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OF
COMPARATIVE ZOÖLOGY,
AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS.
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ABHANDLUNGEN
DER
NATURFORSCHENDEN GESELLSCHAFT ZU HALLE.
ORIGINALAUFSATZE
AUS DEM GEBIETE DER GESAMMTEN NATURWISSENSCHAFTEN.
VORGELEGT
INDEN SITZUNGEN DER GESELLSCHAFT
Vierzchnter Sand.
HALLE,
DRUCK UND VERLAG von H. W. Scumipr,
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1880.
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Inhalt des XIV. Bandes.
Schaitz, Dr. Frdr., Die Familiendiagramme der Rhoeadinen. Ein Beitrag zur vergleichenden Seite
Morphologie der Phanerogamen. Mit 1 Tafel. 1—140,
Kanıesskı, Dr. Fr., Vergleichende Anatomie der Primulaceen. Mit 10 Tafeln. 141—230.
MaArcHAND, Dr. F., Beiträge zur Kenntniss der Ovarien-Tumoren. Mit 2 Tafeln, 231—292.
TASCHENBERG, Dr. E, O., Beiträge zur Kenntniss ectoparasitischer mariner Trematoden,
Mit 2 Tafeln. 293—343,
Sitzungsberichte,
Die Familiendiagramme der Rhoeadinen.
Ein Beitrag
zur vergleichenden Morphologie der Phanerogamen.,
Von
Dr. Friedrich Schmitz,
Privatdocenten der Botanik an der Universität Halle.
Mit einer Tafel.
Abh. d. naturf. Ges. zu Halle. Bd. XIV. 1
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Vorwort.
Die vorliegende Arbeit will weder eine „phylogenetische Untersuchung“ sein noch eine
Untersuchung aus dem (Gebiete der „topischen Morphologie“. Sie will es vielmehr versuchen, von
einem eigenartigen Standpunkte aus den verschiedenen Richtungen morphologischer Forschung, die
sich heutigen Tages auf dem Gebiete der Phanerogamen so heftig und zum Theil leidenschaftlich
bekämpfen, gleichmässig gerecht zu werden und eine Einigung derselben herbeizuführen, indem sie
die einzelnen Forschungsmethoden auf ihr eigentliches Wesen zurückführt und daraus ableitet,
welche objektive Wahrheit überhaupt den Resultaten dieser verschiedenen eimzelnen Forschungs-
richtungen zukommen kann.
Dieser Zweck hätte sich durch eine rein theoretische Erörterung der einzelnen Forschungs-
richtungen und ihrer Methoden erreichen lassen. Allein praktisch zweckmässiger erschien es, an
einem bestimmten Problem der vergleichenden Morphologie den eigenen Standpunkt klar darzulegen
und an einem durchgeführten Beispiele zu zeigen, in welchem Verhältnisse die verschiedenen Rich-
tungen morphologischer Forschung zu einander stehen, welche Forschungsresultate dieselben zu
bieten vermögen.
Der eigene Standpunkt der vorliegenden Arbeit, das Ergebniss ausgedehnter historisch-
kritischer Studien auf dem Gebiete der morphologischen Literatur, ist keineswegs ganz neu. Allein
bisher findet er sich, so weit ich sehen kann, in der morphologischen Literatur noch nirgends
bewusst vertreten consequent durchgeführt.
Das Bestreben, diesen Standpunkt klar und präcis hinzustellen und ihn so emer kritischen
Prüfung um so besser zugänglich zu machen, mag einzelne Wiederholungen erklären und zugleich
auch die apodiktische Fassung mancher Behauptungen rechtfertigen.
Das letztere gilt insbesondere von den Urtheilen über die phylogenetische Morphologie und
ihre Forschungsresultate.
In Bezug auf die Citate habe ich mich, um nieht zu ausführlich zu werden, nur an die
wichtigsten Werke der neueren morphologischen Litteratur gehalten, namentlich an das (leider noch
nicht vollendete) klassische Werk von Eichler: Blüthendiagramme (Leipzig. 1875). Diesem Werke,
sowie einigen anderen Abhandlungen Eichler’s sind auch die meisten der besprochenen morpho-
logischen Anschauungen entlehnt worden, weil Ja in dem Verfasser derselben diese ganze Richtung
der vergleichenden Morphologie heutigen Tages ihren Hauptvertreter gefunden hat.
Halle a. S. den 2. November 1877.
Fr. Schmitz.
f nd I.
Das Diagramm der Cruciferen.
Eichler's Erklärungsweise der Cruciferen-Blüthe ist heutigen Tages wohl
von der Mehrzahl der Morphologen als die richtige angenommen. Allein von Zeit
zu Zeit tauchen doch noch immer einzelne Widersprüche gegen dieselbe auf und
beweisen damit, dass die Sicherheit der Beweisführung dieser Erklärungsweise doch
keine absolute, jeden Widerspruch ausschliessende sein könne. Wiederholt sind seit
der ersten grundlegenden Arbeit Eichler’s') einzelne Autoren für jene ältere
Erklärungsweise, welche die Cruciferen-Blüthe aus viergliedrigen Wirteln aufgebaut
sein lässt, eingetreten, und noch neuerdings hat diese Anschauungsweise in A. Chatin?)
einen Vertreter gefunden. Es mag somit nicht unzweckmässig erscheinen, die ganze
Frage nach dem Blüthenbau der Uruciferen einer erneuten Untersuchung zu unter-
ziehen und die beiden entgegenstehenden Ansichten in Bezug auf ihre Berechtigung
etwas genauer zu prüfen,
Eine unregehnässige Blüthe von Zesperis matronalis L., die ich jüngst beob-
achtete, mag bei dieser Besprechung als Ausgangspunkt dienen.
In einem sonst ganz regelmässigen Blüthenstand tand sich eine einzelne Blüthe
abweichend gebaut (Fig. 4.). Vor einem Deckblatt dieser Blüthe war nicht das geringste
zu bemerken; der Blüthenstiel fand sich ohne jede Spur von Vorblättern. Der Kelch
der Blüthe war 5-blättrig, die Blätter desselben unter einander nicht ganz gleich,
Ebenso wie an der gewöhnlichen regelmässigen Blüthe von Hesperis (und zahlreichen
andern Crueiferen) die beiden lateralen Kelchblätter etwas grösser sind als die medianen
und etwas tiefer am Blüthenstiel inserirt, so waren auch hier zwei laterale Blätter
1) A. W. Eichler, Ueber den Blüthenbau der Fumariaceen, Cruciferen und einiger Capparideen,
Flora 1865. p. 433 ff.
2, Ad. Chatin, Organozenie comparde de l’androcde ete. in Comptes rendus hebdomadaires des
scances de l’acad. des sciences, 1874, Tome 78. p. 121; und Quelques faits gendraux qui se degagent
de l'androg@nie comparde in Comptes rendus. 1874. Tome 78. p. 819— 820.
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etwas grösser als die übrigen Kelchblätter und etwas tiefer an der Blüthenachse ein-
gefügt. Allein ihre Stellung war nicht genau lateral, sondern sie waren beide etwas
nach der Rückseite der Blüthe verschoben. Etwas höher an der Blüthenachse standen
die drei übrigen Kelehblätter, untereinander gleich, eines median rückwärts, die beiden
anderen auf der Vorderseite der Blüthe. Diestellung dieser fünf Kelchblätter, sowie
die Deckung ihrer Seitenränder war genau ebenso beschaffen, als ob sie zusammen
einen 5-blättrigen (nach ?/,) succedanen Wirtel bildeten, dessen beide ersten Blätter,
etwas grösser als die übrigen, lateral gestellt waren. — Auf diesen 5-blättrigen Kelch
folgte, genau alternirend, ein 5-blättriger Kronblattwirtel, dessen unpaares Blatt median
nach vorne stand. Sämmtliche 5 Kronblätter waren untereinander vollständig gleich,
standen sämmtlich ganz gleich weit von einander entfernt und auf gleicher Höhe an
der Blüthenachse inserirt und bildeten so einen durchaus regelmässigen 5-gliedrigen
Wirtel. — Staubgefässe fanden sich in der Blüthe in Zahl von 10, sämmtlich regel-
mässig 4-fächerig.') Zwei derselben, genau lateral gestellt, waren kürzer als die
übrigen und etwas tiefer an der Blüthenachse eingefügt, ganz ebenso wie die beiden
kleineren seitlichen Staubgefässe der regelmässigen CUruciferen-Blüthe. Die übrigen
8 Staubgefässe, untereinander gleich gestaltet, entsprachen in ihrer Stellung durchaus
den 4 längeren Staubgefässen der gewöhnlichen Blüthe. Statt des hinteren Paares
dieser gewöhnlichen Blüthe fanden sich hier jedoch drei ganz gleiche Staubgefässe,
die sich gleichmässig in den Raum des gewöhnlichen Paares theilten. Auf der Vorder-
seite der Blüthe war das linke Staubgefäss der regelmässigen Blüthe durch drei
Staubgefässe, das rechte dagegen durch zwei ganz gleiche Staubgefässe ersetzt. Die
Staubgetässe derselben Gruppe standen dicht neben einander, die beiden Gruppen
selbst waren seitlich durch einen schmalen Zwischenraum getrennt. — Am Pistill der
Blüthe ward keine Abweichung von dem normalen Blüthenbau beobachtet.
Wie ist nun diese Blüthe zu erklären?
Nach Eichler’s Auftassung ist die normale Blüthe der Cruciferen nach dem
Schema K 2+2, © 4, A 2-+2?, G (2) gebaut”). Auf ein gewöhnlich abortirtes laterales
Paar von Vorblättern (Fig. 3) folgen zwei 2-gliedrige Kelchwirtel, der untere Wirtel
1) Ich gebrauche im Folgenden die Ausdrücke: vierfücherige, zweitächerige, einfächerige Anthere
u.s. w. stets entsprechend der Anzahl der Staubbeutelfächer, also verschieden von den Ausdrücken Antherae
biloculares, uniloculares u.s.w. der beschreibenden Botanik.
2) Eichler, Syllabus der Vorlesungen über Phanerogamenkunde. 1876. p. 23.
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median, der obere lateral. Dann folgt ein 4-gliedriger Corollenwirtel in diagonaler
Stellung; dann ein lateraler zweigliedriger Staubgefässwirtel und mit diesem alternirend
ein oberer zweigliedriger medianer Staubgefässwirtel, dessen Glieder durch „collaterale
Chorise“ in zwei Paare von Staubgefässen getheilt sind. Auf diesen Wirtel endlich
folgt ein zweigliedriger lateraler Wirtel von Carpidien, zu welchem in seltenen Fällen
noch ein zweiter oberer medianer Carpidienwirtel hinzutritt.
Dieser Eichler'schen Auffassung steht eine andere Anschauungsweise gegen-
über, die zwar bei den einzelnen Autoren etwas verschieden modifieirt erscheint, im
Wesentlichen aber darauf hinausläuft, dass die Blüthe aus 4-gliedrigen alternirenden
Wirteln aufgebaut wird (Fig. 2). Darnach besteht die Cruciferen-Blüthe aus einem
4-blättrigen quermedianen Kelch, einer alternirenden 4-blättrigen Blumenkrone in diago-
naler Stellung, einem alternirenden unteren 4-gliedrigen Staubgefässwirtel, dessen
mediane Glieder ablastiren, einem oberen diagonalen 4-gliedrigen Staubgefässwirtel
und einem 4-gliedrigen Carpidienwirtel, dessen mediane Glieder fast stets ablastiren.
Versuchen wir nun, in welcher Weise nach diesen beiden Auftassungsweisen')
die oben beschriebene unregelmässige Blüthe von Hesperis matronalis sich erklären lässt.
Doch bevor wir zu dieser Erklärung selbst übergehen, sei noch auf einige
Variationen des Blüthenbaus hingewiesen, die häufig in sonst ganz regelmässigen
Cruciferen-Blüthen beobachtet werden. So ist es zunächst gar nicht sehr schwierig,
„collaterale Chorise“ einzelner Blüthentheile in den Blüthen von Cruciferen zu beob-
achten. Die Cruciferen gehören zwar, wie bekannt, zu denjenigen Familien, die in
den Zahlenverhältnissen der einzelnen Blüthentheile nur selten eine Abweichung von
dem regelmässigen Blüthenbau erkennen lassen. Allein bei geduldiger Prüfung einer
grossen Anzahl von Blüthen gelingt es nicht grade selten, solche Blüthen aufzufinden,
in denen einzelne Kronblätter oder Staubgefässe, seltener Kelchblätter?) durch zwei
oder selbst drei und mehr ganz gleich und regelmässig gestaltete gleichartige Organe
ersetzt sind, die genau dieselbe Stelle in der Blüthe einnehmen, wie sonst das ein-
zelne Organ der regelmässigen Blüthe. Solche Fälle einer vollständigen collateralen
1) Andere Theorien zur Erklärung der Cruciferen-Blüthe, an denen es durchaus nicht gefehlt
hat, kommen heutigen Tages neben jencn beiden Theorien kaum in Betracht. Von einzelnen wird übri-
gens noch gelegentlich die Rede sein.
2) Eichler beschreibt in der Flora 1872 p. 333—334 auch Chorise der Carpidien.
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Chorise!) lassen sich mit den regelmässigen Blüthen durch zahlreiche Zwischenformen
verbinden, die alle Uebergangsstufen zwischen dem einfachen Organ, ‚einem mehr
oder weniger tief gespaltenen, vollständig getheilten und endlich einem Paare ganz
oleich gestalteter Organe darbieten. Derartige Fälle sind bereits von früheren Autoren
wiederholt erwähnt worden, so von A.P.de Öandolle, Moquin-Tandon und
Webb, Eichler?) u. A. Ich selbst habe solche Fälle wiederholt beobachtet bei
Arten von Cardamine, Brassica, Raphanus, Sinapıis. etc.
Auf der anderen Seite aber lassen sich bei Arten mit normalem Blüthenbau
auch öfters solche: Fälle beobachten, in denen zwei benachbarte Glieder eines und
desselben Blüthenwirtels mehr oder weniger vollständig seitlich mit einander ver-
wachsen sind. Dass dies häufiger bei den 4 längeren Staubgefässen der Urueiferen-
Blüthe stattfindet, ist schon wiederholt hervorgehoben worden?) Hier findet man
öfter das vordere oder hintere Paar von Staubgefässen oder beide Paare zugleich mehr
oder weniger vollständig zu einem einfachen gespaltenen Organe verwachsen; und von
solchen deutlich verwachsenen Staubgefässpaaren lassen sich dann alle Üebergangsformen
auffinden bis zu einzelnen regelmässig vierfächerigen Staubgefässen, die an Stelle jener
Paare der gewöhnlichen Cruciferen -Blüthe stehen. Ganz analoge Verwachsungen,
bald mehr bald weniger vollständig, werden aber auch, wenngleich seltener, zwischen
zwei benachbarten Gliedern des Kronblattwirtels beobachtet”). Und ebensolche seit-
1) Eichler unterscheidet (Blüthendiagramme p. 5, vgl. auch Flora 1865. p. 507) „eigentliches
Dedoublement oder Chorise“ und „Spaltung im engern Siun“. Im ersteren Falle sollen die Theilstücke
„die Beschaffenheit vollständiger Phyllome annehmen“, im zweiten Falle dagegen nur die Hälfte oder
einen kleineren „Theil des gespaltenen Phyllums repräsentiren‘“, Ob das eine oder das andere stattfindet,
das wird sich in der Praxis höchstens bei zwei- resp vierfächerigen Antheren entscheiden lassen. Deshalb
möchte ich es vorziehen, die Ausdrücke Spaltung und Chorise, resp. Dedoublement und Verdoppelung in
ganz gleicher Bedeutung anzuwenden.
2) Vgl. die Literaturnachweise bei Eichler in der Flora 1865. p. 49) ff.
3) Solche seitliche Verwachsungen zweier Kronblätter zu einem einzelnen Organ in der Mediane
der Blüthe hat neuerdings auch Meschajeff (Bulletin de la soeiete imper. des natur. de Moscou. 1872,
n. 2 p. 335 ff., im Auszuge referirt in der Botanischen Zeitung 1873. p. 189— 10) beschrieben. Mescha-
jeff selbst sagt zwar, dass man „solehe Fälle einzelner Glieder genau an der Stelle eines Paares“ „nicht
mit Verwachsung erkläreu“ dürfe, „sondern als Wiederkehrung zum ursprünglichen Typus.‘ Allein einen
entscheidenden Grund gegen die Deutung jener Gebilde als Verwachsungen vermag ich weder in den
Angaben des deutschen Auszuges der russisch geschriebenen Originalabhandlung noch in den Abbildungen,
die der letzteren beigegeben sind, aufzufinden.
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liche Verwachsungen finden auch statt zwischen zwei benachbarten der vier Kelch-
blätter, z. B. dem median vorderen und dem links seitlichen u. a., Verwachsungen, die
bald durch eine zweizähnige bis zweitheilige Spitze des verwachsenen Organs, bald
nur durch eine grössere Breite desselben kenntlich sind. — Andere Verwachsungen
zwischen Gliedern verschiedener Wirtel, die ebenfalls zuweilen auftreten, seien hier
nicht weiter erwähnt; nur das eine sei noch hervorgehoben, dass ich einmal bei
Brassica Napus auch eine Verwachsung des linken seitlichen kurzen Staubgefässes
mit dem benachbarten längeren des vorderen Paares zu einem einzelnen, etwas ver-
breiterten Staubgefüss beobachtet habe.')
So finden sich also in sonst ganz regelmässigen Blüthen öfters einzelne Wirtel-
glieder getheilt oder gespalten oder vollständig durch zwei gleichgestaltete Glieder
ersetzt, und ebenso finden sich öfters zwei benachbarte Wirtelglieder mehr oder weniger
mit einander verwachsen oder gradezu durch ein einzelnes einfaches entsprechendes
Glied ersetzt. Es lassen sich in der Familie der Cruciferen ebenso wie bei anderen
Phanerogamen bei Arten mit normalem Blüthenbau in einzelnen, sonst ganz regel-
mässigen Blüthen öfters vollständige Verwachsungen oder Spaltungen einzelner Wirtel-
glieder beobachten. Da mögen wohl auch bei dem Aufbau anderer, mehr unregel-
mässiger Blüthen von Cruciferen derartige vollständige Verwachsungen oder Spaltungen
mitwirken, die nieht so deutlich aut der Hand liegen, wie in den besprochenen Fällen.
Meschajeft folgert aus den genannten Blüthen, dass auch die vier Kronblätter der normalen Cruci-
feren-Blüthe durch Spaltung eines zweigliedrigen medianen Blattwirtels entstanden seien. in derselben
Weise wie dies nach der Spaltungstheorie Eichler’s bei den vier oberen längeren Staubgefässen der Fall ist.
Allein ganz analoge Verwachsungsprodukte zweier Kronblätter, wie sie Meschajeff in der Mediane der
Blüthe beobachtet hat, finden sich in anderen Blüthen in lateraler Stellung. Ich selbst habe solche Blüthen
7. B. bei Brassica Napus beobachtet. Aus solchen Blüthen müsste dann consequenter Weise gefolgert
werden, dass die vier Kronblätter der normalen Crueiferen -Blüthe durch Spaltung eines zweigliedrigen
lateralen Wirtels entstanden seien. Beide Folgerungen aber können ja unmöglich nebeneinander bestehen.
Die Folgerung, die Meschajeff aus jenen Blüthen ableitet, erscheint somit als eine keineswegs
berechtigte: Ja seine Erklärung jener Blüthen erscheint bej genauerer Betrachtung auch keineswegs als die
nächstliegende, da jene Blüthen sich sehr einfach durch Annahme einer mehr oder weniger vollständigen
seitlichen Verwachsung zweier Blüthenphyllome erklären lassen.
1) Ich halte es nicht für nothwendig, hier alle einzelnen abnormen Blüthen mit Spaltung oder
Verwachsung einzelner Blüthentheile, die ich beobachtete, ausführlich zu beschreiben. Eine sorgfältige
Prüfung einer grösseren Anzahl von Cruciferen-Blüthen wird Jedem derart'ge Fälle in mehr oder min-
der grosser Anzahl darbieten.
Ablı. d. ntl. Ges. zu Halle. Bd. XIV. 2
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Jedenfalls wird in solchen unregelmässigen Blüthen die Annahme von vollständigen
und selbst von congenitalen Verwachsungen und Spaltungen durchaus zulässig sein,
wenn sich dieselben dadurch erklären lassen. Ja es wird auch die Annahme, dass
bei dem Aufbau der gewöhnlichen, regelmässigen Cruciferen - Blüthe derartige con-
genitale Verwachsungen oder Chorisen mitwirken, durchaus nicht von der Hand zu
weisen sein. Eine Erklärung dieser Blüthe durch eine derartige Annahme muss viel-
mehr als durchaus zulässig und berechtigt erscheinen, wenn dieselbe durch andere
Verhältnisse nahe gelegt wird.')
Versuchen wir nun, die oben beschriebene Blüthe von Aesperis matronalis
zu erklären.
Wir legen zunächst Eiehler’s Erklärungsweise der normalen Cruciferen-Blüthe
zu Grunde,
Nach Eichler ist der mediane zweigliedrige Kelchwirtel der äussere, der
laterale Wirtel, der an der entwickelten Blüthe oft tiefer inserirt erscheint, der innere
Wirte. Um auf dieses Schema den 5-blättrigen Kelch jener Blüthe von Hesperis
zurückzuführen, müssen wir annehmen, dass das vordere Blatt des medianen Kelch-
wirtels durch congenitale Uhorise in zwei Blätter gespalten sei unter Verbreiterung
der Insertionsstelle; infolge dieser Verbreiterung seien dann die Blätter des lateralen
Wirtels aus ihrer genau lateralen Stellung etwas weiter nach der Rückseite der
Blüthe bingerückt.?) — Die 5-blättrige Blumenkrone aber lässt eine Erklärung durch
Chorise eines Gliedes des normal viergliedrigen Kronenwirtels nicht zu, da alle fünf
Petala gleich weit von einander entfernt stehen, einen genau regelmässigen fünfglie-
drigen Wirtel bilden. Hier lässt sich nur annehmen, dass an Stelle des normal vier-
gliedrigen Wirtels ein „typisch“ fünfgliedriger Wirtel ausnahmsweise entwickelt
worden sei. — Die Vermehrung der Zahl der Staubgefässe aber lässt sich wieder
einfach durch collaterale Chorise erklären. Der laterale äussere Wirtel ist regelmässig
!) In ganz analoger Weise wird ja auch eine „eongenitale Verwachsung‘“ der beiden hinteren
Petala zur Erklärung der ganz regelmässig viertheiligen Blumenkrone von Plantago angenommen. Vgl.
Eichler, Blüthendiagramme p. 225.
2) Zur Erklärung dieses Kelches liesse sich aber auch annehmen, dass hier der mediane Wirtel
abnorm dreigliedrig ausgebildet worden sei. Es würde dann der 5gliedrige Kelch aus einem dreigliedrigen
und einem zweigliedrigen Wirtel zusammengesetzt sein, ähnlich wie dies nach Eichler (Blüthendiagramme
p. 19) bei der Mehrzahl der fünfgliedrigen Kelche der Fall ist. Allerdings würde bier der dreigliedrige
Wirtel der untere sein, während dieser nach Eichler sonst der obere ist.
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entwickelt. Bei dem medianen inneren zweigliedrigen Wirtel aber hat collaterale Chorise
stattgefunden, das vordere Staubblatt hat sich in 5, das hintere in 3 Staubgefässe
gespalten. —
Etwas anders lautet die Erklärung dieser Blüthe nach der zweiten Auffassungs-
weise, die wir mit Eichler als Aborttheorie bezeichnen wollen. Nach dieser Deutung
der Urueiferen-Blüthe ist der Kelchwirtel viergliedrig, häufig mit etwas ungleicher
Ausbildung der medianen und lateralen Glieder; die Blumenkrone ist ebenfalls durch
einen viergliedrigen Wirtel gebildet. Nimmt man nun an, es seien anstatt der vierglie-
drigen Wirtel deren fünfgliedrige entwickelt worden‘), so erhält man Kelch und
Blumenkrone der obigen Blüthe von Hesperis. Der äussere Staubgefässwirtel ist in
dieser Blüthe wie in der normalen Cruciteren-Blüthe durch Abort zweigliedrig. Im
inneren Staubgetässwirtel aber ist Chorise der beiden vorderen und eines hinteren
Staubgefässes eingetreten und hat eine Vervielfältigung der Gliederzahl dieses Wirtels
bewirkt. — (Oder aber man könnte auch annehmen, dass im vorliegenden Falle
auch beide Staubgefässwirtel fünfgliedrig geworden und beide vollständig entwickelt
seien; von diesen 10 Staubgefässen aber seien die beiden lateralen im Laufe der
Entwickelung etwas tiefer an der Blüthenachse zu stehen gekommen und etwas
an Länge hinter den übrigen zurückgeblieben, entsprechend den beiden lateralen
ebenfalls abweichend ausgebildeten Kelchblättern. Diese Erklärungsweise würde in der
obigen Blüthe 4 alternirende fünfgliedrige Wirtel erkennen. Allein diese Erklärungs-
weise möchte bei der abweichenden Stellung und Grösse der seitlichen Staubgefüsse
doch wohl etwas gewagt und kühn erscheinen.)
Die beiden verschiedenen Erklärungsweisen der Uruciferen-Blüthe lassen also
beide eine Erklärung der abnormen Hesper?s-Blüthe zu, eime Erklärung, die keine
anderen Gestaltungsvariationen zu Hülfe nimmt ausser solchen, die auch anderwärts
in Angiospermen -Blüthen beobachtet werden. Beide Erklärungen nehmen congenitale
Spaltung im Andröceum an, die eine in mehr, die andere in weniger ausgedehntem
1) Eine solche Variation der Gliederzahl der Blüthenwirtel ist ja bei den Angiospermen eine sehr
häufige Erscheinung. Häufig finden sielı z. B. bei Arten mit normal 5-gliedrigen Blüthenwirteln einzelne
Blüthen mit 4-zähligen oder 6-zähligen Wirteln. Dabei findet in solehen abnormen Blüthen die Variation
der Gliederzahl meist gleichmässig durch alle Blüthenwirtel hindurch statt. Seltener finden sich Fälle,
in denen eine Variation der Gliederzahl nur in einem oder in einigen wenigen Wirteln eintritt, während
die übrigen Blüthenwirtel die regelmässige Gliederzahl aufweisen.
Be 7 en
Masse, um jene Hesperis-Blüthe auf die normale Cruciferen - Blüthe zurückzuführen.
Hinsichtlich der Blüthenhülle nimmt die Aborttheorie einen Ersatz der normalen
4-gliedrigen Wirtel durch fünfgliedrige an und erklärt so jene Blüthe sehr einfach.
Die Eichler’sche Spaltungstheorie nimmt eine solche Variation der Gliederzahl
ebenfalls an, aber nur im Üorollenwirtel, nimmt dagegen zur Erklärung des Kelches
der Hesperis-Blüthe wieder Chorise und seitliche Verschiebung einzelner Glieder der
beiden 2-gliedrigen Kelchwirtel zur Hülfe.') —
Jene Hesperis-Blüthe ist aber keineswegs die einzige unregelmässige Blüthen-
gestalt, die bisher bei Crueiferen bekannt geworden ist. Es werden hier mancherlei
verschiedene Blüthenformen beobachtet, die mehr oder minder bedeutende Abweichun-
gen von dem gewöhnlichen d. i. normalen Bau darbieten bis zu solchen Blüthen
hin, die vollständig in Laubsprosse umgewandelt sind. Alle solche von dem gewöhnlichen
Blüthenbau abweichenden d. i. abnormen Blüthen bedürfen der Erklärung, und fragt
es sich da, welche Erklärungen jene beiden Theorien zu bieten vermögen.
Einige dieser abnormen Blüthen mögen hier eingehender besprochen werden.
Zunächst hat man Blüthen beobachtet von ganz normalen Bau mit Ausnahme
des einen Momentes, dass 8 Staubgefässe das Andröceum zusammensetzten; und zwar
waren diese Staubgefässe in einen unteren quermedianen viergliedrigen Wirtel und
einen oberen viergliedrigen diagonalen Wirtel geordnet?) Die Aborttheorie sieht in
solchen Blüthen die typische Gestalt der Urueiteren-Blüthe mit vollständiger Aus-
bildung der beiden normal ablastirenden medianen Staubgefässe. Die Eichler'sche
Spaltungstheorie dagegen erklärt diese Blüthen in ziemlich complieirter Weise.
Eichler?) selbst sagt darüber: „Ich meine, dass, wenn die viergliedrige Anordnung,
wie wir sie in der Corolle der Urueiferen sehen, sich ausnahmsweise auch einmal
aut das Andröceum fortsetzt und die Glieder in beiden Wirteln ganz bleiben, — statt
dass sonst, wie wir nach der Spaltungstheorie annehmen, die Blüthe mit den Staub-
1) Oder aber es setzt diese "Üheorie ausser in dem Corollenwirtel auch in dem ersten unteren
Kelchwirtel eine typische Vermehrung der Gliederzahl bei jener Hesperis-Blüthe voraus.
2) Es erwähnt z. B. Bernhardi in der Flora 1838. I. p. 133 solche Blüthen, die C. Presl
beobachtet hatte. Ich selbst habe in einer Blütbe von Brassica Rapa, deren Theile sämmtlich schwach
vergrünt waren, acht Staubgefässe, vier quermediane untere und vier diagonale obere, beobachtet; eins
der vier Staubgefässe des oberen Wirtels zeigte ausserdem infolge seitlicher Spaltung einen sehr kleinen
Nebenstaubfaden.
3) Flora 1865 p. 516— 517.
Er
gefässen wieder zweigliedrig wird und der zweite Wirtel sich spaltet, — dass alsdann
die octandrische Blüthe bezeichneter Art ebensowohl zum Vorschein kommen wird,
als nach der anderen Theorie durch exceptionelle Ausbildung sonst abortirender
Glieder.“ In der That lässt sich in dieser Weise jene octandrische Blüthe sehr wohl
erklären. Denn dass in einer Blüthe die höheren Wirtel ausnahmsweise aus einer
grösseren Gliederzahl sich zusammensetzen, als dies noımal der Fall ist, das lässt
sich öfters bei Angiospermen beobachten. Die Annahme, dass dies auch einmal bei
den Staubgefässwirteln der Crueiferen geschehe, ist deshalb durchaus berechtigt
und jene Erklärung der octandrischen Blüthe, wenn auch etwas fernliegend, so doch
durchaus zulässig. Nur darf man sich nicht verhehlen, dass diese Erklärung der
octandrischen Blüthe weit weniger einfach und naheliegend erscheint als jene der
Aborttheorie, die in der octandrischen Blüthe die typische Blüthengestalt selbst aus-
gebildet findet
Abweichend vom gewöhnlichen Bau der Orueiferen - Blüthe erscheint ferner
das Andröceum gestaltet bei manchen Arten von Vella, Sterigma, Anchontum, Boleum,
Dontostemon u. A.'‘) An Stelle der medianen Paare von langen Staubgefässen finden
sich hier einzelne breitere, mehr oder minder tief gespaltene Staubgefässe mit voll-
ständig ausgebildetem vierfächerigem Staubbeutel an jedem Gabelaste. Bei Atelanthera
trägt dagegen jeder der beiden Gabeläste nur einen zweifächerigen Staubbeutel.
Die Spaltungstheorie sieht in all diesen Fällen die beiden Glieder des oberen medianen
Staubgefässwirtels nur unvollständig gespalten, nicht wie gewöhnlich vollständig
durch collaterale Spaltung getheilt. Die Aborttheorie dagegen erklärt diese Blüthen
einfach durch unvollständige paarweise Verwachsung der vier diagonalen Staubgefässe
des inneren Wirtels.”)
Analoge Blüthengestalten .finden sich ausnahmsweise auch bei Gattungen und
Arten, die gewöhnlich den normalen Bau der Cruciferen - Blüthe zeigen. Alle Mittel-
formen zwischen vollständig freien langen Staubgefässen, paarweise verbundenen bis
1) Vgl. Baillon, Histoire des plantes. tome III. p. 218.
2) Dass jedes Staubgefäss der beiden verwachsenen Paare bei Atelanthera nur eine zweifächerige
Anthere trägt, nicht wie gewöhnlich eine vierfächrige, kann ja unmöglich ein Hinderniss für diese Auffas-
sung sein. Eichler sagt zwar in der Flora 1869 p. 103, dass bei einer Verwachsung zweier Staubge-
fässe „das Endprodukt ein Staubgefäss mit 4 Theis, 8 Loculis ete. sein müsste“. Allein einen zwingen-
den Grund für diese Behauptung vermag ich durchaus nicht abzusehen.
Ze
zu einfachen Staubgefässen an Stelle jener Paare sind hier zu beobachten. Die
Aborttheorie sieht hierin überall eine mehr oder weniger vollständige paarweise
Verwachsung der diagonalen Staubgefässe, die Spaltungstheorie dagegen umgekehrt
eine mehr oder weniger vollständige Spaltung der ursprünglich einfachen Anlagen.
Wiederholt sind ferner bei verschiedenen Gattungen, Cardamine, Nasturtium,
Capsella, Senebiera, Lepidium u. A,, Blüthen beobachtet. worden, die nur jene vier
langen diagonalen Staubgefässe der normalen Oruciferen - Blüthe enthielten. Die
kurzen lateralen Staubgefässe fehlten gänzlich. Die Aborttheorie sieht in solchen
Blüthen den äusseren quermedianen Staubgefässwirtel vollständig ablastirt; die
Spaltungstheorie nimmt hier ebenfalls einfach den Ablast des äusseren, ihrer Ansicht
nach zweigliedrigen lateralen Staubgefässwirtels an,
Einfache Staubgefässe an Stelle der vorderen oder binteren Paare von langen
Staubgetässen der normalen Blüthe finden sich ferner sehr häufig bei mehreren
Arten der Gattung Lepidium und zwar in der verschiedensten Weise combinirt mit
Ablast des einen oder beider lateralen Staubgefässe. Eichler hat in seiner Arbeit
(Flora 1865 p. 505 ff.) eine Reihe verschiedener Modifikationen, die hier das Andrö-
ceum darbietet, zusammengestellt. Alle diese Modifikationen aber lassen sich mit
derselben Leichtigkeit von der Spaltungstheorie, wie von der Aborttheorie erklären.
Die erstere sieht die Glieder des oberen medianen Staubgefässwirtels bald einfach
bald durch collaterale Chorise getheilt, während die Glieder des lateralen Wirtels
bald beide, bald nur zum Theil ablastiren. Die Aborttheorie dagegen sieht die
Glieder des oberen diagonalen Wirtels bald paarweise verwachsen, bald getrennt,
während von den Gliedern des unteren quermedianen Wirtels ausser den zweinormal
ablastirenden medianen Staubgefässen bald noch ein drittes, bald auch noch das vierte
Staubgefäss ablastirt.') :
1) Eichler hat in seiner Arbeit (Flora 1865 p. 506) diese Blüthengestalten von Zepidium in
ganz anderer Weise nach der Aborttheorie erklärt. Er lässt die Annahme einer paarweisen Verwachsung
von zwei diagonalen Staubgefässen zu einem medianen einfachen Staubgefäss ganz bei Seite. Nach seiner
Darstellung hat die Aborttheorie in einem einzelnen medianen Staubgefäss stets eins jener Glieder des
unteren Staubgefässwirtels zu erkennen, die gewöhnlich ablastiren. Diese Auffassung, die allerdings auch
von einzelnen Anhängern der Aborttheorie vertreten worden ist, hat in der That zur Folge, dass, wie
Eichler sagt, zur Erklärung der verschiedenen Gestaltungen des Andröceums von Zepidium „Entwicklung
und Abort sonst regelmässig vorhandener Theile“ in buntestem „Durcheinander“ angenommen werden
müssen, dem gegenüber der Spaltungstheorie der „Vorzug grösserer Einfachheit“ in der Erklärung zu-
Aehnliche Modifikationen im Bau des Andröceums wie bei Lepidium sind
auch, wenngleich seltener, bei anderen Gattungen beobachtet worden. Eichler
zählt (l. c. p. 505-506) eine Reihe von Fällen auf aus den Gattungen Cardamine,
Senebiera, Nasturtium, Crambe etc. Sie erklären sich alle in derselben Weise wie
bei Lepidium.
Eine grössere Anzahl von Staubgefüssen (8—16) zeigen dann einzelne Arten
von Megacarpaea. Leider aber fehlen von diesen Blüthen genauere Analysen nach
frischem Materiale vollständig, und so lässt sich jetzt noch nicht bestimmen, in welcher
Weise diese Blüthen zu erklären seien. Die Thatsache jedoch, dass auch anderwärts
bei Gattungen mit normalem Blüthenbau ausnahmsweise eine Vermehrung der Zahl
der Staubgefässe eintritt infolge von Chorise einzelner oder mehrerer der 6 normalen
Staubgefässe, diese Thatsache lässt Eichler’s Annahme‘), dass in analoger Weise
der Blüthenbau von Megacarpaea zu Stande komme, als durchaus zulässig erscheinen,
zumal die Polyandrie der nahe verwandten Cleomeen in der That in dieser Weise zu
Stande kommt.
Weniger ausgiebige Verschiedenheiten als das Andröceum bietet in solchen
Crueiferen-Blüthen, in denen der allgemeine Blüthenbau nicht wesentlich geändert
worden ist, das Pistill dar. Die normale Cruciferen-Blüthe zeigt bekanntlich im
Inneren des Fruchtknotens zwei wandständige Samenleisten in medianer Stellung,
meist durch eine „secundäre‘“ Scheidewand mit einander verbunden. Die Frucht-
knotenwandung zerfällt somit in zwei laterale Hälften, die durch die Samenleisten mit
kommt. Allein die Aborttheorie kann eben jene Blüthen von Zepidium in ganz anderer Weise und ganz
ebenso einfach wie die Spaltungstheorie erklären, nämlich durch vollständige Verwachsung. Zu dieser
Erklärung aber wird sie gradezu gezwungen dadurch, dass Eichler selbst (p. 519) durch die Untersuchung
der Entwicklungsgeschichte nachgewiesen hat, dass jene einzelnen medianen Staubgefässe von Lepidium in
der That dem inneren Staubgefässwirtel angehören, nicht, wie jene supponirte Erklärungsweise der Abort-
theorie annimmt, dem äusseren Wirtel.
An die Möglichkeit der Annahme einer paarweisen Verwachsung zweier diagonaler Staubgefässe
zu einem medianen hat Eichler allerdings auch gedacht, allein er hält diese Annahme für unzulässig,
da „die Insertionsbreite“ des angeblich verwachsenen Filamentes, „die gewöhnlich von der der seitlichen
Staubgefässe nicht merklich verschieden, für eine solche Annahme viel zu gering ist“, Sollte dies wirk-
lich ein entscheidender Grund gegen jene Annahme sein? —
1) Flora 1865. p. 521.
ee.
einander zusammenhängen. Man kann diese Hälften als Carpidien bezeichnen und
so der normalen Orueiferen-Blüthe zwei laterale Carpidien zuschreiben. Die Spaltungs-
theorie Eichler’s sieht in diesen beiden Carpidien einen zweigliedrigen lateralen
Wirtel, der in einfacher Alternation an den oberen medianen zweigliedrigen Staub-
gefässwirtel anschliesst. Die Aborttheorie gestattet hier eine doppelte Auffassung.
Sie kann auch hier wie in allen übrigen Blüthenwirteln der Cruciferen-Blüthe einen
normal viergliedrigen Wirtel annehmen, dessen mediane Glieder wie bei dem unteren
Staubgefässwirtel regelmässig ablastiren. Und diese Auffassungsweise haben wir
oben (p. 7) unserer Darstellung der Aborttheorie zu Grunde gelegt. Sie kann aber
auch in Uebereinstimmung mit der Spaltungstheorie einen typisch zweigliedrigen
lateralen Carpidienwirtel annehmen. Denn dass die Gliederzahl des Carpidienwirtels
eine geringere ist als die der vorhergehenden Blüthenwirtel, dass der Carpidienwirtel
oligomer wird, dafür lassen sich unter den Dikotylen zahlreiche Beispiele aufzählen.
Abweichungen von diesem Bau des Pistills finden sich nun in sonst ganz
regelmässigen Blüthen in der Weise entwickelt, dass anstatt zweier Carpidien deren
drei oder vier, im letzteren Falle in quermedianer Stellung, zur Bildung des Frucht-
knotens zusammentreten. Solche Blüthen sind wiederholt mehr oder minder häufig
beobachtet worden bei den Gattungen Lunaria, Cheiranthus, Alltaria, Hesperis u. A.
Bei einigen Arten erhält sich diese Abweichung von der normalen Blüthengestalt
sogar durch Samen constant, so bei der als Tetrapoma barbaraeifolia Turez. kulti-
virten Varietät von Nasturtium palustre R Br.'); und ebenso ist sie constant bei einer
Art von Draba, die als Holargidium Kusnetzowi Turez. von der Gattung Draba
abgetrennt wird. Die vier Carpidien, die in diesen Fällen den Fruchtknoten zusanımen-
setzen, sind dabei untereinander bald völlig gleich, bald erscheinen die medianen
schmaler als die beiden lateraien und oft deutlich höher als die lateralen der Blüthen-
achse eingefügt. Eichler sieht in all diesen Fällen ausser dem normalen lateralen
Carpidienwirtel noch ein oder beide Glieder eines überzähligen oberen medianen
Carpidienwirtels ausgebildet, wie ja öfter bei Blüthen von Angiospermen ausser dem
normalen Oarpidienwirtel ausnahmsweise noch ein überzähliger oberer Carpidienwirtel
beobachtet wird. Die Aborttheorie dagegen wird, je nach ihrer verschiedenen Fassung,
entweder in derselben Weise wie Eichler diese Fruchtknoten mit 3—4 Carpidien
erklären, oder aber sie wird in diesen überzähligen Carpidien die sonst regelmässig
ı) Vgl. Baillon, Histoire des plantes. t. III. p. 186. note 1.
= Io
ablastirenden Glieder des typisch vierzähligen Carpidienwirtels erkennen und in dem
vierzähligen Fruchtknoten die normale typische Ausbildung des Crueiteren-Frucht-
knotens wiederfinden. Dass die medianen Glieder des entwickelten vierzähligen
Fruchtknotens öfter höher inserirt sind als die lateralen, das wird der letzteren
Auffassungsweise kaum Schwierigkeiten bereiten, da sie es einfach durch nachträgliche
Verschiebung und ungleichmässige Ausbildung der Blüthenachse wird erklären können.
Seltener als eine Zusammensetzung des sonst regelmässigen Fruchtknotens aus
3 oder 4 Carpidien wird eine noch grössere Anzahl der Carpidien beobachtet. So
beschreibt Eichler!) sechsfächerige Fruchtknoten von Brassica Napus, in denen die
medianen Carpidien des vierzähligen Fruchtknotens durch je zwei Carpidien ersetzt
waren. „Buchenau (Bremer Jahresbericht 1871. p. 477) hat sogar bei einer Drassica-
Schote Zerfällung der Medianglieder in je 6 Theilstücke beobachtet.“”) Alle diese Fälle
sind einfach durch vollständige collaterale Spaltung der imedianen Carpidien des
vierzähligen Fruchtknotens zu erklären, mag man diese nun für Glieder eines zweiten
oberen zweigliedrigen Uarpidienwirtels ansehen oder aber für die medianen, sonst
ablastirenden Glieder eines quermedianen viergliedrigen Carpidienwirtels. —
=
In allen den bisher besprochenen Fällen handelte es sich um Blüthen, die
zwar von der gewöhnlichen oder regelmässigen Cruciferen -Blüthe verschieden waren,
deren Verschiedenheiten aber sich beschränkten auf eine abweichende Anzahl der
Glieder in den einzelnen Organkreisen. Die verschiedenen Organkreise selbst waren
in ihrer selbständigen und eigenartigen Beschaffenheit unverändert geblieben. Es
finden sich nun häufig auch abnorme Blüthen, in denen dies nicht mehr der Fall ist.
Verwachsungen verschiedenartiger Organe untereinander, der Kronblätter und der
Staubgefässe ete., treten auf, verbunden mit den verschiedenartigsten Formen der
Spaltung und Vermehrung, wie dies namentlich bei den sg. gefüllten Cruciferen-
Blüthen der Fall ist. Solche Blüthen erfordern zu ihrer Erklärung oft recht compli-
cirte Annahmen, die für beide entgegenstehenden Blüthentheorien gleich grosse
Schwierigkeiten darbieten. Jedenfalls aber erscheinen solche Blüthen durchaus nicht
geeignet, eine von beiden Theorien als die allein richtige zu beweisen.
1) Eichler, Abermals einige Bemerkungen über die Crueiferenblüthe in Flora 1872. p. 333.
2) Eichler, 1. ce. 1872. p. 334.
Abh. d. naturf, Ges. zu Halle. Bd. XIV.
Fan 22
Eine tiefergehende Verwirrung der einzelnen selbständigen Organkreise der
Cruciferen-Blüthe zeigen dann solche abnormen Blüthengestalten, deren einzelne
Glieder eine andere Funktion zu erfüllen haben als in der normalen Orueiferen-Blüthe,
solche Blüthen, bei denen, wie man zu sagen pflegt, die Kronblätter in Staubgefässe
umgewandelt sind (z. B. die apetalen, zehnmännigen Blüthen von Capsella bursa pastoris)
oder die Staubgefüsse in Carpidien ete. Häufig zeigt sich in solchen Fällen der
allgemeine Bauplan der Blüthe hinsichtlich der Zahl der Wirtel und der Stellung
der einzelnen Glieder nicht verändert oder bietet nur solche Abweichungen dar, wie
sie oben besprochen sind, durch Verwachsung oder Spaltung einzelner oder mehrerer
Wirtelelieder. Derartige Blüthen, wie sie z. B. mit Verwandlung der Staubgefässe in
Carpidien schon mehrfach bei Oheiranthus Cheiri L. beschrieben worden sind,') bedürfen
keiner weiteren Besprechung, sie erklären sich in ganz analoger Weise wie die zuvor
besprochenen Blüthen mit normaler Vertheilung der Funktionen an die einzelnen
Blüthenglieder.
Anders ist es dagegen vielfach bei den sogenannten vergrünten Blüthen, die
ziemlich häufig bei Cruciferen beobachtet werden. In solchen Blüthen erscheinen
die einzelnen Glieder sämmtlich oder zum Theil mehr oder weniger vollständig in
kleige grüne Laubblätter umgewandelt. Eine solche chlorotische Ausbildung der
einzelnen Blüthenglieder findet sich zwar auch häufig bei Blüthen, die in Bezug auf
Zahl und Anordnung der einzelnen Blüthenwirtel durchaus keine Abweichung von
der normalen Blüthengestalt erkennen lassen. In den meisten Fällen aber treten mehr
oder minder ausgiebige Modifikationen des normalen Blüthenplanes ein. Spaltung und
Verwachsung treten in der verschiedensten Weise auf, die Zahl der Blüthenwirtel
variirt, die Zusammensetzung der einzelnen Wirtel wird eine abweichende ete,, bis
man zuletzt als Endglied der ganzen Reihe von chlorotisch veränderten Blüthen in
1) Häufig tritt bei solchen Blüthen von Cheiranthus Cheiri, deren Staubgefässe in Carpidien um-
gewandelt sind, noch Verwachsung und Abort einzelner Glieder des Andröceums oder Gynäceums hinzu,
wie solche Fälle in grösserer Anzahl Duchartre (Note sur une monstruosite de la fleur du Violier
(Cheiranthus Cheiri L.) in Annales des seiences naturelles; botanique. V serie. "Tome XIII p. 315 ff.)
beschrieben hat. Derartige abnorme Blüthen benutzt Duchartre zur Begründung seiner eigenen Deutung
des Pistills der normalen Cruciferen-Blüthe, wonach dasselbe aus vier quermedianen Carpidien zusammen-
gesetzt sei, deren mediane Glieder in der Bildung der Placenten und der Scheidewand aufgingen. Doch
möchte ich entschieden Eichler beistimmen, nach dessen Ansicht (Flora 1872. p. 332) „überhaupt nicht
derart von dem carpellisirten Andröceum auf das normale Pistill geschlossen werden darf“.
Ba,
der vergrünten Blüthentraube an der Stelle einer normalen Blüthe eine normale
Laubknospe findet.
Solche stark vergrünten und ganz unregelmässig gewordenen Blüthen sind schon
mehrfach bei Cruciferen beschrieben worden‘). Neuerdings hat Engler?) eine Anzahl
derartiger Blüthen von Darbaraea vulgaris beschrieben. Ich selbst habe ausser anderen
Fällen solche Blüthen in grösserer Anzahl bei Brassica oleracea 1.beobachtet. Die einfach-
sten Fälle (Fig. 5) zeigten die normale Stellung der einzelnen Blüthentheile unverändert,
nur waren sämmtliche Theile mehr oder weniger in grüne Blättchen umgewandelt. Andere
Blüthen waren mehr oder weniger verändert, Bei einer solchen Blüthe (Fig. 8) fanden
sich zu äusserst zwei untere laterale Kelchblätter?) mit kleinen Achselknospen, dann
zwei ähnliche mediane Blättchen; auf diese folgten in diagonaler Stellung vier kleinere
grüne Blättchen, die Kronblätter, und auf diese in ganz normaler Anordnung sechs
Staminodien; der Fruchtknoten sackartig aufgetrieben, aber noch geschlossen. In einer
anderen Blüthe (Fig. 9) folgten auf zwei laterale untere und zwei mediane obere
Blättchen vier kleinere Blättchen in diagonaler Stellung, auf diese abermals vier
Blättchen in diagonaler Stellung, jenen superponirt, dann zwei laterale Blättchen,
dann ein medianes auf der Rückseite der Blüthe, und an dieses schlossen sich noch
mehrere kleine grüne Blättchen in spiraliger Aufeinanderfolge an. In anderen Blüthen
fehlte nur eins der grünen Blättchen, die an Stelle der kurzen Staubgefässe der
1) Eine Zusammenstellung der älteren Litteratur über vergrünte Blüthen von Cruciferen findet sich
bei Peyritsch, Ueber Bildungsabweichungen bei Cruciferen in Pringsheim's Jahrb. f. wiss. Bot. VII.
p.123 Anm. (1872). — Peyritsch beschreibt in diesem Autsatze ausserdem eine Anzahl vergrünter Blüthen
von Arabis alpina mit ganz abnorm ausgebildetem Pistill bei Abort einzelner oder aller übrigen BJüthentheile.
?) Engler, Ueber monströse Blüthen von Barbaraea vulgaris Br., ein Beitrag zur Bestätigung
des Dedoublements in der Crueiferenblüthe. Flora 1872. p. 449 fi.
®) Engler (l. c. p. 450) hat an den vergrünten Blüthen von Barbaraea ebenfalls als äussersten
Blattwirtel stets zwei laterale Blättehen beobachtet, die „länglich kahnförmig, hohl und am Grunde kurz
sackförmig“ gestaltet waren, „wie häufig die Blätter des obern Kelchwirtels vieler Crueiferen“., Dennoch
sieht er in diesen Blättchen zwei „unmittelbar an die Kelchblätter herangerückte Vorblätter“. Mir ist
nicht recht ersichtlich, weshalb diese Blättchen nieht den lateralen Gliedern des normalen Kelches
entsprechen sollen, die ja vielfach an der entwickelten Urueiferen-Blüthe tieter an der Blüthenachse ein-
gefügt sind als die medianen. Die oben beschriebenen Blüthen von Brassica zeigten mir überdies alle
Uebergänge von einem normal gestalteten Kelch bis zu zwei deutlich getrennten Blattwirteln, einem unteren
lateralen und einem oberen medianen, so wie auch Engler die vergrünten Blüthen von Barbaraea beschreibt.
.-
o
20
normalen Blüthe standen, oder es folgte dem lateralen Blattpaare, das dem Carpidien-
wirtel der normalen Blüthe entsprach, noch ein zweiter medianer Blattwirtel, und erst
dann begann die spiralige Anordnung der folgenden kleinen Blättchen. (z. B. Fig. 6. —
Fig. 7 zeigt eine andere ähnliche Blüthe von abweichendem Blüthenbau.) In allen Fällen
aber waren deutlich die vier Blätter des vergrünten Kelches in einen unteren lateralen
und einen oberen medianen zweigliedrigen Wirtel geordnet. — An diese Blüthen
liessen sich dann solche anreihen, in denen die vergrünten Kronblätter paarweise
mehr oder weniger verwachsen waren zu einem lateralen Wirtel von zweispaltigen
grünen Blättchen. Solehen Verwachsungen der vergrünten Kronblätter entsprachen
dabei meist veränderte Stellungen der vergrünten Staubgefässe. So folgten in einer
Blithe (Fig. 10) auf zwei untere laterale und zwei obere mediane vergrünte Kelch-
blätter, je mit einer kleinen Knospe in der Achsel, zwei laterale zweigespaltene
Plättchen, ebenfalls mit je einer Achselknospe, dann median zwei Blättchen, dann
diagonal vier Blättchen, und an diese schloss sich noch eine kleine Knospe spiralig
angeordneter kleiner Rlättchen an. In einer anderen Blüthe (Fig. 11) fanden sich zu
äusserst zwei laterale, dann etwas höher zwei mediane grüne Blättchen mit Achsel-
knospen; darauf folgte ein laterales Blattpaar, dessen linkes Blatt deutlich aus zwei
Blättern mit zwei getrennten Achselknospen verwachsen war, während das rechte
einfache Blättchen nur eine einzelne Achselknospe in seiner Achsel barg; darauf
folgte ein medianes Blattpaar ohne Achselknospen, das hintere Blatt einfach, das
vordere zweitheilig, dann ein laterales und darauf wieder ein medianes Paar einfacher
Blättchen, an welche sich dann noch mehrere kleinere spiralig angeordnete Blättchen
anschlossen. Eine dritte Blüthe (Fig. 12) zeigte auf einander folgend ein laterales,
dann ein medianes und wieder ein laterales Paar einfacher Blättchen mit je einer
Achselknospe; von dem folgenden medianen Paare war das hintere Blatt mit einer
einzelnen Achselknospe zweispaltig, das vordere, ebenfalls mit Achselknospe versehen,
einfach; dann folgte ein laterales Paar einfacher Blättchen ohne Achselknospe und
nun eine Anzahl spiralig geordneter kleiner Blättchen. Eine andere Blüthe (Fig. 13)
ferner zeigte ein laterales, ein medianes und wieder ein laterales Paar einfacher
Blättchen mit je einer Achselknospe; dann folgte ein einzelnes grünes Blättchen median
vorne, dann diagonal vier Blättchen, von denen die beiden hinteren als unvollständige
Staubgetässe ausgebildet waren, und nun eine Anzahl spiralig geordneter kleiner
Blättchen. In ähnlicher Weise fanden sich noch mehrere Blüthen, in denen auf
ra: =
zwei äussere Wirtel einfacher Blättehen mehrere zweigliedrige Wirtel folgten, deren
Glieder beide oder einzeln gespalten‘) waren und öfters auch zwei Knospen in der
Blattachsel bargen. Dabei standen diese zweispaltigen Blättchen bald lateral, bald
median ohne bestimmte Regel. Von den beiden äussersten Wirteln der vergrünten
Blüthe aber war stets der äusserste unterste lateral, der obere median gestellt. —
An diese vergrünten Blüthen schliessen sich dann andere an, die ausschliesslich aus
mehreren alternirenden zweigliedrigen Wirteln einfacher grüner Blättchen mit Achsel-
knospen, an die sich dann noch mehrere spiralig angeordnete Blättchen anreihten,
aufgebaut waren (Fig. 14). Und diese bieten dann wieder einen einfachen Uebergang
dar zu solchen Blüthen-Vergrünungen, wie sie ebenfalls in der vergrünten Blüthen-
traube sich vorfanden, in denen aufzwei äussere laterale einfache Blättchen eine grössere
Anzahl grüner Blättchen, nach °/, geordnet und zu einer Knospe zusammengeschlossen,
direkt nachfolgte. — Es fanden sich eben in der vergrünten Inflorescenz von Brassica
oleracea alle Uebergänge von regelmässigen Blüthen mit chlorotisch entwickelten
Gliedern bis zu einfachen Laubknospen an Stelle von Blüthen in der Achsel der
"bald entwickelten, bald fehlenden Deckblätter.
Aus solchen vergrünten Blüthen einen Schluss zu ziehen auf den Bau der
normalen Urueiferen -Blüthe, möchte kaum zulässig erscheinen. Die beschriebenen
Blüthen und ebenso diejenigen, die Engler (l. c.) beschrieben hat, könnten ja allen
möglichen willkürlichen Theorien als Beweisobjekte dienen, wenn man ihnen überhaupt
eine bestimmte Beweiskraft zugestehen wollte. So könnte man z. B. aus denjenigen
Blüthen, bei denen auf einen äusseren lateralen und einen zweiten medianen blattwirtel
ein lateraler Wirtel folgt mit einfachen oder zweispaltigen Blättchen, den Schluss
ableiten, dass auch die Blumenkrone der normalen Cruciteren - Blüthe ebenso wie der
!) Engler (l. ec.) hat alle derartigen zweispaltigen Blättchen, die auch er vielfach in den ver-
grünten Blüthen von Barbaraea antraf, als unvollständig getheilt aufgefasst und ausdrücklich die Annahme,
sie seien durch Verwachsung zweier Blättehen entstanden, verworfen. Er führt als Grund gegen diese
Annahme hauptsächlich an, dass „eine solche Erklärung auf die absonderlichsten Stellungsverhältnisse füh-
ren‘‘ müsste. Allein die „absonderlichsten Stellungsverhältnisse‘“ liegen in diesen vergrünten Blüthen von
Mir
selbst erscheint in einzelnen Fällen die Annahme, dass die zweispaltigen Blättchen durch seitliche Ver-
Barbaraea und Brassica trotzdem thatsächlich vor auch ohne jene Annahme einer Verwachsung.
wachsung zweier Blättchen entstanden seien, ganz unvermeidlich, z. B. bei der oben beschriebenen Blüthe fig. 11.
In anderen Fällen mag die Spaltung auf den Beginn einer collateralen Chorise zurückzuführen sein. In
jedem einzelnen Falle dies bestimmt zu entscheiden, scheint mir bei solchen vergrünten Blüthen unmöglich,
Tr
zweite Staubgefässwirtel einen zweigliedrigen Wirtel mit collateraler Chorise der beiden
Glieder darstelle. Allein, es zeigen diese vergrünten Blüthen insgesammt so abweichend
und verschiedenartig gebaute Gestalten, dass wir nicht umhin können zu behaupten,
es sei in denselben der Bauplan der normalen Cruciferen-Blüthe ganz unkenntlich
geworden, oder es könne doch derselbe zum wenigsten aus solchen vergrünten Blüthen
niemals sicher erkannt werden.
Sämmtliche abnormen Blüthen, mögen dieselben sich allein durch eine abwei-
chende Anzahl der Blüthentheile von den regelmässigen Blüthen unterscheiden, oder
mag ein tiefer gehender Unterschied zwischen ihnen und den regelmässigen Blüthen
vorhanden sein, erweisen sich somit als durchaus unzureichend, um zwischen den
entgegenstehenden Blüthentheorien eine definitive Entscheidung zu treften').
Das Hauptmoment aber, das von den Anhängern der Spaltungstheorie als
beweisend angeführt wird, ist die Entwicklungsgeschichte der normalen Crueiferen-
Blüthe.
Allein leider lassen auch die Thatsachen dieser Entwicklungsgeschichte eine
verschiedenartige Deutung zu.
Der wesentlichste Unterschied der beiden entgegenstehenden Blüthentheorien
liegt in der verschiedenartigen Auffassung des Andröceums. Der äussere untere
Staubgefässwirtel zeigt in der entwickelten Cruciferen-Blüthe normal zwei laterale
t) Ich gehe bei dieser Beurtheilung des Werthes der vergrünten Blüthen noch etwas weiter als
Engler (l. e.), der in den durchweg zweigliedrigen Wirteln mit einfachen oder zweispaltigen Blättchen,
wie er sie bei Barbaraea beobachtet hat, eine Stütze findet für die Annahme einer eollateralen Chorise im
inneren Staubgefässwirtel, während dieselben Gestalten für eine analoge Annahme hinsichtlich des Blumenkron-
wirtels nichts beweisen sollen. „Eine vorurtheilsfreie Betrachtung dieser Verhältnisse, wie sie in Fig. 2,
5, 9, 11, 12, 14, 15 dargestellt sind, stellt ausser Zweifel, dass zum Typus der Crueiferen-Blüthe 2 zwei-
gliedrige Staubblattwirtel gehören, deren einzelne Glieder sich dedoubliren können, während es in der
Regel nur der obere mediane thur“. (p. 454). „— die besprochenen Monstrositäten zeigen nur, dass
derselbe“ (d. i. der Corollenwirtel) „durch einen zweigliedrigen ersetzt werden kann; aber nicht, dass der-
selbe ursprünglich zweigliedrig ist“. (p. 455) — Engler glaubt eben aus anderen Gründen an die Chorise
des oberen Staubgefässwirtels und verwirft die Annahme einer Chorise beim Corollenwirtel: daher das
verschiedene Urtheil iiber die Beweiskraft der beschriebenen Monstrositäten in beiden ganz analogen Fragen.
et
kurze Staubgefässe. Die Beobachtung der Entwicklungsgeschichte') lässt von weiteren
Gliedern dieses Wirtels keine Spur auffinden; darin stimmen alle Beobachter unter-
einander überein. Die Spaltungstheorie Eichler's nimmt hier nun einfach einen
zweigliedrigen lateralen Staubgefässwirtel an. Die Aborttheorie dagegen findet hier
einen viergliedrigen quermedianen Wirtel, dessen mediane Glieder ablastiren. Ein
solches vollständiges Fehlen einzelner Wirtelglieder ohne all und jede Spuren, ein
solcher Ablast von Blüthentheilen, die doch im Bauplan der Blüthe vorhanden sind,
wird nun aber von sämmtlichen Morphologen?), mögen sie der Aborttheorie oder der
Spaltungstheorie sich anschliessen, im Allgemeinen als thatsächlich vorkommend
anerkannt. Zur Annahme eines solchen Ablastes sind im einzelnen Falle andere
Momente entscheidend, die Entwicklungsgeschichte allein gibt keine Entscheidung.
So ist denn auch hier in der Crueiferen-Blüthe das vollständige Fehlen aller Spuren
der medianen Glieder im normalen Gange der Blüthenentwicklung, auch im Sinne
Eichler's?), keineswegs entscheidend gegen die Auffassung der Aborttheorie. Die
Thatsachen lassen auch im Sinne Eichler's beide Deutungen zu, sowohl die der
Aborttheorie, wie auch diejenige der Spaltungstheorie.
Hinsichtlich des inneren Staubgefässwirtels weichen die Angaben der Beobachter
von einander ab. Payer*) und Eichler’) lassen bei der Entwicklung ‘der vier
langen Staubgefässe zuerst zwei mediane verbreiterte Höcker auftreten, aus deren
1) Nach A. Chatin (Comptes rendus 1874. tom. 78. p. 121) werden diese beiden kurzen Staub-
gefässe erst angelegt, nachdem die langen Staubgefässe angelegt sind, während alle übrigen Beobachter
das entgegengesetzte Verhalten beschreiben und abbilden. Nur bei Cheiranthus Cheiri soll nach Payer
(Organogenie de la fleur p. 211) zuerst das vordere Paar der langen Staubgefässe angelegt werden, dann
die beiden seitlichen kurzen Staubgefässe und zuletzt erst das hintere Paar; eine Angabe, die jedoch späterhin
von Wretschko entschieden in Abrede gestellt ward.
2) Von jener Richtung der Morphologie, die im Diagramm der Blüthe einzig und allein die beob-
achteten Thatsachen wiedergeben will, sei hier vorläufig abgesehen. — Von der Bedeutung des Ausdrucks
„Ablast‘‘ wird ebenfalls späterhin noch weiter die Rede sein.
3) Eichler selbst (Flora 1865. p. 519) nimmt in den zweimännigen Blüthen von Zepidium
ohne Bedenken den vollständigen Abort d.i. Ablast der beiden lateralen Staubgefässe an, obwohl er beim
Studium der Entwicklungsgeschichte keine Spur derselben aufzufinden vermochte.
4) Payer, Traite d’organogenie comparede de la fleur. 1857. p. 211. taf. 44,
5) Eichler, Ueber den Blüthenbau der Fumariaceen ete. Flora 1865. p.517 ff. und Einige Bemer-
kungen über den Bau der Crueiferen-Blüthe und das Dedoublement, Flora 1869. p. 97 #.
em
Oberfläche dann je zwei kleine Höcker hervorwachsen und sich allmählich zu den
einzelnen langen Staubgefässen ausbilden. Dagegen entstehen nach den älteren
Angaben von Krause!), P. Duchartre?), Ad. Chatin?) und den neueren von
Wretschko*) und Ad. Chatin?) die vier langen Staubgefässe von Anfang an als
getrennte Höcker an (der Blüthenanlage, so zwar, dass sie häufig paarweise einander
genähert sind. Bestimmt zu entscheiden, welche dieser Darstellungen thatsächlich
richtig ist, ist nicht leicht, ja ich möchte behaupten, ist gradezu unmöglich. Beschränkt
man sich bei derBeobachtung der Blüthenentwicklung auf die Beobachtung der Höcker,
wie das bisher meist geschehen ist, so wird es in vielenFällen unmöglich, eine ein-
seitige Verbreiterung, eine lokale Anschwellung der Blüthenachse von einem flachen
Blatthöcker zu unterscheiden. Es ist ja eine sehr häufig zu beobachtende Thatsache,
dass die Achsenspitze vor der Anlage eines neuen Blattes oder Blattwirtels sich etwas
ungleichmässig verbreitert. Eine solche Verbreiterung der Achsenspitze von dem
Auftreten eines ganz flachen Blattprimordiums zu unterscheiden, dazu gibt es oftmals
ganz und gar kein Mittel ausser der subjektiven Willkür. Jene Primordien der
medianen Staubgefässpaare der Crueiteren-Blüthe sind aber auch nach Eichler's
eigener Darstellung*) sehr flach und wenig deutlich und lassen gleich nach ihrem
ersten Siehtbarwerden die einzelnen Staubgefässanlagen hervorsprossen. Da mag denn
eine Entscheidung der Frage, ob man hier mit Eichler von zwei medianen Primor-
dien, aus denen die Staubgefässpaare hervorsprossen, reden soll, oder mit Wretschko
von vier getrennten Primsrdien der Staubgefässe, die aus der Blüthenachse selbst
direkt hervortreten, eine ziemlich schwierige sein. Oder vielmehr die Entscheidung
1) Krause, Einige Bemerke über den Blumenbau der Fumariaceae und Cruciferae. Botanische
Zeitung 1846. p. 142.
2), P. Duchartre, kevue botanique. Tome II. 1846—1847. p. 207.
3) Ad. Chatin, Sur l’androcde des Cruciferes in Bulletin de la societe botanique de France,
Tome VIII. 1861. p. 373, 471 ft.
4) Wretschko, Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Cruciferen-Blüthe. Sitzungsb. der k.
Akad. d. Wissensch. zu Wien Band LVIH. (Jahrg. 1868.) Abth. I. p. 6 ff. des Sep. Abdr.
5) Ad. Chatin, Örganogenie comparde de l’androcee, in Comptes rendus des seances de l’aca-
demie des sciences. 1874. tome 78. p. 121 ff. und Quelques faits generaux qui se degagent de l’andro-
genie comparee, in Comptes rendus 1784. p. 819—820.
6, Flora 1869. p. 99: „Die gemeinsamen Primordien der langen Staubgefässe sind breit und flach,
in der Mitte nicht merklich höher als am Rande, gegen die Axenspitze nicht sehr deutlich abgegrenzt.“
ist hier eine rein willkürliche, da es sich darum handelt, ob man eine nicht sehr
deutliche, breite und flache Anschwellung als Blattprimordium bezeichnen, oder ob
man darin nur eine bedeutungslose Anschwellung der Blüthenachse erkennen will.
Die Thatsachen, so wie sie in Eichler’s und Wretschko’s Abbildungen wieder-
gegeben sind, lassen beide Ausdrucksweisen zu.
Allein auch wenn jene beiden angeblichen Primordien in der Mediane der
Blüthe noch weit deutlicher als einzelne Querwülste hervorträten, als dies nach
Eichlers (und Payer's) Abbildungen der Fall ist, so wäre auch damit noch keines-
wegs bewiesen, dass in der Cruciferen-Blüthe die vier langen Staubgefässe einen
medianen zweigliedrigen Wirtel mit seitlicher Spaltung der beiden Glieder bilden.
Die Entwicklungsgeschichte der phanerogamen Blüthen zeigt uns zahlreiche Beispiele
dafür, dass zwei oder mehrere einfache Blüthentheile mit einem einzelnen gemeinsamen
Primordium beginnen, aus dem erst weiterhin die einzelnen Theile getrennt hervor-
sprossen!). Es sei nur kurz an die zahlreichen Fälle erinnert, in denen die Anlage
eines Blüthenwirtels mit dem Auftreten eines vollständig geschlossenen Ringwalles
beginnt, aus welchem später die einzelnen Glieder frei oder mehr oder weniger an der
Basis zusammenhängend hervortreten, z. B. die Andröceen von Papaver?), Capparis?),
Cistus*), Helianthemum*) u. s. w. Bei den Primulaceen entstehen ferner bekanntlich die
Petala zugleich mit den superponirten Staubgefässen je als einzelne kleine Primordien
an der Blüthenachse?). Ebenso könnten nun auch im vorliegenden Falle bei den
Cruciferen die vier langen Staubgefässe paarweise vereint in Gestalt einfacher Primor-
dien zuerst hervortreten und erst weiterhin als getrennte freie Organe sich ausbilden.
Die Entwicklung zweier deutlicher medianer Höcker, viel deutlicher noch als sie nach
Eichlers (und Payer's) Abbildungen in Wirklichkeit sind, wäre somit noch lange
kein Beweis dafür, dass hier zwei mediane Staubgefässe vorhanden sind, die sich
normal in zwei Hälften spalten. Es liessen die Thatsachen ganz ebenso gut die
1) „Die Verwachsung tritt mitunter so früh ein, dass die T'heile mit einfachem Primordium in die
Erscheinung treten“, sagt auch Eichler (Blüthendiagramme p. 5.).
2) Payer, Organogenie de la fleur. pl. 47.
3) Payer, l. c. p. 204. pl. 41.
a), Payer, lsespgloepleo:
5) Pfeffer, Zur Blüthenentwicklung der Primulaceen und Ampelideen, in Pringsheim’s Jahrb.
f. wiss, Bot. VIII. p. 194 ff.
Abh. d. naturf. Ges. zu Halle. Bd. XIV. 4
- 26 -
Deutung zu, dass von den vier einzelnen diagonalen Staubgefässen je zwei paarweise
vereint in Gestalt eines einzelnen medianen Primordiums zuerst in die Erscheinung treten.
Umgekehrt würde aber auch ein viergliedriger diagonaler Wirtel noch keines-
wegs bewiesen sein, wenn bei der ersten Anlage die vier langen Staubgefässe als
vier zweifellos getrennte einzelne Primordien an der Blüthenachse sichtbar würden.
Die collaterale Spaltung geht ja oft so weit, dass die Theile des einzelnen Blattes
von Anfang an als gänzlich gesonderte Höcker hervortreten, so z. B. im Andröceum
der Polygonaceen und Phytolaccaceen') und in manchen anderen Fällen. So könnte
man auch hier im Andröceum der Cruciferen die vier langen Staubgefässe auffassen
als einen zweigliedrigen medianen Wirtel mit congenitaler Spaltung der Glieder,
auch wenn die vier langen Staubgefässe als einfache getrennte Primordien zuerst
sichtbar würden. Die Thatsachen würden dieser Auffassungsweise sicher nicht im
Wege stehen.
Die Entwicklungsgeschichte vermag somit hier im Andröceum der ÜUrueiferen
gar kein bestimmtes, entscheidendes Urtheil abzugeben, weder für die Spaltungstheorie,
noch für die Aborttheorie?). Die Thatsachen lassen beide genannten Deutungen zu.
Beide Theorien können für ihre Auffassung der Thatsachen Analogien aus der
Eutwicklungsgeschichte anderer Blüthen anführen und dadurch dieselbe rechtfertigen.
Ihre eigene Auffassungsweise als die einzig richtige nachzuweisen und damit die
entgegengesetzte zu widerlegen, das vermag weder die eine, noch die andere
Theorie. —
Die Entwicklungsgeschichte, soweit wir sie bisher berücksichtigt haben,
beschränkt sich aber auf die Beobachtung der Höcker, sie geht somit noch keines-
wegs auf die allerersten Anlagen der einzelnen Blüthentheile zurück. Das Sichtbar-
werden eines Höckers an der Aussenfläche der Achsenspitze geht Hand in Hand mit
reichlicher Vermehrung und Vergrösserung der Zellen im Inneren des ganzen Organes.
Diese neue Vermehrungsweise der Zellen durch 'T'heilung beginnt aber schon lange
vor dem ersten Hervortreten des betreffenden Höckers an der äusseren Oberfläche.
Will man also auf die erste Anlage der Primordien zurückgehen, so hat man die
ersten Zelltheilungen, die zur Anlage eines solchen Höckers führen, zu berücksichtigen.
1, A. Chatin, Organogenie comparee de l’androcde ete., in Comptes rendus hebdomadaires 1874.
Tome 78. p. 174 ff,, p. 254 ff.
2) Das hat auch Eichler selbst in der Flora 1869. p 101 — 102 ausgesprochen.
men ER
Eine solche Untersuchung der Entwicklungsgeschichte der Cruciferen-Blüthe aber liegt
heutigen Tages noch nicht vor. Allein auch sie würde noch nicht im Stande sein,
ein entscheidendes Urtheil in der vorliegenden Frage zu ermöglichen. Selbst wenn
die ersten Zelltheilungen, die zur Anlage eines Paares der langen Staubgefässe hin-
fiihren, an einem Punkte in der Mediane der Blüthe stattfänden, selbst dann würde
die Annahme, dass hier je zwei differente Staubgefässe mit gemeinsamem Primordium
ihre Entwicklung beginnen, noch keineswegs widerlegt sein; denn auch bei Primula
beginnen die Zelltheilungen, die zur Anlage des gemeinsamen Primordiums von
Kronblatt und Staubgefäss hinführen, an einer einzelnen Stelle, es entsprechen den
beiden differenten Blüthentheilen keineswegs differente Anfangspunkte der Zelltheilung.
Umgekehrt würden vier difterente Anfangspunkte der Zelltheilung in der Diagonale der
Blüthe noch keineswegs die Annahme eines medianen zweigliedrigen Staubgefässwirtels
mit congenitaler Spaltung ausschliessen: denn diese Spaltung könnte ja ebenso gut
bis auf die allerersten Zelltheilungen zurückgehen und schon mit diesen congenital sein').
Endlich würde eine unregelmässige Vertheilung der Anfangspunkte jener Zelltheilungen,
die zur Anlage der vier langen Staubgefässe hinführen, von keimer der beiden
entgegenstehenden Theorien auch nur mit einigem Scheine von Berechtigung zum
Beweise resp. zur Widerlegung benutzt werden können.
So ergibt sich also, dass auch eine Untersuchung der Entwicklungsgeschichte,
die bis auf die einzelnen Zelltheilungen zurückgeht, weder für die eine, noch für die
andere Blüthentheorie beweisend oder widerlegend sein kann?). Wie die Resultate
dieser Untersuchung auch ausfallen mögen, beide Auftassungsweisen der Orueiferen-
1) Die bisher vorliegenden Untersuchungen der Entwieklungsgeschichte, die bis auf die Zellen
zurückeehen, haben ja schon Beispiele genug dafür nachgewiesen, dass die Zelltheilung, die zur Anlage
emes einzelnen Blattes hinführt, namentlich bei breiteren Primordien an mehreren Stellen des inneren
‚Gewebes beginnt. Keineswegs finden wir, dass bei der Anlage eines Blattes die Zelltheilung stets an
einem Punkte, dem Insertionspunkte des betreffenden Blattes, beginnt und von da aus regelmässig nach
beiden Seiten hin fortschreitet. Dieses letztere Verhalten müsste aber notlıwendig erst als das allgemein
gesetzmässige nachgewiesen werden, wenn man das Auftreten von vier getrennten Anfangspunkten der
Zelltheilung in der Diagonale der Blüthe verwerthen wollte als Beweis gegen die Annahme eines medianen
zweigliedrigen Wirtels mit congenitaler Spaltung.
2) Aus diesem Grunde habe ich es auch unterlassen, eine solche Untersuchung der Entw icklungs-
geschichte bis auf die ersten Zelltheilungen zu unternehmen. Das Resultat einer solehen Untersuchung
würde für die Frage, die unserer ganzen Erörterung zu Grunde liegt, gar keine Entscheidung gewähren.
4%
Bee er
Blüthe werden sich mit gleicher Leichtigkeit damit vereinigen lassen. Und es gilt
somit von dieser Untersuchung der Blüthenentwicklung bis auf die einzelnen Zell-
theilungen hin ganz dasselbe, was von der Entwicklungsgeschichte, die nur Höcker
berücksichtigt, gesagt werden musste: sie beweist weder, noch widerlegt sie eine der
beiden T'heorien.') —
Allein die ersten Zelltheilungen sind noch keineswegs die allerersten Anfänge
der Entwicklung einzelner Blüthentheile. Den ersten Zelltheilungen gehen noch eine
Reihe einleitender Gestaltungsprozesse innerhalb derjenigen Zellen, die sich zuerst
theilen, voraus. Es sind diese Vorgänge bis jetzt allerdings der Beobachtung gänz-
lich unzugänglich. Allein auch wenn dieselben vollständig zugänglich und sichtbar
wären, so würden auch diese ein entscheidendes Urtheil der morphologischen Forschung
noch keineswegs ermöglichen. Es würde damit ganz ebenso ergehen, wie mit den
Thatsachen der Entwicklungsgeschichte, die sich in dem Auftreten von Höckern oder
von ersten Zelltheilungen aussprechen. Beiderlei Blüthentheorien würden sich ganz
in gleicher Weise damit vereinigen lassen, die Thatsachen würden ebenso gut nach
der einen, wie nach der anderen Auffassungsweise sich deuten lassen. Dies im
Einzelnen nachzuweisen an den verschiedenen denkbaren Möglichkeiten jener Gestal-
tungsprozesse, ist wohl kaum nothwendig, die Analogie der „Höckermethode“ und der
Zellenmethode zeigt ja leicht, in welcher Weise dies etwa geschehen könnte. Und so
1) Ein ganz anderes Urtheil über den Werth und die Beweiskraft einer Untersuchung der Blü-
thenentwicklung bis auf die einzelnen Zelltheilungen bat Eichler in seinem Aufsatze in der Flora 1869
ausgesprochen. Dort (p. 102 Anm.) bezeichnet er „die von der ersten Zelle an geführte Entwickelungsge-
schiehte“ geradezu als „das einzige und entscheidende Beweismittel morphologischer Forschung.“ Und
doch sagt er in derselben Anmerkung, dass es denkbar sei, dass zwei differente Blätter schon „mit den
ersten Zellen verwachsen‘ oder dass Blätter „schon mit den ersten Zellen sich theilen.“ Wie soll man
denn im einzelnen Falle entscheiden, ob hier zwei Blättchen, die mit den ersten Zellen verwachsen, angelegt
werden oder nur ein einzelnes Blatt, und ebenso ob ein einzelnes Blatt angelegt wird, das mit den ersten
Zellen’ sich theilt, oder zwei differente Blätter? Darüber vermag auch das „einzige und entscheidende
Beweismittel morphologischer Forschung“ eine bestimmte Entscheidung nicht zu gewähren. — Ein entschei-
dendes Beweismittel morphologischer Forschung würde die Untersuchung der ersten Zelltheilungen nur dann
sein, wenn es feststünde, dass bei der Anlage eines Blattes die Zelltheilungen stets an einem einzelnen
Punkte, dem Insertionspunkte des betreffenden Blattes, beginnen und von hier aus fortschreiten, und dass
umgekehrt ein jeder derartiger Anfangspunkt von Zelltheilungen die erste Anlage eines Blattes darstellt.
Das ist aber thatsächlich entschieden nicht der Fall.
Z a
lange nicht der Versuch gemacht ist, in einem bestimmten Falle den Beweis einer
morphologischen Deutung in bestimmten derartigen Gestaltungsprozessen des Zell-
plasmas zu suchen, erscheint es unnöthig, ausführlicher gegen die Beweiskraft dieser
gründlichen Entwicklungsgeschichte anzukämpfen. Es genügt hier vollständig, darauf
hinzuweisen, dass auch dieser Methode entwicklungsgeschichtlicher Forschung in
morphologischen Fragen dieselbe Beweiskraft zukommt, wie der Höckermethode oder
Zellenmethode: eine entscheidende Beweiskraft tür die eine oder die andere Blüthen-
theorie besitzt die Entwicklungsgeschichte überhaupt nicht.
Ganz dasselbe, was wir bisher in Bezug auf den Hauptdifferenzpunkt der
beiden entgegenstehenden Blüthentheorien, die Zusammensetzung des Andröceums,
von der Entwicklungsgeschichte zu sagen hatten, ganz dasselbe gilt auch in Bezug
auf die übrigen Differenzpunkte: die Thatsachen der Entwicklungsgeschichte lassen
beiderlei Erklärungen zu.
Berücksichtigen wir zunächst die Entstehung des vierblättrigen Kelches, so
werden nach Eichler’s') und Wretschk.o’s?) Darstellung zuerst an der Blüthen-
anlage die medianen Blättchen entwickelt, bald das vordere, bald das hintere zuerst,
und darnach erst entstehen gleichzeitig die lateralen Kelchblätter?), mit jenen auf
gleicher Höhe. Späterhin bewirkt häufig eine ungleiche Entwicklung des Blüthen-
bodens eine deutlich tiefere Insertion dieser lateralen Kelchblätter. Diese vier Kelch-
blätter mögen somit, wie es von der Spaltungstheorie geschieht, als zwei zweigliedrige
Wirtel gedeutet werden, von denen der mediane zuerst angelegt wird und den äusseren
Wirtel darstellt, der später entwickelte laterale dagegen den zweiten inneren Wirtel
bildet, öfters mit einer nachträglichen Verschiebung der Insertionshöhe. Man kann
aber auch die Anordnung der beiden Wirtel umgekehrt auffassen und den lateralen,
häufig tiefer inserirten Wirtel als den äusseren Wirtel betrachten, den medianen als
den inneren, indem man annimmt, dass die Reihenfolge in der Entwicklung beider
Wirtel umgekehrt worden sei, wie dies ja öfters bei den beiden Staubgefässwirteln
1) Eichler in Flora 1865. p. 517, vgl. auch Flora 1869. p. 98 Anm,
2) Wretschko im Sitzb. d. k. Akad. d, Wissensch. zu Wien. Band LVIII. 1868. p.5 des Sep. Abdr.
®) Nach Payer (Organogenie de la fleur. p. 210) soll bei Cheiranthus Cheiri zuerst das vordere
Kelchblatt angelegt werden, dann die beiden seitlichen und zuletzt das hintere. Eichler (Flora 1865.
p. 517 Anm.) und Wretschko (l.c. p. 6) haben diese Angabe nicht bestätigen können.
FRE wet
diplostemoner Blüthen (z. B. der Commelinaceae ') zu beobachten ist. Die oben beschrie-
benen vergrünten Blüthen, ebenso wie zahlreiche normale Cruciferen-Blüthen, bei
welehen im entwickelten Zustande die lateralen Kelehblätter deutlich tiefer an der
Blüthenachse inserirt sind, als die medianen, würden sehr für eine derartige Deutung
des Kelches sprechen. — Die Thatsachen der Entwicklungsgeschichte lassen sich aber
ebenso leicht auch mit der Aborttheorie vereinigen, die in diesen vier Kelchblättern
nur einen einzigen quermedianen viergliedrigen Wirtel sieht. Eine ungleichzeitige
Entstehung der einzelnen Glieder eines Wirtels ist ja bei den Blüthen der Phanero-
gamen eine sehr häufige Erscheinung, und namentlich geschieht dies sehr häufig bei
dem Kelchwirtel. Die Glieder eines viergliedrigen Wirtels in quermedianer Stellung
ordnen sich dabei häufig in zwei zweigliedrige Wirtel, die nach einander angelegt
werden, mag nun der mediane oder der laterale Wirtel zuerst entstehen. Beispiele
finden sich für diese Entwieklungsweise eines viergliedrigen Kelches vielfach, z. B. bei
den Melastomaceae?), Onagraceae?), Trapaceae*), Urticaceae?) u.a. Und so können
denn auch die vier Kelehblätter der Crueiferen - Blüthe trotz ihrer suecedanen Ent-
wieklung als ein einfacher viergliedriger quermedianer Wirtel gedeutet werden, so
wie es die Aborttheorie verlangt.
Ebenso wie beim Kelche lassen sich aber auch beim Fruchtknoten der normalen
Öruciferen-Blüthe beiderlei Blüthentheorien in gleicher Weise mit den Thatsachen
vereinigen. Die Entwicklungsgeschichte, so wie sie Payer und Eichler beschrieben
und durch Abbildungen erläutert haben, zeigt das Auftreten zweier lateraler Öarpidien,
die zusammen zu dem normalen Fruchtknoten heranwachsen®) Von medianen Oarpidien,
1) Vgl. Eichler, Blüthendiagramme p. 142.
2) Payer, Organogenie de la fleur. p. 495.
3) ]. e. p. 450. pl. 9.
4) ]. c. p. 455. pl. 106.
5) 1. e. p. 275. pl. 60.
6) Huisgen (Untersuchungen über die Entwicklung der Placenten. Inaug. Diss. Bonn 1873.
p. 14—16) schildert die Entwieklung des Fruchtknotens von Cheiranthus Cheiri etwas genauer, als dies die
früheren Darstellungen der Cruciferen -Blüthenentwicklung gethan hatten. Er betont dabei besonders die
frühe Anlage und Anfangs überwiegende Ausbildung der Placenten der übrigen Fruchtknotenwandung ge-
genüber. Dieses frühzeitige deutliche Hervortreten der Placenten hat ihn veranlasst, diese Placenten als
einen medianen zweigliedrigen Blattwirtel aufzufassen, alternirend mit dem eigentlichen lateralen Carpidien-
wirtel. — Wir werden weiterhin noch näher auf diese Anschauungsweise zurückkommen.
ee
die angelegt würden, aber nicht zur Ausbildung gelangten, ist nichts zu beobachten.
Dieser thatsächliche Vorgang entspricht nun ebenso gut der einen Auffassungsweise, die
nur einen zweigliedrigen lateralen Carpidienwirtel annimmt, wie auch jener anderen
Ansicht, die hier einen quermedianen viergliedrigen Wirtel mit normalem Ablast der
medianen Glieder erblickt. Und auch die Entwicklungsgeschichte des vierzähligen
Fruchtknotens bei jener Varietät von Nasturtium palustre R. Br. (Tetrapoma' barbaraeifolia
Turez.) lässt, soweit Payer’s Angaben (l- c. p.211—212) ein Urtheil erlauben, die
beiden verschiedenen Auffassungsweisen als berechtigt zu.
Es bleibt somit auch hier beim Kelch und Fruchtknoten ganz dasselbe Urtheil
in Geltung, das wir in Betreff der Entwicklungsgeschichte bei Besprechung des
Andröceums aussprechen mussten: Die Thatsachen der Entwicklungsgeschichte lassen
beiderlei Deutungen zu, die Aborttheorie eben sowohl, als auch die Spaltungstheorie;
die Entwicklungsgeschichte besitzt keineswegs eine entscheidende beweisende Kraft
für die eine oder die andere jener beiden Theorien. —
So ergibt sich also für die Beurtheilung der beiden entgegenstehenden Theorien
der Crueiferen-Blüthe, der Aborttheorie und der Spaltungstheorie, das gleiche Resultat,
mögen wir die entwickelten Blüthen nach ihrer verschiedenartigen, normalen oder
abnormen Gestaltung ins Auge fassen, oder mögen wir die einzelnen Thatsachen der
Entwicklungsgeschichte berücksichtigen: Die Thatsachen lassen sich sämmtlich in
gleicher Weise mit der Aborttheorie, wie mit der Spaltungstheorie vereinigen. Zu
beweisen vermögen wir durch die Thatsachen keine der beiden Theorien.
Und doch schliesst ja die eine Theorie die andere vollständig aus, es können
unmöglich beide Theorien zugleich richtig sein.
Alle Methoden, die bisher die morphologische Forschung ausfindig gemacht
und benutzt hat, lassen uns im Stich, wenn es gilt, hier die eine oder die andere
Theorie zu beweisen. Da erhebt sich von selbst die Frage, ob denn hier ein Beweis
überhaupt möglich ist.
In der That, die vorliegende Frage morphologischer Forschung gehört in
das Gebiet jener Spekulationen, bei denen von exakten Beweisen gar nicht
die Rede ist.
Eine Erörterung des Begriffes „Blüthendiagramm“ wird dies deutlich nachweisen,
II.
Die Bedeutung der Blüthendiagramme.
Man pflegt allgemein ein empirisches und ein theoretisches Blüthendiagramm zu
unterscheiden. Jenes soll allein die Thatsachen der äusseren Erscheinung einer
Blüthe wiedergeben, dieses zugleich die Erklärung der betreffenden Einzelblüthe
enthalten.
Diese einfache Unterscheidung reicht jedoch keineswegs aus. Es bedarf viel-
mehr durchaus einer genaueren Besprechung der einzelnen Begriffe.
Thatsächlichb gegeben sind in der Natur allein die Einzelblüthen in ihrer so
ausserordentlich grossen Mannigfaltigkeit der Gestaltung. Diese einzelnen Blüthen
in all ihren Entwicklungsstadien ausführlich zu beschreiben oder durch Abbildungen
genau wiederzugeben, ist nun für manche Zwecke der wissenschaftlichen Betrachtung
ganz überflüssig, so z. B. für dieZwecke der beschreibenden Systematik. Man begnügt
sich hier mit der Beschreibung eines einzelnen Entwicklungsstadiums, der Beschrei-
bung der Blüthe zur Zeit der Geschlechtsreife der Geschlechtsorgane. Für manche
Zwecke ist aber auch eine austührliche Beschreibung dieses einen Entwicklungs-
stadiums noch zu ausführlich, vielfach reicht es aus, die Anzahl der einzelnen
verschiedenartigen Blüthentheile und ihr gegenseitiges Stellungsverhältniss innerhalb
der fertigen Einzelblüthe zu kennen. Diese ausschliesslich räumlichen Verhältnisse
lassen sich nun natürlich leicht durch einfache geometrische Construktionen wieder-
geben. Und solche einfachen geometrischen Oonstruktionen stellen eben die empirischen
Blüthendiagramme dar. Es sind Horizontalprojektionen der Blüthen, in denen die
verschiedenen einzelnen Blüthentheile durch verschiedene schematische Zeichen dar-
gestellt und ihr gegenseitiges Stellungsverhältniss durch die Anordnung dieser schema-
tischen Zeichen wiedergegeben werden soll,
Bei der Oonstruktion solcher rein empirischen Blüthendiagramme haben alle
theoretischen Spekulationen fern zu bleiben. Nur allein die thatsächlich vorhandenen
einzelnen Blüthentheile sind in ihrer bestimmten gegenseitigen Stellung in das Diagramm
einzutragen. Alle einzelnen Theile der Blüthe, die von der beschreibenden Botanik als
besondere Blüthentheile unterschieden und mit besonderen Namen belegt werden, müssen
durch besondere schematische Zeichen ausgedrückt und im Blüthendiagramme je nach
ihrer bestimmt gegebenen Anordnung eingetragen werden: sobald jedoch ausserdem
noch theoretische Spekulationen, Deutungen einzelner Blüthentheile u. s. w. berück-
sichtigt werden, hört damit sofort das Diagramm auf, ein rein empirisches zu sein.
So ist vor allen Dingen im empirischen Diagramm absolut kein Raum für
die gesammte Metamorphosenlehre und alle ihre Folgerungen in Bezug auf die Deutung
und Beurtheilung der einzelnen Blüthentheile. Diese Anschauungsweise, die in der
Blüthe einen metamorphosirten verkürzten Spross sieht, die sämmtliche Kelchblätter,
Blumenblätter, Staubgefässe etc. als eigenartig ausgebildete Phyllome einer verkürzten
Blüthenachse betrachtet, diese Anschauungsweise ist in der Natur keineswegs unmittel-
bar gegeben, sie ist vielmehr aus der zusammenfassenden, vergleichenden Betrachtung
einer grossen Menge von Einzelgestalten abgeleitet worden, sie ist das Resultat
theoretischer Spekulation und darf deshalb dort durchaus keine Berücksichtigung
finden, wo es sich allein darum handelt, die Thatsachen der unmittelbaren Beobach-
tung zusammenzustellen,
So ist z B. an dem mehrfächerigen Fruchtknoten von einer Zusammensetzung
aus mehreren Fruchtblättern direkt gar nichts zu beobachten: das empirische Diagramm
kann deshalb auch von Fruchtblättern gar nicht reden, es hat vielmehr einfach die spe-
cielle Gestaltung des Fruchtknotens durch ein bestimmtes schematisches Zeichen wieder-
zugeben. Bei den sg. sympetalen Dikotylen zeigt uns ferner die unmittelbare Beob-
achtung nichts weiter als eine einzelne röhrenförmige, radförmige etc. Blumenkrone
mit beispielsweise fünftheiligem Saum; die direkte Beobachtung zeigt nichts von fünf
verwachsenen Blumenblättern:.das empirische Diagramm kann somit auch nicht von
fünf Blumenblättern sprechen, sondern einzig und allein von einer einzelnen
Blumenkrone.
Aehnliches gilt von zahlreichen anderen unmittelbar gegebenen Blüthentheilen.
Die sg. verzweigten Staubgefässe z. B sind vielfach 'Thatsachen der Beobachtung:
ob dies verzweigte oder verwachsene Staubblätter seien, das lehrt die direkte Beob-
achtung nicht. — In der Blumenkronröhre der Borragineen und der Sapotaceen finden
sich vielfach kleine Schüppchen. Die unmittelbare Beobachtung zeigt dieselben als
Abh. d. naturf. Ges. zu Halle. Bd. XIV. 5
ei
thatsächlich vorhanden. Die Spekulation belehrt uns, dass dieselben bei den Borra-
gineen unwesentliche, bei den Sapotaceen wesentliche Blüthentheile, modifieirte
Phyllome seien. Das empirische Diagramm kann aber allein die Thatsachen der
Beobachtung wiedergeben ohne Berücksichtigung der Spekulation und hat deshalb
in beiden Fällen in gleicher Weise diese Schüppchen zu berücksichtigen.
Zahlreiche andere Beispiele liessen sich ausserdem noch anführen, um zu bewei-
sen, wie sehr die ausdeutende Spekulation sich eindrängt selbst in die gewöhnlichen
einfachsten Ausdrücke der Terminologie, während doch das empirische Diagramm
von all und jeder Spekulation ganz frei und unabhängig bleiben soll. Es sei hier
nur allein auf die sg. calycifloren Blüthen der Dikotylen und die Blüthen mit unter-
ständigem Fruchtknoten hingewiesen. Von Verwachsung getrennter Blüthentheile
zeigt die direkte Beobachtung keine Spur: das empirische Diagramm kann deshalb
hier nimmer von verwachsenen Kelchblättern etc. reden, sondern hat allein alle jene
thatsächlich gegebenen Verhältnisse in schematisch abgekürzter Form wiederzugeben.') —
Beobachtet man diese wesentliche Forderung, dass das rein empirische Diagramm
nur allein die empirischen Thatsachen in abgekürzter Form wiedergeben kann und
soll, so ergeben sich in Bezug auf die seither aufgestellten, angeblich empirischen
Diagramme einige nicht unwesentliche Bemerkungen. Vor Allem muss sofort einleuch-
ten, dass die bisher gebräuchlichen Zeichen für Kelchblätter, Kronblätter, Staubbläter
und Carpidien bei weitem nicht ausreichen zur Aufstellung der empirischen Diagramme.
Nur beim Pistill hat man bis jetzt thatsächlich verschiedene einzelne schematische
Zeichen benutzt zur Darstellung der verschiedenen Gestalten, die der Fruchtknoten
darbietet (z. B. in Sachs, Lehrbuch der Botanik). Kelch und Blumenkrone aber
werden bisher fast ganz allgemein durch einzelne getrennte Zeichen als zusammen-
gesetzt aus differenten Phyllomen dargestellt ohne Rücksicht darauf, ob dieselben
„treiblättrig“ oder „verwachsenblättrig“ sind. Und.doch weiss ja die empirische .
Beobachtung bei verwachsenblättriger Blumenkrone von dem Verwachsensein mehrerer
Blätter ganz und gar nichts. Es gehen eben thatsächlich fast alle Autoren, die
seither sich damit beschäftigt haben, empirische Diagramme zu entwerfen, von dem
Standpunkte der Metamorphosenlehre aus und tragen diese Anschauungsweise mehr
1) Dieser Definition des empirischen Diagramms zufolge kann natürlich auch niemals in einem
solehen Diagramm von Blüthentheilen, die nicht thatsächlich vorhanden sind, die Rede sein. Ablastirende
Blüthentheile können in einem rein empirischen Diagramm nicht berücksichtigt werden.
.— 355 —
oder weniger unbewusst in die einfache Beobachtung und die abgekürzte Wiedergabe
der beobachteten Tlhatsachen hinein. —
Der wissenschaftliche Werth, der solehen rein empirischen Blüthendiagrammen
zukommt, ist nun ein recht bedeutender. Sie geben in abgekürzter und deshalb
leicht übersichtlicher Form die einzelnen Thatsachen der Beobachtung wieder. Sie
bieten dadurch einer vergleichenden Betrachtung der thatsächlichen Einzelfälle ein
ausserordentlich bequemes Hülfsmittel dar. Eine vergleichende Betrachtung der rein
empirischen Blüthendiagramme wird somit am besten geeignet sein, die Regeln und
Gesetze, die sich in der Mannigfaltigkeit der Gestaltenbildung bei den Blüthen der
Phanerogamen autfinden lassen, zu ermitteln.) —
1) Solcher Gesetze der Blüthengestaltung weist die Morphologie der Phanerogamen eine grosse
Anzahl auf. Dahin gehört z. B. das Gesetz von der Alternation der suecessiven Wirtel, der regelmässig
acropetalen Entwicklungsfolge der einzelnen Blüthenwirtel bei der ersten Anlage der Blüthe, u. a, m.
Geht man aber der Sache etwas genauer auf den Grund, so stellt sich heraus, dass vielleicht auch nicht
eines dieser Gesetze wirklich als solches sich nachweisen lässt. Es sind alle diese Gesetze vielmehr nur
empirische Regeln, zu vergleichen den grammatischen Regeln dieser oder jener Sprache, aber keineswegs
wirkliche Naturgesetze. —
Die Vergleichung zahlreicher Einzelblüthen oder der empirischen Diagramme derselben zeigt, dass
in der Mehrzahl der Fälle die successiven gleichzähligen Wirtel alterniren. In einer geringeren Anzahl von
Fällen findet ein solehes Alterniren nicht statt. Das Alterniren ist also der gewöhnliche, regelmässige Fall.
Damit ist aber ein solches Alterniren der Wirtel noch lange nicht Gesetz, es bezeichnet vielmehr nur eine
Erfahrungsregel, -die durchaus nicht ohne Ausnahme dasteht. — Ganz ebenso ist es aber auch mit allen
übrigen angeblichen Gesetzen der Blüthenmorphologie. Es sind das Regeln, die überall den häufigeren
Fall aussprechen, die aber keineswegs ausnahmslose Geltung besitzen. (Vgl. Hanstein, die Entwicklung
des Keimes der Monokotylen und Dikotylen. p. 97”—98.)
Nur in dem Falle, dass alle T'hatsachen der Beobachtung jener Regel sich fügten, würde die
Forschung berechtigt sein, von empirischen Gesetzen der Blüthengestaltung zu sprechen. Die verglei-
chende Morphologie der Phanerogamen aber ist bei der Aufstellung ihrer Gesetze durchaus nicht so eng-
herzig. Sie greift den thatsächlich häufigsten Fall heraus und macht ihn zum Gesetz, alle jene Fälle
dagegen, die diesem Gesetze sich nicht unmittelbar fügen oder ihm wohl gar direkt widersprechen, werden
einfach für scheinbare Ausnahmen erklärt. Man nimmt an, dass in solchen Ausnahmefällen durch irgend
eine anderweitige Ursache die normale gesetzmässige Gestaltung nicht zur Ausbildung gelangt sei, und ist
auch niemals um die Aufstellung einer solchen hypothetischen anderweitigen Ursache verlegen. Alterniren
z.B. in einer Blüthe zwei Wirtel nicht, so ist ein zwischenliegender alternirender Wirtel ausgefallen,
abortirt, auch wenn die Beobachtung davon nichts zu sehen vermag: durch diese hypothetische Annahme
5*
36 ——
Die rein empirischen Blüthendiagramme, von denen bisher die Rede gewesen
ist, hatten allein die Aufgabe, die Anzahl und die gegenseitige Stellung der einzelnen
fügt sich dann dieser Ausnahmefall dem allgemeinen Gesetze, das Gesetz als solches ist somit gerettet.‘
Solehe und ähnliche hypothetischen Annahmen lassen sich überall in Hülle und Fülle ersinnen, um die
Ausnahmefälle unter das angebliche Gesetz unterzuordnen, und damit .ässt sich dann auch jede beliebige
Behauptung als morphologisches Gesetz nachweisen.
Ein solches Verfahren aber widerspricht durchaus dem Wesen einer jeden exakten Forschung.
Man geht allerdings auch anderwärts, in der Physik und Chemie, in ähnlicher Weise zu Werke, wenn
es gilt, ein empirisches Gesetz aufzustellen. Aus einer grossen Anzahl einzelner Thatsachen wird die
Regel abgeleitet und als empirisches Gesetz hingestellt, wenn keine Thatsachen derselben zuwiderlaufen.
Widersprechen einzelne Einzelfälle, dann gilt allerdings die hypothetische Annahme, dass hier anderweitige
mitwirkende Ursachen die Wirkungen jenes Gesetzes verdecken oder aufheben, vorläufig als zulässig.
Allein so lange dies letztere nicht thatsächlich nachgewiesen ist, gilt auch jenes Gesetz nicht als bewiesen
und wird nur vorläufig und mit Vorbehalt als empirisches Gesetz zugelassen. Keineswegs aber gilt es hier
als erlaubt, jenes Gesetz als Gesetz in eine Deduktion einzuflechten und dasselbe zu irgend einer Beweis-
führung zu benutzen.
Ganz anders verfährt jedoch, wie gesagt, beim Aufstellen ihrer Gesetze die vergleichende Morpho-
logie. Ein thatsächliches Verhältniss, das häufig wiederkehrt, wird als gesetzmässig hingestellt; die Aus-
nahmefälle, die jenem Gesetz sich nicht fügen, werden durch Hypothesen „erklärt“ und „gedeutet‘‘ und jenem
Gesetze untergeordnet; und damit gilt nun das Gesetz als bewiesen und wird unbedenklich benutzt, um
wieder andere ähnliche Gesetze zu beweisen oder entgegenstehende Annahmen zu widerlegen. An einen
wirklichen Beweis jener Annahmen, der allein auch erst das Gesetz als solches wirklich beweisen würde,
wird in der vergleichenden Morphologie kaum gedacht. Ja sogar wenn die Beobachtung jene hypothetischen
Annahmen als unriehtig nachweist, dann wird nicht etwa das angebliche Gesetz als unbeweisbar und somit
unbegründet fallen gelassen, nein, in einem solchen Falle werden wieder neue und immer wieder neue Hypothesen
ersonnen, um jene Ausnahmefälle doch unter das fragliche Gesetz unterzuordnen und dasselbe in seiner
unumschränkten Gültigkeit zu erhalten, „dem Gesetze zu seinem Rechte zu verhelfen.‘
Wie wenig hat z.B. gegen das Gesetz der Alternation successiver Blüthenwirtel der Nachweis
vermocht, dass in einzelnen Fällen superponirte Wirtel thatsächlich vorhanden sind, bei denen auch die
genaueste Beobachtung von einem angeblich abortirenden Zwischenwirtel nichts erkennen kann. Das Gesetz
flüchtet sich immer weiter in Gebiete zurück, die der Beobachtung bisher unzugänglich waren. Als die
Beobachtung keiue Höcker als Rudimente der abortirenden Staubgefässe von Primula finden konnte, sollten
diese Staubgefässe schon mit den ersten Zelltheilungen abortiren. Nun hat die Beobachtung auch dieses
lange unzugängliche Gebiet eröffnet, allein von jenen Zelltheilungen, den ersten Anlagen jener angeblichen
Staubgefässe, nichts auffinden können. Das Gesetz von der Alternation der Blüthenwirtel schien damit
endgültig als Gesetz widerlegt: allein vielfach noch wird dies Gesetz nach wie vor von den Morphologen
* als empirisches Gesetz unerschütterlich festgehalten. —
ee en
Blüthentheile in der fertig entwickelten Blüthe in abgekürzter Form wiederzugeben.
Es lassen sieh in solchen rein empirischen Diagrammen aber auch noch einige weitere
Momente der Blüthengestaltung berücksichtigen.
Dahin gehören vor allem die Thatsachen der Entwicklungsgeschichte der ein-
zelnen Blüthentheile. Die Beobachtung lehrt uns, dass in der Mehrzahl der Fälle die
Anlage der einzelnen Theile der Blüthe in acropetaler Reihenfolge stattfindet, die
äussersten Blüthentheile zuerst angelegt werden, die innersten zuletzt. Allein es finden
sich thatsächlich auch zahlreiche Fälle, in denen die Anlage der einzelnen Blüthen-
theile nicht dieser Regel entsprechend erfolgt, in denen vielmehr einzelne höhere
Blüthentheile oder ganze Wirtel früher angelegt werden als tiefere‘), Ferner sehen
wir die Glieder eines und desselben Blüthenwirtels bald simultan angelegt, bald
succedan, meist in ganz bestimmter eigenartiger Reihenfolge. Dann kommt es auch
vor, dass die erste Anlage von zwei oder mehr Blüthentheilen, die in der fertig
entwickelten Blüthe völlig getrennt erscheinen, mit einem einzelnen einfachen Primordium
Und ebenso ist es mit all den Gesetzen der Blüthengestaltung, welche von der vergleichenden
Morphologie aufgestellt worden sind. Sie werden aufgestellt und durch Hypothesen aller Art gestützt; sie
gelten als bewiesen, auch ohne dass jene Hypothesen als richtig nachgewiesen sind; ja selbst, wenn diese
hypothetischen Annahmen als unrichtig nachgewiesen werden, hat dies auf die Anerkennung jener Gesetze
gar keinen Einfluss; neue Hypothesen lassen sich in Menge ersinnen, um gleichwohl jene Ausnahmefälle
der thatsächlichen Herrschaft des Gesetzes unterzuordnen.
Alle diese angeblichen Gesetze der Blüthenmorphologie aber stellen sich bei genauer Prüfung auf
ihre wirkliche Bedeutung vielmehr nur als Regeln der Gestaltenbildung heraus. Diese Regeln formuliren
denjenigen Fall, der thatsächlich der häufigste ist, während der umgekehrte Fall seltener eintritt, aber
doch bisweilen wirklich stattfindet. Wirkliche Gesetze im Sinne naturwissenschaftlicher Forschung sind
alle diese angeblichen Gesetze nicht. —
1) Hofmeister (Allgemeine Morphologie der Gewächse p. 462—469) hat eine Reihe von Fällen
aufgezählt, bei welchen tiefer inserirte Blüthentheile später angelegt werden als höhere, oder selbst ganze
Wirtel erst sichtbar werden, nachdem höhere Wirtel schon vorher angelegt sind. Einzelne der hier auf-
gezählten Fälle sind seitdem durch genauere Beobachtung alsnicht hierher gehörig nachgewiesen worden. So
hat Frank (Ueber die Entwicklung einiger Blüthen ete., in Pringsheim’s Jahrb. f. wiss. Bot. X. p. 204 ff.)
neuerdings gezeigt, dass in der Blüthe von Oxalis und Geranium die einzelnen Blüthenwirtel in regelmässig
acropetaler Folge angelegt werden. Trotzdem aber bleiben immer noch genug andere Fälle übrig, in denen
thatsächlich tiefere Wirtel später angelegt werden als höhere, z. B. die Staubgefässwirtel der Commelinaceen,
Dioscoraeaceen, Haemodoraceen ete, (vgl. Chatin’s Angaben in Comptes rendus 1874. Tome 78. p. 122 fi.
u. p. 887.).
a
beginnt, oder es verschmelzen umgekehrt zwei Anfangs getrennte Primordien zu einem
einzelnen einfachen Blüthentheile der entwickeiten Blüthe (z. B. die medianen Staub-
gefässe von Hypecoum). Alle solche und ähnliche Thatsachen der Entwicklungs-
geschichte lassen sich in dem empirischen Diagramme wiedergeben, das ja eben
nichts anderes als eine Wiedergabe der thatsächlichen Verhältnisse in abgekürzter
Form sein soll.
Die Diagramme, die solche entwicklungsgeschichtlichen Momente berück-
sichtigen, werden oft von jenen empirischen Diagrammen, die nur die entwickelte Blüthe
kurz skizziren sollen, nicht verschieden sein, oft aber werden sie auch eine gänzlich
abweichende Gestalt zeigen. Ja es wird das empirische Diagramm einer bestimmten
Einzelblüthe eine mehrfach verschiedene Gestaltung zeigen können, je nachdem mehr
‚oder weniger Momente darin ausgedrückt werden sollen. Im einzelnen bestimmten
Falle wird es deshalb stets nothwendig sein, genau festzustellen, welcher Art das
empirische Diagramm sein soll, vor dem die Rede ist, welehe Momente der Gestaltung
darin zum Ausdruck gelangen sollen. Ein einziges bestimmtes empirisches Diagramm
einer Einzelblüthe, über dessen Gestaltung eine Verschiedenheit der Ansichten nicht
möglich wäre, gibt es überhaupt nicht. —
Vom empirischen Diagramme ist nun wesentlich verschieden das theoretische
Diagramm:
Jenes berücksichtigt stets nur die unmittelbar gegebene Einzelblüthe; es
beschreibt in abgekürzter Form die Gestaltung der bestimmten Einzelblüthe. Das
theoretische Diagramm berücksichtigt im Gegensatze dazu stets mehrere oder viele
einzelne Blüthengestalten, es setzt stets die vergleichende Beobachtung mehrerer
empirischer Diagramme voraus, es ist nicht der Ausdruck einer unmittelbar gegebenen
Thatsache, sondern ein Produkt der Spekulation.
Einer solchen vergleichenden Betrachtung können nun alle jene verschieden-
artigen empirischen Diagramme, von denen die Rede war, unterworfen werden,
Beschränken wir uns jedoch hier der Einfachheit wegen zunächst auf solche empiri-
schen Diagramme, die allein Zahl und Anordnung der einzelnen Theile in der ent-
wickelten Blüthe wiedergeben sollen.
Bei der Mehrzahl der Blüthenpflanzen stimmen sämmtliche Einzelblüthen einer
und derselben Species in diesen Momenten überein. Dann sind auch die empirischen
Diagramme sämmtlich unter einander gleich, und man kann alsdann dieses identische
Diagramm als Diagramm der Pflanzenart bezeichnen, um durch dasselbe in einem
kurzen Ausdruck den Blüthenbau der betreffenden Art zu beschreiben. Dieses Dia-
gramm der Art ist nun aber stets ein Ausdruck theoretischer Spekulation, eine construirte
Formel. Es stimmt überein mit dem empirischen Diagramm der einzelnen Blüthen,
gibt aber nicht wie dieses eine unmittelbar gegebene Thatsache wieder, sondern fasst
eine grössere Anzahl von gleichartigen Thatsachen in einen einzelnen Ausdruck
zusammen. Objektive Realität besitzt dies Diagramm der Art als solches somit nicht.
Bei anderen Arten zeigt der Bau der Einzelblüthen einzelne Verschiedenheiten.
Die Einzelblüthe ist z. B. bald 4-gliedrig, bald 5-gliedrig (Auta), der Fruchtknoten
bald 2-, bald 3-fächerig, die Staubgefässe bald einfach, bald verdoppelt (öfter z. B.
bei Adoxa moschatellina, Paris quadrifolia, Seleranthus) u..s. w. Bisweilen ist "die
Mehrzahl der Blüthen ganz gleich gestaltet, nur wenige oder selbst nur ganz verein--
zelte Blüthen (— man redet dann von unregelmässiger oder abnormen Blüthen —)
weichen in ihrer Gestaltung ab. Bisweilen aber wird es auch schwer, anzugeben,
welche einzelne Blüthengestalt eigentlich die häufigere ist. In all diesen Fällen aber
stimmen die einzelnen empirischen Diagramme nicht unter einander überein. Von
der Aufstellung eines Artdiagramms in derselben Weise wie in dem vorhergehenden
Falle kann somit hier nicht die Rede sein. — Dennoch lässt sich auch hier ein Diagramm
der Art aufstellen.
Die Unterschiede in der Gestaltung der Einzelblüthen sind in all solchen
Fällen nur geringe‘). Die Anzahl der Wirtelglieder in den Blüthenwirteln schwankt,
freilich zumeist nur um eine geringe Zahl; einzelne Blüthentheile der einen Blüthe
erscheinen in der ianderen Blüthe mehr oder weniger rudimentär oder fehlen ganz,
ablastiren; einzelne Blüthentheile der einen Blüthe erscheinen in der anderen Blüthe
mehr oder weniger verwachsen, ja selbst durch einen einzelnen Blüthentheil ersetzt; oder
1) Von den sg. vergrünten Blüthen, die häufig bei einzelnen Arten auftreten und durch beträcht-
lichere, oft sehr bedeutende Unterschiede von der normalen Blüthengestalt abweichen, ist hier der Einfach-
heit der Darstellung wegen abgesehen worden. Man wird aber leicht einsehen, dass die ganze Schlussfol-
gerung dieselbe bleibt, auch wenn man diese ganz abnormen Blüthen bei der Aufstellung des Artdiagramms
zugleich berücksichtigt. Das Artdiagramm wird nur eine etwas andere Gestalt annehmen, und zahlreichere
und bedeutendere Aenderungen werden nothwendig sein, um alle einzelnen empirischen Diagramme von
dem Artdiagramm abzuleiten,
a
es findet sich an Stelle eines einzelnen Blüthentheiles der einen Blüthe in, der anderen
Blüthe ein gespaltenes Organ oder selbst ein Paar oder eine Vielzahl entsprechender
Theile, jener einzelne Blüthentheil erscheint hier verdoppelt; u.s. f. Es liessen sich
derartige Verschiedenheiten der einzelnen Blüthen ein und derselben Pflanzenart
noch mehrere aufzählen, doch genügen die genannten schon vollständig, um die hier
vorkommenden Variationen der Gestaltung kurz zu charakterisiren. Durchweg aber
sind es nur geringe Variationen der Blüthengestaltung. *
Dementsprechend lassen sich denn auch überall die einzelnen empirischen
Diagramme durch geringe Aenderungen in einander überführen und umwandeln.
Von all solchen verschiedenen empirischen Diagrammen einer Pflanzenart kann
man nun ein einzelnes herausgreifen und als das Diagramm der Art hinstellen. Ueber-
wiegt eine bestimmte Blüthengestalt der Zahl nach bedeutend, so wird man wohl am
zweckmässigsten das Diagramm dieser Blüthenform zum Diagramm der Art wählen.
Ist dies nicht der Fall, so kann man unter den verschiedenen empirischen Diagrammen
dasjenige auswählen, aus welchem am leichtesten, durch möglichst wenige und geringe
Aenderungen, alle übrigen empirischen Diagramme sich herstellen lassen. Oder aber
man kann auch ein solches Diagramm der letzteren Art einfach construiren; und
dies wird sich sogar dann als das zweckmässigere Verfahren empfehlen, wenn ein
solches construirtes Diagramm besser als irgend ein einzelnes der gegebenen empiri-
schen Diagramme eine Ableitung aller übrigen empirischen Diagramme durch kleine
unbedeutende Aenderungen zulässt.
Stets aber lässt sich in einer oder der anderen Weise ein bestimmtes Diagramm
aufstellen, aus welchem sämmtliche einzelnen empirischen Diagramme in sehr einfacher
Weise abgeleitet werden können; und dieses Diagramm kann man dann als Diagramm
der Art bezeichnen.
Beide Fälle, mögen nun die empirischen Einzeldiagramme untereinander gleich
sein oder nicht, lassen sich zusammenfassen in einen einfachen Ausdruck, indem man
als Artdiagramm allgemein ein solches Diagramm bezeichnet, aus welchem in der
einfachsten Weise, durch möglichst geringe Aenderungen, die empirischen Einzel-
diagramme hergeleitet werden können. Sind die letzteren sämmtlich oder zumeist
einander gleich, so erfolgt jene Herleitung in der einfachsten Weise natürlich dann,
wenn das Artdiagramm jenen empirischen Diagrammen gleich angenommen wird.
eat —
Ein solches Artdiagramm ist aber stets von einem empirischen Diagramm dem
Wesen nach gänzlich verschieden, mag es dem letzteren in der Gestaltung auch ganz
gleich sein. Dieses nämlich gibt eine Thatsache der Beobachtung unmittelbar wieder,
jenes dagegen stellt eine theoretische Formel dar, welche in möglichst einfacher
Weise die verschiedenen Beobachtungsthatsachen zusammenfasst.
Solche Formeln sind nun keineswegs als werthlose Spielereien zu betrachten.
Sie dienen nicht allein dem Gedächtniss als werthvolle Hülfsmittel zur Beherrschung
der verschiedenen Einzel-Thatsachen, sie sind auch geeignet, jenes Hauptziel wissen-
schaftlicher Spekulation, die Zusammenfassung der Einzelthatsachen unter einen ein-
heitlichen Gesichtspunkt, näher zu rücken, wenn sie auch diesen einheitlichen Ueber-
blick nur durch einen construirenden Schematismus erreichen.
Schematische Formeln zu einer solehen Zusammenfassung einer grösseren
Anzahl verschiedener Einzel- Thatsachen lassen sich in sehr verschiedener Weise und
in grosser Anzahl entwerfen. Von allen solchen construirten Formeln aber wird man
stets diejenigen als die zweckmässigsten und nützlichsten bezeichnen, die in möglichst
einfacher Weise eine einheitliche Zusammenfassung der verschiedenen einzelnen
Thatsachen ermöglichen. So wird man denn auch im vorliegenden Falle von den
zahlreichen möglichen Artdiagrammen stets dasjenige als das zweckmässigste auswählen,
welches in möglichst einfacher Weise eine Ableitung aller gegebenen empiri-
schen Diagramme erlaubt Und aus diesem Grunde ward die Bedingung einer grösst-
möglichen Einfachheit der Ableitung schon direkt in die obige Vorschrift zur Auf-
stellung der Artdiagramme aufgenommen. — Thatsächlich werden allerdings im ein-
zelnen Falle die Ansichten der Autoren oft weit auseinandergehen und bald dieses,
bald jenes Diagramm als das zweckmässigste bezeichnen.
Bei der Benutzung und Verwerthung solcher Artdiagramme darf man nun
niemals ausser Acht lassen, dass man es hier mit rein theoretischen Construktionen
zu thun hat. Die empirischen Diagramme geben Thatsachen der objektiven Beobach-
tung in abgekürzter Form wieder, sie gelten stets nur für Einzelblüthen; die Art-
diagramme dagegen sind theoretische Construktionen, Formeln zur Zusammenfassung
mehrerer oder zahlreicher einzelner empirischer Diagramme, mögen diese untereinander
gleich oder ungleich sein.
Dementsprechend kann auch bei einem einzelnen Artdiagramm niemals die
Frage aufgeworfen werden, ob dasselbe richtig oder unrichtig sei. Richtig oder
Abh. d. naturf. Ges. zu Halle. Bd. XIV. 6
> Be
"ünrichtig, d.i. den Thatsachen entsprechend oder nicht, kann ein einzelnes empiri-
sches Diagranım genannt werden. Oder es kann, wenn die Thatsachen noch nicht
sämmtlich durch die Beobachtung ermittelt sind, ein solches empirisches Diagramm
als wahrscheinlich oder unwahrschemlich gelten. Allein aut das Artdiagramm
sind alle diese Begriffe seiner Definition zufolge gar nicht anzuwenden. Ein einzelnes
Artdiagramm kann allein zweckmässig oder unzweckmässig heissen, niemals richtig
oder unrichtig, wahrscheinlich oder unwahrscheinlich. Und ebenso kann auch bei
einem Artdiagramm von einem Beweise der Wahrheit desselben nicht die Rede sein. —
Das Artdiagramm, von dem bis jetzt die Rede gewesen ist, fasst eine grosse
Anzahl empirischer Einzeldiagramme zusammen. Man kann nun in ganz derselben
Weise noch weiter gehen und eine immer grössere Anzahl empirischer Diagramme
durch einen einzelnen Ausdruck zusammenfassen, für eine stets grössere Anzahl von
Einzelblüthen theoretische Diagramme construiren.
Das Artdiagramm fasst alle Einzelblüthen eimer und derselben Pflanzenart
zusammen. In derselben Weise lässt sich ein theoretisches Diagramım für zwei oder
mehrere nächstverwandte Arten construiren. In derselben Weise auch lassen sich
sämmtliche Arten ein und derselben Gattung vereinigen und für sämmtliche einzelnen
verschiedenartigen empirischen Diagramme ein einzelnes theoretisches Diagramm
entwerfen, das dann als Gattungsdiagramm bezeichnet werden mag. Die Verschieden-
heiten, welche die sämmtlichen empirischen Einzeldiagramme untereinander darbieten,
werden dabei vielfach etwas beträchtlicher sein als bei den Blüthen einer einzelnen
PHlanzenart; es wird hier bedeutenderer Aenderungen bedürfen, um aus dem theore-
tischen Diagramm sämmtliche empirischen Einzeldiagramme herzustellen, als in jenem
Falle, allein im Uebrigen werden diese Gattungsdiagramme durchaus den Artdiagram-
men entsprechen. Bisweilen werden die empirischen Einzeldiagramme sämmtlich
untereinander übereinstimmen, and dann wird das Gattungsdiagramm am zweck-
mässigsten jenen Einzeldiagrammen gleich construirt; vielfach aber werden jene
empirischen Diagramme mehr oder minder grosse Verschiedenheiten untereinander
aufweisen, und dann wird vielfach Verschiedenheit der Ansichten sich geltend machen,
ob dem Gattungsdiagramm am zweckmässigsten diese oder jene Gestalt zu geben sei.
m
In ganz derselben Weise aber kann man auch noch weiter gehen und die
Gattungen derselben Familie zusammenfassen, ein theoretisches Familiendiagramm
construiren, von welchem in möglichst einfacher Weise alle empirischen Einzel-
diagramme oder, was ja im Grunde auf ganz dasselbe hinausläuft, alle Gattungs-
diagramme abgeleitet werden können. Ebenso lassen sich die Familien derselben
Ordnung zusammenfassen, die Ordnungen derselben Gruppe etc., bis man zuletzt
sämmtliche Dikotylen oder Monokotylen oder selbst sämmtliche Angiospermen vereinigen
kann und für diese ein einzelnes theoretisches Diagramm construiren, aus welchem
alle Einzelformen sich möglichst leicht ableiten lassen.
Bei all diesen Diagrammen, wie sie den verschiedenen mehr und mehr umfassen-
den Gruppen des natürlichen Systems angehören, werden die Veränderungen, deren
es bedarf, um alle Einzelformen aus dem allgemeinen Schema abzuleiten, immer
grössere werden, diese Ableitung selbst immer complieirter. Soust aber gilt von all
diesen Diagrammen ganz dasselbe, was von dem Artdiagramm zuvor gesagt worden
ist. Alle diese Diagramme, mögen sie Gattungsdiagramme oder Familiendiagramme
sein oder noch umfassenderen Gruppen zugehören, sind der Definition zufolge theoretische
Construktionen, schematische Formeln, entworfen zu dem Zweck, eine mehr oder
minder grosse Anzahl von Einzelgestalten zusammenzufassen und unter einem gemein-
samen Ueberbliek zu verbinden. Sie besitzen keineswegs objektive Realität. In der
Pflanzenwelt selbst gibt es ein Familiendiagramm nicht, noch auch irgend einen
thatsächlichen Gegenstand, der diesem Begriffe vollständig entspräche. Und wenn
auch häufig ein einzelnes empirisches Diagramm in seiner Gestaltung ganz mit dem
Familiendiagramım übereinstimmt, eine Einzelblüthe also thatsächlich denselben Bau
zeigt, den das Familiendiagramm wiedergibt, so hat doch auch hier das Familien-
diagramm als solches niemals objektive Realität. Es findet dann nur eine zufällige
Uebereinstimmung des empirischen Einzeldiagramms und der Einzelblüthe mit dem
Familiendiagramm statt. Das letztere aber ist und bleibt seiner Definition zufolge
stets nur eine construirte Formel.
Eben derselben Definition zufolge kann auch von Beweis eines Gattungs- oder
Familiendiagrammes etc. oder dessen Widerlegung überhaupt nicht die Rede sein,
ebensowenig wie bei dem eingehender besprochenen Artdiagramme. Es kann bei
der Erörterung eines bestimmten einzelnen Familiendiagramms stets nur die Frage
erhoben werden, ob von demselben in möglichst einfacher Weise alle einzelnen
6:
BE
Gattungsdiagramme abgeleitet werden können, ob es zweckmässig ist oder nicht. Von
seiner Wahrheit kann gar nicht die Rede sein und ebensowenig von seiner Wahr-
scheinlichkeit. Ebenso aber kann natürlich auch die Beweiskraft dieses oder jenes
Momentes, dieser oder jener T'hatsache für die Feststellung des richtigen Familien-
diagramms gar nicht in Frage kommen. Denn wo von Beweis überhaupt nicht die
Rede sein kann, da besitzt auch kein einzelnes Moment sei es positive oder sei es
negative Beweiskraft.
Ebenso wie beim Artdiagramm muss endlich auch hier bei den Gattungs-,
Familien- etc. Diagrammen hervorgehoben werden, dass solche Construktionen keines-
wegs als werthlose Spielereien zu betrachten sind. Alle diese Construktionen sind
zunächst von grossem mnemonischem Werthe, vor allem die Familiendiagramme. Sie
erleichtern dem Gedächtniss, dem die Einprägung der zahllosen einzelnen Blüthengestalten
viel zu schwierig ist, ganz ausserordentlich seine Aufgabe und setzen es dadurch in
Stand, die Fülle des Einzelmaterials zu beherrschen und leicht zu übersehen. So sind
denn auch in der T'hat derartige Diagramme, namentlich die Familiendiagramme,
vielfach in praktischer Verwendung beim Unterricht. — Die Diagramme der Gattungen,
Ordnungen und der höheren Abtheilungen des Systems stehen allerdings jenen Familien-
diagrammen an mnemonischem Werthe bedeutend nach.
Dann aber bieten alle diese Gattungs-, Familien- ete. Diagramme ein vor-
treffliches Mittel dar, eine grössere Anzahl einzelner Thatsachen einheitlich zusammen-
zufassen. Unser ganzes wissenschaftliches Streben geht ja darauf hinaus, die zahllosen
empirischen Einzeldinge einheitlich zusammenzufassen. Wir suchen nach einem Band,
das in den Dingen selbst begründet alle solche Einzeldinge zusanmmenhält. Wo aber
in der Natur selbst ein solches Band nicht zu finden ist, da tragen wir selbst ein
derartiges Band zu den Dingen hinzu, um auch dann jenem Grundtrieb des Geistes
nach einheitlicher Zusammenfassung der Einzeldinge gerecht zu werden. Eine solche
Verknüpfung der einzelnen 'Thatschen ermöglichen uns nun eben jene Gruppen -
Diagramme. Sie sind nicht durch die Beobachtung selbst gegeben, sondern construirt,
sind entworfen, um als Hülfsmittel zu einer Zusammenfassung der einzelnen empirischen
Diagramme zu einheitlichen Gruppen zu dienen. Entbehren sie somit auch der
objektiven Realität, so sind sie doch als ein Ersatz jenes fehlenden objektiven Zusammen-
hanges immerhin von hohem wissenschaftlichen Werthe. —
Me, -
Ausser den theoretischen Diagrammen, von denen bisher die Rede gewesen ist,
lassen sich nun noch zahlreiche andere entwerfen. Es ward bisher stets die Bedingung
festgehalten, jenen Gruppendiagrammen eine solche Beschaffenheit zu geben, dass
daraus sämmtliche Einzeldiagramme in möglichst einfacher Weise abgeleitet werden
können. Diese beschränkende Bedingung der Aufgabe kann man weglassen und
einfach Diagramme construiren, aus denen die Einzeldiagramme durch irgend welche
Veränderungen herzuleiten sind. Damit wächst natürlich die Zahl der möglichen
theoretischen Gruppen-Diagramme ins Unendliche. Allein je complieirter die Ableitung
der Einzeldiagramme von einem solchen Gruppendiagramm wird, desto weniger wird
dasselbe dem oben besprochenen eigentlichen Zwecke der Aufstellung solcher
Diagramme entsprechen, desto werthloser wird es damit werden, um zuletzt zur
blossen Spielerei herabzusinken. Als „wissenschaftlich werthvoll werden allein jene
Gruppendiagramme anzuerkennen sein, die in möglichst einfacher Weise die
Ableitung der Einzeldiagramme gestatten, und das sind stets diejenigen, welche sich
möglichst enge an die Gestaltung dieser Einzeldiagramme selbst anschliessen.
Eine Art solcher Gruppen-Diagramme, die ohne Festhalten jener beschränken-
den Bedingung construirt sind, mag übrigens noch in Kürze hier erwähnt werden,
da sie vielfach ausgeführt worden ist. Man hat häufig das theoretische Diagramm
einer einzelnen Art so entworfen, dass sich davon zugleich noch eine grössere Anzahl
anderer Artdiagramme, oder auch sämmtliche übrigen Artdiagramme derselben Familie
in einfacher Weise ableiten lassen, während die einfache Zusammenfassung der
empirischen Einzeldiagramme zu einer einfacheren Form des theoretischen Artdiagramms
hingeführt hätte. Beachtet man das beobachtete Verfahren genauer, so zeigt sich,
dass man hier eben ein theoretisches Familiendiagramm construirt hat, mit Ueber-
springung des nächstliegenden Artdiagramms, das man construiren wollte. Als
Familiendiagramm mag ein solches Diagramm alsdann sehr zweckmässig zu nennen
sein, als Artdiagramm aber ist es entschieden unzweckmässig und ebenso wie alle
jene theoretischen Diagramme, die eine möglichst einfache Ableitung der Einzel-
diagramme ausser Acht lassen, wenig werthvoll. —
Weiterhin wird sich die Zahl der möglichen theoretischen Diagramme noch
als beträchtlich grösser darstellen, wenn man berücksichtigt, dass die ganze vorstehende
Erörterung ausschliesslich auf solche empirische Einzeldiagramme gegründet wurde,
die allein Zahl und Anordnung der einzelnen Theile der entwickelten Blüthe berück-
2.
sichtigen. Der empirischen Diagramme lassen sich aber, wie wir gesehen haben,
ausserdem noch mehrere verschiedene Arten aufstellen. Alle diese verschiedenartigen
empirischen Diagramme lassen nun wieder die Aufstellung besonderer theoretischer
Gruppen-Diagramme der besprochenen”Art zu. Von allen diesen gilt dann wieder
ganz dasselbe, was zuvor von der einen, eingehender besprochenen Art solcher theore-
tischer Diagramme gesagt worden ist. — Welche von all diesen möglichen Diagrammen
übrigens thatsächlich aufgestellt werden sollen, darüber kann allein die praktische
Brauchbarkeit und Nützlichkeit entscheiden. —
Allein auch damit ist die Anzahl der theoretischen Diagramme noch keines-
wegs erschöpft. Die empirischen Einzeldiagramme haben, wie wir gesehen haben,
so lange sie wirklich rein empirisch bleiben wollen, all und jede Anwendung der
Metamorphosenlehre zu vermeiden. Im rein ‚empirischen Diagramm ist nur Raum
tür Staubgefässe, Pistille u. s. w., nicht für Staubblätter, Fruchtblätter u. s. w. Die
vergleichende Betrachtung der gesammten Welt der Blüthenpflanzen hat nun aber
zu der Anschauungsweise geführt, alle einzelnen Blüthentheile aufzufassen als einzelne
Phyllome oder Verwachsungs- resp. Theilungsprodukte von Phyllomen. Diese ganze
Anschauungsweise, mag nun ihre objektive Berechtigung sein, welche sie wolle, geht
jedenfalls aus von der Vergleichung der ganzen Masse der Blüthenpflanzen. Bringt
man also diese Anschauungsweise zu einem einzelnen Pflanzentheil, einer einzelnen
Blüthe hinzu, so betrachtet man dieselbe stets mit Rücksicht auf alle übrigen Blüthen-
pflanzen; eine unbewusste vergleichende Betrachtung der übrigen Blüthenpflanzen
findet dabei stets gleichzeitig statt. Und ebenso, trägt man diese Anschauungsweise
in das Diagramm eimer Einzelblüthe hinein, so hört dieses Diagramm damit sofort
auf, .ein rein empirisches zu sein, einfach die einzelnen Thatsachen als solche wieder-
zugeben. Es wird vielmehr sofort zu einem theoretischen Diagramm, einem Diagramm
der Einzelblüthe, das unter Berücksichtigung aller übrigen Blüthenpflanzen construirt
ist, das die Einzelblüthe schildert, so wie sie im Lichte eimer alle Blüthenpflanzen
umfassenden theoretischen Anschauungsweise erscheint.
So kann jedes einzelne der zahlreichen verschiedenen empirischen Einzel-
diagramme, die wir zuvor unterschieden haben, durch Hineintragen der Metamor-
phosenlehre zu einem theoretischen Einzeldiagramm werden. Und aus diesen theore-
tischen Einzeldiagrammen können dann wieder Gruppendiagramme construirt werden
ganz in derselben Weise, wie dies oben besprochen worden ist. Solche Gruppen-,
ar
diagramme unterscheiden sich von den oben besprochenen dann allein dadurch, dass
in diesen letzteren nur von Staubgefässen, Pistillen u. s. w. die Rede ist, jene aber
im Geiste der Metamorphosenlehre Staubblätter, Fruchtblätter u. s. w. mit ihren
Theilungen und Verwachsungen unterscheiden, —
Man sieht, die Zahl der möglichen Diagramme ist eine ausserordentlich grosse.
Sie sämmtlich aber lassen sich in zwei Gruppen scheiden. Entweder gibt das Dia-
gramm die objektiven Thatsachen allein in kurzem Ausdrucke wieder: wir nannten
es dann ein empirisches; ein solches empirisches Diagramm aber kann stets nur ‘
eine einzelne Blüthe allein berücksichtigen. Oder aber das Diagramm berücksichtigt
gleichzeitig zwei oder mehrere und selbst sämmtliche Blüthen aller Blüthenpflanzen:
wir nennen es dann ein theoretisches, mag seine Gestaltung im Einzelnen sein, welche
es wolle, mag es ausschliesslich die vorhandenen Theile einer gegebenen Einzelblüthe
aufzählen, dieselben aber im Lichte einer umfassenden Blüthenmorphologie deuten,
oder mag es ein construirtes Schema darstellen, das ausser der gegebenen Einzelblüthe
auch noch andere Blüthengestalten abzuleiten gestattet.
Die vorstehende Darstellung hat eine grosse Reihe verschiedener Arten von
Blüthendiagrammen aufgezählt, die im gegebenen Falle stets sorgfältig unterschieden
werden müssen. Die morphologische Litteratur hat aber thatsächlich bisher den
Unterschied der verschiedenen Arten von Diagrammen nur wenig beachtet. Da ist
es denn ganz natürlich, dass die Ansichten und Meinungen der Morphologen vielfach
sehr weit auseinandergehen.
Man unterscheidet wohl auch zwischen emipirischem und theoretischem Dia-
gramm. Das erstere soll nach Eichler‘) „die äussere Erscheinung der Blüthe ohne
Erklärungsversuch“ wiedergeben, das letztere dagegen „zugleich die Erklärung“ der
betreftenden Blüthengestalt enthalten d. h. diese Blüthengestalt mit den sonst bekannten
Blüthengestalten „zusammenreimen“. Diese Definitionen aber bedürfen selbst noch einer
genaueren Erörterung und näheren Erklärung. i
Wenden wir uns deshalb lieber den aufgestellten Diagrammen selbst zu, mögen
sie als empirische oder als theoretische bezeichnet werden, um zu sehen, welchen unter
den oben unterschiedenen Arten von Diagrammen sie entsprechen.
1) Eichler, Blüthendiagramme p.2, Vgl. auchSachs, Lehrbuch der Botanik. 4te Aufl, p. 578.
ne er
Da müssen wir nun zunächst hervorheben, dass weitaus die grosse Mehrzahl
dieser Diagramme theoretische Diagramme darstellt. In fast allen Diagrammen wird
die Metamorphosenlehre vorausgesetzt, fast sämmtliche sg. empirischen Diagramme
reden von Staubblättern, Fruchtblättern u.s. w. Nur vereinzelte Diagramme können
wirklich als einfache abgekürzte Schilderungen der nackten Thatsachen bezeichnet
werden ohne alle Einmischung theoretischer Spekulationen. Diese auch in unserem
Sinne wirklich empirischen Diagramme unterscheiden aber fast niemals die verschie-
denen Gesichtspunkte, nach denen sie entworfen sind, ob sie ausschliesslich die Zahl
und Anordnungsweise der Theile einer entwickelten Blüthe wiedergeben sollen, oder
ob sie die Thatsachen der Entwicklungsgeschichte berücksichtigen sollen, oder was
sonst das Diagramm in abgekürzter Form darstellen soll. Man geht eben fast allgemein
von der Ansicht aus, dass es nur ein einziges empirisches Diagramm einer jeden
Blüthe geben könne, und vergisst dabei gänzlich, dass das Blüthendiagramm seiner
Definition nach ja nur eine abgekürzte, vereinfachte Beschreibung einer Blüthe unter
ausschliesslicher Berücksichtigung eines bestimmten willkürlich herausgegriffenen
Theiles der T'hhatsachen darstellt. Solcher Theile der Thatsachen aber kann man ja
sehr verschiedene herausgreifen und somit sehr verschiedenartige Diagramme entwer-
ten. Ein einziges empirisches Diagramm einer Einzelblüthe, dem ausschliesslich
objektive Wahrheit zukäme, kann es somit gar nicht geben.
Die grosse Mehrzahl der sg. empirischen Diagramme aber setzt, wie schon
erwähnt, die Metamorphosenlehre voraus. Die Anschauungsweise, die in allen Blüthen-
theilen metamorphosirte Phyllome sieht, liegt fast allen sg. empirischen, ebenso wie
allen sg. theoretischen Diagrammen zu Grunde. Sie sind somit sämmtlich ohne
Unterschied nicht empirische, sondern theoretische Einzeldiagramme nach unserer
obigen Unterscheidung.
Die sg. theoretischen Diagramme aber müssen wir nach unserer obigen
Darstellung als theoretische Gruppendiagramme bezeichnen. Sie sind sämmtlich so
construirt, dass von denselben mehrere Einzeldiagramme abgeleitet werden können.
Jene Vorschrift, die wir für solche Gruppendiagramme in den Vordergrund stellten,
dass dieselben sich möglichst enge den Einzeldiagrammen anschliessen sollten, um
dadurch eine möglichst einfache Ableitung sämmtlicher Einzeldiagramme zu ermög-
lichen, diese Vorschritt ist bald mehr bald weniger befolgt. Man hat sich vielfach
mit der Aufstellung von Familiendiagrammen beschäftigt; und diese Familiendia-
De a
gramme berücksichtigen thatsächlich jene Vorschrift meist sorgfältig, wenn auch ohne
die direkt ausgesprochene Absicht dazu. Dagegen sind die aufgestellten Gattungs-
und Artdiagramme meist ganz ohne Rücksicht auf jene Vorschrift entworfen worden.
Sie stellen vielmehr fast stets Diagramme dar, die keineswegs ausschliesslich den
betreffenden Einzeldiagrammen sich enge anschliessen, sondern vielmehr gleichzeitig
noch die Gestaltung der verwandten Bliüthengestalten berücksichtigen. Es sind das
eben meistentheils Gruppendiagramme jener Art, die oben näher besprochen worden
ist, Diagramme, die als Gattungs- resp. Ärtdiagramme sehr unzweckmässig genannt
werden müssen, vielfach aber sehr zweckmässig sein würden, wenn man sie als das
hinstellte, was sie ihrer Ableitungsweise nach wirklich sind, nämlich als Familien-
resp. Gattungsdiagramme. —
Alle diese sg. theoretischen Diagramme sind nun, wie sich bei genauer
Prütung leicht herausstellt, thatsächlich stets so gewonnen worden, wie unsere obige
Regel zur Aufstellung theoretischer Gruppendiagramme vorschreibt, nämlich durch
einfache schematisirende Construktion. Die Ansicht ihrer Autören über ihren Ursprung
und im Zusammenhange damit auch über ihren wissenschaftlichen Werth ist aber eine ganz
andere. Nach unserer Darstellung sind jene Gruppendiagramme nichts weiter als
theoretische Construktionen von grossem praktischem Werthe. Die ıneisten Blüthen-
morphologen aber werden diesem Urtheil über jene Gruppendiagramme oder, um die
meist besprochene Art derselben hervorzuheben, über die Familiendiagramme keines-
wegs beistimmen. Ihnen besitzen dies® Diagramme objektive Realität. Nach ihrer
Ansicht kann über die Wahrheit oder Richtigkeit eines solchen Familiendiagramms
eine Erörterung stattfinden, während nach unserer Darstellung nur die Zweckmässig-
keit oder Unzweckmässigkeit eines einzelnen derartigen Diagramms in Frage
kommen kann.
Die objektive Realität, die man diesen Familiendiagrammen zugetheilt hat,
ist übrigens zu verschiedenen Zeiten eine ganz verschiedene gewesen. Die ältere
Anschauung sah in einem solchen Familiendiagramme den gemeinsamen Bauplan,
der allen Bliithenformen derselben Familie zu Grunde lag. Die grosse Ueberein-
stimmung aller Blüthengestalten einer und derselben Familie legt den Gedanken sehr
nahe, dass die Gesammt-Constellation der Kräfte, welche die Gestaltung der Blüthen
bedingen, bei den verschiedenen Pflanzen derselben Familie eine ziemlich überein-
stimmende sein müsse. Daraus machte man eine allgemein iübereinstimmende
Abh. d. naturf. Ges. zu Halle. Bd. XIV, 7
Be,
Beschaffenheit dieser Kräfte, die nur durch secundäre Ursachen in den einzelnen
Fällen modifieirt würde. Ohne solche secundäre Einwirkungen musste dieser Ansicht
nach jene Kräfte-Constellation überall zu einer und derselben Blüthengestalt hin-
führen. Diese sg. typische Blüthengestalt sollte nun durch das Familiendiagramm
wiedergegeben werden; dasselbe sollte gewissermassen den ursprünglichen Bauplan
aller jener Blüthen skizziren, den Bauplan, der in den einzelnen Blüthengestalten mehr
oder weniger modificirt zu Tage trat. Diesem Bauplan aber schrieb man dann
objektive Realität zu, ohne klarer festzustellen, wie diese überhaupt zu denken sei.
Es ging eben mit diesem gemeinsamen Bauplan aller Blüthen derselben Familie
wie mit so vielen anderen Begriffen in jenen ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts.
Metaphysische Begriffe wurden unterschiedslos mit physikalischen durcheinander-
geworfen, metaphysische Realität mit der physikalischen vermengt und in gleicher
Weise wie diese für objektiv ausgegeben. — Zu den Produkten dieser Vermengung
exakter Naturforschung und metaphysischer Begriffsdichtung gehört auch der Begriff des
objektiv realen gemeinsamen Bauplans aller Blüthen derselben Familie, ein Bauplan,
der eben in dem Familiendiagramm zum Ausdruck gebracht werden sollte.
Als die Hochfluth dieser romantischen Zeit der organischen Naturwissenschaften
allmählich sich verlief und man allmählich wieder das Bedürfniss fühlte, in der
Naturwissenschaft mit klaren Begriffen zu rechnen, musste auch jener mystische
gemeinsame Blüthenbauplan fallen oder doch eine andere Deutung annehmen. Man
ersann nunmehr die Hypothese, dass die erste Anlage aller Blüthen derselben Familie
in ganz gleicher Weise erfolge, eben in der Weise, die das Familiendiagramm angab,
während allein nachträgliche Variationen der Gestaltung die verschiedenen Formen
der fertigen Einzelblüthen zur Folge hätten. Diese Hypothese war völlig klar gedacht
und als solche durchaus zulässig, Nur hätte man verlangen sollen, dass ihre Autoren
möglichst bald zum Beweise derselben schritten. Statt dessen galt ihnen diese Hypo-
these, einmal aufgestellt, an sich schon als durchaus wahr und zweifellos. Die Unter-
suchung der Blüthenentwicklung, die allmählich bearbeitet ward, vermochte, soweit die
ersten Anlagen der Blüthentheile in Gestalt von Höckern hervortraten, jene Hypothese
nicht zu bestätigen. Allein die Hypothese, die sich somit auf gar keine thatsächlichen
Momente zu stützen vermochte, liess sich gleichwohl nicht erschüttern. Man verlangte
eine genauere Untersuchung der ersten Anlage der einzelnen Blüthentheile bis zu
den ersten Stadien zurück, die bis dahin der Forschung noch gänzlich unzugänglich
regt
waren, hielt aber bis zu einer Widerlegung durch derartige Untersuchungen jene
Hypothese unerschütterlich als feststehende Thatsache fest. Und doch verlangt
ja umgekehrt die Methodik einer jeden wissenschaftlichen Forschung den Beweis
einer aufgestellten Hypothese, nicht ihre Widerlegung. Vor allem aber darf niemals
eine unbewiesene Hypothese mit dem Anspruch auftreten, allgemein als wahr anerkannt
zu werden, so lange’ sie nicht widerlegt sei. Die genannte Hypothese aber hat auch
eine genauere Untersuchung der Blüthenentwicklung bis auf die ersten Zelltheilungen
hin nicht zu bestätigen vermocht.
Ob damit nun jene Hypothese einer objektiven Realität des Familiendiagramms
sich als widerlegt anerkennt, das lässt sich zur Zeit nur schwer entscheiden. Ihr
bliebe ja in Consequenz ihres früheren Verfahrens innmer noch die Ausflucht offen, dass
die erste Anlage der einzelnen Blüthentheile in der That stets jenem Familiendiagramm
entsprechend erfolge, allein jene secundären Variationen der Gestaltung schon vor
dem ersten Auftreten der ersten sichtbaren Zelltheilungen ihren Anfang nähmen.
Unter dieser Annahme wäre ja jene hypothetische objektive Realität des Familien-
diagramms immerhin noch unanfechtbar und gerettet. Allein in letzter Zeit hat diese
Hypothese, so weit mir bekannt, in der Litteratur keinen Vertreter mehr gefunden.
Doch selbst wenn dieselbe auch jetzt noch hier oder da Anhänger zählen sollte, so
würde sie doch, wie schon erwähnt, als gänzlich grundlose Hypothese keiner eingehen-
deren Widerlegung bedürten, so lange nicht wenigstens der Versuch zu einer objektiven
Begründung derselben gemacht ist.
Um so zahlreichere Anhänger aber zählt heutigen Tages eine andere Hypo-
these über die objektive Realität des Familiendiagramms. Seitdem durch Darwin’s
Werke die fast vergessene Idee einer gemeinsamen Abstammung und Blutsverwandt-
schaft der organischen Wesen wieder hervorgezogen und zu fast allgemeiner Anerken-
nung gelangt ist, hat sich mehr und mehr die Anschauung Bahn gebrochen, dass
alle Species einer einzelnen Familie des natürlichen Systemes der Organismen von
einer einzelnen Stammform herstammen, dass erst im Laufe der Zeit in dieser Nach-
kommenschaft ein und derselben Stammform Gestaltungsunterschiede anfgetreten seien.
Diese Anschauungsweise ist zwar auch für die übrigen mehr oder weniger umfassen-
den Abtheilungen des Systems geltend gemacht worden, allein durchaus nicht mit
der gleichen allgemeinen Zustimmung der Autoren. Für die Familien des natürlichen
=
4
Denn;
Systemes der Blüthenpflanzen aber hat sie ganz allgemeine Anerkennung gefunden.
In jenen alten Familiendiagrammen besass man nun seit langem solche Blüthengestalten,
aus denen alle einzelnen differenten Blüthentormen, die innerhalb der Familie auf-
traten, sich leicht ableiten liessen. Da lag es denn sehr nahe, jener gedachten
Stammform der Familie eine Bliüthe zuzuschreiben, die in ihrem Bau ganz dem
Familiendiagramm entsprach. Man gewann dadurch zugleich für jene hypothetische
Stammform aller jetzt lebenden Blüther eine bestimmte greifbare Gestalt und konnte
zugleich dem Blüthendiagramm, dessen objektive Realität doch immerhin manchem
Autor bis dahin nicht so recht fest begründet erschien, eine bestimmte klar vorstell-
bare Realität verschaffen. So erklärt man denn jetzt allgemein das Familiendiagramm
für das empirische Diagramm jener Stammblüthe der ganzen Familie. Und aus
dieser sollen dann alle einzelnen Blüthen in derselben Weise sich hervorgebildet
haben, wie man aus jenem Familiendiagramm die einzelnen Diagramme ableitete.
Durch diese Deutung erhält allerdings das Familiendiagramm eine objektive
Realität und hört auf, eine einfache Uonstruktion, eine einfache schematische Formel
zu sein. Allein leider ist jene Realität des Familiendiagramms eine prähistorische
und gänzlich dem Gebiete der schrankenlosesten Willkür anheimgegeben.
Zunächst nämlich ist jene Annahme, dass alle Glieder derselben Familie des
natürlichen Systems von emer und derselben Stammform herstammen, eine durchaus
willkürliche, selbst wenn man sich vollständig auf den Boden der Descendenz-
theorie stellt.) Ein monophyletischer Ursprung einer einzelnen Familie ist ganz
ebenso denkbar wie ein polyphyletischer und ist an sich um nichts mehr wahrschein-
lich als dieser. Die Annahme eines monophyletischen Ursprungs mag allerdings
dem menschlichen Geiste einfacher und deshalb plausibeler erscheinen. Allein objektiv
wird dadurch doch derselbe um nichts wahrscheinlicher. Die Annahme eines solchen
monophyletischen Ursprungs einer einzelnen bestimmten Familie ist somit stets eine
ganz und gar willkürliche. Noch viel mehr aber muss die Armahme, dass allen
Familien der Blüthenpflanzen in gleicher. Weise ein solcher Ursprung zukomme,
als eine durchaus willkürliche bezeichnet werden. — In Wirklichkeit mag in
manchen Fällen ein solcher monophyletischer Ursprung stattgefunden haben, in
1) Vgl. auch A. Braun, Die Frage nach der Gymnospermie der Cycadeen (Monatsberichte der
Berliner Akademie, April 1875. p. 217—249.).
Zur
anderen wird er nicht erfolgt sein: jedenfalls aber fehlt uns in jedem einzelnen Falle
all und jeder Anhalt zu einer Entscheidung. ')
Mag aber auch einmal ein solcher monophyletischer Ursprung einer einzelnen
Familie angenommen werden, so fehlt doch stets all und jedes Mittel, festzustellen,
welche Gestaltung denn jener Stammblüthe der ganzen Familie eigen gewesen ist.
Dass jene Stammblüthe dem aufgestellten Familiendiagramm entsprochen habe, das ist
eine ganz willkürliche Annahme. Mit ganz derselben Berechtigung kann man zahl-
reiche andere Blüthendiagramme als das Diagramm jener Stammblüthe hinstellen.
Von Beweis ist hier eben ganz und gar nicht die Rede, und ebensowenig von Wahr-
scheinlichkeit; nur allein die subjektive Willkür ist hier bestimmend, und diese allein
kann jenes Familiendiagramm zum Diagramm der Stammbiüthe der ganzen Familie
machen.
Endlich liegt auch darin noch eine durchaus willkürliche Annahme, dass man
voraussetzt, alle jene Nachkommen derselben Stammform hätten sich in der einfach-
sten Weise und auf dem kürzesten Wege aus dieser Stammform hervorgebildet. Auch
für diese Annahme fehlt durchaus jeder objektive Anhalt. Möglich ist es, dass in dieser
Weise die jetzt lebenden Einzelgestalten entstanden sind; ebenso möglich und wahr-
scheinlich aber ist es auch, dass der fortgesetzte Gestaltungsprozess die mannigfaltig-
sten Umwege eingeschlagen hat, bis er zuletzt die jetzt lebenden Gestalten zu Tage
förderte. Wie dem aber auch gewesen sein mag, jedenfalls bleibt die Annahme, dass
jene Veränderung der Gestalt der Stammform in der denkbar einfachsten Weise erfolgt
sei, conform den Veränderungen, durch welche auf dem kürzesten Wege aus dem
Familiendiagramm die Einzeldiagramme hergeleitet werden, jedentalls bleibt diese
Annahme eine ganz und gar willkürliche.
So sehen wir denn die ganze Anschauungsweise, die den Familiendiagrammen
eine prähistorische objektive Realität beilegt, nach jeder Richtung hin vollständig in
1) Es ist eine ganz allgemeine Voraussetzung aller phylogenetischen Spekulationen und Theorien,
dass der Grad der Blutsverwandtschaft zweier Organismen genau congruent sei dem Grade ihrer Aehnlich-
keit. Diese Voraussetzung liegt stillschweigend allen phylogenetischen Theorien zu Grunde, ja muss als
das Grundprinzip aller Phylogenetik betrachtet werden. Und doch ist dieser Satz, dessen nothwendige
Folge der monophyletische Ursprung der einzelnen Thier- und Pflanzenfamilien sein würde, noch von
keinem Phylogenetiker bewiesen worden. In Wirklichkeit aber ist derselbe nichts anderes als eine ganz
willkürliche Annahme, die von vornherein schon sehr zweifelhaft erscheinen muss, bei genauer Beob-
achtung der Thatsachen aber leicht als falsch nachgewiesen werden kann.
ee -
der Luft schweben. Sie gehört ganz und gar dem Gebiete willkürlicher Hypo-
thesen an, einem Gebiete, das der empirischen Beobachtung gänzlich unzugänglich ist.
Wollen wir auf dem Boden einer exakten wissenschaft!ichen Forschung stehen bleiben,
so müssen wir deshalb diese ganze Anschauungsweise zur Seite lassen, so schön
und verführerisch sie in der That auch sein mag.
Wir müssen überhaupt jene Formeln, für welche sich somit in keiner Weise
eine bestimmte objektive Realität ausfindig machen lässt, einfach als das gelten
lassen, was sie ihrer Entstehung nach sind, als rein schematisirende Construktionen,
als construirte Formeln ohne alle objektive Realität.')
Doch bleibt es darum dem poetischen Sinne des einzelnen Forschers immerhin
unbenommen, sich jene abstrakten Formeln durch poetische Ausdeutung zu beleben
und jener Anschauungsweise entsprechend in diesen Familiendiagrammen die Blüthen
der Stammpflanzen der einzelnen Familien zu erblicken, wofern nur die wahre
Bedeutung dieser Formeln nicht mit der subjektiven Ausdeutung derselben verwech-
selt wird. Die wahre Bedeutung dieser Formeln aber liegt in ihrer Eigenschaft als
schematische Uonstruktionen. Objektive Realität besitzen sie nicht. Von thatsäch-
licher Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit derselben kann ebenso wenig die Rede sein,
wie von einem Beweis oder einer Widerlegung derselben. —
In Wirklichkeit aber hat man vielfach versucht, die Richtigkeit oder Unrichtig-
keit solcher Diagramme nachzuweisen. Die morphologische Litteratur ist reich an
derartigen Erörterungen über das Diagramm dieser oder jener Familie, und nament-
lich hat das Diagramm derjenigen Familie, von deren Besprechung wir ausgegangen
sind, das Diagramm der Crueiferen, zu zahlreichen Erörterungen Anlass gegeben.
Von der grossen Mehrzahl all dieser Abhandlungen über Familiendiagramme muss
!) Eine vielfach verbreitete andere Anschauungsweise spricht sich in einer Aeusserung Cela-
kovsky’s deutlich aus. Derselbe sagt (Vergleichende Darstellung der Placenten. 1876. p. 69): „Wie
wäre es aber möglich, den Vergleich mit solcher relativen Sicherheit und objektiven Wahrheit anzuwen-
den, wenn nicht wirklich ein morphologischer Grundtypus alle die anscheinend so verschiedenen
Formen beherrschte und zu einer schönen Einheit verknüpfte?“ — Aus der Thatsache, dass zahlreiche ver-
schiedene Einzelformen auf ein einzelnes Schema, einen einzelnen morphologischen Grundtypus in Gedan-
ken sich zurückführen lassen, schliesst man auf die objektive Realität dieses Grundtypus: ein durchaus
unberechtigter Schluss. Möglich ist es, dass einmal einem solehen Grundtypus objektive Realität zukommt:
allein ob dies der Fall ist oder nicht, darüber lässt sich aus jener Thatsache allein ganz und gar nichts folgern.
2:
aber gesagt werden, dass darin über die Bedeutung des Begriffs Familiendiagramm
durchaus keine bestimmte klare Ansicht zu finden ist. Darin nur stimmen fast alle
Autoren überein, dass eine objektive Realität des Familiendiagramms als selbst-
verständlich vorausgesetzt wird, wenn auch nur selten hervortritt, in welcher Art der
einzelne Autor diese Realität sich vorstellt. Ausserdem aber schwankt die Bedeutung
des Begriffes Diagramm fast in allen derartigen Abhandlungen hin und her. Bald
wird unter Diagramm das empirische Einzeldiagramm verstanden mit oder ohne
Berücksichtigung der Entwicklungsgeschichte, bald das entsprechende theoretische
Einzeldiagramm, bald das theoretische Gruppendiagranım unserer obigen Darstel-
lung, u.s.f. Alle diese verschiedenen Arten des Diagramms werden zumeist unter-
schiedslos durcheinander geworfen und verwechselt, und kann da natürlich von einer
Uebereinstimmung in den Ergebnissen solcher Deduktionen kaum die Rede sein.
In den erwähnten Erörterungen über die Gestaltung der einzelnen Familiendia-
gramme bedient man sich zum Beweise oder zur Widerlegung dieses oder jenes Dia-
grammes seit Alters wesentlich derselben Methode.') Der Vergleich einer grösseren
Anzahl einzelner Blüthengestalten galt von jeher als beweisend für die Wahrheit des
einzelnen Diagramms. In früheren Zeiten beschränkte man sich auf die vergleichende
Betrachtung der fertigen Blüthen und berücksichtigte dabei nicht allein die normalen
und abnormen Blüthen derselben Familie, sondern zog auch die Blüthengestalten
anderer mehr oder weniger nahe verwandter Familien mit in Betracht. In neuerer
Zeit, seit die Beobachtung der Blüthenentwicklung mit Erfolg betrieben worden ist,
ward auch den Ergebnissen einer vergleichenden Betrachtung der successiven Ent-
wicklungsstadien derselben Blüthe oder, wie man zu sagen pflegt, der Entwicklungs-
geschichte in den morphologischen Fragen eine entscheidende beweisende Kraft zu-
gesprochen.
Diese vergleichende Betrachtung zahlreicher Einzelgestalten ergab aber viel-
fach ein verschiedenes Resultat, je nachdem man diese oder jene Gruppe von Blüthen
1) Man hat vielfach mehrere verschiedenartige Methoden der Forschung in der vorliegenden und
in ähnlichen Fragen der vergleichenden Morphologie unterscheiden zu müssen geglaubt. Ich kann dage-
gen nur aufs entschiedenste A. Braun beistimmen, wenn er sagt (Die Frage nach der Gymnospermie der
Cyeadeen. Monatsb. d. Berliner Akad. 1875. p. 263): „Ich kann daher in den angeblich verschiedenen
Methoden der morphologischen Forschung überall nur eine erkennen, die vergleichende Methode
in ihren verschiedenen Abstufungen.‘
a ee,
berücksichtigte- Es widersprachen z. B. häufig die Resultate einer vergleichenden
Betrachtung der vergrünten Blüthen denjenigen Resultaten, die man aus der Unter-
suchung der Entwicklungsgeschichte abgeleitet hatte. So ist man denn vielfach
gezwungen gewesen, diese verschiedenen Resultate gegen einander abzuwägen, um zu
dem erstrebten richtigen Resultate zu gelangen. Und das hat naturgemäss zu zahl-
reichen Erörterungen über die Beweiskraft dieses oder jenes Momentes hingeführt.
Die morphologische Litteratur ist reich an solchen Erörterungen über die Beweis-
kraft der Entwicklungsgeschichte, die Beweiskraft der sg. abnormen Blüthen und
vor allem der vergrünten Blüthen. Die Resultate aller dieser Erörterungen aber gehen
weit aus einander. Während z. B. von der einen Seite die Entwicklungsgeschichte
als das einzige und entscheidende Beweismittel morphologischer Forschung gepriesen
wird, legt man auf der anderen Seite der Vergleichung der successiven Entwicklungs-
stadien derselben Blüthe eine sehr viel geringere Bedeutung bei als z. B. dem Vergleiche
der vergrünten Blüthen. Eine Einigung über die Beweiskraft der einzelnen Momente
ist noch gänzlich fern.
Vergleicht man aber die Beweiskraft, die thatsächlich bei der Erörterung
der einzelnen morphologischen Probleme den einzelnen Beweismitteln zuerkannt wird,
so zeigt sich, dass die Beweiskraft dieser einzelnen Momente stets ganz willkürlich
festgestellt wird. Die Entwieklungsgeschichte, die abnormen Blüthen, die Blüthen
verwandter Familien gelten bald als beweisend, bald werden sie als bedeutungslos
bei Seite gelegt, die Ergebnisse ihrer Untersuchung für trügerisch und verfälscht
erklärt. Im einzelnen Falle leitet dabei den einzelnen Autor stets sein morphologischer
Takt d. i. die Summe seiner vorgefassten Meinungen oder seine subjektive Willkür.
Ein und dasselbe Moment gilt als beweisend oder als bedeutungslos, je nachdem es
der vorgefassten Meinung entspricht oder nicht, je nachdem es im einzelnen Falle
gerade passt oder nicht.
Alle diese Rrörterungen über die Beweiskraft dieses oder jenes Momentes, die
Beweiskraft der Entwicklungsgeschichte, der vergrünten Blüthen u. s. f., sind nun sehr
einfach zu entscheiden. Es handelt sich, wie wir gesehen haben, bei der Frage der
Familiendiagramme einzig und allein um schematische Formeln, um Construktionen,
entworfen zu dem Zwecke, die zahlreichen thatsächlichen Einzelgestalten in Gedan-
ken übersichtlich zusammenzufassen, Die Gestaltung dieser schematischen Formeln
ist von vornherein ganz willkürlich, sie können in der verschiedensten Weise entwor-
i er)
fen werden. Nur allein die praktische Zweckmässigkeit kann uns bestimmen, die
einfachsten derartigen Formeln vorzuziehen und deshalb die grösstmögliche Einfach-
heit als einschränkende Bedingung für die Aufstellung der Familiendiagramme zu
fordern. Einer weiteren Bedingung sind diese Diagramme überhaupt nicht unterwor-
fen. Objektive Thatsachen, welche durch dieselben wiedergegeben werden sollten,
welchen sie deshalb entsprechen müssten, fehlen gänzlich. Von einer Wahrheit der-
selben kaun somit gar nicht die Rede sein, und infolge dessen auch nicht von einem
Beweise dieser Wahrheit. Und deshalb kann auch keinem einzigen Momente in die-
ser Frage beweisende Kraft zukommen. Weder die Entwicklungsgeschichte, noch
die abnormen Blüthen sind entscheidende Beweismittel der morphologischen Forschung;
ja es gibt hier iiberhaupt gar keine entscheidenden Beweismittel. Die Aufstellung
des Familiendiagramms wird einzig und allein geleitet und bestimmt durch die Rück-
sicht auf die möglichst grosse praktische Zweckmässigkeit, die durch eine möglichst
grosse Einfachheit der Ableitung aller einzelnen Artdiagramme gewonnen wird. Nur
insofern der Vergleich der abnormen Blüthen, der Blüthen verwandter Familien,
der Vergleich der successiven Entwicklungsstadien derselben Blüthe dazu beiträgt,
eine solche praktische Zweckmässigkeit des Familiendiagramms zu erreichen, nur
insofern kommt denselben neben dem Vergleich der entwickelten normalen Blüthen
eine bestimmte Bedeutung zu. Eine beweisende Kraft aber fehlt in der Frage
der Blüthendiagramme allen diesen Momenten gänzlich.')
1) Wenn wir somit der Entwieklungsgeschichte, den abnormen Blüthen u. s. f. alle und jede ent-
scheidende Beweiskraft in der Frage der Blüthendiagramme absprechen, so soll damit doch der hohe Werth,
den gleichwohl jene Momente in dem vorliegenden Gebiete morphologischer Forschung zumeist besitzen,
keineswegs in Abrede gestellt werden. Dieser Werth aber wird einzig und allein dadurch begründet,
dass die Aufstellung eines möglichst einfachen und zweekmässigen Familiendiagramms, aus dem in mög-
lichst einfacher Weise sämmtliche Einzeldiagramme sich ableiten lassen, oft gar nicht möglich ist olıne
Berücksichtigung jener Momente, vielfach aber durch die Rücksichtnahme auf dieselben ausserordentlich
erleichtert wird. -
Eine genauere Besprechung des Beispiels der abnormen Blüthen mag dies noch deutlicher darthun,
Die abnormen Blüthen sind für die vergleichende Morphologie thatsächlich vorhandene Einzelge-
stalten von ganz derselben Art, wie alle einzelnen normalen Blüthen. Nur ihres überwiegend häufi-
gen Vorkommens wegen werden diese letzteren als normale Blüthen jenen selteneren abnormen Blüthen
gegenübergestellt.
Abh. d. naturf. Ges. zu Halle. Bd. XIV. 8
BER ö
Von wirklich exakten Beweisen ist eben in der Lehre von den Blüthendia-
grammen überhaupt nicht die Rede. Ein dunkles Gefühl davon schwebt übrigens
auch den Blüthenmorphologen selbst vor. Das zeigt sich deutlich in der ganzen Art
und Weise, wie die einzelnen widerstreitenden Ansichten sich gegenseitig bekämpfen.
Jeder Autor schreibt sich allein „vorurtheilsfreie Betrachtung“ der Verhältnisse zu,
bekämpft die Ansicht des Gegners als „vorgefasste Meinung“, als „der Natur wider-
Sollen nun die sämmtlichen einzelnen Blüthengestalten einer Familie, wozu natürlich neben den
normalen auch die abnormen gehören, auf ein und dasselbe Blüthenschema zurückgeführt werden, so wird
man zur Entwerfung dieses Familiendiagramms zumeist ausgehen von der Betrachtung der häufigeren, sg.
normalen Blüthen. Bei dem Versuche, diese sämmtlich auf ein Schema zurückzuführen, bieten sich fast
stets verschiedene Methoden dar, die in gleicher Weise eine solche Zurückführung ermöglichen. Finden
sich nun thatsächlieh ausser den Blüthen, von deren Betrachtung man ausgegangen ist, noch andere Ge-
stalten vor, welche irgend ein Stadium aus einem jener gedachten Ableitungsprozesse wirklich verkörpert
darstellen, so wird man bei der Auswahl unter den möglichen Ableitungsweisen entschieden dieser einen
Ableitungsweise den Vorzug geben; denn sie erlaubt nicht nur die Ableitung der zunächst betrachteten
Blüthen, sondern zugleich auch noch die Ableitung jener Mittelformen, wird also sicher einfacher
und deshalb zweckmässiger sein als jede andere Ableitungsweise. Solche nützlichen Mittelformen
aber stellen gerade die sg. abnormen Blithen besonders häufig dar. Sie zeigen vielfach den Weg, den
man bei der Aufstellung eines zweckmässigen Familiendiagramms einzuschlagen hat. Und darin eben
beruht ihr Werth für die vergleichende Blüthenmorphologie. Dieser ihr Werth aber ist oft ein recht
bedeutender.
In anderen Fällen dagegen lassen die sämmtlichen normalen Blüthen einer Familie die Aufstellung
eines sehr einfachen und zweckmässigen Familiendiagrammmes zu, ohne dass eine einfache Ableitung aller
abnormen Blüthen derselben Familie davon möglich wäre. Es geschieht das namentlich, wenn solehe abnormen
Blüthen dureh bedeutendere Unterschiede von den normalen Blüthen abweichen, wie das bei den vergrün-
ten Blüthen häufig der Fall ist. Dann kann man zwar stets auch noch diese sehr abweichenden
abnormen Blüthen mit dem gemeinsamen Diagramm der übrigen Blüthen der Familie vereinigen zu einem
gemeinsamen Familiendiagramm; allein dieses Familiendiagramm verliert dann oft all und jedes charakte-
ristisches Gepräge, seine Aufstellung entbehrt dann all und jeder praktischen Nützlichkeit. In solchen Fäl-
len mag es dann nützlicher und zweckmässiger sein, von jenen bedeutend abweichenden abnormen Blüthen,
z.B. den stark vergrünten Blüthen, bei der Aufstellung des Familiendiagramms gänzlich abzusehen.
So zeigen also die abnormen Blüthen für die vergleichende Blüthenmorpholögie und speciell für
die Lehre von den Familiendiagrammen vielfach einen sehr bedeutenden Werth; bisweilen aber müssen
dieselben als gänzlich werthlos für diese Fragen bei Seite gelegt werden, da ihre Berücksichtigung den
Zweck der ganzen vergleichenden Betrachtung, praktisch nützliche Formeln zu entwerfen, durchaus illuso-
risch machen würde. Dieses letztere aber ist zumeist bei den sg. vergrünten Blüthen der Fall. —
aa
sprechend“, als „weniger logisch“ oder gar als „unlogisch“, und wie die hier benutz-
ten Ausdrücke weiter heissen mögen. Im Einzelnen das Vorurtheil oder den Wider-
spruch gegen die Logik als solchen aufzuweisen, das unterlässt jeder, denn das ist
eben nicht möglich.
Derjenige Grund aber, der zumeist benutzt wird zur angeblichen Beweisführung
einer bestimmten Anschauungsweise, ist der Nachweis, dass diese Anschauungsweise
weit einfacher sei als eine andere. Und doch kommt ja die Einfachheit einer
Anschauungsweise ganz und gar nicht in Betracht, wenn es sich um den Nachweis
der objektiven Wahrheit derselben handelt.
Gleichwohl jedoch ist, wie wir gesehen haben, bei der Beurtheilung der Familien-
diagramme in der That ganz wesentlich die Einfachheit derselben von Belang, wie
man richtig herausgefühlt hat, aber in ganz anderem Sinne, als dies angenommen
wird. Das einfachste Familiendiagramm ist eben das zweckmässigste und entspricht,
wie wir oben gesehen haben, am besten der Aufgabe, der man durch die Aufstellung
von Familiendiagrammen überhaupt gerecht werden will. —
Was bei allen Erörterungen über die Familiendiagramme vermisst wird, das
ist eine vorhergehende Aufklärung und feste Bestimmung der Grundbegriffe. Diese
Grundbegriffe erscheinen überall in ihrer Bedeutung unklar und schwankend. Eine
nothwendige Folge davon ist es, dass eine endgültige Lösung der schwebenden Fragen
unmöglich ist. In der That schwanken die Ansichten in der Lehre von den Dia-
grammen noch heute ebenso hin und her wie vor fünfzig Jahren. Dieselben Ansichten
sind oft wiederholt aufgestellt und ebenso oft angeblich widerlegt worden, ohne
jedoch von der Tagesordnung zu verschwinden. Auch der angebliche Nachweis
einer Ansicht als unlogisch hat nicht vermocht, dieselbe für alle Zeiten gänzlich zu
widerlegen. Die Methoden der Beweisführung, die man hier benutzt hat, sind eben
nicht zu einer wirklichen Beweisführung geeignet und erlauben eine ganz ebenso
bündige Beweisführung resp. Widerlegung der einen wie der anderen von zwei
entgegenstehenden Anschauungsweisen.
Ein vortreffliches Beispiel dazu bietet uns die alte Streitfrage über das Dia-
gramm der Cruciferen. Die Litteratur über diese Frage ist sehr umfangreich. Kaum
ein einziges Moment ist hier aufzufinden, das nicht von der einen Seite zum Beweise
der einen Blüthentheorie, von der anderen Seite zum Beweise der entgegengesetzten
benutzt worden wäre. Unsere ganze obige Darstellung des ersten Abschnittes hat
8*
auch gradezu den Zweck, an einem ausführlich durchgeführten Beispiele zu zeigen,
wie auf dem bisherigen Boden der Blüthenmorphologie und mit den bisherigen
Beweismitteln derselben zu keinem bestimmten Resultate zu gelangen ist. Alle
Methoden sind hier zweischneidig, keine definitiv beweisend, keine definitiv widerlegend.
Der Grund davon liegt, wie gesagt, einzig und allein daran, dass es an einer
genügenden Klarheit und Bestimmtheit der Grundbegriffe durchaus fehlt.
Die obige Darstellung hat versucht, diese Lücke auszufüllen.
Eine andere Bedeutung des Begriffs Familiendiagramm als die angegebene
aber war nicht aufzufinden. Diese Bedeutung mag man als unzweckmässig verwerfen,
allein klar und bestimmt ist sie jedenfalls und entrückt diesen Begrift vollständig
sowohl dem Bereiche mystisch dunkler Spekulation und metaphysischer Begriffs-
romantik, als auch dem Bereiche der modernen schrankenlosen Hypothesendichtung,
worin er bisher seine Stelle gefunden hatte.
Das Familiendiagramm erscheint darnach als eine schematische Construktion,
entworfen, um eine Menge von Einzelgestalten in einheitlichem Ueberblick zusammen-
zufassen und so zu bewältigen, als eine schematische Formel ohne alle objektive Realität.
II.
Die Lehre von der Metamorphose der Pflanzen.
Die vorstehende Besprechung der verschiedenen Arten von Diagrammen, die
unterschieden werden können, hat auch in Kürze das Grundgesetz der gesammten
vergleichenden Morphologie der Phanerogamen berührt, ohne jedoch dessen objektive
Bedeutung genauer zu erörtern. Es ward nur erwähnt, dass dieses Grundgesetz, der
Satz von der Metamorphose der Blüthenpflanze, nicht in den Thatsachen selbst
unmittelbar gegeben, sondern durch vergleichende Betrachtung derselben gewonnen
worden sei. Dieses Grundgesetz der vergleichenden Morphologie wird aber, wie
wir gesehen haben, durchweg den Blüthen-Diagrammen zu Grunde gelegt, mögen
dieselben Einzeldiagramme oder Gruppendiagramme darstellen.
Dies mag es rechtfertigen, wenn wir hier im Anschluss an die vorstehende
Erörterung über das Diagramm noch etwas näher auf diese Lehre eingehen, die für
die gesammte Doktrin von den Diagrammen von so grundlegender Bedeutung ist.
Es gilt, hier die erwähnte Auffassungsweise dieser Lehre etwas ausführlicher darzulegen
und in Kürze zu begründen. —
Man kann jenem Grundgesetze der vergleichenden Morphologie der Phanero-
gamen einfach die Fassung geben, dass alle Theile der sämmtlichen Blüthenpflanzen
entweder Wurzeln oder Caulome oder Phyllome oder Trichome oder (um auch diese
zuletzt aufgestellte Kategorie nicht zu übergehen) Emergenzen') in verschiedenartiger
specieller Ausbildung darstellen.
Dieses Grundgesetz, das ja eine Geltung a priori unmöglich in Anspruch
nehmen kann, setzt unbedingt eine Ableitung aus der Erfahrung, aus vergleichender
1) Es ist für unsere folgende Betrachtung ganz gleichgültig, ob wir diese fünf Kategorien aufstellen
odermit A. Braun (Gymmospermie der Cycadeen. Monatsb. der Berl. Akad. 1875. p. 263 Anm.) an der
alten Trias „Wurzel, Stengel und Blatt“ festhalten oder daneben als vierte Kategorie noch Triehome unter-
scheiden wollen,
N
Betrachtung zahlreicher Einzelgestalten, der einzelnen verschiedenartigen Blüthen-
pflanzen, voraus.
In welcher Weise ist nun dieses Gesetz aus der Erfahrung abgeleitet worden ?
etwa durch einfache Induktion oder in welcher Weise sonst?
Es sei erlaubt, hier etwas weiter auszuholen.
Sind eine grosse Menge einzelner Objekte dem menschlichen Geiste dargeboten,
so macht sich ihm unwiderstehlich das Bedürfniss geltend, dieselben zu einer Einheit
zusammenzufassen, um die Fülle der differenten Einzeldinge zu bewältigen. Das
kann nun in zweifacher Weise geschehen.
Entweder führt eine Vergleichung der Einzeldinge dazu, eine Reihe gemein-
samer Merkmale in sämmtlichen einzelnen Objekten aufzufinden. Diese gemeinsamen
Merkmale bilden dann in ihrer Gesammtheit ein objektives einigendes Band, das alle
jene Einzeldinge thatsächlich und unabhängig von der willkürlichen Auffassung des
Beobachters verbindet. In solchen Fällen wird die einheitliche Zusammenfassung
der zahlreichen Einzeldinge durch diese Dinge selbst vorgezeichnet, das einigende
Band, eben die Summe der gemeinsamen Merkmale aller Einzeldinge, erscheint
objektiv, in den Thatsachen selbst begründet.
Oder aber eine Vergleichung aller jener Einzelobjekte, seien es einzelne
Gegenstände oder Einzelvorgänge, führt dazu, dieselben sämmtlich in Gedanken auf
ein einzelnes dieser Objekte ausdeutend, schematisirend zurückzuführen. Man denkt
sich die sämmtlichen Einzelobjekte als Modifikationen jenes einen, das man beliebig
herausgegriffen hat, indem man dessen Theile in den einzelnen Theilen der anderen
Einzelobjekte in bestimmt charakteristischer Weise verändert und umgestaltet wieder-
erkennt. Auch bleibt dies Verfahren ganz dasselbe, wenn man ein solches einzelnes
Objekt, auf welches man alle übrigen zurückführt, von welchem man alle übrigen
in Gedanken durch gedachte Umänderungen der einzelnen Theile ableitet, einfach
construirt als ein Produkt der Spekulation, wenn man also nicht ein einzelnes der
gegebenen Objekte zum Typus aller übrigen, wie wir dies nennen wollen, erhebt,
sondern einen solchen Typus einfach erfindet. In beiden Fällen bleibt das Verfahren
wesentlich dasselbe. Man denkt sich ebenalle gegebenen Einzelobjekte nach einem
und demselben Typus entworfen und nur secundär in der speciellen Ausgestaltung
verschieden modifieirt. — Durch ein solches Verfahren gelingt es, die gegebenen Einzel-
objekte sämmtlich unter einen gemeinsamen einheitlichen Gesichtspunkt zu bringen
und so jenen ersehnten einheitlichen Zusammenhang der verschiedenartigen Einzel-
dinge herzustellen. Allein dieser einheitliche Zusammenhang ist hier stets von aussen
hinzugebracht, rein subjektiv begründet, durch die Dinge selbst zunächst
nicht gegeben.
Bei der Aufstellung eines solchen Typus kann man übrigens in sehr verschie-
dener Weise zu Werke gehen. Am zweckmässigsten aber wird man jedenfalls dann
verfahren, wenn man den Typus so construirt, dass er sich den gegebenen Einzel-
objekten möglichst enge anschliesst, dass sich die sämmtlichen Einzelobjekte in
möglichst einfacher Weise von demselben ableiten lassen. Ja man kann auch diese
Beschaffenheit des Typus gradezu als Bedingung der ganzen Autgabe, einen solchen
Typus zu construiren, hinstellen.
Der einheitliche Zusammenhang, den die Aufstellung eines solchen Typus in
die verschiedenen Einzelobjekte bringt, ist nun zunächst der ganzen Verfahrungs-
weise zufolge ein rein subjektiver, nur im Geiste des vergleichenden Beobachters
wirklich vorhanden. Möglich ist es dabei jedoch immer, dass ganz derselbe
Zusammenhang auch in den Dingen selbst objektiv vorhanden ist. Möglich ist es,
dass in der That jener Typus allen Einzelobjekten wirklich zu Grunde liegt, iiberall nur
secundär modificirt erscheint, dass z, B. in einer Anzahl verschiedener Einzelvorgänge
in der That derselbe Vorgang, eben jener typische Vorgang, vorliegt und nur durch
secundäre Ursachen das allgemeine Gesetz im einzelnen Fall beeinträchtigt, verdunkelt
erscheint. Allein dass dies so ist, das muss in jedem einzelnen Fall erst wirklich
bewiesen werden. Es muss in jedem derartigen Fall genau bewiesen werden,
dass der Zusammenhang, in den man zunächst nur in Gedanken die Einzel-
objekte gebracht hat, in der That auch wirklich in den Dingen selbst begründet
ist, in deu Dingen selbst vorhanden ist. Ohne diesen Beweis bleibt jener Zusammen-
hang stets nur ein subjektiver, die einheitliche Zusammenfassung der Einzeldinge
stets nur eine subjektive Betrachtungsweise.
Ein solcher zunächst rein subjektiver, erdachter Zusammenhang der Einzel-
dinge, eine solche zunächst rein subjektive Betrachtungsweise kann allerdings die
für den Fortschritt der Wissenschaft höchst wichtige Bedeutung einer wissenschaftli-
chen Hypothese annehmen, wenn jener einfach erdachte Zusammenhang derart ist,
dass derselbe eventuell als objektiv wahr und thatsächlich vorhanden durch die Be-
obachtung nachgewiesen werden kann, wenn ein solcher erdachter Zusammenhang
BER Ne
der Bestätigung durch die Erfahrung wirklich zugänglich ist. So lange aber dieser
Beweis der thatsächlichen Wahrheit durch die Beobachtung noch nicht geführt ist,
bleibt doch auch jene wissenschaftliche Hypothese stets dasselbe, was sie ihrer Ent-
stehung nach ist, nämlich eine rein subjektive Zusammenfassung zahlreicher Einzel-
dinge unter eine einheitliche Idee, eine rein subjektive Betrachtungsweise. In dieser
Beziehung ist zwischen einer wissenschaftlichen Hypothese und jeder beliebigen er-
dachten Combination, der man den Rang einer wissenschaftlich zulässigen Hypo-
these nicht zuerkennt, durchaus kein Unterschied, der Zusammenhang, welcher da-
durch in die Einzeldinge gebracht wird, ist stets nur ein rein subjektiver.
In zweierlei Weise lässt sich somit durch Vergleichung von Einzelobjekten
ein einheitlicher Zusammenhang derselben gewinnen: Entweder durch einen kritisch
prüfenden Vergleich der sämmtlichen einzelnen Merkmale aller Einzelobjekte und durch
Zusammenfassung der gemeinsamen Merkmale, oder aber durch schematisirende Re-
duktion aller Einzelobjekte aut ein und dasselbe Schema.') Das erstere Verfahren er-
fordert mehr ein scharfes und logisch präcises Denken und Schliessen, das letztere
Verfahren dagegen ist mehr Sache der schaffenden Phantasie und der poetischen
Spekulation. Beide Verfahren führen zum Auffinden empirischer Gesetze; das erstere
durch reine klare Induktion zahlreicher Einzelfälle, das letztere auf indirektem Wege
dadurch, dass es öfters gelingt, den erdachten typischen Vorgang nachträglich
auch als den thatsächlich gesetzmässigen nachzuweisen, die hypothetische Annahme
durch die Beobachtung zu bestätigen. — Die Mehrzahl der bekannten naturwissen-
schaftlichen Gesetze ist thatsächlich wohl in letzterer Weise gefunden worden. —
Wenden wir uns nun jenem Grundgesetze der Morphologie der Blüthenpflanzen
zu, das aus der Betrachtung zahlloser Einzelfälle abgeleitet alle die mannigfaltigen
Einzelgestalten der Blüthenpflanzen in einen einheitlichen Zusammenhang bringt.
Welcher Art ist der Zusammenhang der Einzelgestalten, der uns durch dieses Gesetz
geboten wird?
Dies Gesetz erklärt alle Keimblätter, Niederblätter, Laubblätter, Hochblätter,
Kelchblätter, Blumenblätter, Staubgefässe — um von den Pistillen, die angeblich aus
Fruchtblättern zusammengesetzt sind, einmal ganz abzusehen — für Phyllome. Ver-
gleicht man alle genannten Theile der Blüthenpflanzen sorgfältig untereinander, so
t) Vgl. oben p. 44.
re
lässt sich kein einziges gemeinsames Merkmal derselben auffinden, das nicht auch
allen übrigen Theilen der Blüthenpflanzen, die man in die Kategorien Wurzel, Caulom,
Trichom: und Emergenz vertheilt, zukäme.
Ein ganz analoges Resultat stellt sich auch heraus, wenn man in ähnlicher
Weise sämmtliche Pflanzentheile untereinander vergleicht, die je in die Kategorien
Wurzel, Caulom, Trichom und Emergenz eingeordnet zu werden pflegen.
Die Vergleichung aller einzelnen Blüthenpflanzen und ihrer Theile unter sorg-
fältiger Berücksichtigung aller vorhandenen Merkmale und unter Feststellung der
gemeinsamen Merkmale führt keineswegs zu einer Rubrizirung aller jener Theile in
die fünf verschiedenen Kategorien Wurzeln, Caulome, Phyllome, Trichome und Emergenzen.')
1) Es ist eben nicht möglich, alle diejenigen Pflanzentheile, die man bisher als Phyllome, Cau-
lome etc. zusammengefasst hat, jeweilig durch bestimmte speeifische Merkmale scharf zu charakterisiren.
Es ist nicht möglich, für die Begriffe Phyllom, Caulom ete., so wie sie bisher in der praktischen Anwendung
benutzt worden sind, bestimmte unterscheidende Definitionen aufzufinden, eine Grenze zwischen diesen ein-
zelnen Begriffen zu bestimmen. Phyllome und Caulome u.s. w. der bisherigen Morphologie sind nicht
eigenartige Gebilde, sondern gleichwerthige Ausgliederungen desselben Pflanzenkörpers, gleichwerthige Theile
desselben Ganzen, durch zahlreiche Uebergangsformen verbunden und nur der jeweiligen physiologischen
Funktion entsprechend verschieden ausgebildet.
Diese Thatsache ist bekanntlich schon wiederholt von verschiedenen Autoren hervorgehoben worden,
z.B. von Hanstein, die Entwicklung des Keimes der Monokotylen und Dikotylen (1870) p. 91—92;
Treeul, Observations sur la nature des diverses parties de la fleur, in Comptes rendus. Tome 75 (1872).
p- 654—655; u. a.m.
Mit der Anerkennung dieser Thhatsache fallen aber sofort alle die zahlreichen morphologischen Probleme,
die zur Aufgabe haben, die morphologische Natur eines Pflanzentheiles, ob Caulom oder Phyllom u. s. w., zu
bestimmen, einfach als gegenstandslos weg.. Denn wenn zwischen jenen Begriffen keine bestimmte Grenze
vorhanden ist, so bleibt auch jeder Versuch, einen bestimmten Pflanzentheil als Phyllom oder als Caulom
u.s,w. nachzuweisen, gänzlich illusorisch. Es fallen damit zahlreiche alte Streitfragen hinweg, die viel
Kopfzerbrechen und Ueberlegen hervorgeruten haben. Es fällt damit aber auch das gesammte Gesetz der
Metamorphosenlehre einfach weg und stellt sich als unrichtig heraus. Denn wenn Uebergangsformen von
Phyllomen, Caulomen u.s.w. vorhanden sind, so ist die Behauptung, dass ein einzelner Pflanzentheil entweder
ein Phyllom oder ein Caulom u. s. w. sei, einfach unrichtig.
Allein es lässt sich, wie wir sogleich sehen werden, dieses Gesetz gleichwohl noch festhalten und
demselben ein bestimmter objektiver Inhalt unterlegen, wenn man bei der Auffassung der Begriffe Phyllom,
Caulom u. s. w. sich nicht an die Benennungen der einzelnen Pflanzentheile durch das bisherige Herkom-
men bindet.
Abh. d. ntf. Ges. zu Halle. Bd. XIV. b)
ee
Nach jener ersten Methode, die gegebenen Einzelgestalten durch einfache
Induktion in eine einheitliche Verbindung zu bringen, ist somit der einheitliche
Zusammenhang, in den dies Gesetz alle Blüthenpflanzen bringt, keineswegs zu gewin-
nen. Und in der That ist das Gesetz auch historisch keineswegs in solcher Weise
durch klare Induktion und scharfe logische Schlussfolgerung gewonnen worden.
Seinen Ursprung verdankt es vielmehr wesentlich der poetisch schaffenden
Phantasie. Ja es ist bekanntlich Niemand anders als der grösste deutsche Dichter
selbst gewesen, der das Gesetz zuerst aufgestellt hat, Niemand anders als Göthe
selbst. Ihn erdrückte die Fülle der mannigtaltig wechselnden Gestalten der Blüthen-
pflanzen, die er nicht zu bewältigen vermochte, und rastlos suchte er nach einem
einheitlichen Zusammenhange dieser Einzelformen. So tauchte allmählich das Bild
jener Urpflanze in seiner Seele auf und gewann mehr und mehr Klarheit und greif-
bare Gestalt, das Bild der typischen Pflanze, die allen noch so verschiedenartigen
Blüthenpflanzen zu Grunde lag, auf welche sich alle einfach und leicht zurückführen,
wovon sie sich einfach und leicht ableiten liessen.
Späterhin hat eine weitere Beschäftigung mit dieser Urpflanze das Bild der-
selben mehr und mehr im Einzelnen ausgearbeitet und zuletzt zu jener Formulirung
des ganzen Gesetzes der Metamorphosenlehre hingeführt, die wir oben erwähnt haben.
Seinen historisch ersten?) Ursprung aber verdankt das Gesetz der Metamorphosen-
lehre, dieses Grundgesetz der vergleichenden Morphologie der Phanerogamen, der
poetisch schaffenden Phantasie, die ganz m derselben Weise, wie oben angegeben,
einen Typus für alle Blüthenpflanzen entwarf und dadurch dieselben in einen ein-
heitlichen umfassenden Zusammenhang brachte. Ursprünglich also ist dieses ganze
Gesetz nichts weiter als eine einfache subjektive Betrachtungsweise, die in Gedanken
1) Vgl. Göthe’s eigenen Bericht: „Geschichte meines botanischen Studiums‘ in der „Morphologie‘“
und zahlreiche Stellen der „Italiänischen Reise.“ Namentlich die letzteren Stellen erläutern die Art und
Weise, wie Göthe zur Aufstellung seiner Urpflanze gelangt ist, aufs trefflichste.
2) Zuerst ausgesprochen findet sich bekanntlich die Idee der Metamorphose schon lange vor Göthe
bei Casp. Fried. Wolff. Allein diese Idee blieb völlig unbeachtet, bis Göthe dieselbe von neuem
selbstständig aufgestellt und ausgesprochen hatte. — Uebrigens ist diese Idee bei Wolft ebensowohl wie
bei Göthe ein Produkt der poetischen Spekulation und nicht, wie Schleiden geglaubt hat, das Resultat
einer methodischen Reflexion über die beobachteten Thatsachen. (Vgl. auch A. Kirchhoff, Die Idee der
Pflanzen-Metamorphose bei Wolff und bei Göthe. Berlin. 1867.)
a
alle Gestalten der Blüthenpflanzen auf ein und dasselbe erdachte Schema zurückführte ;
ein Schema, das allerdings auch der früher hervorgehobenen Bedingung, den Typus
möglichst einfach zu construiren, ganz vortrefflich gerecht wird.
Im Sinne des Autors der Urpflanze und im Sinne aller derer, die seiner Lehre
sich anschlossen, war aber dies Gesetz weit mehr als nur eine zweckmässige schema-
tisirende Betrachtungsweise. Im Sinne dieser Forscher, deren Zahl bald reissend
zunahm und allen Zweifel und Bedenken gegen die objektive Wahrheit der Lehre
erdrückte, war es ein Naturgesetz der organischen Welt, das man hier ermittelt hatte,
ein Gesetz, das sogar all und jeder Darstellung der wissenschaftlichen Botanik zu
Grunde gelegt werden musste, Und auch heutigen Tages noch sieht weitaus die
Mehrzahl der Morphologen in jener Metamorphosenlehre Göthe’s, die in Einzelpunkten
allerdings modificirt worden ist, ein wirkliches Gesetz der organischen Natur, das
Grundgesetz aller Morphologie der Blüthenpflanzen, keineswegs nur eine Construktion
einer schematisirenden vergleichenden Betrachtung.
Allein das ist jene Urpflanze ihrem ersten Ursprunge nach dennoch, und,
dürfen wir hinzusetzen, ist es auch heutigen Tages noch. Damit aus einem Typus
der schematisirenden Spekulation ein empirisches Gesetz werde, muss, wie wir gesehen
haben, der Beweis geführt werden, dass der Zusammenhang, der durch Aufstellung
jenes Typus in die Einzelobjekte gebracht wird, auch wirklich in den Dingen
selbst objektiv vorhanden sei. Dieser Beweis aber ist für die Metamor-
phosenlehre bis auf den heutigen Tag noch niemals und von Nie-
mandem!') erbracht worden. Bis auf den heutigen Tag ist vielmehr jene
Göthe’sche Urpflanze nichts anderes als eine schematische Construktion der Spekulation
ohne alle objektive Realität, ist die ganze Metamorphosenlehre nichts weiter als eine
subjektive Betrachtungsweise zur einheitlichen Zusammenfassung der mannigfaltigen
Gestalten der Blüthenpflanzen. Objektive Gültigkeit und Wahrheit besitzt diese
Lehre auch heute noch ganz und gar nicht.
Die Bedeutung, die wir hier der gesammten Metamorphosenlehre beilegen, ist
somit ganz dieselbe, wie jene, die wir oben dem theoretischen Gruppendiagramm
1) Es würde natürlich viel zu weit führen, dies hier durch Besprechung aller der zahlreichen
Versuche, die seit Göthe zu einem solehen Beweise unternommen worden sind, eingehend nachzuweisen.
Die obige Behauptung aber ist das Resultat ausgedehnter historischer Studien der morphologischen Litteratur.
9*
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zugesprochen haben. Die Analogie dieser Gruppendiagramme und der Urpflanze
geht aber noch viel weiter. Ja wir können gradezu die Göthe’sche Urpflanze als
ein derartiges Diagramm bezeichnen, das für sämmtliche Blüthenpflanzen entworfen
ist und alle Theile derselben, nicht die Blüthen allein, berücksichtigt. Diese Analogie
der Urpflanze und jener Familiendiagramme geht selbst soweit, dass man dieselben
neuerdings in ganz gleicher Weise gedeutet, denselben eine ganz gleiche Bedeutung
untergelegt hat.
Die objektive Geltung der Metamorphosenlehre erschien nämlich wohl Manchem
nicht ohne einige Bedenken, ebenso wie die objektive Realität der Familiendiagramme,
Da hat man denn neuerdings beide zu retten gesucht, indem man eine objektive
Realität der Urpflanze und der Familiendiagramme lehrte, die in prähistorischen
Zeiten stattgefunden hat. Die Familiendiagramme machte man zu Blüthendiagrammen
der Stammpflanzen der einzelnen F amilien. Die Göthe’sche Urpflanze aber machte
man zur Stammpflanze aller Blüthenpflanzen. Damit erlangte diese in der That
eine objektive Realität, allein eine rein hypothetische Realität.
Für alle jene prähistorischen Vorgänge und Gestaltungsänderungen, deren
Endprodukte uns heute in den lebenden Thier- und Pflanzenarten vorliegen, fehlt
uns all und jeder Anhalt zu einer bestimmten sicheren Behauptung. Was über diese
Vorgänge auch gelehrt werden mag, was immer über die Gestaltung der gedachten
prähistorischen Pflanzen und speciell jener Urpflanze, der Stammform aller jetzt
lebenden Blüthenpflanzen, gesagt werden mag, das entbehrt durchaus all und jeder
Begründung in den Thatsachen, das sind alles durchweg unbewiesene Behauptungen.
Ja es sind sogar alle solche Behauptungen dem exakten Beweise, der Bestätigung durch
die Beobachtung und Erfahrung ganz und gar unzugänglich, sodass jenen Theorien
auch nicht einmal der Rang von berechtigten und wissenschaftlich zulässigen Hypothesen
zuerkannt werden kann.') Essind das vielmehr sämmtlich rein willkürliche Annahmen.
1) Vgl. Wigand, Der Darwinismus und die Naturforschung Newtons und Cuviers. (1874) Basis
p- 9: „Wissenschaftlich berechtigt ist nur eine solche Hypothese, welche wirklich den Weg zu einer
Erklärung von Naturerscheinungen bahnt; — wogegen eine Hypothese, welche nicht hierzu geeignet ist,
oder welche im Widerspruch mit den Thatsachen steht, oder welche sich ein für allemal der Bestätigung
oder Widerlegung entzieht und daher ihrer Natur nach von vornherein dazu bestimmt‘ ist, für immer als
Hypothese in der Luft zu schweben, nicht den Namen einer wissenschaftlichen Hypothese, sondern höchstens
den einer Vorstellungsweise zur Befriedigung des subjectiven Bedürfnisses verdient.“
Den N On
Und so muss es auch als eine ganz und gar willkürliche und unbeweisbare Behaup-
tung bezeichnet werden, wenn man der Stammpflanze aller jetzt lebenden Blüthen-
pflanzen — vorausgesetzt dass eine solche überhaupt existirt hat — jene Gestaltung
zuschreibt, die der Göthe’schen Urpflanze entspricht, wenn man so dieser "Urpflanze
eine objektive Realität verleiht. Will man, getreu dem Grundprinzipe aller Natur-
wissenschaft, auf dem Boden exakter Forschung stehen bleiben, so wird man viel-
mehr jene Urpflanze stets nur als eine Construktion schematisirender Vergleichung
betrachten können, eine Construktion, der all und jede objektive Realität mangelt. —
Auf ganz anderem Wege als dem eben besprochenen haben einzelne Morpho-
logen versucht, dem Gesetz der Metamorphosenlehre zu objektiver Realität zu verhelten.
Man hat versucht, zunächst den einzelnen Kategorien Wurzel, Caulom, Phyllom,
Trichom und Emergenz bestimmte klare Begriffe unterzulegen und darnach alle ein-
zelnen Pflanzentheile daraufhin zu untersuchen, welcher unter jenen Kategorien die-
selben einzureihen seien. Ein solcher Versuch muss natürlich: zu dem erstrebten
Ziele hinführen, dem Gesetz der Metamorphosenlehre objektive Realität zu verschaffen,
wenn nur jene Kategorien aut einer logisch richtigen und vollständigen Eintheilung
mit klaren Definitionen beruhen. Ist dies der Fall, so müssen allerdings alle einzelnen
Theile der Blüthenpflanzen entweder Wurzeln oder Caulome oder Phyllome oder
Triehome oder Emergenzen darstellen, so wie es das Gesetz der Metamorphosenlehre
verlangt. Allein dabei fragt es sich dann, ob die Gruppirung aller Pflanzentheile,
die man durch dieses Verfahren gewinnt, irgend welche praktische Zweckmässigkeit
besitzt.
Seither sind alle derartigen Versuche, die mehrfach unternommen wurden,
noch nicht consequent und vollständig durchgeführt worden. Es hat sich vieltach
früher oder später wieder die Methode der alten schematisirenden Metamorphosenlehre
dieser klaren und exakten Forschungsweise beigemengt und ihre vollständige Dürch-
führung vereitelt. Das gilt beispielsweise von jenem Versuche Schleiden’s, dem
Begrift Phyllom eine bestimmte entwicklungsgeschichtliche Bedeutung beizulegen und
darnach dann erst zu untersuchen, welche Pflanzentheile dieser Definition zufolge
unter den Begriff Phyllom gehören Dasselbe Grundprinzip befolgt neuerdings auch
jene moderne Richtung morphologischer Forschung, die von den Gegnern so vielfach
als „topische Morphologie“ bekämpft wird, diejenige Richtung, die durch bestimmte
Stellungsmerkmale die Begriffe Phyllom und Caulom definiren und unterscheiden will.
BepeR,, | En
Diese und alle derartigen Richtungen morphologischer Forschung befolgen eine
durchaus klar bestimmte und exakte Methode und sind deshalb als durchaus berechtigt
in einer exakten Wissenschaft anzuerkennen gegenüber den unklaren Deduktionen
der alten” „vergleichenden Morphologie“.') Allein, wie gesagt, noch keiner jener
1) Die vielfachen Angriffe, die neuerdings gegen diese Riehtung morphologischer Forschung unter-
nommen worden sind, verkennen sämmtlich den Grundstandpunkt derselben. Die „topische Morphologie“,
die in den Phyllomen, Caulomen u.s. w. der bisherigen vergleichenden Morphologie ganz unklare Begriffe
ohne jeden bestimmten Inhalt vorgefunden hatte, sucht diesen Ausdrücken durch eine bestimmte Definition
eine bestimmte klare Bedeutung unterzulegen und will demgemäss mit den Ausdrücken Phyllom, Caulom u. s. w.
nichts anderes bezeichnen als eben bestimmte räumliche Verhältnisse der gegenseitigen Stellung. Wenn sie
einem bestimmten Pflanzentheile die morphologische Bedeutung eines Phylloms, Cauloms u. s. w. zuschreibt,
so will sie damit nichts anderes sagen, als dass diesem Pflanzentheile die und die
bestimmten Stellungsmerkmale zukommen, dass derselbe eben deshalb und deshalb allein
ein Phyllom, Caulom ete, genannt werden müsse. Für sie besitzen die Begriffe Phyllom, Caulom u.S.Ww.
gar keine anderen Merkmale als eben die bestimmten Merkmale der gegenseitigen räumlichen Stellung. —
Diese topische Morphologie ist somit, so lange sie sich selbst eonsequent bleibt, von der alten vergleichen-
den Morphologie, mag dieselbe in ihrem alten Gewande oder in der modernen phylogenetischen Einkleidung
erscheinen, ihrem ersten Grundprinzip nach grundverschieden, ebenso verschieden wie die künstliche und
die natürliche Methode in der Systematik.
Diese topische Morphologie stützt sich in ihren Erklärungen einzelner Pflanzentheile ausschliesslich
auf die Entwicklungsgeschichte. Man hat derselben vielfach dies zum Vorwurf gemacht und namentlich
neuerdings vielfach gegen die unvorbereitete und einseitige Handhabung der Entwicklungsgeschichte
geschrieben. Allein der Grundstandpunkt der topischen Morphologie bringt diese ausschliessliche Berück-
sichtigung der Entwicklungsgeschichte mit Nothwendigkeit mit sich. Die topische Morphologie hat ja nach
dem eben Gesagten allein die Aufgabe, die räumlichen Verhältnisse der gegenseitigen Stellung bei den
einzelnen Pflanzentheilen zu ermitteln, und diese Aufgabe lässt sich mit Sicherheit nur allein durch die
genaue Beobachtung des gesammten Entwicklungsganges der einzelnen Pflanzentheile feststellen. Die
topische Morphologie kann also ihrem Grundprinzipe zufolge gar nicht anders, als ihre Forschungsresultate
auf die Entwieklungsgeschichte allein zu stützen, für sie ist diese letztere nothwendiger Weise das einzige
entscheidende Moment, was man auch dagegen sagen mag.
Will man den Standpunkt dieser topischen Morphologie bekämpfen, so muss dies in ganz anderer
Weise geschehen, als es bisher unternommen worden ist. Gegen die wissenschaftliche Berechtigung des
Standpunktes an sich lässt sich ganz und gar nichts einwenden, so lange er selbst klar und
consequent festgehalten wird. Nur allein das kann in Frage kommen, ob diese topische Morpho-
logie zu einer zweckmässigen, praktisch nützlichen Anordnung der sämmtlichen einzelnen Pflanzengestalten
in mehrere bestimmte Kategorien hinführt. Bei jeder einzelnen Gruppirung zahlreicher Objekte in mehrere
Fr
Versuche ist bis jetzt vollständig und consequent durchgeführt worden. Und somit
ist es auch auf diesem Wege bisher noch nicht gelungen, dem Gesetze der Metamor-
phosenlehre eine objektive Realität und objektive Gültigkeit zu verschaffen.
Gleichwohl lässt sich nicht leugnen, dass die Metamorphosenlehre allgemein
in der Botanik sich eingebürgert hat, so zu sagen in Fleisch und Blut der Botaniker
übergegangen ist. Ein Versuch, diese objektiv ganz unbeweisbare Lehre aus dem
Schatze der Resultate botanischer Forschung zu verdrängen, dürfte deshalb kaum
Aussicht auf Erfolg haben und würde sicher das Schicksal mehrerer früherer derartiger
Versuche theilen. Nun denn, so mag man sich nach wie vor in der Praxis, bei der
Beschreibung der Pflanzen und in der Darstellung der Lehrbücher, dieser ganzen
Anschauungsweise und all ihrer Oonsequenzen bedienen, aber man vergesse dabei nie
ihren wirklichen objektiven Werth. Die gesammte Metamorphosenlehre ist nichts
weiter als eine subjektive Anschauungs- und Betrachtungsweise, vortrefflich geeignet,
die Gestaltenmannigfaltigkeit der Blüthenpflanzen unter einen Gesichtspunkt einheitlich
zusammenzufassen, allein ohne alle objektive Wahrheit, sie ist ein Produkt der schaf-
fenden Phantasie, ersonnen zu einheitlicher Verknüpfung zahlloser einzelner verschie-
denartiger Pflanzengestalten, nicht ein. Resultat methodischer Forschung des erken-
nenden Verstandes.
Darin allein vermag ich den Werth und die Berechtigung der gesammten
Metamorphosenlehre zu erkennen. Ihr gesammter Werth ist ein rein subjektiver.
Dieser ihr subjektiver Werth aber ist ein sehr bedeutender. Denn diese Lehre ermög-
licht uns eine einheitliche Zusammenfassung der erdrückenden Fülle von Einzelgestalten,
in der uns die Blüthenpflanzen entgegentreten. Dadurch erscheint diese Lehre von
ausserordentlicher praktischer Zweckmässigkeit und Brauchbarkeit. Allein von Wahrheit
derselben kann keine Rede sein, und ebensowenig lässt sich die Wahrheit derselben
beweisen. —
Kategorien kann man ja die praktische Zweckmässigkeit derselben prüfen und darnach diese Gruppirung
als nützlich annehmen oder als unzweckmässig verwerfen. Und so kann man auch jene Anordnung aller
Pflanzentheile in mehrere Kategorien, die allein nach den Merkmalen der räumlichen Stellung bestimmt
werden, als praktisch unzweckmässig bekämpfen. Als unrichtig dieselbe nachzuweisen, das ist aber ganz
und gar nicht möglich. — Den Versuch, diese Gruppirung aller Pflanzentheile nach der räumlichen Stellung
einfach als praktisch unzweckmässig nachzuweisen und sie deshalb zu bekämpfen, diesen Versuch hat
jedoch bisher noch keiner ihrer Gegner unternommen. Alle Angriffe richten sich vielmehr bis jetzt allein
gegen die objektive Wahrheit dieser Gruppirung, die doch in Wirklichkeit gar nicht in Frage kommen kann,
en a
Ganz dasselbe, was bisher von jenem Hauptsatze der Metamorphosenlehre gesagt
worden ist, gilt natürlich auch von allen einzelnen Lehrsätzen der vergleichenden
Morphologie, die als einzelne Anwendungen dieser Metamorphosenlehre erscheinen,
vor allem von allen jenen Lehrsätzen, die den morphologischen Werth dieses oder jenes
Pflanzentheiles bestimmen. Es handelt sich dabei stets um die Frage, ob dieser oder
jener Pflanzentheil den Werth eines Cauloms oder Phylloms u. s. w. besitze. Nach
unserer Auffassung kann, so lange jener Versuch der topischen Morphologie noch nicht
vollständig und consequent durchgeführt worden ist, eine solche Frage auf dem Boden
einer exakten Wissenschaft gar keinen anderen bestimmten Sinn besitzen als den, festzu-
stellen, auf welchen Theil der typischen Urpflanze, Caulom oder Phyllom u. s. w.,
der betreffende Pflanzentheil zweckmässiger Weise in Gedanken zurückzuführen sei.
Denn dass derselbe thatsächlich ein Caulom oder Phyllom u. s. w. darstelle,
das lässt sich gar nicht entscheiden und nicht einmal fragen, so lange scharfe und
präcise Definitionen dieser Begriffe noch vollständig fehlen. Und ob ein einzel-
ner Pflanzentheil durch allmähliche Veränderung im Laufe der Zeit aus einem Sten-
gel oder Blatt u. s. w. der prähistorischen Urpflanze hervorgegangen sei — wie man
heutigen Tages ganz allgemein die Frage nach dem morphologischen Werthe eines
Pflanzentheiles deutet!) —, das lässt sich mit Hülfe der Mittel einer exakten Forschung,
der Beobachtung und der Reflexion, ganz und gar nicht entscheiden; darauf weiss
allein die Willkür einer schrankenlosen Phantasie eine Antwort zu ertheilen.
Ob man aber einen bestimmten einzelnen Pflanzentheil schematisirend aut
einen Stengel oder ein Blatt u. s. w. der typischen Urpflanze zurückführen soll,
diese Frage zu entscheiden, ist einfach ein Problem der Zweckmässigkeit. Hier kann
von Richtigkeit oder Unrichtigkeit der einen oder der andern Ableitung gar nicht die
Rede sein. Es handelt sich hier vielmehr nur darum, ob diese oder jene Ableitung
zweckmässiger ist, dem Zwecke des ganzen Schematisirens besser entspricht.
So kann z.B. bei dem so viel besprochenen Problem des morphologischen
Werthes der Samenknospe nur allein die Frage aufgeworfen werden, ob diese oder
1) Statt zahlreicher Citate aus den neueren morphologischen Schriften sei hier nur eine Stelle aus
Celakovsky, Vergleichende Darstellung der Placenten in den Fruchtknoten der Phanerogamen (Abh. d.
böhm. Ges. d. Wiss. VI. Folge, 8. Band. 1876) p. 54 angeführt: „Die Frage nach dem morphologischen
Werthe eines Gebildes ist einfach eine Frage nach der Herkunft, nach der Art der Metamorphose, durch
die es geworden ist“ (nämlich: im Laufe der phylogenetischen Entwieklung).
re TER
jene Deutung derselben zweckmässig sei oder nicht, ob man die Samenknospe zweck-
mässiger Weise auf diesen oder jenen Theil der schematischen Urpflanze zurückfüh-
ren solle. Alle angeblichen Beweise dafür, dass die Samenknospe eine wirkliche Knospe
darstelle oder einen Phyllomtheil oder was sonst, alle diese angeblichen Beweise be-
weisen in der That ganz und gar nichts. Ja sie verkennen ganz die hier allein
mögliche Fragestellung. Denn hier wie in allen derartigen Fragen ist von Beweisen
gar nicht die Rede, nur die Zweckmässigkeit dieser oder jener schematisirenden Ab-
leitung kann in Frage kommen.')
1) Ueber die morphologische Bedeutung der Samenknospe habe ich selbst mich früherhin von
einem anderen Standpunkte aus in etwas anderer Weise ausgesprochen. In einer kurzen vorläufigen Mit-
theilung über die Blüthenentwicklung der Piperaceen (Sitzungsberichte der Niederrhein. Ges. f. Natur- u.
Heilkunde zu Bonn. Sitzung vom 2. August 1869, abgedruckt in der Botanischen Zeitung 1870 p. 40)
schrieb ich der Samenknospe im Allgemeinen eine variabele morphologische Bedeutung zu. Dieselbe An-
schauungsweise vertritt auch meine spätere Abhandlung: Die Blüthen-Entwicklung der Piperaceen (Hanstein’s
Bot. Abhandlungen. Bd. II. Heft I. 1872. p. 58—63). Diese Anschauungsweise, die der Samenknospe
einen sehr verschiedenen morphologischen Werth beilegt je nach der verschiedenen Stellung derselben in-
nerhalb der Blüthe, ging aus von jenem oben (p. 70. Anm.t) erwähnten Standpunkt der topischen Morphologie,
der die morphologischen Begriffe einfach durch gewisse Stellungsmerkmale definirt, die morphologische Be-
deutung eines Organes einfach durch sein Stellungsverhältniss zum Sprossganzen bestimmt (l. e. p. 61)
und durch jene morphologischen Begriffe auch nichts anderes bezeichnen will als eben jene Stellungs-
verhältnisse.
Diese Anschauungsweise ist neuerdings vielfach angegriffen worden. Allein alle diese Angriffe
gehen aus von einem ganz verschiedenen Grundstandpuhkte, legen der Frage nach dem morphologischen
Werthe eines Organes einen ganz anderen Sinn unter, als die genannte Anschauungsweise, und treffen so
den Kern dieser letzteren ganz und gar nicht.
Die Stellungsverhältnisse der Samenknospen innerhalb der Blüthen sind ja einmal thatsächlich
sehr verschieden. So lange man nun den morphologischen Werth eines Pflanzentheiles nach den Verhält-
nissen seiner räumlichen Stellung bestimmt, kann man folglich gar nicht anders, als den Samenknospen
eine wechselnde morphologische Bedeutung zuzuschreiben. So lange die Gruppirung aller Pflanzentheile
nach bestimmten Stellungsverhältnissen nicht als praktisch unzweekmässig nachgewiesen ist, so lange bleibt
die genannte Anschauungsweise unanfechtbar, ist die einzig richtige Antwort auf die allgemeine Frage naeh
dem morphologischen Werthe der Samenknospe. Will man aber diese Anschauungsweise mit Erfolg an-
greifen, so muss man eben die Definition der morphologischen Kategorien durch Merkmale der räumlichen
Stellung als unzweckmässig nachweisen (— sie als unrichtig nachzuweisen ist ja nicht möglich —). Das
aber ist, wie schon oben hervorgehoben, noch durch keinen einzigen der zahlreichen Angriffe auf diesen
Standpunkt geschehen.
Abh.. d. naturf. Ges. zu Halle. Bd. XIV. 10
ie
Ganz ebenso liegen die Dinge bei allen jenen morphologischen Streitfragen,
die in neuerer Zeit so vielfach erörtert worden sind, den Fragen nach der Gymno-
spermie der Gymnospermen, dem Blüthenbau von Zuphorbia u. s. w. Entweder
handelt es sich hier überall nur um Fragen der Terminologie, ob man dieses oder
jenes Gebilde mit diesem oder jenem Worte benennen solle: und dann läuft die
ganze Streitfrage auf eine Erörterung der zweckmässigsten Auswahl der Benennungen
hinaus. Oder — .und das ist die Auffassung fast aller Autoren, die an jenen Erör-
terungen Theil genommen haben — der morphologische Werth der einzelnen Pflan-
zentheile soll ermittelt und festgestellt werden. Diese letztere Frage aber hat inner-
halb der Grenzen einer exakten Wissenschaft, soweit ich sehen kann, nur dann einen
Sinn und zwar einen klaren und scharf präcisirten, wenn sie die Aufgabe enthält,
den betreffenden Pflanzentheil auf einen Theil jener schematischen Urpflanze sche-
matisirend zurückzuführen. Auf welchen Theil der Urpflanze man aber den einzelnen
Pflanzentheil zurückführen solle, darüber gibt es gar keinen objektiven Entscheidungs-
grund, hierüber entscheidet allein die praktische Zweckmässigkeit. Die objektive
Wahrheit und Richtigkeit irgend einer der Antworten, die man auf jene Fragen ertheilt
hat oder ertheilen kann, kommt hier niemals in Betracht.')
Man kann jedoch der Frage nach dem morphologischen Werthe der Samenknospe noch eine ganz
andere Bedeutung unterlegen, indem man sich, wie wir es in der vorliegenden Arbeit thun, auf den Stand-
punkt einer schematisirenden Morphologie stellt. Und von hier aus kann man dann diese Frage in sehr
verschiedener Weise beantworten: Man kann sämmtliche Samenknospen auf ein einzelnes oder auf mehrere
Schemata zurückführen und kann dabei diese Schemata in sehr verschiedener Weise auswählen.
Bei der Beantwortung der alten Streitfrage nach dem morphologischen Werthe der Samenknospe
liegt also entweder ein Problem der topischen Morphologie vor: und dann entscheidet allein die Definition
der morphologischen Grundbegriffe über den morphologischen Werth der Samenknospen; oder es handelt
sich um ein Problem der schematisirenden vergleichenden Morphologie: und dann kann man die gesammte
Menge der Samenknospen in verschiedener Weise schematisirend zusammenfassen und sie, sei es auf ein
einzelnes, sei es auf mehrere Schemata oder typische Grundgestalten zurückführen. Die praktische
Zweckmässigkeit allein vermag zu entscheiden, welche jener möglichen Schematisirungen vorzuziehen sei.
ä Beweisen als die allein richtige aber lässt sich von diesen verschiedenen Arten schematisirender
Reduktion keine einzige, weder mit morphologischen, noch mit phylogenetischen Beweisgründen. Alle
Versuche, durch noch so zahlreiche „phylogenetische Untersuchungen‘ die eine oder die andere Anschau-
ungsweise als „die einzig mögliche“ zu beweisen, sind gänzlich erfolglos und vergeblich.
') In der Flora 1871. p. 417 ff. (Zur Deutung der Euphorbia-Blüthe) habe ich mich früherhin
dahin ausgesprochen, dass das Cyathium von Euphorbia einen Blüthenstand darstelle, nicht eine einzelne
ra...
So läuft also unserer Ansicht nach die ganze Lehre von der Metamorphose
der Pflanzen und allen ihren Anwendungen allein auf ein Schematisiren hinaus, eine
wirkliche Naturerkenntniss wird dadurch gar nicht gewonnen.) Das gesammte Re-
Blüthe. Die Thatsachen der Entwieklungsgeschichte liessen nach meiner Ansicht beiderlei Deutungen zu,
dagegen schienen mir die beobachteten abnormen Blüthengestalten im höchsten Grade für die Blüthen-
standstheorie zu sprechen. Die abnormen Blüthen, die ich damals mittheilte, sind seitdem öfters anders
gedeutet worden, als ich selbst es gethan hatte, die Beweiskraft meiner Schlussfolgerungen ward bestritten
und angeblich widerlegt, gegentheilige Blüthentheorien wurden angeblich bewiesen.
Die ganze Streitfrage ist bisher ausschliesslich ein Problem der vergleichenden Morphologie geblie-
ben. Noch keine der zahlreichen Untersuchungen über das Cyathium von Euphorbia hat die Frage rein
als ein Problem der Terminologie aufgefasst. Die vergleichende Morphologie aber lässt sehr verschiedene
Lösungen des Problems zu, die gegebenen 'Thatsachen lassen sich in sehr verschiedener Weise schemati-
sirend zusammenfassen und auf eine einzelne typische Gestalt in Gedanken zurückführen. Das zeigen ja
schon deutlich die verschiedenen „Deutungen“, die bisher wirklich ausgeführt worden sind, von denen
keine die andere gänzlich hat verdrängen können. Alle diese „Deutungen“ sind in der That zulässig.
Welche derselben man vorziehen soll, ob man das Cyathium als Blüthe oder als Blüthenstand „deuten“
soll, ob man in letzterem Falle das einzige Staubgefäss der männlichen Blüthen als ein Caulom oder
als ein terminales Phyllom „deuten“ soll u. s. w., über alle diese Fragen vermag allein die praktische
Zweckmässigkeit zu entscheiden. Zu beweisen oder zu widerlegen ist keine einzige der verschiedenen
Erklärungsweisen.
Mir selbst erscheint die „Deutung‘“ des Cyathiums als Blüthenstand auch heute noch als das
zweckmässigste. Diese „Deutung“ scheint mir am einfachsten eine einheitliche Zusammenfassung der nor-
malen und abnormen Cyathien von Euphorbia zu ermöglichen, vor allem aber am einfachsten eine Zurück-
führung der Blüthen von Euphorbia und der nächst verwandten Gattungen der Euphorbiaceen auf ein
und dasselbe einheitliche Schema. zu gestatten. Beweisende Momente für diese „Deutungsweise“ aber
vermag ich nieht aufzufinden, ja überhaupt nicht als möglich anzuerkennen,
1) Es sei gestattet, hier ausdrücklich noch einer weit verbreiteten Auffassung entgegenzutreten,
2s ist eine allgemeine Annahme, dass eine bestimmte organische Gestaltung „erklärt“, dem „Verständniss
zugänglich“ gemacht sei, wenn es gelungen ist, dieselbe unter Zuhülfenahme von hypothetischem Abort,
Verwachsung ete. dem allgemeinen morphologischen Grundgesetz oder den einzelnen aufgestellten morpho-
logischen Gesetzen unterzuordnen. ‚Ja es wird vielfach angenommen, dass nur allein durch eine solche
Unterordnung unter die angenommenen morphologischen Gesetze eine wissenschaftliche „Erklärung“ der
organischen Gestalt zu gewinnen sei. So sagt Eichler (Bot. Zeitung 1873. p. 217) dieser Anschauungs-
weise entsprechend: „Wer sich durchaus an die bare Empirie halten will“, d. h. „Erklärungen“ jener Art
unterlässt, „wird jedenfalls manche Klippe vermeiden, die dem, der auch der Spekulation einen Platz
einräumt, sich in den Weg stellt; aber ich glaube, man muss dann zugleich auch auf ein eigentliches
10
= en
sultat all jener Arbeit der morphologischen Forschung besteht in nichts anderem als
einer Anzahl von schematischen Formeln. Dies Urtheil wird der Mehrzahl der Mor-
Verständniss der organischen Welt verzichten, „dann hat man die Theile in der Hand, fehlt leider nur
das geistige Band.“ ‘
Allein welcher Art ist denn jenes „eigentliche Verständniss der organischen Welt“? Welches ist
hier das „geistige Band“, das jenes Diehterwort erwähnt? —
Eichler selbst will (Blüthendiagramme 1875. p. 2) unter „Erklären“ der Pflanzengestalten nichts
weiter verstehen, als „etwas mit unseren sonstigen Kenntnissen zusammenreimen“, Doch diese Erklärung
des Wortes bedarf selbst wieder einer näheren Erörterung.
Beachtet man die einzelnen aufgestellten Erklärungen bestimmter organischer Gestalten etwas
genauer, so zeigt sich, dass jene angebliche „Erklärung‘“ der einzelnen organischen Gestalt in einer
schematisirenden Zurückführung derselben auf einen vorher angenommenen Typus besteht, mag dieser nun
in anderen Gestaltungen wirklich vorliegen oder vollständig theoretisch construirt sein. Alle angeblichen
morphologischen „Erklärungen“ laufen im Grunde auf solche schematisirende Construktionen hinaus, sind
somit in Wirklichkeit nichts weniger als wirkliche Erklärungen im Sinne einer exakten Naturwissenschaft,
Jenes angebliche „eigentliche Verständniss der organischen Welt“ läuft im Grunde hinaus auf eine schema-
tisirende Zusammenfassung der zahlreichen, mannigfaltigen, organischen Gestalten unter einem einheitlichen
Gesichtspunkt, durch eine einzelne Gesammtidee, allein eine Idee, die von aussen als Schema hinzugebracht
wird, nicht in den Dingen selbst gegeben ist. Ein solches „Verständniss der organischen Welt‘ aber ist
grundverschieden von dem Verständniss der anorganischen Welt, das uns die Physik lehrt, grundverschieden
von einer Erkenntniss nach dem Causalitätsprinzip, ist somit im Grunde nichts weniger als eine wirkliche
Erkenntniss.
a Jenes „eigentliche Verständniss der organischen Welt‘ besteht in Wirklichkeit nur in der schema-
tisirenden Unterordnung aller einzelnen Pflanzengestalten unter gewisse willkürliche Regeln, angebliche
Gesetze, vermittelst der verschiedenartigsten willkürlichen Umdeutungen. Insofern allerdings kann man
mit Eichler das morphologische „Erklären“ ein „Zusammenreimen mit den sonstigen Kenntnissen“ nennen.
Wirklich erklärt, im Sinne der physikalischen Bedeutung dieses Wortes, werden die einzelnen Pflanzen-
gestalten durch morphologische „Erklärungen‘ aber nimmermehr.
Ebensowenig aber wird eine wirkliche Erklärung der einzelnen Pflanzengestalten, eine Erklärung
nach dem Causalgesetz, gewonnen, wenn man, wie es die moderne Richtung der Morphologie thut, jenen
schematisirenden Construktionen die Descendenzidee unterlegt, dieselben im Geiste der Descendenzlehre
ausdeutet. Willkürliche, aller empirischen Prüfung unzugängliche Hypothesen aufzustellen über die
Gestaltveränderungen, welche die jetzt lebenden Pflanzenarten im Laufe der vergangenen Erdperioden
durchlaufen haben, das ist von einer wirklichen naturwissenschaftlichen Erklärung der Pflanzengestalten
unendlich weit verschieden. — Ja selbst, wenn wirmit Sicherheit alle diese früheren Gestaltungsänderungen
angeben könnten, selbst dann würde noch keine wirkliche Erklärung der einzelnen Pflanzengestalt, eine
Erklärung nach dem Causalitätsprinzipe, gewonnen sein, sondern nur eine genaue Kenntniss des histori-
Ze
phologen als eine allzu kühne Behauptung erscheinen. Allein eine genaue sorgfäl-
tige Kritik und Prüfung der Grundprinzipien der gesammten vergleichenden Morpho-
logie der Blüthenpflanzen zwingt meines Erachtens zu jenem Urtheil und zeigt, dass
jenem ganzen System von Lehrsätzen, das man als Lehre von der Metamorphose
der Pflanzen zusammenfasst, keine objektive Wahrheit zukommt. —
Die Bedeutung, welche heutigen Tages die meisten Autoren jenen schematischen
Formeln beilegen, ist jedoch eine ganz andere. Sie ziehen es allgemein vor, der
modernen Richtung der Morphologie entsprechend alle jene trockenen Formeln durch
Hineintragen der Descendenzlehre zu beleben. Alle jene trockenen Formeln erhalten
dadurch in der T'hat wirkliches Leben und objektive Realität, jenes schematisirende
Zurückführen und Ableiten wird zum Beschreiben eines thatsächlichen Vorganges,
die Resultate dieser ganzen morphologischen Forschung erhalten eine objektive
Wahrheit. Allein, wie schon oben gesagt, all jene objektive Realität ist in prähi-
storischer Zeit gelegen und bleibt der empirischen Forschung so gut wie gänzlich
unzugänglich'). Wir werden durch solche Deutungen jener Formeln in ein Gebiet
hineingeführt, in welchem allein die willkürlichste Phantasie herrscht, Gesetze
nach ihrem Belieben aufstellt, Stammformen erfindet und diese sich wandeln lässt
im Laufe der.Zeiten, so wie es ihr beliebt. Von exakter Beweisführung ist
in diesem Gebiete nirgends die Rede’) Alle jene Theorien und Deutungen
schen Entwicklungsganges der einzelnen Pflanzengestalt. Eine wirkliche Erklärung, eine Zurückführung
auf die Ursachen, würde nun erst zu beginnen haben. (Vgl. A. Braun, Die Frage nach der Gymno-
spermie der Cycadeen. Monatsb. d. Berliner Akademie. 1875. p. 266. Anm.) ö
!) Die wenigen Thatsachen, die uns die Paläontologie über einige Gestaltungsänderungen einzelner
weniger Arten in früheren Erdepochen liefert, sind viel zu vereinzelt, um hier in Betracht zu kommen.
Im grossen Ganzen ist die gesammte Vorgeschichte der einzelnen organischen Wesen der empirischen
Forschung gänzlich unzugänglich, zum wenigsten bis auf den heutigen Tag gänzlich unzugänglich. Das
wird auch von den Anhängern der phylogenetischen Morphologie allgemein zugegeben. So sagt z. B.
Strasburger (Coniferen und Gnetaceen. p. 396): „Die paläontologischen Befunde sind so unvollkommen,
dass sie eine direkte Verfolgung der geschichtlichen Formentwicklung kaum oder doch nur in den gröb-
sten Zügen zulassen — man bleibt fast ausschliesslich auf die indirekten Methoden angewiesen.“ — Vgl,
auch A. Braun, Die Frage nach der Gymnospermie der Cycadeen (Monatsberichte der Berliner Akademie,
April 1875) p. 245 —246.
2) „— ich biete jedem Trotz, der nur von einer einzigen Gattung, ja von einer einzigen phanero-
gamischen Familie in wissenschaftlich überzeugender Weise den Stammbaum aufzeigen will,“ sagt auch
Eichler, Botanische Zeitung 1876. p. 517.
En
zählen somit keineswegs zu den gesicherten Resultaten einer exakten Forschung, sie
stellen vielmehr ein grossartiges System von willkürlichen Hypothesen dar und
gehören weit eher in das Gebiet einer besonderen poetischen Disciplin der Phylogenetik,
als in dasjenige einer exakten Naturwissenschaft. Einer solchen sind sowohl die
Urpflanze, als auch alle ihre verschiedenen Nachkommen, die im Laufe der Zeit
wieder dahingestorben sind, nichts anderes als eine Anzahl schematischer Construktionen
zu nützlichem praktischem Gebrauche.
Damit soll aber der Phylogenetik, die heutigen Tages ja in der organischen
Naturwissenschaft so weite Anerkennung gefunden hat, dass ein Angriff gegen die
absolute Gültigkeit und Wahrheit ihrer Theorien fast als ein wissenschaftliches
Verbrechen erscheint, keineswegs all und jeder Werth abgesprochen werden. Im
Gegentheil, der Werth derselben fir den einzelnen Forscher ist ein recht hoher, allein
ein rein subjektiver. Diese phylogenetischen Theorien geben uns ein treffliches
Mittel an die Hand, durch eine einzelne Grundidee‘) die zahllosen, so unendlich
mannigfaltigen Gestalten der einzelnen organischen Wesen zusammenzufassen und
in Gedanken einen einheitlichen Zusammenhang in jene anscheinend unibersehbare
Gestaltenfülle hineinzutragen?). Diese Theorien sind ferner eines der wirksamsten
Anregungsmittel zu erneuten empirischen Forschungen, indem sie Lücken aufweisen
in den bisherigen Kenntnissen, Fragen aufwerfen, die bisher nicht beachtet sind,
und neue Gesichtspunkte eröffnen, die zu den erfolgreichsten Untersuchungen und
1) Es dürfte wohl kaum nothwendig sein, hier ausdrücklich hervorzuheben, dass die Anerkennung,
die der allgemeinen Idee der Descendenz gebührt, ganz und gar nicht berührt wird durch die Behaup-
tung, dass es thatsächlich ohne die willkürliehsten Hypothesen nicht möglich sei, im einzelnen Falle
den speceiellen Gang dieser Descendenz nachzuweisen, soweit derselbe in prähistorische Zeiten fällt.
2) Alle phylogenetischen Theorien und Stammbäume laufen ja einfach darauf hinaus, die einzelnen
empirischen Thatsachen durch die Idee der Blutsverwandtschaft aller organischen Wesen untereinander zu
verbinden und diese Blutsverwandtschaft im einzelnen Falle nachzuweisen. — Will man solche Stamm-
bäume aufstellen, einzig und allein zu dem Zwecke, um in der Darstellung alle einzelnen empirischen
Thatsachen durch eine einzelne Idee zu verknüpfen, ohne dass man den Anspruch erhebt, damit ein
wahres Bild vergangener thatsächlicher Vorgänge zu entwerfen, so ist dagegen vom Standpunkte einer
exakten Forschung kaum etwas einzuwenden. Sobald aber diese Stammbäume und Theorien mehr sein
wollen als eine blosse Form der Verknüpfung der einzelnen 'Thatsachen in der Darstellung, sobald sie
auf objektive Gültigkeit Anspruch erheben, gehören sie in das Gebiet willkürlicher unbewiesener
und unbeweisbarer Hypothesen.
=.
Beobachtungen veranlassen. Und endlich wird auch ein jeder einzelne Forscher
gerne in den schattigen Hainen und Laubengängen dieser poetischen Disciplin
Erholung suchen von der Arbeit auf dem Felde der reinen nackten Empirie. Allein
man verwechsele eben nicht diese nackte trockene Forschung mit den farbenprächtigen
Bildern der Phantasie. Nur jene trockene Forschung!) berechtigt uns, auch für unsere
organische Naturwissenschaft den Namen einer exakten Wissenschaft in Anspruch
zu nehmen. Ausserhalb der Grenzen dieser Wissenschaft können wir dann ja immer
nach Herzenslust Hypothesen auf Hypothesen thürmen.
1) Man hat vielfach diese vorsichtige, exakt- empirische Forschung, die stets scharf zwischen
Hypothese und bewiesener Wahrheit unterscheidet, herabzusetzen gesucht und dieser nackten crassen
Empirie gegenüber diejenige Forschungsriehtung, die „auch der Spekulation einen Platz einräumt“, als die
wahre wissenschaftliche Forschungsweise erhoben und gepriesen. Allein man vergisst dabei, dass nur
allein die Resultate jener crassen Empirie, d. h. der Beobachtung und der logisch strengen Reflexion über das
Beobachtete, im Laufe der Zeit Bestand behalten, wie uns die Geschichte aller einzelnen Naturwissenschaften
deutlich zeigt. Die grossen Theorien und Hypothesen kommen und gehen, nur allein die Resultate jener
verpönten crassen Empirie bleiben bestehen, und nur sie sind es, die den Schatz gesicherter Resultate
der Forschung bereichern und vermehren. Anziehender und verlockender mag es sein, die Resultate der
empirischen Forschung durch geistreiche Hypothesen zu verbinden und auszuschmücken, ohne Rücksicht
darauf, ob diese Hypothesen überhaupt der Beobachtung und der Bestätigung durch die Erfahrung zugänglich
sind; ja Niemandem, der das subjektive Bedürfniss dazu fühlt, kann es gewehrt werden, dies zu seiner
eigenen Befriedigung auszuführen: — allein eine exakte Wissenschaft wird stets zwischen Empirie und
poetischem Schaffen strenge unterscheiden.
Dass ein solcher exakt-empirischer Standpunkt übrigens ganz verschieden ist von „einem empirischen
Verfahren, welches bei der Auffassung der einzelnen Form stehen bleibend, das Verständniss eines einheit-
lichen Zusammenhanges verschmäht“, wie auch Wigand (Der Darwinismus und die Naturforschung N ew-
tons und Cuviers. (1874.) Bd. I. p. 447) ausdrücklich betont hat, das bedarf hier wohl keiner weiteren
Nachweisung und: Begründung.
IV.
Die Familiendiagramme der Rhoeadinen.
Cruciferae.
In dem zweiten Abschnitte unserer Darstellung haben wir ausführlich!) die
Bedeutung dargelegt, die unserer Ansicht nach dem Begriffe Familiendiagramm zu-
kommt. Wir erkannten darin lediglich eine schematische Construktion, eine schema-
tische Formel, aufgestellt zu dem Zwecke, die sämmtlichen Einzeldiagramme einer
Familie einheitlich zusammenzufassen. Alle übrigen Bedeutungen, die man dem
Familiendiagramm untergelegt hat, erwiesen sich als unhaltbar, mochten sie nun von
Seiten der älteren vergleichenden Morphologie oder von Seiten der modernen phylo-
genetischen Morphologie?) aufgestellt worden sein.
1) Die Darstellung der beiden vorhergehenden Abschnitte über die Bedeutung der morphologischen
Grundbegriffe mag wohl hie und da den Vorwurf einer allzu grossen Ausführlichkeit und Breite hervor-
rufen. Allein wer die neuere morphologische Litteratur mit einiger Aufmerksamkeit verfolgt hat, der
wird zugeben müssen, dass die zahlreichen Meinungsverschiedenheiten auf diesem Gebiete sehr wesentlich
mit begründet sind durch die gegenseitigen Missverständnisse der einzelnen Autoren über die Grundan-
schauungen der Gegner. Daraus ergibt sich mit Nothwendigkeit die Forderung, bei morphologischen Un-
tersuchungen den eigenen Standpunkt, namentlich wenn er nicht ganz mit den hergebrachten Traditionen
übereinstimmt, möglichst klar und deutlich umschrieben hinzustellen. Und das geht oft ohne einige Aus-
führlichkeit nicht an, zumal auf einem Gebiete, auf welchem die Grundanschauungen so sehr weit
auseinandergehen.
2) Dass diese neuere phylogenetische Morphologie nichts anderes ist als die alte vergleichende
Morphologie in einem neuen Gewande, ist bereits wiederholt von den verschiedensten Seiten her hervorge-
hoben worden. In der That unterscheidet sich diese phylogenetische Morphologie von der älteren ver-
gleichenden Morphologie einzig und allein dadurch, dass sie die Idee der Blutsverwandtschaft überall in
die vergleichende Betrachtung der Einzelgestalten hineinträgt, die Einzelgestalten sich phylogenetisch ver-
knüpft denkt. Die schematischen Construetionen und Typen werden zu ‘prähistorischen Stammformen er-
hoben, und dadurch wird an die Stelle der gänzlich unfassbaren und unklaren metaphysischen Realität
der älteren Morphologie die klare Vorstellung einer physikalischen, aber leider ganz und gar hypothetischen
ragt
Von diesem Standpunkte aus möge denn nun die Frage nach dem Familien-
diagramm der Cruciferen von Neuem in Angriff genommen werden.
Es wird sich also darum handeln, für die Familie der Cruciferen eine sche-
matische Formel zu construiren, von der alle einzelnen Cruciferen-Blüthen möglichst
leicht und einfach sich ableiten lassen.
Die empirischen Einzeldiagramme können, wie wir gesehen haben, verschie-
dene Gestalt zeigen, je nachdem sie verschiedene thatsächliche Momente wiedergeben
sollen. Durch Hineintragen der Metamorphosenlehre werden alle diese empirischen
Diagramme zu verschiedenartigen theoretischen Einzeldiagrammen. Und aus allen
diesen theoretischen Einzeldiagrammen können dann wieder theoretische Gruppen-
diagramme construirt werden.
Darnach lassen sich verschiedene Familiendiagramme für die Cruciferen ent-
werfen. Es sei hier die Aufgabe gestellt, die sämmtlichen theoretischen Einzeldia-
gramme, welche Zahl und Anordnung der Blüthenphyllome nicht nur in der ent-
wickelten Blüthe, sondern auch in den früheren Entwicklungsstadien derselben be-
rücksichtigen, zu einem Familiendiagramm zusammenzufassen. Unserer Aufgabe legen
wir somit die Betrachtungsweise der Metamorphosenlehre unter, in dem Sinne, wie die-
selbe im vorhergehenden Abschnitte (p. 71) näher erörtert worden ist, und berück-
sichtigen nicht nur die Resultate einer vergleichenden Betrachtung der entwickelten
Blüthen, der normalen sowohl, als auch der abnormen, sondern auch die Entwick-
lungsgeschichte.
Dieser Aufgabe aber möchte wohl als beste Lösung das Diagramm der Abort-
theorie (Fig. 2) entsprechen. Das Familiendiagramm der Cruciferen sei demnach
construirt aus fünf alternirenden viergliedrigen Wirteln, mit der Blüthenformel
K4,C4,A4+4G(4).
Realität gesetzt. In der Praxis der morphologischen Untersuchungen unterscheidet sich die sg. phylogene-
tische Methode von der vergleichenden Forschungsweise der älteren Morphologie allein dadurch, dass sie
sorgfältiger als jene darauf ausgeht, die gegebenen Einzelgestalten zunächst mit den entsprechenden Ge-
stalten der nächstverwandten Pflanzen auf ein gemeinsames Schema zurückzuführen, in zweiter Linie
dann erst fernerstehende Arten und Gattungen zu berücksichtigen, oder, wie A. Braun (Gymnospermie
der Cycadeen ]. e. p. 242) sagt, den Einzelfall aus dem Gesichtspunkt der natürlichen Verwandtschaft zu
beurtheilen sucht.
Abh. d. naturf. Ges. zu Halle. Bd. XIV. 11
32 —
Das theoretische Einzeldiagramm der meisten Cruciferen -Blüthen (Fig. 1)
zeigt 4 Kelchblätter in quermedianer Stellung, bald in gleicher Höhe inserirt, bald die
beiden lateralen Kelchblätter tiefer an der Blüthenachse befestigt und stärker entwickelt
als die beiden medianen. Ihrer ersten Anlage nach sind die beiden medianen Kelch-
blätter (ob stets?) die älteren, wobei bald das vordere, bald das hintere zuerst sichtbar
wird; die beiden lateralen Kelchblätter werden erst etwas später angelegt. — Nur in
seltenen Fällen ward ein fünfgliedriger Kelchwirtel, dessen unpaares Kelchblatt auf
der Rückseite der Blüthe stand, mit zwei etwas grösseren und tiefer inserirten lateralen
Kelchblättern beobachtet.
Die Kronblätter finden sich fast stets in der typischen Anzahl in einen regel-
mässig viergliedrigen diagonalen Wirtel geordnet. Nur ausnahmsweise findet sich
statt dessen ein regelmässiger fünfgliedriger Wirtel alternirend mit einem fünfgliedrigen
Kelche. Die Glieder des viergliedrigen Kronwirtels werden an der Blüthenanlage
genau gleichzeitig angelegt.')
Der äussere quermediane Staubblattwirtel zeigt fast stets nur die beiden
lateralen Glieder entwickelt ohne Spur der ablastirenden?) medianen Glieder, Nur
in seltenen Fällen sind sämmtliche vier Glieder dieses Wirtels ausgebildet.
1) Nach Hofmeister (Allgemeine Morphologie p. 464) entstehen die beiden vorderen Kronblätter
früher als die beiden hinteren. Hofmeister beruft sich dabei auf die Untersuchungen von Wretschko.
Allein dessen später veröffentlichte Abhandlung (l.c. p. 6) lässt die Kronblätter genau gleichzeitig entste-
hen, ebenso wie dies alle übrigen Autoren angeben. |
2) Ueber die Bedeutung des Ausdruckes „Ablast‘‘ seien hier noch einige Bemerkungen beigefügt.
In meiner Abhandlung: Die Blüthenentwicklung der Piperaceen (Hanstein’s Botanische Abhand-
lungen. Bd. II. Heft 1. 1872. p. 58) hatte ich diesen Ausdruck „Ablast‘“ an Stelle der ganz synonymen
älteren Ausdrücke „vollständiger Abort“, „eongenitaler Abort“ u.s. w. vorgeschlagen, um den Widerspruch
zwischen begrifflicher und etymologischer Bedeutung, der diesen letzteren Ausdrücken innewohnt, zu
vermeiden. Denn das Wort „Abort“ setzt etymologisch ein Entstehen von Dingen, die fehlschlagen,
voraus, bei „vollständigem Abort‘‘ aber entsteht ja bekanntlich thatsächlich gar nichts.
Ich hatte dabei hervorgehoben, dass die beiden Begriffe „Abort“ und „Ablast‘“ (= „vollständiger
Abort‘‘) „durchaus verschieden“ seien: „Abort bezeichnet das Fehlschlagen angelegter Theile, Ablast das
Ausbleiben jeder Neubildung, wo man dieselbe erwartet hätte — oder, im Sinne der Descendenztheorie,
wo dieselbe bei den Vorfahren der vorliegenden Form vorhanden war.“
Eichler ist dieser Anschauung entgegengetreten (Botanische Zeitung 1873. p. 216—217. Anm.
und Blüthendiagramme. 1874. p. 52—53) und bestreitet, „dass Abort und Ablast gänzlich verschiedene
ee
Der innere diagonale Staubblattwirtel ist zumeist vollständig und regelmässig
entwickelt. Bisweilen finden sich aber die vier diagonalen Staubblätter zu je zwei
Begriffe seien.‘‘ Er behauptet vielmehr, „dass die beiden, mit diesen Namen bezeichneten Erscheinungen
nur gradweise verschieden seien.“ Der Beweis dafür wird ihm gegeben durch die zahlreichen Uebergangs-
bildungen, die sich zuweilen zwischen abortirenden und ablastirenden Organen vorfinden und sich oft zu
einer fast continuirlichen Uebergangsreihe anordnen lassen.
Dieser Auffassung Eichler's gegenüber ist zunächst zu betonen, dass auch eine fast eontinuirliche
Reihe von Mittelgliedern zwischen zwei Begriffen über die wesentliche Uebereinstimmung oder Verschieden-
heit dieser beiden Begriffe gar nichts entscheidet. Zwei Begriffe (oder Erscheinungen) können ohne ein
einziges gemeinsames Merkmal sein, also wesentlich, prinzipiell verschieden sein, auch wenn eine fast
eontinuirliche Kette von Mittelgliedern sich aufstellen lässt. h
Der Widerspruch Eichler's gegen meine Behauptung ist aber wohl wesentlich dadurch hervor-
gerufen worden, dass ich (]. e.) nicht scharf genug hervorgehoben habe, worin denn eigentlich der Unter-
schied der beiden Begriffe „Abort‘‘ und „Ablast‘‘ besteht.
Der wesentliche Unterschied der beiden, mit diesen Namen bezeichneten Erscheinungen liegt eben
darin, dass in dem einen Falle thatsächlich etwas entsteht, etwas Neues gebildet wird, — mag dies neu
Entstehende auch noch so unbedeutend sein —, im anderen Falle aber gar nichts entsteht. Handelt es
sich also darum, allein die thatsächlichen Vorgänge zu beschreiben, so müssen die sg. abortirenden
Organe Berücksichtigung finden, von den sg. ablastirenden Organen aber kann in einer solchen Darstellung
gar nicht die Rede sein,
Ablastirende Organe kennt allein jene vergleichende Betrachtung, welche mehrere oder viele that-
sächlich gegebene Einzelgestalten in Gedanken auf ein einzelnes Schema zurückführt. Ablastirende
Organe sind, wie ich damals sagte, Organe, die „man nach der Analogie verwandter Formen“ „erwartet
hätte“, die aber in Wirklichkeit „nicht vorhanden sind‘ — oder, wie ich der Ausdrucksweise der vor-
liegenden Arbeit entsprechend jetzt lieber sagen möchte, ablastirende Organe sind’ solche, die in dem
construirten Schema, dem Typus, vorhanden sind, der betreffenden Einzelgestalt aber thatsächlich fehlen
(— im Sinne der Descendenztheorie: Organe der Stammformen —).
Abortirende Organe sind dagegen thatsächlich vorhandene Dinge, welche auch eine vergleichende
Betrachtung, die nicht schematisirt, die allein die Thatsachen als solche ins Auge fasst und vergleicht,
berücksichtigen muss. Die Ausdeutung dieser Dinge als fehlschlagende Organe dieser oder jener bestimmten
Art wird allerdings erst durch eine schematisirende Morphologie gegeben (wie Eichler mit Recht hervor-
hebt). Allein diese Organe besitzen auch schon an sich für eine nicht schematisirende vergleichende
Betrachtung eine wirkliche Realität: ablastirende Organe aber sind für eine solche Betrachtungsweise gar
nicht vorhanden.
Darin eben beruht der Unterschied der beiden Begriffe „Abort“ und „Ablast‘“, von dem ich sprach.
Einer nicht schematisirenden Morphologie sind die beiden Begriffe ebenso verschieden, wie „Sein“
und „Nieht sein“; und das kann man doch wohl einen wesentlichen Unterschied nennen.
112
ö =
mehr oder weniger tief gespaltenen oder sogar ganz einfachen medianen Staubgefässen
verwachsen. Ja auch bei den meisten (ob allen?) Blüthen mit späterhin ganz freien
Staubgefässen zeigt sich bei der ersten Anlage des oberen Staubblattwirtels eine
Andeutung von Verwachsung, indem die Primordien der vier Staubgefässe in der
Mediane der Blüthe einander paarweise genähert sind oder sogar paarweise vereint
in Gestalt zweier medianer Primordien zuerst in die Erscheinung treten.
Der quermediane Fruchtblattwirtel zeigt fast stets nur die beiden lateralen
Glieder entwickelt, die beiden medianen Glieder dagegen ablastiren. Nur selten wird
auch von diesen beiden medianen Gliedern das eine oder selbst beide ausgebildet. ')
Ganz anders ist es dagegen, wenn es sich darum handelt, zahlreiche differente Einzelgestalten in
Gedanken auf ein einzelnes Schema, auf einen, einzelnen Grundtypus zurückzuführen. Einer solchen
sehematisirenden Morphologie (und ebenso der phylogenetischen Morphologie, die ja identisch mit
derselben ist bis auf die willkürliche Ausdeutung und Belebung der gewonnenen Schemata) sind allerdings
ablastirende und abortirende Organe nur gradweise verschiedene Dinge; einer solchen Morphologie sind
die beiden Begriffe „Abort“ und „Ablast“ durchaus nicht prinzipiell verschieden, „sondern nur graduelle
Differenzen eines und desselben Vorganges.“
Auf diesem Standpunkte der schematisirenden Morphologie steht Eichler in allen seinen morpho-
logischen Untersuchungen, ebenso wie bisher die grosse Mehrzahl aller Morphologen, und von diesem
Standpunkte aus sind seine Einwände gegen meine frühere Behauptung in der T'hat durchaus berechtigt.
Meine damalige Behauptung aber war von dem Standpunkte einer nicht schematisirenden vergleichenden
Betrachtung der Thatsachen aus gethan worden, und auf diesem Standpunkte ist sie wohl auch jetzt noch
unanfechtbar.
Die vorliegende Arbeit aber stellt sich ja vollständig auf den Standpunkt der schematisirenden
Morphologie und gebraucht demgemäss die Ausdrücke „Abort‘‘ und „Ablast‘“ ganz wie Eichler als nur
gradweise verschiedene Begriffe. —
Es ist wohl kaum nothwendig, hinzuzufügen, dass von den Ausdrücken „Verwachsung‘“ und
„eongenitale Verwachsung‘“, „Spaltung“ und „congenitale Spaltung“ u. ä. ganz das Analoge gilt, was
hier von „Abort“ und „Ablast“ (= „vollständiger oder eongenitaler Abort‘‘) gesagt worden ist.
1) Huisgen lässt, wie schon oben (p. 30. Anm. 6) bemerkt, den Fruchtknoten der normalen
Crueiferen-Blüthe entstehen aus einem lateralen, zweigliedrigen Carpidienwirtel und einem folgenden
medianen zweigliedrigen Blattwirtel, dessen Glieder zu Placenten umgewandelt sind. Diese Anschauungs-
weise, die auch früherhin schon wiederholt von anderen Autoren, wenn auch auf andere Gründe gestützt,
ausgesprochen worden ist, hat zahlreiche Widersprüche neuerdings hervorgerufen. A. Braun spricht sich
in einem Berichte über die Arbeit von Huisgen (Verhandl. d. bot. Vereins d. Prov. Brandenburg XVI
(1874) p. 45 ff.) entschieden gegen diese Deutung der Placenten aus, namentlich auf Grund der wiederholt
beobachteten abnormen Blüthen, die deutlich die Samenknospen an den freien Rändern von Fruchtblättern
u — *
In sämmtlichen Wirtelu, namentlich aber in den Staubblatt- und Kronblattwirteln,
wird öfters durch mehr oder weniger vollständige Spaltung einzelner Glieder die
angeheftet zeigen und so einer Deutung der Placenten als besonderer Phyllome durchaus widersprechen.
Auch Eichler (Blütbendiagramme p. 46) äussert einige Zweifel an der Berechtigung dieser Anschauungs-
weise für die Familie der Cruciferen. Nach Celakovsky (Vergl. Darstellung der Placenten p-. #5)
wird dieselbe sogar „entschieden widerlegt“ durch die erwähnten wiederholt beobachteten abnormen Blüthen.
Diese von Huisgen vertretene Anschauungsweise, die wiederholt auch auf andere pbanerogamische
Familien übertragen worden ist, muss sehr verschieden beurtheilt werden, je nachdem man sich auf den
Standpunkt der sg. topischen Morphologie (— ich möchte lieber sagen: terminologischen Morphologie — )
oder denjenigen der schematisirenden Morphologie stellt.
Man kann den Begriff „Phyllom“ a priori z.B. so definiren, dass jeder einzelne kleine Höcker,
der an der jungen Blüthenanlage selbständig auftritt, ein Phyllom darstellt, dass niemals zwei benachbarte
kleine Höcker einem einzigen Phyllom angehören. Dann besagt die Benennung eines bestimmten einzelnen
Blüthentheiles als Phyllom gar nichts anderes, als dass derselbe eben in der genannten Weise als ein ein-
zelner selbständiger Höcker angelegt wird. AufGrund einer solchen oder ähnlichen Definition von Phyllom
können dann auch die Placenten der Cruciferen, resp. anderer Familien. falls ihre Entwieklungsweise jener
Definition entspricht, selbständige Phyllome genannt werden. Diese Bezeichnungsweise ist bei einer conse-
quenten Durchführung des ganzen Standpunktes in Bezug auf Richtigkeit ganz und gar nicht anzugreifen,
geschweige denn zu widerlegen. Es wird sich nur allein darüber streiten lassen, ob jene Definition des
Begriffes Phyllom eine praktisch zweckmässige sei oder nicht.
Eine consequente Durchführung jenes Standpunktes aber führt bei einer derartigen Definition
des Begriffes Phyllom, wie die genannte, zu einer Classifieirung aller Blüthentheile, die, wir mir scheint,
kaum praktisch zweckmässig genannt werden kann. Und aus diesem Grunde möchte ich mich auch jener
Definition des Begriffes Phyllom nicht anschliessen.
Bei einer consequenten Durchführung des genannten Standpunktes aber beweisen alle Einwürfe,
die man bisher gegen die Huisgen’sche Anschauungsweise und ihre Berechtigung geltend gemacht hat,
ganz und gar nichts. =
Ganz etwas anderes ist es dagegen vom Standpunkte der schematisirenden Morphologie aus, dem
Standpunkte, auf welchen auch wir uns bei der Entwerfung der Familiendiagramme der Rhoeadinen
gestellt haben. Hier handelt es sich allein um die Frage, ob man den Fruchtknoten der Cruciferen auf
zwei laterale Carpidien, deren verdiekte seitliche Ränder die Placenten darstellen, schematisirend zurück-
führen soll, oder aber auf zwei alternirende zweigliedrige Wirtel von Phyllomen, deren obere zu Placenten
umgewandelt sind. Das eine Verfahren ist so gut thunlich und zulässig wie das andere. Das erstere aber
erscheint mir weit einfacher und zweckmässiger aus Rücksicht aut die Fälle des drei- und vierfächerigen
Fruchtknotens und auf die abnormen Blüthen. Namentlich solelıe Fälle, wie die früher (p- 18) erwähnten Blüthen
von Cheiranthus Cheirimit Verwandlung der Staubgefässe in Carpidien und die häufig beobachteten vergrünten
u
Anzahl der einzelnen Blüthentheile vergrössert, oder aber es verwachsen zwei benach-
barte Blüthenphyllome mehr oder weniger vollständig mit einander zu gespaltenen
oder selbst einfachen Blüthentheilen.
Sämmtliche Wirtel alterniren mit einander und werden in einfacher acropetaler
Reihenfolge an der Blüthenachse angelegt mit der einzigen Ausnahme (wenn sich
nämlich Chatin’s Angabe!) entgegen den "sorgfältigen früheren Beobachtungen von
Eichler und Wretschko bestätigen sollte), dass die Reihenfolge bei der ersten
Anlage der beiden Staubblattwirtel umgekehrt eine acrofugale ist. —
Dieses Diagramm der Aborttheorie, das aus 5 alternirenden viergliedrigen
Wirteln das Familiendiagramm der Cruciferen aufbaut, erscheint mir am besten
‚geeignet, die oben gestellte Aufgabe zu lösen?). Es entspricht meines Erachtens am
besten der Bedingung eines zweckmässigen Familiendiagramms, dass in möglichst
einfacher Weise alle einzelnen Blüthengestalten sich daraus sollen herleiten lassen.
Weit weniger scheint mir das Diagramm der Eichler’schen Spaltungstheorie
Anspruch auf eine derartige Zweckmässigkeit erheben zu können. Jene Blüthen mit fünt-
gliedrigen Kelchblatt- und.Kronblattwirteln lassen sich weit weniger einfach von diesem
Diagramm der Spaltungstheorie ableiten. Vor allem aber bedarf die Spaltungstheorie
weit complicirterer Ableitungen, um jene Blüthen mit vier unteren quermedianen
Staubgefässen auf das Familiendiagramm zurückzuführen (vgl. oben p. 12—13).
Obwohl also auch das Diagramm der Spaltungstheorie im Sinne Eichler's durch-
aus geeignet ist, alle einzelnen Blüthengestalten daraus herzuleiten, so erscheint doch
meines Erachtens jenes Diagramm der Aborttheorie diesem Zwecke weit mehr
Blüthen mit Samenknospen an den freien Rändern der Fruchtblätter, möchten sich nur sehr schwierig auf
jenes andere Schema zurückführen lassen. E
Dass aber solche abnormen Blüthen grade diese Deutungsweise beweisen, jene andere Anschauungs-
weise, die Huisgen vertreten hatte, widerlegen sollten, wie Celakovsky meint, davon kann gar
nicht die Rede sein,
1) A. Chatin, Organogenie comparde de l’androcee, in Comptes rend» de l’acad. des sciences.
Tom. 78. 1874. p. 121.
*) In welcher Weise von diesem Diagramm die Blüthe von Senebiera didyma Pers. mit zwei
medianen und vier diagonalen Staubgefässen, die Wydler (Flora 1845. p. 612) beschreibt, abzuleiten sei,
das möchte ich nicht ohne Vergleich der frischen Blüthen, die mir zur Zeit nicht zu Gebote stehen,
entscheiden.
4 2.7
angemessen, ja es erscheint mir bisher dieses letztere Diagramm als dasjenige, welches
überhaupt am besten diesem Zwecke entspricht. Und aus diesem Grunde möchte ich
dasselbe als das Familiendiagramm der Cruciferen hinstellen. —
Bei der Aufstellung dieses Familiendiagramms und.der kurzen Angabe der
Veränderungen, durch welche aus dem Familiendiagramm die Einzelblüthen abzuleiten
sind, haben wir die sg. vergrünten Blüthen ganz unberücksichtigt gelassen.') Wir haben
früherhin (p. 18—21) bereits gesehen, dass diese vergrünten Blüthen bei den Cruciferen
eine sehr mannigfaltige Gestaltung aufweisen bis zu solchen Gestalten hin, die von
gewöhnlichen Laubknospen sich kaum noch unterscheiden. Man könnte auch diese
vergrünten Blüthen sämmtlich mitberücksichtigen bei den schematisirenden Construk-
tionen, die zur Aufstellung des Familiendiagramms hinführen. Allein das Diagramm,
das man alsdann zuletzt erhielte, würde so allgemein sein, dass sich daraus so ziemlich
alle vorhandenen Blüthen ableiten liessen. Zur kurzen Charakterisirung des Blüthen-
baus der einzelnen Familie. der Cruciferen gegenüber den übrigen Familien würde
ein solches Diagramm ganz urigeeignet sein. Seine Aufstellung würde somit allen
praktischen Werthes entbehren. Aus diesem Grunde erscheint es weit zweckmässiger,
bei der Aufstellung des Familiendiagramms von den vergrünten Blüthen ganz abzu-
sehen. Und so haben wir dieselben denn auch bei der Aufstellung des Familien-
diagramms der Oruciferen ganz unbericksichtigt gelassen.?) —
1) Dagegen sind bei der Aufstellung des obigen Familiendiagramms diejenigen abnormen Blütheır,
die nicht so tiefgreifende Unterschiede von den normalen Blüthen zeigen wie die vergrünten Blüthen,
berücksichtigt worden. Alle abnormen Blüthen unterscheiden sich ja von den normalen einzig und allein
durch ihr selteneres Vorkommen und werden nur aus diesem Grunde als abnorme Blüthen bezeichnet. Sie
müssen deshalb ganz ebenso wie die normalen Blüthen berücksichtigt werden, wenn es gilt, für sämmtliche
Blüthen einer Familie ein gemeinsames Schema, ein typisches Diagramm zu entwerfen. — Man kann
allerdings auch die Aufgabe ändern und nur für die sg. normalen Blüthen ein solches typisches Diagramm
verlangen. Allein dann ergibt sich die grosse Schwierigkeit, die Grenze zwischen abnormen und normalen
d.i. zwischen häufigen und seltenen Blüthengestalten festzustellen, was nicht anders als rein willkürlich
möglich sein würde.
?®) Im ersten Abschnitte p. 21—22 war den vergrünten Blüthen der Cruciferen für die Frage des
Familiendiagramms jede bestimmte Beweiskraft abgesprochen worden, da sich aus denselben alle möglichen
willkürlichen Blüthentheorien ableiten liessen. Dieser Grund gegen eine Beweiskraft der vergrünten Blüthen
dürfte einer genauen kritischen Prüfung gegenüber kaum als stichhaltig sich erweisen oder wenigstens
als einer näheren Erklärung durchaus bedürftig. Diese Erklärung ergibt sich aus der obigen Darstellung
BE - | -
Der Frage nach dem Bau des Familiendiagrammes schliesst sich nun noch die
Frage nach dem Anschluss der Blüthe an die vorausgehenden Blattformationen, die
Frage nach etwa vorhandenen Vorblättern oder Deckblättern unmittelbar an. Im
Anschluss an das Familiendiagramm möge auch diese Frage für die Cruciferen noch
etwas eingehender erörtert werden.
Die Blüthen der Cruciferen stehen fast durchweg in traubigen oder dolden-
traubigen Blüthenständen. Die einzelne Blüthe entbehrt in den meisten Fällen des
Deckblattes gänzlich, nur in wenigen Fällen ist dasselbe entwickelt. In den meisten
Fällen ist der Blüthenstiel nackt, nur in wenigen Fällen finden sich zwei kleine
laterale Vorblätter ausgebildet.
Thatsächlich findet sich ein Deckblatt der einzelnen Blüthe bald ausgebildet,
vollständig entwickelt oder nur rudimentär, bald fehlt es vollständig spurlos, wie die
Beobachtung der Entwicklungsgeschichte leicht darthut‘). Wollen wir allein die
sehr leicht. Die vergrünten Blüthen (— und ebenso ist es mit manchen gefüllten Blüthen von Cruciferen,
z.B. den gefüllten Levkojen —) zeigen so mannigfaltige Gestalten, dass eine Berücksichtigung derselben
zu der Construktion der verschiedensten, allgemeinsten Familiendiagramme ohne praktische Zweekmässigkeit
hinführen müsste. Zweckmässiger Weise wird man sie deshalb bei der Construktion des Familiendiagramms
bei Seite lassen oder, in der älteren Ausdrucksweise zu reden, ihnen alle Beweiskraft für das Familien-
diagramm absprechen.
In dieser Weise erledigt sich die alte, so vielfach erörterte Streitfrage über die Bedeutung der
vergrünten Blüthen fiir die Lehre von den Familiendiagrammen aufs einfachste.
Wir dürfen aber noch weiter gehen und behaupten, dass auch der Streit über die Bedeutung der
vergrünten Blüthen und überhaupt der abnormen Gestalten, der sg. Bildungsabweichungen für alle übrigen
Probleme der vergleichenden Morphologie in ganz analoger Weise sich erledigt. Alle diese Probleme der
vergleichenden Morphologie der Blüthenpflanzen laufen auf ein schematisirendes Zurückführen einer grösseren
Anzahl von Einzelgestalten auf ein einzelnes Schema, eine einzelne typische Gestalt hinaus Bei ällen
solehen Schematisirungen erhebt sich die Frage, welche Summe von Einzelvestalten soll man auf ein und
dasselbe Schema zurückführen? soll man bestimmte abweichende, sg. abnorme Gestalten noch mitberück-
siehtigen oder nieht? Die Antwort auf diese Fragen wird stets durch die Rücksicht auf die praktische
Zweckmässigkeit der gewonnenen Schemata bestimmt werden. — In der Praxis dieses Schematisirens haben
die einzelnen Autoren eine Berücksichtigung der abnormen Gestalten bald zugelassen, bald verworfen oder,
in der bisherigen Ausdrucksweise zu reden, den Bildungsabweichungen, zumal den zumeist besprochenen
vergrünten Blüthen, bald Beweiskraft zugestanden, bald gänzlich abgesprochen. In Wirklichkeit aber kann
von Beweiskraft bei allen diesen Problemen der vergleichenden Morphologie gar nicht die Rede sein.
1) Bei einzelnen Crueiferen sind die Blüthen constant mit Deekblättern versehen. Bei vielen
Arten finden sich die Deekblätter bei einzelnen Blüthen vollständig entwickelt, auch wenn der Mehrzahl
ze ae
Thatsachen beschreiben, so müssen wir uns auf die Angabe beschränken, dass die
gestielte Blüthe bald aus der Achsel eines Deckblattes entspringt, bald, und zwar in
der Mehrzahl der Fälle, eines Deckblattes entbehrt. Allein wir können auch beide
Fälle in Gedanken auf ein und dasselbe Schema, ein und denselben Typus zurück-
führen und dann entweder den einer oder den andern Fall zum typischen Fall
machen. Im Grunde geschieht dies schon unwillkürlich bei der einfachen Beschreibung:
der Thatsachen. Denn die Ausdrücke: „das Deckblatt fehlt spurlos“ u. ä., machen ja
eigentlich schon an sich den einen Fall des entwickelten Deckblattes zum typischen -
Fall. Dieser Fall ist, wie erwähnt, bei den Blüthen der Cruciferen der seltenere,
allein er ist unter allen phanerogamischen Pflanzen so sehr der häufigere, dass wir
ihn auch hier bei den Cruciferen zweckmässiger Weise zu dem typischen Falle machen
und auch der Blüthe der Cruciferen typisch ein Deckblatt zuschreiben können. Wir
müssen uns dabei aber stets gegenwärtig halten, dass wir damit keineswegs die That-
sachen beschreiben, sondern allein die thatsächlich verschiedenen Fälle auf einen
einzelnen Fall in Gedanken schematisirend zurückführen.
An dem Blüthenstiel der einzelnen Cruciferen-Blüthe finden sich ferner bis-
weilen zwei laterale Vorblätter ausgebildet, meist aber ist dieser Blüthenstiel voll-
ständig nackt‘), So allein lassen sich die Thatsachen ihrer Gestaltung nach beschrei-
ben. Wir können aber auch hier beiderlei Fälle in Gedanken auf ein und dasselbe
Schema zurückführen und den einen oder den anderen jener beiden Fälle zu diesem
Schema, zu dem typischen Falle machen. Es fragt sich, ob auch hier wie bei dem
Blüthendeckblatt die Zweckmässigkeit für eine derartige Schematisirung spricht, und
welcher von beiden Fällen zu dem typischen erhoben werden soll.
Vergleichen wir die Gesammtmenge der Blüthen der Dikotylen, so finden wir
der Blüthen die Deckblätter gänzlich fehlen. Bei manchen Arten lässt die Entwicklungsgeschichte rudi-
mentäre Deckblätter erkennen, die angelegt werden als kleine Höcker, aber nicht zu vollständiger Aus-
bildung gelangen. Bei anderen dagegen vermag die Untersuchung der Entwieklungsgeschichte keine Spur
derselben zu erkennen. Vgl. Wydler, Kleine Beiträge zur Kenntniss einheimischer Gewächse, in Flora 1859,
p- 296; Wretschko, Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Cruciferen-Blüthe (1868); und War ming,
Recherches sur la ramification des Phanerogames (Copenhague. 1872.).
1) Die Entwicklungsgeschichte (Wretsehko, 1. c.) lässt öfters bei Arten mit nacktem Blüthenstiel
diese Vorblätter in Gestalt kleiner lateraler Höcker, die nicht weiter sich entwickeln, an den Blüthenanlagen
erkennen. Bei anderen Arten dagegen vermag die Entwicklungsgeschichte keine Spur derselben nachzuweisen,
Abh. d. ntf. Ges. zu Halle. Bd. XIV. 12
Ben er
bei blattachselständigen Blüthen den Blüthenstiel bald nackt, bald mit Vorblättern
besetzt; im letzteren Falle sind häufig zwei laterale Vorblätter vorhanden. Die
Glieder des äussersten Blüthenwirtels, des Kelchwirtels, entstehen ferner häufig nicht
gleichzeitig, sondern nach einander in spiraliger Auteinanderfolge. Da zeigt sich
nun öfters thatsächlich die Anordnung der eirfzelnen Phyllome an der Blüthenachse der
Art, dass bei nacktem Blüthenstiel die beiden ältesten Kelchblätter lateral stehen, oder
dass bei Anwesenheit von zwei lateralen Vorblättern die ältesten Kelchblätter in spiraliger
Anordnung an diese Vorblätter anschliessen. In beiden Fällen finden sich somit am
Blüthenspross zunächst zwei laterale Phyllome, an welche sich die folgenden Phyl-
lome in spiraliger Stellung anreihen. Dieser Fall tritt, wie gesagt, häufig thatsächlich
auf, allein keineswegs immer. Thatsächlich finden sich bei anderen Blüthen noch
verschiedene andere Stellungsverhältnisse der ersten Phyllome der blüthenachse. Doch
ist jener Fall immerhin thatsächlich häufiger als jeder einzelne Fall eines anderen
Stellungsverhältnisses.
Man kann nun ebenso wie in anderen Fällen, wo es sich um verschiedenartige
Gestaltungen handelt, so auch hier alle verschiedenen Einzelfälle aut einen bestimmten
Einzelfall in Gedanken schematisirend zurückführen, um dadurch eine einheitliche
Auffassungsweise zu gewinnen. Man kann speciell jenen genannten Fall, dass nämlich
am Blüthenspross zunächst zwei laterale Phyllome auftreten und an diese die nächst-
folgenden Phyllome spiralig sich anschliessen, zum typischen Falle machen und auf
denselben alle übrigen Stellungsverhältnisse zurückführen. Doch darf man dabei
nur nicht vergessen, dass man in Wirklichkeit nichts anderes thut, als eine schema-
tisirende Construktion in Gedanken auszuführen. Man darf nur nicht jenes Schema
mit einem empirischen Gesetz der Gestaltenbildung verwechseln.
Allein bei dem genannten Schema erhebt sich die Frage: Ist seine Aufstellung
als Typus wirklich zweckmässig? Und da kann man meines Erachtens verschiedener
Ansicht sein. Jenes Schema dient ja in der That ganz trefflich dazu, alle Einzel-
fälle unter einen einheitlichen Gesichtspunkt zusammenzufassen. Allein eine schema-
tisirende Umänderung, eine Ausdeutung der Thatsachen, um sie auf den typischen
Fall zurückzuführen, ist hier in so vielen Einzeltällen nothwendig, die Zahl der Fälle,
die keine solche morphologische Deutung erfordern, ist so wenig überwiegend, dass
es wohl zweckmässiger erscheint, die verschiedenen Einzelfälle als solche gelten zu
= 2 ee
lassen und zu beschreiben, anstatt sie sämmtlich auf einen einzelnen typischen Fall
zurückzuführen.')
Die ältere Morphologie hat vielfach den genannten typischen Fall als den
gesetzmässigen hingestellt, hat aus dieser Stellungsweise der Phyllome an der Blüthen-
achse gradezu ein morphologisches Gesetz gemacht. Allein ein wirkliches Gesetz
liegt hier keineswegs vor, kaum eine empirische Regel, nur allein ein construirtes
Schema. Die Aufstellung eben dieses Schemas aber scheint mir dem Zwecke, den
man bei allem solchem Schematisiren verfolgt, und der den Werth desselben aus-
schliesslich bedingt, durchaus nicht zu entsprechen, es erscheint mir vielmehr zweck-
mässiger, im vorliegenden Falle iiberhaupt auf die Aufstellung eines allgemeinen
Schemas, eines allgemeinen Typus für alle Dikotylen gänzlich zu verzichten.
Demgemäss kann denn auch hier die ‚vielfach erörterte Frage, auf welche
Weise man die Stellung der 4 quermedianen Kelchblätter mit oder ohne vorausgehende
laterale Vorblätter jenem allgemeinen Typus (oder irgend einem anderen) unterordnen
solle, als gänzlich bedeutungslos bei Seite gelegt werden.
Es bleibt dann aber immer noch die Frage zu beantworten, ob wenigstens für
die Crueciferen-Blüthe allein (auch wenn ein allgemeiner Typus für sämmtliche
Dikotylen-Blüthen zweckmässiger Weise nicht aufgestellt werden kann) ein typischer
Fall der Vorblattbildung festgestellt werden soll. Zwei verschiedene Fälle finden
sich hier thatsächlich vor. Diese aber mag man immerhin der Einfachheit halber
auf einen typischen Fall zurückführen. Die zwei lateralen Vorblätter finden sich
zwar thatsächlich bei Oruciferen-Blüthen nur sehr selten entwickelt, allein gleichwohl
wird man doch lieber den Fall der ausgebildeten Vorblätter zum typischen machen,
als den entgegengesetzten, da man es allgemein, allerdings ohne zwingenden Grund,
vorzieht, durch die Annahme ablastirender Phyllome einen einzelnen Fall auf ein
1) Die praktische Zweckmässigkeit ist bei allem solchem Schematisiren das einzig entseheidende Moment.
Sie allein vermag den Ausschlag zu geben in der Frage, ob man eine grössere Anzahl verschiedener Einzel-
fälle auf ein einzelnes Schema zurückführen oder ob man mehrere derartige Schemata, mehrere typische
Fälle unterscheiden solle. So handelt es sich auch bei der früherhin so vielfach erörterten Streitfrage, ob
alle Formen der Blattstellung auf die rein spiralige zurückzuführen seien, oder ob man daneben auch die
wirtelige Blattstellung als eine ursprüngliche, typische anzusehen habe (vgl. Eichler, Blüthendiagramme
p. 13—15), ausschliesslich um eine Frage der praktischen Zweckmässigkeit, die verschiedene Autoren in
verschiedener Weise beantworten können
12%
BE 0.
typisches Schema zurückzuführen, lieber als durch die Annahme eines plötzlichen
Auftretens ganz neuer Phyllome. Dementsprechend seien denn auch hier dem Familien-
diagramm der Orueiferen ausser einem typischen Deckblatt noch zwei typische laterale
Vorblätter zugeschrieben. —
Das Familiendiagramm der Cruciferen (Fig. 2) zeigt nach alledem unserer
Anschauungsweise zufolge 5 alternirende viergliedrige Wirtel bei quermedianer
Stellung des Kelchwirtels; die ganze Blüthe, mit zwei lateralen Vorblättern aus-
gerüstet, steht in der Achsel eines Deckblattes.
Man pflegt allgemein bei Besprechung des Familiendiagramms einer: bestimmten
Familie die nächstverwandten Familien und ebenso fernerstehende Familien von
analoger Blüthengestaltung zu berücksichtigen und die Gestaltung der Diagramme
dieser Familien als Beweismomente für diese oder jene Blüthentheorie zu verwerthen.
So ist vielfach auch das Diagramm der Capparidaceen und Fumariaceen und ebenso,
wenn auch seltener, dasjenige der Oleaceen benutzt worden, um einen Analogiebeweis
für diese oder jene Auftassung des Uruciferen-Diagramms zu liefern. Von einem
wirklichen Beweis aber kann in solchen Fällen gar nicht die Rede sein. Das ergibt
sich ja schon ganz von selbst aus der obigen Definition vom Familiendiagramm. In
einer verwandten oder analogen Familie mag die Gestalt der Blüthen sein, welche
sie wolle, das hat gar keinen Einfluss auf die Lösung der Aufgabe, für die verschie-
denen Blüthen einer bestimmten gegebenen Familie ein möglichst einfaches typisches
Schema zu construiren. Für die Lösung dieser Aufgabe in Bezug auf die Familie
der Crueiferen, für das Familiendiagramm der Cruciferen kommen nur allein Cruci-
feren-Blüthen in Betracht, die Blüthen der Capparidaceen und der übrigen Rhoeadinen,
der Oleaceen u. s. w. bleiben für diese Aufgabe ganz bedeutungslos. Die Analogie
der letzteren Familien beweist für die Cruciferen ganz und gar nichts.')
1) Beweiskraft besitzen die verwandten und analogen Familien in der vorliegenden Frage ganz
und gar nicht. Gleiehwohl aber ist die Berücksichtung dieser Familien bei der Aufstellung der Familien-
diagramme oft von grosser Bedeutung. Der Grund davon liegt einfach darin, dass die Diagramme solcher
Familien vielfach sehr werthvolle Hinweise für eine zweckmässige Schematisirung liefern. Nahe verwandte
Familien zeigen zumeist sehr ähnliche Blüthengestalten, sie werden demgemäss auch meist in ganz ähnlicher
Weise auf eine typische Blüthengestalt zurückzuführen sein. Und ganz ebenso wird bei Familien mit
ru
In derselben Weise wie die Cruciferen mögen nun auch die übrigen Familien
aus der Ordnung der Rhoeadinen hier noch etwas eingehender in Bezug auf die
Gestaltung des Familiendiagramms besprochen werden.
Der endgültigen Aufstellung des Familiendiagramms stellen sich übrigens bei
diesen Familien weit mehr Schwierigkeiten entgegen als bei den Crueiferen. Die
Thatsachen des Blüthenbaus sind hier bis jetzt weit weniger vollständig bekannt ge-
worden, als dies bei den Cruciferen der Fall ist. Die Gestalt der entwickelten Blüthe
variirt hier weit mannigfaltiger als in jener Familie, die Blüthenentwicklung ist bis-
her nur sehr unvollständig untersucht worden, und endlich erlaubt auch der getrock-
nete Zustand, in welchem manche Gattungen bisher allein in Europa bekannt geworden
sind, häufig nicht eine genaue Feststellung der gegenseitigen Stellung der einzelnen
Blüthentheile. So werden vollständigere Untersuchungen der Thatsachen wohl mehr-
fach dazu führen, dem Familien- Diagramm eine etwas andere Gestaltung zu geben,
Allein die bisher bekannten Thatsachen sind doch immerhin zahlreich genug, um
dieselben schon jetzt durch einzelne Schemata zusammenzufassen. Und das sollen
eben die folgenden Diagramme für die Capparidaceen, Fumariaceen, Papaveraceen
und Resedaceen auszuführen versuchen. Sie sollen die Thatsachen, so weit sie
bekannt sind, zusammenfassen, nicht aber, wie man bisher bei wenig bekannten
Familien zu tlun pflegte, hypothetische Vermuthungen über das wahre Familiendia-
gramm derselben darstellen.
analoger Blüthengestaltung meist eine zweckmässige Schematisirung in ganz analoger Weise zu erfolgen
haben. So wird man aus der Betrachtung der Familiendiagramme der verwandten und der analogen Fa-
milien vielfach werthvolle Andeutungen für die Gestaltung eines zweckmässigen Diagramms der in Rede
stehenden Familie gewinnen. In diesem Umstande liegt die Bedeutung begründet, die den verwandten
und den analogen Familien in der vorliegenden Frage der Familiendiagramme (und ebenso in zahlreichen
anderen Fragen der vergleichenden Morpholozie) thatsächlich zukommt, nicht aber in irgend einer Beweis-
kraft derselben durch Analogie.
Uebrigens möchte ich das Familiendiagramm der Oleaceen, auf welche Engler und Eichler in
ihren Angaben über das Diagramm der Cruciferen sich mehrfach berufen, in ganz anderer Weise con-
struiren, als dies Eichler in seinem klassischen Werke über Familiendiagramme (p. 234 fi.) gethan hat,
Statt nämlich mit Eichler das Andröceum dieser Blüthe als typisch dimer zu betrachten, halte ich es.
für zweckmässiger mit Rücksicht auf zahlreiche abnorme Blüthen mit drei oder vier Staubgefässen, die ich
bei verschiedenen Arten von Öleaceen beobachtet habe, der Blüthe der Oleaceen einen typisch viergliedri-
gen Staubblattwirtel zuzuschreiben, von dessen vier Phyllomen meistens zwei ablastiren.
-
ge
Capparidaceae.
Aın meisten Uebereinstimmung mit den Cruciferen hinsichtlich der Gesamnt-
organisation von Blüthe und F rucht zeigen die Capparidaceen, die deshalb allgemein
als die nächsten Verwandten der Urueiferen betrachtet werden.')
Von den verschiedenen Abtheilungen dieser Familie schliessen sich zunächst die
Cleomeae ganz unmittelbar den Cruciferenan. Ihr Blüthenbau stimmt so sehr mit dem-
jenigen der letzteren Familie überein, dass es überhaupt nur sehr untergeordnete Merkmale
sind, welche diese Gruppe der Capparidaceen von den Cruciferen unterscheiden lassen.
Die Blüthen stehen auch hier wie bei den Cruciferen zumeist in traubigen
Inflorescenzen, doch ist das Deckblatt der einzelnen Blüthe hier meist vollständig
ausgebildet. Der Kelch besteht wie. bei den Oruciferen aus 4 quermedianen Kelch-
blättern, deren Entwicklungsfolge nach Eichler's Darstellung?) ganz dieselbe ist,
wie in jener Familie: es entsteht zuerst das vordere Kelchblatt, dann das hintere und
zuletzt gleichzeitig die beiden lateralen Kelchblätter. Die Blumenkrone wird, wie
bei den Cruciferen, aus 4 diagonalen Blumenblättern gebildet, und ebenso stimmt
auch der Fruchtknoten in seiner Zusammensetzung aus zwei lateralen Carpidien ganz
mit dem Fruchtknoten der Cruciferen überein.
Das Andröceum zeigt öfters 6 Staubgefässe in ganz derselben Anordnung wie
bei den Crueiferen: 2 laterale untere und 4 diagonale obere Staubgefässe. Diese
letzteren beginnen nach Eichler’s Untersuchungen an Gynandropsis pentaphylla
ihre erste Entwicklung mit dem Auftreten zweier Primordien in der Mediane der
Blüthe,?) aus denen weiterhin die beiden Paare von Staubgefässen als einzelne freie
Blüthentheile hervorsprossen. — In anderen Fällen geht die paarweise Verwachsung
1) Sieht man ab von allen unbeweisbaren, willkürlichen Annahmen über Blutsverwandtschaft, so
ist der Ausdruck „verwandt“ im Sinne der natürlichen Systematik ja durchaus synonym mit „ähnlich“,
besagt nichts mehr und nichts weniger als dieser.
2) Flora 1865. p. 546—547. Eichler berichtigt hier zugleich die abweichenden Angaben
Payer's (Organogenie. p. 201) für Cleome und Polanisia.
3) Payer (Organogenie. p.202) beschreibt die erste Anlage der Staubgefässe in den Blüthen von
Cleome spinosa folgendermassen: les deux &tamines laterales se montrent d’abord, et ce n’est que plus tard
que les groupes anterieur et posterieur apparaissent simultandment. — Nach A. Chatin (Comptes rendus.
1874. Tome 78. p. 820) entstehen bei Cleome und Gynandropsis die vier langen Staubgefässe als vier
einzelne getrennte Höcker an der Blüthenanlage.
x en en
der oberen Staubgefässe, die sich im Auftreten von gemeinsamen Primordien aus-
spricht,') noch weiter: es findet sich öfters an Stelle der beiden Paare oder nur eines
derselben je ein einzelnes einfaches Staubgefäss entwickelt, theils normal, wie bei
einzelnen Arten von Cleome, Dactylaena, Gynandropsis u. A., theils ausnahmsweise
bei Arten, deren Blüthen meistentheils vier obere freie Staubgefässe besitzen.
Die Mehrzahl der Cleomeae aber besitzt zahlreiche Staubgefässe. Die Ent-
wicklungsgeschichte der Blüthen, die allerdings nur für wenige Arten (Polanisia gra-
veolens von Payer?), P. graveolens und uniglandulosa von Eichler’)) bisher be-
obachtet ist, zeigt nach den Angaben von Eichler zwei laterale untere und zwei
mediane obere Primordien, aus denen dann mehr oder minder zahlreiche freie Staub-
gefässe hervorsprossen.?) Die Vielzahl der Staubgefässe wird somit in den untersuch-
ten Fällen durch mehr oder minder ausgiebige collaterale Spaltung derselben Pri-
mordien erreicht, die auch in den Blüthen mit 6 Staubgefässen auftreten. Die voll-
ständige Analogie der übrigen polystemonen Blüthen, deren Entwicklungsgeschichte
noch nicht genauer untersucht ist, berechtigt aber wohl zu der Annahme, dass auch
bei diesen die Vielzahl der Staubgefässe allgemein in derselben Weise, durch wieder-
holte Spaltung derselben Primordien, bewerkstelligt werde.
Selten nur finden sich Blüthen mit 4 unteren quermedianen und vier oberen
diagonalen Staubgefässen. Bisher sind solche Fälle nur an abnormen Blüthen von
Cleome spinosa durch Eichler?) beobachtet und beschrieben worden. Dazu waren
noch in den beschriebenen Blüthen die einzelnen Staubgefässe öfters durch collaterale
1) Ich ziehe es vor, hier ebenso wie bei den Cruciferen jene Primordien in der Mediane der
Blüthen als gemeinsame Primordien je zweier diagonaler Staubblätter zu deuten, anstatt in denselben je
ein einzelnes Phyllom, das sich weiterhin collateral spaltet, zu sehen. An sich sind beide schematisirende
Deutungsweisen der Thatsachen gleich zulässig. Allein die Rücksicht auf eine schematisirende Zurückfüh-
rung sämmtlicher Cleomeen-Blüthen auf einen einzelnen Typus bestimmt mich zu der ersteren Deutung.
2), Payer, 14 cr p.202.
3) Eichler, 1. ce. p. 547 —548.
4) Payer sagt ]. e. über die Entwicklung der Staubgefässe von Polanisia: ce sont les deux dta-
mines posterieurs qui apparaissent d’abord, puis les deux laterales, puis les quatre anterieures. — A. Cha-
tin aber lässt (l. ce.) die sämmtlichen einzelnen Staubgefässe von Polanisia als einzelne getrennte Blattan-
lagen entstehen und stellt demgemäss ein Dedoublement für die Staubblätter dieser Blüthe gänzlich in
Abrede.
5) Eichler in Flora 1865. p. 513—515.
re .
Chorise vollständig gespalten und zum Theil als Staminodien oder gar als Blumen-
blätter ausgebildet.
Fassen wir alle diese Angaben über die Verschiedenheiten, die der Blüthenbau
bei den (leomeae darbietet, zusammen, so finden wir darin ganz analoge Verhältnisse
wieder wie bei den Cruciferen. , Das bestimmt uns auch, für die Oleomeae das Diagramm
ganz in derselben Form zu entwerfen, wie bei den Oruciferen (Fig. 2), dasselbe
nämlich ebenfalls aus 5 alternirenden viergliedrigen Wirteln bei quermedianer Stellung
des Kelchwirtels aufzubauen.') Der hauptsächlichste Unterschied beider Gruppen
liegt allein darin, dass collaterale Spaltung der Staubblätter hier viel häufiger und
ausgiebiger auftritt als bei den Cruciferen und bei zahlreichen Arten der Üleomeae
sogar eine regelmässige Vielzahl von Staubgefässen zur Folge hat.
Die Gründe, die zur Aufstellung dieses Diagramms bestimmen, sind ganz die-
selben, die oben bei dem Diagramm der Crueiferen in Betracht kamen. Es erscheint
ebenso wie dort das vorliegende Diagramm als das zweckmässigste, zweckmässiger
besonders als dasjenige Diagramm, das Eichler für die Cleomeae entworfen hat,
Eichler führt nämlich den Blüthenbau der Cleomeen auf dasselbe Diagramm zurück
wie denjenigen der Crueiferen, er nimmt also durchweg mit Ausnahme der Blumen-
krone alternirende zweigliedrige Wirtel an. Allein wie bei den Cruciferen scheinen
mir auch hier die Blüthen mit 2x 4 Staubgefüssen Schwierigkeiten zu bereiten.
Diese Blüthen lassen sich nur sehr schwierig von jenem 2-gliedrigen Diagramm
ableiten.?) Dem gegenüber erscheint mir eine schematisirende Ableitung sämmtlicher
') Nach den Angaben von Ad. Chatin (Comptes rendus 1874. Tom. 78. p. 121—122) entstehen
auch bei den Capparidaceen und zwar sowohl den Cleomeae, als auch den Cappareae, ebenso wie bei den
Crueiferen die Staubgefässwirtel acrofugal, während alle übrigen Wirtel einfach acropetal aufeinander folgen.
Diese Angabe weicht ebenso wie die gleiche Angabe für die Crueiferen von den früheren Angaben aller
übrigen Beobachter vollständig ab.
2) Eichler nimmt, wie schon oben p. 12-13 bei Besprechung der oetandrichen Cruciferen-Blüthe
erwähnt wurde, bei solchen Blüthen an, dass hier statt der normalen zweigliedrigen Wirtel einmal aus-
nahmsweise viergliedrige Staminalwirtel entwiekelt worden seien. Dadurch stellt er eigentlich für solche
Blüthen eine andere typische Form, ein anderes Diagramm auf als für die übrigen Blüthen derselben
Familie. Damit hört dann aber zugleich jedes der beiden Diagramme auf, ein Familiendiagramm zu sein.
Will man eine typische Blüthengestalt für eine Familie entwerfen, ein Familiendiagramm construiren, so
müssen sämmtliche Einzelblüthen darauf zurückgeführt werden. Zwei Familiendiagramme, die neben
einander bestehen, kann es gar nicht geben.
Be -
verschiedener Blüthengestalten der Cleomeae von einem Diagramm mit 5 alternirenden
viergliedrigen Wirteln weit einfacher. Und aus diesem Grunde möchte ich ebenso
wie bei den Cruciferen das letztere Diagramm als das zweckmässigere jenem Diagramm
Eichler's!) vorziehen. —
Die zweite Abtheilung der Capparidaceen, die Cappareae, sind der speciellen
Gestaltung der Blüthen nach weit weniger noch bekannt als die Oleomeae. Die
Staubgefässe sind bisweilen ebenfalls in Zahl von 6 vorhanden, meist aber finden
sich zahlreiche Staubgefässe vor. Ueber die Anordnung derselben in der Blüthe ist
wenig bekannt, da die Untersuchung des meist allein zugänglichen trocknen Materiales
keine bestimmte Auskunft gibt, die Entwieklungsgeschichte aber bisher nur bei zwei
Species, Capparıs spinosa und viridiflora,”) näher untersucht worden ist. Bei einigen
Arten ist auch die Gestaltung von Kelch und Blumenkrone noch nicht mit hinreichen-
der Sicherheit ermittelt worden.
Gleichwohl sei es erlaubt, die bisher vorliegenden Thatsachen einheitlich
zusammenzufassen und auch für die Cappareae ein gemeinsames Diagramm zu con-
struiren. Für diese Gruppe, die man übrigens mit Baillon?) zweckmässiger Weise
wieder in zwei Gruppen, Cappareae und Maerueae, theilen sollte, sei dabei dieses
Diagramm ganz in derselben Gestalt entworfen wie bei den (leomeae, zusammengesetzt
aus 5 alternirenden viergliedrigen Wirteln (Fig. 2).
Kelch und Blumenkrone stimmen meistens mit den Uleomeen vollständig über-
ein. Auch die Entwicklungsfolge der einzelnen Glieder derselben ist wenigstens bei
!) Eichler's Auffassung der Cleomeen -Blüthe schliesst sich in der Deutung des polystemonen
Andröceums von Polanisia u. ä. A. allerdings etwas einfacher den Thatsachen an. Er sieht in dem ein-
zelnen Primordium in der Mediane der Blüthe, aus welchem weiterhin die einzelnen Staubgefässe hervor-
sprossen, die Anlage eines einzelnen Phylloms, das sich weiterhin collateral spaltet. Unsere Auffassung
dagegen sieht in diesen Primordien die gemeinsamen Anlagen von je zwei diagonalen Phyllomen, die sich
weiterhin erst differenziren und gleichzeitig mehr oder minder häufig collateral spalten. Beide schema-
tisirende Deutungen der 'Thatsachen sind möglich und zulässig, die erstere erscheint zunächst einfacher und
deshalb zweckmässiger. Allen wenn man sämmtliche Thhatsachen des Blüthenbaues der Cleomeen berück-
sichtigt und zumal die Aufgabe bedenkt, alle diese verschiedenen Blüthen auf einen einzelnen Typus
zurückzuführen, so möchte doch die letztere Art schematisirender Ausdeutung auch beim Andröceum von
Polanisia als die zweckmässigere erscheinen,
?) Payer, Organogenie. p. 203—204. pl. 41.
®) Baillon, Histoire des plantes. Tome III. 1872. p. 166.
Abh. d. naturf. Ges zu Halle. Bd. XIV. 13
u
Japparis nach Payer') eine ganz analoge wie dort, auch hier entstehen zuerst die
medianen Kelchblätter, darnach erst die lateralen. Selten finden sich statt der 4-gliedrigen
Wirtel fünfgliedrige: so zuweilen im Kelch (ob auch in der Blumenkrone?) von
Capparis; ferner bei der australischen Gattung Ymblingia?), die einen 5-gliedrigen
Kelch besitzt, während von den Blumenblättern nur zwei auf der Rückseite der Blüthe
ausgebildet sind. Bisweilen ablastirt die Blumenkrone: so bei den Gattungen BDoscia,
Thylachlum, Niebuhria, bei Arten von Maerua etc. Bisweilen sind nur zwei von den
4 typischen Blumenblättern entwickelt wie ausser der schon genannten Gattung
Emblingia bei einzelnen Arten von Cadaba. Bei Apophyllum schwankt die Zahl der
Blumenblätter zwischen 2 und 4. Endlich finden sich bei (apparis zuweilen zahlreiche
Blumenblätter vor, wahrscheinlich durch Spaltung der typischen vier Petala entstanden.
Die typische Zahl von 2x 4 Staubgetässen ist bisher noch nicht bestimmt
nachgewiesen worden. Allerdings finden sich zuweilen 8 Staubgefässe in der einzelnen
Blüthe, z. B. bei Orataeva. Allein die Anordnung derselben ist nicht genauer fest-
gestellt, und bleibt es zweifelhaft, ob hier die beiden typischen viergliedrigen Wirtel
regelmässig entwickelt sind. Bei Steriphoma finden sich nach Eichler (l. ce. p. 552)
wie bei den Cruciferen und vielen Uleomeen 6 Staubgefässe, 2 untere laterale und
4 obere diagonale. Bei anderen Arten finden sich wenig zahlreiche Staubgefässe in
nicht näher bestimmter Anordnung, so bei Euadenia 5, Cadaba 4—8, Atamisques
9—12 etc. In der Mehrzahl der Fälle aber sind die Staubgefässe zahlreich. — Bei
Capparis spinosa entsteht nach Payer zunächst eine einzelne ringförmige Anschwel-
lung an der Blüthenachse, ein gemeinsames Primordium der zahlreichen Staubgefässe.
Auf dem Gipfel dieses Ringwalles sprossen dann vier Staubgefässe hervor, alternirend
mit den Blumenblättern; dann ein wenig tiefer als diese vier weitere Staubgefäss-
anlagen, mit den ersteren alternirend und mit denselben zu einem zusammengesetzten
achtgliedrigen Wirtel zusammenschliessend; dann mit diesen 8 Staubgefässen alternirend
abermals etwas tiefer weitere acht Staubgefässe; darauf wieder alternirend sechzehn
Staubgefässe”) und so fort, stets in acrofugaler Reihentolge, bis die zahlreichen
1) Payer, Organogenie, p. 203. pl. 41.
?) F. Müller, Fragmenta Phyt. Austral. If. p.2 ff. t. 11.
3) Mit dieser Darstellung des Textes (p. 204) stimmen die Abbildungen (pl. 41) nicht ganz über-
ein. Fig. 10 zeigt ausser dem ersten achtgliedrigen Wirtel einen zweiten achtgliedrigen Wirtel, der mit
dem ersteren alternirt, und noch einen dritten, der mit dem zweiten alternirt. Auch Fig. 11, das nächst
ER. ARE
Staubgefässe simmtlich angelegt sind.') — Bei Capparis viridiflora entsteht ebentalls
zunächst ein Ringwall an der jungen Blüthenanlage, aus welchem dann in acrofugaler
Folge die Staubgefisse in Wirtel geordnet hervorsprossen, doch ist hier die Glieder-
zahl der einzelnen Wirtel Payer’s Abbildung (pl. 41. fig. 32) zufolge eine andere
als bei Capparis spinosa. Genauere Angaben darüber fehlen jedoch. — Ob auch in
den übrigen Fällen polystemoner Blüthen die Entwicklung der Staubgefässe in der-
selben Weise erfolgt wie bei Capparis, oder ob bisweilen die Polystemonie zu Stande
kommt durch wiederholte Spaltung mehrerer Primordien wie bei Polanisia, das muss
vorläufig noch dahmgestellt bleiben.
Der Fruchtknotenwirtel ist nur in wenigen Fällen typisch ausgebildet. Viel-
fach sind nur zwei Carpidien entwickelt, und diese stehen dann, soweit ihre Stellung
sicher ermittelt ist, lateral z. B. bei Steriphoma, Crataeva, Maerua, zahlreichen Arten
von Capparis u.a. Bei anderen Arten finden sich 3 oder 4 Carpidien ausgebildet.
Vielfach aber ist eine grössere Anzahl von Fruchtblättern entwickelt, der Fruchblatt-
wirtel ist mehrgliedrig oder selbst vielgliedrig, wobei die Zahl der Glieder selbst bei
den Blüthen ein und derselben Species variirt.?) —
folgende Stadium, zeigt keinen 16-gliedrigen Wirtel. Allein sämmtliche Figuren zeigen deutlich eine acro-
fugale Anlage der Staubgefässe in Wirteln, deren Gliederzahl allmählich zunimmt, die aber sämmtlich
mit einander alterniren.
') Hofmeister (Allgemeine Morphologie p. 467) schildert die Entwicklung der Staubgefüsse von
Capparis ganz ebenso wiePayer, ohne jedoch das Auftreten eines Ringwalles zu erwähnen. Hofmeister
eitirt bei seiner Darstellung die Angaben von Payer, doch ist nicht recht ersichtlich, ob er seine .eigene
Darstellung ausschliesslich auf diese Angaben von Payer oder auch auf eigene Untersuchungen stützt.
Eichler (Blüthendiagramme p. 51) glaubt die absteigende Entwickelung der Staubgefässe von
Capparis „durch centrifugales Dedoublement aus einigen wenigen acropetal angelegten Primordien“ erklären
zu sollen (vgl. Flora 1865. p. 552).
Ich selbst möchte hei der Beschreibung des einfachen Thatbestandes nicht anders schematisirend
deuten, als dies Payer und Hofmeister thun. Beim schematisirenden Zusammenfassen sämmtlicher
Blüthen der Capparidaceen aber möchte ich auch das Andröceum von Capparis zurückführen auf zwei
alternirende viergliedrige Wirtel. Das lässt sich ausführen, indem man sich denkt, dass die Glieder beider
Wirtel gemeinsam angelegt werden in Gestalt eines einfachen Ringwalles, dass ferner die acht Staubblätter
sich wiederholt spalten in verschiedener Richtung, und dass endlich diese zahlreichen Segmente in mehrere
alternirende Wirtel sich anordnen und dementsprechend und in absteigender Folge angelegt werden
?) Es ist eine sehr häufige Erscheinung bei den Blüthen der Dikotylen, dass der Fruchtblattwir-
tel von den vorhergehenden Blüthenwirteln hinsichtlich der Gliederzahl abweicht, bald pleiomer, bald
15*
— Mb -
Das Diagramm der beiden Abtheilungen der Familie der Capparidaceae ist
somit ganz übereinstimmend gestaltet. Wir können demgemäss dieses gemeinsame
Diagramm ohne weiteres auch als Diagramm der ganzen Familie hinstellen und fin-
den so das Diagramm der beiden nahe verwandten Familien, der Cruciferen und
der Capparidaceen, in ganz gleicher Weise gestaltet. —
Es fragt sich nur, ob auch den Blüthen der Capparidaceen typisch ein Deck-
blatt und zwei laterale Vorblätter zuzuschreiben sind wie den Blüthen der Cruciferen.
Thatsächlich ist das Deckblatt zumeist vollständig ausgebildet, bisweilen aber fehlt
es spurlos. Thatsächlich sind in der Mehrzahl der Fälle zwei laterale Vorblätter
am Blüthenstiele vorhanden, während m einzelnen Fällen die Beobachtung keine
Spur derselben nachzuweisen vermag. Alle diese thatsächlich verschiedenen Fälle
aber wird man in zweckmässiger Weise zusammenfassen, indem man der Blüthe der
Uapparidaceen (Fig. 2) typisch ein Deckblatt und zwei laterale Vorblätter zuschreibt.
Dadurch wird die Uebereinstimmung des Diagramms der Capparidaceen mit demje-
nigen der Uruciferen eine noch weit vollständigere.') i
oligomer ist. In einzelnen Familien ist eine solche Pleiomerie resp. Oligomerie durchaus constant, und
dann wird sie auch zweckmässiger Weise im Diagramm ihren Ausdruck finden. In anderen Familien dagegen
varüirt die Zahl der Glieder des Carpidienwirtels, und dann halte ich es für das zweckmässigere, die typische
Gliederzahl dieses Wirtels der Gliederzahl der übrigen Blüthenwirtel entsprechend anzunehmen. Eichler
(Blüthendiagramme p. 9) dagegen zieht es in den allermeisten Fällen vor, eine solche Oligomerie des
Fruchtblattwirtels für typisch zu erklären und in das Familiendiagramm aufzunehmen, — Die Entschei-
dung ist bier eine ziemlich willkürliche. Handelt es sich ja doch bei diesem ganzen Verfahren stets nur
darum, ob diese oder jene schematisirende Reduktion die zweckmässigere sei. Von einem entscheidenden
Grunde für diese oder jene Annahme ist hier nirgends die Rede.
t) Baillon (Hist. d. pl. III) reehnet ausser den Gruppen der Cleomeae, Cappareae und Maerueae
auch noch die Ropalocarpene und Moringeae, allerdings nur mit Vorbehalt, zur Familie der Capparidaceae.
Es mag hier von diesen beiden Gruppen der Familie abgesehen werden, so lange ihre Zugehörigkeit zur
Familie nicht bestimmter nachgewiesen ist. — Die Gruppe der Moringeae, die so vielfach schon im System
umhergeworfen worden ist, wird übrigens wohl besser aus der Ordnung der Rhoeadinen ganz auszuschlies-
sen sein. Die Moringaceae bilden wohl am besten als selbständige Familie ein verbindendes Zwischenglied
zwischen den Ordnungen der Rhoeadinae und Parietales, Guttiferae und Aesculinae einerseits und den
Leguminosae und Rosiflorae andererseits (ef. Baillon in Adansonia IX. p. 333—335.).
— 101 —
Fumariaceae.
Ausser den Capparidaceae schliessen sich den Cruciferen durch grosse Ueber-
einstimmung im Bau von Blüthe und Frucht die untereinander nahe verwandten
Familien der Fumariaceae und Papaveraceae aufs engste an. Zunächst mag hier für
die Fumariaceen das Familiendiagramm entworfen werden.
Im Blüthenbau der einzelnen Gattungen dieser Familie zeigt sich im Gegen-
satz zu den Capparidaceae eine grosse Uebereinstimmung. Das theoretische Einzel-
diagramm der einzelnen Blüthen, die zumeist in traubigen Inflorescenzen angeordnet
sind, ist hier durchweg ganz übereinstimmend gebaut.
Berücksichtigen wir zugleich den Bau der entwickelten Blüthe und die Resul-
tate der Entwicklungsgeschichte, die zuletzt durch Eichler!) aufs eingehendste unter-
sucht worden ist, so lässt sich das Familiendiagramm (Fig. 15) construiren aus zwei
medianen Kelchblättern, zwei unteren lateralen und zwei oberen medianen Blumen-
blättern, zwei lateralen dreitheiligen Staubblättern und zwei lateralen Carpidien: K 2,
C2+2, A2°, G (2).
Von den beiden Kelchblättern entsteht zuerst das vordere, dann das hintere
Blatt. Alle übrigen zweigliedrigen Wirtel aber entstehen simultan und werden in
acropetaler Folge an der Blüthe angelegt. Die Glieder des lateralen Staubblattwir-
teils entwickeln sich entweder zu einer 3-gliedrigen Staubgefässgruppe mit mehr oder
weniger zusammenhängenden Staubfäden und freien Staubbeuteln, wobei nur der
mittlere Staubbeutel vierfächrig ist, die beiden seitlichen dagegen zweifächrig (Di-
centra, Fumaria, Corydalis ete.), oder aber es verwachsen die seitlichen Lappen
der beiden dreitheiligen Staubblätter?) paarweise mit einander und entwickeln sich
1) Flora 1865. p. 434 fi. — Fast ganz übereinstimmende Resultate einer älteren entwicklungs-
geschichtlichen Untersuchung der Blüthe von Fumaria o/fieinalis berichtet auch Buchenau, Bemerkun-
gen über den Blüthenbau der Fumariaceen und Crueiferen, Flora 1866. p. 39 ff.
2) Eichler erörtert (Flora 1865. p. 451—452) ausführlich die Frage, ob diese seitlichen Lappen
als „Seitenlappen‘“ des Blattes „im gewöhnlichen Sinne oder aber als seine Nebenblätter zu betrachten ‘“
seien, und entscheidet sich dabei für die letztere Alternative. Ich muss gestehen, dass ich nicht recht
einsehe, welche Momente bei dieser Fragestellung entscheidend sein sollen, ja nicht einmal zu erkennen
vermag, worin der Unterschied der beiden angeblich verschiedenen Fälle bestehen soll. Will man ein
dreitheiliges Staubblatt auf ein gedreihtes Blatt ohne Nebenblätter oder ein einfaches Blatt mit Neben-
blättern schematisirend zurückführen, so ist das eine so gut thunlich wie das andere. Die Zweckmäs-
sigkeit eines solchen Schematisirens aber ist im einen Falle wohl ebenso problematisch als im anderen.
Er =
zu zwei regelmässigen vierfächerigen Staubgefässen (Hypecoum). — Sämmtliche Wir-
tel des Diagramms alterniren mit einander, nur allein die beiden letzten Wirtel,
Staubblatt- und Fruchtblattwirtel, sind einander superponirt. —
Eichler hat in seiner erwähnten Arbeit über den Blüthenbau der Fumaria-
ceen, Cruciferen und Capparideen (Flora 1865) ein anderes Familiendiagramm der
Fumariaceen entworfen, das sich hauptsächlich durch die Anwesenheit eines zweiten
oberen, medianen, zweigliedrigen Staubblattwirtels von dem beschriebenen Diagramm
unterscheidet. Dieser zweite obere Staubblattwirtel soll regelmässig abortiren. Eichler
gründet die Aufnahme dieses zweiten Staubblattwirtels in das Diagraınm theils auf
die Entwieklungsgeschichte, theils auf die Forderung jenes morphologischen Gesetzes,
das regelmässige Alternation der Blüthenwirtel verlangt.
Nach Eichler's eigener Darstellung (l. ec. p. 443) erhebt sich „fast gleich-
zeitig mit dem Sichtbarwerden“ der Primordien der beiden lateralen Staubblätter
zwischen denselben das Gewebe der Blüthenachse „etwas, wenn auch in sehr geringem
Grade“ und gibt „damit deutlich den Beginn einer selbständigen Entwickelung an
diesen Stellen zu erkennen“. Eine weitere Entwickelung dieser ersten Anlage aber
erfolgt nicht, „nur in einem einzigen, als abnorm zu betrachtenden Falle“ beobachtete
Eichler hier die Bildung „eines ziemlich ansehnlichen, wenn auch in Bezug auf
die übrigen allerdings kleinen Höckers“. — Dieser eigenen Darstellung Eichler's
gegenüber kann ich nicht umhin, Bedenken gegen die Deutung dieser so sehr geringen
Anschwellungen der Blüthenachse auszusprechen. Ich möchte vielmehr in diesen so
sehr geringen Anschwellungen nichts weiter sehen als einfach Anschwellungen der
Blüthenachse selbst, wie solche bei der ersten Anlage der Blüthen öfters zwischen
den einzelnen Phyllomen zu beobachten sind, keineswegs aber möchte ich sie als
Phyllome deuten. Ueberall sonst, wo derartige flache Höcker zweckmässiger Weise
als abortirende Phyllome gedeutet werden, pflegen diese Phyllome gelegentlich sich
weiter zu entwickeln und stärker auszubilden‘). So weit ich sehe, sind aber an dieser
Stelle der Fumariaceen-Blüthe noch niemals entwickelte Staubgefässe oder auch nur
rudimentäre Staminodien beobachtet worden. Ich vermag deshalb keinen ausreichenden
1) „Fast in allen Fällen, in denen die Annahme eines Aborts durch vergleichende Beobachtung
sicher indieirt ist, hat man wirklich die unterdrückten Organe gelegentlich entwickelt gefunden.“ sagt auch
Eichler, Blüthendiagramme p. 6 Anm.**,
103 —
Grund zu finden, diese so sehr Hachen Anschwellungen der Blüthenachse, von denen
Payer') und Buchenau?) früherhin nichts beobachtet hatten, und die auch Caruel?)
späterhin nicht hat auffinden können, als Phyllome zu deuten.
In der That hat sich wohl auch Eichler hauptsächlich durch jenes angebliche
morphologische Gesetz bestimmen lassen, diese Anschwellungen als abortirende
Phyllome zu deuten. Dieses Gesetz aber kann in Wirklichkeit auf eine allgemeine
Gültigkeit durchaus keinen Anspruch erheben.
Vergleicht man die zahlreichen verschiedenen Blüthengestalten der Phanero-
gamen, so zeigen uns die Thatsachen, so weit dieselben bisher bekannt geworden
sind (— und nur wirklich beobachtete Thatsachen können in Betracht kommen,
wenn es sich darum handelt, aus den Thatsachen Regeln und Gesetze abzuleiten,
niemals aber hypothetisch angenommene 'Thatsachen, von denen Niemand etwas
beobachtet hat —), dass in der Mehrzahl der Fälle die einzelnen Wirtel der wirtelig
gebauten Blüthen mit einander alterniren. Oefters lässt auch bei Blüthen, die sich
anscheinend dieser Regel nicht fügen, eine genauere Untersuchung zwischen zwei
superponirten Wirteln einen Zwischenwirtel auffinden, dessen Glieder angelegt werden,
aber nicht zur vollständigen Ausbildung gelangen, abortiren. Allein in anderen
Fällen vermag auch die genaueste Untersuchung solche abortirende Zwischenwirtel
absolut nicht nachzuweisen, hier sind thatsächlich superponirte Wirtel vorhanden,
wie z. B. Blumenkron- und Staubgefässwirtel in der Blüthe der Primulaceen, Ampelideen
u.a. Berücksichtigen wir die Thatsachen, so ist allerdings die Alternation der Blüthen-
wirtel weitaus der häufigste Fall, allein auch der entgegengesetzte Fall superponirter
Blüthenwirtel kommt thatsächlich vor. Die Alternation auf einander folgender Blüthen-
wirtel ist somit thatsächlich die Regel, ein Gesetz aber ist sie keineswegs.*)
Gleichwohl kann man sie der einheitlichen Auffassung halber schematisirend
zum „morphologischen Gesetz“ oder, richtiger gesagt, zum typischen Falle machen.
Man kann alle Fälle der verschiedenartigen Aufeinanderfolge der Blüthenwirtel aut
1) Payer, Organogenie. p. 223—229.
2) Buchenau, Flora 1866. p. 42.
3) Caruel, Note sur l’androcde des Fumarides, in Bulletin de la societ€ botanique de France.
XIV (1867) p. 229.
4) Vgl. oben p. 35. Anm. 1)
lg
den häufigsten Fall der regelmässigen Alternation schematisirend zurückführen!) und
z.B. eine Blüthe mit zwei superponirten Wirteln so betrachten, als ob ein alterniren-
der Zwischenwirtel vorhanden sei, durch Annahme eines ablastirenden Zwischenwirtels
jene Blüthe auf den typischen Fall zurückführen, sie „erklären“. Allein ein zwingen-
der Grund dazu ist durchaus nicht vorhanden. Nur die Zweckmässigkeit einer ein-
facheren Anschauungsweise kann dazu bestimmen?).
So könnte man auch im vorliegenden Falle der Fumariaceen-Blüthe einfache
Alternation sämmtlicher Blüthenwirtel herstellen durch die Annahme eines ablastiren-
den oberen medianen Staubblattwirtels. Allein diese an sich ganz zulässige Annahme _
würde zu einem Familiendiagramm hinführen, das unserer obigen Anforderung an
ein zweckmässigss Familiendiagramm, möglichst enge an die Einzelblüthen sich
anzuschliessen, widerspricht. Dieser Anforderung genügt ja ein Diagramm mit abla-
stirendem oberem Staubblattwirtel weit weniger als ein Diagramm, das einfach den
lateralen Staubblattwirtel und den lateralen Carpidienwirtel superponirt aufeinander
folgen lässt.
So möchte denn nach allem dem Gesagten das Diagramm Eichler's weniger
zweckmässig und brauchbar zum Familiendiagramm der Fumariaceen zu nennen sein
als jenes andere Diagramm, das oben als Diagramm dieser Familie hingestellt wurde.
Wem es dagegen zweckmässiger erscheint, jene flachen Anschwellungen der Blüthen-
achse als abortirende Phyllome zu deuten, der wird in der That mit Eichler dem
Familiendiagramm der Fumariaceen noch einen oberen medianen Staublattwirtel
hinzufügen müssen. —
1) In ähnlicher Weise, wie man so das alte Gesetz von der Alternation successiver Wirtel verwen-
r
den kann. um in zweekmässiger Weise die verschiedenartigen Blüthengestalten auf einen einzelnen Typus
zurückzuführen, in ganz ähnlicher Weise kann man auch aller übrigen morphologischen Gesetze, die bisher
aufgestellt worden sind, sich bedienen. Man kann dieselben sämmtlich benutzen als leitende Regeln für
ein zweckmässiges Schematisiren und kann denselben in dieser Weise eine Art von gesetzlicher Kraft
zutheilen. die ihnen sonst, wie wir schon oben (p. 35. Anm.!)) gesehen haben, gänzlich mangelt.
2) Wenn Eichler (Blüthendiagramme p. 11) sagt: „So allgemein in der That ist jene Regel‘
(dass gleichzählige successive Wirtel alterniren), „dass ich eine Blüthe, in der noch superponirte Quirle
angenommen werden, nicht für erklärt halten kann,‘ so ist dies ein subjektiv ganz berechtigter Standpunkt,
zu welchem die Rücksicht auf die praktische Zweckmässigkeit des Schematisirens veranlassen mag, ein
abjektiver, zwingender Grund zu dieser Auftassungsweise aber ist nicht vorhanden.
— 105 —
In ganz anderer Weise ward der Bau des Audröceums der Fumariaceen von
Caruel') gedeutet in einer kurzen Notiz, die durch Eichler's erwähnte Abhandlung
hervorgerufen wurde. Caruel bestätigt darin vollständig die thatsächlichen Angaben
Eichler's über die Entwicklungsgeschichte der Fumariaceen - Blüthe, mit der einen
schon erwähnten Ausnahme, dass er die angeblichen Primordien der medianen Staub-
gefässe nicht hat auffinden können. Allein er glaubt die Thatsachen in ganz anderer
Weise als Eichler deuten zu müssen. Er leitet, der alten de Oandolle’schen
Auffassungsweise?) entsprechend, aus der vergleichenden Betrachtung der entwickelten
Blüthen die Ansicht ab, dass bei den Fumariaceen das Andröceum aus zwei alterni-
renden zweigliedrigen Wirteln von Staubblättern zusammengesetzt sei. Von diesen
vier Staubblättern seien in der Mehrzahl der Blüthen die beiden oberen medianen
collateral gespalten und ihre Hälften mehr oder weniger vollständig mit den lateralen
Staubblättern seitlich verwachsen. Diese Deutung des Andröceums als Produkt
zweier Staubblattwirtel findet nun Oaruel durch die Entwicklungsgeschichte der
Blüthe durchaus bestätigt; was aber die Entstehung der vier zweifächerigen Staub-
gefässe der gewöhnlichen Fumariaceen-Blüthe durch collaterale Spaltung zweier
medianer Staubblätter betriftt, so scheimen ihm die Thatsachen der Entwieklungsgeschichte
diese Deutung jedenfalls zu gestatten, wenn sie auch keineswegs zu derselben zwingen.
In dieser letzteren Annahme möchte ich Caruel durchaus beistimmen. Die
Entwicklungsgeschichte zwingt weder zu der einen noch zu der anderen Weise der
Deutung d.i. der schematisirenden Zusammenfassung der Thatsachen. Die T'hatsachen
der Entwicklungsgeschichte der Staubgefässe lassen sich auf das allgemeine Schema
des beblätterten Sprosses zurückführen ebensowohl durch die Annahme, dass zwei
laterale Phyllome vorhanden seien, die sich dreitheilen, wie auch durch die Annahme,
dass typisch zwei untere laterale und zwei obere mediane Phyllome sich vorfinden,
von denen die medianen sich congenital spalten, deren Spaltungsprodukte ferner je
mit den seitlich benachbarten lateralen Phyllomen vereint in Gestalt einfacher gemein-
samer Primordien angelegt werden. Und ebenso lassen sich die Thatsachen der
1) Caruel, Note sur l’androce&e des Fumariees. ].c. p. 2283—230.
2) A. P. de Candolle, Organographie vegetale. I. p. 471: Dans les fumeterres et les genres
de la möme famille on trouve deux faiseeaux qui portent chacun trois antheres: celle du milieu a deux
“loges, les deux laterales a une loge; d’oü l’on peut presumer que le nombre reel des filets est de quatre,
soudes deux ä deux.
Abh. d. nalurf. Ges. zu Halle. Bd. XIV 14
— 106 —
Entwicklungsgeschichte auch durch die Deutungsweise Caruel’s auf jenes Schema
zurückführen, der annimmt, dass nach Anlage der Petala der Vegetationspunkt sich
theilt, und nun aus den beiden Hälften desselben, den Primordien der lateralen Staub-
blätter der ersteren Deutungsweise, die Staubgefässe einzeln und frei hervorsprossen,
die lateralen Staubgefässe als selbständige Phyllome, die vier diagonalen als Hälften
von zwei congenital gespaltenen medianen Phyllomen. Allein von allen diesen Deutungs-
weisen erscheint die erstere, die Deutungsweise Eichler's, weitaus als die einfachste
und deshalb als die zweckmässigste‘). Möglich und zulässig. ist die schematisirende
Ausdeutung der T'hatsachen, deren Caruel sich bedient, durchaus. Ein Moment,
das dieselbe als unzulässig widerlegte, gibt es überhaupt nicht. Einfach und zweck-
mässig aber ist dieselbe entschieden nicht. Ihr gegenüber möchte die Deutungsweise
Eichler’ zur Erklärung der Fumariaceen-Blüthe und zur Aufstellung des Familien-
diagramms entschieden vorzuziehen sein.
Ganz dieselbe Auffassung vom Bau des Andröceums der Fumariaceen wie
Uaruel vertritt übrigens neuerdings auch Baillon?). Die vier einfachen Staub-
gefässe der entwickelten Blüthe von Hypecoum sind ihm vier einfache Phyllome, in zwei
alternirende zweigliedrige Wirtel geordnet (p. 123. annot. 2.). Bei Dicentra aber heisst
es (p. 123): Les deux &tamines qui sont places en face des sepales, s’y trouvent dedou-
blees dans toute leur hauteur; et chacune de leurs moitids ... . abandonne Tautre
moitid et se porte en dehors pour aller se coller avec les bords de l’&tamine alternisepale.
Und ganz ebenso soll auch das Andröceum der übrigen Fumariaceen - Gattungen
gebaut sein.
Von dieser ganzen Anschauungsweise aber gilt ganz dasselbe, was zuvor von
der Deutungsweise Caruel’s gesagt worden ist. Sie schliesst sich weit weniger
1) Caruel hebt Eichler gegenüber hervor, dass es sicher viel einfacher und natürlicher sei,
die unregelmässigen Blüthen durch die regelmässigen zu erklären, als umgekehrt zu verfahren und das
regelmässige Andröceum von Hypecoum, das doch deutlich einen unteren lateralen und einen oberen medianen
zweigliedrigen Staubblattwirtel erkennen lasse, auf die unregelmässige Blüthe der übrigen Fumariaceen
zurückzuführen. Allein die Blüthe von Hypecoum ist, wie die Entwicklungsgeschichte zeigt, keineswegs
der ersten Anlage nach regelmässig; die regelmässige Gestaltung der entwickelten Blüthe ist vielmehr das
Resultat einer eigenthümlichen Ausbildung der ursprünglich durchaus unregelmässigen Anlage, sodass jener
Einwand Caruel’s hier gar nicht in Betracht kommen kann.
2) Baillon, Histoire des plantes. Tome III. 1872.
—— 107 —
einfach den Thatsachen an als die Eichler’sche Auffassungsweise und steht deshalb
hinter dieser letzteren Art der schematisirenden Deutung weit zurück. —
Die Blüthen der Fumariaceen stehen meist in traubigen Inflorescenzen einzeln
in der Achsel eines Deckblattes, so zwar dass die Orientirung der einzelnen Blüthen-
theile zur Abstammungsachse eine ganz bestimmte ist; selten nur sind endständige
Blüthen entwickelt‘). Der Stiel der einzelnen Blüthe ist bald vollständig nackt
(meist bei Corydalıs, Fumaria, Sarcocapnos ete.), bald finden sich an demselben zwei
laterale kleine Laubblätter (7/ypecoum) oder zwei kleine Brakteen (Dicentra, Adlumia ete.).
In einzelnen Fällen z. B. bei Corydalis glauca*) sind in derselben Bltithentraube diese
Brakteen bald entwickelt, bald rudimentär, bald fehlen sie gänzlich. Es lassen sich
hier „die Uebergänge zwischen vollkommener Entwicklung bis zu kaum erkennbarer
Spur und endlich vollständigem Verschwinden auf das Schönste verfolgen.“?) Alle
1) Regelmässig in der Blüthentraube von Corydalis glauca nach Wydler (Flora 1845. p. 611—612,
und Flora 1859. p. 290.).
2) Eichler, Flora 1865 p. 455.
3) Eichler Zieht (l.e. p. 455) aus diesen Thatsachen den Schluss, über den „Niemand“ „zweifel-
haft sein“ könne, dass hier die Vorblätter stets „als im Plane vorhanden angenommen werden müssen‘,
auch wenn nicht die geringste Spur derselben zu beobachten ist. Bei Besprechung eines ganz analogen
Falles (Bot. Zeitung 1873. p.215 Anm. 2) sagt er, dass die Gründe zu einer solehen Annahme auf der
Hand liegen.
Ich muss gestehen, ich sehe nur eine Anzahl thatsächlich verschiedener Einzelfälle, die einander
sehr ähnlich sind und sich in eine fast lückenlose Reihe neben einander ordnen lassen. In Gedanken
kann man alle diese Einzelfälle auf einen einzelnen Fall schematisirend zurückführen, z. B, auf den Fall
der entwickelten Vorblätter. Eine solche Schematisirung erscheint praktisch zweckmässig, da sie alle
Einzelfälle einheitlich zusammenzufassen gestattet, allein einen objektiven zwingenden Grund zu einer
solehen Schematisirung vermag ich nicht zu erkennen. Die Thatsachen enthalten einen solchen nicht.
Die Thatsachen zeigen nur, dass die Summe der gestaltbildenden Kräfte innerhalb des Körpers derjenigen
einander sehr ähnlichen Pflanzen, die wir unter dem Namen Corydalis glauca zusammenfassen, in
ihrer Zusammensetzung in der Weise variirt, dass sie bald die Entwicklung von vollständigen oder rudi-
mentären Vorblättern zur Folge hat, bald jede Neubildung hier unterbleibt. Das zeigt, dass die Zusammen-
setzung der gestaltbildenden Kräfte hier eine nicht sehr feste, vielmehr leicht in bestimmter Richtung
schwankende, leicht durch eventuelle Einwirkungen (— ohne solche ist ja dem Causalitätsgesetz zufolge
eine Veränderung gar nicht denkbar —) in bestimmter Richtung veränderliche ist. Eine andere Folgerung
vermag ich aus jenen T'hatsachen nicht abzuleiten. Vor allem nicht die Folgerung, dass hier die Vorblätter
stets „im Plane vorhanden“ seien; wenn nicht etwa dieser dunkle Ausdruck identisch sein soll mit unserem
14*
en
diese thatsächlich verschiedenen Einzelfälle lassen sich aber in Gedanken leicht auf
ein einzelnes Schema zurückführen. Dementsprechend können wir der Blüthe der
Fumariaceen typisch zwei laterale Vorblätter zuschreiben (Fig. 15), wie dies auch
zuvor bei den Cruciferen und Capparidaceen geschehen ist. — z
In gleich zweckmässiger Weise wird man aber auch die Blüthe der Fumariaceen
als typisch seitenständig, in der Achsel eines Decklattes entwickelt, bezeichnen und
dadurch die selteneren Fälle der entwickelten endständigen Blüthe dem weitaus
häufigeren Falle seitenständiger Blüthen unterordnen. —
Papaveraceae.
Den Fumariaceae schliessen sich die Papaveraceae so nahe an, dass sie vielfach
mit denselben zu ein und derselben Familie der Papaveraceae (s. 1.) vereinigt werden.
Das Diagramm der Familie der Papaveradeae (s. str.) lässt sich nun demjenigen
der Fumariaceae ganz analog entwerfen. Berücksichtigen wir zunächst ausschliesslich
die sg. regelmässigen Blüthen, so können wir das Familiendiagramm (Fig. 18) con-
struiren aus zwei Kelchblättern, zwei alternirenden unteren und zwei ebenfalls alter-
nirenden oberen Blumenblättern, zahlreichen Staubgefässen und zwei alternisepalen
Fruchtblättern: K 2, C 2+2, A», G (2).
Mehrere alternirende zweigliedrige Wirtel bauen somit die Blüthe der Papa-
veraceae auf, nur das Andröceum wird aus zahlreichen Staubblättern zusammengesetzt.
Alle übrigen Wirtel aber werden in einfacher acropetaler Folge an der jungen
Blüthenanlage entwickelt.
Statt dieser typischen zweigliedrigen Blüthenwirtel finden sich nun häufig
theils normal (Argemone, Platystigma, Platystemon), theils ausnahmsweise (Papaver,
Eschscholtzia, Chelidonium ete.) durchweg dreigliedrige Wirtel') in der einzelnen Papa-
veraceen-blüthe vor.
Ausdrucke ‚in dem construirten Schema oder typisch vorhanden“. Dann aber steht es in jedes Einzelnen
Belieben, ob er diese Annahme durch die Aufstellung eben jenes genannten Schemas machen will oder
nicht. Eine objektive Nöthigung dazu liegt ganz und gar nicht vor.
1) Einzelne Angaben der Litteratur weisen auch auf das Vorkommen viergliedriger Blüthenwirtel
hin. So sagen z. B. Beutham and Hooker (Genera plantarum I. 1. p. 52) in der Charakteristik der
Gattung Argemone: Sepala 2—3 ırarius 4?); petala 4+— 6 (rarius 8°). Doch finde ich nirgends eine
bestimmte sichere Angabe über derartige Blüthen, noch habe ich selbst solche Blüthen auffinden können..
— u —
Die Glieder des Kelchwirtels entstehen nach Payer') bald gleichzeitig, bald
ungleichzeitig. — Die Glieder der beiden Kronenwirtel dagegen entstehen stets simultan.
Bisweilen fehlt die Blumenkrone gänzlich (Bocconia?), Macleya) oder die Glieder der
beiden Kronenwirtel theilen sich durch collaterale Spaltung in je zwei oder drei
Blumenblätter, sodass die gesammte Blumenkrone aus 8—12 Blumenblättern gebildet
wird (Sanguinaria nach Baillon?)).
Das Andröceum wird zumeist aus zahlreichen Staubgefässen gebildet, die sich
ziemlich gleichmässig in den gegebenen ringförmigen Raum theilen. Die Anordnung
derselben im Einzelnen zeigt mancherlei Verschiedenheiten, doch lässt sich dieselbe
an entwickelten Blüthen kaum genau feststellen. Die bisher vorliegenden entwicklungs-
geschichtlichen Angaben von Payer?) und Hofmeister?) aber stimmen keineswegs
völlig unter einander überein.
Bei Docconia frutescens finden sich nämlich nach Payer in der einzelnen Blüthe
öfters nur 6 Staubgefässe, von denen zuerst zwei mit den Kelchblättern alternirend angelegt
werden, während die übrigen vier paarweise den Kelchblättern superponirt erst etwas
später sichtbar werden. Payer ordnet dieselben in einen äusseren einfachen und
einen inneren verdoppelten zweigliedrigen Staubblattwirtel. Bisweilen unterbleibt die
collaterale Spaltung bei einem der beiden Glieder dieses oberen Wirtels, und alsdann
finden sich in der Blüthe nur fünf Staubgefässe entwickelt). — Andere Blüthen
derselben Species zeigen übrigens nach Baillon’) zahlreichere Staubgefässe, doch
liegen über die Entwicklungsgeschichte derselben keine näheren Angaben vor.
Bei Macleya cordata sind nach Payer die Staubgefässe meist in vier scchs-
gliedrige alternirende Wirtel angeordnet. Von den 6 Staubgefässen des untersten
Wirtels entstehen zuerst zwei mit den Kelchblättern alternirend, dann die vier übrigen,
!) Payer, Organogenie p. 218.
?2) Moquin-Tandon, Pflanzen-Teratologie (deutsche Ausgabe von Schauer) p. 325, erwähnt eine
Blüthe von Bocconia mit entwickelter Corolle, die Adanson beobachtet hatte.
®) Baillon, Hist. des plantes III. p. 115.
4) Payer, l.c. p.219—220. pl. 45—48.
5) Hofmeister, Allgemeine Morphologie der Gewächse. p. 473 — 475.
6) Mit dieser Darstellung des Textes stimmen jedoch die eigenen Abbildungen Payer's (pl. 48.
fig. 4—6, 9) nur wenig überein. -
?) Baillon Hist. des plantes. III p.116. ann. 3.
— 110 —.
paarweise den Kelchblättern superponirt. Die Staubgefässe des folgenden zweiten
Wirtels alterniren mit den Gliedern des ersten Wirtels, sodass zwei Paare von Staub-
gefässen mit den Kelchblättern alterniren, zwei einzelne Staubgefässe denselben super-
ponirt sind. Der dritte sechsgliedrige Wirtel steht über dem ersten, der vierte über
dem zweiten Wirtel.
Bei Eschscholtzia erocea sollen nach Payer ebenfalls die zahlreichen Staub-
gefässe in alternirenden sechsgliedrigen Wirteln angeordnet sein, die acropetal auf-
einanderfolgend angelegt werden. In jedem Wirtel entstehen die 6 Staubgefässe in
zwei Zeitabschnitten, zuerst vier Staubgefässe, durch Verdoppelung eines zweigliedrigen
Wirtels entstanden, und dann die beiden übrigen in einfachem zweigliedrigem Wirtel,
Die Staubgefässpaare des untersten Wirtels alterniren mit den oberen Blumenblättern,
die beiden einfachen Staubgefässe stehen vor denselben.
In etwas anderer Weise schildert Hofmeister die Entwicklung der Staub-
gefässe bei derselben Pflanze. Darnach stehen die sämmtlichen Staubgefässe dieser
Blüthe in zweigliedrigen Wirteln, allein die successiven Wirtel alterniren nicht regel-
mässig mit einander, sondern sind in verschiedener Weise seitlich gegen einander ver-
schoben „Die beiden ersten Staubblattwirtel alterniren entweder mit den vier Kro-
nenblättern, oder der erste ist dem älteren Kronenblattpaare opponirt. In einem wie
im anderen Falle (der erstere ist der häufigere) entstehen die übrigen Staubblätter in
vom ersten Wirtel aus seitwärts fortschreitender Aufeinanderfolge, die vorhandenen
Liicken zwischen den zwei oder vier ersten Staubblättern ausfüllend, sodass 12-glied-
vige einander opponirte Wirtel gebildet werden.“
Bei Glaucium luteum kommen nach Hofmeister nicht nur zwei, sondern
drei verschiedene Entstehungsfolgen der Staubblätter vor. „Entweder zeigen sich
die ersten Staubblätter als viergliedriger Wirtel, mit den Petalen alternirend, und
es entspricht dann der weitere Entwicklungsgang der Staubblätter zunächst dem bei
Eschscholtzia gewöhnlicheren Falle; nur wird nach Anlegung eines äussersten 12 glied-
rigen zusammengesetzten Wirtels ein mit diesem alternirender von gleicher Gliederzahl
gebildet. Oder es treten in den Lücken zwischen den Petalen Staubblattpaare auf,
einen achtgliedrigen Wirtel bildend; von den Blattpaaren dieses Wirtels aus schreitet
die Anlegung von Staubblättern seitlich fort, so dass 24 gliedrige zusammengesetzte
Wirtel gebildet werden. Oder endlich es erscheinen die ersten Staubblätter paar-
weise vor den Mittellinien der vier Kronenblätter, zunächst vor denen des äusseren,
— 111 —
dann vor denen des inneren Paares; der weitere Entwickelungsgang ist dem des zwei-
ten Falles analog.“
Dem letzteren Falle im Wesentlichen ähnlich ist nach Hofmeister die Ent-
wicklung des Andröceums von Chelidonium. Dagegen gibt Payer an, dass bei
Chelidonium majus die Staubgefässe in alternirenden achtgliedrigen Wirteln angeord-
net seien. Von dem untersten ältesten Wirtel werden zunächst zwei Staubgefässpaare,
mit den oberen Blumenblättern alternirend, sichtbar, dann zwei Staubgefässpaare,
jenen Blumenblättern superponirt. Der zweite achtgliedrige Staubgefässwirtel, mit
dem ersten alternirend, entsteht sogar in drei Zeitabschnitten. Zuerst entstehen zwei
Staubgefässe mit den oberen Blumenblättern alternirend, dann zwei Staubgefässe vor
diesen Blumenblättern und endlich vier Staubgefässe mit diesen letzten vier Staub-
gefässen alternirend. Ein dritter achtgliedriger Staubgefässwirtel, der zuweilen ge-
bildet wird, alternirt mit dem zweiten, seine Glieder aber werden sämmtlich gleich-
zeitig angelegt.
Bei Platystemon californicum fand Payer die Entwicklung der Staubgefässe
ganz ähnlich, wie er sie bei Eschscholtzia beobachtet hatte. Die zahlreichen Staub-
gefässe stehen auch hier in mehrere alternirende Wirtel geordnet. Jeder dieser Wir-
tel setzt sich zusammen aus einem ersten Wirtel, dessen Glieder sich verdoppeln,
und einem zweiten Wirtel, dessen Glieder einfach bleiben. Alle diese Wirtel aber
sind den dreigliedrigen Wirteln der Blüthenhülle entsprechend sämmtlich ursprünglich
dreigliedrig. Die ausgebildeten Staubgetässe sind demgemäss in alternirende neun-
gliedrige Wirtel angeordnet.
Bei Papaver bracteatum endlich war es Payer nicht mehr möglich, eine
bestimmte Anordnung und Reihenfolge bei der ersten Anlage der zahlreichen Staub-
gefüsse zu erkennen. Er vermochte nur festzustellen, dass die Entwicklungsfolge
eine regelmässig acropetale war. Seine Abbildungen (pl. 47. fig. 16—17) aber zeigen
ausserdem noch, dass der Anlage der einzelnen Staminalhöcker die Ausbildung eines
Ringwalles vorhergeht, aus welchem erst die einzelnen Staubgetässanlagen hervorsprossen.
Hofmeister dagegen gibt für die Arten von Papaver mit dreigliedrigen Wirteln
in der Blüthenhülle an, dass die ersten Staubblätter in den Interstitien der sechs
Kronblätter angelegt werden; „und von da schreitet die Anlegung von Staubblättern
gegen die sechs Längsstreifen der Blüthenachse über der Mittellinie jedes Petalum
vor. Nachdem so ein erster, vielzähliger (bei Pap. somniferum 15—30zähliger) Staub-
ei
blattwirtel gebildet ist, entsteht mit ihm alternirend ein zweiter gleichzähliger, und
so fort in steter Alternation bis zur Erreichung der Vollzahl der Stamina“. Auch
hier in diesen späteren Wirteln erfolgt dabei das Hervortreten der einzelnen Glieder
keineswegs ganz gleichzeitig. — Ausserdem entstehen auch noch die Glieder der ein-
zelnen zwei- resp. dreigliedrigen Wirtel, aus denen die vielzähligen zusammengesetzten
Wirtel des Andröceums bei Papaver und ebenso auch bei Glaucrum und Chelidonium
zusammengezogen sind, keineswegs gleichzeitig, sondern nach Hofmeister's Angaben
durchweg suecedan, wenn auch die zwischenliegende Zeitdifterenz bisweilen verschwin-
dend gering ist.
Alle diese entwicklungsgeschichtlichen Angaben von Payer und Hofmeister
aber stimmen darin überein, dass die vielgliedrigen Staubgefässwirtel in den Blüthen
der Papaveraceen zusammengesetzte Wirtel seien, zusammengesetzt zumeist aus zwei-
resp. dreigliedrigen Wirteln mit einfachen oder verdoppelten Gliedern. Das legt den
Gedanken nahe, das Andröceum der Papaveraceen typisch aus einer Anzahl von zwei-
gliedrigen Wirteln, deren Glieder theils einfach bleiben, theils durch collaterale Spaltung
sich verdoppeln, aufzubauen.
Allein bei einem Versuche, dies im Einzelnen durchzuführen und von einem
typischen Andröceum mit zahlreichen alternirenden zwei- (resp, drei-) gliedrigen
Wirteln die sämmtlichen einzelnen Blüthen, so wie sie thatsächlich gestaltet sind,
abzuleiten, stellen sich bald so zahlreiche Schwierigkeiten heraus, dass es zweck-
mässiger erscheint, in anderer Weise eine schematisirende Zusammenfassung aller
einzelnen Blüthengestalten zu versuchen. So verlockend es somit zunächst auch sein
mag, die ganze Blüthe der Papaveraceen typisch aus mehreren alternirenden zwei-
gliedrigen Wirteln aufzubauen, so erscheint es schliesslich doch zweekmässiger, der
typischen Blüthe d. i. dem Familiendiagramm einfach zahlreiche Staubgefässe zuzu-
schreiben, die in mehrere alternirende vielgliedrige Wirtel angeordnet gleichmässig
in den Raum des Andröceums sich theilen und in einfach acropetaler Folge angelegt
werden.
Von einem solehen Andröceum lassen sich alle genannten einzelnen Fälle, die
Payer und Hofmeister beschreiben, leicht ableiten durch die Annahme ungleich-
zeitigen Entstehens der einzelnen Wirtelglieder, die in mehreren Pausen angelegt
werden und so zu Wirteln von einer geringeren Gliederzahl sich ordnen; dann durch
die Annahme collateraler Spaltung einzelner Wirtelglieder u. s. w. Auch selbst eine
— 113 —
spiralige Entwicklungsfolge und Anordnung der zahlreichen Staubgefässe liesse sich
leicht aus solchen alterrirenden vielzähligen Wirteln herstellen; und ebenso auch
ein wenigzähliges Andröceum, wie es bei Bocconia frutescens und einzelnen anderen
Arten der Papaveraceen beobachtet wird. —
Die Zahl der Carpidien variirt in der Blüthe der Papaveraceen ausserordent-
lich. Bei Ohelidonium, Glaueium, Eschscholtzia, Dendromecon, Sanguinaria, Bocconia,
Macleya, Avten von Stylophorum und Roemeria finden sich normal zwei Carpidien,
die, soweit bekannt, stets mit den Kelchblättern alterniren.!) Bei anderen Papa-
veraceen finden sich statt dessen 3, 4, 5 oder 6 Carpidien, oder es variirt die Zahl
derselben noch weit mehr bis zu zahlreichen Carpidien, wie dies bei Papaver, Meco-
nopsis und Platystemon der Fall ist. Stets aber bilden die Carpidien sämmtlich einen
einzelnen Wirtel, dessen Glieder gleichzeitig an der Blüthenachse angelegt werden. —
Alle diese verschiedenen Gynäceen aber lassen sich leicht auf den typischen zweigliedri-
gen alternisepalen Wirtel zurückführen und als pleiomer gewordene Wirtel davon
ableiten.?) —
1) Die umgekehrte Stellung der Carpidien über den Kelchblättern in dem Diagramm von Cheli-
donium bei Sachs, Lehrbuch der Botanik. 4. Aufl. p. 621. fig. 464 A. ist wohl nur ein Versehen.
2) A. Tr&cul hat bei seinen vergleichenden Studien über die Zusammensetzung und den Bau
des Pistills der Phanerogamen auch die Papaveraceen einer genaueren Untersuchung unterworfen (De la
theorie carpellaire d’apres des Papaveraeces, in Comptes rendus. 1873. Tome 76. p.159—145, 181—189,
322—326). Er kommt dabei zu dem Resultate, dass bei siimmtlichen untersuchten Papaveraceen das Pistill
nicht aus Fruchtblättern zusammengesetzt sei, sondern eine Modifikation des Stengels darstelle (que le
pistil de ces plantes n’est pas le r@sultat d’une modification des feuilles, mais plutöt de la tige. p. 189), —
Wir müssen anf diese Auffassungsweise hier noch etwas näher eingehen,
Treceul geht bei seinen Untersuchungen von der Ueberzeugung aus, dass nur die anatomischen
Merkmale eines Pflanzentheils den morphologischen Wertli desselben enthüllen. „— je m’appuierai prinei-
palement sur des caracteres anatomiques; eux seuls peuvent nous &elairer sur la veritable nature des car-
pelles“, sagt er selbst 1. c. p. 140, und ebenso p. 188: „Les caracteres anatomiques peuvent seuls mar-
quer avec certitude le degre de ressemblance que les ovaires et les fruits peuvent avoir avec la feuille
ou avec la tige.“ Er untersucht deshalb vor Allem mit grösster Sorgfalt den Bau des Fibrovasalsysteims
innerhalb der einzelnen Theile der Blüthe und findet nun ebenso wie bei anderen Familien, so auch bei
den Papaveraceen eine grosse Uebereinstimmung des Verlaufes der Fibrovasalstränge im Pistill mit dem
Verlauf der Stränge innerhalb des Stengels, aber nur sehr wenig Uebereinstimmung mit der Nervation
der Laubblätter der betreffenden Pflanzen. Daraus schliesst er, dass hier überall von Fruchtblättern,
welche das Pistill zusammensetzen, nicht die Rede sein kann.
Abh. d. naturf. Ges. zu Halle. Bd. XIV. 15
— 114 —
So erhalten wir denn als Familiendiagramm der Papaveraceen ein Diagramm,
das mit Ausnahme des Andröceums aus lauter zweigliedrigen alternirenden Wirteln,
die in acropetaler Folge angelegt werden, sich aufbaut, Dieses Diagramm stimmt
Es sucht somit Tre&eul wesentlich nach den anatomischen Merkmalen der einzelnen Pflanzentheile
den morphologischen Werth derselben, ob Phyllom oder Caulom, zu bestimmen. Aehnliche Versuche sind
bekanntlich auch von verschiedenen anderen Autoren unternommen worden, ohne jedoch grosse Anerken-
nung auf Seiten der Morphologen zu gewinnen; ja vielfach sind derartige Versuche analog den Bestrebun-
gen der sg. topischen Morphologie als ganz unwissenschaftlich gänzlich verworfen worden.
Gegen alle solche Versuche lässt sich jedoch von Seiten einer exakten Forschung ganz und gar
nichts einwenden, so lange sie consequent und klar durchgeführt werden (vgl. oben p. 85 Anm.). Mankann
zunächst, wie dies oben schon auseinandergesetzt ward, die Begriffe „Phyllom“, „Caulom“ u. s. w. durch irgend
welche Merkmale z.B. anatomische fest bestimmen und definiren und darnach untersuchen, welchem dieser
Begriffe sich nun die einzelnen Pflanzentheile unterordnen. Man wird bei einer sorgfältigen Auswahl der
Definitionen durch ein solches Verfahren dazu gelangen, sämmtliche Pflanzentheile in eine geringe Anzahl
von Kategorien einzuordnen.
Allein es wird sich dann stets fragen, ob gerade diese Eintheilung, zu der man dabei gelangt ist,
irgendwie praktisch zweckmässig genannt werden kann. — Von all den bisher gemachten Versuchen einer
Eintheilung ausschliesslich auf Grund von anatomischen Merkmalen, Versuchen, die zudem sämmtlich nicht
eonsequent durchgeführt worden sind, möchte dies kaum zu behaupten sein. —
Bei Tr&eul selbst fehlt ausserdem auch jede feste, bestimmte Definition, wonach er thatsächlich
Phyllome und Caulome unterscheidet, gänzlich. Er vergleicht einfach den anatomischen Bau des fraglichen
Pflanzentheils mit demjenigen der Stengeltheile und Blattgebilde derselben Pflanze und bestimmt dann je
nach der grösseren Uebereinstimmung mit den Stengeln oder den Blättern den morphologischen Werth
des fraglichen Pflanzentheiles. Seine Untersuchungen häufen somit ein reichliches Material anatomischer
Thatsachen an, allein bei seinen morphologischen Folgerungen fehlt jedes bestimmte Prinzip der Deutung.
Bei einem solehen Verfahren, wie Tr&cul es in der vorliegenden Frage anwendet, ist jeder willkürlichen
Deutung Thür und Thor geöffnet. —
Stellen wir uns jedoch auf den Boden einer schematisirenden Morphologie und fragen, ob man
in Anbetracht der Aechnlichkeiten des anatomischen Baues, die Tr&eul nachgewiesen hat, die Pistille der
Papaveraceen (u. a. Familien) auf ein Caulom der typischen Urpflanze zurückführen solle, so müssen wir
wohl zweckmässiger Weise dies verneinen. Zweckmässiger erscheint es mir wenigstens, das Pistjll aus
einem Cyklus von Carpidien aufgebaut zu betrachten, als dasselbe als eine ausgehöhlte Achse anzusehen.
Möglich und zulässig erscheint die letztere Weise schematisirender Zurückführung jedenfalls. Nur möchte
ich die erstere für einfacher und zweckmässiger halten, weil sie gleichzeitig auch noch die Zurückführung
der abnormen Blüthen mit verlaubtem Pistill auf ein und denselben Typus gestattet, was bei der Deutung
des Pistills als Achsenorgan ja nicht der Fall ist, —
—— 115 —
fast vollständig mit dem Familiendiagramm der nahe verwandten Fumariaceen über-
ein. Nur allein die Gestaltung des Andröceums ist in den typischen Blüthen der
beiden Familien verschieden: auf der einen Seite ein zweigliedriger Wirtel, dessen
Glieder dreitheilig sich spalten, auf der andern Seite zahlreiche Staubgefässe. Kelch
und Blumenkrone aber und ebenso das Pistill sind in der typischen Blüthe beider
Familien ganz gleichmässig gestaltet.
Einen Unterschied beider Familien aber bedingt die Stellung der Blüthe,
Bei den Fumariaceen ist die Blüthe typisch seitenständig in der Achsel eines Deck-
blattes, typisch mit zwei lateralen Vorblättern versehen und mit festbestimmter
Orientirung der einzelnen Blüthentheile zur Abstammungsachse. Bei den Papavera-
ceen dagegen ist die Blüthe typisch als endständig zu bezeichnen.
Bei der Mehrzahl der Papaveraceen stehen die Blüthen auch in der That
endständig an der Spitze beblätterter Sprosse. Die, einzelnen Blüthentheile sind
dabei stets') so geordnet, dass die beiden Kelchblätter mit den beiden obersten Laub-
blättern alterniren. Die Zahl der Laubblätter an dem einzelnen Spross varüirt jedoch
ausserordentlich. An dem Hauptspross der einzelnen Pflanzen und den älteren
Seitensprossen finden sich meist zahlreiche Laubblätter, an den jüngeren Seitenspros-
sen und den letzten Auszweigungen aber wird die Zahl der Laubblätter meist eine
geringere und sinkt häufig auf zwei oder selbst ein einziges herab. Stets aber wird
die Stellung der Kelchblätter, an Seitensprossen somit auch ihre Orientirung zu der
Abstammungsachse, bedingt durch die Anzahl der vorhergehenden Laubblätter.
Bei Papaver somniferum L. z.B. zeigen die Seitensprosse eine sehr wechselnde
Anzahl von Laubblättern, die Kelchblätter der endständigen Blüthe aber alterniren
stets mit den beiden obersten Laubblättern. Bei den letzten Auszweigungen sind
häufig nur zwei Laubblätter vorhanden in lateraler Stellung, etwas nach der Rückseite
der Blüthe hin verschoben: die Kelchblätter stehen alsdann genau median. Bisweilen
war an einem solchen Seitenspross nur ein Laubblatt entwickelt auf der Rückseite
desselben, etwas nach der Seite hin verschoben: dann standen die Kelchblätter
schräg lateral, genau mit der Medianebene jenes Laubblattes gekreuzt?). Oefters auch
”
1) Ich habe wenigstens bisher noch keine Ausnahme von dieser Regel auffinden können.
2) Die abweichende Angabe von Wydler (Flora 1859. p. 289), dass in den Blüthen von Papaver ete.
bei einem Vorblatt „das eine Kelchblatt dem Vorblatt gegenüber‘ stehe, kann ich nach meinen eigenen
Beobachtungen nicht bestätigen.
158
—— 116 —
fehlten säimmtliche Laubblätter an dem Seitenspross, der Blüthenstiel war nackt: die
beiden Kelchblätter standen dann genau lateral.
Bei Eschscholtzia cal'fornica Cham. und Glaucium Fischeri Bernh. ist der Haupt-
spross und ebenso die ersten Seitenzweige desselben mit mehreren Blättern besetzt, bevor
sie mit Blüthen abschliessen. Die weiteren Verzweigungen aber tragen stets nur zwei
laterale Laubblätter: an diesen späteren Seitensprossen stehen dann die Kelchblätter
stets genau median (Fig. 17).
Nur bei wenigen Papaveraceen sind die Blüthen sämmtlich seitenständig mit
constanter Orientirung der einzelnen Blüthentheile zur Abstammungsachse. So stehen
bei Chelidonium die Blüthen in doldenartigen Inflorescenzen; die einzelnen Blüthen-
stiele sind nackt, die Kelchblätter aber stehen nach Payer’s Angaben!) stets median
zur Abstammungsachse. Bei Bocconia (frutescens) dagegen sind nach Payer') eben-
falls die Blüthenstiele in den reichblüthigen Inflorescenzen nackt, allein die Kelch-
blätter stehen hier lateral, nicht median wie bei Chelidonium, vielmehr ganz so wie
es bei den Blüthen von Papaver somniferum mit nacktem Blüthenstiele beobachtet ward,
Eine allgemein gültige Regel für die Orientirung der einzelnen Blüthentheile
zur Abstammungsachse lässt sich somit bei den Papaveraceen nicht aufstellen. Die
Blüthen sind vielmehr am zweckmässigsten als typisch terminal am Hauptspross oder
den Seitensprossen desselben zu bezeichnen. Die Kelchblätter alterniren mit den
beiden obersten Laubblättern. Besitzen die Seitensprossen nur zwei Laubblätter, die
durchweg lateral stehen, so stehen infolge dessen die Kelchblätter median. Sind die
Seitensprossen nackt, so stehen die Kelchblätter bald lateral, bald median zur
Abstammungsachse.”) —
Bei der bisherigen Besprechung des Familiendiagramms der Papaveraceen ist
ausschliesslich von den normalen Blüthen die Rede gewesen. Es finden sich aber
auch in dieser Familie häufig unregelmässige Blüthen vor.
1) Payer, Organog£nie. p. 218.
2) Darnach berichtigt sich Payer’s Angabe (Örganogenie p. 218), dass ausser bei Bocconia
frutescens, deren Blüthenstiel nackt ist und deren Kelchblätter lateral gestellt sind, stets bei allen Papa-
veraceen die Kelehblätter median stehen, mögen zwei laterale Hochblätter vorhanden sein oder nicht.
— HT —
Die sg. gefüllten Blüthen von Papaver und Ohelidonium schliessen sich einfach
den normalen Blüthen dieser Gattungen an, sie unterscheiden sich nur allein durch
die petaloidische Ausbildung der Staubblätter. Ebenso lassen sich jene Blüthen von
Papaver somniferum L. und anderen Arten der Gattung Papaver, in denen umgekehrt
durch „vorschreitende Metamorphose“ die Staubblätter sämmtlich oder zum Theil in
Carpidien umgewandelt sind, im ganz einfacher Weise auf das Familiendiagramm
zurückführen.
. Einer eingehenderen Besprechung aber bedürfen die Blüthen mit fünfgliedriger,
anstatt vier- oder sechsgliedriger Blumenkrone, die nicht selten bei Papaveraceen
beobachtet werden.
Derartige Blüthen habe ich selbst wiederholt bei verschiedenen Arten der
Familie aufgefunden. Die Blumenkrone war in solchen Blüthen aus fünf Blumenblättern
zusammengesetzt, die in regelmässig spiraliger Anordnung (nach */,) am Blüthenboden
befestigt waren. Die einzelnen Blumenblätter, unter einander völlig gleich oder von
verschiedener, allmählich abnehmender Grösse, deckten sich mit den Rändern, genau
entsprechend ihrer */, Stellung. Andröceum und Gynäceum waren in solchen Bliüthen
meist ganz regelmässig gestaltet; der Kelch war meist bereits abgefallen, bisweilen
aber liess er sich in seiner Zusammensetzung aus 2 oder 3 Kelchblättern noch
genau feststellen.
Solche Blüthen, die bis auf die fünfgliedrige Blumenkrone durchaus regelmässig
waren, habe ich wiederholt beobachtet, bald mehr, bald weniger häufig, bei Ohelidonium
majus 1.., Eschscholtzia californica Cham., Glaueitum cornieulatum Curt., (1. Fischer
Bernh., verschiedenen Arten von Papaver, Argemone u. s. w.
Bisweilen war die Anzalıl der Carpidien in solchen Blüthen mit fünfgliedriger
Blumenkrone eine unregelmässige. So fand ich in einer solchen Blüthe von Esch-
scholtzia californica Cham. vier Uarpidien anstatt (der beiden normalen. In einer
Blüthe von Argemone mexicana L., deren Kelch bereits abgefallen war, fanden sich
fünf Blumenblätter, zahlreiche Staubgefässe und fünf Carpidien, die mit den Blumen-
blättern alternirten. Bei Papaver arenarium M. bbrst. dagegen fanden sich in einer
ganz analogen Blüthe fünf Carpidien den Blumenblättern superponirt. Bei Glaucium
Fischeri Bernh. fanden sich in einer Blüthe drei Kelchblätter, fünf Blumenblätter
in ”/, Stellung, zahlreiche Staubgefüsse und zwei Carpidien (Fig. 17).')
!) Die Anreihung des fünfgliedrigen Corollenwirtels an den dreigliedrigen Kelchwirtel war jedoch
— 118 —
In weleher Weise sind nun alle diese Blüthen mit fünfgliedriger Blumenkrone
von dem Familiendiagramm abzuleiten? Oder bedarf es etwa gar der Aufstellung
eines anderen typischen Schemas, um mit den normalen Blüthen auch diese abnormen
Blüthen auf ein und dasselbe Familiendiagramm zurückzuführen ?
Man kann in der T'hat hier in verschiedener Weise verfahren. Man kann
entweder diese fünfgliedrige Blumenkrone auf die typisch 2+2-gliedrige zurückführen
oder umgekehrt die 4-gliedrige Blumenkrone der normalen Blüthen von einer typisch
füntgliedrigen ableiten. s
Wie sehon erwähnt, wechseln die zweizähligen Blüthen bei den Papaveraceen
häufig mit dreizähligen ab. Bei Arten mit normal zweizähligen Blüthen finden sich
öfters dreizählige Blüthen vor und ebenso umgekehrt zweizälilige bei normal drei-
zähligen Arten. Nimmt man nun an, dass eine solche Variation der Gliederzahl nur
in einem der beiden normalen Blumenblattwirtel eintrete, und dass ferner die Glieder
beider Wirtel succedan angelegt werden in der Reihenfolge einer ?/, Spirale, so erhält
man die fünfgliedrige Blumenkrone mit ihrer regelmässig spiraligen Anordnung
(nach ?/,), so wie sie oberi beschrieben worden ist.‘)
nicht immer dieselbe, wie sie die Figur 17 wiedergibt. Iclı habe bei Papaver arenarium M. Bbrst. auch
.den Fall beobachtet, dass ein Blumenblatt, und zwar das zweite Blatt des ?/,-Cyklus, genau oberhalb der
Mitte zwischen zwei Blätter des dreigliedrigen Kelchwirtels fiel, dem dritten Kelchblatt also grade gegen-
über stand, nieht demselben superponirt war, wie in Fig. 17 das fünfte Blumenblatt.
!) In den genannten Blüthen liegt in der "That ein fünfgliedriger, (nach ?/,) succedaner Blüthen-
wirtel vor, der an Stelle zweier sesonderter Wirtel der normalen Blüthen steht. Er bildet das Aequivalent
zweier Wirtel, insofern er eben an der Stelle derselben steht. Einen solchen Wirtel mag man aus zwei
Wirteln, einem zweigliedrigen und einem dreigliedrigen, zusammengezogen benennen, insofern man beab-
siehtigt, beide thatsächlich verschiedenen Fälle in Gedanken auf einen derselben, den Fall der beiden
gesonderten Wirtel, zurückzuführen.
Eichler betrachtet (Blüthendiagramme p. 19—20) in ähnlicher Weise den fünfgliedrigen Kelch
aller gewöhnlichen Dikotylen-Blüthen als zusammengesetzt aus zwei Wirteln, einem unteren zweigliedrigen
und einem oberen dreigliedrigen; Wirteln, die öfters zu einer vermittelnden, zwei derartigen Wirteln „äqui-
valenten“ Spirale zusammengezogen sind. Diese ganze Anschauungsweise kann keineswegs den Anspruch‘
erheben, in kurzer, präeiser Fassung einfach die Thatsachen wiederzugeben. Sie stellt vielmehr eine jener
schematisirenden Deutungsweisen dar, die mehrere verschiedene Einzelfälle auf einen einzelnen Fall als
den typischen schematisirend zurückführen. Als solche ist diese Anschauungsweise natürlich durchaus
berechtigt Allein von einem Beweise der objektiven Wahrheit derselben kann gar nicht die Rede sein,
noch auch von einem zwingenden Grunde, der grade zu dieser Form der schematisirenden Zusammen-
— 119 —.
Umgekehrt bei Zugrundelegung einer typisch !fünfgliedrigen Blumenkrone
braucht man nur anzunehmen, dass die typische Füntzahl in vier oder sechs variire,
und dass diese vier resp. sechs Blumenblätter in zwei alternirende Wirtel sich ordnen,
um die 2+2-gliedrige, resp. 3+3-gliedrige Blumenkrone der normalen Papaveraceen-
Blüthen aus der fünfgliedrigen Blumenkrone schematisirend herzuleiten.
Ein Familiendiagramm von der Form K 2, C5(?,), Acc, G(2) würde somit
ebenfalls geeignet erscheinen, darauf sämmtliche Blüthen der Papaveraceen, die nor-
malen ebensowohl wie die abnormen, zurückzuführen, in derselben Weise wie dies auch
bei dem obigen Diagramın K2, 0©2+2, Ax, G (2) der Fall ist. Beide schemati-
schen Construktionen sind in gleicher Weise ausführbar und zulässig. Die letztere
aber erscheint doch wohl als die einfachere. Denn bei dieser bedarf es einer bei
weitem geringeren Anzahl schematisirender Umdeutungen, um aus dem Familien-
diagramm alle einzelnen thatsächlichen Blüthengestalten herzuleiten.
Und so mag denn auch unter Berücksichtigung der beschriebenen unregelmäs-
sigen Blüthen für das Familiendiagramm der Papaveraceen die oben aufgestellte Ge-
stalt beibehalten werden. Das Familiendiagramm der Papaveraceen mag aufgebaut
werden (Fig. 18) aus zwei Kelchblättern, 2x 2 Blumenblättern, zahlreichen Staubge-
fässen und zwei alternisepalen Carpidien: K 2, 0 2+2, Ax, G(2).
Resedaceae.
Zur Ordnung der Rhoeadinae wird ausser den besprochenen Familien der Uru-
ciferae, Capparidaceae, Fumariaceae und Papaveraceae jetzt allgemein noch ‚die
kleine Familie der Zesedaceae gerechnet. In der That zeigen die Zresedaceae eine
ziemlich grosse Uebereinstimmung in der Gesammtorganisation von Blüthe und Frucht
fassung veranlasste. Im Gegentheil, jede andere Weise der Schematisirung erscheint ganz in gleicher Weise
berechtigt, und mit ganz derselben Berechtigung mag man auch alle verschiedenen Gestalten des fünfgliedrigen
Dikotylen-Kelches zurückführen auf das Schema eines einzelnen, simultanen oder succedanen, fünfgliedrigen
Wirtels, so wie man es bisher meist zu thun pflegte. Mir selbst erscheint sogar diese letztere Weise
schem atisirender Zusammenfassung weit einfacher und zweckmässiger als die Deutungsweise Eichler's, und
möchte ich deshalb diese der letzteren entschieden vorziehen. Doch gibt es hier wie in allen solchen
Fragen schematisirender Ausdeutung keinen einzigen zwingenden Grund weder für die eine, noch für die
andere Deutungsweise.
=
mit den Oapparidaceae, namentlich der Unterabtheilung der Cappareae, und schlies-
sen sich durch Vermittlung dieser Gruppe an die übrigen Rhoeadinen an, wenn
auch nicht zu leugnen ist, dass die Verwandtschaft der übrigen, bereits besprochenen
Familien der Rhoeadinae untereinander eine weit grössere ist, als diejenige dersel-
ben mit den Resedaceen.
Das Familiendiagramm der Resedaceen (Fig. 16) aber lässt sich einfach aus
fünt fünfgliedrigen Wirteln aufbauen.')
Diese typische Gestalt der Resedaceen-Blüthe findet sich nirgends, so weit be-
kannt, thatsächlich verwirklicht. Alle einzelnen Blüthen der Familie weichen mehr
oder weniger von der typischen Blüthengestalt ab, bei allen bedarf es mehr oder
weniger zahlreicher Aenderungen, um aus dem Familiendiagramm die einzelnen
Blüthen abzuleiten.
Vor allem sind die Blüthen durchweg unregelmässig. Die Blüthen, die sämmt-
lich in traubigen oder ährigen Blüthenständen einzeln in der Achsel eines Deckblat-
tes stehen ohne Vorblätter, zeigen allgemein auf der Rückseite die einzelnen Blütben-
theile weit stärker ausgebildet, als auf der Vorderseite. Dem entspricht auch eine
durchaus ungleichzeitige Anlage der Glieder aller einzelnen Blüthenwirtel, die zuerst
auf der Rückseite der Blüthe angelegt werden, zuletzt erst auf der Vorderseite der
Blüthe. Dann varürt die Gliederzahl der Blüthenwirtel sehr vielfach; anstatt der
typisch fünfzähligen Blüthen finden sich häufig vierzählige (Keseda luteola) oder
sechszählige Blüthen (Zeseda lutea) und selbst achtzählige (Kandonıa). Und endlich
tritt im Andröceum vielfach collaterale Spaltung der einzelnen Phyllome auf.
Der typisch 5-gliedrige Kelch erscheint häufig, selbst bei Blüthen einer und
derselben Species 4- oder 6-gliedrig, selbst 7- oder 3-gliedrig. Bei fünfgliedrigem
Kelehwirtel, wie er vielfach bei Reseda, Caylusea, Astrocapus, Ochradenus auftritt,
steht das unpaare Kelchblatt median auf der Rückseite der Blüthe. Bei viergliedrigem
1, Es würde hier viel zu weit führen, auf die reichhaltige ältere Litteratur über das Diagramm
oder, nach der französischen Ausdrucksweise, die Symmetrie der Resedaceen-Blüthe näher einzugehen und
alle früheren Deutungen der Blüthe zu besprechen. Es sei nur allein an die eigenthümliche Deutung
erinnert, die Lindley einige Zeit lang vorgetragen hat, dass nämlich die Blüthe von Reseda eine Inflores-
cenz darstelle von ähnlicher Zusammensetzung wie das Cyathium von Euphorbia. Späterhin hat bekannt-
lich Lindley selbst diese Deutung wieder fallen gelassen.
— 121 —
Kelchwirtel, wie er für die Untergattung Zuteola Tourn. von Reseda charakteristisch
ist, stehen die vier Kelchblätter diagonal. Bei sechsgliedrigem Kelchwirtel, der
sich vielfach bei den übrigen Arten von Reseda findet, ferner bei Ochradenus u. s. w.,
steht ein Kelchblatt median rückwärts, eins median vorne und vier schräg seit-
lich.') Auch bei sieben- und achtgliedrigem Kelehe, der sich häufig bei Reseda
odorata L. findet, steht ein Kelchblatt median auf der Rückseite‘ der Blüthe. Bei
Oligomeris sind von den fünf typischen Kelchblättern, von denen eins auf der Rück-
seite der Blüthe steht, häufig L—3 abortir. — Die Entwicklungsgeschichte zeigt
nach Payer’s Darstellung, dass von dem fünfgliedrigen Kelche von Astrocarpus sesa-
moides und Feseda odorata L. (— die letztere Species besitzt allerdings zumeist einen
sechsgliedrigen Kelchwirtel —) zuerst die beiden seitlichen Kelchblätter entstehen, dann
das hintere, zuletzt die beiden vorderen.?)
!) Payer (Örganogenie p. 194) sagt: Quand la fleur est quaternaire, un sepale est posterieur, un
autre anterieur et deux sont lateraux. Enfin quand la fleur est construite sur le type 6, deux sdpales
sont anterieurs, deux posterieurs, et deux lateraux. — Ich habe dagegen die Stellung der Kelchblätter bei
vier- und sechsgliedrigem Kelehe stets bei allen Arten, die ich beobachtete, grade umgekehrt gefunden.
Und ebenso findet sich die Stellung der 4 resp. 6 Kelchblätter bei allen übrigen Autoren in der oben
angegebenen Weise beschrieben (z. B. Buchenau, Beitr. zur Morphologie von Reseda, Bot. Zeitung 1853.
p. 363— 364; Döll, Flora d. Grss. Baden. p.1255; Müller Arg. in De Candolle’s Prodromus XVI, II,
p. 548 ff.; ete.). — Die Stellung der Kelehblätter und Kronblätter in dem Diagramm von Reseda odorata
bei Baillon, Hist. des plantes III. p. 299 ist wohl nur die Folge eines Versehens, denn der Text gibt
(p.295) ausdrücklich eine andere Stellung der sechs Kelchblätter an.
®) Payer, Örganogenie p. 194. pl. 39—40. — Payer fährt dann weiter fort: Dans la fleur
quaternaire, c'est le m@me ordre d’evolution. Le ealice des Reseda peut done ötre eonsiderd comme com-
pose de deux paires de feuilles, l’une alterne avec la bractee me£re, l’autre antero-posterieure dont l’une
des feuilles, celle qui est superposede ä la bractee mere, se dedouble parfois pour former un calice quinaire
au lieu d’un calice quaternaire.
Payer sucht somit den fünfgliedrigen und den viergliedrigen Kelch der verschiedenen Arten von
Reseda auf eine einzelne typische Gestalt zurückzuführen durch die Annahme, dass der Kelch hier stets
aus zwei zweigliedrigen Wirteln, einem unteren lateralen und einem oberen medianen, zusammengesetzt
sei, von denen der obere Wirtel häufig durch Spaltung des vorderen Blattes dreizählig würde. Er betrachtet
somit den Kelelı der Reseda-Blüthen als dieyklisch, in ähnlicher Weise wie dies auch Eichler (vgl.p. 118 Anm.!))
beim Kelch der meisten Dikotylen-Blüthen thut. Allein abgesehen davon, dass dieser typische Kelch
Payer's bei Reseda weit weniger zweckmässig genannt werden dürfte als die Annahme eines einzelnen
succedanen Kelchwirtels, beruht auch Payer’s Anschauungsweise, wie schon angegeben wurde, auf einer
unrichtigen Beobachtung der Stellung der Kelchblätter bei viergliedrigem Kelche.
Abh. d. nturf. Ges. zu Halle. Bd. XIV. 16
BE
Die Kronblätter alterniren allgemein mit den Kelchblättern und sind den-
selben gleichzählig. Entsprechend dem Kelehwirtel ändert die typische Fünfzahl
der Blumenblätter daher häufig in 4') oder 6, selbst 7 oder 8 ab. Die Blumen-
blätter sind durchweg untereinander ungleich, die der hinteren Seite der Blüthe sind
stets am vollkommensten ausgebildet, die der vorderen Seite am unvollkommensten.
Bei Oligomeris sind nur die beiden hinteren Blumenblätter, die mit dem hinteren
medianen Kelehblatt alterniren, entwickelt. Bei Ochradenus fehlen die Blumenblätter
vollständig. — Die Entwicklungsgeschichte zeigt nach den Beobachtungen von Payer
an Reseda und Astrocarpus, dass die Anlage der Blumenblätter auf der Rückseite
der Blüthe beginnt und von da an beiden Seiten bis zur Vorderseite vorschreitet;
das median vordere Blatt des fünfgliedrigen Blumenblattwirtels ist stets das jüngste.
Die Zahl der Staubgefässe variirt in den Blüthen der Resedaceen vielfach,
oft an einer und derselben Species. Meist ist eine grössere Anzahl von Staubgefäs-
sen vorhanden, ihre Anordnung aber lässt sich an der entwickelten Blüthe nicht
sicher ermitteln. — Die Entwicklungsgeschichte zeigt nach Payers Darstellung,
dass nach der Anlage der Blumenblätter an der ziemlich konischen Blüthenanlage
ein Ringwulst auftritt, dessen Entwicklung ebenfalls auf der Rückseite der Blüthe
eine stärkere und frühere ist als auf der Vorderseite. Auf der Höhe dieses Ringwul-
stes sprossen die Staubgefässe hervor; der untere Theil dieses Ringwulstes aber
wächst nach der Anlage der Staubgefässe zu jener drüsigen, namentlich auf der
Rückseite der Blüthe stark entwickelten, verbreiterten Scheibe (Diskus) aus, welche
für die Blüthe der Resedaceen charakteristisch ist. Die Anlage der Staubgefässe
beginnt auf der Rückseite der Blüthe mit einem einzelnen medianen Staubgefäss,
superponirt dem medianen Kelchblatt, und schreitet von da an beiden Seiten der
Blüthe gleichmässig zur Vorderseite fort, ohne dass nachträglich neue Staubgefässe
t) Ich lasse dahingestellt, ob die Blüthe von Zuteola 'Tourn. mit viergliedrigem Keleh- und Kronen-
wirtel aus typisch viergliedrigen Wirteln aufgebaut sei oder ob dieselbe zweckmässiger als eine Blüthe mit
pseudotetrameren Wirteln im Sinne von A. Braun (Sitzungsb. 1. bot. Ver. d. Prov. Brandenburg. 29. Januar
"1875; vgl. Bot. Zeitung 1875. p. 309) zu deuten sei. Mir will es fast zweckmässiger erscheinen, die vier-
gliedrigen Wirtel dieser Blüthe in letzterer Weise zu deuten, anstatt jene Vierzahl nur als eine einfache
Variation der typischen Fünfzahl zu betrachten. (Auch Wydler sagt in der Flora 1859. p. 295 von
R. luteola: „Kelch und Krone durch Fehlschlagen des medianen (hintern) Sepalum des medianen (vordern)
Petalum ‚von dem doch oft Spuren vorhanden) tetramerisch.‘
rn
zwischen die bereits gebildeten Anlagen eingeschoben würden. Bei Reseda werden
nach Payer meist 11 oder 13, seltener zahlreichere Staubgefässe entwickelt. Im ersteren
Falle zeigt die Entwicklungsgeschichte, dass vor dem medianen Kelchblatt ein Staub-
gefäss angelegt wird, vor den übrigen Kelchblättern aber je ein Paar von Staub-
gefässen und endlich noch vor den beiden hinteren Blumenblättern je ein einzelnes
Staubgefäss, etwas tiefer an der Blüthenanlage inserirt als die episepalen Staubgefässe.
Bei 13 Staubgefässen stehen vor den beiden vorderen Kelchblättern je drei Staub-
gefässe. (Dasselbe ist nach Payer's Abbildungen Taf. 40 auch bei Astrocarpus sesa-
moides der Fall.) Bei zahlreichen Staubgetässen aber, wie sie z. B. Reseda odorata
zukommen, finden sich vor den seitlichen und den vorderen Kelchblättern je Gruppen
von mehreren collateralen Staubgefässen, wobei die Grappen vor den vorderen Kelch-
blättern stets zahlreicher sind als diejenigen vor den seitlichen. Nach Payer wird
in allen diesen Fällen das Andröceum aus zwei füntgliedrigen Wirteln gebildet, von
denen der Wirtel der Kronstaubblätter nur die beiden hinteren Glieder entwickelt,
während von den Kelchstaubblättern nur das mediane hintere Staubblatt einfach bleibt,
die übrigen sämmtlich durch collaterale Chorise sich in zwei oder mehr Staubgefässe
spalten. —
Bei Oligomertis sect. Resedella finden sich in der Blüthe nur drei Staubgefässe
ausgebildet. Sie stehen auf der Rückseite der Blüthe vor dem medianen Kelchblatt
und den beiden hinteren Blumenblättern und entsprechen so den drei ältesten Staub-
gefässen von Zteseda.') — Bei Astrocarpus finden sich in der Blüthe 6— 20 Staub-
gefässe, bei Oligomeris sect. Holopetalum 6—1V, bei Caylusea 10—15, bei Ochradenus
(0— 30 uud bei Kandonia meist 16 Staubgetässe. Genauere Angaben über die
Stellung dieser Staubgefässe aber liegen nicht vor, und so muss es auch dahingestellt
bleiben, ob etwa in den fünfzähligen Blüthen von Caylusea mit 10 Staubgefässen oder
in den 8-zähligen von Pandonia mit 16 Staubgefässen diese Staubgefässe in zwei
regelmässige alternirende Wirtel angeordnet sind.
Dennoch stehe ich. nicht an, die bisher vorliegenden Thatsachen über den
Bau des Andröceums der Resedaceen in der angetührten Weise zusammenzufassen’
und der typischen Resedaceen-Blüthe zwei alternirende fünfgliedrige Staubblattwirtel
zuzuschreiben. Auf ein derartiges typisches Andröceum lassen sich die bisher vor-
i) Payerl.c. p. 196.
16*
m —
liegenden Thatsachen leicht durch Annahme von Spaltung und Ablast einzelner Glieder
zurückführen, wie schon die erwähnte Deutung des Andröceuns von Zeseda durch
Payer darthut.') Aller Analogie nach aber lässt sich erwarten, dass auch die übri-
gen, noch nicht genauer untersuchten Resedaceen-Blüthen eine Zurückführung auf
dasselbe Schema zulassen werden.
Der Carpidienwirtel zeigt ebenfalls in der Mehrzahl der Resedaceen-Blüthen
‚eine Abweichung von der typischen Fünfzahl und wird pleiomer oder oligomer. Bei
Astrocarpus finden sich meistens fünf Carpidien regelmässig ausgebildet den Blumen-
blättern superponirt?); doch treten auch häufig an Stelle derselben vier oder sechs
Uarpidien auf. Bei Caylusea ist die Sechszahl der Carpidien der häufigere Fall,
seltener finden sich deren fünf.’) Bei Reseda*), Oligomeris, Ochradenus und Randonia
1) Hofmeister (Allgemeine Morphologie p. 463) beschreibt die Entwicklung des Andröceums
von Resedu und A4strocarpus ganz übereinstimmend mit den Angaben von Payer, ohne jedoch das
anfängliche Auftreten eines Ringwulstes zu erwähnen! Er schreibt dabei den meisten Blüthen der Resedaceen
nur einen einzigen, vielgliedrigen Wirtel von Staubblättern zu. Mir erscheint dagegen die obige schema-
tisirende Ausdeutung der Andröceen nach den sämmtlichen bisher vorliegenden T'hatsachen als die zweck-
miässigere.
?2) Payer, Organogenie ete. pl. 40. Baillon, Histoire des plantes, "Tome. III. p. 294.
3) Ob diese fünf Carpidien von Caylusea den Petalen superponirt sind oder mit denselben alter-
niren, vermag ich aus den vorliegenden Litteraturangaben nicht zu ersehen.
%#) Huisgen (Untersuchungen über die Entwieklung der Placenten. p. 11) deutet auch die Placenten
von Reseda luteola analog den Placenten der Urueiferen auf Grund ihrer Ertwicklungsweise als besondere
Blüthenphyllome und schreibt demgemäss der Blüthe dieser Speeies ausser dem Carpidienwirtel noch einen
weiteren alternirenden Phyllomwirtel zu. Dieselbe Bedeutung sollen die Placenten bei allen Resedaceen besitzen.
Dagegen hat bereits A. Braun (Verhandl. des Bot. Vereins d. Prov. Brandenburg XVI. (1874)
p. 47) mit techt hervorgehoben, dass eine Ausdehnung dieser Deutungsweise der Placenten von der einzigen
beobachteten Species Reseda luteola auf die ganze Familie bei der hier obwaltenden Gestaltenmannigfaltig-
keit durchaus unthunlich sei.
Was aber diese Deutung der Placenten speciell für Reseda luteola betrifft, so ist hiergegen ganz das
Analoge einzuwenden, was oben (p. 84. Anm. ')) gegen die entsprechende Deutung der Placenten der Crueiferen
bemerkt worden ist. Eine praktisch nützliche, zweckmässige Definition des Begriffes „Phyllom“, die zur
Bezeichnung jener Placenten als Phyllome nöthigte, liegt zur Zeit nicht vor. Wenn aber die Aufgabe
gestellt ist, die vorhandenen Einzelgestalten der verschiedenen Blüthen der Resedaceen auf einen einzelnen
Typus schematisirend zurückzuführen, so erscheint es mir am zweckmässigsten, die Placenten von Beseda
als die verdiekten Ränder der seitlich verwachsenen Carpidien zu deuten, der Blüthe derselben somit nur
einen einzelnen einfachen Carpidienwirtel zuzuschreiben.
era
aber wird der Carpidienwirtel meist aus 3 oder 4 Gliedern zusammengesetzt mit
wechselnder Stellung der Glieder, seltener finden sich zwei oder fünf Carpidien
entwickelt. — Die Entwicklungsgeschichte zeigt nach den Angaben von Payer, dass
auch die Glieder des Carpidienwirtels ungleichzeitig angelegt werden, ebenso wie die
Glieder aller übrigen Blüthenwirtel, indem auch hier die Anlage auf der Rückseite
der Blüthe begmnt und von da nach der Vorderseite fortschreitet.
So baut sich also das Diagramm der Resedaceen aus fünf fünfgliedrigen Wirteln
auf. Kelch- und Corollenwirtel alterniren regelmässig. Die beiden Staubgefässwirtel
stehen vor den beiden Wirteln der Blüthenhülle und alterniren unter einander. Der
Carpidienwirtel endlich steht vor dem Corollenwirtel.')
Nach den Abbildungen Payer’s (pl. 40. fig. 6—8) entstehen die beiden Staub-
gefässe des Wirtels der Kronstaubblätter weiter auswärts?) an der Blüthenachse, als
die Kelchstaubblätter. Die Reihenfolge der Entwicklung aber beginnt mit dem
medianen hinteren Staubgefäss und schreitet von da nach der Vorderseite der Blüthe
gleichmässig fort, ohne dass eine Anordnung der Staubgefässe in zwei Wirtel durch
einen Unterschied in der Zeit der ersten Anlage derselben deutlich ausgesprochen
würde.”) Die beiden Staminalwirtel, von denen der äussere vor dem Blumenblatt-
wirtel steht, der innere vor dem Kelchwirtel*), entstehen somit gleichzeitig.
1) Röper sagt in der Botanischen Zeitung 1846. p. 245 in Bezug auf die Resedaceae: „Die
Frucht ist bei einigen isomer und dann stehen die Karpelle vor den Kelehblättern“‘, Ich vermag nicht
zu sagen, auf welche Formen sich diese Angabe bezieht. Bei Astrocarpus ist die Stellung der Carpidien
vielmehr epipetal.
?2), Payer's Darstellung im "Texte (l.c. p. 196) sagt, oflenbar infolge eines Schreibfehlers: ... .
deux etamines quisont plus int@erieurs que les autres, ce qui est un cas assez rare dans le regne vegetal. —
Dass die epipetalen Staubgefässe weiter nach Innen stehen als die episepalen, ist ja bei Phanerogamen
keineswegs ein seltener Fall.
3) Ad. Chatin (Comptes rendus. 1874. Tom. 78. p. 122) behauptet auch für die Resedaceen
centrifugale Entwicklung der beiden Staminalwirtel, ohne jedoch nähere Angaben darüber beizubringen.
So lange nieht ausführlichere Mittheilungen vorliegen, muss diese Angabe Uhatin’s dahingestellt bleiben.
4) Die Blüthen der Resedaceen sind somit obdiplostemon. —
Mit diesem Ausdrucke „obdiplostemon“ möchte ich alle diejenigen Blüthen mit zwei Staubblatt-
wirteln bezeichnen, deren epipetaler Staubblattwirtel tiefer inserirt ist als der episepale, mag nun die
Entwicklungsfolge beider Wirtel eine acropetale sein, wiez.B. nach Frank (Pringsheim’s Jahrb. f. wiss.
Bot. X. p. 216 fl.) bei Oxalis und Geranium, oder eine acrofugale, wie nach Chatin (Comptes rendus 1874,
em
Der typischen Blüthe der Resedaceen werden wir demnach zweckmässiger
Weise fünf fünfgliedrige Wirtel (Fig. 16) zuschreiben, die regelmässig alterniren mit
Ausnahme des Corollenwirtels und des äusseren Staminalwirtels, die einander super-
ponirt sind. Sämmtliche Wirtel folgen einander in acropetaler Reihenfolge, nur die
beiden Staubblattwirtel werden gleichzeitig angelegt. Die Blüthen stehen in der
Achsel eines Deckblattes und sind so zur Abstammungsachse orientirt, dass das unpaare
Kelchblatt auf der Rückseite der Blüthe genau median steht. Vorblätter fehlen der
Blüthe gänzlich.
Tome 78. p. 887) bei der Mehrzahl der Dikotylen-Blüthen mit zwei Staubblattwirteln, oder mögen beide
Wirtel genau gleichzeitig entwiekelt werden, oder mögen endlich die Glieder der beiden Wirtel in noch
anderer Reihenfolge angelegt werden, wie z.B. eben bei Reseda. Die Stellung der Carpidien, ob epipetal,
wie in den meisten Fällen, oder episepal, mag bei dieser Bezeichnung, die von der Gestaltung des Andrö-
ceums hergenommen ist, besser ganz unberücksichtigt bleiben. — Als diplostemon dagegen möchte ich die-
jenigen Blüthen bezeichnen, die einen unteren episepalen und einen oberen epipetalen Staubblattwirtel
besitzen ohne Rücksicht auf die Entwicklungsfolge beider Wirtel und die episepale oder epipetale Stellung
des Carpidienwirtels.
Beiderlei Blüthen, die obdiplostemonen und die diplostemonen, sind übrigens durch Mittelformen
mit zwei gleich hoch inserirten Staubblattwirteln verbunden,
Ad. Chatin, der zuerst den Ausdruck obdiplostemon gebraucht hat (Comptes rendus 1856. "Tome 42,
p. 14), wendet denselben an zur Bezeichnung des einen der beiden Blüthentypen, die er bei den Blüthen
mit zwei Staubblattwirteln unterscheidet, derjenigen Blüthen nämlich, welche einen jüngeren unteren epipetalen
und einen älteren oberen episepalen Staubblattwirtel und einen epipetalen Carpidienwirtel besitzen. Chatin
unterlässt es, dabei genauer anzugeben, welches dieser Merkmale nun das eigentlich entscheidende für die
Benennung obdiplostemon sein soll. Er erwähnt überhaupt zu jener Zeit ausser diesen obdiplostemonen
Blüthen nur noch Blüthen mit fünf regelmässig alternirenden Wirteln als einfach diplostemone Blüthen. —
Neuerdings (Comptes rendus 1874. Tiome 78. p. 175) bezeichnet er die Blüthen mit aerofugaler Entwicklungs-
folge der beiden Staubblattwirtel und tieferer Insertion des epipetalen Wirtels als obdiplostemon Auch
Eichler (Blüthendiagramme p. 188, p. 335—336) erwähnt als obdiplostemon nur Blüthen mit acrofugaler
Folge der beiden Staubblattwirtel bei tieferer Stellung der Kronstaubgefässe und epipetaler Stellung der Carpidien.
Für Celakovsky (Ueber den „eingeschalteten“ epipetalen Staubgefässkreis. Flora 1875) endlich
ist bei der Anwendung der Ausdrücke obdiplostemon und diplostemon nur allein die epipetale resp. episepale
Stellung der Carpidien bestimmend. die Stellung und Entwicklungsfolge der Staubblätter dagegen ganz
bedeutungslos. (Das zeigt am deutlichsten die Stelle p.520, die von den Caryophylleen Malachium und
Cerastium handelt.)
u —
Diagramm der Rhoeadinen.
Unsere obige Besprechung der verschiedenen Arten von Blüthen-Diagrammen
hat schon hervorgehoben, dass in derselben Weise, wie im Familiendiagramm die
Gattungsdiagramme zusammengefasst werden, so auch die verschiedenen Familien-
diagramme einer Ordnung zu einem einzelnen Gesammtdiagramm vereinigt werden
können. Es sei hier noch unsere Autgabe, dieses Gesammtdiagramm für sämmtliche
Familien der Rhoeadinen zu entwerfen.
Das Diagramm der Capparidaceen stimmt, wie wir gesehen haben, vollständig
mit dem Diagramm der Uruciferen überein. Das Diagramm der Fumariaceen aber
unterschied sich nur sehr wenig von demjenigen der nahe verwandten Papaveraceen,
Diese beiden letzteren Diagramme lassen sich nun zunächst leicht zu einem
einzelnen Diagramm von der Gestalt des obigen Papaveraceen-Diagramms zusammen-
fassen. Der einzige Unterschied des Blüthendiagramms der beiden Familien, abgesehen
von Deckblatt und Vorblättern, bestand ja darin, dass in der typischen Blüthe der
Papaveraceen das Andröceum aus zahlreichen Staubblättern gebildet wurde, in der
Blüthe der Fumariaceen dagegen aus zwei lateralen dreitheiligen Staubblättern.
Dieses letztere Andröceum lässt sich nun leicht aus dem ersteren ableiten‘); ja es
lässt sich überhaupt kein anderes typisches Andröceum aufstellen, das in noch ein-
tacherer Weise eine Ableitung der beiderlei Andröceen der Fumariaceen und Papa-
veraceen gestattete. So wird man denn am zweckmässigsten dem gemeinsamen Dia-
gramm der beiden Familien die Gestalt des Familiendiagramms der Papaveraceen
beilegen. — Vereinigt man übrigens, wie das vielfach geschieht, die beiden nahe
verwandten Familien mit einander zu einer einzelnen Familie der Papaveraceen (s. 1),
so wird jenes gemeinsame Diagramm der beiden Familien einfach zum Familien-
diagramm dieser erweiterten Familie der Papaveraceen.
In welcher Weise aber lässt sich dieses gemeinsame Diagramm der Fumariaceen
und Papaveraceen mit dem identischen Diagramm der Cruciferen und Capparidaceen
') In welcher Weise die beiden lateralen dreigliedrigen Staubgefässbündel der Fumariaceen am
zweckmässigsten von den zahlreichen Staubblättern dieses gemeinsamen Diagramms abzuleiten seien, mag
dahingestellt bleiben. Am einfachsten wäre allerdings eine einfache Reduktion der Zahl der Staubblätter
bis auf zwei. Allein einzelne Momente möchten wohl den Gedanken nahe legen, jene Staubgefässbündel
durch theilweise Verwachsung mehrerer Phyllome abzuleiten, zu „deuten“,
128 —
vereinigen? und wie ist damit das Diagramm der Resedaceen zu verbinden, um sämmt-
liche Familien der Rhoeadinen auf ein einzelnes Gesammtdiagramm zurückzuführen ?
Zunächst erscheinen die beiden Diagramme der Papaveraceen resp. Fumaria-
ceen und der Urueiferen resp. Capparidaceen durchaus heterogen. Das erstere Dia-
gramm zeigt mit Ausnahme des vielgliedrigen Andröceums durchweg zweigliedrige
Blüthenwirtel mit doppelter Blumenkrone, das letztere Diagramm dagegen setzt sich
aus lauter viergliedrigen Wirteln mit einfacher Blumenkrone zusammen.
Weit grösser erscheint auf den ersten Blick die Uebereinstimmung des
Eichler’schen Orueiferen-Diagramms, das wir oben wegen seiner geringeren Zweck-
mässigkeit als Familiendiagramm der Oruciferen verworfen haben, mit dem Familien-
diagramm der Fumariaceen und Papaveraceen. Und in der That hat wohl auch
diese anscheinende Uebereinstimmung der Diagramme der naheverwandten Familien,
wie sie durch Eiehler's Örueiferen - Diagramm hergestellt wurde, viel dazu beige-
tragen, dem Eichler’schen Diagramm die Zustimmung der Morphologen zu gewinnen,
das ältere COrneiferen - Diagramm zu verdrängen. Denn auch dieses Eichler'sche
Crueiferen -Diagranım ist wie das Diagramm der Fumariaceen und Papaveraceen
wesentlich aus zweigliedrigen Wirteln aufgebaut. Allein bei genauerem Vergleich
zeigt sich doch ein beträchtlicher Unterschied. Während bei den Papaveraceen und
Fumariaceen dem einfachen zweigliedrigen Kelchwirtel zwei alternirende zweigliedrige
Corollenwirtel folgen, finden sich im Diagramm der Crueiferen und ebenso in dem-
jenigen der Capparidaceen zwei alternirende -zweigliedrige Kelchwirtel und darauf
ein einfacher viergliedriger Oorollenwirtel. Beiderlei Diagramme lassen sich somit
nicht ohne complieirte Aenderungen!) mit einander zu einem gemeinsamen Diagramme
vereinigen, Aenderungen, die keineswegs weniger complieirt sind als diejenigen, durch
welche, wie wir sogleich sehen werden, das vierzählige Crueiferen-Diagramm mit dem
zweizähligen Papaveraceen-Diagramm vereinigt werden kann.
1) Man könnte etwa schematisirend den vierzähligen diagonalen Corollenwirtel der Cruciferen
durch paarweise Verwachsung der Blumenblätter in einen zweizähligen medianen Corollenwirtel verwandeln
und den zweiten lateralen Kelehwirtel durch Aenderung der physiologischen Funktion zu einem äusseren
Gorollenwirtel machen; oder aber man könnte annehmen, dass der dritte Blüthenwirtel bei den Cruciferen
abweichend von den übrigen zweigliedrigen Wirteln ausnahmsweise viergliedrig geworden sei, müsste dann
aber ebenfalls eine verschiedene Funktion des zweiten Blüthenwirtels bei Cruciferen resp. Capparidaceen
und Papaveraceen resp. Fumariaceen annehmen.
Diese beiden Diagramme nämlich lassen sich, zugleich mit dem Diagramm
der Resedaceen, zu einem Gesammtdiagramm vereinigen, das aus fünf alternirenden
fünfgliedrigen Wirteln aufgebaut ist (Fig. 19.): K5, 05, A5+5, G 5.
Eine einfache Variation der Gliederzahl der einzelnen Wirtel zugleich mit
einer Feststellung der Orientirung der Blüthe zur Abstammungsachse gestattet? aus
diesem gemeinsamen Diagramm der Rhoeadinen das Diagramm der Cruciferen und
Capparidaceen abzuleiten. Eine ungleichzeitige Entstehung des Kelchwirtels und
eine häufige collaterale Spaltung der Staubblätter verbunden mit Ablast bestimmter
einzelner dieser Staubblätter sind die wichtigsten Variationen, die innerhalb der
beiden Familien der Blüthenbau aufweist.
Etwas complieirter allerdings sind die Aenderungen, welche aus diesem gemein-
samen Diagramme das Diagramm der FPapaveraceen und Fumariaceen herstellen
lassen. Hier muss zunächst der fünfgliedrige Kelchwirtel oligomer werden durch
Reduktion auf zwei Kelchblätter und ebenso der Carpidienwirtel durch oligomere
Ausbildung auf zwei Carpidien reducirt werden, welche in ihrer Stellung mit den
beiden Kelehblättern alterniren. Gleichzeitig muss der Corollenwirtel aus der Fünf-
zahl in die Vierzahl umändern, so zwar, dass zwei von den vier Blumenblättern den
beiden Kelchblättern superponirt sind, und es müssen sich die vier Blumenblätter in
zwei alternirende zweigliedrige Wirtel ordnen. Endlich aber müssen die beiden
Staminalwirtel in ein vielgliedriges Andröceum umgewandelt werden').
1) Zur Ableitung des Andröceums der Einzeldiagramme vom Gruppendiagramm bedarf es viel-
fach bei den Dikotylen zahlreicher verschiedenartiger Aenderungen. Es ist eine sehr häufige Erscheinung,
dass die Blüthen derselben Familie einen sehr verschiedenen Bau des Andröceums darbieten. Als zweck-
mässigster Typus für alle verschiedenen Einzelfälle bietet sich aber fast stets das Andröceum aus zwei
alternirenden gleiehzähligen Wirteln dar. Die Glieder dieser Wirtel können theilweise abortiren oder
ablastiren, verwachsen oder sich spalten in der verschiedensten Weise. Es können die Wirtel pleiomer
oder vielzählig werden, in einen doppelzähligen Wirtel zusammenrücken oder in mehrere seceundäre Wirtel
auseinandertreten. Es können ferner die vielzähligen Wirtel in eine Spiralstellung übergehen oder aus
dieser wieder zu complieirter wirteliger Stellung zusammenrücken u.s.w. Alle solchen verschiedenartigen
Andröceen, wie sie oft in derselben Familie neben einander sich vorfinden, lassen sich mehr oder minder
direkt von dem Andröceum aus zwei gleichzähligen alternirenden Wirteln ableiten. Namentlich aber gilt
dies von allen den verschiedenartigen Formen des polystemonen Andröceums, die durch die verschiedensten
Zwischenformen mit dem typischen Andröceum in Zusammenhang gebracht werden können.
Abh. d. naturf. Ges. zu Halle. Bd. XIV. 17
130 -
Etwas anderer Art sind endlich die ‚Veränderungen, welche aus dem gemein-
samen Rhoeadinen-Diagramm das Diagramm der Resedaceen abzuleiten gestatten.
Neben einer gleichzeitigen Entwicklung der beiden Staminalwirtel, des dritten und
vierten Blüthenwirtels, muss noch die Aenderung eingeführt werden, dass der vierte
Wirtel der Kronstaubblätter nicht oberhalb des dritten angelegt wird, sondern unter-
halb desselben zwischen diesem und dem Corollenwirtel sich einschiebt, somit zum
äusseren Staminalwirtel wird. Im Zusammenhang mit dieser Aenderung der Stellung
der beiden Staminalwirtel ändert auch der fünfte Blüthenwirtel, der Carpidienwirtel,
seine Stellung aus der episepalen in die epipetale, sodass er nun mit dem räumlich
nächsten, inneren Staminalwirtel, dem ursprünglich dritten Wirtel der typischen
Blüthe alternirt‘).
1) In analoger Weise sind meines Erachtens alle obdiplostemonen Blüthen von einer diplostemonen
typischen Blüthe abzuleiten. Wenigstens ist mir bis jetzt noch keine Blüthe bekannt geworden, bei welcher
mir eine andere Ableitung zweckmässiger erschienen wäre.
Eichler (Blüthendiagramme p. 51, p. 336—338) entscheidet: sich bei einer Besprechung der
verschiedenen früheren Versuche, die obdiplostemonen Blüthen auf die typischen diplostemonen Blüthen
zurückzuführen, oder, wie er selbst im Sinne der alten Morphologie sagt, zu „erklären“, für eine andere
Erklärungsweise. Ihm erscheint die St. Hilaire’sche „Erklärung “ der obdiplostemonen Blüthen durch
Deutung der Kronstaubgefässe als serialer Segmente der Blumenblätter als die plausibelste und zweckmässigste,
wenn er auch nicht in Abrede stellen will, dass vielleicht auch eine andere Erklärungsweise in einzelnen Fällen
berechtigt sein möchte, dass z. B. jener Wirtel von Kronstaubgefässen bisweilen einen besonderen nachträglich
eingeschobenen Wirtel „intercalirter Phyllome“ darstellen möchte. Demgegenüber kann ich nur hervorheben,
dass mir bisher noch stets in allen einzelnen Fällen die oben genannte Ableitung als die einfachere und
deshalb zweckmässigere erschienen ist.
Noch weniger aber möchte ich einer anderen Auffassung Eichler’s mich anschliessen. Eichler sieht
(l.e. p. 338) nämlich in allen obdiplostemonen Blüthen nur eine Modifikation der haplostemonen Blüthen,
führt die ersteren sämmtlich auf die letztere typische Gestaltung zurück, indem er“ in dem Wirtel der
Kronstaubgefässe (— er berücksichtigt 1. c. nur obdiplostemone Blüthen mit inverser Entwicklungsfolge der
Staminalwirtel —) nur einen Wirtel „unwesentlicher, accessorischer‘‘ Organe sieht, nicht einen Wirtel von
Organen, „die im Plane der Blüthe wesentlich und nothwendig sind“. Dieser Deutung der epipetalen
Staubgefässe möchte ich nicht beistimmen. Mir erscheint es zweckmässiger, die obdiplostemonen Blüthen
auf den Typus der diplostemonen Blüthen zurückzuführen durch die Annahme, dass der obere Staubblatt-
wirtel der letzteren an der Blüthenachse herabgerückt ist bis unterhalb des unteren Staubblattwirtels, unter
Beibehaltung der typischen aeropetalen Entwicklungsfolge oder auch unter geänderter Reihenfolge, und
dass zugleich, wenigstens in der Mehrzahl der Fälle, der Carpidienwirtel seine typisch episepale Stellung
geändert hat in eine epipetale, sodass er wieder mit dem räumlich nächsten Wirtel alternirt.
u Be
In dieser Weise lassen sich die verschiedenen einzelnen Familiendiagramme
der Rhoeadinen von jenem gemeinsamen Diagramm ableiten, und so erlaubt uns
dieses gemeinsame Diagramm alle einzelnen Familiendiagramme auf eine und dieselbe
typische Gestalt zurückzuführen. Allerdings ist diese Ableitung zum Theil nur in
einer nicht sehr einfachen Weise auszuführen. Allein, so weit ich sehe, ist ein
gemeinsames Diagramm, das in einfacherer Weise eine Ableitung der einzelnen
Familiendiagramme ermöglichte, nicht aufzufinden. Und so müssen wir denn das
Diagramm, das aus fünf alternirenden fünfgliedrigen Wirteln sich aufbaut, als das
zweckmässigste gemeinsame Diagramm der Rhoeadinen bezeichnen.) —
Mir erscheint es aber auch noch weiterhin zweckmässiger, den Typus der haplostemonen Blüthen
als solchen ganz fallen zu lassen und alle derartigen Blüthen auf die typisch diplostemone pentacyklische
Blüche zurückzuführen durch Annahme des Ablastes des oberen Staminalwirtels und einer begleitenden
Stellungsänderung des Carpidienwirtels. die denselben dann wieder in Alternation mit dem räumlich nächsten
Wirtel setzt. (Vgl. auch Ad. Chatin in Comptes rendus 1874. Tome 78. p. 1029—1031.)
Ich stimme somit vollständig mit den Resultaten überein, zu welchen Celakovsky in seinem
Aufsatze: „Ueber den „eingeschalteten“ epipetalen Staubgefässkreis“ (Flora 1875. p. 481 ff.) gelangt. Auch
nach Celakovsky’s Ansicht ist „für die Eleutheropetalen und vielleicht auch für die Sympetalen die
pentacyklische Blüthe ebenso als typisch anzusehen, wie bei den Monoeotylen“ (p. 523). Allein der Beweis-
führung, durch welche Celakovsky seine Anschauungsweise zu begründen sucht, kann ich durchaus
nicht beistimmen. Alle seine Beweismomente entbehren, wie sich bei genauer Prüfung herausstellt, aller
und jeder Beweiskraft gänzlich. Sie zeigen allein, dass eine schematisirende Ableitung der haplostemonen
und der obdiplostemonen Blüthen von der pentacyklisch diplostemonen Blüthe „die Zusammenfassung
möglichst vieler Fälle unter einen Gesichtspunkt‘“ in möglichst einfacher Weise erlaubt. Dieser Umstand
mag zur Aufstellung der pentaeyklisch diplostemonen Blüthe als der typischen Blüthe veranlassen, weil
dadurch eben eine zweckmässige Zusammenfassung ermöglicht wird. Allein er zwingt durchaus nicht
dazu, Einen zwingenden Grund zur Aufstellung jener Blüthe als der typischen vermag auch eine
„phylogenetische Untersuchung“ nicht nachzuweisen. Nur die Rücksicht auf ein zweckmässiges Schematisiren
kann zur Aufstellung eines solchen T'ypus veranlassen.
Und nur solche Zweckmässigkeitsgründe sind es, die mich zur Aufstellung des einzigen Typus
der pentacyklisch diplostemonen Blüthe bestimmen. —
!) Dieses Diagramm der Rhoeadinen aus fünf alternirenden fünfgliedrigen Wirteln muss auch im
Hinblick auf die Verwandtschaftsverhältnisse der besprochenen Familien weit zweckmässiger erscheinen als
ein Diagramm, das etwa aus einer wechselnden Anzahl von alternirenden zweigliedrigen Wirteln aufgebaut
ist. Die meisten Verwandtschaftsbeziehungen der Rhoeadinen weisen ja auf die Familien der Parietales
hin, und hier in diesen Familien findet sich vielfach die pentacyklische Blüthe mehr oder weniger regel-
17*
en
Dieses Diagramm der Rhoeadinen aber ist identisch mit dem gemeinsamen
Blüthendiagranım aller Dikotylen. Der Versuch, für alle Familien der Rhoeadinen
ein gemeinsames Diagramm aufzustellen, führt uns somit zu einer typischen Blüthen-
gestalt, aus der sich zugleich sämmtliche Blüthen der Dikotylen ableiten lassen.
Allein das ist bei den meisten Ordnungen der Dikotylen, namentlich der eleuthero-
petalen Dikotylen der Fall. Nur bei wenigen Ordnungen, zumal der sympetalen
Dikotylen gelingt es, ein Ordnungsdiagramm zu entwerfen, das von jenem gemein-
samen Dikotylen - Diagramm durch besondere Eigenthümlichkeiten sich unterscheidet.
Dieser Umstand lässt den praktischen Werth der Ordnungsdiagramme im Allgemeinen °
als einen sehr geringen erscheinen und hat es jedenfalls auch verursacht, dass man
sich seither noch sehr wenig mit der Construktion soleber wenig zweckmässiger Ordnungs-
diagramme beschäftigt hat.
Von grösserer praktischer Zweckmässigkeit aber erscheint es wieder, alle Blüthen
der Dikotylen auf ein einzelnes Schema zurückzuführen. Als Schema dieser Art aber
ergibt sich am zweckmässigsten das genannte Diagramm mit fünf alternirenden
tünfgliedrigen Wirteln (Fig. 19.).
Vieltach allerdings ist man bei dem Zurückführen der einzelnen Blüthen-
gestalten auf typische Schemata nicht soweit gegangen, dass man sämmtliche Dikotylen-
Blüthen auf einen einzelnen T'ypus reducirte. Man hat jene Blüthe mit fünf alter-
nirenden fünfgliedrigen Wirteln allerdings als Typus einer grossen Anzahl von Blüthen
hingestellt, hat daneben aber noch mehrere andere „ursprüngliche“ Blüthentypen
annehmen zu müssen geglaubt, so z. B. den Typus der haplostemonen Blüthen, der
rein acyklischen Blüthen u. s. w.') So hat man namentlich auch für die Rhoeadinen
mässig ausgebildet oder erscheint doch wenigstens durchweg als die zweckmässigste Form der typischen
Blüthe, Und selbst in der Ordnung der Polycarpicae, an welche auf der anderen Seite die Rhveadinae
zunächst sich anschliessen, erscheint diese pentacyklische Blüthe allgemein als der zweckmässigste Typus,
auf welehen die sänimtlichen hier so mannigfaltig gestalteten Blüthenformen zurückzuführen sind. Wollte
man dagegen die typische Blüthe der Rhoeadinae im Anschluss an die Eichler’schen Diagramme der
Orueiferen, Capparidaceen und Fumariaceen aus mehreren zweigliedrigen Wirteln aufbauen, so würde die
Differenz des Blüthenbaues in den so nahe verwandten Ordnungen als eine sehr wesentliche erscheinen,
während doch in der 'Ihat die Uebereinstimmung so gross ist, dass man bei manchen Gattungen, z. B.
Jeffersonia, Crossosoma u.a., zweifelhaft sein kann, ob man sie den Rhoeadinae oder den Polycarpicae
resp. Parietales zurechnen solle.
') Vgl. Sachs, Lehrbuch der Botanik 4. Aufl. 1874. p. 617: Die Blüthen der Dikotylen „lassen
133 —
einen besonderen Blüthentypus aus lauter alternirenden zweigliedrigen Wirteln in
wechselnder Anzahl construirt. Die Aufstellung mehrerer solcher ursprünglicher
Blüthentypen aber kann wohl nicht Anspruch auf die Bezeichnung einer zweckmässigen
Verfahrungsweise machen. Es handelt sich ja, wie wir gesehen haben, bei diesem
ganzen Verfahren allem um schematische Construktionen; es gilt der praktischen
Zweckmässigkeit wegen die mannigfaltigen Einzelgestalten schematisirend zusammen-
zufassen.. Das geschieht allerdings, wenn man alle Blüthen der Dikotylen auf wenige
typische Gestalten zurückführt. Allein weshalb man hier nun stehen bleiben soll
und nicht vielmehr auch diese Typen wieder auf einen Gesammttypus zurückführen,
das ist nicht recht abzusehen.
Dass aber ein Zurückführen sämmtlicher bisher aufgestellter Blüthentypen aut
den genannten gemeinsamen Typus aller Dikotylen-Blüthen in einfacher Weise aus-
führbar ist, das habe ich versucht, im Vorhergehenden an dem Beispiel der Rhoea-
dinen zu zeigen. In ähnlicher Weise lässt sich dies bei allen übrigen Ordnungen
leicht ausführen.
Es würde zu weit führen, diesnoch eingehend hier nachzuweisen. Nur wenige
Bemerkungen mögen hier noch beigefügt werden, um anzudeuten, in welcher Weise
eine solche Ableitung bei der den Rhoeadinen so nahe verwandten Ordnung der
Polycarpieae, in dieser Beziehung wohl der schwierigsten unter. allen Dikotylen, aus-
geführt werden kann. Das typische Dikotylen-Diagramm selbst findet sich in dieser
Ordnung der Polycarpicae nur selten, wenn überhaupt in irgend einem einzelnen Falle,
verwirklicht. Bei den Aanunculaceae werden vielfach bei regelmässigem Kelch und
Blumenkrone die Stammal- und Carpidienwirtel vielzählig, die vielzähligen Glieder ordnen
sich spiralig. Häufig greift ferner dieser Vorgang auch auf Blumenkrone und Kelch
iiber: es werden alsdann siimmtliche Blüthenorgane vielzählig und.ordnen sich spiralig,
oft ohne scharfe Grenze zwischen den verschiedenartigen einzelnen Organen, wie bei
den Magnoliaceae und Nymphaeaceae. Weiterhin gehen die zahlreichen spiralig
geordneten Blüthenglieder wieder in wirtelige Anordnung über, sie ordnen sich in
mehrere superponirte Wirtel, die bei grader Gliederzahl gewöhnlich in alternirende
sich nicht, wie die Monocotylen mit wenigen Ausnahmen, auf einen Typus zurückführen. Selbst die
Aufstellung verschiedener Typen für ebenso viele grössere Gruppen ist mit manchen Unsicherheiten ver-
bunden ete.“ —
er Me
Wirtel von halber Gliederzahl auseinandertreten (Derberis, Epimedium, Menispermaceae,
Lauraceae') ete.), oder in zahlreiche Wirtel mit einfacher oder complicirter Alternation,
Su sie stellen sich in ganz unregelmässiger Anordnung neben einander u. s. w.
ı) Die meisten Blüthen von Berberis besitzen bekanntlich je zwei, regelmässig alternirende,Kelchwirtel,
Corollenwirtel tind Staubblattwirtel, die sämmtlich dreigliedrig, nur selten zweigliedrig sind. Man schreibt
dieser Blüthe zumeist (z.B. Eichler, Blüthendiagramme) auch typisch je zwei derartige Wirtel zu. Ich
möchte jedoch diese Blüthe in ganz anderer Weise „erklären“ d.h. auf einen ganz anderen Typus dieselbe
schematisirend zurückführen, und zwar auf einen T'ypus, von welchem zugleich zahlreiche andere Blüthen
naheverwandter Pflanzen sich ableiten lassen. Dieser Typus ist eine Blüthe mit regelmässig spiraliger An-
ordnung der einzelnen Blüthentheile. Aus einer solchen Blüthe mit ?/;-Stellung der Blüthenphyllome er-
gibt sich sehr einfach eine Blüthe mit superponirten fünfgliedrigen Wirteln, denen je eine andere physiolo-
gische Funktion der Blüthenphyllome zugetheilt ist. Durch einfache Variation der Zahl der Wirtelglieder
entstehen statt der 5-gliedrigen superponirten Wirtel deren vier- oder sechsgliedrige, und diese treten dann
leicht in alternirende Wirtel von der halben Gliederzahl aus einander. Seltener nur bleibt die Fünfzahl
der Wirtelglieder erhalten.
In dieser Weise glaube ich am zwecekmässigsten die Blüthe von Berberis mit den Blüthen der
verwandten Polycarpicae auf ein gemeinsames Schema zurückführen zu können. Und dieser Art des
Schematisirens schliessen sich auch die selteneren fünfzähligen Berberis-Blüthen mit superponirten fünfglie-
drigen Keleh-, Corollen- und Staubblattwirteln (Fig. 20) meines Erachtens aufs einfachste an. Jedenfalls
erscheint mir diese „Erklärung“ der letzterwähnten fünfzähligen Berberis-Blüthen weit zweckmässiger als
diejenige, die Eichler (l. e. p. 16) aufgestellt hat, nach dessen Auffassungsweise hier jeder fünfzählige
Wirtel aus einem zwei- und einem dreigliedrigen Wirtel zusammengesetzt ist, die fünfzählige Blüthe von
der normalen Berberis-Blüthe sich somit nur dadurch unterscheidet, dass abwechselnd zwei- und dreigliedrige
Wirtel dieselbe aufbauen statt der durchweg drei- resp. zweigliedrigen Wirtel der normalen Blüthe, —
In ganz analoger Weise wie die Blüthen von Berberis scheinen mir auch die Blüthen von Epi-
medium auf ein typisches Schema zurückzuführen und ganz ebenso die seltenen fünfzähligen Blüthen die-
ser Gattung (vgl. Baillon, Adansoniall. p. 271, Histoire des plantes Ill. p. 56. ann, 5.) zu „erklären‘‘;
desgleichen die Blüthen der Menispermaceae, Lauraceae u.s.w. —
Umgekehrt möchte ich die entsprechenden fünfzähligen Blüthen der Monokotylen „erklären“,
Solche Blüthen mit 5 Perigonblättern und fünf superponirten Staubblättern lassen sich öfters bei verschie-
denen Gattungen der Monokotylen‘, namentlich der Liliitloren, z. B. G@agea, Colchicum u. s. w., beobachten.
Solche Blüthen möchte ich auf das Schema der normalen Monokotylen-Blüthe mit je zwei dreigliedrigen
Perigon- und Staubblattwirteln zurückführen durch die Annahme, dass die zwei gleichartigen dreiglie-
drigen Wirtel zu einem sechsgliedrigen zusammengerückt sind und dieser heteromer fünfgliedrig geworden
ist. An diese Blüthen mit superponirten fünfgliedrigen Wirteln reihen sich dann andere mit einfach spi-
raliger Anordnung (nach 2/,, 3/,, 2/; u.s.w.) der Blüthentheile an, wie sie z. B. bei Colchicum autumnale
bisweilen zu beobachten sind.
135 —
Durch solche Aenderungen, zu denen dann noch Ablast, Spaltung und Verwach-
sung einzelner Bliitthentheile hinzutreten, lassen sich sämmtliche einzelnen Blüthen der
Polycarpicae trotz ihrer mannigfaltigen Gestaltung auf das gemeinsame Schema aller
Dikotylen-Blüthen mehr oder minder direkt zurückführen, ohne dass es der Aufstellung
eines besonderen Typus der rein acyklischen Blüthe oder einer Blüthe mit 2—3-fachem
Kelche, 2—3-facher Blumenkrone u. a. m. bedürfte. Und in ganz analoger Weise lassen
auch die Blüthen aller übrigen Ordnungen der Dikotylen eine Zurückführung auf die
eine typische Dikotylen-Blüthe bald in mehr, bald in weniger einfacher Weise zu. —
Schlusswort.
Zum Schlusse dieser ganzen Darstellung sei noch einmal in Kürze der Grund-
gedanke derselben hervorgehoben.
Unsere ganze obige Darstellung hat versucht, theils durch theoretische Erör-
terungen, theils durch vollständige Durchführung eines bestimmten praktischen Bei-
spiels, nachzuweisen, dass es sich bei allen den zahlreichen Gruppendiagrammen,
die man construiren mag, stets nur um schematische Construktionen handelt. Das
gilt von den Artdiagrammen ebensowohl, wie von den Gattungs- und Familiendia-
grammen u. s. w., und ganz ebenso auch von dem Gesammtdiagramm aller Dikotylen-
Blüthen. Es sind alles dies nur schematische Construktionen, die mehr oder minder
zweckmässig ausgeführt werden können. Alles Beweisen ist von diesem ganzen Ge-
biete wissehschaftlicher Spekulation gänzlich ausgeschlossen. Nur allein die praktische
Zweckmässigkeit der einzelnen aufgestellten Construktionen und Schemata kann in
Frage kommen.
Dieses Schicksal aber theilt die Lehre von den Blüthendiagrammen mit der
gesammten Metamorphosenlehre, ja fast mit der gesammten bisherigen vergleichenden
Morphologie der Phanerogamen'). Es handelt sich hier fast überall ausschliesslich
um schematisirende Construktionen.
1) Die vergleichende Morphologie der Phanerogamen bietet heutigen Tages ein Beispiel weit-
gehender Meinungsdifferenzen der Autoren dar. Mehrere verschiedene Richtungen morphologischer For-
schung stehen sich gegenüber und bekämpfen einander. Jede dieser Richtungen schreibt nur sich allein
eine wissenschaftliche Berechtigung zu. Daneben aber wird vielfach die gesammte morphologische For-
schung als allen wissenschaftlichen Werthes bar gänzlich bei Seite geworfen. — Diesem Widerstreite der
Meinungen gegenüber wird nur eine eingehende Erörterung der Grundprinzipien der verschiedenen For-
schungsmethoden zu einer befriedigenden Uebereinstimmung der Ansichten hinführen können.
Drei Hauptriehtungen morphologischer Forschung lassen sich zur Zeit unterscheiden. Zwei der-
selben, die ältere vergleichende Morphologie und die phylogenetische Morphologie, stehen einander sehr
nahe, sie weichen von einander eigentlich nur in der Ausdeutung der Forschungsergebnisse ab. Beide
suchen auf dem Wege des Vergleichs die zahlreichen, so äusserst mannigfaltigen Einzelgestalten auf ein-
zelne Grundtypen zurückzuführen. Diesen Grundtypen schreiben beide objektive Realität und Wahrheit
zu. Während aber nun die ältere vergleichende Morphologie diesen objektiv wahren und realen Grund-
typen eine metaphysische, rein ideelle Realität beilegte, hat die phylogenetische Morphologie diese meta-
physische Realität als naturwissenschaftlich unfassbar und unzulässig verworfen und jene Grundtypen zu
Se
Solche Construktionen aber besitzen als Hülfsmittel zu einheitlicher Zusammen-
fassung zahlreicher verschiedener Einzelgestalten entschieden wissenschaftlichen Werth
den Stammformen aller jetzt lebenden Pflanzengestalten erhoben, ihnen damit eine streng physikalische Rea-
lität verliehen. In der Forschungsweise, den Methoden der Beweisführung und selbst in den Resultaten
der Untersuchung stimmen aber beide Richtungen morphologischer Forschung vollständig überein.
Diesen beiden nahe verwandten Richtungen steht eine dritte gegenüber, die neuerdings wieder
eine grössere Reihe von Vertretern gefunden hat. Sie mag wohl nicht mit Unrecht als eine termino-
logische Richtung bezeichnet werden. Auch sie bezweckt, die Fülle der mannigfaltigen Einzelgestalten
auf einzelne Grundtypen zurückzuführen. Allein diese Grundtypen sind ihr weder metaphysische Ideen,
noch hypothetische Stammformen — über beiderlei Dinge vermag ihrer Ansicht nach eine exakte For-
schung gar nichts auszusagen —, sondern nur Rubriken einer übersichtliehen Anordnung. Sie stellt auf
Grund einer vergleichenden Betrachtung der Einzelgestalten eine Anzahl Rubriken oder Kategorien aut,
definirt bestimmt und scharf die wesentlichen Merkmale dieser Rubriken und ordnet alsdann die Einzel-
gestalten in dieselben ein. Auf diese Weise werden jeweilig zahlreiche Einzelgestalten in eine Kategorie
unter einheitlicher Bezeichnung zusammengefasst, auf einen Grundtypus zurückgeführt. Dieser Grund-
typus ist dann aber nichts anderes als ein gemeinsamer Oberbegriff, durch die genannten wesentlichen
Merkmale charakterisirt. Die Zurückführung eines einzelnen Falles auf einen einzelnen Grundtypus ist
dann niehts anderes als eine Unterordnung des einzelnen Falles unter den betreffenden Oberbegriff, will
auch nichts anderes besagen, als dass dem einzelnen Falle eben jene Merkmale zukommen, die den be-
treffenden Oberbegriff, den betreffenden Grundtypus charakterisiren. Diese ganze Riehtung morphologischer
Forschung läuft somit hinaus auf die Aufstellung bestimmter scharf definirter Oberbegriffe und die Unter-
ordnung der einzelnen Thatsachen unter dieselbe oder mit anderen Worten auf die Benennung der ein-
zelnen T'hatsachen mit den vorher ihrer Bedeutung nach genau präcisirten Namen. Insofern dürfen wir
Menn auch diese ganze Richtung eine terminologisehe nennen. Die Grundtypen dieser terminologischen
Morphologie sind aber, wie sich aus dem Gesagten von selbst ergibt, notwendig wesentlich verschieden
von den Grundtypen der beiden anderen Richtungen morphologischer Forschung, auch wenn die Namen
derselben ganz gleichlautend sind.
Zu dieser terminologischen Morphologie gehören nun vor allem auch jene Bestrebungen wmorpho-
logischer Forschung, die unter dem Namen der topischen Morphologie von den verbündeten Richtungen
der älteren vergleichenden und der phylogenetischen Morphologie neuerdings so vielfach und zum Theil
äusserst heftig und leidenschaftlich angegriffen werden. Diese topische Morphologie definirt, wie wir schon
oben gesehen haben (p. 70 Anm. )), die Kategorien „Caulom‘‘ und „Phyllom‘‘ durch bestimmte Merkmale der
räumlichen Stellung und sucht nun die einzelnen thatsächlichen Gestalten in diese Kategorien einzuordnen.
Ihr besitzen somit diese Kategorien „Caulom“, „Phyllom“ u. a. ähnliche nothwendiger Weise eine wesentlich
andere Bedeutung als jenen beiden anderen Richtungen der Morphologie.
Der Streit dieser verschiedenen Richtungen morphologischer Forschung beruht nun im Grunde auf
einem vollständigen gegenseitigen Missverständniss, begründet in dem Mangel einer Aufklärung über die
Abh. d. nturf. Ges. zu Halle. Bd. XIV. 18
a
und Berechtigung. Sie verlieren aber sofort alle objektive Geltung, wenn sie mehr
sein wollen als eben schematisirende Construktionen, wenn sie prähistorische thatsäch-
=
heiderseitigen Grundprinzipien. Die Begriffe „Caulom“ und „Phyllom‘“ der topischen Morphologie sind ganz
wesentlich verschieden von den gleichnamigen Grundtypen der älteren vergleichenden und der phylogene-
tischen Morphologie. Und ebenso ist es auch mit allen den übrigen Typen, die von der vergleichenden
Morphologie aufgestellt worden sind. Ihre Bedeutung im Sinne der terminologischen Morphologie ist eine
ganz andere als im Sinne der beiden anderen Richtungen morphologischer Forschung. Ueberhaupt ist
diese ganze terminologische Morphologie ihrem Wesen nach gänzlich verschieden von jenen beiden anderen
Richtungen, ihr Endziel ist ein ganz verschiedenes, und demgemäss muss auch ihre ganze Forschungsweise
und ihre Methoden ganz andere sein, die Beweiskraft der einzelnen’Beweismomente muss eine ganz andere
sein: kurzum eine Uebereinstimmung der beiderlei Richtungen in den Resultaten der Forschung kann nur
zufällig erfolgen, eine Verschiedenheit wird die allgemeine Regel sein.
Fassen wir aber die drei genannten Richtungen an sich in Bezug auf ihre wissenschaftliche Be-
rechtigung etwas näher ins Auge, so muss zunächst der terminologischen Morphologie eine solche Berech-
tigung durchaus zugestanden werden. Sie beschränkt sich ausschliesslich auf eine Anordnung und Rubri-
zirung der einzelnen Thatsachen. Der Werth der gewonnenen Resultate dieser Forschungsweise wird
jeweilig durch die praktische Brauchbarkeit der aufgestellten Anordnung der Thatsachen bestimmt werden.
Die beiden anderen Richtungen morphologischer Forschung, die man vielfach als vergleichende
Morphologie zusammenfasst, laufen im Grunde hinaus auf ein schematisirendes Zurückführen aller ver-
schiedenartigen Einzelgestalten auf beliebige einzelne, sg. typische Gestalten, denen dann objektive Rea-
lität zugeschrieben wird. Eine solche Realität der Grundtypen, mag sie nun eine ideelle metaphysische
sein oder eine hypothetische physikalische, kann aber eine exakte Forschung nicht anerkennen. Man hat
deshalb vielfach die ganze Forschungsweise der vergleichenden Morphologie als wissenschaftlich werthlos
verworfen. Allein wohl mit Unrecht. Eine schematisirende Reduktion der zahlreichen Einzelgestalter
auf einzelne Grundtypen muss vielmehr, wie mir scheint, durchaus als zulässig und selbst zweckmässig an-
erkannt werden, wofern man nur in jenen Grundtypen nichts anderes sehen will als eben Produkte einer
schematisirenden Construktion, als rein schematische Formeln.
Dadurch reduciren sich nun jene beiden Richtungen der vergleichenden Morphologie auf eine
einzelne. Diese schematisirende Morphologie wird dann aber neben jener terminologischen Morphologie
als eine durchaus berechtigte Richtung morphologischer Forschung anerkannt werden müssen, allein von
jener ihrem ganzen Wesen nach grundverschieden und nur zufällig mit derselben in den Resultaten der
Forschung übereinstimmend.
Bisher stehen diese verschiedenen Richtungen morphologischer Forschung noch in heftigem Streite.
Es herrscht noch allgemein die Anschauung, dass nur eine einzelne vergleichende Morphologie möglich sei,
deren Resultate objektive, allgemein bindende Gültigkeit besässen. Die Methoden der beiderlei Riehtungen
werden vielfach durcheinandergeworfen und vermengt, ihre Beweiskraft verkannt. Eine Einigung dieser
widerstreitenden Meinungen ist aber nur möglich, wenn die so wesentlich verschiedenen Forschungsweisen
—— 139 —-
liche Vorgänge aus der Geschichte der Pflanzenwelt wiedergeben wollen, die doch
aller und jeder empirischen Beobachtung und Prüfung gänzlich unzugänglich sind,
Derartige Ausdeutungen der schematischen Construktionen durch rein willkürliche
Annahmen gehören vielmehr allein in das Gebiet der poetischen Phylogenetik.'!) —
Uebrigens ist es ja auch ganz und gar nicht schwierig, jene nackten Schemata
der vergleichenden Morphologie, z. B. die Diagramme und Construktionen der obigen
auseinander gehalten werden, wenn man den Ergebnissen der beiderlei Forschungsweisen keine andere ob-
jektive Berechtigung und Wahrheit zusehreibt, als denselben dem Wesen der einzelnen Forschungsweise
entsprechend wirklich zukommen kann. Eine Aufklärung über das Wesen dieser verschiedenen Richtungen
morphologischer Forschung und den wissenschaftlichen Werth ihrer Ergebnisse aber ist heutigen Tages um
so mehr nothwendig, als dieselbe Verwirrung, die in der Morphologie der Phanerogamen zur Zeit herrscht,
auch im Gebiete der niederen Kryptogamen einzureissen droht, ein Gebiet, das bisher von den Streitig-
keiten der vergleichenden Morphologie noch verschont gewesen ist.
!) Man hat dem Vorwurfe, dass alle jene zahlreichen phylugenetischen Theorien und Systeme
aus lauter willkürlichen Hypothesen aufgebaut seien ohne jede Berechtigung innerhalb einer exakten Wis-
senschaft, von Seiten der Phylogenetiker entgegen gehalten, dass ja Hypothesen in jeder einzelnen Natur-
wissenschaft als zulässig gelten, dass selbst diejenige Naturwissenschaft, der doch Niemand den Beinamen
einer exakten streitig machen würde, die Physik, einen ausgedehnten Gebrauch von Hypothesen mache.
Allein, vergleicht man den Gebrauch, den die Physik thatsächlich von Hypothesen macht, so zeigt sich
sofort ein ganz bedeutender Unterschied. Hier in der Physik gelten die Hypothesen stets nur als vorläu-
fige Annahmen, deren hypothetische Gültigkeit niemals ausser Acht gelassen wird, deren exakter Beweis
stets das Ziel der Forschung bleibt. Und ferner gelten hier stets nur solehe Hypothesen als berechtigt
und erlaubt, die überhaupt einer Bestätigung durch die Erfahrung zugänglich sind. In der Phylogenetik
dagegen sind es Annahmen über frühere thatsächliche Vorgänge, die nach dem eigenen Urtheil der Phy-
logenetiker der empirischen Forschung ganz unzugänglich sind, Annahmen, die, willkürlich aufgestellt,
mit einigem Raisonnement subjektiv plausibel gemacht werden und von nun an als erwiesene Thatsachen,
als phylogenetische Gesetze gelten sollen.
Wie wenig objektive Sicherheit den Resultaten solcher „phylogenetischer Untersuchungen “ inne-
wohne, darüber hat Strasburger selbst einmal (Coniferen und Gnetaceen p. 397) sich ausgesprochen.
„Man wird uns vorwerfen,‘“ sagt er, „dass die Sicherheit der gewonnenen Resultate eine sehr zweifelhafte
sei, doch, dem ist entgegenzuhalten, dass wir eben nicht mehr von dem Gegenstande verlangen können,
als was er zu bieten vermag und dass ganze Zweige der Naturwissenschaften: vor allem die Geologie gar
nicht existiren könnten, wenn solcher Schlussfolgerung die Berechtigung versagt werden sollte“, In wie-
fern andere Zweige der Naturwissenschaften den Anforderungen einer exakten Forschung gegenüber Stich
halten oder niekt, das mag den Vertretern derselben überlassen bleiben. Für uns ist hier nur das Ge-
ständniss eines der ersten Vorkämpfer der Phylogenetik von Bedeutung, dass diese Phylogenetik nicht
mehr als Resultate von sehr zweifelhafter Sicherheit zu bieten vermag.
6 -
Darstellung, durch Hineintragen der Descendenzidee auszudeuten und zu beleben.
Eine solche Ausdeutung /wird man deshalb stets dem einzelnen Fachgenossen
überlassen dürfen, zumal bei dem entgegengesetzten Verfahren, die schematischen
Gonstruktionen selbst auszudeuten, eine Gefahr gar zu nahe liegt, die nicht sorgfältig
genug vermieden werden kann, die Gefahr nämlich, dass willkürliche Annahmen
init erwiesenen objektiven Wahrheiten verwechselt werden.
Allerdings lässt sich demgegenüber auch behaupten, dass es für einen strengen
Anhänger der reinen Empirie ebenfalls nicht schwer sein werde, aus einer „morpho-
logischen Studie“, die alle Thatsachen im Lichte der Descendenzlehre darstellt, diese
reinen Thatsachen herauszulesen und sie der phylogenetischen Ausdeutung zu entklei-
den. Allem eine solche Darstellung der Thatsachen im Lichte der Descendenztheorie
legt doch, wie gesagt, jene Gefahr gar zu nahe, dass die subjektive Ausdentung der
Thatsachen mit den objektiven Ergebnissen der Forschung 'verwechselt werde. In
jedem Falle aber wird dem Geiste einer exakten Wissenschaft die trockene Schilderung
der nackten Thatsachen weit mehr entsprechen als die poetisch ausdeutende Darstellung
einer „phylogenetischen Untersuchung“, so viel interessanter und bestechender diese
letztere immerhin auch sein mag.
Allein der Zug der Zeit geht einmal in der organischen Naturwissenschaft
zur phylogenetischen Dichtung hin. Wer nur auf die Darstellung der einzelnen
Thatsachen oder deren zweckmässige Verknüpfung und Zusammenfassung sich
beschränkt, der setzt sich der Gefahr des Vorwurfes aus, dass ihm die „höchsten Auf-
gaben“ der modernen Richtung wissenschaftlicher Forschung unzugänglich und ver-
schlossen seien. Und doch ist diese moderne Richtung nichts weiter als eime
Vermengung der schematisirenden Betrachtung gegebener einzelner organischer Gestal-
ten mit rein willkürlichen, wenn auch öfters höchst geistreichen Hypothesen. —
Abhandl.d.Naturf. Gesellsch.zu Halle. Bd.XIV
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Mit Tafel II—XI.
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Vergleichende Anatomie der Primulaceen. ‘)
Das Hauptziel, welchem die heutige Botanik auf Grund der allgemein aner-
kannten Descendenztheorie nachstrebt, ist die Auffindung der Verwandtschaft, welche
unter den Pflanzen stattfindet, so wie auch die Darstellung dieser Verwandtschaft in
der Form eines natürlichen Pflanzensystems.
üs wäre dieses Ziel nieht schwer zu erreichen, wenn wir die phyletische
(historische) Entwicklung jeder Pflanze gründlich kennten, das heisst wenn wir wüss-
ten, von welchen Urpflanzen und auf welche Weise die jetzt lebenden, die wir, nach
unseren jetzigen Begriffen, in Arten, Gattungen, Familien ete. gruppiren, sich ent-
wickelt haben. — Wenn wir solehe Entwicklungsgeschichten aller Pflanzenformen
wiüssten, könnten wir künftig einen vollständigen Pflanzenstammbaum aufstellen, des-
sen Endzweige uns die jetzt lebenden, auf Grund der wirklichen Verwandtschaft in
ein natürliches System geordneten Pflanzen darstellten.
Unsere jetzigen Kenntnisse über die verstorbenen Pflanzenformen sind jedoch,
um das oben genannte Ziel zu erreichen, zu ungenügend; die Pflanzenpaläontologie
kann, wegen Mangels an Material und der damit verbundenen Unvollständigkeit der
Forschungen, uns zu diesem Zwecke nur sehr wenige Dienste leisten. Es bleibt also
nur ein einziger möglicher Weg — das ist: eine gründliche und allseitige Erfor-
schung der jetzt lebenden Pflanzen, um daraus die sogenannten genetischen oder
Verwandtschaftscharaktere aufzufinden.
Vor allem stellt sich jedoch uns die Frage auf: was wir eigentlich unter
genetischen Charakteren verstehen und worauf sich diese begründen; wie auch, wenn
diese Charaktere von verschiedenem Werth sind, ob wir vermittelst derselben auch
entsprechend ihre nähere oder entferntere Verwandtschaft bestimmen können ?
Um die Frage zu beantworten, missen wir uns zuerst die Art und Weise der
Entstehung der Pflanzenformen verständlich machen und auf die Darwin’sche
Theorie hinweisen.
1) Pamietnik Akademii Umiejetnosei w Krakowie 1876,
19*
— 144 —
Ich habe nicht die Absicht, die Darwin’sche Lehre, die sich einerseits auf
die Wechselwirkung von Vererbung und Anpassung, andererseits auf den überall in
der Natur nachweisbaren Kampf ums Dasein stützt, näher zu besprechen. Ich
will nur das erwähnen, dass die Pflanzenformen in der historischen Entwickelungs-
reihe unter verschiedenen, oft wechselnden äusseren Einflüssen ) oder Lebens-
bedingungen, sich verschieden zu den letzten anpassen, aber doch immer, durch
Vererbung, gewisse Charaktere ihrer Mutterform behalten. Die letzteren, die auf
Gestalten basirt sind (morphologische Charaktere), indem sie für gewisse in verschie-
denen Lebensbedingungen entstandene Pflanzenformen gemeinschaftlich sind, die
gemeinsame Abstammung von einer Mutterform zeigen und darum als Verwandtschafts-
charaktere zu bezeichnen sein sollten.
Der Process der Entstehung neuer Pflanzenformen ist aber bei höher organi-
sirten Pflanzen sehr complieirt. Die Phanerogamen, von welchen hier hauptsächlich
die Rede sein wird, gehören zu sehr complieirten Organismen. Sie bestehen aus
verschiedenen Organen, die auch verschiedene Functionen erfüllen; diese sind:
Wurzel, Stengel, Blätter, Blüthen, Früchte ete. Diese Organe sind unter gewissen
Lebensbedingungen verschiedenen Functionen angepasst; sie ändern sich aber, wenn
letztere sich ändern. Diese umgeänderten Formen der Organe sind in verschiedenem
Grade vererbt, d. h. sie werden in verschiedenem Verhältnisse statirt. Daraus
sehen wir, dass die Charaktere, die auf den Gestalten der verschiedenen Organe basirt
1) Nach Naegeli sind das die „inneren Ursachen“ der Formveränderung. Naegeli nämlich
(Ueber den Einfluss äusserer Verhältnisse auf die Varietätenbildung im Pflanzenreiche. Sitzungsberichte
der Königl. Bayr. Akad. der Wissensch. zu München 1865. I. Heft III. Seite 228) sucht nachzuweisen, dass
die Varietätenbildung nicht von äusseren, sondern von inneren, uns völlig unbekannten Ursachen abhängt,
Naegeli behauptet, indem er mehrere Beispiele beifügt, dass Pflanzen, die sich in gleichen Lebens-
bedingungen, wie z.B. auf einem und demselben Erdbeet und in gleicher Temperatur, Feuchtigkeit und
Lichtstärke ete. befinden, oft abändern; die Ursache dieser Abänderungen soll aber innerhalb, nicht ausser-
halb der Pflanze liegen. Insofern diese Anschauung Naegeli’s über die Entstehung der Pflanzenformen
und die Art und Weise der Beweisführung ein Zeichen der Genialität trägt, insofern aber kann sie relativ
sein und im Grunde die Sache nicht geändert haben. Es kann doch Niemand behaupten, dass diese
inneren unbekannten Ursachen nicht in Vermittelung mit den äusseren stehen und die Folgen der letzten
sind; die äusseren Einflüsse nämlich könnten im Wesen der Pflanze gewisse innere unbekannte Aenderungen
hervorrufen, welche erst später, in nächsten Generationen, in eigener unbekannter Art zum Vorschein
kommen oder sichtbare Veränderung der Formen verursachen. e
— 45) —
sind, auch verschiedenen genetischen Werth besitzen; nämlich die, aus den Organen
mit mehr veränderlichen Gestalten eutnommenen Charaktere sind verhältnissmässig in
der Verwandtschaftsbestimmung der Pflanzen von geringerem Werth, als die Charak-
tere, die aus den mehr vererbten Gestalten herstammen.
Es stellt sich also hier direkt die Frage, die wir schon oben erwähnt haben:
von welchen Organen und Gestalten man die Charaktere nehmen soll, die in der
Verwandtschaftsbestimmung den grössten Werth besitzen, d. h. welche Charaktere in
der phyletischen Entwickelung der Pflanze die ältesten oder, was daraus folgt, die
vererbtesten sind’?
In dem Leben der Pflanzen finden wir zwei Hauptfunctionen, von denen die
erste in der Lebenserhaltung des Pflanzenindividuums besteht — in dem Vegetiren
der Pflanze; die andere in der Erhaltung der Pflanzenform, z. B. einer Species ausser-
halb der Gränzen des Lebens eines Individuums — d.h. in der Fortpflanzung. Diese
beiden Functionen, die das ganze Leben der Pflanze ausfüllen, werden von zwei Arten
von Organen ausgeführt, welche das Pflanzenindividuum zusammensetzen und nach
ihren Functionen die einen — Vegetationsorgane, die audern — Fortpflanzungsorgane')
genannt werden. Die Vegetationsorgane sind in den meisten Fällen, die wir hier
berücksichtigen (bei den Phanerogamen): Wurzel, Stengel und Blätter; die Fortpflanzungs-
organe — die Blüthe und die Frucht mit allen ihren Theilen.
Die Kenntniss der Lebenserscheinungen zeigt uns, wie manmnichfaltig und
complieirt die Ernährungsfunktionen sind und wie sie unter verschiedenen Bedingungen
erfüllt werden. Fassen wir nur beispielsweise den Assimilationsprocess ins Auge, so
ist er anders bei den Wasserpflanzen, anders bei den Landpflanzen; unter den letzteren
findet er auf andere Weise bei den in trockenen, sandigen Standorten wachsenden
statt, die immer dem Einfluss der Sonne ausgesetzt sind, als bei den Pflanzen, die
in schattigen, feuchten Gebüschen leben und dergleichen. Die Vegetationsorgane
werden auch verschieden umgestaltet und angepasst, indem sie den verschiedenen,
oft wechselnden äusseren Einflüssen direkt und durch das ganze Leben des Individuums
1) Es wird hier nur von den geschlechtlichen Fortpflanzungsorganen geredet, weil die ungeschlecht-
lichen, wie Adventivknospen, Bulben, Knollen ete. keine integralen Theile eines morphologischen Pflanzen-
individuums bilden, sie stellen nur Hülfsorgane dar, die zu der Entwicklung des Individuums nicht zu
gehören brauchen.
146
preisgegeben sind. Es ist also leicht zu begreifen, dass die Gestalten der Organe
und die daraus entnommenen Charaktere sehr veränderlich sein müssen.
In der That werden einerseits die Gestalten der Vegetationsorgane nicht immer
ausserhalb der Species vererbt; ja sie werden auch oft, wie z, B. bei den amphi-
bischen Pflanzen, die bald im Wasser bald ausserhalb desselben leben, auf emem
und demselben Individuum umgeändert, je nachdem es von dem Wasserleben in das
Landleben übergeht und umgekehrt. Andererseits, Pflanzen von verschiedener gene-
tischer Abstammung und verschiedener Verwandtschaft, die sich in gleichen Lebens-
bedingungen und unter gleichen Einflüssen befinden, können ihre Vegetationsorgane
gleichartig gestalten und anpassen. Das sehen wir in allbekannten Beispielen, wie
in Euphorbia offieinalis und einigen Üereusarten, Myriophyllum und Batrachium ete.
Daraus folgt sehr evident, dass die Identität der morphologischen Charaktere, die
auf den Vegetationsorganen gewisser Pflanzen basirt sind, nicht immer der Verwandt-
schaft dieser Pflanzen entspricht; man darf also diese Charaktere mit wenigen Aus-
nahmen nicht allgemein als genetische Charaktere betrachten.
Bei der Fortpflanzung aber steht die Sache ganz anders. Sie haben nur ein
Hauptziel: den neuen Individuen, die den mütterlichen ähnlich sind, ihren Anfang
zu geben oder durch die geschlechtliche Fortpflanzung die Mutterform (wie z. B. eine
Art oder Varietät) zu erhalten. Die Funktionen, die die Fortpflanzungsorgane auf
dem Wege zum oben erwähnten Ziel zu erfüllen haben, sind gleichartig und hängen
von den äusseren Einflüssen wenig ab‘). Die Blüthe, die sich nur periodisch in
gewisser Zeitdauer im dem Leben der Pflanze zeigt, wenn die letztere nämlich sich
in derselben Zeit immer in mehr oder weniger gleichen Lebensbedingungen befindet,
und, ob sie gleich ein complieirtes Organ ist, doch aber kurz dauert und sehr schnell
ihre Funktion ausfüllt — besitzt einen durchgehenden und zeitlichen, vielmehr
ephemerischen Charakter. Die Blüthe also unterliegt ohne Zweifel viel weniger
1) Mit Ausnahme vielleicht der Funktionen der Bestaubung, welche, obgleich sie von veschiedenen
äusseren Einflüssen (Inseeten, Wind, Wasser ete.) abhängt, doch für gewisse bestimmte Pflanzenformen
mehr oder weniger so beständig und so einfach zu sein scheint, dass die Umänderung der Gestalten und
Anpassung der Blüthenorgane die Verwandtschaftscharaktere nicht verwischt, die immer als solche in der
Entwieklungsgeschichte der Blüthe aufzufinden sind. Oft können ‘auch die, aus diesen Anpassungsgestalten
entnommeren Charaktere, nämlich in dem Falle, wo sie schon längst vererbt sind, als Verwandtschafts-
charaktere dienen.
— 14
irgend welchen äusseren und veränderlichen Einflüssen, als die Vegetationsorgane
der Pflanze; gleichwie auch die länger vererbten Verwandtschaftscharaktere in den
Blüthentheilen viel deutlicher und weniger durch allerlei Anpassungen verdeckt sind.
Die Fortpflanzungsorgane also sind die Träger der Verwandtschattscharaktere,
die den grössten Werth für Bestimmung der Verwandtschaft der Pflanzen mit ein-
ander besitzen; das sind die Grundlagen, auf welche das ganze natürliche System
der Phanerogamen basirt werden soll und ist. Diese Charaktere fallen bei der
näheren Kenntniss der Pflanzen so leicht ins Auge, dass man sie schon bei den
frühesten Bemühungen der älteren Botaniker, ohne von der Descendenztheorie etwas
zu wissen und sogar auf den, der letzteren ganz widersprechenden Basen, wie dem
Dogma der Constanz der Arten, Pflanzensysteme zu gründen, hauptsächlich zur
Charakteristik der Klassen angewendet hat.
Man hat erst in der letzten Zeit, im welcher die Pllanzenanatomie eine gewisse
Individualität inzwischen den anderen Theilen der Botanik gewonnen hat, vielfach
darauf hingewiesen, dass unsere jetzige Systematik, welche nur auf Blüthencharaktere
gegründet ist, einseitig sei, und wenn die morphologischen Charaktere der Vegetations-
organe veränderlich sind, so soll doch bei der wirklichen Verwandtschaft das Erblich-
keitsgesetz sich im inneren, anatomischen Bau der vegetativen Organe geltend machen.
Schon fängt Mirbel') im Jahre 1810 bei der Bearbeitung der Labiaten an,
die Anatomie derselben in seinen systematischen Ansichten zu verwerthen. Dann
will Chatin?) ähnlich, wie in der Systematik der 'Thiere, dieselbe der Pflanzen auf
die anatomische Struktur der letzteren basiren. Ausführlicher aber und vollständiger
sind die Untersuchungen tiber den Werth der anatomischen Charaktere von Regnault?),
der in seiner Anatomie der Uyclospermeen zu der Ueberzeugung gekommen ist, dass
„il est dejä permis de eroire, que son importance est assez grande dans certains cas,
puisque les recherches faites jusqu’a ce moment ont toujours montre que les particularites
importantes de structure correspondent A des groupes parfaitement naturels“ (pag. 158).
1) Mirbel: Memoire sur l’anatomie et la physiologie des plantes de la famille des Labiees
(Annales du Museum d’histoire naturelle. Tome quinzieme. Paris 1810, pag. 213).
?) Chatin: Application de l’anatomie comparee vegetale a la classification. 1840. und Anatomie
comparee des Plantes.
3) Regnault: Recherches sur l’anatomie de quelques tiges de Cyelospermdes (Ann. des science.
nat, Botanique 1860).
u
Nach Regnault sind in derselben Richtung viele anatomische Publikationen
erschienen, in denen kleinere oder grössere natürliche Gruppen besprochen werden.
Von diesen Publikationen kann ich nur auf die wichtigsten hinweisen und deren
Hauptresultate kurz anfihren.
Van Tieghem') spricht in seiner klassischen Arbeit über Anatomie der
Aroideen das Hauptresultat seiner Forschungen in folgenden Worten aus: „les grandes
divisions fonddes sur l’anatomie ne coincident pas avec celles que l’on tire de lorgani-
sation florale.. Le milieu intervient iei d’une maniere @vidente pour donner la meme
strueture fondamentale ä des plantes dout les fleurs sont construites sur des types
differents, pour imprimer au contraire une organisation vegetative differente & des
vegetaux, qui ont la m&me forme florale“.
Dann gruppirt und bestimmt Reinke?) die Verwandtschaft der verschiedenen
Gunneraspecies mit anatomischen Charakteren dieser Species.
Vöchting?) macht dasselbe mit den verschiedenen Species der Gattungen,
die zu den Rhipsalideen gehören. Und schliesslich glaubt L. Radlkofer?) in seiner
Monographie der Gattung Seriania den wirklichen Werth für Systematik in bis jetzt
vernachlässigten anatomischen Charakteren aufzufinden. Er sagt nämlich: „Die Zukunft
des Pflanzensystems liegt darin, dass es aus einem morphologischen ein biologisches
werde. Alle biologischen Momente, alles, was den Lebensinhalt jeder Pflanze aus-
macht, soll darin zur Geltung kommen, nicht blos ein solches Moment, und sei es
auch, wie das in den morphologischen Verhältnissen sich darstellende, von besonders
hoher Bedeutung. Vor allem gebührt, um von Anderem hier abzusehen, den anato-
mischen Verhältnissen neben den im eingentlichen Sinne so genannten morpholo-
gischen die Beachtung im Systeme, denn sie stehen diesen am nächsten und sind
selbst, streng genommen, nichts Anderes, als feinere verborgenere morphologische
Verhältnisse“ (pag. II).
1) Van Tieghem: Recherches sur la structure des Aroidees (Ann. des seiene. natur. Botanique 1866).
2) Morphologische Abhandlungen von Reinke: Untersuchungen über die Morphologie, die Vegetations-
organe von Gunnera.
») Vöchting: Beiträge zur Morphologie und Anatomie der Rhipsalideen (Pringsheims Jahrb,
Bd. IX. 1874.). .
*) L. Radlkofer: Seriania Sapindacearum Genus monographice deseriptum. München 1875.
. — 19 —
Aus den angeführten Resultaten der verschiedenen Arbeiten sehen wir leicht,
dass sie einmal mehr oder weniger mit einander zusammenstimmen, ein anderes mal
aber sind sie einander ganz entgegengesetzt.
Das Widersprechen oder Uebereinstimmen der Resultate kann höchstens das
bedeuten, dass in verschiedenen kleineren oder grösseren Pflanzengruppen die ana-
tomischen Charaktere bei der Bestimmung der Verwandtschaft der Pflanzen auch
verschiedenen Werth besitzen. P
Die Untersuchungen Van Tieghem’s über Aroideen bestimmen am richtigsten
den Werth der anatomischen Uharaktere; sie zeigen namentlich, dass diese Charaktere
sich in denselben Verhältnissen befinden, wie die morphologischen der vegativen
Organe. Die Untersuchungen der anderen Forscher aber, von welchen Re gnault
am deutlichsten eine ganz widersprechende Meinung geäussert hat, erschüttern die
Van Tieghem’schen Untersuchungen in keiner Weise. Das Widerspreehen der
Meinungen dieser Forscher ist nur relativ und scheinbar, weil ja das Uebereinstimmen
der anatomischen Charaktere der Vegetationsorgane mit denen der Blüthenorgane
ganz andere Ursache, aber nicht nur die Verwandtschaft haben kann; es konnten
nämlich die untersuchten Pflanzengruppen in der Zeit ihrer phyletischen Ent-
wickelung in mehr gleichartigen und einförmigen Lebensbedingungen als die Aroideen
sich gestalten; deswegen unterlag auch der innere Bau dieser Pflanzen nicht so
verschiedenen Umänderungen.
Mit einem Wort: die vergleichenden anatomischen Untersuchungen aller dieser
Forscher sind noch zu wenig ausreichend, um sicher und vollständig den wahren
Werth der anatomischen Charaktere bei der Verwandtschaftsbestimmung der Pflanzen
aufzufinden. Die Grenze soleber Untersuchungen geht sehr weit, und Regnault
sagt ganz richtig, dass „la vie d’un seul botaniste ne suffirait pas sans doute pour les
mener ä bonne fin; mais les efforts r&unis de plusieurs travailleurs peuvent häter la
solution du probleme“ (pag. 31).
Die vorliegende Arbeit soll dazu theilweise wenigstens als Beitrag dienen.
Vor allen aber stellen sich uns hier zwei Fragen entgegen, welche die zwei
einzigen möglichen Fälle in sich einschliessen: 1) Ob überhaupt die anatomischen
Charaktere der vegetativen Pflanzentheile Verwandtschaftscharaktere sind, die mit
denjenigen der Blüthen parallel gehen; d. h. ob die Aehnlichkeit dieser anatomischen
Charaktere, so wie die der morphologischen Blüthencharaktere der Pflanzen auf ihre
Abh. d. nturf. Ges. zu Halle. Bd. XIV. 20
— 190 — ;
Verwandtschaft hinweise? Oder umgekehrt 2) ob nur die Identität der anatomischen
Charaktere, so wie die der morphologischen (zusammen oder von den letzten
unabhängig). zeigen, dass nur die verglichenen Pflanzen sich in gleichen Lebens-
bedingungen befinden, oder mit anderen Worten: ob die anatomischen Charaktere
nur Anpassungserscheinungen sind, die nach verschiedener Lebensweise und verschie-
denen Lebensbedingungen der Pflanzen sich auch verschieden verhalten?
Diese zwei einzigen Möglichkeiten lassen sich nicht streng von einander
trennen; ja sogar sie vereinigen sich in gewissen Punkten und hängen von einander
so ab, dass eine die andere nicht ausschliesst.
Da aber der anatomische Bau der Pflanze theils sehr lange erblich oder zum
Theil erst jetzt angeerbt sein kann, so dass er nur in gewissen Fällen mehr oder
weniger den äusseren Einflüssen und Lebensbedingungen unterliegen kann, so kommt
noch eine Frage hinzu: 3) Wenn der anatomische Bau von den äusseren veränder-
lichen Einflüssen abhängt, wie gross nun die Abhängigkeit ist und wie weit wir aus
den anatomischen Charakteren der vegativen Organe, wenn sie dem Vererbungsgesetze
folgen, auf die Verwandtschaft der Pflanzen schliessen können. Man muss also die
Dignität dieser Charaktere innerhalb einer Species, Gattung, Familie oder einer
höheren Ordnung, welche Begriffe, wenngleich relativ, doch immer auf den verschie-
denen Werth der Blüthencharaktere basirt, bestimmen.
Um die oben gestellten Fragen befriedigend zu lösen, muss man eine grössere
Reihe anatomischer Untersuchungen unternehmen: einerseits über nahe verwandte
Pflanzen, die aber möglicher Weise unter verschiedenen Bedingungen leben, anderer-
seits über Pflanzen, welche in gleichen Lebensverhältnissen sich befinden, die aber
im Systeme entfernt stehen.
In der vorliegenden Arbeit will ich die Resultate, die ich aus Untersuchungen
der erstgenannten Art erhalten habe, angeben. Zu solchen Untersuchungen habe
ich die Familie der Primulaceen, welche, ihrem verschiedenen Habitus, ihrer klima-
tischen und geographischen Verbreitung und ihren verschiedenen Standorten nach, mög-
lichst verschiedene Lebensweise haben, doch aber, was ihre Verwandtschatt betrifft,
eine natürliche Familie bilden, ausgewählt.
— ll —
Das Material für meine Untersuchungen verdanke ich hauptsächlich den
Herren: Professor Dr. A. de Bary, Direktor des botanischen Gartens in Strassburg,
‚ Professor Dr. Fr. Cohn in Breslau, Geheimrath Professor Dr. Göppert, Direktor
des botanischen Gartens daselbst und Professor Dr. Alexandrowicz, Direktor des
botanischen Gartens in Warschau. Zu ganz besonderem Danke fühle ich mich dem
Herrn Prof. A. de Bary, unter dessen Leitung diese Arbeit begonnen und beendiet
wurde, sowie Herrn Prof. Fr. Cohn für wissenschaftliche Unterstützung im Laufe
dieser Arbeit verpflichtet.
Die Primulaceen im Ganzen waren bis jetzt noch von Niemanden anatomisch
bearbeitet; in der botanischen Literatur aber finden wir grössere und kleinere Aut-
sätze, die einzelne Species besprechen. Zwei Arbeiten nur verdienen nähere Auf-
merksamkeit: die eine betrifit die Gattung Preimula, in welcher sich eine ziemlich
genaue, aber entwickelungsgeschichtlich nicht befriedigende und deswegen kein klares
Bild gebende anatomische Beschreibung der Rhizome von Primula sinensis, elatior et
offiemalis und Aurieula, von Vaupell') befindet, die zweite über Keimung der
Cyelamen und den Bau ihrer Knolle von Gressner°) (ohne anzugeben, welche
Species die Untersuchungen betreffen).
Ausführliche Referate der Vaupell’schen und Gressner'schen Arbeiten
scheinen mir an dieser Stelle überflüssig zu sein; im Laufe dieser Arbeit werde ich
mehrfach auf diese, wie auch auf andere Literaturangaben zurückkommen. —
Schliesslich muss ich noch hinzufügen, dass, aus Mangel an einer gründlichen
Monographie der Primulaceen, ich mich bei der Verwandtschaftsbestimmung und
systematischen Gruppirung dieser Pflanzen hauptsächlich an Endlicher‘) und
De Candolle*) gehalten habe,
1) Chr. Vaupell: Untersuchungen über das peripherische Wachsthum der Gefässbindel der
dieotyledonen Rhizome. Leipzig, 1855.
®) Dr. Heinrich Gressner: Zur Keimungsgeschichte von Cyclamen (Botan. Zeitung. 1874.
No, 50, 51 und 52).
3) Endlicher: Genera Plantarum. 1836—50.
*) De Candolle: Prodromus systematis naturalis regni vegetabilis. Pars VII. Auet. Duby.
z0*
ve
l, Androsaceen.
Von den Androsaceen habe ich folgende Genera untersucht:
Primula.')
Verschiedene Arten der Gattung Primula verhalten sich im anatomischen Bau
ihrer Vegetationsorgane sehr verschieden. Die Primeln, die ich untersucht habe,
lassen sich in folgenden vier Typen unterbringen.
I. Primula sinensis.
Wurzel. Die Hauptwurzel der Keimpflanze geht bald zu Grunde und wird
durch viele Nebenwurzeln ersetzt, welche ihrerseits wieder eine grosse Anzahl von
Nebenwurzeln erzeugen; auf diese Weise bildet sich ein stark verzweigtes Wurzel-
system, deren einzelne Wurzelspitzen sehr dünn und klein bleiben.
Ein Längsschnitt durch den Vegetationspunkt der Hauptwurzel (Fig. 1. Taf. 1.)
zeigt, dass Bau und Wachsthum derselben dem zweiten (Helianthus-) Typus von
Janczewski”) entsprechen. Das nur aus wenigen Initialen (x) bestehende Plerom ()
lässt sich deutlich von dem, mit einer oder zwei nebeneinander liegenden Initialen
wachsenden, Periblem (/) unterscheiden. Die Epidermis (r) umkleidet vollständig das
Periblem und geht an der Spitze in eine wenig entwickelte (5 Zellen breite) calyp-
trogene Schicht über, welche eine sehr kleine, höchstens aus 3 Zellenlagen bestehende,
Wurzelhaube (AR) nach unten und Epidermis nach oben erzeugt. Die calyptrogene
Schicht reducirt sich an kleinen Nebenwurzeln, welche sonst denselben Bau wie die
Hauptwurzel haben, auf 2 oder sogar auf eine Zelle.
Die weitere Entwickelung der einzelnen besprochenen Wurzelelenmente geschieht
in folgender Weise: Die Epidermiszellen theilen sich, wachsen in die Länge und
bilden Wurzelhaare in Form langer einfacher Schläuche. Die Periblemzellen, und
zwar besonders die mittleren, nehmen bedeutend an Grösse zu und gehen bald in
Dauergewebe über — sie bilden die Wurzelrinde. Die innerste Zellenschicht wird
zur Schutzscheide (s), deren einzelne Zellen die charakteristischen wellenförmigen
Membranen zeigen. Die Pleromzellen endlich, die sich vorwiegend der Länge nach
1) Fr. Kamienski: Zur vergleichenden Anatomie der Primeln, Strassburg. 1875.
2) Janezewski: Das Spitzenwachsthum der Phanerogamenwurzel. Bot. Zeitung 1874,
me
tlıeilen, nehmen eime Janggezogene Form an und werden zu den einzelnen Elementen
des Gefässbündeleylinders. Die äussersten Pleromzellen bilden Pericambium (7), in
welchem die Nebenwurzeln ihren Ursprung nehmen.
Ein Querschnitt durch die Wurzel, einige Millimeter von der Spitze, zeigt den
typischen Dikotyledonen-Wurzelbau. Fig. 2 (Taf. I.) stellt einen solchen Querschnitt
vor: Unter der mit vielen Wurzelhaaren (2) versehenen Epidermis (n) liegt gewöhn-
lich eine aus 3—4 Zellschichten bestehende Rinde (%k), deren äussere und innere
Zellen wenig grösser als die Epidermiszellen sind, die mittleren dagegen die letzteren
mehrfach an Grösse übertreffen. Die Schutzscheide (s), welche den Gefässbündel-
cylinder umhüllt, besteht aus Zellen, die etwas kleiner als die der daneben liegenden
Rinde sind, und deren Scheidewände deutlich die schwarzen Caspary’schen Punkte
zeigen. Der Gefässbündeleylinder, von dem einschichtigen Pericambium (p) umgeben,
ist gewöhnlich di- selten triarchisch. Es sind zwei Holztheile (z), welche aus einigen
Ringgefässen bestehen, und mit denselben alternirend zwei Basttheile (p%), in denen
einige Siebröhren sich befinden.
Der einfache, typische Wurzelbau ist nur in jungen Wurzeln, nicht weit von
der Spitze zu finden, später ist er durch secundäres Dickenwachsthum vollständig
unkenntlich.
Wenn man mehr nach oben, weiter von der Wurzelspitze entfernt, Quer-
schnitte macht, so bemerkt man, dass die Zellen, welche jeden Basttheil von beiden
Holztheilen trennen, zahlreiche T'heilungen zeigen und zwei Cambiumpartien bilden,
die je einem Basttheil entsprechen. Durch Thätigkeit dieses Cambiums wird das
Diekenwachsthum der Wurzel verursacht. Die neuen Holzelemente ordnen sich in
der Weise, dass sie mit den beiden Holztheilen einen eylindrischen Holzkörper bilden.
In derselben Zeit verschmelzen die beiden oben besprochenen Cambiumpartien ver-
mittelst der nach aussen von dem diarchen Holzkörper liegenden Pericambiumzellen
zu einem Cambiumring, welcher den inneren neu gebildeten Holzkörper umgibt.
Nachdem dies geschehen, werden durch die Thätigkeit dieses Cambiumringes regel-
mässig nach innen Holz- und nach aussen Bastelemente abgelagert, hierdurch ver-
grössert der Gefässbündeleylinder der Wurzel beträchtlich seine Dicke und übt auf
die anderen nach aussen liegenden Gewebe einen Druck aus, gegenüber welchem
sich dieselben verschieden verhalten. Zuerst geben die äusseren Bastzellen diesem
Drucke nach, indem sie sich tangential strecken und radial theilen; so verhalten
sich auch die Pericambiumzellen, welche sich später mit dem Baste vollständig
vereinigen. Die Schutzscheide zeigt in diesem Falle ein merkwürdiges Verhalten:
die Zellen derselben strecken sich auch tangential und theilen sich radial. Dies
geschieht mit solcher Regelmässigkeit, dass die ursprünglichen Zellen in ihrer Lage
noch sehr ‘gut erkannt werden können. Die Schutzscheidezellen zeigen verdickte
Membranen und bilden die äusserste Zelllage der Wurzel, weil die übrigen Gewebe,
Rinde und Epidermis, welche dem Diekenwachsthum nicht folgen können, abgeworfen
werden. Die Schutzscheide vertritt also an älteren Wurzeln gleichsam die Epidermis.
Betrachtet man den Querschnitt einer alten Wurzel, so ist es auf den ersten
Blick nicht leicht, die Struktur derselben zu erklären. Das geschieht aber leicht,
wenn man, wie oben gezeigt, die Entwicklungsgeschichte zur Hülfe nimmt.
Wie Fig. 3 (Taf. I.) zeigt, liegt in der Mitte der Wurzel der eylindrische Holz-
körper (x), welcher aus Gefüssen und ziemlich vielen Holzzellen besteht, und in
welchem noch das primäre diarche Holz mit seinen durch geringere Querschnittsgrösse
sich von anderen unterscheidenden Gefässen, zu bemerken ist. Dann kommt ein
geschlossener Cambiumring (ec), welcher den Holzkörper von dem nach aussen liegen-
den Bastring trennt. Der letztere (ph) besteht aus prosenchymatischen Zellen, deren
Wände eollenchymartig verdickt sind. Zwischen diesen liegen gruppenweise zerstreut
sehr kleine Elemente, welche Siebröhren zu sein scheinen, Dies Alles umgiebt die
stark entwickelte Schutzscheide (s), deren grosse primäre Zellen durch’Querwände in
mehrere kleinere getheilt werden.
Bei alten Wurzeln findet oft Borkenbildung statt, indem im Bastringe eine
Phellogenschicht entsteht, welehe einen Theil des Bastes nach aussen abtrennt und
die Wurzel mit einer Korkschicht umgiebt.
Hypokotyles Stengelglied. Es ist schwer, bei einem Keimpflänzchen
der Primula sinensis eine scharfe Grenze zwischen Wurzel und hypokotylem Gliede
zu ziehen, weil die Wurzel ganz allmählich in das hypokotyle Glied iibergeht. Der
ganze Unterschied besteht darin, dass man an dem letzteren keine Nebenwurzeln
bemerkt. Dieses Merkmal passt nicht nur auf die Keim-, sondern auch auf die ältere
Pflanze, bei welcher das hypokotyle Stengelglied immer wurzellos bleibt oder doch
nur sehr wenig Adventivwurzeln bildet.
Der anatomische Bau des hypokotylen Stengelgliedes unterscheidet sich auch
nicht viel von dem der Wurzel. Erst nahe bei der Ansatzstelle der Kotyledonen
— 159 —
bemerkt man am (Querschnitt in der Mitte des Holzkörpers einige Markzellen und
sieht den Holzkörper und, dem entsprechend, den Bastring in zwei Theile sich
gruppiren, um zwei Gefässbündel zu bilden, welche den Kotyledonen angehören.
Weiter nach oben, näher den Kotyledonen, spalten sich die zwei Bündel zuerst
in drei, dann in vier und schliesslich dicht unter der Kotyledonenansatzstelle in fünf
Gefässbündel, von welchen zwei Kotyledonar-, die anderen die Blattspurstränge der
am Stengel erstentstandenen Blätter vorstellen.
In dem hypokotylen Stengelglied findet gerade so, wie in der Wurzel und im
Stamm, von welchem weiter die Rede sein wird, Diekenwachsthum statt, wobei die
Schutzscheide dasselbe Verhalten zeigt, wie an der Wurzel.
Stengel (Rhizom.) Der Stengel eines Keimpflänzchens von Primula sinensis
im Längsschnitt Fig. 5. (Taf. I). Der Vegetationspunkt (v) des Stengels ist klein
und sehr wenig gewölbt oder flach; man bemerkt an demselben in spiraliger Anord-
nung die Blattanlagen, die sich bald zu jungen Blättern umwandeln.
Die histiologische Struktur des Vegetationspunktes bietet nichts Besonderes
dar. Es ist ein meristematisches Gewebe, dessen äusserste Zellen als Epidermis zu
bezeichnen sind, während die übrigen keine Sonderung in Plerom und Periblem im
Hanstein’schen') Sinne erkennen lassen.
Die Differenzirung der Gewebe in Vegetationspunkte, so wie die Entwicklungs-
geschichte der Geftässbündel von Primula sinensis stimmt mit den Angaben von
Sanio?) und von Vöchting*) überein. Es ist aber zu bemerken, dass auf ent-
sprechenden Querschnitten die Differenzirung des Urmarks hier nicht vor der Entste-
hung des Verdickungsringes stattfindet, was wohl in der flachen Gestalt des Vege-
tationspunktes und in der raschen Entwickelung der Blätter seine Ursache haben
mag. Auf dem in Fig. 1 (Taf. II) abgebildeten Querschnitte durch den Vegetations-
pundt bemerkt man dicht unter der Epidermis an einer Stelle, welche der jüngsten
Blattanlage entspricht, 2 oder 3 Zellen in rascher Theilung begriffen; bald darauf
sieht man an zwei anderen Stellen, den nächst jüngsten, zwei Blattanlagen entspre-
chend, ähnliche Zelltheilungen eintreten, so dass drei Gruppen von kleinen Zellen
1) J. Hanstein: Die Scheitelzellgruppe im Vegetationspunkt der Phanerogamen. 1868.
2) Sanio: Bot. Ztg. Nr. 47 ff. 1863.
3) Vöchting: Beiträge zur Morphologie und Anatomie der Rhipsalideen: Pringsheim’s Jahrb.
Bd. IX. 1874.
entstehen, welche sich schnell zu einem Ring (Fig. 2. Taf. II.) mit einander verbinden,
indem zwischen ihnen neue Zelltheilungen stattfinden, welehe von der Entstehung
neuer Blattanlagen abhängen. Dieser Ring (Fig. 3. Taf. II.) ist nicht gleichmässig
dick: an der Stelle, welche der jüngsten Blattanlage entspricht, besteht er nur aus
einer Zelle, während er unter der ältesten Blattanlage ungefähr 5 Zellen dick ist
und hier einen Procambiumstrang darstellt.
Auf einem in Fig. 3. (Taf. 11.) gezeigten, mehr nach unten durchgeführten,
Querschnitte komnıt der älteste Procambiumbiindel fast zur vollen Entwickelung: er
bekommt nämlich die ersten Siebröhren im Baste. Die zwei jüngeren Bündel findet
man schon weit in der Enntwickelung vorgeschritten, sie bilden aus kleinen Zellen
bestehende Procambiumgruppen; aus den zwischen diesen Bündeln liegenden Zellen
werden neue kleinzellige Gruppen — das Procanıbium der Interfaseieularbündel — gebildet.
Die weitere Entwickelung der Gefässbündel aus einzelnen Procambiumsträngen
zeigt nichts Besonderes; es muss aber hervorgehoben werden, dass es kein primär
angelegtes Holz giebt. Die Holzgefüsse kommen sehr spät zur Entwiekelung. Erst
nachdem die Bastgruppen (Fig. 4. Taf. I.) ihre vollständige Ausbildung erreicht haben
und das Cambium (ce), welches hier normal angeordnet ist, seine Thätigkeit begonnen
hat, bilden sich aus den Zellen desselben die ersten Holzgefässe. Der eben erwähnte,
auch für andere Primeln dieses Typus charakteristische, Vorgang ist sehr auffallend,
da man auf Querschnitten weit unterhalb des Vegetationspunktes, wo schon alle
Gefässbindel zu einem Ring verschmolzen und viele Bastgruppen vorhanden sind,
innerhalb der letzteren nur ein mehr oder minder entwickeltes Cambium, aber kein
Holz zu sehen bekommt. Dieses tritt erst in den ältesten Blattspuren auf.) Damit
stimmt auch die nicht seltene Erscheinung überein, dass in der Lamina der älteren
Blätter die Endnerven und ihre Anastomosen blos aus Bastbündeln bestehen.
Die Entwickelung des Markes und der Rinde ist ganz einfach. Die innerhalb
des Gefässbündelringes liegenden Zellen vergrössern sich und bilden das Mark —
das Parenchym mit verhältnissmässig sehr kleinen Intercellularräumen, die nach
aussen wenig an Grösse zunehmen und zu Rindenzellen werden. Die innerste Zellen-
schicht der Rinde bildet die Schutzscheide, deren Zellen etwas kleiner, aber mehr
tangential gestreckt sind.
1) Ein ähnliches Verhalten habe ich im Rhizom von Stachys palustris gefunden.
— 1517 —
Der Verlauf und die Anordnung der Gefässbündel, welche bald ihre Indi-
vidualität verlieren und zu einem an wenigen Stellen unterbrochenen Ring zusammen-
schmelzen, hängt bei den Primeln, wo der Stengel aus ganz verkürzten Internodien
besteht, mit der Blattstellung auf’s innigste zusammen.
Fig. 4. (Taf. II.) stellt einen Stengelquerschnitt vor, wo man im Gefässbündel-
ringe 6 Gefässbündelgruppen bemerkt, von denen 3 kleinere (1, 2, 3) die Blattspuren
der nächstoberen Blätter sind, und 3 zwischen denselben liegende grössere (4+7, 5+8
und 6). Von diesen zeigen wiederum zwei eine deutliche Zusammensetzung aus
2 Gruppen (4+7 besteht aus 4 und 7 und 5+8 aus 5 und 8), so dass man im
Ganzen auf dem Querschnitt 8 mehr oder minder gesonderte Gefässbündelgruppen
zählt. Die Zahl spricht für die °/s Blattstellung, was gerade mit dem bei dieser
Stellung construirten Schema des Gefässbindelverlaufs und der Anordnung am Quer-
schnitte vollständig übereinstimmt.
Ich habe noch versucht an Querschnitten die Winkel, welche die successiv in
die Blätter eintretenden Blattspuren mit einander bilden, zu messen. — Die mittlere,
aus vielen Messungen erhaltene Zahl ist 135°, welche der ®/s Stellung auch vollständig
entspricht ') ;
Es sei hier noch bemerkt, dass an dem, aus den Blättern austretenden Gefäss-
bündel drei Theile zu unterscheiden sind, so dass also eine Blattspur ursprünglich
aus drei Gefässbiindeln besteht.
Der Bau der Gefüssbündel im fertigen Zustande stimmt mit dem der meisten
Dikotylen überein; die Gestalt der Gefässbündel und Bestandelemente der letzten ist
leicht aus der Fig. 4. (Taf. I.) zu erkennen. Der nach aussen liegende Bast (ph)
besteht aus langen, der Grösse nach verschiedenen Zellen, deren Membranen schwach
verdickt, aber weichbastartige Beschaffenheit besitzen, indem sie einen anderen
Liehtbrechungscoefficient haben und im Querschnitt hell aussehen. Dazwischen liegen
die oben besprochenen Siebröhrengruppen, deren Siebröhren ihrer ungemeinen Klein-
heit wegen sehr schwer zu finden und später nicht mehr recht zu unterscheiden sind.
1) Dieser Gefässbündelverlauf entspricht demjenigen von Androsace septentrionalis, wovon wir
später sprechen werden, mit dem Unterschied anderer Zahlenverhältnisse. Fig. 12. (Taf. VI.), welche ein
Schema des Gefässbündelverlaufs von Androsace seplentrionalis vorstellt, wird also für Primula sinensis
dienen können; nur ist bei dieser letzten Pflanze. dieses Schema durch Auftreten von vielen Interfaseieular-
bündeln nicht so merklich und deutlich.
Alıh. d, nturl, Ges, zu Halle, Bd, XIV, 2 BD)
158 —
Das Holz (x) besteht aus Gefässen und Holzzellen. Die Gefässe sind Spiral- mit
Uebergängen zu Ringtracheen und aus kurzen, nicht bedeutend langen, ursprünglichen
Zellen zusammengesetzt. Die Holzzellen sind mit einfachen Tüpfeln versehene Zellen,
deren Membranen schwach verdiekt sind. Zwischen den beiden Elementen des
Gefässbindels liegt, wie schon oben erwähnt, das stark entwickelte Cambium, welches
durch seine Thätigkeit das Dickenwachsthum vermittelt. Nach aussen sind die
Getässbündel mit einer mehr oder minder undulirten Schutzscheide umgeben, welche
beim Dickenwachsthum des Stengels dasselbe Verhalten, wie in der Wurzel, zeigt,
indem die wenig entwickelte, aus einfachen parenchymatischen Zellen und mit vielen
Intercellularräumen versehene Rinde, bei fortschreitendem Dickenwachsthum oft bis
auf die Schutzscheide zerstört wird, und deren Spuren manchmal noch am Stengel
zwischen den dicht stehenden Blättern haften bleiben. Der Bau des Markes ist
ebenso einfach wie derjenige der Rinde. Es besteht aus parenchymatischen mässig
grossen Zellen und erfüllt den grösseren inneren Theil des Stengels und stirbt bei
lebendigen Pflanzen nie ab.
Ich will hier eine Anomalie nicht unerwähnt lassen, weil dieselbe sogar bei
Vaupell als em normaler Vorgang Erwähnung gefunden hat. Er sagt nämlich:
„Die Kambialzellen befinden sich auch innerhalb der Gefässe (zwischen diesen und
dem Mark), sowie zwischen den verschiedenen Gefüssgruppen“ '). Diese Anomalie,
welche einen krankhaften Charakter hat, besteht darin, dass einzelne oder mehrere
neben einander stehende Gefässe noch in ihrer Jugend mit einer gelben oder braunen,
viel Gerbstoff enthaltenden Substanz sich erfüllen und von dem übrigen gesunden
Gewebe durch eine meristematische, cambiumartige Schicht von den gesunden Theilen
abgetrennt werden (Fig. 3. Taf. II). Geschieht dies bei den dicht am Mark liegen-
den Gefässen, so werden diese durch das genannte cambiumartige Gewebe in das
Mark hineingerückt, ein Umstand, weleber ein ungewöhnliches Aussehen hervorruft.
Zuweilen sind viele Zellen im Marke, in der Rinde und in den Gefässbiindeln
mit Gerbstoff und anderen chemisch nieht näher untersuchten Substanzen erfüllt.
Blätter. Der anatomische Bau der Blätter ist in seinen Hauptzügen folgender:
Die Gefässbündel gehen, wie schon oben bemerkt, in der 3Zahl von dem
Stengel in den Blattstiel über, indem sie zu einem Blattbündel verschmelzen. Der
1) Vaupell: ]l. c. pag. 6.
— 439
nach aussen, d. h. der unteren Blattfläche zugekehrte Bast biegt sich mit seinem
Rande um den Holztheil in der Richtung der Blattoberfläche so nach innen, dass
die Blattspur ungefähr eine halbmondförmige Gestalt annimmt, welche im weiteren
Verlaufe der Gefässbiindel (Blattnerven) in der Blattlamina nicht mehr zu sehen ist.
Fig. 2. (Taf. III.) stellt eben so einen Bündel auf einem Blattstielquerschnitt dar.
Die histiologische Zusammensetzung der Gefässbündel ist dieselbe, wie die im Stengel;
nur dass im Holztheil die Spiraltracheen alle anderen Elemente vertreten und in den
letzten Endigungen der Getässbündel (Blattnerven) in den Blattzipfeln allein übrig
bleibend eine pinselartige Anordnung aufweisen. Ein Cambium ist in den Blattspuren
nicht vorhanden oder doch nur sehr schwach entwickelt. Es muss hier noch eine
interessante anatomische Thatsache erwähnt werden, nämlich das Vorkommen einer
mehr oder minder deutlichen, undulirten Schutzscheide um die Blattgefässbündel
selbst bis weit in ihre Verzweigungen hinein.
Aus der Betrachtung der Blattquerschnitte und der in Kali durchsichtig gemachten
Blatipräparate kann man sehr leicht die ganze Blattstructur ermitteln. Den grössten
Raum des Querschnitts nimmt das Blattparenchym ein, welches oben ungefähr ein
dreischichtiges Pallisadengewebe bildet, dessen Zellen nur wenig länger als breit sind
und in ihrem inneren Wandbeleg viele Chlorophylikörner enthalten. Das Parenchym
der unteren Blattseite (Fig. 6. Tat. II.) besteht aus lockerem, wenig chlorophylihaltigem
Gewebe, dessen Zellen unregelmässig, etwas plattgedrückt, mit Auswichsen versehen
sind, mit welchen sie sich gegänseitig berühren und auf diese Weise grosse Inter-
cellularräume bilden. Zwischen den beiden Theilen des Blattparenchyms liegen die
Gefüssbündel, welche, sich immer mehr verzweigend, kleiner und einfacher werden,
so dass sie schliesslich an ihrem Ende auf eine Trachee reducirt werden. Die Epi-
dermis der unteren Blattfläche besteht aus tafelförmigen Zellen, deren Scheidewände
vielfach gewunden sind. Sie ist reichlich mit Spaltöffnungen versehen, deren Schliess-
zellen, der Dicke nach, viel kleiner als die Epidermiszellen sind und deren Oberfläche
etwas hinausragt. Gestalt und Entstehung der Spaltöffnungen sind ganz einfach. Sie
entstehen aus Epidermiszellen, welche nach zweimaliger Theilung Spaltöffnungsmutter-
zellen abschneiden, die sich wieder längs theilen und zwei länglich nierenförmige
Schliesszellen, zwischen denen sich die Spalte befindet, bilden. Die Epidermis der
Blattoberfläche unterscheidet sich von der Unterfläche nur dadurch, dass ihre Zellen
grösser sind und weniger undulirte Membranen besitzen. Die Spaltöffnungen sind
RG
468 -
hier in geringerer Zahl vorhanden und besitzen einen ganz einfachen Bau, wie dies
Fig. 5. (Taf. Il.) zeigt.
Interessant ist der Bau der Blattzipfel, deren Epidermis einige grosse neben-
einander liegende Spaltöffnungen enthält, unter denen ein paar Schichten kleiner
parenchymatischer Zellen liegen, innerhalb welcher sich die oben beschriebenen
pinselartig angeordneten Nervenenden befinden. Diese Spaltöffnungen gehören zu der
Kategorie der s. g. Wasserspaltöffnungen; sie dienen nicht zum Athmen, sondern um
den hydrostatischen Druck innerhalb der Pflanzengewebe zu reguliren, indem der
Ueberfluss des Wassers, welches sich in den Gefässen einsammelt, durch diese Spalt-
öftnungen in Form von kleinen Wassertropfen ausgeschieden wird. Fig. 7. (Taf. II.) stellt
nämlich einen zur Blattoberfläche parallelen Querschnitt eines kleinen Blattzipfels dar.
Es sei noch hier angeführt, dass an den Stellen, wo Blattnerven verlaufen,
sowie auf dem Blattstiele, die Epidermis aus längsgezogenen Zellen besteht. Eine
ähnliche Oberhaut bedeckt auch die sehr kleinen Theile der jungen Stengel zwischen
den Blattansätzen, welche, wie oben schon gesagt, dieht an einander stehen.
Behaarung. Die Epidermis von Primula sinensis trägt zweierlei Köpfchen-
haare, die auf beiden Blattoberflächen besonders reichlich vorkommen. Die genannten
Haare (Fig. 8. Taf. I.) bestehen meistens aus zwei Zellen, von welchen eine kurze eylin-
drische untere die Stielzelle und eine kugelige obere das Köpfchen bildet. Die Zellen
zeigen schaumigen Inhalt mit grossen Vacuolen und werden, wie die Epidermis, mit
einer dünnen Outicula überzogen, unter welcher eine dünne wohlriechende Substanz
entsteht. Die Bildung dieser Substanz geschieht auf dem Gipfel des Haares und auf
dieselbe Weise, wie es Hanstein!') bei Syringa vu’garis beschrieben hat. Fig. 8. (Taf. I.)
stellt verschiedene Entwickelungsstadien dieser Flüssigkeit vor. Zuerst auf der Spitze
des Köpfchens zwischen der Outicula und der eigentlichen Membran der Zelle scheidet
sich die subeutieulare Substanz aus. Das Quantum derselben wird immer grösser
und die Cuticula immer mehr aufgeblasen “5, c, d und e), bis sie schliesslich platzt
und die Substanz ausfliessen lässt. Dass die Substanz sich nicht etwa in der Zelle
bildet, sondern ächt subeutieulären Ursprungs ist, kann man leicht nachweisen, wenn
man allmälig die Substanz in verschiedenen Stadien der Entwickelung mit Alkohol
auszieht. Fig. 8. (Taf. 1.) /, g und % zeigt nämlich so behandelte Haare, wo g und %
1) Hanstein: Bot. Zeit. 1868. S. 697.
2 eh
einige anomale Fälle darstellen; sonst sind die Zeichnungen von selbst vollständig
genug und bedürfen keiner näheren Erklärung.
Meyen') hat schon im Jahre 1837 den Bau dieser Haare, für seine Zeit
ziemlich vollständig, untersucht. Jetzt aber sind seine Beschreibungen ohne Werth,
indem sie ‚mit unseren jetzigen Begriffen über Zelltheilung nicht übereinstimmen.
Bei der Ortsbestimmung der Bildung der subeuticularen Substanz sagt er: „Drüsen-
köpfehen in denjenigen Zuständen, wie sie in den Fig. 11, 12, 8 und 9 dargestellt
sind, schwitzen dann die ätherische Flüssigkeit durch ihre Zellwände‘“ (pag. 28), was,
wie wir aus dem oben Gesagten gesehen haben, nicht richtig ist.
Die anderen Haare sind den besprochenen sehr ähnlich, nur sitzen sie, wie
Fig. 6. (Taf. 1.) zeigt, auf einem langen Stiel, welcher aus 2, 3 bis 4 .Zellen besteht,
von denen die zwei untersten langausgezogen und etwas breiter als die übrigen sind;
sie secerniren keine Substanz aus.
Die Entwickelungsgeschichte dieser Haare ist sehr einfach. Sie entstehen aus
auswachsenden Epidermiszellen, die sich in mehrere Zellen theilen, von welchen die
oberste immer zu einem Köpfchen wird und die unteren den Stiel bilden. Fig. 7.
(Taf. I.) stellt verschiedene Entwickelungsstadien dar.
Blüthenstandsaxe. Die Blüthenstandsaxe, welche auf ihrer Spitze den
Blüthenstand trägt, ist ein Achselspross. Der anatomische Bau derselben unterscheidet
sich von dem des Stengels dadurch, dass hier ein Sclerenchymring auftritt, welcher
ausserhalb der einzelnen, nicht zu einem Ring verschmolzenen Gefässbündel, liegt,
von welchen Fig. 1. (Taf. III.) einen zeigt, und sie zum Theil umgibt. Die Scleren-
chymzellen sind Rinden- und Markstrahlenzellen, die sehr stark ‚verdickte, eintach
getüpfelte Membranen besitzen und hier als specifische mechanische Zellen in
Schwendener's?) Sinne fungiren, indem sie zur Unterstützung der langen, dünnen,
aufrechtstehenden und an ihrem Gipfel die schwere Inflorescenz tragenden Spindel dienen.
Die Gefässbündel, deren Zahl sehr wechselt und oft 20 übersteigt, haben (auf
dem Querschnitt) Keilform mit breitem nach aussen gekehrten Ende und unter-
scheiden sich im Bau nicht von denen des Stengels. Dies lässt sich auch von Mark
und Rinde sagen. Eine der Schutzscheide entsprechende Zellschicht ist auch hier
1) F. J. Meyen: Ueber die Sekretionsorgane der Pflanzen. Berlin. 1837.
2) Schwendener: ige: g
2 —
vorhanden. Sie liegt ausserhalb des Sclerenchymringes und führt Stärkekörner; die
charakteristischen Caspary’schen Punkte sind hier auch zu bemerken. Die Epidermis,
welche die Spindel bedeckt, unterscheidet sich nicht von der des Blattstiels. Sie
trägt Spaltöffnungen und beiderlei Haare, von welchen die nicht secernirenden lang
sind und oft aus 6—7 Zellen bestehen.
Die Entwickelungsgeschichte dieser Gewebe der Blüthenstandsaxe ist dieselbe,
wie die des Stengels; hier wie da entsteht zuerst ein meristematischer Ring, in welchem
einzelne Procambiumstränge sich differenziren, aus denen später Gefässbündel und
aus dem dazwischen gebliebenen Gewebe Sclerenchym ausgebildet wird. In Fig. 4.
(Taf. III) sehen wir im @Querschnitte die Entstehung der Procambiumstränge, in
welchen schon ‚die Protophloemzellen ausgebildet sind.
Folgende von mir untersuchte Primeln schliessen sich in ihrem anatomischen
Bau an den obenbesprochenen Typus an:
Primula Boveana. Die Wurzel, wie der Stengel sind wie die der P. sinensis
gebaut, mit dem Unterschied jedoch, dass die Wurzel am häufigsten triarche Holz-
körper aufweist, der Bau des Stengels durch reichliche Wurzelbildung, welche ihren
Sitz im Cambium hat, complieirt wird, und dass die Thätigkeit des Cambiums bei
der Bildung des Holzes hier noch deutlicher als bei Pr. sinensis ist. Der Haupt-
unterschied besteht im Baue des Gefässbündelsystems des Blattstiels, dessen @uer-
schnitt Fig. 5. (Taf. III.) zeigt. Hier besteht es aus drei getrennten, nicht wie bei
Pr. sinensis verschmolzenen Gefässbündeln, die im Querschnitt eine keilförmige Gestalt
besitzen und von einander durch einige Parenchymschichten getrennt sind. Nie sind
so angeordnet, dass sie mit ihren spitzen Enden ungefähr zusammenstossen. Was
ihren Bau betrifft, so zeigen sie, wie wir aus der erwähnten Figur sehen, ein stark
entwickeltes Cambium, welches dafür zu sprechen scheint, dass die Blätter nicht nach
Verlauf einer kurzen Zeitperiode abfallen und durch neue ersetzt werden, sondern
dass sie etwa perennirend sind, was auch mit der Beobachtung übereinstimmt.
Der Holz- und der Basttheil unterscheiden sich von denjenigen der Primula
sinensis nicht; nur im Holztheile findet man verhältnissmässig mehr Holzzellen als
Gefüsse, von welchen die ersteren verdiekte und mit einfachen Tüpfeln versehene
Zellwände besitzen.
= Am
Primula corthusoides. Die Stengelinternodien sind kürzer als die der Pr. sinen-
sis, so dass die Blätter noch mehr gedrängt stehen. In den Blattachseln bilden sich
reichlich Seitenknospen, die sich bald, je älter sie werden, mit vielen Wurzeln am
Boden befestigen und, sich von der Mutterpflanze ablösend, zu selbstständigen Pflanzen
werden, wodurch ein rasenförmiger Wuchs bedingt wird. .
Die Wurzeln haben denselben Bau, wie die der Pr. sinensis; ihr Gefässbündel-
eylinder ist gewöhnlich tetrarch. Das Diekenwachsthum geht auch auf dieselbe
Weise vor sich. Fig. 1. (Taf. IV.) stellt einen Querschnitt von einer alten Wurzel
vor, welche durch Dickenwachsthum ihre ursprüngliche Form schon geändert hat.
Beim ersten Blick fällt sogleich die sehr kleme (Quantität der Gefässe ins Auge; in
der Mitte liegt ziemlich grosses parenchymatisches Wurzelmark; ein Cambiumring
bildet neue Bast- und Holzelemente, in den letzten aber sind meist nur Holzzellen
und wenige Gefässe enthalten, welche zwischen dem primären tetrarchen Holzkörper
in 4 Partien gruppirt sind und einen vierstrahligen Stern bilden, welcher sich mit
den primären Holztheilen kreuzt.
Der Bau der Stengel und Blätter ist von dem der Pr. Boveana nicht zu
unterscheiden, es ist jedoch zu bemerken, dass im Holztheil der Gefässbindel ver-
hältnissmässig viel weniger Gefässe vorhanden sind als bei den obengenannten Primeln,
und dass die Blattspur aus einem grossen, nierenförmigen Gefässbiindel besteht, dessen
Struktur dieselbe ist, wie bei Pr. sinensis. Das Uharakteristische ist aber für Pr. cor-
thusoides das Vorkommen der Sclerenchymzellen im Marke. Diese Zellen sind ein-
fache, parenchymatische Markzellen, deren Membranen sehr stark verdickt und mit
vielen verzweigten Tüpfeln versehen sind. Die Selerenchymzellen sind gruppenweise
(Fig. 6. Taf. III.) geordnet und füllen fast das ganze Mark aus bei kleineren Pflanzen.
Sie begleiten oft noch eine kleine Strecke weit die in die Blätter eintretenden
Gefässbindel, hören hier aber bald auf und sind nur vereinzelt im Blattstiel zu finden.
Solche vereinzelte Sclerenchymzellen befinden sich auch in der Rinde des Stengels.
Schliesslich will ich noch bemerken, dass die nicht secernirenden Haare viel
länger sind und bis aus 10 Zellen bestehen.
= 164
II. Primula elatior.
Wurzel. Bei dieser Primel stirbt, wie bei den anderen, die Hauptwurzel
bald ab und wird durch Adventivwurzeln ersetzt. Ich habe nicht Gelegenheit
gehabt, die Hauptwurzel zu untersuchen. Die Adventivwurzeln sind zahlreich, viel
dicker als bei den vorigen Primeln, nicht so stark verzweigt, sondern meist einfach.
Die Wunzelspitze, die hier grösser ist, so dass die Initialen des Plerom, des Periblems
und der calyptrogenen Schichte aus zahlreicheren Zellen bestehen, ist nach demselben
Bau- und Wachsthumtypus gestaltet. In ihrer weiteren Entwickelung verhalten sich
die Wurzeln anders als die der Pr. sinensis, indem das Dickenwachsthum, wenn es
iiberhaupt eintritt, so unbedeutend ist, dass die primäre Struktur der Wurzel immer
deutlich zu erkennen bleibt. Ein Querschnitt durch eine junge Wurzel zeigt folgen-
des: In der Mitte liegt ein typischer, in der Regel pentarcher Gefässbündeleylinder,
dessen Holztheile nicht zusammenstossen, sondern ein aus einer Anzahl parenchy-
matischer Zellen bestehendes Wurzelmark übrig lassen. Nach aussen liegen das
schwach entwickelte Pericambium, die Schutzscheide, die Rinde, welche aus verhält-
nissmässig kleinen, aber zahlreichen Zellen besteht, und die Epidermis. Mit dem
Alter, wie wir das aus der Fig. 2 (Taf. IV.) sehen, werden die eben beschriebenen
Strukturverhältnisse nicht verändert, nur das Wurzelmark wird ganz selerenchymatisch,
indem seine’Zellen stark ihre Membranen verdicken und einfache Tüpfel bekommen.
Zwischen Bast und Holz bildet sich ein schwach entwickeltes Cambium, welches
einige wenige Holzgetässe und Bastelemente erzeugt, die sich an die primären anlegen.
Die übrigen nach aussen liegenden Gewebe, von welchen die Rinde hier die Haupt-
masse der Wurzel bildet, gehen in Dauergewebe über, indem ihre Zellen etwas
grösser werden und ihre Membranen sich schwach verdicken.
Stengel. Die Struktur des Stengels ist bei Preimula elatior viel complicirter
als bei Pr. sinensis und durch zahlreiche und sehr früh eintretende Adventivwurzel-
und Achselsprossbildungen schwer verständlich. Um sich ein klares Bild über den
Bau des Stengels und seiner Gefässbündel zu machen, müssen wir den Vegetations-
punkt betrachten und die Entwickelungsgeschichte verfolgen. Dieser Vegetationspunkt
ist in Gestalt nnd Bau von dem der Pr. sinensis nicht zu unterscheiden. Dasselbe
gilt für die Differenzirung der Gewebe und die erste Anlage der Gefässbündelelemente.
Hier findet man auch einen an den Stellen, wo sich die Blattspuren abtrennen,
— 165 —
unterbrochenen Gefässbündelring, dessen histiologische Zusammensetzung auch die-
selbe ist, indem nach aussen Bast und nach innen Holz sich befindet und der mittelst
eines normal liegenden Cambiums in die Dieke wächst. Es kommt aber eine Compli-
kation dazu, welche darin besteht, dass sich ein zweites Gefässbündelsystem bildet,
welches in direeter Verbindung mit dem der Adventivwurzeln steht, und das Blatt-
spurbündelsystem von aussen in Form eines komplieirten Netzes umgiebt. Wenn
man Stengelquerschnitte, die nicht weit vom Vegetationspunkt gemacht sind (Fig. 3.
Taf. IV.), betrachtet, so bemerkt man, dass ausserhalb der schon entwickelten Gefäss-
bündel die dicht am Bast anliegenden Zellen sich tangential theilen und ein cambium-
artiges Gewebe bilden, welches mit der weiteren Entwickelung der Getässbündel den
ganzen Gefässbündelring umgibt. Diese Art Cambium ist nicht gleichmässig entwickelt;
in einigen Stellen, wo die Wurzeln entstehen, ist es bis 5 Zellen diek, in anderen
viel weniger und auf 1—2 Zellen reducirt. Hiervon auch hängt seine grössere oder
geringere Thätigkeit ab, welche darin besteht, dass seine inneren Zellen zu neuen
Holz- und Bastelementen werden, die das obengenannte Gefässbündelsystem bilden.
Diese Bündel bestehen in einigen Stellen aus lauter Holzgefässen, an anderen aus
Holz- und Bastbündeln. In Anordnung und Verlauf zeigen sie eine sehr grosse
Verschiedenheit und Unregelmässigkeit. Zuweilen verlaufen sie in derselben Richtung
wie die Blattspurgefässbündel, was jedoch selten der Fall ist; meistens machen sie
in ihrem Verlauf mit den letzteren einen mehr oder weniger grossen Winkel, so
dass sie zur Richtung des Stengels fast perpendikulär verlaufen und auf Stengel-
querschnitten (Fig. 4. Taf. IV.) in ihrem Längsschnitt in senkrechter Lage zu den
Blattspurbündeln zu liegen kommen; auf Längsschnitten kehrt sich dies Verhältniss
um: die ersteren sieht man alsdann in Längsrichtung, die zweiten in Querrichtung.
Auf den in Kali durchsichtig gemachten Präparaten ist die Unregelmässigkeit des
oben beschriebenen Verlauts und das Verhältniss der secundären zu den primären
Biündeln am deutlichsten zu sehen. Fig. 5. (Tat. IV.) stellt ein solches Präparat vor;
hier kann man den Verlauf dieser Bündel ungefähr so bestimmen: sie gehen von
der Wurzelbasis 5 nach allen Richtungen und vereinigen sich theils mit den Bündeln,
die von anderen Wurzeln herkommen, theils aber, wie bei d, sich an Stengelgefüäss-
biindeln anlegen.
Die Adventivwurzeln des Stengels entstehen sehr früh im äusseren Cambium.
Die Art und Weise der Entstehung in ihren ersten Anlagen konnte ich nicht mit
Abh. d. nturf. Ges. zu Halle. Bd. XIV. 22
166 —
Genauigkeit verfolgen. Es ist nur das sicher, dass das Blattspurgefässbündelsystem
mit der Entstehung der Wurzel in keiner direeten Beziehung steht und dass die
Vermittelung zwischen beiden Gefässbündelsystemen — des Stengels und der Wurzel —
durch die oben beschriebenen, ausserhalb des ersteren liegenden Bündel des Stengels
hervorgebracht wird, indem diese gerade da, wo die Wurzel anfängt, am meisten
entwickelt sind und, sich zum Gefässbiindeleylinder anordnend, divekt in die Wurzel
eintreten.
In älteren Stengeltheilen und überhaupt da, wo keine Adventivwurzeln gebildet
werden, hört die Thätigkeit des äusseren Cambiums schon früh auf; es kommt an
diesen Stellen aussen eine Schutzscheide, deren Zellen sehr deutliche Undulationen
der Membranen zeigen, zur Entwickelung.
Die Selerenehymgruppen, deren Zellen, je nach Lage, kürzer oder länger
sind und sieh sonst von denjenigen der Pr. corthusordes nicht unterscheiden, stehen
mit den Gefässbündeln in Verbindung Sie liegen entweder innerhalb derselben im
Marke oder zwischen den primären und secundären Gefässbiindeln; sie treten „mit
den letzten in die Wurzel ein, um das oben beschriebene Wurzelmarkselerenchym
zu bilden.
Der Bau des Markes und der Rinde ist bei Pr. elatior derselbe wie bei
Pr. sinensis; nur ist hinzuzufügen, dass die äusseren Zellen des secundären Cambiums
zur Rinde werden, indem sie sich regelmässig radial anordnen und eine ungefähr
4—5 Zellen dicke Schicht darstellen. Die Zellen. dieser Gewebe und besonders die
des Markes besitzen in ihrem Alter derbe, etwas verdickte und mit grossen einfachen
Tüpfeln versehene Membranen, .
Die Blätter sowie die nach Irmisch immer terminale Blüthenstandaxe '')
unterscheiden sich in ihrer Struktur nicht von denen der obengenannten Primeln,
nur der Bau der Gefässbindel im unteren schmalen Ende der Blätter (die bekannt-
lich sitzend, nicht gestielt sind), welcher sonst, wie bei Pr. corthusordes gebaut ist,
zeigt eine kleine Abweichung: sie sind nach aussen mit einem selerenchymatischen
Bogen umgeben, und nach innen ist die Einbuchtung des Holztheiles mit ähnlichen
Sclerenchymzellen ausgefüllt.
1) Thilo Irmisch: Zur Morphologie der monokotylischen Knollen und Zwiebelgewächse. S. 184.
— 167 —
Die Behaarung ist auch dieselbe, nur sind die nicht secernirenden Haare
länger und bestehen aus mehreren, bis 10 Zellen.
An diesen Bautypus schliesst sich unmittelbar Pr. offieinalis an, welche durch-
aus in allen ihren Einzelheiten dieselbe Struktur wie die der Primula elatior besitzt.
II. Primula Aurieula.
Wurzel. Die Hauptwurzel mit ihren Nebenwurzeln, welche von derjenigen
der Primula elatior nur durch die geringe Zahl der Elemente verschieden ist, geht
wie dort, bald zu Grunde und wird durch Adventivwurzeln ersetzt, die ebenfalls nur
durch die Abwesenheit oder das seltene Vorkommen des Markselerenchyms von denen
der genannten Pflanze verschieden sind.
Das hypokotyle Stengelglied ist in seinem Bau die Fortsetzung der
Wurzel mit dem Unterschied, dass im Gefässbündeleylinder zwei Basttheile um einen
in der Mitte liegenden Holztheil auftreten, welcher Holztheil seinerseits weiter oben
auch in zwei Theile zerfällt. Auf diese Weise entstehen zwei Bündel, welche plötzlich
in die zwei Kotyledonen eintreten, indem sie in der Mitte ein einziges Stammbiündel
zwischen sich lassen.
Stengel. Die anatomische Struktur des Stengels weicht nicht nur von der
der beiden vorhin beschriebenen Typen, sondern auch vom allgemeinen Dikotylen-
typus ab und nähert sich, wie schon Vaupell') gezeigt hat, der der Monokotylen.
Wenn man einen Stengelquerschnitt betrachtet, so bemerkt man keine Differen-
zirung zwischen Rinde und Mark, die ganze Schnittfläche stellt ein gleichmässiges
Parenechym dar, welches demjenigen der Wurzelrinde in seiner histiologischen
Zusammensetzung vollständig gleicht. In diesem Parenchym liegen einzelne Gefäss-
bündel, welche in der Peripherie des Stengels in verschiedener Zahl (meistens 15 —20)
in einen Kreis geordnet sind, ‚innerhalb dessen viele einzelne Gefässbündel zerstreut
stehen (Fig. 6. Taf. IV.). Dicke, in Kali durchsichtig gemachte Präparate, von
welchen eines in Fig. 1. (Taf. V.) abgezeichnet ist, zeigen, dass sowohl die peripheri-
1) Vaupelll. ce. pag. 15.
ee
schen als auch die in der Mitte zerstreuten Gefässbündel 'einen sehr verschiedenen,
unregelmässigen, meist schiefen, vielfach gebogenen Verlauf haben, indem sie noch
init einander zahlreiche Anastomosen bilden.
Um sich ein klares und verständliches Bild über diesen complieirten Verlauf
der Getässbündel zu machen, müssen wir mit dem Keimpflänzchen, wo die Verlaufs-
verhältnisse sich am einfachsten darstellen, anfangen.
In einer Keimpflanze (Fig. 2. Taf. V.), welche schon ungefähr sechs ausgebildete
Blätter hat, sehen wir, dass die Blattspurbündel, welche je von einem Blatt kommen,
sich direet an das nächst folgende legen, so dass wir im Stamm nur ein centrales
Getässbündel sehen. Bald aber treten mit dem Wachsthum des Stengels und der
Entstehung neuer Blätter Complikationen ein. Die in den Stengel eintretenden Bündel
behalten immer länger ihre Selbständigkeit, verlaufen einige Internodien weit nach
unten, dabei oft einen Bogen nach rechts oder nach links beschreibend, und legen
sich erst später an irgend ein anderes von ihnen getroffenes Getässbündel an, oder
begleiten dasselbe vorher durch mehrere Internodien abwärts; so z.B. in Fig. 7.
(Taf. IV.), wo das Bündel 5 sich nicht an den mittleren, sondern an a, der mehr
unten verläuft, anlegt. Die Stelle, wo sich die betreffenden Bündel anlegen, ist also
keine bestimmte und hängt auch nicht mit der Blattstellung zusammen, welche bei
dieser Aurikel °/; zu sein scheint.
Dieser noch ziemlich einfache Gefässbündelverlauf wird bei älteren Stengeln,
an denen sich viel mehr entwickelte und grössere Blätter befinden, viel complicirter.
Die grösseren Blätter der Aurikel sitzen mit breiter, eine grosse Anzahl, bis 20 Gefäss-
bündel enthaltenden, oft mehr als die Hältte des Stengelumfanges umfassenden Basis
dem Stengel an. Die medianen eingetretenen Blattspurbündel am Stengelquerschnitte
(Fig. 6. Tat. IV.) sind im Kreise geordnet, die lateralen aber verlaufen im Stamme
entweder ausserhalb des Gefässbündelkreises, — dies sind die kleineren jüngst
entstandenen Bündel, — oder sie setzen sich sogleich an die (in Beziehung auf das
Blatt) medianen Bündel an oder aber, was häufiger ist, sie treten durch die Maschen
der letzteren in das Mark ein, um hier, nach mehr oder weniger langem Verlauf,
mit einander und mit den medianen Bündeln durch zahlreiche Anastomosen sich zu
verbinden. Auf diese:Weise kommt der scheinbar ordnungslose, complieirte Verlauf
der Gefässbündel der Aurikel zu Stande. Die in Kali durchsichtig gemachten
Stengelpräparate von grösseren Keimpflänzchen (die schon wenigstens 20 Blätter
I,
-
besitzen), von welchen Fig. 7. (Taf. IV.) eins zeigt, veranschaulichen diese Verlaufs-
verhältnisse ganz deutlich. Wir finden am untern Stengelende nur ein centrales
Gefässbündel, welches nach oben sich vielfach verzweigt und dessen Zweige unter
sich vielfach anastomosiren.
Aus dem oben Gesagten ergibt sich, dass wir hier keine stammeigenen Bündel
haben, dass sogar die in der Mitte des Stengels verlaufenden Bündel Blattspuren
sind. Damit stimmt auch die Thatsache überein, dass im Vegetationspunkte ausser
den Gefässbündeln, welche unter jeder Blattanlage entstehen und welehe zum Blatt
gehören, keine anderen zu sehen sind.
Der ganz flache Vegetationspunkt der Aurikel besteht aus einem gleichmässigen,
meristematischen, von Epidermis überzogenen Gewebe. Die Differenzirung der Gewebe
weicht etwas von der oben für Primula sinensis beschriebenen ab, indem hier der
Verdiekungsring nicht nachzuweisen ist. Auf einem entsprechenden Querschnitte,
welchen Fig. 3. (Taf. V.) darstellt, dicht unter dem Vegetationspunkte sieht man in
dem gleichmässig vertheilten Gewebe an den, den jüngsten Blattanlagen entsprechen-
den Stellen einige Zellen in rascher 'Theilung begriften, wodurch ein aus kleineren
Zellen zusammengesetzter Procambiumstrang entsteht, welcher zum Gefässbündel
wird. Die Ausbildung der Gefässbündel aus den Procambiumsträngen geht, wenn
man von Einzelheiten absieht, auf folgende Weise vor sich. Zuerst bilden sich im
äusseren Theile des Procambiumstranges, der aut dem Querschnitte eine abgerundete
Form besitzt, die ersten Siebelemente des Bastes (Protophloemzellen von Russow'))
(Fig. 4. ph, Taf. V.), die bald darauf auch an beiden Seiten des Stranges entstehen.
Nicht viel später zeigen sich an der Innenseite die ersten Holzelemente (Protoxylem-
zellen nach Russow) (x) in Form von Spiralgefässen. Damit hat schon das Gefäss-
bündel eine definitive Gestalt, welche wir in Fig. 4. (Taf, V.) sehen, bekommen, indem
nach innen zu Holz zu liegen kommt, welches nach aussen und von beiden Seiten
mit Bast umgeben ist. Die weitere Ausbildung des Gefässbündels beruht darauf,
dass die Zahl der einzelnen Bast- und Holzelemente sich in der Richtung zur Mitte
des Biindels vermehrt, wo ein schwach entwickeltes und vorübergehendes Cambium
entsteht, welches ein geringes und bald erlöschendes Dickenwachsthum des Bündels
1) E. Russow: Vergleich, Untersuch. z. Histiol. d. Leitbündel-Kryptogamen und der Phanero-
gamen, insbesond. d. Marsiliaceen. Petersburg. 1872.
—
verursacht. Endlich muss ich noch bemerken, dass die Gefässbündel vollständig
ringsherum mit einer typisch ausgebildeten Schutzscheide umschlossen sind, die nicht
aus dem Procambium entsteht, sondern aus umgrenzenden, dem Stengelparenchym
angehörenden Zellen, welche sich tangential zum Gefässbündel theilen (Fig. 4 Tat. V.);
die inneren der durch diese Theilung entstandenen Zellen bekommen Wellungen an
ihren Membranen und werden zu Schutzscheidezellen. Die Entstehung der Schutz-
scheide geht mit der definitiven Ausbildung der Gefässbündel aus den Procambium-
strängen parallel.
Die Struktur des Stengelparenehyms wurde schon oben besprochen, es erübrigt
noch hinzuzufügen, dass an verschiedenen Stellen des älteren Stengels ähnlich wie
bei Primula corthusoides und elatior Scelerenchymgruppen vorkommen, die hier wie
dort aus Parenchymzellen mit stark verdickten Membranen bestehen. In Fig. 1.
(Tat. V.) sind diese Selerenchymgruppen mit si: bezeichnet. Auch in den Gefäss-
bündeln selbst ist Sclerenchym zu finden, da wo an dieselben sich Adventivwurzeln
anlegen, die in den äusseren Zellen des Bastes ihren Ursprung nehmen. Ueber die
Entstehung der Adventivwurzeln habe ich keine näheren Untersuchungen angestellt.
Den jungen Stengel der Aurikel überzieht eine einfach gebaute, aus platten-
förmigen, mit graden Seitenwänden versehenen Zellen bestehende Epidermis, welche
mit einer ziemlich entwickelten Cutieula überzogen ist. Später wird diese Epidermis
durch Periderm ersetzt.
Blätter. Die anatomische Struktur der Blätter zeigt nichts Besonderes und
stimmt im Ganzen mit der oben für Primula sinensis beschriebenen überein. Die
Aurikelblätter sind bekanntlich sitzend und mit breiter Basis Stengel umfassend und
lassen, wie oben schon gesagt, über 20 Blattbündel in den Stengel eintreten. Die -
Struktur dieser Bündel ist vollständig dieselbe wie bei Primula sinensis und von der-
selben mehr oder minder halbmondförmigen Gestalt. Wir sehen hier, dass die
Gefässbündel im Stengel von denen der Blätter nur durch die mehr abgerundete
Form und durch das unbedeutende Dickenwachsthum, welches auch manchmal im
unteren Theile der Blätter nachzuweisen ist, verschieden sind. Aus den Blättern
verlaufen dieselben direkt in den Stamm und behalten dabei immer ihre Selbständig-
keit, sie bleiben isolirt und verschmelzen nicht, wie bei den meisten typischen Diko-
tylen, zu einem mittelst Cambium in die Dieke wachsenden Gefässbündelringe. Die
Blätter sind suceulenter als bei den oben genannten Primeln. Das Blattparenchym,
ae >
dessen Zellen hier mehr abgerundet sind und consistentere Membranen besitzen, ist
hier stärker entwickelt. Das Pallisadenparenchym im basalen Theile des Blattes ist
schwächer ausgebildet als in der Blattlaınina. In der letzten besteht es aus wenigstens
3 Zellschiehten, deren Zellen viel länger als breit sind. Die Zellen der Epidermis
der unteren Blattfläche sind hier dicker als die der oberen; Spaltöffnungen sind auch
weniger als auf der oberen Fläche zu zählen. Die an der unteren und oberen Blatt-
fläche liegende Epidermis ist mit einer ziemlich stark entwickelten Outieula überzogen,
die eigenthümlich gefaltet erscheint dadurch, dass sie auf jeder besonderen Zelle
gewisse streifenartige Vertiefungen und Erhabenheiten zeigt. Die Bereifung, die bei
Pr. Auricula vorkommt, besteht nicht aus Wachs, sondern ist ein anderer Ueberzug
und wie de Bary angibt, von Wachs „dadurch verschieden, dass er erstlich, wie
schon Göppert') fand, aus (krystallinischen) Theilchen von Körpern besteht, welche
in kaltem Alkohol leicht löslich, und daher von Göppert als Harz, von Klotzsch?)
als Pseudo-Steoroptene bezeichnet worden sind, und dass er ferner, wie Mettenius’)
für die in Frage kommenden Farne schon angab, ausschliesslich von der kugeligen
Endzelle kopfiger Haare producirt wird“.*)
Die Behaarung ist bei der Aurikel sparsam. Es finden sich auch hier die
beiden Sorten der Haare, die wir bei Pr. sinensis gesehen haben. Die aber, welche
den längeren Haaren entsprechen, sind hier kurz, nur aus 3 Zellen bestehend, von
denen die untere Stielzelle durch ihre breite Basis, mit der sie der Epidermis aufsitzt,
auffällt. Diese Haare sind steif, und da sie hauptsächlich am Rande der Blätter
sitzen, so verleihen sie dem Blattrande eine gewisse Rauhigkeit.
Die Blüthenstandaxe, welche an ihrem Gipfel Blüthen trägt, ist in ihrer
Struktur gar nicht von der der Primula sinensis verschieden.
An diesen Bautypus schliessen sich verschiedene, meist echte Gebirgsprimeln,
die ich mehr oder minder, theils nach getrockneten, theils nach Spiritusmaterial
untersucht habe, an.
') Nova Acta Carol. Leopold. Vol. XVIII. Suppl. 1. p. 206.
2) Vergl. Bot. Ztg. 1852. S. 200.
3) Filices horti Lipsiensis pag. +2.
4) Bot. Ztg. 1871. 8. 131.
2 —_
Primula Palinura und Pr. calycina schliessen sich in ihrem Bau direkt an
Pr. Auricula an.
Primula spectabilis unterscheidet sich von der Aurikel in dem Bau ihrer Wurzel
und in deren Wachsthumsart nicht wesentlich. Bei dieser Pflanze habe ich nicht wie
bei den obengenannten Primeln ein aus Scelerenchym bestehendes Wurzelmark gefun-
den. Vielmehr treten hier an die Stelle eines bei jungen Wurzeln schwach ent-
wickelten Markes, später Holzgefässe mit Holzzellen, welche den centralen Theil des
Gefässbündeleylinders ganz ausfüllen.
Auch die anatomische Struktur des Stengels ist von der bei Pr. Arricula nicht
verschieden; wir haben hier nur eine Vereinfachung im Gefässbündelverlauf, indem wir
auf einem Stengelquerschnitte nur einen Gefässbündelkreis vorfinden, ausserhalb dessen
noch einige zerstreute, kleinere Gefässbündel zu sehen sind (Fig. 5 u. 6. Taf. V.).
Es lässt sich hier der Verlauf der Gefässbiindel unschwer bestimmen durch
Vergleichung successiver Stengelquerschnitte und in Kali durchsichtig gemachter
Präparate. Dieser Verlauf, der schematisch in Fig. 8. (Taf. V.) gezeichnet ist, ist
folgender: Jedes Blattspurbündel, welches in den Stamm eintritt, nimmt von beiden
Seiten zwei Biindel, die zu den nächst seitlichen oben liegenden Blättern gehören, auf
und verläuft ein Internodium nach unten, wo es sich in 2 Schenkel gabelt, die
sich an die beiderseits nächstliegenden zwei unteren Blattspurbündel anlegen. Wir
bekommen also in der Längsansicht ein Netzwerk zu sehen, dessen Maschen eine
kurze, spindelförmige oder rhombische Gestalt besitzen und von denen je eine einem
blatte entspricht, dessen Bündel in der unteren Ecke der Masche sitzt. Die 2 oberen
Seiten jeder Masche werden von 2 Schenkeln, die durch Gabelung des von oben
herabkommenden Bündels entstanden sind, gebildet, die 2 unteren auch von 2 Schenkeln,
die aber zu verschiedenen Bündeln gehören, und sich an die zwischen sie eintretende
Blattspur anlegen. Nehmen wir z. B. das, mit 7 in Fig. 8. (Taf. V.) bezeichnete
Bündel zur Ansicht, so sehen wir, dass das Bündel, indem es in den Stengel eintritt,
von jeder Seite je einen Schenkel des Bündels 4 und 2, einnimmt und seinerseits im
weiteren Verlauf sich in zwei Schenkel gabelt, die sich mit Biindel 10 und 12 ver-
einigen. Auf einem (Fig. 5. Taf. V.) durch die Blattansatzstelle geführten Stengel-
querschnitte erscheinen 8 Bündel in einen Kreis geordnet; etwas unter der Blatt-
ansatzstelle sieht man zuerst ein, bald darauf ein zweites derselben schwinden, so
dass nur noch 6 Biindel übrig bleiben (Fig. 6. Taf. V.). Dieser Umstand findet darin
—
seine Erklärung, dass die neu in den Stengel eingetretene Blattspur sich mit zwei
seitlichen zu einem Bündel vereinigt. Weiter unten wird die Achtzahl wieder her-
gestellt, indem sich eines der Gefässbündel in 2 Schenkel spaltet und an der nächsten
Blattansatzstelle ein neues Blattspurbündel dazu kommt. Die Zahlen der Gefässbündel
auf dem Querschnitte scheinen für die °/ Blattstellung zu sprechen; auch stimmt
das für dieselbe construirte Schema des Gefässbündelverlaufes mit dem bei Pr. spec-
tabilis beobachteten und oben beschriebenen vollständig überein.
Ein solches Schema stellt Fig. 8. (Taf. V.) vor, welches zugleich ein vollständiges
Bild des Gefässbündelverlauts, in einer Fläche ausgebreitet, zeigt. Die horizontalen
Linien entsprechen den Ansatzstellen der Blätter, die senkrechten den Orthostichen,
deren wir 8 zählen.
Hier, wie bei der Aurikel, kommen ausser den medianen Blattgefässbündeln
auch seitliche vor, aber in viel geringerer Zahl. Diese gehen aber nicht in die
Mitte des Stengels (Fig.5 und 6. Taf. V.), sondern sie legen sich an das oben beschrie-
bene Gefässbündelsystem an, indem sie sich mit den medianen direkt verbinden oder
in den Maschen derselben vielfach anatomisiren, wodurch der oben beschriebene
Verlauf einigermassen unkenntlich wird.
Die histiologische Zusammensetzung des Stengelparenchyms und der Gefäss-
bündel ist derjenigen der Aurikel ganz ähnlich; nur in dem Stengelparenchym babe
ich keine Sclerenchymbildungen gesehen, dagegen kommen solche sehr oft in den
Gefässbündeln vor. Die in den Stengel eintretenden Gefässbündel pflegen gewöhnlich
dieselbe mehr oder minder halbmondförmige Gestalt, die sie im basalen Theile der
Blätter haben, zu behalten. Die Einbuchtung, die bei solcher Gestalt das Holz
besitzt, ist immer mit Selerenchym gefüllt, so dass sich der Querschnitt der kreis-
runden Form nähert. Dass diese kurzprosenchymatischen Sclerenchymzellen nicht
zum Stengelparenchym, sondern zum Gefässbündel gehören, schliesse ich daraus, dass
sie sammt dem ganzen Gefässbündel von einer deutlich ausgebildeten Schutzscheide
umschlossen sind.
Was die Struktur der Blätter und die Behaarung betrifft, so ist sie im Wesent-
lichen ganz der der Aurikel ähnlich.
An Primula speetabilis schliessen sich durch ihre anatomischen Merkmale
direkt an: Primula latifolia, ferner Pr. marginata, die durch ihre sparsame Behaarung
Abh. d. nturf, Ges, zu Halle, Bd, XIV, 23 ö
I
und Pr. villosa, die durch ihre steifen, stark ausgebildeten, am Rande der Blätter
dicht stehenden Haare, auffallend sind.
An Primula spectabilis schliesst sich auch Pr. minima an. Die Wurzel dieser
Pflanze zeigt aber ein schwaches Diekenwachsthum, welches jedoch, wie bei den
vorigen Primeln dieses Bautypus, die primäre Struktur derselben nicht vermischt.
Die Stengelstruktur ist die der Pr. speetabeilis; die Sclerenchymbildung findet aber
frühzeitig und viel reichlicher statt, so dass oft das ganze Gefässbündel auf einige
Gefässe mit den entsprechenden Bastelementen reducirt ist und seine Hauptmasse aus
Selerenchym besteht. Der Gefässbündelverlauf ist derselbe wie bei Pr. spectabilis,
aber weit regelmässiger. Die seitlichen Blattspurbündel, welche fast dieselbe Grösse
und denselben Entwickelungsgrad haben, wie Fig. 9. (Taf. V.) zeigt, legen sich haupt-
sächlich an den unteren rechten‘) Rand jeder Masche des Gefässbündelnetzes an, so
dass diese Ränder, die desshalb stärker entwickelt sind als die anderen, und der
?,, Blattstellung entsprechend, als drei von links nach rechts gewundene, dicht mit
Blattspuren besetzte Spiralen erscheinen. Die in Kali durchsichtig gemachten Stengel-
präparate stellen dieses Verhältniss am klarsten und schönsten dar. Die Blattstruktur
ist dieselbe wie bei Primula spectabilis, nur sind die Blattspurbündel im Querschnitte
nicht halbmondtörmige, sondern nehmen mehr keilförmige Gestalt an.
Schliesslich gehören hierher noch einige kleinere Primeln, wie Primula Mistas-
sinica, bei welcher die Vereinfachung im Gefässbündelverlaufe noch weiter geht,
indem hier keine seitlichen Blattgefässbündel vorhanden sind, sondern nur mediane,
die nach der ?/, Blattstellung verlaufen. Auf Querschnitten haben wir hier 3 (Fig. 10.
Tat. V.) oder 2 (Fig. 11. Taf. V.) Gefässbündel, nachdem der Schnitt durch die
Ahsatzstelle oder unterhalb der letzten geführt ist.
IV. Primula farinosa.
Wurzel. Primula farinosa ist in ihrem Wurzelbau der Primula Auricula und
Pr. elatior darin ähnlich, dass kein oder nur ein ganz schwaches Dickenwachsthum
stattfindet, so dass die primäre Struktur immer deutlicher zu erkennen bleibt. Die
4%) Der Stengel wird vor uns mit seinem Gipfel nach oben gekehrt, gedacht,
es —-
Wurzel dieser Pflanze ist aber dadurch von denen der oben erwähnten Primeln
verschieden, dass ihre Gewebe viel zarter aussehen und auch im Alter.die Membranen
der Zellen nicht so stark verdickt erscheinen. Die unter der Epidermis liegende
Rindenzellenschicht (Fig. 1. Taf. VI.) zeigt in ausgezeichnetster Weise die auch bei
anderen Primeln in geringerem Grade vorkommende Eigenthümlichkeit, dass ihre
dicht nebeneinander stehenden Zellen auffallend radial ausgezogen und sehr dünn-
wandig sind. Diese Rindenschicht, obwohl von sehr zartem Aussehen, scheint hier
die sehr hinfällige und bald zu Grunde gehende Epidermis zu ersetzen. In dem
gewöhnlich tetrarchen Gefässbündeleylinder konnte ich kein Selerenehym finden,
obgleich das Wurzelmark hier sehr stark entwickelt ist. Das Pericambium ist stark
entwickelt, zwei- oder dreischichtig (Fig. 2 p, Taf. VI... Das Wachsthum der Wurzel-
spitze geschieht gerade so, wie bei andern Primeln.
Stengel. Der Stengel von Primula farinosa, welche ähnlichen rosenförmigen
Wuchs, wie Pr. Corthusoides besitzt, ist auffallend kurz, dicht mit Blättern besetzt
und zeigt im Längsschnitte eine kurzkeilförmige Gestalt. Das breite Ende ist nur
etwas nach oben gewölbt und trägt viele Achselsprossen; das spitze Ende ist der
abgestorbene untere T'heil des Stengels.
Die Gewebedifferenzirung in dem flachen, kleinen und zwischen dicht stehen-
den Blättern, reichlichen Seitensprossen, axillären Infloreseenzen und frühzeitig sich
entwickelnden Adventivwurzeln verborgenen Stengelvegetationspunkt ist schwer zu
beobachten. Es scheinen dieselben Vorgänge wie bei der Aurikel stattzufinden; über
das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines Verdickungsringes vermag ich aber
kein Urtheil auszusprechen. D
Primula farinosa scheint in ihrem Stengelbau die Mitte zwischen Pr. speeta-
bilis und Pr. sinensis zu halten, indem die jüngeren Stengeltheile dem Aurikelsystem
sich nähern; die älteren dagegen an Pr. sinensis erinnern. Um den schwer verständ-
lichen Stengelbau dieser Primel sich einigermassen klar zu machen, müssen wir mit
den aus den Blättern in den Stengel eintretenden Gefässbündeln beginnen. Ein Quer-
schnitt durch den basalen Theil des Blattes zeigt nur ein Blattbündel, dessen Struktur
dem der Pr. Auricula ganz ähnlich ist. Es hat eine breite halbmondförmige Gestalt
und ist mit einer Schutzscheide umgeben, deren Zellen sich von dem benachbarten
Blattparenchym und von den Bastzellen nicht auffallend unterscheiden und leicht
übersehen werden können; nur an recht glatten und dünnen Querschnitten kann
Br”
25*
— 116 —
man dieselbe an der wellenförmigen Beschaffenheit der Membranen deutlich erkennen.
Diese Blattspurbündel nehmen allmälig etwas tangential ausgezogene Form an, indem
sie in den Stengel eintreten, wo sie sich kreisförmig anordnen. Auf Stengelquer-
schnitten bekommen wir also einen Gefässbündelkreis, der je nach dem Schnitte, wie
bei Pr. spectabils, aus 6 oder 8 Bündeln besteht. Die letzteren aber weichen etwas
in ihrer Form von denen der Pr. spectabilis ab, indem sie dieselbe oben beschriebene
Struktur, welche sie in den Blättern gehabt haben, bewahren. Im weiteren Verlauf
nach unten nähern sich die Gefässbündel einander immer mehr, indem sie tangential
an Breite zunehmen. Ihre Ränder aber sind immer zurückgeschlagen, so dass der
Bast auch hier nach innen zu liegen kommt (Fig. 3. Taf. VI). Am unteren gewöhn-
lich absterbenden Ende des Stengels sind die Gefässbündel zu einem Ring verschmolzen.
Interessant ist bei diesem Vorgang das Verhalten der Schutzscheide, welche, wie oben
schon bemerkt, das ganze Blattspurbündel von allen Seiten umgibt. Im weiteren
Verlauf nach unten, wo die Gefässbündel sich immer mehr näbern, ist die Schutz-
scheide an der inneren Seite nicht mehr nachweisbar und begleitet nur noch die
zurückgebogenen Ränder (Fig. 3. Taf. VL). Schliesslich verschwindet sie vollständig
an der Innenseite und umgibt den verschmolzenen Gefässbündelring nur von aussen.
Das Diekenwachsthum ist auf ältere Stengeltheile beschränkt, wo secundärer Bast
und gewöhnlich regelmässig radial geordnete Holzelemente durch die Thätigkeit
eines ziemlich stark ausgebildeten Cambiums gebildet werden. ’
Was Mark und Rinde betrifft, so sind sie nur da getrennt, wo die Gefäss-
bündel in einen geschlossenen Ring übergehen; ihre histiologische Struktur gleicht
der der Aurikel, nur sind die Membranen der parenchymatischen Zellen viel dünner
und zarter. Im Marke kommen, wie bei Primula corthusoides, Selerenchymgruppen vor.
Die Anatomie der nach der °/s Blattstellung geordneten Blätter und der
Blüthenstandaxe ist ganz wie bei Pr. sinensis. Die für Pr. farinosa charäkteristische
Bereifung gehört, nach de Bary'), in dieselbe Kategorie wie die von Pr. Auricula,
wovon oben die Rede war. Die Behaarung ist dieselbe, wie bei Pr. sinensis; die
nichtsecernirenden Haare sind hier klein und von den secernirenden an Grösse und
Gestalt wenig verschieden.
1) de Bary: 1. c. pag. 129.
— IM —
An Primula farinosa schliessen sich viele andere habituell mehr oder weniger
ähnliche, und nur mit kleinen Verschiedenheiten, die von relativer Grösse, allgemeiner
Gestalt der Pflanzen ete. abhängen, versehene Primeln an, wie Pr. strieta, Pr. sibirica
mit in der Regel triarchen Wurzeln, Pr. longiflora ete.
Primula denticulata zeigt auch im Wesentlichen dieselbe Struktur, wie Pr. fari-
nosa. Die Blattgefässbündel besitzen im unteren Theil der Blätter die Eigenthümlich-
keit, dass neben der Einbuchtung des Holztheiles sich ein kleines Gefässbündel
befindet (Fig. 4. Taf. VL), dessen Holz- und Basttheile in umgekehrter Lage angeordnet
sind, so dass das Holz nach aussen, der Bast nach innen zu liegen kommt. Die
Gefässbündel im Stengel zeigen die Umbiegung der Ränder nach innen in sehr starker
Weise, so dass sie sich dem Bau der Gefässbündel der Aurikel nähern. Sie ver-
sehmelzen auch im älteren unteren Stengeltheile zu einem geschlossenen Ring, inner-
halb dessen im Marke kleine Gefässbündel sich vorfinden, welche zum Gefässbindel_
ring ähnlich gelagert sind, wie die im Blatte vorkommenden (Fig. 5. Tat. VI.), über
deren Bedeutung und Entstehung ich aber, wegen Mangels an entsprechendem Material,
keine Untersuchungen anstellen konnte.
Androsace.
Diese Primulaceengattung, welche nach Primula die speciesreichste ist, wird
durch viel grössere Einförmigkeit im anatomischen Baue als die vorige charakterisirt,
weshalb wir hier keine so verschiedenartigen Bautypen finden, wie wir sie bei den
Primeln gesehen haben. Die Unterschiede im Baue einzelner Androsacespecies gehen
nicht über die Gränze des Bautypus von Primula sinensis hinaus und stehen in einem
solchen Verhältniss, wie einzelne zu diesem Typus gehörende Primeln. Die Bautypen
bei Androsace haben andere Bedeutung, wie bei Primeln, sie sind viel ähnlicher,
weniger von einander begränzt und mit verschiedenen Uebergangstormen verbunden.
Von dieser Gattung hatte ich Gelegenheit, nur einige Species im frischen
Zustande zu untersuchen, sonst benutzte ich grösstentheils getrocknete Exemplare
und von Aretien sogar ausschliesslich die letzteren.
Die untersuchten Species nach dem Bau der Haare, welcher mannigfache
Verschiedenheiten darstellt, lassen sich in nachfolgende Typen gruppiren.
—
I. Androsace septentrionalis.
Die Androsace septentrionalis ist einjährig. Eine junge Keimpflanze, deren
Dickenwachsthum viel grösser als ihr Längenwachsthum ist, wodurch sie einen ganz
flachen Vegetationspunkt und eine fast isodiametrische Gestalt des Stengels erhält,
welcher sich unter der Ansatzstelle der Kotyledonen plötzlich nach unten verdünnt,
indem sie zuerst ein hypokotyles Stengelglied und weiter, ähnlich wie bei Primula
sinensis, eine stark verzweigte Pfahlwurzel bildet. Der Bau der kleinen und feinen
Wurzelenden ist einfacher als bei Primula sinensis, weil sie aus einer kleineren Anzahl
von Zellen bestehen. Das Diekenwachsthum findet hier gerade so wie da statt.
Der dicht mit spiralig angeordneten Blättern besetzte Stengel hat einen ein-
fachen, den der Primula sinensis und damit der meisten Dikotyledonen ähnlichen
Bau. Am Stengelquerschnitte finden wir bis 20 Gefässbündel, welche, mit Ausnahme
einiger, die in der Querschnittsstelle von den Blättern herabkommen, so dicht neben
einander gestellt sind, dass sie fast einen geschlossenen Ring bilden; dieser Gefäss-
bündelring ist nach aussen von der Rinde mit einer deutlichen Schutzscheide abge-
trennt. Was den anatomischen Bau der Gefässbündel betrifft, so lässt sich von dem-
selben fast nichts weiter bemerken, als was von dem der Preimula sinensis gesagt ist.
Die einzelnen Bast- und Holzelemente sind hier viel regelmässiger angeordnet,
indem sie der radialen Anordnung der Zellen des Cambiums, welches hier ziemlich
stark entwickelt ist, entsprechen.
Im Holztheile sind die Gefässe nicht zahlreicher als die dünnwandigen Holz-
zellen; die Gefässe (spiralige) selbst sind aus kurzen, durch grosse, die ganzen Quer-
wände einnehmende Tiptel kommunieirende Zellen zusammengesetzt (Fig. 7 a und b,
Taf. VL). Diese Erscheinung, dass die Gefässe kurzzellig sind, lässt sich ohne Zweifel
durch sehr kleinen Längenwachsthum des Stengels erklären, wodurch die entstehenden
Gefässe keine Gelegenheit haben, sich mit der Streckung der Stengelinternodien zu
verlängern.
Hier, wie bei Primula sinensis, findet Dickenwachsthum mittels eines Cambiums
statt, wobei die Schutzscheide und die Rinde sich in derselben Weise verhält, wie bei
der erwähnten Primel.
Es ist schwer, die Entwickelungsgeschichte der Gefässbündel im Verhältniss
zu den anderen Geweben im Vegetationspunkte zu verfolgen, was in der Gestalt des
— 19 -
letzteren und selbst des Stengels seine Ursache hat. Im Querschnitte verlaufen die
procambialen Zellen, indem sie sich parallel zur Peripherie des Stengels ausstrecken,
schief, wodurch unter dem Mikroskop sogar in den feinsten Schnitten ein unklares
Bild entsteht.
Die Entwickelungsgeschichte der Gefässbündelelemente kann man am besten
in den Ansatzstellen der Blätter, auf einem dicht über dem Vegetationspunkt geführten
Querschnitt, welcher in Fig. 8. (Taf. Vl.) abgebildet ist, verfolgen; hier haben wir
auf einmal alle successiven Entwickelungsstadien der Blattspurbündel, von der ersten
Blattanlage bis zu dem vollständig entwickelten Blatte, vor uns. Am Querschnitte
der jüngsten Blattanlage finden wir ein noch undifferenzirtes, meristematisches Gewebe,
dessen äussere Schicht Epidermis bildet. Am Querschnitt der nächsten (Fig. 9. Taf. VL)
in Fig. 8. (Taf. VI.) z. B. mit der Zahl 2 angezeichneten Anlage fangen einige in
der Mitte des meristematischen Gewebes liegende Zellen an, sich stärker als die
anderen zu theilen. In den folgenden differenzirt sich aus diesen Zellen in der
Mitte des @Querschnittes eine Gruppe von einem kleinzelligen Gewebe; das ist der
Procambiumstrang, aus welchem später Bast- und Holzelemente ausgebildet werden.
Diese erscheinen in den nächsten Entwickelungsstadien nicht gleichzeitig: zuerst
diffterenziren sich (Fig. 10, ph, Tat. VI.) an der Peripherie des Bündels nach aussen
die ersten Siebröhren, dann die ersten Spiralgefässe (Fig. 11, x, Taf. VL).
Danach ist der Getässbündel schon fertig, und die weitere Entwickelung
beruht auf der Vermehrung der Siebröhren und der Gefässe und auf der Entstehung
der Schutzscheide. Der Bau der ausgebildeten Getässbündel unterscheidet sich nicht
von dem der Primula sinensis in der Blattbasis, wo die Bündel eine halbmondförmige
Gestalt annehmen, sowie auch in dem Stengel selbst.
Der Gefässbündelverlauf ist gerade so, wie bei Primula spectabilis, mit einem
unwesentlichen, von der dichten Stellung und Anordnung der Blätter herkommenden
Unterschiede. Die Blattstellung bei der Androsace septentrionahs ist #5, das l4te Blatt
liegt also gerade unter dem ersten. Fig. 12. (Taf. VI.) stellt ein nach denselben
(Gesetzen wie bei Primula spectabilis (Fig. 8, Taf. V.) aber bei 5 Blattstellung con-
struirtes Schema dar. Wenn man dasselbe mit den in KHO durchsichtig gemachten
Stengelpräparaten der Androsace septentrionalis vergleicht, kaun man sich leicht
überzeugen, dass dieses Schema dem factischen Gefässbündelverlauf dieser Pflanze
vollständig entspricht.
— 180 —-
Sehr charakteristisch ist der Bau des Markes der Androsace septentrionalis,
was in Fig. 6. (Taf. VI.) abgebildet ist. Die Markzellen liegen so dicht nebeneinander,
dass sie keine Intercellularräume bilden; das Wachsthum der Zellwände ist in der
Jugend besonders so stark, dass sie, um grösseren Raum zu gewinnen, sich verschie-
den ausstrecken und ausbiegen. In älteren Stengeln werden die Markzellen nur ein
wenig abgerundet.
Der Blätterbau der Androsace septentrionalis ist genau derselbe wie bei Primula
sinensis. Die Cuticula ist ähnlich gestaltet, wie bei Primula Auricula; die Haare
sind auch von zweierlei Gestalt: die einen, welche die subeuticulare Substanz
absondern, unterscheiden sich nieht von denen der Primeln, die anderen aber, mehr
complieirt, sind dadurch charakteristisch, dass sie verschiedenartig verzweigt sind.
Eine ausführliche Beschreibung der mannigfaltig verzweigten, dornartigen Haare
würde uns zu weit geführt haben und scheint auch überflüssig zu sein, deswegen
habe ich in Fig. 13. (Taf. VI.) die am häufigsten vorkommenden Formen dieser Haare
von den einfachsten, wie a, bis zu den complicirtesten, wie /, abgebildet. Sie sind
alle mit einer runzeligen starken Cuticula bekleidet. Die Entwickelungsgeschichte
dieser Haare ist sehr einfach: jedes Haar nämlich wird aus einer Epidermiszelle, die
sich so theilt, dass immer in der Haarspitze die jüngste Zelle bleibt, gebildet; manch-
mal kommen zusammengesetzte Formen, wie %, vor, die aus einigen Epidermiszellen,
gebildet werden und als Haarcomplexe betrachtet werden können.
Der Bau der Blüthenstandaxe ist wesentlich derselbe wie der der Primeln.
Zum Bautypus der Androsace septentrionalis können folgende annuelle und
biannuelle Androsacearten gerechnet werden:
Androsace maxima. Der Bau der Wurzel ist der der vorhergehenden Species.
Von dem Stengelbau lässt sich fast dasselbe sagen; der Stengel aber ist mehr ver-
längert und mehr einem Cylinder äbnlich, wodurch die Gefässbündel senkrechter
verlaufen und die Internodien viel länger werden. Der Gefässbündelverlauf ist auch
derselbe mit diesem Unterschiede, dass von jedem Blatte nicht ein, sondern drei
Bündel herabkommen, die aber, indem sie in den Stengel eintreten, sich zu einer
Blattspur vereinigen. Es ist noch zu bemerken, dass die Blattstellung hier einfacher
als bei Androsace septentrionalis ist und ?/; beträgt.
—— - 181
Die histiologische Struktur der Gefässbündel zeigt sich auch als dieselbe, wie
bei der vorhergehenden Species; sie sind aber einander mehr genähert, fast zu einem
Ring verschmolzen. Das Mark ist aus abgerundeten Zellen zusammengesetzt und
enthält dadurch grosse und zahlreiche Intercellularräume. Auch die Blätter unter-
scheiden sich nicht von denen der vorhergehenden Species. Die Behaarung ist hier
sehr sparsam und die Haare sind einfach, nicht verzweigt (Fig. 1. Taf. V1I.), ziemlich
lang und ungefähr aus 12 cylindrischen Zellen zusammengesetzt.
Die anderen Androsacespecies habe ich nur in getrockneten Exemplaren unter-
suchen können; es sind folgende, die hierher zu rechnen sind:
Androsace elongata charakterisirt sich durch ganz einfache, conische, aus zwei
oder drei Zellen zusammengesetzte Haare (Fig. 2. Taf. VII.), die nicht zahlreich-
zwischen den Köpfchenhaaren zerstreut sind.
Die zweijährigen Arter gehören auch hierher:
Androsace lactiflora unterscheidet sich nicht ron Androsace septentrionalis; die
einfachen Haare sind denen der vorhergehenden Species ähnlich.
Androsace multiscapa und Androsace armena Duby haben ähnliche, wie bei
Androsace septentrionalis, aber stärker verzweigte Haare; die Haarzellen sind mehr
verlängert, weshalb die Haare viel schlanker und lockerer aussehen (Fig. 3. Taf. VII.).
II. Androsace lactea.
Diese Species gehört zu den perennirenden, welche ihren Stengel in dem
Gipfel mit jeder eintretenden Vegetationsperiode — im Frühjahr — auf die Weise
verjüngen, dass das erste neu entwickelte Internodium sich sehr stark verlängert
und am Ende eine der vorjährigen ähnliche Blattrosette bildet. So wird der Stengel
verlängert und in gewissen Abständen dicht mit Blättern besetzt.
Was den anatomischen.Bau des Stengels dieser Pflanze betrifft, so ist er von
dem der vorhergehenden ein- und zweijährigen Arten nicht verschieden. Der Gefüss-
bündelverlauf ist hier gerade so, wie bei Androsace septentrionalis; die Gefässbündel
aber in den verlängerten Internodien sind zu einem geschlossenen Ring verbunden.
In Fig. 4. (Taf. VIL) sehen wir ein in KHO durchsichtig gemachtes Präparat von
einem Stengeltheil, in welchem a der Ansatzstelle der Blattrosette entspricht, die ein
Jahr älter ist, von der ähnlichen bei b.
Abh. d. nturl. Ges. zu Halle. Bd. XIV. 24
Ba
Der histiologische Bau der Stengelgewebe der Androsace lactea ist nicht anders,
als der der Androsace septentrionalis.
Bei Androsace lactes so wie bei den andern perennirenden Arten werden in der
Blattachsel zahlreiche seitliche Ausläufer gebildet, die später, wie der Hauptstengel,
in dem Gipfel sich jedes Jahr erneuern und wieder verzweigen, wodurch die Androsace-
species und besonders die echten Gebirgsarten einen charakteristischen rasenförmigen
Wuchs erhalten. Der Bau der neuen Ausläufer, nämlich des blattlosen Theils der-
selben, ist ein wenig von dem des Stengels verschieden. Dieser Unterschied besteht
darin, dass die Bündel unabhängig von einander verlaufen, sich nicht in einen
geschlossenen Ring vereinigen und kein Dickenwachsthum aufweisen, wodurch die
Rinde mit der Epidermis nicht abgeworfen wird. Diese zwei letzteren Gewebe sind
in Fig. 5. (Tat. VII.) an einem Querschnitt dargestellt. Die Epidermis, aus einfachen,
mit dicken Aussenwänden versehenen Zellen zusammengesetzt, ist von stark entwickelter,
gefalteter Cuticula bedeckt. Auf der Epidermis befinden sich zerstreute Haare, die
denen der Androsace multiscapa, nur weniger verzweigt, ähnlich sind. Die Rinde
ist dadurch charakteristisch, dass drei oder vier Zellschichten zu Sclerenchym werden.
Der Blätterbau ist der der Androsace septentrionalis. Die braunen Flecken
und Punkte auf den Blättern kommen von einer chemisch näher nicht untersuchten
Substanz her, welche ganze Zellgruppen des Blattparenchyms ausfüllt. Die Behaarung
ist sehr sparsamı; die Haare befinden sich nur an den Blattspitzen, selten an den
Blatträndern; sie sind einfach oder schwach verzweigt und mit warzenförmiger Cuti-
cula bekleidet.
Zu demselben Bautypus gehören:
Androsace ceiliata Pour. mit ähnlichen, wie bei Androsace septentrionalis, aber
schwächer verzweigten Haaren, die an den Blatträndern sitzen, wie auch Androsace
Lehmanni, Andr. pennina und Andr. sarmentosa; die letztere ist mit langen einfachen
Haaren, die aus wenigen starkdickwandigen Zellen bestehen (Fig. 6. Taf. VII.), besetzt.
Aehnliche, aber aus mehreren Zellen zusammengesetzte Haare (Fig. 7. Taf. VII)
besitzt Androsace villosa und Andr. arachnordea. Die Androsace Chamaejasme, welche
mit sehr langen, ungefähr aus 12 diekwandigen Zellen bestehenden, mit warziger
Cuticula bekleideten und am Rande der Blätter stehenden Haaren versehen ist, gehört
auch hierher.
I
Endlich muss ich hier Androsace cylindrica erwähnen, die sich von den oben
besprochenen Androsacespecies dadurch unterscheidet, dass sie keine Ausläufer bildet,
sondern der Stengel, der eine lange, walzenförmige Gestalt hat, ist dicht gleichmässig,
ähnlich wie bei Andr. septentrionalis, mit Blättern besetzt. Dieser Stengel, der immer
an der Spitze wächst, verzweigt sich ziemlich stark und unterscheidet sich sonst
nicht in dem Baue von Androsace Chamaejasme. Die Behaarung ist auch die der
letzteren Species.
Dionysia.
Aus dieser Gattung habe ich nur eine Species untersucht, nämlich Dionysia
Aucher! Duby. Diese Pflanze ist perennirend und besitzt einen strauchartigen Stengel,
dessen Bau sich anfangs nicht von dem der Andr. septentrionalis unterscheidet, später
aber mittels eines sehr entwickelten Cambiums stark in die Dicke wächst. Der
Querschnitt von einem alten Stengel erweist, dass die Gefissbündel in einem voll-
ständig geschlossenen Ring, dessen Bast oder vielmehr Holz beträchtliche Dicke
besitzt, verschmolzen sind. Diese Pflanze entwickelt keine Ausläufer, Die Behaarung
ist dieselbe, die wir oben bei Primula sinensis gesehen haben, es sind hier also beide
Arten von Köptchenhaaren vorhanden.
Cortusa.
Die einzige Species dieser Gattung, Cortusa Matthioli L., unterscheidet sich
im Baue der Gefässbündel, des Markes und des in diesem sich befindenden Seleren-
chyms, so wie auch im Baue der Blätter, in der Behaarung ete. von Primula cortu-
soides nicht wesentlich, die Beschreibung des anatomischen Baues der Cortusa Mattioli
scheint mir also hier überflüssig zu sein. Die ganze Uharakteristik dieser Pflanze
besteht in der Wurzel, welche sich im Baue von der der Primula farinosa nicht
unterscheidet; hier wie da ist das Pericambium, in den neben den triarchen Holz-
theilen des Gefässbtindeleylinders liegenden Stellen, mehrschichtig: die Zahl der
Zellschichten ist wechselnd und beträgt ungefähr 3 bis 4.
24*
Dodecatheon.
Gerade so, wie die vorhergehende Pflanze im ihrem Baue, mit Ausnahme der
Wurzel, sich nieht von der Primula cortusoides unterscheidet, ebenso wird Dodecatheon
Meadia von Primula elatior auch nicht wesentlich unterschieden. Nur das ist zu
bemerken, dass die äusseren Wurzelgefässbündel, indem sie in den Stengel eintreten,
keinen so complieirten Verlauf, wie bei der letzterwähnten Primel besitzen,
sondern diese gehen mehr oder weniger eine kurze Strecke ausserhalb der Stengel-
bindel und vereimigen sich bald mit den letzteren. Der Bau der Wurzel ist auch
vollständig derselbe wie bei Primula elatior. Die Behaarung ist sehr sparsam, es
finden sich auf dem Blüthenstandstiel und den Blättern nur sehr zerstreut einzelne
Köpfchenhaare.
Interessant sind die morphologischen Verhältnisse bei der Keimung der Samen
dieser Pflanze. Die Keimpflänzchen, die ich aber leider zur Ansicht nicht bekommen
konnte, hat Bernhardi') schon längst beschrieben und abgebildet. Nach diesem
Forscher sind die Cotyledonenstiele zu einer langen Röhre, aus welcher der Stengel
herauswächst, verwachsen,
Ich habe keine Gelegenheit gehabt, die anderen Species dieser Gattung zu
untersuchen.
Cyclamen.
Von allen Primulaceengenera hat Cyclamen durch seinen Bau des Embryo und
des knollenartig verdickten Rhizoms am meisten die Aufmerksamkeit der Forscher
auf sich gezogen. Bekanntlich keimt Üyelamen mit einem Blatt, dessen morphologische
Deutung man verschieden zu erklären gesucht hat. Ich habe nicht die Absicht, die
verschiedenen Meinungen der Forscher über diesen Gegenstand zu kritisiren und
der Literatur hier zu erwähnen, weil dieselbe ausführlich in der letzten Arbeit von
Gressner”) zusammengestellt ist. Dieser Forscher nämlich nimmt die kleine
Protuberanz, die dem ersten Blatte gegenüber neben dem Vegetationspunkte liegt,
für das zweite Cotyledon an, gleichwerthig mit diesem Blatte, welches den einen
Cotyledon darstellen soll.
1) Bernhardi: Ueber die merkwürdigsten Verschiedenheiten des entwickelten Pflanzenembryo
“ und ihren Werth für Systematik. Linnaea 1832.
2) Dr. Heinrich Gressner: Zur Keimungsgeschichte von Oyclamen. Botan. Zeitung 1874.
Nr. 50, 51 und 52.
Zı _
Gressner sagt nämlich: „Oyelamen hat zwei Cotyledonen, von denen der
eine vollständig ausgebildet ist und die Funktion eines Saugorgans zum Zwecke
der Ueberführung der Reservenahrung aus dem Albumen in die Keimpflanze aus-
übt — der andere jedoch in seiner Entwickelung zurückgeblieben und beim ruhen-
den Embryo nur der Anlage nach vorhanden ist. — Jener erste als Saugorgan dienende
Cotyledon entwickelt sich zum ersten, jener zweite zurückgebliebene Cotyledon
entwickelt sich zum zweiten grünen Blatt an der Pflanze“. !
Meine Untersuchungen darüber, dass diese Protuberanz oder Anlage, von
welcher die Rede ist, zu einem zweiten Blatte auswächst, stimmen vollständig mit
dem oben angeführten Satze überein; die Frage aber, ob das erste und zweite Blatt
bei der Keimung der Cyclamen morphologisch den Cotyledonen entspricht, kann nur
die Embryoentwickelungsgeschichte definitiv lösen. i
Ueber die morphologische Deutung der Cyclamenknolle finden wir in der
Literatur verschiedene Meinungen, welche auch in der oben citirten Arbeit von
Gressner besprochen sind. Gressner giebt auf die Frage: „welcher Theil des
Embryo ist es, der sich zur Knolle umbildet?“*) die richtige Antwort, „dass das
hypoecotyle Glied Sitz der knolligen Verdiekung bei Uyelamen ist‘).
Alle oben erwähnten Untersuchungen betreffen hauptsächlich Uyclamen europaeum
und Oyclamen persicum, welche auch der Gegenstand meiner Untersuchungen über
Keimung dieser Pflanze waren. Gressner giebt die Species nicht an, welche er
untersucht hat, aber seine Resultate lassen sich auf die ganze Gattung, die sich im
Baue überhaupt durch Gleichmässigkeit charakterisivt, beziehen.
Die Cyclamenarten, so wie sie habituell und morphologisch ähnlich sind,
stellen auch anatomisch keine grossen Verschiedenheiten dar. Ich habe folgende
Species anatomisch untersucht:
} 1. Cyelamen persieum.
Die Hauptwurzel funktionirt nicht lange und wird bald von vielen Neben-
wurzeln ersetzt. Der anatomische Bau der Wurzel ist sehr einfach und entspricht
in den Hauptzügen dem der Primula elatior; hier aber sind die einzelnen Gewebe
N) Ibid. pag. 837.
2) Ibid. pag. 823.
3) Ibid. pag. 824.
Be
zarter und schwächer entwickelt. Im Gefässbündeleylinder sind die Holztheile zu
einem Stern mit einer unbeständigen Zahl der Strahlen geordnet, so dass sie gewöhn-
lich einen tri-, tetra-, penta- oder heptarchischen Bau. darstellen; in der Mitte bleibt
ein, gewöhnlich aus wenigen Zellen, die später diekwandig werden, bestehendes Mark.
Die Schutzscheide und das Pericambium sind typisch entwickelt. Das Cambium ist
selten vorhanden und dann ist seine Thätigkeit sehr klein. Die Rinde ist schwach
entwickelt, sie besteht aus dünnwandigen Zellen, die im Alter grösstentheils mit einer
braunen, gerbstoffhaltigen Substanz erfüllt sind; diese Substanz befindet sich auch in
den Zellen der Schutzscheide und der Epidermis, die für diese Pflanze charakteristisch
ist: sie besteht nämlich aus kleinen Zellen, die sämmtlich Wurzelhaare ausbilden,
wodurch die ganze Wurzeloberfläche dicht behaart ist.
Das -hypokotyle Stengelglied ist nämlich dasjenige, welches die knollige
Verdiekung der Oyclamen bildet. Der anatomische Bau der Knolle ist im Quer-
schnitte in Fig. 8. (Taf. VII.) dargestellt. Wir sehen, dass das Wesentliche der Knolle
ein homogenes Parenchym bildet, dessen Zellen sich nach allen Richtungen theilen.
In einer gewissen Eintfernung von der Peripherie liegt die Schutzscheide, indem sie
einen geschlossenen Ring bildet, der die ganze Querschnittsfläche in zwei Theile
scheidet: nach aussen ist die Rinde, und nach innen eine kreisförmige Scheibe, in
welcher zerstreute Gefässbündel liegen. Die Schutzscheide (Fig. 8. s. Taf. VIl.), welche
von Gressner unrichtiger Weise für Pericambium gehalten und in seiner Fig. 8
und 9 mit Buchstaben pe bezeichnet wird, stellt auf dünnen und reinen Querschnitten
(Fig. 8. s. Taf. VII.) sehr deutlich die schwarzen Caspary’schen Punkte dar. Die
Zellen der Schutzscheide sind in der tangentialen Richtung gestreckt und, indem die
Knolle in die Dieke wächst, theilen sie sich in die Quere und Länge. Dabei ver-
einigen sich die durch tangentiale Theilung neu entstandenen Zellen nach aussen
mit der Rinde so, dass die Schutzscheide ihre Peripherie vergrössert, aber immer
einschichtig bleibt. Die Ursache solcher Theilung ist die, -dass die Zellen dieser
Gewebe nach innen etwas diekwandig werden, die radialen Scheidewände aber sind,
wie Fig. 13. (Taf. VII.) zeigt, charakteristisch gefaltet.
Im Innern des durch die Schutzscheide geschlossenen Theils der Knolle
befinden sich schwach entwickelte, einzeln zerstreute Gefässbündel, von welchen die
bei der Differenzirung der meristematischen Gewebe des Keimpflänzchens erstentstan-
denen besondere Aufmerksamkeit verdienen. Das sind eigentlich nur einzelne
N
Spiralgefässe, die in Vierzahl, in vier entsprechenden Stellen, an den Enden der zwei
Diagonalen, in der Gegend der Schutzscheide entstehen. Solche Getässe werden auch
später an verschiedenen Stellen des von der Schutzscheide geschlossenen Parenchyms
gebildet.
Die nächstfolgenden sind typisch gebaute Gefässbündel: der Holztheil besteht
aus einer geringen Anzahl von Spiralgefässen, der Basttheil aus wenigen Siebröhren
„und Bastzellen; in älteren Bindeln kommt ein schwaches Diekenwachsthum mittels
eines Cambiums vor. Der Entstehungsort dieser Bündel lässt sich gut bestimmen.
Gressner aber ist in dieser Beziehung zu ganz anderen Resultaten als ich gekom-
men. Er sagt nämlich: „Während diese ersten Gefässstränge unmittelbar aus dem
Procambium hervorgehen, differenziren sich die folgenden aus dem Pericambium.
(Die "Zellen desselben sind tangential gestreckt, die Streckung nimmt mit der Ver-
grösserung der Knolle zu).“ ')
Dieser Forscher hat hier zwei Fehler gemacht: zuerst, wie ich oben erwähnt
habe, indem er die Schutzscheide für Pericambium ansieht, weil ja Pericambium
bekanntlich eine äussere Zellschicht des Getässbiündeleylinders der Wurzel ist, wo
die Nebenwurzeln ihren Ursprung nehmen, aber nicht mit der Schutzscheide iden-
tisch. Zweiteus entstehen aus diesem Gewebe, von welchem die Rede ist (der Schutz-
scheide), wie oben gesagt, durch tangentiale Theilung nach aussen neue Rinden-
schichten und die nach innen liegende Zellschicht erzeugt immer nur die Schutz-
scheide, Nach meinen Untersuchungen sind immer die, der Schutzscheide anliegen-
den Zellen des inneren Parenchyms, der Entstehungsort neuer Gefässbündel (Fig. 8, g.
Tat. VIL). Hier theilen sich eine oder einige neben einander liegende Zellen und
dadurch wird ein Procambiumstrang gebildet, in welchem ein von Gressner mit
dem Namen „Bildungsgewebe“?) vollständig unrichtig benannter Basttheil zuerst und
dann später die ersten Gefässe, als zweiter Bestandtheil der Gefässbündel, entsteht.
Bei Uyclamen persicum kann man oft zerstreute kleine Bastbündel finden.
In der Gefässbündelanordnung auf dem Querschnitte meint Gressner bestimmte
Regelmässigkeit zu sehen und sogar gewisse Gesetze, mit welchen meine Unter-
1) Ibid. pag. 825.
*) „Mit Ausnahme der ersten vier enthalten sämmtliche Fibrovasalbündel an der dem Procambium
zugekehrten Seite Bildungsgewebe“. Ibid. pag. 825.
183
suchungen nieht übereinstimmen, aufgefunden zu haben. Er sagt nämlich: „Zunächst
entstehen wieder 4 Stränge, welche so geordnet sind, dass je einer ausserhalb zweier
vorhandener der ersten Gruppe zu liegen kommt (vergl. Fig. 9.). Diese Gefässstränge
2. Ordnung liegen ebenfalls symmetrisch, je 2 einander gegenüber. Die 3. Gruppe
der Gefässstränge wird abermals an vier (ausserhalb der Gefässstr. 1. und 2. O, liegen-
den) symmetrisch, orientirten Punkten angelegt, je zwei Stränge einander gegenüber
ungefähr an den Eckpunkten eines (Quadrates u. s.t. Dasselbe Gesetz, welches für.
die Entstehung der Gefässstränge 1, 2. und 3.0. galt, gilt auch für Entstehung der
folgenden Gruppen (vgl. die schematische Darstellung Fig. 5—7.).“')
In der That entstehen die ersten ausgebildeten Gefässbündel in der Zahl vier
ungefähr zwischen den ersten oben beschriebenen Gefässen. Diese vier Gefässbündel
gehören zu den am stärksten entwickelten, so dass sie immer, auch in sehr alten
Knollen, an dem (@uerschnitte leicht zu erinitteln sind (Fig. 9. a. Taf. VIl.). Die
nächstentstehenden Bündel sind ganz ohne Ordnung zerstreut, so dass ich in keinem
aus den zahlreichen durchgesehenen Präparaten die oben eitirten Gressner'schen
(Gesetze anwenden konnte.
Die Knolle wächst sehr stark in die Dieke; der Dickenwachsthum ist hier
aber nicht genau localisirt, weil, wie wir das in Fig. 8. (Taf. VIL) sehen, fast alle
Parenchymzellen sich in verschiedene Richtungen theilen; der Hauptsitz aber des
Dickenwachsthums scheint ungefähr an der Peripherie des mit der Schutzscheide
geschlossenen 'Theils der Knolle zu liegen. Wir sehen auch in Fig. 8. (Tat. VU.),
dass die Zellen dieser Gegend viel häufiger getheilt werden und dadurch kleiner
aussehen, als die inneren. Auf diese Weise verändern die einst entstandenen Gefäss-
bündel ihren Ort fast gar nicht und die neu gebildeten kommen immer ausserhalb
der älteren zu liegen; die mehr innerhalb liegenden Bündel sind also die ältesten, die
nach aussen die jüngsten.
Der Gefässbündelverlauf in der Knolle ist in der Längsrichtung sehr einfach:
alle Bündel gehen aus dem Gipfel der Knolle, in welcher sie bogenartig nach unten
verlaufen und dann vereinigen sie sich in einem Gefässbündeleylinder in der Wurzel.
Die jüngeren Bündel sind stärker zur Peripherie gebogen, die älteren nähern sich
mehr einer geraden Linie. Der Gefässbündelverlauf, wie das Fig. 10. (Tat. VII) zeigt,
1) Ibid. pag. 825.
— 189 —
ist nicht gleichmässig, weil die Bündel sich verschiedenartig ausbiegen und sich oft
mit Anastomosen vereinigen.
In dem Gipfel der Knolle, wo der Vegetationspunkt liegt und wo junge
Blätter entstehen, verlaufen die Blattspurbündel vollständig regellos. Fig. 11. (Taf. VII.)
zeigt nämlich diesen Verlauf der Bündel von der Vegetationspunktansicht; die Blätter,
hier spiralig nach +’; geordnet, sind abgeschnitten. Die Blattspurbündel der neu
entstehenden Blätter legen sich, indem sie in die Knolle eintreten (weil bekanntlich
Oyelamen persieum keinen oberirdischen Stengel bildet), direkt an die anderen
regellos an.
Von der Rinde ist schon oben gesprochen worden.
Epidermis bedeckt nur in der Jugend die Knolle, später wird sie abgeworfen
und durch Periderm ersetzt (Fig. 3. d. Taf. VIL.); sie besteht aus platten parenchy-
matischen, sonst ganz gewöhnlichen Zellen und ist mit wenigen, etwas über die
Epidermisoberfläche erhabenen Spaltöffnungen und zahlreichen Haaren versehen.
Die letzteren gehören zur Kategorie der Köpfchenhaare, die, ähnlich wie bei Primula
sinensis, subeuticulare Substanz absondern. Das Köpfchen des, in Fig. 12. (Taf. VII.)
abgebildeten Haares ist aus zwei Zellen zusammengesetzt, die durch Längstheilung
der Endzeile entstanden sind. Diese beiden Zellen stehen dicht nebeneinander und
sind walzenförmig verlängert; die subeuticulare Substanz wird zuerst auf dem Gipfel
dieser Zellen von ihrer Verwachsungsstelle an abgesondert. Im Alter werden die ein-
zelnen Zellen der Haare, der Epidermis und sogar der inneren Gewebe der Knolle
und Blätter mit einer braunen, gerbstofthaltigen Substanz erfüllt.
Bei Cyelamen persieum ist bekanntlich kein Stengel vorhanden. Der Vege-
tationspunkt, wie schon oben gesagt, liegt an dem Scheitel der Knolle und erzeugt
nach ı’r angeordnete Blätter, was in Fig. 11. (Taf. VIL), wo die Zahlen die abge-
schnittenen Blätter bezeichnen, zu sehen ist. Der Vegetationspunkt nebst den jüng-
sten Blattanlagen sind zwischen dichten, braunen, oben beschriebenen Haaren
verborgen.
Der anatomische Bau der Blätter (auch das erste nicht ausschliessend) ist dem
der Primula sinensis ähnlich. Der Gefässbündelbau in den Blattstielen ist auch der-
selbe. Erst steigt in grösseren Blättern im Blattstiel die Zahl der Bündel bis auf
drei, bei welchen zwischen dem Holz- und Basttheil ein normal entwickeltes Cambium
entsteht. =
Abh. d. nturf. Ges. zu Halle. Bd. XIV. 25
Sa
Die rothe Farbe der unteren Blattfläche und der Blatt- und Blüthenstiele rührt
von einem Farbstoff im Innern der Epidermiszellen her.
II. Cyelamen hederaefolium.
Diese Cyclamenspecies unterscheidet sich im anatomischen Baue nicht viel
von dem der vorigen Species. Die Hauptwurzel stirbt hier sehr früh ab, und wird
durch viele Adventivwurzeln, die an der ganzen Oberfläche der Knolle austreten,
ersetzt. Aut Grund dieses letzten Umstandes hat Richard Müller!) die Gattung
Cyelamen in zwei Theile getheilt: zum ersten Theil gehören nach ihm die Species,
bei welchen die Wurzeln nur unterseits der Knolle entstehen, zum zweiten diejenigen,
bei denen die ganze Oberfläche der Knolle mit Wurzeln besetzt ist.
Der Bau der Knolle der Cyclamen hederaefolium unterscheidet sich nur dadurch
von dem der vorigen Art, dass die Unregelmässigkeit im Verlaufe und der Anordnung
der Gefässbündel hier viel grösser ist: sogar die ersten vier Bündel, von welchen
oben die Rede war, sind hier auf dem Querschnitte nicht mehr von anderen zu unter-
scheiden. Da ich keine ausführlichen Untersuchungen über die Entstehung der
Adventivwurzeln vorgenommen habe, kann ich nur das sagen, dass die Wurzeln in
derselben Geweberegion, in welcher neue Gefässbündel ihren Ursprung nehmen,
entstehen; innerhalb der Schutzscheide, fast gleichzeitig mit der Wurzelentstehung,
wird ein Gefässbündel, das mit dem Gefässbündelcylinder der Wurzel sich vereinigt,
gebildet.
An dem Scheitel der Knolle entsteht ein dicht mit Blättern besetzter, oft
einige Zoll langer Stengel, dessen Gestalt und Bau wesentlich derselbe ist, wie der
der Primula sinensis. Auf einem (Querschnitt haben wir hier auch einen Gefäss-
bündelring, der nur in den Antrittsstellen der Blattspuren unterbrochen ist. Die
Differenzirung der Gewebe im Vegetationspunkt ist auch dieselbe, wie bei den erwähn-
ten Primeln.
Der blätterbau ist der der vorhergehenden Art ähnlich.
!) Richard Müller: Ueber Cyclamen. Sitzungsberichte der Gesellschaft Isis in Dresden 1871,
Januar, Februar, März. pag. 18.
— 191 —
Von den anderen Oyclamenspecies habe ich noch Cyclamen neapohtanum und
Cyelamen europaeum untersucht. Diese beiden Arten unterscheiden sich im anatomi-
schen Baue von Üyclamen hederaefolium nicht; der Stengel von Oyclamen europaeum
ist nur viel stärker entwickelt, oft kriechend und verzweigt, so wie auch die Bündel
stärker entwickelt sind.
Soldanella.
Von einigen Species dieser Gattung habe ich nur Gelegenheit gehabt, Solda-
nella alpina 1. und Saldanella montana W. zu untersuchen und mich überzeugt, dass
die beiden Species im anatomischen Baue keinen Unterschied darstellen.
Der Wurzelbau ist der von Primula elatior; die Wurzelrinde, deren Zellen, so
wie auch die Schutzscheidezellen, etwas verdickt sind, ist stark entwickelt. In der
Mitte zwischen den 5strahlig geordneten Holztheilen befindet sich das, aus wenigen
dünnwandigen Zellen gebildete Wurzelmark.
Der kriechende Rhizom ist stark verzweigt und bildet zahlreiche Adventiv-
wurzeln. Der anatomische Bau des Rhizoms ist fast derselbe der Primula sinens:s;
die Gefässbündel sind auch hier zu einem Ring geschlossen; der Hauptunterschied
besteht in dem Mark- und Rindenbau.
Die Rinde dieser Pflanze ist stark entwickelt und wird nicht abgeworfen; die
Zellen werden abgerundet und ziemlich stark diekwandig. Die Epidermis, die zahl-
reiche Ausläufer bekleidet, besteht auch aus diekwandigen Zellen und ist mit starken
getalteten Outicula bekleidet. Die Schutzscheide, die hier typisch ausgebildet ist,
wie dies Fig. 14. (Tat. VII.) zeigt, verdiekt ihre Zellen noch stärker als die Rinde,
so dass das Lumen derselben mehr als um die Hälfte verkleinert ist. Das Mark
wird dadurch charakteristisch, dass sich hier, ähnlich wie bei Primula cortusoides,
kleine oder grössere Gruppen von Sclerenchymzellen, die manchmal das ganze Mark
ausfüllen, befinden.
Die Haare, die auf jungen Blättern und Ausläufern zerstreut stehen, sind denen
der Primula sinensis, welche subeuticulare Substanz absondern, ähnlich.
[59]
a
*
gg
ll, Lysimachieen.
Die hierher gehörenden Primulaceen unterscheiden sich dadurch von den vorigen,
dass sie einen oberirdischen, mit ausgestreckten Internodien und quirlständigen, selten
spiraligen Blättern versehenen, Stengel besitzen.
Lysimachia.
Die Lysimachieenspecies, die ich untersucht habe, sind folgende:
I. Lysimachia vulgaris.
Sehr interessant sind die morphologischen Untersuchungen von Thilo Irmisch')
über die Keimung dieser Pflanze, die ich hier vollständig bestätigen kann.
Der hypokotyle Stengeltheil des Keimpflänzchens ist klein und geht allmählig
nach unten in die Wurzel über; die Kotyledonen sind klein, elliptisch oder eiförmig
und sonst von den Stengelblättern nicht verschieden. Der mit opponirten Blättern
besetzte Hauptstengel ist auch klein und erreicht nur einige Zoll Höhe. Sehr trüh
entsteht in der Achsel der beiden Kotyledonen je ein Ausläufer, der sich zuerst in
seiner Spitze nach unten biegt und dann eine kleine Strecke, indem er einige Inter-
nodien ausbildet, auf der Erde kriecht. Dann krümmt sich der Giptel des Ausläufers
plötzlich nach oben und wächst zu einem Stengel aus; gleichzeitig werden in der
Krümmungsstelle zahlreiche Wurzeln gebildet, mit welchen der neue Stengel an den
Boden angeheftet wird. Der Hauptstengel und die Hauptwurzeln werden dabei nicht
weiter entwickelt und sterben bald ab.
Der Wurzelbau ist von dem der Primula elatior nicht verschieden ; aber die
einzeln zerstreuten Zellen der Epidermis, der Rinde, der Schutzscheide und des
Gefässbündeleylinders sind mit einer festen krystallinischen (in der Form von
Sphaerokrystallen), in Alkohol löslichen, dunkelrothen Substanz erfüllt, die aus
nadeltörmigen radial angeordneten Krystallen besteht.
Der Bau des hypokotylen Stengeltheils hat nichts Charakteristisches; die
Rinde ist dünner als die in der Wurzel, sie besteht nur aus einigen Schichten von
ziemlich grossen Zellen. In der Mitte des Querschnitts zeigt sich ein wenigzelliges
!) Thilo Irmisch: Botan. Zeitung 1861. pag. 112.
— 199 —
Mark und in dem Uebergang von der Wurzel ins hypokotyle Stengelglied werden
zuerst zwei, dann drei Gefässbündel, von denen zwei den Kotyledonen angehören,
gebildet.
Der Stengel von ZLysimachia vulgaris ist einige Fuss hoch und mit spiralig,
opponirt oder quirlständig zu 3 oder 4 angeordneten Blättern besetzt. Diese ver-
schiedenartige Blattstellung hängt nicht von der ungleichmässigen Entwickelung der
Internodien ab, wie das bei vielen anderen Pflanzen der Fall ist, sondern sie weist
sich direkt schon im Vegetationspunkte ‘aus, wo bei dem Stengel mit spiralig gestellten
Bättern die letzten spiralig nach °/; angelegt werden; bei denselben mit dreiblättrigen
Quirlen, wie das Fig. 1. (Taf. VIII.) zeigt, entstehen gleichzeitig in Forn von einem
Dreieck, 3 Blattanlagen. Schliesslich werden an den Stengel mit opponirten Blättern
und vierblättrigen Quirlen die Blätter im Vegetationspunkte immer paarweise opponirt
angelegt; nur, wenn alle Internodien gleichmässig ausgebildet sind, bekommen wii
opponirte Blätter, wenn aber nur je das zweite Internodium zur Ausbildung kommt,
entstehen vierblättrige Quirle an dem Stengel.
Alle diese Blattstellungen können oft auf einem und demselben Individuum
vorkommen, so dass am Hauptstengel die Blätter spiralig und an den Zweigen
opponirt oder in Quirlen u. dgl. stehen.
Der anatomische Bau des Stengels ist typisch dikotyledonisch. Auf einem
durch einen alten Stengel geführten Querschnitt nimmt das Mark den grössten Theil
in der Mitte ein, welches aus, in der Richtung des Stengels etwas gestreckten und
abgerundeten Zellen besteht, so dass die letzteren grosse Intercellularräume bilden.
Die Gefässbündel sind zu einem vollständig geschlossenen Ring, welcher mit stark
entwickelten Cambium (Fig. 2. ce. Taf. VIII.) in die Dicke wächst, verschmolzen. Der
Holztheil charakterisirt sich besonders durch die grossen Gefässe, von welchen die
älteren oder von der Markseite liegenden spiralig, die mehr nach aussen mit gehöften
Tüpfeln (Fig. 3. Taf. VIIL) versehen sind. Zwischen den Gefässen liegen zahlreiche
Holzzellen, die verdickte Wände und sich kreuzende längliche 'Tüpfel (Fig. 4. Taf. VII.)
besitzen. Ausserdem kommen die Uebergangsformen zwischen den Holzzellen und
Gefässen vor. Im Basttheile besitzen die Zellen, die an der Schutzscheide, welche
den ganzen Gefässbündelring umgiebt, anliegen, sehr dicke Wände, auch bilden diese
Zellen zahlreiche grössere oder kleinere Selerenchymgruppen (Fig. 2. sk, Taf. VIII).
in
Die Rinde (Fig. 2. %, Taf. VIII) ist schwach entwickelt, mit grossen und zahl-
reichen Intercellularräumen versehen. Die Epidermis (Fig. 2. n. Taf. VIII.) ist mit
starken, besonders bei der Berührungsstelle gefalteten Outieula bedeckt.
Die Entwickelungsgeschichte der Gefässbündel im Vegetationspunkte ist wesent-
lich dieselbe, wie bei Primula sinensis. Der Vegetationspunkt ist, wie Fig. 5. (Taf. VII.)
zeigt, entweder flach, klein und eng oder, wie wir aus der Fig. 6. (Taf. VILL.) sehen,
breit und etwas erhaben. Die Blattanlagen werden verschieden, grösstentheils aber
bei der opponirten Stellung, auf dieselbe Weise, wie die beiden oben erwähnten
Figuren zeigen, gebildet. Sie entwickeln sich sehr schnell und veranlassen die
Gestalt des Vegetationspunktes. So haben wir den Vegetationspunkt in Fig. 6. (Taf. VILL)
etwas erhaben, indem aber zwei neue Blattanlagen entstehen, wird derselbe wegen
raschen Wachsthums der letzteren zuerst verengt und schinal, wie Fig. 5. (Taf. VII.)
vorstellt, bis er zu der ursprünglichen Form kommt.
Der histiologische Bau dieses Vegetationspunktes ist, wie wir aus den beiden
Figuren sehen, folgender: Der ganze Vegetationspunkt ist von der Epidermis bekleidet,
unter welcher sich ein meristematisches Gewebe befindet, dessen in der Mitte liegende
Zellen abeerundet und zu Markzellen ausgebildet werden, die unterhalb der Blatt-
anlagen, indem sie sich vorwiegend längs theilen, Procambiumstränge vorstellen.
An den Querschnitten, die durch die Stammspitze geführt sind, befinden sich
in den, den Blattanlagen entsprechenden Stellen kleinzellige Gruppen — die
Procambiumstränge — zwischen welchen bald andere kleinere procambiale Stränge,
aus denen Interfaseicularbündel ausgebildet werden, entstehen und auf diese Weise
einen geschlossenen Gefässbündelring bilden.
Die Ausbildung der einzelnen Holz- und Bastelemente aus dem Procambium-
gewebe ist dieselbe, wie bei Primula oder Androsace septentrionalis, natürlich mit dem
Unterschiede, der von der Gestalt der Bündel selbst abhängt.
Alles, was ich von der Differenzirung der Gewebe im Vegetationspunkte gesagt
habe, bezieht sich auf den spiralig beblätterten Stengel; in anders beblätterten Stengeln
ist gerade dasselbe der Fall, nur mit Umänderung der Zahlverhältnisse und Stellung
der Bündel. Die Entwiekelungsgeschichte der Gefässbündel in dem Stengel mit
opponirten Blättern unterscheidet sich nicht von der der Zysimachia nummularia,
wovon später die Rede sein wird.
- 195
Der Gefässbindelverlauf bei Lysimachia vulgaris ist verschieden in den ver-
schiedenartig beblätterten Stengeln. Im Stengel mit spiralig angeordneten Blättern
verläuft jedes Bündel, das von einem Blatte kommt, frei drei Internodien nach unten,
in dem vierten vereinigt es sich mit einem benachbarten Bündel und, indem es noch
weiter durch fünf Internodien durchgeht, legt es sich an die nächst benachbarten
Bündel an. Dieser Verlauf ist nicht immer so regelmässig und deutlich und wird
bald durch Auftreten der Interfascieularbündel, bald durch Entstehung eines Gefäss-
bündelringes verdeckt. Mehr charakteristisch ist der, in den quirlständig beblätterten
Stengeln vorkommende Gefässbündelverlauf, dessen Schema Fig. 8. (Taf. VIII) und
für solche mit dreiblättrigen Quirlen Fig. 7. (Taf. VIll.) vorstellt. Wenn wir diese
beiden Figuren mit Fig. 8. (Taf. V.), die ein Schema für Getässbündelverlauf der
Primula spectabilis zeigt, vergleichen, so sehen wir den ganzen Unterschied nur in
der anderen Blattanordnung und verschiedenen Internodienentwickelung. Bei Lysima-
chia geht jedes Bündel, das vom Blatte in den Stengel eintritt, frei nach unten
bis zu dem nächsten Knoten, wo er von beiden Seiten je einen Schenkel der zwei
benachbarten Bündel annimmt und so bis zu dem zweiten Knoten verläuft und sich
dort in zwei Schenkel gabelt, die mit zwei nebenverlaufenden Bündeln vereinigt
werden. Im älteren Stengel werden die Gefässbiündel zu einem geschlossenen Ring
verschmolzen, wodurch, wie schon oben bemerkt, der primäre Gefässbündelverlauf
nicht mehr deutlich zu erkennen ist.
Der Blätterbau bei Lysimachia vulgaris ist wesentlich von dem der Primeln
nicht verschieden. Das Blattstielbündel ist dem der Primula elatior ähnlich, besitzt
aber kein Selerenchym. Sehr charakteristisch sind die von verschiedener Grösse in
der Blattspitze von beiden Seiten des Hauptnerves liegenden und auch auf der ganzen
Blattfläche zerstreuten, rothen Punkte, welche schon längst die Aufmerksamkeit der
Forscher, wie Link'), Moldenhawer?) und Meyen?), auf sich gezogen haben.
Der letztere hat erst den Bau derselben näher untersucht; er behauptet aber unrichtig,
dass die rothe Substanz, die die rothen Punkte verursacht, innerhalb der Zellen
gebildet wird. Diese Substanz, von deren Consistenz schon bei der Beschreibung
1) Link: Grundlehre der Anatomie und Physiologie der Pflanzen. pag. 9, $.2.
2) J.P. Moldenhawer: Beyträge zur Anatomie der Pflanzen. 1812. pag. 162.
3) Meyen: l.c. pag. 61. Taf. IV. Fig. 26—31.
—— 196 —
der Wurzel die Rede war \ füllt kleinere oder grössere circumscisse, intercelluläre
Räume oder Behälter, die man gewöhnlich innere Drüsen nennt. Diese Drüsen
entstehen hier sehr früh, schon in noch ganz unentwickelten Blättern; um ihre
" Entwiekelungsgeschichte zu verfolgen, muss man deswegen sehr junge Blätter zur
Untersuchung benutzen.
Die Quer- und Längsschnitte sehr junger Blätter zeigen, dass diese Drüsen
aus einer Zelle bestehen, die zuerst mit einer Scheidewand in zwei Fig. 9. «‘, (Taf. VIIL),
dann mit zwei zu jener perpendikulären Wänden in 8 Zellen getheilt wird, die so
angeordnet sind, wie Quadraten der Kugel oder vielmehr, indem sie eubische Form
annehmen, wie 8 Würfel, von welchen von der Seite, wie auf Fig. 9. a, (Taf. VIH.),
nur 4 zu sehen sind. In der Berührungsstelle aller acht Zellen bildet sich, indem
sie auseinander weichen, ein Intercellularraum, der sich sogleich mit rother Substanz
ausfüllt (Fig. 9. b, Taf. VIIL). Das Herkommen dieser Substanz lässt sich nicht leicht
genau bestimmen, ich konnte nämlich nicht constatiren, ob diese Substanz aus den
benachbarten Zellen in den Intercellularraum durch die Zellwände ausgeschieden,
oder, ähnlich wie die subeuticulare Substanz in Köpfchenhaaren, durch die chemische
Umänderung der Zellwandschichte in der Berührungsstelle der Zellen gebildet wird.
Die erste Voraussetzung scheint mir jedenfalls viel wahrscheinlicher zu sein, wenn
man unter anderem beachtet, dass die Quantität dieser Substanz sehr beträchtlich
wird; sie kann möglicher Weise nicht nur aus den Zellen, sondern auch aus den
benachbarten Geweben durch Filtration von einer Zelle in die andere, sich in die Drüse
einsammeln. Ich muss aber darauf aufmerksam machen, dass das Vorhandensein
dieser Substanz sich nicht innerhalb der den Intercellularraum begrenzenden Zellen
mikroskopisch nachweisen lässt, die definitive, also chemische Ausbildung der Substanz
muss im Innern der Drüse stattfinden. Die Substanz entwickelt sich sehr schnell
und die Drüse kommt zu solcher Ausdehnung, dass man sie mit blossen Augen leicht
sehen kann. Bei der Vergrösserung der Drüse werden die begränzenden Drüsen-
zellen passiv in der Richtung der Oberfläche ausgezogen und dadurch tafelförmig; auch
werden sie mit Querwänden in einige Zellen getheilt (Fig. 9. c. Taf. VIII). Oft thei-
len sich die noch jungen Drüsenzellen wie ihre Mutterzellen in 8 neue und so werden
neue Behälter der rothen Substanz gebildet, die sich, indem sie immer grösser werden,
mit daneben liegenden zu einer grossen, zusammengesetzten Drüse vereinigen. Zwei
solche zusammengesetzte Drüsen bilden die zwei grossen rothen Flecken, die in den
— 191° —
Blatt- und Kelchblattzipfeln sich befinden. Es kommen auch verschiedene Abwei-
chungen von der oben beschriebenen Entwickelungsgeschichte der Drüsen vor. Ich
finde sie unwesentlich und will nur das bemerken, dass die Abweichungen nur auf
der verschiedenen Anordnung der Zellen, ihrer Zahl etc. beruhen. Fig. 9. d. (Taf. VIII.)
stellt eine aus zwei, Fig. 9. e. (Taf. VIII.) aus drei Zellen entstehende Drise dar.
Die Blätter und der Stengel sind in der Jugend mit Haaren von zweierlei
Art, ähnlich wie bei Primula sinensis, besetzt. Die Köpfehenhaare, welche subeuti-
culare Substanz absondern, stellt Fig. 15. (Tat. VII.) vor; das Köpfchen besteht hier
aus zwei, ähnlich wie bei Cyclamen gebildeten, Zellen, die aber eine etwas andere
Gestalt besitzen und in ihrer Berührungsstelle eine kleine (Quantität der Substanz
absondern. Die anderen Haare bedecken den Stengel ziemlich dicht und sind ganz
einfach gebaut; sie bestehen nämlich aus einer Reihe von wenigen Zellen, von denen
die Endzelle etwas abgerundet ist.
Meyen') hat die Haare von Lysimachia vulgaris in seiner oben erwähnten
Arbeit genau beschrieben und abgebildet.
Der anatomische Bau der Ausläufer unterscheidet sich durch die stärkere
Ausbildung der Rinde von der des Stengel. Die Epidermis ist mit zahlreichen
Spaltöflnungen und kurzen Haaren versehen. Die Gefässbündel, die hier auch zu
einem Ring verbunden sind, haben einen sehr schwach entwickelten Holztheil und
einen viel stärker ausgebildeten, aber zarten Basttheil. Die Schutzscheide, die den
Gefässbündelring urygiebt, ist mit sehr deutlichen schwarzen ÖUaspary’schen Punkten
versehen.
In der Rinde besonders, nicht weit von der Epidermis entternt, sind die oben
besprochenen inneren Drüsen zerstreut.
Lysimachia punetata hat im Allgemeinen denselben Bau, wie Zysimachia vul-
garis; die Wurzel aber wird durch den stärker ausgebildeten Gefässbündeleylinder
.charakterisirt und die, mit rother Substanz erfüllten Zellen sind hier viel zahlreicher.
In dem Stengel sind die Scelerenchymgruppen, die in dem Bast vorkommen,
nur einzeln zerstreut und sogar in vielen Fällen nicht vorhanden.
1) Meyen: I. c. pag. 31. Taf. II. Fig. 42.
Abh. d. nturf, Ges, zu Halle, Bd. XIV, 96
En
Die inneren Drüsen, die hier von Link, wie oben bemerkt, zuerst erkannt
worden und die von den bei Zysimachia vulgaris nicht zu unterscheiden sind, befinden
sich auch sehr zahlreich im Marke. Ueberhaupt sind diese Drüsen hier überall
vorhanden, wovon auch der Speciesname der ZLysimachia punctata kommt.
Die Haare sind auch dieselben wie bei der vorigen Art, sie sind aber länger
und dichter stehend.
Die folgenden, nach getrockneten Exemplaren untersuchten Species haben sich
als wesentlich im Baue von Zysimachia vulgaris nicht verschieden erwiesen:
Lysimachia clethroides Duby und Lysim. angustifolia Mich. Beide werden durch
grosse und zahlreiche Gefässe in den Stengelbündeln und den entwickelten Seleren-
chymring charakterisirt; Zysimachia lobelioides Walt. und Lysim. cuspidata Blum.
besitzen das Sclerenchym schwach ausgebildet und das aus grossen parenchymatischen
Zellen bestehende Mark.
ll. Lysimachia nummularia.
Die Wurzel dieser Pflanze ist nur durch seltenes Vorkommen der rothen
Substinz in den Zellen von der der Zysimachia vulgaris verschieden.
Der Stengel ist bekanntlich kriechend und mit zahlreichen Adventivwurzeln,
die an den Stengelknoten entstehen, an den Boden fixirt. Der anatomische Bau des
Stengels ist wesentlich der der Lysimachia vulgaris, nur die Grössenverhältnisse der
einzelnen Gewebe sind anders. |
Die aus parenchymatischen, in der Richtung des Stengels etwas ausgezogenen,
im Alter etwas verdickten Zellen bestehende Rinde nimmt den grössten Theil der
(uerschnittsfläche ein. In der Rinde befinden sich hier und da einzelne mit rother
Substanz erfüllte Drüsen, die, wie ich schon bemerkt habe, für alle Lysimachiaarten
charakteristisch sind.
In den vier Kanten oder Leisten des Stengels, die zu zwei etwas genähert
sind, ist aus wenig verdickten Zellen bestehendes Collenchym vorhanden. Die Gefäss-
bündel auf dem Stengelquerschnitt sind zu einem elliptischen Ring. verschmolzen, der
in der Mitte nur aus wenigen Zellen bestehendes Mark umschliesst. Der histologische
Bau des Gefässbindelringes ist von dem der Lysimachia vulgaris nur durch Abwesen-
—— 199 —-
heit des Sclerenchyms verschieden. Dieser Umstand lässt sich dadurch leicht erklären,
dass der am Boden kriechende Stengel der Zysimachia nummularia keine Verstärkung
der Stengelgewebe braucht, was natürlich bei der mit einem hohen, aufrecht stehen-
den Stengel versehenen Zysimachra vulgaris fast unmöglich wäre. Zwischen Holz und
Bast befindet sich ein, nicht zahlreiche Gefässbiindelelemente erzeugendes Cambium ;
nach aussen des Ringes liegt eine deutlich entwickelte, aus kleinen Zellen bestehende
Schutzscheide.
Der Gefässbündelverlauf im Stengel ist sehr einfach und von dem der mit
opponirten Blättern versehenen Zysimachta vulgaris nicht verschieden. Hier wie da
verwischen die Interfascieularbündel den primären Gefässbündelverlauf; man kann
aber doch immer die zwei, dem nächst oben liegenden Blattpaar entsprechenden
Bündel, die am Ende der kleineren Ellipsisaxe liegen, unterscheiden.
Der Vegetationspunkt ist klein und flach und die jungen Blattanlagen entstehen
gleichzeitig paarweise, so dass jedes Paar mit dem folgenden um 90° gedreht ist, wie
wir das in Fig. 10. (Taf. VIII.) sehen können.
Die Difterenzirung der Gewebe im Vegetationspunkte unterscheidet sich im
Allgemeinen nicht von der, welche bei ZLysimachta vulgaris beschrieben war.
Fig. 11. (Tat. VIII.) stellt einen Vegetationspunktquerschnitt vor, in welchem
wir die, den zwei Blattanlagen entsprechenden, zwei kleinen Procambiumbindel
erblicken. Auf dem mehr nach unten durchgeführten und in Fig. 12. (Taf. VIII.)
abgebildeten Querschnitt sind die ersten Procambiumbindel schon sehr stark aus-
gebildet und ausserdem kreuzweise mit den letzteren zwei neue, dem jüngsten nächst-
stehenden Blattpaare angehörenden, Procambiumbündel entstanden; zwischen diesen
4 Bündeln ist ein die letzteren zu einem Ring verbindendes kleinzelliges Gewebe
gebildet, in welchem interfascieuläre Bündel entstehen.
Auf derselben Figur sehen wir die ersten Entstehungsstadien der Schutzscheide.
An einigen Stellen ausserhalb der Procambiumbündel liegende Rindenzellen theilen
sich tangential und die dadurch gebildeten, nach innen liegenden Zellen werden zu
Schutzscheidezellen, die nach aussen sich mit der Rinde verbinden.
Die weitere Ausbildung der Bündel aus ihrem Procambium geht auf dieselbe
Weise, wie bei Lysimachia vulgaris, weiter vor sich.
Im Blätterbau der Zysimachta nummularia finden wir nichts Charakteristisches
und das, was ich von Zysimachta vulgaris gesagt habe, kann man auch hier wieder-
26*
ma ee
holen; das muss ich aber erwähnen, dass im Blattstielbündel, ähnlich wie bei Primula
elatior, Selerenchym vorkommt. Die mit rother Substanz erfüllten Behälter sind hier
nicht zahlreich, aber die zwei in der Blattspitze liegenden sind durch ihre Grösse
auffallend.
Die sehr sparsame Behaarung besteht nur aus kurzen Köptchenhaaren, deren
in Fig. 13. (Taf. VIIL) abgebildete Köpfchen nicht aus zwei, wie bei ZLysimachia
vulgaris, sondern aus vier Zellen zusammengesetzt sind.
Lysimachia ephemerum ist ähnlich wie Lysim. nummularia gebaut; sie unter-
scheidet sich aber durch grosse Rindenzellen und Intercellularräume, sowie durch
zahlreich in dem Stengel, den Blättern und der Wurzel vorkommende innere Drüsen.
Schliesslich gehört auch ZLysimachia quadrifolia hierher.
III. Lysimachia nemorum.
Der Wurzelbau ist dem der vorhergehenden Art ähnlich. Der Gefässbündel-
cylinder, welcher stark entwickelt ist und mittels eines Cambiums sehr schwach in
die Dicke wächst, ist in der Mitte reichlich mit Sclerenchym ausgefüllt. Die rothe
Substanz kommt in der Wurzel selten vor.
Der Stengel ist in seinem anatomischen Bau dadurch von der vorhergehenden
Lysimachiaspecies verschieden, dass am Stengelquerschnitt die Gefässbündel keinen.
geschlossenen Ring bilden, sondern, wie Fig. 1. (Tat. IX.) zeigt, in vier Gruppen, die
mit Sclerenchymstrichen zu einem Kreis verbunden, geordnet sind. Der Querschnitts-
umriss ist ungefähr dem der Zysimachta nummularia ähnlich; hier aber bildet die
Rinde eine viel kleinere äussere Schicht, die keine Collenchymzellen besitzt; das
Mark dagegen ist stärker entwickelt und besteht aus grossen abgerundeten Zellen.
Die vier Gefässbündel, die mehr oder weniger regelmässig in der Richtung der vier
Kanten des Stengels liegen, haben vollständig denselben histiologischen Bau, wie bei
der vorigen Lysimachiaspecies; das Cambium, obgleich schwach entwickelt, ist hier
auch vorhanden. Die, im Vergleich mit den anderen Lysimachieen, kleine Quantität
der harten Holzelemente ist hier durch vier Sclerenchymtheile, welche die Holztheile
—
mit einander zu einem geschlossenen Ring verbinden, ersetzt. Das Sclerenchym,
welches nie in den Basttheil eintritt, besteht aus kleinen, aber dickwandigen Zellen,
die mit zahlreichen einfachen Tüpfeln versehen sind. Interessant ist folgendes Factum,
welches sehr deutlich die mechanische Bedeutung des Sclerenchyms in dem Stengel
zeigt: Ich habe sehr oft bemerkt, dass in denjenigen Stengeltheilen, die mehr frei
und aufsteigend in die Höhe wachsen, die Selerenchymzellen stärker diekwandig sind
als bei den auf dem Boden kriechenden Stengeln, wo das Sclerenchym sehr schwach
und manchmal gar nicht entwickelt ist. Schliesslich muss ich das zugeben, dass
ausserhalb der Bündel und des Sclerenchyms eine aus kleinen dünnwandigen Zellen
bestehende Schutzscheide liegt.
Die Entwickelungsgeschichte der Gefässbündel ist dieselbe wie bei Zysimachia
nummularia; ihr Verlaut aber ist hier sehr charakteristisch und verlangt deshalb
nähere Besprechung.
Auf den successiven Querschnitten durch den Stengel kann man den Gefäss-
biindelverlauf am besten verfolgen. Auf einem nicht weit über der Ansatzstelle des
blattpaares durchgeführten Querschnitt (Fig. 2. Taf. IX.) sehen wir drei Blattstiel-
bündel, von denen der mittlere, in dem nächsten mehr unten geführten Querschnitt
(Fig. 3. Taf. IX.), sich in zwei Schenkel theilt und bald mit dem seitlichen sich
vereinigt. Wir bekommen auf diese Weise (Fig. 4. Taf. IX.) aus jedem Blatte zwei
Bündel in den Stengel eintretend, die sich an die lim Stengel verlaufenden nächst-
liegenden Bündel anlegen, so dass wir (Fig. 5. Taf. IX.) wieder dieselben vier Bündel
haben, die in den oberen Internodien verlaufen sind.
Fig. 6. (Taf. IX.) stellt uns ein, aus den successiven (Juerschnitten und in KHO
durchsichtig gemachten Stengelpräparaten construirtes Schema des Gefässbindel-
verlaufs dar, an welchem wir sehen können, dass die Lage der vier in den Stengel
verlaufenden Bündel sich nicht ändert und nur die aus den Blättern kommenden
Bündel, nach den oben angegebenen Regeln, an sie angelegt werden.
Im Blätterbau der Zysimachia nemorum ist nichts Charakteristisches; die
Rauhigkeit der Blattränder kommt davon, dass die mit starken Cutieula bedeckten
Randzellen der Epidermis in Form von kleinen Zähnchen auswachsen. Die Behaarung
ist sehr sparsam und von der der Lysimachia nummularia nicht verschieden.
202
Denselben anatomischen Bau wie die Zysimachia nemorum hat die mit starker
Selerenehymausbildung sich charakterisirende Zysimachra lanceolata Walt.
Naumburgia.
Die einzige nach getrockneten Exemplaren untersuchte Species dieser Gattung,
Naumburgia thyrsiflora, ist in ihrem anatomischen Bau nicht von Lysim. vulgaris
verschieden; ich halte es deswegen für überflüssig, von dieser Pflanze ausführlicher
zu sprechen.
Lubinia.
Lubinia spathulata, die ich auch nur in getrockneten unvollständigen Exzem-
plaren untersucht habe, ist dadurch verschieden, dass in ihren verkehrt eiförmigen
Blättern die Behälter der rothen Substanz, so wie auch zahlreiche Spaltöffnungen,
besonders auf der unteren Fläche gleichmässig zerstreut sind.
Glaux.
Die Wurzel der Glauxr maritima wird durch die starke Entwickelung der
Rinde charakterisirt. Die aus grossen, dünnwandigen, parenchymatischen Zellen
bestehende Rinde nimmt den grössten Theil des Querschnitts ein; die äusseren
Schichten der Rinde bilden etwas kleinere und diekwandige Zellen, die hier die
schwach entwickelte, zarte und hinfällige Epidermis ersetzen.
Der mit opponirten Blättern dicht besetzte Stengel zeigt einen, dem der
Lysimachia nummularia ähnlichen anatomischen Bau; die Differenzirung der Gewebe
im Vegetationspunkte ist auch fast dieselbe. Die, wie in der Wurzel, stark entwickelte
Rinde ist aus ähnlichen dünnwandigen, aber etwas kleineren Zellen zusammengesetzt.
Die Gefässbindel, die in einem geschlossenen Ringe verbunden und nach aussen mit
einer Schutzscheide bekleidet sind, besitzen denselben Bau wie die erwähnte Lysimachre.
Der ganze Unterschied besteht in dem Bau des Holztheils und dem Vorhanden-
sein des Cambiums. Den Holztheil setzen zahlreiche, mässig grosse und sehr regel-
mässig radial angeordnete Spiralgefässe und ähnliche, wie bei Lysimachia nummularia,
aber selten so diekwandige Holzzellen zusammen; ausserdem kommen Tüpfelgefässe
a e
von verschiedener Gestalt vor. Das Dickenwachsthum mittels stark entwickelten
Cambiums ist insofern charakteristisch, als es die tangentiale Streckung der Schutz-
scheidezellen, die auch mit wenigen radialen Zellwänden getheilt werden, verursacht.
Am meisten charakteristisch ist das Mark, welches aus wenigen grossen, etwas dick-
wandigen, getüpfelten Zellen besteht, die so dicht aneinander liegen, dass sie keine
Intercellularräuine bilden.
Was den Gefässbündelverlauf betrifft, kann ich hier nur dasselbe wiederholen,
was ich von Lysimachta nummularia gesagt habe. Auch der Bau der Blätter ist der-
selbe. Die Haare, die auf dem Stengel und den Blättern sehr zerstreut stehen, sind
denjenigen der Samolus littoralis ähnlich, wovon weiter unten die Rede sein wird.
Die Behälter der rothen Substanz sind hier nicht vorhanden, nur einige ein-
zelne Zellen, von verschiedenen Geweben, sind, wie bei allen anderen Primulaceen,
mit brauner gerbstofthaltiger Substanz erfüllt.
Asterolinum.
Asterolinum Linum stellatum gehört zu den kleinsten Primulaceenarten. Die
Hauptwurzel dieses kleinen, höchstens zwei Zoll hohen Pflänzchens ist dadurch unter-
schieden, dass ihr Gefässbündeleylinder mittels eines Cambiums, ähnlich wie bei den
Androsacearten, ziemlich beträchtlich in die Dieke wächst, Dabei wird der primäre,
gewöhnlich diarche, Bau des Gefässbündeleylinders der Wurzel durch Zuwachs der
neuen Bast- und Holzelemente verwischt, die Epidermis und die aus wenigen Schich-
ten von grossen Zellen bestehende Rinde werden abgeworfen und die Schutzscheide-
zellen werden tangential ausgezogen und getheilt. Der Bau des Holzes und des
Bastes bietet nichts Uharakteristisches, nur im Holztheile befinden sich ähnliche, wie
bei Lysimachta vulgaris beschriebene Tracheiden.
Der Stengel des Asterolinum Linum stellatum ist, ähnlich wie bei Glaus märitima,
dicht mit opponirten Blättern besetzt, seine Gestalt aber und sein Bau nähern sich
viel mehr den der Lysimachia nemorum. Die Rinde, die verhältnissmässig einen klei-
nen Theil des Stengels einnimmt, besteht aus parenchymatischen Zellen, deren Wände
immer dünner als die der Epidermis sind; die vier, ähnlich wie bei Lysimachia nemorum
geordneten, Gefässbündel unterscheiden sich im anatomischen Baue dadurch, dass ihr
Holz hauptsächlich aus Spiralgefässen und dünnwandigen Holzzellen besteht.
204
Sehr charakteristisch ist das Vorkommen des sehr früh in Gefässbündeln
entstehenden Cambiums, welches nicht nur zwischen den Holz- und Basttheilen, sondern
auch zwischen den einzelnen Bündeln in Form eines cambialen Ringes am Stengel-
querschnitt zu sehen ist. In den letzterwähnten Stellen ist es schwächer entwickelt
und erzeugt nur wenige und einzelne Bastgruppen, aber keine Holzelemente. Dasselbe
Verhältniss finden wir bei Trientalis, wovon wir später Gelegenheit haben werden
zu reden.
Der Gefässbiindelverlauf ist vollständig derselbe wie bei Lysimachia nemorum
und das in Fig. 6. (Taf. IX.) abgebildete Schema lässt sich hier vollständig anwenden.
Der Bau der Blätter ist nicht von dem der Lysimachia nemorum verschieden,
ja sogar die Zähne an den Rändern der Blätter sind hier ebenfalls vorhanden.
Die Behaarung ist wie bei Lysimachia nummularia.
Trientalis.
Trientalis europaea bildet kriechende, mit vielen Wurzeln besetzte Rhizome,
welche mit jedem Frühjahr junge, an der Basis etwas knollig verdiekte Sprossen, die
in oberirdische Stengel auswachsen, erzeugt. Dieser Stengel ist mit spiralig gestellten
Blättern besetzt, welche an der Spitze des Stengels, durch die Verkürzung der Inter-
nodien rosettenartig, gedrängt stehen.
Der Wurzelbau der Trientalis europaea, der sich durch Abwesenheit des Cambiums
charakterisirt, ist dem schon ötter bei anderen Primulaceen erwähnten Baue ähnlich.
Die Wurzelrinde ist mässig entwickelt und besteht aus etwas diekwandigen
Zellen; nur die dieht unter der Epidermis liegende Aussenschicht bilden dünnwandige
Zellen, die von den Epidermiszellen nicht verschieden sind. Die Schutzscheidezellen
sind denen der Rinde ähnlich, aber kleiner und wenig tangential verlängert. Der
gewöhnlich triarchisch gebaute Gefässbündeleylinder besitzt kein Wurzelmark.
Der Stengel stellt einen, wie bei Glaux mäaritima ähnlichen anatomischen Bau
dar, welcher von Sanio untersucht und in seiner Arbeit: „Ueber endogene Gefäss-
bündelbildung“ beschrieben worden ist. Dieser Forscher sagt nämlich: „Bei Trientalis
europaea ist die Aussenscheide gleichfalls sehr entwickelt, sie besteht aus 3—4 Reihen
stark verdiekter und verholzter Zellen. Ueber ihr liegt eine zur Rinde gehörige
Zellreihe, von den übrigen Rindenzellen schon durch geringe Grösse verschieden;
—— 205 —
sie stellt die Caspary’sche Schutzscheide vor, und hat hier sogar den dunklen
Caspary’schen Punkt auf den radialen Wandungen. Bemerkenswerth ist, dass bei
Trientalis die Cambiformbündel nicht allein über den Gefässbündeln‘) vorkommen,
sondern sich auch zwischen denselben finden.“”) Es bleibt nur noch übrig, dazu
einen in Fig. 8. (Taf. IX.) abgebildeten Theil des Stengelquerschnitts zu geben und
das noch zu bemerken, dass hier die Gewebe sehr zart gebaut sind und die mehr
innerhalb liegenden Selerenchymzellen, ähnlich wie bei Glauxw maritima, verschieden-
artig getüpfelte Gestalten aufweisen.
Die Entwickelungsgeschichte der Gefässbindel in dem flachen oder kaum
erhabenen Vegetationspunkte unterscheidet sich nicht von der der Lysimachia und
Glaux. Sehr charakteristisch und viel deutlicher als bei den anderen Primulaceen
ist hier die Bildung der Schutzscheide. Fig. 7. (Taf. IX.) stellt einen Theil des nicht
weit von dem Vegetationspunkt nach unten gemachten Stengelquerschnitts vor, in
welchem die Zellen der ausserhalb der Procambiumbündel liegenden Rindenschicht
sich tangential theilen und dadurch nach innen die Schutzscheide s—s abtrennen.
Der Bau des unterirdischen Stengels unterscheidet sich von dem des ober-
irdischen durch die stärkere Entwickelung der Rinde und die schwächere des Scleren-
chyms. Was den Gefässbündelverlauf betrifft, so lässt sich von ihm dasselbe sagen,
was von Primula sinensis gesagt wurde, weil hier wie dort die Bündel sehr früh zu
einem geschlossenen Ring verwachsen sind und die spiralige Blattstellung auch der
*/s Divergenz entspricht.
In dem Baue der Blätter finden wir wesentlich nichts Charakteristisches; der
Selerenchymring umgiebt ähnlich wie bei Primula elatior den in dem Blattstiel
verlaufenden Btindel. Die mit gefalteter Cutieula bekleidete Epidermis, von dem-
selben Baue wie bei Iysimachia vulgaris, trägt zerstreute Köpfchenhaare, deren
Zellen gewöhnlich länger und wie bei Cyelamen mit brauner gerbstoffhaltiger Substanz
erfüllt sind.
Die aus den getrockneten Exemplaren untersuchte Trientals americana Purck.
unterscheidet sich nicht im anatomischen Baue von der vorhergehenden Species.
1, Unter dem Gefässbündel versteht Sanio hier nur den Holztheil; nach jetzigen anatomischen
Begriffen ist aber ein Gefässbündel aus zwei Bestandtheilen, aus Holz ‘und Bast, zusammengesetzt.
2) Sanio:; Ueber endogene Gefässbündelbildung. Botan. Zeitung 1864. pag. 222.
Abh. d. nturf. Ges. zu Halle. Bd. XIV. 27
- 206 —
Coris.
Die halbstrauchartige Species dieser Gattung, Üoris monspeliensis, stimmt, soweit
ich dies aus den Untersuchungen der getrockneten Exemplare beurtheilen kann, in
ihrem anatomischen Bau mit Lysimachta vulgaris wesentlich überein, nur mit dem
Unterschied, dass im Stengel kein Sclerenchym vorkommt und dass das starke
Dickenwachsthum mittels eines Cambiums stattfindet. Das Holz dieser Pflanze ist
sehr stark entwickelt und zeigt dieke jährliche Zuwachsringe, deren ich in den von
mir untersuchten Exemplaren 4 bis 5 gezählt habe.
Die für Coris charakteristischen schwarzen, längs des Hauptnervs der linealisch-
länglichen Blätter liegenden Flecken scheinen, wie bei den Lysimachien, von ähnli-
chen mit schwarzer Substanz erfüllten inneren Drüsen herzukommen. Die in der
Jugend die Pflanze bedeckenden Haare sind Köpfchenhaare, die sich von denjenigen
der Lysimachia vulgaris nur durch einen längeren, bis aus 7 Zellen bestehenden,
Stiel unterscheiden.
II. Anagallideen.
Anagallis.
Sehr zahlreiche Species dieser Gattung stellen im anatomischen Baue keine
grossen Unterschiede vor, sie verhalten sich untereinander ungefähr gleichmässig.
Anagallis arvensis.
Die hier angegebenen Resultate beziehen sich hauptsächlich auf var. caerulea,
die sich in keiner Weise von der typischen Anagallis arvensis unterscheidet.
Diese Pflanze keimt auf dieselbe Weise, wie der grösste Theil der typischen
Dikotylen; die nach unten wachsende Hauptwurzel bleibt durch das ganze Leben
der Pflanze und erzeugt sehr zahlreiche Nebenwurzeln; in dem Gipfel zwischen den
beiden Kotyledonen wächst der, mehrere lange und niederliegende seitliche Zweige
erzeugende Hauptstengel hervor. Besondere Aufmerksamkeit aber verdient hier das
ziemlich lange hypokotyle Stengelglied, auf welchem zahlreiche, in seitlichen Aus-
läufern auswachsende Adventivknospen entstehen. Diese Ausläufer hat zuerst
Wydler') beobachtet und beschrieben und sich überzeugt, dass sie auch in dem
!) H. Wydler: Ueber subkotyledonäre Sprossbildung. Flora 1850. pag. 337.
— _ 20
blühenden Stengel auf der ganzen Strecke zwischen der Wurzel und Kotyledonen-
ansatzstelle ordnungslos entstehen.
Die Entwickelungsgeschichte dieser subkotyledonären Knospen der Anagallis
arvensis'), die ich verfolgt habe, ist deswegen sehr interessant, weil sie beweist, dass
diese Knospen ausschliesslich aus den Epidermiszellen*) gebildet werden.
Eine solche Knospe entsteht aus einer Zelle, die mittels 3 zu einander perpen-
dikulärer, successiver Scheidewände zuerst in 8 Zellen zerfällt, die ähnlich wie die
Mutterzelle getheilt werden. Auf diese Weise wird aus einer Epidermiszelle, an
welche sich durch uuregelmässige Theilung benachbarte anschliessen, ein meriste-
matisches Gewebe (Fig. 9. a, Taf. IX.) gebildet. In den nächsten Entwickelungsstadien
theilen sich die Zellen dieses Gewebes ın verschiedene Richtungen und bald kann
man nach aussen Epidermis, die den gebildeten Vegetationspunkt der Knospe bedeckt,
und nach innen einige sich in der Längsrichtung der Knospe theilende Zellen sehen,
die den Ursprung der Procambiumbündel geben. Fig. 10. (Taf. IX.) stellt nämlich
‚dieses Entwickelungsstadium vor, wo wir ausserdem zwei sehr junge opponirte Blatt-
anlagen in Form von kleinen Protuberanzen erblicken. In der weiteren Entwickelung
verlängert sich die Knospe und geht in einen Ausläufer über, welcher an der Spitze
mit einem Vegetationspunkt, der immer neue Blattpaare erzeugt, in die Länge wächst.
Bei der Adventivknospenentstelung wird ausschliesslich nur Epidermis des hypokotylen
Stengelgliedes betheiligt, die Rinde ist dabei ausgeschlossen; sie bildet nur die
Vermittelung zwischen dem Gefässbündelsystem der Knospe mit dem des hypokotylen
Stengeltheils. Die unmittelbar unter der aus der Epidermis gebildeten Adventivknospe
liegenden Rindezellen, in dem Stadium, welches ungefähr Fig 11. (Taf. IX.) zeigt,
theilen sich in der Längsrichtung der Knospe; diese Theilung schreitet immer weiter
1) Das Material zu dieser Untersuchung verdanke ich Herrn Ernst Junger, Kunstgärtner in
Breslau, der mir dasselbe und besonders verschiedene Keimpflänzchen der Primulaceen mit grosser Freund-
lichkeit zu Gebote stellte.
2) Aehnliche aus den Epidermiszellen entstehende Knospen waren von Carnell (Nota su di una
transformatione di pili in Gemme. Nuovo Giornalo botanico italiano. 1875, Nr. 3. pag. 292) bei Begonia
phyllomaniaca und von Naudin (Note sur les bourgeons nes sur une feuille de Drosera intermedia.
Ann. d. se, nat. Bot. ser. II. tom. XIV. pag. 14) und Nitschke (Wachsthumsverhältnisse des runden
blättrigen Sonnenthaues. Bot. Ztng. 1860, pag. 57) bei Drosera, sowie auch bei anderen Pflanzen von
anderen Autoren untersucht.
eu
nach innen und schliesslich in die Zelle der Schutzscheide vor und geht selbst in
den Gefässbündeleylinder über. Auf diese Weise entsteht ein aus dünnen, langen
Zellen zusammengesetzter Procambiumstrang, aus dem später ein Verbindungsbiündel
ausgebildet wird. Dieses Bündel ist ganz einfach, später aber verzweigt es sich
selbst in der Knospe (Fig. 12. Taf. IX.) und stellt die zwei ersten Blattspurbündel
dar; die nächstenstehenden Bündel verlaufen normal wie im Hauptstengel nach der
Regel, von welcher weiter unten die Rede sein wird.
Der Wurzelbau unterscheidet sich von dem des Asterolinum nicht, hier wie
da findet das Dickenwachsthum der Wurzel mittels eines Cambiums statt, wobei die
Rinde mit der Epidermis abgeworfen wird.
Der Stengelbau ist dem der Lysimachia nemorum wesentlich ähnlich; der
ganze Unterschied besteht darin, dass die aus wenigen dünnwandigen Zellen beste-
hende Rinde und die zarte Epidermis, gewöhnlich im Alter, abgeworfen werden.
Die Gefässbündel sind in den mit spiralig beblätterten Exemplaren an dem Stengel-
querschnitt zu vier gestellt, sie besitzen, wie bei der erwähnten Zysimachia, denselben
Bau und sind mit Sclerenchym zu einem Ring verbunden. Ausserhalb aber des
Selerenchyms ist ein schwach entwickeltes Cambium zu sehen, welches unbedeutende
Bastgruppen erzeugt. Die Schutzscheide ist stark entwickelt, sie umgiebt nach aussen
die Gefässbündel mit Sclerenchym und, indem die Rinde abgeworfen wird, theilen
sich die Schutzscheidezellen und verdiecken ihre Wände.
Der Gefässbündelverlaut ist von Naegeli') ausführlich untersucht und
beschrieben worden. Es wäre überflüssig, diese ganze lange Beschreibung der ver-
schiedenen Stengelquerschnitte der Anagallis arvensis hier zu geben; ich werde nur
die Naegelischen und meine Resultate im Kurzen hier anführen.
An einem entwickelten Spross sind die Blätter opponirt oder in 3-, selten in
4zählige Quirlen gestellt. In dem Vegetationspunkt stehen die Blattanlagen oft genau
spivalig, oft auch zeigen sie eine zwischen der Spiral- und Quirlstellung mittlere Anord-
nung; ich habe am meisten, wie bei Zysimachia, das letztere gesehen. Verfolgt man
die Entwickelung von dem Knospenzustande an, so ist die Verwandlung der Spiral-
in die Quirlstellung überaus deutlich. Sie geschieht dadurch, dass erstens einzelne
1) Naegeli: Beiträge zur Wissensch. Botanik. Das Wachsthum des Stammes und der Wurzel
der Gefässpflanzen und die Anordnung der Gefässstränge im Stengel.
i ui
Internodien sich in die Länge strecken, während die übrigen verkürzt bleiben, und
dass zweitens die Horizontalabstände zwischen den beisammen bleibenden Blättern
sich ausgleichen. Der Gefässbündelverlauf ist fast derselbe wie bei Lysimachia
nemorum, wit diesem Unterschied aber, dass nach Naegeli die zwei Blattstränge,
die aus dem Blatte in den Stengel eintreten, nach unten auseinander weichen und
innerhalb der Stengelknoten durch zwei Internodien abwärts gehen. Man findet
daher auf dem Q@uerschnitte unter der Terminalknospe 8 Stränge paarweise in jeder
Stengelkante genähert. Das Schema dieses Gefässbündelverlaufs hat Naegeli für
Stachys angustifolia Biberst., wo dieselben Bündelverlaufsverhältnisse, wie bei Anagallis
arvensis stattfinden, abgebilde. Die in den Stengelkanten bei Anagallis arvensis
stehenden Bündel verwachsen so schnell mit einander zu einem Bündel, dass man
annehmen kann, dass die zwei Blattbündel beim Eintritt in den Stengel sich direkt
an die in Stengelkanten verlaufenden Bündel anlegen, und das Schema, welches ich
Fig. 6. (Taf. IX.) tür Lysimachia nemorum gezeichnet habe, lässt sich auch hier
anwenden.
Bei den 3zähligen Quirlen und 6kantigen Internodien beobachtet man zuwei-
len einen ähnlichen Verlauf und 6 Strangpaare auf dem (uerschnitt, die später durch
Vereinigung zu 6 Strängen werden. Da indess eine Stengelseite gewöhnlich mehr
oder weniger verkümmert ist und die Internodien 5kantig sind, so treten 2 Paare
zusammen und wir bekommen schliesslich nach der Verschmelzung bloss 5 Bündel,
jedes innerhalb einer Ecke. Auch in den 4kantigen Stengelinternodien tritt die
Vereinigung der 4 Paare zu 4 Strängen ein.
Die Gewebedifterenzirung unterscheidet sich von derjenigen der Lysimachia nicht.
Der Blätterbau hat nichts Charakteristisches, er ist dem von Asterolnum ganz
ähnlich. Die Behaarung auf dem Stengel und den Blättern ist in der Jugend dicht;
die Haare sind kurz und wie bei Lysimachia vulgaris mit Köpfchen versehen. Die
sehr zahlreichen rothen Punkte, welche die Blätter zeigen, sind einfache mit rothem
Farbstoff ausgefüllte Zellen.
Von der anderen Anagallisspecies habe ich folgende in getrockneten Exemplaren
untersucht: |
Anagallis reptans DU. und Anagallis latifolia L., die sich wesentlich von der
vorhergehenden Species nicht unterscheiden; Anagallis alternifolia Car. charakterisirt
—— 210.
sich durch eine 'stark entwickelte Rinde und durch einen verhältnissmässig kleinen,
starken, aber mittels des Cambiums in die Dieke wachsenden Gefässbündelring, der
ein wenigzelliges Mark umschliesst. Ausserdem sind zahlreiche Rinden und Mark-
zellen mit einer rothen Substanz angefüllt,
Anagallis tenella L. besitzt auch denselben anatomischen Bau wie Anagallis
arvensis, unterscheidet sich aber in allen Theilen. durch viel zartere und wenigzellige
Gewebe, so wie durch ein schwach entwickeltes Cambium.
Centunculus.
...
Die untersuchte europäische Species — kleine einjährige Pflanze — Centuneu-
lus minimus lässt sich in Bezug auf ihren anatomischen Bau bei demselben Typus
wie Anagallis arvensis unterbringen.
In der Wurzel findet kein Diekenwachsthum statt, wodurch sie immer typischen
primären Bau ausweist.
In dem Stengel befindet sich auch kein Cambium; im den Gefässbündeln ist
der Basttheil zum Theil mit Sclerenchym, dessen Zellen schwach verdickt sind, ersetzt.
Der Blätterbau und die Behaarung sind vollständig dieselben, wie bei Lys-
machta nummularia;, die rothen Punkte, die sich auf den Blättern befinden, rühren
von denselben Ursachen her, wie bei Anagallıs arvensis.
IV. Hottonieen.
Hottonia.
Diese Gattung ist die einzige unter den Primulaceen, welche aus Wasser-
pflanzen besteht. Aus wenigen Species dieser Gattung habe ich nur die gemeine
europäische Art Hottonia palustris untersucht. Im anatomischen Baue unterscheidet
sie sich in einigen Punkten von anderen Primulaceen und nähert sich mehr einigen
Wasserpflanzen.
Hottonia palustris besitzt einen langen, im Wasser untergetauchten und mit
alternirenden oder häufiger quirlständigen Blättern versehenen Stengel, der mit zahl-
reichen langen, aber nicht tief in der Erde stehenden Adventivwurzeln an den Boden
—
befestigt ist. Der Stengel verzweigt sich, indem in der Blattachsel Sprossen gebildet
werden, die, wenn das Wasser austrocknet und die Pflanze nur auf dem nassen Boden
bleibt, in ähnliche Ausläufer auswachsen, wie bei Lysimachia vulgaris. Ueberhaupt
verändert diese Pflanze, wenn sie ausserhalb des Wassers auf dem Boden zu wachsen
gezwungen ist, ihren Habitus: der Stengel wird dann viel kürzer und dichter mit
kleineren, schwächer fiederspaltigen, mit kürzeren und breiteren Fiedertheilen ver-
sehenen Blättern besetzt, die an dem Gipfel des Stengels eine Blattrosette bilden.
Die Wurzel und besonders das Ende derselben charakterisirt sich durch grosse
Begelmässigkeit im anatomischen Baue. Fig. 1. (Taf. X.) stellt den medianen Längs-
schnitt des Wurzelendes vor, woraus sich erweist, dass der Bau des letzteren im
Hauptrisse dem der Primula sinensis und der anderen Primulaceen ganz ähnlich ist
und dem Janczewskischen') Helianthustypus entspricht. Die stark und regelmässig
entwickelte calyptrogene Schicht bildet nach aussen eine ziemlich grosse und weit
das Wurzelende umhüllende Wurzelhaube, nach innen — die Epidermis; die Rinde
und der Gefässbiündeleylinder wachsen an der Spitze unabhängig von einander. Die
weitere Eintwickelung der Wurzel und ihre vollkommend Ausbilduug unterscheiden
sich nicht von denen der Cortusa oder der Primula farinosa. Hier ist das Peri-
cambium auch stark entwickelt und wird bis zwei Zellen dick. Die Siebröhren und
die Bastzellen des gewöhnlich pentarch oder heptarch gebauten Gefässbündeleylinders
sind fast so gross wie die des Pericambiums und die Holztheile sind in der Mitte
so miteinander vereinigt, dass sie kein Mark zwischen sich lassen.
Hottonia palustris ist im anatomischen Bau des Stengels den anderen Wasser-
pflanzen und besonders dem von Vöchting”) schr genau und ausführlich beschrie-
benen Myriophyllum ähnlich. Der Vegetationspunkt, wie Fig. 2. (Taf. X.) zeigt, ist
erhaben, sogar ziemlich verlängert und erzeugt nach °/s geordnete Blattanlagen (a).
Die Blätter werden durch eine unregelmässige Internodienentwickelung, ähnlich wie
bei Anagallis, in Quirlen geordnet. Den histiologischen Bau der Stengelspitze zeigt
auch Fig. 2. (Taf. X.), wo wir die Epidermis den ganzen Vegetationspunkt mit den
Blattanlagen bedeckend sehen; unter der Epidermis liegt ein meristematisches
1) Janezewski l.e.
?2) H. Vöchting: Zur Histologie und Entwickelungsgeschiehte von Myriophyllum. Nova Acta
acad. Caes. Leop. Carol. Dresden, 1873.
212 —
undifferenzirtes Gewebe, dessen peripherische Zellen sich vergrössern und in Dauer-
gewebe der Rinde übergehen; die mittleren dagegen theilen sich in der Entfernung
von mehr als 10 Zellen von der Spitze längs und sind der Anfang eines Procam-
biumstrangs.
Der Procambiumstrang entsteht, wie der entsprechende Querschnitt, der unter-
halb der letzten Blattanlage durch den Vegetationspunkt geführt und in Fig. 3. (Taf. X.)
abgebildet ist, zeigt, fast immer in der Mitte des Stengels. Dass der Gefässbündel-
strang stammeigen ist, lüsst sich nicht nachweisen, weil er immer unterhalb der
jüngsten Blattanlage entsteht; das ist aber sicher, dass die Procambien der Blatt-
spuren dicht unter «den Blattanlagen gebildet werden und sich dann später
zu dem centralen Procambiumbiindel vereinigen. Auf den successiven mehr nach
unten geführten Querschnitten sieht man, dass die peripherischen Zellen des centralen
Procambiumbündels, wie Fig. 4. (Taf. X.) zeigt, sich viel stärker theilen als die
mittleren und dadurch einen aus kleinzelligen Geweben bestehenden Ring bilden.
Damit sind die zwei Bestandtheile des centralen Procambiumstranges differenzirt: der
oben erwähnte Ring nach aussen, welcher dem Basttheil entspricht, umschliesst den
in der Mitte liegenden Holztheil. Die Ausbildung der einzelnen Gefässbündelele-
mente geschieht nicht gleichzeitig: zuerst entstehen von der Seite der am meisten
entwickelten dicht oben liegenden Blattanlage die Protophloemzellen und dann
später die ersten Spiralgefässe. Auf diese Weise wird in weiterer Entwickelung ein
aus zerstreuten Gefässen und dünnwandigen Holzzellen bestehender centraler Holz-
eylinder gebildet, der nach aussen von Bastgruppen, die zu einem Ring verschmolzen
sind, umgeben ist.
Fig. 13. (Taf. IX.) stellt einen Stengelquerschnitt vor, auf welchem alle Gewebe
schon vollständig ausgebildet sind; wir sehen hier die gegenseitige Anordnung der
letzteren. Es bleibt noch zu erwähnen, dass in älteren Stengeltheilen in der Mitte
des Holzeylinders sich oft ein parenchymatisches Mark entwickelt, wodurch die Gefüsse
nach der Peripherie etwas verschoben werden. Die, den ganzen centralen Gefäss-
bindeleylinder umgebende Schutzscheide entsteht aus den innersten Rindezellen auf
dieselbe Weise, wie ich schon bei den Lysimachieen und anderen Primulaceen oben
beschrieben habe. Zwischen dem Holz und Bast wird im Alter eine Cambiumzone
gebildet, die einen schwachen Diekenwachsthum hervorruft.
u, 0
Von dem Gefässbündelverlauf kann hier nicht die Rede sein, weil die beiden
Bestandtheile der Bündel einen ganz von einander verschiedenen Verlauf ausweisen.
Der Holztheil verläuft in der Mitte des Stengels unabhängig von dem Blattbündel,
dessen Holztheile sich direkt an den centralen anlegen, dagegen setzen die Basttheile
der Blattbündel den Basttheil des centralen Stengelbündels zusammen und verlaufen
hier vollständig nach demselben Schema, das ich in Fig. 7 und 8. (Taf. VII.) für
Lysimachia vulgaris abgebildet habe.
Sehr charakteristisch ist hier der Bau der Rinde, die, wie man in Fig 13.
(Taf. IX.) sehen kann, in einem mit grossen Intercellularräuinen versehenen Gewebe
erscheint. Diese Räume, gewöhnlich mit Lutt ausgefüllt, sind durch einfache Zell-
schichten, die im (@uerschnitte wie netzartige Zellfäden aussehen, von einander
getrennt; in den äusseren und inneren Rindenschichten sind die Zellen viel dichter
und lassen nur kleine Intercellularräume zwischen sich. Die Entwickelungsgeschichte
der Rinde ist sehr einfach: sie entsteht aus der oben erwähnten peripherischen Zell-
schicht des meristematischen Vegetationspunktgewebes, in welchem in denselben Rich-
tungen durch Wachsthum und Theilung der einzelnen Zellreihen meist kleine Inter-
cellularräume (Fig. 4. Tat. X.), die sich vielfach vergrössern, gebildet werden. Diese
Intercellularräume verlaufen durch das ganze Internodium und bei der Ansatzstelle
der Blätter werden sie durch Querlamellen der parenchymatischen Rinde geschlossen.
Die den Stengel bedeckende Epidermis hat nichts Charakteristisches,
Der Bau der Blätter ist dadurch verschieden, dass sich auch hier im bBlatt-
parenchym zahlreiche und grosse Intercellularräume und besonders an der Spitze der
Fiedertheile viele und grosse Wasserspaltöffnungen befinden, von welchen ich bei der
Blattbeschreibung der Primula sinensis gesprochen habe; diese Spaltöftnungen wurden
hier zuerst von Askenasy!') entdeckt und für rudimentäre Organe gehalten. Die
sparsame Behaarung der Hottonia palustris besteht aus Köpfchenhaaren, die denselben
Bau wie bei Primula sinensis haben. Die einen Haare aber unterscheiden sich durch
etwas verlängerte, die anderen durch abgerundete, kugelförmige Köpfchen. Merk-
würdig ist es, dass diese Haare die subeuticulare Substanz, gleichviel ob die Pflanze
1) Dr. E. Askenasy: Ueber den Einfluss des Wachsthumsmediums auf die Gestalt der Pflanzen.
Bot. Zeitung 1870, pag. 235.
Abh. d. nturf. Ges. zu Halle. Bd. XIV. 28
ag
tief unter dem Wasser oder ausserhalb des letzteren wächst, in derselben Quantität
und Vollkommenheit absondern, wie bei der erwähnten Primel.
V, Samoleen.
samolus.
Aus vielen Arten dieser Gattung konnte ich nur zwei: die neuholländische
Samolus litoralis R. Brown und die kosmopolitische Samolus Valerandi L. untersuchen.
Samolus litoralis R. Brown.
Diese perennirende Species besitzt ein mit zahlreichen Wurzeln versehenes
Rhizom, das einige oberirdische, mit spiralig angeordneten Blättern besetzte Stengel
bildet, die an ihrem Gipfel Inflorescenzen tragen.
Der anatomische Wurzelbau unterscheidet sich von dem der Zysimachia vulgaris
nur durch grössere Regelmässigkeit und stärkere Ausbildung des Selerenchyms, welches
das Wurzelmark bildet.
Der Bau des Rhizoms ist auch dem der Zysimachia vulgaris ähnlich, aber mit
diesem Unterschied, dass der Holztheil der Getässbiindel bei Samolus litoralis verhält-
nissmässig ziemlich diek und strahlartig gebaut ist und dass in der Rinde und in
dem Mark nur einzelne mit dicken Wänden versehene Sclerenchymzellen sind. Der
oberirdische Stengel charakterisirt sich hauptsächlich durch die anı Querschnitt im
Kreise angeordneten, nicht aber zu einem Ringe verwachsenen 8 Gefässbiindel, von
welchen eins in Fig. 5. (Tat. X.) abgebildet ist.
Die Gestalt des Bündels ist mehr oder weniger die, wie sie für die im Blüthen-
standstiel bei Prönula sinensis angegeben wurde; das Cambium ist schwach entwickelt
und die jüngst gebildeten Gefüsse sind vielmals grösser als die zuerst entstandenen,
am meisten nach innen liegenden. Diese Bündel vereinigen sich mit einander mittels
stark entwickelten Sclerenchyms, das sich zuerst ausserhalb der Bündel, später weiter
nach innen ausbildet und schliesslich vollständig die Bündel umgiebt und einen
geschlossenen Ring bildet. Ausserhalb des letzteren liegt die mit deutlichen Cas-
pary’schen Punkten versehene Schutzscheidee Die Entwickelungsgeschichte der
um
Gewebe unterscheidet sich im Vegetationspunkte von der der Lysimachia vulgaris
nicht; das Sclerenchym entsteht aus dem kleinzelligen die Bündel umgebenden Gewebe.
Der Gefässbündelverlauf ist hier sehr einfach: au dem Stengelquerschnitte
sind, wie schon oben erwähnt, 8 Biindel vorhanden, was der °/s Blattstellung ent-
spricht. Fig. 6. (Taf. X.) stellt ein Schema des Gefässbiindelverlaufs dar, welches
aus den auf den Stengelquer- und -längsschnitten erhaltenen Resultaten construirt
wurde. Es zeigt sich daraus deutlich, dass jedes Blattspurbündel, das durch Vereini-
gung des mittlern und zweier seitlichen entsteht, in dem Stengel durch vier Inter-
nodien abwärts verläuft und sich an ein nächstliegendes anlegt.
Der Bau der Blätter ist wesentlich dem der Lysimachia nummularia ähnlich
und nur insofern verschieden, als die Gestalt der Blätter verschieden ist; sie sind
nämlich bei Samolus ltoralis kurz, eng und wegen des stark entwickelten Blattparen-
chyms dick. Die Epidermis ist hier ziemlich charakteristisch, sie besteht aus Zellen,
die am Blattquerschnitte eng und mit starken und dieken Outieula bedeckt sind
(Fig. 8. Taf. X.). Die sehr zerstreut an dem Stengel und den Blättern stehenden
Haare sind wie bei Lysimachia nemorum kurz mit in mehrere Zellen getheilten Köpf-
chen (Fig. 9. Taf. X.) und ganz in besondere Epidermisvertiefungen eingesenkt
(Bier du Dae Ro).
Samolus Valerandi L.
Diese Art ist einjährig und unterscheidet sich nicht viel von der vorigen.
Das Rhizom ist klein, kurz und entwickelt eine aus grossen und zahlreichen Blättern
bestehende Rosette, aus deren Mitte ein spiralig beblätterter, an seinem Giptel (wie
bei der vorhergehenden Species) Inflorescenz tragender oberirdischer Stengel auswächst.
Was den anatomischen Bau betrifft, so ist er wie bei Samolus litoralis, nur dass hier
die Gewebe der Wurzel und des Stengels viel zarter sind und das Sclerenchym
schwächer ausgebildet ist; es besteht aus nicht stark verdickten Zellen. Das letztere
befindet sich nur im oberirdischen Stengel, wo es ausserhalb der Bündel auf einem
(Juerschnitt einen geschlossenen Ring bildet und demselben ein in der Blüthenstand-
axe der Primula sinensis ähnliches Ansehen giebt. Das Uaınbium, welches auch hier
vorhanden, ist viel schwächer als bei der vorhergehenden Species entwickelt. Schliess-
lich ist der Blätterbau dem der Samolus ltoralis ganz ähnlich, das Blattparenehym
28*
— 216 —
ist aber hier viel schwächer ausgebildet und die Haare, die auch denselben Bau
besitzen, sind nicht eingesenkt, sondern sie stehen einzeln auf der Oberfläche der
zarten und diinnen Epidermis.
Zusammenstellung der anatomischen Hauptresultate.
Wenn wir einen Blick auf den oben geschilderten anatomischen Bau der
Primulaceen werfen, so kommen wir zu den folgenden Resultaten:
Das Spitzenwachsthum der Wurzel ist bei allen Primulaceen dem bei Primula
sinensis beschriebenen ähnlich. Der ganze Unterschied besteht in der grösseren
(Hottonia, etc.) oder kleineren (Primula sinensis, Androsace, etc.) Ausbildung der
Wurzelbestandtheile. Der Wurzelbau zeigt zwei verschiedene Formen: 1) Die bei
Primula sinensis näher beschriebene Wurzel mit mächtigem Diekenwachsthum mittels
eines Cambiumringes, wodurch die primäre Struktur der Wurzel im Alter verwischt
wird. Solche Wurzeln besitzen die zu dem Bautypus der Primula sinensis gehörenden
Primeln, Androsace, Dyonisia und zum Theil auch Asterolinum und Anagallıs.
2) Wurzeln, bei welchen kein, oder doch nur ein sehr unbedeutendes, die primäre
Struktur nicht verwischendes Dickenwachsthum stattfindet. Solche Wurzeln, die ich
bei Primula elatior näher beschrieben habe und die ausserdem bei Primeln des
Aurikeltypus zu finden sind, kommen auch den übrigen untersuchten Primulaceen zu.
Man muss aber bei den letzteren auf den Unterschied aufmerksam machen, welcher
Primula farinosa, Cortusa und Hottonia charakterisirt und in der stärkeren Aus-
bildung des Pericambiums besteht.
Der Stengel der Primulaceen stellt uns zwei verschiedene Formen dar, die
von der Internodienentwickelung abhängen. Der Stengel der Androsaceen ist verhält-
nissmässig kurz, unterirdisch (Rhizom) und dicht mit Blättern, die am Stengelgipfel
eine Rosette bilden, besetzt; dagegen sind die Lysimachieer, Anagallideen, Hottonieen
und Samoleen ausserdem mit einem oberirdischen, gewöhnlich quirlständig, seltener
spiralig beblätterten, oft aufrechten Stengel versehen. Der anatomische Bau entspricht
diesen zwei morphologischen Unterschieden des Stengels nicht, so dass zwischen den
nur das Rhizom besitzenden und den mit oberirdischem Stengel versehenen Species
sehr grosse anatomische Unterschiede vorkommen; umgekehrt finden wir in den
morphologisch verschiedenen Formen einen gleichen anatomischen Bau.
— 217 —
Im Baue des Stengels habe ich 5, davon 4 bei der anatomischen Beschreibung
der Primeln angegebene, Typen gefunden, wobei einzelne Gewebetheile des Stengels
sich verschieden verhalten: 1) Der Typus der Primula sinensis, zu welchem sich der
grösste Theil der Primulaceen mit unbedeutenden Unterschieden zählen lässt, besitzt
einen typischen dikotyledonischen, anatomischen Bau. 2) Der Typus der Primula
Aurieula unterscheidet sich nicht nur von allen übrigen Primulaceen, sondern auch
von dem der meisten Dikotylen. 3) Ganz isolirt steht hier Primula elatior mit ihren
äusseren Gefässbündeln, welche die der Wurzel mit denen des Stengels vereinigen.
4) Einen Uebergangstypus zwischen dem Aurikeltypus und Primula sinensis scheint
Primula farinosa zu bilden, indem sie sich, wie oben beschrieben, in dem oberen
Theil des Stengels wie die erste, im unteren wie die zweite verhält. Schliesslich
5) ist der Typus der Hottonia palustris nur dieser Wasserprimulacee eigenthümlich.
Im Gefässbiindelbaue an den Querschnitten zeigt sich grosse Verschiedenheit.
Entweder sind die Gefässbiindel zu einem Ringe, der mittels Cambiums in die Dicke
wächst, verbunden, wie bei den perennirenden Primula sinensis ete., Androsace,
Cortusa, Oyclamen europaeum ete., Soldanella, Coris, Lysimachia vulgaris ete., oder es
kommt, wie bei den meisten annuellen Primulaceen, kein Cambium vor. Dieser
Gefässbiindelring wird an mehreren Stellen unterbrochen, oder vielmehr, die Gefäss-
biindel verschmelzen sich nicht mit einander, sondern stehen vereinzelt am Stengel-
querschnitte im Kreise, wie bei Primula mistassinica, einigen Androsacearten, etc.
Glaux und Trientalis sind die Uebergangsformen, indem die zwischen den Gefäss-
bündeln liegenden Bastgruppen die letzteren zu einem geschlossenen Ringe vereinigen.
Die einfachen Gefässbündel können mit einander mittels Sclerenchyms verbunden
sein, wie das bei Zysimachia nemorum, Anagallis, Soldanella der Fall ist. Es kommen
auch oft im Kreise angeordnete, im Marke und Rinde zerstreute Gefässbiindel vor,
wie bei Prömula Auricula, Prim. spectabilis. Schliesslich finden wir bei Hottonia ein
centrales zusammengesetztes Gefässbündel.
Der Verlaut der Gefässbündel ist, wie der Bau derselben, sehr mannichfaltig.
Bei fast allen Androsaceen ist der Verlauf mehr oder minder mit dem, welchen ich
für Primula spectabilis und Androsace septentrionalis beschrieben habe, identisch, wird
aber verschieden complicirt. Das eine Mal sehen wir, wie in dem Aurikeltypus zwei
Gefässbündelsysteme auftreten: ein System, in welchem die Bündel vielfache Unregel-
mässigkeiten in ihrem typischen Verlauf zeigen, bilden die medianen Bündel der
ar 0
Blätter, ein anderes die seitlichen. Die letzteren sind nur bei grösseren Formen
zahlreich ausgebildet, bei kleineren weniger und bei Primula mistassinica fehlen sie
vollständig. Ein anderes Mal verschmelzen die Bündel zu einem geschlossenen
Cylinder, wie z. B. bei Prömula sinensis. Wieder eine andere Art des Gefässbündel-
verlaufs zeigen die caulescenten Primulaceen; hier finden wir bei einigen Species
einen wie bei Zysimachta nemorum und Anagallis ähnlichen Verlauf, bei anderen,
mit spiralig gestellten Blättern versehenen Arten wie bei Samolus; und schliesslich
haben wir den eigenthimlichen bei Hottonia, wo die Holztheile anders als die Bast-
theile verlaufen.
Interessant ist das Vorkommen der Schutzscheide, die hier nicht nur in der
Wurzel, sondern auch im Stengel und in den Blättern zu finden ist. Da, wo die
Gefässbindel einen geschlossenen Ring bilden, umgiebt diesen die Schutzscheide von
aussen, indem sie den Bast von der Rinde trennt; wo aber die letztere durch Dicken-
wachsthum abgeworfen wird, liegt die Schutzscheide nach aussen.
Bei den Primeln, die dem Aurikeltypus angehören, sind die einzelnen Gefäss-
bündel ringsum von einer Schutzscheide umschlossen. Primula farinosa stellt hier
wieder den Uebergang dar, indem die Schutzscheide einmal die Gefässbündel voll-
ständig umgiebt, ein anderesmal sie nur von aussen bekleidet. In den Blättern ist
sie auch immer vorhanden, sie umgiebt die Blattgefüssbiindel im Blattstiel oder im
basalen Blatttheil und geht weit in die Blattlamina, fast bis zu den letzten Gefüss-
bündelverzweigungen, wo sie allmählig verschwindet. Die Schutzscheide ist bei allen
Primulaceen') nachweisbar, wo sie immer an recht dünnen und glatten Querschnit-
ten au den charakteristischen schwarzen Caspary’schen Punkten zu erkennen ist.
Manchmal aber sind die Undulationen der Membranen so schwach, dass man die eben
genannten Punkte auf den Querschnitten nicht sieht; dann ist jedoch die Schutz-
scheide immer erkennbar an der Gestalt und der Lage ihrer Zellen, die auffallend
anders aussehen, als die benachbarten Rinden- und Bastzellen, indem sie oft grösser
und tangential gestreckt sind und charakteristisch verdickte Membranen besitzen —
Struktureigenthümlichkeiten, die besonders an in Kali durchsichtig gemachten Längs-
schnitten deutlich hervortreten.
1) Auch bei vielen anderen Pflanzen aus verschiedenen Familien, z. B. bei Zythrum, Chenopodium,
Atriplex, Euphorbia, Linum, Genista, Commelina etc.
—— 219 —
In der Differenzirung der Gewebe im Vegetationspunkte sind bei Primulaceen
drei Typen zu unterscheiden. Der Repräsentant des ersten Typus ist Primula sinen-
sis, welche sich durch einen meristematischen Gewebering charakterisirt, aus welchem
Blattspur- und Interfascieularbündel gebildet werden. Den zweiten Typus stellt uns
Primula Auricula vor, wo die Bündel im allgemeinen meristematischen Gewebe ver-
einzelt entstehen. Schliesslich bildet Hottonia palustris den dritten Typus, bei wel-
chem in der Mitte der Holztheil mit einem ihn umgebenden Basttheil entsteht.
Mark und Rinde sind hier fast immer von einander abgesondert; das Mark
nimmt gewöhnlich die Mitte des Stengels ein und steht mittels Markstrahlen mit der
Rinde in Verbindung; nur bei den Primeln, die nach dem Aurikeltypus gebaut sind,
ist diese Sonderung von Mark und Rinde nicht so scharf ausgesprochen, hier findet
sich ein gleichmässiges parenchymatisches Gewebe, in dem die Gefässbindel liegen.
Bei diesen Primulaceen, wo ein starkes Dickenwachsthum vorkommt, wird gewöhnlich
die Rinde, die dem Diekenwachsthum nicht nachfolgen kann, abgeworfen. Bei Hot-
tonia wieder finden wir kein Mark, es ist hier nur die Rinde vorhanden.
Sclerenchymbildungen kominen, wie wir gesehen haben, oft bei den Primula-
ceen vor, im Marke als Sclerenchymzellgruppen, was für Prömula cortusotdes, Pr. elatior,
Pr. Aurticula, Pr. farinosa, Cortusa, Soldanella, Samolus ganz charakteristisch ist; oft
auch im Gefässbindel selbst, wie bei Pr. elatior und den aurikelähnlichen Primeln.
In der Rinde kommen nur einzelne Sclerenchymzellen vor oder ein Sclerenchymring;,
welcher nur in caulescenten, mit aufrecht stehendem Stengel und immer in der
Blüthenstandaxe der mit kurzem Stengel versehenen Primulaceen zu finden ist. Hier
spielt er die Rolle eines m Schwendener’s') Sinn mechanischen Systems, welches
zur Unterstützung der Organe, wo er vorkommt, dienen soll. Einen solchen Scleren-
chymring finden wir auch oft im basalen Theile der Blätter, wo er die Blattgefäss-
bündel umgiebt.
Die Struktur der Blätter ist bei den verschiedenen Primulaceen im Wesent-
lichen sich ähnlich und nur so weit verschieden, als Beschaffenheit und Consistenz
der Blätter auch verschieden sind. Die Blätter von Primula sinensis haben zartere
Struktur, indem die Zellmembranen schwach verdickt sind; die der Aurikel dagegen
besitzen mehr verdickte Zellmembranen. Die Epidermis ist auch hier überall, wie
1) Schwen dener. Das mechanische Prineip im anatomischen Bau der Monokotylen ete. 1874,
— 220 —
ich sie bei Primula sinensis beschrieben habe. Bei einigen Primulaceen aber, wie
bei Samolus litoralis, sind die Epidermiszellen am Blattquerschnitte höher als breit
und mit geraden, nicht wellenförmig gekrümmten Zellwänden versehen. In der Be-
haarung kommen bei den Primulaceen keine wesentlichen Unterschiede vor. Ueberall
sind die, subeuticulare Flüssigkeit secernirenden Köpfchenhaare verbreitet, die bei
allen Primulaceen vorkommen, auch, was auffallend ist, an den im Wasser unterge-
tauchten Blättern von Hottonia palustris. Die anderen Haare sind zwar auch kopf-
artig, aber, wie bei den Androsaceen, verschieden gestaltet; sie sondern keine Flüs-
sigkeit ab.
Die Blüthenstandaxe schliesslich ist bei allen Primulaceen auf dieselbe Weise
gebaut, wie ich sie für Primula sinensis näher beschrieben habe.
Allgemeine Schlussbemerkungen ,
die aus der Zusammenstellung der Hauptresultate folgen.
Ein Ueberblick über die, aus den anatomischen Untersuchungen der Primula-
ceen gewonnenen, Resultate zeigt, dass dieselben ausser dem Bau der Wurzelspitze,
der Behaarung und einigermassen dem Baue der Blätter und der Blüthenstandaxe,
welche ja auch bei vielen anderen mit den Primulaceen nicht verwandten Pflanzen
dieselbe Struktur besitzen, nichts gemeinsam Charakteristisches haben. Wir haben
dagegen grosse Unterschiede gefunden, deren Werth weit die Gränzen einer Familie
zu überschreiten scheint.
Wenn man z.B. Prömula sinensis näher ins Auge fassen will und sie mit
Primula Auricula und Hottonia palustris vergleicht, so findet man, dass die anatomi-
schen Oharaktere der vegetativen Organe dieser Pflanzen gar nicht mit einander
übereimstimmen, dass dagegen die Blüthencharaktere auf die innigste Verwandtschaft
dieser drei Pflanzen hinweisen. Vergleicht man aber dieselbe Primula sinensis mit
irgend welcher typisch dikotylen Pflanze, wie z. B. mit einer Crassulaspecies, Primula
Aurieula mit den von Reinke!) beschriebenen Gunneraspecies und Hottonia mit
Myriophyllum, welches ausführlich und sehr genau von Vöchting?”) untersucht und
1) Reinke l. e.
2) Vöchting |. e.
a
beschrieben worden ist, so zeigt sich in der Struktur des Stengels und auch im Bau
der Gefässbiindel und deren Anordnung und Verlauf viel Gemeinsames, was aber
durchaus in keiner Beziehung zu der Verwandtschaft der verglichenen Pflanzen steht,
weil ja bekanntlich diese Pflanzen zu verschiedenen, weit von einander entfernten
Familien gehören.
Was kann man also aus diesem Vergleich schliessen ?
Vor allem stellt es sich deutlich heraus, dass, wenn man die Blüthencharak-
tere für genetische oder Verwandtschaftscharaktere annimmt, die anatomischen Kenn-
zeichen der vegetativen Organe mit den Blüthencharakteren nicht parallel gehen und
folglich nicht als Verwandtschaftscharaktere betrachtet werden können. Diese Kenn-
zeichen sind also innerhalb einer Familie nicht erblich und besitzen deswegen im
Vergleich mit den Blüthencharakteren in der Systematik der Pflanzen nur einen
untergeordneten Werth.
Die Aehnlichkeit im Baue der Vegetationsorgane der verglichenen Pflanzen
lässt sich, wenn sie nicht ein Resultat der Verwandtschaft der letzteren ist, immer
der Descendenztheorie folgend, nur durch Anpassung an dieselben Lebensbedingungen
erklären. In der That leben die verglichenen Pflanzen ungefähr unter gleichen Be-
dingungen und unterliegen gleichen äusseren Einflüissen, was man am deutlichsten
an Wasserpflanzen (Myriophyllum und Hottonia) sehen kann. In welcher Beziehung
der gleiche anatomische Bau zu den gleichen Lebensbedingungen der Pflanzen steht
und auf welche Weise man die gewissen Anpassungen an entsprechende äussere
Einflüsse erklären soll, das will ich schon deshalb nicht näher berühren, weil unsere
bisjetzigen Erfahrungen darüber noch zu ungenügend sind, um diese Frage zu
beantworten. Hier haben wir ein sehr dankbares und weites Gebiet zu neuen Er-
torschungen und Entdeckungen.
Hiermit haben wir den Werth der anatomischen Charaktere innerhalb einer
Familie bestimmt und haben uns iiberzeugt, dass diese Charaktere, wenn sie nicht
mit Blüthencharakteren, die ausschliesslich nur die Familien ausweisen, parallel gehen,
nicht zur Charakteristik derselben benutzt werden können; das Uebereinstimmen dieser
anatomischen Charaktere, wenn es sich innerhalb einer Familie befindet, bezeichnet
vielmehr nur, dass in der phyletischen Entwickelung der Bestandspecies der Familie
gleiche Lebensbedingungen und gleiche äussere Einflüsse herrschten.
Abh, d. nturf, Ges, zu Halle, Bd. XIV, 29
— dB -
Es bleibt uns zum Schluss unserer Untersuchungen noch übrig, den näheren
Werth der anatomischen Charaktere in kleineren Verwandtschaftskreisen, wie innerhalb
einzelner Gattungen, zu bestimmen. Hier kann man trotz der grösseren Verschie-
denheit im Grunde dasselbe wiederholen, was ich von der ganzen Familie gesagt
habe. In den verschiedenen Primulaceengenera ist der Werth der anatomischen
Charaktere zwar auch verschieden; am meisten unterscheidet sich aber von den an-
deren Gattungen Primula, von welcher sich dasselbe, wie von der ganzen Familie
sagen lässt; die Species dieser Gattung stellen einen sehr verschiedenartigen Bau vor,
wie wir das aus den vier oben beschriebenen Bautypen leicht ersehen können.
Wenn man die vier oben beschriebenen Bautypen der Primeln betrachtet, so
zeigt es sich, dass innerhalb eines jeden Typus sich eine Anzahl von Species der
Primula gruppiren, die anatomisch sehr ähnlich sind und nur kleine Unterschiede
aufweisen. So z. B. sieht man, um wieder auf die Aurikel zurückzukommen und
diese mit Primula spectabilis und Prim. minima zu vergleichen, dass die beiden letz-
teren in der Gefässbündelstruktur und deren Verlauf und Anordnung einander doch
ähnlicher als der Aurikel sind, was auch mit der relativen Verwandtschaft dieser 3
Primeln übereinstimmt, indem Primula spectabilis näher der Primula minima als der
Prim. Auricula zu stehen kommt.') Dies ist aber die Gränze, innerhalb welcher noch
die anatomischen Kennzeichen der vegetativen Theile mit den Verwandtschaftscha-
rakteren parallel gehen — die Gränze, die bei den Primeln mit derjenigen eines
jeden der vier Bautypen zusammenfällt.
Dieser für die Gattung Primula geltende Satz ist aber nicht für andere Pri-
mulaceengenera anwendbar. Die letzteren zeigen keine so grosse Mannigfaltigkeit
in dem Bau ihrer vegetativen Organe. Sie sind viel homögener gebaut und die
Verschiedenheiten der einzelnen Species sind geringer als die der einzelnen Primeln
eines Bautypus, so dass die anatomischen Kennzeichen der vegetativen T'heile mit
den Blüthencharakteren in gewisser Correlation stehen. In der z. B. nach Primula
umfangreichsten Gattung Androsace geben uns Gestalt und Bau der Haare, wie wir
oben gesehen haben, sehr gute Charaktere zur Unterscheidung des grössten Theils
1) Es ist nieht meine Aufgabe, hier die Verwandtschaft aller Primula- und Primulaceenspeeies
näher zu besprechen und dabei auf die anatomischen Charaktere hinzuweisen — was in das Gebiet einer
Monographie der Primulaceen gehört.
— 223
der annuellen von der biannuellen Species. Cyclamen charakterisirt sich durch An-
wesenheit der Knolle und deren Bau; ZLysimachia durch die mit der rothen Substanz
ausgefüllten Behälter, die sonst bei anderen Primulaceen nirgends vorkommen; etc.
Dagegen unterscheidet sich Cortusa, die habituell der Primula cortusoides ähnlich ist,
auch im anatomischen Baue von derselben nicht, obgleich die Verwandtschaft dieser
beiden Primulaceen nicht so bedeutend ist.
Kurz wir sehen hier Verschiedenheiten, die beweisen, dass überall die anato-
mischen Charaktere nicht als Verwandtschattscharaktere, sondern nur als Anpassungs-
charaktere zu betrachten sind. Bei solchen Species, die von gemeinsamen Vorfahren
abstammen und bei deren Entstehung die Lebensbedingungen wenig veränderlich
waren, können möglicher Weise auch die Kennzeichen in den vegetativen Organen
wenig verändert worden sein, und also als Verwandtschaftscharaktere dienen. So
zZ. B. bei Androsace, Lysimachia etc. Da aber, wo bei der Entstehung der Species
verschiedene, vielleicht auch bis zum Extrem entgegengesetzte Lebensbedingungen
herrschten, konnten die Anpassungscharaktere die Verwandtschaftscharaktere, welche
nur in den Blüthen geblieben sind, überwogen haben. So z. B. bei Primula.
Dieser auffallende Unterschied in den Bauverhältnissen der einzelnen Species
dieser letzten Gattung lässt sich, im Vergleich mit den anderen Primulaceengattungen,
nur durch Annahme der folgenden zwei Vermuthungen erklären: 1) Wenn man die
Gattung Primula als die älteste der Primulaceen in der historischen Entwickelung
dieser Pflanzen fir die erstentstandene annimmt, so ist es wahrscheinlich, dass die
einzelnen Species dieser Gattung, durch diese lange Zeitdauer ihrer Entstehung, sich
unter sehr verschiedenen Lebensbedingungen befunden haben; dagegen waren die
Species der anderen, später entstandenen Gattungen viel kiiızere Zeit der Veränder-
lichkeit der Lebensbedingungen ausgesetzt, und deswegen haben sie ihren Bau nicht
viel umgeändert. Oder aber 2) wenn ınan die gleichzeitige Entstehung aller Primula-
ceengenera annimmt, müssten die Primeln sich unter mehr wechselnden Einflüssen
ausgebildet haben, als die anderen Gattungen.
Die erste Vermuthung scheint mir viel wahrschemlicher zu sem; da sie aber
eine nicht auf positive Gründe eestützte Vermuthung ist, so kann sie auch nur
theoretischer Natur sein.
29*
Erklärung der Abbildungen.
Bei allen Figuren ist:
c = Cambium. sk = Scelerenchym.
d = Kork. sz = Spaltöffnung.
g = Gefässbündel. t = Haare,
h = Wurzelhaube. v = Vegetationspunkt.
n = Epidermis. pr = Cuticula.
p = Pericambium. w = Gefässbündeleylinder der Wurzel.
ph = Bast (Phloem) oder die Siebröhren. x = Holz (Xylem) oder die Gefässe.
s = Schutzscheide.
Alle Abbildungen sind mittels eines Zeichenprisma entworfen; die Vergrösserungen sind in Zah-
len, die in Klammern eingeschlossen sind, angegeben.
Primula sinensis.
Tafel 1.
Fig. 1. Längsschnitt durch eine Wurzelspitze, die nach unten gerichtet ist; die einzelnen Gewebe-
systeme sind der Deutlichkeit wegen mit diekeren Linien begränzt; &—x die Initialen des Gefässbündel-
eylinders (440).
Fig. 2. Wurzelquerschnitt, der, nicht weit von der Wurzelspitze entfernt, durchgeführt ist (220).
Fig. 3. Ein Theil des Querschnitts von einer alten Wurzel, in welcher durch Diekenwachsthum.
die Epidermis und die Rinde abgeworfen ist (120).
Fig. 4. Ein Theil des Stengelquersehnitts, der, nicht weit von dem Gipfel entfernt, geführt ist (250).
Fig. 5. Längsschnitt eines jungen Keimpflänzchens. Am Vegetationspunkte » sind junge Blatt-
anlagen zu sehen; die älteren Blätter, so wie auch die beiden Kotyledonen cl sind abgeschnitten; alle
Gefässbündel vereinigen sich, indem sie nach unten in den hypokotylen Stengeltheil übergehen, zu
einem Strang (45).
Fig. 6. Eins der grösseren auf den Blättern stehenden Haare, die keine subeuticulare Substanz.
absondern (155),
Fig. 7. Verschiedene Entwicklungsstadien der bei a grösseren, bei 5b kleineren Haare, die die:
subeutieulare Substanz absondern (155).
a
Fig. 8. Entstehung der subeutieularen Substanz in verschiedenen Entwieklungsstadien, mit dem
ersten Erscheinen der Flüssigkeit a beginnend, bis zur vollständigen Ausbildung, wo Cutieula stark erhoben
und gespannt ist und sich im Begriff zu platzen befindet; in f, g und Ah ist die subeutieulare Substanz
mit Alkohol ausgezogen, dabei stellen g und h kleine Anomalien in der Entwickelung vor (170).
Tafel II.
Fig. 1. Vegetationspunktquerschnitt des Stengels einer Keimpflanze. Im gleichmässigen meriste-
matischen Gewebe sind, den jüngsten Blattanlagen entsprechend, die ersten Anfänge der Procambiumstränge
in Form der kleinzelligen Gruppen zu sehen (350).
Fig. 2. Ein Theil eines ähnlichen, aber etwas älteren Querschnittes; a«—a die ersten Entwicke-
lungsstadien der Procambiumstränge, die sich zu einem, aus kleinzelligem meristematischem Gewebe be-
stehenden Ring verbunden haben (350).
Fig. 3. Ein ähnlicher Querschnitt, aber in viel weiter vorgeschrittener Entwickelung. Die drei
ältesten, ausgebildeten Procambiumstränge sind mit einem meristematischen Gewebering verbunden, in
welchem sich schon neue Procambiumstränge differenziren. Im ältesten Procambiumbündel sind schon
Protophloemzellen ausgebildet (250).
Fig. 4. Ein Querschnitt von einem alten Stengel. Die Zahlen bezeichnen die Gefässbündel in
ihrer Entstehungsfolge (8).
Fig. 5. Spaltöffnungsquerschnitt aus der Blattoberfläche (300).
Fig. 6. Das Blattparenchym von der Unterfläche des Blattes gesehen; in drei Zellen ist das
Chlorophyll gezeichnet (152).
Fig. 7. Medianer Flächenschnitt eines Blattzipfels, in welchem, gegenüber einer Wasserspaltöft-
nung sz, ein Blattgefässbündel & endet (253).
Tafel II.
Fig. 1. Gefässbündelquerschnitt einer Blüthenstandaxe (152).
Fig. 2. Gefässbündelquersehnitt von einem kleinen Blattstiel (187).
Fig. 3. Die mit einer braunen gerbstoffhaltigen Substanz angefüllten und zum Theil verdorbe-
nen Gefässe an dem (Querschnitt eines alten Stengels (100).
Fig. 4. Querschnitt von einer jungen Blüthenstandaxe; im meristematischen, kleinzelligen Gewebe-
ring differenziren sich Procambiumstränge, von welchen zwei schon mit ersten Siebröhren, die in der
Figur schwarz umsäumt, versehen sind (300).
Primula Boveana.
Fig. 5. Blattstielquerschnitt mit drei Gefässbündeln (253).
Primula cortusoides.
Fig. 6. Eine Sclerenchymgruppe aus dem Stengelmark (185).
286 -
Tafel IV.
Fig. 1. Querschnitt von einer alten Wurzel, bei welcher die Rinde und Epidermis durch das
Dickenwachsthum abgeworfen sind (80).
Primula elatior.
Fig. 2. Querschnitt einer alten Wurzel mit pentarchisch gebautem Gefässbündeleylinder (100).
Fig. 3. Ein Theil des Stengelquerschnitts, der nicht weit von dem Vegetationspunkt entfernt
durchgeführt ist; ausserhalb des Bastes ph ist ein Cambium c, in welchem Adventivwurzel und äussere
Stengelgefässbündel ihren Ursprung nehmen, abgebildet (244).
Fig. 4. Aehnlicher Stengelquerschnitt von einem älteren Stengel; die äusseren Gefässbündel sind
schon ausgebildet (244).
Fig. 5. Ein Stück des in Kali durchsichtig gemachten Stengelpräparats; im Hintergrunde ver-
laufen die inneren norınalen Gefässbündel, ausserhalb derselben dagegen von der Wurzelbasis 5 ausge-
hende, sich vielfach anastomosirende äussere Gefässbündel, die sich bei d mit den inneren vereinigen (25).
Primula Auricula.
Fig. 6. Stengelquerschnitt, welcher die Anordnung der Gefässbündel zeigt (6).
Fig. 7. Abbildung eines in Kali durchsichtig gemachten Stengelpräparates von einer Keim-
pflanze, welche die Entstehung des Gefässbündelverlaufs zeigt; die Blattspurbündel bei der Ansatzstelle
der Blätter sind abgeschnitten (15).
Tatel V.
Fig. 1. Längsschnitt eines alten Stengels: a eine seitliche Knospe; 5 die abgeschnittene Blüthen-
standaxe (5).
Fig. 2. Längsschnitt einer sehr jungen Keimpflanze; die Blätter, sowie auch die Kotyledonen cl
und der hypokotyle Stengeltheil pl. I. sind abgeschnitten (10).
Fig. 3. Ein unter den Vegetationspunkt einer jungen Pflanze geführter Stengelquerschnitt; die
drei, den drei jüngsten Blättern entsprechenden Procambiumbündel sind sehr deutlich entwiekelt, das vierte
fängt erst an sich zu bilden (353).
Fig. 4. Kleines junges, aber vollständig ausgebildetes Gefässbündel im Querschnitt (355).
Primula spectabilis.
Fig. 5 und 6. Zwei Stengelquerschnitte, welche die Gefässbündelanordnung zeigen (6).
Fig. 7. Gefässbündelquerschnitt aus einem alten Stengel (244).
Fig. 8. Schema des Gefässbündelverlaufs; die Zahlen bezeichnen, mit den jüngsten anfangend,
die Blätter in ihrer Entstehungsfolge.
Primula minima.
Fig. 9. Ein in Kali durchsichtig gemachtes Stengelpräparat, welches den Gefässbündelverlauf
dieser Pflanze zeigt; die Blätterbündel sind abgeschnitten (18).
Fig.
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Fig.
Fig.
1.
Fig.
Fig.
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Fig.
Fig.
4.
3.
6.
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BE; - , ARE
Primula Wistassinica.
. 10 und 11. Zwei Stengelquerschnitte.
Primula farinosa.
Tafel VI.
Peripherietheil eines Wurzelquerschnitts (250).
Ein Theil des Wurzelquersehnitts mit Schutzscheide s und Pericambium p (250).
Die Hälfte eines Gefässbündelquerschnitts des Stengels; a das Mark (241).
Primula denticulata.
Gefässbündelquerschnitt im Blattstiel (70).
(uerschnitt des unteren Stengeltheils (18).
Androsace septentrienalis.
(uerschnitt des Stengelmarks (152).
Spiralgefässe des Stengels; a aus dem zwischen den Blattansatzstellen liegenden Stengel-
theile, 4 in dem Stengelknoten (244).
Fig.
8.
Dicht über dem Vegetationspunkt geführter Querschnitt, welcher die mit Zahlen bezeich-
nete Blattstellung zeigt (21).
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
br)
10,
It.
12.
13.
Querschnitt einer Blattanlage, die in Fig. 8 mit 1 bezeichnet ist (245).
Aehnlicher Querschnitt der in Fig. 8 mit 9 bezeichneten Blattanlage (244).
Die 11te (in Fig. 8) Blattanlage im Querschnitt (244).
Schema des Gefässbündelverlaufs; die Zahlenbedeutung ist die, wie bei Fig. 8. (Taf. V).
Haare von den Blättern, a—l verschiedene Gestalten derselben, wobei in a, b und ce
die Cutieulafaltungen gezeichnet sind (75).
Fig.
Blätter dicht
Fig.
4.
Androsace maxima.
Tatel VII.
Haare des Blattes (88).
Androsace elongata.
Aehnliche Haare (187).
Androsace multisceapa.
Aehnliche Haare (187).
Androsace lactea.
Ein in Kali durchsichtig gemachtes Stengelpräparat; der Stengelknoten a, wo die
nebeneinander stehen, ist ein Jahr älter als der Knoten b (12).
3.
Peripherietheil des Ausläuferquerschnitts (240).
— 28
Androsace sarmentosa.
Fig. 6. An den Blättern stehende Haare (88).
Androsace arachnoidea.
Fig. 7. Aehnliche Haare (88).
Cyclamen persicum.
Fig. 8. Querschnittstheil einer jungen Knolle; a die ersten bei der Keimung entstehenden Ge-
fässe (90).
Fig. 9. Derselbe Querschnitt im Ganzen; a die vier ältesten normal ausgebildeten Gefässbündel (10),
Fig. 10. Längsschnitt einer jungen Knolle, wobei der Längsverlauf der Bündel zu sehen ist; «@
die abgeschnittene Hauptwurzel, d die Nebenwurzel (5).
Fig. 11. Ein in Kali durchsichtig gemachtes Knollenpräparat von der Vegetationspunktseite
gesehen. Diese Abbildung zeigt den Gefässbündelverlauf in dem Gipfel der Knolle und die Anordnung
der hier abgeschnittenen und mit Zahlen in ihrer Entstehungsfolge bezeichneten Blätter; 1 das erste bei
der Keimung sich zeigende Blatt, cl das im Embryo als eine kleine Anlage gegenüber dem ersten Blatte
stehende, zweite Blatt (20).
Fig. 12. Die Cyclamen in der Jugend bedeckenden Haare (90).
Fig. 15. Die aus einem Kalipräparat der Knolle abgezeichnete Schutzscheide (90)
soldanella montana.
Fig. 14. Ein T’heil des Stengelquerschnitts (440).
Lysimachia vulgaris.
Fig. 15. Haare und ihre Entwickelungsgeschichte von a—d; e ein Haar etwas von der Seite
o° =)
gesehen; f Bildung der subentieularen Substanz (250).
Tafel VII.
Fig. 1. Vegetationspunkt mit zu drei gestellten quirlständigen Blattanlagen von oben gesehen (187).
Fig. 2. Ein Querschnittstheil des alten Stengels (200).
Fig. 3. Ein Tüpfelgefäss aus dem Stengelholz (440).
Fig. 4. Daneben liegende mit sich kreuzenden einfachen Tüpfeln versehene Holzzellen (440).
Fig. 5. Vegetationspunktlängsschnitt des Stengels; a, a die jüngsten Blattanlagen, g, g den letz-
ten entsprechende Procambiumstränge, b das Mark (440).
Fig. 6. Aehnlicher Längsschnitt in dem anderen Entwickelungsstadium (272).
Fig. 7. Schema des Gefässbündelverlaufs in dem mit dreiblättrigen Quirlen versehenen Stengel.
Fig. 8. Aehnliches Schema für den mit vierblättrigen Quirlen versehenen Stengel.
Lysimachia punctata.,
Fig. 9. Die mit rother Substanz ausgefüllte innere Drüse; a’, a, b, c die Entwickelung derselben,
d, e anomale Fälle in der Entwickelung (440).
a -
Lysimachia nummularia.
Fig. 10. Vegetationspunktsansicht von oben betrachtet und die Anordnung der Blätter zeigend (125).
Fig. 11. Vegetationspunktsquerschnitt des Stengels (272).
Fig. 12. Aehnlicher, aber mehr nach unten durchgeführter Querschnitt (272).
Fig. 13. Köpfchen der Haare, von oben gesehen (272).
Lysimachia nemorum.
Tatel IX.
Fig. 1. Stengelquersehnitt (20).
Fig. 2—5. Sucecessive Querschnitte durch einen Stengelknoten, welche Gefässbündelverlauf zeigen ;
a das mediane Blattbündel, b, 5 die seitlichen (3).
Fig. 6. Schema des Gefässbündelverlaufs; die Buchstabendeutung ist dieselbe, wie in der
vorigen Figur.
Trientalis europaea.
Fig. 7. Ein Theil des Stengelquerschnitts, nicht weit von dem Vegetationspunkt entfernt (272).
Fig. 8. Aehnlicher Querschnitt eines alten Stengels (272).
Anagallis arvensis.
Fig. 9. Ein Querschnittstheil des hypokotylen Stengelglieds, wobei aus der Epidermiszelle a eine
Adventivknospe entsteht (272).
Fig. 10. Aehnlicher Querschnitt, der weitere Entwiekelung der Adventivknospe zeigt; a—a die
ersten Blattanlagen; Epidermis und das aus den Epidermiszellen entstandene meristematische Gewebe der
Adventivknospe sind der Deutlichkeit wegen mit schwarzer Linie umgränzt (272).
Fig. 11. Dasselbe in noch weiterer Entwickelung, wobei ein Verbindungsstrang in der Rinde des
hypokotylen Stengeltheils zu sehen ist (187).
Fig. 12. Querschnitt des hypokotylen Stengeltheils mit schon vollständig ausgebildeter Adventiv-
knospe; g die Gefässbündel der letzteren (70).
Hottonia palustris.
Fig. 13. Stengelquerschnitt; @ die intercellularen Lufträume der Rinde (272).
Tafel X.
Fig. 1. Längsschnitt der Wurzelspitze (244).
Fig. 2. Vegetationspunktslängsschnitt des Stengels; a die Blattanlagen, g, g Procambiumstränge
des Bastes (325).
Fig. 3. Vegetationspunktsquerschnitt des Stengels, in der Stelle der jüngsten Blattanlagen
durchgeführt (325).
Abh. d. nturf. Ges. zu Halle. Bd. XIV. 30
— 230
Fig. 4. Aehnlicher (uerschnitt, aber viel weiter nach unten von dem Vegetationspunkt entfernt,
i die Intercellularräume der Rinde in den ersten Entwickelungsstadien (320),
samolus litoralis.
Fig. 5. Querschnitt eines Gefässbündels des Stengels (272).
Fig. 6. Schema des Gefässbündelverlaufs des Stengels.
Fig. 7. Peripherischer Querschnittstheil des Stengels mit einem Haar (272).
Fig. 8. Aehnlicher Querschnittstheil mit einer Spaltöffnung (272).
Fig. 9. Köpfchen der Haare von oben gesehen (272).
Taf: 1.
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Beiträge
Kenntniss der Ovarien-Tumoren
Dr, F. Marchand,
Assistent am Pathologischen Institut in Halle a S.
Mit 2 Tafeln.
Abh. der nuturf. Ges zu Halle. XIV, 3. Hft. 31
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Obwohl die Eierstocksgeschwülste bereits häufig zum Gegenstand eingehender
anatomischer Untersuchung gemacht worden sind, so sind wir dennoch von einer
genauen Kenntniss derselben noch ziemlich weit entfernt. Mit Vorliebe haben sich
sowohl Gynäkologen als pathologische Anatomen mit den Kystomen beschäftigt, da
diese Geschwülste die häufigsten Ovarialtumoren bilden, und einen so colssalen Um-
fang erreichen können, dass sie nicht selten die Veranlassung zu lebensrettenden
Operationen werden. Bei der immer allgemeineren Verbreitung der Ovariotomie
wächst nun einerseits das praktische Interesse an der Natur der Ovarialgeschwülste,
namentlich in Bezug auf die Prognose der Operation, andrerseits wird durch diese
selbst ein so reiches Material geliefert, — und gerade hier in Halle sind wir in der
Lage, über ein solches zu verfügen — dass die Gelegenheit zu einem möglichst ge-
nauen Studium dieser interessanten Neubildungen geboten ist.
Was die sogenannten Kystome betrifft, so haben dieselben in Virchow, Fox,
Waldeyer und Anderen treffliche Bearbeiter gefunden. Dabei zeigte sich, wie so häufig
in ähnlichen Fällen, dass Dinge, welche sich äusserlich recht ähnlich verhielten, ihrem
Wesen nach vollständig verschieden waren, und diese Erkenntniss führte zunächst zur
Scheidung des gewöhnlichen Hydrops ovarii von den proliterirenden Kystomen, wäh-
rend die Dermoide von jeher eine Sonderstellung einnahmen. Die feineren Strueturver-
hältnisse der Kystome sind erst in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren erkannt
worden, aber auch hier stellt sich wieder die Nothwendigkeit heraus, Scheidungen vorzu-
nehmen, und, wie ich, dem Vorgange des Prof. Olshausen folgend, in Folgendem zu
zeigen versuchen werde, muss eine solche Trennung der „papillären Kystome“ von
den gewöhnlichen multiloculären Kystomen stattfinden — eine Trennung, welche nicht
blos in anatomischer Beziehung, sondern auch klinisch von Interesse ist.
Was sodann die sogenannten soliden Ovarialtumoren betrifft, welche weit sel-
tener vorkommen als jene, aber durch ihre häufig malignen Eigenschaften das Leben
Sylz
234
noch ernstlicher bedrohen können, so gilt von diesen in noch höherem Masse das
von jenen Bemerkte. Man pflegt in der Regel zu diesen soliden, nicht rein eystischen
Geschwiilsten zu rechnen : die Papillargeschwülste, die Careinome, die Sarkome und die
weniger wichtigen Fibrome. Häufig kommen Combinationen mit Öystengeschwülsten vor.
Den Papillargeschwülsten, soweit sie als selbstständige Neubildungan der Ober-
Aäche der Ovarien vorkommen, hat man bisher keine besondere Bedeutung beige-
messen: ich bin in der Lage, an einem Falle zu zeigen, dass dieselben unter Umstän-
den maligne Eigenschaften erlangen können.
In Bezug auf die Uarcinome stossen wir am Ovarium auf grosse Schwierig-
keiten. Denn wenn bereits an andern Organen der Nachweis der epithelialen Her-
kunft der Geschwulstelemente zuweilen mit grossen Schwierigkeiten verbunden ist, so ist
diesinnoch höherem Masse am Ovarium der Fall, abgesehen von denjenigen Neubildungen,
welche nachweislich vom Oberflächenepithel oder dess:»n Abkömmlingen ausgehen.
Die Zellen der normalen Corpora lutea sind so epithelähnlich, dass Neubildungen,
welehe von denselben ausgehen, einen carcinomatösen Charakter erhalten, obwohl
sie richtiger als Sarkome zu deuten sind. Esist wahrscheinlich, dass die sogenannten
Ovarialcareinome, welche bei jugendlichen Individuen vorkommen, zum Theil in diese
Kategorie gehören.
Eine Schwierigkeit liegt ferner darin, dass am Ovarium Uebergänge von gut-
artigen Neubildungen in bösartige nicht zu den Seltenheiten gehören, wofür sich im
Folgenden einige Beispiele finden.
Andrerseits sind, wie ich vermuthe, Geschwülste als Uareinome beschrieben
worden, welche nicht von epithelialen Elementen, sondern von den Endothelien, von
Elementen des Bindegewebes herzuleiten sind. Dass auch derartige Neubildungen,
welche bisber am Ovarium so gut wie gar nicht bekannt waren, thatsächlich vor-
kommen, glaube ich ebentalls nachweisen zu können.
1. Die papillären Kystome.
Die Grundlage für die vorliegende Untersuchung bildeten drei Geschwülste,
welche ich im Laufe des letzten Jahres zu beobachten Gelegenheit hatte. Herrn
Professor Olshausen, welcher mirdie Benutzung derselben gütigst gestattete, spreche
ich an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank aus. Ich werde zunächst diese
drei Fälle in extenso mittheilen.
en -
(F.1.) Grosses papilläres Kysiom beider (?) Ovarien mit Flimmerepithel. Totale Verwachsung der
Haupticyste mit dem Peritoneum.
Frau A., 44 Jahre alt. Ungefähr fünf Wochen vor dem Tode war durch Prof. Olshausen die
Övariotomie versucht worden, doch musste auf die Exstirpation der Geschwulst verzichtet werden, als sich
die sehr ungünstigen Verhältnisse derselben ergaben. Der Tod erfolgte an Erschöpfung.
Bei der Section (am 4ten Juli 1878) zeigte sich die von der Laparotomie herrührende Wunde
in ihrem unteren Theile, etwa im Umfang eines Dreimarkstückes auseinanderklaffend; darin lag ein Drain-
rohr, und es entleerte sich, anscheinend aus der Bauchhöhle selbst, in welche man einen freien Einblick
zu haben meinte, dünne eiterige Flüssigkeit. Nach der Spaltung der Bauchdecken zeigte es sich jedoch,
dass der vorliegende Raum einer den ganzen vorderen Theil der Bauchhöhle einnehmenden Cyste ange-
hörte, welehe mit ihrer Aussenfläche vollständig mit dem Peritoneum verwachsen war; von den Organen
der Bauchhöhle war vorläufig nichts zu sehen, da sich die Hinterwand der Öyste parallel mit der Bauech-
wand in Form einer glatten schmutzig grauen, zum T'heil mit gelbliehen Auflagerungen und mit dünner
eiteriger Flüssigkeit bedeckten Membran ausspannte, welche sich sowohl nach oben auf die Oberfläche der
Leber und des Magens, und sodann auf die untere Fläche des Zwerchfells fortsetzte, als auch seitlich
ohne Grenze auf die Bauchwand überging. Zunächst oberhalb der Symphyse, etwas nach rechts, zeigte
sich eine mit klarer gelblicher Flüssigkeit gefüllte dünnwandige Cyste von der (Grösse eines mittleren
Apfels, welehe ebenfalls mit der vorderen Bauehwand verwachsen war, und daher mit dieser zugleich
eröffnet wurde. Dieselbe machte Anfangs deu Eindruck der Harnblase, doch zeigten die glatten, mit
mehreren leistenföormigen Vorsprüngen versehenen dünnen Wände, dass es sich um eine neugebildete
Cyste handelte. Im Grunde derselben erblickte man einen weisslichen halbkugeligen der Cystenwand auf-
sitzenden soliden Körper von Kirschkerngrösse. Oberhalb dieser Cyste lag, ebenfalls etwas nach rechts, eine
ungefähr gänseeigrosse blumenkohlartige Geschwulstmasse, welche aus sehr zahlreichen warzigen und pa-
pillären Bildungen zusammengesetzt war. Die einzelnen Läppehen der Geschwulst waren meist dünn ge-
stielt, erbsen- bis kirschengross, und selbst wieder mit zahlreichen kleinen papillären Auswüchsen versehen,
ihre Farbe grösstentheils grauroth, doch war die Oberfläche überzogen von gelblichen Auflagerungen, welche
die Vertiefungen ‚zwischen den Läppehen ausfüllten und letztere z.’ Th. mit einander verklebten. Diese
papilläre Geschwulstmasse ragte also frei in die Haupteyste hinein.
Erst nach Durehsehneidung der sehr derben mehrere Millimeter starken Hinterwand der letzteren
gelangte man zu den in ihrer natürlichen Anordnung gelagerten Dünndärmen, welche sowohl unter einander,
als mit der Cystenwand durch sehr spärliche, leicht trennbare Adhäsionen verbunden waren. Der grössten-
theils zusammengezogene Diekdarm war ‚ebenfalls normal gelagert, aber mit der Cystenwand fest verlöthet.
Die kleine atrophische Milz war ebenfalls ganz von derben Adhäsionen umhüllt, und mit der Cystenwand
verwachsen, hinter welcher in der Gegend des Colon transversum und des Magens noch eine deutlich er-
kennbare, fast einen centim. dicke Fettschieht — anscheinend dem Netz angehörend — erkennbar war.
Die Organe des kleinen Beckens waren unter einander und mit der papillären Geschwulstmasse
zu einem festen Convolut vereinigt, welches die ganze Höhle des kleinen Beckens ausfüllte.e An dem
hinteren Umfang verlief, nur wenig aus seiner Lage gebracht, das Reetum. Beide Ureteren beschrieben
ni —
einen nach abwärts convexen Bogen, um von unten her in die kleine, zusammengezogene, etwas nach links
verschobene Blase zu gelangen. Der Uterus war stark nach rechts verdrängt, so dass sein Fundus un-
mittelbar unter der oberhalb der Symphyse befindlichen Cyste lag, mit welcher er, ebenso wie mit seiner
übrigen Umgebung, fest verwachsen war. Der Körper des Uterus war klein, abgesehen von den Ad-
häsionen ohne Veränderung. Etwas oberhalb, nach rechts von der Papillargeschwulst, ragte das deutlich
erkennbare Fimbrienende der rechten Tuba hervor.
Die Hauptmasse des ganzen, die Beckenhöhle ausfüllenden Convolutes wurde durch eine Anzahl
dünnwandiger Cysten gebildet, welche mit einander eng verbunden waren, so dass bei der Eröffnung der
einen sich die Wand der dahinterliegenden zeigte. Diese Cysten — von beiläufig Tauben- bis Gänseei-
grösse — waren mit klarer gelblicher, theils dünner, theils stark schleimiger Flüssigkeit
gefüllt, und sämmtlich an ihrer Innenwand mit mehr oder weniger dicht stehenden papillären Gebilden
von weisslicher Farbe besetzt, welche in einigen Cysten haselnuss- bis wallnussgrosse weiche Geschwülste
bildeten, während an der z. Th. spiegelplatten Innenfläche einer andern sich neben einer grösseren Papillar-
geschwulst zahlreiche kaum sichtbare Knötehen und Zöttehen befanden, welche beim Anfühlen deutlich
eine sandige Beschaffenheit wahrnehmen liessen. In der der Haupteyste zugekehrten Decke derselben Cyste
fand sich sogar eine umfangreiche etwa markstückgrosse knochenharte Platte von mehreren Millim. Dicke.
Es zeigte sich endlich, dass auch unmittelbar unter der grossen Papillargeschwulst sich eine ähnliche Cyste
befand, welche an ihrer Oberfläche die gestielten Läppchen jener Geschwulstmasse trug, während ihre In-
nenfläche ebenso wie die der übrigen Cysten mit papillären Exerescenzen besetzt war.
Zwischen den einzelnen Theilen des fast kopfgrossen Convolutes fand sich reichliches Fettgewebe,
welches sämmtliche Lücken ausfüllte; von den Ovarien, der linken Tuba, den breiten Mutterbändern war
nichts zu erkennen. Nach unten reichte die Geschwulstmasse ungefähr bis zur Mitte der Vagina.
Zu erwähnen ist noch die Beschaffenheit der Innenfläche der Haupteyste, welche in der ganzen
Ausdehnung dasselbe schwielige, derbe Aussehen hatte, wie die septumartig ausgespannte Hinterwand.
Indess hatten die seitlichen und vorderen T'heile eine mehr rauhe, sammetartige Oberfläche, und diese war be-
dingt durch eine 1— 2 Millimeter dieke aus dicht gedrängten Papillen bestehende Schicht, welche in den tieferen
Gegenden continuirlich, höher oben mehr fleckweise verbreitet war. Doch wechselten auch dort allerlei
Knötchen, flache Prominenzen und glatte Stellen mit der sammetartigen Oberfläche ab, ebenso wie auclı
die Farbe theils röthlichweis, theils schwärzlich war. Auf dem Durchschnitt zeigte sich die Cystenwand
ganz mit dem Peritoneum verschmolzen. Auf die papilläre Schicht folgte zunächst eine sehr derbe weiss-
liche schwer zu schneidende Bindegewebslage von mehreren Millimeter Dicke, welche in das Peritoneum
überging, sodann folgte eine dünne, ehemals subseröse Fettschieht, nach aussen endlich die Faseia.
Die mikroskopische Untersuchung, welche zunächst an den die Innenwand der kleinen
Cysten bedeckenden Papillargeschwülsten im frischen Zustand (resp. nach dem Verweilen in Müller'scher
Flüssigkeit) vorgenommen wurde, ergab zahllose feine Zöttchen aus zartem Bindegewebe mit spärlichen
Spindel- und Rundzellen und meist leeren Kapillarschlingen. Die Gestalt der kleinsten Zöttehen und Pa-
pillen ist ausserordentlich verschieden; in manchen Öysten finden sich hauptsächlich kleine knopfförmige
Erhebungen, an andern Stellen zerfallen diese durch Auswachsen in mehrere kleinere, endlich kommen
u.
dendritisch verzweigte Zottenbäumchen zu Stande, welche wieder mit langen dünnen, oder mit mehr kol-
bigen Endzweigen ausgestattet sind.
Der Epithelüberzug der Zotten und der glatten Innenfläche der Cysten zeigt ein sehr variables
Verhalten, denn wenn derselbe auch grösstentheils als Cylinderepithel zu bezeichnen ist, so kommen
doch in Gestalt und Beschaffenheit der Zellen die wesentlichsten Verschiedenheiten vor. An der freien
Innenfläche der Cysten ist das Epithel meist niedrig, die Zellen ebenso hoch als breit. Von der Fläche
gesehen erscheint das Epithel als regelmässige Mosaik aus geradlinigen polygonalen, meist 5—6 eckigen
Figuren mit verhältnissmässig grossen Kernen und Kernkörperchen zusammengesetzt. An Falten, welche
den optischen Durchschnitt erkennen lassen, zeigt sich, dass ein Theil der Zellen an der freien
Fläche mit Cilien besetzt ist, durchaus nicht alle, vielmehr ragen die Cilienbüschel in gewissen
Abständen über die glatte Grenzlinie der übrigen Zellen hervor. An der Oberfläche der Zotten oder Pa-
pillen ist das Epithel meist viel dieker, aus ziemlich hohen Cylinderzellen zusammengesetzt, welche ebenso
wie dort stellenweise Cilien tragen. Die Flimmerzellen bilden hier und da kleine Gruppen, meist sind
sie indess ebenso vereinzelt, wie dort. Die Höhe der Zellen beträgt durchschnittlich 0,02mm., die der
Flimmerzellen meist etwas mehr, 0,0225—0,025mm. Das Epithel übertrifft an Massenhaftigkeit die
Grundsubstanz bedeutend, beim Zerzupfen kann man es in grossen zusammenhängenden Lagen, in hauben-
förmigen Stücken ablösen. An vielen Stellen, namentlich an den ganz kleinen, jungen Zotten nehmen
die Epithelzellen eine mehr rundliche Gestalt an, so dass die äussere Begrenzung des Epithels keine
gerade Linie mehr bildet, sondern jede Zelle halbkugelig hervorragt. Dabei sind sie jedoch nach Art der
Cylinderzellen gruppirt, mit der schmäleren Basis auf der Grundlage haftend. Endlich können die Zellen
ganz kugelig, oder durch gegenseitigen Druck polyedrisch werden (wobei sie die kleinen Cylinderzellen an
Grösse bedeutend übertreffen). Sie bedecken die kleinsten Zöttchen, deren Grundlage nur durch eine dünne
Capillarschlinge gebildet wird, so dass bei dem leeren Zustande der letzteren es den Anschein haben kann,
als beständen diese kleinsten Zotten lediglich aus Epithelzellen. Viele der letzteren enthalten übrigens
1—2 rundliche durchsichtige Vacuolen, wodurch ihr Umfang noch vergrössert wird. Diese Zellformen
sind stets frei von Cilien.
An einigen Zotten, welche mikroskopisch opak weisslich aussahen, hatten die Zellen Fetttropfen
aufgenommen, zuweilen so reichlich, dass der Kern ganz verdeckt wurde.
Endlich finden sich an anderen Stellen der Oystenwand grosse sehr dünne Plattenepithelien von
länglich spindelförmiger Gestalt, welche sich in Form eines zusammenhängenden Häutchens ablösen lassen.
Doch auch von diesen Formen finden sich an einem und demselben Epithelstück unmittelbar nebenein-
ander Uebergänge zu den Cylinderepithelien, indem sie allmählich höher werden, während sie an Umfang
abnehmen; auch unter diesen ist eine Anzahl mit Cilien versehen.
Bei dieser Gelegenheit muss ich eine Beobachtung erwähnen, welche ich an den lose herumlie-
genden Flimmerzellen machte; es fanden sich einzelne bauchig aufgetriebene ziemlich kurze Zellen mit
Cilien und zwei nebeneinander liegenden Kernen, welche also auf einen Theilungsvorgang der
Zellen deuteten. Sehr bald fanden sich auch ähnliche bauchige Zellen mit einem in querer Richtung
verbreiterten Kern, welcher von seinem oberen Rande her mehr oder weniger tief eingeschnürt war; jede
Hälfte des Kernes besass ein Kernkörperehen. Der Fuss der Zelle betheiligte sich nicht an der Auftrei-
Ba, -
bung, so dass bei gewissen Lagen die bauchige Anschwellung der Zelle unsymmetrisch hervorragte; alle
diese Zellen waren übrigens nur halb so hoch, als die vollständigen Flimmerzellen, indem der bei den
letzteren oft die halbe Höhe einnehmende Fuss abgerissen schien. An diese Zellformen mit zwei Kernen
schlossen sich sodann noch einige Doppelzellen an, bei denen man zweifelhaft sein konnte, ob man eine
oder zwei festzusammenhaftende Zellen vor sich hatte. (S. Fig. 5.)
Aus diesen Bildern geht unzweifelhaft eine Vermehrung der Flimmerepithelien dieser Geschwulst
durch Quertheilung hervor, eine Vermehrungsart, welche man bisher an eylindrischen — namentlich
Flimmerepithelien — soviel mir bekannt, nicht beobachtet hat. Die nothwendige Folge dieser Vermeh-
rungsart der Zellen ist, dass das Epithel einschiehtig bleibt, während ein Auswachsen der Basalzellen in
der Längsrichtung die Mehrschichtigkeit bedingt. Jedenfalls ist es nicht richtig, den letzteren Wachsthums-
typus als allgemein gültig für sämmtliche Epithelien mit eylindrischen Zellen hinzustellen (ef. Krause).
Durch die beschriebene Vermehrungsart erklärt sich wahrscheinlich auch das Verlorengehen der Cilien, in-
dem nämlich der seitlich abgeschnürte Theil der Flimmerzelle frei von Wimpern bleiben kann. Durch
allmäbliehe Vermmderung der Höhe kann endlich aus den ursprünglich hohen Flimmerzellen ein voll-
kommen endothelartiges Plattenepithel werden, (wie solches auch von Beigel in seinem später zu besprechen-
den Falle — als Spindelzellen, welche die Cystenwand auskleiden, beschrieben und abgebildet ist). Für
die umgekehrte Entwiekelungsart, dass Platten - oder einfache Cylinderepithelien sich unter Umständen
in Flimmerepithelien umwandeln können, besitzen wir dagegen keine Anhaltspunkte.
Die Cystenwand besteht grösstentheils aus derbem Bindegewebe, welches auf dem Durchschnitt
eine feine parallele Streifung darbietet, nur an der inneren Schicht der Wandung vermisst man die Streifung,
der Zellenreichthum ist dagegen bedeutend grösser (Fig. 3.). Bei stärkerer Vergrösserung hat man das Bild
des jungen in Wucherung begriffenen Bindegewebes, ein Netz von Spalträumen mit Zellen an den Knoten-
punkten in einer homogenen Zwischensubstanz. Durch dasselbe Gewebe werden die papillären Vorsprünge
der Innenfläche gebildet, welche sieh in sehr verschiedener Gestalt darstellen, von der einfachen knopf-
förmigen Erhebung bis zur vielfach verzweigten Zotte. Die ersteren sind gefässarm, die letzteren dagegen
bestehen grösstentheils aus Gefässschlingen, welche von spärlichen Spindelzellen begleitet werden. Die
grösseren, mit vielfachen knopfförmigen oder feinwarzigen Auswüchsen versehenen Blumenkohlgeschwülste,
welche sich auf dünnen Stielen erheben, und oft Haselnussgrösse erreichen, besitzen einen festen binde:
gewebigen Körper, der von weiten Gefässen durchzogen ist.
Zugleich mit dem Bindegewebe wuchert das Epithel, wie schon aus der Beschreibung des letzteren
hervorgeht; gerade auf den zusammengesetzten Papillen oder Zottenbäumchen findet die üppigste Entwicke-
lung statt, so dass das oft nur zarte bindegewebige Gerüst durch den vielfach gefalteten Epithelüberzug
häufig verdeckt wird. Man kann also weder sagen, dass das eine der beiden Elemente sich passiv verhält,
weder, (dass das Epithel durch Sprossenbildung in die Wand hinein Theile der letzteren abschnürt, noch
auch, dass das wuchernde Bindegewebe das Epithel einfach vor sich hertreibt. Dagegen ist festzuhalten,
dass die Papillen stets sich über das allgemeine Niveau erheben; schlauchförmige Einsenkungen in die
Tiefe habe ich nicht beobachtet.
In den tieferen Theilen der Wandung kommen allerdings spalt- oder schlauchförmige Hohlräume
vor, welche mit Epithel ausgekleidet sind (letzteres ist meist niedrig, nur selten flimmernd): die Richtung der-
— 239 —
selben ist aber nicht senkrecht zur Oberfläche, sondern parallel der Streifung. Man findet hier ganz
schmale, aus zwei Zellenreihen bestehende epitheliale Bildungen, welehe an andern Stellen in weitere
Hohlräume übergehen. In letzteren kann man den Beginn der Papillenbildung ebenfalls beobachten.
In grosser Zahl kommen in der Wand, hauptsächlich der Haupteyste, runde Kalkkörper vor , so
dass die Anfertigung von Schnitten ohne vorherige Entkalkung häufig kaum gelingt. Sie haben im Allge-
meinen eine maulbeerförmige Gestalt, und lassen eine concentrische Schichtung erkennen, die nach der
Entkalkung noch deutlicher wird; sie sitzen z. Th. in den Papillen, häufiger aber in der Wand selbst,
und zwar in den peripherischen Schiehten, doch auch hier lässt sich eine besondere Beziehung zu den epi-
thelialen Räumen nicht verkennen. Häufig liegen die Kalkkörper derartig frei in den Spalten oder Hohl-
räumen, nur von einer Anhäufung von Epithel umgeben, dass es scheint, als seien sie in Letzterem selbst
entstanden; ich glaube mich jedoch stets überzeugen zu können, dass die frei in die Hohlräume hinein-
ragenden Kalkkörper noch von einer dünnen Lage Bindegewebe überzogen sind, oder selbst in kleinen
Zotten in die Höhle hineinhängen.
Der zweite hierhergehörige Fall betraf eine Frau von 31 Jahren, bei welcher
Herr Prof. Olshausen am 5. Juli die Ovariotomie versucht, jedoch wegen vielfacher
Verwachsungen der Geschwulst unbeendigt gelassen hatte. Die Pat. starb wenige
Tage nach der Operation unter septischen Erscheinungen.
(Fall 2.) Grosses papilläres Kystom beider Ovarien, mit Flimmerepithel. Ausgedehnte Verwach-
sungen. Bildung von Metastasen.
Bei der Sektion, am 9. Juli 1878, fand sich ein colossaler eystischer Tumor, welcher beinahe
die ganze stark ausgedehnte Bauchhöhle ausfüllte, obwohl bei der Operation ausser sieben Pfund Aseites-
Flüssigkeit bereits 17 Pfund Cysteninhalt entfernt worden war.
Bei dem Versuche, einige fibrinös-eiterige Verklebungen zwischen dem oberen Umfang des Tumor
und einigen darüber liegenden Dünndarmschlingen abzutrennen, entstand in ersterem eine Oeflnung
mit unregelmässigen in Zerfall begriffenen gelblichen Rändern, aus welcher sich ein Strahl dünner schmutzig
gelblicher Flüssigkeit ergoss. (An dieser Stelle war eine Incision zur Entleerung der Cyste und nachträg-
licher Verschluss durch Catgut gemacht worden; eine zweite ähnliche Stelle war noch verschlossen). Die
Gesehwulst war mit ihrem ganzen seitlichen und vorderen Umfang mit der Bauchwand, respective
den Organen des kleinen Beckens verwachsen, so dass sie im Zusammenhang mit den letzteren exenterirt
werden musste
Die übrigen Organe boten bis auf geringe Hydronephrose nichts Bemerkenswerthes — abgesehen
vom Zwerchfell, an dessen unterer Fläche eine grosse Anzahl kleiner sandkornähnlicher Erhabenheiten
fühlbar waren. An dem zur Untersuchung herausgenommenen Zwerchfellstück (z. Th. dem Centrum tend.
angehörig) fanden sich ausser den kleinen Knötchen an der unteren Fläche, auch an dessen oberer Fläche
einige plattrundliche bohnen- bis haselnussgrosse, mit bindegewebigen Kapseln versehene Geschwülste, dem
Aussehen nach infiltrirte Lymphdrüsen.
Der herausgenommene Tumor misst im zusammengefallenen Zustande noch eica 27 cent. im Durch-
messer, und wiegt nach Entleerung des grössten Theils der Flüssigkeit 25380 grmm. Er besteht aus einer
Abh. der naturf. Ges. zu Halle. XIV, 3. Hft, 32
240 -
Haupteyste, und aus einem ungefähr zwei Fäuste grossen Convolut kleinerer Cysten, welche unter einander
und mit der Haupteyste fest verbunden sind, und rechts neben der Mitte liegen. Harnblase und Uterus
sind ebenfalls mit der Geschwulst verwachsen, die erstere etwas nach links verdrängt; der Uterus ist sehr
verlängert, 13 centimeter, wovon 7 auf den Cervix kommen. Seine ganze Hinterwand ist äusserst fest mit
der Wand des grossen Tumor verbunden, an dessen vorderen untern Umfang sich der Uterus anlegt. In
der Umgebung sind so vielfache strangförmige und membranöse Bindegewebsadhäsionen zwischen Tumor,
Genitalorganen und vorderer Bauchwand vorhanden, dass Ligamenta lata etc. nicht zu sehen sind. Die
rechte Tuba verläuft ziemlich frei am vordern Umfang der rechts gelegenen Geschwulstmasse, sie hat eine
Länge von 16 cent, und ist in ihrem äusseren Theile durch ein kurzes Mesosalpinx mit der Geschwulst
verbunden; die linke Tuba ist erst nach genauer Präparation aufzufinden , sie verläuft im Bogen um die
grosse Cyste, mit deren Wand sie fest verwachsen ist. Ihre äussere Hälfte, ebenso wie ihr Anfangstheil
ist durchgängig, die Tuba sehr atrophisch die Fimbrien ebenfalls, daher schwer erkennbar. Die Länge dieser
Tuba beträgt 22—23 centimeter. — Die Ovarien sind nicht aufzufinden. In der Gegend, welche ungefähr
dem rechten Ovarium entspricht, haftet an der Tuba und dem Mesosalpinx ein flachhöckeriger Körper,
welcher an Grösse und Form ungefähr einem stark geschrumpften Ovarium entspriebt, doch besteht dieser
Körper aus einer mit dieht gedrängten glänzenden Kalkconerementen vollständig imprägnirten festen Masse,
ohne Reste von Ovarialgewebe. Ueberdies finden sich unmittelbar neben diesem Körper noch zwei bis drei
kleinere, erbsen- bis bohnengrosse, welche offenbar von derselben Natur, und als Geschwulstmasse anzu-
sehen sind. Links ist ein Ovarium ebenso wenig aufzufinden.
Was den Tumor selbst betrifft, so besitzt die Haupteyste eine feste schwielige Wandung von 0,5
eentimeter Dieke; die Oberfläche ist, soweit sie nicht verwachsen ist, mit vielfachen plattenförmigen weiss-
lichen Schwielen besetzt, zwischen welchen flache grubige Vertiefungen vorhanden sind. Die Oberfläche
ist jedoch glatt und glänzend. Auf dem Durehschnitt ist eine 3 mm. dieke sehr feste, weissliche äussere,
und eine mit derselben eng verbundene innere Schicht erkennbar. An der Innenfläche der Öyste finden
sich zunächst vielfach gelbliche fibrinös-eiterige Auflagerungen, ausserdem zahlreiche kleine Exerescenzen,
z. Th. rundliche Knötehen, z. Th. zarte Zotten, und endlich gestielte, melırfach verzweigte I—2 centim.
lange Papillenbäumchen, letztere jedoch nur in spärlicher Anzahl. Ausserdem sind einige in die Höhle
hineinragende Scheidewände, Reste von eröffneten Cysten vorhanden, von denen eine über Faustgrösse be-
sessen haben mag. Im Grunde der grossen Cyste wölbt sich eine etwa faustgrosse Cyste hervor, aus
welcher sich bei der Eröffnung klare gelbliche dick-schleimige Flüssigkeit entleert. Auch diese Cyste
trägt an der Innenfläche zahlreiche kleinere und grössere papilläre Vorsprünge und Zottenbäumehen von
weisslicher Farbe. Eben solche finden sich in mehr oder minder grosser Menge an der Innenfläche der
tauben- bis hühnereigrossen Öysten, welche die nach rechts gelegene Geschwulstmasse zusammensetzen.
Solide "Theile sind in der Geschwulst nicht vorhanden, bis auf die erwähnten erbsen - bis haselnussgrossen
vereinzelten Knoten, welche mit Kalkkörpern ganz gefüllt sind. An einigen Stellen finden sich auch an
der Aussenfläche der Geschwulst papilläre Wucherungen, welche jedoch keinen grossen Umfang erreichen.
Sie finden sich fast nur in den Spalten und Lücken, wo mehrere Cysten zusammenstossen, durch bindege-
webige Pseudomembranen z. Th. verdeckt.
— 241 —
Leider war die Fäulniss der Leiche bereits ziemlich stark vorgeschritten, so dass die Geschwulst
zu feineren Untersuchungen nicht mehr recht geeignet war; indess liess sich mit hinreichender Sicherheit
bereits am frischen Präparat nachweisen, dass dasselbe in allen Beziehungen — sowohl in der Beschaffen-
heit des Epithels, im Bau der Wandung, in der Anwesenheit der Kalkkörper u. s. w. — mit dem vorher
beschriebenen übereinstimmte, so dass in den Einzelnheiten füglich auf Letzteres verwiesen werden kann.
Eine besondere Erwähnung verdienen indess noch die kleinen Knötehen an der unteren Fläche
des Diaphragma, sowie die harten, mit Kalk inkrustirten Körper in der Nähe der Eileiter, und die an
der Oberfläche des Zwerchfells befindlichen Drüsen.
Der Peritonealüberzug des Zwerchfells ist etwas verdickt, weisslich, die Verdiekung nicht überall
gleichmässig. In dem Bindegewebe sind zahlreiche Kalkkürper eingelagert, welche stellenweise zu grösse-
ren Gruppen vereinigt sind, und als solche über die Oberfläche vorspringen.
Was die harten Geschwulstkörper an der Oberfläche des Haupttumor betrifft, so erweisen dieselben
sich auch bei der mikroskopischen Untersuchung als grösstentheils zusammengesetzt aus eoncentrisch ge-
schichteten Kalkkörpern. Erst nach der Entkalkung gelingt es, Schnitte anzufertigen, welche sodann
dicht gedrängte, theils kugelige, theils unregelmässig drusige geschichtete Körper zeigen, die vielfach zwi-
schen sich kaum etwas Bindegewebe erkennen lassen. An vielen Stellen finden sich jedoch Reste von
Hohlräumen, die mit Cylinder- (resp. Flimmer-) Epithel ausgekleidet, jedoch meist derartig zusammenge-
drängt sind, dass nur eine schmale Spalte zwischen den beiden Epithellagen übrig bleibt, oder dass die
letzteren selbst comprimirt und stark verändert sind. Die kleinen Geschwülste hängen durch Bindegewebe
an ihrer Basis mit der Oberfläche der Hauptgeschwulst, resp. mit den Appendices zusammen; in dem
Knoten, welcher an das Ovarium erinnert, tritt das Bindegewebe mit stärkern Gefässen hilusartig hinein,
doch verhält sich dieser Geschwulstknoten sonst ganz wie die benachbarten.
Einigen Aufschluss über die Art der Bildung dieser Körper geben die an der Oberfläche des
Diaphragma befindlichen Knoten, welche augenscheinlich aus Lymphdrüsen entstanden sind, wie die Gestalt,
die bindegewebige Kapsel, und endlich die deutlich nachweisbaren Reste von Lymphdrüsengewebe be-
weisen. Der grösste Theil wird indess gebildet durch dicht gedrängte, kleine, jedoch makroskopisch
bereits deutlich sichtbare Alveolen, welche mit durchsichtiger Gallertmasse gefüllt, und durch dünne Septa
von einander getrennt sind. Diese Alveolen sind ausgekleidet mit einem sehr wohl erhaltenen Cylinder-
epithel, welches an vielen Stellen unzweifelhaft Cilien erkennen lässt. In den kleinsten Alveolen ist das
Epithel verhältnissmässig hoch, in den grösseren niedrig, selbst ganz flach. Der Inhalt der Höhlen zeigt
(nach dem Erhärten) die gewöhnliche streifige Beschaffenheit, mit zahlreichen eingelagerten Zellen, welche
in verschiedenen Stadien der Degeneration sind. Vorwiegend sind rundliche Zellen mit eben solchem
Kern und körnigem Inhalt. In einem "Theile der Alveolen ist das Epithel in Wucherung begriffen; es
bildet vielfach Fortsätze nach innen, auch scheinbar abgesehnürte Zellhaufen, doch scheint diese Wuche-
rung des Epithels nur im Anschluss an eine Papillenbildung von Seiten des Gerüstes stattzufinden. An
vielen Stellen sind nun auch hier Kalkkörper eingelagert, und zwar sitzen dieselben vorwiegend im
Bindegewebe, z. Th. in die Alveolen hineinragend.
Es handelt sich also hier um kleine Kystom-Metastasen, oder, wenn man will, um den Anfang
einer Uareinom - Entwiekelung.
(39
19
— 242 —
Während die vorliegende Arbeit im Wesentlichen bereits beendet war, fügte es
sich, dass Herr Prof. Olshausen am 2. November 1878 ein papilläres Kystom exstir-
pirte, dessen Beschreibung ich hier ebenfalls mit gütiger Erlaubniss des Herrn Prof. Oils-
hausen beifüge, besonders da dasselbe in einiger Beziehung von den bisherigen
Fällen abwich, und dadurch geeignet war, manche unklare Punkte aufzuhellen.
Ueberdies hatte ich die Freude, als ich die Geschwulst ungefähr acht Stunden nach
der Exstirpation erhielt, die Flimmereilien noch in lebhafter Thätigkeit zu sehen.
(Fall 3.) Papilläres Kystom des linken Ovarium, mit Flimmerepithel.
Fr. R. 50 J. alt. (Gewicht der Geschwulst mit Inhalt: 10 Kilo.)
Die Geschwulst, welche mit breiter Basis, z. Th. intraligamentär aufsass, so dass ein Stiel erst
durch starkes Anziehen gebildet werden konnte, hat im nieht entleerten Zustande wohl reichlich Mannes-
kopfgrösse besessen; nach Entleerung der Haupteysten ist sie grösstentheils collabirt, hat aber immer
noch eirca 20 ceentim. im Durchmesser. An ihrer einen Seite hängt eine ungefähr stiefelförmige feste
Geschwulstmasse von blumenkohlähnlichem Aussehen und hellrother Farbe. Ihre Länge beträgt etwa 12,
die Höhe 6, die Dicke 4 —5 centimeter. Sie hängt ohne eigentlichen Stiel mit der Hälfte ihrer Grund-
fläche mit der Cystengeschwulst fest zusammen. Die Oberfläche dieser Masse ist durch sehr zahlreiche,
mehr oder weniger tiefe Furchen in grössere und kleinere Lappen getheilt, welche ihrerseits wieder eine
fein granulirte Beschaffenheit besitzen; zwischen und in den papillären Hervorragungen selbst sieht man
aber auch eine Anzahl dünnwandiger, wasserheller, oder schwach gelblicher Cysten von Stecknadelknopf-
bis Erbsengrösse, ja am Rande der soliden Masse finden sich sogar einige traubenförmige Gruppen grösse-
rer Cysten, aus denen sich beim Anstechen klare Flüssigkeit entleert. Zwischen der grossen Cyste und
der Blumenkohlgeschwulst sind einige, theils dinnhäutige, theils fadenförmige Pseudoligamente, vielleicht
Reste ursprünglicher Cystenwand, ausgespannt.
Die Aussenfläche der Cystengeschwulst ist grösstentheils glatt, z. Th. jedoch mit bindegewebigen
Pseudomembranen bedeckt. An der einen Seite findet sich die umfangreiche (12—13 cent. lange, 4 cent.
breite) Schnittfläche. ;Die Wandung der beiden ungefähr kindskopfgrossen ‚Haupteysten ist meist sehr
dünnhäutig, die Scheidewand zwischen beiden dagegen stärker, 2—3 millim. dick, auch nimmt die
Wandung an dem der Papillargeschwulst zunächst liegenden Theile an Dicke und Derbheit zu. Die
Innenfläche der Cysten ist grösstentheils glatt, vom Aussehen einer serösen Haut, von einem ziem-
lich weitmaschigen Gefässnetz durchzogen. Am Boden der einen Cyste finder sich indess, in nächster
Nähe der Insertion der papillären Geschwulstmasse eine etwa 5 centim. im Durchmesser habende kreis-
förmige, durch einen schwieligen Ring begrenzte Stelle, anscheinend der Rest einer ursprünglich geschlos-
senen Cyste, welche ganz durch feinhöckerige und warzige Wucherungen eingenommen ist. Zum Theil
sind dies rundliche knopfförmige Erhabenheiten von Hanfkorn- bis Erbsengrösse, zum Theil dicht ge-
drängte kleinere dunkelrothe Knötchen. Auch in der Umgebung dieser kreisförmigen Stelle sind einige
länglichrunde Plaques von derselben warzigen Beschaffenheit vorhanden.
Die zweite Cyste zeigt dieselben Wucherungen in grösserer Ausdehnung, und zugleich in weit
stärkerer Entwickelung, anfangend von den kleinsten rothen Pünktchen, durch welche grössere Strecken
— 213 —
der Innenfläche wie mit feinem rothen Sande bestreut erscheinen, bis zu grösseren traubenförmigen Grup-
pen, welche aus rundlichen kurzgestielten theils durchscheinenden, theils opaken röthlichweissen knopf-
oder pilzförmigen Gebilden bestehen. Meist sind auch diese in grösseren mehrere Centimeter langen
Plaques angehäuft, welche sich jedoch höchstens einen halben Centimeter über die Oberfläche erheben.
Ausser den beiden Haupteysten finden sich noch einige (3—4) kleinere diekwandige Cysten,
deren Innenfläche ebenfalls mit glatten knopfförmigen, z. Th. ganz durchscheinenden Gebilden dicht besetzt
ist. Diese Cysten sitzen zum Theil in der Dicke der Wand verborgen, und wölben sich nur wenig nach
innen oder nach aussen vor. Dazu kommen einige kirschen- bis pflaumengrosse zartwandige durchsichtige
Cysten an der Aussenfläche an der Basis der Blumenkohlgeschwulst.
Aus den kleinen, diekwandigen Cysten entleert sich eine vollkommen klare, höchstens durch
einige Epithelflöckchen getrübte, schwach grünlichgelb tingirte Flüssigkeit von nicht deutlich schleimiger,
aber beim Verdunsten klebriger Flüssigkeit.
In Betreff der mikroskopischen Untersuchung der Geschwulst kann ich mich kurz fassen. Zu-
nächst ist hervorzuheben, dass das frisch untersuchte Epithel, welches verschiedenen Theilen der papillären
Geschwulst, sowie der Innenfläche der Cysten entnommen war, die schönste Flimmerbewegung darbot.
Indess waren auch hier, wie in den früheren Fällen, die Flimmerepithelien nicht überall vorhanden, ja
man kann wohl sagen, dass bei Weitem der grösste T’heil des Epithelüberzuges aus niedrigen, flimmer-
losen Cylinder- oder Pflasterzellen bestand, deren Grösse ebenso wie dort, erheblich variirte. Vielfach
zeigten die Kerne zwei, selbst drei Kernkörperchen; ausserdem liess sich häufig an der Oberfläche der
Zellen eine feine, aber auffallend regelmässige Punktirung wahrnehmen, welche von Cilienresten herzu-
rühren schien. Zu bemerken ist ferner, dass das Epithel an vielen Stellen der Geschwulst durch Fett-
tröpfehen dunkelkörnig erschien, an anderen Stellen waren die von Fetttröpfchen ganz erfüllten Zellen in
ziemlich regelmässigen Abständen zwischen den übrigen wohl erhaltenen zerstreut. Derartige verfettete
Zellen waren in grosser Zahl der Cystenflüssigkeit beigemischt, deren Trübung sie bewirkten.
An Schnitten, welehe verschiedenen Theilen der Geschwulst, sowohl der mit Papillen besetzten
Cystenwand, als der grossen Papillargeschwulst entnommen sind, lässt sich ein Wechsel der verschiedensten
Epithelformen unmittelbar neben einander feststellen. Im Allgemeinen ist auch hier, wie in den beiden
früheren Tumoren das Epithel an der Oberfläche der grösseren knopfförmigen Papillen sehr niedrig; in
den Interpapillarspalten nimmt es an Stärke zu, so sieht man in einer und derselben Spalte das niedrige
Plattenepithel in ein regelmässiges Cylinderepithel mit hohen Zellen übergehen; an dieses schliesst sich
wieder niedriges Epithel, welches eine kleine papilläre Hervorragung bekleidet, und sodann in ein allmäh-
lich höher werdendes, mit Cilien besetztes, anfangs einfaches, sodann deutlich geschichtetes Cylinderepithel
übergeht. Mehrfach (3—4fach) geschichtetes Flimmerepithel, ganz von dem Aussehen des Tracheal-Epi-
thels, ist in den tieferen Theilen der Interpapillarspalten sehr verbreitet, wie man sich an hinreichend
feinen Schnitten mit Sicherheit überzeugen kann.
An Schnitten durch die Dicke der Cystenwand wiederholt sich im Ganzen dasselbe Bild, wie in
den frühern Fällen, .die streifige Beschaffenheit des zellenarmen und von mehr oder weniger zahlreichen Ge-
fässen durchzogenen Bindegewebes, der grössere Zellenreichthum der innersten Schicht, aus welcher die
papillären Wucherungen hervorgehen. Nirgends finden sich in der Cystenwand eigentliche Einsenkungen
a
des Epithels in die Tiefe, dagegen bleiben zwischen den papillären Erhebungen häufig nur ganz schmale
Spalten bestehen.
Was die Papillen anbetrifft, so sind die knopflörmigen und kugeligen, welche theils mit breiter
Basis aufsitzen, theils schmal gestielt sich pilzförmig ausdehnen, entschieden vorwiegend. Nur an
einer Stelle fand sich eine etwa kirschkerngrosse Wucherung feiner büschelförmig zusammengesetzter
Papillen. Die grösseren, welche im frischen Zustande sich durch ihr eystenähnliches durchscheinendes An-
sehen auszeichneten — ähnlich den Zotten der Hydatidenmole — besitzen einen vollständig myxomatösen
Bau; im frischen Zustand zerzupft liefern sie ein zartes protoplasmatisches Zellennetz, mit schleimiger Inter-
cellularsubstanz, welche von sehr zahlreichen, äusserst feinen Fibrillen durchzogen ist; nach aussen wird das
Gebilde durch eine hyaline Membran begrenzt; durch Verflüssigung des Inhalts kommt es in vielen Papillen
zur Bildung wirklicher eystischer Hohlräume. welche allenfalls von feinen radiären Fasern durchzogen sind.
Die meisten Papillen sind verhältnissmässig gefässarın , die kleinsten, welche sich als rothe Körnchen dar-
stellen, zeigen nur am Grunde einige Getässschlingen.
Die Hauptmasse der grossen soliden Blumenkohlgeschwulst besteht aus einem ziemlich derben,
aus vielfach sich durchkreuzenden Faserbündeln bestehenden Bindegewebe; die warzigen Erhebungen an
der Oberfläche verhalten sich wie die an der Innenwand der Öysten befindlichen. Bemerkenswerth ist je-
doch hier das Verhalten der bereits erwähnten kleinen und grösseren Cysten, welche z. 'T’'h. in den Papillar-
wucherungen selbst sitzen. Diese sind mit Epithel ausgekleidet, welches entweder niedrig und flimmerlos,
oder etwas höher und flimmernd ist. Sie sitzen stets nur dicht unter der Oberfläche, unmittelbar neben den
hier weit unregelmässiger verästelten Interpapillarspalten, aus denen jene Cysten unzweifelhaft hervorge-
gangen sind. Es kommen Uebergänge vor von den kleinsten abgesehnürten Hohlräumen bis zu grösseren
steeknadelkopt- bis hanfkorn- und erbsengrossen, welche jedoch stets dieht unter der Oberfläche liegen.
Auch die wenigen grösseren Cysten, welche dieselbe dünne Wand, dieselbe Epithelauskleidung besitzen,
wie jene, und zwischen den warzigen Wucherungen in der nächsten Nähe der grossen Blumenkohlge-
schwulst sitzen, scheinen desselben Ursprungs zu sein.
Kalkkörper sind bei weitem nicht so zahlreich vorhanden, als in den frühern Fällen, doch fehlen
sie auch in diesem nicht gänzlich; es finden sich ab und zu grössere und kleinere der bekannten kugeligen
und drusigen Coneremente, hauptsächlich in dem Bindegewebe der Papillen.
Das linke Ovarium wurde bei der Operation klein. atrophisch gefunden und daher nicht mit entfernt. !)
Dem herkömmlichen Sprachgebrauch nach werden die beschriebenen Ge-
schwülste als „papilläre Kystome“ der Ovarien bezeichnet.
Diese „papillären Kystome‘‘ waren den älteren Autoren z. Th. wohl bekannt,
wenn ihre Kenntniss sich auch nur auf das makroskopische Verhalten gründete.
Bereits Hodgkin’) stellte eine Abart der zusammengesetzten Cysten auf, bei
welcher goestielte Uysten oder Filamente in Form von Büscheln oder Quasten von
1) Nach lange anhaltenden Erscheinungen von Jleus erfolgte der Tod der Pat. am 2ten December.
Bei der Section fanden sich sehr ausgebreitete paritonitische Verwachsungen und abgekapselte eiterige Exsudate.
?) Medieo-chirurg. Transactions vol. XV. p. II. 1829.
— 2% —
der Innenfläche der Haupt- häufiger von der der secundären Cysten ausgehen.
Diese langen Auswichse sind zuweilen sehr gefässreich, und nehmen lebhaft Theil
an der Sekretion, welche den Sack anfüllt. F
Johannes Müller‘) sah die Präparate, welche den Hodgkin’schen Uhter-
suchungen zu Grunde gelegen hatten. Zwei der von ihm angeführten Fälle lassen sich
deutlich als ächte papilläre Kystome erkennen. Müller brachte dieselbe in Beziehung
zu den Cystosarkomen; er rechnete hierher auch einen von Prochaska kurz beschrie-
benen und abgebildeten Fall, welcher ihm vor der Kenntniss jener Präparate räthsel-
haft gewesen war. — Die von Prochaska°) gegebene Abbildung stellt nun in der
That eine ausserordentlich merkwürdige Geschwulst beider Ovarien dar, von denen
jedes in ein überfaustgrosses, einem belaubten Baume ähnliches Gewächs umgewan-
delt war. Die Ovarien waren nicht als solche zu erkennen, sondern mit den viel-
fach gewundenen und cystisch erweiterten Tuben verwachsen. Bemerkenswerth ist,
dass die Frau, von welcher das Präparat stammte, an Ascites gestorben war. Nach Joh.
Mülier ist wahrscheinlich die die Geschwulst einschliessende Cyste durchbrochen oder
künstlich aufgeschnitten worden; in der Beschreibung ist nichts von einer Öyste erwähnt.
Dem gegenüber glaube ich eher, dass dieser Fall das erste und zugleich kolos-
salste Beispiel der von der Oberfläche der Ovarien ausgehenden Papillargeschwül-
ste darstellt.
Dagegen ist eine von R. Bright?) beschriebene Geschwulst offenbar hierher
zu zählen, da dieselbe sowohl mit dem gleich zu besprechenden Falle von Spiegel-
berg, als mit meinem Fall I. sehr übereinstimmt. Es handelte sich um eine vier-
zehn Zoll im Durchmesser haltende Ovarialeyste (ebenfalls in Guy’s Museum aufbe-
wahrt), welche ganz mit einer blumenkohlartigen hauptsächlich von einem Theile der
Wand entspringenden Geschwulst gefüllt war. Das ganze Peritoneum war so stark
verdickt, dass es der Bauchhöhle den Charakter einer Cyste gab. Durch das verdickte
Peritoneum waren die Därme verhindert, zu schwimmen, und man hatte daher bei
der 13- bis 14maligen Punktion in der That eine Ovariencyste vor sich zu haben
geglaubt. Jedenfalls wird dies auch der Fall gewesen sein, und das vermeintliche
verdickte Peritoneum war thatsächlich die mit dem Bauchfell verwachsene Cystenwand.
1) Ueber den feineren Bau und die Formen der krankh. Geschwülste p. 54.
2) Disquisitio anatomieo- physiologiea organismi. Viennae 1812 p. 170. Tab. V.
3) Observations ou abdominal Tumours in Guy’s Hospital Report vol. III. London. 1838. p. 179.
Materie, 7.
— 216 —
Rokitansky‘) kannte ebenfalls die an der Innenwand zusammengesetzter Eier-
stocks-Cystoide vorkommenden dendritischen Vegetationen, welche zu solcher Masse
anwachsen können, dass ein Durchbruch nach der Peritonealhöhle erfolgt. *) Ausser-
dem istnach Rokitansky der „Zottenkrebs“ „nächst den Schleimhäuten und zwar jenen
der Harnblase am häufigsten auf der Innenfläche der Cysten des Cystocareinoms der
Ovarien“. Dieses Cystocareinom soll häufig doppelseitig sein. ?) Ich vermuthe, dass
ein grosser Theil dieser Zottenkrebse zu den papillären Kystomen gehörte. | Ein un-
zweifelhafter Fall, auf welchen ich noch einmal zurückkomme, findet sich übrigens
bei Rokitansky (Ueber die Cyste) angeführt.
Klob*) schloss sich im Wesentlichen an Rokitansky an.
Der erste genauer beschriebene Fall, in welchem es sich um eine sehr um-.
fangreiche Geschwulst handelte, welche operative Eingriffe erforderte, ist der von
Spiegelberg°). Wie sich aus Vergleichung dieses Falles mit unserem F.I ergiebt,
so besteht zwischen beiden eine fast bis in’s Einzelne gehende Uebereinstimmung.
Bei der Kranken von Spiegelberg fand sich eine colossale Haupteyste, welche der-
artig mit dem Peritoneum parietale und mit den Organen des Unterleibes verwach-
sen war, dass bei der versuchten Operation die Vermuthung entstanden war, dass
es sich um Ansammlung freier Flüssigkeit in der Bauchhöhle handelte.
In der Tiefe der umfangreichen Höhle präsentirte sich „eine unebene zottige,
durch die bedeckenden Eitermassen roth durchscheinende, die Beckenhöhle vollständig
ausfüllende und über den Eingang hervorragende Geschwulst.“ Die Leber war von
der Cystenwand überzogen, die eigentliche Bauchhöhle mit den Därmen war hinter
der Cyste auf das linke Hypochondrium beschränkt, der Diekdarm verlief ziemlich
normal. Auch das Resultat der mikroskopischen Untersuchung findet sich in beiden
Fällen in voller Uebereinstimmung. Die Innenfläche der secundären Cysten war mit
demselben zottigen und papillären Gewebe bedeckt, welches sich auf der Basis der
Haupteyste fand; die zottigen Massen bestanden aus einem bindegewebigen Gerüst,
meist mit verzweigten Sprossen, wie Ühorionzotten, mit einschichtigem schön
1) Ueber die Cyste. Abhandl. der Akad, zu Wien. Bd. I. 1850.
2) Lehrbuch der Pathol. Anat. Bd. I. 1855. p. 228 und Bd. III. 1861. p. 427.
3) Ueber den Zottenkrebs. Sitzungsberichte der physik. math. Klasse der Akademie zu Wien
1852. Bd. 8. p. 524. und Lehrbuch Bd. I. p. 269 und Bd. III. p. 432.
#) Patholog. Anatomie der weibl. Sexualorgane 1864. p. 355 und 369. 372.
5) Monatsschrift f. Geburtskunde. Bd. XIV. 1859. p. 101.
— 247 —
regelmässig angeordnetem leicht abstreifbaren Oylinderepithel bedeckt, dessen Zellen
alle deutliche dieke und lange Cilien trugen. Bemerkenswerth war ferner
das Vorhandensein zahlreicher Kalkkörper in den Zotten, ferner eine wallnussgrosse
Oyste aut der Oberfläche der Milz und einige kleinere auf der äusseren Darmwand.
Nur in der ersteren befanden sich ebenfalls papilläre Wucherungen, jedoch ebenso
wie in den letzteren, kein Flimmerepithel.
In den neueren Beschreibungen herrscht in Bezug auf die Bezeichnung
„papilläre Kystome“ zum Theil offenbar eine gewisse Unklarheit, welche sich nur
daraus erklären lässt, dass einzelne Beobachter wohl characterisirte papilläre Ge-
schwülste vor sich gehabt haben, wälrend Andere nicht in dieser Lage waren, und
nun diejenigen Kystome als papilläre bezeichneten, welche nicht aus einfach glatt-
wandigen Oysten bestanden, sondern namentlich in den jüngeren Theilen auf dem
Durehschnitt Figuren zeigten, welche wie papilläre Vorsprünge an der Innenfliche
sich darstellen.
Bei den ächten Adeno-Kystomen der Ovarien, d. h. also bei denjenigen mul-
tiloculären Geschwülsten, bei welchen sich durch Proliferation des Epitels und „colloide*
Umwandlung respective Ausscheidung stets neue Oysten bilden, findet man nicht selten,
sowohl an der Imnentläche älterer Uysten, als auch an der Oberfläche kleine zotten-
förmige Bildungen, einfache fadenförmige Papillen, oder auch dendritische Zöttchen,
welche mit Cylinderepithel bekleidet sind. Diese kleinen Papillen erreichen jedoch
nie eine bedeutende Grösse, und missen als zufällige Bildungen angesehen werden,
wie sie auch an anderen Ovarialgeschwülsten vorkommen.
Abgesehen davon zeigt aber die in Entwickelung begriftene Uyste ein ver-
schiedenes Verhalten, von dem man sich am besten an Durchschnitten jüngerer Theile
überzeugt, wie sie an der Wand der sogenannten Haupteyste fast stets zu finden sind,
Während man bei einer Reihe von Fällen nur Eine dünn- und glattwandige Oyste
neben der andern findet, wodurch das bekannte wabenartige Bild des Durchschnittes
entsteht — nur verschieden durch die melır oder weniger zähe Beschaffenheit des
Inhalts — sieht man in andern Fällen die Innenfläche der kleinen Cysten durehweg
besetzt mit Vorsprüngen, welche auf dem Durchschnitt das Aussehen von Papillen
haben. Durch die vielfachen Verzweigungen derselben, durch die häufig regelmässig
radiäre Anordnung, durch den regelmässigen Ueberzug mit stets einschichtigem Uy-
linderepithel liefern diese Durchschnitte bei mikroskopischer Betrachtung überaus
zierliche Bilder. Indem sich in dem centralen Hohlraum mehr und mehr Inhalt an-
Abh, der naturf, Ges, zu Halle. XIV, 5. Hit, 33
Er
sammelt, dehnt sich die Wand aus, und es entsteht schliesslich eine glattwandige
Cyste, welche sich nieht von den Öysten anderer Formien unterscheidet, während
andererseits die Proliferation des Epithels weiter um sich greift.
In diesen Fällen handelt es sich nicht um eigentliche Papillen oder Zotten
an der Innenfläche der Cystenwand, sondern um Durchschnitte leistenförmiger
Vorsprünge, oder wirklicher Septa, wie Waldeyer'), später Böttcher), vor
Beiden aber thatsächlich schon W. Fox) hervorhob.
Wilson Fox,*) dessen genaue Untersuchungen über die Eierstockscysten man
in vieler Beziehung als grundlegend ansehen muss, unterschied an der Innenwand
der Cysten:
1. Papilläre (blumenkohlähnliche) oder dendritische Gewächse.
2. Zottige Gewächse.
3. Drüsige Gewächse.
Die beiden letzteren Formen fasst er zusammen, denn die sogenannten Zotten
an der Innenfläche der Haupt- und secundären Cyste smd einfach die hervorragenden
Theile der Innenwand zwischen den glandulären Einsenkungen, und erlangen nur
selten einen grössern Umfang.
Dagegen trennt Fox scharf die eigentlichen papillären Gewächse, wel-
che er als weit seltener vorkommend bezeichnet; er fand sie nur zweimal unter fünf-
zehn Fällen, und diese beiden Fälle stammten von einem und demselben Individuum.
Es ist nicht schwer aus der Beschreibung und Abbildung von Fox zu erkennen,
dass er ohne Zweifel Geschwälste vor sich gehabt hat, welche — abgesehen von
dem Flimmerepithel — mit den oben beschriebenen übereinstimmen, gestielte Pa-
pillargeschwülste mit zahlreichen Verzweigungen, welche die wenig zahlreichen Cysten
ausfüllen.
Dennoch vermischt Böttcher) in seiner Besprechung der Fox’schen Unter-
suchungen die Formen, welche dieser mit richtigem Blick von einander trennte — ja
er geht noch weiter, indem er den Spiegelberg’schen Fall ohne Weiteres mit dem
von ihm beschriebenen glandulären Kystom vollständig identifieirt — trotz Flim-
1) Monatsschrift f. Geburtskunde. Pd. XXVII, 368.
2) Virchsw’s Archiv. Bd. 49. p. 297.
®) l. c. p. 258.
*) On the origin, structure ete. of the Cystic Tumors of the ovary, Med. chir. Transact. vol. 47. 1864.
5) 1. c. p. 331 und Fig. 1.
a
merepithel, trotz gestielter und verästelter frei in die Cysten hineinhängender Ge-
schwülste! Daher sind auch die Schlüsse, die auf diese vermeintliche Identität basirt
sind, unrichtig. ’
Auch Mayweg') spricht von mehr oder weniger umfangreichen papillären
Excrescenzen an der Innenfläche der Cysten in den Geschwülsten, welche er aus
„eolloider“ Entartung der G raa schen Follikel entstehen lässt. Aus seiner Beschreibung
geht indess hervor, dass es sich auch hier nicht um papilläre Geschwülste in unserm
Sinne handelte, sondern um die gewöhnlichen Wucherungen der multiloeulären Kystome.
Auf diese allein passen Ausdrücke, wie „höckerige Kugeln“, welche Cysten enthalten
u.s. w. Die Beziehung auf Fox’ Theorie der Öystenbildung ist in Folge dessen eben-
falls nicht richtig.
Waldeyer?) hat in seiner Hauptarbeit über die Eierstockscysten offenbar das
ächte papilläre Kystom vor sich gehabt, anscheinend jedoch nur einen Fall, und
zwar denselben, welchen Spiegelberg in seinem Aufsatz iiber Perforation der Ova-
rialeysten *) beschreibt.
Er unterscheidet das Kystoma prolifterum papillare und das Kystoma prolife-
rum glandulare, welche er beide als Formen des Myxoidkystoms ansieht. Während
bei den glandulären Formen die Epithelwucherung das Ueberwiegende ist, sollte bei
den papillären Formen die epitheliale und die bindegewebige Wucherung gleichen
Schritt halten — respective die letztere überwiegen. (Aus’der Beschreibung einer früher
von Spiegelberg exstirpivrten Geschwulst scheint hervorzugehen, dass Waldeyer
damals das ächte papilläre Kystom nicht kannte.*) Wenn Rindfleisch von einer
glatten, kaum gelappten Oberfläche der grösseren Geschwülste, welche man gelegent-
lich in den Cysten trifft, spricht, „während man doch, wenn man sie auf Durchschnitten
untersucht, keinen Zweifel darüber haben kann, dass es sich in der That um ächte
Papillome handelt“, °) so scheint mir aus dieser Beschreibung klar hervorzugehen,
dass es sich nicht um Papillargeschwülste inı Sinne von Fox, und in unserm Sinne
handelt, sondern dass die scheinbar verwachsenen Papillen Durchschnitte von Scheide-
wänden in ursprünglich drüsigen Hohlräumen darstellen.
2.
1) Die Entwickelungsgeschichte der Cystengeschwülste des Eierstocks. Inaug.-Diss. Bonn 1868.
?) Archiv für Gynäkologie. 1570. Bd. 1. p. 259. u. Fig. 3.
3) Archiv für Gynäkologie. Bd. I. p. 62.
%) Monatsschr. f. (seburtskunde. Bd. 27. p. 368.
5) Rindfleisch, Lehrbuch der Pathol. Gewebelehre. 1878. p. 468.
Dagegen stimnit der von B eigel') beschriebene Fall, weichen Prof. Olshausen?)
ebenfalls zu den papillären Kystomen rechnet, während Klebs°) denselben als papil-
läres Uareinom auffasst, in der allgemeinen Structur so genau mit den oben beschrie-
benen tiberein, dass ich mich der Ansicht Olshausen’s anschliesse. Es fehlt jedoch
auch hier die Erwähnung des Flimmerepithels, dagegen ist der Bau der Papillen-
bildungen, das Vorhandensein der Kalkkörper iibereinstimmend. Wenn Klebs die
Diagnose Carcinom hauptsächlich auf den Umstand basirt, dass es sich in dem Falle
von Beigel um eine secundäre Geschwulst handelt, so spricht dies, wie wir sehen
werden, nicht gegen die Diagnose derselben als Kystom.
Klebs*) erwähnt ein sogenanntes „Papillom* aus der Würzburger Sammlung,
welches das Reetum durchbrochen hatte, Reeklinghausen?) untersuchte eine von
Müller bei Scanzoni exstirpirte ähnliche Geschwulst, mit Perforation in die Bauch-
höhle. Zu diesen Fällen kommen noch einige andere, welche Prof. Olshausen bereits
in seinem Handbuche aufführt, und auf welche ich an dieser Stelle nicht näher
eingehe. Es sind die von Stilling, Homans, Marcy, Hegar, der Fall aus
Kiel, und die von Professor Olshausen selbst beobachteten.
Der Altmeister der Ovariotomie, Spencer Wells, erwähnt dendritische Bildun-
gen an der Innenfläche der Bierstockseysten, ohne jedoch näher auf dieselben einzugehen.
Er scheint dieselben stets für krebsig zu halten.®) Die etwas unkenntliche Figur 16
stellt eimen @uerschnitt einer solchen Cystenwand dar, welche ganz aus fibrösem
Gewebe zusamınengesetzt ist „mit Ausnahme des oberen Randes, wo sie Epithel hat,
und wo die dendritischen Bildungen in aktivem Fortschreiten sind.“ (Einige kugelige
Gebilde, vielleicht Kalkkörper, sind daselbst zu bemerken).
Neuerdings gedenkt auch Koeberl&’) der papillären Kystome oder genauer,
der Papillargeschwülste, welche an der äusseren und inneren Oberfläche von Ovarial-
cysten vorkommen; die beiden Fälle, welche Koeberl& beobachtete, waren doppel-
seitig; nach der von ihm gegebenen Abbildung könnte es scheinen, als handele es
1) Virchow’s Archiv. Bd. 45. p. 103.
2) Handbuch der Frauenkrankheiten, Krankheiten der Ovarien. 1877. p. 58.
3) Handbuch I. p. 808.
*) Ebenda pag. 795.
5) Seanzoni, Beiträge zur Geburtskunde. 1868. Bd. V. pag. 145.
6, Sp. Wells, die Krankheiten der Eierstöcke, übersetzt von Grenser. Leipzig 1874. p. 44.
?) Des maladies des ovaires, Nouveau diet. demedee. et dechir. prat. Paris 1878. T.XXV. p 509.
eg
sich um Oberflächenpapillome, doch ist ausdrücklich bemerkt, dass dieselben mit den
Vegetationen an der Innenfläche zusammenhingen. K. leitet dieselben von den
Graat’schen Follikeln ab.
Bisher habe ich keine strenge Rücksicht genommen auf die Beschaftenheit
des Epithels, welches in einigen wohl charakterisirten Fällen als Himmernd, in an-
deren als nicht flimmernd angegeben wurde. Bevor ich auf diesen Punkt näher
eingehe, ist es nöthig, eine Reihe von Fällen zu besprechen, welche zwar nicht als
papilläre Kystome bezeichnet wurden, sondern einfache oder ınultiple Ovarialeysten
mit Flimmerpithel darstellten.
Einfache Oysten mit Flimmerepithel sind nur sehr selten im Ovarium ge-
funden worden, einmal von Spiegelberg '), welcher die Cyste als hydropisch ent-
arteten Follikel mit Flimmerepithel auffasste, Luschka?) fand in einem, uns leider
nur durch eine kurze Notiz bekannten Fall an der inneren Oberfläche einer faustgros-
sen Eierstockseyste zahlreiche papilläre Auswiichse mit dem schönsten Flimmerepithel.
In einer anderen Reihe von Fällen fanden sieh multiple Cysten mit Flimmer-
epithel in Gemeinschaft mit Demoideysten, und wenn auch jene vielleicht den gleichen
Ursprung hatten, wie die anderer Fälle, so handelt es sich doch hier um eine Bil-
dung eomplieirterer Natur. Dahin gehören die Fälle von Virchow’), Friedreich'),
Eichwald°®), E. Martin‘) und Flesch’?), auf welche ich hier nicht näher eingehe.
Wichtiger ist eine Beobachtung von Wilks°), welcher in einem Ovarientu-
mor von der Grösse eines Kindskopfes eine unendliche Zahl Cysten mit dicker gela-
tinöser Masse fand. Die grösste hatte den Umfang eines Hihnereies; das Epithel der
Uysten war wie gewöhnlich aus sechsseitigen Pflasterzellen zusammengesetzt, aber von
den Scheidewänden zwischen den Cysten wuchsen mikroskopische Büschel oder zottige
Fortsätze, deren Oberfläche mit Flimmerepithel bedeckt war. Das Ovarium der
anderen Seite ist nicht erwähnt.
1) Monatsschrift f Geburtskunde. Bd. XIV, p. 1 2.
2) Virchow’s Archiv. XI. p. 469,
*) Ebenda.
#) Virebow’s Archiv. XIII. p. 498.
5) Würzb. med. Zeitschrift. Bd. V. 1864. p. 270 und Fig. 10 (welehe auch Sp. Wells wiedergiebt).
6) Berl. klin. Wochenschrift Nr. 10. 1872.
?) Verhandlungen der phys.-medie. Gesellsch. zu Würzburg. Neue Folge. Bd. II. 1872. p. 11i
8) 'Transactions of the Pathol. Soc. vol. III. 1856. p. 280.
Von noch grösserem Interesse ist ein Fall von Brodowski'), welcher beide
Ovarien von einer grossen Anzahl sehr verschieden grosser Oysten mit Flimmerepi-
thel durchsetzt fand. Auf der Wand der umtangreichsten von Hühnereigrösse sass
ein blumenkohlartiger Auswuchs, dessen Epithel, wie auch das der kleinsten Cysten
als mehrschichtig angegeben wird, während es in den grösseren Oysten einschichtig war.
Es ist zu bedauern, dass Brodowski diesen Fall mit Rücksicht auf die Ent-
wiekelung nicht genauer untersucht hat; nach seiner Ansicht handelte es sich um
eine Abweichung in der Entwickelung der Graaf’schen Follikel; das Flimmerepithel
wäre demnach ein Derivat des Keimepithels. Brodowski sieht dies als Beweis ge-
gen die Remack’sche Lehre von der normalen Entwickelung der Gewebe in patho-
logischen Neubildungen an.
An diesen Fall erlaube ich mir, eine kurze Beschreibung des von Prof. Ols-
hausen erwähnten Leipziger Priparates, welches ich durch gütige Vermittelung des
Herrn Professor Olshausen untersuchen konnte, anzuschliessen. Allerdings musste
von eimer eingehenden Untersuchung Abstand genommen werden, da das Präparat
geschont werden musste.
Das Präparat besteht aus dem Uterus und beiden Ovarien. Der rechte Eierstock ist in eine
kleinapfelgrosse Gesehwulst umgewandelt (mit grösstentheils ebener Oberfläche), welche an ihrer hintern
Fläche eine grosse Anzahl auf dünnen Stielen aufsitzender Papillengeschwülste bis zu Erbsen- und Kirsch-
kerngrösse trägt. Ein Theil dieser Papillen ist noch von dem Rest einer dünnen Cystenwand überdeckt.
Die Tuba zieht in mehreren Windungen iiber den Tumor hinweg, mit welchem sie einschliesslich der
Fimbrien fest verbunden ist. Das wenig veränderte mediale Ende des Ovarium ragt neben dem Uterus
hervor. Auf dem Längsdurchschnitt bemerkt man im peripherischen 'T'heil eine Cyste- mit dicker fibröser
Wandung; die erstere ist grösstentheils durch derbe papilläre Wucherungen, welche von einem "Theil der
Wandung ausgehen, erfüllt; letztere ist im Uebrigen glatt. Der mediale 'Theil des "Tumor zeigt eine
derbe fibröse Beschaffenheit mit kleinen und kleinsten eystischen Hohlräumen und beginnender Papillen-
bildung, ist aber dem Ovarium noch am meisten ähnlich.
Der linke Eierstock ist in ähnlicher Weise entartet, doch nur stark wallnussgross, mit dem Corpus
uteri fest verbunden; er zeigt auf dem Durchschnitt ebenso ein festes fibröses Gewebe mit einzelnen eystischen,
durch Papillen ausgefüllten Hohlräumen; in der Mitte befindet sich eine etwas grössere Uyste, deren
Wände mit Haufen von Papillen wie die der anderen Seite bedeckt sind. Auch die Aussenseite ist am
peripherischen 'T'heil mit papillären Wucherungen ausgestattet, welche jedoch ebenfalls mit einer, jetzt,
unvollständigen dünnen Cystenmembran bekleidet gewesen waren. Mikroskopisch besteht die Hauptmasse der
Geschwulst aus sehr festem Bindegewebe, welches sowohl die dicke Cystenwand als die grösstentheils kol-
bentörmigen gestielten Papillargeschwülste bildet. Derartige papilläre Bildungen füllen selbst die kleinsten,
1) Virchow’s Arch. Bd. 67. p. 231.
— a
kaum stecknadelkopfgrossen Cysten ganz aus, aber, da sie mit einem dünnen Stiel von der Wand ausgehen,
so fallen sie beim Durchschneiden leicht heraus. Sowohl die Cystenwände, als die Papillen sind mit
Flimmern tragenden einschiehtigem Cylinderepithelbedeekt, welches vielfach in ein niedriges Epithel übergeht.
In dem medialen Theil der grössern Geschwulst fanden sich auch einzelne enge schlauchförmige, mit
Flimmerepithel ausgekleidete Bildungen. Stellenweise sind kleine corpora fibrosa, jedoch keine erhaltenen
Follikel vorhanden. Zu erwähnen sind noch kugelige Kalkkörper, welche in grosser Zahl in der Ge-
schwulst vorkommen, nicht selten grössere Haufen im Stroma bilden, meist aber an der Oberfläche der
Papillen und Cysten, von Epithel bedeckt, hervorragen.
Es liegt aut der Hand, dass wir in den zuletzt erwähnten Fällen die Jugend-
zustände der oben beschriebenen Geschwiülste vor uns haben. Bereits in einem so
frühen Stadium fanden wir die Eierstöcke durchsetzt von einer grossen Anzahl Uysten
der verschiedensten Grösse; es handelt sich offenbar um eine meist multiple Anlage.
Zweifellos ist ferner, dass die papillären Bildungen das Secundäre sind, entgegen der
Angabe Böttchers'), welcher aber in der That keinen derartigen Fall vor sich
gehabt hat. Recklinghausen’) sprach dieselbe Ansicht von der secundären
Entstehung der Papillen in seinem Falle aus.
Olshausen hat in seinem Handbuch zuerst eine Sonderstellung für einen
Theil der papillären Kystome beansprucht, obwohl er für die meisten einen
wesentlichen Unterschied von den glandulären Kystomen nicht zulässt.
Die Gründe, welche Prof. Olshausen veranlassten, diese papillären Kystome
sensu stricto, von den gewöhnlichen Kystomen zu trennen, waren folgende. Diesel-
ben sind in der Mehrzahl der Fälle doppelseitig, sie sitzen meist intraligamentär,
wenigstens mit einem beträchtlichen Abschnitt, sie scheinen sehr langsam zu wach-
sen, „endlich, und das ist der zwingendste Grund, sie tragen an der Innenfläche
stellenweise, oder überall Flimmerepithel.“ ®)
Olshausen ist daher geneigt, diese Geschwülste nicht von den Elementen des
Eierstocks selbst abzuleiten, sondern von dem Parovarium, und zwar von solchen
Theilen des letzteren, welche in den Hilus des Ovarium hineinreichen. Er befindet
sich in dieser Beziehung in Uebereinstimmung mit Waldeyer, welcher zuerst die
Möglichkeit dieser Entstehung für die Flimmerepitheleysten der Ovarien aussprach?).
nen ki
2) Scanzoni, p. 156.
S)elze.p.l.
%) Archiv f. Gynäkologie I. p. 263. Anmerkung.
Es wird dadurch die vorliegende Form der papillären Kystome mit den
Nebeneierstockseysten, respective COysten der ligamenta lata, in nahe Beziehung ge-
bracht, und als Beleg für diese führt Olshausen eine Oyste der lig. latum an,
welche durch ihre ebenfalls mit Flimmerepithel bekleideten feinwarzigen Bildungen
an der Innenfläche (mit Kalkkörpern) sich den papillären Kystomen näherte.
Von Interesse ist in dieser Beziehung auch eine von v. Recklinghausen
untersuchte Cyste des breiten Mutterbandes, deren glatte Innenfläche mit Flimmer-
epithel bekleidet war. Das zugehörige Ovarium sass der Cyste locker auf; es ent-
hielt eine grosse Anzahl kleiner Oysten, deren Epithel vollständig mit dem der
grossen Üyste ibereinstimmte; an der freien Oberfläche der sehr hinfälligen Zellen
liess sich mehrere Stunden nach der Operation noch eine feine Punktirung
wahrnehmen, und im frischen Zustand fanden sich einzelne Zellen mit Häärchen
besetzt, an welchen allerdings eine Flimmerbewegung nicht wahrgenommen wurde').
Klebs°) schliesst aus dem letzteren Umstande auf eine Verschiedenheit
der ovarialen Cysten und der Haupteyste.
Bevor ich auf die Frage nach der Entwickelung näher emgehe, möchte ich
zunächst hervorheben, dass meiner Meinung nach die sämmtlichen papillären Kystome zu-
sammengefasst werden müssen, seies, dass das Vorhandensein des Flimmerepithels erwähnt,
oder dass dasselbe vermisst wurde. Die Art der Entwickelung ist eine von der der
gewöhnlichen Kystome ganz abweichende In sehr frühem Stadium finden sich
bereits mehrfache Oysten, welche mit Flimmerepithel ausgekleidet sind. In der Regel
erheben sich bald von der ursprünglich glatten Wandung papilläre Wucherungen;
eine der Uysten übertrifft die andern bald an Grösse und verdrängt dieselben. Dazu
können sich dann secundäre Veränderungen, Durchbruch der Oysten, Freiwerden
der Papillen u. s. w. gesellen.
Nirgends findet man in diesen Tumoren einen Zustand, der an die Be-
schaffenheit der jüngeren Theile der gewöhnlichen Kystome erinnert, nirgends die
mehr oder weniger festen, auf dem Durchschnitte bald mehr wabenartigen, bald
mehr cystischen höckerigen Erhebungen an der Innenfläche der Hauptcysten, nir-
gends den eigenthümlichen zäben weisslichen Inhalt jener Theile. — Andrerseits
findet man kaum bei den gewöhnlichen Kystomen einen Theil der Cysten derartig
1) Scanzoni 1. ce. p. 170.
2) Handbuch p. 840.
— 2359 —
die Organe des kleinen Beckens durchsetzend, und mit ihnen verwachsen, wie in den
beiden ersten oben beschriebenen und einigen anderen Fällen, während freilich diese
Eigenschaft auch bei den papillären Kystomen fehlen kann. Dürfen wir nun diese
Geschwülste in zwei verschiedene Klassen theilen, je nachdem sie Flimmerepithel
besitzen, oder nicht? Da die besten Beobachter in einigen Fällen solches nicht
fanden (Fox, Recklinghausen, auch Beigel u. A.), so ist ein Zweifel an der
Richtigkeit der Beobachtung nicht zulässig, wenn auch hervorgehoben werden muss,
dass die Untersuchung älterer Präparate nur sehr ungewisse Resultate liefert. Der
wichtigste Umstand ist aber die für die obigen Fälle nachgewiesene Transforma-
tionsfähigkeit des Epithels. Zweitellos kann das Flimmerepithel auf einen sehr
kleinen Raum beschränkt sein, der der Untersuchung entgehen kann, und der Befund
einiger weniger Flimmerzellen in situ kann für die Natur des ganzen Epithels ent-
scheidend sein.
Wenn wir nun auf der einen Seite für die glandulären Kystome die Entwi-
ckelung von schlauchförmigen Einsenkungen des Öberflächenepithels festhalten,
welche durch stets fortschreitende drüsenähnliche Bildungen den Charakter dieser
Geschwülste ausmachen, so stehen für die papillären Kystome diesem Entwi-
ckelungs-Modus zwei andere gegenüber; nach der einen Ansicht sollen sich dieselben
aus Graaf’schen Follikeln, nach der andern aus supponirten parovarialen Einschlüssen
entwickeln.
Durch Waldeyer') ist zuerst nachgewiesen worden, dass das Epithel des
Miller’schen Ganges, der nachmaligen Tuba genetisch eng zusammenhängt mit
dem „Keimepithel“, welches das Ovarium überzieht. Erst später findet eme Tren-
nung Statt, indem sich zwischen Eierstock und Fimbria ovarica ein schmaler Strei-
fen Peritoneum einschiebt, indess ist die Ausdehnung dieses Streifens, sowohl bei
verschiedenen Thierspecies als beim Menschen grossem Wechsel unterworfen.
Aus Mangel an hinreichendem Material frischer menschlicher Früchte aus
früheren Monaten habe ich dies Verhalten nicht eingehender untersuchen können,
indess findet man noch beim Neugebornen, dass ein fast unmittelbarer Uebergang
zwischen beiden Epithelien statt haben kann. Macht man einen Schnitt durch
das Ovarium und die Fimbria ovarica ungefähr parallel der Längsaxe des ersteren,
so sieht man die wellig getaltete Oberfläche der letzteren bis an die Furche an der
1) Eierstock und Ei 1870. p. 9. u. p. 124. Taf. V. Fig. 50.
Abh. der naturf. Ges. zu Halle. XIV, 5. Hft. 4
— 3% —
Basis des Ovarium sich fortsetzen. Das mit Cilien besetzte Epithel der Fimbria
wird allmählich niedriger, und verliert die Cilien, hört jedoch nicht ganz auf, nimmt
sodann an Dicke, in der genannten Furche oder kurz vor derselben, wieder zu, um
in das bekannte Cylinderepithel des Ovariums überzugehen, welches, abgesehen von
den Cilien, ganz mit dem der Tuba identisch ist. Nun beginnt die Bildung der
schlauchförmigen Einsenkungen und der Follikel, welche das ganze Eierstocksparen-
chym erfüllen. Indess bereits vorher, also näher der Tuba, sind ähnliche schlauch-
förmige Einsenkungen vorhanden, welche in der Regel keine Follikel zu liefern
scheinen, aber noch am Eierstock des Neugebornen deutlich erkennbar sind.
Wann die Entstehung der Cilien beginnt, ist nicht ganz sicher (cf. Waldeyer
p. 123). Ob man nun berechtigt ist, ein Flimmerepithel in einer Oyste abzuleiten
von dem nicht flimmernden Keimepithel, welches aber dem Tuben-Epithel so nahe
verwandt ist, wie Bruder und Schwester, oder ob man aus dem Vorhandensein des
Flimmerepithels zu dem Schluss gezwungen ist, dass das Ursprungs-Epithel zur Zeit
der Entstehung der Oyste bereits flimmertragend war, das lässt sich vorläufig nicht
entscheiden.
Indess ist es wohl nicht gezwungen, von jenen unmittelbar neben der Fim-
bria gelegenen Epithelschläuchen Cysten abzuleiten, und wenn das Flimmerepithel
sich einmal etwas weiter als gewöhnlich auf die Basis der Ovarien fortsetzt, so ist
es erklärlich, wenn diese Oysten ebenfalls ein Flimmerepithel erhalten. Vielleicht
gilt dasselbe von Graaf’schen Follikeln, welche jenem Epithel entstammen. (Auch
Waldeyer erwähnt an einer Stelle seines Buches die Flimmereysten der Ovarien
als Beweis für die nahe Verwandtschaft des Tuben- und des Övarienepithels. ')
Gegenüber Brodowski sei bemerkt, dass es also, wenn die Entstehung der
Flimmereysten aus Graaf’schen Follikeln oder richtiger, aus Bildungen, die densel-
ben analog sind, nachgewiesen wird, es sich nicht um Aufhebung des Remack’schen
Gesetzes handelt, sondern, dass jene Beschaffenheit des Epithels sich weit ungezwun-
gener in der angegebenen Weise erklärt.
Nicht unwichtig ist das Verhalten des oben beschriebenen Leipziger Präpara-
tes, bei welchem an beiden Ovarien die Degeneration offenbar in dem lateralen
Theil, also nahe der Tuba begonnen hatte, während die mediale Hälfte frei war.
RL. pr:
— 297 —
Ich kann nicht nmhin, hier noch eine Beobachtung einzuschalten, welche ganz kürzlich an einer
an pu erperaler Peritonitis verstorbenen, von Herrn Prof. Ackermann seeirten Fau von 23 Jahren ge-
macht wurde. (Section v. 18. 11. 78.)
Das linke Ovarium zeigt sich in eine 7,5 centimeter lange, 5 centim, breite, etwa 3 centim. dicke,
eiförmige, sehr deutlich fluetuirende Geschwulst umgewandelt, aus welcher sich etwa 50 ce. einer blassgelben
Flüssigkeit entleeren. Die Innenfläche der Cyste ist glatt, nur am äusseren Umfange, genau der Stelle
entsprechend, wo die Fimbria ovarica sich anheftet, findet sich ein kreisförmig begrenzter Fleck, auf
welchem sich zahlreiche dieht stehende sandkorn- bis hanfkorngrosse weissliche höckerige Prominenzen
erheben. Nicht weit davon ist noch eine etwa eimen centimeter im Durchmesser haltende, von einem etwas
vorspringenden Saume umgebene kreisförmige Stelle, jedoch mit glatter Oberfläche, vorhanden, offenbar
von einer ehemals geschlossenen Cyste herrührend, Die ungefähr hühnereigrosse Haupteyste hat sich in
dem äusseren oberen Theile des Ovarium entwickelt; ihre Wand wird grösstentheils von dem sehr ver-
dünnten Ovarialgewebe gebildet, während die Hauptmasse des Eierstockes am untereren medialen Umfang
der Cyste noch vorhanden ist. Sowohl in diesem Theile als auch in der bis auf 1 bis 2 millimeter ver-
dünnten Oystenwand finden sich zahlreiche Follikel in allen Stadien der Reifung; einige derselben bilden
hanfkorngrosse Bläschen in der Cystenwand, und ragen z. Th. nach innen, z. Th. nach aussen hervor. In
sämmtlichen ist wohlerhaltenes Follikelepithel und das Ei nachweisbar.
Das Epitliel der Cyste löst sich sehr leicht ab; es besteht grösstentheils aus kurz eylindrischen
Zellen; beim Abschaben der Papillen erhält man zusammenhängende Epithellappen, und eines dieser
haubenförmigen Stücke, welches noch im Zusammenhang mit andern von gewöhnlicher Beschaffenheit steht,
zeigt wohlerhaltene Cilien, welche die ganze Oberfläche bedeeken. An einem andern, von
derselben Gegend stammenden Epithelstick finden sich vereinzelte Flimmerzellen mit mehr oder
weniger zahlreichen Cilien zwischen den übrigen flimmerlosen Zellen vor; doch gelang
es mir weder an andern, dem frischen Präparat entnommenen Proben, noch an den sehr zahlreichen nach
der Erhärtung gemachten Schnitten, anderweitig Flimmerzellen aufzufinden.
Die Papillen zeigen übrigens dieselbe Beschaffenheit, wie in den oben beschriebenen Fällen; sie
bilden kleine knopfförmige Hervorragungen aus weichem Bindegewebe, welche von der innersten Schicht
der Wand ausgehen. Schlauehförmige Epitheleinsenkungen sind weder an der äusseren Oberfläche, noch
innen vorhanden, ebenso wenig ist ein Zusammenhang mit der Tuba oder der Fimbria ovarica nachweisbar,
Was die Entstehung dieser Cyste betrifft, so würde man zunächst daran denken können, dieselbe
als einfachen Hydrops follieuli aufzufassen, Mag dies nun der Fall sein, oder nicht, so geht jedenfalls aus der
Beschaffenheit der Wandung hervor, dass eine solche ursprünglich einfache Cyste sich durch Eröffnung von
Follikeln in dieselbe hinein vergrössern kann. Denn die in der dünnen Wand derselben vorhandenen
eystischen Follikel werden sich entweder nach aussen oder nach innen öffnen, je nachdem die innere oder die
äussere Wand sich stärker verdünnt. Die beiden kreisförmigen, noch durch einen etwas vorspringenden Saum
begrenzten Stellen in dem lateralen T'heil sind denn auch wohl sicher als geplatzte Cysten aufzufassen.
Den Boden der einen finden wir nun mit dicht gedrängten Papillen besetzt, und hier sind auch Flimmer-
zellen vorhanden. Gerade diese Stelle entspricht dem Ansatzpunkt der Fimbria ovarica. Es scheint, dass
wir es bier mit dem Rest einer Cyste, vielleicht einem ursprünglichen Graaf’schen Follikel zu thun haben,
34*
— 258 —
dessen Epithel von jener Uebergangsstelle stammt, und dieser Fall darf daher wohl als eine Stütze der
obigen Theorie gelten; auch dieser ist als ein frühes Stadium eines papillären Kystoms aufzufassen, welches
aber einer Follienlareyste anscheinend aufgepfropft ist.
Die Flüssigkeit der Cyste ist grünlich gelb, leicht getrübt, filtrirt fast klar. Specif. Gewicht 1023.
Sie giebt mit Alkohol eine starke Fällung, mit Ag. dest. verdünnt, und nach vorsielitiger Ansäuerung mit
Essigsäure gekocht, giebt sie einen starken feinflockigen Niederschlag, der sich etwas langsam, aber voll-
ständig absetzt, so dass die darüberstehende Flüssigkeit vollkommen klar ist.
Das Ovarium der anderen Seite ist 5,0 centimeter lang, 2,0 breit, 0,5 dick', stark abgeplattet,
zeigt eine Anzahl alter Corpora nigra und ziemlich zahlreiche Follikulareysten. Flimmerepithel oder
schlauchförmige Einsenkungen von der Oberfläche sind nicht nachweisbar.
Leiten wir die in Rede stehenden Geschwülste von dem Oberflächenepithel
ab, so ist das Verlorengehen der Cilien in der Neubildung nicht ohne Analogie mit
dem normalen Verhalten, denn es wiederholt gewissermassen den Uebergang zwischen
Epithel der Tuba und des Eierstockes. Auf diese Weise führen wir im Ganzen die
papillären Kystome auf denselben, oder wenigstens annähernd denselben Ursprung
zurück, wie die übrigen multiloculären Kystome.
Die Frage ist nun vielleicht berechtigt, warum gerade diese Art von Cysten
die Neigung besitzt, papilläre Wucherungen zu erzeugen, während dies bei den
Adeno-Kystomen, welche doch von gleichwerthigen Gebilden abstammen, nicht der
Fall ist. Man darf vielleicht als Grund anführen, dass diese Cysten der Tubenwand
weit näher stehen, als den Ovarıum. Ein Längsdurchschnitt durch die Fimbria
ovarica eines Neugebornen sieht in der That der Wand eines papillären Kystoms
äusserst ähnlich. In dem einen Falle, dem der papillären Kystome, hat
das Epithel den Charakter eines Oberflächen-Epithels bewahrt, in
dem andern, dem der gewöhnlichen Kystome, den eines Drüsenepi-
thels angenommen. Nur dem letzteren kommt daher der Name
„Adeno-Kystom“ mit Recht zu.
Die andere, hauptsächlich von Olshausen unterstützte Ansicht ist die Ab-
leitung der papillären Kystome von Theilen des Parovarium. Diese Ansicht hat
viel für sich, namentlich da das Epithel des Parovarium dem Tubenepithel ebenfalls
sehr ähnlich ist. Auch die Entstehung der parovarialen Cysten ist nicht mehr
zweifelhaft, und kann zuweilen schon in frühester Kindheit beobachtet werden; so
fand ich vor Kurzem bei einem wenige Tage alten Kinde zwei mohnkorngrosse
Flimmerepitheleysten, welche als unmittelbare Fortsetzung der Parovarialschläuche
dicht bei dem Ovarium sassen.
a
Ein wichtiger Punkt scheint mir jedoch zu sein, dass die Parovarialcysten
niemals zahlreich sind, meist solitär, selten zweikammerig. Da nun aber notorisch
die papillären Kystome mit Flimmerepithel häufig multipel angelegt sind (Wilks,
Brodowski, Leipziger Fall), so spricht dies allein schon gegen ihre parovariale
Entstehung. ‚Ja, ich glaube, dass man eine Oyste, wie die von Recklinghausen
beschriebene, bei welcher das ebenfalls eystische Ovarium der Cyste aufsass, ebenso
gut von einer solchen schlauchtörmigen Einsenkung mit Flimmerepithel ableiten
kann, als vom Parovarium, so auch vielleicht der Fall vom Prof. Olshausen.
Aus den vorhergehenden Betrachtungen können wir den Schluss ziehen, dass
die papillären Kystome von Graaf’schen Follikeln abstammen, oder von Bildungen,
welche denselben äquivalent sind, und welche wahrscheinlich vom Oberflächenepithel des
lateralen Theiles der Ovarien herrühren. Ob dieselben von foetalen Bildungen, oder
von späteren Epithelwucherungen herzuleiten sind, ist vorläufig nicht zu entscheiden. *)
Es handelt sich nun darum, einige Haupteigenschaften der papillären Kystome
etwas näher zu charakterisiren.
*) Erst nach Beendigung dieser Arbeit erhielt ich Kenntniss von der sehr interessanten Abhandlung
von de Sinety und Malassez, Sur la structure, l'origine et le d&veloppement des Kystes de l’ovaire, Arch.
de Physiologie 1878, welche in gewisser Beziehung eine Bestätigung der obigen Ansicht enthält. Leider
liegt bisher nur der erste T'heil der Arbeit vor. S. und M. beschreiben darin zwei Ovarien, das eine von
normaler Grösse, das andere etwas vergrössert; beide waren bei Gelegenheit der Exstirpation grosser
multiloeulärer Cysten der anderen Seite mit entfernt. Leider ist die Beschaffenheit der letzteren nicht
näher angegeben. In beiden Fällen fanden sich in dem Ovarium der anderen Seite, welches offenbar
den Anfang der Geschwulstbildung darbot, kleine Cysten, die sich in dem einen Falle als hydropische
Follikel, z. Ih. mit Eiern, erwiesen. Daneben fanden sich aber in diesem Falle, im andern dagegen
allein, sogenannte Pseudo-Follikel, kleine Üysten, welche mit einem abweichenden Epithel bekleidet waren,
und zwar bestand dies aus mehr oder weniger grossen Cylinderzellen, Flimmerzellen und stellen-
weise auch Becherzellen. deS. und M. konnten nun in beiden Fällen hohle Epithelschläuche nachweisen,
welehe mit demselben verschiedenartigen Epithel ausgekleidet waren, und welche mit dem Oberflächenepi-
thel nach Art der Pflüger’schen Schläuche zusammenhingen. Diese verzweigten sich im Ovarialstroma
und gaben Anlass zur Bildung von kleinen mit Flimmerepithel ausgekleideten Cysten. Es ist somit der
Nachweis geführt, dass von dem Öberflächenepithel Flimmerepitheleysten im Ovarium entstehen können;
es wäre nun von grossem Interesse zu erfahren, ob die exstirpirten Geschwülste der andern Seite etwa
papilläre Kystome waren, wie ich vermuthen muss. Auffallend scheint mir allein das Vorhandensein
von Becherzellen neben den Flimmerzellen, welche ich wenigstens nie zusammen beobachtet habe.
Indess ist ja das Vorkommen von Combinationen mehrerer Cystenformen wohl denkbar, ja sogar durch
die Fälle von Eichwald, Flesch u. A. erwiesen.
— 260 —
Ein wichtiger Punkt ist die Bildungsweise secundärer Öysten.
Wilson Fox beschrieb bekanntlich die Bildung von Uysten aus interpapil-
lären Spalten durch Verwachsung ‚der freien Enden der Papillen. Wohl bemerkt,
nennt er jedoch selbst diese Art der Cystenbildung aceidentell, er legt ihr selbst
keine grosse Bedeutung bei, und reservirt sie lediglich für seine beiden Papillar-
geschwülste, während er klar und deutlich die secundären Cysten der glandulären
Kystome aus Abschnürung neugebildeter Drüsenschläuche, Anhäufung von Sekret
in den abgeschnürten T'heilen, Vervielfältigung durch Bildung von Septis im
Grunde der drüsigen Einsenkungen entstehen lässt (in neun von seinen fünfzehn
Fällen), endlich beobachtete er auch in den Fällen, in welchen keine Drüsenschläuche
deutlich waren, sondern nur Öysten, Ausstülpungen der Wand der letzteren, so dass
auch diese auf den allgemeinen Typus zurückgeführt wurden. Nichtsdestoweniger
hat man vielfach (cf. Klebs'), Böttcher?) u. A.) die Fox’ssche Ansicht von
der Entstehung der secundären Oysten aus interpapillären Spalten so aufgefasst,
als sollte dieselbe für sämmtliche Kystome gelten, was offenbar unrichtig ist.
Fox leitet die zusammengesetzten ebenso wie die einfachen Eierstockscysten
von den Follikeln ab. Selbstverständlich entstehen die Papillargeschwülste secundär
an der Innenwand der Üysten, indess kann nach Fox’ Ansicht eine Bildung: secun-
därer Öysten aus interpapillären Spalten statthaben. Er selbst giebt übrigens zu, dass
vielleicht nicht sämmtliche Hohlräume zwischen den Papillen bereits Cysten dar-
stellen, wenn sie auch auf Durchschnitten das Aussehen haben.
An sich ist eine Entstehungsweise von Cysten auf diese Art wohl möglich
und an anderen drüsigen Geschwülsten mehrfach nachgewiesen ’); es wird sich aber
dann in der Regel nur um kleine eystische Räume in den Papillargeschwülsten
handeln. Ich selbst habe sie in meinen ersten beiden Fällen nicht beobachtet,
indess bin ich vollkommen überzeugt, dass die ziemlich zahlreichen kleinen Cysten
an der Oberfläche der grossen Papillargeschwulst meines dritten Falles auf
diese Weise entstanden waren; eine andere Bildungsweise ist für dieselben gur
nicht denkbar. Ebenso gut können solche auch in den derben Papillarwuche-
rungen an der Innenfläche der Cysten vorkommen, sie bleiben aber stets an der
Oberfläche der Parpillarschicht. Nicht zu verwechseln mit diesen sind die oft
1) Virchow’s Archiv Bd. 41. 1867. p. 6.
2) 1. ce. p. 3434.
®) cf. Ackermann, Virchow’s Archiv. Bd. 43. p. 88. Rindfleisch, Path. Gew.-L. p- 118.
— 361 —
sehr cystenähnlichen myxomatösen Papilien, welche auch in der That kleine Erwei-
chungscysten einschliessen können. Ein Theil der sogenannten gestielten Cysten
gehört wahrscheinlich hierher; beide kommen auch zusammen vor, wie in unserem
dritten Falle. So glaube ich auch die Abbildung von Paget auffassen zu müssen ;
die „endogenen“ Cysten oder Bläschen sind tausendfältig zusammengesetzt, und in
grosslappigen oder warzigen Massen angehäuft. ')
Es bleibt stets ein wichtiges Unterscheidungsmittel zwischen den papillären
und den glandulären Kystomen, dass bei den ersteren die Cystenwucherung in der
Wandung, die für die letzteren so charakteristisch ist, wegfällt. Allerdings finden
sich in der dieken Wandung der Haupteysten spaltförmige mit Epithel ausgekleidete
Lücken, welche stellenweise in cystische Erweiterungen übergehen. Diese Hohlräume
verlaufen jedoch mit ihrer Längsaxe parallel der Streifung der Wand, und der Ober-
fläche, und es ist mir wenigstens nicht gelungen, schlauchförmige Einsenkungen in
die Tiefe zu finden, welche zu jenen Räumen Anlass geben könnten, so dass diese
wahrscheinlich auf die ursprüngliche Anlage zurückzuführen sind.
Die mehr oder weniger zahlreichen Nebeneysten, welche in die Ligamenta
lata hinein oder in deren Umgebung wachsen, und nach Bildung vielfacher Adhäsionen
untereinander und mit den Organen des kleinen Beckens ein dichtes, der Operation
unüberwindliche Hindernisse darbietendes Oonvolut bilden können, sind am wahr-
schemlichsten ebenfalls von der multipeln Anlage kerzuleiten.
Was die Flüssigkeit unserer Tumoren betrifft, so habe ich derselben in den
beiden ersten Fällen leider zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, und kann daher
nur auf die obigen Angaben über das allgemeine Verhalten verweisen, welches sich
in Uebereinstimmung mit früheren Beobachtungen befindet. In den jüngeren Cysten
ist die Flüssigkeit im Allgemeinen dünnschleimig und klar, ja sie kann selbst serum-
artig sein, in den grösseren ist sie dagegen dicker, weisslich getrübt durch abge-
stossene körnige Epithelien, in den ganz grossen Cysten endlich ist der Inhalt durch
nachträgliche Veränderungen, durch Blutungen aus den gefässreichen Papillen u. s. w.
wesentlich abweichend, so z. B. wurde aus der Haupteyste unseres zweiten Falles
eine sehr dieke schmutzigrothbraune Flüssigkeit entleert; Fox fand sie sogar von
der Beschaffenheit dieker Erbsensuppe, doch ohne die Zähigkeit und die schleimige
Consistenz anderer Öystengeschwülste.
1) Surgical lectures II. p. 81. fig. 4.
— 2162 —
Niemals findet sich in den kleinen Cysten jener zähe weissliche, häufig mit der
Scheere schneidbare Inhalt, welcher für die glandulären Kystome so charakteristisch ist.
Spiegelberg') entleerte ganz diinne Flüssigkeit aus der Haupteyste, die
kleineren Cysten enthielten theils „eiterige“, die grosse Mehrzahl braune durchschei-
nende zähflüssige Masse (offenbar nachträglich verändert). In einem zweiten Fall?)
entleerte Spiegelberg aus der Bauchhöhle hellbraune, z. Theil spontan coagulirende
Flüssigkeit, welche „mässige Mengen von gewöhnlichem Eiweiss, etwas weniges Seruni-
Eiweiss“ enthielt. Bei einer zweiten Punktion enthielt die Flüssigkeit viel Paral-
bumin, Gerinnsel bildeten sich nicht spontan; neben kleinen, z. Th. in Fettumwandlung
begriffenen Zellen fanden sich grosse mit Vacuolen und Cholesterin-Krystalle. Sp. schloss
hieraus auf Uebertritt von Geschwulstinhalt in die Bauchhöhle.
Benecke) fand in dem Stilling’schen Fall in den kleinen Cysten durchaus
klare eiweisshaltige Flüssigkeit.
Von besonderer Wichtigkeit war es mir, die Flüssigkeit des dritten Falles von
Kystoma papillare etwas genauer untersuchen zu können, wobei mir Herr Prof. Nasse
mit Rath und That freundlichst beistand.
Das aus der Haupteyste stammende Fluidum (a) ist trübe, grünlichgrau, dünnflüssig, nicht faden-
ziehend, aber stark schäumend, beim Verdunsten stark klebrig, von 1038 Spee. Gew.
Auch die in der Bauchhöhle in geringer Menge (etwa 300 cc.) befindliche Flüssigkeit (b) zeigt
nach dem Absetzen einer geringen Menge Blutes eine sehr ähnliche Beschaffenheit: sie ist nur leicht ge-
trübt, graugelblich, mit einem Stich in’s Grünliche, von 1027 Spee. Gewicht.
Die mikroskopische Untersuchung ergiebt, dass die Trübung bedingt ist durch abgestossene vertet-
tete Epithelien, welche vollständig identisch sind mit den in situ beobachteten. Durch Zerfall derselben
werden Fetttröpfchen frei.
Die Flüssigkeit (a) filtrirt langsam, das Filtrat ist klar, leicht opalisirend, giebt beim Erhitzen,
sowie bei Zusatz von Ace. nitr. eine vollständige Gerinnung (auch mit 2 °/, Alaunlösung); im Ueberschuss
von Essigsäure erfolgt kaum eine Trübung.
Es wurde sodann zur Untersuchnng der Flüssigkeit nach den von Huppert zum Nachweis des
Paralbumins genauer angegebenen Methoden geschritten. Beim Kochen der verdünnten (nicht filtrirten)
Flüssigkeit a unter vorsichtigem Zusatz von Essigsäure erfolgte eine starke kleinflockige Gerinnung, über
welcher sich sehr bald eine vollständig wasserhelle Flüssigkeit abschied. Man musste demgemäss auf voll-
ständige Abwesenheit von Paralbumin schliessen. Um nun die Empfindlichkeit der Methode zu prüfen,
1) ]. ce. Monatsschrift. Bd. XIV.
”) Archiv f. Gynäkologie. Bd. I. p. 62.
3) Deutsche Klinik. 1869. N. 26.
— 3163 —
wurden einer geringen Menge (etwa ein Fünftel eines gewöhnlichen Reagensglases betragend) der Flüssigkeit
a einige Tropfen verdünnten Cysteninhaltes eines gewöhnlichen Kystomes zugefügt (in welchem durch das Be-
stehenbleiben einer starken Trübung bei gleicher Behandlung Paralbumin nachgewiesen war). Bei Wieder-
holung des Versuchs bei vorsichtiger Ansäuerung blieb auch jetzt die über dem Niederschlag sich abschei-
dende Flüssigkeit wasserhell. Erst bei Zusatz einer grössern Menge der Paralbuminhaltigen Flüssigkeit
blieb die abfiltrirte Flüssigkeit milchig trübe. Daraus geht unzweifelhaft hervor, dass die angegebene
Methode zum Nachweis kleiner Mengen Paralbumin nicht genügt.
Zu näherer Bestimmung wurde eine Quantität der Flüssigkeit a mit Alkohol behandelt, der Nie-
derschlag nach drei Tagen filtrirt, mit Aether übergossen und getrocknet. Nach einigen Stunden wurde
derselbe mit Wasser verrieben, wobei er sich zu unserer Ueberraschung vollständig löste,
Es wurde sodann eine geringe Menge der Flüssigkeit a mit ganz verdünnter Schwefelsäure etwa
eine Stunde gekocht; ebenso wurde eine geringe Menge der Paralbuminhaltigen Flüssigkeit eines Kystoms
behandelt. Erstere gab eine gequollene schmutziggraue Masse, von welcher sich etwas ziemlich Klare
dünne Flüssigkeit abscheiden liess. Diese, mit alkalischer Kupferlösung behandelt, gab eine deutliche Re-
duction der Kupferlösung (jedoch ohne Oxydulniederschlag). Die zweite, trübe Flüssigkeit, ebenso behan-
delt, gab ebenfalls Reduction der Kupferlösung; am Boden des Glases schied sich nach einiger Zeit etwas
Oxydul aus,
Zur Controle wurde etwas der klaren Flüssigkeit, welche sich nach dem Kochen der mit Essig-
säure angesäuerten Flüssigkeit a über dem erhaltenen Niederschlag abgeschieden hatte, mit alkalischer
Kupferlösung behandelt, und auch diese gab eine deutliche, wenn auch schwache Reduction.
Daraus geht hervor, dass sich in dieser Flüssigkeit bereits ein redueirender Körper befand, dass
also die Reduction nach dem Kochen mit verdünnter Schwefelsäure keinen positiven Schluss auf das Vor-
handensein von Spaltungsproducten des etwaigen Mucies zulässt,
Das Resultat dieser Versuche ist, dass die Flüssigkeit des papillären Kystoms stark eiweisshaltig
ist, und vielleicht ganz geringe Mengen Paralbumins enthält. Dagegen würde das Verhalten des Al-
koholniederschlages sprechen, doch wird möglicherweise die Löslichkeit desselben durch noch längere Ein-
wirkung des Alkohols verändert. Andrerseits geht aber daraus hervor, mit welcher Vorsicht die sämmt-
lichen zum Nachweis des Paralbumins angegebenen Methoden aufzunehmen sind.
Die Art der Flüssigkeit steht jedenfalls in enger Beziehung zu der Beschaften-
heit der Innenfläche der Öysten, namentlich des Epithels, welches so wesentlich von
dem der gewöhnlichen Kystome abweicht. Jedenfalls spielt die Transsudation von
der durch die massenhaften gefässreichen Wucherungen enorm vermehrten Oberfläche
bei den papillären Kystomen eine grosse Rolle, wie bereits Hodgkin und Fox
annahmen.
Eine Betheiligung der Zellen bei der Absonderung ist indess ebenfalls vor-
handen, doch ist die „colloide* Umwandlung derselben auf ein geringes Mass be-
schränkt. Gequollene Zellen mit hyalinem Inhalt finden sich in geringer Anzahl,
Abh, der naturf, Ges, zu Halle, XIV, 3. Hit, 35
=
häufig kommt daneben wirkliche Verfettung vor, durch welche die Anfangs klare
Flüssigkeit weisslich getrübt werden kann. Zweifellos werden jedoch die locker an-
haftenden Epithelzellen der Zotten überhaupt leicht abgestossen, so dass Hegar
wohl im Recht ist, wenn er das Vorkommen zahlreicher kleiner Cylinderzellen (mit
Cilien?) in der Punktions-Flüssigkeit als diagnostisches Kriterium ansieht. ') Bei den
gewöhnlichen Kystomen ist die Betheiligung der Zellen weit bedeutender, wie aus
der grossen Anzahl abgestossener körnig und colloid entarteter Zellen in der Flüssig-
keit hervorgeht. Die Cylinderzellen der jungen in Wucherung begriffenen Theile
zeigen in der Regel ein auf die Basis beschränktes körniges Protoplasma , welches
den Kern einschliesst, und sich mit Carmin färbt, während der oberhalb des Kernes
gelegene grössere Theil der Zelle durch „colloide“ Umwandlung des Inhalts, welcher
sich in die Cyste ergiesst, durchsichtig ist, ja in manchen Fällen kann man an der
Oberfläche der Zellen einen stark lichtbrechenden Deckel erkennen, welcher durch
den Zelleninhalt ganz oder theilweise abgehoben wird. Ein solches Verhalten kommt
bei den papillären Kystomen nicht vor.
Einen sehr wichtigen Punkt bilden die Kalkkörper, welche oft in grosser
Menge in den Papillen und den festeren Theilen der Wandung angehäuft sind, und
es ist auffallend, dass auf dieselben in früheren Beobachtungen nicht mehr Werth
gelegt worden ist. Allerdings finden sich die Öoneremente nicht ausschliesslich
bei den in Rede stehenden Formen, sondern sie kon.men auch in anderen Ovarienge-
schwülsten vor. Andrerseits sind sie von manchen Beobachtern papillärer Geschwülste
nicht erwähnt, vielleicht nur übersehen worden. In den Fällen, welche ich zu unter-
suchen Gelegenheit hatte, waren die Kalkkörper stets in grosser Anzahl vorhanden,
so dass sie für eine Reihe der vom Keimepithel stammenden Geschwülste fast eben-
so pathognomonisch zu sein scheinen, wie für die Endotheliome der Hirnhäute (ohne
daraus auf eine Analogie zwischen beiden schliessen zu lassen).
Verkalkungen der Wandungen grösserer Oysten kommen bei Ovarialtumoren
ebenso wie bei Strumen und anderen Cystengeschwülsten vor. Eine derartige Verän-
derung in der Wandung eines Eierstocks-Colloid erwähnt bereits Virchow.)
Lebert?) fand geschichtete Kalk-Ooncremente ebenfalls in einem gewöhnlichen
Kystom des Ovarium.
1) A. Hegar, zur Ovariotomie. Volkmann’s Klinische Vortr. 109. p. 6.
?) Verhandlungen der Gesellschaft f. Geburtshülfe. Berl. 1848. p. 226.
3) Physiologie pathologique II. p. 70.
—
Waldeyer') sah zahlreiche sandige Concremente in der Wandung eines
glandulären Kystoms, doch waren diese nicht geschichtet; sie nahmen stets die Stelle
der epithelialen Bildungen ein, hin und wieder fanden sich innerhalb derselben
Räume, wo die Kalkkörper lagen, noch Epithelhaufen erhalten. Nach Waldeyer's
Meinung hat diese „epitheliale Inerustation“ mit psammösen Kalkkörpern nichts zu
thun, vielmehr steht. diesen Bildungen am nächsten der von Ackermann?)
beschriebene Fall von inerustirtem Brustkrebs, sowie ein zweiter ganz ähnlicher,
welchen Waldeyer selbst beobachtete.
Die übrigen Befunde beziehen sich auf papilläre Kystome.
Rokitansky°) erwähnt in den Exerescenzen an der Innenfläche der Cysten
zuweilen in grosser Menge abgelagerte einfache und geschichtete, opalisirende, in-
crustirte Gebilde von der Grösse eines Elementarkörnchens bis zu '/s; mm. Durch-
messer. Er sah dieselben für jugendliche inerustirte Cysten an.
Die Angabe, welche sich in der Erklärung zu Fig. 5. Taf. 36 seines Werkes
findet, bezieht sich offenbar auf ein papilläres Kystom. („Beide Ovarien einer an
Pleuritis verstorbenen Weibsperson von mittleren Jahren waren zu mehr als hühner-
eigrossen, blumenkohlartigen, nackten, z. Th. von Resten einer mehrfach durchbroche-
nen Uystenwand bekleideten Geschwülsten verwandelt. Die Geschwülste bestanden
aus einem Aggregate meist parenchymatöser Exerescenzen mit ansehnlichen facettirten
Endkolben. — Ein Stückchen eines parenchymatösen Endkolbens, ausgefüllt mit
Zellgewebe, welches zahlreiche einfache und geschichtete junge Cysten mit opali-
sirendem colloiden Inhalt, von der Grösse eines Nucleolus bis zu "'k,y mm. Durch-
messer, daneben Incrustate ‚ähnlicher und grösserer Oysten einschliesst. Aeusserlich
haftete ein Kern-Epithelium daran“).
Spiegelberg fand die geschichteten Kalkkörper in seinem mehrfach erwähn-
ten Falle in grosser Anzahl in den Papillen, besonders des Hauptsackes.
Beigel beobachtete sie in grosser Menge ebenfalls. Dassauch bei Spencer
Wells vielleicht ähnliche Concremente abgebildet sind, habe ich bereits erwähnt.
Ich selbst habe mich von dem -Vorhandensein der sehr zahlreichen Kalkkör-
per im dem Leipziger Präparat (sowie auch an der Innenfläche der von Herrn Prof.
1) Archiv für Gynäkologie I. p. 216.
2) Virchow’s Archiv. Bd. 45. p. 60.
3) Rokitansky, Ueber die Cyste. Denkschriften der Akademie zu Wien 1850. Bd. I. p. 326.
BEN
— a
Olshausen erwähnten Cyste des lig. latum) überzeugt, und fand sie in grosser
Anzahl in den oben beschriebenen Fällen (namentlich F. 1 und 2).
Aber auch die in einem weiter unten zu beschreibenden Falle, sowohl in den
Papillargeschwülsten von der Oberfläche der Ovarien und vom Peritoneum, sowie in
den Krebsknoten daselbst vorhandenen Kalkeoneremente müssen als übereinstimmend
mit jenen angesehen werden.
Endlich habe ich ganz ähnliche geschichtete und drusige Bildungen in be-
sonders grosser Zahl in kleinen metastatischen Papillargeschwülsten des Netzes, bei
gleichzeitig vorhandenem nicht exstirpirten Ovarialtumor gefunden, welche ich für
carcinomatös halten musste. ')
Was die Bildungsweise der Concremente beiriftt, so ist diese nicht in allen
Fällen die gleiche. Sie bestehen grösstentheils aus kohlensaurem Kalk mit einer
organischen Grundlage. In dem zuletzt erwähnten Falle liess sich die Entwickelung
der Kalkkörper in den zelligen Elementen selbst sehr genau verfolgen; auch in dem
noch zu beschreibenden Fall tanden sich dieselben zum Theil in den Epithelhaufen,
meist jedoch im Stroma vor, in den übrigen Fällen endlich schienen sie hauptsächlich
an das letztere gebunden zu sein; stets lassen die Concremente nach der Entkalkung
eine geschichtete organische Grundlage zurück, welche ursprünglich vielfach identisch
mit sogenannten Üolloidkörnern zu sein scheint. Namentlich die Concremente,
welche die secundären Geschwulstknötchen in Fall 2 fast ganz erfüllten, und auch
die kleinen Knötchen an der Unterfläche des Zwerchfells bildeten, waren ganz aus
Verkalkung des ursprünglich colloiden Alveolar-Inhalts hervorgegangen.
Eine sehr wichtige Eigenschaft der papillären Kystome ist sowohl anatomisch
als klinisch das Vorkommen von Metastasen, welche in verschiedenen Formen sich
darstellen, als Papillarwucherungen am Peritoneum (Olshausen?), Sp. Wells°),
sodann in Form von Cysten, welche an der Innenfläche wieder Papillen produciren
(Hegar, Homans?)), und endlich in Form von Knoten, welche man vielleicht
richtiger als carcinomatös bezeichnen muss (Fall 2).
Es kann unter diesen Umständen nicht Wunder nehmen, dass nach der Ex-
stirpation derartiger Tumoren aus zurückbleibenden Resten sich Recidive derselben
1) ef. Olshausen, Handbuch. p. 433.
2)l.c. p. 55.
32) Ebenda p. 53.
4) Ebenda p. 60.
— 2617 —
Art entwickeln, wie m dem Fall von Beigel. Bemerkenswerth ist, dass sowohl in
solchen Fällen, als auch überhaupt bei frei in den Peritonealraum hineinragenden
Papillargeschwülsten stets Ascites zugegen ist.
In manchen älteren Beschreibungen lässt es sich nicht mehr entscheiden, ob
papilläre Kystome oder Careinome vorgelegen haben, denn dass eystische Carcinome
mit papillären Wucherungen am Ovarium vorkommen, ist zweifellos. In einem sol-
chen Falle, welchen ich untersuchte, fanden sich auf dem Peritoneum papilläre Wu-
cherungen und rundliche gestielte Knoten vor, welche aus jenen hervorgegangen
waren. So verhielt es sich auch in dem bereits erwähnten, im Handbuch von
Olshausen beschriebenen Falle'). Die papillären Wucherungen haben aber in
diesen Fällen einen ganz anderen Bau, wie bei den papillären Kystomen, denn dort
sitzen die Nester von Epithelzellen in den Zottenbildungen selbst, und so geschieht
es denn, dass bei weiterem Wachsthum diese Papillen zu wirklichen Krebsknoten
mit glatter Oberfläche verschmelzen, welche auf dem Durchschnitt aus einem sehr
gefässreichen Bindegewebsgertist und epithelialen Zellhaufen und Zellbalken bestehen.
In unseren Fällen 1 und 3 war nichts von Metastasenbildung zu bemerken,
im Fall 2 dagegen fanden sich erstens mehrere verkalkte Geschwulstknoten in den
Adhäsionen in der Umgebung des Haupttumor, ausserdem aber, in einiger Entfernung
von der Hauptcyste, kleine sandige Knötchen an der unteren Fläche des Zwerchfells
und endlich einige metastatische Knoten an der Oberfläche des letzteren.
Sollen wir diese Knoten als Careinome auffassen, oder als metastatische
Kystome? Unzweifelhaft handelt es sich um Bildungen von dem Typus der ur-
sprünglichen, unzweifelhaft müssen verschleppte Elemente der letzteren nach ihrer
Festsetzung sich zu kleinen Cysten mit Flimmerepithel, mit eigenthümlicher Abson-
derungsfähigkeit, ja selbst mit der Eigenschaft, papilläre Wucherungen und Kalk-
körper zu erzeugen, entwickelt haben.
Wir vermissen jedoch vor der Hand die eigentliche „destruirende Wirkung
der intensiveren Epithelwucherung“ (Klebs), welche wir für das Carcinom als cha-
rakteristisch ansehen müssen; vielmehr scheinen diese metastatischen Geschwilste
ihrer weitern Verbreitung durch frühzeitige Petrification sich selbst eine Grenze
zu setzen.
1) 1. ce. p. 432.
— —
Demnach ist auf der andern Seite den Elementen der papillären Kystome die
Fähigkeit nicht abzustreiten, ebensogut Uareinome zu produeiren, wie wir dies von
den Elementen der Oberflächen-Papillargeschwülste zeigen werden.
Es ist möglich, dass es sich in einem von Rokitansky !) beschriebenen
Falle um ein derartiges Vorkommen handelte, d.h. um ein papilläres Kystom,
welches zu ausgedehnten papillären Metastasen am Peritoneum, und zu Üarcinose
des Netzes und der Leber Anlass gegeben hatte. Jedoch ist der Fall nicht speciell
zu verwerthen, da eine mikroskopische Untersuchung fehlt.
Es ist übrigens bekannt, dass analoge Krebsbildung aus ursprünglich gut-
artigen Geschwülsten auch bei den gewöhnlichen Kystomen vorkommt, und dass
auch hier das Careinom in der Beschaffenheit des Epithels, in der Bildung zahlrei-
cher mit gallertiger Masse gefiller Aveolen an den ursprünglichen Typus erinnert.
Diese Fälle sind treffende Beweise für die Nieht-Speeihieität der Carcinome.
Erst vor einigen Monaten hatte ich Gelegenheit, ein derartiges Kystom zu
untersuchen, welches an seiner Oberfläche mehrfach mit dem Netz verwachsen war,
und hier einzelne rauhe, unebene Stellen von krebsiger Beschaffenheit zeigte, wäh-
rend im Uebrigen der sehr umfängreiche Tumor — ohne eigentliche Haupteyste,
aber mit zahlreichen kleineren, bis faustgrossen Abtheilungen — von cystoidem Bau
war, so dass auf dem Durchschnitt der dickschleimige, weissliche und gelbliche Inhalt
der eystischen Hohlräume; überall hervorquoll. In dem mitexstirpirten Stück des Netzes
fanden sich mehrere plattrundliche harte Knoten von 1—2 centim. Durchmesser und
!/, centim. Dieke, mit etwas eingezogener Mitte. Von der Schnittfläche erhielt
man einen zelligen Saft, der theils lang cylindrische, mit basalem Kern versehene,
ferner kleine polyedrische, aneinander gereihte und grössere in rundlichen Haufen
beisammenliegende Epithelzellen zeigte. An Schnitten ergab sich ein dem Gallert-
careinom ähnliches Bild, doch trugen die z. Th. mit regelmässigem Oylinderepithel
ausgekleideten Hohlräume deutlich den Typus der ursprünglichen Geschwulst.
Bei der fünf Wochen später angestellten Section (am 20. April 1878; Frau
von 52 J.) fand sich eine sehr ausgebreitete Carcinose des Peritoneum, welche zu
colossalen Verwachsungen Anlass gegeben hatte. Die histologische Untersuchung
ergab denselben Bau wie an den Netzknoten.
1) Ueber den Zottenkrebs; Sitzungs-Berichte der physik.-mathem. Klasse der Akademie zu Wien.
1852. Bd. S. p. 529.
a,
II. Die Papillargesehwulst der Oberfläche der Ovarien.
(Fall 4). Papillargeschwülste von der Oberfläche beider Ovarien; Secundäres Carcinom des
Peritoneum und des grossen Netzes.
Frau H., 69 Jahre alt, wurde wegen einer ungefähr faustgrossen Geschwulst am Nabel in die
chirurgische Privatklinik des Herrn Geheimrath Prof. Volkmann aufgenommen. Bei der Exstirpation
der Gesehwulst am 18. August 1877 zeigte sich, dass dieselbe mit dem grossen Netz zusammenhing, von
welchem sie abgeschnitten werden musste. 'T’rotz des guten Wundverlaufes erfolgte nach zwei "Tagen der
Tod unter Erscheinungen von Collaps.
Die Section (am 21. August 1877, 15 h. p. m. Prof. Ackermann) ergab folgenden Befund:
Weiblicher Leichnam von etwas mehr als mittlerer Länge und sehr erheblicher Corpulenz. Haut-
decken blass; an der hinteren Körperfläche und der rechten Hälfte des Gesichts diffuse bläulichrothe
Todtenflecke. Mässiger Rigor. Die Bauchdecken zeigen keine Striae, der Bauch ist sehr voluminös und
die Bauchhaut in Folge eines unmittelbar vor der Section entfernten Verbandes vielfach unregelmässig
gefalttet. In der Mitte der Bauchdecken befindet sich eine 13 cent. lange, durch zahlreiche Knopfnähte
geschlossene Schnittwunde, deren unteres Ende 11 centimeter oberhalb der Symphyse, deren oberes 15
centimeter unterhalb des Proc. ensiformis liegt. Die Wunde verläuft genau vertieal, entsprechend der
linea alba; aus dem oberen Wundwinkel ragt ein Drainrohr hervor, ein zweites etwa aus der Mitte der
Wunde, ein drittes ungefähr 1 centimeter über dem unteren Ende derselben. Die Wundränder sind nicht
geschwollen. Nach Entfernung der Nähte drängen sich die verklebten Wundränder auseinander, und es
präsentirt sich eine vollkommen eiterfreie, mit dünnen Schichten unveränderten Blutgerinnsels bedeckte
Wunde, deren Oberfläche z. Th. durch die etwa 4 centim. dieken Bauchdecken gebildet wird, während
in der Tiefe, etwa im Umfange eines Zweimarkstückes eine leicht sich vordrängende mässig geröthete
Darmschlinge sichtbar ist. Nach links und oben von dieser Darmschlinge gelangt man ohne Widerstand
mit dem Finger in’s Cavum peritonei, während nach rechts hin die erwähnte Darmschlinge mässig fest
mit dem Peritoneum parietale verklebt ist.
Im rechten Pleurasack befinden sich ungefähr 200 ce. einer dünnen blutig tingirten Flüssigkeit,
Die Lungen sind_bis auf geringe ältere Verwachsungen, Oedem und Blutfülle der unteren Lappen
ohne besondere Veränderung. Das Herz stark mit Fett umwachsen, seine Muskulatur äusserst schlaff
und mürbe, trübe und etwas blutarm. Klappen normal.
Das grosse Netz ist auf’s Aeusserste verschmälert, so dass es dem Colon trans-
versum nur noch in Form eines theils schmäleren, theils breiteren, höchstens etwa
8 centimeter breiten Gebildes anhängt; in diesem geschrumpften Omentum befindet
sich zunächst nach rechts in der Nähe der Flexura hepatica eine ziemlich derbe, etwa
7 centim. breite, 3 centim. hohe Geschwulst mit glatter Oberfläche, mit ganz feinkör-
niger Schnittfläche von vorwiegend weisslieher Farbe, auf welcher eine Anzahl nagel-
kopfgrosser Einsprengungen sichtbar sind. Eine ähnliche, etwas niedrigere und
schmälere Geschwulst, im Wesentlichen von gleicher Beschaffenheit, findet sich
zunächst in der Mitte des Colon transversum in dem geschrumpften Omentum, und
= We
an dem rechten Ende dieses Tumor's findet sich eine etwas hyperämische, frische,
nicht mit Eiter bedeckte Schnittfläche.
Die dünnen Gedärme sind z. Th. ganz lose durch spärliche Fibrinlagen untereinander verklebt,
ihre Sersosa ist im Ganzen blass, zeigt jedoch entsprechend den Winkeln, wo die Därme aneinanderstossen,
eine mässige, leicht hämorrhagische Hyperämie. Flüssiges Exsudat ist in der Bauchhöhle nicht vorhanden.
Die dünnen Därme sind etwas meteoristisch.
Mesenterium ausserordentlich fettreich; in den Drüsen desselben nichts von Schwellung und auf-
fälliger Härte zu bemerken. Das Peritoneum parietale zeigt da, wo es in die Bauchdecken
übergeht, sowohl in der Mitte, wie auch zu beidenSeiten, eine sehr erhebliche Anzahl
flacher, derber, vielfach eonfluirenderKnötchen, die z. Th. nur die Grösse einesSand-
kornes besitzen, z. Th, aber auch etwas grösser, einige millimeter im Durchmesser
haltende Platten bilden. Sie sind in breiteren und längeren Zügen angeordnet, welche bis in die
Excavatio reeto-uterina hinabsteigen, und auch an der Vorderwand des Reetum und der hintern des Uterus
sich vorfinden.
An der Oberfläche beider etwas verkleinerter Ovarien befindet sich eine aus
ziemlich langen, und vielfach ramifieirtenZotten zusammengesetzte, etwa haselnuss-
grosse Geschwulst, Uterus atrophisch, schliesst eine Anzahl bis kirschengrosser Myome ein.
Die Milz klein, schlaff, ihre Trabekeln etwas hyperplastisch, Nieren von grossen Fettmassen
umgeben, klein, schlaff, etwas mürbe, ihre Oberfläche glatt. Die Leber etwas kleiner als normal, zäh,
schmutzig gelb, mit glatter Oberfläche, anämisch, anscheinend ziemlich stark verfettet. Im Magen und
Darm nichts Bemerkenswerthes.
Eine nähere Untersuchung der Genitalien ergiebt Folgendes:
Das linke Ovarium ist 2,5 centimeter lang, 1,5 breit, 0,9 diek, das rechte 2,2 centimeter lang,
1,3 breit, 0,8 dick. An beiden Eierstöcken, und zwar hauptsächlich am obern Rande, z. Th. auch an
der hinteren Fläche finden sich zahlreiche weiche dunkelrothe Geschwülste, welche vermittelst dünner,
weisslicher Stiele von der Oberfläche ausgehen, und, wie sich besonders beim Aufgiessen von Wasser zeigt,
in eine grosse Menge z. Th. äusserst feiner gefässreicher gruppenweise untereinander vereinigter Papillen
zerfallen. Es finden sich aut jedem Ovarium 10—12 in eollabirtem Zustande erbsen- bis kirschengrosse
derartige Geschwülste, ausserdem mehrere ganz kleine. Nur die letzteren lassen sich vollständig in einzelne
von dem Stiel ausgehende Zöttehen auflösen, während die grösseren einen soliden Körper enthalten, von
welchen die z. Th. kolbig angeschwollenen Papillen ausgehen. Die Dicke der Stiele wechselt je nach dem
Umfange der einzelnen Geschwülste, übersteigt aber kaum 1/, millimeter. Die freie Oberfläche der Ovarien
ist glatt, weisslich, an dem rechten schimmern einige Cysten von kaum Steeknadelkopfgrösse durch, welche
beim Anstechen ein Tröpfehen klare Flüssigkeit (mit Cylinderepithel) entleeren. Abgesehen von diesen
spärlichen Follikeln und einzelnen fibrösen Körpern zeigen die Eierstöcke auf dem Durchschnitt ein derbes
röthlichgraues Gewebe, welches fast ganz aus diekwandigen geschlängelten Gefässen mit wenig interstitiellem
Bindegewebe besteht.
Die ÖOvarien setzen sich von der etwas verdiekten und durch zahlreiche blutgefüllte Gefässe bläu-
lichrother Unterlage nicht sehr scharf ab; die Schläuche des Parovarium sind deutlich erkennbar, ebenso
SEN"; weis
sind auch die Ligamenta ovarior., Tuben und Fimbrien wohlerhalten. Am Abdominalende der linken
Tuba findet sich jedoch eine inmitten derFimbrien sitzende rundliche Geschwulst von
ungefähr Bohnengrösse, weicher Consistenz und röthlichweisser Farbe; von der
Schnittfläche derselben lässt sich reichlich milchige Flüssigkeit abstreichen.
Das Peritoneum der Exavatio vesico-uterina ist mit sehr dieht stehenden Zöttehen besetzt, welche
demselben ein rauhes filzähnliches Aussehen geben, in geringerer Menge finden sich die Zöttehen auch im
Douglas’schen Raume.
Mikrosk. Verhalten. Das bindegewebige Stroma der Ovarien bildet an der Oberfläche eine
fibröse Schicht, welehe sich eontinuirlich in die Stiele der kleinen Geschwülste fortsetzt. Jeder der Stiele
enthält einige aus dem Inneren des Organes aufsteigende Gefässe. Ein sehr niedriges Epithel, mit polygonalen
Zellen, deren Höhe bedeutend geringer ist als ihre Breite, setzt sich eontinuirlich von der Oberfläche der
Övarien auf die Stiele der Geschwülste fort, es nimmt jedoch auf den letzteren selbst an Dicke zu, so
dass die Höhe der Zellen der Breite gleichkommt; die feinen Verzweigungen endlich sind mit Cylinder-
epithel bekleidet, dessen Zelle etwa doppelt so hoch als breit, und häufig mit abgerundeten Enden versehen
sind. Uebrigens haftet dies Epithel überall nur sehr locker an den Zotten, so dass der grösste Theil in
mehr oder weniger zusammenhängenden Trümmern mit zahlreichen einzelnen Zellen gemischt neben den
Zotten liegt.
Die Zellen selbst sind sehr zart, enthalten einen länglichrunden Kern mit kleinem glänzenden
Kernkörperchen.
Das Gerüst der Papillen besteht aus feinstreifigem Bindegewebe mit zahlreichen eingelagerten läng-
lichen Kernen, respective Spindelzellen, welche in den äusseren Schichten an Zahl zunehmen. „Jede Zotte
enthält eine oder mehrere weite Gefässschlingen; das dieselbe umgebende Gewebe ist von sehr verschiedener
Mächtigkeit, bei einigen gering, bei andern — kolbig angeschwollenen — stärker, mit viel heller Zwischen-
substanz; die Enden dieser diekeren Zöttehen sind häufig noch mit fadenförmigen Anhängen vesehen.
Nur die kleinen Zottenbäumchen lassen sich, wie erwähnt, ganz in ihre Aeste zerlegen; an den grösseren
ist das Verhältniss anders, wie man sich namentlich deutlich an Schnitten kleiner erhärteter und einge-
betteter Stücke überzeugen kann. Nicht allen, dass das Bindegewebsgerüst in der Mitte der kleinen
Gescehwiülste an Mächtigkeit bedeutend zunimmt, so dass eine Art solider Körper entsteht, auch das
Epithel wuchert, und gelangt derartig in das Innere des Gerüstes, dass an Schnitten das Aussehen allseitig
von Bindegewebe umgebener und mit epithelialen Zellen gefüllter Alveolen entsteht. Die Zellen selbst
gleichen in ihrem Habitus vollständig denen der Oberfläche, haben aber häufig unregelmässige polyedrische
Gestalten angenommen. Üystenbildung habe ich in den Zotten nicht beobachtet.
Ob es sich hier lediglich um eine eigenmächtige Wucherung des Epithels, um ein Hineinwachsen
desselben in das Bindegewebe, oder mehr um ein Abgeschnürtwerden desselben von Seiten des letzteren
handelt, lässt sich wohl nicht entscheiden; für den ersten Umstand spricht das Vorkommen von zapfen-
förmigen Epithelsprossen, welche in das weiche Bindegewebe einzudringen scheinen, Dass diese Epithelien
jedenfalls einer sehr aktiven Wucherung fähig sind, zeigt die weitere Verbreitung, wie aus dem Folgenden
hervorgeht.
Abh. der naturl. Ges. zu Halle. XIV, 3. Hft. 26
Ba —
Zu erwähnen ist noch, dass sich in vielen Papillen zahlreiche Kalkkörper von der bekannten
Form vorfinden, dieselben sitzen in dem bindegewebigen Gerüst der Zotten, und nehmen einzelne der
Endanschwellungen vollkommen ein, während sie an anderen Zotten mehr vereinzelt sind, und in einem
grossen Theile ganz fehlen. Zuweilen haben diese Kalkkörper einen ganz oberflächlichen Sitz, so dass sie
an den Bäumehen und ihren Stielen wie angeklebt erscheinen. Die meisten haben kugelige Form und
höckerige Oberfläche, zeigen dabei eine eoncentrische Schiehtung, häufig kommen auch cylindrische und
unregelmässig gestaltete, aus mehren kleinen verschmolzene Körper vor. Bei Behandlung mit Säuren löst
sich der Kalk (mit SO3 unter Gasentwickelung und Bildung von Gypskrystallen), und es bleibt eine orga-
nische Substanz zurück, welche die Sehichtung deutlich darbietet.
Die kleinen Zotten an der Oberfläche des Peritoneum im Douglas’schen Raume und in der
Excavatio vesico-uterina zeigen eine grosse Uebereinstimmung mit denen der Ovarien; sie bilden vielfach
verzweigte, aber meist aus sehr dünnen Aestchen bestehende Bäumchen von mehreren millim. Länge; übrigens
waren sie im frischen Zustande mit demselben sehr hinfälligen Epithel überzogen: auch sind sie besonders
reich an Kalkkörpern.
Der kleine Tumor an dem freien Ende der linken Tuba stimmt mit dem Körper der Papillar-
geschwülste im Ganzen überein, d.h. er besteht aus einem zarten, bindegewebigen, gefässtragenden Gerüst,
in dessen weiten Maschen dieselben kleinen, meist eylindrischen Epithelzellen angehäuft sind, mit einem
Worte, er stellt ein weiches Krebsknötchen dar.
Was nun die flachen Knötchen am Peritoneum betrifft, so zeigen dieselben auf Flächen und
Querschnitten zahlreiche zapfenförmige Gebilde aus epithelialen Zellen, welche sich augenscheinlich in den
erweiterten spaltförmigen Lymphräumen des Peritoneum ausbreiten, und sich von ihren Anfängen in Form
schmaler, mit Zellen erfüllter Gänge bis zur Ausbildung vollständiger Krebs-Alveolen verfolgen lassen.
Das dazwischen liegende Bindegewebe zeigt meist eine starke Infiltration mit kleinen Rundzellen. Auch
in diesen Knötehen finden sich die Kalkkörper, und zwar sowohl in den epithelialen Zellhaufen, als in
dem bindegewebigen Stroma.
Die Verdiekung und Schrumpfung des grossen Netzes ist durch dieselbe careinomatöse Infiltration
zu Stande gebracht. Es wiederholt sich hier an Schnitten dasselbe, was bereits an den kleinen Knötehen
des Peritoneum beobachtet wurde, nur in grösserem Massstabe. Es finden sich indess auch hier die ver-
schiedenen Entwickelungsstadien der Krebs-Alveolen , schmale Zellstränge, aus wenigen Zellreihen bestehend,
ferner weitere Kanäle, die mit Epithelzellen z. Th. ausgekleidet, z. Th. gefüllt sind, und endlich grössere,
bereits makroskopisch erkennbare Alveolen. Die Zellen besitzen auch hier in der Regel cylindrische Form,
hauptsächlich die, welche die Innenwand der Alveolen auskleiden, wo sie häufig einen ganz regelmässigen
ein- oder mehrschichtigen Cylinderepithelüberzug darstellen, während im Inneren die Zellreihen regelloser
durch einander liegen, und zwischen sich spaltförmige Lücken frei lassen. An anderen Stellen ist die Füllung
diehter, und die Zellen haben unregelmässige polyedrische Gestalt angenommen; in einigen Alveolen dagegen,
oder riehtiger in Durchschnitten kanalförmiger Hohlräume bildet die gewucherte zellige Masse eine dicke
Wandschieht, welche in dem centralen Innern ein gelbliches feinkörniges Gerinnsel umschliesst.
Das Bindegewebe des Netzes ist enorm vermehrt, so dass die eylindrischen Epithelstränge meist
dureh breite Zwischenräume getrennt sind, meist ist das Gewebe derb-faserig, an vielen Stellen aber auch
— Bi
wit kleinen Rundzellen dieht infiltrirt. Stellenweise sind Gruppen von Fettzellen vorhanden, welche sich
makroskopisch als gelbliehe Einsprengungen erkennen liessen. Auch in dieser Gesehwulstmasse finden
sich zahlreiche Kalkkörper vor, auch hier z. Th. in den Zellhaufen, meist jedoch im Bindegewebe gelegen,
an einigen Stellen liegen sie dicht gedrängt beisammen, und erreichen bedeutende Grösse, an anderen sind
sie spärlicher und kleiner. (S. Fig. 2.).
Leider ist es nicht möglich gewesen, den exstirpirten Tumor vom Nabel zu untersuchen, da der-
selbe abhanden gekommen war; aus dem Sektionsbefund gebt jedoch hervor, dass dieser Tumor vom
grossen Netz ausgegangen, und durch den Nabel hindurchgewachsen war. Als bei der Operation dieses
Verhältniss eonstatirt wurde, musste die Geschwulst vom Netz abgeschnitten werden.
Die Uebereinstimmung der secundären Neubildungen mit den Ovarialgesehwülsten ist nicht zu
bezweifeln; sollte die gleichmässig wiederkehrende Zellform noch nieht die Abstammung der Metastasen
beweisen, so würden die in derselben Art verbreiteten eoncentrischen Kalkkörper hinreichend charakteristisch
sein. Die Verbreitungsweise der Neubildung hat übrigens an sich nichts Auffälliges; sowohl die zahlreichen
Zöttehen auf dem Peritoneum des Douglas’schen Raumes und der Exeavatio vesieo-uterina erklären sich
durch Herabfallen von zelligen Elementen, welche, wie es scheint, durch ihre Wucherung secundär die
Zottenbildung — eine Art chronischer Peritonitis — hervorgerufen haben. Der kleine solide Tumor in
den Fimbrien der einen Tuba erklärt sich ebenfalls einfach genug, da der natürliche Verbindungsweg
lose Gewebselemente von der Oberfläche der Ovarien an jene Stelle führt. Die weitere Verbreitung in
den Bindegewebsspalten und Lymphräumen des Peritoneum, die krebsige Degeneration des Netzes ist endlich
eine der häufigsten Erscheinungen bei Careinom der Bauchorgane.
Es handelt sich hier um eine Geschwulstform der Ovarien, welche an sich
selten genug, in mehr als einer Hinsicht von Interesse ist. Es ist eine exquisit
papilläre Neubildung, welche von der Oberfläche der Eierstöcke ausgehend, nnd selbst
noch anscheinend jugendlich, zu einer sehr ausgedehnten seeundären Krebsentwicke-
lung Anlass gegeben hat.
Es fragt sich, als was wir die Neubildung der Ovarien aufzufassen haben.
Der Form nach entspricht dieselbe am genausten den bisher nur in wenigen Fällen
bekannten sogenannten „Papillomen“ von der Oberfläche dieser Organe. Diese bilde-
ten ebenfalls weiche Geschwilste, welche sich in vielfach verzweigte, an den Enden
leicht angeschwollene Zotten auflösten, die mit feinen, aber derben, fadenförmigen
Stielen von der ganzen Oberfläche der Ovarien entsprangen (Gusserow und
Eberth').
Eine Verschiedenheit besteht nur in den Angaben über das Verhalten des
Epithels, denn während Eberth eim „einfach geschichtetes Plattenepithel“ fand,
1) Virchow’s Archiv. Bd. 43. 1868. p. 18.
36*
3243 —
bestand dasselbe in einem ähnlichen Falle von Klebs') aus mehrfachen protoplasına-
reichen Zellschiehten, in dem letzten Falle von Birceh-Hirschteld°) endlich aus
inehrschichtigen kurzeylindrischen Zellen. Auf diese Verschiedenheit der Angaben
ist jedoch meiner Meinung nach nicht sehr viel Werth zu legen, denn abgesehen von
der etwas willkürlichen Unterscheidung von Platten- und Oylinderepithel, ist auch
die Schichtung von nicht wesentlicher Bedeutung, da das ursprünglich einfache,
sehr niedrige Cylinderepithel bei stärkerer Wucherung in ein höheres, dann auch
geschichtetes übergehen kann. Das, worauf es ankommt, ist, dass es sich jedenfalls
in allen Fällen um das Oberflächen-Epithel des Ovariums handelt, nicht etwa um
gewucherte Elemente der Corpora lutea 3). Wahrscheinlich gehört in dieselbe Kate-
gorie auch der oben erwähnte, von Prochaska beschriebene und abgebildete Fall
von Papillargeschwülsten beider Ovarien.
In den früheren Fällen handelte es sich allem Anschein nach um vollkommen
gutartige Bildungen. Gusserow und Eberth sind geneigt, dieselben auf chroni-
sche Entzündung, wahrscheinlich Oophoritis zurückzuführen, gewissermassen als
Theilerscheinung von allgemeiner chronischer Peritonitis. Das 19-jährige Mädchen,
von welchem der Birch-Hirschfeld’sche Fall stammte, starb ebenfalls an Perito-
nitis, doch fehlen, ebenso wie bei Klebs, nähere Angaben.
Koeberl&*) erwähnt ebenfalls die an der Oberfläche der Ovarien vorkom-
menden Papillome, welche, wenn sie einen bedeutenden Umfang erreichen, Ascites
verursachen.
Ob diese einfachen Papillome etwas von den unseren ganz verschiedenes,
reine papilläre Fibrome sind, wie sie auch auf Schleimhäuten vorkommen, oder ob
ihrem Epithel bereits eine carcinomatöse Natur innewohnte, wer mag das entschei-
den? Indess deutet die mehrfache Schichtung des Epithels in den beiden letzten
Fällen auf eine lebhafte Betheiligung desselben bei der Wucherung. Hervorzuheben
ist, dass man auch unseren Papillargschwülsten, wenn man sie isolirt vor sich gehabt
hätte, irgendwelche Bösartigkeit kaum zugetraut haben würde. Erst die nähere
Untersuchung wies eine so lebhafte regellose Epithelwucherung nach, dass man
1) Handbuch I. p. 794.
2) Lehrbuch der Pathol. Anatomie. p. 1101.
3) ef. Rokitansky, Lehrbuch III. 1861. p. 418 und Klob, Patholog. Anatomie der weibl.
Sexualorgane. 1864. p. 343.
a)Al. ec. p. 508.
berechtigt sein konnte, die kleinen gestielten Geschwülste als carcinomatös, als wirk-
liche „Zottenkrebse“ anzusehen. Die Uebereinstimmung der Elemente der secundären
Krebswucherungen mit denen der Eierstocksgeschwülste machte diese Auffassung
jedoch erst zweifellos.
Indess ist, namentlich mit Rücksicht auf die oben erwähnten Fälle, die Frage
wohl berechtigt, ob die kleinen Papillargeschwülste von vorn herein maligne
Neubildungen darstellten, ob sie nicht vielleicht lange bestanden haben, ohne die
Neigung, sich zu generalisiren.
Es muss hervorgehoben werden, dass auch Slavjansky') als Ausgang der
chronischen parenchymatösen Entzündung der Eierstöcke in Folge der Verbreitung
der Entzündung von dem Parenchym der Follikel auf ihre Wandung und auf die
Peripherie des Eierstockes an dessen Oberfläche fibröse papillenartige Gebilde beob-
achtete. Er lässt diese jedoch von einer Endothelschicht bekleidet sein, welche sich
von dem kurzeylindrischen Eierstocks-Epithel ziemlich scharf abgrenzt.
Auch ich würde den zelligen Ueberzug der Stiele der Papillargeschwülste
der Form nach als Endothel bezeichnen, wenn nicht der allmähliche Uebergang in
das ziemlich hohe Cylinderepithel der Zotten nachzuweisen wäre.
Leider habe ich nichts weiter über die Vorgeschichte der betreffenden Frau
in Erfahrung bringen können, als dass dieselbe nie geboren haben soll. Indess weist
die Beschaffenheit der Ovarien, deren Parenchym fast ganz aus geschlängelten dick-
wandigen Gefässen bestand, darauf hin, dass chronische Hyperämie dieser Organe
lange bestanden hat. Lassen wir unter dem Einfluss derselben an der Oberfläche
kleine zottige Wucherungen entstehen, an welchen sich das Oberflächen-Epithel
betheiligt, so haben wir bei allmählichem Wachstlum derselben gutartige Papillar-
geschwülste vor uns — mit einfachem niedrigen Epithel, wie man es noch an den
Stielen erkennen kann — welche sich von den friiher beobachteten nicht unter-
scheiden.
Aber die Trägerin derselben befindet sich in dem Alter, in welchem erfah-
rungsgemäss die Neigung vorhanden ist, epitheliale Neubildungen maligner Natur
za produeiren, und aus dem ursprünglich gutartigen — oder richtiger indifferenten
Gewächs entsteht ein Careinom.
1) Archiv für Gynäkologie Bd. III. p. 192.
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Es scheint mir unzweifelhaft, dass überall da, wo Epithelwucherung vorkommt,
auch die Gefahr der Careinomentwiekelung vorhanden ist, und es hängt nur von
den localen Bedingungen ‘ab, dass die Bildung von Metastasen, „die Infection des
Organismus“ eintritt. Dass diese localen Bedingungen gerade bei den Ovarien am
günstigsten sind, leuchtet ein, denn hier wuchert das Epithel gewissermassen direkt
in den zur Aufnahme jedweden keimfähigen Samens so empfänglichen Lymphraum
der Bauchhöhle hinein. Zur Erklärung der Malignität der epithelialen Wucherung
genügt dies allein freilich nicht; es muss noch eine besondere Disposition vorhanden
sein, welche in den Epithelien selbst zu suchen ist. — Eine „verminderte Wider-
standstähigkeit“ des Organismus kann man wohl annehmen, indess ist dies ebenfalls
etwas nicht Definirbares; a priori lässt sich dieselbe nicht nachweisen. Ein Carcinom
entsteht, wenn die Epithelwucherung — vorausgesetzt dass sie die unerklärliche,
gewissermassen unbegrenzte atypische Wucherungsfähigkeit besitzt — den Wider-
stand der Gewebe überwindet, oder, was dasselbe ist, wenn sie einen günstigen Boden,
günstige locale Verhältnisse findet, wie in unserem Falle.
Sicher ist wohl, dass die hier vorliegende Form des Eierstocks-Caremoms die
allerseltenste ist. Aus derselben, wie sie hier in den Anfängen vorliegt, können
sich unzweifelhaft umfangreiche papilläre Geschwülste entwickeln.
Wenn Orth') angiebt, dass der „Zottenkrebs“ am Ovarium relativ oft gesehen
wird, welcher seltener an der Oberfläche der Eierstöcke, gewöhnlich in Oysten
vorkommt, so weiss ich nicht, worauf sich die erstere Angabe bezieht; in der Lite-
ratur wenigstens ist mir kein derartiger Fall vorgekommen, wie der vorliegende.
Nach Waldeyer?) ist es fraglich, von welchem der epithelialen Bestand-
theile, Graaf’schen Follikeln, Eierstocksschläuchen, Oberflächenepithel die Carcinome
abstammen; auch Birch-Hirschteld?) lässt die Frage in Bezug auf das letztere
noch unentschieden.
Dass die Papillargeschwülste der Oberfläche sich analog verhalten mit den an
der Innenfläche von Cysten sieh entwickelnden, dürfte aus dem oben Gesagten klar
hervorgehen.
!) Compendium p. 250.
*) Archiv für Gynäkologie 1570. Bd. I. p. 313.
Snl..6. p- 1109.
— 17 —
III. Geschwülste des Eierstockes von endothelialer Herkunft.
(F. 5.) Doppelseitige eystisch-papilläre Endothelgeschwulst mit hyaliner Degeneration („Cystosarkom“,
„Angiosarkom“).
Die beiden Geschwülste wurden durch Herrn Professor Olshausen am 10ten Januar 1878
exstirpirt. (Frau M. aus Leipzig, 48 Jahre alt). Auch für die Ueberlassung dieses Falles bin ich Herrn
Prof. Olshausen zu grossem Dank verpflichtet.
Der Tumor der einen Seite ist nicht ganz taustgross, ungefähr 9 centimeter lang, 7 breit, 5 dick,
grösstentheils solide. Er zeigt äusserlich eine Anzahl glatter rundlicher Vorsprünge von Bohnen- bis
Wallnussgrösse, welche z. Th. fest, z. Th. von eystischer Beschaffenheit sind. Die Cysten sind jedoch
durch weiche markige Geschwulstmasse ausgefüllt, so dass nur schmale spaltförmige Räume als Lumen
übrig bleiben. An der Oberfläche haftet ein 4—5 centimeter langes Stück der Tuba, mit wohl erhaltenen
Fimbrien und Parovarium.
Auf dem Durchschnitt (Fig. 6.) sind mehrere grössere Abtheilungen erkennbar, welche von einander
durch zarte Bindegewebs-Septa getrennt sind. Diese hängen mit einer dünnen aber festen Bindegewebshülle an
der Oberfläche zusammen, welche grösstentheils mit der Geschwulstmasse eng verbunden ist. An einigen
Stellen lässt sie sich jedoch von derselben abheben, und es kommt darunter noch eine glattwandige dünne
Cystenwand zum Vorschein. Die ganze Geschwulstmasse zeigt einen exquisit lappigen, oder richtiger
blätterigen Bau, ähnlich dem Üystosarcoma mammae, so dass man von der Schnittfläche aus in zahllose
schmale Spalträume gelangen kann, welche durch die papilläre Geschwulstmasse begrenzt werden.
Beim Durchschneiden floss etwas klare Flüssigkeit ab.
Der "Tumor der anderen Seite ist ungefähr kopfgross; er stellt hauptsächlich eine einkammerige
Cyste dar mit ziemlich glatter Oberfläche, an welcher der kaum tingerdicke Stiel bemerkbar ist. An diesem
hattet das ungefähr fünf centimeter lange freie Ende der Tuba, an deren Fimbrien ein etwa erbsengrosser
weicher weisslicher Geschwulstknoten sitzt.
Ein 'Theil der Cystenwand ist nur wenige Millimeter diek, fibrös; der grösste Theil jedoch, haupt-
sächlich an der dem Stiel gegenüberliegenden Seite, ist erheblich dicker, stellenweise bis zu 3 centimeter,
und wird durch Geschwulstmasse gebildet, in welcher man unschwer denselben Bau, wie an dem kleinen
Tumor erkennen kann. Eine sehr dünne Bindegewebslage begrenzt diese Geschwulstmasse nach aussen,
während die Innenfläche eine sehr unregelmässige rauhe Beschaffenheit darbietet, welehe durch die frei in
die Cyste hineinragenden lappigen, zottigen, papillären Wucherungen bedingt wird.
Die im Ganzen solide Geschwulstmasse ist durch zahlreiche tiefe bis dicht unter die Oberfläche
reichende Furchen in haselnuss-, wallnuss- und taubeneigrosse Abtheilungen zerklüftet, welche sich ihrer-
seits wieder in papilläre 2—3 centim. lange stricknadeldicke "Theile zerlegen lassen. An andern Stellen
bilden ähnliche Bildungen eine Art Striekwerk an der Innenfläche, während weiterhin niedrigere blumen-
kohlartige Wucherungen vorwiegen. Dazwischen findet man Reste dünner Cystenmembranen, welehe rundliche
Gebiete abgrenzen. Nur ein kleiner Theil der Innenfläche ist frei von derartigen Wucherungen, aber
chagrinartig rauh.
— 2178 —
Die Gesehwulstmasse war im frischen Zustande gelblichweiss, weich und sehr gefässreich. Von
der Innenfläche der Cysten und der freien Oberfläche der darin befindlichen Wucherungen des kleinen
Tumors liessen sich zusammenhängende Zellhäutehen von anscheinend epithelialer Beschaffenheit abstreifen,
dicht an einander liegende ziemlich grosse länglichrunde Kerne mit grossem glänzenden Kernkörperchen.
Beim Zerzupfen der papillären "Theile erhielt man vielfach Zellhaufen, welche ebenfalls aus dicht an ein-
ander liegenden Kernen mit nicht deutlich begrenztem Protoplasma bestanden, und an Krebskörper erinnerten.
Dazwischen fanden sich zahlreiche lose heruniliegende lange Spindelzellen, Fibrillenbündel, freie Kerne u. s. w.
Aus diesem Befunde liess sich nichts Bestinmmtes über die Natur der Geschwulst aussagen.
Zur weiteren Untersuehung wurden Theile aus beiden Geschwülsten nach Erhärtung in Müller'-
scher Flüssigkeit und Alkohol benutzt. Es zeigte sich nun im Ganzen überall derselbe Bau: ein Stroma
aus diehtem fibrillären Bindegewebe mit zahlreichen parallel geordneten länglichen Kernen, durch dessen
Balken eine grosse Anzahl rundlicher , häufig rosettenförmiger Abtheilungen begrenzt werden, welche mit
Zellen gefüllt sind. An Schnitten, welche zu diesen senkrecht gerichtet sind, finden sich dagegen längliche
Spalträume, deren gegenüber liegende Flächen beiderseits mit dieken Schichten ähnlicher Zellmassen bedeckt
sind. Makroskopisch erkennt man dieselbe Anordnung, je nachdem der Sehnitt die papillären Wucherungen
in der Quer- oder in der Längsrichtung getroffen hat, oder, was dasselbe ist, — wenigstens an dem grossen
Tumor — je nachdem der Schnitt parallel oder senkrecht zur Oberfläche der Cyste gelegt ist.
Die Mitte der papillären Bildungen wird stets von fibrillärem Bindegewebe mit Gefässen eingenommen.
Zum Studium der Entwiekelung der Geschwulst eignen sich am besten die soliden Knoten von
der Oberfläche beider Tumoren, sowie einige Theile der fibrösen Wand des grösseren in der Nähe jener Knoten.
Als offenbares Anfangsstadium der Geschwulstbildung finden sich hier zahlreiche schmale Spalt-
räume in dem diehten bindegewebigen, kernreichen Stroma. (Fig. 7.) Die Spalträume sind z. Th. ausge-
kleidet mit einer einfachen dünnen Zellschicht, welche sich häufig als dünnes Blatt mit regelmässig an-
geordneten länglichrunden Kernen, jedoch ohne erkennbare Zellgrenzen ablösen lässt, und folglich nur als
eine Endothelschicht aufgefasst werden kann. Meist ist diese aber nicht mehr in der normalen Dicke
erhalten, sondern — häufig unmittelbar neben einer solchen Stelle — in augenscheinlicher Wucherung
begriffen, z. Th. einfach verdickt, z. Th. mit vielkernigen Wucherungen versehen, welche kolbenförmig in
den Spaltraum hineinragen (Fig. Tat). Auf diese Weise kann sich das Lumen der letzteren unregelmäsig
gestalten, ja es scheinen auch die gegenüberliegenden Flächen durch brückenförmige Zellwucherungen
stellenweise zu verwachsen. (Fig. 7b.) Die Regel ist jedoch, dass das Lumen der Spalten erhalten bleibt,
wenn auch vielfach verengt, indem die Wucherung der Zellschicht gegen die Unterlage hin erfolgt. So
findet man denn die meisten dieser Spalten ausgekleidet mit einer dieken Schicht von zelligen Massen,
die in vielfachen rundlichen Vorsprüngen in die Umgebung hineinwuchern, und die erwähnten Rosetten-
formen auf Durchschnitten hervorbringen. Es können auf diese Weise drüsenähnliche Bildungen entstehen,
doch überzeugt man sich leicht, dass es sich nirgends um eigentliche Epithelien, sondern stets nur um
Wucherung der Endothelien handelt. Die zelligen Massen, welche hei oberflächlicher Betrachtung nicht
selten ein adenom- oder careinomäbnliches Aussehen zeigen, erweisen sich stets in viel innigerer Verbindung
mit dem Stroma, so dass dieselben durch Auspinseln gar nicht, oder nur sehr unvollkommen zu entfernen
sind; auch wenn durch Retraction nach dem Erhärten die zelligen Theile sich von dem Stroma abheben,
nn
bleibt eine Art feiner Verbindungsfiden zwischen beiden bestehen. (Fig. 7. d) Nirgends ist etwas von
den epithelialen Elementen des Eierstocks wahrzunehmen.
Auch in diesen Wucherungen sind Zellengrenzen nicht deutlich, wengleich vielfach unbestimmte
Spindelformen angedeutet sind. Die Kerne, welche im Ganzen überall dieselbe Form und Grösse besitzen
(durehschnittlich 0,01 — 0,0125 mm. Länge bei 0,0075 mm. Breite), behalten an der Oberfläche in der
Regel ihre Anordnung in der Fläche bei, stellen sich aber in der Tiefe mehr senkrecht, respective radiär.
Indem nun derselbe Process überall gleichzeitig statt findet, nähern sich allmählich die zelligen
Massen mehr und mehr und bleiben nur durch schmale Bindegewebsbalken von einander getrennt, so dass
die Hauptmasse eines festen Knotens durch jene gebildet wird. Vielfach treten ferner die Zellhaufen
durch schmale Zellstränge — anscheinend in vorgebildeten Bahnen, welche an der Wucherung Theil
nehmen, in Verbindung, so dass eine Art Netzwerk entsteht. (Fig. 8.)
Während bei dem Cystosareom der Mamma das Stroma mehr und mehr in die Spalträume hinein-
wuchert, und die einfache Epithelschicht vor sich her drängt, geschieht also hier das Umgekehrte, indem
der Hauptantheil der Wucherung der Zellschicht der Oberfläche zukommt.
Es treten nun ferner secundäre Veränderungen ein, sowohl in dem Stroma, als in den zelligen
Theilen. Das erstere zeigt stellenweise eine myxomatöse Umwandlung, wodurch kolbige Anschwellungen
innerhalb der Papillarwucherungen entstehen (F. 8e), andrerseits fallen die Zellhaufen oft auf grosse Stre-
cken einer hyalinen Degeneration anheim, welche wie es scheint, stets an die Kerne gebunden ist. Das
Resultat ist die Bildung von rundlichen scharf conturirten Lücken oder Bläschen, welche oft dieht gedrängt
sind, und einen grossen T'heil der Zellenmasse einnehmen (Fig. 7, Sc). Neben den normalen Kernen mit
fein granulirtem Inhalt und glänzendem Kernkörperchen kommen etwa doppelt so grosse vor, welche sich
durch ihr homogenes durchscheinendes Aussehen unterscheiden. — Das Kernkürperchen ist ebenfalls ver-
grössert. (In einem Falle war die Grösse des gequollenen Kernes beispielsweise 0,020 mm. Länge, 0,0125
Breite, der Durchmesser des Kernkörperchens 0,003.) Auch die grösseren hyalinen Blasen von 0,036 —
0,045 Durchmesser zeigen häufig noch ein glänzendes Korn im Innern, oder ein granulirtes, mehr kern-
artiges Körperchen. Der hyaline Inhalt nimmt die Hämatoxylinfärbung an. — Nur selten komınen grössere,
mit colloider Masse gefüllte Räume vor, in denen zuweilen noch stärker lichtbrechende Colloidkörner
niedergeschlagen sind. Die nicht veränderten Zellen werden verdrängt, und bilden eine Art Netzwerk, dessen
Maschen die hyalinen Räume darstellen. Letztere sind nicht immer kreisrund, sondern häufig langgezogen.
In vielen der rosettenartigen Zellhaufen kommen Bildungen vor, welche ganz mit den zuerst von
Billrotht) aus Parotisgeschwülsten beschriebenen wirbelartigen Figuren übereinstimmen. Die Mitte der
Rosette ist eingenommen durch ein dichtes Gewirr feiner Fasern, welche radiär nach allen Seiten aus-
strahlen; in einiger Entfernung vom Centrum treten länglichrunde Kerne auf, die ebenfalls in radiärer
Richtung geordnet sind, nach aussen mehr und mehr zunehmen und an der Peripherie rundliche (acinöse)
Haufen bilden, welche scharf gegen das umgebende Bindegewebe abgegrenzt sind (Fig. 9). Eine Verschie-
denheit besteht zwischen den dem Centrum näheren und den peripherischen Kernen, insofern als die
letzteren, als die offenbar jüngeren, Färbungen sehr viel lebhafter annehmen als erstere, welche anscheinend
1) Virchow's Archiv. Bd. 17. p. 361. Taf. VII. F. 4.
Abh. der naturf, Ges, zu Halle. XIV, 5. Hit, aT
280
in Degeneration begriffen sind. Man kann sich überzeugen, dass diese scheinbar faserige Masse in der
That einer Art Degeneration der Zellen ihren Ursprung verdankt, und nicht etwa dem bindegewebigen
Stroma angehört. Es finden sich nämlich ähnliche Rosettenformen, welche durch allseitige Wucherung
der Zellen von einem Punkt aus entstehen, und in deren Mitte man noch unveränderte Kerne und Zellen
erkennen kann. Die Zellkörper, welche stets nur undeutlich begrenzt sind, strecken sich bei weiterem
peripherischen Wachsthum in die Länge, so dass zuweilen lange spindelförmige Gestalten auftreten, schliesslich
sieht man nur eine ziemlich regellose Streifung, in der noch einige Kerne erhalten sind. Daneben kommt
häufig durch hyaline Degeneration die Bildung von Lücken vor, welche in radiärer Richtung sich verlängern,
Wahrscheinlich handelt es sich in den von Billroth angeführten Fällen um einen ähnlichen Vor-
gang, wie denn überhaupt die Zellenmassen jener Parotisgeschwülste, so drüsenähnliche Bildungen sie auch
nieht selten darstellen, ihrer Natur nach den endothelialen Zellen am nächsten stehen.
Zu bemerken ist endlich, dass sich in dem Lumen, welches häufig in der Mitte der gewucherten
Zellmasse erhalten ist, nicht selten eine nach der Erhärtung geschrumpfte feinkörnige Inhaltsmasse findet.
Meist ist dieselbe mit einer grossen Anzahl Rundzellen durchsetzt, welche durch ihre häufig mehrfachen
kleinen Kerne sich als Lymphkörperchen ausweisen. Niemals habe ich rothe Blutkörperchen darin gefun-
den, während in nächster Nähe der Zellhaufen gefüllte Blutgefässe, nicht selten auch rothbraune Pigment-
haufen vorkommen.
Was die Abstammung dieser Geschwulst betrifft, so müssen wir dieselbe jedenfalls auf endotheliale
Gebilde zurückführen, und da kein Grund vorliegt, den Blutgefässen bei der Bildung derselben eine Rolle zu-
zuweisen, so bleiben nur die Lymphgefässe und Lymphspalten als wahrscheinlicher Ausgangspunkt übrig. In
der That haben auch die theils kanalförmigen, theils unregelmässig gestalteten Spalträume, an deren Innen-
fläche die Zellenwucherung nachweislich ihren Ausgang nimmt, am meisten das Aussehen von Iymphatischen
Gefässen. His hat uns überdies mit dem grossen Reichthum des Eierstockes an solchen bekannt gemacht. !)
Wenn wir einmal die Zellwucherung von Seiten des Endothels festhalten, so sind die weiteren
Veränderungen leicht verständlich, sie sind das Produet der gleichzeitigen Wucherung des Bindegewebes
mit myxomatöser Degeneration, und der hyalinen Umwandlung der Zellen. Ausserdem kommt in Betracht
die Bildung von Cysten durch Erweiterung der Lymphspalten, und seeundäre Veränderungen, Zerfall der
Cystenwand u.s. w., welche schliesslich zur Bildung einer grossen cystischen Geschwulst geführt haben.
Leider konnte die in derselben enthaltene Flüssigkeit nicht untersucht werden.
F. 6. Tubulöse Endothelialgeschwulst („Angiosarkom‘“) des Ovarium bei Hernia ovarii.
Die vorliegende Geschwulst verdanke ich der Güte der Herrn Dr. Barden-
heuer und Dr. Thelen vom Städt. Krankenhause zu Cöln, welche mir dieselbe zur
Untersuchung zuschiekten, und mir die Publication des anatomischen Befundes über-
liessen, während die Operationsgeschichte durch den behandelnden Arzt der Patientin,
Herrn Dr. Rheinstädter, veröffentlicht worden ist.*) Ich beschränke mich daher auf
Mittheilung der Notizen, welche mir Herr Dr. Thelen über die Patientin gegeben hat.
1) Archiv für mikrosk. Anatomie. Bd, 1.
2) Centralblatt f. Gynäkologie. 1878. N. 23.
Ban ee
„Bei einer in den sechziger Jahren stehenden unverheiratheten Person findet sich oberhalb des
Mons Veneris, nach links und oben sich erstreckend, ein länglicehrunder grosser Tumor von der Härte
eines Fibroids, ohne Höcker oder sonstige Unebenheiten. Die Oeffnung des Canalis inguinalis ist nicht zu
fühlen, da der 'Tumor über ihn hinausgeht. An der rechten Seite findet sich ein Leistenbruch; die innere
Untersuchung ergiebt Obliteration der Scheide, Fehlen des Uterus, Ovarien nicht zu fühlen. Der Tumor
ist angeboren, früher von der Grösse eines Apfels oder wohl noch kleiner gewesen, und langsam gewachsen.
Alle 4 Wochen soll er angeschwollen sein. Geschlechtliche Aufregungen waren vorhanden. Operation
durch Dr. Bardenheuer: Spaltung der Haut über dem Tumor; derselbe lässt sich ganz ausschälen bis
auf einen zwei Finger dicken Stiel, der durch die Leistenöffnung hindurehgeht. Durchschneidung des
Stiels, Vernähung des Bruchsackes. Gute Heilung.“
Die exstirpirte Geschwulst besitzt eine länglichrunde, an der einen Seite etwas abgeplattete Gestalt
von 14 centim. Länge, 10 centimeter Breite und 9 cent. Dicke. Das Gewicht beträgt (nach der Erhär-
tung) 730 grm. Fast die ganze Oberfläche ist mit einer glatten, durch lockeres Bindegewebe mit der Ge-
sehwulst verbundenen Membran, anscheinend einer serösen Hülle (vermuthlich dem durch das Ovarium
vorgestülpten Lig. latum angehörend) überzogen. Unter derselben bemerkt man eine Anzahl grösserer
7. Th. noch gefüllter Gefässe, sowie Andeutungen von Furchen, als Ausdruck mehrerer die Geschwulst zu-
sammensetzender Lappen. Unter dem serösen Ueberzuge liegt noch eine feste aber ziemlich dünne fibröse
Hülle, welche mit den Geschwulstlappen fest zusammenhängt, und eontinuirlich in die dieselben trennenden
Bindegewebs-Septa sich fortsetzt.
An dem einen Ende der Geschwulst findet sich ein kurzes bandförmiges stielartiges Gebilde von
2,5 eentim. Breite, welches unmittelbar in den Ueberzug der Geschwulst übergeht. Daran schliesst sich
ein fünf centimeter langer fast fingerdicker tleischiger Körper von länglich walzenförmiger Gestalt, der
grösstentheils aus derbem fibrillärem Bindegewebe mit zahlreichen Gefässen besteht, und an seinem freien
Ende eine Schnittfläche trägt. An diesem Gebilde hängt sodann noch eine handtellergrosse bindegewebige
Membran, deren eine ziemlich glatte Fläche im die Oberfläche des Stieles übergeht, während die andere
mit Bindegewebszotten und Fettanhängseln bedeckt ist; dieselbe scheint dem Bruchsacke angehört zu
haben. Der seröse Ueberzug fehlt nur im Bereiche einer dreieckigen, 8 centimeter langen, 6 centim.
breiten Stelle an der abgeplatteten Seite der Geschwulst, deren eines Ende in den Stiel übergeht. An-
scheinend ist der Tumor hier von seiner Unterlage abpräparirt worden,
Die Consistenz der Gesehwulst ist jetzt, nachdem dieselbe in Spiritus gelegen hat, sehr fest, prall
elastisch, ungefähr wie die eines erhärteten Fibroms oder Myoms, welchem die Geschwulst auch ober-
flächlich gleicht. Auf dem Durchschnitt zeigt sich die Zusammensetzung derselben aus einer Anzahl
rundlicher oder länglicher Lappen und Knoten von verschiedener Grösse, der grösste etwa vom Umtange
eines mittleren Apfels. ;
Die einzelnen Lappen sind scharf abgegrenzt, ja sie lassen zum 'lheil eine Art Spaltenbildung
an ihrem Umfange erkennen, indem sich die nur durch geringe Mengen lockeres Bindegewebe verbundenen
benachbarten Lappen von einander ablösen. An anderen Stellen sind sie fester vereinigt, theils durch
derbes Bindegewebe, theils durch Gesehwulstmasse, welche die Lücken zwischen den Hauptlappen ausfüllt.
Die Substanz der Geschwulst, wie sie sich auf dem Durchschnitt der einzelnen Lappen präsentirt, ist
97%
— 282 —
ziemlich homogen, gelblichweiss, doch lassen die grösseren Knoten noch zahlreiche kleinere rundliche
Bezirke erkennen, welche durch schmälere oder breitere Bindegewebsstreifen getrennt sind. Theils in
letzteren, theils auch inmitten der homogenen Geschwulstmasse finden sich durchsehnittene Gefässlumina
von /, bis 1 millim. Weite. In der Tiefe der Geschwulst ist eine haselnussgrosse Cyste mit etwas buch-
tiger Wandung vorhanden, in deren Höhle der Rest eines weichen röthlichen Gerinnsels liegt.
Die mikroskopische Untersuchung ergiebt ein sehr eigenthümliches Verhalten der Geschwulst;
Schnitte aus den verschiedensten Theilen derselben entnommen zeigen fast übereinstimmend eine Zusam-
mensetzung aus dicht gedrängten Zellschläuchen, so dass die Geschwulst eher dem normalen Bau
der Nierenrinde oder dem Hodenparenchym gleicht, als einer pathologischen Neubildung. Es handelt sich
um lange, theils gestreckte, theils gewundene Röhren von ziemlich gleichem Kaliber, mit einer Art
Tunica propria und einem aus Zellen bestehenden Inhalt. Die Röhren berühren sich meist unmittelbar,
nur ab und zu findet sich dazwischen etwas streifiges Bindegewebe mit einzelnen Spindelzellen, stellen-
weise auch Capillargefässe. Im Allgemeinen verlaufen die Kanälchen oder Schläuche einander parallel
und gestreckt, so dass sie an vielen Schnitten fast nur in der Längsrichtung. getroffen sind, während man
an anderen senkrecht zu letzteren angelegten fast nur Querschnitte oder kurze Abschnitte von Windungen
zu Gesicht bekommt. An anderen Stellen ist die Anordnung unregelmässiger, mehr den gewundenen
Kanälchen der Niere ähnlich.
Man überzeugt sich leicht, dass ein eigentliches Lumen den Kanälchen fehlt, und dass auch die
Zellen nicht in der Art von Drüsenepithelien angeordnet sind. Vergeblich sucht man nach einer Analogie
mit irgend einem normalen Gebilde des Ovarium. Betrachtet man z. B. ein Kanälchen in der Längsansicht,
so zeigen sich die länglichrunden ziemlich kleinen Keme (von 0,0075 mm. Länge und 0,005 Breite) mit
ihrem längeren Durchmesser fast ausschliesslich senkrecht zur Längsaxe angeordnet, und die Grenzen der
zugehörigen Zellen erscheinen da, wo sie noch erkennbar sind, spindelförmig. An Quersehnitten der
Kanälchen bilden die in dieser Ansicht kreisrunden Kerne meist eine einfache Reihe dieht an der Peri-
pherie, an anderen Kanälchen scheinen sie mehr ausser Ordnung gekommen, regellosser, jedoch stets
peripherisch gelagert (Fig. 10.). Sie sind in eine feinkörnige, aber ziemlich homogene Protoplasma-Masse
eingebettet, welche sich nach der Mitte des Kanälchens etwas aufhellt. Zellengrenzen sind an den
wenigsten Stellen sichtbar, doch ist dies zum Theil vielleicht eine Folge der mit Rücksicht auf die
mikroskopische Untersuchung etwas mangelhafte Conservirung der Geschwulst. Leider war ich nicht in
der Lage, die letztere in frischem Zustand zu untersuchen, wodurch manche wesentliche Punkte allein
hätten aufgeklärt werden können.
Der Diekendurchmesser der Schläuche beträgt durchschnittlich 0,0375 —0,04 mm. Die deutlich
doppelt conturirtd, anscheinend structurlose glänzende Tunica propria misst 0,0025, doch gilt dies, wie
wir sehen werden, nicht für alle Theile der Geschwulst.
An einigen Stellen nimmt diese eine andere Beschaffenheit an, doch lassen sich auch hier diesel-
ben Elemente, in veränderter Gestalt, nachweisen. Die homogene Scheide der Zellschläuche nimmt
ausserordentlich an Dicke zu (0,0075 — 0,0125), während der Inhalt etwas zusammengedrängt erscheint
(0,0225 mm. dick); dabei bleibt die erstere jedoch structurlos, stark lichtbrechend, hyalin, höchstens zeigt
sich eine Andeutung einer Längsstreifung. (Fig. 11.) Die Schläuche sind zugleich stärker gewunden,
— 283 —
häufig in sich zusammengeknickt, so dass die an der coneaven Seite der Windung gelegenen Wandungen
sich gegenseitig berühren, und stellenweise sogar versebmolzen erscheinen. Von derartig beschaffenen
Stellen befinden sich nun Uebergänge zu noch anderen, in welchen man von isolirten Röhren oder Zell-
schläuchen nicht mehr reden kann, vielmehr findet sich hier ein hyalines Balkenwerk, dessen Balken
dasselbe Aussehen, dieselbe stark lichtbrechende Beschaffenheit besitzen, wie die Tunicae propriae der
Schläuche; fast stets verläuft in der Mitte der einzelnen Balken ein Streifen, welcher eine Verschmelzung
aus zwei Hälften anzudeuten scheint. Ohne ein regelmässiges Netzwerk zu bilden, treten die Balken
vielfach mit einander in Verbindung, oder sie scheinen kolbenfürmig zu enden, oder man findet sie quer-
durchsehnitten, als kreisförmige oder länglichrunde Figuren.
Die Räume, welche zwischen den Balken übrig bleiben, und der Gestalt der letzteren entspre-
chend, theils spaltförmig, theils unregelmässig gestaltet, und mit Ausbuchtungen versehen sind, werden
ausgefüllt durch dieselben Zellen, welche sich in den Schläuchen vorfinden, nur sind sie hier unregelmäs-
siger angeordnet; da, wo zwei Balken dicht zusammenstossen,, bleibt häufig nur Raum für eine Reihe
platter Zellen zwischen beiden. Man kann also von zwei Balkensystemen sprechen, von Zellenbalken,
und hyalinen Balken, welche sich gegenseitig durchflechten und ergänzen. (S. Fig.12). An ganz eircum-
scripten Stellen, welche sich durch ihr durchscheinendes Aussehen auszeichnen, sind die Zellen ganz zu
Grunde gegangen; es zeigen sich nur vielfach gefaltete hyaline Membranen, oder Balken, in deren Maschen
stellenweise Reste verfetteter Zellen, Körnchenkugeln bemerkbar sind. Endlich kann auch die Entwicke-
lung des hyalinen Balkenwerkes derartig zunehmen, dass die zelligen Elemente ganz in den Hintergrund
gedrängt werden, und nur vereinzelt in schmalen, spaltförmigen Räumen liegen. Zuweilen nimmt dies
Gewebe eine Anordnung an, welche der des compacten Knochens ähnelt, namentlich, wenn die hyalinen
Balken sich nach Art der Havers’schen Lamellen um ein centrales Gefäss eruppiren.
srupp
An einigen Stellen finden sich endlich unregelmässige schlauch- oder kolbenförmige Gebilde mit
dieker hyaliner Wandung und zelligem Inhalt, welche mit einander nur locker durch zart fibrilläres,
anscheinend schleimiges Bindegewebe vereinigt sind; von den hyalinen Scheiden gehen zuweilen kolbige
Sprossen oder papilläre Vorsprünge (Falten) in die zellige Masse hinein, und diese erscheinen dann auf
dem Durchschnitt als hyaline Kugein, welche allseitig von Zellen umgeben sind. Auch dieser Zustand
ist nur eine Modification der oben beschriebenen Form. (Fig. 13).
Aus dem im Vorhergehenden dargestellten Befunde glaube ich mich zu dem Schlusse berechtigt,
dass die eigenthümlichen Schläuche, welche eine oberflächliche Aehnlichkeit mit
Drüsenschläuchen besitzen, nicht mit Epithelien ausgekleidet, sondern durch Elemente
von endothelialer Natur gebildet sind. Um den sicheren Nachweis zu führen, ist es allerdings
nöthig, die Herkunft der Schläuche und der zelligen Elemente aufzusuchen; das Wenige, was sich in dieser
Hinsicht thun liess, beschränkte sich auf die Untersuchung der aus derbem Bindegewebe bestehenden
Theile an der Peripherie und zwischen den Lappen der Geschwulst, denn im Uebrigen war die ganze
Neubildung, abgesehen von den oben erwähnten kleinen Varietäten, von sehr gleichförmiger Beschaffenheit.
Namentlich war nirgends ein Rest ursprünglichen Eierstocksparenchyms nachweisbar.
— 284
In jenen Theilen nun finden sich mehr vereinzelte, augenscheinlich jugendliche Zellschläuche,
welche durch breite Lagen von derbem fibrillärem Bindegewebe getrennt sind. Die Bündel des letzteren
weichen stellenweise auseinander, und der entstandene Spaltraum oder das Kanälchen ist mit einer Anzahl
Zellen gefüllt, deren Grenzen nicht erkennbar, und deren Kerne parallel der Längsrichtung geordnet
sind. Zuweilen verzweigen sich die so beschaffenen Kanälchen, und bilden durch Anastomosen eine Art
Netzwerk; ihre Enden scheinen sich spitz zulaufend im Bindegewebe zu verlieren. An günstigen Objeeten
sieht man derartige Spalten in Form eines mit Endothel ausgekleideten Kanälchens eine Strecke weit in
gerader Richtung verlaufen, und allmählich weiter werden, während die Zellen sich vermehren, und Zell-
sehläuche bilden, welche bereits den oben beschriebenen gleichen, indess schmäler sind; auch besitzen sie
keine eigentlicbe Tunica propria, sondern sie werden begrenzt. durch das umgebende Bindegewebe; erst
wenn die Schläuche sieh vermehren — in der Regel liegen sie mehrfach gewunden in Haufen beisammen,
sind sie von einander durch eine dünne Bindegewebslage getrennt, welche dann den Schläuchen wesentlich
anzugehören scheint. Zerzupft man solehe Präparate, so löst sich der zellige Inhalt aus der Umhüllung
heraus, auch sieht man an Schnitten häufig eine spaltförmige Lücke zwischen der Wandung und den Zellen.
Während an den schmaleren Kanälehen, wie erwähnt, die Kerne anfangs noch die Längsrichtung
beibehalten, stellen sie sich allmählich mehr und mehr quer zur Längsaxe, indem sich die Zellen bei
fortschreitender Wucherung gewissermassen von der Wand abzublättern scheinen. Auch an den ausge-
bildeten Schläuchen trifft man die Zellen zuweilen noch deutlich in dieser Lage (ef. Fig. 10e). Auf
diese Weise verschwindet das Lumen, wenn ein solehes vorhanden war. Deutliche Zellgrenzen sind
jedoch fast nirgends sichtbar, höchstens ist das feinkörnige Protoplasma in Form eines schmalen Fortsatzes
an beiden Enden des Kernes angehäuft.
Was die Bedeutung der Spalten und Kanälehen in dem Bindegewebe betrifitt, so können das
entweder Iymphatische Kanälchen sein, oder Bluteapillaren. Mehrere Bilder sprechen fir letztere,
namentlich der meist gestreckte Verlauf und die fast gleichbleibende Dicke, indess ist eine bestimmte Ent-
scheidung kaum möglich, weil sich in den Kanälehen weder Blutkörperchen, noch Reste von solchen auf-
finden liessen. Wohlerhaltene kleine Gefässe sind übrigens auch in diesen Theilen der Geschwulst
nachweisbar, sie erscheinen als zarte gradlinige Endothelröhren mit charakteristischen Verästelungen, die
stärkeren mit einer zarten Museularis versehen. Ein Uebergang von solch’ einem unzweifelhaften Gefäss
in einen Zelleneylinder habe ich indess nieht nachweisen können. Ueber das Verhalten der Capillaren
in der eigentlichen Geschwulstsubstanz lässt sich nur sagen, dass in dem spärlichen Gewebe zwischen den.
Schläuchen Capillargefüsse ebenfalls vorkommen.
Alles in Allem bietet die Geschwulst ein sehr eigenthümliches Verhalten.
Charakterisirt wird sie durch die fast gleichmässige Zusammensetzung aus drehrunden Zellencylin-
dern, welche von dem bindegewebigen Stroma eine Art Tunica propria erhalten. Stellenweis wird das Aus-
sehen durch eine hyaline Degeneration des letzteren modifieirt. Die Zellen selbst bewahren überall ihre
ursprüngliche Beschaffenheit, und zwar kennzeichnen sie sich sowohl durch ihre Abstammung, als ihr
sonstiges Verhalten als endotheliale Elemente.
In den beiden letzten Fällen glaube ich die ersten Geschwülste endothelialer
Herkunft vom Ovarıum beschrieben zu haben. Wahrscheinlich sind ähnliche Ge-
os —
schwülste hier ebenso wie an anderen Orten früher hauptsächlich aus mangelhafter
Kenntniss übersehen, oder unter anderen Namen beschrieben worden.
Leopold') hat ein sogenanntes Lymphangioma kystomatosum beschrieben,
in welchem er eine erhebliche Wucherung endothelialer Elemente unzweifelhaft nach-
wies. Doch nahm er ausserdem für einen Theil der Zellen den epithelialen Charak-
ter in Anspruch, welche mit jenen in eigenthiimliche Verbindung treten sollten.
Unsere beiden Fälle sind nun unter sich ausserordentlich abweichend, denn
während die eine Geschwulst eine feste compaete Masse bildete, stellt die andere eine mit
zahlreichen Spalträumen, Oysten, welche mit papillären Wucherungen ausgefüllt sind,
durchsetzte Masse dar. Noch abweichender ist der feinere Bau beider Tumoren, so
dass man auf den ersten Anblick kaum geneigt sein dürfte, beide einer Kategorie
beizuäzhlen.
Nach der zuletzt von Kolaczek*) gegebenen Zusammenfassung sind beide
Geschwülste als Angiosarkome zu bezeichnen; doch glaube ich, dass Kolaeczek
unter diesem Namen zu verschiedenartige Dinge vereinigt, und dass er zu viel Werth
legt aut die Abstammung der Geschwülste von Blutgefässen; es werden dadurch
Neubildungen, welche von dem Endothel ausgehen, und solche, welche von der Ad-
ventitia, resp. dem „Perithel“ stammen, als gleichwerthig hingestellt, was meiner
Meinung nach nicht richtig ist. Andrerseits glaube ich, dass eine grosse Anzahl
dieser Geschwiilste von den Endothelien der Lymphgefässe, respective ihrer Wurzeln
herstammen. Wenn Kolaczek die merkwürdige, von Birch-Hirschfeld°) be-
schriebene Geschwulst aus der Bauchhöhle als Typus seiner Angiosarkome hinstellt,
so kann man doch unmöglich Geschwülste, für welche die Köster’schen Fälle %)
als typisch gelten mögen, als gleichartig mit jenen ansehen!
Von anderer Seite ist der Versuch gemacht worden, Geschwilste desmoider
Natur wegen des alveolären Baues und der Epithelähnlichkeit ihrer Zellen als „Binde-
gewebskrebs‘“, Endothelkrebs den ächten Krebsen gegenüberzustellen. Das halte
ich nicht für einen Fortschritt, weil dadurch der genetische Gesichtspunkt, welcher
sich doch immer mehr als der sicherste Wegweiser in dem Chaos der pathologischen
Neubildungen erweist, wieder verdunkelt wird.
!) Archiv für Gynäkologie. Bd. VI. p. 250.
?) Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 1877. Bd. 9.
3) Archiv der Heilkunde. 1871. p. 167.
%) Virchow’s Archiv. Bd. 40.
286
Wenn es in Folge der Untersuchungen der letzten Jahre immer allgemeiner
anerkannt wird, dass eine Heteroplasie der Gewebe in pathologischen Neubildungen
nicht vorkommt, wenn namentlich für den Krebs immer mehr die Abstammung von
epithelialen Elementen gesichert wird, so scheint es mir den Sachverhalt wieder zu
verdunkeln, wenn dieser Name nun wieder auf andere Geschwülste angewendet wer-
den soll, welche man seit Beginn der mikroskopischen Forschung zuwn Theil mit
Mühe davon getrennt hat. Dass nicht der alveoläre Bau, nicht das klinische Ver-
halten den Krebs als solchen charakterisirt, darüber ist man hinlänglich einig. Dass
die Natur der zelligen Elemente unter Umständen recht schwer erkennbar ist, wissen
wir ebenfalls, was bleibt als massgebendes Kriterium übrig, als die Abstammung?
Ein Uebelstand ist dabei allerdings nicht zu übersehen, nämlich der, dass
unsere entwickelungsgeschichtlichen Kenntnisse noch nicht in allen Punkten zu einem
gewissen Abschluss gediehen sind, in Folge dessen einerseits sämmtliche wahre Epi-
thelien von dem oberen und unteren Keimblatt abgeleitet werden, während von andrer
Seite auch das mittlere Keimblatt solche produeiren soll.
Abgesehen von dieser Unsicherheit — welche die Epithelien der Harn- und
Geschlechtsorgane betrifft — missen wir den Namen Krebs — da nun einmal der
alte Ausdruck da ist — für die vom Hornblatt. und dem Darmdrüsenblatt abstam-
menden malignen Neubildungen festhalten.
Sachgemässer dürfte es freilich sen — und es wird über kurz und lang da-
hin kommen — auch im Namen der Geschwulst das Wesen derselben möglichst
klar zu bezeichnen. Ich glaube wenigstens, dass man in dieser Beziehung den Aus-
führungen Robin’s') nur beistimmen kann.
Dieselben Grundsätze werden auch für die Reihe der Bindegewebsgeschwülste
gelten müssen. Erst nachdem Virchow mit Meisterhand das Gebiet der Sarkome
abgesteckt, hat man die von den Endothelien stammenden Geschwülste genauer kennen
gelernt, da erst seit jener Zeit die Trennung der wahren und „falschen“ Epithelien
statt fand, und von Jahr zu Jahr mehren sich die Fälle, welche man dieser Gruppe
zureehnen muss, während früher diese wenig bekannten Geschwiilste heimathlos bald
hier, bald dort untergebracht — aber nirgends heimathberechtigt wurden. Daher
die grosse Anzahl der verschiedensten Namen, mit welchen dieselben belegt wor-
den sind.
1) Journal de l’Anatomie et de la Physiologie. 1369. p. 278.
— #7 —
Der Versuch ist gewiss an der Zeit, diese Geschwülste zusammenzufassen,
aber ich bin, wie oben angedeutet, der Meinung, dass der Name „Angiosarkom“
noch nicht der geeignete ist. Diese Geschwülste müssen von den Sarkomen getrennt
werden, ebenso gut wie man die Myxome und die Enchondrome von denselben
trennt, immer mit dem Bewusstsein, dass genetisch alle mit einander verwandt sind,
und dass Uebergänge zwischen den einzelnen Formen vorkommen. Ich will indess
nicht den Versuch machen, zu den schon so zahlreichen Benennungen eine nene
hinzuzufügen, die sich vielleicht ebenso wenig bewähren würde.
Um noch einmal auf die beiden letzten Fälle zurückzukommen, so sind Ge-
schwülste der ersten Art vielleicht früher als Cystosarkome, Cystocareinome, papilläre
Kystome beschrieben worden; es wäre fruchtlos, in älteren Beschreibungen analoge
Beobachtungen aufsuchen zu wollen, da das makroskopische Verhalten gerade
hier zu den bedenklichsten Irrthümern Anlass geben kann. So können unter den
vielfachen Wucherungen, welche Rokitansky an der Innenfläche von Cysten be-
schreibt, wohl auch ähnliche verborgen gewesen sein. Der Habitus der Geschwulst-
masse hat viel Aehnlichkeit — abgesehen von der cystischen Beschaffenheit der
grossen Geschwulst — mit manchen Tumoren aus der Augenhöhle oder dem Ober-
kiefer, bei welchen ebenfalls eine papilläre Anordnung der Geschwulstmasse, indess
in der Regel weit umfangreichere hyaline Degeneration vorkommt. Prognostisch ist
diese Verwandtschaft in sofern wichtig, als jene Geschwülste sich bekanntlich durch
grosse Recidiv-Fähigkeit auszeichnen; auch in unserem Falle fand sich an den Fim-
brien eine kleine offenbar durch Dissemination entstandene metastatische Geschwulst
vor, doch ist die Patientin seit der Exstirpation bis jetzt gesund geblieben.
Was die Beziehung unseres zweiten Falles zu früher beobachteten betrifft, so
ist die Aehnlichkeit der Zellenschläuche, namentlich in den jüngeren Theilen, mit
den Zelleneylindern und Schläuchen der sogenannten Cylindrome in die Augen
springend.*)
Indess kenne ich keine Beobachtung, welche der unserigen vollkommen an
die Seite zu stellen wäre. Es kommen wohl derartige Zelleneylinder als Theile
anderer Geschwülste vor, doch wird die Hauptmasse in den meisten hierhergehörigen
*) Ich kann dies aus eigener Anschauung versichern, da ich mich eingehend mit der Untersuchung
eines bisher nicht veröffentlichten wohl charakterisirten Falles von Cylindrom aus dem Antrum Highmori
(1874 durch Geh. Rath Wilms in Bethanien, Berlin, exstirpirt) beschäftigt habe, und auch seitdem mehr-
fach in der Lage gewesen bin, ähnliche Geschwiülste zu untersuchen.
Ab. der naturf. Ges. zu Halle. XIV, 3. If. 38
Fällen bereits in sehr trüher Zeit durch hyaline Degeneration der Zellen verändert,
durch welche die Zellschläuche in unregelmässige Haufen mit netzförmiger Beschaf-
fenheit verwandelt werden. Diese Entartung der Zellen fehlt hier vollständig, so
dass der ursprüngliche Oharakter der Geschwulst — gewissermassen als „tubulöses
Endotheliom“ (Schlauchsarkom Friedreich’s) — nicht verändert wurde.
Wohl ist dagegen die hyaline Degeneration an vielen Stellen des bindegewe-
bigen Gerüstes, der Tunicae propriae der Schläuche eingetreten, und auch die so
veränderten Stellen haben ganz die Beschaffenheit, wie man sie bei den sogenannten
Cylindromen findet. (Beiläufig bemerkt, handelt es sich in diesem Falle nicht um
hyaline Degeneration von Gefässwandungen). Gerade das gleichzeitige Auftreten
der Degeneration in dem Bindegewebe und in den zelligen Theilen hat in früheren
Fällen sehr dazu beigetragen, den wahren Sachverhalt zu verdunkeln. Einige Stellen
der Geschwulst erinnern durch diese Umwandlung des Bindegewebes an die Formen,
welche Meekel'), später auch Friedreich?) und Tommasi?) abbildeten. Bei
dieser Gelegenheit sei erwähnt, dass die hyalinen, anscheinend kugeligen Gebilde,
welche sich im Inneren einiger Schläuche finden (Fig. 13.), in unserem Falle, wie ge-
sagt, nur Durchschnitte von hyalin degenerirten Bindegewebskolben darstellen, welche
auf den ersten Blick sehr den hyalinen Kugeln gleichen können, die aus einer Um-
wandlung der Zellen hervorgehen.
In Bezug auf früher am Ovarium beobachtete Neubildungen muss hervorge-
hoben werden, dass vielleicht einige sogenannte Adenome oder Carcinome that-
sächlich hierhergehören. Namentlich scheint der von Mayweg*) beschriebene Fall
von Oarcinoma (Adenoma?) cystoides mit unserem letzten, abgesehen von der
gleichzeitigen Entwickelung umfangreicher Erweichungscysten, sehr übereinzustimmen.
Die ziemlich derben Krebsknoten, welche scharf von dem umliegenden Gewebe
getrennt waren, zeigten ein sehr dünntaseriges Maschenwerk, dessen fast kreisrunde
Maschen mit einer grossen Menge kleiner Zellen ausgefüllt waren. „In kleineren
Knoten gelang es zuweilen, an der Peripherie lange röhrenförmige Gebilde
aufzufinden, die theils parallel neben einander lagen, theils sich mehrfach kreuzten.
Die einzelnen Röhren hatten eine hyaline doppelt-conturirte Membran und
1) Charite-Annalen Berlin 1856.
2) Virchow’s Archiv Bd. 27. 1863. p. 375.
®) Virchow’s Archiv Bd. 31. 1864. p. 111.
Sl Se.Ep.2A7.
un >
waren ganz mit kleinen Zellen ausgefüllt (Fig. 3). Solche Stellen, wo man mit
blossem Auge noch eben eine Veränderung erkennen konnte, bestanden zum grössten
Theil aus kleinen schlauchartigen Gebilden, an "denen man eine hyaline doppelt
- conturirte Membran, und mehrere grosse Zellen, die derselben aufsassen, erkennen
konnte.“
Die abgebildeten Schläuche sind offenbar den unserigen sehr ähnlich, nament-
lieh in Bezug auf die hyalinen Säume, während die Natur der Zellen weder aus
der Beschreibung noch aus der Abbildung hinreichend klar ist. Jedenfalls scheinen
es keine Cylinderzellen gewesen zu sein, welche nach der Beschreibung von
Rindtleisch!) und von Klebs°), in den tubulösen Drüsencareinomen vorkommen,
Nur in dem: sog. Fibro-Adenom beobachtete Klebs°) ein Netzwerk aus Kanälen,
welche mit kleinen Rundzellen gefüllt waren.
Von besonderem Interesse ist der Umstand, dass die Geschwulst in unserem Falle
sich in einer Hernie des Eierstockes entwickelt hat, gewissermassen analog der Ge-
schwulstbildung in den sog. Leistenhoden. Beim Ovarium scheint eine solche nicht
sehr häufig zu sein, wenigstens fand sich das Ovarium unter 38 Fällen, welche Eng-
lisch*) zusammenstellt, 15 mal normal, 17 mal entzündet, 5mal eystenartig, und nur
einmal „krebsig“ (bei emem Kinde von 3 Jahren; die von Guersant veröffentlichte
Beobachtung ist mir leider nicht zugänglich). Aus derselben Zusammenstellung geht
hervor, dass auch die mangelhafte Ausbildung der übrigen Genitalien, wie sie sich in
unserem Falle vorfand, nicht selten bei Ovarialhernie beobachtet wurde. Der Autor
knüpft daran die treffende Bemerkung, dass die Zeit der Entstehung in diesen Fällen
in eine sehr frühe Embryonalperiode zurückreicht, „in welcher zwar die angelegte
Geschlechtsdrüse sich dem weiblichen Geschlechte gemäss weiter entwickelt, die Mül-
ler'schen und Wolff’schen Gänge aber den Typus des männlichen Geschlechts ein-
schlagen, und die weiteren Vorgänge der Dislocation dem letzten Typus gemäss erfolgen.
_ Es liegt dieser Entstehung eine Annäherung an den männlichen Typus zu Grunde, was
theilweise schon äusserlich im ganzen Aussehen solcher Kranker bemerkbar. ist“.
Es war anfangs sehr verlockend, noch einen Schritt weiter zu gehen, und bei
einer in sehr früher Zeit auftretenden Missbildung an die Entwickelung eines — wenn
1) Lehrbuch der Path. Histol. 1878. p. 472.
2) Handbuch I. p. 810, wo für Cylinderzellen jedenfalls verdruckt „Spindelzellen“ steht.
3) Ebenda, pag. 797.
4) Wiener medie. Jahrbücher 1871. p. 335.
He -
auch pathologischen — tubulösen Organs an Stelle eines normalen Ovarium zu
denken, indess ergiebt die Untersuchung der Geschwulst, ausser der oberflächlichen
Aehnlichkeit, nichts, was für einen solchen „Hermaphroditismus“ spricht.
Zum Schlusse fasse ich die Hauptergebnisse dieser Arbeit folgendermassen
zusammen.
1. Die sogenannten „papillären Kystome“ der Ovarien sind von den
Adeno-Kystomen zu trennen. Sie bilden eine besondere Geschwulstform, welche
wahrscheinlich eine analoge Entstehung besitzt, aber in ihrer weiteren Entwickelung
von den Adeno-Kystomen abweicht. Die papillären Kystome tragen an ihrer Innen-
‘ fläche zum Theil Flimmerepithel, welches in ein sehr polymorphes Epithel übergehen
kann. An den Zellen des Flimmerepithels lässt sich zuweilen eine T'heilung in
horizontaler Richtung nachweisen. Die Cystenflüssigkeit dieser Geschwülste
zeichnet sich durch Mangel, oder sehr geringen Gehalt an Paralbumin aus. Die
papillären Kystome sind fähig, Metastasen zu bilden, und können ebenso wie andere
Ovarialgeschwilste careinomatös werden. Prognostisch sind dieselben ungünstiger
als die Adeno-Kystome.
2. Es giebt ein papilläres Careinom, dessen Epithel von dem Oberflächen-
Epithel des Ovarium abstammt. Dasselbe entwickelt sich aus Papillarwucherungen,
welche wahrscheinlich in Folge von chronischer Oophoritis an der Oberfläche der
Ovarien entstehen.
2, Viele papilläre Geschwülste der Ovarien, namentlich die papillären Kystome
sind ausgezeichnet durch ihren Reichthum an concentrisch geschichteten Kalkkörpern.
4. Es giebt eine eystisch-papilläre Geschwulst der Ovarien, welche von den
Endothelien der Lymphgefässe abstammt.
5. Es giebt eine tubulöse Geschwulstform der Ovarien, deren Zellen höchst
wahrscheinlich ebenfalls endothelialer Herkunft sind.
6. Die Geschwülste endothelialer Herkunft sind von den Sarkomen zu trennen.
Erklärung der Abbildungen.
Fig. 1 a. Das rechte Ovarium von Fall4 mit den Papillargesehwülsten der Oberfläche. Natürl. Gr.
b. Tuba, nach vorn umgeschlagen.
ce. Ligam. rotundum.
Fig. 2. Schnitt aus dem careinomatösen Omentum majus desselben Falles.
a. Alveolen, welche mit Cylinderepithel ausgekleidet, und z. Th. durch unregelmässige Zell-
wucherung gefüllt sind. Seibert V. 1.
b. Kalkkörper.
Fig. 3. Diekendurchschnitt der Wand einer der grossen Cysten von F. 1. Seibert 0. 1.
a. Die innere zellenreiche Wucherungsschicht mit den hier nur wenig entwickelten Papillen.
b b. Gefässdurchsehnitte, darunter grössere Venen.
b‘ b‘. Arterien.
e e. Räume, welehe mit Epithel ausgekleidet sind, das hier aus platten Zellen besteht.
d d. Kalkkörper, in diesem 'T’heil der Wand ungewöhnlich sparsam.
e. Cylindrisches Epithel an der Oberfläche, stellenweise flimmernd.
Fig. 4. Schnitt aus einem Geschwulstknoten an der Oberfläche des Diaphragma von F. 2. Seibert ILL. 1.
a. Alveoläre Räume — kleine Cysten, welche mit stellenweise körnigem colloiden Inhalt gefüllt,
und mit cylindrischem, tbeilweise Cilien tragenden Epithel (b.) ausgekleidet sind.
e. Lymphdrüsengewebe.
d. Ein coneentrisch geschichtetes, unregelmässig gestaltetes, entkalktes Conerement.
e. Stärkere Bindegewebszüge.
Fig. 5. Flimmerzellen von Fall 1.
a. Zelle mit abgerissenem Fuss; der Kern seitlich verbreitert.
b, e. Zellen mit eingeschnürtem Kern und zwei Kernkörperchen.
d. Zelle mit zwei anscheinend soeben getheilten Kermnen..
e. Zelle mit zwei Kernen. i
f. Zwei Zellen, welche anscheinend aus einer hervorgegangen sind.
g, bh. Zwei vollständige Zellen, mit Fuss.
Fig. 6. Durchschnitt des kleineren Tumor von Fall 5. Natürl. Gr.
a. Die blätterige Geschwulstmasse.
b. Grössere Spalten, welche von papillärer Geschwulstmasse ausgefüllt sind.
ce. Durchscheinende, mit klarem Inhalt gefüllte Cyste.
d. Cystische Hervorragung an der Oberfläche.
38*
292
e. Feste Geschwulstknoten an der Oberfläche.
f. Tuba.
Fig. 7. Einige Lymphspalten mit gewuchertem Endothel, aus der fibrösen Wand des grösseren
Tumor in der Nähe eines soliden Knotens. Seibert III. 1.
a. Endothel von annähernd normaler Dicke.
a!. Kolbige Wucherungen, welche in das Lumen hineinragen.
b. Brückenförmige Verbindung (vielleicht nnr ein Stück der seitlichen, dureli den Schnitt ent-
fernten Wand).
e e. Hyalin degenerirte Kerne.
d. Freier, durch Retraetion entstandener Spaltraum.
e. Kernreiches Bindegewebe.
f. Gefäss mit Blutkörperchen.
Fig. 8. Netzförmige Zellstränge, aus einem der festeren. Theile der grossen Geschwulst. Seibert IIL. 1.
a. Zellstränge.
c. Hyaline Blasen.
e. Myxomatöses Bindegewebe, kolbige Wucherungen bildend.
f. Gefäss.
Fig. 9. Eine der Zellen - Rosetten mit radienförmig faseriger Mitte (a).
b. Peripherische, den Drüsen - Acinis ähnliche Zellhaufen.
e. Hyaline Räume,
d. Fibrilläres Bindegewebe mit länglichen Kernen.
Fig. 10. Einige Zellschläuche von Fall 6 von der gewöhnlichen Beschaffenheit. Bei a hat sich
der Inhalt eines im (uerschnitt getroffenen Schlauches etwas von der Wand zurückgezogen.
b. Spärliches fibrilläres Bindegewebe mit einzelnen Zellen, welches zwei Gruppen von Schläu-
chen von einander trennt,
c. Ein Schlaueh mit nicht ganz vollständigem Inhalt, an welchem sich die eigenthümliche An-
ordnung der Zellen erkennen lässt. Seibert V. 1.
Fig. 11. Einige gewundene Zellschläuche mit hyaliner Degeneration der Wandung, der zellige
Inhalt etwas zusammengedrängt. Seibert V. 1.
Fig. 12. Hyalines Balkenwerk, welches eine weitere Entwickelung des vorigen Stadiums darstellt.
Zellige und hyaline Balken durchflechten sich mit einander. Seibert II. 1.
Fig. 15. Unregelmässig gestaltete Zellschläuche mit dieker Wandung; an einigen derselben sieht
man kolbige Vorsprünge der letzteren, ursprünglich Faltungen der hyalinen Wand. Zwischen den Schläu-
chen findet sich sehr spärliches, anscheinend schleimiges Bindegewebe.
Fr
& Abhandlungen der naturf. Gesellschaft zu Halle %s. Bd.XW. Tafl.
Dr. Felix Marthana del.
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Druckv Aug Kürth Leipzig.
Abhandlungen der natunf. Gesellschaft zu alle Ys.Ba.XV.
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Beiträge
zur Kenntniss
ectoparasitischer mariner Trematoden
von
Dr. E. ©. Taschenberg.
Mit 2 "Tafeln.
Abh. der naturf. Ges. zu Halle. XIV, 3, Hft.
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Nachstehende Untersuchungen über marine ectoparasitische Trematoden sind
im Winter 1877 und im Frühjahr 1878 in der zoologischen Station von Neapel
angestellt worden. Sie gingen von den beiden Tristomum-Arten aus, welche den
Anfang meiner Beiträge zur Kenntniss dieser Parasiten bilden, und erstreckten sich
noch auf einige andere Formen, über welche in späteren Berichten gehandelt wer-
den soll.
Obgleich es mein Bestreben war, die ectoparasitische Trematodenfauna des
Golfes von Neapel möglichst vollständig in das Bereich meiner Untersuchungen zu
ziehen, so stellten sich dieser Absicht doch so erhebliche Schwierigkeiten in den
Weg, dass sie nur in sehr geringem Grade verwirklicht werden konnte. Es darf
nicht bezweifelt werden, dass sich an den Fischen des Golfes eine viel grössere An-
zahl hierher gehöriger Formen findet, als sie mir zur Verfügung stand.
Doch da man darauf angewiesen ist, auf dem Fischmarkte sein Material zu
suchen, so hat man zunächst die Vorurtheile der Fischer zu beseitigen, um über-
haupt ihre Waare darauf untersuchen zu können. Dann findet man vielfach todte
und zur Untersuchung unbrauchbare Thiere an den Kiemen oder man sucht oft
wochenlang vergeblich nach einem bestimmten Fische, welcher einmal Ausbeute ge-
liefert hatte. Schliesslich ist zu berücksichtigen, dass eine ganze Anzahl gerade
solcher Fischarten, auf welchen nach früheren Beobachtungen Trematoden schmarotzen,
zu den geschätzten und mithin theneren Essfischen gehört, weshalb sie kaum der
Untersuchung zugänglich sind.
Die von mir aufgefundenen ectoparasitischen Formen sind folgende:
Tristomum eoccineum Cuv. und Tr. papillosum Dies. an den Kiemen von Xiphias
gladius. Tr. Pelamydis m. an den Kiemen von Pelamys sarda. Pseudocotyle Squatinae
H. u. Ben. an der Haut von Squatina angelus. Calicotyle Kroyeri Dies. in der Kloake
von Raja. Onchoeotyle appendiculata Kuhn an den Kiemen verschiedener Haie.
Pleurocotyle Scombri Gerv. et Bened. an den Kiemen von Scomber colias. Octobo-
thrium Scombri Kuhn ebendaher. Monocotyle Myliobatis m. an den Kiemen von
Myliobates aquila. — Von diesen habe ich auch nicht alle einer eingehenderen
Untersuchung wegen Mangel an Material unterziehen können.
39*
en
Was die Untersuchungsmethoden anlangt, so sei nur erwähnt, dass die Thiere
zunächst lebend, dann aut (Quetschpräparaten, sowie auf @uer-, Längs- und Flächen-
schnitten. beobachtet wurden. Zur Härtung diente Alkohol, Schwefelpikrin- und
Chromsäure, zur Färbung Pikrokarmin und die vortreffliche Kleinenberg’sche Häma-
toxilinlösung.
Die Zeichnungen sind sämmtlich mit der Oberhäuser’schen Camera lueida
und einem Hartnack’schen Mikroskope entworfen worden.
1. Tristomum coceineum Cuv. und Tr. papillosum Dies.
1. Aeussere Beschreibung.
An den Kiemen des Schwertfisches leben zwei Arten der Gattung T'ristomum,
welche als 'T'r. eoceineum Ouv. ') und Tr. papillosum Dies. *) beschrieben worden sind. Sie
sind einander sehr ähnlich und von den verschiedenen Forschern, welche sie zum
Gegenstande ihrer Untersuchungen gemacht haben, nicht immer richtig erkannt worden.
So hat Blanchard°) seine Beobachtungen angeblich an Tr. coccineum an-
gestellt, während aus seiner Beschreibung und Abbildung deutlich hervorgeht, dass
er Tr. papillosum Dies. vor sich gehabt hat, welche Art auch die gewöhnlichere zu
sein scheint.
Die entscheidenden Kriterien für diese beiden Arten beruhen aut der Form
des Körpers und der Beschaffenheit seiner Oberfläche.
Tr. coceineum (Taf. I. tig. 1. u. 2.) ist fast ganz rund, scheibenförmig und auf
der Oberfläche glatt, Zr. papillosum (Tat. II. fig. 4.) ist langgestreckt, hinten etwas
erweitert (panduraeforme Diesing d.h. geigenförmig) und trägt zahlreiche, sogleich
in die Augen fallende Papillen auf der Rückenseite, wo sie namentlich im hintern
Abschnitte sehr dicht stehen. *)
1) Cuvier, Regne animal 1817. Tom. IV. p. 62. Pl. XV. fig. 10 et nouv. edit. Zoophytes Pl.
XXXNVI. bis fig. 1.
®) Diesing, Nov. Act. Nat. Cur. XVII. 1. p. 314. Tab. XV. fig. 13—18.
3) Blanchard, Recherches sur l’organisation des Vers, Annal. d. Sciences natur. 3. Ser. VIII.
1847. p. 321.
#) Blanchard (l. e. p. 324) sagt sehr irrthümlich von diesen Papillen: “Ces tubereules, qui se
presentent sous la forme de vesicules sont terminds par une petite point. Quand on les exprime, on en
fait sortir un peu de matiere liquide’.
Baer,
Wenn Diesing für erstere Art angibt, dass das hintere Körperende im Unter-
schiede zur andern Art nicht ausgerandet sei, so beruht dies auf einem Irrthume.
Der grosse unpaare Saugnapf liegt auf der Bauchseite und ragt nirgends über
die Seitenränder hervor (während er bei den meisten anderen Arten dieser Gattung
die Fortsetzung des hinteren Leibesendes bildet). Er ist becherförmig, 4 mm. im
Durchmesser; der Rand von einem diinnen, etwas gekerbten Saume umgeben. Er
gleicht einem Rade mit 7 Speichen, indem von einer centralen kreisförmigen Figur
sieben peripherische Leisten ausstrahlen. Am hinteren Ende der ersteren beschreibt
zuerst Kölliker') bei Tr. papillosum zwei divergirend gestellte, in die Muskulatur
eingeführte Häkchen. Dieselben finden sich sonst bei keinem der Autoren erwähnt,
sind aber bei einiger Aufmerksamkeit kaum zu übersehen und kommen in gleicher
Weise auch bei Tr. coceineum vor. (Tat. Il. fig. 8.)
Ausserdem sind aber noch andere Hautgebilde zu berücksichtigen, die bisher
nur von Tr. papillosum näher angegeben worden sind (Blanchard hat, wie erwähnt,
auch diese Art und nicht Tr. eoceineum untersucht).
In seiner ersten Beschreibung von Tr. papillosum erwähnt Diesing”’) am
Rückenrande quere, elliptische Erhöhungen, in welchen sich 3-4 in einer Reihe liegende,
dunkelbraune, fast kreisrunde Vertiefungen befinden.
Grube’) fand auf Sicilien ein Tristomum, welches er mit dem von Diesing
beschriebenen für identisch hält. Die eben erwähnten Vertiefungen aber erklärt er
für „wahre, nur äusserst kurze Stacheln“, von denen er auch einige herauspräparirt
hat. Er hat jederseits 30 solcher Stachelkämme gezählt und bemerkt, er würde das
hier, wenn es nicht schon von Diesing beschrieben sei, wegen dieser merkwürdigen
Bewaffnung Tr. aculeatum genannt haben.
Die nämlichen Gebilde beschreibt auch Kölliker*), ohne der Grube'schen
Untersuchung Erwähnung zu thun, in folgender Weise: „Es sitzen ganz am Rande
der Rückenfläche jederseits 30-50 längliche, quer gestellte Wülste, einer hinter dem
1) Kölliker, Berichte von der kgl. Zootom. Anstalt in Würzburg. II. Bericht 1849. p. 22.
2) Diesing |. c. p. 314. Er fügt hinzu: „— soeben bemerke ich nun auch am Rande der
Rückenfläche von Tr. eoceineum ganz kleine kreisrunde Erhöhungen mit einem schwarzbraunen Punkte
in der Mitte, die ohne bestimmte Ordnung, ziemlich nahe an einander liegend, am Rande vertheilt sind.“
3) Grube, Actinien, Echinodermen und Würmer des adriatischen und Mittelmeeres. Königsberg
1840. p. 49.
4) Kölliker I. c. p. 22.
andern, an deren Oberfläche vorn ein oder zwei, weiter hinten drei und selbst vier
kleine runde Oeffnungen sichtbar werden. Untersucht man eine solche Oeffnung
genauer, so findet man, dass sie am Rande leicht gekerbt ist, und im eine etwas ge-
räumigere geschlossene Höhlung führt, an deren Wandung eine der Längsachse des
Thieres parallel gestellte festere Platte sitzt. Diese Platte, welche ihrer Unlöslichkeit
in Salpetersäure wegen als hornig angesehen werden kann, ist von halbmondför-
miger Gestalt, 0,006’ breit, 0,027’ lang, sitzt mit ihrem concaven Rande in der
Wandung ihrer Höhlung fest und trägt am convexen Theile eine Anzahl (15—20)
sehr spitzer Zähne, von denen die äussersten die längsten sind.“
Wenn Diesing diese Gebilde als Athemlöcher oder Stigmata auffasst'), so ist
Kölliker geneigt, sie für Bewegungsorgane zu halten.
Blanchard?) sagt von seiner Art: ‘Tout le long du bord marginal on observe
encore une serie de tubercules, mais disposes iei beaucoup plus regulierement et
offrant chacun trois ou quatre petites pointes obtuses d’apparence cornee.
Leuckart?) endlich bemerkt: „Bei Tr. coceineum besetzt sich der Seiten-
rand des Körpers mit einer Menge querer Borstenreihen, wie wir das sonst blos bei
den sog, Ohaetopoden zu finden gewohnt sind. Diese Borsten sind dieselben Gebilde,
die von früheren Beobachtern als Stigmata in Anspruch genommen wurden.“
Wir haben es in diesen Gebilden, die, wie wir sahen, in der verschiedensten
Weise gedeutet worden sind, mit Chitinkörpern zu thun, welche in der Haut des
Thieres eingelagert sind und wahrscheinlich zum Festhalten des Parasiten beitragen.
Sie finden sich sowol bei Tr. papillosum wie bei Tr. coccineum, jedoch in anderer,
für jede Art charakteristischer Weise.
Bei Tr. coceineum ist der ganze Seitenrand des 'Thieres auf der Rückenfläche
mit dicht an einander stehenden Querreihen besetzt, deren jede in der Regel sieben
kleine Chitinkörperchen enthält, welche dem unbewaffneten Auge wie schwarze Punkte
erscheinen. (Taf. I. fig. 1u. 2.) Bei Tr. papillosum dagegen finden sich viel grössere
Chitingebilde von hellbrauner Farbe, deren zwei oder drei neben einander liegen.
Diese Reihen stehen bei weitem nicht so dicht, wie bei der andern Art; man zählt
!) Es heisst bei Diesing: „Vergleichen wir die unterhalb dieser Stelle — nämlich wo die Erhöhungen
stehen — befindlichen Organe, so erscheinen hier die Endigungen des verzweigten Darmkanals, und wir
halten es nicht für zu gewagt, diese Organe für Athemlöcher (Stigmata) zu halten.“
2). ec. p. 323.
>) Leuekart, Menschliche Parasiten I. p. 450.
— 299 ——
jederseits etwa 40. Die Form dieser Körper ist nicht bei allen dieselbe. Es finden
sich einspitzige, zweispitzige und solche, die am äusseren oberen Rande kammförmig
gezähnt sind. (Taf. I. fig. 5... Die äussersten ragen gewöhnlich über den Seiten-
rand hervor.
Die lebenden T'hiere sind roth von Farbe, eine Folge des aus den Kiemen
aufgenommenen Blutes. Die Länge des grössten mir zur Verfügung stehenden
Exemplars von Tr. coceineum beträgt 17 mm. bei einer grössten Breite von 19 mm.
Für Tr. papillosum sind diese Masse 15 und 12 mm.
Die beiden in Rede stehenden Arten sind aus den Kiemen von Xiphias gladius,
Tetrapturus belone und Orthagoriscus mola bekannt. Aus dem Mondfische ist ausser-
dem noch eine andere Art, Tr. Molae Blauch. beschrieben. Ob sie von einer der
beiden anderen wirklich verschieden ist, kann ich leider nicht entscheiden, da mir
von diesem Wirthe nie ein Parasit zur Untersuchung vorgelegen hat. ')
2. Haut.
Wie bei allen Trematoden und ebenso den nahe verwandten Cestoden, so
besteht auch bei unserm Tristomum die Haut aus zwei Schichten, die als Cutieula
und Subeuticula unterschieden werden und unserer Ansicht nach mit der Epidermis
anderer Thiere auf gleiche Stufe zu stellen sind.
Der gleichen Ansicht sind indess nicht alle Zoologen. So vertritt bekannt-
lich Schneider?) eine andere Auffassung, indem er den Tremadoten und Oestoden
ein äusseres Epithel überhaupt abspricht und die Cutieula, welche den Körper zu
äusserst überzieht, mit der Basementmembran, die bei den Turbellarien zwischen
der Muscularis und Epithelschicht liegt, in Vergleich stellt. Es ist nach seiner Auf-
fassung das Larvenepithel beim ausgebildeten Thiere verloren gegangen.
Eine noch andere Ansicht über das Epithel dieser Würmer ;hat Minot’)
geäussert. Er will bei Taenia, Bothriocephalus und Caryophyllaeus eine Schicht, in
!) Neben der typischen Gattung Tristomum sind von verschiedenen Autoren noch eine Anzahl
anderer Gattungen aufgestellt worden, die sich indess kaum scharf diagnosiren lassen und daher von mir
zu ersterer als Synonyma gezogen worden sind. Vergl. Taschenberg, Helminthologisches. Zeitschr. f.
d. ges. Naturwissensch. von Giebel 1878. p. 562.
2) Schneider, Untersuchungen über Plathelminthen. XIV. Bericht d. Oberhessischen Gesell-
schaft f. Natur- u. Heilkunde. Giessen 1873. p. 69.
3) Minot, Studien an 'Turbellarien. Arbeiten aus dem zoolog.- zoot. Institut in Würzburg. III.
1876— 77. p. 456.
— a
welcher er einige Male deutliche Cylinderzellen gefunden, ausserhalb der sog.
Cuticula entdeckt haben. „Die Zellenschicht ist die wahre Epidermis, auf ihr liegt
eine äusserst dünne Outieula und die angebliche, faserige Cuticula auct. ist die
Basilarmembran.“ !)
Dazu stimmen nun freilich die Beobachtungen Anderer schlecht, welche, wie
Sommer und Landois?), Schiefferdeeker?) und Steudener) die Cuticula der
Öestoden von Porenkanälen durchsetztfanden, aus denen Fortsätze der darunter gelegenen
pallisadenartig gestellten Zellen in Gestalt von feinen Protoplasmacilien hervorragten.
Eine von Porenkanälen durchsetzte Basilarmembran ist aber wol nicht gut
denkbar, eben so wenig, dass über oder zwischen jenen Cilien noch Cylinderzellen
liegen sollen, die meist ‘verloren gehen und sich so der Beobachtung entziehen.
Die Minot’sche Beobachtung beruht daher wol aut einem Irrthume °), und ich
sehe es für die Cestoden als zweifellos an, dass die Subeuticularschicht, die aus
langgestreckten, schmalen, kegelförmigen Zellen besteht, die wahre Epidermis ist.
Dafür spricht auch die Anwesenheit von Becherzellen innerhalb derselben, wie sie
Steudener*) bei einigen Taenien aufgefunden hat.
1) Verfasser erklärt ferner, dass die Angaben von einer dieken Cuticula (d.h. seiner Basilar-
wmembran) auf schräg gefallenen Schnitten dureh die Epidermis beruhen, welch letztere wegen ihrer un-
regelmässigen Faltenbildung selten senkrecht getroffen werde. Wenn dies auch in gewissen Fällen denk-
bar ist, so lassen sich doch aueb senkrechte Schnitte machen, die eine solche Irrung völlig ausschliessen.
Ueberdies lehrt ein Schnitt durch Ligula oder den Scolex eines Tetrarhynchus, dass in der That die
Cutieula eine sehr beträchtliche Dicke erreichen kann.
?2) Sommer und Landois, Ueber den Bau der geschlechtsreifen Glieder von Bothriocephalus
latus Bremser. Zeitschr. f. wissensch. Zoolog. XXI. p. 47.
3) Schiefferdeeker, Beiträge zur Kenntniss des feineren Baues der T’aenien. Jenaische Zeitschrift
f. Naturwissenschaft VIII. 1874. p. 461.
4) Steudener, Untersuchungen über den feineren Bau der Cestoden. Abhandl. d. naturforsch.
Gesellschaft zu Halle XIII. 1877. p. 7.
5) Vielleicht liegen hier ähnliche Verhältnisse vor, wie sie Max Schultze veranlassten, die losge-
lösten Cutieularfetzen bei Turbellarien als „Schüppehen“ zu beschreiben, die dann auch von Anderen für
die Integumentzellen selbst gehalten wurden.
Nachträglicher Zusatz: Minot hält auch in einer neueren Arbeit (On Distomum erassicolle
with brief notes on Huxley’s proposed classification of wormes. Memoirs of the Boston soe. of nat. Hist.
Vol. III. 1879) an der früheren Auffassung fest, dass die Cutieula der Autoren eine Basementmembran sei.
6) Steudener |. e. p. 9 und Abbildungen.
— 301 —
Bei unserm Tristomum nun findet sich eine ziemlich dicke (0,003 mm.), durch-
aus homogene Cuticula, in welcher es mir nie gelungen ist, Porenkanäle nachzuweisen.
Es kann uns dieser Mangel übrigens nicht wunderbar erscheinen, wenn wir bedenken,
dass unsere T'hiere einen wol ausgebildeten Darmkanal besitzen, während die Cesto-
den ihre Nahrung durch die Haut aufzunehmen genöthigt sind (worin ihnen die
aus den Porenkanälen hervorragenden Plasmafortsätze der Matrixzellen sehr förderlich
sein mögen).
Die Cuticula folgt der Körperoberfläche an der Mund- und den Geschlechts-
öffnuungen nach innen und kleidet somit den Pharynx und die ersten Leitungswege
der Geschlechtsorgane aus.
Die unter der Cutieula gelegene Subeuticularschicht trägt den zelligen
Charakter in viel geringerem Grade an sich als bei den Cestoden.
Leuckart') spricht von einer im allgemeinen „schwachen und undentlich
begrenzten Körnerschicht,“ die indess in einzelnen Fällen eine entschieden zellige Be-
schaffenheit zeige.
Dies ist nach Leuckart gerade bei unserm Tristomum der Fall ?).
Ich kann diese Beobachtung in gewissem Sinne bestätigen.
Die Subeuticularschicht besteht bei diesem 'T'hiere im wesentlichen aus einer
feinkörnigen protoplasmatischen Substanz, die keine regelmässigen Zellenabgrenzun-
gen erkennen lässt. Wol aber finden sich hie und da, namentlich im den Papillen, zu
welchen sich — wie oben erwähnt — bei Tr. papillosum die Haut auf der Rücken-
fläche erhebt, kleine runde Kerne mit einem dunkleren Kernkörperchen oder auch
letztere allein. (Taf. II. fig. 7.)
In ganz ähnlicher Weise finden sich die Verhältnisse bei Amphilina foliacea
wieder, von der Salensky°) u. a. sagt: „Es steht fest, dass in der Hautschicht
überhaupt keine zelligen Elemente als gesonderte Zellen mit Kernen zum Vorschein
treten, man trifft nur die Kerne mit eingeschlossenen Kernkörperchen.“ Ganz wie
bei Amphilima finden sich nun auch bei Tristomum in der Subentieularschicht eine
') Leuckart, Menschliche Parasiten I. p. 455.
2) Auch Blumberg (Ueber den Bau des Amphistomum conieum. Inaugural - Dissertation. Dorpat
1871) beschreibt bei Amphistomum conicum ein regelmässiges Cylinderepithel und erwähnt in der Öntieula
auch Porenkanäle.
3) Salensky, Ueber den Bau und die Entwicklungsgeschichte der Amphilina. Zeitschr. f.
wissensch. Zoologie XNXIV. p. 300.
Abh. der naturf, Ges, zu Halle. XIV, 5. Hit. 40
— 302 ——
Menge feinster Fibrillen, die theilweisse mit Sicherheit als die letzten Endigungen der
dorsoventral verlaufenden Parenchymmuskeln — wovon später — erkannt werden, zum
andern Theil aber wol mit Recht als Reste oder Modificationen der ursprünglich
vorhandenen Epidermiszellen, von denen nur die Kerne noch deutlich zu erkennen
sind, angesehen werden dürfen.
Ob nun die Uutieula in einer Zeit gebildet wird, wo die /darunterliegende
Schicht noch einen deutlich zelligen Charakter zeigt, oder ob auch jene vorhin be-
schriebene feingranulirte Masse eine solche abscheiden kann — das muss dahin ge-
stellt bleiben; in jedem Falle erkenne ich in der Subeutieularschicht die Bildnerin der
Cutieula und die Vertreterin einer wahren Epidermis.
Als Hautgebilde haben wir bereits oben stachelartige Chitinkörper kennen
gelernt, die sogar in ihrer verschiedenen Ausbildung bei Tr. eoceineum und Tr.
papillosum als Unterscheidungsmerkmale benutzt werden können ').
Bei letzterer Art, wo sie eine beträchtlichere Grösse erreichen, sind sie deut-
lich geschichtet und im Innern hohl. Mit etwas verbreiterter Basis sitzen sie in
der Subeutieularschicht und werden von feinen Muskelzügen umgeben, so dass sie
wahrscheinlich von dem Thiere in verschiedene Stellungen gebracht werden können.
Wir nahmen bereits oben diese Gebilde als Anhaftungsorgane in Anspruch; vielleicht
dienen sie auch dazu, die Kiemen zu verwunden und so dem T'hiere das Blutsaugen
zu erleichtern.
Hierher gehören auch die mannigfachen Chitinbewaffnungen, die sich bei den
Trematoden in Verbindung mit dem vordern Körperende, mit den Saugnäpfen oder
den Geschlechtsöffnungen finden. Bei Tristomum lernten wir in dem grossen Bauch-
saugnapfe zwei sehr kleine, stiftartige Gebilde kennen. (Taf. II. fig. 8.)
Alle diese Haftorgane, wie Stacheln und Haken, {die bei den verschiedenen
Saugwürmern in so verschiedener Form auftreten, sind Bildungen der Subeuticu-
larschicht.
Auch hierin, meine ich, ist ein Beweis zu finden, dass diese Gewebsschicht
mit Recht der Epidermis anderer Thiere gleichgesetzt wird; denn wo wir nur immer
2
ähnlichen Hautgebilden begegnen, stets geht ihre Bildung von der Epidermis aus,
1) Aehnliche Gebilde sind neuerdings von Graff bei einer dendrocoelen 'Turbellarie beschrieben
worden; vergl. Graff, Kurze Berichte über fortges etzte Turbellarienstudien I. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie
XXX. Suppl. p. 461.
— 303 —
niemals aber vom Bindegewebe, als welches die Subeuticularschicht von einigen ange-
sehen wird. —
3. Muskulatur,
Wie bei den Trematoden ganz aligemein, haben wir auch bei unserm Thiere
zwischen den Muskeln zu unterscheiden, welche unter der Subeutieulaturschicht ver-
laufen und mit dieser einen Hautmuskelschlauch darstellen, und den sog. Paren-
chymmuskeln sowie denjenigen, welche einzelnen Organen angehören.
Die Muskeln des Hautmuskelschlauches sind von aussen nach innen sich
folgend eine Ringfaser-, eine Längsfaser- und eine Diagonalfaserschicht, welche nicht
in allen Theilen des Körpers in gleicher Mächtigkeit entwickelt sind.
Eine bedeutende Ausbildung erreichen die Parenchymmuskeln, von denen es,
wie bereits Leuckart') erwähnt, neben den regelmässig dorsoventral verlaufenden
auch der Länge nach und diagonal angeordnete gibt, die zusammen ein zierliches
Geflecht bilden. Die dorsoventralen Muskelzüge sind sehr zahlreich, wenn auch
jeder einzelne eine nur unbedeutende Stärke besitzt. Sie durchsetzen den Hautmuskel-
schlauch und endigen mit ihren feinen, oft pinselartig ausstrahlenden Fasern in der
Subeutieularschicht (Taf. II. fig. 7.), genau wie bei Amphilina, was bereits hervorge-
hoben wurde.
Eine besondere Beachtung verdienen die Muskeln der Saugnäpfe, namentlich
des grossen Bauchsaugnapfes, dem gegenüber die kleinen Mundsaugnäpfe sehr an
Ausbildung und Leistungsfähigkeit zurücktreten.
Der Bauchsaugnapf folgt in der Arordnung seiner Muskulatur den für die
Trematoden im allgemeinen giltigen Gesetzen, welche Leuckart?) hervorhebt.
Die mächtigsten Muskelzüge sind diejenigen, welche vom idealen Mittelpunkte
des Saugnapfes peripheriewärts ausstrahlen und somit als Radiärfasern bezeichnet
werden können. Sie sind zu einer grossen Anzahl von Bündeln in das Bindegewebe
eingelagert, welches dadurch fast ganz zurücktritt.
Dazu kommen weiter Muskelfasern, welche je eine dünne Schicht auf der
innern und der äussern Fläche des Saugnapfes bilden, also cireulär verlaufen; von
Leuckart Aequatorialfasern genamnt.
1) Leuckart, Menschliche Parasiten I. p. 461.
?2) Leuckart I. ec. p. 461.
40*
304
Auf dieselben folgen endlich noch Meridionalfasern, ebenfalls in eine
äussere und innere Schicht gesondert.
Wenn die genannten Muskelzüge den Saugnapf selbst zu verengern und zu
erweitern bestimmt sind, dienen andere dazu, die Stellung desselben zum Körper
zu verändern. Es sind dies, wie auch von Leuckart bereits angegeben, besonders
stark ausgebildete Züge der dorsoventralen Parenchymmuskeln, die sich hier an den
Saugnapf ausbreiten.
Die viel kleineren Mundsaugnäpfe erscheinen deutlich als besonders entwickelte
Theile des Hautmuskelschlauches, mit dem sie die Faserzüge gemeinsam haben.
Dazu treten noch dorsoventrale Fasern, welche aber, besonders im Vergleich mit
denjenigen des Bauchsaugnapfes, ausserordentlich schwach entwickelt sind. Dadurch
tritt auch das Bindegewebe, in welches die Muskeln eingelagert sind, bedeutend her-
vor. Es enthält eine grosse Menge von Zellen, die wahrscheinlich zum grösseren
Theile als einzellige Drüschen zu deuten sind, wie sie von Blumberg') aus
dem Saugnapfe von Amphistomum conieum beschrieben werden. Ihr Sekret dürfte
dazu beitragen, den an sich schwachen Mundsaugnäpfen grössern Halt auf ihren Wirthen
zu verleihen.
Was die histologische Struktur der Muskeln anlangt, so wissen wir bereits
durch Schwalbe?) und Leuckart °), dass dieselben bei den Trematoden langge-
streckte kernlose Spindelzellen darstellen. Es ist mir auch bei Tristomum nicht
gelungen, Kerne in den Muskelfasern aufzufinden.
4. Körperparenchym.
Eine gesonderte Leibeshöhle existirt bei den Trematoden bekanntlich nicht,
ihre Stelle wird von einer parenchymatösen Grundsubstanz vertreten, in welcher die
einzelnen Organe des Körpers eingelagert sind, oft blose Lücken in ihr bildend.
Diese Grundsubstanz besteht, wie bei allen Plathelminthen, aus Bindegewebe.
Leucekart*) unterscheidet zwei Hauptmodifikationen desselben. Die eine ist
durch die geringere Deutlichkeit der die Gewebe charakterisirenden Zellen ausge-
zeichnet und erscheint als eine homogene, höchst feinkörnige, helle Substanz mit
") Blumberg l. e. p. 18.
2) Schwalbe, Ueber den feinern Bau der Muskelfaser wirbelloser Thiere. Archiv f. mikr. Anat.
V. 1869. p. 205.
®») Leuckart l. e. p. 459.
%) Leuckart, ]. ce. p. 457.
305
zahlreichen eingesprengten Kernen, die andere wird von einem grossblasigen Ge-
webe gebildet.
Anfangs glaubte ich mich dieser Ansicht auch für Tristomum anschliessen zu
können, ja es schien mir, als wenn sich jene beiden von Leuckart angeführten Modi-
fikationen neben einander und in einander übergehend nachweisen liessen.
Man sieht nämlich an gewissen Stellen, namentlich unterkalb des Hautmuskel-
schlauches, grosse zellenartige Gebilde, welche das Ansehen von Pflanzenzellen haben,
wie es Leuckart für Distomum hepaticum besonders hervorhebt; an andern Stellen,
und zwar mehr in der Mitte des Körpers erscheint ein fast gleichmässiges Protoplas-
malager, in welchem kleine Kernchen eingebettet sind — Kernchen, die denen jener
grossblasigen Zellen genau gleichen.
Es würde demnach der Gedanke nahe liegen, dass das Körperparenchym ur-
sprünglich aus grossen protoplasmahaltigen Zellen bestehe, die allmählich in einander
fliessen und dann nur noch die Kerne erkennen lassen.
Es wäre dies eine Beschaffenheit des Körperparenchyms, wie, sie vonSommer
und Landois!) für Bothriocephalus latus geschildert wird.
Im Laufe meiner Untersuchungen, die sich dann auch auf andere T'rematoden-
formen erstreckten, bin ich indess zu einer andern Auffassung des Bindegewebes ge-
langt, die in Uebereinstimmung mit dem entsprechenden Parenchym der übrigen
Plathelminthen steht.
Ich betrachte, um es gleich kurz zusammenzufassen, das Parenchym als em
Bindegewebe, welches zu einem Maschenwerke entwickelt ist, in welcheın die ur-
sprünglichen Bildungszellen theils noch vorhanden sind, theils aber nur an dem
Protoplasma mit darin eingelagerten Kernen sich erkennen lassen.
Jene grossblasigen, Pflanzenzellen ähnlichen Gebilde sehe ich nicht für eine
von einer Membran umgebene Zelle an, sondern für eine Lücke im Bindegewebe,
in welcher eine membranlose Zelle eingelagert ist. Hierzu veranlassen mich fol-
gende Gründe.
Die angebliche Zellmembran ist so scharf markirt, wie es sonst nicht der
Fall zu sein pflegt. Oft sieht man ausserdem solche „Zellmembranen“ ohne Inhalt,
d. h. man bemerkt eine kleine Lücke im Bindegewebe, welche gegen die Umgebung
scharf abgegrenzt ist, und diese Grenze ist nichts anderes als die angebliche Zellmembran.
1) Sommer und Landois, Zeitschr. f. wiss. Zoolog. XXII. p. 49.
Ira
Zuweilen sieht man auch mehrere membranlose Zellen in einem solchen Hohl-
raume liegen (Taf. II. fig. 9.) Wenn man nun ferner annehmen muss, dass die im
Innern des Körpers gelegene feingranulirte Protoplasmasubstanz eine Zellenausschei-
dung ist, so würde man, falls jene grossblasigen Zellen mit einer so scharf eonturirten
Hülle umgeben wären, nicht einsehen können, wie das Protoplasma nach aussen ge-
langt und jene Membran dem Blicke gänzlich entzogen würde.
Aus diesen verschiedenen Gründen scheint mir die Auffassung richtiger, dass
in einem Maschenwerke von Bindegewebsfasern und -platten membranlose Zellen
gelegen sind, die ihr Protoplasma an gewissen Stellen vollständig in einander fliessen
lassen und dadurch das Maschenwerk gewissermassen mit Plasma durchdrängen, in
welchem dann nur noch die Zellkerne mit ihren Kernkörperchen hervortreten.
Diese Auffassung gewinnt an Wahrscheinlichkeit auch noch dadurch, dass die
soeben geschilderten Zellen nicht die einzigen sind, denen wir im Parenchym unseres
Trematoden begegnen.
Dieselben finden wir namentlich da im Körper, wo zahlreiche andere Organe
die Hauptmasse bilden, so dass sie nur die Seitentheile einnehmen können. Im vor-
dersten Theile des Thieres, wo die andern Organe sehr zurücktreten, finden wir
eine etwas anders gestaltete Grundsubstanz.
In einer bei schwacher Vergrösserung ganz homogen erscheinenden Masse
liegen wiederum Zellen. Die einen sind nach dem Typus der oben betrachteten
gebaut: es sind von wenig Protoplasma umgebene Kerne in einer Bindegewebslücke.
Daneben liegen birn- oder spindelförmige Zellen, deren Protoplasma sehr
grobkörnig ist, und die sich in einen bald längeren bald kürzeren Fortsatz ausziehen.
Diese Fortsätze, deren eine Zelle zuweilen auch zwei aussendet, sind sehr zart, färben
sich bei Anwendung von Tinktionsflüssigkeiten so gut wie nicht und erweisen sich von
derselben Beschaffenheit wie die anscheinend homogene Grundsubstanz, wenn wir sie
mit scharfen Vergrösserungen betrachten. Man erkennt sodann, dass dieselbe nicht
ganz homogen ist, sondern aus einem ausserordentlich feinen Maschenwerke besteht,
gebildet aus sehr zarten Fasern und ausgefüllt von Protoplasmasubstanz. Wir finden
solche feine Fasern auch ohne Zusammenhang mit Zellen im Parenchym und sehen -
endlich auch kleine Zellkerne mit einen kleinen Kernkörperchen in demselben liegen
(Taf. I. fie. 9.).
Aus diesen Einzelbefunden ziehen wir folgenden Schluss. Die mit Fortsätzen
versehenen Zellen liefern auf Kosten ihres Protoplasmas das oben beschriebene feine
asp
Netzwerk mit dem protoplasmatischen Inhalte; ihre Kerne finden sich bisweilen in
dieser Grundmasse noch erhalten. An andern Stellen gehen die Zellen keine solche
Umwandlung ein, sondern bleiben in grösseren Lücken des Bindegewebes erhalten
und haben dann das Aussehen von Pflanzenzellen.
Eine ganz ähnliche Beschaffenheit des Bindegewebes, wie wir sie für die
Trematoden in Anspruch nehmen, bieten uns die Cestoden dar, wo wir dasselbe
namentlich durch die Untersuchungen Schiefferdecker's') an Taenia solium
genauer kennen gelernt haben.
Auch hier besteht es aus einem Netzwerke, in dessen Maschen die Binde-
gewebszellen, welche die Bälkchen ausscheiden, liegen oder wenigstens, falls sie zu
Grunde gegangen sind, gelegen haben.
In gleicher Weise lauten auch die Resultate der Untersuchungen von Graff?)
an Turbellarien und von Salensky?) an Amphilina, ein Thier, in dessen Bau wir
schon mehrfache Analogien mit den Trematoden constatiren konnten.
Es heisst da vom Körperparenchym, dass sich seine Zellen in Ausläufer
ausbreiten und dass zwischen diesen ein System von Zwischenräumen ent-
steht, welches dem Gewebe einen durchlöcherten spongiösen Charakter gibt ?).
Wir werden hierdurch an jene Strukturverhältnisse des Körperparenchyms
erinnert, welche Walter?) von einigen 'Trematoden beschreibt.
Er erklärt dasselbe für ein Zellennetz, welches er als Saftnetz bezeichnet.
Letzteres beruht auf der Annahme Walter’s, dass diese Zellenausläufer die letzten
Endigungen des Gefässsystems seien, worin ihm allerdings, und wol mit Recht, von
Leuckart entgegengetreten wird.
Nichtsdestoweniger muss man doch zugeben, dass eine Anordnung des Kör-
perparenchyms, wie wir es für die Trematoden in Anspruch nehmen, der Ernährung
der einzelnen Theile des Körpers weit günstiger ist als ein System grosser runder
oder polygonaler Zellen, die durch Membranen gegen einander abgegrenzt sind.
1) Schiefferdecker, Jenaische Zeitschrift 1874. VII. p. 468.
2) Graff, Zur Kennniss der 'Turbellarien, Zeitschr. f. wiss. Zoolog. NXIV. p. 133.
>) Salensky I. c. p. 303.
*) „An Querschnitten von Amphilina kann man sich leicht überzeugen, dass die Zellen des
Körperparenchyms hüllenlos sind, dass die Kerne in Zellenkörperchen eingebettet sind und das Körper-
parenchym wirklich aus verästelten und nicht aus abgeplatteten Zeilen besteht“. 1. e. p. 299.
5) Walter, Beiträge zur Anatomie und Histologie einzelner 'Trematoden. Archiv f. Naturge-
schichte XXIV. 1858. p. 269.
- 308 ——
In diesem Sinne, meine ich, ist der Name „Saftnetz“, den Walter braucht,
ganz annehmbar; wir haben dabei gar nicht nöthig, einen Zusammenhang mit dem
Exkretionssystem anzunehmen, der, wie ja Walter selbst bekennen muss, seiner Auf-
fassung des feinen Netzwerkes als eines der Ernährung dienenden Gefässsystems etwas
im Wege steht.
5. Nervensystem.
Ueber das Vorhandensein eines Nervensystems bei Tristomum sind wir bereits
durch die Untersuchungen Köllikers') unterrichtet.
Seinen Angaben über die Lage und den gröberen Bau desselben kann ich
kaum etwas hinzufügen. Das Nervensystem ist gerade bei unserm Thiere ausser-
ordentlich ausgebildet. Wir haben zwischen dem centralen Theile und den davon
ausgehenden Nerven zu unterscheiden.
Der centrale Theil, von Kölliker als Gehirn bezeichnet, liegt dicht vor
der Mundöffnung (Taf. I. fig. 2.), hat eine ziemlich rechteckige, bei grossen Individuen
mehr bogenförmige Gestalt?) und ist im allgemeinen so gebaut, wie es Leuckart?)
von Distomum hepaticum und den Tematoden überhaupt schildert.
Es ist ein Querband, dessen Ecken verdickt sind. „Man darf demnach sagen,
dass das Nervensystem aus zwei Anschwellungen bestehe, die zu den Seiten der vor-
deren Pharyngealöffnung gelegen sind und auf der Rückenfläche durch eine Quer-
commissur zusammenhängen.“
Diese Auffassung wird durch die histologische Struktur des Gehirns bestätigt.
An den Seiten desselben liegen die Ganglienzellen, während der mittlere Theil nur
von Fasern gebildet wird, die mithin eine Quercommissur darstellen. (Taf. II. fig. 3.)
Die Ganglienzellen sind grosse, unipolare Zellen, die stets emen sehr grossen
(0,009-- 0,015 mm.) bläschenförmigen Kern enthalten, welcher sich in Carmin stark
tingirt. (Taf. II. fig. 4.) Der Fortsatz stellt die Nervenfaser dar und diese bilden in
ihrer Gesammtheit im Gehirn die Quercommissur der ganglionären Anschwellungen.
Auch in den peripherischen Nerven finden sich in gewissen Zwischenräumen die näm-
lichen Ganglienzellen. Es ist allerdings fast immer nur der Kern deutlich; er ist
1) Kölliker, Berichte von der kgl. zool. Anstalt zu Würzburg. II. Bericht 1849. p. 26.
2), Bei unserm T'hiere finden wir den Centraltheil in ganz ähnlicher Weise wie bei manchen
o
Turbellarien gebildet, besonders wie bei Turbellaria Klostermanni Graff (Graff, Zur Kenntniss der Tur-
bellarien, Zeitschr. f. wiss. Zoologie XXIV. p. 123.)
3) Leuckart 1. c. p. 463.
— pn = -
von einer geringen Menge Protoplasma umgeben, während sich die Zellmembran in
die Nervenfaser auszuziehen scheint. (Taf. I. fig. 5.)
Die Verdiekung an den Ecken des Gehirns entsteht durch die Abzweigung
der peripherischen Nervenstämme, die beim lebenden Thiere, sowie an ge-
lungenen Präparaten fein längsgestreift erscheinen. Oberhalb des Pharynx geht
zunächst jederseits ein Nervenstamm zu den Mundsaugnäpfen ab, die sehr bald
jederseits noch zwei Stämme erhalten, welche etwas weiter nach unten vom Central-
theile abgehen. Je ein kleiner Ast geht jederseits zum Schlundkopfe. Die Haupt-
stimme verlaufen nach unten und zwar, von einem anfangs gemeinsamen Stamme
sich abzweigend, der eine mehr nach aussen zwischen den Dotterstöcken, der andere
zwischen den Hodenbläschen. Sie geben zahlreiche kleinere Aestchen an die Umgebung
ab und lassen sich bis zum grossen Bauchsaugnapfe hinab verfolgen. (Taf. 1. fig. 2n.)
An mehreren Stellen hat es mir scheinen wollen, als ob die beiden Haupt-
stämme durch querverlaufende Nerven in Verbindung ständen; doch bin ich dieser
Beobachtung nicht so gewiss, um besonderes Gewicht daraut legen zu können.
Was nun die histologische Struktur der peripherischen Nervenstämme anlangt,
so muss ich zunächst auf die Beobachtungen anderer Forscher bei verschiedenen
Plattwürmern hinweisen.
Ich fand rämlich aut Querschnitten durch Tristomum die gleichen Gebilde,
die uns durch Sommer und Landois!) zum ersten Male von einem andern Plathel-
minthen, von Bothriocephalus latus vorgeführt und als die durchschnittenen Seitenge-
gefässe gedeutet werden (Taf. 11. fig. 5.).
Der gleichen Deutung schliesst sich dann auch Salensky°) für die nämlichen
Gebilde bei Amphilina an. Dieselben Organe von spongiösem Baue fand Nitsche‘)
bei verschiedenen Taenien wieder, erkannte aber, dass ausser ihnen andere init Sicher-
heit den Seitengefässen zugehörige Lumina vorhanden sind und macht daher darauf
aufmerksam, dass wir es hier mit einem neuen, bisher übersehenen Organe des
Cestodenleibes zu thun haben, über dessen Funktion er keinerlei Vermuthungen äussert.
Bald darauf werden diese „pongiösen Stränge“, wie Nitsche sie bezeich-
net, von Schneider) für die Nerven der Cestoden in Anspruch genommen, eine
1) Sommer und Landois I. e. p. 49.
2) Salensky Il. ce. p. 291.
3) Nitsche, Untersuchungen über den Bau der Taenien. Zeitschr. f. wiss. Zoologie XXIV. p. 181.
4) Schneider, Untersuchungen über Plathelminthen. XIV. Bericht der Oberhessischen Gesellschaft
für Natur- und Heilkunde. Giessen 1875.
Ab. der nalurf. Ges. zu Halle. XIV, 3. Hft. Al
BEE) >
Ansicht, welche durch die Aehnlichkeit derselben mit den Nervensträngen der
Nemertinen gestützt wird. Zu der gleichen Annahme kommt auch Schiefferdecker'),
wenngleich auch er die ganze Frage noch einer definitiven Entscheidung anheimstellt.
Durch die Untersuchungen des letztgenannten Forschers angeregt, nahm
Steudener?) die Frage nach dem Nervensystem der Cetoden wieder auf, fand bei
Taenia, Bothriocephalus, Triaenophorus und Ligula die schon mehrfach erwähnten
Gebilde, die oben in der Nähe des Kopfes eine Anastomose bilden und hier auch
zwei kernhaltige Anschwellungen erkennen lassen, so dass er sich für die nervöse
Natur dieser Gebilde entscheidet.
Nicht nur bei den Cestoden, auch bei andern Mitgliedern der Plathelminthen
begegnen wir immer wieder den gleichen Organen.
Moseley?°) fand sie bei Dendrocoelum und Leptoplana, Minot*) bei ver-
schiedenen Seeplanarien.
Letzterer sieht in den „Balkensträngen“ eine eigenthümliche Entwicklung
des Körperparenchyms, deren Bedeutung noch räthselhaft bleibe. Er hält es für
ziemlich bestimmt, dass die zwei nach hinten gehenden Nervenstämme, die bei Tur-
bellarien so vielfach erwähnt sind, nichts anderes als die Balkenstränge sind, denen
er hier, wie auch bei den Üestoden, den nervösen Charakter entschieden abspricht °).
Diese spongiösen Stränge finden sich bei Tristomum aut Querschnitten fast im
ganzen Körper. f
Sie haben einen spongiösen Bau, indem zahlreiche rundliche Lumina scharf
abgegrenzt neben einander liegen.
In letzteren findet man zuweilen, wie es Sommer und Landois auch für
Bothriocephalus anführen, eine fein granulirte Masse.
1) Schiefferdecker, ]. ce. p. 459.
2) Steudener, Untersuchungen über den feineren Bau der Cestoden. Abhd]. d. naturforsch.
Gesellschaft zu Halle. XIII. ;
3) Moseley, On the Anatomy and Histology of the Landplanarians of Ceylon. Phil. Trans.
1874. p. 105.
4) Minot, Studien an Turbellarien, Arbeiten aus den zoolog.-zoot. Institut in Würzburg 1876.
—77. IH. p. 405.
5) Moseley hat entschieden ganz richtig beobachtet, wenn er aus dem Gehirn Fasern in die
sog. Balkenstränge übergehen lässt, und Minot hat gar keinen Beweis dafür anzuführen, dass diese Balken-
stränge nicht Nervenstämme seien.
Verfolgt man diese Gebilde auf Querschnitten von irgend einem Theile des
Körpers aus nach aufwärts d. h. nach dem Gehirn hin, so überzeugt man sich bald
nit absoluter Bestimmtheit, dass sie nichts anderes sind als die davon ausstrahlenden
durehschnittenen Nevenstränge, dass sie denselben Charakter haben, wie die Quer-
commissur der ganglionären Anschwellungen, zumal wenn man ihr Aussehen auf
Längsschnitten mit Querschnitten der letzteren vergleicht.
Es wurde schon oben erwähnt, dass sich von Zeit zu Zeit auch Ganglienzellen
in diesem Balkennetze finden, von denen meist nur die Kerne deutlich sind ').
Dass solche Ganglienzellen im Verlaufe der Nervenstränge auch bei andern
Trematoden vorkommen, ist bereits von Leuckart?) hervorgehoben worden. Die
fein granulirte Masse in den Balkensträngen ist jedenfalls als Protoplasma der Gang-
lienzellen aufzufassen, die sich wie in der Quercommissur des Gehirns auch in den
peripherischen Nervensträngen zu langen Fasern ausziehen und denen das Balken-
netz zum Gerüst dient.
Da für Tristomum die nervöse Natur der „spongiösen Stränge“ keinem
Zweifel unterliegt, so halte ich es für berechtigt, hierin gleichzeitig eine Bestätigung
für den gleichen Charakter derselben Gebilde bei andern Plathelminthen zu erkennen,
weshalb ich auch oben eingehender auf diese Verhältnisse bei den Cestoden und
Turbellarien einzugehen fir angemessen hielt. —
Auf dem centralen Theile des Nervensystems liegen vier schwarze Pigment-
fleckchen, die derart angeordnet sind, dass die beiden vorderen sich etwas näher
stehen, als die beiden hinteren. Sie sind seit Kölliker bei unserm Thiere bekannt
und werden als lichtempfindende Stellen in Anspruch genommen. Sie finden sich in
derselben Weise auch bei den nächst verwandten Arten.
Aus der nächsten Verwandtschaft der in Rede stehenden 'Tristomum-Arten ist
das Nervensystem °) bei Tr. (Epibdella) hippoglossi von van Beneden beschrieben
1) Steudener (l. e. p. 18.) erwähnt auch bei den 'Taenien die leichte Hinfälligkeit der Zellen,
da man immer nur die Kerne deutlich zur Anschauung bekommt.
?2) Leuckart |. e. p. 464.
3) Was die Trematoden überhaupt anlangt, so wird ein Nervensystem schon von den älteren
Beobachtern erwähnt, wie von Bojanus und Mehlis, deren Beobachtungen später von Laurer, Diesing,
Siebold, Blanchard, v. Beneden bestätigt worden sind. Besonders genaue Angaben verdanken wir Walter
und Leuckart, welehe auch die histologische Struktur untersuchten. Walter ist der einzige, welcher
bisher einen wirklichen Schlundring beschreibt, dessen Existenz aber von Leydig (Vom Bau des
41*
Fu
worden. Es ist auffallend, dass der centrale Theil hier eine andere Lage hat als
bei unsern Formen. Er liegt nämlich nicht vor der Mundöffnung, sondern da, wo
der Pharynx in den Oesophagus übergeht, und besteht ebenfalls aus zwei durch eine
Quereommissur verbundenen ganglionären Anschwellungen. Aehnlich verhält sich
der Centraltheil des Nervensystems auch bei Amphistomum conicum nach der Dar-
stellung Blumberg’s'), die im wesentlichen mit der älteren von Laurer übereinstimmt.
Bei Tr. (Phylonella) Soleae hat das Nervensystem die gleiche Lage wie bei
Tr. eoceineum und papillosum, nach den Abbildungen Carl Vogts?) zu schliessen.
(Eine nähere Beschreibung des Nervensystems lag nicht in der Absicht jener Ab-
handlung.)
6. Verdauungsorgane.
Unterhalb der vorderen Saugnäpte öffnet sich in der Medianlinie des Körpers
der Mund und führt in einen kugligen, stark muskulösen Pharynx. (Taf. I. fig. 1.)
Mittelst eines kurzen und dünnen Oesophagus geht derselbe in den eigent-
lichen Darm über.
Bis zu diesem Punkte sind die Verhältnisse leicht zu übersehen, während der
Verlauf des übrigen Verdauungstraktus einem klaren Einblicke darum nicht unerheb-
liche Schwierigkeiten entgegensetzt, weil über ihm genau in derselben Weise die
durch ihren Inhalt dunkel gefärbten Dotterstöcke sich verzweigen.
Von allen Autoren, die unser Thier zum Gegenstande ihrer Untersuchungen
gemacht haben, hat allein Blanchard°) eme richtige Darstellung der Verhältnisse
geliefert.
Der Oesophagus theilt sich sehr bald in zwei Zweige, die divergirend nach
unten verlaufen, indem sie im allgemeinen den äusseren Körperumrissen parallel
gehen. Etwas oberhalb des Bauchsaugnapfes nähern sie sich einander wieder und
vereinigen sich zu einem Ringe.
thierischen Körpers, Tübingen 1864. p. 135) und Leuckart (Menschliche Parasiten I. p. 465) ange-
zweifelt wird. Walter scheint übrigens nur die Quercommissur der ganglionären Anschwellungen fälschlich
als Schlundring zu bezeichnen.
1) Blumberg, Ueber den Bau des Amphistomum eonieum. Inaugural-Dissertation. Dorpat 1871. p. 37
2) Carl Vogt, Ueber die Fortpflanzungsorgane einiger ectoparasitischer Trematoden. Zeitschr. _
f. wissensch. Zoologie XXX. Suppl. 1878. p. 306. Taf. XV. fig. 1.
3) Blanchard, Recherches sur l’organisation des Vers, Ann. des Sciences natur. 3. Serie VIII.
1847. p. 321.
313 —
Von diesem gehen in bestimmten Abständen zahlreiche Seitenzweige zur
Peripherie des Körpers ab, die wieder kleinere Aestchen aussenden und so eine den-
dritische Verzweigung bilden. (Taf. I. fig. 1.)
Sehr bald, nachdem sich der Oesophagus in die zwei Darmschenkel erweitert
hat, entspringen von letzteren zwei nach oben aufsteigende Aeste, die den Pharynx
bogenförmig umgeben und sich in immer feinere Aestchen auflösend den Raum
zwischen den beiden vordern Saugnäpfen erfüllen.
In derselben Weise entsendet jeder der beiden herabsteigenden Hauptschenkel
eine Anzahl seitlicher Zweige (ich zähle bei einem jungen Individuum von Tr. coc-
cineum 12—14 jederseits), die sich mit ihren letzten Endigungen bis fast an die
Peripherie des Körpers ausdehnen.
Die letzten Seitenäste umgeben den Bauchsaugnapt in der Weise, wie die
ersten den Pharynx und erfüllen den Raum seitlich neben und hinter dem ersteren
mit ihren feinen Endzweigen.
Aber nieht nur nach aussen, auch nach innen gehen Seitenäste von den
ringförmig geschlossenen Darmschenkeln ab.
Zwischen dem dritten und vierten äusseren Seitenzweige beginnen die beiden
innern Hauptäste jederseits und laufen in der Weise schräg nach unten, dass sie
sich unterhalb des Ovarıums am nächsten kommen. ‚Jeder von ihnen entsendet
wieder kleinere Zweige, welche sich zwischen den Hodenbläschen vertheilen.
Ausserdem entsendet der linke Darmschenkel noch einen kleinen innern Seiten-
zweig, der von der gleichen Stelle ausgeht wie der zweite äussere und mit seinen
wenigen Aestchen an das Ovarium herantritt.
Durch die geschilderte Vertheilung des Verdauungstractus wird der gesammte
Körper bis in seine letzten Enden hin mit Nährstoff versorgt. Wir haben daher
wol ein gewisses Recht, in diesem weit ausgebreiteten Ernährungsapparate die Ver-
einigung des eigentlichen Darmes und des Blutgefässsystems der höheren Thiere zu
erkennen; ist doch letzteres nichts anderes als ein Apparat, welcher die in einem be-
stimmten Körperabschnitte gewonnenen Nährstoffe den entfernteren T'heilen zuführen soll.
Wir schliessen uns daher ganz der Leuckart'schen Ansicht ') an, welche
dahin lautet: „Durch die anatomische Bildung des Darmes und des exkretorischen
Apparats, wie durch die abgeplattete Form des Leibes werden die nutritiven, exere-
1) Leuckart |. ec. p. 476.
ie
torischen und respiratorischen Flächen einander in solchem Grade genähert und mit Mus-
kelmasse des Körpers in so allseitige Berührung gebracht, dass es keines Blutes bedarf,
tım die gegenseitigen Beziehungen dieser Gebilde in genügender Intensität zu unterhalten.“
Es gelang mir, die geschilderten Verhältnisse mit aller wünschenswerthen
Klarheit an einem jugendlichen Individuum von Tr. coceineum zu eruiren, dessen
Dotterstöcke fast gar noch nicht entwickelt waren und daher die Darmverzweigungen
nicht verdeekten. Ist dies nicht der Fall, so entziehen sie sich völlig der Beobachtung.
Dies mag denn wol auch die Veranlassung gewesen sein, dass die früheren
Bearbeiter unseres T'hieres mit Ausnahme Blanchard’s eine durchaus unzulängliche
Kenntniss vom Verlaufe des Verdauungsapparats gewonnen haben.
So spricht Diesing') den Pharynx für den Magen an und lässt von diesem
aus vier Zweige entspringen, die divergirend zu zweien an jeder Seite nach unten
steigen und sich unterwegs in zahlreiche seeundäre Zweige zertheilen ?).
Bei weitem gründlicher hat Kölliker‘*) diese Verhältnisse dargestellt, ohne
jedoch ganz den wahren Sachverhalt zu treffen.
Er beschreibt durchaus richtig, wie sich die Speiseröhre nach ganz kurzem
Verlaufe in zwei dünne Darmschenkel spaltet, deren jeder sich bald wieder in einen
vorderen und hinteren Schenkel theilt. Dass letztere aber ebenso wie erstere getrennt
von einander blind endigen sollen, ist ein Irrthum, ebenso die weitere Darstellung,
dass sie nach innen nur einen einzigen starken vorderen Ast entsenden, der mit zwei
stark divergirenden T'heilen nach vorn und hinten sich wendet und bald ein Ende
findet, sowie dass dicht vor dem hinteren Saugnapfe zwei Communicationsäste zur Ver-
bindung unter emander abgeben sollen, von denen der vordere stärkere drei bedeutende
Zweige nach vorn, der hintere nur unbedeutende Blindsäckchen aus sich hervorgehen
lässt. In diesen beiden Communikationsästen haben wir die zum Cirkel geschlossenen
Hauptdarmschenkel wiederzuerkennen.
Nächst Blanchard beschreibt v. Baer*, bei der nahe verwandten Art Tr.
elongatum (Nitzschia elegans Baer) den Verlauf des Darmtraetus am richtigsten. Er
1) Diesing Abhdl. d. Leopold.-Carol. Gesellschaft der Naturforscher XVII.
?) Wahrscheinlich sind die Hauptstämme des Exeretionsorgans, die parallel mit den Darmschenkeln
verlaufen, zu diesem hinzugerechnet worden.
2) Kölliker, 1. c. p. 22.
4) v. Baer, Beiträge zur Kenntniss niederer 'Thiere. Abhdl. d. Leopold.-Carol. Gesellschaft der
Naturforscher XIII.
erwähnt, dass die Hauptschenkel des Darmes nach hinten entweder in einigen Fällen
zusammenlaufen oder sich wenigstens einander sehr nähern ').
Ganz ähnlich wie wir sie für unsere Tristomum-Arten geschildert haben,
kehren die Verhältnisse bei dem nahe verwandten Tr. (Epibdella) Hippoglossi Oken
wieder, welches wir aus v. Beneden’s?) Darstellung kennen.
Es erübrigt noch, der histologischen Struktur des Verdauungsapparates unsere
Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Die Mundöflnung ist von zahlreichen Papillen umgeben, die ein Stück dem
Pharynx nach innen folgen. Letzterer misst in der Richtung vom Munde zum
ÖOesophagus 1,5 mım., in der dazu senkrechten Ebene 2 mm. Sein Querschnitt ist
je nach dem Zustande der Muskelcontraction eine Ellipse, deren längste Achse frontal
gelegen ist, oder ein Dreieck.
Er wird im Innern von der Outieula der Haut ausgekleidet, die sich an der
_Mundöffnung nach innen schlägt.
Man kann drei Arten von Muskelzügen unterscheiden.
Zu äusserst verläuft eine Schicht Längsmuskeln, durch deren Contraction der
Durchmesser des Pharynx von oben nach unten verkürzt werden kann.
Darauf folgt eine dünne Lage von Ringmuskeln, welcher eine etwas stärkere
an der Innenseite entspricht; sie vermögen durch ihre Contraction den Innenraum
zu verengern.
Die bei weitem mächtigsten Muskelbündel verlaufen von der äusseren zur
inneren Oberfläche des Schlundkoptes. Dieselben stellen keine continuirliche Lage
dar, sondern bestehen aus einzelnen Bündeln, die in grosser Anzahl in das Bindege-
webe eingelagert sind. Durch ihre Thätigkeit kann das Lumen des Pharynx er-
weitert werden, sie sind also die Antagonisten der Ringmuskulatur.
Zwischen den dorsoventralen Muskelzügen liegen im Bindegewebe eigenthüm-
liche grosse Zellen. Siesind birnförmig, haben ein ziemlich grobkörniges Protoplasma
und einen 0,015 mm. grossen bläschenförmigen Kern. Auf einem Schnitte trifft man
nie die ganze Zelle wegen ihrer bedeutenden Grösse, sondern entweder das Proto-
1) Nur beiläufig sei erwähnt, dass Costa (Diario dell’ Ottavo Congresso se. ital. no. 6. p. 54)
den Mund in den hinteren Saugnapf verlegt, die wahre Mundöffnung für einen After erklärt und ausser-
dem ein Herz, Niere und Leber beschreibt. Diese phantastischen Angaben sind, ehe sie gedruckt wurden,
bereits von Kölliker auf der Genueser Naturforscherversammlung (Diario no. 7. p. 69) berichtigt worden.
2) van Beneden |. ce. p. 25.
u
plasına oder den Kern. Letzterer gleicht ganz den Kernen der Ganglienzellen, und
ich bin geneigt, die geschilderten Zellen für solche zu halten.
Es würde dies Verhalten nicht allein dastehen; den auch Blumberg') be-
schreibt aus dem Schlundkopfe von Amphistomum conicum Ganglienzellen mit langen
Fortsätzen, die ich allerdings bei unserm Thiere nicht erkannt habe.
Man sieht die erwähnten grossen Zellen schon am lebenden Thiere resp.
auf Quetschpräparaten zwischen der Muskulatur des Pharynx hervortreten.
Kölliker”’, war sogar der Ansicht, dass sie dem letzteren als besonderer
Körper aufliegen. Er sagt „— äusserlich finden sich um seinen vordern Rand herum
ungefähr 16 mässig weite, mit einer körnigen Masse erfüllte Canäle, die nach hinten
in feine Gänge auslaufen und zu einer weisslichen gelappten drüsigen Masse sich
begeben, welche die ganze hintere Hälfte des Schlundkopfes dicht umgibt und am
wahrscheinlichsten als ein Agglomerat mehrfacher kleiner Speicheldrisen gedeutet wird.“
Diese Deutung schien mir anfangs auch die wahrscheinlichste, doch ich ver-
mochte keine Ausfihrungsgänge innerhalb des Schlundkopfes zu erkennen.
Andererseits bemerkt man am andern Ende des letzteren, da, woerin den Oeso-
phagus übergeht, beiderseits ein Büschel von Drüsenausführungsgängen (Taf.1I. fie.1. x.)
die sich zu einzelligen Drüsen verfolgen lassen. Diese haben eine runde oder biınförmige
Gestalt, sind etwa 0,03 mm. gross; ihr Protoplasma ist dicht, feinkörnig, bei auffallendem
Lichte milchweiss; darin liegt ein centraler runder Kern mit einen Kernkörperchen.
Es sind diese Zellen, die ich für Speicheldrüsen halte, fast ebenso gebildet,
wie die von Zeller‘) bei Polystomum integerrimum beschriebenen Drüsenzellen, die
ihr Sekret gleichfalls in den Pharynx eintreten lassen.
Was nun den übrigen Darmtractus anlangt, so gilt für ihn dasselbe wie für
die meisten Organe unseres Thieres, d.h. er besitzt keine besonderen Wände, sondern
ist ein von Epithel ausgekleidetes System von Liicken im Körperparenchym, genau
so, wieesvon Stieda*) und Zeller?) fir Polystomum integerrimum angegeben wird.
1) Blumberg, ]. e. p. 22.
2) Kölliker, ]. ce. p. 23.
3, Zeller, Untersuchungen über die Entwicklung und den Bau des Polystomum integerrimum
Rud. Zeitschr. für wissensch. Zoologie XXI. p. 19.
*) Stieda, Ueber den Bau des Polystomum integerrimum, Archiv f. Anatomie und Physiologie
von Reichert u. du Bois-Reymond. 1370. p. 663.
5) Zeller, Weiterer Beitrag zur Kenntniss der Polystomen, Zeitschr. f. wissensch. Zoologie
XXVI. p. 241. ;
317 —
Das Epithel (Taf. I. fig. 6.) besteht aus Cylinderzellen, die nicht alle die gleiche
Gestalt und Grösse besitzen. Kleinere werden oft von grösseren überragt, deren
oberes Ende keulenförmig verdickt ist. Das Protoplasma ist feinkörnig und umschliesst
einen in der Lage ebenfalls wechselnden runden Kern mit Kernkörperchen.
7. Excretionsorgane,
Es existirt im Organismus der Trematoden wol kein Organ, welches mannig-
tacheren Deutungen unterworfen gewesen wäre, welches soviel gegentheilige Behaup-
tungen hervorgerufen hätte, als das jetzt allgemein als Exeretionsorgan angesehene
Gefässsystem.
Es kann nicht unsere Absicht sein, hier die verschiedenen Ansichten über
dies Organ auseinanderzusetzen '). Nur einer Auffassung müssen wir auch hier Er-
wähnung thun, da sie sich gerade auf Untersuchungen an dem in Rede stehenden
Thiere stützt.
Kölliker*) nämlich nimmt wenigstens einen T'heil des excretorischen Appa-
rates bei Tr. papillosum als Respirationsorgan in Anspruch und vergleicht es den
verästelten Kiemensäcken der Holothurien °).
!) Eine Zusammenstellung der verschiedenen Deutungen dieses Organsystems findet sich bei P.
v. Beneden, Bulletin de l’acad&mie Belgique XIX. 1852 p. 573; zum Theil auch M&moire sur les Vers
Intestinaux p. 175 u. folge.
2) Kölliker l.c. p. 23.
3, Schon früher war eine ähnliche Ansicht für die Trematoden im allgemeinen ausgesprochen
worden. Burmeister (Handbuch der Naturgeschichte. Berlin 1837. p. 528) äussert sich darüber also:
„Es ist dies Gefässsystem ein gefässartiges Wasserathmungsorgan, wie das Tracheensystem der Insekten ein
gefässartiges Luftathmungsorgan ist.‘
Siebold (Lehrbuch der vergleichenden Anatomie d. wirbellosen 'T'hiere. Berlin 1848. p. 157),
welcher selır wol erkannt hat, dass Burmeister das Gefässsystem mit dem Excretionssystem — denn diese
beiden betrachtet er als von einander gesonderte Systeme zusammengeworfen hat, tindet «den Vergleich
des „abgeschlossenen Flimmergefässsystems“ mit dem T’racheensysteme der Wasserinsekten mit abgeschlosse-
nem 'Tracheensystem nieht unpassend. Auch er neigt zu der Ansicht hin, dass die flimmertragenden
Gefässe der KRespiration dienen könnten, ähnlich wie das flimmernde Wassergefässsystem der Polypen,
Acalephen und Echinodermen, nur dass sie nicht durch Oeffnungen mit der Umgebung communieiren,
sondern das von der Hautoberfläche aufgesogene Wasser in sich aufnehmen und im Körper verbreiten.
Ausser diesem fraglichen Respirationssysteme unterscheidet Siebold mit Bestimmtheit zwei von
einander unabhängige Gefässsysteme als Cireulations- und Exeretionsorgane.
Es war den Untersuchungen H. Meckel’s (Müller's Archiv f. Anatomie und Physiologie 1546
p. 2) an gewissen kleinen durchsichtigen Distomeen, v. Beneden’s (Bulletin de l’acad. royal d. Seiene.
Abh, der naturf, Ges, zu Halle. XIV, >. mn. 42
318 —
Er stützt seine Auffassung auf’ folgende Gründe: dass die in Rede stehenden
Kanäle 1. nicht pulsiren; 2. dass sie eine klare Flüssigkeit ohne Körner führen, die
in einigen Fällen in lebhafter Strömung begriften war; 3. dass neben denselben ein
pulsirendes, besonderes Gefässsystem vorkommt.
Dieses letztere liegt nach Kölliker in der Mitte des Leibes, erstreckt sich
von der Gegend des Schlundkopfes bis zum hintern Saugnapfe, pulsirt in kurzen
Intervallen und entsendet zahlreiche Aestchen.
Was Kölliker als dieses Gefüsssystem beschreibt, ist mir völlig räthselhaft
geblieben, da sich kein T'heil des Excretionsorgans an dieser Stelle befindet, noch
iiberhaupt ein Organ, welches eine solche Irrung hervorrufen könnte. ')
Es lassen sieh an dem Exeretionsorgane der Trematoden drei Abschnitte
unterscheiden: 1. ein centraler blasenartig angeschwollener Theil, welcher nach
aussen mündet; 2. die starken, von ersterem ausgehenden Hauptstämme und 3. die
von diesen ausgehenden feinsten Verästelungen.
Bei unserm Tristomum ist der centrale T'heil ein doppelter. Zu jeder Seite
des kugligen Schlundkopfes bemerkt man eine langgestreckte, etwas unregelmässig
gestaltete Blase, welche mittelst einer kleinen Oeffnung an der Bauchfläche nach
aussen mündet. Sie stellen gleichsam ein Reservoir dar und sind bereitsvon Kölliker’)
beschrieben worden.
Sie finden sich in derselben Weise wahrscheimlich bei allen Arten dieser
Gattung.
Bruxelles XIX. u. Memoire sur les Vers Intest. p. 176) an Distomum tereticolle und Aubert's (Zeitschr.
f. wissenschaftl. Zoologie VI. p. 354) au Aspidogaster conchicola vorbehalten, den Zusammenhang des
angeblichen Blutgefässsystems mit dem Exeretiongsorgane nachzuweisen und den 'Trematoden die Existenz
eines Blutgefässsystems gänzlich abzusprechen.
Durch verschiedene Forscher wurde dies Resultat in späterer Zeit vielfach bestätigt, so dass man
jetzt wol allgemein darüber einig ist, dass die Trematoden (wie auch die Cestoden) ein einziges der Ex-
eretion dienendes Gefässsystem besitzen, eines selbständigen Blut- und Respirationssystems dagegen eänzlich
entbehren.
!, Blanchard (Ann. d. Sceiene. nat. 1847 p. 324) kennt bei Tristomum nur ein Gefässsystem,
welches er, wie bei verschiedenen anderen Arten injieirt hat. Doch gerade diese Injection, welehe auch
in der Abbildung wiedergegeben ist, wurde Veranlassung zu einer falschen Beschreibung des ganzen
Systems, weil sie nicht vollständig gelungen ist. Vor allem kennt er keine Oeffnungen nach aussen; in
der Pharynxgegend fehlen starke Querstämme ete.
2) Kölliker l.c. p. 23.
319 ——
Ich sehe sie bei Tr. Pelamydis m., Beneden') beschreibt sie bei Tr.
(Epibdella) Hippoglossi und Seiaenae; Carl Vogt?) bildet sie bei Tr. (Phylonella)
Soleae ab?°).
Von den Endblasen gehen jederseits zwei Mauptstiämme aus, der eine nach
unten, der andere nach der Mittellinie des Körpers zu, am Schlundkopf entlang, um
sich mit dem gleichen der andern Seite vor letzterem bogenförmig zu verbinden.
Aus der Mitte dieser Commissur steigt ein kleiner Ast senkrecht in die Höhe und
spaltet sich nach rechts und links in zwei symmetrische wagrecht verlaufende Aeste,
die ihrerseits zahlreiche feine Verzweigungen abgeben und mit ihnen die Mundsang-
näpfe und die zwischen ihnen gelegene Gegend versorgen.
Die nach unten verlaufenden Hauptstimme geben zahlreiche feine Zweige
nach mnen und aussen hin ab und lösen sich schliesslich seitlich vom Bauchsaug-
napfe in solche auf. Die zwischen den Darmschenkeln gelegenen Organe werden
noch besonders versorgt von einigen Stämmen, welche von der den Pharynx um-
gebenden bogenförmigen Commissur ihren Ursprung nehmen.
Die Exeretionsorgane haben, soweit es mir zu ermitteln möglich war, eine
feine strukturlose Membran. Häufig sieht man in ihnen Bewegungen, die man für
Flimmerbewegung halten könnte. Doch ist es mir nie gelungen, irgend welche
darauf bezügliche Apparate aufzufinden. Ich bin vielmehr zu der Ueberzeugung
gelangt, dass die wahrnehmbare Bewegung im Innern der Kanäle eine Flüssigkeits-
strömung ist, welche dureh den Druck, der zur Beobachtung erforderlich, besonders
stark bemerkbar wird. Ganz ebenso äussert sich Steudener*) iber dieselben Ver-
hältnisse bei den Üestoden.
=. Geschlechtsorgane.
In Folge der Vertheilung der imnern Organe kann man gewissermassen zwei
Abschnitte an unsern T'hiere unterscheiden: einen centralen, dessen Umrisse im allge-
ineinen denen des Körpers parallel verlaufen, und einen ihn concentrisch umgebenden
1) Beneden |.c. p. 28.
?2) Carl Vogt, Zeitschr. f. wissensch. Zoologie XXX. Suppl. Taf. XV. fie. 1.
3) An derselben Stelle befinden sich auch bei der auf Krabben schmarotzenden Temnocephala
chilensis Gay. die zu den ectoparasitischen 'T'rematoden gehört, die blasenförmigen, nach aussen mündenden
Rteservoire des Excretionsorgans. Vergl. Semper, Zoologische Aphorismen II. Zeitschr. f. wissensch,
Zoologie XXI. p. 307.
#), Steudener l.c. p.15.
42#
f} z
—— 320 ——
peripherischen. Der erstere beginnt mit dem Auftreten der beiden Darmschenkel und
wird von diesen, sowie von den sie deckenden Ausführungsgängen der Dotterstöcke
umrahmt. Der andere nach aussen davon gelegene wird eingenommen von den
Verzweigungen des Darmes und der Dotterstöcke, von dem hinteren und den beiden
vorderen Saugnäpfen, dem Pharynx und den Ausführungsgängen der Geschlechtsorgane.
Die keim- und samenbereitenden Organe selbst liegen also im innern Theile und
treten als Eierstock und sehr mächtig entwickelte Hodenbläschen sofort in die Augen.
An der linken Seite der ventralen Körperfläche, seitlich von dem kugligen
Schlundkopfe, bemerkt man einen langgestreckten, nach aussen mündenden Sack,
der unten zu einer bald mehr kugligen, bald mehr langgestreckten Blase anschwillt
und im Innern zahlreiche Querfalten zeigt. (Tat. I. fig. 1. Taf. Il. fig.1.c.) Es ist das
Endstück des männlichen Geschlechtsapparates und als Cirrusbeutel aufzufassen.
In denselben sieht man das vas deferens (v.d.) eintreten, welches hier die Funktion
eines Penis übernimmt. Es ist in zahlreiche Windungen gelegt und lässt sich mit
Leichtigkeit bis zu den kleinen vasa efterentia verfolgen, die an die einzelnen Hodenbläs-
chen gehen.
Unweit der männlichen Geschlechtsöffnung (o. m.), noch etwas mehr nach links
und eim wenig tiefer bemerkt man eine zweite Oeffnung, die man beim ersten Blicke
für die Uterusöffnung zu halten leicht geneigt sein könnte. (v.)
Dafür ist sie in der That auch von den früheren Beobachtern unseres Thieres
in Anspruch genommen worden. Wir sehen sie bei Blanchard') mit dem Buch-
staben f, bei Kölliker*) mit g bezeichnet.
Sie führt in einen Kanal, der bei Kölliker nach emigen Windungen und
nachdem er die Samenblase (1) aufgenommen hat, mit den Ausführungsgängen der
Dotterstöcke und des Ovariums zusammentrifft.
Bei Blanchard führt dieser Kanal, nachdem er bedeutend an Durchmesser
abgenommen hat, in eine nicht weiter bezeichnete längliche Auschwellung — welche
dem Kölliker'schen Samenbehälter entspricht — und mündet in die von ihm soge-
nannte vesicule ovoducale.
Von beiden Forschern wird dieser Kanal als Ausführungsgang der weiblichen
Geschlechtsorgane aufgefasst, wie auch die Deutung der letzteren sein mag.
1) Blanchard, l.c. Pl. 14. fig. 2. f.
®) Kölliker, l.e. Tafel fig. 3.g.
=
Ich war anfangs gleichfalls geneigt, in jenem Kanale den Ausführungsgang
des weiblichen Apparates zu erkennen.
Es ist sehr leicht, seinen Verlauf bis zu einem bestimmten Punkte zu ver-
folgen. Er behält eine Strecke lang ziemlich den gleichen Durchmesser bei, geht
dann in ein kurzes, bedeutend engeres und mehrfach gewundenes Stick über, das sich
zu einem ovalen, sackförmigen Gebilde (v.s.) erweitert — offenbar dasselbe, welches
Kölliker als Samenbehälter bezeichnet und welches in der That diese Bedeutung hat.
Von dieser Samenblase aus führt nun ein dünner, fast gerader Gang zu der
kugligen Anschwellung, in welcher sich die queren Dottergänge vereinigen, zur Dot-
terblase. (d. b.)
Der einzige, welcher dies Verhalten, aber auch nur ganz beian erwähnt, ist
Wasner.')
In seinen ‘belminthologischen Bemerkungen an Th. v. Siebold’ heisst es zu-
nächst von Daetylogyrus: „er besitzt einen Hoden, Keimstock, Dotterstock, einen
sehr kurzen Eiergang, dessen Ausmündung mit einer Samenblase und dem wol als
Penis fungirenden Bauchhaken versehen ist. Neben diesem befindet sich noch ein
Sack, der bei Polystomum und Tristomum ebenfalls in ähnlicher Stelle vorkommt.
— Der Sack enthält eine klare zähe Masse. — Bei Tr. papillosum und coc-
cineum mündet dieser Sack mit besonderer Oeffnung.“
Ich glaube nicht wre zu gehen, wenn ich in diesem Sacke das vorerwähnte
Gebilde wiedererkenne.
Der in Rede stehende Canal ist nun nichts anderes als der von Stieda°*) bei
Distomum hepatieum und Amphistomum coniecum beschriebene Laurer’sche Canal,
welcher als Scheide funktionirt.
Er steht bei Tristomum, wie wir sehen, noch mit einer besondern Samenblase
in Verbindung, die reichlich Sperma enthält.
Was die übrigen Theile des Geschlechtsapparats in ihrem Zusammenhange
anlangt, so sei noch folgendes bemerkt.
1) Wagner, Zeitschrift f. wissensch. Zoologie IX. p. 85.
?) Stieda, Beiträge zur Anatomie der Plattwürmer. Archiv f. Anat. u. Physiologie 1867. und
Ueber den angeblichen innern Zusammenhang der männlichen u. weiblichen Organe der Trematoden.
ebda 1871.
EI,
Unterhalb des Pharynx kommen von den beiden längsverlaufenden Ausführungs-
gängen der Dotterstöcke zwei quere Aeste sich entgegen und vereinigen sich in der
Mittellinie zu der vorher schon erwähnten rundlichen Dotterblase.
Unterhalb derselben liegt das gelappte Ovarıum. (ov.) Dasselbe lässt seinen
kurzen Ausführungsgang neben der Dotterblase emporsteigen (ovd). Dieser Eileiter
nimmt einen kurzen aus der Dotterblase komınenden Oanal auf, erweitert sich dann
zu einem trapezförmigen Uterus (u.) und mündet unmittelbar neben dem männ-
lichen Apparate etwas eher als derselbe nach aussen (o.f.). In den Uterus sieht
man die dinnen Ausflihrungsgänge der Schalendrisen (sch.) emtreten. So sind
im allgemeinen die verwickelten Geschlechtsorgane in ihrem Zusammenhange beim
lebenden T'hiere und auf Präparaten zu übersehen.
Betrachten wir nun dieselben im einzelnen. Wir haben zu unterscheiden:
I. Männliche Geschlechtsorgane.
1. Hoden.
2. Ausführungsgänge derselben.
3. Cirrusbeutel.
Il. Weibliche Geschlechtsorgane.
1. Eierstock.
2. Eileiter und Uterus.
3. Dotterstöcke.
4. Ausführungsgänge derselben und Dotterbiase.
5. Schalendrüsen.
6. Scheide (Laurer’scher Canal).
I. Wännliche Geschlechtsorgane.,
1. Hoden. (Taf. I. fig. 1.u.2. Taf. I. tig. 1.t.)
Die Hoden sind bei unserm Thiere sehr bedeutend entwickelt. Sie bieten
als Ganzes etwa den Anblick dar, wie der Querschnitt der weissen Substanz des
kückenmarks in der Lumbalanschwellung, nur dass der obere und untere Einschnitt
nicht so tief sind.
Aus dieser Anordnung lässt sich vielleicht die ursprünglich doppelte Anlage
der Hoden erkennen, wie wir sie in der Regel bei den Trematoden antreffen.
En ee
Sie nehmen den Raum ein zwischen dem Eierstocke und den queren Dotter-
gängen einerseits und der bogenförmigen Vereinigung der beiden Darmschenkel,
welch letztere auch seitlich die Begrenzung für die Hoden bilden, andrerseits.
In dem vordern Einschnitte liegt ein T'heil des Eierstockes, so dass man hier
auf @Querschnitten Eierstock und Hodenfollikel in einem Bilde sieht.
Die Hoden bestehen aus zahlreichen einzelnen Läppchen, die zum Theil unter
sich direkt zusammenhängen, zum [heil durch feine vasa efferentia verbunden sind.
Die einzelnen Läppchen sind Hohlräume im Körperparenchym, ebenso wie Eierstock
und Dotterstock; sie ermangeln einer besondern Membran und sind nur durch eine
scharfe Contour vom umgebenden Gewebe abgegrenzt, also ebenso wie bei Bothrio-
cephalus und Amphilina.
In ihnen liegen verschiedenartige Gebilde, die auf einander zu beziehen mir
nicht mit der erforderlichen Sicherheit gelungen ist.
Die bei weitem häufigsten Elemente sind kleine runde Zellen mit einem
kleinen Zellkerne, die oft in grösserer Anzahl veremigt liegen. Vielleicht ist hierin
noch ein Hinweis auf ıhre Entstehung aus einer Mutterzelle zu erkennen. Als solche
sind möglichenfalls grössere Zellen mit granulirtem Inhalte anzusehen, die man hie
und da zwischen den kleineren findet und die namentlich in jugendlichen Individuen
vorwalten.
Zwischen den Zellen liegen Büschel fertig gebildeter Samenfäden. Sie entstehen
zahlreich in ihren Bildungszellen, von denen man sie nicht selten radienförmig aus-
strahlen sieht.
Die ausgebildeten Samenfäden sind lange fadenförmige Gebilde, an deren
vorderem Ende ich keinerlei Verdickungen wahrgenommen habe. Sie füllen die
vasa deferentia schon bei jungen Individuen an, erscheinen beim lebenden Thiere
stark opalisirend, während sie bei Anwendung von Färbungsmitteln eine intensive
Tinktion annehmen.
2. Die Samenleiter. (Taf.l. fig. 1 u.2. Taf. I. fig. 1. v.d.)
Bereits innerhalb des Hodens nehmen zahlreiche feine vasa efferentia ihren
Ursprung und veremigen sich in zwei stärkere Samenleiter, die am oberen Ein-
schnitte der Hodenmasse zu einem einzigen, sehr starken Gefässe zusammentreten.
Dies vas deferens steigt ein kleines Stück ziemlich gerade nach oben, macht
dann eine scharfe Biegung nach links, steigt neben dem Eierstocke in dieser Rich-
tung empor bis zur Dotterblase. Unter einem scharfen Winkel biegt es hier nach
— 324 —
rechts, läuft dieht über den queren Dottergängen entlang bis ziemlich an die längs-
verlaufenden heran, macht dann von neuem eine Biegung nach links, folgt genau
der zuletzt eingehaltenen Richtung und steigt in der Gegend der Dotterblase unter
zahlreichen Schlängelungen nach aufwärts, um endlich in den Cirrusbeutel tiber-
zugehen.
Die Hohlräume, welche die Samenleiter darstellen, sind durch eine sehr
scharfe Contour vom Körperparenchym abgegrenzt; diese Wandung ist aber voll-
ständig strukturlos. Die Samenfäden sind innerhalb ihrer Leitungswege zu dichten
Massen zusammengeballt, welche niemals eng an den Wandungen anliegen, sondern
einen gewissen Zwischenraum freilassen.
3. Cirrusbeutel. (Taf. I. fig. 1u.2. Taf. I. fig. 1. c.)
Der Cirrusbeutel stellt einen langen, eylindrischen, am untern Ende etwas er-
weiterten Sack dar, welcher an der linken Seite des Pharynx in der Weise schräg ver-
läuft, dass seine Oeffung mehr nach aussen gelegen ist als das entgegengesetzte Ende.
Innerhalb dieses Sackes liegt, das untere Dritttheil einnehmend, eine zartwan-
dige retortenförmige Blase (x.) (die äussere Samenblase der Autoren) mit einem nach
oben aufsteigenden Ausführungsgange. Die übrigen zwei Dritttheile des Innenraumes
erscheinen in starke (uerfalten gelegt und stellen den sog. ductus ejaculatorius dar.
Wo derselbe beginnt, tritt der Ausführungsgang der Blase sowol wie das vas deferens
ein, letzteres auf einer kleinen Hervorragung.
Innerhalb der Blase habe ich nie Spermatozoen, wol aber häufig eine körnige
gelbliche Masse bemerkt, die ihren Ursprung einer Anzahl einzelliger Drüsen verdankt,
welche in diesen Raum einmiinden. (y.)
Die Drüsen selbst gleichen ganz denjenigen, die wir später als Schalendrüsen
kennen lernen werden und liegen auch mit denselben ungefähr an der gleichen
Körperstelle.
Vielleicht ist die, wie es scheint, zähe Sekretmasse als eine Art Prostataflüs-
sigkeit anzusehen, welche sich bei der Begattung den Spermatozoen beimischt.
Diese Annahme scheint um so mehr berechtigt, als ich dieselbe klebrige Masse
zwischen den Samenfäden innerhalb des Scheidenkanals (auf Querschnitten) gefun-
den habe.
1) Blumberg l.c. p. 27.
%) Zeller, Zeitschr. f. wissensch. Zoolog. XXVII. p. 244.
BE 111,
Dass ähnliche Drüsen auch bei andern Trematoden vorkommen, beweisen die
Beobachtungen Blumberg’s') an Amphistomum, wo sie sogar direkt als Prostata
bezeichnet werden, und Zeller’s*) bei Polystomum.
Bei letzterem Thiere sind die Wandungen des Cirtus von Drüsengängen durch-
bohrt, welche ihren Inhalt in seine Höhlung ergiessen. „In den Drüsengängen trifft
man mattglänzende Kügelchen in jMenge und man kann häufig beobachten, wie
solche zwischen den Zackenspitzen des Cirruskrönchens hindurch in die Cloake und
von da durch die Geschlechtsöffnung nach aussen sich entleeren“.
Auf diese gelbliche Masse kann ich auch nur die Beschreibung Diesing's‘)
beziehen, dass innerhalb des Cirrusbeutels zwei eiförmige, orangegefärbte Körper
liegen, welche als Hoden („vielleicht Ober- und Unterhoden“) in Anspruch genom-
men werden.
In seiner histologischen Zusammensetzung besteht der Cirrusbeutel aus folgen-
den Schichten.
Vom Körperparenchym ist er durch eine ziemlich starke Lage homogenen
Bindegewebes abgegrenzt. Darauf folgt eine krättige Ring- und eine etwas schwächer
entwickelte Längsmuskulatur. Diese beiden Lagen bilden gleichsam die Wandung
des ganzen sackartigen Gebildes.
Der im Innern verlaufende Canal d.h. der ductus ejaceulatorius ist nichts
anderes als eine eylindrische Einsenkung der äusseren Körperbedeckung. Er ist
daher im Innern ausgekleidet von der Haut, die sich in zahlreiche Papillen erhebt,
während die Cutieula auf dieser noch eine Menge ganz kleiner Chitinspitzchen bildet.
Auf die Haut folgt eine aus Ring- und Längsfasern bestehende Muskellage. Zwischen
der letzteren und der muskulösen Wandung des Cirrusbeutels hat sich ein retieuläres
Bindegewebe ausgebildet, welches deutlich zeigt, dass es nicht aus zahlreichen, poly-
gonalen abgeplatteten Zellen zusammengesetzt ist, sondern ein System von Hohlräumen
darstellt, die von Bindegewebstasern und -platten gebildet werden. Hie und da findet
sich darin eine Zelle oder nur deren Kern eingelagert.
Bei jungen Individuen treffen wir derartige zellige Elemente bei weitem
häufiger als bei den erwachsenen T'hieren.
1) und ?) siehe vorhergehende Seite.
3) Diesing, Nov. Act. Acad. Leop. Carol. XVII.
Abh. der naturf. Ges. zu Halle. XIV, 3. Aft. 43
326 ——
Der duetus ejaculatorius spielt eine wichtige Rolle bei der Begattung. Er
wird nach aussen vorgestülpt, offenbar durch Contraetion des Cirrusbeutels, und er-
scheint dann als ein der männlichen Geschlechtsöffnung aufsitzender Schlauch, dessen
stachelige Cuticularauskleidung nach aussen gekehrt ist. Dadurch wird natürlich auch
das Ende des vas deferens, welches wir am Grunde des duetus ejaculatorius in den
Cirrusbeutel eintreten sahen, nach aussen hervorgezogen. Da es auf einer kleinen
papillenartigen Hervorragung endet, so erscheint der vorgestülpte Schlauch wie ein
praeputium mit der Eichel.
Auf andere Weise wäre es gar nicht möglich, dass das vas deferens in die
weibliche Geschlechtsöffnung den Samen einführen könnte, da es innerhalb des duetus
ejaculatorins ohne dessen Betheiligung seine Lage nicht ändern kann.
Die geschilderten Verhältnisse stimmen im allgemeinen ganz mit den bei Dis-
tomum hepaticum von Leuckart') beobachteten überein. Auch bei diesem Thiere
trägt der Penis d.h. der ausgestülpte duetus ejaculatorius eine stachlige Oberfläche.
II. Weibliche G@eschlechtsorgane.
1. Eierstock.?) (Taf.l. fig. 1n. 2. Taf. II. fig. 1. ov.)
Der Eierstock (ovarium) liegt in der vorderen Hälfte des Körpers, in der
Mediane, oberhalb der Hoden und unterhalb der queren Dottergänge.
Er stellt eine gelappte Drüse dar, deren einzelne Lappen sich schon im Innern
des Organs zu einem Eiergange vereinigen.
?) Leuckart l.c. p. 551.
2) Es kann nach unsern jetzigen Kenntnissen kein Zweifel mehr darüber herrschen, dass der
Name „Eierstock“ an Stelle des sog. „Keimstockes‘ zu gebrauchen ist, weil die in ihm entstandenen
Gebilde vollständige Eier und allen andern Eierstockseiern gleichwerthig sind. Wenn C.Vogt (l.e.
p- 314) für Tr. (Phylonella) Soleae angibt, dass der Keimstock nur „die primitiven Eikeime .liefert, bei
welchen er keine weitere Umhüllung durch protoplasmatische Dottersubstanz, sondern nur zwei in einander
geschachtelte Bläschen wahrnehmen konnte,“ so beruht dies wol auf einem Irrthume. Es würde sich
mit diesem Befunde allerdings die neu ins Leben gerufene, im Grunde aber längst veraltete „Keimbläschen-
theorie“ Alexander Brandt’s (Ueber das Ei und seine Bildungsstätte. Ein vergleichend morphologi-
scher Versuch mit Zugrundelegung des Insekteneies. Leipzig 1878) ganz gut vertragen.
Doch die Beobachtung, dass bei den Trematoden das Ei durch Differenzirung einer anfangs
gleichmässigen Protoplasmamasse entsteht, beweist zur Genüge, dass das Keimbläschen des T'rrematodeneies
von Anfang vom Protoplasma umgeben ist. Die Brandt’'sche Hypothese, dass dies Protoplasma ein Sekret
des Keimblächens ist, wird wol kaum Anhänger finden.
mn,
Wie ganz allgemein früher bei den Trematoden die Dotterstöcke für das
Ovarıum gehalten worden sind, so werden sie auch bei unserm Tristomum von
Diesing und Blanchard dafür in Anspruch genommen. Letzterer hat den eigent-
lichen Eierstock zwar gesehen, (er bildet ihn sogar ganz unverkennbar ab), aber so
wenig erkannt, dass er ihn nicht einmal beschreibt und in der Figur nicht bezeichnet.
Kölliker erkennt zuerst richtig das Ovarium und bezeichnet es als „Keim-
bläschenstock.*
Eine selbständige Membran besitzt das Ovarıum nicht, es bildet vielmehr
eine Liicke im Körperparenchym, von welchem es nur durch eine scharfe Contour
abgegrenzt ist; ganz so, wie es auch Salensky') für Amphilina angibt.
In dem Hohlraume liegen die Eizellen auf verschiedener Stufe ihrer Ausbildung.
(Tat. I. fie. 6.)
Ueber ihre Entstehung bei verschiedenen andern Trematoden sind wir durch
Ed. v. Beneden °’) unterrichtet, dessen Beobachtungen sich auch für nnsere Formen
bestätigen lassen. Es existirt kein den Eierstock auskleidendes Epithel, sondern die
einzelnen Eier bilden sich aus einer anfangs nicht zellig differenzirten Protoplasma-
masse, indem sich um je einen Kern eine Portion Plasma abgrenzt.
In der Regel trifft man bei den in der Geschlechtsreife oder doch nahe
daran stehenden Individuen — wie sie meist zur Beobachtung kommen — von der
protoplasmatischen Grundsubstanz nichts mehr an; man sieht vielmehr den ganzen
Hohlraum des Eierstocks mit verschieden grossen, aber bereits selbständigen Ei-
zellen gefüllt.
Zwischen ihnen bemerkt man aber häufig ein feines Netz von der ursprüng-
lichen Protoplasmamasse, aus der sie sich herausgebildet haben. |
Wenn man indess ein hinreichend jugendliches Individuum untersucht, so
kann man sich leicht davon überzeugen, dass ursprünglich ein zusammenhängendes
Lager von protoplasmatischer Grundsubstanz, in welcher Kerne hervortreten, vor-
handen ist.
Um diese Kerne herum beginnt nun das Protoplasma sich derart abzugrenzen,
dass selbständige membranlose Zellen entstehen. Mit zunehmender Ausbildung des
1) Salensky l.c. p. 322.
2) Ed. v. Beneden, Recherches sur la composition et la signification de l’oeuf. Memoires cou-
ronnes et Memoires des savants etrangers, publies par l’academie royale de Belgique XXXIV. Bruxelles
1870 p. 42.
.
ganzen T'hieres schwindet die Grundsubstanz mehr und mehr und man findet dann
im Eierstockshohlraume nur selbständige Eizellen in verschiedener Grösse, wie oben
bereits erwähnt wurde.
Hie und da bleibt von dem Protoplasmalager eine Zelle an der Wandung
des Eierstocks zurück, die dann die Ansicht vortäuschen kann, dass ein eigentliches
Epithel vorhanden sei, wie es von einigen Autoren für andere Trematoden ange-
geben ist. ')
Es dürfte sich bei diesen Beobachtungen um nicht ganz jugendliche Individuen
gehandelt haben, bei denen der Prozess der Eibildung schon zu weit vorgeschritten
war, um eimen klaren Einblick zu gestatten.
Die reifen Eierstockseier sind 0,021 mm. grosse, runde Zellen mit einem
0,012 mm. grossen Keimbläschen und einem sehr klemen, oft kaum erkennbaren
Keimflecke. Im jugendlichen Eie ist dagegen der Keimfleck sehr gross und tingirt
sich viel stärker als das Keimbläschen. Das Protoplasma der Eizelle ist sehr fein-
körnig und durch keine Membran nach aussen abgegrenzt.
Betrachten wir gleich an dieser Stelle die weiteren Schicksale des Eies.
Durch den Eileiter tritt das reife Eierstocksei von seiner Bildungsstätte
nach aussen und wird hier sehr bald von Dotterelementen und diesen beigemischten
Samenfäden umgeben, welche durch einen kurzen Kanal von der Dotterblase in
den Eileiter gebracht werden. °)
Man sieht in dem engen Eileiter dann mehrere Eier liegen, die durch eine
gewisse Menge von Dottermasse von einander getrennt sind.
Sobald durch Contractionsbewegungen des Thieres ein Ei mit der dazuge-
hörigen Dottermasse in den rautenförmigen Uterus eingetreten ist, bildet sich mit
rapider Schnelligkeit eine Schale darum. Dieselbe ist anfangs weich und hell,
nimmt allmählich an Consistenz zu und erhält eine hellbraune Farbe.
Diese Schale, der wir ganz allgemein bei den 'Trematoden begegnen, würde
nach der Auffassung Ed. v. Beneden’s’) als Chorion zu bezeichnen sein.
1) Walter (Archiv f. Naturgeschichte 1858 p. 293) für Amphistomum subelavatum und Stieda
(Müllers Archiv 1867 p. 57 und 1870 p. 667) für Distoma hepaticum und Polystoma integerrimum.
2) Manche Autoren nennen in Folge dessen die Fortsetzung des Eileiters „Keim-Dottergang.“
3) Ed. v. Beneden l.c. p. 229. ‘Je propose de reserver le nom de chorion a toute membrane
anhiste, formee par voie de seeretion, par les cellules Epitheliales de l’ovaire ou de l’oviducte et destinde
a servir d’enveloppe a un oeuf arrive a maturite'.
—— 329 —
Wir schliessen uns indess derjenigen von Hubert Ludwig') an, wonach
Chorion nur solche Eihüllen sind, die von den Zellen des Follikelepithels geliefert
werden. In diesem Sinne ist bei unserm Thiere natürlich kein Chorion vorhanden,
wir haben es einfach mit einer harten, vielleicht chitinigen „Schale“ zu thun.
Dieselbe verdankt ihre Entstehung dem Sekrete bestimmter Drüsen ?), welche
in den untern Theil des Uterus einmünden, wie wir bald sehen werden. Das lege-
reife Ei, wie es im Uterus gebildet wird, hat die Gestalt einer dreiseitigen Pyramide,
mit etwas abgerundeten Ecken der nach oben gerichteten Basis und in einen kurzen
Faden ausgezogener Spitze. Diese Gestalt ist durch diejenige des Uterus bedingt,
welch letzterer gleichsam die Form ist, in welche das Ei gegossen wird.
Der Anhangsfaden entspricht dem untern Theile des rautenförmigen Raumes,
die abgerundeten Ecken dem mittleren 'T'heile desselben.
Ich möchte diese Bildungsweise vergleichen mit derjenigen des Byssusfadens
bei Mytilus oder der Schneckenradula, deren Erhöhungen gleichsam die ausgegossenen
Vertiefungen des sog. „Stempels“ sind.
2. Eileiter. (Taf. I. fig.1u.2. Taf. II. fig. 1. ovd.)
Der Eileiter beginnt bereits innerhalb des Eierstockes, steigt in einer etwas
nach links geneigten Richtung empor, seitwärts von der Dotterblase, nimmt etwas
oberhalb derselben einen kurzen, von dieser ausgehenden Canal auf und tritt dicht
neben dem Cirrusbeutel in einen blasenförmigen Raum ein,
Hierin erweitert er sich zu dem rautenförmigen Uterus?) (u.), in welchem das
Ei von der Schale umgeben wird und mündet endlich dicht neben der männlichen
Geschlechtsöffnung nach aussen.
1) Hubert Ludwig, Ueber die Eibildung im Thierreiche. Eine von der philosophischen
Fakultät der Universität Würzburg gekrönte Preisschrift. Würzburg 1874. p. 198.
2) Die Schale ist nicht etwa, wie Schneider meint, eine von der Eizelle selbst abgeschiedene Bildung.
3) Unter diesem Namen werden im Thierreiche eine Anzahl verschiedenartiger Gebilde verstanden,
die sicherlich den gleichen Namen nicht führen würden, wenu man consequent gleiche Bezeichnungen
nur auf wirklich homologe Organe anwendete. Es fragt sich, ob wir bei den T'rrematoden einen Theil
des weiblichen Apparats als Uterus bezeichnen können, wenn wir darunter einen solchen verstehen wollen,
der bei höheren Thieren eine analoge Funktion besitzt. Da scheint mir der Theil den meisten Anspruch
auf diesen Namen zu haben, in welchem die Eier ihre schliessliche Form bekommen d.h. wo sie mit der
festen Schale umgeben werden. E. v. Beneden hat für diesen Theil einen besondern Namen „Ootyp“
geschaffen (müsste übrigens richtiger Ootypeion heissen), der meines Erachtens überflüssig ist. Auch bei den
RR
In seiner ganzen Ausdehnung besteht der Eileiter aus strukturlosen Wandungen,
wie die Samenleiter.
Der Ausführungsgang des Uterus ist von einer Lage Längsmuskeln begleitet.
Nach v.Beneden') münden auch bei Tr. (Epibdella) Hippoglossi und Sci-
aenae die männlichen und weiblichen Organe gesondert neben einander aus.
Carl Vogt?) sprieht von einer Kloake bei Tr. (Phylonella) Soleae. Nach
der Abbildung münden aber die beiden Kanäle, welche zu einer solchen vereinigt
sein sollen, gesondert, nur sehr dicht neben einander nach aussen. Es scheint daher
die Bezeichnung ‘Kloake’ nicht gerechtfertigt.
In den Uterus münden die Ausführungsgänge zahlreicher einzelliger Drüsen,
die wir als
3; Sehalendrüsen (Taf. II. fig. 1. sch.)
in Anspruch nehmen dürfen.
Vögeln nennen wir den Abschnitt des Eileiters, in welchem das Ei von der Kalkschale umgeben wird,
Uterus. Ganz analog kann man auch bei den 'Trematoden verfahren.
Denjenigen Abschnitt des Eileiters, wo sich die Dotterelemente um das Ei legen, rechne ieh noch
nicht zum Uterus; er ist einfach Bileiter, der auf eine besondere Bezeichnung keinen Anspruch hat, wie
eine solche auch für den 'Theil des Vogeloviduets nicht existirt, in welchem das Ei vom Eiweiss umlagert wird.
!) van Beneden, Note sur un T'rematode nouveau du Maigre d’Europe. Bulletin de l’Aca-
demie royale de Belgique XXIII. no 10. Tafel und M&moire sur les Vers Intestinaux p. 33. Namentlich
in letzterer Abhandlung tritt auf "Taf. II. fig. 1 der enge Ausführungsgang (i) des Uterus hervor.
2) Carl Vogt l.c. p. 308.
Nach Carl Vogt soll die Kloake gebildet werden von dem „Scheidenkanale“ , (d. i. Fortsetzung
des Uterus) und dem „Begattungsgange“ (d.i. Ausführungsgang der Samenkapsel). Ich muss offen ge-
stehen, dass ich weder aus der Vogt’schen Beschreibung der Geschleelitsverhältnisse noch aus den dazu
gehörigen Abbildungen klug werden kann, was auch noch dadurch erschwert wird, dass im Texte erwähnte
Buchstaben in der Zeichnung nicht aufzufinden sind. Wenn mich nicht alles trügt, ist der sog. Scheiden-
kanal nichts anderes als der Cirrusbeutel, worauf ausser Gestalt und Lage auch die Beschreibung, dass
„er im Innern seines Lumens zahlreiche Querfalten zeigt“ durchaus passen würde. Was unter ‘Ootyp’
verstanden wird, weiss ich nicht; es soll ein mit dem Dottersack in Communication stehendes gemein-
schaftliches Reservoir sein. Jedenfalls ist es nicht identisch mit dem von Beneden so bezeichneten Raume,
in welchem sich die Schale bildet; denn nach Vogt sollen die Eier im Ootyp mit Dotter und Sperma-
tozoen umgeben werden und dann in den Uterus gelangen, wo die Bildung der Schale erfolgt. — Die
„Samenblase“ Vogt's ist möglichenfalls die auch von uns so bezeichnete Erweiterung der Scheide. Ich
bin überzeugt, dass sich bei sorgfältigerer Untersuchung für Tr. Soleae eine im allgemeinen gleiche An-
ordnung der Geschlechtsorgane, wie bei den übrigen Arten dieser Gattung herausstellen wird. —
Ze
Ihre Ausführungsgänge sind ziemlich lang und nur schwer nach den zuge-
hörigen Drüsen hin zu verfolgen, weil dieselben meist von andern Organen verdeckt
werden. Sie liegen in der Gegend oberhalb des Eierstocks. Es sind 0,03 mm. grosse,
birnförmige Zellen mit einem ziemlich grobkörnigen Protoplasma, einem in der
Mitte gelegenen runden Kern und seinem Kernkörperchen.
4. Dotterstöcke.!) (Taf. I. fig. 2.)
Wie fast allgemein in der Klasse der Trematoden, sind auch bei den Tristo-
miden die Dotterstöcke ganz ausserordentlich entwickelt.
Sie nehmen hauptsächlich die Seitentheile des Körpers ein und verbreiten sich
mit ihren Verzweigungen, die denen des Darmes genau folgen, bis zu den vordersten
und hintersten Enden des l'hieres. Einzelne kleinere Zweige folgen den Darmver-
zweigungen auch nach innen und liegen zwischen den Hodenbläschen.
Man hat an ihnen die eigentlichen Drüsenfollikel und die Ausführungsgänge
zu unterscheiden.
Erstere bilden gleichsam die Beeren, letztere die Stiele einer "Traube.
Die einzelnen kleinen Ausführungsgänge sammeln sich in zwei grosse, den
Körper fast in seiner ganzen Länge durchziehende Gänge, dieDottergänge (Tat. II.
fig. 1. dg.). Sie sind über den Darmschenkeln gelagert, und bilden wie diese ober-
1) Ich brauche den alten Namen „Dotterstock“, wenngleich ich mir sehr wol bewusst bin, dass
er nieht haltbar ist. Doch er ist allen bisher vorgeschlagenen Bezeichnungen vorzuziehen.
Man hat bekanntlich von verschiedenen Seiten Bedenken gegen den Namen „Dotterstock“ erhoben.
Reichert will dafür Eiweissdrüse gesetzt haben, doch hat Leuekart (Menschliche Parasiten I. p. 481)
Recht, dies nicht zu acceptiren, „weil das Absonderungsproduct der betreffenden Gebilde ebenso wenig
und vielleicht noch weniger Eiweiss ist als Dotter.“ Minot (Studien an 'Turbellarien p. 443) schlägt
den Namen „Futterstöcke“ oder „Eifutterstöcke“ vor und ist genöthigt, um die Bezeichnung
„Futtergang“ zu vermeiden, von „Binährungsgängen“ zu sprechen, wenn er die Ausführungsgänge
bezeichnen will. Ed. v. Beneden (l.e. p. 225) nennt die nämlichen Gebilde „Deutoplasmadrüsen“
(deutoplasmigenes), indem er ihr Sekret als gleicbwerthig dem Deutoplasma der übrigen Eier erachtet.
Ludwig (Eibildung im Thierreiche p. 32) macht mit Recht darauf aufmerksam, dass hierdurch morpho-
logisch verschiedene Dinge zusammengeworfen werden. Aber auch seine Bezeichnung „Hülldrüsen“
oder „Eihülldrüsen“ möchte ich nieht gern annehmen, da sie gar zu allgemein ist und ebenso auf
die Schalendrüse, die gleichfalls eine Eihülle liefert, Anwendung finden könnte. Aus rein praktischen
Gründen dürfte es sich empfehlen, nach wie vor von Dotterstock, Dottergängen und Dotterblase zu reden;
denn man ist doeh immer genöthigt, der Kürze halber das Sekret dieser ‘Hülldrüsen’ Dotterelemente,
Dotterkörnchen u. dergl. zu nennen.
— 332
halb des Bauchsaugnapfes eine bogenförmige Vereinigung. Ausserdem aber ent-
sendet im vordern Theile des Körpers ein jeder der längsverlaufenden Dottergänge
einen queren Gang, welche sich in der Mittellinie in einer rundlichen Anschwel-
lung, der Dotterblase (db.), vereinigen.
Die Drüsenfollikell haben ebensowenig eine selbständige Wandung wie der
Eierstock und die übrigen Organe; auch sie bilden nur Lücken im Körperparenchym,
welches sich durch eine scharfe Contour dagegen abgrenzt.
Nach Ed. v. Beneden') soll ein Dotterstocksepithel vorhanden sein.
Ich kann diese Angabe keinesfalls bestätigen.
An jugendlichen Individuen, wo man von den Dotterelementen selbst noch
gar nichts wahrzunehmen vermag, gewinnt man über die Zellen der Drüsenfollikel
den besten Aufschluss.
Da sieht man an ceireumseripten Stellen Anhäufungen von grossen runden
Zellen, die zu vier, sechs, acht und noch mehr neben einander liegen, ohne nur
im entferntesten die Anordnung und Form von Epithelzellen zu zeigen.
Diese Zellen haben einen trüb protoplasmatischen Inhalt, in welchem ich
keinen Kern wahrzunehmen vermochte.
Neben solchen finden sich Anhäufungen noch zahlreicherer kleinerer Zellen,
die einen sehr deutlichen Kern mit einem kleinen Kernkörperchen zeigen und genau
denen gleichen, welche wir in den Drüsenfollikeln älterer Individuen neben den
bereits gebildeten Dotterelementen wiederfinden.
Obgleich es mir nicht gelungen ist, die erst erwähnten grossen Zellen in
Thheilung anzutreffen, glaube ich doch nicht irre zu gehen, wenn ich sie für die
Mutterzellen jener kleineren anspreche, welche die eigentliche Stätte der Dotter-
bildung sind.
Diese Bildung besteht in einer Desorganisation, welche bei unserm Thiere
mit einem gänzlichen Zerfall des Zellenkörpers endet.
Anfangs treten im Zellenprotoplasma um den Kern herum kleine, stark licht-
brechende Körnchen von gelbbrauner Farbe auf, diese mehren sich, machen den
Zellkern immer unsichtbarer, vereinigen sich zu grösseren Dotterkugeln und liegen
endlich selbständig neben den noch unversehrten Zellen (Taf. I. fig. 3.)
1) Ed.v. Beneden l.c. p. 42.
333 —
Zum Theil schon in den Drüsenfollikeln erwachsener Thiere, bestimmt aber
in den kleinen, stielartigen Ausführungsgängen sieht man die gelbbraunen Dotter-
körnchen oder -kugeln liegen, die sich in Folge dessen auch bei Anwendung von
Tinktionsflüssigkeiten nicht mehr färben. In den Drüsenfollikeln sieht man häufig
an der einen Seite noch die Bildungszellen mit ihren scharf tingirten Kernen, auf
der andern die bereits fertigen Dotterelemente liegen.
Letztere sind nun in den längsverlaufenden und queren Dottergängen zu un-
geheuern Massen angehänft und die vorerwähnte Dotterblase ist nichts als ein Reser-
voir für dieselben.
Diese Dotterblase ist bei geschlechtsreifen Thieren stets vorhanden und
dieht mit bräunlicher Masse gefüllt. Bei jugendlichen Individuen ist sie entweder
in geringer Ausbildung zu erkennen (Tat. 1. fig.1. db.) oder man sucht sie überhaupt
vergebens, wie auch die Dottergänge, weil in ihnen noch keine Dotterelemente
liegen und sie sich so dem Auge leicht entziehen.
Die Dotterblase (vitellosae der Franzosen) kommt sehr allgemein bei den
T'rematoden vor. Aus der nächsten Verwandtschaft der in Rede stehenden Formen
beschreibt sie v. Beneden bei Tr. (Epibdella) Hippoglossi und Sciaenae und Carl
Vogt bei (Phylonella) Soleae.
Bei letzterer Art bildet die Blase einen querliegenden Sack, wie sie denn
überhaupt je nach ihrem Füllungszustande ihre Form mannigfach ändern wird.
Da die Dotterstöcke, wie erwähnt, von früheren Beobachtern für den Eier-
stock gehalten wurden, so ist es nur folgerichtig, wenn Blanchard') die Dotter-
blase als “ovisac’ bezeichnet.
Ich hebe nochmals hervor, dass bei Tristomum der Zerfall der Dotterbildungs-
zellen stets vor Umlagerung des Eierstockseies vollzogen ist”). Bekanntlich gibt
es andere Trematoden, — und wir werden später in Onchocotyle appendiculata
einen solchen kennen lernen — wo die Dotterzellen ihre Selbständigkeit noch inner-
halb des von einer Schale umgebenen, legereifen Eies bewahren.
1) Blanchard l.c. p. 325.
2) Carl Vogt (l.e. p. 309) findet in der Dotterblase (Dottersack) bei Tr. Soleae ebenfalls
formlose Masse. Wenn er solehe auch in den blinden Enden der Drüse beobachtet hat, so ist dies er-
klärlich, sobald ältere Thiere untersucht sind, bei denen die Bildungszellen bereits vollständig desorganisirt
waren. Wie sich dagegen in den grösseren Dottergängen diese Massen differenzirt, kuglig um die Kern-
chen geballt haben und so „wahre Zellen“ bilden sollen, bleibt mir unverständlich.
Abh, der naturf, Ges, zu Halle. XIV. 5. Hit. 44
Be
Ich muss hier noch auf einen Umstand aufmerksam machen, der leicht zu
Irrungen Veranlassung geben könnte.
Wo bei unserm Tristomum die Dotterblase liegt, bemerken wir auch bei
Distomum hepaticum einen „kugligen Körper“, den man auf den ersten Blick als
analoges Gebilde in Anspruch zu nehmen kein Bedenken tragen würde.
Doch dieser kuglige Körper ist hier, wie wir durch Leuckart') und Stieda°)
wissen, die Schalendrüse, in welche ausser den Dottergängen auch der Eiergang
und die Scheide einminden. ?)
Gerade dieser letztere Umstand macht die Analogie dieser Schalendrüse mit
unserer Dotterblase noch evidenter; denn auch hier treffen die Dottergänge, der
Eiergang (wenigstens mittelbar durch einen kleinen selbständigen Kanal) und .die
Scheide zusammen.
Und doch ist die Dotterblase entschieden nichts anderes als ein einfaches
Reservoir für die Dottermasse und entbehrt jeglichen Charakters einer Drüse, wie
durch sie geführte Schnitte über allen Zweifel erheben. So sehr also der Anschein
für eine Analogie der Schalendrüse von Distoma und der Dotterblase unserer For-
men spricht, eine solche ist bei genauerer Untersuchung nicht vorhanden.
Diese Dotterblase ist übrigens von entschiedener Wichtigkeit für die ganzen
Geschlechtsverhältnisse unserer Thiere.
Wie erwähnt, tritt in sie die Scheide ein. Dadurch werden also die Sper-
matozoen zu den Dotterelementen geleitet, vermischen sich hier mit ihnen und ge-
langen durch den beschriebenen kurzen Canal in den Eiergang, wo sie mit dem Eie
zusammentreffen, um es zugleich zu befruchten und mit Dottermasse zu umgeben.
5. Scheide (Laurer'scher Canal) ?).
Die Scheide, welche zur Uebertragung des Samens eines Individuums zu
den Eiern eines anderen dient, öffnet sich an der linken Seite der Bauchfläche in der
1) Leuckart l.c. p. 561.
2) Stieda, Beiträge zur Anatomie der Plattwürmer. Müller’s Archiv 1867. p. 27.
3) Genau dieselbe Anordnuug beschreibt Kerbert für sein neues Distomum Westermanni aus
den Lungen von Felis tigris. Veırgl. Zoologischer Anzeiger I. Jahrgang no 12. p. 271. ‘Zur 'Trematoden-
Kenntniss’.
#) Da bei diesen Thieren ein vom Ausführungsgange des Fruchtbehälters getrennter Kanal existirt,
welcher zur Befruchtung dient, so kann leicht eine Confusion in der Bezeichnung dieser beiden Kanäle
eintreten. Wir pflegen ganz allgemein denjenigen Theil des weiblichen Apparats, welcher das männliche
—— 339 —
Nähe der männlichen und weiblichen Geschlechtsöffnungen. (Taf. I. fig. 1. u. 2.
Taf. II. fig. 1.)
Sie stellt einen kurzen, ziemlich weiten Kanal dar, welcher in eine längliche
Samenblase übergeht, vor welcher er einige kleine Windungen zu machen pflegt.
Von der Samenblase aus, die ich stets dicht mit Samenmassen angefüllt sah,
geht ein sehr feiner, oft schwer erkennbarer Gang zur Dotterblase, an deren linkem
oberen Rande er einmiündet.
Wir haben schon oben erwähnt, dass die Scheide bei unserm Thiere von
früheren Beobachtern bereits beschrieben und abgebildet, aber irrthümlicher Weise
für die Ausmündung der weiblichen Geschlechtsorgane gehalten worden ist‘), ein
Versehen, welches dadurch erklärbar wird, dass die weibliche Oeffnung so dicht der
männlichen anliegt.
Das Vorhandensein einer Scheide beweist uns, dass bei unsern Thieren eine
wechselseitige Befruchtung stattfindet, neben welcher eine innere Selbstbe-
fruchtung gänzlich auszuschliessen ist, da ein drittes vas deferens,
welches von einem Hoden zu den keimbereitenden Organen führen sollte, nicht vor-
handen ist.
Glied bei der Begattung aufnimmt, als Scheide (vagina) zu bezeichnen. Derselbe übernimmt aber für
gewöhnlich gleichzeitig die Funktion, die Eier resp. die reife Frucht nach aussen zu führen. Es ist dann
also Begattungsgang und Ausführungsgang des Fruchtbehälters identisch. Nicht so bei den Trematoden und
gewissen Cestoden, wo man also berechtigt sein könnte, beide Kanäle mit dem gleichen Namen zu belegen,
was natürlich nicht zulässig ist. Da man den besondern Begattungsgang bei den Trematoden nicht kannte,
so hat man den Ausführungsgang des Fruchtbehälters, den man ja auch für die Aufnahme des Penis
bestimmt glaubte, als Scheide bezeichnet. Es ist wol das Zweckmässigste, man lässt den Namen
‘Scheide’ dem Begattungsgange und sprieht im Gegensatz dazu einfach vom „Ausführungsgange
des Uterus“ oder „Eiergange*.
Eine Scheide kommt demnach den Cestoden und 'Trematoden gemeinsam zu, der Ausführungs-
gang des Uterus fehlt den 'Taenien.
') Vergl. Blanchard (l.e. Pl. Il. fig.2f.) und Kölliker (l.c. Taf. fig. 3). Letzterer nennt die
birnförmige Erweiterung ganz richtig ‘Samenbehälter” und sprieht die Vermuthung aus, dass derselbe
vielleicht durch einen besondern zweiten ductus deferens mit dem Hoden in Verbindung steht.
Bei Tr. (Epibdella) Sciaenae wird die Samenblase mit ihrem Ausführungsgange von Ed. v. Beneden
(Note sur un Tre@matode nouveau du Maigre d’Europe, Bull. de l’Acad. roy. de Belgique XXIII. no 10)
als eine besondere Drüse bezeichnet, deren wahre Bedeutung nicht im entferntesten geahnt wird; und in
Mem. sur les Vers Intest. p.34 heisst es von diesem Organe: “Un organ que nous avons eru longtemps
en rapport avec le vitellosac, e dont nous ignorons completement l’usage et la signification, est situe en
44%
Be...
Wir haben in den letzten Jahren auch für andere T'rematoden den Nachweis
erhalten, dass eine besondere Scheide (Laurer’scher Kanal) vorhanden ist, und es
sei gestattet bei der Wichtigkeit, welche diese Thatsache immerhin besitzt, die darauf
bezüglichen Angaben zusammenzustellen.
Zur Geschichte des Laurer’schen Kanals.
Laurer') war der erste, welcher bei Amphistomum conicum einen Kanal
beschrieben hat, welcher mit der Schalendrüse (nodulus Laurer) in Verbindung steht,
ohne dass eine Ausmündung nach aussen beobachtet wurde.
Denselben Kanal beschreibt 1836 Siebold°) bei einigen Saugwürmern als
eine Verbindung zwischen dem einen Hoden und der sog. vesicula seminalis posterior
d.h. dem jetzt als Schalendrüse aufgefassten Organe.
Hierdurch sollte nach seiner Meinung ein direkter innerer Zusammenhang
zwischen männlichen und weiblichen Organen und somit die Möglichkeit einer innern
Selbstbefruchtung hergestellt werden.
Er bezeichnet diesen Kanal als drittes vas deferens und schrieb ihn später °)
allen Trematoden zu.
Leuckart*) bestreitet das allgemeine Vorkommen eines solchen dritten
vas deferens bei den Trematoden und lässt es nur für gewisse Formen (z. B. Disto-
mum lanceolatum) bestehen, wie es denn auch bei verschiedenen verwandten Formen
von mehreren Autoren beschrieben worden ist. So ganz speziell für Amphistomum
conicum.
Nach den Untersuchungen Blumberg’s?) indessen existirt ein innerer Zu-
sammenhang zwischen männlichen und weiblichen Organen nicht. Jener Kanal,
welcher als eine solche Verbindung beschrieben worden ist, steht mit dem Hoden
avant du vitellosae et longe le canal deferent dans une partie de la longueur pour se perdre au devant
de la vesieule pulsatilee — — Dans l’Epibdelle de la seine cet organ est encore plus distinet — —
Nous eroyons avoir vu cet organ s’ouvrir A l’exterieur a cöte& des orifices sexuels'.
'") Laurer, Disquisitiones anatomiecae de Amphistomo eonico. Dissert. inaug. Gryphiae 1830.
2) Siebold, Helminthologische Beiträge III. Wiegmanns Archiv f. Naturgeschichte 1836 I. p. 217.
— Fernere Beobachtungen über die Spermatozoen der wirbellosen Thiere. Müllers Archiv 1836 p. 231.
%) Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der wirbellosen 'T’'hiere. Berlin 1848 p. 141 u.f.
#) Leuckart, Menschliche Parasiten I. p. 479.
°) Blumberg, Ueber den Bau des Amphistomum conicum. Diss. inaug. Dorpat. 1871 p. 32.
Ber 7 DEE
in keinerlei Beziehung, sondern mündet nach aussen und dient als Scheide d. h. zur
Ueberleitung des Samens eines Individuums zu den Eiern eines andern.
Diese Resultate der Blumberg’schen Untersuchung werden gleichzeitig von
Stieda') der Oeffentlichkeit übergeben. Letzterer hatte bereits bei Distomum
hepaticum im Jahre 1867 einen Kanal beobachtet, welcher aus der Schalendrüse
nach der Rückenfläche des Thieres führt, um dort auszumünden. Er gab ihm da-
mals die Deutung, dass er „das Uebermass der sich bildenden und in den Dottergang
gebrachten Dottermasse direkt nach aussen abzuleiten habe“ ?).
In Folge der gleichen Beobachtung bei Amphistomum erklärt nun Stieda
diesen Kanal auch bei dem Leberegel für den Laurer’schen Kanal d.h. als Scheide.
Durch diese Beobachtung wurde eine entschiedene Uebereinstimmung in den
Geschlechtsorganen der Cestoden und Trematoden nachgewiesen. Denn auch diese
haben — was von den Taenien allgemein anerkannt war — einen als Scheide
dienenden Kanal, während ein Ausfihrungsgang des Uterus nicht existirt. Für die
Bothriocephaliden nahm man früher an, dass ein gemeinschaftlicher Kanal für den
Eintritt der Spermatozoen und den Austritt der Eier vorhanden sei, der also gleich-
zeitig Scheide und Ausführungsgang des Uterus ist.
Erst Stieda°) hat den Nachweis geliefert, dass eine von der Uterusöffnung
ganz getrennte Scheidenöffnung existirt, mithin drei verschiedene Geschlechtsöffnungen
vorhanden sind.
Dies Verhalten wird dann von Leuckart®) und von Sommer und Lan-
dois°) bestätigt.
Durch die gleiche Entdeckung bei Dist. hepaticum und Amphist. conicum
nun wurden die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Bothriocephaliden und Trema-
toden als viel engere erkannt, als man es vorher geahnt hatte.
Und die beiden genannten Trematodenformen blieben nicht die einzigen,
welche diese Verwandtschaft stützten.
1) Ueber den angeblichen innern Zusammenhang der männlichen und weiblichen Organe bei den
'Trematoden. Müllers Archiv 1871 p. 31.
2) Stieda, Beiträge zur Anatomie der Plattwürmer. Müllers Archiv 1867 p. 52.
3) Stieda, Ein Beitrag zur Anatomie des Bothriocephalus latus, Müllers Archiv 1864 p. 174.
4) Leuckart, Bericht über die wissenschaftl. Leistungen in der Naturgeschichte der wirbellosen
Thiere für 1864 u. 65. Berlin 1866 p. W.
5) Sommer und Landois, Ueber den Bau der geschlechtsreifen Glieder von Bothriocephalus
latus. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie XXI. p. 40.
—— 338 —
Zaerst weist Bütschli') das Vorhandensein eines Laurer’schen Kanals bei
Dist. endolabum nach.
Sodann beschreibt Zeller?) bei Polystomum integerrimum einen ‘den Samen
zuleitenden Kanal’, der mit den Ausführungsgängen der Dottergänge und des Eierstocks
zusammentrifft.
Er fügt hinzu: „den Ursprung dieses Kanals konnte ich trotz aller Mühe,
die ich darauf verwandte, nicht erkennen. Der Analogie zu Folge müsste er nach
meinen sonstigen Beobachtungen auf der Rückenfläche zu suchen sein. Ich habe
mich nämlich bei einer grossen Anzahl von Trematoden, welche aller-
dings vorzugsweise der Gruppe der Distomeen angehören, aut das bestimmteste
überzeugt, dass der von v. Siebold als drittes vas deferens ange-
nommene Kanal in Wirklichkeit nicht von dem einen Hoden aus-
geht, sondern ohne allenZusammenhang mit diesem auf der Rücken-
tläche des Körpers mit einer kleinen rundlichen Oeffnung seinen
Anfang nimmt und also von aussen her den Samen in die innere
Samenblase oder auch direkt zu dem Ausführungsgange des Keim-
stockes zu leiten hat.“?)
In einer späteren Arbeit?) erklärt Zeller mit Bestimmtheit, dass dieser
Kanal bei Polyst. integerrim. nicht nach aussen mündet, sondern in den
1) Bütschli, Beobachtungen über mehrere Parasiten. Archiv f. Naturgeschichte XXXVIII.
1872. p. 234.
?) Zeller, Untersuchungen über die Entwicklung und den Bau des Polystomum integerrimu m
Rud. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie XXII. p. 21.
3) Gegentheilige Beobachtungen veröffentlichte O. Linstow über einige Distomeen im Archiv f.
Naturgeschichte 1873 und 75. Ebenso beschreibt T’haer (Müllers Archiv 1850 p. 602) bei Onchocotyle
appendieulata ein drittes vas deferens, dessen Existenz bereits von v. Beneden (Memoire sur les Vers
Intest. p. 191) bezweifelt, welch letzterer überhaupt bemerkt (p. 188), dass er nie einen Verbindungs-
kanal zwischen dem einen Hoden und den weiblichen Organen gefunden habe, und daher eine Selbstbe-
fruchtung durch Uebertragung des Samens mittelst des Penis in die weibliche Oeffnung_ annimmt.
Bei Holostomum, wo nach Linstow (Archiv f. Naturgesch. 1577 p.191) ausser der männlichen
und weiblichen Geschlechtsöffnung ein Laurer’scher Kanal vorhanden ist, wird ihm von diesem Helmin-
thologen die veraltete Bedeutung gegeben, überflüssige Dottersubstanz abzuführen. — Huxley (Anatomy
of Invertebrate Animals Chap. IV) beschreibt bei Aspidogaster conchicola eine Verbindung zwischen Hoden
und Eileiter.
%) Zeller, Weiterer Beitrag zur Kenntniss der Polystomen. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie XXVII.
1876 p. 238.
Be
Hoden eintritt, dass mithin gerade bei diesem Thiere ein innerer Zusammenhang
zwischen männlichen und weiblichen Organen besteht.
Dagegen werden wir über die, auch schon früher von ihm kurz erwähnten
„Seitenwülste“ und deren Kanäle unterrichtet und lernen in ihnen weibliche Be-
gattungsorgane kennen, also zwei Scheiden oder Laurer’sche Kanäle.
Zwei diesen entsprechende Kanäle finden sich auch bei Calicotyle Kroyeri,
dem interessanten Parasiten von Raja, welcher von Wierzejski') einer sorgfältigen
anatomischen Untersuchung unterzogen worden ist.
Verfasser erkennt die Analogie mit den von Zeller beschriebenen Seitenwülsten,
lässt es aber dahingestellt sein, ob es wirkliche Begattungsorgane sind.
Das gleiche Verhalten wie bei Calicotyle treffen wir auch bei Pseudocotyle
Squatinae, wie ich bereits in einer vorläufigen Mittheilung erwähnt habe ?).
Auch bei Onchoeotyle appendieulata ist es mir gelungen, eine Scheide nach-
zuweisen.
In neuster Zeit beschreibt C. Vogt’) bei Diplectanum aequans eine „Begat-
tungskeule“ mit einer äusseren Mündung, die unabhängig von der männlichen und
weiblichen Geschlechtsöffnung ist.
Er ist sich über die Verhältnisse nicht ganz klar geworden; wahrscheinlich
ist auch hier ein Laurer'scher Kanal vorhanden, welcher durch jene dritte Oeffnung
nach aussen mündet.
In Betreff einer andern, den Tristomiden zugehörigen Form, Tr. (Phylonella)
Soleae erklärt derselbe Forscher aufs entschiedenste, keine innere Verbindung
zwischen männlichen und eibereitenden Organen aufgetunden zu haben, so dass er
eine innere Selbstbefruchtung bezweifelt.
Für Tr. Pelamydism. gilt genau dasselbe wie für Tr. coceineum und papillosum.
Ganz vor kurzem veröftentlichte mein Freund C. Kerbert*) seine Untersu-
chungen über eine neue 'Trematodenform, Distoma Westermanni, in einer vorläufigen
Mittheilung. Dieselben haben auch ihier die Existenz eines Laurer’schen Scheiden-
kanals erwiesen.
1) Wierzejsky, Zur Kenntniss des Baues von Calicotyle Kroyeri, Zeitschr. f. wissensch. Zoolog.
XXIX. 1877. p. 550.
?) Zoologischer Anzeiger I. Jahrg. no. 8. p. 176.
») ©. Vogt, Ueber die Fortpflanzungsorgane einiger ectoparasitischer mariner T’rrematoden. Zeitschr.
f. wiss. Zoolog. XXX, Suppl. 1878 p. 306.
4) ©.Kerbert, Zur 'Trematoden-Kenntniss. Zoolog. Anzeiger I. Jahrg. 1878. no 12. p. 271.
— 340 -
Es darf demnach wol mit ziemlicher Sicherheit angenommen werden, dass
das Vorhandensein einer besondern Scheide bei den Trematoden die Regel ist. Dass
es davon nicht Ausnahmen geben könne, wollen wir zunächst nicht in Zweifel
ziehen, ebenso wie es Fälle gibt, wo neben der Scheide noch ein drittes vas deferens
im Sinne Siebold’s vorhanden ist, was nach den so trefflichen Untersuchungen Zeller's
für Polystomum integerrimum nicht geleugnet werden darf).
Nachtrag.
Bei der Besprechung des Nervensystems von Tristomum cuceineum und pa-
pillosum wurde erwähnt, dass P. v. Beneden eine gleiche Bildung des Oentraltheiles
bei T'rist. (Epibdella) Hippoglossi beschreibt, dass dieser letztere aber auffälliger
Weise unterhalb des Schlundkopfes gelegen sei.
Durch die Liebenswürdigkeit des Herrn Geheimrath Leuckart war ich in
den Stand gesetzt, ein Exemplar dieser Beneden’schen Tristomum-Art zu untersuchen.
Dabei habe ich mich überzeugt, dass genannter Forscher sich über die Lage des
‘Gehirns’ im Irrthum befindet. Dasselbe liegt genau an derselben Stelle, wie bei Tr.
coccmeum und papillosum, nämlich vor der vorderen Pharyngealöffnung und verhält
sich auch in Bezug auf die abgehenden Nerven in gleicher Weise. Auf dem Gehirn
liegen in Trapezform vier schwarze ‘Augenflecke’, wie wir es ebenfalls von den
beiden anderen Arten constatiren konnten.
!) Nachträglicher Zusatz. Nachdem ich mein Manuscript bereits zum Druck gegeben hatte,
erhielt ich noch zwei auf diesen Gegenstand bezügliche Arbeiten, 1. Ludwig Lorenz, Ueber die Organi-
sation der Gattungen Axine und Microcotyle. Arbeiten des zoolog. Instituts zu Wien Heft 5. 1878,
Auch aus ihr geht hervor, dass bei Axine und Microcotyle eine besondere Scheide existirt. Besonders
interessant war es mir, die gleiche Beobachtung auch für Tristomum (Trochopus) tubiporum Dies. von
Trigla hirundo, einem 'T'hiere, nach welchem ich in Neapel vergeblich gesucht hatte, bestätigt zu finden,
Lorenz hat völlig Recht, wenn er eine solche Scheide auch bei Phylonella vermuthet und der Ansicht ist,
dass sie von Vogt ganz übersehen sei.
2. Minot, On Distomum crassicolle, with brief notes on Huxley’s proposed classification of worms.
Memoirs of the Boston Society of Nat. Hist. Vol. III. June 11, 1878. Hierin wird für Dist. crassicolle
ebenfalls die Existenz einer Scheide nachgewiesen. Ausserdem entnehme ich dieser Abhandlung ein wei-
teres Beispiel für denselben Fall, das mir bisher unbekannt gewesen war. Fitz hat in seiner Untersuchung
über Fasciola Jacksoni (New York Med. Journ. Nov. 1875) auch für dies Thier die Scheide nachgewiesen.
Tafelerklärune.
Tafel IT.
Fig. 1. 'Tristomum coceineum Cuv. von der Rückenseite aus gesehen. (nach einem Präparate.
Hämatoxylin. Canadabalsam.) Vergr. 20.
M. S. Mundsaugnapf.
B. S. Bauclisaugnapf.
h. Chitinhaken in demselben.
0. Mundöffnung.
ph. Pharynx.
x. Ausführungsgänge von Drüsen.
oe. Oesophagus.
in. Darmschenkel.
r. in. Verzweigungen des Darmes.
Hoden.
v.d. vas deferens.
+
ce. Cirrusbeutel.
o.m. Männliche Geschlechtsöffnung.
o. f. Weibliche Geschlechtsöffnung.
ov. Eierstock.
ovd. Eileiter.
u. Uterus.
sch. Schalendrüsen.
d.b. Dotterblase.
v. Scheide.
v.s. Samenblase.
g. Centraltheil des Nervensystems.
n. Peripherischer Nervenstrang.
NB. Vom Exceretionsorgane ist nichts gezeichnet, weil es im Präparate nicht sichtbar ist.
Fig. 2. Dasselbe mit den Dotterstöcken.
dd. Dotterdrüsen.
dg. Dottergang.
db. Dotterblase.
Abh. der naturf. Ges. zu Halle. XIV, 3. Hft. 45
Fig. 3. Querschnitt durch einen Driisenfollikel der Dotterstöcke. Vergr. 340.
Fig. 4. Tristomum papillosum Dies. in natürlicher Grösse.
a. vom Rücken aus gesehen.
b. von der Bauchseite (man sieht unterhalb der Mundsaugnäpfe den pharynx durchscheinen).
p- Hautpapillen.
Fig. 5. Querschnitt durch die Haut von Tr. papillosum. Vergr. 180.
e. Cutieula,
suc. Subeutieula.
b. Chitingebilde in derselben.
Fig. 6. Querschnitt durch einen T'heil des Eierstocks von Tr. papillosum. Vergr. 280.
Tafel II.
Fig. 1. Geschlechtsorgane von Tr. papillosum im Zusammenhange, von der Bauchseite gesehen.
Vergr. 25.
o. m. Männliche Geschlechtsöffnung.
o.f. Weibliche Geschlechtsöffnung.
ce. Cirrusbeutel.
x. Blasenförmige Erweiterung am Grunde desselben.
y. Ausführungsgänge von Drüsen.
u. Uterus.
sch. Schalendrüsen.
v. Scheide.
v.s. Samenblase.
v.d. Samenleiter.
t. Hodenbläschen.
(Dieselben sind nur zum kleinsten Theile gezeichnet, ihr Inhalt nicht angedeutet).
ov. Eierstock.
dg. Dottergänge.
d.b. Dotterblase.
ovd. Eileiter.
Fig. 2. Zellen des Körperparenchyms. Vergr. 280.
a. Zellen in den Lücken des Bindegewebes.
b. Solche mit Fortsatz.
c. Kerne der ursprünglichen Bildungszellen.
d. Bindegewebsfasern.
e. Feine Endzweige des Excretionsorgans.
Fig. 3. Querschnitt durch das Gehirn von Tr. papillosum. Vergr. 70.
a. Ganglionäre Anschwellungen.
313 ——
b. Commissur.
ce. Austretende Nervenstränge.
Fig. 4. Ganglienzellen aus dem Gehirn von Tr. papillosum. Vergr. 280.
Fig. 5. Querschnitt durch einen peripherischen Nervenstrang von Tr. papillosum. Vergr. 440.
Fig. 6. Querschnitt durch einen Theil des Darmes von Tr. papillosum. Vergr. 280.
Fig. 7. Querschnitt durch die Haut der Rückenfläche von Tr. papillosum. Vergr. 70.
e. Cutieula,
suc. Subeuticula.
b. Bindegewebe.
d. Kerne in der Hautpapille.
ım,. Ringmuskeln.
m,. Längsmuskeln.
m,. Diagonalmuskeln.
p. ın. Parenchymmuskeln,
Fig. 5. Chitinhaken aus dem Bauchsaugnapfe von Tristomum. Vergr. 280,
Fig. 9. Zellen aus dem Körperparenchym, welche in den Liicken des Bindegewebes liegen, Vergr. 280.
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DER
NATURFORSCHENDEN GESELLSCHAFT ZU HALLE.
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Dierzehnten Bandes erftes und zweites Heft.
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ABHANDLUNGEN
5 NATURFORSCHENDEN GESELLSCHAFT ZU HALLE.
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\ toden; , Mit.2: Tafeln! 2, 7 I
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Druck unp VerLaG von H. W. Scanuinr.
1879.
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