I  S.  10. 

^    S.  über  Laidgnen  mac  Bäith  Bannaig  L.  Gocgaüd,  Rev.  celt.  XXX  S.  36  ff. 

'  Der  Name  (Laidcnen.  Lanlgnen]  ist  eine  Koseform  auf -p'/  von  dem  Vollnamen  Lad- 
cenn  "Schneckopf.      S.  .k\i.  Dicht.  1  15  Anm.  2. 


Bruchstiickr  der  älteren  Lyrik  Irlands.  41 

96. 

1  Marb  frimm   andess,   marb  antüaid,        niptar  inmuini  athshiaig, 
tofoir,  a  Ri   nime  glaiss,        a  ndochairte  tatharlais. 

2  Marbäin  inna  bliadna-so,        nirbo  chüinti  nech   occo: 

Mäel  Düin,  Bec  macc  Ferguso,        ('onaing,  Cuimmine  Foto. 

3  Ni  beir  Luimnech  for  a  druimm       de  sil  Muimnech  i  ILeth  Cuinn 
marbän  i  nnöi  ba  fiu  dö,        do  ('humminiu  macc  Fiachno. 

4  Ma  doteiged  nech  dar  muir       seissed  i  suide  nGriguir, 
mad  a  hEre,  ni  büi  dö       inge  ('ummine  Foto. 

5  Mo  chuma-sa  lar  Cumminiu        ön  lö  rofoilged  a  ärc, 

cöi  m'ocuil  nisningaired,        dord  Gaill  iar  nderach  a  bärc. 

6  Ni  maid  cride   ce  chie        marb  teinn,  coich   hi-  a  die, 
innä  röimdetar  lar  (hu       öä  beo  lar  (Jummmiu. 

7  üäe  Corpri,  üäe  Cuirc,        ba  süi,  ba  an,  ba  airdirc, 
dirsan  marbän  i  mmi  gam,       ni  hach  ni  d'ecaib  laram. 

8  Sech  ba  hepscop  som  ba  n,       ba  macthigem  C'ummmi, 
tendäl  Erenn  ar  soäs,        ba  hälaind  mar  adchoäs. 

Str.  I,  2,  4,  7,  8  Three  Fragni.  6o:  Str.  2  Rawl.  503,  12a  i:  Str.  3 — 5  FM  661  ;  Str.  5 
Harl.  5280,  46b,  H.  3.  18,  19;  Str.  6  ('orni.  §  419,  H.  3.  18,  68b  und  634c;  Str.  7  Corm.  §  673. 
I  iunmuin  F  dofoir  V  an  docairte  F  2  nibo  caointe  ni  octa  F  3  cumniiiie  M  4  ma  rodligthe 
l'ei'  F  heirinn  ni  baoi  ni  do  F  5  //  und  Harl  stellen  die  Langweilen  um.  coimocuil  M  coi  ma- 
c«in    mis    ningarat  H   coi   macan   nisningarad  Harl.    nio   coniaid   fri  coimine  H    fotroilge  H 

6  maidh  H  maeth  Corm.  M  maoth  //  niaith  R  niäith  V  cia  Curm.  H  con  B  inarbteind  MB  marb 
teimhe  //  mairbthim  Cf/rm.  H  mairbteim  Y  codi  7/  Curm.  MB  iriart'eimdetar  //'  iunareimdetar 
//'  innaroemdetar  Corm.  M  innaroimdatfir  )"  inacn'jemdhatar  B  ua  beoa  H  iarndieba  Corm.  B 

7  Maith  a  cbeinel  maith  a  rhrutb.    ba  lethan  a  comslonnadb.    ua  coirpre  7  ua  cuirc  u-sw.  F 

8  ba  halaind  mai-  rochoa.s  F  adcLoas  eyo. 

1  Ein  Toter  im  Süden  von  mirjlein  Toter  im  Norden,  —  es  war  keine 
willkommene  Auflösung  einer  Kriegerschar  —  o  König  des  blauen  Himmels, 
hilf  dem  .schlimmen   Pakt,  den  du  (uns)  geschickt  hast(?),   ab! 

2  Die  Toten  dieses  Jalires  —  im  Vergleich  mit  ihnen  ist  keiner  zu 
beklagen:  —  Mäel  Düin,  Bec,  Sohn  des  Fergus,  C'oning,  Cummme  der  Lange. 

3  Der  Lumnecii  trägt  vom  Geschlechte  derer  von  Munster  auf  seinem 
Rücken  keinen  Toten  zu  Schiflfe  nach  Leth  Cuinn,  der  Cummine  dem  Sohne 
Fiachnas  an  Wert  gleich  käme. 

4  Wenn  jemand  übers  Meer  käme,  um  den  Sitz  Gregors  einzunehmen, 
—  wenn  er  aus  Irland  sein  sollte,  so  gab  es  außer  Cummine  dem  Langen 
niemand  dafür. 

Phil.-hist.  Abh.  1919.  Nr.  7.  6 


42  K.  Meyer; 

5  Mein  Schmerz  um  Cummine  \on  dem  Tage  an,  da  sein  Leib  zu- 
gedeckt worden  ist,  —  das  Weinen  meines  Anges  konnte  ihn  nicht  be- 
wahren, (es  ist  wie)  der  Klagegesang  eines  fremden  Händlers,  dem  man 
seine  Schiffe  geplündert  hat. 

6  Ein  Herz  bricht  nicht,  wenn  es  auch  einen  Toten  schmerzlich  be- 
weint, um  wen  immer  seine  Klage  gehen  mag,  da  die  Ohren  der  Lebenden 
westwärts  von  ('liu  durch  das  Wehklagen  um  Cummine  nicht  zerbrochen  sincj. 

7  Der  Nachkomme  (3orbres,  der  Nachkomme  Gores,  er  war  ein  Weiser, 
war  herrlich,  war  berühmt'.  Ach  über  den  lieben  Toten  im  Wintermond I 
nach   ihm  ist  nichts   was   stirl»t  beklagenswert. 

8  Außer  daß  er  Bischof  war,  war  (  ummine  ein  König,  war  ein  Jung- 
herr,  ein  Leuchtfeuer  Erins  an  Weisheit,   war  schön,  wie  man  berichtet  hat. 

Icli  habe  alle  Strophen,  welche  aus  der  Toteiiklage  {marhnad)  Colinäiis  mocu  Chliiasaig 
auf  Cummine  Fota,  Bischof  von  Clonfert-Breiinan,  angeführt  werden,  zusammengestellt, 
f'iimmine  starb  am  2.  November  (»»7  gam)  des  Jahres  662.  Colmän  soll  sein  Pflegevater 
[gewesen  sein.  Ob  ich  in  der  Anoi-dnun«;  der  Strophen  das  Richtige  getroffen  habe,  ja  ob 
sie  bei  dem  wechselnden  Metrum  wirklich  alle  demselben  üedichte  entstammen,  ist  zweifelhaft. 

Str.  i.  Da  in  der  zweiten  Sti'.  vier  Clestorbeue  erwähnt  werden,  ist  vielleicht  mairb 
7.U  lesen.  —  athUüay  fasse  ich  als  'aufgelöstes  Heer'  mit  Bezug  auf  die  Toten,  die  gleich- 
sam ihres  Dienstes  entlassen  sind.  Aber  die  zweite  Langzeile  ist  mir  nicht  klar  geworden. 
Da  do-chairte  (io)  n.  einen  schlechten  Verti-ag  oder  Waffenstillstand  bedeutet,  bliebe  der 
Dichter  damit  im  Bilde.  Vgl.  dazu  den  abgeleiteten  Personennamen  Dochartach  'einer,  der 
einen  schlechten  Waffenstillstand  schließt'.  —  tatharlais  aus  to-aih-ro-/ais,  2.  Sg.  Prät.  perf. 
zu  to-aith-ouir  (Pedersen  II  500),  abstr.  tathrhor.  eig.  'zurücksenden,  rückgängig  machen', 
was  hier  keinen  Sinn  gibt. 

Str.  2.  Von  den  anderen  hier  genannten  Toten  war  Mäel  Düin  mac  Furudräin  nach 
den  Annalen  König  von  Durlas  (Tig.)  und  Conaing  mac  Congaile  m.  Aeda  Släine  (Tig.)  fiel 
in  der  Schlacht  bei  Ogomain.  \]hQv  Bec  mac  Ferguso.  den  nur  Tigernach  erwähnt,  ist 
sonst   nichts  bekannt. 

Str.  3.  Lumnech  ist  der  alte  Name  für  den  Shannon  bei  Limerick,  welche  Stadt 
danach  genannt  ist.  Leth  Cuinn,  die  nördliche  Hälfte  Irlands.  Dort,  am  linken  Ufer  des 
Shannon,  lag  die  berühmteste  Grabstätte  Irlands,  ("lonniacnois,  wo  König  üüaire,  der  Gönner 
Cuniniines,  imd  wohl  auch  dieser  selbst  beigesetzt  wurde*. 

Str.  4.     Statt  (loteiged  ist  wohl  noteiged  zu  lesen. 

Str.  5.  ocul  \n)  m.  'Auge',  gelehrte  Entlehnung  aus  dem  Lateinischen.  —  In  msnin- 
yaired  bezieht    sich    das  pron.   inf.    auf  ärc  |ä)  f.   —    Gall  hat  hier  noch  die  alte  Bedeutung 


'  Oder  mit  F:  "Edel  war  sein  Geschlecht,  edel  seine  Gestalt,  weit  verbreitet  der  Name 
seiner  Familie  {comilondudy. 

-  Siehe  die  hübsche  Anekdote  in  CZ  111  218  §  37,  wo  erzählt  wird,  wie  die  Leiche 
des  freigebigsten  aller  Könige  auf  dem  Wege  nach  Clonmacnois  sich  wieder  belebt,  um 
einem   Bettler  ein  letztes  Almosen  zuzuwerfen   (enech  dedenach  GUairi). 


BruchMückfi  der  ä'lterm   T.j/rik  Irlands.  43 

(ursprünglich  ;=  Gallus)  und  bezieht  sich  auf  einen  Kauffahrer  vom  Kontinent.  Im  7.  Jahr- 
hundert waren  das  besonders  Syrer.  —  derach  (zu  di-reg  Ped.  §  794),  eine  Nebenform  von  direch. 

Str.  6.  marb  teinn  'einen  Toten,  der  Schmerzen  verursacht  '.  —  coich  be  cuiuscunque 
.Sit',  (ienitivkonstiiiktion  zu  da  be.  —  Das  seltene  Wort  dte,  welches  Cormac  mit  cöinf. 
H.  3.  18.  68b  mit  röV  glossiert,  findet  sich  in  diesem  Sinne  auch  LL  119b  13:  die  mar  maige 
.Miirthtmne  dit  eis  und  ebenda  Z.  26. 

Str.  7.  Dem  Stammbaum  Cummines  in  LL  351c  :=  Hl  502,  90g  nach  war  der  St^inini- 
vater  seiner  F'amilie  König  Ailill  Flann  Bec,  dessen  Knkel  <'orc  und  dessen  Urenkel  Corpre 
waren.  —  lii  tm  gäm  ist  gam  Gen.  PI.,  eig.  'Monat  der  (einsetzenden)  Winterstünne'.  Di'tin 
das  wird  die  ursprüngliche  Bedeutung  von  gam  (urspr.  gaim)  'Winter'  sein,  wie  es  die  de.s 
verwandten  XEtM(i)N  ist.  Vgl.  Stiab  Gam,  Name  eines  1300  Fuß  hohen  Gebirgszuges  in  der 
(Jrafschaft  Sh'go.  Auch  das  KoUektivum  gaim-red  {gam-rad)  weist  auf  diese  Bedeutung  hin.  — 
O'DoNovANS  Übersetzung  des  letzten  Verses  in  form.  Transl.  S.  82  not  lamentable,  however. 
— not  to  death  (has  he  gone)'  ist  verfehlt. 

97. 

Ni  (liliu       nach  ri  lim-sa  alailiu, 

u  })retha  Mail  Fothartaig        inna  gaimn<'n   do   Dairiu. 
AU,  FM668:  alaliu    V  odobretha   M  ina    l'Jtl  ghaimhnen   M  geimneii    I  . 

Kein  König    ist    mir    lieber   als   der   andere,    seit  Mäel  Fothartaig  in  , 
seiner  Totenhülle  nach  Daire  getragen  worden  ist. 

Wird  dem  679  gestorbenen  Dichter  Cenn  Fäelad  zugeschrieben.  Auf  M.  mac  Suibni, 
König  der  Ui  Thuirtri,  welchi'r  669  starb  und  in  Daire.  jetzt  Derry,  beigesetzt  wurde.  — 
gaimnen.  Deminutiv  von  gaimen  (s.  Nr.  158),  das  Kalbsfell,  in  das  die  Toten  gebettet  wurden. 

98. 

1  Bronach  Conaille   indiu.        <iethbir  döib   iar  nUarchridiu. 
m  ba  ellmu  biäs  gen        i  nAirdd  lar  iiDub-dä-inber. 

2  Sirechtach        bronän  file  for  tir  Thaidc, 

cen  Dub   Ciiile,   cen   niacc   mBrain.        cen   Dub  da  inber  for  Airdd. 

3  Sirechtach        sellad  fri  a  lechtlecca: 

far  coin,   far  milchoin,  far  tniiä        do  buith   la  far  n-ecrata. 

4  Mani   icca<l  dein   ainne        niacc  (  runnmäil   dorn   sirecht-se, 

ntptis  fola  ocus   cro        mo  der  do  marb  Imblecho. 

Str.  I  Thr«e  Fragm.  S.  90.  10,  FM  686,  Str.  i — 4  AU  687  bronaigh  ('  doaibl]  U 
eallma  F  healliiiha  jy  ard  FiV  ar  aird  f'sella  f'buid  t7  echtrata  CT  niona  T  dam  f  domirichtf  V 
sirechtse  egn. 


'    Vgl.   tind   (teiTid  H»)   he  frism    om    'sie    (die  Distel)    ist   schmerzhaft    für  rohe  Haul' 
I  i>rni.  S.  1027  und  oben  Nr.  95  tind  ijalgat. 

6* 


44  K.   Meyer: 

1  Conalls  Stamm  ist  heute  voll  Kummer,  sie  haben  guten  Grund 
dazu  nach  Uarchrides  Tod;  in  Ard  wird  nach  dem  Tode  Dub-da-inbers 
so  bald  kein  Lachen  gehört  werden. 

2  Wehmutsvoll  ist  der  Kummer,  der  auf  dem  Lande  Tadgs  lastet, 
ohne  Dub  Cüile,  ohne  Brans  Sohn,  ohne  daß  Dub-da-inber  auf  Ard  weilt. 

3  Wehmutsvoll  ist  der  Anblick  ihrer  Gral)steine:  (und)  daß  eure 
Himde,  eure  Rüden,  eure  Weiber  in  den  Händen  eurer  Feinde  sind. 

4  Hätte  Crunnmäels  Sohn  mich  nicht  also  für  meinen  Kummer  ent- 
schädigt,   so    wären    meine  Tränen   für   den  Toten  von  Imblech  aus  Blut. 

Auf^die  Schlacht  bei  Imblech  Phich,  dem  heutigen  Emlagh  in  Meath,  im  Jahre  688, 
wo  u.  a.  Uarchride,  Häuptling  der  Ui  Chonaill  von  Murthemne  und  Dub-dä-inber,  Fürst  von 
Ard  Chianachta,  fielen.  Das  letztere  Gebiet  wird  hier  nach  dem  Stammesvater  Tadc  mac 
Cein  Tir  Taidc  genannt.  —  Es  ist  zweifelhaft,  ob  die  Strophen  alle  demselben  Gedicht  ent- 
stammen. Str.  I  und  4  und  Str.  2  und  3  scheinen  d'-s  Metrums  wegen  zusammenzugehören. 
Wer  der  Sohn  Crunnmäels  war  und  welche  Hache  er  ausübte,  ist  unbekannt.  — fola  ocus  crö 
'of  blood  and  göre'.  Wie  so  oft,  versagt  hier  das  Deutsche  bei  der  t'berseizung  aus  dem 
Irischen,  während  das  Englische  die  entsprechenden  Worte  besitzt 

99. 

Int  Aed  isind  üir,        in  ri  isind  rüaim, 
int  enän  dil  dein        la  Cerän  i  Clüain. 

FM.  733,  Tig.  737:  ciaran  codd. 

Aed  ist  unter  der  Erde,  der  König  ist  im  Friedhof,  das  liebe  saubere 
Vögelchen   ist  bei   Cerän  in   Clüain. 

Auf  den  Tod  Aeds  m.  Colgen  in  der  Schlacht  bei  Ath  Senaig  im  Jahre  738  und 
seine  Beisetzung  in  dem  von  Ciarän  gegründeten  Cloumacnois.  Die  Verse  werden  seinem 
Besieger  Aed  Allan,  König  von  Irland,  in  den  Mund  gelegt  Daß  sie  in  die  erste  Hälfte 
des  8.  Jahrhunderts  zu  setzen  sind,  beweist  die  Form  Ceran,  die  im  Reim  auf  enän  hei-zu- 
stellen  ist.  statt  des  späteren  Ciarän.  -  -  dein  'rein'  ist  ein  seltenes  früh  ausgestorbenes  Wort, 
das  nicht  mit  dfiti,  einer  Nebenform  von  den.  zu  verwechseln  ist.  In  übertragenem  Sinne 
'rechtschaffen,  ehrlich'  findet  es  sich  Laws  IV  360.  19:  cach  duinc  dein  dligthidt-  und  bei 
Gorman    16.  Apr.,  wo  so  zu  lesen  und  übersetzen  ist: 

secht  noim  deac  na  dathfir 

deni  mathi  ■  möra 

'siebzehn    Heilige   waren   die   ausgezeichneten   Männer,   die   reinen,   guten,   großen".     Davon 

das  Abstraktum    neine,    z.  B.    is   süaichnid  ar   deine  a   düar  'er   ist  wohlbekannt  wegen  der 

Reinheit  seiner  Verse'  CZ  V  489,  3. 


Die  Hs.  hat  maihih  nur  um  den   Reim  mit  dathfir  zu  markieren. 


Bmchstijckf  der  älteren  Lijrik  Irlands.  45 

100. 

Atchluin   cäch        etir  inggnath   ocus  gnäth, 
abb   hi  Clüain   mar  Cetadach        nochon   ötfathar  co  bräth. 
FM  848:  atcluin. 

Ein  jeder  hört  es,  der  Unbekannte  sowohl  wie  der  Bekannte:  ein 
Abt  in  Clüain  wie  Cetadach  wird  bis  zum  jüngsten  Gericht  nicht  gefunden 
werden. 

Aul"  den  Tod  Cetadachs,  Abtes  von   ("lonmacnois.  im  Jahre  850. 

101. 

Mallacht  ort,  a   (yhallainn   chrüaid,        a  srüaim  amal   ceö  do  sleib, 
dorimmart  ec  do  cach   leith        for  dreich   nithaig  niamguirm   Neill. 

Ni  caraim  in  n-usce  ndüabais       immetlH'it  sech  töib  mfirais, 
a  Challainn,  ce  nomöide.        macc  mnä  bäide  robädais. 
Str.  I   und  2  FM  844,  Str.  2  AI'  845:  imteit  seoch  V  imtheit  J/  robadis  U. 

Fluch  über  dich,  grausamer  Callinnfluß,  du  Strom  wie  Nebel  vom 
Gebirge;  du  hast  von  allen  Seiten  den  Tod  auf  das  tapfere  glänz-  und 
nihmvoUe  Antlitz  Nialls  gezwängt. 

Ich  liebe  das  unheilvolle  Wasser  nicht,  das  zur  Seite  meines  Wohn- 
sitzes vorbeifließt:  o  Callinn,  ob  du  dich  gleich  (deiner  Tat)  rühmst,  du 
hast  den  Sohn  einer  liebenden  Mutter  ertränkt. 

Aas  zwei  metrisch  verschiedenen  Gedichten  auf  den  Tod  König  Nialls  Cailne  inac 
Aeda  Oirdnidi.  der  846  durch  Ertrinken  im  Flusse  Callinn  umkam.  —  Die  relative  Form 
immftheit,  die  ich  einsetze,  gibt  die  nötige  Silbenzahl. 

102. 

1  Dursan,  a  De,  d'  Fedlimid,        tonn  bäis  ba  rom  rodbäidi, 
fodera  brön  d'   Erennchaib        nad  mair  macc  (Jrimthainn  Cläiri. 

2  Is  süaichnid  do  Göidelaib,        tan   donänic  dcdenbaig. 
roscäich  ar  in  nErinn  n-üaig       önd  iiair  atbath  Fedlimid. 

3  Ni  dechaid  i  rredrige        marbän   badid  n-ingnathar, 
flaith  fial  fo  rig  nAlbine        co  bräth  nicon  gignethar. 

Str.  I  CS  846.  Str.  1—3  FM  845:  rodbaidhe  CM  claire  CM  suaithnidh  M  doanic  an- 
dedeubhaidh  M  ar  an  erinn   uaigh   .1/  rrcdhriijlii  M  badidinnigretliar  .)/  gignethair  M. 


46  K.   Meyer: 

1  Ein  Jammer  ist  es,  o  Gott,  um  Fedlimid!  Zu  früh  hat  ihn  die  Todes- 
welle ertränkt.  Daß  Crimthanns  Sohn  nicht  mehr  am  Leben  ist,  bereitet 
den  Iren  Kummer. 

2  Es  ist  den  Galen  offenbar,  als  der  letzte  Kampf  gekommen  war:  von 
der  Stunde  an,  da  Fedlimid  starb,  ist  es  mit  dem  jungfräulichen  Irland  vorbei. 

3  Kein  Toter  ist  in  das  himmlische  Reich  gegangen,  der  so  wunderbar 
war  wie  er;  ein  Herrscher  so  freigebig  wie  der  König  von  Albine  wird 
bis  zum  jüngsten  Gericht  nicht  geboren   werden. 

Auf  den  Tod  Fedliniids  mac  Crimthainn,  Königs  von  Munster,  im  Jahre  847.  Die  erste 
Strophe  stammt  des  verschiedenen  Versmaßes  wegen  wohl  aus  einem  anderen  Gedichte  als  die  /.weite 
und  dritte,  die  zusammengehören.  —  Cläre  (io)  n.,  ein  Sitz  der  Könige  von  Munster.  Vgl. 
i  Cläriu  Baile  in  Sc.  §  10  (R).  —  dedenbäig.  wie  augenscheinlich  zu  lesen  ist,  macht  wegen 
des  Reimes  Schwierigkeit.  Auch  Rawl.  502,  85  a  40  wird  da,s  Wort  vom  Todeskampf  ge- 
braucht.    Es  heißt  dort  von  einem  Könige : 

re  secht  \m\blTadna  reraig  räm       cn  rondedaig  dedenbäg 

'sieben  Jalu-e  lang  erstreckte  er  den  Lauf,  bis  ihn  der  letzte  Kampf  bezwang'.  —  Zu  der 
idiomatischen  Wendung,  die  in  roscäich  ar  Erinn  vorliegt,  vgl.  O'Mulc.  311,  wo  es  von  einem 
nicht  länger  Kampffähigen  [vech  nädichet  i  cath ^  dihill)  heißt:  roscäich  aire  '^  ist  mit  ihm 
vorbei'.  —  redrige  kehrt  unten  Nr.  106  wieder.  Ich  kenne  das  Wort  sonst  nicht.  AVörtlich 
'ebenes  Reich',  scheint  es  ein  dichterischer  Ausdruck  für  das  Himmelreich  zu  sein.  —  Ein 
Ortsname  Albine  ist  mir  in  Munster  nicht  bekannt;  denn  der  jetzt  Delvin  genannte  Fluß, 
der  altirisch  so  heißt,  kann  es  doch  hier  nicht  sein. 

103. 

1  Monüar,   a  döini   maithi,        ba  ferr  a  laithi  chluichi, 

mör  liach  Ginäed  macc  Conaing       hi  lomainn  dochum  cuithi. 

2  larna  chuimrech   isin  rian        mör  liach  rocestar  int  slüaig 

ac  aicsin   a  airbi  bäin        forsin   träig  ös   Aingi   üair. 

FM  849,  die  erste  Strophe  auch  AU  H50:  dhaoine  maithe  M  laithe  cluithe  M  cuithe  M 
roceehtar  M  rocestar  cgo  airrbhi  J7 

1  Wehe,  ihr  guten  Leute  I  besser  waren  seine  Tage  der  Lust  I  Groß  ist  der 
Schmerz,  daß  Cinäed,  Conings  Sohn,  in  Sackleinen  zu  Grabe  getragen  wird. 

2  Nachdem  er  gebunden  in  den  Strom'  geworfen  war,  erlitten  die 
Krieger  großen  Schmerz,  da  sie  seine  weißen  Rippen  auf  dem  Strand  über 
dem  kalten   Ange   erblickten. 

'    Wörtlich    das  Rudern'.    Vgl.  dirsan  dö  in  rTan  rorä  !Metr.  D.  II  14,  66. 
^    O'DoNOVAN   übersetzte    in  the  sea'.  aber  rtan,  eig.   'Wasserlauf,    kann  sich  auch  auf 
den  Fluß  beziehen. 


BruchMiicke  der  älteren    Ljjrik  JrJands.  47 

Auf  (las  Begräbnis  Cinäeds.  Königs  der  Cianacht  Breg,  der  im  Jahre  851  von  seinen 
P'einden  ertränkt  worden  war.  Ob  die  beiden  Strophen  zusammengehören,  ist  wegen  des 
wechselnden  Metrums  zweifelhaft.  —  rocestar  statt  rocechtar  ist  wohl  eine  sichere  Konjektur.  — 
Der  aitirisch  Ainge  (iä)  f.,  heute  Nanny  genannte  Fluß  fließt  durch  das  Gebiet  der  Cianacht 
und  mündet  in  die  Bucht  von   Drogheda. 


104. 

Nad  mair  Cinäed  co  lin  scor       fodera  gol  i  cach  thig: 
öenri  a  löga  fo  nim        co  bruinne  Roma  ni  fil. 

Three  Fragm.  S.  150:  in   gach  taigh  bbfail. 

Daß  Cinaed  mit  einer  Menge  von  Reiterscharen  nicht  mehr  am  Leben 
i.st,  ruft  Klage  in  jedem  Hause  hervor:  bis  hin  an  die  Grenze  Roms  gibt 
<'s  keinen  einzigen  König  seines  Verdienstes  unter  dem  Himmel. 

Auf  den  858  erfolgten  Tod  des  Königs  der  schottischen  Pikten  Cinäed  mac  Aipin. 

105. 

1  Sirechtach  rosrethnaiged        a  scöl  ndobröin  for  Ere, 

o  atbath  ar  sticht  ruirech        Mäel  Sechnaill  Sinna  sncde. 

2  Is   imda  mairg  i  cach  du,        is  scfl   mör  la  Göidelu, 
dorortad  fin  flann  fo  glenn,        dorodbad  ardri  Erenn. 

3  Ce  du  d'imrimm  gabur  ngel       ocus  d'imbud  ech  fri  sam, 

inid  Mäel  Sechnaill  indiu       atchiu  i  ndegaid  da  dam? 

Str.  I — 3  FM  860,  Str.  2  Three  Fragm.  siecht  M  seachlainn  M  in  gach  MF  dorodba 
aainri  F  iomadh  M  enid  J/  deadhaidh  M. 

1  Kummervoll  hat  sich  der  Schleier'  der  Trauer  über  Erin  gebreitet, 
da  Mäel  Sechnaill  vom  schnellfließenden  Shannon  auf  der  Spur  großer 
Könige  gestorben   ist. 

2  An  jedem  Ort  ist  großer  Jammer,  e.s  ist  eine  große  Neuigkeit  für 
Galen,  ein  roter  Wein  ist  das  Tal  hinabgegossen  worden,  ein  Hochkönig 
von  Erin  ist  ausgelöscht. 

3  Was  soll  das  Reiten  von  weißen  Rossen  und  die  Fülle  der  Pferde 
für  den  Sommer,  da  ich  Mäel  Sechnaill  heute  hinter  zwei  Ochsen  erblicke? 

Auf  den  an  einem  Dienstag,  dem  13.  liov.  862,  erfolgten  Tod  König  Mäel  Sechnaills  von 
Irland.  —  Zu  sneid(-i-  luath  H.  3.  18,  539)  vgl.  srüamandai  snedi  merjola  Alex.  253,  ay  seng  sneid 


Wörtlich  'das  Segel'. 


48  K.  M 


E  YER  : 


Four  Songs  20  §  i.  —  ce  du  d'imrimm,  wörtlich  'welcher  Ort  fiir  Reiten?',  d.  h.  Reiten  ist 
jetzt  nicht  'am  Platze'.  Vgl.  cia  du  duit  comhäg  fri  hÄedf  CZ  IX  459  §  i  ^  Aus  solchem 
und  ähnlichem  Gebrauch  von  du  'Platz'  hat  sich  die  Bedeutung  'passend,  angemessen,  ge- 
hörig' gebildet,  dort,  welches  Peuersen  §  52  als  Kasusform  zu  dii  stellen  möchte,  halte  ich 
jetzt  für  ein  selbständiges  und  davon  zu  trennendes  Wort.  —  i  ndegaid  da  dam,  in  dem 
von  Ochsen  gezogenen  Leichenwagen. 


106. 

1  Cobthach  Guirrig  chuiredaig,        domna  rig  Lifi  lenuaig, 
dirsan  macc  mör  Muiredaig,        ba  liacli  üa  cöiinfind  Cellaig. 

2  Clethe  Laigen  legnide,        .süi  slän  sothchernda  sochlach, 
retglu  ruirthech  redrige,        comorba  Conläid  Cobthach. 

LB  loib,  FM868:   cuirig  cuiredaig   L   cuirrethaig   M   liffe  L   lipthe  M  sochemda  L 

slan  segainn  M  ri'dlu  ruirtech  L  retlu  ruirech  M  redhrighe  M. 

I 

1  Cobthach  vom  schareiireichen  Currech,  Thronerbe  des  mäntelreichen 
Life,  -^  ach  um  den  großen  Sohn  Muredachs!  ein  Jammer  ist  es  um 
den  holdseligen  Enkel  Cellachs! 

2  Haupt    der    Gelehrten    von    Leinster,    ein    vollendeter,    freigebiger, 

hochberühmter  Meister,  ein  Stern  mächtigen  Laufes  im  himmlischen  Reich, 

ein  Nachfolger  Conläd  es   war  Cobthach. 

Auf  den  Tod  Cobthachs,  Abtes  von  Kildare,  im  J.  870,  den  LB  loi  b  sapiens  et  doctor 
nennt.  Hier  steht  auch  ein  kurzes  rhythmisches  alliterierendes  Loblied  auf  ihn,  in  dem  er 
büaid  bärtbelra  bind  'Glorie  der  süßtönenden  weißen  Sprache'  (d.  i.  Latein)  und  mit  Bezug 
auf  seine  Abkunft  tnathgein  'fürstlicher  Sprößling'  genannt  wird.  Er  scheint  sich  besonders 
mit  der  Apostelgeschichte  beschäftigt  zu  haben,  denn  das  Gedicht  erwähnt  acta  na  n-apstal 
n-üasal.  Es  ist  übrigens  zu  seinen  Lebzeiten  abgefaßt,  da  es  am  Schlüsse  heißt:  säerthuind 
cöemt[h\und  cobair  (zu  lesen:  Cobthach?)  'seine  Hilfe  befreit  uns,  tut  uns  Liebes' ^  —  Cuirrech, 
das  heute  Curragh  von  Kildare  genannte  Gelände,  öfter  mit  dem  Beiwort  cuiredach,  z.  B. 
Rl  502,  84b  32  (hi ßaith  Cuirricli  cuiredaich),  das  auch  auf  Personen  bezüglich  vorkommt: 
m  mair  Cormac  cuiredach  Arch.  lll  312,  5.  —  sothchernda  aus  fo-thiycrn-d':  eig.  'nach  Art  eines  ' 
guten  Herrn'.  —  ruirthech  aus  ro-rethech  wird  H.  3.  18,  74  mit  rith  mör  i  cian  glossiert. 
Vgl.  ruirthech  rfa«  RC  XX  258.  In  übertragener  Bedeutung  intlecht  ruirthech  Anecd.  V26,  5; 
ciaptar  ruirthig  a  rtg  Alex.  572.  —  Der  um  520  gestorbene  Conläed  war  der  erste  Abt- 
bischof von  Kildare. 

'    So  ist  auch  Tig.  603  mit  CS  zu  lesen:  ce  du  rige,  ce  du  recht  usw. 

*  Dies  wird  erklärt  menic  notcöemaiged  cobair  imm  eiach  dün  in  tan  bimis  ht  nochtai. 
Zu  cöemaim  in  diesem  Sinne  s.  Thurneysen  CZ  XI  165.  Andere  Beispiele  des  Wortes:  1« 
cäem  in  gairm  noscöema  Metr.  D.  1  28;  Cermait  clTarach  lucäemad  Ir.  T.  III  15  §  36.  In  dem- 
selben Sinne  auch  cöemaigirn  Metr.  D.  HI  350;  LL  308b  37. 


Bruchstücke  der  filteren    Li/rik  Irlands.  49 

107. 

Dünadach   dind  Orchaill  äin,        gäir  fer  ndomain,   condmaib  giall, 
cathmil  cräibdech   claiime  Cuinn        fo  chrossaib   cuill  i  nDruimm  Chliab. 
FM  871:  adomhan. 

Dünadach  vom  glorreichen  Orchaill,  der  (Schlacht-)  Ruf  der  Männer  der 

Welt,   mit  Scharen  von  Geiseln,   ein  frommer  Krieger  aus  Conns  Geschlecht, 

liegt  unter  Kreuzen   aus  Haselholz  in   Drumcliff. 

Auf  den  873  gestorbenen  Fürsten  von  Cenel  Coirpi-e  mör,  einem  in  der  heiitigeu 
Baronie  Carburv  in  der  Grafschaft  Sligo  ansässigen  Stamm,  wie  Hogan  Onom.  217  b  gegen 
O'DoNovAN,  FM  I  517  Anm.  o  gezeigt  liat.  der  ihn  nach  Longford  verlegen  wollte.  Dort 
liegt  Drumcliff  und  gewiß  auch  Orchaill,  ein  Ortsname,  dem  wir  oben  Nr.  49  begegnet  sind. 
—  Zu  gäir  fer  nrioman  vgl.  Colmän  (^lüana,  gäir  cach  ttiir  FM  924.  —  condem  {ü)  f.  eigentlich 
'Dinquartierung',  'Gästeschar'.  Vgl.  connem  naltgtan  nöfbüasal  SR  1656  von  Adam  und  den 
.Seinen,  denen  die  Krde  zum  Wohnsitz  angewiesen  wli-d:  'na  cönnim  comihrüaig  ib.  3458 
von  Josephs  Brüdern  in  .^Igypten.  —  Im  Buch  von  Fenagh  S.  194,  4  wird  ein  aus  Haselholz 
gemachtes  Kreuz  erwähnt,  das  als  cathach  in  der  Schlacht  vorangetragen  wird.  Hier  sind 
Totenkreuze  gemeint. 

108. 

1  Gmä  gnan  ar  cöimchlainde,        cenn  cräbuid  inse  hEbir, 
mad  gab  näsad  nöibrainne       comorba  Cianäin  chelig. 

2  Ceinmair  sämad  sorchaidc       dia  mba  cenn,  ceimm  cen  chiä, 

dirsan  mind  mör  molbthaide,        ar  cara  cöimfind  Gniä. 

Three  Fi-agm.  S.  196,  FM  870:  herahir  FM  do  ghabh  /  noemprainne  M  molbhthaighe  FM 
gniaa  F. 

1  Gnia,  die  Sonne  unseres  holden  Geschlechtes,  Haupt  der  B'römmig- 
keit  von  Eber's  Insel,  schön  ist  er  in  die  Versammlung  der  Heiligenschar 
eingezogen,  der  Nachfolger  Gianäns,  des  (iefthrtenumgebeiien. 

2  Glückselig  die  erlauchte  Gemeinde,  deren  Haupt  er  war,  eine  un- 
getrübte Würde.  Ach  um  das  große  gepriesene  Diadem,  unseren  hold- 
seligen Freund  Gnia! 

Auf  den  im  .1.  872  gestorbenen  Bischof  und  Abt  des  von  Cianän  gegründeten  Dam 
liac  (j.  Duleek)  (aucorita  et  epincopus  et  scriba  opÜmux  AU).  —  Zu  celech  vgl.  Cerball  cräibthedi 
celech  (Jhron.  Scot  S.  182.  —  mind  molbthaide  wie  ba  molbthach  in  mind  Metr.  Dinds.  II  10,  14. 

109. 

Mör  liach  Cinäed,  grata  mind,        macc  Coscraig  co  srethaib  snö, 
in  breo  büada,  baile  bard,        comarbba  ard  Achaid  Bö. 
FM  874:  snau. 
Phil.-hist.  Ahh.  JÜjy.  Ar.  7.  7 


dO  k.  Meyee; 

Groß  ist  die  Trauer  um  Cinäed,  ein  hochgeehrtes  Diadem,  den  Sohn 
Coscrachs  mit  Reihen  von  strömenden  Scharen,  die  Flamme  des  Triumphs, 
die   Verzückung  der  Barden,   den   erhabenen  Nachfolger  von   Achad  Bö. 

Auf  den  876  erfolgten  Tod  Cinäeds,  Abtes  von  Achad  Bö  C'.-iinnig  (Aghaboe)  in  Ossory. 

—  snö  (anau,  snU)  'Strom'  gehört  zur  erweiterten  Wurzel  snä-u-,  die  in  i-ä*,  skr.  snauti  vorliegt. 
8.  Walde  s.  v.  tio.  Im  eigentlichen  Sinne  tar  Segsa  snü  Metr.  D.  II  78,  15;  i  sruth  na  sirdrung 
na  snäu  SR  2183.  Die  Dichter  verwenden  es  im  Sinne  von  'Menschenstrom,  Menge'  wie 
SR  6759  dann  DauJd,  sretha  snö  seil.  Das  Wort  liegt  wohl  auch  in  snö-brat  vor,  das  'King 
and  Herrait'  §  23  ein  dichterisches  Beiwort  für  den  Sonmier  ist,  etwa  'mit  wallendem  Mantel'. 

—  Zu  haile  bard  vgl.  becc  do  mör  molamair  .  .  tria  haile  hard  Arch.  III  219.  Wie  die  'f'ontri- 
butions'  S.  167  zeigen,  ist  der  Sinn  des  Wortes  baile  besonders  prophetia,  aisling,  fis. 

110. 

Bröen  macc  Tigernaig  cen  göi,       cadla  a  erchloss  fon  mbith  ce, 
Oengus  do  guin  amal  Bröin.       cani  öin  do  decraib  De? 

Aü  882,  FM  880:  a  nm.  U  erclos  codd.  che  17  loen  U  decraidh  M. 

Bröen,  der  Sohn  Tigemachs  ohne  Falsch,  herrlich  war  sein  Ruhm  in 
dieser  Welt.  Daß  Oengus  gleich  Bröen  erschlagen  ist,  ist  das  nicht  eins 
von  den  Wundem  Gottes? 

Auf  den  Tod  von  Bröen,  Sohn  von  Tigernach  und  Oengus  mac  Mäele  düin  durch 
Feindeshand  im  Jahre  883.  —  er-chlosg  auch  LL  287328:  ttnfaid  ferchlos  Erendmay.  Vgl. 
den  Eigennamen  Aurchlosach  Rl  502  152b  10. 

111. 

1  Tromm  ceö  for  cöiced  mBressail       ötbath  le(j  Liphi  lessaig, 
tromma  esnada  Assail       do  brön  tesbada  Tressaig. 

2  Scith  mo  menma,  müad  mo  gnäs,        ö  luid  Tressach  i  tiugbäs, 
osnad  Oenaig  Liphi  läin       Laigen  co  muir  macc  Becäin. 

FM  884:  tromcheo  —  o  atbath  —  i  liphi  —  tromm  —  Uuidh  —  lifi  —  laighin. 

1  Schwer  lastet  der  Nebel  über  Bressals  Provinz  hin,  seit  der  Löwe 
des  vestereichen  Life  gestorben  ist;  schwer  ertönen  die  Klagelieder  Assais 
aus  Kummer  über  den  Verlust  Tressachs. 

2  Matt  ist  mein  Sinn,  verstört  mein  Anblick,  seit  Tressach  in  den 
Tod  ging;  bis  an  das  Meer  von  Leinster  dringt  das  Seufzen  des  menschen- 
reichen Oenach  Lifi  um  den  Sohn  Becäns. 

Aus  einem  Gedicht  von  Flann  mac  Lonäin  auf  den  887  in  der  Schlacht  gefallenen 
Häuptling  der  Ui  Baiirche  Maige,  Tressacli  mac  Becäin.  S.  Zur  kelt.  Wortkunde  §  230.  — 
Zu  iiuy-bSs  vgl.  mani  toirsed  tonn  tiugbäis  Rl  502,  84b  41 ;  dt-och  tiugbSis  SR  6725;  LL  284a  44. 


Bruehstiicke  der  älteren    Lyrik  Irlands.  51 

112. 

1  Ni  forlaig  talam  togu,        ni  targa  Temro  tum, 

ni  tairchell  Eriu  irmar       fer  fo  Mäel  minglan  Muru. 

2  Ni  essib  bäs  cen  dolmai.        ni  roächt  gnäs  co  marbu, 

nir  iadad  talam  trebthach        for  senchaid  badid  n-amni. 

AU  886  (vgl.  879),  FM  884:  farlaig  U  talmain  toccha  M  thaigai  temru  U  i  ttemraig 
tura  M  taircell  U  trebthaigh  M  badidamru  U  badidamhra  M. 

1  Es  hat  die  auserlesene  Erde  niqht  bedeckt,  es  wird  zu  Taras  Türmen 
nicht  kommen,  das  länderreiche  Irland  hegt  keinen  Mann  wie  den  milden 
herrlichen  Mäel  Muru. 

2  Es  hat  nicht  den  Tod  ohne  Zagen  getrunken,    es  ist  nicht  in  die 

tremeinschaft  zu  den  Toten  gekommen,  es  hat  sich  die  bebaute  Erde  nicht 

über  einen  Kenner  des  Altertums  geschlossen,  der  berühmter  wäre  als  er. 

Aul"  den  Tod  des  Dichters  Mäel  Mnrii  von  Othan  (Fathan)  im  J.  887,  den  die  Annalen 
iTgfili  Brenn  'Dichterkönig  von  Irland'  nennen.  Außer  einem  großen  Gedichte  auf  die  Be- 
siedelungen Irlands  besitzen  wir  leider  nur  Bruchstücke  von  ihm.  —  Zu  talam  togu  vgl.  talam 
toga  CO  meit  rath  Er.  I  39  §  4.  —  Trmar  — -  'irach,  zu  rriu  'Land'.  Vgl.  fri  hErinn  n-traig 
LL  127330.  —  dolma  (ia)  f.  'Unbereitschaft,  Langsamkeit,  Zögern',  z.  B.  cid  so,  a  Duid,  a 
dohna  nombiif  YBL  123a  28.  —  trebthaig  M  gäbe  Reim  auf  senchaid.  Ys  i.st  vielleicht  tal- 
main trtbthaig  zu  lesen,  indem  sich  beim  I'assiv  der  Akk.  statt  des  Nom.  in  der  späteren 
Sprache  öfter  findet. 

113. 

1  Mör  liach  Muiredach  Maige       Liphi,  läech  linib  cuire, 

ri  Laigen  co  lir  lebenn,        macc  Brain,  büaid  nErenn  uile. 

2  Inmuin  gnüis.  cäiniu  ngaib,        cöim  düis  fo  ligaib  löraib, 
gilithir  süss  a  sidib,        robriss  for  milib  möraib. 

FM  882:  coUer  —  caoinibh  —  güither  —  sidhaibh. 

1  Groß  ist  der  Schmerz  um  Muredach  von  Life's  Ebene,  ein  Held  mit 
Reiben  von  Heereshaufen;  ein  König  von  Leinster  bis  an  die  Meeresestrade, 
Brans  Sohn,  der  Ruhmesstolz  von  ganz  Irland. 

2  Lieb  war  sein  Antlitz,  das  schönste  unter  Königen,  ein  holdes  Kleinod 
mit  reicher  Farbenpracht;  so  weiß  war  sein  Leib  wie  aus  Feenland,  viele 
Tausende  hat  er  besiegt. 

Auf  den  Tod  von  Muredach  mac  Brain,  König  von  Leinster  und  Abt  von  Kildare 
{rei  Laginentium  et  princfps  Cille  Dara  AU)  im  Jahre  885. 

7*    . 


52  K     Meyer: 

114. 

Ba  liach  üä  Cathail  cain,        foben  suba  sü  Beraich, 

macc  rig  Rätha  Baccäin  büain,        Oinäed  cinged  gin  nGabrüain. 

FM  886. 

Es  ist  ein  Jammer  um  den  edlen  Enkel  Cathals.  es  vernichtet  die  Freude 

von  Berachs  Geschlecht,   —  der  Königssohn  von  Baccäns  dauernder  Veste, 

Ginäed.  der  den  Paß  von  Gabrän  zu  beschreiten   pflegte. 

Auf  den  890  gestorbenen  Cinäed  mac  Cenneitig,  Thronfolger  von  Läigis  (Leix),  wo 
auch  Räith  Baccäin  lag,  aus  dem  Geschlecht  der  Fi  Beraig,  einem  der  forsluinti  der  Ti 
(rarrchon  (Rl  502,  1 20b  t4).  —  gin  ('Mund')  Gabrüain  dichtei'isch  statt  Belach  oder  Belat  Gabräin, 
Name  eines  bekannten  Passes  zwischen  Leinster  und  Ossory.  Zur  Form  Gabrüan  (Gabrön) 
vgl.  Alt.  Dicht.  II  13.  —  cingim  mit  Acc.  wie  in  Nr.  121. 

115. 

1  Gilla  Cellaig  so  aniar.        gobar  Oellaig  lais  'na  läim, 

is  mana  der  in  scel  garb,        ni  dalb,  is  marb  macc  Derb-äil. 

2  Ni   böi   macc  rig  rigi  tor        fo  Chellach   ngormainech   nglan. 

teglach  fo  theglach  ind  fir       ni  fil  fo  nim.  niamda  gal. 

YIA  890,  die  zweite  Strophe  auch  AU  894:  an  scel  —  as  —  ni  fail  V  ^  ri  M  — 
niabtha   U. 

1  Cellachs  Bursche  kommt  hier  von  Westen,  Cellachs  Roß  führt  er 
in  der  Hand;  die  bittre  Nachricht  ist  eine  Vorbedeutung  von  Tränen,  es 
ist 'kein   Lug:'  tot  ist  Derbäils  Sohn. 

2  Es  gab  keinen  Sohn  eines  scharenbelierrschenden  Königs  wie  den 

edlen   Cellaeh  mit   leuchtendem   Antlitz:    ein   Hausgesinde   wie    seines    gibt 

es  nicht  unter  dem  Himmel,  so  glänzend  an  Heldentaten. 

Auf  den  im  Jahre  895  erschlagenen  Cellach  mac  Flannacäin,  Thronfolger  von  Bregia 
{iTgdomna  lireg  n-uite  AU).  Die  Strophen  werden  seinem  Vater  zugeschrieben.  —  Derb-äil, 
der  Name  der  Mutter. 

116. 

Hi  cetäin  chrüaid  scarus-sa       fri  Mäel  Rüanaid  rän  rathach, 
diä  dardain  gabus-sa        ceill  for  ingnais  maicc  ni'athar. 

FM  896 :  cruaidh  —  ran  rath. 


Bruchstücke  der  älteren  Lyrik  Irlands.  53 

An  einem  grausamen  Mittwoch    trennte   ich  mich  von  Mäel  Rüanaid 

dem  herrlichen,  huldreichen:  am  Donnerstag  ward  ich  inne,  daß  ich  den 

Sohn  meines  Vaters  nicht  wiedersehen  werde. 

Auf  Mäel  Rüanaid  mac  Flainii,  Sohn  des  Königs  von  Irland,  der  901  in  einem  durch 
den  Stamm  der  Luigni  in  Brand  gestecktem  Hause  umkam.  Die  Verse  sind  einem  Bruder 
von  ihm  in  den  Mund  gelegt. 

117. 

Ruiri   echtadi   Essa  Rüaid,       imma  tecraitis   mörsh'iaig, 
assib  dig  mbäis,   bäeglach  se,        iar  cräd  ui  lesse. 
FM  899 :  immottecraitis. 

Der  tatenreiche   Großkönig   von  Ess  Rüaid,    um    welches   sich   große 

Kriegsscharen  ordneten,  hat  einen  Todestrunk  getrunken  —  er  hatte  sich  in 

Gefahr  begeben,  nachdem  er  den  Sohn  vom  Stamme  Jesses  vergewaltigt  hatte. 

Auf  den  Tod  Fogartachs.  Sohnes  von  Mäel  doraid,  Königs  von  Cenel  Conaill  mit  dem 
Sitz  in  Ess  Rüaid,  der  904  durch  einen  Unglücksfall  umkam.  —  üa  li-'sse  ist  eine  oft  vor- 
kommende Bezeichnung  für  Christus,  lesse  dreisilbig  wie  SR  5802,  5984  usw.  Der  Dichter 
sieht  den  Tod  Fogartachs  als  Strafe  für  Kirchenraub  oder  dgi.  an.  —  Zu  bäeglach  xe  vgl. 
fianda  se  (sie  leg.)  Festschr.  Stokes  5  §  10. 


na 

1  Muiredach,        ced  nach  cöinid,  a  chöimu? 

is  domna  do  dunebad,        is  nell  co  nime  nöibu. 

2  Mörthesbaid  int  ordnide,        macc  Cormaic  milib  maisse, 
a  minn  foroll  forglide        ba  caindel  cecha  claisse. 

AU  911:  cainid  —  coemu  —  noemhu  —  oirdnigi  —  maissi  —  claisi. 

1  Muredach,  —  was  beklagt  ihr  ihn  nicht,  ihr  Dichter?  Es  ist  ein 
Grund  zu  allgemeinem  Sterben,  es  ist  eine  Wolke  (der  Trauer)  bis  zu  den 
Heiligen  des  Himmels. 

2  Ein  großer  Verlust  ist  der  Erlauchte,  Cormacs  Sohn  mit  tausend 
Vorzügen,  das  mächtige  erlesene  Diadem,  das  eine  Leuchte  jeder  Ver- 
sammlung war. 

Auf  den  Tod  des  im  Jahre  91 2  im  Refektorium  des  Klosters  durch  den  Blitz  erschlagenen 
Mnredach,  Abt  von  Dniim  Inasciainn,  Jetzt  Dromiskin  in  Louth. 


54  K.   Meyer: 

119. 

Dirsan  bith  i  mbethaid  dam        d'eis  rig  Göidel  ocus  Gall: 
toirsech  mo  rose,  crin  mo  ehre        ö  rothoimsed  fe  fri  Flann. 

Corm.  §  606 :  beith  B  Im  dritten  Vers  ksen  YH:  erin  cen  degollam  de  rotoimsed  Y 
ratoimsead  B  rotoimsid  U. 

Wehe  daß  ich  noch  am  Leben  bin  nach  dem  König  der  Galen  und 
Nordleute!  Betrübt  ist  mein  Auge,  es  verzehrt  sich  mein  Leib,  nachdem 
man  Flann  mit  der  Rute  gemessen  hat. 

Bezieht  sich  wohl  auf  Flano  mac  Mail  Sechnaill,  König  von  Irland,  der  von  879  bis  916 
herrschte.  Da  die  Handschrift  M  von  Cormacs  Glossar  die  Verse  nicht  enthält,  sind  sie 
dort  späterer  Zusatz,  wie  sie  denn  ja  auch  nach  Coiinaps  Tode  verfaßt  sind.  —  Die  Lesart 
von  B  im  dritten  Vers  ist  vorzuziehen,  weil  sie  den  Anfangsreim  toirsech  auf  •thoimsed  hat, 
der  sich  an  einer  ähnlichen  Stelle  in  Metr.  Dinns.  III  186,51  wiederholt:  toirsech  bäs  de. 
rotoimsed /e  fri  cness  rlgftr.  wo  die  Hss.  fälschlich  rothoimstch  lesen.  — fe  hieß  die  Rute 
aus  Eibenholz,  mit  der  man  den  Toten  Maß  nahm  {flesc  idaith  domitte  frisna  colnai  Corm.). 

120. 

Immon  cathbarr,  imma  clethe        co  rnan  reilseng, 
immon  rig  reil,        immon  ngrein  a  hinchaib  Eirenn, 
immon  ndaig  nderg  ndergöir  buidi        bätar  ili, 
immon  mbarr  fo  tallat  uili,        imm  Flann  Midi. 
Ir.  T.  III  8  §  9:   imma  /?«  relseang  B   reg-  H  reid  sneid  Ä"  ima  rig  H  rell  B   imma 
grein  H  ngren  BB'  ar  infl  in  inncaibh  B"  breccatar  nili  H  breactoir  ile  B"  fontalla  B". 

Um  den  Schlachthelm,  um  den  Dachfirst,  der  bis  ans  glänzend  duftige 
Meer  ragte,  um  den  glanzvollen  König,  um  die  Sonne,  die  über  Irland 
scheint,  um  die  rote  Flamme  gelbroten  Goldes  waren  viele  versammelt, 
um  die  Krone,  unter  der  alle  Raum  finden,  um  Flann  von  Meath. 

Aus  einer  Totenklage  des  930  gestorbenen  Dichters  Öengus  mac  Oengusa  auf  König 
Flann  von  Irland  [ut  dixit  Oengus  mac  Äengusa  i  marhnaidh  Floind  S.  25  §  9). 

121. 

Ba  dethbir  do  Göidelaib        dia  lectis  dera  fola 
nat.  cing  Tailtin   töidenaig        üä   Flainn   Flann  in    Broga. 
,  FM  930:  da  —  taillte  taoidhen. 

Es  wäre  recht,  wenn  die  Galen  blutige  Tränen  vergössen,  daß  der  Enkel 
Flanns,  Flann  vom  Brug,  nicht  mehr  das  scharen  reiche  Tailtin  beschreitet. 

Auf  den  Tod  Flanns,  des  Sohnes  Mäel  Finnias,  Herrschers  von  Bregia,  durch 
Cumascach  von  den  Ui  Echach  im  Jahre  931.  —  Da  wir  Reim  auf  Göidelaib  erwarten 
müssen,   ist  Tailtin  töidenaig  wohl  sichere  Konjektur. 


Bruchstücke  der  älteren   Li/rik  Irlands.  55 

122. 

Mäel  Mochta  don  Midemaig,        mör  liach  in  chröib  chäin  cliiimra. 
atbath   cenn  na  hanmchairte,        cäinchomrac  moltach   Magna. 
FM  940:  craubh  caoim  cumhra  —  caoacomrac. 

Mäel  Mochta  von  der  Ebene  von  Meath,  groß  ist  der  Jammer  um  den 

schönen    duftenden    Zweig!     Das    Haupt    des    geistlichen    Zuspruches'    ist 

gestorben,  die  gepriesene  Huld  von  Mugna. 

Auf  den  Tod  MSel  Mo.chtas.  Abtes  und  Schreibers  von  Clonard  in  Meath  im  .lahre  941. 
—  Ob  statt  cäinchomrac  etwa  cair  chomraic  zu  lesen  ist,  was  z.  B.  Lism.  L.  737  von  Colum 
(Jiile  gebraucht  wird?  Sonst  ist  cäinchomrac,  'freundliches  Entgegenkommen',  das  auch  als 
Eigenname  vorkommt,  hier  personifiziert  gebraucht. 

123. 

1  Ma  robith  üa  Bressail   Bricc,        gnb  thuir  thricc  thressaig,  for  torc, 
öndiu  CO  bräth  mbairnech  mbalc       ni  ticfa  Laignech  fo  Lore. 

2  Lorcän  Laigen  i  treib  throch,        maigen  cet  clpth,  carad  nath, 
dirsan  d'föidiuch  rolin  bith,        is  crith,  is  coiniud,  is  cath. 

3  Coimdiu  cöicid  Göidel  ngäeth,        ma  rogüet  for  läech,  ni  lith, 

ba  lug  lonn  fri  h'imni  i  n-ätli,        is  beimm  do  bräth   ma  robith. 

FM  941 :  tuir  tric  treasach  —  oniu  —  troch  —  dfaidhiuch  —  caineadh  —  coimde  — 
ngaoidheal  —  rogaeth. 

1  Wenn  der  Nachkomme  Bresal  Brecs  erschlagen  worden  ist,  ein 
Greif  von  einem  schnellen  streitbaren  Herrscher,  euer  Eber,  —  von  heute 
an  bis  zum  zornigen  gewaltigen  jüngsten  Gericht  wird  keiner  aus  Leinster 
kommen  wie  Lore. 

2  Lorcän  von  Leinster  in  der  Wohnung  der  Todgeweihten !  er,  die 
Stätte  von  Hunderten  von  Ruhmessprüchen,  er,  der  die  Dichtkunst  liebte,  — 
wehe  über  den  Jammerruf,  der  die  Welt  erfüllt  hat,  es  ist  ein  Zittern,  ein 
Wehklagen,  ist  ein  Kampf. 

2  Wenn  der  Herr  einer  Provinz  der  weisen  Galen,  wenn  euer  Held 
getötet  worden  ist,  —  es  ist  kein  Fest;  er  war  ein  kühner  Luchs  zum  Sprung 
in   die   P'urt,   es  ist  ein  Schlag  der  Vernichtung,    wenn    er   erschlagen   ist. 

Auf  den  im  Kampf  gegen  die  Wikinger  von  Dublin  im  Jahre  942  gefallenen  König  von 
I.iein.ster  Lorcän,  den  Sohn  Fäeläns.  —  t^bei'  Konstruktionen  wie  grib  thuir  s.   Alt.  Dicht.  1 


'    Wörtlich  'der  Seelenfi-eundschaft ,  d.  h.  der  Beichtiger. 


56  K.  Meye&: 

S.  2  2.  —  Meine  Emendation  thressaig  gibt  Reim  auf  Bressail.  —  Zu  torc  im  Sinne  von 
'Anführer'  vgl.  Sitzungsber.  1918  S.  1033  und  füge  hinzu:  Tar  marbad  in  tuirc  TüathaU  LL 
13t  a  22 :  marbaid  in  tret  immon  torc'.  FM  866.  —  Zu  der  Anwendung  von  maigen  auf  Personen 
vgl.  magen  cicrad  Ir.  T.  I  104,  3. 

124. 

Dessid  digal  ocus  dith       for  sil  clainne  Cuinn  co  bräth; 

nad  mair  Muirchertach,  ba'liach,        dilechta  lath  Göidel  ngnäth. 

AU  942 :  gaidhel. 

Rache  und  Verderben  haben  sich  auf  immerdar  auf  den  Stamm  der 

Kinder  Conus    gesenkt.      Da  Murcliertach    nicht  mehr   lebt,  —   es   ist  ein 

Jammer!   ist  das  Land  der  trauten  Galen  verwaist. 

Bezieht  sich  auf  den  Tod  des  Königs  von  Ailöch,  Murchertach  mac  Neill  mit  dem 
Beinamen  ^a  cochall  croicinn  der  Mäntel  aus  Tierhaut',  der  943  von  den  Dänen  unter 
Bläkäri  (ir.  Bläcäir)  bei  Clüain  Cäin  im  Gebiet  der  Fir  Ross  ei-schlagen  wurde.  —  gwUh 
ist  ein  beliebtes  Beiwort  der  Dichter  für  die  Galen.  S.  Cäin  Ad.  §  27  und  Anecd.  11  28 
§15:  ar  (lind  Gall  is  Gäidel  ngnäth. 

♦  125. 

Dublitir  dind  ecnai  üaig,  ba  büaid  frecrai  fri  cech  mbäig, 

ba  süi  legind  lebraig  löir,  ba   dlüim    öir  ös  Erinn  äin. 
FM  990:  leabhraidh. 

Dublitir,  Gipfel  der  vollendeten  Weisheit,  er  war  glorreich  in  Beant- 
wortung jeglicher  Streitfrage,  er  war  ein  Meister  der  vollkommenen  Buch- 
gelehrsamkeit, er  war  eine  massige  Wolke  von  Gold  Ober  dem  herrlichen  Irland. 

Auf  den  Tod  von  Dublitir  5a  Bruatair,  Lektors  von  Lethglinn,  j.  Old  Leighlinn  in 
der  Grafschaft  Carlow,  im  Jahre  991.  —  Zu  dlüim  öir  vgl.  Issäc,  .  . .  ba  cUütm  öir  SR  2831. 

126. 

Diarmait  dind  ind  ecnai  äin.        fer  co  fialblait,  co  n-ollbäig, 
dirsan,  a  Ri   na  recht  ran,        ec  do  thuidecht  "na  chomdäil. 

FM  991  :  eccna  —  allbäigh  —  comhdhail. 

Diarmit,  der  Gipfel  der  herrlichen  Weisheit,  ein  Mann  von  freigebiger 
Kraft,  von  großer  Huld  —  weh,  o  König  der  glorreichen  Gesetze,  daß  der 
Tod  zum  Stelldichein  mit  ihm  gekommen  ist. 

Auf  den  Tod  Diannits,  Lektors  von  Kildare  und  Abtes  von  Clüain  Ednech,  jetzt 
Clonenagh  bei  Mountrath  in   Queen's  County,   im  Jahre  992. 


BnKhstncke  der  alteren   Lyrik  Irluruh.  f)? 

127. 

1  Int  ecnaid,  int  ardepscop,        in  nöib  De  co  feib  delba, 
rofäith  üainn  ind  apstalacht       ötluid  Äed  a  täeb  Themra. 

2  Nad  mair  Aed  don  Bregmaig  binn        co  ngelblaid  glinn  glethe  rann, 
espa    in  glögemin  gledenn  grinn.        testa  legenn  Erenn  and. 

FM   1004:  ndelbha  —  anabsalacht. 

1  Der  Weise,  der  Erzbischof,  der  Heilige  Gottes  von  herrlicher  Gestalt  I 
Die  Apostelschaft  ist  von  uns  gegangen,  seit  Äed  von  der  Seite  Taras  ge- 
schieden ist. 

2  Da  Aed  von  der  lieblichen  Ebene  von  Bregia  nicht  mehr  lebt,  mit 
hellem  gesichertem  Ruhm,  der  Lieder  schmückt,  —  dahin  ist  das  glanz- 
farbige, liebliche,  leuchtende  Juwel,  die  Crelehrsamkeit  Irlands  ist  in  ihm 
versiegt. 

Auf  den  Tod  Aeds,  Abtbischofs  vDn  Trevet  in  Meath  im  Jahre  1005.  Nach  den  Annalen 
von  Ulster  starb  er  im  72sten  Jahre  in  Ai-magh.  Trevet  liegt  nicht  weit  südlich  von  Tara. 
—  Zum  Vergleich  mit  meiner  T'bersetzung  setze  ich  die  Coigans  (Trias  Thaumat.  S.  297)  her: 

Iste  sapiens,  archiepiscopus.  .Sanctus  Dei  decorus  forma: 

Transiit  a  nobis  Apostolus,  quando  decessit  Aidus  ex  partibus  Temoriae. 

Quandoquidem  non  vivit  Aidus   de  Bregniagia  speciosa.  vir  celebris  faniae, 

lucens  iucerna; 

(O  detrimentum!)  ppetiosa  gemma,  decus  claruni,  iiiteriit  in  eo  doctrina  Hiberniae. 

128. 

A  choscar  derg  dedenach       fescor  ocon   Ath  Buide, 
tricha  laithe  lemennach       o  sin  co  cenn  a  uide. 
FM  1022  (I  800):  occan  —  mbuidhe. 

Sein  letzter  blutiger  Triumph  an  dem  Abend  bei  der  Gelben  Furt: 
von  da  an  bis  zum  Ende  seiner  Lebensreise  war  ein  Sprung  von  dreißig 
Tagen. 

Auf  den  Sieg  König  Mäel  Sechlainus  des  Großen  über  die  Wikinger  von  Dublin 
bei  Ath  Buide  (.Athboy)  in  Meath,  einen  Monat  vor  seinem  Tode  (A.  D.  1022). 

129. 

Scela  möra,  maidm  catha,        dith  flatha  Findruis, 
rofersat  Gaill  grafainn  fornn,        atbath  ar  tonn  indmais. 

Ir.  T.  III  63  §  128:  grafann  B  fornd   ß  um.   L  atbath  am.  L  innabais   L. 
Phil.-higt.  Äbh.   1919.  Ar.  7.  8 


58  K.   Meykr: 

Große  Neuigkeit!  eine  Niederlage  in  der  Schlacht!  Tod  des  Fürsten 

von  Findros !    Die  Wikinger  haben  das  Wettrennen  gegen  uns  gewonnen, 

unsere  Woge  des  Reichtums  ist  untergegangen. 

Findross,  jetzt  'the  Rosses'  in  Tirconoell.  — Jeraim  grafainn  auch  LL  206''  9,  TFerbe  55. 
yrafann  im  Sinne  von  'Schlacht':  ;'  ngrafaind  Galt  LL  33a  16.  52;  ria  grafuiny  na  crcch 
Er.  V  246,  14. 

13Ö. 

Mac  Mail  da  lüa  in  legind  leir,       a  bäs  d'Erinn  is  acbeil, 
i  log  a  chertgnim  do  chein       füair  nem  i  tertid  Apreil. 

Fei.  Lxxiv,  Fel.=  114  (11.  April):  aicbeil  —  chirtgnim. 

Der  Sohn  Mäel-dä-lüa's,  des  fleißigen  Gelehrten,  sein  Tod  ist  für 
Irland  schrecklich;  zum  Lohne  seiner  langjährigen  rechtlichen  Taten  ist 
er   an    den  dritten  Iden  des  April  in  den  Himmel  aufgenommen  worden. 

Auf  Senöir,  'aircbiepiscopus  Ibernie',  dessen  Todesjahr  unbekannt  ist. 

131. 

Colmän  mac  Commäin,        mairg  duine  nachaciä, 
epscop  samlaid  din  Muma       sech  ni  raba,  ni  biä. 
Fei.  Clxx  (21.  Nov.). 

Colmän,  Commäns  Sohn,  wehe  dem  Menschen,  der  ihn  nicht  beweint! 
Ein  Bischof  wie  er  aus  Munster  ist  weder  dagewesen  noch  wird  er  wieder- 
kommen. 

Der  Heilige,  dessen  Todesjahr  unbekannt  ist,  lebte  auf  der  Insel  Ärv  airthir,  jetzt 
Inisheer,  der  östlichsten  von  den  drei  Araninseln  in  der  Bucht  von  Galway.  Sie  zählten 
zu  Corco  Modruad   und   damit  zu  Munster. 


Bruchstücke  der  älteren  Lyrik  Irlands.  59 


Gedichte  auf  Örtlichkeiten. 

132. 

Ind  räith  i  comair  in  däirfedo, 

ba  Bruidgi,  ba  Cathail, 

ba  hÄedo,  ba  hAilello, 

ba  Conaing,  ba  Cuilini, 

ocus  ba  Mäele  Düin. 

Ind  räith  dar  eis  cäich  ar  üair, 

is  ind  rig  foäit  i  n-üir. 

LL  JH*"  29,  Rawl.  512,  122648:  diruda  L  deis  cach  rig  K  iarnuair  L  7  na  sluaig 
fooit  Ä  7  na  rig  ronfoat  L. 

Die   Feste    gegenüber  dem   Eichenwald,  einst   war   sie   Bruidges,    sie 

war  Cathals,    war  Aeds   und  Ailills,  Conings  und   Cuilines  und   war   Mäel 

Düins.     Einen    nach   dem  andern   Oberdauert  die  Feste;    doch    die   Könige 

schlummern  in  der  Erde. 

Wird  dem  heil.  Berchäii  zugeschrieben  und  bezieht  sich  auf  Räil/i  Imyäoi,  jetzt 
Hatharigen  in  der  Grafschaft  Kildare.  Die  aufgezählten  Besitzer  der  Feste  gehören  alle  zum 
Geschlecht  der  L'i  Berraidi,  den  Nachkommen  von  Oengus  Berraide,  die  um  Leccach,  jetzt 
Lackagh  in  Offaley,  ansässig  waren. 

133. 

Tech   Dtiinn  dämaig,  dün  Congaile,        carrac  rüadfäebrach  räthaigthe, 
räith  rig  fri  län  lir  fethaigthe,       fail  nir,  net  gnphe  grädaigthe. 

Ir.  T.  III  22  §  66,  49  §  88,  98  §  161,  vgl.  Corm.  §  968:  suadh  faebrach  ruidles  rataifii  rro 
imneam  neach  gribe  gnathaige  »«tc.  B  rodricht  riler  feachtnaighthi  B  recht  lan  leir  M  rodrict 
re  1er  fechtnaigthe  L  rothricht  re  lan  1er  7/  rath  righ  rech  lan  ler  ß'  foluing  nert  ngribe  H 
foll  ner  neit  nett  LB  feil  neir  B»  fall  neir  M  fail  nir  Corm.  M. 

Haus  des  scharenreichen  Donn,  Feste  Congals,  rotkantiger  Felsen  der 
Bürgschaft,  Königsburg  an  stiller  Meeresflut,  Lagerstätte  eines  Ebers,  Nest 
eines  Greifen  der  Ehren. 

über  Tech  Duüm  s.  Sitzgsber.  1919,  S.  537. 

8* 

•         / 


fiO  .  K.   Meyer: 

134. 

Ni  bu  inmuin  fid  Fuirme        san  chan  äsas  imm  Thuirbe: 
atomchumben  a  dule,        nimanaig  a  fidrube. 
Corm.  §  56:  fil  hi  taeban  in  tuirbe  U.  2.  15  adotnchumben    Y  anaicc    Y. 

Der  Wald  von  Fuirme  (?)  soll  (mir)  nicht  lieb  sein,  der  rings  um  Turbe 
wächst:   seine  Blätter  stechen  mich,  sein   Waldhag  schützt  mich  nicht. 

M  liest:  Nip  inmain  fid  fuirigin  |  ßl  a  täeb  an  tnirigin  ||  atomchaine  usw.  und  am 
Schluß  irdruihe,  was  wohl  aus  fidruibe  verlesen  ist.  Die  Strophe  wird  Mac  Sämäin  (8.  Jh.) 
zugeschrieben,  'odei'  Mäel  odräin',  wie  YBL  hinzusetzt,  d.  h.  wohl  mac  Mäel  odräin.  Über  Mac 
Sämäin  mit  dem  Beinamen  Garbdaire  s.  Aisl.  M.,  S.  7,  24.  —  duh  (iä)  f.  Kollektiv  zu  duü 
'Blatt'.  Vgl.  Lai. /o/ivm.  — fid-rube  (io)  n.  auch  LL  193"  40  {bat  fälis  hat  fidruba).  r-^  Da  die 
Verse  unter  dem  Worte  aittenn  'Ginster'  zitiert  sind,  beziehen  sie  sich  auf  einen  Wald  von 
Ginstersträuchern,  die  in  Irland  oft  die  Höhe  von  Bäumen  erreichen.  Ob/uirwie  hier  wirklich 
Ortsname  ist,  weiß  ich  nicht  zu  sagen.  Tuirbe  dagegen  ist  ein  bekannter  Ort  in  der  Graf- 
schaft Dublin,  jetzt  Turvey  genannt,  fuirigin  und  liiiriyin  (M),  was  vielleicht  die  ursprüng- 
liche Lesart  bewahrt,  kann  ich  nicht  deuten. 

135. 

Atä  sund  ös  chind  int  slüaig       eö  find  fota  neim, 

foceird  faid  hglüair  ngrind  cloc  bind       i  cill  Choluim  hüi  Neil!. 

LL  37''  22:  focheird. 

Es  steht  hier  zu  Häupten  der  Schar  ein  gesegneter,  hoher,  glanzbe- 
deckter Eibenbaum.  Die  süß  tönende  Glocke  in  der  Kirche  Columbas  vom 
Stamme  Nialls  sendet  hellen,  lieblichen  Schall. 

Die  Strophe  ist  als  Beispiel  des  Fehlers  rofota  zitiert,  was  sich  wohl  darauf  bezieht, 
daß  das  Versmaß  7' +  5-  sein  soll,  während  die  Reimverse  hier  sechs  Silben  enthalten. 

136. 

Gnan  önd  üair  ei-ges  co  fuined       dar  cech  feice, 
cid  mör  tic  dar  slessaih  sräite        d'essaib  eicne, 
is  Cell  Ite       as  ferr  cosin  tite  teite. 
Ir.  T.  III  75  §  39:  o  fuineadh  M  thic  B  is  ferr  ß  tidhe  thede  M. 

Von  der  Stunde  an,  da  sich  die  Sonne  über  jede  Dachfirst  erhebt,  bis  zu 

ihrem  Untergang  —  wie  weit  sie  auch  reist  über  die  Seiten  von  Straßen  bis  zu 

lachsreichen  Wasserfällen  —  Cell  Ite  ist  der  beste  Ort  .  .  . ,  den  sie  besucht. 

Cell-lte,  die  Kirche  der  heil.  Ite,  jetzt  Killeedy  in  der  Grafschaft  Limerick.  —  fite,  durch 
Reim  auf  Ite  und  Alliteration  mit  teite  gesichert,  ist  ein  mir  unbekanntem  Wort  Ein  ab- 
geleitetes Adj.  seheint  LL  143'' 4  vorzuliegen:  in  titech  tren  Tripto[lim]. 


Bmchstiickp  der  älteren  Lyrik  Irlands.  61 

137. 

Dün  da  Lethglass  linib  tuile,        siiairc,  srethmas  co  saine, 
conid  adba  amra  uile       for  bruig  Banba  braine. 
Ir.  T.  III  39  §  34:  liriaib  tuili  B  srethnas  B  amra  om.  B  bruine  codd. 

Dün  da  Lethglas  mit  Segensfülle,  glanzvoll,  herrlich  ausgebreitet,  einzig- 
artig, so  daß  es  ganz  ein  wundervoller  Wohnsitz  ist  auf  dem  Rand- 
gebiete Islands. 

Dün  da  Letfaglas,  der  alte  Name  für  Downpatrick  in  der  Grafschaft  Down.  —  Ich 
konstruiere  for  bruig  braine  Banba,  worin  auf  die  Lage  des  Ortes  in  der  Nähe  der  Ostküste 
angespielt  wird. 

138. 

Tir  da  Locha,  forsiuhg  fotha,        fond  fochrotha  cricha  cfian, 
caill  cöilfota,  cuibrend  büadach,        bärc  roetrocht  rüamach  rüad. 
LL  37  b  8:  caille  cailfota  —  bare  reil. 

Tir  da  Locha,  ein  weitgestreckter  Grund,  ein  Boden,  der  die  Hafen- 
gebiete erschüttert,  ein  schlanker,  hoher  Wald,  ein  sieggewohntes  Gebiet, 
eine  glänzende,  helleuchtende,  ruhmvolle  rote  Barke. 

Aus  einem  Gedichte  des  918  gestorbenen  Dichters  Flann  mac  Lonäin  auf  die  Üi 
Delbna  'llre  Da  Locha,  deren  Gebiet  in  Connacht  zwischen  Loch  Corrib  und  Loch  Lurgan 
lag.  —  Man  beachte  den  dreifachen  Binnenreim  in  der  ersten  Langzeile.  Die  Strophe  ist 
als  Beispiel  für  den  metrischen  Fehler  clöen  crette,  d.  h.  etwa  'schiefer  Bau',  angeführt,  was 
sich  wohl  auf  caille  und  reil  bezieht,  durch  deren  Beibehaltung  wii-  eine  schiefe  Silbenzahl 
erhalten  würden.  Das  Versmaß  ist  augenscheinlich  8'  +  7'.  —  fonn  'Boden,  Gebiet':  an 
fonn  7  an  ferann  gin  Er.  V  90,  21  :  teora  fuind  crTche  Crmaill  Fen.  314,  14;  is  slnyed  la  forinaib 
dogres  RC  XX  132,  9. 

139. 

Less  Rüadrach  rcbänach,         se  slüagach  sribänach, 
less  n-enach  n-ailenach,       less  f(^rach  fidänach. 
Ir.  T.  III  92  §  135:  leas. 

Rüadri's  Hof  voller  Lustbarkeit,  voller  Kriegsscharen  und  Strömen 
von  Menschen,  ein  vogelreicher  Hof  voller  Anhöhen,  grasicht  und  baumreich. 

nilmi  bedeutet  wie  inis  und  kymr.  yny.i  nicht  nur  'Insel',  sondern  auch  eine  von 
sumpfigem  VViesenland  umgebene  Anhöhe. 


62  K.   Meyeh: 

140. 

Dün  dithogla  do  slüaig,       srüaim  ndorcha  ndoräm, 
räd  erdairc  do  bith,       bithfairgge  forlän. 
Ir.  T.  111  60  §  118:  dothsluagh  —  doram  —  bith  fairge. 

Die  unzerstörbare  Feste  deiner  Kriegerschar,  ein  dunkler,  schwer  zu 
befahrender  Strom,  ein  Ruhmesspruch  für  die  (ganze)  Welt,  ein  übervolles 
ewiges  Meer. 

141. 

Femen  indiu  is  ferr  a  chäch        met  a  thened  is  a  thüath, 
eolchaire  na  nöeb  cen  dith,        crich  dian  cöem  ceolchaire  chüach. 
Ir.  T.  III  78  §  47 :  cach  HBB''  dan  M  diui  H  na  BB^. 

Schöner  als  je  ist  Femen  heute  mit  der  Menge  seiner  Feuerherde 
und  Volksstämme:  unvergängliches  Land  der  Sehnsucht  der  Heiligen, 
Gebiet  mit  dem  holden  Kuckucksgesang. 

142. 

In  Mumu       re  lind  Fingein  maicc  Äedo, 
roptar  läna  a  cuileda,        roptar  toirthig  a  treba. 
Tig.  618:  muma  —  fingen  —  aeda  —  lan  —  toirrtigh. 

Das  Land  Munster  zur  Zeit  Fingens  des  Sohnes  Aeds  —  voll  waren 
seine  Vorratskammern,  fruchtbar  waren  seine  Heimstätten. 

Fingen  mac  Aeda  maic  Chrinithainn.  König  von  Munster,  starb  619.  Er  stammte  aus 
dem  Geschlechte  der  Eoganacht  Chaissil,  s.  Rawl.  502,  154c,  5.  Die  Verse,  deren  Reime 
recht  ungehobelt  sind,  werden  seiner  Witwe  In  den  Mund  gelegt. 

143. 

Bec  cech  tir  is  cech  talam,       bec  cech  brig  is  cech  bunad, 
bec  cech  glör  is  cech  gredan       acht  medar  mör  na  Muman. 
rZ  VIII  561  aus  Add.  30,  512,  fol.  55^:   medhair. 

(xering  ist  jedes  Land  und  alle  Erde,  gering  jede  Macht  und  jeder 
Bestand,  gering  alles  Jauchzen  und  Frohlocken  außer  der  großen  frohen 
Lust  von  Munster. 

Wird  Sadb,  der  Tochter  Conns  Cetchathach.  beigelegt,  die  mit  Ailill  Aulomm,  König 
von  Munster,   vermählt  vs^ar.     S.  Rawl.  502,    153  b  45. 


Brmfistücke  der  alteren   Lyrik  Irlands.  fi3 

144. 

Bendach,  a  De,  Cenn  Corad,        corob  ferr  indä  Femen, 
büaile  donn  nä  rodluiged,        bruiden  tonn  ocus  tened. 
Ir.  T.  III  85  §  8 1 :  coro  B  ina  B  ana  M  bruighean  donn  B. 

Segne,    Gott,    Kincora,    daß    es    schöner  werde   als  Femen   ist!     Eine 

kraftvolle    Viehhürde,    die    nie    auseinandergerissen    wurde,    ein    Hof   von 

Wogen  (des  Überflusses)  und  (gastlicher)  Herdfeuer. 

Cenn  Corad,  seit  Brian  Böruma,  aus  dessen  Zelt  die  Verse  vielleicht  stammen,  Sitz  der 
Könige  von  Munster,  wähi-end  Mag  Femiu  bisher  als  solcher  gegolten  hatte. 

145. 

•         Int  Imblech        rosöir  Ailbe  dia  bachail 

is  öin  ina  erdarcus       ö  ü[i]r  dar  etan  Cathail. 

Imblech,    das    Albe    mit    seinem    Stabe    geheiligt    hat,    ist    einzig    in 

seinem  Ruhme  durch  die  Erde,  welche  sich  über  Cathals  Stirne  gelegt  hat. 

Die  Strophe  findet  sich  in  den  Annalen  von  Inisfallen  (Rawl.  B  503)  zum  Todesjahre 
König  Caihals  mac  Finguine  (742),  auf  dessen  Beisetzung  in  dem  durch  Albe  gegründeten 
und  nach  ihm  benannten  Kloster  Imblech  Ailbi,  jetzt  Emly  in  der  Grafschaft  Tipperai-y,  sie 
sich  bezieht:  Cathal  mac  Finguine  ri  hErend  moritur,  de  quo  Mar  Muman  dixif.  Wenn  hier 
Mör  Muman  als  Verfasserin  genannt  wird,  so  ist  das  ein  grober  Anachronismus;  denn  diese 
Tochter  Aed  Bennäns  starb  632.  Es  ist  wohl  Fer  Muman  zu  lesen,  ein  Dichter,  der  im 
8-/9.  Jh.  lebte.  Außer  den  in  meinem  'Primer  of  Irlsh  Metrics'  erwähnten  Gedichten  wird 
ihm  in  Ir.  T.  III  34  §  10  (BB  203»  31)  ein  Vers  beigelegt,  der  wohl  so  zu  lesen  ist: 

Moiono  m&c  Mäiti  hUmai. 
Hier  mag  Mosono  eine  Koseform  etwa  für  den  Namen  Sonid  sein. 

146. 

Macha  mainbthech  medrait  müaid,        sailmthech  a  slüaig  selbait  nöib, 
ni  tarla  mürchlad  a  müir       dar  düil  mar  Dünchad  üa  mBröin. 
FM  987  and  CZ  III  S.  36:  Macamh  molbthach  Z  sluagh  M  braoin  M 

Das  reiche  Armagh,    welches  edle  (Dichter)  froh   besingen,  ein  Haus 

der  Psalmen  sind  seine  Scharen,  das  Heilige  besitzen:  —  nie  hat  sich   der 

Deich    seines  Erdwalles   über   ein  Wesen  wie  Dünchad  vom    Stamme  der 

Ui  Bröin  gesenkt. 

Auf  Dünchad  üa  Bröin,  Abt  von  Clonmacnois,  der  im  Jahre  988  ;im  16.  Januar  in 
Armagh  starb.  Die  Strophe  wird  dem  Dichter  Eochaid  üa  Flannacäin  (gejt.  1003)  zugeschrieben. 
Bei  Colgan,  Acta  Sanctorum  Hiberniae,  S.  106,  findet  sich  eine  Vita  des  Heiligen.  --  Zu 
mainbthech  s.  Wx.  Dicht.  I  S.  49  §  31. 


64  K.   Meyer: 

147. 

Mag  Raigni  rindänach        i  rric  tress  tulguirt, 

äibind  a  .  .  .  ärach,       airdirc  a  ainm : 
clär  lethan  länfota       longphortach  linmar, 
füair  ardrig  n-änrata       co  n-ilur  airm. 
Ir.  T.  III  95  §  147:  taulguirt  M  ainarach  B  amiarach  M  airdrigh  anrata  B  ilar  nairm  B. 

Die  grasreiche  Ebene  von  Raigne,  in  die  der  bittere  Frontkampf'  sich 
erstreckt,  lieblich  ist  ihr  .  .  .  ,  berühmt  ihr  Name.  Eine  breite,  langgedehnte 
Fläche,  voller  Heereslager  und  Scharen,  —  sie  hat  einen  heldenhaften  Hoch- 
könig gefunden  mit  einer  Menge  Waffen. 

Im  dritten  Vers  muß  ein  Reim  auf  rindänach  stehen,  etwa  fiud-arach  'gesegnete  Ge- 
wahrleistung'. 

147  a. 

Dairbri  deligthe  Dairbri,        ili  aidbli  ossoca, 

eochrann  öcläechda  uillech        direch  duillech  dossfota. 

Ir.  T.  III  13  §  23,  42  §  48:  uis  oca  M  hosaea  B  ocbada  L  ocslattach  B'  dellech 
duillecA  H  drongach  duillech  B'  dosada  B. 

Ein  erlesener  Eichenhügel  ist  Dairbri,  (wo)  viele  gewaltige  Hirsch- 
lein (sind),  (und)  ein  heldenmäßiger  Eibenbaum,  ein  vielkantiger,  gerader, 
blätterreicher,  langbuschiger. 

Über  einen  Dairbri  genannten  Ort  in  Munster  s.  Hogan  s.  v.  —  Mit  den  Hirschlein 
sind  junge  Krieger,  mit  dem  Eibenbaum  ihr  Antührer  gemeint.  —  Dair-bri  (g),  im  Reim 
auf  aidbli,  ist  die  ui'sprüngliche  Form  des  Wortes,  nicht  dairbre,  und  die  Bedeutung 
'Eichenhügel',  dann  'Eichwald'  und  schließlich  'Eiche'.  Der  Personenname  Dairbre  ist  kein 
echter,  sondern,  wie  so  mancher  andere,  nur  zur  Erklärung  des  Ortsnamens  aus  demselben 
erschlossen. 

'    Wörthch  'ein  frontbitterer  Kampf. 


Hruch^tncke  der  nlteren  Lyiik  Irlands.  ()5 


in.  Vermischtes. 
A.    Aus  Natur^edichten. 

148. 

Mingur,  gringur,  certän  cruinne,        cäi  for  barraib,  bind  a  guth, 
rongab  [gathjland  tria  gäi  ngrene,        rocar  .  .  .  siebe  in  suth. 
O'Mulc.  830  e. 

Kleines  Getöse,  liebliches  Getöse,  zarte  Musik  der  Welten,  ein  Kuckuck 
mit  süßer  Stimme  auf  Wipfeln;  Sonnenstäubchen  spielen  im  Sonnenstrahl,  die 
jungen  Rinder  haben  .  .  .   des  Berges  liebgewonnen. 

Gringur  dem  Reim  auf  minyur  zuliebe  statt  yriun-gur  geschrieben.  Ebenso  (/ringen 
LL  164''  10  (Metr.  D.  I  38)  =  griun-gtn  lieblicher  Ursprung'  im  Keim  mit  Frigrenn.  Tai  -gur 
vgl.  (onn-gur  'WogenschwalT,  smUt-gur  'Qualm',  dtnn-gur  'Staubwirbel'.  Es  ist  wohl  identisch 
mit  gnr  'Eiter' '  und  stellt  sich  zur  }/  gnr-  'erhitzen',  indem  es  das  Sieden  und  Wallen  be- 
deutet Vgl.  unser  'Brandung'.  —  certän  cniinne  auch  in  'King  and  Hermit'  §  25  von  In- 
sektenschwärmen  gebraucht,  wo  ich  es  mit  'the  little  musicians  of  the  world'  übersetzt  habe. 
"  Zu  meiner  Konjektur  gathland  hat  mich  u.  a.  der  Kettenstabreiiu  veranlaßt,  der  sich 
durch  die  ganze  Strophe  hinzieht  und  auch  in  der  Lacuna  in  der  vierten  Zeile  wohl  ein 
mit  ••■  anlautendes  und  auf  gathland  reimendes  Wort  verlangt,  gathlann.  eig.  'Spieß',  wie 
LL  146''  i6  mo  gathlann  inn  umaide.  Eine  Nebenform  gaithlenn  oben  Nr.  23.  —  suth  könnte 
auch  'Wetter'  bedeuten.     S.  Corm.  §  604  und   1226. 

149. 

Fegaid  üaib        sair  fothüaid       in  muir  müaid       milach: 
adba  rön       rebach  rän       rogab  län       linad. 
Ir.   T.  in  38  §  24,  102    §  187:    muad   LBM    mhuaidh    mhilach   //    riabach  H   roghab 
muir  lan  H  ragab  M. 

Erschaut  vor  euch  gen  Nordost  das  wilde  (?)  tierreiche  Meer.  Der 
Wohnsitz  der  Seehunde,  der  lustigen,  glänzenden,  ist  in  voller  Flut. 

'L\x  fegaid  üaib  vgl.  atchonnaic  an  ingen  Uaitht  griantaitnem  na  n-etach  ri-examailVerni.6ga.: 
a  fir  feachus  üait  an  cnämh  'O  Mensch,  der  du  den  Knochen  vor  dir  erblickst'  RC  XVI  17.  — 
muir  milach  'mare  belluosum'  Horaz.  —  müaid  (i),  hier  im  Reim  mit  -tüaid,  eine  Nebenform  von 
müad  (o).  Die  genaue  Bedeutung  ist  unsicher.  Etwa  wild'.  Es  wird  auch  SR  7906  vom  Meer 
gebraucht  (Umn  müad  Mara  Alind);  vgl.  7858.  Ebenso  _/br  mörthuinn  mSajrf  O'Mulc.  268.  — 
Zu  adba  rön  vgl.  rön  rian  'Pfad  der  Seehunde'  Four  Songs  20  §  i,  was  an  hrän-räd  in  alt- 
englischen Gedichten  erinnert.    So  heißt  die  See  L'Z  VIII  197  §  5  magen  mongach  rönach. 

'  Ein  Kompositum  in-gor  (iongar  U'R )  in  derselben  Bedeutung  hat  Stokes  Br.  D.  D. 
§  164  verkannt,   wo  er  es  mit  'misery'  übersetzt. 

Phil..hi»t.  Abk.  1919.  Nr.  7.  .  9 


66  K.  Meyek: 

150. 

Int  (in  bec       roleic  feit       do  rind  guip       glanbuidi, 
foceird  fäid       ös  Loch  Läig       Ion  do  chräib       charrbuidi. 

Ir.  T.  III  99  §  167:  roleg  B  fochwd  B  guib  codd.  cafbhuidhe  B  crandmaige  M. 

Der   kleine  Vogel   hat   aus   der  Spitze  des  blanken  gelben  Schnabels 

einen   Pfiff  erschallen   lassen;    die   Amsel   sendet   von    dem    gelbbuschigen 

Baume  einen  Ruf  über  Loch  Läig. 

Ich  lese  carrbuide  und  fasse  es  des  Reimes  wegen  als  für  corrbuide  geschrieben.  Vgl. 
eich  corrderga  'rotschnauzige  Rosse'  Br.  D.  D.  51.  —  Gelb  ist  eine  der  Lieblingsfarben  der 
Galen. 

151. 

Ach,   a  luin,   is  buide  duit        cäit  'sa  muine  a  fuil  do  net, 
a  dithrebaig  nad  clind  cloc,        is   bind   boc  sithamail   th'fet. 
LBr.  S.  36  marg.  sup.  (Gael.  Journ.  IV  115):  fuil  —  as  —  tfet. 

Ah,  Amsel,  du  bist  zufrieden,  wo  auch  dein  Nest  im  Busche  ist.  Ein- 
siedler, der  du  keine  Glocke  läutest,  süß,  sanft,  friedlich  ist  dein  Pfeifenton. 

In  fuil  soll  der  Punkt  über  dem  /  nach  der  Schreibweise  von  LB  die  Nasalierung 
ausdrücken.  —  clind  steht  nach  der  Aussprache  von  Ostmunster  für  ding.  Ein  Sub- 
stantiv  ding  'Glockenschall'  findet  sich  Hardiman   11  412:    td  ding  na  nmrhh  teis  an  ngaoith. 

152. 

Tüatha  abacc  usci  üair,        glüair  conanat  i  cach  däil. 

O'Mulc.  §  3 :  in  gach. 

Die  Bibervölker  des  kalten  Wassers,  reinlich  hausen  sie  in  jeder  Ver- 
sammlung. 

153. 
Sliab  Cüa  cüanach  corrachdub,        golaid  gäeth  imm  a  glimie, 

gäirit  coin   imm   a   chluidthi, 
beccid  borbdam  banodur       isind  fagomur  imme, 

eigid  corr  ös  a  chluichthi. 
Ir.  T.  III  87  §  99 :  gairit  macluighthe  • —  coin  add.  ego  —  isin  —  uime  —  cluichthi. 

Das  Guagebirge,  wo  Wolfsrudel  hausen,  rauh  und  schwarz  —  es  klagt 
der  Wind  um  seine  Talschluchten,  Wölfe  heulen  um  seine  Klüfte;  im 
Herbste  bellt  der  weibchenfahle,  grimme  Hirsch  ringsumher,  über  seinen 
Felsen  schreit  der  Reiher. 


Bntchstiiclie  der  älteren  Lyrik  Irlands.  67 

Stiab  CSa  (Mons  cavus),  das  Knockmealdowngebirge  an  der  Grenze  von  Tipperary 
und  Waterford.  —  Meine  Konjektur  coin  gibt  die  nötige  Silbcnzahl  und  Alliteration.  — 
c'uiiitke,  von  clod,  wie  c/uichthe  von  doch.  —  banodur  (nicht  hänodur),  im  Reime  axti fagomur, 
soll  wohl  die  im  Herbste  graubraun  werdende  Farbe  der  Behaamng  bezeichnen,  die  der- 
jenigen der  Weibchen  ähnelt. 

IM. 

üar  ind  adaig  i  Möiii  Möir,       feraid  dertain  ni  deröil, 
dorddän  fristib  in  gäeth  glan        gessid  os  chaille  clithar. 
Ir.  T.  ni  67  §  2  :  deaitan  •!•  sneachta  B  dertan  risthib  //  dorrdan  rostibh  B  oschailli  clithair  B. 

Kalt  ist   die  Nacht   in    Möin  Mör,    ein   gewaltiger   Regensturm   gießt 

herab;  eine  wilde  Weise,  gegen  welche  der  reine  Wind  anlacht,  brüllt  über 

dem  Schutz  des  Waldes. 

Die  Strophe  findet  sich  auch  im  Buch  der  l'i  Maine  fol.  191  a,  mit  der  Lesart  dnrdan 
im  3.  Vei'S  und  den  Glossen  gesid  •{•  bi>anaid  und  caille  clithar  •{■  guirün.  —  iibim  'lache' 
wird,  wie  hier  vom  Winde,  besonders  oft  von  Wellen  gebraucht:  doroichtis  na  tonna  adochum 
cu  tihtts  uimme  Lism.  L  2171 :  conacca  carraig  mbie  ß-issitibed  an  tonn  RC  X  88,2,  wo  Stokes 
ein  Verbum  tibim  'schlage'  vermutet  und  CTeieo),  CTieeu  heranzieht;  rothib  tond  tairis  LL  175a  20 
die  Welle  hüpfte  lachend  über  ihn':  Ivid  dar  cech  tuind  dia  tibed  213a  42.  Aber  der  Ge- 
brauch mit  einem  Objekt  im  Akk.  tibit  lulmag  Alinne  LL  162b  8  'sie  (die  Flüsse)  ...  die 
Ebene  von  Alenn'  ist  schwer  zu  erklären.  Es  liegt  wohl  Korruptel  vor,  da  alle  anderen 
Hss  anders  lesen  (Metr.  Dinds.  II  82.  44).  IJcs  vielleicht  tibit  tar  mag  Alinnr.  Ein  anderer 
metaphoiischer  Gebrauch  findet  sich  Rl  502.  84  b  13,  wo  es  dichterisch  heißt  'die  Herrschaft 
lächelte  einem  Könige'  (rothib  ind/laith  linih/eh  . .  .  fri  hAilitl). 

155. 

Ronbris,   ronbrüi,   ronbäid,        a   Ri   richid  rindglaine, 
rongeilt  in  gäeth  feib  geiles       nemäed  forderg  fidnaige. 
(»"Mulc.  830g,  H.  3.  18,  614'»  (Zur  Kelt.  Woitk.  ij  108):   in    richid   codd.   geilius   codd. 
fidnaidhe  H  aod  codfl.  nemaed  ego. 

Es  hat  uns  gebrochen,  os  hat  uns  zermalmt,  es  hat  uns  ertränkt, 
o  König  des  sternerglänzenden  Himmelreichs.  Der  Sturm  hat  uns  ver- 
zehrt wie  tiefrotes   Himmelsfeuer  Holzwerk  verzehrt. 

156. 

Täinic  gaimred  co   ngainni,        rolinsat  lethe  linni, 
arlegat  duile  degnad,        rogab   tonn  medrach   miniii. 
IL  3.  18,  624  und  661,  H.  4.  22,  67'":  gemred  //'  geimredh  H''  ngainde  W  letha  H^  linne 

codd.  airicgat  W  //'   iarleghadh  //'   degna  W  dighna  //'   rongab   codd.  medrech  W  med- 

rarh   IP  minne  codd. 


68  K.   Meyer. 

Der  rauhe  Winter  ist  gekommen,  die  Wasser  haben  die  Flachlande 
angefüllt,  Fröste  lösen  die  Blätter,  die  lustige  Woge  hat  angefangen  zu 
grollen. 

Zum  API.  linni  vgl.  linni  crö  I>L  275'»  44.  —  ar-legaim  'löse  auf  zur  vleg,  Ped.  §  758. 
—  Ich  fasse  degnad,  das  durch  reodh  (kymr.  rhew)  glossiert  is^,  als  NPi.  eines  Neutrums.  — 
medrach  (in  Leb.  Gab.  mit  greadhnach  glossiert)  ein  häufiges  Beiwort  der  See.  z.  B.  a  tond 
medrach  mend  LU  40^  5,  muir  medrach  mend,  ib.  15;  ttagam  tar  muir  medraig  möir  Eg.  1782, 
all»  2.  —  minne  (iä)  f.  eig.  'Stammeln,  Murmeln'. 

157. 

Rucht  fothuind  fithend  föi,        andord  ela,  inmuin   öi, 

osnad  echtge,  älaind  lüad,        lin  mucc  müad,  mend  medras  eöi. 

Corm.  §  662  :  inmhain  aui. 

Das  Grunzen  aus  dem  Sauenlager  .    .   .   .  ,  der  Schwäne  Gesang,  dem 

Ohre   lieb,    der   Schrei    des   Käuzchens,    ein    lieblicher  Ton,    die   Zahl   der 

wilden  Schweine,  klar  erschallt  des  Kuckucks  Ruf. 

Wird  Fer  Muman  (8./9.  .Ih.)  zugeschrieben.  Durchgehender  Kettenstabreim.  —  ruehl, 
von  O'Cleiy  durch  ro-iachtadh  erklärt,  bedeutet  r.iuhe  Geräusche  mancherlei  Art:  rabert  sun 
a  rucht  rmled  bar  aird  LL  80''  34;  rucht  claidih  loo''  25,  176''  4:  von  tierischen  Lauten: 
rucht  ruip  Anecd.  II  48,  17.  Es  gehört  gewiß  zu  lat.  meto  und  seinen  Verwandten;  s.  Walde 
s.  V.  erUgo.  —  fothond  wird  durch  muctaithe  erklärt.  Ob  das  für  muc-laige  'Schweinelager' 
verschrieben  ist!'  — ßthend  föi  ist  mir  unverständlich,  auch  fehlt  eine  Silbe.  —  öi  fasse  ich 
als  Dat.  zu  ö  (s)  n.  'Ohr.  Vgl.  ar  aui  Torm.  §  44.  Es  läge  dann  eine  alte  Konsti-uktion 
vor,  die  sich  bei  Dichtern  erhalten  hat.  —  Über  evhtaih  (ä)  f.  siehe  Sitzungsber.  1919  S.  394. 

158. 

Gochuill  choss  ngall,  gaimin  bran. 
Corm.  §  683 :  cochall  coss   Y  cocholl  chos  B  gemin  B  brain   YB. 

Die  Fußbekleidung  der  Schwäne,  die  Winterröcke  der  Raben. 

Als  Beispiel  fiir  gall  •(•  ela  'Schwan'.  Wird  Fer  Muman  zugeschrieben.  Wohl  aus 
einem  Winterlied.  —  gaimtn  (o)  ni.,  ursprünglich  das  Winterfell  der  Tiere. 

159. 

Daith  bech   buide  a  hüaim  i  n-üaim,        ni   süail  a  uide  la  grein, 
fö  for  fuluth    sa  mag  mär,        dag  a  dagchomul  'na  cheir. 
ACC  §  46,  H.  3.  18,  612  a :  dagh  beich  B  foiaid  san  mag  H  daj;:  a  dath  cumang  a  cheir  R. 


Bnichstilcke  der  n'lteren  Lyrik  Irlands.  69 

Von    Höhle    zu    Höhle    (schwärmt)    behend    die    gelbe    Biene,    keine 

winzige    Reise   macht   sie    in    der  Sonne;    munter   fliegt   sie   davon   in   die 

große  Ebene,  dann  schlüpft  sie  tapfer  in  ihr  Wachs  hinein. 

Ich  fasse  daith  pi-ädikativ;  doch  könnte  es  auch  attributiv  verwendet  sein,  indem  bei 
Dichtern  ein  Adjektiv  dem  \omen  voraufgehen,  das  andere  folgen  kajin,  wie  ich  'Four 
Songs'  S.  6  gezeigt  habe.  —  fvluth,  Abstr.  zu  fo-lu-  (PED.  §  769).  S.  Corm.  §  663.  — 
a  dag-chnmut  wörtlich  'ihre  gute  Vereinigung'. 


B.   Aus  Liebes^edichten. 

160. 

Cride  he,       daire  cnö, 
öcän  e,       pöcän  dö. 
Ir.  T.  ni  loo  §  177:  ogan  —  pogan. 

Er  ist  ein  Herz,  eine  Ntiß  des  Eichenwaldes,  ein  lieber  Junge  —  ein 
Kflßchen  ihm! 

161. 

Mac  rig  Müaide  mid  samraid       füair  i  fid  üaine  ingin, 
tue  dö  mess  ndub  a  draignib,        tue  airgib  sub  ar  sibnib. 

YBL  ii8a  marg.   inf. :  nieas  dub. 

Der  Sohn  des  Königs  vom  Flusse  Muad  fand  im  Mittsommer  in  einem 
grünen  Walde  ein  Mädchen ;  die  gab  ihm  schwarze  Frucht  von  Brombeer- 
sträuchern, sie  gab  ihm  mit  {Liebe8)zeichen  (?)  Erdbeerfrucht  auf  Binsen. 

Müad  (ä)  f.,  jetzt  Moy  genannt,  der  sich  in  die  Bucht  von  Killala  eingießende  Fhiß.  — 
Wenn  airgib  auf  draignib  reimen  soll,  wie  sub  auf  dub,  so  steht  es  wohl  für  airdib,  was  ich 
übersetzt  habe.  Lst  dagegen  äirgib  zu  lesen,  so  wäre  es  DPI.  von  ärach  und  etwa  'als  An- 
gebinde' zu  übersetzen. 

162. 

Cöinmair  'na  luing  indfota       oca  mbiat  a  lennata 
oc  imram  ard  allata       iar  n-ingnais  a  mennata. 
Fei.  XCVU:  lennada. 

Glückselig,  wer  in  seinem  langgespitzten  Schiff  mit  seinen  Herzliebsten 
hoch  und  stolz  dahinfährt,  von  seinem  Heimatsitze  geschieden. 

lennata  (ä)  f.,  die  mit  dem  Deminutiv  sufiix  -nat  gebildete  weibliche  Nebenform  zu 
lennän  'Liebling'.  Vgl.  gilla  cen  tennoit  nä  hingen  cen  lendän  Kr.  IV  124,  11. 


70  ■  K.  Meteb: 


C.   Aus  Liedern  der  Freundschaft. 
163. 

Ar  corrucän  cumraide,        ollurcbal  ar  nglanbaile; 
nisfüar  cöem  a  chomdile,        ciaso  döer,  is  dagduine. 
LL  37  c  48:  ollurgbail. 

Unser  süßer  kleiner  Kranich,  großer  Stolz  unserer  ruhmreichen  Stätte,  — 
ich  habe  keinen  Freund  gefunden,  der  mir  so  lieb  wäre ;  ist  er  gleich  ein 
Unfreier,  ist  er  ein  Edelmann. 

Da  man  sich  Kraniche  als  zahme  Haustiere  hielt  (vgl.  petia  cuirre  Aisl.  M.  51,  28),  so 
wird  corr  im  Sinne  von  'Liebling'  gebraucht.  —  oll-urcbä!  (im  Reim  mit  cnrrueän, 
eig.  'große  Erhebung'.  Vgl.  indochäl.  ■ —  cumraide,  lig.  'süßschmeckend  oder  duftend'  (cnö 
cumraide  Ir.  T.  III  106,  22)  in  übertragenem  Sinne  auch  LL  129a  14  rT  cumraide  in  Chairn; 
muinter  chumraide  Er.  VIII  16  §  18. 

164. 

Cara  dam  1  Cill  da  Chellöc,        mad  äil  düib,  dofessid: 
pianän  i  mbi  corca  fäsaig,        Cianän  dona  Dessib. 
Ir.  T.  III  105  §  210:    niucarasa   acill  B'   mad   ail   duib  om.    B  conrofesidh  B  arafesed 
M  pianan  •!•  rus  M. 

Ich  habe  einen  Freund  in  Cell  da  Chellöc;  wenn  ihr  es  wünscht,  sollt 
ihr  wissen,  wer  es  ist:  ein  kleiner  Quälgeist  (?),  in  dem  wilder  Hafer 
wächst,  Cianän  vom  Stamm  der  Dessi. 

Wird  einem  sonst  unbekannten  l  a  Derglega  '  zugeschrieben.  Cell  da  Chellöc,  jetzt 
Kilraallock  in  der  Grafschaft  Limerick.  —  Die  Glosse  rus  in  M  (Thirn.  Zu  ir.  Hss.  I  72) 
ist  mir  unverständlich. 

165. 

Atä  cara  oobel  cain       dam-sa  for  maig  Laigen  lir, 
segguine  seng,  soäes  bär,        dian  comainm  säl  soillsi  gil. 
Ir.  T.  III  22  §  65,  49  §  87 :  cobal  BL  combail  B'  seguine  B  sedghuineach  B'  sedgumed 
L  soas  B  soaes  L  comainm  HLB'  slän  LB'. 

Ich  habe  einen  edlen  freigebigen.  Freund  auf  der  Ebene  des  meer- 
umspülten Leinster,  einen  schlanken  Hirscherleger,  einen  Weisen  vom  besten 
Alter,  der  den  Beinamen  'Meer  des  weißen  Glanzes'  fuhrt. 

'    Gen.  von  Derg-liaig  'Wundarzt,  Chirurg'. 


Bruekstiicke  der  älteren    Li/rlk  Irlands.  71 

Die  f-esart  cohel  statt  co  mbail  ist  der  Alliteration  wegen  vorzuziehen.  Der  Komparativ 
coblu  zu  cobel  (aus  *com-fel)  steht  Fei.  Epil.  74  (sie  leg.).  —  Thurneysen  RC  XHI  274  liest 
segguinech  und  vergleicht  Corni.  §  1168,  wo  die  Hss  segguiue  (sedguim:  LM),  sedguinid 
(seguinidh  Y),  segguinech  [seghuincch  B)  lesen,  alles  drei  mögliche  Fonnen.  —  Es  wäre  denk- 
bar, daß  soainm  'schöiiei'  Name'  zu  lesen  ist,  was  noch  eine  Alliteration  geben  würde,  die 
im  1.  und  3.  Verse  auch  dreifach  gehäuft  ist.  Der  Name,  auf  den  versteckt  hingewiesen 
wird,  fing  wohl  mit  Muir-  oder  Ler-  an. 

166. 

Mo  chara-sa  Cnäroine        caras  iath  nEli  n-achtach, 

bid  fäilid  frim  dämine        cia   domecma  cet  marcach. 

Ir.  T.  III  63  §  1 29,  H.  3.  1 8,  654 :  mo  carasa  no  diliu  H  charas  L  rocbar  H  achtach  uo 
echttach  H  dameni  H  domfacced  LL  nobeinn  tricha  H. 

Mein  Freund  Cnämine,  der  das  tatenreiche  Land  von  Ele  liebt,  wird 

mich    mit    meiner    kleinen    Gästeschar    willkommen    heißen,    wenn    aucli 

hundert  Reiter  mit  mir  kämen. 

Wird  in  LL  und  H.  3.  18  dem  Dichter  Flann  mac  Lonäin  (gest.  896)  zugeschrieben. 
Unter  dämtns  ist  das  Gefolge  (die  Schüler,  Pflegesöhne  und  Gesinde)  des  Dichters  zu  ver- 
steheu.  —  Ei«,  jetzt  Ely  O'Cari-ol  in  Munster. 

167. 

Conchobar  üa  Cadla,       crim  muicce  fiada  ar  äth  n-aba, 

cuin  dorala  in  cara  i  n-üathad? 

Duine  darbu  rö  brigrad  briathar, 

fer  ara  tabar       tirad  ocus  brö  ocus  criathar 

ocus  fuine  ocus  imfuine       cen  ithe  do  Räith  chliathbän  Crüachan. 

Ir.  T.  III  100  §  178:  muici  fiadha  B  darbo  M  brighräd  B  criath-  B  cria  M  imuine  M 
cliathad  cruachadh  B. 

Conchobar  vom  Stamm  der  Ui  Chadla,  Zungenfarn    an   der  Furt   des 

Flusses,  —  wann    ist   der  Freund   allein?     Ein  Mensch,  dem  der  Schwall 

der  Worte   zuviel    war,  ein   Mann,  dem   Dörren   und   Mahlen    und   Sieben 

und  Backen  und  Kochen  für  die  Burg  von  Crüachu  mit  weißem  Geflecht 

auferlegt  wird,  ohne  daß  er  selbst  zu  essen  bekommt. 

Die  Strophe  enthält  sechs  Verse  von  neun  Silben.  —  Die  Li  Chadla  finde  ich  sonst 
nicht  erwähnt.  —  crim  muicce ftada,  das  'lingua  cervina'  (engl,  hart's  tongue)  genannte  Farrea- 
kraut.  —  Zu  i  n-nathad  vgl.  in  tan  biid  i  n-Uathud  Rl.  502,  112'' 50.  —  Es  ist  nicht  etwa 
robrifrad  zu  lesen,  wie  ich  Contr.  S.  262   annahm,  da  brigrad  auf  ttrad  reimt. 


72  K.  M  E  Y  E  R :   Brw/isti/cke  der  älteren  Lyrik  Irlands. 


Inhalt. 

Seile 

I.  Aus  Gedichten  auf  Personen 5 

A.. Loblieder  i — 58 5 

B.  Spott-  und  Schmählieder  59 — 88 27 

C.  Totenklagen  89 — 131 37 

II.  Aus  Gedichten  auf  örtlichkeiten   132 — 147a 59 

III.  Vermischtes 65 

A.  Aus  Naturgedichten   148 — 1 59 65 

B.  Aus  Liebesgedichten  160 — 162 69 

C.  Aus  Liedern  der  Freundschaft  163 — 167 70 


Berlin,  gedruckt  in  der  Reiclisdruckerei. 


ABHANDLUNGEN 

DER  PREUSSISCHEN 

AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

JAHRGANG   1919 
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE  KLASSE 


Nr,  8 


;    BERKELEYS  PHILOSOPHIE  IM  LICHTE  SEINES 
WISSENSCHAFTLICHEN  TAGEBUCHS 

„nAEON    HMICY  nANTOC" 
l  VON 

l  BENNO  ERDMANN 


BERLIN  1919 

VERLAG  DER  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

IN  KOMMISSION  BEI  DER 
VEREINIGUNG  WISSENSCHAFTLICHER  VERLEGER  WALTER  DE  GRIIYTER  U.  CO. 

VORMALS  O.  J.  UÖStHKNS«  IIE  VERLACiSHANBI.lUG.     J.  GUTTENTACi,  VKBLAGSBIK  llHANDl.L'NC 
UEOBGKEiaER.     KARL  J.  TROBNER.    VEIT  U.  COMP. 


Vorgetragen  in  der  Sitzung  der  phil.-hist.  Klasse  am  19.  Juni  1919. 
Zum  Drucli  eingereicht  am  gleichen  Tage,  ausgegeben  am  30.  August  1919. 


Vorwort 

Wir  besitzen  in  dem  1871  zuerst  veröffentlichten  wissenschaftlichen  Tage- 
buch Berkeleys  ein  einzigartiges  Dokument  philosophischer  Gedankenent- 
wicklung, aber  in  unzureichendem  Text  und  in  einer  Druckfolge,  die  das 
Verständnis  des  inneren  Zusammenhangs  der  Aufzeichnungen  unmöglich 
machte,  bis  ihm  eine  glückliche  Entdeckung,  wie  sie  nur  dem  Kundigen 
gelingen  konnte,  die  Wege  bahnte.  Leider  aber  hat  Theodor  Lorenz  die 
äußeren  Kriterien,  die  seine  Entdeckung  ermöglichten  und  sicherten,  in 
einer  Kürze  mitgeteilt,  die  seine  scharfsinnigen  und  wohlfundierten  Beob- 
achtungs-  und  Deutungsergebnisse  als  gewagte  Hypothesen  erscheinen  ließen. 
Sie  sind  deshalb  völlig  unbeachtet  geblieben.  Die  Ergänzung,  die  Lorenz  mir 
auf  meine  Anfrage  vor  längeren  Jahren  bereitwilligst  gegeben  hat,  war  für 
mich  überzeugend  und  ermöglichte  eine  Nachprüfung  der  von  ihm  ge- 
lieferten äußeren  Daten  an  dem  inneren  Zusammenhang  der  Aufzeichnungen. 
Eine  einfache  und  in  allen  Einzelheiten  sicher  lösbare  Aufgabe  war  diese 
Nachprüfung  trotz  der  mir  von  Lorenz  gleichfalls  zur  Verfügung  gestellten 
Textbesserungen  und  -Ergänzungen  nicht.  Ich  wäre  an  der  peinlichen 
Kleinarbeit,  einen  im  wesentlichen  gesicherten  Text  herzustellen,  schier 
erlahmt,  um  so  mehr,  als  Lorenz  anscheinend  keine  Gelegenheit  gefunden 
hat,  die  von  ilim  in  Aussicht  gestellte  zweite  Kollation  mit  dem  Manu- 
skript vorzunehmen.  Auch  den  inneren  Zusammenhang  zu  ermitteln  forderte 
harte  und  zeitraubende  Arbeit,  sehr  viel  mehr  Monate,  als  ich  ursprüng- 
lich Wochen  in  Aussicht  genommen  hatte.  Mich  hat  die  wundervolle  Per- 
sönlichkeit Berkeleys  und  die  im[)etuose  Paradoxie  seiner  philosophischen 
Gedanken  seit  Jahrzehnten  zu  einer  genaueren  Beschäftigung  mit  seinen 
Schriften  gereizt.  Dennoch  wäre  die  Arbeit  wohl,  wie  manches  andere, 
liegen  geblieben,  hätte  ich  nicht  das  Gefühl  gehabt,  eine  Art  Vermächtftis 


4  Erdmann: 

von  Lorenz  erfüllen  zu  müssen,  der,  seit  Jahrzehnten  in  England  lebend, 
inmitten  der  Kriegsjahre  verschollen  ist,  und  hätten  sich  mir  nicht  im 
Laufe  der  Prüfung  manche  virertvolle  historische  Erkenntnisse  erschlossen, 
wäre  endlich  der  Abschluß  der  Arbeit  nicht  das  einzige  Mittel  gewesen, 
dem  Tagebuch  Berkeleys  die  ihm  gebührende  Wertung  zu  verschaffen. 
Schließlich  hat  der  Abschluß  der  Untersuchung  mir  auch  über  die  geistige 
Depression  hinweggeholfen,  die  meine  Arbeitskraft  seit  dem  Ausgang  des 
Krieges  und  seinen  Folgen  für  unser  Vaterland  lähmte. 

Der  Assistentin  unseres  philosophischen  Seminars,  Frl.  cand.  phil. 
Gertrud  Jung,  sage  ich  für  ihre  so  sachverständige  wie  sorgsame  Beihilfe  zur 
Textverbesserung  auch  an  dieser  Stelle  herzlichen  Dank. 

Berlin,  14.  August  19 19 

Erdmann 


Abkürzungen. 

Fr.  AI — IV:  The  Works   of  George  Berkeley  ...  by  Alexander  Campbell 

Fräser,  Oxford  1871. 
Fr.  BI — ^IV:  The  Works  ofGeorgeBerkeley  ...  by  A.C. Fräser,  Oxford  1901. 
Fr.  C:  Selections    from    Berkeley    annotated  ...   by   A.  C.  Fräser, 

Oxford  19 10. 
Fr.  D:   A.  C.  Fräser,  Berkeley,  Philosophical  Classics  III,  1881  u.  ö. 
Ich  zitiere  die  Cheap  Edition,  Edinburgh  and  London  1903. 
C.  P.  B. :  Berkeleys,  von  Fräser  sogenanntes  Commonplace  Book. 
(00):  Die  Aufzeichnungen  des  C.  P.  B.  nach  meiner  Zälilung'. 


Der  Sperrdruck  im  Text  rührt  durchgängig  von  mir  her. 

*  Es  ist  keine  große  Aufgabe  für  den  kritischen  Leser,  diese  Zählung,  die  leider  nicht 
einfach  fortlaufend  sein  konnte,  auf  Grund  der  drei  Anhänge  zu  dieser  Untersuchung,  vor- 
erst der  Anhänge  I  und  II,  herzustellen  und  den  Text  von  Fr.  B  nach  Anhang  I  und  II  zu 
bessern. 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  misstnschaftlichen  Tagebuchs. 


Inhalt. 

Seite 

Einleitung 7  f. 

Methodologisches  zur  Geschichte  der  Philosophie 7 

Berkeleys  wissenschaftliches  Tagebuch  in  den  Ausgaben  von  Fräser 9 

Lorenz'  Hypothesen  über  das  Tagebuch  und  seine  Textverbesserungen  von  Fräsers 

Ausgabe  B 14 

Abhandlung 19  f. 

Zeitbestimmungen  zum  Tagebuch,  den  Statuten  und  den  Eintragungen  IT — XXIII  20 

Die  frühesten  nachstatutarischen  Eintragungen:    Die  Idee  des  Immaterialismus  .  27 

Entwicklungsbedingungen  der  Philosophie  Berkeleys 31  f. 

Die  religiöse  Grundstimmung  Berkeleys 32 

Sein  Anfangsstudium  der  Mathematik 35 

Der  scheinbare  Einfluß  der  Platonischen  Philosophie 36 

Die  religiöse  Reaktion  gegen  den  Rationalismus  der  Philosophie  des  17.  Jahr- 
hunderts (Malebranche  u.  A.) 38 

Der  Einfluß  der  Lehre  Lockes  auf  Berkeley 41 

Berkeleys  Umbildung  von  Lockes  Lehre  zum  Immaterialismus 44 

Die  lediglich  kritischen  Funktionen  von  Berkeleys  Abstraktionstheorie 47 

Berkeleys  Lehre  von  den  spirits  in  den  Schriften  Berkeleys  bis  1734 61 

Die  Entwicklung  dieser  I^hre  im  Tagebuch 66  f. 

Die  Unsterblichkeit  der  Geister  und  deren  Abhängigkeit  von  Gott 67 

Die  endlichen  Geister 70  f. 

Der  Begriff  der  Existenz '. 72 

Kraft  und  Kausalität 76 

Die  Erkenntnis  der  fremden  Geister 82 

Das  Identitätsproblem 82 

Die  Substantialität  der  Geister 85 

Der  Gesamtcharakter  der  Lehre  im  Tagebuch 91  f 

New  Theoiy  und  Treatise   91 

•  My  Doctrine«    95 

Stellung  zur  Mathematik  und  den  Naturwissenschaften 96 

Stellung  zur  philosophischen  Überlieferung 99 

Schlußbemerkungen   99  f. 

Anhang  I:    Reduktion  des  Tagebuchtextes  von  Fr.  B  auf  Fr.  A 103  f. 

Anhang  IT:    Textverbesserungen   von   Lorenz  zu  Fr.  A 106f 

Anhang  III:    Die  in  der  Abhandlung  zitierten  Tagebuch-Eintragungen   114 f. 

Anmerkungen 1 16£. 


Die  Geschichtsschreibung  der  Pliilosophie  hat  den  sachlichen  Entwick- 
lungszusammenhang der  philosophischen  Gedanken  bloßzulegen.  Sie  soll 
—  ihrem  Ziel  nach  wie  jede  Wissenschaft  international  —  die  langsam 
sich  zusammenschließenden  Fortschritte  der  philosophischen  Problem- 
stellungen und  -Lösungen  in  den  verschiedenen,  an  dieser  Entwicklung 
beteiligten  Ländern  aufdecken.  Ihr  Material  bilden  die  philosophischen 
Strömungen  und  Systeme  in  ihrer  Abhängigkeit  von  der  jeweils  vor- 
handenen Kulturlage,  in  ihrem  Einfluß  auf  dieselbe  sowie  in  ihrer  Abhängig- 
keit voneinander.  Ihre  Aufgabe  kann  somit  weder  lediglich  in  einer  zu- 
sammenfassenden Wiedergabe  der  einzelnen  Systeme,  noch  in  einer  isolierenden 
Behandlung  der  in  ihnen  enthaltenen  Probleme  und  Problemlösungen  gesucht 
werden.  Eine  solche  Wiedergabe  ließe  die  Weiterbildung  der  einzelnen 
Probleme  in  ihrem  wechselseitigen  Zusammenhang  selbst  dann  nicht  deutlich 
erkennen,  wenn  die  Systeme  nicht  nach  der  »Beschreibung  ihrer  Urheber«, 
sondern  nach  den  Ideen  erfaßt  wären,  die  den  systematischen  Darstellungen 
gestaltend  zugrunde  liegen.  Die  isolierende  Behandlung  der  Probleme  da- 
gegen vermag  den  inneren  Ztisammenhang  der  philosophischen  Gedanken, 
der  sich,  jede  Zeit  erfüllend,  in  verschiedenen  Strömungen  und  Systemen 
spiegelt,  niemals  zum  Ausdruck  zu  bringen. 

Die  Aufgabe  der  philosophischen  Geschichtsschreibung,  die  fort- 
schreitende Entwicklung  der  Probleme  im  Zusammenhang  der  leitenden 
Systeme  und  der  sie  ergänzenden  Gedankenströmungen  aufzuzeigen,  ist 
schon  deshalb  leichter  gestellt  als  gelöst. 

Zwei  weitere  Schwierigkeiten  kommen  hemmend  hinzu. 

Ejs  gibt  wie  überhaupt  keine  rein  objektive  Geschichtsbetrachtung,  so 
auch  keine  solche  der  Geschiclite  der  Philosophie.  Jeder  Geschichtsforscher 
trägt    die    Ideen    seiner  Zeit,    die    Überlieferungen    seines    Volkes,    seinen 


8  Erdmann: 

eigenen  Standpunkt  und  selbst  den  Eigenwillen  seiner  Persönlichkeit  in 
seine  Auffassung  des  geschichtlichen  Verlaufs  hinein,  auch  wenn  er  nicht 
in  der  Weise  der  politischen  Historiker  die  Vergangenheit  lediglich  um 
die  ihm  wertvollen  Bedürfnisse  der  Gegenwart  orientiert,  dem  Vergangenen 
also,  uneingedenk  eines  tiefsinnigen  Wortes  von  Ranke,  sein  Eigenrecht 
verkümmert  oder  gar  vorenthält. 

Außerdem  sind  bei  der  Bestimmung  eines  jeden  Gliedes  der  historischen 
Entwicklung  zwei  philosophische  Betrachtungsweisen  zu  vereinigen,  die  in 
verschiedenen  Richtungen  verlaufen.  Die  objektive  Entwicklung  der  Gedanken 
geht  andere  Wege,  als  ihr  subjektiver  Ursprung  im  Geiste  der  Philosophen. 
Eine  Geschichte  philosophischer  Probleme,  etwa  des  Substanz-  oder  des 
Kausalproblems,  könnte,  ähnlich  wie  eine  Geschichte  der  Infinitesimal- 
rechnung oder  des  Satzes  von  der  Erhaltung  der  Energie,  geschrieben 
werden,  ohne  daß  einer  der  Träger  dieser  Entwicklung  auch  nur  genannt 
zu  werden  brauchte.  Es  würde  genügen,  ihren  Anteil  an  der  Fortbildung 
der  Gedanken  aus  den  Problemlagen  ihrer  Zeit  nach  seinem  sachlichen 
Gehalt  und  seinem  Einfluß  festzustellen.  Die  Geschichte  der  Philosophie 
dagegen  würde  bei  so  isolierender  Betrachtung,  ähnlich  wie  die  Geschichte 
der  als  olfenbart  geltenden  Religionen,  der  bildenden  Künste  oder  der 
Literatur,  das  Verständnis  fiir  die  Bedeutung  der  Persönlichkeiten  in  ihrer 
Wechselwirkung  mit  dem  Milieu  ihrer  Zeit  verlieren.  Sind  es  letzten 
Grundes  überall  und  immerdar  die  führenden  Geister,  welche  die  Geschichte 
machen,  so  sind  sie  es  auf  den  genannten  Gebieten  in  besonderem  Maße. 
Wie  Einer  ist,  so  ist  nicht  bloß  sein  Gott,  so  ist  ihm  auch  die  Welt. 

Deshalb  verlangt  die  philosophische  Geschichtsforschung,  daß  die 
individuelle  Entwicklung  der  Persönlichkeiten  mitberücksichtigt  werde. 
Sie  fordert  damit  den  Einschlag  biographischer  Fäden  in  das  Gewebe  des 
sachlichen  Entwicklungszusammenhangs. 

Freilich  nur  einen  Einschlag.  Das  Biographische  gehört  in  die  eigentliche 
Geschichtsforschung  nur  so  weit  hinein,  als  es  den  objektiven  Zusammen- 
hang bestimmen  hilft,  selbst  wo  es  möglich  ist,  die  individuellen  und  die 
Milieubedingungen  der  subjektiven  Entwicklung  sicher  zu  verfolgen. 

Quellenmäßig  ist  allerdings  diese  Sicherheit  auch  in  der  Geschichte 
der  Philosophie  nur  in  bescheidenem  Umfang  zu  erlangen.  Die  primären 
Quellen,  die  von  den  Autoren  selbst  veröffentlichten  Schriften,  gewähren 
zumeist  auch  dann  keine  festen  Anhaltspunkte,    wenn    über  ihre  zeitliche 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tagebuchs.  9 

Folge  kein  Streit  sein  kann.  Die  Wege  der  Begründung  unserer  Gedanken 
sind  eben  meist  andere,  als  die  ihres  Ursprungs  waren.  Und  nicht  häufig 
ist  das  Bedürfnis,  auch  wo  dem  Urheber  der  Ursprung  seiner  Lehr- 
meinungen  aus  dem  dunklen  Gebiet  des  Unterbewußtseins  und  dem  meist 
verschlossenen  der  unbewußt  vollzogenen  geistigen  Arbeit  feststeht,  darüber 
Rechenschaft  zu  geben.  Der  Regel  nach  sind  wir  auf  sekundäre  Quellen 
angewiesen.  Auch  diese  aber  bieten  niu*  ausnahmsweise  einen  festen  Boden; 
eigentlich  nur  dann,  wenn  es  sich  um  Formulierungen  der  Gedanken  un- 
mittelbar nach  ihrem  Status  nascendi  handelt,  die  ohne  alle  Nebenabsichten 
und  emotionelle  Trübungen,  gleichsam  protokollarisch,  niedergeschrieben 
sind.  Das  Beste  hat,  wie  in  allen  Geisteswissenschaften,  die  aus  eigenem 
Erleben  quellende,  nachverstehende  Intuition  zu  leisten. 

Ich  kenne  nur  ein  umfassenderes  Dokument  dieser  Art:  das  wissen- 
schaftliche Tagebuch  des  jugendlichen  Berkeley.  Es  ist  durch 
die  unvergängliche  Frische  seiner  meist  kurzen  Eintragungen  sehr  viel 
reizvoller  als  etwa  die  Bemerkungen  Kants  zu  seinen  Vorlesungskompendien, 
und  durch  die  volle  Unbefangenheit  seines  Urhebers  ungleich  lehrreicher, 
als  die  schon  in  Rücksicht  auf  direkte  Veröffentlichung  geschriebenen 
Tagebuchaufzeichnungen  Schopenhauers. 

Es  gewährt  fürs  erste  einen  vielfach  überraschenden  Einblick  in  die 
Entwicklung  und  den  Zusammenhang  philosophischer  Gedanken,  die  durch 
ihre  Fortbildung,  insbesondere  bei  Hume,  sowie  durch  die  Kritik,  die  sie 
herausgefordert  haben,  teils  in  den  Vorstufen  des  französischen  Positivismus, 
bei  d'Alembert  und  Turgot,  teils  in  der  schottischen  Philosophie,  vor 
allem  bei  Th.  Reid,  und  in  deren  Gegenkritik  durch  Priestley  (^),  zu  den 
fruchtbarsten  des  achtzehnten  Jahrhunderts  gehören.  Sie  gewähren  solches 
historische  und  systematische  Verständnis  insbesondere  auch  für  den- 
jenigen Bestand  dieser  Lehrmeinungen,  durch  den  Berkeley  sich  unver- 
gängliche Verdienste  um  den  nicht  allzugroßen  ehernen  Besitz  an  philo- 
sophischer Erkenntnis  erworben  hat:  für  die  psychologischen  Theorien  der 
Gesichtswahmehmung  und  der  Abstraktion,  sowie  für  die  erkenntnistheo- 
retische Begründung  des  idealistischen  Spiritualismus.  Man  kann  die  An- 
erkennung, die  Stuart  Mill  in  seinem  feinsinnigen  Aufsatz  über  »Berkeley's 
Life  and  Writings«  ausgesprochen  hat,  übertrieben  finden:  »we  think  it 
recognised  that  of  all  who,  from  the  earliest  times,  have  applied  the 
Phil.-hisl.AbA.  1919.  Nr.  8.  2 


10  E  R  D  M  A  N  N  : 

powers  of  their  minds  to  metaphysical  inquiries,  he  is  the  one  of  greatest 
Philosophie  genius:  thoiigh  among  these  are  included  Plato,  Hobbes,  Locke, 
Hartley,  and  Hume;  Descartes,  Spinoza,  Leibnitz,  and  Kant  .  .  .  The  doctrine 
of  the  acquired  perceptions  of  sight  .  .  .,  the  non-existence  of  abstract 
ideas  .  .  .,  the  true  nature  and  meaning  of  the  externality,  which  we 
attribute  to  the  objects  of  our  senses:  the  three  have  made  Berkeley  the 
turning-point  of  the  higher  philosophy  in  modern  times. «  (^)  Sicher  aber 
ist,  daß  er  trotz  Herbert  Spencers  abfälliger  Kritik  des  Metaphysikers 
Berkeley  in  seiner  Psychologie  (B.  VII,  eh.  3  u.  4)  an  allgemeiner  Bedeutung 
Hartley,  dem  James  und  Stuart  Mill  besonders  viel  verdanken,  voransteht, 
und  in  eben  dieser  Hinsicht  Hume  nicht  nachgestellt  werden  darf.  Kants 
unbilliges  Urteil  über  Berkeley  hat  hier  den  Blick  der  deutschen  Forscher 
getrübt.  In  der  Überlieferung  unserer  Geschichtsschreibung  hat  er,  auch 
in  den  bestfundierten  Darstellungen  von  Windelband  und  Ernst  Cassirer, 
nicht  die  gebührende  Würdigung  gefunden.  {^) 

Aber  die  Bedeutung  des  Tagebuchs  reicht  über  den  Gedankenkreis 
der  Philosophie  Berkeleys  weit  hinaus.  Noch  fehlt  uns  eine  eindringende 
Darstellung  der  Art,  in  der  wissenschaftliche,  speziell  philosophische  Ge- 
danken entstehen  und  sich  entfalten,  im  Sinne  der  Versuche  der  allge- 
meinen Kunstwissenschaft,  in  das  Wesen  der  künstlerischen  Produktion 
einzudringen.  Auch  dafür  sind,  gemäß  den  oben  gegebenen  Andeutungen, 
die  Eintragungen  Berkeleys  in  sein  »note-book«,  um  ein  Wort  Stuart  Mills 
zu  gebrauchen,  ein  Musterbeispiel,  dem  kaum  ein  anderes  zur  Seite  gestellt 
werden  kann. 

Abgedruckt  ist  das  Tagebuch  zuerst  von  Fräser  in  Bd.  IV  seiner  ver- 
dienstvollen Ausgabe  der  Werke  Berkeleys  vom  Jahre  1871,  daraufhin, 
allerdings  nur  zum  größeren  Teil,  in  Bd.  I  seiner  zweiten,  neugeordneten, 
teils  vermehrten,  teils  verkürzten  Ausgabe  vom  Jahre  1901.  (*) 

Fräser  hat  in  der  kurzen  Charakteristik  des  Tagebuchs,  die  seine 
umfangreiche  Biographie  Berkeleys  enthält  (AIVS.  27 — 36),  dessen  ent- 
wicklungsgeschichtliche Bedeutung  richtig  gewertet  und  ebenso  zutreffend 
den  Standpunkt  bezeichnet,  von  .dem  aus  die  mannigfachen  Schwankungen 
und  Widersprüche  in  solchen  Aufzeichnungen  gedeutet  werden  müssen. 
Aber  er  konnte  schließlich  doch  nicht  umhin  zu  erklären:  »There  is  little 
method  in  the  arrangement,  though  a  progress  in  so  mething  like  chrono- 
logical   Order    may,    perhaps,    be  traced   in    some   parts«    (A IV  S.  419, 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  TagebucJiS.         1 1 

30).  Glücklich  hat  daraufhin  A.  J.  Balfour  in  seinem  Essay  über  Berkeley 
diesen  Eindruck  formuliert:  »That  a  collection  of  this  kind,  never  intended 
to  meet  any  eyes  but  those  of  its  author,  should  contain  much  that  is 
crude  and  even  absurd,  that  there  should  be  frequent  repetition  and  no 
method,  is,  of  course,  inevitable.  A  soliloquy  from  which  these  characte- 
ristics  are  absent  is  most  surely  intended  to  be  overheard.  To  my  taste, 
therefore,  these  defects,  if  defects  they  be,  only  add  to  the  vividness, 
and,  therefore,  to  the  interest,  of  the  fragment  of  intellectual  autobio- 
graphy  so  fortunately  preserved. « (*) 

Wiederholt  sind  dementsprechend  einzelne  Äußerungen  des  Tagebuchs 
zur  Erläuterung  der  Lehre  Berkeleys  verwendet  worden,  insbesondere  von 
Fräser  selbst  in  seinen  verschiedenen  Arbeiten  über  Berkeley,  speziell  in 
seiner  kleineren,  die  größere  ergänzenden  Darstellung  des  Lebens  und  der 
Lehre  des  Philosophen  (Fr.  D),  ferner  von  A.  Penjon  in  seiner  Studie  über 
Berkeley  (1878),  zuletzt,  um  von  zahlreichen  kleineren  Schriften  hier  ab- 
zusehen, von  E.  Cassirer  in  seinem  Werk  über  das  Erkenntnisproblem 
(1907)  und  von  Ant.  Thomsen  in  der  biographisch  wertvollen  Schrift  übi^r 
David  Hume,  sein  Leben  und  seine  Lehre  (1  191 2  S.  2  i  7f.,  2  25f.,  2  96f ,  4  j  7). 

Eine  Analyse  des  Tagebuclis  hat  jedoch  niemand  versucht.  Diese 
Zurückhaltung  war  bis  1905  begreiflich.  Über  Fräsers  Veröffentlichung 
hat  ein  Unstern  gewaltet. 

Seine  Beschreibung  des  Nachlaßmanuskripts  beschränkte  sich  auf  zer- 
streute knappe  Bemerkungen.  Es  ist  ihm  zufolge  »a  small  quarto  volume 
in  Berkeley's  handwriting  .  .  .  Here  and  there  the  writing  is  nearly  obli- 
terated,  apparently  by  the  action  of  water  .  .  .  On  the  title-page  is  written, 
'G.  B.  Trin.  Dub.  alum.,"  with  the  date  1705  .  .  .  The  manuscript  com- 
mences  with  these  words  in  Berkeley's  own  handwriting:  .  .  .  'Mem.  The 
following  Statutes  ...  A.  D.  1705'  (i)  .  .  .  This  curious  manuscript  volume 
contains  also  a  description  of  the  Cave  of  Dunmore  ...  in  Berkeley's  hand- 
writing« (A  IV  S.  419,  23,  XII;  vgl.  B  I  S.  I,  5).  Daß  ergänzende  und 
berichtigende  Bemerkungen  Berkeleys  vorhanden  seien,  sowohl  »in  the 
margin«  als  auf  »blank«  oder  »opposite«  Seiten,  ergab  sich  nur  aus 
einigen  Anmerkungen  Fräsers;  zumeist  war  lediglich  notiert:  »Author«. 
Der  Abdruck  war  überdies  nicht  ganz  vollständig.  Fräser  hatte  erklärt: 
»The  original  manuscript  is  followed  throughout,  except  the  Omission  of 
some   of  the   repetitions  of  identical   thought  in  the  same,  or  almost  the 

•2* 


12  E  R  D  M  A  N  N  : 

same,  words«  (A  IV  S.  419).  Er  war  außerdem  ungleichmäßig  insofern,  als 
einzelne  der  Zusatzbemerkungen  in  eckigen  Klammern  dem  Text  einverleibt 
waren  (z.B.  A  IV  S.  422,  427,  430),  während  die  übrigen  ihren  Platz  in 
den  Anmerkungen  gefunden  hatten. 

Ernstlichere  Schwierigkeiten  bereiteten  Fräsers  schwankende  Zeitbe- 
stimmungen. Aus  seinen  Angaben  folgte  sicher  nur,  daß  das  Manuskript 
im  Januar  1705  der  damaligen  Zeitrechnung  von  Berkeley  begonnen  war 
(Fr.  A  IV  S.  23).  Außerdem  zeigte  sich  mitten  im  Text  das  Datum 
»August  2  8th,  1 708 «  (bei  Fr.  A IV  S.  467).  In  Aufzeichnungen,  die  weit  hinter 
dieser  Textstelle  stehen,  fand  sich  auffälligerweise  eine  Beziehung  auf 
Mr.  Newton  (A  IV  S.  493),  zu  der  Fräser  selbst  anmerkt:  "Newton  became 
Sir  Isaac  on  April  16,  1705«,  eine  Titelbezeichnung,  die  im  Manuskript, 
wie  Fräser  gleichfalls  anmerkt,  erst  später  (A  IV  S.  498)  angetroffen  wird. 
So  werden  Fräsers  schwankende  Zeitangaben  einigermaßen  verständlich : 
»The  Commonplace  Book  .  .  .  represents  Berkeley's  studies,  and  the  course 
of  his  thoughts,  apparently  from  about  bis  eighteenth  tili  about  his  twenty- 
second  year  .  .  .  at  or  about  the  age  of  twenty  .  .  .  apparently  in  1 705 
and  some  foUowing  years«,  »in  1705  and  in  the  two  years  foUowing«, 
»1705  and  the  three  foUowing  years«,  »in  1705  and  the  two  or  three 
foUowing  years«,  wozu  gleich  der  Ansatz  bei  Fr.  B  hinzugenommen  werden 
mag:  »This  Commonplace  Book  throws  a  flood  of  light  upon  Berkeley's 
State  of  mind  between  his  twentieth  and  twenty-fourth  year. » (^) 

Nicht  minder  auffällig  war  es,  daß  Fräser  den  nach  seinen  Angaben 
(A  IV  S.  23)  ersten  Teil  des  Manuskripts,  zwei  datierte  Gruppen  Statuten, 
die  erste  nach  seiner  Angabe  »in  the  handwriting  of  another«,  die  zweite 
ohne  Herkunftsangabe,  sowie  zwischen  beiden  stehende  Fragen  und  Thesen 
von  Berkeleys  Hand,  seinem  »Life  and  Letters«  eingeordnet  hatte,  während 
er  den  zweiten  Teil,  das  in  engerem  Sinne  von  ihm  sogenannte  Common- 
place Book,  in  den  »Writings  of  Bishop  Berkeley  hitherto  unpublished« 
(A  IV  S.  419 — 501)  zum  Abdruck  gebracht  hatte,  ohne  dort  jenes  ersten 
Teiles  zu  gedenken.  Ebendort  (S.  503  f.)  findet  sich  auch  die  »Description 
of  the  Cave  of  Dunmore«  mit  der  Ortsangabe,  sie  sei  »written  at  the  end 
of  his  Commonplace  Book,  but  no  date  is  given«. 

Alle  diese  Unzulänglichkeiten  aber  mußten  für  den  kritischen  Leser 
hinter  den  Umstand  zurücktreten,  daß  es  unmöglich  war,  irgendeinen  Ent- 
wicklungszusammenhang  in    den    fortlaufenden    Eintragungen   AIVS.  419 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tagebucfis.         13 

bis  501  zu  erkennen.  Schon  die  ersten  dieser  Eintragungen  in  Fräsers 
Abdruck  des  von  ihm  in  engerem  Sinne  sogenannten  Commonplace  Book 
zeigen  den  bereits  im  einzelnen  ausgebauten  Standpunkt  der  späteren  Lehre : 
das  Bewußtsein  eines  »Prinzips«,  das  Berkeley  denf  Newtons  entgegensetzt, 
von  dem  aus  er  die  Meinungen  des  landläufigen  Realismus  sowie  die  Lehren 
von  Bayle,  Malebranche  und  der  Cartesianer  kritisiert;  sie  bieten  die  öfter 
seit  1871  zitierte  Formulierung  »existence  is  percipi,  or  percipere«  mit  der' 
Randbemerkung:  »or  velle,  i.  e.  agere«  (Fr.  A  IV  S.  422  =  Fr.  B  1  S.  10). 
Sie  enthalten  Anmerkungen  über  die  zu  befolgende  Darstellung  in  einem 
offensichtlich  geplanten  Werk  usw.  Dagegen  finden  sich  viel  später,  nach 
dem  oben  schon  erwähnten  Datum  vom  August  1708,  Niederschriften,  die 
allerhand  offenbar  Unfertiges  enthalten,  auch  nichts  von  geplanter  Aus- 
gestaltung zu  einem  Werk  verraten. 

Ich  gestehe,  daß  es  mir  lange  Zeit  hindurch  hoffnungslos  erschien, 
irgendeine  Ordnung  in  diesen  anscheinend  wüsten  Haufen  zu  bringen.  Auch 
andere  haben  wohl  auf  die  Durchfuhrung  eines  solchen  Versuchs  um  so 
eher  Verzicht  geleistet,  als  Fräser  selbst  energischer  noch  als  in  der  oben 
bereits  angeführten  Bemerkung  (A  IV  S.  30)  von  einem  »chaos«  gesprochen 
hatte,  »in  whicli  the  reader  finds  the  philosophical  remarks  in  the  Common- 
place Book«.  Sein  allgemeiner  Bericht  über  die  Eintragungen  (^)  zeigte  sogar 
demjenigen,  der  ihn  an  ihrem  Bestände  prüfte,  sofort,  daß  hier  Gewalt 
vor  Recht  gegangen  war. 

Die  Sachlage  wurde  noch  bedenklicher,  als  Fräsers  zweite  Ausgabe 
der  Werke  (B,  1901)  erschien.  Es  war  schon  seltsam,  daß  er  hier  den 
ersten,  1871  in  die  Biographie  des  Philosophen  eingerückten  Teil  des 
Tagebuchs  einfach  fortgelassen  hatte,  ohne  dessen  in  der  zwar  in  einzelnen 
Punkten  ergänzten,  aber  wesentlich  abgekürzten  Biographie  und  in  dem 
Vorwort  zu  dem  Abdruck  des  zweiten  Teiles  auch  nur  mit  einem  Wort 
zu  gedenken.  Überraschender  noch  war,  daß  in  diesem  zweiten  Teil(*) 
die  Reihenfolge  der  Aufzeichnungen  zwar  erhalten  war,  daß  sich  aber, 
abgesehen  von  zahlreichen  interpunktionellen  und  orthographischen  Ände- 
rungen und  verwirrender  Willkür  in  dem  Gebrauch  eckiger  Klammern,  dem 
kritischen  Leser,  der  einen  vergleichenden  Blick  in  die  ältere  Ausgabe 
geworfen  hätte,  wesentliche  Textabweichungen  hätten  ergeben  müssen ;  über 
ihre  Herkunft  hatte  Fräser  allerdings  kein  Wort  verloren.  Ich  habe  vor 
Jahren,    auf  solche    Unterschiede    aufmerksam   geworden,    bei  Gelegenheit 


14  K 


R  I»  M  A  N  N 


seminaristischer  Übungen  von  geschulten  Mitgliedern  eine  sorgsame,  von 
mir  kontrollierte  Textvergleichung  ausführen  lassen.  Sie  zeigte,  daß  die 
Ausgabe  B,  oifenbar  zum  Zweck  der  Erläuterung  im  Fraserschen  Sinn, 
einen  an  vielen  Stellen*  ergänzten  oder  veränderten  Text  gibt,  der  niemals 
direkt,  meist  überhaupt  nicht  von  Fräser  als  ergänzt  oder  verändert  erkennbar 
gemacht  worden  ist.  Daß  diese  Umformungen  einer  erneuten  Kollation 
zuzuschreiben  sind,  ist  ausgeschlossen.  Es  ist  nur  anzunehmen,  daß  Fräser 
seine  Anmerkungen  über  Zusatzbemerkungen  Berkeleys  nochmals  durch- 
gesehen und  da,  wo  in  A  nur  »Author«  steht,  fast  durcligängig  den  Ort 
der  Zusätze  im  MS  (vermutlich  auf  Grund  seiner  Abschrift)  angegeben  hat; 
meist  durch  ein    »on  margin«,  einmal  durch  ein  »on  blank  page  of  the  MS«. 

Die  Aussieht  auf  eine  Ausgabe  des  Tagebuchs,  die  allen  Textansprüchen 
genügt  und  zugleich  nach  Lorenz'  äußeren  Angaben  und  den  nachstehenden 
Bestätigungen  aus  dem  inneren  Zusammenhang  die  ursprüngliche  Reihen- 
folge herstellt,  liegt,  wie  schon  im  Vorwort  zu  erwähnen  war,  in  weiter 
Feme.  Soll  das  Tagebuch  bis  dahin,  wie  es  verdient,  nutzbar  werden,  so 
blieb  nichts  übrig,  als  die  Ergebnisse  unserer  Seminarkollation  der  Texte 
von  Fr.  A  und  Fr.  B  zu  veröffentlichen  (s.  Anhang  1),  die  in  das  Hand- 
exemplar des  Berliner  Seminars  von  Lorenz  eingetragenen  Textergänzungen 
und  -Verbesserungen  ebenfalls  mitzuteilen  (s.  Anhang  II)  und  zum  Zweck 
des  Verständnisses  sowie  der  Nachprüfung  des  hier  Gebotenen  die  Ein- 
tragungen in  ihrer  richtigen  Tagebuchfolge  zu  numerieren:  (oo).  Diese 
Zählung  konnte  nach  der  Beschaffenheit  der  Texte  bei  Fräser  und  den 
Angaben  von  Lorenz  nicht  einfach  fortlaufend  erfolgen.  Sie  erfordert  drei 
Gruppen:  (I — XXllI:  i  —  877,  878 — 917;  a — f),  von  denen  die  beiden 
mittleren  Glieder  Zwischenzählungen  notwendig  machen  (z.  B.  7  a).  Der 
kritische  Leser  wolle  deshalb  in  seinen  Exemplaren  der  Ausgaben  Fr.  A 
oder  B  die  Zählung  gemäß  dem  Vorschlag  in  der  Anmerkung  zu  den 
»Abkürzungen«   am  Schluß  des  Vorworts  vornehmen. 

Den  ersten  Anlaß  zu  den  vorstehenden  Ausführungen  und  der  im 
Anhang  A  mitgeteilten  Kollation  hat,  wie  ich  dankend  erkläre,  die  Rezension 
von  Fräsers  Ausgabe  B  geboten,  die  Theodor  Lorenz  im  Mind  1902  ver- 
öffentlicht liat.  Lorenz  irrte  zwar,  auf  die  Ausgabe  B  angewiesen,  darin, 
daß  er  annahm,  ihr  Text  des  »Commonplace  Book«  sei  ein  einfacher  Abdruck 
der  Ausgabe  A;  aber  im  übrigen  zeigte  sich  auch  hier  der  trefflich  geschulte 
Forscher,  als  den  er  sich  seit  1 900  durch  zwei  Beiträge  zur  Lebensgeschichte 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschafllichen  Tagebuchs.        -1 5 

Berkeleys  im  Archiv  fiir  Gesch.  der  Philos.  ausgewiesen  hatte.  Er  machte 
darauf  aufmerksam,  daß  die  neue  Ausgabe  Fräsers  trotz  mancher  Vorzüge 
vor  der  älteren  gleichfalls  wenig  korrekt  sei.  In  welchem  Maße  sein  Urteil 
speziell  für  den  Abdruck  des  Commonplace  Book  in  B  zutrifft,  ergab  sich 
aus  einem  offenen,  durch  eine  kurze  Entgegnung  Fräsers  hervorgerufenen 
Brief  von  Lorenz  an  den  Herausgeber  des  Mind.(^)  Lorenz  hatte  Gelegen- 
heit gehabt  und  benutzt,  das  Manuskript  des  C.  P.  B.  von  Berkeley  durch- 
zuarbeiten, und  stellte  daraufhin  eine  Reihe  irrtümlicher  Lesungen  in  Fräsers 
Ausgabe  B  fest.  Auch  wies  er  an  einem  herausgegriffenen  Beispiel  nach, 
daß  Fräser  unbedenklich  gewesen  war,  Berkeleys  Text  stillschweigend  durch 
willkürliche  Zusätze  zu  verändern,  die  der  Erläuterung  dienen  sollen. 

Überraschender  noch  waren  die  Eröffnungen,  die  Lorenz  in  dem  Aufsatz 
»Weitere  Beiträge  zur  Lebensgeschichte  G.  Berkeleys«  vom  Jahre  1905 
machte.  (•*)  Seine  Kollation  hatte  ergeben:  »The  first  part  [des  Manuskripts] 
is  formed  by  the  notes  which  are  printed  in  Professor  Fraser's  new  edition 
on  pp.  7 — 58  [Fr.  A  S.  419 — 467].  All  these  entries  are  written  on  the 
right  pages  of  the  manuscript  only,  the  left  pages  being  left  blank  for  the 
addition  of  marginal  notes.  The  last  of  these  right  pages  is  formed  by 
the  mysterious  line  which  seems  to  read  'August  2  8th,  1708,  The  Ad- 
venture  of  the  Shirt',  and  by  the  subsequent  paragraph  beginning  with 
the  words  'It  were  to  be  wished  .  .  .'  Then  foUow  three  blank  pages, 
after  which  we  find  the  first  set  of  Statutes«  —  die  Fräser  nur  in  AIV  S.  aßf. 
abgedruckt  hat  —  ...  »These  Statutes  are  foUowed  by  the  Queries  .  .  . 
and  the  second  set  of  Statutes  (written  by  another  person) «  —  auch  diese 
von  Fräser  in  B  nicht  wieder  aufgenommen  —  »The  remaining  part  of  the 
manuscript  is  formed  by  the  Contents  of  pp.  58  —  92  in  the  new  edition 
[B  467 — 501],  ending  with  the  words:  'This  is  my  end  and  not  to  be 
inform'd  as  to  my  own  particular' « . 

Im  Anschluß  an  diese  erste  genauere  Beschreibung  des  Manuskripts 
berichtete  Lorenz  über  eine  » startling  discovery « ,  die  ich  gleichfalls  in  seinen 
Worten  wiedergebe:  »On  the  blank  pages  preceding  the  first  set  of  Statutes, 
I  found  clear  and  unmistakable  impressions  of  a  former  binding,  showing 
beyoud  doubt  that  the  manuscript  originally  consisted  of  two  separate 
volumes,  which  were  bound  together  after  Berkeley's  death,  a  date  which 
is  confirmed  by  the  fact  that  the  volume,  in  its  j^resent  shape,  bears  the 
guilt-lettered  inscription    on    its   back:    'Bishop   Berkeley  MS'.     Of  course, 


16  E  R  D  M  A  N  N  : 

the  truth  flashed  across  my  mind  at  once  that  the  two  parts  were  bound 
together  in  the  wrong  Order!  The  earlier  of  the  two  note-books  which 
now  form  the  contents  of  the  so-called  'Commonplace  Book',  began  with 
the  Statutes  of  January  1 706  [unserer  Zeitrechnung],  which  were  foUowed 
by  the  Queries,  the  Statutes  of  December  i  706,  and  the  whole  series  . . .  printed 
on  pp.  58  —  92  [B  =  A  IV  S.  467 — 501].  I  should  add,  however,  that  I  have 
reason  to  believe  that,  originally,  the  words  'as  they  consider'  on  p.  89 
[B  =  AIV  S.  498]  formed  the  last  entry  in  this  first  volume.  The  following 
pages  pp.  89 — 92  [B  =  A  IV  S.  498 — 501]  seem  to  have  been  written  by 
Berkeley  after  completing  the  second  volume  (represented  by  pp.  7 — 58  [A  IV 
S.  4 1 9  — 468]  in  the  new  edition)  which  is  fiUed  from  the  first  page  to  the  last. « 
Zu  weiterer  Stütze  seiner  Annahme  fügte  Lorenz  hinzu:  »A  comparison  of 
p.  9  [=  AIV  S.  42  i]  and  p.  87  [=  AIV  S.  496/7]  shows  that  several  passages 
occurring  in  these  two  pages  are  almost  identical,  and  this  is  still  more 
striking  in  the  original  manuscript,  as  Professor  Fräser  has  omitted  some 
paragraphs  on  p.  87,  which  are  to  be  found  on  p.  9  as  well.  According 
to  my  theory,  p.  87  Stands  at  the  end  of  the  first  little  manuscript  volume, 
as  Berkeley  wrote  it  originally,  and  p.  9  at  the  beginning  of  the  second. 
From  this  Standpoint,  the  repetition  appears  quite  natural,  whereas  it  is 
almost  impossible  to  think  that  exactly  the  same  train  of  ideas  should 
have  been  jotted  down  by  him  first  at  the  beginning  and  then  again  at 
the  end  of  a  volume,  the  contents  of  which  must  be  supposed  to  have 
covered  a  period  of  years.« 

Die  vorstehende  Beschreibung  des  Manuskripts  ließ  leider  Zweifeln 
und  Bedenken  Raum.  Lorenz  hatte  auch  hier  nur  Fräsers  Ausgabe  B  zur 
Hand.  In  dieser  aber  fehlt,  wie  die  Schlußnotiz  des  Anhangs  A  zeigt, 
nach  dem  von  Lorenz  als  Endwort  der  letzten  Eintragung  im  ersten  Heft 
zitierten  Satz: 

.  .  .  as  to  my  own  particular  (916) 
die  bei  Fräser  AIV  S.  501    stehende  Bemerkung: 

The  Materialists  &  Nihilarians  need  not  be  of  a  party  (917). 
Ebenso  ist   bei  Fräser  B,   vielleicht  weil   er   als   bloße  Wiederholung   an- 
gesehen wurde,  der  kurze  in  A  IV  S.  498  abgedruckte  Satz: 

An  idea  cannot  exist  unperceiv'd  (382) 
nicht  vorhanden.     Auch  Lorenz'  Begründung  seiner  Hypothesen  über  den 
ursprünglichen  Zusammenhang  des  Manuskripts  wirkte  nicht  überzeugend. 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschafllichen  Tagebuchs.        17 

Der  äußere  Grund  dafür,  daß  urspi-ünglich  zwei  Hefte  vorlagen,  die  nacli 
Berkeleys  Tod  versehentlich  in  verkehrter  Reilienfolge  gebunden  waren, 
hätte,  um  zwingend  zu  werden,  genauerer  Ausführung  bedurft  als  durch 
die  oben  angefahrte  Erklärung:  »I  found  .  .  .  beyond  doubt«  gegeben  ist. 
Das  gleiche  gilt  für  die  zweite  Hypothese,  daß  die  Sätze  bei  Fr.  B  S.  89  — 92 
(A  IV  S.  498 — 501)  nach  Abschluß  des  ursprünglich  zweiten  Heftes  von 
Berkeley  in  dem  ursprünglich  ersten  eingetragen  seien.  Lorenz  hatte  damals 
vor,  »eine  zusammenfassende  Darstellung  des  Lebens  und  der  Philosophie« 
Berkeleys  zu  geben  und  das  »Commonplace  Book«  neu  herauszugeben.  (**) 
So  war  seine  Zurückhaltung  begreiflich.  Ebenso  begreiflich  aber,  daß  man 
abwarten  wollte,  bis  das  geplante  Werk  erschienen  war. 

Nicht  ganz  so  verständlich  ist,  daß,  soviel  ich  gesehen  habe,  weder 
bei  uns,  noch  sonstwo  irgend  jemand  die  inneren  Gründe  für  Lorenz' 
Hypothesen,  die  doch  mitentscheidend  sind,  geprüft  hat.  Nicht  einmal 
Lorenz'  Ausstellungen  an  Fräsers  Ausgabe  B  haben  Beachtung  gefunden. 
Mir  hatte  sich  bei  einem  ersten  Durcharbeiten  des  Tagebuchs  Lorenz'  Urteil: 
»Viewed  in  this  order,  the  succession  of  Berkeley's  entries  appears  quite 
natural,  if  one  tries  to  foUow  the  growth  of  his  philosophical  ideas«  fast 
durchweg  bestätigt.  Aber  es  blieben  die  äußeren  Lücken  der  Beweis- 
fuhrung.  Sie  veranlaßten  mich  im  W.  S.  1 9 1  2 ,  Lorenz  brieflich  um  genauere 
Auskunft  zu  bitten.  Sie  wurde  mir  in  einem  Antwortschreiben  vom 
27.  Januar  19 13  bereitwilligst  zuteil.  Danach  sind  »beide  Teile  des  MS. 's 
rechtsseitig  beschrieben.  Aber  der  ursprünglich  erste  war  noch  nicht  völlig 
ausgenutzt,  als  Berkeley  den  zweiten  Teil  zu  benutzen  anfing.  Oder  viel- 
mehr: Berkeley  hatte  jenen  ersten  Band  an  beiden  Enden  zugleich  begonnen. 
An  dem  anderen  Ende  (d.  h.  dem  der  ersten  Seite  des  C.  P.  B.  entgegen- 
gesetzten) steht  nämlich  seine  Abhandlung  über  die  Cave  of  Dunmore'. 
Auf    den    dazwischenliegenden    Blättern    finden     sich    Notizen    zu    seinem 


'  Es  ist  dies  die  oben  (S.  ii)  bereits  erwähnte  undatierte  Beschreibung,  die  Fräser 
zuerst  A  IV  S.  503 f.  (=  B  IV' S.  75f.)  veröffentlicht  hat.  über  eine  zweite,  anscheinend  kor- 
rigierte Version  Berkeleys,  datiert  vom  »January  10.  1705/6-,  also  von  dem  gleichen  Datum, 
das  die  ersten  Statuten  des  C.  P.  B.  zeigen,  hat  Swift  B.  Johnston  aus  den  Molyneux , 
Papers,  von  denen  noch  zu  reden  sein  wird,  in  der  Zeitschrift  Heimathena  Nr.  XXVI, 
1900  berichtet.  Darin  liegt,  vorausgesetzt,  daß  Berkeley  das  Datum  der  ursprünglichen 
Niedei-schrilt  dieser  Version  nachträglich  eingefügt  hat,  eine  Bestätigung  für  <lie  oben- 
stehende Annahme. 

Phil.-hist.  Ahh.   191H.  Nr.  S.  3 


18 


E  R  D  M  A  N  N 


Ludus  algebraicus',  zu  seiner  Abhandlung  De  motu"  usw.  (ohne  wesentliches 
Interesse).  Icli  halte  es  nicht  für  unwahrscheinlich,  daß  Berkeley,  nachdem 
er  seinen  (ursprünglich)  zweiten  Band  V9m  ersten  bis  zum  letzten  Blatte 
rechtsseitig  vollgeschrieben  hatte,  den  ersten  wieder  vornahm  (in  dem  es 
noch  freie  Blätter  gab)  und  die  bei  Fräser  S.  89 — 92'^  gedruckten  Notizen 
niederschrieb  *. « 

Auf  vier  Blättern  fügte  Lorenz  seinem  Brief  eine  anschauliche  Beschrei- 
bung des  MS. 's  bei.  Danach  endet  das  jetzt  erste  Heft  der  offensichtlich 
nach  Berkeleys  Tod  erst  gebundenen  Handschrift  auf  seinem  vorletzten 
Blatt  mit  den  Worten:  »This  a  vain  distinction«  (875;  bei  Fr.  A  IV  S.  467 
=  B  I  S.  58);  das  letzte  Blatt  ebendieses  Heftes  enthält  auf  seiner  ersten 
Seite  die  oben  schon  angeführte,  bei  Fr.  den  eben  zitierten  Worten  un- 
mittelbar folgende  Einträgung  (876):  »August  28"',  1708.  The  adventure 
of  the  [Shirt?]«  und  die  nächstfolgende  (877):  »It  were  to  be  wished  .  .  . 
Clov.  B  7.«  Auf  der  Rückseite  dieses  Blattes,  also  auf  der  letzten  Seite 
des  jetzt  ersten  Heftes,  finden  sich  von  der  Mitte  aus  linksseitig  zwei  breite 
Eindrücke  des  ursprünglichen  Heftes,  die  von  einem  über  die  ganze  Seite 
reichenden  saumförmigen  Eindruck  eingeschlossen  werden.  Auf  der  neben- 
stehenden rechten  Seite,  der  ersten  des  jetzt  zweiten  Heftes,  finden  sich  dagegen 
von  der  Mitte  aus  drei  etwas  längere  und  schmälere  unumrahmte  Eindrücke. 
Nach   Lorenz'  Aufzeichnung: 


Ul 

J 

/ 

Letzte  Seite 
des 

\ 

Erste  Seite 
des 

Uli 

ursprünglich  zweiten 

\ 

ursprünglich  ersten 

Heftes. 

/ 

Heftes. 

\ 

• 

'  Der  Ludus  algebraicus  bildet  einen  Teil  der  als  von  Berkeley  herrührend  geltenden 
Miscellanea  matiiematica  vom  Jahre   1707. 

^    Die  von  Berkeley    172 1    veröffentlichte  Abhandlung. 

'  Also  die  bei  Fr.  B  abgedruckten  Eintragungen,  bei  denen  die  beiden  oben  S.  16 
bereits  erwähnten,  im  Anhang  I  verzeichneten  Sätze  (382)  und  (917)  fehlen. 

■•  Man  beachte  auch  die  oben  gegebene  Mitteilung  von  Lorenz,  daß  das  ursprünglich 
zweite  Heft  des  MS.'s   »is  filled  from  the  first  page  to  the  last.. 


Berkeleys  Philofiophie  im  Lichte  seines  wissenschaftliclien  Tagebuchs.         1 9 

U  I  dokumentiert  sich  als  Anfang  des  ursprünglich  ersten  Heftes  auf  der 
ersten  Rückseite,  also  der  ersten  linken  Seite  durch  Berkeleys  Eintragung  (I), 
welche  die  ersten  Statuten  als  ».  .  .  agreed  .  .  .  Jan.  lo.  A.  D.  1705« 
bezeichnet,  also  das  zweifellose  Anfangsdatum  für  das  Tagebuch  als  einzige 
Bemerkung  trägt.  Auf  der  nebenstehenden  rechten  Seite  des  nächst- 
folgenden Blattes  »beginnen  dementsprechend  die  Statuten  der  ersten 
Society«  (bei  Fr.  A  IV  S.  25).  Nehmen  wir  hinzu,  daß  das  letzte  Blatt  von 
Uli  da.s  Datum  "August  28"",  1708«  zeigt,  so  ergibt  sich,  daß  Lorenz' 
Hypothese  durch  den  Bestand  des  MS. 's  völlig  verifiziert  ist.  Es  ist 
somit  schon  nach  diesen  äußeren  Kriterien  Tatsache,  daß  die 
beiden  Hefte  erst  nachträglich,  vermutlich  nach  Berkeleys  Tod,  in 
verkehrter  Folge  gebunden  wurden,  die  Bemerkungen  beiFr.  AIV 
S.  419  — 468  und  S.  468— 498  {=  Fr.  BIS.  9  —  58  und  58—89)  demnach 
in  verkehrter  Folge  abgedruckt  sind.  Zweifelhaft  bleibt  nur,  wo  tat- 
sächlich und  von  welcher  Hand  geschrieben  sich  im  MS  die  Notiz  findet,  die 
Fräser  A  IV  S.  419  mit  den  Worten:  »On  the  first  page  is  written  'G.  B.  Coli. 
Trin.  Dub.  alum.'  «und  B  I  i  in  der  Wendung:  »On  the  title-page  is  written, 
'G.  B.  Trin.  Dub.  alum.',  with  the  date  1705«  angibt.  Lorenz'  Brief  an  mich 
und  dessen  Einlage  mit  der  Beschreibung  der  MS-Blätter  —  ich  habe  1913 
versäumt,  danach  zu  fragen  —  geben  darüber  keine  Auskunft.  Ich  vermute, 
es  handelt  sich  um  eine  nachträgliche  Einschrift  von  fremder  Hand.  Gleich- 
viel aber  —  das  ändert  an  der  festgestellten  Tatsache  nichts,  so  wenig 
wie  Lorenz'  Schweigen  über  die  beiden  mehrfach  erwähnten  Eintragungen 
Berkeleys  (382   und  917),  die  bei  Fräser  B  fehlen. 

Über  die  zweite  Hypothese  von  Lorenz,  daß  die  Eintragungen  Berkeleys,  die 
bei  Fr.  AIV  S.498  —  501  (=  BI  S.  89 — 92)  gedruckt  sind,  erst  nach  Abschluß 
des  zweiten  Heftes  niedergeschrieben  seien,  obgleich  sie  auf  den  Schlußseiten 
des  ursprünglich  ersten  Heftes  stehen,  läßt  sich  nur  entscheiden,  nachdem 
wir  der  inneren  Konstitution  des  Tagebuchs  sicher  geworden  sind. 

Leider  aber  läßt  sich  auch  dieser  Aufschluß  nicht  ohne  weiteres 
gewinnen.  Die  Mängel  der  beiden  Abdrücke  Fräsers  reichen  über  die  im 
Anhang  A  verzeichneten  Textdifferenzen  beider  Ausgaben  beträchtlich  hin- 
aus, sehr  viel  weiter  noch,  als  die  von  Lorenz  aufgeführten  Verlesungen 
Fräsers  im  Mind  1904  und  im  Archiv  i905(*2)  erkennen  lassen.  Schon 
am  letztgenannten  Ort  hatte  Lorenz  am  Schluß  der  von  ihm  aufgeführten  Ver- 


20  Erdmann: 

lesungen  erwähnt:  »There  are  other  discrepancies  between  Professor  Fraser's 
Version  and  the  original  manuscript;  but  this  may  suffice,  until  a  correct 
edition  of  Berkeley's  note-books  is  published. «  In  dem  bereits  erwähnten 
Brief  an  mich  vom  Januar  191 3  schrieb  Lorenz:  »Ich  schlage  Ihnen  vor, 
mir  das  Exemplar  des  Philosophischen  Seminars  zuzuschicken.  Ich  würde 
es  nach  meinem  eigenen  Handexemplar  korrigieren  und  eine  diesbezüg- 
liche Notiz  mit  meiner  Unterschrift  beifügen.  Ich  sehe  nicht  ein,  warum 
die  korrekte  Form  nicht  allen  zugänglich  sein  sollte:  der  Benutzer  des 
Exemplars  könnte  sich  dann,  wenn  er  will,  auf  mich  beziehen,  gerade  als 
ob  es  sich  um  eine  von  mir  veranstaltete  Ausgabe  handelte.«  Ich  habe 
dieses  von  wissenschaftlichem  Geist  erfüllte  Anerbieten  dankend  angenommen. 
Lorenz  hat  daraufhin  in  unserem  Exemplar  der  Fraserschen  Ausgabe  A 
damals  seine  Korrekturen  sorgsamst  eingetragen.  Sie  sind  so  zahlreich 
und  zum  Teil  so  wesentlich,  daß  ich  sie,  um  Fräsers  Drucke  des  Tagebuchs, 
nach  dem  Vorstehenden,  speziell  den  grundlegenden  Druck  A,  nutzbar  zu 
machen  und  Lorenz'  verdienstvolle  Arbeit  zur  Anerkennung  und  Verbreitung 
zu  bringen,  in  Anhang  II  verzeichnet  habe. 

Das  Verständnis  des  Tagebuchs  fordert  vorweg,  daß  wir  die  Zeit  der 
Eintragungen  Berkeleys  genauer  bestimmen,  als  Fräsers  oben  erwähnte 
schwankende  Berichte  ergeben. 

Der  Anfangstermin  des  Tagebuchs  ist  durch  Berkeleys  Randbemerkung 

zu  den  ersten  Statuten  (Fr.  A  IV  S.  23)  gesichert: 

Mem.    The    follovving  Statutes    were    agreed    to    and   signed  by  a 
Society  consisting  of  eight  persons,  January  10,  A.  D.  1705  (I). 

Es  beginnt  also  nach  unserer  Zeitrechnung  mit  dem  2 1 .  Januar  1 706. 

Weniger  fest  steht  der  Schlußtermin.  Mit  Bestimmtheit  läßt  sich 
gemäß  dem  Datum  auf  dem  letzten  Blatt  des  ursprünglich  zweiten  Heftes 
nur  der  Endtermin  für  die  große  Mehrzahl  der  Eintragungen  feststellen: 
August  28*,   1708.    The  Adventure  of  the  [Shirt?]'   (876). 

Die  Bemerkungen  (878  —916)  des  ersten  Heftes,  die  bei  Fr.  A  IV 
S.  498 — 501  (B  I  S.89  —  92  ;  aber  ohne  Nr.  917)  gedruckt  sind,  scheinen  nach 
Lorenz'    oben    (S.   16)    erwälmter   Vermutung    »to    have    been    written    by 


'  Es  bedarf  deshalb  kaum  des  Hinweises  darauf,  daß  die  Zitate  der  Briefe  von  Locke 
an  seinen  liolländischen  Freund,  den  Remonstranten  Philipp  van  Limborch,  in  Nr.  702  und  736 
ebenfalls  das  Jahr   1 708  voraussetzen,  in  dem  diese  Briefe  zuerst  erschienen  sind. 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschafllichen  Tagebuchs.        21 

Berkeley  after  completing  the  second  volume  .  .  .  which  is  fiUed  from  the 
first  page  to  the  last«  (Arch.  f.  Gesch.  d.  Philos.  XVIII,  1905,  S.  554).  Ich 
kenne  Lorenz'  Gründe  für  diese  Hypothese  nicht.  Aber  sie  scheint  mir 
aus  inneren  Gründen  gesichert.  Die  Eintragungen  878  —  898  geben  eine 
Zusammenstellung  von  sachlichen  und  methodischen  Grundgedanken  der 
Ideenlehre  des  Tagebuchs  in  Form  kurz  formulierter  Thesen',  die  in  der 
Randbemerkung : 

These  arguments  must  be  proposed  sliorter  [d.  i.  weniger  zahlreich?] 
and  more  separate  in  the  Treatise  (878  a) 

direkt  auf  das  »early  17  10«  veröffentlichte  Werk  hinweisen,  während  die 
letzten  Niederschriften  des  zweiten  Heftes  (etwa  834  —  877  bei  Fr.  A  IV 
S.  464  —  468  =  BI  S.  54 —  58)  nichts  von  solchem  Abschluß  verraten.  Selbst 
die  Eintragmigen  (899  —  913),  die  sich  wesentlich  auf  Berkeleys  Ablehnung 
der  Infinitesimallehren  beziehen,  zeigen  diesen  Cliarakter.  Auch  die  Wen- 
dungen in  (911,  912  und  916),  in  denen  Berkeley  als  Irländer  spricht 
(»We  Irishmen«''),  die  drei  weiteren  Bemerkungen  endlich  (914  916), 
gehen  direkt  auf  den  Treatise,  so  zwar,  daß  wir  diesen  kaum  anders  als, 
wenigstens  vielleicht  im  ersten  Entwurf',   nahezu  vollendet  denken  können: 


'  Es  wäre  lehrreich,  diese  21  Bemerkungen  mit  den  elf  vergleichen  zu  können,  von 
denen  K.  Edwards  Beardsley  in  seinem  Life  and  Correspondence  of  Samuel  .Fohnson,  New 
York  1874,  S.  71  aus  einem  Brief  vom  24.  März  1729/30  nur  berichtet:  »He  [Berkeley] 
proceeded  briefiy  to  explain  or  defend  under  eleven  heads  the  philosojihical  ideas  which  he 
had  published.- 

'  Als  Irländer  hat  sich  Berkeley,  der  in  seiner  Jugend  den  .lakobitischen  Aufstand  in 
seiner  Heimat  miterlebt  hatte,  um  diese  Zeit  besonders  stark  gefühlt.  In  einem  Brief  an 
Sir  Percival  vom  Jahre  1709  schrieb  er:  ■!  must  own  this  corner  furnishes  scarce  anything  that 
deserves  to  be  commemorated.  We  Irish  are  a  nation  in  its  nonage,  put  under  the  guar- 
dianship  of  a  people  that  do  evcrythlng  for  us,  and  leave  us  the  liberty  of  transacting 
nothing  material  for  ourselves,  or  having  any  part  in  the  affairs  of  Europe«  (Fr.  D 
S.  16  Anm.)  Man  vergleiche  auch  die  später  unterdrückte  Bemerkung  im  Treatise  §  iio 
über  Newton  als  «philosopher  of  a  neighbouring  nation«.  Über  politische  Differenzen  der 
Studierenden  in  Dublin  um  den  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  vergleiche  das  weiterhin  zitierte 
Book  of  Trinity  College   S.  64  f. 

'  Fräser  berichtet  A  IV  S.  XII,  in  dem  zweiten  Bande  des  Berkeley-Nachlasses,  dessen 
erster  das  Tagebuch  enthält,  finde  sich  ein  undatierter  »draft  of  the  Principles  of  Human 
Knowledge,  from  Sect  85  to  Sect.  145-,  also  die  Erörterung  der  Konsequenzen  seiner  Lehre, 
nach  Erledigung  der  Einwürfe,  bis  nahe  zum  Schluß  des  Werkes,  »nearly  as  in  print« 
(vgl.  Lorenz  im  Archiv  f.  Gesch.  d.  Phil.  XVII,  1904,  S.  159).  Außerdem  enthält  die  Library 
iif  Trinity  College  einen  von  Fra-ser  aufgefundenen,  in  A  I  und  B  III  von  ihm  veröffentlichten 


22  K  K  n  >i  ANN: 

Engagements  toP.  on  account  of  y"'  Treatise  that  grew  up  under 
his  eye,  on  account  also  of  his  approving  my  harangue.  Glorious  for  P. 
to  be  the  protector  of  usef'ull  tho'  newiy  discover'd  truths  (914)- 

How  could  I  venture  thoughts  into  the  world  before  I  knew  they 
would  be  of  use  to  the  world !'  and  how  could  I  know  that  tili  I  had 
try'd  how  they  suited  other  men's  ideas?  (915) 

I  publish  not  this  so  much  for  anything  eise  as  to  know  whether 
other  men  have  the  same  ideas  as  we  Irishmen.  This  is  my  end,  &  not 
to  be  itiform'd  as  to  my  own  particular  (916). 

Für  eine  nahezu  vollendete  Ausarbeitung  spricht  demnach  nicht  nur 
das  »I  publish  not  this  .  .  .«  in  (916),  sondern  auch  das  »Treatise«  in  (914) 
sowie  mittelbar  (915).  Damit  halte  ich  Lorenz'  Hypothese  über  den  späten 
Ursprung  der  Eintragungen  Berkeleys  (878  —  916)  im  ersten  Heft  des  Tage- 
buchs aus  inneren  Gründen  für  gesichert.  Die  Bemerkung  (914)  bietet  uns 
zugleich  eine  Handhabe  für  die  Zeitbestimmung  dieser  abschließenden  Ein- 
tragungen. Die  Reflexionen  (878  —  913)  gehen  nicht  auf  die  New  Theory 
of  Vision,  zu  der  fast  nur,  wie  sich  später  deutlich  ergeben  wird,  das  erste 
Heft  des  Tagebuchs  gehört,  dies  aber  zahlreiche  Eintragungen  enthält.  Da 
überdies  (914)  direkt  den  »Treatise«  nennt,  so  haben  wir  keinen  Grund  zu 
zweifeln,  daß  das  »P«  in  ihm  auf  Lord  Pembroke  geht,  dem  Berkeley 
seinen  Treatise  gewidmet  hat.(*^)  Der  späteste  Termin  für  die  Nieder- 
schriften (878  —  913)  würde  also  die  Zeit  vor  Beginn  der  definitiven  Aus- 
arbeitung des  Treatise  sein;  (914 — 916)  gehören  vielleicht  erst  der  Zeit 
um  den  Abschluß  dieser  Niederschrift  an.  Damit  kämen  Avir  kaum  bis  zur 
zweiten  Hälfte  des  Jahres  1709.  Denn  am  29.  Juli  17  10  schrieb  Berkeley 
an  seinen  Gönner  und  späteren  Freund  Sir  John  Percival,  nachmals  Earl 
of  Egmont,  mit  dem  er  1709  — 1730  in  regem  Briefverkehr  stand, (**)  nach 
der  Mitteilung  Fräsers  aus  diesen,  bisher  nur  auszugsweise  veröffentlichten 
Briefen  »If  when  you  receive  my  book,  you  can  procure  me  the  opinion 
of  some  of  your  acquaintances  ...  I  shall  be  extremely  obliged  to  you.«(*^) 
Der  Treatise  ist  also  damals  allem  Anschein  nach  versandfertig  gewesen. 
Danach  dürfen  wir  das  Ende  1 708  als  wahrscheinlichen  Schlußtermin  für 
die  Eintragungen   des  Tagebuchs   ansehen. 


»rough  draft-  der  Einleitung  zu  den  Principles,  der  nach  Lorenz  im  November  und 
Dezember  1708  »in  small  but  pretty  regulär  daily  portions«  geschrieben  ist  (Mind  1902, 
S.  252).  Es  ist  also  sicher,  daß  ein  Teil  des  Werkes,  und  möglich,  daß  es  ganz  in  einem 
ersten   Entwurf  niedergeschrieben   war. 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tagebuchs.        23 

An  diesen  Daten  ändern  die  Randbemerkungen  Berkeleys  nichts.  Sie 
scheinen  sämtlich,  auch  die  korrigierenden,  wie  sich  noch  zeigen  wird,  vor 
Beginn  der  Treatise-Reinschrift  nachgetragen  zu  sein.  Zudem  hatte  Berkeley 
kaum  Anlaß,  nach  seinen  weiterhin  noch  zu  besprechenden  Urteilen  über 
den  Treatise  schwerlich  auch  ein  Bedürfnis,  später  noch  auf  das  MS. 
zurückzugehen. 

Wir  dürfen  also  abschließend  feststellen:  Berkeley  hat  das  erste 
Heft  des  Tagebuchs  sicher  Anfang  1706  begonnen  und  das  zweite 
wahrscheinlich  imAugust  i  708  abgeschlossen.  Selbst  die  anscheinend 
nachträglichen  Eintragungen  878  —  916  im  ersten  Heft  reichen  schwerlich 
über  den   Anfang  1 709  hinaus. 

Auch  innerhalb  dieses  dreijäiirigen  Zeitraumes  haben  wir  Anlaß,  für 
die  innere  Analyse  wesentliche  zeitliche  Gliederungen  anzunehmen. 

Als  Berkeley  im  Januar  1706  sein  Tagebuch  mit  der  Bemerkung  (I; 
Fr.  A  IV  23)  zu  den  ersten,  von  fremder  Hand  geschriebenen  ausführlichen 
Statuten  anfing,  reichte  seine  philosophische  Bildung,  wenn  wir  voraus- 
setzen, (laß  die  zumeist  vielfach  direkt  auf  Lockes  Essay  bezogenen  Ein- 
tragungen Nr.  II — XXIII  (Fr.  A.IV  S.  25 — 26)  nicht  nur  von  Berkeley  ge- 
schrieben, sondern  auch  selbständig  formuliert  sind,  noch  nicht  tief.  Sie 
machen  durchweg  den  Eindruck  des  Anfängerdenkens.  So  auch  die  wenigen, 
in  denen  vielleicht  das  Ltcht  der  künftigen  Lehre  aufzudämmern  beginnt: 

Whether  solids  seen  b.  2.  c.  9.  s.  9  (IV) 
Power  is  not  peiceived  by  sense.    (XX). 

Anscheinend  waren  sie  alle  zweiuiidzwanzig  für  die  Besprechungen  der 
»Society«  bestimmt,  deren  jugendlich  spezialisierte  Statuten,  von  Berkeley 
in  Nr.  I  als  »agreed  to  and  signed-  bezeichnet,  voranstehen.  Über  den 
Charakter  dieses  Vereins  sagen  die  Statuten  direkt  nur,  daß  es  sich  um 
wöchentliche  Versammlungen  von  acht  Mitgliedern  zum  Zweck  mündlicher 
Verhandlungen  über  vorherbestimmte  Gegenstände,  also  um  einen  Debattier- 
klub handelte.  Vorgesehen  war  auch  ein  »Keeper  of  the  Rarities«,  der 
in  der  Regel  vor  den  Wochensitzungen  »should  attend  at  the  Museum«. (**) 
Wer  die  sieben  anderen  Mitglieder  waren,  wissen  wir  nicht.  Jedenfalls 
wohl  war  Berkeley,  wenn  nicht  der  Gründer,  so  doch  das  geistige  Haupt 
des  Vereins.  Gar  nichts  erfahren  wir  von  dessen  Schicksal.  Aus  den 
zweiten  Statuten  vom  Ende  des  Jahres  1 706,  die  den  XXII  von  Berkeley 
geschriebenen  Fragen  und  Thesen   unmittelbai-  folgen,  gfht  hervor,   daß  der 


24  E 


R  D  M  A  N  N 


Verein  in  seiner  ursprünglichen  Art  dieses  ?2nde  nicht  überdauert  hat. 
Möglich,  daß  er  das  Jahr  1706  hindurch  bestanden  hat.  Möglich  ferner, 
daß  die  Besprechungen  durch  die  XXII  Fragen  und  Thesen  ausgefüllt  waren. 
Möglich  aber  auch,  und  nicht  eben  unwahrscheinlich,  daß  Berkeley  jene 
Eintragungen  Anfang  1 706  programmatisch  niedergeschrieben  hat,  ohne 
daß  die  Vereinigung,  deren  Majorität  in  jeder  Sitzung  das  Thema  für  die 
nächstfolgende  bestimmen  sollte,  .sich  an  diese  Sätze  gebunden  hielt. 
Möglich  endlich  nicht  weniger,  daß  einerseits  die  Strenge  und  Peinlichkeit 
der  ersten  Statuten,  andrerseits  die  den  Mitgliedern  gewährte  Freiheit, 
daß  »when  the  subject  of  the  Conference  lias  been  sufficiently  discussed 
the  members  may  propose  to  the  Assenibly  their  inventions,  new  thoughts, 
or  observations  in  any  of  the  sciences«  —  möglich  endlich,  daß  diese 
Antinomie  dem  Verein,  wie  ungezählten  anderen  solchen  jugendlichen  Ver- 
anstaltungen, ein  frühzeitiges  Ende  bereitet  hat. 

Noch  weniger  sind  wir  über  die  zweite  Vereinigung,  vom  Dezember  1 706, 
orientiert,  von  deren  wenigen  Statutenparagraphen  oben  schon  die  Rede 
war.  Auch  diese  (nach  Lorenz)  gleichfalls  von  fremder  Hand  geschriebenen 
Statuten  sind  als  »Agreed«  bezeichnet.  Aber  es  fehlen  auch  hier  die 
Namen  der  als  » underwritten «  bezeichneten  Mitglieder,  ebenso  Angaben 
über  deren  Zahl.  Nur  die  Aufgabe  ihrer  wöchentlichen  Donnerstags- 
sitzungen wird  bestimmt:  »To  discourse  on  some  part  of  the  New  Philo- 
sophy«.  Was  mit  dieser  gemeint  ist,  wird  nicht  gesagt.  Möglich,  daß 
wir  der  Kürze  dieser  Bestimmungen  einen  Hinweis  auf  die  gefährliche 
Umständlichkeit  der  ersten  Statuten  entnehmen  dürfen.  Nichts  verlautet 
ferner  über  das  Schicksal  dieses  zweiten  Vereins.  Wir  wissen  nicht  einmal, 
ob  er  wirklich  zustande  gekommen  ist.  Und  selbst  wenn  wir  dies  an- 
nehmen, ergeben  die  mir  bekannten  Nachrichten  nicht  das  geringste 
darüber,  ob  er  in  irgendeinem  Zusammenhang  mit  der  Ende  1 707  gegründeten 
Dublin  Philosophical  Society  stand,  mit  der  die  von  William  Molyneux, 
dem  Freunde  Lockes,  1683  gegründete  Dublin  Society  erneuert  wurde, 
nachdem  deren  erste  beide  Entwicklungsphasen  mit  dem  Tode  ihres  hoch- 
verdienten Gründers  und  Sekretärs  ihr  Ende  gefunden  hatten.  (*^)  Schon 
weil  W.  Molyneux'  Sohn  Samuel,  damals  i  Sjährig,  undergraduate  im  Trinity 
College,  (1^)  dem  Berkeley  seine  Miscellanea  mathematica  ( i  707)  gewidmet 
hat,  das  Amt  seines  Vaters  in  dieser  Gesellschaft  erhielt,  ist  es  nicht 
unwahrscheinlich,   daß  Berkeley  von  Anfang  an  Mitglied  auch  dieser  Gesell- 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tagebuchs.        25 

Schaft  war,  des  Vorläufers  der  gegenwärtigen  Royal  Dublin  Society  und  der 
Royal  Irish  Academy.  Dafür  spricht  zudem,  daß  das  vom  lo.  Januar  1705/6 
datierte  Exemplar  von  Berkeleys  Beschreibung  der  Höhle  von  Dunmore 
(s.  oben  S.  17,  Anm.)  sich,  ebenso  wie  der  offenbar  jugendliche  Essay 
»Of  infinities«  nach  Johnstons  Bericht  unter  den  »Molyneux  Papers«  der 
Gesellschaft  mit  dem  »endorsement«,  anscheinend  Sam.  Molyneux',  unter 
den  in  der  Gesellschaft  gelesenen  Abhandlungen  findet.  Das  Datum  beider 
Mitteilungen  läßt  sich  allerdings  nicht  mehr  sicher  bestimmen  (vgl.  weiterhin 
S.  26f.);  nur  der  Endtermin,  i  709,  steht  mit  dem  Fortgang  S.  Molyneux'  von 
Dublin  fest,  sowie  Berkeleys  Mitgliedschaft  um    1710. 

Gar  kein  Schluß  aber  ist  von  dem  allen  auf  das  Verhältnis  des  oben 
besprochenen  zweiten  Trinity- College -Vereins  zu  der  Dublin  Philosophical 
Society  zu  ziehen,  auch  nicht  daraus,  daß  das  von  Johnston  aufgefundene 
Exemplar  der  Beschreibung  der  Höhle  von  Dunmore  das  Datum  des  Gründungs- 
tages der  ersten  Gesellschaft  trägt  (vgl.  oben  S.  17). 

Es  war  notwendig,  auf  diese  Schranken  unseres  Wissens  hinzuweisen. 
Denn  um  die  drei  Gesellschaften  und  die  Beziehung  von  Berkeleys  Tage- 
buch zu  den  beiden  ersten  hat  sich  neuerdings  ein  seltsamer  Legendenkreis 
gewoben,  der  zerstört  werden  muß,  ehe  die  Zeit  und  der  Charakter  der  Ein- 
tragungen Berkeleys  spezieller  festgelegt  werden  können.  Fräser  hat  das 
Gespinst  mit  einem  Durcheinanderwirren  (AIV  27)  begonnen.  Er  berichtet 
über  die  Statuten  der  zweiten  Gesellschaft:  »The  'underwritten"  names 
unfortunately  are  not  given.  We  are  left  in  the  dark  about  Berkeley's 
associates  at  these  Thursday  evening  meetings,  for  the  discussion  of  the 
'New  Philosophy" ;  and  also  very  much  as  to  the  questions  they  discussed, 
and  the  conclusions  (if  any)  which  they  reached.«  Wenngleich  er  bei  Abdruck 
der  zweiten  Statuten  (A  IV  26)  dahingestellt  sein  läßt,  ob  es  sich  in  ihnen 
um  dieselbe  Gesellschaft  wie  die  erste  oder  eine  ähnliche  handelte,  fahrt 
er  unbedenklich  fort:  »The  office  of  'Keeper  of  the  Rarities«,  von 
dem  nur  die  ersten  Statuten  reden,  »probably  implies  that  Observation 
and  experiment  were  as  much  in  vogue  among  them  as  the  mathematical 
and  mefatphysical  speculations  of  the  hitherto  unpublished  Commonplace 
Book  in  which  the  memorials  of  this  Society  appear. «  Er  nimmt  also 
beide  Gesellschaften  als  eine,  überträgt  die  Statuten  der  ersten  hinsicht- 
lich der  »rarities«  auf  die  zweite,  deutet  das  in  seinen  Statuten  erwähnte 
Museum  al.s  eine  vorhandene  oder  geplante  selbständige  Sammlung  [vgl. 
Phil.-hi»t.  AbL  1919.  Nr.S.  4 


26  E RDM  ANN: 

Anna.  (*^)]  und  schließt  daraus  auf  eine  Beschäftigung  mit  »Observation 
and  experiment«  im  Sinne  der  naturwissenschaftlichen  Interessen  der  Zeit. 
Er  läßt  ferner  die  »New  Philosophy«  der  zweiten  Statuten  auf  diese  Inter- 
essen mithinweisen  und  bezieht  die  Eintragungen  des  Commonplace  Book 
auf  die  »memorials«  dieser  zweiten,  die  erste  einschließenden  Gesellschaft. 
Daran  knüpft  er  die  Zeitbestimmung:  »The  other  contents  ofthat  Book«, 
d.i.  die  bei  Fräser  A  an  anderer  Stelle  (AIV4i9f.)  abgedruckten,  .  .  . 
»may  perhaps  exemplify  some  of  the  questions  which  engaged  these  Tri- 
nity  College  inquirers  in  the  two  years  before  he  [Berkeley]  obtained  his 
Fellowship«,  d.  i.,  da  Berkeley  am  9.  Juni  1707  Fellow  wurde,  von  Mitte 
1705  (1)  bis  Mitte  1707.  (*^)  Johnston  hat  dieses  Geflecht  in  dem  mehr- 
fach genannten  Aufsatz  der  Hermathena  weitergesponnen.  Er  erklärt  nach 
einem  kurzen  Hinweis  auf  die  Geschichte  der  Dublin  Society  (**)  und  die 
obengenannten  Berkeley-Manuskripte  in  den  »Molyneux  Papers«,  indem 
er  sich  auf  Fräsers  Angaben  über  die  beiden  ersten  Gesellschaften  beruft, 
die  zweite  Trinity  College -Vereinigung  für  ein  »enlargement  of  the  first« 
und  faßt  wie  folgt  zusammen :  » So  the  history  of  these  gatherings  nins 
somewhat  as  foUows: — In  January  1705/6,  a  small  coterie  of  College 
men  arranged  meetings  for  discussing  subjects  of  common  interest.  A 
successful  Session«  —  wir  haben  eher,  wie  wir  sahen,  Grund,  an  einen 
mangelhaften  Verlauf  zu  denken  — -  »caused  them  to  widen  their  lines  for 
the  foUowing  year«  —  wir  wissen  davon  nichts,  auch  nichts  darüber,  ob 
die  Mitglieder  des  zweiten  Vereins  ganz  oder  teilweise  dieselben  waren 
wie  die  des  ersten  — ,  »and  finally,  at  the  end  of  1707,  to  attempt  the 
much  more  ambitious  task  of  reviving  the  Dublin  Society. «  Ich  sehe  auch 
dafür  keine  Anhaltspunkte.  Denn  die  Umstände,  daß  Samuel  Molyneux 
dem  vier  Jahre  älteren  Berkeley  nahestand  und  die  Molyneux  Papers  die 
von  Samuel  Molyneux  signierten  obengenannten  beiden  Manuskripte  ent- 
halten, sind  natürlich  nicht  geeignet,  diese  Konsequenz  zu  tragen.  Aber 
Johnston  fährt  fort:  »Berkeley 's  'Description  of  the  Dunmore  Cave«  —  ich 
nehme  an,  die  von  Fräser  veröffentlichte  Version  —  »may  have  been  the 
inaugural  essay  of  the  first  stage,  while  certain  corrections  and  additions 
that  are  in  the  copy  seem  to  be  a  retouching  for  a  subsequent  reading 
at  the  more  public  meetings  of  the  1707  revival. «  Möglich  ist  dies  beides, 
wahrscheinlich  aber  nur  das  zweite.  Denn  für  das  erste  wäre  nur  die 
Übereinstimmung  des  Datums  in  der  späteren  Version  mit  dem  Gründungs- 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tagelmchs.        27 

datum  der  ersten  Gesellschaft  anzuführen,  die  natürlich  nichts  beweist.  Bei 
dem  Abdruck  der  auf  die  zweiten  Statuten  folgenden  Tagebucheintragungen 
in  der  späteren  Ausgabe  (B  I  7  f.)  —  die  beiden  Statuten  und  die  zwischen- 
stehenden XXII  Fragen  und  Thesen  Berkeleys  fehlen  dort,  wie  oben  erwähnt  — 
ist  Fräser  auf  die  Stellung  des  Commonplace  Book  zu  den  beiden  ersten 
Gesellschaften  nicht  zurückgekommen.  Erst  im  Appendix  von  B  III,  beim 
Abdruck  der  von  Johnston  aufgefundenen  Erörterung  » Of  infinites « ,  erklärt 
er  (B  m  S.  409),  indem  er  sich  auf  deren  Abdruck  durch  Johnston  in  der 
Hermathena  beruft:  »Now  in  the  Life  and  Letters  of  Berkeley  (A  IV  p.  23) 
I  have  mentioned  that  in  1 705-6  he  was  engaged  with  some  of  his  College 
friends  in  forming  a  Society  for  promoting  research  in  the  spirit,  and 
according  to  the  experimental  methods,  of  the  'New  Philosophy'  of  Boyle, 
Newton  and  Locke.  The  first  meeting  seems  to  have  been  held  on  January  10, 
1 706,  the  date  of  the  paper  on  the  Dimmore  Cave.  Accordingly,  this  paper 
may  have  been  a  contribution  by  Berkeley  at  the  inaugural  meeting  of 
this  Society,  which  was  probably  the  precursor  of  the  revived  Dublin 
Society  of  1707.«  Er  bleibt  also  dabei,  die  beiden  ersten  Vereine  als 
einen  und  denselben  zu  behandeln,  folgt  mit  einigem  Vorbehalt  der  Annahme 
Johnstons  über  den  Ursprung  der  Dublin  Philosophical  Society  aus  dem 
zweiten  Verein,  glaubt  das  Datum  der  ersten  Statuten  als  das  der  ersten 
Sitzung  mit  einem  Vortrage  Berkeleys  über  die  Höhle  von  Dunmore  an- 
sehen zu  dürfen  und  bestimmt  die  New  Philosophy  der  zweiten  Statuten 
nach  Geist  und  Methode  als  den  InbegriflF  der  neuen  Naturwissenschaft 
und  Philosophie.  Er  nimmt  diese  Deutung  offenbar  deshalb  an,  weil  auch 
in  den  späteren  Eintragungen  Berkeleys  Beziehungen  auf  Lockes  Lehren 
häufig  auftreten  und  durch  ebenfalls  häufige  auf  Newton  ergänzt  werden; 
Boyles  Namen  hat  er  anscheinend  in  die  wenigen  Wendungen  des  Tage- 
buchs gegen  die  Korpuskulai-philosophie  hineingelesen.  P*) 

Nach  dieser  leider  unvermeidlich  gewordenen  Kritik  können  wir  den 
Charakter  und  den  Entwicklungszusammenhang  derjenigen  Eintragungen 
Berkeleys  in  sein  wissenschaftliches  Tagebuch  bestimmen,  die  sich  den 
zweiten  Statuten  unmittelbar  anschließen,  und  zwar  auf  Grund  der  Reihen- 
folge, die  sich  uns  aus  der  Bestätigung  der  Annahmen  von  Lorenz  ergeben 
hat.  Es  handelt  sich  also,  da  wir  die  Bemerkungen  (878—916)  bereits 
als  Schlußbemerkungen  anzunehmen  hatten  (S.  2if'.),    um    die  Einschriften 

4* 


28  V,  R  I)  M  A  N  N  : 

(i  —  877)   in   die  beiden   ursprünglichen   Hefte,  die  Fräsers  beide  Ausgaben 
in  verkehrter  Folge  enthalten,  d.  i.  um 

Nr.  1  —  382  bei  Fr.  A  IV  S.  468—498  =  B  I  S.  58—89 
Nr.383— 877  bei  Fr.  A  IV  S.  419-468  =  B  I  S.  7—58 
Auffallend  ist  von  vornherein  ein  Zug,  der  sich  als  allen  diesen  Ein- 
tragungen bis  hin  zu  den  letzten  (878 — 917)  gemeinsam  erweist,  so  daß 
er  aus  jedem  Zitat,  das  hier  weiterhin  notwendig  wird,  in  die  Augen 
springt.  Sie  verraten  von  Anfang  an,  im  Gegensatz  zu  den  Fragen  und 
Thesen  II — XXIII,  nichts  von  Formulierungen,  die  zu  Leitsätzen  für  eine 
Diskussion  mit  Anderen  bestimmt  wären.  Sie  machen  vielmehr  durchweg 
den  Eindruck  von  Aufzeichnungen,  die  lediglich  zum  eigenen  Gebrauch 
gemacht  sind,  von  Niederschriften,  in  denen  teils  in  zusammengehörigen 
Gruppen,  teils  in  buntem  Wechsel  gestaltende  Gedanken,  gelegentlich  mit 
Einschränkungen  und  Bedenken,  Fragen  und  Erinnerungsnotizen,  manchmal 
wiederholt,  meist  jedoch  unmittelbar  nach  dem  Status  nascendi  formuliert 
werden.  Zumeist  deutlich  so,  wie  sie  bei  immer  fester  werdender  Konzen- 
tration sich  von  verschiedenen  Seiten  aus  ergeben.  Im  ganzen  genommen 
sind  es  Zeugnisse  einer  deduktiv,  von  frOhgewonnenen  Leitideen  aus  fort- 
schreitenden Entwicklung,  die  sich  allmählich  zu  dem  Plan  eines  »Treatise« 
verdichten.  Es  liegt  somit  gar  kein  innerer  Anhalt  vor,  der  uns  das 
Recht  gäbe,  irgendwelche  dieser  Eintragungen  (i — 917)  als  Thesen  für 
die  Diskussionen  des  zweiten,  Ende  i  706  anscheinend  gegründeten  Vereins 
zu  denken,  geschweige,  daß  sie  irgendwie  zu  der  Dublin  Philosophical 
Society  in  Beziehung  gebracht  werden  könnten.  Ebensowenig  entsprechen 
sie,  am  wenigsten,  wie  sich  zeigen  wird,  gerade  zu  Beginn,  der  nächst- 
liegenden Annahme,  daß  die  »New  Philosophy«  der  zweiten  Statuten  auf 
Berkeleys  eigene  Lehre  gehen  könnte.  Wird  jener  Tagebuchcharakter  der 
Einzeichnungen  i — 917  vorweg  als  gesichert  angenommen,  so  ist  zu  sagen, 
daß  das  im  engeren  Sinne  von  Fräser  sogenannte  Commonplace  Book, 
das  er  in  seiner  Ausgabe  B  allein  wieder  abgedruckt  hat,  mit  dem  zweiten 
Verein  nichts  zu  tun  hat.  Es  ist  vielmehr  Berkeleys  wissenschaft- 
liches Tagebuch  aus  der  Zeit  von  Ende  1706  oder  Anfang  1707 
bis  gegen  Ende  1708.  Man  wird  sich  demgegenüber  nicht  auf  die 
Bemerkung  Berkeleys  in  einem  Brief  an  Sir  John  Percival  vom  (6?)  Sep- 
tember 17  10  berufen  wollen,  daß  er  den  Grundgedanken  seiner  Lehre, 
nachdem  er  ihn  gefunden,    »since  carefully  examined«   habe,    »both  by  my 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tagebuchs.        "29 

own  judgment  and  that  of  ingenious  friends « . (^)  Eine  Anspielung  auf 
den  zweiten  oder  irgendeinen  Verein  läßt  sich  zur  Not  in  diese  Reflexionen 
hinein-,  sicher  aber  nicht  aus  ihnen  herauslesen;  auch  nicht  daraus,  daß 
gelegentlich  vielleicht  wissenschaftlicher  Gespräche  mit  einzelnen  Freunden 
gedacht  wird  (558;  vgl.  140,  155,  162). 

Gleichviel  zudem,  wie  es  sich  mit  dem  zweiten  Verein  verhalten  hat: 
der  Bestand  gerade  der  ersten  Eintragungen  in  das  Tagebuch  nach  den 
Dezemberstatuten  von  1706  widerspricht  jedem  Gedanken  an  eine  Über- 
mittlung von  Berkeleys  eigener  Lehre  für  Diskussionszwecke.  Die  ersten 
zwölf  dieser  Thesen  enthalten  gar  keine  Beziehung  auf  seinen  neuen  Stand- 
punkt, sondern  geben  von  ihm  zumeist  weitabhegende  Reflexionen  über 
die  Zeitvorstellung.  Glücklicherweise  fallt  auf  sie  von  einer  ganz  anderen 
Seite  her  Licht,  von  einem  Brief  des  Philosophen  her,  »written  after  Berkeley 
was  well  settled  in  his  own  house « (23)  in  Rhode  Island,  also  um  das 
Ende  1729,  an  den  dort  gewonnenen  Freund  und  Anhänger  Samuel  Johnson, 
den  späteren  ersten  Präsidenten  von  King's  College,  New  York,  einen  der 
Begründer  der  Philosophie  in  den  Vereinigten  Staaten.  Es  ist  lehrreich, 
jene  ersten  Thesen  des  Tagebuchs  mit  dieser  späteren,  natürlich  durch  die 
zwischenliegende  Entwicklung  gefiirbten  Erinnerung  zu  vergleichen: 


Aus  Tagebuch  Thesen  i  — 12: 

The  same  TÖ  nyn  not  common  to  all  intelli- 

gences  [13  c.  Matth.  v.  22  &  30;'].  (9.8a) 

Whether  succession    of  ideas    in   the  Divine 

intellect?(3) 

Time,  train  of  ideas  succeeding  each  oiher.  (4) 

Succession  explain'd  by  before,  between,  after, 

&•  numbering.  (6) 

Time  thought  infmitely  divisible   on  account 

of  its  mea.sure.(io) 

Revolutions  inmediately  measure  train  of  ideas, 

mediately  duration.  ( i  2) 


One  eternity  greater  than  anothei-  of  the  same 

kind.(i) 

In  what  Sense  eternity  may  be  limited.  (2) 


Brief  Berkeleys  bei  Beardsley : 

"By  the  tö  nyn  (24)  I  suppose  that  all  thiags, 
past  and  to  come,  are  actually  present  to  the 
mind  of  God,  and  that  there  is  in  Him  no 
change,  Variation,  or  succession.  A  succession 
of  ideas  I  fake  to  constitute  Time, 


and    not  to    be   only   the    sensible    measure 
thereof,  as  Mr.  Locke  and  others  think. 


But  in  these  matters  every  man  is  to  think 
for  himself,  and  speak  as  he  finds.  One  of 
myear liest  inquiries  was  aboutTime, 
which  led  me  into  several  paradoxes,  that  I 
did  not  think  fit  or  necessary  to  publish; 
particularly  the  notion  that  the  Resurrection 
follows  the  next  moment  to  death.  We  are  con- 
founded  and  perplexed  aboutTime, — (i)Sup- 


30  K  R  D  M  A  N  N  : 

posing  a  succession  ia  God;  (2)  Conceiving 

that    we    have    an    abstract    idea    of   Time: 

I  '  (3)  Supposing  that  the  Time  in  one  mind  is 

to  be  measured  by  the  succession  of  ideas  in 
another :  (4)  Not  considering  the  true  use  and 
end  of  woi'ds,  which  as  often  terminate  in 
the  will  as  the  understanding,  being  employed 
rather  to  exciie,  influence,  and  direct  action 
than  to  produce  clear  and  distinct  ideas. •  (25) 

Diese  Zusammenstellung  läßt  keinen  Zweifel,  daß  die  ersten  Ein- 
tragungen des  wissenschaftlichen  Tagebuchs,  die  nach  den  zweiten  Statuten 
stehen,  Formulierungen  einer  der  »earliest  inquiries«  von  Berkeley  abgeben. 
Ihr  spätestes  Datum  ist  also  der  Anfang  des  Jahres    1707. 

Auf  die  gleiche  Zeit  werden  wir  durch  andere  Betrachtungen  geföhrt. 
Während  die  zwischen  den  Statuten  vom  Anfang  und  Ende  i  706  stehenden 
Thesen,  wie  wir  sahen  (S.  23),  kaum  eine  Vordeutung  der  späteren  Lehren 
des  Philosophen  enthalten,  folgen  hier  nach  einer  schon  deutlich  an  sie 
anklingenden  Reflexion: 

Duration  not  distinguish'd  from  existence  (5), 
der  vielleicht  auch  die  beiden  oben  schon  zitierten  (4  und  6)  zuzurechnen 
sind,  Sätze,  die  bereits  alle  Grundgedanken  der  späteren  Lehre  enthalten.    So : 

Time  a  Sensation,  therefore  only  in  y<^  mind.  (13) 

Extension  a  Sensation,  therefore  not  without  the  mind.  (18) 

In  the  immaterial  hypothesis,  the  wall  is  white,  fire  bot,  &c.  (19) 

Primary  ideas  prov'd  not  to  exist  in  matter,  after  the  same  manner 

y'  secondary  ones  are  prov'd  not  to  exist  therein.(2o) 

World  w*out  thought  is  nee  quid,  nee  quanttim,  nee  quaU,  &c.  (22) 
'Tis  wondrous  to  contemplate  y«  World  empty'd  of  intelligences.(23) 
Nothing  properly  but  Persons,  i.  e.  conscious  things,  ^io  exist.    All 

other  things  are  not  so   much   existences   as   manners   of  y'  existence   of 

persons.  (24) 

Infinite  divisibility  of  extension  does  suppose  the  external  existence 

of  extension;  but  the  later  is  false,  ergo  y«  former  also. (26) 

Qu.  Blind  man  made  to  see,  would  he  know  motion  at  i**  sight?(27) 
Motion,  figure,  and  extension  perceivable  by  sight  are  different  from 

those  ideas  perceived  by  touch  w"*»  goe  by  the  same  name.(28) 

Diagonal  incommensurable  w*''  y'  side.    Quaere  how  this  can  be  in 

my  doctrinei'(29) 

Qu.  how  to  reconcile  Newton 's  2  sorfs  of  motion  with  my  doctrine  ?  (30) 

Die  Eintragungen  Nr.  i  f  haben  demnach  von  Anfang  an  einen  völlig 
anderen  Charakter  als  die  früheren  (II — XXIU).     Sie  setzen  die  Konzeption 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tagebuchs.        81 

der  Grundgedanken  von  Berkeleys  Immaterialismus  von  Nr.  1 3  an  deutlich 
voraus.  Es  sind  Niederschriften,  die  anscheinend  unmittelbar  nach  der 
Zeit  einsetzen,  in  der  diese  Ideen  greifbare  Gestalt  gewonnen  haben.  Nun 
hat  Berkeley  in  der  Vorrede  zu  seinem  Treatise  von  17  10  erklärt:  »What 
I  here  make  public  has,  after  a  long  and  scrupulous  inquiry,  seemed  to 
me  evidently  true«,  und  diese  Erklärung  aus  seiner  Feder  ist  sicher  ernst 
zu  nehmen.  Sie  wird  bestimmter  durch  eine  Bemerkung  in  dem  oben 
(S.  28)  schon  erwähnten  Brief  des  Philosophen  an  Sir  John  Percival  vom  Sep- 
tember 1710.  Er  schreibt  dort  von  seinem  »belief  in  the  non-existence 
of  unperceived  and  unperceiving  Matter,  which  1  have  held  for  some 
years,  the  conceit  being  at  first  warm  in  my  imagination,  biit  since  care- 
fuUy  examined,  both«,  wie  oben  zitiert,  ».  .  .  friends«.  Diese  sorgsame  Prü- 
fung ist  es,  deren  Spuren  uns  in  den  Tagebucheintragungen  Nr.  i  f.  erhalten 
sind.  Auch  hiemach  dürfen  wir  ihren  Beginn  nicht  später  als  in  den 
Anfang  1 707  setzen.  Dann  fallt  die  Konzeption  der  Lehre,  wie  sie  anfangs 
lebendig  in  ihm  auftauchte,  vor  diese  Zeit.  Aber  schwerlich  lange  vorher. 
Noch  war  sie  ihm  ja  nicht  evident  sicher,  sondern  nur  eine  Hypothese; 
sie  erlangt  ihre  Gewißheit  erst  im  Lauf  der  Prüfung,  deren  Formulierun- 
gen wir  im  Tagebuch  vor  uns  haben.  Auch  der  Umstand,  daß  hiernach 
die  erste,  vielleicht  schon  von  Nr.  i,  jedenfalls  von  Nr.  19  an  gesicherte 
Konzeption  der  Grundgedanken  von  Berkeleys  Lehre  vor  diese  Eintragungen 
zu  setzen  ist,  läßt  allen  den  oben  (S.  24)  skizzierten  Vermutungen  über 
das  Schicksal  der  beiden  Vereine  Ramn.  Es  lohnt  indessen  nicht,  auf  sie 
zurückzukommen.  Außerdem  haben  alle  diese  Zeitbestimmungen  doch  nur 
Wert,  sofern  sie  unentbehrliche  äußere  Daten  für  die  Einsicht  in  den 
inneren  Zusammenhang  der  Tagebucheintragungen  Berkeleys,  und  damit 
in  die  Entwicklung  seiner  Lehrmeinungen  liefern. 

Solche  Einsicht  läßt  sich  nunmehr  gewinnen. 

Ohne  weiteres  ist  klar,  daß  wir  die  Grundlagen  fiir  die  Philosophie 
Berkeleys  in  seiner  Individualität  zu  suchen  haben.  Zwei  Momente  lassen 
sich  hier  unterscheiden. 

Das  erste,  vielfaltig  bezeugte,  ist  durch  Berkeleys  ungewöhnliche 
geistige  Frühreife  gegeben.  Sie  ließ  ihn  von  Jugend  auf  eigene  Wege 
suchen.  Stille  eigene  Wege,  denn  der  laute  Widerspruchsgeist,  den  solche 
Selbständigkeit  zumeist   im  Gefolge    hat,    ist   anscheinend  von  Jugend  auf 


32  Eedmann: 

durch  Berkeleys  friedfertiges  Temperament  in  Schranken  gehalten  worden, 

das   alle   seine   näheren   Bekannten    an   ihm   in    wärmsten   Tönen   rühmen. 

In  diesem  Sinne  haben  wir  das  Tagebuchbekenntnis  zu  verstehen: 

Mem.  That  I  was  dist'rustful  at  8  years  old,  and  consequently  by 
nature  disposed  for  these  new  doctrines.  (267) 

Bestimmter  gefärbt  ist  eine  andere  Äußerung  von  ihm,  die  Fräser  aus 
dem  zweiten  Band  des  Berkeley-Nachlasses    dem  Tagebuch    angefiigt  hat: 
From  my  childhood  I  had  an  unaccountable  turn  of  thought  that  way.  (d) 
Wir  verstehen,  was  hiermit  gemeint  ist,    wenn  wir   uns  die  leitende 
Idee  seiner  Philosophie  gegenwärtig  halten.    Er  selbst  hat  den  Schwerpunkt 
seiner  philosophischen  Überzeugungen  von  Anfang  an  zutreffend  in  seinem 
Immaterialismus   gefunden.     Eine    »immaterial   hypothesis«   nennt  eine 
der  ersten  Eintragungen  (19),  wie  wir  gesehen  haben,  seine  Lehre.     Eine 
der  letzten,  niedergeschrieben,  nachdem  er  der  Beweiskraft  seiner  Methode 
völlig  sicher  geworden  war,  formuliert  die  Idee  in  demselben  Sinne: 
»N.B.    Other  arguments  innumerable,   both  a  priori  &  a  posteriim, 
drawn   from   all   the  sciences,   from   the   clearest,   plainest,   most  obvious 
truths,  whereby  to  demonstrate  the  Principle,  i.  e.  that  neither  our  ideas, 
nor  anything  like  our  ideas,  can  possibly  be  in  an  unperceiving  thing.  (897) 

Auch  das  Positive  zu  diesem  Negativen  steht  ihm  von  Anfang  an 
unverrückbar  fest.  So  in  der  oben  schon  angezogenen  Bemerkung  (24)^ 
und  weiterhin  in  dem  oft  angeführten,  auch  hier  noch  einmal  anzufüh- 
renden Wort: 

Existence  is  pei'cipi,  or  percipere.  The  horse  is  in  the  stable,  the 
books  are  in  the  study  as  before  (mit  der  ergänzenden  Randbemerkung 
zu  percipere  [or  vellc;,  i.  e.  agere]).  (413.  413  a) 

So  konnte  er,  nachdem  ihm  seine  Überzeugung  auch  im  einzelnen 
sicher  geworden  war,  sich  sagen: 

I  wonder  not  at  my  sagacity  in  discerning  the  obvious  tho'  amazing 
truth;  I  rather  wonder  at  my  stupid  inadvertency  in  not  finding  it  out 
before — 'tis  no  witchcraft  to  866.(279) 

Wir  bedürften,  um  von  hier  aus  den  ursprünglichen  und  stärksten 
Antrieb  für  Berkeleys  philosophische  Überzeugungen  zu  finden,  kaum  einzelner 
Zeugnisse.  Er  war,  ähnlich  wie  Pascal  und  Malebranche,  eine  religiöse 
Natur  von  tiefster  Innerlichkeit.  Seine  ganze  Lebensführung  war  von 
religiös  fundierter  Selbstlosigkeit  und  Menschenliebe  erfiillt.  Das  zeigt  sich 
in  allen   seinen    philanthropischen  Plänen,    in    der  Art   seiner  Resignation, 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tagebuchs.        H3 

als  der  romantischste  dieser  Pläne  an  der  politischen  Weltweisheit  der 
beherrschenden  Persönlichkeit  Walpoles  scheiterte,  (^)  in  der  bescheidenen 
Zurückhaltung  bei  den  peinlichen  Intrigen  gegen  die  ersten  Versuche  seiner 
Gönner,  ihm  nach  seiner  Rückkehr  von  Amerika  eine  her^MDrragende  kirch- 
liche Stellung  zu  verschaffen,  ebenso  in  der  Art,  wie  er  die  bescheidene 
Stellung  in  dem  entlegenen  Winkel  Cloyne  aufnahm  und  segensvoll  wirksam 
machte.  Das  bestätigen  endlich  auch  alle  Urteile  seiner  Freunde  und 
Gönner,  selbst  einer  so  andersartigen  Persönlichkeit  wie  Swift.  Sie  sprechen 
durchweg  die  Sprache  bewundernder  Anerkennung  seiner  religiös  zen- 
trierten ethischen  Gesinnung  und  Lebenshaltung.  So  war  er  zum  Gottes- 
diener wie  wenige  auserwählt.  Um  nur  eines  hier  zu  erwähnen:  »The 
worthiest,  the  learnedest,  the  wisest  and  most  virtuous  Divine  of  the 
3  kingdoms«  nennt  ihn  Lord  Egmont  bei  Gelegenheit  der  obenerwähnten 
Intrigen.  (^) 

Die  religiöse  Grundstimmung  Berkeleys  drängte,  so  dürfen  wir  schon 
hiernach  annehmen,  sein  früherwachtes  selbständiges  Denken  in  die  Bahn 
einer  Weltautlfassung,  deren  Ziel  war,  die  christlichen  Überzeugungen, 
soweit  sie  der  wissenschaftlichen  Begründung  zugänglich  sind',  Allen  ein- 
leuchtend zu   machen   und  an   das  Herz  zu  legen. 

Dafür  entscheiden  auch  spezielle  Zeugnisse:  »What  deserves  the  first 
place  in  our  studies«,  heißt  es  im  Schlußparagraphen  des  Treatise,  »is  the 
consideration  of  God  and  our  Duty;  which  to  promote,  as  it  was  the 
main  drift  and  design  of  my  labours,  so  shall  I  esteem  them  altogether 
useles.s  and  ineffectual  if,  by  what  I  have  said,  I  cannot  Inspire  my  readers 
with  a  pious  sense  of  the  Presence  of  God;  and  .  .  .  the  better  dispose 
them  to  reverence  and  embrace  the  salutary  truths  of  the  (iospel,  which 
to  know  and  to  practise  is  the  highest  perfection  of  human  nature. « 
Analoges  besagen  die  Anfangsworte  der  Vorrede  zum  Treatise  und  der 
Nebentitel  der  Dialoge  zwischen  Ilylas  und  Philonous.  Und  beide  Wen- 
dungen bedeuten  bei  Berkeley  sehr  viel  mehr  als  die  ähnlichen  Wendungen, 
durch  die  der  religiös  wenig  interessierte  Descartes  seine  Meditationes  mit- 
bezeichnet  hat.      Auch   die   letzte,    sicher  auf  den  Treatise    gehende   Ein- 


'    Diese  Einschränkung  sclion   im  Tagebucii:   ».  .  .  But  to  pretend  to  demonstrate   or 

reason   anything   about   the  Trinity    is   absurd.     Here  an  implicit  faith   becomes  us«   (574); 
vgl.  späterhin  das  vollständige  Zitat. 

Phil-hist.  Abh.  1919.  Nr.fi.  5 


i/:- 


34  E  R  D  M  A  N  N  : 

tragung    aus    dem    zweiten    Manuskriptbande     gibt     das    religiös-ethische 

Grundthema: 

The   whole    directed    to    practise    and    morality — as    appears    first, 
ffom  making  manifest  the  nearness  and  omnipresence  of  God  ■  .  .  (f) 

Nicht  weniger  läßt  es  sich  überdies  aus  dem  religiösen  Einschlag  der 
frühen  Untersuchungen  über  die  Zeit  entnehmen.  (^) 

Eine  polemische  Wendung  gegen  die  unchristliche  Zeitstimmung  war  in 
diesem  religiösen  Grundmotiv  seines  Denkens  von  vornherein  enthalten. 
Aber  wir  haben  kein  Recht,  sie  schon  in  der  Frühzeit  von  Berkeleys  Ent- 
wicklung speziell  auf  die  »EYeidenker«  jener  Tage  zu  beziehen.  Tolands 
»Christianity  not  mysterious«  war  allerdings  bereits  1696  erschienen.  Mehr 
noch  als  der  Inhalt  der  Schrift  hatte  des  Verfassers  Gebaren  in  Dublin 
im  nächstfolgenden  Jahre  bei  seinen  Landsleuten  schweren  Anstoß  erregt 
und  zur  Verbrennung  des  Buches  an  der  Tür  des  Parlamentshauses  sowie 
zur  Ausweisung  des  Verfassers  aus  Irland  geführt.  (^)  Aber  Berkeley  hat, 
obgleich  er  somit  von  Tolands  erster  Schrift  früh  Kenntnis  gehabt  haben 
könnte,  nicht  Anlaß  genommen,  sich  mit  diesem  Gegner  des  Christentums 
auseinanderzusetzen.  Ebenso  fehlt  bis  1713  jede  Spur  einer  kritischen 
Rücksichtnahme  auf  Shaftesburys  erste  Veröffentlichungen.  (^)  Er  hat  an 
dem  Freidenkertum  seiner  Zeit  erst  seit  1 7 1 3  den  Anstoß  erhalten,  der 
späterhin,  in  der  Muße  des  Aufenthalts  in  Rhode  Island,  den  Alciphron 
entstehen  ließ.  Denn  im  Tagebuch  finden  wir  nur  wenige  kurze  Absagen 
an  den  Epikureismus  und  Hobbismus  (17),  gegen  »idolatry,  whether  of  Images 
or  of  gold,  &c.,  that  blinds  the  greatest  part  of  the  world,  as  well  as  of 
that  shamefull  immorality  that  turns  us  into  heasts«  (394;  vgl.  17),  später 
auch  an  Spinoza  (814):  ähnlich  so  auch  im  Treatise  und  den  Dialogues.  ('*) 
Die  Bemerkung,  durch  die  er  in  einem  Briefe  von  1710  an  Sir  Percival 
diesen  über  das  Ziel  seines  Treatise  informiert,  muß  daher  in  ihrem  zweiten 
Teil  von  dieser  Voraussetzung  aus  gedeutet  werden :  » .  .  .  a  treatise  .  .  ., 
designed  to  promote  true  knowledge  and  religion,  particularly  in  Oppo- 
sition to  those  philosophers  who  vent  dangerous  notions  with  regard  to 
the  existence  of  God  and  the  natural  immort^lity  of  the  soul,  both  which 
1  have  endeavoured  to  demonstrate,  in  a  way  not  hitherto  made  use  of« 
(Fr.  D  S.  7of.). 

Freilich  gibt  der  religiöse   Grundzug   nur  das    ursprünglich  treibende 
Motiv   für   die   philosophische   Stellungnahme   Berkeleys.      Die   gestaltende 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlicfien  Tagebuchs.        B5 

Idee  entwickelt  sich  aus  diesem  Motiv  erst  unter  dem  Einfluß  weiterer 
Studien,  deren  er  sich  wahrscheinlich  erst  nach  erledigter  Vorbereitung- 
für  den  Bachelor  of  Arts  (Anfang  1704)  ernstlicher  widmen  konnte. 

Daß  Berkeley  sich  um  diese  Zeit  eifrig  in  die  Elemente  der  Mathematik 
und  Physik  einarbeitete,  bekundet  er  selbst  in  den  beiden  kleinen,  1707 
von  ihm  veröffentlichten,  übrigens  belanglosen  Schriften,  der  «Arithmetica 
absque  Algebra  aut  Euclide  demonstrata«  und  den  »Miscellanea  Mathematica« 
(Fr.  A  III  S.  7.  41  f.).  Um  1707  hatte  er  auch,  wie  das  Tagebuch  und  die 
schon  erwähnte  kleine  undatierte,  jedenfalls  vor  1 709  verfaßte  kritische 
Arbeit  »Of  infinities«  zeigen,  den  Ziigang  zu  der  Fluxionsmethode  Newtons 
und  der  Differentialrechnung  von  Leibniz  gefunden.  Hier  aber  war  er 
von  vornherein,  ebenso  wie  gegenüber  Newtons  Konstruktionen  eines  absoluten 
Raums,  einer  absoluten  Zeit  und  einer  absoluten  Bewegung,  in  der  Abwehr. 
Die  Überzeugung  von  der  Auflösung  des  Raums  in  nur  endliche  minima 
visibilia  und  tangibilia  sowie  von  der  au.sschließlichen  Relativität  des 
Raums,  der  Zeit  und  der  Bewegung  war  ihm,  wie  aus  der  Analyse  des 
Tagebuchs  weiterhin  hervorgehen  wird,  bereits  fest  geworden.  Viel  schärfer 
noch,  als  im  Treatise  zum  Ausdruck  kommt,  hat  er  sich  in  der  Tagebuch- 
zeit in  den  Gegensatz  gegen  die  neuen  mathematischen  Methoden  hinein- 
gedacht. Alle  Grundlagen  der  Argumentation,  mit  der  er  späterhin,  im 
•  Analyst«  (1734)  und  dessen  Vorteidigungsschriften  (1734/35),  die  Konse- 
quenzen seiner  Lehre  gegen  die  logische  Berechtigung  jeder  Art  infinitesimaler 
Grenzbetrachtung  ins  Feld  führt,  sind  hier  bereits  ausgesprochen \  Wir 
begegnen  hier  also  nicht  frühen  Antrieben,  sondern  der  Verteidigung  seiner 
im  wesentlichen  bereits  feststehenden  philosophischen  Lehre,  ähnlich  wie 
für  seine  kausale   Naturdeutung  in  der  Abhandlung  De  motu   (1721). 

Die  frühen  mathematisch-physikalischen  Studien  kommen  demnach  für 
die  Ausgestaltung  seiner  religiösen  Motive  zur  Idee  des  Immaterialismus, 
wie  fast  selbstverständlich,  nicht  in  Betracht. 

Wir  sind  somit,  um  älterer,  aus  der  Luft  gegriffener  Annahmen  nicht 
zu  gedenken,  auf  Berkeleys  philosophische  Studien  angewiesen.  Für 
diese  bietet  sich   auf  den  ersten   Blick   scheinbar  ein   weites   Feld. 


'    Man  vgl.  im  Tagebuch  Nr.  21,  59,  6r,  70  usw.  mit  Nr.  29,  30,  164,  217,  248  bis  hin 
zu  Nr.  904 — 913,  sowie  die  Erörterungen  am  Schluß  dieser  Abhandlung. 

5* 


36  E  u  D 


mann: 


Vor  allem  liegt  es  nahe,  Einwirkungen  einer  frühen  Bekanntschaft 
mit  Platonischen  Lehren  zu  vermuten.  Fräser  berichtet  aus  einem  sonst 
unveröffentlichten  Brief  Berkeleys  an  Sir  Jolm  Percival  aus  dem  Jahre  1709, 
(laß  der  Philosoph  in  diesem  » refers  with  admiration  to  Plato,  teils  of  the 
delight  with  which  he  read  the  Thaedo'  and  other  dialogues  years  before, 
and  appreciates  the  harmony  of  the  Piatonic  spirit  with  'the  perfection 
and  badge  of  Christianity,  which  is  its  generous  contempt  for  the  things 
of  this  sentient  life'«  (Fr.  D  S.  16).  Leicht  konstatierbar  war  ferner,  daß 
Berkeley  in  der  Siris  eine  gründliche  Kenntnis  der  Platonischen  und  der 
Neuplatonischen  Philosophie  zeigt,  in  wärmster  Verehrung  wiederholt  von 
Piaton  spricht  und  in  seiner  dort  entwickelten  Lehre  vom  Intellekt  unver- 
kennbar und  bewußt  der  Platonischen  ähnliche  Annahmen  entwickelt.  Aber 
der  Hypothese  eines  Einflusses  der  Platonischen  Ideenlehre  auf  Berkeleys 
frühe  Konzeptionen  seines  Immaterialismus  und  seiner  späten  Rückkehr  zu 
solchen  frühen  Einwirkungen  stehen  doch  völlig  entscheidende  Gründe  ent- 
gegen. Über  Einflüsse  dieser  Art  besagt  die  eben  zitierte  Briefstelle  offen- 
bar nichts.  Sie  beweist  nur,  daß  Berkeley  früh,  vermutlich  vor  dem 
Jahre  i  704,  in  dessen  Herbst  er  Bachelor  of  Arts  wurde,  einige  Platonische 
Dialoge  gelesen  hat.  in  denen  er,  speziell  im  Phaedon,  Analogien  zu  seinen 
religiösen  Überzeugungen  fn.nd.(^^)  Wir  haben  deshalb  auch  kein  Recht, 
in  einer  brieflichen  Äußerung  aus  dem  Jahre  17  10,  in  der  er  seine  Lehre 
von  dem  Perzipiertwerden  der  Ideen  durch  Gott  mit  der  mosaischen 
Schöpfungsgeschichte  harmonisiert,  {^)  einen  frühen  Ausdruck  des  Pla- 
tonischen Idealismus  zu  sehen.  Früh  schon  hatte  doch  die  christliche 
Schöpfungslehre  die  Lehre  Piatons  von  der  ewigen  P^xistenz  der  Ideen  in 
ihrer  intellektuellen  Ordnung  und  ihren  Funktionen  für  den  Weltbildner 
im  Timaeus  zu  der  Lehre  von  der  Wirklichkeit  der  Ideen  im  schöpferischen 
Geist  Gottes  umgebildet  und  in  verschiedenen  Fassungen  festgehalten. 
Dementsprechend  enthalten  auch  die  gelegentlichen  Hinweise  auf  die  Über- 
einstimmung von  Berkeleys  Ül)erzeugungen  mit  der  bibhschen  Schöpfungs- 
geschiclite  im  Tagebuch  (z.  B.  342,  385)  keine  Spur  einer  Beziehung  auf 
die  Platonische  Ideenlehre.  Dazu  kommt,  daß  der  noch  zu  erörternde 
scharf  ausgeprägte  Empirismus  in  den  Äußerungen  des  Tagebuchs  der 
Platonischen  Wissenslehre  nirgendwo  einen  Boden  läßt.  Auch  die  ebenfalls 
noch  zu  besprechenden  Schwankungen  in  Berkeleys  Erkenntnislehre  weisen 
in   ihren  frühangelegten  rationalistischen  Wendungen  demgemäß  nirgendwo 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seitws  wissenscJmfllichen  TagebucM.        37> 

auf  Platonische  Einflüsse  hin.  Ebenso  wenig  dürfen  die  Ausfahrungen  über 
das  »law  of  nature«  in  Berkeleys  mehrfach  aufgelegtem  Diskurs  über  »Passive 
Obedience«  vom  Jahre  17  12  zugunsten  eines  solchen  Einflusses  herangezogen 
werden.  Berkeley  beruft  sich  hier  (§  i  if.)  allerdings  auf  ein  »Eternal  Law 
of  Reason«,  aus  dem  »practical  propositions,  .  .  .  laws  of  nature«  herfließen, 
»which  are  ever  to  be  esteemed  the  fixed  unalterable  Standards  of  moral 
good  and  evil«.  Aber  er  läßt  in  deutlichen  Anspielungen  auf  Locke.s 
Polemik  gegen  die  Lehre  von  den  angeborenen  Ideen  keinen  Zweifel 
darüber,  daß  sie  nicht,  wie  die  Überlieferung  will,  rationalistisch  gedeutet 
werden  dürfen:  »They  are  said  to  be  stamped  on  the  mind,  to  be 
engraven  on  the  tables  of  the  heart  .  .  .  they  are  termed  eternal 
rules  of  reason.«  Aber  man  nennt  sie  so,  »because  they  are  well  known 
to  mankind,  and  suggested  and  inculcated  by  conscience  .  .  .,  because 
they  necessarily  result  from  the  nature  of  things,  and  may  be  demoti- 
strated  by  the  infallible  deductions  of  rea.son.«  Sie  sind  vielmehr 
»collected  from  Observation«  als  Vorbilder  fiir  die  Nachahmung  der 
Natur  »which  is  nothing  eise  but  a  series  of  free  actions  produced  by  the 
best  and  wi.sest  Agent«,  weil  »it  hath  been  shewn  that  God  willeth  the 
imiversal  well-being  of  mankind  should  be  promoted  by  the  concuirence 
of  each  particular  person«.  Nirgends  endlich  geht  Berkeley  im  Gedankenfluß 
seines  Tagebuchs  auf  Platonische  Lehren  ein.  Die  einzige  Aiis])ielung  auf 
Piaton,  die  sich  dort  findet,  ist  eine  Ablehnung  der  seinen  Stil  übertrieben 
nachahmenden  Redeweise : 

I  abstain  from  all  flourish  &  pomp  of  words  &  figures,  using  a  great 
plainness  &  simplicity  of  .stile,  having  oft  found  it  difficult  to  understand 
those  that  use  the  lofty  k  Piatonic,  or  subtil  and  scholastique  strain.  {302) 

Ein  direkter  Einfluß  der  frühen  Beschäftigung  mit  einigen  Platonischen 
Dialogen  auf  Berkeleys  Konzeption  des  Immaterialismus  ist  demnach  sicher  aus- 
geschlossen. Wäre  ein  solcher  nicht  wiederholt  angenommen  worden,  so  hätte 
es  der  speziellen  Belege  sogar  kaum  bedurft.  Die  Tatsache,  daß  der  Geist  des 
Empirismus  Berkeleys  Denken  in  seinen  Jugendschriften  und  mehr  noch,  wie 
sich  ergeben  wird,  in  seinem  Tagebuch  beherrscht,  hätte  genügen  sollen,  jede 
Vermutung  dieser  frühen  Abhängigkeit  von  vornherein  beiseite  zu  schieben. 

Dennoch  hat  vielleicht  nicht  lediglich  die  immer  aufs  neue  in  histo- 
rischen üntersucimngen  verführerisch  wirkende  Neigung,  iVnalogien  der 
Denkweise    für   Zeugnisse   eines   Einflusses    zu    nehmen,    hier    mitgewirkt. 


H8  Erdmann: 

« 

Es  ist  wohl  zu  beachten,  daß  um  die  Wende  zum  18.  Jahrhundert 
von  verschiedenen,  voneinander  unabhängigen  Ausgangspunkten  her  Lehren 
auftreten,  die  dem  idealistisclien  Spiritualismus  nahestehen  oder  ihn  aus- 
drücklich vertreten,  in  allen  ihren  Ausgestaltungen  religiöse  Antriebe  zeigen 
und,  soweit  sie  philosophiscli  durchgearbeitet  sind,  Spui-en  Platonischen  Geistes 
nicht  verleugnen. 

Diese  Antriebe  lassen  sicli  weit  zurück  verfolgen.  Es  genüge  hier, 
auf  Erscheinungen  hinzuweisen,  die  in  den  Darstellungen  der  Geschichte 
der  neueren  Philosophie  nicht  in  Rechnung  gestellt  worden  sind.  Die 
religiöse  Reaktion  gegen  die  herrschenden  orthodoxen  Schulen,  in  denen 
seit  dem  13.  Jahrhundert  die  Wege  des  Aristotelisch-Thomistischen  Denkens 
zu  Ungunsten  des  Platonisch-Augustinischen  bevorzugt  worden  waren, (^) 
hatte  weder  die  Gegenreformation  noch  die  aristotelisierende  Veräußer- 
lichung  der  abflauenden  Reformation  zum  Stillstand  bringen  können.  Dort  war 
sie  im  17.  Jahrhundert  insbesondere  in  den  Kongregationen  der  Jansenisten 
und  Oratorianer  lebendig  geblieben;  hier  war  sie  in  den  stillen  Gemeinden 
der  Niederlande,  in  den  pietistischen  Vereinigungen  Deutschlands  und  in 
den  pädagogischen  Reformbestrebungen  von  Arnos  Comenius  praktisch 
gepflegt,  von  Valentin  Weigel,  Jacob  Böhme  u.  a.  theosophisch  weiter- 
gebildet worden.  Die  neue  Philosophie  aber  hatte  ihr  keine  Hilfe  gebracht: 
weder  die  vieldeutigen  religionsphilosophischen  Wendungen  Bacons,  noch 
Hobbes'  nur  oberflächlich  versteckte  Ablehnung  des  Glaubens  überhaupt, 
noch  endlich  Gassendis  und  Descartes'  scheinbare  Unterwerfung  unter  die 
katholischen  Glaubenslehren  konnte  religiös  gestimmte  Geister  befriedigen. 
Die  Stellungnahme  der  Vertreter  der  neuen  Philosophie  beruhte,  wie  die 
offiziellen  kirchlichen  Kreise  aller  Arten,  vorab  Descartes  gegenüber  trotz 
seines  Werbens  die  Jesuiten,  richtig  herausfanden,  auf  dem  neuen,  nicht 
religiös  geprägten  Wissen.  Auf  dieser  Wissensgrundlage  beruht  auch  die 
Entwicklung  des  Deismus  bis  hin  zur  religiösen  Skepsis  und  dem  Frei- 
denkertum.  Die  Lehrstellung  Herberts  von  Gherburj-  ist  nur  ein  Symptom, 
niclit  die  Ursache  dieser  freigeistigen  Lehren  gewesen.  Aber  schon 
in  der  Fortbildimg  der  Cartesianischen  Philosophie  setzte  die  religiöse 
Reaktion  sich  auch  philosophisch  durch  und  bereitete  so  den  Boden  für 
das  Aufkommen  eines  religiös  zentrierten  idealistischen  Spiritualismus  vor. 
Die  Lehren  Descartes'  boten  sogar  direkte  Hilfen  für  diese  Vorarbeit.  Die 
rein  geometrische  Bestimmung  des  Körpers,  derzufolge  er  nur  Objekt,  nicht 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tagebuchs.        39 

Urheber  von  Bewegung  sein  konnte,  hatte,  zusammen  mit  dem  attributären 
Gegensatz  zwischen  geistiger  und  körperlicher  Substanz,  zu  der  okkasiona- 
listischen  Kausaltheorie  geführt.  AUe  Wirksamkeit  in  der  Welt  wurde 
ihr  zufolge  ausschließlicli  durch  Gott  vollzogen.  Geulincx  hatte  die  Existenz 
einer  Körperwelt  daraufhin  zwar  nicht  geleugnet,  aber  sie  war  für  seine 
Ethik  mit  ihrer  mystischen  Versenkung  des  sittlichen  Individuums  in 
Gott  bedeutungslos  geworden.  Direkter  noch  hatte  von  religiösen  Bedürf- 
nissen aus  Pascal  das  Interesse  am  körperlichen  Objekt  für  nichtig  er- 
klärt, wenig  später  Pierre  Poiret  die  Cartesianischen  Gedanken  theoso- 
phisch  zu  wenden  begonnen.  Ganz  nahe  endlich  war  Malebranche  mit 
seiner  Lehre  von  unserem  Schauen  der  Körperwelt  in  Gott  dem  idea- 
listischen Spiritualismus  gekommen.  Selbst  in  Leibniz'  Spiritualismus 
sind  die  religiösen  Antriebe  unverkennbar.  Nur  hatte  sein  an  der  Physik 
erstarktes  und  durch  sein  mathematisches  Genie  gestähltes  Denken 
seinen  intellektualistischen  Dynamismus  nicht  idealistisch,  sondern  rea- 
listisch gewendet. 

Auch  in  England  hatte  die  religiöse  Reaktion  schon  in  den  Vor- 
stadien des  Freidenkertums  Wurzel  gefaßt.  So  trotz  allem  Gegensatz  gegen 
das  Priestertum  schon  bei  Herbert  von  Cherbury;  direkter  noch  bei  dem 
verspäteten  und  schon  deshalb  einflußlos  gebliebenen  scholastischen  Pla- 
toniker  Robert  Greville,  Lord  Brooke  (The  Nature  of  Truth,  i64i).(^)  Vor 
allem  aber  waren  in  der  rationalisierenden  Theologenschule  von  Cambridge 
dem  Piatonismus,  so  wie  sie  ihn  sich  deuteten,  warme  Verehrer  erstanden. 
Sie  bekämpften  von  spiritualistischen  Grundgedanken  aus,  wie  Cudworth 
und  Henry  More,  den  Materialismus  und  Atheismus,  oder,  wie  Joseph 
Glanvill,  mit  Vorgedanken  zu  einer  empiristischen  Kausaltheorie  den 
»mechanischen  Atomismus«  ('**)  von  Hobbes.  Möglich,  daß  auch  eine 
genauere  Untersuchung  bei  John  Norris  und  Arthur  Collier  keine  faßbare 
Abhängigkeit  von  der  Cambridger  Schule  nachweisbar  macht.  Sicher  bliebe 
trotzdem,  daß  die  von  ihr  repräsentierte  religiöse  Reaktion  und  die  in  ihr, 
besonders  ursprünglicli,  vorhandene  Anerkennung  von  Descartes'  Rationa- 
lismus für  die  Aufnahme  der  Lehren  von  Malebranche  und  deren  Um- 
bildung zu  einem  idealistischen  Spiritualismus  Raum  schaffte:  bei  Norris 
in  seinem  »Essay  towards  the  Theory  of  the  ideal  or  intelligible  World« 
(1701  — 1704);  bei  Collier  in  ungefähr  um  dieselbe  Zeit  erfaßten  und  schärfer 
noch   idealistiscli  gewendeten  Gedanken.  ('^) 


40  EnnMANN: 

Es  ist  das  Endglied  dieser  religiös  konzentrierten,  von 
traditionellen  Nachwirkungen  des  Platonischen  und  Neuplato- 
nischen Geistes  durchsetzten  reagierenden  Ideenfolge,  das  uns 
in  Berkeleys  idealistischem  Spiritualismus  vorliegt. 

Aber  es  ist  kein  Glied,  das  direkt  von  Platonischen  Lehren  abhängig 
wäre.  Es  ist  nicht  einmal  irgendwie  durch  eine  der  vorstehend  besprochenen 
einzelnen  Formen  dieser  Reaktion  bedingt.  Gegen  Berkeleys  Abhängigkeit 
von  den  genannten  englischen  Denkern  spricht  schon  das  Schweigen  des 
Tagebuchs.  Norris  wird  in  ihm  überhaupt  nicht  erwähnt,  und  nirgends 
findet  sich  dort  eine  Spur  seiner  Gedanken.  Berkeley  hätte  wenigstens 
gegen  den  Schluß  seiner  Tagebucliaufzeichnungeh,  in  der  Zeit,  in  der  er 
eine  Reihe  von  philosophischen  Werken  durchsah,  auf  Norris  aufmerksam 
werden  können.  Er  kennt  die  1708  veröffentlichten  »Familiär  Letters«  von 
Locke.  Aber  die  in  ihnen  enthaltene  Kpitik  von  Norris'  Gegenschrift  gegen 
Lockes  Essay  luid  Lockes  Urteil  über  das  obengenannte  spätere  Werk  von 
Norris (^)  werden  Berkeley  nicht  dazu  gereizt  haben,  die.se  Schrift,  die 
hier  allein  in  Betracht  käme,  kennenzulernen.  Und  Colliers  kleine,  da- 
mals überhaupt  kaum  beachtete  »Clavis  universalis«,  in  der  dieser  seine 
Gedanken  zuerst  veröffentlichte,  erschien  erst  i  7  i  3,  gleichzeitig  mit  Berkeleys 
Dialogen.  (^*')  Selbst  von  Malebranche  nimmt  keine  der  Tagebuchnotizen, 
in  denen  die  Idee  des  Immaterialismus  formuliert  wird,  irgendwelche  Notiz. 
Und  was  mehr  besagt:  nichts  weist  auch  sonst  in  ihnen  auf  eine  Abhängig- 
keit von  Malebranche  hin.  Als  Berkeley  im  Fortgang  seiner  Entwicklung, 
etwa  1707,  sich  eingehender  mit  Malebranches  Lehre  beschäftigt,  findet  er 
nur  Anlaß  zu  ablehnender  Kritik. ' 

Dem  widerspricht  natürlich  nicht,  daß  Berkeley,  der  sich  der  Paradoxie 
seiner  Lehre  wohl  bewußt  war  (Fr.  A  IV  S.  181,  D  S.  70),  von  den  Fertigen 
unter  seinen  Zeitgenossen  für  einen  Anhänger  von  Malebranche  gehalten 
wurde.  So  von  dem  Rezensenten  des  Treatise  in  dem  jesuitischen  Journal 
de  Trevoux  (Mai  1713).  in  eben  der  Besprechung,  welche  die  Legende  von 
einer  Malebranchistischen  Sekte  der  »Egoisten«  in  dem  damals  gebräuch- 
lichen   theoretischen  Sinne  des  Worts    hat   entstehen   lassen, (**)   vielleicht 

'  Im  Tagebuch  zueret  in  Nr.  231,  dann  wiederholt:  Nr.  256,  258.  266,  270.  288.  361b, 
407,  538,  678,  [679],  790,  808,  875.  Die  Berufung  auf  Malebranche  in  dem  Sclilußabschnitt 
der  »Miscellanen  mathematica«  (Fr.  A  III  S.  61  f.)  gehört  vielleicht  auch  erst  der  Zeit  um  1707 
an.    Jedenfalls  beweist  sie  nichts  fiir  die  oben  vorliegende  Frage. 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaflUchen  Tagebuchs.        41 

auch  die  Legende  einer  für  Malebranches  Gesundheit  verhängnisvollen 
Unterredung  mit  Berkeley.  Selbst  in  England,  wo  der  Blick  für  Berkeleys 
völlig  andersartige,  empiristische  Fundierung  des  Immaterialismus  hätte 
geschärft  sein  können,  fand  die  bequeme  Einordnung  der  neuen  Gedanken 
in  bereits  bek?innte  manche  Anhänger.  Berkeley  selbst  hat  diese  Zusammen- 
stellung mit  Recht  weit  von  sich  gewiesen.  Nachdem  Sir  John  Percival  ihm 
berichtet  hatte,  daß  er  (von  Clarke  und  Whiston?)  mit  Malebranche  und 
Norris  zusammengestellt  werde,  konnte  er  deshalb,  in  der  A))lehnung  zu- 
treflend,  wenn  auch  die  Analogien  verkennend,  Ende  1710  antworten: 
»As  to  what  is  said  of  ranking  me  with  Father  Malebranche  and  Mr.  Norris, 
whose  writings  are  thought  to  be  too  fine-spun  to  be  of  any  great  use 
to  mankind,  I  have  this  answer.  that  1  think  the  notions  1  embrace  are 
not  in  the  ieast  coincident  or  agreeing  with  theirs,  but  indeed  plainly 
inconsistent  with  them  in  the  main  points,  inasmuch  as  1  know  few  writers 
I  take  myself  at  bottom  to  diflFer  more  from  than  from  them.»  Man  erkennt 
den  ihn  bestimmenden  Einfluß,  wenn  er  fortfährt:  »Fine-spun  metaphysics 
are  what  I  on  all  occasions  dedare  against,  and  if  any  one  shatl  show 
anything  of  tliat  sort  in  my  Treatise,  I  will  willingly  correct  it«  (Fr.  D  S.  73). 

Es  ist  Locke,  auf  den  wir  denuiach  auch  von  dieser  Seite  aus  hin- 
gewiesen werden.  In  der  Tat  haben  wir  in  Lockes  Philosophie  die  aus- 
schließliche Grundlage  für  die  Ausgestaltung  von  Berkeleys  religiösen 
Antrieben  zu  der  Idee  des  idealistischen  Spiritualismus  zu  suchen.  Es  ist 
ein  Symptom  von  der  Energie  der  religiös  konzentrierten  Gedanken,  die 
gegen  die  ansteigende  Rationalisierung  des  Glaubens  Front  machen  lassen, 
daß  auch  aus  der  Gedankenwelt  des  Verfassers  der  Schrift  von  der 
»Reasonableness  of  Christianity «  eine  religiöse  Reaktion  ersteht.  Lockes 
Essay  hatte  die  Werdenden  seiner  Zeit  nicht  weniger  erregt,  als  90  Jahre 
später  Kants  kritisches  Hauptwerk  dies  tat.  Besonderen  Einfluß  hatte  es 
früh  in  Dublin  erlangt.  Fräser  hat  mit  Recht  betont,  daß  schon  Ende 
des  1 7 .  Jahrhunderts  unter  dem  Miteinfluß  von  William  Molyneux  die 
philosophisch  interessierte  Jugend  in  Dublin  durchaus  unter  dem  Einfluß 
von  Lockes  Lehren  stand.  Schon  1692  war  Lockes  Essay  auf  Molyneux' 
Betreiben  ein  text-book  im  Trinity  College  geworden;  1700  hatte  er  die 
vierte,  reich  vermehrte  Auflage  erlebt.  Im  Jahre  1701  war  er,  ebenfalls 
auf  Molyneux"  Anlaß,  von  Richard  Burridge,  einem  Mitglied  des  Trinity 
Phil.-kisl.  Ahh.   1919.   Nr.  Ä.  6 


42  E  R  D  M  A  N  N  : 

College,  ins  Lateinische  übertragen  worden.  (*l)  So  waren  alle  Bedingungen 
für  die  fast  ausschließliche  Konzentration  von  Berkeleys  jugendlichem  Denken 
um  die  Lehre  Lockes  gegeben. 

Ein  direktes  Zeugnis  für  diese  Abhängigkeit  bieten  die  ersten  Fragen 
und  Thesen  des  Tagebuchs,  die  wir  in  den  Anfang  des  Jahres  1 706  zu 
verlegen  hatten  (S.  30).  Analoge  Hinweise  finden  sich  fast  auf  jedem 
Blatt  der  späteren  Eintragungen.  Deutliclier  noch  spricht  ihr  Gehalt  sowie 
der  vieler  anderer  Niederschriften.  Auch  die  Streitschriften  zwischen  Locke 
und  Edward  Stillinglleet,  dem  Bischof  von  Worcester,  waren  ihm  bekannt 
(Nr.  505.  693,  wohl  auch  Nr.  688);  el)en.so,  wie  schon  erwähnt,  die  1708 
zuerst  veröffentlichten  »Some  Familiär  Letters  between  Mr.  Locke  and  Several 
of  his  Frionds«  (Nr.  702,  736).  Auch  für  die  frühe  Ablehnung  der  mecha- 
nischen (Trundbcstimmungen  sowie  der  Fluxionsrechnung  Newtons,  der  im 
Tagebuch  nächst  Locke  am  meisten  und  mit  voller  Anerkennung  seiner 
Leistung  genannt  wird: 

I  See  no  wit  in  any  of  them  [den  englischen  Verfechtern  der 
Infinitesimalrechnung]    but    Newton.     The   rest    are   meer  triflers,    mere. 

Nihilarians(369),(42) 

ist  Lockes  Einfluß  maßgebend  gewesen.  In  dem  mehrfach  bereits  genannten 
frühen  kleinen  Aufsatz  » Of  Infinities «  Iteruft  sich  Berkeley  in  erster  Linie 
auf  Lockes  Unterscheidung  der  »infinity  of  space«  und  des  »space  inßnitely 
great  and  small«,  erst  in  zweiter  auf  den  im  l'agebuch  anfangs  mehrfach 
formulierten  Gedanken,  »that  we  ought  to  use  no  .sign  without  an  idea«(**) 
(vgl.  Nr.  [358J.  359,  361,  404,  405),  der  erst  späterhin  aufgegeben 
wird.  (**) 

Viel  wärmer  als  im  Treatise  klingt  dementsprechend  Berkeleys  An- 
erkennung von  Lockes  Leistung  in  den  »Miscellanea  mathematica « C*^)  und  in 
den  Tagebuchaufzeichnungen  dieser  Zeit.  Auch  als  seine  Gedanken  sich 
bereits  zu  dem  Plan  eines  umfassenden  Werkes  verdichtet  hatten,  urteilt  er: 

Wonderful  in  Locke  that  he  could,  w"  advanced  in  yeai-s,  see  at 
all  thro'  a  mist;  it  had  been  so  long  a  gathering,  &  was  consequently  thick. 
This  more  to  be  admir'd  than  y'  he  did  not  see  farther.  (556) 

Und  noch  anerkennender  späterhin: 

...  I  am  no  more  to  be  reckon'd  stronger  than  Locke,  than  a  pignu' 
should  be  reckon'd  stronger  than  a  gyant  because  he  could  throw  off  the 
molehill  vv'=''  lay  upon  him,  and  the  gyant  could  only  shake  er  shove  the 
mountain  that  oppressed  him.    This  in  the  Preface.(67o) 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tayebwhs.        4B 

.  .  .  Such  was  the  caiidour  of  this  great  man  that  I  perewade  myself, 
where  he  alive,  he  would  not  be  offended  that  I  differ  from  hini,  seeing 
that  even'in  >-o  doing  I  follow  his  advice,  viz.  to  use  my  own  judgment. 
See  with  my  own  eyes,  &  not  with  another's.  Introduction.  (68i;  vgl.  452) 

Was  Berkeley  vor  allem  dem  Gedankengebäude  Lockes  entnimmt,  ist 
der  Empirismus,  der  das  sorgsam  ausgearbeitete  Fundament  des  Essay 
bildet,  d.  i.  nach  der  Problemstellung  Lockes  die  Lehre,  daß  aller  Inhalt 
unserer  Erkenntnis  ausschließlich  der  Erfahrung,  einer  inneren  sowohl  als 
der  äußeren,  entstamme.     * 

Der  religiöse  Antrieb,  der  Berkeley  zum  Gegner  herrschender  Zeit- 
strömungen maclite,  fand  in  diesem  Boden  so  wenig  ein  Hemmnis,  wie 
Malebranche  ein  solches  in  dem  Rationalismus  Descartes'  gefunden  hatte. 
Begreif liclierweise :  so  leicht  sich  im  praktischen  Leben  bodenständige  Er- 
fahrung mit  religiöser  Konzentration  verbindet,  so  leicht  wird  es  auch, 
wie  die  Geschichte  der  Philosophie  und  der  Naturwissenschaft  bis  hin  zur 
modernen  Anthroposophie  und  Theosophie  sowie  zum  Pragmatismus  und 
zur  letzten  Phase  des  verblichenen  Monismus  zeigt,  den  Eimpirismus  dem 
religiösen  Bewußtsein  philosophisch  dienstbar  zu  machen.  Durchaus  zu- 
treffend hat  Berkeley  in  einer  späten  Niederschrift  seines  Tagebuchs  ge- 
urteilt : 

Sj>inosa  (vid.  Praef.  Opera  Posthum.)  will  havi;  God  to  be  •omniuni 
rerum  causa  immanens',  and  to  countenance  this  produces -that  of  St.  Paul, 
'in  Hini  we  live",  kc.  Now  this  of  St.  Paul  niay  be  explained  by  my 
doctrine  as  well  as  Spinosa's,  or  Locke's,  or  Hobbs's,  or  Kaphsoi\'s,  &c.  (817) 

Eine  Einsicht,  die  ihn  freilich  nicht  gehindert  hat,  sich  in  seinen  Schriften 
(z.  B.  Treatise  §  149  und  Dialogues  Fr.  AI  S.  331)  eben  dieses  Hinweises 
zugimsten  seiner  Lehre  zu  bedienen. 

Die  durchgängige  Abhängigkeit  Berkeleys  von  Locke  im  einzelnen  zu 
belegen,  wäre  so  überflüssig  wie  unzulänglich.  Überflüssig,  weil  in  dem  Lehr- 
bestande, den  der  Treatise  und  die  Dialogues  bieten,  kein  Zug  ist,  der  nicht 
diese  Abstammung  verriete.  Unzulänglich,  denn  es  ist  wiederum  kein  Zug, 
in  dem  sich  nicht  zugleich  die  Eigenart  der  Fortbildung  ausprägte.  Das  zeigen 
auch  die  Tagebuchnotizen;  nur  ist  zu  beachten,  daß  Berkeley  in  ihnen  viel 
mehr  Anlaß  hat  festzulegen,  was  ihn  von  Locke  scheidet,  als  aufzuzeichnen, 
was  er  von  dessen  Lehre  voraussetzt. 

Wenige  allgemeine,  beide  Momente  berücksichtigende  Bemerkungen 
werden  deshalb  genügen. 

6* 


44  E  R  I)  M  A  N  N  : 

Neubegründet  wird  fürs  erste  der  Kinpirismus  von  Berkeley  nicht. 
Sein  Treatise  hält  insofern,  obgleich  dessen  Aufgabe  nach  Analogie  der 
Zielbestimmung  in  Lockes  Essay  formuliert  wird,  nicht  das,  was  er  —  schein- 
bar, wie  noch  zu  zeigen  sein  wird  (S.  49)  —  verspricht.  Er  ist  keine  »strict 
inquiry  concerning  the  First  Principles  of  Human  Knowledge,  to  sift  and 
examine  them  on  all  sides«  (Tr.  Introd.  §4).  Die  empiristische  Ursprungs- 
bestimmung unserer  Erkenntnisinhalte  wird  im  ersten  Paragraphen  nach 
der  Einleitung  ohne  weiteres  im  Anschluß  an  Locke  eingeführt,  wie  bei 
Locke  auf  Sensation  und  reflection  verteilt  und  auf  memory  und  Imagination 
übertragen.  Auch  das  nicht  fixierte  »thought«  (§  5  u.  o.)  bleibt  in  den 
drei  ersten,  grundlegenden  Schriften  vielfach  iimerhalb  dieses  Gedanken- 
kreises; ebenso,  trotz  der  Wendung,  die  Berkeley  der  Lehre  von  den 
geistigen  Substanzen  gibt,  die  gleichfalls  schwankende  Bestimmung  der  re- 
flection. Auf  beide  ist  noch  zurückzukommen.  Selbst  die  neue,  alle  körper- 
liche Realität  aufhebende  Grenzbestimmung  für  die  Erkenntnis  der  Außen- 
welt und  die  ebenso  neue  Erweiterung  der  P]rkenntnis  geistiger  Substanzen 
werden  nicht  auf  eine  selbständige  Untersuchung  der  Prinzipien  unseres 
Erkennens  begründet,  sondern  erscheinen  als  Konsequenzen  der  Erklärung 
Lockes,  daß  alle  Erkenntnis  auf  der  Perzeption  der  Übereinstimmung  oder 
Nichtübereinstimmung  zweier  Ideen  beruhe.  Die  neue  Grenzbestimmung 
unserer  Erkenntnis  der  Körperwelt  folgt  aus  dem  schon  in  Lockes  Lehre  ent- 
haltenen, allerdings  von  ihm  nicht  konsequent  festgehaltenen  Satz:  »an  idea 
can  be  like  nothing  but  an  idea«.  Von  §  8  des  Treatise  an,  in  dem  er  einge- 
führt wird,  erweist  er  sich  als  methodologisches  Prinzip,  in  Verbindung  mit 
dem  Gedanken,  daß  eben  die  Argumente  subjektiv  bedingter  Relativität,  die 
Locke  für  die  Subjektivität  der  sekundären  Qualitäten  verwendet,  für  die 
gleiche  Wesensart  der  von  Locke  im  Anschluß  an  einen  alten,  neu  gewendeten 
Sprachgebrauch  (■**)  so  genannten  primären  sprechen.  Völlig  zutreffend  wird 
diese  Grenzbestimmung  allerdings  erst,  wenn  hinzugenommen  wird,  was 
Berkeley  als  eine  selbstverständliche  Folgerung  aus  der  Ideenlehre  Lockes. 
wiederum  ohne  weiteres,  gleich  anfangs  ausspricht  und  nicht  müde  wird 
zu  wiederholen:  »The  existence  of  an  idea  consists  in  being  perceived.« 
Denn  »It  must  be  confessed  thls  niethod  of  arguing  [aus  der  subjektiven 
Relativität  der  Sinnesqualitäten]  does  not  so  much  prove  that  there 
is  no  extension  or  colour  in  an  outward  object,  as  that  we  do  not 
know    by    sense    which    is    the    true   extension    or   colour   of  the  object« 


Berkeleys  Philosophie,  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tagebuchs.        45 

(§  15)',  ein  Gedanke,  der  größere  Beachtung  verdient,  als  er  in  der  Ent- 
wicklung der  Lehre  von  der  Subjektivität  der  Sinnesqualitäten  seit  der 
antiken  Atomistik  bis  zur  Gegenwart  gefunden  hat. 

Nicht  anders  verhält  es  sich  mit  den  Gründen,  aus  denen  Berkeley 
die  Lehre  Leckes  von  unserer  P^rkenntnis  der  geistigen  Substanzen  um- 
bildet. Man  hat  wiederholt  bemerkt,  daß  dieser  Kardinalpunkt  seiner  Über- 
zeugung wenig  eingehend  von  ihm  behandelt  ist  und  wenig  deutlich  wird. 
In  der  Tat  wird  er  ebenfalls  von  vornherein  als  eine  selbstverständliche 
Konsequenz  des  Satzes  eingeführt,  daß  die  Existenz  der  Ideen  in  ihrem 
Perzipiertwerden  besteht  (Tr.  §  2).  Denn  damit  ist  gesagt,  daß  es  außer  den 
perzipierten  Ideen  perzipierende  geistige  Dinge  geben  müsse,  Bestimmungen, 
über  welche  die  Auslassungen  im  Treatise  prinzipiell  nicht  hinausgeführt 
werden. 

Berkeley  leitet  demnach  seinen  idealistischen  Spiritualismus  nicht  aus 
einer  neuen  Untersuchung  der  ersten  Prinzipien  unserer  Erkenntnis  ab.  Er 
entwickelt  ihn  vielmehr  aus  Konsequenzen,  die  er,  angetrieben  durch  sein 
religiös  fundiertes  Denken,  aus  Lockes  daraufhin  umgedeuteter  Erkenntnis- 
lehre zieht.  Y.T  steht  zu  Locke  in  der  Tat  älmlich  wie  Spinoza  zu  Des- 
cartes,  oder  wie  einerseits  Fichte,  andrerseits  Scliopenhauer  zu  Kant.  Nur 
sind  seine  Antriebe  durchaus  christlich  relij^iöse,  während  sie  bei  jenen 
in  erster  Linie  ethisch  fundiert  sind. 

Für  diese  Umbildung  fand  Berkeley  in  der  Erkenntnislehre  Lockes 
noch  direkter  faßbare  Anhaltspunkte,  als  der  Cartesianismus  sie  Pascal 
oder  Malebranche  für  ihre  analogen  Lehren  geboten  hatte.  Ohne  weiteres 
waren,  wie  schon  zu  erwähnen  war,  Lockes  Beweisgründe  für  die  Sub- 
jektivität der  sekundären  Qualitäten  auf  die  von  ihm  als  objektiv  voraus- 
gesetzten zu  übertragen.  Ebenso  naheliegend  war  die  Konsequenz,  daß 
die  Sensationen  mit  Einschluß  von  Raum,  Zeit  (13  u.  18;  vgl.  oben  S.  30) 
und  solidity  (Nr.  78)  und  die  Ideen  der  Reflexion  .sowie  selbstverständ- 
lich die  aus  iiuien  abgeleiteten  «ideas  formed  by  help  of  memory  and  Ima- 
gination« (Tr.  §  i)  »not  so  much  existences  as  manners  of  y"  existence 
of  persons«  seien  (24;  vgl.  S.  30).  Damit  waren  auf  empiristischer  Basis 
fast  alle  Brücken  zum  idealistischen  Spiritualismus  geschlagen.  Denn  dann 
verstand  sich  von  selbst: 


'  Man  vergleiche  dazu   ini  Tai^ebuch  die  S.  ,30  schon  zitierte  Eintragung  (20)  mit  den 
einschränkenden  Bemerkungen  (266,  288,  361b,  407). 


4(5  E  R  D  M  A  N  N  : 

Qu.    What  can  be  like  a  Sensation  but  a  Sensation?  (46) 

Qu.    Did    ever    any    man    see    any    other    tliings    besides   his   own 

ideas,   that  he  should  compare  them  to  these,  and  make  these  like  unto 

them?  (47;  vgl.  51) 

War  so  gesichert,  daß 

Nothing  but  ideas  perceivable(5o), 

SO  ergab  sich  im  Hinblick  auf  Lockes  Kritik  des  Substanzbegriffs  für  die 
Körperwelt  ebenfalls  von  vornherein: 

Material  substance  banter'd  by  Locke,  b.  2  c.  13  s.  19.  (91;  vgl.  176) 

Nicht  weniger  leicht  gesellte  sich  zu  dem  allen  die  Einsicht  in  die 
irreführenden  Konsequenzen  der  überlieferten  Lehre  von  der  Realität  der 
Materie  (22;  s.  oben  S.  30),  sowie  die  Erkenntnis,  daß  die  unendliche  Teil- 
barkeit der  Ausdehnung  mit  ihrem  Ursprung  aus  Sensationen  unverträglich 
sei  (26;  s.  oben  S.  30;  vgl.  33,  34,  37). 

Lockes  Annahme  einer  »sensitive  knowledge«,  die  als  Konsequenz 
seiner  Lehre  unmöglich  ist,  nur  als  Fplgebestimmung  seines  naiven  Rea- 
lismus der  primären  Qualitäten  verständlich  wird,  mochte  bei  dem  allen 
so  offenbar  ausgeschlossen  erscheinen,  daß  es  für  Berkeley  überflüssig  war, 
auf  ihre  Unzulänglichkeit  spezieller  einzugehen.  Sie  wird  im  Tagebuch 
nur  einmal  berührt: 

I  am  niore  certain  of  y"^  existence  &  reality  of  bodies  than  Mr.  Locke, 
since  he  pretends  onely  to  w'  he  calls  sensitive  knowledge,  whereas  I 
think  I  have  demonstrative  knowledge  of  their  existence — by  them  mean- 
ing  combinations  of  powers  in  an  unknown  substratum.  (81) 

Natürlich  soll  mit  diesen  Hinweisen  auf  frühe  Eintragungen  nicht  der 
so  bedeutungs-  wie  hoffnungslose  Versuch  gemacht  werden,  den  Ursprung 
von  Berkeleys  Immaterialismushypothese  aus  dem  Gedankenkreis  Lockes 
zu  rekonstruieren.  Sie  sollen  nur  die  Problemlage  bezeichnen,  aus  denen 
ihr  sachlicher  Bestand  ähnlich  so  abfolgte,  wie  Malebranches  Lehre  aus 
der  Problemlage,  die  der  Cartesianismus  geschaffen  hatte.  Nur  eine  Erläute- 
rung mehr  zu  vielen  leicht  beibringbaren  anderen  sollen  sie  dafür  liefern, 
daß  auch  in  geistesgeschichtlieher  Entwicklung  bei  analogen  Antrieben  die 
gleichen  Wirkungen  aus  sehr  verschiedenen  Ursachen  entspringen  können. 

Freilich  war  mit  dem  allen  der  idealistische  Spiritualismus  vorerst  nur 
als  »immaterial  hypothesis«  (19;  vgl.  oben  S.  30)  gegeben.  Erscheint 
»my  doctrine«,  also  im  wesentlichen  eben  diese  Lehre,    auch    schon  früh 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftUcJien  Tagebuchs.        47 

(29  und  30),    so  kommt  Berkeley  zu  völliger  Sicherheit,  wie  oben  bereits 
erwähnt,  doch  nur  allmählich. 

Erst  in  der  Nähe  der  dort  genannten  Eintragungen  tritt  der  Grund- 
gedanke der  Lehre  als    »Prinzip«   auf: 

Isnorance  in  some  sort  requisite  in  y'  person  that  should  disaver 
the  Principle.  (285) 

The    Principle     easily     proved     b>-    plenty     of    arguments     ad     ab- 
surdum. (293) 

The  reverse  oC  y^  Principle  introduced  scepticism.  (307) 

N.  B.  On  my  pi'incipics   tliere  is  a  realitv:    there   are   things:   there 
is  a  rerum  natura.  (308;  vgl.  315,  394) 

Früh  unil  immer  aufs  neue  wird  dabei  dieser  Gegensatz  zur  Skepsis 
betont,  den  Locke  bei  seinem  naiven  Realismus  keinen  Anlaß  gehabt  hatte, 
hervorzuheben  (19,  80,  81,  223.  428,  457,  [460J,  479,  507,  537,  540,  552, 
596,674,  797). 

Nach   dem   allen    kommt   es    im    weiteren  Verfolg   des  Tagebuchs   zu 

F>klärungen,    in    denen   die   Hypothese   als   gesicherte    Theorie    erscheint: 

Newton  begs  his  principle:  I  demonstrate  mine. (390;  vgl.  453) 
.  .  .   W  I    lay    hefore   you    are    undoubted   theorems,    not   plausible 
conjectai-es  of  my  own  ...  (522) 

W  I  sayis  deraonstration — perfect  demonstration...(54i;  vgl.  576,712) 

Absichtlich  ist  bei  der  vorstehenden  Bestimmung  der  Idee  von  Berkeleys 
Lehre  und  des  Ursprungs  ihrer  Gestaltung  aus  den  Voraussetzimgen  des 
Lockeschen  Empirismus  die  Funktion  und  der  Entwicklungseinlluß  außer 
Ansatz  gelassen  worden,  den  Berkeleys  kritische  Erörterung  der  überlieferten 
logisch-metaphysischen  Abstraktionslehre  besitzt. 

Die  Analyse  der  Gesichtswahrnehmung  mit  den  Ausführungen  über 
»Suggestion«  in  der  New  Theory  und  deren  Erläuterungsschrift  ist  ohne 
Zweifel  als  der  historisch  wirksamste,  in  den  Grundgedanken  unvergäng- 
liche Bestandteil  seiner  psychologischen  Lehren  anzusehen.  Schon  Hume 
hat  seine  Fortbildung  von  Berkeleys  Abstraktionstheorie  in  seinem  Treatise 
mit  der  Erklärung  eingeleitet:  »A  great  philosopher  has  disputed  the 
receiv'd  opinion  in  this  [question]  particular  ...  I  look  upon  this  to  be 
one  of  the  greatest  and  most  valuable  discoveries  that  lias  been  made  of 
lata  years  in  the  republic  of  letters.«  Sie  ist  zudem  von  Berkeley  in  der 
Einleitung  seines  Treatise  zu  einem  verhältnismäßig  umfangreichen  methodo- 
logisch-kritischen Werkzeug  ausgefeilt  und  im  Fortgang  des  Werks  häufig 


48  E  R  D  M  A  N  N  : 

ZU  solchem  Zweck  verwertet.  Kein  Wunder,  daß  sie  von  jeher  als  ein 
wesentlicher  Bestandteil  seiner  Philosophie  überhaupt  eingeschätzt  und 
wiederholt  als  ein  ebenso  wesentliches  Moment  ihrer  Entwicklung  angesehen 
worden  ist;  letzteres  um  so  mehr,  als  die  Grundzüge  dieser  Lehre  sich 
schon  in  der  New  Theory  finden. 

So  naheliegend  beide  Annahmen  sind,  so  wenig  halten  sie  doch  genauerer 
Prüfung  stand. 

Fürs  erste  ist  zu  beachten,  daß  die  Abstraktionstheorie  von  Berkeley 
nur  in  der  Einleitung  des  Treatise  ausführlich  entwickelt  und  im  Verlauf 
der  Untersuchung  häufiger  verwertet  wird,  in  den  übrigen  Schriften  dagegen 
zvirücktritt.  In  der  dem  Treatise  vorangehenden  New  Theory  wird  sie  direkt 
nur  in  einem  kurzen  Abschnitt  gegen  den  Schluß  der  Untersuchung 
(§  122  —  126;  vgl.  §  152)  dargestellt.  In  den  Dialogues  wird  sie  in  dem- 
selben Zusammenhang  wie  in  der  New  Theory  nur  andeutungsweise  heran- 
gezogen (Fr.  A  I  S.  283f. ;  daneben  ganz  flüchtig  S.  31 1,  3  i  5,  353).  Auch 
in  De  motu  wird  sie  nur  mehrfjicii  gestreift.  Etwas  breiter  ausgeführt 
dient  sie  in  der  ursprünglichen  Fassung  des  Alciphron,  kürzer  in  der 
Defence  of  Freethinking  in  Mathematics  dem  Beweisgang  (Ale.  VII  §  5 f.; 
aber  auch  V  §  24  und  VII  I4f:  Def.  §45f).  In  der  Siris  bleibt  sie  in 
untergeordneter  Stellung  fast  ganz   im   Hintergrund'. 

Sodann  ist  in  Betracht  zu  ziehen,  daß  die  neue  Abstraktionslehre  im 
Treatise  wie  in  den  übrigen  Schriften  durchweg  nur  kritisch  verwendet 
wird.  Sie  dient  nirgends  zum  Aufbau  des  Immaterialismus,  sondern  überall 
zur  Abwelir  der  ihr  entgegenstehenden  Meinungen,  d.  i.  im  Sinne  Berkeleys 
zahlreicher  althergebrachter  Irrtümer  der  philosophischen  Spekulation  sowie 
der  Mathematik  und  der  Naturwissenschaften,  in  sehr  viel  bescheidenerem 
Maße  auch  der  Lehre  von  den  spirits  und  der  Ethik.  Das  Sein  der 
Ideen  darf  von  ihrem  Perzipiertwerden  nicht  getrennt  werden  (Tr.  §  5); 
es     gibt    weder    eine    abstrakt    allgemeine    Idee    der    Existenz    überhaupt 


'  Inhaltlich  ist  Berkeleys  Abstraktionstheorie  jedoch,  wenn  wir  von  der  rationalistischen 
Wendung  der  Ideenlehre  in  der  Siris  absehen,  in  allen  diesen  Schriften  wesentlich  ungeändert. 
Die  Annahme,  daß  Berkeley  den  in  seiner  Abstraktionslehre  vorliegenden  Nominalismus  in 
der  letzthändigen  Ausgabe  des  Alciphron  (1752)  und  in  der  Siris  aufgegeben  habe,  besteht 
nicht  zu  Recht.  In  den  Erörterungen,  die  in  der  letzthändigen  Ausgabe  des  Alciphron  unver- 
ändert gelassen  sind,  bleibt  die  ursprüngliche  Lehre  deutlich  bestehen;  es  handelt  sich  bei 
dem  Foi-tfall  der  Abschnitte  Ale.  VII  5 — 7  offensichtlich  nur  um  eine  Konzentration  des 
Gedamkenganges. 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftliche}!  Tagebuchs.        49 

(Tr.  §  17,  74,  81,  88),  noch  eine  solche  speziell  der  Körper  (Tr.  §6,  11). 
Ebensowenig  können  wir  die  Idee  einer  von  den  sekundären  Qualitäten 
abgetrennten  Ausdehnung  (N.  Th.  §  43,  122,  130,  149,  160;  Tr.  §  10,  1 1,  99, 
116),  einer  reinen  Zeit  (Tr.  §  97.  iii)  oder  einer  Bewegung  überhaupt 
(N.  Th.  §  137  ;  Tr  §  10,  99)  bilden.  Ausgeschlossen  ist  damit  die  Idee  der 
unendlichen  Teilbarkeit  von  Raum,  Zeit  und  Zahl  (N.  Th.  §  54;  Tr.  §  125 
—  Tr.  |J  13,  ii9f.).  Nicht  weniger  irrtümlich  ist.  daß  die  geometrischen 
Beweise  abstrakt  allgemeine  Ideen  der  Figuren  voraussetzen  (N.  Th.  §  152; 
Tr.  Introd.  §  15;  §  10,  126).  Auch  die  abstrakt  allgemeine  Idee  der  Materie 
ist  haltlos  (Tr.  §81).  Fast  ausschließlich  fungiert  die  neue  Theorie  der 
Abstraktion  somit  als  Waffe  gegen  die  Irrlehren,  die  Berkeleys  Deutung 
der  Ideen,  d.  i.  der  Objekte  der  Außenwelt,  entgegenstehen.  Etwas  un- 
motiviert in  dem  uns  vorliegenden  Zusammenhang  wird  die  Lehre  dann 
auch  einmal  gegen  die  ^>Idee«  der  (Glückseligkeit  überhaupt  gerichtet 
(Tr.  !j  100);  und  erst  gegen  den  Schluß  des  Treatise  wird  sie  nach  kurzem 
Aufangsh  in  weis  auch  auf  die  »Notionen«  übertragen,  die  wir  von  geistigen 
Substanzen  gewinnen  können  (Tr.  §  27,  143). 

Der  positive  (bedanke,  der  diese  ganze  Abwehr  beherrscht,  liegt  in  dem 
Satze:  Abstraktion  in  gültigem  Sinne  ist  »the  conceiving  separately  such 
objects  as  it  is  possible  may  really  exist  or  be  actually  perceived  asunder« 
(Tr.  Intr.  §5;  §10).  Es  gibt  demnach  nur  allgemeine  Ideen  in  dem 
Sinne,  daß  eine  besondere  Idee  alle  anderen  besonderen  Ideen  derselben 
Art  repräsentiert,  d.  i.  ein  Zeichen  für  sie  wird  (Tr.  Intr.  §  1 2  f.  u.  o.). 
Zudem  bleibt  selbstverständlich,  »that  a  man  may  consider  a  figure  merely 
as  triangulär,  without  attending  to  ihe  particular  qualities  of  the  angles, 
or  relations  of  the  sides-  und  daß  wir  »in  like  manner  may  consider 
Peter  so  far  forth  as  man,  or  so  far  forth  as  animal « (Tr.'  J.  §  1 6 ;  vgl.  Tr.'  §  126). 

Diese  kritische,  fast  ausschließlich  gegen  eine  verbreitete  logische  Über- 
lieferung gerichtete  Funktion  von  Berkeleys  Abstraktionstheorie  erklärt  die 
oben  (S.  44)  schon  berührte  Differenz  zwischen  der  anscheinenden  Aufgabe- 
bestimraung  und  dem  tatsächlichen  Gehalt  des  Treatise.  Die  Aufgabe  ist 
weniger  allgemein  gedacht,  als  dies  scheint,  wenn  der  Satz,  der  sie  formu- 
liert, wie  auch  oben,  wenn  auch  nur  vorläufig  geschehen,  aus  seinem  Zu- 
sammenhang gelöst  wird.  Die  »strict  inquiry  concerning  the  First  Principles 
of  Human  Knowledge,  to  slft  and  examine  them  on  all  sides«  steht  in  festem 
kritischen  Zusammenhang  der  Einleitung  des  Werks.  »My  purpose  .  .  . 
Phil.-hist.Abh.  19ni.  Nr.  8.  7 


50  K  R  I)  M  A  N  N  : 

is«,  heißt  es  zu  seiner  Begründung,  »to  try  if  I  can  discover  what  those 
Principles  are  which  have  introducod  all  that  doubtfulness  and 
uucertainty,  those  absurdities  and  contradictions«,  die  scheinbar 
»arise  from  the  natural  dulness  and  limitalion  of  our  faculties«.  Es  ist 
vielmehr  anzunehmen,  daß  jene  Hemmnisse  und  Schwierigkeiten  »do  not 
spring  from  any  darkness  and  intricacy  in  the  objects,  or  natural  defect  in 
the  understanding,  so  much  as  from  false  Principles  which  have  been 
insisted  on,  and  might  have  been  avoided«.  Welche  falschen  Prinzipien  hier 
gemeint  sind,  hat  Berkeley  nicht  zweifelhaft  gelassen.  Unmittelbar  gemeint 
ist  die  aus  einem  Mißverständnis  der  Funktionen  der  Sprache  entsprungene 
Abstraktionstheorie  in  der  herkömmlichen  Logik  und  Metaphysik  (Tr.  Intr. 
§6,18  f.).  Mittelbar  richtet  sich  die  kritische  Untersuchung  gegen  die  An- 
nahme, daß  die  Objekte  der  Sinneswahrnehmung  etwas  anderes  sind  als  hleen- 
komplexe,  deren  Sein  in  ihrem  Perzipiertwerden  gesteht,  und  die  aus  diesem 
Vorurteil  herfließenden  skeptischen  und  irreligiösen  Lehrmeinungen.  Den 
ersten  Punkt  behandelt  die  Einleitung  des  Treatise,  den  zw^eiten  die  noch 
umfassendere  kritische  Begründung  der  neuen  Ideenlelire  und  ihrer  religiös- 
metaphysischen Konsequenzen  im  Treatise  selbst.  So  handelt  es  sich  in 
dem  Werk  nicht  sowohl  um  einen  neuen  erkenntnistheoretischeii  Aufbau, 
als  vielmehr  um  eine  erkenntnis kritische  Untersuchung  übei'lieferter,  vom 
Standpunkt  des  Immaterialismus  falscher  landläufiger  Annahmen,  d.  i.  um 
eben  die  Untersuchung,  die  der  Untertitel  des  Werks  in  Aussicht  stellt,  um 
eine  Arbeit,  «wherein  the  chief  causes  of  error  and  difßculty  in  the  Sciences, 
[d.  i.  der  Philosophie  sowir  der  Mathematik  und  der  Physik  im  weitesten 
Sinn]  with  the  grounds  of  scepticism,  atheism,  and  irreligion,  are  inquired 
into  « . 

Zu  organischer  Einheit  sind  beide  kritische  Untersuchungen  im  Treatise 
nicht  verbunden. 

Von  den  zwei  Gliedern  der  Einleitung,  der  Kritik  der  Lehre  Lockes 
von  den  abstrakten  Meen  und  dem  kritischen  Nachweis  der  Funktionen  der 
Sprache,  fällt  das  zweite  für  die  Substanz  des  Werkes  fast  vollständig  aus. 
Nicht  einmal  die  Suggestionstheorie,  die  in  der  New  Theory  eine  ausschlag- 
gebende Rolle  spielt  und  dort  zu  mehrfachen  Hinweisen  auf  die  Sprache 
Gottes  in  der  Natur  verwertet  ist,  wird  weiter  ausgeführt.  Die  jener  Theorie 
entsprechende  Scheidung  von  »immediate«  und  »mediale  perceptions«  kommt 
erst  in  den  Dialogen  zum  Vorschein.    Die  tiefsinnigen  Erörterungen  über  die 


Berkeleijs  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tagelmchs.         51 

äußere  Natur  als  Sprache  Gottes,  die  in  der  New  Theory  angelegt  sind, 
werden  erst  im  vierten  Dialog  des  Alciphron,  in  der  »New  Tlieory  .  .  .  vindi- 
cated«  und  kürzer  nochmals  in  der.Siris  weiterentwickelt.  Im  Treatise 
fehlen  sie  bis  auf  wenige,  von  Berkeley  selbst  schließlich  ausgemerzte  An- 
deutungen. Es  bleiben  von  der  Theorie  der  Sprache  im  Treatise  nur  die 
eingangs  betonten  und  weiterhin  mehrfach  wiederholten  Klagen  über  die 
Unzulänglichkeit  der  sprachlichen  Formulierung.  Begreiflich  danach,  daß 
die  feinsinnigen  Bemerkungen  über  die  Funktionen  der  Sprache,  die  sich  in 
der  Einleitung  und  in  anderen  Schriften  Berkeleys  finden,  'weder  die  Ein- 
wirkung, noch  auch  selbst  nachträglich  die  Anerkennung  erlangt  haben,  die 
sie  auch  in  Rücksicht  auf  die  Leistungen  Hartleys  für  die  Psychologie  der 
Sprache  verdienen.  Sie  sind  weniger  nocli  gebührend  gewertet  worden,  als 
die  in  seiner  Suggestionstheorie  enthaltenen,  voll  entwickelten  Keime  zu 
der  Assoziationstheorie  Hartleys,  soweit  diese  psychologisch  fundiert  ist, 
und  zu  der  rein  psychologisch  begründeten  Assoziationstheorie  Humes.  Sie 
sind  fast  nur  durch  die  Suggestionslehre  von  Thomas  Brown  weiter  ent- 
faltet worden. 

Der  erste  Teil  der  Einleitiuig  dagegen,  die  Ablehnung  der  überlieferten 
logischen  Abstraktionstheorie  imd  der  psychologischen  Fundierung,  die 
ihr  Locke  gegeben  hatte,  durchsetzt  auch  die  späteren  kritischen  Aus- 
führungen des  Treatise,  auflfalligerweise  allerdings  so,  daß  ihr  Grund- 
gedanke in  §  5  des  eigentlichen  Treatise  eingeführt  und  bis  §  96  hin 
wiederholt  kritisch  verwertet  wird,  ohne  daß  auch  nur  mit  einem  Wort  an' 
die  Einleitung  angeknüpft  wäre.  Erst  im  §  97  und  dann  im  §  126  wird 
auf  sie  zurückgewiesen.  Der  aufmerksame  Leser  gewinnt  so  den  Eindruck, 
daß  der  §  5  und  die  ihm  bis  §  96  folgenden  konzipiert  sind,  ohne  daß  die 
Absicht  bestand,  die  kritischen  Erörterungen  der  Einleitung  vorangehen  zu 
lassen.  Obgleich,  wie  wir  sehen  werden,  das  Tagebuch  sicher  macht,  daß 
eine  .solche  Eiiikilung  früh  yeplant  war,  drängt  sich  doch  die  Vermutung 
auf,  daß  sie  nachträglich  ausgearbeitet  wurde,  also  erst  späterhin  für 
Berkeley  die  Bedeutung  erlangte,  die  sie  in  dem  uns  vorliegenden  Treatise 
besitzt.  Ist  das  richtig,  so  würde  die  Einleitung  eine  Art  Seitenstück  zu 
der  New  Theory  sein;  nur  daß  sie  nicht  wie  diese  als  eine  Vorarbeit, 
sondern  als  eine  Ergänzung  zum  Treatise  gedacht  wäre. 

Auch  der  Umstand  will  berücksichtigt  sein,  daß  Berkeleys  Abstraktions- 
kritik nur  die   psychologische    Grundlegung  der   logischen    Abstraktions- 

7* 


52  P]rdmann: 

theorie  ausdrücklich  behandelt.  Die  metaphysische  Formenlehre  des  schola- 
stischen Realismus  wird  kaum  gestreift.  Ihren  Aufstellungen  und  dem 
Piatonismus,  auf  den  sie  letztlich  zurückweist,  bleibt  Berkeley  näher,  ohne 
daß  auch  daraus  (vgl.  oben  S.  36)  etwa  ein  direkter  Einfluß  der  Plato- 
nischen Ideenlehre  abzuleiten  wäre.  Gott  kann  die  Ideen  in  uns  nur  dadurch 
wecken,  daß  ihre  Urbilder  von  Ewigkeit  her  von  ihm  vorgestellt  werden 
(Dial.  Fr.  AI  351).  Noch  in  Rhode  Island  schreibt  er:  »I  have  no  objection 
against  calling  the  Ideas  in  the  mind  of  God  archetypes  of  ours.«  Es  sind 
nur  nicht  universalia  ante  res,  die  er  zugibt,  sondern  Urbilder  der  konkreten 
Dinge  selbst.  So  müssen  wir  deuten,  wenn  er  in  dem  angezogenen  Briefe, 
scheinbar  die  universalia  in  rebus  verneinend,  fortfahrt:  »ButI  object  against 
those  archetypes  by  philosophers  supposed  to  be  real  things,  and  to  have  an 
absolute  rational  existence  distinct  from  their  being  perceived  by  any  mind 
whatsoever. «  (*^) 

Möglich  endlich,  daß  noch  ein  Nebenmotiv  Berkeley  schließlich  beweg, 
die  Kritik  der  Lehre  von  den  abstrakten  Ideen  und  deren  Ursprung  aus  der 
Sprache  dem  Treatise  voranzustellen.  In  dem  schon  oben  erwähnten  Brief  an 
Sir  John  Percival  vom  6.  September  1 7  10  schrieb  er :  »However,  limagine  that 
whatever  doctrine  contradicts  vulgär  and  settled  opinion  had  need  be  intro- 
duced  with  great  caution  into  the  world.  For  this  reason  it  was  that  I 
omitted  all  mention  of  the  non-existence  of  Matter  in  the  title-page,  dedication, 
preface,  and  introductiou  to  my  'Treatise  on  Human  Knowledge";  that  so 
the  notion  might  steal  unawares  on  the  reader  . . . ;  therefore  ...  I  entreat  you 
not  to  take  notice  to  them  [Percivals  Bekannten]  that  I  deny  the  being  of  Matter 
in  it,  but  only  that  it  is  a  treatise  on  the  principles  of  human  knowledge, 
designed  to  promote  true  knowledge  and  religion.  .  .  .«  (^)  Solcher  Vorsicht 
konnte  die  Einleitung,  weil  sie  gegen  eine  offenbar  unhaltbare  Position  Lockes 
gerichtet  war,  ebenfalls  dienen. 

Alles  was  hiernach  über  die  Funktion  von  Berkeleys  Abstraktions- 
kritik festzustellen  war,  macht  wahrscheinlich,  daß  sie  kein  Moment  für 
die  ursprüngliche  Konzeption  des  Immaterialismus  abgab.  Es  bewahrheitet 
sich  demnach  auch  hier  der  oft  in  der  Ideengeschichte  verifizierbare  Gedanke, 
daß  neue  Lehren  nur  selten  durch  eine  umfassende  Kritik  hergebrachter 
Ansichten  entstehen.  Produktive  Ideen  pflegen  positiven  intuitiven  Ursprung 
zu  haben.  E]rst  in  der  Ausgestaltung  können,  sie  dann  Anlaß  zu  ein- 
gehender Kritik  bieten.    Es  liegt  demnach  hier  ähnlich  so   wie  mit  Lockes 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tagebuchs.         53 

Kritik  der  Lehre  von  den   angeborenen  Ideen,   auf  deren  späten  Ursprung 
schon  Burton   mit  Recht  hingewiesen  hat. 

Daß  sich  die  Ansätze  zn  dieser  Kritik  Berkeley  bald  nach  der  Kon- 
zeption seiner  Grundidee  als  ein  wertvolles  Kampfmittel  darboten,  soll 
damit  natürlich  nicht  geleugnet  werden.  Dafür  spricht  bereits,  daß  sie  als 
solches  schon  in  der  New  Theory  verwendet  wird.  Sicherer  noch  zeigt  sich 
ihr  früher  Ursprung  darin,  daß  ihre  Argumentationen  ausschließlich  auf  Locke 
zugeschnitten  sind.  Sie  sind  ebenso  wie  die  These,  die  sie  begründen 
sollen,  lediglich  ein  Produkt  Berkeleyschen  Denkens.  Nichts  in  ihnen  verrät, 
daß  er  sich  des  Zusammenhangs  seiner  Aufstellungen  mit  der  reichen  Vor- 
geschichte bewußt  ist,  die  innerhalb  der  christlichen  P]ntwicklung  bis  in 
die  erste  Periode  des  Nominalismus  zurückreicht  und  im  Zusammenhang 
mit  dem  späteren  Nominalismus  auch  in  der  Renaissance  Vertreter  hat.  (•**) 
Nicht  einmal  Hobbes,  der  Vorgänger,  bei  dem  er  alle  wesentlichen  Ge- 
danken dieser  seiner  Lehre  hätte  finden  können,  hat  irgendwelchen  Einfluß 
auf  ihn  gehabt.  (^) 

Wir  können  demnach  weder  der  tatsächlichen  Funktion  der  Abstraktions- 
lehre in  Berkeleys  Schriften,  noch  der  sachlichen  Zugehörigkeit  seiner  Argu- 
mentationen zu  den  nominalistischen  Lehrmeinungen  ein  Recht  zu  der  Hypo- 
these entnehmen,  jene  Lehre  sei  ein  »fundamental  principle«  seiner  Doktrin. 
Wir  müßten  denn  annehmen  wollen,  sie  sei  ein  solches,  obgleich  sie  durchweg 
nur  der  Abwehr  herrschender  Meinungen  dient,  lediglich  im  Treatise  eine 
in  die  Augen  fallende  kritische  Stellung  besitzt  und  nichts  enthält,  was 
mit  der  Idee  des  Immaterialismus  irgend  etwas  zu  tun  hätte. 

Eben  dieses,  den  herkömmlichen  Darstellungen  von  Berkeleys  Lehre 
widersprechende  Ergebnis  wird  durch  das  Tagebuch  bestätigt.  Es  zeigt  in 
geradezu  vorbildlicher  Form,  wie  bedenklich  es  ist,  ohne  weiteres  syste- 
matische Darstellungen  einer  Lehre  als  Belege  historischer  ^Entwicklung, 
Beweisgründe  kurzerhand  als  Erkenntnisgründe  anzusehen. 

An  Hinweisen  auf  die  neue  Abstraktionstheorie  fehlt  es  im  Tagebuch 
nicht,  völlig  aber  an  solchen,  die  irgendeinen  Einfluß  auf  die  Idee  des 
Immaterialismus  verraten.  Die  Theorie  tritt  vielmehr  erst  auf,  nachdem 
die  immaterialistischen  Grundgedanken,  die  Lehre  von  den  Geistern  und 
von  der  rein  geistigen  Wirklichkeit  der  Ideen,  längst  feststehen,  und  auch 
speziell  die  Grundzüge  der  neuen  Theorie  der  Gesichts-  und  Tastwahmeh- 
mung  fixiert  sind.  Ihre  ersten  Anfange  finden  sich  in  kritischen  Konsequenzen, 


54  K  R  D  M  A  N  N  : 

die  aus  der  empiristischen  Deutung  der  Gesichtswahmehmung  abfließen, 
gegen  herkömmliche  und  neue  mathematische  Lehren.  Deutlich  tritt  die 
in  ihr  enthaltene  Verneinung  der  abstrakten  geometrischen  Gebilde  erst 
kurz  vor  dem  Ende  des  ersten  Drittels  der  Aufzeichnungen  auf.  Erst  im 
zweiten  Drittel  folgen  gehäufte  Ausführungen,  die  den  positiven  Sinn  der 
Theorie  feststellen,  noch  immer  hauptsächlich  im  Anschluß  an  eine  Kritik 
der  dem  Sensualismus  widersprechenden  geometrischen  Deutimgen.  Darauf- 
hin erst  konzentriert  sich  die  Negation  um  die  Lehre  Lockes.  Noch  über 
die  Hälfte  des  Tagebuchs  hinaus  finden  sich  Aufzeichnungen,  in  denen 
Berkeley  unbedenklich  den  überlieferten  Sprachgebrauch  festhält,  der  von 
abstrakten  und  allgemeinen  Ideen  reden  läßt.  Ganz  zuletzt  finden  sich 
einige  wenige  Notizen,  in  denen  die  Theorie  auf  die  Lehre  von  den  Geistern 
übertragen  wird. 

Y.S  lohnt  der  Mühe,  dies  im  einzelnen  zu  begründen.  Der  Zusammen- 
hang der  hierher  gehörigen  Eintragungen  wird  nicht  auf  den  ersten  Blick 
deutlich,  führt  aber  bei  genauerer  Prüfung  zu  sicheren  Ergebnissen. 

Zuerst  sei  skizziert,  in  welchen  Wendungen  Berkeley  bis  um  die  Hälfte 
der  Tagebuchnotizen  gelegentlich  an  dem  herkömmlichen  Sprachgebrauch 
festhält;  von  der  Eintragung  (53)  sei  dabei  vorerst  abgesehen.    So  heißt  es: 
Unity  in  abstracto  not  at  all  divisible,    it  being  as  it  were  a  point, 
or   with  Barrow  (vgl.  264,  337,  365,  553)    nothing  at  all;    in  concreto  not 
divisible  ad  inßnitum,  there  being  no  one  idea  diminishable  ad  infinitum.  (75) 
Lengths  abstract  from    breadths  are   the  vyork  of  the   mind.     Such 
do  iiitersect   in  a  point    at  all  ungles.     Alter  the  sanie  way  cuiour  is  ab- 
stract from  extension.    (86) 

Späterhin  taucht  in  ebensolchen  Wendungen  ein  Abstraktionsproblem 
auf,  das  bald  verschwindet,  obgleich  die  Frage  nach  den  einfachen  Ideen 
den  Berkeley  des  Tagebuchs  wiederholt  beschäftigt: 

Simple  ideas  include  no  parts  nor  relations — hardly  separated 
and  considered  in  themselves — nor  yet  rightly  singied  by  any 
author.     Instance  in  power,  red,  extension,  &c.  (133;  vgl.  483) 

Preliminary  discourse  about  singling  and  abstracting  simple 
ideas.   (137  a) 

Auch  einzelne,  wenig  spätere  Bemerkungen  zur  TJieorie  der  Gesichts- 
und Tastwahrnehmung  gehören  hierher: 

Men  estimate  magnitudes  both  by  angles  and  distance.  Blind  at 
i^'  could  not  know  distance,  or  by  pure  sight  abstracting  from  ex- 
perience  of  connexion  of  sight  aud  tangible  ideas  \ve  can"t  pei-ceive 
distance...  (170;  vgl.  202) 


Berkeleys  Philosophie  im  lAchte  seines  wissenschaftlichen  Tagebuchs.        55 

Sogar  noch  um  die  Mitte  des  Tagebuchs  wird  der  alte  logische  Sprach- 
gebrauch gelegentlich  angewandt.  So  in  einer  beachtenswerten  Verallge- 
meinerung der  Lehre  von  den  minima  sensibilia: 

A  line  in  abstract,  or  distance,  is  the  number  of  points  between 
two  points.  There  is  also  distance  between  a  slave  &  an  emperor,  between 
a  peasant  &  philosopher,  between  a  drachm  &  a  pound,  a  farthing  &  a 
crown,  &c.;  in  all  which  distance  signifies-  the  number  of  intennediate 
ideas.  (431) 

No  one  abstract  simple  idea  like  another.  Two  simple  ideas  may 
be  connected  with  one  &  the  same  3''  simple  idea,  or  be  intromitted  by 
one  &  the  same  sense.  But  consider'd  in  themselves  they  can  have 
nothing  common,  and  consequently  no  likeness.  (483) 

Auch  bleibt  Berkeley  bis  dahin  unbedenklich,  von  »my  abstract  & 
general  doctrines«  (494)  und  »abstract  philosophic  thoughtsa  (501)  über- 
haupt zu  reden,  in  Ausdrücken  also,  über  deren  Unzulänglichkeit  die  Ein- 
e  itung  zu  dem  um  diese  Zeit  bereits  fest  geplanten  Treatise  handeln  soll. 

Erst  wenn  solche,  die  Anfange  der  neuen  Einsicht  überdauernden,  in 
einem  Tagebuch  begreiflichen  Nutzungen  des  überlieferten  Sprachgebrauchs 
ausgeschieden  sind,  wird  es  möglich,  die  Entwicklung  der  neuen  Abstraktions- 
lehre zu  verfolgen.  Vorausgesetzt  darf  werden,  daß  die  in  eckigen  Klam- 
mern bei  Fräser  stehenden  Worte  der  Eintragung: 

Succession    a    simple   idea,    [succession    is    an    abstract,   i.  e.  an    in- 
conceivable  idea,]  Locke  says  (53) 

einen  Zusatz  aus  späterer  Zeit  bilden.  Die  Vermutung  wird  sich  durch  alles 
Folgende  als  wahrscheinlich  ergeben.  Eine  äußere  Verifikation  ist  allerdings  für 
sie  nur  zu  erlangen,  wenn  eine  erneute  Prüfung  des  Manuskripts  Anzeichen 
dafür  gibt,  daß  die  eingeklammerten  Worte  nachträglich  von  Berkeley  ein- 
geschrieben sind,  wie  etwa  die  von  Fräser  übersehenen,  nachträglich  ein- 
gefügten Worte  in  Nr.  55    »abstrahible  or«    und  andere. 

Eine  erste  Spur  der  (bedanken,  welche  die  neue  Abstraktionslehre  her- 
beiführen,  wird   in   der  frühen   Eintr?igung  zu  suchen   sein: 

Denionstrations  of  ihe  infinite  divisibUity  of  extension  suppose  length 
witliout  breadth,  or  invisible  length,  w'=''  is  absurd.  (21) 

Die  Bemerkung  will  nur  recht  verstanden  sein.  Die  Voraussetzung  von 
Länge  ohne  Breite  ist  absurd,  weil  sie  unsichtbare  Länge  annehmen  ließe. 
Das  aber  ist  untunlich,  weil 

Terminations  of  surfaces  &  lines  not  iniaginable />er  se.  (31) 


56  E  K  D  M  A  N  N  : 

Denn : 

No  extension  but  surface  perceivable  by  sight.  (35 ;  vgl.   107  und  346 
mit  der  Randbemerkung  [346a]) 

Berkeley  bleibt  dabei,  wie  die  oben  (S.  54)  angeföhrte  Eintragung  (86)  zeigt, 
vorerst  noch  durchaus  in  dem  Sprachgebrauch  und  Gedankenkreis  der 
überlieferten  Abstraktionslehre. 

Mit  diesen  Gedanken  bricht  im  Prinzip  zuerst  die  kurze  Kritik  geome- 
trischer Konstruktionsbegriffe : 

No  idea  of  circle,  &c.  in  abstract.  (239) 

Die  Zeit  ihrer  Niederschrift  bildet  wohl  den  frühesten  Termin  für  die  oben 
schon  berührte  kritische  Niederschrift  in  Nr.  53: 

[succession  is  an  abstract,  i.  e.  an  inconceivable  idea]. 
Bald  wird  die  Kritik  weitergeführt: 

A  meer  line  or  distance  is  not  made  up  of  points ',  does  not  exist, 
cannot  be  imagin'd,  or  have  an  idea  framed  thereof, — no  more  than  meer 
colour  without  exteusion.  (254) 

Zugleich  setzt  der  Anfang  einer  positiven  Bestimmung  ein: 


'■'•  Mem.  A  great  difference  between  constiimng   length  w'l'out  breadth, 

&  having  an  idea  oC  or  imayining  length  without  breadth.  (255) 

Sie  findet  sich  sachlich  wie  terminologisch  sclion  in  Nr.  109  (»on  its  con- 
sideration«),  ebenso  z.  B.  in  der  noch  S.  57  anzuführenden  Bemerkung  (322)'. 
Auch  das  zweite  positive  Moment  der  neuen  Abstraktionslehre,  die  wir 
nach  unserem  Spracligebrauch  als  sachliche  Abstraktion  zu  bezeichnen  hätten, 
die  Repräsentation  verschiedener,  einander  ähnlicher  Einzelvorstellungen 
durch  eine  von  ihnen,  kommt  jetzt,  wiederum  vorerst  geometrisch  an- 
gewendet, zum  Ausdruck  (261,  262,  264).  Fast  gleichzeitig  treten,  hier 
deutlicher  als  in  den  Schriften,  die  (auf  die  ideas  eingeschränkten)  nomi- 
nalistischen  Erklärungen  auf: 

Speeies  of  all  sensible  things  made  by  the  mind.    This  prov'd  either 
by  turning  men's  eyes  into  magnifyers  or  diminishers.  (272) 


'  D.  i.  eine  Länge  ohne  Breite  im  Sinne  der  Geometer,  die  oben  schon  erörterte 
»insensible  line",  die  noch  912  einmal  ausdrücklich  abgewiesen  wird,  nicht  aber  die  »meei- 
line«  im  Sinne  der  oben  angeführten  Notiz  431. 

^  Die  Bemerkungen  im  Treatise"  §  »26  u.  Tr."  Int.  §  16  sind  nach  den  oben  genannten 
Tagebucheintragungen  (109,  255,  322)  in  dem  auch  dort  gebrauchten  •consider«  terminologisch 
bedeutungsvoll. 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tagebuchs.        57 

. . .  the  sorts  are  the  work  of  the  mind,  and  onely  in  the  mind.  (288) 
. . .  the  mind  makes  the  sorts.    They  were  not  before  the  mind  per- 
ceiving  them,  &  even  now  the}'  are  not  without  the  mind . . .  (290) 

Auch  des  Seitenstücks  zu  der  oben  zitierten  Bemerkung  (254)  wird  in 
diesem  Zusammenhang  gedacht: 

[The  great  argument  to  prove  that  extension  cannot  be  in  an  un- 
thinking  substance,  is  that  it  cannot  be  conceiv'd  distinct  from  or  without  all 
tangible  or  visible  quality.]  (289) 

So  ist  der  Boden  bereitet  für  die  selbstverständliche  Verneinung  vor- 
aussetzende Frage: 

Qu.     Is  it  not  impossible  there  should  be  göneral  ideas?  (321) 
Nur  die  Namengebung   ist   noch    nicht   fest.     Gemeint   sind    die  später  so 
genannten    »abstract  general«   oder  kurz   »abstract  ideas«. 

Gleichzeitig  mit  jener  Verneinung  in  Frageform  erscheint  das  ent- 
scheidende Argument  für  den  positiven  Gehalt  der  Theorie: 

AU  ideas  come  from  without.  They  are  all  particular.  The 
mind,  'tis  true,  can  consider  one  thing  w"'out  another;  but  then,  considered 
asunder,  the}'  make  not  2  ideas.  Both  togcther  can  make  but  one,  as 
for  instance  colour  &  visible  extension.  (322;  vgl.  365) 

Der  Sinn  der  mißverständlichen  Argumentation  ist  klar:  die  Bestandteile 
jeder  zusammengesetzten  Ideen  können,  wie  wir  schon  oben  gesehen  haben, 
»be  considered  asundec« :  aber  es  entstehen  dann  nicht  mehrere  Ideen, 
sondern  nur  verschiedene  Betrachtungsweisen  einer  und  derselben,  wie  etwa 
einer  Länge  ohne  Breite  (346  und  [346a],  365,  I368],  372  und  [372a]).  Das 
»considered«    will  auch   hier  beachtet  sein. 

Nunmehr  wird  auch  die  Teilbarkeit  von  Längen  und  Einheiten  ins 
Unendliche,  wie  die  Grenz-,  speziell  die  Infinitesimalbetrachtungen  der  Mathe- 
matik fordern,  in  die  neue  Auffassungsweise  einbezogen.  Eine  Gerade 
von  kleiner  begrenzter  Größe  kann  eine  in  i  o  000  Teile  zerlegbare  Linie 
nur  repräsentieren  (344,  345,  346',  346a,  347  —  349,  351  ff.);  eine  Einheit 
ist  nicht  ins  Unendliche  teilbar  (346s  349).    So  kann  Berkeley  behaupten: 

All  might  be  demonstrated  by  a  new  method  of  indivisibles,  easier 
perhaps  and  juster  than  that  of  Cavalierius.  (350) 

Die  Grundgedanken  der  späteren  Kritik  an  der  überlieferten  Abstraktions- 
lehre sind  damit  gewonnen.  Am  Anfang  des  zweiten  Tagebuchheftes  lesen 
wir  dementsprechend: 

No  general  ideas — the  contrary  a  cause  (jf  mistake  or  confusion  in 
matheniatiques.  &c.     This  to  be  intimated  in  y«  Introduction.  (384) 
PMl.-hist.  Abh.  1919.  Nr.N.  8 


38  E  R  n  M  A  N  N  : 

Im  einzelnen  freilich  wird  noch  mancherlei  weitergebildet.  Die  mathe- 
matischen Annahmen  von  breitenlosen  Längen,  die  eben  schon  zu  erwähnen 
wfiren,   werden  ausdrücklich  in  die  neue  Lehre   eingefügt: 

We  can  no  more  have  an  idea  of  length  without  breadth  or  visi- 
bility,  thaa  of  a  general  figure.   (471) 

Schon  vor  dieser  Einordnung  wird  der  Begriff  der  Entfernung  allgemein 

in   einer  Weise  bestimmt,    die  einen  bedeutsameren   Fortschritt  ausmacht: 

Extension  abstract  from  sensible  qualities  is  no  Sensation,  I  grant; 
but  then  thei'e  is  no  such  idea,  as  any  one  may  try.  There  is  onely  a 
considering  the  number  of  points  witJiout  the  sort  of  tiiem,  &  this 
makes  more  for  me,  since  it  must  be  in  a  considering  thing.  (424) 

Die  Weite  dieser  Bestimmung,  in  die  man  eine  Vorwegnahme  von  Gedanken 
der  modernen  Lehre  von  wohlgeordneten  Mengen  hineinlesen  könnte  (vgl. 
429,  430),  zeigt  sich  deutlicher  in  der  oben  (S.  55)  schon  angeführten 
Bemerkung  431. 

Noch  immer  aber  ist  die  neue  Lehre  weder  sachlich  noch  terminolo- 
gisch zum  Abschluß  gebracht.  Fürs  erste  hängen  noch  Zweifel  an  der 
Lehre  von  den  Minima  der  Gesichts-  und  Tastwahrnehmung: 

Qu.  whether  a  M.  V.  be  of  any  colour;'  a.  M.  T.  of  any  tangible 
quality?  (426) 

Sie  finden  keine  Aufklärung  (vgl.  438,  439):  Berkeley  denkt  an  eine  experi- 
mentelle Prüfung  im  Hinblick  auf  Newtons  Farbenlehre: 

Mem.    To  make  experiments  ooncerning  minimums  and  their  colours, 
'.  whether  they  have  any  or  no,  &  whether  they  can  be  of  that  green  w""" 

seems  to  be  compounded  of  yellow  and  blue.  (477) 

Ferner  wird  Locke  gegenüber  bestritten,  daß  die  Erinnerungen  der  Worte 

bedürfen.    Wir  lesen  die  kühne,  später  aufgegebene  Behauptung: 

;  '  .       '       ■         ....  "Tis  absurd  to  use  words   for  recording    our   thoughts    to  our- 
selves,  or  in  our  private  meditations.  (482;  vgl.  554) 

Sie    mag    uns    als   Bestätigung    für    die    Annahme    dienen,    daß   Berkeleys 

Denken  wesentlich  intuitiv  geprägt  war,  die  sich  aus  der  ganzen  Art  seiner 

Geistesrichtung    ergibt.     Endlich  finden  wir   kurz  darauf  eine  Eintragung, 

die  in  ihrem  Schluß  eine  später  festgehaltene  Ergänzung  der  Theorie,  in 

itirem  Anfang  aber  Unfertiges  enthält: 

ij  .;■  Qu.    How   can   there  be   any  abstract  ideas   of  colours?     It  seems 

not  so  casily  as  of  fcistes  or  .•sounds.  Bnt  then  all  abstract  ideas  what- 
soever  are  particular.  I  can  by  no  means  conceive  a  general  idea. 
'Tis;  öne  thing  to  abstract  one  idea  from  another  of  a  different  kind,  & 
another  tliing  to  abstract  an  idea  from  all  particulars  of  the  same  kind.  (484) 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  TagebucJis.         59 

Nunmehr  erst  gewinnt  die  neue  Theorie,  während  bereits  festgelegte 
Bestimmungen  in  verschiedenen  Variationen  wiederholt  werden  (z.  B.  500, 
581,  584,  650,  695,  718,  729,  764,  775),  allgemeinere  Bedeutung  und 
im  Anschluß  an  kritische  Bemerkungen  gegen  Leckes  Abstraktionslehre 
schärfere  Prägung. 

Alle  Wissenschaften,  niclit  nur  die  mathematischen,  sind  von  falschen 
Annahmen  über  abstrakte  Vorstellungen  durchsetzt,  die  einer  Mißdeutung 
der  Sprache  entspringen : 

Doctrine  of  abstraction  of  very  evil  consequence  in  all  the  sciences. 
Mem.  Barrows  remarU.  Entirely  owing  to  language.  (553;  ^'g'-  S'S»  55°» 
555.  650,  696,  720) 

Words  have  ruin'd  and  overrun  all  the  sciences — law,  phj'sique, 
chymistry,  astrology.  &c.  (695;  vgl.  ^^l,  775,  852,  853) 

Auch  das  Gebiet  der  abstrakten  Vorstellungen  erweitert  sich.  So  um 
»the  abstract  idea  of  Being  or  Existence«  (542:  vgl.  650,  739);  sie  ist 
wie  extension  eine  »abstract,  i.  e.  no  idea«  (764).  Ferner  uni  die  später 
von  Berkeley  so  genannten  Notionen  von  »Will  and  Understanding  .  .  .,  they 
not  being  even  ratione  different  trom  the  spirit,  <fiä  faculties,  or  active« 
(859;  vgl.  655,  855).  Selbst  der  Begriff  der  Wahrheit  wird  gegen  den 
Schluß  der  Aufzeichnungen  (861),  allerdings  nur  in  Frageform,  als  abstrakte 
Idee  in  Anspruch  genommen. 

Was  ferner  für  die  geometrischen   Allgemeinvorstellungen  gültig  ist: 
Considering  length  witbout  breadth  is  coiisidering  any  length,  be  the 
breadth  w'  it  will  (715), 

das  gilt  für  die  abstrakten  Ideen  überhaupt: 

We  may  have  certainty  &  knowledge  without  ideas,  i.  e.  without 
other  ideas  than  the  words,  and  their  standing  for  one  idea,  i.e.  their 
being  to  be  iised  iiidiflerciilly.  (7J3) 

Ks  ergibt  sich  somit: 

Wonls  (by  them  nioaning  all  sorts  of  signs)  are  so  necessary.  that 
instead  of  being  (w"  duly  iis'd  or  in  iheir  own  iiatui-e)  prejudicial  to  the 
advancement  of  knowledge,  or  an  hiiidrance  to  knowledge,  that  without 
them  there  could  in  matlieniatiques  themselves  be  no  demonstration.  (743) 

Wir  stoßen  damit  auf  eine  Einsiclit  in  die  Funktionen  der  Sprache,  die 
in  den  Schriften  Berkeleys  spät  erst  (Ale.  VII,  2,  14,  16)  deutlich  liervortritt. 
Daß  bei  allen  diesen  Bestimmungen  im  Grunde  Folgegedanken  des 
mittelalterlichen  Empirismus  wirksam  sind,  ist  eine  Erkenntnis,  die  Berkeley 
anscheinend   nur  nachträglich   gewinnt,   -wenn   er  sich   sngt: 

8* 


60  E  R  D  M  A  N  N  : 

I  approve  of  tbis  axiom  of  the  Schoolmen,  'Nihil  est  in  intellectu 
quod  non  prius  fuit  in  sensu'.  I  wish  they  had  stuck  to  it.  It  had  never 
taught  them  the  doctrine  of  abstract  ideas.  (770) 

Sicher  ist  endlich,  daß  der  Gedanke,  die  Kritik  der  überlieferten 
Lehre  an  Lockes  Ausführungen  anzuknüpfen,  vielleicht  in  Fortbildung 
eines  schon  früher  erwogenen  anders  gestalteten,  dann  möglichenfalls  all- 
gemeiner gerichteten  Planes  für  die  Einleitung  (s.  oben  S.  54)  erst  spät  auf- 
tritt.    Er  setzt  vielleicht  mit  der  Erwägung  ein: 

Locke  cannot  explain  general  truth  or  knowledge  without  treating 
of  words  and  propositions.  This  makes  for  me  against  general  ideas. 
Vide  Locke,  Hb.  4.  eh.  6.  (545 :  vgl.  550,  592) 

Bestimmtere  Form  gewinnt  er  wenig  später: 

.  .  .  The  nature  of  demonstration  to  be  set  forth  and  insisted  on  in 
the  Introduction.  In  that  I  must  needs  dift'er  from  Locke,  forasmuch  as 
he  makes  all  demonstration  to  be  about  abstract  ideas,  w'=''  I  say  we  have 
not  nor  can  have.  (576) 

Um  das  beweisende  Denken  ist  die  uns  vorliegende  Einleitung  zum 
Treatise  sowie  deren  erster  Jjitwurf  jedoch  nicht  zentriert.  Ihrem  tat- 
sächlichen Bestände  entsprechen,  eine  oben  (S.  51)  der  Gedankenverknüpfung 
des  Treatise  entnommene  Hypotliese  bestätigend,  vielmehr  erst  die  Auf- 
zeichnungen : 

Mem.  To  bring  the  killing  blow  at  the  last,  e.  g.  in  the  matter  of 
abstraction  to  bring  Locke's  genei-al  triangle  in  the  last.  (680) 

. . .  ril  [instance]  in  Locke's  opinion  of  abstraction,  he  being  as  clear 
a  writer  as  I  have  met  w^ith . . .  (681) 

Ganz  spät  gesellt  sich  dazu  im  Tagebuch  noch  eine  Beziehung  auf 
Spinozas  Erörterung  über  den  Ursprung  der  abstrakten  Ideen  aus  der 
imaginatio  (816). 

Es  war  ein  weiter  Weg,  auf  dem  wir  Aufschluß  über  den  Ursprung 
und  die  funktionelle  Stellung  der  Abstraktionstlieorie  in  Berkeleys  Lehre 
gewonnen  haben.  Aber  er  war.  nicht  zum  wenigsten  auf  Grund  des 
Tagebuchs,  der  einzige,  der  zu  einem  sicheren  Ergebnis  führen  konnte. 
Und  dieses  Ergebnis  kann  für  alle  historischen  Untersuchungen  philoso- 
phischer Lehren  insofern  vorbildlicJi  sein,  als  es  eindringlich  zeigt,  daß 
wir  aus  der  definitiven  Gestaltung  leitender  Ideen  niemals  ohne  weiteres 
auf  ihre  entwicklungsgeschiclitliche  Stellung  schließen  können. 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tagebuchs.        61 

Wir  wenden  uns  nunmehr  zu  Berkeleys  Lehre  von  den  Geistern,  die 
wir  bisher  nur  andeutungsweise  behandeln  durften. 

Daß  die  Quellen  für  diese  Lelire  in  Berkeleys  Schriften  nur  spärlich 
fließen,  wurde  schon  hervorgehoben.  Im  Treatise  dienen  ihr,  von  ge- 
legentlichen Bemerkungen  abgesehen,  nur  wenige  Paragraphen  (2,  27,  89, 
135  — 145),  in  der  urspränglichen  Fassung  der  »Dialogues«  hauptsächlich 
knappe  Ausführungen  des  dritten  Dialogs  (Fr.  AIS.  3 26 f.),  in  der  Ab- 
handlung »De  motu«  nur  vereinzelte  Andeutungen.  Ergänzt  wird  der  ur- 
sprängliche  Lehrbestand  durch  weniges  im  Alciphron  (1732)  sowie  durch 
Zusätze  in  der  zweiten  Auflage  des  Treatise  und  in  der  gleichzeitig  (1734) 
erschienenen  dritten  Auflage  der  Dialoge.  Von  den  historisch  einflußlos 
gebliebenen  rationalistischen  Wendimgen  in  der  späten  Siris  sei  hier  ab- 
gesehen. 

Der  Aufbau  des  Beweisganges  bleibt  in  allen  diesen  Schriften  der- 
selbe. Bei  .systematischer  Betrachtung  der  Lehre  bildet  der  Spiritualismus 
den  Unterbau  für  die  idealistischen  Konsequenzen.  Aber  Berkeley  selbst 
entwickelt  ihn,  wie  wir  sahen  (S.  45),  als  Konsequenz  seines  Idealismus, 
d.  i.  als  Folgebestimmung  der  Abwehr  gegen  die  Meinung,  daß  der  Körper- 
welt eine  selbständige  Realität  zukomme:  da  die  ktirperliche  Außenwelt 
nur  einen  Inbegrifl"  passiver  Ideen  ausmacht,  deren  Sein  in  ihrem  Perzipiert- 
werden  aufgeht,  so  reduziert  sich  die  Wirklichkeit  auf  geistige  Substanzen, 
deren  Existenz  in  ihrem  Perzipieren  und  eben  damit  in  den  Tätigkeiten 
besteht,  die  das  Perzipieren  bedingen. 

In  Rücksicht  auf  die  üblichen  Darstellungen  dieser  Lehre  Berkeleys  sowie 
im  Hinblick  auf  den  hier  zu  erbringenden  Nachweis,  wie  sich  der  Spiri- 
tualismus im  Tagebuch  des  Philosophen  allmählich  ausgestaltet,  ist  es  ge- 
boten, das  Wesentliche  seiner  hierhergehörigen  Erörterungen  in  den  früheren 
Schriften  systematisch  zusammenzufassen,  und  zweckmäßig,  diese  Zusammen- 
fassung Glied  fiir  Glied  zu  belegen.  (^')  Die  Ergänzungen  aiis  den  Jahren 
1732 — 1734  (Tr.*,  D.')  brauchen  dabei  nur  da  als  solche  kenntlich  gemacht 
zu  werden,  wo  sie  Abweichendes  oder  Neues  enthalten. 

Demnach  sind  die  Geister  (spirits,  souls,  minds)  unkörperliche,  un- 
ausgedehnte, deshalb  unteilbare,  unzusammengesetzte,  einfache,  reale,  aktive, 
durch  sich  selbst  subsistierende  Dinge,  d.  i.  geistige  Substanzen  als  Träger 
(Supports)  von  Ideen.  Immer  aufs  neue  werden  sie  daraufhin  kurz  als 
perzipierende  tätige  Dinge  oder  als  denkende  tätige  Substanzen  bezeichnet.  (•''2) 


(')2  Erdmann: 

Auf  Grund  der  ihnen  innewohnenden  Tätigkeit  sind  sie  Prinzipien  des 
Ursprungs  und  des  Wechsels  von  Ideen  mit  Einschluß  der  Ideen  von 
körperlichen  Bewegungen,  d.  i.  Kräfte  des  Wollens,  Denkens  und  Perzi- 
pierens  von  Ideen.  Das  gilt  ohne  Einscliränkung  von  den  individuellen, 
endlichen,  geschaffenen,  aber  unzerstörbaren,  d.  i.  auf  natürlichem  Wege 
unzerstörbaren,  unsterbliclien  Geistern.  (''^)  In  dem  unendlichen,  den  end- 
lichen Geistern  letzten  Grundes  unfaßbaren  göttlichen  Geist  dagegen  sind 
die  Ideen  und  die  Geister  von  Ewigkeit  her,  er  ist  zudem  nicht  wie  jene 
an  einen  Körper  gebunden.  Unmöglich  aber  ist  bei  beiden,  die  Existenz 
Vom  Denken  zu  trennen ;  aucli  die  endlichen  Geister  denken  immer,  ihre 
Dauer  muß  deshalb,  da  die  Zeit  nur  in  der  .Sukzession  der  Ideen  besteht, 
nach  der  Zahl  der  Ideen  und  Tätigkeiten  geschätzt  werden,  die  in  ihnen 
aufeinanderfolgen.  (^*) 

Ist  der  Geist  demnach  nicht  ein  mögliches  Objekt  einer  Idee,  sondern 
ihr  Träger,  d.  i.  das,  was  Ideen  perzipiert,  so  liegt  es  in  der  Natur  des 
Geistes,  daß  er  nicht  an  sich  selbst,  sondern  nur  durch  die  Wirkungen 
perzipiert  werden  kann,  die  er  erzeugt.  Nehmen  wir  den  methodologischen 
Grundsatz  hinzu,  daß  eine  Idee  nur  einer  Idee  gleichen  kann,  nach  ihrer 
rein  passiven  Natur  -also  niemals  einem  tätigen  Wesen,  so  ergibt  sich  die 
Konsequenz,  die  Berkeley  nicht  müde  wird  zu  betonen,  daß  wir  von  den 
Geistern  niemals  Ideen  haben  können.  Idee  und  Geist  sind  eben,  obgleich 
der  Idee  eine  notwendige  Beziehung  auf  den  sie  perzipierenden  Geist  inne- 
wohnt, gänzlich  verschieden,  wie  dies  zuerst  Anaxagoras  erkannt  und  von 
den  Neueren  Descartes  treffend  bemerkt  hat.  (^}  Dementsprechend  sind 
auch  die  Tätigkeiten  des  Geistes,  selbstverständlich  auch  unseres  eigenen, 
nicht  durch  Ideen  erkennbar:  weder  der  Verstand,  d.  i.  der  Geist,  sofern  er 
Ideen  perzipiert,  noch  der  Wille,  d.  i.  der  Geist,  sofern  er  Ideen  erzeugt 
oder  sonstwie  mit  ihnen  operiert.  Denn  es  ist  unmöglich,  die  Kräfte  und 
Tätigkeiten  des  Geistes  von  diesem  selbst  oder  von  ihren  Objekten  und 
Wirkungen  in  Gedanken  abzulösen.  Unter  Geist  verstehen  wir  lediglich  das. 
was  denkt,  will  und  perzipiert,  dies  —und  dies  allein  —  macht  den  Sinn  des 
Wortes  Geist  aus.  (^) 

Es  unterliegt  jedoch,  obgleich  die  Ideen  liLcr  versagen,  keinem  Zvvcifel, 
daß  die  Worte  »Seele,  Geist,  Substanz«  eine  feste  Bedeutung  haben.  Wir 
verstehen  ihren  Sinn:  andernfalls  könnten  wir  nichts  von  ilinen  bejahen 
oder  veineinen.     Jeder  weiß   im   besonderen,    was  er  mit  den  Ausdrücken 


Berkeleys  Pldlosophü'  im  Lichte  seines  loisserisrhaftlichen  Tagebucfis.         G3 

»Ich«  und  »Selbst«  meint,  obgleich  er  ihre  Bedeutung  nicht  perzipiert,  wie 
er  ein  Dreieck,  eine  Farbe,  einen  Ton  perzipiert.  Unsere  Erkenntnis  der  Geister 
ist  —  so  sagt  auch  Berkeley  —  nicht  so  mangelhaft,  wie  man  sich  gewöhnlich 
einbildet.  Das  wird  in  der  zweiten  Auflage  des  Treatise  sowie  in  der  dritten 
der  Dialoge  genauer  ausgeführt  und  terminologisch  fixiert,  während  die 
früheren  Bearbeitungen  hier  im  Stich  lassen.  (^^)  Anfanglich  wird,  obgleich 
der  Unterschied  zwischen  der  Erkenntnis  r/on  Ideenkomplexen  und  Geistern 
stets  betont  wird,  der  Ausdruck  Idee  im  weiteren  Sinne  zugelassen.  Später- 
hin aber  wird  für  die  Erkenntnis  der  Geister  der  Ausdruck  »notion«  ein- 
geführt, ohne  übrigens  lediglich  in  dieser  engeren  Bedeutung  festgehalten 
zu  werden.  Wir  können  sagen,  heißt  es  jetzt,  daß  wir  eine  Art  Erkenntnis 
oder  Notion  von  unserem  eigenen  geistigen  Wesen,  von  Geistern  und 
aktiven  realen  Wesen  überhaupt  besitzen,  A'on  denen  wir  keine  Ideen  im 
eigentlichen  Sinne  des  Worts  haben.  (^) 

Über  das  Wesen  dieser  Erkenntnis  wird  schon  in  den  Dialogen  ge- 
naueres berichtet. 

Ich  erkenne  den  Sinn  der  Ausdrücke  »Ich«  imd  »Selbst«  unmittel- 
bar oder  intuitiv;  ich  habe  eine  unmittelbare  Erkenntnis  meines  eigenen 
Geistes  und  meiner  eigenen  Ideen.  Wir  erkennen,  heißt  es  daraufhin  in 
»De  motu«,  uns  als  wahrnehmendes,  perzipierendes,  intelligentes  Ding, 
durch  eine  Art  inneren  Bewußtseins;  dann  in  der  zweiten  Auflage  des 
Treatise:  wir  erfassen  unsere  eigene  Exi.stenz  durch  inneres  Bewußt- 
sein (feeling)  oder  Reflexion  als  eine  Art  der  Objekte  menschlicher 
Erkenntnis.  Darüber,  daß  ihm  dies  Erfassen  oder  Erkennen  eine  Art  innerer 
Erfahrung  ist,  läßt  Berkeley  von  vornherein  keinen  Zweifel :  durch  die 
Kraft  des  Willens  kann  ich  nach  Belieben  in  meinem  Geist  Ideen  erregen 
und  fortfallen  lassen.  Dieses  Erzeugen  und  Aufheben  von  Ideen,  diese  Ab- 
hängigkeit der  imaginativen  Ideen  vom  Willen  charakterisiert  den  Geist 
als  aktiv.     Soviel  ist  sicher  und  auf  Erfahrung  gegründet.  (**') 

Begreiflich,  daß  dabei  der  Geist,  wo  immer  der  Akzent  auf  Tätigkeit 
des  Geistes  ruht,  als  Wille  betont  wird.  Aber  wir  dürfen  nach  allem 
Vornnstehenden  daraus  nicht  entnehmen,  daß  Berkeley  ein  Vertreter  volun- 
taristischer  Deutung  des  Gei.^tigen  sei.  Die  Identität  von  Verstand  und 
Willen  sowie  beider  mit  dem  Geist  wird  von  Berkeley  hi  seinen  Schriften 
stets  vorausgesetzt.  Nur  so  verstehen  wir  recht,  wenn  gesagt  wird:  die 
Sensationen   sind    nicht  Geschöpfe   meines    Willens,    sie   sind    nicht   Ideen 


()4  Ekdmann: 

unserer  eigenen  Formung,  wie  diejenigen,  die  in  der  Einbildung  erregt, 
also  innerlich   durch   die  Seele  selbst  erzeugt  werden.  (**) 

Auf  Grund  dieser  unmittelbaren  inneren  Erfahi-ung  erschließen  wir 
die  Wirklichkeit  anderer  Geister,  vor  allem  Gottes.  Denn  wir  können  diese 
Wirklichkeit  nicht  anders  erkennen,  als  durch  die  Ideen,  die  jene  Geister 
durch  ihre  Tätigkeiten  in  uns  erregen.  Unsere  Erkenntnis  von  ihnen  ist 
also  keine  unmittelbare,  wie  die  Eirkenntnis  unserer  Ideen  [und  unseres 
eigenen  geistigen  Selbst],  sondern  hängt  daran,  daß  Ideen  in  uns  auf- 
treten, die  wir  als  Wirkungen  oder  begleitende  Zeichen  auf  von  uns  ver- 
schiedene tätige  Geister  beziehen.  Aus  diesen  Wirkungen  also  schließen 
wir,  daß  hier  von  den  unseren  unabhängige  Tätigkeiten  vorhanden  sind. 
Ist  demnach  zugestanden,  daß  wir  von  der  Existenz  anderer  endlicher 
Geister  weder  eine  unmittelbare  Evidenz  noch  eine  demonstrative  Erkenntnis 
besitzen,  so  ist  es  doch  nicht  folgewidrig,  ihre  Existenz  aus  den  Zeichen 
und  Wirkungen  durch  einen  Wahrscheinlichkeitsscliluß  (probable  deduetion) 
abzuleiten.  (®')  Verstehen  wir  demnach  unter  einem  Menschen  eine  geistige 
Persönlichkeit,  so  sehen  wir  einen  Menschen  niemals,  sondern  nur  einen 
bestimmten  Inbegritt"  von  Farben,  Formen  und  Bewegungen,  die  uns  zu 
dem  Gedanken  leiten,  daß  dort  ein  uns  ähnliches  Prinzip  von  Gedanken 
und  Bewegungen  vorhanden  ist,  das  durch  jene  Ideen  repräsentiert  wird. 
So  erfassen  wir  die  Ideen  in  anderen  (Teistern  vermittels  unserer  eigenen, 
die  wir  als  diesen  ähnlich  annehmen,  von  denen  also  die  unseren  in  solchem 
Sinne  Bilder  sind.  (^'^) 

In  gleicher  W^eise  gewinnen  wir  einen  Beweis  für  das  Dasein  Gottes, 
der  sich  von  den  üblichen  Beweisen  wesentlich  unterscheidet.  Wir  er- 
kennen sein  Dasein  durch  ein  auf  Reflexion  gestütztes  Schlußverfahren  mit 
voller  Evidenz —  »sicher  und  unmittelbar«,  wie  Berkeley  mißverständlich 
sagt  —  als  das  Dasein  des  Urhebers  der  Natur,  welche  die  Sprache 
Gottes  ist.  Wir  erkennen  ihn  als  einen  Geist,  der  unseren  Geistern  inner- 
lich gegenwärtig  ist,  der  in  ihnen  alle  jene  Mannigfaltigkeit  von  Ideen 
hervorruft,  die  uns  kontinuierlich  eri-egen,  von  dem  wir  absolut,  also  gänz- 
lich abhängig  sind.  Geradezu  notwendig  erschließen  wir  die  Existenz 
Gottes  und  aller  gesclialTenen  Dinge  in  seinem  Geiste.  Denn  daß  Gott 
unsinnlicherweise  alle  Dinge  erkennt  und  versteht,  ist  außer  Frage;  alle 
Dinge,  die  körperlichen  wie  die  von  ihm  geschaffenen  Geister,  so  zwar, 
daß  jene  [wie  diese]   in  seinem  Geiste  existieren,   auch   wenn   sie  von   den 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tagebuchs.         65 

endlichen  Geistern  zeitweilig  nicht  wahrgenommen  werden.  Wir  haben 
also  nicht  zu  argumentieren,  daß  Gott  ist  und  deshalb  alle  Dinge  erkennt, 
sondern:  Sinnliche  Dinge  existieren  tatsächlich;  und  sofern  sie  tatsächlich 
existieren,  werden  sie  notwendigerweise  von  einem  unendlichen  Geist 
perzipiert ;  also  existiert  ein  unendlicher  Geist  oder  Gott.  Die  Reflexions- 
grundlage aller  dieser  Argumentationen  ist,  wie  bei  den  Geistern  überhaupt, 
die  unmittelbare  Erkenntnis  meines  Geistes.  Denn  alle  Erkenntnis  Gottes 
gewinnen  wir  durch  Reflexion  auf  unsere  eigene  Seele,  indem  wir  ihre 
Kräfte  erhöhen  und  alle  ihre  Unvollkommenheiten  entfernen.  (*^) 

Es  bedarf  kaum  des  Hinweises,  daß  Berkeleys  Erklärungen  über  die 
geistigen  Substanzen  hiemach  einer  Fülle  von  Fragen  Raum  lassen.  Seine 
Aussagen  sind  nicht  systematisch  abgeschlossen.  Die  Sicherheit  der  Über- 
zeugung, die  sich  in  ihnen  kundgibt,  entspringt  fast  allein  dem  Umstand, 
daß  die  spiritualistische  Basis  seines  Immaterialismus  von  ihm  als  eine 
selbstverständliche  Konsequenz  des  eingehend  begründeten  Idealismus  an- 
gesehen wird,  und  ebea  dadurch  bezeugt,  daß  sie  in  das  religiöse  Grund- 
motiv seines  Denkens  eingelagert  ist.  Undurchsichtig  bleibt  vor  allem, 
wie  Berkeley  sich,  angesichts  der  Substanzkritik  Lockes  und  seiner  eigenen 
Weiterführung  derselben  für  die  körperlichen  Dinge,  dabei  beruhigen  konnte, 
das  »Support«,  dessen  haltlose  Deutung  er  für  die  Ideenlehre  aufweist,  bei 
den  spirits  durch  das  »perceive  orwill«  ohne  weiteres  als  erklärt  anzusehen. 
Nicht  minder  dunkel  bleibt  die  Begründung  dafür,  daß  die  spirits  als 
powers  gedacht  werden  sollen.  Die  Berufung  atif  ihr  Tätigsein,  das  in 
erster  Linie  dem  Willen  zugeschoben  wird,  reicht  dafür  nicht  aus.  Ist 
die  bewegende  Kraft  in  der  Körperwelt,  speziell  die  Schwerkraft,  wie  in 
»De  motu«  auch  Leibniz' Entelechiebegrifl'  gegenüber  erklärt  wird,  nichts 
als  eine  qualitas  occulta:  mit  welchem  Recht  dürfen  wir  dann  aus  den 
Wirkungen  seelischer  Tätigkeiten  auf  eine  geistige  Kraft  schließen?  Auch 
im  einzelnen  bleibt  vieles  ungeklärt:  die  Willensfreiheit,  die  in  den  Schriften 
zumeist  fast  stillschweigend  vorausgesetzt  wird;  die  Stellung  der  »passions«, 
die  bald  den  »Operations«  entgegengesetzt,  bald  ihnen  zugezählt  werden 
(z.  B.  Tr.  §  I  undTr."  27),  der  » ideas  of  reflection «  zu  den  »ideas  of  Sensation« 
und  den  »Operations«,  das  Verhältnis  der  »ideas«  zu  den  »volitions«,  der 
»ideas«  zu  »understanding«,  der  »volitions«  zu  »will«  usw.  Anderes,  wie 
die  Frage  nach  der  persönlichen  Identität,  die  Locke  in  den  späteren  Aus- 
gaben seines  Essay  so  ausführlich  behandelt  hatte,  wird  gar  nicht  berührt. 
FluL-hist.  Abh.  1919.  ])ir.  8.  9 


ßß  E  R  D  M  A  N  N  : 

Auch  manclies,  was  aiif  Grund  der  New  Theory  wohl  in  den  Treatise  hinein- 
gehört hätte,  fehlt  dort.  So,  wie  schon  erwähnt,  der  Unterschied  der 
»immediate«  und  der  »mediate  perceptions « ,  der  erst  in  den  Dialogen  nach- 
geholt wird,  mit  ihm  die  für  die  gesamte  Assoziationspsychologie  grund- 
legende, in  der  New  Theory  angebahnte  Theorie  der  »Suggestion«  sowie 
die  Lehre  von  der  Natur  als  der  Sprache  Gottes,  deren  schwache  Spuren 
im  ursprünglichen  Treatise  in  dessen  dritter  Auflage  getilgt  sind,   u.  a.  m. 


Einen  Teil  dieser  Mängel  dürfen  wir  wohl  dem  Umstand  zur  Last 
legen,  daß  der  uns  vorliegende  Treatise  früh  und  schnell  ausgearbeitet  ist 
und  dessen  ursprünglich  gej^lante,  zum  Teil  ausgearbeitete  Fortsetzung 
fehlt  (vgl.  S.  94).  Andere  Mängel  rühren  offensichtlich  daher,  daß  Berkeley  von 
Anfang  an  wenig  Wert  auf  eine  feste  Terminologie  gelegt  hat  (286,  627), 
obgleich   er  einmal  erklärt: 

. . .  Wlierever  men  have  fix'd  &  determin'd  ideas  aanexed  to  their 
words  they  can  hardly  be  mistakeii . . .  (541).  % 

Solcher  Erklärung  stehen  schon  früh  Eintragungen  über  die  mangelhafte 
Wiedergabe  der  »insensible  things«  durch  sinnliche  Wortbedeutungen 
entgegen  (XXIll,  172,  [173],  175,  534),  deutlicher  noch  häufige  Klagen  üb^r 
die  Unvollkommenheit  der  Sprache  überhaupt  {505,  590,  598,  633,  686,689, 
695»  824).  Dementsprechend  schwanken,  im  Tagebuch  mehr  noch  als  in 
den  Schriften,  die  Worte  »perceive,  perception,  think,  thought,  reason, 
notion,  knowledge,  idea,  thing,  will,  volition«  in  mannigfachen  Bedeutungen 
zwischen  größter  Enge   und  größter   Weite. 

Gehen  wir  nunmehr  zu  der  Entwicklung  der  Lehre  von  den  Geistern 
im   Tagebuch  über,   so  ist  besondere  Vorsicht  vonnöten. 

Nicht  immer  ist  es  leicht,  gelegentlich  verzeichnete,  wirkungslos 
bleibende  Einfälle  als  solche  auszuscheiden.     So  lesen  wir  einmal: 

An  extended  may  have  passive  modes  of  thinking.  not  active  (615). 

Es  ist,  die  Richtigkeit  von  Lorenz'  Entzifferung  vorausgesetzt,  nicht  aus- 
zuschließen, daß  hier  ein  Ansatz  zu  einem  realistischen  Spiritualismus 
nach  Art  der  von  ihm  in  »De  motu«  abgelehnten  Leibnizischen  Lehre  vor- 
liegt. Aber  dem  widersprechen  doch  wiederholte  durchgreifende  Er- 
klärungen  wie: 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlicJien  Tagebuchs.        67 

Extension  itself  or  anything  extended  cannot  think — these  being 
meor  ideas  or  sensations,  whose  essence  we  thoroiighly  know.  (34) 

Extension  to  exist  in  a  thoughtless  thing  [or  rather  in  a  thing  void 
of  perception — thought  seeming  to   imply  actionj,   is  a  contradiction.  (37) 

Nothing  like  an  idea  can  be  in  an  unperceiving  thing  .  .  .  (892) 

Der  Einfall  vertrug  überhaupt,  wenn  er  von  einem  einmal  aufdäm- 
mernden Realismus  Zeugnis  ablegen  sollte,  bei  der  anthropozentrisch  fun- 
dierten religiösen  Grundstimmung  Berkeleys  keine  Ausgestaltung.  Die  ein- 
zige Konzession,  die  Berkeley  in  dieser  Hinsicht  machte,  steckt  anscheinend 
darin,  daß  er  die  Einschränkung  der  »conscious  things«  auf  »persons«  (»in- 
telligences«  9,  23,  143),  »intellectual  beings«  (393),  »intelligent  things«  (446), 
die  anfangs  vorhanden  ist  (14,  24,  25),  allmählich  fallen  läßt  (vgl.  S.  70). 
Weitaus  wahrscheinlicher  ist  mir  deshalb,  daß  es  sich,  die  Sicherheit  des 
Wortlauts  immer  vorausgesetzt,  um  ein  Bruchstück  eines  kritischen  Ge- 
dankenzusammenhangs handelt,  wie  ihn  die  Eintragung  (711)  u.a.  bieten. 

Eingeschlossen  in  die  Idee  des  Immaterialismus  sind  von  vornherein 
nur  die  dogmatischen  Überzeugungen,  daß  die  als  Personen  oder  Intelli- 
genzen gedachten  Seelen  unsterblich,  und  trotzdem  von  Gott  abhängig  sind. 

Gleich  anfangs,  ehe  noch  die  im  Tagebuch  kaum  (3,  94,  632,  667, 
742,  825)  angedeutete  Lehre  von  der  Zeitlosigkeit  der  Ideen  in  Gott  fest- 
steht, wird  aus  der  Ewigkeit  als  einem  bloßen  »train  of  innumerable 
ideas«  geschlossen,  daß  sie  die  Unsterblichkeit  zwar  nicht  der  Seelen  über- 
haupt, aber  doch  der  Personen,  leicht  begreiflich  mache  (14).  In  vor- 
sichtigerer Form  wird  sie  letzlich  aus  der  Willensnatur  für  die  Seele  über- 
haupt abgeleitet  (804),  selbstverständlicli  ohne  daß  wir  den  inzwischen 
festgewordenen,  mit  »spirit«  und  »mind«  gleichbedeutenden  Ausdruck  »soul« 
auf  die  tierischen  Geister  übertragen  dürfen.  Berkeleys  religiöse  Stimmung 
bleibt  hier  ähnlich  entscheidend  (vgl.  Fr.  AIV  S.  181),  wie  das  konziliatorische 
Bedürfnis  bei  Leibniz,  obgleich  er  in  der  Tagebuchzeit  auch  späterhin 
geneigt  ist,  den  seelischen  Unterschied  zwischen  Mensch  und  Tier  als 
fließenden  anzusehen: 

If  you  take  away  abstraction,  how  do  men  differ  from  beasts?  I  answer, 
by  shape,  by  language.  Rather  by  degrees  of  more  and  less.  (584;  vgl. 
631,  739.  746) 

Sicher  ist  ihm  entsprechend  der  christlichen  Überlieferung  nur  von  vorn- 
herein,   wie   oben    schon    angeführt,    daß   lediglich    denkende   Wesen,    die 


68  Erdmann: 

endlichen  Personen,  trotz  ihrer  Abhängigkeit  von  Gott,  selbständig  existieren 
(vgl.  108,  150,  777).  Klar  wiTd  indessen  diese  Abhängigkeit  für  die  G-eister 
auch  im  Tagebuch  nicht.  Sie  ist  dies  nur  für  die  Körper.  Denn  diese 
sind,  wie  anfänglich  wiederholt  formuliert  wird  —  darauf  ist  noch  zurück- 
zukommen —  »powers  in  the  active  being«  (52),  oder  was  für  Berkeley 
dasselbe  ist,  » combinations  of  powers  in  an  unknown  substratum«  (81 ;  vgl. 
10 1 ,  III,  112),  so  daß  im  Sinne  des  oben  schon  (S.  64)  angeführten  Gottes- 
beweises aus  ihrer  Wirklichkeit  in  uns  direkt  auf  das  Dasein  Gottes  ge- 
schlossen werden  kann: 

Nothing  corresponds  to  our  primary  ideas  w*out  but  powers.  Hence 
a  direct  &  biief  demonstfation  of  an  active  povvertuU  Being  distinct  from 
US,  on  whom  we  depend.  (41) 

Die  etwas  später  gestellte  Frage: 

Powers.  Qu.  whether  more  or  one  onelyi'  (85) 
ist  demnach  im  Prinzip  entschieden,  noch  ehe  sie  aufgeworfen  wird.  Die 
wissenschaftsfeindlichen  Konsequenzen  dieser  Entscheidung,  die  aus  dem 
Treatise  bekannt  sind,  treten  im  Tagebuch  erst  später,  anfangs  in  religiöser 
Grundstimmung  sehr  scharf  (417,  418,  473),  dann  in  positivistischer  Wendung 
stark  gemildert  (838;  vgl.  669)   zutage. 

Viel  früher  schon  tritt  der  Kraftbegriflf  für  die  Deutung  der  Körper- 
welt zurück.  Die  dynamische  Deutung  der  nicht  aktuell  wahrgenommenen 
Körper  wird  durch  eine  idealistische  ersetzt.  Diese  Körper  sind  lediglich 
mögliche  Wahrnehmungen : 

Colours  in  y"  dark  do  exist  really,  i.  e.  \\  ere  there  light,  or  as  soon 
as  light  comes,  we  shall  see  them,  provided  we  open  cur  eyes,  and  that 
whether  we  will  or  no.  (183;  vgl.  100) 

Es  liegt  nahe,  den  Anstoß  zu  dieser  Wendung  in  Konsequenzen  der 
Suggestionslehre  zu  suchen,  die  zuerst  in  der  New  Theory  entwickelt  wird, 
hier  also,  auch  in  der  Begründung,  eine  Vorstufe  zu  Stuart  Mills  »possi- 
bilities  of  Sensation«  zu  vermuten.  Aber  eine  solche  Annahme  wird  durch 
das  Tagebuch  nicht  bestätigt.  Es  scheint  vielmehr,  daß  die  idealistische 
Wendung  auch  in  dieser  Verallgemeinerung  der  Existenz  oder  des  Perzipiert- 
werdens  von  Sensationen  dm-ch  den  religiösen  Grundtrieb  Berkeleys  mit- 
bedingt ist.  Jedenfalls  wird  sie  durch  seine  Deutung  der  Schöpfungsmythen, 
die  auch  in  seinen  Schriften  (auch  Ale.  IV  s.  14)  und  Briefen  eine  Rolle 
spielt,  des  weiteren  bestätigt: 

My  doctrine  excellently  corresponds  w'''  the  creation.  I  suppose  no 
matter,  no  stars,  sun,  &c.  to  have  existed  before.  (342;  vgl.  294) 


Berkeleys  Philosophie  im  J Ächte  seines  wissenschaftlichen  Tagebuchs.        69 

Vorerst  bleiben  noch  beide  Gedankenreihen,  die  dynamische  und  die 

ideaHstische,  für  die  Deutung  der  Körperwelt  beisammen: 

Bodies  &c.-do  exist  whether  we  think  of  'em  or  no,  they  being 
taken  in  a  twofold  sense — 

Collections  of  thoughts  & 

Collectlons  of  powers  to  cause  those  thoughte. 
These   later  exist,   tho"   perhaps    a   parte    rei    it    may    be   one    simple 
perfect  power.  (282;  vgl.  294,  315) 

Sehr  bald  aber  schiebt  sicli  die  idealistische  Auffassung  in  den  Vorder- 
grund. So  schon  in  der  vermutlich  etwas  späteren  Randbemerkung  zu  der 
eben  miterwähnten,  wiederholten  Zusammenfassung  (294): 

[Bodies  taken  for  powers  do  exist  w"  not  perceiv'd;  but  this 
existence  is  not  actual.  W°  I  say  a  power  exists,  no  more  is  meant 
than  that  if  in  the  light  I  open  my  eyes,  and  look  that  way,  I  shall  see 
it,"  i.  e.  the  body,  &c.]  (295) 

Immer  deutlicher  wird  die  idealistische  Wendung: 

I  must  be  very  particular  in  explaining  w'  is  meant  by  things 
existing — in  houses,  Chambers,  ßelds,  caves,  &c. — w"  not  perceiv'd  as 
well  as  w"  perceived  .  .  .  (391) 

Definitiv  vollzogen  ist  sie  in  der  lichtvollen   Erklärung: 

You  ask  me  whether  the  books  are  in  the  study  now,  when  no  one  is 
there  to  see  them  ?    I  answer,  Yes.    You  ask  me.  Are  we  not  in  the  wrong 
for    imagining    things    to    exist    when    they    are    not    actually    perceiv'd 
by   the   senses?    I  answer,  No.     The   existence    of  our  ideas   consists    in 
being  perceiv'd,  imagin'd.   thought  on.    Whenever  they   are   imagin'd   or 
thought  on  they  do  exist.    Whenever  they  are  mentioned  or  discours'd  of 
they  are  imagin'd  &  thought  on.    Therefore  you  can  at  no  time   ask   me 
whether  they  exist  or  no.   but  by  reason  of  y'    veiy  questioii  they  must 
necessarily  exist  (457  ;  vgl.  458,  505,  506  usw.,  sowie  in  dem  Dial.  Fr.  A I, 
S.  343f-) 
Für  die  Abhängigkeit  der  Geister  von  Gott  bleiben  wir  dagegen  auch 
im    Tagebuch    auf  wenig   bestimmte  Schöpfungsgedanken  (716,   820)  und 
auch  zuletzt  noch  auf  die  nichts  erklärende  Bemerkung  angewiesen: 

The  properties  of  all  things  are  in  God,  i.  e.  there  is  in  the  Deity 
Understanding  a.s  well  as  Will.  He  is  no  blind  agent,  and  in  truth  a  blind 
agent  is  a  contradiction.  (802:  vgl.  174,  [174a],  486,  609,  667,  727,  817) 

Denn  sie  erläutert  im  Grunde  nur  die  für  Berkeley  selbstverständliche  An- 
nahme der  Persönlichkeit  Gottes  in  seiner  Doppelnatur  als  Intelligenz  und 
Willen  unbeschadet  der  Einfachheit  seines  Wesens  (174;  vgl.  827,  833). 
Wird  Gott  trotzdem  auch  im  Tagebuch  wiederholt  als  » unknown  substance « 


70  .  E  R  D  M  A  N  N  : 

bezeichnet,  so  soll  damit  offenbar  lediglich,  wie  im  Alciphron  (VII,  i,  i  if., 
27,33),  die  Unzulänglichkeit  der  Vernunft  getroffen  werden,  »to  demonstrate 
er  reason   about   the  Trinity«    und   andere    »holy   mysteries«.     Für   diese 
haben  wir  ausschließlich  dem  lumen  revelationis  zu  vertrauen: 
.  .  .  Here  an  implicit  faith  becomes  us.  (574;  vgl.  354,  [354a],  713) 

Die  Lücken,  die  Berkeleys  Weltauffassung  in  der  Frage  der  Abhängigkeit 
der  endlichen  Geister  von  Gott  aufweist,  sind  demnach  in  der  Tat  fiir 
sein  Bewußtsein  durch  seine  ethisch  abgezielte  religiöse  Zuversiclit  über- 
deckt, ähnlich  wie  dasselbe  Problem  bei  Malebranche  durcli  das  Bild  von 
Gott  als  dem    »lieu  des  esprits«. 

Mehr  läßt  sich  dem  Tagebuch  über  das  Wesen  der  endlichen  Geister 
entnehmen.  Es  ist  keine  einfach  aufsteigende  Entwicklung,  deren  Ergeb- 
nisse uns  in  den  kurzen  Bemerkungen  des  Treatise  und  der  Dialoge  kund- 
werden. Die  Eintragungen,  die  das  ganze  Tagebuch  durcliziehen,  aber  ver- 
schiedene, wenn  auch  ungleich  dichte  Häufungsstellen  zeigen,  lassen  mehrere, 
nicht  ganz  einfach  und  reinlich  trennbare  Ansatzpunkte  und  auseinander- 
laufende Gedankenrichtungen  erkennen. 

Vorweg  sei  nochmals  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  die  »souls«  oder 

»minds«    (13,  14,  18)  ursprünglich  anthropozentrisch  auf  die  »intelligences« 

oder  »persons«   als   »conscious  things"  eingeschränkt  sind.     Obgleich  beide 

Termini  sich  lange  (person  140,  182,  190,  199,  512,  580;    intelligence  143, 

393,446)  erhalten,  werden  sie  doch,  speziell   »person«,  schließlich,  wenn 

auch  nur  aus  Rücksicht  auf  die  kirchlichen  Lehren,  definitiv  aufgegeben: 

The  concrete  of  the  will  &  understanding  I  inust  call  mind,  not 
person,  lest  oiFence  be  given — there  being  but  one  volition  acknowledged 
to  be  God.  Mem.  Carefully  to  omit  definiug  of  pei'son,  or  inaking  much 
mention  of  it.  (706;  vgl.  708  und  im  Alciphron  VII  11) 

Früh  werden  »soul«  und  »mind«  neben  »man«  in  psychologischen  Über- 
legungen, sowie  »active  being«  und  «thinking  thing«,  vorherrschend.  An 
den  engeren  Begriff  der  Person  schließt  sich  denn  auch  gleich  anfangs 
die  offenbar  gegen  Locke  gerichtete  Frage: 

Qu.  about  the  soul,  or  rather  person.  whether  it  be  not  compleatly 
known?  (25) 

Bald  wird  sie  im  Sinne  einer  nächstliegenden  bejahenden  Antwort  speziali- 
siert, ohne  daß  der  Begriff  der  Person  in  den  Vordergrund  geschoben  wird: 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschafllichen  Tagebuchs.        71 

Qu.  Whether  Being  might  not  be  the  substance  of  the  soul,  or 
(otherwise  thus)  whether  Being,  added  to  y«  faculties,  compleat  the  real 
essence  and  adequate  definition  of  the  soul? (44) 

Etwas  später  erst  folgt  die  Bejahung  selbst: 

By  Soul  is  meant  onely  a  complex  idea,  made  up  of  existenee, 
willing,  &  pereeption  in  a  large  sense.  Therefore  it  is  known  and  it  may 
be  defined.(i5o) 

In   ihr    ist    »idea«    noch    in    dem    weiten   Sinne    Lockes    genommen;    erst 

weiterhin  wird  der  Sprachgebrauch,  wo  er  nicht,  wie  in  Nr.  693,  kritisch 

gewendet  ist,  zumeist  strenger.     So  in  einer  Randbemerkung  inmitten  einer 

zweiten  Häufungsstelle  für  die  Operationen  der  Seele: 

[The  grand  mistake  is  that  we  think  we  have  ideas  of  the  Operations 
of  onr  minds.  .  .  .]  (173) 

Dabei  ist  allerdings,  wie  in  einer  bald  folgenden  zusammenfassenden 
Bemerkung  4ie  Gleichordnung  von  »soul«  und  »extension«  zeigt,  die  Ein- 
schränkimg noch  nicht  fest  geworden: 

The  impossibility  of  defining  or  discoursiug  clearly  of  such  [insensible] 
things  proceeds  from  the  fault  &  scantiness  of  language,  as  much  perhaps 
as  from  obscurity  &  confusion  of  thought.  Hence  I  may  clearly  and  fuUy 
undei-stand  my  own  soul,  extension,  &c,  and  not  be  able  to  define 
them.(i75) 

Größere  Festigkeit  erlangt  die  Namengebung  erst  nachträglich: 

Absurd  that  men  should  know  the  soul  by  idea — ideas  being  inert, 
thoughtless  ...  (231),  . 

wenngleich  auch  hier  jene  Sorglosigkeit  der  Namengebung  vorhanden  ist, 

die    sich   ebenso   im    Treatise    gerade    an    diesem   Punkte    fühlbar    macht: 

Thoughts   do   most   properly   signify,   or  are   mostly   taken   for  the 
interior  Operations  of  the  mind,  wherein  the  mind  is  active.  Thosp  y*  obey 
'    not  the  acts  of  volition,  and  in  w'^'"  the  mind  is  passive,  are  more  properly 
caird  sensations  or  perceptions.    But  y'  is  all  a  case.  (286) 

Allerdings  ist,    wie  weitere  Aufzeichnungen   zeigen,   diese   Unterscheidung 

noch  so  wenig  fest,  daß  Berkeley  später  noch,  allerdings  mit  gleich  negativem 

Erfolg,  auf  sie  zurückkommt  (478,  512).    Nur  die  Einschränkung  der  Idegn 

auf  die   passiven  Perzeptionen    wird   ihm   letzlich   sicher  (655,  656a,  705, 

7  ■  7»  7  73»  835,  874).     Er  glaubt  dann  sogar  behaupten  zu  dürfen: 

'Tis  allow'd  that  particles  stand  not  for  ideas,  and  yet  they  are  not 
Said  to  be  empty  useless  sounds.  The  truth  really  is,  they  stand  for  the 
Operations  of  the  mind,  i.  e.  volitions  (658 ;  vgl.  653). 


72  E  R  I)  M  A  N  N  : 

Noch  drei  weitere  Vorerörterungen  sind  nötig,  um  die  verschiedenen, 
zum  Teil  ineinander  fließenden  und  einander  zum  Teil  widerstreitenden 
Tagebuchbestimmungen  der  s])irits,  die  bei  Ausschluß  der  Ideen  übrig- 
bleiben, deutlich  herauszustellen:  über  die  Begriffe  der  Existenz  oder 
Realität,  der  Kraft  und  des  Verhältnisses  von  Ursache  und  Wirkung. 
Daß  die  Existenz  der  Körperwelt  für  Berkeley  schon  im  Anfang 
seines  Tagebuchs  (13,  18,  24)  in  dem  Perzipiertwerden  von  Ideen  besteht, 
sowohl  die  aktuelle  oder  reale  ([295]  u.  ö.;  aber  315),  als  die  von  endlichen 
Geistern  unperzipierte,  ist  schon  oben  (S.  68)  besprochen  worden.  Hier 
sei  angefügt,  daß  im  Tagebuch  stärker  noch  als  in  den  Schriften  behufs 
Ablehnung  skeptischer  Mißdeutung  der  neuen  Lehre  betont  wird,  die  durch 
unsere  Sinneswahrnehmungen  gegebene  Realität  der  Körjjerwelt  bleibe  nicht 
nur  unangetastet,  sondern  sei  als  sicher,  und  zwar,  wie  es  späterhin 
(vgl.  81)  heißt,   unmittelbar  sicher  gegeben: 

'  We  have   an  intuitive  knovvledge  of  the  existence   of  other  things 

besides  ourselves,  &  even  praecedaneous   to   the  knovvledge   of  our   own 

existence — in  that  vve  must  liave  ideas  [=;:  sensations]   or  eise  we  cannot 

think.(537;  vgl.  465,  529,  552,  562) 

N.B.    I    am   niore    for   reality    than   any   other    philosophers.    They 

make  a  thousand  doubts,  &  know  not  certainly  but  we  may  be  deceiv'd. 

I  assert  the  direct  contrai-y.  (507 :  vgl.  [460]) 

Der  Gedanke  wird   sogar   stärker   gesteigert,    als  jemals    in  den  Schriften. 

Wir  lesen  die  Frage: 

[Qu.  whethei"!  had  not  better  allow  colours  to  exist  without  the  mind; 
taking  the  mind  for  the  active  thing  w'''  I  call  T,  -myself — y'  seems  to  be 
distinct  from  the  understandingl'](367) 

Und  finden  schließlich  (vgl.  223.  362.  41 1,  [464],  851)  die  Antwort: 

I  will  grant  you  that  extension,  colour.  &c.  may  be  said  to  be  without 
the  miiul  in  a  double  i'espect,  i.  e.  as  independent  of  our  will,  and  as 
distinct  from  the  mind.  (870.  vgl.  866) 

Formal  genommen  ist  Existenz  überhaupt  so  viel  wie  Dauer  (5,  192). 
Aber  diese  formale  Bestimmung,  die  noch  im  Treatise  (§  98)  für  die  Seelen 
festgehalten  wird,  widerspricht  als  Idee  offensichtlich  dem  Wesen  der 
öeister.  Denn  wir  haben  von  der  Subsistenz  (108)  oder  Selbstexistenz  der 
Geister  keine  Wortbedeutung,  die  vom  Perzipieren,  und  damit,  wie  noch 
genauer  zu  zeigen  sein  wird,  vom  Wollen  und  Handeln  verschieden  wäre. 
Sie  widerspricht  als  abstrakte  Idee  ebenso  der  abhängigen  Existenz  der 
Ideen,  da  diese  im  Perzipiertwerden    aufgeht.     Das   kommt   im  Tagebuch 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschafllichen  Tagebuchs.         73 

besonders  deutlich  zum  "Vorschein.  So  in  den  schon  (S.  69  und  32)  an- 
geführten Bemerkungen  (391)  und  (413).     Dann  in  der  Reflexion: 

Impossibie  anything  besides  that  W^*"  thinks  and  is  thought  on  should 
exist(42i),  mit  dem  späteren  Zusatz  421a  [making  thought  to  be  active]. 

Ebenso    im    Doppelsinn   von    perception    (perceive    und    being    perceived): 

Strange  it  is  that  men  should  be  at  a  loss  to  find  their  idea  of  Existence, 
since  that  (if  such  there  be  distinct  from"  perception)  it  is  brought  into  the 
mind  by  all  the  vvays  of  Sensation  and  reflection;  methinks  it  should  be 
most  familiär  to  us,   and   we   best  acquainted  with  it.  (661;  vgl.  662,  739) 

Desgleichen  in  der  Namengebung  durch  das  selten  (vgl.  24,  199,  201, 

673)  gebrauchte  consciousness : 

Consciousness,  peroeption,  existence  of  ideas,  seem  to  be  all  one. 
(568;  vgl.  781,789). 

Bald  kommt  denn  auch  der  in  den  schon  angeführten  Randbemerkungen 
[413a]  und  [421a]  hervorschimmernde  Gedanke  zu  selbständigem  Ausdruck: 

Existence  not  conceivable  without  perception  or  volition — not  distin- 
guish'd  therefrom.  (637) 

Things  are  twofold— active  or  inactive.  The  existence  of  active 
tfaings  is  to  act;  of  inactive  to  be  perceiv'd.  (665) 

Distinct  from  or  without  perception  there  is  no  volition;  therefore 
neither  is  there  existence  without  perception.  (666) 

Begreiflich  demnach  auch  von  hier  aus  (vgl.  oben  S.  63),  daß  bei  der 
sachlichen  Priorität  des  'act'  vor  dem  »be  perceived«  wiederholt,  speziell 
in  den  noch  zu  besprechenden  Bestimmungen  der  Geister,  deren  Existieren 
geradezu  als  Wollen  bezeichnet  wird. 

I<^  wird  deshalb  jedoch  nicht  zulässig,  aus  den  Randbemerkungen  zu 
(4 1 3)  und  (421)  auf  eine  bewußte  voluntaristische  Grundlegung  der  Gedanken 
Berkeleys  zu  schließen,  ganz  abgesehen  davon,  daß  auch  für  den  Berkeley 
des  Tagebuchs  noch  andere  Bestimmungen,  die  bisher  nur  andeutungsweise 
erkennbaren  Lehren  über  das  Verhältnis  von  Verstand  und  Willen,  diese 
Deutung  ver})ieten.  Die  dynamische  Gnmdlegung,  die  sich  uns  zeigen 
wird,  hängt  an  ganz  anderen  in  dem  systematischen  Zusammenhang  der 
Lehre  des  Philosophen  vorherrschenden  Momenten. 

Berkeley  ist  sich  bewußt,  dem  auf  die  Körperwelt  bezogenen  Begriff 
der  Existenz  eine  weitere  Bedeutung  gegeben  zu  haben,  als  üblich  ist. 
Alle  unsere  Ideen  existieren,  indem  sie  perzipiert  werden,  nicht  nur  die 
Sensationen : 

Phil.-hist.  Ahh.  1919.  Nr.  S.  10 


74  E  R  D  M  A  N  N  : 

I  defy  any  man  to  imagine  or  conceive  perception  without  an  idea, 
Ol-  an  idea  without  perception.  (561;  vgl.  578,  579) 

'Twas  the  opinion  that  ideas  could  exist  unperceiv'd,  or  before  per- 
ception, that  made  men  think  perception  was  somowhat  different  from  the 
ideas  perceived- — y'  it  was  an  idea  of  reflection,  whereas  the  thing  perceiv'd 
was  an  idea  of  Sensation.  I  say,  'twas  this  made  'em  think  the  under- 
standing  took  it  in,  receiv'd  it  from  without,  w"''  could  never  be  did  not 
they  think  it  existed  without.  (647;  vgl.  575,  599) 

Er  will  deshalb  in  dem  geplanten  Treatise  besonders  betonen: 

The  existence  of  any  thing  imaginable  is  iiothing  different  from 
Imagination,  or  perception.  Volition  or  Will,  w"^  is  not  imaginable,  regard 
must  not  be  had  to  its  existence,  at  least  in  the  first  Book.  (782) 

So  kann  er  im  Anschluß  an  die  oben  schon  (S.  69)  herangezogene  glückliche 

Zusammenfassung  seiner  idealistischen  Körperlehre  (457)  erklären: 

But,  say  you,  then  a  chimaera  does  exist !'  I  answer,  it  doth  in  one 
sense,  i.  e.  it  is  imagin'd.  But  it  must  be  weil  noted  that  existence  is 
vulgarly  restrain'd  to  actuall  perception,  and  that  I  use  the  word  existence 
in  a  larger  sense  than  ordinary.   (458) 

Daraufhin  darf  er,  wieder  in  bezug  auf  die  Körperwelt,  urteilen: 

.  .  .  'Tis  on  the  discovering  of  the  nature  and  meaning  and  import 
of  Existence  that  I  chiefly  insist.  This  puts  a  wide  difference  betwixt  the 
sceptics  &c.  &  me.  This  1  think  whoUy  new.  I  am  sure  this  new  to  me. 
(479:  vgl.  594,  646,  650,  789,  797) 

Aber  es  bleibt  für  den  Existenzbegriff  überhaupt  doch  eine  prinzipiell 
bedeutsame  Schwierigkeit  unüberwunden. 

Gewiß  darf  Berkeley  von  seinem  .Standpunkt  aus  darauf  ])estehen, 
daß  Existenz  keine  abstrakte  Allgemeinvorstellung  ist.  wie  sie  die  schoolmen 
geprägt  haben  (542,  718,  741).  Aber  was  bedeutet  Existenz  überhaupt, 
d.  i.  bezogen  sowohl  auf  die  Ideen  wie  auf  die  Geister?  Berkeley  war 
hier  vor  eine  Aufgabe  gestellt,  die  von  seinen  Voraussetzungen  aus  unlösbar 
war.  In  dem  Doppelsinn  des  percipere  (perceive  und  perception)  ist  sie 
nur  verhüllt;  er  vereinigt  konträr  Entgegengesetztes:  perception  oder  idea 
ist  durchweg  passiv ;  perceive  soll  im  Grunde  durchweg  aktiv  sein  (obgleich 
wir  in  unseren  Sensationen  wesentlich  passiv  sind).  Wo  steckt  das  Gemein- 
same, das  die  Existenz  hier  wie  dort  ausmacht?  Es  bleibt  doch  »a  twofold 
sense. «  Im  Treatise  erscheint  der  Widersinn  in  Form  einer  Konsequenz 
stillschweigend  anerkannt:  »Spirits  and  ideas  are  things  so  whoily  different, 
that  when  we  say  'they  exist',  'they  are  known',  or  the  like.  these  words 
must  not  be  thought  to  signify  anything  common  to  both  natures. 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tagebuchs.        75 

There  is  nothing  alike  or  common  in  them«  (§  142).  Oder,  wie  es 
in  der  definitiven  Fassung  des  Treatise  in  anderem  Zusammenhang  heißt: 
»The  former  are  active.  indivisible  substances:  the  latter  are  inert,  fleeting, 
or  dependent  beings.«  (§  89;  vgl.  Dlal.  III  bei  Fräser  A  I  331').  Wir 
müssen  uns  deshalb  mit  der  auskunftlosen  Auskunft  zufrieden  geben,  die 
den  eben  zitierten  Worten  voransteht:  i> Thing  or  Being  is  the  most 
general  name  of  all;  it  comprehends  under  it  two  kinds  entirely  distinct 
and  heterogeneous,  and  which  have  nothing  common  but  the 
name  —  an  dessen  Stelle  lediglich  wieder  die  beiden  konträr  entgegen- 
gesetzten Arten  der  gesuchten  Gattung  folgen:  »viz.  spirits  and  ideas«  I 
Auf  das  gleiche  Resultat  läuft  Berkeleys  Polemik  gegen  die  »abstracted 
notion  of  existence«  der  Ideen  gegen  den  Schluß  des  zweiten  Dialogs 
zwischen  Ilylas  und  Philonous  hinaus  (Fr.  AIS.  3 15  f.).  Auch  dort  bleibt 
die  Existenz  der  Geister  »from  which  we  have  no  direct  and  positive 
notion«  problemfrei  daneben  bestehen.  Man  kann  demnach  sagen,  Berkeley 
habe  keinen  Weg  gefunden,  von  seinen  Voraussetzungen  aus  den  Begriff 
der  Existenz  überhaupt  zu  erfassen. 

Aber  das  bliebe  doch  eine  wenig  ertragreiche  Wertung.  Auch  hier 
ist  das  Bedeutsame  nur  der  Weg,  nicht  das  Ziel.  Wir  stehen  mit  den 
Bestimmungen,  die  Berkeley  nicht  zu  vereinigen  vermochte,  an  der  Geburts- 
stätte des  bis  dahin  nur  gelegentlich  und  ohne  historische  Wirkung 
geäußerten  Gedankens",  daß  Existieren  oder  Sein  keine  Inhaltsbestimmung 

'  So  noch  in  dem  öfter  erwähnten  Brief  an  Johnson  vom  24.  März  1730  (Fr.  A  IV 
S.  176 f.):  -Locke  holds  an  abstract  idea  of  Existence,  exclusive  of  perceiving  and  being 
perceived.    I  cannot  find  I  have  any  such  idea,  and  this  is  my  reason  against  it.« 

'  So  von  Gassendi  besonders  deutlich  in  dem  Text  der  französischen  t 'bersetzung  der 
Meditationen  Descartes'  von  Clerselier,  die  ich  nach  der  zweiten  Auflage  (1661)  zitiere.  Es 
heißt  dort  in  den  fünften  Objektionen  (S.  4i3f.):  «Mais  a  vray  dire,  soit  que  vous  consi- 
deriez  Texistence  en  Dieu,  soit  que  vous  la  consideriez  en  quelqu'  autre  sujet,  eile  n'est 
point  une  perfection,  raais  seulement  une  forme,  ou  un  acte  sans  lequel  il 
n'v  en  peut  avoir.  Et  de  fait  ce  qui  n'existe  point,  n'a  ny  perfection,  ny  imperfection  : 
mais  ce  qui  existe  et  qui  outre  Texistence  a  plusieurs  perfections,  n'a  pas  l'existence 
comme  une  perfection  singuliere  et  l'une  d'entr'  elles:  mais  seulement  comme 
une  forme  ou  un  acte  par  lequel  la  chose  mesme  et  ses  perfections  sont  existantes  et 
Sans  lequel  ny  la  chose,  ny  ses  perfections  ne  seroient  point.  De  la  vient,  ny 
qu'on  ne  dit  pas  que  Texistence  soit  dans  une  chose  comme  une  perfection,  ny  si  une  chose 
manque  d'existence,  on  ne  dit  pas  tant  qu"elle  est  impaffaite,  ou  qu'elle  est  piivee  de 
quelque  perfection,  que  Ton  dit  qu'elle  est  nulle,  ou  qu'elle  n'est  point  du  tout.  >■     Die  Aus- 

10* 


7  ()  E  R  D  M  A  N  N  : 

des  als  seiend  Gesetzten  ist,  sondern  nur  die  grundlegende  Art  ihrer 
Setzung  abgibt.  Wir  treffen  somit  auf  den  (Jedanken,  dem  Hume,  wie 
zu  vermuten  von  Berkeley  aus,  und  unabhängig  von  beiden,  fast  gleich- 
zeitig mit  Hume  und  folgenreicher  als  dieser,  Kant  Ausdruck  gegeben 
haben.  Auch  bei  ihnen  bleiben  freilich  Vorbehalte.  Prinzipiell  ist  bei 
Hume  existence  soviel  wie  consciousness :  aber  ein  Anstoß  realer  wirkender 
Ursachen  wird  vorausgesetzt.  Bei  Kant  Ideibt  der  naive  Realismus  wirkender 
Dinge  an  sich  überhaupt  und  die  durch  das  Freiheitsbewußtsein  gesicherte 
Wirklichkeit  der  geistigen  Glieder  des  mundus  intelligibilis,  deren  intelli- 
gible  Kausalität  in  der  Kausalität  der  reinen,  zeitlosen  Kategorie  gefunden 
werden  soll.  Nicht  durch  Malebranche  oder  einen  der  anderen  Idealisten 
der  Zeit,  vielmehr  erst  durch  Berkeley  ist  somit  die  Frage  nach  der 
Realität  ein  Problem  geworden,  an  dem  die  erkenntnistheoretische  Unter- 
suchung nie  mehr  vorbeigehen  kann. 

Älmlich  problemanregend  ist  Berkeleys  Lehre  von  der  Kraft  und 
ihrer  Kausalität.  Auch  hier  bietet  das  Tagebuch  eine  willkommene 
Ergänzung  dessen,  was  Berkeley  angezeigt  fand  in  seinen  Schriften  zu 
äußern.  In  diesen  erscheint  seine  Lehre  vor  allem  dadurch  bedingt,  daß 
er  den  Kraftbegriff,  wie  er  in  der  Naturwissenschaft  seiner  Zeit  gebrauclit 
zu  werden  pflegte,  ablehnt,  speziell  den  Kraftbegriff,  den  Newtons  Anhänger 
in  dessen  Gravitationstlieorie  liineingelegt  liatten.  In  diesem  Zusammen- 
hang erscheint  die  Kraft  als  eine  qualitas  occulta,  die  nichts  erklärt.  So 
insbesondere  in  der  Schrift  De  motu.  Dadurch  wird  Berkeley  wiederum 
ein  Vorläufer.  Er  gehört  zu  den  wenigen  für  die  Weiterentwicklung  des 
Gedankens  einflußlos  gebliebenen  Vertretern  einer  rein  phänomeno- 
logischen Naturdeutung  vor  Hume.  Einflußlos  l)lieb  auch  er  gemäß  dem 
immer  sich  wiederliolenden  Prozeß,  daß  philosopliische  Ideen,  die  fiir  die 
Einzelwissenschaften  l)edeutungsvoll  werden  können,  diese  Bedeutung  in 
dem  Gebiet  der  speziellen  Wissenschaften  erst  erlangen,  wenn  sie  auf  ihm 
selbst  neu  gefunden  worden  sind.  In  der  Tat  reduziert  Berkeley  das 
causari  in  der  Körperwelt  auf  ein  erfahrungsmäßiges  sequi.  Insofern 
mündet  seine  Körperlehre   in   einem   reinlicli    durchgeführten  Empirismus; 


führung  ist  hier  deutlicher  als  im  lateinischen  Urtext  (bei  Tannery  Bd.  VII  S.  323 f.).  Descartes 
hält  in  seiner  Antwort  an  der  Überlieferung  fest,  nach  der  die  Existenz  zu  den  Vollkommen- 
heiten, d.  i.  den  Merkmalen,  gehört. 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenscJuifllichen  TagehucM.        77 

wird  sie  zu  einer  positivistisclie'n  Ergänzuiig  der  okkasionalistisclien  Leliren. 
in  denen  bereits  aller  Kausalzusammenhang  der  Vorgänge  überhaupt  der 
Sache  nach  in  einen  bloß  zeitlichen  aufgelöst  war.  Aber  es  bleibt  auch  bei 
üim,  wie  schließlich  noch  bei  Hume  und  besonders  bei  Herbart,  ein  Hinter- 
grund metaphysischer  Gedanken.  Er  faßt,  bestimmter  noch  als  die  Okka- 
sionalisten,  den  scheinbar  kausalen  Zusammenhang  des  äußeren  Geschehens 
als  eine  teleologische,  ntu-  als  solche  bedeut.same  Zeichensprache  auf,  in  der 
letzten  Grundes  (4ott  zu  uns  redet',  also  geistig  auf  uns  wirkt:  er  wird 
endlich  durch  «lie  religiöse  Deutung  jener  Zeichensprache  zu  den  wissens- 
feindlichen Konsequenzen  geführt,  die  der  Empirismus  der  Kausaldeutuug 
sonst  weit  von  sich  abweist. 

In  direktem  Anstieg  hat  Berkeley  diesen  kausalen  Empirismus  aller- 
dings nicht  erreicht. 

Es  wurde  oben  (S.  68 f.)  bereits  deutlich,  daß  bei  ihm  anfangs  eine 
dynamische  Deutung  der  Körperwelt  überwog.  Erst  die  dort  gleichfalls 
besprochene  idealistische  Wendung,  die  bald  für  die  Auffassung  der  Existenz 
nicht  wahrgenommener  Körper  eintritt,  treibt  zu  der  Ablehnung  der  Gott 
gegenüber  sekundären  Ursachen.  Mehr  noch.  Die  psychologische  Wendung, 
durch  die  er  die  metaphysisch  fundierte  okkasionalistische  Kausalauf- 
fassung weiterbildet,  läßt  ihn  zeitweise  sogar  den  dynamischen  Zusammen- 
hang der  geistigen  Ursachen  aufgeben: 

One  idea  not  the  cause  of  another — one  power  iiottlie  cause 
of  another.  The  cause  of  all  natural  things  is  only  G(Ki . . .  This  doc- 
trine  gives  a  niost  suitable  idea  of  the  Divinity.  (417) 

Er  meint  dementsprechend  anderes  als  Spinoza,  wenn  er  mit  ähnlichen 
Worten,  aber  ohne  jedes  Bewußtsein  der  Übereinstimmung  sagt: 

No   sharing    betwixt    God   &   nature    or    second   causes   in   niy   doctrine. 
(473;  vgl.  609) 

Noch  von  einem  andern  Gesichtspunkt  aus  kommt  er  zu  der  allgemeinen 
positivistischen  Auflösung  des  KausalbegrifFs.  Schon  in  den  frühesten  Dis- 
putationsthesen finden  wir  die  Überzeugung  ausgesprochen,  daß  Lockes  An- 
nahme, power  sei  eine  der  »simj)le  ideas  which  we  receive  from  Sensation 
and  reflection«  (Ess.  II  7,  8;  anders  bekanntlich  II  21,  l),  irrig  sei: 
Power  is  not  perceived  by  sense.  fXX:  vgl.  III) 


'    Man  vergleiche  auch  die  Bemerkung  aus  der  Zeit  um  1730  bei  Fr.  A.  IV  S.  i8o  Nr.  2. 


78  Erdmann: 

Schwerlicli  liatte  er  diese  Überzeugung  durch  die  später  gelegentlich  auf- 
tretende Koordination  von  power  mit  den  einfachen  Ideen  von  »red«  und 
»extension«  (in  Nr.  133)  als  beseitigt  angesehen.  Denn  erst  in  den  positivisti- 
schen Gedankengängen  zu  Anfang  des  zweiten  Tagebuchheftes  kommt  sie 
deutlich   zum  Fortfall: 

The  simple  idea  call'd  Power  seems  obscure,  or  rather  none 
at  all,  but  onely  the  relation  'twixt  Cause  and  Effect.  When  I  ask 
whether  A  can  move  B,  if  A  be  an  intelligent  thing,  I  mean  no  more 
than  whether  the  volition  of  A  that  B  move  be  attended  with  the  motioii 
of  B!'  ...  (446) 

In  der  ihr  angeschlossenen  Frage: 

If  A  be  senseless,  whether  the  impulse  of  A  against  B  be  followed  by 
V''   motion  of  B:' 

ist  anscheinend  nicht  dei-  rein  zeitliche  Zusammenhang  problematisch, 
sondern  lediglich  dessen  sukzessiver  Charakter.  Dafür  spricht  die  Rand- 
bemerkung : 

Power  no  simple  Idea — it  nieans  nothing  but  the  Relation  between  Cause 
&  Effect.  (480  a) 

Ebenso  die  spätere  Bemerkung: 

"Nihil  dat  quod  non  habet",   or,   the   effect  is  contained  in  the  cause,   is 
an  axiom  I  do  not  understand  or  believe  to  be  true.  (771) 

Beide  sind  wohl  im  Sinne  der  Reflexionen  (417)  und  (446)  zu  deuten.  Die 
Willensnatur  der  Ursache  und  das  Affiziertwerden  bleibt  bei  dem  allen 
unberührt : 

Ni)  active  power  but  the  Will:  therefoi-e  Matter,  if  it  exists,  affects 
US  not  (130;  vgl.  108,  151); 

desgleichen  die  der  Überlieferung  entsprechende  Anerkennung  passiver 
Kräfte  neben  aktiven  (229.  286),  die  durch  die  Beschaffenheit  unserer  Sen- 
sationen und  das  noch  zu  erörternde  Verhältnis  von  understanding  und 
will  gefordert  wird.     Die  Bemerkung: 

There  is  a  difference  betwixt  power  &  volition.  There  may  be 
volition  without  power.  But  there  can  be  no  power  without  volition. 
Power  implyeth  volition,  &  at  the  same  time  a.  connotation  of  the 
effects  foUowing  the  volition  {692) 

bleibt  in  ihrer  ersten  These  durchaus  singulär.  Beachtenswert  sind  bei 
dem  allen  die  antinomischen  Konsequenzen  aus  der  sekundären  Natur  der 
Kräfte  in  der  Körperwelt,  die  spät  erst,  wohl  unter  dem  Einfluß  des  Okka- 
sionalismus,   als    »occasions«    oder   »co-existing  idea-s«    (747,  843),   d.  i.   als 


Bfrkpleijs  Philosophie  im  Lichte  seines  )cissenschaßlichen  Tagebuchs.        79 

»physical  causes«  oder  »causes  y'  do  iiothiiig»  (S44;  vgl.  838)  gefaßt  werden. 
Einerseits  wird  die  wissensfeindliche  Natur  dieser  Konsequenz  in  teleolo- 
gisch zu  verstehenden  Formulierungen  fast  energischer  noch  betont  als 
im  Treatise: 

Absurd  to  study  astronomy  and  other  the  like  doctrlnes  as  specula- 
tive  Sciences.  (418;  vgl.  417,  419,  646) 

Andrerseits  heißt  es  einmal: 

Xaturalists  do  not  distinguish   betwixt   cause  and  occasion.     Useful 
to  enquire   after  co-existing  ideas  or  occasions.  (747;  vgL  492,  611) 

Es  sind  demnach  Ansätze  zu  jener  Behandlung  der  Kräfte,  die  in  der 
Siris  zum  Vorschein  kommt,  obgleich  vorerst  durch  entgegengesetzte  unter- 
drückt, schon  im  Tagebuch  unverkennbar  vorhanden. 

In  dem  temporalen  Empirismus  der  vorstehenden  Kausalgedanken 
haben  auch  wir  Vorgedanken  zu  Humes  Kausaltheorie  gefunden.  Sie  lassen 
sich  ebenso  auch  in  mancherlei  Wendungen  der  drei  frühen  philosophi- 
schen Schriften  Berkeleys  aufweisen.  Aber  es  hieße  den  historischen  Sach- 
verhalt gründlich  verkennen,  wenn  wir  daraufJun,  wie  mehrfach  geschehen 
ist,  Humes  entscheidenden  Anteil  an  der  Entwicklung  des  Kausalproblems 
schmälern  wollten.  Jene  Vorgedanken  liegen,  soweit  sie  bei  Berkeley 
über  die  Problemlage  der  Okkasionalisten  hinausreichen,  ausschließlich  in 
seiner  Lehre  von  der  »customary  connexion«  der  Ideen  un<l  der  durch 
sie,  ahso  erfahrungsmäßig  bedingten  »Suggestion«,'  sowie  der  aus  ihr  ab- 
folgenden »mediate  perception«.  Völlig  unbedenklich,  ähnlich  so  wie  neuer- 
dings Helmholtz  in  seiner  Hypothese  der  unbewußten  Schlüsse,  bezeichnet  er 
die  Ideen,  die  auf  diese  Weise  reproduziert  werden,  als  »acts  of  judg- 
ment  grounded  on  experience«  (New  Theory  §3,  38,  53,  62  u.  ö. ; 
Tr.  §43;  vgl.  »reason  and  memory«  in  den  Dialogen  Fr.  A.  I  295:  »per- 
ceive  or  judge«  in  N.  Th.  Vindieated  §  53,  58  u.  ö).  Allerdings  könnte 
man  glauben,  auch  Humes  Gegensatz  der  kausalen,  »moral  reasonings«,  zu 
den  mathematischen,  »demonstrative  reasonings«.  hei  Berkeley  zu  finden.  In 
der  Tat  unterscheidet  Berkeley  schon  in  der  New  Theory  die  reproduktiv 
vermittelten  empirischen  Schlußsätze  von  den  >•  conclusions  in  mathematics, 
betwixt   which  and   the   premises    it   is   indeed   absolutely    requisite    there 


'   Im  Taftebuch  heißt  es  einmal:   »constant  &  long  association  of  ideas«   (226). 


80  Erdmann: 

be  an  apparent,  neces'sary  connexion«  (N.  Th.  §  24).  Sein  Kampf  gegen 
die  landläufigen  geometrischen  Tlieorien  der  Gesichtswahrnehmung  beruht 
auf  der  wohlfundierten  Unterscheidung  der  »necessary  connexion«  von 
der  »customary«  oder  »arbitrary  conjunction«  (vgl.  194,  247,  257).  Man 
könnte  sich  für  eine  direkte  Abhängigkeit  Humes  von  Berkeley  in  diesem 
Punkte  sogar  darauf  berufen,  daß  dieser  schon  auch  die  Kausalsclüüsse 
jenen  Erfahrungsurteilen  zurechnet.  Erklärt  er  doch  im  Treatise,  daß  wir  so 
wenig  wie  »by  sense«,  so  wenig  auch  »by  reason«  die  Existenz  von  Körpern 
als  Ursachen  unserer  Sensationen  finden  können,  »since  the  very  patrons 
of  Matter  themselves  do  not  pretend  there  is  any  necessary  connexion 
betwixt  them  and  our  ideas«  (§  18).  Wird  doch  ferner  in  den  Dialogen, 
wie  bereits  zu  erwähnen  war  (S.  64,  Anm.  61),  ausgeführt,  daß  die  Existenz 
wirksamer  Geister  als  solcher  Ursachen  nicht  auf  einer  »necessary  con- 
sequence«,  d.  i.  einer  »demonstrative  knowledge«,  sondern  auf  einem  Wahr- 
scheinlichkeitsschluß, einer  »probable  deduction«  beruhe,  »if  we  see 
signs  and  effects  indicating  distinct  finite  agents  like  ourselves«  (Fr.  A.  I 
328).  Benutzt  er  doch  überdies  durchweg  die  gleiche  Argumentation  für 
seinen  Gottesbeweis  aus  der  Ideenwelt  als  der  Zeichensprache  Gottes  zu 
uns,  wenn  auch  hier  die  Gewißheit  »far  more  evident«  ist  (Tr.  §  147; 
Alciphron,  Dial.  IV;  Siris  §  252  f.).  Ist  doch  endlich  seine  ganze  Theorie 
der  Zeichen  (signs),  besonders  deutlich  in  der  New  Theory  Vindicated 
(§  39)  diesem  Gedankengang  eingewoben. 

So  positivistisch  geschlossen  ist  jedoch  der  Gedankenzusammenhang 
bei  Berkeley  auch  psychologisch  nicht.  Dem  aufmerksamen  Leser  konnte 
nicht  entgehen,  daß  der  Schluß  von  der  Wirkung  auf  eine  Ursache  über- 
haupt bei  Berkeley  überall  rationalistisch  fundiert  ist,  auch  wenn  Wen- 
dungen wie  »probable  deduction«  nicht  gepreßt  werden.  Besonders 
klar  spricht  gerade  über  diesen  Punkt  die  New  Theory  Vindicated.  »From 
our  ideas  of  sense«,  heißt  es  dort,  »the  inference  of  reason  is  good 
to  Power,  Cause,  Agent.  But  we  may  not  therefore  infer  that  cur  ideas 
are  like  unto  this  Power,  Cause,  or  Active  Being.  ...  in  our  ideas  or  im- 
mediate  objects  of  sense,  there  is  nothing  of  Power,  Causality,  or  Agency 
included.  Hence  it  foUows  that  the  Power  or  Cause  of  ideas  is  not 
an  object  of  sense,  but  of  reason«.  Weiter  sogar:  »Our  knowledge  of 
the  cause  is  measured  by  the  effect;  of  the  power,  by  our  idea  .  .  .  We 
know  that  our  ideas  of  sense  are  not  the  cause  of  themselves.     We  know 


Berkfleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftliehen  Tac/ebuc/is.         81 

also  that  we  do  not  cause  them.  Hence  we  know  they  must  have  some 
other  efficient  cause,  distinct  from  them  and  us«  (§  1 1  f ;  vgl.  21,  30).  So 
kommt  Berkeley  zu  der  Voraussetzung,  die  allen  diesen  Argumentationen 
zugrunde  liegt:  »To  perceive  is  one  thing:  to  judge  is  another.  So  like- 
wise,  to  be  suggested  is  one  tliing,  and  to  be  inferred  another.  Things 
are  suggested  and  perceived  by  sense.  We  make  judgments  and  inferences 
by  the  understanding  .  .  .  We  infer  causes  from  effects,  effects  from 
causes,  and  properties  one  from  another,  where  the  connexion  is 
necessary«  (§  42).  Es  ist  eben  der  Gedankenzug,  den  wiederholte  Er- 
klärungen in  den  Dialogen  bekunden:  »From  the  effects  I  see  produced  1 
conclude  there  are  actions  .  .  .  there  must  be  a  will  (Fr.  A  1  335);  it 
neccssarily  follows  there  is  an  omnipresent  external  Mind«  (Fr.  A  1  325); 
in  anderer  Wendung  »a  necessary  relation  to  the  mind  is  understood 
to  be  implied  by  the  term  idea«  (Fr.  AI  331).  Die  rationalistische  Scheidung 
zwischen  »experience«  und  »reason«  in  der  Siris  (vor  allem  §  264, 
293f.,  303f.,  308,  313,  33of)'  bezeugt  deshalb  auch  in  diesem  Punkte 
keine  neue  Gedankenrichtung,  sondern  nur.  daß  ein  früh  vorhandener, 
aber  anfangs  im  Untergrund  bleibender,  durch  empiristische  Einflüsse 
überdeckter  Gedankenstrom  später  zum   vorherrschenden   wird. 

Jene  frühe  Problemlage  zeigt  sich  auch  im  Tagebuch.  Ein  rationa- 
listisches Moment  enthalten  alle  die  Aufzeichnungen,  in  denen  das  Urteilen, 
ja  selbst  das  Perzipieren  überhaupt,  als  eine  Tätigkeit  einschli<'ßend  be- 
hauptet wird.  Darauf  ist  später  einzugehen.  Direkter  noch  tritt  es  hervor, 
wenn   wir  gegen   den  Schluß  des  Tagebuchs   lesen : 

•  Kx  nihilo  nihil  fit.-  This  (saytli  Spinoza.  Opera  Posth.  p.  464)  and 
the  like  are  called  reritalf$  netrmai,  because  »nullain  fideni  habent  extra 
mentem-.  To  make  this  axiom  have  a  positive  sigiiification,  one  should 
express  it  thus:  Every  idea  has  a  cause,  i.  e.  is  produced  by  a 
Will.  (821)  ' 

So,  obgleich  ihm  feststeht: 

Pure  intellect  I  nnderstand  not  (800  vgl.  521): 
und  schon   vorher: 

Qu.  VVhat  becomes  ai  \}a&  avternae  ecritates'f    Aus.  They  vanish.  (728) 


'  Insbesondere  §  308  behufs  Vermittlung  Ari.stotelischer  und  Platonischer  Lehren : 
•  Some,  perhaps,  may  think  the  truth  to  be  this:  --  that  there  ar  properly  no  ideas,  or 
pa.ssive  objeets,  in  the  mind  but  what  were  derived  from  setise:  but  that  there  are  also 
besides  these  her  own  acts  or  Operations;  such  are  rtotiftns.- 

Phil.-higt.Abh.   191U.  Nr.  f<.  11 


82  K  R  D  M  A  N  N  : 

Die  vorstehenden  Erörterungen  über  Existenz,  Kraft  und  Kausalität 
setzen  uns  in  den  Stand,  die  nicht  eben  durchsichtige  Entwicklung  der 
Lehre  von   den  spirits  im   Tagebuch   zu  rekonstruieren. 

Schon  zu  Beginn  desselben  war  Berkeley,  wie  wir  oben  gesehen 
haben,  überzeugt,  daß  eine  Vielheit  von  endlichen  tätigen  Geistern  sub- 
sistiert  (23,  24;  vgl.  108,  421,  745).  Allmählich  wurde  ihm  sicher,  daß 
zu  ihrer  Erkenntnis  sowie  zur  Erkenntnis  der  geistigen  Tätigkeiten 
des  Verstandes  und  Willens  die  ihrem  Bestände  nach  trägen  Ideen  un- 
tauglich sind  (173,  231,  280;  dann  etwas  bedenklich  478,  512:  weiter  525, 
526,  536,  565,  566,  634,  635,  649,  655,  656a,  676,  699,  749,  796,  835, 
837,  874,  875).  Wo  daraufT)in  gelegentlich,  im  Anschluß  an  Locke  (511), 
das  Wort  »knowledge«  in  engerem  Sinne  genommen  wird,  werden  die 
Geister  und  ihre  Tätigkeiten  unerkennbar  (566,  879).  Nichts  im  Grunde 
erfahren  wir  aus  dem  Tagebuch  über  die  Art,  wie  wir  sie  tatsächlich 
erfassen.  Aus  der  oben  bereits  angeführten  Bemerkung,  daß  die  intuitive 
Erkenntnis  unserer  eigenen  Existenz  die  der  körperlichen  Dinge  voraussetzt, 
und  der  etwas   anders  gedachten   Eintragung : 

...  I  know  with  an  intuitive  knowledge  the  existence  of  other  things  as 
well  as  my  own  soul . .  .  (552) 

erfahren  wir  nur,  daß  ein  solches  unmittelbares  Erfassen  besteht,  sowie 
weiterhin,  daß  wir  auch  die  anderen  Geister  »as  so  many  selves«  denken 
müssen  (745). 

Der  auch  in  den  Schriften  schillernde  Terminus  »reflection«'  hat  in  den 
seltenen  Fällen,  in  denen  er  von  Berkeley  im  Tagebuch  gebraucht  wird, 
den  Lockeschen  Sinn.    (XXIII,  560,  575,  647,  661,  717;  vgl.  724,  731,  882) 

Ein  Gegenstand  wiederholter,  in  den  Schriften  kaum  noch  andeutungs- 
weise erkennbarer,  offenbar  unabgeschlossener  Prüfung  ist  dagegen  die 
Frage  nach  der  Identität  des  Ich. 

Sie  setzt  früh  ein  mit  der  auch  für  ein  anderes,  noch  zu  besprechendes 
Moment  bedeutungsvollen   Erwägung: 

On  account  of  my  doctrine,  the  identity  offinite  substances  [natürlich 
geistiger]  must  consist  in  something  eise  than  continued  existence,  or 
relation  to  determined  time  &  place  of  beginning  to  exist — the  existence 


'    Im  Sinne  Lockes  z.  B.  Tr.  §  i,  25,  35,  68,  74;  dagegen  für  das  Erfassen  der  Geister 
in  den  Dial.  bei  Fr.  A  I  326,  Dial.  bei  Fr.  A  I  328.  Tr.=  §  89. 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tagebuchs.'        83 

of  our  thoughts  (which  being  combined  make  all  [geistigen]  substances) 
beingfrequently  interrupted,&they  having  divers  beginn ings 
&  endings  (192  ;  vgl.  84), 

nachdem  kurz  vorher  nebenbei    »persons  not  thinking«  erwähnt  sind  (182), 

deren  Existenz,  wie  die  von  Farben  im  Dimkehi,  also  von  ideas,  ebensowohl 

zugestanden  werden  soll,    »but  not  an  absolute,  actual  existence«.    An  jene 

Erwägung  schließt  sich,  wie  mir  scheint,  die  Frage: 

Qu.  wherein  consists  identity  of  person  ?  Not  in  actnal  consciousness, 
for  then  Fin  not  the  sazne  person  I  was  this  day  twelvemontb,  but  while 
I  think  of  w'  I  then  did.  Not  in  potential,  for  then  all  persons  may  be 
the  same,  for  ought  we  know  (199) 

mit  einer  dunkeln  xmd  auch  durch  andere  Bemerkungen  über  potentia 
(1 39,  140,  1 55)  von  mir  nicht  erhellbaren  Scheidung  zwischen  einer  »natural« 
und  einer  » praeternatural  consciousness«,  von  denen  hier  nur  die  letztere 
gemeint  sein  soll  (201).  Aus  gleich  zu  erwähnendem  Grunde  scheint  mir 
auch  die  Bemerkung: 

The  grand  puzzling  question,  whether  I  sleep  or  wake?  easily  solv'd  (467) 

in  diesen  Zusammenhang  zu  gehören.     Sicher  ist  dies  bei  der  Niederschrift: 

No  broken  intervals  of  death  or  annihilation.  Those  intervals  are 
nothing:  each  person 's  time  being  measured  to  him  by  his  own  ideas.  (580) 

Weiterhin  erst  kommt  die  im  Begriff  der  Seele  als  selbsttätigen  wollenden 
Wesens  von  vornherein  angelegte  Entscheidung,  daß  die  Seele  immer 
denke,  mit  der  Berkeley,  wenn  auch  in  ganz  anderer  Deutung.  Descartes 
gegenüber,  Locke  recht  gibt: 

Certainly  the  mind  always  and  constantly  tbinks:  and  we  know  this 
too  .  .  .  (642) 

To  say  the  mind  exists  without  thinking  is  contradiction,  nonsense, 
nothing.  (643:  vgl.  697) 

Dabei    werden    wir   das    »and   we   know   this    too«    wohl   durch    die    früh 

feststehenden,  schon  oben  angefiihrten  Überzeugungen  Nr.  50  und  75  und 

deren  Ergänzungen: 

. . .  a  perception  not  perceiv'd  is  contradiction,  nonsense,  noihing  . .  . 
(250;  vgl.  351) 

An  idea  cannot  exist  unperceiv'd  (383) 

erläutern  müssen.  In  eben  diese  Zeit  scheint  die  Randbemerkung  zu  der 
oben  angpfiihrten  Eintragung  (192)  zu  gehören: 

[Qu.  whether  identity  of  person  consists  not  in  the  Will?]  (193) 

11* 


84  P"  R  n  M  A  N  N  : 

Sicher  gehört  ihr  die  nur  scheinbar  paradoxe  Konsequenz  an: 

There  are  innate  ideas,  i.  e.  ideas  created  with  us.  (640) 
Wir    dürfen    bei    ihr   nur   nicht    an    ewige  Wahrlieiten    und    einen    reinen 
Intellekt    denken.     Der    Empirismus    des   frühen    Standpunkts    erleidet    im 
Tagebuch  keinen  so  tiefgehenden  Einbruch  rationalistischer  Gedanken.    Dafür 
sprechen  außer  den  S.  81    angeführten  Nr.  728  und  821    die  Reflexionen: 

.  .  .  Certainly  if  there  were  no  sensible  ideas  there  could  be  no  soul, 
DO  perception,  remembrance,  love,  fear,  &c;  no  faculty  could  be  exerted.  (465) 

.  .  .  If  it  were  not  for  them  [the  senses]  the  mind  could  have  no 
knowledge,  no  thought  at  all.  All  x  x  x  of  introversion,  meditation,  con- 
templation,  and  spiritual  acts,  as  if  these  could  be  exerted  before  we  had 
ideas  from  without  by  the  senses,  are  manifestly  absurd.   (529) 

I  approve  of  this  axiom  of  the'Schoolmen,  'Nihil  est  in  intellectu 
quod  non  prius  fuit  in  sensu".  .  .  (770) 

Es  handelt   sich  in  Nr.  640  anscheinend  nur  um   einen,  vielleicht  bewußt 

gewählten    paradoxen   Ausdruck   für   eine    Konsequenz,    die    wir   vielleicht 

treftend    auf  die    den    endlichen   Geistern    von    Anbeginn    an    immanenten 

Sensationen  ihrer  eigenen  und  der  umgebenden  Körperwelt  beziehen. 

Wirklich  paradox  ist  nur  die  in  dem  vorhin  gegebenen  Zitat  von  (642) 

vorerst  ausgelassene  Konsequenz 

...  In  sleep  and  trances  the  mind  exists  not — there  is  no  time,  no 
.succession   of  ideas.  (642) 

Sie  ist  unverkennbar  gegen  Lockes   empirische  Erörterung  der  Streitfrage, 

ob  die  Seele  immer  denke,   gerichtet,   inul  zwar  unter  der  Voraussetzung, 

daß  in  solchen  Zuständen   eben   Ideen  fehlen.     Daß  diese  Konsequenz  dem 

selbsttätigen   Wesen  auch    der   endlichen    Seelen  widerspricht,    das  in  den 

Schriften  für  diese  Frage  durchweg  entscheidet,'   liegt  auf  der  Hand.    Aber 

das  Tagebuch   bietet  doch   in   seinen  Reflexionen  über  die  Seele,  wie  gleich 

zu    zeigen    sein    wird,    einen    möglichen    Ansatzpunkt    für    diese    paradoxe 

Behauptung. 

"Vorerst  ist  noch   einer  anderen  Lösung  des  Identitätsproblems  für  die 

Seelen  zu  gedenken,  die  bald  nach  der  eben  angezogenen  Reflexionsgruppe 

ausgesprochen  wird: 

Doctrine  of  identity  best  explain'd  by  taking  the  Will  for  volitions, 
the  Understanding  for  ideas.  The  difficulty  of  consciousness  of  w'  one 
never  acted  &c  solv'd  thereby-  (673) 


■    Vgl.  z.  B.  im  Tr.  §  141,  sowie  auch  den  mehrfach    zitierten  Brief  an  Sam.  Johnson 
bei  Fr.  A  IV  181  Nr.  6. 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tagebuchs.        85 

Sie    ist    nicht    eben    durchsichtig.      Aber    es    ist    möglich,    daß    ihr    Sinn 
lediglich  in   der  nichtssagenden  Bemerkung  aufgeht: 

Qu.  W  mean  you  by  my  perceptions,  my  volitions?  Both  all  the 
perceptions  I  perceive  or  conceive,  &c.  are  mine:  all  the  volitions  I  am 
conscious  to  are  mine.  (737) 

So  unzulänglich  diese  Lösungsversuche  bleiben,  werfen  sie  doch 
Licht  in  eine  Lücke  der  Schriften  Berkeleys.  Im  Treatise  und  den  Dialogen 
wird  das  Problem,  das  von  Locke  in  den  späteren  Auflagen  seines  Essay 
eingehend  erörtert  worden  war,  in  dem  »1«  oder  »Myself«  als  erledigt 
vorausgesetzt.  Im  Alciphron  wird  der  Lösungsversuch  Lockes  abgewiesen. 
Aber  Berkeley  begnügt  sich  dort,  bei  Besprechung  des  Glaubens  an  die 
Dreieinigkeit,  auf  die  Einwürfe  hinzudeuten,  »which  may  be  raised  even 
about  human  personal  Identity«,  und  auf  Grund  einer  kühnen  Konstruktion 
von  Fällen  nach  Art  derer,  die  jetzt  als  solche  von  double  consciousness 
bezeichnet  werden,  festzustellen,  sie  lasse  sich  durch  ein  fortdauerndes 
Bewußtsein  nicht  erklären  (Alciphron  bei  Fr.  A  II  307  f.).  Wir  finden  dem- 
nach in  Berkeleys  Schriften  lediglich  Spuren  von  Lösungsversuchen  des 
Problems,  die  ihn  selbst  nicht  befriedigt  haben.  Jedenfalls  haben  jedoch 
die  Ansätze  zu  ihnen  im  Tagebuch  einen  nicht  genauer  bestimmbaren 
Einfluß  auf  die  Entwicklung  der  Lehre  von  den  Geistern  überhaupt  gehabt. 

Noch  einmal  sei  daran  erinnert,  daß  im  Tagebuch  die  ÜI)orzeugung 
von  der  selbständigen  Existenz  von  »conscious  things«  als  Personen,  zu  denen 
die  Körperwelt  als  »manner«  ihrer  geistigen  Existenz  {24),  als  Inbegril!" 
von  perceptions,  ideas  oder  thoughts  im  olyektiven  Wortsinn  gehört  (280), 
von  Anfang  an  gesichert  ist.  Als  active,  powerful,  thinking  »things«  oder 
»Beings«  (41,  150,  229), als  thinking (4 2  i)  »substances«  (27  i,  [289],  395,  396), 
weiterhin  als    »that  which  thinks«  oder  »wills«  (486)  sind  sie  gedacht. 

Es  konnte  jedoch  Berkeley  nicht  verborgen  bleiben,  daß  in  dieser 
Voraussetzung  gerade  für  seinen  Immaterialismus  ein  Problem  stecke. 
Welches  Recht  besteht,  insbesondere  in  Rücksicht  auf  Lockes  Behauptung 
des  »I  know  not  what«  für  den  Kern  des  Substanzbegriifs  überhaupt,  die 
körperlichen  Substanzen  in  Inbegriffe  von  Ideen  aufzulösen,  für  die  »Träger» 
dieser  Ideen  aber,  für  das,  was  die  Ideen  »supports«  (s.  S.  61),  die  dort 
zurückgewiesene  Substantialität  beizubehalten?  In  seinen  Schriften  wird 
dies  so    naheliegende  Problem   für  das   velle   wie  für  das    perclpere   durch 


86  E  R  n  M  A  N  N  : 

die  Erkläi'ung  gelöst,  daß  wir  die  Substanz  lediglich  in  ihren  Wirkungen 
zu  erfassen  vermögen  (s.  oben  S.  62).  Aber  damit  ist  doch  schließlich  das 
zu  Erweisende  offenbar  vorausgesetzt.  Bekanntlich  hat  hier  erst  Hume, 
rücksichtslos  gegen  alle  Forderungen  des  religiösen  Bewußtseins,  aus  ganz 
anderen  Gründen  als  vor  ihm  Spinoza  für  die  endlichen  Geister,  vielmehr 
lediglich  auf  Grund  des  Empirismus  von  Locke  und  Berkeley,  die  Konse- 
quenz ausgesprochen,  daß  auch  der  Geist  nur  ein  Bündel  von  Ideen  sei. 
Eben  diese  Konsequenz,  die  aus  Berkeleys  Schriften  nicht  zu  entnehmen 
ist,  findet  sich  fiir  die  endlichen  Geister  als  später  aufgegebene  Übergangs- 
lösung im  Tagebuch.  Von  zwei,  schließlich  zusammenführenden  Gedanken- 
gängen aus  wird  das  Problem  entwickelt. 

Ein  früher  Ausgangspunkt  zu  ihnen  findet  sich  in  der  Zwischen- 
bemerkung zu  der  oben  schon  angeführten  ersten  Reflexion  über  das 
Identitätsproblem  (192),  daß  »our  thoughts  combined  make  all  substances« 
und  der,  wie  wir  sahen,  jener  Bemerkung  zugehörigen,  aber  wohl  späteren 
Randbemerkung:  ' 

[Qu.  whether  identity  of  person  consists  not  in  the  Will?]  (193) 

Der  Gedanke  bleibt  indessen  vorerst  unentwickelt.  Vielleicht  lag  ein  An- 
stoß zu  seiner  Entfaltung  in  der  Frage,  die  einer  schon  angeführten  Be- 
merkung vor ansteht: 

Qu.  How  is  the  soul  distinguish'd  from  its  ideas?  Certainly  if 
there  were  no  sensible  ideas  there  could  be  no  soul,  no  perception, 
remembrance,  love,  fear,  &c. ;  no  faculty  could  be  exerted.  (465) 

Die  Antwort  ist  allerdings  empiristisch  gewendet.  Aber  eben  diese  Wen- 
dung konnte  auf  Grund  jenes  frühen  Ansatzes  wohl  zu  der  Hypothese 
führen : 

The  very  existence  of  ideas  constitutes  the  soul.  (567) 

Aufgenommen  wird  sie  in  direktem  Anschluß  an  die  für  Berkeley  längst 
gesicherte  Überzeugung,  daß  die  Seele  (durch  Ideen)  nicht  erkennbar  sei. 
Dies  bezeugt  die  unmittelbar  an  Nr.  567  angeschlossene  Überlegung: 

Consult,  ransack  y''  understanding.  W  find  you  there  besides  several 
perceptions  or  thoughts  [d.i.  hier  imaginations ;  vgl.  572]?  W  mean  you 
by  the  word  mind;'  You  must  mean  something  that  you  perceive  or  y'  you 
do  not  perceive.  A  thing  not  perceived  is  a  contradiction.  To  mean 
(also)  a  thing  you  do  not  perceive  is  a  contradiction.  We  are  in  all 
this  matter  strangely  abused  by  words.  (569) 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tagebuchs.        87 

So  wird  der  Gedanke  vorerst  fest: 

Mind  is  a  congeries  ofperceptions.  Take  awayperceptions  and 
you  take  away  the  mind.    Put  the  perceptions  and  you  put  the  mind.  (570) 

Say  you,  the  mind  is  not  the  perception,  not  that  thing  which 
perceives.  I  answer,  you  are  abused  by  the  words  "that  &  thing". 
These  are  vague  and  empty  words  with  us.  (571) 

Der  Gedankengang  kehrt  noch  einmal  wieder,  gleichfalls  im  Anschluß 
an  Klagen  über  die  Mängel  der  Sprache: 

Say  you,  there  must  be  a  thinking  substance — something  unknown 
w*""  perceives,  and  Supports,  and  ties  together  the  ideaa.  Say  I, 
make  it  appear  there  is  any  need  of  it  and  you  shall  have  it  for 
me.  I  care  not  to  take  away  anything  I  can  see  the  least  reason  to 
think  should  exist.  (628) 

I  affirm  'tis  manifestly  absurd — no  excuse  in  the  world  can  be  given 
why  a  man  should  use  a  word  without  an  idea.  Certainly  we  shall  find 
that  w'ever  word  we  make  use  of  in  matter  of  pure  reasoning  has,  or 
ought  to'  have,  a  compleat  idea  annext  to  it,.  i.  e.  its  meaning  or  the  sense 
we  take  it  in   must  be   compleatly   known.  (629;  vgl.  630) 

Aber  mit  dem  allen  war  doch   das  Problem  nur  von  einer  Seite  aus 

erfaßt.    Der   früh    (130,    151)    festgelegte   Willenscharakter    der    Seele    ist 

hier    außer    Betracht    gelassen.      Er    kommt,    wie    wir    vermuten    dürfen, 

reagierend  zum  Vorschein.    Schon  in  unmittelbarem  Anschluß  an  die  Frage, 

die  wir  fiir  die  intellektualistische  Deutung   zum  Ausgang   nahmen,    wird 

er,  wenn  auch  vprerst  folgenlos,  hervorgehoben: 

The  soul  is  the  Will,  properly  speaking,  and  as  it  is  distinct  from 
ideas.  (466) 

Dann    wird    in    einer    Randbemerkung,    die    allem    Anschein    nach    einem 

späteren  Gedankengang  angehört,  kurz  und  bündig  gesagt: 

[It  should  be  said,  nothing  but  a  Will — a  being  which  wills 
being  unintelligible.]  (487) 

Denn  die   reagierende  voluntaristische  Fassung   erscheint  erst  viel  später, 

Sie  bereitet  sich  gleichfalls  durch  Ablehnung  der  Ideen  für  die  Erfassung 

des  Willens  vor: 

To  ask,  have  we  an  idea  of  y«  Will  or  volition,  is  nonsense...  (649) 
If  you  ask  w'  thing  it  is  that  wills,  I  answer,  if  you  mean  idea  by 
the  word  thing,  or  anything  like  an  idea,  then  I  say,  'tis  no  thing  at 
all  that  wills.  This  how  extravagant  soever  it  may  seem,  yet  is  a 
certain  truth.  We  are  cheated  by  these  general  terms,  thing,  is,  &c.  (650; 
vgl.  652,  653,  658) 


88  E  R  D  M  A  N  N  : 

Daraufhin  kommt  er  zu  der  Erklärung: 

The  spirit — the  active  thing — that  w«^''  is  soul,  &  üod — is  theWill 
alone.     The  ideas  are  cffects — impotent  things  (705); 

ferner  in   weiterem  Verfolg  der  Frage: 

You  ask,  do  these  volitions  make  one  Will;'  W  you  ask  is  meerely 
about  a  word — unity  being  no  more  (707) 

zu  den  Feststellungen: 

We  See  no  variety  or  difference  betwixt  the  volitions,  only  between 
their  effects.  'Tis  one  Will,  one  Act,  distinguished  by  the  effects.  This 
Will,  this  Act,  is  the  spirit,  operative  principle,  soul.  &c.  (779!  ^g'-785) 

While  I  exist  or  have  any  idea,  I  am  eternally,  constantly  willing; 
mv  acquiescing  in  the  preseut  State  is  willing.   (781) 

It  seems  that  the  soul,  taken  for  the  Will,  is  immoital,  incorrupt- 
ible.  (804) 

So  ergeben   sich   endlich  die  Annahmen: 

The  Will  is  purus  actus,  or  rather  pure  spirit  not  imaginable, 
not  sensible,  not  intelb'gible,  is  no  wise  the  object  of  the  understanding, 
no  wise  perceivable.  (818;  vgl.  858) 

Substance  of  a  spirit  is  that  it  acts,  causes,  wills,  operates, 
or  if  von  please  (to  avoid  the  quibble  y*  ma)'  be  made  on  y^  word  'it') 
to  act,  cause,  will,  operate.  Its  substance  is  not  knowable,  not  being 
an  idea.   (819) 

Die  Unerkennbarkeit  der  Substanz  ist  demnach  nicht,  wie  bei  Locke, 
durch  ein  »I  know  not  what«  erledigt.  Für  die  Körper  ist  sie  gesichert 
durch  deren  Auflösbarkeit  in  Ideen,  für  die  Geister  durch  deren  dynami- 
schen Charakter: 

The  substance  of  Body  we  know.  The  substance  of  Spirit  we  do 
not  know  — it  not  being  knowable,  it  being  a  purus  actus.    (694;  vgl.  858) 

But  the  grand  mistake  is  that  we  know  not  what  we  mean  by  'we', 
or  'selves',  or  'mind",  &c.  "Tis  most  sure  &  certain  that  our  ideas 
are  distinct  from  the  mind,  i.  e.  the  Will,  the  Spirit.  (835) 

Nur  anhangsweise  sei  berührt,  wie  diese  Willenslehre  die  Freiheit 
des  Willens  als  Selbsttätigkeit  einschließt.  In  den  ersten  Anfängen  wird 
die  Freiheit  anscheinend  geleugnet  (XXI,  XXII;  vgl.  die  vieldeutige  Ein- 
tragung 144).  In  vielfältiger,  besonders  späterhin  ansteigender  Abwehr  der 
Lehre  Lockes  von  der  »uneasiness«  ([143]  u.  ö.,  601  u.  ö.)  wird  sie  Berkeley 
dagegen  sicher,  zugleich  mit  der,  allerdings  nicht  durchgeführten  Konse- 
quenz, daß  wir  von  Tugenden  und  Lastern  als  Willensbestimmungen  keine 
Ideen   haben   (660  u.  ö.).     Sie   sollte    neben   dem  Beweis   für   die   Existenz 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tngehmhs.        89 

Gottes  als  eines  der  beiden   »great  prineiples  of  morality«   spezieller  aus- 
geführt werden  (496).     Fest  steht: 

Folly  to  inquire  w'  determines  the  Will.  Uneasiness,  &c.  are  ideas, 
therefore  unactlve,  therefore  can  do  nothing,  therefore  cannot  determine 
the  Will.  (644) 

I  think  not  that  things  fall  out  of  necessity.  The  connexion  of 
no  two  ideas  is  necessary,  'tis  all  the  result  of  freedom,  i.  e.  'tis  all  vol- 
untary.  (872) 

(Man  vgl.  dazu  145a,  15*2,  153,  154,  156,  608,  618,  619,  623,  645,  738, 
787,  867). 

Durchgeführt  ist  jedoch  keine  dieser  beiden  Argumentationsreihen. 
Die  Reflexionen,  in  denen  sie  auftreten,  werden  von  den  vereinigenden 
Gedanken  begleitet  und  zusammengeschlossen,  die  in  den  Schriften  (s.  oben 
S.  62)  mehr  angedeutet  als  ausgeführt  sind. 

Es  ist  eine  weite  Strecke,  die  sie  von  dem  frühen  Gedanken  trennt, 
daß  die  Seele  eine  komplexe  Idee  aus  Existenz,  Willen  und  Perzeption 
überhaupt  sei  (150;  s.  oben  S.  71).  Aber  die  letzte  Entscheidung  ist  doch 
der  Sache  nach  von  dem,  was  Berkeley  mit  jener  unzulänglichen  Anfangs- 
formulierung eigentlich  meinen  konnte,  im  wesentlichen  abhängig.  Die  Über- 
zeugung, daß  die  Operationen  des  Verstandes  und  des  Willens  im  Grunde 
ein  und  dasselbe  sind,  bricht  sehr  bald  und  immer  aufs  neue  hervor.  So 
in  Reflexionen,  auf  die  schon  oben  (S.  67)  hinzuweisen  war: 

. . .  [thought  seeming  to  imply  action] . . .  (37), 
und  zwar  schon  früh,  falls  die  Klammer  bei  Fräser  hier  nicht  eine  Zusatz- 
bemerkung späteren  Ursprungs   zeigt.     Dann   erscheint  sie   in  der   bereits 
(S.  73)  angeführten  Randbemerkung   zu  Nr.  421.     Weiterhin   gewinnt  der 
Gedanke  an  Klarheit: 

The  understanding  taken  for  a  faculty  is  not  really  distinct  from  y"= 
will  (607),  mit  dem  nach  der  weiterhin  anzuführenden  Bemerkung  (859) 
vermutlich  späteren  Zusatz:  This  allow'd  hereafter; 

ebenso  an  Energie: 

There  is  somewhat  active  in  most  perceptions,  i.  e.  such  as  ensue 
upon  cur  volitions,  such  as  we  can  prevent  or  stop :  e.  g.  I  tum  my 
eyes  towards  the  sun — I  open  them.     All  this  is  active.  (664) 

Qu.   Hovv   comes  it  that  some  ideas   are  confessedly  allow'd  by  all 

to  be  only  in  the  mlnd,  and  others  as  generally  taken  to  be  without  the 

mind,  if,  according  to  you,  all  are  equally  and  only  in  the  mind  ?  Ans.  Because 

ihat  in  proportion   to   pleasure   or  pain   ideas   are   attended   with   desire, 

Phil.-hist.Ahh.  1919.  Nr.  8.  12 


90  Erdmann: 

exertion,   and    other   actions   which   include   volition.    Now  volition  is  by 
all  granted  to  be  in  spirit.  (685;  vgl.  57,  68) 

...  I  think  judicmm  Includes  volition.  I  can  by  no  means  distin- 
guish  these  —  Judicium,  intelkctus,  indifferentia  ...  (736;  vgl.  die  Ablehnung 
in   162,  die  vielleicht  der  Meinung  eines  Bekannten  gilt). 

Noch  mehr: 

To  be  sure  or  certain  of  w'  we  do  not  actually  perceive  (I  say 
perceive,  not  imagine),  we  must  not  be  altogether  passive,  there  must  be 
a  disposition  to  act,  there  must  be  assent,  w'=''  is  active.  Nay,  what  do  I 
talk!  theremustbeactual  volition.  (768;  dazu  die  oben  schon  zitierte  Nr.  781) 

Idea  is  the  object  or  [was  dasselbe  ist,  YnoKeiMeNON  =]'  subject  of 
thought.  Y'  I  think  on,  whatever  it  be,  I  call  idea.  Thought  itself,  or 
thinking,  is  no  idea.  'Tis  an  act,  i.  e.  volition,  i.  e.  as  contradistinguished 
to  eifects— the  Will.  (798) 

It  seems  there  can  be  no  perception  —  no  idea — without  Will, 
seeing  there  are  no  ideas  so  indifferent  but  one  had  rather  have  them  than 
annihilation,  or  annihilation  than  theni  .  .  .   (823) 

Auf  Grund  solcher  sich  wechselseitig  ergänzenden  Überlegungen  ergibt 
sich  allmählich,  mitten,  wie  schon  gesagt,  in  den  beiden  anderen,  ein- 
seitig bedingten   Strömungen  (vgl.  z.B.  651): 

Existence  not  conceivable  without  perception  or  volition — not  distin- 
guish'd  therefrom  (637) 

als  Erledigung  von  (636);   ferner: 

Distinct  from  or  without  perception  there  is  no  volition ;  therefore 
neither  is  there  existence  without  perception.  (666 ;  vgl.  auch  die  oben  schon 
zitierten  Nr.  673,  706) 

It  seems  to  me  that  will  and  underetanding — volitions  &  ideas — 
cannot  be  severed,  that  either  cannot  be  possibly  without  the  other.  (829) 

Endlich  lesen  wir,  wie  wiederholt  in  den  Schriften  (Tr.  §  27,    138,    143: 

Dial.  Fr.  AI  335): 

I  must  not  mention  the  understanding  as  a  faculty  or  part  of  the 
mind.  I  must  include  understanding  &  will  &c.  in  the  word  Spirit — by 
which  I  mean  all  that  is  active.  I  must  not  say  that  the  under- 
standing differs  not  from  ihe  particular  ideas,  or  the  will  from  particular 
volitions.  (836) 

I  must  not  give  the  soul  or  mind  the  scholastique  name  'pure  act', 
but  rather  pure  spirit,  or  active  being.   (858) 

I  must  not  say  the  Will  or  Understanding  are  all  one,  but  that 
they  are  both  abstract  ideas,  i.  e.  none  at  all — they  not  being  even  ratione 
different  from  the  spirit,  qua  faculties,  or  active.  (859;  vgl.  855) 

'    Man  vergleiche  (433);  so  auch  spirit  als  object  of  human  knowledge  und  subject  of 
disCTjurse:   [s.  Tr.=  §  89]. 


Berkeleys  Philosophie  im  ] Achte  seines  wisseiischafllichen  Tagebuchs.        1)  1 

Daß  auch  bei  dem  allen  die  Fragen  nach  der  Substanz  der  endlichen 
Geister,  der  Art  ihrer  Schöpfung  durch  Gott  und  ihrer  Immanenz  in  Gott 
unerörtert  bleiben,  braucht  kaum  erwähnt  zu  werden.  Vielleicht  hat 
Berkeley  keine  Antwort  einer  ihn  selbst  nicht  befriedigenden  vorgezogen; 
wenigstens  findet  sich  nichts  im  Tagebuch,  was  auf  die  Absicht  weiterer 
Bestimmungen  hinwiese.  Jeder  Versuch,  solche  Bestimmungen  zu  erlangen, 
hätte  Berkeley  überdies  vor  die  Aufgabe  gestellt,  auch  für  die  Substan- 
tialität  Gottes,  an  der  er  nie  irregeworden  ist,  eine  Auflösung  in  »to  will« 
und   »to  und  erstand"   zu  gewinnen. 

Kurze  Schlußbemerkungen  mögen  das  im  vorstehenden  entworfene 
Bild  iler  philosophischen  Lehre  Berkeleys  und  ihrer  Entwicklung  ver- 
vollständigen. 

Über  die  Gesamtentwicklung  der  Lehre  läßt  sich  aus  dem  Tagebuch 
folgendes  etwa  herauslesen. 

Es  beginnt  nach  den  ersten,  die  Zeitprobleme  betreffenden  Eintragungen 
(s.  oben  S.  2  9  f.)  mit  Reflexionen  über  die  Konsequenzen  der  bereits  fest- 
stehenden »immaterial  hypothesis«  (19).  Sie  gehen  auf  die  lediglich  geistige 
Wirklichkeit  von  Ausdehnung,  Zeit  und  Körperwelt,  sowie  auf  die  Bedeu- 
tung der  Hypothese  für  das  religiöse  Bewußtsein  und  die  Ausschließung 
alles  Skeptizismus  gegen  die  unmittelbare  Tatsächlichkeit  der  als  Inbegriffe 
von  Sensationen  gedeuteten  Körper,  und  damit  in  den  beiden  letzten 
Punkten  auf  zwei  Momente,  die  in  immer  neuen  Variationen  hervorgehoben 
werden,  ähnlich  so,  wie  die  Übereinstimmung  der  Lehre  mit  dem  common 
sense  und  die  Ablehnung  aller  scholastischen  Metaphysik. 

...  I  side  in  all  things  with  the  mob.  (388;  vgl.  376,  387,  391,  579) 
Mem.  To  be  eternally  banishing  Metaphysics,  &c.,  and  recalling  men 
to  Common  Sense.  (744;  vgl.  ao8,  480,  609,  741) 

Aber  mit  jenen  ersten  Reflexionen  wechseln  von  vornherein  in  bunter  Folge, 
bald  anschwellend,  Eintragungen,  die  zu  dem  Gedankenkreis  der  New 
Theory  gehören.  So  zahlreiche  Bemerkungen  über  die  Wahrnehmungen 
Blindgeborener  (27,  32 f.),  die  durch  Lockes  Erörterung  über  das  von 
W.  Molyneux  aufgeworfene  Problem  in  der  zweiten  Auflage  des  Essay 
angeregt  sind,  femer  über  den  Unterschied  der  Gesichts-  und  Tastwahr- 
nehmung (28  f.),  über  die  scheinbare  Paradoxie  des  aufrechten  Sehens,  die 
(resichtswirkungen  von  Mikroskop  und  Fernrohr,  die  scheinbare  Mondgröße 

12* 


92  Erdm  an  n : 

in  der  Nähe  des  Horizonts,  die  Deutung  von  Gemälden,  endlich  vor  allem 
über  die  durch  die  Lehre  von  den  minima  sensibilia  gesicherte  Unmöglich- 
keit, die  Ausdehnung  ins  Unendliche  zu  teilen  (i  i,  21,  26,  7 2 f.).  Deutlich 
entspringt  aus  dieser,  die  Eigenart  der  anschaulichen  Einzelvorstellungen 
von  Raum  (und  Zeit)  verkennenden  Konsequenz,  wie  die  Ablehnung  der 
überlieferten  Abstraktionslehre  (s.  oben  S.  49  f.),  so  der  Abweis  aller  geo- 
metrischen Grenzbetrachtungen  (3if.),  weiterhin  (31  if.)  speziell  der  Fluxions- 
rechnung  Newtons  und  der  Infinitesimalrechnung  von  Leibniz  (die  aller- 
dings nicht  auf  genauerem  Studium  beruht  (336),  während  er  sich  mit  Newtons 
Methoden  und  denen  seiner  Anhänger,  Barrow,  Hays,  J.  Keill,  Cheyne  usw. 
eingehend  beschäftigt  hat).  Bald  kommt  denn  auch  eine  ganze  Reihe  kühner 
geometrischer  Paradoxa  zum  Vorschein,  über  die  Teilbarkeit  der  Geraden  usw., 
speziell  über  die  Quadratur  des  Kreises. 

Die  zum  Gebiet  der  New  Theory  gehörigen  Eintragungen  haben  ihre 
größte  Dichtigkeit  im  ersten  Drittel  des  Tagebuchs.  Gegen  dessen  Mitte 
werden  sie  weniger  zahlreich.  Dann  verlieren  sie  sich  in  ganz  wenigen 
Bemerkungen.     Mit  der  Notiz: 

Mem.  Before  I  have  shewn  the  distinction  between  visible  &  tangible 
extension,  I  must  not  mention  them  as  disti'nct.  I  must  not  mention  M.  T. 
[Minimum  tangibile]&M.V.  [visibile],  but  in  generalM.S.  [sensibile],&c.(42  5) 

scheint  ein  erster  Plan  für  die  Ausarbeitung  der  New  Theory  festzustehen. 
Weitere  Spuren  für  die  Ablösung  der  New  Theory  von  dem  Treatise,  falls 
der  Plan  zu  ihr  nicht  von  vornherein  gefaßt  war  (vgl.  Treatise  §  43),  bietet, 
wenn  ich  recht  gesehen  habe,  das  Tagebuch  nicht. 

Später  erst  taucht  der  Gedanke  an  ein  umfassendes  Werk  auf.  Von 
drei  »Büchern«  desselben  ist  im  Tagebuch  die  Rede.  Eines  zweiten  Buchs 
gedenken  zuerst  die  Notizen: 

Tbe  2  great  principles  of  morality— tbe  being  of  God  &  the 
freedom  of  man.  Those  to  be  handled  in  the  beginning  of  the  Second 
Book.  (496) 

Extension,  tho'  it  exist  only  in  the  mind,  yet  is  no  property  of  the 
mind.  The  mind  can  exist  without  it,  tho'  it  cannot  without  the  mind. 
But  in  Book  II.  1  shall  at  iarge  shew  the  difference  ihere  is  betwixt  the 
soul  and  body  or  extended  being.  (866) 

Hier  sollten  also  offensichtliche  Lücken,  die  der  uns  vorliegende  Treatise 
zeigt,  ausgefüllt  werden,  und  zwar  auf  Grund  von  Reflexionen,  die  im 
Tagebuch  auch  für  die  ethisch-religiösen  Lehren  (156,  240,  389,  394,  496, 


r 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschafllichen  Tagebuchs.        D.S 

53i>  532,  549.  558,  660,  668,  669,  675,  683,  69of.)  unter  Einschluß 
der  schon  (S.  88)  berührten  Lehre  von  der  Willensfreiheit  vorhanden  sind. 
Als  eine  Ergänzung  kurzer  Bemerkungen  im  Tagebuch,  dem  Treatise  und 
den  Dialogen  ist  wohl  eine  anscheinend  ausführlichere  Erörterung  über  die 
Worte  »thing«  und  »idea«  gedacht,  die  gleichfalls  dem  zweiten  Buch 
zugewiesen  wird : 

Say  you,  At  this  rate  all's  nothing  but  idea — mere  phantasm.  I  answer, 
Everything  as  real  as  ever.  I  hope  to  call  a  thing  idea  makes  it  not  the 
less  real.  Truly  I  should  perhaps  have  stuck  to  the  word  thing,  and  not 
mentioned  the  word  idea,  were  it  not  for  a  reason,  and  I  think  a  good 
one  too,  which  I  shall  give  in  the  Second  Book.  (797) 

Sie  mag  dem  in  Nr.  866  angedeuteten  Gedankenzusammenhang  angehören. 
Schon  vorher  bestand  der  Plan    eines  dritten   Buches,   das  Berkeleys 
Aufzeichnungen  nur  einmal  erwähnen: 

That  w"''  extreamely  strengthen.s  u.s  in  prejudice  is  y'  we  think  we  see  an 
empty  Space,  which  I  shall  demonstrate  to  be  false  in  the  Third  Book.  (573) 

Den  ethisch-religiösen  Ausfuhrungen  des  zweiten  Buches,  die  anscheinend 
eine  Stütze  in  Erörterungen  über  Leib  und  Seele  finden  sollten,  war  also 
in  einem  dritten  Buch  dem  Plan  nach  eine  kritische  Naturphilosphie  an- 
gereiht, die  wohl  auch  eine  Kritik  der  mathematischen  (rrenzmethoden 
enthalten  sollte.  Das  erste  Buch  sollte  dementsprechend  anders  beginnen: 
Mem.  To  begin  the  First  Book  not  with  mention  of  Sensation  and 
retlection,  but  instead  of  Sensation  to  use  perception  orthought  ingeneral.  (560) 

Wie  das  spezieller  geplant  war.  bleibt  unersichtlich.  Jedenfalls  entspricht 
ihm  der  erste,  so  dunkle  wie  kurze  Paragraph  des  uns  vorliegenden 
Treatise  nicht. 

Wahrscheinlich  ist,  daß  der  Plan  eines  drei  Bücher  umfassenden 
Werkes  länger  vorhielt  (782).  Denn  der  Einleitung,  deren  in  einer  frühen, 
oben  bereits  (S.  54)  erwähnten  Bemerkung  als  »preliminary  discourse  about 
singling  and  abstracting  simple  ideas«  gedacht  war,  wird  außer  ihrem 
uns  in  den  beiden  S.  2 1  Anm.  3  besprochenen  Redaktionen  vorliegenden 
Inhalt  (213,  501,  527?  —  Preface:  533,  534?,  586?,  671  —  Preface  or  Intro- 
duction:  672,  674,  680,  681,  689,  735,  740)  noch  anderes  zugewiesen.  So 
noch  spät  (vorläufige?)  Bemerkungen  über  thing  und  idea  (677,  749a)  und 
über  eine  mittelbare  Anerkennung  der  überlieferten  Lehrbuchphilosophie: 
Even  to  speak  somewhat  favourably   of  the  Schoolmen,   and   shew 

tliat   they    who    blame    them    for   Jargon    are    not    free   of    it   tliemselvcs. 

Introd.  (709) 


94  E  R  n  M  A  N  N  : 

Besonders  zahlreich  sind  Eintragungen  über  das  im  Treatise  befolgte  Beweis- 
verfahren, das  in  der  uns  vorliegenden  Einleitung  auf  wenige  Andeutungen 
beschränkt  ist  (366,  390,  453,  522,  533,  541.  543,  551.  689;  vgl.  über  die 
Darstellungsart  210,302,625,626,627,729).  So  heißt  es  mit  Rücksicht 
auf  die  kritische  Erörterung  über  Abstraktion: 

I  shall  demonstrate  all  my  doctrines.  The  nature  of  demonstration 
to  be  set  forth  and  insisted  on  in  the  Introduction.  In  that  I  must  needs 
differ  from  Locke,  forasmuch  as  he  makes  all  demonstration  to  be  about 
abstract  ideas,  w"^*"  I  say  \ve  have  not  nor  can  have.  (576:  vgl.  807) 

Ferner  lesen   wir  im  Anschluß   an  (712): 

When  1  say  I  will  reject  all  propositions  wherein  I  know  not  fully 
and  adequately  and  clearly,  so  far  as  knowable,  the  thing  nieant  thereby, 
this  is  not  to  be  extended  to  propositions  in  the  Scripture.  I  speak  of 
matters  of  Reason  and  Philosophy  —  not  Revelation  .  .  .  (713) 

Außerdem  erfahren  wir  von  Vorgedanken  zu  einem  antinomischen  Beweis- 
verfahren,  das  in  der  eingehenden  Beantwortung  von  Einwürfen  im  Treatise 
verwertet,  in  unserer  Einleitung  jedoch  nicht  berührt  ist: 

Contradictions  cannot  be  both  true.  Men  are  obliged  to  answer 
objections  drawn  from  consequences.    Introd.   (854;  vgl.  315,  353,  612) 

Nicht  ausgeschlossen  ist,  daß  bei  Abschluß  des  uns  vorliegenden, 
ursprünglich  als  «Part  I><  auf  dem  Titelblatt  bezeichneten  Teils  der  Plan 
von  di"ei  Büchern  noch  bestand.  Auf  das  zweite  Buch  scheint  eine  später 
von  Berkeley  fortgelassene  Bemerkung  in  §  144.  auf  das  dritte  ein  gleich- 
falls später  ausgefallener  Hinweis  in  §  132  zu  deuten.  Erst  die  Vorrede 
zu  den  Dialogen  spricht  lediglich  von  einem  »Second  Part«,  über  dessen 
Schicksale  —  was  Berkeley  von  ihm  ausgearbeitet  hatte,  ist  verloren 
gegangen  —  wir  durch  bekannte  briefli(;he  Äußerungen  informiert  sind.(®*) 

Der  Titel  »Treatise«  erscheint  im  Tagebuch  zuerst  in  der  Zeitlage 
der  Bemerkungen  über  die  drei  geplanten  Bücher  bei  Gelegenheit  methodo- 
logischer Erwägungen: 

A  various  or  mixt  cause  must  necessarily  produce  a  various  or  mixt 
effect.  This  demonstrable  from  the  definition  of  a  cause  [als  Wille,  dem 
die  Wirkung  regelmäßig  folgt  (446,  486)];  which  way  of  demonstrating 
must  be  frequentl)'  made  use  of  in  my  Treatise  .  .  .  (551) 

Die  überraschende  Zusatz-  |?]  Bemerkung  am  Schluß  der  Eintrag^ung: 

Hence  'tis  evident  that,  according  to  Newton's  doctrine,  colours 
cannot  be  simple  ideas. 


Berkeleys  Philosophie  im.  Lichte  seines  wissenschoßlichen  Tagebuchs.        1)5 

zeigt  einen  Gegenstand  mannigfacher,  schwankender  Überlegung  an  (42.  95, 
147,  149.  243,  296,  438,  490,  654,  714,  905).  Weiterhin  werden  die  Hin- 
weise auf  das  geplante  Werk  bestimmter  (689,  712,  729).  Aber  erst  am 
Schluß  des  Tagebuchs  treffen  wir.  wie  schon  (S.  2of.)  erörtert,  auf  V.T- 
klärungen,  die  allem  Anschein  nach  einen  ersten  Entwurf  des  uns  vor- 
liegenden verkürzten  Treatise  voraussetzen. 

Reichlich  fließen  bis  dahin  Berkeleys  Eintragungen  über  das  Ziel  seiner 
Untersuchimg.  »My  Doctrine«  ist  entsprechend  der  frühen  Konzeption 
des  idealistischen  Spiritualismus  eine  bald  fest  werdende  Formel.  Aus  dem 
Bedürfnis  heraus,  die  eigene  Lehre  gegen  die  herrschenden  mathematischen 
und  naturwissenschaftlichen  Annahmen  abzugrenzen,  ist  sie  ents[)rungen 
(29.  30,  92,  235).  Weiterhin  wird  sie  positiv  gewendet  (342,412,  415, 
428,  459,  [460],  494,  525,  576,  687,  767a).  So  erscheint  sie  als  »principle« 
(306—309.  385,  390,  394,  dann  897,  898;  vgl.  909,  910).  Aber  trotz 
aller  kritischen  Ablehnung  liegt  ihm  besonders  daran,  die  Übereinstimmung 
mit  der  empirischen  Wissenschaft  zu  betonen: 

My  end  is  not  to  deliver  metaphysiques  altogether  in  a  general  scho- 
lastic  way,  but  in  some  measure  to  accoimnodate  them  to  the  sciences,  and 
shew  how  they  may  be  useful  in  optiques,  geometry,  &c.  (208) 

l  know  there  is  a  mighty  sect  of  nieu  will  oppose  me.  but  yet  I 
may  txpect  to  be  supported  by  those  whose  minds  are  not  so  far  over- 
grown  w"»  madness  .  .  .;  in  a  word,  all  but  Mathematicians  and  Natural 
Philosophers  (i  inean  only  the  hypothetical  gentlemen).  Experimental 
philosophers  have  nothing  whereat  to  be  oftended  in  ine.  (389) 

Mem.  Much  to  recommend  and  approve  of  experimental  philosophy. 
(485:  vgl.  414) 

N.  B.  My  abstract  &  general  doctrines  ought  not  to  be  condemn'd 
by  the  Royall  Society.  'Tis  w'  their  meeting  did  ultimately  intend.  V.  Sprat's 
History  S.  R.  [1667]  (494) 

Das  ist  eine,  allerdings  mehrfach  von  den  (S.  79)  schon  erwähnten 
ablehnenden  Äußerungen  unterbrochene,  stärkere  Anerkennung,  als  in  den 
entsprechenden  Abschnitten  des  Treatise  und  der  Abhandlung  De  motu 
zum  Ausdruck  kommt.  Sie  bildet  jedoch  anscheinend  bis  hin  zur  Siris 
mit  deren  Diskussion  naturphilosophischer  Hypothesen  einen  Stimmungs- 
hintergrund bei  Berkeley.  In  einem  an  Samuel  Johnson  aus  Rhode  Island 
gerichteten  Brief  heißt  es.  in  »phänomenologischer«  Betrachtungsweise: 
»The  true  use  and  end  of  Natural  Philosophy  is  to  explain  the  phenomena 
of  nature,  which  is  done  by  discovering  the  laws  of  nature,  and  reducing 


96  Erdmann: 

particular  appearances  to  them.  This  is  Sir  Isaac  Newton's  method;  and 
such  method  or  design  is  not  in  the  least  inconsistent  with  the  prin- 
ciples  I  lay  down.  This  mechanical  philosophy  doth  not  assign  or  sup- 
pose  any  one  natural  efficient  cause  in  the  strict  and  proper  sense;  nor 
is  it,  as  to  its  use,  concerned  about  matter;  nor  is  matter  connected  there- 
with;   nor  doth  it  infer  the  being  of  matter.«    (^) 

Mit   immer   größerer  Schärfe    wird   dagegen    die  Naturauffassung  der 
»hypothetical  gentlemen«   im  Tagebuch  abgewiesen.     So  deren  Mangel  an 
Vertrauen   auf  das  in  der  Sinneswahrnehmung  unmittelbar  Gegebene: 
Ridiculoiis  in  mathematicians  to  despise   sense.  (320) 
The    folly    of  the   mathematicians  in   not  judging    of  sensatioiis    by 
their  senses.    Reason  was  given   us  for  nobler  uses.  (370;  vgl.  451) 

So  nicht   weniger  ihr  Vertrauen  auf  die  Infinitesimalmethode: 

Newton's  fluxions  needless.  Anything  below  a  M.  [minimum]  might 
serve  for  Leibnitz's  Differential  Calculus.  (336:  vgl.  337 — 341) 

If  the  disputations  of  the  Schoolmen  are  blam'd  for  intricacy, 
trifliogness,  &  confusion,  yet  it  must  be  acknowledg'd  that  in  the 
main  they  treated  of  great  &  important  subjects.  If  we  admire  the 
method  &  acuteness  of  the  math. — the  length,  the  subtilty,  the  exactness 
of  their  demonstrations — we  must  nevertheless  be  forced  to  grant  they 
are   for  the   most    part  about    trifling  subjects,    and   perhaps   nothing    at 

all-  (433) 

Speculative  Math,  as  if  a  man  was  all  daj'  making  hard  knots  on 
purpose  to  unty  them  again.  (856;  vgl.  376,  378,  409,  480,  563,  769, 
826,  911—913) 

»Nihilarians«  ist  er  nicht  abgeneigt,  die  Mathematiker  zu  nennen  (456, 
aber  625). 

Aus  entgegengesetzten  Gründen  die  gleichen  Wirkungen:  es  ist,  als 
ob  man  W.  Hamilton  über  Mathematik  überhaupt  reden  oder  Schopen- 
hauer die  französischen  Mathematiker  schelten  hörte.  Berkeley  freut  sich 
des  Worts: 

Nullum  praeclarum  Ingenium  unquam  fuit  magnus  mathematicus. 
Scaliger,  (380) 

und  erläutert  es  in  seiner  Weise: 

A  great  genius  cannot  stoop  to  such  trifles  &  minutenesses  as  they 
consider.  (381) 

So  kann  es  nicht  wundernehmen,  daß  .er  immer  unbedenklicher 
wird,  die  paradoxen  mathematischen  Konsequenzen  seiner  eigenen  Lehre, 
viel  stärker  noch  als  später  im   Analyst,   zu   Pajner  zu   bringen: 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaßlicfien  Tagebuchs.         1)7 

All  might  be  demonstrated  by  a  new  methüd  of  indivisibles,  easier 
perhaps  and  juster  than  that  of  Cavalierius.  (350:  vgl.  316,  333,  338,  376, 
397,412,456,530) 

Subvertitur  geometria  ut  non  practica  sed  speculativa.  (497 :  vgl.  902) 

Er  erklärt  sogar: 

We  can  prove  Newtön's  propositions  more  accurately,  more  easily, 
&  upon  truer  principles  than  himself  (901)  mit  der  Randbemerkung:  [to  the 
utmost  accuracy,  wanting  nothing  of  perfeetion.  Their  Solutions  of  problems 
themselves  must  own  to  fall  infinitely  short  of  perfeetion]  (901a.) 

ril  teach  any  one  the  whole  course  of  mathematiques  in  '/,oo  part 
the  time  that  another  will.  (903) 

Deshalb  wird  er  nach  ersten  tastenden  Versuchen  (246,  250  —  252,  442, 
443,  469,  470)  mit  zunehmender   Sicherheit   (498,  499)    unbedenklich    zu 

behaupten : 

I  can  squai-e  the  circle,  &c.,  they  cannot,  w"''  goes  on  the  best 
principles,  (906;  913  a) 

und  ähnliches  mehr  (268,  276 — 363 — 447 — 259,  264,  265;  vgl.  29 — 488 

—  454.  756). 

Späte  Überlegungen,  von  denen  die  Kinleitung  des  Treatise  imd  der 
Analyst  nur  einen  schwachen  Schatten  werfen,  gelten  der  Zeichensprache 
der  Algebra.  Sie  erweitern  und  vertiefen  seine  Auflassung  vom  Wesen 
der  Sprache : 

Woi-ds  (by  them  meaning  all  sorts  of  signs)  are  so  necessary,  that 
instead  of  being  (w"  duly  us'd  or  in  their  own  nature)  prejudicial  to  the 
advancement  of  knowledge.  or  an  hindrance  to  knowledge,  tiiat  with- 
out  them  there  could  in  mathematiques  themselves  be  no  demonstration. 
(743;  vgl.  724,  799,  869,  871;  sowie  [358]) 

Algpbraic  species  or  letters  are  denominations  of  denominations. 
Therefore  Arithmetic  to  be  treated  of  before  Algebra.  (750:  758,  793) 

Freilich  bleibt  eine  Antinomie,  die  es  unberechtigt  erscheinen  läßt,  nur 
die  eine  der  beiden  Thesen  als  Zeugnis  anzuführen.  Wir  lesen  einerseits 
im  Sinne  seiner  allgemein  festgehaltenen  Überzeugungen : 

Take  away  the  signs  from  Arithmetic  and  Algebra,  and  pray  w' 
remains?  (759) 

These  are  sciences  purely  verbal,  and  entirely  useless  but  for 
practice  in  societies  of  men.  No  speculative  knowledge,  no  comparing 
of  ideas  in  them.  (760) 

Anderseits  sollen  wir  glauben: 

We  bave  got  the  Algebra  of  \i\\rc  inteliigenres  (900), 
Phil.-hist.AbA.  1919.  Ar.fi.  13 


98  Erdmann: 

ein  Wort,  das  wir  kaum  im  Sinne  der  methodologischen  Bemerkung  nehmen 

dürfen : 

N.  B.  To  rein  in  y«  satyrical  nature.  (626) 

Bedeutungsvoll  bleibt  bei  dem  allen  vielmehr  nur  die  Frage: 

Qu.  whether  Geometry  may  not  properly  be  reckon'd  amongst 
the  mixt  mathematics — Arithmetic  &  Algebra  being  the  only  abstracted 
pure,  i.  e.  entirely  nominal — Geometry  being  an  application  of  these  to 
pointsi*  (762) 

Freilich  eine  andere  Begründung  für  diese  Deutung  der  Geometrie,  als 
Newton  sie  vorahnend  gegeben  hat. 

Unausgenutzt  bleibt  bei  dem  allen  ein  Gedanke,  in  dessen  Verfolg 
Berkeley  zu  einer  ähnlich  treffenden  Deutung  der  Mathematik  hätte 
kommen  können,  wie  vor  ihm  Hobbes  und  nach  ihm  Hume.  Er  kennt 
und  betont  wiederholt  den  Relationscharakter  der  mathematischen  Ge- 
bilde, speziell  die  Relationsnatur  der  Zahl;  die  Zahl  ist  ihm  früh  »the 
creature  of  themind«  (103a,  109,  329,  535,  632,  639,  669,  725).  Er  streift 
den  für  die  Stellung  der  Mathematik  gegenüber  den  Tatsachenwissen- 
schaften entscheidenden  Gedanken: 

The  vast,  wide-spread,  universal  cause  of  our  mistakes  is,  that  we 
do  not  consider  our  own  notions.*  1  mean  consider  them  in  themselves, 
fix,  settle,  and  determine  them, — we  regardiiig  them  with  relation  to  each 
other  only.  In  short,  we  are  much  out  in  studying  the  relations  of  things 
before   we  study  them  absolutely  and  in  themselves  . . .  (530) 

Aber  ihm  schwebt  dabei  lediglich  die  unzureichende  philosophische 
Einsicht  in  die   mathematischen   Grundbegriffe    vor.     Denn    er    fahrt   fort: 

.  .  .  Thus  we  study  to  find  out  the  relations  of  figures  to  one  another, 
the  relations  also  of  number,  without  endeavouring  rightly  to  understand 
the  nature  of  extension  and  number  in  themselves.  This  we  think  is  of 
no  concern,  of  no  difficulty,  but  if  I  mistake  not  'tis  of  the  last  impor- 
tance.  (vgl.  904) 

Die  Idee  der  Relation  selbst  wird  jedoch  nicht  zum  Gegenstand  seiner 
Untersuchung.  Er  erklärt  vielmehr  im  Zusammenhang  seiner  späten  Re- 
flexionen über  die  Algebra: 

The  obscure  ambiguous  term  relation,  which  is  said  to  be  the  largest 
field  of  knowledge,  confounds  us,  deceives  us.  (726) 

Sie  bleibt  bei  Berkeley  auch  späterhin  bekanntlich  unanalysiert,  obgleich 
er    in    einer    überraschenden,    nicht    ausgearbeiteten    Zusatzbemerkung   zur 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaflUchen  Tagebuchs.        99 

zweiten  Auflage  des  Treatise  (1734)  in  vollem  Widerspruch  zu  seinen 
übrigen  Ausführungen  die  »notions  of  relations«  den  »ideas«  und  den 
»notions  of  spirits«   zur  Seite  stellt  (Tr. '  §89). 

Ungleich  eindringender,  wenn  auch  weniger  ausgebreitet  als  die  mathe- 
matischen und  naturwissenschaftlichen  Studien,  von  denen  das  Tagebuch 
Kunde  gibt  (vgl.  noch  146,  475,  477),  sind  die  philosophischen,  die  es 
direkt  bezeugt.  Daß  der  Einfluß  von  Lockes  Essay  von  vornherein  fiir  ihn 
maßgebend  war,  ist  schon  früher  (S.  41  f.)  besprochen  worden.  Nach  einer 
ersten,  durch  die  Ausarbeitung  der  eigenen  Gedanken  bedingten  Pause 
tritt  die  Beschäftigung  insbesondere  mit  dem  Hauptwerk  Lockes,  aber  auch 
mit  dessen  Streitschriften  gegen  den  Bischof  von  Worcester  und  mit  den 
»Posthumous  Works«  von  Locke  langsam  ansteigend,  in  dem  zweiten  Drittel 
der  Aufzeichnungen  in  dichtgedrängten  Namensnennungen,  dann  langsam 
abflauend,  deutlich  hervor.  Später  erst  erscheint  der  Name  von  Descartes, 
anfangs  spärlich  und  nebensächlich  in  Form  ablehnender  Berufungen  auf 
die  Cartesianer  (281,408,438,463;  vgl.  874,  875),  spät  erst  so,  daß  eine 
selbständige  Kenntnisnahme  der  Meditationes  und  der  Schrift  De  methodo 
ersichtlich  wird  (731,  775,  780,  784,  785,  791,  795,  801,  808,  809,  833). 
Etwas  früher  und  häufiger  begegnen  wir  den  schon  (S.  40)  erwähnten 
—  durchgängig  ablehnenden  —  Hinweisen  auf  Malebranche.  (®*)  Spät  erst 
wird,  nach  einer  ganz  frühen  allgemeine«  Berufung  auf  den  religions- 
feindlichen »Hobbismus«  (17),  der  Name  von  Hobbes  (786 — 789,  796,  812, 
814,  815,  817,  824,  826),  noch  später  einige  Male  der  von  Spinoza  (814 — 
817,  821)  erwähnt.  Weniger  anderer  wie  Fardella,  Bayle,  Henry  More, 
Le  (;ierc  usw.  wird  gelegentlich  nebenher  gedacht.  Abgesehen  von  dem 
Studium  Lockes  handelt  es  sich  off'enbar  durchweg  um  Orientierungen  nach 
dem  Abschluß  der  eigenen  Lehre.  Es  bleibt  also  bei  dem,  was  friiher 
über  die  Entwicklung  Berkeleys  zu  sagen  war. 

So  ist  der  weite,  leider  auch  für  den  Leser  mühsame  Weg  zurück- 
gelegt, der  zu  einem  Verständnis  des  wissenschaftlichen  Tagebuchs  von 
Berkeley  fuhrt.  Durchweg  hat  die  Analyse  der  in  ihm  niedergelegten 
Gedankenreihen  die  Hypothesen  bestätigt,  die  Lorenz  aus  seiner  Unter- 
suchung des  Manuskripts  erschlossen  hat.  Darüber  hinaus  ergab  sich,  daß 
die  ersten  sachlichen  Eintragungen  (II — XXIII)  Diskussionsthesen  von  einem 

13* 


100  Erdmann: 

Anfängerstandpunkt  aus  ergeben,  der  noch  nichts  von  den  Gedanken  des 
Immaterialismus  erschauen  ließ.  Aus  dem  Chaos  der  späteren  Aufzeich- 
nungen (i — 917),  das  in  Fräsers  Ausgaben  vorliegt,  ließ  sich  dagegen  ein 
von  der  Idee  des  Immaterialismus  aus  fortschreitender,  wenn  auch,  wie 
selbstverständlich,  nicht  gleichmäßig  stilisierter  Gedankenaufbau  heraus- 
arbeiten. Auch  sein  Bestand  bestätigte  durchaus  Lorenz'  Hypothesen  über 
die  ursprüngliche  Konstitution  des  Manuskripts  und  ließ  diese  Aufzeichnungen 
als  Bestandteile  eines  wissenschaftlichen  Tagebuches  erkennen,  das  aus- 
schließlich für  den  eigenen  Gebrauch  des  Philosophen  bestimmt  war. 

Der  Ursprung  der  leitenden  Idee  des  wissenschaftlichen  Tagebuchs 
fand  sich  in  einer  religiös  motivierten  Umdeutung  der  emxiiristischen  Lehren 
Lockes.  Sie  zeigte  Berkeleys  Lehre  als  das  Elndglied  einer  das  ganze 
17.  Jahrhundert  in  mannigfachen  Formen  durchziehenden  Reaktion  gegen 
den  Rationalismus  der  spätscholastischen  und  der  neueren  Philosophie. 
Berkeleys  Abstraktionstheorie  ließ  sich  nach  ihrer  diu-chweg  kritischen 
Funktion  als  Folgebestimmung  der  Idee  des  Immaterialismus  feststellen; 
die  überlieferte  Annahme  ihres  Einflusses  auf  den  Ursprung  von  Berkeleys 
Philosophie  zeigte  sich  als  Irrtum.  Reichhaltig  waren  die  ergänzenden  Auf- 
klärungen des  Tagebuchs  über  die  Vorgedanken  Berkeleys  zur  Theorie  der 
Kausalität,  zum  Begriff  der  Existenz  überhaupt,  sowie  insbesondere  zu  den 
Lehren  von  den  endlichen  Geistern,  ihrer  Identität,  ihrer  Substantialität  und 
ihrem  Verhältnis  zu  Gott. 

Aus  dem  allen  ergab  sich  im  wesentlichen  folgendes.  Berkeley  war 
kein  repräsentativer,  synthetischer  Geist  wie  Piaton  oder  Kant.  Augustin 
oder  Thomas  von  Aquino.  Descartes  oder  Leibniz.  Hegel  oder  Comte. 
Er  vereinigte  nicht  die  geistigen  Strömungen  seiner  Zeit,  sondern  er  rea- 
gierte kritisch  gegen  deren  rationalistische  Denkweisen  und  die  ihnen  ent- 
stammende Naturauffassung  aus  religiösen  Motiven.  Er  gleicht  in  dieser 
Hinsicht  bei  aller  Verschiedenheit  des  Milieus  und  der  Individualitäten 
Spinoza,  Fichte  oder  Schopenhauer,  ihnen  ebenbürtig  in  der  Originalität 
der  Gedankenführung,  in  dem  Scharfsinn  seiner  Dialektik,  in  der  Un- 
erschrockenheit,  mit  der  er  die  paradoxen  Konsequenzen  seiner  grund- 
legenden Überzeugungen  zieht,  jenen  dreien,  wie  schon  früher  anzudeuten 
war,  entgegengesetzt  nur  darin,  daß  nicht  das  ethische,  sondern  das  religiöse 
Bewußtsein  in  christlicher  Färbung,  ähnlich  wie  bei  Pascal  und  Malebranche, 
die  Triebkraft  seiner  Deduktionen  ausmacht,   sowie  darin,   daß  sein  Denken 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tagebuchs.       101 

urspnmglich  durchaus  im  Fahrwasser  des  Empirismus  verbleibt.  Anziehender 
als  alle  die  Genannten  ist  er  dtirch  die  Urwüchsigkeit,  mit  der,  trotz  aller 
Abhängigkeit  von  Locke,  seine  Lehre  innerstem  Erleben  entquillt.  Anziehend 
dadurch  vor  allem  der  Berkeley  des  Tagebuchs. 

Eine  Schule  komite  solcher  Lehre  nicht  erstehen.  Antreibend  aber 
hat  sie  wie  nur  wenige  gewirkt.  Das  bezeugt  ihr  schon  eingangs  skizzierter 
Einfluß  auf  die  flntwicklung  der  englischen  Philosophie  von  Ilume,  Th.  Reid, 
Priestley  bis  hin  zu  Stuart  MiU,  sowie  auf  die  erste  Entwicklung  des  fran- 
zösischen Positivismus  ungleich  stärker,  als  unsere  landläufigen  Darstellun- 
gen der  Geschichte  der  neueren  Philosophie  erkennen  lassen.  Und  so 
gern  Berkeley  sich  auf  die  Übereinstimmimg  seiner  Lehre  von  der  Außen- 
welt mit  dem  common  sense  benift:  der  Gegensatz,  in  dem  sie  zu  dem 
naiven  Realismus  des  gesunden  Menschenverstandes  steht,  hat  sehr  viel 
melir  als  die  von  solchem  Verstand  getragene  Lehre  Lockes  die  Erkenntnis- 
theorie zur  Gnmdwissenschaft  der  theoretischen  Philosophie  gemacht.  Wie 
viele  fruchtbare  Keime  zu  erkenntnistheoretischen  Problemen  in  Berkeleys 
früher  Entwicklung  vorhanden  waren,  hat  hoffentlich  die  vorstehende 
Analyse  seines  Tagebuchs  aufgewiesen.  Nicht  weniger  bahnbrechend  sind 
seine  psychologischen  Leistungen.  Alle  Ansätze  zur  introspektiven  Assozia- 
tionspsychologie, die  von  Ilartley  und  Hume  ausgebildet  wurden,  sind 
schon  in  seiner  feinsinnigen  Suggestionslehre  enthalten  mid  haben  ohne 
Zweifel  speziell  auf  Hume  nachhaltig  eingewirkt.  Und  nie  wird  seine 
metaphysische  Gnmdüberzeugung  aufhören,  die  Herzen  derer  zu  gewinnen, 
die  nur  in  einem  religiös  zentrierten  Weltbild  Befriedigung  empfinden. 
Selbst  seine  Naturauffassung  darf  nicht  lediglich  als  das  Musterbild  einer 
auf  den  Menschen  als  Mikrokosmos  bezogenen  Teleologie  ausgedeutet,  und 
noch  weniger  lediglich  nach  ihren  wissensfeindlichen  Konsequenzen  bewertet 
werden.  Bei  all  ihrem  Gegensatz  gegen  die  Auflösung  des  Glaubens  in 
der  Vernunft,  die  das  Freidenkertum  seiner  Zeit  predigte:  wo  ist  der  alte 
Gedanke  von  der  Natur  als  der  Sprache,  in  der  Gott  zu  allen  Menschen 
jederzeit  geredet  hat.  reicher  und  tiefer  ausgebildet  als  bei  Berkeley?  Die 
Idee  also  einer  Vernimftreligion,  die  jedem  jederzeit  gegenwärtig  ist?  Sie 
ist  in  seiner  Fassung  doch  nur  die  rehgiöse  Kehrseite  der  Meinungen, 
die  in  fortschreitender  Ablehnung  den  religiösen  Glauben  aufhoben,  um 
die  Vernunft  freizumachen.  Und  noch  etwas  ganz  anderes.  Nach  Abzug 
dieses  religiösen  (irundzugs  und  jener  wissensfeindlichen  Tendenzen  bleibt 


102  P^RI>M  A  N  N  : 

schon  bei  Berkeley  in  ausgesprochenster  Weise  die  rein  phänomenologische 
Betrachtung  des  Naturwissens  übrig,  die  gegenwärtig  in  der  mathematischen 
Physik  zu  weiter  Verbreitung  zu  gelangen  scheint. 

Bedarf  es  einer  Entschuldigung  für  den  Umfang  der  Arbeit  an  einem 
entlegenen  Punkt  der  philosophischen  Gedankenwelt:  ich  nehme  sie  auf 
Grund  solcher  Einschätzung  der  Persönlichkeit  und  ihrer  Leistung  für  mich 
in  Anspruch. 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  loissenschaßlichen  Tagebuchs.      103 


Anhang  I 
Sachliche  TextdiflTerenzen  in  Fräsers  Ausgaben' 

AIV  S.: 
420  Trifling  for  the  philosophers  . . .  (386) 

Pbilosophers  (I  mean  —  gentlemen). 
Experimental  . . .  (389) 

of  gold,  &c,  tbat . . .  World,  as  well  as 
that  shamefuU  . . .  (394) 
,  i.e.  object,iininediateobject,ofthought. 

(411) 
424  . . .  inath[ematicians]  . . .  perhaps  notbing 
at  aU.  (433) 

of  motion  and  those  . . .  this  new  to 
me.  (479) 

But  thea  all  abstract  ideas  . .  .  con- 
ceive  a  general  idea  .  .  .  abstract  one 
idea  . . .  (484) 

collection  of  ideaa  . . .  Of  general  body 
no  idea.  (500) 


420 


421 


422 


429 


430 


43« 


17 


18 


432  General  ideas  cause  ...  (513) 

433  . . .  as  I  have  proved   in   green.  (515) 
435  ...  if  a  man  use  y"  in  a  ...  (534) 

435  . . .  besides   ourselves,   &   order  praece- 
daneous  is  the  knowledge  . . .  (537) 

436  . . .  for  me  against  general  ideas  . .  .  (545) 

436  ,  .  .   general  ideas.     These  include  .  .  . 

s.  9.  c.  7.  (550) 
439  . . .  staad  for  general  ideas  . . .  (581) 


21 

21 
*4 

24 

25 
25 


BIS.: 

7  Trifling  for  the  [naturaljphilosophers... 
8 Philosophers.  I  mean  . .  .  gentlemen. 

Eiperimental  . . . 

8  of  gold,  that . . .  world,  and  that  sbame- 
full  . . . 

9  i.  e.    an    object — immediate    object — of 
thought. 

2  Math[ematicians]  . .  .  perhaps  mean  no- 
thing at  all. 

. . .  of  motion  and  of  those  . . .  this  is 
new  to  me. 

. . .  But  then  all  ideas ^  . .  .  conceive  an 
abstract  general  idea  ...  abstract  one 
concrete  idea  . . . 

. . .  collection  of  concrete  ideas  . . .  Of 
general  abstract  body  we  can  have 
no  idea. 

Abstract  ideas  cause  ... 
. . .  as  I  have  pix)ved.  S.  Anhang  II 
...  if  a  man  use  words  in  a  ... 
.  . .  besides  ourselves   &  order,   praece- 
daneous.    To  the  knowledge  .  .  .^ 
...   for    me    against    abstract   general 
ideas' . . . 

.  . .  general  ideas.    Abstract  ideas  in- 
clude ...  c.  7.  s.  9. 
.  . .  stand  for  abstract  general  ideas  . . . 


29 


'  Die  willkürlich  in  Fräsers  Ausgabe  B  zugefügten  oder  veränderten  Worte  sind  hier 
gesperrt  gedruckt.  Maßgebend  also  bleibt  der  Text  von  A.  Nochmals  sei  daran  erinnert, 
daß  die  den  Eintragungen  von  A IV  in  Klammern  beigefügten  Zahlen  die  von  mir  vor- 
genommene Numerierung  geben.  Die  (L  I.  II)  beziehen  sich  auf  Lorenz'  Korrekturen  Ver- 
zeichnisse zu  Fr.  B  im  Mind  N.  S.  XIII,  1904,  S.  304  f.  und  im  Arch.  für  Gesch.  der  Philos. 
XVIII.  1905,  S.  555.  Die  wenigen  Fälle,  in  denen  es  sich  möglichenfalls  um  Druckfehler 
—  meist  in  B  —  handelt,  sind  durch  ein  angehängtes  [D.?]  bezeichnet 

'    Hier  war  «all  abstract  ideas*  geboten. 

'    Der  Text  Fräsers  bleibt  freilich  auch  ic  B  sinnlos.    Den  richtigen  Text  s.  Anhang  11. 


104 


Erdmann : 


A  IV  S. : 

442  . . .  Will  is  a  power;  [Uherefore]  volition 
...  (613) 

444  .  .  .  homonymy  in  the  word  'thing'  w° 
apply'd  tu  ideas  and  volition,  and  under- 
standing  and  will.  All  ideas  are  passive 
volltions  [er  actions].  (634) 

445  .  .  .  perceived — y'  it  was  .  .  .  (647) 

445  .  .  .  refrangible  rays,  .  .  .  [the  others], 
being  . . .  (654) 

446  . . .  make  of  general  ideas  . . .  {657) 

446  . . .  stand  for  the  Operations  of  ihe  mind . . . 
(658) 

447  ...  do  obtain — of  co-existence  in  na- 
ture — of  signification  ...  by  including  in 
morality.  (669) 

449  . . .   eternity  of  Space — the  possibility  .  .  . 

(688) 
451   .  . .  be  the  Image  or  like  .  .  .  (699) 
45 1   ...  lest  offence  be  given — there  being  but 

one    volition   acknowledged   to  be  God. 

Mem.  .  .  .  (706) 
455  ...  brutes  have  the  ideas — Unity  &  Exist- 

ence?  . .  .  (739) 
455   .  .  .  necessary,  that  instead  ...  to  know- 

ledge,  that  without  .  . .  (743) 

457  ...  i.e.  may  or  maynot  be  called  . .  .  (769) 

458  . . .  betwixt  the  volitions  .  .  .  one  Act, 
distinguished  ...  is  the  spirit,  operative 
prineiple,  ...   (779) 

459  .  .  .  existence  x  x  x  first  Book.  (782) 

460  .  .  .  ideas — or  not  ideas  .  .  .   (793) 

460  .  .  .  things,  or  ideas,  or  actions — but  .  .  . 

(794) 

460  Idea  is  the  object  or  subject  of  thought 
. .  .  'Tis  an  act,  i.  e.  volition.  (798) 

46 1  ...  sense  themselves  as  proceeding . . .  (808) 
463  .  .  .  volitions  &  ideas — cannot  be  severed 

...  (829) 


U  I  S.: 
31   ...  Will  is  a  power;  [therefore]  volition 

34  .  .  .  homonymy  in  the  word  thing,  w°  ap- 
ply'd to  ideas  and  volition  and  under- 
standing  and  will.    All  ideas  are  passive*. 

35  . . .  perceived,  i.  e.  y'  it  was  . . . 

35  .  . .  refrangible  rays;  [the  others],  being  ...^ 

36  . .  .  make  of  abstract  general  ideas  . . . 

36  .  . .  stand  for  Operations  of  the  mind 
...  [D..^] 

37  ...  do  ohtain:  of  co-existence,  in  nature: 
of  signification,  by  including,  in  morality*. 

39  .  .  .  eternity  of  Space    and   the  possibi- 
lity .  . . 
41   ...  be  the  image  of,  or  like  .  .  . 
41   ...  lest  offence  be  given.  Mem.  ...   [D.?] 


45  .  . .  brutes  have  ideas  o  f  Unity  &  Exist- 
ence? .  . . 

45  .  . .  necessary  that,  instead  . . .  to  know- 
ledge,  without  . . . 

48  .  .  .  may  not  be  called  . . .  [D.  ?] 

49  .  .  .  betwixt  volitions  . .  .  one  Act — distin- 
guished .  .  .  is  the  Spirit,  i.  e.  operative 
prineiple,  . .  . 

49  .  . .  existence  (?)  xxx  First  Book*. 

50  .  .  .  ideas — or  at  least  not  ideas  . . . 

50  .  .  .  things  or  ideas,  or  about  actions; 
but  . . . 

5 1  Idea  is  the  object  of  thought  . . .  'Tis  an 
act — i.  e.  volition. 

52  ...  sense  as   themselves  proceeding  . . . 
54  .  .  .  volitions    and   ideas   .  .  .   cannot  be 

separated  . .  . 


'  In  A  ist  hier  angemerkt:  »So  in  MS«,  was  unverständHch  bleibt  und  nach  Aiihang  II 
irrig  ist. 

^    Also  anscheinend   der   für  Fräser  unleserliche  Schluß  ausgelassen.    Vgl.  Anhang  11. 

ä  Anscheinend  also  Unleserliches,  in  B  nicht  mehr  als  solches  gekennzeichnet.  Vgl. 
Anhang  II. 

*    Den  richtigen  Text  s.  Anhang  II. 

°    Den  richtigen  Text  s.  Anhang  II. 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschafllichen  Tagebuchs.      105 


AIVS.: 
464  . . .  than  that  of  Des  Cartes  . . .  (833) 

464  . . .  cause — &  why  . . .  absurditys.    I  say 
you  . . .  (838) 

465  Those  may  more  . . .  (844) 

467  .. . .  say  he  or  his  mind   . .  .   sun  or  ex- 
tended   . . .   wlthout  his  mind   . . .   (873) 

468  Time,  train  of  . . .  (4) 

468  . . .  empty'd  of  intelligences.  (23) 

469  Nothing  corresponds   .  .  .   ideas   w*''out 
but  ...  (41) 

471   ...  minimum  tangihile   would   look.  (59) 


. . .  a  blind  [man]  made  . .  .  (97) 
. . .  bodies  being  in  rerum  natura  . . .  parts, 
in  . . .  (98) 

. . .  are  not  disputes  [D.?]  . .  .  (158) 
479  . .  .  number  no  simple  . . .  succession  in 
them  . . .  (163) 
. . .  complex  and  uncompounded  . . .  b.  2. 

S.35-  (174) 

. . .  greater  extensions  . . .  lesser  exten- 

sions  . . .  necessary  connexion  . . .  (178) 


474 
474 

478 


479 


480 


480  . . .  but  not  an  absolute,  actual  existence 
...  (182) 

481  ...  perceivable  of  the  sight  .  . .  (203) 

482  Hereby  meere  men  cannot  . . .  (205) 

483  ...  they  See  [extension]?  (221) 

489  . . .  perceptions,  and  that  a  perception  . . . 
perceiv'd ;  that  a  thought  . . .  tbing ;  that 
one  . . .  (280) 

490  ...  all  a  case  (286) 

492  . . .  farther  off,  &c.  (305) 
494  . . .  should  be  general  ideas?  (321) 
498  An  idea  cannot  exist  unperceiv'd  (382). 
500  . . .  mistaken,  is  [D.  ?J  asserting  . .  .  (905) 
500  . . .  lose  their  Matter  . . .  (909) 

500  . . .  fnture  philosoph.  . . .  (910) 

501  The  Materialists  &  Nihilarians  need  not 
be  of  a  party.  (917) 


BI  S.: 

54  .  . .  than  those  of  Des  Cartes  . . . 

55  ...  cause,  &  why . .  .  absurditys:  you  . . . 

55  The  physical  may  more  . . . 
58  . . .  say  he  or  his  mind  . . .  sun,  or  is  ex- 
tended  . . .  without  mind  . . . 

58  Time  is  the  train  of  . . . 

59  . . .  empty'd  of  all  intelligences. 

60  Nothing  w"'out  corresponds  .  .  .  ideas 
but  ... 

62  ...   minimum    tangibile    would    look    in 

Vision. 
65  ...  a  born-blind  [man]  raade  ...^ 
65  . . .  bodies  existing  in  rerum  natura  .  . . 

parts — in  . . . 

69  . . .  are  not  disputed  . . . 

70  .  . .  number  are  no  simple  .  . .  succession 
to  [D.?]  them  ... 

71  .  .  .  complex  and  compounded  .  .  . 
b.  2.  c.  23.  s.  35. 

71  ...  greater  t  an  gib  le  extensions  ...lesser 
tangible  extensions  . . .  necessary  con- 
nexion . .  . 

71   ...  but  not  an  actual  existence  . . . 

73  . . .  perceivable  by  the  sight  .  . . 
73  Hereby  meere  seeing  cannot  ..." 
75  ...  they  See  extension? 

80  . . .  perceptions;  a  perception  .  .  .  per- 
ceiv'd;  a  thought  . . .  thing;  one  . . . 

81  ...  all  a  case  of  words. 

83  .  . .  farther  off. 

84  . . .  should  be  abstract  general  ideas? 
fehlt  in  B  I. 

91   ...  mistaken,  in  asserting  ... 

91   ...   lose    their    abstract    or    unper- 

ceived  Matter  . . . 
91  ...  future  nat.  philosoph.  ... 

fehlt  in  BI. 


Vgl.  Anhang  II. 


PhiL-hist.  Abh.  1919.  Nr.  8. 


14 


106  Erdmann : 


Anhang  IL 
Textverbesserungen  von  Fräsers  Ausgabe  A IV  nach  Lorenz'  Kollation. 

Die  in  der  Kolumne  »Nr«  stehenden  Zahlen  gehen  Berkeleys  Eintragungen  mit  Ein- 
schluß der  beiden  in  B I  fortgefallenen  (AIV  S.  498  Nr.  382  und  8.501  Nr.  917)  in  der 
Folge,  die  sich  aus  den  im  vorstehenden  Text  sicher  verifizierten  Hypothesen  von  Lorenz 
ergibt.     Es  finden  sich  demnach 

Nr.     I— XXIII  bei  Fr.  A  IV  S.  23  und  25—26 

1—382  .       .     „    ,     .  468—498  =  Fr.  B  I  58—89 

.   383 — 877  •>       »■    »    .     »  419 — 468  =    •      "    •     7 — 58 

»   878 — 917  •       ...»  498 — 501  =    »      •    ■   89 — 92 

»        a — f  ■       .     »    .     .   501 — 502  =    •      »    ■  92 

Die  Zählung  ist  nach  Anordnung  und  Beschaffenheit  des  Textes  von  Fräser  keine 
endgültige.  Die  von  Fräser  unter  seinem  Text  angemerkten  Eintragungen,  die  am  Rande 
der  beschriebenen  oder  auf  den  sonst  zumeist  leeren  Seiten  des  Manuskripts  stehen,  sind 
der  leichteren  Orientierung  halber  als  174a,  221a,  346a,  354a,  372a,  432a,  472a,  724a, 
878a,  901a  gezählt.  Von  den  mitten  im  Text  stehenden  ist  die  in  413  eingefügte  als 
413  a  bezeichnet;  zwei  andere,  bei  Fräser  selbständig  aufgeführte  sind  als  460  und  487 
numeriert.  Eine  ganze  Reihe  von  Randbemerkungen,  die  Fräser  ohne  Angabe  ihies  Orts 
im  MS  seinem  Text  eingefügt  hat  —  Lorenz  hat  sie  in  dem  Handexemplar  unseres  Seminars 
kenntlich  gemacht  ■ — ,  sind  gleichfalls,  wo  es  sich  nicht  um  bloße  Textergänzungen  handelt, 
selbständig  gezählt;  im  Nachstehenden  sind  sie  durch  [  ]  gekennzeichnet.  Zwei  bei  Fräser  an 
falschen  Ort  gestellte  Eintragungen  sind  nach  ihrem  Ort  im  Manuskript  als  602  und  761  gezählt 
Die  von  Fräser  in  ( )  eingeschlossenen  Worte  gehören  allem  Anschein  nach  durch- 
gängig dem  MS  an;  wo  bei  []  in  Fräsers  Text  diese  Herkunft  ausgeschlossen  oder  zweifel- 
haft war,  ist  dies  im  Nachstehenden  angezeigt.  Die  von  Lorenz  im  Mind  und  im  Archiv 
f.  G.  d.  Ph.  (vgl.  S.  103  Anm.  i)  veröffentlichten  Korrekturen  des  Fraserschen  Textes  sind  als 
(L.  I,  II)  und  (L.  II)  kenntlich  gemacht:  die  zahlreichen  Besserungen,  die  Lorenz  in  unserem 
Handexemplar  gegeben  hat,  sind  ohne  Zusatz  aufgeführt.  Die  Wortkorrekturen  von  Lorenz 
sind  gesperrt  gedruckt.  Die  irrigen  Lesarten  Fräsers  sind  nicht  nochmals  verzeichnet;  der 
nachstehende  Text   gibt  lediglich   den   von  Lorenz   berichtigten  Wortlaut. 

Fräsers  Verlesungen  in  den  beiden  Statutengruppen  (AIV  23 — 25  und  26 — 27)  stelle 
ich  nach  Lorenz  hier  in  Sperrdruck  vorweg  zusammen.     Man  lese 
Fr.  A  IV  S.  24  Z.  15  u.:  ...  every  member  who  . . . 

»    13    "     ...  opinion  of  any  member  whatsoever  . . . 

- ■      4    »     ...  from  the  assembly  be  . . . 

»   25    •    15  ...  that  each  member  ... 

•   26    •      I    u.    . .  .  the  second  Junior  speak. 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tagebuchs.      101 


Berichtigungen  und  Ergänzungen  zu  Fräsers  Text  der  Eintragungen  Berkeleys 

nach  Lorenz. 

Nr. 


Fräser,  Seiten 
AIV  BI 

»3 
»5 


468  58—59 


I  [Mem.  . . .  1705] 

n — VI  IV  Whether  discerning,  remembering,  knowing, 

vacat  comparing,     compounding,     abstracting,     &c,     be 

simple  ... 
26  VII— XXUI    X  God  Space.  b2,  13,  26,  &  15,  2. 

XIjI  . . .  L.  gives  b.  2  c.  16  s.  4. 

XV  ...  therefore  complex  ideas?  (L.  II) 

XVI  . .  .  be  so  very  signal?  (L.  U) 

XVII  . . .  we  know  [Phave]  names  for?  (L.  II:  we 
(have?)  names  for). 

XVm  ...  solved  by  Locke.  (L.  11) 

XXI  . . .  thinking,  extension  ...  body,  time  can  be 
conceiv'd  and  measur'd  . . .  no  motion  was,  will 
is  not  free,  &c.  (L.  II) 

XXII  ...  involuntary  tho'  free?  (L.  II) 

XXIII  . . .  by  figures  borrowed  .  .  . 
I — 23           7  a  [Accedat  huc  suavitas  quaedam  oportet  sermonum 

atque  morum  haudquaquam  mediocre  condimentum 
amicitiae.     Cic.  de  Amicitia.] 
9  .  . .  intelligences.  [13c.  Matth.  v.  22  &  30.] 

.  of  m  o  t  i  o  n  shews  .  . . 

.  Adam,   rise  of  idolatry,   rise  of  . . .  (L.  I,  II) 


is]  encreas'd  &  ...  (L.  1, 11) 

visible,  or  [abstrahible  or]  both? 

to  a  Blind  at  first  .  . . 

specifically  distinct,  ... 

w"^  must  be  less  . . . 

idea  diminishable  arl  infinitum..   (L.  I,  II) 

in  State  of  . . . 

a  blind  made  . .  .  distance  y'  he  had  . . . 
100  [The  trees  . . .  seeing  them.] 
looa  The  swiftness  or  slowness  of  motion  depends 
on    our   Ideas,   it   does    not   therefore  foUow   that 
the  same  force  can  impell  a  body  over  a  greater 

'    Die  eckige  [  ]  in  37 :  Extension  . . .  contradiction  bei  Fr.  bezeichnet  vielleicht  keine 
Randbemerkung. 

'    Ebenso    die    []    in    53:    Succession    ...    idea,    in   54:    Visible    ...    same,    in    57: 
Extension  ...  'em]? 

14* 


»5  • 

17  • 

469 

59—60 

24—41  ' 

470 

60— 6i 

4»— 5« 

47« 

61—62 

5«-67' 

54  • 

55  • 
62  . 

47a 

62—63 

68  80 

70  . 
73  • 

' 

75  • 

473 

63-64 

81—94 

84  . 

474 

64—65 

95— >03 

97  • 

108  Ekdmann: 

Fräser,  Seiten  Nr.. 

AIV  BI 

or  less  Space  in  proportion  to  slowness  or  swift- 
ness  of  our  ideas. 
loi  . . .  blind  would  ' 

1 02  a  The  reason  explain'd  why  we  see  things  erect 
their  images  being  inverted  in  the  eye. 

475  65 — 66         104 — 120        103a  Nvimber    not    without  the  mind   in   anything, 

because  'tis  the  mind  by  considering  things  as  one 
that  makes  complex  ideas  of  them,  'tis  the  mind 
Combines  into  one,  which  by  otherwise  considering 
its  ideas  might  make  a  score  of  w'  was  but  one 
just  now. 

105  ...  solidity  not  perceived  ...  (L.  I,  II) 

III  ...  power  L.,  b.  2  ... 

117  ...  duration?     See  Locke  ... 

1 20  Blind  at  i»* 

476  67 — 68         121 — 138         137a    Preliminary    discourse     about     singling     and 

abstracting  simple  ideas. 

477  68 — 69         139 — 153         143a  [This  true  on  . . .  the  will.] 

144  a  W  should  we  think  of  an  object  plac'd  as  in 
the  difficulty  if  we  saw  it  clearly. 

145  a  According  to  Locke  we  have  not  liberty  as 
to  virtue  and  vice,  the  liberty  he  allows  consisting 
in  an  Indifferency  of  the  operative  Faculties  which 
is  consecutive  to  the  will,  but  virtue  and  vice 
consist  in  the  will,  ergo  &c. 

478  69 — 70         154 — 162         157  ...  the  progression  of  Wills  ... 

159  ...  A  man  must  not  onely  . .  . 

479  70 — 71  163 — 175         172  ...  sensible.  The  reason's  piain.    Hence  . . . 

173  [The  grand  ...  we  have  not] 

1 74  a  [Omnes  ...  eh.  8] 


480 

71—72 

176 — 191 

481 

72—73 

192—203 

482 

73—74 

204 — 214 

193  [Qu.  whether  .  . .  Will?] 
205  Hereby  meerly  men  ...  (L.  I,  II) 
207  .  . .  great  angle,  faintness  . . . 
483  74 — 75         215 — 223        2i8a   We   seem  to   have  clear   &  distinct   ideas   of 

large  numbers  v.  g.  1000  no  otherwise  than  by 
considering  "em  form'd  by  the  multiplying  of 
small  numbers. 
22ia  ...  See  [distance].  Die  bei  Fr.  B  I  in  221  ... 
[extension]  fortgefallene  Klammer  macht  unklar, 
daß  distance  Verbesserung  für  extension  ist. 


'    Das  [man]  scheint  erläuternder  Zusatz  Fräsers  zu  sein. 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschafllichen  Tagebuchs.      109 


Fräser, 

Seiten 

Nr. 

AIV 

BI 

484 

75—76 

224 — 231 

485 

76—77 

232—247 

486 

77—78 

248—257 

487 

78—79 

258—266 

489 

80—81 

278—284 

490 

81 

285—294 

491 


492 


493 
494 
495 

496 


497 


498 


82 


83 


295—301 


302—309 


83—84  310—319 

84—85  320—334 

85—86  335—346 

86—87  346  a— 359 


87—88        360—373 


88—89        374—382 


253  . .  .  homely,  and  to  think  . . . 

282  ...  Sense — Collections of thoughts & Collections  . .  . 
285  ...  should  disaver  the  ...    . 
289  [The  great  .  . .  quality.] 
292  [Finiteness  .  .  .  geometers.] 

294  . .  .  Combinations  of  thoughts;  &  Combinations  . .  . 

295  [Bodies  . . .  body,  &c.] 

298  a  pittle  extension  by  distinction  made  great.] 
302    ...    &    pomp'    of   ...    of   Stile,   having  ... 

(L.  I,  n) 

304  ...  be  a  partial  cacse  of  the  phenomenon  . . . 
is  less  in  the  horizoa. 

305  [We  judge  ...  off,  &c.]  S.  Anhang  I. 
310  [We  think  ...  objects.J 

334  a  [Newton  in  sad  plight  about  bis  Cave  intellexeris 

finitas] 
346  a  [or  rather  . .  .  exist] 
354  a  [By  excuse  . .  .  to  us.] 
358  [Nor  can  .  .  .  ideas] 
361a  If  uneasiness   be  necessary  to   set  the   will    at 

werk.     Qu.  How  shall  we  will  in  Heaven. 
36 1  b  Malbranche's  &  Bayle'.s  arguments  do  not  seem 

to  prove  against  Space  but  only  Bodies. 
363  . . .  but  that  w"  look'd  .  .  . 

367  [Qu.  wether  I  had  .  . .  understanding?] 

368  [The  taking  . . .  mind.] 

369  [I  see  . . .  Nihilarians.] 

370  [The  foUy  . . .  uses.] 

372a  [Extension   without   ...   abstraction.j    zu    372: 
Extension  . . .  mind 

373  . . .  the  Focus's  of  glasses  . . . 

374  [Sir  Isaac  . . .  indivisibles] 

375  ...  vessels  if  matter  .  .  . 

376  . .  .  acts.     I  know  it  by  .  .  . 

377  [Mathematicians  . . .  parts.] 

378  [The  mathematicians  . . .  mind.] 

382  An  idea  cannot  exist  unperceiv'd.    (S.  Anhang  I.) 


'    So  auch  bei  Fr.  AI  S.  437. 


110 


Ek  DM A  NN  : 


Fräser, 

Seiten 

Nr. 

• 

AIV 

BI 

419 

7 

383 

420 

7-8 

384—394 

390  • 

.  his  principle;  I  . . 

421 

8-9 

395—410 

394  • 

.  as  well  as  of  that 

422 


435 


436 


437 
438 
439 


9 — 10        411 — 424 


423 

11 

425—433 

424 

12 

434—443 

425 

13 

444—449 

426 

14—15 

450—457 

427 

15—16 

458—463 

428 

16 — 17 

464—474 

429 

17—18 

475—484 

430 

18—19 

485—496 

431 

19 — 20 

497—505 

432 

20 — 21 

506—516 

433 

21 — 22 

517—523 

434 

23—24 

524—531 

24—25 


532—542 


25—26      543—552 


26—27  553-564 
27—28  565—574 
28—29      575-584 


413a...  percipere  [or  velle,  i.  e.  agere]  The  horse  . . . 
421a  ...  exist  [making  thought  to  be  active] 

432  a  .  .  .  have  [That  need  .  .  .  and  idea] 

433  .  .  .  of  the  math. — the  length  . .  . 

436  . . .  for  defining  it  [motion]  erläuternder  Zusatz 
von  Fräser? 

450  ...  one,  a  receiv'd  one  ... 
460   [According   to   my    doctrine   all   are   . .  .    other 
doctrine]. 

463  ...  I  mean  a  Cartesian,  why  ...  (L.  I,  H) 

464  [Or  rather  .  . .  mind] 

472  a  [This  I  do  not  altogether  approve  oC] 

475  .  .  .  Huygens,  &c.  may  be  . .  . 

480a  [Power  no  simple  Idea  —  it  means  nothing  but 

the  Relation  between  Cause  &  Effect.] 
487   [It  should  .  .  .  uninteUigible]. 
499  ...  shall  discern  an  . . . 
505  ...  sensible  quality.    These  ... 
515  ...  I  have  proved  in  Green.    (L.  I,  II) 
523  ...  bodys,  mem:  to  reflect  ... 
525  ...  The  distinction  betwixt  entia  realia  ... 
530  ...  in  study  ing  the  .  .  . 
537  ...  &  even  praecedaneous  to  the 
539  a  Mem.    .  .  .     Locke,    [it    is    of    y*    Reality    of 

Knowledge] 
546  .  .  .  But  f  ew  or  none  . . . 
548  .  .  .  [Forasmuch  as]  to  be  used.'     Die  Klammer 

schon  bei  Berkeley. 
558  ...  to  be  noted  as  ... 
571   ...  'that  &  thing'  ...   (L.  I,  II) 
575  ...  from  white.    Das  bei  Fräser  angeschlossene: 

»men  x  x  x«  bildet  den  Anfang  einer  selbständigen 

unleserlichen  Eintragung  (575a),  die  nicht  mit  men 

anfängt.   (L.  II) 
582  .  . .  on  this:  viz.  'The  whole  ... 


Die  Eintragung  ist  zur   vorhergehenden:    -A   foot  ...  points-    als   zu  ihr  gehörig 


gezählt. 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenscltafllichen  Tagebuchs.       111 

Fräser,  Seiten                    Nr. 

A IV  B  I 

440  29—30  585—596 

441  30—31  597 — 610        60 j  Unter  dieser  Nummer  ist  »[It  is  not  so  . .  .  or 

act]  •  gezählt,  dessen  Ort  im  Manuskript  bei  Fräser 
verschoben  ist.    Also  601 :  The  act  . . . 

607  The  understanding  . .  .  will.  This  allow'd  here- 
after  sind  als  eine  Nummer  gezählt. 

609  . . .  Hylarchic  . . . 
44J  31 — 3a         611 — 625        613  ...   power;    therefore    volitioii    is   . . .     So    im 

Manuskript. 

615  ...  thinking,  not  active.    (L.  I,  ü) 

624  bodies  betwixt  those  ...  (L.  I,  ü) 
443  32 — 33        626 — 633        626  a  "Tis  folly  to  define  volition  an  act  of  tbe  mind 

ordering.    For  neither  act  nor  ordering  can  them- 
sclves  be  understood  without  volition. 

628  .  . .  there  must  be  . . . 

631   ...  or  infinitely  greater. 

634  . . .  volition,  understanding  and  will.  All  ... 
volitions  are  active.  (L.  I,  II) 

649  .  .  .  idea  of  y'  Will  . . . 

654  .  .  .  rays,  .  . . ',  l)eing  . . . 

656  a  S.  If  by  idea  you  mean  object  of  the  Under- 
standing, then  certainly  the  will  is  no  Idea,  or 
we  have  no  idea  annext  to  the  word  will. 

669  ...  of signification  or  including  or  linking, 
(?]"  by  including  in  morahty. 

673  . . .  of  w'  one  never  acted,  &c..  solv'd  therebv. 
(L.I,ID 

677  .  . .  for  the  using  . .  . 

679  [Un  second  . . .  bodies] 


706  ...  understanding  I  must  call 
724a  [This  seems  ...  negation.] 


749  a  M.   Why  I  use  not  the  word  thing  instead  of 
Idea?    Introd.-* 

'    Die  .  . .  bezeichnen  bei  Fr.  hier  Unleserliches,    [the  others]   ist  Zusatz  von  Fräser. 

'    or  including  or  linking  —  nach  Loi-enz  zweifelhaft. 

'    Der  Satz   »Useful  to  inquire  .  .  .  occisioiis«   ist  selbständig,  als  747  gezählt. 


444 

33—34 

634—644 

445 

35 

645—654 

446 

36 

655 — 661 

447 

37—38 

662 — 672 

448 

38—39 

673—681 

449 

39—40 

682—689 

450 

40—41 

690 — 698 

45» 

41—42 

699- -7 10 

452 

42—43 

711— 717 

45i 

43—44 

718—726 

454 

44—45 

727—737 

455 

45—46 

738—745 

456 

46—47 

746—760 

112 


l 

Erdmann: 

Fräser, 

Seiten 

Nr. 

AIV 

BI 

457 

47—48 

761—770 

761   Sensual  j 

iure  . . .  demonstrated.     Der  Ort  im 
Manuskript  ist  bei  Fräser  verschoben.   Also  Qu. . . . 
points  =  762 
763  ...  [b.  4  c.  8]  Zusatz  Fräsers  ? 
767  a  Agreeable   to  my   Doctrine   of  Certainty.      He 
that  acts  not  in  order  to  the   obtaining  of  etemal 
Happiness   must  be  an  infidel,   at   least  he  is  not 
certain  of  a  future  Judgment. 
458  48 — 49        771—782         779a  So   gezählt  die   offenbar   selbständige   Schluß- 

bemerkung bei  Fr.  779:  No  mention  ...  a  party. 
^^g  ^g — 50        783 — 791         782  .  .  .  existence  at  least  in  the  first  book.  (L.  I,  II) 

783  a  [Also  of  non-coexistence  as  Gold  is  not  blue.] 
Hinter  stone  '  einzuschieben  ? 


460 

50—51 

792 — 800 

461 

51—52 

801—814 

462 

52—53 

815—822 

463 

53—54 

823—831 

819  .  . .  made  on  y  ^  word  . . . 

825  a  Treating  of  Matter  I  had  better  say  the  Pro- 
portion &  [Beauty  ?]  of  Things  than  their  Species 
(w°'"  Locke  hath  proved  already)  are  the  work- 
manship  of  the  Mind. 

827  ...  is  omniscient,  omnipotent,  &c.  (L.  I,  II) 

827  a  One  great  cause  of  Miscarriage  in  Men's  affairs 
is  that  they  too  much  regard  the  Present'. 

828  ...  wish  J.  S.  that  ... 

464  54 — 55        832 — 840        832  . . .  Epist.  I  »  ad  . . . 

836  ...  &  will  &c.  in 

465  55 — 56        841 — 852         848  ...  their  discovery.  (L.  I,  H) 

466  56—57         853—867 

467  57- — 58        868 — 877        872a  One    simple   Idea    can   be  tlie  pattem   or  re- 

semblance  only  of  another.    So  far  as  they  differ 
one  cannot  resemble  the  other. 

874  ..  .  ,  De  Id.  In.  ... 

875  ...  mind  as  we  do  Hunger  not  ...  (L.  I,  II) 

• 

498  89  878 — 887         878a  [These  arguments  ...  Treatise] 

887  .  .  .  passive  reception  or  . . .  (L.  I,  II) 

499  89 — 90        888 — 900 

500  90 — 91         901 — 912        901a  [to  the  utmost  ...  perfection] 

904  Innumerable  vessels  if  matter.  V.  Cheyne. 
[L.  n.]     So  auch  (375) 

'    Die    unmittelbar    zusammengehörigen    Bemerkungen :    ■  Some    ideas    . .  .     But    . . . 
essen tial«   sind  als  eine  Eintragung  (830)  gezählt. 


BerMeys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenscJuiflUchen  Tagebuchs.       113 

Fräser,  Seiten  Nr. 

AIV  BI 

907 — 912  []  "In  diesem  Fall  ist  die  linke  Seite 
vielleicht  nicht  lür  nachträgliche  Zusätze  benutzt, 
sondern  (da  der  zur  Verfügung  stehende  Raum 
sich  dem  Ende  zuneigt)  gleich  von  vornherein  für 
die  laufenden  Notizen«  (Lorenz  im  Handexemplar 
des  Seminars). 
501  91 — 92        913 — 917         913  [The  mathematicians  ...  neighbours] 

913  a  I  can  Square  the  circle,  &  they  cannot  which 
goes  on  the  best  principles. 
Fräser  hat  seinem  Abdruck  des  wissenschaftlichen  Tagebuchs  noch  sechs  Eintragungen 
Berkeleys  angefugt,  die  sich,  wie  er  A  IV  bemerkt,  in  einem  anderen  Band  des  Berkeley- 
Nachlasses  finden.'  Lorenz  berichtet  nichts  Weiteres  über  diese  Sätze,  die  Fräser  in  B 
ohne  Angabe  ihrer  Herkunft  dem  Tagebuch  angefügt  hat.  Ich  füge  die  Korrekturen  von 
Lorenz  zu  diesen  Eintragungen  (Nr.  a  .  .  .  f)  bei. 

501  a,  b  a  . . .  before,  set  my  . . .  and  enjoy  myself  with  . . . 

b  ...  better  relish  and  exacter  knowledge  .  . . 

502  c — f  c  ...  would  win  another  ... 

e  ...  is  o  n  him  . .  . 
Der  Erläuterung  oder  Verbesserung    bedürftig   ist   der   Wortlaut  bei   Fräser  in   den 
nachstehenden  Eintragungen : 

475  66  114  'Of  and  'thing'  causes  of  mistake  —  Vgl.  652 :    The 

referring  ...   in   this.     Anders  571:    Say  you  ... 
with  US. 
477  68  140  .K.  B.  W«  ...   t'other?      Wer   mit   A.B.   hier    sowie 

in  155  und  162  gemeint  ist,  weiß  ich  nicht  zu  sagen. 
.  . .  be  solid  that  . . .  lies:  .  .  .  be  solv'd  that  . . . 
. .  .  \ad  infiniturn]   .  .  .   Irrtümliche  Erläuterung  oder 

verlesen  von  Fräser? 
. . .  tarn   . . .   quum   . . .    lies :    ...  tam  .  .  .  quam  . .  . 
. .  .  Principles.  lies  (?)  Principle.    Aber  vgl.  308. 
Die  eckige  Klammer  im  MS'.' 
...  in  intellectum  lies  in  intellectu. 
...  all  XXX   of  . . .    Gemeint    ist    offenbar    ...    all 
suppositions,  oder  conjectures,  oder  thoughts  of  .  .  . 
438  38  57  I  ...  perception,  not  that  .  . .  lies  .  . .  perception,  but 

that  .  . . 
448  38  681  [instance]  Konjektur  von  Fräser? 

457  47  763  [b.  4  c.  8]  Zusatz  von  Fräser? 

Nachtrag 
475  66  110  ...  colour?  [The  mob  ....  Schools] 


487 

78 

260 

4§8 

79 

268 

496 

87 

352 

420 

8 

393 

423 

II 

43* 

427 

15 

459 

434 

»3 

5*9 

'    Zu  Fräsers  Beschreibung  dieses  Bandes   (A  FV  S.  XII  f.)   vgl.  die  Berichtigung  von 
Lorenz  im  Arch.  f.  6.  d.  Ph.  XVII,  1904,  S.  159  f. 


Phil.-hv,t.  Mh.  1919.  Nr.  8.  15 


114 


EeDM ANN  ; 


Anhang  in 
Im  Text  angeführte  Tagebuch- Aufzeichnungen' 


Nr. 
I 

IV 

XX 

I 

2 

3 

5 
6 

9 
9a 
10 
12 

13 
18 

19 
20 
21 
22 

23 
24 

25 
26 
27 
28 
29 
30 
31 
34 
35 
37 
41 
44 
46 


s. 

Nr. 

S. 

Nr. 

S. 

Nr. 

S. 

Nr. 

20 

47 

46 

286 

71 

424 

58 

552 

23 

50 

46 

288 

57 

425 

92 

553 

23,77 

52 

68* 

[289] 

57 

426 

58 

556 

29 

53 

55,  56* 

290 

57 

431 

55 

560 

29 

55 

55* 

293 

47 

433 

96 

561  1 

29 

75 

54 

[295] 

69 

446 

78 

567 

30 

81 

46,  68* 

302 

37 

457 

69 

568 

29 

86 

54 

307 

47 

458 

74 

569 

29 

91 

46 

308 

47 

465 

86 

570,1 

29 

109 

56* 

320 

96 

466 

87 

573 

29 

130 

78 

321 

57 

467 

83 

574 

29 

^33 

54 

322 

57 

471 

58 

576 

30 

137a 

54 

336 

96 

473 

77 

580  : 

30 

150 

71 

342 

68 

477 

58 

584  i 

30 

170 

54 

350 

57,97 

479 

74 

607 

30 

[173] 

71 

[367] 

72 

[480  a] 

78 

615  ! 

55 

175 

71 

369 

42 

482 

58 

626   1 

30 

182 

83* 

[370] 

96 

483 

55 

628 

30 

■83 

68 

380 

96 

484 

58 

629 

30 

192 

83 

381 

96 

485 

95 

637 

70 

[193] 

83,86 

382 

16,83 

[487] 

87 

640  1 

30 

199 

83 

384 

57 

494 

95 

642 

30 

208 

95 

388 

91 

496 

92 

643 

30 

231 

71 

389 

95 

497 

97 

644 

30 

239 

56 

390 

47 

507 

72 

647 

30 

250 

83 

391 

69 

522 

47 

649 

55 

254 

56 

394 

34 

529 

84 

650 

67 

255 

56 

413 

32 

530 

98 

658 

56 

267 

32 

[413a] 

32 

537 

72 

66 1 

67,  89* 

272 

56 

417 

77 

541 

47,66 

664 

68 

279 

32 

418 

79 

542 

59* 

665 

71 

282 

69 

421 

73 

545 

60 

666 

46 

285 

47 

[421a] 

73 

551 

94 

670 

82 

59 
42 
93 
74 
86 

73 
86 

87 

93 

70 

60*,  94 

83  . 
67 
89 
66 
98 
87 
87 
73,90 
84 
83*,  84* 
83 
89 
74 
87 
87 
71 
73 
89 

73 

73,90 

42 


Von  den  mit  einem  Stern  *  versehenen  Nummern  sind  nur  einzelne  Wendungen  zitiert. 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschafllichen  Tagebuchs.       115 


Nr. 

673 
680 
681 
685 
692 
694 

695 
705 
706 
707 
709 
713 
715 
723 


s. 

Nr. 

S. 

Nr. 

S. 

Nr. 

S. 

Nr. 

84 

726 

98 

779 

88 

835 

88 

897 

60 

728 

81 

781 

88 

836 

90 

900 

60* 

736 

90* 

782 

74 

854 

94 

901 

90 

737 

»5 

797 

93 

856 

96 

[901a] 

78 

743 

59.9<7 

798 

90 

858 

90 

903 

88 

744 

91 

800 

81 

859 

90 

906 

59 

747 

79 

802 

69 

866 

92 

914 

88 

750 

97 

804 

88 

870 

72 

915 

70 

759 

97 

817 

43 

872 

89 

916 

88 

760 

97 

818 

88 

875 

18* 

917 

93 

762 

98 

819 

88 

876 

18*,  20 

d 

94 

768 

90 

821 

81 

877 

18* 

f 

59 

770 

60,84 

823 

90 

[878  a] 

21 

59 

771 

78 

829 

90 

892 

-67* 

s. 
32 

97 
97 
97 
97 
97 
22 
22 
16*,  22 
16. 
32 
34 


\h* 


l\Q  E  R  D  M  A  N  N"  : 


Anmerkungen. 

(1)  S.  9:  Man  vgl.  G.  Misch,  Zur  Entstehung  des  französischen  Positivismus  im  Arch. 
f.  Gesch.  d.  Philos.  XIV,  1901,  S.  19?.  —  .1.  Priestley,  An  Examination  of  Reid's  Inquiry, 
Beatties  Essay  on  .  .  .  Truth  and  Oswalds  Appeal  to  Common  Sense  .  .  .  London  1774. 
insbesondere  S.  60  f.,  146  f.,  i54f. 

(2)  S.  10:  The  Fortnightly  Review  N.  Ser.  Vol.  X,  1871,  S.  505 f. 

(3)  S.  10:  Man  vgl.  die  verfehlte  Einordnung  in  J.  E.  Erdmanns  sonst  so  sorgsamem 
Versuch  einer  wissenschaftlichen  Darstellung  der  Geschichte  der  neueren  Philosophie  II  2. 
S.  173 f.  und  11  I,  S.  162  f.,  die  verfehlte  Konstruktion  in  Kuno  Fi.schers  unhistorischer  Ent- 
wicklungsgeschichte der  Erfahrungsphilosophie,  die  Darstellung  in  Überwegs  Grundriß  III", 
1914,  S.  206  f.,  S.  211  f.,  sowie  die  rationalisierende,  ganz  in  den  Gedankenkreis  des  Cohen- 
Natorpschen  Neukantianismus  eingeschnürte  Arbeit  von  Erich  Cassirer  über  Berkeleys  System, 
Gießen  19 14. 

(4)  S.  10:  In  der  sonst  vollständigeren,  sorgsamen  Ausgabe  der  Werke  Berkeleys  von 
George  Sampson  (London  1898,  Neudruck  1908)  fehlt  das  Tagebuch. 

(5)  S.  1 1 :  "Wiederabgedruckt  bei  Sampson  in  der  Einleitung  zu  Bd.  I  der  eben  zitierten 
Ausgabe. 

(6)  S.  12  :  Fr.  A  IV  S.  27,  34,  419.  —  Lockes  Essay  ed.Fraser,  Oxford  1894, 1,  S.  CXXVI. 
—  Fr.  D  S  II.  —  Fr.  B  I  S.  XXVIl. 

(7)  S.  13:  Fr.  A  IV  S.  30,  27—30,  34—35- 

(8)  S.  13:  Fr.  B  I  S.  XXVII,  1—7—92- 

(9)  S.  15:  Mind,  New  Seiies  XI,  1902,  S.  249^  —  Archiv  für  Geschichte  der  Philo- 
sophie XIII,  1900  und  XIV,  1901.  —  Mind,  N.  Ser.  XI,  1902,  S.  435.  —  Mind,  N.  S.  XIII, 
1904,  S.  304  f. 

(10)  S.  15:  Archiv  f.  G.  d.  Ph.  XVffl,  1905,  S.  551  f. 

(11)  S.  17:  Man  vgl.  auch  Swift  B.  Johnston  in  den  Proceedings  of  the  Royal  Irish 
Academy,  III.  Ser.,  Vol.  VI,  N.  2,  1901,  in  dem  Aufsatz:  Supposed  Autograph  letter  of  Bishop 
Berkeley  in  the  Library  of  the  Royal  Irish  Academy.  —  Über  die  geplante  Ausgabe  des 
wissenschaftlichen  Tagebuchs  hat  Lorenz  in  dem  Handexemplar  von  Fr.  A  IV  des  Berliner 
Seminars  vermerkt:  »Da  ich  noch  nicht  weiß,  wann  oder  ob  ich  in  die  Lage  kommen  werde, 
eine  Neu-Ausgabe  des  Commonplace  Book  auf  Grund  einer  neuen  Abschrift  des  Original- 
manuskiiptes  Berkeleys  zu  veranstalten,  so  mögen  inzwischen  diese  (in  das  genannte  Exemplar 
von  Fr.  A  IV  eingetragenen)  Korrekturen  dazu  dienen,  der  wissenschaftlichen  Arbeit  einen 
der  Fassung  des  Manuskripts  wenigstens  näher  kommenden  Text  zugänglich  zu  machen. 
Denn  ich  muß  hinzufügen,  daß  es  mir  in  der  zur  Verfügung  stehenden  Zeit  nicht  möglich 
war,  dasselbe  in  strengem  Sinne  .Wort  für  Wort'  mit  Fräsers  Ausgabe  (1901)  zu  vei^leichen. - 

(12)  S.  19:  Mind,  N.  Series  XIII,  S.  305  und  Archiv  f.  G.  d.  Ph.  XVIII.  S.  555/6. 


Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen  Tagebuchs.       117 

(13)  S.  22:  Vgl.  Fräser  A  I  133  und  B  I  XXXV,  sowie  die  Berichtigung  von  Lorenz 
im  Mind  N.  S.  XI,  1902,  S.  250,  derzufolge  das  -our  Society«  in  der  Widmung  des  Treatise 
nicht  das  Trinity  College,  sondern  die  1707  rekonstruierte  Dublin  Philosophical  Society 
bezeichnet.  Daß  Berkeley  dem  Lord,  wie  die  Widmung  des  Treatise  besagt,  damals  noch 
nicht  persönlich  bekannt  war,  widerspricht  Lorenz'  Berichtigung  natürlich  nicht. 

(14)  S.  22:  Nach  der  Mitteilung  aus  den  Percival  Manuscripts  im  Seventh  Report  of 
the  Royal  Commission  on  Historical  Manuscripts,  Part  I,  London  1879,  S.  232. 

(15)  S.  22:  Fräser  D  S.  68. 

(16)  S.  23:  Daß  bei  diesem  Museum  nicht  eine  selbständige  Sammlung  des  Vereins 
in  Frage  kommt,  ergibt  sich  anscheinend  daraus,  daß  die  Bibliothek  »at  that  time  (1704) 
served  as  a  Museum«,  in  dem  außer  einem  Herbarium  einige  Seltsamkeiten  enthalten  waren 
(The  Book  of  Trinity  College  1591 — 1891  ...  presented  by  the  Provost  and  Senior  Fellows, 
Belfast  1792,  S.  151,  49).    Vgl.  im  Text  S.  25f. 

(17)  S.  24:  Fr.  A  m  S.  43,  verbessert  A  IV  S.  52. 

(18)  S.  24:  SwiftB.  Johnston  in  der  Dubliner  Zeitschrift  Hermathena  Voi.XI.  1901,  S.  180. 

(19)  S.  26:  So  auch  in  Fräsers  Ausgabe  von  Lockes  Essay,  Oxford  1894,  I,  S.  CXXVI. 

(20)  S.  26:  Demnach  ist  die  Dublin  Society  von  WiUiam  Molyneux,  »the  patriot  and 
friend  of  Locke«,  der  als  geistig  hochstehendei-,  philosophisch  und  naturwissenschaftlich 
intei-essierter  Jurist  in  Dublin  lebte,  1683  gegründet  und  von  ihm  als  ei-stem  Sekretär  erfolg- 
reich geleitet  worden,  «until  the  political  disturbances  of  1687 — 1690,  by  banishing  its  niembers, 
put  a  stop  to  its  meetings.  In  1692,  Molyneux  brought  about  a  reconstitution  of  the  society, 
but  it  had  not  sufificient  energy  to  survive  his  death  in  1698  (vgl.  Fr.  A  IV  S.  21  f.).  Towards 
the  close  of  1 707  the  Society  was  revived,  and  the  post  of  secretary  was  passed  on  to  the 
son,  Samuel  Molyneux  (vgl.  Fr.  A  III  43  mit  der  Korrektur  A  IV  52),  then  an  undergraduate 
in  Trinity  College.« 

(21)  S.  27:  Vgl.  auch  die  überraschende  Zusammenstellung  bei  Fräser  D  S.  1 1 :  »It 
enables  us  to  watch  Berkeley  when  hc  was  awakening  into  intellectual  life,  in  Company  with 
Hobbes  and  Newton  and  Locke,  Descartes  and  Malebranche.«  So  nicht  nur  in  dem  monströsen 
Buch  von  Kuno  Fischer  über  Fr.  Bacon  und  seine  .Schule 3,  1904,  S.  457,  sondern  fast  durch- 
gängig, selbst  noch  bei  W.  Raab  in  seiner  Übersetzung  des  Alciphron,  Leipzig  191 5.  S.  VI. 
Man  vgl.  dazu  die  Angaben  über  Descartes,  Hobbes,  Boyle  und  Malebranche  gegen  den 
Schluß  der  vorstehenden  Untersuchung. 

(22)  S.  29:  Aus  den  Percival  Manuscripts  bei  Fr.  D  S.  71. 

(23)  S.  29:  Beardsley,  E.  Edwards,  Life  and  Correspondence  of  Samuel  Johnson»,  New 
York  1874,  S.  72.    Fräser  konnte  den  Brief  schon  A  IV  S.  177  veröffentlichen. 

(24)  S.  29:  Fr.  A  IV  S.  i77f. 

(25)  S.  30:  Beardsley,  a.  a.  0.  S.  74. 

(26)  S.  33:  Schon  Beardsley  hat  (S.  68  f.)  hierfür  auf  den  Anfang  des  Alciphron  hin- 
gewiesen.   Man  vgl.  auch  ebenda  S.  202  sowie  die  Tagebucheintragung  Nr.  549. 

(27)  S.  iy.  Lorenz  im  Archiv  f.  G.  d.  Ph.  XIV,  1901,  S.  298  f. 

(28)  S.  34:  Vgl.  im  Text  S.  29  f.  Man  vgl.  auch  Fr.  D  S.  72  die  Äußerungen  über  die 
mosaische  Sehöpfungslegende,  sowie  wiederholte  Berufungen  im  Tagebuch  (281,  313,  342, 
385.  387,  388,  394.  713)- 


118  E  li  I)  M  A  N  N  : 

(29)  S.  34 :  G.  V.  Lechler,  Geschichte  des  englischen  Deismus,  Stuttgart  und  Tübingen 
1841,  S.  i94f.  und  Fox  Bourne,  The  Life  of  John  Locke  ü,  1876,  S.  4i5f. 

(30)  S.  34:  Über  Shaftcsburys  Schriften  s.  Chr.  Fr.  Weiser,  Shaftesbury  und  das 
deutsche  Geistesleben,  Leipzig-Berlin  1916,  S.  554. 

(31)  S.  34:  Treatise  §  102  f;  Dialogues  bei  Fr.  AIS.  304f. 

(32)  S.  36:  Man  vgl.  auch  die  Beziehung  auf  den  Platonischen  Gorgias  in  dem 
zweiten  der  Essays  in  the  Guardian,  Fr.  A  III  148,  der  den  wohl  sicher  von  Berkeley  stam- 
menden zugehört. 

(33)  S.  36:  «I  do  not  deny  the  existence  of  the  sensible  things  which  Moses  says 
were  created  by  God.  They  existed  from  all  eternity  in  the  Divine  Intellect;  and  then 
became  perceptible  (i.  e.,  were  created)  in  the  same  mannei-  and  order  as  is  described  in 
Genesis«  (Fräser  D  S.  72).  Man  vgl.  insbesondere  die  Schlußerörterung  im  dritten  Dialog 
zwischen  Hylas  und  Philonous. 

(34)  S.  38:  Man  vgl.  die  zusammenfassenden  Nachweise  von  Gl.  Baeumker,  Der 
Piatonismus  im  Mittelalter,  München  1916. 

(35)  S.  39:  J.  Freudenthal,  Beiträge  zur  Geschichte  der  englischen  Philosophie  im 
Archiv  f.  Gesch.  d.  Philos.  VI  1893,  S.  rgof.,  38of. 

(36)  S.  39:  Die  Schrift  von  Ferris  Greenslat:  J.  Glanvill,  A  Study  in  English  Thought 
and  Letters  of  the  seventeenth  Century,  New  York  1900,  ist  mir  leider  nicht  zugänglich 
gewesen. 

(37)  S.  39:  Aus  den  Mitteilungen  bei  Fräser  A  IV  44  über  das  »hardly  remembered- 
Werk  von  Richard  Burthogge,  An  Essay  upon  Reason  and  the  Nature  of  Spirits,  London  1694, 
ergibt  sich  nur  eine  Art  Phänomenalismus. 

(38)  S.  40:  Locke,  John,  Works  in  ten  Volumes"  X,  1812,  S.  247f.,  283^ 

(39)  Ss40:  Vgl.  Fräser  A  IV,  S.  62 f  und  S.  239;  Percival  Letters,  a.  a.  O.  S.  239; 
Fräser  D,  S.  loaf. ;  sodann  die  Bemerkungen  von  Thomas  Reid  in  seinen  Essays  on  the 
Intellectual  Powers  of  Man  II.  eh.  X  sowie  Hamiltons  Anmerkung  in  dessen  Ausgabe  von 
Reid's  Works,  Edinburgh  1863,  S.  287. 

(40)  S.  40:  Emmy  Alard,  Die  Angriffe  gegen  Descartes  und  Malebranche  im  Journal 
de  Trevoux  (Abhandlungen  zur  Philosophie  und  ihrer  Geschichte,  hrsg.  von  B.  Erdmann, 
Nr.  XLIII,   1914,  S.  44f.). 

(41)  S.  42 ;  s.  Fräser  D  S.  73  f.  aus  den  Percival  Lettei-s. 

(42)  S.  42:  So  auch  in  den  späteren  Briefen  von  Johnson  bei  Fr.  A  IV  S.  177,  179. 

(43)  S.  42:  Fr.  B  III  S.  410.  Die  Tagebuchbemerkungen  (653)  und  (658)  stehen  isoliert; 
man  vgl.  zu  ihnen  Lockes  Essay  III  7.  §  4. 

(44)  S.  42:  Im  Tagebuch  (723  f.)  Man  vgl.  die  Bemerkungen  über  Algebra  am  Schluß 
diesei'  Abhandlung  und  Berkeley,  Treatise  §  19  f.,  Alciphron  VII  §  5. 

(45)  S.  42  :    Fr.  A  III  S.  62. 

(46)  S.  44:  Man  vgl.  Cl.  Baeumker,  Zur  Vorgeschichte  zweier  Lockescher  Begriffe  11 
im  Arch.  f.  Gesch.  d.  Philos.  XXI,  1908  und  den  Nachtrag,  a.  a.  O.  XXII,  1909,  sowie  B.s 
Abhandlung:  tlber  die  Loekesohe  Lehre  von  den  primären  und  sekundären  Qualitäten, 
Fulda  1908.  Das  Ergebnis  dieser  sorgsamen  Quellenuntersuchungen  wird  besonders  deutlich, 
wenn  die  Geschichte  der  Termini  ^  on  der  Entwicklung  der  durch  sie  bezeichneten  Lehr- 
meinungen geschieden  wird. 


Berkeleys  Philosophie  i?n  Lichte  seines  wisse iischaf dich en  Tagebuchs.       119 

(47) 's.  52:  Fr.  AIV  S.  176. 

(48)  S.  52:  Fr.  D  S.  70.    Der  Schluß  der  Bemerkung  ist  auf  S.  34  zitiert. 

(49)  S.  53 :  Über  Francesco  Pico  della  Mirandola  und  Fracastoro  vgl.  E.  Cassirer,  Das 
Erkenntnisproblem  in  der  Philosophie  und  Wissenschaft  der  neueren  Zeit  Bd.  I,  S.  145  f.,  209  f. 

(50)  S.  53 :  In  der  Eingangserörterung  von  De  corpore  (Computation  or  Logic  eh.  2,  §  9) 
erklärt  Hobbes  in  der  Sprache  seines  extremen  Nominalismus:  »some  names  are  common 
to  many  things,  as  a  man,  a  tree  . . .  And  a  common  name,  being  the  name  of  many  things 
severally  taken,  but  not  coUectively  of  all  together  (as  man  is  not  the  name  of  all  mankind, 
but  of  every  one,  as  of  Peter,  John,  and  the  rest  severally)  is  therefore  called  an  universal 
name ;  and  therefore  this  word  universal  is  never  the  name  of  any  thing  existent  in  nature, 
nor  of  any  idea  or  pbantasm  formed  in  the  mind,  but  always  the  name  of  some  word  or 
name ;  so  that  .  . .'  these  words,  living  creature,  stone,  &c.  are  universal  names,  that  is,  names 
common  to  many  things;  and  the  conceptions  answering  them  in  our  mind,  are  the  Images 
and  phantasms  of  several  living  creatures,  or  other  things.  And  therefore,  for  the  under- 
standing  of  the  extent  of  an  universal  name,  we  need  no  other  faculty  but  that  of  our  imagination, 
by  which  we  remember  that  such  names  bring  sometimes  one  thing,  sometimes  another, 
into  our  mind.«  Ähnlich  im  Leviathan  §  46  (Hobbes,  English  Works  ed.  Molesworth, 
London  1839,  lU.  S.  672  und  The  Elements  of  Law  .  .  .  ed.  F.  Tönnies,  London  1889,  P.  I, 
eh.  5,  S.  20  f.)   Man  vgl.  die  späteren  Textbemerkungen  über  Hobbes  aus  dem  Tagebuch. 

(51)  S.  61:  Die  in  den  Anmerkungen  52 — 63  stehenden  Belege  DI  gehen  auf  den 
Abdruck  der  Dialoge  bei  Fr.  A,  die  Zitate  Tr.  und  t)e  motu  auf  die  Paragraphen  des 
Treatise  und  der  Abhandlung  De  motu;  Tr.'  und  D3  bezeichnen  den  Text  beider  Schriften 
in  den  Ausgaben  letzter  Hand  nach  Fräser  A  I. 

(52)  S.  61:  1)  incorporeal  (Tr.  141);  unextended,  indivisible  (D  I  326);  uncompounded, 
simple  (Tr.  141);  real  things  (Tr.  139,89);  active  being  (Tr.  27);  subsisting  by  itself  (Tr.  137); 
.Spiritual  substances  (Tr.  139);  substance  or  support  wherein  .  .  .  ideas  can  exist  (Tr.  135); 
Spiritual  substance  er  support  of  ideas  (D'  I  329);  perceiving,  active  being  (Tr.  2);  thinking 
substance  (Tr.  33);  active  thinking  substance  (Tr.  136)  usw. 

(53)  S.  62:  2)  active  principle  of  motioii  and  change  of  ideas  (Tr.  27);  cause  of  ideas 
(Tr.  26) ;  This  making  and  unmaking  of  ideas  . .  .  at  pleasure  . .  .  doth  very-  properly  denominate 
the  mind  active  (Tr.  28);  in  anima  sentimus  esse  facultatem  tarn  statum  suum  quam  aliarum 
rerum  mutandi  (De  motu  33,  vgl.  25,  30);  power  or  active  being  (Tr.  27);  power  of  willing, 
thinking.  and  perceiving  ideas  (Tr.  138);  individual  principle  (D'  I  329);  the  Creator  who 
first  gave  it  being  (Tr.  141);  finite  cr-eated  mind  (D  I  331);  uncorruptible,  indissoluble  by 
tlie  force  of  nature,  naturally  immortal  (Tr.  141). 

(54)  S.  62:  3)  God  is  a  Being  of  transcendent  and  unlimited  perfections:  His  Nature, 
therefore,  is  incomprehensible  to  finite  spirits  ...  the  ectypal  or  naturjil  State  of  things  .  .  . 
was  created  in  time;  the  archetypal  and  etemal  .  .  •  existed  from  everlasting  in  the  mind  of 
(Jod  (D  I  351;  vgl.  348);  God,  whom  no  extemal  being  can  affect,  who  perceives  nothing 
by  sense  as  we  do  . . .,  it  is  evident,  such  a  Being  as  this  can  suffer  nothing  (D  I  336) ; 
Time  therefore  being  nothing,  abstracted  from  the  succession  of  ideas  in  our  minds,  it  follows 
that  the  duration  of  any  finite  spirit  must  be  estimated  by  the  number  of  ideas  or  actions 
succeeding  each  other  in  that  same  spirit  or  mind  ...:  and  in  truth  whoever  shall  go  about 


120  Erdmann: 

to  divide  in  his  thoughts,  or  abstract   the   existence   of  a  spirit  from   its   cogitation,    will,  1 
believe,  find  it  no  easy  task  (Tr.  98). 

(55)  S.  62:  Such  is  the  nature  of  spirit,  or  that  which  acts,  that  it  cannot  be  of  itself 
perceived,  but  only  by  the  eifects  which  it  produceth  (Tr.  27);  From  the  effects  I  see  pro- 
duced  I  conclude  there  are  actions  (D  I  335);  an  idea  can  be  like  nothing  but  an  idea 
(Tr.  8  u.  o.) ;  all  ideas  whatever,  being  passive  and  inert,  they  cannot  represent  unto  us,  by 
way  of  Image  or  likeness,  that  which  acts  (Tr.  27);  that  this  substance  which  Supports  or 
pereeives  ideas  should  itself  be  an  idea  or  like  an  idea  is  evidently  absurd  (Tr.  135);  I  my- 
self  am  not  my  ideas,  but  somewhat  eise,  a  tiiinking,  active  principle  that  pereeives,  knows, 
wills,  and  operates  about  ideas  (Dial."  329);  Spirits  and  ideas  are  things  so  wholly  different, 
that  when  we  say  'they  exist',  'they  are  known',  or  the  like,  these  words  must  not  be  thought 
to  signify  anything  common  to  both  natures  (Tr.  142);  a  necessary  relation  to  the  mind  is 
understoüd  to  be  implied  by  the  term  idea  (D  I  331);  Quantum  intersit  inter  res  cogitantes 
et  extensas,  primus  omnium  deprehendens  Anaxagoras.  . . .  asserebat  ...  Ex  neotericis  idem 
optime  animadvertit  Cartesius  (De  motu  30). 

(56)  S.  62:  A  Spirit  ...  as  it  perceises  ideas  it  is  called  the  under-standing,  and 
as  it  produces  or  otherwise  operates  about  them  it  is  called  the  will  (Tr.  27);  will  and 
understanding  constitute  in  the  strictest  sense  a  mind  or  spirit  (D  I  335);  let  any  man  ... 
but  reflect  and  try  if  he  can  frame  the  idea  of  any  power  or  active  being;  and  whether 
he  has  ideas  of  two  principal  powers,  marked  by  the  names  will  and  understanding, 
distinct  from  each  other  as  well  as  from  a  third  idea  of  Substance  or  Being  in  general,  with 
a  relative  notion  of  its  supporting  or  being  the  subject  of  the  aforesaid  powers  (Tr.  27); 
Men  have  imagined  they  could  frame  abstract  notions  of  the  powers  and  acts  of  the  mind, 
and  consider  them  prescinded  as  well  from  the  mind  or  spirit  itself,  as  from  their  respective 
objects  and  effects  (Tr.  143);  Hence,  as  it  is  impossible  for  me  to  see  or  to  feel  anything 
without  an  actual  Sensation  of  that  thing,  so  is  it  impossible  for  me  to  conceive  in  my 
thoughts  any  sensible  thing  or  object  distinct  from  the  Sensation  or  perception  of  it  (Tr.  5); 
For,  by  the  word  spirit  we  mean  only  that  which  thinks,  wills,  and  pereeives;  this,  and 
this  alone,  constitutes  the  signification  of  that  term  (Tr.  138). 

(57)  S.  63 :  The  terms  soul,  spirit,  and  substance  .  .  .  mean  or  signify  a  real  thing  . . ., 
which  pereeives  ideas,  and  wills,  and  reasons  about  them  (Tr.  139);  we  understand 
the  meäning  of  the  word  spirit,  otherwise  we  could  not  affirm  or  deny  anything  of  it 
(Tr.  140);  I  know  what  I  mean  by  the  terms  1  and  myself  .  .  .,  though  I  do  not  perceive 
it  as  I  perceive  a  triangle,  a  colour,  or  a  sound  (D  I  326);  with  regard  to  spirits,  perhaps, 
human  knowledge  is  not  so  deficient  as  is  vulgarly  imagined  (Tr.  135). 

(58)  S.  63 :  In  a  large  sense,  indeed,  we  may  be  said  to  have  an  idea  of  spirit 
(Tr.  140;  vgl.  D  I  326);  We  may  be  said  to  have  some  knowledge  or  notion  of  ourown  minds, 
of  spirits  and  active  beings,  whereof  in  a  strict  sense  we  have  not  ideas  (Tr.'  89;  vgl.  142). 

(59)  S.  63 :  I  know  what  I  mean  by  the  terms  I  and  myself;  and  I  know  this  im- 
mediately  or  intuitively  .  .  .  My  own  mind  and  my  own  ideas  I  have  an  immediate  know- 
ledge of  (D  I  326);  rem  vero  sentientem,  percipientem,  intelligentem,  conscientia  quadam 
interna  cognovimus  (De  motu  21);  I  know  or  am  conscious  of  my  own  being  (Dial.'  I 
328 f.);  We  comprehend  our  own  existence  by  inward  feeling  or  reflection;  ...  spirits  ... 
are    ...   in  their  respective  kind    the  object   of  human  knowledge  (Tr.»  8g;  vgl.  D=  328);  I 


Berkfilfjji^  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftliehen  Tayehichs.       121 

can  excite  ideas  in  my  mind  at  pleasure  ...  It  is  no  more  than  willing,  and  straightway 
this  or  that  idea  arises  in  my  fancy;  and  by  the  same  power  it  is  obliterated  and  makes 
way  for  another.  This  making  and  unmaking  of  ideas  doth  very  properlv  deiiominate  the 
inind  active.     Thus  much  is  certain  and  grounded  on  experience  (Tr.  28). 

(60)  S.  64:  But,  whatever  power  1  may.  have  over  my  own  thought-s,  I  find  the 
ideas  actually  perceived  by  Sense  have  not  a  like  dependence  on  my  will  (Tr.  29;  vgl. 
D  1  330);  ITie  ideas  actually  perceived  by  Sense  . . .  are  not  creatures  of  my  will  (Tr.  29), 
not  of  our  own  framing  (Tr.  :i:i),  are  not  generated  from  within  by  the  mind  itself  (Tr.  90). 

(61)  S.  64:  We  know  other  spirits  by  nieans  of  our  own  soul  (Tr.  140);  it  is  piain 
that  we  cannot  know  the  existence  of  other  spirits  otherwise  than  by  their  Operations,  or 
the  ideas  by  them  excited  in  us  ...  Hence,  the  knowledge  I  have  of  other  spirits  is  not 
immediate,  as  is  the  knowledge  of  my  ideas:  but  depending  on  the  intervention  of  ideas, 
by  me  referred  to  agents  or  spirits  distinct  from  myself,  as  eflFects  or  concomitant  signs 
(Tr.  145):  From  the  effects  I  see  produced  I  conclude  there  are  actions;  and,  because 
actious,  volitions:  and,  because  there  are  volitions,  there  must  be  a  will  (D  I  335):  it  is 
granted  we  have  neither  an  immediate  evidence  nor  a  demonstrative  knowledge  of  the 
existence  of  other  tinite  spirits:  .  .  .  there  is  [only]  a  probability  ...  by  probable  de- 
ductiim    (D'  I  328). 

(62)  S.  64:  It  is  piain  we  do  not  see  a  man — if  by  man  is  meant  that  which  lives, 
moves,  perceives,  and  thinks  as  we  do — but  only  such  a  cei-tain  coUection  of  ideas  .  .  .  the 
colour,  size,  figure,  and  niotions  of  a  man  . .  .  as  directs  us  to  think  there  is  a  distinct 
principle  of  tbought  and  motion,  like  to  ourselves,  accompanying  and  represented  by  it 
(Tr.  148);  we  conceive  the  ideas  that  are  in  the  minds  of  other  spirits  bv  nieans  of  our 
own;  .  .  .  soul  which  in  that  sense  is  the  Image  or  idea  of  them:  it  having  a  like  respect  to 
other  .spirits  that  blueness  or  heat  by  me  jiei-ceived  has  to  those  ideas  perceived  bv  another 
(Tr.  140:  vgl.  D  l  326).  Die  objektive  Wendung  dieser  Gedanken,  auf  die  sich  Berkeley 
ursprünglich  in  den  Dialogen  durch  das  -old  known  axiom,  Nothing  can  give  to  another 
that  which  it  hath  not  itself«  (D  I  331)  berufen  hatte,  entspricht  nicht  seiner  Kausalauf- 
fassung: man  vgl.  dazu  im  Tagebuch  Nr.  771.  --  Über  das  Reich  der  Geister  vgl.  AIciphron  IV' 
s.  23  bei  Fr.  All  S.  170. 

(63)  S.  65:  by  reilection  and  reasoning  (D  I  326);  as  certainly  and  immediately  as  aiiy 
other  mind  or  spirit  . .  .,  far  more  evidently  ...  than  the  existence  of  men:  because  the 
effects  of  nature  ai-e  infinitely  more  numerous  and  considerable  than  those  ascribed  to  human 
agents  ...  more  strongly  evincing  the  being  of  ...  the  Author  of  Nature  (Tr.  147);  the 
Language  of  its  Author  (Tr.'  66,  108:  vgl.  im  Text  S.  80);  nothing  can  be  more  evident  to 
any  one  . . .  than  the  existence  of  God,  or  a  Spirit  who  is  intimately  present  to  our  minds. 
producing  in  them  all  that  variety  of  ideas  or  sensatinns  which  continually  affect  us,  on 
whom  we  have  an  absolute  and  entire  dependence  (Tr.  149,  154):  I  do,  bv  an  act  of 
reason,  necessarily  infer  the  existence  of  a  God,  and  of  all  created  things  in  the  mind  of 
God  (DI  327);  That  God  knows  or  undei-stands  all  things  ....  I  make  no  question.  ... 
God  knows  or  hath  ideas:  but  His  ideas  are  not  conveyed  to  Him  by  sense  (Dl 
336  f.);  all  those  bodies  which  compose  the  mighty  frame  of  the  world  ...  consequently 
so  long  as  they  are  not  actually  perceived  by  me,  or  do  not  exist  in  my  mind  or  that  of 
any  other  created  spirit,  must  .  .  .  subsist  in  the  mind  of  some  Eternal  Spirit  (Tr.  6  u.  o.) ;  Is 
there  no   difference  between   saying,  There   is   a   God,    therefore   He    perceives   all   things; 

Phil.-hitt.  Abh.   1919.  Nr.fi.  1« 


122      Erdmann:  Berkeleys  Phihsophie  im  Lichte  seines  wissenschaßl.  Tugebticfts. 

and  saying,  Sensible  things  do  really  exist;  and,  if  they  really  exist,  they  are  necessarily 
perceived  by  an  infinite  mind:  therefore  ttiere  is  an  infinite  mind,  or  Godi'  (DI  304);  For, 
all  the  notion  I  have  of  God  is  obtained  by  reflecting  on  my  own  soul,  heightening  its 
powers,  and  removing  its  imperfections  (D  I  326). 

(64)  S.  94:  Man  vgl.  Fr.  A  I  S.  116,  IV  S.  42;  Fr.  B  I  212;  Fr.  D  S.  70  f.;  Berkeley 
(B  n  S.  18)  in  dem  leider  unvollständig  veröffentlichten  Brief  vom  25.  VI.  1729  sowie  B  I 
S.  2i3f. 

(65)  S.  96:  Zitiert  bei  Fr.  A.  IV  179. 

(66)  S.  99:  Vgl.  in  den  Dialogen  Fr.  A.  1  S.  308. 


Berlin,  gedruckt  in  der  R^ichadnickerei . 


ABHANDLUNGEN 

DER  PREUSSISCHEN 

AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

JAHRGANG   1919 
I'HILOSOPHISCH-HISTORISCHE  KLASSE 


Nr,  9 
DIK  GEMEINDE  DES  NEUEN  BUNDES  IM  LANDE  DAMASKUS 

KINE  JtTDISCHE  SCHRIFT  AUS  DER  SELEUKIDENZEIT 

VON 

EDUARD  MEYER 


BKHLhN    1919 

VKRLAO  DKK  AKADEMIK  DKR  WISSENSCHAFTKN 

IN  KOMMiSüION  BEI  ÜEK 
VP.HEINIGDNK  WISSENS»  IIAFTLICHKK  VERLE(iER  WALTER  IH:  (Mtl  VIKH  l.  ( D. 

VOBMAL«  i;   1  i;f>«l  HKS  KCl»;  VCTL  AOSllANDI.rNr.,     3.  Bfm^NTAO.  VKKLACISBll  IIHANDLISI, 
lilURU  KKLMKR.     KARI    .1    IBOBSKK      VKITT    (IIMK 


Vorgcleijt   in  der  Sitzung  der  pliil.-liist.  Klasse  am  24.  .Iidi  191!(. 
/.iirii   Diiick  eiiigereieht  ;mi   gleichen  'I';i,u;<',  :ui.sgegcbc'n  am  27.  September  1919. 


I)i(!  bisherigen  Auffassungen  der  Schrift. 

J  Jie  Rumi)elkainmer  (Geniza)  der  Synagoge  von  Altkairo,  der  wir  den  hebrä- 
ischen Text  des  Jesus  Sirach  verdanken,  hat  uns  noch  eine  zweite  Schrift  aus 
wenig  späterer  Zeit  beschert,  die  im  Jahre  1910  gleichfalls  von  S.  Sciieohtku, 
ihrem  Entdecker,  herausgegeben  woi'den  ist,  unter  deJn  Titel:  Documents 
of  Jewish  Sectaries,  Vol.  I:  Fragments  of  a  Zadokite  Work.  Sie  hat  zu- 
nächst bedeutendes  Aufsehn  erregte  und  mehrfach  hat  man  sich  nicht  ohne 
Erfolg  bemüht,  das  Verständnis  weiter  zu  fördern  und  den  vielfacli  korrupt 
oder  lückenhaft  Oberlieferten  Text  zu  emendieren.  Aber  zum  Abschluß  ist 
die  Arbeit  und  vor  allem  das  geschichtliche  Verständnis  noch  in  keiner 
Weise  gelangt:  vielmehr  ist  das  Interesse  bald  abgeflaut,  und  gegenwärtig 
liegt  die  Schrift  ziemlich  unbeachtet  da.  Und  doch  handelt  es  sich  um 
eine  außerordentlich  wichtige  Bereicherung  vmserer  Kenntnis.  Die  Schrift 
steht,  wie  Schechtek  sofort  erkannt  hat,  in  engster  Beziehung  zu  einer 
Reihe  alttestamentlicher  Ajjokryphen,  den  ältesten  Bestandteilen  des  He- 
noch,  dem  Jubiläenbuch  und  den  Testamenten  der  zwölf  Patriarchen :  und 
sie  ermöglicht,  Avie  wir  sehn  Averden,  diese  ganze  Gruppe  von  Schriften 
genau  zu  datieren  und  dadurch  zugleich  einen  lebendigen  Einblick  zu  ge- 
winnen in  die  wichtigste,  ja  entscheidende  l'^poche  der  Weiterentwicklung 
des  Judentums,  die  Zeit  des  großen  Religionskampfes  unter  der  Herrschaft 
der  Seleukiden.  ihre  Bedeutung  ist  um  so  größer,  da  die  Anschauungen, 
auf  denen  sie  beruhen,  sich  rein  auf  dem  Boden  des  Judentums  entwickelt 
haben  und  vom  IIelleni.smus  gänzlich  unl)eeinflußt  sind;  dadui'ch  geben 
sie  einen  festen  Anlialt  für  Ursprung  und  Ausbildung  der  Anschauungen, 
die  uns  alsdann  vollentwickelt  in  der  Zeit  der  Entstehung  des  Christen- 
tums entgegentreten. 

Wie  der  Titel  seiner  Veröffentlichung  zeigt,  hält  S<  HEcinER  die  Schrift 
für  das   Werk   einer  jüdischen   Sekte,  die  er  mit   den   bei   den  Kariiern  er- 

1" 


4  E.   M  E  Y  i:  K  : 

wälinlen  Zadokiten  identifiziert  und  deren  Spuren  er  dann  auch  bei  den 
Dositheanern  und  den  Falaschas  sucht.  Er  findet  in  ihr  eine  erbitterte 
Polemik  gegen  die  Pharisäer.  Diese  Auffassung  ist  von  vielen  seiner  Nach- 
folger übernommen  worden,  nur  daß  z.  B.  R.  Leszynsky'  direkt  die  Sad- 
dukäer  an  ihre  Stelle  setzt.  Andere,  wie  Makgoliouth,  haben  gar  die  Ge- 
meinde für  eine  saddukäisch-christliche  erklärt,  deren  Propheten  Johannes 
der  l'äufer  und  Jesus  seien,  während  Paulus  als  der  Irrlehrer  mit  Leiden- 
schaft bekämpft  werde.  Alle  diese  Phantasien  haben  in  Wirklichkeit  in 
der  Schrift  selbst  garkeinen  Anhalt  und  beruhen  lediglieh  auf  falscher 
Interpretation  einzelner  Stellen  oder  ganz  unwesentlichen  Berührungen  in 
einzelnen  Lehren.  Das  hat  in  der  Hauptsache  schon  G.  F.  Moore"  in 
einem  gut  orientierenden  Aufsatz  nachgewiesen,  wenn  er  auch  im  übrigen 
von  ScHECHTERS  Auffassuugen  noch  viel  zu  viel  festhält  und  wie  dieser  die 
Schrift  für  soktarisch  hält.  Auch  R.  H.  Charles,  der  die  Schrift  in  seine 
große  Bearbeitung  der  alttestamentlichen  Apokryphen  aufgenommen  hat', 
folgt  in  allem  wesentlichen  Schechter,  hat  aber  durch  eine  Reihe  von  ^'er- 
besserungen  und  durch  Hervorhebung  des  strophischen  Baus  des  ersten 
Teils,  der  Malinrede,  das  Verständnis  wesentlich  gefördert.  In  noch  be- 
trächtlich höherem  Maße  hat  das  Gressmann  getan*,  nicht  wenige  Sätze 
als  (dossen  erkannt  und  mit  Recht  betont,  daß  Schechter  und  seine  Nach- 
folger die  zahlreichen  aus  der  Bil)el  entnommenen  Wendungen  und  An- 
schauungen, obwohl  jener  überall  die  Parallelen  richtig  anföhrt,  vielfach  falsch 
interpretiert  und  sich  dadurch  das  Verständnis  der  Schrift  verschlossen  haben; 
dadurch  sind  sie  zu  der  gänzlich  unhaltbaren  An.sieht  gekommen,  daß  die 
Schrift  gegen  die  Pharisäer  ])olemisiere,  Mährend  sie  in  Wirklichkeit  durch- 
aus wie  diese  auf  dem  Boden  der  strengen  Gesetzlichkeit  steht  und  das 
Gesetz  durch  gräbelnde,  oft  genug  äußerst  gewaltsame  Interpretation  weiter- 
bildet, genau  wie  diese.  Ebenso  nimmt  sie  die  populären  Vorstellungen, 
speziell  die  Engellchre  und  die  Prädestination  auf,  zeigt  auch  bereits  die 
Ansätze  zu  dem  Glauben  an  ein  bcAvußtes,  dauerndes  Fortleben  nach  dem 
Tode.    Die  Abweichungen  im  einzelnen,  die  meist  aus  einer  strengeren  ethi- 


'  Di(:  Siiilduzäer,  1912. 

2  The  Coveiiiuiters  ol'  Daiiiasciis,    »   liitlicrto  iiiikno«  n  .Icwisli  Sect.     Harvai-d  Theol. 

H<'\  icw  IV,  191 1. 

■  'I'lie   Aj)Ofiyj)lia   ,niil    I'suudepigraplia   oi'  tlie   ül<l    Tost.    \()1.  II,  1913,  p.  785  fV. 

'  In   sim'iici-   Bospi-ccliuii!;   des   Sc  mkc  in  Kiisciicii    Wii-ks     ZI).M(i.  6(1.   1912.41)10". 


Dir  (initri/nfr  di's  inticii  Bundi's  int  Laiulc  JJcuna.skuK  .') 

sehen  Auffassung  hervorgegangen  sind,  wie  in  der  Forderung  der  Monogamie, 
sind  nicht  größer,  als  sie  auch  sonst  zwischen  den  einzelnen  Schiden  des 
orthodoxen  Judentums  bestehen:  und  wenn  zweimal  der  Name  Sadoq  vor- 
kommt (4,  I  ff.  5,  5),  so  hat  das  mit  den  Saddukäern  oder  gar  mit  einem  spä- 
teren Sektenstil'ter  dieses  Namens  nichts  zu  tun,  sondern  Sadoq  ist,  wie  wir 
sehn  werden,  der  bekannte  Ahnherr  der  Priestergeschlechter  aus  der  Zeit 
Davids,  ganz  wie  bei  Ezeehiel  oder  in  der  Chronik.  Aber  Gressmann  ist  da- 
durch in  die  Irre  gegangen,  daß  er  die  Beziehung  auf  reale,  historische  Vor- 
gänge der  Gegenwart  leugnet  und  die  Schrift  eschatologisch,  als  Apokalypse, 
auffassen  will.  Dazu  bietet  der  Text  garkeineii  Anhalt,  vielmehr  sprechen 
die  ständig  gebrauchten  Perfekta,  die  Gressmann  futurisch  auffassen  will', 
durchaus  dagegen.  Kschatologische  Vorstellungen  kommen  natürlich  vor, 
wie  in  jeder  Schrift  des  späteren  Judentums;  aber  sie  nehmen  nicht  ein- 
mal  einen  grüßen  Raum  ein,  weitaus  das  meiste  bezieht  sich  auf  die  realen 
Aufgaben  der  (Gegenwart  und  auf  die  jüngste  Vergangenheit,  aus  der  sie 
erwachsen  sind. 

So  fordert  und  lohnt  die  Schrift  durchaus  eine  neue  Untersuciiung, 
die  den  Versuch  macht,  diese  geschichtlichen  Verhältnisse,  in  denen  sie 
entstanden  ist,  und  die  Anschauungen,  die  sie  und  die  verwandten  Apo- 
kryphen beherrschen,  genauer  zu  erfassen  und  in  den  Zusammenhang 
der  Kntwicklung  einzureihen.  Da  die  Schrift  in  Deutscidand  wenig  zu- 
gänglich ist  und  eine  deutsciie  Übersetzung  noeli  fehlt,  habe  icli  den  gan- 
zen Text  in  die  folgende  Untersuchung  aufgenommen;  das  bietet  zugleich 
die  Möglichkeit,  im  Zusammenhang  damit  die  schwierigeren  Stellen  ge- 
nauer zu  analysieren  und  zu  erläutern".  Zugleich  sage  ich  Hrn.  H.  (iRESs- 
MANN  mein.en  wärmsten  Dank  für  die  Bereitwilligkeit,  mit  der  er  mir  das 
zum  Teil  .schwer  zugängliche  Material  zur  Verfügung  gestellt  und  mir  bei 
iler  Interpretation  zahlreicher  Stellen  durcl»  Mitteilung  seiner  Auflassung 
und  nicht  weniger  evidenter  Deutungen  geholfen  hat. 

'  -Die  als  S'iTgaiigeiilieit  g(!scliil(lei-tc  /.eil  ist  iiifist  als  dii'  Zukuiiftscliaii  des  Visin- 
närs  f^edafht." 

'    Die  voll  ScBKcuTEK  gegebene  Kapileleiiiteilmig  verwende   iili   nicht,  da  sie  mein  lacii^ 
wenig  saeligemäß  ist.  sondern  zitiere  nach  Sätzen   und  Zeilen,  p.  i — 16  sind  Text  A.  p.  19, 
20  Text  15;  p.  17   itnd  18  existien'n   iiieht. 


6  E.   Mkykr: 

Die  Hnixlsclirifteii. 

Der  Text  bezieht  sich  auf  die  »Gemeinde  des  neuen  Bundes  im  Lande 
Damaskus«.  Erhalten  ist  er  in  zwei  Handscliriften.  Die  eine,  A,  nach 
ScHECHTKR  etwa  aus  dem  lo.  Jahrhundert,  umfaßt  8  Blätter  (16  Seiten) 
und  zerfiillt  in  zwei  scharf  geschiedene  Teile.  Der  zweite,  p.  9 — 16,  ent- 
halt die  Gesetze  der  Gemeinde.  P^r  beginnt,  ohne  Überschrift,  aber  ein- 
genickt, mit  dem  ersten  Gesetz:  »Jeder  Mensch,  der  usw.«;  so  ist  es  mög- 
licii,  wenn  auch  wenig  wahrscheinlich,  daß  ein  oder  mehrere  Blätter  vor- 
her verloren  sind.  Die  beiden  Schlußblätter  sind  in  den  unteren  Hälften 
der  Seiten  stark  verstümmelt  und  zum  Teil  ganz  zerstört;  es  läßt  sich 
daher  nicht  erkennen,   ob  noch   weitere  Blätter  gefolgt  sind. 

Die  ersten  vier  Blätter,  p.  i  —  8,  die  man  in  der  Regel  als  den  ge- 
schichtlichen i'eil  bezeichnet,  enthalten  eine  prophetische  Mahnrede  an  die 
(Gemeinde.  Auch  sie  beginnt  ohne  Überschrift  unter  Verwendung  bibli- 
scher Zitate  mit  der  Ankündigung  des  bevorstehenden  Gottesgerichts:  »Und 
nun  hört,  alle  die  ihr  (Gerechtigkeit  kennt,  tuid  achtet  auf  die  Taten 
Gottes.«  Das  ist  ein  durchaus  korrekter  Eingang  einer  Strafpredigt,  und 
es  ist  sehr  unwahrscheinlich,  daß  vorher  etwas  verloren  ist;  vielmehr  ist 
der  Text  auch  äußerlich  durcli  starkes  Einrücken  der  ersten  Zeile  als  An- 
fang bezeiclniet.  Eine  Überschrift,  die  etwa  lauten  könnte:  »es  geschah 
(las  Wort  Gottes  an  die  Gemeintle  des  neuen  Bundes  in  Damaskus  fol- 
gendermaßen« ist  überflüssig,  weil  sich  das  aus  dem  Inhalt  von  selbst 
ergibt:  die  Nennung  eines  Verfassernamens  ist  ausgeschlossen,  die  Pro- 
l)hetenrede  ist  in  dieser  Zeit  notwendig  entweder  pseudepigraph  oder 
anonym.  Der  abgerissene  Anfang  mit  »und  jetzt«  ist  nicht  .anstößiger 
als  der  gleichartige  Eingang  bei  so  manchen  Büchern  des  Alten  Testa- 
ments, z.  B.  Esther,  Ruth,  dem  ersten  Makkabäerbuch,  auch  beim  griechi- 
schen Henueli  oder  aber  bei  manchen  der  kleineren  Schriften  Xenophons 
und  bei  seinen  Hellenika. 

Der  Schluß  dieser  3Iahnrede,  von  p.  7.  5  an,  liegt  noch  in  einer  zwei- 
ten Handsehrift  (B)  etwa  aus  dem  i  2.  Jahrhundert  vor.  die  nur  aus  einem 
.einzigen  Blatt  besteht  (p.  19.  :o  bei  Schechter),  mit  zahlreichen  ziemlich 
bedeutenden  Varianten  und  mit  einer  großen  Erweitenmg  des  Textes  am 
Scliluß  (19.  34  —  20.  ;;4).  Es  liegt  aber,  wie  Gressm.\nn  mit  Recht  hervor- 
hebt,   garkein   Grund    zu    der    Annahme    vor.    daß    diese   Fortsetzung    in  A 


Die  (ifmcindt'  drs  luiien  Buiuh'K  im  Lande  Damaskus  7 

durch  Verlust  eines  oder  mehrerer  Blätter  ausgefallen  sei:  vielmehr  gibt  B 
eine  erweiternde  Rezension  des  in  A  vorliegenden  Textes.  Daher  ist  auch 
die  Annahme  unbegründet,  daß  B  am  Schluß  unvollständig  sei;  vielmehr 
bilden  die  letzten  Sätze  von  B  einen  völlig  sinngemäßen  Abschluß,  und 
es  ist  das  letzte  Blatt  der  Handschrift,  das  uns  erhalten  ist.  In  A  da- 
gegen hat  der  Schreiber  auf  den  Schluß  der  älteren  Version  der  3Iahn- 
rede  auf  den  nächsten  Blättern  9—16  das  Gesetzbuch  folgen  lassen:  eine 
weitere  Verbindung  zwischen   beiden  Texten   war  nicht  erforderlich. 

Daß  der  Text  noch  so  spät  zweimal  allgeschrieben  ist,  spricht  von 
vornherein  gegen  die  Annahme  eines  scktarischen  Ursprungs.  Etwas  an- 
deres wäre  es,  wenn  es  eine  karäische  Schrift  wäre.  Aber  daß  ein  nicht 
als  orthodox  anerkpnnter  Text  aus  vorchristlicher  Zeit  sich  noch  ein  Jahr- 
tau-send  lang  erhalten  haben  und  im  Besitz  der  jüdischen  (Gemeinde  von 
Kairo  bewalirt  sein  sollte,   ist   so  unwahrscheinlich   wie   möglich. 

Beide  Handschriften  enthalten  eine  große  Zahl  von  Flüchtigkeiten  und 
Schreibfehlern,  die  mehrfacli  vom  Schreiber  selbst  durch  Streichung  eines 
Wortes  berichtigt  sind.  Im  allgemeinen  ist  B  sorgfältiger  geschrieben  als 
A.  Beide  setzen  gelegentlich  V'okalzeichen :  beide  trennen  die  Sätze  durch 
kleine  Zwischenräume',  B  außerdem  größi^re  Sätze  oder  Satzgru])pen  durch 
Interpunktion  (Paseq,  Doppelpunkt).  Kin  Hilfsmittel  der  Kontrolle  iiieten 
die  zahlreichen,  freilich  oft  nicht  ganz  wörtlichen  Zitate  aus  dem  Alten 
Testament;  in  vielen  Fällen  haben  evidente  Kmendationen  geholfen.  Doch 
bleibt  natürlich  niclit  weniges  imsicher.  und  der  Versuch,  den  überlieferten 
Wortlaut  zu  deuten,  mag  ebensooft  in  die  Irre  führen  wie  in  andern  F;ill(>ii 
eine  blendende,  aber  doch  nicht  zutrcllende  Konjektur. 

Die   benutzten   Schriften. 

Die  Texte  sind  in  korrektem  und  fließendem  Hebräisch  ü:eschrieben, 
ganz  anders  als  z.  B.  die  Mischna;  und  es  ist  geradezu  üi)erraschend.  wie 
wenig  Worte  vorkommen,  die  sich  im  A.  T.  nicht  linden,  sondern  luu-  in 
der  Mischna  und  der  rabbinischen  Literatur.  xVuch  das  ist  ein  Beweis  für 
das  Alter  der  Texte,  und  nicht  minder  die  freie  Art,  Avie  die  Schrift  zitiert 
wird.  Wie  schon  erwähnt,  bindet  man  sich  keineswegs  ängstlich  an  den 
Wortlaut,  sondern   zitiert  frei   aus  dem  (iedächtnis.   mit  Auslassungen,  Vm- 

'     In   A    ist.   wenn   ein   Satz  iini    Hmli'  <Iit  Zt>ilc'   sclilii-ßt.  die   niiehstc  i'iiiitepilclil. 


H  K.     M  I-   VEI! 


Stellungen  und  kleinen  Znsätzen,  etwa  in  derselben  Art,  wie  Homer  in  der 
älteren  griechischen  Literatur  vor  der  Alexandrinerzeit  und  der  Gestaltung 
eines  kanonischen  Textes  zitiert  wird  und  wie  wir  so  vielfach  unsere  Klassiker 
zitieren.  Absichtlich  vermieden  und  aucli  in  den  biblischen  Texten  aus- 
gelassen werden  die  (rottesnamen  Jahwe.  Elloliim,  Adonai:  es  wird  ausschließ- 
lieh  El  verwendet',  sehr  oft  aber  auch  das  Wort  »Gott«  ganz  weggela.ssen. 
Wo  bei  den  Bestimmungen  über  den  Kid  der  Name  Gottes  erwähnt  werden 
muß,  wird  er  dvu-ch  Aussprache  der  beiden  ersten  Konsonanten  »Aleph  und 
Lamed«  (Elobini)  oder  »Aleph  und  Dalet«  (Adonai)  ersetzt  (15.  i);  gleich 
darauf  15,3  findet  sich  die  bekannte  Ersetzung  des  Eigennamens  durch 
cffirt   »der  Name«. 

Von  den  Schriften  sind  die  Tora  und  die  Propheten  kanonisch  und 
vnibedingte  Autorität  (7,  I5ft'.).  An  die  letzteren  schließen  die  Psalmen  und 
die  Proverbien  an,  die  vielfach  benutzt  werden  und  wie  im  Neuen  Testa- 
ment als  den  Propheten  gleichstehend  geltend.  Einmal  wird  auch  Ezra  be- 
nutzt (p.  2,7).  Dagegen  sind  die  übrigen  Schriften  nirgends  verwendet, 
auch  nicht  das  Buch  Daniel  und  die  in  diesem  vorliegende  Ausmalung  der 
Eschatologie.  Das  ist  sehr  wichtig  für  die  Zeitbestimmung:  die  in  unseren 
Texten  enthaltenen  Anschauungen  und  Lehren  gehn  in  eine  Zeit  zurück, 
in  der  das  Buch  Daniel  noch  niclit  existierte  oder  eben  erst  entstand. 

An  die  Tora  schließt  die  traditionelle  Exegese  (mirn  bii^e  [vgl.  F.  Weber 
Jüd.  Theologie''  Sgf.])  an,  die  mehrfach  herangezogen  wird  (4,8.  6,  14.  18. 
13,6);  ihr  entspricht  die  Deutung  der  Prophetenworte  auf  die  gegenwärtige 
Lage  (4,4.  14).  Der  Schlußabschnitt  in  B  verweist  20,6  auf  »den  Midra.s 
(die  Auslegung)  der  Tora,  nach  dem  die  Menschen  vollendeter  Heiligkeit 
wandeln«. 

Neben  den  kanonisclien  Büchern  sind  drei  weitere,  zu  den  Apokryphen 
gerechnete  Schriften  benutzt,   nämlicli : 

I.  Die  Geschichte  von  Johannes  imd  Jambres,  den  Moses  bekämpfenden 
Zauberern,  die  bekanntlich  nicht  (>rhalten,  aber  wie  der  christlichen  Literatur, 
so  den  Targumen  und  dem  Talmud  bekannt  ist.  Unser  Text  verwendet 
p.  5,  17  f.  in  ilen  Worten  »denn  ehemals  trat  3fose  und  Aharon  auf  durch  die 
Hilfe  (unter  Leitung.  ~'3)  des  Fürsten  der  Licliter,  aber  Beli'al  stellte  den 


'    Nur  20.  8  findet   sich    statt   dessen    -^^Vi-.  außerdem  dreimal.   20.  1.14.  32   ttt^   .der 
Kinzi^e«    (s.  11.  S.  32I. 


Die  (inw'inilf  dm  ni'ucn  Ihmdi«  itii  JmikIi-  Daniasktt^s  {) 

Johannes  und  seinen  Bruder  auf"  in  seinen  Ränken,  als  Israel  das  erstemal 
(beim  Auszu«;  aus  Ägypten)  gerettet  wurde«  die  Geschichte  ebenso  wie 
der  zweite  Timotheusbrlef  3.  8  ön  tpöhon   a^  'Iannhc  kai  ''Iambphc  ant^cthcan 

MüJYCeT,     OYTUC     KAI     0?TOI     ÄNeicTANTAI     TH     AAHeeiA. 

2.  Das  Buch  der  Jubiläen,  das  durchweg  aufs  stärkste  benutzt  wird, 
ganz  wie  die  kanonischen  Texte,  p.  16,  2  f.  (s.  u.  S.  60)  wird  sein  Titel  ange- 
geben. » Bucli  der  P^inteilungen  der  Zeiten  nach  iliren  Jobeljahren  und  Wochen« , 
cnT'nacfnJ"  =n';2";  r-rrn  npbnr  iec.  Dem  entspricht  genau  der  F^ingang 
des  Textes  des  Jubiläenbuchs  in  der  äthiopischen  Version':  »Dies  ist  die 
(Jescliichte  der  Einteihmg  der  Tage  des  Gesetzes  und  des  Zeugnisses  nach 
den  Ereignissen  der  Jahre,  gemäß  ihrer  P^inteilung  in  Jahrwocher  und  Jubi- 
läen in  allen  Jahren  Act  Welt«,  und  am  Schluß  kürzer:  »Hier  ist  zu  Ende 
das  Buch  der  Einteilung  der  Tage«.  Die  Durchführung  der  Rechnung  nach 
Jobel-  und  Sabbatjahren  von  der  Sclifipfnng  an  bis  zur  Einsetzung  des 
Passah  und  die  richtige  Datierung  dei  Feste  bildet  den  Rahmen,  in  dem 
hier  die  Vorgeschichte  erzählt  und  durch  weitere  Mahnreden  und  Ausfiih- 
rungen  des  Gesetzes  erläutert  wird,  in  der  Form  einer  Unterweisung,  die 
der  »Engel  des  Angesichts«  auf  göttlichen  Befelil  dem  Mose  am  Sinai  gibt. 
Bekanntlich  befolgt  das  Buch  eine  eigenartige  Zeitrechnung:  die  richtige 
Lange  des  Jahres  wird  auf  364  Tage  (52  Wochen)  angesetzt,  danach  sollen 
die  Feste  bestimmt  werden,  ohne  Rücksicht  auf  den  Mond,  der  »von  Jahr 
zu  Jahr  zehn  Tage  vorgeht  und  die  Zeiten  verdirbt«  (6,  30 ff.):  die  Periode 
der  Jobeljahre  ist  49,  nicht  50  Jahre,  wie  Levit.  25  gerechnet  wird,  also 
7  Jahrwochen;  den  Israeliten  wird  vorgeworfen,  daß  sie  von  dieser  richti- 
gen Zeitrechnung  abgewichen  sind  (vgl.  1,14:  »sie  werden  mein  ganzes  Ge- 
setz, alle  meine  Gebote,  und  mein  ganzes  Recht  vergessen:  sie  werden  Neu- 
mond, Sabbat,  Feste,  Jubiläen  und  die  Ordnung  auflösen«;  ebenso  23,  19). 
Auch  unser  Text  verkündet  3,  13 ff.,  daß  »Gott  mit  Israel  (d.  i.  mit  der  (ie- 
meinde  von  Damaskus)  seinen  ewigen  Bund  geschlo.ssen  hat,  ihnen  Geheim- 
nisse zu  offenbaren,  in  denen  ganz  Israel  in  die  Irre  gegangen  ist,  seine 
heiligen  Sabbate",  .seine  heiTlichen  Feste,  seine  gerechten  Satzungen,  seine 
wahrhaften  Pfade  und  die  Fonlerungen  seines  Willens,  'durch  deren  Be- 
folgung der  Mensch  am  Leben  bleibt'  (Lcv.  18,5)«:  und  6,18  wird  neben 


'    Ich  zitiorc  iiacli  Lii-i'.masns  tjbersetziin^  in  flpii   Apokryphen   und   l'seudepisraphen 
do.s  (VT..  lieraiiNficgeben  von  KAfr/.srii  11  \i). 

-    Wöitl.   •die  Sabbate  seiner  Iloilij^keit-    u.sw. 
mi..hisl.  Ahh.   lUli).   Sr.  !>.  'i 


10  E.   Meykr: 

ainlern  (rehoten  eingeschärft  »den  Sabbattag  gemäß  seiner  Deutung  zu 
halten  und  die  Feste  und  den  Fasttag  nach  den  Geboten  derer,  die  in  den 
neuen  Bund  im  Lande  Damaskus  eingetreten  sind«.  Danach  scheint  es, 
daß  die  Gemeinde  die  Jahrrechnung  der  Jubiläen  ihrem  Festzykhis  zugrunde 
gelegt,  also  den  Versuch  gemaclit  hat,  ihn  auf  ein  freilich  falsch  berechne- 
tes Sonnenjahr  zu  gründen.  Der  Hauptnachdruck  liegt  indessen  auch  hier 
auf  der  peinlichen  Beachtung  der  Sabbatgebote "  und  der  sonstigen  Vor- 
schriften über  die  Feste.  Bekanntlich  bestanden  über  die  richtige  Gestaltung 
der  Chronologie  auch  bei  den  Juden  noch  lange  verschiedene  Auffassungen'; 
das  jetzt  herrschende  System  hat  sich  erst  im  Mittelalter  ausgebildet  und 
wird  von  den  Karäern  verworfen.  So  ist  es  denn  auch  nicht  richtig,  die 
Sonderlehre  des  Jul)iläenbuchs  direkt  als  sektireriscb  zu  bezeichnen:  .sie 
ist  vielmehr  ein  Versuch,  das  herrschende  System  durch  ein  nach  ihrer 
Meinung  besseres  zu  ersetzen,  der  allerdings  nicht  durchgedrungen  ist. 

3.  p.  4,  14 ff.  heißt  es  im  Anschluß  an  ein  Zitat  aus  Jesaja  24,  i  7  (»Grauen 
und  (Jrube  und  Garn  kommen  über  dich,  Bewohner  der  Erde!«):  »Seine 
Deutung  (n»E)  sind  die  drei  Netze  Beli'als,  von  denen  Lewi,  der  Sohn  Jakobs, 
gesprochen  hat,  mit  denen  er  Israel  gepackt  und  ihr  Antlitz  gewandt  hat(?) 
zu  den  drei  Arten  des  richtigen  Verhaltens'":  das  erste  ist  die  Unzucht, 
das  zweite  der  Reichtum  (die  Habgier),  das  dritte  die  Profanation  des  Heilig- 
tums. Wer  diesem  entkommt,  wird  von  jenem  gepackt,  und  wer  sich  die- 
sem entzieht,  wird  von  jenem  gei)acktl«  Mit  Recht  hat  Sch echter  diese 
Stelle  auf  das  Testament  Lewis  in  den  Testamenten  der  zwölf  Patriarchen 
bezogen,  wenngleich  sie  sich  hier  nicht  wörtlich  findet.  Aber  die  Sünden, 
vor  denen  Lewi  cp.  14  seine  Nachkommen  warnt  und  denen  sie  anheim- 
fallen werden,    sind   ganz  wie   in    unserm  Text  Diebstahl  am  Tempelgut. 


'  Audi  iiljer  dii"  Frage,  ob  das  Joboljahi-  mit  dem  siebenten  Sabbatjahr  ganz  oder 
teilweise  zusammenfallen  oder  auf  dasselbe  folgen  solle,  gingen  und  gehn  die  Ansichten 
auseinander,  s.  Mahi.kr,  Handbuch  der  jiid.  Chronologie  (1916)  S.  106 AT.  4ioff.  In  der 
Praxis  ist  das  Jobeljahr  bekanntlich  niemals  eingeführt  worden,  anders  als  das  Sabbatjahr, 
sonderji  undurchführbare  Theori<'  geblieben!  Eben  dem  will  das  Jubiläenbuch  dadurch 
abhelfen,  daß  es  das  Jobeljahr  jedesmal  mit  dem  siebenten  Sahbatjahr  zusammenfallen  läßt. 

-  --'—  -.^■•.  n-v-h-sh  :r^:t  ::m-.  Cmari.ks  hält  p-sn  für  einen  Schreibfehler  für  -s-rr  oder  -r 
»Sünde». 

■  Diese  Schlußworte  sind  cinc^  Paraphrase  von  Jes.  24,  18:  »wer  dem  Grauen  ent- 
IHcht,  füllt  in  die  Urube,  und  wer  aus  der  Grube  entkommt,  fängt  sich  im  Garn«. 
Jei'eni.  4S.  44  sind  diese  Worte  auf  Moab  übi-rfrageu. 


Dir  (ii'iiif'lndi'  (li's  neuen  Bundf»  im  Lande  Damaxkm  1  1 

Habsucht  (nAeoNeiiA)  und  geschlechtliche  Sünden'.  Im  übrigen  sind  diese 
Testamente  bekanntlich  nur  in  späteren  Bearbeitungen  auf  uns  gekommen, 
die  in  den  griechischen  und  armenischen  Versionen  in  melireren,  stark  von- 
einander abweichenden  Rezensionen  vorliegen,  ganz  abgesehn  von  den  in 
«ie  alle  eingedrungenen  christlichen  Interpolationen".  An  unserer  Stelle 
wird  ollenbar  die  älteste,  noch  nicht  überarbeitete  hebräische  Gestalt  des 
Werkes  zitiert.  Denn  das  eine  solche  existiert  haben  muß,  kann  nach  den 
F>gebnissen  der  eindringenden  Untersuchungen  von  Bousskt  und  Chakles  nicht 
zweifelhaft  sein;  auch  sind  ja  Bruchstücke  sowohl  einer  aramäischen  wie  einer 
griechischen  Übersetzung  eines  älteren  Textes  des  Testaments  Lewis  zum 
Vorschein  gekommen '.  Freilich  bin  ich  nicht  imstande,  zu  den  sehr  kom- 
plizierten Problemen,  die  hier  vorliegen,  selbständig  Stellung  zu  nehmen ; 
aber  den  Ansätzen  von  Charles,  der  die  Abfassung  der  ursprünglichen  Schrift, 
in  der  die  Herrschaft  der  Nachkommen  Lewis  über  Israel  und  die  Unter- 
ordnung aller  weltlichen  Stämme  unter  sie  gefordert  wird,  in  die  letzte 
Zeit  des  Johannes  Hyrkanos,  zwischen  109  und  106,  setzt  und  tur  die 
Abschnitte,  in  denen  der  Abfall  der  Lewiten  vom  Gesetz  verkündet  wird 
und  die  schwersten  Vorwürfe  gegen  sie  erhoben  werden,  eine  Entstehung 
in  den  Jahren  70 — 40  v.  Chr.  annimmt,  vermag  ich  nicht  zuzustimmen^: 
die  den  Lewiten  zum  Vorwurf  gemachten  Verbrechen  sind  viel  schwerer, 
als  daß  die  Streitigkeiten  der  letzten  Makkabäerzeit.  die  zur  Eroberung 
.lerusalenis  durch  Pompejus  führten,  gemeint  sein  könnten.    Vielmehr  führen 

'  Ebenso  sind  im  Jiibiläenbiich,  mit  dessen  Anscliauungen  sich  die  Testiimente  aufs 
engste  beriihren,  die  drei  Sünden,  die  schon  die  Sinillut  herbeigeführt  imbcri,  »Hurerei 
und  Unreinheit  und  alle  Ungerechtigkeit«  (7,  20,  vgl.  20,  6;  23,21;  ferner  /.B.Test.  Jiula 
17.  18.  Dan  5  u.  a.). 

'  Sielie  außer  den  eindringenden  Untei-suchungen  von  I'kki  si  iien  undBoissi:rZNTW.  I, 
1900  vor  allem  die  grundlegende  Bearbeitung  und  Erläuterung  der  Texte  in  den  beiden 
Werken  von  R.  H.  CHAitr.Ks:  The  Oreek  Version  of  tlie  Testaments  of  tho  Twelve  Patriarchs, 
und  die  überaetzung  mit  Konmientar  'ihc  Testaments  of  tbe  Twelve  Patriarchs.  beide 
1908  ei'scbienen.  Auf  ihnen  beruht  seine  ('berset/.ung  (nebst  Einleitung)  in  den  Apocrypha 
and  Psendepigrapha  of'the  O.  T.  II,  282ft'. 

'  S.  CiiAHLKS,  Greek  N'ersions  p.  245 H".  Hier  liiidet  sich  \-.  16  der  .Satz  npöcexe 
ceAYTÜ  Xn6  riANTOc  CYNOVCiACwor  KAI  Xnö  nXcHC  Akaoapciac  kaI  Xnö  oachc  noPNeiAC.  woi'an 
ganz  detaillierte   KeinheiUsvorschrlilen  anknüpfen. 

•  Vgl.  auch  das  zurückhaltende  Urteil  von  Schübku,  Gesch.  d.  jüd.  X'ulkes  IIH  349, 
der  ül)er  diese  Abschuitti'  (l^wi  10.  14 — 17)  zntretl'end  Iwinerkt:  »Das  würde  am  besten  auf 
die  vormakkabäische  Zeit  [)asscn  .  .  .  Sehr  unsicher  sind  auch  die  (Ji-ünde,  um  dorentwillen 
BorssKT  diese  Stücke  in  die  Zeit  bald  nach  l'omjjejus  setzt.» 

2- 


12  K.    Mkveu: 

sie,  wie  wir  noch  selm  werden,  durchaus  ;iuf  die  schweren  religiösen  Kämpfe 
und  Gegensätze  der  Seleukidenzeit  vor  der  niakkabäisehen  Erhebung;  nur 
damals  haben  sich  solche  Vorgänge  abgespielt,  wie  sie  hier  verkündet  wer- 
den, und  nur  aus  dieser  Zeit  können  diese  Abschnitte  stammen. 

Das  gleiche  gilt  von  den  ältesten  Bestandteilen  des  Henochbuchs,  dmi 
bekanntlicli  in  den  Testamenten  wie  im  -lubiläenbuch  fortwährend  zitiert 
wird  (vgl.  u.  S.  17,  i),  speziell  von  dem  Schlußstück  cp.  92—  105.  Zu  diesen 
Schriften  treten  jetzt  die  Texte  der  Gemeinde  von  Damaskus;  auch  sie 
müssen  aus  derselben  Zeit  stammen'.  Alle  drei  Schriften  sind  Erzeugnisse 
des  echten,  nicht  vom  Hellenismus  beeinflußten  Judentums;  sie  stehn  mitten 
in  den  Käm|)fen  zwischen  den  Frommen  imd  den  Abtrünnigen  der  Reforni- 
[)artei,  die  Gegensätze  der  Seleukidenzeit  spiegeln  sich  in  ihnen  ganz  lebendig 
wider,  sie  gewähren  einen  tiefen  Einblick  in  die  leidenschaftliche  Erbitte- 
rung des  Kampfes.  Sie  gehören  alle  drei  eng  zusammen  und  müssen  wie 
in  derselben  Zeit  so  auch   in  demselben  Kreise  entstanden  sein. 

Die  Mahnrede. 

Die  Rede  beginnt  p.  1,1:  »Und  jetzt  'hört'  alle  'die  ihr  Gerechtig- 
keit kennt'  (Jes.  51,7),  und  achtet  auf  die  Taten  Gottes:  denn  er  hat 
einen  Streit  mit  allem  Fleisch'  (Jerem.  25,  31.  Hos.  4,  i)  und  wird  Gericht 
halten  über  alle  seine  Verächter.  Denn  wegen  der  Untreue  derer,  die  ihn 
verlassen  haben,  hat  er  sein  Antlitz  vei-borgen'  (Ps.  10,  11)  vor  Israel  und 
seinem  Heiligtum,  und  sie  dem  Schwert  überliefert'  (Jerem.  25,  31).  Aber 
da  er  des  Bundes  mit  den  Vorfahren  gedachte'  (Lev.  26,45),  hat  er  in 
Israel  einen  Rest  übriggelassen  und  sie  nicht  der  Vernichtung  preisgegeben. 
Und  beim  Ende  des  Zorns  —  390  Jahre,  miclideiu  er  sie  in  die  Hand  Nebukadnezars. 


'  Ma,ii  ptlegt  aucli  die  Abfassung  des  Jubiläenbuchs  in  die  letzte  Zeit  des  Johannes 
Hyrkanos  zu  setzen,  vor  seinen  Bruch  mit  den  Pharisäern  im  Jalu-e  106,  auf  Grund  der 
Angabe  38,  10  fl'.,  daß  Edoms  Nachkonnnen  von  dm  Söhnen  .lakobs  unterworfen  wei-deii 
»und  die  Söhne  Kdoins  sind  nicht  abgefallen  von  dem  Joch  der  Knechtschaft,  das  ihnen 
die  zwölf  Söhne  .lakobs  anferlegt  haben,  l)is  auf  diesen  Tag«,  woran  dann  die  edomitischc 
Königsiiste  Gen.  36  angeschlossen  ist,  auch  sie  mit  d<-m  Zusatz  -bis  auf  diesen  Tag«,  d.h. 
der  Fiktion  nach  bis  zur  Sinaigesetzgebung.  Man  hält  das  für  eine  X'ordatierung  der 
Unterwerfung  Idnniäas  durch  .lohannes  llyi'kanos  um  125  v.Chr.  Aber  das  ist  recht  un- 
wahrscheinlich: denn  der  \erfassei-  hat  natürlich  sowohl  die  Unterwerfung  durch  David 
wie  den  späteren  Abfall  und  die  weitensn  Schicksale  der  Kdomiter  gekannt.  Es  liegt  viel- 
mehr lediglich  eine  historische  l'hantasie  vor.   wie  sie  zu   jeder  Zeit  möglich   war. 


Die  (leinciiulr  (lri<  Jirunt  Bu/i</i:s  im  Linidc  l)amai<kus  1  .'> 

des  Könijis  von  Babel,  gegeben  liatte  —  nahm  er  sicli  ilirer  an  und  ließ  aus  Israel 
und  Aharon  eine  Wurzel  s[)rießen,  eine  Pflanze,  sein  Land  in  Besitz  zu  neli- 
men'  (Jes.  60,  2 1 )  und  sieli  satt  zu  machen  an  dem  Gut  seines  Bodens  (vgl. 
Jes.  30,  23).  Und  sie  sahen  ihre  Sünden  ein  und  erkannten,  daß  sie  schul- 
dige Menschen  seien  und  wie  die  Blinden  gewesen  seien,  die  nach  einem 
Wege  tasten  —  /.wanzig  .lalue  — ,  Und  Gott  gab  acht  auf  ihr  Verlialten, 
daß  sie  ihn  mit  ehrlichem  Herzen  suchten,  und  stellte  ihnen  einen  Leh- 
rer der  Gereelitigkeit'  (Hosea  10,  12.  .Toel  2,23)  auf,  sie  auf  den  Weg  sei- 
nes Herzens  zu  fuhren.  Und  er  gab  späteren  Geschlechtern  kund,  was 
er  —  in  einem  späteren  Geschlecht  —  getan  hatte  an  der  Gemeinde  Treuloser 
das  sind  die,  die  vom  Wege  abgewichen  sind:  dies  ist  die  Zeit,  von  der  i;esclirieb(Mi 
ist:  'wie  eine  störrige  Färse,  so  ist  Israel  stöi-rig"  (Hos.  4,  lO)  — ,  als  'der  Mann  des 
Spottes'  (Jes.  28,  14)  auftrat,  der  'auf  Israel  Wasser  der  Lüge  träufeln  ließ' 
(als  falsclier  Prophet  auftrat,  entlehnt  aus  Micha  2,6.  11)  und  sie  irren 
ließ  in  pfadloser  Öde'  (Ps.  107,40),  um  niederzureißen  die  ewigen  Berge' 
(Hab.  3,6).  abzulenken  von  den  gerechten  Pfaden,  und  zu  verrücken'  die  Grenze 
(vgl.  S.  36),  die  die  Vorfahren  ihrem  Erbbesitz  gesetzt  hatten'  (Hosea  5,  10. 
Deut.  19,  14),  auf  daß  .sie  ereile  der  P'luch  des  Bundes'  (Deut.  29,  20),  sie 
auszuliefern  dem  Racheschwert,  das  den  Bundesbruch  rächt'  (Lev.  26,  25).« 

Der  Aufbau  des  Textes  aus  lauter  alttestamentlichen  Zitaten  er- 
innert lebhaft  an  die  Art,  wie  Einhart  die  Biographie  Karls  des  (iroßeu 
nach  Suetons  Vorbild  gestaltet  hat  und  aus  ihm  zahlreiche  Wendungen 
entleiint.  Trotzdem  ist  es  diesem  in  bewundeiauigswürdiger  Weise  gelungen, 
ein  lebensvolles  und  durchaus  getreues  Bild  des  Frankenkönigs  zu  schafl'en. 
Auch  in  unserem  Text  fehlt  diese  Realität  keineswegs:  aber  bei  der  Ver- 
wendung des  prophetischen  Schemas  werden  die  Verhältnisse  der  (iegeu- 
wart,  auf  die  die  Rede  wirken  will,  zwar  für  den  Einsiciitigen  verständlich 
genug  angedeutet,  aber  zugleich  unter  den  überkommenen  traditionellen 
Wendungen  verhüllt. 

So  liaben  denn  auch  schon  die  ersten  Benutzer  der  Sclirift  das  Be- 
dürfnis empfunden,  die  Beziehung  auf  die  Zeitereignis.se  genauer  hervor- 
treten zu  lassen.  Dem  dienen  die  in  den  Text  eingeschobenen  Glossen. 
Sie  setzen  »das  Ende  des  Zorns«  390  Jahre  nach  dem  Strafgericht  unter 
Neliukadnezar,  den   Üurcld)rucli   der  richtigen  Erk(!iintnis,  die  offenbar  mit 

'    Mit  GuESSUANN   ist  rcV-  in  ;•■:""  /u   korrigiiMi'ii,   wie  Ucnt.   und   unten   |).  5,  2ti. 


14  K.   Mk  vkk: 

dem  Auftreten  des  »Lehrers  der  Gereclitigkeit«  identisch  ist,  nocli  20  Jahre 
später.  Nun  hat  man  mit  Recht  gezweifelt,  ob  der  Verfasser  über  die 
Chronologie  der  Perserzeit  korrekter  informiert  gewesen  ist  als  das  Buch 
Daniel  und  das  spätere  Judentum ' ;  aber  klar  ist,  daß  diese  Daten  auf  die 
Zeit  um  200  v.  Chr.  führen,  d.  h.  auf  die  Epoche  der  Religionskämpfe 
zwischen  dem  Reformjudentum  und  den  Altgläubigen  unter  den  Seleukideu 
bis  auf  Antiochos  Epiphanes,  und  daß  die  entscheidende  Wendung,  die 
zur  Bildung  der  neuen  Gemeinde  geführt  hat,  in  die  Mitte  dieser  Epoche 
fällt.  Die  zwanzig  Jahre,  die  bis  dahin  noch  vergangen  sind,  werden  mit- 
hin etwa  die  Jahre  195 — 175  v.  Chr.  umfassen,  die  ersten  beiden  Jahr- 
zehnte der  seleukidischen  Herrschaft,  in  denen  es  ja  an  inneren  Stürmen 
nicht  gefehlt  liaben  kann. 

Die  Fortsetzung  (i,  i8if.)  schildert  das  Verhalten  der  Abtrünnigen, 
das  sie  dem  Raclieschwert  weiht:  »Weil  sie  nach  Verführungen'  geforscht 
und  an  Täuschungen'  Gefallen  hatten  (Jes.  30,  10)  und  ausspähten  nach 
Breschen"  und  Gefallen  hatten  an  dem  Gut  des  Scliatzes',  und  'dem  Frev- 
ler recht  gaben  und  dem  Gerechten  unrecht'  (Prov.  17,  15),  und  'den  Bund 
überschritten  und  die  Satzung  brachen'  (Jes.  24,  5)^,  "das  Leben  des  Ge- 
rechten antasteten'  (Ps.  94,  21),  und  alle,  die  rechtschaffen  wandelten,  ihnen 
in  Greuel  waren  und  sie  sie  mit  dem  Schwert  verfolgten  und  ihre  Freude 
hatten,  Hader  im  Volk  zu  erregen,  so  eiitbraimte  der  Zorn  Gottes  gegen 
ihre  Gemeinde,  ihre  ganze  Herde  zu  verheeren,  denn  ihr  Tun  wird  'vor 
ihm  zur  Unreinheit  des  Weibes'  (Ezecli.  36,  i  7)«.    Daß  bei  ihnen  auch  die 


'  Gegen  Si  iiEciiTKRS  Vermutung,  390  sei  Flüchtigkeit  füf  490.  die  Zahl  der  70  Jahr- 
wochen lienoclis  und  des  Testaments  Lewis,  erinnern  Charles  sowie  Leszvnskv.  Rev.  des 
et.  juives  LXIl.  191 1  p.  193  mit  Recht  an  die  390  .lahro  der  Vei-sündigung  Israels  bei 
Ezechiel  4.  5. 

^  D.  i.  nach  einer  Durchbrechung  des  Gesetzes:  das  niiissen  die  Worte  n-^i-^i -ss"  be- 
sagen (so  auch  ScHEciriKn),  falls  der  Text  richtig  ist.  Gressmann  ZDMG  66,  501  will  is-.;" 
»sie  sparten«  korrigieren  und  übersetzt:  »weil  sie  sparten  für  ihre  Schwelgereien  (ns-s 'Aus- 
gelassenheit') « . 

^  -s's-  ist  wühl  sicher  mit  Grkssmann  a.  a.  O.  in  -::-s-  zu  koriigieren,  so  daß  ihnen 
Antasten  des  Tenipelschatzes  vorgeworfen  wird,  was  Ja  durchaus  zutreffend  ist.  Denn  -i-r;:- 
-sisn  zrc2  »Gut  des  Halses«  kann  unmöglich,  wie  Schkchter  übersetzt,  besagen  »thov  choose 
the  goods  of  the  throat". 

*  Die  Worte  bei  .lesaja  zh-j  : — :  -^tr;  --  -rV-  n--ir  Tzv  -:  sinil  in  -~  —•z^-  r^-z  --h|=r'i  zu- 
saiinneiii'OZoKen. 


DU.'  G/mieind^'  des  neuen  Bunden  im  Tjondr  Da,rmfskiiJ<  15 

Verehrung  von  (iötzenbildern,  etAUAA,  Eingang  gefunden  hat,  erfahren  wir 
aus  B  20,  9.  24  (s.  u.  S.  42.  43). 

Was  hier  als  geschehn  berichtet  wird,  verkündet  der  Engel  dem 
Mose  im  Jubiläenbuch  23,  16 ff.  im  Anschluß  an  Abrahams  Tod  und  das 
frühe  Altern  der  Menschen  als  in  Zukunft  bevorstehend:  »Und  in  diesem 
Geschlecht  werden  die  Kinder  ihre  Eltern  und  ihre  alten  Leute  schelten 
wegen  der  Sünde  und  der  Ungerechtigkeit  .  .  .  und  weil  sie  den  Bund 
verlassen  .  .  .  Denn  sie  haben  alle  böse  gehandelt,  und  jeder  Mund  redet 
Sünde,  und  all  ihr  Werk  ist  Unreinheit  und  Abscheulichkeit,  und  all  ihre 
Wege  sind  Befleckung,  Unreinheit  imd  Verderben  .  .  .  Und  sie  werden 
streiten,  diese  mit  jenen,  Jünglinge  mit  alten  Leuten,  alte  Leute  mit 
Jünglingen,  der  Arme  mit  dem  Reichen,  der  Niedrige  mit  dem  (Großen, 
der  Bettler  mit  dem  Mächtigen  wegen  des  Gesetzes  und  des  Bundes;  denn 
sie  haben  (iebot  und  Bund  und  Fest  und  Monat  und  Sabbat  und  Jubiläen 
und  alle  Rechtsbestimmung  vergessen.«  So  wird  das  Strafgericht,,Schwert 
und  Krieg  über  sie  kommen,  aber  zunäclist,  ohne  sie  zu  bekehren.  »Und 
die  sich  gerettet  haben,  werden  nicht  auf  den  Weg  der  Wahrheit  von 
ihrer  Bosheit  umkehren:  .sondern  sie  alle  werden  sich  zu  Betrug  und  Reich- 
tum erheben,  daß  ein  jeder  aU  seines  Nächsten  Gut  nehme,  und  sie  wer- 
den den  großen  Namen  nicht  in  Wahrheit  noch  in  Gerechtigkeit  nennen, 
und  das  Allerheiligste  werden  sie  durch  ihre  Unreinheit  und  durch  die 
Verderbnis  ihrer  Befleckung  beschmutzen«  —  ein  deutlicher  Hinweis  auf 
die  Vorgänge,  die  das  erste  Makkabäerbuch  kurz  andeutet  1,1  2  ff'.  34.43 
(icAi  noAAOi  Xnö  'Icpaha  hy'aökhcan  th  aatpIa  a-t'toy  [des  Antiochos],  kai  eevcAN  toTc 
eiAti)AOic,  KAI  ^BeBHAtüCAN  TÖ  cäbbaton).    52   (kai  CYNHepoiceHCAN  Xnö  To9  AAo9  npöc 

AYTOYC  nOAAOl,  OÄC  Ö  eNKATAAeinUN  TÖN  NOMON,  KAI  ^nOIHCAN  KAKA  ^N  TH  TH,  KAI  GSeNTO 

TÖN  'IcPAfiA  ^N  KPY*ioic  ^N  OANTi  »YrA&eYTHPiO)  aytön)  uud  das  zwcite  c.  4 ff',  ein- 
gehend berichtet.  In  c.  15,  33  wird  bei  dem  Gebot  der  Beschneidung  ver- 
kündet, »daß  die  Kinder  Israel  gegen  diese  Ordnung  treulos  sein  und 
ihre  Kinder  nicht  beschneiden  werden  gemäß  diesem  Gesetze  .  .  .  und  alle 
Söhne  Belials  werden  iiire  Söhne  ohne  Beschneidung  lassen,  wie  sie  ge- 
boren sind  .  .  .  sie  li;d)en  ihre  Glieder  gemacht  wie  die  Heiden,  so  daß  sie 
vertrieben  und  au.sgerottet  werden  von  der  P^rde« :    vgl.  Makk.  I   i.  15   kai 

^nolHCAN    GAYTOTC    AKPOBYCTIAN,     KAI    AO^CTHCAN    ÄnÖ    AlAeHKHC   ATIAC,    KAI    ezeYriCGHCAN 

To7c  eeNeciN.  So  wird  denn  die  göttliche  Züchtigimg  kommen  (23,  2 2 ff.) 
»und   er   wird   wider  sie  die  Kinder  der  Heiden«  —  Antiochos  Epiphanes 


1  6  E.     M  E  V  F.  R  : 

und  seine  Gehilfen  —  »erweclven.  l)ei  denen  kein  Krbarmen  und  keine 
(Jnade  ist,  die  auf  niemanden  Kücksicht  nehmen,  weder  auf  alt  noch  auf 
jung,  auf  niemanden"  ;  vgl.  Makk.  II  4,  16  kai  ün  «hadyn  tac  ArurÄc  kai  kao' 
ö  AOAN  HeeAON  esoMoiOYceAi,  TOYC  noAEMioYc  KAI  TiMüjPHTAC  ^cxoN,  Und  das  Blut- 
bad in   Jerusalem  II  5.  1 1  ff.  er^Nero  Aä  ngcün   kai  npecBVT^PcoN  anaIrgcic,  anhibun 

TG    KAI    TYNAIKUN    KAI    TeKNUN    A*ANICMÖC,    HAPeeNtON    TG    KAI    NHÜIUN    CfArAI.        »In    jenen 

Tas-en  werden  sie  schreien  und  rufen  und  beten,  daß  sie  aus  der  Hand 
der  sündigen  Völker  gerettet  würden,  aber  keiner  ist,  der  gerettet  wird«. 
Dann  aber  wird  die  TTmkehr  eintreten:  »in  jenen  Tagen  werden  die  Kinder 
anfangen,  die  (Jesetze  zu  suchen  und  auf  den  Weg  der  (lerechtigkeit  um- 
zukehren«. Dann  av erden  auch  die  Tage  des  Segens  und  der  göttlichen 
Gnade  kommen,  die  nach  Jes.  65  geschildert  werden,  in  denen  die  Lebens- 
dauer der  Menschen  von  (Geschlecht  zu  Geschlecht  wieder  eine  größere  wird, 
wie  in  der  Urzeit. 

Im  .Buch  Henocli'  wird  diese  Zeit  und  die  Verfolgung  der  Frommen 
in  Kap.  91 — 105  geschildert:  »In  der  siebenten  Woche«,  heißt  es  93,  9  f., 
d.  i.  in  den  490  Jahren  nach  dem  Exil,  »Avird  sich  ein  abtrünniges  Ge- 
schlecht erheben;  zahlreich  werden  seine  Taten  sein,  aber  alle  seine  Taten 
werden  Abfall  sein.  Und  am  Ende  derselben  Averden  die  auserwählten 
Gerechten  von  der  ewigen  Pflanze  der  (Tl(Techtigkeit  auserwäldt  werden, 
daß  ihnen  siebenfache  Belohnung  zuteil  werde  über  seine  ganze  Schöpfung. « 
Dann  tritt,  in  den  drei  letzten  Weltwochen,  die  herrliche  Zukunft  ein  bis 
zum  großen  Weltgericht  in  der  zehnten  Woche.  Daran  schließen  die  Mah- 
nimgen  zum  Au.sharren  in  Frömmigkeit  und  Gerechtigkeit,  trotz  der  argen 
Heimsuchungen  durch  die  Sünder,  die  ihnen  beAorstehn:  die  weite  Ver- 
breitung des  Abfalls,  die  Verehrung  der  Götterbilder  (99,  7),  die  Habgier, 
die  Verfolgung  und  Erschlagnng  der  Gerechten  und  Guten  (103,  9  ff.),  der 
Bürgerkrieg  (100.  i  f.)  werden  eingehend  verkündet:  aber  die  Vergeltimg 
und  die  zukünftige  Belohnung  am  Tage  des  großen  Gerichts  werden  nicht 
ausbleiben.  —  In  den  Testamenten  der  Patriarchen  erscheint  die  Priester- 
schaft, die  Nachkommen  Lewis,  als  der  Hauptschuldige.  Sie  ist  zu  den 
höchsten  Ehren  berufen  und  hat  weitaus  den  Vorrang  vor  der  weltlichen 
Macht,  dem  neben  ihr  stehenden  Königtum  Judas.     Diese  Stellung  soll  ihr 


'    Icli   benut/e  für  dasselbe  die   rbevset/.img  von   Fi.kmjiim.   (das  Buch  Heiioph,   1901), 
in  dei'   RAiiEHMAfiiER  die  irrieciiiscli   erhaltenen   Stiiciic  beiueriiyt  hat. 


Die  (jcnieiiulf  df'S  neuen  Bundes  int  Lande  Damaskus  ]  7 

aucli  gewahrt  bleiben:  aber  nur  um  so  schlimmer  ist,  daß,  wie  ihr  Ahn- 
herr Lewi  aus  der  Schrift  Henochs  weiß',  sie  »am  Ende  der  Zeiten« 
(^ni  TH  CYNTCAeiA  TÖN  aiüjncün)  gottlos  und  abtrünnig  werden  werden,  »so  daß 
Jerusalem  es  nicht  aushält  angesichts  eurer  Schlechtigkeit,  sondern  der 
Vorhang  des  Tempels  zerreißt,  so  daß  er  nicht  eure  Schande  verhüllt«; 
dafür  sollen  sie  als  Gefangene  vinter  die  Heiden  zerstreut  werden  (Test. 
Lev.  lo).  Sie  werden  (cp.  14)  »das  Licht  des  Gesetzes,  das  euch  zur  Er- 
leuchtung eines  jeden  Menschen  gegeben  ist,  aufheben  und  den  Verord- 
nungen Gottes  entgegenstehende  Gebote  lehren«';  ihr  werdet  »die  Opfer 
des  Herrn  stehlen  und  von  seinen  Anteilen  die  auserlesenen  Stücke  rauben, 
in  Verachtung  sie  verzehrend  mit  Huren,  in  Habsucht  die  Gebote  des  Herrn 
lehren,  .  .  .  die  Töchter  der  Heiden  zu  Weibern  nehmen  .  .  .  gegen  die 
Gebote  Gottes  euch  aufblähen  und  das  Heilige  verspotten  und  darüber 
scherzen«.  Wie  das  Buch  Henochs  lehrt,  werden  sie  (cp.  16)  »70  Wochen 
(490  Jahre)  irregehen  und  das  Priestertum  schänden,  die  Opfer  beflecken 
und  das  Gesetz  außer  Kraft  setzen,  .  .  .  durcli  Verdrehung  gerechte  Männer 
verfolgen  und  Fromme  hassen,  die  Worte  der  Wahrhaftigen  verabscheuen 
und  einen  Mann,  der  die  Gesetze  erneuern  will,  einen  Verfiihrer  nennen  und 
schließlich  töten,  da  ihr  seine  Gerechtigkeit  nicht  erkennt«  \  Unter  dem  sieben- 
ten Priester  »wird  eine  Befleckung  sein,  die  ich  nicht  sagen  kann  vor  den  Men- 


'  Test.  I^v.  10.  14.  16.  Dieselbe  Bezugnahme  und  die  gleiche  Verkündung  für  die 
eigenen  Narhkommen  kehrt  in  den  übrigen  Testamenten  wieder  (Sim.  5,  .lud.  iS,  .Scb.  3, 
Dan  5,  Napht.  4,  Ass.  7,  IJenj.  9),  in  Dan  5  mit  Bezugnahme  aiif  die  Sünden  der  I.ewiten, 
während  Simeon  5  den  Nachkommen  die  Empörung  gegen  Lewi  und  als  Strafe  dafür  die 
Verteilung  in  I^wi  und  .luda  verkündet  wird. 

-  Vgl.  BocssET  ZNTW  1  r68.  Der  in  drei  wenig  voneinander  abweichenden  Fassungen 
(s.  Chaiilf.s'  Ausgabe)  vorliegende  Text  lautet  tI  noiHCOYCi  Hanta  ta  ieuH,  ikn  YMeTc  CKOTiceflTe 
in  Aceßei/»  kai  snAieTe  katäpan  ^ni  tö  t^noc  hwön,  yoIp  oy  tö  «üc  toy  nömoy  tö  Aoe^N  ymPn 
eic  »uTiCMÖN  oantöc  Anopcühoy,  toyton  eeAHceTe  ANeAelN,  ^nantIac  ^ntoaäc  aiaXckontec  toic  toy 
ecoY  AiKAi(i)MACiN.  Wcshalb,  wic  BorssKT  behauptet,  nANTÖc  Anopühoy  -eine  offenkundig«' 
(llossc"  sein  soll,  weiß  ich  nicht:  das  Gesetz,  ist  den  Lewiten  anvertraut,  sie  sollen  dadurch 
alle  Menschen,  d.  i.  natürlich  die  gläubigen  .luden  und  I'roselyten,  erleuchten. 

'  S.  Bou.sSET  Z.NTW  1  169.  nach  dem  der  urspn'ingliche  Text  etwa  lautet:  ka'i  anapa 
ÄNAKAiNonoiOYNTA  TOYC  NÖMOYC  HAÄNON  nPOCAPOPeYceTe  KAI  T^AOc  XnoKTeNe?Te  aytön  oyk  eiAÖTec 

THN  AriCAlOCYNHN  A'iTOY.  KAI  ^N  TlH  KAKIA  ■Y'WfiN  t6  ABÖON  AIMA  ^ni  THC  KGOAAfiC  YMCON  KAI  iui  THC 
K€«AAHC     TUN     YIUN     ^MÜN     XNAA^SeCSe,     KaI     AI'    AYTÖN     fe'cTAI     jk    ArlA    YmSn    ePHMA    fe'tüC    ^AAi»>OYC. 

Chaki.es  liest  für  thn  aikaiocynhn  aytoy  mit  einem  Teil  der  Überlieferung  tö  Xnäcthwa  aytoy 
(was  in  einem  Teil  der  armenischen  ('bereetzung  durch  AnActacin  ersetzt,  also  auf  Jesus 
bezogen  winl).  und  übei-sctzt:   »not  knowing  bis  dignitv". 

IhiL-hist.  M,h.   HnH.  Ar.  H.  3 


18  .  K.     M  E  Y  E  R  : 

sehen  .  .  .«  In  der  siebenten  Woche  werden  lepeTc  eiAcoAOAAXPOYNTec  «oixoi  (so 
Charles  statt  des  in  anderen  Handschriften  gebotenen  maximoi)  «iaärtypoi 
Ynepi^*ANOi  ÄNOMOi  AceAreTc  nAiAO<t>eöpoi  KTHNOo>eÖPOi  kommen  (cp.  17);  dann  aber 
folgt,  wie  im  Henoch,  das  Gericht- und  die 'J'age  der  Herrlichkeit  (cp.  18). 
Ganz  deutlich  ist,  daß  die  Abfassungszeit  hier  wie  im  Henocli  inid 
in  den  Jubiläen  die  Zeit  der  BedWingnis  ist:  bis  dahin  sind  die  geschilderten 
Zustände  historisch,  auf  sie  soll  unmittelbar  das  Phantasiegeraälde  des 
Strafgerichts  und  der  zukünftigen  Herrlichkeit  folgen.  Diese  Bedrängnis 
aber  ist  die  Zeit  der  Seleukldenherrschaft  vor  oder  bis  in  die  Anfänge 
der  niakkabäischen  Erhebung.  Wesentlich  durch  die  Priester,  durch  ihren 
Kampf  um  die  fetten  Pfründen,  durch  ihre  Unlust,  die  lästigen  Zeremonien 
weiter  zu  veri'ichten,  und  ihre  Bereitschaft,  auf  die  griechischen  Lebens- 
formen einzugehn,  ist  ja  die  Krisis  herbeigeführt  worden :  es  ist  in  der 
Tat  die  Zeit  der  schweren  Versündigung  Lewis.  Vgl.  Macc.n4,i6ff. :  als 
Jason  Iloherpriester  geworden  ist,  eve^uc  npöc  tön  ""Gaamnikön  xapakthpa  to'tc 

ÖMO<t>^AOYC    Mer^CTHCe    .   .    KAI    TÄC    NOMIMAC    KATAAYUN    nOAlTciAC    nAPANÖMOYC    eOlCMOYC 

GKAiNizeN.  Er  erbaut  das  Gymnasium,  ücxe  MHKexi  nepi  tac  to9  eYciACTHPiOY 
AeiTOYPriAC    npoeYMOYC    gTnai   to'Vc    lepeTc,    aaaa   toy   mcn    Neu    kataoponoyntcc   kai 

TÖN    eYClÜN  ÄMSAGYNTGC    ecnGYAON    MeTEXElN  THC  GN  TH  OAAAicTPH  nAPANÖMOY   XOPHrJAC; 

und  nachher  6,  4  fl'.,  als  der  Zeuskultus  eingeführt  ist,  tö  men  igpön  acutiac 
KAI    K(i)Mü)N   Ynö   TÖN   eeNüJN    enenAHPOYTO   pagymoyntun   Mee'   eTAiPÜN,    kai  en  toTc 

lePOTc  nePIBÖACüN  rYNAIII  nAHCIAZÖNTUN,  GTI  Ae  TA  MH  KAeHKONTA  GNAON  eiC«>eP6NTCi)N . 
TÖ  AG  eYClACTHPION  ToTc  AnOAlGCTAAM^NOIC  AnÖ  TUN  NÖMCJN  AGewiTOIC  enenAHPtüTO. 
HN    AG     OYTe     CABBATIzeiN    OYTS    HATPUDYC    eOPTAC    AIA^YAÄTTCIN    O^TG    XnAOÜC  '"IoYAaTON 

ÖMOAoreTN  gTnai.  Daher  auch  die  Erwähnvmg  des  Götzendienstes,  der  Verehrung 
der  eiAWAA  Test.  liev.  1 7,  Juda  23,  Seb.  9,  KAlre  nÄN  etAUAON  npocKYMMcere, 
ganz  wie  in  unserem  Texte  B  20,  9.  24.  Das  alles  paßt  nur  für  die  Zeit 
des  Antiochos  Epiphanes  und  schließt  jede  spätere  Epoche  aus,  so  die 
Vorgänge,  die  zu  der  Eroberung  durch  Pompejus  fährten,  in  die  Bousset 
diese  Abschnitte  der  Testamente  versetzen  möchte'. 


'  ZNTVVIiQof.  Kr  zioht  die  beknnntlich  auf  die  Eroberung  durch  Pompejus  bezüg- 
lichcii  {'salinen  Salomos  als  Parallele  heran.  Gewiß  ist  auch  in  diesen  von  Beneckun.'t  und 
l".utvveiliung  des  Heilifitiims,  Von  l'iostitutioii  der  Töchter  .lenisalems,  Khebnich  der  Vor- 
nehmen, llal)giei-  und  Fiun-el  aller  Art  die  Hede,  wie  auch  sonst  in  allen  Propheteni-oden. 
Aber  di(!  scliai  le  Anklage  gerade  gegen  die  Söhne  Lewis  findet  sich  hier  nicht,  und  zu  der 
war  auch  kein  ausreichender  Anlal.i,  wie  er  in  der  Seieukiden/eii  in  vollstem  Maße  vorlag: 
und  ebenso   kann   von  (iölzcndienst  und  IJilderkult  in  der  Zeit  des  l'ompejus  keine  Kede  sein. 


Dir  (Irimindc  des  ncwii  Ihiiiilcs  Im  IjiikIi-  JJa/naskiis  1 J) 

Genau  dieselben  Zustände  schildert  nun  unser  Text;  er  gehört  mit 
den  drei  anderen  Sclirif'ten  eng  zusammen.  Sie  stammen  also  alle  aus  der- 
selben Zeit  wie  das  Danielbuch.  Aber  während  dies  im  Judentum  kanonische 
Geltung  gewann,  ist  das  bei  unseren  vier  Texten  nicht  der  Fall:  sie  blieben 
in  dem  weiteren  Umkreis  der  Schriften  und  haben  weder  in  die  hebräische 
noch  in  die  griechische  Bibel  Aufnalime  gefunden.  Sie  sind  eben  aus 
einer  anderen  Schicht  der  gläubigen  Gemeinde  hervorgegangen  als  Daniel; 
dieser  gehört  der  Gruppe  an,  die  unter  den  Makkabäern  in  Palästina  zur 
Herrschaft  kam,  jene  dagegen  der  Diaspora.  So  erklärt  es  sich  auch,  daß 
die  für  Daniel  charakteristische,  dem  Parsismus  entlehnte  Ausgestaltung 
der  Kschatologie  jenen  Schriften  völlig  fremd  ist;  in  den  Erweiterungen 
des  ältesten  Henochbuchs  hat  sie  dann  Eingang  gefunden,  in  den  drei 
andern  findet  sich  von  ihr  noch  keine  Spur.  Dadurch  werden  sie  nur  um 
so  wertvoller:  sie  gewähren  einen  Einblick  in  die  verschiedenen  Schichtungen 
der  damaligen  Anschauungen  und  zeigen,  daß  die  viel  weiter  vorgeschrittenen 
Vorstellungen  im  Danielbuch  noch  keineswegs  Allgemeingut  gewesen  sind, 
sondern  damals  erst  entstanden  sind  und  sich  dann  in  der  folgenden  Zeit, 
unter  den  Makkabäern,  durchgesetzt  haben. 

V^on  den  Abtrünnigen  haben  sich  luui  die  Frommen  abgesondert  als 
die  »Gemeinde  des  neuen  Bundes«.  Sie  liaben  Jerusalem  und  Judäa  ver- 
lassen und  sind  nach  dem  Gebiet  von  Damaskus  gezogen,  um  hier,  unbe- 
hindert durch  die  Gottlosen,  nach  dem  Gesetz  zii  leben.  Diese  Emigration 
ist  eine  Parallele  zu  der  Auswanderung  der  Nachkommen  des  legitimen 
Hohenpriesters  Onias  mit  ihrem  Anliang  nach  Ägypten,  wo  sie  die  Gemeinde 
des  Tempels  von  Leontopolis  gründeten.  Als  »die,  welche  eingetreten  sind 
in  den  neuen  Bund  im  Lande  Damaskus«  werden  sie  6,  19.  8,21  bezeich- 
net. Es  ist  sehr  zu  beachten,  daß  von  dem  entsclieidenden  Eingreifen  des  Anti- 
ochos,  der  Umwandlung  des  Tempels  in  ein  Heiligtum  des  Zeus  und  der 
systematischen  Keligionsverlolgung  so  wenig  die  Rede  ist  wie  von  der  mak- 
kabäischen  Erhebung;  die  Erwähnung  des  Strafgerichts  über  die  Abtrünni- 
gen (1,  2  I.  2,  I,  oben  S.  14)  hält  sich  in  ganz  allgemeinen  Wendungen,  in 
Wirkliclikeit  ist  es  offenbar  noch  nicht  eingetreten.  Ebenso  wie  <las  Jubiläen- 
buch und  die  Testamente  fällt  auch  unser  Text  und  die  Auswandenuig  nach 
Damaskus  vor  die  entscheidenden  Kreigni.sse  in  Palästina  und  die  natio- 
nale Krhebinig,  in  die  Zeit,  als  die  Apostaten,  die  Reforuijuden,  noch  die 
Macht  in  Händen  hatten.    Auch  daß  die  Auswanderer  nach  Damaskus  ziehn, 

;(* 


20         ■  K  Mkykk: 

also  in  eine  unter  seleukidischer  Herrschaft  stehende  Stadt,  zeigt,  daß  dies 
Ereignis  vor  die  Zeit  fällt,  in  der  Antiochos  entscheidend  gegen  das  Juden- 
tum auftrat. 

An  die  neue  Gemeinde  ist  die  Fortsetzung  der  Rede  gerichtet 
(2,  2 ff.):  »Und  nun  hört  auf  mich,  alle  die  ihr  in -den  Bund  eingetx-eten 
seid,  und  ich  will  euren  Ohren  die  Pfade  der  Sünder  enthüllen.  Gott,  der 
Kinsicht  (nyn)  liebt,  hat  Weisheit  und  Umsicht  vor  sich  gestellt«  —  (nrrn 
?T'["]©irT',  die  ständigen  Termini  der  Weisheitsliteratur)  —  »Klugheit  {'n'ü'V)  und 
Verstand  sind  seine  Diener.  'Langmut  ist  bei  ihm  und  Fülle  der  Ver- 
zeihung' (Exod.  34,  6,  etwas  verändert),  zu  vergeben  'ifeuigen  Sündern' 
(Jes.  59,  20),  aber  auch  Macht  und  Stärke  und  große  'Zornglut  mit  Feuer- 
flammen' (Jes.  66,  I  5)  —  darin  sind  alle  Strafengel  (Van  -ricsr,  eine  aus  dem  Talmud 
bekannte',  aber  auch  schon  im  Henocli  53,  3  vorkommende  Engelgruppe)  —  für  die  vom 
Weg  Abweichenden  und  die  Verächter  des  Gesetzes,  'so  daß  kein  Über- 
rest und  F^ntrinnen  für  sie  bleibt'  (PCzra  9,  14).« 

Daran  scliließt  der  Verfasser  sogleich  einen  Überblick  der  Weltgeschichte, 
der  sich  ganz  an  das  Jubiläenbuch  anschließt.  Von  Urbeginn,  von  der 
Weltschöpfuiig  an,  hat  Gott  alles  vorausgewußt,  daher  aucli  den  Abfall  der 
Sünder  und  den  Termin  ihres  »Endes«,  ihrer  Vernichtung  festgesetzt  — 
auf  die  Prädestinationslehre,  die  sich  daraus  ergibt,  kommen  wir  noch  zu- 
rück— :  »Denn  Gott  hat  sie  nicht  erwählt  vor  der  Urzeit  (a'""^  =~pic);  ehe  sie 
ihre  Pläne  faßten,  hat  er  ihre  Taten  gekaimt.  So  verabscheute  er  ihre 
Geschlechter  von  Anfang  an"  und  verhüllte  sein  Antlitz  vor  der  F>de  bis 
zu  ihrer  Vernichtinig^,  und  er  kannte  die  Jahre  ihres  AuCtrotens  und  die  Zahl  und  die  Be- 
stimmung ihres  Endes  ^  (die  riu-  ihren  Untergang  festgesetzte  Zeit)  entsprechend  den  .Jahren 
■der  Welten  und  die  Geschehnisse  bis  zu  dem  was  bei  ihrem  Ende  kommen  wird  in  allen 
Jahren  der  Welt.  Aber  unter  ihnen  allen  hat  er  mit  Namen  Gerufene  be- 
stellt, um  'der  Erde  eine  Schar  Geretteter  übrig  zu  lassen'  (Ezech.  14,  22) 
und  'den  Erdkreis  zu  füllen'  (Jes.  27,  6)  mit  ihrem  Samen;  und  er  belehrte 
sie  durch  [seinen  Messias]  seinen  heiligen  Geist  —  und  das  ist  die  Wahrheit,  und 
durch  die  deutliche  Bezeichnung  ihrer  Namen  — ;  aber  den  er  haßt,  den  läßt  er 
irren.« 


'    Weber,  Jüd.  Theol.'  172. 

^    Mit  Charles  ="(p")  on—ii  .-s  ;"ni-  zu  lesen. 

•'    Statt  a-:-n  -•  -^k  ist  a:r  -•  (Deut.  2,  15)  zu   lesen:   in  ^  könnte  d-^-:  stecken. 

'    Natürlich  ist  nn^s-  -^i-t'  statt  =r-  zu  lesen,     Im  folgenden  korrigiert  Gress.ma.nn  "ns 

s~:-'v  -■-  in   "■"  -.V  V:";, 


Du-  (irinnudi'  dex  ufUfit  Bundis  im  Landr  lJ(iinuKku!<  21 

Daß  in  diesen  letzten  Worten  fremde  Bestandteile  in  den  Text  ein- 
tredrungen  sind,  ist  klar.  »Messias«  und  »heiliger  Geist«  verträgt  sich 
nicht  miteinander,  ganz  abgesehn  davon,  daß  beide  asyndetisch  neben- 
einander stehn'.  Wäre  Messias  acht,  so  müßten  wir  die  Lehre  von  dei- 
Präexistenz  des  Messias  und  seiner  Wirksamkeit  seit  Anbeginn  der  Schöpfung 
schon  hier  annehmen,  was  wenig  wahrscheinlicli  ist.  Es  kommt  hinzu, 
daß  rrs  Sirr.  •>  und  er  ist  die  Wahrheit«  often>)ar  Glosse  zimi  heiligen  Geist  ist,  der 
eben  die  Wahrheit  ist,  hier  die  Gottes,  nachher  p.  5, 1 1. 7,4  die  in  den  Menschen 
lebende  Wahrheit  (s.  u.  S.36f.).  Auchim  Jubiläenbuch  kommt  25, 1 1  »der  Geist 
der  Wahrheit«  (oder  nach  einer  anderen  Handschrift  »der  heilige  (ieist«)  auf 
Rebekka,  als  sie  Jakob  segnet.  So  halte  ich  »Messias«  nicht  für  eine  Glosse, 
sondern  für  einen  dem  Schreiber  in  die  Feder  gekommenen  Irrtum,  den  zu 
tilgen  er  hier  wie  sonst  unterlassen  hat,  wälirend  in  B  solche  Tilgungen 
sehr  liänfig  vorkommen.  Ebenso  liegt  im  folgenden  sn^n'.icis  "TSC  C-."^S31  deut- 
lich eine  Dittograpliie  vor.  Streiclit  man  mit  Sciieciiter  TCO,  so  kann  das 
übrige  nur  eine  weitere  x\usfühnuig  der  Belelirung  sein:  er  belehrte  sie  durch 
seinen  heiligen  Geist  und  dadurch,  daß  er  ihre  Namen  deutlich  bezeichnete? 
oder  bestimmte',  mit  anderen  Worten  dadurch,  daß  sie  zum  Heil  prädestiniert 
und  ihre  Namen,  wie  es  im  Henoch  und  im  Jubiläenbuch  heißt  (vgl.  S.  39), 
in  den  himmlischen  Tafeln  verzeichnet  sind  (vgl.  p.  3,  3  S.  22;  4,  4f.  S.  23f. ; 
[).  20,  19  S.  43).     Die  Worte   sind  aber  olTenbar  ein   späteres  Einschiebsel. 

Jetzt  hebt  der  Verfasser  noch  einmal  an  (2,  14):  »Und  jetzt,  Söhne, 
liört  auf  mich ;  ich  will  eure  Augen  öffnen,  zu  sehn  und  zu  erkennen 
die  Taten  Gottes  und  zu  wählen,  was  ihm  gefällt,  zu  verwerfen,  was  er 
haßt,  in  Vollkommenheit  zu  wandeln  auf  allen  seinen  Wegen,  und  nicht 
zu  tra<"hten  in  (Gelüsten  des  bösen  Triebes'  ((len.  6,  5)  nach  Schuld  und 
Unzucht.  Denn  viele  sind  dadurch  auf  Irrwege  geraten  und  Ki-iegshelden 
<ladurch  gestrauchelt  vor  alters  und  bis  heute.  Weil  sie  'in  Verstocktheit 
des  Herzens  wandelten'  (Jes.  13.  10),  sind  die  Wächter  des  Himmels  (nT 
r^ccn)  gefallen ;  dadurch  wurden  sie  gepackt,  da  sie  die  Gebote  (iottes  nicht 
bewahrten,   und  ihre  Söhne,    die   hoch   aufragten   wie  Zedern'   (Arnos  2,  9) 

'  Tn?  rrn  -rvzK  -rz.  Die  Cbei-setzunj^  von  Schechtkr  und  Chaki.es  »ilurcli  seinen  Messias 
lehrte  er  sie  seinen  heiligen  Geist  kennen«   lialte  ich  tVir  uiitnöglich. 

-  Kbensd  steht  p. 4,  4  s: — :'~nV  zr^-r::  r— i  r:r.  Sonst  könnte  man  aiicli,  woran  Ghessjian.v 
(lenkt,  ":r  ir-t:  it:x  .s~  hei-stellen:  -das  ist  nach  der  Exegese  seines  Namens  die  Wahrheit«; 
doch  ist  mir  da.s  weni<r  wahi-scheinlich. 


22  E.   Mk  V  EI«: 

und  deren  Körper  Hergen  glielien,  sind  gefallen«  —  es  ist  der  Mytlius 
von  den  jetzt  als  »Himinelswächter«  (n''^on  "^tj",  erPHropoi)  bezeiclnieten  Göt- 
tersöhnen, die  von  den  Töclitern  der  Menschen  Riesen  zeugen  (Gen.  6,  iff.), 
ein  Lieblingstlieina  dieser  Literatur  (Jubil.  4,  22.  7,  2  i  ff .  8,  3.  10,  5.  Test. 
Rüben  5.  Napht.  3),  das  dann  im  Henochbuch  cp.  6 ff",  ausführlich  behandelt 
wird'.  So  folgt  auch  hier  ein  Hinweis  auf  die  Sintflut  und  ein  kurzer 
Abriß  der  Geschiclite  Israels  bis  zum   l  ntergang  des  Reichs:. 

(2,  20)  »'Alles  Fleisch,  das  auf  dem  Festland  war,  erstarb'  (naeli 
(ien.  7,  2of.)  'und  ward,  als  Avären  sie  nicht  gewesen'  (Obadja  16),  weil  sie 
ihr  Belieben  taten  und  die  Gebote  ihres  Schö])fers  nicht  hielten,  bis  daß  sein 
Zorn  über  sie  entbrannte.  Darüber  gingen  irre  die  Söhne  Noahs,  und  ilire 
Geschlechter  wurden  deshalb  vernichtet.  Abraham  wandelte  nicht  darin,  und 
wurde  zum  Freund  gemacht,  weil  er  Gottes  Gebote  befolgte  und  nicht  das 
Belieben  seines  eigenen  Geistes  vorzog.  Er  lehrte  Isaak  und  Jakob«  — vgl. 
im  Jubiläenbuch  die  idyllische  Ausmalung  ihres  Verkehrs  mit  Abraham 
cp.  2 1  —  23  —  »die  hielten  sie  und  wurden  als  Freunde  Gottes  und  als 
Inhaber  des  Bundes  fiir  die  Plwigkeit  aufgezeiclinet. « 

(3,  4)  »Aber  die  Söhne  Jakobs  gingen  darin  irre  und  wurden  bestraft 
gemäß  ihrer  Verfelüungen.  Und  ihre  Söhne  in  Ägypten  wandelten  in  der 
VerStockung  ihres  Herzens,  indem  sie  sich  berieten  wider  Gottes  Gebote 
und  jeder  tat,  was  ihm  recht  schien;  und  sie  aßen  das  Blut,  und  so  wur- 
den ihre  Männer  in  der  Wüste  aufgerieben.  Von  Qades  zogen  sie  hinauf 
und  folgten  ihrem  eigenen  Sinn"  und  hörten  nicht  auf  die  Stimme  ihres 
Schöpfers  —  die  Gebote  ilues  Lehrei's '  —  und  murrten  in  ihren  Zelten' 
(Deut.  1,27).  Da  entbrannte  Gottes  Zorn  gegen  sie.  Auch  ihre  Kinder 
sind  darob  zugrunde  gegangen,  und  ihre  Könige  deshalb  ausgerottet, 
ihre  Krieger  darob  zugrunde  gegangen,  ihr  Land  darob  zur  Einöde  ge- 
Avorden.  J)adurcli  sind  die  früheren  Mitglieder  des  Bundes  schuldig  ge- 
worden und  wurden  dem  Schwert  preisgegeben,  weil  sie  den  Bund  (iottes 
verlassen  hatten  und  nach  ihrem  Woldgefallen  wählten  und  der  Verstockung 
ihres  Herzen«  folgten,   ein  jeder  zu   tun,   was   ihm  getiel. « 


'    Im  Daniel  ersclieinen  be]<aniitlieli  4, 10.  14.  20  diejenigen  dieser  "^^'äcllter-  (^rPHropOlj, 
di(!  getreu  gcljlielien  sind,  ids  Seliieksalsengcl. 

-     Für  :-— nti  "s-:  •h'y  ■:i--2   vcrinntc-l   (Jukssmann   •D-.-t   und  ••::--. 
•^    Lies  mit  Chaki.ks  ::-■'—;  r^-^-:  fnv  3;-— 1. 


Dif  Gf^mt'infle  drs  n/nr/i  BkikIcx  im  Lande  ])om(ishis  2H 

(3,12)  »Aber  mit  denen,  die  an  Gottes  Geboten  festliiclten,  die  von 
ihnen  übriijgeblieben  waren,  liat  (iott  seinen  Bund  mit  Israel  auf  ewi,£>' 
eri'iclitet,  ihnen  Geheimnisse  zu  offenbaren,  in  denen  ganz  Israel  in  die 
Irre  gegangen  ist:  seine  heiligen  Sabbate  (s.  o.  S.  9),  seine  herrlichen 
Feste,  seine  gerechten  Satzungen,  seine  wahrhaftigen  Wege,  und  die  For- 
derungen seines  Willens,  'durch  die  der  Mensch,  wenn  er  danach  handelt, 
am  Leben  bleibt'  (Lev.  18,  5).  Er  hat  vor  ihnen  eröffnet  und  sie  haben 
einen  Brunnen  gegraben"'  {Num.  21,  18,  s.  u.)  mit  vielen  Wassern:  doch  wer 
ihn  verschmäht,  wird  nicht  leben.  Aber  sie  haben  sich  gewälzt  in  mensch- 
licher Sünde  und  weiblicher  Unreinheit,  'und  sie  sprachen:  das  gehört 
uns'  (Ez.  11,15.  33»  24).  Und  Gott,  in  der  Fülle  seiner  Wundertat,  hat 
ihnen  ihre  Sünde  verziehn  und  ihre  Verbrechen  vergeben;  und  er  baute 
ihnen  ein  beständiges  Haus  in  Israel,  dessengleichen  nicht  gestanden  hat 
vormals  imd  bis  heute,  und  die  an  ihm  festhalten,  sind  bestimmt  fiir  ein 
ewiges  Leben  (ns;  ""nb).  und  alle  menschliche  Herrlichkeit  ist  für  sie.« 

Auf  diese  Gemeinde  der  (Mäubigen  werden  nun.  mit  der  üblichen  (tc- 
waltsamkeit.  die  Sjuniche  der  Schrift  gedeutet.  So  gleich  im  folgenden 
(3,  20tf.)  der  Spruch  Ezechiels  44, 15":  »Die  Priester,  Lewiten  Söhne  Sadoqs, 
die  den  Di<'nst  in  meinem  Heiligtum  pflegten,  als  die  Söhne  Israels  von 
mir  abirrten,  die  sollen  mir  Fett  und  Blut  bringen.«  Der  Text  ist  durch 
zweimalige  Einschaltung  von  »und«  in  »die  Priester  und  die  Lewiten  und 
die  Söhne  .Sadoqs«    geändert  und   wird  folgendermaßen   erklärt: 

»die  Priester  sind  die  sich  Bekehrenden  Israels,  die  aus  dem  Lande 
.Inda  ausgezogen   sind; 

»und  (die  Lewiten  siiul  '  sind  die,  welche  sich  iJuien  angeschlossen 
haben  (zmc~  s-ibrn,  mit  etymologischem,  aus  Num.  18.  2.  4  entlehntem  Wort- 
s[)iel;   zrsTiy  ist  wohl   in  =n"''*7  zu  korrigieren): 

»und  die  Söhne  Sadoq's  sind  die  x\userwählten  Israels,  die  bei  Namen 
gerufen  sind  (vgl.  o.  S.  21),  die  am  Ende  der  Tage  (c^r'n  r"'"ins3)  bestehn 
werden.  • 


'  -«a  "■■iip^  anaeV  rtnt.  Da  mit  dieson  Wortrii  ebenso  wi«-  narliher6.3(r.  (s.  u..S.  24)  das  Lifd 
Num.  21.  18  :—s  r— sr; -x:  /itifrt  wird,  ist  es  mir  zwiMfolhaft,  ob  fiuKSSMANN  mit  K''''lit  -in'- 
•  iiriil   IT  grul)-    korrigiert. 

-  Da.s  Ziliil  wird  angefiifjt  mit  di'ti  Worten:  »Wie  (njtt  ilnion  liesläti^tt-  diircli  <len 
I'nijjhetcn   Kzecliiel  mit  den  Worten:  'die  Priester  niid  die  Lewit^-n'  usw.- 

^    Daß  diese   Worte   vom   Selneiber  voiselientlirii   nns-felassen   sind,    ist   evident. 


24  K.    Meykr: 

»Siehe  (das  ist)  die  genaue  Bezeiclinung  ihrer  Namen  (onTlia»  c*"ie, 
vgl.  o.  S.  2i)  nach  ihren  (ieschlechtern  und  das  Ende  ihres  Bestehens 
(3TC7T2  l^p.  d.  i.  ihr  Bestellen  bis  zur  Endzeit)  und  die  Zahl  ihrer  Bedräng- 
nisse und  die  Jahre  ihres  Aufenthalts  in  der  Diaspora  (0"!"T'>rn  -DB)  und  die 
genaue  Angabe   (SJ'T'B)  ihrer  Taten  (d.  i.  Schicksale).« 

Hier  wird  also  die  gesamte  Gemeinde  als  eine  priesterliche  von  lewi- 
tischen  Auserwählten  bezeicluK^t:  das  Vorrecht  der  Abstammung  tritt  da- 
gegen zurück,  wenn  es  auch  in  der  Organisation  noch. berücksichtigt  wird 
(s.  u.  S.  46). 

(Gleichartig  ist  p.  6,  2  IT.  die  Verwendung  des  Brunnenliedes  Num.  21.18 
(vgl.  0.  S.  23):  Nach  der  Verödung  des  Landes  »gedachte  Gott  des  Bundes 
mit  den  Vorfahren,  und  er  nahm  von  Aharon  Einsichtige  und  von  Israel 
Weise  und  ließ  sie  verstehn'.  Und  sie  gnd)en  den  Brunnen,  einen  Brun- 
nen, den  Fürsten  gegraben,  die  Edlen  des  Volks  als  Gesetzgeber"  gebohrt 
haben'«. 

»Der  Brunnen   ist  die  Tora: 

Und  die  dm  gruben,  sind  die  sich  Bekehrenden  Israels,  die  aus  dem 
Lande  Juda  ausgezogen  sind  und  sich  im  Lande  Damaskus  in  der  Diasjjora 
niedergelassen  haben  ('"ra-^l).  die  Gott  sämtlich  Fürsten  genannt  hat.  weil 
sie  ihn  gesuclit   und   nicht  nach  ihrem  eigenen  Ruiim  getrachtet  haben '^r 

Und  der  Gesetzgeber  ist.  wer  die  Tora  studiert  (rrnnri  IBTI),  von  dem 
-lesaja  spricht  (54,  16)    wer  ein  Gerät  für  sein  Werk  hervorbringt'; 

Und  die  Edlen  des  Volks  sind  die,  die  gekommen  sind,  den  Bruimen 
zu  bohren  durcli  die  Rechtssatznngen.  die  der  (Gesetzgeber  festgestellt  hat. 
nach  ihnen  zu  wandeln  in  der  ganzen  Endzeit  des  Frevels,  und  außer 
ihnen  sollen  sie  niclits  sinnen',  bis  der  Lehrer  der  Gerechtigkeit  (d.  i.  der 
Messias)  auftritt  am  Ende   der  Tage.« 

Noch  weit  gewaltsamer  ist  7,  14  ff.  die  radikale  Umdeutung  des  Spruchs 
Arnos  5,  26 f.:  »So  werdet  ihr  den  Sakkut,  euren  König,  und  den  Kewan, 
euer,  Götterbild,  den  Stern,  euren  Gott,  den  ihr  euch  gemacht  liabt,  auf- 


'    :i-:3^-    ~pv  öftriete  ihnen  das  Gehör«. 

-  So  faßt  unser  Text  das  Wort  —-n-::.  vgl.  LXX  eN  th  BACiAeU  aytön.  während  es  in 
Wii-kliciilveit  zweifellos   »mit  dem  Richterstab"   bedeutet. 

^  GiiESSMANx  ZDMG  66.  503:  ..Statt  -rrs  ■'tz  an-ss  r:c--  sV-  lies  --s  --tz  ar-ss.-  -:r-  s'i-  »sie 
trachteten  nicht  nach  ihrem  eigenen  Ruhm,  einmütigen  Sinnes..  Oh  <lie  beiden  letzten 
Worte  richtig  sind,   ist  mir  fraglich. 

'     Lies  mit  Gressmann   ■-^•i-'  für  -.-.irn. 


hir  (ir/iii'i/tt/r  ilr.s  lli-um  BuildiX  Uli  Jjdinlc  DdllKIskll.^  2") 

laden,  luul  ich  werde  cue?i  über  Damaskus  hinaus  ins  Exil  führen.«  Diese 
Worte  sind  allerdings  schon  früh  unverständlich  gewesen,  wie  LXX  zeigt'; 
unser  Text,  der  den  Wortlaut  zusammenzieht  und  überdies  aus  Flüchtigkeit 
ein  paar  Worte  ausläßt,  die  in  der  Erläuterung  berücksichtigt  werden",  deutet 
den  Gottesnamen  Sakküt  als  n"2D  »Zelte«  oder  vielmehr  wie  LXX  singularisch 
als  Tr  rxc  (in  der  Erläuterung  daher  Ysrn  roio  geschrieben)  »Zelt  des  Königs« , 
=*"r'-S  p-:  als   »der  Bestand  (oder  'das  (iestell'?)  eurer  Bilder«,   und  erklärt: 

»Die  Bücher  der  Tora  sind  das  Zelt  des  Königs,  wie  er  gesagt  liat 
(Arnos  9,  II ):  'ich   werde  aufrichten   das  verfallene  Zelt   Davids'; 

»der  König  ist  die  (Volks-)  Versammlvmg; 

»der  Bestand  eurer  Bilder  sind  die  Bücher  der  Propheten,  deren  Worte 
Israel  veraclitet  hat; 

»der  Stern  ist  der  Student  der  Tora  (niTH  tsitt).  der  nach  Damaskus 
gegangen  ist.  wie  er  sagt  (Num.  24,  17):  'ein  Stern  geht  aiif  aus  Jakob 
und  ein  Szepter  erhebt  sich  aus  Israel"  —  das  Szepter  ist  der  Fürst  der  ganzen 
Gemeinde,  und  durch  .sein  Auftreten  '^wird  er  zerschmettern  die  Schläfen 
Moab.s)'  und  ausplündern'  alle  Sölme  Sets'.«  Das  Szepter  wird  also  auf  den 
kommenden  Messias  gedeutet,  den  Fürsten,  der  ganz  Israel  wieder  einigen 
und  seine  Weltherrschaft  herbeiführen  wird:  der  Stern  sind  die  Torafor.scher 
der  dama.skenischen  (»enieinde.   die  das  Kommen   des  Messias  vorbereiten. 

Die  Verkündung  des  Amos  auf  diese  {Gemeinde  zu  deuten,  war  in  der  Tat 
durch  die  Erwähnung  des  P]xils  »jenseits  Damaskus«  oder,  wie  unser  Text 
liest,  »der  Zelte  von  Damaskus«  nahe  genug  gelegt;  möglich  ist  auch,  daß 
eben  diese  Stelle  die  Gemeinde  veranlaßt  hat.  nach  Damaskus  auszuwandern. 
Sie  ist  angescldossen  an  das  in  gleicliem  Sinne  gedeutete  Zitat  von.Ie.saja  7.  i  7 
(p.  7.  10  ff):  »er  wird  über  dicli  und  dein  Volk  und  dein  Vaterliaus  Tage 
Itriugen.  wie  sie  ^nicht)  '  gekonunen  sind  seit  dem  Tage,  da  Ephraim  von 
Juda    abfiel.«      Die  Erläuterung  lautet:    »Durch   die  Trennung  der  beiden 


'      KAI     XNCAABCTe     THN     CKHNHN     TOY     MOAÖX     KAI    t6    ACTPON    TOY    960Y    YMÖN    TaI4>ÄN,    TOYC 

ftTioYC  AYTÖN  oYc  inoiHCATe  ^AYToic,  KAi  «eToiKiüi  YMAC  ^neKeiNA  Aamackoy. 

-  Der  Text  bei  .•\inos  laut<?t:  tij;--  ::t  zrsv  -rs  =rrVs  :r~  az-Vru  ;--:  ns-  =::'■:•:  n-:r  rs  arsr:- 
^■■s^-'~  -nv-i  zsrit.  Dai-nii.s  iiiaclit  unsi-r  Text  ••:ni  ^Vrsi  :;-:;::  -':  rs-  s::--:  r-:r  n.x  -r-;;.r-:  die  \\\-- 
läiilcruiig  l)erücksiclitigt  :il»fr  .■lucli  das  ;insgeliis.seiii'  :ii. 

■'    Oft'enbar  aus  Flücbtigkcit  ausgelassen. 

'  Wie  <l<;r  massoreli.sclio  Text  von  Xuin.  24.  17  liesl  aiieli  unsere  Sdirift  ~"\  LXX 
riPONOME'i'cei.  iiiciit  -:■—   -cl<*n  Schädel-,  wie  .len>m.  48.  45. 

'    Vom  .Selii'eilter  ausgelassen. 
Hiil.-hhl.  Af,h.    I9I!>.   .Vr.  i>.  » 


2.6  K.   Mkvkk: 

Häuser  Israels  ist  Ephraim  von  Juda  abgefallen,  und  alle,  die  sich  zurück- 
hielten, sind  dem  Schwert  überliefert,  aber  die  festhielten,  retteten  sich  in 
ein  Land  des  Nordens,  wie  er  gesagt  hat«  —  und  nun  folgt  das  Zitat  aus 
Arnos.  Die  Trennung  zwischen  Juda  imd  den  Nordstämmen  wird  also  hier 
ohne  weiteres  auf  die  Ereignisse  der  Gegenwart  und  den  Auszug  der 
Frommen  (des  wahren  Juda  oder  Israel)  nach  Damaskus  bezogen'. 

Dieses  ganze  Stück  7,  10^21  fehlt  in  dem  hier  erhaltenen  Parallel- 
text B;  an  seine  Stelle  tritt  19,711'.  ein  Zitat  aus  Zacharja.  Eingeleitet 
sind  die  Zitate  in  beiden  Texten  mit  den  Worten:  »und  alle  Verächter 
(der  Gebote  und  Satzungen)",  wenn  Gott  das  Land  heimsucht,  über  sie 
wird  er  Vergeltung  der  Sünder  bringen'^,  wenn  das  Wort  kommt*,  das 
geschrieben  ist«,  und  nun  folgt  in  A:  »in  den  Worten  des  Propheten 
Jesaja  ben  Arnos«,  in  B:  »durch  ilen  Propheten  Zacharja  (13.  7):  'Schwert, 
wache  auf  gegen  meine  Hirten  und  gegen  den  Mann  meiner  Genossen- 
schaft, spricht  Gott':  schlage  den  Hirten,  daß  die  Schafe  sich  zerstreuen 
und  ich  meine  Hand  gegen  die  Geringen  kehre'.«  An  Stelle  eines  Spruchs, 
der  auf  die  Damaskener  Gemeinde  gedeutet  werden  kann,  tritt  hier  also 
ein  Wort,  das  die  Schwere  des  Strafgerichts  verkündet.  Die  Erläuterung 
fügt  dem  ein  Wort  des  Trostes  für  die  Gläubigen  hinzu,  das  aus  Zacharja 
II,  II    entnommen  ist",  kehrt  dann  aber  zu  dem  Strafgericht  zurück.    Sie 

'  Es  ist  sehr  bezeichnend,  daß  unser  Text  die  bei  .Tesa  ja  zwar  interpoh'erte,  aber  zu  seiner 
Zeit  gewiß  schon  voi-b'egendi'  Dentnng  (sie  steht  auch  in  LXX):  »er  wird  (Unglücks-)  Tage 
lii'ingcn,  nämlich  den  Könifj  von  Assur«,  nicht  berücksichtigt,  so  nahe  die  Deutung  auf 
Antiochos  Kpiphanes  gelegen  hätte.  Dessen  entscheidendes  Kingi-eifen  war  eben  nocli 
nicht  erfolgt. 

-    Zusatz  in  B. 

^  ari-iW  n^yi"  ;■»:.■.  :-3-5  wird  von  allen  Uearbeitern  mit  Recht  als  Hauptsatz  betrachtet; 
dci-  Infinitiv  mit  ^  erscheint  in  diesen  Texten  auch  sonst  als  futuiiim,  so  9,  i  s-r:  r-wi;  .er 
soll  gelötet  werden».  In  B  ist  durch  Umstellung  eine  klarere  Fassung  gewonnen:  :r=s^r-  ;r- 
-a--  s"::  ™s~  rs  ;s  ~tz  a-V-;  z^;---   s--:.-,  z^sr^  a-'-r:;'  .-^-r-:;. 

*    s',2z  (so  B)  ist  in  A  in  s"z  verschiiel>en  odei'  verlesen. 

■*    Bei  Zacharja:    ».lahwe  Sebaot». 

"  Das  Zitat  ist  texlkritisch  nicht  ohne  Bedeutung.  Der  massoretische  Text  lautet: 
s-r  r--T  -z-  -"z  ■'n-s  s^-rzvr.- '^üxr.  -ii;>-  p  -rn^-;  LXX  liest  statt  dessen  hier  wie  v.  7  •;ssh  i-sf::  kai 
rNücoNTAi  Ol  XananaFoi  tA  nPÖBATA  TA  <t>YAACCÖMeNÄ  Moi.  Und  dicsc  Lesimg  (in  der  Bedeutung 
»die  Uändler  dei'  Schafe«)  wird  jetzt  meist  für  richtig  gehalten,  l'nscr  Text  -.ts  :r~2rsr- 
■,s2r:  ^^-;•  sr.  zeigt,  daß  er  die  Stelle  bereits  ebenso  vei"Standen  hat.  wie  die  Massoreten:  »und  • 
so  werden  die  Armen  der  Herde,  die  auf  mich  achten,  erkennen,  daß  das  das  Wort  Jahwes 
ist"  (oder  vielmehr,  daß  der  vom  Propheten  geschilderte  Hergang  die  Sache  Jahwes  ist, 
daß  (■!•  sein   Voigehn   dadurch   svniliolisch   V(>i  anschaidicht). 


D'w  (Irmrinilf  des  iit'Ufu  Bvndrs  im  Laiidr  I knnaslnts  27 

lautet:  »Die  auf  ihn  (Gott)  achten,  sind  die  Annen  der  Herde'.  Sie  werden 
t/erettet  werden  am  Ende  der  Heimsuchung^  über  die  Hörigen  werden  dem  Schwert 
überliefert  werden^  beim  Kommen  des  Gesalbten  (Messins)  Aharons  und  Israels, 
wie  es  am  Ende  der  ersten  Heimsuchung  geschah,  von  der  er  geredet 
hat  durch  Ezechiel  (9,4):  ein  Zeichen  zu  machen  auf  den  Stirnen  der 
Seufzenden  und  Stöhnenden':  ((bei'  die  übrigen  sind  'dem  Raeheschwert.  das 
den  Bund  rächt',  überliefert  worden". »i  Daß  die  kursi\-  gedruckten  AVortc 
zweimal  vorkommen,  zeigt  deutlich,  daß  wir  es  mit  einer  Erweiterung 
des  ursprünglichen  Textes  zu  tun  liaben:  und  das  wird  dadurch  bestätigt, 
daß  dieselben  Worte  auch  in  A  stehn  (7,21  f.).  Sie  folgen  hier,  ohne  äußeren 
Anschluß,  auf  die  Erläuterung  zu  dem  Amos-Zitat  und  dem  aus  Num.  24 
entnommenen  Hinweis  auf  den  Messias:  «Diese  sind  gerettet  worden'^  um 
Ende  der  ersten  Heims(((hung:  ((ber  die  sich  zurückhielten ',  sind  dem  S(-hwrr( 
überliefert  worden.* 

Es  ist  klar,  daß  in  A  und  1}  zwei  von  verschiedenen  Gesichtspunkten 
geleitete  Erweiterungen  eines  älteren  Textes  vorliegen,  die  beide  auch  in 
sich  selbst  bmchig  .sind  und  den  ur.sprüuglichen  Zusammenhang  zerreißen. 
Weder  die  Fortsetzung  schließt  an  —  »diese«  (nbs)  in  A  7,  21  .sollen  die 
bei  der  ersten  Hcimsucliung,  d.  i.  beim  babylonischen  Exil,  Geretteten  sein, 
vorher  aber  ist  von  der  Zusammensetzung  der  (Jemeinde  in  Damaskus  die 
Kede  — ,  noch  setzen  sie  den  vorhergehenden  Text  fort,  der  in  beiden 
Rezensionen  übereinstimmt  (7,  6 — 9  —-  19,  2  —  6).  Scheiden  wir  die  Zusätze 
als  Glossen  aus,  so  erhalten  wir  einen  konzinnen  Text,  der  sich  auf  die 
Ordnung  der  neuen  Gemeinde  bezieht:  »Wenn  sie  sich  in  Lagern  (s.  u.) 
niederlassen   gemäß  den  Satzungen  '  des  Landes,   und  Frauen   nehmen"  und 

'  Hier  (19,  10)  steht  das  späthebräische,  im  .\.  '1".  nicht  voriiDmnieiide  Wort  — =•:'  statt 
des  19,  I,?  und  in  A  8,  i  gebrauchten  ~^>z-. 

*  Vgl.  Anm.  I. 

*  Für  •■^■'•2  muß  "S-rz:  gelesen  werden;  ebenso  fehlt  In  {-^rsst-r.  ~-.~z-  -,72  am  Schluß  das  -. 

*  B^yesr.  wie  7,  13,  wo  derselbe  Satz  in  der  Plrläutening  zu  Jos.  7,  17  stellt  (oljen  S.  26); 
B  hat  statt  dessen  o^jcm   -die  übrigen-. 

■•  -,— »r  -;-;;  A,  :~-  r-rr  -3s  •,— s-  -7--;  1>:  heißt  das  »nach  den  Sazungen  des  Landes,  das 
im  Osten  liegt«,  oder  »wie  sie  von  altei-s  her  bestanden«;'  7"c  ist  .späthebräisch  und  wird 
daher  in  B  durcii  "r.  ereetzt;  (.'haiii.ks  benicrlit,  daß  es  sich  in  der  aramäischen  Vci-sion 
des  Testaments  Lewi's  (Greek  version  of  the  tcst.  p.  250  v.  .^o)  lindct  und  liier  im  Urieclii- 
wlien  durch  TÄsic  wiedergegeben  wii-d. 

*  B  setzt  liin/.n  n-vr:  .-.rr::  »nach  der  Weise  dur 'I'ora- :  ;-"  bc/.eiclinulc  Hcj^.  11  9,  20 
die  Art,  wie  .lehn  lährt. 

4* 


28  E.   Mkyek: 

Söhne  zeugen  und  der  Tora  gemäß  waiuloln  und  wie  es  das  Recht  der  Fun- 
damente ist  und  der  Ordnung  der  Tora  entspricht,  so  wie  er  gesagt  hat 
(Num.  30,  17):  zwischen  einem  Manne  und  seiner  Frau  und  einem  Vater 
und  seinem  Sohne''  .  .  .  .",  dann  werden  diese  gerettet  werden^  am  Ende  der 
Heimsuclmng,  aber  die  übrigen«  (oder  »die  sicli  zurückhalten")  »sind  dem 
Scljwert  überliefert.  So  ist  das  Recht  für  alle,  die  in  seinen  Bund  ein- 
getreten sind  und  nicht  l)ei  diesen  Satzungen  beharren,  sie  heimzusuchen 
zur  Vernichtung  durch  die  Hand  Beli'als.« 

Dies  Thema,  das  drohende  Strafgericht  sowohl  über  die  Gegner  in 
Judaea  -wie  über  die  Abtrünnigen  innerhalb  der  Gemeinde,  wird  im  folgen- 
den, dem  Schlußabschnitt  der  Mahnrede,  weiter  ausgeführt*: 

»Das  ist  der  Tag,  au  dem  Gott  heimsuchen  wird,  wie  er  gesagt  liat 
(Hosea  5,  10):  "die  Fürsten  Judas  sind  wie  Verrücker  der  Grenze,  an  ihnen 
will  ich  wie  Wasser  den  Zorn  ausschütten' '.  Denn  sie  waren  eingetreten  in 
einen  Bund  der  Umkehr  (naiwr  Reue)",  aber  sind  nicht  abgewichen  von  dem 
Pfad  der  Abtrünnigen  und  haben  ihren  Mutwillen  getrieben  auf  den  Pfaden 
der  Unzucht  und  mit  dem  Reichtum  der  Sünde;  und  jeder  rächt  sich  und 
grollt  seinem  Bruder  und  haßt  seinen  Nächsten,  und  sie  'sind  nicht  hilfbe- 
reit' (Deut.  22,  I.  3.  4)  und  sie  ergeben  sich  der  Unzucht  und  tun  groß  mit 
Reichtum  und  ungerechtem  Gewinn,  und  jeder  tut,  was  ihm  gefallt  und 
wählt  nach  der  Verstocktheit  seines  Herzens,  und  sie  haben  sich  niclit  ab- 
gesondert vom  Volk  {und  von  ihren  Sünden)',  sondern  'lassen  die  Zügel 
schießen'  (Exod.  3  2 ,  2  5) 'mit  hoher  Hand  zu  wandeln  auf  dem  Weg  der  Sünder. « 


'  Mit  Absicht  für  »seiner  Tdchtei-«  in  Nuni.  gesetzt,  wo  diese  Worte  den  At)schlut> 
der  Bestininuingen  über  die  Verbindlichkeit  von  Gelübden  bilden. 

^  Iliei"  setzt  die  Interpolation  ein,  deren  Eingang  in  beiden  Texten  noch  überein- 
stimmt: »und  alle  Verächter  {der  Gebote  und  Satzungen),  wenn  Gott  das  Land  heimsucht, 
über  sie  wird  ei'  Vergeltung  bringen,  wenn  das  Wort  kommt-   usw.,  s.  o.  S.  26. 

^  Der  ursprüngliche  Text  hatte  also  das  Futurum  -ji-''  wie  B  19,  10,  nicht  das  Per- 
f'ektum  ■•_-5-::,  wie  A  7,21  (vgl.  7,  14)  ergänzt  wei'den  muß.  Ebenso  ist  die  Bezugnahme  auf 
die  erste  Heimsuchung  in  A  7,21  sekundär  und  fehlt  in  B. 

'  In  diesem  ganzen  Abschnitt  8,  i — 21  r=:  19,  13 — 33  stimmen  die  beiden  Rezensionen, 
\(iii   kleinen   Abweichungen  abgesehn.  wit-der  wörtlich  überein. 

'    In  A  niehrfiicli  durch  Auslassungen   entstellt. 

''  Dafür  hat  A  s^-— :  >:  i-ct-^^  s:-:";  -Vrp  1:.  wofüf  Lkvi  und  Gressmann  "sr:  ::;r-  vor- 
schlagen: »denn  sie  huirten  auf  einen,  ilei-  da  heilt,  aber  ci-  i-ächte  sich  an  allen  Wider- 
sp<*nsligen." 

'    Zusatz  in  1>. 


Die  ireinelndi'  drs  neuen  Ihuiden  im  Lanile  Ikuiuo'kus  21) 

»AI)er  was  Gott  über  sie  gesagt  hat,  ist  (Deut.  32,  33):  'Geifer  von 
Draclien  ist  ihr  Wein  und  scJireckliches  Otterngift'  (csriB  TSSi,  von  unserm 
Text  als  »Otternkopf«  \ erstanden). «  Die  Deutimg  führt  uns  wieder  ganz 
lebendig  in  die  Seleukidenzeit: 

»Die  Drachen  sind  die  Könige  der  Völker; 
ihr  Wein  ist  ihr  Verfahren  (wörtl.:    »ihre  Wege«); 
Otternkopf  ist  das  Haupt  der  Könige  der  Griechen, 
der  über  sie  kommt,  um  die  Rache  zu  vollziehn.« 

Also  das  Strafgericht,  das  Antiochos  Epiphanes  bringen  wird,  wird  hier 
erwartet,  eingetreten  ist  es  noch  nicht.  Der  Seleukide  ist  noch  der  mäch- 
tigste Herrscher,  den  die  Schrift  kennt,  die  Römer  sind  noch  nicht  in  den 
(Jesichtskreis  getreten'. 

»Aber«  —  so  fährt  der  Text  fort  —  »all  das  haben  die  nicht  er- 
kannt, welche  'die  Mauer  bauten  und  mit  Tünche  bestrichen'«  —  aus 
Ezechiel  13,  loff.  und  22,28,  wo  die  falschen  Propheten  eine  Mauer  über- 
tünchen, die  das  Volk  baut  — :  »denn  'einer,  der  im  Wind  wandelt  und 
Lüge  wahrsagt'  (»träufelt«,  Micha  2,  11,  vgl.  oben  S.  13  ji,  14])",  hat  ihnen 
gewahrsagt,  daß  der  Zorn  Jahwes  gegen  seine  ganze  Gemeinde  entl)rannt 
sei.  (Indessen)  was  Mose  gesagt  hat,  ist  (Deut.  9,  5.  7,  8):  'nicht  um  deiner 
Gerechtigkeit  und  der  Aufrichtigkeit  deines  Herzens  willen  gehst  du  (das 
Gebiet)  dieser  Völker  in  Besitz  zu  nehmen,  sondern  wegen  seiner  Liebe 
zu  deinen  Vätern  und  weil  er  seinen  Schwur  halten  will'.  So  ist  die  Rechts- 
satzung für  die  sich  Bekehrenden  Israels,  die  abgewichen  sind  vom  Pfade 
des  Volkes«  (d.  h.  für  die  Gemeinde  der  Frommen  in  Damaskus):  »wegen 
der  Liebe  Gottes  zu  den  Früheren,  die  er  nachher  dem  Volke  bezeugt  hat ', 
liebt  er  die,  welche  ihnen  nachwandeln,  denn  mit  ihnen  besteht  der  Bund 

'  Das  gleiche  lehrt  für  die  Testamente  dcc  zwölf  Patriarchen  Naplit.  5,  worauf  Bdussei 
ZNTW.  I  193  hinweist.    Dort  wird  in  einer  himmlischen  Schrift  verkiUidet  Accypioi,  Mhaoi, 

n^PCAl,    fGAlMAToi,   TeAAXAToi  (;•;]   XAAAAfol,   CyPOI    <AHP0N0MHC0YCIN  AlXMAAUciAN  TA  ACi^eKA  CKHOTPA 

TOY  "ICPAHA.  Von  den  Römern  i.st  nicht  die  Rede,  die  Syrer  sind  die  letzten  Feinde,  die 
der  Verfasser  kennt.  Seit  12g  v.  Chr.  alier  hört  die  Seleukidenmacht  auf,  geläiu-lich  zu  sein: 
die  Stelle  ist  also  älter  als  dies  Jahr.  —  In  den  jüngeren  Abschnitten  des  Honoch  eischeinen 
dann  56,  5  die  I'arther  und  Meiler  als  diejenigen,  welche  die  Schlußkatastrophe  herbeiführen. 
D;is  ist  der  Zustand   in  den   letzten  .hihi'zehnten  des  zweiten  Jahrhunderts  v.  Chr. 

*  Das  in  üblicher  Weise  frei  wiedergegeljenc  Zitat  ist  \n  beiden  Handschriften  niehi'l'acli 
entsteüt.     Auch  der  lolgende  Salz  ist   in  B  abweichend   und  stark   korrupt  überliefert. 

^    A  -1--K  —^•T-.  -rx,   H  ";s  •'-ns  sit:  Vy  -m—  -rs;   zu   lesen   wird  sein   -^-ns  a;~  i-  "••;-  -j;s. 


30  K.   Meykk: 

der  Väter.  Aber  er  haßt  und  verabsclieut  die  Erbauer  der  Mauer'  und 
sein  Zorn  ist  gegen  sie  entbrannt  und  gegen  alle,  die  ihnen  nachfolgen'; 
und  dementsprechend  (verhält  er  sich)  gegen  jeden  Verächter  der  Gebote 
Gottes;  er  hat  sie  verstoßen  und  sie  haben  sicli  abgewendet  in  der  Ver- 
stocktheit ihres  Herzens.  So"  (steht  es  um)  alle  Mensclien,  die  in  den 
neuen  Bund  im  Lande  Damaskus  eingetreten  sind«. 

So  scharf  wie  möglich  wird  betont,  daß  die  Mitglieder  des  neuen 
Bundes  die  Erben  des  alten  mit  den  Vorfahren  sind;  es  ist  eine  durch 
die  Worte  des  Deuterojiomiunis  widerlegte  Lüge,  daß  Gott  das  gesamte  Volk 
verworfen  habe  und  mit  seinem  Zorn  verfolge,  sondern  die,  welche  seine 
Geltote  lialten,  sind  auch,  so  wenig  sie  es  an  sich  verdient  ]ial)en,  die 
P]rben  seiner  Liebe  zu  den  Vorfahren,  mit  ihnen,  die  sich  von  der  Masse 
des  Volks  abgesondert  haben,  ist  der  Bund  erneuert,  und  sie  werden, 
wenn  der  Messias  kommt,   den  vollen  Segen  genießen. 

Die  Verkündung  des  mit  den  Worten  Michas  bezeichneten  l^ügen- 
proplieten  (:i""i:)2)  wirft  ein  helles  Liclit  auf  die  Auffassung  der  Reform- 
partei. Sie  sind  zu  der  Überzeugung  gelangt,  daß  es  mit  dem  Gesetz 
nichts  mehr  ist:  Gottes  Zorn  ist  unauslöschlicji,  er  trifft  die  gesamte  Ge- 
meinde und  ihr  Untergang  steht  unabwendlich  bevor.  Daher  ist  das  ein- 
zig Vernünftige,    das  (Jesetz  aufzugeben  und  sich  'dem  Hellenismus  zuzu- 

'  So  B:  A  liat  statt  dessen:  »und  wegen  seines  Hasses  (lies  -srir::  statt  -k— )  gegen 
die  Erbauer  der  Mauer  ist  sein  Zorn  entbrannt« 

-  •;;  fehlt  in  A,  so  daß  die  folgenden  ^^'oI•le,  die  den  Schhiß  des  Textes  bilden,  ganz 
in  der  Luft  schweben.  —  Vor  denselben  ist  in  A  8,  20,  gänzlich  ohne  Zusammenhang,  der 
Satz  eingeschoben:  »dies  ist  das  Woi-t,  das  Jeremia  zu  Baruch  ben  Nerija  und  Klisa  zu  seinem 
Diener  Gehazi  gesprochen  hat«.  Gress.mann  hat  vermutet,  hier  sei  der  Titel  der  Schrift  er- 
halten; es  sei  eine  Apokalypse,  die  auf  Jeremia  und  Elisa  zurückgetührt  werde.  Aber,  ganz 
ahgesehn  davon,  daß  es  undenkbar  ist,  daß  der  Verfasser,  der  doch  im  Alten  Testament 
vortreft'lich  Bes<-heid  weiß,  seine  Worte  diesen  beiden  durch  .lahrhunderte  voneinander  ge- 
schiedenen Männern  in  den  Mund  gelegt  haben  sollte,  ist  der  Text  eben  keineswegs  eine 
Apokalypse,  sondern  eine  um  das  Jahi-  170  v.  Chr.  gehaltene  Mahni-edc.  die  die  Gegenwart 
nirgends  unter  der  Maske  einer  alten  Pro])iiezeiuiig  verhüllt.  So  können  diese  AVorte  uui- 
eine  fälschlich  in  den  Text  gedrungene  Randglosse  sein,  die  zu  demselben  geschichtliche 
Parallelen  anführt.  Gemeint  sein  wild  Gehazis  Verhalten  bei  der  Heilung  Na'mans  Reg.  II  5, 
seine  Bereicherung  durch  ungerechten  Gewinn  in  dei-selben  Art,  wie  es  die  Abtrünnigen 
treiben,  und  die  ihm  dafüi-  von  Elisa  angekündigte  Strafe.  Bei  Baruch  mag  an  die  treue 
I'.rfüUung  seiner  Aufträge  (.birem.  36.  45)  und  vor  allem  an  .leremias  Gebet  ;!2,  16IV.  gedacht 
sein,  nachdem  er  dem  Baruch  den  Kaufbr-ief  für  den  Acker  in  Anatot  übergeben  liatte,  in 
dem   er   von  .laliwcs   Allmacht   und   Slrarüerirlil    und   i\er  Unli-eue  des   Volkes  redet. 


Dir  (ifmeindc  ilrs  ncvf-ii  Bumlcx  im  Ijindi'  Dnmashis  )}  1 

wenden:  nopevewMeN  kai  AiAecbweeA  aiashkhn  mgta  tun  eenÜN  tun  kykacü  hmön, 
ÖTi  A**  HC  exupiceHMeN  vn'  a-t'tön,  evpeN  hmäc  kakä  ooaaä,  sagt  der  yiöc  nAPÄNOwoc 
Makk.  I  1, 1 1.  und  findet  damit  vielen  Anhang  (kai  HrAevNeH  6  Aöroc  en  ö^oaa- 
MoTc  a-y-tön).  Audi  hier  ist  es  ein  neuer  Bund,  den  man  schließen  will, 
aber  ein  Bund  mit  den  Heiden  und  ihren  (röttem;  dem  gegenüber  stellt 
die  Erneuerung  des  alten  Bundes  der  Väter  durch  die  aus  dem  gottlos 
gewordenen  Lande  auswandernden   Frommen. 

Die  Abtrünnigen  werden  im  Anschluß  an  Ezechiel  als  die  »Erbauer 
der  Mauer«  bezeichnet,  die  die  Lügen[)ropheten  mit  blendender  Farbe  an- 
streichen. Der  Ausdruck  ist  schon  vorher  4,  19  verwendet:  »die  Erbauer 
der  Mauer'  sind  die,  welche  'hinter  "iS  einhergingen'«,  und  dies  dunkle 
Wort  Hoseas  5,11  (önicu  tun  mataIun  LXX)  wird  durch  Micha  2,  6  ge- 
deutet: »der  IS  ist  der  Wahrsager  (?|''w'!:,  wie  oben  8,13),  von  dem  er 
sagt:  sie  wahrsagen  immerfort'«'.  Es  war  ein  ganz  seltsamer  Mißgrifl* 
ScHECHTERS  uud  Seiner  Nachfolger,  in  den  Erbauern  der  Mauer  die  Phari- 
säer zu  suchen,  die  mit  dem,  was  jenen  vorgeworfen  wird,  doch  wahrlich 
garnichts  gemein  haben;    das  hat  Gressmann  kurz  und  bündig  widerlegt". 

Der  falsche  Proj)het,  »der  Mann  des  Spottes,  der  auf  Israel  Wasser  der 
Eüge  träufeln  Heß«  (1,14,  oben  S.  13),  der  5,12  verkündet,  daß  »die  Ge- 
setze des  Gottesbundes  nicht  bestehn«  (s.  u.  S.  35)  und  daher  zum  Ab- 
fall auffordert,  ist  offenbar  identisch  mit  dem  yiöc  hapanomoc  des  ersten 
3Iakkabäerbuchs.  Das  zweite  nennt  seinen  in  diesem  absichtlicli  verschwie- 
genen Namen;  es  i.st  der  Hohepriester  lason  (173  — 171  v.  Chi'.),  der  acgbhc 
KAI  OYK  APxiepcYc  (II  4,  1 3),  dcr  Führer  der  Reformpartei,  der  die  Xkmh  to9 
■■Gaahnicmo?  kaI  npöcBACic  AAAOoYAicMO?  herbeiführt.  Es  kann  kein  Zweifel 
sein,  daß  unser  Text  dieselbe  Persönlichkeit  im  Sinn  hat '. 


'  •TC  r:r.  D«r  Text  bei  Micha  lautet  aUerdiiio;s  wcseiitlicli  anders:  •j-e-j-' -E^cCi  Vs  -ihr 
sollt  nicht  wahrsagen,  wahrsagen  sie-  (LXX  versteht  ganz  andei-s:  «h  kaaietg  aäkpycin). 
Man  sieht,  wie  frei  unsere  Schrift  mit  dem  Bilieltext  umgeht.  Oder  hat  sich  hier  noch  eine 
andere  Lesung  der  jedenfalls  korrupt  überlieferten  Stelle  erhalten'.' 

'  ZDMd.  66.  492.  Der  Anlaß  für  S(  iiechter  war,  daß  die  Pharisäer  fordern,  einen 
Zaun  (it)  um  das  Gesetz  zu   ziehn. 

'  Mit  Unrecht  hat  (iRKSSMANN  ZDMG.  66,  492  f.  die  Beziehung  auf  historische  Persön- 
lichkeiten geleugnet  und  alle  diese  Stellen  eschatologisch  auf  die  Zukunft  deuten  wollen. 
Daß  die  Ausdrücke,  mit  denen  sie  bezeichnet  wei'den.  aus  dein  A. '!'.  entlehnt  sind,  ist  doch 
kein  Beweis  dafüi',  daß  sie  nicht  existierten,  sondern  das  Gegenteil:  in  der  Gegenwart  er- 
kennt man  die  Männer  an  der  Arbeit,  deren  Wirksamkeit  die  Propheten  lange  vorher  ver- 
kündet haben.  Genau  ebenso  verfahren  alle,  welche  die  Angaben  Daniels  und  der  .\poka- 
Ivpse  auf  die  Kreigni.sse  ihrer  Gegenwart.  <>twa   auf  Napoleon   oder  den   Weltkrieg,  deuten. 


32  E.   Ml.  Y  i:i!: 

Auch  in  der  Gegenpartei,  unter  den  Frommen,  kann  es  an  fiihrenden 
Männern  nicht  gef'elilt  liaben,  die  iliren  Anschauungen  Ausdruck  gaben 
und  die  neue  Organisation  gescliafl'en  liahen.  Der  Fülirer  der  Bewegung 
wird  I.  I  I  und  in  B  20,  28.  32  als  »Lehrer  (h-r  (Jereclitigkeit«  (p"S  mir)  be- 
zeichnet', daneben  B  20,  1.14  mit  dem  sehr  überraschenden  Ausdruck 
»Lehrer  des  Einzigen«  (-'n^n  m"ri:  20,  32  heißt  Gott  selbst  »der  Ein- 
zige«. Die  scharfe  Beton\mg  der  Einheit  Gottes  ist  fiir  das  Judentum  selbst- 
verständlich und  Avird  im  Sma',  dem  offiziellen  (Jebet.  mit  den  Worten 
von  Deut.  6,4  tagtäglich  von  allen  Gläubigen  bekannt;  indessen  daß  statt  "ins 
eTc  hier  iTiTt  ö  noNoreNHC  als  Bezeichnung  Gottes  gebraucht  wird,  ist  in 
dieser  Zeit  ohne  Analogie  und  kehrt  erst  im  späteren  Judentum  wieder'; 
aber  es  erklärt  sich  aus  dem  (Gegensatz  gegen  den  Polytheismus  der  Grie- 
chen, mit  dem  sich  die  Gegner  einlassen.  Aus  20,  i.  14  erfahren  wir.  daß 
dieser  »Lehrer«  bereits  gestorben  ist,  oli  eines  natürlichen  Todes  oder  von 
den  Feinden  ersehlagen,  läßt  sich  nicht  sagen:  es  liegt  sehr  nahe,  an  den 
»Gerechten«  zu  denken,  von  dem  das  Testament  Lewis  redet  (oben  S.  i  7), 
der  die  Gesetze  erneuern  will,  aber  von  den  Gegnern  verlästert  und  schließ- 
lich erschlagen  wird.  Eben  das  könnte  den  Anlaß  zur  Auswanderung  sei- 
ner (Jemeinde  gegeben  haben. 

Zusammengefaßt  wird  diese  Gemeinde  als  die,  Avelclic  'den  Brunnen 
gegraben  haben'  (6,  3 ff.,  s.  o.  S.  24),  »einen  Brunnen  vieler  Wasser«,  wie 
es  oben  3,  16  hieß.  Ebenso  sagt  die  Fortsetzung,  die  in  B  unvermittelt 
an  den  Schluß  des  Textes  von  A  angefügt  ist  (19.  34):  »und  sie  Helen  ab 
und  wurden  treulos  und  kehrten  sich  ab  von  dem  Brunnen  lebendigen 
Wassers«.  Als  Nachfolger  und  Erben  der  gottgelieJ)ten  Ahnen,  als  das 
wahre  »Haus  Juda«,  sind  die  Frommen  des  neuen  Bundes  aucli  vorher 
4.  6  ff.  schon  bezeichnet,  nach  der  Verkündung.  daß  ihnen  ein  ewiges  Leben 
in  Herrlichkeit  bestimmt  ist,  an  die  die  Deutung  der  Stelle  aus  Ezecliiel 
anschließt  (oben  S.  23):  »die  früheren  Heiligen",  denenGott  vergeben  hat, 
die  dem  Gerechten  recht  \uid  dem  Sünder  unrecht  gaben,«  —  vgl.  das 
entgegengesetzte  Verhalten  der  Abtrünnigen  1,19.  oben  S.  14  —  »und 
alle,  die  ihnen  nachwandeln,  zu  handeln  gemäß  der  Exegese  (r'.iE)  <ler 
Tora,   in   der  die   Früheren   sich   zurechtweisen   ließen,   bis  zur  ^'ollendung 


'    p.  6,  II  wird  fler  Ausdruck  für  den  zuktinftiircii  Messias  vonvenrlpt.  oben  S.  24. 
-    F.  Weder,  Jüdische  Tlieologie^  S.  151. 

'■'    3-:-r{x-,r  ai)rTtr.  vDii   Chari.ks  (»vidoiit   lieri;eslpllt. 


Die  (jemelndf  des  neven  Bundes  im  Lande  Damaskus  HH 

des  Endes  gemäß  der  Zahl  dieser  Jahre'«  —  d.  h.  bis  das  von  Gott  vor- 
herbestimmte und  zeitlich  genau  festgesetzte  Ende  (p.  2,  7 ff.,  oben  S.  20), 
die  Zeit  des  Messias,  eintritt  —  »gemäß  dem  Bunde,  den  Gott  mit  den 
Früheren  errichtet  hat.  ihre  Sünden  zu  vergeben,  wird  Gott  auch  ihnen 
vergeben"«. 

Aber  die  Zeit,  sich  zu  bekehren,  ist  jetzt;  wer  wartet,  bis  die  Er- 
frdlung  kommt,  für  den  ist  es  zu  spät;  es  ist  dieselbe  Mahnung,  die  Jesus 
und  das  Cliristentum  predigt:  nenAHPuxAi  ö  kaipöc  kai  HrriKeN  h  baciagia  to? 
eeoY"  weTANoeTre  kai  nicTevere  en  tu  evArreAiu.  »Wenn  die  Vollendung  des 
Fundes  gemäß  der  Zahl  dieser  Jahre  eintritt, «  fährt  der  Text  fort,  » ist  es 
nicht  mehr  möglich,  sich  an  das  Haus  Juda  anzuschließen,  sondern  ein 
jeder  wird  stehen  bei  seiner  Feste ;  'erbaut  ist  die  Mauer,  ferngerückt  die 
(irenze'  (Micha  7,  1  i)'.« 

Aber  bis  die  Vollendung  kommt,  hat  der  Teufel,  Beli'al,  noch  Macht 
und  hat  .seine  Verfülirungsniittel,  seine  »Netze«,  bereit:  ihm  fallen,  wie 
8,  2  (s.  o.  S.  28)  wiederholt  wird,  alle  anheini,  die  in  den  Bund  einge- 
treten sind,  aber  ihn  nicht  halten:  »Und  in  all  diesen  Jahren  wird  Beli'al 
losgelassen  sein  gegen  Israel,  wie  (iott  gesprochen  hat  durcli  den  Proplieten 
•lesaja  ben  Arnos  (24,  17):  'Grauen  und  (irube  und  (iarn  konmit  über  Dich. 
Bewohner  der  Erde!'  Die  Deutimg  sind  die  drei  Netze  Beli'als,  von  denen 
Lewi,  der  Sohn  Jakobs,  gesprochen  hat.  mit  denen  er  (d.  i.  Lewi)  Israel 
gepackt*  und  ihr  Antlitz  zu  den  drei  Arten  der  Gerechtigkeit  hingewandt 
hat:    das  erste  ist  die  Unzucht,   das  zweite  der  Reichtum,    das  dritte  die 


'    Wie  in  ZI.  lo  ist  auch  hier  -Vxn  a^rrn  <Tes5)  -^y-  (statt  a^Vo)  s-Vb  -::•  zu  lesen. 

'  Der  Satz  ist.  wie  so  oft,  ungesehickt  aufgebaut  und  geht  ;ius  den  Fugen.  Gemeint 
ist:  -auch  fiir  die  Nachfolger  der  frommen  Vorfahren  .  .  .  besteht  der  mit  diesen  geschlossene 
Bund  der  Sündenvergebung  gleichmäßig  weiter«. 

■■'  Der  Micha-Text  lautet  --t  -rr-^  s-rr  a^  -p-i;.  t'zzs  »— :  a-'  -dies  ist  der  Tag,  deine  Mauer 
zu  bauen,  dieser  Tag  wird  die  (Jrenze  fern  rücken-.  Danach  sagt  unser  Text  -T!r.  ;n-  ^i;-  rm:, 
d.  h.  der  von  Micha  verkündete  Tag  ist  Jetzt  .schon  da.  Ich  sehe  keinen  Grund,  mit  Gress- 
ji\NN  ZDMG.  66,  502  -r.zzz  in  reaV  zu  ändern.  Im  vorherf;eiieiid<  n  übersetzen  Schechiei!  und 
Charlks  "fr:  '•>-  arw  -'•^:\  z»  s  «but  everyone  shall  stand  up  against  his  net-,  was  keinen  Sinn 
gibt,  -rr:  muß  hier  nicht  -Netz«,  sondern  »Burg,  Turm«  beileuten,  wie  Qoh.  9.  14  und  wie 
sonst  -r-r^i.  Naclilier  4.  15  bedeutet  n-n'r?  allerdings  «Netze«:  aber  auch  im  h..'\'.  hat  das 
Wort  lieide  Bedeutungen. 

*  5ic-Ttrs  sr.z  ain  tt~r.  ~c*  ist  entlehnt  aus  Ezechiel  14,  4,  wo  Gott  sagt  aasi  Vs-r^  r\-2.  nx  -atn  ^w 
■  um  Israel  an.s  Her/  zu  greifen-.     Im  übrigen  s.  o.  .S.  10.  2. 

PhiL-hixt.  AM.   1UI<).  .Yr.  II  5 


34  K.     >I  E  Y  K  K  : 

Befleckung    des    Heiligtums.     Wer   dem    einen   entgeht,    wird   vom  andern 
gepackt,   und  wer  diesem   entkommt,   wird  von  jenem   gepackt.« 

Die  Befolgung  der  sittlichen  und  der  mit  ihnen  untrennbar  verbun- 
denen kultischen  (Jobote  bildet  den  Kernpunkt  der  Satzungen  des  neuen 
Bundes.  In  dem  Gesetzbuch  p.  9 — 16  werden  sie  im  einzelnen  au.sgeführt, 
aber  auch  in  der  Mahnrede  immer  von  neuem  eingeschärft.  Wie  in  allen 
übrigen  (icstaltungen  des  Judentums  gehn  sie  auch  in  dieser  Gemeinde 
über  die  Gesetze  der  Tora  wesentlich  hinaus:  trotz  alles  Formalisnms,  den 
die  wahren  Frommen  ja  am  wenigsten  abstreifen  dürfen,  wirkt  in  ihnen 
der  Geist  der  echten  Propheten  weiter  fort  und  führt  zu  einer  Vertiefung 
der  ethischen  Gebote.  Ein  überraschender  Zug  der  neuen  Gemeinde,  die 
sich  auch  darin  mit  dem  Christentum  berührt,  ist  —  neben  der  richtigen 
Beobachtung  der  Feste,  s.  o.  S.  9  f.  —  die  Forderung  der  Monogamie,  die 
das  übrige  Judentum  nicht  kennt.  Das  wird  durch  künstliche  Interpretation 
der  Schrift  begründet  und  besonders  eingeprägt  iind  die  Polygamie,  welche 
die  Gegner  üben,  als  Unzucht  (rroT  »Hurerei«)  bezeichnet.  Djdier  fährt  der 
Text  im  Anschluß  an  die  drei  von  Lewi  hervorgehobenen  Sünden  fort: 
»Die  Erbauer  der  Mauer,  die  dem  "iS  folgen  —  der  "S  ist  der  Wahrsager, 
von  dem  er  sagt:  sie  wahrsagen  immerfort  (s.o.  S.  31)  — ,  sie  .sind  ge- 
packt (d.  i.  der  Sünde  oder  dem  Bell  al  anlieimgefallen)  durch  zwei  Weiber', 
durch  die  Hurerei,  zwei  Fi-auen  bei  ihren  Lebzeiten'  zu  nehmen.  Aber 
das  Fundament  der  Schöpfung  ist  (Gen.  i,  27):  'männlich  und  weiblich 
schuf  er  sie';  und  die  in  die  Arche  gingen,  zu  zweit  gingen  sie  in  die 
Arche' (Gen.  7,9).  Und  über  den  Fürsten''  ist  geschrieben  (Deut.  17,  17): 
'er  soll  sich  nicht  viele  Frauen  nehmen'.  David  aber  hatte  in  dem  Buche 
der  Tora  nicht  gelesen,  das  versiegelt  in  der  Lade  lag,  denn  es  wurde 
in  Israel  nicht  geöff'net  seit  dem  Tage  des  Todes  P^leazars  und  Josuas  und 
der  Ältesten,  die  den  Astarten  dienten,  sondern  war  verborgen  und  Avurde 
(nicht)  enthüllt*,  bis  daß  Sadoq  aufstand«  —  das  ist  natürlich  der  Hohe- 
priester vuiter  David  und  Salonio,  der  Ahne  der  späteren  Pries(:ergeschlecliter; 
in    naivster  Weise   winl   hier   eine  Geschichtskonstruktion   aufgestellt,  um 


'    2^-135,   l'emininiiiiil 

^    Statt  =-i^r:  müßte  es   korrekt   iiiitürlieli   ——  heißen. 

^    An  Stelle   des   »KönijiS«    im    Deiiteroiiominm    setzt    unser  Text   den    s™:;   nach  dem 
Sprachgebrauch  Ezeehiels   niid  der  nacliexilischen  Zeit,  die  ein  Köniirtnm   nicht  mehr  kennt. 
■*    ScHKCH  IRR   koi'fiiiieit  nn°t  Hecht  -V.:  {sV>)  -l-J-a". 


Di4'  (li'mc'mdt  dm  iwuen  liniidrs  int  Ldinh'  Dcuiiuskiis  IJö 

David  eiiiij^ennaßen  zu  entlasten.  In  deii  folgenden  Worten  wird  dann 
David  noch  weiter  entschuldigt,  ganz  entsprechend  der  Darstellung  im 
Samuelbuch;  aber  das  entscheidende  Wort  ist  verschrieben:  »und  die  Taten 
Davids  wurden  .  .  .  mit  Ausnahme  der  IJlutschuld  an  Uria;  und  Gott  hat 
sie  ihm  erlassen«'. 

Eine  weitere  Sünde,  die  als  »Befleckung  (Profanierung,  Sis'j)  des  Heilig- 
tums« betrachtet  wird',  ist,  daß  »sie  der  beiwohnen,  die  ihren  Bluttluß 
sieht",  d.  h.  die  Reinheitsgesetze  bei  der  Menstruation  nicht  richtig  lie- 
obachten.  und  daß  »man  die  Tochter  seines  Bruders  oder  seiner  Schwester 
zur  Frau  nimmt«,  »wo  doch  Mose  gesagt  hat  (Lev.  i8.  13):  Der  Schwester 
deiner  Mutter  sollst  du  nicht  nalien,  sie  ist  das  Fleisch  deiner  Mutier'^«: 
das  wird  also  hier  auf  die  P^nkelinnen  der  Mutter  ausgedehnt,  die  ja  erst 
recht  »ihr  Fleisch«  sind.  »Das  Recht  über  die  Scham  der  Männlichen  ist 
geschrieben  (steht  in  der  Schrift)  und  gilt  ebenso  für  die  Frauen,  und 
wenn  die  feruderstochter  die  Scham  ihres  Vaterebruders  entblößt,  ist  sie 
(sein)  Fleisch«  ' —  d.  h.  diese  Ehe  i.st  verboten. 

»Aber  auch  ihren  heiligen  Geist  betlecken  sie,  indem  sie  mit  Läster- 
reden ihren  Mund  öftnen  gegen  die  Satzungen  des  Gottesbundes  und  sagen: 
sie   stehn    nicht    fest   (':'::  vi')*.     Abscheulich    ist,    was    sie   darüber   reden. 

Sie  alle  sind  Brandstifter  und  Entzünder  von  Braudpfeilen  (Jes.  50,  1 1)' '; 

Spinngewebe  sind  ihre  Gespinste  und  Natterneier  ihre  Eier'  (Jes.  59,  5). 
Wer  ihnen  nahekommt,  bleibt  nicht  rein,  .  .  ."  wird  sein  Haus  schuldbe- 
fleckt .  .  .'.    Schon  von  alters  hat  Gott  ihr  Tun  angeschaut,  und  sein  Zorn 

'    ^  "5  o=w  rr^-w  ST  -13V:  -!->--:  -^zn  'IT^. 

'  Ebenso  wiitl  in  li  20,  2,5  der  IJiindeshnicIi  der  lauen  und  jilitrünnif;en  Miti?liedei- 
der  neuen  (ienieinJe  als   »Kntweiliiing  des  HciiigtiiniS'-   Ijczeit-Iinet. 

'  Wörtlieli  lauk't  das  Gebot:  -Die  Srhani  der  Schwester  deiner  Mutter  sollst  du  nielit 
entblößen,  denn  sie  ist  das  Fleiseh  deiner  Mutter- ;  vorher  und  nachher  stehn  <;lciclilauteude 
(Jeljote  rdjer  die  sonstigen   nächsten  \'er\v.andten. 

'  SciiKCH  rEK  hat  diese  ganz  dentliehen  Worte  seltsam  mißverstanden,  indem  er  -they  are 
not  prop<;r-  iibei"set/.t  und  darin  eine  Polemik  gegen  die  Pharisäer  sucht.  Au''h  Ciiari.ks 
vertritt  unbegreiflicherwcise  diesellje  Auffassung,  obwoiil  er  die  Worte  richtig  übersetzt. 

'  Der  masso retische  Text  n-7-7  ■<-iir:  rs  in-  =Vi  yr.  ist  zweifcllds  korrupt.  Nai'h  dem 
Syrer  korrigiert  man  das  vorletzte  Wort  in  ^"tez  (LXX  KATicxvere  »aöpa  hilft  nicht  weiter); 
un.ser  Text  •^t  i-jir-  r«  irn;:  35;.  der  natürlich  in  t:-:;  und  .t-'t  zu  ändern  ist.  bietet  vielleicht 
das  richtige  (im  nächsten  llaibvers  kehrt  bei  .lesaja  ar-rs  n-;;-;:-  wieder). 

'■    -75  »wie  ein  Ilerg-    ist  unmöglich   richtig. 

'  Vjs  folgt  eine  Au.snainne  3«  i;  •—V;  ;»  -c,  mit  Dittographie  und  weiterer  ungelieiltei' 
Vei-schrelbung. 

5* 


HC)  K.    .AlKVKit: 

entbrannte  über  ihre  Missetaten ;  denn  sie  sind  keine  einsichtigen  Lente, 
sondern  ein  Volk,  das  den  Verstand  verloren  hat,  da  keine  Einsicht  in 
ihnen  ist.  Denn  vor  alters  sind  Mose  und  Aharon  aufgestanden  durch  die 
Hand  des  B'ürsten  der  Lichter«  —  ein  Erzengel  wie  der  »Engeides  Angesichts« 
im  Jubiläenbuch  —  »während  Bell  al  den  Johannes  und  seinen  Bruder  auf- 
stellte in  seinen  Ränken,  als  Israel  das  erstemal  gerettet  wurde  (s.  o.  S.  6); 
und  am  Ende  der  Verheerung  des  Landes«  -  d.  h.  gegenwärtig  —  »sind 
die  Verrücker  der  Grenze'  (Hosea  9,  10.  Deut.  19,  14;  ebenso  1.  16  oben 
S.  13)  aufgestanden  und  haben  Israel  in  die  Irre  geführt,  und  das  Land 
ist  verwüstet:  denn  sie  haben  Abfall  von  den  Geboten  Gottes  geredet 
—  durch  Mose  und  auch  durch  seinen  heiligen  Messias'  —  und  sie  prophezeiten  Lüge, 
um  das  Volk  von  Gott  abzuführen.  Aber  Gott  gedachte  des  Bundes  mit 
den  Früheren  und  nahm  aus  Aharon  Einsichtige  und  aus  Israel  Weise  und 
ließ  sie  verstehn,  und  sie  gruben  den  Brunnen«  —  und  nun  folgt  die 
oben  S.  24  besprocliene  Erläuterung  zu  Nuni.  21,  18. 

Dieser  ganze  Abschnitt  zeigt  einen  tadellosen,  von  "den  bislierigen 
Bearbeitern  nicht  genügend  beachteten  Zusammenliang'  und  ein  klares 
P'ortschreiten  der  Gedanken.  Wie  ehemals  in  der  Zeit  des  Mose  der  Teufel 
das  Volk  durch  Johannes  und  Jambres  ins  Unglück  zu  stürzen  suchte,  so 
jetzt  durch  die  Abtrünnigen  und  die  LOgenpropheten  —  diesmal  durch 
isnr',  direkt  als  »Propheten«.  n'S^-J  bezeichnet,  während  sonst  »["cr  ver- 
wendet wird  — ,  denen  das  betörte,  einsichtslose  Volk  nur  zu  willig  folgt. 
Aber  Gottes  Gnade  ist  trotzdem  nicht  gewiclien;  er  hat  gegen  sie,  wie 
»der  Fürst  der  Lichter«  den  Mose,  so  die  Einsiclitigen  und  Weisen  aus 
Priesterschaft  und  Laien  (aus  Aharon  und  Israel)  erweckt,  die  »den  Brunnen 
gegraben«,   den   neuen  Bund  gestiftet  haben. 

Noch  schärfer  als  8,  i  wird  die  Verkünchmg  der  falschen  Propheten 
hervorgehoben,  daß  es  mit  dem  Gesetz  vorbei  ist,  daß  es  »keinen  Bestand 
hat«.  Das  wird  als  »Befleckung  ihres  heiligen  Geistes«  (isr'.:  an"'r:"p  n-n  ns), 
als  BAAC*HMiA  eic  Tö  ONGYMA  To  ATioN  bezeichnet.     Es  ist  dieselbe  Auffassung 


'  Die  ganz  uuverbunden  dastehenden  Woi-te  sind  offenbar  Glosse ;  sie  sollen  besagen, 
daß  die  Gebote  durch  ^Moso  offenbart  sind  und  sich  auch  auf  den  Messias  und  das  kommende 
Reich  beziehn. 

'■'  Die  Kapiteleinteilung  Schkchteks  ist  liier  wie  sonst  ganz  unglücklich.  Auch  im 
Manuskript  stehn  die  durch  einen  kleinen  leeren  Raum  bezeichneten  Einschnitte  keine.s- 
wcgs   libcrall   ,111   der  für  den   Foi'tganu  des  Gedankens  entscheidenden  Stelle. 


Di«'  (ieinfimic  des  itnicii  Baiulcs  im  Lande  Ikniuiskus  ii7 

wie  im  Neuen  Testament.  Denn  sie  wissen  nach  der  Überzeugung  des 
Verfassers,  daß  das  Gesetz  göttlich  und  ewig  ist,  und  so  reden  sie  gegen 
ihre  eigene  Überzeugung  und  ihr  Gewissen,  und  das  ist  die  schwerste  Sünde, 
die  der  Mensch  begehn  kann. 

Derselbe  Ausdruck  I)egegnet  uns  nochmals  in  der  Fortsetzung,  nach 
dem  Abschnitt  über  die  Bohrer  des  Brunnens  (6,  iifl".):  »Und  alle,  die  in 
den  Bund  eingetreten  sind',  um  nicht  zum  Heiligtum  zu  kommen,  'seinen 
Altar  zu  erleuchten',  sind  '\'erschließer  der  Tür',  von  denen  (iott  gesagt 
hat  (Mal.  i,  lo):  'wer  wird  von  Euch  (oder  vor  Euch?)  die  Tür  schließen? 
und  ihr  sollt  nicht  vergeblich  meinen  Altar  erleuchten'.«  Die  Stelle  ist 
offenbar  symbolisch  zu  verstehn  und  bezieht  sich  nicht  etwa  auf  den  Kult 
in  Jerusalem;  sondern  das  »Heiligtum«  Biprsi  ist,  wie  bei  den  Ehegeboten 
oben  S.  35,  das  heilige  Gebot  Gottes  und  der  »Altar«  der  richtige  Gottes- 
dienst. Gemeint  sind  die,  welche  sich  dem  Bund  angeschlossen  haben 
ohne  die  ernste  Absicht,  seine  Gebote  zu  befolgen :  gegen  sie  wird  wie 
durchweg  .so  auch  im  folgenden  nachdrücklich  gered(>t.  Durch  ihr  Verhalten 
machen  sie  selbst  die  Tür  für  sich  zu,  es  nützt  ihnen  nichts.  »Wenn  sie 
nicht  dabei  bleiben,  nach  der  Exegese  der  Tora  zu  handeln  bis  zum 
P'nde  des  Bösen  und  sich  zu  sondern  von  den  Söhnen  des  Venlerbens  und 
sich  zu  enthalten  vom  sündhaften  Reichtum,  der  durch  Gelübde  und  Bann 
belleckt  ist",  von  dem  Vermögen  des  Heiligtums,  und  von  der  Beraubung 
der  Armen  des  Volks,  wodurch  Witwen  ihre  Beute  werden  und  sie  Waisen 
morden,  inid  (dabei  bleiben)  zu  scheiden  zwischen  Unreinem  und  Reinem 
und  den  Unterschied  kundtun  zwischen  Heiligem  und  Profanem,  und  den 
.Sabbattag  gemäß  seiner  Exegese  halten  und  die  Feste  und  den  Fasttag 
gemäß    den  Goljoten    derer,    die   in   den  neuen   Bund  im   Lande   Damaskus 


'  Der  Text  hat  '*zt:  -die  welche  (einen  andern)  einführen«;  das  ist  schwerlich  richtig 
lind  wohl  mit  Schkchter  und  Ciiables  •»:  7.u  lesen.  Beide  fassen  dann  ■a-.-.-v.  sk  x-a  irsaV  als 
Sachsatz:  »sie  sollen  nicht  ins  Heiligtum  gehn  und  (d.  i.  jondern)  sollen  die  Tür  schließen«. 
Aber  hei  dieser  sprachlich  durchaus  möglichen  Konstruktliiri  vermag  Ich  keinen  irgendwie 
begreiflichen  Sinn  in  der  Vorschi-ift  zu  finden.  Dagegen  wird  rn--.  ■'-vr-  -^ri-  den.  Nachsät/. 
bilden:  sie  sind  die  Leute,  für  die  das  Wort  ]Maleachis  gilt. 

*  a-m-  — !:a  s-rcr  -rv-  --r.  Ks  handelt  sich  um  Gut,  das  der  Gottheit  geweiht  und  da- 
durch unantastbar  geworden  ist.  dessen  Raub  daher  befleckt.  Daß  die  Abtrünnigen  das 
Tempelgut  und  die  ( )pfergabe,n  antasten,  -sagt  auch  Test.  I.cv.  14:  TÄc  nPOC*OPAC  KypIoy  ahc- 
Tevcere  kk\  Änö  tun  A^epi^uN  aytoy  KAeyere  ökackta,  ^ceioNTtc  €N  KATA<t>P0NHcei  «erA  nopNÜN. 

.  .      .'6IÄ    TOYTO    Ö    NAÖC,    ON    eKAeiCTAI    K'r'PIOC,    ^PHMOC    gCTAI    6N    TH    AkASAPCIA    YM&N. 


•{8  K.   Mkvkk: 

eingetreten  sind  (vgl.  oben  S.  lo),  die  heiligen  Gaben  darzubringen  gemäß 
ilirer  Exegese,  jeder  seinen  Nächsten  (Bruder)  /u  lieben  wie  sich  selbst, 
den  Annen  und  Dürftigen  und  Beisassen  zu  helfen,  und  jeder  das  Wohl 
seines  Nächsten  zu  suchen  —  und  niemand  soll  gegen  seinen  Blutsverwandten 
treulos  handeln  — ,  sich  von  den  Dirnen  fernzuhalten  gemäß  dem  Recht, 
jeder  seinen  Nächste;i  zurechtzuweisen  gemäß  dem  Gebot  und  nicht  den 
(liroll  von  Tag  zu  Tag  zu  bewahren,  sich  'zu  sondern  von  allen  Unrein- 
heiten' nach  ihren  Satzungen  (Lev.  20,  25),  so  daß  niemand  seinen  heiligen 
Geist  zum  Abscheu  niacht  (fpO"'),  so  Avie  Gott  es  für  euch  gesondert  hat' 
— -  alle,  die  danach  wandeln '  in  aufrichtiger  Heiligkeit  gemäß  allen  Funda- 
menten des  Gottesbundes,  für  die  ist  er  beständig,  so  daß  sie  leben  tausend 
Geschlechter".«  Jetzt  folgt  der  Abschnitt,* der  kurz  die  Ordnung  der  neuen 
Gemeinde  in  den  »Lagern«  darlegt  (oben  S.  2 7 f.)  und  dann  in  die  ab- 
schließende Mahnrede  übergeht. 

Der  Satz,  in  dem  der  heilige  Geist  vorkommt,  wird  nur  dadurch  ver- 
ständlich, daß  er  eine  Umschreibung  des  Gebots  Lev.  20,  25  ist:  »Sondert 
also  zwischen  reinem  und  unreinem  Vieh,  unreinem  und  reinem  (ietlügel, 
und  macht  euch  nicht  selbst  abscheulich  (arTCs:  rs  ispcn)  durch  Vieh, 
Gellügel  oder  Kriechtiere,  die  ich  euch  als  unrein  abgesondert  habe. «  »Euch 
selbst«  (»eure  Seelen«)  wird  durch  den  »heiligen  Geist  eines  Jeden«  (tCS 
rcip  mi  ns)  ersetzt:  jeder  hat  ein  lebendiges  Bewußtsein  über  das.  was 
rein  und  unrein  ist,  und  frevelt  daher  gegen  seinen  heiligen  Geist,  den 
in  ihm  wirkenden  tiottesgeist  der  Wahrlieit,  wenn  er  sich  darüber  hin- 
wegsetzt. 

Die  religiösen   Anschauungen. 

Die  Anschauungen  von  der  göttlichen  A^'elt  mit  ihren  Engeln,  den 
»Wächtern«  und  dem  »Fürsten  des  Lichts«  (2"'"ns«n  ib)  und  der  gegenüber- 
stehenden teuflischen  Welt  Beli'als  (vgl.  auch  2,  6  oben  S.  20)  sind  die- 
selben wie  im  Jubiläeiibuch  und  den  zugeliörigen  Schriften.  Zu  beachten 
ist,  daß  Engel  namen,   die  im  Daniel  buch   zuerst  auftauchen,    hier  sowenig 


'  Dei-  uiieiidlich  Inngc  Satz  ist  dem  A'erlassei'  aus  den  Fugen  gegangen.  Er  zählt 
iilles  auf,  was  vei'nuMden  werden  soll  ("Wcnn  sie  iiii-ht  .  .  .»),  scblägt  dann  in  die  positive  Aus- 
h'iliriing  der  l'tlicliten  der  (iliinhigeii  um  und  kann  sd  mit  dem  diesen  verlieißenen  Segen 
schließen. 

-    .Mit    "iM.stiiiidig«   sclzt  der  Paralleltext   \i  (p.  19,  i)  ein. 


l}ie  Geirif'mili'  fhs  ntiit-n  Bunil/s  im  Lande  DonKishii^  iil) 

vorkommen  wie  im  .Tubihleiibuch  oder  etwa  bei  Zaclisuja.  Dagegen  findet 
sicli  fiir  den  Teufel  im  Gesetzbuch  i6,  5  der  aus  Hosca  9,  7  entlehnte  Name 
»der  M.nstema«  (msuCTsn),  »der  Anfeinder«,  den  das  Jubiläenbuch  mit  Vor- 
liebe fiir  den  obersten  der  Teufel  verwendet:  durch  seine  »Roten«  (Engel, 
isbr)  stellt  er  den  einzelnen  Menschen  nach.  Den  Abschluß  bildet  das 
große  Gericht  der  P^ndzeit,  dessen  Termin  von  Gott  genau  vorherbestimmt 
ist  und  in  Bälde  erwartet  wird,  wie  dort.  Es  wird  herbeigeführt  durch 
das  Kommen  des  Messias,  des  »Lehrers  der  Gerechtigkeit«  (6,  i  r  oben 
S.  24),  der  Aharon  imd  Israel  erlösen  wird  (B  19.  10  oben  S.  27  und  20,  i, 
vgl.  I,  7  oben  S.  13  und  6,  i  oben  S,  36  sowie  12,  23  »am  ICnde  der  Sfinde 
bis  zum  Erstehn  des  Messias  Aharons  und  Israels«,  ebenso  wahrschein- 
lich 14,  19);  die  besondere  Betonung  Aharons,  d.  i.  der  Priestersehaft  (iden- 
tisch mit  den  Söhnen  Sadoqs  oben  S.  23),  hier  und  6,2  entspricht  der 
Bedeutung,  die  den  Söhnen  Lewis  auch  in  den  Testamenten  der  Patriarchen 
trotz  all  ihrer  Sünden  zukommt.  Sehr  deutlich  erkennt  man  in  all  diesen 
Schriften,  wie  zugleich  die  Vorstellung  <'ines  bewußten  Fortlebens  nach  dem 
Tode  und  einer  zukünftigen  Vergeltung  aus  der  Bedrängnis  der  Religionsnot 
hervorwächst:  den  unsclmldig  Leidenden  und  Märtyrern  muß  ein, Ausgleich 
gewährt  werden,  so  gut  wie  den  erfolgreichen  SOn<lern  ihre  Strafe  zukommen 
muß:  das  ethische  Postulat  eines  gerechten  Weltregiments  Gottes,  dem  die 
tiefere  Auffjussung  Hiobs  nicht  genügen  kann,  zwingt  zu  diesem  allein  übrig- 
bleibenden Ausweg.  Im  Ilenoch  cp.  98  ff.  liegt  diese  Entwicklung  ganz 
greifbar  vf)r,  und  zugleich  wird  hier  deutlich  ausgesprochen,  daß  sie  ein 
von  Ilenoch  verkündetes  und  ununterbrochen  mit  Eidschwüren  bekräftetes 
(ieheimnis,  eine  neue  Offenbarung  ist,  die  der  Masse  des  \'olks  noch  fremd 
ist:  es  ist  wirklich  wahr,  daß  alle  Taten  der  (Juten  wie  der  Bösen  von 
den  F^ngeln  im  Himmel  auf  Tafeln  aufgezeichnet  werden  und  das  Geschick 
vorher  genau  bestimmt  ist.  Diese  himmlischen  Sehicksalstaf'eln,  die  genau 
nach  der  richtigen  Berechnung  der  Jahre  und  Festzyklen  geführt  werden, 
kennt  auch  <las  Jubiläenbuch  (6,  3  i ;  ferner  5,  13  ff.  sowie  3,31.  15,  25  u.  a.) 
un<l  ebenso  das  Gericht,  das  auch  den  Toten  zugute  kommt  (23.  3  i  :  »und 
ihre  Gebeine  werden  in  der  Erde  ruhn,  und  (d.  i.  aber)  ihr  (Jeist  wird 
viel  Freude  haben,  und  sie  werden  erkeimen,  daß  Gott  es  ist,  der  Gericht 
hält  und  Gnade  übt  an  Ihinderten  und  an  Tausenden,  an  allen,  die  ihn  lieben«  : 
24,31  Ober  die  Vernichtung  des  Samens  der  Pliilister:  »und  wenn  er  in 
die  Unt<>rwelt   hinal)steigt,   wir<l   auch   dort  .seine  Strafe  groß  sein.  \mA  auch 


40  K.   Mkvkk: 

dort  wird  er  keinen  Frieden  haben«).  Von  einer  »  Anfersteliuiig  des  Fleisches«, 
einem  Erwachen  zu  neuem  Leben  auf  Erden  wissen  alle  diese  Schriften 
noch  garnichts.  Dieser  Gedanke  taucht  bekanntlich  zuerst  im  Danielbuch 
12,2  auf,  das  sich  auch  darin  von  den  andern  bestimmt  unterscheidet, 
nicht  als  eine  universelle  Auferstehung,  sondern  als  eine  Erweckung  einer 
großen  Zahl  Einzelner,  sei  es  zu  ewigem  Leben,  sei  es  zur  Schmach.  Das 
Schicksalsbuch   dagegen   kennt  auch   der  Daniel. 

Unsere  Schrift  steht  auch  in  diesen  Dingen  noch  ganz  auf  dem  Boden 
der  alten  Anschauungen.  Es  kennt  die  Prädestination,  aber  ein  bewußtes 
Fortleben  nach  dem  Tode  i.st  höchstens  in  dem  »ewigen  Leben«  3,20  (S.  23) 
angedeutet,  für  das  die  Frommen  bestimmt  sind,  wenn  es  sich  nicht  viel- 
leicht auch  hier  doch  noch  mehr  um  das  Fortleben  des  Volks  als  gesetzes- 
treuer Gemeinde  für  die  kommende  Segenszeit  handelt.  Wenn  am  Schluß 
der  S.  38  übersetzten  Stelle  ein  Fortleben  auf  tausend  Generationen  ver- 
heißen wird,  so  ist  damit,  wie  an  den  entsprechenden  Stellen  des  Alten 
Testaments,  jedenfalls,  dies  Fortleben  der  Einzelnen  in  ihren  Nachkommen, 
den  Geschlechtern,  gemeint.  Das  wird  durch  den  Paralleltext  B  bestätigt, 
der  noch  das  Zitat  von  Deut.  7,  9  hinzufügt  (p.  19,  if):  »(Gott)  bewahrt 
den  Bund  und  die  Gnade  denen,  die  er  liebt  und  die  seine  Gebote  halten, 
auf  tausend  Geschlechter«. 

Auf  den  Prädestinationsglaid)en  kommen  wir  sogleich  noch  wieder 
zurück  (S.  41).  Die  Vorstellung  vom  heiligen  Geist,  den  Gott  den  Men- 
schen eingegeben  hat,  haben  wir  bereits  kennen  gelernt  (S.  36  f.).  Er  ist 
aber  so  wenig  und  noch  weniger  als  die  bei  Jesus  Sirach  und  sonst  per- 
sonifizierte Weisheit  ein  selbständiges  Wesen,  eine  Hypostase  der  Gottheit, 
sondern  eine  Manifestation  Gottes  im  Innern  eines  jeden  Menschen,  die 
Stinnne  der  Wahrheit,  die  sich  im  Gewissen  regt  und  eine  Überzeugung 
schafft,  die  der  Mensch  wohl  wissentlicli  verleugnen  kann,  aber  nicht  zu 
überwinden  vermag,  die  in  ilim,  wenn  er  gegen  sie  handelt,  das  Bewußt- 
sein  erzeugt,   daß  er  sündigt  und  an  der  Gottheit  frevelt. 

Der  Absciiluß  der  Mahnrede  in   B. 

Mit   den  oben  S.  30  angeführten  Worten  8,  21   »(So  steht  es  um)  alle 

Menschen,   die   in   den   neuen  Bund   im  Lande  Damaskus   eingetreten  sind«, 

sejiließt  die  Mahnrede  in  A.     In  der  Rezension  B  ist  daran  noch  eine  lange 

weitere  Erörterung  angefügt  (19,  34 — 20,  34),  die  sieh  nochmals  gegen  die 


Die  Cierrn'inclf  tlr.t  iwuen  Bitmhs  im  Lantlc  J)(im(is/,-ii,s  41 

Abtrönnigo]!  wendet  und  dann  näher  auf  die  p]scIiatologie  eingelit.  «Sie 
sind  abgefallen«,  beginnt  sie,  »und  sind  abtrünnig  geworden  und  haben 
sich  abgewendet  von  dem  Brunnen  lebendigen  Wassers  (s.  o.  S.  32).  So 
sollen  sie  nicht  gerechnet  werden  in  der  Versammlung  des  Volkes  nn<l 
in  der  Aufzeichnung  nicht  geschrieben  werden'  (Ez.  13,9)  von  dem  'i'age 
an,  daß  versammelt  wurde  (nämlich  zu  seinen  Vätern,  d.  i.  gestorben  ist) 
der  Lehrer  des  Einzigen  (s.  o.  S.  32)  bis  zum  Auftreten  des  Messias  aus 
Aharon   und   Israel.« 

Immer  von  neuem  folgen  die  eindringlichsten  Angriffe  auf  diese  Leute, 
die  sich  ohne  innere  t^berzeugung  und  festen  VVillensentschluß  den  Streng- 
gläubigen angeschlossen  liaben;  man  sieht,  die  Schar  der  im  (Jrunde  in- 
diflerenten  Mitläufer  ist  hier,  wie  bei  allen  gleichartigen  Bewegungen,  sehr 
groß  gewesen.  Aber  damit  sind  neue  scharfe  Ausfälle  gegen  die  (iegen- 
partei  in  .lerusalem  verbunden;  und  diese  geben  inis  einen  sehr  willkom- 
menen weiteren  Einblick  sowohl  in  die  Vorgänge  wie  in  die  iloft'ruuigen 
dir  Emigranten. 

»Und  .so  ist  das  Recht  für  alle.  <lie  in  die  Gemeinde  der  vollkomme- 
nen Heiligkeit  eingetreten  und  dann  überdrüssig  geworden  sind,  die  Ord- 
nungen der  Redlichen  zu  befolgen.  Das  ist  der  Mann,  der  im  Sclimclz- 
ofen  geschmolzen  wird'  (Ez.  2  2,2if).  Wenn  sein  Verhalten  klar  wird'. 
soll  er  aus  der  Gemeinde  gestoßen  werden  wie  der,  dessen  Los  nicht  unter 
die  von  Gott  Belehrten'  (.les.  54.  13)  gefallen  ist«  —  auch  hier  wieder 
gelangt  der  Glaube  an  eine  Prädestination,  an  eine  Auswahl  der  für  die 
"(ienu-inde  der  vollkommenen  Heiligkeit«  Bestimmt<Mi  durch  Gott  deutlich 
zum  Ausdruck,  wie  oben  S.  ;i.  39.  vgl.  S.  43.  Das  stimmt  durchaus  zu  der 
Lehre  <ler  Pharisäer',  schließt  aber  (Mue  Verantwortung  des  ^len.schen  hier  so 
wenig  aus  wie  bei  den  Phari.sSern  und  im  Grunde  überall,  wo  die  Pnidesti- 
nationslehre  anerkannt  ist,  da  .sie  sonst  Ja  jede  men.schliche  Tätigkeit  aufheben 
würde,   während  sie  .sie  gerade  steigert:   der  eigene  Wille   muß  der  Gott- 

'    -^r; ■■:  7t~z,  vicllciclit   mit   Chari.ks   in   ~-r:  zu    koiriiiicren. 

'    Die    Saddiikäer   iliijjcjrpn    tceiiii    liier    \vi(;    ülicrall    über   den   W'oiflaiil    <ics    (Jesi'tzi's 

nielit  liiiiaiiK  und  wollen  dabei'  von  einer  I'^äde^itillalil>n    iiicliLs  wi.ssen  :  Joseph.  ISell.  II  16  j 

Ant.  XIV  173  CaaaoykaToi  thn    m^n  €i«apm^nhn  nANTÄnACiN  anaipoycin  kaI  tön  eeÖN  es«  toy 

APÄN  TI  KAKÖN  H  ^«iOPÄN  TieeNTAI  •  »ACIN  AC  £n'  ANOPÜnUN  eKAOrfi  TÖ  Te  KAa6n  KAI  TÖ  KAKÖN  nPOKei- 

ceAi  KAI  katA  rNUMHN  etcXcTOY  TOYTtüN  feKAT^Pu  npoci^NAi.    I);is  ProMein.  das  hifi-  diireli  die  .\l\- 
iiiacbt  und  Allwissenheit  Gottes  gesehaflen  winl.  wird  von   ihnen  ignoriert,  darüber  zu  grübeln 
ist  .sinnlos.     Kbensu   vi  rwcrfen   sie  yyxhc  thn  aiamonhn   kaI  täc  kas'    Aaoy  timüjpiac  kai  timac. 
I'hil.-hht.  AM.   Ulli).   \r.  .'/.  .  U 


42  E.   IVIkytr: 

Jieit  entgegenkommen,  aber  er  ist  seinerseits  wieder  bedingt  durcli  die 
>;atiiranlage,  die  Gott  dem  Menschen  gegeben  hat'. 

»Gemäß  seiner  Untreue  sollen  sie  ihn  zülden  (unter)  die  MenscJien 
der  Verderbtheit  bis  zu  dem  läge,  wo  er  wieder  zxirücktritt  zu  den  Men- 
sciien  der  vollkommenen  Heiligkeit.  Und  wenn  sein  \' erhalten  klar  wird 
(s.  S.  41,  i)  gemäß  der  Au.slegung  (Bma)  der  Tora,  nach  der  die  Menschen  der 
vollendeten  Heiligkeit  wandeln,  soll  niemand  mit  ihm  verkehren  in  Ver- 
mögen und  Arbeit,  denn  verfluclit  haben  ihn  alle  Heiligen  des  Höclisten 
(irby)«  —  er  ist  also  exkommuniziert.  »Diesem  Recht  gemäß  soll  man 
mit  allen  Vcrächlern  der  Früheren  und  der  Späteren«  —  der  neuen  Gemeinde, 
die  die  Erbin  der  Vorfaliren  ist  — :  »verftxhren,  die  die  (iötzen  in  ihr  Herz 
geschlossen  haben«  —  hier  ist  also  der  Abfall  der  Juden  und  ihre  \er- 
ehrung  der  eiAUAA  a^5",';5  deutlich  bezeichnet,  wie  nachher  Z.  24  die  Ver- 
ehrung von  (lußbildern  —  »und  in  der  Verstocktheit  ihres  Herzens  wandehi: 
sie  haben  keinen  Anteil  am  Hause  der  Tora.  Sie  werden  gerichtet  werden 
mit  ihren  Genossen,  die  mit  den  "Menschen  des  Spottes'  (s.o.  S.  31)  zu- 
sammengelui",  denn  sie  haben  Irrsal  geredet'  (Jes.  32,  6)  gegen  die  Satzun- 
gen der  Gerechtigkeit''  und  haben  den  Bund  und  den  Bündnisvertrag  (n:rs) 
verworfen,  den  sie  im  Lande  Damaskus  aufgericlitet  haben:  und  das  ist 
der  neue  Bund»  —  wir  sehn  also,  daß  ein  feierlicher  Bundesschluß  statt- 
gefunden hat,  wie  unter  .losia  und  Nehemia  und  wie  unter  Mose  und  Josua, 
durch  den  die  neue  Gemeinde  zum  »Hause  der  Tora«  geworden  ist  —  »und 
nicht  sollen  sie  und  ihre  Geschlechter  Anteil  haben  am  Hause  der  Tora«. 

»Und  vom  Tage  des  Hinscheidens  des  I^dirers  des  Einzigen  bis  daß 
alle  Männer  des  Kampfes'  (Jes.  41,  12)«  —  d.  i.  die  Gegner  Gottes  — 
»hinweggeraft't   werden,    die   mit   dem    'Mann    der  Lüge'    wandelten,   sind 

'    Jos.  Bell.  II 163  Ol  <t>APiCAToi  . .  eiMAPM^NH  Te  KAi  eeß  npocAnroYci  hAnta,  kaI  tö  m^n  hpät- 

TeiN    TA    aIkAIA   KAI   MH   KATÄ  TÖ   OAeTcTON   iu\  ToTc  ANePCÖnOIC    Ke?CeAI,   BOHecTN  Ae   eiC  fe'lCACTON  KAI  THN 

eiMAPMeNHN.    oder    in  noch    prägnanterer  Fassnng  Ant.  X\"1I1    13  nPÄcceceAi  Te  eiMAPweNH  tä 

HANTA  AII0YNT6C  OYAE  TOY  ÄNePMoeloY  TÖ  BOYAÖMENON  THC  en'  AYTO?c  ÖPMHC  (dcii  eigenen  Antneli 

(hIiM-  \\'ilieir)Ä4>AIP0YNTAI.  AOKHCAN  TU  660  KPICIN  TENeCeAl  KAI  TW  ^KeJNHC  BOYAeYTHPiü)  KAI  TÖN  AnSPO)- 

ncüN  TU  eeeAHCANTi  nFOCX(0P€?N  mgt"  ÄP6THC  H  KAKIAC  (Ciott  h:it  es  so  anger)r(lnet.  daß  anob  der  freie 
W'illensentschliiß  des  iMcnscheii  bei  der  F.ntsclieidnng  mitwirkt,  ob  er  gut  oder  seblecbt  sein 
will),  nnd  kiir/cr  XIU,  172  tina  kai  oy  oanta  thc  eiMAPM^NHC  eproN  eInai  AeroYCioN,  tinä  a^  i*" 
eAYToic  YnÄPxeiN  cymbaInein  te  kai  mh  riNeceAi.  Sehr  mit  Unrecht  iiat  man  die  Zuverlässigkeit 
der  Angaho  des  .loscphns.  der  Ja  selbst   ein    i'liarisäer  war,  bestritten. 

-    Für  ^ri-  ist  wahi-seheinlicii  ■:-•-  7.11    lesen. 

■'     liei   .lesaja    ■gegen   .lahwe«. 


l)ii'  Gfiiifiudi'  <li's  iiiiien  Btiiidts  im  J^diidi-  J)uiii(isku.s  43 

etwa  40  Jalire.«  Also  die  P^ndkatastrophe  gilt,  wie  im  Heiiocli,  den  Ju- 
l)iläen  und  den  Testamenten,  als  unmittelbar  bevorstehend;  im  Laufe  der 
nächsten  Generation  werden  die  Anhänger  des  Lügen propheten  von  ihrem 
Schicksal  ereilt  und  das  raessianische  Gottesreich  aufgerichtet  werden;  von 
der  entscheidenden  Heimsuchung  durch  Antiochos  ist  hier  ebensowenig 
etwas  bekannt,  wie  von  der  Erhebung  der  Makkabäer. 

»Und  bei  diesem  Ende  wird  der  Zorn  Gottes  entbreimen  gegen  Israel, 
wie  er  gesagt  hat:    es  ist  kein  König  und  kein  Fürst'  (Hos.  3,  4)  und  kein 

Richter'  und  keiner,  'der  in  Gerechtigkeit  Urteil  spricht'  (aus  Jes.  11,4);  aber 

die  sich  bekehren  von  der  Sünde  Jakobs"  (Jes.  59,  20),  bewahren  den  Gottes- 
bund. 'Da  sprach  ein  jeder  mit  seinem  Nächsten'  (Mal.  3,  16),  seinen 
Bruder  zu  stärken'  und  ihren  Schritt  zu  stützen  auf  dem  Wege  Gottes; 
'und  Gott  merkte  auf  (Mal.  3,  16)  auf  ihre  Worte  und  hörte  und  es  ward 
ein  Gedächtnisbuch  vor  ihm  geschrieben  ftir  die,  welche  (lOtt  turchten  und 
.seinen  Namen  scheuen  (Mal.  3,  16)«  —  also  ein  Protokoll  (ynÖMNHMA),  das 
ihre  Namen  für  die  Zukunft  bewahrt  (vgl.  S.  21.  41)  — ,  »bis  daß  Heil  und 
Gerechtigkeit  (Kechtfcrtigung)  hervortreten  wird  fiir  die  Gottesfürchtigen. 
'Dann  werdet  ihr  den  Unterschied  wiedersehn  zwischen  gerecht  und  sündig, 
zwischen  dem,  der  Gott  dient,  und  dem,  der  ihm  nicht  dient'  (Mal.  3,18). 

Und  er  übt  Gnade  an  denen,  die  ihn  lieben  und  (seine  Gebote)  halten, 
auf  tausend  Geschlechter'  (Deut.  7,  9.   Exod.  20,  6).«« 

Jetzt  kehrt  die  Polemik  zu  den  ungetreuen  (Genossen  zurück:  »Als  sieh 
absonderten"  die,  welche  aus  der  heiligen  Stadt  ausgezf)gen  sind«  —  hier 
wird  also  der  Exodus  (nach  dem  Tode  des  »Lehrers«)  ausdrücklieh  erwähnt, 
s.  o.  S.  32    —    »und    an    Gott    anlehnten    beim    Ende    des    Abfalls    Israels» 

—  d.h.  als  der  Abfall  seinen  Höhepunkt  erreichte  — ,  »haben  sie  das  Heilig- 
tum entweiht  (vgl.  o.  S.  35,  2)  und  halten  sieh  zu  gegossenen  Göttern  des 
Volkes'  gewendet  mit  ....  Worti-n.  Sic  sollen  jeder  nach  seinem  (Jeiste 
im  lieiligen  Kat  (C~p  rS5a)  gerichtet  werden.  Alle  Mitglieder  des  Bundes, 
die  die  Schranken   der  Tora   durchbrochen   haben\  werden,  wenn  die  Herr- 


'    Ein  paar  Biicb.stabcn  sind   verwischt:  /.u  er^änziMi   ist  "tts  ps  (r-s  -.-rrr^)'-:. 

''    Für  j'nr-z-:  ist  mit  CJrksssunn  :'-:tr-z  zu  Icsi-n. 

'    n;~  — c:  (•)5s  -,v.      Im    fnlgendun    ist  ein    Wort   vcrwi.sciit,   elicnso   wie'  das  ■'   n;if.ii  Vs. 

'  Der  Alisdi-ncii  --tt.  V-i,-.  -u-e  --s  V:-  et-innort  lelihafi  an  dii-  Angabe  bei  Daniel  11,  14. 
daß  zur  Zeit  des  zxvi'iten  Krieges  .Anlioelios'  des  (iroUen  i;egen  Agyjtten  (202—198)  «viele 
.sieh  gegen  den  König  des  .Südens  erheben   werden»    —  das  ist  eben  die  liellenistisehe  l'artei, 


44  K.   M  i:  ^  i;  k  : 

lichkeit  Gottes  fiir  Israel  ftrsclieint,  aus  dem  Lager  (der  Kolonie)  ausge- 
rottet werden,  und  mit  ihnen  alle  Frevler  Judas  in  den  Tagen,  da  es  im 
Sehmelztiegel  lag«   —  also  geprüft  und  geläutert  wurde. 

»Aber  alle,  die  an  diesen  (besetzen  festhalten,  ein-  und  auszugehn  gemäß 
der  Tora,  und  die  auf  die  Stimme  des  Lehrers  gehört  und  vor  Gott  be- 
kannt haben :  'wir  haben  gesündigt,  wir  und  unsere  Väter,  da  wir  zuwider- 
wandelten' gegen  die  Satzungen  des  Bundes,  und  deine  Gerichte  gegen 
uns  sind  wahrhaft',  und  die  die  Hand  nicht  erheben  gegen  seine  heiligen 
Satzungen  und  sein  gerechtes  Gesetz  und  seine  wahrhaftigen  Zeugnisse, 
sondern  sich  warnen  ließen  durch  die  früheren  (ierichte  über  die  Söhne 
der  Menschen  des  Einzigen  (s.  o.  S.  32)  und  auf  die  Stimme  des  Lehrers  der 
Gerechtigkeit  hörten  und  die  nicht  abweichen  von  den  Satzungen  der  Gerech- 
tigkeit, wenn  sie  sie  hören,  die  werden  sich  freuen  und  frohlocken  und  ihr 
Herz  wird  stark  sein,  und  sie  werden  sich  allen  Kindern  der  Welt  über- 
legen fühlen;  und  Gott  wird  ihnen  vergeben  und  sie  werden  sein  Heil 
sehn,  denn  sie  'haben  ihre  Zuflucht  gesucht  bei  seinem  heiligen  Namen""' 
(Zeph.  3,  12).« 

Das  Gesetzbuch.      Die  Organisation  der  Gemeinde. 

Der  zweite  Teil  der  Handschrift  A,  [).  9—16,  enthält  die  Rechtsord- 
nungen der  neuen  Gemeinde.  Daß  eine  Überschrift  oder  ein  Tit<»l  hier 
sowenig  gegeben  ist  wie  bei  der  Mahnrede,  ist  schon  erwähnt.  Zweimal 
wird  ein  ijnn  "lEC  genannt  (10,6.  13.2),  mit  dem  die  Priester  und  Richter 
vertraut  sein  sollen;  dieser  Name,  den  Grfssmann  ZD3IG.  66,  495  wohl 
richtig  als  n-3?in  ied  »Buch  dvs  Nachsinnens«  erklärt,  wird  eben  dieses  Ge- 
setzbuch (nicht,  wie  Grkssmann  meinte,  die  Torsi)  bezeichnen,  im  Anschluß 
an  Psalm  1.2    »der  über  Jahwe's  Tora  sinnt  (rarr)  Tag  und  Nacht«. 

Daß  die  Kolonie  »im  Lande  Damaskus«,  d.  h.  in  der  weiten,  dicht  be- 
völkerten Oase  reichsten  Kulturlandes,  dessen  Mittelpunkt  die  Stadt  bildet, 

(He  bei  den  Seleukideii  Anschluß  siulit  —  »und  gewalttätige  Söhne  deines  Volkes,  ■>:; 
__„  ,_,.r^  .^ic),  empören  wei'den.  u  in  ein  G  esiclit  ;i  u  f/.u  st  eilen  (zu  erfüllen),  aber  straucheln 
werden«.  Weiteres  darüber  ist  nicht  liekannt:  aber  die  religiöse  Bewegung  war  damals  often- 
bar  bei-eits  in  vdllerii  Gang.  Ob  untei-  dem  «Gesicht-  mit  Wellhausen  Nachr.  G5tt.  Ges. 
1905.  123  ein  Vei'such  /.u  vei'stehn  ist,  »die  niessianische  Weissagung  zu  verwirklichen, 
d.  li.  die  Frerndlierrschart   überhaupt  ab/uschütteln»,   ist  doch   wohl  fraglich. 

'    Für  :re52  ist   n;itürlicli  "J-i'bz  /u   korrigieren. 

-     »Beim   Namen  .laliwes»    im   biblischen  Text. 


J)ie  (icinnjidr  dix  iinun  Ihdidift  im  Laude  Ddiiidskiis  4;") 

»y^emäß  den  Satzungen  des  lindes  in  Lagern«  erfolgen  sull  (7.  6  =  19,  2), 
haben  wir  oben  schon  gesclin.  Ob  das  wörtlich  zu  verstehn  ist  und 
Zeltdörfer  geplant  sind  oder  ob  der  Verfasser  an  die  Urzeit  und  die  Wander- 
lager beim  Auszug  aus  Ägypten  gedaclit  und  den  Ausdruck  symbolisch 
gemeint  hat,  läßt  sich  nicht  entscheiden,  .ledenfalls  ist,  trotz  der  messi- 
anischen  Erwartungen,  eine  dauernde  Niederlassung  in  Aussicht  genommen: 
die  Ansiedler  sollen  heiraten  und  Kinder  zeugen.  Genauere  Bestimmungen 
bringt  das  Gesetzbuch  p.  12,19!?. :  und  hier  werden  die  eijizelnen  Nieder- 
lassungen als  »Städte  Israels«  ("SniT"  "T)  l>ezeichnet,  wobei  natürlich  nicht 
an  wirkliche  Städte,  sondern  an  Ortschaften  jeder  Art  zu  denken  ist,  ent- 
sprechend dem  Sprachgebrauch  im  AT.  Im  Mittelpunkt  steht  durchweg 
die  ])einllche  Befolgung  der  Tora  »nach  ihrer  Exegese«  und  die  Sicherung 
der  Reinheit  und  dadurch  der  »vollkommenen  Heiligkeit«,  sowohl  kultisch 
wie  ethisch.   Das  wird  im  Eingang  dieses  Abschnitts  nochmals  hervorgehoben : 

■  Ordnung'  der  Besiedlung  der  Städte  Israels  auf  (^rund  der  folgen- 
den Rechts.satzungen,  um  zu  scheiden  zwisclun  unrein  und  rein  und  zwischen 
heilig  und  profan'  (Lev.  10,  10,  wie  oben  S.  37).  Und  dies  sind  die  Satzungen, 
um  zu  lehren,  daß  das  ganze  \'olk  darin  allezeit  nach  dem  Recht  wandeln 
soll,  (iemäß  dies<'m  (Jesetz  .soll  der  Same  Israels  wandeln,  daß  sie  nicht 
dem  Fluch  verfallen. 

»Und  dies  ist  die  Ordnimg  der  Besiedlung  der  Srädte,  um  danach  zu 
wandeln  in  der  Endepoche  (7p3)  der  Sünde,  bis  daß  der  Messias  Aharons 
und  Israels  auftritt,  bis  z\i  zehn  Männern  mindestens,  zu  Tausenden,  Hun- 
derten, Fünfzigen  tuid  Zehnen.«  Das  ist  entlehnt  aus  der  von  Mose  auf 
Jethros  Rat  eingeführten  Gerichtsorganisation  Exod.  18,25,  "ach  der  hier 
die  Ortschaften,  groß  oder  klein,  gestaltet  werden  sollen"'.  Die  spätere 
Bestimmung,  daß,  wo  auch  nur  zehn  Israeliten  an  demselben  Ort  wohnten,. 
eine  Synagoge  errichtet  werden  soll',  findet  sich  schon  hier:  »Wenn  (auch 
nur)  zehn  auftreten  (da  sind),  soll  ein  Priester,  der  im  Gesetzbuch  (dem  »Buch 
des  Nachsinnens«)  bewandert   ist,  süindig  dort  bleiben*,  und  'seinem  Befehl 

'  Diifiir  winl  .ständig  das  S])!itlielji-äischc  Wort  t-  sebrauflil.  da.s  p.  19.  2  in  B  durch 
=7~  ersetzt  wltil. 

-  VÄnn  niodiTiie  l'arallcio  liictet  die  iiacli  deiii.si;lberi  X'orlnld  gi'.staltelo  ( )rganisatii)n 
dci-  Züge  der  Mormonen,  s.  ni.  li-sprung  und  Gesehiclite  dci-  Mormonen  S.  108.  196. 

'    .SciiriiEK,  (icsfh.  d.  Jiid.  Volks  Il3  448. 

'  VVörll.  -sich  nicht  entfernen,  nicht  von  dannen  weiclien-,  v-;^  Vs,  w  ie  Kxoil.  ,5j,  1 1. 
.lo.s.  1,8   \i.  a. 


4(5  K.    M  i:  ^  i:  ii : 

sollen  Jilio  sich  fügen'  (Cien.  41,40).  Ist  er  aber  nicht  in  all  diesen  Dingen 
bewährt,  wohl  aber  ein  Mann  von  den  Lewiten.  so  soll  das  Los  heraus- 
kommen« —  d.  h.  die  formell  durch  das  Los  bestimmte  Entscheidung  wird 
tatsächlich  durch  diese  Anordnung  vorweggenommen,  das  Los  wird  zur 
bloßen  Form  wie  so  häufig  — ,  »daß  alle,  die  zum  Lager  gehören  (n:nm"S3  5D), 
nach  seinem  Befehl  aus-  und  eingehen.  Aber  wenn  eine  Entscheidung  nach 
der  Tora  über  den  Aussatz  stattfinden  muß,  soll  der  Priester  kommen  und 
im  Lager  auftreten  und  der  P^plior  (s.  u.)  ihn  über  die  Exegese  der  Tora 
unterrichten;  auch  wenn  er  einfältig  ist,  muß  er  (der  Priester)  es  sein,  der 
ihn  (den  Aussätzigen)  aussperrt,  denn  ihnen  steht  das  (Bericht  zu.« 

Man  sieht,  daß  die  formalen  Vorschriften  des  Gesetzes  und  daher  auch 
der  Vorrang  der  erblichen  Priester-  und  Lewitenkaste  hier  wie  nachher  in 
der  Ordnung  der  Gesamtgemeinde  peinlich  gewahrt  werden,  auch  wenn 
die  realen  Zustände  dazu  noch  so  wenig  passen.  Aber  in  Wirklichkeit 
erhebt  sich  über  sie,  wie  im  Gesamtjudentum  der  Schriftgelehrte,  der 
Rabbiner,  so  auch  hier  ein  der  Laienschaft  entnommener  Beamter,  der 
Weltkunde  und  Gesetzeskenntnis  in  sich  vereinigt,  die  Oberleitung  fiihrt  und 
den  zu  seiner  Puppe  degi-adierten  Priester  instruiert.  Er  führt  den  Titel 
n|J2'a,  d.  i.  etwa  «der  überlegt,  untersucht«  '.  Sehr  oft  erscheint  dies,  worauf 
Gressmann  hinweist",  als  Eigenname  Aamobakkgpoc  (al)Mubakker  in  den  In- 
schriften iler  arabischen  Grenzgebiete,  und  einmal  (t.'ISem.  II  2  7  2  3)  auch  in  einer 
sinaitischen  Inschrift  als  Titel  "npmobs''.  Man  sieht,  der  Titel  muß  in  den 
Gemeinden  der  jüdischen  Diaspora  weit  verbreitet  gewesen  sein  und  ist 
dann,  wie  so  oft,  zum  Eigennamen  geworden  imd  zu  den  Heiden  über- 
gegangen. Man  kann  den  christlichen  Titel  eniCKonoc  vergleichen,  am  besten 
wird  man  ihn   etwa  durch   Ephor  wiedergeben'. 

'  Die  Bedeutungscntwickluug  von  -;i  —  das  niao  seinem  Wortsinn  nach,  wenn  diese 
Bildung  gestattet  wird,  etwa  diircli  »niargigi'n-  wiedergeben  könnte  —  tritt  Reg.  II  16,  15 
deutlich  hervor,  wo  König  Aiiaz.  al.s  cj-  im  Tempel  einen  neuen  Altar  aufgestellt  hat,  sagt: 
was  mit  dem  alten  geseliehen  soll  -yy  -s  -^-^,  ecTAl  moi  eic  TÖ  nPcoi.  d.  li.  das  will  ich  mir 
morgen  weiter  überlegen,  eine  mchi'lach  angezweifelle  t'bcrsetzung,  die  jetzt  durch  unser  Woit 
gestützt  wird,    »liberlegend  betrachten.,  bedeutet  es  dann  Ezech.  34, 11  f.  Ps.  27,  4.  Prov.  20,  25. 

-    'l'heol.  Lit.  Ztg.  1917,  154. 

■'  Mobitz.  Sinaikult  in  heidnischer  Zeit.  Abh.  Gott.  Ges.  .\.  F.  X\T -2,  1916  S  29:  »Das 
Wort  findet  weder  im  Arabischen  noeh  inj  Aramäischen  eine  befriedigende  Erklärung" ;  er 
vermutet  dafür  eine  kultische  Bedeutung. 

'  »t'ensor«,  womit  Siiii;(htkk  ihii  übersetzt,  berücksichtigt  nur  eine  Seite  seiner  Tätisr- 
keit   und   iTweckt   überdies  ;ds   röiuischer  .Vmlslitel   falsche  Vorstelluniten. 


\ 


l)h-  Gruirindf  flea  nnitm  Bundes  im  Laiiilr  Dainash/y  47 

Wir  erfahren,  daß  jedes  pinzclno  »Tiai^er«,  d.  h.  jede,  aus  mehreren  Ort- 
schaften (»Städten«)  bestellende  Siedhingsgruppe,  ihren  besonderen  Ephoren 
hat.     Von  seinen   Aufgaben   handelt  der  folgende  Abschnitt  (i3,7ft'.): 

»Dies  ist  die  Ordnung  über  den  E[)horen  (Mbaqqer)  für  ein  Lager: 
Er  soll  die  Menge  (S"'l"in)  über  die  Taten  Gottes  belehren  und  ihnen  über 
die  (Jroßtaten  seiner  Wunderinacht  das  Verständnis  eröffnen  und  ihnen  die 
Geschehnisse  der  Vorzeit  (~-'5)  .  .  -'  erzählen.  Und  er  soll  Eirbarmen  mit 
ihnen  haben  wie  ein  Vater  mit  seinen  Kindern  imd  soll  ihnen  allen  ihre 
Schuld  vergeben".  'Wie  ein  Hirt  seiner  Herde'  (Jcs.  40,  i  i)  soll  er  alle 
Fesseln  ihrer  Ketten  lösen,  um  zu  .  .  .  .'  den  Bedrückten  und  Zerschlagenen' 
in  seiner  Gemeinde  (frei  nach  Jes.  58,  6).  Und  jeden,  der  zu  seiner  Ge- 
meinde hinzutreten  will,  soll  er  mustern  auf  seine  Handlungen,  seine  Ein- 
sicht, .seine  Macht  (n-s,  seine  äußere  Stellung),  seine  Leistungsfähigkeit  (m"!35) 
und  .sein  Vermögen,  und  dann  soll  man  ihn  einschreiben  an  seinen  Platz, 
wie  das  Los  des  Lagers  es  ihm  zuweist*«  —  ist  dabei  an  das  ihm  durch 
<las  Los  zugewiesene  Grundstück  gedacht?  »Und  niemand  von  den  An- 
gehörigen (Sölinen)  des  Lagers  soll  die  Befugnis  haben,  jemanden  in  die 
(iemeinde  zu  bringen  {außer)  durcli  die  Entsclieidung  des  F'phoren,  der 
für  das  Lager  bestellt  ist.  Und  keiner  von  allen,  die  in  den  Bund  ein- 
getreten sind,  soll  mit  den  Söhnen  des  Verderbens  '  (ein  (ieschäft  abschließen) 
außer  Hand  zu  Hand«  —  d.  h.  es  ist  mit  ihnen  nur  ein  Geschäft  gestattet, 
bei  dem  die  Ware  immittelbar  aus  der  einen  Hand  in  die  andere  über- 
geht, aber  keine  Verträge  u.  ä.  Die  folgenden  Zeilen  sind  stark  verstünunelt; 
doch  läßt  sich  erkennen,  daß  alle  Geschäfte  nur  unter  Billigung  und  Mit- 
wirkung des  Ephoren  gestattet  sind  —  er  hat  also  zugleich  etwa  die 
Stellung  eines  Notars  — ,  und  daß  alle  sündigen  Liebeshändel  verboten 
werden.  »Das  ist  die  Besiedlung  des  Lagers  ...»  Dann  folgte  ein  neuer 
Ausfall  gegen  die  Abtrünnigen:  »nicht  soll  ihnen  glücken,  im  Laude  zu 
wohnen  ...»  Der  Abschluß,  der  p.  14,  i  f.  erhalten  ist,  wiederholt  das 
schon  p.  7,  II  herangezogene  Zitat  aus  Jesaja  7,  17:  »  (Gott  Avird  über 
dich  und  dein  Volk  und  dein  Vaterhaus  Tage  bringen)  wie  sie  nicht  ge- 


'  r^-iz  ist  korrupt. 

-  bstt;  ViV  . . . r">%  VDii  ('HAKr.KS  in   (iTir  n;:'!  ::'- dm;  r'ir-  lierf{estellt. 

"  3^^..':.V. 

*  r  yi-j; -n-r-' Tl.   von   Lkvi    in   rrr:n  ;-v.s -riT-r:  ^j   korrijfii-rt. 

■■  r-rr  ~:  (37)   (vcrsclirfiibfti   mlcr  vcrlost-n   in   -nsr-). 


48  K-   Mk  ykr: 

kommen  sind  seit  dem  Tage,  da  P^pliraim  sich  von  Juda  losriß.  Aber  ftir 
alle,  die  nach  diesen  Satzungen  wandeln,  ist  der  Gottesbund  beständig, 
sie  zu  retten  aus  allen   Schlingen   des  Verderbens   ...'«. 

Jetzt  folgen  die  Hestimmung«n  über  die  Organisation  der  Gesamt- 
kolonie, der  Einlieit,  in  der  die  einzelnen  »Lager«  zusammengefaßt  sind 
(14,  3  ff.).  Auch  hier  wird  formell  der  Vorrang  der  Geistlichkeit  gewahrt: 
aber  auch  hier  liegt  tatsächlich  das  Regiment  in  den  Händen  eines  welt- 
lichen Oberbeamten,  des  »Ephoren  für  die  Gesamtheit  der  Lager«  -tpz-cn 
mrman  -3-  ncs,  der  ehimal  j).  15.8  auch  als  »der  E])lior  für  die  Menge« 
a-'aib  iiBs«  -ipar"  bezeichnet   wird : 

«Ordnung  der  Besiedlung  aller  Lager«  oder  richtiger  »des  (Jcsamt- 
lagers«  (minrn  b;).  »Sie  sollen  alle  gemustert  werden  nach  ihren  Namen, 
die  Priester  zuerst,  die  Lewiten  zu  zweit,  die  Israeliten  zu  dritt,  der  Pro- 
selyt  (i>n)  zu  viert,  und  sollen  mit  ihren  Namen  aufgeschrieben  werden 
einer  nach  dem  andern,  die  Priester  zuerst,  die  Lewiten  zu  zweit,  die 
Israeliten  zu  dritt,  der  Pj-oselyt  zu  viert.  So  sollen  sie  sich  niederlassen 
(oder  in  der  Versammlung  sitzen?  ^2V)  und  so  bei  allem  befragt  werden '. 
Der  Priester,  der  die  Menge  mustert,  soll  zwischen  30  und  60  Jahren  alt 
und  im  Buch  (des  Nachsinnens  sowie)  in  allen  Gesetzen  der  Tora  bewan- 
dert sein,  mit  ihnen  zu  reden''  gemäß  ihren  Gesetzen.  Und  .der  Ephor  Ober 
die  Gesamtheit  der  Lager  soll  zwischen  30  und  50  Jahren  alt  sein,  kimdig 
aller  Rede  (Beratung,  ~^z)  und  Sjjrache  der  Menschen  .  .  .*«  —  also  ein 
weltkundiger  Mann,  offenbar  ein  Laie,  der  dem  Verkehr  mit  der  Heiden- 
welt und  den  Proselylen,  den  "Gaahnictai  des  N.  T.,  gewachsen  ist.  »Nach 
seinem  Ausspruch  sollen  alle,  die  in  die  Gemeinde  eintreten,  jeder  der 
Reihe  nach  aufgenommen  werden ;  und  über  jede  Sache,  über  die  irgend 
jemand  etwas  zu  sagen  hat  (die  irgend  jemand  betrifft),  soll  er  mit  dem 
Ephoren   reden,   über  jeden   Streit  und   Prozeß.« 

(p.  14,  12)  »Und  dies  ist  die  Ordnung  für  die  Menge.  Um  alle  ihre 
Bedürfnisse  zu  regeln  (festzustelien,  rn'ssn  '::  'i'-^'b  ^^11  der  Lohn  von  zwei 
Tagen  in  jedem  Monat  .  .  .  (dienen) '.    Das  sollen  sie  in  die  Hand  des  p][)horen 


'    Die  Schlußworte  .  x.-;- :-s.-ir  ■':  verstelle  ich   iiiclit. 
-    5:5  -5sr-   ist  (h)cli  wohl  piis.sivi.scti   zu   verstehii. 
■'    Fiii-  Di:rV  bietet   Schkihikh  p.  l,\'Ili   =-i-;V  als   richtige  Lesung. 
'    Verwischte  Buchstaben. 

'    ScHECHiER  bietet  im  Text   ---.  V;;  ar  -ri--.-  -rr.    und    der  Gedanke  au   die  Terilina. 
die  sakrale  Abgabe,  liegt  ja  sehr  nahe.     Xhev  diese  Wdrie  sind  sprachlich  unmöglich,  und  in 


r 


DU'  Gemeinde  ries  nniea  BiükUk  im  Lande  Damaskus  49 

geben,  und  die  Richter  sollen  es  .  .  .  geben  und  dadurch  die  Armen  und 
Dürftigen  unterstützen,  den  Alten,  der  .  .  .,  und  den,  der  vagabundiert  (ob- 
dachlos ist)',  und  den,  der  in  die  Gefangenschaft  eines  fremden  Volks 
gerät,  imd  die  Jungfrau,  die  .  .  .  (luid  den)  um  den  sich  niemand  kümmert 
(Wfn  lb  l""«  "V  S58  ).«  Die  folgenden  Zeilen  sind  zu  verstümmelt,  um  sie  über- 
setzen zu  können;  aber  man  sieht  aus  den  in  der  nächsten  Zeile  erhalte- 
nen Worten  »Dies  ist  die  Exegese  der  Besiedlung«,  daß  hier  bereits  die 
Schlußformeln  folgten.  Mit  den  nächsten  Zeilen  beginnt  dann  ein  neuer  Ab- 
schnitt: »dies  ist  die  Exegese  der  Rechtssätze,  die  .  .  .  .  (bis  auftritt  der 
Messias)  Aharons  und  Israels.  Und  er  (Gott)  wird  ihre  Sünde  ver- 
geben .  .  .«  Im  folgenden  ist  Z.  20  noch  pTara  »in  Mammon«  erkennbar: 
daß  dies  sonst  erst  aus  dem  X.  T.  und  der  Mischna  bekannte  Wort  för 
das  »Vermögen«  schon  hier  vorkommt,  ist  selir  interessant.  Daran  schließt 
»und  dieser  weiß  .  .  .«  und  weiter:  »eine  Strafe  (tj:y)  von  sechs  Tagen;  und 
wer  redet  .  .  .».  Danach  scheinen  hier  Straf bestiramungen  für  einzelne  Ver- 
gehungen, zunächst  im  Geschäftsverkehr,  gegeben  zu  sein:  die  Buße  von 
sechs  Tagen  mag  die  Zahlung  des  Tagelohns  einer  Woche  gewesen  sein. 
Ob  hier  noch  weitere  Blätter  fehlen,  ist  nicht  erkennbar;  jedenfalls  schließt 
p.  1 5  nicht  näher  an,  sondern  behandelt  ganz  andere  Fragen. 

Daß  die  Verteilung  der  vom  Ephoren  eingesammelten  Almosen  den 
Richtern  zugewiesen  ist,  ist  sehr  begreiflich:  diese  kennen  die  einzelnen 
und  können  ihre  Verhältnisse  und  ihre  Bedürftigkeit  )md  Würdigkeit  be- 
yrteilen.  Von  der  P^insetzung  der  Richter,  die  gleichfalls  der  Ge.'iamt- 
gemeinde,  nicht  den  Einzelsiedlimgen  angehören,  ist  .sclion  vorher  p.  10,  4  ff. 
gehandelt:  »Dies  ist  die  Ordnung  für  die  Richter  der  Gemeinde.  (Es 
sollen  sein)  bis  zu  zehn  auserlesenen  Männern  aus  der  Gemeinde,  gemäß 
der  Zeit  (d.  i.  dem  Bedürfnis,  den  Zeitverhältnissen),  vier  aus  dem  Stamm 
Lewi  und  Aharon  und  sechs  aus  Israel,  die  im  Buch  des  Nachsinnens 
(dem  Gesetzbuch)  und  den  Fundamenten  des  Bundes  unterrichtet  sind,  im 
Alter  von  25  bis  zu  60  Jahren.    Aber  niemand,  der  60  Jahre  und  darüber 


ilcr  tlbersetzung  p.  LIV  Anm.  2  gibt  er  an,  daß  die  verwischten  Worte  ,auch  "»'s  ff"r  •«;  -2v 
;jelesen  werden  könnten.  Da.s  ist  gewiß  richtig  und  ergibt  einen  tadellosen  Zusammenhang: 
.leder  hat  in  jedem  Monat  die  Einkünfte  von  zwei  'l'agen,  also  bei  25 — 26  Arbeitstagen  im 
Monat  rund  S*/,,  seines  Lohns,  an  die  Gemeinde  fiir  die  Armenpflege  zu  zahlen.  Die  fol- 
genden Worte  s...':-.sind  ganz  verwischt,  Sihechteb  denkt  an  -Jis^n.  aber-  es  fehlt  das 
Verbum-. 

'    Nach  j).  I.IV  7   ist  vr  -a«  rV;  zu   le.sen. 
I'hil.-hiM.  Abh.  IUI».  Nr.  U.  7 


50  K.   Mkykk: 

alt  ist,  soll  noch  l)estellt  werden,  die  Gemeinde  zu  richten.  Denn  durch 
die  Untreue  (den  Abfall)  der  Mensclien  (=nsn  byioa)  sind  ihrer  Tage  weni^ 
geworden,  und  als  Gottes  Zorn  gegen  die  Bewohner  der  Erde  entbrannte, 
hat  er  gesprochen,  daß  ihre  Einsicht  schwinden  solle,  el»e  ihre  Tage  zu 
Ende  gehn.«  Das  entspricht  genau  den  Angal)en  des  JiiVtiläenbuchs  beim 
Tode  Abrahams  23,  iiff. :  »Alle  Geschlechter,  die  erstehn  werden  von  jetzt 
an  bis  zum  Tage  des  großen  (ierichts,  werden  schnell  altern,  ehe  sie  zwei 
Jubiläen  (98  Jahre)  \ollenden,  und  ihre  Kenntnis  wird  sie  wegen  ihres 
Alterns  verlassen'  und  alle  ihre  Kenntnis  (P'insicht)  sehwinden.«  Daran 
schließt  im  Jubiläenbuch  die  oben  S.  16  besprochene  Verkündimg  des 
großen  Abfalls  und  des  Strafgerichts  in  der  Seleukidenzeit,  an  die  die 
Umkehr  und  die  Rückbildung,  die  ständig  anwachsende  Verlängerung  der 
Lebensdauer  bis  zu   1000  Jahren  und  mehr  unmittelbar  anschließt. 

Kultische   und   rechtliche  Gesetze. 

Die  übrigen  Abschnitte  des  Gesetzbuchs  enthalten  Einzel bestiramungen 
rechtlicher  und  kultischer  Art.  Zu  Anfang  stehn  die  Gebote  über  Ver- 
brechen gegen  andere  (p.  9.  i  — 10,3).  Dann  folgt,  nach  dem  Abschnitt 
über  die  Bestellung  der  Richter,  eine  Bestimmung  über  die  Reinigung  mit 
Wasser  (10,10 — 13)  und  daini  sehr  ausführlich  die  Sabbatgebore  (10.  14 
— 11,18).  Daran  schließen  weitere  kultische  und  Reinheitsgebote,  luiter 
denen  auch  Bestimmungen  über  den  Verkehr  mit  Heiden  erscheinen  (11,  18 
— 12,18).  Auf  die  Ordnung  der  Besiedlung  folgen  dann,  wie  wir  geselfn 
haben,  die  Satzungen  »für  die  Menge«,  zunächst  über  die  Abgaben  (14, 
12  — 17,  s.o.  S.  48  f.),  dann  weitere  Straf  bestimmungen  bei  Vergehungen 
(14,  18 — 22),  und  weiter  \'orschrifteu  über  die  Art  der  Ablegung  des  Eides 
und  über  die  Bundbrüchigen  und  Reuigen  (15,1  — 16,6).  Dann  folgen 
Bestimmungen  über  Gelübde  u.  ä.  (16,  6fl".).  Von  16,16  an  sind  die  Zeilen 
bis  auf  wenige  Buchstaben  völlig  verwischt,  so  daß  sich  nicht  sagen  läßt, 
ob  noch  weitere  B'ätter  folgten  oder  ob  uns  dfis  Gesetzbuch  im  wesent- 
lichen vollständig  vorliegt. 


'  So  Chari.ks  in  seiner  t "bersetzung  in  The  Apocrypha  and  Pseudepigrapha  of  tlie 
Old  Testament,  vol.  II,  p.  48:  »And  theii-  knowledge  shall  forsake  theni  by  reason  of  tlieir 
old  age.«  LiTTMAN.N  übei-set/.t:  »und  es  wird  ge-schehn,  wenn  sie  ihre  Kenntnis  wegen  ihie.s 
Alterns  vei-läßt,  dann  wird  usw.«.  Der  lateinischo  Text  hat  et  se/tesnre  relerius  it  -mintti  nies 
vitae  iiisiiTum  und  läßt  den  Schlußsatz  aus. 


f 


Dir  (ifim'indr  de,-:  lunuii  liuii(h'.-<  im  ImikIc  Ikiniuskiis 


In  den  kultischen  und  Reinheit^geboten  gelangen  die  Sonderanschau- 
nngen  der  Gemeinde  zum  Ausdruck'.  Es  sind  Vaiüationen  der  Gesetzes- 
auslegung ganz  derselben  Art,  wie  sie  innerlialb  der  Pharisäer  und  des 
talnuidischen  Judentums  zwischen  den  einzelnen  Schulen  bestehn'';  sie  be- 
rechtigen aber  in  keiner  Weise,  von  einer  »Sekte«  zu  reden.  Vielmehr 
stehn  sie  durchaus  auf  dem  Boden  des  orthodoxen  Judentums,  und  zwar 
mit  besonders  stark  ausgeprägtem  Rigorismus,  so  daß  sie  wie  in  der  Ehe- 
gesetzgebung, der  Forderung  der  Monogamie,  so  auch  in  manchen  anderen 
Gebot«!!  über  das  hinaus  gehn,  was  allgemein  anerkannt  und  befolgt  wird. 

Ich  gebe  zunächst  die  seJir  detaillierten  Sabbatgesetze  lO,  14 ff.:  »Über 
den  Sabbat,  ihn  gemäß  seiner  richtigen  Ordnung  zu  halten.  Am  sechsten 
Tage  soll  niemand  mehr  eine  Arbeit  verrichten  von  der  Zeit  an,  wo  die 
Sonnenscheibe  (crtcn  ij'-j)  noch  fei-n  von  dem  Tor  ist  in  ihrer  Fülle  (iS"'"«, 
d.  J!.  wo  sie  noch  ganz  über  dem  Horizont  steht);  denn  das  ist.  Avas  er 
sagt  (Deut.  5,  12):  Beobachte  den  Sabbat,  ihn  heilig  zu  halten.'  Am  Sabbat- 
tng  soll  niemand  ein  törichtes  und  unnützes  Wort  reden.  Er  soll  seinem 
Nächsten  (d.  h.  einem  andern)  nichts  leihen.  Er  soll  nicht  !'ecl!ten  über 
Vermögen  oder  Profit.  Er  soll  nicht  über  Geschäfte  und  Arbeiten  reden, 
<lie   am   nächsten  Tage   zu    machen   sind.     Niemand   soll   aufs  Feld  gehn. 


'  So  in  dem  .\l)schuitt  10  loff. :  •Über  die  Keinigung  mit  Wassei-.  Niemand  soll  in 
.sfhiimtzigem  Wasser  baden  oder  in  weniger  Was.ser,  als  was  für  die  Füße  eines  Menschen 
genügt«  —  Gre-ssmann  korrigiert  hier  dflenbar  richtig  den  korrupten  Text  '-rrr-z  "-r^  3^.:-7ij^ 
•»^  in  mc  'M-V,  ebenso  Z.  13  'vr-z  in  V.--":;  in  Z.  12  ist  mit  Charles  t-;3  in  "::,  in  Z.  13  ■•:■'":: 
in  ■"?«Ä  zu  ändern.  »Kr  soll  sich  nicht  reinigen  (waschen)  in  dem  Wasser  eines  Gefäßes«  — 
denn  das  Gefäß  kann  unrein  sein;  es  wird  also  Waschimg  in  fließendem  Wasser  oder 
Teichen  u.  ä.  vorgeschnebeii.  -Und  jeder  Teich  (Pfütze)  in  einem  Felsen,  in  dem  nicht  ge- 
nügend Wasser  für  die  Föße  ist,  das  ein  Unreiner  ben"dirt  hat,  dessen  Wasser  sind  unrein 
wie  die  eines  Gefäßes.-  —  F"eraer  12,  11  (F.:  »'Niemand  soll  sich  selt)St  zum  Abscheu  machen' 
(Lev.  11,43  *'•''•  lewitiscii  unrein  machen,  •■=%:  nt -z^  \~.s-)  duirh  irgendein  Tier  oder  Ge- 
würm, indem  er  davon  ißt,  von  den  Unreinheiten  (für  ^V^r:  korrigiert  Chari.es  'W't)  der 
Rieuen  bis  zu  allem  Getier,  das  im  Wasser  kriecht'  (nach  Lev.  11,46).  Fische  sollten  sie 
nur  es-sen,  wenn  sie  lebendig  aufgeschlitzt  sind  und  ihr  Blut  ausgegossen  wird:  und  alle 
Heuschreckenarten  sollen  ins  Feuer  oder  Wasser  geworfen  werden,  solange  sie  noch 
lebendig  sind:  denn  das  ist  die  ihrer  Schöpfung  entsprechende  ()rdnung.  Ind  alles  Holz. 
Stein  und  Lehm,  die  durch  menschliche  Unreinlieit  belleckt  sind,  von  den  Befleckungen, 
die  sie  hineingcti-agen  haben,  wird  gleichfalls  um  ein,  wer  sie  beriihrt.  «ledcs  Gefäß,  Nagel 
oder  Pilock  in  iler  Wand,  <lie  mit  einem  Toten  im  Hau.se  /usammcn  sind,  werden  unrein 
wie  die  Unreinheit  eines  Arbeitsgeräts.« 

'    Auch  die  vier  orlhodoxen  Rechtssysteme  des  Ishims  kann  man  vergleichen. 


^> 


52  E.   Mkykk: 

um  in  seinem  Interesse  Arbeiten  am  Sabbat  zu  verrichten.  Er  soll  nicht 
außerhalb  seiner  Stadt  gehn  über  ^zwei)tausend  Ellen'.  Niemand  soll  am 
Sabbat  etwas  anderes  essen,  als  was  vorbereitet  ist  oder  auf  seinem  Felde 
zugrunde  geht.  Auch  soll  er  nur  im  Lager  essen  und  trinken;  (wenn  er 
aber)  unterwegs  ist  und  hinabsteigt,  um  zu  baden,  darf  er  trinken,  wo  er 
steht,  aber  nicht  in  irgendein  Gefäß  schöpfen.  Einen  Ausländer  soll  er 
am  Sabbattage  nicht  senden,  um  ein  Geschäft  für  ihn  zu  verrichten.  Nie- 
mand darf  schmutzige  oder  von  einem  Heiden  gebrauchte  Kleider  anziehn, 
wenn  sie  nicht  mit  Wasser  gewaschen  oder  mit  Weihrauch  abgerieben 
sind''.  Niemand  soll  nach  seinem  Belieben  am  Sabbat  .  .  .'.  Niemand  soll 
sein  Vieh  außerhalb  seiner  Stadt  auf  die  Weide  führen  mehr  als  2000  Ellen. 
Er  soll  seine  Hand  nicht  erheben,  es  mit  der  Faust  zu  schlagen;  ist  es 
störrisch,  so  soll  er  es  nicht  aus  seinem  Haus  (Stall)  lassen.  Niemand 
soll  etwas  aus  dem  Haus  auf  die  Gasse  oder  aus  der  Gasse  ins  Haus 
bringen;  auch  wenn  er  im  Eingang  steht,  soll  er  nichts  hinaus-  oder  hinein- 
bringen. Ein  zugeklebtes  Gefäß  soll  man  am  Sabbat  nicht  öffnen.  Niemand 
soll  am  Sabbat  Räuclierwerk  beim  Aus-  und  Eingehn  mit  sich  tragen. 
Er  darf  am  Sabbat  in  seinem  Hause  nicht  Stein  oder  p]rde  aufheben. 
Der  Wärter  soll  am  Sabbat  den  Säugling  nicht  aufnehmen  um  mit  ihm 
aus-  und  einzugehn.  Niemand  soll  am  Sabbat  seinen  Knecht,  seine  Magd 
oder  seinen  Tagelöhner  reizen.  Niemand  soll  am  Sabbat  ein  Vieh  entbinden: 
und  wenn  es  in  einen  Brunnen  oder  eine  Grube  fällt,  soll  er  es  am  Sabbat 


■  AuC  Gnind  der  analogen  Bestimmung  ir,6  und  der  sonst  im  Judf-ntiiin  allgemein 
heiTSclienden  Hestimmung  über  den  »Sabbalsweg«  ist  rss  von  allen  Bearbeitern  mit  Recht 
in  dVss  korrigiert. 

^  Diese  hiei-  an  die  Erwähnung  des  Ausländers  angenigte  Bestinimung  gilt  offenbar 
nicht  nur  fiir  den  Sabbat,  sondern  ganz  allgemein. 

'  i-=~3 -yis-::  irs.  3^>Ti^  5s.  Das  kann  bedeuten  ■■  er- soll  sich  nicht  verpfänden-  (von  712-3) 
odter  auch  «er  soll  sich  nicht  in  Verkehr  einlassen«  wie  I'rov.  20,  19.  24,  21 ;  vgl.  Ezra  9,  2. 
I^etzteres  halte  ich  für  die  wahrscheiidichste  ("bcrsetzung.  Moork,  Harvard  'l'heol.  Rev.  IV  347 
gibt  die  erstere,  schlägt  aber  daneben  die  Deutung  vor:  »er  soll  keinen  'eriib  niacbeo*,  die 
fiktive  Verbindung,  durch  die  Häuser  mittels  des  »Judenzauns,  (ur  eine  Einheit  erklärt 
werden,  zwischen  denen  man  sicli  am  Sabbat  trei  bewegen  darf;  und  diese  Erklärung  hat 
Leszynskv,  Die  Saddizäer  146,  aufgenommen.  Das  halte  ich  fiu- wenig  wahrscheinlich; -noch 
weniger  Anlaß  sehe  ich  zu  einer  Änderung  des  Textes,  wie  sie  mehrfach  vorgeschlagen  ist. 
Für  die  von  Charles  vorgeschlagene  Änderung  —in-'  »er  soll  sich  kein  Fasten  auferlegen- 
spricht  allerdings,  daß  das  Fasten  am  Sabbat  im  Jubiläenbuch  50,  12  nnd  im  Talmud  ver- 
boten ist:  doch  liegt  die  Änderung  von  dei-  Überlieferung  recht  weit  ab,  und  diese  gibt  ja 
einen  iiuleii  Sinn. 


f 


D'w  Gruiniidi'  (Ifs  neuen  Bundes  im  Lande  lJaniui<kvs  ")3 

nicht  henmfholen.  Niemand  soll  am  Sabbat  an  einem  Platz  in  der, Nähe 
von  Heiden  rulien.  Niemand  soll  den  Sabbat  um  \'ermögens  oder  Profits 
willen  entweihn.  Und  wenn  irgendein  menschliches  Wesen  in  einen  Ort 
mit  Wasser  oder  einen  Ort .  .  .'  fällt,  so  darf  er  ilui  nicht  mit  einer  Leiter, 
einem  Strick  oder  einem  Gerät  herausbringen.  Am  Sabbat  darf  niemand 
etwas  auf  den  Altar  bringen  außer  dem  Brandopl'er  des  Sabbats;  denn  so 
steht  geschrieben:   'abgesehn  von  euren  Sabbaten'  (Lev.  23,  27)'.« 

Diese  Bestimmungen  sind  eine  weitere  Ausfuhnmg  der  Vorschriften 
des  Jubiläenbuchs.  Im  Anschluß  an  das  (resetz  Exod.  3i,i4f.  35,2  (vgl. 
Num.  15, 32ff.),  wonach  jede  Arbeit  am  Sabbat  mit  dem  Tode  bestraft 
werden  soll  —  und  wer  iiin  verunreinigt  oder  entweiht,  soll  des  Todes 
sterben,  fügt  das  Jubiläenbuch  hinzu  -  werden  2,  29f.  und  50,  8 ff.  eine 
Reihe  von  Einzelgeboten  für  den  Sabbat  gegeben,  die  sich  großenteils  in 
unserm  Gesetzbuch  wiederfinden:  der  Sabbat  ist  nicht  dazu  da,  »an  ihm 
eine  Arbeit  zu  verrichten,  die  sich  nicht  geziemt,  an  ihm  den  eigenen 
Willen  zu  tun,  irgend  etwas  zuzubereiten,  was  gegessen  oder  getrunken 
wird,  noch  Wasser  zu  schöpfen,  noch  an  ihm  irgend  etwas,  was  getragen 
wird,  zu  ihren  Türen  lierein-  oder  hinauszutragen,  was  sie  sich  nicht  in 
den  sechs  Tagen  als  Arbeit  in  ihren  Wohnungen  zubereitet  haben«.  De- 
taillierter heißt  es  50,  8 IT.,  daß  sterben  soll,  »wer  diesen  Tag  belleckt  (und 
.seinem  W^eibe  beiwohnt),  wer  irgendeine  Sache  beredet,  an  ihm  zu  tun, 
daß  er  eine  Reise  mache  wegen  allerlei  Verkauf  und  Kauf;  und  nuch.  wer 
an  ihm  Wasser  schö[)ft,  das  er  nicht  vorbereitet  hat  am  sechsten  Tage, 
und  auch,  wer  allerlei  aufhebt  zu  tragen,  um  es  aus  seinem  Zelt  oder 
seinem  Hause  zu  bringen«.  Zulässig  ist  nur  das  vorgeschriebene  Sabbat- 
opfer; dagegen  soll  sterben,  »wer  an  ilma  eine  Arbeit  tut,  und  auch,  wer 
einen  Weg  geht,  und  auch,  wer  sein  Grundstück  besorgt,  sei  es  zu  Hause 
oder  an  irgendeinen)  andern  Ort,  (und  auch,  wer  Feuer  anzündet,  und 
auch,  wer  irgendeiji  Tier  l)epackt,  und  aucli,  wer  zu  Schiffe  auf  dem 
Meer  reist,  und  jedermann,  der  jemand  schlägt  und  tötet,  und  auch,  wer 
ein  'I'ier  oder  einen  Vogel  schlachtet,  und  auch,  wer  ein  Tier,  Vogel  oder 
Fisch  fängt,  und  auch,  wer  am  Sabbat  fastet  \s.  o.  S.  5 2,  3 1  und  Krieg  fuhrt) « . 


'    In  der  Ilatidsclirifi  i^t  etwas  Jiiisgefallen. 

-  Da.s  Gesetz  Lev.  23  zählt  die  Festtage  auf,  an  «Uuien  .Jahwe  die  vorgescliriebeiien 
Opfer  dar/.ubringea  sind,  -abgesehn  von  den  Sabbaten  .bihwivS"  :  denn  am  Sabbat  sind  nacli 
Num.  28,  9  zwei  einjährige  fehlerlose  Lüninier,  ein  Ölkuchen  und  ein  Ti-ankupfer  darzubringen. 


<v 


54  K.    >I  K  ^  i:  K  : 

Die  luer  eingeklammerten  Bestimmungen  fehlen  in  unserm  Text,  der  dafür 
eine  Reihe  analoger  hinzufiigt;  im  übrigen  bieten  sie  genau  das  Bild  von 
den  peinlich  durchgeführten  Sabbatordnungen;  das  wir  aus  der  sonstigen 
jüdischen  und  heidnischen  Literatur  und  aus  dem  Neuen  Testament  erhalten. 

Dagegen  ist  von  einer  Todesstrafe  für  den  Übertreter  der  Sabbat- 
gebote nirgends  die  Rede.  (Jemäß  dem  Gesetz  Deut.  13,  6  Ober  falsciie 
Propheten  und  Traumdeuler  luid  13,  13fr.  -über  »nichtsnutzige  Leute«,  wörtl. 
»Menschen,  die  Söhne  des  Nichtsnutzes,  des  Beli'al  sind  ('"r"52  "rn  ■»:«)«,  die 
eine  Stadt  zum  Abfall  von  Jahwe  und  Götzendienst  verfuhren  und  daher 
dem  Bann  und  der  Vernichtung  anheimfallen,  wird  zunächst  p.  i2,2tr.  be- 
stimmt: »Jeder,  über  den  die  Geister  Beli'als  (s.  o.  S.  39)  die  Hen-schaft  ge- 
wonnen haben,  so  daß  er  Abfall  redet'  (Deut.  13,6),  soll  nach  dem  Gesetz 
über  Totenbeschwöi-er  und  Zauberer  gerichtet  werden«  —  das  die  Steini- 
gung vorschreibt  (Lev.  19,  31.  20,6.  27).  Dann  aber  heißt  es  weiter:  »Aber 
der,  den  er  verfuhrt,  den  Sabbat  imd  die  Feste  zu  entweihen,  (soll  nicht 
sterben;  sondern  den  Menscheiisöhnen  liegt  ob,  ihn  zu  beobachten;  und 
wenn  er  sich  bessert  (geheilt  ist)  und  sie  ihn  sieben  Jahre  lang  beobachtet 
haben,  soll  er  (wieder)  in  die  (remeinde  kommen.«  Hier  wird  also  ein 
ausdrückliches  (iebot  der  Tora  (Exod.  3 1,  I4f.  35,2)  außer  Kraft  gesetzt 
-  die  Argvunentation,  mit  der  man  sich  beholfen  haben  wird,  ähnlich 
wie  bei  der  Monogamie,  wird  nicht  mitgeteilt  — ;  man  sieht,  wie  trotz 
alles  Formalismus  die  ethischen  imd  humanen  Anschauungen  dennoch  vor- 
dringen. 

Um  so  strenger  wird  die  Reinhaltung  und  die  Vermeidung  jeder  Be- 
lleckung  eingeschärft.  Das  fiihrt  zu  der  immer  mehr  gesteigerten  Abson- 
derung von  den  Heiden,  die  in  dem  Gebot,  am  Sabbat  nicht  in  der  Nähe 
von  Heiden  zu  ruhn  und  keine  heidnischen  Kleider  anzuziehn,  zum  Aus- 
dnick  gelangt.  Damit  verbinden  sich  auch  hier  humanitäre  Vorschriften. 
12,  6fi'.  heißt  es:  »Niemand  soll  seine  Hand  ausstrecken,  um  das  Blut  irgend- 
eines Heiden  (z'^MTi  )'C  w»)  um  Vermögens  oder  Profits  willen  zu  vergießen. 
Auch  soll  er  nicht  irgend  etwas  von  ihrem  Vermögen  nehmen,  auf  daß  sie 
nicht  lästern,  es  sei  denn  auf  Beschluß  der  Genossenschaft  Israels.«  Man 
sieht,  der  »Antisemitismus«  ist  hier  wie  überall  stark  entwickelt  und  be- 
ruht ganz  wesentlich  auf  wirtschaftlichen  Momenten.  Dem  soll  diese  Be- 
stimmung entgegenwirken.  Sehr  beaclitenswert  ist,  daß  die  Gemeinde. 
deren  Zustimmung  bei  der  N'erfblgung  eines  Vermögensanspruchs  gefordert 


JJie  Geimiiidf  ttis  luiien  Ihaidcs  im  Loiiiif  DmiuiskKfi  55 

wird  —  ob  in  einer  allgeuieinen  Volksversammlung  oder  durch  ihre  Be- 
hörden und  ein  Ratskollegium,  läßt  sieh  nicht  erkennen  — .  als  "SiW  i-an 
»Genossenschaft  (Chabur)  Israels«  bezeichnet  wird,  mit  einem  nur  hier  vor- 
kommenden Wort,  das  unmittelbar  an  den  Terminus  3'"iin  Chaberim  »(Je- 
nossen«  anklingt,  mit  dem  die  Pharisäer  sicli  bezeichnen.  Die  (ieiueinde 
des  neuen  Bimdes  von  Damaskus  ist  Ja  in  der  Tat  eine  Variation  der 
Pharisäer,  aus  denselben  Tendenzen  erwachsen,  und  von  der  Gestalt  des 
Pharisäismus,  die  im  Judentum  die  Herrschaft  erlangt  hat,  nur  durch  un- 
wesentliche, zum  Teil  nocli  etwas  rigorosere  Einzelbestimmungen  imter- 
schieden. 

Das  Gesetz  fahrt  fort  {12,8):  »Niemand  soll  Vieh  oder  Gellügel,  die 
rein  sind,  an  Heiden  verkaufen,  damit  sie  sie  nicht  opfern;  auch  von  seiner 
Dreschtenne  und  seiner  Kelter  darf  er  ihnen  nicht  verkaufen  um  all  seinen 
Besitz'.«  Also  die  Idee  der  Gottgeweihtheit  und  Reinheit,  die  durch  eine 
N'erwendung  des  Eigentimis  eines  Lsraeliten  zu  einem  heidnisclien  Opfer  be- 
lleckt werden  und  so  den  Dienst  der  Idole  fördern  würde,  wird  auf  alle 
Lehensmittel  ausgedehnt.  Das  gleiche  gilt  liir  das  Gesinde:  »Seinen  Knecht 
und  seine  Magd  soll  er  ihnen  nicht  verkaufen,  da  sie  mit  ihm  in  den  Bund 
Abrahams  eingetreten  sind«  —  naturlich  durch  die  Gen.  17,13  auch  für 
die.se  gebotene  Besclmeidimg,  die  gleichfalls  im  .lubiläenbuch  c.  15  noch  nach- 
drücklicher eingeschärft  wird. 

über  die  gotte.sdienstlichen  Einrichtungen  und  die  Beziehungen  zum 
'l'empel  in  Jerusalem,  der  natüriidi  trotz  des  Bruchs  mit  den  Juden  Pa- 
lästinas und  der  Auswanderung  die  heilige  Stätte  und  der  irdische  Woiin- 
sitz  der  (iottheit  ]>lieb,  geben  die  Vorschriften  ii,i8fl'.  einige  Auskunft: 
»Niemand  soll  Brandopfer,  Speiseopfer,  Weihraucli,  Holz  zum  Altur  durch 
jemand  senden,  der  durch  eine  der  Unreinheiten  unrein  ist,  .so  daß  er  ihm 
gestattet,  den  Altar  zu  verunreinigen:  denn  es  ist  geschrieben  (Prov.  15,  8): 
'Das  Opfer  der  Sünder  ist  ein  Greuel',  aber  das  Gebet  der  Gerechten  ist 
wie  ein  wohlgefälliges  Speisopfer".«  Also  Opfergaben  werden  hier  wie  sonst 
aus  der  Diaspora  nach  Jeru.salem  geschickt.  Dazu  gehört  weiter  12,1:  »Nie- 
mand .soll  in  der  St^ndt  des  Heiligtums  seiner  Frau  beiwoiinen,  die  Stadt 

'    iTir:  'nz,  vielleicbt  kornipt. 

-  -für  .laliwo«  im  Original,  in  iiiiscrciii  Text  aiis<ic!ns.<<i'ii,  wie  durchweg.  Der  Text 
lief  Pi-overbien  Iniilet  im  zweiten  ."salz  -:-i-  s^tr  Rsir-.  Damit  ist  v.  29  Trc-  zr^'-t  rnr-  kon- 
tiiminii-rt;  so  lautet  unser  Text:  v^" '^"•■"  ~"^ '^"tf^"- 


50  K.   Mkyer: 

des  Heiligtums  durcli  ihre  geschlechtliche  Unreinheit  (cm:3)  zu  beflecken« 
—  bei  der  Wallfahrt  nach  Jerusalem  ist  also  während  des  Aufenthalts  in 
der  Stadt  die  Beiwohnung  verboten.  Diese  Forderung  wird  von  der  Heuen 
Gemeinde  ganz  allgemein  gestellt  worden  sein:  die  Heiligkeit  des  Tempels 
wird  auf  die  ganze  Stadt  ausgedehnt,  sie  soll  lediglich  das  religiöse  Zen- 
trum  der  Judenscliaft  sein,   in   der  alles   weltliche  Treiben   verpönt  ist. 

In  den  Einzelgeraeinden  bildet  die  Synagoge,  hier  als  nnntsn  rr'a  »Haus 
der  Anbetung«,  npocevxH  und  bei  Philo  npocevKTHPioN  bezeichnet.  Auf  sie 
beziehen  sich  die  dazwischenstehenden  Sätze  1 1 ,  2 1  ff. :  »Jeder,  der  ins  Ge- 
betshaus kommt,  soll  nicht  unrein  kommen,  ^sondern)  gewaschen.  Und 
wenn  die  Trompeten  der  Versammlung  (bnpn,  ~  ekkahcIa  LXX)  blasen  (vgl. 
Num.  10,  I  ff.),  soll  es  vorher  oder  nachher  geschehn,  aber  sie  dürfen  nicht 
den  ganzen  Gottesdienst  ruhen  lassen :  der  Sabbat  ist  heilig. «  Dann  folgen, 
nach  der  Bestimmung  über  Jerusalem  12,  i,  die  Gesetze  Aber  die  Zauberer 
und  die  Entweihung  des  Sabbats  oben  S.  54. 

Die  Bestimmungen  über  das  Verhalten  der  Gemeindemitglieder  zuein- 
ander stehn  am  Anfang  des  Gesetzbuchs  j).  9,  i  ff.  Die  ersten  Sätze  knüpfen 
an  an  das  Gesetz  Lev.  27,  2 8 f.  über  den  Bann  (ein),  die  unlösbare  Weihung 
eines  Besitztums  oder  eines  Feindes  an  die  Gottlieit  zu  vollem  Eigentum: 
»Alles  Gebannte,  was  irgendjemand  dem  Jahwe  bannt  von  all  seinem  Be- 
sitz, sei  es  Mensch,  Vieh  oder  (J rundbesitz,  darf  nicht  verkauft  oder  wieder 
eingelöst  werden ;  alles  Gebannte  ist  hochheilig  für  Jahwe.  Alles  aber  von 
menschlichen  Wesen  (nisii  )'C),  was  gebannt  wird,  darf  nicht  losgekauft, 
sondern  muß  getötet  werden.«  In  alter  Zeit  wird  bekanntlich  auch  alles 
gebannte  Vieh  aus  der  feindlichen  Beute  abgeschlachtet'.  Nach  Ezechiel 
44,29  und  dem  Priesterkodex  Num.  18,  14  föllt  dagegen  »alles  Banngut 
in  Israel«  an  die  Priester.  Im  Judentum  ist  dann,  seit  eine  Kapitalgerichts- 
barkeit nicht  mehr  ausgeübt  werden  konnte,  die  »Bannung«  der  technische 
Ausdruck  für  die  feierliclie  Ausstoßung  aus  der  Gemeinde,  das  ANAeewATizeiN 
geworden'.  Aber  zur  Zeit  der  Entstehung  des  neuen  Bundes  war  die  alte 
Vorstellung  offenbar  noch  ganz  lebendig,  und  der  Bann,  die  Weihung  eines 
(legners  an  die  (xottheit,  um  ihn  dadurch  zu  vernichten,  wird  oft  genug 
angewendet  worden  sein.    Das  verbietet  unser  Gesetz  als  einen  unzulässigen 


'    Vgl.  Deut.  1:5,  13(1'.  ühor  die  Baniuiiig  und  Vernichtung  der  zum  Götzendienst  abge- 
Ijilleui'ii  Ortscliafion.     Ebenso' ganz  kurz  schon  im  Bundesbuch  Exod.  22,  19. 

^    Vgl.  SciirRER.   Oeseli.  d.  jiid.  \'otks  lli  434  f.    Webkr,  .Tiid.  Theol.'  I42f. 


Dir  (iriiiclndi'  (Ich  nnwii  ]hindpi<  /'///  Landf  DanviKku.^  57 

Raclieakt,  eine  PZntartung  zu  heidnischem  Braucli,  bei  Todesstrafe:  »Jeder, 
der  einen  Menschen  aus  der  Menschengattung'  bannt  nach  den  Gesetzen  der 
Heiden«  das    kann   docli    nur   heißen:    »nach    heidnischer  Art«,   niclit 

etwa,  daß  er  nach  heidnischem  Recht  vor  heidnischem  Gericht  gegen  iJm 
verfahren  will  — ,  »ist  zu  töten"'.  (Denn)  was  er  sagt,  (ist):  'Du  sollst  dich 
nicht  rächen  und  den  Söhnen  deines  Volkes  nichts  nachtragen'  (Lev.  19,  18)^; 
und  jeder,  der  in  den  Bund  eingetreten  ist,  der  etwas  gegen  einen  andern 
(»seinen  Näclisten«)  vorbringt,  was  nicht  vor  Zeugen  erwiesen  ist*,  sondern 
im  Zorn  gegen  ihn  vorgeht  oder  an  seinen  Ältesten  schreibt  ("iEC,  berichtet), 
um  ihn  in  schlechten  Ruf  zu  bringen,  der  ist  raclisüchtig  und  trägt  nach. 
Und  es  steht  doch  nur  geschrieben  (Nahum  1,2):  er  (d.  i.  Gott,  im  Ori- 
ginal Jahwe)  ist  rachsüchtig  gegen  seine  Widersacher  und  nachtragend 
gegen  .seine  Hasser'«  —  d.  h.  Gott  darf  die  Rache  üben,  aber  nicht  ein 
Mensch.  »Wenn  er  gegen  ihn  stumm  bleibt  von  einem  Tag  zum  andern 
vuid  dann  im  Zorn  gegen  ihn  ein  todbringendes  Wort  gegen  ihn  vorl)ringt 
(r";7:  "ia"a  ■'a  "ai),  dann  zeugt  er  gegen  sich,  weil  er  das  (iebot  Gottes  nicht 
gehalten  liat,  das  ilim  sagt  (Lev.  19,17):  'Du  sollst  deinen  Nächsten  zu- 
rechtweisen, daß  du  nicht  um  seinetwillen  eine  Sünde  auf  dich  ladest.« 
Ks  sind  dieselben  Grundsätze,  die  im  Testament  Gads  in  der  Wanning 
vor  dem  Haß  eingeschärft  werden:  (c.  4)  »vAÄiAcee  oyn,  t^kna  «oy,  Änö  to? 
MicoYC,    ÖTi    KAI    efc   ay'tön    TÖN    K^PiON   XnomIan    noieT.    OY'    rXp   e^Aei   AKoieiN    eN- 

TOAÜN     A'i'TOY     n€PI     XrXnHC     TOY     nAHCiON     KAI     efc    0eÖN     AMAPTÄNGI.     ^AN     FAP     n^CH     Ö 

AAeA»öc,  cnoYAAzei  e-^OYC  XnArreTAAi  toTc  oäcin,  kai  cneYAei.  Yna  KPieeic  kai 
KOAAceeic  XnoeANH.  Eben  diese  Anschauung,  die  Malmung  zur  Nächston- 
liel)e,  wird  hier  in  gesetzliche  Gebote  umgesetzt,  bei  aller  Wahrung  der  zur 
Aufrechterhaltung  der  Gesetzlichkeit  unentbehrlichen  gegenseitigen  Kontrolle. 
Audi  sonst  ist  jede  Selbsthilfe  und  jeder  gewaltsame  Zwang  gegen 
andere  verboten:  (9,  8)  »In  bezug  auf  den  Eid,  von  dem  er  gesagt  hat: 
'Deine  Hand   soll   dir  nicht  helfen'«  —  das  i.st  aus  Sara.  I  25,26.  31    ent- 


'  Man  betrachtet  in  o-k-:  s-jx  s-^rr  -mt  das  letzte  Wnrt  .ils  Dittographie.  .\bor  Lev.  27,  28 
steht  zuerst,  lici  dc-r  Anrziihlung  (h-r  Objekte,  z-v-  und  v.  29  :-s- -ii  a^-r:-' -rx;  somit  ist  =-s-: 
jedi-nlalls  zu  lialleii  und  vielleicht  auch  (Ins  vorhergehende  :-:k:  .einen  von  der  Menseheii- 
^attung-, 

*  >i-r  rrvr'-i,  von   Chaiii.ks   richtig  erklärt. 

'    Die  Fortsetzung  ist:    -soiulein   sollst  deinen   Nächsten  lieben   wir  dich  seihst«. 

*  Für  rrr-z  ks  s*  ist  entweder  -tt.  »ger.'chtfertigt.  als  richtig  erwiesen-  üdei"  mit 
CiiARi.fxs  rrrr.  zu   lesen    -der  ihn  nicht  zur  Hede  gestellt  hat-. 

l%il.-hi.it.  Ahh.   I'.nu.   Sr.  !).  8 


58  E.   Mkvkk: 

iiommen,  wo  Abigail  den  David  preist,  daß  er  sicli  nicht  gewaltsam  Selbst- 
hilfe gegen  Nabal  verschafft  hat  — .  »so  übt  jeder,  der  auf  seinem  Felde 
jemand  scliwören  läßt,  nicht  in  (Tcgenwart  der  Richter  oder  auf  Grund 
ihres  Ausspruclis,  diese  Selbsthilfe  mit  eigner  Hand«  —  denn  er  zwingt 
ihn  auf  ungesetzlichem  Wege  zu  einem  Kid,  der  ihn  schädigt.  »Wenn  je- 
mandem etwas  abhanden  gekommen  ist,  ohne  daß  bekannt  ist,  wer  es  aus 
dem  .  .  .'  des  Lagers  gestohlen  hat,  in  dem  es  gestolden  ist,  soll  sein  Eigen- 
tümer 'es  mit  dem  Fluclieid  beschwören' (Num.  5,21),  'und  wer  es  hört, 
falls  er  darum  weiß  und  es  nicht  anzeigt'  (Lev.  5,  i).  der  ist  schuldig. 
Über  alles  Veruntreute,  das  zurückgegeben  wird,  aber  keinen  Eigentümer 
hat,  soll  der  Zurückgebende'  dem  Priester  berichten,  und  dann  soll  ihm 
mit  Ausnahme  des  Sühnewidders  das  Ganze  (d.  h.  alles  andere,  "rn)  ge- 
hören«. Leider  ist  »ihm«  (""")  zweideutig;  aber  das  Gesetz  Num.  5,  8,  das 
hier  fast  wörtlich  wiedergegeben  wird,  bestimmt,  daß  »wenn  der  (inzwischen 
verstorbene)  Träger  des  Anspruchs  keinen  Blutsverwandten  hat,  dem  die 
Buße  entrichtet  werden  könnte,  so  geliört  die  zurückgegebene  Buße  Jahwe« 

—  erläutert  durch    »dem  Priester«   —   »mit  Ausnahme  des  Sühnewidders« 

—  der  nach  Lev.  5,  15 f.  Jahwe  geopfert  wird.  So  wird  also  auch  hier 
zu  verstchn  sein:  der  veruntreute  Gegenstand  fällt  an  den  Priester,  der 
Widder  wird  Jahwe  geopfertl  Die  Fortsetzung  bestätigt  dies:  »Und  ebenso 
soll  jeder  verlorene  (iegenstand,  der  gefunden  wird  und  keinen  Eigentümer 
liat,  den  Priestern  gehören;  denn  der  es  gefunden  hat,  kennt  sein  Recht 
(d.  h.  das  daraufhaftende  Besitzrecht,  den  rechtlichen  Eigentümer)  nicht. 
Wenn   ein  Eigentümer  dafür  niclit  gefunden   wird,   solhn  sie  es  behalten.« 

»Wenn  jemand  sich  in  irgendeiner  Sache  gegen  die  Tora  vergeJjt 
und  ein  anderer  (sein  Nächster),  und  zwar  nur  er  allein,  das  sieht,  so  soll 
er,  wenn  es  eine  Sache  ist,  auf  der  der  Tod  steht,  es  vor  seinen  Augen* 
dem  Ephoren  anzeigen,  und  der  Ephor  soll  es  mit  eigner  Hand  nieder- 
sclireiben,  bis  er  es  nochmals  tut  in  (Gegenwart  eines  andern'  und  dieser 

'    -st:-:,   verschrifben. 

^     Fiii'  zz:-2-  lies  mit  Siiikchter  z-^-rir.. 

•■'  Deshalb  kann  ich  Chari.es'  .Xmlfrunu;  des  am  .Schluß  stehenden  ■==-  in  ~r5  nicht  für 
richtig  halten. 

*  rr^s-r;:  ";V;  (mit  einem  freien  Raum  /.wischen  beiden  Worten)  könnte  heißen  »vor 
f-einen  Augen  mit  Zureclitweisung  (Anklage)...  Aber  Cjiaki.es  kni-rigiert  es  wohl  mit  Recht 
in  -y-.  ^:V5  »in  Gegenwart  des  Angeklagten«. 

■'    -nx   korrigiert  Charlks  mit   Hecht   In   -ts. 


Die  (if'inriitdr  den  iinicit  Ihiiitics  im  JaiiuIc  Ikuintsku.s  T)!) 

es  gleichfalls  dem  ICphoren  anzeigt.  Wenn  er  (so)  wieder  von  einem  an- 
dern ertappt  wird,  ist  sein  Urteil  erledigt.  Sind  aber  zwei  «Zeugen  da, 
bezeugen  aber  Verschiedenes,  so  soll  der  Mann  nur  von  der  Reinheit  aus- 
geschlossen sein,  wenn  sie  zuverlässig  sind  und  wenn  der  Mann  es  noch 
an  dem  Tage,  an  dem  er  es  gesehn  hat,  dem  Ephoren  mitteilt.  Und  nach 
dem  Gesetz  sollen  sie  zwei  zuverlässige  Zeugen  ^annehmen)  und  nicht  niu- 
einen,  um  die  Keinheit  auszusehließen.  Und  niemand  soll  als  Zeuge  vor  den 
Richtern  auftreten,  um  auf  seinem  Aussage  ein  Todesurt<'il  auszusprechen, 
der  noch  nicht  volljährig  ist,  um  unter  die  (bemusterten  einzutreten'  (Kxod. 
30,  13 f.;  die  Altersgrenze  sind  demnach  20  .lahre)  (und  der  nicht)  gottes- 
turchtig  ist.  Nicht  als  Zeuge  gegen  einen  anderen  (seinen  Nächsten)  soll 
(dauben  finden,  wer  ein  Wort  der  Gebote  mit  erhobener  Hand'  (Num. 
15.30,   d.  i.  mutwillig)   übertreten   hat,   bis  er  wieder  für  rein  erklärt  ist.« 

Es  bleiben  die  beiden  stark  beschädigten  und  verwischten  letzten  Seiten, 
p.  15  beginnt,  in  welchem  Zusammenhang,  ist  nicht  erkennbar,  mitten  in 
den  Bestimmungen  über  den  Eid.  üb  sich  diese  Satzungen  auf  bestimmte 
Einzelfalle  oder  ganz  allgemein  auf  den  Eid  beziehn,  wissen  wir  nicht:  das 
letztere  ist  wohl  das  wahrscheinlichste.  Den  Namen  der  (iottheit  dabei 
anzurufen,  wird  verboten:  »(er  soll  nicht  schwören)  sei  es  bei  Alepli  und 
Lamed  (=  Elohim,  s.  o.  S.  8),  sei  es  bei  Aleph  und  Dalet  (=  Adonai),  son- 
dern imr  den  Schwur,  der  im  Bundeseid  (geschrieben  ist)'.  Auch  die  Tora 
3Ioses  soll  er  niclit  erwähnen,  denn  ...  (oder:  »außer  ...").  Und  wenn 
er  schwört  und  dann  (den  Eid)  bricht  (1371),  entweiht  er  den  Namen". 
Uiul  wenn  (er  schwört)  beim  Bundeseid.  (so  soll  es  vor)  den  Richtern 
ge.schehn*;  und  wenn  er  ihn  bricht,  ist  er  schuldig;  aber  wenn  er  beichtet 
und  sich   bekehrt,  soll   er  nicht  die  Todesstrafe  erleiden*.« 

Daran  schließen  allgemeine  Bestimmungen  über  die  Ablegiing  des 
liundeseides  und  den  P'intritt  in  den  Bund:  (19,  5)  »Wer  in  den  Bund 
für  ganz  Israel  nach  ewiger  Satzung  eintritt  mit  seinen  Söhnen,  die  (nocli 
nicht)  in  die  (iemusterten  durch  den  Bundeseid  eintreten  können,  soll  es 
für   sie    bekräftigen.«     Die    unmündigen    Kinder    werden    also    durch    eine 

'    Für  ..V-  set/on  Levi  iiiid  Chaki.es  r:-n:r  ein. 

-    Vgl.  I/CV.  19,  12:   •ihr  -sollt  nicht  falsch  .schwören  1km   meinem  Namen,  daß  du  den 
Namen  deines  Gott&s  Tiicht  entweihst«. 
'    Krf^änzt  \()n  (ihessmann. 
'     r";|r:  z;;y|  x~-  xV   (,'li  VKi.KS. 


m  K.    Mkvku: 

Krklärung  ihres  Vaters  in  die  Gemeinde  aufgenommen  und  für  dieselbe 
verptlichtet,   wie  im  Christentum  durch  die  Kindertaufe. 

»So  ist  das  Recht  in  der  ganzen  Endzeit  der  Sünde«  —  der  gegenwärtigen 
Weltperiode  —  »für  jeden,  der  sich  von  seinem  verderblichen  Wandel  be- 
kehrt« —  also  in  den  Bund  eintreten  will  — :  »an  dem  Tage,  an  dem  er  mit 
dem  über  die  Menge  gesetzten  Ephoren  (s.  o.  S.  48)  gesprochen  hat,  soll  man 
ihn  mustern  mit  dem  Eid  des  Bundes,  den  Mose  mit  Israel  geschlossen  hat, 
dem  Bund,  zurückzukehren  zur  Tora  Moses  mit  ganzem  Herzen  und  ganzer 
Seele  ....  (zerstört).  Niemand  soll  ihm  die  Rechtssätze  mitteilen,  bis  er 
vor  dem  Ephoren  gestanden  hat,  der  ihn  (prüft),  indem  er  ihn  fragt.  Und 
wenn  er  es  auf  sich  nimmt,  zurückzukehren  zur  Tora  Moses  mit  ganzem 
Herzen  und  ganzer  Seele,  ((iottes  Gebote  zu  befolgen)  und  alles,  was  von 
der  Tora  offenbart  ist,  zu  streiten  (gegen  die  Abtrünnigen)  .....  (so  soll) 
der  Ephor  (ihn  aufnehmen)  und  ihm  gebieten  (.  .  .  etwa:  die  Gottlosen) 
zu  töten  .  .  und  einen  Wahnsinnigen  (wohl  die  falschen  Propheten)  und 
alle  .  .  .«■  Der  Rest  ist  ganz  zerstört;  nur  der  Schluß  des  Abschnittes  ist 
j).  16,  I  f.  erhalten:  »((iott  hat  einen  Bund  geschlossen)  mit  euch  und  mit 
ganz  Israel.  Darum  soll  der  Mann  (d.  i.  jeder)  die  Verpflichtung  auf  seine 
Seele  nehmen,  zur  Tora  Moses  zurückzukehren.« 

»Denn  in  ihr  ist  alles  genau  bestimmt  {■p'p^ir:).  Und  die  Erläuterung 
(©■'"IE)  ihrer  Endzeiten  (2n"'Sp,  der  Zeitperioden,  die  sie  durchzumachen 
haben,  und  ihres  Ausgangs,  wie  oben  p.  2,  9)  in  bezug  auf  die  Blindheit 
Israels'  über  alle  diese  Dinge,  siehe  das  ist  genau  ausgeführt  (p~p""ir)  in 
dem  Buch  der  Einteilungen  der  Zeiten  nach  ihren  Jobeljahren  und  Wochen 
(dem  Jubiläenbuch,  s.  o.  S.  9).« 

»An  dem  Tage,  an  dem  jemand  es  auf  seine  Seele  nimmt,  zur  Tora 
Moses  zurückzukehren,  wird  der  Engel  des  Mastema  (s.  o.  S.  39)  von  ihm 
weichen,  wenn  er  sein  Wort  hält.  Dalier  wurde  Abraham  am  Tage,  avo  er 
zur  Erkenntnis  kam  X'r\:?1  BT^n),  beschnitten«  —  vgl.  Jubil.  15,  26  im  An- 
schluß an  die  Beschneidung  Abrahams  und  seiner  Angehörigen  und  Knechte: 
»Alles  Geborene,  das  nicht  beschnitten  ist  bis  zum  achten  Tage,  gehört 
nicht  zu  den  Kindern  des  Bundes,  den  Gott  mit  Abraham  geschlossen  hat. 
sondern   zu   den   Kindern   des   Verderbens.« 


is-r^  . — „5.  jßii   sehe  keinen  (iruiid,  mit  Sciiki  iiikr  in  ]—cr>  odei-  mit  C'haki.es  in 


zu  ändern. 


Dil'  (iciiici/ulr  des  nriirn  Bundes  im  Laitdr  Damaskus  (i  l 

Diese  Ausfiiliruugcii  geben  noeli  einiriMl  einen  lebendigen  Einblick  in 
das  Wesen  des  neuen  Bundes.  Er  ist  die  wahre  Fortsetzung  des  alten, 
den  Gott  mit  Abraham  geschlossen  hat,  dessen  ewige  Satzungen  Mose  in 
der  Tora  offenbart  hat;  auf  ihn  ist  daher  auch  die  Verheißung  überge- 
gangen, er  allein  ist  das  wahre  Israel,  alle  andern  sind  abtrünnig  und 
bilden  das  Reich  des  »Anfeinders«,  des  Maslema  oder  Satan,  dessen  Diener 
(Engel)  hinter  ihnen  stehn;  und  ihr  vorausverkündetes  und  genau  be- 
stimmtes (ieschick  Avird  sich  binnen  kurzem  erfüllen,  wenn  der  3Iessias 
»Aharons  und  Israels«   konmit  und  sein  Reich  aufrichtet. 

Es  folgen  noch  weitere  Hestimmungen  über  die  Gelübde:  (p.  1 6, 6)  »Was 
er  gesagt  hat  (Deut.  23,  24):  Was  über  deine  Lippen  kommt,  sollst  du 
halten',  es  auszufuhren,  so  darf  ein  Mann  jede  eidliche  Verpflichtung,  die 
jemand  auf  seine  Seele  legt'  (Num.  30,  3),  um  ein  Wort  aus  der  Tora  aus- 
zufuhren, um  den  Preis  des  Todes  nicht  brechen".  Aber  alles,  was  ein 
Mann  auf  seine  Seele  legt  (gegen  die  Worte  der  Tora),  darf  er  um  den  Preis 
des  Todes  nicht  halten.  Was  den  Eid  der  Frau  betrifft,  von  dem  Mose 
gesagt  hat  (Num.  30,  6fF.),  daß  ihr  Eid  gehindert  werden  kann,  so  soll  der 
Mann  ihi-en  Eid  nicht  hindern,  wenn  er  keinem  Menschen  schadet"';  er  ist 
auszuführen.  Wenn  er  ihn  aber  verhindern  kann,  falls  er  (dazu  f^ihrt)  den 
Hund  zu  übertreten,  soll  er  sie  hindern  und  ihn  nicht  ausführen.  Und 
ebenso  ist  das  Recht  ffir  ihren   Vater  (Num.  30,  6 ff.).« 

»Über  das  Recht  der  Gelübde.  Niemand  soll  für  den  Altar  (also  nach 
.Jerusalem)  etwas  Erpreßtes  (crs;  oder  »gezwungen«?)  geloben.  Und  auch 
die  Priester  sollen  von  Israel  nichts  (derart)  annehmen.  Und  niemand  soll 
eine  Speise  weihen«  —  das  Folgende  ist  zerstört;  vielleicht  war  von  heid- 
nischem Opferileisch  die  Rede,  dessen  Gebrauch  verpönt  wird  — ;  »das 
ist,  wovon  er  gesagt  hat  (Micha  7,  2):  Jeder  stellt  seinem  Bruder  mit  dem 
Netz  nach'.  Nicht  soll  ...»  Alles  Weitere  ist  ganz  zerstört;  die  wenigen 
erhaltenen  Buchstaben  zeigen,  daß  noch  weiter  von  Opfern  und  Gelübden 
nebst  Strafandrohungen  die  Rede  war.  —  Ob  noch  weitere  Blätter  gefolgt 
sind,   läßt  sich  nicht  sagen. 

'    Für  •TT-r'  liest  Schkchtkr  mit  Recht  r-.-v,  nach  Nimi.  30,9.  13  f.  16. 
'    zn..~-.ti-  -~K  ergänzt  (ibkssmann  sehr  gut  zu  orscz  y-.-  .ss -~s. 


()2  Iv    M  E  ^  K  H  : 

Abschluß,     üie  Ergebnisse. 

p]ine  unbefangene  Interpretation  der  neuen  Texte,  wie  wir  sie  im  vor- 
stehenden versucht  haben,  läßt  ül:)er  ihre  Entstehungszeit  keinen  Zweifel. 
Die  Gründung  der  neuen  Gemeinde,  ihr  Auszug  aus  Jerusalem  und  die 
Abfassung  der  Mahnrede  und  des  Gesetzbuclis  fällt  kurz  vor  das  Jahr 
1 70/69  V.  Chr..  in  dem  Antiochos  Epiplianes  zum  erstenmal  entscheidend 
in  Jerusnlem  eingriff.  Die  'l'cxtc  sind  dann,  wie  die  erläuternden  Ein- 
schübe  und  die  Abweichungen  zwischen  A  und  B  lehren,  überarbeitet  und 
erweitert  worden;  aber  nuch  in  diesen  Stücken  weist  nichts  auf  eine  spä- 
tere Zeit,  sie  stammen  aus  einer  Zeit,  als  die  Vorgänge  mit  ihren  Gegen- 
sätzen noch  friscli  im  Gedäclitnis  waren  und  die  Weltlage  sich  noch  nicht 
wesentlich  geändert  hatte,  auch  sie  erwarten  die  Katastrophe,  das  Welt- 
gericht und  das  Kommen  des  Messias  in  der  allernächsten  Zeit. 

Daraus  hat  sich  zugleich  ergeben,  daß  die  üblichen  Ansätze  fiir  die 
Abfassungszeit  der  ältesten  Stücke  des  Henocli  und  für  die  der  Jubiläen 
und  der  Testam(>nte  der  Patriarchen  beträchtlich  zu  spät  sind.  Audi  sie 
stammen,  da  sie  in  dem  neuen  Text  benutzt  sind,  aus  derselben  Zeit.  Das 
wird  dureli  iliren  Inhalt  durchaus  bestätigt;  eben  darum  fehlt  in  ihnen 
auch  jede  Einwirkung  niclit  nur  des  Hellenismus,  sondern  auch  des  Daniel- 
buchs, von  den  für  dieses  charakteristischen,  aus  dem  Parsismus  über- 
nommenen eschatologischen  Vorstellungen  findet  sich  in  ilinen  allen  (ab- 
gescihn  von  den  s{)äteren  Erweiterungen  des  Henoch)  noch  keine  Spur. 
Nur  die  Sclieu  vor  frülien  Datierungen  hat  die  riclitige  Erkenntnis  ver- 
hindert: und  die  Neigung,  in  möglichst  späte  Zeit  hinabzugehn,  ist  da- 
durch bestärkt  worden,  daß  man  in  allgemeinen  Schilderungen  des  Messias 
und  seiner  Zeit,  wie  z.  B.  im  Test.  Lewis  c.  18  und  Judas  c.  24,  Anspie- 
lungen auf  politische  Ereignisse  (so  auf  Johannes  Hyrkanos)  zu  ent- 
decken glaubte,  zu  denen  der  Text  in  Wirklichkeit  gar  keinen  Anhalt  bietet'. 
Wenn  es  nicht  zweifelhaft  ist,  daß  die  scharfen  Angriffe  auf  die  Lewiten 


'  (;iiaiaktciislisoh  ist,  daß  Chaki.es  (The  Test,  of  the  twelve  patr.  ttanslated  p.  54) 
zugibt,  daß  di(>  Voruüife  gegen  die  Lewiten  im  '{"est.  Lev.  10.  14(1".  besser  für  die  Zeit  von 
200 — 170  a's  für  100 — 60  V.  Clii'.  23«ssen,  sich  aber  doch  für  die  letztere  entscheidet,  weil 
c.  16  die  70  .lahrwoclien  vorkommen,  die  Dan.  9,  24  bis  anf  die  ^lakkabäcrzeit  (160  v.  Chr.) 
gereciinet  werden,  und  weil  10.  5  der  Henoch  zitiert  wii'd.  Argumente,  die  in  Wirklichkeit 
"arnirjils   liciv eisen. 


Die  (Jf^)ieinch'  des  wneti  Bvmlfs  im  Laiirlc  Darnaftku-n  {\'.\ 

und  ihren  Abfall  im  Test.  Levi  lO.  14  — 16  und  das  entsprechende  Stück 
im  Test.  Juda  21,6  —  23.5  Einlagen  in  den  ursprünglichen  Text  sind,  der 
I.ewi  verlierrlicht  und  die  Herrschaft  seiner  priesterlichen  Nachkommen  und 
die  Unterordnung  der  übrigen  Stämme,  der  Laien,  unter  sie  aufs  stärkste 
betont,  so  ergibt  sich  vielmehr,  daß  der  Kern  des  Buchs  älter  ist  und 
etwa  dem  Ende  des  dritten  Jahrhunderts  angehört,  der  Zeit  der  unge- 
störten Priesterherrschaft  unter  den  Ptolemäern.  Er  entspricht  durchaus 
der  Verherrlichung  der  Priesterherrschaft  und  des  Regiments  des  Hohen- 
l)riesters  Simon  bei  Jesus  Sirach.  Daß  der  Text  den  Mund  etwas  voll 
nimmt  und  ihre  Macht  und  Herrlichkeit  übertreibt,  ist  doch  walulich  kein 
Wunder:  aber  auf  die  Makkabäerzeit,  auf  die  man  diese  Schilderungen 
gewöhnlich  bezieht,  paßt  das  durchaus  nicht.  Eben  diese  Idealisierung  hat 
dann  zu  der  Einfügung  der  scharfen  Polemik  geführt,  als  sicli  zeigte,  daß 
das   Verhalten  der  Priester  ihr  in  Wirklichkeit  durchaus  nicht  entsprach. 

Diese  Einlagen  in  den  Testamenten  sind  mit  Zitaten  des  Henoch- 
buchs  verbunden,  und  alle  Hinweise  auf  dasselbe  mögen,  wie  auch  Cn.\nLEs 
annimmt,  erst  damals  eingefügt  sein.  Einzelne  Bestandteile  des  Henocli- 
buchs,  auch  abgesehn  von  dfen  ursprünglich  selbständigen  noachischen 
Fragmenten,  mögen  schon  älter  sein;  das  Stück  91  — 104  dagegen  stanmit 
aus  derselben  Zeit  wie  die  neuen  Texte.  Aucii  am  Jubiläenbuch  können 
.sehr  wohl  nielirere  Hände  tätig  gewesen  sein:  auch  hier  sehn  die  Ver- 
weise auf  Heuochs  Schrift  und  die  Erwähnung  der  «W^ächter«  zum  Teil 
wie  spätere  Zusätze  aus.  Das  bedarf  noch  weiterer  Untersuclnuig.  Sicher 
ist,  daß  es  in  der  (Jestalt,  in  der  es  auf  uns  gekommen  ist.  unmittelbar 
vor  der  neuen  Schrift  und  in  den.selbeii  Kreisen  wie  diese  entstanden  ist. 
Es  faßt  in  der  legendarischen  Überarbeitung  der  Vorgeschichte  die  Anschau- 
ungen und  Forderungen  zusammen,  die  sich  in  den  Kreisen  der  Frommen 
gebildet  liaben  und  jetzt  gegen  die  hellenisierende  Reformpartei  als  da.s 
echte.  unverfäLscIite  Judentum,  als  die  Grundlage  des  »Bundes  mit  den 
Vorfahren«  durchsetzen  wollen.  So  bildet  es  geradezu  das  Programm  und 
die  theoretische  Basis  für  das  Auftreten  des  »Lelirers  der  Gerechtigkeit« 
und  die  Organisation  der  neuen  Gemeinde,  die  durch  die  Mahnrede  ver- 
kündet und   im   Gesetzbucli   ausgeführt  wird. 

Nahe  verwandt  sind  der  neuen  Gemeinde  oflenbar  die  AciaaToic  des 
Makkabäerbuchs,  Avenn  auch  nicht  identisch  mit  ilir;  denn  die  Folgenmg, 
daß  Gott  über  das   walire   Israel,  den   Rest  der  Frommen,   ein   neues   Exil 


H4  E.   Mever: 

verhängt  habe,  haben  sie  nicht  gezogen,  sondern  sind  im  Lande  geblieben 
und  haben  das  Geschick  duldend  ertragen. 

Weiteres  über  die  Gemeinde  des  neuen  Bundes  und  ihre  Schick'sale 
ist  uns  niclit  bekaiuit.  In  den  Jaliren  der  systematischen  Religionsverfol- 
gung durch  Antlochos  (Knde  i68  bis  166/65)  mag  aucli  sie  schwer  zu 
leiden  gehabt  haben.  Damit  mag  die  scharfe  Polemik  zusammenhiingen. 
die  immer  aufs  neue  gegen  die  Lauen  und  Abtrünnigen,  die  Mitläufer  in 
der  Gemeinde,  gerichtet  wird.  Daß  in  der  Folgezeit  in  Damaskus  eine 
zahlreiche  Diasi)oragemeinde  bestanden  hat.  wissen  wir  aus  dem  Neuen 
Testament  und  aus  Josephus  (Bell.  II  559.  VII  368).  Aber  inzwischen  war 
in  Judäa  und  Jerusalem  die  pliarisäische  Orthodoxie  immer  weiter  ausge- 
bildet und  zu  voller  Herrschaft  gelangt,  der  Gegensatz  innerhalb  des  Juden- 
tums im  Avesentlichen  überwunden;  die  altgläubigen  Saddukäer.  die  zum 
Pharisäismus  in  demselben  Verhältnis  stehn  wie  das  orthodoxe  Luthertum 
zum  Pietismus  und  den  verwandten  Richtungen,  verloren  in  der  Masse 
des  Volks  allen  Halt  und  kamen  für  die  Religion  nicht  mehr  in  Betracht'. 
Mit  diesen  Tendenzen,  die  aus  derselben  Wurzel  entsprungen  sind,  wird 
die  Gemeinde  in  daueriuler  Fühlung  geblieben  sein;  die  Difl^renzen  über 
Einzelheiten  der  Gesetzesauslegung  kamen  demgegenüber  nicht  in  Belracht. 
sie  waren  nicht  stärker,  als  sie  auch  sonst  innerhall)  des  Pharisäismus 
zwischen  den  einzelnen  Lehrern  bestanden.  So  wird,  wie  die  Diaspoi*a 
überhaupt,  auch  die  Gemeinde  in  Damaskus  der  Oberleitung  der  Kirche 
von  Jerusalem  imtergeordnet  und  von  ihr  völlig  assimiliert  worden  sein, 
zumal  ihre  messianischen  Erwartungen  sich  eben  nicht  erfüllten  und  auf 
eine  unbestimmte  Zukunft  vertagt  inid  umgedeutet  werden  mußten.  Auch 
läßt  sich  garnicht  sagen,  wieweit  der  Gesetzentwurf,  der  auf  uns  ge- 
kommen ist,  überhaupt  in  der  Praxis  hat  durchgeführt  werden  können; 
denn  daß  es  sich  hier  wesentlicli  um  eine  Theorie  handelt,  ist  klar.  Jeden- 
falls ist  die  Gemeinde  als  orthodox  anerkannt  worden;  tlenn  ilire  Schrif- 
ten, das  Jubiläenbuch,  die  mehrfach  überarbeiteten  Testamente  der  Patri- 
archen,  und    der  noch   stärker  immer  wieder  ergänzte  Henoeh,  sind  zwar 

'  Nichts  ist  \eik(»lirter.  als  den  .Saddiikäern  Hinneigung  zum  Hellenismus  und  Lax- 
heit gegenüber  dem  Gesetz  zu/.usi'hreihen.  Josephus  bezeugt  so  scharf  wie  möglich  das  Gegen- 
teil. Sie  haben  nur  die  weitere  Entwicklung  nicht  mitgemacht,  sondern  sind  auf  dem  Boden 
des  Schrifiworts  mid  der  in  ihm  zum  Ansdiuik  gelangten  .\nsohaunngeii  .stehngeblieben 
und  daher  notwendig  dei-  Stagnation   und  dem   Absterben   verfallen. 


Die  Gemeinde  des  neuen  Bundes  im  Lande  Damaskue  65 

nicht  in  den  Kanon  der  heiligen  Schriften  gelangt,  wie  Daniel,  wohl  aber 
in-  den  Umkreis  derselben  aufgenommen  und  als  Erbauungsbücher  gelesen 
und  weiterverbreitet  worden  und  so  auch  zu"  den  Christen  übergegangen. 
Auch  die  s])ezifischen  Schriften  der  Gemeinde,  die  Mahnrede  und  das  Ge- 
setzbuch, hat,  wie  wir  jetzt  sehn,  das  Judentum  bewahrt;  so  sind  sie  er- 
halten und   uns  jetzt  wieder  beschert  w^nrden. 


Phil.-hist.  AbJi  1919.  Nt.  .9. 


66        E.  Meyer:  Die  Gemeinde  des  neuen  Bundes  itn  Lande  ''Damaskus 


Inhalt. 

Seite 

Die  bisherigen  Auffassimgeii  der  Schrift ■• 

Die  Handschriften    6 

Die  benutzten  .Schriften 7 

Die   Mahniede 12 

Die  religiösen  Anscliauungen 3S 

Der  Abschluß  der  Mahnrede  in  B   40 

Das  Gesetzbuch.     Die  Organisation   der  Gemeinde 44 

Kultische  und  rechtliche  Gesetze 50 

Abschluß.    Die  Ergebnisse •  62 


Übersicht  der  Übersetzung  der  Texte. 


Ap.  I,  I  — 18 12 f  Ap.  9.  I  — 8 


57 


I,  i»~-2.  I   14  9.8  —  10.3 .571. 

2.2 — 7 20  10.4 — 10 49f. 

2,7 — 1,3 20  10.10  —  1,3 51,1 

2.14  —  3,20 21  fi'.  10.14  —  11,18 51  f. 

3,20  —  4.6 23  f.  1 1 .  1 8  -    2 1  .55 

4.6 — 19 32  f.  11,21—12,1 56 

4,191'. 31  1 2 ,  I  f. 55 

4,,9_6,3 34(r.  12,2—6 54 

6.2  — II 24  12,6  —  8 54 

6,11 — 7,6 37  f.  12,8 — II    55 

7,6  —  9  — Bi9,2--6 27  12,11— i8 51,1 

7.9  =  Bi9,  5f. 26  12.  19  — 13.  7 45f. 

7,10—14  25f.  13.7  — 14.2 47f. 

7.  14  —  21   25  14.  3  —  22 48f. 

7,21 — 8,  i=Bi9.  10 — 13..  ■•  27  p.  15  u.  16 59flr. 


I  —  21  =  B  1 9,  13  — 33 28  ff. 


Sritc 


B  19.  if. 38,2.  411 

19,  2  —  6 27 


19-5-13   26 f 

i9>  13--34 28  ff. 

19-  34  — 20.  34 41  ff. 


Berlin.  i;t'drmjtt   in  diT  ileiclisdnickrrei. 


ABHANDLUNGEN 

DER  PREUSSISCHEN 

AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

JAHRGANG  1919 

PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE  KLASSE 


Nr,  10 
VOM  KLOSTERBUCH  DES  SÄBUSTI 

VON 

EDUARD  SACHAU 


BERLIN  1919 

VKRLAG  DKR  AKADEMIK  DER  WISSKNSCIIAFTKIN 


IN  KOMMISSION  BKI  DER 
VEREINIOITNO  WISSENSCHAFTLICHEK  VERLEGER  WALTKtt  IIE  GRUVTKU  U.  l(). 

VORMALS  r;.  J.  HflSCIIfTI  SCIIE  VERLAfiSHANDI.UNr..    1.  liDTl'ENTAfi.  VERLACSBITHH ANDM'NCi. 
liKORli  HKIMF.K.     KARL  J.  TKl'lINK.R.     VKIT  lt.  COMl'. 


Vorgelegt  ia  der  Sitzung  dei-  phil.-hist.  Klasse  aiu  22.  Mai  1919. 
Zum  Druck  eingereicht  am  6.  .luni,  ausgegeben  am  29.  September  1919. 


1  Jas  christliche  Klosterwesen  hat  für  Wissenschaft  und  Unterricht  dieselbe 
Bedeutung  gehabt  im  Orient  wie  im  Okzident.  Die  Klosterschule  zu  Nisibis 
war  für  das  6.  und  7.  Jahrhundert  des  östlichsten  Christentums  die  Uni- 
versitas  literarum,  und  die  große  Mehrzahl  der  Männer,  die  in  geschicht- 
lichem oder  literarischem  Zusammenhange  jener  Zeiten  hervorgetreten  sind, 
die  Träger  der  Literatur  und  des  kirchlichen  Lebens,  haben  dort,  man  darf 
sagen,  ihre  akademische  Bildung  genossen.  In  späteren  islamischen  Zeiten 
hat  das  Kloster  Dair  Qunnä  am  Tigris  südlicli  von  Bagdad  die  Rolle  von 
Nisibis  übernommen. 

Es  ist  eine  bemerkenswerte  Tatsache,  daß  nicht  allein  christliche  Schrift- 
steller, sondern  auch  muhammedanische  über  christliche  Klöster  geschrieben 
haben,  freilich  von  ganz  verschiedenen  Interessen  ausgehend  und  ganz  ver- 
schiedene Zwecke  verfolgend.  Von  ersteren  ist  der  bedeutendste  der  Bischof 
Jesudenah  oder  I§6'denah  (d.  i.  Christus  ist  aufgegangen)  von  Ba-sra,  der 
sein  Werk  bezeichnet  als  Buch  der  Keuschheit',  handelnd  von  den  Kloster- 
gründern, den  Schriftstellern  de  re  monastica  und  den  Schulgründern  im 
Reich  der  Perser  (der  Sasaniden)  und  der  Araber.  Er  schreibt  in  majorem 
dei  gloriam  und  zum  Ruhme  der  frommen  Männer  seines  Volkes.  Nach 
kurzer  Angabe  der  Ortslage  der  Klöster  gibt  er  Biographisches  über  ihre 
Gründer,  berichtet  von  ihren  Werken,  iliren  Wundertaten,  ihrer  literarischen 
Tätigkeit,  gelegentlich  von  ihren  Traumgesichten  und  von  ihrem  Grabe, 
Auszüge  aus  reicheren  Quellen  nach  Art  der  Vitae  sanctorum.  In  der  Reihe 
dieser  Klöstergründer  heben  sich  deutlich  drei  Schichten  ab;  als  erste  die 
Schüler  Eugens,  der  in  der  ersten  Hälfte  des  4.  Jahrhunderts  das  Kloster- 
wesen von  Ägypten  nach  Mesopotamien,  zuerst  in  den  Mons  Masius  (Türä 

'  Hei-au.sijegeben  und  übei-setzt  von  J.  B.  Chaboi-  in  Ecole  Fi-an<;iii.se  de  Uome.  Me- 
lanites d'archeologie  et  d"histoire  1896,  XVI'  aiint'-e. 


4 '  S  A  c  n  A  u  : 

dh'  Izkl,  'für  'Abdin)  verpflanzte.  Von  dort,  von  den  Bergen  im  Norden 
von  Nisibis  hat  sicli  das  Klosterwesen  nach  allen  Richtungen  ausgebreitet. 
Die  zweite  Schicht  sind  die  Schüler  von  Abraham  dem  Großen  (im  6.  Jahr- 
hundert)', die  dritte  die  Schüler  des  Bäbhai  von  Nisibis  (569 — 628)-.  Die 
Mehrzahl  der  von  Jesudenah  aufgezählten  Klöster  liegt  in  den  alten  Stamm- 
])rovinzen  des  östlichen  Christentums,  in  Beth  'Arbäje-Nisibis,  besonders  in 
den  gebirgigen  Teilen  auf  beiden  Seiten  des  Tigris,  in  Adiabene  und  Gara- 
maea,  ferner  in  dem  westlichen,  lachmidischen  Babylonien,  während  dagegen 
von  Klöstern  im  eigentlichen  Babylonien,  in  der  Nähe  von  Bagdad,  in  Maisän 
und  Beth-Hüzäje  nur  sehr  wenig  die  Rede  ist.  Am  Ende  seines  Buches 
führt  der  Verfasser  lediglich  die  Namen  einiger  Klöster  ohne  irgendwelche 
Ausfiihrungen  an,  woraus  man  vielleicht  schließen  darf,  daß  es  unvollendet 
geblieben  ist. 

Von  dem  Verfasser  Jesudenah  ist  außer  den  kurzen  Angaben  im  Cata- 
logus  librorum  von  Ebedjesu'  nichts  bekannt,  wir  sind  daher  für  die  Be- 
stimmung seiner  Zeit  lediglich  auf  die  Angaben  seines  Buches  angewiesen. 
Auf  S.  279,  280  unter  den  Artikeln  125,  126  erwähnt  er  die  Synode  des 
Katholikos  Timotheos  im  Jahre  i  70  nach  der  Ära  der  Söhne  Häsims,  d.  i. 
793  n.  Chr.,  und  auf  S.  250  unter  Nr.  47  das  Jahr  3  des  Ga'far  Ibn  Al- 
mu'tasim,  d.  i.  des  Kalifen  Almutawakkil,  das  Jahr  864  n-  Chr.  Unser 
Jesudenah  hat  also  frühestens  nach  864  unserer  Zeitrechnung,  in  der 
zweiten  Hälfte  des  9.  Jahrhunderts  geschrieben,  wieviel  später  aber,  ist 
nicht  zu  ermitteln. 

Innerhalb  dieser  Zeitgrenze  liegen  nun  auch  diejenigen  Schriftsteller, 
die  Jesudenah  in  seinem  Werke  erwähnt,  soweit  ihre  Zeit  bekannt  ist.  Es 
sind  die  folgenden: 

Martyrius  (ü(ä*3o\  «.ä.»,  Sähdonä),  Bischof  von  Mähözä  dh' Arewän 
(Arjäwän?)  in  Garamaea,  sein  Buch  2^ouXMM.a  IÄlSos  \^  S.  238 
Nr.  24,   S.  280  Nr.  127'. 

Geschichte    des  heiligen  Jonas    ^o.*p  ICs-n^jc^^  S.  239  Nr.  27. 

Simeon  de  T^ibüthä,  genannt  Lukas,  gegen  690,  S.  240  Nr.  28. 


'    BuDGE,  Book  of  governors  II  37  ff. 
^    BuDGE,  a.  a.  0.   II  46. 
"    As^emani,  Bibl.  Or.  III  i. 

'    Vgl.  H.  GoussEN,  INIartyrius-SahdonÄs  Leben  und  Werke,  Leipzig  1S97.    Nach  S.  16 
Aiiiiici  kling  winde  Sähdönä   iiiii   629/630  Bischof  von   Kdessa. 


\om  Klostcrbuch  (leg  Sdf/usti.  ;") 

Daniel  Bar  'rubliänithä,   vielleiclit  iim   650,  S.  277   Nr.  124. 
Nestorius,  Bischof  von   B6th  Nuhadrä,  seine  Geschichte   des  Josef 

aus  Hazzä,  S.  279  Nr.  125;  lebte  vermutlicli  um   700. 
Gabriel,    Abt    von    Beth    'Abhe,    seine    Scliriften,    S.  281    Nr.  127: 
vielleicht  der  Zeitgenosse   von  Martyrius-Sahdonä. ' 

Schließlich  möchte  ich  noch  darauf  hinweisen,  daß  eine  auffallend 
große  Zahl  der  von  Jesudenah  erwähnten  Männer  aus  dem  Lande  Kaskar 
stammte,  dem  südöstlichen,  an  Mesene  grenzenden  Winkel  lnnerbab\  lonicns. 
Dies  kann  verschiedene  Ursachen  liaben,  es  kann  aber  vielleicht  ehi  Finger- 
zeig dafär  sein,  daß  das  Christentum  gerade  in  Kaskar  sehr  alt  und  weit 
verbreitet  war.  Die  Chronik  von  Arbela  zählt  Kaskar  bekanntlich  unter 
denjenigen  Orten  auf,  die  schon  vor  dem  Jahre  224  einen  Bischof  hatten.. 

Das  Klosterbuch  Jesudenahs  ist  von  einem  Unbekannten  zu  einer  ver- 
sifizierten  Kpitome  verarbeitet  worden  und  ist  uns  in  einer  Handschrift  der 
Kgl.  Bibliothek  zu  Berlin  erhalten,  siehe  meinen  Katalog  ihrer  syrischen 
Handschriften,  Berlin  1899  Bd.  I  S.  234 — 237.  Die  betreffende  Handschrift 
ist  modern,  geschrieben    1882   in  Alkösch. 

Ein  weiteres  Werk  eines  cliristliclien  Verfassers,  aber  arabisch  geschrie- 
ben, das  hier  zu  berücksichtigen,  ist  das  von  Evktts,  Oxford  1895  heraus- 
gegebene und  übersetzte  Tlie  churches  and  monasteries  f)f  Egypt  attributed 
to  Abu  .Sälili  the  Armenian.  Der  Verfasser  ist  anderweitig  nicht  bekannt, 
seine  Verfasserschaft  nicht  einmal  ganz  sicher,  wer  er  aber  auch  sein  mag, 
er  hat  zwischen  den  Jahren  1208  und  1338  geschrieben,  denn  das  erstere 
Datum  ist  das  sjjäteste,  das  in  dem  Buclie  vorkommt,  und  das  letztere  ist 
das  Datum  der  Handschrift,  aus  welcher  der  Herausgeber  seine  Ausgabe 
geschöpft  hat.  Der  Titel  desselben  lautet:  »Chronik  des  Schaicli  Abu  Sälih 
des  Armeniers,  enthaltend  Nachrichten  aus  den  Provinzen  und  Gauen 
Ägyptens«.  Sein  Werk  geht  daher  über  den  Rahmen  eines  Kloster-  und 
Kirchenbuchs  weit  hinaus,  es  ist  vielmehr  eine  Sammlung  von  Memorabilien 
aus  der  Geschichte  des  Christentums  in  Ägypten.  In  diesem  Zusammen- 
hang werden  außer  Kirchen  und  Klöstern  samt  toiiograpliischen  Angaben 
auch  die  Heiligen  des  Landes  erwähnt,  Heiligen-  und  Wundergeschichten, 
iiuiere  Vorgänge  der  ägyptischen  Kirche,  Legendarisches,  Beziehungen  der 
Christen  zu  den  islamischen   Machthabern,    danelien  aber  auch  mancherlei 

'    BuixiK,  a.  ;i.  (».  1.  (11. 


(i  S  A  c  11  A  u  : 

Vorgänge  aus  der  islamischen  Geschichte  des  Landes.  Der  englische  Heraus- 
geber hat  dem  Werke  von  Abii  Salih  diejenigen  Abschnitte  der  Khitat  von 
Maqrizi  (gest.  1442),  welche  von  Kirchen  und  Klöstern  handeln,  angeschlossen. 

Von  Werken  muhammedanischer  Schriftsteller  sind  drei  Klosterböcher 
bekannt',  eins  von  zwei  Brüdern,  genannt  die  beiden  Khälidis  jMli-l ,  von 
denen  der  eine  350  11.  gestorben  ist,  ein  zweites  von  dem  berühmten  Ver- 
fasser des  Kitäb-alaghäni,  Abü-x\lfarag  Alisfahäni  (gest.  356).  Diese  beiden 
Werke  sind  nicht  erhalten  außer  in  einigen  Zitaten  im  Länderalphabet  von 
Jäqüt.  Erhalten  dagegen  ist  das  dritte  Klosterbuch  c>ijl>-»!l  >_jO  von  Abü- 
Alhasan  Ali  Ihn  Muhammad  Alsäbusti  in  der  einzigen  Handschrift  der 
Kgl.  Bibliothek  zu  Berlin".  Wie  kamen  nun  diese  Muhammedaner  dazu, 
sich  mit  christlichen,  nicht  muhammedanischen  Klöstern  zu  beschäftigen?  — 
Den  ersten  Anlaß  bot  ihnen  das  Studium  der  mittel  arabischen  Poesie. 
Die  Poetik  des  altarabischen  Heidentums  erforderte,  daß  in  dem  ersten, 
Nasib  genannten  Teil  der  Qasiden  ein  oder  mehrere  Ortsnamen  erwähnt 
wurden,  und  in  der  arabischen  Alexandrinerperiode  haben  dann  die  Sammler 
und  Erklärer  sich  nicht  bloß  auf  Wort-  und  Sinneserklärung  beschränkt, 
sondern  auch  diese  topographischen  Angaben  gesammelt  und  ihren  Lesern 
zu  deuten  gesucht.  Aus  diesen  Studien  sind  die  entsprechenden  Angaben 
bei  Jäqüt  und  bei  dem  Spanier  Albekri  hervorgegangen.  Ein  ähnliches 
Bewandtnis  hat  es  nun  mit  der  durch  Abu  Nu'äs  eingeleiteten  mittel- 
arabischen Dichtung.  In  den  Trinkliedern  z.  B.  werden  gern  die  Orte 
angegeben,  in  denen  der  Dichter  seine  Trinkgelage  mit  Wein  und  Gesang 
gehalten  zu  haben  schildert,  und  diese  Orte,  in  denen  Wein  verzapft  wurde, 
waren  christliche  Klöster,  z.  B.  in  Bagdad  und  seinen  Vororten,  aber  auch 
anderswo.  Sie  waren  aber  nicht  allein  Weinschenken,  sondern  zugleich 
auch  Herbergen,  in  denen  die  Reisenden,  Kalifen  und  gewöhnliche  Menschen 
einzukehren  pflegten.  Eine  Sammlung  der  Namen  solcher  Klöster  samt 
Angaben  über. ihre  Lage  bildet  das  Gerippe  von  Säbustis  Klosterbuch. 

Der  Verfasser  lebte  in  Ägypten  zur  Zeit  des  fatimidischen  Kalifen 
AFaziz  Ibn  Almu'izz  (365  —  386)  und  starb  daselbst  390  (=  icx)p  n.  Chr.). 
Er  war  Bibliothekar  und  Vorleser,  Gesellschafter  des  Kalifen,  und  dies  legt 
die  Vermutung  nahe,   daß   es  wohl   nicht  ein  Interesse  an  Christentum  und 

'    Vgl.  .lusius    Hei:r.    Die    historischen    und  geographischen    (Quellen    in   Jäqiits   geo- 

gra pilischem  Wörterbuch,  Straßburg   1898,  S.  88ff. 

-    \VEr/,STEiN  II  Nr.  1100  Kl.  fol.  datiert  vom  Jahie  H.  631. 


Vom    KloKterhurh  des  Sdb>/.<tL  7 

christlicher  Klustertopographie  war,  was  ihn  zur  Abfassung  seines  Buclies 
veranlaßt  hat.  Er  schildert  darin  das  lustige  Leben  in  Saus  und  Braus,  wie 
es  vor  lOO  Jahren  in  der  Residenz  der  Nachkommen  von  Harun  Alrasid 
zu  Bagdad,  am  Hofe  selbst  wie  in  seiner  Umgebung'  in  der  Überfülle  von 
Reichtum  und  Macht  sich  abgespielt  hatte.  An  eine  kurze  Erwähnung  des 
Klosters  werden  längere  und  kürzere  Dichtungen  von  berufsmäßigen  und 
Gelegenheitsdiclitern,  von  Kalifen.  Staatsmännern  und  Generälen  angereiht, 
Dichtungen,  in  denen  der  Verkehr  in  dem  Kloster  mit  Wein,  Weib  und 
Gesang  im  Kreise  von  Dichtern,  Sängern,  Sängerinnen  und  Tänzerinnen 
besungen  wird,  Bilder  großstädtischen  orientalischen  Treibens  ^on  maßloser 
Üppigkeit  und  Sittenlosigkeit.  Über  manche  der  Dichter,  die  Säbusti  zitiert, 
gibt  er  einige  biographisch  sein  sollende  Bemerkungen,  die  sich  aber  fast 
immer  darauf  beschränken,  daß  der  Betreffende  ein  fester  Trinker  und 
kühner  Lebemann  gewesen  sei,  wobei  der  Verfasser  allemal  ängstlich  in 
denselben  stets  wiederkehrenden  Ausdrücken  hinzufügt,  er  möchte  ja  nicht 
langstielig  werden,  nidit  den  Leser  langweilen".  Das  wertvollste  aber 
in  dem  ganzen  Werke  sind  die  Exkurse,  welche  in  vielen  Artikeln  den 
Schluß-  und  Hau]>tteil  ausmachen,  historische  Berichte  über  das  Leben  im 
Zentrum  des  Kalifenreiches  in  Bagdad  und  Säniarrä  im  9.  Jahrhundert 
unserer  Zeitrechnung,  lehrreiche  Schlaglichter,  die  bis  in  die  intimsten 
Vorgänge  des  Hoflebens  hineinleuchten,  von  den  Großen  jener  Zeit  viel 
Wissenswertes  zu  erkennen  geben  und  gelegentlich  auch  frühere  Zeiten 
streifen.  Daß  ein  Hofmann  am  Hofe  zu  Kairo  ein  solches  Buch  verfaßte, 
konnte  sehr  wohl  den  Zweck  haben,  nicht  in  usum  delphini,  sondern  in 
usum  regis  dienen  zu  sollen,  seinen  Herrn  zu  unterhalten  mit  den  Versen 
weinseliger  Lebemänner  und  mit  pikanten  Schilderungen  von  dem  Leben, 
wie  es  am  Hofe  und  in  der  Residenz  der  großen  Kalifen  aus  dem  Ge- 
schlechte von   Muluimmeds  Onkel  Abbäs  am  Tigris  gewesen   war. 

Die  53  Klöster,  die  Säbusti  erwähnt,  liegen  in  der  Hauptsache  meist 
in  Bagdad  und  den  Ortschaften  der  nächsten  Umgebung,  weiter  nördlich 
im  Dugail-Gebiet,  in  und  l>ei  Takrit,  in  und  bei  Sämarrä,  in  und  bei  Mosul, 
in  der  Provinz  Nisibis,  am  Euphrat,  im  lachmidischen  Westbabylonien  und 
anderen   Teileji    der   Katholikatsprovinz,   und   einige  wenige   in   Palästina, 

'  Daraus  erklärt  sich,  daß  er  die  Klöster  seines  eijj;enen  Landes,  Ägyptens,  nur  neben- 
sächlich tjehandelt. 

'    Vgl.  A.  Mkz.  .\bulqitsiui.  ein  Bagdader  Sittenbild.    Heidelberg  1902,  Kinleitung  S.  IX. 


8  8  A  c  II  A  i; : 

Sinai  und  Ägypten.  Die  zalilreiclien  Klöster  in  Garamaea,  den  Gebirgen 
von  Adiabene  und  anderen  von  der  Heerstraße  entfernten  Gegenden,  in 
Maisän  und  Beth  Hiizäje  existieren  für  ihn  nicht,  dort  hat  es  keine  Trink- 
gelage für  Bagdader  Hofleute  gegeben,  hi  der  Anordnung  der  Klöster  ist 
das  topographische  Prinzip  keineswegs  konsequent  durchgefülirt.  Als  eine 
besondere  Gru])pe  fülirt  der  Verfasser  die  Wunderklöster  Nr.  41 — 53  auf. 
Die  wenigen  ägyptischen  Klöster  in  de!r  Nähe  von  Kairo,  die  er  erwähnt, 
dürften  eine  ähnliche  Bedeutung  gehabt  haben  wie  die  Klöster  in  und  l)ei 
Bagdad.  Säbusti  ist  sehr  viel  benutzt  worden,  z.  B.  von  Jäqnt,  Albekri, 
Qazwini,  Maqrizi  und  anderen.  Der  Name  Säbust  ist  unerklärt,  Ibn  Khallikän 
Nr.  456   will  ihn   aus   Dailam   herleiten'. 

Säbustis  Klosterverzeichnis. 

I.  ^UjS  j^  Kloster  üarmalis.  Der  Anfang  dieses  Artikels  und  damit 
die  Ortsbeschreibung  lehlt  in  der  Handschrift,  kann  aber  ans  Jä<|üt  II  660 
ergänzt  werden.  Es  lag  im  Inundationsgebiet  am  Tor  des  Vororts  ALsammäsi.jje 
in  Bagdad  nahe  dem  Mu'izzi-Palast,  umgeben  von  einem  Park,  in  der  Nähe 
eines  Rohrsumpfs,  groß  und  gut  bewohnt,  besucht  von  Lebemännern  als 
Vergnügensort.  Die  Bagdader  Christen  besuchten  an  Festtagen  gewisse 
Klöster,  so  auch  an  den  Sonntagen  der  Fastenzeit,  am  i. Sonntag  das  Dair 
Aräsija",  am  2.  das  Dair  Alzurai(|ijja,  am  3.  das  Dair  Alzandaward,  am 
4.  das  Dair  DarmAlis.  Die  erstgenannten  beiden  Klöster  sind  mir  ander- 
weitig nicht  bekannt.  Das  Kloster  Zandaward  ist  so  genannt  nach  einer 
in  sasanidischer  Zeit  bedeutenden  Stadt  dieses  Namens  im  südlichen  Babylonien 
südlich  von  Wasit,  dessen  Bedeutung  sie  in  fräherer  Zeit  gehabt  hat.  Sie 
hatte  vier  in  ihrer  Art  so  hervorragende  Torq^  daß  der  Kalife  Almansür, 
als  er  Bagdad  gründete,  sie  dorthin  schleppen  ließ  und  mit  ihnen  seine 
neue  Residenz  schmückte.  Im  Volksglauben  galten  diese  Tore  als  das  Werk 
der  Dämonen  Salomos.  Ja(|üt  II  95 1.  Der  hier  genannte  Mu'izzi-Palast 
■^J-'Ü  jUl  war  305  von  dem  Bujiden  Mu'izz-aldaula  Abü-Alhusain  Ahmad 
il)n  Buwaihi  erbaut.  Der  Vorort  AlsammAsijje  (Das  Diakonusviertel)  im 
äußersten  Norden  des  Weichbild'es  von  Bagdad,  angrenzend  an  das  Byzantiner- 
viertel und  nördlich  von  den  Vororten  Alrusäfa  und  dem  Abu  Hanifaquartier, 

-      So    .lAllÜt.     IIs.  ^Ja\ji\ 


Vom   Kloslerimcli  dt's  !<ii(niMi.  i) 

ist  bekannt.  Jä(|üt  III  3  i  7  ;  Stkeck,  Die  alte  Landschaft  Babyloniens,  2  Teile, 
Leiden  1900,  1901  S.  169,  133,  233  und  Le  Strange,  Bagdad  during  the 
Abbasid  C'halifete,  Oxford  1 900  S.  202 .  TTber  die  Lage  des  Klosters  Zandaward 
s.  Le  Strange  S.  211. 

2.  J\f^  j^  Kloster  Saniälü,  östlich  vom  Tigris  am  Tor  des  Vororts 
Alsammasjjje  und  am  Malidi-Kanal  gelegen,  der  dort  Mülilen  treibt,  um- 
geben von  einem  Park.  Der  Name  soll  umgelautet  sein  aus  Samälü,  dem 
Namen  einer  zilizischen  Stadt  zwischen  Mopsueste  und  Tarsus,  die  Härün 
A.  H.  163  erobert  und  deren  Gefangene  er  am  Tor  von  Alsammäsijje  an- 
gesiedelt hatte.     S.  Streck  S.  169,  135;  Le  Strange  S.  202. 

3.  yj\'ä\  ji  Das  Fuchskloster  in  Bagdad  auf  der  Westseite  in  dem 
im  Zentrum  der  Stadt  gelegenen  Quartier,  genannt  Hiib-Alhadid  (Das  Eisentor), 
und  in  der  Nähe  einer  mir  sonst  nicht  bekannten  Ortlichkeit.  genannt  Qabrönijä, 
wohl  zu  unterscheiden  von  einem  anderen  Fucliskloster,  das  zwei  Meilen 
von  Bagdad  entfernt  im  Gebiet  des  Isä-Kanals  auf  dem  Wege  nach  den  Sarsar 
genannten  Dörfern  bei  dem  Dorfe  Alhärithi,jje  lag.  S.  Streck  S.  25,  26,  166; 
Le  Strange  S.  210.  99.  Ein  Fest  des  Fuchsklosters  wird  bei  Alb^runi, 
Chronology  of  ancient  nations  S.  308  erwähnt.  Die  Dichter  der  Zeit  haben 
das   Fuch.sk loster,   B^b-Alhadid   mul   Qabrunija'   viel  besungen. 

4.  J-l-'li-l  j^  Das  Katholikoskloster,  ein  gnjßes,  blähendes  Kloster  in 
Bagdad  in  der  Nähe  des  Quartiers Bäb-Alhadid.  S.  Streck  S.  167,  LeStrange 
S.  2  10. 

Ein  zweites  Klost,er  dieses  Namens  lag  in  Nordbabylonien  im  Gebiet 
von  Maskan,  westlich  vom  Tigris,  in  der  Breite  von  Harbf'i  an  der  Grenze 
zwischen  der  Provinz  Takrit  und  Babylonien,  in  der  islamischen  Welt  be- 
rühmt durch  die  Entscheidungsschlacht,  in  der  Mus'ab  ibn  Zubair,  der  Bruder 
des  Kalifen  von  Mekka,  im  Jahre  72  gegen  Abdalmalik,  den  Kalifen  von 
Damaskus,  unterlag.  S.  Streck  S.  236.  Die  hier  genannnte  Ortscliaft  Harbii 
^j>-  ist  in  Trümmern  noch  vorhanden  und  hat  den  alten  Namen  auch 
noch  bewahrt,  s.  mein  Am  Euphrat  und  Tigris  (1900)  S.  82,  83. 

5.  jl^  j  :>  Kloster  Mudjän  in  Bagdad  am  KarkhäjA-Kanal,  der  abgeleitet 
ist  aus  dem  Stadtteil  Almuhawwal  Alkabir,  an  dem  Stadtteil  Al'abbäsijje 
vorbeigeht,  den  Stadtteil  Alkarkh  durchschneidet  und  dann   in  den  Tigris 

'    Vera   von  AlnAsi:  j,ji.l  _pI  j  Ujyv»  >>.        ^i^  *«l  jjlJDI  JU  l 
mi.-hist.  AU.   1919.  Nr.  10.  t' 


10  S  A  ('  ri  A  u  : 

mündet.  Frülier  war  (l<r  Kanal  in  gutem  Stande  und  hatte  fließendes 
Wasser,  dann  wurde  er  verstopft  und  sein  Wasser  floß  nicht  mehr  infolge 
von  Dammbrüchen  am  Euphrat. 

Die  Lesart  MudjAn  ist  diejenige  der  Handschrift.  Wenn  man  Midjän 
liest,  kann  man  übersetzen  Das  Gläubiger-  oder  Das  Schuldnerkloster.  S.  Streck 
S.  i68;  Le  STR.\N(iE  S.  209.  Ül)er  den  im  Süden  von  Bagdad  geh-genen 
Stadtteil  Karkh  s.  das.  S.  92  3".,  über  Ahnuhawwal  das.  S.  85;  Al'abbäsijje 
das.  S.  68. 

6.  ^j_y^\  ji  Kloster  Asmüni,  SO  genannt  nach  einer  Frau  dieses  Namens, 
die  hier  beerdigt  ist,  in  <^)utral)bul.  westlich  vom  Tigris.  Das  Fest  dieses 
Klosters,  ein  großes  Fest  für  die  Bagdader,  fallt  auf  den  3.  Oktober.  Es 
gibt  noch  ein  zweites  Kloster  in  Qutrabbul,  genannt  Cj y>rj>'\  j^  Kloster 
Algurgüth. 

Der  Name  Asnnmi  ist  die  arabische  Form  für  Solonionis,  deren  be- 
rühmteste Trägerin  die  Mutter  der  Makkabäer.  Alberüni,  Chronologie  S.  308 
erwähnt  den  Gedenktag  dieser  A.snnmi-Solomonis.  Qutrabbul  (=  Nikatoropolis) 
ein  Vorort  im  Nordwesten  von  Bagdad,  s.  Streck  S.  232:  Le  Strange 
S.  209,  5  I.  Das  Kloster  Algürgüth  ist  mir  sonst  nicht  begegnet.  Ob  ^>^^l 
verschrieben  für  ^}>-^\   =-  Georgios?  Georgskloster? 

7.  j^  j->  Kloster  S;\bur(Sapor)  in  Baztighä  J-i'j,  einem  Dorfe  zwischen 
Almazrafa  und  Alsälihijje,  westlich  vom  Tigris.  LetzTer<'S  war  ein  Quartier 
von  Bagdad  (s.  Le  Sirange  S.  108,  Lehn  des  Prinzen  S;Uih  Ibn  Mansür), 
Almazrafa  ein  großes  Dorf  am  Tigris,  drei  Farsach  flußaufwärts  von  Bagdad 
entfernt,  unweit  Qutral)bul.  S.  Streck  S.  232:  Le  Strange  S.  210:  über 
BazüghA   s.  Streck  S.  230. 

8.  U»y  j_:>  Kloster  (^)ütä  in  Albaradän  auf  dem  Tigrisufer.  Zwischen 
Bagdad  und  Albaradän,  eine  Entfernung  von  sieben  Farsach,  ohne  Unter- 
brechung eine  Reihe  von  Gärten  und  Weinfeldern,  darin  von  Bagdad  her 
die  Ortschaften  jc^i  (andere  Lesart  J^'^V  ,  Vologeseslkart),  Alnmhannnadijje, 
das  kleine  T'düni,  das  große  Tid''»'»  Albaradän.  Über  letzteres  s.  Streck 
S.  231;    Le   Stran(;e  S.   174. 

9.  ^j^j>-j*  j^  Georgskloster  in  Almazrafa,  viel  l>esucht  von  den 
Bagdadern,  die  in  Gondeln,  genannt  suniairijjät,  liinatiffuhren,  vor  Al- 
ghurüb  (?).  S.  Streck  S.  232;  Le  Stran(;e  S.  210.  Alberüni,  Chronologie 
S.  30S   erwähnt   den   (iedenktag   eines    »Mönches  Qt\tä,   d.  i.  Mär  Sergius«. 


Vom  Kloiiterhuch  des  Sdbusli.  1 1 

lo.  \jx^\  ji  lüoster  Bäsalirä  auf  dem  Tigrisufer,  gern  von  denen,  die 
von  Bagdad  nach  Sämarrä  hinaufreisen  oder  •zurückkommen,  als  Absteige- 
quartier oder  evtl.  als  Nachtquartier  benutzt.  Eine  genaue  Bestimmung 
der  Lage  des  Klosters  ist  mir  nicht  bekannt. 

I  I.  Cj\^\  jji  Schwesternkloster,  ein  großes  Nonnenkloster  in  Ukbarä. 
Der  Festtag  desselben  ist  der  erste  Sonntag  im  Fasten.  Die  Nacht  dieses 
Festtages  wird  J-y^^i-l  i^  genannt,  das  ist  die  Nacht,  in  der  eine  pele-m^le- 
Vermischung  der  Männer  und  Weiber  stattfindet  und  niemand  seine  Hand 
von  etwas  zurückhält.  Über  die  Lage  von  'Ukbarä  s.  Streck  S.  227.  Die 
Nacht  Almäsiis  wird  auch  von  Alberüni,  Chronology  S.  309  erwähnt.  Über 
einen  ähnlichen  Brauch  unter  islamischen  Sektierern  in  Teil  'ATar  s.  meine 
Reise  in  Syrien  und  Mesopotamien  S.  338 ;  auch  Hokfmann,  Auszüge  S.  1 25  ft". 
Der  arabisch  redende,  des  Syrischen  kundige  Christ  mochte  sich  den  Aus- 
druck Lailat-almäsüs  als  Seh  weine  nacht  deuten,  denn  jjiojcaa  bedeutet 
Schwein. 

12.  cJ-Jl  j^  Das  Kloster  von  Al'alth,  einem  Dorfe  auf  dem  östlichen 
Tigrisufer.  Bevor  man  diesen  Ort  auf  dem  Tigris  schiffend  erreichte,  kam 
man  zti  einer  schwer  passierbaren  Stromenge,  wo  im  Flußbett  viele  Steine 
lagen  und  der  Fluß  in  heftiger  Strömung  dahinschoß,  so  daß  die  Schiffe  nur 
mit  Schwierigkeit  passieren  konnten.  Diese  Stelle  heißt  Al'abwäb  =  Die 
Tore.  Wenn  die  Schifte  Al'alth  erreichen,  gehen  sie  vor  Anker,  denn  sie 
können  hier  nur  passieren  mit  Hilfe  eines  Führers  (Lotsen)  von  den  Ortsbe- 
wohnern, den  sie  sich  heuern.  Der  fährt  sie  ohne  zu  irren  mitten  durch  diese 
Stellen  hindurch  so  lange,  bis  sie  vor  den  Gefahren  dieser  P^.nge  sicher  sind. 

Jnqi'it  II 681  fiigt  hinzu,  daß  es  unfern  Alhazira  unterhalb  Snmarrä 
liege  und  meint,  daß  es  mit  dem  unter  Nr.  1 3  zu  nennenden  Dair  Al'adhärä 
identiscli  sei.  Ferner  zitiert  er  IFIyii  aus  Almäwardi,  daß  Al'alth,  zwischen 
'Ukbarä  und  Sämairä  gelegen,  ein  Wakfgut  der  Aliden  war  und  daß  es 
im  ersten  Teil  des  'Irä(i  liege,  d.  h.  an  der  Nordgrenze  von  Babylonien 
gegen  Takrit  hin.     Zur  Lage  von  Al'alth  s.  Streck  S.  224,  18. 

13-  t^jl-J^l  j'^  Das  Jungfraucnkloster  auf  dem  Tigrisufer  unterhalb 
Alhazira,  bewohnt  von  Nonnen.  Nach  .läqiit  679  lag  es  zwischen  (?)  Sä- 
marrä und  Alhazira,  wurde  aber  zu  irgendeiner  Zeit  nach  320  H.  von  einer 
Hochflut  des  Tigris  weggerissen.  Zur  Lage  von  Alhazira  im  Dugailgebiet 
s.  Streck  S.  224,  225. 


12  S  A  c  n  A  u  : 

14.  i^jl-u)|  j-j  Das  Jungfrauenkloster,  im  Christenviertel  von  Bagdad 
am  Kanal  Nahr-aldagäg  (Hühnerkanal)  gelegen.  Das  Kloster  hat  seinen 
Namen  davon,  daß  die  Bewohner  desselben  vor  dem  großen  Fasten  ein 
dreitägiges  Fasten  halten,  welches  das  Jungfrauenfasten  genannt  wird.  Über 
die  Lage  des  Nahr-aldagäg  im  Süden  von  Bagdad  s.  Streck  S.  86;  Le 
Strange  S.  53;  über  das  Kloster  das.  S.  83.  Mit  dem  hier  erwähnten  drei- 
tägigen Fa-sten  ist  das  sogenannte  Ninivefasten  gemeint,  über  das  Albenini, 
Chronology  S.  309,  311,  berichtet. 

15.  t_g-'^\  j^  Das  Kloster  des  Mannes  aus  Susa  auf  dem  westlichen 
Tigrisufer  in  dem  Qädisijje  von  Sämarrä  (zu  unterscheiden  von  dem 
Qädisijje  in  der  nordostarabischen  Steppe),  einen  Farsach  stromabwärts  von 
Sämarrä  entlernt.  Zwischen  diesen  beiden  Orten  liegt  Almatira.  Nach 
JäqütII672  war  dies  ein  Marienkloster,  gegründet  von  einem  Manne  aus 
Susa,  das  er  selbst  mit  anderen  Mönchen  bewohnte.  Alqädisijje'  ein  großes 
Dorf  im  Dugailgebiet  zwischen  Harbä  und  Sämarrä;  Almatira  wird  noch 
zum  Weich  bilde  von  Sämarrä  gerechnet,  s.  Streck  S.  223,  190. 

16.  Uy  ^  j^  Das  Thomaskloster  in  Sämarrä  bei  der  Wasif brücke,  zu 
unterscheiden  von  dem  Kloster  Dair  Qunnä,  das  ebenfalls  Thomaskloster 
genannt  zu  werden  pflegte.  Die  Wasifbrücke  führte  ihren  Namen  nach 
dem  Heerführer  Wasif  im  Dienste  des  Kalifen  Almu'tasim,  einem  der  König- 
macher seiner  Zeit,  der  den  Almunta^tir  auf  den  Thron  setzte,  gestorben  253. 

17.  Ll^  y*  jji  Dair  Mär  Juliannä,  Johanniskloster,  ein  den  Nestori- 
anern  gehöriges,  am  Tigris  gegen  Takrit  hin  (also  nördlich  von  Sämarrä) 
gelegenes  Kloster  mit  vielen  Zellen  und  Mönchen,  umgeben  von  Kornfeldern, 
Gärten  und  Weinfeldern.  Über  dem  Tor  des  Klosters  liegt  die  Klause  des 
Abdi^n,  eines  malikitischen  Mönches,  der  sie  erbaut  hat  und  bewohnt,  so 
daß  sie  unter  seinem  Namen  bekannt  geworden  ist.  Dieser  regiert  jetzt 
das  Kloster  und  seine  Insassen.  Neben  dem  Kloster  hat  er  einen  anderen 
Bau  aufgeführt,  in  dem  die  Passanten  einkehren  und  von  ihm  bewirtet 
werden.     S.  Streck  S.  179. 

18.  ^l--»  ^j  Dair  Dubä'a  am  Tigris  auf  der  Ostseite,  östlich  von  Takrit, 
ihm  gegenüber,  gelegen  an  einem  mächtigen  Kanal,  der  das  Wasser  aus 
dem  Tigris  in  den  Lsliäqikanal  ergoß.     Jäqüt  II  673   schreibt  den  Namen 

'    Die   Re^te  der  Ortschaft  sind    bcschi-ieben    bei   Miss   Bell,    Amiirath    to    Amurath, 

London    191 1,  S.  207,   208   und  Photographie  Nr.  119. 


Vom  Klosterbuch  des  Sdlmsii.  \\i 

^/L-»yj,    worin  ich  die  Bezeichnung  das  Fdrberkloster   {ij-'^-^  =  iiäl)    zu 
erkennen  glaube,     über  den    Ishäqikanal  s.  Strkck  S.  32. 

19.  JcVl  j^j  Das  oberste  Kloster,  ein  großes  Kloster  in  Mosul,  das 
den  Tigris  und  ^jj^\  (?)  überragt.  Ein  in  den  Felsen  gehauener  Stufen- 
gang von  gegen  100  Stufen  führt  von  dort  zum  Tigris  hinab,  auf  diesem 
wird  das  Wasser  aus  dem  Tigris  geholt.  Unterhalb  des  Klosters  befindet 
sich  eine  große  Quelle,  die  ihr  Wasser  in  den  Tigris  ergießt.  Der  Palm- 
sonntag ist  in  diesem  Kloster  ein  viel  besuchter  Festtag.  Nach  Jäqiit  II 644 
soll  die  genannte  Quelle  im  Jahr  H.  301  erschienen  sein,  in  ilir  seien 
schvvefelartige  StoflFe  vorhanden,  ferner  Bismuth  und  Vitriol.  Sie  wurde 
als  Heilquelle  benutzt  gegen  Aussatz.  Krätze,  Geschwüre,  gegen  Glieder- 
lähmung und  Schlagtluß.  Über  die  Schwefelquelle  in  Nordosten  von  Mosul 
s.  meine  Reise  in  Syrien  und  Mesopotamien    1883  S.  353. 

20.  ^  J-  ^J^  ji  Das  Jonaskloster  östlich  von  Mosul,  2  Farsach  vom 
Tigris  entfernt.  Der  Ort  ist  bekannt  unter  dem  Namen  Ninive,  und  Ninive 
die  Stadt  des  (Propheten)  Jona.  Unterhalb  des  Klosters  eine  Quelle,  ge- 
nannt 'Ain-Jönus,  Jonasquelle.  In  den  Tagen  des  Alliusain  b.  Abdallah  b. 
Hamdan  stifteten  die  Juden  einen  der  Ihrigen  an,  der  ging  in  die  Kirche 
tmd  beschmutzte  sie.  Die  Kunde  davon  kam  zu  Ibn  Hamdän,  der  ver- 
sammelte die  Juden  in  Mosul  und  ließ  sie  schwere  Geldbuße  zahlen. 

Die  hier  in  Rede  stehende  Ortschaft  ist  das  wohl  bekannte  Dorf  Nebi 
Jinius  mit  seinem  islamischen  Heiligtum.  Mosul  hieß  früher  ^änVi  XiSo^ 
Hebräerburg,  ein  kleiner  befestigter  Ort.    Vgl.  Jesudenah    Nr.  50   S.  252. 

Von  dem  Hamdaniden  Alliusain  b.  Abdallah  berichtet  Arib  Tabarl- 
continuattis  ed.  de  Goeje  S.  171,  172  unter  den  Ereignissen  des  Jahres  320. 

21.  j>l»Li!(  j^  Das  Dämonenkloster  westlich  vom  Tigris,  im  Gebiet  von 
Beled,  zwischen  zwei  Bergen  an  der  Mündung  des  Tales.  Das  hier  genannte 
Beled  ist  die  bekannte  Stadt,  auch  Eski  Mosul- Altmosul  genannt,  am  Tigris 
nördlich  von  Mosul.  Nach  Jäqüt  II,  673  lag  es  zwischen  Mosul  und  Beled 
in  der  Nähe  von  J— jl  ('/)  am  Tigris. 

22.  j\j»£-ji\  J>s.  'Umr-alza'farän,  das  Safrankloster  bei  Nisibis  östlich 
davon  im  Gebirge,  das  die  Stadt  überragt.  In  diesem  Gebirge  finden  sich 
drei  Klöster  in  einer  Reihe,  'Umr-alza  farän,  Mär  Augi  (Eugen)  und  Mar 
.luliann.i.  Unterhalb  des  Gebirges  fließt  der  Hirmns,  der  Fluß  von  Nisibis, 
und  befinden  sich  Quellen,  die  sich  aus  dem  Grunde  des  Gebirges,  einer 


14  S  A  eil  A  u  : 

Stelle,  die  Ra's-almä'  genannt  wird,  nähren.  Dies  Gebirge  ist  der  Anfang 
des  Tür  'Abdin  (von  Nisibis  gesehen),  3  Farsach  von  Nisil)is  entfernt.  Der 
Fluß  fließt  (zuerst)  zwischen  zwei  Bergen,  von  Weinfeldern  und  Wald  um- 
geben. Unterhalb  von  Nisibis  teilt  er  sich  in  zwei  Ströme,  der  eine  fließt 
an  Bäb  Siiigär  vorbei,  bewässert  die  dortigen  Gärten  und  fließt  dann  in 
den  Ghäbür;  der  andere  biegt  um  nach  dem  Osten  der  Stadt,  treibt  dort 
Mühlen  und  bewässert  die  Gärten. 

Das  hier  erwähnte  Kloster  des  hl.  Flügen  ist  dasselbe,  das  Jesudenah 
unter  Nr.  i  S.  228  seines  Verzeichnisses  beschreibt.  Über  das  bekannte 
Jakobitenkloster  Dair  Za'ferän  s.  meine  Reise  in  Syrien  und  Mesopota- 
mien S.  405. 

23.  Lj^I  ^j  Dair  Aliwisä,  das  Kloster  des  Klausners  (ijuau.= 
Uj^I  =  ^j~^\)  in  Söört.  einer  großen  Stadt  in  Dijärbekr  unfern  Arzen, 
letzteres  überragend,  ein  großes  Kloster  mit  400  Mönchen.  In  der  Nähe 
ist  eine  große  Quelle,  die  drei  Mühlen  treibt.  Neben  dem  Kloster  ein  Badi, 
der  Nahr-Alriim,  Byzantinerbach,  genannt  wird.  Gemeint  ist  das  berühmte 
Jakobskloster  bei  Söört,  das  von  Jesudenah  unter  Nr.  24  (s.  auch  ebenda 
S.  233,  Zeile  8)  beschrieben  wird.  Über  die  Gründung  des  Klosters  durch 
den  421  gestorbenen  Jakob  s.  Wright,  Catalogue  of  the  Syriac  manuscripts 
of  the  British  Museum  III,    11 36  Gol.  i. 

24.  ^  j-_.>  Kloster  Fiq,  auf"  dem  Rücken  des  Passes  von  Fiq,  zwischen 
Fiq  und  dem  See  A^on  Tiberias,  auf  einem  Berge,  der  mit  dem  Paß  zu- 
sammenhängt, eingegraben  in  den  Fels.  Die  Christen  behaupten,  daß  dies 
das  erste  (älteste)  christliche  Kloster  sei,  daß  der  Messias  hier  einzukehren 
pflegte,  daß  er  von  hier  die  Apostel  berief.  Es  ist  dort  ein  Stein,  von 
dem  die  Christen  sagen,  daß  der  Messias  darauf  zu  sitzen  pflegte.  Wer 
den  Ort  betritt,  bricht  sich  ein  Stück  von  dem  Stein  ab,  um  eines  Segens 
teilhaftig  zu  werden. 

Nach  Jäqüt  ist  Fiq  Volksaussprache  für  Afiq  (d.  i.  pss  p-'BS  im  Alten 
Testament),  eine  Ortschaft  zwischen  Damaskus  und  dem  See  von  Tiberias, 
am  Anfang  des  zwei  Meilen  langen  Passes  von  Fiq,  der  zum  Ghor  hinab- 
führt. Von  der  Höhe  des  Passes  sieht  man  Tiberias  und  den  See.  Jäqüt  I 
332;  11  684;  11  932. 

25-  Jj^^  jj^  Dair  Altür  auf  einem  länglich  runden  Berge,  breit  an 
der  Basis,   schmal  an  der  Spitze,    der   sich    isoliert   in    der  Ebene  erhebt. 


Vom   Klostcrhich  des  Säbtdtl.  15 

Nur  ein  einziger  Weg  führt  hinauf.  Er  liegt  zwisclien  Tibe'rias  und  Allaggün, 
das  Ghor  und  Marg-Allaggün  (^^W  v"  r^/')  überragend.  Das  Kloster  liat 
eine  Quelle.  Es  liegt  auf  dem  Gipfel  des  Berges,  umgeben  von  Weinfeldern. 
Es  wird  auch  Dair-Altagalli  =  Kloster  der  Offenbarung  genannt,  weil  der 
Messias  sich  dort  seinen  Schülern  nach  der  Himmelfahrt  geoffenbart  haben 
soll,  indem  er  sich  ihnen  zeigte  und  sie  ihn  erkannten. 

Der  hier  genannte  Berg  'lur  ist  der  Berg  Tabor.  Eine  Abbildung 
desselben  findet  sicli  in  Alte  Denkmäler  aus  Syrien,  Palästina  und  West- 
arabien von  Ahmed  Djemal  Pascha,  Berlin  191 8,  Tafel  26. 

26.  v:J>Jl  ji  Dair  Albucht  im  Gebiet  von  Damaskus,  2  Farsach  davon 
entfernt.  Es  hieß  auch  Dair  Michä'il,  Micliaelskloster.  Den  ersteren  Namen 
bekam  es  deshalb,  weil  der  Kalif  Abdalmalik  Ibn  Marwnn  dort  seine  bucht, 
d.  h.  zweihöckerigen  Kamele  hielt  und  das  Kloster  dadurch  bekannt  ge- 
worden ist. 

27.  Jij  ji  Zakchaeuskloster  im  Gebiet  von  Raqqa  am  Euphrat,  auf 
beiden  Seiten  vom  Baiich  umgeben  (also  auf  einer  Insel  im  Fluß  oder  in 
einer  Schleife  desselben).  Es  gab  dort  Gazellen,  Hasen  und  anderes  Wild, 
das  mit  dem  Jagdfalken  gejagd  wird,  wie  Wasservögel,  Trappen  und  an- 
deres.   Im  Euphrat  vor  dem  Kloster  werden  Netze  zum  Fischfang  ausgelegt. 

28.  ij-^j-'  y'  J'^  Sergiuskloster  in  Ana  am  F^uphrat.  Die  Handschrift 
schreibt  ^^^^ji».^-  U  ji  oder  ^^.j^j-.,  was  bei  Jäqüt  II  693  wiedergegeben 
ist.  Dort  war  die  Mutter  des  Barmakiden  Alfadl  Ibn  Jalijä  Ibn  Barmak 
begraben.  Sie  hatte,  als  sie  Alfadl  an  der  Brust  hatte,  zugleich  auch  Alnisid. 
den  späteren  Kalifen.,  genährt.  Sie  begleitete  Alrasid.  ihren  Milchsohn,  auf 
der  Reise  nach  Ra<iqa  und  stai-i)  unterwegs  in  Ana.  Hier  ließ  Alrasid  über 
ihrem  Grab   eine  Kuppel    bauen,    die  Kuppel  der  Barmakidin    <l5^jJ|  iJJ . 

Ich  halte  die  Lesart  Jäquts  ^,.x^j^  für  einen  alten  Fehler,  vielleicht 
herübergenommen  aus  der  vom  Dichter  willkürlich  veränderten  Form  in 
dem  Gedichte  bei  Jäqüt  II  693,  15.  Albekri  374  kennt  auch  ein  ^r-i^j^  j^, 
aber  in  Almatira,  einem  Vorort  von  Sämarrä. 

29.  ^^•y  ä'  J^  Kloster  des  Il>n  Maz'iKj  im  Zenti-uni  von  Hira.  Nach 
Jäciut  II  701  lag  es  außerhall)  Hiras.  Ibn  Maz'n(|,  Ibn  Almaz'i'uj  bei 
Jäcp'it  II  701,   unbekannte   Persönlichkeit. 

30.  ^j-^rr'  J^  Sergiuskloster  in  Tizanäbäd  zwischen  Küfa  und  Ahjädi- 
sijje  an   der  Straße,   eine  Meile  vom   letzteren  Orte  entfernt,  jetzt  verfallen, 


1  (')  S  A  (;  II  A  r  : 

verlassen.  Von  den  Resten  sind  nur  noch  einige  verfallene  Bogenbauten 
und  Steine  auf  dem  Rücken  (?)  der  Straße  vorhanden,  welche  die  Leute 
die  Weifipresse  des  Abu  Nu'jis,  nach  Jäqüt  III  570  die  Bogen  des 
Abu  Nu  Vis  nennen.  Tizanäbäd  soll  ein  Lehngut  eines  Nachkommen  des 
Kalifen  Omar  gewesen  sein   nach   Jä(|Mt  III  569. 

31.  k_isLVl  obliJ  Die  Bischofsklöster  in  Negef  vor  (außerhallt  von) 
Kufa,  wo  üira  anfängt,  Bogen  und  Steinbauten,  die  man  die  Bischofs- 
klöster nennt.  Daneben  ein  Wasserlauf,  "genannt  Alghadir,  auf  dessen  rechter 
Seite  das  Schloß  des  Abu  Alkhasib,  eines  Freigelassenen  des  Kalifen  Mansür 
liegt,  zur  Linken  (das  Schloß)  Alsadh-.  Zwischen  diesen  sogenannten  Bischofs- 
klöstern und  dem  Schloß  des  Abu  Alkha.sib  liegt  einer  der  schönsten  Lust- 
orte  der  Welt,  der  Negef  und  dies  ganze  Plateau  überragt.  Auf  einem 
Aufstieg  von  50  Stufen  steigt  man  zu  einer  schönen  Fläche,  wo  man  sicli 
niederlassen  kann,  hinauf.  Von  dort  überschaut  man  Negef  imd  Hira.  Dann 
steigt  man  auf  einem  weiteren  Aufstieg  von  50  Stufen  hinauf  zu  einer  aus- 
gedehnteren Fläche,  einem  herrlichen  Aufenthaltsort.  Der  genannte  Abu 
Alkhasib  (marziiq)  war  ein  Freigelassener  des  Kalifen  Mansür,  sein  Kanmier- 
diener.  Sadlr  ist  ein  großes  Schloß  von  den  Bauten  der  Lakhmiden  in 
alter  Zeit,  das  einzige,  was  davon  übriggi'blieben  ist.  Das  waren  zur 
Zeit   des   Verfassers   Klöst<'r  und  Kirchen   für  die  Chrisren. 

32.  JJLül  kJ  Die  Kuppel  des  Saitiq.  d.  i.  des  Schweigsamen  UXkisJC , 
eines  von  den  alten  Bauten  in  Hira.  (Jegenüber  davon  liegen  Kuppel- 
bauten, die  ojMl  (unbekanntes  Wort)  genannt  werden,  alle  den  Christen 
gehörig. 

33.  -Ca  j^j  Kloster  der  Hind,  der  Tochter  des  Alnu'mAn  Ibn  Almundhir, 
welche  dies  Kloster  in  Hira  gebaut  und  als  Nonne  darin  gelebt  hat,  eines 
der  größti^n  Klöster  von  Hira,  zwischen  dem  Graben  Jjci-l  und  jT.I^-a»'. 
Nach  Bekri  362  lag  es  in  der  Nähe  des  Quartiers  der  Banü  Abdallah  Ibn 
Därim   in  Kufa,   nahe  dem  Graben. 

34-  'jhjjr^:^  Kloster  ZurAra  zwischen  der  Brücke  von  Kufa  und  einem 
Quellenbad  abseits  von  der  Landstraße,  rechts  vom  Wege  desjenigen,  der 
von  Bagdad  nach  Kufa  geht.  .lAciüt  II  92  i  und  Bekri  437  kennen  Zurära 
als  den  Namen  eines  Stadtteils  von   Kufa. 


'    So  die  Hs.  j:  ol> 


Vo7n   KlostprbvcJi  des  SdbuMi.  17 

35-,  ■^^y.  y  j*^  Kloster  des  hl.  Jünän  (Jona)  in  Anbär  am  Euphrat, 
neb<'nan  die  Kirche.  Von  diesem  Kloster  ist  auch  bei  Jesudenah  unter  Nr.  4  die 
Rede.  Nach  letzterem  war  dieser  Jona  ein  Nachkomme  des  Kaisers  Konstantin, 
ein  Schüler  des  ersten  KlostergrOnders  Eugen.  Kalifen  und  andere  Personen, 
die  durch  Anbär  passierten,  pflegten  in  diesem   Kloster  abzusteigen. 

36.  ^  j^  Kloster  (^unnä,  auch  das  Kloster  des  Apostels  Märi  genannt, 
16  Farsach  stromabwärts  von  Bagdad  entfernt,  auf  der  Ostseite  des  Tigris 
eine  Meile  von)  Fluß  entfernt.  Zwischen  diesem  Kloster  und  dem  Dair 
Aräcpil  beträgt  die  Entfernung  eine  Poststation.  Jeder  Mönch  hat  seine 
Zelle,  sie  liandeln  untereinander  mit  diesen  Zellen  zum  Preise  von  50  bis 
zu  200  und  1000  Denaren.  Jede  Zelle  ist  von  einem  Garten  mit  Obst-, 
Dattel-  und  Olivenbäumen  umgeben.  Das  Erträgnis  einer  solchen  Zelle 
wird  zum  Preise  von  50  bis  zu  200  Denaren  verkauft.  Das  Kloster  ist  von 
einer  großen  Mauer  umgeben,  in  der  Mitte  ein  fließender  Bach.  Das  viel 
besuchte  Fest  des  Klosters  ist  das  Kreuzesfest.  Zu  JAqüts  Zeiten  war  das 
Kloster  verfallen,  und  nur  noch  in  der  Mauer  einige  arme  Mönche  vor- 
handen {JA<p*it  II  687).  Im  Unterrichtswesen  und  in  der  Literatur  der 
Nestorianer  spielt  Dair  Qunnä  («AOud-Aussprache':')  eine  ähnliche  Rolle  wie 
vor   ihm    die  Schule    von  Nisibis    und  vor  dieser  die  Schule  von  Edessa. 

37.  jiS^ j^  Das  Kloster  von  Kaskar,  unterhalb  von  WAsit.  auf  der 
Ostseite  der  Stadt  in  einem  Orte  genannt  Bargiii  (?  Jäijut  Bargunije),  Residenz 
des  Erzbisehofs,  ein  großes  Kloster.  Jeder  Mönch  hat  seine  Zelle,  deren 
Art  derjenigen  der  Zellen  in  Dair  (^»unnä  (Nr.  36)  ähnlich  ist.  Nach  JAijüt  III  7  24 
war  das  Kloster  einen  Farsach  von  WAsit  entfernt.  tTber  die  Bedeutung 
von  Kaskar  als  der  Heimat  vieler  Klostergründer  s.  oben  S.  5. 

Ä  g  y  p  t  i  s  c  h  e  K 1  ö  s  t  e  r. 

38.  >-»i)l  ji  Das  Kloster  von  Alqusair  im  höchsten  Teil  des  Gebirges 
auf  einer  an  der  Bergspitze  vorhandenen  ebenen  Fläche.  In  der  Kirche 
des  Klo.sters  findet  sich  ein  Bild  der  Maria,  die  den  Messias  auf  ihrem 
Schöße  hält.  Die  Leute  besuchen  diesen  Ort,  um  dies  Bild  zu  sehen. 
Im  obersten  Teil  der  örtlichkeit  befindet  sich  ein  Gemach,  das  Abu  Algais 
Khumärawaihi  Ibn  Ahmad  Ibn  'IxWnn  (gest.  282  ==  896)  erbaut  hat,  auf 
den  vier  .Selten  von  vier  Arkaden  umgeben.  Er  pflegte  es  häufig  zu  be- 
suchen, das  dortige  Bild  beAvmidernd  und  trinkend  beim  Ansehauen  desselben. 

Phil.-hist.  AOL    1!)W.   Nr.  10.  '.\ 


18  Sa  (11  au: 

Der  Weg  von  Kairo  zum  Kloster  hinauf  ist  schwierig,  dageg^en  vom 
Süden  hör  ist  Anstieg  und  Abstieg  leicht.  Neben  dem  Kloster  ist  eine 
Klause,  die  stets  von  einem  Anachoreten  bewohnt  ist.  Das  Kloster  über- 
ragt das  Dorf  Sahrän,  die  Ebene  und  den  Nil.  Das  letztere,  auf  dem 
Meeresstrande  gelegen,  ist  in  gutem  Zustande.  Man  sagt,  Moses  sei  in 
diesem  Orte  geboren  und  dort  habe  ihn  seine  Mutter  in  dem  Korbe  aus- 
gesetzt. Daher  ist  das  Kloster  von  Alqusair  eines  der  vielbesuchten  wegen 
dea-  Schönheit  seiner  Lage  und  weil  es  einen  Blick  gewährt  über  Kairo 
und  seine  Teile. 

Näheres  über  das  (^)usairkloster  s.  The  churches  and  monasteries  of 
Egypt,  ed.  Evetts,  Oxford  1895  '^-  145^-      Über  Sahrän  s.  das.  S.  141. 

39.  \^  y^  j i  Das  Hannakloster  in  der  Nähe  des  Birket-alhabas,  d.  i. 
Abessinierteich,  unfern  des  Nil,  neben  ihm  liegen  Gärten,  deren  einige 
der  Emir  Tamim,  der  Bruder  des  Emir-almu'minin  Al'aziz-billäh  (s.  oy>en  S.  6) 
—  beide  seien  gesegnet  —,  gegründet  hat,  sowie  auch  ein  auf  Säulen  ruhendes 
Gemach,  welches  ebenfalls  der  Emfi*  Tamim  gegründet  hat.  In  der  Nähe 
des  Klosters  befindet  sich  ein  Brunnen,  genannt  der  Brunnen  meiner  Rettung 
jl^_/. ,  der  von  einer  Sykomore  überragt  wird,  imter  der  die  3Ienschen 
zusanunenkommen  und  trinken,  wenn  der  Nil  wächst,  zur  Zeit  des  Säens 
und  der  Blumen. 

Nach  JiV(|ut  II  698  lag  das  Kloster  zwischen  der  Birkat-Alhabas  und 
Fustät  nahe  dem  Nil,  Tamim  wird  bezeichnet  als  3*^1  ij\,  und  der  Brunnen 
wird  Der  Brunnen  meines  Todes  jl*^^  genannt.  Der  Ort  sei  besondere 
angenehm   zur  Zeit  des  Hochwassers. 

Dies  Kloster  des  Mär  Hannä  ist  das  Kloster  des  Johannes  des  Täufers, 
s.  EvETTS,  a.  a.  0.  S.  127 — 131. 

40.  L,-'  j-J  Dair  Nahjä  in  Gize,  eines  der  schönsten  Klöster.  Eis  bietet 
einen  herrlichen  Anblick,  wenn  es  auf  allen  Seiten  vom  Wasser  umgeben 
ist.  Wenn  das  Wasser  zurücktritt  und  gesät  wird,  dann  zeigen  die  Felder 
dort  die  Wunder  des  Mai  und  alle  Arten  Blumen.  Nach  Jäqüt  II  704  hat 
die  Ortschaft  einen  Wasserlauf,  auf  dem  sich  allerlei  Vögel  niederlassen, 
die  dann  gejagt  werden  können.  Über  dies  Kloster  und  den  Ort  Nahjä 
s.  EvETTS,  a.a.O.  S.  180 — 188. 

4 1 .  \y*^  j  j  Dair  Tamwaih  im  Westen  (vom  Nil)  gegenüber  Hulwän, 
auf  dem  Nilufer,  umgeben  von  Weinfeldern.   Vgl.  Evetts,  a.  a.  O.  .S.  197,  19S. 


Vorn  Klostcrbucli  des  SäbuSti.  11) 

Die  Wunderklöster. 

42.  j_^Ui-l  ji  Das  Kloster  der  kleinen  schwarzen  Käfer  zwischen  Mosul 
und  Beled,  von  vielen  Mönchen  bewohnt.  An  einem  bestimmten  Jahres- 
tage erscheinen  diese  Käfer,  bedecken  die  Mauern,  die  Dächer  und  das 
Land,  bis  alles  schwarz  ist.  Der  folgende  ist  der  Festtag  des  Klosters, 
dann  strömen  die  Menschen  in  die  Kirche,  verrichten  ihren  Gottesdienst 
und  gehen  dann  wieder  nach  Hause.  Die  Käfer  sind  dann  verschwunden^ 
so    daß   man    bis   zum   nächsten  Jahrestage   nichts    mehr  von  ihnen  sieht. 

Nach  Alkhälidi  bei  Jäqiit  II  658  liegt  das  Kloster  westlich  vom  Tigris 
auf  der  Spitze  eines  hohen  Berges,  ein  kleines  Kloster,  nur  von  zwei  Mönchen 
bewohnt.  An  drei  Tagen  bedeckt  es  sich  mit  schwarzen  Käfern,  so  klein 
wie  Ameisen',  nach  Ablauf  dieser  Tage  sind  sie  \  erschwunden.  Vor  der 
Gefräßigkeit  der  Käfer  fliehen  die  Mönche  mit  ihrer  gesamten  Einrichtung 
und  kehren  erst  nach  dem  Verschwinden  der  Käfer  zurück. 

43.  vJLxJl  ji  Das  Hundswutkloster,  zwischen  Mosul  und  Beled,  wo  man 
Leute  heilt,  die  von  einem  tollen  Hunde  gebissen  sind.  Nach  Jäqüt  II  690 
lipgt  es  zwischen  Mosul  und  Gezii-e  im  Gebiet  von  Bä'adhrä,  d.  i.  in  der 
Gegend  von  Alkös.  Wenn  40  Tage  nach  dem  Biß  vergangen  sind,  ist 
keine  Heilung  mehr  möglich. 

44.  ;jL..i!|  ji   Dair  AlqajjAra,  d.  1.  Kloster  der  Pech(|uelle,  den  Jako- 

biten  gehörig,  vier  Farsach  von  Mosul  entfernt,  westlich  vom  Tigris  im 
Gebiet  von  Alliaditha  (=  llammäm  Ali),  den  Tigris  überragend.  Unter- 
halb des  Klosters  liegt  die  Pech<|uelle,  aus  der  heißes,  zum  Tigris  ab- 
fließendes Wasser  hervorquillt.  Aus  dem  Wasser  gewinnt  man  das  Pech. 
Solange  es  im  Wasser  liegt,  ist  es  welch  und  biegsam;  nimmt  man  es 
aber  aus  dem  Wasser  heraus,  wird  es  kah  und  hart.  Das  Kloster  hat 
einen  Verwalter,  wie  jedes  jakobitischc  und  malikitische  Kloster,  während 
die  nestorianischen  Klöster  keinen  Verwalter  haben.  Vgl.  Jäqüt  11  689  und 
mein  Am  Euphrat  und  Tigris    1900,  S.  94. 

45.  Uy  j  ji  Dair  Barkümä  (so  die  Hs.,  Jäqüt  Uy  ^  yj,  d.  i.  Thomas- 
kloster),  zwei  Farsach  von  MajjäfViriqin  entfernt,  auf  einem  hohen  Berge, 
unterhalb  dessen  Teiche  mit  Regenwasser  liegen.  Von  dem  Märtyrer  glauben 
die  Christen,  daß  er  700  Jahre  gelebt  und  noch  den  Messias  gekannt  habe. 
Er  liegt  in  einer  hölzeren  Lade  mit  Türen,  die  an  den  Festtagen  des 
Klosters  geöffnet  werden,  dann  erscheint  die  obere  Hälfte  des  Körpers  auf- 
recht  stehend    mit   abgeschnittener   Na.se   und   Oberlippe.      Eine  Frau    hat 


2  0  S  A  (;  II  A  u  : 

sich  nämlich  die  Gelegenheit  verschafl't,  ihm  Nase  und  Lippe  abzuschneiden 
und  damit  zu  enteilen.  Dann  hat  sie  über  diesen  Reli(juien  auf  dem 
Wege  nach  Takrit  in  der  Steppe  ein  Kloster  erbaut. 

,46.  U»l;  j'j  Dair  Bätä,  auch  jU-  ji  Das  Eselskloster  genannt,  dessen 
Märtyrer  Marikas  (Maurikios?)  heißt.  Es  liegt  fern  vom  Tigris  und  von 
der  Stadt  (Alsinn).  Dort  leben,  sich  fortpflanzend,  stets  zwei  Raben.  Zu- 
weilen dringen  Räuber  in  das  Kloster  ein.  Wenn  dann  ein  Räuber  im 
Kloster  ist,  erheben  sich  die  beiden  Raben  über  der  Wiese  des  Klosters. 
Wenn  einer  von  den  Feinden  anrückt,  empfangen  ihn  die  beiden  Raben 
und  krähen  ihm  in  das  Angesicht,  als  wenn  sie  ihn  erwarteten.  Dann  weiß 
er,  daß  Leute  im  Kloster  sind,  und  geht  zurück.  Wenn  dagegen  niemand 
im  Kloster  ist,  dann  tun  die  Raben  nichts  dergleichen.  Nach'Jäqüt  II  646 
lag  das  Kloster  in  Alsinn  zwischen  Mosul,  Takrit  und  Hit.  Es  hat  ein 
Steintor,  welches  nach  der  Angabe  der  Christen  ein  Mann  oder  zwei  öffnen 
können;  wenn  es  dagegen  sieben  sind,  können  sie  es  nicht  öffnen.  Es  hat 
einen  Brunnen,  der  heilkräftig  gegen  Flechten  wirkt.  In  dem  Kloster  ist 
die  Residenz  des  Bischofs  (von  Alsinn?). 

47.  jjJjl  j  ji  (unleserlich)  in  Alsinn.  Hier  ist  die  Residenz  des 
Bischofs.  Es  hat  einen  Brunnen.  Wenn  ein  an  Flechten  Leidender  sich 
darin  badet,  verschwinden  sie. 

Ich  nehme  an,  daß  die  Artikel  Nr.  46  und  47  durch  ein  Versehen 
getrennt  worden  sind  und  daß  sie  sich  auf  ein  und  dasselbe  Kloster  be- 
ziehen. Vielleicht  sind  die  unpunktierten  Züge  der  Handschrift  zu  lesen 
ij-^jL.  ^z*  ji,  d.  i.  Kloster  des  Maurikios  (s.  Anfang  von  Nr.  46). 

48.  r^\  ji  Dair  Al'agäg  (so  die  Hs.,  Jäqüt  Al'aggäg)  zwischen  Takrit 
und  Hit.  Vor  dem  Kloster  liegt  eine  Quelle,  deren  Wasser  in  einen  Teich 
abfließt.  In  diesem  leben  schwarze,  gut^  schmeckende  Fische.  Ringsumher 
Saatfelder  und  Gemüsebeete,  die  von  dieser  Quelle  getränkt  werden. 

49.  iS^y:\  j^  Dair  Algudi,  sieben  Farsach  von  Oezire,  auf  der  Spitze 
des  Berges.  Mißt  man  die  Klosterfläche  nach  Spannen,  so  bekommt  man 
20  Spannen;  mißt  man  ein  anderes  Mal,  bekommt  man  18  Spannen,  und 
mißt  man  noch  mal,  bekommt  man  22  Spannen.  So  oft  man  mißt,  bekommt 
man  eine  andere  Zahl  Spannen. 

Die  Spitze  des  Gebel  Gudi  ist  neuerdings  beschrieben  von  Miß  Bell. 
Amurath  to  Amurath,  London  191 1    S.  292.    293. 


Vom  Klosterbuch  des  'Sdimsti.  21 

50.  j^\  <~p  Die  Kirclie  des  Tur  (Sinai),  des  Berges,  auf  dem  sidi 
Moses  oflenbarte  und  infolge  des  Donners  ohnmächtig  wurde.  Die  Kirche 
steht  auf  der  Spitze  des  Berges,  gebaut  aus  schwarzem  Gestein.  Die  Breite 
der  Befestigung  ist  7  Ellen.  Sie  hat  3  eiserne  Tore  und  auf  der  West- 
seite ein  feines  Tor,  vor  dem  ein  Felsblock  steht.  Wenn  sie  ihn  auf  lieben 
wollen,  so  ist  das  möglich.  Wenn  aber  jemand  sie  angreifen  will,  dann 
lassen  sie  den  Stein  los  (lassen  ilm  fallen),  und  dann  verdeckt  er  die  Stelle, 
so  daß  man  nicht  mehr  erkennen  kann,  wo  das  Tor  ist.  Innerhalb  des 
Klosters  ist  eine  Wasserquelle,  und  eine  zweite  außerhalb.  Die  (Christen 
behaupten,  das  Kloster  habe  ein  Feuer  von  der  neuen  Sorte  Feuer,  die 
Jerusalem  vernichtete.  Sie  machen  sich  jeden  Abend  ein  Feuer  davon,  es 
ist  weiß,  wenig  heiß  und  steckt  nicht  die  Dinge  in  Brand.  Dann  aber 
wird  es  stärker,  wenn  die  Lampen  daran  angezündet  werden.  Das  Kloster 
ist  von  Mönchen  bewohnt  und  wird  viel  besucht,  weil  es  zu  den  Klöstern 
zählt,  denen  man  Wunderwirkung  zuschreibt. 

51.  j^  j(  Ä«-  Die  Kirche  des  Abi'i  Hur  in  Ägypten  in  i^[j-^  (Sirjäqus). 
Wenn  jemand  an  Skrofeln  leidet,  geht  er  dorthin,  sich  kurieren  zu  lassen. 
Der  Vorsteher  läßt  ihn  sich  niederlegen,  bringt  dann  ein  Schwein  herbei 
und  läßt  es  los  auf  die  kranke  Stelle.  Es  frißt  weg,  was  an  der  kranken 
Stelle  ist,  ohne  darüber  hinauszugehen.  Ist  sie  auf  diese  Weise  rein  ge- 
worden, dann  streut  der  Mann  dariiber  etwa.s  Asche,  herrührend  von  einem 
ge.schlachteten  Schwein,  das  vorher  denselben  Dienst  getan  hat,  sowie  etwas 
Öl  von  der  Kirchenlampe.  Dann  heilen  die  Skrofeln.  Das  Schwein  aber 
wird  geschlachtet  und  verbrannt,  und  seine  Asche  wird  hergerichtet  für 
einen  ähnlichen  Zweck.  Vgl.  Kvetts,  a.  a.  ü.  S.  319  unter  The  monastery 
of  Cyriacus. 

52.  (j-J^  yj  Johannes-Kloster  in  Dämanliür.  Am  Festtage  des  Klo.sters 
wird  der  Heilige  aus  seinem  Sarg  genommen,  dann  wandert  der  Sarg  über 
dem  Erdboden  hin.  ohne  daß  jemand  ihn  fassen  und  aufhalten  kann,  bis  er 
zum  Meer  (Nil?)  hinabkommt,  dort  taucht  er  unter  imd  kehrt  dann  an 
seinen  Ort  zurück.    Nach  Jäqüt  II   710  lag  dies  Kloster  in  Samannüd. 

Von  einer  Kirche  des  hl.  Johannes  in  Damanhür  ist  die  Rede  bei 
EvETTS  S.  139,  von  einem  Priester  Johannes  von  Samannüd  ebenda  S.  209. 

53.  .-j/l  *«-  Kirche  von  Atrib.  Sie  hat  ihr  Fest  am  2i.Ba'üna.  An 
diesem  Tage    erscheint   eine  weiße  Taube,    geht  in   den   Altar.     Man   weiß 


22  S  A  (;  H  A  u  : 

nicht,  woher  sie  kommt.     Sie  erscheint  dann  nicht  eher  wieder  als  an  dem- 
selben Tage  des  nächsten  Jahres.     V^gl.  Evetts,  a.a.O.  S.  319. 

54.  j^ j^  f^\  'J'\y'_i  Ein  großes  Kloster  im  Gebiet  von  Achmim  in 
der  Nähe  eines  Berges,  der  Gabal  Alkahf  (Berg  der  Höhle  der  Siebenschläfer) 
genannt  wird.  An  einer  Stelle  des  Berges  ist  ein  Spalt.  Am  Festtage  dieses 
Klosters  kommen  alle  Vögel,  die  Büqir  heißen,  und  sie  sind  sehr  zahlreich, 
nach  dieser  Stelle,  versammeln  sich  dort  und  machen  einen  großen  iJLrm. 
Einer  nach  dem  anderen  steckt  seinen  Kopf  in  diesen  Spalt,  schreit  und 
zieht  ihn  wieder  heraus.  Dann  kommt  ein  anderer  und  macht  es  ebenso, 
und  das  geht  so  lange  fort,  bis  der  Kopf  eines  von  ihnen  in  dem  Spalt 
stecken  bleibt,  der  zappelt  sich  ab,  bis  er  tot  ist.  Dann  zerstreuen  sich 
die  übrigen,  fliegen  wieder  zu  ihren  früheren  Aufenthaltsorten  und  keiner 
bleibt  zurück.    Vgl.  Evetts,  a.  a.  0.  S.  59. 

V  ^ 

Die  Exkurse  in  Sabnstis  Klosterverzeichnis. 

Die  oben  S.  7  erwähnten  Exkurse,  welche  Sabusti  an  die  Beschreibung  der  Klöster 
anschließt,  sind  von  sehr  verschiedenem  Wert.  Dem  Getändel  von  Prinzen  und  Hofieuten, 
Dichtern  und  Sängern  mit  Frauenzimmern  wird  man  schwerlich  viel  Interesse  abge- 
winnen, anders  steht  es  dagegen  mit  denjenigen  ExUui"sen,  welche  lehrreiche  Nachrichten 
iibei'  die  Sitten-  und  allgemeine  Kulturgeschichte  jener  Zeit,  besonders  des  9.  chi'istlichen 
.Jahrhunderts ',  über  charakteiistische  Vorgänge  in  der  Kalifenfamilie  und  ihrem  Anhange, 
über  hervorragende  histoiische  Persönlichkeiten  jener  Zeiten  bieten.  Die  folgenden  Zeilen 
mögen  über  diesen  Teil  von  Säbustis  Wei'k,  über  den  Inhalt  der  Exkurse  teils  durch  Aus- 
züge, teils  durch  Übersetzung  einige  Auskunft  geben.' 

I.  Kloster  Darmälis.  Ein  Hofinann,  Abu  Abdallah  Ibn  Hamdün  Alnadim',  fällt  bei 
seinem  Herrn,  dem  Kalifen  Mutawakkil,  in  Ungnade  infolge  einer  Weibergeschichte,  in  die 
auch  der  Wesir  Alfath  Ibn  Chäqän  verwickelt  war.  Er  wird  nach  Takiit  verbannt,  nach 
einiger  Zeit  am  Ohrläppchen  verstünuiielt,  aber  zurückberufen  und  wieder  in  Gnaden  auf- 
genommen. Der  Erzähler  ist  Ahmad  b.  Chalid  Alsarifini  '■''.  Ferner  von  einem  Hofmann  bei 
den  Kalifen  Mu'tasim,  Wäthiq  und  Mutawakkil,  Hamdün  Ibn  Ismä'il*  und  Verse  von  Manvän 
b.  Abi  Hafsa''   (y  181),   Ah   b.  Jahja  Almunaggim"   (7  275)   und   von    Gahza'  (-J-  326),    alias 


'  Erwähnt  werden  die  meisten  Kalifen  von  Mahdi  bis  Muqtadir  775 — 932,  am  häufigsten  die- 
jenigen des  9.  .Jahrhunderts,  des  3.  der  Higra,  von  M.a  niün  bis  Mu'tannd.  Die  Oniajjadon  werden 
nur  gelegentücli  gcstreifr,  so  Alwalid.     S.  weiter  unten  S.  38.  39. 

'■'    Vgl.  Tabari  Hl,  T  N  T  t    nnd  Kiiäb   alaghäni,    Index  u.  d.  W.  Oj-^^  ^  J^ 

■'    S.  KitAb  alnghäiii,  Index. 

'    Kilab  alagliäni.  Index. 

■■    Ibn  Cli;iUik;'ui  Nj-.  726  und  Ibn  Quiailta.  Liber  poeseos  et  poetiiruni  S.  481. 

''    Ebenda  Nr.  479. 

'    Ebenda  Nr.  54. 


Vam  Klosterbuch  den  Sdlni^ti.  23 

Ahmad  b.  Oa'far  Albarniaki,  einem  Sänger  am  Hofe  des  Muqtadir.     Mancherlei  Vei-se  dieses 
Dichtei-s  finden  sich  auch  in  anderen  Exknrsen  des  Werkes. 

2.  Kloster  Samähi.  Verse  von  Mui.iammad  b.  Abdalmalik  Alhäsimi  Alzajjat,  Wesir  des 
Kalifen  Mu'tasim.  Ein  Dichter  Khälid  Alkatib,  d.  i.  Abü-AIhaitham  Khälid  b.  Jazid  Alkntib  '. 
und  ein  Sängerkomponist  Ahmad  b.  Sadaqa'  Almughanni  machen  ein  Kompagniegeschält 
miteinander,  .jener  liefert  den  Text,  dieser  die  Melodie  und  verpflichtet  sich,  das  Lied  dem 
Kalifen  Ma'mun  vorzutragen  sowie  das  erhoffte  kaiserliche  Geschenk  mit  dem  Dichter  /.n 
teilen.  So  geschieht  es.  Berichtei-statter  ist  ein  Maimun  b.  Hammj'id.  Vei'se  von  AihndAhidi. 
Schmutziges  Benehmen  einer  l)etrunkenen  Sängerin. 

3.  Das  Fuclisklostcr.  Von  einem  Abbasiden  Ibn  DLhqana  AlhaSirai,  mit  vollem  Namen 
Abu  Ga'far  Muhan^mad  b.  Omar,  einem  Nachkommen  des  Ibrahim  b.  Muhammad  b.  Ali  Ibn 
Abdallah  Ibn  Abbäs^  der  zur  Zeit  des  Neg<M-aufstandes •'  .Statthalter  von  Basra  war,  und 
seinem  Verkehr  mit  dem  Dichter  (iah/.a.  F'erner  Vei'se  von  AlnäSi,  vermutlich  dem  älteren 
diesem  Namens,  der  nach   Ibn  Challikan  Nr.  352   im  Jahre   293  gestorben  ist. 

4.  Das  Katholikoskloster.  Verse  von  Muhammad  b.  Abi  Umajja  Alkätib  und  seinem 
Bruder  Ali.  welche  als  Sekretäre  im  Dienste  des  Alfadl  Ibn  Rabi'*,  des  Wesii-s  von  Härnn 
Alrasid,  standen.  Der  berühmte  Grammatiker  Abu  Bekr  Mnhammad  b.  (j*asim  Alanbari* 
(v  328)  pflegte  seine  Vorlesungen  gern  mit  einem  Zitat  des  ei-steren  dieser  beiden  Dichter 
zu  schließen,  weil  er  seine  Verse  gar  so  schön  fand. 

5.  Kloster  Mudjän.  Verse  von  Alhasain  b.  Aldahhak.  alias  Alhusain  Alkhali'  b.  Al- 
dal.ihäk  Albähili.  Hofdichter  bei  dem  Kalifen  Aramin  und  mehrei-en  seiner  Nachfolger,  ge- 
storben 250°. 

Der  geprügelte   prinzliche   Zecher. 

Ein  Bild  aus  den  Trunksitten  der  Zeit. 

Übersetzung : 

Alhusain  Ibn  Aldahhak  ei-zählt : 

Abu  AH  Ibn  AlraSid'  pflegte  viel  in  diesem  Kloster  (Dair  Mudjän|  zu  vei-kehren  und 
in  Gesellschaft  einiger  seiner  Leute  Trinkgelage  zu  halten.  Er  verkehrte  dort  tagelang, 
prassend  und  schlemmend,  in  einer  so  schamlosen  Weise,  daß  die  Nachbarn  des  Ortes  sich 
über  sein  Treiben  beschwerten.  Da  kam  nun  die  Kunde  davon  dem  Stadtpräfekten  von 
Bagdad,  Isl.iAq  Ihn  Ibrahim  dem  Tah'riden.  zu  Ohren.  Der  ließ  dem  Abu  Ali  sagen,  wie 
gemein  sein  Benehmen  sei,  und  befahl  ihm,  es  nicht  fortzusetzen.  Darauf  sagte  dieser: 
•  Welche  Macht  hat  denn  Isi.iiiq  über  mich!  Was  hat  er  mir  zu  befehlen!  Sollte  man  glauben, 
daß  er  mir  verbieten  kann,  meinen  Sängerinnen  zu  lauschen  und  zu  zechen,  wo  es  mich 
fi-euti"  Als  Islinq  von  diesen  Reden  hörte,  geriet  er  in  Zorn,  geduldete  sich  aber  bis  zum 
Abend.  Dann  ritt  er  hin  nach  dem  Kloster,  ließ  es  durch  seine  Leute  von  allen  Seiten 
um.stellen,  befahl  das  Klostertor  zu  öffnen  und  deii  Prinzen,  so  wie  er  war.  herunterzuholen. 
Der  Prinz  wurde  heruntergeholt,  betrunken,  bekleidet  in  buntfarbigen  Kleidern  imd  triefend 

'  Kit  Ab  alaghäiii  21,441!'. 

'  Ebenda   19,37. 

^  S.  NÖLOKk»:,  Ein  Sklovcnkrtcg  im  Oiiciit,  in  Orientalische  Skizzen  1892,  .S.  issff. 

'  Ibn  Kliallikän  Nr.  339. 

'  Ebenda  Nr.  653. 

*  Ebenda  Nr.  190  und  Kitib  alaghdiii,  Iudex. 

'  Onkel  des  regirrenden  Kalifen  Mu'tasim.  der  ein  Enkel  von  Rasid  war. 


24  S  A  C  M  A  ti : 

von  Safransalbe.  Da  sprach  lsl.iA(|:  »Schande  über  dich!  Ein  Mann  vom  Kalifenbause  in 
solchem  Zustande  1«  Auf  Isl.inqs  Befehl  wurde  nun  eine  Decke  am  Tor  des  Klosters  auf 
der  Erde  ausgebreitet,  der  Betrunkene  mit  dem  Gesicht  nach  unten  darauf  gelegt,  und  dann 
versetzte  ihm  IshAq  mit  der  Peitsche  zwanzig  Hiebe  und  sprach:  -Der  Fürst  der  Gläubigen 
liat  mich  nicht  mit  seiner  Vertretung  betraut,  damit  ich  die  Oi-dnung  der  Dinge  vernach- 
lässige und  zugrunde  gehen  las.se,  auch  nicht,  daß  ich  dir  und  deinesgleichen  gestatte,  ihn 
mit  Schimpf  und  Schande  zu  bedecken  und  euch  Dinge  herauszunehmen,  wie  du  getan  hast, 
solchen  öftentlichen  Mummenschanz,  solche  Verletzung  von  Anstand  und  Sitte,  solches  Hin- 
ausziehen nach  den  Klöstern  und  Weinkneipen.  In  deiner  Züchtigung  liegt  die  Wahrung 
der  Ehre  des  Kalifats  und  zugleich  eine  Warnung  und  Verbot  für  dich  und  deinesgleichen 
vor  solchem  schandbaren  Treiben.«  Dann  ließ  Ishäq  Sänften  (eine  Art  geräumiger  Ramel- 
sattel ',  die  er  mitgebracht  hatte)  heranbringen,  den  Betrunkenen  samt  Gefolge  aufladen  und 
nach  seiner  Wohnung  schaffen.  ■   ■: 

Als  der  Kaufe  Almu'tasim  hiervon  Kenntnis  erhielt,  bezeugte  er  dem  Ishäq  schriftlich 
seinen  vollkommensten  Beifall  und  befahl  ihm,  daß  er  keinem  Mitgliede  .seines  Hauses  ein 
derartiges  Benehmen  gestatten  sollte. 

Der  Erzähler  dieser  Geschichte  ist  der  Sänger  Muhammad  b.  Ali  Abu  Hasisa  Altunbüri. 

Im  Anschluß  an  den  geprügelten  Prinzen  Abu  Ali  wird  folgende  Geschichte  aus  dem 
Hof  leben  unter  dem  Kalifen  Ma'mün,  dem  Sohne  des  Härün  Alrasid,  erzählt: 

Hnrün  kaufte  an  demselben  Tage  zwei  Sklavinnen,  die  SikI  und  ihi-e  (ienossin,  die 
Sadhr.  Es  entsteht  zwischen  diesen  beiden  Frauen  ein  Neid,  der  sich  zu  heftiger  Feind- 
schaft steigert.  Die  Sikl  gebärt  jenen  Abu  Ali,  die  .Sadhr  ein  Mädchen,  genannt  Umiu 
Abihä,  also  Kinder  des  Härün.  Die  beiden  Mütter  sterben,  ihre  gegenseitige  Feindschalt 
setzt  sich  aber  in  ihren  Kindern  fort.  Eines  Tages  unterhält  sich  der  Kalif  im  vertrautesten 
[preise  von  Verwandten  und  Freunden  über  diese  Feindschaft.  Er  läßt  zuerst  die  Umm 
Abihä  kommen,  befragt  sie  nach  dem  Grunde  ihres  Hasses  gegen  Abu  Ali  und  läßt  danach 
auch  Abu  Ali  kommen.  Sobald  letzterer  erscheint,  zieht  die  ümm  Abihä  den  Schleier  vor 
das  Gesicht  zum  Zeichen,  daß  sie  ihn  nicht  als  ihren  Verwandten  anerkennt.  Sie  beschimpft 
ihn  und  behauptet,  er  sei  nicht  ein  Sohn  Haruns,  sondern  der  Sohn  eines  Kammerdieners. 
Ma'mün  spricht  zu  seinem  Bruder: 

»Schlage  siel«  Das  geschieht.  Die  Frau  wendet  sich  nun  an  Ma'mün  mit  den  Worten: 
»Schmach  über  dich.  Ich  habe  bisher  gedacht,  daß  seine,  des  Abu  Ali  Schande  verborgen 
bleiben  würde,  nun  aber,  da  du  mich  hast  schlagen  lassen,  werden  alle  Erzähler  bis  in  alle 
Ewigkeit  sich  davon  unterhalten."  Ma'mün  schließt  mit  einem  Wort  der  Anerkennung  für 
die  Tapferkeit  der  Frau,  dem  Abu  Ali  aber  *'erleiht  er  das  Amt,  über  Prinzenleichen  die 
Grabrede  zu  halten,  um  sein  Ansehen  etwas  zu  stützen. 

Der  Exkurs  fährt  fori  mit  einzelnen  Zügen  aus  dem  Leben  des  Stadtpräfekten  von 
Bagdad,  des  im  vorhergehenden  genannten  Tähiriden  Abu  All.iusain  Ishäq  Ihn  Ibrahim  nach 
der  Erzählung  des  bekannten  Abdallah  Ihn  Khurdädbih.  Dieser  Tahiride  bekleidete  sein 
Amt  untei-  Ma'nu'm,  seinem  Sohn  3Iu'tasim  und  dessen  Söhnen  Wäthiq  und  Mutawakhil  und 
starb  unter  letzterem.  Er  war  der  Bruder  des  Tähir  Ihn  Alhusain.  Seine  Nachfolger  waren 
zuerst  sein  Sohn,  Muhammed  Ibn  Ishäq,  dann  -Muhammed  Ibn  Abdallah  Ihn  Tähir.  In 
diesem  Zusammenhang  werden  die  Prätoriancrobersten  Wasif  und  Zuräfa  imd  ein  Dicht"r 
Abu  Albar(i  erwähnt. 


Vtwi   hlosterhuch  des  S.()(niMl.  25 

6.  KIi>ster  Aämüni.  Das  Fest  desselben  wurde  von  den  Lebemännern  Bagdads  sein- 
besucht.  Reiche  Leute  ließen  sich  dort  kleine  und  große  Zelte  heimstellen,  um  sieh  zu  er- 
lustieren.  \'erse  von  vei-schiedenen  Dichtern,  die  sich  dort  amüsiert  hatten,  Cjah/.a,  Muhammed 
b.  Alniuammal  Aliä'i,  Abu  Al'atähija,  Altharwani,  .labjä  b.  KAmil  (seine  Verse  gerichtet  an 
Abdalmalik  b.  Muhanuned  AUiäsimit,  Abu  Alsibl  Alhurgumi '.  Von  letzterem  und  seinem 
Freunde  Mal.imüd  Alwarriuj  wird  berichtet,  daß  sie  stets  in  den  Kneipen  zu  finden,  stets 
lietrunken  gewesen  seien,  und  daß  Abu  SibI  eine  besondere  Vorliebe  für  schwarze  Weiber 
gehabt  habe. 

7.  Kloster  Säbur.  Kxkuis  über  den  Dichter  All.iusain  b.  Aldalil.mk  (s.  unter  5),  der 
in  Gunst  bei  Amin,  Mu'tasim,  Wäthiq  und  Mutawakkil  war,  aber  nicht  bei  Ma'mi'in,  denn 
dieser  nahm  ihm  einen  Vei^s  ül)el.  den  er  zugunsten  seines  Bruders  Amin  gedichtet  hatte. 
Verse  von  diesem  Dichter,  in  denen  ein  Hofmann  von  Mu'tasini  und  Mutawakkil  namens  Azzi'in 
Ojjp'  erwähnt  wird.  I-etzterer  ei-zählt,  daß  Mu'tasim  eines  Tages  bei  dem  Durchreiten  eines 
Hiisses  den  Dichter  I.lusain  vor  dem  Krtrinken  gerettet  habe.  Abu  Abdallah  h.  Uatudiin 
(s.  unter  1)  erzählt,  daß  Mutawakkil.  als  ihm  an  einem  N.TUrnztage  Figuren  JJ'k  aus  Ambra 
dargebracht  waren,  durch  seinen  Diener  Safi'  Stücke  davon  dem  Husain  habe  bi'ingen 
lassen.  Dci^selbe  verkehrte  auch  mit  einem  anderen  Abbasiden,  dem  Sälil.i  Sohn  des  Raiid 
und  zechte  mit  ihm  an  einem  Lustorte  in  Bari,  einem  Teil  von  Kahviidhii.  Der  Sänger 
Amr  b.  Bana  (-,'-  287)'  berichtet  von  einem  fi-öhlichen  .\bend  bei  Prinz  Salih  in  Gesellschaft  des 
I.lusain.  der  auf  Bitte  des  Prinzen  den  Abend  in  eii\em  improvisierten  Gedicht  besingt,  das 
sogleich  von  dem  Sänger  gesungen  wird.  I.lusain  berichtet  von  poetischen  Einladungen,  die 
er  unter  Ma'mün  zur  Zeit  des  Fastenendes  von  All.iasan  b.  Bagä '  und  von  Muhammed  b. 
.AlliÄrith  b.  BaSkhir'  erhalten  hatte. 

8.  Kloster  (^ülä.  Verse  von  Abdallah  b.  .Al'abbäs  Ibn  .Vlfadl  Ibn  Alrabi'''.  Urteil  des 
Wezirs  Muhanuned  b.  Abdalmalik  Alzaj.jät  über  seine  Poesie.  Seine  Beziehungen  zu  der 
Asälig,  Sklavin  .seiner  Tante  Kuijajja,  und  zu  der  Sängerin  Badhl.  seine  Liebe  zu  einem 
Christeumädchen.  Von  der  Sängerin  Masi'ibil.i.  die  am  meisten  seine  Verse  gesungen  und 
bekanntgemacht  hat.  .\uch  die  Muta.ijam  AlhisAmi.iJa '  sang  seine  Lieder.  Schließlich  sein 
Zerwürfnis  mit  der  geliebten  Ma.sÄbil.i. 

9.  Georgskloster.  Veise  von  Al)i'i  (iafna  .\l(iurasi,  von  Alnunuiiri  d.  i.  Abu  Allaj,jili 
Muhammed  b.  .\l(|nsiui  Alnumain"".  einem  Fi-eunde  des  Prinzen  .\bdall;di  Ihn  Ainiu'tazz, 
mit  dem  er  auch  i)oeiischen  Bi-icfwechsel  pflegte.  Proben  dieses  Briefwechsels  in  l'oesie 
und  Prosa,  besonders  von  Ibn  .Almu'taxz.  Letzterer  wollte  von  der  Liebe  nichts  wissen,  bis 
er  eines  Tages  anderen  Sinnes  wurde. 

10.  Kloster  BaSahrä.  Verse  von  Abu  Al'ainä'i  (gest.  283),  d.  i.  Ahn  .Abdallah  Muhammed 
b.  .\l(|»sin)  b.  Khalläd  b.  .I.nsir  b.  Sulaimän"  vom  Stamme  der  Bann  Hanifa  in  Aljamiinia. 
Kr  wohnte  In  ßa-srn,  Schüler  von  .Afa-sma'!.  übei-siedelte  dann  nach  Bagdad  und  später  nach 

'  Kitiili  alagtiAni   13,22fr. 

"  Kita!)  alaghaiii,  Index  u.  d.  W.  öjjc  )\  JJj^ 

'  Ibn  Kliallik.iii  Nr.  51g.     Kr  war  befrpiuidet  mit  Mutawakkil. 

•  KiiAh  alaghaiii.  Index. 

'  Kitftb  alaghäni   10.  161  IT. 

'  Kitäb  alagbäni  17,  I2itf'. 

^  KIlab  alagliani,  Index. 

*  Kiläb  alai^liaiii  9,  144. 

"    Ibn  Kliallikäii  Ne.  654  uiiil   Kiiab  alagliani,  Index. 
Phll.-hüt.  Abh.   1'Jlit.  Nr.  10.  4 


2^0  S  A  (;  II  A  i; : 

Siimarl-ä.  wo  er  mit  Mutawakkil  \erkclirte.  Kr  erVjlindete  mit  dem  vierzigsten  Lebensjalir. 
War  beriibmt  wegen  seiner  bösen  Zunge  und  seines  schlagfertigen  Witzes.  Proben  davon. 
Im  Zusammenhang  werden  erwähnt  der  Dichter  Abu  Ah'  Albasir',  Mutawakkil,  der  Wesir 
libaidallah  h.  Sulaimän-,  Sä'id  b.  Mukhallad',  der  Wesir  Abu  Alsaqar*,  der  Wesir 
Muhammed  b.  Abdalniallk  AlzayjU,  Ibn  Hadr,  Al)dallah  b.  Mansür»,  Maimün  b.  Ibrahim, 
Muhamiued  b.  Mukarram,  Ali;Al.ii/,  Alhasan  b.  Wahl)",  Ali  b.  Algahm',  Abdallah  b.  Dä'nd 
Alkhuraibi,  der  Tähiride  Abu  Ahmad  Ubaidallah  1).  Abdallah  Ibii  Tähir,  Abu  Al'abbäs  b. 
'riuiwäba",  Ubaidallah   I).  Jah  ja ",  der  Postmeister  Maimün  b.  Ibrahim. 

11.  Das  Schwesternkloster.  Verse  von  Alnägim  Abu  l'thmän'",  der  zugleich  der  Uawi 
des  Ibn  Aln'imi  »^  (y  283)  war. 

12.  Das  Kloster  von  Araltb.  Verse  von  üal.iza.  Im  fibiigen  handelt  dieser  Kxkui-s 
von  dem  Kalifen  Almu'tamid  als  Dichter,  daß  er  gute  und  schlechte  Verse  gemacht  habe. 
Er  gab  sie  den  Sängern  ziim  Komponieren,  und  daim  (beim  Gesänge;')  verbargen  sich  die 
Fehler  in  Skausioii  und  Diktion,  nur  von  den  Fachleuten  wurden  sie  bemerkt  Bid'a  '"  er- 
zählt, daß  er  der  Sängerin  Arib  "  seine  Verse  zum  Komponieren  schickte.  Alsüli  erzählt,  daß 
Abdallah  b.  Ahnu'tazz  ihm  Vei-se  von  Mu'tamid  vorgetragen,  und  daß  der  Kalife  Almuqtafi 
den  Leuten  goldene  Rollen  von  Gedichten  des  Mu'tamid  gezeigt  habe.  Verse  von  ihm,  die 
von  der  Sängerin  .Sarija  gesungen  wurden.  Verse,  die  sich  auf  seine  Verdrängung  durch 
seinen  Bruder  Almuwaftak  beziehen.  Kr  wollte  der  Sängerin  'Arib  300  Denare  geben,  konnte 
aber  nicht  mal  200  auftreiben.  •    ••' 

Ishäq  b.  Jarüh  erzählt,  daß  Muilih,  als  er  auszog  nach  Ba.sra  zum  Kampf  gegen  die 
Negerrebellen,  ihn  zu  Mu'tamid  geschickt  und  diesem  seine  Sängerinnen  Hazär  und  den 
Knaben  Badr  Algullanär  abverlangt  habe.  Ferner  'Ubaidallah  b.  Jahjä  b.  Khäqän'*  mit  eii^er 
Botschaft  vor  Mu'tamid.  Vei-se  von  Muhammed  h.  Ali  AlkAtib  Badingäna  über  Mnsä  b.  Bughä  ''. 
Wogwerfendes  Urteil  des  Kalifen  Alräcli  über  die  Verse  Mu'tamids.  Letzterer  und  sein 
•IJruder  Muwaffaq  im  Palast  Algausaq.  \eTse  über  den  Abmarsch  des  Muwaffaq  nach  Basra, 
während  er,  Mu'taniid  in  Sämarn'i  blieb,  und  Klageverse  darüber,  daß  nach  dei-  Sklavin 
Badr  auch  die  Nathr.i   ihn  verlassen  habe. 

1 3.  Das  Jungfrauenkloster.  Jamüt  b.  Alnmzari'i' '"  nach  Algahiz :  Ibn  Farag  der  Taghlibite 
habe  ihm   erzählt,    daß  Leute  vom  Stamme  Taghlib   einen  Angriff"  auf  das  Gut  des  Sultans 


'  Iviti'ib  alaf;lu"mi,  Index. 

"  Ebenda,  Index. 

■<  Ibn  Kliiiliikän  Ni'.  654. 

'  Kit:il)  alagluini.  Index  und  Il)n  Khatlikän  Nr.  654.  S.  45,  1. 

°  Ebenda  Nr.  654,  .S.  45,  7. 

'"'  Kiti'ib  alaghäni,  Index. 

'  Ebenda  IX,  104(1". 

*  Ebenda  Index. 

'•'  Ebenda  Index. 

>"  Ibn  Khallikän  Nr.  474,  S.  59,1. 

"  Ibn   Khallikiin  Nr.  474. 

'■■'  Kiti'ib  alaghäni,  Indes. 

"  Ebenda  XVIII   175  H". 

'*  Kitäb  alaghäni,  Index. 

'■'  S.  über  ihn  Weh.,  Geschichte  der  Kalifen  III,  Index. 

"••  Um  Kballikmi   Nr.  844.  •.•...-   ........-■.*-  .■  ...   ;-        t 


\om  Kloxterbwh,  det<  Sdbusli.  27 

planten,  daß'  aber  der  Sultan  ihiren  zuvorkam,  daß  sie  sich  in  "dem  JiiHgfraneiikloster  ver- 
bargen und  bei  der  Gelegenheit  die  Entdeckung  machten,  daß  der  Priester  die  Nonnen  ejvt- 
jungfert  hatte.  .  };y',Yx-y   ■:  .  :;    O" : 

14.  Das  JungfrauenklostcT-  in  Bagdad.  Veree  von  Ibn  Aimu'tazz.  Voi\  Ahnu'tazz  nach 
Samarrä  berufen,  kehrt  der  Tahiride  Ubaidallah  1).  Abdallah  b.  Tahir  auf  der  Reise  zwei  Tage 
in  diesen)  Klöster  ein.  Darüber  Verse  von  ihm.  Ubaidallah  als  (iasf  bei  dem-  Kalifen 
Alniu'tazz:  Auf  dessen  Befehl  muß  die  Sä ri ja  ihm  vorsingen  (hinter  dcrti  Voi-hang).  Kannani 
Alzamir  (der  Flötenbläser)  ihm  vonnusizieren.  Auch  zeigt  der  Kalife  seinem  Gast  «ine  von 
Ahmad  b.  Mi'isa  Almuhandis  aus  Kupfer  konstruierte  Art  Wasserpfeife,  ferner  ju  einem  Tier- 
park einen  Kampf  zwischen  einem  Löwen  und  einem  Elefanten. 

Gal.i/a  und  Ihn  (^iudama  eraählen  von  Ubaidallah  nnd  seiner  geliel)ten.  Frau  .SAgi', 
von  ihrem  Tode  und  seiner  Trauer  um  sie.  Verse  von  Ubaidallah.  Kondolenzschreiben  des 
Abdallah  b.  Ahnu'tazz  an  ihn,  Antwortschreiben  des  Ubaidallah.  Die  Sagi  war  eine  groLV^ 
Sängerin  gewesen.  Als  die  Stellung  des  Ubaidallah  minder  bedeutend  geworden  war,  ver- 
langte der  Kalife  .Vlmu'tadid  von  ihm,  daß  er  der  .Sägi  erlaube,  ihn  zu  besuchen.  Ihr  Gatte 
kann  das  nicht  verhindern,  .so  unangenehm  es  ihm  ist.  .Sie  geht  hin,  singt  dem  Kalifen  etnigC 
Lieder  vor  und  kommt  reich  beschenkt  zu  ihrem  Gatten  zurück.  Poetische  Rotschaft  des 
Ubaidallah  b.  Abdallah  b.  Tähir  an  Ubaidallah  b.Sulaiman,  als  dieser  das  \\'esirat  liir  Alum'tafli<l 
übernommen  hatte.    Abü-al'ainä    und  Ubai<lalluh. 

Erzählung  von  .\bu  Ali  Alawäraii:  Der  Granmiatiker  Abu  B(-kr  Muhammed  l>.  .\lsui-i 
Alsarrag'  zitiert  bei  Gelegenheit  des  Einzuges  des  Kalifen  .\lmuktafi  aus  Haiiqa  nach  Bagdad 
zwei  Verse',  in  denen  der  Kalife  neben  Sonne  und  Mond  genannt  wird.  Ein  anderer,  AbOi 
Abdallali  Muhammed  b.  Ismä'il  Zangi  Alkätih,  der  Sekretär  l)ei  AbA  i\l'abbas  b.  Furät'  war, 
zitiert  bei  einer  anderen  Gelegenheit  dieselben  Verse.  Es  entsteht  eine  Difli'ren/.  darübci-, 
ob  die  Verse  von  Alxlallah  b.  .\liuu'tazz  gedichtet  seien  oder  von  Ubaidallah  b.  Abdallah  b. 
Tähif.  Die  Sache  gelangt  durch  den  Wesir  .\lqäsiin  b.  Ubaidallah  in  den  Palast  Althuraijä  zu 
<lem  Kalifen  und  dieser  entscheidet  den  Streit  zugunsten  des  Ubaidallah  b.  Abdallah  b.  IVihir. 
der  dallir   looo  Denare  bekommt.    Weitere  \'ei-se  von   letzterem. 

Poetische  Korrespondenz  zwischen  .\bdallah  b.  Ahnu'tazz  und  dem  Tahiriden  Ubaidallah, 
als  er  .seinem  .Sohn  die  Hegierung  von  Tunis  übei'trageu  hatte.  Dieser  Ubaidallah  starb 
^00,  Die  Mutter  des  Kalifen  Almuqtadir  gab  seiner  Familie  ihr  Beileid  durch  ihi-e  Hof- 
meisterin ümm  Müsä  zu  orkenuen. 

.Sein  Bruder  Muhammed  b.  .\bdallah  b.  Tähii-  trat  an  seine  Stelle.  Der  Kalife  Muta- 
wakkil  hatte  ihn  nach  dem  Tode  des  Isl.iäq  b.  IbnUiim  Allähiri  und  seines  Sohnes  Muhammed 
aus  Chorasan  kommen  lassen  und  zum  Präfekten  von  Bagdad  gemacht,  während  sein  Bruder 
Tähir  b.  Abdallah,  der  älteste  der  Bnlder,  Statthalter  von  Chorasan  wurde. 

Alsäh  b.  Mikäl''  ei  zählt  Anekdoten  von  di&sem  Tahiriden  Muhammed,  seinem  Hof- 
marächall  dem  Christen  Ibrahim  b.  Harun  und  einem  Beamten,  von  einer  Mahlzeit  bei  Ishat) 


■  Kitäl)  alaghäni,  Iudex. 

»  Ibn  Khallikiin  Nr.  653. 

'  Sie  lauten: 

*  Kiiäb  idaghäiii.  Index. 

'■•  Tabari,  Index. 


28  S  A  c  11 A  u  : 

b.  Ibrahim  b.  Mus'ab '  und  bei  Muhammed.  Verse  von  dem  Dir-hter  Abdalrahmän  b.  Abi 
'^ain,  der  sich  bei  Muhammed  über  einen  Steuerbeamteii  Ijeitlagt.  Muhammed  war  geboren 
290  an  dem  Tage,  an  dem  Kaisüm  erobert  wurde,  demselben  Tage,  an  dem  die  VVe,sire 
Ubaidallah  b.  Jahjii  b.  Chäqän,  Ai.imad  b.  Jsrä'il  und  All.iasan  b.  Mukhallad   geboren  waren. 

Muhammed  starb  253  an  einer  Beule  in  der  Kehle.  Zu  seinem  Nachfolger  hatte  er 
seinen  Bruder  Ubaidallah  bestimmt.  Der  Kalife  Almu  tazz  bestätigte  ihn  und  f-chickte  ihm 
P^hrenkleider  durch  Muilih,  den  Vertreter  des  Bäkbak*.  Sein  Bruder  Tähir  b.  Muhammed 
hatte  ihm  das  Amt  streitig  gemacht.  Trauerveree  von  Ihn  Alriimi,  von  dem  l'ähirideii 
Ubaidallah  und  von  Almu'lazz  über  den  Tod  des  Muhammed. 

Von  dem  Streit  zwischen  den  beiden  Tahiriden,  Sulaimän  b.  Abdallah  b.  Tähir  und 
Ubaidallah  in  den  .Jahren  255 — 257.  In  letzterem  gelangte  Ubaidallah  durch  Müsä  b.  Bugha 
in  den  Vollbesitz  der  Macht  als  Gouverneur  von  Bagdad,  Sämarrä  und  Babylonien. 

Ja'qüb  b.  Laith  zieht  ein  in  Nisabür,  nimmt  den  Xähiriden  Muhammed  b.  lahir  ge- 
fangen. Schlacht  zwischen  Ja'qüb  b.  Laith  und  dem  Kalifen  Almu'tamid  und  seinem  Bruder 
Almuwaffaq.  Letzterer  siegt,  der  Jähiride  wird  befreit  und  in  seine  Statthaltei-schaft  über 
Chorasan  wieder  eingesetzt.  Mu'tamid  zieht  zurück  nach  Bagdad,  Muwaffaq  nach  Wäsit. 
Ubaidallah  wird  Statthalter  von  Mekka  und  Medina.  Nach  dem  Tode  des  Ja'qüb  b.  Laith 
folgte  sein  Bruder  'Amr.  Dieser  huldigte  dem  Kalifen,  wurde  belohnt  mit  Chorasan,  Persis, 
Kanuän,  Segestan,  Ispahan  und  Sind.  Er  ei-naunte  den  'rähiriden  Ubaidallah  b.  Abdallah 
als  seinen  Stellvertreter  zum  Gouverneur  von  Bagdad,  schenkte  ihm  Ehrenkleider  und  ein 
goldenes  Szepter.     Dies  Avird  von  ISIuwattaq  bestätigt. 

Sulaimän  b.  .\bdjillah  b.  Tähir  starb  266.  Auf  sein  Schwert  gestützt,  hielt  ihm  sein 
Bruder  Ubaidallah  die  Grabrede.  SA'id  b.  Mukhallad  machte  den  Abu  Abdallah  Muhammed 
h.  Tähir  b.  Abdallah  b.  Tähir  zuiri  IVäfekten  von  Bagdad  im  Jahre  270.  und  dieser  setzte 
seinen  Onkel  Ubaidallah  gefangen.  Ende  der  'Fähiriden  in  Bagdad  und  Chorasan.  Sulaimän 
war  ein  tüchtiger  Poet  und  ebenfalls  sein  jüngster  Bruder  Abdal'aziz  b.  Abdallah  b.  Tähir. 
Veree  von  ihm  an  seinen  Bruder  Ubaidallah.  der  von  seinen  Brüdern  Abdallah  und  Sulaimän 
in  Gefangenschaft  gehalten  wurde. 

Abu  Abdallah  b.  Hamdün  erzählt:  Muhammed  b.  Abdallah  b.  Tähir  pflegte  dem  Muta- 
wakkil  zwei  Monate  in  Sämarrä  Hofdienst  zu  leisten  und  dann  für  zwei  Monate  nach  Bagdad 
zu  gehen,  indem  er  seine  Vertreter  in  Sämarrä  ließ.  Bei  dieser  Gelegenheit  nahm  er  einmal 
seinen  Bruder  Abdal'aziz  mit,  der  in  eine  seiner  Sklavinnen  verliebt  war  und  durch  Ver- 
inittelung  des  Erzählei-s  von  dem  mächtigen  Bruder  die  Erlaubnis  bekam,  nach  Bagdad  zu 
seiner  Allerliebsten  zurückzukehren.  Von  den  Tahiriden  sind  nur  nach  Bagdad  gekommen 
Muhammed,  Abdallah.  Sulaimän  und   .Abdulaziz. 

Von  dem  Gründer  des  'l'ähiridengeschlechts,  Abdallah  b.  Täh'r.  Er  ist  geboren  182 
und  wurde  vom  Kalifen  Ma'mün  adoptiert  und  er/.ogen.  Sein  Sohn  Abu  Ahmad  Ubaidallah 
erzählt  folgendes:  Abdallah  kam  eines  Nachts,  nachdem  'l'ähir  nach  Chorasan  abmarschiert 
war,  betrunken  vom  Hofe  nach  Hause,  dort  brach  ein  Feuer  aus,  aber  Abdallah  wurde 
gerettet.  Als  sein  Vater  'Tähir  dies  erfuhr,  sehrieb  er  ihm  einen  Brief  voll  von  VorwüHen 
über  seine  Bezechtheit  und  befahl  ihm.  nach  Chorasan  zu  konunen.  Abdallah  schämt  sich 
sehr  und  verheimlicht  den  Brief,  der  Kalil'e  aber  erfährt  doch  davon,  nimmt  den  Sohu  gegen 
den  Vater  in  Schutz,  und  go  bleibt  Abdallah  am  Hofe  Ma'müns.     Der  Teil  des  Tähir- Palastes, 


'    Heerführer  unter  Ma'mün  und  Mii'tiisim  im  Kriege  gegen  BäLak. 
-    Tabnri,  Index  u.  d.  W.  JLCL 


Vom    Khsterhuch  des  SdbuMi.  "29 

der  abgebrannt  war,  hieß  Alqubba  (def  Dom),  er  wurde  wieder  aiifgebaut  und  bestand 
bis  293. 

\nn  dem  Feldzug  des  Abdallah  nach  Sj'rien  gegen  Nasr  b.  Sith  im  Jahre  209. 
l'baidallah  b.  Abdallah  ei zählt  auf  Autorität  von  Nasir.  .läsir  und  anderen:  Nachdem  Abu 
AI  abbas  Abdallah  b.  Tähir  in  Sicht  von  Kaisüm  gekommen  war,  bef'estigto  sich  Nasr  darin. 
Kri''gslist  des  Na>r,  Sieg  Abdallahs.  Die  Burg  wird  gestürmt,  .\bdallah  flieht,  wird  abei' 
gefangengenommen,  zu  Ma'mün  geschickt  und  erhält  Pardon  '. 

Abdallah  in  Ägypten  210  und  211,  besiegte  den  Ubaidallah  Ibn  Alsari.  Bei  seiner 
Rüokkelir  nach  Bagdad  empfangen  ihn  die  beiden  Söhne  Ma'niüns,  Abu  Ishaq  und  Al'abbas. 

Lob  Ma'müns  über  die  Uneigen nützigkeit  Abdallahs,  er  habe  aus  Ägypten  nur  loooo Dinar, 
3  l'ferde  und  2  Esel  mitgebi-acht. 

Abdallahs  Expedition  gegen  BAbek,  während  einer  seiner  Brüder  Chorasan  vei-waltet. 
Kr  n'istet  zum  Kriege  neun  Monate  in  Dinawar.  Da  bekommt  Ma'mun  Nachricht  von  einem 
Aufstande  der  Ketzer  in  .^Ihami-ä.  Er  läßt  den  Vertreter  Abdallahs  in  der  Stadtpräfektur, 
Isimq  b.  Ibrahim  und  Jal.ijä  b.  Aktham  kommen,  schickt  .sie  zu  .\bdallah  und  beordei't  ihn. 
sofort  nach  Chora.san  zu  ziehen.  .\us  Nisäbür  schickt  er  eine  Depesche  an  den  Kalifen. 
die  wegen  ihres  Stils  bewundert  wurde.  Abdallah  ist  dann  bis  an  sein  Endf  15  Jahre  in 
Choi-asan  geblieben  '. 

Ibn  Ouddan  civ.ählt  nach  .\lkhulndi  aus  dem  Privatleben  .Abdallahs,  wieweit  er  sich 
am  .\bend  nach  Erledigung  der  Staatsgeschäfte  seiner  Kleider  entledigte. 

Nach  Ma'müns  Tode  bestätigte  .\lmu'ta.sim  den  Abdallah  als  Statthaitor  von  Chorasan 
und  den  Ishaq  b.  Ibrähim  als  seinen  Stellvertreter  in  der  Stadtpräfektur  von  Bagdad.  Schreiben 
des  neuen  Kalifen  an  ihn.  Alfadl  b.  Marwau  tritt  bei  letzterem  für  Abdallah  ein.  Scherz- 
wort Abdallahs  an   .Vbn    .\rauiaithal'. 

Abilallah  starb  230,  im  Alter  von  48  Jahren,  während  des  Kalifats  vitn  Alwathiq.  Ahmad 
b.  .Vbi  Du'äd  erzählt:  Muhammed  b.  Abdahnalik  intrigieri  bei  Wathlq  nach  dem  Tode  .Ab- 
dallahs und  empfiehlt,  den  lsh:'iq  b.  Ibrahim  b.  Mu.s'ab  an  des  Verstorbenen  Stelle  zum  Statt- 
halter von  Chorasan  zu  machen.  Der  Erzähler  dagegen  empfiehlt  dem  Kalifen,  an  den 
Sohn  des  Verstorbenen,  'I'ahir  b.  .Abdallah  b.  Tahir  ein  'rr()Stschreil)en  zu  richten  und  ihn 
zum  Nachfolger  seines  Vatei-s  zu  ernennen.  Und  so  geschah  es.  Dem  Muhammed  b.  Abdal- 
Almalik   wird  die   .Ausfertigung  des  Schi-eibens  übertragen. 

Tahir  b.  .Alhusain  bekommt  den  Ehrentitel   Dhü  -  .Aljaminaini.     Bedeutung  desselben*. 

Erzählung  des  Schiiten  Gaihän.  Alhusain  b.  Mus'ab  erzählt,  wie  es  dem  Tähir  b. 
.All.iusain  im  Hause  des  Ali  b.  Isa  b.  .Mähan  erging.  Der  Kalife  Al'amln  hatte  diesen  Ali 
mit  Heeresmacht  nach  Chorasan  geschickt,  um  seinen  Bruder  Ma'mün  zu  bekämpfen. 
Ihm  entgegenzutreten  schickte  Ma'mün  den  Tähir  b.  Husain  aus  nach  Rai,  wo  .Ali  noch  nicht 
wußte,  daß  Ihm  in  "XiHär  ein  Feind  entgegentrat. 


'  In  (lieseiM  Bericht  weriioii  erwähnt  AIi|arir.  ein  Uiwerlitfehlsliaber  Abdallahs.  Tahif  \i.  Ibn'ihlni 
1).  MudriW,  ein  Vers  von  '.Anf  li.  Muhnllini  Alkhiiz.Vi  (Kitäb  alaghAni,  Index),  Mnhamnied  b.  Alliasan 
l>.  Mus'ab  (Kiliib  ulaghäui,  Index).     Abdallah  soll  zuerst  die  M-bwarzen   Kähnen  gebraucht  iiaben. 

'  In  diesem  BiTicht  werden  noch  genannt  .la'lä  b.  Hi^äni.  Miihaimiied  b.  'Pahir,  linider  des  Al)- 
dallah,  Ali  b.  Hisain. 

'    KitAb  alaghäni  XV  io6. 

*  Oleic"h  0»»li««u-*Vi  )i  'nit  Bezug  auf  Koian  69,  45  OuS^  O.  L-U-V  Ki'"-'  andere  Krkläruiig 
im   Riiiuil  I  226,  20. 


;{()  ^  Sa  c  hau: 

Ubaklallali  b.  Abdallali  b.  rnhir  erüählt  nacli  Abdurral.iuiAn  b.  Fahm  oitch  seinem  Onkel, 
wie  er  den  Tähir,  als  er  seine  Truppen  zur  Schlacht  ordnete,  gefunden  habe  zwischen  den 
Reihen  hin-  und  hergehend  mit  einem  Stück  Bnit  in  der  Hand  und  begleitet  von  einem 
Diener,  der  ihm  einen  Bleikriig  mit  Wasser  hielt.  Dai-aufhin  angeredet  erklärt  er:  »Ich 
habe  drei  Tage  nichts  genossen.  Da  habe  ich  gefürchtet,  daß  mich  zu  diesem  Zeitpunkt 
die  Kräfte  im  Stich  lassen.  Daher."  Der  Fahnentiiiger  im  Heere  des  Ali  b.  Isa  b.  Mäliän 
war  Hatim  Allä'i,  dei'  so  dick  war.  daß  vier  Knechte  ihm  in  den  Sattel  helfen  mußten. 
Im  Kampfe  spaltet  ihm  'I  aliir  den  Kopf..  Ali  wird  von  Da'iid  Sijäh  getötet.  Sieges- 
dejjesche  des  Tahir  an  Ma'mi'in  und  Dhü  Alri'äsataini  (Alfadl  b.  Sahi).  '!  ahir  geht  rjßch 
liagdad. 

Der  Kalife  Ma'mün  hegt  Zorn  gegen  Muhammed  h.  Abi  Ai'abbäs  Altüsi,  dieser  bittet 
Ti'ihir  um  seine  Vermittelung,  der  ihm  erwirkt,  daß  er  vom  Kalifen  wieder  zu  Gnaden  an- 
genommen wird.  Bei  der  Unterredung  zwischen  den  beiden  hat  der  Kalife  angefangen  zu 
weinen,  Pähir  weiß  nicht  warum;  Durch  den  Diener  des  Kalifen  Husain  und  seinen  Schreiber 
Muhammed  b.  Han'ui  erfähil  er,  daß  die  Erinnerung  an  das  Schicksal  seines  Bruders  (.\min) 
dem  Kalifen  die  Tränen  entlockt  hat. 

Tähir  wird  auf  Betreiben  des  Wesirs  Ahmad  b.  Abi  Khälid  zum  Statthalter  vuo 
Chorasan  ernannt,  nachdem  ei-  vorher  den  Ghassäu  b.  Abbäd  dazu  ernannt  hatte.  Sofoi-t. 
an  demselben  Tage  brach  T;ihir  auf,  am  letzten  Dhu  Al({a'da.  einem  Freitag  im  Jahre  205. 
und  kehrte  dann  (nachdem  er  Bagdad  verlassen)  in   den   Park  von   Halil  b.  Hisäm  ein. 

In  Chorasan  trieben  die  schiitischen  Ultras,  die  Surat,  ihrUnwesen.  Erregte  Korrespondenz 
darüber  zwischen  Tähir  und  dem  Kalifen,  der  ihm  mit  seinem  Zorn  droht,  'fähir  hält  eine 
Rede  in  der  Moschee,  in  welcher  sein  Postmeister  Kulthiim  b.  Thäbit  h.  Abi  Sa'd  eine  Hin- 
deutung auf  die  ge=ipannte  Situation  erkennt.  Er  fängt  an  für  sich  zu  turchten,  da  er  Aas 
Bekanntwerden  der  Korrespondenz  nicht  habe  verhindern  können.  Als  der  Kalife  hiei-von 
erfuhr,  stellte  er  seinen  Wesir  Ahmad  b.  Abi  Khälid,  weil  er  ihm  die  Anstellung  des  Tähir 
empfohlen  hatte,  zur  Rede.  Daraufhin  schickte  der  Wesir  dem  Täiiir  allerlei  Geschenke, 
darunter  eine  vergiftete  Essigsoße,  die  jener  gern  aß.  Er  genoß  davon  und  starb  z^ei 
Tage  darauf 

Tähir  war  geboren  im  Mul.iarram  des  Jahres  159  und  starb  207.  Nach  seinem  Tode 
litt  das  Heer  von  Chorasan  an  Hunger  und  plünderte  die  Magazine  Tähirs.  Nun  ernannte 
der  Kalife  seineu  Sohn  Talba  zu  seinem  Nachfolger  und  schickte  auch  den  Wesir  Ahmad 
b.  Abi  Khälid  nach  Chorasan.  der  ihm  bei  der  Wiederherstellung  der  Ordnung  helfen  sollte. 
Der  Kalife  schickt  dem  Tall.ia  reiche  !Mi(tel  und  beschenkt  auch  seinen  Sekretär  Ibrahim 
b.  Ai'abbäs. 

15.  Das  Kloster  des  Mannes  aus  Susa.    Der  Exkurs  handelt 

Von  den  drei  größten  Festen  im  Islam, 
fbei-setzung : 

Der  Kalife  Ahnutawakkil  baute  sich  in  Alqädisi.jje '  ein  Schloß,  genannt  Barkuwärä  -, 
das  er,  als  es  fertig  war,  seinem  Sohne  .Vlmu'tazz  schenkte.  Hier  veranstaltete  er  das  Fest 
der  Beschneidung  dieses  Knaben.  Es  war  einer  der  schönsten  und  prächtigsten  Bauten 
Mutawakkils,  der  zwanzig  Millionen  Dirhem  gekostet  hatte. 


S.  oben  S.  10.       '.'■■<  < 

Hs.    \j\Sj-  Biizkuwi'n-  bei  Jn(n'i 


Vom   Klostf'rimch  des  Sdhiisti.  Hl 

Als  (ler  Beschluß  feststand,  das  Beschneidungsfest  für  Abdallah  Almu'tazz  zu  feiern, 
übertrug  der  Kalife  dem  Alfath  Ibn  Khäqän^  die  Ausführung^'er  sollte  unter  den  Teppich- 
vorräten  des  Hofes  für  die  Festhalle  einen  Teppich  von  entsprechenden  Dimensionen  aus- 
suchen. Die  Halle  war  nämlich  loo  Ellen  lang  und  20  Ellen  breit.  Ein  so  groljer  Teppich  fand 
sich  aber  nicht  unter  den  Schätzen  des  .\bl)asidischen  Hofes,  sondern  nur  in  der  Beute,  die 
den  Omajjaden  abgenommen  war.  Ein  Teppich  von  der  Länge  und  Breite  der  Halle  fand 
sich  unter  den  Dingen,  die  dem  oinaj.jadischen  Kalifen  Hisäm  Ihn  Abdalinalik  gehört  hatten. 
Es  war  ein  Teppich  von  Seide,  goldgestickt,  mit  Kand  und  Futter  versehen.  Als  Mutawakkil 
ihn  sah,  war  er  ganz  erstaunt  und  wünschte  zu  wissen,  was  er  wert  sei.  Man  versammelte 
nun  die  Kauf  leute,  und  diese  sollen  seinen  Wert  im  Mittel  auf  loooo  Denare  veranschlagt  haben. 

Der  Teppich  wurde  in  der  Halle  ausgebreitet  und  auf  der  Vorderseite  dei-selben  ein 
Thronsessel  für  den  Kalifen  aufgestellt.  Vor  dem  Thron  wurden  4000  goldene,  mit  Edel- 
steinen besetzte  Tablette,  die  mit  Bildern  aus  Ambra,  Ambre  gris  und  Kampfer  gesiiinn'ickt 
wai'en  und  das  Bild  eines  ausgebreiteten  Teppichs  gewährten.  Der  Kalife  und  seine  Leute 
setzten  sich  zum  Frühstück.  Sitzend  auf  dem  Throne  ließ  er  die  Geneirale  und  Offiziere  und 
Höflinge  eintreten.  Sie  wurden  nach  ihrem  Range  placiert.  Zwischen  ihren  Tellern  samt 
deren  Unterlagen  war  je  ein  Zwischenraum ^  Dann  kamen  die  Kammerherien  mit  Körben, 
überzogen  mit  Leder,  die  zur  Hälfle  von  Denaren,  zur  Hälfte  von  Dirhems  voll  waren.  Diese 
Geldstücke  wurden  in  diese  Zwischenräume  geschüttet,  bis  sie  eine  gewis.se  Höhe  erreichten. 
Bei  den  Gästen  standen  Lakaien,  welche  si^e  im  Namen  des  Kalifen  aufforderten  zu  trinken, 
auch  möge  jeder  Trinkende  von  diesem  Gelde  drei  Handvoll,  soviel  die  beiden  Hände  faßten, 
mit  fortnchuieo.  Wenn  nun  ein  Gast  soviel  von  dem  Gelde  genommen  hatte  ((•),  als  in 
seinen  Brustlatz  hineinging,  darm  brachte  er  es  hinaus  zu  seinen  Dienern,  übergab  es  ihnen 
und  kehi-te  in  den  Fi-stsaal  zurück.  Und  sobald  an  einer  Stelle  kein  Geld  mehr  lag,  kamen 
die  Kamnierherren  und  füllten  sie  wieder  mit  (Jeld  an  wie  vorher. 

Außerdem  verlieh  der  Kalife  allen  Anwesenden  Feierkleider,  und  iVir  ihre  Heimkehr 
wurden  ihnen  Reit-  und  Lastpferde  zur  \'erfügung  gestellt. 

Der  Kalifi-  gewährte  dem  Mu'tazz  zu  Ehren  1000  Sklaven  die  Fri'iheit,  und  jedem 
<-inzelnen  schi^nktc  er  100  üirheiti  und  drei  Gewänder. 

Auf  dem  Hofe  des  l'alastes  vor  der  Ft'sthalle  standen  400  Mädchen  (!')'.  bekleidet  mit 
allen  Art<-a  von  Gewändern,  und  vor  ihnen  1000  Körbe  (;')'  von  Baumfasern,  in  denen  sich 
alle  Ai-ten  von  Früchten  befanden.  Zedrats  rmd  Oi-augen,  nbgleich  sie  damals  gerade  sehr 
i-ar  waren,  ferner  syrische  .\pfel,  Zitn)nen  und  5000  Bukette  von  Narzissen,  loooo  Bukette 
von  Veilchen. 

Der  Kalife  befahl  dem  Fath  Ihn  Khaqän.  daß  er  den  Mädchen  (1')  •',  den  Lakaien  und 
Dienstboten  des  Palastes  austeilen  solle,  was  er  für  sie  Vdrbereitet  hatte,  nämlich  20000  Millionen 
Dirhem.  Zunächst  wagte  keiner,  sich  etwas  davim  zu  nehmen,  dann  aber  nahm  Fath  einen 
Dirhem,  darauf  stüizte  sich  die  Menge  auf  das  Geld,  und  es  wurde  alles  zur  Beute. 

Frau  (^abiha,  die  Mutter  des  Mu'tazz.  hatte  befohlen  Dirhems  zu  prägen  mit  der  Auf- 
.schrifl  Segen  vdu  Gott  zur  Beschneidiing  des  Abdallah  Almu'tazz-billah.     Eine  Million  davon 


'  Wkii.,  Gesrhichte  «ler  Kalifen  II  368. 

'  D.  li.  zwischen  den  Gedecken  von  je  zwei  Personen. 

'  Text  <i;:' 

*  'l'ext   <jt_, . 

'  Text   zM.'! 


|{*2  S  A  c  n  A  u : 

wurde  geprägt  und  wurde  verteilt  unter  die  Barbiert-  und  1-cute  ähnlicher  Kategorie,  Lakaieil 
und  Knechte,  das  Palastpersonal,  S[)e7,ialdieiier,  Weiße  wie  Schwarze. 

Die  zu  diesem  Feste  geladenen  (läste  waren  die  Prinzen  Mul.iammed  Ibn  Alrnuntasir, 
Abu  Ahmed  und  Abu  Sulainii'in  die  Söhne  des  Rasid,  Ahmed  und  Abbas  die  Söhne  des 
Mu'tasim.  !Mus!'i   der  Sohn  des  IMa'mün. 

Ferner  die  beiden  Söhne  des  Hofmannes  Hamdnu,  Ahmed  Ibn  Ai)i  lin'aiin,  Alhusaiii 
Ihn   Aldahhiik.   Ali  Il)n   Alsiahm,  Jahjii   der  Astronom   und  sein  Bruder. 

Femer  von  den  Sängern  '.\mr  Ihn  Bäna,  Ahmed  Ibn  Ali-AralA,  Ibn  .\Il.afsi,  Ibn 
Almakki,  Salmak,  Ath'ath,  Sulainiän  Altabbäl,  Ahnasdud,  Abu  Hasisa,  Ibn  .\lqassär,  .Salh 
.Vldaffi'il'.  Zunam  Alzämir,  Tuffi'il.i  .\lz;'iniir,  und  von  Säng<;rinnen  .\rib  und  ihre  Sklavin  Bid'a, 
Saräb  Särija  und  ihre  Sklavinnen   Nadmän,  Mnn'im,  Nai^la,  l!arkij.ja,  Farida,  'Irfiin. 

Ein  Berieht  von  Ibrähiui  Ihn  Alinudabl)ir':  Zum  Beschneidungsfest  für  Mu'tazz  ver- 
sammelten sich  die  angesehensten  dei-  Gelehrten  vor  dem  Kalifen,  unter  ihnen  JahjA  Ibn 
Khaqan  und  sein  Sohn  Ubaid-AUah,  damals  Wesir,  stehend  unter  den  Dienern  in  Ilock 
und  Gürtel.  Dieser  Jahja  war  kein  Weintrinker.  Nun  befahl  der  Kaufe  seinem  Sohn  Ubaid- 
Allah:  "Nimm  einen  von  diesen  Beehern,  fiiUc  ihn  mit  Wein,  leg  eine  Serviette  auf  deine 
Schulter,  geh  zu  deinem  Vater  Jahjä,  und  gib  ihm  den  Becher  in  die  Hand.-  .\lso  geschah 
es.  Jalijä  blickte  seinen  Sohn  an  (wörtlich:  J.  erhob  sein  Haupt  zu  seinem  Sohne),  der 
•Kalife  aber  (der  zugegen  war)  sprach:  «O  Jahjä,  lehne  den  Becher  nicht  ab.«  Letzterer 
antwortete:  »Nein,  o  Fürst  der  Gläubigen."  Dann  leerte  er  den  Becher  und  sprach:  -Groß, 
o  Fürst  der  Gläubigen,  ist  deine  Gnade  gegen  uns.  Gott  möge  dir  viel  Gnade  erweisen 
und  uns  nicht  der  Gnade  berauben,  die  er  uns  durch  dich  erweisen  laßt.«  Dai-auf  er- 
widerte dei'  Kalife:  -O  Jahjii,  mein  Wunsch  war  nur  der,  daß  dich  am  Fest  der  Be- 
schneidung eines  Kronprinzen  ein  Wesii'  in  Gegenwart  eines  Kalifen  bedienen  sollte. - 

Ferner  eraählt  Ibrahim  Ihn  .Al'abbäs':  Ich  erkundigte  mich  bei  dem  Barbier  Abu 
Harmala  nach  diesem  Festtage  und  sprach:  »Wie  viel  hast  du  bekommen,  bis  es  zur  Tafel 
ging'.'"  Er  erwiderte:  »Etwas  über  80000  Denare  außer  dem  ( ie.schracide,  Ringen,  Juwelen 
und (:')='.,, 

Derselbe  erzählt:  Mutawakkil  xerwcilte  drei  Tage  in  Barkuwarä.  Dann  zog  er  hinauf 
nach  seinem  Schloß  .\lga'fari.  Er  ließ  den  Ibrahim  Ibn  Abbäs  kommen  und  befahl  ihm,  die 
Keciuiung  über  die  Kosten  des  Beschneidungsfestes  aufzustellen  und  ihm  einzureichen.  Da.s 
tat  er.     Die   Rechnung  belief  sich  auf  86  Millionen  Dirhem. 

Man  pflegte  die  Summen,  die  .\ll.iasan  Ihn  Sah!  I)ei  Gelegenheit  dei' Hochzeit '  seiner 
Tochter  Büräu  verausgabte,  für  enorm  zu  halten  bis  zu  dem  Grade,  daß  es  in  der  Literatur 
vermerkt  wurde.  Dies  Fest  hieß  das  Fest  (wörtlich  die  Einladung)  des  Islams.  Darauf 
kam  dann  das  Fest  des  Kalifen  Mutawakkil,  das  alles  frühere  in  Vergessenheit  geraten  ließ. 
Die  l)erühmtesten  Feste  im  Islam  waren  drei.  Dazu  gehört  das  oben  beschriebene  Fest  der 
Beschneidung  des  3Iu'tazz.  Dazu  gehört  auch  das  I'est  der  Hochzeit  dei-  Zubaida,  Tochter 
des  Ga'far  Ibn  Abi  Ga'far,  denn  der  Kalife  .Vlmahdi  verheiratete  seinen  Sohn  Ilärün  Alrasid 
mit  Umm  (iaTar  (Zubaida)  der  Tochter  seines  Brudei-s.  Ihr  bereitete  er  Hochzeitsgeschenke, 
dergleichen  nie  zuvor  ein  Weib  bekommen  hatte.  Mobiliar.  Kästen  von  Edelsteinen,  Geschmeide, 

'  Günstling  des  Kalifen  Mutawakkil;  Kiläb  alagliäiii.  Index. 

^  1).  Muhamined  b.  Sul.  Kit:ib  al;igli;'ini  IX  21  fl'. 

■'  Text    oIaJIj 

'  Zu  dieser  Hochzeit  vgl.  Tabaii  III  'I  S.  1082-  1084. 


Vom  Klostfrbueh  des  hälmiti.  '^ '.] 

Kronen  und  Kränze  von  Silber  und  Gold,  strahlende  Damengemächer,  Wohlgerüche,  Ge- 
wänder. Auch  schenkte  er  ihr  das  Prachtgewand'  der  Ubaida,  der  Tochter  des  Abdallah 
Ibn  Jazid  Ibn  Mu'äwija,  der  Gemahlin  des  Kalifeu  Hisäm  (Ibn  Abdalmalik).  Man  hatte  im 
Islam  nichts  gleich  Schönes  gesehen,  nichts  gleich  den  Perlen,  mit  denen  es  geschmückt  wai-. 
riier  Nacken  und  Brust  trug  sie  zwei  Reihen  von  roten  Rubinen,  und  am  übrigen  Leibe 
große  unvergleichliche  Perlen.  Sie  wurde  mit  Rasid  vermählt  im  Monat  Muljarram  A.  H.  165 
in  seinem  Palast,  genannt  Alkhuld.  Bei  der  Gelegenheit  hatte  er  Gäste  von  überallher  ein- 
geladen und  verteilte  unter  ihnen  gewaltige  Summen.  Man  legte  die  Denare  in  silberne 
Bechei-,  die  Dirhems  in  goldene  Becher,  die  Schachteln  von  Moschus,  die  Dosen  von  Ambra 
und  Ghälija  in  gläserne  Schalen  und  verteilte  das  über  die  Gäste.  Auch  bekamen  sie  Feier- 
kleider mit  eingewebten  Ornamenten.  In  dieser  Nacht  brannten  vor  Ra.4id  Ambrakerzen 
in  goldenen  Leuchtern.  Auch  die  Frauen  der  .\liden  (der  Bant*i  Hasim)  waren  eingeladen. 
Jede  einzelne  von  ihnen  erhielt  einen  Beutel  Denare,  einen  Beutel  Dirhems  und  eine  große 
silberne  Schale  mit  Wohlgerüchen.  Auch  bekamen  sie  Festkleider  mit  schwerer  Stickerei, 
dergleichen  bis  dahin  im   Islam  unbekannt  waren. 

Die  Kosten  dieser  Hochzeit  teliefen  sich  auf  50  Millionen  Dirhems  aus  der  Spezial- 
kasse  des  Kalifen,  abgesehen  vi>n  dem,  was  Rasid  aus  seinem  eigenen  Vermögen  j^egeben  hatte. 

Die  Zubaida  hieß  eigentlich  Amat-Al'aziz,  während  Zubaida,  d.  i.  B.uttei  klümpchen,  ihr 
Beiname  war.  .\.ls  sie  klein  war.  ließ  Abü-Gafar  sich  von  ihr  was  vortanzen,  und  da  sie 
fett  war  und  er  zu  ihr  sagte:  -Du  bist  nur  ein  kleines  Butterklflmpchen,  du  bist  nur  ein 
kleines  Butterklümpchen«,  so  wurde  dies  Wort  ihr  Name. 

Das  dritte  der  größten  Feste  im  Islam  war  die  Hochzeit'  des  Ma'mün  uiit  Bürän,  der 
Tochter  des  Hasan  Ibn  Sah!,  die  in  Fam-alsill.i  stattfand.  Die  Kosten  derselben  waren 
enorm.  Ma'mün  fragte  die  Zubaida.  wie  hoch  sie  die  Kosten  der  Hochzeit  schätze,  worauf 
sie  erwiderte:  »Zwischen  35  und  37  Millionen.»  Als  Hasan  Ibn  Sahl  dies  erfuhr,  sprach 
er:  -Die  Kosten  wurden  von  Zubaida  bestritten.  Wir  haben  35  Millionen  ausgegeben,  ^>s 
waren  täglich,  abgesehen  von   anderen    Lohnausgaben,   über   30000  Schitfer   zu   besolden'.' 

Bi'irnn  zog  ein  in  den  Palast,  den  Ma'mün  ihr  in  Fam-alsilli  am  l'fer  des  Tigris  ge- 
baut hatte,  am  8.  Ramadan  A.  H.  210.  Ma'mün  gab  der  BnrAn  einen  Brautscliatz  von 
100000  Denai-eii  und  5  Millionen  Dirhems.  Kr  ließ  in  der  Hochzeitsnacht  drei  Ambrakerzen, 
die  einen  mächtigen  Rauch  verbreiten,  voi-  sich  brennen.  Da  sprach  Zubaida:  »Es  ist  bis- 
her der  Prachtentfaltung  genug  geschehen.  Nehmt  die  Ambrakeraen  weg  und  bringt  die 
Wachskei-zen.'  .\ls  Bürän  vor  ihi'em  Bräutigam  Ma'mün  entschleiert  wurde,  streute  er  über 
sie  große  Perlen,  die  ei-  in  seinem  Brustlatz  hatte:  sie  fielen  auf  ein  goldenes  Parkett,  auf  dem 
er  stand,  und  hei  der  Gelegenheit  sprach  er:  Gott  segne  den  Hasan  Ibn  .Alhäni'*  für  den  Vers: 
■  Als  ob  kleinere  und  größere  von  den  Blasen  (im  Wein)  wären. 
Kleine  Perlenkiesel  auf  einem  Buden  von  Gold.«' 

Die  anwesenden  tiäste  enthielten  sich,  etwas  von  den  Schätzen  zu  nehmen.  Da  sprach 
Ma'mün  zu  seiner  Braut:  -Bediene  dich.-  Da  streckte  Zubaida  ihre  Hand  aus  und  nahm 
eine  Perle,  und  darauf  nahmen  die  anwesenden  Gäste  das  übrige. 


'    Text   io,,  s.  De  Goeje,  Bibliotheca  Geographorum  Arabicorum  IV^  S.  186. 
»   Vgl.  l.la'liai-alkuniait,  Bairüt   1873  S.  59:  Taban  III  "  S.  1081 11'. 
'    .S.  Käniil  1   174,  19- 
*    Abu  Nu  As. 

Diwan  des  Abu  Nuas,  ed.  Kairo   1277  S.  132. 

Phil.-hüt.  Ahh.   1919.  Nr.  10. 


34  S  A  ('  II  A  II : 

.  Der  Name  der  BnWin  war  Kliadijjf.  Sie  starb  im  .Tahrc  271  während  der  Regierung 
des  Kalifen  Mti'tamid  im  Alter  von  80  Jahren.  Ma'mrin  beklagte  ihren  Tod  mit  fol'^enden 
Versen: 

»()   ihr  beiden,  helft  meinen   Augen   weinen. 

Nach  dem  Tode  des  Mei.stcrs  bin  ich  Beute  dei'  ."^orge  gewoitlen. 
Ich  pflegte  auf  das  Sehicksal   loszustiirnii'ii.  als  aber  er  starb. 
Fing  das  Schick.sal  an  auf  mich  loszustürmen.« 

Ihn  Khurdiidbih  berichtet  über  die  Prachtbauten  des  Mntawakkil',  eine  Geldprägung 
und   ülier  eine   Krankheit  von  ihm. 

16.  DasThomaskloster  inSämarrä.  Verse  von  Alfadl  b.  Al'abbäs  b.  Ahna'mün  '.  DcrKalile 
Almu'tazz  verirrt  sicli  auf  dei-  .lagd.  wird  von  dem  Gefolge  getrennt  und  kommt  mit  Alfadl 
und  .Tnnus  b.  Bugha  nach  diesem  Kloster,  wo  er  von  dem  Mönche  aufgenommen  und  be- 
wirtet wird.  Als  das  Gefolge  nachkcmimt,  merkt  der  Mönch  erst,  wen  er  bewirtet  hat. 
Der  Kalife  ließ'  ihm  50000  Dir-liem  schenken  und  kehrte  seitdem  noch  wiederholt  in  dem 
Kloster  ein. 

Almu'tazz  wai-  ein  Dichter,  ein  sehr  schöner  ^lensch,  .sehr  befreundet  mit  Jünus  b. 
Bughä.  Nach  '.\rib  war  der  Kalifo  Al'amin  ein  schöner  Mann  gewesen,  und  nach  Ahmad 
b.  Alxlallah  1).  IsmA  il  Almarakibi   habe  Mu'tazz  etwas  von  ihm  gehabt. 

Verse  \  on  ilu'tazz  für  und  übei-  seinen  Günstling  .li'mus  b.  Bngha.  Anekdoten  über 
ihren  Verkehr.  Hei  einem  Gelage  schenkt  der  Kalife  dem  Sänger  .\l4ass;'ir^  j»«  ilaj  il  j^;'l,'j 
DbJU  IfJ)  jLj  ifU,  von  denen  jeder  die  Aufschrift  trägt:  j^„\  iUji  J->|-1>.  jl:.^)!  li»  _,^,:, 
^•ujI-   jiJ.1  c>U}ll  • 

Erzählung  des  Harun  b.  Aljdul'aziz  b.  Almu'tamid  nach  dem  Schreiber  seines  Vatei-s, 
Sa'id  b.  Jüsuf:  Ersterer  war  Verwalter  der  Garderobe  des  Mu'tazz  und  suchte  stets  das 
Schönste  für  Jüsuf  b.  Bughä  aus.  \'on  Masrür  Alnm'tasimi  und  wie  Jünus  den  Eraähler 
Vjeschenkte. 

Almu'tazz  empfing  die  Huldigung  als  Kalife  am  3.  Muharram  252,  wurde  abgesetzt  am 
27.  Ragah  255  und  fünf  Tage  später  getötet  im  Alter  von  24  .lahren.  Seine  Mutter  Qabiha 
hatte  ihn  gegen  die  türkischen  Pi'ätorianer  aufgehetzt  und  ihm  das  blutige  Hemd  seines 
Vaters  Mutawakkil  gezeigt. 

Die  Störung  einer  Hofgesellschaft  oder 
Das  Haupt  auf  der  Schüssel. 

("bersetzung: 

Ahnied  Ibn  Hamdün  erzählt  wie  folgt:  Der  Kalife  .\lmu'tazz'  ließ  in  dem  Hofe  des 
Palastes  Algausaq,  dei-  der  Vollkommene  genannt  wui-de.  einen  Pavillon  (wörtlich:  ein 
Haus)   bauen,  dessen  Plan   seine  ^lütter  ((,)abil.ia)  entworfen  und  dessen  Mauern  und  Dächer 


'    S.  Jä(|rit  111  17,  18  11.  d.  W.  Sämarrä. 

-    Kitab  alaghaiii,  Index. 

•*    Vgl.  Ibii  Alqasseu'  ijii  Kita!)  alaghaiii.  Index. 

*  D.  i.  Tresoi-Denarc,  von  denen  einige  den  Weil  von  100.  andero  den  Wert  von  200  De- 
naren hatten.  Aufschrift:  ■■  Dieser  Denar  ist  geprägt  im  Schlosse  Algaii«aq  für  den  Tresor  des  Fürsten 
der  Gläubigen  Almu'tazz-Bilhili." 

^    Mu'tazz  war  ein  Sohn.  Mnsla'in  ein  Brnderssohn  von  Mutawakkil.  die  beiden  Männer  also  Vetlern. 


Vom  Ktostcrlmch  rlea  Sdlmsti.  35 

sie  mit  Bildwerk  hatte  scliiiiücken  lassen,  das  schönste  von  Bauwerk,  das  man  Je  gesehen 
hatte.  Nun  lud  uns  der  Kaufe  eines  Tages  7,u  sich  ein,  wir  verlebten  den  frühesten  Tag. 
den  man  sich  nur  denken  kann,  während  hinter  dem  \orliange  eine  Sängerin  die  schönsten, 
mir  unbekannten  Weisen  vortrug.  In  diesem  Zustande  sahen  wir  nun  einen  Diener  zu 
unsei-er  Gesellschaft  hereintreten,  der  in  der  Hund  ein  Tablett  und  darauf  einen  Deckel 
trug.  Er  setzte  das  Tablett  mitten  im  Zimmer  nieder.  Der  Kalifo  hielt  einen  Trinkbecher 
in  der  Hand,  er  trank  und  wir  taten  desgleichen.  Dann  sprach  er  zu  dem  Diener:  «Heb 
den  Deckel  auf.«  Das  tat  der  Diener,  und  siehe  dal  .\uf  dem  Teller  lag  das  Haupt  des 
Almusta'in '.  Da  ich  nun  über  diesen  Anblick  anfing  zu  schluchzen  und  zu  weinen,  redete 
mich  der  Kalife  an:  »O  Hurensohn,  was  soll  das  heil3eni'  Hast  du  etwa  Mitleid  mit  ihm;'« 
Nun  kam  ich  wieder  zu  mir.  riß  mich  zusammen  und  sprach:  »Nicht  aus  Mitleid  weinte  ich. 
sondern  weil  ich  an  den  Tod  denken  mußte.«  Er  befahl  dann  dem  Diener,  den  Deckel  wieder 
aufzusetzen  und  das  Tablett  fortzunehmen.  Was  geschah.  Des  Kalifen  aber  und  aller  An- 
wesenden hatte  sich  eine  Abspannung  bemächtigt,  und  mit  all  unserer  Freude  war  es  vorbei. 

Während  wir  nun  so  dasaßen,  hörten  wir  plötzlich  einen  Lärm  hinter  dem  Vorhang, 
der  uns  erschreckte,  die  Stimme  einer  Frau,  welche  schrie,  und  die  Stimme  einer  zweiten 
Krau,  welche  die  Schreiende  beschimpfte.  Die  Schreiende  rief:  »0  ihr  Leute  ihr  habt  mich 
mit  Gewalt  ge[>ackt.  und  nun  bringt  ihr  mir  das  Haupt  meines  Herrn  und  legt  es  vor  mir 
hin.«  Darauf  hörten  wir,  wie  eine  Laute  ihr,  der  Schreienden,  an  den  Kopf  geschlageji 
wui-de.  Soweit  der  Erzähler.  Das  Weib,  das  geschimpft  und  gesehlagen  hatte,  war  (^)abiha 
(die  Mutter  des  Kalifen),  das  Mädchen  aber  war  eine  von  den  Sklavinnen  des  (ermordeten 
Kalifen)  .\hnusta'in. 

Der  Erzähler    fährt    fort:    In    ti-aurigster  X'erfassnng   gingi'U  wir  von  diesem  Hoffeste 

nach  Hause,  voll  Bitterkeit  über  das  Erlebte.     Nui-  wenige  Tage  später  geschah  es,  daß  die 

Türken  iil)er  den  Kalifen  herfielen'  und  ihn  ermordeten.     Wir  wurden   nun  wieder  zu  Hol' 

geladen,  um  seine  Leiche  zu  sehen.     Wir  fanden  ihn  in  demselben  (i>henenvähnten)  Pavillon. 

in  der  Mitte  des  Raumes  ausgestreckt,  tot- 

17.  Das  .loliannesklosti-i'.  \'ei'Sf  von  'Anir  b-  .\bdalmalik  .\UvarrA(|,  einem  festen  Trinker 
und   kühnen   Li'bemann. 

18.  Dair  Dubä'a.     Ein  i'inziger  Vers  zum  Lobe  desselben. 

19.  Das  Oberste  Kloster.  Verse  von  Altharwäin".  .Vis  der  Kalife  Ma'nn'in  nach  Da- 
maskus zog,  verwellte  ei'  einige  Tage  in  diesem  Klo.ster  und  erlebte  dort  die  l'almsonntag- 
feier  der  Christen,  die  ihn  sehr  entzückte.  Bericht  d(«  Sängers  Ahmad  h.  Sadaqa.  Der 
Kalife  macht  N'erse  übei-  diese  Feier-,  welche  .\l.mrad  irnd  eine  Sänger-in  Nir'm  ihnr  vor- 
singen  nrüssen.     Der  Kalife  und   .\ljazrdr. 

Die  tapfere  Trau  des  er-inordeten  tiegners. 
Übersetzung: 
Nel>en  dieserrr  Kloster  (dem  Ober-sterr   Kloster  in  Mosul)  liegt  das  Gr-ab  des  Ann-  Ibii 
.\lbaiiii(|    vom  Stamme  Khuzä'a '   und    damit    zusamurenhängend    eine   Moschee,   welche  die 


'    Des  Vorgärigiifs  de«  Mii'tii/.x  im  Kalifat. 

^  Seine  .Mutier  Qabiim  herzte  ihn  gegen  die  tür-kischerr  Prätorianer  ruid  zeigte  ilnn  das  blirtige 
Hemd  seines  Vatere,  ihres  üernahls  Alutawakkil.  Der  Sohn  aber  bat  sie:  »Ninrni  es  weg,  es  könrrtctr 
sorrst  leicht  aus  dem  einen  bliitigeri  Henrd  zwei  wer-deri.«     Tnd  so  gesohali  es. 

3    Vgl.  Tabari  II  >  S.  127,  i-'8. 

5* 


36  S  A  eil  A  i; : 

Hanidaniden  gebaut  hatten.  Dieser  Aiiif  war  ein  Zeitgenosse  des  Propheten  und  ein  An- 
hänger von  Ah'  Ihn  Abi  Tälib,  mit  dem  er  in  allen  seinen  Schlachten  gekämpft  hatte.  Mu'äwija 
hatte  lange  Zeit  nach  ihm  gefahndet,  während  er  von  einem  Ort  zum  andern  tloh.  dann  aber 
wurde  er  in  Mosul  eingriffen  zu  einer  Zeit,  als  er  an  Wasser.sucht  litt  und  schwer  krank 
war.  Derjenige,  der  ihn  entdeckt  hatte,  war  Abderrahman  Ibn  Umni  Alliakam  '  vom  Stamme 
Thaqif,  ein  Schwestersohn  von  Mu'äwija.  Der  setzte  ihn  gefangen  in  einer  Höhlezu  Mosnl, 
ließ  ihn  töten  und  seinen  Kopf  zu  Mu'äwija  bringen.  Die.s  war  der  ei'ste  Kopf,  der  im 
Islam  von  einem  Ort  zum  andern  geschleppt  wurde.  Sein  Körper  wurde  an  der  oben- 
genannten Stelle  beerdigt. 

Seine  Frau,  die  Amine.  1"ochter  des  .\l§arid,  war  auf  Befehl  Mu'äwija'.s  lange  Zeit 
in  Damaskus  gefangengehalten  worden.  Als  das  Haupt  ihres  Gemahls  nach  Damaskus  kam, 
schickte  Mu'äwija  es  an  Frau  Amine  ins  Gefängnis  und  sprach  zu  seinem  Boten:  -Wirf 
ihr  das  Haupt  in  den  Schoß  und  merk  dir,  was  sie  sagt.«  Als  sie  es  sah,  war  sie  erschüttert, 
neigte  sich  über  dasselbe  imd  küßte  es.  Dann  sprach  sie:  "Wehel  Wehel  Lange  habt  ihr 
ihn  in  schmachvoller  Gefangenschad  gehalten  und  nun  bringt  ihr  ihn  mir  —  gemordet.  Ein 
Willkommen  ihm,  den  ich  liebte  und  nicht  vergesse.»  Sag  Mu'äwija  in  meinem  Namen: 
"Möge  Gott  deine  Kinder  zu  Waisen  machen,  möge  er  dir  deine  "Verwandten  entfremden 
und  dir  deine  Sünde  nicht  \ergebenl-  Mit  dieser  Botschaft  ging  der  Bote  zurück.  Darauf 
ließ  Mu'äwija  die  Frau  holen  und  empfing  sie  im  Beisein  von  Leuten,  unter  denen  sich  Ijä.s 
Ibn  Surahbil  befand.  Dieser  Mann  hatte  wegen  seiner  dicken  Zunge  arg  hervorstehende 
Mundwinkel.  Nun  sprach  Mu'äwija  zu  der  Frau:  »0  du  Feindin  Allahs,  hast  du  das  gesagt;'- 
Sie  erwiderte:  »Jawohl,  ich  leugne  es  nicht  und  entschuldige  mich  nicht  darob.  Wahr- 
haftig, ich  habe  mit  Inbrunst  gebetet  (daß  Gott  meinen  Flucli  erfüllen  möge)  und  bete  weiter 
mit  Inbrunst,  wenn  Gott  will.  Aber  hinter  allen  INIenschen  st'iht  Gott  (als  obei-ster  Herrj.« 
Als  nun  Mu'äwija  ihr  Schweigen  gebot,  sprach  Ijäs:  -Laß  die  da  töten.  Ihr  Mann  war  nicht 
mehi'  todesschuldig  als  sie. »  Darauf  die  Frau:  »Was  willst  denn  dul  Wehe  dir!  Zwischen 
deinen  Mundwinkeln  sitzt  etwas  wie  die  Gestalt  eines  Frosches.  Du  heißest  ihn.  mich  zu 
töten,  wie  er  meinen  Gemahl  getötet  hat.  Er  will  nichts  als  Tj'rannei  auf  Erden  ausüben, 
und  will  von  Frömmigkeit  nichts  wissen."  Darüber  lachte  Mu'äwija  und  die  Anwesenden. 
Ijäs  aber  fühlte  sich  deutlich  beschämt.  Nun  sprach  Mu'äwija  zu  derFiau:  »Verlaß  mich. 
Ich  will  nicht  mehr  hören,  daß  du  noch  in  Syrien  bist.«  Darauf  die  Frau:  -Ich  werde  dich 
verlassen.  Syrien  ist  mir  nicht  \'aterland,  ich  habe  dort  weder  Verwandtschaft  noch  Freund- 
schaft, bei  der  ich  einkehren  kann.  Großes  Unglück  hat  es  mir  gebracht,  keinen  Segen. 
Ich  kehre  nicht  zu  dir  zurück  und  werde  dich  nirgends,  wo  ich  auch  sein  mag.  preisen. - 
Als  nun  Mu'äwija  ihr  mit  der  Hand  andeutete,  daß  sie  fortgehen  sollte,  sprach  sie:  »Es 
i.st  doch  merkwürdig,  daß  Mu'äwija  die  Spitze  seiner  Zunge  auf  mich  richtet  und  nur  mit 
seinem  Finger  eine  Weisung  gibt.»  Als  sie  fort  war,  sprach  Mu'äwija :  »Man  soll  ihr  soviel 
geben,  daß  sie  Schweigen  über  mich  bewahrt,  bis  sie  nach  ihrer  Heimat  kommt.«  Sie  nahm 
nun  an  sich,  was  er  ihr  geben  ließ,  und  reiste  ab  in  der  Richtung  nach  Küfa.  Als  sie  aber 
bis  nach  Hirns  (Emesa)  gelangt  war,  starb  sie. 

20.  Das  Jonaskloster.     Vei^se  von  Abu  Sa's.   einem    berühmter  Weindichter,  der  viel 
in  den  Klöstern  verkehrte. 

21.  Das  Dämonenkloster.     Verse  von  Alkhabbäz  Albaladi. 

'    .S.  Taliiin.  Index;  Usd-alghaba  3,  287. 


\ 'om  KlosUrburh  des  SäbuMi.  3 7 

Als  Abbadii  von  Mutawakkil  nach  Mosul  veibannt  war.  vcrkehrti-  er  in  diesem  Kloster, 
verliebte  sich  in  einen  jungen  .Mönch  und  verfiihite  ihn.  Daraufhin  wollten  die  Mönche 
ihn  töten,  von  der  Uölie  des  Klosters  in  die  Tiefe  stürzen.  Er  entzog  sich  dem  durch 
die  Flucht. 

Dieser  'AbbAda,  bekannt  durch  seineu  sclila}i;fertigen  \Vitz.  war  Sohu  eines  Kochs 
des  Kalifen  Ma'nn'iu.  Er  kam  wegen  .seiner  Redefertigkeit  in  Gunst  lei  Ma'nnin.  Die.sei- 
schickt  ihn  zu  seiner  Schwester  Zubaida.  damit  sie  sich  über  ihn  amüsieren  .soll.  Er  kommt 
bei  ihr  in  große  Gunst. 

Maniün  l)elieh!t  eines  Tages,  daß  jeder  seiner  Kumpane  einen  Topf  mit  Fleisch  kochen 
solle.  Bei  dem  Vei-such  hat  der  Topf  seines  Bruders  Abu  Isl.iäq,  des  späteren  Kalifen 
Mn'tasim.  den  schönsten  Duft.  Abbada  ist  darauf  neidisch,  rät  ihm  gewisse  Ingredienzen  ' 
hineinzntun.  Das  geschieht,  und  nun  verbreitet  der  Topf  einen  scheußlichen  Gestank, •über 
den  der  Kalife  sich  aufhält.  Als  dann  Mu  tasim  den  Thron  bestiegen  hatte,  schickte  er  den 
Abbäda  in  die  Verbannung.  Von  Wäthi(|  zunickberufen,  wurde  er  wieder  Hotinanii  bei  ihm 
und  seinem  Nachfolger  .Mutawakkil,  letzterer  verbannte  ihn  von  neuem  nach  31osul.  .Abu 
Häzim  .\lfaqib  er/,ählt  Prol>en  des  zum  Teil  nicht  ganz  i-einlichen  Witzes  des  Abbäda  im 
Verkehr  mit  seinen  Glänbigei-n  von  kW  b.  Ibrahim  .\lghann-i,  dem  Richtei-  von  Mosul:  mit 
Mutawakkil,  Ihn  liamdün.  Di'bil,  Sa'd  I).  Ibrähini  Alkälib,  .\bü  Harmala  dem  Barbier,  noch- 
mals mit  Muta»  akkil  und  dem  Richter  Jahjä  b.  .\ktham  nach  der  Eraählung  von  Ali  b  .Jal.ijii 
.\lmunaggim.  Erzählung  des  Richters  .\bü  Häzim  in  Damaskus  hei  Ihn  Mudabbir-,  letzterer 
macht  ihm  eine  Mitteilung  aus  einem  Briefe,  den  er  von  seinem  Stellvertreterin  Sämairä.  Sa'id 
.\lraykh  erhalten  hatte  von  einer  Begegfnung  des  letzteren  mit  Mi'isä  b.  Abdalmalik  •'  am 
Hofe  des  Mutawakkil.  Mü.sä  wird  im  Woi-twechsel  abgeführt  von  Abbäda  durch  eine  Hin- 
deiitung  auf  das  Geld,  das  er  in  Damaskus  sich  angeeignet  hatte. 

32.  Das  .Safrankloster.  \'er-sc  von  Mns'ab  .\lkatib.  der  hauptsächlich  über  Knaben- 
liebe dichtet. 

23.  Das  Kloster  des  Klausners.  Verse  von  Allubbädi.  mit  vollem  Namen  Abu  Bekr 
.\hmed  b.  Muhammed,  so  genannt,  weil  er  stets  über  seinem  Gewände  einen  roten  Inbbäd 
(Filzrock)  trug,  der  sich  v(m  unten  l)is  oben  in  Rot  kleidete  und  sein  Gesicht  mit  rotem  INjii 
bestrich.  Begegnung  zwi.schen  dem  Dichter  und  dem  Statthalter  von  Ai-dabil,  .\bii  .\li 
.VlawärajH-  Verse  aus  der  Qa.side  des  Lubbädi  über  .\hmed  b.  .\tlia.san  .\lmädar;ii*.  Der 
Dichter  besingt  den  Emir  .^bü  .\lqasim  Jnsuf  b.  Dewdäd  b.  Ali  .\lsäg  und  den  Xhü  Hekr 
Muhammed  b.  .\hmad,  den  Schreiber  des  .\f.sin.     Sein  .Aufenthalt  i)ei  .\lgahbad. 

24.  Das  Kloster  Fiq.  Verse  von  Abu  Nu'as  aus  einer  (^aside,  die  er  an  einen  ge- 
liebten christlichen  Jüngling  gerichtet  hatte. 

25.  Dair  .\liür.  Verse  von  .Muhalhil  b.  .lamüt  b.  .\Imuzarri'''',  einem  berühmten  Lebe- 
mann, der  üljer  Wein  und  seine  Liebe  zu  einem  christlichen  .Jüngling  dichtete.  .Sein  voller 
Name  lautet  .A.bi"i  Nadia  Muhalhil  b.  Jamut  b.  .\lmuzarri'  b.  .lamüt  b.  Mi'i.sä  b.  l.Iukaim  b. 
Gabala  AI'alKli. 

>  S.  Tabari,  Index  u.  d.  W.  jA\  ^  ^jk\j\ 

'  S.  Tabari,  Index. 

«  Klt&l>  alagliruii  XVII  4. 

"  Ibn   Ktiallikiin  Nr.  844,  S.  113,  10. 


38  S  A  c  H  A  i; : 

Der  letztgenannte  Ilukaim  ist  eine  historisciie  Persönlichkeit.  Als  im  Jahre  57  A'isa, 
Zubair  und  Jallia  im  Kriege  gegen  AH  sich  der  Stadt  Basra  bemächtigten,  töteten  sie  die 
AVächter  des  Schatzhauses.  70  Mann,  die  in  jeder  Beziehung  unschuldig  waren,  und  den 
von  Ali  eingesetzten  Statthalter  rtliuiäu  b.  Hunaif  Alansari  packten  sie.  rissen  ihm  den 
Bart  aus  und  wollten  ihn  umbringen.  Nun  erhob  sich  Ijlukaim  und  sprach  zu  seinen 
Leuten:  »Ihn  Hunaif  steht  unter  unserem  Schutz.  ^Venn  er  auch  nicht  unser  Emir  wäre, 
würden  wir  ihn  verteidigen,  weil  er  unter  unserem  Schutze  steht  und  wegen  seines  An- 
sehens bei  dem  Boten  Gottes.  Wie  nun,  da  doch  das  Recht  auf  seiner  Seite  ist  und  er  zu 
uns  gehört!'  Der  Lebende  muß  sterben,  der  Tote  wird  zur  Verantwortung  gezogen.  Jetzt 
heißt  es:  Entweder  in  Ehren  sterilen  oder  in  Freiheit  leben I«  Seine  Leute,  300  Mann, 
folgten  ihm.  Verse  von  Abu  Umaj.ja  Al'asamm.  Ilukaiiii  grifi'  an.  Tallia  und  Zubair 
führten  die  'A'isa  mit  sich  auf  einem  Kamele-  Daher  wird  dieser  Kampf  der  kleine 
Kamelstag  genannt.  Kampf  der  300  gegen  die  12000  der  Feinde.  Hukaim  drängt  sie 
zurück  bis  Sikka.  Er  wird  schwer  verwundet '  und  dann  samt  drei  Brüdern  getötet.  .Sein 
Stamm,  die  Rabi'a,  wurde  aus  Basra   vertr'eben.     Verse  von  ^[uhalhil. 

26.  Dair  .\lbukht.  Der  .\bbaside  Ali  b.  Abdallah  h.  Abbä.s  hatte  hier  einen  Garten. 
als  er  in  Damaskus  lebte. 

Bericht  von  Ali  b.  Äluhammed  b.  Abi  Saif  Ahnada'ini:  .\bdallah  b.  Abbäs  kaufte  eine 
Berbersklavin  und  zeugte  mit  ihr  einen  Knaben,  den  erSalii^  nannte  und  in  seiner  Familie 
aufwachsen  ließ.  .Als  dann  Ali  b.  Abdallah  nach  Syrien  zog,  ging  Salit  mit  ihm  und  diente 
ihm  bis  zum  Tode  des  Kalifen  Abdalmalik.  Sein  Nachfolger  Ahvalid  war  gegen  den  Ali 
b.  Abdallah  eingenommen.  Feinde  von  ihm  hetzten  den  Salil  gegen  ihn  auf  und  veranlaßten 
ilin,  die  Rechte  eines  Sohnes  des  Abdallah  b.  Abbas  zu  beanspruchen.  Auf  Beti-eiben  des 
Kalifen  Walid  kam  es  zum  Prozeß  zwischen  den  beiden  vor  dem  Richter  von  Damaskus. 
Saht  bewies  seine  Abstammung  durch  Zeugen  und  wurde  \on  Walid  als  echter  Abbaside 
Jinerkannt.  Dann  prozessierte  er  gegen  .\h'  b.  .\bdallah  wegen  der  Erbschaft,  worauf  letzterer 
für  gut  befand,  ihn  als  vollberechtigtes  Mitglied  in  seine  Familie  aufzunehmen.  Von  da  an 
half  er  dem  Ali  bei  seinen  Geschäften. 

Eines  Tages  ging  .\li  nach  seinem  Garten  hei  Dair  .\l})ukht,  wo  er  .\rbeiter  hatte, 
unter  ihnen  den  Abu  Aldann  aus  der  Familie  des  .Abu  Riifi'.  eines  Fi-eigelassenen  des  Pi'opheten. 
.\ls  Ali  bereits  nach  Damaskus  zurückgekehrt  war.  entstand  ein  .'^ti-eit  zwischen  den  Arbeitern 
und  Sali'i.  sie  erschlugen  ihn  und  verscharrten  die  Leiche.  Seine  Mutter  geht  der  Sache 
nach,  es  wird  in  dem  Garten  gegTaben :  die  Leiche  wird  gefunden  und  .\lt  b.  Abdallah  des 
Mordes  angeklagt.  Er  wird  auf  Betreiben  Walids  verurteilt,  wird  öffentlich  gepeitscht  und 
in  einem  schmachvoileu  Aufzuge  durch  die  Straßen  geführt  auf  .\nraten  des  Gouverneurs 
von  Medina,  Otiiar  b.  Abdul'aziz.  des  Vetters  des  Kalifen.  Ein  Freund  Alis.  Ibad  b.  Zijäd 
eilt  zum  Kalifen  und  legt  Fürsprache  für  ihn  ein.  Daraufhin  wii-d  .\li  nach  der  Insel 
Dahlak-'  verbannt.  .\!s  er  aus  Damaskus  abgeführt  wurde,  trat  des  Kalifen  Bruder  .Sulaiman 
b.  Abdalmalik  für  ihn  ein.  infolgedessen  er  dort,  wo  ihn  die  Botschaft  traf,  in  .Mfar'ä.  ein- 
gekerkert wurde  und  blieb,  bis  .Sulaiman  zur  Regierung  kam,  der  ihn  befreite.  Er  ließ 
sich  nieder  in  All.iumaima  in  der  Beli|a  und  verkaufte  seinen  Garten  bei  dem  Kloster  Dair 
.\lbukht  an  die  Prinzessin  Fntima,  Tochter  des  Abdalmalik. 


1    Ülier  seinen  Tod  .s.  auch  Tabari  I  ^'.30.31. 

'■'    Die  Salit-Geschäfte  s.  bei  Wkii,,  Geschichte  der  Kalifen  IL  31.  Anm. 

■'    Gegenüber   von  Masawa,    dem  Cajeinie   der  Omajjaden,   vgl.  Ibn  Qutaiba,   Liber   poeseos  et 
poctaruin  S.  349,  6. 


\'a/H   KJosti'rhtich  des  SdImMi.  'M^ 

Abdaliiinlik  liiitte  in  srinem  Testament  seinem  Sohne  und  Nachfolger  Walid  drei 
Pei-sonen  ans  Her/,  gelegt,  den  Ali  b.  Ahdalläh.  seinen  eigenen  Bruder  Abdallah,  Statthalter 
von  Ägypten  und  seinen  ( )nkel  Muhammed  h.  !Marwän.  Statthalter  von  Mesopotamien.  Das 
ei"ste.  wa-s  Walid  tat.  war,  daß  er  seinen  liruder  aus  Ägypten  entfiRrnte  und  durch  (,)urra 
h.  Sarik  ersetzte,  daß  er  seinen  Onkel  aus  Mesopotamien  entfernte,  und  daß  er  Ali  zweimal 
peitschen  ließ.  Als  dann  die  Ahbasiden  zur  Heri'schaft  kamen,  fanden  sie  in  den  Schatz- 
häusern der  Marwaniden  ein  Schreiben  von  Sulaiman  1».  Abdalmalik.  in  den)  er  den  Walid 
um  Schonung  für  Ali  b.  Abdallah  bittet.  Djes  war  der  Grund,  warum  die  Gebeine  Sulaimans 
nicht  aus  ihi°em  Gral>e  in  Däbiq  herausgerissen  wurden,  während  die  (iräher  aller  übriieu 
Nachkommen  von   Harb  zei-stört  wurden. 

Der  erste  Heerführer  der  Abbasideu  und  Bi-gründer  ihrer  Macht  Abu  Muslim  be- 
hauptete von  diesem  Saht  abzustammen  und  behauptete  in  der  letzten  CntiM-redung  uu't  dem 
zweiten  Abba.siden-Kalifea  Man§ur.  bevor  er  ermordet  wurde,  daß  dessen  Brudei'  Ibrähiiu 
b.  Muhauuutd  es  ihm  gesagt  habe,  wähi-end  Mansür  behauptete,  daß  er  von  einem  IJarbaren 
in   Ispidian  abstaumie. 

27.  Zakchäuskloster.  Verse  von  Alsanaubari  über  das  Kloster  und  über  Raqqa, 
vielmehr  die  beiden  liaqqas.  Auch  Verse  vom  Kalifen  Häri'in  .\lrasid.  Als  er  von 
.\lniliqa  nach  liagdad  zog,  ließ  er  seine  Frau,  die  Mutter  desMu'tasim.  Märida  dort  zurück. 
El-  schrieb  ihr  in  Versen,  und  seine  Trau  ließ  ihre  Antwort  auch  in  Versen  abfassen. 
Duraufhin  ließ  Ilun'm  sie  nachkommen.  Si\\\\\  .Alturki.  ein  Diener  des  Mn'tasim.  I>erichtet 
von  der  Liebe  Haruns  für  Märida. 

Harun,  ein  tüchtiger  Dichter,  besingt  meistens  die  Liel«;  zu  seinen  Mädchen.  ^'eI•se 
von  ihm.   auch   über  die  Helene  k'Xm-  die  Sklavin  seines  Bruders  Hä<li. 

Härün  war  geboi-en  in  Hai  zu  Anfang  des  .Tahres  148,  genährt  von  der  Mutter  des 
Itarniakiden  Alfadl  b.  Jahjä,  der  siel>en  Tage  früher  geboren  war.  Kr  bestieg  den  Thron 
am  Sonnabend,  den  16..  Habi'  I.  im  Jahre  170.  In  derselben  Nacht  wurde  sein  Sohn  Abdallah 
-Xlma'mün  geboi-en  von  einer  .'sklavin  Marägilu.  Härün  starb  zu  Sindäbäd  im  Gebiet  von 
Tüs.  45  .lahi-e  alt.  am  Sonnabend,  am   14.  Gumädä  II.   173. 

28.  Sergiusklost^-r.  Verse  von  Ihn  .\bi  T'd'b  Almakfüf  .\hväsili.  Der  Inlialt  des 
Kxkui-ses  bereits  oben  S.  15  mitgeteilt. 

29.  Kloster  des  Ihn  Mazü(|.  Vei-se  von  Muhannued  b.  Abdei'rahuiän  Altharwäni  aus 
Küfa.  einem  großen  Dichter,  der  nur  über  Wein-  und  Knabenliebe  sang,  großem  Säufei-. 
der  eines  Tage.s  in  einer  Weinschenke  tot  zwischen  zwei  Weinscbläucheu  gefunden 
wurde. 

30.  Das  .Sergiuskloster.     Verse  von   .\bü   Nu'äs  und  Alhusain   b.  Aidal.il.iä(|. 

31.  Die  Bischofsklöster.  Vei-se  von  .\li  b.  Muhammed  Alhimmäni  Al'alawi  und  Abu 
NuVis.  Als  HaSid  auf  der  Heimfahrt  von  der  Pilgerfahrt  in  Hii-a  einkehrte,  besah  s<'iii 
Begleiter,  der  Bamiakide  Ga'far  b.  .lahjä.  die  .'^chloßruine  von  Alsadir  und  entdeckte  an 
derselben  eine  Inschrilt  über  den  l*ntergang  der  I.akhniidenherr-sehart.  was  ihn  zu  trüben 
Gedanken   über  sein   eigenes  Schicksal  anregt. 

Die  Ruinen  der  Gegend  waren  Almusaqqatät  östlich  von  I.Iira  an  der  l'ilgerstraße, 
eine  Burg  mit  Arkaden:  .\lqasr,  Kuh  .Albaqqäl,  (,)«sr  Aladasi^jin.  .Al'aqsä  Al'abjad.  Qa.sr 
Bani  Buqaila.  das  Schloß  des  Abd  Almasih  b.  Buqaila  .-Vlghassäni.  Diesei'  war  ein  Schwester- 
solm    des  l*rie.sters  Satih.     Kisrä  si^hickte  wegen    eines  Traumes,    den    er  gehabt  hatte,  den 


40  S 


A  (;  II  A  i; 


Abel  Alniasil.i  /.u  seinem  Onkel'.     Von  dem  Eroberer  Kbälid  b.  Ahvalid,   wie  er  nacb  IJira 
kam,  und  von  seiner  Unterhaltung  mit  Abd  Almasih. 

Weitere  Ruinen  in  der  Gegend  sind  Dar  Fir'aun.  Asr  in  der  Nähe  von  Alnagaf. 

,52.  Die  Kuppel  des  Sattiq.     Verse,   auch  von   Bakr  b.  KhAriga  aus  Küfa". 

33.  Das  Kloster  dei'  Hind  zwischen  Alhira  und  Ki'iia.  Haggäg  besucht  es  im  .lahre  74 
und  spi-icht  mit  der  Hind.  Er  fordert  von  ihr  die  (irundstener  und  läßt  sie  samt  drei 
Nonnen  Ibrtl'ühren.  aber  ein  edler  .lüngling  aus  Knfa  rettet  sie  aus  der  Hand  der  Trabanten 
des  Haggäg.  Der  Eroberer  liabyioniens,  Sa'd  b.  Abi  VVakkäs  besucht  das  Kloster  und  die 
Hind.  später  Almughira  b.  Su'ba  ■.  der  Statthalter  Mu'äwijas  über  Küla.  der  die  Hind 
heii-aten   will,  aber  von  ihr  abgelehnt  wird. 

34.  Kloster  Zurära.  Zwei  bekannte  Dichter  und  Trinker,  Jahjä  b.  Zijäd  *  und  Mut!" 
b.  Ijäs'',  kamen  auf  der  Pilgerfahrt  nach  diesem  Kloster,  blieben  dann  aber  hier  und  zechten 
weiter,  bis  ihi'e  Pilgerkarawane  von  Mekka  zurückkam.  Den  Heimkehrenden  schlössen  sie 
sich  dann  an,  erheuchelten  das  Äußere  eines  Pilgers  und  zogen  so  mit  in  Küfa  ein.  Verse 
von  Muli'  und  Ahn  Nu'äs.  Ähnlich  wie  Jahja  und  Muli'  machte  es  auch  Sulaimän  b.  Mu- 
hammed  Arumawi.  der  schon  die  Kamele  für  den  Hagg  ausgerüstet  hatte,  alj<'r  dennoch  in 
Küfa  blieb.  Verse  von  ihm.  Das  gleiche  wird  erzählt  von  Salläm  b.  GhAlib  und  Abu  Albasir, 
während  ein  Dritter,  Abu  Ahuidi'agi,  die  Pilgerreise  fortsetzte. 

Notiz  übei'  den  Dichter  Mup"  b.  Ijäs.  Er  war  sehr  befreundet  mit  Jahjä  b.  Zijäd, 
llammäd  'Agrad'  und  Hammäd  Alräwija.  die  alle  iin  Verdacht  der  Zandaqa  standen.  Er- 
zählung von  Al'utbi  nach  seinem  Vater:  Eines  Tages  besuchte  uns  ein  Scheich  aus  Küfa, 
der  mir  erzählte  von  Mull'  und  den  beiden  Hammäd  und  anderen  Schöngeistern  von  Küfa. 
speziell  aber  von  Muli'.  Der  aber  sei  eine  bedenkliche  Persönlichkeit,  vor  dem  man  sich 
in  acht  nehmen  müsse.     Ein   ähnliches  Uiteil   von  Ihn   Habib. 

.A.lmiiu"  lebte  unter  dem  omajjadischen  wie  unter  dem  abbasidischen  Kalifat..  Er  war 
Hofmann  bei  dein   Kalifen  Alwalid  b.  Jazid  und  lobte  dessen  Bruder. 

Muli'  besiegt  mit  seinen  Versen  in  Gegenwart  eines  Emirs  in  Küfa  fünf  Dichter: 
Sara'a  b.  Alzindaliüd'  Jahja  b.  Zijäd.  Wäliba  b.  Alhabbäb'*,  Abdallah  b. '.\jjÄs  Almantüf  und 
Uaminäd  Agrad".  Schamlosigkeiten  dieser  Dichterbande,  zu  denen  auch  ein  Hakam  Alwädi 
gehört;  N'erhöhnung  des  Gebets,  lu  Küfa  lebte  ein  Friseur  namens  \hü  Alasbagh.  ein 
Nabatäer,  der  einen  sehr  schönen  Sohn  A.sbagh  hatte;  Jahjä  b.  Zijäd  tut  ihm  Gewalt  an, 
N'erse  \on  Muti'  darüber.  Letzterer  dichtet  Spottverse  auf  seinen  Vater,  seine  Zugehörigkeit 
zum  Stamme  Kinäna  in  Palästina. 

35.  Kloster  des  heiligen  .lünän.  Verse  von  Alhusain  b.  .\l(lal.ihäk  und  .\lkusägim. 
Letzterer  heißt  mit  vollem  Namen   .\bü  .\lfati.i  Mahmud  b.   .\lhusain  Alkätib. 


'  S.  'fabari  I  981  ff. 

'■'  Kitäb  alaghani  XX    87,  88. 

a  S.  Kniiiil  I  266,  267. 

*  Kitall  alaghäni,  Index. 

■•  F,l>eridii  XII  78  tr. 

<■■  Kitall  alaghäni  XIII  73  m 

'  Hs.  j_ya._,JI 

"  Ibn  Qutaiba.  Liber  pcieseos  et  poetaiiuii  S.  501.  15;  502,  10. 

'^  Ibn  Qutaiba  ebenda  S.  490. 


Vom   Klosterhuch  des  Sd/niMi.  41 

36.  Klostpr  QiinuA.  Verse  von  Ihn  Guniliür,  mit  vollem  Namen  Abu  Ali  Muhammed 
b.  Alliusain  b.  Gumhi'ir  Alqummi.  P>  und  seine  Geliebte  Rädamihr.  Sein  Vater  über- 
lieferte in  Basra  die  Traditionen  über  die  Familie  des  Propheten. 

Von  Abdün  b.  Muklialiad,  Sa'id  b.  Mukhallad  und  seiner  Konespoiidenz  mit  der  Sängerin 
Riq.  Nach  dem  Tode  des  letzteren  ging  er  nach  dem  Kloster  Dair  Qiinuii,  lebte  dort  als 
Mönch  und  starb  daselbst  i.  J.  310. 

Von  Sä'id  b.  Mukhallad,  dem  Wesir  des  Muwaüaq,  von  seiner  täglichen  Lebensweise 
und  Vielgeschäftigkeit.  Als  er  aus  der  Persis  zurückkam,  beklagte  sich  Muwaffaq  über 
'Amr  b.  Laith  und  über  die  Geringheit  der  Mittel,  die  zur  Verfügung  standen,  um  das  Heer 
in  Bewegung  zu  setzen;  er  verlangte,  Sä'id  solle  die  Mittel  beschaffen,  um  den  Rasid  gegen  den 
.Saffäriden  marschieren  zu  las-sen.  Sa'id  weiß  keinen  Rat,  Muwaffaq  wird  unwillig.  SA'id  will 
fliehen,  schlägt  seinem  Herrn  vor,  daß  er,  Sä'id.  wenn  er  nach  Mekka  und  Medina  ginge,  dort 
vielleicht  die  nötigen  Mittel  aufbringen  könne.  Daraufhin  läßt  Muwaffaq  durch  seinen  Sohn  Abu 
Al'abbäs,  den  spätei-en  Kalifen  Almu'ta<lid,  das  ganze  Vermögen  des  Sä'id  in  Sämmarrä,  Bagdad 
luid  anderswo  einziehen.  Einzelbericht  des  Ishäq  b.  Ibrahim  Alkätib  über  den  Sturz  des  Wesirs 
und  den  Wert  des  von  ihm  gesammelten  Vermögens.  Er  blieb  in  Gefangenschaft  bis  295, 
dann  wurde  er  in  den  Palast  des  Ihn  Tähir  gebracht  und  ist  dort  gestorben. 

37.  Das  Kloster  von  Kaskar.  Vers«;  von  Muhammed  b.  Häzim ',  der  zu  dem  Wesir 
Albasan  b.  Sahl  nach  Wäsit  zog  und  ihn  in  seinen  Dichtungen  verhen-lichte.  Wie  er  auf 
einer  Reise  zur  Annee  des  Alha-san  b.  Sahl  bekannt  wurde  mit  Muhammed  b.  Sa'id  b.  Salm 
Albähiii  und  durch  ihn  mit  Alhasan  b.  Sahl.  Der  Dichter  gab  das  W(!intrinken  auf  sein 
Verkehr  mit  Ibrahim  b.  Sakla;  er  dichtete  nur  noch  über  Bescheidenheit,  Enthaltsamkeit, 
radel  der  Begierden.  Nach  der  Erzählung  des  llamdun  b.  Jahjä  hatte  er  zuletzt  nur  Freude 
an  Katzen.  Er  dichtet  Spottlieder  auf  einen  'J'ähiridcn.  Bruch  der  Freundschaft  zwischen 
ihm  und  Sa'id  b.  Mas'üd  Alqutrabbuli.  Der  Dichter  vor  dem  Kalifen  Ma'mün,  von  dem  er 
reichlich  beschenkt  wird. 

38.  Das  Kloster  von  Alqusair.  Verse  von  Abu  Huraira  b.  Ali  Al'isäni,  Muhammed 
b.  'Äsim  und  Ibn   Alzanbaqi  Almisip. 

39.  Das  Haiinäklostei'.  Verse  von  Muhammed  b.  'Asini  und  Sälih  b.  Müsä,  dem  Frei- 
gelassenen der  Banü  Tanu'm. 

40.  Dair  N'ahjä.  \'erse  von  'Abbäs  b.  Albasri.  Ei-  stand  im  Dienste  von  Abu  Alqäsim 
Unügi'ir  b.  AlikhJid.  Wenn  er  mit  letzterem  ausritt,  trug  er  wie  die  Richter  einen  grünen 
Tailasän.     Er  handelte  mit  Medikamenten  in  der  Abdallah-Moschee  zu  Kairo. 

41.  Dair  Tamwaih.    Verse  von  Ibn  'Asim. 

Den  Klöstern  42-49  sind  keine  Exkurse  beigegeben. 
50.  Die  Kirche  des  "l'ür  (Sinai).  Verse  von  Al'äsim. 
Den  Klöstern  51 — 54  sind  keine  Exkurse  beigegeben. 

Die  Dichter,  von  denen  Sabusti  kleinere  c)der  gi'ößere  ( Jedichtstücke  zitiert,  sind 
folgende : 

Al'abbäs  b.  Alba.sri  41  ,  Abu  Abdallah  b.  Hamdün  AI-    Abdal'aziz  b.  Abdallah  b.  'lahii- 

Al)dallah  b.  Al'abbäs  b.  Alfadl         nadim  25.  28  28 

b.  Airabi'  25  '•  Abdalrahmän    b.  Abi  Qain  28 

>    Kitäl)  alaghuiii  XII  1581!'. 
Phil.-kiift.  Ahh.   1MU.   j\r.  10.  « 


42 


S  A  (;  HAU 


Abu  Al'ainiVi,  d.  i.  Abi'i  Ab- 
dallah Muhamniedb.  Alqasim 
b.  Khallad  b.  Jäsir  25.  27 

Abii  Ali  Albasir  26 

Ali  b.  Jal.ijii   Almunaggim  22 

Ali  b.  Miihanirned  Alhimmäni 
Al'alawi  39 

Ali  b.  Abi  Uniajja  23 

'Anir  b.  Abdalmalik  35 

Aräsim  41 

Ibn  Asim  41 

Abu  Al'atahija  25 

'Auf  b.  Muhallim  Alkhu/ä'i  29 

Bakr  b.  Khäriga  40 

Alfadl  b.  Al'abbäs  b.  Alma'niün 

34 

Abu  Gafna  Alqurasi  25 

Gah/-a  22.  25.  26 

Ibn  Gumbür,  d.  i.  Abu  Ali  Mu- 
hammed  b.  Alhusain  b.  Gum- 
hür  Alqummi  41 

Härün  39 

Alhasan  b.  Raga    25 

Alhudähidi  23 

Abu  Huraira  Ibn  Abi  Arisäin  41 

Alhusain  b.  Aldahhak,  d.  i.  Al- 
husain Alkhali'  b.  Aldahhäq 
Albähili  23.  25.  39.  40 


Jahjä   b.  Kamil  25 

Jahja   b.  Zijäd  40 

Alkhablmz  Albaladi  36  s.  .Ta- 
timel  531 

Khälid  Alkatib,  d.  i.  Abu  Alhai- 
thani  Khälid  b.  .lazid  Alkätib 
22 

KuSägim,  d.  i.  Abu  Alfath  Mu- 
bamiid  b.  Alhusain  Alkätib 
40 

AUubbädi,  d.  i.  Abu  Bekr  Ah- 
mad b.  IMuhammed  37 

Marwän  b.  Abi  Hafsa  22 

Muhalhil  b.  Jaraüt  37.  38 

Muhammed  b.  Abdalmalik  Al- 
häsimi  23 

Muhanmied  b.  Ali  24.  26 

Muhammed  b.  Äslm  41 

Muhammed  b.  Alhärith  b.  Bas- 
khir  25 

Muhammed  b.  Häzim  41 

Muhammed  b.  Almu  ammal  Al- 
tä'i  25 

Muhammed  b.  Abi  Umajja  Al- 
kätib 23 

Mus'ab  Alkätib  37 


Alma  tainid  26 

Mu'tazz  34 

Ibn  Almu'tazz  25.  27.  28 

Muli'   b.  Ijäs  40 

Alnägini  Abu    Uthnian  26 

Alnäsi  23 

Abu  Nu'äs  33.  37.  39.  40 

Alnumairi,  d.  i.  Abi'i  Altajjib 
Muhammed  b.  Alqäsim  Al- 
numairi 25 

Ibn  Alriimi  26.  28 

Sälih  b.  Müsä  41 

Alsanaubari  39 

Abu  Sa's  36 

Abu  Alsibl  Alburgumi  25 

Sulaimän  b.  Muhammed  40 

Alsüli  26 

Ibn  Abi  Tälib  Almakfüf  Al- 
wäsiti  39 

Altharwäni,  d.  i.  Muhammed 
b.  Abdalrahmän  Altharwäni 

25-  35-  39 
Ubaidallaii  b.  Abdallah  b.  Jä- 

hir  27.  28 
Abu  Umajja  Al'asamm  38 
Ibn  Alzanbaqi  Almisri  41 


Abu  Abdallah  b.  Hamdüu  25.28 
Abdurrahrnän  b.  Fahm  30 
Ahmad   b.  Abdallah  b.  Isma'il 

Almaräkibi  34 
Ahmad  b.  Abi  Duwäd  29 
Ahmad  b.  Hamdim  34 
Ahmad  b.  Khälid  Alsarifini  22 
Ahmad    b.    Sadaqa     Almu- 

ghanni  35 
Abu  Ali  Alawnragi  27 
Ali  b.  Jahjä  Almunaggirn  22.  37 
Ali  b.  Muhanuued  b.  Al)i  Saif 

Alnuulä'ini  38 


\'  e  r  7.  e  i  c  h  n  i  s  der  Erzähler: 

I  Abii  Aramaithal  29 
i  Amr  b.  Bäna  25 

Arib  34 

Azzün  25 

Bid'a  26 

Alfadl  b.  Marwän  29 

Ibn  Farag  26 

Algähiz  26 

Gahza  27 

Gaihän  Alsi'i  29 

Ibn  Guddän  29 

Ibn   Habib  40 

Ilanidän   li.  .lai.ijä  41 


Hamdi'in  b.  Isma'il  22 
Hän'm   b.   Abd-Al'aziz    b.  Al- 

mu'tamid  34 
Abu  HaSiSa  Altunbüri  24 
Abu  Häzim  Alqädi  37 
I  Alhusain  1).  Mus'ab  29 
.Tanu'it  b.  Almuzarri'  26 
Jäsir  29 

Ibrahim  b.  Al'abbäs  32 
Ibrahim  b.  Almudabbir  32.  37 
Ishäq  b.  Jariih  26 
Ishäq  b.  Ibrahim  41 
Khälid  Alkätib  22 


Vom  Klosterbuch  (Irtt  SäbuslL 


4;} 


Alkhuludi  29 
Ihn   Khurdadbih  24.  34 
Maimün  1).  IJammad  23 
Muhamined  l>.  Ali  24 
Muhammad   I).  Hä/Jni  41 


Nasir  29 

Ihn  (^)udäma  27 

Sa'd  1).  Ibrahim  AlkiUib  37 

Alsah   b.  Mikäl  27 

Sa  id  b.  Ji'isul"  34 


Sälih  Alturki  39 

Alsul!  26 

rähir  30 

fbaidallali    b.  Abdallah  29.  30 

Al'ulbi  40 


^\'e^  in  der  Lage  ist,  iiandschriftlich  Werke  von, dem  335  gestorbeneu  Alsüli,  der  am 
Hofe  der  Kalifen  Muktat'i  und  Muqtadir  verkehrt  hat.  Iienutzen  zu  können,  dürfte  finden, 
daß  aus  dieser  Quelle,  vielleicht  durch  Vermittlung  einiger  Adabbüchei-,  die  meisten  der 
geschichtlichen  Nachrichten  Säbustis  herstammen. 


Berlin,  gedruckt  in  der  Reichsdruckerei. 


¥ 


I 


Prenß.  Aknd.  d.  Wisscnscli. 


l>liU.-hist.  Abh.    nun.    Ar.l/. 


Al.l..   I. 


De  Groot:  Der  Thupa. 

Taf.  I,  Titelbild. 


ABHANDLUNGEN 

DER  PREUSSISCHEN 

AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

JAHROANG  1919 
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE  KLASSE 


Nr.  11 

DEH  THÜPA.  DAS  IIEJLKrSTE  HEILIGTUM 
DES  BUDDII ISMUS  IN  CHINA 

KIN  BEITIUO  ZUR  KENNTNIS  DP:K  F:S0TF:RISCHEN  LEHRE  DES  MAHÄYÄNA 

VON 

.1.  .1.  M.  DE  GROOT 

Mir  G    TAFELN 


BERLIN   1919 

VERLAG  DER  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 


IN  KOMMISSION  BEI  DER 
VEREINIGUNG  WISSENSCHAFTLICHER  VERLEGER  WALTER  DE  GRUYTER  II.  Cd 

VURXAI.S  n.  J   (iÜS(  HKN'SCHi:  VEBLAGäHANDLLNO.     J.  ÜLITKNTAU,  VKKLAGSBUCHHANDl.IINU 
UEORK  RKIMKK.     KARL  J    TrOBNER.     VHT  U.  COMP. 


Oelesen  iu  der  Sitzung  der  philosophisch-historischen  Klasse  am  22.  Mai  1919. 
Zum  Druck  eingereicht  am  23.  September,  ausgegeben  am  11.  Dezember  1919. 


MEINEM  FWEUXDE  IM)  KOLLEGEN 

l'KOF.  I)H.  FIUEDRICJl  llIRTJl 

Zl'M   7.-).  LEBEXSJAIIK 


Vorwort. 

J_/as  Wort  Pagode,  wahrscheinlich  eine  Abkürzung  vom  indischen  Bud-kfitägära,  »Buddlia- 
turm-,  hat  sich  im  Abendlande  Bürgen-echt  erworben  und  ist  dort  so  allbekannt  wie  die 
Gebäude  selbst,  welche  es  bezeichnet.  Nach  Abbildungen  dieser  Türme  schaui  man  sich  in 
illustrierten  Werken  über  China  oder  chinesische  Kunst  selten  vergeblich  um.  Eine  chinesische 
Landschaft  ohne  Pagode  ist  kaum  denkbai'.  Modelle  von  Pagoden  fehlen  in  ethnographischen 
Museen  und  in  Privatsammlungen  chinesischer  Kunstgegenstände  fast  nie.  Es  könnte  somit 
überflüssig  erscheinen,  über  diese  eigentümlichen  Türme  zu  schreiben,  wenn  es  nichtdaiauf 
ankäme,  zu  bestimmen,  zu  welchen  Zwecken  sie  denn  überhaupt  da  sind.  Hierüber  sind 
zwar  Gedanken,  selbst  plausible,  ausgesprochen  worden,  jedoch  Versuche,  das  Problem  mit 
Berücksichtigung  der  chinesischen  Literatur  einer  eingehenden  Behandlung  zu  unterziehen, 
sind  meines  Wissens  bisher  nicht  gemacht  worden. 

Der  Erläuterung  der  düsteren  esoterischen  Lehre  des  chinesischen  Mahäyänii-Buddhisnius, 
in  de.ssen  Bannkreis  die  Pagoden  entstanden  sind  und  als  Heiligtümer  der  höchsten  Ordnung 
immer  ihre  wichtige  Rolle  spielten,  ist  die  Lösung  des  Problems,  wie  wir  sehen  werden, 
besonders  förderlich.  Noch  immer  besteht  die  bedauernswei'te  Tatsache  fort,  daß  das  um- 
fangreiche iMid  reichhaltige  Gebiet  dieser  Weltreligion  ein  vernachlässigtes  Stiefkind  der 
Wissenschaft  i.st,  eine  Tatsache,  die  sich  auf  das  Unvermögen,  chinesische  (,)uellen  gründlich 
zu  bearbeiten  und  nützlich  zu  verwerten,  zurückführen  läßt.  Mit  Benutzung  solcher  (^)uellen 
die  Bedeutung  und  die  Rolle  der  Pagoden  zu  bestimmen,  ist  der  Zweck  dieser  Abhandlung. 
.\u.sführliches  über  ihre  Gestalt,  Bauart  und  Konstruktion  wird  der  Leser  darin  nicht  finden. 
Verfasser  ist  nämlich  nur  dann  hierauf  eingegangen,  wenn  es  zur  Erklärung  der  Bedeutunj; 
und  Rolle  dieser  'Gebäude  dienlich  schien,  denn  juch  in  ihnen  drückt  sich  durch  Gestalt, 
Bauart  und  Struktur  der  Charakter  aus.  , 

Übei-setzungen  von  chinesischen  Textauszügen  sind  in  kleineren  Buchstaben  gedruckt. 
Alle  Übersetzungen  sind  wortgetreu  und  keine  Paraphrasierungen.  i 

tiber  die  angewandte  Transkription  chinesischer  Schriftzeichen  sei  folgendes  be- 
merkt: ' 


VI  Vorwort. 

Die  Buclistaben  haben  im  allgeiiieineii  den  Wert  der  hochdeutschen.  Das  s  ist  scharf : 
.s  entspricht  deutschem  sc/i,  und  somit  ist  ts  =  tsch;  c  =:  französisches  _/;  e  ist  das  tonlose  e 
(wie  in  Behuf).     Aus  ng  (wie  in  singen)  darf  </  nicht  herausklingen. 

Auch  in  den  Diphthongen  ai,  ao,  ei,  ia,  ie,  io,  in,  oa,  oi,  ou,  tia,  ue,  i/i.  iie  behält  jeder 
Buchstabe  seinen  deutschen  Wert,  jedoch  ohne  mit  besonderer  Betonung  ausgesprochen  zu 
werden^  weil  jedes  chinesische  Wort  einsilbig  ist.  Ao  lauten  also  wie  au;  ia  etwa  wie_;a; 
ua  ungefähr  wie  wa;  ei  aber  nicht  wie  in   Eile. 

Der  Spiritus  asper  '  gilt  als  Zeichen  scharfer  Aspiration. 

Ein  Haken  '  am  Ende  eines  Wortes  bezeichnet  einen  verschluckten  Endkonsonanten 
k,  p  oder  (,  wodurch  das  betreffende  Woi't  kurz  ausgesprochen  wird. 

Berlin-Lichterfelde,  September   1918.  De  Groot. 


VII 


Inhaltsverzeichnis. 

Kapitel    I.  Seit,- 

Der  Thupa  als  Grabinonuinent 1 

Alteste  Berichte  über  Thüpa's.  Ihre  Bezeichnungen.  Dei-  Thüpa  als  Grab- 
monument  in  der  Vergangenheit  und  Gegenwart.  Verbrennung  und  Beerdigung  der 
buddhistischen  Geistlichkeit.     Reliquienkult.     Grabthfipa's  für  Nichtbuddliisten. 

Kapitel  II. 

Der  Thüpa  zur  Beisetzung'  von  Reliquien  des  Buddha  .     .     .      !) 

Allgemeine  Beschreibung  der  Thüpa's.  Der  l'orzellanturni  von  Nanking.  Thüpiis 
von  Lo-jang  im  ß.  Jahrhundert.  Der  erste  Reliquienturni  Nankings.  Reliquien  des  Buddha. 
Teile  des  Dhanna,  des  leuchtenden  Weltgesetzes.  Reliquienthüpa's,  Tonne  des  Welt- 
lichts.    A.soka-thüpa's.     Verehrung  der  Reliquien  des  Buddha,  auch  durch  Kai.sei-. 

Kajiitel  III. 
Der  Thüpa,  der  Leuchtturm  des  Weltgesetzes  .     .29 

Hauptsätze  der  esoterischen  Lehre  des  Mahäyäna-Buddhi.sinus.  Die  ßuddiias  als 
Weltlichtgöttor.  Das  Brahniajälasütra,  das  heilige  Buch  der  höchsten  Gebote,  und 
Lo.sana,  der  Dharma,  das  Weltgesetz.  Das  W(^rk  dei-  Seligniachung  in  den  Klöstern. 
Bilder  von  Heiligen  und  Göttern  sind  beseelt.  Thüpa"s  entsenden  das  Licht  des  Dhai-ma 
durch  Vermittlung  der  Buddhas.  Der  Thüpa  des  T' im-ning-\\\itsi(irs.  von  Pa  -li-tsiioug, 
der  Insel  Pu-t'o,  des  Tsing-kio-  und  des  Pi'-J«n-Klo.stei-s,  von  Idikut-scharl.  Der 
Borobudur. 

Das  Saddharmapundarikasötra,  das  heilige  Ruch  dei'  Esoteriker.  Der  Welt- 
thnpa.  Thron  des  Dharma,  des  Weltgesetzes.  Esoterische  Auflassung  iibei'  Selig- 
werdung,  Buddhatum,  N'irväna.  Buddhas  Verbrennung  und  Reliquien.  Thüpa's,  Heilig- 
tümer des  Weltgesetzes  und  der  Lichtbuddhas,  und  somit  Vei'chrungsgegensfände.  Ihr 
Licht  und  seine  erlösende  Wirkung.  Eilö.senile  rhüpaglöckchen  unil  KlosteTglockeii. 
Wün.sche  und  ihre  Kraft. 

Kapitel  IV. 

Förderung  der  seliguiachenden  Wirkung  der  Thüpa's  .     .     .    Cü 

Beleuchtung  der  Thüpa's.  Religiöse  Umgänge  um  die  Thüpa's  liei'uni.  Das 
darauf  bezügliche  Sütra  der  Glückszustände  der  Laufbahn  zum  Buddhatum.  Einfachere 
Vorstellungen   vom  Glück,  <las    Thüjyas  <len  Wesen  angedeihcn   lassen. 


Vlll  Jnhaltsvrrznchnis. 

Knpitel  V. 

Kleine  Thüpa's 80 

Sfitni's,  Sntraverse  und  zauberkiäCtigc  Formeln  auf  den  Tlifipa"«.  Tlifipa's  der 
Mäniisibiiddhas.     Metallne  Thnpa's. 

Ka|)itel  VI. 

Thupa  und  Geoinaiitik 8H 

Der  Mahäyäna-Buddhisinus,  eine  universistische  Religion,  gleichwie  der  Taoismus. 
Kinbezieliung  der  Thüpa's  und  Klöster  in  die  taciistische  Geoniantik,  zur  Sii-herung  des 
weltlichen  Glücks.  Wasser  und  seine  (iötter.  F«ft^-i«?-Pagoden  in  der  Umgegend  von 
Peking.     Konfuzianische   Pagoden,     l'agoden  ohne  religiösen  Charakter. 

Saeh-  und  Wortreg'ister .93 


Erstes  Kapitel. 

Der  Thüpa  als  Grabmonument. 

DaÜ  die  Pagoden  buddhistische  Heiligtümer  sind,  ist  ehinesischerseits 
unbestritten.  Die  größten  und  scliönsten  sind  Unterteile  von  buddhistischen 
Klöstern,  und  die  Literatur  des  Zeitalters,  das  vor  der  Einführung  des 
Buddhismus  in  China  liegt,  enthält  kein  Wort,  das  sicli  auf  Pagoden  bezieht. 
Es  ist  aber  bereit«  von  Pagoden  die  Rede  in  einem  Bericht,  der  in  die 
allererste  Zeit  des  Bestehens  des  Buddhismus  in  China  zurückführt  und 
sich  befindet  im  vierten  Kapitel  eines  angesehenen,  im  6.  Jahrhundert  ver- 
faßten Werks  eines  ^t/T^  '^<^'^9  •f('n-täi,  das  den  Titel  '^^  ^%_^ 
Im -jung  ka-lam  ki  fvihrt,  d.  h.:  »Beschreibung  der  Sanghäräma  (buddh. 
Klöster)  in  Ld-jany^,  der  Reichshauptstadt  unter  der  zweiten  //««-Dynastie 
und  dann  wiederum  von  493  an  unter  der  zweiten  |^  V^^/-Dynastie.  Wir 
lesen  da  wörtlich  folgendes  im  4.  Kapitel: 

Das  buddhistische  Kloster  des  Weißen  l'ferdes  ist  vom  Kaiser  BH  Ming  (58—75) 
der  //«//-Dynastie  errichtet  worden.  Im  Anfang  der  Zeit,  als  Buddha  ins  Reich  "der  Mitte 
einzog,  lag  es  drei  li  außerhalb  des  Tors  des  westlichen  Sonnenlichts,  südlich  der  kaiser- 
lichen Straße.  Dem  Kaiser  träumte  von  einem  goldenen  Menschen,  einen  tiatig  und  sechs 
Zi'hntel  lang,  des.sen  Schädel  so  klar  leuchtete  wie  Sonne  und  Mond  zusammen,  und  daß 
«■r  eine  Gottheit  der  Hu  (Barbaren)  sei,  der  jXjt  IStt  hieß.  Er  schickte  Gesandte  nach  dem 
Westen,  iiin  ihn  zu  suclien,  und  diese  erlangten  heilige  Schriflen  und  Statuen.  Dann  kam 
ein  weißes  Pferd  mit  diesen  Schriften  auf  dem  Rücken  (nach  der  Haupt-stadt).  und  da^-oii 
leitete  (das  Kloster)  seinen  .N'ainen  her.  Als  Kaiser  Mint/  gestorben  war,  errichtete  man 
auf  seinem  Grabhügel  ein  )fiJ^')H  Jetavana  (Klosterpark),  imd  seitdem  hat  man  auf  den 
(iräbem  des  Volks  bisweilen    ^B  ^   p'u-td  gebaut. 

Oben  im  Kloster  werden  die  heiligen  .'>ichrift«n  mit  ihren  Deckeln  bis  heute  noch 
immer  bewahrt,  und  stets  brennt  man  ihnen  Weihrauch  und  bringt  ihnen  Speiseopfer  dar. 
Sie  senden  von  Zeit  zu  Zeit  ein  Licht  au.s,  da.s  unter  dem  Dach  des  Saals  leuchtet,  und 
deshalb  werden  sie  sowohl  von  denjenigen,  die  den  Weg  zur  Heiligkeit  beschreiten,  wie 
von  dem  I;Aientum  genau  so  verehrt,  als  wenn  die.se  zum  eigentlichen  Antlitz,  (des  Buddha) 
emporblickten. 

PhU.-hiKl.  Ahh.   lf>PJ.  Ar.1/.  1 


2  D  E    G  R  O  O  T  : 

Auch  falls  (lieser  Bericht  als  eine  apokryphe  Überlieferung  aufzufassen 
ist,  so  bleibt  er  dennoch  wichtig  als  Beweis  dafür,  daß  im  6.  Jahrliundert, 
als  das  Ka-lam  ki  geschrieben  wurde,  der  Glaube  herrschte,  daß  zusammen 
mit  dem  Buddhismus  in  China  Gebäude  erschienen,  welche  mit  den  Klöstern 
dieser  Religion  zusammenhingen  und  Grabmoimmente  waren.  3Ian  nannte 
sie  j^  m  p'u-tö.  Dieses  Wort  ist  nichts  anderes  als  eine  Transkription  von 
»Buddha«  oder  »Bud«  und  kommt  auch  vorluden  Sclireibungen  ^^  p'u-tö, 
#  m  put-tö,  %  ^  put-tö,  fllJß  put-to,  ^  (ij  put-tö,  %  ^  put-tö  u.  a. ;  da.s 
K' any-hi-G\os.s'ÄY  sagt  dann  auch  ganz  richtig:  ^  [51 '^^-(fr,^  X^^n"^ 
pi^Ä|g|.  Vu-iö  ist  die  Lehre  des  Put  (Bud|,  und  der  jÄ  fap  (Tliüpal  eines  bud- 
dhistischen Klosters  heißt  ebenso  pnt-td.  In  den  '^  ^fß  Put{Vu)-kuo'  ki,  »Schriften 
Über  die  buddhistischen  Reiche«,  welche  die  Wallfahrt  des  Pilgers  '^0 
Fa-him  nach  Indien  beschreiben,  die  im  frühesten  Teil  des  5.  Jahrhunderts 
stattfand,  werden  religiöse  Gebäude,  welche  er  dort  antraf,  als  jrÄ  t'ap 
l)ezeichnet,  und  seither  ist  dieses  Wort  in  China  stets  die  meist  übliche 
Bezeichnung  der  Pagoden  gewesen.  Es  kann  wohl  kein  Zweifel  sein, 
daß  dieses  t'ap  eine  Wiedergabe  des  Paliwortes  Thupa  ist,  zumal  auch 
noch  die  Schreibung  i^'^  t'ap-po  vorkommt.  Zu  bemerken  ist,  daß  das 
Zeichen  jrÄ,  ehe  es  als  Transkription.szeichen  in  die  Erscheinung  tritt,  wahr- 
scheinlich nicht  bestand  und  also  absichtlich  zur  Wiedergabe  des  Wortes 
Thupa  geschmiedet  worden  ist.  Daß  man  dabei  das  Klassenzeichen  J^ ' 
»Erde«,  mit  dem  phonetischen  P'.lemente  ^^  t'ap  verband,  mag  seinen  Grund 
wohl  darin  gehabt  haben,  daß  die  Thüpa's  auch  Grabmonumente  und  sogar 
massive,  mit  Erde  ausgefüllte  Bauwerke  waren.  Weniger  sicher  ist  aber, 
weshalb  in  den  allerersten  Zeiten  des  Buddhismus  in  China  die  TJiüpa's 
daselbst  »Buddha«  oder  »Bud«  genannt  wurden.  Vielleiclit  läßt  sich  das 
aus  der  Tatsache  erklären,  daß  sie,  wie  wir  sehen  werden,  zur  Aufbewahrung 
von  Reliquien  und  Bildern  des  Buddha  dienten  und  somit  dessen  Geist 
und  Seele,  sein  Wesen  selbst,  enthielten;  oder,  was  wahrscheinlicher  ist. 
es  könnte  auch  die  Benennung  die  Abkürzung  eines  mit  dem  Worte  Buddha 
oder  Bud  anlautenden  Ausdrucks  sein,  wofür  Bud-kütägära,  »Buddhaturm«, 
zu  allererst  für  uns  in  Betracht  kommt.  Die  Benennung  p'u-tö  ist  durch 
das  viel  mehr  gebräuchliche  t'ap  nie  verdrängt  worden,  hat  vielmehr  ihren 
Platz  in  der  Literatur  immer  behalten,  sogar  als  viel  vornehmerer  Aus- 
druck, weil  er  nicht  bloß  älter,  sondern  auch  aus  klassischen  Schriftzeichen 
zusammengesetzt  ist. 


Di)-  Patjodrn   in   (.Itimt.  3 

Bekanntlicli  liaben  in  Indien  von  alters  her  Gebäude  mit  Stockwerken 
bestanden,  zum  Teil  von  beträchtlicher  Höhe,  deren  Herkunft  sich  in  der 
Nacht  der  Zeit  verliert,  und  die  Stüpa,  Pali:  Thüpa,  liießen.  Sie  waren 
freistehende  Bauwerke  im  Bannkreis  buddldstischer  Klöster,  waren  bald 
massiv  und  somit  unzugänglich,  bald  hohl  und  dann  absichtlich  unzugäng- 
lich gemacht.  Nach  /)rthodoxer  Auffassung  waren  sie  zur  Aufbewahrung 
von  Reliquien  größerer  oder  kleinerer  Heiliger  bestimmt:  jedoch  viele  sind 
diesem  Erft>rdernis  nicht  gerecht  geworden  und  sind  somit  keine  wahren 
Dägob  oder  Dhätugarba,  »Aufbewahrungsstätten  von  Elementen«,  d.  h. 
von  Reliquien,  gewesen,  sondern  Monumente  zur  Erinnerung  an  wichtige 
Ereignisse,  welche  an  der  Stelle,  wo  sie  standen,  stattgefimden  haben  sollen. 
Jeder  Dägob  war  somit  ein  Stüpa,  allein  jeder  Stüpa  nicht  ein  Dägob. 
Weiter  ist  es  eine  wohl  bestätigte  Tatsache,  daß  bereits  in  den  alten 
Zeiten  des  heidnisclien  Indien  daselb.st  kulya  oder  ?>dhügel  bestanden, 
worin  Knochenreste  verbrannter  Leichen  aufbewahrt  wurden.  Auf  solch 
einem  kulya  wurde  wohl  ein  Hügel  aus  Mauerwerk  oder  eine  Säule  er- 
richtet, oder  man  kennzeichnete  auf  diese  Weise  die  Stelle,  wo  der  Scheiter- 
haufen gestanden  hatte.  Wie  es  mit  allen  Gräbern  lieidnischer  Völker  der 
Fall  war,  trugen  solche  kulya  einen  geweihten  Charakter,  und  es  liegt 
nahe,  daß  sie  die  («rundform  des  Dägob  gebildet  haben:  denn  die  Kuppel 
des  Dägob  ist  die  Weiterentwicklung  des  Grabhügels,  die  Mauern  des 
(iebäudes  sind  der  Kreis  von  Steinen,  die  Säule,  welche  den  Dägob  krönt, 
ist  die  auf  dem  Grabhügel  eingepflanzte  Stange'.  Wir  werden  sehen,  daß 
in  China  die  t'up  sowohl  den  Charakter  eines  (Grabhügels  wie  den  des 
Däg:ob  oder  des  Thn[)a  tragen,  und  daß  die  Voraussetzung,  sie  seien  mit 
(lern  Buddhismus  nach  China  hineingebracht,  auch  hierdurch  ihre  Bestä- 
tigung erfährt. 

Gewiß  rechtfertigt  der  auf  S.  i  wiedergegebene  Auszug  aus  dem 
Werke  Ober  die  Klöster  von  Lo'-jnny  die  Annahme,  daß  schon  in  der  Zeit 
der  zweiten  //a/j-Dynastie  der  stark  im  Fortschreiten  begriffene  Mahäyäna- 
Buddhismus  nach  China  die  Sitte  brachte,  die  Gräber  mit  Tliüpas  aus- 
zu.statten.  Einzelheiten  über  Form  und  (Jröße  dieser  Monumente  scheint 
die  derzeitige  Literatur  nicht  zu  bieten,  und  somit  dürften  sie  wohl  von 
einfachem  Bau  und  nicht  auffälliger  (Größe  oder  Schönheit  gewesen  sein. 


Kkrn,   -Gcvscliieilfnis  van  lict  Biuldhisnie  in  Indir-,  Buch  III.  Kap.  VI,  3. 

1* 


4  ■  U  E    G  K  O  O  T  : 

(Tewiß  zierten  sie  hauptsäclilich,  wenn  nicht  ausschließlich,  die  Gräber  der 
Geistlichkeit,  gleichwie  es  auch  jetzt  noch  der  Fall  ist.  In  der  Tat  sind 
die,  Heiligen  der  Kirche,  von  deren  stofflichen  Überresten  |^  im  oder  ^ 
liny,  d.  h.  »göttliche  Wirkung«,  ausgeht,  so  daß  diesen  als  ^  ^Ij  Sarira 
oder  Säririka,  d.  h.  körperlichen  Überresten,  Verehrung  gebührt,  fast  aus- 
nahmslos im  Kreise  des  Mönchtums  zu  finden,  das  durch  Befolgung  der 
religiösen  Disziplin  der  Kirche  den  breiten  Weg  (Mahäyäna)  zum  Buddha- 
tum  beschreitet  und  auf  demselben  schon  während  der  Lebenszeit  den 
heiligen  Zustand  des  Bodhisattva,  des  «zur  Weisheit  erwachten  Wesens«, 
erreicht. 

Die  in  den  Umgebungen  der  Klöster  liegenden  Gräber  vornehmer  Mönche 
sind  zumeist  mit  einem  kleinen  achtseitigen,  jedoch  auch  wohl  sechsseitigen 
Thüpa  aus  Stein  oder  Mauerwerk  geschmückt  (s.  Titelbild,  Abb.  i).  Dieser 
ruht  auf  einem  acht-  oder  sechsseitigen  Sockel  mit  Gesims  und  Wulst,  und 
dieser  Sockel  steht  auf  einem  erheblich  breiteren,  teilweise  im  Boden  ver- 
senkten steinernen  Unterbau.  Ein  einziges  wie  ein  Zeltdach  behauenes 
Stück  Werkstein  deckt  den  Thüpa;  oder  dieser  ist  oben  einfach  abgerundet 
(s.  Tafel  II),  was  seinen  ursprünglichen  Charakter  als  Grabhügel  mit  voller 
Schärfe  zum  Ausdruck  bringt.  Es  gibt  auch  quadratische  Thüpa  dieser 
Art.  Diese  tragen  als  Dach  eine  über  die  vier  Seiten  vorspringende  imd 
nach  unten  rund  zugehauene  quadratische  Steinplatte,  worauf  sich  im 
Mittelpunkt  auf  einem  Sockel  eine  runde  Stange  aus  Werkstein  erhebt, 
die  häufig  so  hoch  ist  wie  der  Thüpa  selbst,  wenn  nicht  noch  höher,  und 
die  sich  häufig  sehr  wenig  oder  gar  nicht  verjüngt.  In  gleich  großen  Ent- 
fernungen sind  darin  horizontale,  gleich  große  Einschnitte  angebracht,  so 
daß  die  Stange  aussieht  wie  eine  Achse,  auf  der  eine  Anzahl  gleich  dicker 
Ringe  aufgereiht  sind,  und  zwar  in  Entfernungen,  die  der  Dicke  der  Ringe 
gleichkommen.  Diese  Ringe  sind  häufig  bauchig  und  in  großer  Verschie- 
denheit stilisiert.  Die  Stange  vergegenwärtigt  offenbar  die  auf  dem  Grab- 
hügel eingepflanzte  Stange  alter  Zeit,  und  ihre  Gliederungen  deuten  wohl 
darauf  hin,  daß  hauptsächlich  Bambus  für  Grabstangen  verwendet  wurde, 
jene  eigentümliche  Holzart  also,  welche  in  allen  warmen  Ländern,  wo  sie 
gedeiht,  stets  in  allererster  Linie  das  unübertreffliclie  Material  fiir  Stangen 
aller  Art  liefert.  Wie  noch  darzutun  ist  (S.  lo  f.),  ist  diese  Grabstange 
bedeutungsvoll,  weil  sie  die  Grundform  der  gegliederten  großen  Pagoden 
ist,   die  ma.     zur  Beisetzung  von  Reliquien   des  Buddha  erj-ichtet  hat,  und 


Pmiß.  Akafl.  rl.Wis.ipnf^c/i. 


I'h>L-hist.  Mih.     IUI 9.     -Y;-.    //. 


Die  Pagoden  in  Cliina.     .  5 

ihr  Vorhandensein  zeigt,  daß  wir  im  Thüpa,  der  sie  trägt,  den  Grabhügel 
und  in  dessen  Sockel  das  Grab  zu  erblicken  haben'. 

Die  Höhe  solcher  Grabfhüpas  mag  wohl  ein  bis  drei  Meter  betragen. 
Viele  sind  unter  Aufwendung-  von  großer  Sorgfalt  aus  den  vortrefflichsten 
Materialien  —  Majolika,  Werkstein  oder  weißem  Marmor —  erbaut  und  zeigen, 
was  Bearbeitung  und  Verzierung  betrifft,  große  Verschiedenheit.  Viele  haben 
ein  achtteiliges  Zeltdach  aus  glasierten  Ziegeln  und  darauf  einen  Abschluß- 
knauf, der  einem  bauchigen  Toi)f,  einer  Urne  oder  Vase  auf  Fußgestell 
ähnlich  ist.  Große  Klöster  haben  wohl  einen  Friedhof,  wo  solche  Thüpas 
mitten  im  Gebüsch  und  Hain  reihenweise  aufgestellt  sind,  und  wo  somit 
die  heilige  Kraft  der  vornehmsten  und  seligsten  der  Brüderschaft  dem  Kloster 
Schutz  und  Segen  angedeihen  läßt"  (s.  Titelbild,  Abb.  2).  Der  Pilger  Fa^-him 
(s.  S.  2)  verzeiclinet  solch  einen  Friedhof  von  Thüpas  am  Schluß  des  13.  Ka- 
pitels seines  Reiseberichts,  wo  wir  lesen: 

Mehr  als  400  Schritt  westlich  vom  Schatten  (des  Buddha)  rasierte  (sich?)  Buddha,  als 
er  sich  da  befand,  die  Haare  ab  und  schnitt  sich  die  Nägel,  >ind  er  selbst  baute  dort  init 
seinen  .lungern  einen  Thüpa,  7 — 8  lianc/  hoch,  damit  dieser  das  Modell  für  alle  künftigen 
Thüpas  sei.  Er  besteht  noch  immer,  und  daneben  liegt  ein  Kloster,  worin  über  700  Geistliche 
wohnen.  An  dieser  Stelle  stehen  Thüpas  von  Arhats  und  Pralyekabuddhas,  über  tausend 
an  Zahl. 

In  der  Umgebung  Pekings  haben  viele  Totenthupas  die  Gestalt  einer 
runden,  bauchigen  Vase  oder  Urne,  die  sich  erliebt  auf  dem  vier-  oder 
achtseitigen  Sockel  mit  Sims  und  Wulst  und  einen  Sockel  mit  der  Stange 
trägt.  In  vielen  von  diesen  Fällen  ist  die  Stange  von  der  schon  beschrie- 
benen erheblich  verschieden :  sie  ist  nämlich  unten  breit  und  verjüngt 
sich  kegelartig;  schmale  Einschnitte  teilen  sie  in  horizontale  Kegelschnitte 
gleicher  Höhe,  die  somit  als  ebenso  viele  DScherchen  aufeinander  ruhen. 
Ganz  oben  trägt  diese  Stange  eine  ringsum  vorspringende  Kappe,  auf 
der  als  Abschluß  eine  Figur  wie  ein  Flaschenkürbis  auf  Fußgestell  ruht, 
(ierade  unter  diesen  Vasenthupa-s  trifft  man  besonders  schöne,  welche  aus 
weißem  Marmor  und  mit  einem  schönen  Marmorgeländer  umgeben  sind. 
Daß  ihre  Form  der  der  tibetischen  Thüpas  entspricht,  ist  augenfällig,  imd 
sie   ist  vielleicht  wohl  als  eine  Nachahmung  derselben  zu  betrachten.     Den- 


'  Schöne  Abbildungen  und  Beseht eibungen  von  Mönchsgräbern  gibt  Boerschmann  in 
•  Die  Baukunst  der  C'hinesen-   I,  8.  175  ff. 

■■'  Zwei  interessante  photographische  Abbildungen  eines  Klosterfriedhofs  findet  man 
unter  Nr.  829  und  830  in  Chavannks   »Mission  archiMjlogjqiio  dans  la  ('hine  septentrionale". 


(5  •  DK   (Jroot: 

iiüdi  erhebt  sieh  die  Frage,  ob  diese  Bauart  nicht  ihren  Ursprung  der 
Urne  oder  der  Vase  verdankt,  welche  die  Reste  der  verbrannten  Leiche  ent- 
hält. Diese  befinden  sicli  zumeist  innerhalb  des  Thüpa  hinter  einer  in  der 
Vorderseite  eingesetzten  Steinplatte,  auf  der  eine  Inschrift  bekundet,  von 
welchem  Geistlichen  die  ;^^,  »(zur Weisheit) erwachteSeelenkraft«, stammt, 
welche  jetzt  in  dem   Thüpa  wohnt. 

Viele  Leichen  von  Mönchen  werden  nicht  verbrannt,  sondern  in  sitzen- 
der Haltung  in  einer  speziellen  Art  von  Särgen,  welche  wie  ein  Schrank 
aussehen,  in  einem  Raum  unter  dem  Thüpa  beigesetzt.  Dieser  Raum  l)e- 
steht  auch  wohl  aus  zwei  oder  drei  Kammern,  jede  für  eine  Leiche  und 
mit  einem  Thupa;  oder  der  Raum  enthält  mehrere  Urnen,  jede  mit  den 
Überresten  einer  verbrannten  Leiche,  und  trägt  nur  einen  gemeinschaftliclien 
Thupa.  Im  übrigen  sind  solche  gemeinschaftlichen  Gräber,  insonderheit  im 
Süden  des  Reichs,  ausgestattet  wie  Gräber  des  Laientums,  namenthch  mit 
einer  niedrigen  Mauer  im  Halbkreis  auf  der  Rückseite,  einem  offenen  Raum 
mit  Opfertisch   in  der  Front,  usw.  (s.  Titelbild,  Abb.  i ,  und  Taf.  II,  zu  S.  4). 

Gewiß  wurde  nicht  immer  jedem  verstorbenen  Möncli  ein  eigener 
Thüpa  errichtet.  Diese  Ehrung  wird  wohl  immer  solchen  vorbehalten  ge- 
blieben sein,  die  im  Kloster  eine  führende  Stellung  einnahmen  und  im 
Ruf  großer  Heiligkeit  standen.  Die  Überreste  der  durch  Verbrennung  ins 
Jenseits  Eingegangenen  hat  man  in  oder  unter  einem  gemeinschaftlichen 
Thüpa  beigesetzt.  Auf  solch  ein  Verfahren  weist  der  folgende  Bericht  hin, 
der  im  ]?J^^^xil  Jtu-jang  tsa'  t-^u  vorkommt,  einem  interessanten,  aus 
Abhandlungen  verschiedener  Art  zusammengesetzten  Werk  des  8.  Jahr- 
hunderts, und  zwar  in  der  ^^,  »Angefügte  Sammlung«,  in  einer  ^i^gß, 
»Abhandlung  über  buddhistische  Klöster  und  Thüpas«  : 

Das  buddhistische  Kloster  des  Herrn  Tiao  King  im  Viertel  Sang-lo  wurde  im  3.  .Tahre 
lier  Ä"(7(-A»/a!'(</-Periode  (583)  der  S/j-Dynastie  gestiftet  ....  Unter  einem  Thupa  lagen  dort 
drei  Scheflel  und  vier  Finten  Sarira's.  Als  man  den  Thüpa  fortschafTte,  errichtete  der  Mönch 
Sou-hing  eine  Altarstätte  zur  Verrichtung  von  religiösen  Zeremonien  und  brachte  die  Sarira's 
zum  Vorschein,  um  sie  vor  den  Notabein  und  dem  Volke  zur  Schau  zu  stellen:  aber  noch 
ehe  er  mit  seinen  Lobliedoi-n  fertig  war.  wurden  allerseits  auf  di>m  Boden  ."^arird's  sichtbar, 
so  daß  die  Notabein  und  Frauen  sich  scheuten,  darauf  zu  treten  und  sämtlich  das  Kloster 
verließen.  Smi-hing  verfertigte  darauf  etwa  hunderttausend  l<leine  Thüpas  aus  Ton  und 
Holz  zur  Beisetzung  der  Sarira's,  und  jetzt  sind  von  diesen  Thüpas  noch  einige  Zehntausend 
vorhanden. 

Das  Beisetzen  der  tiberreste  verbrannter  Klostergeistlicher  unter  Thüpas 

ist  ohne  Zweifel  ein  religiöser  Brauch,   der,   gleichwie  der  Buddhismus  und 


Die  Pagoden  m  China.  7 

seine  Feuerbestattung,  aus  Indien  herstammt.  Einen  Beleg  (Jafür  bietet 
die  Mitteilung  des  Fa'-him,  daß  er  im  Reiche  Singhala  (llß-J--)  oder  Ceylon 
von  der  Verbrennung  eines  heiligen  Geistlichen  Zeuge  war,  nach  deren 
Ablauf"  man  JJ5(^  Bt"^*  kIÜ^^^  '"^  Überresie  sainmelte,  die  Knochen  daraus 
nahm  nnd  dafür  einen  Thnpa  eiiichtete.  Es  liegt  SOmit  in  Clllua  dem  Wort  t'dp 
oder  t'ap-po  als  Transkription  von  Thüpa  in  allererster  Linie  der  Begriff" 
Grabhügel  zugrunde,  und  das  wertvolle  Sammelwerk  über  den  Buddhismus, 
der  ^^^^y|v  Fa'-jnanMu-lin,  » Perlen wald  im  Park  des  Dharma«,  eine  von 
^jSiöl  ^(ikija  Tao-äi 668  vollendete  Sammlung  von  allerhand  buddhistischen 
(xegenständen,  hat  daher  vollkommen  recht,  wenn  es  schreibt  (Kap.  37  Bl.  7): 
^^i:^^^!^  ^irÄj^l  jlt^v'^-'Ä"  "'"^  '"^"  '"^'  '""'  "'"^^  ""^'  '"P'i"  nennt, 
da.s  sind  viereciiige  Grabhügel. 

Schon  seit  Jahrhunderten  sind  in  (  hina  die  Grab-  oder  Aschenthupas 
auch  bezeichnet  worden  durch  das  Wort  iat,  das  ^|]  geschrieben  wird. 
Das  Ä"V/H(/-/(/-Glossar  sagt:    ^.^±^iL^^^M^M-f'^\SM^  Gräher 

der  buddhistischen  Geistlichkeit,  worauf  man  eine  Säule  errichtet  nnd  worin  man  Sarira 
aufbewahrt,  heißen  auch  sai.  Oline  Zweifel  ist  dieses  Sat  nichts  anderes  als  das 
indi.sche  Caitya,  das  Heiligtümer  im  allgemeinen  bedeutet.  Das  Zeichen, 
das  es  wiedergibt,  ist  gewiß  zu  diesem  Zwecke  geschmiedet  worden,  denn 
es  kommt  in  den  klassischen  Schriften  nicht  vor,  und  ihm  ist  mithin  seitens 
d(!r  geschulten   Literaten  das  Bürgerrecht  stets  abgesprochen   worden. 

Oberflächlich  könnte  es  den  Anschein  erwecken,  daß  der  Buddhismus 
den  Kult  der  Reliquien  des  menschlichen  Kör{)ers  als  ein  ganz  neues 
Element  in  die  Religion  Chinas  eingeschaltet  habe.  Tatsiichlich  aber  ist 
das  keineswegs  der  Fall,  denn  gewiß  waren  auch  in  China  die  (iräber 
von  alters  her  wegen  der  darin  ruhenden  menschlichen  Überreste  heilige 
Stätten.  So  gut  wie  nocli  heutzutage,  muß  auch  in  vergangenen  Zeiten 
dort  die  Oberzeugung  geherrscht  haben,  daß  die  menschliche  Seele  den 
Körper  nicht  verläßt,  wenn  dieser  als  Leiche  im  Grabe  ruht,  sogar  nicht, 
wenn  die  Verwesung  ihr  Werk  getan  und  nur  noch  Knochenreste  zurück- 
gelas.sen  hat.  Das  Grab  ist  somit  ein  Heiligtiun,  wo  die  Lebenden  der 
Seele  des  Toten  Opfer  und  Verehrung  darbringen,  sie  um  Segen  und  Hilfe 
anflehen;  es  ist  ein  Heiligtum  also,  das  .Segnungen  entsendet,  welche  das 
iV'rt  oder  ling  des  Toten,  sein  Geist,  die  Kraft  seiner  wirkenden  Seele 
(vgl.  S.  4),  spendet.  An  diese  Glaubenssätze  unlöslich  gefesselt,  hat  der 
menschliciie   Geist    in   China    sieh    ein   Sy.stem   der  Leichen be.sorgung   und 


S  I)  E   (i  R  o  or  : 

des  Toteiikults  gescliafien,  von  so  holier  Kntwicklung,  daß  kein  anderer 
Teil  der  Menschheit  ein  gleiches  aufweisen  kann.  Der  Kultus  menschlicher 
Überreste  oder  Reliquien,  wurzelnd  in  der  Überzeugung,  daß  diese  beseelt 
sind  und  mithin  Wunderkraft  besitzen,  war  somit  in  China  wahrscheinlich 
schon  uralt,  als  der  Buddhismus  ihn  durch  den  Kultus  der  Reliquien  seiner 
mittels  Feuer  ins  Nirväna  geschickten  Geistlichkeit  um  ein  kleines  ausdehnte 
und  überdies  noch  Sarira's  des  größten  und  heiligsten  aller  Menschen,  des 
Huddha  selbst,  als  Eropagandamittel  höclister  Ordnung  dazu  gesellte.  Sogar  die 
viel  größeren  und  höheren  Thüpas,  wel(;he  die  Kirche  zur  Beisetzung  dieser 
allcrheiligsten  Reliquien  erl)aute,  waren  im  Grunde  nichts  Neues,  denn  sie 
waren,  wie  jetzt  darzutun  ist,  von  den  für  die  Gebeine  und  Asche  der  Geist- 
lichkeit errichteten  Tlnipas  im  Grunde  nicht  verschieden  und  somit,  gleichwie 
diese,  Grabhügel  in  der  vollendeten  Form.  Daß  sie  aber  viel  vornehmere 
Heiligtümer  der  Mahäyäna-Religion  wurden,   versteht  sich   von   selbst. 

Bevor  wir  nun  zu  diesen  Reliquienpagoden  übergehen,  sei  nocl»  er- 
wähnt, daß  Beerdigung  \inter  oder  in  solch  einem  Monument  auch  wohl 
ausnahmsweise  niclitgeistliclien  Per.sonen  zuteil  wurde.  Wir  lesen  z.  B. 
in  den  ^j^^  Kiu  T'ang  su  oder  »Alten  Geschichtsbüchern  der  T'ang- 
Dynastie«  (Kap.  io8  Bl.  lo)  und  in  den  ^|^^  Sin  Tang  äu  oder  »Neuen 
Geschichtsbüchern  der  rVm^-Dynastie«  (Kap.  126  Bl.  1 2),  daß  der  hohe 
Staatsdiener  /fi y5!| ilü  Tn  Hung-tsien,  der  769  oder  770  starb,  sich  auf 
dem  Sterbel)ett  von  buddhistischen  Geistlichen  das  Haar  abrasieren  ließ 
und  seinem  Sohn  befald,  ihn  nach  ausländischer  Art  unter  einem  Thupa 
zu  beerdigen.  Nach  denselben  »Alten  Büchern«  (Kap.  150  Bl.  4)  starb  782 
das  vierjährige  Söhnchen  des  Kaisers  f^^  ^^  Tsvng,  und  darauf  befahl 
der  Kaiser,  ihm  kein  Grab  zu  machen,  sondern  nach  der  Sitte  des  Westens 
ihm  einen  Thiipa  zu  bauen.  Als  dann  jedoch  ^-^  Li  T§ao,  der  Minister 
für  das  Ritual  und  das  Zeremoniell  (jlgf^),  ihm  einredete,  daß  es  nicht 
anginge,  bei  einem  kaiserlichen  Prinzen  von  der  uralten  und  orthodo- 
xen Bestattungsweise  abzuweichen  und  indischen  Thüpas  den  Vorzug 
zu  ge})en,  nahm  der  Kaiser  seinen  Befelil  zurück.  Derselbe  Kaiser  ließ 
auch,  wie  sowohl  die  »Alten  Büclier«  (Kap.  138  Bl.  14)  als  auch  die 
»Neuen«  (Kap.  152  Bl.  4)  es  uns  in  der  Biographie  des  Zensors  ^^^ 
Kiang  Kung-fit  lehren,  seine  geliebte  älteste  Tochter,  die  im  jugendlichen 
Alter  starb,  unter  einem  Thfipa  aus  Backstein  l)estatten.  Es  ist  wohl  über- 
flüssig, noch  mehr  solche  Beispiele  aus  chinesischen  Schriften  heranzuziehen. 


Picyß.  Akrnl.  d.  Wis-irmich. 


Phil.-lust.  Ahh.    i;ii;i.    .\r.  11. 


l)it    PiHjodcn  in   ChiiKi.  9 

Zweites  Kapitel. 
Der  Thüpa  zur  Beisetzung  von  Reliquien  des  Buddha. 

Die  Heiligtümor,  welche  sich  die  Mah;lyäiia-Kirche  in  China  zur  Bei- 
setzung von  Reliquien  Buddhas  erbaut  hat,  entsprechen  also  den  indischen 
Dhätugarba  oder  Dägob  (s.  S.  3),  und  kraft  dieser  Reliquien  sind  sie 
Häuser  der  Seele,  des  heiligen  Geistes  des  Herren,  folglich  Heiligtümer 
höchster  Ordnung,  erster  Größe  und  Schönheit.  Da  man  immer  bestrebt 
war,  sie  bis  zu  überragender  Höhe  aufzufiihren,  so  sind  sie  in  Wirklich- 
keit Bud-kiitägära,    »Buddhatürme«,  also  Pagoden  (vgl.  S.  1). 

Eine  Pagode  oder  ein  Thupa  erster  Ordnung  (s.  Taf.  Uli)  ist  in  der 
Regel  ein  regelmäßig  achteckiger,  hohler,  stumpfer  Obelisk  aus  mörtelge- 
bundenen Mauersteinen  oder  Steinquadern,  mit  einer  immer  ungeraden  An- 
zahl Stockwerke,  durch  hölzerne  Fußböden  gebildet,  deren  Höhe  sich  gleich 
bleibt  oder  gleichmäßig  nach  oben  hin  verringert.  Das  Erdgeschoß  zählt 
nach  chinesischer  Auffassung  als  Stockwerk  mit.  In  vielen  Fällen  bildet 
jeder  Stock  einen  quadratischen  Raum,  weil  die  Mauern  des  Obelisks  mit 
Absicht  so  konstruiert  sind,  daß  sein  hohles  Innere  die  Form  eines  geraden 
Prismas  jnit  quadrali.scher  Grundfläche  hat.  Man  hat  auch  Pagoden  an- 
getroffen,  von  denen   nur  die  höheren  Stockwerke  innen  quadratisch  sind. 

Jeder  Raum  hat  in  der  Mitte  der  acht  Wände  je  eine  viereckige  oder 
gewölbte  Öffnung,  die  abwechselnd  Fenster  oder  Tür  ist.  Es  kommt  aber 
auch  vor,  daß  in  jedem  Stock  vier  Wände  abwechselnd  keinerlei  Öffnung 
haben,  und  auch,  daß,  wahrscheinlich  auf  (ii-und  mystischer  Ansichten  der 
Baumeister  oder  der  Geistlichkeit,  Türen  und  Fenster  unregelmäßig  ange- 
bracht sind.  Ajif  jedem  Stock  bieten  die  Türen  Zugang  auf  einen  Balkon, 
der  den  Olielisk  umgibt  und  mit  Brüstungen  versehen  ist.  Unmittelbar 
initer  jedem  Balkon  ist  ein  vorspringendes  Dach  angebaut,  das  auf  Wand- 
kapitälen  ruht  und,  wie  es  in  China  allgemein  bei  den  Dächern  großer 
Tempel  und  Palastgebände  der  Fall  ist,  an  den  Ecken  sich  etwas  aufwärts 
biegt.  Mitliin  schlingen  sich  die  Dachlinien  girlandenartig  um  die  Pagode 
herum  und  verleihen  ihr  die  eigentümlich(!  Eleganz  und  Schönheit,  die 
sogar  das  abendländische  Kunstgefuhl  angenehm  berührt  und  durch  die  zier- 
lichen Wandkapitäle  und  die  glasierten,  farbigen  Dachziegf^l  noch  erhöht 
Pl,il..hhl.  Abh.   min.  Nr.  II.  •-' 


10  I)  E    G  R  O  O  T  : 

wird.  Die  Dächer  sind  liäiiptsäclilicli  aus  llolz,  ebenso  wie  die  Balkone 
und  ihre  Brüstungen. 

Die  Mauern  der  Pagode  sind  unten  dick  und  schwer  und  werden  nach 
oben  hin  dünner,  und  zwar,  weil  sie  auf  der  Außenseite  sicli  etwas  zurück- 
neigen und  überdies  auf  jedem  Stock  an  der  Stelle,  wo  sich  der  Balkon 
befindet,  ein  wenig  zurückspringen.  Die  Verjüngung  der  Pagode  ist  also 
auch  stufenartig,  und  es  ist  daher  spraclilich  vollkommen  richtig,  daß  die 
Ohinesen  die  Stockwerke  ^ /«<  ,  »Stufen«,  nennen,  obzwar  daneben  auch 
die  Benennung  ^  tseity,  »Stockwerk«  oder  »Schicht«,  durchweg  bräuch- 
lich ist. 

Das  Erdgeschoß  ist  in  der  Regel  liöher,  in  manchen  Fällen  sogar  viel 
höher  als  die  übrigen  Stockwerke.  Es  hat  in  der  Mitte  einer  Wand  den 
Hauptehigang,  oder  es  gibt  zwei  solche  Eingänge  einander  gerade  gegen- 
über, sogar  wohl  einen  in  vier  oder  in  allen  AVänden.  Hier  führen  hölzerne 
Wendel-  oder  Zickzacktreppen,  auch  wohl  Leitern,  zu  den  Stockwerken 
hinauf.  Diese  sind  als  Kapellen  zu  bezeichnen,  insofern  sie  einen  Altar 
mit  der  Statue  eines  Buddhas  oder  mit  mehreren  Heiligenbildern  enthalten, 
oder  insofern  solche  Bilder  dort  in  Wandnischen  untergebracht  sind.  Auch 
befinden  sich  in  der  Regel  Bilder  in  Nischen  auf  den  Umgängen.  Der 
ehemalige  sogenannte  Porzellanturm  von  Nanking  (s.  S.  i  i  f.)  soll  auf  jedem 
Stockwerk  durchschnittlieh  etwa  zweihundert  Bilder  enthalten  haben,  alle 
schön  vergoldet:  und  der  Thui)a  des  ;;j(^^  Fc-sr,  des  »Nordklosters«,  von 
irfi^j'l'l  Su-tsou,  zählt  wohl  fünfhundert'. 

Die  Bauart  des  Buddliaturnis  zeigt  also  deutlieh,  daß  er  einfach  eine 
Weiterbildung  des  Grab-  oder  Aschethüpa  der  (Geistlichkeit  ist;  vergegen- 
wärtigt doch  eine  um  den  ganzen  Turm  herumgelegte  viereckige  Terrasse 
aus  Werkstein  das  Grab,  das  Erdgeschoß  des  Turms  den  (Grabhügel  und 
der  gegliederte  Turm  die  (irabstange.  Ein  achtteiliges,  mit  glasierten  Ziegeln 
gedecktes  Zeltdach  aus  Holz,  das,  auch  was  den  Abschlußknauf  betrifft, 
dem  auf  S.  4  erwähnten  Zeltdach  der  Grabthüpas  ähnlich  ist,  krönt  den 
Turm.  Daß  dieser  im  (Grunde  ein  Grabtlnipa  ist,  zeigt  auch  noch  ins- 
besondere die  Tatsache,  daß  er  häufig  oben  auf  dem  Dach  die  auf  S.  4 
erwähnte  (Jrabstange  trägt,  wenngleich  in  etwas  modifizierter  Form  und 
verschiedenartig  stilisiert.     Sie  ist  zumeist  aus  Eisen  oder  Bronze,  bestellt 

'  W.  C.  MiLNE,  »Pagodes  in  China-,  in  den  ..Transaptions  of  the  China  Branch  i)f 
the  Royal   Asiatic  Society-    1855,  S.  32. 


l)'u-  Puyoden  in  China .  ]  1 1 

vielfach  aus  um  eine  Stange  befestigten  Reifen  oder  Ringen  und  trägt 
einen  Absclilußknauf  in  Gestalt  eines  Flaschenkürbis.  Sie  trägt  auch  wohl 
ganz  obenauf  einen  platten  Sonnenschirm  aus  Metall  mit  vertikal  nieder- 
hängendem Rand;  oder  sie  besteht  bisweilen  aus  mehreren  derartigen  Schir- 
men, übereinander  um  eine  Stange  gereiht.  Ketten  verbinden  den  Gipfel 
der  Stange  mit  den  Ecken  des  Daches.  Da  nun  die  gegliederte  Pagode 
schon  an  sich  die  Grab.stange  darstellt,  so  soll  anscheinend  die  (üpfelstange 
den  Zweck  erfiillen,  die  Zahl  der  Gliederungen  der  Pagode  und  damit  auch 
ihre  Höhe  auf  bequeme  und  billige  Weise  zu  vermehren.  Für  diese  Hy- 
pothese spricht  z.  B.  die  Pagode  von  ^  j"!"!  Kiu-ison  in  ^an-tuny\  die 
an  Stelle  der  Stange  eine  zweite  schmälere  Pagode  derselben  Bauart  trägt, 
die  aus  sechs  weniger  liohen  Stockwerken  besteht  und  somit  die  Zahl 
der  Stockwerke  von   7   auf  1 3   vermehrt. 

Die  schönsten  und  größten  Pagoden  entsprechen  zumeist  der  hier 
gegeltenen  Beschreibung,  auch  der  sogenannte  Porzellan  türm,  der  außer- 
halb der  Südpforte  Nankings,  der  ^5f  f^  Tsii-pao  m/n,  stand  und  in 
meinen  Jugendjahren  noch  als  eins  der  Weltwunder  gerühmt  wurde.  Die 
'/lT/f5^/^>  Kiantj-^niny  fu  tSi,  »Denkschriften  des  Bezirks  Kinng-ning*,  teilen 
im  10.  Kap.  (Bl.  6)  mit,  daß  im  10.  Jahrhundert  auf  der  Stelle  ein  zer- 
trümmertes Kloster  lag,  nlas,  als  die  Sw«^-Dynastie  herrschte,  wieder- 
liergestellt  wurde  und  dann  ^)|?'|^'  "Kloster  der  Periode  Ti^^n-hit  (10 17 
bis  1022),  hieß.  Der  dabei  in  der  Periode  |^^  Siang-fu  (1009—17)  auf- 
gefiilirte  Thiipa  hieß  S^,(^i^^  Sing-kan  t'a'.  In  der  ^Jf  Ti^i-Uiug-VevioAa 
(1341 — 68)  der  Mongolendynastie  fiel  das  Kloster  einem  Brande  zum  Opfer. 
Dann  befahl  im  10.  Jahre  der  ^^  J?/«</-/o'-Periode  (1412)  der  Miny- 
Dynastie  der  Kaiser  Jjjf]  ^j}^  Ti'iny  Tsu  dem  Ministerium  der  Werke,  daselbst 
einen  neun  Stockwerke  hohen  Thüpa  aus  ^tij^  Uu-li,  glasiertem  Porzellan, 
zu  erbauen,  und  zwar  nach  einem  vom  Hofe  gemachten  Entwurf  Im  sechsten 
Jahre  der  Periode  ^f^,  Si/rn-tr'  (1431)  war  das  Kloster  fertig,  und  der 
Kaiser  schenkte  ihm  den  Namen  ;Acfßy^^  Ta-pao-ngm  .«r,  »Großes  Kloster 
zur  Vergeltung  von  Gnaden«.  Es  brannte  in  der  ^^  Kia-tsing-Yeriode 
(1522 — 67)  ab,  aber  die  Pagode  entkam  den  Flammen  mit  knapper  Not, 
und  es  dauerte  dann  bis  ins  dritte  Jahr  der  Periode  K'ang-In  (1664).  bis 
Gelder  für  den  Bau  der  großen  Klosterkirche  eingesammelt  wurden.   Zwanzig 

'  Abgebildet  bei  Hesse- Wartecc!,  -Scbantung  und  Deutsch-China«,  und  bei  MCnstkr- 
iiEHc;.   -fhinesische  Kunstgeschichte-   II,  S.  29. 


12  I)  i:   Gküot: 

Jahre  später  besuchte  der  Kaiser  auf  der  Reise  das  Kloster  und  bestieg 
die  Pagode:  und  zum  Andenken  an  diesen  holien  Besuch  wurde  ganz  oben 
eine  Tafel  angebracht,  die  eine  Inschrift  trug,  wofür  der  Kaiser  eigen- 
händig das  Modell  geschrieben  hatte.  Auch  schenkte  er  eine  vergoldete 
Buddhastatue  und  ein  Exemplar  des  ^I^|J|^  Vajrasütra,  die  beide  im 
Turm  den  Ehrenplatz  erhielten.  Im  38.  Jahre  der  Regierung  desselben 
Kaisers  (1699)  ging  die  Pagode  durch  Feuer  zugrunde,  und  für  den  Wieder- 
aufbau  stellte   der  Kaiser  Geldmittel  zur  Verfügung. 

Soweit  die  chinesische  Quelle.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ver- 
nichtete das  Feuer  nur  das  Holzwerk  und  ließ  die  Mauern  unversehrt,  und 
darauf  hat  Ehrfurcht  für  alles  Alte  den  Wiederaufbau  des  Thfipa  im  alten 
Stil  veranlaßt,  so  daß  er  sich  bis  zum  endgültigen  Untergang,  als  die 
T'ai-p'ing-RahaWion  Nanking  in  Trümmerhaufen  verwandelte,  in  der  Gestalt 
zeigte,  die  die  Entwürfe  des  Jahres  1412  ihm  gaben.  Dieser  wahrschein- 
lich allerschönste  Thüpa,  den  China  je  besaß,  verdankte  also  seine  Praclit 
in  erster  Linie  der  buddhistischen  Gesinnung  des  Kaisers  Ts'inff  Tsii,  den 
gewiß  die  Ehrfurcht  für  den  Geist  seines  Vaters  beseelte,  des  Stifters  der 
Dynastie,  der  ein  buddhistischer  Mönch  gewesen  war.  Der  Vater  hatte 
Kiang-7iing  zur  Hofstadt  gemacht,  und  der  Sohn  ließ  es,  als  er  Peking 
zur  Hofstadt  erhob,  ehrerbietig  als  »Hofstadt  des  Südens«  (Ntm-ki/i^)  be- 
stehen. 

Einen  ausführlichen  Aufsatz  über  das  Prunkjiiwel  dieser  zweiten  Reichs- 
liauptstadt  schrieb  der  Gelehrte  ^'/If"  Tä'm  /,  der  in  der  Periode  JEf^^ 
'Jsing-tfi'  (1506 — 2  i)  den  tsin-§i-Gr.\d  erwarb,  und  über  den  ein  Lebensbericht 
vorkommt  in  Kap.  286  (BI.19),  der  ^^  Ming  si,  » Staatsgesehichte  der  Jim^- 
Dynastie«.  Dieser  Aufsatz  befindet  sich  im  T  u-Su  tsi'-ti'ing,  im  123.  Kap. 
des  Abschnitts  jjil|)^^:.  Er  lehrt  uns,  daß  Tsing  Tsu  dekretierte,  daß  der 
Ziegeleibetrieb  im  ganzen  Reich  sein  Allerbestes  aufbieten  sollte  zur  An- 
fertigung von  lin-U  in  den  fünf  Hauptfarben.  Weiter  lesen  wir  da,  daß 
jede  der  acht  Seiten  des  Thüpa  5  ^  sin,  also  40  ts'i  oder  etwa  13m  lang 
war,  der  Turm  9  Stockwerke  besaß  und  iimen  quadratisch  war,  und  daß  die 
Wände  des  Erdgeschosses  Abbildungen  der  P3  ^  3E  "Könige  der  vier  Welt- 
gegenden« zeigten.  Die  eiserne  Gipfelstange  trug  Scheiben  und  Schüsseln 
und  obenauf  eine  vergoldete  Perle.  An  den  eisernen  Bändern  der  Stange 
liingen  Glöckchen,  wie  auch  an  den  Konsolen  der  Dächer.  Die  Zahl  der 
%m.    '•  Korblampen.,    betrug    144.      H^i*  f^lüM,  #^  f^  1^,  ^^=1] 


Die  Paijoden  In  China.  1 8 

^W yC ^ ÜH ^ ^  ffi  A Im  ^  f^l  W S  ;  '"lie  Windglöckchen  waren  i o  li 
weit  liörbar.  und  wenn  sie  sich  in  regnerischen  Näcliten  klingend  be- 
wegten, dann  gingen  die  Sarira  als  eine  Anzahl  von  leuchtenden  Perlen 
(Elmsfeuer!)  der  Reihe  nach  zwischen  den  Scheiben  (der  Gipfelstange)  her- 
aus und  herein,  einen  Laut  von  sich  gebend«.  Innen  führten  Wendel- 
treppen zu  den  Stockwerken  hinauf  Daselbst  waren  die  vier  Wände  mit 
fein  gearbeiteten  Bildern  von  Buddhas  bedeckt,  auf  jeden  Quadratfuß  eins, 
und  darüber  zogen  sich  schöne  Plafonds  hm.  In  den  Fenstern  hingen 
Laternen  aus  dünnen  Austemschalen. 

Taylor,  einer  der  letzten  Ausländer,  dem  es  vergönnt  war,  den  Thfipa 
zu  sehen,   schrieb: 

"A  comparatively  small  portion  of  it  is  white.  Green  is  the  pre- 
dominant  colour,  from  the  fact  that  the  curved  tiles  of  its  projecting  roofs 
are  all  of  this  colour,  while  the  woodwork  supporting  these  roofs  is  of 
the  most  substantial  charaeter  and,  in  the  peculiar  style  of  Chinese  archi- 
tecture,  curiously  wrought  and  richly  paintcd  in  various  colours.  The 
body  of  the  edifice  is  bullt  of  large,  well-burnt  brick,  and  on  the  external 
surface  they  are  green,  yellow.  red,  and  white.  The  bricks  and  tiles 
are  of  vcrj'  fine  clay  nnd  highly  glazed,  so  that  the  tower  presents  a 
most  gay  and  beavitiful  appearance,  which  is  greatly  lieightened  when 
Seen  in  the  reflected  sunlight. '"  Aus  diesen  Zeilen  erhellt,  wie  die  Be- 
nennung »Porzellanturm»  zu  verstehen  ist:  das  Porzellan  war  das  zwei- 
mal genannte  liu-li,  dasselbe  weiße,  farbig  glasierte,  harte  'I'onmaterial, 
woraus  auch  die  schweren  Dachziegel  der  kaiserlichen  Palastgebäude  und 
der  Tempel  der  Staatsreligion  liestehen. 

W^eitaus  die  Mehrzahl  der  Pagoden  entsprechen  der  obigen  Beschrei- 
bung nur  in  geringem  Maße,  sind  von  viel  einfacherer  Konstruktion  und 
besitzen  keine  ringsherum  laufenden  Dächer  mit  Baikonen,  sondern  an  Stelle 
dieser  nur  (Jesimse  aus  Mrnierwerk,  die  das  (lebäude  umfassen.  Die  Türme 
dieser  Typen  (s.  Taf.  111  2,  zu  S.  9  ;  Taf.  IV  i ,  zu  S.  39)  sind  in  der  Kegel  bloß 
aus  Mauerstein,  weiß  oder  gelb  getüncht,  in  vielen  Fällen  massiv  und  somit 
unzugänglich.  Selten  tragen  sie  die;  (Jiplelstange  und  anstatt  ihrer  nur  eine 
runde,  sich  zuspitzende  Flamme;  auf  Fußgestell,  einen  großen  Flaschenkürbis 
oder  einen  umgekehrten  runden  Topf  aus  harter,  glasierter  Tonerde. 


'    Mii.NE,   -Transactions  China  Brauch  R.  A.  S.«    1855,  S.  32. 


14  I)  K    Ü  E  O  O  T  : 

Die  Zahl  der  Stockwerke  oder  Gliederungen  einer  Pagode  ist  immer 
ungerade.  Mag  sein,  daß  ausnahmsweise  mal  eine  angetroffen  wird,  die 
eine  gerade  Anzahl  aufweist;  allein  dann  ist  hier  jedenfalls  die  Frage 
zu  stellen,  ob  sie  wohl  der  klassisch-religiösen  Sorte  angehört,  oder  ob 
nicljt  durch  Sturm  oder  Erdbeben  eine  Gliederung  verwüstet  ist,  endlich 
ob  man  nicht  eine  Gliederung  mitzählt,  die  nach  chinesischer  Ansicht 
keine  ist,  oder  umgekehrt.  Eine  durch  religiöse  oder  philosophisclie  Er- 
wägungen bedingte  Mindestzahl  oder  Höchstzalil  hat  es  wohl  nie  ge- 
geben; wohl  aber  hat,  wie  sich  bald  zeigen  wird,  unverkennbar  immer 
das  Bestreben  vorgeherrscht,  die  Pagoden  möglichst  hoch  aufzuführen,  ein 
Bestreben,  das  sich  auch  (vgl.  S.  i  i)  in  der  gegliederten  Gipfelstange  kund- 
gibt. Einen  natürlichen  Einhalt  hat  hier  gewiß  die  Baukunst  stets  ge- 
boten, die  es  sich  selbst  nicht  zutraute,  über  eine  gewisse  HöJie  hinaus- 
zugehen, ohne  die  Stabilität  des  Turmes  zu  gefährden;  und  somit  ist  wohl 
anzunehmen,  daß  Pagoden  mit  mehr  als  dreizehn  Stockwerken  Seltenheiten 
sind,  luid  wahrscheinlich  keine  eine  Höhe  von  hundert  Metern  erreicht.  Nach 
MiLNK  war  der  Porzellauturm  Nankings  260  englische  feet  hoch,  also  etwa 
80  m;  unten  war  er  96  feet  loinches  oder  29.5  m  breit;  die  Mauerdicke  be- 
trug daselbst  1 2  feet  oder  3.66  m;  und  oben,  nach  Lecomte,  8.5  feet  oder  etwa 
2.60m.  Anderen  Angaben  zufolge  war  diese  Pagode  nur  236  feet  oder  auch 
sogar  103m  hoch';  jedoch  diese  Zahl  ist  sicherlich  zu  hoch  gegriffen,  da 
sie  für  jedes  Stockwerk  eine  Höhe  von  nicht  weniger  als  14  m  voraussetzt. 

Daß  große  Thupas,  die  dem  hier  skizzierten  Bild  im  großen  und  ganzen 
entsprachen,  in  China  schon  in  den  ersten  Jahrhunderten  nach  der  Ein- 
führung des  Buddhismus  erbaut  worden  sind,  läßt  sich  dokumentarisch 
nachweisen.  Im  ersten  Kapitel  des  auf  S.  i  zitierten  Buchs  über  die  Klöster 
von  Lo'-jang  wird  nämlich  eine  solche  im  folgenden  Wortlaut  beschrieben : 
^   ^    ^    ^ij    ^    — ■    Pj^    ^i  Südlich  (vom  Altar)  der  S^  (oder  Götter  des  Erd- 

z  m  i-di  tt  m  ^Js  ^m  TT  ''^g''^"^°°^[^''7'"'  7;"7  ^"-''^<^f 

o  ^  ^  rr*  'ri  '^,2)   von    neun   Stockwerken   steht,    der  aus   Holz- 

g  "  1^  /L  ^o  -^^  ^  gesteilen    konstruiert   ist   und   im  ganzen  eine  Höhe 

öj  ^  -+-  -j-  j^.  ^  /^  von  90  tiang   hat.     Er   hat   einen   .iat  (Gipfelstangel, 

^  "  r-t  _f-  -1-  ^j-^  ^  rt^  der   noch    zehn    tsang   hoch    ist,  so  daß  die  Gesamt- 

f^  '  Q  '^  ^,  M&  y^  lÄ  höhe  über  dem  Erdboden  tausend  t«'»"  beträgt.   Wenn 

p  j+  yöw  ;^  ^  |S]  J^  man   noch   hundert   li  von   der  Keichshauptstadt  ab 

^  ist,  kann  man  das  Gebäude  schon  in  der  Feme  sehen. 


'rraiisactions   1855,  S.  55. 


Die  Poyoden  in  China.  1  5 


Als  man  anfangs  für  die  Fundamente  den  Boden 
aushob  bis  unter  das  gelbe  Grundwasser,  fand  man 
_,.._-        dreißig    vergoldete   Statuen.     Die   Großkaiserin    sah 
—    m    3E     1>    3j^i|    J^    ^K      darin  ein  Zeugnis  für  die  Bewahrheitung  des  Dharma 


und  entwarf  aus  diesem  Grunde  einen  über  das  ge- 
wöhnliche Maß   hinausgehenden  Bau.     Auf  dem  sat 

-|-j     —  -,  ■ —  -^  I.I  ■•  -  ^  steht   eine   vergoldete   Urne    aus   Kostbarkeiten,   die 

h    ^  1^  ^  "^  '^  *^  ^^^  25  Stein  (Wasser;*)  enthalten  kann,  und  darunter  be- 

T«5  h  ^^  <4s  ^  ^  1^  finden   sich  vergoldete  Schüsseln,    die  den  Tau  auf- 

• '  H~|  Ag  ^j_  jj^  jiiii  ^  '  fangen,    dreißig   übereinander,    um   die  herum  über- 

W   O  ^  f^  ^  ^  ^^  f§  .ill  vergoldete  Glöckchen  herabhängen.     Auch  an  den 

— •    y^  -^  w  zn  ^Ö  ö^  ^^  vier  eisernen  Ketten,  die  von  dem  iat  nach  den  vier 

■g"      ,  ^  jg|  -4-  —  . , .  <^  Koken   des  p'u-iö   laufen   (vgl.  S.  11)   hängen  solche 

.    /"  ^m  -jI*  -^  "T^  '^    .  Glöckchen.    Die  Größe  dieser  Glöckchen  ist  der  eines 

— ■   ^^  "^  5<.        "  S  — ■  Steinkrügleins  gleich.    An  den  neun  Gliederungen  des 

I      ^  ^  ^  ra  Ü  1^  T  //«-W   hängen  von  jeder   Kcke   ebenfalls   vergoldete 

^£    «  _i  ^1  [jc  jf^  jira  -|p^  Glöckchen   herab,   und  insgesamt  gibt  es  deren  von 

o    «  /"i::  ^'J  IE.  .  m  6  oben  bis  unten   120. 

-4^   ^  A>  "/l  '^  ^^  f3  j^  ''^^''  p'""''-^  hat  vier  Fassaden,  jede  Fassade   drei 

/^    'iü  /.^:  °  -V-  -iu?  lü  1^1  1"i'""C'i  "od  sechs  Fenster,  und  die  Türen  haben  alle 

H*!^    M  *ffl  ^  g  ^  ^  IBI  einen    rotlackierten    Türflügel.      Darüber    sind    fünf 

™.    ^  ,1^  ^  tpo  3t  ^  ^  Reihen  von  vergoldeten  Glöckchen  angebracht,  deren' 

■Xn  l  ^T  rp.  i^  [in  Gesatntzahl  5400  beträgt:    auch  haben  die  Türflügel 

.  ^  TW  IL  tm  -jj  -z:r  einen.Tierkopf  mit  einem  metallenen  Ring.    Alle  .\r- 

".i9  'L'*  j^  yj\;;  1^  Mr-  [Bl  beiten  in  Erde  und  Holz  sind  hier  erschöpfend  ge- 

^  Q  t;^  -Jr  ^  L  3f  lei-stet,  alle  Arbeitskräfte  an  Konstruktion  und  Aus- 

'^^-  '  — j.  .^  tA-  ~;  '^  gestaltung    restlos    aufgebraucht.     Die   Religion    des 

^  ^  '  ^\  ,  W  ^  Buddha   ist  so  ätherisch  und  so  schön,  daß   es  sich 

y'  tW*  'iS>  ^  ^  jE.  ^  nicht  denken,  nicht  sagen  läßt!    Die  verzierten  Säulen 


und  die  metallenen  Türköpfe  lassen  Gemüt  und  Auge 


S  W  o  jS  A.  I  erstaimen,  und  wenn  dann  droben  im  Winde  die  kost- 

W  öH  Iw'il  ^  :^  "^  ''"^  baren  Glöckchen  die  ganze  Nacht  hindurch  melodisch 

7^  m  JfX-  y^  I^  ^  ^>  klingen,  dann  ist  ihre   metallene  Sprache  weiter  als 

zehn  li  hörbar. 

HB    ^  Ui  jgw  ^     fci  ;g'  j^  Nördlich  des  p'u-tö  steht  ein  Tempel  des  Buddha, 

o  »A«  .1,^  >y^  ^-      *  _■  löi  Darin  befindet  sich  eine  vergoldete  Statue  von  18  Wr, 

^    ^  'zl  "T"  ■^  nehst  zehn  vergoldeten  Statuen  wie  ein  Mensch  von 

PEj    ^  ^^  "^  ^  ^<  /\  "/Jb  mittlerer  Größe.     Die   Zellen    der    Geistlichen,    die 

>4'-    "tSi  ^^  ^  HH  ~V'  "^  W  Stockwerke    und    Belvederen    sind    über   tausend    an 

—  nri'  'i*  \\V  o  JI2  iäi  i&  '^a'''-  ß'e  Sntra"s  und  Statuen,  welche  das  Ausland 
m  ^y  feA  ^  8  ^"  "^  ^^  dem  Kaiser  angeboten  hat,  befinden  sich  alle  in  diesem 
®  Sj  Äi  ^  4f|>  Q  ^  ^  Kloster.  Die  .Mauern  der  Höfe  des  Klosters  sind 
i£  ;Ä  ^  — F  l^I  ^  ^^  —  "'"  ''U'"'''^"  Sparren  Ijelegt,  welche  mit  Ziegeln  ge- 
■    Bu  ■^^  f'».'«  er     1,*  II  ^  |ä/f  deckt  sind,  wie  die   Mauern    des  jetzigen    Palastes. 

—  Url  '^—^  lit  /7I  TO  /V  o  In  jeder  der  vier  Fronten  des  Klosters  öffnet  sich 
J^   —  J^  i^  j^X  ^S  't'  t'  f'n  Tor.    Das  südliche  Tor  hat  drei  Stockwerke  und 


16  I)  E   G  R  o  o  r  : 

_j|-    ^^  o  |ni  lirl  jlj^  _L.  -K  Ji'ei  I)urchgäng(!  und    erhebt   sich   bis  20  tsang  über 

•^^    PPJ  g  lU  U^  J/v  T  ^4r  1^^  Erdboden.    Das  Tor  umfassend  und  flankierend, 

^^    r  J  ^  ^^  yi  1   J  -^  -^  befinden    sich    da    vier    mächtige   Krieger   und   vier 

■^    J^  jjQ  J2-  -U  ;ö"  iH:  — ■  I-öwen;  am  östlichen  und  am  westlichen  Tor  ist  es 

°  auch  so. 

Ab    A  A  Ml  ^  ,^  jS  ^K  '■'"    '^"t'*^"  •'^'"■^   '^*"'   J"'>9-f''-^>ir\ode  (534),    im 

y/M  xii  ~^  '       °  i4?  BP  ^'  ^l""'"*'»  brannte  der  p'u-tö  ab.    Der  Kaiser  bestieg 

3yr    l/i  JTL  >I^  T^  IT3  >.'i»  ,jjg  'Jen-asse  der  herabkommenden  Wolken,  um  sich 

•/öl   ^  "üi  1^  ~TC  4C  ^  — •  '^^^   Feuci'   anzusehen   und  schickte  den  König  von 

^ß  ^  ni  i  :j-ji  3i  4|i  Nan-jany,  Pao  Kii-tu.  und  den  ^linister  Tsang-sun  Tsi 

_L.    TJx  yC  ^  W4  ^  SS?  —  mit  tausend  Mann  der  ./«-/tV/ -Garde  nach  dem  Brand 

J^        ,  ^a  "fl  ^  f/j;  ip-  p-j  hin.    um  Hilfe   zu   bringen.     Das  Feuer  entstand    im 

—  °  rÄ  achten  Stock    und   brach   aus   bei  Tagesanbruch,  als 

[^  ^  .J  i^  I  A  ^"  "' 


m  -y-  r-j-  zu  "  -gg  '  "^  ^■^  achten  htock    und    brach   aus    bei   lagesanbruch,  als 

1.^  F3  ^   ■,  VV  0       --•  W^  Vr  ein  Gewitterregen  die  Luft  verdunkelte  und  Graupeln 

JmX  "'^  IM  ^  Jjf^  /  -<J>  1^1  mit  Schnee  gemischt  herabkamen.    Die  ganze  Bevölke- 

■^  fj'  i_-  , .  .^  wß-  ^^  ^g-  rung,  Geistliche   und  Laien,    kamen,    um  den  Brand 

H  [Sj  ";  "^  ^  't'  P  i  '"''  •i"'-i'sehen,    und   ihr  Wehklagen  erschütterte  die 

.  -j^  3|3l  j/C  Iw'        ""  fe  yv  Hauptsiadt.      Drei    bhik.su's    liefen    ins    Feuer    und 

"^  ,2-  ^  Jfn  )ii^  T^  -^  W  kamen   darin   um.     Drei   Monate    nach    dem   Brand 

/^  fW  j_  -rr;  tH;  ^  ^  /l^  War  das   Feuer    noch    nicht    erloschen;    es    befanden 

M-  t'  ^^  °  tm  'h  iS.  °  ^'''^    auch    Holzsäulen    unter    dem    Boden,    welche 

^  ^  /Rl  3/1^  "^  ^^  _,!,  "rp"  das  Feuer  suchte,  und  die  das  ganze  Jahr  hindurch 

'jM-  J\i  ^4^  ig^  j/C  ^-^  ^^  j^  ""«'1  rauchten.     Im   5.  Monat  dieses  Jahres  kam  Je- 

fe  ^  ^^  ^  jfc"  'o^  W  K^  maiid.aus  der  Mark   Ä'anjr  (jetzt  ^D  j>]>|   Liv-üon  in 

,jjj  jj/j  ^  ~r  5ii'''     ^  — ■  "fj!!]  Kuang-xi)    mit    der   Mitteilung,    man    habe   auf  dem 

">i  -j-  y=j  ^  g2j--  ji  ^,  Meere    einen    p'u-M    ffesehen.    dessen    Licht   glänzte 

IMI  ^»  FI  ^"»  ->  'fE*  jfeA  ^g  und    leuchtete,    und  der  wie  neu  aussah;   das  ganze 

^^  <iiM;  1^  ^iJ:  =1-5,  -T-  ,  1  ^^  am  Meer  wohnende  Volk  habe  ihn   gesehen,  bis  in 

n/p.  "^  '  ■•  ^^    '''^■'  ^  1^  einem  plötzlich  aufkommenden  Nebel  der  p'u-tö  ver- 

'H  ^  W  ^  t^  0^  J^C  ^\  schwunden  sei. 

Dieser  als  Prunkjuwel  gepriesene  Tliüpa  gehörte  also  einem  sehr 
großen  Kloster  an,  das  etwa  tausend  Insassen  zählte  und  von  einer  Kaiserin- 
witwe gestiftet  war.  Er  muß  also  der  vornelimste  der  kaiserlichen  Haupt- 
stadt und  ihrer  Umgebung  gewesen  sein,  zumal  er  der  einzige  ist,  der  das 
Ka-lam  ki  so  ausführlich,  und  gleich  auf  den  allerersten  Seiten,  beschreibt. 
Dennoch  war  er  mitsamt  seinen  Fundamenten  hauptsächlich  aus  Holz  er- 
baut, und  es  ist  also  anzunehmen,  daß  bis  dahin  Steinmaterial  nur  wenig 
für  Buddhatürme  verwendet  wurde.  Die  ganze  Höhe  des  neunstöckigen 
Baus  soll  mithin  90  tSany,  das  heißt,  nach  der  gegenwärtigen  Länge  des  tSang 
(3.35  bis  3.40  m),  mehr  als  300  Meter  betragen  haben.  Es  muß  kiso  das 
tsang  damals  entweder  viel  kürzer  als  heute  gewesen  sein,  oder,  was  wahr- 
scheinlicher ist,    es   steht  wohl  im  Text   das  Zeichen    ^    tSang  irrtümlich 


Die   Piiyoden   ui    China.  1 7 

für  /^  tsi\  (las  Zelintel  eines  tsany;  denn  aucJi  ein  Turm  von  30  ni  war 
wohl  geeignet,  die  damalige  Menschheit  in  China  ordentlich  in  Staunen  zu 
versetzen.  Es  verdient  betont  zu  werden,  daß  auch  dieser  Thüpa  sclioii 
die  Grabstange  trug,  und  daß  diese  aus  dreißig  übereinander  gelagerten 
»Schüsseln  zum  Auffangen  des  Taus«  bestand,  also  in  einem  eigenartigen 
Stil  gegliedert  war  (vgl.  S.  1 1).  Auch  soll  nicht  unvermerkt  bleiben,  daß 
diese  Stange  damals  -^at,  d.  h.  Caitya,  Heiligtum  (s.  S.  7),  genannt  wurde  inid 
somit  keineswegs  als  Nebensache,  sondern  als  ein  Hau2)tbestandteil  des  Tur- 
mes galt:  waren  doch  in  der  Tat,  wie  auf  S.  1  i  dargetan  ist,  die  sämtlichen 
Stockwerke  die  Entwicklungsform  der  gegliederten  Grabstange.  Die  eigen- 
tündiche  Ausstattung  der  Pagoden  mit  zahlreichen  Glöckchen  wird  auf  S.  63  IT. 
zur  ."spräche  kommen. 

Aus  der  Tatsache,  daß  im  6.  Jahrhundert  die  größte  und  schönste 
Pagode  der  Ueichshauptstadt  hauj)tsächlich  aus  Holz  bestand,  darf  jedoch 
nicht  gefolgert  werden,  daß  es  bis  dahin  in  China  keine  Pagoden  aus  Stein- 
material gegeben  habe.  Das  Ko-lam  ki  erzählt  im  2.  Kapitel  Bl.  5,  daß  im 
unweit  von  Lo'-jany  gelegenen  Dorf  ^^  T.siiny-i  im  Jahre  520  ein  ge- 
lehrter Mann  die  Stelle  anwies,  wo  eine  dreistöckige  Pagode  aus  Backstein 
(^K)  gestanden  hatte,  und  daß  man  darauf  den  Boden  aufgrub  und  etliche 
liuntlerttausend  Backsteine  fand  samt  einer  Steininschrift,  aus  der  hervor- 
ging, daß  im  Jahre  285  an  dieser  Stelle  eine  Pagode  errichtet  worden 
war.  Der  Inhaber  dieses  Grundstücks  verschenkte  nunmehr  dieses  der  Geist- 
lichkeit, die  daselbst  das  ^^  /Äng-Jiu(/-K\ostvr  stiftete  und  aus  den  auf- 
gefundenen Backsteinen  wieder  einen  dreistöckigen  p'u-tö  baute.  Wenn  also 
im  3.  Jahrhundert  eine  Pagode  aus  Backstein  gebaut  wurde,  so  läßt  sich  wohl 
glauben,  daß  der  Pagodenbau  in  China  mit  der  ersten  Verbreitung  des 
Buddhismus  daselbst  Hand  in  Hand  gegangen  ist.  Daß  im  5.  Jahrhundert 
auch  Kaiser  Buddhatürme  bauen  ließen,  lehren  uns  die  |^^^  Nan-Ts'i  üu, 
»Geschichtsbücher  der  südlichen  Jls'Z-Dynastie«.  die  in  Kap.  53  auf  Bl.  3 
über  den  Kaiser  ^  3/w<^  {465  —  472),  der  im  jetzigen  Nanking  seine  Residenz 
hatte,  folgendes  zu  lesen  bieten: 

A^   ^  ^'  §ä  LM  ilS  ^H  i^  -^"f  einem  eliemaligen  Anwesen  baute  der  Kaiser 

^^,         »  ,^,  ^^  ■_,-  »i^        ,  das  ^inny-Jciittg-'K\itsier   nnd    machte  dafür  .\usgabeii 

Mf   ^>  vK  nri  ^f'  ^3^  '"'  yC*t  in  äußerst  verschwenderischer  Weise.     Auf  die  sieben 

Wi    PT  ^Ü  -^^  5V  ■^  ^  ft^  Stockweriie    des    Thiang-jm-C&hyn    wollte    er    noch 

f.\\      •-  _L.  la  it}-  "f^  ^  ti"  zphn   andere    setzen;    die    konnten  sich  jedoch  nicht 

;  "^  ''^'  o  ■•      C»  halt«[i,    und    so  baute  er  zwei  Caitya's    mit  je   fünf. 

I'hil.-hist.  M,h.  IUI!».   \r.  11.  ,} 


18  I)  K    ( i  R  o  o  T  : 

:i^   'o"     m     ITlt.     ö-    :iC       f^     ^Ä.      Da  trat  Tsao  Saitq-tsi.  clor  (iouvei'neur  von  Sin-nuan. 

^    ea    Ä    IsE   :>5e   ^E.   ^    '0'       ,     ,.        ,,       j-         Af    I   •  u     I   1  .     /      .     j 

■         ,j.  i^-j  _^  _,  ..,  1^  ^  ;ils    Verwalter    dieser   Mark    ab,     kehrte    (nach    der 

I  J    7iii^  yu  I  yv  r-TH  ■gt.  •^'L  Keichshauptstadt)  zurück  und  erechien  zur  Audienz. 

^   :/v  Mn  ^  5y  B  Uß  -^  I>er  Kaiser  sprach  zu  ihm:    »Waren  Sie  noch  nicht 

^1&   ^a  ^S  ll'l'  ffe  ä&  <i>a  ^r  im  ,S;a«^-^M;,j;-KI oster,   um   dessen  Bau    ich  mich  so 

"  K&  i^  =t-  cE?  -^  I-.  hochverdient    gemacht    habe?-      Da    sagte   Jü  Jvan, 

\  -.  ^  1^        ■«  Ä  5C  der  dabei   stand:    »Euere  Majestät   hat  dieses  Klo- 

^  f^  R  J^,  ^  -jv  ^  ster .  mit    dem   Geld   erliaiit,    für    v^elches  das  Volk 

oj  ±t  -fi-  Tt  ^P  ^  ^ii  seine  Kinder  hat  verkaufen,  seine   Frauen    hat  ver- 

/ttb  yti  ~S  AflA  \V\'  R  'A'  pfänden    müssen ;     wenn     der    Buddha     das    wüßte, 

(TP  F3  f^  l>>J  IJ-L  ■•  :5R:  dann    nn"ißte   er    wehklagen    und   jammern    aus    Mit- 

IH  3^P  ^  ö  ^  ^1^11  1pJ  leid.    Kine  Schuld,  höher  als  diese  p'u-t'ö's,   was  ist 

das  für  ein  Verdienst':'!«' 

Fa-hirn  und  ^|^  Hiim-Unony  trafen  auf  ihren  Reisen  in  Indien  Thüpas 
an,  denen  Verehrung  und  Opfer  dargebracht  wurden,  und  die  errichtet 
waren  an  Orten,  wo  Buddha  geh'Jirt,  geruht,  Fußspuren  hinterlassen  oder 
anderes  Denkwürdiges  verriclitet  hatte;  oder  worin  seine  körperlichen  Über- 
reste, sein  Bettelnapf,  Stab  oder  irgend  eine  andere  Habseligkeit  aufbewahrt 
wurden,  so  daß  aus  dem  Gebäude  ein  helles,  himmlisches  Licht  strahlte, 
insonderheit  an  religiösen  Feiertagen.  Daß  in  China  von  Anfang  an  die 
großen  Thupas  in  erster  Linie  zur  Aufbewahrung  von  Reliquien  des  Buddha 
errichtet  worden  sind,  also  Dhätügarbha's,  Dägob's  waren  (vgL  S.  3),  läßt  sich 
dokumentarisch  nachweisen.  Ein  sehr  in  Ansehen  stehendes,  in  der  Zeit 
der  /iö/<^-Dynastie  (502  —  557)  verfaßtes  Werk,  das  den  Titel  j^  f^ 'fl| 
Kao  sang  Wnan,  »Bericlite  über  hohe  buddhistische  Geistliche«,  trägt,  enthält 
nämlich  im  i .  Kapitel  die  folgenden  Mitteilungen  über  einen  ^  Tlui,  dessen 
Ahnen  aus  }^  J^  K'ang-ki,  Sogdiana,  stammten  und  während  mehrerer  Ge- 
schlechter in   Indien  gelebt   hatten: 

'l^   'i"'!^  E3  'M^  ^  f^  5^  VX  ^'"    '°'  '''^'""'^  ^^^  Periode  Ti'i'-wu  (247)  der  Wu- 

i^    Bö         ■*  "*  .%U  y—  -ajf.  jp  Dynastie     kam     ei     zum    ersten    Male    nach    Kifn-ji' 

^^WUrJg  -o  (Nanking,   Residenz  des    damaligen    Kaisers   ^  i^ 

^   ^  (^  ^  TT  je  ^^^  ^  Sim  K'üen).    Dort  baute  er  sich  eine  Sti-ohhütte,  er- 

Fl     AB  A  1S&  ^  i±  ^  1^  richtete  darin  Bilder  und  wandelte  den  Weg  zur  Selig- 

'   db  "Ä  P9  Tf  -IL  _i  '^^'''-     ^^*  "ä''  «las  erstemal,  daß  man  im  Reiche  Wu 

^'    ^^  ^^  ^\  -^  5>^  ^.      •  einen   sramana  zu  sehen  bekam.    Man  sah  wohl  seine 

M    4S  ^  W  ^  [^  «^  ^      "°''°''"     '"'"■''   —"—"""'" ."  .•™.~"'i ."V... 


Person,  allein  seine  Handlungen  verstand  man  nicht: 

•^     _i.     =q     -jy      |>i     "y^    J^Ti      er    wurde    also    der    Ketzerei     verdächtigt,    so    daß 

^^    ^     ^    ■^    _       ^^     ,  .       der  Magistrat  dem  Kaiser  schrieb:   -Ein  Barbare  ist 

'itl    ^5^*    -M:    'V'l    HX    :Ce      ins   Land  gekommen,   der  sich   sramana   nennt   und 


•    Auch  in   Kap.  70  der  ^  ^    Nan  M',   .Geschichte  des  Südens-,  Bl.  15. 


Die   Payixirn  in   China.  19 

EI      '«-     ^^      -^     yUb      1^     S^      in   Aussehen    und   Traclit    ungewöhnlich  ist.     Diese 
UM     ^tto      uu      ri-  ^     >a:^  ^     Sache  muß  also  untersucht  werden«.  SwnJST'äere  sprach: 

■^     ^     S     /yr     ^      mS     ^      •(Dem  Kaiser)    Ming  der  i/ai-Dynastie  hat  dereinst 

von  einem   Gott  geträumt,    den    man   Put  (Buddha) 

nannte  (vgl.  S.  i);  die  Verrichtungen  dieses  Menschen 

sind  am    Knde   gar  Gebräuche,   welche   von   diesem 

Buddha  herstammen;' 

^      ^     >ßl      trtl      BS      ^      Pll  Sofort    beschied    er   den   Hui   zu   sich,    verhörte 

Uli      rtii      i'l      rC      Air      .dK       -7:1      ""^  "'^"^  fragte,   welche  Zeugnisse   es  für  die  Macht 

/rU      ^IJ     Ül      "T      ffi     i^     ^4      (des  Buddhas)  gäbe.    Darauf  sprach  Hui:   »Nachdem 

^       S      ^(      Jk      ^>7      2E      b       '^'^''  l'athägata  das  Kindrücken  seiner  Fußspuren  (ins 

-M      ^1     ^^      iw-       »1°     -^      ^^      Nirväna)   vei-legte,    sind  etwa  tausend  Jahre  vergan- 

ÖW      ,.«t.     3jf       "       • '      'JT*'      HB      g^n :  jedoch  der  göttliche  helle  Lichtglaaz  der  .'^ari^a's 

^     i.«-  ■*     ^     P^     ^^      ^     seines  zurückgelassenen  Gebeins   ist  an  keine  Welt- 

X-'     ^"^     Ttj      -p^      -^     ^     :^     gegend  gebunden.     Dereinst  hat  König  A.soka  dafür 

rl      V»i-i     Sg      ö         -      ±h      {g(      84000  Thüpas  errichtet:  ja,  die  Entstehung  von  Thü- 

o     'J^      ^        j        Jl  >     ,j^      pas  und  Klöstern  ist  das  Zeugnis  der  (Umgestaltung, 

:Sr      a       i^     ^g      >ffi-      ^S      welche  von  Buddha  hinterlassen  ist.«     Sun  K'üen,  der 

^ffi       pj      ^      IM-      1^     ,5iK      'l8S  fi'"'  Geschwätz  und  l'nsinn  hielt,  sprach  nun   zu 

..  »  .  >         ..•.         ■'•H  H  O         rr_..        TT L    ,1..   il'_    -,..,■      v,..l „_      J l :_u 


O 


^     ifeh 


,|-  "  "  ^j^  /f««:    »Kannst  du  Sarira's  bekonuiien.  dann  baue  ich 

'••  ^  ..  /j  j^  ^  dafür   einen  Thnpa:    sollt<?st   du   aber    ins   Leere   ge- 

[jj^l  afe  Tu  A  t|j  td  schwatzt  haben,   so  hat  mein  Keich   für  dich  festge- 

^  iH  "t&  jMi'  ifilh  -An  '»i't^'''  Strafen."     Hierauf  bat  Hui  utn  eine  Frist  von 

rl  "^T  o  '-*«  >*  sieben  Tagen. 

JL.      lU'  vfe  ^:  +h .  Tt,  Snn  sprach  er  zu  seinen  Angehörigen :    »Hiervon 

'     Mh  cti  '.BB  ■'*//  na  ^m  hängt  der  Aufstieg  oder  das  Kränkeln  der  Religion 

^     J,A  ^  flä  /7f,<  7^  j|^  durchaus  ab:  liieten  wir  also  nicht  jetzt  unsere  tiefste 

•?7       hJI  zu  BR  ^^  >^  ^I  Frömmigkeit  auf,  werden  wir  dann  später  etwas  mit 

j.        .,.  L-  I  i^  y  Jg  ihr   erreichen l'«      Zusamm<"n    reinigten    sie  sich    und 

+ir      ^w"  »  M  ^  '_'^  ^*  fa.steten  in   einem  stillen  Raum,  stellten  da  eine  bron- 

^f^  -Jt  H  ■»  ^3^  W  zene  Vase  auf  einen  Tisch,  brannten  Weihrauch,  ver- 

^ID  -<fe  AB  I<i  Ew  VI-  ehrten  (Buddha)  und  riefen  ihn  an:  jedoch  die  sieben- 

11-  ^8.  41.3  ^-4''  ^^  'äS'g*^   Frist   verlief  in    tiefer   ."^tille,    ohne   daß    eine 

^  »  jin  ^i  *  "^  -^  Erhörung  erfolgte.    Er  ersuchte  somit  um  eine  weitere 

^  -Jj,.  ^X  W'  ^v  IBl  Verlängerung  der  Fri.st  um  sieben  'läge,  und  als  auch 

-^  ,  ^^  jjP  -fcr  ^  diese  in  derselben  Weise  verflossen  war.  sprach  Stm 

-  iB£  iSS-  )\  T&  K'iien:   »Das  ist  ja  lauter  l,ug  und  Trug«    und  wollte 

an  "11  >         o  fl^  'h'"  Strafe  auferlegen:   aber  7/«;   bat  um  eine  dritte 

^  ö  -nB  'J|j&  ^  jH'  siebentägige  Frist,  die  ihm  noch  als  besondere  Gunst 

von   Sun  k'iien  gewährt  wurde. 

^      1^  "^^i  SJ  ^-  IS  """  ^'*   '''""   -^''cnd    des    21.  Tages    hatte    sich   noch 

A      -Wc  Bil  '71  T/*  4hF  J--  ''nni'-''   nichts  gezeigt,    und   alle   bebten    vor   Ang^t: 

ö       ^2  W  A  ^  -,j>  -t.  jyjj^,.|,  3,j,  ^jjj,  ,-;.,„ftp  ^Vache   (3  bis  5  Uhr  morgens) 

1^       rf  /Tfl»  jL  J^  //T  W  eingetreten  war,    war  plötzlich  in  der  Va.se   ein  me- 

JllS.     ^  T^  55  tM  >^  ^^  tallner  Klang  zu  hören.    Hui  begab  sich  hin.  um  zu 

'         °  ■«  ■»          »  sehen    und    fand    in    dei'   Tut  ein   Sarira.     .Sobald   es 


.•r 


20  J'  K    (i  ROOT  : 

tä^    '^    ^\\    W.     f^      ^-    IM    W-      ^^"    gßwrdeii    war.    brachte    ei-   es   zu    Sun   K'iicii: 
im     ^     E|J    Z^     El     yL    1Ä    '^       j-„    „„„,„  Hnf  tnm    7iis!immpn    lind    sah    die  Flani- 


,  y/<  '  -H^  f^^""   g^nze  Hof  kam   zusammen   und   sah  die  Flam- 

iÖi   ^  'S^  ^  ^  ^  Jg  ^^  men   eines  fünffarbigen  Lichtes  hell    über  der  Vase 

°    \(n  ^^  ^,  Wi  Ho  *H  ^  leuchten.     Mit  eigener  Hand    ergriff  Sun  K'üen   die 

R  -täC  JÖL  'Ml.  ^  5flJ  ^'^^    ""'^    schüttete    das    Sarira    in    eine    bronzene 

,  -ffi  ^  -•  jtr-'  ^  o  Schale:    und    an    der  Stelle,    wo    ea   die   Schale   be- 

^  ^  ^tfjf  "^^  "iS  '^  rührte,   zerbrach  diese  in  Stücke.     Von  der  tiefsten 

'^  ^  »  z^''  i  ä  Ehrfurcht   ergriffen,   erhob   sich    Sun    K'üe'n   entsetzt 

-i'  ^^  fifö  ifPI  K^  Ä  *^  und  rief :    »Was  für  ein  selten  vorkommendes Wunder- 

^   T.^>   W  fflfJ  T-B    tL   3E     .^gjpjjg^,,. 

^  na       -ji  rft;      ->•     ij^  ^  D*   t'''^*   ^^"^   ^•"'  '^"'^  spiach:    »Sollte   der   Ehr- 

"^  ^^  ^o"^  ^  furcht  gebietende  Geist  des  .«arira  bloß  etwas  Leuch- 

••^  flu     '^  Ui      ^      '^  tendes  sein,  und  sonst  nichts!'    Ein  l'euer,  das  einen 

^  ygN      ^  r^-      S      ^C  Iffi  k.ilpa   hindurch   zu  brennen  vermag,   kann    es    nicht 

An,  /h!)      -1,  1^     ^     ^  ^  verzehren,   eine  vaira  (Zauber)-  Keule   ist  nicht  im- 

ITP       ttl        <-         —         ^       yf>         o  ,  .      „,..    ,  .  ,  o         r^'..  -    u    1-  v-l 

l»L      5£  ■•     yj\       »  Stande,  es  in  Stucke  zu  schlagen."     Sun  K  uen  befahl. 

'  1^     ^      ri^      Ed      9^      0      CS   auf  die  l'robe   zu  stellen.     Hui  sprach   eine  Be- 

M.         "•     Ja.     '_v        .^     Mi       ^     ichwöruDg  dieses  Inhalts:  »Wolke  des  Dharma,  Decke 
o     I '  I     X£     "^^     vi.      ^'^      ^^  " 

,        fe^,.SSE      /2r-»      ra       über   den  Weltgegenden,    zu    deren    Segnungen   alle 

^h  ^  -Tf  S  ^  ^''i  ^^  «sen  sehnend  einporschauen,  lasse  du  abermals  die 

äE     ::fg  P""ö  ■'^'^  Hr  rail  Et  Fußspuren  deines  Geistes  herab,  damit  sie  weit  und 

^X     y4Jj  Yi  W  i.ik  -jj  ^rii  '^'■^"'  deinen  majestätischen  Geist  offenbaren!-     Nun 

_j_,      W  y^  ^  1^  -^  W  legte  man  das  Sarira  auf  einen  eisernen  Amboß  und 

Y^      ^  It9  '^  3g^  ^  ;g^  ließ  einen  starken  Mann  daraufhauen:   aber  es  ent- 

!■/■  ^  ^  /t'  >f^  ifi'  standen  zwar  im  Amboß  wie  im  Hammer  Beulen,  allein 

IS"  ■^  ~^  -Äk  jj7  das  Sarira    blieb    unversehrt.      Sun    ICüen   tat   einen 

^^     ^  ^''^  **4i  ^  '  großen  Seufzer  und  war  überzeugt:  sofort  baute  er 

&L     ^  ffi  ^^  ^  '1^  '"''  ^^^  Sarira  einen   Thüpa,    und   so  entstand   dort 

^Q     ^yi  4;S  Pt5  ^  .-t^  TB]  zum   ersten    ]Male    ein   buddh'stisches  Kloster,    dem 

=fc!.  "  Ji'Ö  '*^"  ^  PI  auf  Grund  dieses  Ereignisses  der  Name  'Kloster  des 

o  1^       U  S  op"         -«  Anfangs  der  Gründung  (des  Buddhismus)'   beigelegt 

tjüi  I.  -L-  -Jg.  y(^  ~pj  wurde.     Das  Dorf,    wo  es  stand,   nannte  man    »das 

jh*  V-  Vrti  At  — Ji  +-i.  Dorf    des    pitf-t'ö-.      Infolgedessen     kam     links    des 

-^  '!^  &~  W  S««  MJ  (./o«jf-foT:-)A-!a//p'  der  große  Dharma  zur  Entwicklung. - 

Wie  aus  Bl.  6  des  lo.  Kapitels  der  auf  S.  i  i  herangezogenen  Denk- 
schriften von  Kiany-nlng  hervorgeht,  nehmen  chinesische  Schriftsteller  an. 
dieses  erste  Kloster  Nankings  sei  das  spätere  Asoka-Kloster  gewesen,  das 
auf  S.  23  und  24  zur  Sprache  kommen  wird,  und  halte  auf  derselben  Stelle 
gestanden,  wo  später  das  Kloster  «zur  Vergeltung  von  Gnaden«  (s.S.  11) 
mit  dem  Porzellanturm  erbaut  wurde'.  Ob  das  wahr  ist,  ist  unwesent- 
lich,  nicht  aber,   daß  die  wiedergegebene  Erzählung,  so  sagenhaft  sie  auch 


'    Siehe   auch    Gaillard    »Nankin   d'alors   et   d'aujourd'hui-    (•Varietes  sinologiques- 

Nr.  23,  S.  99. 


Dir   Payudcn   in    C/ii/iii.  21 

klingt,  die  herrschenden  Anscliauungeii  bezüglich  der  Sariras  und  Thüpas 
im  Zeitraum  des  Siegeszugs  des  Mahäyäna  über  Ostasien  in  ein  helles  Licht 
stellt.  Unverhohlen  läßt  sie  uns  lesen,  daß  die  Sarira's  des  Buddha  etAvas 
viel  Erhabeneres  waren  als  Überreste  verbrannter  Knochen  eines  mensch- 
lichen Heilspropheten.  Die  »Wolke  des  Dharma,  die  Decke  über  den  Welt- 
gegenden, zu  deren  Segnungen  alle  Wesen  sehnend  emporblicken«,  sandte 
sie  vom  Himmel  herab  durch  die  Kraft  zäher,  andauernder  Frömmigkeit 
der  Gläubigen,  und  zwar  um  ihre  Religion  zu  kräftigen  und  zu  befestigen. 
Ein  »göttlicher,  heller  Lichtglanz,  an  keine  Weltgegenden  gebunden«, 
strahlte  von  den  Sanra"s  aus,  und  es  war  ein  »fünftarbiges«  Licht,  also 
das  Licht  des  Ostens,  Südens,  Westens,  Nordens  und  der  Mitte,  die  in 
China  seit  alters  her  mit  den  iiinf  Hauptfarben :  blau,  rot,  weiß,  schwarz, 
gelb  identifiziert  wurden.  Sarira's  waren  also  Teile  des  Weltlichts,  des 
Lichts  des  Dharma  oder  Weltgesetzes,  daher  gefeit  gegen  die  größte  Ge- 
walt von  Feuer  und  Eisen  und  begabt  mit  so  großer  innerlicher  Kraft, 
daß  sie  sogar  zähes  Kupfer  zersplitterten :  in  der  Tat,  gegen  das  Licht  der 
Welt,  die  Lehre  des  Buddhas,  die  alle  Wesen  zum  größten  Glück,  zur 
höchsten  Seligkeit  fuhrt,  vermögen  die  Mächte  des  Übels  nichts.  Als 
•  Element«  (dhätu)  der  Seele,  des  Geistes,  der  Lehre  des  Herrn  bekelirte 
das  Sarira  des  Hui  unwiderstehlich  den  Kaiser  Sun  K'iim  und  veranlaßte 
ihn,  einen  Thüpa  für  es  zu  errichten  als  Heiligtum,  von  wo  aus  sich  dann 
unter  Führung  und  Schutz  einer  Geistlichkeit,  die  unter  dem  Schatten  des 
Thüpa  wohnte,  die  Lehre  weiter  über  das  Land  verbreitete.  Ein  Thüpa 
ist  mithin  Brennpunkt  des  Lichts  der  Lehre  Buddhas,  deren  Hüter  die 
Geistlichkeit  ist,  welche  die  Klöster  bewohnt:  »die  Thüpas  und  Klöster«, 
so  sprach  Hui  zum  Kaiser,  »sind  die  Zeugnisse  der  von  Buddha  bewirkten 
Bekehrung. «  Dem  Durchschnittsmenschen  hat  natürlich  die  schlichte  Kirchen- 
legende genügt,  daß  Buddha  selbst  bestimmt  habe,  man  solle  über  seiner 
Asche  einen  Thüpa  errichten.  Allein  dem  Weisen,  dem  Eingeweihten,  dem 
Esoteriker  galt  nur  eine  viel  höhere  Auflassung:  ihm  waren  die  Reliquien- 
pagoden Leuchttürme  des  Dharma,  des  leuchtenden  Weltgesetzes;  ihm  waren 
sie  die  Zaubermittel,  welche  Licht  und  Geist  des  Dharma.  die  bodhi'oder 
Intelligenz  des  Herrn,  weit  hinaus  trugen  nach  allen  Seiten  hin.  Je  größer 
die  Zalil  dieser  BudtUia-  und  Dharmatürme,  desto  höher  die  Blüte  der 
Kirciie.  Jene  zu  bauen  in  so  großer  Zaid,  daß  alle  Wesen  der  Welt  in  ihrem 
Lichtschein    leben,    oder   daß    vom   Standpunkt    eines  jeden    Wesens    min- 


22  I'  i:   G  K  o  ()  T  : 

destens  ein  Turm  sichtbar  ist.  wurde  der  Kirche  höchstes  Ideal.  Zur  Ver- 
wirklichung dieses  Ideals  ließ  sich  besonders  leicht  ein  Volk  herbei, 
dem  von  alters  her  die  Überzeugung  in  Fleisch  und  Blut  saß,  daß  aus  den 
tTberresten  der  Toten  im  Grabe  Geist  (.¥n)  und  .Seelenkraft  (Ufig)  den 
Nachkommen   zufließen   zur    Spendung    von    Hilfe,    Glück  und  Segen  (vgl. 

S.  7)- 

Zugleich  erklärt  sich  nunmehr  ganz  von  selbst  die  esoterische  Le- 
gende, daß  König  Asoka,  wie  Hui  dem  Kaiser  Sun  K'üm  mitteilte  (S.  1 9), 
84000  Thupas  für  die  Reliquien  des  Herrn  baute.  Sicherlich  mag  der 
Legende  ein  historischer  Kern  zugrunde  liegen,  daß  nämlich  während  der 
Herrschaft  dieses  indischen  Konstantins  die  Heilslelire  ihren  großen  Auf- 
schwung nahm  und  sich  weit  über  Asien  verbreitete,  so  daß  unter  seinem 
Schutz  Thüpa's  mit  Sarira's  in  großer  Zahl  entstanden.  Kap.  i  14  der  ^^ 
Wei  Sh,  "Geschichtsbücher  der  W>/-D3^nastie«  (386 — 550),  das  eine  inter- 
essante AbJiandlung  über  Buddhismus  undTaoismus  ist,  erwähnt  den  wunder- 
baren  Pagodenbau  dieses   Potentaten   in  folgendem  Wortlaut: 

»Als  Buddlia  sich  von  dieser  Welt  verabschiedet  hatte,  verbrannte  man  seine  Leiche 
mit  wohlriechendem  Holz;  seine  beseelten  Knochen  (^» 'a*)  wurden  dabei  zerstückelt  bis 
zur  Größe  von  Reiskörnern;  sie  ließen  sich  weder  zerschlagen  noch  durch  Feuer  verbrennen. 
Teilweise  besaßen  sie  helleuchtende,  göttliche  Kraft  (Jrlf"  W§  jJiÖJ  ,S^)-  'd  der  Sprache  der 
Barbaren  hießen  sie  Sarira.  Die  Jünger  sammelten  sie  und  trugen  sie  weg;  dann  legten 
sie  sie  in  kostliare  Urnen,  liraehten  ihnen  mit  allem,  was  sie  an  Weihrauch  und  Blumen 
besaßen,  Verehrung  dar  und  strebten  nach  Errichtung  von  Gebäuden,  welche  man  Thüpa  (t'a) 
nannte.  Dies  ist  auch  ein  Fremdwort  imd  bedeutet  soviel  wie  Ahnentenipel  (-:^jSV  wes- 
halb man  die  Thüpas  auch  wohl  Tempel  (ISH)  nennt.  Hundert  Jahre  später  gab  es  einen 
König  Asoka.  Durch  seine  göttliche  Kraft  verteilte  er  die  Sarira's  des  Buddha  unter  die 
Geister  (fe  JlitÖ)-  die  dafür  84000  Thilpas  bauten,  über  die  ganze  Welt  zerstreut,  die  sämt- 
lich am  gleichen  Tage  fertig  waren.  Jetzt  besitzen  Ld-jany.  ^^  ^B  Ping-tsing  (jetzt  ^  VA 
Sü-tsou  in  Kiang-sn).  ^A^j*  Ku-tsang  (Jetzt  V'P,  >j'H  l-iaitg-tsou  in  Kan-su')  und  B^  V^  Lin- 
wei  (unweit  des  jetzigen  ^^^^  'l\'in-ngan  in  Kan-su)  alle  ihr  König  Asoka- Kloster,  dem 
solch  eine  zurückgelassene   Fußspur  (jg^l^)  ^"'''''   geworden   ist.« 

Ausführliche  Mitteilungen  über  Reliquien  des  Buddha  und  ihre  Bei- 
setzung in  Pagoden  bieten  die  ^^  Liang  hi,  »Geschichtsbücher  der  lAany- 
Dynastie«,  welche  einen  Zeitraum  behandeln,  in  dem  die  Kirche  unter  der 
Regierung  eines  frommen  Bekenners  und  Schutzherrn  ihrer  Lehre  eine 
goldene  Zeit  durchlebte.  Dieser  Kaiser,  in  der  Geschichte  als  ^  Wu  und 
i^jIB.  Äoo  Tm  bekannt,  regierte  502  bis  549  und  hatte  das  jetzige  Nanking 
zur  Residenz.     Kap.  54  dieser  Staatsgeschichte  erzählt  wie  folgt: 


Die  Pagoden  in   China.  23 

Im  5.  Jahre  »1er  -4\r  [gl  7a-<M«^-Periode  (539)  schickte  das  Reich  it  ^g  Fu-nan 
(Canibodja)  nochmals  einen  Gesandten,  der  ein  lebendes  Rhinozeros  anbot  und  mitteilte,  es 
gäbe  in  seinem  Reich  ein  Kopfhaar  des  Buddha,  einen  Uatiy  und  zwei  ti'i  (nach  jetzigem 
Maß  etwa  3,75  m)  lang.  .\uf  kaiserlichen  Befehl  wurde  der  sramana  ^p  ^  ^  Sakya 
Jän-pao  entsandt,  um  den  Gesandten  dorthin  zu  l>egleiten   und  das  Haar  zu  holen. 

Zuvor,  im  8.  Monat  iles  dritten  .lahres  (537)  hatte  Kao  T.su  das  Kloster  und  den  Thüpa 
des  Königs  Asoka  umgebaut,  und  es  waren  dabei  unter  dem  alten  Thfip;!  Sarira's  samt 
einem  Nagel  und  einem  Kopfhaar  des  Buddha  herausgeholt  worden.  Das  Haar  war  blaurot: 
je  nachdem  die  Geistlichen  es  mit  den  Händen  reckten,  wurde  es  länger  oder  küiv-er:  und 
ließen  sie  es  los,  dann  kriillte  es  sich  zusammen  wie  ein  Wurm.  Das  f^  ^j[i  ■i^  Sanglia- 
sntra  sagt:  »Die  Haare  des  Buddha  .sind  blau  und  so  fein  wie  die  Fasern  eines  Xenuphar- 
stengels- ;  und  das  '^^^£fl^j§^  »Sütra  des  samädhi  des  Buddha«  sagt:  »Vordem,  als  ich 
noch  im  Palast  wohnte  und  mir  den  Kopf  wusch,  maß  ich  mii-  mit  einem  Fußmaß  die 
Haai-e,  und  sie  waren  einen  Uang  und  zwei  /.!'«'  lang:  als  ich  sie  losgelassen  hatte,  di-ehten 
sie  sich  rechts  herum  zusammen  und  nahmen  die  Gestalt  von  Würmern  an.«  Die  Bücher 
stimmten  also  mit  dem  Ergebnis  von  A'a»  T»u  überein. 

König  Asoka  war  König  des  ei.sernen  Rads.  Er  beherrschte  den  Jambudvipa.  die 
ganze  Welt  unter  dem  Himmel.  .Nachdem  der  Buddha  in  den  Zustand  der  Auslöschung 
übergegangen  war,  ließ  er  in  einem  Etmal  durch  Geister  84000  Thfipas  bauen:  der 
hier  errtähutc  war  der  erste  davon.  Zur  Zeit  der  W»/-Dynastie  (229 — 280,  s.  S.  18)  hatten 
buddhistische  Nonnen,  die  auf  der  Stelle  wohnten,  daselbst  eine  kleine  /f  m -^  "\'erfeinerungs- 
stätte«  gebaut,  welche  .^|ti;  Sun  Tsen^  bald  vernichtete,  und  auch  der  Thüpa  ging  dabei 
zugrunde.    Nachdem    Wu  (im  Jahre  280  vom  Hause  ^^  Tsin)  unterworfen  war,  errichteten 


Seligkeitsucher  (jM  A)  auf  der  alten  Stelle  wiederum  Gebäude,  und  als  dann  pb  ^ 
Tiutig  Tmny  von  Ti-in  im  ersten  Jahre  seiner  Regierung  (317)  übei-  i\en\Jang-t.ie-)kiang  7Mg. 
stellte  er  sie  wieder  her  und  verechönert«'   sie.     Kaiser  Wfi  A^  Kiin-wen  ließ  in  der   ^r^r 

Ili^-ngan  Periode  (371 — 72)  vom  sramana  und  Dhannalehrer  ^^  Ngan  den  Bau  eines 
kleinen  Thüpa  entwerfen,  jedoch  dieser  starb,  ehe  der  Bau  zui- Ausführung  kam:  aber  .sein 
Jünger    ^  SH    Sang-kien   setzte   .sein  Werk    fort    und    brachte    das    Bauwerk    zustande.     Im 

9.  Jahi-e  der  HJT  TJr  7"a»^'i'a"-l*eriode  (384)  des  Kai.sere  ^^tjF  Iliao-wu  brachte  man  oben 
darauf  di<'  vergoldete  ^liB  ^n  -^'-scheibe"  und  den  ^i,"^.  »Tauauflanger;'-  an  (vgl.  .S.  17). 
."Später  geschah  es  im  Krei.s<-  Äft-S  ^'"*''  (jetzt  ^  5£  Juny-ning,  Prov.  San-.?;)  in 
.Si-hü,  daß  ein  Barbar  des  Namens  S?|l^''fnr  Liu  Sa -ho,  erkrankte  und  plötzlich  starb.  Ei' 
blieb  aber  unter  dem  Heraen  wann,  so  daß  seine  Familie  es  nicht  wagti'.  ihn  einzusargen. 
Als  der  zehnte  Tag  verstrichen  war,  wurde  er  wieder  lebendig  und  erzählte  wie  folgt:  »Es 
waren  zwei  Beamte  da,  die  ein  Regi.ster  ein.sahen:  dann  legte  ich  in  nor<lwestl icher  Richtung 
eine  Strecke  zurück,  deren  Länge  ich  nicht  hestiuuncn  kann,  und  gelangte  so  in  die  achtzehn 
Höllen.     Dort  habe  ich  als  Buße  für  meine  schwei-en  und  leichten  Sünden  allerhand  Weh 


'  Ein  Mitglied  des  Hauses  von  Sun  K'öM  (S.  18),  der  die  Wm- Dynastie  gestiftet  hatte. 
Er  fiihrte  258  in  dei-  Resid<'nz  eine  kurze  Oewaltheri-schafl.  riß  Buddhatempel  nieder  und 
enthauptete  die  Geistlichkeit,  wurde  aber  bald  getötet.  -^  JjK  ^^  "'•<'>  'Gedenkschiiften 
von    Wh",  Kap.  19,  Bl.  22. 


24  I)  K    (i  K  O  OT  : 

und  Schmerz  (-i-litten,  besuclite  dann  ^||i;^  Kuan-si-jin  (Avalokitesvaraj,  und  diese 
sprach:  .Dein  Lcbensschicksal  ist  noch  nicht  vollendet;  falls  du  wieder  letendig  wirst,  so 
werde  ein  .sranmna.  l'nterhalli  des  <J'>g.  Lo'-Flusses,  sowie  in  der  Stadt  ^  T^s'i.  in  -^  ^ 
Tan-jang  (jetz.  Nanking) -und  in  '^  ^  Kwei-ki  (in  Tsf'-kiany)  stehen  Asoka-Thilpas:  gehe 
dorthin  und  bringe  ihnen  Verehiung  dai',  und  du  wirst  dann  am  Ende  deines  Lebenslaufs 
nicht  in  die  Hölle  sinken'.  Nachdem  si(;  so  gesprochen,  war  es  mir.  als  ob  ich  von  einer 
hohen  Bergwand  abstürzte  und  plötzlich  aus  dem  Schlaf  erwachte.« 

Nun  trat  dieser  Mann  aus  seiner  Familie  (d.  h.  er  wurde  Mönch)  und  nannte  sich 
^^"iM-ta';  dann  machte  er  eine  Reise  zur  Verehrung  der  Thüpas.  So  kam  er  auch 
nach  Tan-jony,  und  die  Stelle,  wo  der  Thnpa  stand,  nicht  kennend,  überstieg  er  die  Stadt- 
mauer und  warf  den  Blick  nach  allen  Seiten  hin.  Da  sah  er  beim  Dorfe  -^  ^  Ts'ang- 
kan  einen  ungewöhnlichen  Dunst,  ilv  begab  sich  dorthin  und  machte  Verbeugungen,  und 
wirklich  war  er  an  der  Stelle,  wo  der  Asoka-Thüpa  gestanden,  öfters  strahlte  von  ihr  ein 
helles  Licht  aus,  und  er  entnahm  daraus  ganz  bestimmt,  daß  es  dort  Sarira's  geben  mußte. 
Er  brachte  also  Volk  zusammen,  um  die  Stelle  auszuheben,  und  als  man  einen  tkang  tief  unter 
dem  Boden  war,  fand  man  drei  steinerne  Inschrifttafeln,  je  sechs  tSi  groß.  Bei  der  Tafel, 
welche  in  der  Mitte  stand,  befand  sich  ein  eisernes  Kästchen,  worin  ein  anderes  aus  Sillier 
stand,  das  wieder  ein  goldenes  en'hielt,  in  dem  drei  Sarira"s  mit  einem  Nagel  und  einem 
Haare  lagen.  Dieses  Haar  war  einige  tsi  lang.  Sofort  brachte  er  diese  Saüra's  nach  einer 
weiter  nordwärts  belegenen  Stelle,  und  gegenüber  dem  Thüpa,  den  Kien-rcen  gebaut  hatte 
(s.  S.  23I,  errichtete  er  im  Westen  einen  Thiipa  mit  nur  einer  Gliederung.  Im  16.  Jahre 
(391)  wurde  dem  sramana  ff^  ITp^ '^  Sangha  Savg-ka  befohlen,  ihn  in  drei  Stockwerken 
aufzuführen. 

Diese  Pagode  nun  wurde  von  Kao  T.ni  eröfl'iiet.  Erst  hob  man  die  Erde  vier  ist 
tief  aus  und  fand  dann  eine  §J  ^  "Draclienliöhle"  mit  allerlei  früher  hineingeworfenen 
Kostbarkeiten  aus  Gold  und  Silber,  wie  Arm-,  Ohr-  und  Fingerringe,  Haarnadeln,  Kopf- 
zieraten usw.  In  einer  Tiefe  von  etwas  mehr  als  neun  tsi'  stieß  man  auf  einen  steinernen 
Sockel,  worunter  ein  Steinkasten  stand,  der  eine  Vase  aus  Eisen  enthielt;  in  dieser  Vase 
befand  sich  ein  silberner  Topf,  der  wieder  eine  gravierte  L'rne  aus  Gold  enthielt,  und  in 
dieser  lagen  drei  Sariras.  .Sie  waren  so  groß  wie  Reiskörner,  vollkommen  rund,  leuchtend 
und  rein.  Im  Steinkasten  befand  sich  auch  noch  eine  Schale  aus  liu-li  (Poi-zellan,  vgl.  S.  13), 
imd  darin  fand  man  vier  Sarira's.  Haai'e  und  Nägel.  Die  Nägel  waren  vier  an  Zahl  und 
hatten  alle  die  Farbe  von    ^^   Garuliolz(:') 

Am  27.  dieses  Monats  kam  Kao  T.sti  abenuals  zu  dem  Kloster,  machte  da  seine  feier- 
lichen Verbeugungen,  veranstaltete  eine  ^t^-J^"^  große  Erlösungsversammlung  (mahä- 
moksa  parisad)  und  erließ  eine  Amnestie  für  das  ganze  R6ich.  An  diesem  Tage  füllte  man 
einen  metallenen  Bettelnapf  mit  Wasser  und  ließ  die  Sarira"s  darauf  schwimmen;  dabei  ver- 
schwand das  allerkleinste  im  Napf  und  kam  nicht  wieder  zum  Vorschein.  Kao  Tsu  machte 
mehrmals  zehrt  N'erbeugungen,  und  nunmehr  entsandten  die  Sarira's  im  Napfe  ein  helles 
Licht;  eine  Zeitlang  drehten  sie  sich  rundherum  und  kamen  dann  im  Mittelpunkt  des  Napfes 
zum  Stillstand.  Nun  fragte  Kao  Tsu  den  "^/c  f^  TF  Allgemeinen  Direktor  der  Geistlich- 
keit,  namens  ^£^^   Hui-nihi:    »Heute  habe  ich  Undenkbares,    Unsagbares  gesehen,   nicht 

wahr':'..      Die  Antwort  lautete:    '^ -^  "ffi"  "fj;  Vi^  :^  ^  Jl/j   »das  Dharmawesen  (die  VVelt- 

(ii'dnnng)    ist    ewigbleiberiil.    tirf   und    unbeweglich."      Knn   Tsy    sprach    dann    wieder:     -Ich, 


Die  Pagoden  in,   China.  25 

dein  Jünger,  bitto  sehnlichst  um  ein  Sarira.  damit  ich,  auf  meinen  Palastthron  zurück- 
gekehrt, ihm  Opfer  darbringe.« 

Am  5.  des  9.  Monats  veranstaltete  der  Kaiser  abermals  im  Kloster  eine  allgemeine 
Erlösunirsversammlung  und  schickte  den  Kronprinzen  dorlhin  mit  den  Königen,  Vasallen 
und  GroBen  des  Hofs,  um  die  Sarira "s  zu  holen.  An  diesem  Tage  war  der  Wind  milde  und 
die  Luft  klar:  die  ganze  Reichshauptstadt  ergoLi  .sich  und  lief  mit,  und  die  Zahl  der  Zu- 
schauer betrug  wohl  Imndert  und  einige  zehn  mal  zehntausend.  Die  (vom  Kaiser)  aus- 
gestellten goldenen  und  silbernen  Opfergeräte  und  alles  übrige  wunlen  dem  Kloster  als 
Opferspende  übei  lassen,  und  überdies  .schenkte  ei-  noch  tausendmal  zehntausend  Münzen 
als  Gründungskapital. 

Den  15.  des  9.  Monats  des  4.  Jahres  (23.  Okt.  538)  zog  Kao  Tsu  wiederum  nach  dem 
Kloster,  veranstaltete  eine  große  Krlösungsversammlung  und  gründete  zwei  $|J  ("aitj'a's. 
Die  .'^arira's.  Nägel  und  Haai-e  wurden  je  in  eine  goldene  Urne  gelegt,  die  von  einer  Urne 
aus  Jaspis  umschlossen  war,  und  diese  wurden  in  (kleinen)  Thüpa  aus  sieben  Kostbarkeiten 
geborgen;  dann  legte  man  diese  Thüpa  in  zwei  steinerne  Kästen  un<l  setzte  diese  unter 
den  beiden  Caitya's  t)ei,  zii.sainmen  mit  Haufen  von  goldenen  und  silbernen  .\vm-  imd 
Ohrringen  und  «lergleichen  Kostbarkeiten,  welche  die  Könige,  Vasallen,  Gemahlinnen,  Prin- 
zessinnen und  begüterte  Familien  des  Volks  spendeten.  Am  2.  des  11.  Monats  des  11.  Jahres 
(20.  Dez.  545)  ersuchte  die  Geistlichkeit  des  Klosters  den  Kao  Tsu,  im  Kloster  einen  Text  aus  dem 
^^J^  Präjüasfitra.  -Sätra  der  Weisheit-,  erklären  zu  wollen,  und  an  diesem  .\bend 
strahlten  die  beiden  Thüpas  ein  helles  Licht  au.s.  Der  Kaiser  befahl  dem  General,  der  den 
Osten  bezwang,  dem  König  ^m  liun  von  3Bf^  ^ao-liwi,  eine  Inschrift  zu  verfertigen  für 
eine  Steinplatte,  zur  Verkündung  des  großen  vei-dienstvollen  Werkes  des  Klosters. 

Zwei  Jalire  zuvor,  als  beim  Umbau  des  Thüpa  vom  Kreise  ^K  Miu  in  Kwei-ki  der 
alte  Thüpa  geöffnet  wurde,  waren  .Sarira's  zum  Vorschein  gekommen,  und  der  Kaiser  hatte 
ilen  Geistlichen  S&kyn  Ktny-tui  aus  dem  tI^  ^  Ktiaru/-tsl' -KUtstev  mit  noch  drei  anderen 
und  dem  .'Staatsrat  &»/«i  Tsoo-Uan  entsandt,  um  diese  "^arira's  nach  dem  Palast  zu  führen.  Dort 
verehrte  sie  K'ao  T.m  mit  zeremoniellen  Verl)eugungeii.  und  schließlich  brachte  man  sie  nach 
dem  Kreis  zurück,  zur  Beisetzung  untt^r  dem  neuen  Thüpa.  Dieser  Krei.sthiipa  war  auch 
von  Liu  Sa -ho  (vgl.  S.  23)  entdeckt  worden. 

Das  alles  sind  Mitteilungen  aus  einer  authenti.schen  cliinesischen  Staats- 
geschiehte,  also  aus  allerliostcr  (^)uene.  Sie  ffiliren  uns  einen  Kaiser  in 
höchsteigener  Person  vor,  <ler  an  der  Spitze  seiner  Prinzen,  Könige,  Lehns- 
fürsten und  Magnaten,  (Jeniahlinuen-  uiul  Prinze.ssinnen,  der  Geistlichkeit 
und  der  Volksraasse,  den  Sarira's  seine  größte  Verehrung  darbringt.  Wir 
sehen  bei  ihrer  Beisetzung  im  Thiipa  alle  Großen  und  Wohlhabenden  Geld 
und  Schätze  massenweise  herbeischleppen  und  in  die  Grabkeller  der  Re- 
liquien werfen,  als  handele  es  .sich  um  die  Beerdigung  des  Sohns  des 
Himmels  selbst.  Es  ist  somit  kein  Zweifel  möglich,  daß  die  Sarira's  als 
das  -Vllerheiligste,  ihre  Tliiipas  daher  als  die  heiligsten  der  Heiligtümer 
galten.  Wir  haben  es  jetzt  dokumentarisch  vor  uns,  daß  man  die  Sarira's 
unter  den  Thiipas  beizusetzen  pflegte;  imd  die  ursprüngliche  Stellung 
PhiL-hint.  Ahh.  1U1U.  Ar.  //.  4 


2(i  DE    (i  R  OOT  : 

dieser  Gebäude  als  Grabthüpas  wird  Iiierdurcli  l)estätigt.  So  stark  war 
das  von  den  Sarira's  ausgehende  Licht,  daß  es  sogar  über  den  Stellen 
leuchtete,  wo  sie  tief  in  den  Boden  eingegraben  lagen,  und  hell  aus  üjren 
Tliüpas  strahlte,  insonderheit  wenn  der  Kaiser  aus  dem  Siitra  der  Präjna, 
der  »Weisheit«,  einen  Lehrvortrag  hielt;  in  der  Tat  sind  die  Sütra's  die 
Weislieit,  die  Lehre  des  Buddha,  also  das  Rad  der  leuchtenden  AVelt- 
ordnung  (y^f^),  das  der  Kaiser  durch  sein  frommes  Werk  drehte  (^). 
Wir  liaben  es  früher  (S.  i)  schon  gelesen,  daß  im  Kloster  des  Weißen 
Pferdes  Licht  strahlte  aus  den  heiligen  Schriften,  welche  aus  Indien  dort- 
liingebracht  waren,  so  daß  Geistliche  und  Laien  ihnen  Weihrauch  und 
Speisen  opferten,  als  seien  sie  der  Buddha  in  eigener  Person. 

Leicht  sind  somit  die  tiefsirmigen  Worte  zu  verstehen,  welche  das 
Haupt  der  Geistlichkeit  zum  Kaiser  sprach,  als  dieser  staunend  das  wunder- 
volle Leuchten  der  Sarira's  anschaute:  "das  Dharmawesen  ist  ewig,  tief 
und  unbeweglich«.  Gewiß  wollte  der  weise  Mann  damit  etwa  Folgendes 
sagen:  »Das  Licht  dieser  Sarira's  ist  das  Licht  des  Buddha,  also  sein  Geist, 
seine  Lehre,  das  Licht  des  Weltalls,  der  Dharma,  das  Weltgesetz;  das  alles 
besteht  in  unerschütterlicher  Ruhe  seit  aller  Ewigkeit  und  wird  bis  in 
alle  Ewigkeit  walten  und  wirken,  wie  auch  das  Weltgesetz,  der  Dharma 
im  engeren  Sinne:  die  buddhistische  Religion  und  Kirchenlehre».  Sarira's 
waren  somit  die  Seelen  der  Thüpas,  die  Thüpas  ihre  Werkzeuge  zur  Ver- 
breitung des  leuchtenden  Geistes  des  Weltgesetzes  über  alle  Wesen,  zur 
Förderung  und  Sicherung  ihres  Heils,  (ianz  folgerichtig  heißen  dann  auch 
die  Thüpas  in  der  Sprache  der  Kirche  aller  Zeiten:  ^i^  lingt'a,  »Thüpas 
göttlicher  Macht,  Kraft  und  Wirkvmg«.  Die  in  ihnen  beigesetzten  Sarira's 
waren  somit  für  die  Erhaltung  und  Blüte  der  Religion  mindestens  ebenso 
wichtig  und  unentbehrlich  wie  die  Heilige  Schrift,  die  aus  dem  Heiligen 
Lande  massenweise  herbeigeschafft  und  ins  Chinesische  übertragen  wurde. 

Begreiflicherweise  hielten  in  der  goldenen  Zeit  der  Religion  die 
Kaiser  sich  eine  Sammlung  von  diesem  kostbaren  und  gewiß  sehr  teueren 
lieiligen  Gegcnstände'n  und  erstrebten  einen  stetigen  Zuwachs  derselben. 
Von  Aar;  'l'su  der  / da )i(/-Dyna.stie,  über  dessen  Frömmigkeit  und  Recht- 
gläubigkeit wir  schon  viel  Erbaidiches  vernommen  haben,  erzählt  die  Staats- 
geschichte seines  Hauses  noch  (Kap.  54,  Bl.  12  und  34),  daß  im  i.Jaln-e  der 
T^3A;^  '/yM«yta-<'«w9-Periode  (529)  das  Reich  :^:)^  Pan-pan  mehrmals  Cesandte  zu 
ilini    schickte,    die  Ziihne   und   Statuen,    samt  einem  Thiipa   als  Tribnt  l)rachten.   sowie  viele 


Dil-  Puyoden  In  China.  27 

zehn  Arten  von  Garfl-  und  Santal- Weihrauch;  daß  im  6.  Jahre  (534)  von  doi-t  wiederum  eine 
Gesandtschaft  kam,  die  Sarira's  aus  dem  Reiche  -^j  J^  Bodhi,  samt  Zeichnungen  von  Thfipas 
schenkten  und  auch  noch  Blätter  de"s  Bodhi-baums  darbot,  sowie  Tse/i-zueker  (^^^) 
und  derartige  wohlriechende  Sachen.  Im  2.  Jahre  derselben  Periode  (530)  schickte  ihm  ^  Äff 
Pose  (Persien)  eine  Gesandtschaft,  welche  ihm  einen  Zahn  des  Buddha  darbot.  Kaum 
war  im  Jahre  557  die  7><ffrt(7-Dynastie  gestürzt,  und  da.s  Haus  ^  Tsm  au  ihre 
Stelle  getreten,  als  der  Stifter  desselben  schon  am  fünften  Tag  nach  seiner 

Thronbesteigung  befahl,  den  Zahn  des  Buddha  herauszutragen,  auf  dem  Grundstück 
eines  Tu  JAu  die  vier  Stände  zusammenzubringen  und  eine  große  Erlösungsversammlung 
(ÄIi^"/r  W)  abzuhalten.  Der  Kaiser  Kao  Tsu  kam  selbst  aus  dem  Palast  heraus  und 
machte  vor  dem  Tor  zeremonielle  Verbeugungen.  Unter  der  T^^  7Vi-Dynastie  (479 — 502) 
war  dieser  Zahn  durch  den  verstorbenen  (Jeistlichen  T'wiy-fd  dem  Kaiser  angeboten  worden: 
man  hatte  ihn  im  Reiche  ^  |^  Ö-tin  (Hö-tin,  Chotßn)  erworben,  und  er  hatte  dann  immer 
im  buddhistischen  Kloster  oberhalb  ^p  ayk  Ting-Iin  gelegen,  bis  ihn  im  letzten  Jahre  der 
Periode  ^^^  Tien-kiin  (519)  der  .Sramäna  Hui-hiny  des  ^^^  Är'in^-_;"«n-Klosters  auf 
dem  Berge  x&  Se'  in  Verwahrung  nahm.  Ais  dieser  im  Sterben  lag.  übertrug  er  die 
Reliquie  seinem  Bruder  Hui-tii,  der  sie  im  letzten  .lahre  der  ^<  ^.  '/'■«'(«^-«/»«/-Periode 
(5541  heimlich  zu  Kao  Tsu  brachte,  der  sie  jetzt  berausbi-ingeu  ließ  (Kap.  2  der  ^  ^- 
Ti'ni  .^u,   »Geschichtsbücher  der   7!s-'r«-Dynastie«,  Bl.  4). 

Lo'-Jany,  gleichwie  Kien-jf  ein  Brennpunkt  des  Buddhismus  in  diesen 
Zeiten,  wird  auch  wohl  mit  Zälmen  und  anderen  Überresten  des  Herrn 
redlich  versehen  gewesen  sein,  denn  das  Ka-him-kl  enthält  im  4.  Kapitel 
die  Mitteilung,  daß  sich  im  ^  '^'  i'^'-^MW-Kloster  Sariras,  Knoclien,  Zähne 
des  Buddha,  Sütra's  und  Bilder  befanden,  welche  in  den  Ländern  des  Westens  gekauft  waren. 
Wieviel  solche  heiligen  Sachen  da  waren,  und  wieviel  man  sich  dafiir 
hatte  bezahlen  lassen,  das  sagt  uns  leider  die  Geschichte  nicht. 

Aus  der  Mitteilung,  daß  der  Stifter  der  r.!5V«-Dynastie  bei  seiner 
Tlironbesteigung  den  Zahn  des  Buddha  herausbringen  ließ  zu  einer  All- 
gemeinen Erlösungsversammlung  von  Geistlichkeit  und  Laien,  folgt,  daß 
Reliquien  nicht  immer  tief  in  den  Thüpas  vergraben  oder  in  unerreich- 
l)arer  Stelle  beigesetzt  wurden.  Das  bestätigt  auch  der  berühmte  Finger- 
knöchel Buddhas,  der  in  der  7'  a«y-Zeit  in  ^^  Funy-slany  im  ^^  ^  ^  :^  ^^ 
"Tlmpa  des  die  Dynastie  beschützenden  heiligen  Wesens«  aufbewahrt  wurde. 
Einmal  in  dreißig  Jahren  wurde  dieser  Thüpa  geöffnet,  und  dann  »war 
die  Jahresernte  üppig  und  der  Mensch  auf  dem  Höhepunkt  seiner  Wünsche« 
(j^^A^^)-  -^'s  """  auch  819  die  Öff"nung  stattfand,  ließ  der  Kaiser 
den  Knöchel  durch  Pala.stbeamte  feierlieh  abholen  und  in  der  Rcichshaupt- 

4* 


28  n  K   (I  i{ o o  T  : 

Stadt  ^  ^  Tsang-nymi  (jetzt  Si-nqan  fu)  in  den  Palast  tragen,  während 
er  selbst  von  einem  Stockwerk  die  Prozession  mit  ansah :  nnd  als  die  Re- 
liquie drei  Tage  im  Palast  gewesen  war,  wurde  sie  nach  den  verschie- 
denen Klöstern  geschickt.  Massenhaft  strömte  das  Volk  herbei,  hoch  und 
niedrig  spendete  seine  Gaben  und  opferte  seine  Schätze;  viele  ließen  sieb 
zum  Geistliclien  weihen  und  dabei  Wunden  auf  Kopf  und  Arm  brennen. 
Diese  Dinge  empörten  den  Staatsmann  ^;  ^  Hein  Jii.  Er  bot  dem  Kaiser 
seine  immer  berühmt  gebliebene  Eingabe  an,  in  der  er  den  Buddhismus 
mit  scharfem  Spott  angriff  und  dem  Kaiser  riet,  er  solle  das  faule  Ding 
ins  Wasser  oder  Feuer  werfen.  Dieses  Dokument  ist  an  anderer  Stelle  in 
Übersetzung  wiedergegeben'.  Daselbst  ist  auch  mitgeteilt,  daß  die  Kaiser 
der  Jfm^-Dynastie  sich  eine  große  Sanmilung  von  Sanra's  hielten,  bis  im 
Jahre  1536  ^^  »S«  Tsung  die  buddhistischen  Tempelgebäude,  welche  im 
Palast  standen,  abbrechen,  die  Bilder  zertrümmern  und  den  ganzen  Re- 
liquienschatz, der  insgesamt  wohl  tausend  Pfund  wog,  außerhalb  der  Mauern 
verbrennen  ließ'. 

Es  ist  somit  nicht  unwahrscheinlich,  daß  die  kleineiL  Thüpa  von 
großer  Schönheit  und  Kunstfertigkeit,  von  denen  sich  eine  ansehnliche 
Zahl  im  '^^  »Buddha-Saal«  des  Kaiserpalastes  befindet',  teils  oder  sämt- 
lich aus  der  Ming-Aeit  stammen  und  während  dieser  zur  Aufbewahrung 
des  großen  kaiserlichen  Sarirasch atzes  dienten.  Natürlich  ist  nicht  ausge- 
schlossen, daß  einige,  vielleicht  alle,  unter  der  Mantschu-Dynastie  ange- 
fertigt worden  sind  und  daß  auch  diese  einen  Reliquienschatz  besaß.  Auch 
manches  Kloster,  das  sich  des  Besitzes  von  Sarira's  erfreut,  bewahrt  sie  in 
einem  kleinen  Thiipa  auf.  Dieser  ist  mitunter  kaum  einen  halben  Meter, 
mitunter  wohl  bis  drei  Meter  hoch  und  häufig  einem  quadratischen  Grab- 
thüpa  ähnlicli.  Er  ist  aus  Stein,  Porzellan,  Bronze  oder  sogar  Eisen  und 
trägt  oft  die  Inschrift  ^T^lj^t^,  »Kostbarkeitenthüpa  für  Sarira's«.  & 
steht  zumeist  in  der  großen  Kirche  des  Klosters  im  Schatten  der  großen 
Statuen  des  Triratna.  Das  ]^^<,^  Jvng-ts'uan  se,  »Kloster  der  sprudeln- 
den Quelle«  bei  Fu-Uou,  der  Hauptstadt  von  Fu-klan,  besser  unter  dem 
Namen  _g^  \[\  Kii-san-K\ostev  bekannt,  besitzt  einen  Zahn  des  Buddha  und 

'    »Sectarianism  and  Religious  Persecution  in  China«.  S.  53fF. 
2    Ebenda,  S.  88. 

'    Zwei,  einer  aus  Porzellan  und  einer  aus  Metall,  sind  photographisch  abgebildet  auf 
Tafel  90  und  91    von  Oi^awas   »Pliotographs  of  Palace  Buildings  of  Peking«,   1906. 


Dil'  Pa(jo(Jen  in  China.  2'.) 

einige  in  einer  kleinen  Urne  aus  glasartiger  Substanz  enthaltene  Sanras. 
Es  bewahrt  das  alles  auf  in  einem  mit  Gitterwerk  verschlossenen  Ta- 
bemakelchen,  das  in  einen  kleinen  quadratischen  Thüpa  eingebaut  ist,  der 
wie  ein  Grabthupa  aussieht,  ein  paar  Meter  hoch  ist  und  in  einer  Kapelle 
steht,  die  "^^Ij^  »Sarira-( trotte«  heißt.  Der  Zahn  läßt  sieh  ohne  weiteres 
als  ein  vom  Alter  gebräunter  Backenzahn  eines  Elefanten  erkennen.  Die 
Mönche  bemühten  sich  sehr,  mich  durch  die  Wände  des  Urnchens  vom 
Leuchten  der  Sanras  zu  überzeugen,  jedoch  es  wollte  ihnen  nicht  gelingen. 
Diese  kleinen  heiligen  Gegenstände  schienen  Edelsteinchen  oder  Fragmente 
einer  glasähnlichen  Substanz  zu  sein. 


Drittes  Kapitel. 

Der  Thüpa,  der  Leuchtturm  des  Weltg-esetzes. 

Das  zweite  Kapitel  hat  uns  in  einige  Hauptgrundsätze  der  esoterischen 
Lehre  des  Mahäyäna-Buddhismus  eingeführt,  die  da  lauten: 

1.  Dharma,  chin.  ^  fo\  »Gesetz«,  ist  das  Weltgesetz,  die  Welt- 
ordnung, und  die  Buddhas  sind  seine  Verkünder,  das  Licht 
der  Welt. 

2.  Sarira's  d»  >  Buddha  Säkya  sind  Elemente  des  Dharma,  dessen 
Licht  und  Geist. 

3.  Thüpas,  aus  denen  die  darin  beigesetzten  Sarira's  strahlen,  sind 
Werkzeuge  zur  Verbreitung  des  Lichts  des  Dharma  und  somit 
zur  Förderung  des  Heils  aller  Wesen.  Folglich  ist  jeder  Thüpa 
ein  Heiligtum  des  Dharma,  also  das  Weltall  im  kleinen,  ein 
Mikrokosmos.  Umgekehrt  wird  das  Weltall  als  ein  Thüim  dar- 
gestellt; nach  Hod(;son'  stellen  die  13  Stufen  der  Pyramiden  der 
Caitya's  die  1 3  Bodhisattva-Himmel  der  buddhistischen  Kosmo- 
graphie  dar  und  ist  die  Stange  der  Akanistha-Himmel,  der 
höchste  des  Adibuddba  (Dharmaräja?). 

Logischerweise   gehen   aus    diesen   Lehrsätzen   die   folgenden    hervor: 

4.  Dharma,  das  Weltgesetz,  und  Buddha,  sein  Licht,  oder  viel- 
mehr  die  Myriaden    von  Buddhas,    welche  Sonnenperioden  oder 

'    Bei  Kern  II.  S.  140. 


30  1>K    <"  KOOT  : 

Tage    vorstellen,    haben    zusammen    einen    einzigen  Thron    inne, 
nämlich   den  Wcdtthüpa. 

5.  Dharma  und  Buddha  bzw.  die.  Buddhas,  bilden  eine  Zweieinigkeit, 
insbesondere,  wenn  der  Buddha  abends  ins  Nirväna  eingeht  und 
sein  Licht  dadurch   vom  Weltgesetz  absorbiert  wird. 

6.  Dharma  bringt  durch  Selbstteilung  die  Buddhas  hervor,  und  diese 
leuchten,  predigen,  somit  durch  den  Willen  oder  auf  Anregung 
des  Dharma. 

7.  Der  Dharma  selbst  ist  Buddha,  ein  Wesen  höchster  Weisheit,  zwar 
der  allererste,  allerhöchste  (Adi-)Buddha,  aber  dennoch  ein  Buddha; 
denn  eine  höhere  Weisheit  als  die  der  Buddhas,  die  den  Dharma 
vollständig  verstehen  und  deshalb  mit  ihm  sogar  einheitlich  sind, 
kann   es  nicht  geben. 

Es  wird  in  diesem  Kapitel  zu  beweisen  sein,  daß  diese  fundamentalen 
Sätze  der  esoterischen  Kirchenlehre  auf  grundlegenden  heiligen^Schriften 
beruhen,  daß  die  Thüpas  für  die  Vorherrschaft  dieser  Lehrsätze  als  Zeugen 
dastehen  und  durch  ihre  Rolle,  Gestalt  und  Verzierung  selbst  die  Beweise 
liefern  für  ihre  Stellung  als  Heiligtümer  zur  Verbreitung  des  Lichts 
des  Dharma. 

In  auffallender  Weise  pflegt  die  Mahäyäna-Kirche  die  Buddhas  als 
Lichtgötter  darzustellen,  und  zwar  insonderheit  den  Buddha  Säkya,  wenn 
sie  ihn  auftreten  läßt  als  Prediger  der  Lehre,  also,  wie  es  in  der  Kirchen- 
sprache lautet,  i^V^f^  »das  Rad  des  Dharma,  des  Weltgesetzes,  drehend«. 
Morgens  tritt  das  Licht  der  Welt  aus  dem  Zustand  des  E£fl^  samädhi, 
der  Geistesruhe,  heraus,  vollbringt  seinen  täglichen  Kreislauf  und  sinkt 
abends  ins  Nirväna.  Jeden  Tag  erscheint  also  ein  neuer  Bodhisattva,  der 
leuchtend  allen  Wesen  den  Dliarnia  offenbart,  sie  dadurch  weise,  bodhi, 
selig  macht,  auch  weil  er  die  Dämonen  des  Dunkels  und  des  Übels,  die 
Mära's,  vertreibt  oder  vernichtet.  So  sind  in  der  Vergangenheit  unzählige 
Sonnen  als  Bodhisattvas  erschienen,  haben  die  Wesen  zur  Seligkeit  geführt 
und  sind  darauf  als  Buddhas  ins  Nirväna  gesunken;  und  eine  unbegrenzte 
Anzahl  wird  zu  dem  gleichen  Zwecke  das  Rad  der  Weltordnung  drehen 
bis  in  alle  Ewigkeit. 

Die  Darstellung  des  Buddha  als  Weltlicht  kommt  schon  zum  Aus- 
druck in  der  auf  S.  i  wiedergegebenen  alten  Legende,  wonach  im  ersten 
christlichen  Jahrhundert   der  Buddha   dem    Kaiser   l\Hn(j  erschien    »als  ein 


Die  Pagoden   in  China.  •  81 

goldenes  Wesen,  dessen  Schädel  leuchtete  wie  die  Sonne  und  der  Mond 
zusammen«,  also  wie  das  Licht  der  Welt.  Ebenda  haben  wir  auch  gelesen, 
daß  die  aus  Indien  gebrachten  Bücher  der  Lehre  und  des  Geistes  Buddhas 
ein  helles  Licht  ausstralilten,  so  daß  die  Gläubigen  ihnen  mit  Weihrauch 
und  Speisen  Opfer  darbrachten,  als  seien  sie  der  Buddha  selbst.  Sütra's 
aller  Art  sind,  wie  die  Kirche  lehrt,  durch  Predigten  des  Buddha  ent- 
standen, und  sie  malen  ihn,  wenn  er  zu  predigen  anfängt,  als  die  auf- 
gehende, hell  leuchtende  Sonne.  Mit  ganz  besonderer  Klarheit  und  Be- 
tonung schildert  ihn  so  das  wichtigste  aller  heiligen  Bücher,  das  ^1^;^^ 
Fan  icang  kiny,  »Sütra  des  Netzes  Brahmas«,  Brahmajülasfitra.  Es  ist  das 
Buch  der  höchsten  Gebote  der  Kirche,  welche  bestimmt  sind,  von  allen 
Wesen  aller  Welten  befolgt  zu  werden  und  diese  somit  dem  Zustand  der 
Bodhisattva,  also  der  höchsten  Wei.sheit  und  Seligkeit,  zuzuführen.  Es 
ist  daher  das  Alpha  und  Omega  des  Wegs  zum  Heil,  des  Mahäyäna;  es 
ist  das  Mittel,  wodurch  die  Kirche  ihre  erste  und  höchste  Aufgabe,  aus 
allen  Wesen  Buddhas  zu  machen,  erfüllt.  Es  entstand  aus  dem  Dharma, 
den  es  ^^^[J  Ui-sa-na  nennt,  und  zwar  in  der  Weise,  die  wörtlich  wie 
folgt  in  den  ersten  Blättern  des  Buches  beschrieben  ist ' : 

Damals  befand  sich  der  Buddha  .Säkyainuni  in  dem  Palast  des  Himmelskönigs  1^  ilüifc  ^k 
Sfi-  Mahesvara  (Brahma),  der  in  der  vierten  Welt  des  dhyäna  liegt,  in  Begleitung  des  unermeß- 
lichen Himmelskönigs  -hr  ^^  Mahäbi-ahma  und  einer  unsagbaren,  unaussprechlichen  Menge  von 
^■^  Bodhisattva's  (Sternen);  und  er  predigte  über  die  Lehrgegenständc  bezüglich  der  jlV^ 

■  Gemütszustände«  und  ^Ujj  »Lagen-  (des  Boddhisattva),  welche  Losana,  der  auf  der  ^S^^^^ 

■  Lotusblumcnterrasse«  thront  und  die  Welten  umschließt,  verkündet.  Das  Wesen  des  Säkya 
entsandte  ein  Licht  der  Weisheit,  das  aus  dem  Palast  dieses  Himmelskönigs  in  die  von 
der  Lotusterrasse  umschlungenen  Welten  leuchtete.  Alle  möglichen  mit  Leben  begabten 
Wesen,  die  in  allen  Welten  dieser  Welten  bestehen,  sahen  sich  einander  an,  voll  F'reude 
und  .lubel,  vermochten  aber  noch  nicht,  dieses  Licht  zu  begreifen.  Es  entstanden  in  ihnen 
(iedanken  des  Zweifels  über  Zweck  und  Grund  dieses  Lichts,  und  dasselbe  war  auch  mit 
den  zahllosen  Devas  und  Menschen  der  Fall.  Da.  aus  der  Menge,  erhob  sich  ein  Bodhi- 
sattva, der  ^jS^1^3fei.  '^ö'""'  ^**  mystisch  alles  durchdringenden,  glorreichen  Lichts» 
(die  Sonne),    aus   dem  ^^Hi^    samädhi    (Geistesi-uhe)    seines    allerherrlichsten.    glorreichen 

Lichtglanzes.  Mittels  Buddhas  göttlicher  Kraft  ließ  er  ein  ;^  |i^l)  3fe  "Zauberlicht"  von 
der  Farbe  einer  weißen  Wolke  aus  sich  herausstrahlen,  ein  Licht,  das  alle  bestehenden  Welten 
ohne  Ausnahme  erleuchtete,  und  in  dem  die  ganze  Schar  der  Bodhisattva's  zusammenkam. 
Einmütig,  al)er  in  verschiedenen  Sprachen  fragten  sie  dieses  Licht,  was  für  ein  Zeichen  es 

'  Der  chinesi.sche  Text  wird  hier  nicht  wiedergegeben,  da  er  in  »Le  Code  du  Mahäyäna 
en  Chine«  auf  S.  14  ft".  abgedruckt  ist. 


H2  .  DE   Groot: 

wohl  wäre.  Daraul'  nahm  Säkya  diese  große  Menge  Wesen  diesel-  Welten  in  seine  Arme 
und  kehrte  mit  ihnen  in  die  von  der  Lotusterrasse  umschlungenen  Welten  ein,  ins   Ä'  ;^  P||] 

^(f^  HB 'ö' pb  »Innere  des  Palastes  der  roten  Zauberlichter«  (Sterne),  welche  hundertmal 
zehntausend  Millionen  an  Zahl  sind.  Dort  erblickten  sie  den  Buddha  Losana  auf  seinem 
Thron  von  hundertmal  zehntausend  Milli(men  von  Lotusblumen,  in  glorreichst  glänzendem 
Lichte.  Säkya  und  die  großen  Scharen  brachten  gleichzeitig  dem  Buddha  Loiana  zu  seinen 
Füßen   zeremonielle  Ehrung  dar,  und  darauf  sprach  der  Buddha  Säkya: 

»Wie  können  alle  lebenden  Wesen  auf  der  l{!rde  und  im  Luftraum,  welche  sich  in 
dieser  Welt  befinden,  den  Weg  (j^  Tao)  finden  zur  Vervollkommnung  in  den  zehn  Lagen, 
welche  den  Bodhisattva  bilden;'  Und  wenn  sie  dann  im  BegriflF  sind,  das  Buddhatum  zu 
erreichen,  welche  Arten  von  Zeichen  lassen  sie  dann  sehen'.'  Im  Einklang  mit  der  Grund- 
eigenschaft der  Natur  der  Buddhas'  befrage  ich  dich  ausführlich  übei-  die  .Saat  der  Bodhi- 
sattva-heiligkeit. « 

Da  emj^fand  der  Buddha  Losana  sogleich  eine  große  Freude.  Er  offenbarte  die  Natur 
seines  im  Luftraum  leuchtenden  Wesens,  den  samädhi  des  ursprünglichen,  Buddhas  bildenden, 
ewig  dauernden  y4r  ^'  "Dharmawesens»  und  verkündigte  den  großen  Scharen  folgendes: 

»Ihr  alle  hier,  die  ihr  Kinder-  der  Buddhas  seid,  höret  mit  Andacht,  denkt  wohl  über 
meine  Worte  nach  und  benehmt  euch  dementsprechend.     Ich   selbst   habe  seit  hundert  ^S/S 

IW'^ÜK  asankhyeya  (eine  unzählbare  Anzahl)  von  Jjfj  kalpa  (unberechenbar  großen  Zeiträumen) 
mich  in  den  Gemütszuständen  und  Lagen  (des  Bodhisattvatums)  geübt,  und  habe  sie  zum  Ge- 
genstand meiner  Bestrebungen  gemacht.  Zuerst  warf  ich  alles  Weltliche  ab,  und  so  habe 
ich  mich  stufenweise  vervollkommnet  bis  zur  wahren  Ä  Erwachung  (Weisheit),  welche 
Losana  heißt,  und  auf  der  Terrasse  der  Lotusblumen  wohnt,  die  den  Ozean  von  Welten 
umfaßt.  Diese  Terrasse  hat  ringsum  tausend  (L(jtus-)  Blätter,  und  jedes  Blatt  ist  eine  -H}"  R^ 
Welt,  so  daß  es  tausend  Welten  gibt;  ich  selbst  verwandle  mich  in  tausend  Säkya "s,  welche 
diesen  tausend  Welten  entsprechen,  und  dann  gibt  es  in  der  Welt  jedes  Blatts  wiederum 
hundert  Millionen  Sumeru's,  hundert  Millionen  Sonnen  und  Monde,  hundertmiUionenmal 
vier  Reiche,  hundert  ^Millionen  südliche  Jambudvipa's  mit  hundert  ^Millionen  Bodhisaltva's 
Säkya,  die  unter  hundert  Millionen  Bäumen  der  Weisheit  sitzen  und  alle  die  Gemütszustände 
und  Lagen  der  Bodhisattva"s  predigen,  über  die  ihr  mich  befragt.  Die  übrigen  999  .Säkya"s 
manifestieren  sich  jeder  für  sich  als  tausendmal  hundert  Millionen  .Säkya's,  die  auch  das- 
selbe tun.  Somit  sind  die  Buddhas  auf  den  tausend  Blättern  meine  eigenen  Umgestaltungen, 
die  tausendmal  hundert  Millionen  Srikya"s  sind  Umgestaltungen  dieser  tausend  .'^äkya's,  und 
ich  bin  daher  auch  ihr  Ursprung,  der  Buddha  Lo.sana  heißt.«     (Vgl.  S.  30,  Satz  6.) 

Und  nun  beantwortete  Buddha  Losana  der  l^otusterrasse,  welche  die  Welten  umfaßt, 
ausführlich  die  Frage  der  tausend  und  der  tausendmal  hundert  Millionen  .Snkvas  über  den 
Lehrgegenstand  der  Gemütszustände  und  Lagen  des  Bodhisattva  .  .  . 

Klar  und  deutlicli  tritt  uns  hier  die  folgende  kosmische  Darstellung 
entgegen : 

Es  besteht  ein  Buddlia,  Namens  J^^]^^  Lö-Sa-na  (Losana),  der  auf 
einer  Terrasse   aus  Lotusblumen   thront,    welche  alle  Welten  (jit^)  imi- 


AUe  Wesen  zur  Seligkeit  zu  führen. 


Die  Pagoden  in  China.  !}3 

faßt.  Hell  leuchtend  verkündet  er  allen  lebenden  Wesen  die  Lehre  des 
Heils  und  offenbart  ihnen  dabei  seine  Natur  ('|^) ,  seinen  Dharina  oder 
Gesetz  (^),  das  alle  Bodhisattvas  hervorbringt.  Das  heißt  also:  Losana  ist 
das  alles  umfassende  und  alles  beherrschende  Weltgesetz  (vgl.  S.  29,  i.Satz), 
dessen  leuchtende  Kraft  alles  Gute  und  Heilige  schafft.  Die  tausend  Blätter 
des  Lotus,  der  seinen  Thron  bildet,  sind  tausend  Welten,  von  denen  jede 
von  einem  Bodhisattva  Säkya,  der  ein  Teil  des  Lichts  des  Weltgesetzes,  des 
Losana,  ist,  durch  Verkündung  des  Dharma  zur  Heiligkeit  hinaufgeführt 
wird  (S.  29f.,  Satz  4  und  6).  Jede  dieser  tausend  Welten  enthält  hundert 
Millionen  von  kleineren  Welten,  Tagen,  Jambudvipas,  jede  mit  einem  Sumeru- 
berge  als  Mittel])unkt  und  einem  aus  jenen  tausend  Säkya's  entstandenen  Bo- 
dhisattva Säkya,  der  unter  einem  bodhimanda,  einem  Baum  der  Weisheit, 
die  Lehre  predigt,  welche  alle  Wesen  stufenweise  in  die  Gemütszustände 
{t^)  und  die  diesen  entsprechenden  Lagen  (;ttjj)  führt,  welche  in  der  Heilig- 
keit der  Bodhisattvas  enden.  Das  Verkünden  fängt  an,  wenn  die  Sonne 
sich  morgens  aus  ihrer  samädhi  oder  Geistesruhe  erhebt,  das  ganze  Weltall 
mit  ihrem  vajra  (^p^l])-  oder  Zauberglanz  durchdringt  (S.  29,  i.Satz),  und 
alle  Bodliisattvas,  Lichtgötter  zweiten  Ranges,  Sterne,  sich  darin  »ver- 
.»iammeln«   oder  in  ihm  aufgehen. 

Vom  System  der  Mahäyäna-Kirche  Cliinas  ist  diese  transzendentale 
Verkündung  der  Heilslehre  der  Grundstein.  Vom  leuchtenden  Weltall 
selbst  gepredigt,  bezweckt  diese  Lelire  die  Seligmachung  jedes  Wesens 
mittels  einer  Disziplin,  welche  zur  Vervollkommnung  eines  Bodliisattva 
liinauffülirt,  eines  Wesens,  das  die  höchste  Weisheit,  bodhi,  besitzt  und 
um  ein  Buddlia  zu  werden,  nur  noch  ins  Nirväna  zu  treten  brauclit.  Diese 
Disziplin  besteht  im  Nachleben  der  48  Gebote  des  heiligen  Fait  wang  king, 
das  deshalb,  der  Lelire  nach,  von  aller  Ewigkeit  her  immer  und  immer  wieder 
vom  Weltenall  und  den  daraus  entstehenden  Buddhas  und  Bodhisattvas 
allen  lebenden  Wesen  der  Myriaden  von  Welten  gepredigt  wird.  Die  Ver- 
vollkommapng  vollzieht  sich  stufenweise,  indem  die  Disziplin  den  nach 
Heiligkeit  Strebenden  in  die  »Gemütszustände«  und  »Lagen«  versetzt,  welche 
somit  die  regelmäßige  Zunahme  der  Heiligkeit  kennzeichnen,  und  deren 
letzte  und  höch.ste  Lage  derart  ist,  daß  ff '{'4: >\. 'IW»  W- •  "Wesen  und  Natur 
in  die  Welt  der  Buddhas  eintreten«,  also  ins  Nirväna  eingehen.  Somit 
hat  Losana  durcli  die  Verkündung  des  Systems  der  Gemütszustände  und 
Lagen  die  von  ihm  emanierenden  Buddhas  und  Bodhisattvas  der  Milliarden 
Phil.-hist.  Ahh.   nun.   Ar.  11.  .j 


H4  1>  F.    (i  K  OO  T  : 

von  Welten  zum  Predigen  der  -i8  Gebote  Aeranlaßt  und  damit  alle  Wesen 
des  Universums  das  ^  Tao,  den  »Weg«  zur  Heiligkeit  der  Bodliisattvas 
und  Buddlias  eröffnet.  Das  Bucli  dieser  (iebote  ist  folglich  das  wichtigste 
und  vornehmste  aller  h\iddhistischen  Scliriften,  denn  ohne  den  von  ihm 
bedingten  Weg  zum  Heil  hätte  der  Buddhismus  überhaupt  keinen  Daseins- 
grund. Es  bildet  an  sich  schon  das  Mahäyäiia,  »den  großen  Weg«  oder  das 
-^^  «große  Fahrzeug«  zur  Heiligkeit.  Auf  diesem  Wege  strebten  .schon 
in  der  anfangslosen  Vergangenheit  alle  Wesen  des  Ozeans  von  Welten  dem 
Nirväna  zu;  sie  werden  es  auch  immer  in  der  endlosen  Zukunft  tun.  Die 
Lehre,  daß  Losana  und  die  voji  ihm  erzeugten  leuchtenden  Bodhisattva's  dieses 
universistische  und  universale  Oesetzbuch  verkündet  haben,  will  somitschlecht- 
hin  sagen:  alle  Kräfte,  welche  im  Weltenall  wirken,  gehen  vom  höch.sten 
Weltgesetze  aus   und   verkünden   einmütig  den   Weg  zum  Heil. 

Durch  Übersetzung  und  Bearbeitung  des  Fan  icang  king'  habe  ich  schon 
vor  vielen  Jahren  diese  Seligmachungsdi.szi[)lin  ausführlich  beschrieben  luid 
dabei  nachgewiesen,  daß  die  Klöster  des  JVIahäyäna-Buddhismus  Anstalten 
sind,  welche  speziell  zum  Zwecke  der  Übung  in  dieser  Disziplin  erriclitet 
sind  und  unterhalten  werden.  Ein  erheblich  großer  Teil  der  48  Gebote 
bezieht  sich  auf  die  Hauptptlicht  eines  joden  nach  Seligkeit  Strebenden, 
nämlich  möglichst  viel  Wesen  selig  zu  machen  und  ihnen  zu  diesem  Zwecke 
die  Heilslehre  zu  verkünden.  Also  ist  Predigen  der  heiligen  Schrift  imd 
der  Lehrsätze  der  Religion  im  Kloster  tägliches  Werk:  Bekelirung  durch 
Belehrung  ist  dort  die  heilige  Ptlicht  jedes  Mönchs,  der  durch  feierliche 
Annahme  der  Gebote,  welche  eine  Art  geistliche  Weihung  bildet,  schon 
auf  dieser  Erde  ein  Bodhisattva  geworden  ist.  Er  soll  dadurch  dem  Beispiel 
seines  Meisters,  des  Bodhisattva  Säkya,  folgen,  der.  bevor  er  ins  Nirväna 
der  Buddhas  einging,  unsere  Welt  durch  Verkündung  der  Heilslehre  selig 
machte.  Damit  ist  eng  verknüpft  das  Bestreben  jedes  Klosters,  heilige 
Schriften  zu  drucken.  Zumei.st  aber  erfüllen  die  Klostergeistlichen  die 
hohe  Pflicht  der  Propaganda  dadurch,  daß  sie  entweder  jeder  für  sich, 
oder  in  kleineren  oder  größeren  (rruppen  einstimmig  aus  heiligen  Büchern 
halblaut  lesen,  damit  ihre  aufklärende,  bekehrende,  heilbringende  Licht- 
kraft den  Luftraum  durchdringe  und  somit  auch  übel  jeder  Art,  wie  Dürre, 
übermäßigen  RegenfalL  Heuschrecken.  Krieg,   abwehre.      Kurzum,   mit  dem 

'  »I.e  Code  du  Maliäyüna  ni  Cliiiie" ;  Viriiandclingen  der  Kon.  Akademie  van  Weton- 
scliappcn   t(>   AiiistiTd.-iiii.    iSij;?. 


IHf  Ihujodiu  in  China.  '      35 

Dharma  des  Weltalls  und  den  Buddlias  wirkt  der  Sangha,  die  Gemeinde, 
einträchtig  Hand  in  Hand  zur  Yerwirklicliung  der  großen  Aufgabe:  der 
Aufklärung  und  Erlösung  der  Wesen ;  und  so  scheint  das  Licht  der  Klöster 
möglichst  weit  in  die  Welt  hinein,  nach  allen  Seiten,  vom  frühen  Morgen 
an,  so  lange  das  Licht  des  Losana  die  Welt  bescheint. 

Gleichwie  das  Weltenlicht,  sobald  es  am  Firmament  erscheint,  das 
Licht  der  Bodliisattvas,  der  Stenie,  absorbiert  oder,  wie  das  heilige  .Sütra 
der  Heilsgebote  sich  ausdrückt,  die  ganze  Schar  der  Bodliisattvas  in  sich 
sammelt  (s.  S.  32),  ebenso  ist  es  Glaubenswahrheit,  daß,  wenn  im  Kloster 
Sütras  gelesen  oder  Lehrreden  gehalten  werden,  das  heißt,  die  Heilslehre 
leuchtet  und  »das  Rad  des  Dharma  sich  dreht«,  die  Buddhas,  Bodhisattva's 
imd  Mahäsattva's  herbeiströmen  wie  die  Wolken  am  Himmel,  um  die  Heils- 
lehre anzuhören.  Dementsprechend  werden  sie  am  Anfang  dieses  heiligen 
Werks  mit  einem  Gesang  begrüßt,  und  ihnen  wird  mit  einem  WeihraucJi- 
opfer  gehuldigt.  Daher  auch  sind  gedruckte  Sütras  häutig  mit  einem  Titel- 
blatt illustriert,  das  Losana  oder  Säkyamuni  darstellt,  inmitten  der  Wolken 
auf  dem  Lotus  thronend,  mit  einer  leuchtenden,  runden  Scheibe  hinter 
dem  Kopf  und  einem  Scliild  in  der  Form  einer  sich  leicht  zuspitzenden, 
gezackten  Flamme  im  Rücken;  —  ein  leuchtender  Strom  von  Weisheit 
entfließt  seiner  Fontanelle  und  verbreitet  sich  nach  beiden  .Seiten  hin  über 
die  Köpfe  einer  frommen  Schar  stehender  Bodhisattva's  und  Mahäsattva"s 
mit  Lichtscheiben  hinter  dem  Kopf,  und  über  Buddhas,  welche  liöher  im 
Luftraum  auf  Lotusblumen  sitzen.  Unter  den  Zuhörern  entdeckt  man  auch 
die  »Könige  der  vier  Weltgcgenden«  (vgl.  S.  12),  nämlich  des  Ostens, 
Westens,  Südens  und  Nordens,  welche  somit  den  letzten  Zweifel  bannen, 
daß  es  sich  hier  um  eine  religiös-kosmische  Darstellung  handelt'. 

Es  ist  also  die  erhabene,  hehre  Bestimmung  jedes  Klosters  der  Kirche 
des  »Großen  Wegs«,  eine  heilige  Stätte  zu  sein,  wo  alltäglich  das  Rad 
des  Dharma  gedreht  wird,  das  somit  die  Lehre  des  Heils  nach  allen  Seiten 
hin  entsendet.  Seine  Wirkung,  die  die  Wesen  zum  Heil  emporführt,  wird 
in  hohem  3Iaße  gesteigert  durch  drei  große,   einander  fast  älinliche  Bilder, 

'  Kille  schöne,  aus  der  Klostcrinsel  -^  ßt  /*'«-<  o  im  -^Ij- llj  Tion-ian-ArchitpuX  her- 
nihicnde  AbbiMiing  gibt  Boehschmann  im  ersten  Bniul,  .S.  86  .seines  Werkes:  »Die  Bauk\inst 
und  religiöse  Kultur  der  Chinesen«.  Die  IJntei'Sclirill:  -Kuan-yin  mit  Göttern  uml  Heiligen" 
ist  aber  fnlsch,  wie  fast  jede  Krklärung  und  tlbersetzung,  die  das  übrigens  so  schöne  Werk 
enthält. 


H6  DE    (iROOT; 

welche  den  Haupti^latz  im  Kloster  einnehmen,  und  zwar  im  Schiff  des 
Hauptgebäudes,  der  ^A;^^^  ta-Mung  um,  »Halle  des  Großen  Männlichen«, 
d.  h.  Halle  der  männlichen  Seele  des  Weltalls,  des  ^  Jang,  des  Lichts 
der  Welt.  Dort  sitzen  sie  über  dem  Altar  nebeneinander,  mit  unterge- 
kreuzten Beinen,  auf  je  einem  Throne,  der  die  Gestalt  eines  Lotus  hat 
und  ebenso  wie  die  Bilder  selbst  gänzlich  vergoldet  ist.  Der  Dharma, 
Losana,  das  Weltgesetz  und  somit  auch  die  heilige  Religionslehre,  sitzt 
in  der  Mitte;  zu  seiner  Linken  sitzt  der  Buddha,  der  dieses  Dharma  in 
unserer  Welt  verkündete,  und  auf  seiner  rechten  Seite  sitzt  der  Sangha, 
die  Gesamtheit  der  Wesen,  insbesondere  die  Geistlichkeit  und  die  Gemeinde, 
die  auch  fortwährend  das  Rad  des  Dharma  drehen.  Diese  drei  leuchtenden 
und  predigenden  Weltkräfte  heißen  ^^  'SV/ra  pno,  »die  drei  Kostbar- 
keiten«, das  Triratna.  Ihre  halbgeschlossenen  Augen  bezeugen  tiefe  Ver- 
senkung in  Gedanken  (dhyäna,  samädhi);  die  erhobene  Hand  zeigt  die 
Haltung  des  Predigers;  die  Goldfarbe,  die  gezackte  oder  ungezackte  Licht- 
scheibe oder  ein  derartiger  Lichtring  am  Kopf  und  die  große,  buntbemalte 
und  vergoldete  Flamme  im  Rücken  kennzeichnen  die  Lichtgötter.  In  vielen 
Klöstern  befindet  sich  an  Stelle  der  drei  Bilder  nur  ein  einziges,  das  ent- 
weder Losana  oder  Säkya  oder  beide  vorstellt  (s.  S.  29f,  Satz  4  und  5). 
Es  ist  also  in  der  Mahäyäna-Kirche  Chinas  Voraussetzung,  daß  in  den 
Bildern  ihrer  Heiligen  die  Seele,  der  Geist  dieser  Wesen  enthalten  ist; 
freilich,  die  Idolatrie  dieser  Kirche,  gleichwie  alle  Idolatrie  in  der  Welt 
überhaupt,  hat  ihren  Daseinsgrund  einzig  und  allein  in  diesem  Glauben. 
Er  entleiht  Sinn  und  Kraft  dem  uralten  Hauptgrundsatz  aller  chinesischen 
Philosophie  und  Religion,  daß  das  Weltall  ein  Organismus  ist,  in  dem 
zwei  Seelen  wohnen,  deren  eine  ^  Jang  heißt  und  die  erzeugende,  be- 
fruchtende Himmelskraft,  Wärme  und  Licht  ist,  die  andere,  ^  Jin,  Kälte 
und  Dunkel.  Alles  Bestehende  ist  aus  der  Zusammenwirkung  dieser  beiden 
Allseelen  entstanden;  nicht  nur  die  lebenden  Wesen,  sondern  auch  die 
Dinge,  welche  wir  als  tot  betrachten,  enthalten  eine  Mischung  von  Jang 
und  Jm,  also  eine  Doppelseele,  welche  um  so  reiner,  besser  und  voU- 
kommner  ist,  je  mehr  darin  das  Jang,  die  Quelle  alles  Guten,  überwiegt 
und  vorherrscht.  Die  Jatig-Seele  heißt  jji^  Sm  und  bedeutet  Leben,  Reinheit, 
Tugend,  Verstand,  Weisheit,  Vernunft;  sie  wird  bei  höherer  Entwicklung 
zur  Göttlichkeit,  die  gleichfalls  durch  das  Wort  sm  bezeichnet  wird.  Die 
chinesische  Religion  ist  somit  polytheistisch  und  universistiseh.    Ihre  Götter 


üie  Pagoden  in   China.  37 

sind  von  reinem  Jang  beseelte  Wesen,  also  Wesen  des  Lichts,  die  den 
Kosmos  erfüllen  und  beleben,  nicht  bloß  Himmel,  Sonne,  Mond  und  Sterne, 
sondern  auch  Wind,  Regen,  Donner,  Wolken,  Seen,  Berge,  Felsen,  Flüsse, 
Tiere,  Pflanzen  und  sogar  Gegenstände  aller  Art.  Voran  unter  diesen  be- 
seelten Gegenständen  stehen  Götzenbilder,  welche  in  zahllosen  Mengen  in 
China  die  Heiligtümer  bewohnen,  und  von  denen  jedes  einen  größeren 
oder  kleineren  Teil  des  sm  der  Gottheit,  die  es  vorstellt,  enthält,  also  ihre 
^  ling  oder  Gotteskraft  und  Macht  (vgl.  S.  4). 

Der  Glaube  an  das  Beseeltsein  von  Götzenbildern  hängt  natürlicher- 
weise eng  zusammen  mit  der  einfachen  Menschen  und  Völkern  eigentüm- 
lichen Eigenschaft,  Bilder  mit  den  Wesen,  die  sie  vorstellen,  mehr  oder 
weniger  scharf  zu  identifizieren.  YAn  Bild  erweckt  den  Gedanken  an  ein 
lebendes  Wesen,  und  dieser  Gedanke  ist  kräftig  genug,  um  einen  anderen, 
daß  nämlich  das  Bild  nui*  lebloses  Holz  oder  Ton  sei,  vollständig  beiseite- 
zudrängen.  Insbesondere  muß  das  für  das  chinesische  Volk  gelten,  dem 
der  Glaube  an  das  Beseeltsein  eines  jeden  Gegenstandes  seit  uralten  Zeiten 
im  Blut  saß,  unrl  in  welchem  das  Vermögen,  Mögliches  vom  Unmöglichen 
zu  unterscheiden,  nie  zur  Entwicklung  gelangte.  Assoziation  von  Bildern 
mit  den  Wesen,  die  sie  darstellen,  wird  somit  Identifikation,  sowohl  körper- 
lich wie  seelisch.  Man  hat  sie  alle  Zeiten  hindurch  zu  Tausenden  in  den 
Heiligtümern  errichtet,  auf  daß  die  Götter  ihre  Seelen  darin  niederlegen, 
insonderheit  wenn  die  Geistlichkeit  durch  Opfer  und  andere  Feierlichkeiten, 
Zauberworte  und  Zauberzeichnungen  sie  dazu  einladet  oder  sogar  nötigt. 
In  der  Literatur  äußert  sich  der  Glaube  an  das  Beseeltsein  von  Bildern 
in  zahlreichen  Berichten  über  wimderbare  Dinge,  die  sich  mit  denselben 
zugetragen  haben;  sie  sollen  z.  B.  geseufzt,  geweint,  gezittert,  geschwitzt, 
geblutet,  geleuchtet,  Arme  und  Beine  bewegt,  gesprochen,  ihre  Köpfe  ab- 
geworfen haben  und  so  weiter'. 

Wird  also  in  den  großen  Klöstern,  den  durch  das  höchste  Weltgesetz 
berufenen  Propagandastätten  der  Heilsreligion,  mit  aller  Kraft  die  Aus- 
strahlung des  Lichts  der  universellen  Weisheit  oder  bodlii  instand  gehalten 
und  gefördert,  so  kann  es  auch  nicht  wundernehmen,  daß  neben  den  vielen 
dazu  dienlichen  Mitteln  auch  eines  erdacht  worden  ist,  wodurch  sich  von 
dortaus  dieses  Licht  in  weiteren  und  breiteren  Kreisen  über  die  zur  Selig- 

'  Ausführliches  über  diesen  Gegenstand  in  -The  Religious  System  of  China«,  Bd.  IV, 
Kap.  XIII,   »On  thc  aiiimation  of  lifeless  njatter«. 


38  JJ  E    G  K  O  O  T  : 

keit  berufenen  Wilson  hinaussenden  ließe.  Dieses  Mittel  ist  der  Thujm. 
Kr  r;igt  im  Bannkreis  des  Klosters  ülier  die  übrigen  Gebäude  hoch  empor 
und  ist  absichtlich  auf  einer  natürlichen  oder  künstlichen  Anhöhe  errichtet; 
denn  je  liöher  ein  Leuchtturm,  desto  weiter  sein  Lichtkreis.  Das  Bestreben, 
die  Thüpas  so  hoch,  wie  die  Baukunst  es  ermöglicht,  aufzuführen,  tritt, 
wie  bereits  erwähnt  (s.  S.  i  i),  in  ihrer  Struktur  klar  zutage.  Viel  wirkungs- 
voller als  vom  Altar  der  großen  Kirche  des  Klosters  aus  besorgen  Losana, 
seine  Buddhas  und  die  Bodhisattvas  die  Ausstrahlung  ihres  leuchtenden 
Geistes  durch  Vermittlung  des  Thupa;  und  mit  einem  Schlage  erklärt  sich 
nun,  weshalb  in  den  Pagoden,  welche  Stockwerke  haben,  in  jedem  dieser 
Räume  gegenüber  den  Fenstern  Altäre  mit  einem  Buddhabild  oder  mehreren 
Bildern  von  Buddhas  und  Bodhisattvas  angetroffen  werden,  oder  weshalb 
solche  Bilder  in  Nischen  auf  der  Außenseite  angebracht  sind,  so  daß  sie 
ilir  Licht  ganz  frei  nach  allen  Seiten  hin  entsenden  können  (vgl.  S.  lO). 
Auch  wird  nunmehr  klar,  weslialb  auf  vielen  großen  und  schönen  Thüpas 
die  Bilder  außen  und  innen  besonders  zahlreich  sind,  denn  je  größer  ihre  Zahl, 
desto  stärker  die  Wirkung  des  Turms:  entsendet  doch  Losana  sein  Weltlicht 
durch  Vermittlung  seiner  Myriaden  von  Buddhas,  seiner  sakti  oder  Kräfte. 

Also  ist  jeder  Thüpa  der  Thron  des  Losana,  seiner  Buddhas  und  noch 
nicht  ins  Nirvfina  gegangenen  Bodhisattvas,  welche  die  Seligkeit  der  Wesen 
bewirken.  Seine  Stockwerke  oder  Gliederungen  stellen  die  übereinander- 
gestaffelten  Himmel  der  Kirchenlehre  dar  (vgl.  S.  29,  Satz  3).  Daß  ihre 
Zahl  ungerade  sein  muß,  wird  durch  altchinesische  philosophische  Grund- 
sätze unabweisbar  bedingt,  denn  diese  setzen  fest,  daß  die  ungeraden  Zahlen 
dem  JdiKj,  dem  leuchtenden  Himmel  (vgl.  S.  36),  entsprechen,  die  geraden 
Zahlen  dagegen  dem  Jin,  der  Dunkelheit'.  Eine  Pagode  mit  einer  geraden 
Zahl  (Gliederungen  würde  somit  die  Aufgabe,  Licht  auszustrahlen,  unmög- 
lich erfüllen  können.  Auf  die  Stellung  der  Pagoden  als  Darstellungen  des 
Weltalls  weist  auch  die  Tatsache  hin,  daß  weitaus  die  Mehrzahl  acht  gleiche, 
nach  den  acht  Himmelsgegenden  orientierte  Seiten  hat,  und  daß  es  da- 
neben auch  viele  quadratisclie  gibt,  die  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  den 
vier  Hauptpunkten  des  Kompasses  zugewendet  sind.  Den  Beweis,  daß 
diese  Orientierung  eine  beabsichtigte  ist,  bringen  die  Statuen  der  »Könige 
der  vier  Hhnmelsgegenden«,  welciie  (s.  S.  12,  39,  43)  axif  oder  in  manchem 
Thüpa  abgebildet  oder  neben   ihm  errichtet  sind. 

'    Hierüber   »Universismu.S",  S.  143  f. 


Proiß.  Akad.  d.  Wissenscli. 


l'hiL-Jnst.  Ahh.    l'Jl'.l.    Xr.  11. 


Dir  Pagoden  in   China.  .    ."{D 

Infolge  der  Kircliciilelire  ist  der  Thron  des  Weltgesetzes  eine  Terrasse 
aus  Lotusblumen;  die  Blätter  dieser  Blumen  sind  die  zahllosen  Welten  des 
Kosmos,  und  auf  jedem  Blatt  predigt  ein  Säkya  die  Lehre  des  Heils  (s. 
S.  32).  Es  sei  jetzt  durch  Beschreibung  einiger  namhafter  Thvipas,  die 
Hmiderte  von  Ausländern  sich  angesehen  haben,  welcJie  von  vielen  plioto- 
graphiert,  jedoch  von  keinem  mit  Sorgfalt  besclirieben  Avorden  sind,  dar- 
getan, daß  sie  Naehalimungen  dieser  Terrasse  des  Losana  sind  und  sicli 
selbst  also  kennzeichnen  als  Throne  des  leuchtenden  Weltgesetzes,  als 
Leuchttürme  des  Dharma.  " 

1.   Der  Thüpa  des  7"teM-»*«g--Klo8ters. 

Auf  der  Westseite  Pekings  steht  das  3^  h^  7" «Vw-m'wy- Kloster,  »der 
iiimmlischen  Ruhe«,  das  nachweislicli  ein  Alter  von  14  Jal)rhunderten  hat. 
also  von  den  bestehenden  Klöstern  eins  der  allcrältesten  ist.  Von  seinem 
achtseitigen  Tlnijja  (vgl.  Taf.  IV^  2)  stellt  der  schwere,  massive  Unterbau  die 
Lotusterrasse  des  Losana  dar.  Dieser  Unterbau  steht  auf  einem  mächtig 
vorspringenden,  schönen  Sockel,  der  eine  Gliederung  trägt,  worin  sich  auf 
jeder  der  acht  Seiten  eine  Reihe  von  sechs  Ni.schen  befindet,  jede  Nische 
mit  einem  sitzenden,  predigenden  Buddha.  Darauf  folgt  ein  verziertes  (le- 
sims,  worauf  ein  zweiter  Kranz  von  solchen  Nischen  und  Statuen  ruht, 
-SO  daß  die  Gesamtzahl  der  Bilder  96  beträgt.  Nun  kommt  ein  auf  den  acht 
Seiten  stark  vorspringender,  von  schönen  Konsolen  gestützter  Sockel,  inid' 
darauf  ruhen  die  Lotusblumen  der  Terrasse,  in  zwei  Reihen  übereinander- 
geschichtet.  Auf  jeder  Seite  liegen  24  Blumen,  durch  eine  Reihe  von 
Lotusblättern   getragen. 

Auf  dieser  Lotusterrasse  erhebt  sich  der  Thüpa.  Seine  unterste  Glie- 
derung ist  etwa  so  hoch  wie  die  Terrasse  und  mag  wohl  bis  zu  ein.eni 
Drittel  der  Höhe  des  ganzen  Turms  hinaufragen.  An  jeder  Ecke  steht 
ein  Pila-ster,  mit  Drachen  verziert.  Vier  der  gegen  die  Kardinalpunkte 
orientierten  Fassaden  haben  in  der  Mitte  eine  gewölbte  Pforte,  von  stehen- 
den Figuren  der  Könige  der  Weltgegenden  llankiert:  die  vier  anderen 
Fas.saden  haben  ein  Gitterfenster  mit  einem  stehenden  Buddha  oder  Bod- 
hisattva  auf  jeder  Seite.  Die  zwölf  oberen  Gliederungen  werden  <lurcli 
dreizehn  vor.springende  Dächer  mit  glasierten  Ziegeln  gebildet.  Balkonc 
hat  der  Thüpa  niclit.  Das  zeltartige  Dach  krönt  ein  achtseitiger  (»ipfel, 
der  sich   beschreiben   läßt  als  eine   Art  Vase,    über   der  eine  ähnliche  um- 


40  I)  i:   G  R  o  o  T  : 

gekehrte  Vase  hängt,   worauf  eine  sich  zuspitzende  Kugel,   ^%   »Feuer- 
oder Lichtperle«   genannt,  den  Abschlußknauf  bildet. 

Aus  den  j|j|  ^  /fif  7^^  &un-Vien  fu  tä,  » Gedenkschriften  vom  Bezirk  §un- 
t'ien«  (Kap.  17,  Blatt  5),  lernen  wir,  daß  das  T'ien-niny-Kloster  in  der  Zeit 
der  W>«-Dynastie  des  Nordens,  also  im  5.  oder  in  der  ersten  Hälfte  des 
6.  Jahrhunderts  erbaut  wurde  und  in  der  Zeit  der  |5^  5w(!-Dynastie  den 
Namen  ^^  Hung-ß' -Kloster  trug.  Dann  gibt  dieses  große  Werk  auch 
noch   folgende,    aus   nebenbei   erwähnten  Werken   entlehnte   Mitteilungen: 

In  der  Periode  t!^  Jen-sou  {60 1 — 605)  der  Äi-Dynastie  en-ichtete  man  im  Bezirk 
1^1  J^'"  im  Ilunff-je'' -Kloster  einen  Thüpa  und  setzte  darin  Sarira's  Ijei.  Im  zweiten  Jahre 
der  Periode  Jen-.sou  fand  im  ersten  Monat  eine  Verteilung  von  Sarira's  statt,  und  man  er- 
richtete dafür  beseelte  Thiipas  in  51  Bezirken.  Am  26.  -  des  dritten  Monats  setzte  man 
die  Sariras  im  //«n^'^'e'-Kloster  bei. 

Der  Thüpa  der  Swj-Dynastie,  der  im  Kloster  steht,  ist  27  tsang  55  tsun  (92 — 93  m) 
hoch.  Innen  gibt  es  keine  Ti-eppenstufen  zum  Hinaufsteigen,  denn  der  Thüpa  dient  aus- 
schließlich zui-  Beisetzung  von  Sariras  des  Buddha  und  ist  kein  Ort,  den  man  besteigt,  um 
herabzuschauen.  Das  Fundament  i.st  eine  viereckige  Terrasse.  12  tsanff  lang  und  breit  und 
etwa  6  ts'i'  hoch,  die  eine  Mauer  umgibt,  in  der  sich  in  der  Nord-  und  der  Südseite  eine 
Pforte  zur  Abschließung  befindet.  Auf  dieser  Teirasse  ist  ein  ^a  Altar  erbaut,  der  nacli 
den  acht  Kardinalpunkten  orientiert,  etwa  4  ts'i'  hoch  ist  und  die  Gestalt  eines  gelben 
J^  tsung^  besitzt.  Auf  diesem  Altar  ist  der  Thüpa  errichtet.  Seine  nach  den  Himmelsgegenden 
orientierten  Seiten  sind  mit  denen  des  Altars  gleich  an  Zahl.  Sein  Sockel  ist  stilisiert 
wie  ein  Buddhathron.  Der  Thüpa  trägt  eingemeißelte  Verzieiungen,  Blumen  und  Gestalten 
von  Geistern.  Der  obere  Teil  besteht  aus  J^  ^  •■  Traggattern «,  und  in  den  Unterlagen,  wor- 
auf ringsherum  diese  Gatter  ruhen,  befinden  sich  auf  drei  Gliederungen  eiserne  Lampen, 
im  ganzen  360  an  Zahl.  Am  8.  jeden  Monats  gießt  man  öl  darein  und  steckt  sie  an. 
Innerhalb  dieser  Gatter  stehen  (an  den  Ecken)  acht  Säulen,  mit  einander  umfassenden  DracJien 
umwunden.  Die  Wände  sind  mit  diesen  Püastei  n  fest  verbunden.  In  den  nach  den  vier ' 
Hauptweltgegeiiden  orientierten  Wänden  sind  Türen  eingemeißelt,  von  stehenden  Bildern  der 
Könige  der  Weltgegenden  flankiert;  in  den  vier  Eckseiten  aber  sind  Fenster  angebracht 
von  Bodhisattvabildern  flankiert.  .Alle  Wände  sind  gänzlich  aus  1^  ■^  •  Porzellanbackstein • 
(Kachelwerk);  aber  wer  zu  ihnen  hinaufblickt  (jder  sie  aus  einiger  Entfernung  sieht,  glaubt, 
sie  seien  aus  3R 'S  "''aspisstein«  (Maimor),  der  den  Bergen  von  3n|  Jen  (Pe'-lsi'-li)  ent- 
nommen wird. 

Vom  Sockel  des  Thüpa  (also  vom  Lotuskranz)  bis  zu  den  Stürzen  (iiJsBlr  welche  auf  den 
Pilastern  ruhen,  ist  es  die  erste  Gliederung;  ihre  Höhe  (über  dem  Erdboden)  ist  ungefähr 
ein  Drittel  der  Höhe  des  ganzen  Thüpa.     Darüber  liegen  schichtartig  aufeinander  gelagerte 

'  Ein  W'jfe  »gelber  ts'ung«.  war  unter  der  Mantschu-Dynastie  eine  quadratische 
Scheibe  aus  Jaspis  mit  einer  ilachen  und  einer  von  den  zwei  gegenüberliegenden  Kanten 
nach  der  Mitte  hin  leicht  gewölbten  Seite  (s.  »Universismus«,  S.  195).  Der  Beschi-eiber  des 
Thüpa  muß  jedoch  an  eine  achtseitige  Platte  gedacht  haben. 


Die  Pagod^m  in  China.  41 

Konsolen  (t^)  uiit  ciuem  (darauf  rulieuden)  fl^  \^j^  "in  der  Luft  schwebenden  vonaf^enden 
Dach",  und  dann  folgen  noch  zwölf  (gleichartige)  Gliederungen.  Am  Kopf  jedes  Dach- 
sparren ist  ein  ^p  Glöckchen  angebracht;  außerdem  ist  ein  größeres  Glöckchen  an  jeder 
Ecke  befestigt,  wo  die  Seiten  aneinanderschließen,  und  die  Gesamtzahl  der  großen  und 
kleinen  Glöckchen  geht  über  3400  hinaus.  Wenn  der  Wind  geht,  klingen  die  Glöckchen 
gleichzeitig  so  melodisch  wie  die  zu  einem  Orchester  vereinten  Glocken  und  Musiksteine 
(,^) .     In    der   allerhöchsten  Gliederung   befindet  sich  an  der  Südseite  eine  Steintafel  mit 

Inschrift  (^S.)-    die    in    einem    unbekannten  Jahre    dort   errichtet  wurde.     Noch  höher  gibt 

es  eine  ^^^   »Tauschüssel«  mit  ;;|>|J  ^^  -i'-scheibe«  (vgl.  S.  2 3), »und  noch  eine  vergoldete 

yC^fe    "Feuer-  oder  Lichtperle-   zur  Beherrschung  des  Gipfels. 

2.  Der  Thnpa  von  Pa'-li-tkuaiifi;. 

Kaum  fünf  Kilometer  von  der  Westmauer  Pekings  liegt  an  der  Straße, 
welclie  nach  den  westlichen  Bergen  führt,  /\Mj£  Pa-U-thumy ,  »das 
Gehöft  der  achten  Meile«.  Dort  steht  ein  Thfipa,  welcher  dem  dos  T'ini- 
«m^-Klosters  auffällig  ähnelt,  und  von  dem  eine  ausführliche  Beschreibung 
sicli  daher  erübrigt.  Bereits  1890,  als  ich  ihn  zum  letzten  Male  sah,  war 
er  im  Verfall,  und  seitdem  wird  von  Reparatur  wohl  keine  Rede  gewesen 
sein.  Er  mißt  am  Fuß  auf  jeder  der  acht  Fassaden  10,83  m.  Seine  Lotus- 
terrasse trägt  auf  jeder  Fassade  eine  Anzahl  von  Nischen  mit  sitzenden 
Buddhastatucn,  so  daß  aucli  sein  Charakter  als  Leuchtturm  des  Welt- 
gesetzes keinem  Zweifel  unterliegt. 

Dieser  Thüpa  gehört  zum  ^,^  Tse-Sou-KXostev,  »des  langen  Lebens 
durch  Wesensliebe«,  das,  den  »Gedenkschriften  von  Sun-t'im»  (Kap.  17, 
Bl.  16)  zufolge,  im  Jahre  prng-isr  der  |^  J^  Wart-Zf-Periode  (A.D.  1576) 
von  der  Kaiserin-Witwe  j^5^  Tse-iing  gegründet  und  im  22.  Jahr  der 
h" ien-htng-¥eno(le.  (1757)  auf  kaiserlichen  Befehl  erneuert  wurde.  Hiervon 
zeugen  eine  von  Drachen  umschlungene  Inschrift  auf  dem  Thupa  und  die 
gelbglasierten  Ziegeln  der  1 3  Däch(^r.  Der  Thüpa  ist  genau  nach  den  vier 
Kardinalpunkten  orientiert.  Auf  der  Westseite  trägt  er  die  Inschrift  /^{l)}^ 
0  J^,  »sein  Licht  umschlingt  Sonne  und  Mond«,  was  offen  darauf  hin- 
deutet, daß  er  ein  Heiligtum  des  gesamten  Lichts  des  Weltalls  ist.  Dieses 
Weltlicht  ist  allen  Wesen  zum  Leben  und  Gedeihen  unentbehrlich,  auch 
den  Kaisern,  denen  vom  Himmel  selbst  die  Pflicht  auferlegt  ist,  durch 
vortreffliche  Regierung  die  Menschheit  zu  beglücken  mit  allen  Segnungen, 
welche  das  Weltall  schafft.  Deshalb  haben  weise  Kaiser  diesen  Thupa 
erbaut  und  unterhalten  zur  Beleuchtung  des  Palastes  und  des  Throns, 
PhiL-hist.  Abh.  nnU.  Nr.  11.  0 


42  1)  E    (i  ROOT  : 

zur  Erhöhung  ihrer  Weisheit  (bodhi),  zur  Sicherung  ihres  persönlichen 
Wohls  und  des  Wohls  ihres  Hauses  und  Volks;  in  der  Tat,  das- Weltall 
vertreibt  und  vernichtet  alle  Dämonen  des  Dunkels,  die  Märas,  die  Grund- 
ursachen alles  Übels.  Und  somit  lesen  wir  auf  der  östlichen,  Peking  und 
dem  Palast  zugewendeten  Fassade  der  hohen,  untersten  Gliederung:  ^ 
ppMIH  •  "Seine  übelbczwingende  Kraft  verleihe  dem  kaiserlichen  Regie- 
rungssystem feste  Ruhe«;  und  auf  der  Südfassade,  gegen  dieselbe  Welt- 
gegend, zu  der  der  K'niser  von  seinem  Thron  hinblickt:  ^|^'^^  :  »seine 
Wohltaten  umschnüren  das  Huiig-fan^' .  Das  Himg-fan,  »das  über  alles  sicli 
ausdehnende  Gesetz«,  ist  ein  Bucli  des  heiligen  Sv-khiff,  welches  vor  etwa 
41  Jalirhunderten,  wie  es  selbst  nachdrücklich  sagt,  vom  Himmel  dem 
großen  lieiligen  Kaiser  ^  J/i  geschenkt  wurde  zur  Anleitung  für  die 
Organisation  seiner  Regierung;  es  ist  daher  der  allerheiligste  Grundstein 
des  chinesischen  Staatswesens,  und  sein  Name  ist  d,er  höchstklassisclie 
Ausdruck  zur  Bezeichnung  von  allem,  was  fundamentalgesetzlich  ist.  Der 
auf  der  Hauptfassade  angebrachte  kaiserliche  Name  des  Thüpa  lautet  ^ 
^MW^u"'  "Thupa  für  ewigwährende  Ruhe  >md  zehntausend  Menschen- 
alter«  ;  der  Turm  ist  also  auch  ein  Heiligtum  zur  Sicherung  eines  fried- 
vollen Fortbestandes  des  Kaiserliauses  für  alle  Zeit  und  eines  möglichst 
hohen  Alters  eines  jeden  Herrscliers.  Hier  zeigt  sich  somit  eine  Pagode 
auch  als  Werkzeug  zur  Sicherung  des  Glücks  von  Kaisertum  und  Volk,  das 
heißt  in  einer  Rolle,  worüber  im  6.  Kapitel  noch  auszuführen  sein  wird. 
Zu  den  zwei  hier  besprocheneu  Thri[)as  ist  noch  zu  bemerken,  daß 
sie  absichtlich  unzugänglich  gemacht  und  wahrscheinlich  sogar  größtenteils 
massiv  sind.  Sie  bilden  somit  einen  besonderen  Typus  von  Buddhatürmen 
und  tragen  auch  wesentlich  einen  anderen  Charakter  als  die  im  2.  Kapitel 
behandelten  Dagobs  mit  Stockwerken  und  Baikonen;  denn  der  Schwer- 
punkt ihrer  Bedeutung  liegt  in  den  vielen  Statuen  der  Fassaden,  das  heißr. 
im  Licht,  das  diese  Statuen  mittels  des  ganzen  Turmes  in  die  Umgebung 
hinaussenden.  Auch  die  jetzt  noch  zu  beschreil)enden  Thüpas  geliören  zu 
diesem  Ty[)us,   obwohl  ihre   Gestalt  eine  ganz  andere  ist. 

3.  Uor  Thüpa  «1er  lusel   /*'u-l'v. 

Ein  belehrender  Thupa  ist  der  vom  ^' ij^  iliifi  ^-  » Dhyäna-Kloster  des 
universellen  Beistands«  auf  der  Insel  ^|Jß  Fu-t'o,  die  an  der  Seeküste 
bei   Ningpo   liegt.      Boehsciimann    hat   ihn    im    i .  Band    seines    Werkes    auf 


D'w   Pnamlen  in  ChiiKt.-  ■  4)5 

S.  26  abgebildet.  Nacli  den  ^IJfcpJ/^^  P'v-t'nkmtsi^  »Denkschriften  d«-r 
Insel  P'u-t'o«,  Abschnitt  ^'^^  »Altertümeruntersuchungen«,  wurde  in 
der  Periode  JC^  Jiian-t'imy  (1333 — 35)  der  JMön-Dynastie  vom  Prinzen 
^^  Si'ian-diang  ein  Wert  von  tausend  Barren  geschenkt,  damit  der  Abt, 
der  Dhyjina-Meister  '^-  X^  Fii-tsung,  den  Thiipa  erbauen  sollte.  Er  ist 
9  tSang  6  tS'i'  hoch,  und  er  ist  gänzlich  aus  schönem  Stein  der  ^'/^ 
T'ai-hu,    »Größten  See»    (bei   Su-tSnii)^. 

Dieser  Thüpa  ist  gänzlich  aus  großen  Steinquadern  erbaut,  ist  quadra- 
tisch und  hat  drei  Gliederungen.  Er-  steht  auf  einem  Sockel,  der  einen 
Lotus  mit  einer  vielfachen  Reihe  von  scharf  ausgeprägten  Blumenblättern 
darstellt  und  von  einem  FlecJitband  aus  Wolken  umgeben  ist":  er  ist  somit 
eine  Darstellung  des  über  die  Wolken  ragenden  Lotusthrons  des  Losana. 
Unmittelbar  auf  den  Lotusblättern  sitzt  auf  jeder  Seite  des  untersten  Ge- 
schosses in  einer  in  die  Steinwand  gemeißelten  Nisdie  ein  Buddha  in  Halb- 
relief, und  davor  sitzen  kleinere  Statuen  aus  Stein,  auf  der  Ost-  und  West- 
seite je  fünf,  auf  der  Nordseite  sechs,  auf  der  Südseite  zwei,  also  achtzehn  im 
ganzen,  welche  die  vornehmen  Apostel  der  Mahäyäna-Kirche  vorstellen. 
In  den  Nischen  sind  gerade  Linien  ausgemeißelt,  welche  offenbar  das  von 
den  Statuen  ausstrahlende  Licht  darstellen.  Neben  den  Nischen  in  den 
St#in  gemeißelte  Figuren  scheinen  Bodhi-J)äume  wiederzugeben.  Die  zwei 
höchsten  Gliedeningen  haben  ebenfalls  auf  jeder  Fassade  eine  Nische  mit 
Buddha-  oder  Bodhisattvabild. 

Dieser  Thupa  scheint  massiv  zu  sein.  F>  hat  somit  keine  Stock- 
werke, und  die  entsprechenden  Gliederungen  sind  zum  Ausdruck  gebracht 
durch  kräftig  vorspringende  Gesimse  aus  rechtwinkligen  Steinbalken  und 
durcl)  darauf  ruhende  schwere  Steingeländer.  Um  die  Umgebung  weit 
zu  beherrschen,  steht  der  Turm  auf  einer  (|uadra tischen  Terrasse  aus  Stein- 
quadern, welche  von  einer  schweren  Steinbrüstung  eingefaßt  ist;  und  diese 
Terrasse  steht  wieder  auf  einer  zweiten  ähnlichen,  die  erheblich  breiter 
ist.  Beide  Terrassen  sind  genau  so  orientiert  Avie  die  Pagode  selbst.  Am 
Fuß  der  kleineren  stehen  an  den  Ecken  große  Steinsttituen  der  Könige 
der  vier  Himmelsgegenden.  Der  Name  dieses  Bauwerks  lautet  ^-J-"!:^ 
T'ai-tse  t'a\   »Thupa  des  Kronprinzen«,  und  gewährleistet  also,  daß  in  einer 

'    Zitiert  im  T'u-iu  Utii'ing,  Abschnitt  |J^J  j||,  K.  tiy,  Bl.  ii. 

-  BoEKscHMANN  Schreibt,  daß  der  Sockel  mit  Flechtbändei  n,  Friesen  aus  \V<ilkoii. 
Was'.er  und  Felsen  geschmückt  ist.     Ich  kann  davon   nur  die  Wolken  entdecken. 

6* 


44  I)  E   Gro  O  T  : 

der  Nischen  sich  Säkyamuni  befindet,  der  der  Sohn  des  Königs  Suddhodana 
des  Landes  Madhyadesa  war.  Boerschmann  sagt,  er  sitze  im  mittleren  Stock- 
werk,   erwähnt  jedoch    die  Himmelsgegend,    der  es  sich  zuwendet,    nicht 

4.  Der  fünffache  Thupa  des   7'.sing-kio' -Klosters. 

Die  Lotusterrasse  des  üharma  trägt  Myriaden  von  Bodhisattvas  und 
Buddhas  (s.  S.  32).  Es  liegt  somit  in  der  Natur  der  Sache,  daß,  je  mehr 
solcher  Prediger  der  Heilslehre  auf  dem  Thüpa,  der  Nachahmung  der 
Lotusterrasse,  angebracht  sind,  um  so  mehr  Licht  der  Weisheit  davon  aus- 
geht, und  desto  kräftiger  seine  Wirkung  ist.  Es  kann  somit  nicht  wunder- 
nehmen, daß  es  Thüpas  gibt,  die  auf  allen  Fassaden  mit  solchen  Bildern 
dicht  bedeckt  sind,  und  die  sogar  bis  zu  besonderer  Größe  und  Höhe  auf- 
geführt  wurden,    damit   sie   besonders   viel  Bilder   zu   tragen   fähig  seien. 

Ein  typisches  Beispiel  hierfür  bietet  das  JEi;^  Tsin</-kio'-K\osteT,  »der 
echten  Weisheit«  (bodhi),  das  im  Volksmunde  aber  ^Üo"^  Wu-t'a  se, 
»das  Kloster  mit  dem  fünffachen  Thüpa«  heißt.  Es  liegt  an  der  Straße 
und  dem  Kanaltluß,  die  beide  die  nordwestliche  Ecke  Pekings  mit  dem 
Sommerpalast  verbinden,  unweit  der  Abfahrtstelle  der  kaiserlichen  Reise- 
boote. Dort  hat  man  (s.  Taf.  V)  auf  einem  breiten  und  hohen  quadratischen 
Unterbau  fünf  quadratisclie  Marmorthüpas  errichtet  und  somit  versucht, 
dem  Grundsatz  gerecht  zu  werden,  daß  Pagoden  das  umliegende  Land  so 
weit  wie  irgend  möglich  belierrschen  sollen.  Dieser  Unterliau,  nach  den 
vier  Himmelsgegenden  gekehrt,  bildet  auch  an  sich  einen  Thüpa.  Sein 
mit  schönen  Figuren  gezierter  Sockel  hat  ein  scharf  vorspringendes  Gesims 
und  einen  Wulst  aus  Lotusblumen  und  ist  auf  den  vier  Fassaden  durch 
eine  Reihe  von  Lotusblumen  gekrönt;  er  stellt  somit  die  Lotusterrasse 
des  Dharma  vor.  Mit  glasierten  Ziegeln  gedeckte,  vorspringende  Dächer 
teilen  den  Unterbau  in  fünf  Gliederungen,  von  denen  jede  eine  Reihe  von 
großen  Kacheln  ist,  welche  je  eine  Nische  darstellen  mit  einer  Statue 
in  Halbrelief,  die  mit  untergekreuzten  Beinen  auf  einem  Lotus  sitzt.  Jede 
Nische  ist  von  der  nächstliegenden  getrennt  durch  einen  Pilaster,  der  ein 
stilisierter  Bodhi-baum  zu  sein  scheint.  Der  ganze  Untei-bau  ist  oben  ge- 
krönt von  einer  Mauer,  welche  die  Brüstung  seiner  Plattform  bildet  und 
in   der  Löcher  zum   Abführen  des  Regen wassers  angebracht  sind. 

Auf  dieser  wahrscheinlich  wohl  1 5  Meter  hohen  Plattform  stehen  die 
fünf  pyrnmidenartigen,  sich  zu  eigentümlichen  runden  Figuren  zuspitzenden 


Prfuß.  Akad.  d.  Wissensch. 


Ph'l.-hist.  Abli.    I'JI!).    Nr.  11. 


Dil'  Payodi'u  in   China.  45 

Thüpas,  und  zwar  vier  gleichgroße  an  den  vier  Ecken  und  eine  größere 
in  der  Mitte.  Sie  sind  genau  so  wie  der  Unterbau  orientiert.  Jede  hat 
einen  Sockel,  der  dem  des  Unterbaus  ähnlich  ist  und  ruht  somit  auf  einer 
Umrahmung  von  Lotusblumen.  Die  elf  vorspringenden  Dächer  jedes  Thüpa 
sind  den  Dächern  des  Unterbaus  ähnlich,  und  dasselbe  ist  der  Fall  bei 
den  dazwischenliegenden  Reihen  von  Nischen  mit  ihrem  Bild  und  mit  den 
Pilastern,  welche  sie  voneinander  trennen.  Allein  die  weißmarmorne  un- 
terste Gliederung  jedes  Thüpa  hat  etwa  eine  doppelte  Höhe  und  auf  jeder 
Front  in  der  Mitte  eine  viel  größere  und  tiefere  Nische  mit  einem  sitzenden 
Buddha  und  beiderseits  derselben  eine  stehende  Relieffigur.  Daß  die  fünf 
Thüpas  den  vier  Weltgegenden  samt  der  Mitte  des  Weltalls  entsprechen, 
kann  wohl  keinem  Zweifel  unterliegen.  Jeder  enthält  im  inneren  Raiun 
einen   vergoldeten  Buddha. 

(iewiß  ist  der  Unterbau  zum  größten  Teil  massiv,  sonst  wäre  er  nicht 
imstande,  eine  so  große  Last  zu  tragen.  Ein  dunkler  Tunnel  (^),  dessen 
von  einem  breiten  Saum  von  Marmorblöcken  umgebener  Eingang  sich  in 
der  Mitte  der  Nordfassade  befindet,  enthält  eine  linke  und  eine  rechte 
Wendeltreppe,  welche  auf  die  Terrasse  fiihren. 

Der  Haupt charakterzug  dieses  merkwürdigen  Thüpa  ist  also  die  große 
Zahl  seiner  lichtspendenden  Heiligenbilder.  Besonders  kennzeichnen  diese 
ihn  als  Leuchtturm  des  Weltgesetzes  in  der  peinlichen  Ängstlichkeit,  mit 
der  man  sieh  hinsichtlich  der  Bilder  an  den  ungeraden  Zahlen  festgeklam- 
mert hat,  welche  dem  Jany,  der  leuchtenden  Seele  des  Weltalls,  entsprechen 
(s.  S.  36).  Auf  jeder  Fassade  der  fünf  pyramidalen  Thüpas  sitzen  in  den 
sieben  höchsten  Reihen  je  fünf  Bilder,  in  den  drei  darunterliegenden  Reihen 
je  sieben,  in  der  großen  Nische  ein  Bild,  insgesamt  also  57.  Somit  sind  in 
jedem  Thupa,  weil  er  elf  Gliederungen  hat,  nur  ungerade  Zahlen  von  eins 
bis  elf  vertreten.  Auf  dem  Unterbau  kommen  die  ungeraden  Zahlen  gleich- 
falls stark  zum  Ausdruck.  Dieser  trägt  nämlich  sowohl  auf  der  östlichen 
wie-  auf  der  westlichen  Fassade  in  jeder  der  fünf  Gliederiuigen  neunzehn 
Bilder  und  noch  drei  dazu,  welche  sich  auf  dem  südlichen  Ende  der  beiden 
Fassaden  befinden;  und  zur  Vermeidung  der  geraden  Gesamtzahl  22  ist 
dieses  Ende  ein  wenig  nach  vom  ausgebaut.  Auf  diesen  beiden  Fassaden 
scheint  der  vorspringende  Teil  die  Seitenkante  der  schweren  Frontmauet 
des  Thüpa  zu  sein,  wie  aus  der  Tatsache  hervorgeht,  daß  die  Rückfassade 
in  den   drei   höchsten   Reihen   nur  neunzehn  Bilder   trägt.     Daselbst   fallen 


46  I)  K     (i  HO  OT  : 

;ui  der  Stelle,  wo  sich  der  Tunnel  befindet,  in  der  untersten  Reihe  sieben 
und  in  der  zweiten  Reihe  fünf  Bilder  fort,  so  daß  also  diese  Reihen  zwölf 
bzw.  vierzehn  Bilder  enthalten;  jedoch  diese  verbotene  Anzahl  ist  für  die 
zweite  Reihe  dadurch  beseitigt,  daß  noch  ein  Bild  in  den  Schlußstein  des 
Saumes  des  Tunneleingangs  gemeißelt  ist.  In  der  untersten  Reihe  würde 
sich  also  links  und  rechts  vom  Eingang  die  unzulässige  Anzahl  von  sechs 
Bildern  befinden,  wäre  nicht  der  ganze  mittlere  Teil  der  Fassade  ein  wenig 
vorgebaut,  und  zwar  so,  daß  links  und  rechts  von  diesem  Teil  sich  in 
jeder  Reihe  fünf  Bilder  befinden  und  somit  die  unterste  Reihe  auf  jeder 
Seite  des  Eingangs  nur  ein  Bild  auf  dem  Vorbau  hat.  Zu  gleicher  Zeit 
ist  durch  diesen  Vorbau  eine  Vermehrung  der  ungeraden  Zahlen  erreicht, 
denn  nunmehr  hat  auf  dieser  Fassade  jed«>  der  drei  höchsten  Reihen 
5  +  9  +  5  Bilder.  Die  Gesamtzahl  der  Bilder  beträgt  etwa  1500  — 1600. 
Infolge  einer  kaiserlichen  Steintafel,  die  sich  an  der  Vorderseite 
befunden  hat,  kam  im  ersten  Jahre  der  Periode  Jung-lo'  (1403)  ein 
ÖEM^  Pan-dk-tat  (Pandit)  aus  dem  Westen  und  bot  dem  Kaiser  als 
Tribut  vergoldete  Buddhastatuen  an,  nebst  einem  Modell  (^)  des  ^p^lj 
W  J^  »kostbaren  Vajra-throns«.  Darauf  wurde  das  Kloster  der  ^^ 
«echten  Weisheit«  gestiftet  und  dabei  ein  Vajra-thron  für  die  Statuen 
erbaut,  unter  genauer  Nachahmung  des  Ratna-throns  Zentralindiens,  auch 
was  die  Dimensionen  anbetraf.  Im  zwölften  Monat  des  Jahres  kwei-Sf^  (1473) 
der  Periode  Ts'iug-hua  wurde  dem  Kaiser  rapportiert,  daß  der  Bau  fertig 
war'.  Der  Stifter  des  Klosters  und  des  Thüpa  war  also  derselbe  buddhi- 
stisch gesinnte  Ts'iny  Tsu.  der  (s.  S.  11)  den  Porzellanturm  bei  Nanking 
bauen  ließ.  Und  der  Thüpa  selbst  war  eine  Darstellung  des  Vajra-throns 
(Vajrasana)  des  Buddha,  d.  h.  des  jM|J^  »Platzes  des  Seligwerdens« 
(bodhimanda),  wo  der  Weisheitsbaum  (bodhidruma)  wuchs,  unter  welchem 
der  Herr  die  Weisheit  (bodhi)  erreichte.  Diese  heiligen  Stätten  lagen  auf 
dem    l^ff^   Präg(-bodhi)-Berg  bei  Mägadha. 

5,  Der  fünffache  Thüpa  des  /*t"-j»VM-Klosters. 

Nördlich  vom  kaiserlichen  Jagdpark  ^  |^Jj  Hiany-San  und  östlich  vom 
3i:^Ü4  Ju-ts'uan  San,  dem  »Berge  der  NephritqueUe«,  liegt  das  ^^ 
Pi'-;Vm-Kloster,  »der  bläulichen  Wolken«,  das  aus  der  Zeit  der  Mongolen- 
herrschaft stammt.     Seine  schönen  Gebäude  liegen  in  einigen  Höfen  (|^) 

'     »Denkschriften  von  Sun-t'ieh",  Kap.  i6.  Bl.  6. 


Die  Pagoden  in  China.  47 

auf  dem  mählich  steigonden,  terrassen artig  angelegten  Hange  des  Gebirges. 
Seine  große  Kirche  enthält  das  Bild  des  Säkyamuni  mit  denen  seiner  Haupt- 
jünger  Kasyapa  und  Ananda;  auf  ihrer  Südseite  steht  ein  Tempel  mit 
500  lebensgroßen  Statuen  von  Arhats,  Aposteln  der  Lehre.  Eine  große 
marmorne  Freitreppe  von  62  Stufen  fulirt  zum  letzten  und  höchsten  Hof. 
der  mit  großen  Zyi)ressen  bestanden  ist  und  einen  viereckigen  Thüpa  aus 
Marmor  enthält,  der  1748  vollend<'t  wurde.  Er  ist  im  gleichen  Stil  wie  der 
des  Klosters  »der  echten  Weisheit«  (s.  oben),  jedoch  erheblich  schöner 
und  mit  mehr  Ornamentschmuck  aufgeführt.  Er  trägt  ebenfalls  den  Namen 
»Kostbarer  Vajra-thron«  und  ist  somit  auch  eine  Darstellung  des  Bodhi- 
manda  von  M^igadha  (vgl.  S.  46).  Das  geht  auch  aus  einer  Steintafel  mit 
kaiserlicher  Inschrift  des  Jahres  1749  hervor,  die  daneben  steht  und  in 
<ler"  Sammlung  x Epigraphische  Denkmäler  aus  China«  von  Frankk  und 
Latfer   als  Tafel  3 1    wiedergegeben   ist. 

Das  kolossale  CJebäude  steht  auf  einem  viereckigen,  massiven  Unter- 
l)au  aus  Marmor  und  Sandstein,  der  mit  wuchtigen  Marmorbalustraden  ver- 
ziert ist.  Jede  Fassade  des  Thüpa  hat  zwei  (Uiederungen  mit  je  einer  Reihe 
von  sitzenden  Statuen,  die  zum  größten  Teil  den  Almosennapf  tragen  und 
.somit  Bodhisattvas  vorstellen,  die  noch  die  Askese  üben.  Auf  der  Peking 
zugewandten  Ostfassade  sitzt  auf  dem  Haupt  platz,  in  der  Mitte,  Lo.sana 
oder  .Säkyamuni;  weiter  ist  daselbst  in  der  untersten  Reihe  Bodhidharma 
zu  erkennen,  auch  Maitreya,  der  Buddha  der  Zukunft,  die  Könige  der  vier 
Himmelsgegenden  usw.  Die  Bilder  in  der  höheren  Gliederung  dieser  Fassade 
tragen  eine  Stirnbinde,  die  fünf  nebeneinanderstehende  Flammen  darstellt, 
von  welchen  jede  einen  in  dhyäna  versenkten  Buddha  trägt.  Solch  eine 
Binde  heißt  51 1!^  [8  '  »Kranz  der  fünf  (Dliyäni-)  Buddhas«,  und  die  Geist- 
lichkeit pflegt  sie  sich  um  den  Kopf  zu  binden,  wenn  sie,  zur  Förderung 
des  Seligwerdens,  sicli  tief  in  dhyäna  zu  versenken  vorhat.  Knan-jin  oder 
Avalokitesvara  sitzt  in   einer  Nische  in   der  hinteren   Fa.ssade. 

Die  Plattform,  zu  der  eine  Wendeltreppe  von  42  Marmorstufen  hinauf- 
führt, ist  von  einer  schönen  Balustrade  aus  Marmor  um.schlossen.  Sie  mißt 
auf  der  Ost-  und  Westseite  15.7.5  Meter  und  ist  auf  den  beiden  anderen 
Seiten  etwa  fünf  Meter  länger.  Die  fünf  pyramidalen  Pagoden  der  Platt- 
fonn  haben  je  fünfzehn  (Gliederungen,  von  denen  die  unterste  hölier  ist  und 
Bilder  von  allerhand  Buddhas  und  Bodhisattvas  trägt.  Solche  Bilder  sieht 
man   aucli   auf  zwei  kleineren,   urnenartigen  Pagoden,  die  nach  der  Ostseite 


4<S  DE    Ci  K  O  O  T  : 

zu  stehen,  links  und  rechts  von  einem  viereckigen  Aufbau  mit  tiefer  Nische, 
in  der,  gen  Osten  gekehrt,  eine  achtarmige  Statue  sitzt,  die  elf  Köpfe  trägt, 
und  zwar  in  drei  übereinandergestaflfelten  Reihen  je  drei,  und  noch  zwei 
übereinandergestellte  in  der  Mitte  obenauf. 

Nördlich  vom  Kloster  ruhen  unter  dem  segenspendenden  Einfluß  des 
Thfipa  zahlreiche  Hofbeamte  in  ihren  Gräbern,  die  mit  Statuen  von  Menschen 
und  Tieren,  Steintafeln  mit  Inschriften,  Marraorbrüstungen,  Bäumen  usw. 
geschmückt  sind. 

Besonders  große  und  hohe  Thüpas,  mit  Bildern  voll  besetzt,  werden 
gewiß  wohl  in  noch  anderen  Gegenden  Chinas  zu  finden  sein.  Chavannes 
bildet  zwei  ab  im  2.  Album  der  »Mission  Archeologique «  (Nr.  920  und 
921,  aucli  925),  welche  in  einem  Klostor  in  K'ai-ßj.ng  stehen:  besonders 
plumpe  und  unschöne  dreistöckige  Bauten,  anscheinend  nicht  massiv  und 
mit  je  einem  kleinen  Thüpa  als  Gipfel  gekrönt.  Einer  ist  sechseckig  und 
trägt  wohl  über  6000  Bilder  in  Reihen  übereinander.  Der  andere,  der  vier- 
eckig ist,  mag  wohl  mit  mehr  als  4000  Statuen  ausgestattet  sein. 

Auch  außerhalb  Chinas  sind  derartige  Thüpas  erbaut  worden.  Bei- 
spielsweise sei  der  von  Syrcheb.  etwa  30  Werst  von  Idikut  chari  inTurfan, 
erwähnt,  der  auf  den  vier  Fassaden  fünf  Reihen  von  sieben  Nischen  mit 
Statuen  trägt'.  Gewiß  erwähnt  auch  Hiim-tsuany  einen  derartigen  vier- 
eckigen Thüpa  in  Kap.  10  in  den  Notizen  über  Kajingara^,  wo  er  schreibt: 
T?S   4^    -tr    ^fril    t^    '^^    "?r    AU  An    der    nördlichen    Grenze    stellt    unweit    vom 

nn  w  >7  ^u  ^  w.  A^  AU    f^  a    1  1   T  -K        A 

TE     ™      »-4-      jv      danges  eine  growe,  hohe  lerrasse.  aus  uberemanaer- 

M     W^     T^     ^ 


,.      -_,        ^        rg/      TE      m       »j-       :±f.       uaiiges  eine  groue,   uoiie  lei lasse,   aus  uuereinanuer- 
1T    i»i    |hI    W    <T^    §g    i^    ^      jrelegtem  Backstein   und  Stein    erbaut.     Sein  Sockel 
!7C    ^      Rj     ^Jit    fflE'    ^^    ^-      ist  breit  und   hoch,  und  von  seltsamer  Machait   was 
J^     ^     ^    \\\'    'TZ    -Ji-    5Ä      hineingemeißelt   ist.     Rings    hernm  hat  man  auf  den 
■*    „,,        o  ^-'     -^      /"     gegen    die   Himmelsgegenden    gewendeten   Fassaden 

[pp.  /öl    '^     (in    ^    Iw      Abbildungen    von  Heiligenscharen    gemeißelt,    sowie 

/tII    1?^    iBl    '^^    W    '0-    j/bT      Gestalten   von  Buddhas  und  Deva"s,   fiir  die  je  eine 

Klause  (Nische?)  gesondert  gemacht  ist. 
Alles  aber,  was  die  große  Heilsreligion  an  Heiligtümern  dieser  Art 
ins  Dasein  gerufen  hat,  stellt  der  weltbekannte  Borobudur,  »die  vielen 
Buddhas«,  tief  in  den  Schatten.  Dieser  wahrscheinlich  zwölf  Jahrhundert  alte 
Riese  aller  Thüpas,  zugleich  ihr  Pnmkjuwel,  ist  gänzlich  aus  Werkstein 
erbaut,   erhebt  sich  fast  genau   in   der  Mitte  der  Insel  Java  auf  dem  Gipfel 

'    Ki-EMENT/.,   »Nachricliten  über  die  1898  ausgerüstete  Expedition  nach  Turfan«,  S.  31 

und  Tafel  i. 

-    Stanislas  .lui.iKN.    »Menioires  sur  les  ("oiitrees  OccidentaieS",  II,  S.  74. 


,!»-u 


Frniß.  Akarl.  d.  Wisscnsch. 


Phil.  hift.  Ahh.    1910.    AV.  17. 


Die  Pagoden  in  China.  49 

eines  Hügels  und  beheiTscht  eine  weite  Aussicht.  Der  quadratische  Unter- 
bau ist  auf  jeder  Seite  mehr  als  1 50  Meter  lang.  Die  neun  Terrassen  oder 
Umgänge,  sechs  quadratische  imd  darauf  neun  runde,  umfassen  den  ganzen 
Gipfel  des  Hügels  in  seinen  letzten  dreißig  Metern  und  sind  nach  den  vier 
Himmelsgegenden  orientiert.  Die  quadratischen  tragen  kleinere  Gebäude 
mit  stehenden  oder  in  Nischen  sitzenden  Statuen  von  Buddhas  und  Bodhi- 
sattvas,  sowie  auch  568  herausgemeißelte  Darstellungen  aus  dem  Leben 
des  Säkyamuni  und  der  Buddhas,  die  ilim  vorangegangen  sind.  Die  drei 
höchsten  Terrassen  sind  rund  und  tragen  je  einen  Kreis  von  32  bzw.  24 
und  16  kreisrunden,  glockenähnlichen  Bauten  aus  Werkstein,  die  am  Fuß 
fast  vier  Meter  im  Durchmesser  haben.  Im  Zontrum  des  obersten  Kreises 
erhebt  sicli  eine  große  Kuppel,  die  den  Thfipa  und  also  gleiclizeitig  den 
Berggipfel  krönt  und  am  Fuß  fast  sechzehn  Meter  im  Durchmesser  hat. 
Sie  scheint  eine  sitzende  Statue  enthalten  zu  haben  und  mag  woJd  als  der 
Sitz  des  Dliarma,  des  Adibuddlia,  gedaclit  gewesen  sein.  Insbesondere 
weisen  die  72  glockenartigen  Bauten  darauf  hin,  daß  auch  der  Borobudur 
ein  Leuchtturm  des  Weltgesetzes  ist.  Alle  haben  nämlich  (vgl.  Taf.  VI)  auf 
einem  in  Lotusform  gemeißelten  Sockel  einen  Buddha  aus  Stein,  der  inner- 
halb einer  kreisrunden  (rlocke  sitzt,  welche  vier  Kreise  mit  rautenförmigen 
Öffnungen  hat  und  somit  offenbar  gedacht  war  als  Laterne  des  Lichts  des 
Weltalls,  das  der  Buddha  entsendet.  Aucli  dieser  Tlnipa  muß  zu  einer 
Niederlassung  von  Geistlichen  gehört  haben,  wovon  noch  zwei  weiter  bergab 
liegende  Steintempel  erhalten  sind,  nämlicli  der  einen  sitzenden  Buddha 
entlialtende  'I'jandi  Mendut   und  der  Tjandi  Pawon. 


Die  Seligmach ung  der  Wesen  ist,  wie  dieses  Kapitel  dargetan  hat, 
der  3Iahäyäna-Kirche  einziger  Dasein.«:gründ  und  somit  ihr  höchstes  Ziel; 
und  das  Mittel  zur  Verwirklichung  dieses  Ziels  ist  der  Satz  von  Geboten 
Brahmas  Netzes,  der  von  der  Lotusterrasse  des  Weltgesetzes  Losana  durch 
Vermittlung  der  Bodliisattvas  der  Menschheit  zugegangen  ist.  Diese  Lo- 
tusterrasse» ist  die  Quelle  aller  Lehre,  aller  Weisheit  (bodhi),  alles  Guten, 
folglich  auch  die  Quelle  aller  Sütra's,  worin  die  Lehre  oder  Weisheit  aller 
Buddhas  aller  Äonen  ihren  Ausdruck  findet.  Dennoch  wird  von  einem 
Sütra,  dem  eine  ganz  besondere  Bedeutung  beigemessen  wird,  diese  kos- 
PhiL-hist.  Abh.  1919.  Nr.  11.  7 


50  i>K   ({koot: 

misclie  Herkunft  diireli  den  Titel  speziell  betont,  weiclier  lautet:  fl^'t^- 
^M^^  ^l'"0-jy  Uni-hnd  IxitKj,  "Sutni  der  Lotusblume  des  allerschönsten 
(Welt-)gesetzes«.  Saddliarmapundarikasutra.  Das  hat  seinen  Grund  dai-in, 
daß  es  die  Lehre  des  Buddhawerdens  enthüllt,  die  tiefsinnigste  aller  Lehren, 
das  Höchste  überhaupt,  was  das  Weltgesetz  die  nach  der  Seligkeit  Stre- 
benden zu  lehren  hat.  Es  ist  daher  begabt  mit  dem  HöchstnVaß  von  selig- 
machender Kraft,  und  die  Klosterbrüder  pflegen  dementsprechend  mit  Vor- 
liebe und  besonderem  Fleiß  es  herzumurmeln  zur  Förderung  ihrer  Weis- 
heit, welche  ins  Nirväna  fiihrt.  Dieses  Sutra  schildert  insbesondere  die 
Heilslehre  in  ihrer  transzendentalen,,  kosmischen  Gestalt,  welche  zu  1)e- 
greifcn  und  zu  ei-gründon  nur  Eingeweihte  vermögen,  die  Weisen  also, 
welche  das  höchste  Verständnis  (bodhi)  erstreben  und  dadurch  Bodhisattva 
werden.  Das  Buch  bestätigt  das  selbst  im  lo.  Abschnitt,  der  die  Überschrift 
y^lfÜ    "Lehrer  des   Dharma«    führt,   in   diesen  Worten: 

"^      iH'      J^      30-      -iM-      n5Tc      S3  Daniiils  sprach  Biidfllia  aiicli  noch  zum  Boilhisattva 

A^     llL     M     m     JB.     /T      m  ,,,,',        ,         1  -  ■   .    ,         c         ,       XV 
^       .         ^^          ■•                _i._^      ^^       iiiul    .Mnhasattvn    Ar/.neikonig'     (zur    .Sonne):     -1)k' 

PJ      fic      ^      ifii      T      "MJ      ""t      Sntias     und     Grundgesetze,     welche    ich     verkünde. 
"^     xE     W^     "Jt^      ärt      W'fi      m'      wurden    gepredigt,    wei'den    gepredigt    und    werdei 


/r-      ^1      /b      -y-      iJj-      ^jK      -j^^i      gepredigt    werden    von    einer    unermeßlichen  Anzald 
ihr      iAV  ^i"      -"i"         -      >i-       ^''*"    tausendmal    zehntausend  Myriaden:    aber    anter 

3C         '       ^(t      *^      L_i      fyX      o       ihnen  ist  dieses  Sutra  der  Blume  des  Weltgesetzes  am 


A  ^ 


fx.      '1"-'^'     i(^.  wQ  jfJC  g^  ^^  allerschwcrsten  zu   glauben,  am  allerschvvieiigsten  zu 

tM      3<  ■'  U+.  >*v  &g  T  begreil'eii.    Arzneikönig I    Dieses    Sfitia     ist    das    Be- 

"■■*'  ^j.  ^  ^>-  hältiiis   dt's   verboi^enen    Wichtigsten    der  Buddhas. 

7i-!n      ^x-        -  ^  ^  *^  lind  soll  also  nicht  durch  Veiteiluni;  und  Verhreituns: 

'm     ±.  m  's"  fHE 


m      ?Hv      W^ii      frivol  den   Menschen   iibergeben   werden.« 

Eigentlich   ist  dieses   mystische  Buch   eine  Sammlung  mehrerer  Sutras. 

welche  Kumärajiva    in    den   allerletzten  Jahren    des  4.   oder  in   den  ersten 

des   5.  Jahrhunderts   wahrscheinlich  aus  dem  Sanskrit  ins  Chinesische  nl)er- 

tragen  hat'.     In   einer  von  diesen,  die  im  1 1 .  Abschnitt  vorkommt,  welche 

'     Hei   Ki;i!n:   Bhaisajyaiäja. 

-  Eine  ("bcrset/.ung  des  .Saddharmapuiulaiika  ans  .Sanskritoriginalen  vcröflentlichtc 
KinN  1884  als  Band  21  der  »Sacred  Books  of  tlic  Hast.  Ks  scheint,  daß  diese  Originale 
von  gciingereni  (ichalt  waren  als  die,  welche  Kuniärajiva  zur  Verfügung  stjinden.  denn  dessen 
(Ibcrselziing  niaclit  nirgendwo,  wie  es  mit  der  KeunscIiimi  manchmal  der  Fall  ist,  den  Kin- 
dnick, als  habe  ilci-  Verfasser  mit  luiklaren  Stellen  zn  ringen  gehabt:  seine  chinesiselien 
Sülze  cntlaltcn  sich  diiichwcg  in  schlichter  Deutlichkeit.  Es  mag  aber  sein,  daß  Kumärajiva 
über  Unklnrlu'iten  liinwcggehüpft  ist  oder  tüchtig  <len  Urtext  poliert  liat.  Leider  fehlt 
noch  immer  ncb(^n  der  scIkhk'o  KKH\sclirn  Übersetzung  eine  zuverlJi.ssige  von  Kiuu.^rajivas 
Wii'ilci  lialic. 


Die  PtKjOfltn   in    C/tina.  51 

<lie  Überscliril't  ^'^i^  "die  Sichtbarmachung  des  Tliüpa  der  Kostbar- 
keiten« trägt,  ist  der  Inbegriff'  der  esoterischen  Lehre  der  Thüpas  und 
ihre  Beziehung  zum  Weltall  mit  großer  Klarheit  dargestellt,  und  zwar 
derart,  daß  sich  völlig  bestätigt  was  darüber  in  diesem  Kapitel  bereits 
angeführt   ist.     Wortgetreu    wiedergegeben,    steht   da   folgendes    zu    lesen: 

-F  fiS  Itt"  PU  f'ft  Wi  ^   t'^   ^  Damals  sprudelte  vor  IJuddha  ein  aus  sieben  Kost- 

,  ^^    .■;;  ifi  j  ■  "*   iff.    ,i.    öl      -1-  l>arkeiten  bestehender  Tliiljja  aus  dem  Boden  hervor: 

^  W^  5>  Uli  ^   17H    6h    M    "u  500  yojana  hoch  und  250  yojana  lang  und  breit.    So 

^:l  ^  -Li.  H  'f>^  ^^   J-H    Zl.  '^  stand  er  in  der  Luft,  von  Kostbarkeiten  jeglicher  Art 

-p  Vk^  -'^  HH  JL„               ^  "g"  -Ä^  vei-ziert  und  umgeben.    5000  Briistungen,  tausendmal 

— -  rff  ^'  ^  J?*   ^   ^91     ~       '  zehntausend  Tabernakelhäuschen  (Nischen),  unzählige 

---'      ,    iji^  ^^  jii   ^-   ?|fj  JL   ^  Paniere    und  Fahnen    dienten    zu  seiner  Ausstattung 

-^    -^    . .,  'T-  "»    it-    ,N.   -|-   ^  und  Veraierung;    herabhängende   Kostbai-kciten    und 


"Tj  -""-  ^i  l'<        ■»    ^^  J_,  >?if      köstliche   Steine,    sowie    10  000  Millionen    von    kost- 

t|5J  \^  Mi/  J''j>   ^   4^  TT  baren  Glöckclien  waren  oben  daran  aufgehängt.  Nach 

/^  >fe>  W'  'fö'   ^i    lYii  allen   vier  Seiten  hin  ging  aus  ihm  ein  Wohlgenich 

^  \_  ■  T^i  "^    ^"^  -,,.  yf^  -^      von   taniäiapattra-candaiia   hei-voi',  der  überallhin  das 

JiX  m.  rM  f,a;   l))^  ?H-  l'i  I^J      Weltall    füllte.      Seine   Paniere    und    Sonnenscl 


nrme 


P"  Sft  -^   ffil  tl&  *^  ■^  ^  waren     aus     den     sämtlichen     sieben     Kostbarkeiten 

LiM  ^^   !tt^  i'l  y^   ilTj  B"  zusammengesetzt,    nämlich     aus    Gold.     Silber,    liu-li 

•^  ■•  '.j!  *^         '   |l|  j^  ti'f-k'u,  Küi'Oalin.    echten    Perlen    und    mei-kwei.     Er 

CH   ^"1'  ^    "-^  ^  i       o  ™  war   so   hoch,    daß   er    bis    an   die    Paläste    der  Kö- 

"5c  ^\''  fira  -^  )^  ~F"  'fl-  ^  "'S"    '^"''    ^'''''   ^Veltgegenden    und    die    33  Himmel 


■a-j-te. 


IH"   /it   L<I   ■¥►{■   /W-    t7l    F^    Y-V    Wi  '^'"'^    '''^    regnete    himmlische   mandarava-Blunien 

tWi   ^'ff  >TV   -=S-   -rffr   *fe  HÄ    5/     rc:  '^^^    Opfergabe    lur    den    Thüpa    der    Kostbarkeiten, 

^^»     4    '      "    "^   ^  '^       ,  ^  während  auch  die  ücvas,  Niigas,  Yaksas,  (iandliarvas, 

4n  "f^  ^  :^="    S'    ^   ^^'^  rt/'    :X  Asuias,    (iarudas.    Kinnaras,    Mahoragas,    iNIenschen 

gl-     '\     -L^    •'•         '  ^iij    ifui   ||||   y.'p  und  Niclitmensclien,  tausendmal  zehntausend  an  Zahl. 

^  ^  ,^*   llt"  i^l  '^        '  '^^J   \y,  dem   Thnpa   der    Kostbarkeiten   alle   möglichen    Blu- 

JUt  ^^<  'li><       ^   MY.   iff   y^   ^^-  W;  men    und    wohlriechenden   Sachen,    köstliche   Steine, 

T^   ^  *^  ^^         '  ildfe   Hl^  Ki    ^  Paniere   inid  Schirme.  Kunstfertigkeiten    und    Musik 

•y^          ^-:  ,*|f;-   04    ™^  ^'     '  ,     Yit  alj*   Opfer   darbrachten,    ihn    \erehrten    und    priesen. 

H    $B  j/v;        *  ut    ^i-   /V    K^   ^  Alsdann    kam    aus    diesem  Thnpa  der  Kostbarkeiten 

^^  -a  mi  ^  "^  ^'  m   '^§  ^  eine  laute  Stimme  hervor,  welche  lobte  und  sprach : 

'K       ' '^  ;•,,.    f^".'   !^     '  '*   .    ■•  W  "Wie   gut:    wie    vortrefflich!    du    von  der  Welt  ge- 

Hl  5fB   fill"     —  ^n"  ^   ~f*           i^  ehi-ter    Säkyamuni,    du    vermagst    es    nn'ttels    <leincr 

>        „M.       -   ^'    j^h    yii.    ^r    1'^:        ■•  gewohnten  groCen  Weisheit,    das  Gesetz  der  Bodlii- 

*          /-j^j    lll     i^    /'■'■■   W:   r^  sattvas.  die  von  den  Buddhas  patronisierte  imd  vcr- 

J^i  ^.   MI.   '  "*    ^    ''^'        ■•  ^-  lesene    Sütra's    der  Blume    des    allcrvortreIVlichsten 

ihn  -^^           ^^    5^   ^    ^    ^p  Dharma,    zu    lehren  und   der   großen   Schar    zu   ver- 

a\    1 A-.  ^'  "h"   i^    I'l    Bl)  ■^  künden.     .la    (urwahr,    Säkyanutni,     \on    der    Welt 

'     ^       '  iöv        ■•  '^    ijj.i    ,VA  Nerehrter,     was     du     pre<ligst,     ist     alles    die    echte 


fl  -a-  B^   ^,  #   ~  -   ^  ^     Wahr 


leit." 


52  I)  E   Gkoot  : 

i^    =■     A      ^    >^    Ä    ^     S  Als  nun  die  vier  Sciiaien  den  großen  Thilpa  der 

l/t     o^   /V    PJ    ^     '^■*    HH    n±      Kostbarkeiten    im     Luftraum    anschauten    und     die 


'Pal    llL.    I*™     ßi^    ^    jl^    r^    öy       daraus  hervorkommende  Stimme  vernahmen,  fanden 


)^    _«j.  1^    ^    irj     H-    J:K  P3  alle   Freude   am   Dharma;    denn    so    etwas   Wunder- 

MJ    -^  W    _L    ^    ^    dl  ^  bares    war   noch    nie   dagewesen.     Sie   standen    von 

_,"*    |>r  ^    '^               ^  ^  ihren   Sitzen     auf,    legten    ehrfurchtsvoll    die    Hand- 

yC    *^  ^    ^        "    ^    fyX      I  flächen    gegeneinander    und    standen    alle  nach  einer 

^    l5f  i[^^    3^    Hl        °    Htl  ^  Seite   hin   gewendet.     Es    befend    sich    unter    ihnen 

iMl    ßl  ^$1    A-°    i®    ^'^    ^^  W  ®'"  Bodhisattva  und  Mahasattva  des  Namens  »Große- 

rh     "'4-  BIf    ^      ^    J^     ^  J^  Freude«.'    Er  empfand  dieselbe  Unsicherheit,  worin 

•zS.  (iv    — "             rffi    ^  /t  ^'^'^  ''"^  Gemüter  der  Devas,  Menschen  und  Asuras 

zK     ^  ^'E    ^    y^                  *  l±  aller  Welten  befanden  und  sprach  zum  Buddha:    »Du 

^    itb  fln    itt     '■*    -äS    -^  lS  von  der  Welt  Verehrter!    was  ist  der  Anlaß  des  Her- 

"n"    SS  ifn     P^    ^    ^    -f^  S  vorbrechens  dieses  Thüpa  der  Kostbarkeiten  aus  der 

=fc!v    Ä  ö     I  J    Wai     /Ji>       '        .  i^i-de.   und   weshalb   hallt  aus   seinem  Inneren   diese 

^,m  n    ^    W-m    *  ^,  stimme;-.. 

^    znl  /yj^    ^+.    _J^    ,';M^     7t  gS  Darauf  sprach   Buddha    zum  Bodhisattva  Große- 

A  ^  ^    *£            ^4      *-  l''''eif^e=    "^1   diesem  Thfipa   befindet  sich   das  voU- 

^    /V  pb.    ^     e     ^    Ü  n^  ständige    Wesen    eines    Tathägata,     und    zwar    von 

Bfa;    ^  WJ    $M    IM    rh     J!a!  '^  unermeßlichen     tausendmal     zehntausend    Millionen 

^    ^        '    f#        ^    !J1    ^^  Äi  asankhyeya    \'on    vergangenen    Welten    des    Ostens 

^^^%^^^"  (Tagen).    Sein  Reich  heißt:   ,Klare  Reinheit  der  Kost- 

.    ^,  ^-    ^    5|^    ^    -^  y^  barkeiten'  (Sterne)^.    Der  darin  anwesende   Buddha 

_i      ,tfc.     "^^      .        ji.        ^   yj  ^  heißt    Topao,     .Viele    Kostbarkeiten".      Als    diese!- 

^     "  ^.    '^    '"'^    f^    ffi  gg.  Buddha  noch   den  Weg  der  Bodhisattvas    wandelte, 

To"    ^  jji    i^    W    PI    -S.  legte   er  diesen   großen   Eidschwur  ab:    ,Wenn    ich 

-fc^    i-li        o    Isa    ,  2    :^     rC.  ^  Buddha  gewoiden  und  (abends)  in  den  Zustand  der 

fr  ^    >f4^             S  ^  Auslöschung    (Nirväiia)     übergegangen    sein    werde, 

j^      ■  -.    "^    -^    ^    M     ^"       -•  und    es    alsdann   in    den  Reichen   und  Ländern  der 

l>i    ^  W    J^    -L,    _y.    /^  l|;f'  zehn    Weltgegenden     einen    Ort    geben    wird,     wo 

-       ,v4>  )j&     a              ^^    [^  ^  Sütras    der    (Lotus-)blume    des    Dharma    verkündet 

W    ^-*^  ,^    V~    ^    i^    '  ^  ^  werden,   dann   wird  mein  Thüpa-tempel   durch  An- 

«ä    j^  ' —    itc   ^    ^    ta  fa  hören   dieser  Sütras  (morgens)  vor  diesem  Orte  zum 

Hg    ;^  ti    1^    _L    A—    )jj]^  |:|l  Vorschein   springen,   um   (dieses  Werkes)  Zeuge   zu 

^    yV  K^     "/ffl    -J-     t*    "fth  ^  '^®'"    "'^'^   preisend    auszurufen:    'Wie    vortrefflich!"' 

TJ    VA    Rot             >V      tjT     ^  ^  Und    als    dann    dieser   Buddha    seine   Laufbahn    bis 

~\^    fÄ  il^    ^    [Sl    ^  'i  Ende  zurückgelegt  hatte  und,   im  Begriff  in  den 

-t    ^     ^    S      I.    ^^    rrEi  ^  Zustand    der    Auslöschung    (Nirväna)    überzugehen, 

lU-    :fli    rtb    Im     ^fe-    'db    >^  4>  *'°^^    ""^^'    unter    den    großen   Scharen    von    Devas 

iE    <X,  Hu         -»   T3     P^    ^  und  Menschen  aufhielt,   da  sprach  er  zu  den  bhik- 

^    :^  ^    ^    t^    "(^    W        >  ?"'*=    ,Solltet  ihr  nach  meiner  Auslöschuug  meinem 

'  Bei  Kern:    Mahäpralibhäna. 

^  Kern:   Ratnavisuddha,  clear  by  jewels  (stars).     -The  world  so  called  is,  apparenüy, 
the  starry  vault... 

'  Kern:   Pi-abhütaratna.  Tu-pao  ist  eine  wörtliche  Übersetzung  davon. 


Dlf  Pa (joden  in   Cldna.  53 

^    ^i.    T&n    ofe'    ^^    ■'m    ^  ^S-  ^'ollständigen^Wesen  ( )pfer  darbringen  wollen,  so  er- 

{.I,     j^    jj-        "    r+t     HJ    .ß^^?  :/r  riclitet  euch  einen  großen  Thüpa;  ich,  dieser  Buddha, 

">C    1/t    xK    _^     't'     um     »ric  Tc  \verde  dann  durch  meine  göttliche  Vernunft  und  die 

3^    iul    •'•n     <öi    ^H    Ä-    'H  te  Kraft   meiner   abgelegten    Gelübde   allüberall    in  den 

J-1'    ""'in    ^    -       "^    ^Ü    Ät  ^  Welten    der    zehn  Weltgegenden   gegenwärtig  sein, 

''*     ^^     30.    ^t         ■»     _  ^    |j^  j."     und  wo  immer  Verkündung  von  Sütras  der  Dharma- 

W     l*-^              g^    ^^    -"w  ^^  bitime  stattfindet,  wird  vor  dieser  Stelle  jener  Thüpa 

=aW:    ^^    ''      -Hi    :9'    y^  nf  *^®''  Kostbarkeiten  hervorquellen;    sein  ganzes  darin 

rH    4ft    ^    *'~    ;&    j;>i  3fr  befindliches  Wesen  wird  preisend  sagen:    "Wie  gut, 

W    £s?    'f^    ^    -tA    i^  tt  "•<?  vortrefflich!'"    (Iroße-Freudel  jetzt  ist  der Thilpa 

»   Tat    l'K     1=1     ,v>      M  CT  ,]es  Tathägata  To-pao,  weil  er  Sütras  der  Blume  des 

Dharnia  predigen  hörte,  aus  dem  Boden  hervorgequollen 

^  und   sagt  lobpreisend:    ,Wie  gut,  wie  vortreft'lichl'« 

i'^    f^    ^    ^    '^1^    ^    W  ^  ^"n  sprach  der  Bodliisattva  Große-Freude  durch 


JÖp  :^  YA  -y?    5fe  ^  jj/  lÖc  die  göttliche  Kraft  des  Tathägata  zu  Buddha:    «Du, 

'H\  ;Ili  -/f  ^^  iäf  ^<^  IH-      11  von  der  Welt  Geehrter,  wir  möchten  gern  das  Wesen 

JL.  ^  ^A  ^  m  J*:"  ^'  '"'^"^'''^    Buddhas    sehen.«     Und    Buddha    .sprach    zum 

"1  :^  -TA"  ^^  in^  ^         ■•  ^  Bodliisattva  und  Mahasattva   Große-t'reude: 

^  T^f  ~f"  IM  -Ä-  }^.  %  3fr  »Dieser  Buddha    To-pao   hat   folgende  gründliche 

"HJ"  '"H  /f  rtli  ir!/-  =|lT  ^  ;l*-  ""*'  ^^'chtige  Gelübde  abgelegt:   .Weiui  mein  Thüpa 

m  rH  HL.  ^  *'*^  »1*  |5§  '^  '''^''  Kostbarkeiten    vor   den  Buddha.s  erscheint,  weil 

-  m  ^  '^  •>  'NU  p^  *''    ^''''■^■''   •^^■"    l^'"">c    des  Dhamia    verkünden    hört, 

ft't  -^  ^Th  ;n^  Ä  -S;  "PA  i»!  und     wenn    es    dann    unter    diesen    Buddhas    einiMi 

yj^  1^  f^  irn  *^w  :^  ^  x  geben  sollte,   der  den  vier  Scharen  mein   Wesen  zu 

^'  üti  'f^  rf  1^  ^  ihF  zeigen  verlangt,  so  kommen  die  verschiedenen  Buddhas, 

.  ^  \  ;#ri  ®C  iä^  ...  ^  'n    die    dieser  Buddha  sein  Wesen  über  alle  Welten 


"H  zeigen  verlangt,  so  kommen  die  verschiedenen  Buddhas, 

.      ^c    ''^\    iffi    SX    W    ^!f    ^  'n    die    dieser  Buddha  sein  Wesen  über  alle  Welten 

~'     t^    3S    ^    •+<     ^^  SlÖ  ^^^   ^*^'"'  ^'eltgegenden  verteilt  zum  Veikünden  des 

»      .on  ■•      W       _i^       Q/      'l"r  r>l _:..   .._J    J iK  /v   . 


^'    ^Ö^  iW  ^tb  -tA  '^  ^  -ft  ^'"*''""*'  '/-usammen  an  ein  und  demselben  Orte,  und 

'a.'    ^  Jh  '^  ^^  ,'5p  "  -^^  darauf    wird    mein   Wesen    sichtbai-    zum  Vorschein 

^  ^  ^  ^  ^  W^  Wi  treten.'     Große-Freude  I    jetzt   werden    die  Buddhas. 

^  ■  /fi-  -öfe  S  -^fc-  i±|  in  die  ich  mein  Wesen  zerteile  zur  Verkündung  des 

Jfc  ^  Ö.  ^  SB,,  -1-  yjb  Dharma   in  den  Welten  der  zehn  Weltgegenden,  zu- 


Hl 


sammenkominen. 


d?C"'^^WÖ  fiJfe^";^  '^""  sprach  GioBe-Frcude  zu  Buddha:     Du,  von 

l'l  l'l  FFl  -iü  M.  *  -Vc  iö^  ''^'   ^^"'''  Verehrter I   wir    wollen  auch  die  Buddhas 

Kfi  KA  yy  ^  ^  jjM  yP  ^  sehen,    in    welche   du   dich   zerteilst,   damit  wir  sie 

ml  ?yC  31  f&  — '  ^E  ^5Ä  ^^  verehren   und  ihnen  Opfer  darbringen  können.»     Da 

ä+  nji  ^  5,1/  -^  /-u.  §5C  Ö  "'^^''^   Bnddha   einen    weißen,    feinen    Lichtstrahl    von 

P"  ^Ä^  y4i.  '  E3  -flfe  ^'''^  ausgehen,   und  sodann  machte  dieser  im  Osten 

Äf  A  W  j;jj  ä|i  ^  ^  ^  die  Buddhas  so  vieler  Reiche  (Tage)  sichtbar  wie  fünf 

Air  ^"tii  -'  ^  ^  B  -^  ^^  ^  Millionen   Myriaden  von  nahuta  von  Ganges-Flüssen 

M;  ^  ifx  i^  Mi  M  ^  ,1^  Sandkörner  enthalten.    In  allen  diesen  Reichen  war 

W-  W  ^  '1^  iß  H^  ^  ''*"'  '*"''en    aus  Kristall:    kostbaie  Bäum»'  und  köst- 

-p-  ii^[  fsfl  -^nf  ~f'  -Öfe  Ä  ^  ''*^^*^  Bekleidung  bildeten  ihre  Pracht  und  Schönheit; 

I  jÜ  i.^  ^'®    waren    mit   unzähligen   tausendmal   zehntausend 

W  iY  i  iy  H  ^K  M  ^  Billionen  Bodhisattvas  gefüllt;  allüberall  waren  kost- 


V^  "^  'Ali  ]m   n  ini  1f>t  »<    ^-i"-  a^^^^j^^  (gestirnte  Finnaniente)  waie.i  darüber  gewebt. 

^B  M\  )j  xx-    Sj  fp''   PI    i't     •'''  Die    Buddhas    dieser   Reiche    predigten    die   Gesetze 

xL;  7t       ^  ^  ^    Wk   •!''"'   i'Ü  '"''  "llerschönster  Stiniuie.     Auch  erbh'ckte  man  eine 

Gif  '^'  ^'"^     '■"'"■  'Mr    Yll"        ^  ^  "'^''''    ''"    ermessende  Anzahl    von   tausendmal   zehn- 

-^ff:  'Jt   i-'i-         '           W   ''y  tausend   l>illi(iiien  \on  Bodhisattxas,  die  diese  Reiche 

''^>     U  Vit        >  -^   ^    «^la  überall  i'iiUten  und  den  Schalen  den Dharma  predigten. 

;^  J^  '-^  :^|ä  @    -^   W  3C  Im  Siiden,   im  Westen  und  im  Norden,  an  den   vier 

/£•     F  Ttr   ^t^  ^   /«J>  M   ff'  Kardinalpunktcii,    im   Zenith    und    im    Nadir   zeigte 

^  TO    /m  ^  ^     ,      ^   -.  ^j,.^j    ^11^^,,,    ebenso,    wo    nur   der    weiLie   Strahl    sein 

:^   Ö  IS    ift  S    B         o  f ^)  l,i,|,t  hinwarf. 

H.i    1."   'rV  1-  V    fs  -W-    r.C    "2.   i--i,t  I>'i    sprach    jeder   der   Buddhas    der    zehn    ^Vell- 

^H  'fe  2  tl    *^  f        ^  ^    ?  gegende.fzn  den  Scharen  von  Bodhisattva.s :    -Brave 

;g;  Tjifli  W  '.'■i'   Ä^  oV    jf   ^  fft-  Mäimer!    ich    muß    jetzt    nach    der  Sahii-Welt    (des 

M  }%    Ja  ^^   ^  ^^^   YHf  -^   ^  Leidens)    hin,    wo    der  Buddha  Sfikvamuni  sich  auf- 

•^  -y-  IX.  >',    >•>■-  ^1;    i^'»    Zt   ~if  liält,    um    zusammen   mit   ihm  dem  kostbaren    Thiipa 

^  ".^  life  1     ^^  ,-t;   ^   ^'   3«  des  Tathngatha  7'o-;;ao  ein  Opl'er  datv.ubringen.-    Und 


A  1;  ^ 


^  i^3B  ^    :^  l''!'  da  verwandelte  sich  die  Welt  des  Leidens  in  reinste 

\{S.  'FiB   ,'/ö    ^ 

»i  AS  .  : 

...    "-!<'>   -r^   yj^ 
^^  ^  -/U.    >-,   5^*51   iTff   WD  ^^   ^y^     welche    ihre    acht  Seiten    abgrenzten.     Verschwun- 


'\ä  ^f  %e  ^^'   \>l    ^    '■*■•'  -Je  ^^''     '^'^'"'»«'t;   l^«-/'   wurde  ihr  Boden:   kostbare  Bäume 
...    '"-^^  ^  VI"    ^        ''   i^    ^y.t.   ^     statteten  sie  nrächtiir  aus:   Gold  wurden  die  Schnüre, 

f  *  1  Ul  Ä  !f  *  I 


j{„      den   waren    die  Niederlassungen  von  Menschen,   die 


i  AA  -W-            "M"   "'Ä   '#'   -^   **'^  Dörler.  Kriegslagcr   und   Städte,   die  Meere,    Flü.sse, 

o  ißfl  Ä   j\\    ^  ^    ^]    m    if-  Berge,  Ströme,  Wälder  und  Seen..  Man  brannte  dort 

ij,,;  JHii   iy|;   ifjij:   ^"tii   in    ;r      |,|^  dcu   köstUclisten  Weihrauch;  man  da  ra- Blumen  lagen 

'y-     ,f    ihX   =1/   «pV     j-    '^  ^  überall  auf  dem  Boden  verstreut;  eine  kostbai-e,  netz- 

Ifl   ky*  *7,  mH    -H.    H'!'    ^-     "^^  artige  Tuchdecke  war  dai-über  ausgespannt,  und  daran 

iLb  i'"?  'i>^  S^  "1'^'^  ^   /^   ^  hingen    köstliche    Glöckchen.      Nur    die    erwähnten 

^  Ijj^l  _J^  V'^    'H-   ''^   iik    ^  Schalen   (von  Bodliisattvas)    blieben,    und   die  Devas 

und   Menschen    wurden    aiil'  andei-e    Ei-den    vei-setzt 

^   rfn  ?^    i'V   ^^  Ä    S^   Iv-'}^   S  '^^    kamen    jetzt    die  Buddha.s,    jeder  mit  einem 

.       ri.       .    ,4.1    ^^    .,..        -•   i>j    njk  (Jroßbodhisattva   als    Gefolgsmann,    nach    der   Sahä- 

^  tX  :1T-  m    m  m    ^   ^   '2  Welt  hin.  und  je.lcr  von  ihnen  begab  sich  dort  unter 

llt  (iill  l'l      \^    >K    ßi   f\\    '^'^   ^  einen    kostbaren   Baum.     Lin  jeder   dieser  kostbaren 

r4X  ^  "fij   'W    5^   3l   5?'f    1^'   ti^'  Bii'iiiie  war  500  yojana  hoch  und  hatte  .Xste,  Blätter, 

^j^       -       ^  4l    ijp    'S    \*±  ^  ^  Blumen   und  Früchte    von  ordnungsgemäßer  Pracht, 

jsix]  ^/j^   e,fi   .,,.    V.            3i    ij«  Unter  diesen  kostbaren  Bäumen  standen  Löwenthrone. 

))\\  irt    lU     7.'.  M^i"-   ffl      P    ^  fünl'  yojanas    hoch,    ebenfalls  rangmäßig  mit  großen 

itf"  ^1?     l      ^     ^  ^^i           ^  Zu  l^<>sf'"<i'keiten  iimgel)en  und  geschmückt.  Die  Buddhas 

«*"    /^  ' -<—       o       ■»  -^  -    ^  y^  setzten  sich  je  auf  einen  Thron  mituntergekreuzten 

'%n'M^mkk           iö:^  Beineu....' 

Alsdann  wurde  Buddha  gewahr,  daß  die  Buddhas, 

if  ir  4^   M   ?lS   ^J^    f!*!'   M    Ü  in   die  er   sich  zerteilt  hatte,   alle  beisammen  waren, 

im    <m^^    ^  t^    ^    Hj    A     II '1  """'   ''•''^  *^'"  J^'*'*^*'  ^""   ihnen  auf  einem  Löwenthi-on 

ik   )Äi  ÖT   ^   4k    yih    lil'    I  '    fi"  '^■'''■^-     '^"*'  "^''''^'"  '•'"'  "''*•  ''■■"''^  '"*'  Rn'lf^li''"'*  '"'t  *!"" 

w   'äi,  PflJ   ^    Ok    Wl'    /^'r    /-b    ty;  ^^.|,,^,    j).^j,    \'e,.ia„gen    hegten,    zusammen    den    kost- 


Dil'    Piitjoilcn    in    C/tiitd.  äö 


die  vier  Selial-en  erlioben  sich,  legten  die  Hand- 
tliicheii  gegeneinander  und  schauten  eininiitig  zum 
liuddlia  auf.  und  liuddlia  Säkyamuni  ölliiete  die  Tili- 
des  Tlifipa  der  sieben  Kostbarkeiten  mit  dem  Finger 


J^  tk  'jf^  'f^''    [13  J-'  jH}  Ä  Yill'  baren  Tlinpa    /u    öffnen.     Sofort    ei'hob  er  sich  von 

■•    Lf.    ii^i  _#.„      I  vv    yii  ^1-  ci-i  seinem    Tliron   und  stand  mitten   im    Luftraum.     Alle 

3t  nfe  \k  5P  K  n  w  •+»  m 

f  Ä  A  g  "  ^1  ft  «  I  ^ .^, 

/l£   ?|\  '|i^l'  ^^^   t:!!  [:(J    rr^  P9  .^-  «'^-i'  recliten   Hand.     Da-S  gab  ein  lautes  Gcräusrh,  als 

$^   FiJ    aE.  Inf'  -^v"   i2!l  ^  ^  würde    die   Speri'schrauke    eines   'l'hores    zurückge- 

JLA-    ...    _^    'i'    .  ^^    rt\  1^  in  schoben   oder  eine  große  Stadtpforte  aufgemaclit.     Da 

,--    ™\  J^  ^    1  ji  Y^     f  •  _j~  f\\\  erblickten    alle    an  der  Stelle  vei'sammelten  Scharen 

.      U.    ^  63;     .  ^j"n     ''-'  -IL  '^''  den    Tathägata     To-pao    auf    einem    Löwenthron    im 

yk   _      ;y^  _,    ^            l'/l'  ^^  1/1  I  Impa    der  Kostbarkeiten,    sein    einheitliches  Wesen 

j^  nÄ  _^  J     ^  "P    W  ^  j^  unzerteilt  und  wie  versunken  in  festos  dhyäna.    Und 

■  1.1^  ^^    ö^  J^   jyi  2;|J   -^-  ¥"•  tvi  sie    hört<Mi    ihn    sagen:     »Wie  gut.  wie  \ortrett'lich. 

'  ,V4-   äfe  TV*    H  B4I     Lt,  /'-  l>nddha  Säkyanuini,  der  du  am  Predigen  der  Sütras 

^*   -H,  -i^    '''-*  /yj^  '■"  I-''  der  r>hune  dieses  Dhannas  ISehagen  findest  I   ich  iiörtr 

^   "Je  ^   ^  *liu    [jfj  n^  ]^  diese  Sütras,  und  deshalb  bin  ich  hierhcrgekouuneh." 

...     .1      ,.  -.       ,  .j..     _..  _|.  ,,i  l'iid  so  schauten    die  vier  Scharen   den   wählend 

'"^  .UL    I  r  Ji     _L.  Ha.    i  f^  I  l»«  uncriueBüch  tausendmal  zehntausend  Billionen   kalpa 

in    J^  Xt  H^*  äj  ^   ■'W'  1^  ll>|'  '"  ''ie  Vcinichtung  übergegangenen  Buddha  an:   und 

Ijl        ^  s|-  ^    ^  «ij    _|_  /^^Y  nn  als    ei'    jene   W'or'te    sprach,   die  eine   nocii   nicht   da- 


^'^liW^üil 


J^   bl'  '  fi-j    l'T'  .  ,  ^7^  I...    ^^  gewesene   LobcsiinlSei  nng    darstelltin.    da    sauunelten 

[j-  (1,^-  ^  '^   ^  ^  ''  B  7;    ^  ■'^'e  hinuniische   köstliche  lünmen   und  streuten  diese 

^    *'l"  jhll  ^'   'tili  Jjx.  Ti  ^^   ^^  über  den  Buddha  To-pao  und  den  Buddiia  Snkyanumi 

''  -ff.  jjlll     ...  «w  '  Jff     ö  ans.     .letzt  trennte  der  Buddha  To-poo  im   Tiulpa  der 

M  ä2Ü  \  ^,    t'/l'  -1*  yX  y,j,    -^  K.)stl.arkeiten  die  Häi(>e  von  seinem  Throne  ab  und 

T^  ^  II    >J^  J^  ^  '  ^  ?i"'j    '«'»^    Jein  Buddha  Säkyamuni    mit    den  Worten: 

jjri    M  \%  ^^   '*?|f  XT\  '>?i;  sü-   ^-  »Buddha   .'^rdcyamuni,    setze  dich  auf  diesen  Thron... 

Ü   i4\'  nf  ^'''>  P^  /-iL  'iV  l(fP   ^"f-  •'^"^'*'''''^    ^'''■''   Säkyamuni    in    den  Thüpa    und   setzte 

l^\.    VfV  \  '     n  tJ  \.  %»    ,..>  j,jp|j    ijjji     iiritergekreuzten     Beinen    auf    dm     h;illM-ii 

4A«t  irii    'I'  %''  il^Äl  Thron. 

i'P  ±/\  l'l  ."  fi    iL'  xl/k'  /'t'  I)'''   ^            Kaum  sah  die  große  Schar  die  beiden  Tathägatas 

T±  »^  kK  m.    m  'A^  W  ^m    m  j,,,  'r|,npa    der    sieben    Kostbarkeiten    mit    unterge- 

y\  llL  '7K.  yj    ^  f^  /H  H    [l^  kreuzten    Bciru'n    auf    dem    Löwenlhron    silzen.    da 

Ij-   ^  Tfe.  J-^    f-,1.  jjjril  >'s  ^ijj   -J^  bildete  sich  in  einem  jeden  diesei' ( ledaidie:   Buddiias 

«    '//fe  4i»  iV.       1-  -ifl  '  "V-    |5"  Ihron  steht  Jetzt  hoch  über  uns  in  weiter  Kntfernung: 

:^   i<'  ?^  oft    II.V  ^«^  f;||j  ^^    ^  o.    möge    ,1er     Tathrignta     <lur,-h    die     .Ma.Oit     seinei' 

n^-  l^  ^  ^   ^  -^ J  ä*  "^  göttlichen   Veriuud't   uns  alle  in  das  Lceie  versetzen  1 

•fjn  "f'  H'.  }}}}    •h||  ^n*  -^  JL.   zu  .Sofort   nahm   der  Buddha  Säkyamuni  durcli  die  Ki'aft 

jtl/-   \F^-  nn  '    ri^  3t"  ^''   An  seiner'  \'ernunfl  (l.ehrel   die  großen  Scharen   in   sich 

^Ti.  \^  -s^'  Im  im  '""'"'    ^"    ''"''^    ^"^    ^''''   ""''   '"   '''^'"'   ''''<"'en   liefanden. 

>1''  S?t  fe  .       /tj  ^T  '  'I     yK.  und  mit  lauter  Stimme  spr;ich  er  zu  den  vier  Scharen  : 

{}\  h'P       '  fj/Jj  'Y'-  ftt  ^   ^  Wer    von    euch    vermag  es,   in  diesem  Sahä-|{,icl 


l*}'  ,VJi  3//;    f^     ■>!    yij     |g/j    ^      I,      weit   und    breit   .Sütras  der   Blume  des  alierschönstiMi 

..      ...   _,.      '^V     .,       ,,     ,^'     ,  '  ,  , ,      Dharma  zu  verkünden.'  (Jerade  ji'tzt  in  ilieser  Stunde 

A    *V  fJE      '  •>  )|il|'    /«ü    «n   -O"    lY      ^vird   der    Tathägata   bald   ins   Nirväna   eingehen,   und 


Hl 


56  1)E    ÖROOt: 

/^  A-\  ^&  M''  \y]  Y^  y0      '^^   '^*   ''^^  Buddhas  Wunsch,   die  Sütras  der  Blume 

^2.  KL  .  ^  si        i|  /■«L  fyry      dieses    allervortrefflichsten    Dharma    den    hier    An- 

-ffc  /^  itc  Ca  ]X\u  VA  -y^^     wesenden  als  Auftrag  zu  übergeben.« 


Dieses  heilige  Schriftstück  sioht  recht  inystiscl»  aus;  dennoch  fällt  es 
nicht  schwer,  seinen  wesentlichen  Inhalt  klar  zu  erkennen.  Das  Sütra  von 
Brahmas  Netz  hat  uns  bereits  den  Schlüssel  dazu  in  die  Hand  gegeben. 
Es  führte  uns  den  Dharma,  das  leuchtende  Weltgesetz,  vor  als  Losana, 
thronend  auf  dem  aus  Lotusblumen  gebildeten  Weltenall  und  sein  Licht 
zerteilend  in  unendliche  Myriaden  von  Säkya's  oder  täglichen  Sonnenkreisen, 
die  je  in  einer  Welt,  durch  ein  Lotusblatt  gebildet,  den  leuchtenden  Dharma 
verkünden  und  dadurch  alle  Wesen  zur  höchsten  Weisheit  und  Heiligkeit 
hinaufführen  (s.  S.  32).  Und  hier  tritt  uns  im  Lotus-Sfitra  genau  dieselbe 
Darstellung  vor  Augen:  der  To-puo,  »Viele  Kostbarkeiten«,  in  einem  Thüpa, 
der  alle  Welten  und  somit  alle  ihre  Schätze  und  Schönheiten  umfaßt,  der 
seine  in  zahllosen  Nischen  dieses  Thüpas  thronenden  Bodhisattvas  durch 
Lobpreisungen  beseelt  und  zur  stetigen  Verkündung  seiner  Heilslehre  der 
Dharmablume  anregt.  Bei  jedem  Sonnenaufgang  quillt  dieser  gewaltige 
Thüpa  aus  dem  Erdboden  hervor,  das  heißt,  das  Weltall  wird  allen  Wesen, 
welche  das  vom  Licht  gebrachte  Heil  ersehnen,  sichtbar,  und  zwar  in  einem 
Regen  duftender,  von  des  Himmels  Licht  und  Wärme  hervorgezauberter 
Blumen  und  dankbar  begrüßt  und  verheiTÜcht  von  mit  Ehrfurcht  und  Be- 
wunderung erfüllten  Scharen.  Wir  lesen  dann  weiter,  wie  diese  Scharen, 
überwältigt  durch  den  Anblick  des  hehren  Weltthüpa,  aus  dem  To-par/s 
Stimme  ihnen  zuruft,  daß  Säkyas  Lehre  die  wahre  Lehre  ist  und  sein 
Licht  mithin  zur  Seligkeit  fülirt,  »Freude  am  Dharma  finden«,  d.  h.  alle 
bekehrt  werden.  Dann  lesen  wir,  wie  das  aufgehende  Sonnenlicht,  der 
Buddha  Säkyamuni,  nicht  bloß  den  Weltthüpa  vor  den  Augen  der  Scharen 
zum  Vorschein  zaubert,  sondern  diese  auch  über  den  Ursprung  und  die 
Rolle  des  darin  tlironenden  Weltgesetzes,  den  Dharma,  belehrt.  Dieser 
To-pao  ist  ^0^,  »wie  (von  selbst)  gekommen«,  ein  Tathägata,  der  Ur- 
heber einer  unermeßlichen,  unsagbaren  Anzahl  von  im  Osten  entstehenden 
Welten,  d.  h.  von  Sonnenperioden,  Tagen.  Sein  Reich  ist  das  makellos 
reine,  sternenbesäte  Himmelsgewölbe.  Sein  Leuchten,  das  durch  Vermittlung 
des  Buddha  stattfindet,  hat  nur  einen  Zweck:  es  soll  das  Wesen  (^) 
des  Weltgesetzes  sell)st  sichtbar  machen,  den  Dharma  in  seiner  Vollständig- 
keit den  Scharen  der  Wesen  oifenbaren,  diese  mithin  mit  dem  allerhöchsten 


Die  Pagoden  in  China.  57 

Wissen,  mit,  bodhi,  begaben  und  also  Bodhisattvas  werden  lassen.  In 
lebhaften  Farben  schildert  der  Sutratext,  wie  der  Buddha  während  seines 
Lebenslaufs,  des  Tageskreises,  dieses  Werk  vollbringt.  Die  unzähligen  Strahlen, 
in  die  er  sich  zerteilt,  wovon  jeder  an  sich  natürlich  auch  ein  Bodhisattva 
ist,  beleuchten  zunächst  die  zahllosen  Welten  oder  Tage  des  Ostens  und  ver- 
ändern sie  in  Paradiese  von  entzückender  Schönheit.  Danacli  verwandeln  sie 
ebenso  den  Süden,  dann  den  Westen,  sogar  den  Norden,  den  Zenith  und 
Nadir.  Und  wenn  endlich  die  unzähligen  Strahlen  sich  abends  zusammen- 
ziehen, dann  hat  sich  in  der  ganzen  Welt  des  Leidens  eine  vollständige 
Umwandlung  vollzogen:  alles  Irdische  ist  daraus  entschwunden,  alles  ist 
zu  einem  Eden  geworden,  in  dem  keine  Menschen  mehr,  sondern  nur  noch 
Bodhisattvas  leben.  Die  in  Säkyamuni  sich  wiederum  konzentrierende  Licht- 
kraft der  zahllosen  Strahlen  öflnet  nunmehr  den  WelttlHi{)a,  läßt  die 
Scharen  das  Wesen  des  Weltgesetzes  erblicken  und  aus  dessen  Munde  selbst 
vernehmen,  daß  sie  nur  dank  dem  Predigen  des  Weltgesetzes,  der  Sütras 
der  LotusteiTasse  des  Dharma,  jetzt  das  Weltgesetz  zu  kennen  vermögen 
und  also  die  Allweisheit,  bodhi,  erlangen,  die  mit  der  allerhöchsten  Selig- 
keit gleichbedeutend  ist. 

Der  Abend  ist  also  da:  Weltgesetz  und  der  Buddha,  sitzend  auf 
demselben  Thron,  versinken  ins  Nirväna,  in  den  Zustand  der  Auslöschung-. 
Jetzt  ist  Dharma  mit  dem  Säkya,  den  er  morgens  hervorbrachte  und  mit 
der  Seligmachung,  dem  Drehen  seines  Rads,  beauftragte,  wieder  zusammen- 
getlossen;  sie  sind  eine  Zweieinigkeit,  und  die  auf  S.  29  f.  aufgestellten 
Sätze  4  und  5  bestätigen  sich  hier  in  der  Heiligen  Schrift.  Die  Scharen  der 
jetzt  mit  l)odhi  begabten  Wesen  nimmt  der  ins  Nirväna  sinkende  Säkya 
in  sich  auf,  damit  auch  sie  in  Zukunft  alltäglich  leuchtend  das  Welt- 
gesetz verkünden,  dadurch  den  Weltthüpa  öflFnen,  sich  darin  mit  dem 
Weltgesetz  verschmelzen  und  das  Drehen  des  Rads  wieder  anderen  Bodlii- 
sattvas  übertragen. 

Hinsichtlich  des  Abschlusses  der  Laufbahn  des  Säkya  als  Heils- 
propheten hat  somit  die  Kirdie  eine  besondere  Lelire  für  die  Esoteriker,  und 
zwar,  daß  er  in  den  Weltthüpa  des  Dharma  aufgenommen  wurde.  Eben- 
falls hat  sie  sich  von  der  Lehre,  der  Buddha  sei  am  Ende  seiner  Laufbahn 
verbrannt,  und  das  Licht  seiner  Weisheit  sei  darauf  in  84000  Asoka- 
Thiipas  als  Sarira's  niedergelegt,  eine  kosmische  Darstellung  zurechtgemacht, 
der  die  Auffassung  zugrunde  liegt,  Buddha  sei  die  Sonne,  die  vom  eigenen 
Phif.-hit/.  A/'/i.   lf)J!).  Nr.  11.  8 


58  i>  K  G  KO  OT  : 

Feuer  verzehrt  wird,  bevor  sie  als  eine  ausgelöschte  Scheibe  ins  Nirväna 
sinkt.  Auch  sie  wird  von  dem  höchstheiligen  Lotus-Sütra  verkündet.  Da 
lesen  wir  im  23.  Abschnitt,  daß  Srikyarauni  den  Bodhisattvas  der  ^^  ^  |^ 
»Schönheit  der  Könige  der  (28)  Mondhäuser'«  eine  Lehrrede  hielt  über 
einen  Bodhisattva  >- Arzneikönig«  (vgl.  S.  50),  das  heißt,  über  die  noch 
nicht  untergegangene  Sonne,  welche  die  Wesen  von  allen  Übeln  der  Nacht 
und  Kälte  befreit;  und  der  kurze  Inhalt  dieser  Predigt  läßt  sich  wie  folgt 
wiedergeben": 

Vor  unermeßlichen  Zeitaltern  war  ein  Buddha  des  Namens  f}  ^  J^ 
B|j|fe^p^  »Tathcägata  der  Segnungen  des  Reinen  Lichts  von  Sonne  und 
Mond"  (also  das  Licht  des  Weltalls).  Er  verkündete  die  Sütras  der  Lotus- 
blume des  Weltgesetzes  vor  einem  Bodhisattva  — "^^^^Ä  »den 
alle  bestehenden  Wesen  mit  Freude  sehen«  (also  vor  der  Sonne,  die  ihr 
Licht  dem  Licht  des  Weltalls  entleiht),  und  freudig  durchlief  nunmehr  dieser 
Bodhisattva  seine  mühsame  Bahn  durch  das  Dharma  des  Tathägata  der 
Segnungen  des  Weltlichts,  um  sich  dadurch  das  Buddhatum  zu  erwerben. 
Als  so  12000  Jahre  vergangen  waren,  brachte  er  diesem  Tathägata  seinen 
Körper  als  Opfer  dar,  indem  er  durch  die  Kraft  seines  Wimsches  sich 
selbst  in  Brand  steckte  zur  Beleuchtung  des  Weltalls.  Das  allergrößte  Opfer, 
welches  das  Weltgesetz  kennt,  wurde  somit  vollbracht.  Zwölf  Jahrhimderte 
lang  brannte  sein  Wesen;  es  löschte  sich  seine  VAut  (im  Westen),  und  als 
so  sein  Leben  ein  Ende  genommen,  wurde  er  wiedergeboren  im  Reiche 
des  Tathägata  der  Segnungen  des  Weltlichts. 

Daselbst  teilte  ihm  dieser  Tathägata  mit,  er  wolle  sich  ebenfalls  aus- 
löschen und  ins  Nirväna  gehen  und  deshalb  ihm  den  Dharma  (das  leuchtende 
Weltgesetz)  anvertrauen,  mitsamt  dem  Werk  der  Hinauflführung  der  Wesen 
aller  Welten  zur  liöchsten  Weisheit.  Auch  erteilte  er  ihm  den  folgenden 
Auftrag : 

»Die  Saiira's,  welche  nach  meinem  Übergang  in 
ilen  Zust.Tnd  der  Auslöscliiing  da  sind,  übertrage  icli 
dii'  und  verhaue  ich  dir  an.  .Sorge  dafür,  daß  sie 
überall  hinkommen,  und  daLi  ihnen  weit  und  breit 
üpfergaben  und  Opferspeisen  vorgesetzt  werden,  und 
errichte  Tausende  von  Thüpas  für  sie.« 


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'    Kkrn:   NaksatraräjasamkusumitSbbijna. 

''    Eine  wörtliche  Tibersptzunn   des    Textes  befindet  sich   in    »Le  Code  du  Mahäyäna  en 
('liiiie«   ;inf  S.  221  IT. 


Dir  Pdyoili'ii   in   China.  'iD 

Daraufging  er  im  »späteren  Teil  des  Abends«  (^^:53^)  ins  Nirväna. 
Der  Bodliisattva  errichtete  einen  Scheiterhaufen,  setzte  den  Tathägata  in 
Brand,  scharrte  die  Sarira's  aus  der  Asche  hervor,  legte  sie  in  84000  Urnen 
und  baute  dafür  84000  Thüpas,  die  so  hoch  wie  die  drei  Welten  ( jth^, 
(las  Trailokya)  waren,  Säulen  (t^iJ  Caitya)  und  kostbare  Glöckchen  trugen. 
Dann  opferte  er  sich  fiir  die  Reliquien  auf,  indem  er  vor  den  84000  Thüpas 
seine  hundertfach  Segnungen  spendenden  Arme  (Strahlen)  anzündete: 
72000  Jahre  lang  wiederholte  er  (täglich)  diese  Tat  der  Selbstaufopferung, 
mit  dem  Erfolg,  daß  zahllose  Scharen  von  Wesen  die  allerhöchste  Weis- 
heit (anuttarasamyaksambodhi)  erwarben.  Infolge  seiner  Weisheit  und  Intelli- 
genz (^^)  kamen  ilim  die  Arme  immer  und  immer  wieder  spontan 
zurück,  so  daß  es  in  den  zahllosen  Welten  (Tagen)  Blumen  regnete  und 
alle  Wesen  mit  bisher  ungeahnten  Reichtümern  gesegnet  wurden.  Zum 
Schluß  der  Predigt  versichert  Säkya  den  Königen  der  Mondhäuser,  daß 
dieser  Bodhi.sattva,  »den  alle  Wesen  mit  Wonne  anschauen«,  niemand  anders 
ist  als  der  Arznei-König  (die  Sonne),  der  unendliche  Male  (Tage)  in  der 
beschriebenen  Weise  sich  für  das  Heil  anderer  aufopferte. 

Es  liegt  klar  auf  der  Hand,  daß  dieses  esoterische  Lehrstück  nichts 
anderes  enthält  als  eine  verblümte  Schilderung  des  täglichen  Kreislaufs  der 
Sonne.    In  der  Tat  ist  in  ihr  zu  lesen  wie  folgt: 

Buddha,  als  das  Licht  der  Welt,  enthüllt  den  28  Hauptgestiriien,  also 
dem  ganzen  bestirnten  Himmelsgewölbe,  wie  das  leuchtende  Weltgesetz 
täglich  der  Sonne  die  Lehre  seiner  Lotusblume  predigt,  das  heißt,  sein 
Licht  oder  seinen  (Jeist  auf  die  Sonne  einwirken  läßt  und  so  diese  veranlaßt, 
ihren  täglichen  Kreislauf  zu  vollbringen.  Dadurch  ist  die  Sonne  gezwungen, 
»idi  selbst  brennend  aufzuopfern,  und  zwar  für  das  Weltgesetz,  das  ohne 
das  Sonnenfeuer  gar  nicht  leuchten  und  wirken  könnte.  Nachdem  ilire 
Glut  sich  im  Westen  gelöscht,  wird  die  Sonne  im  Gebiet  des  Weltgesetzes 
wiedergeboren  und  erhält  von  diesem  den  Auftrag,  von  neuem  zu  scheinen, 
das  heißt,  zur  Seligmachung  der  Wesen  den  Dharma  zu  predigen.  Durch 
den  Untergang  der  Sonne  hüllt  «ich  auch  das  Weltgesetz  in  Dunkel,  tritt 
also  ins  Nirvjlna  und  läßt  dann  seine  Sarira's,  seinen  Geist  und  seine  Kraft, 
jeden  Morgen  erneut  von  den  Strahlen  der  Sonne  beleuchten,  sich  dadurch 
neu  beleben  und  somit  von  den  84000  Weltthüpas  aus  zur  Seligmachung 
der  Wesen  in  Bewegung  setzen.  Zehntausende  von  Jahren  lang  hat  also 
die  Sonne  zur  Erfüllung  dieser  täglichen  Pflicht  ihre  Arme  oder  Strahlen 

8- 


60  I)  E    G  R  O  O  T  : 

aufgeopfert,  und  immer  wieder  sind  sie  ihr  von  neuem  spontan  gewachsen 
durch  die  Kraft  ihrer  Weisheit  und  ihres  Geistes,  zur  fortwährenden  Be- 
reiclierung  der  Welt  mit  Blumen   und  Schätzen. 

Hier  finden  also  durch  die  Heilige  Schrift  die  auf  S.  29  und  30 
aufgestellten  Sätze  2, '3,  5  und  6  ihre  Bestätigung.  Klar  läßt  sich  jetzt 
einsehen,  daß  die  Thüpas  Darstellungen  d(!S  Weltalls  sind,  des  Welt-thiipa, 
in  dem  das  Weltgesetz,  der  Dharma,  wohnt;  sie  sind  mithin  Heiligtümer 
des  LoSana,  des  To-pao,  des  Tathägata  der  Segnungen  des  Lichts  von  Sonne 
und  Mond,  des  Adibuddha  oder  wie  sonst  noch  der  Dharma,  der  Allgeist  des 
Kosmos,  in  der  Sj^rache  der  Esoteriker  heißen  mag.  Weil  Weltgesetz  und 
Weltlicht  eine  einzige  höchste  Macht  darstellen  (Satz  5,  S.  30),  so  ist  der 
Thüpa  ein  Heiligtum  der  Buddhas,  im  engeren  Sinne  ein  Heiligtum  des 
Säkyamuni.  Er  ist  das  heiligste  Heiligtum  einer  der  höchstentwickeltsten 
Naturreligionen,  welche  die  Menschheit  sich  geschaffen  hat,  und  rückt  den 
universistischen  Charakter  dieses  Mahäyäna-Buddhismus  ins  hellste  Licht. 

Die  Heiligkeit  der  Thüpas  hat  noch  ein  besonderes  Gepräge  vom  Welt- 
gesetz  selbst  erhalten,  und  es  ist  das  so  überaus  heilige  Lotus-Sutra,  das 
es  uns  lehrt.  Wir  haben  nämlich  schon  darin  gelesen  (s.  S.  52  f.),  daß 
dieser  höchste  Tathägata  dem  Sangha  der  bhiksu's  befahl,  große  Thüpa-s 
zu  bauen,  und  zwar  um  zu  bewirken,  daß  er  selbst  nach  jeder  nächtlichen 
Versenkung  ins  Nirväna  wieder  daraus  auferstehe,  um  das  Predigen  oder 
Leuchten,  das  alle  Wesen  dem  Heil  zuführt,  zu  stützen  und  zu  er- 
starken. Es  erklärt  also  das  Weltgesetz  selbst  durch  diesen  Befehl,  daß 
die  Thüpas  deshalb  da  sind,  die  erlösenden  Umdrehungen  des  Rads 
des  Dharma  zu  fördern  —  was  wieder  nichts  anderes  sagen  will,  als  daß 
sie  die  ihnen  innewohnende  leuchtende  Kraft  des  Weltalls,  die  durch 
dessen  Umdrehungen  hervorgebracht  wird,  über  die  Wesen  entsenden. 
Pünktlich  hat  der  Sangha  diesen  allerhöchsten  Auftrag  ausgeführt.  Wie 
die  chinesische  Literatur  nachweist,  war  die  mahäyänistische  Welt  immer 
sehr  reich  an  Thüpas,  und  sie  ist  es  bis  zum  heutigen  Tage  geblieben. 
Auch  der  Vorschrift,  daß  sie  groß  sein  sollen,  hat  der  Sangha,  wie  diese 
Abhandlung  nachgewiesen  hat,  Gehorsam  geleistet;  Borobudur,  Porzellan- 
turm usw.  sind  Hauptboweise  datiir. 

Hoch,  sehr  hoch  ragt  die  esoterische  Lehre,  daß  Sarira's  Licht  und 
Geist  des  Weltgesetzes  sind,  über  die  ordinäre  Auffassung  hinaus,  daß  sie 
Überreste    des    verbrannten    leiblichen   Heilspropheten   seien.     Es    ist   dann 


Dir  Payodeii  in   Cliiiia.  (J'l 

auch  nicht  besonders  verwunderlich,  daß  das  Lotus-Sütra  (lo.  Abs.)  lehrt, 
dieser  selbst  habe  erklärt,  es  sei  gar  nicht  nötig,  seine  Sariras  in  den 
Leuchttürmen  des  Dharma  beizusetzen.  Er  sprach  nämlich  zu  dem  Arznei- 
König,  der  Sonne,  folgendes: 

-*l^    iM    sL    .    -fcr  Ä    jgg    ^fri  »Allüberall  wo  man  (die  Lehre)  predigt  oder  laut 

^iS     S     KK    4-Tt        ^  IS=    Alä.    -fr  ''ßs'>   murmelt   oder  schreibt,   oder   wo  Sütras   oder 

W    Xi    ^    Vi     j.  M    ^    -ffi  iiire  Kapitel  sich  befinden,  da  soll  man  Thüpas  der 

v^    Ift    l>^     hP    t+f  ^^    ^^    ^^  sieben   Kostbarkeiten   errichten,    sie   möglichst  hoch 

^    hit    ^^    ^§*  ^jB    /i:    ^  '"^'^   breit  .machen    und   prächtig   ausstatten.     Es  ist 

^H    -^    d[i-        '*    ti  °    It,    ifc  unnötig,  auch  noch  Sarira's  darin  niederzulegen,  und 

.    "'S    'l'     ^g    ^  ^^    fei    ^  weshalb    das;'     Es    befindet   sich   darin   doch   schon 

—    ^^    *K    J&    Äff.  ^g    jj^    BJL  das   ganze  Wesen   des  Tathägata.     Man   muß  daher 

^^    /4j-    -j^        ■*      .^  ^     ±fc  diesen  Thüpas  Speiseopfer  und  Verehrung  darbringen, 

in:    ^    ■^    ;^    ^  '^i    1^    :^  und   zwar   mit  allen   möglichen  Blumen   und  Weih- 

-^    "Bf    S    :^    3t!  ^^    ifä    ^  ,  rauch,   mit  Edelsteinen,   brodierten  Sonnenschirmen. 

^     yj.iL.    ^B    ■'"'i    jä'  ^      L-    ^^  Panieren  und  Fahnen,  mit  Kunstfertigko.it  und  Musik, 

VE     ^     ujL    jh^        o  ^      ,-y,    =:jr  Gesang    und    Lobpreisung;    und    man    soll    sie    mit 

^aH        o    tS     itP  i            ''^  Ehrfurcht   und  Achtung  rühmen   und  verherrlichen. 

B>.    -fcj-    '^    it»-  j-j-    J^    J^  Wenn  es  Menschen  gibt,  die  beim  Anschauen  dieser 

^j^    ^*^    /+■       "  ,         /^    jÄ;  Thüpas    sich    feierlich    davor    verneigen    und    ihnen 

w     "^             {{g  );iA    1^        ,  Speiseopfer  darbieten,  dann  wisse,  daß  diese  Wesen 

W    ^    ^\    i^  ^©^     m'    ^n  ^"®  '^^'^  anuttarasamyaksambodhi  (allerhöchste Weis- 
heit) nahestehen." 

Auf  Grund  dieser  heiligen  Vorschrift  dürfen  wir  wohl  annehmen,  daß 
in  vielen  Thüpas,  aucl»  sogar  großen  und  schönen,  gar  keine  Sarira's  vor- 
handen sind  und  nie  darin  gewesen  sind.  In  chinesischen  Schriften  wird 
dann  auch  bei  der  Besprechung  vieler  namhaften  Thüpas  über  Sarira's  gar 
nichts  gesagt.  Entbehrlich  werden  die  Sarira's  auch  gemacht  durch  das 
heilige  auf  S.  52  zitierte  und  auf  S.  56  besprochene  Lehrstück,  daß  das 
WeltgeSetz  sich  durch  Eidschwur  gebunden  hat,  jeden  Morgen  mit  seinem 
ganzen  Weltall  aus  dem  Nirväna  zum  Vorschein  zu  quellen,  um  das  au 
den  Thüpas  verrichtete  Werk  des  Sangha,  die  Verkündung  der  Heils- 
lehre der  Dharmablume,  lobpreisend  zu  beseelen. 

Wie  wir  soeben  gesellen,  hat  Buddha  auch  nachdrücklich  vorge- 
schrieben, daß  Thüpas  der  sieben  Kostbarkeiten,  also  von  höchster  Schön- 
heit und  Pracht,  überall  erbaut  werden  müstsen,  wo  der  Sangha  lebt  und 
wirkt.  Dem  Buchstaben  nach  soll  also  jedes  Kloster  seinen  Thüpa  haben, 
wenn  nicht  einen  großen,  so  doch  einen  kleinen  (vgl.  S.  80).  Zugleich 
hat  Buddha  erklärt,  daß  diejenigen,  die  den  Thüpas  Opfer  darbringen, 
der  hohen  Weisheit  des  Buddhatums  nahestehen.     Folglich  sind  die  Thüpas 


(52  I)  V-   G  R  o  (>  T  : 

für  die  Klostergeistlichkeit,  die  die  Bodhisattva-weilie  empfangen  liat,  nicht 
bloß  Gegenstände  aus  Stein  und  Holz,  sondern  lebende  heilige  Wesen, 
denen  g(0])fert  und  A^erehrung. dargebracht  wird,  als  wären  sie  der  Dharma 
und  die  Buddhas  selbst,  deren  leuchtender  Geist  ihnen  innewohnt.  Aber- 
mals also  treten  uns  die  Thü|)as  entgegen  als  die  allerheiligsten  Heilig- 
tümer, welche  der  Buddhismus  kennt,  und  es  ist  leicht  einzusehen,  daß 
er  in  seinen  hohen  transzendentalen  Gedankensphären  sicli  unmöglich  noch 
heiligere  hätte  ersinnen  können.  _ 

Wohlbegreiflich  senden  die  Thüpas  haujitsächlich  dann  das  Licht  der 
Welt  aus,  wenn  es  die  Welt  beleuchtet,  also  bei  Tage.  Folglich  ist  es  für 
menschliche  Augen  in  der  Regel  unsichtbar.  Selbst  als  der  große  Kaiser 
der  Lian(/-l}ynastie  persönlich  durch  Sütralesung  das  Licht  des  Dharma 
strahlen  ließ,  war  das  Leuchten  der  zwei  dabeistehenden  Thüpas  erst 
nach  Sonnenuntergang  zu  sehen  (s.  S.  25).  Aus  dem  Munde  von  Kloster- 
brüdern habe  ich  vernommen,  daß  das  Thüpalicht  sich  höchstens  einmal 
jährlich,  mitunter  nur  einmal  in  mehreren  Jahren,  sehen  läßt,  und  zwar 
ausschließlich  nachts  bei  regnerischem  Wetter,  in  blauweißer  Färbimg  oben 
an  der  Spitze.  Vielleicht  ist  es  wohl  auf  Grund  solcher  Elmsfeuererschei- 
nungen, daß  daselbst  häufig  eine  «Lichtperle«  (vgl.  S.  40  und  41)  ange- 
bracht ist.  Auch  zeigt  sich  das  Leuchten  wohl  durch  eine  farbige  Wolke, 
die  über  dem  Thüpa  schwebt,  sogar  durch  eine  fünffarbige,  die  also  die 
Farben  des  ganzen  Weltalls  in   sich   vereint  (vgl.  S.  21). 

Natürlich  erzählen  chinesische  Bücher  viel  Wimderbares  über  leuchtende 
riiupas.  Unter  dunkler  Schneeluft  verbreitete  sich  einmal  über  einem  Thüpa 
ein  heller  Glanz,  in  dem  ein  Regen  von  Blumen  herniederging.  Es  hat  sich 
auch  ereignet,  daß,  als  Sarira's  in  einem  Thüpa  beigesetzt  wurden,*  langan- 
haltender schwerer  Regenfall  plötzlich  ein  P^nde  nahm  und  einem  Liclitschein 
Platz  machte,  der  i  2  Monate  lang  mehr  als  50  Meilen  weit  um  den  Turm 
herum  sichtl)ar  blieb.  Bei  einer  anderen  Beisetzung  von  Reliquien  soll  der 
leuchtende  Buddha  selb.st  aus  dem  Nordwesten  gekommen  sein,  mit  einem 
ercjuickenden  Regen  im  Gefolge,  der  den  schmachtenden  Feldfrüchten  eine 
langersehnte  Labung  brachte.  Allgemein  Avird  angenommen,  daß,  wenn  ein 
Thupa  leuchtet,  zur  gleichen  Zeit  alle  seine  Glöckchen  ertönen,  und  es  folgt 
aus  diesem  Glauben,  daß  ihr  Klang  gleichfalls  dazu  dienlich  ist,  die  lieilsame 
Wirkiuig  des  Dharma  vom  Turme  aus  zu  verbreiten.  Es  ist  also  angebracht, 
diesen   eigentümlichen  Gegenständen  einige  Aufmerksamkeit   zu  schenken. 


IHf   Pagoden  in   China.  GH 

Das  Ausstatten  der  Thfipas  mit  Glöckchen  ist  ein  recht  alter  Brauch. 
Wie  auf  S.  15  mitgeteilt  wurde,  trug  im  6.  Jalirhundert  ein  großer  Thüpa 
bei  Lo'-jang  1  20  vergoldete  Glöckchen.  zum  Teil  an  den  Ketten  "der  (upfel- 
stange.  Nacli  dem  Reisel)ericht  des  ^^  Snng  Jiin,  der  518 — 522  in 
Indien    reiste,    hingen  Glöckchen    am    großen  Thupa  von   Gandhära:    denn 

wir  lesen  da:  fg  EI  ^ff  MÜ^^  M  WiJ  JiE)t  ^  M'J  W^^'^T^HI  Wenn 
die  aufgegangene  Sonne  zu  steigen  beginnt,  dann  glänzen  die  vergoldeten  Schüsseln  (des  Gipfels, 
s.  S.  15)  klar:  und  wenn  eine  sanfte  Brise  sicii  leise  erhebt,  dnnn  ertönen  die  (llöokchen 
melodisch.  Überdies  erwähnt  der  Pilger  noch  einen  viel  kleineren,  nmden 
Thüpa,  der  mit  Glöckchen  versehen  war,  Welche  unter  Umständen  ertönten, 
wenn  jemand  das  Gebäude  mit  dem  Finger  herrührte.  Das  Lotus-Siitra 
sagt,  daß  der  Weltthnpa  des  Dharma  mit  Milliarden  von  kostbaren  Glöck- 
chen behängt  ist  (s.  S.  51).  Daß  bis  in  die  Neuzeit  hinein  Thupas  (ilöck- 
chen  tragen,  zeigt  z.  B.  der  des  T im-iwig-Klosters  mit  seinen  3400  und 
mehr  größeren  und  kleineren  Glöckchen  (s.  S.  41),  sowie  auch  der  des  Ti^ing- 
Ä-/o'-Klosters  (S.  44 ff),  dessen  fünf  pyramidale  Thfipas  eins  tragen  an  der 
Ecke  jeder  Gliederung.  Der  Porzellanturni  Nankings  besaß,  nach  Milne, 
150  Stück,  wovon   72   an   den  acht  eisernen  Ketten   der  (Hpfelstange. 

Nur  bei  AVindstille  schweigen  die  Glöckchen,  denn  jeder  Klöppel  ist 
ein  horizontales  Kreuz,  an  dem  unten  ein  vertikales  Flügelchen  sitzt,  wo- 
durch das  Kreuz  vom  geringsten  Windstoß  in  Bewegung  gebracht  wird 
luid  anstößt.  Fast  unaufhörlich  entsendet  also  der  Tluipa  zugleich  mit 
dem  Licht  des  Dharma  auch  dessen  melodische  Stimme,  wie  sie  im  Kloster 
aus  dem  Munde  der  .fast  den  ganzen  Tag  Sntras  lesenden  Geistliclikcit 
klingt.  Licht  und  Glöckchenklang  des  Thiipa  wirken  somit  gleich  heil- 
sam und  seligmachend  und  vertreiben  die  Dämonen  des  Dunkels 'mit  allen 
ihren  Übeln,  von  denen  religiöse  Unwissenlieit  tind  daraus  geb<)rene  Ketze- 
rei  die  schlimmsten   sind. 

Eine  ähnliche  Wirkung  übt  auch  das  Läuten  der  wohl  bis  zu  einem 
Meter  hohen  Klosterglocko.  die  im  Vorhof  des  llaupttenipels  in  einem  vier- 
eckigen, zweistöckigen  Jffij'^  »Glockenturm"  unter  dem  doppelten  Dach 
aufgehängt  ist,  um  mit  einem  iiorizontal  au  Seilen  daneben  schwingenden 
Holzstück  angeschlagen  zu  wenlen.  Sie  ruft  die  Klosterbrüder  den  ganzen 
Tag  über  zu  ihren  Arbeiten  auf,  reguliert  somit  ihr  ganzes  religiöses  Werk 
und  ist  daher  das  Werkzeug,  von  dem  die  Seligmachung  aller  Wesen  au.s- 
geht:    überall,    wo    ihr  Klang  sich    verneliineii    läßt,    vertreibt   sie   also   die 


()4  DE    (troot: 

Mära's  und  erweckt  alles  zur  erlösenden  Weisheit.  Ilir  Schall  erschüttert 
deshalb  auch  die  Höllen,  sprengt  ihre  Pforten  und  lindert  die  Folterqualen 
der  Verdammten.  Daher  kommt  es  vor,  daß  die  Klosterbrüder  mittels 
eines  durch  den  Bach  bewegten  Wasserrads  eine  besondere  Glocke  Tag 
und  Nacht  bimmeln  lassen  und  so  vielleicht  schon  seit  Jahrhunderten 
zahllose  Wesen  erlösen  und  sellgmacheii  —  genau  so,  wie  es  automatisch 
durch   die  vom  Winde  geläuteten  Thupa-Glöckchen  geschieht. 

Der  Glaube  an  diese  Zauberkraft  der  Klosterglocken  wurzelt  in  kirch- 
lichen Überlieferungen,  die  Jahrhunderte  alt  sind.  Das  seit  der  T'ang- 
Zeit  allgemein  gültige  Reglement  für  das  Klosterleben,  die  ^  ^^1l^ 
iWiS  Po'-Unmj  tsung-lin  ts'ing-laon,  »Reinheitsverordnungen  aus  dem 
Dickicht  des  Po'-Uang  (Berges)«,  oder  kurzweg  Po'-tmng  ts'ing-kwn,  »Rein- 
heitsverordnungen vom  Po'-tmng« ',  gibt  im  9.  Kap.  zwei  solcher  Über- 
lieferungen im   folgenden  Wortlaut  wieder: 

ga     ^     ^     (^      PI      fät      ^■-  Ehemals   lieh   Fürst  Tki^   dem   (Kaiser)   Wu  der 

^     ^        ,vf.  -«     _^_^.     -  .       7-/!a7?j/-Dynastie  (s.  S.  22  ff.)  das  Auge  des  Wegs  (zur 

■     ^     St     i^     p^      ö      W^     Seligiieitl.    und  dieser  bekam  dadurch   ein  Bild  der 

4^     — ■     ^      gp  "•     j^      'Xi      HöUenfolterqualen   zu   sehen.     Auf  seine  Frage,   ob 

F5     ßof     ift      "^      [^         °     -f^      denselben  ein  Ende  bfreitet  werden  könnte,  sprach 

'^  y^  =fc/v  ~T^  *Ä  HH  >=i  '/'««':  -Jawohl,  wird  daselbst  Glockenklang  vernom 
'i^     'SC'      TS?-        P      ifS      l"J      "Ml 


^  ^  ^  M^"^  ^ 


^  o 


men.   dann  hören  diese  Folterungen  zeitweilig  auf.' 
Hierauf  erließ  der  Kaiser  den  Befehl,   man   solle  in 


-t-f.  _^       ^  [»^  -M_  liA  ;^  <len   Klöstern   des  ganzen   Reichs    beim  Anschlagen 

Ö           ■»  "^  ''  -'^  iL  „„  der   Glocke   den   Klang    dehnen   und   verlangsamen. 

JuE  ^  0^  '''Ij  fS*  _i^  ^  Wenn  geläutet  wird,  dann  fügen  diejenigen,  die  beim 

J^  -tr  x^  ^  "Ptf  ,  H  Lesen  von  Siltras  sind,   eine  Agama-sntra  dieses  In 

H  -fj  Jiin  ^_^  ^JT^  i...w„   u: w: „:„' „„o„Ki„„„.,    ,.,:-,!     .^-ß   J„„, 

^  ^  f  i  %  4  ^^  i-tli 


lalts  hinzu:    »Wenn  sie  geschlagen  wird,  daß  dann 
den    Folterqualen    aller    schaudervollen   Wege    (der 


•  In  diesem  acht  Kapitel  enthaltenden  Werk  sind  die  religiösen  Aufgaben  und  Pflichten 
des  Mönchtums  und  die  Organisation  der  Klöster  im  vollen  Umfang  beschrieben  und  fest- 
gelegt. Der  Überlieferung  zufolge  wurde  es  in  der  7"a«^-Zeit  von  einem  ina  Stamme  ^ 
Warig  im  Kreise  -^  ä^  Ts'ang-lo  in  Fu-kim  geborenen  Mönch  'fe'/§  lluai-hai  abgefaßt, 
und  zwar  im  dhyäna-Kloster  ^^^^    Sou-sing  auf  dem  Berge  Po-tsang,    .Hundert  Klafter-. 

beim  jetzigen  ^a  q  Nan-ls'ang,  südlich  vom  Po-jnvg-See.  Seit  vielen  Jahrhunderten  ist 
dieses  Werk  allgemein  von  den  Klöstern  als  Gesetzbuch  anerkannt  und  mit  Glossen  und 
zahlreichen  Ergänzungen  bereichert  worden,  so'tfaß  es  eine  nicht  hoch  genug  zu  schätzende. 
einzig  dastehende  (Quelle  ist  für  Kenntnis  des  Mönchlebens  und  des  Klosterrituals. 

'     m  W  E^    Sanglia  Pao-tsi,   ein   wunderbarer  buddhistischer  Heiliger,  von  dem  das 

\M  W_  .Nan-.si,  -die  (ieschirlite  des  Südens»,  in  Kap.  76  S.  13  f.  recht  eigenartige  Dinge 
zu  erzählen   weiß. 


Die   Payodcn  in   China.  (55 

3?.     üt  ^  -fä  3fr  $m  [f-  Existenzwandlungen)      insgesamt      Einhalt      geboten 

o     --_-  j^-.  p.  ...  ^tgL  o     werden  möchte!«    Beim  Hören  der  Glocke  soll  man 

yC  l<i>.%  |/J>  Itp  Isp  ~j^  ein   Zauberwort  Buddhas   aussprechen,   zur  Tilgung 

S  i/J  31  5ü  ^R  1^  *^^'"  '"^  ^®"  Existenzen  (der  Wesen)  während  500  Mil- 
lionen kaipa  begangenen  schweren  Sünden. 

^      C3  -+r|  i^g  pti  "^.  Ifg  Sangha  Tii-A/ny,  ein  Geistlicher  der  ^wj-Zeit,  wohnte 

•Ki          "*  AA-.  _L  *  :/5-  IG*  im  großen  Kloster  der  Pracht  und  Herrlichkeit  (im  oder 

^!^  ^^  ^S  beim  jetzigen  Nanking)  und  bekleidete  das  Amt  eines 

flfl.     ^  JRJ  '^  rfl;  yL  ^  Glockenhauptnianns.    Im   fünften  Jahre  der  Periode 

•Air      ?S  ,^iÄ  ^i  es  fj^  -t^  ^'Q':/«'  (<J09)  starb  dem  auch  dort  wohnhaften  Mönche 

"•'      '"^^  PI  ^^  ^*  :;^  ]g  San-kw)  ein  Bruder  unterwegs  im  Gefolge  des  Kaisers 

rh     rSt  ■•  :^  ^  'jw.  j^  und    sagte   zu   seiner  Frau    im  Traum:    »Ich   bin   in 

Sfc      Ijfj  HB  ^H  P&  '^  •'^  P'eng-U'iny   erkrankt   und  gestorben   und  versank  in 

^     ^t  ^-          '  ^*^  T-*"  '*^-  '"*'  ^^°^'^-  wurde  aber  durch  das  Läuten  der  Glocke 

^»     ,  ^  ^"  Ä  *Si          '  ^  im  Kloster  der  Pracht  und  Hunjichkeit.  das  die  Hölle 

fü      ^^  W  ^  ^^  ^  erschütterte,  befreit  und  erlöst.     Ich  will  diese  Wohl- 

•  ■I      3^  ^  itr.  ICS  ^S  ■•  tat  vergelten;   bringe  also  zehn  Stücke  Seide  dahin. 

^^     YP  O  .  I  Töf  *«.  Die  Frau  tat  es,  und  Tsi-hina  verteilte  die  Seide  unter 

.u,      brv  |oj  iij,  xUj  ^  gl-  '' 

*'■'■'     ÄÄ  ^  ^  ju  >>'  '"^  Brüderschaft.    Als  diese  ihn  fragte,  wie  das  An- 

i^     ^IT  -  rfn  3nA  ^  ^'  schlagen  der  Glocke  so  <!tvvas  hätte  bewirken  können, 

^b       1-1  >@.  ^'r»  3^  ^^-  sprach  er:    -Wenn   ich  die  Glocke  schlage,    so  sage 

j»      113  ^r  l"J  ^  ^  tjS  ich  zuerst:  ,Mögen  die  Heiligen  und  Weisen  mit  uns 

-^         ^  '  4rn  "(^          ■«  o  den  Platz  der  religiösen  Verrichtungen  betreten':  dann 

f^     IS  ^v  /.A-  |M  ar  -J^  schlage  ich  dreimal  an  und  dann  einmal  gedehnt  und 

1^     ^'  ^  /  [\.  'Xi  ^  spreche   dazu   noch   dieses   Gebet   aus:    ,Mögen   alle 

Gfr     ;IS  '^^  ^^  ^^  ^^  Wesen,    die    sich    in  den  schaudervoUen  Seelenwan- 

■Q      ■  I1  "T"  W  ^4*  ■'^  "^  derungszuständen     befinden,     in.sgesamt    durch    da.s 

M  ^^  ^  Hören    des  Halls   meiner   Glocke  Folterqualen    ent- 

IgA      hc.  Ä  1=1^  tP  3^  1=1  zogen    werden  !•      Sogar    beim    schweren    Fi-ost    des 

tf     ^l  :M       "^^  ^  AI  /f-  strengsten  Winters,  wenn  mir  die  Haut  springt,  Ben- 

o     rfu  -I. .  (gj  Hg  •'t'  tt  len   sich   bilden   auf  meinem   Fleisch   und   das   Blut 

Jf/  ■,  JLJ  »  ^  fpi  mir  in  den   Handflächen  gefriert,  macht  nichts  mich 

j'Ä.  '^  t-'^  pT  -yjj  zz:  auf  das  Werk    verzichten,    und   daher  mag  es   wohl 

'ti'  rU  Ü  3{£  fs-t  |tt  konmien,  daß  die  Unterwelt  sich   bewegen   läßt  zur 


Erfüllung  meiner  Gebete  und  Wünsche.« 
Sogar  .den  großen   indischen  König  Kaniska  n)ußte  eine  Klo.sterglocke 
;ius    der   Höllenfolter    befreien.      Das    Fa-jtiau    tSu-lin    (s.  S.  7)    erzählt    in 
Kap.  99  (Bl.  14): 

rC.     jf^      -jf      Vlv-      ^      ^      ndb  Es    war   damals    ein    König  Ka-ni-tsa,   habgierig, 

liä     _L      frti  '      '^-      uM       :;fe'      g''''*i'sam    und    ungerecht,   der   vielfach  in  den   Krieg 


^,  ,  zog   und   das   Volk   mit  Frohnarbeit  belastete,    ohne 

^  '^  Ül^  ^  M  P^  t^  sichjegcsättigt  zu  fühlen...  Er  wurde  dann  (wieder-) 
/jui  F^l  tp  A  iii  yt,^  -P  geboren  in  einem  großen  Meer.  Dort  wurde  ein 
'"•*         o    ^^     ^^      \M      Ä  ■•     Uiusendköpfiger  Fisch  gemacht,  dessen  aus  Schwertern 

zusammengesetztes  Rad   wirbelnd    auf  ihn  cinsclilug 


ifc'A 


°  o      ta       "^      ^ 

<t    i  -^  u.  m  ^ 


I'/ii/.-/i:s/.  .\l,l,.  /!>]!!.    Nr.  lt.  !» 


(',(',  I)  K     (i  KOOT  : 

ifc/-  J^T  G?  Pll  'jSi  M-  \a\  '""'   ''""  '^^"  Kopf  abschnitt:  diiraiir  wuchs  ihm  der 

-i  ^  ^  ifefc  >^  Kopf    wieder    nach,    und    dieser   wurde    ihm    dann 

ryC  '^  'li  I58  ^  '^  /i  abermals  abgeschlagen,  und  so  ging  es  abwechsehid 

^  OM  u^  "^  fffi'  7^  ,ijr  weiter    bis  ins  Unendliche,  so  daß    in    einer  kurzen 

7l>n  +•-'  ih  Ä«:  :iX  !  ^I><in"e  Zeit  das  große  Meer  von  seinen  Köpfen  an- 

.  j-  Hit  ^  >  ^^  ^*^  'Süt  gefüllt  war.     Damals  gab  es  einen  Arhan,  der  wti-na 

''•^,  H  P.^  Jr^  ^f^  ^  Ä  (Zeremonienmeister)  der  Geistlichkeit  war,   und  der 

e  p  i^  -y-  in  ffi"  "&  König  benachrichtigte  ihn  wie  folgt:  -Heute  hört« 
-  s&  iiU:  ^  ^  -.  dieses  Schwertrad  das  Geläute  der  ghaiita  (Glocke), 
77  yc  1  »^  PP  X>|]  ^^  ^  und  sofort  kam  es  während  einiger  Zeit  zum  'Stul- 
ln ^  &  f^  y  fh  ^^  stand,  so  daß  unterdessen  meine  Marterqualen  eine 
>l#  fÜ  ^  ^  W  x'  Weile  aufhörten.  O  Allertugendhaftester  (bhagavat), 
J  m  -M  iY  ."*  „TT  25J.  liabe  Mitleid  und  erbarme  dich  meiner!  wenn  immer 
3^  "^  ^  ^'J^  ^  IpJ  /fc  du  die  ghania  anschlägst,  dann  dehne  das  Geläute 
^  Ifn  o  itb  ßM  *  über  einen  langen  Zeitraum  aus  !■    Mitleidig  gedachte 


0     ^    M    P#    f  m    ^ 


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-4»-      .u       ¥<^     >©>     ^ll     Vi'la      ^      ''®''  ^'''i^t  seiner  und  schlug  die  ghanta  lange,  und 

nach    sieben    Tagen    hörte    die   Folterung,    der    der 

König  unterlag,  auf.     Die  Vorsteher  dieses  Klostere 

,_         ,,      .    .  machten    dann    einander    der  Keihe    nach   mit  dem 

iik.     fM     ^     -^     ^M     n^     ^      Anlaß  bekannt,  den  dieser  König  dazu  gegeben  hatte, 

|/y  ,     y\.      ,„        T"  ^     yjjj  somit   findet   das   langanhaltende   Schlagen   der 

ghaiila  noch  immer  heutzutage  ebenso  statt  wiedamal.s 
im  Anbeginn. 


^"  löi  ^^  fi  S  W  in 


Sind  herzinnigliclie  Gebete  und  Wünsche  des  Glockenläuters  für  die 
erlösende  Wirkung  der  Glocke  von  so  hoher  Bedeutung,  dann  liegt  es  auch 
vor  der  Hand,  daß  das  Po'-tsany  ts'ing  kxcd  sie  durch  Vorschriften  reguliert. 
Es  bestimmt  im  9.  Kap.,  daß  dieser,  noch  ehe  er  zu  läuten  anfangt,  mit 
leiser  Stimme  sagen  soll:  Ultb^i^M'ä  ^,  ^Sl^Hn  ^^  f^^  J^S 
'MW  iSIlIM  — ^  Kf^*R^^iE^  '^'"Se  der  Hall  dieser  Glocke  das  Reich  des 
Dharma  durcheilen;  mögen  im  Dunkel  der  eisernen  Umkreisung  (der  Höllen)  alle  ihn  ver- 
nehmen, somit  vom  Staub  gereinigt  werden  und  von  voUkommner  Weisheit  (bodhi)  Zeugnis 
geben ;  mögen  alle  möglichen  lebenden  Wesen  wirklich  zur  wahren  Weisheit  Erwachte  werden ! 
Während  dann  seine  Schläge  weiter  ertönen,  muß  er  eineReihe  von  Wünschen 
aussprechen,  und  zwar  zu  allererst  für  die  Erlösung  des  Kaisers,  der  Staats- 
dienerschaft und  der  sämtlichen  Wesen  aus  den  f^[p]  «Umdrehungen  des 
Rads«  der  Existenzen  und  aus  dem  ^'/^  »Meer  der  Folierungen«  ;  weiter 
für  das  Ausbleiben  von  Hungersnot  und  Krieg  und  für  die  Wiedergeburt 
der  Gefallenen  im  Paradies  des  Westens:  dann  noch  für  die  Vögel  und 
Vierfüßler,  daß  Netze  und  Schlingen  sie  nicht  fangen;  für  die  Heimkehr 
von  Wanderern  und  Verwaisten:  für  das  Wohlergehen  der  Geistlichkeit 
und  die  Blüte  der  Kirche;   für  die   Beschützimg  des  Sangha  und   Dharma 


Dir   Puyodeii  in   Chiiui.  H7 

durch  die  Drachen  und  Gottheiten  der  Gegend;  für  Eltern  und  Lelirer, 
Vorahnen  aller  Gesclilechter  usw.  Soll  dann  noch  weiter  geläutet  werden, 
dann  muß  der  Läuter  die  vornehmsten  'Buddlias  und  Bodhisattvas  je  mit 
einem  Namo  begrüßen,  und  zwar  in  dieser  Reihenfolge:  Vairocana,  Losana, 
srikyamuni,  Maitreya,  Amitäbha,  Manjusri,  Samantabhadra,  Ksitigarbha'  und 
Avalokitesvara. 

Natürlich  ist  es  auch  sittliche  Obliegenheit  jedes  Klosterbruders,  der 
die  Glocke  hört,  ähnliche  erlösende,  selig-  und  glücklichmachende  Wünsche 
auszusprechen.  Daß  es  ganz  besonders  verdienstlich  ist,  einem  Kloster  eine 
Glocke  zu  schenken,  versteht  sich  wohl  von  selbst.  Der  Gießer  sorgt  dafür, 
daß  der  Name  des  Schenkers  in  Relief  auf  der  Glocke  steht,  damit  der 
Klang  auch  seinen  Namen  in  die  (Jhren  der  zu  erlösenden  Wesen  trage, 
und  diese  dadurch  wissen  sollen,   wem  sie  Dank  und  Vergeltung  schulden. 

Die  Rolle  der  Klosterglocke  im  großen  Werk  der  Erlösung  und  Selig- 
machung  der  Wesen  ist  gewiß  nicht  verschieden  von  der  der  zahlreichen 
Glöckchen  des  Thüpa,  da  dieser  ebenso  wie  das  ganze  Kloster,  zu  dem  er 
geiiört,  keinen  anderen  Zweck  verfolgt  als  die  Hinauffühnmg  der  Wesen 
zur  Weisheit  und  Heiligkeit  des  Buddhatums.  Daß  die  Brüderschaft  bei 
der  Arbeit,  die  sie  dazu  leistet,  die  Windkraft  nützlich  zu  verwenden  versteht, 
beweist  nm-,  daß  ihre  Erfindungsgabe  nicht  der  der  tibetischen  Geistlich- 
keit mit  ihren  Gebetmühlen  und  Gebetflaggen  nachsteht. 


Viertes  Kapitel. 
Förderung-  der  seli^inachenden  Wirkung  der  Thüpas. 

Erlösung  und  Seligmachung  der  Wesen  ist  die  höchste  Aufgabe  des 
Sangha,  und  Leuchttürme  des  Weltgesetzes  sind  zur  Erfüllung  dieser  Auf- 
gabe das  Hauptwerkzeug.  Deshalb  ist  es  auch  Pflicht  und  Schuldigkeit 
jeder  Klosterbrüderschaft,  die  leuchtende  Wirkung  ihres  Thüpas  möglichst 
zu  erhöhen   und  zu   ffinlern. 

Dazu  dient  in  allererster  Stelle  das  Anzünden  der  eigens  zu  diesem 
Zwecke  daran  aufgehängten  Lampen.  Wir  haben  gesehen  (S.  40),  daß 
die  Zahl  der  I.Ämpen   am  Thiipa   des   T' im-ning-K\osttvs  360  betrug,  auf 


'     MbS^^'E'   **•"*■  VissKB,   »The   bodhisattva  Ti-tsang»;    -  Ostasiatische  Zeitschrift" 
1913.  S.  i79ff. 


fi8  1>  F.     (i  R  O  O  T  : 

drei  Gliedeningeii  verteilt,  so  daß  auf  jede  der  acht  Fassaden  45  kamen, 
und  daß  man  sie  am  8.  Tag  jedes  Monats  mit  Öl  zu  versehen  und  anzu- 
zünden pflegte.  Der  Porzellanturm  Nankings  soll  140  Larapen  getragen 
haben,  und  zwar  1 2  8  auf  den  neun  Stockwerken  nebst  i  2  aus  Glas  am  Erd- 
geschoß, welche  zusammen  in  einer  Nacht  65  Pfund  Öl  verbrauchten. 

Buddhistische  Klöster  sind  erbaut  und  werden  unterhalten  von  be- 
güterten Laien,  sogenannten  ^^  H-tSu,  »Herren,  die  (jaben  spenden«, 
dänapati.  Diese'  frommen  Gönner  sind  es  tatsächlich,  die  es  den  Kloster- 
brüdern ermöglichen,  ihre  hohe  Aufgabe  der  Seligmachung  aller  Wesen  zu 
erfüllen;  dadurch  erwerben  sie  sich  selbstverständlich  hohen  religiösen  Ver- 
dienst und  erwirken  ihre  eigene  Seligkeit.  Somit  macht  ein  dänapati  sich 
ganz  besonders  verdient,  wenn  er  auf  seine  Kosten  die  Brüder  seligmachen- 
des religiöses  Werk  verrichten  läßt,  und  dazu  gehört,  wie  gesagt,  das 
Illuminieren  des  Thüpas.  Bezahlt  er,  allein  oder  im  Verein  mit  anderen, 
das  Öl,  dann  besorgen  die  Mönche  schon  alles  übrige. 

Sobald  er  zum  frommen  Zweck  das  Klostertor  durchschreitet,  treten 
ihm  einige  Mönche  höflichst  entgegen  und  führen  ihn  in  die  für  den 
Empfang  von  Besuchern  bestimmte  Halle  (^^)  der  Abtswohnung,  wo 
der  Abt  ihn  begrüßt  und  mit  Tee  und  Leckerbissen  bewirtet,  besonders 
falls  er  ein  Mandarin  ist  und  ihm  deshalb  der  Titel  ^  '^  » Schutzpatron 
des  Dharma«  gebührt.  Der  Abt  darf  dabei  nicht  versäutnen,  ihn  über 
die  Vortrefflichkeit  des  frommen  Werks,  das  er  vorhat,  zu  belehren.  In- 
zwischen wird  vor  der  Abtswohnung  eine  Tafel  ausgehängt,  worauf  die 
folgende  Kundgcbvmg  zu  lesen  steht:  »Der  Beschützer  des  Dharma  Soundso 
wird  am  Tage  ....  den  Thüpa  beweihräuchern  und  bittet  dazu  um  einige 
Meister  (^jj,  Mönche).  Ihre  Namen  sind  hier  links  angeschrieben.«  Der 
•tn'i  t'a-tSv,  »Vorsteher  des  Thüpa«,  ein  Mönch,  der  die  ständige  Auf- 
sicht über  den  Thüpa  führt,  wird  von  dem  Vorfall  sofort  in  Kenntnis  ge- 
setzt, damit  er  den  Turm  von  unten  bis  oben,  innen  und  außen  sprenge, 
auskehre  und  reinige ;  und  dem  >Iagazinmeister  wird  beschieden.  Lichtöl 
und  Dochte  zur  Verfügung  zu  stellen.  In  jeder  Lampe  sollen  sieben  Dochte 
schwimmen,  entsprechend  der  Zahl  der  Mänusibuddhas,  nämlich  Säkyamuni 
und  seiner  sechs  unmittelbaren  Vorgänger;  jeder  Lampe  soll  mithin  das 
Licht  von  nicht  weniger  als  sieben  Weltlichtgöttem  entstrahlen. 

Zur  festgesetzten  Stunde  scharen  sich  die  für  die  Feierlichkeit  aufge- 
rufenen Mönche  mit  dem   dänapati  vor  dem  Thüpa  zusammen.     Der   ^^^[S 


Die   P(i(jodeii  in  China.  69 

wn-nu,  der  Zeremonicnmeister  des  Klosters,  steht  an  ihrer  Spitze  und  er- 
öffnet die  Feierlichkeit  mit  einer  bei  Weihrauchopfern  üblichen  ^^  »Weih- 
rauchkantate» ;  der  dänapati  hebt  dann  mit  beiden  Händen  Weihrauch- 
stäbchen gegen  den  Thüjja  i'mpor,  wirft  sich  auf  die  Knie  und  verehrt 
den  Turm  mit  drei  Stirnaufschlägen.  Diese  Zeremonie  bestimmt  den  Namen 
der  ganzen  Feier,  die  jfi  ir§  »den  Thüpa  beweihräuchern«  heißt.  Nun 
hebt  der  Zeremonienmeister  die  j§i§-'jä  »gäthä  (Vers)  der  Prozession  rund 
um  den  Thupa  herum«    an,  die  folgenden  Wortlaut  hat: 

ii'^     'S*     .      fe      /rt]     JfYz      SJX-  Schauen   wir   elirfurchtsvoU    den    Thripa   an    und 

iat  IS5  i-Tl  *1-  °  sfc  »  liegen  wir  dabei  den  Wunsch,  daß  alle  lebenden 
7}ft-  uf>^  Ji  ft  -/_.  9h  'Li^  Wesen,  Uevas  und  ^Menschen  zusammen  ehrerbietig 
\m     ^      ^      f*f\      x^      y^     ^^      zu  ihm  emporblicken  I 

fij^     ji:  °     ;tj.      -^^r      "^      4-Jg;  Ziehen    wir   dann    rechts    um  den    Thupa  herum. 

°     äji     1^     j,        ^^       k  ■•     '"ifl  hegen  wir  dabei  den  Wunsch,  daß  alle  lebenden 

-p.      |->i;      "^     J^u       r-r-      'S*      Wesen    auf  dem  von   ihnen   bewandeUen  Weg  (zur 
'J^     _^      itt  *     "■''       ""       Seligkeit)  nichts  Widerstrebendos  erfahren  und  somit 

'^     ^^  '      g      ~J^     1^5^      alle  mögliche  Weisheit  in  sich  vervollkonunnen  mögen! 

iS^      fiP      ßfe     ßB      fl^      -^  Machen  wir  dann  drei  Umgänge  um  den  Thüpa, 

'         *  und  hegen  wir  dabei  den  Wunsch,  daß  alle  lebenden 

Wesen  fleißig  den  Weg  suchen,  der  zum  Buddhatum 
führt,  ohne  daß  ihr  Streben  nachläßt  oder  ein  Knde 
nimmt. 
Nun  setzt  sich  die  Scliar  in  Bewegung.  Au  der  Spitze  geht  der  wei-na, 
und  ihm  folgt  ein  Bruder-Unterzeremonienmeister,  ein  sogenannter  '1'^^^ 
•  Aufmunterer  der  Schar«,  der  in  der  linken  Hand  einen  runden  hohlen 
>j^^^  »hölzernen  Fisch«  trägt  und  darauf  mit  einem  Hämmerchen  den 
Takt  schlägt  zu  einem  Gruß,  welchen  die  Brüder  einstimmig  ununterbroclien 
wiederholen:  ^  J^t  ^  W^R^,  g  IfÜL^ää  4^- Ä#  »Namas  Tathägata 
To-pao;  Namas  Buddha  Säkyamuni«.  Dreimal  schreitet  ilie  lange  Einzel- 
reihe, die  Handflächen  vor  der  Brust  zusammengelegt,  langsam  und  feier- 
lich um  den  Thiipa  herum,  diesen  auf  der  rechten  Seite  behaltend.  Dann 
besteigt  sie  die  Treppe  zum  ersten  Stock  und  macht  daselbst  in  genau 
derselben  Weise  drei  Umgänge  auf  dem  Balkon,  um  darauf  auf  jedem 
höheren  Stockwerk  die  Umgänge  zu  wiederholen.  Das  Hinuntersteigen 
Hnilet  genau  "in  derselben  Weise  statt.  Wieder  am  Fuß  des  Thupa  ange- 
langt, wird  der  Zug  vom  wei-na  durch  einen  Schlag  auf  seinen  Fisch  zum 
Stillstanfl  gebracht,   und   das  Rezitativ  hört  auf. 

Dann    sagt   der   wei-m :    jf  jf§  1^  m^  ^ä' M  ^  ^  — ^Jl  ^  AM^^ 
ÄT^    »Verrichtet    die    Zeremonie    der    Stirnaufschläge    vor    dem    Thüiia 


70  DE    Gkoot: 

und  heget  den  Wunscli,  daß  von  keinem  der  leljenden  Wesen,  von  keinem 
Deva  und  keinem  .Menschen  der  Scheitel  sichtbar  sei«'.  Sofort  wirft  sich 
die  Schar  wie  ein  Mann  auf  die  Knie  und  berührt  den  Boden  mit  der 
Stirn,  mindestens  1 2  mal,  jedoch  wohl  bis  48  mal  hintereinander:  das 
Zeichen  zu  jedem  Stirnaufschlag  wird  vom  wri-na  durch  einen  Schlag  auf 
den  Fisch  gegeben,  wobei  er  jedesmal  feierlich  spriclit:  — ''Ci^T^fa^ 
W  ^B  5fv  ^^  ^  ^-  Ä  ^0  5l^  '"''"  ^^^^'^-  "'"^  *'"®  Seele,  .ehren  wir  Euch  durcli  Stifn- 
aufschlag,    I'athägata   Tu-pao.  Tathägata  Säkyamunil 

Diese  Verehrung  des  Thüpa  wird  wohl  mit  einem  Opfer  verbunden, 
jedoch  nur  vormittags;  falls  die  Feierlichkeit  nachmittags  stattfindet, 
ist  Opfern  nicht  zulässig.  Es  ist  sehr  empfehlenswert,  am  .selben  Tage 
alles  noch  einmal,  sogar  zweimal,  zu  wiederholen.  Gegen  Abend  werden 
die  Lampen  angesteckt.  Bei  Anbruch  des  folgenden  Tages  wird  alles  noch 
einmal  gemacht,  und  wenn  dann  abends  die  Lampen  abermals  brennen, 
wird  durch  den  wn-nu  vor  dem  Thüpa  ein  geschriebenes  (Tcbet  (j^) 
des  diinapati  verlesen  und  durch  Verbrennung  dem  im  Thüpa  wohnenden 
^\'eltgesetz  übersandt.  Dieses  Gebet  hat  folgenden  Inhalt: 
7^      3®     S^      BS     j^     f^     ^  neiiiütig  werfe  ich  mich  zu  Boden  und  bedenke 

rS     -i.  '     1  J-     zC.     [??I      WM      IM      beim  Anschauen  des  hellen  Lichts  der  Sarira's,  daß 
U=J      7  r     ^^       J        'jr      itW^     y^      diese  f'ußspuren  deiner  Kraft  {Imc/)  überall  im  Gebiet 
•yj       ,-„,      M      TV      ^     'Ä      Tw!      des  Weltgesetzes  verstieut  sind ;  und  beim  Anschauen 
ilS?      ^     ^      'fij      ^      ^^^  pu-tö  (Thüpa),   so   hoch  und  so  breit,   bedenke 
Y^        J      ,  .i?      I§      rp.      T-||      ii'h,  daß  seine  Stange  und  sein  Dach  überall  hin  auf 
=.j>      nn      Vffij  <      J  Menschen  und  Devas  Licht  werfen.    Mit  wohlriechen- 


m  yl 


^IJ     t^     '<_      dem  Wasser  habe  ich  ihn  besprengt,  um  ehrerbietig 


^     Tfii      "^l^      ih^      ^^^      ytt      '^*'"  Schlamm  mit  dem  Besen   von  ihm  zu  entfernen 
/rti     i^      1*1     --^K      H^     ÖH      dnnn   habe   ich   ihn   mit  hellen    Lampen   beleuchtet, 
I  I       Wä     A>%     Xüa     '3^  ■«     damit  man  ihn  auch  aus  der  Feme  lobend  verehre. 

Meine  Frömmigkeit   und  meinen  Ernst  erschöpfend, 

schaue  ich  hinauf  mit  meiner  Bitte  zu  deinem  runden 

Licht. 

i|x     ^tll      'flu     iiSc      '^     'fA.     -KTt  Lebhaft   gedenke    ich,    daß   ich  ....  seit   vielen 

^      r+=.      .l-li'  '     ■'  -^      I R»      •         kalpa's  abseits  vom  richtigen  Wege  in  der  Irre   ge- 

<_     iMSi     ™-      1^      4^     i-Jn^     >iii^      Wesen  bin    und   von   dem   durch  die   (Lotusijblunn' 

yS"     W?     -A:-     ^"^     i     ^i^     ^C-      des  Weltgesetzes  bekehrten  Gebiet  keine  Ahnung  hatte, 

^.      1,,,      T^     ^^  ^     -^^      f.,      so  daß  viele  Existenzen  hindurch  dasRad  (der  Wieder- 

^^     :^?'t     i^      #ft      -l'      JiT?      fH 

-^      ^ii^-.      ^'     ^     ^     'fg-       r      geburten)  sich  in  bezug   auf  mich  zurückdrehte  und 

^      'fo      Jr^^     'l'M     ^      '}4^     ^H      '''^  '^^"^  mysteriösen  Lichtglanz  der  beiden  (Bodhi-) 

Jit:      I         _ij,      _i-,     ^A,     ^dfc      i^H      bäume  niemals  begegnete.    Glücklicherweise  aber  ist 

■*     "        '^     ''—      tIto     ^^       /'      niir  durch  die  Anwesenheit  des  Thüpa  der  Kostbar- 

'    I).  h.:    (l;iß  alle  den  Scheitel  tief  in  den  Staub  begraben. 


Die  Po  (joden  in  China.  71 

W      4rn      £fe     Kl^      S/i      vl4l      Ir^*      keiteii  liier,    der   so   hocli    und   so  s!ol/.  dasteht,    dei' 

yÄ.      f&     ^^'      '■^      Ki      ^iK-     /X      Glaube  gekommen  an  das  ewige  Dasein  des  Dharma- 

-|        itth      I-Ij      Ji      KkL      'W      Vg!'      Wesens    des   'rathäeata,    nnd    freudis;    heffe    ich   den 

^m      1  r      Pß      ^     ^E     ^<      ^       Wunsch,    die   Disziplin    des    Seligwerdens    zu    üben 

JPs      lA-      -^      ^     "^       '"^     J^ft      "'^'^  ''"  ^^6"'  Zwecke  tiefe  Frönmiigkeit  und  Khr- 

j^  ^S     ^         ^      ti-  '     furcht   zu   entfalten,     l'nd   somit  habe  ich,   geringoi' 

j^^      ^^      ^C*     ■^      ^^      tIn:      ffl      Mensch,    am  Soundsovielten   dieses  Monats   sorgsam 

v^      »b.     WS     ^^      ||4>      ^      E2      öl  und  Weihrauch  bereitet  und  mich  ehrerbietig  nach 

^^     "tA      lU      ^^      '!S4        'C       t-      ''*'"'   J^l'^s'*''  ■  •  •  ■  begeben:  ich  habe^da  den  Thilpa 

l#      'frtl     ^      ">      m  ''®''  Kostbarkeiten  mit  Stirnanfschiägen   verehrt,  viel- 

4i}r      ®I      SlO       /^      f^'      Jfle.     ^      nials   die   heiligen  Namen  ausgesprochen  und  einige 

va      *'J      ^      ^      iiU      W      .  °      Nächte  die  Lampen  angezündet.    Das  alles  zusammen 

'^  *     "tA     ^^'     atlll      l-^i      '^ß      bildet   zwar    einen  unscheinbaren  Anlaß,   Jedoch   ich 

^      1^      .7^  *     ^^       '^»     -F-      hoffe  dadurch  des  Erbarmens  und  Schutzes  teilhatlig 

SL      3£      ^     ;^     ^,     5ffi     ^A       zu  werden.    Demütig  mich  zu  Hoden  werfend.  liolTc 

-     ^:      J5^     ^W      K<^      ta       7^      ich.  daß  der  Schirm  der  Kostbarkeiten  (das  Firmament) 

_jj.  '     ,>jä  '^      mi       "^       '"'  Lultrauni  seine  Umdrehungen  vollbringe,   und  daß 

^E        I      XA  ^fe      'l's  Musik  des  HimmSs  den  tiefen,  schönen  Sinn  der 

ttl      S     ■^     ISO      J^       H       Sanskritklänge    (Sntra-lesungen)     begleite,     auf    daß 

"5?      t\-      t<t      iäf     ^^     isj/"      Jio'deno    Lotusblumen    aus    dem    Erdboden    hervor- 

JA     ^"     ■^  -*•      *"  i|uellen,    und    candana    nebst   Blumen    aller   Art    in 

Iwt     Im     ^a  •.     IW      wirbelnden   Massen    hernieden-egnen.     Zeige  glück- 

vei'heißende  Zeichen  in  der  Welt  des  Leidens  (SahäK 
damit  sämtliche  lebenden  Wesen  es  verstehen,  in  dir 
ihr  Heil  zu  suchen  und  zu  dir  emporzuschauen.    Va\\.- 
senile   Lichtstrahlen   ans   den  Caitya's  der  Welt  des 
Staubs.auf  daß  die  zehntausend  Klassen  und  Sorten  von 
Wesen  alle  dem  Rad  der  Existenzen  des  Leidens  ent- 
zogen werden.   Durch  die  dir  jetzt  dargebrachte  Lob- 
preisung und  Verehrung  erhofle  ich,  daß  für  sie  alle  die 
Fruchtdes  botlhi  (dasBuddhatum)  Wirklichkeit  werde . . . 
An   dieser  Stelle  dürfen   noch   andere  Bitten   eingefügt  werden,  jedoch 
keine    voii  allzu   materialistischer   Art  oder  Sachen   betreffend,   welche  den 
(besetzen    Buddhas     zuwiderlaufen.      Das    Gebet    endet    mit    diesem    Satz: 
>fer  j^  Ir^  nB  ^  W  ^^  ^     Ehrfurclitsvoll    bitte   ich   das  Triratna.    für   da.s   hier   auf  doi' 
rechten  Seite  stehende  Gebet  Zeuge  zu  sein. 

Während  dieses  Uebet  sich   verwandelt  in  Rauch   und  Asche,   singen 
die  Brüder   eine   diesbezügliche    Kantate,    und   darauf   beschließen    sie    die 
Feierlichkeit  mit  einem   Fußfiill   und  drei  Stirnanfschiägen,   woran   der  dii- 
napati   sich    beteiligt,    während   der  wri-na  dreimal  ausruft:    ^  f;)^    ^Ivär 
^  f^    Nehmt  euere  Zuflucht  zu  dem  Buddha,  zum  Dhaima  und  zum  Sanghai 

Diese    Beschreibung    der    »Beweiiiräucherung    des   Thüpa«     ist    wort- 
getreu dem  5.  Kapitel  des  l'o'-f.inny  ts'iiiy  kwei,  des  authentischen  (>esetzl)uchs 


72  DE  Groot: 

des  Klosterlebens  (s.  S.  64)  entnommen.  Ihr  Zeremoniell  i.st  mithin  mehr 
als  tausend  Jahre  lang  unverändert  so  gefeiert  worden.  Nehmen  wir  es 
jetzt  etwas  näher  in  Augenschau. 

Aus  der  Ansprache  des  wei-na  gleich  nach  dem  Weihrauchopfer  des 
dänapati  geht  unzweideutig  hervor,  daß  die  Ehrfurcht,  welche  die  Schar  der 
Mönche  dem  Thüpa  entgegenbringt,  den  Zweck  hat,  alle  Wesen  zu  veranlassen, 
dasselbe  zu  tun  und  sich  dadurch  seligzumachen.  Wir  liaben  es  hier  oflfenbar 
mit  der  praktischen  Befolgung  der  Vorschrift  Buddhas  zu  tun,  welche  auf 
S.  61  aus  dem  Lotus-Sütra  wiedergegeben  ist,  und  deren  kurzer  Sinn  der 
ist,  daß  Verehrung  der  Thüpas  zur  höchsten  Weisheit  und  Seligkeit  fiilirt. 
Weiter  geht  aus  derselben  Ansprache  hervor,  daß  die  Umgänge  um  den 
Thüpa  gleichfalls  die  Seligmachung  erzielen,  und  schließlich  noch,  daß 
beide  Zeremonien,  sollen  sie  nicht  kraft-  und  wirkungslos  verlaufen,  sicli 
mit  intensiven  Wünscheii'  für  die  Verwirklichung  ihres  Zwecks  vereinen 
müssen.  Auch  für  die  erlösende  Wirkung  der  Klosterglocke  sind,  wie  auf 
S.  640".  dargetan  ist,  während  des  Läutens  gehegte  und  geäußerte  Wünsche 
unentbehrlich.  Solche  ^^  »Wünsche«  oder  »Hofiiiungen«  für  das  Wohl  und 
Heil  der  Wesen  zu  hegen  und  zu  formen  und  sie  auszusprechen,  war  von  alters 
her  in  der  Mahäyänakirche  strenges,  religiöses  Gesetz  und  somit  eingewurzelter 
Brauch ;  liegt  ja  das  Seligmachen  anderer  in  der  Natur  der  Bodhisattvas 
und  der  Buddhas,  und  folglich  in  der  des  Menschen,  der  mit  wahrhaftigem 
Ernst  den  Weg  zum  Buddhatum  bewandelt.  Fromme  Wünsche  gelien  mithin 
direkt  hervor  aus  der  allgemeinen  Wesensliclx-  (^J,  dem  Grundprinzip 
des  Mahäyäna,  und  bestimmen  die  iimigc  Frömmigkeit,  welche  sein  Möncli- 
tum  kennzeicliiiet.  Werden  sie  bloß  geäußert  durch  die  Lippen,  so  sind 
sie  wirkungslos;  aus  der  Tiefe  der  Seele,  aus  dem  Grunde  des  Herzens 
sollen  sie  emporquellen  und  mit  intensiven  Gedanken  an  die  Verwirklichung, 
welche  sie  zu  erziehen  beabsichtigen,  verknüpft  sein.  Es  erübrigt  sicli 
aber,  hier  auf  diesen  Unterteil  der  großen  Methode  der  Heiligmaohung 
einzugehen,   da   das  bereits  an   anderer  Stelle'   stattgefunden   hat. 

Während  der  Umgänge  wird  der  Thüpa  vorschriftsmäßig  auf  der 
rechten  Seite  behalten,  das  heißt,  die  Prozession  muß  sich  in  demselben 
Sinn  um  den  Thüpa  bewegen,  wie  die  Sonne  sich  täglich  um  den  Thüpa 
des  Weltalls    bewegt.     Nur   in   dieser  Weise   wird  der  großen  rflicht  des 

'    »Le  (^ode  du  Mahäynna  en  Oliine«.  Kap.  q. 


hk'   Pagoden  in   China.  7H 

Sangha,  das  Rad  des  Üliarma  zu  dn^lien  (vgl.  S.  35),  nachgekommen,  denn 
sollte  sich  die  Schar  in  umgekehrter  Richtung  bewegen,  so  würde  sie  dem 
Kreislauf  des  Lichts  des  Weltgesetzes,  durcli  welches  die  Wesen  der  Er- 
lösung und  Vervollkommnung  zugeführt  werden,  entgegenwirken  und  so- 
mit die  schwerste  Sünde  auf  sich  laden,  die  sich  denken  läßt.  P]s  bestätigt 
sich  also  hier  klipp  und  klar,  daß  für  die  Kirche  die  Thüpas  Darstellungen 
des  Weltalls  sind,  und  daß  ihr  Licht  das  Licht  des  Weltgesetzes  ist;  und 
von  seihst  erklärt  sich  nunmehr,  weshalb  während  der  Umgänge  unauf- 
hörlich luid  einstimmig  die  heiligen  Namen  To-pao  des  Weltgesetzes  und 
srikyamuni,  seines  Lichts,  angerufen  werden.  Nach  Erledigung  dieser  selig- 
machenden Prozession  verehrt  die  .Schar  den  Thfipa  mit  Stirnaufschlägen 
und  läßt  durch  die  Kraft  ihrer  Wünsche  auch  alle  Wesen  den  Kopf  tief, 
sogar  bis  zum  Unsichtbarwerden,  vor  der  allerhöchsten  Weltmacht  im 
Staub  begraben   und   sich   dadurch   die  höchste  Weisheit  erwerben. 

Mit  besonderer  Klarheit  stellt  uns  das  an  den  Thüpa  gerichtete  Gebet 
des  dänapati  den  Charakter  imd  den  Zweck  der  Thüpas  vor  Augen.  Kommt 
ja  darin  scharf  zum  Ausdruck,  erstens,  daß  die  Sarira's  des  Buddha  das 
Licht,  der  Geist  des  Weltgesetzes  sind,  und  daß  die  Thüpas  dieses  Licht 
überallhin  auf  Menschen  und  (jötter  scheinen  lassen  und  dadurch  die 
Heiden  zur  "Religion  des  Weltgesetzes  bekehren  (vgl.  S.  29,  Satz  2  und  3). 
Weiter  lehrt  es,  daß  die  Verehrung  und  Beleuchtung  des  Thüpa  und  die 
damit  verbundenen  Umgänge  die  Umdrehungen  des  Weltalls,  des  Rads 
des  üharma,  lordern,  so  daß  den  Wesen  dadurch  nicht  nur  materielles 
Glück  zuteil  wird,  nämlich  aus  der  Erde  hervorquellende  goldene  Ernten 
und  vom  Regen  des  Himmels  gespendetes  üppiges  Wachsttim,  sondern 
auch  Bekehrung  zur  Religion  inid  daraus  erfolgende  P^rlösung  aus  den 
Existenzen  des  Leidens  und  Hinauffiihrung  zur  höchsten  Weisheit  des 
Buddhatums. 

Wir  haben  es  .somit  mit  einer  religiösen  Kultushandlung  höchster 
Ordnung  zu  tun;  und  es  kann  daher  nicht  wundernehmen,  daß  Buddha 
in  eigener  Person  durch  eine  spezielle  Lehrrede  in  hellen  Farben  ihre 
mächtige  Wirkung  geschildert  hat.  Diese  Lehrrede  heißt:  'fiJji  fß;  ^  )^  f^|i 
■tV^f^;^  »von  Buddha  gepredigtes  Sütra  über  das  erfolg-  und  segens- 
reiche Werk  der  Umgänge  rechts  um  den  Buddha-Thüpa  herum«.  An- 
geblich ist  sie  von  einem  sramana  von  Ciioten,  namens  ^X.|l^l^  '^''" 
ti'ai-hm-l'o,  in   der  Zeit  der   ^    7AV>?<-Dynastie  (557  —  581)   ins  Chinesische 

Phil.-hiül.  Ahh.  IUI!).     .\r.JI.  10 


74  DE   (Ikoot: 

übersetzt  worden,  allein  vom  Original,  das  vielleicht  nie  bestanden  liat, 
erfahren  wir  nichts.  Im  Tripitaka  ist  dieses  Sütra  in  die  Klasse  der 
-^p?$?  »Sütras,  wovon  nur  eine  Übersetzung  besteht«,  eingereiht,  und 
in  Bunyiu  Nanjio's  Catalogue  ist  es  als  Nr.  458  verzeichnet.  Es  hat  fol- 
genden Inhalt: 
IM    -H^    _L    a^    ^    4af.    Jiti    -Ifft  Folgendes  ist  zu  meiner  Kenntnis  gelangt.    Der- 

il^    m  '5  ^  ^1  ^  ^^^  M-  *^'"''*'^   ^''®''   '''*'^'  Buddha    im  Reiche   Sravasti   im  .Te- 

1^    Itp  OTt  ^-  ^'1  M.  /Fci  ^S  tavana-Kloster  auf,  vorn  und  hinten  und  rundum  von 

^    ^-a  f^>  ^  "^  ^  liß  ^  unermeßlichen  Scharen  von  hohen  bhiksu-GeisÜichen 

B     ^fv  ith  '  "^n  '(ü  ®  M  ""'^  anderen  umgeben.     Dann  erhob  sich  Säriputra, 

'   ^13  "^  'O  ^^  1^  ISl  °  ''®r  vornehmste  und    älteste   (der  Jünger),   entblößte 

W  -^  >^.  'Ut  M  ISl  — .  ^j^ji  ^jg  pgßjjtg  Schulter  und  das  rechte  Knie,   warf 

^  |5g  "*  ^  ^  äi  B^  sich    zur    Erde,    legte    die    Handflächen    zusammen, 

:^  yg;^  f^  ^  IS  -xl  'fÖl  kehrte  sich  zum  Buddha,    und   bat  ihn  mittels  eines 

*n  '^  ^,  J  ;||  ^  ^  Gedichts  (gäthä)  wie  folgt:   »AUerherrlichster  Segen- 

o  %  ,  "*  W  o  MU  *^  Spender,   von  der  Welt  Verehrter  ( Lokajyestha),    ich 

IH  ^  ^  ^ä  19  Er.  ö  hotte,   daß  du  uns  predigest  von  den  Früchten  und 

refc.  3Ö,  ■|.&  -^  ni.  /©■  ;;fe  Belohnungen,    welche  gezeitigt   werden    durch  Um- 

^y,  _.  3^     •  e.  -rt  |=F1  gängig  rechts  um  den  Thüpa  herum."     Und  der  Loka- 

iS^  rn  jyeslha  entsprach  diesem  Gesuch  mit  den  folgenden 

:^  ji  K  ^  ^  ^'^  Ä  Versen: 

alle  möglichen  Devas  und  Nagas,  Yaksas  und  Geister  usw.  herbeikommen  und  Opfergabe.n 
darbringen,  so  ist  das  ein   Erfolg  von  Umgängen  rechts  um  den    Thüpa  herum. 

»»  ^^^)\^AL^m^'^  Am'Wi^Um.^00  ';^^""  "berall.  wo  diese 
Wesen  leben,  sie  den  Orten,  wo  die  acht  Hindernisse  (gegen  die  Einlösung)  bestehen,  fem 
bleiben  und  somit  immer  dort  leben,  wo  die  Hindernisse  nicht  vorkommen,  so  ist  das  .  .  . 
(usw.  wie  oben). 

•3)  ;^-^^^^^'^Ä^^^ifi;^^^^Wennüberall,wo  Wesen 
leben,  diese  der  Gnade  (des  Weltgesetzes)  gedenken,  welche  ewig  nie  versagend  einen  TTber- 
ilnß  von  Gestaltungen  (Tagen)  in  den  allerherrlichsten  Farben  hervorbringt,  dann  ist  das  . .  . 

(4)  W^^K^M^^W^'^Mi^^Moo  ^'^■"'  ^'°"  denjenigen, 
die  unter  den  Devas  und  Menschen  verkehren,  das  Lebensglück  in  jeder  Hinsicht  blüht 
und  sich  erweitert,  so  daß  sie  sich  stets  wachsendes  Ansehen  und  Ruhm  erwerben,  dann  . . . 

^5)  ^-mW^^'^^^LMWMWM^^oo  Wenn  diejenigen,  die  im 
Jambudvipa  (auf  unserer  Erde)  wohnen,  ihi-  ganzes  Leben  sieh  äußerst  ehrenwert  benehmen 
inid  ihre  Reinheit  in  ihrem  Stamme  aussäen,  dann  ... 

(6)  me^'ffi^iffil.lM^ltW'l'SÄiC^aoo  Wenn  sie  in  Lebens- 
foi-men  und  Benehmen  stets  korrekt  sind,  reich  und  angesehen  werden,  viele  Schätze  und 
Kostbarkeiten  besitzen  und  aus  großen,  vom  Fürsten  verliehenen  Domänen  dauernd  Ein- 
künfte beziehen,  dann   ... 


l)it'  Payoden  In,  China.  7ö 

(7^  Wi'^'^^^^MU'^^^t^MU.^MMoo  Häufen  sich  ihre  Schätze 
und  Kostbarkeiten  ständig  in  Fülle,  und  sind  sie  dennoch  nicht  geizig,  sondern  üben  tat- 
kräftig weit  und  breit  Wohltätigkeit,  so  ist  das  .  .  . 

'8,  ^mmUilPn.^^0:i^li^)r^'^^moo  «omen  sie  dan„  so  rem. 
fein  und  prachtvoll  aussehen,  daß  ein  jeder,  der  sie  sieht,  entzückt  zu  ihnen  emporblickt, 
und  sollten  sie  so  überall,  wo  sie   sind,   dauernd  Frieden  und  Freude   stiften,   dann  .  . . 

<9)  ^:^t;]^lJiS^#J,>£^#;^  g^oo  «ollte  ein  .solcher  dann 
König  der  Trayastrim.ia  (d.  h.  Indra)  werden,  mit  Gemahlinnen  un(^  Kindern  in  Überfluß,  mit 
Majestät,  Macht  und  Kraft  und  Unabhängigkeit  (vom  Existenzenwechsel),  dann  . . . 

('«)  ^#^^nt^?S#M^nji#j|lUfem^„Wirderei„Brah,„an.der 
die  (ieljote  hält  und  durchaus  die  Beschwörungskunst  und  die  Vcda-Bücher  versteht,  dann  .  .  . 

"■)  B^ni^M^Mm^MM^M'^^^oo  Wird  irgend  Jemand 
ein  großer  Häuptling,  eindußreich  und  angesehen,  mit  vielen  Reichtümern  und  immer  reich- 
gefüllten  Kornspeichern,  dann  .  . . 

('^)  ^#iE^3Eä?EifeW#i±Bi1c^fl:oo  •'^«•l'<  einer  König  des 
wahren  Dharma  wird,  der  unabhängig  den  Janibudvipa  regiert,  und  dessen  bekehrendem 
Einfluß  die  ganze  Erde  sich  anvertraut,  dann  .  .  . 

"3)  ^^Ä-bW^^m^i  +  ^^P^^^oo  (W- wird  einer  König 
mit  den  sieben  Kostbarkeiten  (Würdezeichen,  Weiber,  Pferde,  Elefanten,  Soldaten  usw.)  und 
mit  großer  Macht,  der  das  Rad  (des  Dharma)  dreht  und  mittels  der  zehn  Tugenden  (Haupt- 
gebote) alle  lebenden  Wesen  regiert,  dann  . . . 

('4)  # jlt ^  ^ ±  -^  W  :'^  ^  H  ^  13  :«^  #  '^00 ««'"« '''•  '^''""  '"'■^  ''--• 

Existenz  oben  im  Himmel  wiedergeboren  werden,  um  dort  im  bleibenden  Besitz  von  Allmacht 
und  höchster  .segenspendender  Kraft  zu  .sein  und  den  reinen  Glauben  an  den  Buddhismus 
zu  haben,  dann  . . . 

('S)  mi^^^lim^M^SM.mrf^'^00  »■•«"««■•danndortdiescn 
reinen  Glauben  rasch  vervollkommnet,  .so  daß  er  sich  im  Dharma  nicht  mehr  irrt  und  zu  der 
Einsicht  kommt,  daß  alles  Tun  eitel  ist.  dann  .  .  . 

('^)  1it^±^^tT^1^A^A^Z^iä§loo  Steigt  er  dann,  .seine 
Existenz  ablegend,  auS  dem  Himmel  hernieder,  um  unter  den  Menschen  geboren  zu  wei-den, 
ohne  beim  Eintritt  in  den  Mutterleib  Unordnung  oder  Verwirrung  zu  stiften,  so  usw. 

Schmutz  des  Mutterleibs  unhesudelt  bleibt  wie  eine  reine  Mani-perle,  dann  .  . . 

im  Mutterleibe  bis  zu  seiner  Geburt  der  Mutter  immer  Ruhe  und  Freude  gewährt  und 
dasselbe  beim  Saugen  tut.  dann  . . . 

(«9)  ^#:Ä^^  — ^^l^^^^-^^^oo  Wenn  dann  seine  Eltern 
mit  den  Blut-  und  Anverwandten  alle  zusammen  ihn  großziehen,  und  die  stillenden  Mütter  ihn 
nie  verlassen,  dann  ... 

in* 


7(5  DK   Groot: 

(-»  #®^tS'';ß^M^M5c#'^Mä*t:^oo  l'"d  wenn  dam.  auch 
seine  Arnerwandten  ihn  lieben  und  seiner  gedenken,  sogar  mehr  noch  als  die  Eltern,  und 
seine  Habe  dadurch  sich  vermehrt  und  anwächst,  dann  ... 

(-)    ^^m?i^9iZ-mfiM\^^Jrm^f^Moo  SoUte„  die  Ya^s  oder 

andere  böse  Geister  es  nicht  vermögen,  ihn  auch  nur  vorübergehend  zu  beängstigen,  und 
sollte  er  alles,  was  er  braucht,  von  selbst  bekommen,  so  .  .  . 

<"'    MM'ä'fijj'M^Ui^Bil^'^JMj&'Moo    Wenn  dann  sein  Wesen 

hundertmal  tausend  kalpa's  hindurch  Existenzwandlungen  durchmacht  und  dabei  rein  bleibt. 
so  daß  die  alierschönsten  Farben  und  die  (32)  Zeichen  (des  Buddhatums)  vollständig  werden, 
dann  . . . 

1^3)  il  m  ^t  JL  M  ®  ^0  R  M  #  ^  f#  if  ^  BRo  o  ^''^°"  ''^""  ^^'"  ••^""•^ 

Auge  (vimalanetra)  sich  entwickelt  und  weitblickend  wird  und  einei'  blauen  Lilie  gleicht, 
und  wenn  er  dazu  noch  das  reine  himmlische  Auge  (divyacaksus)  erlangt,  dann  .  .  . 

(^4)  ilP^'^m'i^mmjä^mf&m.-kW^oo  S-d  da„n  seine  aUer. 
schönsten  Farben  für  immer  in  ihrer  ganzen  Fülle  da;  offenbaren  sich  somit  die  (32)  Zeichen 
in  aller  Herrlichkeit  und  bilden  sie  seine  Allmacht,  dann   .  .  . 

(^5)  3Jc^^^^l'B*^M#älS'l'7/f>lJ^4»"#oo  Oder  sollte  er  im  Pala-st 
des  Kaiseis  Sakra  (Indra)  geboren  werden,  daselbst  Allherrlichkeit,  Allmacht  und  Selbständig- 
keit erwerben    und  Verehrungswürdiger   (arya)    werden   im  'rrayastrim.sas(-Himmel),   so  .  .  . 

(^6)  ^^m^B9il^^^'^it^:^^itoo  Oder  sollte  er  geboren 
werden  unter  den  Suyama(-Göttern).  oder  im  Tusita-Himmelspalast,  oder  im  Himmel,  wo 
man   die  Umgestaltung  genießt  (Nirmänarati!'),   oder  im  Himmel   der  Umgestaltung  andei-er 

(Vasavartin),  so  .  .  . 

(^7)  ^=ftäi^^^1M:^Ö^^-^'ffi;fÄ^oo  Oder  .sollte  er  wieder- 
geboren  werden  im  Himmel  des  Brahnia  (Brahnialoka)  und  wie  Brahma  ein  Dasein  der 
höchsten  Selbständigkeit  führen,  so  daß  alle  Deva's  ihm  stets  ihre  Opfer  darbringen,  so  .  .  . 

Millionen  nahuta  von  kalpa's  stets  ein  Wesen,  das  alles  Wissen  innehat,  dem  Verehrung  und 
Opfer  dargebracht  werden,  so  .  .  . 

(^9)    M^lk^miUtä'^MysMc^&m^^o     Bleiben  dann  sein  We- 

sen  und  seine  Kleidung  während  dieser  Millionen  kalpa's  stets  makellos  und  im  vollen  Besitz 
blinkender  Reinheit,  so  ... 

(30)    ^i^mm:hmi§MMn^'^'^mWoo    l-»serda«nmitüber- 

aus  großer,  geistiger,  vorwärtsstrebender  Kraft  fleißig  die  vielartigen  Methoden  (der  Selig- 
keitsdisziplin) übt,  ohne  je  müde  oder  nachlässig  zu  werden,  so  ... 

Mut  und  Tat  stets  geistesktäftig  Fortschritte  macht  und  eine  unerschütterliche  Standhaftig- 
keit  an  den  Tag  legt,  so  daß  alles,   was  er  tut,  schnell  Früchte  zeitigt,  dann  .  .  . 

(3^>    '(iiI^0*>^#f^^^^fi:S^^'ffi;«ff^oo  Tlef-nnig-dweithör. 

I)ar  ist  dann  seine  feine,  herrliche  (lehrende)  Stimme,  und  Jeder,  der  sie  vernimmt,  ist  er- 
freut:   er  genießt  Frieden   und   Fieiide  und   ist  stets  vf)n   Krankheiten   frei;  und  das  ist  .  .  . 


Die  Payudcn  in   China.  11 

(33)  ^n^^;?^lfi:^t^HW^^J(;i^aiiM:^co  •'«"«*'- wa. id. (Bud- 

dha)  gepredigt  habe,  die  (Qualen  der  drei  Teile  des  Weltalls  unterdrückt  und  beseitigt  und 
vollkommen  die  ülier  das  AVeltliche  hinausgehende  Weisheit  reifen  läßt,  dann  .  .  . 

(34)  '^|Egg^^3^J^0iEli0^n.f:W>£oo  ''^*^""  '"^"  <'^""  ^"•.'' 

fortwährend  beschäftigt  mit  den  vier  immer  zu  erwägenden  Sachen  (snirtyupasthana),  mit 
den  vier  richtigen  Anstrengungen  (samyakprahäna,  richtiges  Sichvertiefen)  und  mit  den  vier 
göttlichen  Schritten  (?)  zur  unbeschränkten  Macht  (rddhipädal')-  dann  .  .  . 

(35)  T-^BgÄB^^M;^4:'l^iEilÄMl^30  wenn  man  darauf  die 
vier  Wahrheiten  (äryasatyani)  ergründet,  sowie  die  Wurzelkräfle,  die  sieben  Teile  der  Er- 
wachung zur  Weisheit  (bodhyanga),  die  wahre  Lehre,  und  die  Frucht  der  Heiligkeit,  daini  .  .  . 

(36)  ^  — ^!^tiJ,.£AMfi*S'(i>^ffl#Moo  Wenn  dann  alles  mög- 
liehe  Leid  zunichte  wird,  man  vollständig  allherrlich  und  allsegenspendend  wird  und  von 
seiner  secbsteiligen  göttlichen  Vernunft  nichts  verliert,  dann  .  .  . 

(37)  ^Wt'kMMlk-mW^min^^^o.  Wenn  dann  für  immer 
Itegierde,  Abneigung  und  f  nwissenlieit,  sowie  alle  möglichen  Hindernisse  (suif  dem  Wege 
zum  Buddhatum)  entfernt  sind,  und  somit  die  einzigste  Erwachung  zum  bodhi  sicli  bezeugt, 
dann   . . . 

herrlichen  purpurnen  und  goldenen  Farben  (des  Wehlichts)  erwirbt,  die  (32)  Zeichen  sein 
hehres,  prächtiges  Wesen  zieren  und  er  als  Lehrmeister  der  Devas  und  Menschen  in  die 
Erscheinung  ti  itt,  dann  .  .  . 

UM    ^h.    cc    -/-•    yt&    -/r    -A    i^  Und  das  alles  wird  durch  die  Verelu-ung  und  Lob- 

gjv  •  /-«  .J-.  ,w,  >^.  3jr  1^  preisung  erzeugt,  welche  dui'ch  die  Leistungen  des 
iyt  ^  W  Üh  llL  j^  PH  ffl  Körpers  und  der  Sprache  (Umgänge,  Fußfälle,  An- 
^  ^ä  ^  ^^  ^^  ^^  ^  W  rufimgen.  Gebete)  gebildet  werden.  Den  großen  Nutzen 
H^  filr  -SO  iii'  -^Ij  ^ü'  liÄ  ^  und  Gewinn,  welchen  die  Umgänge  rechts  um  den  Thüpa 
ah-  /^  ^ö-  ÄX.    "iiL     herum  einbringen,  und  die  verdienstvollen  und  segens- 

^    \n\    '-^i    i^f    ™;  ^t«-    *^   M     reichen  Eigebnisse   solcher  Umgänge   habe  ich  Jetzt 

so,  wie  ich  selbst  sie  gelernt,  in  kurzen  Woiten  euch 

gepredigt;   abei'  den  Gegenstand  zu  erschöpfen,  wie 

wäre  das  möglich ! 

^    Ha    W    — ■    '^'1    i'^    W-    ft  Als  der  von  der  Welt  Verehrte  diese  gäthä's  aus- 

^^    j*y     j^    j^Tl     ju,     fl     gö.    nU      gesprochen    hatte,    waren   Säriputra    und    die    ganze 

X—         ■«  ■•  Schar  in  höchster  Entzückimg,    nahmen    gläubig  die 

o    "^    ^^    ^    ^f     f^     ^'^    lö-     Lehrrede  in  Empfang  und  befolgten  sie  ehi-erbietig. 

Es  ist  klar  er-sichtlicli,  daß  dieses  Siitra  <lie  Laufbahn  schildert,  welche 
ilcn  Mensclien  durch  Glückszustände  verschiedener  Existenzen,  auch  dos 
irdi.schcn  Daseins,  führt,  bis  er  zuletzt  die  allerhöchste  Heiligkeit  der  Buddhas 
eiTcicht.  Wir  sehen  es  hi<'r  ^geschildert  in  kirchlicher  Sprache,  wie  das 
Rad  des  Dhamia  ('^fp.  dharmacakra),  <lie  Umwälzung  des  Weltgcsetzes, 
die   universelle  Macht  ist,   die  alles  (Jute  schaff't  luid  somit  auch  die  Trans- 


78  i>K   (iEOor: 

migration  durch  Glöckszustände  bewirkt,  un<l  daß  die  Umgänge  um  ilie 
Thüpas,  welche  diese  Weltbewegung  nachahmen  und  fördern,  denselben 
schönen  Erfolg  erzielen.  Sie  sind  Ursache,  daß  alle  Wesen  die  Buddhas 
verehren,  das  heißt,  der  Religion  des  Heil?^  anhängen  (i);  daß  sodann  in 
allen  folgenden  Existenzen  nichts  mehr  sie  an  der  Ausübung  der  Religion 
behindert  (2),  und  sie  somit  unaufhörlich  an  das  täglich  sich  erneuernde, 
herrliche  Licht  des  Dharma  denken  (3).  und  demzufolge  Glück,  Ehre,  An- 
sehen, Macht  und  Reichtum  ihnen  zuteil  werden  (4,  6).  Ihre  Stammesge- 
nossen erziehen  sie  zur  Reinheit  der  Religion  (5),  und  sie  werden  also  auf  dem 
großen  und  breiten  Weg  (Mabäyfina)  geführt  zur  Seligkeit.  Die  Umgänge 
um  den  Thüpa  bewirken  dann  weiter,  daß  solche  guten  Buddhisten  die 
hohe  Pflicht  der  Wohltätigkeit  tatkräftig  erfüllen  (7),  überall  durch  ihr 
bloßes  Dasein  andere  glücklich  machen  (8),  schließlich  Könige  im  Himmel 
des  Indra  (9)  oder  weise  Brahmancn  (10),  Begüterte  und  Große  (11)  werden; 
otler  sie  werden  Könige  dieser  Erde,  voll  Macht  und  Majestät,  die  nach 
buddhistischen  Grundsätzen  regieren  und  das  Rad  des  Dharma  kräftig  drehen 
(12,  13),  um  <lann  schließlich  im  Himmel  wiedergeboren  zu  werden  (14), 
daselbst,  fest  im  Glauben,  ihre  Kenntnis  des  Dharma  zu  vertiefen  und 
folglich  die  Eitelkeit  alles  Tuns  zu  erkennen  (15).  Immer  wieder  erhöhen 
die  Umgänge  um  die  Thüpas  ihre  Heiligkeit.  Sie  werden  auf  der  Erde 
im  Mutterleib  wiedergeboren  (16),  verweilen  darin  unbefleckt  (17)  und  ohne 
der  Mutter  Wehen  zu  verursachen  (18).  Alle  Blut-  und  Anverwandten 
spenden  ihnen  ihre  Liebe  und  Muttermilch ;  ihre  Reichtümer  wachsen  stetig 
an  (19,  20);  böse  Geister  haben  über  sie  keine  Macht  {21).  So  durch- 
wandert ein  solches  Wesen  unzählige  Existenzen,  die  ihn  immer  weiter 
emporführen  (22—31),  bis  ihm  Erlösung  von  menschlichen  Übeln  und  Qualen, 
Begierde  und  Lust  zuteil  wird,  nebst  Weisheit,  göttlicher  Vernunft,  Wesens- 
liebe und  bodhi  der  Buddhas,  und  er  dann  als  purpur-goldenes  Licht  der 
Welt  vor  Göttern  und  Menschen  auftritt  als  Verkünder  des  Dharma  des 
Heils  (32—38). 

Es  ist  klar,  daß  dieses  Thema  der  Existenzwandlungen  sich  in  allen 
möglichen  Tonarten  und  mit  allen  denkbaren  Variationen  bearbeiten  ließe, 
und  daß  Buddha  also  vollkommen  recht  hatte,  am  Schluß  seiner  Predigt 
zu  behaupten,  daß  sicli  Lehrreden  über  den  segensreichen  Einfluß,  den 
Umgänge  um  die  Thüpas  ausüben,  bis  ins  Unendliche  abhalten  ließen. 
Gleichermaßen    verständlich    ist   es,   daß   der    durch    dieses  Sütra    so    klar 


Die   Pagoden  in  China.  79 

ans  Licht  gerückte  Wert  der  Thüpas  als  Werkzeuge  zur  Beglückung,  Er- 
lösung und  Seligmachung  der  Wesen  nur  einer  Auswahl  des  Mönclitums, 
den  Esoterikern.  begreiflich  ist.  Die  große  Mehrzahl,  und  die  Laien  erst 
recht,  müssen  sich  zufrieden  geben  mit  allgemeinen,  verschwommenen  Vor- 
stelhmgen  vom  Glück,  das  diese  Zauhertürme  Mensch.  Geist  und  Tier  an- 
gedeihen  lassen.  Diese  Begriffe  schöpfen  stets  neuen  Nahrungsstoff  aus 
landläufigen  Erz<ählungen  und  Legenden,  deren  Geburtsstätten  wohl  haupt- 
sächlich in  den  Klöstern  zu  suchen  sind,  und  die  sich  besonders  nützlich 
erweisen  zur  fortwährenden  Belebung  der  Opferwilligkeit  der  dänapati.  Es 
wird  darin  erzählt  von  Seefahrern  und  Fischern,  die  den  Thüpas  und  ihrer 
Beleuchtung  Rettung  vor  Schiffbruch  uml  Untergang  verdankten;  von  Schutz, 
welchen  diese  Türme  den  armen  Fischen  angedeihen  lassen,  so  daß,  indem 
die  Lampen  brennen,  die  Netze  der  Fischer  leer  bleiben;  auch  von  Leuten, 
denen  liebe  Verwandte  im  Traum  erschienen,  mit  der  Mitteilung,  daß  die 
Thüpas  ihre  Folterungen  in  der  Hölle  sehr  milderten;  usw.  Eine  der  niedlich- 
sten I lieser  Erzählungen,  aus  den  ^/Xj^/^,  Tär'-kiang  t'vng  tsi,  »Allge- 
meine Denkschriften  von  Tf<t^'-/cio/ig>^  in  Kap.  124  des  T'ii-Su  fsi'-ta'ing  zitiert, 
sei  hier  beispielsweise  wörtlich  wiedergegeben: 

Das  Kloster  des  lindes  der  Reinheit  hat  einen  Thilpa.  Jede  Nacht  ließ  es  durch 
umhergehende' Mönche  Geld  sammeln  für  Ol  und  die  Lampen  anstecken,  und  diese  blieben 
dann  bis  Tagesanbruch  brennen,  so  daU  Flußschifter  und  Seefahrer  den  Ihfipa  als  Bake 
benutzten.  In  der  Vitr'wAe  Sao-hivg  (1131 — 1163)  erloschen  plötzlich  in  der  zweiten  Wache 
die  Lampen  auf  dem  Thüpa.  Die  Klosterbrü<lpr  glauliten,  das  käme  wohl  daher,  weil  die 
undiergehen<len  Sammler  das  (Mgeld  untei-schliigen,  und  sie  befragten  sie  <larob.  Jedoch 
sie  bekamen  von  den  l'mstehenden  den  Bescheid,  daß  jede  Nacht  gegen  Ende  der  Wache 
eine  ganze  Truppe  von  nienschiihnlichen  Wesen  aus  dein  Westen  heranfliege  und  sich 
wiraniernil  und  wehklagend  auf  dem  Thüpa  versammle,  und  daß  dann  die  Ijimpcii  sofort 
erlöschten.  Die  Alönche  konnten  das  nicht  so  ohne  weiteres  glauben,  zündeten  in  der  nächsten 
Nacht  selbst  die  Lampen  an  und  hielten  Wache;  und  wirklich  kam  bei  Anbruch  der  Wache 
eine  Truppe  von  wohl  mehr  als  tausend  ol)en  zu  dem  Thüpa  hin:  Jeder  tauchte  die  Finger 
in  das  Ol  und  schmierte  es  auf  seine  Wunden.  Sofort  schritten  die  Mönche  auf  sie  los  mit 
der  Frage,  was  sie  denn  damit  wollten.  Alle  machten  den  Siirnaufschlag  und  sprachen: 
»Wir  sind  gefallene  Krieger  der  Aimee  des  oberen  //«i »-Flusses;  wir  haben  das  gnaden- 
volle Licht  des  Triratna  erblickt  und  erbitten  etwas  von  dem  öl:  denn  beschmieren  wii' 
damit  unsere  von  Schwert  und  Pfeil  verui'sachten  Wunden,  dann  genesen  sie  sofort,  und 
un.s  wird  gestattet,  wieder  eine  Existenz  zu  durchleben.«  Als  die  Mönche  dann  fragten: 
•  Welche  Existenzlaufhahn  (jM"  Weg.  gati)  werdet  ihr  dann  durchleben!'"  da  stellte  sich 
die  ganze  Armee  in  vier  (iliedei-n  auf,  und  sowohl  die  \'orn-  wie  die  Hintenstehenden 
antworteten:  »In  der  kommenden  Existenz  werden  wir  leben  als  begüterte  und  ansehnliche 
Personen:  sobald  nur  das  Ol  dieser  Lampen  unsere  Wunden  geheilt  hat.  werden  wir  in 
jene  Existenz    ül)ergchen."      Nunmehr    kauften    die  Mönche    noch  mehr  Ol  ein,   vermehrten 


so  I)  K  G  u  o  ()  T  : 

die  Zahl  der  l.aiupeii  uiul  fiillten  damit  den  gati/en  'l'hfipa,  und  jede  Nacht  waren  die  Ge- 
spensterscharen immer  wieder  da,  um  ihre  Wunden  mit  dem  Öl  zu  salben.  So  verfloß  ein 
hail)es  Jiihr,  während  ihre  Zahl  immer  mehr  abnahm,  bis  /u  guter  Letzt  gai-  keine  mehr  kamen. 


Fünftes  Kapitel. 
Kleine  Thüpas. 

Sind  die  Thüpas  lieilige  Zauberwerkzenge,  mittels  welclier  die  Kirche 
die  leuclitende  Ileilslehre  des  Weltalls  und  ihre  erlösende  Kraft  in  die 
Welt  hinaussendet,  so  liegt  es  in  der  Natnr  der  .Sache,  daß  dieselbe  Kirche 
auch  kleinere  Thüpas  erfunden  hat,  die  in  bescheidenerem  Maße  und  auf 
geringere  Entfernungen  hin  lediglich  von  speziellen  Unterteilen  der  Heils- 
lehre die  Segnungen  verbreiten.  Die  Heilslehre  ist  die  gesamte  heilige 
Schrift,  die  Tri]iitaka  und  der  darin  lebende  heilige  Geist.  Somit  lassen 
sich  einzelne  Sütras,  daraus  entnommene  Sätze,  g<äthä's  oder  Verse,  und 
dhärani's  oder  Worte,  denen  seligmachende  Kraft  innewohnt,  erfolgreich 
auf  solchen  kleinen  Thüpas  anbringen,  zusammen  mit  Statuen  von  Buddhas 
oder  Rodhisattvas,  die  sie  zur  Heiligung  'der  Wesen  predigen  oder  aus- 
sprechen. Besonders  in  Klöstern,  wo  ein  großer  Thüpa  zu  den  frommen 
Wünschen  gehört,  empfehlen  sich  solche  kleineren  als  Ersatz,  zumal  sie 
sich  mit  geringem  Kostenaufwand  errichten  lassen.  Sie  passen  sich  vor- 
trefflich der  Spezialisierung  der  so  umfongrcichen  Seligmachungsmethode 
an  und  sind  somit  nützliche  Werkzeuge  zur  Verwirklichung  der  liöchsten 
Aufgabe  der  Mahäyäna-Religion :  Seligmachung  aller  Wesen  in  jeder  Art 
und  Weise,   die  sich  nur  erfinden  und  ersinnen   läßt. 

Etwa  zwei  bis  drei  Meter  hohe  Thüj^as,  sehr  verschiedenartig  gestaltet, 
achteckig,  rund,  quadratisch,  massiv,  aus  Granitquadern  zusammengesetzt, 
kommen  zahlreich  in  den  südlichen  tmd  zentralen  Provinzen  vor.  Sie  haben 
zumeist  einen  Sockel  mit  Gesims  und  Wulst  oder  in  Gestalt  einer  Lotus- 
biumc,  und  auf  dem  Dach  nicht  selten  eine  Stange  aus  (iranit,  so  daß  sie 
liäufig  den  Grabthupas  der  Geistlichkeit  sehr  ähnlich  sind.  In  der  Front- 
fassade sieht  man  eine  gemeißelte  Nische  mit  sitzender  Statue  im  Halb- 
relief; oder  es  ist  auf  einer  oder  auf  mehr  Fassaden  eine  Reihe  von  kleinen 
Nischen  mit  solchen  Statuen  zu  sehen.  Vi(>le  solcher  Thüpas  tragen  die 
eingemeißelte  heilbringende  Inschrift  »Namo  Buddha  Soundso« :  oder  Ü^PJ^ 
t!/ßBA.PÜill'f-  "^^ni  mani  jiadme  hum«.  Sie  sind  zumeist  sehr  verwittert 
und  offenbnr  Jahrhunderte  alt.    Wohlbegreiflich  sind  sie  in  allererster  Linie 


Die   Pagoden  in   China.  81 

in  den  Klöstern  zu  finden,  und  zwar  links  und  reclits  vor  dem  großen 
Tempel,  nicht  selten  sogar  mit  mehreren  zusammen  auf  beiden  Seiten  des 
Hofs  in  gleichen  Entfernungen.  Man  trifft  sie  aber  auch  auf  Anhöhen  in 
der  Umgebung,  sogar  versteckt  im  Wald  und  (rebüsch.  Weiter  sind  sie 
auf  alten  Granitbrücken,  l)ci  P'ähren  und  an  allerhand  Stellen  zu  finden, 
angeblich   zur  Vertreibung,   Abwehr  und  Vernichtung  von  Übel. 

Von  manchem  wohlbekannten  \nul  vielverehrten  Buddha  sagt  die 
lieilige  Schrift,  daß  er  sich  zur  Erlösung  der  Wesen  von  übel  aller  Art 
im  Nirvjina  einer  Universaldharani  bedient,  und  daß  er  diese  sogar  <len 
Wesen  liekanntgegeben  hat,  damit  sie,  seelenrein  und  tiefgläul>ig,  jeiu'  mit 
eigenem  Munde  aus.sprechen  und  somit  tlbel  al»wehren  oder  vernichten. 
Auf  manchem  kleinen  Thuiia  steht  solch  eine  Leilidliarani  gemeißelt,  neben 
dem  Buddha,  der  sie  schuf.  In  vielen  Fällen  ist  er  einer  der  sieben  Mä- 
im.sibuddhas  oder  »Menscli-buddhas^i,  d.  h.  Srikyamuni  oder  einer  seiner 
secJis  unmittelbaren  Vorgänger,  ein  jeder  das  Licht  einer  vergangenen 
Sonnen  per  iode.  Somit  verstellt  die  Kirche  es  vortrefVlich,  für  die  jetzigen 
Wesen  die  erlösende  Lichtkraft  des  VVeltgesetzes  aus  unermeßlichen  Zeit- 
altern der  Vergangenheit  nützlich  zu  verwerten.  Noch  viel  weiter  aber 
geht  die  Macht  ihrer  bodhi,  ihrer  allseligmachenden  Vernunft;  denn  sie 
liat  einen  Thnpa  erdacht,  der  die  siebenfache  seligmachende  Kraft  der 
}Iänu.sil)uddhas  in  sich  allein  vereint.  Dieses  wunderbarste  aller  Heilwerk- 
zeuge ist  der  -tif^ift  "Tluipa  der  7  Buddhas«,  eine  achtseilige  Stein- 
säule, von  denen  sieben  .Seiten  jede  den, Namen  eines  dieser  Buddhas  trägt. 
mit  dem  Vorsatz  Namo  und  n)it  seiner  LeibdhJiraiii,  eventuell  mit  einer 
mächtigen  gäthjl  noch  dazu,  unendlich  wirkungsvoll  un<l  dennoch  .so 
einfach  steht  dieser  steinerne  Seligmacher  da,  anspruchslos,  vereinsamt 
in  der  Umgebung  .seines  Klosters,  oft  zwischen  Bäumen  versteckt,  so  daß 
.sogar  viele  Brüder  kaum   von   seinem   I)as<'in   etwas   wissen. 

Ein  interessantes  Beispiel  der  Verbreitung  des  erlösenden  Heils  n)ittels 
auf  Thupas  angebrachter  heiliger  Schrift  l)ieten  die  lamaisiischen  |^^' 
»Gelben  Klöster«,  die  nördlicli  der  Stadtmauer  Pekings  liegen,  offenbar 
zur  .Sicherstellung  des  Fmiy-&iii  oder  geomantischen  Glücks  des  Palastes. 
Das  östliche  Kh>ster,  der  ^  m|^ Ip'!'  ji^v  "Dhyäna-Wald  der  vuiiversellen  Ruhe«, 
bestand  bereits  vor  der  Mantschu-Dyna.stie  und  enthält  im  liaupttempel 
Statuen  des  Triratna.  Unmittelbar  daneben  liegt  in  derselben  Ummaue- 
rung   das    westliche   Kloster,    im   g.  Jahre   der   Sw/z-Av/'-Periode  (1652)   vom 

Vhit.-hhI.  Atth.    i!ll!>.    .\r./l.  II 


82  I)  '•:  (ji  K  o  o  T  : 

Dalai-lama  gegründet;  seine  kolossale  Kirche  enthält  gleichfalls  das  Triratna 
und  dazu  noch  viele  andere  Heilige.  Hier  nun  steht  ein  fast  gänzlich  aus 
weiBeni  Marmor  konstruiertes,  prächtiges  Monument,  wohl  einzig  in  seiner 
Art,  der  f^(^^}}^^^  »Thüpa  der  reinsten  Reinheit  und  der  Vollkommen- 
heit des  Vortrefflichen«.  P]r  erhebt  sich  im  Zentrum  einer  rechteckigen, 
nach  den  vier  Himmelsgegenden  orientierten  Terrasse,  die  elegante  Brü- 
stungen aus  Marmor  und  Backstein  trägt,  ausgenommen  in  der  Mitte  der 
Nord-  und  Südseite,  wo  statt  dessen  eine  schöne,  solide  jt$^  pai-fang 
»Pforte  mit  Inschrifttafel«  steht,  mit  drei  Durchgängen.  Von  dort  führt 
eine  Marmortreppe  auf  einen  rechteckigen,  aus  Quadern  konstruierten  Un- 
terbau eines  massiven  Urn-tluipa,  der  das  Zentrum  der  Terrasse  eiimimmt. 
Der  achtseitige  Sockel  dieses  Thupa  ist  verziert  mit  Halbreliefdarstellungen 
aus  dem  Leben  Buddhas,  von  seiner  Empfängnis  bis  zum  Nirväna.  Das 
schwere  Gesims  des  Sockels  trägt  das  Fußgestell  der  Urne,  das  aus  vier 
Schichten  besteht,  in  denen  auf  jeder  Fassade  zwei  Nischen  mit  sitzender 
Buddhastatue  angebracht  sind.  Auch  die  Urne  ist  hauptsächlicli  aus  Qua- 
dern. Ihre  bauchige  Wandlläche  trägt  in  gleichen  Entfernungen  acht  ste- 
hende Buddhafiguren  mit  der  dhyäna-Blnde  (s.  S.  47)  um  die  Stirn,  und 
vorn  zeigt  sich  in  einer  Nische  das  Triratna  in  sitzender  Haltung.  Eine 
l)reite,  sich  verjüngende  Stange  mit  bronzenem  Schirm  und  Abschlußknauf 
krönt  die  Urne.  . 

Zu  diesem  eigenartigen  Urn-thüpa  gesellen  sich  noch  vier  kleinere, 
einander  ähnliche  Thfipas  oder  vielmehr  Säulen,  achtseitig,  schlank,  massiv, 
einer  auf  jeder  Ecke  des  Unterbaus.  Stark  vorspringende,  schöne  Gesimse 
teilen  sie  in  Gliederungen.  Die  untere  Gliederung  eines  jeden  trägt  die 
heiligen  Inschriften;  die  drei  folgenden  Gliederungen,  erheblich  niedriger, 
zeigen  auf  jeder  Fassade  eine  Nische  mit  sitzendem  Buddha;  dann  folgen 
noch  drei  Gliederungen,  die  wiederum  viel  niedriger  sind  und  den  Ab- 
schlußknauf tragen.  Was  nun  die  Inschriften  betrifft,  so  trägt  der  Thüpa 
der  südöstlichen  Ecke,  auf  diesem  Heiligtum  des  Weltlichts  natürlich  die 
vornehmste,  das  ^ IfÖ ^B  5^  4>^  j|||M  "Sütra  der  eigenen  Gelübde  des  Ta- 
tiiägata  Arzneimeisters«,  also  des  auf  S.  58  erwähnten  Buddhas  des  auf- 
gehenden Sonnenlichts.  Es  schildert  den  gewaltigen  Einfluß,  welchen  dieser 
Buddha  durch  die  Macht  seiner  (ielübde  morgens  ausübt  in  der  Welt,  und 
seine  Verlesung  bildet  daher  den  Hauptteil  der  frühen  Morgenandacht  jeder 
Klosterbrüderschaft.     Von  den  drei  anderen  Thupas   trägt  einer  eine  Anzahl 


bU'  Pdyodni  in   China.  815 

(Ihcärani:  ein  anderer  ebenfalls  dhärarii,  die  als  i^i'f{^^^^^  ver- 
zeichnet sind;  der  vierte  das  ^^ll^^Ö^fM^^  Yajraprajnapäramitä- 
sütra  (Bunyiu-nanjio,  Nr.  lo).  Die  Modelle  dieser  Inschriften  wurden  auf 
kaiserlichen  Befehl  im  49.  Jahre  der  Z''jm-te5r-Periode  (1784)  durch  zwei 
Reichsgroße  geschrieben,  im  selben  Jahre,  als  das  Monument,  ebenfalls  auf 
kaiserlichen  Befehl,  gebaut  wurde. 

In  den  chinesischen  Schriften  aller  Jahrhunderte  werden  so  sehr  viele 
Thiipas  erwähnt,  daß  der  Gedanke,  sie  haben  alle  der  Klasse  der  großen 
angehört,  sich  von  selbst  ausschließt.  So  erwähnt  z.  B.  das  ^^^|^  yhmy 
liang  lu  von  ^  ^  i^  ^u  Tse-mu,  ein  Werk  in  20  Kapiteln  voll  histori- 
scher, ethnographischer  und  wirtschaftlicher  Einzelheiten,  insbesondere  über 
l^)\\  Hany-tmu,  die  Hauptstadt  von  Täe'-kiang,  für  diese  Stadt  allein 
nicht  weniger  als  39  Thüpa  (s.  Kap.  15),  worunter  drei  aus  Eisen.  Ganz 
gewiß  können  eiserne  Thüpas,  die  in  der  Literatur  oft  erwähnt  werden, 
nur  ausnahmsweise  von  ansehnlicher  Höhe  gewesen  sein.  Ciiavannes  gibt 
die  Abbildung  eines  ziemlich  hohen  mit  neun  Gliederungen  als  Nr.  1038 
seines  Albums  der  »Mission  Archeologi(|ue«,  und  ebenda  als  Nr.  922  und 
923  eines  1 3  stöckigen  bei  K'ai-fung,  der  aus  Eisen  sein  soll,  aber  es 
vielleicht  nicht  ist.  Auch  vier  kleine  Thüpas  aus  Bronze,  die  in  Klöstern 
auf  dem  51^  Wv-t' ai-^erg^  in  San-si  stehen,  bildet  er  ab  als  Nr.  i  106 
bis   I  109. 

Sechstes  Kapitel. 
Thüpa  und  Geoinantik. 

Die  vorliegende  Abhandlung  hat  erwiesen,  daß  die  esoterische  Heils- 
lehre des  Mahäyäna-Buddhismus  das  Weltgesetz  zur  Grundlage  hat,  die  Welt- 
ordnung, die  Quelle  alles  wirklichen  und  imaginären  Glücks.  Diese  Grund- 
lage war  auch  die  des  altchinesischen  philosophisch-religiösen  Systems, 
aus  dem  der  Taoismus  und  der  Konfuzianisinus  erwuchsen,  nämlich  das 
jM[  Tao,  der  »Weg«  oder  «Gang«  des  Alls.  Also  sind,  wie  ich  unlängst 
in  einem  Spezialwerk  über  »Universismus«  dargetan  habe  (daselbst  S.  2), 
die  drei  Hauptreligionen  Cliinas  drei  Äste  eines  gemeinsamen  Stammes: 
der  Religion   des   Universums. 

Es  wäre  gewiß  denkbar,  daß  sicli  der  Buddhismus  erst,  naclidem  er 
sich  auf  dem  chinesischen  Boden  eine  neue  Heimat  erworben,  unter  dem 
mächtigen  Einfluß  des  dort  von  alters  her  herrschenden  taoistischen  Systems 


zu  einer  universistischoii  Religion  nnibildete.  Für  eine  solche  Hypothese 
Jnit  jedocli  eingeJiemles  Studium  über  den  Entwicklungsgang  des  chine- 
sischen Buddliismus  in  den  ersten  Jahrhunderten  unserer  Zeitrechnung  bis- 
lier  noch  immer  keine  feste  Grundlage  geschaffen.  Vielmehr  spricht  der 
Stand  der  wissenschaftlichen  Kenntnis  des  Buddliismus  für  die  Annahme, 
daß  höchstens  von  einer  universistischen  Weiterentwicklung  dieser  Religion 
auf  chinesischem  Boden  die  Rede  sein  könne,  weil  der  universistische 
Cliarakter  ihr  schon  in  Indien  angeboren  war.  F]s  läßt  sich  also  an  eine 
uralte,  gemeinsame  Wurzel  der  asiatischen  Religionen  glauben,  vielleicht  ein- 
schließlich der  von  Assyrien  und  Babylon,  eine  Wurzel,  die  sich  in  fol- 
gende Worte  fassen  ließe:  Ehrfurcht  vor  der  Majestät  des  Alls,  das  alles 
Licht,  alle  Vernunft,  alles  Gute  in  sich  hat,  und  worin  aufgenommen  und 
aufgelöst    zu  werden    das    höchste  Heil    bringt,    Erlösung  von   allem   Übel. 

So  gut  wie  der  Mahäyäna-Buddhismus,  hatte  und  liat  noch  immer  der 
urehinesischc  Universismus  seine  esoterischen  Lehren  und  Wissenschaften. 
seine  |/jtf  .sii\  Eine  von  diesen,  in  der  Regel  jÜ^i^fC  Fung-sui,  »Wind-  und 
Wasser«,  genannt,  griff  zu  allen  Zeiten  besonders  tief  ins  Volksleben  hin- 
ein. Es  war  nämlich  ihre  Aufgabe,  dafür  zu  sorgen,  daß  Häuser,  Dörfer, 
Städte,  Landschaften,  Gräber,  Tempel,  kurz  alle  Wohnstätten  der  Menschen, 
Toten  und  (Jöttcr,  möglichst  unter  günstigen  Einilüssen  des  Tao  o<ler  der 
VVeltordnung  sich  hefinden,  auf  daß  ülterall  nur  Glück  und  Wohlfalirt 
herrsche.  Ausführlieh  ha])e  ich  diese  Geoniantik  in  anderen  Werken  er- 
örtert', und  es  braucht  also  nicht  hier  auf  sie  eingegangen  zu  werden. 
Wohl  aber  ist  es  hier  am  Platze,  zu  bemerken,  daß  sie  die  buddliisti- 
schen  Tempel  und  Thüpas  in  ihren  Dienst  gestellt  und  dadurch  die  Be- 
deutung dieser  Heiligtümer  für  das  chinesische  Leben  bis  zum  Höchst- 
maß gesteigert  hat. 

Wohl  verstand  es  die  (ieomantik,  nach  ihrer  Art  für  den  Bau  von 
Wolmstätten,  (iräbem  und  Tempeln  glückverheißende  Stellen  ausfindig  zu 
machen,  wo  Berge,  Anhöhen,  (rewässer,  Bäume,  kurz  alle  unter  der  Ein- 
wirkung von  Sternen  und  Gestirnen  stehende  Bodengestaltungen  günstige 
Einflüsse  des  Weltalls  zusammenzogen.  Allein  den  Geist  oder  die  Kr.aft 
der  leuchtenden  Weltordnung,  der  Quelle  alles  Segens,  an  jeder  beliebigen 
Stelle  festzubannen  zur  Sicherung  des  Glücks  ganzer  Gegenden,  das  war 
eine  Kunst,  welche  die  Vernunft  der  Weisesten  aller  Professoren  der  Geomantik 

'    »'llic  KL'ligious  System  of  Cliiiiii»,  Bd.  HI,  S.  93511'. —  »Univei-sisniuS",  Kap.  13. 


Dil'  Paijodi'U  In.   CldiKi.  8;") 

noch  nie  bewältigt  hatte,  und  die  nur  der  Buddhismus  \  erstand.  Baute  sich 
ja  diese  Religion  Kl(xsterkirclien  mit  Statuen  des  Dliarma  und  dt's  Buddha, 
aus  denen  IJcht  und  Segen  der  Weltordnung  strömten,  und  daneben  Thupas, 
die  dasselbe  taten  mit  erheblicli  größerer  Kraft  bis  zum  fernen  Horizonte. 
Es  ließe  sich  daher,  mittels  dieser  Heiligtümer,  das  Jatirj,  die  Weltseele 
des  Lichts  und  des  Heils  (vgl.  S.  36),  überall  hinlenken,  wohin  die  Weisen 
der  Geomantik  es  fvir  nötig  oder  nützlich  hielten.  Man  brauchte  sie  nur  als 
Schutzheiligtümer  des  Fumj-svi  ganzer  Gegenden  an  geeigneten,  genau  be- 
rechneten Stellen  zu  erbauen,  wo  Einflüsse  des  Himmels  und  der  Erde 
zusammentlo-ssen  und  die  Wirkung  {.im,  Uny,  s.S.  37)  der  Gebäude  zum 
höchsten  Grad  zu  steigern  in  der  Lage   waren. 

(iewiß  ließ  sich  die  Kirche  diese  iliren  Heiligtümern  zugedachte  Rolle 
gern  gefallen :  muß  sie  ja  gerade  darin  ein  (birchaus  geeignetes  Mittel  er- 
kannt haben,  um  sich  in  der  von  Behörden  und  Volk  ihr  bisher  entgegen- 
gebrachten Duldsamkeit  und  im  allgejneinen  Wohlwollen  fester  zu  ver- 
ankern. Von  nun  an  opferte  ein  jeder,  oh  gläubiger  Anhänger  der  Kirche, 
ob  Konfuzianer  oder  Taoist,  freudig  seine  Pfennige  fiär  den  Unterhalt  oder 
die  Erneuerung  der  (iebäude  des  Klosters,  in  dessen  Bannkreis  er  wohnte, 
oder  zur  Vergrößerung  von  dessen  Grundbesitz.  In  solchem  Bannkreis  sprach 
fortnn  ein  jeder  von  seinem  Fung-Aid-KXostitv ,  von  seinem  /'»////-.vm-Thupa 
und  betrachtete  di<'se  (iebäudc  als  gemeinsames  Besitztum.  Manches  Kloster 
verdankte  nunmehr  dem  Funy-stii  sogar  seine  Gründung.  Begüterte  und 
Notabein,  die  Mandarinen  an  der  Spitze,  bildeten  Ausschüsse  von  ^'^ 
tvmj-Si,  »Sac;!! waltern«,  welche  die  Geldsanmdungen  <lurch  freiwillige  Sub- 
skription besorgten  und  unter  sachverständiger  Führung  von  Fimg-kü-ih^- 
lelirten  Bau  und  Herstellungsarbeitön  vornehmen  ließen.  So  wurde  ein 
jeder  nach  seinem  Vermögen  Göimer  der  Kirche,  d.änapati  (vgl.  S.  68),  und 
ohne  Klosterbruder  zu  werden,  setzte  er  dadurch  zwecks  Erlösung  der  Wesen 
uikI  Förderung  ihres  stofflichen  Wohlseins  seine  Kräfte  zum  Drehen  des 
Dharma-rads  an,  abgesehen  davon,  daß  seine  Opferwilligkeit  ihm  noch  oben- 
drein einen  Platz  in  den  Reihen  der  Vornehmen  einbraclite.  So  gingen 
di<'  stoß'lichen  Interessen  des  Menschtums  praktisch  Hand  in  Hand  mit 
denen  für  seine  Seligkeit  in  kommenden  Existenzen,  .\ltchinesischer  Uni- 
\  ersismus  verbrüderte  sich  innig  mit  dem  buddhistischen  ujiter  der  Fahne 
der  allgemeinen  We.sen.sliebe.  So  wurde  die  aus  Bnrbarenland  stammen(h' 
und  snniit  vom  Staatskonfuzianisnnis  grinidsätzlieh  als  ketzerisch  verschrieni 


86  OK   Gkoot: 


Relio-ion  ein  unentbehrliches  Element  im  chinesischen  Leben  und  konnte 
sich  somit  vor  Verfall  und  Untergang,  sogar  vor  gewaltsamer  Ausrottung 
durch  den  Staat  schützen. 

Fung-M  bedeutet  »Wind  und  Wasser«,  das  heißt,  die  Hauptfaktoren 
der  Geomantik  sind  diese  zwei  Elemente,  von  denen  in  China,  wo  im 
Sommer  vorherrschende  südliche  Winde  Regenfall  bringen,  Ackerbau  und 
Volksernährung  abhängig  sind  und  somit  Glück  und  Unglück  der  Mensch- 
heit bestimmt  werden.  Damit  im  Drehen  des  Weltrads  keine  Störung  ein- 
tritt, und  also  die  richtigen  Zeiten  den  richtigen  Wind  und  Regen  bringen, 
ist  es  eine  der  Hauptaufgaben  des  Sangha,  mittels  geeigneter  religiöser  , 
Kultgebräuche  auf  die  in  Klöstern  und  Tliüpas  wohnende  Weltallkraft 
einzuAvirken.  Diese  Zeremonien  stellen  ein  eigentümliches  Gemisch  von 
buddhistischem  und  nichtbuddhistischem  Universismus  dar.  So  werden,  je 
nach  Bedarf,  Regen  und  klares  Wetter  erzeugt,  auch  Heuschreckenplagen  ab- 
gewendet' und  Überschwemmungen  vorgebeugt.  Folglich  ist  die  bud- 
dhistische Geistlichkeit  von  selbst  auch  eine  Priesterschaft  des  Funy-sui 
geworden,  also  des  Taoismus,  von  dem  das  Funy-äui  ein  Hauptunterteil  ist. 

Das  dem  Ackerbau,  in  erster  Linie  dem  Reisbau  unentbehrliche  Wasser 
entströmt  den  Bergen.  Dort  also  wohnen  und  walten  die  ^  luny  oder 
»Drachen«,  am  liebsten  ehrerbietig  ff  :£  Luny-wany,  »Drachenkönige«, 
genannt,  welche  durch  Verdichtung  der  Wolken  Regen  erzeugen  und  folg- 
lich den  Wasserstand  der  Flüsse  und  Bäche  beherrschen.  Diese  segen- 
spendenden Wassergötter  können  aber  unter  Umständen  recht  gefahrlich 
werden  und  die  Urheber  sein  von  Gewitterstürmen  und  Überschwemmungen, 
sowie  von  verheerender  Dürre.  Deshalb  sind  viele  große  Klöster  und  eine 
Unmenge  von  kleineren  und  ganz  kleinen  als  Regulatoren  des  Regenfalls 
mehr  oder  weniger  hoch  auf  den  Abhängen  an  den  Flußquellen  erbaut, 
häufig  in  malerischer  Lage  zwischen  vom  Wasser  bloßgelegten  Felsblöcken. 
Diese  Entlegenheit  in  reiner,  frischer  Luft  entspricht  der  Befreiung  vom 
irdischen  Staub  und  Gewühl,  welche  die  Seligkeitssucher  erstreben;  da- 
durch auch  sind  die  Klöster  beliebte  Ausflugsorte  begüterter  dänapati,  in- 
sonderheit während  der  Sommerhitze.  Manche  in  der  Literatur  erhaltene 
Überlieferung  bestätigt,  daß  an  solchen  Orten  in  der  alten  Zeit  Drachen 
Sturm  und  Überschwemmung  verursachten  und  durch  buddhistische  Geist- 
liche mittels  Sütras,  dhäranis  und  andere  religiöse  Zauberraittel  bezwungen 

'    Au.sfüfirliches  hk'i'iiber  in    »Le  Code  du  Mahäyäiia«,  Kap.  8. 


Die  Pagoden   in   Chiiut.  87 

oder  in  trocknen  Zeiten  zu  Regenerzeugung  genötigt  wurden,  und  daß  diese 
Ereignisse  Anlaß  zum   Bau    der   nunmehr  da    befindlichen  Klöster  gaben'. 

Die  Auffassung,  daß  Wolken,  Gewitter  und  Regen  von  Draclien  er- 
zeugt werden  und  diese  Götter  somit  entweder  Mäßigung  oder  Anregung 
erfordern  mittels  buddhistischer  Tempel  imd  Thiipas,  scheint  keineswegs 
ausschließlich  auf  chinesischem  Boden  entstanden  zu  sein.  In  der  Zeit 
des  Hürn-tmany  muß  sie  auch  in  Indien  und  Turkestan  geherrscht  habeii. 
Wir  lesen  nämlich  in  den  Reiseberichten  dieses  Pilgers  im  3.  Kapitel  (Julien 
Bd.  I,  S.  152)  von  einem  Teich,  zu  dessen  Drachen  die  Geistlichkeit  erfolg- 
reich um  Regen  und  helles  Wetter  zu  beten  pflegte;  auch  noch  (ebenda S.  1 34) 
vom  Drachen  eines  Flusses  in  Udyäna,  der  Sturm  und  Wind  entfesselte,  so 
daß  die  Feldfrüchtc  großen  Schaden  erlitten,  und  der  deshalb  vom  Herrn 
mittels  einer  Predigt  bekehrt  wurde.  Im  7.  Kapitel  (Jul.  I,  360)  lesen  wir 
dann  von  einem  Teich,  dessen  Drachenkönig  gelegentlich  Wind  und  Regen 
entfesselte.  Das  12.  Kapitel  (Jül.  II,  240)  enthält  die  Legende  eines  Flusses 
in  Choten.  der  plötzlich  zu  strömen  aufhörte,  weil  sein  Drache  hin- 
■  geschieden  war.  bis  der  König,  zur  Rettung  des  bedrohten  Ackerbaus, 
einen  Minister  ins  Wasser  gehen  ließ,  um  den  Draclien  zu  ersetzen.  Noch 
an  anderen  Stellen  ist  in  Ilüen-tmang' s  Schriften  von  Fluß-  und  Seedrachen 
die  Rede.  Am  schlagendsten  aber  tritt  die  Gleichheit  der  chinesischen 
und  indischen  Funy-Sui-Etign^G  &ns  Licht  im  i.  Kapitel  in  den  Berichten 
über  Kapisa  (Jui,.  I,  S.  47  ff.).  Unter  Weglassung  von  hier  völlig  bedeutungs- 
losen  Abschweifungen   lesen   wir  dort  folgendes: 

('her  200  Li  iiordwestlicli  der  Königsstadt  kam  er  an  einen  großen  Schneeberg.  Darauf 
liegt  ein  See,  wo,  wer  um  Hegen  und  klares  Wetter  betet,  eine  der  Bitte  entsprechende 
Verwirklichung  seines  Wunsches  erlangt.  Kr  vernahm  dann,  daß  die  alte  Geschichte 
folgendes  l>erichtet: 

Dereinst  gab  es  im  Reiche  Gandhära  einen  Ärhat,  der  immer  vom  Drachenköiiig  mit 
Nahi  ung  vcrechen  wurde  .  .  .  Sein  Gefolgsmann,  ein  srämanera,  .  .  .  starb  iind  wurde  Groß- 
köiiig  der  Drachen.  Dessen  Macht  entfaltete  sich,  und  seine  Bosheit  kam  ziiiu  Ausl)rucl\; 
ei-  begab  sich  in  den  See,  ermordete  den  Drachenkönig  und  bezog  dessen  Drächenpalast  .  .  . 
Dann  rief  er  gewaltige  Wind-  und  Regenstürme  liervor,  welche  Bäume  umwarfen  und  ent- 
wurzelten. Kr  wollte  nun  auch  die  sanghäräma  (Klöster)  verwüsten,  und  König  Kaniska,  den 
das  befremdete,  entsandte  Bolen,  um  Kundschaft  einzuholen:  und  durch  sie  gab  ihm  der 
Arhiit  über  die  Sachlage  Bescheid.  Nun  ließ  der  König  gegen  diesen  Dracherv  am  Schnee- 
berge einen  sanghäräma    erbauen    und   einen  mehr  als  hundert  Fuß  hohen  Stüpa  errichten. 

'  E^  sei  hier  auf  die  vortreffliche  Monographie  hingewiesen,  welche  Prof.  M.W.  De  Visser 
der  l^eidener  Univei'sität  unter  dem  Titel  -The  Draijon  in  China  aiid  .lapan"  \eröfllent- 
licht  hat. 


88  DK   (Jroot: 

Jfdotl]  die  von  (kill  Diadien  g(!liegte  Böswilligkeit  war  von  Dauer,  und  er  entfesselte 
den  Wind  und  den  Hegen.  Es  war  des  Königs  Herzenswunsch,  womöglich  Hilfe  zu  bringen, 
und  der  Drache  wütete  immer  weiter  mit  seines  Zornes  Gift.  Serh.smal  fiel  der  sanghäräma 
mit  dem  Stfipa  in  Trüiiimer,  und  siebenmal  wurden  sie  wieder  erbaut.  Es  verdroß  König 
Kaniska.  daß  sein  Werk  immer  wieder  mißglückte,  und  er  wollte  nun  den  See  des  Drachen 
zuschütten  und  so  sein  Wohnhaus  verwüsten.  Sofort  brachte  er  eine  Kriegsmacht  auf  die 
Beine  und  zog  nach  dem  Schneeberg  hin ;  aber  da  verwandelte  sich  der  Drachenkönig, 
den  tiefe  Furcht  packte,  in  einen  alten  lirähman,  der  sich  mit  der  Stirn  auf  der  Erde 
vor  des  Königs  Elefanten  niederwaif  und  ihm  diesen  Rat  erteilte:  "Großer  König,  .  .  . 
weshalb  läßt  du  dich  nun  au!"  einen  Streit  mit  einem  Drachen  ein;'  Zwar  ist  ein  Drache 
ein  Tier  niedriger  Art  und  von  böser  Sorte:  aber  er  besitzt  eine  große  Macht,  die  nicht 
durch  Kraft  zu  bekämpfen  ist.  Er  fährt  nämlich  auf  Wolken  und  Wind,  schreitet  durch 
den  Luftraum  und  durch  Wasser  und  läßt  sich  somit  nicht  durch  menschliche  Kraft  be- 
zwingen. Was  soll  also  dein  königliches  (iemiit  gegen"  ihn  zürnen  I  .  .  .  Icli  rate  dir  also. 
o  König,  deine  Kriegsmacht  wieder  heimzuführen.« 

König  Kaniska  befolgte  aber  diesen  Hat  nicht.  Sofort  ging  der  Drache  in  den  See 
zurück:  seine  Stimme  dröhnte,  und  der  Donner  rollte;  ein  Stuiinwind  entwurzelte  die  Bäume: 
es  regnete  Sand  und  Steine;  Wolken  und  Nebel  hüllten  alles  in  Dunkel.  Schrecken  und 
Furcht  ergriffen  Streitmacht  und  Pferde.  Nun  legte  der  König  sein  (Jeschick  in  die  Hände 
der  Drei  Kostb;irkeiten  (Triratna)  und  bat  sie  um  Errettung.  .  .  .  Gleich  darauf  stiegen  auf 
seinen  Schultern  große  qualmende  Flammen  empor,  nnd  der  Drache  zog  sich  zurück  ;  der 
Wind  legte  sich,  die  Nebel  rollten  sich  auf,  und  die  A\'olken  gingen  auseinander. 

Nun  befahl  der  König,  daß  jeder  im  Heere  einen  Stein  auf  der  Schulter  herantragen 
sollte,  um  den  See  des  Drachen  vollzuschütten.  Da  xerwandelte  sich  der  Drachenkönig 
abermals  in  einen  Brähman  und  bat  den  König  wieder,  mit  den  Worten:  »Ich,  der  Drachen- 
könig Jenes  Sees,  fürchte  deine  Macht  und  lege  mein  Schicksal  in  deine  Hand  .  .  .  Baue 
Jetzt  den  sanghäräma  wieder  auf,  ich  werde  es  nicht  wagen,  ihn  umzustoßen.  Entsende  öftere 
jemand,  der  das  (iebirge  aus  der  Ferne  beobachtet,  und  wenn  sich  darauf  dunkle  A\'olken 
bilden,  so  schlage  man  rasch  die  ghanta  (Glocke);  ich  werde  dann  den  Hall  vernehmen,  und 
meine  Bosheit  wird  aufhören. ■<  Also  erbaute  der  König  den  sanghäräma  und  den  Stüpa 
wiedei',    und    das   Beobachten  dei'  Wolken   in  der  Ferne  ist  bis  jetzt  nie  eingestellt  worden. 

V.s  werden  in  Oliina  wenig  Städte  zu  finden  sein,  in  deren  Umge- 
bung keine  buddliisti.schen  Klö.ster  oder  Tetnpel,  mit  oder  ohne  ThTipa, 
liegen  zur  I^escliützung  ilire.s  Fung-mi.  Erst  reclit  i.st  flas  mit  Peking  der 
Fall :  auf  allen  Seiten  i.st  sein  Fimg-Sui  und  das  des  Kaiserpalastes  in  dieser 
Weise  gesichert.  Weitaus  die  meisten  Klöster  und  Thüpas  liegen  dort  in 
den  I^ergabhängen  nordwestlich  der  Stadt,  sowie  in  der  Ebene,  welclie 
sich  von  dort  bis  an  die  Stadt  erstreckt.  Fast  alle  sind  an  Bächen  er- 
baut, dereli  Wa.sser  nach  der  Stadt  hinströmt  und  ihr  ;;JCJfl$  .<m/-wm  oder 
;/IC|^  i<ui-Uny,  »Geist  und  Kraft  des  Wassers«,  zuführen,  die  dann  auf  der 
Nord-  und  Westseite  des  Palastes  mittels  großer  Teiche  festgehalten  wird. 
Von  diesen   Klöstern   tnid  Thüpas   seien   nur  die   folgenden   erwähnt: 


Dil'  Pagoden  in  Ckvnn.  S9 

Die  JK'J^^  P(^   ta  Wu,    »acht  Hauptorte«. 

Das  ^'^z)t^  ^^  Ling-kuang  se,  »Große  Kloster  des  gotteskräftigen 
Lichts«,  mit  einem  glänzend  weißen,  massiven  Thüpa  von  13  Schichten, 
unten  mit  Laternen,  oben  mit  Glöckchen  ausgestattet.  Unweit  davon  liegt 
das  ^^^   Lung-tsuan  Jen,   »Kloster  der  Drachensprudel«. 

Das  auf  S.  46  ff.  besprochene,  an  einem  großen  Bach  liegende  Pi'-jün- 
Kloster  mit  fünffachem  Thüpa. 

Das  ~h^^;^^  Si'-fanq  -pu-kid  se,  »Kloster  der  universellen  Weis- 
heit aller  zehn  Weltgegenden « .  Es  wird  landläufig  ^  i^  ^  Wo-Fu  se, 
»Kloster  des  liegenden  Buddhas«,  genannt,  weil  im  Hintertempel  ein  bron- 
zenes Bild  den  Buddha  in  liegender,  vielleicht  schlafender  Haltung  dar- 
stellt, mit  dem  Kopf  nach  Westen,  wo  das  Weltlicht  ins  Nirväna  geht. 
Der  Haupttempel  enthält  das  Triratna  mit  Ananda,  Kasyapa  und  1 8  Arhats. 

Der  §|§f^  He'-lung  tan,  »Teich  des  schwarzen  Drachen«,  mit  Tempel 
des  Triratna  und  noch  einem  Tempel  mit  gelbglasierten  Dachziegeln,  in 
dem  sich  die  Statue  eines  Drachengottes  befindet,  mit  schwarzem  Antlitz 
und  Kleidung  eines  Reichsmagnaten.  Hinter  ihm  ist  die  Wand  mit  einem 
Drachen  bemalt,  und  neben  ihm  stehen  noch  einige  Götter,  worunter  der 
des  Donners  sich  erkennen  läßt.  Eine  in  eine  Steintafel  gemeißelte  Hand- 
schrift des  Kaisers  Sing  Tsu  (K'ang-hi)  verkündet,  daß  dieser  oftmals  per- 
sönlich an  der  Stelle  mit  gutem  Erfolg  um  Regen  bat  und  deswegen  diesen 
Drachentempel  errichten  ließ.  Zufolge  einer  ande^ren  Steintafel  wurde  durch 
kaiserlichen  Erlaß  des  dritten  Jahres  K'ien-lung  (1738),  der  hiesige  Drachen- 
gott in  die  Opferstatuten  aufgenommen',  mit  der  Bestimmung,  es  solle 
ihm  alljährlich  im  Frühling  und  im  Herbst  ein  Staatsojifer  dargebracht 
werden.  Den  Namen  »schwarzer  Drache«  verdankt  diese  Gottheit  dem 
Umstand,  daß  der  dortige  Bach  einer  der  nördlichsten  ist,  die  dem  Palaste 
Wasser  zufuhren,  denn  der  Norden  ist  mit  Schwarz  identifiziert.  Dieses 
Wasser  und  somit  auch  sein  Geist  (ßen)  oder  seine  Kraft  (Ung)  sammelt 
sich  in  einem  künstlichen  Teich  vor  dem  Drachentempel  und  strömt  von 
da  heraus  der  Ebene  und  dem  Palaste  zu. 

Von  den  Pa'  ta  t'i'u  bis  hierher  trägt  der  Gebirgsrand  viele  Thüpas, 
die  bis  weit  in  die  Ebene  hinein  sichtbar  zind. 

Das  ^;^t5P  ■'^  ^^^  ^^  oder  »Große  Kloster  der  Weisheit«,  das  schon 
aus  der  Zeit  der  iiao-Dynastie  (916 — 1125)  datiert. 

'    Siehe  »UniversismuS",  S.  279. 
Phil-hiit.  Ahh.  1919.  Nr.  11.  12 


90  n  E  G  R  o  o  T  : 

Der  Thüpa  von  Pa  U  tsuang,  dessen  Stellung  als  Schutzheiligtum 
des  Glücks  des  Kaiserhauses  auf  S.  41  f.  besprochen  ist,  und  der  Thüpa 
des  Ti('n-ning-K\ostGvs  (s.  S.  39!'.)  stehen  gleicli falls  je  an  einem  Bach,  der 
nach  Peking  fließt. 

Die  Stellung  dieser  und  noch  vieler  anderer  Klöster  und  Thüpas  als 
Palladien  des  Fung-sui  Pekings  erklärt  völlig,  weshalb  sie  fast  alle  von 
den  fünf  Kaiserhäusern,  die  in  Peking  oder  ihrer  nächsten  Umgebung  ihre 
Hauptstadt  hatten,  nämlich  die  von  Liao,  Kin,  Juan,  Ming  und  Ts'lng,  er- 
richtet, erneuert  und  unterhalten  worden  sind.  Sie  haben  also  alle  diese 
Dynastien  überlebt  und  damit  den  Beweis  erbracht,  daß  Religionen  und 
ihre   Schöpfungen   beständiger  und  dauerhafter  als  Kaiserthrone  sind. 

Immer  wurde  in  China  die  geomantische  Weisheit  in  erster  Linie  ge- 
pflegt und  praktisch  ausgeübt  durch  konfuzianische  Schriftgelehrte,  also 
durch  die  vornehmste  Klasse,  die  der  esoterischen  Lehre  der  ausländischen 
imd  daher  als  höchst  minderwertig  l)etrac]iteten  Religion  am  wenigsten 
Verständnis  entgegenbringen  konnte  oder  wollte.  Unter  diesen  Umständen 
mußten  die  hohen  philosophisch-religiösen  Begriffe,  welche  dereinst  dem 
Thüpa  einen  so  vornehmen  Platz  unter  den  Faktoren  der  Geomantik  ein- 
geräumt hatten,  auch  wieder  leicht  in  Mißachtung  und  Vergessenheit  ge- 
raten, und  der  Thüpa  konnte  also  entarten  zu  einem  Werkzeug,  dessen 
die  Geomantik  sich  zwnr  noch  immer  in  unvermindertem  Maße  bediente, 
jedoch  zu  viel  einfacheren  und  gemeinverständlicheren  Zwecken.  I  nd  so 
ist  es  Tatsache  geworden,  daß  man  bis  auf  diesen  Tag  schlechthin  Pa- 
goden als  Gegenstände  zur  Sicherung  des  Glücks  ihrer  Umgebungen  er- 
richtet und  unterhält,  ohne  daß  an  ihre  tiefe,  vom  Weltgesetz  bedingte 
Grundbedeutung  noch  jemand  denkt.  Ohne  Rücksicht  auf  Mönch  tum,  Klöster 
und  Buddhismus  bestimmt  es  der  Geomant,  an  welcher  Stelle  sie  zu  er- 
richten sind,  z.  B.  um  Bodenerhöhungen  zuzuspitzen  und  dadurch  das  Ele- 
ment Feuer  darstellen  zu  lassen;  oder  um  verderblichen  Einflüssen  den 
Weg  durch  die  Luft  zu  sperren;  oder  um  //«-Eintlüsse  durch  die  Jang- 
Kraft  einer  in  der  Pagode  angebrachten  taoistischen,  konfuzianischen  oder 
buddhistischen  Götterfigur  zu  mildern,  fernzuhalten,  zu  vertreiben,  zu  ver- 
nichten ;  und  da  nun  der  zuletzt  genannte  Zweck  der  Zweck  der  (TÖtzenhäuser 
Chinas  überhaupt  ist,  so  stehen  wir  vor  der  Tatsache,  daß  die  (Jeortiantik 
das  höchste  Heiligtum  des  Maliäyäna  zu  dem  Rang  gemeiner  Götzentempel 
erniedrigt  hat  und  zahlreiche  Pagoden  entstehen  ließ,  auf  die  sogar  die 
Namen  Thüpa  und  buddhistisch   nicht  mehr  zutreffen. 


Dir  Payuiien   in   Cldiid.  91 

( )benan  in  dieser  Klasse  der  Fimg-sui-Pdigo(i&i\  stehen  die,  welche  der 
konfuzianische  Gelehrtenstand  zwecks  Förderung  der  klassischen  (Gelehr- 
samkeit zu  errichten  und  zu  unterhalten  pflegt.  Manche  Stadt  besitzt  eine 
solche,  deren  Wirkung  sich  über  den  ganzen  Bezirk  oder  Kreis  erstrecken  soll, 
dessen  Verwaltungssitz  diese  Stadt  ist.  In  der  Regel  steht  sie  in  oder 
neben  dem  Exaniinierplatz  oder  beim  Konfuziustempel.  Die  Zahl  der  Stock- 
werke oder  (Gliederungen  geht  selten  über  drei  hinaus.  Im  Erdgeschoß 
oder  im  Stockwerk  befindet  sich  ein  Altar  mit  einer  Statue  des  ^^ 
K'wei-sing,  eines  der  Schutzgötter  der  klassischen  Studien,  der  mit  einem  Stern 
des  i\  Tfm,  des  Siebengestims,  identifiziert  wird;  oder  er  trägt  das  Bild  des 
neben  dem  Siebenge-stirn  stehenden  Sternbildes  ^  ^  Wen-Wany,  das 
auch  ein  Schutzgott  für  Gelehrsamkeit  ist  und  im  Pantheon  der  Staats- 
religion  einen  Platz  einnimmt'.  Diese  Pagoden  sind  somit  reine  Nach- 
ahmungen der  Thvi[)as  des  Weltgesetzes,  nur  daß  an  die  Stelle  des  Lichts 
des  Weltalls  das  des  Ton  trittj  des  wichtigsten  Sternbildes  des  Himmels,  das, 
nach  altchinesischer  philosophischer  Darstellung,  durch  seinen  jährlichen 
Kreislauf  um  den  Pol  die  Jahreszeiten,  also  das  Tao,  den  Gang  des  Welt- 
alls, regelt*,  dessen  Hen-schaft  nach  klassischen  (rrundsätzen  auf  dieser 
Erde  durchzuführen  höchste  Aufgabe  des  daher  ausschließlich  in  klassischer 
Weisheit  zu  erziehenden  Kaiser-  und  Mandarinentums  ist'. 

Außerdem  schmücken  bis  zum  heutigen  Tage  -Fw?^5'-l'^Mi!- Pagoden  »die 
Landschaften  des  Reichs  der  Mitte  allüberall.  Zu  ihnen  gehört  wohl  die 
Obergroße  Mehrzahl  der  minderwertigen  Klasse,  ohne  Balkone  und  ohne 
vorpringende  Dächer,  von  denen  auf  S.  13  die  Rede  gewesen  ist.  In  jedem 
(Grad  der  Vernachlässigung  und  des  Verfalls;  von  Regen  und  Frost  be- 
schädigt; überwachsen  mit  Moos  und  Unkraut;  überwuchert  von  Sträuchern, 
die  sogar  aus  den  Fenstern  wachsen;  die  Mauern  gespalten  durch  Erd- 
beben und  Blitz;  die  Böden  und  das  Dach  wurmstichig  und  morsch,  so- 
gar so,  daß  der  ganze  Turm  sich  wie  ein  Fabrikschornstein  von  unten  bis 
oben  durchschauen  läßt  —  so  stehen  sie  kränkelnd  da,  bis  Sturm  und  Erd- 
beben sie  vernichten,  oder  das  Volk,  um  sein  Fvnghii,  sein  (iGlück,  zu  retten, 
(Gelder  zusammenbringt  imd  die  Reparatur  oder  Erneuerung  in  die  Hand 
nimmt. 


'    Über  diese   Gottheiten   s.    •Universismus«,   S.  287  und  die  dort  zitierten  Schriften. 
»   Vjjl.   -The  Keligious  System  of  China-,  Bd.  I.  S.  317  f. 
'    Hierüber  Nähere.s  in    •UniveisisniiiS",  S.  7,5  fl'. 

12* 


92  I)  E    G  R  O  O  T  : 

-  Wohlbegreiflicli   werden    Fung-Sui-Tagoden    vornehmlich    bei   Städten 

und  Städtchen  gefunden,  wo  eine  größere  Menschenzahl  sich  ßir  ihre  Er- 
haltung interessiert  und  somit  Beiträge  für  den  Unterhalt  sich  leichter  zu- 
sammenbringen lassen.  In  vielen  Fällen  sind  in  ihrer  unmittelbaren  Nähe 
noch  Klostergebäude  oder  Ruinen  und  Spuren  davon  zu  finden.  Häufig 
stehen  sie  an  Flüssen,  zur  Normalisierung  des  Wasserstands,  damit  der 
Schiffsverkehr  keiner  Hemmung  unterliege.  Nicht  selten  sind  recht  groteske 
geomantische  Anschauungen  mit  ihrer  Errichtung  verknüpft.  Beispielsweise 
hierüber  folgendes:  Die  Bezirkshauptstadt  ^^J'H  Ts'tmn-tSou  in  Fu-klen  hat 
innerhalb  ihrer  Mauern  zwei  schöne,  fünfstöckige,  gleiche  und  gleich  große 
Pagoden,  der  Stolz  der  Stadt,  wahre  Granitkolosse,  die  beiderseits  des 
^7^  K' ai-Juan-Klostoss  hoch  emporragen  (Taf.  III  i,  zu  S.  9).  Sie  waren, 
(^-  ^j'N/M'/^>  Ts'uan-tsoufu  tsi,  »Gedenkschriften  des  Bezirks  Ts'uan-Uou* 
K.  16,  Bl.  1 9),  ursprünglich  aus  Holz;  die  eine  hatte  im  Jahre  865  neun  Stock- 
werke und  im  Jahre  1020  dreizehn;  die  zweite  wurde  errichtet  unter  der 
Regierung  von  BEI^^D  ^<ing  Sen-Ui,  der  von  897  bis  925  in  ^]\\  Fu- 
tiou  herrschte  als  König  von  Fu'-tsou  und  von  Kim-tSou  (jetzt  5^  ^  Kien- 
ning  in  NO  Fu-kien),  also  von  Fu-Kien.  In  der  Periode  ^Ä  Sao-hing 
( 1 1 3 1  —  II 63)  wurden  die  beiden  Türme  in  Backstein  aufgeführt.  Der  Über- 
lieferung zufolge  hatte  im  Jahre  dazumal  die  Stadt  die  Gestalt  eines  Fisches 
imd  wurde  daher  von  der  unweit  gelegenen  Stadt  ^^  Jung-U'un,  welche 
die  Form  eines  Netzes  hatte,  häufig  überrumpelt  und  geplündert.  Ver- 
nünftigerweise wurde  dann  diesem  Übel  abgeholfen  durch  den  Bau  der 
zwei  Pagoden;  denn  nunmehr  war  das  Ziehen  des  Netzes  über  die  Köpfe 
der  Bewohner  eine  Unmöglichkeit. 

Nicht  bloß  hat  die  Geomantik  den  Thüpa  von  seinem  hohen  Stand- 
punkt als  Leuchtturm  des  Weltgesetzes  herniedergezogen;  sie  hat  ihn  auch 
noch  seines  Charakters  als  Götzenhaus  beraubt.  Sie  hat  nämlich  viele 
Pagoden  errichtet,  in  denen  von  einem  Götterbild  oder  Altar  oder  von 
irgend  etwas,  das  an  Religion  erinnert,  keine  Spur  zu  entdecken  ist.  Be- 
kanntlich gibt  es  überdies  Aussichtstürmchen,  Pavillons,  Teehäuser,  Zier- 
bauten verschiedener  Art  usw.,  die  das  Volk  t'a,  der  Ausländer  Pagoden 
nennt,  die  aber  in  Wirklichkeit  nichts  außer  der  Gestalt  mit  dem  Thüpa 
gemein  haben. 


Die  Pagoden  in  China. 


D3 


Sach-  und  Wortreg-ister. 


Adibuddha,  29 f.,  49,  60. 

Ananda,  47. 

Aryasatyäni,   77. 

Araneikönig,    Arzneimeister,   die  Sonne,   50, 

58f.,  61,  82. 
Asoka,  ;9,  22  ff".    S.  Thüpa's. 
Avalokitesvara,  24,  47. 

Baum  der  Weisheit,  s.  Bodhibaum. 

Bilder  von  Heiligen  sind  beseelt,  36  f. 

Bcidhi.  Weisheit.  Intelligenz,  21,  30,  a,  57. 
Ein  Reich,  27. 

Bodhibaum,  27,  32  f.,  43,  46,  54. 

Bodhidruma,  s.  Bodhibaum. 

Bodhimanila,  46,  47. 

Bodhisattva,  4,  30 ff.,  33. 

Bodhyanga,  77. 

Borobudur  von  Java,  48. 

Brahma,  31. 

Brahmaloka,  76. 

Buddha.  Verkiinder  des  Dharma,  des  Welt- 
licht.s.  29.  Mit  Dharma  eine  Zweieinigkeit, 
30,  36,  57,  60.  Seine  Verbrennung,  22,  57  f- 
Reliquien,  2,  23,  27  ff.,  58;  s.  Sarira. 

Buddhas  und  Bodhisattvas,  Lichtgötter,  Son- 
nenperioden, Tage,  29 f.,  56ff". 

Buddha-Saal  im  Kaiserpalast,  28. 

Buddhismu.s,  eine  universistische  Religion,  83  f. 

Bud-kütägära,  I,  2. 

Caitya,  7,   17,"  25,  59. 
Chot«n,  27,  73,  87. 

Dagob,  dhätugarbha,  3,  9,   18. 
Dänapati,  68,  85. 
Dhärani,  81,  83. 
Dharma,  s.  Weltgesetz. 
Dharmacakra,  77. 
Dharmaräja,  29. 


Dhätugarbha,  s.  Dagob. 
Dhyäna,  36. 
Dhyanibuddhas,  47. 
Divyacaksus,  76. 

Drachen.  Regen-  und  Wassergötter,  86  ff.,  89. 
In  Indien,  87  f. 

Erlösuiigsversammlung,  24f.,  27. 
E^soterische  Kirchenlehren,    21,    29ff.,    5off., 

56 ff.,  59,  79. 
Existenzen  Wandlungen,  74  ff..  781". 

Fa'-hi6n,  2,  5,  7,   18. 

Fa-juan  tiu-lin.  7,  65. 

Fan  wang  king.  31,  3  3  f. 

Feuerbestattung,  3,  6. 

Friedhöfe  fiir  buddhistische  Geistliche,  5. 

Fu-nan,  Cambodja,   23. 

Fung-sui,  s.  Geomantik. 

Gebote,  zur  Heiligmachung,  31.  33  t'..  49. 
Geomantik,  Fung-sui.  81.    Verwertet  Klöster 

und  Thüpas.  84 ff.,  88 ff. 
Ghanta,  66.  88. 
Grab.    Ein  Heiligtum,  3,  7.      Buddhistischer 

Mönche,  6. 
Grabmonumente,  s.  Külya,  Thilpa. 

tlan  Ja,   28. 

He-lung  tan  bei  Peking,  89. 

Himmel.     Die  13  Bodhisattva  — ,  29.       Der 

Akanistha  — ,  29.     Die  33  — ,  51. 
Hölle,  23  f.,  64  ff.,  79. 
Ilüm-tsuang.   18.  87. 
Hung/an,  42. 

Jambudvipa,  23. 

Jarig,  das  Licht  der  Welt,  361'.,  38,  85. 

•lang  Jen-tii,   i. 


1)4 


1)  K    G  I!  f)  <)  T  : 


.Ictavaiiii.    1. 
.Tin.   36.   38. 
Jiu-jang  tsatsu-  6. 
./(/,  42. 

Kaniska.  65,  87  f. 

Kao  sang  t^umi.    18. 

Kao  Tsn,  s.  Wu. 

Kasyapa,  47. 

Kiang-ning  fu  iüi,   1 1 . 

Kien-jS,  jetzt  Nanking,    18.   27. 

Kiän-wen.  Kaiser,   23. 

Klöster.  Anstalten  zur  Seligmachung,  34,  und 
zur  Eintsendung  des  Lichts  der  Lehre,  34  f. 
Bau  nnd  Unterhaltung,  68.  Regulatoren  von 
Hegenfall  und  Wasserströmen,  86  fl'..  auch 
in  ludien,  871'.  Verwertung  durch  die  üeo- 
mantik,  84  ff.,  in  der  Umgegend  Pekings, 
89  f.  Das  Hauptgebäude,  36.  Die  große 
Glocke  und  ihre  erlösende  Wirkung.  63 ff., 
67.  Der  Abt,  68.  Zeremonienmeister  und 
Unter — ,  69. 

Koufuzianisnius,  83. 

Kuan-(si)-jiri,   24,  47. 

Killya,  3. 

Kumärajiva,  50. 

K'wei-singj^chuiigoil  für  klassische  Studien,9 1 . 

Leichenverbrennung,  3,  6. 
Leuchten  ist  I'redigen,  j,:^. 
Liang-sn,  22. 
Licht,  s.  Buddhas. 

I^'ngy  4>  Ji  37.  85. 

Ling-t'a,   26. 

Liu-li,   12  f.,   24,  51.   54. 

Liii  Sa-ho,  23,  25. 

Lo'-jang,   i,   14,   27. 

Lo'-jang  lea-lam  k>,   i,   14,   27. 

LoÄana,   31  ff.,  56,  60. 

Lotusterrasse  des  Weltgesetzes.  31  ff.,  39,  49. 

Lutig.  Lung-wang.  86  ff.     S.  Di'acheu. 

Mägadha,  46,  47. 
Mahäbrahma,  31. 

Mahämoksaparisad,  24.  S.  Krlösungsversamm- 
lunu. 


Mabäpratibhäna.   52. 

Mahäyäna,  3,  4,  34. 

Mahe.svara,  31. 

Maitreya,  47. 

Mauusibuddhas,  68,  8r. 

Mära,  30,  64. 

Miao-fd  lien-h\M  king,   50. 

Ming,    Kaiser  der  Äan-Dynastie,    i,   19,  30. 

Mung  Hang  lu.  83. 

Naksatraräjasamkusumitäbliijna,  58. 

Nanking,  zweite  Reichshauptstadt,   12. 

i\o«  H,  Geschieht« werk,   18,  64. 

Nan-Ts'i  SU,  Geschichtswerk,  17. 

Naturgötter,  37. 

Nirmänarati,  76. 

Nirväna,  30,  52,  55,  57  f.,  59. 

Pagode.    S.  Tlulpa ;  Bud-kütagära. 

Polytheismus,  36. 

Po-tsang  ts'ttng-/in  ts'ing  hcei,  64,  66,   71. 

Prabhütaratna,   52. 

Prägbodhi,  46. 

Predigung  der  Lehi-e,  eine  Pflicht,  34. 

Propaganda,  34. 

Piit-kuo  ki,  2. 

P'u-tö,  Thüpa,   I  f 

P'u-t'u.  42. 

Rad  der  Weltoi-dnung,  Dhai-macakra,  26,  30, 
35'  73f-i  75»  77-  Kad  der  Kxistenzea,  66,  70, 
74ff.,  78. 

Ratnavisuddha,  52. 

Reliquien,  3f.  7 f.     S.  Sarira"s. 

Rddhipäda,  77. 

Sahä-welt,  54  f.,  71. 
Samädhi,  30,  36. 
Samyakprahäna,   77. 
Sangha,  36. 
Sangha  Pao-tsi.  64. 
San  pao,  36.     S.  Triratna. 
Sarg  für  buddh.  Geistliche.  6. 
Sariputra.   74. 

Sarira's.  4,  6f.  8.  13.  24f..  26f..  61;  leuchten, 
19  f..  22,   24.  26:  sind  unverletzbar,  2off. : 


Die  Pagoden  in  China. 


95 


vom  Kaiser  verehrt,  25,  26 ft'.:    Teile   des 
•     leuchtenden  Weltgesetzes,  21,  29,  58  ff..  73, 

S.  Reliquien. 
Sat.     Caitya,   7 ;    Gipfelstaiige    der    Thfipa's, 

14.    17.  ! 

.Schriften,  heilige.     Leuchten  i.    Verehrt  wie 

Buddha,   i.    Auf  Thüpa's   gemeißelt,    Sott'. 

S.  Sütra's. 
Seele  bleibt  Ijeim  Körper  im  Grab.  7. 
Seligmachung,  33f..  57  ff".    Höchste  Pfliclit  und 

höchstes  Ziel,  3,  4.  49. 
S^.  4.  7,  36 f..  85. 
Si-tiu.  dfiiiapati.  68. 
.Sietengestirn.  91. 
.Singhala.   7. 

.Smrtyupastbäna,   77.  i 

Sonne,  ein  Bodhisattva.  31.  58  f.    S.  Buddha. 
Stupa,  3.    S.  Thfipa. 
Sütra's.    Leuchten,   i,  26.  31.    Pflicht  sie  zu   j 

drucken  und  zu  verbreiten.  34.    Vajrasütra, 

12.      .Sanghasütra,    23.      Frajnasütra.    25  f. 

Saddharmapundarikasütra.  Lotussütra.  50 f1'., 

56.  6of.    Brahniajälasütra,  31  ff.,  34.  56. 

Vajraprajüapäramitäsntra,    83.      Sütra    des 

Saniädhi  des  Buddha,  23;  —  der  Umgänge 

nm  die  Thüpa's  herum.  73(1'.:   —  der  (Je- 

lübde  des  Aiv.neimeisters.  82. 
Suddhodana.  44. 
Sui-liny,  sui-sfri,  88. 
Sun  K'iien,    18  ff. 
Sun  Th'fn,  23. 
i>un-t'i(n  fu  tsi,  40. 

Td-tiu,  68. 

'/"a/-//(>?y-Aufstand.    12. 

Tao.  Der  Weg  zur  Heiligkeit.  34.  Der  Gang 
des  Weltalls,  83,  91. 

Taoismu.s,  83,  86. 

T'ap,  Tap-po,  Thüpa.  2,  7. 

Tatbägata,  56. 

Thüpa's.  Grabnionumente,  1  fl'..  4,  10,  26. 
Stange.  4  f.,  10 f..  12.  17.  Unterteile  von 
liiiddh.  Klö.stern,  i.  16 f.  In  Indien.  3,  5, 
18.  Für  die  Asche  des  Buddha,  21  f.  Für 
N'ichtgeistliche,  8.    In  Urnengestalt,  5,  (>,  82. 


P'ür  Reliquien  des  Buddha,  9  ff.,  iBfl'.,  28. 
40.  57  f.  Für  Reliquien  des  Dharma.  59. 
Erster  Ordnung,  9ff.;  ihr  Alter.  i4ff.  tie- 
ringerer  Ordnung,  13,  91.  Darstellungen 
der  Lotusterrasse  des  A\'eltgesetzes.  39,  4 1 . 
43  f.  Leuclittüime  des  Weltgesetzes,  des 
Dharma.  des  Weltlichts,  der  Lehre  des 
Buddha,  21,  26.  29ff..  38.  41,  49,  58,  6of.. 
73.  Darstellungen  der  Himmel,  29.  3B:  des 
Weltalls,  29.  38.  45,  51  fl'..  56,  59  f.,  73. 
Höhe,  14.  Ungerade  Zahl  der  Gliederungen, 
14,  38;  der  Heiligenbilder,  45.  Asoka  — . 
19,  22.  23  f.,  57.  84000—.  19.  22  f.,  57,59. 
Hoch,  groß,  zahlreich,  21  f..  44.  52!'.,  6of'. 
Leuchten.  18,  25f'.,  62ff.  Zahli'ciche Heiligen- 
Statuen,  IG,  13,  38f.,  41  ff.,  47 f.  Zahlreiche 
Glöckchen,  12I'.,  15,  41,  51.  59,  62 ff..  67. 
Lampen  und  Laternen,  12  f.,  40.  67  f.  Aus 
Holz,  16;  aus  Stein,  i6ff. ;  aus  Metall.  83. 
Verehrung  und  Opfer  dargebracht  61  f., 
69fr.,  72  f.,  74.  Beleuchtung,  670".,  70,  73, 
79f.Beweihräucherung,69.  Umgänge,69,72f'. 
Der  Porzellanturm  Nanking.s,  10 ff.  Der 
Thüpa  vom  Pete,  10:  von  Kiu-ti&u,  11: 
des  T'/^-n/n^-Klosters,  39ff. ;  von  Pa'-li- 
tSuang,  41  f.:  von  Pu-t'o,  42 (f.:  des  Tiim/- 
A-jV-Klostei-s  ( Wu-t'a  se)  44 ff. ;  der  lama- 
istischcn  Klöster  bei  Peking,^82  f. :  des  P/'- 
_;«?i-Klosters,  46ff. ;  von  Tsuan-Uou,  92; 
von  Idikiit-sehari,  48:  von  Kajingara,  48; 
von  Gandhära  63.  Der  Borobudur.  48  f. 
Kleine  mit  Sütratcxten  und  dhärani's. 
Soft'.;  der  sieben  Mänusibuddhas,  81.  Con- 
fuzi.inische,  91.  Verwertung  der  —  durch 
die  Geomantik,  84!'.,  88ff. ;  in  den  Um- 
gegenden Pekings,  89  f. 

Tjandi  Mendut  und  TJandi  Pawon,  49. 

To-pao,  das  Weltgesetz,  Dharma.  52  ff.,  56, 
60,  69  f.,  73. 

Tou,  das  Siebengestirn,  9 1 . 

Triratna,  36,  82. 

T/i'ang-nyan.  28. 

Tse-kiang  t'ung  tm.  79. 

Ti'eniv,  (Jeschichtswerk,  27. 

Ti'ing  Tsu,  Kaiser,   1 1 1'.,  46. 

Tntig-.si,  Sachwalter,  85. 


yC) 


DE  G R o o T  :    Die  Pagoden  in  China. 


Überreste  der  Toten  hüben  (ieist   und  Seele, 

4,    7,    22. 

Universistische  Religion,  36,  83  f. 
Urnen  für  verbrannte  Leichen,  6. 

Vajra-thion,   Vajrasana,  46 f. 
Vasavartin,  76. 
Vimalanntra,  76. 

\yei-ma  Klosterzevemonienrneister,  66,    690". 

Wei  SU,  Geschichtswerk,  22. 

Weltall.     Religion    des  — s,  83.     Seelen  des 

-s,  36. 
Weltgegenden.    Könige  der  vier  — ,   12,  35, 

38  f.,  43.  51- 


Weltgesetz,  Weltordnung,  Dharma,  21,  26, 
29  f.,  32  f.,  36,  49,  56.  Seine  Lotusterrasse, 
31  ff.,  39,  49.  Ursprung  der  Buddhas,  32  f. 
Seine  Verbrennung  und  Sarira's,  58 f.  S. 
Rad,  To-pao. 

Weltthüpa,  29,  51  ff.,  56,  60. 

Wen-ts  ang,  Schutzgott  für  Gelehrsamkeit,  91. 

Wesensliebe,  72. 

Wu,  Kau  Tsu,  Kaiser  der  -Ltan^-Dynastie,  22  f., 
26,  64. 

Wünsche  zur  Förderung  des  Heils  der  Wesen, 
64  ff.,  69,  7  2  f. 

Wu-t'a  se,  44. 

Wu  th,  Geschichtswerk.  23. 


fierlin,  gedruckt  in  der  Reichsdnickerei, 


ABHANDLUNGEN 

DER  PREUSSISCHEN 

AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

JAHRGANG  1919 

PHirx)SOPHlSCIi-HIt;TORISCIlE  KI.A8«E 

Nu.  12 
EXZERPTE. AUS  PHIEONS  3HXHANHv  B.VHUNDVHl 

(VULGO  FÜNFTES  BUCH) 
(JRIECHISCH  UNI)  DEUTSCH 

VON 

H.  DIKLS  UND  K.  SCHRAMM 


BERLIN   1920 

VERLAG  DER  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

IN  KOMMISSION  BEI  DER 
VEHl-aNlGUNC  WISSKNSniAlTIJCHER  VEIU.EGEK  WALTER  DE  (iRUYTER  U.  CO. 

VOBMAI.S  (;.  J.  liitSI  llKNSl  HK  VKRI.AIISIIANDU  Nd.     J.  Ul  TTraTAU.  VKKl.AliSlil  lIlllANm.I  N(i. 
<iKOKIi  UaHUI.     KAIil.  J.  TKÜDMiK.     VKIT  V,  (Olli'. 


Vorgelegt  in  der  Sitzung  der  phil.-hist.  Klasse  am  23.  Oktober  1919. 
Zum  Druck  eingereicht  am  gleichen  Tage,  ausgegeben  am  22.  Januar  1920. 


VORWORT. 

Unter  der  falschen  Bezeichnung  »Fünftes  Buch«  geht  seit  Thevenot's  Editio 
princeps*  eine  Samndung  von  Exzerpten  aus  Philons  Mhxanikh  cyntaiic 
Buch  VII  riAPACKeYACTiKA  (Vorbereitungen  zur  Städteverteidigung)  und  VIII 
TToAioPKHTiKÄ  (Städteverteidigung  und  Städtebelagerung),  die  noch  mehr  als 
die  Exzerpte  des  vierten  Buches  (BeAonoiiKÄ)  durch  die  Schuld  des  Exzerptors 
und  der  Al)schreiber  gelitten  halben.  Daher  ist  für  den  Bearbeiter  des  Textes, 
der  eine  der  deutschen  Übersetzung  entsprechende  Form  des  Originals  zu 
geben  beabsichtigt,  noch  mehr  als  dort  eine  eingreifende,  ändernde  und 
ergänzende  Bearbeitung  der  griechischen  Überlieferung  nötig  gewesen.  Als 
Grundlage  diente  den  Herausgebern  auch  hier  der  urkundliche  Text  von 
Richard  Schoene,  dessen  Rat  wir  auch  in  diesem  Buche  dankbar  öfter  ein- 
holen durften.  Außerdem  durften  wir  eine  handschriftliche  Ausgabe,  Über- 
setzung und  Erläuterung  des  die  Anlage  von  Festungswerken  betreffenden 
Abschnittes  (I  p.  79 — 86,  21  Th.),  die  Hr.  Ernst  Faüricius  im  Jahre  1886 
geschrieben  hat  (im  Besitze  der  Bibliothek  der  Kgl.  Museen  zu  Berlin),  be- 
nutzen; sie  hat  uns  manche  wertvolle  P>läuterung  des  schwierigen  und  oft 
schwer  entstellten  Textes  gegeben.  Auch  ihm  sind  wir  herzlichen  Dank  schuldig. 

H.    DiELS. 

TECHNISCHES  VORWORT. 

Aus  einem  Lehrbuche  über  Vorbereitungen  zum  Festungskrieg  und 
Durchführung  desselben  in  Angriff  und  Verteidigung  kann  man  ebensowenig 
wie  aus  einem  Lehrbuch  über  Befestigungskunst  ersehen,  wie  die  Festungen 
eines  Landes  zu  einer  bestimmten  Zeit  ausgesehen  haben,  selbst  wenn  das 
betreffende  Lehrbuch  das  trace  (der  Ausdruck  »Bauart«  ist  nicht  vollwertig 


'    Über  die  Renai.ssanceabschriften,  welche  den  falsclien  Titel  riilireii,  v^l.  die  kritisclieii 
Anmerkungen. 

1* 


4  Die  LS  und  E.  Schramm: 

dafür)  dieser  Festungen  genau  beschreibt  und  sogar  in  Plänen  beifügt. 
Denn  eine  Festung  ist  nie  fertig.  Teile  derselben  sind  immer  entweder 
im  Neu-  oder  Umbau  oder  projektiert.  Außerdem  gelten  die  im  Lelirbuclie 
dargestellten  Befestigungssysteme  nur  für  die  Hauptangrifisfronten,  während 
auf  den  nicht  wahrscheinlichen  AngrifFsfronten  die  Werke  schwächer  sind 
imd  daher  anders  aussehen. 

Nur  um  Einwänden  vorzubeugen,  sei  erwähnt,  daß,  wie  alle  Regeln, 
auch  diese  eine  Ausnahme  hat:  Das  tracc  einer  Front  der  Festung  Neu- 
Breisach  ist  in  Cormontaignes  ffiuvres  posthumes  angegeben.  Da  nun  die 
Festung,  die  völlig  in  der  Ebene  liegt,  eine  spätere  Kanaldurchführung  ab- 
gerechnet, nach  allen  Himmelsrichtungen  hin  absolut  gleicli  ist,  kann  man 
aus  dem  Grundriß  einer  Front  den   der  ganzen  Festung  ersehen. 

Sammelwerke,  die  .Stadt-  und  Festungspläne  bringen,  wie  z.  IJ.  Merian, 
sind  nicht  genau  und  zuverlässig  in  iliren  Angaben.  Die  Festimgswerke 
sind  vielfach  durch  Phantasie  ergänzt,  oder  Projekte  als  ausgeführt  dar- 
gestellt, die  später  wieder  fallen  gelassen  oder  in  anderer  Form  aus- 
geführt wurden.  Ist  der  Schriftsteller  Soldat,  so  ist  er  durch  das  Dienst- 
geheimnis in  seinen  Veröffentlichungen  eingeschränkt,  ist  er  nicht  Soldat, 
so  weiß  er  auch  nicht  genügend  Bescheid,  und  dann  verdeckt  die  Phantasie 
den   Mangel  an  Kenntnissen. 

Philons  Werk  Mhxanikh  cyntaiic  bringt  im  7.  Buche  TTAPACKeYACxiKÄ 
und  im  8.  Buche  FToaiopkhtikA  unter  anderem  auch  Beschreibungen  der  im 
3.  Jahrhundert  v.  Chr.  üblichen  Befestigungsysteme  (die  zugehörigen  Zeicli- 
nungen  sind  verloren)  ohne  Namensnennung  (mit  Ausnahme  von  Rhodos 
und  Megalopolis)  der  Städte,  bei  denen  sie  angewendet  waren.  Dazwischen 
flicht  er  seine  eigenen  Vorschläge,  ohne  sie  als  solche  kenntlich  zu  machen. 
Von  den  Beschreibungen  Philons  passen  tatsächlich  auch  einige  auf  ein- 
zelne Teile  der  noch  in  Resten  vorhandenen  altgriechischen  Städtebefesti- 
gungen z.  B.  Priene,  Herakleia,  den  P'.uryalos  in  Syi'akus  und  die  Byrsa 
von  Karthago ;  andere  wieder  nicht,  denn  die  eigenen  Ideen  Philons  scheinen 
wie  auch  seine  Geschützverbesserungsvorschläge  wenig  Anklang  gefunden 
zu  haben,  soweit  wir  aus  den  erhaltenen  antiken  Resten  von  Stadtbefesti- 
gungen schließen  dürfen.  Sie  sind  auch  schon  an  ihrer  ^'erschrobenheit 
leicht  kenntlich. 

Die  Grundprinzipien  der  Befestigungskunst  sind  seit  vorgeschichtliclien 
Zeiten   unwandelbar  dieselheu   geblieben,   doch   ist  ihre  Anwendung  auf  die 


Exzerpte  aus  Philans  Mechanik.  5 

Praxis  nicht  immer  mit  gleicher  Schärfe  durchgeführt.  Der  Hauptzweck  einer 
jeden  Festung:  Sicherung  des  Ortsbesitzes  durcli  ein  Minimum  von  Kräften, 
kommt  nicht  bei  allen  Festungen  in  gleich  zielbewußter  Weise  zum  Ausdruck. 

Starke  Festungen  sind  sehr  teuer  und  veralten  im  Laufe  der  Jahre, 
weim  sie  nicht  unausgesetzt  mit  den  Verbesserungen  der  Angriffsmittel 
gleichen  Schritt  hfdten;  eine  Festung,  die  zu  einer  bestimmten  Zeit  für 
uneinnehmbar  galt,  fällt  dann  vielleicht  wenige  Jahre  nach  ilirer  Vollendung 
dem  Feinde,  der  über  verbesserte  Angriffsmittel  verfügt,  überraschend 
schnell  in  die   Hände. 

Bei  den  griechischen  Festungen  zu  Philons  Zeit  sorgte  jede  Stadt  selbst 
fiir  ihren  Mauerschutz.  Die  eine  Stadtregierung  war  nun  einsichtig  und 
vorsorglich  und  baute  ihre  Mauern  stark  und  dauerhaft,  die  andere  war 
leichtsinnig,  tat  wenig  für  ihre  Sicherheit  und  behalf  sich  damit,  erst 
im  Falle  einer  Bedrohung  für  die  Insüuidsetzung  der  Umwallung  zu  sorgen. 
Zu  dieser  Instandsetzung  gehörte,  abgesehen  von  der  WiederluTstellung 
schadhafter  Mauerstellen,  eventuell  auch  das  Abnehmen  hölzerner  Dachungen 
auf  der  Angriffsfront  zur  Verminderung  der  {"euersgefahr,  ferner  das  Aus- 
heben eines  oder  melirerer  Gräben  oder,  falls  solche  schon  vorhanden.  Ver- 
tiefen derselben,  Herstellung  von  Palisaden  im  gedeckten  Wege  in  den 
Gräben  und  auf  den  Vorwerken,  Instandsetzen  oder  Anlegen  von  Dornhecken 
und  Verhauen,  Herstellung  von  Gegenminen  und  endlich  die  Instandsetzung 
der  artilleristischen  und  fortifikatorischen  Armierung  aller  Art. 

Manche  Städte  nahmen  erfahrene  und  l)erühmte  Techniker  als  Fostungs- 
baumei.ster  an,  andere  verließen  sich  auf  Stümper.  Genial  geleitete  Angriffe 
und  Verteidigungen  wechseln  ab  mit  kraftlosen  Belagerungen  und  feigen, 
mutlosen   Kapitulationen   beim   ersten   Ansturm. 

Wie  auch  in  den  späteren  Jahrtausenden  sind  beim  Bau  von  Stadt- 
befestigungen 2  wechselnde  Strömungen  erkennbar:  einerseits  Ausbau  einer 
einzigen,  aber  möglichst  stark<'n  Verteidigungslinie,  die  mit  allen  Kräften 
und  Mitteln  gehalten  werden  soll,  anderseits  Ausbau  mehrerer  Linien 
hintereinander,  um  den  Feind  zu  zwingen,  gegen  jede  einzelne  Linie  einen 
erneuten  Angriff  durchzuführen.  Als  Mittelding  ist  die  auch  von  Pliihm 
erwähnte  Methode  zu  betrachten,  ein  starkes  Vorwerk  fvir  die  Masse  der 
Artillerie  herzustellen,  hinter  dem  die  Stadtmauer  das  Reduit  bildet,  von 
dem  aus  bei  Verlust  des  Vorwerkes  die  Wiedereroberung  desselben  erfolgen 
.soll.    Für  alle   3   Methoden   gilt  aber  der  gleiche  Grundsatz:  Umgestaltung 


6  Die  LS   und  K.  Schramm: 

des  vorhandenen  Geländes  derart,  daß  es  dem  Verteidiger  möglichste  Vor- 
teile,  dem  Angreifer  möglichste  Nachteile^  bietet. 

Zu  allen  Zeiten  waren  aus  diesem  Grunde  folgende  Anforderungen  an 
ein   Festungswerk  gestellt: 

1.  Überhöhende  Stellung  des  Verteidigers  gegenüber  dem  Angreifer, 
um  ihm  gute  tlbersicht,  Überlegenlieit  seiner  Waffenwirkung  und  Beein- 
trächtigung der  Waffonwirkung  des  Angreifers  zu  gewährleisten. 

2.  Herstellung  eines  sturmfreien  Hindernisses  Aor  der  Verteidigungs- 
linie, das  vom  Angreifer  nur  im  unmittelbaren  Wirkungsbereich  der  Ver- 
teidigungsmittel zu  überschreiten  ist. 

3.  Herstellung  eines  gedeckten  Weges  vor  diesem  Hindernis,  von  dem 
aus  das  nächste  Vorgelände  gut  zu  übersehen  ist,  und  das  zu  diesem  Zweck 
durch  Herstellung  eines  Glacis  geebnet  wird.  Denn  es  ist  bei  einer  Be- 
lagerung besonders  wichtig,  stets  in  unmittelbarer  Fühlung  mit  dem  Feind 
zu  bleiben,  um  jede  seiner  Maßnahmen  sofort  zu  erkennen,  oder  noch  besser, 
schon  vorher  zu  erraten. 

4.  Sicherung-  der  personellen  und  materiellen  Verteidigungsmittel  gegen 
die  Waffenwirkung  des  Angreifers. 

Da  die  Lösung  dieser  Aufgaben  in  der  verschiedensten  W^eise  erfolgen 
kann,  da  aucli  das  Gelände  der  einzelnen  Festungen  ein  sehr  verschiedenes 
ist,  so  erklärt  sich  ohne  weiteres,  daß  es  nicht  zwei  Festungen  auf  der 
FA'de   gibt   oder  gegeben    hat,  die   sich    auch    nur   annähernd    gleich  sind. 

Das  Gebiet  der  Befestigungskunst  ist  aus  diesem  Grunde  ein  so  rie- 
sengroßes, daß  sich  der  Nichtfachmann  keinen  richtigen  Begriff  davon 
machen  kann. 

Das  Studium  vorgeschichtlicher  Befestigungen  kann  nur  in  der  Beur- 
teilung der  noch  vorhandenen  Reste  bestehen.  Das  Studium  der  frühge- 
schichtlichen  Befestigungen  und  der  dazu  nötigen  Kampfmittel  wird  zwar 
erleichtert  durch  die  vorhandenen  Berichte  der  Kriegsschriflsteller,  aber 
gleichzeitig  durch  dieselben  Berichte  auch  erschwert,  denn  die  Angaben 
der  Kriegsschriftsteller  lassen  in  bezug  auf  Glaubwürdigkeit  oft  und  viel 
zu  wünschen  übrig,  imd  da  einer  von  dem  anderen  meist  kritiklos  abge- 
schrieben hat,  so  haben  sich  die  gleichen  falschen  Angaben  durch  Jahr- 
tausende erhalten. 

Ein  Beispiel  Avird  besser  überzeugen  als  lange  Auseinandersetzungen: 
Auf  Bild  I     sind  die  Türme  des   Diades   vor  Tyros  und  die  Helepole  des 


Exzerpte  aus  Pldlons  Mechanik. 


I)  I  E  L  s   und  E.  Schramm 


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Bild  I  ii. 


Epimachos  sowie  der  Widder  des  Hegetor  vor  Rhodos  dargestellt;  alle  in 
dem  gleichen  Maßstah  i  :  looo.  Bei  der  Belagerung  von  Tyros  sind  gegen 
die  nach  Arrian  W.  3 1  2, 13  150  Fuß  (44.4  m)  über  dem  Meere  gelegene 
Stadtmauer  zwei  Belagerungstürme,  von  Diades  und  Charias  konstruiert, 
vorgeschoben  worden.  ¥.s  muß  die  größere,  zwanzigstöckige  Art  gewesen 
sein,  wie  sie  uns  der  Anonymus  beschreibt,  falls  die  angegebene  Stadtmauer- 
höhe auf  Wahrheit  beruht.  Das  läßt  sich  nicht  mehr  nachprüfen,  da  die  Insel 
durch  vulkanische  Einflüsse  verändert  ist.  Mit  Staunen  und  Hochachtung  muß 
es  uns  erfüllen,  wenn  wir  diese  Leistung  bedenken,  denn  so  unwahrscheinlich 
es  klingt,  es  muß  in  diesem  Falle  doch  zugegeben  werden,  daß  es  der  antiken 
Technik  tatsächlich  gelungen  ist,  diese  Riesentürme  nicht  nur  in  Höhe  ^  on 
53.2  m  zu  bauen,  sondern  sie  auch  auf  einem  frisch  im  Meere  geschütteten 
Damm  auf  Rädern  l»is  an  die  Stadtmauer  vorzuschieben.  In  dieser  Stellung 
mußten  sie  gegen  den  Winddruck  durch  festverankerte  Taue  gehalten  werden, 
damit  sie  nicht  umfielen.  Die  relative  Höhe  kann  nicht  übertrieben  sein,  da 
sie  die  Stadtmauer  ja  überhöhen  mußten.  Die  Geschützausrüstung,  die  selbst- 
verständlich   nur   in   den   obersten    Stockwerken    Zweck   hatte,    kann   aber 


Exzerpte  ans  P/iilons  Mechanik.  U 

nur  eine  leiclite  gewesen  sein.  Während  in  diesem  ersten  Beispiele  die  An- 
gaben der  Kriegsscliriftsteller  in  der  Hauptsaclie  auf  Wahrheit  beruhen 
können,  sind  dagegen  die  Angaben  über  die  Helepolis  des  Epimachos,  die 
vor  Rhodos  zur  Anwendung  kam,  offenbar  übertrieben.  Die  Befestigung 
von  Rliodos  ist  auf  Hihi  i  in  einer  Stärke  und  Höhenprofilierung  dar- 
gestellt, wie  sie  nur  im  allergünstigsten  Falle  gewesen  sein  könnte.  Warum 
also  die  riesenliaften  Dimensionen  der  Helepolis  gegenüber  der  niedrigen 
Stadtmauer,  die  ja  nur  wenig  überh()ht  xu  werden  brauchte?  Schwere 
(beschütze  bei  ebenem  Gelände  in  einen  Wandelturin  zu  stellen,  hat  docli 
auch  seine  Beilenken.  Gewiß  war  es  von  Vorteil,  daß  die  schweren  Palin- 
tona  horizontal  abgeschossen  werden  konnten.  Sie  hatten  dadurch  eine 
viel  größere  horizontale  Durchschlagskraft  uiul  konnten  die  Wehren  leichter 
abkämmen.  Anderseits  belasteten  die  schweren  Geschütze  die  Helepolis 
übermäßig  und  machten  sie  schwer  beweglich.  Die  Bedienung  der  Geschütze 
in  dem  engen  Turmraum  war  schwieriger  als  auf  einer  Bettung  auf  ge- 
waclisenem  Boden,  die  Munitionsversorgung  im  letzteren  Falle  erheblich 
leichter.  Die  Geschützverteidigung  der  Festung  richtete  sich  konzentrisch 
gegen  die  Helepolis,  wälirend  letztere  ihre  Wirkung  exzentrisch  verteilen 
mußte,  falls  sie  nicht  durch  Artillerie  außerhalb  der  Melepolen  unterstützt 
wurde.  Die  gesamte  Angriff'sartillerie  in  Batterietürme  stellen  zu  wollen, 
vor  allem  nur  in  einem  einzigen,  wäre  ein  Mißgriff"  gewesen.  Von  großem 
Vorteil  war  aber  eine  Helepolis  einmal  zum  Leiten  des  Einschießens  der 
Angriff'sgeschütze,  dann  aber  auch  zum  Aufstellen  leichter  Ge.'jchütze  von 
großer  Treffähigkeit  zum  direkten  Schuß.  Durch  keine  der  Anforderungen, 
die  zu  diesen  beiden  Zwecken  an  die  Helepole  gestellt  werden  müssen, 
sind  aber  so  riesige  Abmessungen  erforderlich,  und  es  ist  deshalb  anzu- 
nehmen, daß  dieselben  stark  übertrieben  sind. 

Athenaios  sagt  W.  27,  7  von  der  Helepolis  des  Epimachos:  Eine  Stein- 
kugel von  3  Talenten  (78  kg)  kann  ihr  nichts  anhaben.  .leder  Leser  nimmt 
als  selbstverständlich  an,  daß  die  Khodier  mit  dreitalentigen  Geschützen 
dagegen  geschossen  hätten.  Philon  belehrt  uns  aber  91,  27,  daß  die  Stein- 
kugeln aus  Rinnen  abgeworfen  wurden.  Diese  Angabe  ist  geeignet,  unser 
Staunen  über  die  Wi<lerstandsfahigkeit  der  Helepolis  herabzudrücken. 

Außer  der  Helepf)lis  sind  g<'gen  die  Mauer  von  Rliodos  zwei  Widder 
zur  Anwendung  gekommen.  Dieselben  sind  vcm  Hegetor  von  Byzanz  kon- 
struiert, und  .sollen  jeder  eine  Länge  von  120  Ellen  (53.2  m)  gehabt  haben. 
PhU.-hist.  Ahl..  J!H!).  Nr.  12.  2 


]  0  D  I  E  r.  s  und   K.  Schramm: 

Jeder  dieser  Riesenwidder  trug  ;iii  der  Spitze  eine  Art  Fallbrücke  oder  Stiege 
(Anon.  230,  II  Wesclier)  oder  aber  einen  lunarm  zum  Werfen  von  Netzen 
(Anon.  252,17  W.).  Warum  diese  Riesendimensionen  des  Widders  gegenüber 
einer  Stadtbefestigung,  die  zwar  damals  als  besonders  stark  galt,  die  aber 
gegenüber  diesen  ungelieurpn  Angriffsmitteln  kläglich  erscheint?  Gewiß, 
man  kann  zu  einem  Angriff  niemals  zu  stark  sein,  aber  solche  übertriebene 
Kraftvergeudung  ist  durchaus  unlogiscli  und  deshalb  auch  unwahrschein- 
lich, denn  nach  dem  Größenverhältnis  der  Widder  gegenüber  den  Tüi-men 
oder  Mauern  der  Stadt  müßte  man  annehmen,  daß  ein  einziger  Widder- 
stoß genügte,  dieselben  zu  durchbrechen.  Also  liegen  jedenfalls  auch  Mer 
übertriebene  Größenangaben  vor. 

Da  nun  der  der  Anonymus  232,  i  W.,  noch  erzählt,  der  Widder  habe 
einen  Wirkungsbereich  nach  Höhe  und  Breite  von  70  Ellen  (3 1  m)  geliabt, 
d.  i.  3  ■/2mal  so  hoch  als  eine  normale  Stadtmauerhöhe  von  20  Ellen,  wie  sie 
uns  Philon  angibt  (80,  25),  so  wird  es  zur  Gewißheit,  daß  auch  die  vor- 
hergehenden  Angaben   entsprechend  zu  bewerten   sind. 

AVenn  er  endlich  269,  7  W.  schreibt,  er  sei  stolz  auf  seine  Erfindung 
des  nieHKiON  (Gegengewicht  im  Cardani'schen  Ring),  während  er  es  doch  von 
Athenaios  32,11  W.  abgeschrieben  hat,  dieser  aber  7,  6  W.  sagt:  »er  wolle 
ausführen,  was  er  bei  Agesistratos  gelesen  hat«,  so  wirft  das  ein  charak- 
teristisches Licht  auf  den  Werdegang  der  Schriften  griechischer  Polior- 
ketiker.  Der  Wert  der  Philon"schen  Bücher,  die  uns  ganz  besonders  zur 
Erläuterung  und  Ergänzung  anderer  Schriftsteller  dienen,  wird  aber  da- 
durch nicht  herabgedrückt. 

Die  gleichen  übertriebenen  Angaben  wie  bei  den  Belagerungsmaschinen 
finden  wir  auch  bei  den  Geschützen.  Wiederum  Athenaios  sclireibt  8,  6  W. 
»daß  er  nicht  leicht  Glauben  finden  wird,  wenn  er  berichtet,  daß  der 
Mechaniker  Agesistratos  nach  seinen  eigenen  Angaben  mit  einer  dreispi- 
thamigen  Katapalte  (66.5  cm  Pfeillänge)  auf  3'  ,  Stadien  (574  m)  geschossen 
habe  und  mit  einem  vierelligen  Palintonos  (1.77  ni  Geschoßlänge)  auf 
4  Stadien  (656  m).«  Nein,  er  findet  wirklich  keinen  Glauben.  Es  macht 
schon  einen  luiglaubwürdigen  Eindruck,  daß  ein  Palintonon  weiter  ge- 
schossen haben  soll  als  ein  Eutliytonon,  denn  das  ist  ungefähr  so,  als 
wenn  heutzutage  berichtet  werden  würde:  die  Mörser  schießen  weiter  als 
die  Flachbahngeschütze.  Ferner:  In  der  Diadochenzeit  hatten  die  Leistungen 
der  Torsionsgeschütze   das  höchste  Maß  erreicht.     Wenn  also  bei  der  Be- 


Exzerpte  aus  Philo/is  Mechanik.  1 1 

lagerimg  von  Rhodos  305/4  Schußweiten  von  656  ni  zu  erreichen  gewesen 
wären,  hätte  Demetrios  von  seiner  ersten  Artilhriestelhmg  aus  den  Innen- 
hafen von  Rliodos  beschießen  und  die  Kampfkraft  der  rhodisclien  Flotte 
lahmlegen  können.  Das  war  sein  vornehmstes  Ziel,  und  er  hätte  es  sicher 
auf  diese  Weise  zu  erreichen  versucht,  wenn  es  m<")glich  gewesen  wäre. 
Nachfolgende  Philonstellen  sind  deshalb  ganz  besonders  wichtig  für  die 
Beurteilung  der  Angaben  des  Athenaios: 

84,  5  I .  »Damit  nicht  eintalentige  Steinwerfer  aufgestellt  werden  können, 
wenn  die   Feinde  den  vordersten  Graben   genommen  haben. 

85,  4.  Wenn  die  Gräben  so  groß  und  so  beschaften  ausgehoben  sind 
(s.  Bild  171,  können  sie  nicht  schnell  zugeschüttet  Averden;  der  eintalentige 
Steinwerfer,  der  am  weitesten  schießt,  kann  entweder  nicht  die  Mauer  er- 
reichen, oder  die  auftreftenden   Schüsse   werden   kraftlos  abprallen. 

85,  43.  Damit  nicht  etwa  die  Feinde  auf  dem  Rande  des  Grabens  ihre 
Steinwerfer  aufstellen  und  ihn  als  Bollwerk  benutzen  können. 

96,  10.  Diese  Geschütze  (dreißigminige  Steinwerfer)  sind  in  bezug  auf 
die  Durchschlagskraft  die  stärksten.« 

Die  letzte  Stelle  beweist  indirekt,  daß  die  eintalentigen  Steinwerfer 
nicht  mit  der  Endgeschwindigkeit,  sondern  mit  dem  Geschoßgewicht  wirken 
sollten,  d.  h.,  daß  diese  Geschütze  fast  an  der  Grenze  ihres  Wirkungslie- 
reiches  aufgestellt  wurden.  Die  erste  und  dritte  Stelle  beweisen,  daß  diese 
Cieschütze  in  dem  genommenen  vordersten  Graben  oder  im  Notfalle  wenig- 
stens am  Rande  desselben  aufgestellt  werden  mußten,  um  überhaupt  noch 
wirken  zu  können.  Die  zweite  Stelle  endlich  besagt,  daß  der  eintalentige 
Steinwerfer,  obgleich  er  am  weitesten  von  allen  Steinwerfern  schießt,  doch 
im  genommenen  vordersten  Graben  stehen  mußte,  falls  seine  Schüsse  noch 
genügende  Wirkung  haben  sollten. 

Sind  diese  vier  Stellen  glaubhaft?  Ja,  ganz  sicher.  Philon,  selbst 
GeschOtzkonstrukteur,  hat  kein  Interesse  daran,  die  Leistungsfähigkeit  der 
Geschütze  geringer  anzugeben,  als  sie  tatsächlich  ist.  Dann  alier  gibt  er 
84,  43  ff.  Vorschriften,  wie  breit  die  Gräben  anzulegen  sind,  damit  die 
leistungsfähigsten  feindlichen  Geschütze  der  Mauer  keinen  Schaden  zufiigcn 
können,  falls  sie  am   vordersten  Grabenrande  aufgestellt  werden. 

Wie  groß  die  Entfernung  ist,  in  welcher  die  am  Grabenrande  stehenden 
(JeschOtze  von  der  Mauer  entfernt  sind,  ergibt  sich  aus  den  Angaben  Philons 
über    die    einzelnen    (Jrabenbauten    (s.  Bild  17).      Ein    Beweis    dafür,    daß 

2* 


12 


D  I  E  L  s  und  E.  Schräm  m  : 


diese  Ang-aben  niclit  einfach  aus  der  Luft  gegriffen  sind,  ist  der,  daß  der 
Kubikinhalt  der  Ausschaclitungen  mit  dem  der  Scliüttungen  übereinstimmt. 
Zählt  man  mm  die  von  Philon  angegebenen  Breiten  der  Gräben  und 
Vorwerke  zusammen,  so  ergibt  sich  ein  Gesamtabstand  des  gedeckten  Weges 
von  der  Mauer  von  535'.  Ein  olympisclies  Stadion  liat  600',  ein  attisches  500'. 
Daraus  erhellt:  die  Geschütze  durften  noch  niclit  einmal  ein  olympisches 
oder   i'/s  attisches  Stadion  abstehen,   d.i.   nach   unserer  Rechnung    157  m. 


Bild  I  b. 


Die  stärkste  griechische  Befestigung,  die  uns  aus  dieser  Zeit  bekannt  und 
erhalten  ist,  ist  der  Euryalos.  Nacli  Mauceris  Plan  beträgt  der  Abstand 
des  äußeren  Grabenrandes  von  der  Frontmauer  der  Hauptbatterie  160  m, 
übereinstimmend  mit   Philons   Angabe. 

Die  talentigen  Palintona  dürfen  wir  uns  wohl  vorwiegend  mit  30*^ 
Erhöhungswinkel  aufgestellt  denken.  Die  Vergrößerung  der  Schußweite 
bei  45°  ist  zu  gering,  als  daß  sie  den  Bau  eines  um  i  m  höheren  Ge- 
schützes rechtfertigen  könnte,  das  schwieriger  zu  bedienen,  vor  allem  aber 
auch  schwerer  zu  decken  ist.  Auf  Bild  1  b  ist  ein  solches  Geschütz  in 
einem  Turmgewölbe  dargestellt;   beim  Angriff  müssen  wir  uns  eine  hölzerne 


Exzerpte  aus  Philons  Mechanik.  1 3 

Deckung  davor  denken.  Die  verliältnisuiäßig  große  Scharte  wurde  wohl 
in  beiden  Fällen  durch  einen  Schartenladen  geschlossen,  wie  ihn  Philon 
8i,  30  beschreibt. 

Philon  gibt  in  der  Kalibertabelle  51,  43  auch  die  Spannlochdurch- 
messer für  2  '  2-  und  3  talentige  Steinwerfer  an.  Ks  ist  nicht  mit  Sicher- 
heit festzustellen,  ob  diese  Geschütze  tatsäclilich  zur  Anwendung  gelangt 
sind.  Riesengeschütze  hat  es  zu  allen  Zeiten  mir  vereinzelt  gegeben. 
Ihre  Leistungen  haben  nie  die  gehegten   Erwartungen  erfüllt. 

Eine  direkte  Angabe  über  die  Schußweite  eines  Pfeilgeschützes  macht 
Philon  nur  in  einem  Falle:  er  sagt  in  seiner  BGAonoiiKÄ  76,  30  von  dem 
Mehrlader:  »Höchstens  schoß  er  al)er  etwas  über  i  Stadion.«  Es  ist  des- 
halb nur  indirekt  möglich  auf  die  .Schußweiten,  namentlich  der  größeren 
Pfeilgeschütze,  zu  .schließen.  Dabei  ist  nun  zu  überlegen :  So  überraschend 
groß  die  Treffsicherheit  der  Pfeilgeschütze  auf  nahe  Entfernungen  ist,  nimmt 
sie  docli  auf  größere  Entfernungen,  vor  allem  seitlich  zur  Windrichtung, 
in  einer  Weise  ab,  daß  das  Schießen  zur  Munitionsverschwendung  wird; 
auch  die  Durchschlagskraft  der  Pfeile  nimmt  infolge  der  Befiederung  schnell 
ab,  so  daß  auch  in  dieser  Beziehung  das  Schießen  wirkung.slos  wird. 
Deshalb  dürfen  wir  wohl  annehmen,  daß  über  i  Stadion  nur  ausnahmsweise 
geschossen  wurde,  wenn  es  sich  mehr  um  Beunruhigung  als  um  Wirkung 
handelte;  daß  aber  in  diesem  Falle,  mit  Erhöhungswinkeln  bis  45°,  Ent- 
fernungen von  2"  2  bis  3  Stadien  erreicht  werden  konnten,  vor  allem, 
wenn  man   leichtere  als  zum   Kaliber  gehörige  Pfeile  verwendete. 

Eine  direkte  Angabe  über  Schußwirkimg  macht  also  Philon  niclit.  Wir 
wissen  nun,  daß  die  Pfeilgeschütze  wohl  ausschließlich  gegen  lebende  Ziele 
verwendet  wurden,  sie  also  auf  jede  erreichbare  Entfernung  einen  Menschen 
atißer  Gefeclit  .setzen  sollten;  die  Steinwerfer  kamen  vorwiegend  gegen 
tote  Ziele  zur  Anwendung,  das  sind  vor  allem  Deckungen  in  jeder  Form  und 
Art.  Das  einzige  Beispiel,  daß  eine  Mauer  selbst,  nicht  bloß  die  steinerne 
Wehr  derselben,  in  Bresche  gelegt  worden. sei,  gibt  wiederum  die  Belagerung 
von  Rhodos.  Die  Mauer  war  nicht  gegen  den  förmlichen  Angriff  gebaut,  den 
die  Rhodier  keinesfalls  von  dieser  Seite  her  erwarteten.  Was  sonst  noch  für 
günstige  Umstände  für  den  Angriff,  ungünstige  für  die  Verteidigung  vorlagen, 
läßt  sich  nicht  mehr  nachprüfen.    Kurz,  dieser  Fall  steht  völlig  vereinzelt  da. 

Durch  eingehende  Erwägimg  aller  sich  gegenseitig  widersprechenden 
Angaben    über  Fe.stungs-    und   Gesclu'itzbau    kommen    wir  zu   dem   Schluß, 


14  DiKLS   und  E.  Schramm: 

(laß  Avir  ohne  an  unserer  Hochaclitung  vor  den  Leistungen  der  antiken 
Technik  zu  verlieren,  doch  verschiedene  Angaben,  welche  die  Maße  von 
Bauwerken  und  Maschinen  sowie  die  Wirkung  und  Schußweiten  von  Ge- 
schützen betreffen,  einschränken  müssen.  —  In  diesem  Sinne  sind  auch 
die  Angaben  Philons  zu  beurteilen.  —  Dann  wird  klar,  wie  Philon,  ohne 
selbst  tieferes  Verständnis  für  Befestigungskunst  zu  liaben,  seine  persön- 
lichen und  seine  schriftlicli  oder  mündlich  erhaltenen  Erfahrungen  zusammen- 
getragen hat,  und  wo  er  sie  durch  eigene  Vorschläge  ergänzt.  Die  Über- 
treibungen, namentlich  auch  durch  die  so  Iiäufig  angewendeten  Superlative, 
werden  sich  dann  auf  das  richtige  Maß  einschränken  lassen. 

Hat  man  sich  auf  diese  Weise  in  Philon  »eingelesen«,  wii-d  man  immer 
klarer  erkennen,  wie  viele  seiner  Angaben  in  staunenswerter  Weise  auf  einzelne 
noch  vorhandene  Keste  griechischer  Befestigungen  damaliger  Zeit  passen, 
welche  Abweicliungen  durch  das  Gelände  oder  aus  anderen  Gründen  be- 
dingt oder  erklärlich  sind,  und  warum  seine  eigenen  Vorschläge  nicht  zur 
Anwendung  gelangen   konnten. 

In  Summa  bekommt  man  ziemlich  klare  Angaben  älier  die  Anlage 
fester  Plätze,  ihre  Ausrüstung  mit  Lebensmitteln  und  Heeresgerät  sowie 
über  Angriff  und  Verteidigung  dersellien  zu  Wasser  und  zu  Lande.  So- 
dann erhält  man  ein  Bild  von  der  Geheimschrift  und  endlich  auch  von 
der  Telegraphie,  besonders,  wenn  man  die  nötigen  Ergänzimgen  in  Diels 
»antiker  Technik«   nachliest. 

E.  .Schramm. 


EK  TON  THZ  ctilAQNOZ  MHXANIKHZ 

ZYNTAZEQZ 

BIBAIQN  Z  KAI  H 


EXZERPTE  AUS  PHILONS  MECHANIK 

RYII  nAPAZKEYAZTIKA  UND 
B.VIII  nOAlOPKHTIKA 

VULGO  BUCH  V. 


1  (}  Di  i;  l s  uikI   E.  S  c  h  k  a  m m 


ZEICHENERKLÄRUNG. 

P  ~;  Parisinus  gr.  2442 
Pr  =  Par.  gr.  jüngere  Ild. 
V  :=  Vaticanu.s  gr.  1164 
R  =z  jüngere  Hss. 
Br  ;=  August  Pirinkmann 
Bue  =  Franz  Buechelei' 

Ca  =  Isaac  Casaubon 

Die  =  Hermann  Diels 

Fa  =  Ernst  Fabricius 

Gra  =  Charles  Graux   und   A.  de  Roctos  dWiglun  Philon  de  Bysance 
((Envres  de  Ch.  Graux   II  153—227)    - 
Ha  =  Friedrieh  Ilaase  handschr.  Nachlaß  im  Besitze  von  R.  Schoene 
Ko  =  A.  de  Hochas  d'Aiglun    Extr.  d.  mein,  de  la  societe  d'emulation 
du  Doubs  IV  ser.,  VI  1870— 187 1 
S  =  Philonis  iiiech.  syntaxis  libri  iv  et  v  rec.  R.  Schoene.    Berlin  1893 
Th  :=::  Vet.  matliem.  opp.  ed.  Thevenot  Paris  1693  p.  79—104;  Th  mg 
Randbemerkungen  Thevenots,  Th  1  seine  lat.  Übersetzung 

Va  =:  Johannes  Vahlen 

[  ]  ~  Tilgung  des  handschrift'l.  Überlieferten 
<(  )  —  Ergänzung  des  in  den  Hss.  Fehlenden 


Exzerpte  aus  P/iilons  Mechanik  VII.  VI  IT  (I  I — 3;  p.  7i)). 


17 


EXZERPTE  AUS  PHILONS  MECHANIK  B.VII  UND  VIII. 


I. 

♦  lAUN  'Apictconi  XAipeiN.  _. 

Anfang  fehlt.  (1)  TTpöton  msn  AeT    79 

TOYC      ofKOAOMOYNTAC       HYPrOYC      OPYIANTAC      ME- 
XPI    neTPAC    fl    YAATOC  H    TINOC    ^AĻOYC    Xc*AAOYC 

roYTON  XnocTepewcANTAC  tön  TönoN  uc  «aaicta 

TiGe- 

NAI      TOYC.    eeMEAlOYC      6n      rYYü),      INA     «H      ^NAON         5 

TöiN  eE«e- 

AJUN    Oi    ToIxOI    PHrNYUNTAI    MHa'    YMOPYTTHTAI    TÄ 

TeixH  •  (2)  AeYTepoN  a^  toyc  nYproYC  oikoadmeTn 

KATA    TOYC 
APMÖTTONTAC    TÖnOYC,    TOYC    MeN    [Xnt'i  TUN   CTPOP- 

rYACON] 

^lueeN  ncpi«epelc.  j^naon  a'  4xontac  ^ni*ANeiAN 

oVa  TENOIt'ÄN  KYaInAPOY  TMHeeNTOC  KATA  THN  BÄCIN        10 
AIXA-     (3)    TO'V'C     AÄ    felAfUNCYC     KaI     neNTAfWNOYC 

ka'i    TETPA- 

rÜNOYC  KATACKCYÄZONTAC  ^KTieeNTAC  KATA  MIAN  TU- 

NJAN,     TnA     XaAHAOIC     AmYNUCIN     CK      TUN     HAAriuN 


I. 

Pliilou  grüßt  den  Ariston. 

(1)  Krstens  niüsseii  die,  welche  I?e- 
festigungen  '  bauen  wollen,  nachdem  sie 
bis  auf  den  Fels  oder  das  Grund- 
wasser' oder  auf  irgendeinen  festen 
Hoden  gegraben  haben  und  den  Platz 
möglichst  festgemacht  haben,  die  (ii-und- 
rnauern  in  Gips'  legen,  damit  die  Wände 
nicht  innerh.nlb  der  Fundamente  durch- 
brochen oder  die  Mauern  untergraben 
werden  können.  (2)  Zweiv^ns  aber  muß 
man  die  Türme  an  den  dazu  geeigneten 
Stellen  bauen,  und  zwar  die  einen  nach 
außen  abgerundet,  nach  innen  aber  mit 
einer  Fläche,  wie  wenn  ein  Zylinder 
zweiteilig  zu  seiner  Basis*  geschnitten 
wird.  (3)  Die  sechseckigen,  fünfeckigen 
und  viereckigen  aber  müssen  so  ange- 
legt werden,  daß  sie  Einen  Winkel  nach 
außen  gerichtet  haben,  zur  gegenseitigen 
Unterstützung     aus    den    Schriigseiten ', 


Titel  fehlt  VP,  ebenso  Subskription  am  Ende.  <t>iA(üNOC  AÖroc  n^wnTOC  Par.  2437.  Er 
wie  Par.  2435  haben  die  Subskription:  t^aoc  toy  Apictunoc  (1)  newnTOY  aöfoy. 

79,  I   apictun  V  2   »nYProYC  aut  del.  auf.    in   TeixH   mutanduni"  S:   to^'C    oik.   n. 

tilgte   Br  3   Ac*aaoyc   Gra:  Ac^aaüc  PV         8  [Anti  tön   CTPOfTY'AUN]  .'^,  vgl.  p.  99,50; 

100,50    und  99.24   (PV)  12   ^KTieeNTA    PV:    corr.  Gra 

'  riYProc  muß  hier  mit  » I$efestigung"  übersetzt  werden,  da  das  über  das  Gi'aben  des 
Grundes  Ge.sagte  für  alle  Befestigungen  gilt.  Wäre  nur  -Turm«  gemeint,  würde  nicht 
TeFxoc  (Z.  6)  und  ToTxoc  (Z.  7)  getrennt  angegeben  sein. 

'    Vermutlich  soll  die  Anlage  von  nassen  Gräben  damit  angedeutet  werden. 

^    rYYOc  kann  nach  Theophrast  de  lapid.  ^5  66  auch  Kalk  bedeuten. 

'  Mit  BACic  wird  auch  die  Rückwand  des  Tumies  bezeichnet,  z.  B.  80,  4.  Bild  3.  Dikls 
vermutet  katä  (ctaomhn  npöc)  thn  bacin. 

'    Die  dazu  bestimmten  Geschütze  stehen  in  den  Türmen.    Überall  wo  die  Tüi'me  dein 

Widder-  und  dem  Geselu'itzangrif!'  ausgesetzt  sind,  soll  eine  Turmecke   nach  außen   zeigen. 

Das  macht  den  'I'urm  widerstandsfähiger  und  ermöglicht  gleichzeitig  .Schrägfeuer.     In  einem 

giot^en  Tui-m  von  24  Ellen  (11  m)  äußerer  Seitenlänge  lassen  sich  beispielsweise  aufstellen: 

Ihil.-hint.  Abh.  19-1!).  Nr.  12.  .'J 


D 1  E  L  s    und    K.  S  C  H  R  A  M  M  : 


n. 


Mild  2. 


Ai»>l6MeNWN  TÖN  BGAÄN  eiC  TA  nPOCArÖMENA  MH- 
XANHMATA  KaI  VnA  MHe'  YnÖ  TUN  KPIUN  MHe'  YHÖ 
TÖN     nSTPOBÖAUN     TYnTÖMENOI     «HABN     nÄCXUCIN' 

(4)  AI  «eN 

PAP  rlNÖMENAI  KATA  TAC  nAeVPAC  KATA*OPAI  TUN 
nAHTÄN    ICXYPAI,  AI   AS   nSPi   THN  ^KKSIMeNHN  rWNlAN 

nepiKAciweNAi  nANTGAuc  AceeNeic  econtai. 

(5)  APMÖcei  Ae  ncüc,  toyc  nepi<t>epeTc  ka'i  toVc 

TeTPA- 

rÄNOYCwcnep  nynoikoaomoyntai  TieeceAi-  (6) toyc 

AS  KATA  TOYC  HY- 
AEÖNAC  eiArCüNOYC  AE?  CYNTSAeTN,  Yn'  aY  Te  TCO- 
NIAI  HTTON  ePAYtONTAI  KAI  MH  OAPAninTONTA  TA  BEAH 
KAI  CYM*ePÖMeNA  AHANTA  OPÖC  TAC  CSÖAOYC  CYN- 
TPIBH  TAC  nYAAC  KAI  AYCCKnOPSYTOYC  KATACKCYÄZH, 

TAC  TS  eniTAceic  tun    seAUN   exHC  OANTAXÖeeN. 

(7)    SAN    AC 
nAINeiNOYC   OIKOAOMHC.   T6TPArciN0YC   ACI   nOICIN  KAI 

nPOEKTieeNAI  MIKPON  KAT'  ÖICIAN  TCüNIAN,  KA- 
TA     KYKAOY     TMHMA     CYNÄnTONTAC     TOIC     MCCOHYP- 


79  wenn  sie  gegen  die  ani-ütkeuden  .Ma- 
schinen Geschosse  senden,  ntid  daniit 
sie  nicht  durch  die  Widder  und  durch 
'l'i-efler  der  Stein  weifer  Schaden  leiden. 
(4)  Die  Wiii-fe  nämlich,  die  auf  die  Sei- 
ten treffen,  werden  stai'k,  die  um  den 
ausspringenden  Winkel  herum  einschla- 
gen. \verd(Mi  vollständif;  kraftlos  sein. 

2"  •  (5)  Es  wird  so  ziemlich  angängii; 
sein,  die  runden  und  die  viereckigen 
so  zu  machen,  wie  sie  jetzt  gebaut  wer- 
den, (6)  die  hei  den  Haupttoren  aljer 
muß  man  sechseckig  machen  '.  damit 
ihre  Ecken  weniger  leicht  zeretöi-t  und 
die  Toi'e  nicht  durch  das  Anschlagen 
und  das  Zusammenwirken  aller  gegen 
die  Ausgänge  gerichteten  Geschosse  zer- 
triinunert  werden,  damit  ferner  das  .\us- 
fallen  nidit  erschwert  werde  und  dann't 
man  /ugleicli  von  allen  Seiten  die  Ge- 
schosse   richten    könne.    (7)  Wenn    man 

"^  mit  Ziegeln  baut,  .sollen  sie  viereckig 
und  an  einem  spitzen  Winkel  (der  Mauer) 
ein  wenig  voi-stehend  gemacht  werden. 
Mittels  dei-  Kurtinen  verbindet    man  sie 


79.  20  TOYC  (j*,kH  AAAOYC  nYproYC.  ncpi*.  KAI  [toycj  t.  Fa  2  1  Lücke  nach  Ti'eeceAi 
Gra:  vor  T.  S  22  esAr.  (h  neNTArÜNOYc)  Br  vgl.  p.  79,11  23  nepininTONTA  V  ■  25  ka- 
TACKCYÄzei  PV           26  eniTÄcceic  P:  cniCTACeic  Gra           exH  PV:  corr-.  (ira  nANTAx6ce  S 

80,  I  oiKOAOMeic  PV:  corr.  Th        nach  oikoaoa'hc  Eiicke  Gra  2  nach  ruNJAN  Lücke  Gfa 

3  CYNAHTO-i-CAC  PV:  corr.  S 

Im  Hauptgeschi)!.!  i  eintalentiger  Steinwerfer  und  i  bis  2  leichte  Pfeilgeschütze,  oder  2  zehn- 
minige  Steinweifer  und  2  leichte  Pfeilgeschiit/.e.  Im  01>ergeschoß  2  bis  6  Pfeilgeschülze. 
Bild  2,  4,    12,   15   und  26. 

'  Ein  Winkel  von  120  Grad  ist  weniger  leicht  zu  zerstöreii  als  ein  solcher  von 
90  (inid;  dei-    I  iirnigriindriß  ist  aber  ohne  EiiilUiß  auf  das  Zusanniienwirken  der  Geschosse. 

1  « 


Exzerpte  mts  P/ähns  Mechniük  VIJ.  VIII  (I  -'l  —  !):  p.  7f).S0). 


1!) 


V-\Än.tc<L«.^  jiiA/Hxe.   -ft/v«.  ■^■xiittC'Vi,  'Wt-viÄeÄv  «)M.3Tt<i4xM. 


IjZOOO- 
lül.1   X. 


noic,  (ijCTe  AnAPTizeiN  aytun  thn  bäcin  tu 
n^PATi  TÖN  «eTAnvpriwN.  (8)  ina  a^  «h  aambanu- 

CIN  KATÄKPOYCIN  MHa'  HNTINAOYN  iK  nAHtHC 
MHa"      HCTINOCOYN,      ^N      «OaIbW      KAI      ClAHPlp      KA) 

rv-Yu   TÖN    ^cxÄTUN   AJeuN   np6c   Xaahaoyc  ae- 

eeNTüjN.     '.  .  .>    npöc    tö     toyc     neTPOBÖAOYc 

nAPA»6P0YC 
riNOMeNOYC  MH  AYNACeAl  TÄC  ^nÄAI€IC  Ano- 
KÖnTCIN. 

(9)  tA  Ae  METAnYPriA  öniKAMnioYC  ^xon- 

TA  EK  TÖN  ITAAriUN  TOixOYC,  Ol  AuÖ  M^CUN  TÖN 
HYPrCON  Xxe^NTeC  TÖ  WSN  HAATOC  ^X^TUCAN  AJ- 
nHXY.  INA  MH  Ol  ^KnOPeYÖMeNOI  TITPtüCKCüNTAI 
«HAE  KATA  tXc  AIÖAOYC  TÄ  BGAH  «ePÖMENA  TÄC 
nYAlAAC    ^KKÖntH. 


80  nach  Art  eines  Kreisabschnittes,  so  dalS 
iiire  Basis  zum  Knde  der  Kurtinen  '  ge- 
5  nau  paßt.  (8)  Damit  sie  aber  nicht 
durdi  Stol.i  zerstört  werden  weder  inner- 
lich ndcii  änßerhoh.  \^sollen  sie  dadurch 
gesichert  werden,  daß  die  äußersten 
Steine  in  Blei.  Kisen  und  (ups  mitein- 
ander verbun(^n  werden,  damit  die  Ge- 

■"     Schosse   der  Steinwerfer  al)gieitend  die 
Wehren'  nicht  ahlvämmcn  i<önnen. 

(9)  Hie  Kui'tinen  nhev  sollen  haivcn- 
förmise'  Wände  von  den  Seitenmauern 
aus  bekommen  (Bild  4).  die  von  der  Mitte 
der  Türme  aus  geführt  werden :  sie  sollen 
2  Kllen  (0.8872)  Breite  haben,  damit 
die  Ausfallenden  nicht  verletzt  werden 
und  die  bei  den  Durchgängen  einschla- 
genden Geschosse  die  Türen  nicht  aus 
den  Angeln   werfen   können. 


80.  4  TÖ)  nEPATi]  TÖ  n^PAC  Th  7  ciahpo)  h  rYTo  Fa  8  01  ecxatoi  tun  AieuN  S: 

Ol  fecxATOi  Aieoi  Gra        8.9  ae  e£NT(ON  V:  aeo^ptun  P        9  ', )Gra:  (Xc*AAeiAN  ^xetmcan) 

Di:  CYN(T6A6ice<i)CAN  AE  TA  m^n'    Br  II   ^niKAMnJAC  PV:   corr.  S  12  tdixun  PV: 

corr.  S         nach  ToixuN  Lücke  Ora  14  nach  aIhhxy  Lücke  Gra:     tö  ae  yyoc  TETPÄ^HXY■^ 


1  erm.   Die 


TiTPuCKÖMENOi   ^KnoPE't'ONTAl   PV :    ciuT.  Gra 


'  katA  ky-kagy  tmihma  ist  nur  ein  Vorschlag  von  Philon.  Vgl.  auch  82.  46.  Bild  3  und  9. 
Iiri  Widerspruch  zu  79,  12   zeigt  eine  Fläche,  nicht  ein  Winkel  des  Tui-mes  nach  außen. 

*  Wehr  bedeutet  die  gesamte  Schutzanlage  für  die  auf  dem  Wehrgang  Befindlichen, 
nicht  nur  die  Brustwehr.  Sic  war  unter  Umständen  nur  aus  Holz,  meist  aber  gemauert 
lind  auch  überdacht. 

Das  iniKAMniON  erreichte  wohl  nur  in  selteneren  Fällen  (z.  B.  lleiakleia,  Tor  9  [Ki'i- 
schen))  die  ganze  Mauerhöhe.  Wenn  es  nur  eine  wenig  größere  Höhe  hatte  als  die  zu 
deckende  Pforte,  war  die  flankierende  Wirkung  des  anstoßenden  Tunnes  nifht  beeinträchtigt. 
Bild  4.  4a.  4  h. 

3* 


20 


D I  E  1.  s   und   E.  S  C  H  R  A  M  M  : 


^3^ 


^^ 


tlTlnA-MTf*     IAA,  ^oj^fvy.   JtAJU/n.     ^A/vUn.  y^^AfJCivx^      1-Z-OÖO 


-):  500 


^^?I=s=i- 

Q  a   B   D 

'S 

Q 

Ifc 

PI 

■M 


1  =  500 

Bild  4. 


D  D 


^ 


(10)  Anexeiio  ae  tö  reixoc  Anö 

TCCN    OIKIÜN    eiHKONTA    nHXcIC.   YnA   PAAICCC  H   HAPA- 

♦epeiN  TOYc  AieoYC  ka'i  nÄpoAON  exHC  toic  bohgoy- 

CIN    ka'i    TAtPeiAN    eNAOeSN    IKANHN,    ^AN    Tl    AEH. 

(11)    TA 

Ae   nAÄTH   noiHTeoN   tun   TO'XWN   (JYK   eaatton   h 

AEKA  nHXCON,  TIOeNTAC  KAI  TOYC  AieOYC  OPeiOYC  EN 
PYTü),  «ÄAICTA  A\6N  ÄK  KPATAIOY  AlGOY  TA 
enlKAIPÖTATA    TUN    MeTAnYPrioJN    CYNTGAOYNTAC,   61 


80  (10)  Ks  soll  aber  die  Mauer  von  den 

Wohngebäuden  60  Eilen  (26.6)  absieben 

17  (s.  Bild  27),  damit  das  Heranfchaffen  der 
Steine  leicht  vonstatten  gehe  und  man 
einen  Zugang  habe  für  die  Ililfstruppen 
und  innenseits  einen  genügenden  Gi'alien 
ausheben  kann,  wenn  es  i:ötig  sein  sollte. 
(11)  Nach  der  Breite  soll  man  die  Mauer 
nicht  weniger  als  10  lilien  (4.436) 
machen  und  die  Steine  vorn  behauen 
in  Gips  versetzen,  indem  man  vor  allem 
die  gefährdetsten  Teile  der  Kurtinen  »us 
widerstandsfilhigem    Stein   ausführt,    wo 


80.  17   oiKeiuN   PV:  eorr.  Gra  18  AieoBÖAOYC  Gra         e'xiHC  Gra:  eXH  PV  19  feN- 

AoeeN  S  (vgl.  93,  25):  eNseN  PV:  ^cweeN  Ha  Lueubr.  Thuc.  p.  51 :  fe'NAON  Gra  20  TeixÜN  V; 

vgl.  81,8.44.   82.52 


Exzn-pte  aus  P/älo/is  Mechanik  VII.  VIII  (I  10~li^ ;  p.80). 


•21 


Ae  KH,  öieTc    WC   Mkicta  pAp  neiceiAi  Ynö  tön 

AieOBÖAUN.   (12)  MH    ^AACCU   t^k   TU   YY€I   OIKOAOWei- 

ceu  fl  eikocinHXH,  ina  ai  npöc  aytA  kaimakcc 
npocAröweNAi  wh  ^iiknöntai  [toTc  Teixe- 
cin]. 

(13)  ^«BAHT^ON  Ae  ^CTIN  eic  TA  TGIXH  KAI  TOYC 
n-t-prOYC  JYAA  APYlNA  AIA  TEAOYC  CYNEXH  AIA 
TCTTAPUN  nHXCÖN,  INA  YOÖ  TCON  AISOBÖAUN  iku 
KATA      Tl      nON^CH,      PAAICCC      ^niCK£YÄ2a)«eN     AYTA. 

(14)  noierTAi  ae  tä  m^n  KATACTerA  kaI  ^nÄAieic  exoN- 

TA.-  OIA    Xu    CYMO^PH. 

(15)  tinA  a^  tSn  weTAnYPriuN 
CYNTeAcTrAi    ^n    toTc    apmözoyci    TÖnoic    önÄA- 

leiC      MAN      €X0NTA,     nAPÖAOYC     AE     OY,     Aaa'     XnÖ 

TUN  ^n(i)koaomhm€n<i)n  ikpi'un  toTc  Toixoic  ^niBo- 

AÄC    I-f-AOlC    KAI    CANICIN    i'xONTA,  YnA    KATA    TAC    Tl- 

NOM^NAC  noAioPKiAC  aawbAnojntai  <(ka'i)  ötan  aeh  e- 


80  (las  nicijt  möglich  ist,  aus  spitzigen ', 
deQn  sie  werden  am  wenigsten  unter  den 

25  Steinwerfern  (Schaden)  leiden.  (12)  Die 
Höhe  soll  man  niclit  geringer  als  20  Ellen 
(8.8/2)  bauen,  damit  die  an  die  Mauern 
angelegten  Leitern  nicht  ausreichen. 

(13)  Einzulegen  sind  ferner  in  die 
Mauei-n  und  Türme  eichene  Hölzer^  im 
Abstand    von    4  Ellen    (1.75)     in     fort- 

30  laufender  Reihe  bis  ans  Ende,  damit, 
wenn  etwas  durch  die  Steinwerfer  Scha- 
den gelitten  hat,  wir  sie  leicht  ausbessern 
können.  (14)  Es  sollen  aber  einige  über- 
dacht und  mit  Wehren  versehen  werden, 
wie  es  zweckmäßig  .scheint. 

(15)  Einige  der  Kurtinen  sollen  an 
den  passenden  Stellen  so  hergestellt  wei'- 
den,  daß  sie  zwar  Wehren  (s.  Bild  5)  er- 
halten, aber  keine  Wehrgänge,  dagegen 
sollen  sie  von  den  in  die  Wände  einge- 
bauten Gerü.stbalken  ans  Auflager  aus  Holz 
und  Brettern  haben  damit  sie  bei  vor- 
kommenden Belagerungen  benutzt  wer- 
den können,  und,  wenn  es  nötig  ist,  Ron- 
dengänge  auszuführen,  oder  sich  dort  der 


D       I       0       I       D 


1:  500. 


80,  24  neiCHTAi  I'\'  26  eiKOCi  nHxeciN  PV:  corr.Gia      aytA  Cum  :  ayto  I'V  27  [loic 

TeixeciNJ   Ura  28    nach  TeixeciN  Lücke  2  oder  3  Buchst.  I'V  31   ^niCKeYAzo/>'>6N   I'\' 

32   nacli  A^  {"tun  mctao.     aus  33  tij-a  ;^^  oy  An  (ira  Fortif.  de  Carlli.  p.  196  35  aaa" 

£n    (iia  36    ^NaiKOAC/^HKCNUN    (ira:    OIKOAOWHM^NUN    PV :    AnÖ    riPOCUKOA.    S  IKPiuN    iNIi: 

KPi&N  I'V;  vgL  IG  U  167,72  36.  37  ^nei  boaai   P:  ^ni  boaai  V^:  corr.  Gra  38  aambA- 

NUNTAi]  ÄniBAAÖNTAC  odcr  ^wbaaöntac  veiTii.  Br:  Anabai'nontac  Bue  (i^aI)  Die 


'  n.  i.  Bossenquadern  mit  Handschlag  bzu.  in  Lager-  und  Stoßfugen  behauen,  jeden- 
falls aber  die   Fugen  gut  schließend,  gegen  Bohrer,  Widder  und  Geschosse. 

-  Eine  .Maßnahme,  die  auch  im  Mittelalter  bis  zur  Einfühi-ung  der  Fcnerge.schüt/e 
durchgelülirt  wurdi-. 


22 


D  I  K  I.  S     Uiul     E.    S  C  II  R  A  M  >I  : 


«OAeV-eiN  H  AlAKINAYNeVeiN   en'  A-t-TUN  MHAeN  HMAC      80 

KUA-f-H.     KAI     nÄAIN     A*eAOYCI     TA     lYAA     b'jAN     AP- 

MÖTTH,  BPAXeiA  TIC  ♦YAAKI^  KATAAeinHTAI  '  (16)  KY- 
Pie-fCANTEC  PAP  AYTÖN  Ol  HOA^AMOI  fl  HAAIN  ÄniACIN. 
OY  AYNÄMeNOI  SIC  THN  nÖAIN  OAPeMneCeTN,  H  BPA- 
XYN  TINA  XPÖNON  EHÄN  «SINCOCIN,  YnÖ  TÖN  BeAÖN 
TYnTÖMENOI      ÄnOAOYNTAI.      (17)    TINA     AE     KASAneP       45 

in  "Pö- 

AU  eiC  YAAIAAC  CYPKAeiÖMeNA  (.  .  .)  HAATH  Te  SXOY- 

CIN    AI    nAPOAOI    enTAnHXH    KAI    KÄTUeeN   <t>YAAKTH- 

PIA    enTAKAINA,     (ilN     Ol     TO?XOI    Ol    WEN    ÖPGoi    6C0N- ' 

TAI  AEKAniHXelC  TU  TS  MHKGI  KAI  TÖ  OÄXei  •  (18)0IAe 
nAÄnOI    MHKOC     M^N     eXOYClN    TÖ    ICON    Tofc    ÖPeofc,       5" 

nAATOc    Ae    TpinHXY.     (19)   OYTw   A^    kaI    oiko- 

AOMHeeNTüJN 
fO     ÖT  Te  ANÄACOMA  GAATTON   eCTAI.  Ka!    Ol   M€N   ASKAnH-      81 
)feiC  YnÖ  TUN  AieOBÖAUN  OYOEN  neicONTAI.oi  Ae  TPI- 

nHxeic  TÖ  nÄxoc  öntec  eku  ti  nÄcxuciN  Ynö  tun 

80.  42   AYTÖN    PV:   corr.   cod.  Vntic  gr.  220 

81,  2.  3   TeinHxeic  VF, 


GeCahr  auszusetzen,  uns  Dichts  im  ^Vege 
stehe  und  damit  die  Hölzer  wieder  ab- 
genommen werden  können,  wenn  es  paßt, 
und  nui'  eine  kleine  Wache  zurückzu- 
bleiben braucht.  (16)  Bemächtigen  .sich 
nämlich  die  Feinde  derselben,  werden 
sie  entweder  wieder  abziehen,  wenn  sie 
nicht  in  die  Stüdt  weiter  eindringen  kön- 
nen, oder  wenn  sie  wirklich  kurze  Zeit 
dort  bleiben,  werden  sie,  von  den  Ge- 
schossen getroffen,  umkommen.  |17)  Einige 
(Kurtinen)  sind  wie  in  Rhodos  zu  Gewöl- 
ben zusammengeschlossen  '[.  ...  Die 
Wehrgünge  erhallen  eine  Breite  von 
7  Ellen  (3.1)  und  unten  AVachthüuser ' 
i7ir  sieben  Pritschen,  deren  Frontwände 
10  Ellen  (4.436)  nach  Länge  und  Dicke 
sein  sollen:  (18)  die  Seiteiiwände  aber 
sollen  dieselbe  Länge  erhalten,  aber  nui- 
3  Ellen  (1.3)  dick  .sein.  (19)  Bei  dieser 
Bauart  werden  aber  die  Kosten  geringer 
sein  und  die  zehnelligen  (4.436)  werden 
von  den  Steinwerfem  niclits  zu  leidin 
haben.      Sollten    aber  die   3  Ellen   (1.3) 


50  fe'iOYCi  Gra 


KAi  fehlt  P 


'    In  den  Wachthäusern  lassen  sich  auf  4.436  m  bequem  7  Pritschen  zu  60  cm  Breite 
aufstellen,  in  den  Obergeschossen  je  i  fünfspitliamiges  Pfeilgeschütz.    Bild  6. 


»II    n  i  I Hin 


nfW 


"CrCLaAAXn.  von. 
1:500. 


9l^bfl 


lüld  6. 


l-lxzirptc  aus  P/älons  Mccfumlk  MI.  VTIJ  (I  15  —21;  p.  SO.  S7).         23 


nAHruN,      TAXY 
PION    TOYTO. 


XnocTepeücoMeN     tö    *yaakth-     81 


(20)      UCAYTUC      AE      KAI 


TOYC     nYPrOYC     OIKO- 
A0MHC0M6N 


eK  AieuN  oYuN  eiPHKAWcN,  Tie^NTec  öPeioYc  ay'toyc 

eN       rYYCi)       KAI       TA       HAÄTH       TUN       ToixuN       OYK 
^aAtTü)       nOIOYNTeC       H       AeKAOHXH      KAI       KATAAI- 

nÖNTec    eYPiAAC   ^k    tun    nAAncoN   toixun    tia- 
e€N   ctenac   ka)  JcueeN  eYPeJAC,  6k  ag  toy  «e- 


dicken  Wände  unter  den  Würl'eii  leiden, 
so  \verden  wir  das  betreliende  Waclit- 
baus  schnell  \viL'<lei-  befestigen  können. 
(20)  Ebenso  weiden  wir  dieTüniie  aus 
Steinen  erbauen,  wie  wir  sie  l>esclirieben 
lialjen,  indem  man  diese  außen  l)eliauen 
in  Gips  vei'Setzt  und  die  Dicke  der  Wände 
(in  den  Fundameuten)  nicht  weniger  als 
lo  Kilen  (4.436)  macht  und  in  den  Sei- 
tenwänden Scharten  '  ausspart,  außen  eng 
und  innen  weit,  ■  oder  in  der  Milto  eng 
(s.  Bild  7)  und  auf  der  unteren  Seite  ab- 


1:£5-0. 


Büd  7. 


coY  ctenäc  kaI  kataiypoyc  ^k  toy  KÄTweeN  «e- 

POYC,     INA     WH     TITPOJCKUNTAI     Ol     ^NAON    KAI    HAPA- 

(<>6p(i)n) 

riNOWeNCüN  (j&N     BEAÜN  Ä*IÖCI  TO^f-C  TgKATAnÄATAC 

KAI    TOYC    neTPOBÖAOYC    OY    nPOAlPOYNTAI.    (21)    AsT 

<A^)    eiNAl 
TAC      SYPIAAC     Tofc     X*ie«eNOIC      KATAnÄATAIC     KAI 

neTPOBÖAOic   ^N  {toTc   Toixoic)  tun   HYPPUN,  ^n 

oic  AI  BeAOCTAceic 

€K  TOY   ^AÄ«OYC  KATACKeYACeHCONTAI,YNA  T/k  HPOC- 
ArÖMeNA  «HXANH^^ATA  ^AN  Te  nPÖC  TINA  TÖN  (M€TA-/ 

nvpritoN    ii    ^NANTJAC    npocÄrHTAi,   ^AN    Te    ^ni 

TINA  TÖN 
CKKCIM^NUN  nYPrWN  6niCTP^*H.  CYNePrOYNTeC 
ÄAAHAOIC    {XmY'NMCIN')    Ol    HYPrOl     »ePOM^NCON    TUN 

AieOBÖAUN 


geschlägt,  damit  nicht  die  innen  Stehen- 
den verwundet  werden  und  sie  wäh- 
rend die  (feindlichen)  Geschosse  vorbei- 
gehen, die  Katapalten  und  Steinwerfer 
nach  jeder  Richtung  abschießen  können,- 
wohin  sie  wollen.  (21)  Es  nn'is.sen  aber 
die  Scharten  für  die  schießenden  Kata- 
palten und  Steinwerl'er  in  <^den  Wän- 
den) solcher  Türme  angelegt  wci'den,  in 
denen  die  Geschützslände  von  Grund  aus 
aufzubauen  sind,  damit,  wenn  die  heran- 
rückenden Belagern  ngsmaschinen  ent- 
weder gegen  eine  der  Kurtinen  heran- 
gebi'aclit  werden  oder  auf  einen  der  vor- 
springenden Tümie  gerichtet  werden,  die 
Tiinne  sich  gegenseitig  unteritiitzen,  in- 


dem   die    Stein  Werfer    aus    den  Schräg- 

81,0     oiK0AOMHCCilM€N    FV  :    COri".    H  II     [CTENACj    Gra  II.   12    [^K    AG    TOY  M^COY 

CTCNAc]  S:     fi    EK  T.  «.  CT.  Schramin  14    (tän)  (ira        [kai]  l!r       nAPA  »öpwn';  tinom^nun 

tön)    b.  Br:   nAPATeiNOM^NWN   bgaün    I'V  Xoiuci   Te   toyc  k.  Br  15  oy  hpoaipoyntai 

l'V:  corr.  Th;  vgl.  91,17.  97,33:  falsch  of  Gra  (a^     (ira  16  tac  gyp.   I'V:  ka)  OYP.  S 


17  ((rote  Toixoic)  Gra 
(vgl  p.  79, 13:84,  3) 


19.  20   «eTAnYpriUN   Gra;    s.  zu  Z.  23 


22   /ämy-nwcinN  Buo 


'    9YPiAec  wird  für  alle  Arten  von  (ieschütz-  und  BogenscLarten  gebraucht  sowie  auch  für 
Scharteuläden  und  Pforten.   Es  gab  zwei  Arten  von  Scliarten :  fiir  Schützen  und  '  für 

(ieschütze  (mit  Drehpunkt  in  der  sog.  Minimalscharte,  wie  aiu-li  heutzutage  mich  diese  .\rt, 
wenn  auch  veraltet,  bei  SchiH'sgeschützen  vorkommt). 


24 


D  I  E  L  S     und     E.    S  C  II  R  A  M  M  ! 


SK   TÖN    nAAriuN    ToixcON    [kAI    TÖN    MeTAnYPriwN], 
^N    oic   AI    eYPiAec    KATACKevÄzoNTAi    oTac    elPH- 

■'  KAWeN. 

(22)    {.  .  .)  KAI  TOIIKAI   AI   MEN   HAÄrlAI  a]  AG   ÖP- 

eAi  eiü)  TÄ  CT€NA  exoYCAi,  öncoc  an  Totc  Te  hah- 

ClAzONTAC       TPAYMATiZü)CI       KAI        KATArNYWCI       TAC 

npocTieeweNAC  aokiaac   kaI  ta  mhxanhmata,  ay- 

TOi  AE  «HAEN  AEINON    OACXWCI  '  (23)  CeCiAHPü)«6NAC 

rÄP    KAI    AM*inAeYPOYC     TAC     OYPIAAC    AYTÖN    nOIH- 

COWeN,     tNA      «H      CYNTPisMNTAI      YnÖ      TUN       AISO- 

b6aü)N  •    (24)  ETI  AE  OY    (»AAIUC  TA  TÖN  ÄNANtIcüN  BG- 

AH    eic    TA    nAAriA    THN    e*IIIN    nOIHCONTAl. 

(25)    TOIAYTHC    a'    OYCHC    THC    TOIXOnOllAC    TÖN 

I  nYPruN 

TAC    AIÖAOYC    ü)C    MCriCTAC    Ka'I    YAAlAOeiAeTc    FIOIH- 
;',    COMEN    nPÖC    TÖ    PAAicOC    TOYC     neTPOBÖAOYC    GIC^C- 

peiN    KAI    «eTAOcpeiN    ötan    ach.     (26)    acT    ac 

!|  TOYC    «CN    KATÄ 

-TAC  eicArurAc  n^-proYC  tön   mhxanhmätwn  yyh- 

i  I  AO'Y'C  KAI  ICXYPOYC  OIKOA0MeTN,T0Vc  AE  AAAOYC  OCON 
KAIMAKI      (WH  .       nPOCIKECeAl  •       (27)      Ol      PAP       APAN 

YYHAoi  AYC- 
i  XPHCTÖTEPoi  EICIN  Ka'i  eÄCCON  YnÖ  TÖN  HETPOBÖAUN 
i  TVnTÖMENOI  KATAninTOYClN  OY  AYNAMENOl  TA  BA- 
i'PH  *£PEIN.  (28)  (DCTC  MAAAON  CnOYAACTSON 
;    ,  eCTIN    AYTÖN 

1   TOYC     ToixOYC      nAXYTEPOYC      [nOicfN]      KAI      AYTOYC 

nOICIN    KaI    THN 
'   eiC       TA       YYH       AAHÄNHN       riNOM^NHN      CIC      TAYTA 

ÄnaaIckein. 


81    wändeil  (der  Tüniie)  schießen,  in  denen 

24  die  Scharten  so  hergestellt  werden,  wie 

25  wir  sie  besclirieben  haVjen. 

(22)  Auch  fiir  Bogenschützen  müssen 
teils  schräge,  teils  gerade  (^Scharten  an- 
legt werden).  Sie  müssen  außen  eng 
sein,  damit  man  zwar  die  sich  Nähern- 
den verwunden  und  die  vorgesetzten 
Balken  und  Maschinen  zerstören  kann, 
selbst  aber  keinen  ernstliciien  Schaden 
erleiden  könne.  (23)  Denn  wir  werden 
ihre    Läden    mit  Eisen    beschlagen    und 

3°  doppelseitig  (2  Hügelig I*)  machen,  damit 
sie  nicht  durch  dieSteinwerfer  zusammen- 
geschossen werden  können.  (24)  Auch 
wird  CS  ferner  den  Feinden  nicht  leicht 
möglich  sein,  mit  den  Geschossen  die 
Schartenwangen  zu  treffen. 

(25)  Während  der  Bau  der  Türme 
in  dieser  Weise  ausgeführt  wird,  werden 
wir  die  Durchgänge  möglichst  groß  und 
gewölbt  anlegen,  um  die  Steinwerfer 
leicht  ein-  und  ausbringen  zu  können, 
wenn  CS  nötig  ist.  (26)  Man  soll  aber 
an  den  fih'  die  Maschinen  zugänglichen 
Stellen  die  Türme  hoch  und  fest  bauen, 
die    übrigen    dagegen  nur  so  hoch,   daß 

40  eine  Leiter  nicht  auslangt.  (27)  Denn 
die  allzAi  hohen  sind  weniger  brauchbar 
und  stürzen  unter  den  Würfen  der  Stehi- 
werfer  schneller  zusammen,  weil  sie  die 
Last  nicht  tragen  können.     (28)  Deshalb 

muß    man    sich    mehr   darum  bemühen, 
auch  de  Wände  selbst  dicker  zu  machen 
^.     lind  den  ^lehraüfwand  für  die  Höhe  hier- 
für zu  verwenden. 


81,  23  nach  ToixuN    Lücke  Gra  MeTAnYPriuN  L.  Dindorf  Thes.  s.  v.:    «eTAnYPriAWN 

PV:   als  Verbesserung   von   n't'PruN    Z.  20   erkannt   von   I?r  25    »f.   vKATACKerÄzoNTAi 

Ae   eni    th    CT^rn)    kai   toiika!«    Hr   nach   p.  91.39  28    »f.  tä    (npocAröweNA^     m.-    Br 

28.  29   AYTOl   Fa:  AYTAi  l'V :  AYTAi  R  29  Ae  tilgten  U  und  Va       nach  aytai  ae  Lücke  Gra 

nAcxcoci  Die:  nÄcxoYCAi  PV  30  noiHCcüweN  PV:  corr.  Ha  34  TeixonoiiAC  V  38  npo- 

CAruTAC  (ira  40   'nH,  Tli:  nPÖc    aytoyc  «ih  äs  iKEceAi  Gra  nach  p.  80,  26  41   YneTÖN  V 

42  OY  (ira:  Ol  PV  43  «»epoycin   \'  44  TeixoYC  V         [^noiEfN]  Die  [kai  aytoyc 

noiEFNl  IIa  (ira:    ka'i  aytoyc  toyc  t.  oax.  n.  kai  t,   verm.  A.  Schoene  45    (wh)   hin.  Gia 


Exzerpte  aus  PhUons  Mechanik  MI.  VJIJ  (I  2J~^:j:j;  p.  S1.  82).         25 


(29)  ^N    Ae   Tolc   METAnYPrioic   nÄci  ka'i  roh 

nrproic 

KAG'   b    AN   AI  nAHTAi  MÄAICTA  risKONTAI  TUN   AISOBÖ- 
ACON,       AieOl       ü)C       CKAHP6tAT0I      ÄKTieeNTAI      npo- 

exONTec  b'coN  cnieAMHN  ka'i  AiecTHKÖrec  Xn'  aa- 

AHAUN    TOCOYTON,   ÜCTe    elC    tHN  XnÄ  MECON   X(i)PAN 

taaantiaIon  neTPOBÖAON  «h  OAPAAexeceAi,  Yna  «h 

Yn'      aVtÖN      TA      TeixH     «HAEN     HÄCXH.      (30)    TÖN 

Ae  Teix^uN 
AnÄNTUN  AJ  ^Ke^ceic  ka'i  erKAJceic  ka'i  tä  ähikam- 
niA  ka'i  AI  ((e'i'PYxa)  pIai  Äpmottöntcoc  toTc  yhäp- 

XOYCI 

Tönoic    aambanontai  ■    (31)  {.  . .)    ka'i    Aieoi    Xp- 

roM^Tunoi  ne- 
neAeKHM^NOi  6ni  «hkoc  TieeNTAi. 

(32)  ka'i  KÄTioeeN 

TüJN    TeiXUN    KAi    TUN  nPOTeiXICMÄTUN   ä)C  MeflCTOIC 
KaI    nACiCTOIC    BEAECIN    AI    BEAOCTÄCeiC    KATACKEYA- 

zoNTAi,  AI  M^N  [öPYKTAij  enineAOi  [ka'i  katüpyxoi],  m 
Ad  ■i'nöreioi  npöc  tö  eYPYXcopJAN  exeiN  ogaamn  ka'i 

TO^-C  Ati^NTAC  «H  TITP(i)CKeCeAI  KaI  A^TOYC  ÄAHAOYC 
TO-i-C  ÄNANTIOYC  TPAYMATizeiN,   KAI  ÖTAN   Ol  nOA^WlOI 

nAHCiXzdJCi,  «H  AxpeioYc  riNeceAi  toVc  katahea- 

TAO^TAC    XaYNATOYNT'AC    KATACTF^OEIN. 

(33)    ETI    Ad   nY- 


81 


82 


(29)  Bei  allen  Kuitinen  und  Türmen 
werden  da,  wo  die  Schläge  der  Stein- 
werfer am  meisten  auftreffen,  möglichst 
harte  Steine  nach  außen  gestellt;  sie 
stehen  (in  den  Bossen)  eine  Spanne  (0.23) 
vor  und  so  weit  von  einander  ab,  daß 
in  der  Mitte  kein  Platz  fiir  ein  eintalen- 
tiges  Steingeschoß '  bleibt,  damit  durch 
sie  die  Mauer  keinen  Schaden  leiden 
kann.    (30)  Bei  allen  Befestigungsanlagen 

aber  werden  die  Aus-  und  Kinspviinge 
und  die  Biegungen  und  die  freien  Plätze 
dem  vorhandenen  (ielände  entsprechend 
ausgefiihit.      (31)     , .  .  .'      Auch     werden 

längsbeliaucne  Bossenquadern  gelegt. 

(32)  Und  die  Geschiitzstände  werden 
unterhalb  der  Befestigungen  und  der  Vor- 
werke i'ür  möglichst  große  und  viele  (Je- 
schütze  gebaut,die  einen  auf  demBauhori- 
zoiit,  die  anderen  vei'senkt,  damit  sie 
viel  Raum  haben  und  die  Bedienung  nicht 
verletzt  werden  kaiui,  während  sie,  selbst 
unsichtbar,  imstande  ist,  die  Feinde  zu 
verwunden  iin<l  beim  Herannahen  der 
Feinde  nicht  kampfunfähig  wird,  indem 
sie   die  Katepalten    nicht  wenden  kann. 

(33)  Außerdem  werden  viele  Pforten 


81,4s  riNONTAi  PN':    coir.  Gra  49    nach   AieosÖAUN    fügt   Gra   p.  82,  5.  6  Aieoi  — 

TieeNTAi   zu         Aieoi  (&")    Gra 

82,2    TÖN    Ad  5    AAMBANONTAI    tilgte    Gra  3     »f     (aI       ^PKA.«     Gra  4    AI    eYPYXUPJAI 

|{:  AI pIai  V:  AI  xpeIai   P  5  KAI  Aieoi  KTA.  /.usammei.iliangloses  Exzerpt  6  ^ni 

fehlt  P       TieoNTAi  PV  7  ü)c  Br:  toTc  PV  9  [<Jpykta1]  und  [kaI  katöpyxoi]  S:  ai  men 

öpykta!  [dninEAOi  ka'i  katwpyxoi]  ai  ae  enirEioi  Gra  11  Aahacoc  ^li  13  nAHCiÄzoYci 

PV:  corr.  Th        katahaatao^tac  Gra 


'  Kinc  eintalentige  Steinkugel  von  26  kg 
(iewicht  und  einem  sp.  G.  von  ungefähr  3  hat 
rund  25  cm  Kaliber.    Bild  8. 


Phil.-hisl.  Abh.  WJ9.  Ar.  12. 


Bild  8. 

4 


2« 


D  I K  L  s   und  E.  Schramm: 


AiASC  noAAAi  KATAAeinoNTAi  ^K  TÖN  nAAriuN  npöc    82 
TÖ  PAAiuc  eneiepxecoAi  [ff]  kai  räain  AnoxtopOYN-     i6 

TAC  rVMNA  Mhl   it>AINeiN   iu    XcnlAA  nOIOYMeNOYC  THN 
MeTACTPO*HN,    Ka!    TÖN    ^leAHAVeÖTA    AÖXON    KATA 

THN  npw- 

THN     nYAlAA     KATA     THN      AEYT^PAN     CYNTEAOYNTA 

THN    ei- 
COAON,      ÖMOIWC      Ae      KAI      TOYC      AAAOYC      OANTAC       20 

OYTÜ)   noiOY- 
MENOYC      TAC      ÄnOXUPHCelC.      (34)      TÖN     Ae     nY- 

aIaMN    AI    MEN 
CKOAlAi,  AI  AÄ    KaIcIN   nOIOYNTAI.    (35)  nPÖ    riACÖN  AG 

AYTÖN     blKOAOMHMATA  ,  KATACKGYAZeTAI,    YnA     AYC- 

EMnPHCTOI     TS     Sei     KAI     YnÖ    TÖN    OeTPOBÖACüN    «H 

CYNTpieCüNTAI       KAI       Ol      nOAGMIOl      Mpl      nAHeiÄeUCIN        25 

aytaFc,  eK  Ae  thc   nÖAeuc  ötan  weAAcociN  iue- 
iieNAi    TiNec,    «H     cY«<t>AN6c    H    ToFc    noAewioic. 

(36)      AI      Ae      OPYTTÖMeNAI       tA*poi,      eAN      MH 

YnOMBPOC    H 
Ö    TÖnOC,    KATÄIHPOI    Te     KAI    YnÖNOMOl    KATA    TOYC 

APMÖT- 
TONTAC    TÖnOYC    riNONTAI.    INA     ÖTAN    CYrXYNCONTAI,       3° 

nANTA 
TA  eMBAAAÖWeNA  MCe' HMSPAN  [TÄ  AÄ]  NYKTÖCYnCHA- 
THTAI      nAAlN     YnÖ      TÖN     SNAON     nOAlOPKOYMeNtüN. 

(37)  AI  Ae 
XAPAKÖceic  exa  thc  ^ta^poy  thc)  nPOc(exöc  thn 

OAPeKTACIN    OAPa)     TÖ    TeixiCMA    AAMBAN0Y- 

chc  ÖPeiAi  nXcAi  cyntgagyntai  hapa  < npöc) 

TÖ  tön  xA- 

PAKA  AYCYnePSATON    KaI   AYCAIACnACTONjreN^CeAl  ■       35 


gelassen  auf  den  Seiten  (s.  Bild  4),  um 
leicht  ausfallen  zu  können,  ohne  teim 
Rückzüge  die  ungedeckte  Seite  zu  zeigen, 
und  damit  die  durch  das  erste  Tor  aus- 
gefallene Kotte  durch  das  zweite  zuriick- 
kehren  kann :  ebenso  müssen  auch  alle 
anderen  in  gleicher  Weise  den  Rückzug 
ausführen. 

(34)  \'on  den  Toren  werden  die  einen 
gekrümmt ',  die  anderen  geneigt  ange^ 
legt.  (35)  Vor  allen  diesen  aber  werden 
Bauten  errichtet,  damit  ihre  Verbrennung 
wie  ihre  Zertrümmerung  durch  die  Stein- 
werfer verhütet  werde  und  damit  die 
Feinde  nicht  an  sieherankommenkönnen, 
endlich  damit,  falls  einige  aus  der  Stadt 
einen  Ausfall  zu  machen  im  Begriff  sind, 
dies  dem  Feinde  nicht  sichtbar  werden 
kann. 

(36)  Wenn  das  Gelände  nicht  sumpfig 
ist,  \\erden  die  ausgehobenen  Gräben  an 
den  geeigneten  Stellen  im  Trockenen 
unterminiert  angelegt,  damit,  wenn  sie 
zugeschüttet  werden,  alles,  was  tagsüber 
eingeworfen  wird,  in  der  Nacht  von  den 
Belagerten  (durch  die  Gegenminen)  heim- 
lich wieder  herausgeschafft  werden  kann. 
(37)  Die  Palisaden  aber  werden  außen 
vor  dem  Graben,  der  unmittelbar  neben) 
dem  Festungswerk  ■;  herläuftN  Festungs- 
werk hergestellt,  alle  senkrecht  einge- 
schlagen, {. . .  .)  so  daß  die  Pfähle  schwer 
zu  übersteigen  und  schwerauseinanderzu- 
reißen  sind :  schwer  zu  übersteigen,  weil 


82.  16   [fl]  tilgte  Gra  vgl.  p.  83,  40  1 7  enAcniAAC  PV :  corr.  L.  Dindorf  Thes.  s.  v. 

Acnic  22    KAeTciN    PV-':    corr.  Gra  oacön  S:    oantcon    PV  25  cyntpöbuntai  V 

28    ÖPYTTÖMeNoiPV:   corr.  Gra  h    Gra:'  hn    PV  30    CYrxYNtONTAl  V:    CYrxÄNUNTAI  P:' 

CYrxwNYCüNTAi  Gra  30.  31  oAnta  ewBAAAÖMGNA  TA  «EN  HM€PAC  VP:  corr.  Fb       [ta  Ae]  Gra 

33  (tA«poy  thc)    Fa         nPÖc  tö  TeixicMA   PV:   Lücke   erg.  Die.  34   Lücke.     Es  fehlen 

nähere  Angaben  über  die  Palisadenkonsti'uktiou         hapa  PV:  nPÖc  Vincent 


'    Gekrümmt,   damit  nicht   hineingeschossen  werden  kann,  nach  außen  fallend,  wenn 
das  Gelände  außen  tiefer  ist  als  innen. 


Exzerpte  aus  Philons  Mechanik  VII.  VITI  (I  33—41;  p.  82.  83).         27 


AYCYn^PBATON    M^N    AIA     TÖ    «HAAMÖC    MHTE    {ka!-     82 

«AHN  mhtg)  Ynep- 

BACIN  exeiN  ToTc  CK^AeCI  ■   AYCAIACnACTON  Ae  AIÄ  TÖ       37 

ka'i  ^akömcnon  ctäcin  IxeiN  ka'i  ifnö  tön  tinom^nun 
Toic    KAAfjjAioir,   eNÄYeuN    npÖTepoN    An    cyntpi- 

BHNAI    TON    kAaUN,  b'neP    reNOITO  an,   H   feAKYCefiNAI       •»" 

TÖN    CKÖAOnA    TeAeuc.    (38)    Ti'eeNTAi    as    [kai] 

eiC    TÖ    CTAAION 

Ol    Mecoi    TOIC    wereeeciN    öntec     xäpakgc     äx. 
(39)  feTePA   Ae   Tic   Sctin   nYPronoiiA  taythc 

oYeeN 

XEI'PUN     ^K     Tü)N     HMIKYKAIUN     CYNICTAM^NH,    döC    TA 

KoiAA  npöc  tovc  noAewiOYc  «AiNeceAi  ■  (40)  iu  h  ta     45 

n^PATA   TÖN    TMHMÄTUN    AeT   CYNÄnXeiN    Tofc    OYP- 

roic,  ücTe  XnAPTizeiN  taTc  tunIaic  aytun  kaI  aam- 
BÄNeiN  Xn'  Xaahacün  aiäcthma  thc  feiu  nepi*e- 
peiAC  ÖCON  Xn  fi  rö  nAÄroc  toy  ^c«  toIxoy  thc  ba- 
ceuc.       (41)    XnANTUN     a^     täc     AOKO'rc     i.u\     i° 

toyc  öpeoYC 

ToixoYC  enieeTeoN  äctIn,  Ina  ikuu^p  Ö  npöc  toyc 

n0Ae«i0YC  KABHKUN  ToTxOC   TYnTÖMCNOC  n^CH,  MC-     83 
NUCIN      AI      ÖPOOAI      KaI     AYN(üMeGA      OÄAIN     OIKOAO- 


sie  auf  keine  Art,  weder  mit  Leitern  noch 
mit  den  Beinen,  zu  übersteigen  sind,  schwer 
auseinanderzureißen,  weil  sie,  wenn  man 
versucht,  sie  herauszuziehen,  standhalten 
und  weil  infolge  ihrer  Strick  verschnürung 
eherdas  Tau  reißen  würde,  wasauch  leicht 
vorkommen  kann,  als  daß  dei'  Pfahl  vöUiji, 
herausgezogen  werden  könnte.  (38)  Auf 
ein  Stadion  werden  aber  1600  Pfähle  mitt- 
lerer Stärke  (10  cm)  aufgestellt. 

(39)  Ein  anderer,  aber  nicht  schlech- 
terer Festungsbau  als  dieser  wird  aus 
Halbkreisen  '  gebildet,  und  zwar  so,  daß 
ihre  hohle  Seite  dem  P'einde  zugekehrt 
ersciieint.  (40)  Bei  ihm  sollen  sich  die 
Enden  der  Segmente  den  Türmen  an- 
schließen, so  daß  sie  genau  auf  die  Ecken 
derselben  passen  und  von  einander  einen 
Abstand  vom  Außen  umfang  erhalten,  so 
groß  wie  die  Dicke  der  inneren  !Mauer 
der  Tnnnbasis  betrügt.  (41)  Bei  allen 
aber  sind  die  Decklialken  auf  die  Front- 
mauern aufzulegen,  damit,  wenn  die  nacii 
dem  Feinde  zu  sich  erstreckende  Mauer, 
durcii  einen  Trcflfer  füllt,  die  Decken  blei- 
ben und  man  sie  wieder  aufbauen  kann. 


82,  36  Ckawaiin  MHTe)  Die  37  Lücke  nacii  ck^acci  (ira  38  ctacin  Br:  tacin  PV 

39    Xnäycun   R  40    tön    kaaon    PV:    corr.  Gra;    tön    käaun    b    nepiTeiNOiTO    an    Bue 

feAKYeftNAi  P:  eiEAKYceHNAi  Gi'a  41  TeAeiuc  V  [kai]  S;  gehört  vi(;lleicht  nach  öncp  Z.  40 
42  ÄÄPV:  corr.  Cod.  Escor.  44  hwikkaIun  V  uc  Bue:  iocre  Gra  45  noA.  (noioYCA^ 
♦.  Va  47  tAc  ruNlAC  PV:  corr.  Br  49  fi  S:  Sn  PV  50  nacii  ahAntcon  a^  Lücke  Gra 
51   TeixoYC  V 

83,2  AYNÄweeA  PV:  corr.  Vincent 


'    Anscheinend  nur  Philons  Voi-schiag.    Bild  9. 


r#^ 


■^\  Xjooo 

Bild  9. 


I'SOO. 


28 


D I E  L  s  und  ¥..  Schramm: 


meTn     aytoyc.    (42)   noiHTeoN    Ai     kai      'oapa)- 

eYPIAAC  HAP'  AYTO-f-C, 
ü)Cte  MHTe  YIAA  TO^C  ^KnOPeYOMENOYC  «AINeiN 
MHTe      YnO      TÖN      AieOBÖAUN     AYTAC     eKKÖnTeCSAI. 

(43)  ThiN  A^AAAHN  o/koaomian  Akoadyguc  toTc  npö- 

TSPON    AeAHAtüM^NOIC    KATACKeYACT^ON  • 

(44)  TAYTH  AG  <H> 
nPIONCOTH  nAPAHAHCIOC  OYCA  TYrXAN€l,  HN  TTO  ■ 
AYelAÖN   *ACIN   £YPeTN   TON  «HXANOnOlÖN   ^N   TH  Me- 

(rAAOnÖAecoc  nepiTeixicei-  maaicta  as  ay'th  xpflceAi 
AeT  ka;tä  tinac  tön  iniKAipMN   töhmn,  hap'  oTc 

kaI  nv'p- 


83  (42)  Neben  diesen  sind  auch  Pforten  an- 
zulegen, so  daß  die  Ausfailtruppen  niclit 
ungedeckt  erscheinen  und  daß  die  PCdp- 
ten  selbst  von  den  Steinwerfein  nicht  aus 
den  Angehl  geschlagen  werden  können. 
(43)  Der  übrige  Bau  ist  entsprecliend  den 
voi'igen  Anweisungen  auszuführen. 

(44)  Diesem  ähnelt  dei-  gezahnte  ',  den 
dei'  Ingenieur  Polyeidos  erfunden  haben 
soll, bei  der  Befestigung  von  (Megalopolis. 
Man  soll  ihn  aber  besonders  anwenden^ 

•o  an  einigen  der  gefährdeten  Stellen,  an 
denen  man  auch  fünfeckige  Türme  bauen 


83,  3  aytön  verm.  Gra       sypIaac]  oyaIaac  Ro:  sypiaac hyaIaac)   hap'  aytoyc  Gra 

7  ta-i-th  AS  (h)  Gra :   ayth  as  PV  8  hpiommth  PV  :   npiONUTfi  Th         nAPAHAHCiON  PV: 

corr. Gra  9  sn  th]  bn  h  Gra  9.  10  «eta  tinäc  PV:  kata  Th  mg:  Me/rAAonÖACwc  — 

ka)ta  Die;  Megalopolis  verm,  schon  Bue  (Philipps  Einfluß:  vgl.  die  NW-Seite  der  Um- 
wallung auf  PI.  I  der  Fxcai;.  al  Megalop.,  Soc.  for  the  Prom.  of  Hell.  .Stud.,  Suppl.  I  Lond. 
1892);  an  Metapont  dachte  Th  10  nAp'  oic]  bApeic  verm.  S  nach  26 

'    Zickzack-  oder  sägeförmig,  wie  in  Priene  (Südostteil).    Vgl.  Bild  10  Plan  der  Stadt 
Prione,  nach  Wieüand  und  Sihradkr   Priene  (Berl.  1904)  Taf.  VI. 


!il  10. 


Exzerpte  aus  Philons  Mechanik  VII.  VI  IT  (I  42     50;  p.  S.l). 


29 


rOYC    0IKOA0M6IN    neNTArUNOYC     KATA    TA    AIAAEIM- 

MATA   T&N    «econypriuN,    Äo'  ön.    KAeÄnep   ei'PH- 

TAI  nPÖTEPON,  AOKÜN  ^nlBAHeglCÄN  TAYTA  TA  KA- 
TACKCYACMATA    SCTAI.    ' 

(45)  nAPÄ  AÄ    TA-r-THN  AAAHN  TINeC  TeiXOnOMAN 

AOKIMÄZOYCIN.    gN    H    «IKPÖN    ^KKAINONTA    TA    «ETA- 

riYPrrA  (äkoaömhtai  ekatön  nHxüN  t6  mhkoc.  tö 
Ae   nAxoc  il,  tö  Ae    Vyoc  fei   ÖPrYißN  •   (46)  tö 

Ad  nPÖC  TOYC  nOAeMioYC  KAOHKON  TOIXÖKPANON 
Ae]  WejOYPON  AinAOYN  KATACKeYÄZeiN.  INA  Ynö 
TüJN    AieOBÖACüN    TYnTÖMENON    WHA^N    nÄCXH,  Aui- 

xoN  eXTepoN  eAT^poY  nHxeic  öktü.  ^n'  e'AATTON 

A^  ACiJAeKA'  (47)    TÖN  a'     ANwecN   eic  yaaiaac 

CYrKAeice^N- 

TO)N    fi  AOKciN    ^niTeeeiCÜN    OIKOAO«e?TAl   *YAAKTH- 

piA-  in\  Ae  TttN  AiesöÄUN   riYAiAec  feniTi'eeNTAi. 

(48)  KATA 
A^  TÖ  M^CON  AYTÖN  HYPrOl  [sÄPelc]  OIKOAOMOYN- 
TAI     KATA     TOYC      ^niKAIPOYC      TÖHOYC     neNTÄfUNOI. 

(49)  CYM- 

BAINel    OYN    TH    MEN    rtNeCOAl  AinAOYN    ^TÖ      TeTxOC. 

TH  Ae  n'r-proic  ne«>YAAr«^NON,  ücTe  mha^n  Aei- 

NÖN    nAcxeiN-    (50)  täc    Te    tap  nPocTieeweNAC 

adkIaac 

KAi        T/k       nPOCArÖMENA       MHXANHMATA       KAI       TAG 


83    muß,  an  den  Zwischenriiunien  der  Kur- 

12  tiiioii,  von  denen  aus,  wie  tViilier  gesagt, 
durch  Auflegen  von  Balken  die  ervväiin- 
ten  (lerüste  hergestellt  werden. 

15  (45)    Außer    diesen    wird   auch    eine 

andere  Bel'estigungsart  von  einigen  emp- 
fohlen, bei  der  die  Kurtinen  etwas  ab- 
weichend gebaut  worden  sind:  loo  Ellen 
(44.361  lang,  12  Kilon  (5^  dick,  6 
Klafter  (10.65)  ''Och.  (46)'Der  nach  dem 
Feinde  zu  zeigende  abgi^.stumj^fte  Mauer- 
kopf' soll  doppelt  stark  konstruiert  sein, 

20  damit  er  unter  den  Schlägen  der  Stein- 
werfer keinen  Schaden  leide.  Jeder  soll 
von  dem  anderen  8  Kllen  (3.55)  entfernt 
sein,  in  selteneren  fällen  12  J^32). 
(47)  Die  oberen  Teile  sollen  zu  Gewölben 
zusammengeschlossen  oder  mit  Balken 
überdeckt    und    hioi'durch  Wachthäuser 

25  erbaut  wei-den.  An  den  Ausgängen  wer- 
den Pforten  emchtet.  (48)  Zwischen 
diesen  (Kiirtinen)  werden  au  den  gefähr- 
deten Stellen  fünfeckige  Türme  gebaut. 
(49)  Dadurch  wird  alsobewii-kt.daßeincr- 
seits  eine  do[)pelt  starke,  anderseits  eine 
durch  Türme"  gedeckte  Befestigung  ent- 
steht, so  daß  sie  keinen  ernstlichen  Scha- 

3..  den  leiden  kann.  (50)  Denn  die  ange- 
legten Balken  und  die  vorgebrachten 
Maschinen    und    die  angebauten  Schutz- 


^■^ 


83.  17    oiKOAO«e?TAi   Fa  23     j&u   a\    Bue  25    ta?c    AieiÖAOic    venu,   lira 

26    [BÄPeic]    byzantinisches,    aus    der   Septuaginta    übernommenes    Fremdwort    (vgl.  Hieron. 
cp.  O5,  r4,  7)  tilg!e  Die:     fl     BÄPeic  Bue  27  [cYMBAiNei  —  43  TeixonoiiAic]  (ira  28  thn 

«^N  I'V:   corr.  Th      tö     Br  29  -  ne*YAAr«^NON   Br:   nePi*YAAr«feNON    I'\':    nePine*YAAi"- 

n^NON   Cod.  \'at.  220  ■>  ■ 


'  Die  .•Vbnie.ssungen  stimmen  nach  MaIjXKRi's 
l'lan  mit  der  Hauptbatterie  des  Kurvalos  überein. 
Bild  II.  Auf  der  Byrsa  Karthago's  war  (1879)  eine 
iihtdiche   Anlage   erkennbar. 


n  n  n  n 


TT 


11000 

lüld  II. 


30 


Di  F.  LS  und  E.  Schramm 


Ita^HnllnH^^nnllrii^B^nnllni-^" 


n 


■    frh 


^^iwC^cUit;' 


QwXA/2C^«mCw    ^lAK44AJCvtaJt 


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10  S 


10    r    0 


O  AWWVOIAA*^/!  «^•V 


-loü  i^fe-iv 


-J 1 1- 


r.iid  12. 


Exzerpte  aus  Philons  Mechanik  VII.  VIII  (I  50 — 55;  p.  83). 


Bl 


nPOCUKOAOMHWeNAC  CTOAC  ^K  TOY  HAAriOY  TY- 
nTOM€NAC      ToTc      AleOBÖAOlC      KAI      KPIoTc      TÄC     MEN 

CYNTPieeiN,  TAC  Ae  paaIuc  katabaaagin  •  (51)  kai 

TOYC     YnOPiXTONTAC     KAI     TOYC     YO'    AYToFc    ONTAC 

EYxepSc  XnoAeTN,  eri  Ae  bpöxoyc  nepiBAAAON- 
TAC    nepi     TOYC     KPIOYC     Paaicüc    KAe^seiN    i-i    ky- 

piEYceiN  AYTwN  •  (52)  TOYC  Te  nPocGPxoM^NOYC  eic 
TÖ  TeTxoc  eic  ta  yiaA  TYnTHceiN  ka!  aytoyc 
eYxepöc  YfreieAeYceceAi  kaI  hAain  tac 
XnoxuPHceic     Xc^aaäc     noiHceceAi     mh     aiaön- 

TAC  TA  YIAÄ  T0?C  nOAeMioiC.  (53)  TAYTA  AE  HANTA 
CYMSHCeTAl  KAi  ^N  TAIC  AAAAIC  TeiXOnOliAIC. 
(54)    AeT       A^)   TA    nPOTeixicMATA    AYTCn    (ic  ICXY- 

PÖTATA  noieTN 

TÖN  AYTÖN  TPÖnON  ToTc  TeixeCIN  OIKOAOMOYNTAC  • 
TÄC  a'  AAAAC  OIKOAOAMAC  KAI  TAG  XAPAKUCEIC 
oYaC    nPÖTEPON    elPHKAMEN    HOIHT^ON. 

(55)  GYxepecTÄ- 

TH  Ae  ACT!  TeiXOnCiJA  KAI  XCitiÄAeiAN  IKANHN  6- 
XOYCA,     ^N     S     TÄ    MeTAn'r'PriA    AOlX    OIKOAOMeTTAI  • 


"*    (lächer  kann  man,  da  sie  von  der  Flanke, 
aus  durch  die  Steinwerfer  und  di^  Widder 

33 

getroffen  werden,  teils  zerstören,  teils  mit 
Leichtigkeit  zu  Boden  werfen.  (51)  Auch 
die  Mineure  und  die  unter  diesen  (Schutz- 
dächern) Befindlichen  wird  man  leicht 
vernichten  und  die  Widder  durch  t'ber- 
werfen  von  Schlingen  leicht  festhalten 
oder  in  seine  Gewalt  bekommen  können. 
(52)  Die  gegen  die  Mauer  Vordringenden 
wird  man  auf  der  ungeschützten  Seite 
ti'effen,  selbst  leicht  heimlich  ausfallen 
und  den  Rückzug  wieder  sicher  aus- 
führen können,  ohne  dem  Feinde  die  un- 
geschützte^Seite  zu  bieten '.  (53)  Dies 
alles  wird  übrigens  auch  bei  den  früheren 
Festungsbauten  der  Fall  sein.  (54)  Die 
Außenwerke  müssen  aber  möglichst  stark 
angelegt  und  in  gleicher  Art  wie  die 
(}Iaupt)l)efestigung  erbaut,  die  übrigen 
Bauten  und  Palisadierungen,  wie  wir 
früher  beschrieben,  errichtet  werden. 

(55)  Der  leichteste  und  doch  hin- 
reichende Sicherheit  bietende  Festungsban 
ist  der,  bei  dem  die  Kurtinen  schräg  (zu 
den  Tui-mflanken,  s.  Bild  13I  gebaut  wer- 


'^ 


-& 


O^ 


»Ae^t/lt«q/nvt«L  ^v>vwi>  '3<X\-VBu€^t/V\i  d{AAAX*/yyJl/n .'icfy^yntKXÜKfy. 

1:4000. 

BiM  13. 

83. 32  npowKOAOMHM^NAC  Schraium         33  [kai  kpio?c]  Gra :  kaipIcoc  Bue         35  Yn  aytoTc  PV  : 
Ynö  taTc  ctoaTc  S:  Yn'  aytaTc  Gra:  Ynö  rfic  Die  36  XnÖAAeiN  PV:  corr.  Bue  36.  37  nepi- 

BÄAAONTecPV:  corr.  Gi-a:  nepiBAAÖNTAC  Die  40  ^neieAet-ceceAi  verm.  Gra  41  noiH- 

CAceAi  PV:    corr.  Gra  44  a€?  A^Cira:  ^aei  P:    eiAei  V:    ^'ti  ac  Aef  Ha         [aytün]  (ira 

nach  oiKOAOMeiTAl  Lücke  (Jm 


'  Niedi'ige  Kpikampien.  wie  in  Bild  4  (unten)  dargestellt,  würden  das  Aufsteigen  auf 
die  nur  7  m  hohe  Zwingenmauer  sehr  erleichtern,  solche  in  ganzer  Höhe  der  Zwingermauer 
würden  dagegen  die  so  wichtigen  (irabenllankierungsscharten  in  den  Tünnen  verbauen. 
De.shalb  i.st  anzunehmen,  daß  die  Ausfalls-  und  Hückzugspforten  in  den  Türmen  selbst  an- 
gebracht waren,  wie  in  Bild  1 2  dargestellt. 


Dil;  LS   und  K.  Schramm 


(56)  kaI  n-f-proi  £n  ayth  katackcyäzontai  thn  «en    83 

OieTAN.    THN    Afi     AmBAsTaN    TUNIAN    nOIGYNTEC    TÄC        :" 

npocHKOYCAC  npöc  t6  reixoc  ■  (57)  oytu  tap  oikoao-    84 
MHeeNTec     kÄn    npocAroweNUN    tän    «hxanhmä- 

TCON       ÄAAHAOIC      AMYNEIN       AYNAINTO.        (58)       TÖN 

AYTÖN    AS    TP6- 

noN    KAI    EN    Toic    cTPAToneAcic    TeixonoiHT^ON 

ecTiN,  eÄN 

nPOCA^XHTAI    HOAIOPkIaN    TINA.  5 

(59)    äN    AS    TA?C 

ÄPXAIAIC  TelXOnOMAIC  AEI  TOYC  HYPrOYC  npoeKTi- 
e^NAI  KATÄ  mIaN  rWNlAN,  TA  AE  f.eCOnYPrlA  OIKOAO- 
MEIN  KAGÄneP  eN'PÖAU  KATeCKEYACTAI.  (60)Tü)N  AG 

enÄAieuN  tac  «eN   YnocTÄceic  AeT  noie?N   tpiön 


UTTOCldC  rt 


(li;ii.  (56)  Und  diu  Türme  weiden  bei 
diesem  so  angelegt,  daß  sie  mit  der  an- 
stoßenden Mauer  einen  spitzen  und  einen 
stumpfen  Winkel  bilden.  (57)  Wenn 
sie  so  gebaut  werden,  können  sie  sich 
gegenseitig  unterstützen,  auch  wenn 
die  Maschinen  herangebracht  werden. 
(58)  Auf  gleiche  Weise  soll  auch  bei  den 

Lagern  der  Festungsbau  sein,  wenn  eine 

Belagerung  in  Aussicht  steht. 

(59)  Im  älteren  Festungsbau  soll  man 
die  Türme  mit  einer  Ecke  vorstehen 
lassen,  die  Kurtinen  aber  so  bauen,  wie 
sie  in  Rhodos  konstruiert  worden  sind. 
(60)  Von  den  Wehren  sollen  die  Unter- 
teile   3    (^)uadern   hoch   (s.  Bild    14)    ge- 


/i  -.  1 0  0 

Uil.1  14. 


nAiNeiwN.  INA  Ynep  ayt&n  baaasin  aynuntai  toic 


nPOBOAOlC      Ol      *YAAKeC     TOYC     nAHCIAZONTAC      TU 


nPOTCIXICMATI  ■ 


eprwAuc    AnoKonTONTAi. 


(61)  npö    AS    tun    tctpapunun  nYPruii  npo- 

OIKOAOMtaN    AC? 


macht  werden,  damit  die  Wächter  dar- 
über hinweg  die  Speei-e  auf  die  gegen 
die  Vorwerke  Vorrückenden  werfen 
können;  diese  lassen  sich  auch  nur 
schwer  abkämmen. 

(61)  Vor  die  viereckigen  Türme  soll 
man  auch  noch  weiter  Dreiecke  vorbauen 


83,  51   tunIac  Gra 

84,1   npoceiKOYCAC  l'V  (in  P  corr.  m"):  KAeHKOYCAC  ci.  Gra  1.2  oiKOAOMHe^NToc 

PV:  corr.  Th  2  kai  PV:  corr.  Die;  tilgte  Gra  5  nPOCAexH  Gra  ^n  Th:  gan  PV  8  ^P- 
PÖAu  V  9  nach  tpiun  Lücke  Gm  10  nAiNeiuN]  Quadern  wie  nAiNeoc  und  nAiNeic 

vü;].  Fabricius  Herrn.  17.  566.  569  12  ai  a']  o\  A(e  nPOMAXÜNec  .  .  .  rö  nÄxoc  öNTec  oder 


nenoiHM6NOi)  Äpr.  a.  verni.  I5r       ÄnoKÖnTUNTAi  (ira 

nPOUKOAOMeTN     P:     nPOUKOAOMHN  V 


13  npö  R:  npöc  PV'       tun  fehlt  V 


Exzerpte  aus  PMlons  Mechanik  VII.  VI II  (1  5(>  —  65;  p.  83.  84).         33 


Kild  15. 


D     Q 


.  I  aÖL 


TPireÖNOYC  AAAOYC  CYN€X6?C  KaI  CTGPeOYC  Änö  ICO- 
nAEYPOY  TPirtONOY,  TnA  n€Pi  THN  ^KKSWeNHN  fCO- 
NIAN  CTBPeÄN  KAi  fcXYPAN  OtCAN  Ol  AieOBÖAOI  OA- 
PÄ<«>OPOI  riNÖMeNOI  MH  KATABÄAAUCI  TOYC  HYP- 
rOYC. 

(62)  ToTc   AÄ   nYProic  ta  weTAnYPriA  oy  aeT 

CYNAfA- 

refN  •  änIcun  päp  öntcon   tun  bapön  oyx'i  ai  ay- 

TAI      ^NACCeiC      ToTc      OEMeAlOIC      Ka'i     TaTc     nAiNGOIC 

] 

riNONTAI 

KATÄ    Te    TOYC    nYProYC    KAI    (ta)   weTAnv-priA. 

(63)    TOYTUN 

A^  cy«bain6nt(on  l>Hieic  ^N  ToTc  TeixeciN  ^contai  • 

KAI  ^AN  n^CH  Tl  TÖN  «eTAriYpriuN,  ^niCnÄCETAI  toyc 

ToixoYC  TUN  nYPruN. 

(64)     ^prÄCAceAi      ae      aeI      toyc      AieoYc 

TUN  HAVKYAINAPIK&N  nYPfUN  THN  EIUeEN  OEPIOE- 
PelAN  KATAMETPHCANTA  KAI  nPÖC  AYTHN  EMBOAeTc 
lYAJNOYC     KATACKEYACAMENON     AIAAOYNAI     ToTc     Al- 

ooYProic,    INA    EYeprwc    kai    tax'i'    ^ppazuntai' 

(65)  KAi  ^'- 
CONTAI  OYTUC  CYNEXCÖC  OIKOAOMOYMENOI  «ÄAICT' 
ICXYPOi     AlA     t6    THN     OIKOAOmIaN    AYTßN    TOIA-f'THN 


84 


urr 


(s.  Bild  15),  die  mit  ilinen  fest  in  Form 
eines  {gleichschenkligen  Dreiecks  ziisam- 
nieuhängen.  damit  an  der  ausspringenden, 
so  festen  und  starken  Kicke  die  Steiii- 
vverfei-schüsse  abgleiten  und  die  Türme 
nicht  zcrstöi't  werden. 

(62)  Mit  den  Tüi-men  dürfen  die  Kur- 
tinen nicht  in  Mauerverband  zusaininen- 
liängen:  denn  da  die  lielastungen  un- 
gleich sind,  ist  zwischen  den  Funda- 
ment<  II  und  dtMU  Ziegelmauerwerk  nicht 
Verband  herzustellen  bei  den  Türmen 
und  den  Kurtinen.  (63)  Geschieht  dies 
aber  trotzdem,  werden  Kisse  in  den 
Mauern  entstehen,  und  wenn  ein  Stück 
der  Kurtine  fällt,  wird  es  die  Turmwände 
mitreißen. 

(64)  Die  Steine  der  halbzylindrischen 
Türme  sollen  dem  äußeren  Umfange  ge- 
nau entsprechend  behauen  werden  und 
nach  Anfertigung  von  hölzernen  jModellen 
unter  die  Steinmetzen  verteilt  werden, 
damit  sie  zunflgerecht  und  schnell  be- 
hauen werden.  (65)  Und  wenn  (die 
Türme)  so  im  Verband  errichtet  werden, 
so  werden  sie  im  höelisten  Maße  Festig- 


84.  14  And]    »f.  Yn6   sub"  Th  mg  18.  19  CYNAPArGfN  PV  [Fiir/enverbamf)  verteiiligt 

l'a;  CYNÄnTEiN  (anstoßen:  so  Bue)  ist  etwas  anders,  vgl.  80,  3;  82,46  19  bapön]  bapbapun 

PV:  corr.  R  20  esM^NOic  PV:  corr.  Ha         nAiNeAic  V  21    (ta)  R-  24  hyptoon  Egger 

(vgl.   zu    p.   83,26;    84,36):    BAPÖN   P\'  25    HMIKYAINAPIKÖN   S:    HMIKYaInAPUN   l'V  26    KATA- 

MEPHCANTA  V  28  EYEPröc]  .f.  ÄNEPröC"  Br:  EYXEPöc  S  29  maaict'  i'cxYPoi  Die:  nÖAEIC 

TE  ICXYPOI   PV:  tA   riAeTcT'   eicxYPoi   Bue:  aaauc  te  icx.    früher   Die  30  icxypai   H 

Ihil.-hist.  Abh.  191!).    Kr.  12.  5 


34 


1)  I E  L  s    und   E.  S  C  H  R  A  M  M  : 


riNecGAl  KAi  AlA  <t6    tön  neiPOBÖAUN   tAc  oah-    84    keit  erhaKen,  weil  ilir  Bau  derart  ist  und 

die  Scliüsse   der  Steinwerfer    daran    al)- 

TAC     nAPA»6P0YC     CYMBAiNCIN     KaI     «H     eiKGIN     TOYC       32 


AieoYC  «HeeN-  eiueeN  rÄP  eYPYTepoi  h  eNAoe^N  ei- 


gleiten   und    die  Steine  nicht  nachgeben 
iiöniien;  denn  außen  sind  sie  ja   breiter 


1:100. 
Bild  i6. 

CIN.       (66)      Afil      AÄ      TOYC       rCüNIAlOYC       KAI       TOYC 

SiueeN  TieeM^NOYC 

AleOYC     (S)C     MericTOYC  .  KAI     nAXYTATOYC    KAI    XkPO-       35 

TÖMOYC 
EIN  AI.      (67)      TÖN      AC      [bAPÖN      KaI      TÖn]      HY-PrUN 

nÄNTUN    KA- 

TUeeN  nAPA  TAC  rUNJAC  ToixOYC  AnTOWeNOYC  AKPUN 

'  TÖN    rUNlÖN    nPCOIKOAOMe?N,  YnA  YnÖCTACIN  fe'XUCIN 

Ol  KiNAYNe-i-ONTec  •   (68)   KAI    npoTEixicMATA   nepi 

AYTOYC 
KAI     XXPAKA     KATACKSYÄZeiN,  YnA     ^AN    nPOTcixiCMA       J" 
n^CH    KAI    ^NTÖC    AYTOY    T^NCÜNTAI    Ol    nOACMIOI,    «H 
YnOPYTTUCIN     AYTOYC     HPOCTieeNTEC    TAC    AOkIaAC. 

(69)  ÖPYKTeAi  AC  ei'ciN  in  nÄCAic  taTc  Teixo- 

noMAic 

OY'K    ^AATTOYC    TPIÖN     TA<t>PCüN,     Sn    AB?    THN    «EN 

npÖTHN  XnexeiN  Anö  toy  TeixoYc  oa^spon,  thn     45. 
AG  acytepan  An'  aythc  nHxeic  w,  thn  a^  tpIthn 

iCON      AnÖ      THC      AeYTEPAC.      (70)      AnA     «eCON     AC 

TÖN    AlA- 

cthmAtun    eni    eiKOCi    öktö.  nHxeic    tö   haatoc 

CKÖAOnAC      KATAnftiAl      KAI      ÖPYTMATA     nOlHCAl     Ka'i 
nAAioYPON  <»>YTeYCAI,  INA  TÖ  TAAANTIAICp  neTPOBÖAW       -o 
eeCIN    MH    fe'xUCIN,   ^An    THC    nPWTHC  TA*POY   KPATH- 


als  innen  (s.  Bild  i6).         (66)  Die  Eck- 

uiid  Außensteino  sollen  möglichst  groß, 

dick    und    kantig   (d.  i.  mit   Randschlag) 

behauen  sein.  (67)  Bei  allen  Türmen 
sind  unten  an  die  Ecken  sich  eng  an- 
fügende'Mauern  (Strebepfeiler)  vor  die 
Spitzen  der  Winkel  voi-zubauen,  damit 
die  Gefährdeten  eine  Unterstützung  haben. 
(68)  Auch  sind  Außenwerke  um  sie  herum 
und  Palisaden  (dahinter)  herzustellen, 
damit,  wenn  das  Vorwerk  fällt  und  die 
Feinde  hineingelangen,  sie  diese  (Türme) 
nicht  untergraben  können,  nachdem  sie 
(Deckungs-)  Balken  angelegt  haben. 

(69)  Bei  allen  Festungsbauten  sind 
nicht  weniger  als  3  Gräben  auszuheben 
(s.  Bild  17);  der  ei-ste  soll  von  der  Mauer 
ein  Plethron  (100'  r  29.57)  entfernt  sein, 
der  zweite  von  dieser  40  Ellen  (17.744). 
ebensoviel  der  dritte  von  dem  zweiten. 
|70)  Längs  der  Mitte  der  Abstände,  auf 
28  Ellen  (12.42)  der  Breite,  werden  Pa- 
lisaden eingerammt,  Gräben  hergestellt 
und  Dornhecken  gepflanzt,  damit  nicht 
eintalentige  Steinwerfer  aufgestellt  wer- 
den können,  wenn  die  Feinde  den 
vordereten    Graben     genonnnen     haben. 


84,31    <TÖ     Ha  36  [bapön  kaI  tön]  Die;  vgl.  zu  83,  26:  84,36  38  nPocoiKOAO- 

weiN  Th  mg       Tna  -40  katack.  nicht  hierher  gehörig  Br  39  [npoTeixicMATA — 40  ina]  Gra 

40  ^An     tö;    Gra         npocTeixicMA  V        ka'i  Die:  in   PV  42  aytoyc      toyc    nYProYc)    Gra 

43  oPYKTAi    l'V:    curi-.    Gm  45   neÖTHN  V  46  Anö  taythc  oder  Anö  thc  ä  Gra 


Exzerpte  am  Philom  Mechanik  VII.  VIII  (I  65 — .70;  jh  S4). 


:}5 


inmniTTTi 


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A'.  ^'XAK&p^^ 


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^*A/^C*'tf*y.Cf^.#«yX<t^«t^C 


<^€«x^ 


n 


Hilcl  17. 


36 


Die  LS  und  K.  Schramm: 


CUCIN  Ol  nOAEAMOl  ■  (71)  Ae&AGKA  PAP  ^CTI  nHXÖN  TOY 
TAAANTIAIOY  neTPOBÖAOY  H  Cr-Piri.  H  AS  CKY- 
tAaH  A         nHXüJN,  üiCTe  nAPAcTACIN  OYX 

^lei  ToTc  nePiAroYCi  tön  önon.  (72)  hoiht^on  a'öcti 

TAC     TA»POYC     ü)C     BASYTATAC    KAI    «H    EAATTON    t6 

SYPOC       eSAOMHKONTA       nHXGCüN  '        (73)       TOCOYTUN 

KAI    TOIOY- 

TCON  TÄ»pa)N  oPYxeeicÄN  OYTe  xcoceHceTAi /jic)  ta- 
xewc,  ö-  TS  taaantiaToc  neTPOBÖAOC,  b'c  ecTi  c^o- 

APÖTATOC.  H  OYK  A*iseTAI  nPÖC  TÖ  TeIxOC 
H  e'KAYTOC  UN  ANTITYnTHCEl,  aY  TS  CTOAI  OY  HAH- 
ClAcOYCI  TH  nÖA£l,  O  TE  KPlÖC,  SAN  TINEC  AY- 
T&N  XOOCeCOCIN.  OY  AYNHCeTAI  TYnTEIN  TOYC  ÜYP- 
rOYC.  (74)  ÖPYTTONTAC  AS  AsT  TAC  TA<t>POYC  THC  MGN 
nPCÖTHC  THN  ANAC^AHN  n0ie?C6AI  TOY  XOY 
nPÖ  TOY  TsixOYC,  TÖN  AG  AAACON  EIC  TÄ  AIA- 
CTHMATA  ANA  MeCON.  YnA  0  Te  XÄPAI  Ac*A- 
AÖC  TieHTAI  KAI  YYOC  AAMBANONTA  TÄ  AIA- 
CTH/AATA       ACtÄAeiAN       HAPeXHTAI      TÄ       nPOTGIxic- 

MATi  KAI  TU  Teixer  (75)  esTeoc  ae  ^cti  npö  thc 

ASYTePAC     KAI      THC     TPITHC     ANSY     nPOTeiXICMATUN 

Ö    XÄPAI,    YnA     YnÖCTACIN    TO?C    GNANTIOIC     MH     GXH. 

(76)    nPÖ  A^    THC  äcXATHC   TÄOPOY    CYNAfAfÖN- 


85  (71)  Die  Pfeife '  des  eintalentigen  Stein- 
werfers ist  nämlich  12  Ellen  (6.5323) 
lang,  die  Handspeichen  4  Ellen  (1,8), 
so  daß  fiir  die  Bedienung  des  Haspels 
kein  Platz  voi'handen  sein  wird.  (72)  Die 
Gräber,  muß  man  aber  möglichst  tief 
machen  und  die  Breite  nicht  weniger  als 
70  Ellen  (31).  (73)  Wenn  die  Gräben  so 
groß  und  so  Ijeschaffen  ausgehoben  sind, 
können  sie  nicht  schnell  zugeschüttet  wer- 
den: der  eintalentige  Steinwerfer,  der 
am  weitesten  schießt,  kann  entwedei- 
nicht  die  Mauer  erreichen  ',  oder  die  auf- 
treffenden Schü.sse  werden  kraftlos  ab- 
10  prallen;  auch  werden  die  Schutzdächer 
nicht  bis  an  die  Stadt  gelangen,  der 
Widder  wird,  wenn  auch  einige  der- 
selben zugeschüttet  sind,  nicht  die  Türme 
rammen  können.  (74)  Die  Grabenarbei- 
ter nu'issen  die  ausgeschaciiteten  Massen 
des  ei-steu  Gral)ens  vor  dei'  Mauer  auf- 
's schütten,  die  der  anderen  aber  in  der 
Mitte  des  Zwischenraumes,  damit  man 
die  Palisadenwand  sicher  aufstellen  kann 
und  die  erhöhten  Zwischenräume  dem 
Vorwerke  und  der  Mauer  Sicherheit 
bieten.  (75)  Vor  dem  zweiten  und  dem 
dritten  (Graben)  ist  die  Palisade  ohne 
Vorwall  •'  aufzustellen,  damit  es  den  Fein- 
den keinen  Unterstand  biete. 

(76)  Vor  dem  äußersten  Graben  sind 
ferner   von   den   Bürgern   und   aus   Ge- 


85,  3.  4  OYK  eiei  PV  4   eieic   Gra  5    babytatoyc  V  7   (tic)  nach  Z.  11 

A.  Schoene  8  b  tc  Gra:  oytc  l'V       nAAANTiAroc  P  10  XNTiTYnHcei  PV:  com.  Gra:   «f. 

XNTiTYnHceTAi«  Th  mg  11  nAHCiACoici  l'V:  corr.  Th     ^an]  kan  Gra  12  aynhcontai  PV: 

corr.  U  14  XOY  Th  mg:  ToixoY  P\'  16  cxäpah  V  17  TJeeTAl   PV:  corr.  R 

19  GSTeoN  PV :  corr.  Gra  20  tpithc]  nPcoTHC  Gra  Fortif.  de  Carth.  p.  200  n.  2  21  ^X£l 

J'V:  corr.  K:  ^XHC  Gra  22   nPÖ  ac —  29  kataayngin]  vgl.  Anon.  Pol.  p.  209.   12- — 16  W. 

und  unten  p.  100,4       CYNArÖNTAC  P 


'    CYPin  ist  für  kaTmai  gesetzt.    Die  Projektion  dieser  auf  die  Horizontale  ist  5.3232  m. 


Stelle  wichtig  für  Beurteilung  der  Schulnvciten. 


'■'    In   beiden   Fällen   sind   Verteidigungspalisaden    notwendig,    die   Schußfeld   vor  sich 
haben  müssen. 


Exzerpte  mis  Philons  Mechanik  VII.  VITI  (I  71—79;  p.SSJ. 


37 


PA  Te  T(DN  nOAlTOJN  KAi  Z^HMOCIA  KePAMIA 
ÖPGA  KAI  K€NA  Aei  KATOPY'TTelN,  CA5ANTAC  TA  CTÖ- 
«ATA  «YKei-  ACHOTON  fXp  ^CTI  •  M€TÄ  AB  TAY- 
TA    THN    ANMeeN    iniBÄAAGIN,     CüCTG    TOYC    M^N    Xn- 

ePwnoYC  MHeeN   nAcxeiN  aginön   en'  aytän   ba- 

aIzONTAC,  TÄC  A^  nPOArOM^NAC  XCACüNAC  KAI 
«HXANHMATA     in      AYTÖJN     KATAAYNCIN.     (77)     nOA- 

AAXOY      A^     ÖPYKTdON     KAI     T^AMATA,      nepl     A     OA- 

aIoypon  Aei  «YTeYeiN,  Yna  uc  häaicta  aycxs- 
peiA  riNHTAi.  (78)  KATAAeineN  a^  täc  tä«poyc  6- 
p-t-ccoNTAC   öpefic  ^xoYCAC    ÖAOYC    ämaihaAtoyc 

IKANAC,     VnA      KOMizeiN     eiC      THN      HÖAIN     ÖCA     nPO- 

CHKON    ^K    THC    XC&PAC    AYNÜMCeA. 

(79)    ■( )    XPIHCIMOI    A^ 


85  meindebesitz  irdene  Gefäße  zu  sammeln, 
die  aufrechtstehend  und  leer  einzugraben 
sind,  deren  Öffnungen  mit  Seegras  ver- 

"5  stopft  werden,  das  nicht  fault;  dann  ist 
oben  darauf  Erde  zu  werfen,  so  daß 
/.war  die  Menschen,  ohne  Schaden  zu 
leiden  darüber  gehen  können,  die  vor- 
rückenden Schildkröten  und  Maschinen 
aber  auf  ihnen  einsinken.  (77)  An  vielen 
Stellen   müssen   auch  Sumpflöcher   aus- 

^°  gegraben  werden,  um  die  man  Dornen- 
hecken anpflanzt,  damit  ein  möglichst 
schwieriges  Gelände  geschaffen  werde. 
(78)  Beim  Ausheben  der  Gräben  sind  ge- 
radelaufende Fahrwege  in  ausreichender 
Zahl  stehen  zu  lassen,  damit  wir  ange- 
messene Giengen  von  Zufuhr  vom  Lande 

35     in  die  Stadt  bringen  können. 

(79)  Brauchbar  sind  auch  die  Triboloi ', 


85,23  AHMÖCIA  PV:   corr.  Gra  25  «YKei  achoton  Gra:  »ykIac  htton  PV         28  npo- 

CAroM^NAC  Gra  29  [in'  a^tön]  Gra  31   aycxgph  Er  32  KATAAeineiN  Die:  KATAAine?N 

(  T  über  1)  PV;  -i   auch  am  Hände  \'  _^^  ÖPeAc  P:  in  OPeoYC  m'  geändert  V:  corr.  Egger: 

6xeAC  Die  34.  35  nPOCHKeN  I'V:  corr.  Br  35  [xphcimoi  —  41  xpeiAJ  anderswoher 


•1 :  100 


1:  10 


'  tpi'boaoi  gibt  es  in  4  Arten:  1.  Der  fünfellige  Tribolos  (aambaa)  diente  zum  Auf- 
balten der  von  hochgelegenen  Festungswerken  abgelassenen  Wagen,  Rädern  und  runden 
Steinen,  siehe  Wksiher  210 
Fig.Lxxx.  2.D€rMauertribo- 
los  diente  zum  Abschwächen 
der  Widderstöße  und  Ge- 
schoßaufschläge gegen  die 
.Mauern.  3.  Die  Fußangel 
diente  zum  Ungangbar- 
machen kleiner  Gelände- 
strecken, besonders  der  Bre- 
schen. 4.  Das  Brandgeschoß 
(Feueilanze),  harpunenähn- 
lich.  je  nach  Größe  und  Foi  m 
nn't  der  Hand,  Pfeilgeschüt- 
zen oder  Steinwerfem  ge- 
worfen,dien  tezum  Anzünden 
von  Angriffs-  und  Verteidi- 
gungsma.schinen  und  Gerät 
aller  Art  Bild  18.  —  Hier 
ist  der  Mauertrii)olos  geraeint, 
der   in   gleicher  Form   auch 


Hild  18. 


zum  Dreschen  benutzt  wurde.  Serv.  zu  Vergil  Georg.  1  164 
tribula  genus  vehiculi  omni  parte  dentatum,  unde  teruntur  frumenti.  Das  Urspi'ünglichc 
scheint  eine  stachlige  Pflanze,  die  The  ophr.  be.schreibt,  zu  sein:  Tribula  terrestris  Linn. 


88 


DiKLS  und  E.  Schramm 


1  '.lO 


;^^ 


XtoTOC    WOTTtVC 


I'.ilfl  19. 


eiCI     KAI     Ol      TPIBOAOI,      OiC      AAOßCI,      KAI      AI      AfKY- 

puToi   adkIasc   KAI   Ol   xHAtüToi   KoneTc    np6c  TÖ 

KCOA-f-eiN   KAI  eKTPAXHAIZelN  TAG  nPOCTie€M£NAC  KAI- 
MAKAC.    (80)    Ael     Ae     Ka'i     «HXANHMATA     YnÖTPOXA 

YnÄPxeiN, 

MAAICTA    MEN    B,    £1   A^    WH    TS  fe'N,  YnA   f>AAia)C  OAPA- 

reNHTAI    OY    AN    AYTÖN    fisHTAI    XPEIA     (.    .    .) 

(81)    KATACKeYACT^ON 

Ae  KAI   nAPÖAOYC   ka'i  aiöaoyc   Äc*AAeTc  im  täc 

nAPA- 

BOHeeiAC     TOY     XAPAKOC,     INA     MH     Ol     nOA^MIOI     iu] 
TA   XeiAH   CTHCANTeC  THC  TÄ*POY  TOYC  neTPOSÖAOYC 


85  die  beim  Dreschen  verwendet  werden, 
und  die  Ankerstangen  und  die  zwei- 
zinkigen  Gabeln(s.  Bild  19)  zum  Abwehren 
und  Hinabwerfen  der  angestellten  Leitern. 
(80)  Es  müssen  aber  auch  möglichst  zwei. 
jedenfalls  aber  wenigstens  eine  fahrbare 
Maschine  vorhanden  sein,  damit  sie  leicht 
dort  erscheinen  können,  wo  sie  gebraucht 
werden.      .  .  .) 

(81)  Es  müssen  ferner  aiich  Wehrgänge 
undsichereDurchgänge  zur  Unterstützung 
der  I'alisadierung  hergestellt  werden,  da- 
mit nicht  etwa  die  Feinde  auf  dem  Rande 
des  (Jrabens  (s.  Bild  20)  ihre  Stein werfer 


IJild  20. 


(etwa  p.  90,  24)   irrtümlich  hierher  verschlagen  Gra  CKuvres  II  p.  170 

85,36  [oic  Aacüci]  Fa  AI]  oi  PV:  corr.  Hase  Thes.  s.  v.  ArKYPcoTöc  37  KoneTc 

Bue  (neben   KoniAec):   KoneNiec  l'V:   tilgte  Gni  38  koaoyein  Bue  41   an]  ikn  PV: 

corr.  Ora  aytoTc   PVK:  cori'.  S  reNHTAi  1{ 


Exzerpte  aus  Phüoms  Mechanik  VII.  Vlll  (I  7!>  —  87;p.S5.S6). 


39 


ePYMATI     XPCDNTAI    (a'Y'Th)  ■  Ka'i     Tofc     nOACMioiC     MH 

1^  XPH- 
CWOC,    (iNH    AG    H    TA^PelA. 

(82)    CnOYAACTEON    a'    eCTIN    ac    MA- 

AiCTA  nepi  TÄ  nporeixicMATA  kaI  täc  tA*poyc  kai 

TÄC     XAPAKUCeiC-      YnÖ      PAP      TÖN      AleOSOAWN      KAI 

cToüN  PaäIuc  aaIckctai  TA  TEi'xH.  (83)  nepi  OYN 

TAYTA 
♦lAOTIMHT^ON  iCT'm,  INA,  &C  (cXYPÖTATA  (ff  Ta)  HPO- 
TeixiCMATA  KAI  AI  XAPAKÜCGIC,  Ka'i  AI  TA«POI 
d)C  TTAeFCTAI  KAI  BASYTATAI  riNUNTAI  ■  TOY- 
TUN     rÄP     APMOZOMENWN     OYSCN    AN     OÄeOl     AEINÖN 

H    nÖAIC. 

(84)  opeAc  a'  Sxei  täc  TeixonoiiAc  noieTceAi 

nPOOPÜNTA    TOYC     TÖnOYC-     XaAH     rÄP    AAAH     Xp- 

MÖTTel,      OTON     fl     M£N      MAIANAPÜAHC     TH      nCAINH  • 

H    AG    iK 

t6n      HMIKYKAJUN      Ka'i      HPIONUTH,      6TAN     Ö     TÖnOC 

H    CKOAIÖC,    ÖN    ^CU    AcT    nCPIAABcfN '     H    A^    AinAfl, 

ÖTAN    KÖAnOYC    KAI    ANAXWPHCeiC    fe'XH,    TÖ    HÖAICWA 

önoY   AG?    KTiceHNAi-    H   A^   AoiÄ   TÄ    Meconv'P- 

riA     ixOYCA     ToTc     TPir^NOIC     eiAGCIN-      H     a'     Äp- 

xaIa  to?c  nepioepeci  xupioic. 

(85)    S'fAABHT^ON    t'    ^CTIN 

^N    nXcAic    taTc    nYPronoiiAic,    Tna     katä     wh- 
e^N  TÖ  TeTxoc  Xm^Iboaon  oikoaomhtai.   (86)  acT 

AG  KAI 
TUN  ArAeÜN  ÄNAPUN  TOYC  TÄ(1>0YC  KAI  nOAYAN- 
APIA  nv'PrOYC  KATACKCYÄZelN,  "^^NA  fi  TS  HÖAIC  Ä- 
C«AA€CTePA       rJNHTAI       KaI      Ol       W^N       Al'      XpGTHN 

(XpicTCYCANTec; ,  oi 

a'    Yn^P    TflC     nATPJAOC     TeAeYTHCANTeC     6n    ayth 
Tfi  nATPJAI  KAAÜC  &a  TeeAWM^NOI.  (87)  TO-r-TOüN  AG 


85  aufstellen  und  ihn  als  Bollwerk  benutzen 
können    und    so    der   Graben    nicht   den 

4*     Feinden    Nutzen    bringt,     sondern    uns. 

(82)  Ganz  besonderer  Eifer  ist  ferner  auf  j 
die  ^'or\verke  und   die  Gräben  und  die  ! 
Palisadierung  zu  verwenden,  denn  durch  I 
die  Steinwei'fer  und  Schutzdächer  lassen 
sich    die   Befestigungen    leicht    erobern. 

(83)  Darum  ist  dies  eine  Flhrensache.  daß 
die  \'orwerke  und    die    Palisadierungen 

^°  so  stark  als  möglich  und  die  Gräben  so 
zahlreich    und  so   tief  wie  latöglich  her- 

86  gestellt  werden;  denn  wenn  diese  Dinge 
richtig  angelegt  werden,  kann  die  Stadt 
wohl  keinen  Schaden  i,ubelTirchten  haben. 

(84)  Richtig  ist  es  ferner,  den  Festungs- 
bau ei'st  nach  der  Erkubdung  des  Ge- 
ländes  auszufiihren,   denn   die   eine  Art 

'  paßt  hier,  die  andere  dort;  so  paßt  z.  B. 
das  Mäandersystem  in  die  Ebene,  da- 
gegen das  Halbkreis-  und  Zackensystein. 
wenn  der  Ort,  der  befestigt  werden  soll, 
gebirgig  ist;  das  verdoppelte,  wenn  das 
Gelände,  auf  dem  die  Festung  erbaut 
werden  soll,  vor-  und  zurückspringende 
Teile  hat;  das  mit  schrägen  Kurtinen 
paßt  zu  den  dreieckigen  Geländeformeii : 
das  alte  endlich  lur  runde  Orte. 

(85)  Bei  allen  Festungsbauten  ist  Sorge 
zu  tragen, daß  die  Mauer  nii'gends  » Kreuz- 
feuer« erhalten  kann.  (86)  Auch  sollen 
die  Helden-  und  Massengräber  in  Turm- 
form errichtet  werden,  damit  die  Sicher- 

''  heit  der  Stadt  vermehrt  werde  und  so- 
wohl die  durch  ihren  Heldenmut  Aus- 
gezeichneten als  auch  die  füi'  das  N'ater- 
land  Gefallenen  im  Vaterlande  selbst  eine 
schöne  Grabstätte  erhalten.  (87)  Von  allen 


88,45    ^AYTfi)  Fa,  Br         [mh]  Gra  47  tag  fehlt  a  49  [ncpi — 2  nÖAic]  Gra 

50  ^ct'i  1'\'       (üC  Gra:  cuCIN  l'V  rt  tä,  Gra  Fortif.  de  Cartli.  p.  199 

86,  1   d)C  Gra:  d)cei  PV  3  a'  ^xei  Er  Va:  ag  agI  PV  6  ka'i  in  Has.  P        kai  (k} 

Gra  7  nGPiBAAefN  V  9  ktibhnai  PV:  coir.  R  1 2  katä  S :  kai  PV  14  kaI  (tä)  Gra 

15  <üC/ n-fproYC  E.  Curtius  16  Lücke  Br:  Xpictgycantgc  erg.  Die  18  tgbam^noi  P 


40 


D 1  E  L  s    und   E.  S  C  H  R  A  M  M 


UN   ASAHAOJKAMeN    nACÖN    TWN    nYPronoiiöN    ^N    86    diesen    von    mir  beschriebenen   Befesti- 

gungssystemen   habe   ich  Dir   in  diesem 
Buche  selbst  die  Pläne  gezeichnet,  damit 

CA<t>ecTepoN  Tna  KATAMAeHC.  Du  es  besser  verstehen  kannst. 


AYTCO      COI      TÖ      BIBAICO       TA       CXHMATA      rerPAniAl, 


u 

'Opeöc  AÄ  fe'xei  AH- 

MOcIa  KAI  KATA  TAC  lAlAC  OIKIAC  AnOKsTceAl  {ka!)  AAAA 
TÖN    ACHOTUN,    OiCN    KÄXPY    KaI    TÖN    EN  TO?C  APAH- 

MACi  nvPÖN  KAI  ePSBiNeorc  ka'i  eepMovc  ka'i 
tnnAKHN  KAI  oPÖBOYC  ka'i  chcamon  kaI  MHKCöNAC 
nPÖC  TAC  TÖN  *APMÄKü)N  CYNeSCeiC,  ^Tl  AS  Ker- 
XPON-    nPÖC    AG    TO-VC    <t>OINIKIKO-Vc    APTOYC '    (2)    KAI 

nAPA 

TOFC  SYnÖPOIC  TÖN  nOAlTÖN  KPEA  KPEMACTA  (h)  CYT- 
KeweNA  eN  OINHPÄ  TPYriA,  AAAA  A€  haicwena- 
nPÖC  Te  PAP  TPO*HN  KAI  icX'YN  OY  «IKPAN  CYM- 
SAAeTTAI    KAI    AYTAPKfilAN    nAPSäETAI     OACAN    OYAEN 

ÄPTY-ceuc  oya'  aaöc  nPocAeÖMeNA-  (3)  kai  äpäkoyc 
«AAiCTA   MSN   ne*(i)CMeNOYC,    ei  A€   «H,    öc  exei. 

AAAOYC  <^a')  ^N  AWGPrU  ne*YPAMeNOYC  •  OYTü)  PAP 
ACHnTON     riNETAI  '     (4)     KAI    MnATA    felW    TÖN    YeiuN 

eXONTA 
THN     XOAHN     HAICMENA     KaI     ^IHPAMMeNA     SN     CKIA' 

AOAeecTePA  rÄp  oytcu- AiAMENei.  (5)  CYNÄreiN  as 

TAYTA  Aei  nAPA  TÖN  MATeiPUN  KAI  TÖN  lAlü)- 
TÖN    YH*icMATI    TIEPIBAAAONTAC. 

(6)  TAC  Ae  KPieÄc  ac? 

KAI  TOYC  nYPOYC  '(*YAÄCCelN)  ÖC  BEATICTA  KAGA- 

PANTAC  KAI 

CIPOYC      ÖC       BAeYTÄTOYC       YnAlOPloYC       OPYiANTAC 

KAI      TOYTCON      TÖ      SAA^OC      ÄACJYANTAC      ÖCON       feni 


II. 

(1)  Es  ist  sodann  richtig,  von  Seiten 
des  Staates  und  in  den  Privathäusern 
auch  andere  nicht  faulende  (I^ebensmittel) 
aufzubewahren,  wie  Gei-ste,  Weizen  in 
Garben,  Kichererbsen,  Bohnen,  Stuten- 
iiäse.  Pahlerbsen.  Sesam  und  Mohn  für 
die  Ar/.neibereitung  sowie  auch  Hirse, 
endlich  Palnienbrot.  (2)  Bei  der  wohl- 
habenden Bevölkeruni:  gedörrtes  oder  in 
Weinessig  eingemachtes,  daneben  auch 
gesalzenes  Fleisch;  denn  das  wird  keinen 
unbedeutenden  Beitrag  zur  kräftigen  Er- 
nährung liefern  und  wird  allein  völlig 
ausreichen,  ohne  weitere  Zubereitung  oder 
Zusatz  von  Salz  zu  erfordern.  (3)  Und 
l->dnM>sc,  am  besten  geröstet,  sonst  wie 
sie  sind,  ferner  solche  in  ölhefe  einge- 
macht; denn  das  hindert  die  Fäulnis. 
(4)  Ferner  eingesalzene  und  im  Schatten 
getrocknete  Lebern  außer  schweinernen, 
mit  der  Gallenblase;  denn  st»  wei"den  sich 
diese  besser  halten.  5.  Diese  (^Lebens- 
mittel) sind  auf  Gi'und  einer  Verordnung 
überall  zu  erfassen  und  von  den  Stadt- 
köchen wie  den  Privatleuten  beizutreiben. 

(6)  Die  Aufbewahrung  der  Gerste  und 
des  Weizens  muß  nach  möglichst  sorg- 
f Tdtijroi-  Keinigung  in  möglichst  tief  unter 
freiem  Himmel  eingegrabenen  Getreide- 
kanunem  erfolgen  (s.  Bild  21);  der  Fuß- 
boden wird  4"  (0.07)  tief  mit  geknetetem 


86,  20  AYTÖ]  ecxATCp  c\.  llaase  Ersch  et  Gi-uber  s.v.  Philon  p.  434  n.42  22   (kaI)  Die. 

Anderes  enthielt  der   dem  Exzerpt   vorhergehende  Abschnitt         äaaa  PV:    äaaa    (je)  Gra: 
noAAA  S  27    nach   KerxpoN   oder   aptoyc   fügt   Z.  32    kai   Äpäkoyc — 35    riNeTAi   ein  S 

*OINIKIKOYC    PV:     «OINIKINOYC     S  28     <,H^      Die:     (kM\    S  30     MIKPÄ     R  CYMSÄAeTAI 

PV:  corr.  Biie  32    npocAeÖMENA  R:  npöcAeöweNON   PV:  npocAeoMeNHN  Va      kai  Äpäkoyc 

KTe.j  vgl.  zu   26  34   <^a')   Die  35  yiön   P:  yön  V:   corr.  Die  41    ceiPOYC  PV 

42  ÄacIyanta  PV:  (■()ri-.  R:  de!.  Th  mg 


Exzerpte  aus  Philons  Mechanik  VII.  VJll  (1  S7;  11  2  -  //;  p.  SO.  sj).    41 


ci  poc 
Bild  21. 


T^CCAPAC   AAKT'r'AOYC  TÖ   BAGOC  nHAÜ  AieiPrACMCNCp      86 
KAI        HXYPCOMENü)        Ka'i         KYKAU         nCPIAAeirANTAC 

Xwöpreü-   (7)  ecru   a€   tä   «cn   ayo  m^ph   xnoy,     45 
TÖ    Ad     iEN     Xmmoy     eic    TÖN     hhaön     eMsesAH- 

M^NA.     (8)    ^N    TO-tTOIC   KAAÜC   EXei    OHCAYPIZelN,    AN 

(i)C    MÄAICTA    IHPANe&CIN.   (9)   ^MBAHe6NT0C    AE  TOY 
CITOY     Ae?     OIOYC     KEPAMION     4)C     APIMYTÄTOY     €10 
TÖN     M^CON     txP\     TOY     TPAXHAOY      KATOPYIAI  '      KAI       5" 
nCPIBAAÖNTA      ANUeeN       \tH         KWNOeiAE?      CXHMATI 

nAJNeoYc 

KATAAeiYAl      HHAÜ  '      OYTO)      TÄP      ACHITTOC      riNGTAI.      87 

(10)  TJeeTAI    A^    KAI    AAAON    TPÖnON     ^N     Ync- 

PUOIC    AIA- 

AHAelMM^NOlC    ^N    AMÖPrCj)    TOV'C   ToIxOYC    KaI    TÖ   i- 
AA4>0C,      ka'i     TAC     OYPIaAC     ^XOYCI      KAI      AIEKONOAC 

nAeioYC  ^ctpamm^nac   npöc   boppän   ka)   ne«PAr-      5 

M^NAC      AIKTYOIC,     Tna      «HO       YnÖ      TÖlN      ÖPNl'eWN 
KATCCeiHTAI      MHT€      GHPiA       ^rrifNHTAI '      Ö      HYPÖC 

a'  oy;   cAneTAi 

Tee^NTOC    4)CAYT<0C    ÖSOYC. 

(11)  «AN      A^     JYAUN      CnANIZUMeN.      Aef     TOYC 

CITOBO- 


liiul  mit  Spreu  versetztem  Lehm  niis- 
gefüllt  1111(1  riogsiim  (der  ganze  Silo)  mit 
Ölhefe  l)estrichen :  (7)  man  nehme  aber 
2  Teile  Spreu  zu  i  Teil  Sand  in  den 
l.ehm.  (8)  In  diesen  (lietreidei<ammern) 
läßt  es  sich  gut  aurspeichern,  vorau.s- 
gesctzt.  daß  sie  möglichst  gut  ausge- 
trocknet sind.  (9)  Ist  das  Getreide  ein- 
gebracht, soll  ein  Topf  mit  schärfstem 
Kssig  in  der  Mitte  bis  zum  Halse  ein- 
gegraben werden ;  dann  soll  man  oben 
darum  Ziegel  in  Form  eines  Kegels 
setzen  und  sie  mit  Lehm  verschmieren; 
denn  so  wii-d  es  nicht  faulig  werden. 

(10)  Es  gibt  aller  auch  noch  eine  andere 
Art  der  Aufbewahrung,  nämlich  in  ober- 
irdischen Speichern,  deren  Wände  und 
Hoden  mit  ölhefe  überstrichen  sind  und 
die  mehrere  nach  Nordtjn  gerichtete  und 
mit  Netzen  vereperrte  Fenster  und  Luft- 
löcher liabtMi,  damit  (das  Getreide)  nicht 
\on  den  \'ögeln  gefr<!ssen  wei'den  oder 
Tiei'e  eindringen  können;  der  Weizen 
aber  fault  nicht,  wenn  man  in  gleicher 
Weise  Kssig  hinstellt. 

(11)  Haben  wir  aber  Holzmangel,  muß 
niaii     die     (ietreidespeicher     so     bauen 


86.43    tlHAÄ   —  nePIAACirANTAC  ÄMÖPfü)   Die:   ka'i  KYKAU    nePIAAGlYANTAC    nHAÜ    AieiPrACMeNü) 

KAI  HXYPooM^NO)  ÄM^Pfu  PV.  Mit  Bewahrung  der  iiandschriftl.  Stellung  verm.  hxyp.  ka'i 
Aieipr.  S  nach  Cat.  r.  r.  92;  X'arro  r.  r.  I  57,  i ;  Col.  I  6, 13:  hxypumsnü)  ^kaI  BeBPerw^NO)  am.  15r 
XNOYC  I'V:  corr.  S  46  Xmmon  FV:  corr.  S  47.  48  an  ojc  ür:  uc  an   V\  50  tön] 

TÖ  R  51   /^n)  Die  vgl.  87,3         nAiNeoYC  S:  nAiNooic  PV 

87,  I   riweTAi  (Ö  cfroc)  S  2.  3  AiAAeAew^NOYC  PV  3  [iu]  S  (vgl.  86,51),  '^'"'1» 

hält  er  es  .jetzt  nach  Sept.  Kstli.  II  12  Xai^ömbna  iu  cmypnIco  äaaio)  5  bopan  PV:  corr.  Ha 

7  KATeiceHTAi   V:    KATeiceHTAi   P  drrirNcTAi    PV  '''^' oy)    S 

Phil.-hi.sl.  Abk.  lUli).  Xr.  IJ.  6 


42 


D 1  K  I.  s  und  K.  Schramm: 


1                           1 

/ 

'1                               \'1 

<tl 

3 

V 

1     1 

SV  O  <J  t-M-ft.«W-»W-lA/ft^t'V'»V 


'VVVl'lw 


3onvvtngtwö  £6t- 
-J  c- n -vt 'bt -»  o  o  < -»^ 

ß-t/CliXt'c)  fc-01^■e/l•C^-C/V, 
^  :  ZO  0. 
Bild  22. 


ßf^nt^ 


AÖNAC  OIKOÄOMeTN  OYTUC  '  OTAN  YnOBAACüWeeA  TO^C  87 
eeMGAlOYC  TOY  OIKOAOMOYMeNOY  O'ikoY,  AABgTn  TÖ  h 
HMICY    TOY    nAATOYC       KaF,     TOCOYTOY    YYOYC     HMI- 

K~t-KAION    nOIH- 
CAI  ■    (12)    KAI    nPÖC    TOYTO  AG?      AIa)   TPKEn    nHXUN 

OIKOAO- 

Me?N    6*'    €KATePOY    TOY    ToixOY    AY?AAC  nAINGINAC  ' 

eCTü)    AS    nAÄTH    AYTOJN     (.   .   .)    AYO    nAiNeMN   iVW-       15 

TeeeiccöN 

87,12    TOCOYTON    YYOC    I*V:  TOCOYTON  YYOYC   K 

14  EKATePA  PV:  curi-.  S  15  aytun  (a-t-o  riHxewN 


(s.  Bild  22 1:  Sobald  die  Gruiidinauern 
des  7,11  erbauenden  Gebäudes  errichtet 
sind,  soll  in  halber  Dicke  und  gleicher 
Höhe  ein  Halbkreis  hergestellt  werden. 
(12)  Und  von  diesem  ab  soll  man  mit 
Zwischenräumen  von  je  3  Ellen  (1.32) 
auf  beiden  Wänden  Gewölbebogen  aus 
(>)uadern  aufbauen.  Ihre  Dicke  soll  2  Ellen 
(0.887)  betragen;  wenn  zwei  Steine  aut 
die    Grundmauern    gesetzt    sind,    sollen 

1 3  npö  To-f-TOY  PV         AiA  statt  Aei  S 

■   ka'i)  S 


Exzerpte  aus  Philons  Mechanik  VIT.  VTTT  (II  ii  —  20;  p.  87). 


43 


^ni   TÖN    e€«eAi<oN   tac   atJ^ac   ÄiHxeAi   AeT  6-    gi 

CON  nfiXYN  TÖ  MHKel-    \   .   .)  TU   Ae   HAÄTei   AiOHXY        ,7 

nOIHT^ON.    (13)    TOYTO    Ae    fCT«     leCTWN     AietüN    H 

CVrKPOY- 

CTUN    üc    MericTuN,   Yna   aynhtai    tä    bäph    «^- 

PeiN.     (14)    ÖTAN     AS     CYNAXeßCIN     AI     AyTACC,     ^ni       20 

TUN  ee- 

MCAIUN     ÖPeOYC    OIKOAOMHCAI     TOJXOYC  •    (15|    TÖ    a' 

ANA  MeCON 
AIÄCTHMA  TUN  ToixUN  KAI  XyIAUN  nAINGOIC  AnOHAH- 
PÜCAl,   ÜCTe   TeTPÄrUNON    rSNECeAl    tö  oikoaomhma 

fcoN  TÖ  YYOC  ta?c  XriciN  gxoN.  (16)  gTta  eic  ta  anä 

M^CON    TUN     Xr'lAUN     AIACTHMATA     CTPUTHPAC     6ni-       25 

BAAe?N 
TOYC  ICXYPOTÄTOYC  KAI  ANUBEN  KÄAAMON  KAI  KATA- 
ACIYAI    (i)C    B^ATICTA-    (17)    KaI    ^ni    TOYTOIC    ^ÄN  T€ 

BO'fAH 
CITOBOAÜNA  OIKOAOMHCAI,  THN  ANCO  OPO0HN  AOKO^C 
AlAeeiC     KAI     CTPUTHPAC     eniBAAÜN    KCPAmUCON    KAI 

KATÄ- 

aciyon    WC  B^ATiCTA  •  (18)  ^ÄN  Ae  «H  oi'koaowhc,     30 

CYNCXH 
THN  Oi'kOAOMIAN  ÜCnCP  KA/^PAC  nOICIN  KAI  OYG^N 
CTPWTHPWN    nPOCAeHCETAI. 

(19)    INA    A^    COI    CYPYBMA    fi- 
NKTAI  T/k  0iK0AOnH/>\ATA  ^XONTA  CYMMCTPON  TÖ  YYOC 

TU  wereeei,  toyc  eeMCAiOYC  YnoBAAÖweNOC  önn- 

aIkOYC    an    BOYAHOHC,     [TOYTOIC    ICON]    AAMBANe    TÖ       35 

YYOC 
TUN     XyIaUN     AnÖ    TUN    eeMCAlUN    dcON    eiPHKAMCN 

(20)  '.  .  .    San  a^  hpo^ah  «htc  monöaibon  cinai  tö 

■»■n^PÖYPON        MHTe        iYAlNON,        MH        ^wnPHcefi, 
nOIHCAC      THN      eicOAON     ÖnHAIKHN     BOYAei     ^iOIKO- 


die  Bogen  eine  Elle  dick  (0.4425) 
ausgeführt  werden.  Nach  der  Breite 
sollen  sie  2  ellig  (0.887)  gemacht  werden. 

(13)  Dieses  Gewölbe  soll  aus  behaueaen 
oder  möglichst  großen  Bruchsteinen  zu- 
sammengefügt sein,  um  die  Belastung 
(des    Schüttbodens)    tragen    zu     können. 

(14)  .Sind  dann  die  Bogen  geschlossen, 
sind  die  ümfassiing.smauern  auf  den 
(ii  undmauern  gerade  aufzubauen,  (15)  der 
Zwisclienraum  zwischen  Seitenwänden 
und  Bogen  mit  Ziegeln  auszufüllen,  so 
daß  (las  Bauwerk  in  der  gleichen  Höhe 
der  Bogen  viereckig  wird.  (16)  Sodann 
lege  man  auf  die  Zwischenräume  der 
Gewölbebogen  .stärkste  Balken  und  dar- 
über Rohr  und  verschmiere  es  bestens 
(als  Schüttboden).  (17)  ITnd  wenn  man 
auf  dieser  (Decke)  einen  .Schüttboden  er- 
bauen will,  so  errichte  man  darüber  ein 
Ziegeldach  aus  Balken  und  aufgelegten 
.Sparren  und  ver.schmiere  es  bestens. 
(18)  Will  man  aber  nicht  so  l)auen.  so 
mache  man  den  Bau  ziisamuienhäiigend 
als  Gewölbe  (s.  Bild  22),  und  man  wird 
nicht   Längsbalken  nötig  haben. 

(19)  Damit  Dir  der  Bau  in  schönem 
Formverhältuis,  symmetrisch  in  der  Höhe 
zu  der  Länge  werde,  nimm,  wenn  auch 
die  Fundamente  beliebig  groß  zugrunde 
gelegt  sind,  die  Höhe  dbr  Bogen  von  den 
Fundamenten  ab  so  groß,  wie  ich  Dir 
angab.  (20)  Wenn  Du  aber  zum  Tür- 
stur/,  weder  einen  Monolith  noch  einen 
Holzbalken  wählst,  damit  er  nicht  au- 
gezündet werden  köiuie,  so  mache  den 
Kingang  so  groß,  wie  Du  willst,  und  fülle 


17   ^TÜN  AÄ  eeMEAJuN  TÖ  YnÄP  rflc  tthxyaTon  tü  YYe'i  oder  MHKei,)  S  18  zecTüN  l'V: 

corr.  K  18.  19  cypkpoyctün]  vgl.  Bull.  corr.  hell.  W'Il  (1893)  243  22.  23  AnonAH- 

P(oc€i  l'V  25  CTurfHPAC  V;  vgl.  Boeckh  Opp.  VII  p.  489  enisAAAeiN  PV:  corr.  Bue 

29  ka)  (nach  kcpawucon)  Die:   h   P\'  29.  30  katAaciyon  Th:  katA  yiaön  1':  katA  yhaön  V 

30  ikn  T€  «H  Bue  oikoaomhcai  Bue  cyn^xh  l'V  31  nciei  IL  Schoenc  t,^  tu 
Vyei  l'V':  corr.  S  34  YnoBAAAÖweNoc  PV:  corr.  S  34.  35  önoAiKCYC  \  35  ^An 
BOYAHOfi  PV:  corr.  Ha  [toytoic  icon]  Er  36  öcon  eiPHKAweNJ  Z.  11.  12  37  monö- 
BYPON  PV:  corr.  Ro              38  mh  S:   mht' PV 

«* 


44 


DiEi, s  und  E.  Schramm: 


Bild  23. 

AÖMHCON      nAINGOIC-      (21)    SiT    ANUeCN     TIGe'lC  16-      87 

CTOYC     AieOYC      erKAICIN      SXONTAC      TOYC      MEN  eic       4i 

APICTSPA         TO-VC         A6        SIC        AEIIA,         eOEITA  ("K 

TOY      MSCOY      KATÄKAeiCON      ANCOeSN     MEN    AieO)  EY- 

pe?,    KATweeN    ae    ctenw    änapmöcac  cocnep  c*fl- 

NA-      (22)    TOYTO    Ae    nOIHCAC    6S€Ae     TÄC     eic     THN       45 
AIOAON     eMBAHSeiCAC     nAiNGOYC     MENei    TAP    ÄC«A- 
AÜJC.       (23)  XPHCIMON   AS  TOYTO    KAI    SN  TaTc  HYPrO- 

nOMAIC,       ÄNTI      TUN       YAAIACON      SAN      TIC       BOYAH- 

TAI   OYTUC  KATACKEYÄZeiN  TAC  HYaIaAC.       (24)  TOYC 
MEN       OYN       CITOBOAÜNAC       OYTü)      KATACKEYACTEON        5" 
^CTIN. 

(25)  TYrXANEI  AE  TOY  CITOY  AnAGECTEPOC  Ö  CHA- 

PEIC      KAACOC      EIC       KATEIPTACMENHN       THN       KaI      SE-      88 

piceeic     iHPoc     kai     «eInac     en     toTc    APArwA- 


(ilin)  mit  Ziegeln  '  aus.  (21)  Dann  lege 
von  oben  behauene,  abgeschrägte  Steine 
(s.  Hild  23)  tiMls  links,  teils  reohts  darauf, 
sodann  mache  mit  einem  oben,  breiten 
'  unten  schmalen  Steine,  den  Du  wie  einen 
Keil  einfügst,  den  Abschluß  in  der  Mitte. 
(22)  Ist  dies  fertig,  so  nimm  die  in  dem 
Durchgang  eingesetzten  Ziegel  wieder 
heraus:  denn  es  wird  fest  bleiben.  (23)  Auch 
beim  l'estutigsbau  bewährt  sich  dies,  wenn 
man  die  Tore  anstatt  mit  Gewölben  auf 
diese  Art  bauen  will.  (24l  Die  Schütt- 
boden muß  man  also  auf  diese  Ai-t  er- 
richten. 

(25)  Vom  Getreide  ist  das  weniger 
empfindlich,  das  auf  gutgepth'igteni  Boden 
gesäet,  trocken  eingeerntet  und  möglichst 
lange     in     den     fiarben     geblieben     ist. 


87.40  nAiNeoic  lio:  -on  comblera  celte  ouverture  avec  d<  s  briques-  (vgl.  Z.  46): 
nYProYcPV:  eicoikoaöwhcon  nAiNeoYc'  Br  vgl.  Thucyd.  II  75,4  ehe  l'V:  vgl.  zu  p.  88, 6 
TieEic]  TJGEi  oder  ^niGEC  Bi-  41   efkaeicin  VV:  corr.  Th  mg  43-41  '^•6'?  a.  m.  er.  Br 

44  CTETNCo   l'V:   corr.  Br  45   Eic  TÖN   V  46  «ENsf  A.  Schoenc:  «enei  PV 

88,  1  EIC  KAAÜc  verstellt  Br,  vgl.  Theophr.  c.  pi.  111  20,  6 


Die  /um  Stützen  der  beiderseitigen  schrägen  .'steinsetzung  bestimmt  sind. 


Exzerpte  aus  Phüons  Mechanik  17/.  VI II  (II  2l~-:Ul;  p.  87.  S8).        45 


CIN   (i)c   nAeTcTON  xpönon.     (26)  riNeTAi    ae    kai 

AAAUC 
ACHnTOC,  ^AN  ^K  THC  KAAAMHC  ÜAeNAC  nOIH- 
CAC     KYKAU     nePi    TOYC    CIPOYC    nePITeiNHC    AYTOYC. 

eir'     AprrAÜAei      hhaü      AiAnÄTXwN      ewBÄAHC 

TÖN     CITON     <,fl)     HOATA    eAÄfOY    IHPA    KATATEMCÜN 
MIKPA    ^«BÄAHC  •    (27)    MAAICTA    AE  ACHOTON    AIA*Y- 

AÄTTei    TÖN    nYPÖN    KAI    KPieHN    KAI    TA  OCHPIA,    ^ÄN 

CYrKÖYAC     TÖN     THC     THAeUC     KAPHÖN     AIA    neTPÖN 

eiC        TOYC       ClPO'f'C        XnOTIBH       TOYC       eiPHWENOYC 

KAPnO-i-C,    H    THN    KÖNYZAN    H   THN  ÖPirANON   (i)C  6X61 

AiAwicruN       ^N       ToTc       CIPOlc       enCAYPiZHC       TA 

ocnpiA-  (28)  kXn  oypu  eiciieeN  ^nipp-f-TOYC  noiAcHC 

TOYC      CITOBOAWNAC,       AIA*YAÄTTOYCIN      X»eÄPTOYC 

TOYC  KAPno-f-c. 

(29)  ACI  Ae  TA  TOIAYTA  OIKOAOWHMATA 
KAi  X(l)NAC  fxeiN  ^N  M^CAIC  TAIC  ÖPO«A?C,  INA 
^AN         BOYAÜneeA,        BAAAHTAI        KAI       KATAKOwiZH- 

TAi    Paaiuc    katapp^wn    ö    cTtoc    elc    tö    kätco 
oiKHMA.     (30)  TieecGAi  AC  npocHKei  «h  Iaatton 

eic      ^NIAYTÖN      TÖN      C?TON     THN     nÖAIN  ■     XfOPÄZeiN 


88 


(26)  Auch  aul'  andere  Weise  kann  es 
widerstandsfähig  gegen  l'iuilnis  geniaelit 
werden,  wenn  man  Rohrbiindel  maclit 
lind  diese  ringsherum  in  den  Oriibcn 
einspannt,  dann  das  Getreide  einwirft, 
indem  man  es  mil  tonhaltigem  Lehm  be- 
slreiit  (oder)  getrociinete.  kleingeschnit- 
tene Hirschlebern  hineinlegt.  (27)  Am 
besten  kann  man  den  Weizen,  die  Gerete 
lind  die  Bohnen  vor  dem  Faulen  be- 
"waliren,  wenn  man  zwischen  Steinen 
zerquetschten  Bocksliornklfesamen  mit 
den  erwähnten  Fruchtsorten  in  die  Gruben 
einlegt  oder  die  Alantwiirzel  oder  Ma- 
joran, wie  ei-  gerade  zar  Hand,  ist,  mit 
den  Bohnen  dnrcheinandermischt  und 
diese  so  in  den  Gruben  aufbewahrt. 
(28)  Auch  wenn  man  die  Getreide- 
behälter mit  Lufiziilliiß  '  \ on  auli^en  her- 
stellt, erhalten  sie  die  Frucht  un- 
verdorben. (29)  Derartige  Gebäude 
sollen  aber  in  der  Mitte  der  Dach- 
boden Trichter  haben,  damit,  wenn  wir 
wollen,  das  Getreide  leicht  einwerfen 
und  hinabschafl'en  können,  indem  es  in 
das  Untergeschol3  iiinablließt.  (30)  Es 
gel)ührt  sich  aber,  daß  die  Stadt  sicli 
nicht  weniger  als  für -ein  Jahr  Getreide 


88.3  XPÖNOIC  l'V:  XPÖNioc  Ha  5.  II   C6IPOYC  l'V  wie  13  4  coaenac  l'V.    Ks  liegt 

die  masc.  Form  (oahn,  ua^noc  vor,  die  Suid.  s.  v.  ooa^nai  und  (üahn  bezeugt.  Mit  der  Bedeu- 
tung -ßriiidcU  vgl.  Hesych.  6a6NOI :  KPieflc  accmoi  6  noAu  P  aiahaättcon  l'V:  cori'.  S: 
vgl.  Theophr.  h.  p.  \I1I  11,7:  Geop.  II  27,8  7  <(A,  Bue  6  [^mbaahc]  S  8  aä  fehlt  V 
II  ÄnoTeefi  PV:  Anoenc  Schneider  ind.  Scr.  r.  r.  sub  v.  ceipoi  12  opIpanin  P\':  corr.  K 
13  encAYPizeic  P\'  14  kan  oypu  S  vgl.  Geop.  II  27,5:  kaaoy'pu  PV  ^pipp+toyc  V; 
^pp-r-TOYC  P:  .^PPytoyc  pro  ÖNP+TOYC-  Lobeck  noiticeic  PV  21  H  eic;'  S,  doch  vgl. 
1,0b.   ad   Phryn.  p.  410 


'  OYPoc.  sonst  nur  poetisch  vom  Fahrwind  gebraucht  (doch  s.  Xen.  Hell.  II  3, 31 ) 
scheint  hier  vom  Luftziige  verstanden  werden  zu  müssen.  Siiir.\m.m.  An  der  gewöhnliciien 
liedeuliing  -Jauche,  ist  wohl  auch  hier  festzuhalten.  S(  hone  zieht  (ieoponica  II  27.  5  her- 
bei; TINÄC  A^  eic  THN  KONJACIN  KAI  KTHNÜN  OtPON  MirN+OYClN  <i)C  «eOPOnOlÖN  YnAPXON  TÖN 
Z<J(i)N.      KAI      THN     OCTPAKOKONIAN     A^     THN     ^ni     TOY     ^AÄ»OYC     XPIOM^NHN     TU    OYPü)    BP€XOYCI.        Hier 

muß  man  annelmien.  daß  Kanäle  in  das  Innere  des  Silos  führen,  die,  ohne  mit  dem  (le- 
Iri'ide  in  Berührung  zu  kommen,  die  aimnoniakalischen  Dämpfe  der  Jauche  zur  Abwelir 
des  Ungeziefei-s  im  Innern   verbreiten.     Diki.s. 


4(5 


D 1 1:  i>  s  und  V..  S  c  II  R  A  m  ,m  : 


Ae  Aei  ÖTAN  eYu)NÖTATOC  H  KAI  AieAeÖNTOC  TOY 
XPÖNOY  TÖN  MEN  HAAAION  ANAAlcKgiN.  NEON  AE 
AAAON       TieeCGAl      nPÖC      TAC      riNOMENAC      nOAlOP- 

KJAC    Ka'i    TAC    CYWBAINOYCAC    CITOAeiAC. 

(»1)    XPH- 
CIMON     Ae     €CTI     KAI    CkIaAAC    KAI    BOABoVc    EN    TAIC 

oiKiAic  ÄnoTieecsAi  kai  »ytsyein  en  tk  nÖAei 
kaI    K'r'KAa)    nepl    tö    teIxoc,    i'na    katackeyazo- 

MENOY  TOY  "enlMENIAeioY  <t>AP«ÄKOY  MHGeN  HMÖN 
nAcXMCIN  Ol  .HOaItAI  KATÄ  TÄC  CYWBAINOY'CAC  CI- 
TOAeiAC.  (32)  cYNTieeTAi  Ae   tö  AEAerweNON  *äp- 

MAKON  KATÄ         TPÖnON  A*eYHeEicHC       CkIaAHC 

KAI  nAYeeicHC  yaati  kai  iHPANeeicHC  katako- 
neicHc   (te     uc  AenTÖTATA  kai  mstä  tayta  oapa- 

MIXe^NTOC  ■  EIC  AYTHN  CHCÄMOY  WEN  TOY 
neWnTOY  WEPOYC,  «HKWNOC  aC  OENTeKAIAEKATOY- 
KAI  nANTUN  TOYTUN  AEANeENTWN  EN  TU  AYTÜ, 
CbC  BEATICTq)  MEAITI  »YPACANTA  AIEAEIN  ÖCON 
EIC  eAAlAC  TAC  MericTAC  riNOMENAC-  (33)  KAI  TOYTÜJN 
EN     MEN     nePI     AEYTEPAN     ÜPAN,     gN     A6     nCPi     AE- 

KÄTHN      ÄNAAICKUN      TIC     OYOeN     AuÖ      AIMOY      nÄGOl 

AN    AEINÖN. 

(34)    eCTI     AE     »»AI    AAAO     nAPAHAHClÖN    Tl    TOY- 
TO)    »ÄPMAKON,    Ö    AE?    CYNTieENAI    TOYTON   TON   TFÖ- 


88  einlegt.  Man  soll  es  kaufen,  wenn  es 
am  wohlfeilsten  ist,  und  das  alte  ver- 
Ijrauchen,  wenn  die  Zeit  vcrllossen  ist, 
und  anderes,  neues  einlegen  für  die  etwa 
kommenden  Belagerungen  und  den  dann 

^'     eintretenden  Nahrungsmangel. 

(31)  Praktisch  ist  es  ferner.  Zwiebeln 
und  Bollen  in  den  Häusern  aufzustapeln 
lind  in  der  Stadt  und  rings  um  die  Mauern 
anzupflanzen,  damit  die  Epimenideische 
Dauerspeise  bereitet  werden  kann  und  un- 

-"  .sere  Mitbürger  bei  dem  eintretenden  Nah- 
rungsmangel nicht  zu  leiden  haben.  (32)  E.S 
wird  die  genannte  Dauerspei.se  richtig 
so  bereitet,  daß  man  Zwieteln  abkoclit, 
dann  mit  Wasser  auswäscht  und  trocknet, 
sie  alsdann  so  fein  als  möglich  zer- 
schneidet und  ihnen  darauf  Sesam  zu  5 

35  und  Mohn  zu  15  Teilen  beimischt.  Dann 
vcrreilit  man  dies  alles  glatt  in  demselben 
(Topfe),  vemiischt  es  mit  dem  besten 
Honig  inid  zei-stückelt  es  so  gi-oß  wie 
die  größten  Oliv-en.  (33)  Wenn  man 
davon  eins  um  die  zweite  .Stunde  (früh 
7  Uhr)  und  eins  um  die  zehnte  (nachm. 

*'•'     3  Uhr)  verzehrt,  wird  man  keinen  ernst- 
lichen Schaden    durch  Hunger  erleiden. 
(34)  Es  gibt   auch   noch   ein  anderes, 
diesem    ähnliches    Dauernahrungsmittel, 
das  man  auf  folgende  Weise  zusammen- 


88.  29  "eniMENiAeioY  Barocius  (Hero  mech.  f.  3''  und  L.  Dindorf  Thes.  s.  v.  'enwAeNiAHC; 
vgl.  Mi  ,1.  des  Sav.  1868  p.  3125.):  inmo  .  .  aIoy  PV:  ^himoniaIoy  las  der  Schol.  zum  Anonym. 
Poliorc.p.  203,3  ^niMONiAioic  AeröweNoic  *ap«äkoic,  derauehschondieCorruptel  in  dem  Archetypus 
des  Philon  las.  Der  Name  des  alten  Kaiharten  steht  durch  Theophr.  H.  pl.  VII  1 2,  i  (daraus  Plin. 
H.  N.  19,43)  fest.  \g\.  Psell.  Paradox,  p.  143,2  Westerm.  Ö'GniweNiAeioc  aawoc  kta.  ki^u>n 
vgl.  Va  Opp.  acad.  I  440:  aimä  Biie  30  kata  Tli:  kai  f'V:  kata  tac  riNOMENAC  noAioPKiAc) 
kaI  nach  Z.  24  ^'a  31   cyntisetai  ae  bis  89,10  oyk  ^Mnoief  fast  wörtlich  exzerpiert  im 

Schol.  z.  Anon.  a.  0.;  daraus  wichtige  Le^arti-n  nach  dessen  Archetypus  Vat.  gr.  1605  (G),  vgl. 
K.  K.  Mueller,  Rh.  Mus.  38  (1883)  454  32    'toyton)  tön  R      A«£YHe£icHC  G :  A*eYHceeicHC 

PV  32a     CKIAAHC-   £HP.     G:  fehlt  PV  2^  (je/  GB       uc]  eic  G  34  chcämoy 

G:   CECÄAAOY   PV         MEN   fehlt   (i  35   MHKUNOC  <Ae^    R  36   AEANCeeNTttN  P  37   B^AITI 

P       iDYPÄCANTi  P\'G:    corr.  Ha  40  anaaIckun  Tic    Br:    Anaaickontec    G:    AnaaIckcon    PV 

Anö]  Ynö  Br  nÄoeiEN  G  41    ecTi   —  42    cyntio^nai]   aaah    cyngecic   »afmäkov  cynti- 

SEMENH    G 


Exzerpte  aus  Philons  Mechanik  Vif.  VIII  (II  30  —  42;  p.  SS.  S9J.        47 


noN-    (35)    AABelN    chcämoy    'Attikön    hmIckton 

KAI  Me- 

AITOC  ftwixOYN  KAI  ^AaIoY  KOTYAHN  KAI  XoInIKA 
AMYrAÄAOJN  rAYK^UN  AEAeniCM^NUN,  »PY- 

5ANTA      TON      CHCAMON      KAI      TA     ÄMYrAAAA      KATA- 

A^CAi   ka'i   ce?CAi  •    (36)    gTta   täc    ckIaaac    nepi- 

AenicAN- 

TA  KAI  TÄC  piZAC  KAI  TA  HGTAAA  AnOTEMÖNTA 
KAI  AieAÖNTA  MIKPA  eic  ByIaN  ^«BAAÖNTA  Tpf- 
YAI  (i)C  AeiÖTATA-    (37)  META  A£  TAYTA  TUN  TeTPIM- 

M^NCON  CKIAAÜN  (/cOn)  TÖ  M^AITI  TpItAI  ÖMAAÜC 
AMA     TU     ^AAiti)     KAI     ^fX^ANTAC     eic    XYTPAN    feyelN 

^nio^NTAC    in'    Anspakiäc*    (38)    ötan    ae    ap- 

IHTAI    ZelN 
riAPeWBAAÖNTA    TOY    CHCÄWOY    KAI    TÖN  XMYrAAACüN 

Xma     iVau     aiakincIn     mexpic    an     AHANTA     6M- 

BAHefi-    (39)   ÖTAN     A^     r^NHTAI     CTCPeÖN     icXYPÖC, 

X<«>€AÖNTA 

aicacTn   bcoN  eic  ywmoyc  amkpoyc,  kai  «na  npwi, 

fe'NA    AeiÄHC    AnAAICKUN    an     TIC    1KANHN    4'XOI    TPO- 

♦HN.     (40)    TYrXANei     A^     KAI    HPÖC     TAC     CTPATIÄC 

IKANÖN    TOYTO     (TÖ) 

♦ÄPMAKON-    HAY    PAP    ^CTI    KAI    nAHCMIOM    KAI   AIYAN 

OYK  ÄMnoieT. 

(41)  CYNTieeTAi  AC   BPWMA  ka'i  ^K  TOY  THC  MO- 

AÖXHC      Ka)      ^K      TOY      THC     CkIaAMC     KAPHOY,      ICCüN 

MIXe^NTüJN 

TOYTWN    KAI    ^N    ÖAMCj)     KOn^NTWN    KAI    M€TÄ    TAYTA 

KAI    Hi- 

AITI    £«eÖ    «YPAeeNTUN,    KAI    TUN   ic(ON   YUMÖN   TOiC 

eiPHM^NOIC  AIAOMCNUN  TPO0HN  IKANHN  RAP^XCTAI 
TOTC      nOAlOPKOYM^NOlC.      (42)      iceicTAl      aI     KAI     H 

CkIaAA    KAI    X- 


88  stellen  soll:  (35)  Man  nehme '/^ attischen 
Hekteiis  (4.32  1)  Sesam,  '/jChus  (1.62  1) 

^,  Honig,  I  Kotyle  (0.27  1)  öl  und  i  Clioinix 
(1.08  1)  süße,  geschälte  Mandeln.  Hat 
man  den  Sesam  und  die  Mandeln  ge- 
röstet, mahle  man  sie  klein  und  schüttle 
sie  dui'cheinander.  (36)  Dann  schäle  man 
die  Zwiebeln,  schneide  die  Wurzeln  und 
die  IJlätter  ab,  zerteile  sie  fein  und  schütte 
sie  in  einen  Mörecr,  in  dem  sie  so  glatt 

50  als  möglich  verrieben  werden.  (37)  Darauf 
reibe  man  die  zerriebenen  Zwiebeln  mit 
dem  Honig  und  dem  öl  gleichmäßig  >  zu 

g9  gleichen  Teilen)  zusanunen,  fülle  es  in 
einen  Topf  und  la.sse  ihn  auf  Kohlen- 
feuer aufgestellt  kochea.  (38)  Fängt  er 
zu  sieden  an,  werfe  man  von  dem  Sesam 
und  den  ^Mandeln  hinein  und  rühre  mit 
einem/ Holzlöffel  durch,  bis  alles  einge- 
5  werfen  ist.  (39)  Wenn  es  ganz  fest  ge- 
worden ist,  nehme  man  es  weg  und  zer- 
teile fs  in  kleine  Stücke,  und  wenn  man 
eins  davon  früh,  das  andere  nachmittags 
verzehrt,  so  hat  man  wohl  davon  eine 
genügende  Nahrung.  (40)  Audi  fiir  die 
Heere  ist  es  ein  geeignetes  Nahrungs- 
mittel, denn  es  ist  angenelun  im  Ge- 
schmack,    sättigend     und     macht     nicht 

'"     durstig. 

(41)  Es  wii-d  auch  tt\n  Nahrungsmittel 
aus  der  Fi-ucht  der  Malve  und  der  Meer- 
zwiebel bereitet.  Beides  zu  gleichen  Teilen 
gemischt,  im  Mörser  gestoßen  und  darauf 
mit  ahgekochlem  Honig  gemischt  und 
in  gleichgroßen  Stücken  wie  die  voi'her 
erwähnten  gegeben,  wird  es  den  Bela- 
gerten   genügende    Nahrung    gewähren. 

15  (42)  Man  ißt  auch  die  Meerzwiebel,  abge- 
kocht und  ähnlich  wie  die  Bolle  zubereitet. 


88,43  aabeTn  S:  aabün  X :  aabün  P  chcämoy  S:  chcamon  PVG  Attikön]  vgl.  Galen. 
XUI  p.  893  s.;  XV  p.  201  K.  44  ^aaIoy]  ekaicy  G     cxoinika  I*  45.  46  «py^antec  PVG 

47  cTtac  täc  k^aaac  V  51      i'con)  G:  fehlt  PV' 

89,  I     irxioNTAC    G  4.  5    ^MBAHefi    P:    feNuoiH    (i    (beachtenswert!)  6   bcoN 

fehlt  G  7  AN  fehlt  G       exei  G  8  ctpatciac  Biie  zu  p.  58,  5       toyto  tö  G  :   t6  fehlt  PV 

10.  II  «oa6xoc  V  12  OAMU  Th:  ÖAKÖ1  PV 


48 


D  1  F,  I,  s  luul  E.  Senn  a  m  m  : 


.teYHeeTcA  km  ö«oi(<,'c  tu    boabü  CK6YAceeiCA  kai    89 
srKPY*ee?CA    kaI    öniHeeTcA    kaaöc,    eiTA    <.  .  .  >      n 

nepiAH- 

♦eelCA-     KAI    CYN    TM    OPOsiNO)   AASYPU    iu    TM   AYTU 

KoneTcA    niNSTAi    in   oIno)    KeKPAMeNw    b'coN    TPici 

KOTYAAIC    Ka'i  MeAlTI,    KAI   SN   AYTÄ    TM   oTnM   AIATHX-       2° 

eeicA  OYTMC,  MCTe  riNeceAiTÖ  nAxoc  mc  KYKecoNA- 

(43)    TOYTON    Ae    TÖN    TPÖnON    nPOC*€POMeNH    TPO- 

lUhiN    IKANHN 

nAPexei   kai  kabapcin  aiA  tön  gypmn  oyk  atohon 
AneprÄzeTAi.  (44)  riNETAi  as  kai  es  aythc  aptoc 

TPIC    A- 

♦eYHeeicHC    <(kai    tpissIchc)  agIac    kai    MixeelcHC     2; 

tpItm  Mepei  ctai- 
TÖc  tpo«hn  icxypan  nAPexeTAi  toyton  tön  tpö- 

noN  eePAneY- 
eeicA.    (45)  mcaytmc  ac  kai  tA  cyka  meta  tmn  n- 

tApTMN    KaI    THC    CTA^IAOC    KOnSNTA    KAI     SIC  HAAA- 
elAlA      AlAMEPICeeNTA      Ka!      MAPÄeM      AlAXPICeeNTA 
XPHCIMA       nPÖC       nOAlOPKIAN       MC      ENA^XETAI      MA-       3" 
AICTA    rlNETAI. 

(4(5)    OAPexeTAi    ag    TPO<t>HN    oYeeNÖc     xei- 

PM      KAI      tA     KPCA     C<t>OAPMC     eYHeeNTA     KAI    AIATA- 
K^NTA     KAI    BOYTYPM   KAI    MGAITI    MIXeSNTA,     KAJ     ^T- 

XYeelc    nAc    ö    es   aytmn    riNÖweNOC   zmmöc   eic 
ArreiA  kasapA.  3? 

(47)    XPHCIMOC    a'  eCTi    kai    AirJAMY 

^YHee'ic    eni    Te<)>PAC    «aaakhc    6N    xytpa    kainh 
eaaIm    xpiceeicH  •    tpo*hn    te     tAp    nAPexei    kai 

AYCeNTEPlAN    lATAI. 

(48)  cY«*epei  ae  kai  khoia  in 

TAIC      IaIaIC      OIkIaIC      KAI     SN     TaTc    AKPOnÖAECIN    KAI 


EM    T£    TOIC     'AACeCI    KAI 


temeneci  tmn    OEMN  ka- 

TACKEYAZEIN    YrSlAC 


ENEKEN      KAI     ÄAN    TIC    CYMBaInH    HOAIOPkIa-    »YTEY- 


iii  Asclie  icesteckt  uiiil  scliön  gebraten, 
sodann  (in  Meli!)  gewickelt.  Man  kann 
sie  anch  trinken,  indem  man  sie  zu.sani- 
inen  mit  Kibsenmehl  in  demselben  Möi-ser 
zerstößt,  dann  mit  3  Kotylen  (0.81  1». 
Wein  und  Honig  in  dem  Weine  selbst 
so  auflöst,  daß  die  Dicke  eines  Miscli- 
tiankes  entsteht.  (43)  Auf  diese  Weise 
zubereitet,  gibt  sie  genügende  Nahrung 
und  regt  keine  unwillkommene  Urinab- 
scheidung    an.     (44)   Es    wird   auch   aus 

ihr  ein  IJrot  hergestellt,  indem  sie  drei- 
mal abgekocht,  glatt  <  verrieben^  und 
mit  '/a  Weizenmehl  vermischt  wird,  das, 
auf  diese  Weise  bereitet,  eine  kräftige 
Naln-ung  bietet.  (45)  Ebenso  werden  auch 
Feigen,  mit  Weintrestern  und  Hosinen 
zerstoßen,  in  kleine  Kuchen  zerteilt  und 
mit  Fenchel  bestrichen,  so  brauchbar  für 
eine  Belagerung  werden,  wie  es  nur 
eben  uiöglich  ist. 

(46)  Eine  um  nichts  schlechtere  Speise 
ergibt  auch  Fleisch,  stark  gesotten  und 
zerkocht  und  mit  Butter  und  Honig  ver- 
mischt und  alle  daraus  gewonnene  Brühe 
in  reine  Gefäße  gefüllt. 

(47)  Brauchbar  ist  auch  Windhafer, 
auf  gelindem  Aschefeuer  in  einem  neuen 
mit  Ol  bestrichenen  Topfe  gekocht:  denn 
er  gibt  Nahrung  und  heilt  die  Ruhr. 

(48)  Es  ist  auch  nützlich,  Gärtchen 
in  den  Pi-ivathäusern.  auf  den  Burgen 
und  in  den  Hainen  und  Tempelbezirken 
der  Götter  anzulegen,  der  Gesundheit 
wegen  und  für  den  Fall,  daß  eine  Be- 
lagerung   eintritt,     W'enn    man    nämlich 


89,  17.  18  nepiAH<i>ee?CA  verderbt  oder  lückenhaft,  etwa  (aa^Itoic)  n. :  •nePiAAserN  v.  pro- 
prium cihorum  aliis  involutorum  in  medicina,  non  seorsus  comestorum-  Bue  18  cyn 
Bue:  ^n  PV  20  kai  en  Die:  en  Bue:  «en  PV  24  riNSTAi  S:  riNONTAi  PV  25  kai 
TPiBEiCHcN  Br            25.  26  CTAiTÖc  Buc  nacli  Dioscorid.  II  202:  cnAcro  darüber  und  am  Rde.  \' 


'\':    CTAITÖC      öc>  ■'  S 


26.  27  eEPAnEYeeTciN  Bue  28.  29  haaaoiaia  Bue:  nAAAeiAA  PV^ 

oaaagIaac  S  31   HAPeixETAi  PV  ^1}.  34  a.  Rde.    .•-  PV  36  maaakhc  PV;  vgl. 

llippocr.  de  victu    1  20  (VI   494  Littr.):    tial.   XlII  26  K;  Athen.   II  54c:    Oribas.  V  106,13: 

MAAAKMC    Po;    Vgl.  32   C<t>OAPMC  40     '^AACECI    KAl)    Die 


Exzerpte  aus  Philons  Mechanik  Vll.  VJJI  (II  ^2—53;  p.  89.  90).        49 


eeicäN    rÄp    CYKeaN    kai  »oinikun,   sAn   h  nÖAic 

♦^PH,  KAI  CnAPeicHC  THcMnAIKHC  KAi  'eAAMNIKHC  KO- 
AOKY'NeHC  KAI  APCÜN  KAI  KPAMBHC  KAI  ePIAAKOC 
KAI  TUN  AAAUN  AAXANCON  OY  WIKPAN  OAPeXeTAI 
^nlKOYPiAN. 

(49)  aeT  a^  nAPACK6YÄzeceAi  npöc  tAc 
noAioPKiAC  8nAA  kaI  ciahpon  kaI  xaakön  kai  hain- 

eOYC  KAI  AieOYC  XPHCIMOYC  OPÖC  THN  OIKOAOMIAN 
KAi  BfAH  KaI  neXPOBÖAOYC  KAI  OiYSeAcTc  KA- 
TAnÄATAC  KAI  MHXANOnOlÖN  KAI  ANAPAC,  q\ 
XPHCIMOI  Tofc  ÖPrÄNOiC  ^CONTAI,  KAI  KOoInOYC 
Ka'i  AIK^AAAC  KAI  A«AC  KAI  AMÄ5AC  KAI  XliNAC  KaI 
CKA«6?A.      (50)   AeAOKIMAceU  Ad  TAYTA  HANTA  KAT' 

ei- 

PI^NHN    ^N    TaTc    ^OY)    XPeiAIC,    INA    MH    KATA   HÖAG- 

MON  ^N  TaTc  CYM- 
BAINO'r-CAIC  XPeiAIC  CYNTPIBÖMeNA  AxPeiA  rENH- 
TA1. 

(51)  nPöc  Ae  TOY-Toic  ♦opmoyc  ae?  YnAPxeiN  eN 

TH    nÖAei    doC    ICXYPOTÄTOYC  KAI  HAeicTOYC  OPÄC  TÖ 

ÄAN    Tl 

n^CH  TOY  reixoYC  toyc  kinayneyontac  ^«ninAÄN- 

TAC 
AYTO'YC     TAXY      RAPACKeYÄZelN     AC*AAeiAN    AYToTc ' 

(52)  xupic 

A^  TOYTUN  BV'PCAC  KaI  nicCAN  KAI  MÖAIBON  KAI 
eeiON  KAI  CXCINJA  HAX^A  KAI  AEOtA  KAI  XAPAKA  KAI 
♦YKOC    KaI    CTYnniON    KaI  oTnON   KAI  ^AAION   KAI  ÖSOC 

KAI 
CneiPÄMATA  KAI  lYAA  KAYCIWA  [»C  nAEICTA]  KAI  NAY- 
OHTHCIMA  (iC  rlAelcTA  CTPOrPYAA  KAI  TETPAfUNA  KAI 
KCinAC    KAI  «OINIKiNAC  CANIAAC  KAJ   AAAAC  '    (53)   KAI 

t6    '^- 
PABIKÖN    «ÄPMAKON    KAI    KOfXYAlON    TÖ    ^N  TH   aImNH 

rifNÖMENON,  U  Anexei  Xnö  1^KHC  oentihkonta  cta- 

Al'OYC,    KAI  IIÖN,  ka'i  CAAAWANAPAC  KAI  lÖN  £x^(dN  KAI 


89  Feigen-  und  Dattelbämae  pilaiizt,  falls 
überhaupt  "in  der  Stadt  solche  gedeihen, 
wenn  man  ferner  indische  und  hel- 
lenische  Kürbisse,   Ai'on,   Kohl,   Lattich 

""^  und  die  anderen  Küchengemiise  säet, 
bringt  das  keine  kleine  Hilfe. 

(49)  Für  die  Belagerung  muß  aber 
in  Bereitschaft  gehalten  werden :  Kriegs- 
gerät, Kisen,  Kiz,  Ziegel  und  zum  Bauen 
brauchba  re  Steine,  fernerGeschosse,Stein- 

50  Werfer  und  Pfeilgeschütze,  dazu  einen  In- 
genieur und  Bedienungsmannscliaft,  fer- 

90  iier  Körbe,  Hacken,  Schaufeln,  Wagen, 
Äxte   und  (Irabscheite.      (50)  Dies  alles 

soll    im    Frieden,    wemi    man    es    nicht 
braucht,  geprüft  sein,  damit  es  nicht  im 
Kriege  bei  der  eintrctiMiden  Vei-wenihing 
5     verdirbt   und  unbrauchbar  wird. 

(51)  Außerdem  nu'issen  in  der  Stadt 
möglichst  starke  und  viele  Schanzköibe 
vorhanden  sein,  damit,  wenn  ein  Stück 
der  Mauer  tällt.die  in  der  Bresche  Stehen- 
den diese  schnell  füllen  und  sich  selbst 
Sicherheit  damit  schaHen.  (52)  Abge- 
sehen  hiervon    Felle,   Pech  (Teer),  Blei, 

'°  Schwefel,  starke  und  feine  Binsenstricke, 
Pfähle.  Seegras,  Werg,  Wein,  ül,  F.ssig, 
Seile  und  möglichst  viel  Brenn-  und 
Schiffsbauholz,  rundes  und  viereckiges, 
ferner  Kiemen, Palmenbretter  und  Fackeln. 
(53)  Sodann  das  arabische  Gift  und  das 
Muschelgift,  das  in  dem  von  Ake  (Phö- 

■5  nizien)  50  Stadien  (8.2  km)  entfernten  See 
vorkommt,  ferner  Mistel  und  Salamander 
und  Pfeilgift  soll  da  sein  von  Ottern  und 


89,43  *iPH  kaI  S:  «^phtai  PV  46  vgl,  zu  p.  90,  24 

90,1   AMMAC  PV  2  cxK^iK  V\ :  tovv.  Die  BuB  (»alvcolos«   Ca)  3   <(oy)   add.  Va: 

[^N  TA'C  XPeiAic'i  Ura      ina — 4  xpeiaic  fehlt  V  4  AxoeIa  PV:  corr.  R         7  01  kinayneyontec 

^«ninPANTEC  I'V:  corr,  S         8  ay-toyc  nach  p.  93,  31  Br:  aytoTc  PV      Ac*AAeiANj  a,  K,  d.  Z.  •,•  P 
ay-toTc  S:  ay'toTc  PV  9  «6ainbon  V  it  CTinnYON  PV       Öioc]  vgl.  Aen.  Tact.  p.  115 

Schoene  [lul.  .\fr,  ('est,  38]  12  cneipAMATA  Die:  chepmata  P\':  coApta  Bue     [uc   haeTcta] 

Br  15  Karx-r-AiON]  vgl,  lul.  Afr,  Cest,  2  16  AktIc  PV:  corr.  Buc  17   vgl.  Aen. 

Tact.  p,  114  fr,  4  [lul.  Afr,  37] 

Phil.-Mst.  Ahh.  i<)li).  Ar.lZ  7 


50 


D 1 1;  L  s   und  E.  8  c  h  r  a  m  m  : 


ACniAUN    KAI    NAnTÄAlON     :'o      EN    BaBYAUNI    riN€TAI 

KAI 

ixeYHPÖN  eAAiON  npöc  t6  *eeipeiN  noAewiwN  eni- 
nopeYoweNCüN   tA  yaata,    kÄn  npoeACüMeeA  kata 

TOYC 
riNOMeNOYC  KINA^t-NGYC  [nPÖc]  TA  MHXANHMATA  eMOI- 
nPANAI  KAI  AA€f«)eiN  TA  BGAH,  INA  *6bON  KAI  *GOPAN 
TAXeJAN      nAPACKEYAZH       ToFc      TITPCÜCKOMENOIC      KAI 

npoc- 

BAAAOYCI    nPÖC    TÖ    TSIXOC. 

(54)    SAN    AE    CAnPA    T^NHTAI    TA 
YAATA,     KPieiNON     €MBAAAeiN    AET    GEPMÖN     \H/    cic 

TOYC    AYO 
XOeAC     diOYC     BEATICTOY     bCON     KYASON     ZSCANTOC 

^rXEAl 
KaI       MST'     OY      nOAYN      XPÖNON      XPHCIMA      riNCTAI. 

(55). Ae?  Ae  kai  tpyhhthpa  xaakoyn  h  kepa- 

MeOYN 
KATACKEYÄCAI    MH    e'AACCON    H    t^ccapac    xupoynta 


90  Nattern,  eiidlicli  Naplitlia,  die  in  Babylon 
gewonnen   \\ii-d,  und  Fischtran,  um  dem 

''  anrückenden  Feinde  das  Wasser  zu  ver- 
dei-ben  und  wenn  wir  bei  vorkommenden 
Gefährdungen  die  Maschinen  anzünden 
und  die  Geschosse  bestreichen,  um  so 
Furciit  und  schnelles  Verderben  den  ver- 
wundeten und  den  die  Mauer  stümienden 
Feinden  zu  bereiten. 

(54)  Wenn  aber  das  Wasser  faulig 
25  geworden  ist,  soll  man  wannes  Gersten- 
bier hineingießen  oder  auf  2  Kannen 
(6.48  1)  I  Becher  (0.045  ')  besten  sieden- 
den Essigs  eingießen,  dann  wird  es  bald 
darauf  brauchbar  werden. 

(55)  Man  muß  aber  auch  ein  ehernes 
oder  tönernes,  durchbohrtes  Gefäß  her- 
stellen (s.  Bild  24),  das  nicht  weniger  als 


Bild    24. 


90,  18  naotäaioc  PV          (8/  Biie:   (h)  Ha  19  icxyhpon  V:    icxypön  P:   corr.  Th 

20    TÄ  YAATA   KÄN    Bue    (vgl.   103,31):    TAYTA    a' AN   PV  KATA    Th:     KaI     PV                      21    [OPÖC]    S 

22  Yna   S:   TINA    PV                23  nAPACKeYAzei  PV  24   ÄAN  AC — 27    riNeTAi   wollte   nach 

iniKOYPiAN   p.  89,  46   versetzen  S              25  KPieiNON]  v  über  on    u.  a.  Rde.  V'"  PV         kpiginon 


OINON  ; 


<H>   Br 


26  zecANTAC  ]*V:  corr.  Br 


28  agT  ae  kt6.]  Aen.  Tact.  fr.  3 


p.  1 1 2   Seh.  [Polyb.  X  44] 


Exzerpte  aus  Fhilom  Mechanik  VTT.  VIII  (II  .33— .3  7;  III  1—2;  p. !)()).    5 1 


MeTPHTÄC.  ^N  U  ZnAPACKeYÄCANTi  Te  *eAAÖN  kaI 
6«nHIANTI  BAKTHPIAN,  fi  TPIAAKTYAA  1cA  MePH 
AlAIPeftAl,      KAJ)      AlArPÄTANTI      ^N      TaTc      Moi- 

PAic   ^CTAi    rerPAMM^NA  TÄAe  •    Nflec  cTtoc   hvaa 

ÖnAA  CTPATIÖTAI  KAI  ÄAAO  ^ÄN  TI  eSAHC 
rPAYAl    TÖN    KATA     nOAlOPKiAN     fl     KATA<[aAHN    TINA 

xPeiAN;    nAPA- 

CKeYAZOM^NWN      Ka)      ^KAeinÖNTCtfN  •      (56)      TOYT(ON 

A^  re- 

rPAMM^NWN  kXk  TETPYnHM^NOY  TOY  TPYnHTHPOC 
"fAATOC  ^KXYe^NTOC  CHWAINeiN  THC  NYKTÖC  KATATAC 

nYPceiAC  eic  ö  Xn   npoAipfl    cTPATÖnsAON   fl   nö- 

AIN  ft  ♦YAAKTfiPION,  COCTG  ^K  AIAAOXHC  i<H- 
KNCTCSAI  öneP  Ot  nYPCOi  AYNATOI  EICIN  CHMAINeiN, 
TINOC     A^ONTAI     Ol      nOAlOPKOYMeNOI '     (57)     AG?    AE 

iu  Tolc 

nPOEIPHM^NOIC  TÖnOIC  ÖMoioYC  KAI  fcA  ^XONTAC 
TPYnHMATA  [kaF]  AAAOYC  TPYOHTflPAC  cTnaI  TÄC 
AfrXc    ^irPA*AC    ^XONTAC    TUN    ÖNOMATUN  ^N  TaFc 

a't'taTc    moipaic,    Yna    AiceÄNH,     ti'na    xpe'iAN    e- 

XOYCIN  Oi  nOAlOPKO+WENOI  CYNO^MATOC  AY^ToIc  ÖNTOC. 

III. 

(1)  TOYTüJN  Ai  nAPECKEYACM^NUN  OPÖ  THC 
MEAAOY'CHC  FEN^CeAl  nPOCBOAfiC  ^OICTÄNAI  AeT 
TÄ  B^AH  TiAnTA  KATA  TOYC  nPOCHKONTAC  ^KA- 
CTU    TÖnOYC. 

(2)  '.  .  .)  KAI  «eiAECSAI  TUN  CTPATIWTÖN  KaItÖN 


90  4  Maß  (156  I)  faßt,  in  doni  (^inan  einen 
Schwimmer  anbringt  nnd  einen  in  3  zöl- 
lige (5.55  cm)  Felder  gleichmäßig  einge- 
teilten Stab  hineinsteckt  und'>  auf  denTeil- 
strichen  folgende  Aufschriften  anbringt: 
Schiffe,  Getreide,  Holz,  Waffen,  Soldaten, 
und  wenn  man  sonst  et\va.s,  was  bei  einer 
Belagerung  oder  zu  ander(>ni  Zwecke  vor- 
zubereiten und  nötig  ist,  einschreiben  will. 
56)  Wenn  dieses  geschrieben  ist  nnd 
man   aus  dem  durchVjohrten  Gefäße  das 

,.     Wa.sser  abläßt   und   des    Nachts   Feuer- 
st 

zeichen  in  ein  beliebiges  Lager  oder 
eine  Stadt  oder  eine  Wache  sendet, 
kann  man  nun  aus  der  Reihenfolge  ent- 
nehmen, soweit  diese  Feuerzeichen  das 
anzeigen  können,   wessen  die  Belagerten 

40  bedürfen.  (57)  Man  muß  aber  an  den 
\'orerwähnten  Orten  andere  gleich  große 
Gefäße  mit  den  gleichen  Bohrungen  haben, 
welche  die  gleichiMi  Aufschriften  an  den 
gleichen  Teilstrichen  haben,  so  daß  man 
dadurch  erfahren  kann,  welches  Bedürf- 
nis bei  den  Belagerten  vorhanden  ist, 
vorausgesetzt,  daß  mit  ihnen  vorher  eine 

45     Verständigimg  getroffen   ist'. 

III. 

(1)  Wenn  dies  vor  dem  zu  erwar- 
tenden Angriff'  vorbereitet  ist,  muß  man 
alle  Geschütze  an  dem  einem  Jeden  zu- 
kommenden Orte  aufstellen. 

(2)  (....)  und  man  soll  die  Soldaten 


90,  30  Lücke  vor  aiappayanti  erg.  aus  Aen.  a.  O.  Die  (vgl.  dessen  Antike  Technik»  S.  8i): 
Lücke  nach  AiArPAYANTi  Br  31  ^ctai]  ^ctu  S  nRec  Die  aus  Polyaen.  \'I  16,2:  n^oc  l'V 
33  fi  KATA  P:  Lücke  S:  erg.  Kaibel :  »quae  ad  obsidionem  aut  praepanita  non  sunt  aut  de- 
fet-erunt"  Th  lat. :  katä  (citoaeIan     Va:    katA  hapackeyac  zhtoym^nun  Bue  35  kak  Die: 

kaI  PV      TETPYnHM^NOY  PV:  nenAHPUM^NOY  Th  mg  36  äkxyb^ntoc  Die :   ^rxYe^NTOc  l'V 

37  Eic  S]Vc<oc  P:  fcwc  V:  corr.  Th  mg         38  ^k]  kai  PV:  corr.  Th  mg     A«iKNETceAi  PV:  corr.  Die 
39  olnEP  verm.  S  41  Tönoic]  to't'toic  PV:  corr.Th  mg     fe'xoNTA  P\'  42  [kai]  aaaoyc  S : 

viell.  KATAAAHAOYC  Die  44  AiCGANH   Die:  AiceANHTAi  PV:  aIcganuntai  S  45    »f.  CYN- 

OHMAToc:   sed   vd.  I^b.  ad  Phryn.  p.  249«  S  47  riNECGAi  S         ^«ectanai   PV:   corr.  S 

49   "KAI  «EiAEceAi — 91,  2  KAiPoTc  ab  hoc  loco  aliena«  S       ctpatiön  V 


'    Siehe  Diki.s,  Antike  Technik.   S.  73. 


52 


Die  LS  und  E.  Schramm: 


nOAlTÜN    UC    «ÄAICTA    KATA    TQ-Vc    riNOMeNOYC    KIN-      90 
AYNOYC    KAI    MH    ^niTP^nelN    AYToTc    ^MOHAÖCIN    61-       5- 
KH        TPAYMATIZeCeAl,       TnA        ÖTAN        H       XPgIa        6-      91 
XHC      TOYC       KINAYNe-r'CNTAC      SN      ToTc       KAeHKOYCI 
KAIPolc. 

(3)     (.    .    .>.    MGTA    A^   TAYTA    (nPÖc)   TOYC  [mEn] 

neTPOBO- 
AOYC    6pe(üc    e'xei    täc    ök    tön    «coinikun    canI- 

AAC      CYNAHCANTAC      KATAKPSMAcAI      HPÖ      TOY      Tei-  S 

xoYc    (icxYPAi    rÄp    eici    kai    AYce^nPHCTOi),    e- 
neiTA  maaapmata  npö  aytcon  (,  h>  äaahaaic  eni- 

bAaAONTAI,     TnA     MH     AI      CYNAPTHC6IC      AYTÜN     AIA- 
KÖnTUNTAI  YnÖ  TUN    BeAÄN  '    (4)   ft   SK  TÖN   CXOINiuN 
nAeiANTAC      AiKTYA       KAI       <t>YKOYC       eMHAHCANTAC        '° 
KATACnÄN.  (Ö)  ÄNUeSN  a'eK  TUN  eKKEIM^NCON  J-^AMN 

AI   ÖPMICTHPIAI   AeAENTAI   Tü)N    CAnIaCüN    KAI  TUN   MA- 

AAr/AÄTUN  ■      AEPPeiC      AB     AGI      nPÖ      AYTÜN      KATA- 

nSTACAl,   TnA    MH    YnÖ    TÖN    BEAUN    Ol    AECMOI    ÄHO- 

KÖnTUNTAI.      (6)      ANeiCTANAI      AS      XPHCIMON      HPÖC        15 

e'KACTON 

AYTÄN  A-fo  AGKAMNAIOYC  AieOBÖAOYC.  OYC  AEI  WETA- 

*ePeiN     OY     AN     KAI     Ol     nOASMIOl     KINCÖci     TINA     TÖN 

neTPOBÖ- 

AUN,  YnA  an   A^NH   ÄNTA*eiC  CYNTPIYHC  nATÄlAC  TO 
OPrANON. 


und   die   Bürger   soviel   als  möglich  bei 
den  eintretenden  Gefahren  schonen  und 
ihnen  nicht  erlauben  auf  gut  Glück  dar- 
aufloszustürmen    und    dabei    verwundet 
zu   werden,  damit,  wenn   Not   an  Mann 
ist,    es    nicht    an    Leuten    fehle,   die   ihr 
Leben  im  richtigen  Zeitpunkte  einsetzen. 
(3)  (...)  Danach  ist  es   richtig,  ge- 
gen die  Steinwerfer  die  Palmenholztafeln 
/Aisammenzufiigen    und    vor   die    Mauer 
heiab/.uhängen,  denn  sie  sind  stark  und 
uiiveibrennlich,    alsdann    vor   diese,   wo 
sie    aneinandertreflcn,  Schutzkissen,    da- 
mit nicht  ihre  Verbindungen,  von  den  (!e- 
schossen  durchbrochen  werden.     (4)  Odei- 
man  soll  aus  Binsen  Netze  flechten  und, 
mit  Seetang  gefüllt,  herablassen.     (5)  An 
den    oben    vorstehenden    Hökern    sollen 
die  Seile  angekiu'ipft  sein  für  die  Tafeln 
und  Kissei\.    Vor  ihnen  soll  man  Häute 
herabhängen,  damit  nicht  die  Verbindungs- 
taue  durch   die  Geschosse  abgeschossen 
werden   können.      (6)  Es  ist  ai»er  prak- 
tisch, einem  jeden  (Geschütz)  von  ihnen 
n;egenüber     2     zehnminige     Steinwerfer 
aufzustellen,  die  man  dahin  bringen  muß, 
wo  gerade  die  Feinde  einen  ihrer  Stein- 
werfer  in  Bewegung  setzen,  damit  man 
durch  Gegenschüsse,  wenn  möglich,  das 
Geschütz  trifft  und  zertrümmert. 


1-.  500 
Bild  25. 


91,  2  exH   PV  3  <npöc>  Ca         [wen]  S  3.  4  hypoböagyc  R         '     6.  7  ^ni 

TÄ  PV:  corr.  TIi  7  npöc  V       <h>  nach  p.  99,  28  Br  10  <i>ykoyc  Wesseling    zu 

Diod.  XVll  45;  vgl.  99,  24:    *YAAKOYC  PV:  byaakoyc  R  12  aiaentai  »ligantur.  Bue 

15  ANICTANAI  PV:  corr.  Gra  17  oy]  01  Gra  1.  c.  17.   18  nerpsÖAUN  V  18  ay-- 

NANTAi  <t>^ic  V:  AYNHTAi«eTc  P:  corr.  Buc:  A-t-NH  A*eic  Gra  1.  c.       cyntpIth  PV:  corr.  Gra  I.e. 


Exzerpte  aus  Philons  Mechanik  VII.  VIII  (III  2—9;  p.  90.  91). 


53 


(7)  npöc  Ae  TAC  «eTAAAerceic  Öryktgon  ecTiN    91 
Ana  w^con  toy  reixorc  kai  nporeixicAiATOc  ikanhn     jo 

TÄ*PON  ICHaIkHN  KATA  BÄ90C  TUN  eEMeAlUN  TÖ  KATA 
rfiC,  YnA  »ANEPoi  riNÖMENOi  Ol  YnOP-r'TTONTeC 
^AAIUC  AIA»eAPfflCI  KAI  MHK^TI  TU  Teixei 
nAHCIAZWCIN. 

(8)  nPÖC  A^  TAC  CTOAC  kai  TA  «HXANIHMATA  <(eic)       25 

cuaAna  Xnö  TOY  ^NAoeeN  mhxanhmatoc  A 
nt-proY  äktao^nta  ^mb^aabin  Sco  tpitaaän- 
TOYc     AieoYC-    (9)     ^n'    ^cxAtu    ae    ö    cuahn 

^X^TU    €KA- 


(7)  Für  das  Suchen  nach  Minen  ist 
in  der  Mitte  zwischen  der  Mauer  und 
dem  Vorwerke  ein  hinreichend  geräu- 
miger Graben  von  gleicher  Tiefe  wie 
das  Fundament  in  der  Erde  auszuheben ' 
(s.  Bild  25),  damit,  wenn  die  Mineure 
zum  Vorschein  kommen,  sie  leicht  ver- 
nichtet werden  und  sich  der  Mauer  nicht 
nähern  können. 

(8)  Gegen  die  Schutzdächer  und  die 
Belagerungsmaschinen  soll  man  auf  einer 
aus  der  im  Inneren  befindlichen  Maschine 
oder  ans  dein  Turme  hei  ausragenden 
Hinne  dreitalentige  Steine  hineinwerfen 
(s.  Bild  26).  (9)  Am  Ende  soll  die  Rinne 
beiderseits     in    Scharnieren     bewegliche 


\ 

m 


150 


Bild  26. 

91,  19  in  V  am  Rande  V"  Zeichen  der  Verderbnis  (zu  Z.  i8)  np6c  a^  —  24  nAHCiAZUCiN] 
vgl.  Anon.  Byz.  XIII  8  Koechly:  Aen.  37,  i  p.  loi,  i  ft".  Seh.  20  kaI  <(toy)  np.  Ca  21  ich- 
AiKON  K.  B.  PV:  (4AiK0N  ^CTi  TÖ  B.  Ca  eeMEAitoN  V:  MSAIUN  P  Td)]  TÖ  P V :  corr.  Br  nach 
An.  Byz.  a.a.O.  22  »f.  reNÖweNOi«  Br  25  [kaI  tä  mhxanhaaata]  (^c)  S  26  cwaAnai 
PV:     »kwc  CWAHNA-   R        Anö  toy]  Xnö  toy  verrn.  S 

'  Dieser  wurde  die  rückwärtigen  Verbindungen  empfindlich  stören,  deshalb  ist  er 
wohl  im  3.  (äiißereten)  Graben  ausgehoben,  s.  Bild  25;  s.  auch  Aeiieas  Tart.  c.  37 
YnoPYCCÖNTWN  TNÖcic  kaI  k6aycic. 


54 


D  I  E  L  s   und  E.  Schramm: 


TEPCoeeN      nrrAYMUTAC     canIaac     cvrKAeiOMeNAC    91 

KAACüAioiC,        Sn       XAAACeeNTWN       KAI        nieCeEICÄN        30 

TÖN  canIaüjn  ÖAiceHPÖc    0  Aieoc)  ^ninece?TAi  ^ni 

TÄC  CToAc- 
KAI  nAAlN  TUN  KAAUaIcüN  CYrKA€ICe^NTUN  [bAOC 
Ö    AieOC]    TAYTÖ    eCTAI- 

(10)    (iCA-fTUC    AS    ÄnÖ    TUN    MH- 

XANHMÄTtüN     KAI     AHÖ      KGRAIMN      AlBOYC      MericTOYC 

A<t>leNTAC  KAI  Tofc  nSTPOBÖADIC  ANW   BÄAAONTAC  ToTc       35 

nAAlNTÖNOIC  KAI  ToTc  «ONArKÖCI,  AIÄ  AE  TÖN   KATA- 

lYPUN    BYpIaUN    TUN   TAAANTIAIUN    AiSMN    KATU    Ä- 

«leNTAC  neiPÄcoAi  AiAKÖnTeiN  tAc  6po<t>Äc-  (11)  ^k  ab 
TUN  eni  TH    CTerH    kgi/agnun    kata  MeTunoN    T-r-- 

nTONTAC    (fi> 

^K   TUN    nAAriuN    katabAaasin    aytAc.    (12)    ÖÄN     40 

AG    UCIN    iK 

reppuN  nenoiHMENAi,  kai  toyc  nYPO*6poYc  efc  ay- 

TAC    X*eTNAI  ■     KAIPÖN    AS     AABUN     eKneWYAC     CTPA- 

tiutac    eMnPHCON.    (13)    eAn    ag    ucin    öpyrta!, 

YACOP   eA- 

aAcCHC     ANeC    6IC    AYTAC     To'lC     nePlAKTOIC    TPoxoTc 

(h)    eAn    aaaon    tinA     aynh    Tp6noN,    kai    tu     45 

eNETHPI  KAI 
ToTc  neXPOBÖAOlC  ANUeSN  TYHTONTAC  KEAeYeiN  AiA- 
KÖnTeiN   TAC    ÖPO*Ac    AYTUN. 

(14)  npoc  AC  tA  mhxanh- 
«ATA  otan  errvc  h,  kai  toyc  kpioyc  kaI  tAc  enisA- 
ePAC     nPuTON     MEN     katA     toyton     tön    TPÖnON 

eOAPAl  TÖ 
TSTXOC   (mh)   KAeeAÖNTAC   toyc  nPOYnAPXCNTAC   50 

nPOMA- 

xuNAC,  Aaa'  en'  aytun  thn  oikoaömhcin  nenoiHw^- 


Brettcr  haben,  die  durch  kleine  Taue  zu- 
sammengehalten werden.  Läßt  man  diesi- 
locker  und  werden  die  Bretter  auseinander- 
gedrückt, so  wird  der  Stein  hinabgleitend 
auf  die  Schutzdächer  fallen.  Wenn  dann 
die  Taue  zusammengezogen  vvei-deii,  wird 
es  wieder  so  sein. 

(10)  Ebenso  soll  man  aus  den  Ma- 
schinen und  aus  Kranen  sehr  große 
Steine  werfen  und  mit  den  Stein- 
werfern, den  Palintonen  und  Einarmen 
aufwärtsschießen,  durch  die  schrägen 
Schai-ten  aber  eintalentige  Steine  abwärts- 
werfen, um  das  Durchschlagen  der  Schutz- 
dächer zu  versuchen.  (11)  Aus  den  auf 
dem  Dache  befindlichen  (Geschützen)  soll 
man  dieselben,  sie  in  der  Front  oder  von 
der  Seite  treibend,  zusammenschießen. 
(12)  Wenn  sie  aber  aus  Hutengeflecht 
gemacht  sind,  soll  man  auch  die  Feuer- 
lanzen  gegen  sie  abschießen :  erfaßt  man 
aber  eine  günstige  Gelegenheit,  so  schicke 
man  Soldaten  aus,  um  sie  in  Brand  zu 
stecken.  (13)  Wenn  aber  Ausschach- 
tungen vorhanden  sind,  soll  man  Meer- 
wasser hineinlassen  durch  die  (Schöpf-) 
Räder  oder  wenn  man  es  auf  irgend- 
eine andere  Weise  tun  kann;  auch  soll 
man  Befehl  geben,  mit  dem  Elamnien- 
werfer  (Ülspritze)  und  den  Stt'inwerfern 
von  oben  darauf  schießend  die  Dächer 
dei-selben  zii  durchbrechen. 

(14)  Gegen  die  Belagerungsmaschinen, 
sobald  sie  nahe  herangekommen  sind, 
und  die  Widder  und  die  Stnrmbrücken 
soll  man  zuerst  auf  folgende  Weise  die 
Mauer  erhöhen :  Man  nehme  die  vor- 
handenen Brustwehren  nicht  weg,  son- 
dern    baue    darauf    weiter,    stelle    noch 


91,31   öaicshpöc      ö  Aieoc)   Die:  Oaicghaoc  P\' :   am   Rande    Aieoc    l'V   (die    hierher  ge- 
höi'ige'  f!il>che  Variante   öaoc  ö  Aieoc    ist   verschlagen    nacli   Z.  32.  33):   ö  Aieoc  Br:    Ö  Äieoc 

ÖAOC    Blie  32    TUN    K.       CYNTAeeNTUN    KAI    TUN    CANIAUN  -     CYrKAEICeeiCÜN    Unnötig    Br         [ÖAOC 

ö  Aieoc]  Br:  AAAOC  A.  I{o  ;}2  taytö  Br:  toyto  l'V        34  Anö   ^TUN'    k.  ("a        36.37  kata- 

iiHPUN   PV:  eorr.  Mi  vgl.  80,  12  37   tun  taaantiaiun  AieuN  PV:    tön  taaantia?on  aigobö- 

AON  Br  39  th]  t  aus  CT  cori'.  V  tyrtontai    PV  <^h)  Die  41   reppuN   Bue: 

TiYPPUN   l'\':  SYAUN  Th         45   (fl)  S       sAn   (mh)  aaaon  Th  mg         46  KeAere  S         49  tp6- 
noN   PN':  TÖnoN   IJo  50  (mh)  Ro:     oy>   Ca  51    thn]  aaahn  Th  mg 


Exzerpte  aus  Philons  Mechanik  VIT.  VIII  (III  9—  IS;  p.  Ol.  !)2).         55 


NOYC    KAI    AAAOYC    ÄNCdSeN   KATACKEYACANTAC   KATA- 

CTeroN  noiHCAi  ta-i-th  tö  TeTxoc,  bnuc  an  YnÄp- 
> 

xuci  Te  AinAO?  npöc  thn  xpeiAN  ■  kaT    bnuc,  äan 

[npöc] 

TflN    ÄniBAePAN    dniBAAAUCI,.   KATUeEN     PAAl'uC    AIA 
TÖN  nPOMAXÜNUN   ^/"inPHCUMEN  AYTHN,    AN  TB  TO'Y'C 

XNueeN  npoMAxöNAC  XnoKÖnTuci,  kpioyc  kai  bpö- 
xoYC    npocAroNTec   iK   tun    kata    toyc    <kätu - 

nPOMAXÖNAC    ÖN- 
TMN      AIACTHMATOJN      eYXCPÜC      (nA)TÄl(i)WeN      AY- 

TO-f'C  •    (15)    ^K- 
TPYTIHCANTeC    ^aI)    [a'V'TOYC]    TAYTH    KAI    TÖ  TcixOC 

kata  toyc 
apmözontac    tönoyc,    kopwov'c    katackeyäzumcn 

katA 
TAG  eYPJAAC  neprrp^xoNTAC  ka'i  tu   kpiö  tö   Xn- 

TICKEYACe^NTI      TOYTOIC     TYnTONTCC      ANCüGeN      THC 
^CXAPACTÖ  «HXAnHMA  kai  tön  KPIÖN  KAITÖTPYnANON 

ka'i  tön  köpaka  ka!  6  an  npocÄruci,  cYNTPiauMCN 
XxAA^nuc-  (16)  Ai  AE   nepi«epe?c   aoko'i    toytmn 

CNCKA 
HAÄriAl      nAPÄ      TÄ       ÄKTPVnHMATA       Tl'eeNTAI,      Tn' 

eyxepüc  ö  kpiöc  SiueeN  Te  ka!  oaain  ScueeN  hapa- 

AAMBÄNHTAI       nePITPeXÖNTOJN      TÖN       KOPMÖN      THN 

KINHCIN 

önoiAN  OYN    Noeic.   (17)  katackeyact^a    t^  ^ctin 

AYTÖ  KPIÖCTA- 
CIC  ÖC  AC*AAeCTATH  HPÖCTÖ  TOYC  (ieOYNTAC  AYTOYC 
KAAÜC    BEBHKÖTAC    4)0    C*0AP6tATA    CYNTeAcFN    TAG 

nAHrÄG. 

(18)      XNTOIKOAOMHTdON      Te      eCTI      KAI      TAYTH 

TPirCüNON 
Te?XOC    (6G0))    TÖ     ^«BOAON    SXON,     Al'    OY    SYPIAeC 


92  iindeie  darauf,  und  überdecke  also  die 
Mauer,  damit  sie  im  Bedarfsfalle  dop- 
pelt vorhanden  sind  und  wir,  wenn 
sie  die  Slurmbiiicken  überwerfen,  diese 
leicht  von  unten  her  durch  die  Brust- 
5  weliren  anzündeu  köuuen,  wenn  sie  aber 
die  oberen  Brustwehren  abkämmen,  wii' 
aus  deu  btü  den  unteren  Brustwehren  vor- 
handenen Zwisclienräumcn  Widder  und 
Schlingen  vorbringen  und  sie  dann  leicht 
abschlagen  können,  (15)  damit  wir  hier 
ferner  an  den  passenden  Stellen  die 
Mauer    durchbohren    und    Hollen    darin 

■o  anbringiMi  können,  die  in  den  Scharten 
herumlaufen,  und,  indem  wir  mit  dem  Ge- 
genwidder oberhalb  oes  Gerüstes  stoßen, 
wir  un^cliw(>r  die  Maschine,  den  Widdei-, 
den  Mauerbohrer  und  den  Raben  ■  und 
was   alles  sonst  noch  vorgebracht  wird, 

'5  ohne  Mühe  zerstör<'n  können.  (16)  Die 
rollenden  Balken  wei-den  deshalb  ((uer 
in  die  ausgebohrten  Löcher  gesetzt,  da- 
mit der  Widder  leicht  von  außen  nach 
innen  und  umgekehrt  gebracht  werden 
kann,  weil  die  Hollen  in  der  gerade 
beabsichtigten  Richtung  sich  drehend  be- 
wegen.      (17)    Ferner   muß    füi'   ihn  das 

Widderge-stell  so  sicher  als  möglich  ge- 
baut werden,  damit  die  Stoßenden  selbst 

feststehen  und  so  die  Stöße  mögliehst 
wuchtig  ausführen  können.  (18)  Ks  soll 
ferner  an  dieser  Stelle  auch  eine  drei- 
eckige Mauer  als  Gegenweiir  errichtet 
feKAT^PueeN  werden,  die  (nach  innen)  die  Spitze  hat 


92,  «  nATASEumeN  .S:  tA£ü)«€n  RV       ayto-i'c  S  (vgl.  Z.  9):  aytön  P\'  9  (ag)  S       [ay- 

TOYc]  Korrektur  zu  Z.  S  tilgte  S  10  KATACKeYÄzoweN  Bi-  12   toytoic  Die:  TcfTu  l'V: 

TAY'TH  S  14  KAI  GAN    l'\' :  corr.  lUie  14.  15   CYNTPiBUA'.eN  AXAA^nuc  Die:  cyntpibömgna 

xAAenöc  PV:  cYNTpisoMeN  AXAA^nuc  Tli  17  ^lueeN  Te  V:  ^lue^NTec  R  17.  18  nepi- 

aambAnhtai  RV:  coit.  S  19  noiANOYNNOe,  über  oe   ;  ,  ebenso  am  Rande  RV:  corr.  Die: 

onoiANOYN   Noe?  Gra:  önoiAN  gyn  Aef  Bue:   noio-i-NTWN  agIan  S         aytö  'Tö)  kpiö  gtacic  Bue 
21   c«oapotatac  R  23  /^cci)/  Die       ^mböaoy    (cxhma)  ^xon  Mi       eYPiAGc  Br:  hyaIagc  V: 

noAiAec  P 


'    KÖPAZ   ist  entweder   idenli.sch   mit  t^panoc   oder  ein  JFauerbrecher   mit  Spitze. 
die.se  in  die  Fusjen  zwischen  die  Steine  z«  stoßen  und  die  Steine  auszuwuchten. 


50 


D  I  E  L  s  und  E.  Schramm 


lüld  27. 


eiciN  OYK  ÖAirAi   noiHT^Ai   np6c  tö  ^an    necH  tö    92 

M€TAnYPriON  TAYTH  TOYC  BAAl'zONTAC   eCUeSN  TPAY-       25 

MATlzeceAi  eic  ta  nAÄriA  -rnö  le  tön  bgaän  kaI 

TÄN  CTPATIWTÖN,   GTI   AE  YnÖ  TüJN  nOAlTÖN.  (19)  AG? 

AE  KAJ 
BÄAAelN  iK  TÖN  KAPBATiNUN  aIgOIC  COC  «EricTOIC 
TOYC    nAHCIAZONTAC    TÖ    Teix€l. 

(20)    ikn    Ai    Tl    TOY    TeixOYC 

fi  TÖN  nYPrUN  ÄAicKHTAI,  ÄnOCnACTEON  Te  ^CTIN  THN       30 

TAxicTHN      TÄC      nPUTAC      6P0*ÄC      KaI      TÄC      KAOAI- 

peceic    ÄNAipeTeoN    Aooikgaomhcanta    tac    eka- 


(s.  Bild  27).  In  ilir  sind  zahlreiche  Schar- 
ten,' auf  beiden  Seiten  anzulegen,  da- 
mit, wenn  die  Kurtine  fällt,  die  dort 
Vordringenden  von  innen  her  in  den 
Flanken  verwundet  werden  von  den  Ge- 
schützen und  den  Soldaten  sowie  auch 
von  den  Bürgern.  (19)  Ks  soll  aber  auch 
;iu.s  den  Schutzhäusern  mit  möglichst 
gi-oßcM  Steinen  auf  die  sich  der  Mauer 
Nähernden  geschossen  werden. 

(20)  Ist  aber  etwas  von  den  Älauern 
oderdenTürmen  genommen, sollen  schnell 
die  ersten  Dächer  abgerissen  und  das 
Xiedergerissene  davongetragen  werden, 
um  zum  Vermauern  der  Pforten  der 
beiderseits  befindlichen  Türme  venvendet 


92,  24  noiHTeoN  l'V:  corr.  S         necH  IIa:  nom  l'V:  noNH  Th  mg  27  ETI  ae  ^kai) 

YnÖ  H  28  KAPBATINÖN  Schneider  Lex.  s.  v.  wie  101,32  :  kapbatkänüjn  PV  30  aaicketai  PV 

31.  32    KAeAiPeceic]    katabAceic  Gra  II  p.  189 


Exzerpte  aus  Philons  Mecfwmik  VII.  Vlll  (III  78—28;  p.  !)'2.  fh'i).       57 


92 


TepweeN  oycac  (nVAiAAc)  tCn  nv-pruN-  (21)  tac 

AS   npöc   TÄ 

weconYPriA  eccoeeN  vnAPxoYCAc  KATAAeinreoN. 
Yna  ixuneu  toTc  nvproic  tayth  aoHeoYNTec  Kiei- 

NeiN    TOYC    BIAZOM^NOYC    AYTOYC.    (22)    TOYTOY    AE 

reNOMeNOY 
TAXY  nÄNTec  AnoAOYNTAi  Ol  Xnabantgc  ^ni 
TOYC  n't'ProYC  in  tö  weTAnYPnoN  [tö]  TYnröweNoi 

Tofc 
BeACCI    KAI    OYK    ^XONTeC  OYAAMfl  AnOXUPfiCAl  AAa' 

fi  efc  TÖ  önico)  .häain  ^pruAÜc. 

(23)  ^nieeT^ON  ag  ecTi 

KAI  TaFc  KAeHKO+CAIC  HPÖC  TÖ  Te?XOC  OIKIAIC  npo- 
«AXWNAC  KAI  TOIC  XM'tÖAOlC  fiKAT^PWeeN  OYAAC 
KATACKeVACT^ON  KAI  EK  TWN  HAArluN  ToixUN  OHAC 
nOIHT^ON,  Al'  (ON  ToTc  TE  XkONTIOIC  KAI  TA?C  ZIBYNAIC 


KAI  T0?C   BOYnÖPOIC  OBCAiCKOIC    ^CTAI  TY-nTCIN  SIC  TA       45 

HAAriA  TO'v'c  eic  tä  Xm»oaa  biazomenoyc  •  (24)  ka'i  tac 

feCTAM^NAC  OIKIAC  nPÖC  ToTc  eY-PYXäPOIC  KAI  Tolc  ÄM- 
♦ÖAOIC  ^rnZOY'CAC  ÖMOIWC  KATACKCYACTeON  ECTiN. 
(25)    KAI    KATÄ  TÄC  TIMHCeiC  TÖN  OIKI&N  AiJ>OPICT^ON 

ÄCTIN, 

bcAC  Te  AÖrxAC  ka'i  Toie-r-MATA  npuCHKON  cTnai  ka'i     50 
AieoYC  MerAAOYC   ka'i  xeiPonAHeeic  kao'  äkäcthn 

OIKJAN  ■    (26)     AHMOcIa     TC     eic     e'KACTON     AM*OAON 

AOT^ON    ^CTIN 
AieOBÖAON    AeKA    MNWN     KAI    KATAHÄATAC    A't'O    TPI- 

cnieÄMOYC  •  (27)    ka'i   to?c   mh  kckthm^noic  öhaa 

MHA€    AY- 

NAAt^NOIC     [ka'i     WH     AYNAM^NOYC]    KATACKCYÄCACeAl 

ahmoci'a    AOT^ON    ÄCTIN. 

(28)   ^kkoitiac  Te   ka'i   ^«oagIac  tac  npocH- 

KOYCAC    nOIHT^ON. 


7.11  werden.  (21)  Dagegen  die  von  iiiiien 
her  durch  die  Kurtinen  liihrriiden  soll 
man  lassen,  damit  wir  den  Türmen  Hilfe 
bringen  und  die  sie  Ei-stürmenden  töten 
köinien.  (22)  Ist  das  geschehen,  werden 
schnell  alle,  die  auf  die  Türme  odi-r  die 
Kurtinen  gestiegen  sind,  umkommen,  da 
sie  dm'ch  die  Geschosse  getroifen  werden 
und  m'rgends  die  Möglichkeit  haben,  aus- 
zuweichen, außer  durch  einen  schwie- 
rigen  Hück/.ug. 

(23)  EssindfernerBrustwehren  anl'den 
an  die  Stadtmauer  anstoßenden  Häusern 
zu  bauen,  und  an  den  Straßen  sind  bei- 
derseits Tore  anzulegen  und  in  den 
schrägen  Mauern  sind  Löcher  zu  machen, 
durch  die  i-s  möglich  wii'd,  mit  den  Wurf- 
spießen und  den  Jagdspießen  und  den 
Ochsenspießen  die  in  die  Straßen  \'oi- 
dringendiMi  in  die  beiden  Flanken  zu 
tri'ffeii.  (24)  Auch  die  an  den  Plätzen 
stehenden  und  den  Sti-aßen  benachbarten 
Häuser  sollen  ebenso  ausgerüst<'t  werden. 
(25)  Weiter  ist  bei  der  Steuerveraidagung 
der  Häuser  zu  bestimmen,  wieviel  Speere 

50     und  Geschosse  sowie  große  und  .Sehleu- 
derst<'inc  in  jedem  Hause  vorhanden  sein 

93  müssen.  (26)  Auf  .Staatskosten  sind. jeder 
Straße  i  zehnniiniger  Steinwerfi'r  und 
2  drei.spithamige  Katapalten  zu  g(;ben. 
(27)  Un<l  deiH'ii,  die  keiru'  Watfen  be- 
sitzen und  sich  auch  keine  beschaffen 
können,  mi'issen  s-ie  auf  .Staatskosten  ge- 
liefert werden. 
5  (28)    Ferner    sind   .N'achtwarhen    und 

die  nötigen  lionden  zu  machen,  wobei  man 


tä  Ae   l'\' :   coi'r.  Th 


34  econYPriA  I'V         ecueeN  stellen 


36   ^^eic  .  AYTOYC  nach  p.  92,  46  (93,28)  95.  12  S        riNO- 


9t,  33     (nYAlAACy    S 

\i)r  ^ConVpriA   I'V:   rorr.  Die 
M^NOY  I'V:  coiT.  Schramm  37  AnoTeAOYNTAi  I'V:  corr.  Th  mg  38  tö  TYnTÖMCNON 

I'V:  corr.  Gra  41   oikIac  V  47  fecTAM^NAC    Die:  ictam^nac  I'V  »f  taic  cypyxcü- 

piAic   E.  Cartius,  doch  vgl.  .\en.Tact.  2.2,67  50  opocAk  on    ei  nai)  Die:  npöCHKei  l'\': 

nPoci^Kei     cTnai,    Va 

93,2    AeKAMNOYN     Ha    wie    p.  95,17    TeTPÄMNOYc:     doch     vg 
3.  4  «HAE    AYNAW^NOYC    I'^' :    corr.  Die:    -f.  mha'  X  Ae7  ÄMYNOweNOYC"    Bue 

AYNAM^NOYC]    Die  :    KAI    «H  AYNAM^NOIC  .S 

mi.-Mst.  Abh.  1!)19.  Ar.  12. 


p.  51.  36.  49.    9t,  16 

4  [kai    «h 


58 


D  1  K  h  s  und  K.  Schramm: 


{^n)  aTc  xphcontai  iyainoic  aamothrcin/ina  Ynö 

ToVc  nö- 

AAC  MÖNON  *AiNü)NTAI  KAI  MH  KATA*ANeTc  nOIÖCI  TOYC 

^■UOAeYONTAC    TOTC    YnSNANTioiC.    (29)     TOYTOIC     AS 

KAI  ToIc  A«- 
«OAÄPXAIC  CYNeHMATA  KAI  YnOCYNGHMATA  HAPA 
TÖN    CTPATHräN    AIAOCSAI    AsT,  t6  MEN   «(ONHEN,  TÖ 

Ae   A<I>CO- 

NON- 

(30)  AeT  AE  KeKAeTcGAi  tac  hvaac  KAeÄnep 

KAI  TAC  THC 
nÖASUC    KAI    TAC    TÖN    ÄM<t>ÖA(üN,  Tn'  iku   TINCC  TÖN 

noAe- 

witON    NYKTÖC   H   HMCPAC    eWBAAÖNTCC    SIC  THN  HÖAIN 

nAPeMn^cuciN    kaI    kataa^buntai'   tinac   TÖnoYc, 

nPßTON    WeN   ToTc   KATAOAATAIC   KAI  TOIC  AieOBÖAOlC, 

e'Ti  A^  /to?c)  ToieiwACi  kai  to?c  Aieoic  nÄNToeeN 

TYRTÖMC- 
NOI  KAKA  nÄeCOCIN,  «€TÄ  AC  TAYTA  eK*OITd)CI  Ka'i 
BOHeßCIN  o\  HOaTtAI  KAI  CTPATIÖTAI  ÄK  TÖN  SKKOI- 
TIÖON  KAI  Tü)N  AM*ÖA(i)N  CYNTeTATM^NOI  KAI  HrCMÖNAC 

exoNTec  ^niTieÖNTAi  (tc)  toTc  noAewioic  ötan  Yno- 

AAMBANWCI    KAIPÖN   cTnAI,   KAI   ^AN  Tl   AIAC*AAAUNTAI, 

exwciN  eic  Äc^aaec  AnoxcopeTN  ^xöntun  tön  am- 
*6aun  n-t-AAc  •     (31)    oY  Te  oaTaec  kai  ai  aoyaai 

KaI    AI    TYNaTkCC    KAI   AI  HAPeENOI  TYnTWCIN  AHÖ  TÖN 
CTETÖN    KAI    nÄNTEC    Sci    KATA    THN    nOAlN    ^NEProi. 

(32)  öpeöc 

a'   EXei    KAI    KATA    TINAC    TÖnOYC    ENAOeEN    ANTITA- 
*P£YEIN  KAI  KPYnT£INTAcTA<f>POYC,YNA^AN  OECÖNTOC 


93  liölzcriK'  Stocklatcnieii  g(3brauclieii  soll 
zu  flein  Zweck,  nur  das  Nächste  vor  den 
Füßen  zu  beleuchten  und  nicht  die  Ron- 
dengängerdemGegncrsichtbarzu  machen. 
(29)  Diesen  und  den  Straßenkomman- 
danten muß  der  Feldheir  die  Losung 
'°  und  Nebenlosung  mitteilen,  die  eine  durch 
Worte,  die  andere  durch  Zeichen. 

(30)  Die  Tore,  sowohl  die  der  Stadt  als 
auch  die  der  Straßen,  müssen  verschlossen 
gehalten  werden,  damit,  wenn  irgend- 
welche Feinde,  nachts  oder  tags  in  die 
Stadt  eindringend,  eingefallen  sind  und 
einige  f)rte  bereits  erobert  haben,  diese 
zunächst  von  den  Katapalten  und  Stein- 
werfern sowie  von  den  Geschossen  und 

■  5  den  Steinen  von  allen  Seiten  getroften 
werden  und  schweren  Schaden  leiden, 
dann  aber  auch  die  Bürger  herauskommen 
und  zu  Hilfe  eilen,  ferner  die  aus  den 
Nachtwachen  und  den  Straßen  kommen- 
den Soldaten  sich  in  Reih  und  Glied 
ordnen  und  'unter  ihren  Führern  die 
Feinde  angreifen,  wenn  sie  glauben,  daß 

=°  es  der  richtige  Augenblick  ist.  falls  ihnen 
aber  etwas  fehlschlägt,  die  Möglichkeit 
haben,  sich  auf  sichere  Orte  zurückzu- 
ziehen, vorausgesetzt  nämlich,  daß  die 
Straßen  Tore  haben ;  (31)  damit  ferner  die 
Kinder  und  dieSklavinnen,  die  Frauen  und 
Jungfrauen  von  den  Dächern  herab  kämp- 
fen und  allesamt  für  die  Stadt  tätig  sind. 

•'5  (32)   Richtig  ist  es  auch,  an  einigen 

Stellen  innen  Gegengräben  anzulegen 
und  diese  gut  zu  verdecken,  damit,  wenn 
die    Feinde    nach   Fall    der  Mauer  ein- 


93,6  <^n)  Ca      AAwnTHPciN]  vgl.  Aen.  Tact.  26,3.   11 70  9  kai  nAPACYNeHWATA  -t-nö 

Gra  nach  Aen.  Tact.  25,  1145:  doch  s.  p.  93,41.  44  11   KEKAekeAi  Nissen  Pomp.  Stud. 

p.  505 :  KAI  KAeiecGAi   PV  13  ÖMBÄAAONTEC  PV:   corr.  Nissen  14  nAPEMnecuciN  V: 

nAPAn^MncüCiN  P  16  (toTc)  Br  17  KAKonAeöciN  Br  18  kai  fehlt  P  20  dnirieeN- 

TAi  ToTc  PV:   cori-.  Nissen  21  kaipöc  P  23  6'  te  V         01  aoyaoi  Hereher,  aber  die 

Sklaven  werden  unten  verwendet:  vgl.  Diod.  20,84,3  24  TYnTONTEC  PV:    corr.  Nissen 

CTETNÖN    PV:    corr.  R 


Exzerpte  aus  P/dlons  Mechanik  VII.  VIII  (III  28—38;  p.  93). 


59 


TOY    TeixOYC    eiCBIAZUNTAI    Ol    nOA^MIOI,    nOAAOi   A\ 

ArNOiAN  A'YTÖN  «eeiPaNTAi.  (33)  aeT  aä  ka'i  thn 

TAXiCTHN 

kas'    ö  ^Nn^cH  TÖ  Telx»":  xapaka  eeMeNovc   kaI 

«OPMOYC  rflc  ^MHAHCANTAC  nPOTeixiC/>^A  KATA- 
CKeYÄCAI. 

(34)   ka'i  OiC  AN  AniCTHC  TüJN   CTPATIWTCüN  H  TÖN 

noAiTÖN,   öpeöc    fxei    MeiAAAACceiN   aytön    täc 

ÄKKOrriAC  KAI  TÄC  *YAAKÄC  KAI  WH  EIAfiNAI  AYTOYC, 
KAO  ÖN  TÖnON  <1>YAA£0YCI  TO  TelxOC,  VnA  MH  AY- 
NUNTAI  nPOAOYNAI  TO?C  nOAewiolC  THN  nÖAIN .  (35)  «e- 

taaaakt^on  a^  noT'  ^cti  ka'i  tä  cynohmata, 

VnA    ^ÄN    tön    ^NAOe^N  TIC    KAKOYPrwN   TO  CYNSHMA 

AÜ    Tolc    noAeMioic   h   aytoi    .  ^aytoyc^     nyktöc 

YnOTÄ-EANTCC  TU 
Tcixei  AABCOCIN,  AXPelON  AYTOTC  H  r€NOM^NHC  TftC 
«CTAAAArflC.  (36)  TA  <^a')  YnOCYNeHMATA  A»<ONA  aI- 

AOTAI  np6c  TO-rTttf  (Tna)  KÄN  AkO'T'CWCIN  Ol  nOA^MIOI 

TÖ   Cl-N- 

eHMA,      KATA*AN€?C      piNUNTAI      Ol      AAGPA      ^oi      TÖ 

TeTxoc  XnabAntec.  (37)  ecTi  a^-ta  YnocYNenMATA 

TOIAYTA  • 
AnAITHCANTOC  Aef  TÖ  CYNOHMA  XoCA^CeAl  THN 
KAYcIaN  fl  TÖN  nlAON  (H  THN  nePIKe«AAAiAN  ^ÄN  fe'XH 

U  nPÖKunoN  TÖ  ^rxeiPiAioN  noiAcAi  A  thn  aciian 

^«BAA€?N  ft  THC  XAAMYAOC  ^niAAB^CeAl.  (38)  S^NA 
AC     KAI     AinAÄ      AOTCON      tCTI     TÄ     CYNGHMATA,    Tn' 

^PrUAÜC  Ol  nOA^MIOI  katamanbänucin  a'»tA, 
tkn  [a^]  ^iäkoycton  Anö  toy  teixoyc  ti   t^nh- 

TAI. 


93    dringen,  viele  durch  Unkenntnis  derselben 

29  zugrundegehen.  (33)  Es  sollen  auch 
schnellstens  an  den  Stellen,  wo  die  Mauer 

30  getiiUeu  ist,  Palisaden  aufgestellt  und 
durch  mit  Erde  gefiillte  Schanzkörbe  ein 
Vorwerk  hergestellt  werden. 

(34)  Es  ist  auch  richtig,  wenn  man 
bei  Soldaten  oder  Bürgern,  denen  man 
mißtraut,  die  Wachen  und  Nachtwachen 
wechselt  und  diese  in  Unkenntnis  bleiben, 
an  welcher  Stelle  sie  die  Mauer  bewachen 
werden,  <Iamit  sie  nicht  den  Feinden  die 
Stadt  verraten  können.  (35)  Zuweilen 
sind  auch  die  Losungen  umzuändern,  daß, 
wenn  jemand  von  der  Besatzung  hoch- 
verräterisch den  Feiiuleii  die  Losung  aus- 
liefert oder  diese  selbst  des  Nachts  sich 
unten    verborgen    an    die    Mauer   stellen 

*"  und  sie  abfangen,  sie  ihnen  keinen  Nutzen 
bringt,  da  sie  ja  umgeändert  ist.  (36)  Die 
Nebenlösungen  sind  lautlos  zu  dieser 
(Ilauptlosung)  zugeben,  damit,  wenn  auch 
die  Feinde  die  Losung  hören,  die  heim- 
lich auf  die  Mauer  Gestiegenen  entdeckt 
werden.  (37)  Nebenlösungen  sind  aber 
z.  B.  folgende:  Vor  dem,  der  die  Losung 
abfordert,  muß  man  den  Hut  abnehmen 
oder  den  Filz  oder  den  Helm,  wenn 
man  einen  trägt,  oder  man  soll  das  Schwert 
am  Grift'  fassen  oder  die  rechte  Hand 
darauflegen  oder  den  Mantel  anfa.ssen. 
(38)  (Jbiigens  sollen  die  Losungen  fremd- 
artig  und    doppelt   gegeben    werden,    so 

50  daß  die  Feinde  sie  schwer  verstehen, 
wenn  von  der  Mauer  irgend  etwas  hörbar 
geworden  ist. 


9328  eiCBiÄzoNTAi  PV':  corr.  U  30  6ÄN  PV  31  ^MnAHCANTec  PV  32  ÄnicTH 

PV:  corr.  Hr  ^i  ^xeiN   PV  35  *yaäc  coyci   PV:    corr.  S  36  noA^MOic  PV 

38 — 43   >totius  loci  interpretatio  et  mendarum  correctio  omnis  Brinkmanno  debetur;  praeivit 
Va.'  S  39  fl  A+Toi  ^AYTol  PV      •(h^ro^c):  pro  nyktöc  hoc  scribendum  aut  ante  adden- 

(lum-  Bue         40  <(äk)aäb(i)cin  Die         41  a<>ü)na]  A*'  wn  PV  42.  43  npöc  TO-t-Tu   ;TNA^ 

KÄN   Die;   npöc  TÖ   ikn  .  .  .  .,   kata^aneTc   riNecoAi   toyc änabäntac   (vgl.    p.  90,  6)   S 

43   riNONTAi   PV:   corr.  Die  44  ^ti   PV:  corr.  K  45  äoaithcanta  PV:    corr.  Bue 

46  HHAÖN  PV  51   iku  kaI  ^i.  Ca 

8* 


60 


I)  I K  L  s  und  E.  Schramm: 


(39)  (. . .)  kaI  aytcon  täc  aoki'aac  kai  tac  npocTiee- 

M^NAC    KAWAKAC    iK    TOY    HAAriOY    TYnTONTAC  TOIC 
AieOBÖAOlC      PAAIÖN      ÄCTI       CYNTpiseiN       KAI      ÄnOP- 

pinxeiN  Anö  toy  reixoYC,  h  th  NA*eA,  eku  ^xhc, 

PÄNANTA        KAI        AAMHAAAC       ÄNWe6N       SMBAAÖNTA 

KATAKAYCAI-    (40)     (iCAY-TCOC    Ae    KAI    TÄC    XEACÜNAC 

KAI    TA 
MHXANHWATAb'TAN^rrYCr^NHTAITOYTeixicMATOC^M- 

ninpÄNAi.  (41)  AoereoN  a^  ^ctin  uc  ayta  kai  hy- 

P04>ÖP0YC    OOC    nASlCTOYC    KAI   TPIBÖAOYC  KAIOM^NOYC 

cTinn-f«  nepieiAi<(rM^NOYc. 

(42) xPH)cTäoN  AS  ecTi  ka)  ta?c  nAAlN  npo- 

AOcIaIC   KAI   TaIc  riNOMeNAlC   NYKTÖC   KAI   HM^PAC   ^nl- 

edceCIN     ÖTAN     AABHC    KAIP6n  ■     (43)    OYTWC    rAp    AN 

TAXICTA 
KATATYXCON    AYCAIC    nOAlOPKIAN. 

(44)  AN  Ae  TA?C  ÄMnPH- 
CeCI  TUN  MHXANHMATüJN  KAI  TÖN  XEAWNfflN  {ka'i)  TaTc 
CYMBAINOYCAIC  ^nieeCeCI  AeT  TOYC  ÖnAITAC  KAI 
TOYC  YIAOYC.  bCOI  AN  «H  ^ni  TÖN  T6IXÖN  Sci 
XPHCIMOI,  nÄNTAC  AieCKeYAC«€NOYC  ^N  TÖ 
nPOTEIxicMATI  feToiMOYC  eInAI,  INA  TAX'l'  KAI  BY- 
TÄKTUC     nOIÖCI     TÖ     nPOCTATTÖMENON     TÖ     CTPATH- 

rö. 

(45)  TOYC  Ae  riNOMeNOYC  tpaymatIac  tön  i^nmn 

^niMBAÖc    eepAneYeiN    hanta   ta   aconta   hapa- 

CKeYAZONTAC,      KAI      ÖCOI      AN      «H       eXUCIN      AYTÖN 

TOYC  eePAneYONTAC,  eic  täc  tön  hoaitön  oikiac 

AIAÖNAI-   (46)   KAI  ÖCOI   AN   ANAPCC  ArASoi    TINUNTAI, 


94  (39)  <. . .  /  und  ihre  Schutzbalken  und 

angestellten  Leitern  sind  leicht  durch 
Schrägschiisse  aus  den  Steinwerfern  zu 
zerstören  und  von  der  Mauer  herabzu- 
werfen, oder  man  spritzt  Naphtha,  wenn 
vorhanden,  und  wirft  Fackeln  von  oben 
darauf,  um  sie  in  Brand  zu  stecken. 
(40)  Ebenso  kann  man  die  Schildkröten 
und  Belagerungsmaschinen,  sobald  sie 
der  Befestigung  nahekommen,  in  Brand 
stecken.  (41)  Gegen  diese  sind  auch 
möglichst  viele  Brandpfoile  abzuschießen 
und  angezündete  mit  Werg  umwickelte 
'°     Feuerlanzen. 

(42)  ....  Man  soll  aber  auch  den  Ge- 
gen ven-at  gebrauchen  und  nachts  und  tags 
Ausfälle  zur  rechten  Zeit  unternehmen, 
(43)   denn   so   wird   die   Aufhebung  der 

Belagerung  am  schnellsten  erreicht. 

(44)  Bei  dem  Verbrennen  der  Ma- 
schinen  und  Schildkröten    und   bei  den 

"5  erfolgenden  Auslallen  sollen  die  Hopliten 
und  die  LeichtbewaflFneten,  die  nicht  auf 
der  Mauer  A'erwendet  werden,  alle  in 
den  Vorwerken  bereitgestellt  werden, 
damit  sie  schnell  und  wohlgeordnet  den 

2o     Befehl  des  Feldherrn  ausführen  können. 

(45)  Die  vorkommenden  Verletzungen 
der  Söldner  sollen  sorgfältig  geheilt  und 
alles  dazu  Erforderliche  herbeigeschafft 
werden,  alle,  die  keinen  eigenen  Pfleger 
haben,  soll  man  in  die  Bürgerhäuser 
legen.     (46)  Ferner  soll  man  diejenigen, 


94,1   Lücke  Ha  ka!  aytön]   »f.  kat'  aytön^   Ha  2   KAiA^AKAC  ^k  toy  nAArioY 

stellte  um  S:  ^k  t.  ha.  ka.  PV  4  th  naoga  Br:  thn  Xosan  PV:  rflc  NA«>eAC  Kaibel       Sxh 

PV:  corr.  Br  5  ^«baaaontac  PV:  corr.  Br  7   <nPo)TeixicwATOC  S  8  wc]  eic  Th  mg: 

(i)C  ^eic)   S:  uCA-r-Tuc  KAI  Bue  10  nePieiAl(rMdNOYC.    xph  ct^on    Ae   Br:  nePieiAlCT^ON  PV: 

nePiCiAHTeoN  R:  Lücke  Ro  10.  11   nAAiMnpOAOCiAic  H.  Schoene  13  taIc — xeA.]  »videtur 

ad  vs.  6  adscriptum   fuisse  in  mg.  ^wnPHceic  tön  mhxanhmätwn   kai  tön  xcaunön  idque  huc 
irrepsisse«   S  14  (kai)  Die  17  nÄNTec  PV:  corr.  Ha,  Gra  AiecKeAACM^NOYC  P:  aia- 

CKeAACMeNOYC  V:  corr.  Bue;    vgl.  Xeii.  Hell.  IV  2,19  18  feToiMOi  P:  eToiMON  V:  corr.  K 

20   "TOYC  Ae — 31  KiN  iYNCYceiAN   I'.  inscrend;!   p.  96.15  ante  verba  Ae?  Ae  kt£.-  S  22  6coyc 

PV:  corr.   Ha  24  riNONTAi  V\' :   reNCüNTAi  Die 


Exzerpte  aus  Philms  Mechanik  VII.  VIII  (11 1  3!)  —  .')/;  p.  {)}). 


(51 


ANABIBÄZeiN     ,KAi)    XÜPAN     KAI     HTeMONIAN    AIaÖNAI 

KAI    CTe- 

*ANOYN  •  (47)  KAI  ÄÄN  TINSC  TeAeYTHCUCIN,  OAnTeiN  d)C 

AAAinPÖTATA        AHMOCIA,       KAI        ikn        KATAAintüCIN 

tAYTÜN  TCKNA    fl    TYNaTkAC,    nOAYCdPe?N    MH    nAP£P- 

ruc  ■  (48)  MAAicTA  rÄp  oytuc  eYNOOi  riNÖMeNOi  toic 

CTPATHroTc      KAI      TOTC      nOAlTAIC      APICTA      ^N      KIN- 
AYNEYCeiAN. 

(49)  ^ÄN  /\i  b  TÖnOC  KAG'  ON  nPOCBÄAAOYCI,  KA- 
TANTHC  H,  A*eriOH  ^Ct'i  TOYC  TPOXOYC  APenANA 
gxONTAC  fi  Al'eOYC  MCPAADYC  •  (50)  OYTU  TÄP  AN  tX- 

xicTA  KAI   nAeicTOYC   AiA*eeipAic  TÖN   ^nantIun. 

(51)  ^ÄN  AÄ  ^K  OAAACCHC  H  nPOCArUfH  CYN- 
TEAfiTAI,  KATÄ  TÄC  XnOBÄCeiC  eYPAC  TG  KPY- 
riTÄC  HAOYC  eXOYCAC  Aei  TIO^NAI  KAI  TPIBÖ- 
AOYC     KaI     CIAHPOYC    KAI    nYilNOYC    AlACnelPCIN    KAI 


94  die  sich  durcli  Heldenfaten  auszeichnen, 
befördern  und  ihnen  Landbesitz  und 
Führei'stellung  geben  und  sie  mit  Ehren- 

26  kränzen  belohnen.  (47)  Und  wenn  einige 
\  on  ilineii  gefallen  sind,  soll  man  ihnen 
auf  Staatskosten  ein  mögliehst  glänzen- 
des Begräbnis  veranstalten,  und  wenn  sie 
Kinder  oder  Frauen  hinterlassen,  soll 
man  für  diese  nicht  nur  nebensächlich 
sorgen.  (48)  Denn  auf  diese  Weise 
werden    sie   am   ehesten  j3ine   gute  Ge- 

3"  sinnung  gegenüber  den  Feldherren  und 
den  Bürgern  gewinnen  und  so  am  besten 
sich  den  Gefahren  aussetzen. 

(49)  Wenn  aber  der  Ort,  gegen  den 
sie  angreifen,  abschüssig  ist,  soll  man 
Sichelräder  oder  große  Steine  loslassen, 
(30)  denn  so  dürfte  man  wohl  am  schnell- 
sten die  meisten  Gegner  vernichten. 

(51)  Wenn  der  Angriff  vom  Meere 
aus  erfolgt,  soll  man  an  den  Landungs- 
stellen xerborgene,  mit  Nägeln  besclda- 
gcne  Falltüi-en  aufstellen  und  Fußangeln 
aus  Eisen  und  Buchsbaum  verstreuen 
und    die    zur    Landung    günstigen   Orte 


1:  1  00. 

Rild  28. 


NON 


M,  25  ^KA))»  Die     »recte  Xnab.  x.  :  loco  promovere-  Bue  (bezweifelt  Die)         2 
I'V:  corr.  Br  27  KATAAinuciN  Br:  KATAAeinuciN  l'V  29  to?c]  thn  k« 

?-     »»«r  n  -_     — f.. -.     rj\*.     IT  «..f.,.^« 


25.  26  CTe«A- 

19  toic]  thn  kompendiös  I' 

35  nAeioYc  l'V:  corr.  S 


30  CTPATHriKofc  PV:  corr.  R  32  nPosAAAOYCi  l'V:  corr.  II 

eNANTiwM]  •hie  apte  in.serueris  quae  infia  -sequuntur  p.  95,  32  ikn  a^  makpäc— 96, 14  nAoeiN.  S 
36  ^kJ  kaI  V\:  corr.  Ha.  Gra  36.  37  CYNTeAeiTAi  I'\':  corr.  R         37  evPAC]  vgl.  p.  100,  7 

39  [kai]  CIA.  Br 


62 


D I  E I,  s  und  E.  S  c  n  R  A  m  m  : 


JJUJLillll 


1:   100. 


15il(l  29. 

ÄnoxAPAKOYN  TOYC  eveniBÄTOYC  TÖnoYC.    (52)  TA    94    verpalisadieren.     (52|  Die  Einfahrten  der 

,,     Häfen   soll   man    durch   an  Ketten   hän- 

Afi       CTÖMATA       TUN       AIWENCÜN       *PATTeiN       IMHTOIC       <' 


KAeiepoic,  ^N  ofc  ■  xöNAi     eici    nepiTPexoYCAi    kai 

cTPor- 

TYAAI,   CIAHPOYC   AG   KOAnOYC  eXOYCAl  '    (53)  H  ^CXÄ- 

PAC    eni    TOY    TÖnoY    TieeceAi    kaI    aIgoyc    ucci 

XIACTOYC     KAi     M€ricTOYC    eniBÄAASIN,     ^N    OiC      ^M- 

nHTNYCeAr      TOYC 
KAeAPMÖTTONTAC  CTAYPOYC         A03E0YC         CECIAH- 

PCOWENOYC,      inAAAATTONTAC      AAAHAOIC      KAI      CYN- 
AeAEMeNOYC,      OYX      YOePeXONTAC      THC.    eAAACCHC 

Aaa'  b'coN  nAAAicTHN  AnoAeinoNTAC '  (54)  ft  oaoTa 

^nantIa     öPMlzeTAi)  noAEWiCTHPiA  ÖHAA  SxoNTA,  5°     übiT    Schiffc,    die    Kriegsgerät    geladen 

ei  A^  haben,  oder  andernfalls  Nachen  und  was 

«H,    A^MSOI   KAI    cBn    AN   fe'xHC   TA  nAsiCTA  npoc-  man   von    kleineren   gerade   am  meisten 

94.  41  iWHToic  Die:  «h  to?c  PV:  twhtoTc  (»sectilibus«)  Bue:  ciAHPofc  Mi:  m^n  toTc  Ha:  [mh] 
'l'h  mg:    H   Toic   S  42     xöNAi)    Die       nepiTP^xoYCi   PV:   corr.  S  43    ^xoycac   PV: 

COrr.    S  45     XICTO'Vc     PV:     corr.     K  46     KAeOPMÖTTONTAC    V  47     YnAAAÄTTONXeC 

PV:  corr.  Die         50   »^nantia  corruptum"  Br       (ÖPwizeTAi)  Die       exoNTAC  PV         51  a^m- 
BOYC  V:  A^MMOYC  P        HAeTcTA  Die:  AenTA  PV 


gende  Sperren  schließen,  an  denen  Im 
Kreise  bewegliche,  runde,  mit  eisernen 
Wölbungen  versehene  Bojen  sind  (siehe 
Bl'd  2S).  (53)  Oder  man  soll  Gerüste 
an  dem  Orte  errichten  und  Steine  größtei- 
Sorte  kreuzweise  aufwerfen  (siehe  Bild  29); 
in  diese  sind  die  eisei-nen,  schräggestellten 
Pfähle  einzupassen,  gegeneinander  ab- 
wechselnd und  miteinander  verbunden, 
nicht  über  das  Meer  hervorragend,  sondern 
eine  Handbreite  (0.0739)  übriglassend'. 
(54)  ( )der  es  werden  den  Feinden  gegen- 


'    In  Toulon   und   La  Spezzia   sind   genau  die  gleichen  Unterseedämme.     Das  Mittel- 
meer hat  geringe  Ebbe-und-Flut-Ditlerenz. 


Exzerpte  aus  Philons  Mechanik  VII.  VIII  (III  52-59;  p.  i)l.  95).       63 


opwceeNTA  npöc  aaahaa  cynanaptätai  kai  cym- 

BOAA'i  KATACKeYAZONTAI  AYToTc  AOKMN  nAXeÖN  TE- 

TPArtiiNCüN  npö  THc  nP(j>PAC  reeeicüN,  kai  to-J-tun 

CYrroM- 

♦ojeeicöN   kaI  cYNAeeeicöN  eic  tö  aytö,   ka)  ^n 

Xkpu  ^mböaoy  nepi  aytä  KAeAPMOce^NToc. 

(55|  nA- 

pA     nÄNTA      TA      eiPHM^NA      KACJoPA      Ka'i     Zg-rTMATA 

KAJ  haoTa  Akätia  nAPOPMeiru  niccAN  kai  gcTon 
KAi  TPiBÖAOYC   exoNTA   CTinnYo)  nepieiAirM^NOYc  • 

KAI 

it*    TA?C    ÖAKÄCI    TAYTA    KAI     /tA    TOIAYTa)     ^N^CTU. 

(56)    KAI    ^ni    TOY    CTÖMATOC 

[kaI  i*\  «KAT^pweew  ^♦ecxÄTü)  nerpoBÖAOC  cikoca- 
mnaToc,  Yna  ötan  biäzuntai  tön  «IKPÖN  TINeC 
eic  TÖN  AiM^NA,  MnPHcewciN  h  ncpi  toyc  ^«b6- 
aoyc    nePinArelcAi    AiA*eAP«ci<(N    h>    katahon- 

TICeÖCIN     TYTITÖMeNAI    ToIc    Tg    M0AIBO?C    XM«OPeYCI 

KAI  TOic  ncTPOBÖAoic.    (57)  ^an  a4  werA  ti  tö  aiä- 

CTHA^A     H.     KAI     n'fPrOC     ^N     «eCU     CTAeHTCO,     ^N     0) 

neTPOBÖAOC  ^CTti)  tpiakontäwnoyc  •  (58)  np6c  aetä 

nPOCArÖMSNA    /mHXANHMATA      KAI    TÄC  iiPocnAeov'- 

CAC  NAYC 
MÄAICTA  AcT  XPÄCBAI  Toic  neTPOBÖAOlC  KAI  Tofc 
nYPO«>ÖPOIC    KAI    TOTC    AOPYBÖAOIC. 

(59)  ikn  Ai  Xrxi- 


95  hat,  vor  Anker  gelegt  uqcI  miteinander 
oben  verbunden,  und  es  werden  ihnen  Ver- 
bindungen geschaffen  durch  viereckige 
dicke  Balken,  die  vor  dem  Bug  ange- 
bracht und  die  zu  einem  Ganzen  zu- 
sammengenagelt und  zusammengebunden 
sind  und  an  deren  Ende  ein  Sporn  au 
5     sie  angepaßt  ist. 

(55)  Neben  all  den  vorerwähnten 
Sperrketten,  Brücken  und  Schiffen  sollen 
leichte  Fahrzeuge  zur  Seite  vor  Anker 
liegen',  die  Pech,  Schwefel  und  mit  Werg 
umwickelte  Feuerlanzen  geladen  haben. 
Und  auf  den  Lastschiffen    soll  dies   und 

ähnliches)   auch  vorhanden  sein. 

(56)  Ferner  soll  ai:f  der  Hafenein- 
fahrt l)eiderseits  i  zwanzigminiger  Stein- 

'"  weifer  stehen,  damit,  wenn  einige  der 
kleinen  feindlichen  Schiffe  in  den  Hafen 
eindringen,  sie  in  Brand  gesteckt  wer- 
den können  oder  an  den  Sporen  hängen- 
bleiben und  so  zerstört  werden  oder  end- 
lich, getroffen  dui'ch  das  Aufschlagen  der 
bleiernen  Amphoren  '  und  die  (Schüsse 
der)     Steinwerfer,      versenkt      werden. 

15 ■  (57)  Ist  aber  der  Abstand  (der  Geschütze) 
etwas  groß,  soll  auch  noch  ein  Turm 
in  die  Mitte  gestellt  werden,  in  dem  sich 
1  di-eißigminiger  Steinwerfer  befinden 
soll.  (58)  Gegen  die  vorrückenden  Ma- 
schinen und  die  heran  fahrenden  Schiff«; 
muß  man   vor  allem  Steinwerfer,  Brand- 

j,j     pfeile  und  Speerwerfer  verwenden. 

(59)  Sind   aber  tiefe  Stelleu   in   der 


95, 1  CYNANAcnÄTAi  P\':  coiT.  Schramm  2  nAxeÖN  Die ;  vgl.  Epicur.  ep.  I  36  (4, 7  Usener, 

dazu  Bonn.  Ind. lect.  1880/81  p.vm):  nAX^UN  I'\':  nAxeiÖN  S:  nHxecoN  Ro  2.  3  xerPArÄNcoN 

S;  vgl.  p.  99,34  und  Diod.  XX  85,  2.  91,  2  3  CYrrooecicÖN  I'V  4  CYNAeeeNTUN  PV: 

corr.  S  5  KABOPMOce^NTOc  V  9    (ta  toiayta)   Die  10  [kai  ^♦']  Die  11  mi- 

kpün]  «akpön  Ho  13  <'fl .  S:  {KAi)  R  14  TYnTÖweNOi  PV         vgl.  schol.  Ar.   Eq.   762: 

Thuc.  VII  41,1;  Eustath.  zu  <*>  22;   Polyb.  VIII  7  XXH  10  15  ti  Bue:  h  PV  16  h 

Btie:  ÖN  P:  An  V  17  neTPÖaoAOC  PN'      tpiakontämnoyc  Die  (a  statt  Ä):  TeTPÄMNOYC  PV   ■petro- 

l>ole   de   quaranta   mines«   Ro;   vgl.  p.  95,  50  ss.  <^mhxanhmata)    Ro 

'    Sogenannte  Delphine,   d.  h.  Gewichte,   die  an  den  Rahen  hängen,  zum  Aufwerfen 
auf  die  feindlichen  Schiffe. 


64 


D I E  L  s  und  K.  S  c  u  R  A  m  m  : 


BAseTc  TÖnoi  tun  reixa-N  ici,  nPocxtiMATA  kata-    9S 
CKevACTSA     ecriN.     ina    MHTe    npocArurHN     e'xh     " 

TA-f'TH     MHTe    TUN     «ePÄAUN    CKA*iuN    eMBOAOC    eiC 

TÖ    TGixoc   ^«BÄAH    H    eniBAGPAC   enieeNTEC    KA- 

TAAABUNTAi    TINA     niPfON.      ((50)    Ael    A^     KaI     NY-       ^3 

kt6c,  otan 

H     XeiMWN,     TAC     ÄrKYPAC     TUN     ^«OPWOYCUN     NHUN 

KeAe-r-eiN  toyc  koaymbuntac  YnorewNeiN  kai  tä  e- 

AA*H   AYTUN   eKTPYHÄN'    (Hl)   MAAICTA  AE  OYTU  KU- 
AYC0M6N    TOYC    ENANTIOYC    ^*OP«izeiN.      (<>2)    TA   a' 

AAAA 
HANTA       XPHCIMA      SN      TAIC       TOIAVTAIC    HPOCBDAaTc       3° 
OCA      KAI      nPÖC      TÄC      i-K     THC      HneiPOY     riNOMeNAC 

nPocArurAc. 

(63)    iku    AE    MAKPÄC    OYCHC    THC    nÖACUC    Ä«- 

*IBOAON    rt     Tl     TOY    TsixOYC,     A10IKOAOMHT€ON    gCTI 

Toixu 

ft      A^PPel      rt      AYAAIAIC      AIA*PAKTeON,     "INA     MH    Tl- 

TPKCKUNTAI     EK     TOY     ÖnlCSeN    Ol    dnl    TOY    TeixOYC       35 

ÖNTec. 

(64)  eneiAAN  ac  tu  npocAroweNu  mhxanh- 

MATI 

ÖAonoiHefi,    neTPOYC    üc    wericTOYC   npoppinTciN 
eK    TUN    neTpoBOAUN,    WH    cTPorr-f'AOYC,   Tna  mh 

AYNUNTAI    THN    EAGnOAlN  nPOCArCIN.      (65)   XPHCIMA 

a'      iCTI  KAI         TA         nPOKATAPTIZÖWCNA         HAXEA       <" 

AM*iBAHCTPA       ^K      TOY      aInOY      HPÖC      TOYC      KATÄ 

TÄC    kaImakac    (kai;    aia   tun  aiabagpun  eni  ta 
TeIxH  änabaInontac-    otan    rÄp   enippi*H  aytoJc, 

PAAIUC  CYNOeONTOC  YnOXciplOI   riNONTAI.  (66)  KAI  TA 
AfKICTPUTA      ^«BÖAIA-       AHO      tAp      TUN      KAAWaIuN       45 


N'iihe  der  Mauer,  muß  man  Auf>chiitluri- 
gijii  machen,  damit  dort  weder  ein  An- 
griir.statllindeii.  noch  ein  Sporn  dergroßcii 
Schiffe  in  die  "Mauer  eindringen  noch 
durch  Anlegen  von  SturmVirücken  ein 
Turm  genommen  werden  kann.  (60)  Es 
soll  auch  nachts,  wenn  Sturm  ist,  den 
Tauchern  Bi'fehl  gegeben  werden,  die 
Anker  der  Bh)ckadeschiffe  zu  kappen 
und  den  Boden  derselben  anzubohren. 
(61)  So  werden  wir  am  ehesten  die  Feinde 
verhindern  anzulegen.  (62)  Auch  alles 
andere  ist  gegenüber  diesen  Landungen 
brauchbar,  was  bei  den  auf  dem  Fest- 
lande stattfindenden  .\ngriffen  brauch-' 
bar  ist. 

(63)  Wenn  sich  aber  die  Stadt  weit 
ausdehnt  und  dadurch  ein  Stück  der 
Mauer  zwischen  zwei  Feuer  kommt,  so 
ist  es  durch  eine  Zwischenwand  abzu- 
trennen oder  durch  Häute  oder  Vor- 
hänge abzusperren,  damit  die  auf  der 
Mauer  Befindlichen  nicht  hinterrücks 
verwundet  werden  können. 

(64)  Sobald  aber  für  die  vorrückende 
Maschine  die  Bahn  hergestellt  ist,  sollen 
möglichst  große  Steine  durch  die  Stein- 
wei'fer  daraufgeworfen  werden,  jedoch 
keine  runden,  damit  sie  nicht  die  Hele- 
pole  vorbringen  können.  (65)  Brauch- 
bar sind  auch  die  vorher  zurechtgemach- 
ten dicken  Netze  aus  Hanf  gegen  die 
auf  den  Leitern  und  mit  Hilfe  der  Fall- 
brücken auf  die  Mauer  Steigenden;  denn 
wenn  ihnen  diese  übergeworfen  wer- 
den, werden  sie  leicht  dui"ch  das  sich 
zusammenziehende  (Nttz)  bezwungen. 
(66)  Auch  die  mit  Widerhaken  versehe- 
nen  Wurf  haken  (>ind  brauchbar):  denn 


95,21   nPOCXÜMATi  l'V:  corr.  Spaiili.  ad  lulian.  p.  191:  np6cxuMA  Ti  KATACKeYACTeoN  Mi 
24   enie^NTAC  PV:  corr.   IIa  26  e^OYPMOYCÜN  V  29  e<«>0PMizeiN  Mi:  Ä*APMÖzeiN  l'V 

32  SAN  AS  KTc.]  vgl.  ZU  p.  94.  ,35       MAKPAN  PV :  corr.  I{  33  H  Tl  Ha  Gra:  ein  PV       oko- 

AOMHTCON  PV:  corr.  S         [ecTi]  Gra  35   öniesN   PV  37  npocPinTeiN  PV^  corr.  Bue 

40  TA  npOK.  n.  A.  —  44  riNONTAi]  vgl.  Anon.  P(j1.  p.  261,3  ff-  ^^  e         42  (kaI)  Br:  vgl.  Anon.  Pol. 
a.  0.  44  CYNACONToc  Wcsseling  zu  Diod.  XVIII43:  CYNAee^NTec  oder  CYP^NTec  Br 


Exzerpte  aus  Thilous  Medtanik  VII.  VIII  (III  .5,9  —72;  p.  .9 ,5.  96).       65 


€Y      ^lAKONTIZÖWeNA      Ka'i      ANUeEN      ^MBAAAÖMENA, 

ÖTAN   ^«nArfl   eic  tA  «aaatmata  kaI  täc 

f>YTAC  CAnIaAC  <^KAi  ÄNAC^nÄCH  TA   KAAWAIA,  nOAAA 

Xno- 

CnÄN    AYTÖN    /^-t-NATAI. 

(67)    nÄNTUN    AE    «ÄAICTA    AG? 

cnoYAÄzeiN   nep'i   TO't'c   tpiakontawnaioyc  nexpo- 

BÖAOYC  ka'i  TOYC  XPUMeNOYC  ToTc  ÖPfANOIC  TOY- 
TOIC      KAI      TAC      BeAOCTÄCeiC     AYTÜN,      INA     OJCIN    (bc 

B^ATicTA  nenoiHw^NAi-  (68)  tön  tAp  aiooböacon  oy- 
T(i)c  GY  nenoiHw^NUN  kaI  tön  BeAocrÄceuN 
^ni    tun    ^niKAi'puN    TÖnuN    kata    tpöhon    ^ne- 

CKeYACM^NUN  KAI  T«N  XPHCOM^NÜJN  AYToTc  ^N- 
T^XNUN  ÖNTUN  OYT"  J^N  [rePPOXeA(i)NH]  MHXANH- 
«A        OYT'      AY        CTOA        OYTe        XeAÖNH        (»AAIUC 

npocAxoeiH-  (69)    ^än    a^    nAHCiAcH    tö   t^aei. 

OYK     An     YnOKINHC€l€N     OYe^N     Ynö     toytun    ty- 

rrröweNA-  (70)  cy/^mcm^tphtai  a^  tayta  ka'i  c«o- 
apötata    tayt'  ^ct'i    np6c    tAc    nAHrAc   tA   b^- 

AH-  (71)  ÜCre  TOYT(i)N  ÄNEPrOYNTCiJN  MHe^N  An  A6I- 
NÖN     KATA    tAc     riNOM^NAC     HPOCBGaAc    THN    nÖAIN 

nAeelN. 

(72)  AG?  Ai  KAI  iatpo^'c  XAPiecTÄTOYc  Snaon 

eJNAi 

^MneiPOYC     tpaya\At(i)n     kai    bcaön    ^lAiP^ceuc, 

^XONTAC  «ÄPWAKA  KAI  6prANA  tA  HPOCIH- 
KONTA,  KAI  THN  nÖAIN  XOPHrefN  KHP(OTHN  KAI 
M^AI       KAI       ^niA^CMOYC       KAI       CnAHNJA,       INA       MH 

nAPAnoAAY'MNTAi    Ol   CTPATiöTAi  tpaymatIai  TENÖ- 


95  wenn  sie  vermittelst  der  Taue  richtig 
^,  abgeschleudert  und  von  oben  aufgewor- 
fen werden,  können  sie,  wenn  sie  sich 
in  den  Kissen  und  den  herbeigebrachten 
Pfosten  festhaken  und  die  Taue  anziehen, 
vieles  von  ihnen  wegreißen. 

(67)  Am   allermeisten   soll  man  sich 

5°     lun  die  dreißigminigen  Steinwerfer,  ihre 

Bedienungsniannschaft  und  ihre  Gesehütz- 

96  stände  bemühen,  damit  sie  möglichst  gut 
hergestellt  werden.  (68)  Denn  wenn 
die  Steinwerfer  gut  gemacht  und  die  Ge- 
schützstände an  den  vorteilhaftesten  Stel- 
len nach  Vorschrift  aufgestellt  werden 
und  die  Bedienung  geübt  ist,  dürfte 
weder  eine  Maschine  noch  ein  Schutz- 
dach noch  eine  Schildkröte  leicht  her- 
angebracht werden.  (69)  Wenn  sie  sich 
dem  Ziele  genähert  haben,  dürften  sie, 
von    diesen    getroffen,   sich  nicht  mehr 

lo  rühren  können.  (70)  Diese  Geschütze 
sind  die  entsprechend  gebauten  und  in 
bezug  auf  die  Durchschlagskraft  die  stärk- 
sten, (71)  so  daß,  wenn  diese  in  Tätig- 
keit treten,  die  Stadt  bei  den  etwa  ein- 
tretenden Belagerungen  keinen  ernst- 
lichen Schaden  erleiden  kann. 

■  5  (72)   Ks   sollen    auch   die    tüchtigsten 

Ai-zte  darin  sein,  erfahren  in  der  Wund- 
behandlung und  dein  Hei  ausziehen  der 
Geschosse.  Sie  müssen  die  entsprechen- 
den Heilmittel  und  Instrumente  haben, 
inid  die  Stadt  muß  ihnen  Pflaster,  Honig, 
Verbandzeug  und  Binden  beschaffen, 
damit    die    verwundeten    Krieger    nicht 

'°     sterben,   sondei'ii  schnell  wieder  geheilt 


95, 46  ev  Br:  oy  PV  48  ^ytAc  PV:  zweifelhaft      (kai  ANAc)nAcH  tA  Schramm :  machtA 

$  über  H  und  a.  Rde.  5  V^PV:  [wac]  fi  tA  Bue:  [mag]  (kai  XNiMHeft)  tA  Br:  (ka'i)  whch  tA  früher 
Die  51   xpum^noyc]  xphcom^noyc  Gra 

96,  I  fiNA — nenoiHM^NAi]  Gra   •  2    nenoiHM^NOi,   a.  Kde.   aI,   PV  2.  3  oytuc] 

toytun    Gra  6    tgpoxgaänh    P:    tilgte    Gra    vgl.  p.  99,29  7    ay    S:    an    PV 

8    T^AGl]    TGIXGI     R  15     vgl.     zu    p.  94,  20  16     ģAIP^C6Ci)C    Ha    Mi:     ^lAIP^TUC     PV 

17  npoc^AKONTA  PV:  coiT.  Ha  MI  19  chahnia]  J  über  h  und  a.  Ude.  PV  20  ha- 

p  An)oAA'f'(i)NTAi    Br    nach    101,45:    nAPOAAYONTAi   PV  20   riNÖMGNOi    PV:    corr.  S 

Phil.-hist.  Abh.  Wi'J.  Ar.  12.  9 


()() 


Dil:  LS   und   E.  Schramm: 


MENOi,       AAAÄ       TAXY       YriAZÖMeNoi       xPHCiMoi    96    iiiul  kriegsverwciiduiigsrähig  wci-deii  uiicl 

bei   den    spätci-  vorkommenden    Treffen 


riNUNTAI       SN      TAIC      YCTePON       TINOMeNAiC      CYMBO-       =2 

AAfc     npoeYMWc     KiN^YNe-foNTec     AiA     TÄc    re- 
NOMeNAc  eePAneiAC  AYTo?c  ka'i  xophtiac-  (73)  noA- 

AA- 

Kic     Ae     kaI    tayta    thc    nÖAeuc    ^ni     cuthpIa     as 
riNeTAi. 

IV. 

(1)    nPÖC    M^N    OYN    nOAlOPKIAN   OYTO)   AeT  nAPA- 

CKeYÄzeceAi. 

(2)  TÖN  MeAAONTA  AHYeceAi  TAC  nÖAeic 

eAN    nPOEAHTAI     'PAAIWC   AASe?N),    Ae?  MAAICTA  MEN 

feOPTHC    OYCHC 

HN   ArOYClN   eiU  TÖN  nYAUN,   Gl   Ae  MH,  AmHTOY  ((i)        30 

TPYrHTOY  ÖNTOC  ThN  enieeciN  noieTceAi'  (3)  nAei- 

CTOYC 
rÄP       fe'äCO       THC      nÖAEUC      ÄnOAABOJN      ÄNePÜnOYC 

paaigctat'  an   aäboic    tö    acty-    (4)   ei    ae   mh, 

NYKTÖC,    Xei- 
«ÖNOC      ÖNTOC      H      «eeYÖNTOJN     TÖN     nOAewitüN     CM 
TINl     AHMOTCACI     eOPTH     KaImAKAC     eTOIMOYC    SxON-       35 
TAC         AAOPA         HAHCIACANTAC        TW         TeixSl         TÖN 
nYPrCON   TINAC   KATAAASeCeW.    (5)   eAN  Ae  AnOTYXHC 

TOYTOY,       6AN       MeN        enieAAACCIOC       H       H       nÖAiC, 

nepiXAPAKöcAi       Te       ^k       eAAACCHC       ei'c      eA- 

AACCAN,        KAI        BAN        eXHC       CKA*AC      «AKPAC,       ^nl       4" 
TOY       AIM6N0C       ^«»OPMeTN,       INA       eicOAeH       MHGeN. 
eAN     Ae     «ha'  OYTUC     H     nÖAIC     H     ÄKTICMeNH,    (6) 

BAAÖmeNOc    TÖ    cTPATÖneAON     eäco    aeAOYC    eni 

TO'Y'C    ÄC^AASCTATOYC    TÖnOYC,     nePiXAPAKOJCAC    K'f- 


sich  bereitwillig  wieder  in  die  Gefaln-en 
stürzen,  wegen  der  itmen  zuteil  gewor- 
denen Pflege  und  Ausstattung.    (73)  Auch 

dies    kann    dei'  Stadt   öfter   zur  Rettung 

werden. 

IV. 

(1)  Auf  eine  Belagerung  soll  man  sich 
nun  folgeiidetinaßen  vorbereiten. 

(2)  Wer  die  Städte  zu  erobern  be- 
absichtigt, soll,  wenn  er  dies  {auf  leichte 
Art)  tun  will,  am  besten  einen  Festtag, 
der  außerhalb  der  Toi'e  gefeiert  wird, 
zum  Allgriff  wählen,  andernfalls  zur  Ernte 
oder  Weildesezeit.  (3)  Hat  man  nämlich 
die  meisten  Menschen  außerhalb  der 
Stadt  abgeschnitten,  wird  man  wohl  die 
Stadt  am  leichtesten  einnehmen.  (4)  Wenn 
nicht,  muß  man  in  der  Nacht,  zur  Win- 
terszeit oder  wenn  die  Feinde  liei  irgend- 
einem öffentlichen  Feste  betrunken  sind, 
Leitern  bereit  halten,  sich  der  Mauer 
heimlich  nähern  'und  einige  der  Tünne 
einnehmen.  (5)  Glückt  das  aber  nicht. 
so  muß  man,  wenn  die  Stadt  am  Meere 
liegt,  sie  entweder  von  Meer  zu  Meer 
dui-ch  Palisaden  umschließen  und,  wenn 
man  Kriegsschiffe  hat,  diese  bei  dem 
Hafen  vor  Anker  legen,  damit  nichts 
einfahren  kann.  (6)  Wenn  aber  die  Stadt 
auch  so  nicht  angelegt  ist,  soll  man  ein 
Lager  außer  Schußweite  auf  den  feste- 
sten  Orten    aufschlagen,   dieses,  so   gut 


96.  21   riNOMeNoi  PV:  corr.  S         23.  24  riNOMeNAC  PV:  corr.  S         25  a.  Rde.  (üpaTon  PV 

28    TÖN    M^AAONTA    KTe.]   Anon.    Pol.  p.  212,  I  I  — 16  We  29   nPO^AHTAl]  npoc^AeHTAi  R :   npo- 

ceAGH  S        {PAAiuc  aabcTn)  Die;  eYKÖnuc  nopeeiN  Anon.  30  awhtoy  (h)  Bue:  ama  toy  PV 

Si  PAAiecTATA   PV:    coiT.  S  35    eTOiMOYC   PV   (Randkorrektur) :    feToiwAC    PV   (Text) 

35.  36   ÄxÖNTAC  P:  exoNTA  und  hahciAcanta  S  38    in  Ha:  hn  PV  (h  corr.  im  Archetypus, 

in  PV  als  fi  nach  nÖAic  gestellt)  39    nepixcopftcAi  PV:    corr.  S   vgl.  44:    nePixßCAi  vei-m. 

Die  vgl.  100,40  (coc   im  Airhetypus   überge.schneben   geriet   zum   folgenden  Te)         Te]  ücre 
PV:    coiT.  Er  vgl.   A\y]).  l'un.  119  41   eicnAe?  PV:   corr.  Ha  42  mha"]  mih  S  S]  k 

PV:    COIT.  R  43    BAAAÖMeNOC    PV 


Exzerpte  aus  Philons  Mechanik  VTJ.  VJJl  (JIJ 


-73;1V J  —  !);p.96.97).    67 


KAM  WC  AN  ri  AYNATÖN,  eTxA  OYAAKAC  KATA- 
CTHCAC       nOIOY       THN       nOAlOPKiAN,      nPÖTON       «EN 

KHPYTMA    noiHcÄMeNOc    MHOCNA   »eeiPeiN    fl   npo- 

NOMCY-eiN.  ACYTePON  AG  AOrlCAMCNOC  EIC  TArWATA 
H  ^nAPXlAC  AlAAÖCeiC  TA  reUPflA  •  (7)  Ka'i  oi  CTPA- 
riUTAI  nÄNTA  TÄ  A^ONTA  fe'lOYClN  KaI  Ol  nOAh 
TAI  OÄTTON  Ö  BOYAÖMeeA  nOIHCOYClN  X*eÄPTUN 
TÖN  KTHMÄTUN  ÖNTUN.   (8)  «€tA  AE  TAYTA  nep'l  THN 

nÖAiN  bcA  ^ctIn  h  Xc*ÄAeiAN  <ToTc)  £naon  Sxon- 

TA  H  (j«^AeiAN  TA  «In  KATACKÄYANTAC 
TA   A^   ^KKÖYANTAC   KAI   TA   YAATA   TA   eC(0 

Monta    XnocTP^YANTA    (oVtcü    tAp    [anj    MÄAICTA 

ACIAUeHCONTAI      tCAl      CY      TO?C     ÖPfANOIC      d)C      BOY- 

Aei    xphch;,    eV   ikn   ß   noTAw6c   nAHcioN,   ^ni 

t6    Tefxoc   {^«eTNAi.)   Tna    ^än   a-j-nh    necÖNToc 

MeTAnYPrioY 

TINÖC     A     TTYPrOY     KATÄCXHC     THN     nÖAIN.     (9)     ^ÄN 

Ae    MH 

TOYTO    A'f'NH,  TÖTe    TA    B^AH    ^niCTHCAC    HANTA  KAI 

iniKHPYiAC    T9    npwTu    Anabänti    ^ni    t6    tsI- 

XOC  KAI  ACYT^PU  KAI  TPItW  AÜCEIN  TÄ  KAAÜC  6- 
XONTA  XPHMATA,  KATÄ  TOYC  XceENeCTÄTOYC  TÖnOYC 
AnÖ     KAIMAKUN     KAI     nPOCTieeW^NUN    AOKIACON     THN 

np(iTHN     noihCAi     npocBOAHN.    Vna     kata^öbwn 

ÖNTUN  e'TI  T6n  £nAON  KAI  AncipUN  nOAlOPKIAC, 
KATA      KPÄTOC      AÄBHC      THN     HÖAIN     fi     AlArNUC     t6 


96  es  geht,  umwallen,  daiiu  Wächter  davor 
aufstellen    und    die    Belagerung    durch- 

■**  führen.  Zuerst  ist  der  Befehl  zu  erlassen, 
niemanden  umzubringen,  oder  zu  plün- 
dern, zweitens  die  Ländereien  auf  Grund 
einer  Berechnung  an  die  Abteilungen 
oder  Befehlshaberschaften  zu  verteilen. 
(7)  Dann  werden  einerseits  die  Soldaten 
alles  Nötige  haben,  anderseits  die  Bürger 
uns  schneller  zo  Willen  sein,  wenn  ihr 
Besitz  unzei'stört  ist. 

97  (8)  Darauf  wird  rings  um  die  Stadt 
alles,  was  für  die  Einwohner  Sicherheit 
oder  Nutzen  bringt,  entweder  niederge- 
rissen oder  abgehauen  und  die  hinein- 
fließenden Wiisserläul'o  abgelenkt;  denn 
so  werden  sie  am  meisten  den  Mut  ver- 
liei-en  und  Du  kannst  die  Geschütze,  wie 
Du  willst,  benutzen;  lerni-r  wenn  ein 
Fluß  in  der  Nähe  ist,  soll  man  ihn  gegen 
die  Mauer  leiten,  damit  Du  die  Stadt 
nehmen  kannst,  nachdem  möglicherweise 
eine  Kurtine  oder  ein  Turm  gefallen  ist. 
(9)  Wenn  Du  das  aber  nicht  kannst, 
dann  stelle  alle  Geschütze  auf,  und  nach- 
dem Du  öflentlich  verkündet  hast,  dem 
ersten  Krsteiger  der  Mauer  und  dem 
zweiten  und  dem  dritten  die  üblichen 
Ehr«!npreise  geben  zu  wollen,  mache  an 
den  schwächsten  Stellen  von  Leitern  und 
aufgelegten  Balken  aus  den  ersten  Vor- 
stoß, damit  Du,  wenn  die  Pj'nwohner 
noch  in  Angst  sind  und  keine  Erfahrung 

'5  in  der  Belagerung  haben.  Du  die  Stadt 
durch  Handstreich  in  die  Gewalt  be- 
kommst oder  \venigstens  flie  Zahl  der 
Kämpfer  oder  ihre  Stimmung  erkennst, 


96,45  ^'^^  I'^'=  PAirr.  R  47  «ne^NA  —  48  AoncÄMeNoc  in  P  wiederholt:  corr.  m' 

9T,  I   M£tA  a^~  9  nÖAlN]  'haec  una  periodo  comprehendi  eique  insertani  esse  parenthesin 
V.  5 — 7  dociiit  Va'  S         3  KATACKÄYANTA  Br  4  A^  (comp.)  PV         ^kköyanta  Bi-         5  [An] 

Bue  6  AeiAueHCONTAi  Ha;    vgl.  15:  AHAueHCONTAi    PV:    ahahshcontai    Mi         ü>c    ;an) 

BOYAH  Bue  6.  7   BOYAH  V  7  cV]  eiVe   PV  8  (fi^eiNAi^  Die      Yna  PV:  eTnai  Br 

9  KATÄCXHC  Die:  KATACxeiN  P\'  1 1  <bTi>  S  12  AciceiN  Br  vgl.  41 :  Auceic  PV  13  xphc- 

mata  P  14  nPOTiee«^N(0N    PV:    corr.   Ha  15    noiftcAi    P\'  16    ^naon    Die: 

ontun  PV:  6xA<0N  Bue:  önantIcon  oder  ^nönt&jn  Ha 


68 


D I  E  L  s  und  E.  Schramm: 


nAfleOC     TÖN      MAXOMENUN      fl      TÄC     YYXAC     AYTÜN      97 

nfic  Te  AiAKeW'iTAi  npöc  toyc  kinaynoyc.  (10)  tay-     19 

TA     Ae     nOIlHCAC     AN     «H     COI    nPOC^XCOCIN,     enAA-       20 
SIN     iW     TOY     XÄPAKOC     GeWeNOC     KAI     TAMPON     OEPi 
TÖ     CTPATÖnSAON      nePIBAAÖMeNOC     AinAHN     TÄ     TS 
«HXANHMATA  l'cTA  YnÖTPOXA  KAI  06- 

pIaKTA        KATACKEYÄZUN        KAI       *OINIKiNAC      CANIAAC 
I^XONTA,   Ina    MH    CYNTPisUNTAI-     KAI    TÄC    CTOAC    Ol-       »5 
KOADMeTn    Ka'i    TOYC     eniTHACiOYC    TÖnOYC    YnOPYT- 

TeiN,    cAn    «h    YnoMBPoc     fi     ö    TÖnoc,    ft    xe- 

ACONAC  KATACKeYACÄMCNOC  XUCTpIaAC  tAc  TÄ- 
♦  POYC  XCiNNYC  THN  x6PAN  MH  *eeiPü)N  •  YCTCPON 
TAP,    ikn    CYM*ePH,    TOYTO    fe'CTAI    COI    nOIHCAI.  3° 

(11)  ikn  AC 

«H      AY^NH       XCÜCAI      AIA       TO       BAeciAC      KAI      GYPcIaC 

eiNAI,     XCAÜNHN     AcT    HPOe^MCNON     XUCTPIaA     CXC- 

■  aIaN        ZEYrNYONTA        nPOCArAPcTN        OY       BOYACTAI 

TCVC    CTPATIÜTAC. 

(12)    nOIOY    AC    KAI    KHPYTMATA    TÖN 

nOACwicüN    AKOYÖNTCON    TOIAYTA  •     (ToTc    MHNYCACIN)        35 

ÖnAiceic  TC  ci- 

AHPCÜN      YnOPYKTIKÖN      KAI      MHXANHMATWN     CTACCIC 

KaI      TA     TOYTOIC     AkÖAOYSA,     KaI     cAn     AnOKTCINAC 

TIC  H  TÖN  «HXANOnOlÖN    TInAc  H  TÖN  ÖNTUN  ^ni  TÖN 

BCAÖN      AllOAÖrUN      H      (iku     TIc)      TÖN      ^NAÖäWN 

^NANTIOY- 

M^NWN       ToTc      nPATMACI      nAPAriNHTAI       HPÖC       AY-       4° 


wie  sie  sich  den  Gefahren  gegenüber 
verhalten.  (10)  Wenn  sie  sicli  Dir  aber 
nicht  ergeben,  nachdem  Du  dies  gemacht 
hast,  so  errichte  eine  Wehr  auf  der  Ver- 
schanzung und  ziehe  einen  doppelten 
(Jraben  um  das  Lager  und  baue  die 
Maschinen  auf  Rädern  beweglich  und 
drehbar  und  mit  Palmbrettern  beschlagen, 
damit  sie  nicht  zerstört  werden  können: 
ferner  Vjaue  die  Schutzdächer  und  unter- 
miniere die  dazu  geeigneten  Orte,  wenn 
der  Boden  nicht  feucht  ist,  oder  baue 
Schüttschildkröten,  um  die  Gräben  zu- 
zuzuschütten, ohne  jedoch  das  Land  zu 
ver(Jerbcn:  das  kannst  Du  später,  weim 
es  Dir  nützlich  ist,  immer  noch  tun. 

(11)  Wenn  Du  sie  al>er  nicht  zu- 
schütten kannst,  weil  sie  zu  breit  und 
tief  sind,  so  muß  man  unter  einer  vor- 
gebrachten Schüttschildkröte  eine  Brücke 
schlagen  und  (darauf)  die  Soldaten  an 
den  gewünschten  Ort  bringen. 

(12)  Krlasse  auch,  während  es  die 
Feinde  hören  können,  derartige  Verkün- 
digungen, daß  Du  {denen,  die  Anzeigen 
erstatten)  über  die  Ausrüstung  mit  eiser- 
nem Miniergerät  und  über  die  .\ufstellung 
von  Maschinen  und  was  dieser  zu  folgen 
pflegt,  fei'ner,  wenn  einer  einige  von  den 
^laschinenbauern  oder  von  den  sich  bei 
der  Geschützbedienung  Auszeichnenden 
tötet  oder  wenn  einer  der  angesehenen 
Gegner  den  Interessen  (seiner  Vater- 
stadt) entgegentritt,  zu  ihnen  überläuft, 
Ehrenstellungen  und  Geldpreise  verleihen 


97,  20  npocexcociN  PV:  npocxcoPöciN  S  22  nePiBAAAÖMeNoc  PV:  corr.  Ha  23  Tcta 

Buo:  cictA  PV:  eic  ta  ( )  I{o      yhötpoxa  Ho:  YnoYPOYxiA  V:  YnoYPOYX^A  P:  YnÖTPoxÄ  Te  Bue 

24    «OINiKINAC  P:    «OINIKAC  V  25    ^XONTAC  PV:    Corr.   P(l  CYNTPIBHTAI   S  26    OIKOAOMelN 

PV:  oiKOAÖMei  Br      kai   (katA)  to'S'C  Br         26.  27  YnÖPYTTe  Br  27  «in  Br:  mcn  PV        in 

Ha:  HN  PV  28  xeA.  xuctpiaac]  vgl.  Athen,  meeh.  p.  15,13  We  30  ecTu  P:  ecTcoi  V: 

corr.  Ha         cAn  ae  «h  ktS.]  vgl.  Anon.  Pol.  p.  259,2.  260,5  ^s-  ^^'^  3^  nPoceeweNON  PV: 

con-.  Br  nach  An.  p.  260,6  33  oy  (an)   boy-ah  Br  35  <Tofc  MHN'f'CAaN)  önAiceic  Die: 

bncüc  eic  PV:  önuc   (eec)eic  tc  ciahc  tön  (vel  {nö)pa)N)  Ynop.  Bue  39  (ßkn  Tic)  Die: 

(tic)   nach  ÄNAÖsuN  S         40  nAPAriNHTAi,  <  AA«)npöc  Bue  40.  41   nPÖc  aytoyc  PV:  corr. 

Die;  vgl.  98,  i 


Exzerpte  aus  Philons  Mechanik  VJI.  VITI  (IV  9—19;  p.  97.  98). 


69 


TO-t-C.      TIMHCeiN      KAI      XPHMATA      AÜCSIN  •      (13)      KAI 

TÖN    mIn 

AOYAON  ^AeveepoN  An  XoeTnai,  tön  ae  ctpatiüthn 

XNABIBÄCeiN,  tön  Ae  ÖnAJTHN  «eTOIKON  CTe<t>AN6- 
CeiN,     KAI      ACÖCeiN      ACüPeÄC      TAC      KAT'     XliAN      TOY 

nPAXe^NToc  eproY-  (14)  ta  tap  toiayta  khp'ttma- 
TA     mäaictä     nuc     eicoee     tön     ^nantiun    tac 

AIANOIAC     <TAPÄTTelN>      KAI      TOYC     weToiKOYC     KaI 

TO'i'C    01- 

K^TAC    noieTN    mhk^o'   önAizeiN    ka!    aiaönai    ta 

KAAÖC  SxONTA  ÄniTHAEIA-  (15)  toytun  aä  n- 
NOM^NUN       ^AÄTTOYC      Ol       KINAYNC'r'ONTeC      ECONTAI 

KAI      nAeioNA      cTta      Xnaaöcoycin      ka'i     taxa 

CTACIC  TIC  ?CTAI  ^N  TH  nÖAEI.  (16)  TOYC  a'  A- 
XPeiOYC  ÖNTAC  im  nAPAriNCONTAI,  MH  nPOCAE- 
XOY,      Tna       TP0*H       TWN       nOAlOPKOYM^NUN       SÄT- 

TOH  Xnaaickhtai. 

(17)  tayta  a^  oAnta  ötan 

CYNTCA^CHC,      ÖAOnOlHCAC       KAI      »AAArrtiCAC      TAC 

nPocArurAC  toIc  mhxanhmaci  thn  taxi'- 
CTHN  AYTÄ  neipw  nPocÄreiN  «pÄ3eac  ta?c 
♦oiniki'naic      canIci      ka!      ciahpa?c     Aenici     ka'i 

«AAArMACI         KAI  XOA^APAIC,         ANCOeeN  KATA- 

CKCYACAC,  KAI  TOYC  neTPOBÖAOYC  KaI  TO'Y'C  ÖJY- 
BCACic  ^mCTHCAC,  KAI  nPÖC  TOYC  ^KCINOIN  AIOO- 
BÖAOYC    AYO    AEKAMNAJOYC    nPÖC    te'KACTON  Ka!  nCN- 

TAcnieAMON  Xnticti^cac.  (18)  mh  «ancpöc  a^  tIncy 

KAO'     8       nOIHCH      THN       nPOCAfuriHN,      XaAA      KAT 

Xaaoyc  wän  npoAeiKNYe  TÖnoYC,  kat  aaaoyc 
A^     npöcAre    ta     mhxanhmata,    ina    aiamaptä- 

NUCI  TaTc  nAPACKCYAk  Ol  nOAlOPKOYMCNOI.  (19)  npö 
AC     TUN     KINAYNEYÖNTUN      CTPATICüTÜN      nPO*eP^- 


97  wirst.  (13)  Und  den  Sklaven  würdest 
Du  freilassen,    den  Soldaten   befördern, 

43  den  waffentragenden  Metöken  den  Ehren- 
kranz  verleihen  und  Belohnungen  geben 
je    nach    Wert    der    vollbrachten    Tat. 

45  (14)  Denn  solche  Ankündigungen  pflegen 
vor  allem  die  Gesinnung  der  Feinde  {zu  er- 
schüttern) und  dieMetöken  und  die  Haus- 
sklaven zu  veranlassen,  sich  nicht  mehr 
zu  rüsten  und  bi-auchbare  Lebensmittel 
zu  liefern.  (15)  Wenn  das  geschieht, 
^vird  sich  die  Anzahl  derer,  die  sich  der 

'°  Gefahr  aussetzen  wollen,  vermindern, 
sie  wei'den  mehr  Getreide  verbrauchen 
und  bald  wird  ein  Aufruhr  in  der  Stadt 

98  entstehen.  (16)  D?gegen  nimm  keine 
Untauglichen  bei  Dir  auf,  wenn  sie  über- 
laufen, damit  die  Lebensmittel  der  Be- 
lagerten schneller  aufgezehrt  werden. 

(17)  Wenn  Du  das  alles  vollendet  hast, 
5  so  lege  Bahnen  an  und  beschaffe  Walzen 
zum  möglichst  schnellen  Vorbringen  der 
Maschinen,  vei-suche  die  durch  Palmbret- 
ter, eiserne  Beschläge  und  Kissen  ge- 
panzerten, die  oben  angebrachte  Rinnen 
haben,  vorzubringen,  nachdem  Du  auch 
die  Steinwerfer  und  Pfeilgeschütze  aufge- 
stellt und  jedem  der  Steinwerfer  jener 
2  zehnminige  und  1  fünfspithaniiges  ent- 
gegengestellt hast.  (18)  Verrate  abei-  ja 
nicht,  an  welcher  Stelle  Du  den  Angriff 
machen  willst,  sondern  deute  ihn  an 
15  mehreren  Stellen  an,  schaffe  dagegen  die 
Maschinen  an  andere,  damit  die  Belagerten 
durch  die  Vorbereitungen  irre  werden. 
(19)  Vor  den  gefährdeten  Soldaten  sollen 
möglichst  viele  Fiechtschiidki'öten  aufge- 


97,42     AN    X^efNAI    S:     XnA»HNAI    PV  43     »TÖN    Ae    M^TOIKON     HOaItHN     (nOIHCCIN    KAl) 

cTe*."    Er   nach  App.  Mithr.  48:    -Tan    X«6Tnai,   tön   a^  m^toikon  hoaIthn  Xn    Xnoo>flNAi,  tön 
Ae  ctp.  Xnab.  (kaI  >  CTe*.  kaI-   Biie  47    f   (tapattbin)  S:    "{aeiaAc)  cf.  p.  97,  6;  noieTN 

ex  pro.ximis  adsumitur«    Bue  48  tä  S:  toy  PV 

98,  3.  4'  SATTON  Bue   (vgl.  Onesandr.  XLII  9,  23):    Saatton  PV  9  xoa^apaic  PV: 

XOA^APAC    Ro  r2    AYOAeKAMNAiOYC    V:     AOAeKAMNAlOYC    P  I3    «H    ♦.   KT^.]    AuOn.    Pül. 

p.  204, 10  SS.  We       «ANepßc  V\:   corr.  R  15  nPOAeiKNYC  P\':   corr.  Br  18  npo«ep^- 

CGUCAN  S:  npoco.  PV 


70 


Diel  s  und  E.  S  c  ii  k  a  m  m  : 


CGMCAN    reppoxeA&NAi    uc   nAeiCTAi,  Yn'    eYxePöc    98 
^NTeveeN   dKnHAÖNrec    KiNAYNev-ccociN.    (20)  ay-     »o 

TÖC    AC 

MAAICTA  6N  ToTc  Ac*AAeCTATOIC  ^PY-MACIN  ÖN 
KAI     MAAICTA     eYAABOY     HAPABOHeelN,     nPOCTACCCON 

iku     noY    [a^oc]    AeH     kai     cYNeetoPÖN,    eri    ji 

nOIHT^ON    dCTIN. 

(21)  döCAiruc  AG  kaI  Ik  saaacchc 

'    ^AN(nOIHTI^N)nPOCArC0nHN,  eni  TeTÖNÖAKÄAUNKAi        ^5 

TUN      A^MBUN      ctAcac     whxanhmata     npöcAre  • 

(22)    KAI   AIACKÄYAC    TaTc  MericTAlC  CKA^icl  TÖ   KAbT- 
ePON    TOY    AlWeNOC,   iku    SXHC   KATA<t>PÄKTOYC  NAYC. 
nOIHCAl        THN        nPOCBOAHN        ToTc        ^MneiPOTATOIC 
OYCI      KAI      AYNAMeNOIC      KINAYNEYeiN      KAI      «ÄAICTA       30 
KATA      GAAACCAN.      (23)      THN      AS      AlÄCnACIN      TOY 

♦PAfMATOC 

KaI  TÖN  KAeiePUN  fl  TaTc  ÖMBOAaTc  TÖN  NHÖN 
nOlHT^ON  ^CTIN  H  TaIc  ^NAYeCI  TÖN  ArKYPÖN 
<^Ö)NeYONTA    SK    TUN    nPOCAXeeiCWN    ÖAKÄAUN. 

(24)    ÖTAN 
Ae       nPOCAXGH       TA        MHXANHMATA       nAPAKAAECAC       35 
TOYC     CTPATIUTAC     KAI     THN     AYTHN     gniKHPYIIN    TH 
nPOTePA        CYNTGASCAC        nOIOY        THN       nPOCBOAHN 

nÄNToeeN    thc   nÖAScoc    kai    kata    thn    kai    katä 

eÄAACCAN,  ^AN  e'»AAON  H  Tl  TOY  TsixOYC,  INA 
*Ö8PN     Te     MC     nAsTcTON      nAPACKEYACHC     KAI     AIA-       4o 

cnÄcHC  eic  tioaaa  to'y'c  eNAOeeN  kinayncyon- 
TAC  •  (25)  eNeprfl  Ae  coi  tA  bbah  oAnta  fe'cTO)  kai 

Ol      KPIOi      KAI      tA      TPYOANA       KaI      Ol      KÖPAKSC      KAI 

AI  ^msAePAi  KAI  katA  thn  kaI  katA  bAaattan  eic 

TOYC    nPOCHKONTAC     TÖnOYC  •     (26)    KAI     OOIOY    THN       45 

npoc- 


stellt  werden,  damit  sie  leicht,  von  hier 
aus  vorspringend,  der  Gefahr  sich  aus- 
setzen können.  (20)  Du  selbst  halte  Dich 
zumeist  in  den  gesichertsten  Schanzen  auf, 
und  hüte  Dich,  zu  Hilfe  eilen  zu  wollen. 
Vielmehr  ordne  an,  wenn  es  irgendwo 
nötig  ist,  und  überlege  im  Kriegsrat,  was 
noch  zu  tun  ist. 

(21)  Kbenso  bringe  aber  auch,  wenn 
Du  vom  Meere  aus  den  Angriff  machst, 
Maschinen  heran,  indem  Du  sie  auf  die 
Lastschiffe  und  Boote  stellst;  (22)  und 
durchbrich  mit  den  größten  Kähnen  die 
Hafensperre,  und  wenn  Du  Panzerschiffe 
hast,  mache  mit  Deinen  erfahrensten  und 
den  Gefahren  zur  See  gewachsenen  lauten 
den  Angriff.  (23)  Die  Trennuag  des 
(schwimmenden)  Bollwerks  und  der 
Sperrkette  muß  man  entweder  durch  die 
Sporen  der  Schiffe  bewerkstelligen  oder 
durch  das  Einhaken  der  Anker,  die 
man  von  den  herangebrachten  Last- 
schiffen aus  aufwindet  (24)  Wenn  aber 
die  Maschinen  herangebracht  sind,  rufe 
die  Soldaten  iierbei  und  lasse  dieselben 
Verkündigungen  wie  liniher  ausrufen, 
greife  die  Stadt  von  allen  Seiten  zu  Lande 
und  zu  Wassei'  an.  wenn  irgendein  Teil 
der  Mauer  am  Meei-e  liegt,  damit  Du 
möglichst  große  Angst  einjagst  und  nach 
vielen  Richtungen  die  Kämpfer  trennst, 
die  innen  sich  der  Gefahr  aussetzen 
müssen.  (25)  Sämtliche  Geschütze  und 
die  Widder,  die  Bohrer,  die  Raben  und 
die  Fallbrücken  sollen  Dich  zu  Lande 
und  zu  Wasser  an  den  geeigneten  Orten 
unterstützen.  (26)  Auch  mache  den  An- 
griff so,  daß  Du  die  Kämpfer  ablösest  und 


98,2  3  [a^ocj  Die:  aeon  S  a^h  Die:  Aef  \'\'  CYNeeupelN  PV:  corr.  Die:  -f.  ۀn 
ASH  cnoYAH  KAI  CYNGeupsTN  cito  succurrcrc  ac  porro  quid  faeiendum  sit  oircunispicere"  Bue 
25    (noiH   thn)   Hr         Te   Die:    Ae    PV:    [as]   S  27   ckä*€CI    V  29   noiHCAi  S: 

noiHCAC  PV  30  AYNAM6N0YC   PV:   corr.  S  31   AlÄCTAClN   PV:  AlÄcnACiN  S,  vgl.  An-. 

An.  II  24.1  32  NeöN  wie  p.  100,76;   104,17;'  Die  33  noiTeoN  V  34    ncy-onta 

PV:  cori'.  lir  44  ka'i  katA  e.  P:  kaI  tA  e.  \'  45  kai  n.  T.  np.  — 99,1  <«>Yr(ociN]  vgl.  Anon. 

l'ol.  p.  204,13 — 18  We 


Exzeiyte  aus  Phlhms  Mechanik  VII.  VIII  (IV  19—31;  p.  08.  9!)).       71 


BOAHN  i.K  AlA^iOXHC  TÄN  CTPATIUTÖN  MHSeNA 
nAPAAinWN,     INA     AKMÄZONTeC     Aci    'kINAYNeYCUCIN  ; 

<(öcTe) 
icxYPÄN   Xei   KAI   CYNexfl   rlNeceAi  •    (27)   ka)   eö- 

PYBON  no- 
A^'N    noielN    KAI     cÄAnirrAC    ÄNiecsAi    katä    ik 

icXYPÖTATA  THC  nÖAGUC,  INA  YnOAAMBANONTeC 
AAlCKECeAl  TA-I-TH  TÖ  Te?XOC  XnÖ  TÖN  METAnYPriwN 
MCTA      TÖN     ÄAAUN     »YrUCIN,     <(CY     a')     iK£\     nePI- 

cnÄCAC  WC 

nAeiCTOYC  tun  ^NAOeeN  KATA  AAWCIN  XEIPtüCH  THN 
nÖAlN.  (28)  AYTÖC  A^  bnCOC  MH  AlAKINAYNeYCHC-  OY- 

e^N  rÄp  AN  XneprÄCAio   thaikoyton  tu  lAiu  cu- 

MATI,  bcON  AN  BAÄYAIC  OAeUN  {TI>  HANTA  TÄ  RPA- 
rWATA. 

(29)  (.  .  .)     nOIHT^ON     a'     eCTIN     KAI     eWBOAAC 

eic  TA  «e- 

TAnYPriA      Tüj      XxPeiOTÄTW       TÖN      MerAAUN      CKA- 
t  • 

♦ÖN,      ^ÄN      N      TÖnOC      ArXIBABHC      Ka'i      nPOBAHTAC 

exuN  KAKAJ  t6  Teixoc  KATÄ  tayt'  h  XceeN^c  kai  a- 

AÜCIMON,    ^An   n^CH. 

(30)  AeT  A^  KAI  TAfc  YnoP'faEeci  tön  teixön  aa- 
ePAioic  xPAceAi  KAoAnep  ka'i  nyn  xpöntai 
(6iy    WeTAAAEYONTeC  ■    (31)    eÄN     a^    Antimctaa- 

ABYÖNTUN 

TÖN  ^NAoeeN  cYNTPHeA  H  eic  AenfÖN  cyn^aoh 
TÖ  ÖPYrwA,  XPHCT^ON  ecTi  Toic  BOYnöPoic  kaI  toTc 
TAicoTc      KAI     taTc      zibynaic      ka'i     T0?C     TPiCnl- 


98  keinen  dabei  ühergehst,  damit  sie  immer 
•17  bei  Kräften  sind,  um  die  Gefahr  zu  be- 
stehen, so  daß  der  Angriff  immer  staili 
und  anhaltend  wird.  (27)  Auch  sdII  man 
starken  Lärm  machen  und  an  den  stärksten 
Stellen  die  Trompeten  schmettern  lassen, 

5°  damit  sie  vermuten,  dort  sei  bereits  die 
Mauer  genommen  worden,  und  von  den 

99  Kiirtinen  mit  den  anderen  fliehen.  Du 
aber  dadui'ch,  daß  Du  dort  möglichst 
viele  von  der  Besatzung  wegziehst,  die 
Einnahme  der  vStadt  erzwingst.  (28)  Du 
sell)St  jedoch  sollst  Dich  nicht  der  Ge- 
fahr aussetzen,  denn  duirh  Deine  eigene 
Person  könntest  Du  nicht  so  viel  zu- 
stande bringen,  wie  Du  duri'h  einen 
(^etwaigen)  Unfall  der  ganzen  Sache 
schaden  \vilrdest. 

(29)  Man  muß  aber  mit  den  am  wenig- 
sten brauchbaren  der  großen  Schiffe  mit 
dem  Sporn  gegen  die  Kurtinen  rammen, 
wenn  die  .Stelle  tiefes  Wasser  und  gegen 
die  Mauer  Vorsprünge  hat  und  diese 
dort  schwach  und  im  Falle  des  Kinsturzes 

'"     leicht  zu  nehmen  ist. 

(30)  Man  soll  auch  die  heimlichen 
l^ntergrabuugen  der  Mauern  anwenden, 
wie  sie  jetzt  Ix'i  den  Mineuren  üblich 
sind.  (31)  Falls  aber  die  Belageiten 
Gegenminen  anlegen,  der  (iaiig  zusaoi- 
mentrifft  oder  bis  auf  ein  kleines  Stück 
zusammenstößt,  muß  man  die  Ochsen- 
spieße und  die  leicliten  Spieße  und  die 
Jagdspieße  und  <lie  dreispithamigen  Ka- 


98,  46  MHB^N  PV:  corr.  Die  47   {öcTe)  S  48  kai  in  Ras.  V  49  CAAnirrAC 
NYKTUP/    verm.   Die   nach   Anon.  a.  O.         ^NieceAi   Wesseüng  zu   Diod.  XVII,  106   p.  243: 

doch  hat  An.  auch  Anon.  I'ol.  a.  O.;  vgl.  Onesandr.  42, 17  49.  50  tac  icxyputatac  l'V: 

corr.  Wesseüng 

99,  I  [«etA]  Bue  {cV  a'^>  ^ke?  Bue  ^Ke?ce  S  4  cyben  rAp  kt4.]  vgl.  Onesandr.  33,1 
5  Ti^  >S  6  noioiTEON  V  €wboaa  I'N':  corr.  S  8  nPocBAHTÄc  l'V:  coi-r.  Die:  npoc- 
baAtac  G.  Dindoi-f  Thcs.  s.  v,;  »f.  npocArurAc  coli.  95,22«  Br:  nPOCBAHToic  Bue  9  kaI  lö 
teFxoc  katA  tayt'  h  Ace.  Br:  katA  t.  t.  kai  ta't'th  PV:  katA  tö  t.  kaI  toyt'  ih  Biic  10  äAn 
n  ON^^CH  Bue  11  ff.  vgl.  An.  Pol.  p.  212,6- — 10  W  11.  12  AAePAluc  l'V:  corr.  Die 
13  (p\)  R  15.  16  kaI  Toic  r.]  K^NTPOic  Ca  16  rAPCoic  I':  rApcoic  V;  am  Hde.  S  l'\': 
corr.  Rigaltiu.s  Gloss.  Takt.  p.  62 


72 


D 1 1:  L  s  und  E.  Schramm: 


eÄMOIC       KATAn/ATAlC       KAI       TOIC       AIMNAIOIC       nS- 
TPOBÖAOIC  •  (32)  KAI  KAnNICTeON  TOYC  SN  ToFc  METÄA- 

AOIC      ÖNTAC-      (33)      KOINA      Afi      ECTIN      XM«OTePCüN 

TAYTA    KAI 
TAN      nOAlOPKOYWeNUN       KAI      TÖN      nOAlOPKO'r'NTUN. 

(34)  Yna  ae  mh  ewninPHTAi  «hts  ta  mhxanh- 

«ATA       MHTe       AI      iniBÄePAl       MHTe       AI       XeAÖNAI, 

taTc  ciahpaTc  KAI  xaakaTc  xPHCTeoN  ecTi  (Aenici) 

KAI    TaTc    MO- 


SS    tapalten  und  die  zweiniinigen  Stein werfer 
i8     gebrauchen.      (32)   Auch    soll    man    die 

in  den  !Minen  Befindlichen  ausräuchern; 

(33)  das  ist  beiden,  den  Belageren  und 

Belagerern,  gemeinsam. 

(34)  Damit  weder  die  Maschinen  noch 
die  Sturmbrücken  noch  die  .Schildkröten 
in  Brand  gesteckt  werden  können,  sind 
eiserne  oder  eherne  Schuppen  und  blei- 


Bild  30. 


AIBAAIC  KEPAMiCI  KAI  TW  »YKEI  AISPCO  £\C 
AIKTYA  eMBAAÖNTA  KAI  ToTc  CnÖrfOIC  NOT6P0IC 
KaI  Tofc   KCOAIOIC  0261   BPeiANTA  H   YAATI.   (35)  fl  11« 

fi     TU     aYmATI     Te*PAN      «liANTA      XAei<t>eiN     TA      £Y- 

AA,  in  «AAicTA  nYP  oisi  nPocnece?ceAi. 

(36)  noioYNTAi    Ae   ai    reppoxeAüNAi    eK   tun 
nAexeeNTUN    reppuN    ANueeN     sc     öieIan     ru- 

NIAN    CYrKAeiCeeNTUN    nPÖC    AAAHAA,     düCAV-TUC    AE 

KAI  eK   TÖN    npöceeN  •   (37)  sIta    bypcun   oepita- 

eeiCÜN  KAI  AOKlAUN  KATWeEN  MEN  ^K  TÖN  HAA- 
riMN       TETPArCüNUN       CYMOArElCÖN,       ENAOGEN        AE 

CTPorr^ACüN      YnoTEeeicöN      oy      XAAEnöc     Ynö 


erne  Ziegel  (s.  Bild  30)  anzuwenden  sowie 
nasses  in  Netze  eingewickeltes  Seegras 
und  feuchte  Schwämme  und  mit  Essig 
oder  Wasser  benetzte  Felle.  (33)  Oder 
man  mischt  Asche  mit  Leim  oder  Blut 
und  bestreicht  damit  die  Hölzer  an  den 
Stellen,  wo  Du  am  ehesten  vermuten 
kannst,  daß  das  Feuer  auftrelTen  wird. 
(36)  Die  Flechtschildkröten  werden 
aber  aus  den  geflochtenen  Ruten  gemacht, 
die  oben  miteinander  zu  einem  spitzen 
Winkel  zusammengeschlossen  werden 
ebenso  wie  auch  vom.  (37)  Dann  werden 
Häute  darumgespannt  und  vierkantige 
Balken  unten  auf  den  Schrägseiten  zu- 
sannnengefiigt,  innen  aber  werden  Walzen 
untergelegt.  So  können  sie  ohne  Schwie- 
rigkeit  von    den  Soldaten  vorgeschoben 


99,  17.  18  nEPiBÖAOic  P  23  (Aenici)  Br  23.  24  moaybainaIc  Hercher  zu  Aen. 

Tact.  p.  104,8  24  Aiepö  (darüber  $)  und  am  Rde.  $  Anti  toy  yppö  PV  25   t.  cnör- 

roic  —  27  Aaeiojein]    »cf.  Polj'aen.  VI  3   ubi  1.  ^nAAei*ö«EN0C   ii6c  ( — on  öioc  cod.);  cf.  etiam 
Aen.  Tact.    34,1,  ubi  probabiliter  Meinekius  inseruit  ihü»   S  26  yaati  ft  iiö-  Ca  27  tw 

aTm.  t.  m.]  vgl.  Anon.  Pol.  p.  259,13  We         28  ei  PV:  corr.  Ha  und  Hercher  a.  O.       nvp]  nep  PV 


29   EK  TUN    (nAArlUN 


>s 


31  CYrKAEice^NTA  PV:  corr.  Wilhelm  Dindorf  im  Thes.  s.  v.  r£^f>oxe- 


AÖNH  32  zwischen  ka)  und  iK  ist  h  übergeschr.  in  V  1 


32.  33  nepiTEeEicuN  PV:  corr.  S 


Exzerpte  aus  P/iilons  Meekanik  VIJ.  Vill  (lY  31-44;  p.  .9.9.  100).       73 


TUN       CTPATIUTUN       nPO*ePONTAI       /ilA       TÖ       MHAG      99 

BAPoc  txeiH  noA-«'.  37 

(38)  AI  a'  eni  tön  AewecoN 

XeAUNAI        KATACK6YAZ0NTAI        nePl^ePcTc       ANUeEN 
^K     CANJAUN     ICXYPÜN     CYMnHrNY'MeNAI,     YnÖ<l>AYCIN 

KAToeeN    SxoYCAi,    b'eeN    01    AieoBÖAOi    XoieNTAi.     4° 

(39)     AI      Ai      XUCTPIAeC     TA     «SN     AAAA     OAPAnAH- 

ciü)C-    TPO- 

XOYC  Ae  exoYCAi  {katahipaktoi  kai)  KATACTereTc 

^«npoceeN  riNONTAi, 

INA     Ol     XUNNYONTeC     ^I     AYTÜN     TAC     TA*POYC     «H 

TITPÜCKUNTAI.     (40)     AI     A^      KPIO^ÖPOI      OYA^TGPON 

fxOYCI 

TOfrUN    ^K    TOY    nPÖC   TOI-C    ^NANTIOYC,    YnÖTPOXOI       45 

A^     noioYNTAi,    KAI     nepi^epcTc     oytcoc     ^Mnpo- 

ceeN      ^NA^ceic     kaI     Antitona     fe'xoYCAi     (.  .  . 
(41)  Ae?  A^)  npöc  TÄ  ÄnippinTOYMeNA  Xm^Ibahctpa 

H    TOYC     KONTO'J'C     [tO'Vc]     HAArjOYC     nAPABÄAAEIN 

fl  ta?c  AAMnAciN  ■Y'»Arrre!N  aytA  (fi)  [Ant'i  tön  ir-     y 

XeiPlAJuN]  II«iOAP^nANA  fe'xONTA  ^niKÖHTeiN-  (42)  ^CTI 

Ad       TAYTA       XPHCIMA       KAI      nPÖC       TAC       ANABÄCeiC     100 

KAI  nPÖc  TÄc  TÖN  CKEAÖN  YnoTWHCEic-  (43)  npöc 
A^    TOYC    AicieM^NOYC    TPoxoYc    KAI    Ai'eoYC    tAc 
reppoxcAÖNAC     y*i^nai.     npöc     a^     tA     kcpA- 
MiA     ka!    tA     kpyotömcna    öpytmata    toic    cei-      5 
powACTAic    xpficoAi-   (44)   npöc   a^    tac    böopoic 

ÄniTieew^NAC 

OYPAC       KAI      TO'Vc      TPIBÖAOYC      TO'V'C       KATABAAAO- 
M^NOYC      ^NAPOMIAAC       €x0NTAC      YnOBAiNCIN       KaI 

tAc    «an    nponeiPÄzoNTAC    taFc    aik^aaaic    Ana- 


werden,  weil  sie  keine  große  Schwere 
haben. 

(38)  Die  Schiklkröteii  auf  den  Booten 
werden  rund  geb.Tut.  oben  werden  sie 
aus  starken  Brettern  zusammengefügt. 
Unten  sollen  sie  eine  Öffnung  haben,  aus 
der  die  Steinwerfer  schießen.  (39)  Die 
Schüttschildkröten  sind  ihnen  im  übrigen 
ähnlich,  doch  haben  sie  Räder  und  sind 
vorn  gepanzert  und  mit  Verdeck  ge- 
macht, damit  die  Leute,  die  aus  ihnen  die 
Gräben  zuschütten,  nicht  verwundet  wer- 
den können.  (40)  Die  Widderträger 
haben  an  der  nach  dem  Feinde  zuge- 
kehrten .Seite  keines  von  beiden,  sie  wer- 
den abei'  fahrbar  gemacht,  und  da  sie  vorn 
in  dieser  Weise  mit  runden  Verbindun- 
gen und  Kran  verseilen  sind  {. . .). 

(41)  Gegen  die  übergewoi-fenen  Netze 
(soll  man)  entweder  von  der  Seite  die 
.Speere  werfen  oder  sie  mit  P'ackeln  von 
unten  anzünden  oder  endlich  sie  mit 
sichelförmigen  Schwertern  durchschnei- 
den. (42)  Diese  sind  auch  brauchbar 
beim  Aufsteigen,  um  die  Beine  (der 
Verteidiger)  von  unten  abzuschneiden. 
(43)  Gegen  die  losgelassenen  Räder  und 
Steine  soll  man  die  Flechtschildkröten 
aufstellen,  gegen  die  (vergrabenen)  Töpfe 
und  verborgenen  Gräben  sind  die  Bodeii- 
sonden  anzuwenden.  (44)  Gegen  die 
über  Gruben  gedeckten  Falltüren  und 
die^verstreuten  Fußangeln  sollen  Leute, 
die  Schuhe  mit  dicken  Sohlen  haben,  vor- 
gehen und  jene  nach  Absuchen  mit  zwei- 


99,36  nPoco^PONTAi  I'V:  coit.  Bue  vgl.  p.  98,18  ,37  Aer^MBUN  V  39  cym- 

MirNYweNAi  PV:  COIT.  Ha         41   ai  a^  xuctpIacc  —  44  titpuckcontai]  vgl.  Anoi).  Pol.  p.  209,4 — 6; 
p.  260,6  We  42   /katAopaktoi  ka'i  Die  (vgl.  oya^tcpon  44);  nur  {ka'i)  Br  43  tac  P: 

TOYC  V         47   Lücke  erkannte  Bue;  er  erg.  {nPÖc  ...  aci)  nPÖc:  (acT  a4)  Die  49  [to>'c]  Br 

50;  51  [AntI  tön  irx.]  S;  vgl.  p.  79,8.  99,24 

100,3  AM«ie«^NOYC  V  4  A»idNAi  PV:  corr.  Die:  AnoictAnai  Br:  A«<i>ieNNYNAi  Bue  Ke- 
pAmia]  vgl.  p.  85.  23/!.;  Anon.  Pol.  p.  209. 1 3  ff.  \\'e  6  nPÖc  ae  —  11  ANAKAeAipeiN]  Anon.  ])ol. 
p.  210,  2  —  212,  6  W  6    ^BÖePoic  ^ni)Tiee«eNAC  Die  nach  Anon.  Pol.  p.  212,  4  Wc        tac 

in\  BOePCY'MACi  tiocm^nac  e-t-PAC;  vgl.  auch  oben  94,37  8  YnePBAiNeiN  Br  9  npo- 

neipAzoNTA  PV:  corr.  R  / 

Vhil.-hiM.  Abk.  191{).  Ar.  12.  10 


74 


DiELS   1111(1  E.  Schramm: 


CKAnTeiN,    TOYC    A€    Tofc    KHnOYPIKO?C    KTECIn    ANA-    100 

KAeAiPeiN-  (45)  npöc  ag  täc  cipvrMeNAC  ta<i>poyc     ■■ 
^niBÄePAC   öniBÄAAeiN  •  (4(5)  npöc  as   toyc  npo- 

BAAAOMfiNOYC       AieOYC        XeTpaC        CIAHPAC        ^niPPI- 

nroYNTAC  ÖNBYeiN  •  (47|  npöc  as  toyc  katakphmnco- 

MENOYC     TPIBÖAOYC      KAI      AOKIAAC      KAI      TOYC     HPO-        '5 

TieeweNOYC  *opaaoyc  toic  APenÄNOic  xpAcoai- 
(48)  npÖc  Ae  toyc  kpioyc  kai  ta  APenANA  kai  toyc 

KÖPAKAC      TOTC      CNeTHPCI       KAI      TaTc      KEPAIAIC       KAI 

ToTc  nepiBAAAOM^NOic  BPöxoic  KAI  To?c  AOinoTc 
kpIkoic  •  (49)  npöc  a^  toyc  nYPO*6poYC  kai  toyc  tpi-     ^° 

BÖAOYC      toyc      KAIOMCNOYC       KAI       TÄC       AAMHAAAC 

KAI  TAC  ÄNGYnOPYieiC  ToTc  6IPH«eN0IC-  (50)  TAC  A6 
OAAIOYPOYC  CKÄHTONTAC  CIC  (tÖ)>  TÄ  T^AMATA  KATA- 
XCüNNYNAI,    TAC    a'  (aIMACIAC^      CKKÖnTONTAC  EIC  TAC 

erxticeic  tön 

TA«PtüN    KATAXPriCeAl-  '5 

(51)  npöc  Ae  TAC  tän  ncTPOBÖ- 

Aü)N  elC  TAC  CTOÄC  rlNOMSNAC  nAHfAC  HPÖC 
MCN  TAC  ANUeSN  CniBAAAeiN  TGPPA  TPIHAÄ  KAI 
^n'  AYTA  <t>OP«OYC  ÖMninAÄNTA  AXYPUN  H 
*YKOYC.  nPÖC  AE  TÄC  eK  TUN  nAAricüN  npoc- 
XCONNYNAI  TOYC  ToixOYC  AXPl  TÖN  rCPPCüN,  HPÖC  3° 
AC  TAC  AAAAC  OACAC  ToTc  MAAArWACI  XPH- 
COAI-    (52)    nPÖC    A^     TA     ^NieWCNA     YAATA     ^£Ar(0- 

rJAAC  öPYCceiN-  (53)  npöc  ac  tAc  AnoTMHceic  tön 

ArKYPeiwN    SAN    BAG'^C    Ö    TÖHOC,    AAYCelC,     bAn     AE 
TCNArWAHC,     tAc    ApKYPAC    tön    nAoiuN    XÖNAI    KA-       3^ 
e^IOYClN  ■ 

(54)  npöc  AS  tAc  CKTPYntHceic  tön  ncön 

KYKAU       *~('AAKAC        KATAACinTCON       KAi       tAc       CA- 

100,  14  «coNeYeiN  PV:   ciirr.  Br 


zinkigen  Hacken  ausgraben,  diese  mit 
fiärtnerrechen  wegharkeii.  (45)  Gegen 
die  au.sgehobenen  Gräben  muß  man 
Brücken  überwerfen.  (46)  Gegen  die  in 
den  Weg  geworfenen  Steine  muß  man 
eiserne  Klauen  überwerfen  und  sie  mit 
der  Winde  wegziehen.  (47)  Gegen  die 
lierabgeliängten  Dreiecke  (s.  Bild  i8)  und 
Balken  und  die  vorgehängten  Binsen- 
matten sind  die  Sicheln  brauchbar. 
(48)  Gegen  die  Widder,  Sicheln  und  Raben 
sind  die  Flaumienwerfer,  die  Krane, 
die  überzuwerfenden  Schlingen  und  die 
übrigen  Ringe  brauchVjar,  (49)  gegen 
die  Feuerlanzen,  die  angezündeten  Brand- 
gescbosse,  die  Fackehi  und  die  Gegen- 
minen die  vorerwähnten.  (50)  Die  Dorn- 
liecken,  die  man  ausgräbt,  sind  zur  Aus- 
fiU'ung  der  Schlammlöcher,  die  Zaun- 
hecken, die  man  ausrodet,  zum  Zu- 
schütten der  Gräben  zu  benutzen. 

(51)  Gegen  die  von  den  .Steinwerfern 
auf  die  Schutzdächei-  gericliteten  Würfe 
muß  man,  und  zwar  gegen  die  von 
oben,  dreifaches  Rutengefleeht  auflegen 
und  darauf  mit  Spreu  oder  Seegras  ge- 
fiilkes  Binsengeilecht,  gegen  die  aus  den 
Flai\ken  konmienden  (Schüsse)  muß  man 
die  Wände  bis  an  das  Flechtwerk  ver- 
schütten, gegen  alle  übrigen  muß  man 
die  Kissen  verwenden.  (52)  Gegen  das 
hineingeleitete  Wasser  muß  man  Ab- 
zugsgräben jiei-stellen.  (53)  Gegen  das 
Kappen  der  Ankertaue  werden  bei  tiefen 
Stellen  (s.  Bild  31)  Ketten,  bei  seichten 
Trichter  die  Anker  der  SchiflFe  schützen. 

(54)  Gegen  ihr  Anbohren  muß  man 
ringsum  Wächter  zurücklassen,  Bretter- 
flöße daneben  verankern,  aus  denen  jene 


17   APenANA]  TPYnANA  Gra  19  tpoxoTc  PV: 

corr.  Ro       AOinofc  bezweifelt  Die  20  kpioTc  PV:  corr.  Bue  23   (rö)  Br         tgawata 

Rr:    AeiMMATA    PV  24   tAc   a    PV:    tAc   a'    {aimaciac)    Die:    toyc   A(e   CKÖAonAc)    Br 

25  xPHCSAi  V  34  ArKYPicoN  PV:  cori-.  Die         basyc  Br:  bpaxyc  PV  3^  reNAruAHC 

Br:  TeAioNec]  über  0  hat  S  P  (a.  Rde.)  V:  Te(NArcüAHC,  n)AeioNec  Buc       nAoiwN  Die:  n-f-pruN  PV 
36  NeöN  S:  eN  PV 


Exzerpte  aus  Philons  Mechanik  VIT.  VTTT  (IV  41—58;  p.  100).         75 


1-10  0. 

Bild  31. 


NJAAC  nAPOPMICT^ON,  il  Ü3N  ^XONTAC  TPIÖAON- 
TAC    THPeTN    TOYC    YnOAeNAPYÄ    ZONTAC  • 

(55)  npöc  A^ 

TÄC  YnOXdjCelC  KaI  TÄC  in  TH  TH  riNOMeNAC 
ANAKAOÄPCeiC  TUN  HinTÖNTUN  AJeUN  AnÖ  TÖN 
ToixCdN     Ka]     tön     nPOreiXICMÄTUN      XPHCIA^A     ^CTIN 

iK    HiN 
eAAACCHC       yk      AnTAHTHPIa)       OiC       ANAKAeAiPOYCI 

TOYC    AIM^NAC 

KAI  ciahpaI  ÄpnÄrAi  •  (56)  i<  rfic  a^,  Ötan  YnoTÄiw- 
ci    npöc    tA    nT(iMATA.    a'i    xuctpiacc    xbaönai 

KAI     Ol     MOXAOi      KAI      AI      aIkCAAAI      KAI      AI      AMAZAI. 

(57)  ^An  ^i  TiNoc  TÖN  mhxanhmätwn  h  npöc 

TO>'C  nOA€«iOYC  KAeHKOYCA  nAEYPA  n^CH,  CTP^- 
YANTAC      ACf      nPÖC      TOYC       ^NANTl'oYC       THN      YriH 

THN  TeTPWM^NHN  ^nicKeYÄZEiN '  (58)  npöc  A^  TA 

AAAA      CYMnTUMATA      ^K     TOYTUN      A-TTÖN     AC?     ^N- 


100  mit   Dreizacken    bewaffnet   die  Taucher 

39     beobachten  sollen. 

(55)  Gegen  die  Zuschüttung  (der  Ha- 
4°  leneinfahrt)  aber  und  für  die  auf  dem 
Lande  notwendigen  Aufräuimmgen  der 
von  den  Mauern  und  den  Vorwerken 
lallenden  Steine  sind  zu  Wasser  {die 
Bagger)  biviuclibar,  mit  denen  man  die 
Häfen  ausbaggert,  und  eiserne  Harken; 
(56)  zu  Lande  aber  die  Schüttschildkröten. 
^5  sobald  sie  sie  an  die  Trümmerstätte  ge- 
bracht haben,  und  die  Hebebäume,  die 
zweizinkigen  Hacken  und  die  Wagen. 

(57)  Wenn  <iber  bei  einigen  Maschinen 
die  den  Feinden  zugekehrte  Seite  fällt, 
soll  man  die  gesunde  gegen  die  Feinde 
drehen  und  die  beschädigte  wieder  auf- 
5°  bauen.  (58)  Bei  den  anderen  Kinstüraen 
muß  aus  diesen  selbst  erwogen  werden. 


100,38  ii  ci)N  Die:   Si(o  I'V  3g   YnoAENAPYAZONTAC   Die   Br:    vgl.   Kt.    M.  agn- 

APvAzeiN:    inscr.  Epidaur.  CoUitz  3340,20:    Kustath.  zur  IL  p.  326.28:    YnoAeACÄzoNTAC  PV 
40  Ynoxciceic  Ko:  ■v'noxQPHceic  I'V  (=  KÖnpoc  ANePuneiA  Mi)  43  (jk  Antahthpia)  Die 

olc  S:  ToTc  I'V:  TA  oTc  Bue  44  ciahpaTc  ApnArAic  I'V:  corr.  S  47  tincc  VI':  corr.  Th 

48  n^CH   i'V:  noNECH  S  51   aytoyc  Br:   «f.  aytön  a.  ^NeYMOY«eNON«   Bue 

10* 


76 


D  I  E  L  s  und  K.  S  c  II  u  A  M  M  : 


GYMOYM^NOYC       Aiei       Tl       MHXANÄCGAI       «H       ANOH-     101 
TUC. 

(59)    KAI    ÖAN    «eN    nOAYN    XPÖNON  M^AAHC    nO- 

AioPKefN   THN   nÖAiN,   AÖiAN   ÄMnoiei   To?c    noAe- 

MIOIC      OJC      ÖAirON     XPÖNON     nOAlOPKHCUN,    TnA     AA- 
YlAßC      ÄNAAICKUCI      TA      nPÖC      THN      TPO*flN      XnH-         5 
KONTA     KAI     MH     HAPACKeYAZUNTAI      nPÖC     TAC     eCO- 
MeNAC       nPOCBOAAC        MHAE       BOHeSIAN        MSTAn^M- 
nUNTAI  •    (60)   ÄAN  AS  nOAlOPKHC,   ilC  nOAYN  XPÖNON 

nPOCKAPTePHCtoN     ÄneiAei,     Yna    <t>08HeeNTec     tö 

M^AAON     eÄTTON     HmTn     CYrXUPHCUCIN    6     BOYAÖME-       '° 
OA. 

(61)  neipß   Ai   ka!   thn   gnaon   oycan    aeian 

(ka'i)  Äan 

YnOZ-tTlÄ  TINA  H,  HAPeAeCeAl,  ft  ^SArOPÄCAl 
d)C  ^AAXicTOY  WÄAICTA  A'f'NH,  fl  iN  TAfc  riNO- 
WeNAIC  ANOXaTc  nPÖ*ACiN  TINA  AABüJN  ni9A- 
NHN  MHK^TI  elCGAÄCAl  A*eC  «H  »Y-        15 

AÄCCUN  TO'r'C  TÖnOYC  TOY'TUN  H  eiEAAYNONTeC 
BOCKHCOYCIN,    ÄAa'    GACON    AYTOYC    elU    N^MEIN    KAI 

fnei(T'   ^niAPAMtoN)    [thn    än^apan]    fl    ^nsapan 

KATACKeYÄCAC 

AnoTewÖMeNOc  KYPieYcoN  aytwn  ■ 

(62)  OYG^N    TAP   ÄNAAicKei   TÖN  ^N    TH    nOAlOP-       20 
KIA      XPHCIMCON      ONTCON,      AAa'      H      AXYPON      fl      XÖP- 

TON,  oic  eic  OYeeN  aaao,  eic  Ae  ta  bockhmata 
xpöntai  ■  (63)  npöc  YrieiAN  Ae  kai  tpo»hn  «erÄAA 

CYMBÄAAETAI      AIA      Te      TOY      rÄAAKTOC      KAI     KATA- 

KOneNTMN    KAI    nCOAOYMeNUN   TUN    KPeÖN ' 

(64)    ETI    AS    TA       25 
AEPWATA        AYTCn        nPÖC       TA       MHXANHMATA       KAI 
TOYC    KPIOYC    KAI    ÖCA  ÄCTI  TOIAYTA  XPHCIMA  TINGTAI. 
(65)    MH    ct>eiAOY    Ae  XPHMATWN  WHTe  kata  au- 


wie  jedesmal  dagegen  in  nicht  unver- 
ständiger Weise  zu  verfahren  sei. 

(59)  Und  wenn  Du  die  Stadt  lange 
zu  belagern  im  Begriff'  bist,  so  enveckc 
bei  den  Feinden  die  Meinung,  als  ob  Du 
nur  kurze  Zeit  belagern  wolltest,  damit 
sie  reichlich  das  zur  Nahrung  Dienliche 
verbrauchen,  sich  nicht  auf  die  kom- 
menden Angriffe  vorbereiten  und  keine 
Hilfe  herbeirufen.  (60)  Wenn  Du  aber 
wirklich  belagei-st,  drohe  ihnen.  Du 
würdest  lange  Zeit  ausharren,  damit  sie 
aus  Angst  uns  .schneller  bewilligen,  was 
wir  wollen. 

(61)  Versuche  auch  das  innen  befind- 
liche Vieh  und,  wenn  etwa  einige  Zug- 
tiere vorhanden  sind,  wegzuführen  oder 
möglichst  billig  aufzukaufen,  oder  hebe 
bei  eintretendem  Waffenstillstand  unter 
irgendeinem  überzeugenden  Vorwand  das 
Einfuhrverbot  auf,  indem  Du  zugleich 
die  Orte  nicht  bewachen  läßt,  wo  sie 
zur  Weide  austreiben ;  laß  sie  vielmehr 
außerhalb  weiden  und  bemächtige  Dich 
ihrer  später,  indem  Du  sie  durch  oflienen 
Angriff  oder  durch  Legen  eines  Hinter- 
haltes abschneidest.  (62)  Das  Vieh  ver- 
zehrt ja  nichts  von  den  bei  der  Belage- 
rung nötigen  Vorräten,  sondern  nur  Kleie 
oder  Heu,  was  zu  nichts  anderem  als  für 
das  Vieh  gebraucht  wird.  (63)  Zur  Erhal- 
tung der  Gesundheit  und  zur  Ernährung 
trägt  es  freilich  außerordentlich  viel 
bei  durch  seine  Milch  und  sein  Fleisch, 
das  geschlachtet  und  verkauft  wird. 
(64)  Fei-ner  werden  ihre  Häute  für  die 
Maschinen  und  die  Widder  und  alle  diese 
Vorrichtungen  verwendbar. 

(65)  .Spare  auch  das  Geld  nicht,  weder 


101,  I   eNeYMOYMeNOic  I'\':  corr.  S  5.6  Xnhkonta,  h  aus  a  corr.  V  8  noAioPKHC, 

uc  Biic:  noAloPKHCUCi  I'V  12.  13  ^iAropÄc  ewc  l'\':  corr.  Br:   ^lAroPÄCAi  ist  Imperativisch 

15  Ä«ecl)ie:  Ä*   hcPV:  a«hc  R:  Ä<t>eic  Biie  16  hS:  BcPV:  ofc  I{  18  ^ni  thn  ^n^apan 

PV:  corr.  Die:    »f.  e'neiT'  an  «ANePö  vel  ÄniTHAeiON  ^niAPOMHN  (cf.  103.  47)  vel  aliud.  Bue     ew^- 
APANi  KATACK.  P:  ^NBAPAN:  KAT.  V  20  XnaaIckein  V  2  1   AAAO   PV:  vcrwechselt  mit 

Aaa'  2  2  2  2  OIC  eic]  oi'ceic  PV       aaao]  aaa'   V\  s.  Z.  21        eicfetc  P)Te  ta  PV:  corr.  Bue 


Exzerpte  aus  Pkilon.«  Mechanik  VIT.  VIU  (IV  5S~70;  p.  101.  102).     77 


POAOKiAN  «HTe  KATA  TAC  AAAAC  AAOANAC  •  101  bci  der  Bostccliung  iiocli  bei  den  anderen 
feAÜN  PAP  THN  nÖAiN  noAAAOAACiA  AH-  3°  Ausgaben ;  denn  nach  Einnahme  der  Stadt 
YH.  wirst  Du  es  vielfach  wiedergewinnen. 

(66)  Du  sollst  Dir  ferner  lederne 
Schutzhäuser  <[herstellen)>,  und  die  aus 
den  Schutzhäusern  Schießenden :  die 
Steinwerfer,  die  Bogenschützen  und  die 
Sclileuderer,  sollen  in  möglichst  großer 
Zahl  und  Tüchtigkeit  bei  den  Angriffen 
da  in  Tätigkeit  treten,  damit  sie  >(niclit 
^NeproYNTcc,  Yna  (i*ii)  TPAYMATizuNTAi '  (67)  Aioi-     35     Verwundet  werden,   (67)  denn  es  bleibt 


(66)    KAPBÄTINAI    Ae    CGI    OIKIAI    <(nAPACKeYAC- 
T6AI)    KAI    ÄK    TUN 

KAPBATJNÜJN        BAAAONTeC       KAI       Ol      AISOBÖAGI      KAI 

Ol       TOIÖTAI       KAI      Ol      C*eNAONHTAI      ÄC      nASrCTOI 

kaI     apictoi      kata     täc     npocBOAÄc     Sctucan 


C€l  TAP 
OYaIn  fl  TeA€YTAN  H  XxPeiOYC  rlNeCOAl  TO'YC  KIN- 
AYNE'r'ONTAC  •  (68)  KAI  A-fTÖC  ^KTÖC  B^AOYC  (Sn  A 
AC«AAWC  nAPAnOPeYÖMENOC  nAPAKÄAE!  TOYC 
CTPATICüTAC    KAI    TOYC  «EN  XfABOYC   riNOM^NOYC  AN- 

APAC  iriAiNei  Te  kai  tIma,  toyc  a^  kakoyc  aoi- 
AÖpei^Te  ka'i  KÖAAze-  (69)  oytwc  täp  an  apicta 

KINAYN6YCeiAN    Ol    CTPATIÖTAI    nÄNTGC. 

.  (70)  aaicko- 

M^NHC  A^  TfiC  nÖACUC  *0B0Y  Mhl  eiC  AIAP- 
nAPHN  ÖPMHCANTeC  Ol  CTPATICOTAI  AYTOi  TG  Y*' 
feAYTÖN  KAJ  Ynd  TÖN  ^NANTIWN  HAPAnÖAUNTAI 
fi      nAAlN      ^KBAHeWCIN      ^K      THC      nÖAeWC      fl      KA- 

TACxÖNTec  AYToic  AYC«eN6?c  KAJ  XxpeloYc  np6c 
tAc   AeiTOYPriAC    kaI  täc  eioopÄc  noiHCcoci  toyc 

nOAlTAC     KAI     r^NHTAI     mXtaIOC     Ö    nÖNOC    AlAPnA- 


sich  gleich,  ob  die  der  Gefahr  Ausge- 
setzten fallen  oder  kiimpfunfähig  werden. 
(68)  Und  Du  selbst  mußt  außer  Schuß- 
weile oder  auf  sicheren  Umwegen  die 
Soldaten  ci'muntern  und  die  sich  tapfer 
Ijewährenden  Männer  loben,  dagegen  die 
feigen  tadeln  und  strafen.  (69)  Denn 
.so  werden  alle  Deine  Soldaten  am  besten 
dazu  gebracht,  sich  der  Gefahr  auszu- 
setzen. 

(70)  Wenn  die  Stadt  genommen  wird, 
mußt  Du  befürchten,  daß  Deine  Soldaten 
auf  Plünderung  ausgehen  und  dabei  ge- 
genseitig oder  durch  die  Gegnei'  getötet 
oder  wieder  aus  derStadt  hinausgeworfen 
wer^len  oder  aber,  wenn  sie  sich  be- 
haupten, die  Bürger  feindlich  gesinnt  und 
unfähig  zur  Leistung  der  Fronden  imd 
Abgaben  machen  und  so  die  Mühe  um- 


sonst wird,   da  ihnen   Hab  und  Gut  ge- 
ce^NTUN  TÖN   XPHMÄTON    KAI   wcoc  noiHCÄMeNOC     50     plündert   ^^■orden   ist,   und   so   wirst  Du 

i^^"^^  nur  Haß    erregen,    wirst    den    Soldaten 

TAC   ciTAPKiAC   fe'xHC  Xnaaiaönai  Toic  ctpati6taic  nicht  genügend  Verpflegunggeben  können 

MHTe  ci)«^A€iA  mha'  Ntic  oYn  coi  r^NHTAi  TQ-t'TOY  102  und  es  wird  Dir,  wenn  dies  eintriit,  nicht 
cymbaInontoc.  der  geringste  Nutzen  erwach.sen. 

101,31  (nAPACKEYACT^Ai)  Die;  veiTOUtlich  ist  mehr  ausgefallen  32  »f.  kapbati6n(ün  coli. 

]).  92,  28-   Dindorf  Thes.  .s.  V.:  kapbatinön  Ca  Schneider  Lex.  s.  v.  35  <«h}  S  36  A 

teacytän  Bue:  erre  AenTÄc  l'V:  eiTe  AenTovc  K  37.  38  »f.  A  Xc*aaöc  del.«  S  38  oapa- 
nop.]  (vgl.  nAPinne-i-WN  Polyaen.  IV  3,8  VI  4,1:  nAPAe^uN  VII  21.7):  nePinoPEYÖMeNoc  Br 
42  KiNAYNCYCuciN  l'V:   corr.  Bue  45  nAPAnoAOYNTAi  l'V:    corr.  Ha  47  aytoTc  l'V 

51   CITAPKIAC  Die:  ciTAPXiAC  PV  (stehciide  Konfusion  der  Hss.) 

102,1    uo^AeiA  mha'  fiTic  OYN   Br  nach   p.  80, 6:    a)*eAeiAC  Ömiahthc  oyn  l'V:    (ü*dAeiA 

CCiMATOC    MtIC    gyn    BuC 


78 


D I E  L  s  und  E.  Schramm: 


(71)  KATAAAMBANelN     a'   eN     TaTc     AACOCGCI     MÄ-    102 

AICTA 
AeT    TA    TeIxH    KAI    THN    AKPÖnOAlN    KAI    THN  ÄrOPAN  4 

KAI    t6 
CTPATHrlON     KAI    SAN    TIC    H    AAAOC    TÖHOC    ICXYPÖC  •  5 

6AN    AG   4AATTa3N    H    H   AYNAMIC,    [eic]  TO'TC  n'r'PrOYC 

KAI 
TÖN  eniKAIPÖTATON  TÖnON,  INA  MH  HAAIN  SKn^CH 
THC    nÖA€UC. 

(72)  iAH    AS    MH    AYNH     nOAlOPKÄN    KATA    KPA- 

TOC    AA- 
BeTn    THN    nÖAIN    AIÄ    TÖ    icXYPAN   eInAI   AYTHN   HAN-       lo 

TOe£N, 

ÄnixeiPHTeoN    h    kata    (kacohn  fi)    npoAOCiAN  h 

AIMÖN    AYTHN 

eAe?N  •   (73)  katA  kadohn  m^n  nyktöc  h  tac  cky- 

ti'nac 
kaimakac   npoceeNTAC,  aV  Pahtontai    KAeAnep    oi 

ACKO'I       KAI      YnAAOI*H      KATA      TAC      PA<«>AC     YnOCTe- 

rNuee?cAi    «ycuntai,   eTta   npocTieeNTA   ^ni   ta?c     '5 

CTYn- 

niNAIC     KAIMAIIN     Ai'    KATACKEyAzONTAI    AIA    nAOKHC 
KaI  PA*HC,  KAI  nPÖCTA  n^PATA  AYTUN  AfKICTPA  nPOC- 

AnTONTA,   i'na  eniPPinTOYmeNooN    t&n    akpcün    ^ni- 

AAMBAnHTAI    tön    nPOMAXWNCON  •    (74)    H    Tofc  ClAH- 

poic  nAC- 

cAaOIC,     Ol     CTOWWeeNTEC     KAI     ÖIYNeeNTeC    KAI    eiC       20 

tAc  ne- 

TPAC     KATA     TAC    AIA»YCeiC     KAI     610    TOYC    AIGINOYC 

ToixOYC 

KATA  tAc  cymboaAc  KAI  SIC  TOYC  nA:NeiNOYC  ir- 

KÖnTONTAI 

ciahpaIc  c*ypaic  Ynö  tun  anasainöntcün  •  (75)  ,^h) 

Tofc  Ar- 

Kl'cTPOIC    TOTC    CIAHPoTc,    AHSP    Sni    KAACOaIcüN    {VIPÖC 

tAc  ^nAAieic)  enippi- 


(71)  Bei  der  Einnahme  muß  man  vor 
allem  die  Mauern,  die  Burg,  den  Markt, 
das  Hauptquartier  und  wenn  es  sonst 
noch  einen  festen  Ort  gibt,  besetzen.  Ist 
aber  Deine  Macht  zu  gering,  wenigstens 
die  Türme  und  den  geeignetsten  Ort, 
damit  man  nicht  wieder  aus  der  Stadt 
hinausgeworfen  werden  kann. 

(72)  Kannst  Du  aber  die  Stadt  nicht 
mit  Gewalt  erobern,  weil  sie  auf  allen 
Seiten  stark  befestigt  ist,  so  mußt  Du 
vereuchen,  sie  entweder  durch  <(List 
oder^  Veri-at  oder  durch  Hunger  zu  neh- 
men, (73)  und  zwar  durch  List  bei  Nacht 
oder  durch  Anlegen  von  ledernen  Leitern, 
die  zusammengenäht  werden  wie  die 
Schläuche  und  durch  Verschmieren  der 
Nähte  luftdicht  gemacht  lAid  aufgeblasen 
werden;  dann  legt  man  sie  auf  Strick- 
leitern an,  die  durch  Flechten  und  Nähen 
hergestellt  werden,  und  bringt  an  deren 
pjiden  Widerhaken  an,  so  daß,  wenn 
man  sie  mit  den  Spitzen  aufwirft,  sie 
sich  an  den  Wehren  festhaken,  (74)  oder 
aber  vermittels  eiserner  Pflöcke,  die  ge- 
siählf  und  gespitzt  sind  und  in  die  Stein- 
blöcke in  deren  Ritzen,  in  die  steinernen 
Wände  in  deren  Fugen  und  in  die  Ziegel- 
wände von  den  Aufsteigenden  mit  eiser- 
nen Hämmern  eingeschlagen  werden. 
(75)   Oder   auch  vei-mittels  der  eisernen 

Widerhaken,    wie    sie    an    Knotentauen 

■(gegen  die  Wehren)  geworfen  wei-den. 


102,3  k'ataaambAnci  PV:  corr.  R  6  h  (Hj  hn  PV:  corr.  Br:  h  Ha  [efc]  Br  ii  <kao- 

nHN  fi)  Ro  12    katA  KAonHN]  vgl.  Anon.  Pol.  p.  212,16  We.  tag  ck.  ka.  —  19  nPOMAX.] 

eljendrt  p.  213,2  —  214,  2  We.  13  npoe^NTAC  PV:  verb.  S:  nPoeesTA  Bue  15  elTe 

PV:  corr.  R       nPOTiecNTAi  PV:  npoYnoTieeNTAi  An.  p.  213,  8  We. :  corr.  Bue  15.  16  CTvn- 

tInaic  PV         19  CIA.  nACC.  —  27  ayt6]  vgl.  An.  Pol.  p.  260,  8  —  261,  i  We.  20  ösYe^NTec 

PV:  ccuT.  Wescher  22   CKKÖriTONTAi  PV:  corr.  S  24  <^npöc  TAC  ^n.)  S;  vgl.  Anon. 

Pol.  p.  260,12  24  enippinTe?TAi  S 


Exzerpte  aus  Philons  Mechanik  VII.  VIII  (IV  71—80;  p.  102).         71) 


nrOYNTAI     AAWATA      ^XÖNTWN,      ÜCT6     MH     XAAenÜC 

KAI    KATÄ 
TAYTA      4xeiN      ANABAINeiN     TO^C     CTPATIMTAC     ^GIC- 

eeNTAC, 

KAOAneP  Airrnrioi  noiovciN  aytö. 

(76)    KATÄ    AC    [THn]    nPOAO- 

CJAN   U  MeTAneMYÄ«CNÖC   TINA  TUN  GNAOGeN  i)C  AIA- 

AejÖWeNON    nep'l    AlAAAArÜN    H    AI'  ^niCTOAÖN  X»A- 

NüiN 

KHPYKAC  H  npecsevTÄc  eicnewncoN  kai  cymboaa  ai- 

AOYC    KAI    XPHMATA.      (77)    rPÄi»ONTAI    a'  AI    ^niCTO- 

aa!  eic  kay- 

cIan  kainhn  <h)  eic  tön  xpöta  khkTaoc  GAACeei- 

CHC   kaI  y- 

AATI  BPAXeiCHC-  iHPANG^NTA  AE  TÄ  TPAMMATA  A- 
AHAA  riNCTAI,  XAAKOY  AÄ  AnBOYC  TPI*OeNTOC  (üCneP 
^N     YAATI    TÖ    «eAAN    KAI    ^N    TOYTCÜ    CnÖrrOY    BPA- 

X^NTOC, 

OTAN  Anocnornceft  TofTw,  oancpA  rJNeTAi.  (78)  fi 

eic  Y- 
«^NA  rpA^eicHC,  elTA  aihahc  oychc  thc  kaycIac  eic 
TÖ  XnX  m^con  TeoeicHC  thc  CTe*ÄNHC  kai  feT^PAC 

.^^ni)KOAAH- 

eeicHc  •  (79)  U  knk  m^con  tun  YnoAHMATuN  toy 

^MBAHMATOC 
KAJ    TOY    KACCY■A^ATOC    (»AOeicHC    (80)    fl    eic    KYCTIN 

ÖN    BOYAETAl 
TIC^    rPA*^NT«N,    eTTA    eic    AHKYGON    KAINHN    CY'M- 

«eTPON 

TH  KYCTei  TeeeicHC,  eiTA  BPexeeicHC  ka'i  mbtA  tayta 
♦YCHeeicHc  KAI  Y-nocTAAeicHc  (. . ./  np6c  tö  ^cco 

ctöma 


102  so  (laß  es  den  geübti'ii  Soldaten  nicht 
schwer  fällt,  auch  mit  diesen  aufzusteigen, 
wie  es  die  Ägypter  machen. 

(76)  Ferner  durch  Verrat :  entweder 
läßt  Du  einen  der  Belagerten  heraus- 
kommen unter  dem  Vorwande,  Friedens- 
verhandlungen anknüpfen  zu  wollen,  oler 
durch  Geheimbriefe.  indem  Du  Herolde 
oder   Gesandte    hineinsciiiekst    und    Er- 

^^  kennungsmarken  und  Geldsummen  mit- 
gibst. (77)  Man  schreibt  diese  Briefe  in 
einen  neuen  Hut  oder  in  die  (mensch- 
liche) Haut  mit  zerquetschten  und  mit 
Wasser  versetzten  Galläpfeln.  Ist  die 
Schritt  getrocknet,  wird  sie  iinsichtbai'; 
zerreibt  man  aber  Vitriol  wie  die  Tusche 
im    Wasser    und    benetzt    damit    einen 

35  Schwamm,  so  ti'itl  diese,  wenn  sie  damit 
abgewaschen  wird,  deutlich  hervor. 
(78)  Oder  man  schreibt  auf  dünnes  Per- 
gament; dieses  wird,  da  der  Hut  doppelt 
ist,  in  die  Mitte  der  Kappe  gelegt  und 
mit  dem  anderen  zusammengeleimt. 
(71«)  Oder  sie  wird  zwischen  Deckleder 
und      Sohle     der      Sandale      eingenäht. 

40     (80)  Oder  es  wird  ein  belithiger  Inhalt 

auf  eine  Blase  geschrieben,  dann  in  eine 
neue  zur  Blase  pä-ssende  ÖKlasche  ge- 
steckt, darauf  naß  gemacht,  aufgeblasen 
und   dadurch  (in   die  Flasche)   gedrängt 


102,  25  ^niPPinTelTAi  S  26  eiGiCG^NTec  V\ :   corr.  Wescher  28.  29   aiaac- 

söweNOC    II  29    AiAAAArwüN   1*  30    KHPYKA   V  eicn^MnTUN    I'  31    -^ 

AI  Bue:  AÄ  PV  32  kainön  V         <((h  >  eic  Ca         kikIaoc  PV:  khkIaoc  Schneider  ecl.  phys.  1 

p.  139  36  AnocnorneA  PV:  corr.  11         hnntai  PV:  corr.  R  37   elTABue:  iuh*  PV 

38    TÖ  knk  M^CON  TEGeiCHC  S:  TÖ  XnU  M^CHC  Te  OYCHC  PV  ^niKOAAHeeiCHC  Die:  KOAAHGeicHC  V\ 

40  KACYMATOC  PV  IH  eic  K.  — 47  rerPAMM^NAJ  vgl.  Aen.  Tact.  31,10 — 13,  1461:  Leo  strateg. 

I  2  eic  KYCTIN  (Ln  nach  Th  1  S:   cickytinun  PV:    eic  kyctin  tin'  Sn  Ca  41   <(tic)  S 

KeNHN  Ko  42    -f.  Tfic  KYCTeuC"   S:    (aythc;   TeG.  Ca  42.  43  SPexGeicHC  und  «YCneeicHC 

sind   vertauscht   PV:    corr.    Die  43    YnocTAAeicHC   Bue:    XnocTAAeicHC    PV  nach 

YnocTAAeicHc  ist  vielleicht  Lücke  anzunehmen  und  nach  Aen.  so  auszufüllen  (eic  thn  ahkygon, 
TOY  A^  Xkpoy  XnoKon^NTOc  kaI)  Die         ct6(aa  PV :  ctömatoc  Bue 


80 


DiELS  und  E.  Schräm; 


KÖAAH    KATAAe;i=eeNTOC  KAI   6AAI0Y  erXYG^NTOC,   In' 

AAH- 
AOC      H      ^niCTOAH     reNHTAl,      TOYTON     TON     TPOnON 

eicn^MneiN  ■ 

(81)     Ö     PAP    AABWN      THN      AHKYSON      [XPOnON      eiC- 

newneiN]  paaIcoc  rNtöceXAi  ta  re- 
rPAMMewA.    (82)  noAAol  Ae  kai  aaaoi  TPÖnoi  eici 

T&N    KPY- 
«AIWO-  AnOCTeAAOMeNWN    rPAMMATUN,    d)C    AHACüCO- 

MEN 

in  Tu)  eiAei  Tö  nepi  ^niCTOAcöN  tön  KPY<t>Aiü)c  Äno- 
CTEAAOMeNWN.     (83)    EAN   Ae  MH  KAeAipeeöciN  Yn6 

TÖN    OYTtOC 

ne/AnoM^NCoN  tpamwatcon,  aaaac  nsMne  np6c  toyc 

HrOYMGNOYC  TÖN  HPArMÄTUN  YniCXNOY'MeNOC 
AUP6AC  MericTAC  KAI  XPHMATA  •  AI  KATAfANsTc 
riNÖMeNA!    TOYC    WEN    CTAClÄzeiN    nOIHCOYClN   <(.  .  .]> 

(84)    KATA    Ae    AIMÖN  nePIXAPAKÜCAC   KAI   TÖnON 

ICXY- 

PÖN    nepiTeixicAC   tinä   th   nÖAei  kaI  «yaakac  ä- 

C*AAe?C  in'  AYTÖ  KATACKeYÄCAC,  o\  kuaycoyci 
«HTe    KATA  THN    MHTe    KATA    eÄAACCAN    MHAeN    eiC- 

KOMizeceAi.    (85)  tayta    ab    ooihcac  tIndy  npöc 

TO?C 
AAAOIC  nPÄrWACI  KAI  AHYH  THN  nÖAIN  fi  TUl 
nOA£A\ü)       KATOPeÜCAC       iH        ^KGaIyAC       AIMW,         KAI 

OYe^N  KASYCTePHceic  TÖN  npÄieuN. 

(86)    ^ÄN   Ae  BOHeeiÄN  tina  npocAexH  hapa- 

CKeYA- 

CACeAl     TOTC     ^NANTIOIC,     eÄN     MeN     KATAAeeCTePAN 


102  (das  Lnde  wird  dann  abgeschnitten  und) 
an  dje  innere  Öffnung  mit  Leim  angeklebt 

^5  und  öl  eingegossen,  damit  der  Brief  un- 
sichtbar wird;  aiil' diese  Art  soll  man  ihn 
einschicken.  (81)  Der  Empfänger  der 
ölflasche  wird  leicht  da-s  Geschriebene 
verstehen    können.      (82)    Ks   gibt  noch 

viele  andei-e  Methoden  für  Absendung 
von  Geheimbriefen,  wie  ich  in  dem  Ka- 
])itel  über  Geheimbriefe  zeigen  werde. 
-  50  (83)  Lassen  sie  sich  aljer  durch  die  so 
gegesandten  Briefe  nicht  überwältigen, 
so  schicke  andere  an  die  Leiter  der  öffent- 

103  liehen  Angelegenheiten,  worin  Du  ihnen 
sehr  bedeutende  Geschenke  und  Geld- 
summen vei-sprichst;  werden  diese  be- 
kannt, so  werden  sie  die^einen  zu  einem 
Aufstand  veranlassen  <^. . .) 

(84)  Durch  Hunger  (kannst  Du  die 
Stadt  bezwingen),  indem  Du  einen  festen 
5  Platz  gegenüber  der  Stadt  mit  Wall  und 
Mauer  umgibst  und  zuverlässige  Be- 
wachungstruppen hineinlegst,  welche  die 
Zufuhr  zu  Lande  und  zu  Wasser  ver- 
hindern. (85)  Hast  Du  diese  (Blockade) 
eingerichtet,  so  widme  Dich  den  anderen 
Unternehmungen;  dann  wirst  Du  die 
Stadt  entvvederdurch  erfolgreichen  Kampf 
einnehmen  oder  durch  die  Erschöpfung 

10  r         c 

infolge  des  Hungers,  ohne  daß  Du  da- 
dui'ch  etwas  in  Deinen  Unternehmungen 
verzögei-st. 

(86)  Wenn  Du  aber  erwarten  darfst, 
daß  man  für  die  Feinde  irgendeinen- 
Entsatz  vorbereitet,  so  verständige  Dich, 
falls  Deine  Streitkräfte  zu  schwach  sind. 


102,44  KATAAH<t>eeNTOc  PV:  corr.  S  46  [TPÖnoN  eicn^Mnem]  S;   statt  dessen  stand 

vielleicht  da  (kaI  ÄiePACAC  tö  eaaion)  nach  Aen.  a.  O.  1475  oder  (ePA-f-CAc)  Die  49  efAei] 

lAiü)  Bue       TÖN  nepi  P  50  kasaip  ee';  öcin  Biie:  kasaipucin  PV:  KAeY«öciN  Die  51  äaaac 

n.  KTfe.]  vgl.  Polyaen.  V2,i8 

103,  I   HreMÖNOYc  V  3  mgn]  Snaon  Br:  »an  excidit  aliquid;'«  S  4  awön  Th  mg: 

AHMON    P'V:      »nOIHCOYClN,     KATA    AE    AHMON     ■( KATA    A^    AIMÖn)     (potCSt     fuisse     KATAAYeCeAl 

Ae  AHMON-  KATA  Ae  aimön)«   Bub  12.  13  nApecKeYACGAi  S :  nAPececoAi  Ha:  eher  HAPACKeY- 

AcecoAi  Die  13  KATAAYNACiePAN  P'V:    coiT.  Ha    und  Chr.  B.  Hase  Thes.  s.  v.  kataayn. 


Exzerpte  au,«  Philons  Mechanik  Vll.  VIII  (IV  80—95;  p.  102.  103).     81 


AYNAMIN    €XHC,     AIÄAYCAI    THN    TAXicTHN    SAN    BOY- 

ACONTAI    XPHMATA    AABÜJN    fi)C    OTI    HAeTcTA    ANAZeY- 

TN-^UN  nPÖC  TÖ  HAHCIACAI  TOYC  nOAeWOYC  •  (87)  ÄAN 

A^ 
WH    AIAÖCIN,    AEHAATHCAC    KAI    KAKÖCAC  THN  XÜPAN 

AY- 
TÖN     AnAAAÄTTOY      nPÖNOIAN      nOIDYMENOC,      ÖnuC 

Xc«AAÜc  AnÄseic  tö  cTPATöneAON.    (88)  iku  a^ 

nAPA- 

nAHCIAN     fi     KPeiXTd)     AYNAMIN    fXHC    KaI    KATÄ    THN 
nPOCA^XH     TOYC    nOAeWIOYC,    TH    XAPAKCüCei    KAI    TH 

TÄ*PU    KaI    TH 

TeixonoliA         nÄNToeeN         (nc         Ac«AAecTATA 

nAPACKEYACÄMeNOC    ■»'nÖMeNe,    THN    XPCIAN    KAI  TÖN 
XÖPTON    KAI    TÖN    cItON    KaI  TÖN   oTnON   KAI  ÖCA  AAAA 

TPO*HC    ÄCTIN    6x6- 

«ena  nPÖc  TÖ  CTPATÖneAON  npocAröweNoc  ■  (89) 

ka) 

taopu   kai  xäpaki  ncpibaaün   aytö   ta  m^n  ika- 

nA  KATÄAeine,  tä  aä  {nePiTTA  6c'  Xn  a-^nh)  Anö- 

AOY,    TA    AG    AAAA    ToTc 

CTPATliTAIC    eiC    tA    TÄrWATA  AIÄAOC-    (90)  TÖN  A^ 

KATÄ- 

AOinON    XÖPTON    KAI    CITON    ÖCON  i.H  WH  A-f-NH  OPOC- 

KOMICAl,    /tön  M^N  XÖPTOn)   KATÄKAYCON  '    (91)  TÖN 

A^    C?TON    AlÄ*eeiPON    Tofc 

OANACiwOIC     »APMÄKOIC,      <i)CAYT(i)C      AÄ      KAI      tA     Y- 

AATA,   ÖTAN  ^rricuciN  Ol  noA^Mior  (92)  tjna  a^ 

taytA 

^CTIN,   ^N    TOIC  TTAPACKeYACTIKoTc  flMlN  acahautai. 

(93)  AiAnPAiA«eNOC  a^  tayta  öc  icxypotä- 

TOYC    «Y- 

aakac  katäcthcon  •  (94)  kai  thc  m^n  nyktöc  ^k- 

koitIai 
riNEceucAN,  THC  a'  (imcpac  CKÖnei  ^n  Tofc 
^niTHAeioic  Tönoic-    (95)   ka'i  katacköhoyc  Anö- 

CTGAAe 


103  so  schnell  als  möglich  mit  ihnen,  wenn 
sie   dazu  bereit  sind,    und  nachdem  Du 

15  Dir  möglichst  viel  Geld  hast  zahlen 
lassen,  ziehe  beim  Nahen  der  Feinde  ab. 
(87)  Wollen  sie  es  nicht  geben,  so  plün- 
dere und  \erheere  ihr  Land  und  ziehe 
ab,  xoreorgend,  daß  Du  Deine  Truppen 

ungefährdet  vvegfiilirst.  (88)  Hast  Du 
aber   eine   gleiche   oder   stärkere  Streit- 

20  macht  und  erwartest  Du  die  Feinde  vom 
Lande  her.  so  harre  aus,  nachdem  Du  Dich 
durch  Palisaden,  Gräben  und  Befestigun- 
gen nacli  allen  Seiten  so  sichei'  als  mög- 
lich verschanzt  hast  und  den  Heeresbedarf 
und  Futter.  Getreide,  Wein  und  alle 
sonstigen  Nahrimgsmittel  Deinem  Lager 

25  zuführst.  (89)  Und  nachdem  Du  dieses 
mit  Graben  und  Wall  umgeben  hast, 
lasse  dort,  soviel  Du  brauchst,  zurücit, 
das  (Uberechießende)  verkaufe  (soviel 
Du  kannst),  das  übrige  verteile  an  Deine 
Soldaten  in  den  einzelnen  Truppenteilen. 
(90)  Wenn  Du  von  dem  übriggebliebe- 
nen Futter  und  Getreide  nicht  alles  herein- 
bringen kannst,  verbrenne  (das  Futter), 

3<.  (91)  das  Getreide  dagegen  mache  durch 
tödliche  Gifte  unbrauchbar,  ebenso  auch 
das  Wasser,  wenn  die  Feinde  heran- 
nahen. (92)  Was  dies  für  Gifte  sind,  habe 

ich  in  dem  Buche  Paraskeuastika  dar- 
gelegt. (93)  Hast  Du  das  durchgeführt, 
so  stelle  möglichst  starke  Wachen  dort 
35  auf  (94)  Und  zwar  sind  nachts  Nacht- 
wachen einzurichten,  bei  Tage  aber 
an  den  geeigneten  Oilen  Spähposten. 
(95)  Schicke  auch  wohlbewährte  und 
kluge  Kundschafter  aus,  damit  nicht  ver- 


105,  16  npö  TOY  Th  mg  19  XnÄiHc  P'V       cTPATÖneAON]  »scr.  ctpäteywa:  soleot  haec 

miscere  Byzantini  (cf  mus.  Khen.  XLVI  p.  386  in  Sabbaitico  ApoUodoro  ctpatcyma,  in  Vati- 
cano  CTPATÖncAON).  Bue;  doch  vgl.  46  23  xpeian]  agian  S  27  ta  a^  (nepiTTA  öc' 


AN  aynh)  Die:  tA  a'  ^(MnoAOJN)  Bue 


30     'tön  M^N  XÖPTOn)  S  KATAYKAYCON  1"  AIA- 


*e€ipQN  P'V:  corr.  Ha  a  in  Tofc  TTapack.]  vgl.  p.  90,  20 

Phi/.-hist.  Abh.  191!).  Nr.  12. 


36  cKonoi  Ruc :  CKonAi  S 
11 


82 


D  I  E  L  s   und  K.  S  c  H  R  A  .M  M  : 


eeATICTOYC     KA'i    e«*PONAC,    INA    MH    AÄeuci    HAPeA- 

eÖNTec  TiNec  ;tö    tun  enanticon  nAfleoc  ^rricAN- 

(9<))    KAI 

neipö  nPÄTON  toyc  ctpathtoyc  h  toyc  HrewÖNAC 
*eerPAi   xphmata   aiaoyc    kai    AUPeÄc   YnicxNav"- 

«ENOC-  (97)   OYTUC   TAP  ^AN   KPINH,  riNETAl  NIKÄN   KAI 

OYAeN      ecTiN      erePON     ctpaththma     toioyton  ■ 

(98)    KAI    TA 

xpAmata  ^k  tön  noAioPKOYwdNcoN  ecTAi  Tflc  nö- 
Aeuc  AH«eeiCHC.  (99)   ^än  ab  mh  aynh  aekäcai 

TOYC  fl- 
rOYMeNOYC  TOY  CTPATOneAOY,  GNEAPAC  KATACKCYÄ- 
CAC  H  TÖUOrC  ^niTHAeioYC  nPOKATAAABÖMGNOC  iul- 
eOY      KATACTPATOneAeYOYClN     AYTOTC      NYKTOC     HPÖ 

TOY    (AiAOCeAl) 

TÄit>POY  eniAAB^ceAi  /h^>  xapaka  e^ceAi  toTc  boh- 
eoYciN  ■  (100)  oYTOi  rÄp  oi  kaipoI  to-Vc  ANTinAAOYC 

XelPOYNTAI. 

(101)    ikn    AE    KATA    GAAACCAN  M6AAHC  AlAKIN- 

AYNefeiN^ 

XfflCON  ^AN  H  AYNATÖN  TÖ  CTÖMA  TOY  AIMENOC  61 
AG  MH,  <t>PÄl0N  TaTc  ÖAKACIN  <(h)  ÖCOIC  AN  EXHC  in\- 
THAeiolC  nPÖC  TAYTA  HAOIOIC,  KAI  HAPAZeYION 
CXEAIAN  ^K  TÖN  YnAPXÖNTtON  lYAUN  KATA- 
CKeYÄCAC.  (102)  KAI  THPei  TOYC  *PYKTOYC  «AAICTA  THC 

NYKTÖC,    MH     Ce    AAGUCIN     Ol     BOHeOYNTCC    KATA    TO 

CKTÄC    THC     GAAÄCCHC     MEPOC    THC     nÖACfflC    HAPEM- 

necÖNTGC.    (103)    ^an  ae  tyxhc  exwN  mikpö  ka- 

TAAeecTc- 

PAN  A^NAMIN  NAYTIKHN,  Cni  TA  KATACTPüJMATA 
AABÖNTA  TOYC  APICTOYC  Ka!  ewneiPOTATOYC  TUN  CTPA- 


103  oiiizelte  feindik-Le  Soldaten,  die  der  sich 
39     nähernden    Truppenniasse     voi-auseilen, 

nnentdeckt  l)leiben.  (96)  Und  vei-suche 
4„  zuerst  die  Feldberren  oder  Offiziere  zu 
bestechen,  indem  Du  Gel<l  anbietest  und 
Geschenke  verspriciist.  (97)  Denn  wenn 
Du  Dich  so  entscheidest,  wird  der  Sieg 
errungen,  und  keine  andere  Kriegshst 
ist  so  wirksajn  wie  diese.  (98)  Auch 
wird  ja  das  üeld  von  den  IJelagerten 
wieder  einkommen,  wenn  die  Sta<lt  ge- 
45  nommen  ist.  (99)  Kannst  Du  aber  die 
Heerfühier  nicht  bestechen,  so  lege  einen 
Hinterhalt  oder  besetze  geeignete  Plätze 
vorher,  greife  sie  nachts  an,  während 
sie  ihr  Lager  aufschlagen,  ehe  es  den 
Hilfstruppen  (möglich  wird),  den  Graben 
anzufangen  {oder)  Palisaden  aufzu- 
50  stellen;  (100)  denn  girnstige  Umstände 
ül)erwältigen  die  Gegner. 

104  (101)  Willst  Du  aber  zur  See  den 
Kampf  wagen,  so  schütte  wenn  möglich 
«lie  Hafeneinfahrt  zu,  wenn  nicht,  so  ver- 
speri-e  sie  durch  die  Lastschiffe  <(oder) 
durch  dazu  geeignete  Fahrzeuge,  soviel 
Du  gerade  hast,  und  stelle  zur  Seiten- 
verbindung ein  aus  den  vorhandenen 
Hölzern  erbautes  Floß  her.  (102)  Und 
beobachte  vor  allem  nachts  die  Feuer- 
zeichen, damit  Dir  nicht  die  Entsatz- 
truppen, die  von  der  außerhalb  des 
Meeres  gelegenen  Seite  der  Stadt  hinein- 
gekommen sind,  verborgen  bleiben. 
(103)  Hast  Du  aber  gerade  eine  etwas 
schwächere  Seemacht,  so  niuun  die  besten 
und  erfahrensten  Deiner  Soldaten  auf 
Deck  und  befiehl  ihnen,  weder  den  Bug 


103,38  AÄeuci  (ce)  S  39  <jö)  Die  »f.  tön  ^nantIwn  ((kaI?)  Xrr^AAONTec  tö 

TÖN    BOHGüYNTUn)     nAHGOC«      Br  42     ^AN     KpInH     PV  :    ^N     BIPHNH    BuC :     Ctwa     AKONITI?     Die 

43  OYAG  P'V  45  ACKÄCAC  V:  ackAtac  P':  curr.  Mi  48  (aiaocsai)  Die  49  ta*pon 

V:  TA*P(üN  Bue  TÄ*poN  nepiBAA^ceAi  (kaI)  xäp.  e^ceAi  [toTc  eoHeorciN]  Br  xäpaka  g^cgai 
ToTc  PV:  nAPAKAGHCGAi  Tc  oTc  »prius  quam  fossis  nianum  imponant  castraque  committant 
cum  eis  <(uibus  auxüiantur«    Bue 

104,3  AN  S:  SAN  P'V  6  «PAKTOYC   P'V:  corr.  K  7   aäbwcin   P'V:  corr.  Ha 

10  KÄTu  CTPWMATA  P'V:  corr.  Ha 


\ 


Exzerpte  aus  Philo/u^  Mechanik  VII.  VIII  (IV  9.)— IOC;  p.  103. 10 1).    83 


1    50OOO.    ^o^^t  vtA.cyv<i/c/U,. 
Bild  32. 


TICOTUN,  nAPAfreiAANTA  «HTe  AKP(l)THPIAZeiN 
«HTe    ^NABAiNelN     ^ni     nOAeWIAN     NAYN     MHAeMIAN, 

AaaA      T^      XAAKÜMATI      XPÄCeAl,      naymaxht^on 

^CTI     np6c     AYTOY'C,    nOIHCANTA     MHNOelA^C     CXHWA 

KAI  TÄc   ^nirtAOYc   ka'i  täc  eYnpocÖAOYC  ka'i  tac 

XpICTA  HAeOYCAC  TÖN  N€(i)N  ^n'l  TÄ  KEPATA  TÄ- 
XANTA,     TA    A^     X*PAKTA     KAI     TA     YOMPCTIKÄ     eiC 

M^coN  nPÖCTH  cxbaU.  (104)  eTe'ÖTAN  Ärric(i)ci,To?c 

riYPOOÖPOIC     KAI    ToTc     H/«W^NOIC    TPIBÖAOIC    KAI    TA?C 

AAMnÄCI    KAI    TH 

nicCH    AHTfi    ^ÄN    f  XHC  •    (105)    KAI    ToTc  AIOOBÖAOIC 

KAI  TOFC  ÖSYBEA^CI  KAI  ToTc  AAAOIC  BCACCIN  ü)C  nACi- 

CTOIC    XPCÄMeNON     KAKOYN     ACT    TO'I'C     ^niBÄTAC    KAI 

CYNTPiaeiN     ka'i     ^MninpXNAi     ta     tun     änan- 

Ti'mN  CKÄ*H  TYnTONTA  ^K  THC  rflc  KAI  kVtb  TÖN 
MHXANHMATUN  KAI  XnÖ  TfiN  AAAUK  nAOiojN,  KA- 
TAPPÄIANTA  AYTOYC  WC  ^AAICTA,  ikn  tI  nOY 
BIÄZUNTAI.  (106)  ikn  ^i  YnOM^NUCIN,  fe'lO)  TÖN  KIN- 


104  abzuhauen  noi-li  ein  ieindliches  Schiff' 
zu  ersteigen,  sondern  nur  mit  dem  eher- 
nen Sporn  zu  rammen.  Sodann  muß 
die  Seeschlacht  gegen  diese  so  geleitet 
werden  (s.  Bild  32):  Man  -stelle  eine 
sicbelformige  Ordnung  her  und  ordne 
die  angreifenden  und  die  leichten  und 
die  am  besten  fahrenden  Schiffe  an  die 
Fh'igel,  die  ungcp'anzerten  und  die  Ruder- 
schifle  in  die  Mitte  in  der  Nähe  des 
Flosses.  (104)  Wenn  sie  sich  daini 
nähern,  greife  an  mit  den  Feuerlanzcn, 
den  angezündeten  Brandgeschossen  und 
den  Fackeln  und  mit  Pech,  wenn  Du 
es  hast  (lOä)  Auch  laß  die  Steinwerfer 
und  die  Pfeilgeschütze  und  die  anderen 
Geschosse  soviel  als  möglich  zur  An- 
wendung kommen,  damit  mußt  Du  die 
Schid'ssoldalen  verletzen  und  vernichten 
j,  sowie  die  feiiKÜiclien  Sehirt'e  in  Brand 
stecken  dui'ch  Schüsse  vom  Lande  aus, 
von  den  Maschinen  und  anderen  Fahr- 
zeugen und  sie  möglichst  zerstören,  wenn 
sie  irgendwo  vei-stoßen.    (106)  Falls  sie 


.        104,  17    n^PATA  P'V:   corr.  L.  Dindorf  Thes.  s.  v.  EYnPÖcoAOC  18    tAsac   P'V: 

corr.  S  20  npooöpoic  P'V:  corr.  Th  mg  kai  taTc  AAwnXci   nach   AieosÖAOic    (21)  in 

I'\':   versetzte   nach   tpiböaoic  .S  22.  23  nAeicTOYC  V  25  TYnroNTAC  P'V:  corr.  S 

27  TJ  noY  biAzuntai  Bue:   Te  -Y-noBiAZUNTAi  V\'  28  aI  S:   le  P'V         vor  Siu  intei-pnn- 

gierte  Bue 


84     D I  E I.  s  und  E.  Schramm:    Exzerpte  ans  Philons  Mechanik  VII.  VIII. 

AYNON   Xnö   XM<t>OT^PUN   noiov-MENON    TÖN    KePA-   104  aber  standhalten,  mußt  Du  außerhalb  den 

Kampf  wagen,   nachdem  Du  von  V>eiden 


TUN    CYNAFArÖNTA. 

(107)         NAYMAXHTeON         OYTUC        ^CTIN  •         TAC 

«eN    nAAfiAC    AAMBÄNUN     KATAA'rCelC,    TAC    A€    ÄN- 

TlnP«i)POYC       KINAYN6Y0YCAC       CYNTPItelC      KaI      äw- 

nPHceic,  KAeAnep  eiphtai-  (108)  ikn  ae  aabhc  Ata- 

0     0 


I'lügeln  zusammengeschlossen  hast. 

(107)  Die  Seeschlacht  ist  so  zu  leiten  : 
Den  einen  mußt  Du  mit  (Breit-)  Seite 
kommen  und  sie  versenken,  die  anderen, 
die  den  Kampf  mit  dem  Bug  wagen, 
zerstören  und  verbrennen  wie  gesagt. 
(108)    Triffst  Du    sie    aber    ungeordnet 


;  \ 


Bild  33- 

KTMC     *ePO«^NAC     H     ICTIOAPOMO't'CAC.     ^FIinAeYCAC 

in  TÄiei   oantI  tö    ctö/xco  täc  «es  amynomgnac     35 

neiPÜ  KATAA^f-NfilN  KAI  KATAniMnPANAI '  (109)  TAC  Ae 

♦CYrO't'CAC       OTAN       KATAAAMBÄNHC,      TÄ       HHAÄAIA 

CYNTPieUN    KAI   TON  TAPCÖN   nAPACYPUN   eic  THN   THN 

KATAre-     (110)     EAN     AE     MH     ^'XHC     NAYC,    TU    OYP'l 

KAI    TOTC 
BCAeCI      XPÜMCNOC      KUAYC      AYTOYC      <^AnAAAA£IN)>       4o 

nOIHCACeAl  •  (111)  TOY- 
TON  AN  TIC  TON  TP6nON  nOAlOPKÖN  TAC  nÖABIC 
AN     AAMBÄNOI      MAAICTA     MHeEN      AYTÖC     XNHKeCTON 

nAeüN. 


oder  mit  vollen  Segeln  abfahi-end  (siehe 
lüld  33)  an,  greife  in  Schlachtoi-dnung 
an  alle  in  Kiellinie,  versuche,  wenn  sie 
sich  wehren,  sie  zu  versenken  oder  zu 
verbrennen:  (109)  den  Fliehenden  aber, 
wenn  Du  sie  einholst,  mußt  Du  die 
Steuerruder  zerstören  und  das  Riemen- 
werk    abreißen     und     sie     einbringen. 

(110)  Hast  Du  aber  keine  Schiffe,  so  ge- 
brauche das  Feuer  und  die  Geschosse 
und  verhindere  dadurch  ihr  Entkommen. 

(111)  Wenn  man  auf  diese  Weise  die 
Städte  belagert,  wird  man  sie  am  ehe- 
sten einnehmen  können,  ohne  selbst  un- 
heilbaren Schaden  zu  erleiden. 


104,29  noiOYMeNOC  P' :   noiOYM^NOYC  V:    corr.  Buc  30  CYNArArÖNTAC  PV:    corr.  S 

täc]  TA  P"  31   KATAAWC6IC  P'V:  corr.  Th  34  ictoapowoy'cac  P'V'  36  kai]  fi  S 

40  <(AnAAAAiiN)  Die:  <(An6BACiN)>  S  41  tac  nÖACic  kt^.]  vgl.  Anon.  Pol.  p.  276, 16  s. 


J 


Berlin,  gedruckt  in  der  Reichsdruckerei. 


ABHANDLUNGEN 


l)i:i{   I^RKUSSISCIIEN 


AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 


1919 

PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE  KLASSE 


V 


ABHANDLUNGEN 

DER  PREUSSISCHEN 

AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 


JAHRGANG  1919 

PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE  KLASSE 


BERLm   1919 

VKRLA(J    DKR  AKADEMIK  DER  WISSENSrHAFTKN 


IN  KOMMISSION  BKl  IJEK 
VKKKINHilNf;  WISSKNSCHAFTUCHKK  VKKLF.GKR  WALTKU    DK  (iRlYTER  f.  Ol 

VUNaAl»*!   li.  i    IHISI  IIKN  SIHK  VKMI.AliSHASlll.l  Mi       4    i;r  ITINTAG.  VKHLALSIIII  llllANIPI.IXli 
UKOHd    HK.IME«        KAHI.   J    TkCBSKR       VKIT   tl.  rOW 


Berlin,  gedruckt  in  der  Reichsdruckerei 


Inhalt 


öllViitliciie  Sitzungen S.  vu — vni 

Vei-zeichnis  der  im  Jahre  1919  gelesenen  Al)l)andlungen S.  ix-  -xiv 

Bericht   über  den  KrI'olg  der  I'reisaiisschreibung  für  1920  und  über  eine 

neue   l'reisausschreibung S.  x\  -xvii 

Statut  der  Paid-KieL>-Stiftung S.  xvii     xix 

\'fi7.eiehnis  der  im  Jahi-e  19IVt  erfolgten   bcsonder'eii   (ielillx'willigungen 
aus  akadcinisrhoii  Mittolii  /.iif  Ausführung  wisscnschaftliclicr  Unter- 

nehnningeij  S.  xi\  — xxi 

\'''r/eichnis  der  im  .l.ilirc  1919  erschii'nenen  im  Aul'trage  odci-  mit  Untor- 

stülziing  di-r  Akademie  i)earl)citeti-n  oder  herausgegebeiuMi  Werke     S.  xxi     xxii 
W'i'ändcrungeii  Im  Fersonalstande  der  Akademie  im  Laufe  des  Jahres  1919     S.  xxiii — xxn 
Verzeichnis  der   Mitglieder  dei'  Akademie  am  Schlüsse  des  Jahres  1919 
nebst  den  \'erzeichnissen  der  Inhaber  dei-  ISradley-,  der  Hehnholtz- 
uud  der  Lcibniz-Medaille  und  der  Beamten  der  Akademie,  sowie 
der  Kommissionen.  Stiftungs-Kuratorien  usw S.  xxv     xxxvii 


\i>t:   Gedäciitnisrede  auf  Simon  Schwendener (ied.  Red.  S.  I -1: 


JAHR  1919. 


öffentliche  Sitzungen. 

Sitzung  am  2H.  Januar  zur  Feier  des  Jahrestages 
König  Friedrichs  II. 
Uer  an  diesem  Tage  Vorsitzende  Sekretär  Hr.  Rocthe  eröifnete  die 
Sitzung  mit  einer  Anspraclie.  Darauf  erstattete  Hr.  Erman  einen  eingehen- 
deren Bericht  über  das  akademische  Unternehmen  des  Wörterlmchs  der  ägyp- 
tischen Sprache  und  Hr.  von  Waldeyer-Hartz  über  die  Anthropoiden- 
station auf  Teneriffa.  Es  folgte  der  wissenschaftliche  Festvortrag  von  Hrn. 
Rubner:  Der  Aufbau  der  deutschen  V^olkskraft  und  die  Wissenschaften. 
Weiter  machte  der  Vorsitzende  Mitteilung  \on  den  seit  dem  Friedrichs-, 
Tage  191>*  in  der  Akademie  eingetretenen  Personal  Veränderungen,  gab  einen 
kurzen  Jahresbericlit  und  verkündigte  zum  Schlüsse,  daß  die  Akademie  die 
Ilelniholtz-Medaille  dem  ordentlichen  Professor  an  der  Universität  München, 
Wirkl.  (4eh.  Rat  von  Röntgen  verliehen  habe. 

Sitzung  am   H.  Juli   zur  Feier  des  Leibnizischen  Jahrestages. 

Hr.  Planck,  als  versitzender  .Sekretär,  eröffnete  die  Sitzung  mit  einer 
Ansprache. 

Darauf  liielten  die  .seit  dem  letzten  Leibniz-Tage  (4.  Juli  IDIH)  neu 
eingetretenen  Mitglieder  ihre  Antrittsreden,  die  von  den  beständigen  Se- 
kretaren beantwortet  wurden,  nämlich  die  HH.F'ick.  Erwiderung  von  Hrn. 
von  Waldeyer-Hartz  —  G.  Müller,  F>widerung  von  Hrn.  Planck  — 
Heider  und  Kükenthal.  F>widerung  von  Hrn.  von  Waldeyer-Hartz 
—  Erb.  Sclimidt  und  Carathcodory ,  Erwiderung  von  Hrn.  Planck. 
Daran  .scliloß  sich  die  (Jedächtnisrede  auf  Simon  Schwcndener  von  Hrn. 
Haberlandt. 

Sodann  wurden  Mitteilungen  gemacht  über  die  Preiserteilung  für  die 
Aka<Iemisclie  Prei.saufgabe  für  das  von  Miloszewskysche  Legat,  über  den 
Prei«.  der  (;raf-I,nuliat-.*>tiftunii-  ffir  1!*21   aus  dem  (Gebiete  der  AnK-rikanistik. 


VIII 


über  die  Stiftung  zur  P'örderuug  der  Sinologie,  über  die  Stiftung  zur  För- 
derung der  kirclien-  und  religionsgeschichtlichen  Studien  und  über  das 
Stipendium   der  P^duard-Gerhard-Stiftung. 

Schließlich  wurde  verkündigt,  daß  die  Akademie  die  Leibniz-Medaille 
in  Silber  den  HH.  E.  Debes  in  Leipzig,  ('.  Dorn  in  Davos,  Johannes 
Kirchner  in  Berlin -Wilmersdorf,  Edmund  von  Lippmann  in  Halle  a.  S.. 
Frhrn.  von  Schrötter  in  Berlin -Wilmersdorf  und  Otto  Wolff  in  Berlin 
und  die  Leibniz-Medaille  in  Gold  dem  Gouverneur  von  Deutsch-Ostafrika. 
Hrn.  Dr.  Heinrich   Schnee,   verliehen   habe. 


IX 


Verzeichnis  der  im  Jahre  1919  gelesenen  Ahhandlungen. 

Physik  und  Chemie. 

Lande,  Dr.  A.,  Elektronenbahnen  im  Polyederverband.  Vorgelegt  von 
Planck.     (GS.  9.  Jan.;  SB.  30.  Jan.) 

N ernst.  Einige  Folgerungen  aus  der  sogenannten  Entartungstheorie  der 
Gase.     (GS.  13.  Febr.;  SB.) 

Liebisch  und  Rubens,  über  die  optischen  Eigenschaften  einiger  Kristalle 
im  langwelligen  ultraroten  Spektrum.   1.  Mitteilung.   {Kl.  20.  März;  SB.) 

Einstein,  über  die  Frage:  Spielen  Gi-avitationsfelder  im  Aufbau  der  ma- 
teriellen Elementarteilchen  eine  wesentliche  Rolle?  (GS.  10.  April;  SB.) 

Beckmann,  über  Signalvorrichtungen,  welche  gestatten,  ii;  unauffälliger 
Weise  Nachrichten  optisch  zu  übermitteln.     (Kl.  8.  Mai.) 

Beckmann,  Sieherungen  der  Atmungsorgane  gegenüber  schädlichen  Bei- 
mischungen in  der  Luft.     (Kl.  8.  Mai.) 

F,  in  stein,  über  eine  Veran.schaulichung  der  Verhältnisse  im  sphärischen 
Raum.     (GS.  15.  Mai.) 

Einstein,  über  die  Feldgleichungen  der  allgemeinen  Relativitätstheorie 
vom  Standpunkte  des  kosmologischen  Problems  und  des  Problems  der 
Konstitution  der  Materie.     (GS.  15.  Mai.) 

Haber,    Beitrag   zur   Kenntnis    der   Metalle.     (Kl.  22.  Mai;  SB.  19.  Juni.) 

Planck,  über  die  Dissoziationswärme  des  Wasserstoffs  nach  dem  Bohr- 
Debyeschen  Modell.     (GS.  30.  Okt. ;  SB.  27.  Nov.) 

Born,  Prof.  Dr.  M.,  und  Stein,  Dr.  0.,  über  die  Oberllächenenergie  der 
Kristalle  und  ihren  Einfluß  auf  die  Kristallgestalt.  Vorgelegt  von 
Einstein.     (GS.  13.  Nov.;  SB.  27.  Nov.). 

Gromraer,  Dr.  Jacob,  Beitrag  zum  Energiesatz  in  der  allgemeinen  Rela- 
tivitätstheorie.     Vorgelegt  von  Einstein.     (GS.  13.  Nov.;  SB.) 

Warburg,  über  den  Energieumsatz  bei  photochemischen  Vorgängen.  IX. 
(Kl.  20.  Nov.;  SB.  4.  Dez.) 

Liebisch  und  Rubens,  über  die  optischen  Eigenschaften  einiger  Kristalle 
im  langwelligen  ultraroten  Spektrum.   2.  Mitteilung.  (GS.  27.  Nov. ;  SB.) 

Haber,  zweiter  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Metalle.  (GS.  27.  Nov.;  SB. 
11.  Dez.) 


Mineralogie  und  Geologie. 

Liebisch,   über  die  Dispersion  doppeltbrechender  Kristalle  im  ultraroten 
Spektral  gebiete.     (Kl.  3.  April.) 

Botanik  und  Zoologie. 

Haberland t,    zur   Physiologie    der   Zellteilung.      Dritte   Mitteilung:    Über 

Zellteilungen  nach  Plasmolyse.     (GS.  10.  April;  SB.) 
Correns,  über  Vererbungsversuche  mit  buntblättrigen  Sippen.    I.  Capsella 

Bursa  pastoris  chlorina  und  albovariabilis.    (Kl.  11).  Juni;  SB.  10.  Juli.) 
Heider,    über   die   morphologische  Ableitung  des  Echinodermenstammes. 

(GS.  26.  Juni.)  ^ 

Haberlandt,    Zur   Physiologie    der  Zellteilung.     Vierte  Mitteilung:  Über 

Zellteilungen  in  Elodea-Blättem.     (Kl.  24.  Juli;  SB.  31.  Juli.) 
Correns,  Vererbungsversuche   mit   buntblättrigen  Sippen.     II.  Vier  neue 

Typen  bunter  Periklinalchimären.     (Kl.  23.  Okt.;  SB.  6.  Nov.) 
Haberlandt,  über  Zellteilung  nach  Plasmolyse.     (Kl.  6.  Nov.) 

Anatomie  und  Physiologie,   Pathologie. 

Orth,  über  die  ursächliche  Begutachtung  von  Unfallfolgen.  (Kl.  20.  Febr.) 
Orth,  über  Traumen  und  Nierenerkrankungen.  (Kl.  G.  März;  SB.  20.  März.) 
Fick,  über  die  Entvi^icklung  der  Gelenkform.     (GS.  31.  Juli.) 

Astronomie,  Geographie  und  Geophysik. 

Struve,   über  die  Masse  der  Ringe  von  Saturn.      (Kl.  (5.  Febr.) 
Penck,  über  die  Gipfelflur  der  Alpen.      (GS.  13.  März;  SB.  27.  März.) 
Schweydar,    Prof.  Dr.,    zur  Erkläi-ung   der  Bewegung   der  Rotationspole 

der  Erde.     Vorgelegt  von  Struve.     (Kl.  3.  April;  SB.  10.  April.) 
Hellmann,  über  die  Bewegung  der  Luft  in  den  untersten  Schichten  der 

Atmosphäre.      (Dritte   Abteihmg.)      (KI.  24.  April;   SB.) 
Hellmann,  neue  Untersuchungen  über  Regenverhältnisse  von  Deutsehland. 

(Erste  Mitteilung.)     (Kl.  24.  April;  SB.) 
Einstein,    Bemerkung    über   periodische   Schwankungen    der   Mondlänge, 

welche  bisher  nach  der  Newtonschen  Mechanik  nicht  erklärbar  schienen. 

(Kl.  24.  April;   SB.) 


XI 

(i.  Müller,  über  die  Klassifizierung  der  Fixsternspektren,  über  ilire  Ver- 
teilung am  Himmel  und  über  den  Zusammeidiang  zwischen  Spektral- 
typus, Farbe,  Eigenbewegung  und  Helligkeit  der  Sterne.  (Kl. 
24.  Juli.) 

von  Brunn.  Prof.  Dr.  A.,  zu  Hrn.  Einsteins  Bemerkung  über  die  unregel- 
mäßigen Schwankungen  der  Mondlänge  von  der  genäherten  Periode 
des  Umlaufs  der  Mondknoten.    Vorgelegt  von  Struve.  (Kl.  24.  Juli;  6'^.) 

Einstein,  Bemerkung  zu  vorstehender  Notiz.      (Kl.  24.  Juli;  SB.) 

Struve,  über  die  Bestimmung  der  Ma.ssen  von  Jupiter  und  Saturn.  (Kl. 
18.  Dez.) 

Mathematik. 

Schottky,  über  Grenzfälle  von  Klassenfunktionen,  die  zu  ebenen  Gebieten 

mit  kreisförmigen   Rändeni  gehören.      (Kl.  1(5.  Jan.) 
Carathi-odory,  über  den  Wiederkehrsatz  von  Poincare.    (Kl.  10.  Juli;  SB.) 
Schottky,  Tiietafunktionen   vom  Geschlechte  4.     (GS.  11.  Dez.) 

Mechanik. 

Müller-Breslau,  über  Versuche  zur  Erforschung  der  elastischen  Eigen- 
schaften der  Flugzeugholme.     (Kl.  4.  Dez.) 

Philosophie. 

Erdmann,  über  Berkeleys  Philosophie  im  Lichte  seines  wissenschaftlichen 
Tagel)uchs.      (KI.  19.  Juni:  Abh.) 

Prähistorie. 
Schuchhardt,  über  germanische  und  slawische  Ausgrabungen.  (Kl.  (5.  Nov.) 

'  Geschichte  des  Altertums. 

Schäfer,  Prof.  Dr.  Heinrich,  über  die  Anfänge  der  Reformation  Ame- 
nophis'  IV.      Vorgelegt  von  Erman.     (Kl.  8.  Mai;  SB.  15.  Mai.) 

Norden,  der  Rheinübergang  der  Kimbern  und  die  Geschichte  eines  kel- 
tischen  Kastells  in  der  Schweiz.     (GS.  5.  Juni.) 

Hiller  von  Gaertringen,  voreuklidische  Steine.  Vorgelegt  von  von  Wi- 
lamowitz-Moellendorff.     (Kl.  10.  Juli;  SB.  24.  Juli.) 


Xll 

E.  Meyer,  die  Gemeinde  des  neuen  Bundes  im  Lande  Damaskus,  eine 
jüdische  Schrift  aus  der  Seleukidenzeit.     (KI.  24.  Juli:  Abh.) 

von  Wilamowitz-Moellendorff,  das  Bündnis  zwischen  Sparta  und 
Athen  421    (Thukydides  V.).     (Kl.  4.  Dez.;  SB.) 

Mittlere  und  neuere  Geschichte. 

Schäfer,  über  neue  Karten  zur  Verteilung  des  deutschen  und  polnischen 
Volkstums  an  unserer  Ostgrenze.     (Kl.  16.  Jan.) 

Tan  gl,  Bonifatiusfragen.      (Kl.  3.  April:  Abh.) 

Bresslau,  aus  der  ersten  Zeit  des  großen  abendländischen  Schismas. 
(GS.  5.  Juni;  Abh.)  \ 

Meinecke,  über  die  Lehre  von  den  Interessen  der  Staaten,  die  neben  und 
unabhängig  von  der  allgemeinen  Staatslehre  im  17.  und  18.  Jahrhundert 
geblüht  hat  und  als  Vorstufe  moderner  Geschichtsauffassung  von  Be- 
deutung ist.     (GS.  13.  Nov.) 

Kehr,  das  Erzbistum  Magdeburg  und  die  erste  Organisation  der  christ- 
lichen Kirche  in  Polen.      (Kl.  20.  Nov.;   Abh.) 

Tangl,  über  die  Deliberatio  Innocenz'  III.      (Kl.  18.  Dez.;  SB.) 

Kircli  enge  schichte. 

Ho  11,  zur  Auslegung  des  2.  Artikels  des  sog.  apostolischen  Symbols.    (GS. 

9.  Jan.;  SB.) 
E.  Meyer,  über  das  Marcusevangelium  und  seine  Quellen.  (GS.  30.  Jan.) 
Sachau,  zur  Ausbreitung  des  Christentums  in  Asien.  (GS.  30.  Jan.;  Abh.) 
von  Harnack,  zur  Abhandlung  des  Hrn.  HoU:  »Zur  Auslegung  des  2.  Ar- 
tikels des  sog.  ajjostolischen  Glaubensbekenntnisses«.  (Kl.  9.  Febr.;  SB.) 
Lietzmann,  Prof.  D.  Hans,  die  Urform  des  apostolischen  Glaubensbekennt- 
nisses. Vorgelegt  von  HoU.  (GS.  13.  März;  SB.  27.  März.) 
Sachau,  über  syrische  und  arabische  Literatur,  vv^elche  sich  auf  die  Klöster 

dels  christlichen  Orients  bezieht.     (Kl.  22.  Mai;  Abh.) 
K.  Müller,  kritische  Beiträge  1.  und  II.      (GS.  5.  Juni;  SB.  17.  Juli.) 
von  Harnack,    über   I.  Korinth.  14,  32  ff.    imd    Rom.  16,  2öff.    nach    der 
ältesten  Überlieferung  und  der  Marcionitischen  Bibel.     (Kl.  19.  Juni; 
<S5,  26.  Juni.) 
11  n  1 1 ,  ü])er  die  Entwicklung  von  Luthers  sittlichen  Anschauungen.  (Kl.  23.  Okt.) 


xni 

Rechts-  und  Staatswissenschaft. 

Seckel,  die  Haftung  des  Sachschuldners  mit  der  geschuldeten  Sache  (prae- 
cise  teneri)  im  römischen  Recht  und  nach  der  Lehre  der  mittelalter- 
lichen Legisten.     (KI.  8.  Mai.) 

Stutz,  die  Cistercienser  wider  Gratians  Dekret.     (Kl.  10.  Juli.) 

Serin g,  über  die  Preisrevolution  seit  dem  Ausbruch  des  Krieges.  (GS. 
17.  Juli;  Abh.) 

Heymann,  über  die  Geschichte  des  Mäklerrechts.      (Kl.  4.  Dez.) 

Allgemeine,  deutsche  und  andere  neuere  Philologie. 

K.  Meyer,  ein  mitteliri.sches  Lobgedicht  auf  die  Ui  Ecliach  von  Ulster. 
(Kl.  IC).  Jan.;  SB.  30.  Jan.) 

ürtel,  Prof.  Dr.  H.,  zur  baskischen  Onomatopoesis.  Vorgelegt  von  W.  Schulze. 
(Kl.  16.  Jan.;  SB.  6.  März.) 

W.  Schulze,  Tag  und  Nacht  in  den  indogermanischen  Sprachen.  (Kl.  B.  Febr.) 

Brandl,  über  die  Vorgeschichte  der  Schicksalsschwestern  in  Macbeth. 
(Kl.  20.  Febr.) 

Heusler,  über  altnordische  Dichtung  und  Prosa  von  Jung  Sigurd.  (Kl. 
ß.  März;   SB.  20.  März.) 

K.  Meyer,  über  Cormacs  Glossar  nach  der  Handschrift  des  Buches  der 
Ui  Maine.     (Kl.  20.  März;  SB.  3.  April.) 

Lewy,  Dr.  Ernst,  einige  Wohllautsregeln  des  Tscheremi.ssischen.  Vor- 
gelegt von  W.  Schulze.     (Kl.  3.  April;  SB.  8.  Mai.) 

Rogge,  Dr.  Helmuth,  die  Urschrift  von  Adalbert  von  Chamissos  Peter 
Schlemihl.      Vorgelegt   von   Roethe.      (GS.   10.  April;  «SÄ.  30.  April.) 

K.  Meyer,  zur  keltischen  Wortkunde  IX,  über  einige  keltische  Orts-  und 
Völkernamen.     (Kl.  24.  April:  SB.) 

Jacol)sohn,  Prof.  Dr.  H.,  das  Namensystem  bei  den  Osttscheremissen.  Vor- 
gelegt von  W.  Schulze.     (Kl.  8.  Mai;  SB.  15.  Mai.) 

K.  Meyer,  über  den  irischen  Totengott  tmd  die  Toteninsel.  (Kl.  19.  Juni; 
SB.  2ß.  Juni.) 

K.  Meyer,  Sammlung  \on  Bruchstücken  der  älteren  Lyrik  Irlands  mit 
Übersetzung.      I.Teil.     (Kl.  10.  Juli.;   AM.) 

Schuchardt,   Hugo,  Sprachursprung  1.     (GS.  17.  Juli;   SB.  31.  Juli.) 

Schuchardt,    Hugo,    Sprachursprung   II.      (GS.  30.  Okt.;    /SÄ  13.  Nov.) 


XIV 

Klassische  Philologie. 

Degering,  Prof.  Dr.  H.,  über  ein  Bruchstück  einer  Plautushandschrift  des 
4.  Jahrhunderts.  Purster  Teil:  Beschreibung  der  Hs.  Vorgelegt  von 
Norden.     (Kl.  8.  Mai;  SB.  15.  Mai.) 

Degering,  Prof.  Dr.  H.,  über  ein  Bruchstück  einer  Plautushandschrift  des 
4.  Jahrhunderts.  Zweiter  Teil:  Überlieferungsgeschichtliches.  Vor- 
gelegt von   Norden.      ((t8.  15.  Mai;   SB.  5.  Juni.) 

Di  eis  und  Dr.  E.  Schramm,  P3xzerpte  aus  Philons  Mechanik  Buch  VII 
und  VIII,  griechisch  und  deutsch.     (Kl.  2H.  Okt.;   Abh.) 

Kunstwissenschaft    und   Archäologie. 

Schuchhardt,    über    skythische    und    germanische  Tierornamentik.     (GS. 

aO.  April.) 
Goldschmidt,   mittelbyzantinische   Plastik.      (Kl.  24.  Juli.) 

Orientalisehe  Philologie. 
F.  W.  K.  Müller,   über  koreanische  Lieder.      (GS.  27.  Febr.) 
Jensen,   Prof.  Dr.  P.,   indische  Zahlwörter  in  keilschrifthittitischen  Texten. 

Vorgelegt  von  W.  Schulze.  (Kl.  6.  März;  SB.  10.  April.) 
Lüders,  über  Asvaghosas  Kalpanämandinikä.  (GS.  27.  März.) 
Bang-Kaup,  vom  Köktürkischen  zum  Osmanischen.    2.  und  8.  Mitteilung. 

(GS.  27.  März:   Abh.) 
Erman,  über  die  Mahnworte   eines  ägyptischen  Propheten.    (Kl.  .'L  April: 

SB.  30.  Okt.) 
von  Le  Coq,  Prof.  Dr.  A.,  türkische  Manichaica  aus  Chotscho  IL    Vorgelegt 

von   F.  W.  K.  Müller.     (GS.  30.  April;  Ab/i.) 
De   Groot,  über  die  Pagoden   in  China,   die   vornehmsten  Heiligtümer  der 

Mahajana-Kirche.     (Kl.  22.  Mai;  Abh.) 
Jensen,  Prof  Dr.  P.,   Erschließung  der  aramäischen  Inschriften  von  Assur 

und  Hatra.    Vorgelegt  von  Eduard  Meyer.    (Kl.  6.  Nov.;  SB.  12.  Dez.) 
Forrer,  Dr.  Emil,  die  acht  Sprachen  der  Boghazköi-lnschriften.    Vorgelegt 

von  Eduard  Meyer.     (Kl.  4.  Dez.;  SB.  18.  Dez.) 

Amerikanistik. 
Sei  er,    über   szenische   Darstellungen    auf  alten   amerikanischen  Mosaiken. 
(Kl.  20.  März.) 


XV 

Bericht  über  den  Erfolg  der  Preisausschreibungen  für  1920  und  neue 

Preisausschreibungen. 

Premiufyaben  aus  devix  von  Miloszewskysch^n   Lecfat. 

Die  15)15  aus  dem  von  Miloszewskyschen  Legat  zum  zweiten  Male, 
damals  mit  dreijähriger  Frist  gestellte  Preisaufgabe  »Geschichte  des  theo- 
retischen Kausalproblems  seit  Descartes  und  Hobbes«  hat  2  Bearbeitungen 
gefunden. 

Üie  eine,  ungemein  umfangreiclie,  auch  »die  vorhergehenden  Kausal- 
theorien« umfassende  Arbeit  mit  dem  Motto:  "O-^a^n  rirNexAi  £<  toy  mh 
ontoc«  verdient  Anerkennung  des  für  sie  aufgewandten  Fleißes.  Leider 
aber  ist  es  ihrem  Verfasser  so  wenig  wie  dem  Bearbeiter  des  Problems 
vom  Jahre  15)15  gelungen,  dem  philosophischen  Gehalt  der  Aufgabe  ge- 
recht zu  werden.  Er  begnügt  sich  mit  einer  zum  Teil  aus  veralteten  se- 
kundären Quellen  gescliöpften,  an  Zitaten  überreichen,  kaum  irgendwo  um 
das  Problem  konzentrierten,  vielfach  weit  abschweifenden  Darstellung.  Nur 
da,  wo  physikalisch-mathematische  Kausalfragen  in  Betracht  kommen,  be- 
kundet sich  ein  selbständigeres,  hin  und  wieder  auch  über  Landläufiges 
hinausgehendes  Wissen  und  Urteil.  In  die  Idee  des  theoretischen  Kausal- 
j)roblems,  die  Arten  ihrer  Entfaltung  und  die  Richtung  ihrer  Entwicklung 
einzudringen,  ist  dem  Verfasser  nicht  gelungen :  am  wenigsten  da.  wo  sich 
seine  Darstellung  der  Prol)lementwicklung  seit  Kant  nähert  und  diese  zu 
verfolgen  sucht.  Es  fehlt  dem  Verfasser  an  der  philosophischen  Vorbildung, 
welche  allein  die  geforderte  Untersuchung  erfolgreich  machen  konnte.  Die 
Akademie  ist  deshalb  nicht  in  der  Lage,  dem  Verfasser  einen  Preis  zuzu- 
erkennen. 

Einen  wesentlich  anderen  (Charakter  zeigt  die  zweite  Preisarbeit  mit 
dem  Motto:  »Oya^n  xphma  mAthn  riNexAi,  aaaä  hänta  ^k  AÖrov  tg  kai  vn'  ANÄrKHc.« 
Was  immer  der  Verfasser  aus  dem  Gebiet  der  neueren  Philosophie  in  den 
Bereich  seiner  .spezielleren  Untersiicliung  zieht,  ist  aus  den  ersten  Quellen 
geschöpft,  um  die  theoretischen  Kausal probleme  konzentriert,  selbständig 
durchdacht  und  in  lichtvoller  Darstellung  wiedergeg(!ben.  Deutlich  scheiden 
sich,  abgesehen  von  der  Einleitung  über  die  Vorgeschichte  des  Problems, 
zwei  Teile  der  Arbeit  voneinander:  die  Entwicklung  der  Kausalprobleme 
von  Descartes  bis  Kant,  und  von  Kant  bis  Sigwart.  Mehrfache  Korrek- 
turen erfordert  die  Einleitung.    Vortrefflich  aber  ist  die  historische  Entwick- 


XVI 


lung  in  der  ersten  Phase  zu  einem  historischen  (ranzen  abgerundet,  so  daß 
kleinere  Lücken,  das  Fehlen  einer  Skizze  der  Problemlage  um  den  Anfang 
des  17.  Jahrhunderts,  speziell  der  kausalen  Naturauffassung  von  Galilei 
und  Kepler,  ferner  von  Crusius'  Kritik  des  Leibnizischen  Satzes  vom  Grunde 
sowie  von  Reids  Begründung  der  Common  sense-Lehre  und  ihrer  Kritik 
durch  Priestley,  ebensowenig  ernstlich  stören  wie  kleinere,  leicht  ausmerz- 
bare Einzelverfehlungen.  Weniger  gelungen  ist  die  Darstellung  der  zweiten 
Entwicklungsphase.  Auch  wenn  zugestanden  wird,  daß  uns  zur  unbe- 
fangenen historischen  Würdigung  der  Problementwieklung  im  19.  Jahrhundert 
noch  die  rechte  historische  Distanz  fehlt,  hätte  der  Verfasser  zu  einem 
volleren  historischen  Verständnis  gelangen  können,  wenn  er  die  metaphy- 
sisch fundierte  Rückbildung  der  Probleme  in  der*  spekulativen  PhilosojAie 
von  Fichte  bis  Hegel  ähnlich  eindringend  behandelt  hätte,  wie  die  Fort- 
bildung bei  Schopenhauer  imd  Herbart,  Comte,  St.  Mill,  Feclmer  und  Lotze; 
und  die  Umbildungen  durch  Fries  und  Apelt  sowie  späterhin  durch  Her- 
bert Spencer  nicht  beiseite  gelassen  hätte.  Dennoch  bleibt  so  viel  des 
Gelungenen,  Eindringenden  und  Weiterführenden,  daß  dem  Verfasser  der 
volle  Preis  in  der  Voraussetzung  zuerkannt  werden  kann,  er  werde  die 
erwähnten  Mängel  vor  der  Drucklegung  in  sorgsamer  Darstellung  beseitigen. 
Die  Eröffnung  des  Umschlags  mit  dem  Motto:  »O't^a^n  xphma  mäthn 
riNETAi,  AAAÄ  HANTA  GK  AÖTOY  Te  KAI  yh'  ÄNÄrKHC«  ergab  als  Verfasser:  Frau 
Else  W entscher,  Bonn  a.  Rh. 

Preis  der  Graf-Loubat-Stifiung. 

Nach  dem  Statute  der  von  dem  Grafen  (später  Herzog)  Joseph  Flori- 
mond  de  Loubat  bei  der  Preußischen  Akademie  der  Wissenschaften  be- 
gründeten Preisstiftung  soll  alle  fünf  Jahre  durc?i  die  Akademie  ein  Preis 
von  3000  Mark  an  diejenige  gedruckte  Schrift  aus  dem  Gebiete  der  ameri- 
kanistischen Studien  erteilt  werden,  die  unter  den  der  Akademie  einge- 
sandten oder  ihr  anderweitig  bekannt  gewordenen  als  die  beste  sich  erweist. 

Die  amerikanistischen  Studien  werden  zum  Zwecke  dieser  Preisbewer- 
bung in  zwei  Gruppen  geteilt:  die  erste  umfaßt  die  präkol umbische  Alter- 
tumskunde von  ganz  Amerika ;  die  zweite  begreift  die  Geschichte  von  ganz 
Amerika,  insbesondere  dessen  Kolonisation  und  die  neuere  Geschichte  bis 
zur  Gegenwart.  Die  Bewerbung  um  den  Preis  und  seine  Zuerkennung  be- 
schränkt sich  jedesmal,  und  zwar  abwechselnd,  auf  die  eine  dieser  beiden 


XVII 


Gruppen  und  Schriften,  die  innerhalb  der  letzten  zehn  Jahre  erschienen 
sind.  Als  Schriftsprache  ist  die  deutsche  und  die  holländische  zugelassen. 
Die  letzte  Preiserteilung  fand  im  Jahre  1916  statt  und  betraf  eine 
Schrift  über  Volks-  und  Altertumskunde  eines  bestimmten  Gebietes  im  nord- 
westlichen Mexiko.  Die  nächste  Preiserteilung  muß  demnach  im  Jahre  1921 
erfolgen,  und  zugelassen  sind  gedruckte  Schriften  über  koloniale  und  neuere 
Geschichte  von  Amerika  bis  zur  Gegenwart.  Die  Bewerbungsschriften 
müssen  bis  zum   1.  März  1921   der  Akademie  eingereicht  sein. 


Paul-Rieß-Stiftung. 

Statut  vom  2.  Oktober  1919. 


Der  am  18.  Februar  1903  zu  Berlin  verstorbene  Amtsgerichtsrat  a.  D. 
Dr.  Paul  Rieß  hat  der  Akademie  durch  letztwillige  Verfügung  ein  Kapital 
von  250()00  Mark  vermacht  zur  Verwendung  im  Interesse  der  Chemie, 
Physik  und  Astronomie.  Durch  Allerhöchsten  Erlaß  vom  30.  Januar  1905 
ist  der  Akademie  die  landesherrliche  Genehmigung  zur  Annahme  dieser 
ZuAvendung,  vorbehaltlich  der  Abfindung  von  hilfsbedürftigen  Verwandten 
des  Erblassers,  erteilt  worden,  und  das  Legat  ist  dann  in  dem  durch  diese 
Abfindungen  auf  240000  Mark  ermäßigten  Betrage  in  ihren  Besitz  Ober- 
gegangen. In  Wirksamkeit  getreten  ist  die  Stiftung  jedoch  erst  seit  dem 
am  1.  Ajjril  1918  erfolgten  Tode  des  Hrn.  Paul  Jüdel.  welcher  durch  eine 
Bestimmung  des  Rießschen  Testamentes  als  lebenslänglicher  Nutznießer 
der  Hinterlassenschaft  eingesetzt  worden  war.  Für  die  Verwaltung  der 
Stiftung  und  die  Verwendung  ihrer  Erträgnisse  liat  die  Akademie  mit  Ge- 
nehmigung des  vorgeordneten  Ministeriums  nachstehendes  Statut  festgestellt. 

§   1- 

Die  Stiftxing,    welche   den  Namen  Paul-Rieß-Stiftung   führt,    ist   nach 

dem  Wortlaut  des  Testamentes  dazu  bestimmt,  die  chemischen,  physikalischen 

und   astronomischen  Wissenschaften    zu  fördern.      Diesen  Zweck  wird  die 

Akademie  zu  verwirklichen  suchen  sowohl  durch  Unterstützung  geplanter 


XVllI 

aussichtsreicher  wissenschaftlicher  Unternehmungen  als  auch  durch  Krönung 
vorliegender  ausgezeichneter  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  drei  genannten 
Wissenschaften.  Die  Zuerteilung  erfolgt  jedes  Jahr  am  Leibniztage  der 
Akademie,  für  eine  einzige  oder  auch  für  mehrere  wissenschaftliche  Arbeiten, 
in  der  Regel  jährlich  abwechselnd  aus  den  Gebieten  der  Chemie,  Physik 
und  Astronomie. 

§  2. 

Das  Kapitalvermögen  der  Stiftung,  welches  unangreifbar  ist,  wird  ge- 
bildet aus  dem  Stammkapital  und  etwa  künftig  eingehenden  Beiträgen. 
I]s  wird  wie  die  übrigen  Gelder  der  Akademie  aufbewahrt  und  verwaltet. 

Die  Akademie  der  Wissenschaften  führt  durch  ihre  physikalisch-mathe- 
matische Klasse  die  Oberaufsicht  über  die  Stiftung  und  die  Verwaltung  des 
Stiftungsvermögens.  Die  Klasse  hat  daher  auch  die  Entlastung  zu  erteilen, 
soweit  dies  nicht  durch  die  Oberrechnungskammer  geschieht. 

§  4. 
Die  Stiftung  selbst  wird  verwaltet  durch  ein  viergliedriges  Kuratorium, 
in  welches  die  physikalisch-mathematische  Klasse  aus  den  Fächern  der 
Chemie,  Physik  und  Astronomie  je  einen  Vertreter  wählt.  Außerdem  gehört 
dem  Kuratorium  als  Vorsitzender  derjenige  der  beiden  Klassensekretare  an, 
welcher  den  genannten  Fächern  am  nächsten  steht.  Die  Wahlen  gelten  auf 
die  Dauer  von  6  Jahren,  sie  erfolgen  vor  dem  Schlüsse  eines  Kalender- 
jahres, zum  ersten  Male  im  Dezember  1019.  Wenn  ein  Mitglied  des  Kura- 
toriums vor  Ablauf  der  Wahlperiode  ausscheidet,  so  ist  für  die  noch  übrige 
Dauer  derselben  ein  neues  Mitglied  zu  wählen. 

§  5. 
Anfang  Mai  jedes  Jahres  teilt  die  physikalisch-mathematische  Klasse 
dem  Vorsitzenden  des  Kuratoriums  mit,  welche  Summe  am  Leibniztage 
desselben  Jahres  verfügbar  sein  wird.  Dieser  fordert  sodann  dasjenige 
Mitglied  des  Kuratoriums,  für  dessen  Fach  in  diesem  Jahre  die  Stiftung 
in  erster  Linie  bestimmt  ist,  und  zwar  nach  der  in  §  1  namhaft  gemachten 
Reihenfolge,  zu  einem  schriftlichen  Vorschlag  auf     Auch  jedes  andere  Mit- 


XIX 

glied  des  Kuratoriums  ist  zu  einem  Vorschlag  berechtigt.  Über  alle  vor- 
hegenden Vorschläge  wird  dann  in  einer  Sitzung  des  Kuratoriums  oder 
auch  auf  schriftlichem  Wege  abgestimmt.  Bei  Stimmengleichheit  entscheidet 
die  Stimme  des  Vorsitzenden.  Das  Ergebnis  der  Abstimmung  ist  von  der 
Klasse  zu  bestätigen. 

§  6. 
Falls  in  einem  Jahre  die  verfugbaren  Mittel  der  Stiftung  nicht  voll- 
ständig oder  überhaupt  nicht  für  ihre  satzungsgemäße  Bestimmung  in  An- 
spruch genommen  werden,  so  fließt  die  verfügbare  Summe  in  einen  be- 
sonderen Reservefonds,  welcher  dem  Zwecke  dienen  soll,  in  irgendeinem 
darauffolgenden  Jahre  eine  Bewilligung  zu  ermöglichen,  welche  die  für 
das  betreffende  Jahr  aus  den»Erträgnissen  des  Stiftungskapitals  verfLigbare 
Summe  überschreitet.  Die  Bestände  des  Reservefonds  werden  zinstragend 
angelegt  und  durch  die  erzielten  Zinsen  fortlaufend  verstärkt.  Sobald  der 
Reservefonds  die  Höhe  von  20000  Mark  erreicht  hat.  werden  alle  weiteren 
Erübrigungen  sogleich  und  endgültig  dem  Stiftungskapital  zugefiihrt. 

§  7. 
Änderungen    dieses   Statuts    sind   nur   durch    absolute    Majorität   aller 
ordentlichen  Mitglieder  der  Akademie    und   mit  Genehmigung   des    vorge- 
ordneten  Ministeriums  zulässig. 


Verzeichnis  der  im  Jahre  1919  erfolgten  besonderen  Geldbewilligungen 
aus  akademischen  Mitteln  zur  Ausführung  wissenschaftlicher  Unter- 
nehmungen. 

Es  wurden  im  Laufe  des  Jahres  191 U  bewilligt: 

2500  Mark  den  Mitgliedern  der  Akademie  HH.  Rubens  und  Liebisch  zur 
Herstellung  von  Platten  zur  Untersuchung  von  Kristallen  im 
langwelligen  Spektrum. 

4000      »       zur  Fortführung  des  Unternehmens   »Das  Tierreich«. 

3000  •  zur  Fortführung  der  Arbeiten  am  Nomenciator  animalium  ge- 
nerum  et  subgenerum. 


XX 


2300  Mark  dem  Mitglied  der  Akademie  Hm.  Engler  zur  Fort^jrung  des 
Werkes   »Das  Pflanzenreich«. 

6000       »       dem  Mitglied  der  Akademie  Hrn.  Hintze  zur  Fortfuhrung  der 

Herausgabe  der  Politischen  Korrespondenz  Friedrichs  des  Großen. 

20000      »       der  Orientalischen  Kommission  zur  Fortführung  ihrer  Arbeiten. 

4000      >•       der  Deutschen   Kommission   zur  Fortführung   ihrer  Arbeiten. 

1000      »       fiir  die  Bearbeitung  des  Thesaurus  linguae  Latinae  (über  den 
planmäßigen  Beitrag  von  5000  Mark  hinaus). 

5000      »       für  das  Wörterbuch  der  ägyptischen  Sprache. 

1500      »       zur  Bearbeitung  der  hieroglyphischen  Inschriften  der  griechisch- 
römischen Epoche  für  das  Wörterbuch  der  ägyptischen  Sprache. 

(iOOO      »       dem  Mitglied  der  Akademie  Hrn' Struve  als  außerordentliche 
Zuwendung  für  die    »Geschichte  des  Fixsternhimmels«. 

5000      »       dem  Mitglied  der  Akademie  Hrn.  Engler  zur  Fortführung  des 
Werkes   »Das  Pflanzenreich«. 

2000      »       dem  Mitglied  der  Akademie  Hm.  Hei  der  zur  Fortführung  des 
Unternehmens   »Das  Tierreich«. 

6000      »       der  akademischen  Kommission  zur  Herausgabe  der  Enzyklo- 
pädie der  matliematischen  Wissenschaften. 

1000      »       dem   Mitglied   der  Akademie   Hrn.  Erdmann  für   die  Kant- 
Kommission. 
200      »       dem  Mitglied  der  Akademie  Hrn.  Burdach  für  die  Bearbeitung 
des  Briefwechsels  Laclimann — Brüder  Grimm  durch  Prof.  Leiz- 
mann  (Jena). 

3000      »       der    Kommission    für    die    deutschen    Geschichtsquellen    des 
19.  Jahrhunderts. 
333      »       der  Sächsischen  Akademie  (Gesellschaft)  der  Wissenschaften  in 

Leipzig  für  die  Teneriffa-Expedition. 
367      »       derselben  für  desgleichen. 

1200      »       derselben  zur  Fortsetzung  des  Poggendorffschen  Handwörter- 
buchs. 

1200      »      Hrn.  Dr.  Ernst  Knoche  in  Halle  a.  S.  zu  Untersuchungen  über 
die  Biologie  der  Nonnen. 

l.)0()      »       als  Nachbewilligung  für  die  photographische  Aufnahme  franzö- 
sischer Handschriften  in  Valenciennes. 


XXI 

5000  MaE|c  dem  Verlag  des  Jahrbuchs  für  die  Fortschritte  der  Mathematik 
als  Zuschuß  zu  den  Kosten  der  Herausgabe  des  Jahrgangs  19 19. 
800      » f    Hm.  Prof.  Dr.  Hermann  von  Guttenberg  in  Berlin-Dahlem 
für  Untersuchungen  über  den  Einfluß  des  Lichtes  auf  die  Blatt- 
stellung der  Pflanzen. 
5000      »       Hrn.  Prof.  Dr.  Bodenstein    in   Hannover   zu  Arbeiten   über 

photochemische  Vorgänge. 
1200      »       Hrn.  Dr.  Walter  in  Gießen  fiir  Arbeiten  über  Vererbung. 
10000      »       der  Deutschen  physikalischen  Gesellschaft  als  einmaligen  Zu- 
schuß für  die  physikalische  Berichterstattung. 
800      »       Hrn.  Prof.  Dr.  August  Fischer  in  Leipzig  als  zweite  Rate  des 
Zuschusses  für  sein  arabisches  Wörterbuch. 


Verzeichnis  der  im  Jahre  1919  erschienenen  im  Auftrage  oder  mit  Unter- 
stützung der  Akademie  bearbeiteten  oder  herausgegebenen  Werke. 

Unternehmungen  der  Akademie  und  ihrer  Stiftungen. 
Das  Pflanzenreich.    Regni  vegetabilis  conspectus.    Im  Auftrage  der  Preuss. 

Akademie  der  Wissenschaften  hrsg.  von  A.  Engler.    Heft  68.  69.   Leipzig 

1919.    2  Ex. 
Corpus  inscriptionum  Latinarum  consilio  et  auctoritate  Academiae  Litterarum 

Borussicae   editum.     Vols.  1,    Pars  2,  Fase.  1.    ed.  2.    Berolini  1918, 
Wilhelm  von  Humboldts  Gesammelte  Schriften.    Hrsg.  von  der  Preussischen 

Akademie  der  Wissenschaften.    Bd  15.     Berlin  1918. 
Ibn  Saad.  Biographien  Muhammeds,  seiner  Gefährten  und  der  späteren  Träger 

des  Islams  bis  zum  Jahre  230  der  Flucht.    Im  Auftrage  der  Preussischen 

Akademie  der  Wissenschaften  hrsg.  von  Eduard  Sachau.    Bd  7,  Th.  2. 

Leiden  1918. 
Deutsche  Texte  des  Mittelalters  hrsg.  von  der  Preußischen  Akademie   der 

Wissenschaften.    Bd  30.     Paradisus  anime  intelligentis.    Berlin  1919. 

Bopp-Sfißung. 
Navahära-  und  Nisiha-Sutta.    Hrsg.  von  Walther  Schubring.    Leipzig  1918. 
(Abhandlungen  für  die  Kunde  des  Morgenlandes.    Bd  15.)    2  Ex. 


XXll 

Dr.-Karl-Gilttler-Stiflung. 

Kolsen,  Adolf.    Dichtungen  der  Trobadors.    3.  Heft.    Halle  (Saale)  1919. 
Kolsen,  Adolf.    Zwei  provenzalisclie  Sirventese  nebst  einer  Anzahl  Einzel- 
strophen.     Halle  1919. 

Savigny-Stlftuny. 

Kantorowicz,  Hermann  und  Fritz  Schulz.  Thomas  Diplovatatius.  De 
claris  iuris  consultis.  Hd  1.  Berlin  und  Leipzig  1919.  (Romanistische 
Beiträge  zur  Rechtsgeschichte.    Heft  3.) 

Hermann-und-Elise-geb.-Hechnann  -  Wentzel-Stiflung. 

Texte  und  Untersuchungen  zur  Geschichte  der  altchristlichen  Literatur.  Ar- 
chiv für  die  von  der  Kirchenväter-Commission  der  Preussischen  Aka- 
demie der  Wissenschaften  unternommene  Ausgabe  der  älteren  christlichen 
Schriftsteller.    Reihe  3.    Ed  12,  Heft  3.  4.    Bd  13.    Leipzig  1918.  19. 

Beiträge  zur  Flora  von  Papuasien.  Hrsg.  von  C.  Läuterbach.  Serie  6. 
Leipzig  1918.    2  Ex. 

Von  der  Akademie  unterstützte  Werke. 

Bokorny,  Th.     Bindung  des  Formaldehyds  durch  Enzyme.    Berlin  1919. 

Sonderabdr. 
Lange,  Rudolf.     Thesaurus  Japonicus.    Japanisch-Deutsches  Wörterbuch. 

Bd  2.     Berlin  und  Leipzig  1919. 
Schiern ann,  Theodor.     Geschichte  Russlands   unter   Kaiser  Nikolaus  I. 

Bd  4.    Berlin  1919. 
Schmidt,  Adolf.     Archiv  des  Erdmagnetismus.    Heft  3.    Potsdam  1918. 
Schwenke,  Paul.    Die  Buchbinder  mit  dem  Lautenspieler  und  dem  Knoten. 

1919.    Sonderabdr. 
Schwenke,  Paul.    Altberliner  Bücher  und  Einbände.    1918.    Sonderabdr. 


am  26.  Juni   1919, 


XXIII 

Veränderungen  im  Personalstande  der  Akademie  im  Laufe 

des  Jahres  1919. 

Es  wurden  gewählt: 
zum  ordentlichen  Mitglied  der  physikalisch-mathematischen  Klasse: 
Hr.  Konstantin  Caratheodory,  bestätigt  durch  Erlaß  der  preußischen 

Regierung  vom   10.  Februar  1919, 
Hr.  Willy  Kükenthal,  bestätigt  durch  Erlaß  der  preußischen  Regierung 
•       vom   12.  April  1919; 

zu  korrespondierenden  Blitgliederu  der  pliysikalisch-mathematischen 
Klasse : 
Hr.  Karl  Engler  in  Karlsruhe 
»     Theodor  Curtius  in  Heidelberg 
»     Gustav  Tammann  in  Göttingen 
••     Hugo  BOcking  in  Heidelberg  am  8.  Januar  1920; 

zum     korrespondierenden    Mitglied    der    philosophisch-historischen 
Klasse: 
Hr.  Willy   Bang-Kaup  in  Frankfurt  a.  M.  am  27.  Februar  1919. 

Der  beständige  Sekretär  Hr.  von  Waldeyer-Hartz  legte  dieses  Amt 
mit  dem  31.  August  1919  nieder;  zu  seinem  Nachfolger  wählte  die  physi- 
kalisch-mathematische Klasse  Hrn.  Rubner,  dessen  Wahl  von  der  Preußischen 
Regienmg  am   10.  Mai  1919  bestätigt  wurde. 

Das  ordentliche  Mitglied  der  philosophisch-historischen  Klasse  Hr. 
Heusler  verlegte  im  Sommer  1919  seinen  Wohnsitz  nach  Basel  und  trat 
gemäß  §  6  der  Statuten  der  Akademie  in  die  Reihe  der  Ehrenmitglieder  über. 

Gestorben  sind: 

die  ordentlichen  Mitglieder  der  physikalisch-mathematischen  Klasse: 
Hr.  Simon  Schwendener  am  27.  Mai  1919, 
.     Emil  Fischer  am   15.  Juli   1919: 

das  ordentliche  Mitglied  der  philosophisch-historischen  Klasse: 
Hr.  Kuno  Meyer  am   11.  Oktober  1919; 

das   auswärtige   Mitglied   der   physikalisch-mathematischen    Klasse: 
Lord  Rayleigh  in  London  am  B.Juli   1919; 


XXIV 

die  korrespondierenden  Mitglieder  der  physikalisch-mathematischen 
Klasse : 
Hr.  Edward  Charles  Pickering  in  Cambridge  (Mass.)  im  Januar  1919, 
>'    Roland  Eötvös  in  Budapest  am  8.  April  1919, 
»    Friedrich  Merkel  in  Göttingen  am  29.  Mai  1919, 
»     Gustav  Retzius  in  Stockholm  am  21.  Juli  1919, 
»     Heinrich  Bruns  in  Leipzig  am  23.  September  1919, 
»     Woldemar  Voigt  in  Göttingen  am   IH.  Dezember  1919. 

Beamte  der  Akademie. 
Ernannt : 
Hr.  Prof.  Dr.  Eduard  Sthamer,  bisher  Assistent  am  Preußischen  Historischen 
Institut  in  Rom,    zum  Bibliothekar  und  Archivar  der  Akademie,    am 
27.  Juni  1919. 

Gestorben : 
Hr.  Prof.  Dr.  Hans  von  Fritze,  wissenschaftlicher  Beamter,  am  10.  Juli  1919. 


XXV 


Verzeichnis  der  Mitglieder  der  Akademie  am  Schlüsse  des  Jahres  1919 

nebst  den  Verzeichnissen  der  Inhaber  der  Bradley-,  Helmholtz-  und  derLeibniz-Medaille 
und  der  Beamten  der  Akademie,  sowie  der  Kommissionen,  Stiftungs-Kuratorien  usw. 


1.    Beständige  Sekretare 

Gewählt  von  der  Datum  der  BestAtigiing 

Hr.  Diels phil.-hist.  Klasse 1895    Nov.  27 

-  Roethe phil.-hist.        -        1911     Aug.   29 

-  Phnck phys.-math.    -       1912    Juni    19 

-  Riibner phys.-math.    -        1919    Mai     10 


2.    Ordentliche  Mitglieder 

Phyultaliach-inktlieiDatische  KIum  Pkilosophueh-hiatorische  Klasse  Datum  der  Bestätigung 

Hr.  Ileiinann   Diels 1881     Aue.    l.T 


''Ö" 


Hr.   WUhelm  von  Waldey  er -Hartz 1884  Febr.  18 

-  Franz  FMard  Schulze 1884  Juni    21 

-  Otto  Hirschfi'ld 1885  März     9 

-  Eduard  Sachau 1887  Jan.    24 

-  Adolf  Engler 1890  Jan.    29 

-  Adolf  von  HarTMck      .     .     .  1890  Febr.  10 

-  Hermann  Amandus  Schwarz 1892  Dez.     19 

-  Oskar  Hertwig 1893  April  17 

-  Max  Manch 1894  Juni    11 

-  Carl  Stumpf  ......  1895  Febr.  18 

-  Adolf  Ennan 1895  Febr.  18 

-  Emil  Warhurg 1895  Aug.    13 

Ulrich  von  Wilamowitz- 

Moellmdorff 1899  Aug.      2 

-  Heinrich  Müller -Breslau 1901  Jan.     14 

-  Heinrich  Dressel      ....  1902  Mai       9 

-  Kmtrad  Burdach      ....  1902  Mai       9 

-  Friedrich  Schottky 1903  Jan.      5 

-  Gustav  Roethe 1903  Jan.      5 

-  Dietrich  Schäfer 1903  Aug.     4 

-  Eduard  Meyer 1903  Aug.     4 

-  WUhelm  SchtUze      ....  1903  Nov.  16 

-  Alois  Brandl 1904  April    3 

-  Hermann  Struve 1904  Aug.  29 

d 


XXVI 

Phy«ik«Iiscli-matliematisclie  Klasse  Philosophisch-liistorische  Klasse  Datam  der  liestiti^ung 

Hr.   flermann  Zimmermann 1904  Aug.  29 

-  Walter  Kernst 1905  Nov.  24 

-  Max  Rubner 1906  Dez.  2 

-  Johannes  Orth 1906  Dez.  2 

-  Albrechi  Penck 1906  Dez.  2 

Ilr.  Friedrich  Müller      ....  1906  Dez.  24 

-  Heinrich  Rubens 1907  Aug.  8 

-  Tlieodor  Liebi^ch 1908  Aug.  3 

-  Edtutrd  Seier 1908  Aug.  24 

-  Heinrich    Ijüders       ....  1909  Aug.  5 

-  Heinrich  Morf 1910  Dez.  14 

-  Goltli£b  Haberlandt ,   ....  1911  Juli  3 

Benno  Erdmann           .     .     .  1911  Juli  25 

-  Gusiao  Hellmann 1911  Dez.  2 

-  Emil  Scckel 1912  Jan.  4 

-  Johann  Jakob  Maria  de  Groot  1912  Jan.  4 

-  Eduard  Norden 1912  Juni  14 

-  Karl  Schuchhardt    ....  1912  JuH  9 

-  Ernst  Beckmann 1912  Dez.  11 

-  Albei-t  Einstein 1913  Nov.  12 

-  Otto  Hintze 1914  Febr.  16 

-  Max  Sering 1914  März  2 

-  Adolf  Goldschmidt        .     .     .  1914  März  2 

-  Fritz  Haber *  .  1914  Dez.  16 

-  Karl  HoU 1915  Jan.  12 

Friedrich  Meinecke  .           .  1915  Febr.  15 

-  Karl  Correns 1915  März  22 

-  Hans  Dragendorff  .  1916  April  3 
'           -     Paul  Kehr 1918  März  4 

-  l'lrich  Stutz 1918  .März  4 

-  Ernst  Hey  mann       .     .     .     .  1918  März  4 

-  Michael  Tangl 1918  März  4 

-  Karl  Heider 1918  Aug.  1 

-  E-hard  Schmidt 1918  Aug.  1 

-  Gmtan  Müller 1918  Aug.  1 

-  Rudolf  Fick 1918  Aug.  1 

-  Konstantin  Caratheodory 1919  Febr.  10 

-  Willy  Kükenthal 1919  April  12 


XXVII 

3.  Auswältige  Mitglieder 

PhTsikalüch-matlieinatiscbe  Klasse                                   Philosophisch-historische  Kiaase  Datum  iler  Be»t»tiguiig 

Hr.  Theodor  Nöldeke  in  Str&ßbuTg  1900    März      5 
Friedrich    Imhoof- Blumer    in 

Winterthur 1900   März     5 

-  Vatroslac  con  Jagic  in  Wien  1908    Sept.    25 

-  PanagiotisKabbadias  in  Athen  1908   Sept.   25 

-  Hugo  Schiichardt  in  Graz  1912   Sept.    15 


4.    Ehrenmitglieder 

Datum  der  Hrütätigun«; 

Hr.  Max  Lehmann  in  Göttingen 1887  Jan.  24 

-  Max  Lenz  in  Hamburg 1896  Uez.  14 

Wilhelm  Branca  in   München 1899  Dez.  18 

Httgo  Graf  von  und  zu  Lerchenfeld  in  Berlin 1900  März  5 

Hr.  Richard  Schöne  in  Berlin    .    • ^   .     .  1900  März  5 

-  Konrad  von  Studl  in  Berlin 1900  März  17 

-  Andreas  Ilettsler  in  Basel 1907  Aug.  8 

Bemliard  Fürst  von  Billow  in  Klein-Flottbek  bei  Hamburg  .     .     .  1910  Jan.  31 

Hr.  Heinrich  Wölfin  in  München 1910  Dez.  14 

-  August  von  Troll  zu  Solz  in  Kassel 1914  März  2 

-  Rttdolf  von  Valentini  in  Hameln 1914  März  2 

-  Friedrich  Schmidt  in  Berlin 1914  März  2 

-  Hichard  Wilktätter  in  München 1914  Dez.  16 


XXVIII 


5.    Korrespondierende  Mitglieder 

Physikalisch-matliematische    Klasse  Datam  der W.hl 

Karl  Frlir.  Auer  von  Welsbach  auf  Schloß  Welsbach  (Kärnten)    .     .  1913  Mai     22 

Hr.   Oskar  Brefeld  in  Berlin 1899  Jan.     19 

-  Otto  BüUchli  in  Heidelberg 1897  März  11 

-  Giacomo  damician  in  Bologna 1909  Okt.    28 

-  Tlieodor  Curtivs  in  Heidelberg 1919  Juni    2(5 

-  William  Morris  Davix  in  Cambridge,  Mass 1910  Juli     28 

-  Ernst  Ehlers  in  Göttingen 1897  Jan.    21 

-  Karl  Engler  in  Karlsruiie 1919  Juni    2G 

-  Max  Fürbringer  in  Heidelberg 1900  Febr.  22 

Sir   Archibald  Geikie  in  Haslemere.  Surrey      .     .     .     \    .     .     .     ■  1889  Febr.  21 

Hr.   Karl  von  Goebel  in   München 191:^  Jan.     16 

-  Camillo   Golgi  in  Pavia 1911  Dez.    21 

-  Karl  Graebe  in  Frankfurt  a.  .VI 1907  Juni    13 

-  Ludwig  von   Graf  in  Graz 1900  Febr.    8 

Julius  Edler  von  Haim  in  Wien 1889  Febr.  21 

Hr.  Sven  Hedin  in  Stockholm 1918  Nov.    28 

-  Viktor  Hensen  in  Kiel 1898  Febr.  24 

-  Richard  von  Hertwig  in  München      ....     * 1S98  April  28 

-  David  Hilbert  in  Göttingen 1913  Juli     10 

-  Hugo  Uildebrand  Hildebrandsson  in  Uppsala 1917  Mai       3 

-  Emanuel  Kayser  in  München 1917  Juli     19 

-  Felix  Klein  in  Göttingen 1913  Juli     10 

-  Leo  Koenigsberger  in  Heidelberg 1893  Mai       4 

-  Wilhelm  Kömer  in  Mailand 1909  Jan.      7 

-  Friedrich  Küslnei-  in  Bonn 1910  Okt.    27 

-  Philipp  Lenaj-d  in  Heidelberg 1909  Jan.    21 

-  Karl  von  Linde  in  München 1916  JuÜ       6 

-  Gabriel  Lippmann  in  Paris 1900  Febr.  22 

-  Hendrik  Antoon  Lorentz  in  Haarlem 1905  Mai       4 

-  Felix  Marchand  in  Leipzig        1910  Juli     28 

-  Franz  Mertens  in  Wien 1900  Febr.  22 

-  Alfred  Gabriel  Nalhorst  in  Stockholm 1900  Febr.    8 

-  Karl  Neumann  in  Leipzig 1893  Mai       4 

-  Max  Noethei-  in  Erlangen 1896  Jan.    30 

-  Wilhelm  Ostwald  in  Groß-Bothen,  Kgr.  Sachsen 1905  Jan.     12 

-  Wilhelm  Pfeffer  in  Leipzig 1889  Dez.    19 

-  Georg  Quincke  in  Heidelberg 1879  März  13 

-  Ludwig  Radlkofer  in  München 1900  Febr.    8 

Theodore  William  Richards  in  Cambridge,   Mass 1909  Okt.    28 


X 


XXIX 


Datum  der  Wahl 


Hr.  Wi/helm  Konrad  Röntgen  in  München 1896  März  12 

-  WUMm  Raux  in  Halle  a.  S 1916  Dez.    14 

-  GeoTff  Ossian  Sars  in  Christi  ania 1898  Febr.  24 

-  Oswald  Schmiedeberg  in  Straßburg     .     .           .* 1910  Juli     28 

-  Otto  Schott  in  Jena 1916  Juli       C 

Hugo  von  Seeliger  in   München 190G  Jan.     II 

-  Emest  Sokay  in  Brüssel 1913  Mai     22 

-  Johann  Wilhelm  Spengel  in  Gießen 1900  Jan.     18 

Gustav  Tammaun  in  Göttingen .  1919  Juni    26 

Sir  Joseph  John  Thomson  in  Cambridge 1910  Juli     28 

Hr.  Gustav  Edler  von   Tschermak  in  Wien •  .     .     .     .  1881  März     3 

-  Ihtgo  de  Vries  in  Lunteren 1913  Jan.     16 

-  Johannes  Diderik  van  der  Waals  in  Amsterdam 1900  Febr.  22 

-  Otto  Wallach  in  Göttingen 1907  Juni    13 

-  Eugenins  Wanning  in  Kopenhagen 1899  Jan.     19 

-  EtiiU  Wiechert  in  Göttingen 1912  Febr.    8 

-  Wil/telm  Wien  in  Würzburg 1910  Juli     14 

-  Edmund  B.  WUson  in  New  York 1913  Febr.  20 


Pliilogophigcli-historische  Klasse            .  Datum  der  Wahl 

Hr.  Karl  von  Amira  in  München 1900  Jan.    18 

-  Klemens  Baeumker  in  München 1915  Juli      8 

-  Willy  Bang-Kaup  in  Darmstadt 1919  Febr.  13 

-  Friedrich  von  Be:otd  in  Bonn 1907  Febr.  14 

-  Joseph  Bidez  in  Gent 1914  Juli       9 

-  James  Henry  Breasted  in  Chicago 1907  Juni    13 

-  Harry  Breßlau  in  Hamburg 1912  Mai       9 

-  Rene  C/ignat  in  Paris 1904  Nov.     3 

-  Arthur  (Jiu^t  in  Villemomble  (8eine) 1907  Febr.  14 

-  Franz  Cumont  in  Rom 1911  April  27 

-  Louis  Duchesne  in  Rom 1893  Juli     20 

-  Franz  Ehrle  in  Rom 1913  Juli     24 

-  Paul  Foucart  in  Paris 1884  Juli     17 

Sir  James  George  Frazer  in  Cambridge 1911  April  27 

Hr.  Wilhelm  Fröhner  in  Paris 1910  Juni    23 

-  IWcy  Gardner  in  Oxford 1908  Okt.    29 

-  Ignaz  Goldzilier  in  Budapest 1910  Dez.      8 

-  Francis  Llewellyn  Grifßth  in  Oxford 1900  Jan.     18 

-  Ignazio  Guidi  in  Rom 1904  Dez.    15 

-  Georgias  N.  Hatzidakis  in  Athen 1900  Jan.     18 


XXX 

üatum  der  Wahl 

Hr.  Bemard  Haussoullier  in  Paris 1907  Mai       2 

-  Jolum  Ludvig  Heiberg  in  Kopenhagen 1896  März  12 

-  Antoine  Heron  de  Villefosse  in  Paris 1893  Febr.    2 

-  Harald  Hjärne  in  Uppsala  .     .' 1909  Febr.  25 

-  Maurice  Holleaux  in  Versailles 1909  Febr.  25 

-  Christian  Hülsen  in  Heidelberg 1907  Mai       2 

-  Hermann  Jacohi  in  Bonn 1911  Febr.     9 

-  Adolf  Jülicher  in  Marburg 1906  Nov.      1 

Sir   Frederic  George  Kenyon  in  London -    .     .     .     .  1900  Jan.     18 

Hr.  Georg   Friedrich  Knapp  in  Straßburg 1893  Dez.    14 

-  Axel  Kock  in  Lund    .    • 1917  Juli     19 

-  Karl  von  Kram  in  München \.     .     .     .  1917  Juli     19 

-  Basil  Latyschew  in  St.  Petersburg 1891  Juni      4 

-  Friedrich  Loofs  in  Halle  a.  S 1904  Nov.     3 

Giacomo   Lumbroso  in  Rom 1874  Nov.  12 

-  Arnold  Luschin  von  Ebengreulh  in  Graz 1904  Juli     21 

-  John  Fmtland  Mahajfy  in  Dubhn 1900  Jan.     18 

Wilhelm  Meyer-Lübke  in  Bonn 1905  Juli        6 

-  Ludwig  Mitteis  in  Leipzig 1905  Febr.  16 

Georg  Elias  Müller  in  Göttiugen 1914  Febr.  19 

-  Katl  von  Müller  in  Tübingen 1917  Febr.     1 

-  Samuel  Muller  Frederikzoon  in  Utrecht 1914  Juli     23 

-  Franz  Praeiorius  in  Breslau 1910  Dez.      8 

Pio  Rajna  in  Florenz 1909  März  11 

-  Moriz  Ritte?-  in  Bonn 1907  Febr.  14 

-  Karl  Robert  in  Halle  a.  S 1907  Mai       '1 

-  Michael  Rostowzew  in  St.  Petersburg 1914  Juni    18 

-  Edward  Schröder  in  Göttingen 1912  Juli      11 

-  Eduard  Schwartz  in  Straßburg 1907  Mai       2 

-  Bernhard  Seuffert  in  Graz 1914  Juni    18 

Eduard  Sievers  in  Leipzig 1900  Jan.    18 

Sir   Edward  Maunde  Thompson  in  London 1895  Mai       2 

Hr.  Vilhehn   Thomsen  in  Kopenhagen 1900  Jan.    18 

-  Ernst  Troeltsch  in  Berlin 1912  Nov.  21 

-  Patd  Vinogradoff  in  Oxford 1911  Juni    22 

Girolamo  Vitelli  in  Florenz 1897  Juli     15 

-  Jakob   Wackernagel  in  Basel 1911  Jan.    19 

-  Adolf  Wilhelm  in  Wien 1911  April  27 

-  Ludvig  Wimmei'  in  Kopenhagen 1891  Juni      4 

-  Wilhelm  Wundt  in  Leipzig 1900  Jan.     18 


XXXI 


Inhaber  der  Bradley-Medaille 

Hr.   Friedrich  KUHnei-  in  Bonn  (1918) 

Inhaber  der  Helmholtz-Medaille 

Hr.  Santiago  Ramon  Cajal  in   Madrid  (1905) 

-  Max  Planck  in  Berlin  (1915) 

Bic/tard  von  Herlvfig  in   München  (1917) 

-  Willielm  Konrad  Röntgen  in   München  (1919) 

Inhaber  der  Leibniz-Medaille 

a.     Der  Medaille  in  Gold 
Hr.  James  Simon  in  Berlin  (1907) 

-  Ernest  Soivay  in  Brüssel  (1909) 

-  Henry  T.  von  Böt/inger  in  Elberfeld  (1909) 
Joseph  Florimond  Duc  de  Louhat  in  Paris  (1910) 
Hr.  Hans  Meyer  in  Leipzig  (1911) 

Frl.  EUse  Koenigs  in  Berlin  (1912) 
Hr.  Georg  Schueinfurth  in  Berlin  (1913) 
Otto  von  Schjeming  in  Berlin  (1916) 

-  Leopold  Koppel  in  Berlin  (1917) 
Rudolf  Havenstein  in  Berlin  (1918) 
Heinrich  Schnee  in  Berlin  (1919) 

b.     Der  Medaille  in  Silber 
Hr.  Karl  Alexander  von   Marlim  in  Berlin  (1907) 

-  Adolf  Friedrich  Lindemann  in  Sidmouth.  England  (1907) 

-  Johannes  Bolle  in  Berlin  (1910) 

-  Albert  von  Le  Coi/  in  Berlin  (1910) 
Johannes  llberg  in  Leipzig  (1910) 

-  Max  Wellmann  in  Potsdam  (1910) 
Robert  Koldewey  in  Babylon  (1910) 
Gerhard  Hessenberg  in  Breslau  (1910) 
Werner  Janensch  in  Berlin  (1911) 

-  Hans   Osten  in  Leipzig  (1911) 

-  Robert  Davidsohn  in   München  (1912) 

-  N.  de  Garis  Dacies  in  Kairo  (1912) 

-  Edwin  Hennig  in  Tübingen  (1912) 
Hugo  Rabe  in  Hannover  (1912) 

-  Josef  Emanuel  Hibsc/i  in  Tetschen  (191H! 

-  Karl  Richter  in  Berlin  (19i:{) 


XXXII 


Hr.  Hans  Witte  in  Neustrelitz  (191:?) 

-  Georg  Wolff  in  Frankfurt  a.  M.  (1913) 

-  Walter  Andrae  in  Assur  (1914) 

-  Erwin  Schramm  in  Dresden  (1914) 

-  Richard  Irvine  Best  in  Dublin  (1914) 
Otto  Baschin  in  Berlin  (1915) 

-  Albert  Fleck  in  Berlin  (1915) 

-  Julius  Hirschberg  in  Berlin  (1915) 

-  Hugo  Magnus  in  Berlin  (1915) 

-  E.  Debes  in  Leipzig  (1919) 

-  r.  Domo  in  Davos  (1919) 
Joliannes  Kirchner  in  Berlin  (1919) 

-  Edmund  von  lAppmann  in  Halle  a.  8. 
Freiherr  von  Schrötter  in  Berlin  (1919) 
Hr.  Otto  Wolf  in  Berlin  (1919) 


(1919) 


Beamte  der  Akademie 

Bibliothekar  und  Archivar  der  Akademie:    Dr.  Sthamer,  Prof. 

Archivar  und  Bibliothekar  der  Deutschen  Kommission:  Dr.  Behrend,  Prof. 

Wissenschaftliche  Beamte:  Dr.  Dessau,  Prof.  —  Dr.  Harms,  Prof.  —  Dr.  Karl  Schmidt, 
Prof.  —  Dr.  Frhr.  Hiller  von  Gaertringen,  Prof.  —  Dr.  Ritter,  Prof.  - —  Dr.  Apstein, 
Prof.  —  Dr.  Paetsch,  Prof.  —  Dr.  Kuhlgatz,  Prof.         

Registrator  und  Kalkulator:    Grilnheid. 

Hausiuspektor  und  Kanzlist: 

Akademiediener:  Hennig.  —  .Janisch,  nimmt  die  Geschäfte  des  Jlausinspektors  wahr. 

—  Siedmann. 
Hilfsarbeiterin  in  der  Bibliothek:    Fräulein   Kilian. 
Hilfsarbeiterin  im  Bureau:  Fräulein  Meyer. 
Hilfsdiener:  G Lieser. 


xxxm 

Verzeichnis  der  Kommissionen,  Stiftungs-Kuratorien  usw. 

Kommissionen  für  wissenschaftliche  Unternehmungen  der  Akademie. 

Acta  Borussiea. 
Hintze  (geschäftsfiUirendes  Mitglied).     Meinecke.     Kehr. 

Ägyptologische  Kommission. 
Erman.     E.  Meyer.     W.  Schulze. 

Außerakad.  Mitglieder:  Junker  (Wien).    H.  Schäfer  (Berlin).    Sethe  (Göttin- 
gen).   Spiegelberg  (Straßburg). 

Corpus  inscriptionum  Etruscarum. 
Diels.     Hirschfeld.     W.  Schulze. 

Corpus  inscriptionum  Latinarun\  und  Griechische  Münzwerke. 
Hirschfeld  (Vorsitzender,  leitet  die  epigrapliischen  Arbeiten).     Dragendorflf 
(leitet  die  numismatischen  Arbeiten).  Diels.  von  Wilamowitz-Moellen- 
dorff.    Norden.     Imhoof-Blumer  (Winterthur). 

Corpus  medicorum  Graeeorum. 
Diels.      Sachau.     von  Wilamowitz-MoellendorfF. 

Deutsehe  Gesehichtsquellen  des  19.  Jahrhunderts. 
Meinecke.    Roethe.    Schäfer.    Hintze.    Sering.    Holl.    Kehr. 

Deutsche  Kommission. 
Roethe  (geschäftsfiihrendes  Mitglied).  Diels.  Burdach.  W.  Schulze.  Morf. 
Hintze.     Kehr.     Schi-öder  (Göttingen).     SeufFert  (Graz). 

Dilthey-Kommission. 
Erdmann  (geschäflsfuhrendes  Mitglied).    Diels.    Stumpf    Burdach.    Roethe. 
Seckel. 

Geschichte  des  Fixstemhimmels. 
Struve  (geschäftsfuhrendes  Mitglied).    G.  Müller. 
Außerakad.  Mitglied:    Cohn  (Berlin). 


XXXIV 

Politische  Korrespondenz  Friedrichs  des  Großen. 
Hintze  (geschliftsfülirendes  Mitglied).     Meinecke.     Kehr. 

Fronto  -Ausgabe. 
Diels.      Hirschfeld.      Norden. 

Herausgabe  der  Werke  Wilhelm  von  Humboldts. 
Burdach  (geschäftsführendes  Mitglied),     von  Wilamowitz-Moellendorff. 
Meinecke. 

Herausgabe  des  Ibn  Saad. 
Sachau  (geschäftsfiihrendes  Mitglied).    Erman.  W.Schulze.    F.W.  K.  Müller. 

Inscriptiones  Graecae. 
von  Wilamowitz-Moellendorff  (Vorsitzender).  Diels.   Hirschfeld.  W.  Schulze. 

Kant -Ausgabe. 
Erdmann  (Vorsitzender).     Diels.     Stumpf.     Roethe.     Meinecke. 
Außerakad.  Mitglied:    Menzer  (Halle). 

Ausgabe  der  griechischen  Kirchenväter. 

von  Harnack  (geschäftsführendes  Mitglied).  Diels.  Hirschfeld,  von  Wilamo- 
witz-Moellendorff.    HoU.     Loofs  (Halle).     Jülicher  (Marburg). 

Außerakad.  Mitglied:  Seeck  (Münster),  fiir  die  Prosojiographia  imperii  Ro- 
mani  saec.  IV — VI. 

Leibniz -Ausgabe. 
Erdmann   (geschäftsführendes   Mitglied).     Planck,     von   Harnack.     Stumpf. 
Roethe.     Morf.     Kehr.     Erh.  Schmidt. 

Nomenciator  animalium  generum  et  subgenerum. 

Kükenthal  (geschäftsführendes  Mitglied),     von  Waldeyer-Hartz.     Heider. 

Orientalische  Kommission. 
E.  Meyer  (geschäftsfiihrendes  Mitglied).    Diels.  Sachau.   Erman.   W.  Schulze. 

F.  W.  K.  Müller.    Lüders. 
Außerakad.  Mitglied:    Delitzsch  (Berlin). 

„Pflanzenreich". 
Engler  (geschäftsführendes  Mitglied),     von  Waldeyer-Hartz.     Correns. 


XXXV 

Prosopographia  imperii  Romani  saee.  I — III. 
Hirschfeld.     Dressel. 

Strabo-Ausgabe. 
Diels.     von  Wilamowitz-Moellendorff.     K.  Meyer. 

„Tierreich". 
Kükenthai  (geschäftsföhrendes  Mitglied),    von  Waldeyer-Hartz.     Heider. 

Herausgabe  der  Werke  von  Weierstraß. 
Planclc  (ge.schäftsfülirendes  Mitglied).     Schwarz. 

Wörterbuch  der  deutsehen  Rechtssprache. 

Roetlip  (geschäftsfiihrendes  Mitglied).     Stutz.     Heymann. 

Außerakad.  Mitglieder:  Frensdorff  (Göttingen),  von  Gierke  (Berlin).  Huber 
(Bern).  Frhr.  von  Künßberg  (Heidelberg).  Frhr.  von  Schwerin  (Frei- 
burg). Frhr.  von  Schwind  (Wien). 


Wissenschaftliche  Unternehmungen,  die  mit  der  Akademie  in  Verbindung  stehen. 

Corpus  scriptorum  de  musica. 
Vertreter  in  der  General-Kommission:  Stumpf. 

Luther-Ausgabe. 
Vertreter  in  der  Kommission:  von  Harnack.     Burdach. 

Monumenta  Germaniae  historica. 
Von  der  Akademie  gewählte  Mitglieder  derZentral-Direktion:  Schäfer.  Hintze. 

Thesaurus  der  japanischen  Sprache. 
Sachau.     W.  Schulze.     F.  W.  K.  Müller. 

Sammlung  deutscher  Volkslieder. 
Vertreter  in  der  Kommission :  Roethe. 

Wörterbuch  der  ägyptischen  Sprache. 
Vertreter  in  der  Kommission:  Ermaii. 


XXXVI 

Bei  der  Akademie  errichte fe  Stiftungen. 

Bopp  -  Stiftung. 

Vorberatende  Kommission  (1918  Okt.— 1922  Okt.). 

W.  Schulze  (Vorsitzender).    Lüders  (Stellvertreter  des  Vorsitzenden).    Roethe. 

Brandl. 
Außerakad.  Mitglied:    Brückner  (Berlin). 

Charlotten  -  Stiftung  für  Philologie. 

Kommission. 

Diels.      Hirschfeld,     von  Wilamowitz-Moellendorff.    W.  Schulze.      Norden. 

Eduard  -  Gerhard  -  Stiftung. 
Kommission. 
Dragendorif  (Vorsitzender).       Hirschfeld.       von   Wilamowitz-Moellendorff. 
Dressel.     E.  Meyer.     Schuchhardt. 

Humboldt  -  Stiftung. 
Kuratorium  (1917  Jan.  1  —  1920  Dez.  31). 
von  Waldeyer-Hartz  (Vorsitzender).     Hellmann. 

Außerakad.  Mitglieder:    Der  vorgeordnete  Minister.    Der  Oberbürgermeister 
von  Berlin.     P.  von  Mendelssohn-Bartholdy. 

Akademische  Jubiläumsstiftung  der  Stadt  Berlin. 

Kuratorium  (1917  Jan.  1—1920  Dez.  Hl). 

Planck  (Vorsitzender),    von  Waldeyer-Hartz  (Stellvertreter  des  Vorsitzenden). 

Diels.     Hintze. 
Außerakad.  Mitglied:  Der  Oberbürgermeister  von  BerUn. 

Stiftung  zur  Förderung  der  kirchen-  und  religionsgeschichtlichen  Studien  im 
Rahmen  der  römischen  Kaiserzeit  (saec.  I — VI). 
Kuratorium  (1913  Nov.— 1923  Nov.). 
Diels  (Vorsitzender),     von  Harnack. 

Außerdem  als  Vertreter  der  theologischen  Fakultäten  der  Universitäten  Ber- 
lin: Holl,  Gießen:  Krüger,  Marburg:  Jülicher. 


XXXVII 

Graf-Loubat-Stiftung. 

Kommission  (1918  Febr.— 1923  Febr.). 
Sachau.     Seier. 

Albert-Samson-Stiftung. 

Kuratorium  (1917  April  1—1922  März  31). 

von  Waldeyer-Hartz  (Vorsitzender).    Planck  (Stellvertreter  des  Vorsitzenden). 

Rubner.     Orth.     Penck.     Correns.     Stumpf. 

Stiftung  zur  Förderung  der  Sinologie. 
Kuratorium  (1917  Febr.— 1927  Febr.). 
de  Groot  (Vorsitzender).     F.  W.  K.  Müller.     Lüders. 

Herinann-und-Elise-geb.-Heekmann-Wentzel-Stiftung. 

Kuratorium  (1915  April  1—1920  März  31). 

Roethe   (Vorsitzender).      Planck   (Stellvertreter   des  Vorsitzenden).      Erman 

(Schriftführer).     Nernst.     Haberlandt.     von  Harnack. 
Außerakad.  Mitglied:    Der  vorgeordnete  Minister. 

Max-Henoch-Stiftung. 
Planck  (Vorsitzender).     Schwarz.     Schottky.     Erh.  Schmidt  (Schriftführer). 
Caratheodory. 

Faul-Rieß-Stiftung. 
Kuratorium  (1920  Jan.  1—1925  Dezember  31). 
Planck.     Beckmann.     Rubens.     Struve. 


ABHANDLUNGEN 

DER  PREUSSISCHEN 

AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

JAHRGANG    1919 
PHYSIKALISCH-MATHEMATISCHE  KLASSE 


Uip:DÄCHTNISREDE  AUF  SLMON  S(  HWENDENER 


VON 


G.  HAUE  KLAN  DT 


BERLIN   1919 

VERLAG  DER  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN 

IN  KOMMISSION  BEI  DER 
VEREINIGUNG  WISSENSCHAFrLICHER  VERI.EGEIl  WALTER  DE  GRUYTER  U.  CO. 

VORMALS  U.  J.  OÖSrHKSSl  IIK  VERLA(iSllANDLI'Nli.     J.  GlTTENTAfi,  VKBLAfi.SBI'CHllANDM'Nci. 
UEOKCi  KKIMKK.     KARL  J.  IKÜBNKK,     VEIT  U.  COMI'. 


Gehalten  in  der  öffentlichen  Sitzung  am  3.  Juli   1919. 
Zum  Druck  eingereicht  am  gleichen  Tage,  ausgegeben  am  14.  Juli  1919. 


xVni  27.  Mai  d.  .1.  ist  Simon  Schwendener,  der  Nestor  der  deutschen  Bo- 
taniker, das  älteste  Mitglied  unserer  Akademie,  der  er  vier  Jahrzehnte  lang 
angehört  hat,  im  91.  Lebensjahre  gestorben.  Am  2.  Juni  haben  wir,  was 
sterblich   an  ihm  war,  auf  dem  alten  Matthäikirchhof  zur  Ruhe  bestattet. 

Wenn  wir  uns  das  selten  hohe  Alter  so  recht  verdeutlichen  wollen, 
das  der  Verstorbene  erreicht  hat,  so  brauchen  wir  nur  den  Zustand  der 
Wissenschaft,  der  Schwendener  seine  Lebensarbeit  gewidmet,  zur  Zeit  seiner 
Kinder-  und  Lehrjahre  ins  Auge  zu  fassen.  Als  er  am  10.  Februar  1829  zu 
Buchs  im  Kanton  St.  Gallen  geboren  wurde,  da  lebte  noch  Goethe  und 
befaßte  sich*  eifrig  mit  den  Einwirkungen  seiner  Metamorphosenlehre  auf 
die  Ptlanzeninorphologie  seiner  Zeit,  die  sich  ganz  auf  das  Gebiet  einer 
mystischen  Naturphilosophie  verirrt  hatte.  Hugo  von  Mohl,  der  Begründer 
der  neueren  Pflanzenanatomie,  stand  erst  am  Beginn  seiner  Laufbahn  und 
fing  systematisch  das  feste  Zellhautgerüst  der  Pflanzen  zu  untersuchen  an, 
<la  vom  lebenden  Inhalt  der  Zellen,  dem  Mohl  erst  viel  später  den  Namen 
»Protoplasma«  gab,  so  gut  wie  noch  gar  nichts  bekannt  war.  Als  dann 
von  ScHLEiDEN,  Unoek,  Nägeli  .u.  a.  die  heftigen  Kämpfe  um  die  Fragen  der 
Zellbildung  und  Zellteilung  ausgefochten  wurden,  Kämpfe,  die  zur  Begrün- 
dung der  modernen  Zellentheorie  führten,  da  war  der  junge  Schwendener 
bereits  zum  Jüngling  herangewachsen,  der  sich  allmählich  für  einen  Lebens- 
bei-uf  zu  entsclieiden  hatte. 

Schwendeners  Vater  war  Bauer,  und  so  lag  es  nahe,  den  einzigen  Sohn 
gleichfalls  Landwirt  werden  zu  lassen.  Der  kräftige  Knabe  hatte  in  der  Tat 
auch  Freude  an  landwirtschaftlicher  Arbeit;  im  Sommer  hütete  er  mit  seinem 
Großvater  tage-  und  wochenlang  das  Vieh  auf  der  Alpe,  und  unten  im  Tale 
ritt  er,  wie  er  einst  lachend  erzählte,  die  vom  Vater  gezogenen  Pferde  kauf- 
histigen  Bauern   und  Händlern   vor.     Bei  der  Berufswahl  entschied  er  sich 


4  Haberlandt: 

aber  doch  für  den  Lehrberuf.  Er  absolvierte  ein  Seminar  und  wurde  in 
Burhs  als  Volksschullehrer  angestellt.  Bald  al)er  ermöglichte  ihm  ein  Ver- 
mächtnis seines  Großvaters,  die  Studien  wieder  aufzunehmen.  Er  ging 
nach  Genf,  bereitete  sich  dort  auf  das  Abiturientenexamen  vor  und  besuchte 
an  der  Akademie  u.  a.  die  Vorlesungen  Thürys  und  Alphons  de  Candolles. 
Bald  aber  mußte  er  aus  Mangel  an  Mitteln  das  Studium  wieder  unterbrechen 
und  eine  Lehrerstelle  an  einer  Privatlehranstalt  übernehmen.  Ihr  Inhaber 
war  ein  bejahrter  Mann  und  wollte  dem  jungen  Lehrer,  der  das  Herz  seiner 
Tochter  gewonnen  hatte,  die  Anstalt  überlassen.  Damals  stand  Schwendener, 
wie  er  mir  selbst  erzählte,  vor  dem  schwersten  Entschluß  seines  Lebens. 
Die  Stimme  des  Herzens  sprach  Ja,  der  Forscherdrang  in  ihm  ein  noch 
bestimmteres  Nein.  So  schnürte  er  wieder  sein  Bündel  und  zog  nach  Zürich, 
wo  er  unter  Oswald  Heer  1856  mit  einer  schon  in  Genf  auf  Anregung 
DE  Candolles  begonnenen  phänologischen  Arbeit  über  »die  periodischen  Er- 
scheinungen der  Natur,  insbesondere  der  Pflanzenwelt«  zum  Doktor  pro- 
movierte. 

Ein  Jahr  vorher  war  Karl  Nägeli  aus  Freiburg  i.  Br.  an  das  neuge- 
gründete eidgenössische  Polytechnikum  in  Züricli  berufen  worden  und 
kündigte  hier  sofort  auch  botanisch-mikroskopische  Übungen  an.  Das  be- 
deutete für  Schwendener,  der  bis  dahin  keine  Gelegenheit  gefunden  hatte, 
ein  Mikroskop  zu  benutzen,  die  Erfüllung  seines  sehnlichsten  Wunsches. 
Es  bedeutete  aber  für  ihn  noch  weit  mehr:  den  Anschluß  an  den  Lehrer, 
dem  er  sich  geistesverwandt  fühlte  und  der  auf  die  weitere  Entwicklung 
seiner  Forsch  erlauf  bahn  einen  entscheidenden  Einfluß  ausgeübt  hat.  Was 
ihn  seinen  eigenen  Worten  zufolge  an  Nägeli  am  meisten  fesselte,  das 
war  vor  allem  »die  kritische  Schärfe  seines  Verstandes,  der  weite  Horizont 
und  die  kühle  Überlegenheit  seiner  Logik,  die  ihm  im  Gespräch  über 
botanische  Fragen  von  Tag  zu  Tag  mehr,  sieghaft  und  anregend  zugleich, 
entgegentraten«.  Aber  auch  der  Lehrer  erkannte  die  Kongenialität  des 
Schülers.  Er  erkannte  in  ihm  dasselbe  Bestreben  nach  mathematischer 
Strenge  und  Präzision  in  der  Darstellung  morphologisclier  und  entwicklungs- 
geschichtlicher Tatsachen,  nach  geometrischer  Klarheit  bei  der  Erfassung 
der  räumlichen  Beziehungen  der  Organe,  Zellen  und  Zellkomplexe,  das  ihm 
selbst  in  so  hohem  Maße  eigen  war.  Als  daher  Nägeli  im  Sommer  1857 
einem  Rufe  an  die  Universität  München  folgte,  trug  er  Schwendener  die 
Assistentenstelle  bei  ihm  an,  und  gleich  nach  ihrer  Übersiedelung  begann 


Gedtichtnisrede  auf  Simon  Schwende ner.  5 

die  gemeinsame  Arbeit,  die  für  die  Wissenschaft  so  wertvolle  Früchte  ge- 
tragen hat. 

An  erster  Stelle  sei  hier  gleich  des  berühmten  Werkes  der  beiden 
Forscher  über  das  Mikroskop  gedacht,  von  dem  der  i.  Teil  «Die  Theorie 
des  Mikroskops  und  die  mikroskopische  Wahrnehmung«  im  Jahre  1865, 
der  2.  Teil  »Die  Anwendung  des  Mikroskops«  1867  erschienen  ist.  Es  ist 
hier  nicht  der  Ort,  auseinanderzusetzen,  um  wie  vieles  die  beiden  Botaniker 
im  Verständnis  der  Eigenart  und  der  Leistungsfäliigkeit  dieses  Instrumentes 
alle  Biologen  und  auch  Physiker  vor  ihnen  übertroffen  haben,  daß  sie  erst 
die  Grundlagen  schufen,  auf  denen  dann  Abbe  weiterbaute  und  die  Theorie 
des  Mikroskops  und  des  mikroskopischen  Sehens  zu  so  hoher  Vollendung 
steigerte.  Wohl  aber  muß  hervorgehoben  werden,  daß  in  beiden  Auflagen 
des  Werkes  auch  ein  bis  in  die  kleinsten  Einzelheiten  auf  eigener  kritisclier 
Beobachtung  beruhender  (Irundriß  der  inneren  und  äußeren  Morphologie 
der  Ptlanz«?  geboten  wird,  dessen  Anregungen  selbst  lieute  noch  nicht  voll- 
ständig erschöpft  sind. 

In  der  Hauptsache  fallen  aber  in  die  Müncliener  Jahre  (von  1857  bis 
1867)  die  ausgedehnten  »Untersuchungen  über  den  Flechtenthallus«.  Es 
sind  vor  allem  Nägklis  grundlegende  Arbeiten  »über  das  Waclistum  des 
Stammes  und  der  Wurzel  bei  den  Gefiißptlanzcn«  gewesen,  an  denen  auch 
SrHWENDENER  als  Assi.stent  beteiligt  war,  die  ihm  den  Gedanken  nahe- 
legten, eine  in  gleicher  Weise  tief  eindringende  anatomisch-entwicklungs- 
geschichtliche Untersuchung  auch  im  Bereiche  der  niederen  Pflanzen  aus- 
zuführen. Es  mußte  ferner  den  jungen  Forscher,  der  es  im  Gebrauch  des 
3Iikroskops  so  rasch  zu  hoher  Meisterschaft  gebraclit  hatte,  besonders 
reizen,  seine  Kunst  an  einem  in  histologischer  Hinsicht  so  schwierigen 
Objekte  zu  erproben,  wie  es  der  Flechtenkörper  ist. 

Y^  hat  sicli  in  der  Geschichte  der  biologischen  Wissenschaften  wohl 
kaum  ein  zweites  Mal  ereignet,  daß  die  Ergebnisse  einer  nüchtern-deskrip- 
tiven Untersucliung  in  einer  so  unerwarteten,  kühnen  und  vielen  Forschern 
ganz  phantastisch  erscheinenden  Schlußfolgerung  gegipfelt  haben,  wie 
ScHWENDENERs  Arbeiten  über  den  Flechtenthallus.  Dieses  Ergebnis  wird 
schon  im  Nachtrag  zur  letzten  Abhandlung  Ober  die  Laub-  und  Gallert- 
flechten 1868  kurz  angedeutet:  es  drängt  sich  ihm  die  Frage  auf,  ob  nicht 
vielleicht  für  sämtliche  Flechten  die  Annahme  gilt,  daß  ihre  grünen  Zellen, 
die   sog.    »Gonidien    durchgehends    als    typische   Algen    und    die    farblosen 


6  Haberlandt: 

Zellfäden  als  Pilzhyplien  zu  betrachten  seien«.  Diese  einstweilen  noch  hy- 
pothetisch ausgesprochene  Ansicht  hat  Schwendener  in  seinem  1869  er- 
schienenen Programm  für  die  Rektoratsfeier  der  Universität  Basel,  an  die 
er  zwei  Jahre  früher  als  ordentlicher  Professor  berufen  worden,  zur  völligen 
Gewißheit  erhoben.  Der  Titel  dieser  Arbeit,  in  der  die  moderne  Flechtcn- 
theorie  vor  genau  einem  halben  Jahrhundert  begründet  wurde,  gibt  bereits 
die  Richtung  an,  die  die  Beweisführung  einschlägt.  Er  lautet  nämlich: 
»Die  Algentypen  der  Flechtengonidien«.  Es  wird  darin  der  zwingende 
Nachweis  erbracht,  daß  die  (ionidien  der  verschiedenen  Laub-,  Strauch- 
und  Gallertflechten  auf  das  genaueste  acht  verschiedenen  Algentypen  ent- 
sprechen und  daß  diese  vollständige  Übereinstimmung  nur  verständlich 
wird,  wenn  man  die  Gonidien  für  Algen  erklärt.  Die  Flechten  sind  dem- 
nach als  besondere  Hauptabteilung  der  Kryptogamen  zu  streichen,  sie  sind 
vielmehr  Pilze  aus  der  Klasse  der  Ascomyceten,  die  auf  Algen  schmarotzen. 
In  der  Einleitung  dieser  Schrift  wird  auch  das  physiologische  Verhältnis 
•zwischen  Pilz  und  Alge  im  Sinne  einer  Lebensgemeinschaft,  fvir  die  de  Bary 
später  den  Ausdruck  Symbiose  geprägt  liat,  mit  eindringlichen  Wollen 
richtig  gekennzeichnet.  »So  bieten  uns  also  die  Flechten«,  sagt  Schwendener, 
»diese  ,rustici  pauperrimi'  das  düstere,  aber  doch  lebensfrische  Bild  eines 
herrschenden,  man  möchte  beinahe  sagen  mit  staatsmännischer  Klugheit 
berechneten  Schmarotzertums  auf  der  einen,  und  eines  niederen,  zu  ewiger 
Unfreiheit  verurteilten  Helotentums  auf  der  anderen  Seite,  —  ein  Bild, 
das  zwar  in  einzelnen  Zügen  auch  im  Tierreich  und  im  Leben  der  Völker 
seine  Analogien  findet,  jedoch  in  dieser  Eigenartigkeit  und  Absonderlich- 
keit in  der  ganzen  Reihe  organischer  Wesen  nicht  wiederkehrt.« 

Nach  dem  Abschluß  seiner  Flechtenarbeiten  traf  Schwendener  alsbald 
die  Vorbereitungen  für  seine  zweite  wissenschaftliche  Großtat.  Die  Neigung 
zur  Bearbeitung  mechanischer  Probleme,  die  ihn  von  nun  an  nicht  mehr  losließ, 
veranlaßte  ihn,  sich  mit  der  Frage  zu  beschäftigen,  was  fiir  Festigungs- 
einrichtungen den  Pflanzen  zu  Gebote  stehen  und  ob  sich  in  Bau  und  An- 
ordnung dieser  Einrichtungen  die  Anpassung  an  ihre  Funktion  bestimmt 
zu  erkennen  gibt.  Es  erscheint  uns  heute  fast  unbegreiflich,  daß  diese  Frage 
so  spät  erst  aufgeworfen  wurde,  wo  doch  jeder  Laie  sich  sagen  mußte,  daß 
vom  Grashalm  angefangen,  der  im  Winde  schwankt,  bis  zum  mächtigen 
Baumriesen,  dessen  Stamm  die  schwere  Last  der  Krone  zu  tragen  hat,  an 
den  Pflanzenkörper  die  mannigfachsten  Festigkeitsansprüche  gestellt  werden. 


Gedächtnisrede  auf  Simon  Schwendener.  7 

Daß  die  Tiere  ein  Skelett  besitzen,  sei  es  nun  Hautskelett  oder  Knochen- 
gerüst, legte  unbegreiflicherweise  keinem  Botaniker  vor  Schwendener  den 
Analogieschluß  nalie,  daß  auch  bei  den  Pflanzen  ein  mechanisches  System, 
ein  Skelett  zu  erwarten  sei.  Dabei  war  es  nicht  einmal  eine  gewisse  Scheu 
vor  gewagten  Analogieschlüssen,  die  diese  Kurzsichtigkeit  verschuldete.  Nur 
zu  oft  haben  in  der  Geschichte  der  Anatomie  und  Physiologie  der  Pflanzen 
falsclie  Analogien  mit  den  Einrichtungen  des  tierischen  Organismus  eine  ver- 
hängnisvolle Rolle  gespielt  und  die  Entwickelung  der  Wissenschaft  aufge- 
halten. Hat  doch  schon  einer  der  Begründer  der  Pflanzenanatomie,  Malpighi, 
die  Wasserleitungsröhren  des  Holzes  wegen  ihrer  Ähnlichkeit  mit  den  Tracheen 
des  Insektenleibes  als  Durchlüftungsorgane  bezeichnet,  Alexander  von  Hum- 
boldt die  Bastzellen  in  funktioneller  Hinsicht  mit  Muskelfasern  verglichen  und 
Schui.tz-Schultzenstein  die  Milchsaftgefäße  der  Pflanzen  dem  Gefaßsystem 
der  Tiere  an  die  Seite  gestellt.  Um  so  größer  ist  das  Verdienst  Schwendeners, 
zum  ersten  Male  seit  der  Entdeckung  des  zelligen  Baues  der  Organismen 
eine  richtige  Analogie  großen  Stiles  im  anatomischen  Bau  des  Tier-  und 
Prtanzenkörpers  aufgedeckt  zu  haben. 

Das  klassische  Werk,  worin  Schwendener  seine  Entdeckung  des  mecha- 
nischen Gewebesystems  der  Pflanzen  mitgeteilt  hat,  ist  1874  unter  dem 
Titel  »Das  mechanische  Prinzip  im  anatomischen  Bau  der  Monokotylen« 
erschienen.  Es  Tällt  auf,  daß  damit  nicht  das  Pflanzenskelett  als  solches, 
sondern  das  mechanische  Prinzip,  das  seinen  Aufbau  beherrscht,  in  den 
Vordergrund  gerückt  wird.  Das  ist  gewiß  mit  voller  Absicht  geschehen, 
denn  nicht  die  Tatsache,  daß  die  Pflanzen  überhaupt  ein  mechanisches  System 
besitzen,  war  für  Schwendener  das  Neue  und  Wichtige,  sondern  daß  in 
Bau  und  Anordnung  dieses  Systems  die  Prinzipien  der  theoretischen  Mechanik 
in  überraschend  vollkommener  Weise  zur  Geltung  kommen.  Die  vollendete 
Übereinstimmung  zwischen  Bau  und  Funktion  war  es,  worauf  Schwendener 
das  Hauptgewicht  legte. 

Damit  war  aber  der  Grundstein  gelegt  für  das  Lehrgebäude  der  physio- 
logischen Pflanzenanatomie.  Gleich  der  zweite  Satz  des  vorhin  erwähnten 
Werkes  lautet:  »Bei  den  Gefäßpflanzen  sind  alle  wichtigen  Funktionen 
auf  eben.so  viele  anatomisch  ausgezeichnete  Gewebeformen  verteilt.«  Es 
kann  sonach  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  Schwendener  sclion  bei  der 
Abfassung  des  »Mechanischen  Prinzips«  eine  anatomisch -physiologische 
Einteilung  der  Gewebesysteme  vorschwebte,  weijn  er  diesen  Gedanken  auch 


8  H  A  B  E  R  L  A  N  I)  T  : 

nirgends  Aveiter  ausgeführt  und  begrändet  hat.  ¥,s  muß  sogar  auffallen, 
daß  ScHWKNDENER  drei  Jalire  später  in  der  2.  Auflage  des  »Mikroskops« 
im  Widersprucli  mit  dem  vorliin  zitierten  Satze  nur  zwei  Gewebesysteme 
unterschieden  liat,  das  ernährungsphysiologische  und  das  mechanische  Sy- 
stem, wobei  er  dem  ersteren  nicht  nur  die  Funktion  der  Assimilation,  der 
Stoffleitung  und  Stoffspeicherung,  sondern  auch  den  Schutz  gegen  zu  rasche 
A^erdunstung  u.  a.  zuschrieb.  Und  in  der  Antrittsrede,  die  er  am  8.  Juli 
i88o  in  unserer  Akademie  gehalten  hat,  sprach  er  sich  über  die  Zukunft 
der  neuen  Richtung  noch  sehr  vorsichtig  und  zurückhaltend  aus.  Es  sei 
erst  ein  kleiner  Schritt  nach  einem  entfernten  Ziel  getan;  auch  dürft«  die 
Wechselbeziehung  zwischen  Bau  und  Funktion  der  Gewebe  nur  teilweise, 
oft  nur  in  wenigen  Punkten  erkennbar  sein.  Um  so  größer  war  daher 
seine  Genugtuung,  als  sich  bald  darauf  auf  Grund  eigener  und  zahlreicher 
Schülerarbeiten  herausstellte,  daß  jene  Wechselbeziehungen  doch  zahlreicher 
sind  und  mit  größerer  Sicherheit  aufgedeckt  werden  können,  als  er  sich 
anfänglich  dachte.  Und  als  dann  vier  Jahre  später,  1884,  die  erste  Auf- 
lage meiner  »Physiologischen  Pflanzenanatomie»  erschien,  da  sah  er  früher, 
als  er  gehofft,  den  Wunsch  verwirklicht,  den  er  mir  gegenüber  in  Tübingen 
unmittelbar  nach  dem  Erscheinen  des  letzten  großen  Handbuches  der  rein 
deskriptiven  Pflanzenanatomie  von  de  Bary  1877  geäußert  hatte:  »Das  in- 
haltsreiche verdienstliche  Werk,  das  ich  hier  in  den  Händen  halte,  kann 
keine  Anregungen  mehr  bieten  und  ist  deshalb  veraltet.  Die  Zukunft  ge- 
hört einem  Lehrbuch  der  physiologisc^hen  Pflanzenanatomie.«  Er  hat  rich- 
tig prophezeit.  Nach  mehr  als  einem  Menschenalter  durfte  ich  dem  Meister 
beim  Eintritt  in  sein  90.  Lebensjahr  die  5.  Auflage  meines  Werkes  widmen. 
Im  Jahre  1876  war  Schwenhener  als  Nachfolger  Hofmeisters  an  die 
Universität  Tübingen  übersiedelt.  Er  fühlte  sich^  hier  sehr  wohl.  Die  an- 
mutige Landschaft  und  ein  sympathischer  Kollegenkreis  machten  ihm  den 
Abschied  schwer,  als  er  schon  zwei  Jahre  später,  1878,  als  Nachfolger 
Alexander  Brauns  an  die  Universität  Berlin  berufen  wurde.  Hier  sammelte 
er  in  dem  neubegründeten  botanischen  Institut  alsbald  einen  Kreis  begeister- 
ter Schüler  um  sich,  auf  den  er  bei  der  Annahme  des  Rufes  mit  Bestimmt- 
heit gerechnet  hatte.  In  rascher  Folge  veröffentlichte  er  selbst  in  den 
Schriften  unserer  Akademie  eine  Anzahl  wichtiger  Beiträge  zur  allgemeinen 
Botanik,  die  meist  zugleich  die  Lösung  mechanischer  und  physikalisch- 
physiologischer Probleme  brachten.    So  die  Arbeiten  über  Scheitelwachstum 


Geddchtimrede  auf  Simon  Schwendener.  9 

mit  mehreren  Sclieitelzelleii,  über  Bau  und  ."Mechanik  der  Spaltöffnungen, 
die  durch  Waclistum  bedingte  Verschiebung  kleinster  Teilchen  in  trajek- 
tonischen  Kurven,  über  das  Winden  der  Pflanzen,  die  Schutzscheiden  und 
ihre  Verstärkungen,  Untersuchungen  über  das  Saftsteigen,  über  Quellung 
und  Doppelbrechung  vegetabilischer  Membranen,  die  Gelenkpolster  von 
Mimom  jntdica,  PhaseoluK  und  Oxalis,  über  den  üffnungsmechanismus 
der  Anthercn  u.  a.  m.  Seit  1890  aber  sah  er  sich  genötigt,  die  Waffen 
seines  Scharfsinns  zur  Verteidigung  seines  dritten  Hauptwerkes  anzuwenden, 
mit  dem  er  sich  1878  in  Berlin  eingeführt  hatte,  seiner  »Mechanischen 
Theorie  der  Blattstelhmgen«.     Sie  ist  sein  Schmerzenskind  geworden. 

Die  s])iralige  Stellung  der  Blätter  am  Stengel  war  seit  jeher  ein  Lieb- 
lingsthema der  Ptlanzenmorphologie.  Die  Naturphilosophie  der  ersten  De- 
zennien des  19.  Jahrhunderts  Iiat  sie  in  ehien  mystischen  Schleier  gehüllt, 
liinter  dem  der  alternde  Goethe  eine  allgemeine  Spiraltendenz  der  \'ege- 
tation  zu  erblicken  glaubte.  Sie  hat  diesen  rätselhaften  Charakter  auch 
nicht  verloren,  als  Karl  Schimver  und  Alexander  Braun  eine  in  rein  for- 
maler Hinsicht  höclist  vollendete  Blattstellungslehre  schufen,  deren  geo- 
metrische Konstruktionen  die  verschiedenartigsten  Blattstellungen  mit  großer 
Eleganz  auf  ein  einheitliches  Prinzip  zurückzuführen  vei-mochten.  Von  einer 
kausalen  Erklärung  der  Blattstellungen  konnte  dabei  keine  Rede  sein.  Die 
idealistische  Naturauffassung  Sohimpers  und  Brauns  hat  darauf  von  vorn- 
herein verzichtet. 

Der  erste,  der  vom  Standpunkte  der  Entwicklungsgeschichte  aus  die 
Spiraltendenz  bei  der  Entstehung  der  Blätter  leugnete,  war  W.  Hofmeister. 
Nach  ihm  sollte  in  einer  bestimmten  Zone  des  Stammscheitels  jeder  be- 
liebige Punkt  befiihigt  sein,  zu  einer  Blattanlage  auszuwachsen.  Der  Ent- 
stehungsort eines  neuen  Blattes  Avird  bestimmt  durch  die  Konfiguration 
der  älteren  Blattanlagen;  die  neuen  Blätter  entstehen  über  den  weitesten 
Lücken  zwischen  den  nächstbenachbarten  älteren  Blättern;  sie  entstehen 
dort,  wo  sie  den  meisten   Platz   tinden. 

Diesen  zuerst  von  Hofmeister  ausgesprochenen  Satz  hat  nun  Schwenoener 
ni»emommen  und  durch  den  Hinweis  darauf  ergänzt,  daß  die  Biattanlagen,  so- 
bald si<?  die  Form  von  halbkugeligen  Höckern  erlangt  hal)en.  mit  den  be- 
naciibarten  in  immittelbare  Berührimg  treten,  indem  sie  mindestens  zwei 
«ierselben  tangieren.  Dieser  Kontakt  der  neuen  Organe  mit  vorhergehenden 
ist   die   wichtig.ste  Voraussetzung    für  den   eigentliclien   Kern   der  Schwen- 

Vliyx.-math.  Klasse,   lillil.   Gfdüchluisr.  2 


10  Haberla.ndt: 

DENERSC'lien  Blattstellungslelire.  für  die  Druckuirkuiigen.  flie  zu  <leii  soge- 
nannten »Daclistuhlverscliiebungen«  führen.  Die  nieclianisclien  Folgen  dieser 
Druckwirkungen  werden  nun  in  nuisterliafter  Weise  klargelegt.  Ilir  Er- 
gebnis sind  die  mannigfachen  Blattstellungen  und  ihre  Übergänge  am  aus- 
gewachsenen Stengel.  Was  uns  Schwendener  mit  die.ser  Theorie  bietet, 
das  ist  einmal  wirkliche  »Entwickelungsmechanik«  im  strengsten  Sinne 
des  Wortes. 

Die  Angrifle  gegen  die  neue  Blattstellungstheorie  ließen  über  ein 
Jahrzehnt  lang  auf  sich  warten.  Sie  setzten,  was  ausdrücklich  betont 
werden  muß,  in  wirksamster  Weise  nicht  am  prinzipiell  wichtigsten  Punkte 
an,  an  den  Folgen  der  Druckwirkungen,  sondern  am  .Zustandekommen  des 
Kontaktes  und  an  dem  Prinzip  der  vollständigen  Raumausfullung  durch 
die  neuen  Blattanbigen.  Für  das  eigentliche  Wesen  <ler  Theorie  muß  es 
aber  gleichgültig  sein,  von  welchen  Faktoren  die  Orte  der  ersten  Anlage 
der  neuen  Blätter  bestimmt  werden,  wenn  nur  bei  ihrem  allmählichen 
Größerwerden  der  Anschluß  erreicht  wird  und  die  Druckwirkungen  ein- 
setzen können.  Daß  es  sich  bei  der  ersten  P]nt.stehung  der  Blattanlagen 
nicht  um  eine  grobniechanische  Kaunifrage  handeln  kann,  daß  vielmehr 
walirscheinlich  chemische  Reizwirkungen,  die  von  den  älteren  Anlagen 
ausgehen,  die  P^ntstehungsorte  der  jüngeren  Blätter  l)estimnien.  ist  gegen- 
wärtig kaum  zu  bezweifeln.  Ansätze  zu  einer  solchen  Erklänmg,  die  auf 
innere  Ursachen  olme  naturphilosophischen  Beige.schmack  zurückgreift,  sind 
schon  vorhanden.  Was  aber  die  Verschiebungen  der  heranwachsenden 
Blattanlagen  nach  eingetretenem  Kontakt  anlangt,  so  wird  sich  erst  noch 
zeigen  müssen,  ob  nicht,  in  vielen  Fällen  wenigstens.  ScHWENnENER  doch 
Recht  behält.  Aber  selbst  dann,  wenn  die  mechanische  Theorie  der  Blatt- 
stellungen mit  allen  ihren  Voraussetzungen  in  ihre  (Jänze  fallen  würde. 
so  wäre  sie  doch  in  der  (Jeschichte  der  Pflanzenmorphologie  eine  ebenso 
notwendige  Erscheinung,  die  wir  keinesfalls  vermissen  niöchten.  wie  die 
rein  formalgeometrische  Blattstellung.slehre  von  Schimper  und  Braun.  Sie 
wird  immer  als  klassisches  Beispiel  eines  streng  kausalmechani.schen  Er- 
klärungsversuchs anzuseilen   sein. 

Zu  den  großen  Zeit-  und  Streitfragen  der  Biologie  hat  sich  Sch\Cendener 
nur  selten  und  meist  sehr  zurückhaltend  geäußert.  Er  war  ein  überzeugter 
Anhänger  der  Deszendenzlehre,  zugleich  aber  mit  Nägeli  ein  entschiedener 
Gegner  der  Selektionstheorie.    Als  ich  in  der  ersten  Auflage  meiner  »Physio- 


Gedochtnb^rede  auf  Simon  Schwendener.  1 1 

logischen  Pflaiizenanatomie"  den  Satz  aussprach,  daß  es  erst  dem  Scharfsinn 
Darwins  gelungen  sei,  für  die  teleologische  Erklärungsweise  die  mechanische 
Formel  zu  finden  und  so  die  Bahn  für  die  Erforschung  zweckmäßiger 
Einrichtungen  im  Bau  der  Organismen  freizumachen,  da  erhob  Schwendener 
für  seine  Person  brieflicli  Einspruch  gegen  eine  solche  Darstellung.  Er 
sei  ganz  unabhängig  und  unbeeinflußt  von  DAUwiNSchen  Ideen  über  das 
Zustandekommen  zweckmäßiger  Anpassungen  zu  seiner  Aufstellung  des 
so  rationell  gebauten  mechanischen  Gewebesystems  gekommen.  Die 
biegungsfesten  und  druckfesten  Konstruktionen  der  Ingenieure,  die  eisernen 
Brücken  und  Bahnhofshallen  mit  ihren  zahllosen  1-Trägern  seien  es  ge- 
wesen, die  ihn  auf  die  Idee  eines  nach  gleichen  Prinzipien  gebauten 
Prtanzenskeletts  gebracht  hätten,  nicht  aber  ÜARWiNSche  Gedankengänge. 
Später  hat  sich  Schwendener  betreffs  des  Zustandekommens  zweckmäßiger 
Anpassungen  an  Nägelis  Theorie  der  direkten  Bewirkung,  also  dem  Neo- 
lamarckismus,  angeschlossen  und  mithin  auch  eine  Vererbung  erworbener 
Eigenschaften  angenommen.  An  der  Begründung  dieser  Lehre  hat  er  sich 
aixr  nicht  weiter  beteiligt.  Er  hatte  eine  zu  starke  Abneigung  vor  speku- 
lativen Weiterungen  und  vor  dem  Gewirr  naturphilosophischer  Konsequenzen. 
Unter  Naturj)hilosophie  verstand  Schwendener  freilich  vor  allem  jene  Denk- 
richtung, die  sich  in  der  idealistischen  Morphologie  der  ersten  Hälfte  des 
19.  Jahrhunderts  aussprach  und  die  er  auch  noch  bei  den  Gegnern  seiner 
Blattstellungslehre  voraus.setzte,  wenn  sie  auf  innere  Ursachen  der  Ge- 
staltung hinwiesen.  In  solchen  Fällen  betonte  er  immer  aufs  schärfste 
seine  streng  mechanistische'  Auffassung  der  Lebensvorgänge. 

Je  älter  Schwendener  wurde,  desto  mehr  Wert  legte  er  auf  die  Er- 
klärung der  Naturerscheinungen,  auf  die  Aufdeckung  der  Zusammenhänge, 
und  desto  geringer  dachte  er  von  der  bloßen  Aufstapelung  von  Beobachtungs- 
tatsachen. Diese  Geringschätzung  der  rein  beschreibenden  Forschung  muß 
eigentlich  wundernehmen  bei  einem  Planne,  der  am  Beginn  seiner  Laufbahn 
eine  solche  Fülle  reiner  Beobachtungstatsachen  gesammelt  hat.  Die  Wurzeln 
dieser  Abneigung,  die  sich  fast  bis  zur  Feindseligkeit  steigerte  und  ihm  auch 
bei  der  Würdigimg  systematis<;her  Arbeiten  hinderlich  im  Wege  stand, 
waren  letzten  Endes  in  seiner  allmälichen  Abkehr  von  der  unmittelbaren 
Naturbeobachtung  zu  suchen,  die  teilweise  auf  starker  beruflicher  Inan- 
spnichnahme,  teilweise  wohl  auch  auf  dem  Nachlassen  seiner  Sinnesfunk- 
tionen beruhte.     Entscheidend  war  freilich   der  kontemplative,   nach   innen 


12  II  ABERLAND  t:    (ic(l('ichtnisre(ie  auf  Simon  Schirendcner. 

gekehrte  Zug  seines  Wesens.  Die  Einzelbeobachtung  wurde  ilim  bald  nur 
Mittel  zum  Zweck,  er  hatte  kein  Interesse,  kein  ^"ergnfigen  mehr  an  einer 
neuen  Beobaclitung  als  solcher,  und  da  ihm  diese  naive  Kntdeckerfreude  all- 
mählich verlorenging,  blieben  auch  die  Avissenschaftlichen  Anregungen  aus, 
die  dem  Biologen  nur  im  steten  innigen  Verkelir  mit  der  unergründlich 
mannigfaltigen  Natur  zuströmen.  So  breitete  sich  eine  leise  Tragik  über 
die  beiden  letzten  Jahrzehnte  seines  Lehens,  die  iJim  aber  in  seiner  ruhigen 
Selbstsicherheit  zum   Glück  kaum  zum  Bewußtsein  kam. 

Das  Einheitliche,  (beschlossene,  man  mödite  sagen  Monumentale,  das 
sich  in  Schwendeners  Forscherarbeit  aussprach,  war  der  Ausdruck  seiner 
starken,  schart'umrissenen  und  imponierenden  Persönlichkeit.  Kr  Avar  ein 
stolzer,  aufrechter  Mann,  unnachgiebig,  ja  schroff*,  wenn  es  galt,  für  seine 
wissenschaftliche  Überzeugung  einzutreten,  doch  milde,  gütig,  nachsichtig 
in  allen  menschlichen  Dingen.  So  lebt  er  fort  in  unserer  Erinnerung  und 
in  der  Geschichte   der  Wissenschaft. 


Berlin,  gedruckt  in  der  Reiehsdruckerei. 


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AS  Akademie  der  Wissenschaften, 

182  Berlin.     Philosophisch-Histo- 

B3A  Tische  Klasse 
1919  Abhandlungen 


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